Betty Paoli
Lyrisches und Episches

[97] Widmung

Dem Freunde.


Im Dunkel rang ich meine Hände,
Mein Blick nur flehte himmelwärts:
Zermalm' es, wenn du willst, doch wende
Dies dumpfe, dies erstorb'ne Herz!
Des Edens Licht ihm vorzumalen
Entsend ihm deiner Gnade Schein,
Und dräng' auch jeder ihrer Strahlen
Gleich einem spitzen Pfeil hinein!
Laß mich, sei's Glück, sei's Leid, empfinden,
Das Stand vor meinem Geiste hält,
Das nicht, in flüchtigem Entschwinden,
Wie Staub in meiner Hand zerfällt!
Nimm sie hinweg die bange Schwüle
Darin die Seele mir erschlafft,
Daß ich auf's neu dein Kind mich fühle,
Dein Kind an heil'ger Liebeskraft! – –
Ich ward erhört! Die Fesseln fielen,
Der finstre Bann des Zweifels wich,
Wie Lenzhauch fühlt' ich's mich umspielen, –
Ich sah und ich erkannte dich!
Hell leuchtend tratst du mir entgegen
[98]
In ungetrübter Herrlichkeit,
Du meines Daseins Fluch und Segen,
Mein höchstes Glück, mein tiefstes Leid!
Denn nicht an Dornen fehlt's dem Kranze,
Der sich auf meine Stirn gesenkt;
Doch wer ist, der im Siegesglanze
Noch klagend seiner Wunden denkt?
Wenn mir zu tiefst das Herz zerrissen,
Ich preis' und segne doch mein Los,
Und keine Thränen möcht' ich missen,
Die jemals ich um dich vergoß!
Ich hab' in dir nicht mich erlesen!
Mehr als die Lust und als die Pein,
Die mich durchbebt, gilt mir dein Wesen,
Dein innerst und lebendigst Sein.
Du stehst vor mir voll Größ' und Klarheit,
Frei von jedwedem niedern Joch,
Dein Blick ist Licht, dein Wort ist Wahrheit, –
Was brauch' ich mehr zum Glücke noch? –
Durch dich hat mir ein Gott verkündet,
Daß Seligkeit auf Erden lebt!
Den farb'gen Strahl hast du entzündet,
Der sich um meine Dichtung webt,
Dem müden Geiste hast du wieder
Ein leuchtend edles Ziel gesteckt!
Drum sind dein eigen diese Lieder,
Die du in meiner Brust geweckt!

[98] Ja, es ist ein wunderbares Leben

Ja, es ist ein wunderbares Leben
Das in dir, durch dich mir aufgegangen!
Unbezwinglich nach dem Glück Verlangen,
Tiefster Demut freudig Sichbegeben!
Aus dem Strahle deiner Augensterne
Möcht' ich trinken ew'gen Lebens Fluten.
Ach und möchte doch nicht minder gerne,
Du Geliebter! dir im Arm verbluten!
Mich mit süßem Liebesband umstrickend
Hast du an die Erde mich gekettet,
Und dem Himmel hast du mich gerettet
Seine Ahnung tief in's Herz mir blickend.
Gleich gilt's, wie die Zukunft sich gestaltet,
Ob mein Auge lächelt oder weinet:
Eine Welt hast du in mir entfaltet
Die den Himmel mit der Erde einet!

[99] Nichts kommt in des Lebens Reiche

Nichts kommt in des Lebens Reiche
Nahe jener Lust,
Die mich faßt, schmieg' ich die bleiche
Stirn an deine Brust!
Die mein Innerstes erschüttert,
Wenn dein Blick mich grüßt,
Todesselig mich durchzittert,
Wenn dein Mund mich küßt! –
Wie sie magisch mich umweben,
Blick und Hauch und Wort!
Ja! du küssest mir das Leben
Von der Lippe fort!
Du zerbrichst des Körpers Schranke,
Daß die Seele, frei,
Nichts mehr als nur ein Gedanke
Reinster Liebe sei!

[100] Kosakisches Wiegenlied

Nach Lermontoff.


Daß der Schlaf dich weich umschmiege
Lulle ich dich ein;
Silberhell auf deine Wiege
Fällt des Mondes Schein.
Mit Gesang, mit Märchensagen
Bring' ich dich zur Ruh'
Und mit lieblichem Behagen
Schließt dein Aug' sich zu.
Wo der Terek über Steine
Jähen Laufes braust,
Lauert der Tscherkesse seine
Schaschka in der Faust.
Doch wir wollen ihn nicht scheuen,
Denn dein Vater wacht,
Der aus jedem Kampf sich neuen
Siegesruhm gebracht,
Und auch du wirst einstens ringen
Auf der gleichen Bahn,
Freudig auf dein Roß dich schwingen
Waffenangethan.
Sticken will mit Fäden Goldes
Ich des Sattels Saum –
Schlummre du mein Kind, mein holdes!
Träume süßen Traum.
Echt und treu wird sich bewähren
Dein kosakisch Herz,
Nach Gefahr und Sieg begehren
Trotz der Mutter Schmerz!
[101]
Scheidend winkt mir deine Rechte
Und es ist gethan!
Welche Tage, welche Nächte
Harren meiner dann!
Bis du wieder einst geborgen
Heimkehrst aus der Schlacht,
Werd' ich Tags um dich mich sorgen,
Grämen mich bei Nacht!
Schlummre sanft, da du zur Stunde
Noch nicht ahnst und weißt,
Daß nur Kampf und Wund' um Wunde,
Was man Leben heißt.
Schenken will ich, dich zu wahren
Dir dies Heil'genbild;
In Bedrängnis und Gefahren
Dien' es dir als Schild!
Gottes bist du! seinen Wegen
Folg in Nacht und Licht!
Halt an deiner Mutter Segen, –
Er verläßt dich nicht!
Ihn ruf an, wenn schon im Schwunge
Dir der Mordstrahl dräut, –
Schlumm're, du mein süßer Junge!
Noch ist's nicht so weit!

[102] Unsere Sprache

Deutsche Sprache! Zaubergarten
Du, mit Blumen aller Arten
Reich und wundersam bekränzt!
Schacht, in dessen dunkeln Gängen
Gold und Eisen sich vermengen
Und der Lichtkarfunkel glänzt!
Meer, aus dessen Wogenfülle
Ohne Schleier, ohne Hülle
Sich die reinste Schönheit hebt!
Luft aus klaren Aetherhöhen,
Die mit ihrem frischen Wehen
Wie des Morgens Hauch belebt!
Tief ist deine Macht begründet,
Einz'ges Band, das uns verbindet
Und so fest zusammenhält,
Daß von Deutschlands Ruhm und Leide
Jenseits der Atlantis Scheide
Deutsche Herzen noch geschwellt!

[103] Eine Mahnung

Vom dunkeln Fichtenwald umbraust
Lehnt die Ruine an dem Hügel;
Der Zahn der Zeit, des Sturmes Flügel
Sie haben tüchtig hier gehaust.
Rot glüht des Abendhimmels Feuer
Durch das gespaltne Dach herein,
Von dem geborstenen Gemäuer
Löst sich zerbröckelnd Stein um Stein.
Des Epheus grün Geflechte schlingt
Sich um die Pfeiler und Balkone
Ein Siegeszeichen, das, zum Hohne,
Natur, die ewig junge, schwingt!
Sie, die aus unerschöpfter Fülle
Stets neues kräft'ges Leben treibt,
Indeß zu Schutt und zu Gerülle
Das Werk der Menschenhand zerstäubt.
Und stille sinnend sitz' ich dort
So manchen sommerlichen Abend
Am Glück der Einsamkeit mich labend
Gestört von keinem Menschenwort,
Verkehrend nur mit den Gedanken
Die, wenn der Dämon in mir spricht,
Durch die bewegte Seele schwanken
Jetzt dunkel und jetzt wieder licht! –
[104]
So saß ich gestern erst, allein
Wie immer, in den öden Hallen
Und ließ an mir vorüberwallen
Phantast'scher Bilder bunte Reihn.
Ich fühlte sie mich überkommen,
Mich überwält'gen je und je;
Mein Herz war schwer und war beklommen
Von einem rätselhaften Weh.
Gedenken mußt' ich schwermutvoll,
In meines Geistes wachem Träumen,
Der Zeiten, wo in diesen Räumen
Der rasche Strom des Lebens schwoll!
Der längst zu Staub zerfallnen Herzen,
Die bang und freudig hier gepocht,
Von Wonnen bald und bald von Schmerzen
Von Lust und Jammer unterjocht!
Was schmeichelnd und was ungelind
Sich wechselnd in ihr Sein verwoben,
Ihr Lieben, Hassen ist zerstoben,
Dahingegangen in den Wind!
Wonach sie heißverlangend stritten
Bis zu dem letzten Kampf und Hauch,
Was sie genossen, was sie litten,
Entschwunden ist's, verweht wie Rauch!
Wie Rauch? Da sah ich an der Wand
An des Kamines spitzem Bogen
Die dunkle Spur, die hier gezogen
Des Herdes halbverglühter Brand.
Ich fuhr empor, von Grau'n durchschauert!
Erschüttert sah ich Glück und Leid
Der Menschenseele überdauert
Vom Sinnbild der Vergänglichkeit!
[105]
Ihr Toten! rief ich, tief und fest
Nun schlummernd in den Grabeshallen,
Seht hier von eurem Erdenwallen
Den letzten, einz'gen Erdenrest!
Der Rauch, der eure Hallen schwärzte,
Er zeigt sich noch der Enkel Blick, –
Von dem, was euch beglückte, schmerzte,
Blieb keine, keine Spur zurück!
O Gott! mein Gott! ist diese Welt
Des Menschen Grab wie seine Wiege?
Ist sie, auf kühner Fahrt zum Siege,
Nur deiner Kämpfer wandelnd Zelt?
Vermengt uns mit dem Staub der Erden
Ein unerbittliches Geschick?
Bleibt, weil wir ganz zum Lichte werden,
Kein Schatten hier von uns zurück? – –
Noch lange saß ich, wie gebannt,
Wie einer Geisterantwort harrend,
Mit unverwandtem Auge starrend
Auf jene Streifen an der Wand.
Dann schied ich, doch noch an der Pforte
Blickt' ich nach ihnen um; mir war's
Als läse ich die droh'nden Worte
Vom Gastmahl König Belsazars!

[106] Der Räuber

Nach einem altrussischen Volkslied.


Den Feinden, die er lang genarrt,
Ist er zuletzt erlegen,
Jetzt steht er vor dem Zar und harrt
Dem Urteilsspruch entgegen.
»Wie viele halfen dir den Raub,
Den kühnen, zu begehen?«
»Rechtgläubiger Zar, vor dem ich Staub,
Ich will dir Rede stehen!
Wohl hatt' ich vier Genossen wert,
Ich sag' es ohne Finte:
Die dunkle Nacht, mein flinkes Pferd,
Mein Messer, meine Flinte.«
Da spricht der grause Zar: »Wer darf
Dich darob schmäh'n, mein Junge?
Dein Arm ist stark, dein Eisen scharf
Und witzig deine Zunge.
Mit Recht magst du mein kluger Held
Auf meine Huld vertrauen!
Man soll alsbald auf freiem Feld
Ein Haus für dich erbauen.
Ein Haus, wie noch kein höh'res stand
In grüner Steppen Mitte!
Zwei Balken bilden seine Wand,
Das Dach ersetzt der dritte.«

[107] Mac Dugald

1.

»Prinz Edgar nahet! unser Hort!
Der Sohn von unserm Königsstamme!«
So scholl's, und zündend trug das Wort
Durch's Hochland eine lohe Flamme.
Der ärmste Knecht, der Bettler schier,
Wie die mit Rang und Gut Belehnten,
Sie scharten sich um das Panier
Des heimgekehrten Prätendenten.
Nach Büchs' und Schwert griff jede Hand,
Aufzuckend gen Hannovers Farben,
Und selig wurden die genannt,
Die so in heil'gem Kampfe starben.
Sie waren selig! Als es brach,
Trank noch ihr Herz Begeistrungsodem!
Sie sahen nicht den Tag der Schmach,
Den Unglückstag nicht bei Culloden. –
Dem Tage folgt ein Dunkel dicht,
Das blanke Beile nur durchhellen.
In Edinburg sitzt ein Gericht
Zum Spruche über die Rebellen.
Da ist kein Mann so groß, so gut,
Daß ihn der Haß zu treffen scheue!
Es rauchet das Schafott vom Blut
Hochedler Märtyrer der Treue.
Durch eh'rne Strenge, finstern Zwang
Will stürzen man den alten Glauben,
In rücksichtslosem Uebergang
Dem Volk sein eigenst Wesen rauben.
[108]
Daß welk von einem Todeshauch
Sein Selbst wie dessen äußre Zeichen,
Soll Kaledoniens Recht und Brauch
Dem englischen Gesetze weichen.
Auch auf des Hochlands Söhne, die
Im Dienst von Englands Fahne stehen,
Ist man bedacht und läßt für sie
Den folgenden Befehl ergehen:
»Wenn Urlaub ein Soldat begehrt,
Sind ihm drei Tage freizugeben;
Doch wer dann nicht zurückekehrt,
Der büßt die Schuld mit seinem Leben!
Es droht solch blutiges Geschick
Nicht bloß dem Flüchtling, dem Verräter,
Nein! Jenem auch, der kehrt zurück
Um eine Tageslänge später.
Wer auch um eine Stunde nur
Die Frist des Urlaubs überschreitet,
Der hat, verletzend seinen Schwur,
Sich selbst den Weg zum Grab bereitet.«

2.

Kein Lebenslaut stört die Natur
In ihrem herbstlich stillen Leide;
Es scheint die Sonne lässig nur
Hernieder auf die braune Haide.
Da ist kein Baum, umwebt von Moos,
Aus dessen Zweigen Vögel sängen,
Da ist kein Fels, aus dessen Schoß
Krystallne Quellen lustig sprängen!
Den Wanderer aber, den zur Stund'
Die Abendstrahlen uns hier zeigen
[109]
Den kümmert nicht der öde Grund,
Des Himmels Grau, der Gegend Schweigen!
In seinem Herzen jauchzt ein Lied,
In seiner Seele springt ein Bronnen,
Seit ihn das heimische Gebiet
Aufnahm mit seinen trauten Wonnen.
Mac Dugald ist's, der rasch und leicht
Als liehe ihm die Sehnsucht Flügel
Hin durch die braune Haide streicht,
Und froh erklimmt die steilen Hügel.
Von diesen Stätten, ihm so wert,
Wie lange ist er fern geblieben!
Wie lang, wie schwer hat er entbehrt
Den teuern Anblick seiner Lieben!
Er war ein gar so junges Blut,
Als in sein Dorf die Werber kamen
Und ihn aus seiner Mutter Hut
Am nächsten Morgen mit sich nahmen.
Nun dient er an fünf Jahre schon
In Englands kriegerischem Heere,
Und, traun! es macht des Hochlands Sohn
Durch Mut und Treu dem Hochland Ehre.
Er folgte seinem Regiment
Ins Land, wo hoch die Palmen stehen,
Die Sonne heiß herniederbrennt
Auf Bombays Tempel und Moscheen,
Wo tausend Scenen bunt und wild
Den Sinn berauschen und umfloren,
Allein der fernen Heimat Bild
Blieb seiner Seele unverloren.
Und als er nun nach manchem Jahr
Der Trennung Schottlands Felsenküste,
[110]
Vom Meer umbraust, umkreist vom Aar,
Mit frohem Jubel wieder grüßte,
Da schien ihm leicht das schwerste Joch,
Hell lag die Welt vor seinen Blicken,
Nur eines, eines fehlt' ihm noch:
Die Mutter an die Brust zu drücken.
Er trat vor seinen Offizier
Und bat mit raschem Herzensschlage,
Mit feuchtem Aug': »Gebt Urlaub mir
Nicht länger, Sir, als auf drei Tage.
Möcht' einmal noch die Mutter seh'n,
Die Mutter, die,« – er stammelt's leise,
Sein Blick nur unterstützt sein Fleh'n,
Stumm, doch in vielberedter Weise.
»»Du dientest brav und tüchtig stets,
Nicht will ich dir den Wunsch versagen.
Geh! aber denk' an das Gesetz,
Das Rückkehr heischet nach drei Tagen!««
»Meint ihr, daß meinen Fahneneid
Ich falschen Sinnes brechen könnte?
Seid ruhig, Sir! zur rechten Zeit
Bin ich zurück beim Regimente.« –
O wie er hastet, wie er jagt
Nicht zu verlieren eine Stunde!
Der Berg, der dunkelmächtig ragt,
Der Strom, das Moor im Haidegrunde,
Sie halten seinen Schritt nicht auf,
Ihn hemmen weder Berg noch Welle,
Bis er in nimmermüdem Lauf
Erreicht des Mutterhauses Schwelle.
Es fliegt sein Herz, wie zum Gebet
Treibt's ihn die Hände fromm zu falten,
[111]
Dann tritt er näher, forschend späht
Sein Auge durch des Ladens Spalten.
Er sieht die Mutter bei dem Licht
Des Kienspans emsig dreh'n den Rocken;
O wie so bleich ist ihr Gesicht
Und wie ergraut sind ihre Locken! –
Die Liebe lehrt ihn mit Bedacht
Zu melden ihr die frohste Kunde,
Und an den Laden pocht er sacht,
Wie ein Besuch zu später Stunde.
»Wer ist's?« Als Antwort gellt ein Pfiff.
»Wer ist's?« Es schwinden ihr die Sinne,
Den Span faßt sie mit raschem Griff,
Springt auf, und hält dann zitternd inne.
O wohl hat sie den Pfiff erkannt,
Womit ihr Sohn den Falken lockte!
Sie steht, wie auf den Fleck gebannt,
Ihr ist, als ob ihr Herzblut stockte.
Jetzt tönt ihr, Wonne ihrem Ohr,
Ein liebvertrautes Lied entgegen;
Aufjauchzend rafft sie sich empor,
Durchzuckt von tiefster Freude Segen.
»Mein Dugald! o mein Sohn, mein Sohn!«
Fort stürzt sie, schneller als Gedanken,
Doch auf der Schwelle fühlt sie schon
Des Jünglings Arme sie umranken.
»So kommst du endlich, endlich doch!«
Sie ruft es, ihre Kniee beben,
Nur eines weiß und denkt sie noch:
Daß ihr der Sohn zurückgegeben.

[112] 3.

Der Morgen findet sie vereint
Beim kärglich schlichten Frühmahl sitzen.
Verklärt der Mutter Antlitz scheint,
Mac Dugalds Augen leuchten, blitzen,
Indem er ihr erzählt, was er
An Mühen, Nöten und Gefahren,
An Kämpfen ernst und heiß und schwer,
Bestanden in der Trennung Jahren
Und wie zuletzt sich doch zum Glück
Zum Guten alles mußte fügen!
Sie lauscht und lauscht und kann den Blick
Nicht wenden von den teuern Zügen.
Hat ihn verschönert denn ein Trank,
Gebraut am nächt'gen Zauberherde!
Sein Aug' so kühn, sein Wuchs so schlank,
So stolz und edel die Gebärde!
Als nun zu Ende sein Bericht,
Fragt er, wie es denn ihr ergangen.
Sie schüttelt leis' das Haupt und spricht:
»O trage darnach nicht Verlangen!
Wozu auch das vergang'ne Leid
Gespensterhaft heraufbeschwören,
Und dieser Stunde Seligkeit
Mit Qualerinnerungen stören?
Was war mein Jammer und mein Schmerz?
Daß du, mein Dugald, mir entrissen!
Was drang als Glutpfeil in mein Herz?
Dich, meinen einzigen Sohn zu missen!
Die Pein, die damals mich beschlich,
Wie könnte ich sie jetzt noch fassen?
Mein bist du, mein! ich halte dich
Um nimmermehr von dir zu lassen.«
[113]
Befremdet blickt sie Dugald an.
»Wie mögt Ihr Mutter also sprechen?
Ihr wißt, ich bin des Königs Mann
Und darf ihm meinen Eid nicht brechen.
O glaubet mir! leicht wird mir's nicht,
Die Heimat neuerdings zu meiden,
Allein der strenge Ruf der Pflicht
Heißt mich schon morgen von Euch scheiden.«
Ein Donnerschlag trifft sie dies Wort,
Wild springt sie auf von ihrem Sitze.
»Du wolltest, – – wolltest wieder fort,
Du meines Alters einz'ge Stütze?
So willst du, daß verzweifelnd sich
Das Herz in meinem Busen spalte?
Und meinst du denn, ich ließe dich,
Da ich dich endlich wieder halte?«
»Wie, Mutter, wie? nicht fasse ich
Was Euern Sinn umstrickt, bethöret,
Daß Ihr so heiß und flehentlich
Unmögliches von mir begehret!
Sagt selbst! soll ich ein niedrer Wicht
Dem Dienst des Königs feig entlaufen,
Verletzen die beschworne Pflicht
Und Freiheit mir mit Schmach erkaufen?«
»Schmach nennst du es, wenn stolz und rein,
Frei wie die Luft auf seinen Bergen,
Der Sohn des Hochlands nichts gemein
Will haben mit den fremden Schergen?
Ich nenn' es Schmach dem Sassanagh,
Dem frechen Kronendieb zu dienen!
O Fluch dem unheilvollen Tag,
Wo seine Scharen hier erschienen!
[114]
Geh hin durch's Land und frage, wie
Sie hier gehaust in diesen Thälern,
Die Schlösser, Hütten zähle, die
Verwandelt sie zu Grabesmälern!
Empor zum Himmel hör' das Blut
Der Frommen schreien, der Gerechten,
Und dann, dann diene wohlgemut
Noch länger jenen Henkersknechten!
Doch nein! o nein! vergib den Hohn!
Ist's Thorheit doch, mich so zu quälen!
Ich weiß es: nimmer wird mein Sohn
Der Schande Teil für sich erwählen!
Es galt ja nur, von deinem Aug'
Die Binde falschen Wahns zu streifen,
Das that ich, und jetzt wirst du auch
Das rechte, festen Sinns, ergreifen.«
»Und wähnt Ihr denn, daß sie mich hier
Nicht baldigst suchten, baldigst fänden?«
»O freilich wohl! Doch wollen wir
Dem Dorf alsbald den Rücken wenden.
Wir wollen flieh'n zur Waldesschlucht,
Nach unserer Berge steilsten Höhen,
Von Aar und Möwe nur besucht, –
Dort wird kein Häscher dich erspähen.
Dort wirst du leben frank und frei,
Wie Wallace einst in alten Tagen,
Die Klipp' erklettern nach dem Weih,
Das flücht'ge Reh, den Damhirsch jagen.
Die Brust von frischem Mut geschwellt,
Treu deinem König, deinem Gotte,
Lebst du in deiner eig'nen Welt,
Ein freier Mann, ein echter Schotte!«
[115]
So dringt sie in ihn, bittet, fleht,
Den Sinn des Jünglings zu erweichen.
Stumm mit verschränkten Armen steht
Mac Dugald vor der Schmerzenreichen.
Bewegt sieht er ihr Angesicht
Das teu're, überströmt mit Zähren,
Doch was sie heischt, er darf es nicht,
Bei Gott! er wird es nicht gewähren.
»Nein!« ruft er endlich, »nein! und nein!
Genug habt Ihr mit Euern Bitten
Die Seele mir erfüllt mit Pein,
Mir tief genug in's Herz geschnitten.
Fahrt Ihr damit noch länger fort,
Könnt Ihr mir neue Qual bereiten,
Doch nimmermehr wird Euer Wort
Zu schnödem Treubruch mich verleiten.
Ihr wißt es, Mutter, Euer Leid
Kann ich nicht heben, ach! nur teilen.
Verpfändet hab' ich meinen Eid,
Nicht länger als drei Tag' zu weilen.«
»Und wenn du eine läng're Frist
Dich unterfingest zuzugeben?«
»So wahr ich ein Soldat und Christ,
Nichts rettete alsdann mein Leben!«
»Nichts?« fragt sie leise, und ein Licht
Flammt plötzlich auf in ihrem Blicke,
Als ob durch Nebel, schwer und dicht,
Der Sonne Strahl belebend zücke.
»Nichts?« wiederholt sie langsam und
Von ihrem Antlitz flieht das Bangen,
Wie Hoffen zuckt's um ihren Mund,
Es röten sich die bleichen Wangen.
[116]
Welch ungeahnter Himmelsstrahl
Hat tief sich in ihr Herz ergossen?
Ward aus dem Labyrinth von Qual
Ein Ausweg plötzlich ihr erschlossen?
So ist es! einen Rettungsport
Ersah ihr Auge freudetrunken!
Sie lächelt still, sie spricht kein Wort,
Und steht in Sinnen tief versunken.

4.

Schon ist es Abend. Schwermutvoll
Denkt Dugald an das nahe Scheiden,
Doch mutig, wie der Mann es soll,
Verhehlt entschlossen er sein Leiden.
Er birgt sein Weh, mag's auch in's Mark,
In's tiefste, ihm des Lebens gehen.
Sieht er die Mutter doch so stark,
Die er vorerst so schwach gesehen!
Im Hause schafft sie rüstig, frisch,
Wie's ihre altgewohnte Weise.
Dann rückt zum Herde sie den Tisch
Gar wohl besetzt mit Trank und Speise.
»Sag, Dugald! weißt du denn noch, was
Der Brauch erheischt in unserm Lande?«
Und mit des Whiskys Feuernaß
Füllt seinen Becher sie zum Rande.
Und rasch, mit einem Zuge leert
Er die ihm dargebotne Schale.
Was ist's, das plötzlich ihn durchfährt?
Wie wird ihm nur mit einem Male?
Ihm ist, als hätte flüss'ge Glut
Aus jenem Becher er getrunken,
[117]
Als sprühten, statt der roten Flut,
Durch seine Adern lohe Funken.
Ein Nebelflor sein Aug' umhüllt,
Es schwinden Sinn ihm und Gedanke.
Und wieder seinen Becher füllt
Die Mutter ihm mit jenem Tranke.
Abwehrend weist er ihn zurück.
»Ich muß Euch den Bescheid versagen.«
»O trink' auf unser künft'ges Glück,
Auf Wiedersehn in bessern Tagen!«
»Gilt's dies, dann sei es, wie Ihr wollt!
Ich trink' Euch zu von ganzer Seele!«
Betäubend, überwältigend rollt
Der Feuertrank ihm durch die Kehle.
Sein Zustand wüster Traum ihm dünkt,
Ein Zittern fliegt durch seine Glieder,
Erheben will er sich und sinkt
Auf seinen Sitz bewußtlos nieder.
Das ist nicht Schlaf, der lind und sacht
Auf Ruhbedürft'ge niedergleitet!
Betäubung ist's, wie sie die Macht
Des stärksten Opiats bereitet.
Sein Antlitz bleich und unbelebt,
Von kaltem Schweiß feucht seine Locken!
Wie ängstlich seine Brust sich hebt,
Wie seine Pulse zögernd stocken! –
Zu ihres Sohnes Häupten kniet
Meg Nora nieder auf den Boden,
Sie küßt sein dunkles Augenlid,
Sie lauschet seines Mundes Odem.
Auf ihren Schoß stützt sie gelind
Sein schönes Haupt, das ohnmachtschwache,
[118]
Und hält bei ihrem lieben Kind
Getreu und unverdrossen Wache.

5.

Im Osten graut der junge Tag,
Schon lichtet sich's im Thalesgrunde.
Es ruft des Glöckleins heller Schlag
Vom Turm herab die sechste Stunde.
Die Nebel schwinden, die zuhauf
Im Thal und auf den Bergen lagen,
O Dugald! Dugald! wache auf!
Die Abschiedsstunde hat geschlagen!
Er aber rührt und regt sich nicht,
So fest hält ihn des Traums Umkettung,
Und immer heller wird das Licht
Und kürzer stets die Frist der Rettung.
Unsel'ger! o wach auf! wach auf!
Und wehre des Verderbens Zeichen!
Vielleicht kannst du im schnellen Lauf
Dein fernes Ziel doch noch erreichen!
Umsonst! umsonst! er schlummert fort
Als hielt' ihn Todesschlaf umfangen.
Nun ist's zu spät! Entsetzlich Wort,
Reich an verzweiflungsvollem Bangen!
Schon neigt die Sonne sich zum Meer,
Im Abendrot erglüh'n die Hügel! – –
Dein Ziel erreichest du nicht mehr,
Leiht nicht der Sturm dir seine Flügel.
Jetzt fährt er jäh empor. Wie Brand
Glüht's ihm im schmerzenden Gehirne;
Bewußtlos halb fährt mit der Hand
Er nach der schweißbenetzten Stirne.
[119]
Er rafft sich auf, mit einem Sprung:
»»Was ließet Ihr so lang mich träumen?
Das ist des Morgens Dämmerung!
Sie mahnt mich, länger nicht zu säumen!
Lebt wohl, o Mutter!«« hastig wild
Greift er nach Tartan, Schwert und Mütze.
»Lebt wohl! o daß der Himmel mild
In Eurer Not Euch tröst' und schütze!
Noch einen Kuß und nun hinweg!«
Fort will er, aber ihrem Sohne
Vertritt Meg Nora rasch den Weg
Und spricht, Triumph im Blick und Tone:
»Das ist das Grau'n des Morgens nicht!
Es ist der Abenddämm'rung Dunkel.
Sieh dort des Mondes fahles Licht,
Der Sterne flimmerndes Gefunkel!
Was starrst du? Füg dich deinem Los!
Die Frist, die du dir ausbedungen,
Vor Stunden schon hat sie der Schoß
Der dunkeln Ewigkeit verschlungen!«
Er taumelt, wankt, in's Herz hinein
Greift ihm ein namenloser Schrecken.
»Nein,«« stammelt er, »»es kann nicht sein!
Ein böser Traum nur will mich necken.
Weckt mich! zeigt mir der Sonne Gold,
Im Ost die lichte Morgenröte!
Sagt, daß es Tag, wenn Ihr nicht wollt,
Daß dieses Traumes Qual mich töte!«
»Ermanne dich! jetzt träumst du nicht!
Doch lang hielt Schlummer dich umschlossen,
Der braune Saft that seine Pflicht,
Den ich dir in den Trank gegossen!
[120]
Magst noch so wild und noch so stier
Dein Auge in das meine bohren,
Du scheidest doch nicht mehr von mir,
Denn thätest du's, wärst du verloren!«
»Verloren! ja ich bin es!« stöhnt
Er dumpf, »und bin durch Euch verloren!«
Wie des Gerichts Posaune dröhnt
Das grause Wort in ihre Ohren.
Wie Marmor bleich wird ihr Gesicht,
In ihrem Aug' erlischt das Feuer:
»Du wolltest –? nein! das wirst du nicht!
Zu gräßlich wär's, zu ungeheuer!
O frevle nicht an der Natur!
Sie spricht zu dir aus dieser Zähre!«
»Hier richtet eine Stimme nur:
Die Stimme der Soldatenehre.
Als Sühne bring' ich ihr mein Haupt.
O Mutter! mag euch Gott vergeben!
Die Täuschung, die Ihr Euch erlaubt,
Sie kostet Euerm Sohn das Leben!«
»Bleib, Dugald! bleib! Bei meinem Fluch!
Bei dein und meinem Seelenheile!«
Er hört es nicht mehr. Durch das Bruch
Fliegt er dahin mit Windeseile.
Sie stürzt ihm nach, erreicht ihn nicht,
Sieht weiter stets den Raum sich dehnen,
Bis kraftlos sie zusammenbricht,
Starr, ohne Seufzer, ohne Thränen.

6.

Der Nordwind schnaubt durch das Gefild
Und bricht die Zweige im Gehege.
[121]
Des tiefsten Seelenjammers Bild
Sitzt eine bleiche Frau am Wege.
Die welken Hände in dem Schoß
Und aufgelöst die grauen Haare,
Versteinert, stumm und regungslos
Sitzt sie schon da seit manchem Jahre.
Nur wenn ihr müdes Aug' von fern
Des Wegs sieht einen Wandrer kommen,
Da scheint's, als sei ein Hoffnungsstern
In ihrer finstern Nacht erglommen.
Doch wenn er dann vorübergeht,
Verfällt auf's neu sie ihrem Leide
Und banger als zuvor durchspäht
Ihr Blick auf's neu die öde Haide.
Was grimm an ihrem Herzen nagt,
Was sie erlitt, vielleicht gesündigt,
Sie hat es keinem je geklagt,
Und selbst dem Priester nicht verkündigt.
Man weiß nur, daß ein schwerer Schlag
Sie in des Wahnsinns Nacht verstoßen:
Es haben ihr die Sassenagh
Zu Stirling ihren Sohn erschossen. – –
Wer durch die stille Haide geht
Und sieht sie kauern auf der Erde,
Der murmelt wohl ein fromm Gebet,
Daß ihrem Herzen Friede werde.
Doch dunkel loht's aus ihrem Blick:
Im Leben nicht und nicht im Sterben!
Er war mein Stolz, er war mein Glück,
Und ich – ich stieß ihn in's Verderben!

Notizen
Erstdruck der Buchausgabe: Pest (Gustav Heckenast) 1855.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Lyrisches und Episches. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-684C-1