Heinrich Laube
Struensee
Tragödie in fünf Akten

[Widmung]

Herrn Emil Devrient, Mitgliede des K.

Hoftheaters zu Dresden, gewidmet

Einleitung des Verfassers

[123] Einleitung des Verfassers.

In dem Vorworte zu »Monaldeschi« habe ich zugesagt bei Herausgabe des »Struensee« die Schlachtordnung von Schwierigkeiten aufzudecken, welche jedem neuen Stücke historischen Inhalts in Deutschland entgegensteht. Jetzt muß ich bekennen, daß ich dies nicht imstande bin. Nicht etwa, weil ich Rücksichten zu nehmen hätte! O nein. Sondern weil die Schwierigkeiten mit einem neuen auch nicht historischen Stücke so tausendfältig, so unermeßlich sind, daß man bei längerer Tätigkeit für die deutsche Bühne vor lauter erschwerenden Köpfen nicht mehr weiß, wo der eigentliche Kopf dieser Schwierigkeiten steht, daß man am Ende ausruft: »Es ist wohl gar eine nationale Furchtsamkeit vor der Öffentlichkeit!« kurz, daß man die Hoffnung aufgibt, durch Schilderung auch nur der kindischen Hindernisse für die Zukunft etwas zu bessern. Wozu die Worte verlieren, wenn keine Wirkung zu erwarten steht! Ein Achselzucker stellt sich hinter einen Verbieter, ein andrer Verbieter hinter den andern Achselzucker, und da den Leuten dies Thema nach so viel Jahren am Ende geläufig worden ist, so ist bei der Mehrzahl nicht Scham noch Schande mehr anzutreffen. Wer unabhängig wäre! flüstert Euch der Heuchler zu, obwohl er weiß, daß er es bei völliger Unabhängigkeit um kein Haar besser machen würde. »Was frag ich nach Anklagen vor Publikum oder sogenannter Geschichte, ich weiß wem ich zunächst nicht mißfallen darf!« brummt der Zweite in den Bart hinein, und der Dritte pfeift leichtsinnig die alte Melodie: das Poetenvolk macht immer einen Spektakel mit seinen Phantastereien, als ob ein Stück mehr oder weniger ein Malheur wäre! Verbrenne sich die Finger wer mag, um was Apartes aus dem Manuskriptenstoße heraus zu finden. Ist's gefunden, dann bleibt immer noch Zeit, sich das [123] Ding näher anzusehn, und sich ein Verdienst aus der Annahme zu machen. Wir sind nicht da für Neuerungen!

Es wäre leicht, zehn bestimmte Kategorien unbillig abweisender Theaterintendanten zur Warnung aufzustellen. Aber weder der Unwissende noch der Brutale, weder der Furchtsame noch der Gewissenlose würde sein Porträt anerkennen und reuig an seine Brust schlagen; und sogar mit einigem Rechte würde jeder sagen: Ich bin nicht berufen, einen ästhetischen Posten zu vertreten, mein Amt ist ein Hofamt.

Wenn diese Klagen sich nicht zersplittern sollen, so müssen sie sich um einen Mittelpunkt versammeln. Diesen Mittelpunkt nachzuweisen ist nicht schwer, aber diesem Mittelpunkte etwas anzuhaben ist nur der Geduld eines Menschenlebens möglich.

Der Mittelpunkt deutschen Hindernisses für ein wirklich schöpferisches Theater beruht darin, daß die Haupttheater nicht der Nation gehören, nicht einmal den einzelnen Staaten, sondern den einzelnen Fürsten. Diese geben das Geld dafür und betrachten sie altem Stile gemäß als einen Teil des Hofes, zu dessen Anschauung man dem Publikum für billiges Entreegeld den Zutritt gestattet habe, wie eine Konzession. Weder dem Publikum noch der Literatur ist eigentlich eine Bestimmung darüber eingeräumt. Was einer solchen Bestimmung ähnlich sieht in Kritik oder sonstigem Verlangen, das wird im innersten Grunde als eine Anmaßung der neuen Zeit betrachtet, welche sich eben in alles mischen wolle. Dergleichen Anmaßungen nachzugeben wäre Schwäche. Noch vor ganz kurzem, ja im wesentlichen jetzt noch gestattete und gestattet die Wiener Zensur keinen vollen Tadel über ein Mitglied solchen Theaters, viel weniger über die Leitung. Die Leiter selbst endlich übernehmen nicht die geringste Verpflichtung gegen das Publikum oder die Literatur; Literatur und Publikum sind ihnen durchaus unoffizielle Namen. Es fehlt ja auch nicht an niederschlagenden Anekdoten aller Gattung, welche tiefste Unwissenheit solcher Leiter in literarischen Dingen nicht nur verraten sondern unbefangen behaupten. Warum auch nicht! Ihr Institut hat weder einen literarischen Ursprung und Zweck, noch hat es in irgend einem Winkel seiner Ämter einen auch nur entfernt an die Literatur erinnernden Schatten. Die Blume der Mitte, das Haupt des überaus reinen Mittelreiches, will sagen Chinas, ist immerdar auch an und für sich der beste Schriftsteller des Reiches, mag ihm auch das Talent für Schriftstellerei vollständig versagt sein. So will es die [124] herkömmliche Bestimmung. Die herkömmliche Bestimmung will bei uns, daß der erwählte Kavalier die erste und deshalb die beste kritische Autorität des Landes sei, und daß die wirkliche Blume der Literatur, das Drama, demjenigen zu Tod und Leben überantwortet bleibe, welcher durch diese oder jene der Literatur wildfremde Eigenschaft zur Leitung des Theaters erwählt worden ist.

Es gibt nichts Unlogischeres als unsre literarischen Forderungen, welche wir an die Leitung unsrer Hoftheater richten. Sie wissen dies auch. Vor kurzem erst noch hat uns die öffentliche Anzeige eines nicht unwichtigen deutschen Hoftheaters unzweideutig davon überzeugt. Diese Anzeige lautete dahin, daß sich die Intendanz alle Zusendung von Manuskripten und dergleichen ein für allemal verbat. Konnte sie deutlicher ausdrücken, daß sie absolut gar nicht von der Literatur und deren nie ruhender Hervorbringung behelligt sein, daß sie absolut nichts mit der Literatur zu tun haben wollte? Wer mag sich auch, wenn er ein ohnedies anstrengendes Amt hat, mit der unbequemen Lektüre neuer Manuskripte befassen!

Der Organismus also ist gegen all unsre literarischen Ansprüche, welche wir an die Haupttheater richten möchten. Wir sind auf den Zufall angewiesen. Dieser kann uns einen oder gar einige Fürsten bescheren, welche ein besonderes Wohlwollen hegen für aufstrebende dramatische Literatur, er kann uns einige Intendanten schenken, welche auch literarische Einsicht und guten Willen besitzen und beides richtig und energisch anzuwenden wissen.

Ist uns der Zufall günstig? Insofern ist er es nicht, als gerade jetzt alle Fürsten, welche über die größeren Theater gebieten, mehr oder minder vorgerückten Alters und der neuen Generation produzierender Schriftsteller an Jahren voraus sind. Der Kreis von Ideen und Anschauungen ist schon deshalb ein verschiedener, der Überdrang und Ungestüm, die Mangelhaftigkeit und Übertreibung, welche von neuen Wegen der Produktion immerdar unzertrennlich sind, können von den Gebietern älteren Ursprungs nicht mit günstigem Vorurteile betrachtet werden. Im Gegenteile, sie fühlen sich zu ungünstigem Vorurteile berechtigt, da ihnen ja doch die neuen Theaterbestrebungen im Zusammenhange mit einer überall ungestüm andringenden Zeit entgegentreten. Mißtrauen und Abneigung gegen uns entstehen auf die natürlichste Weise, und wenn wir billig sein wollen, so haben wir oft für eine Zulassung und Erlaubnis zu [125] danken, die uns aller dings ganz in natürlicher Ordnung zu sein scheint, die aber gewiß oft erst das Ergebnis einer Überwindung ist, einer Überwindung, welche wir einem entsagenden Akte der Bildung danken sollten und für welche doch kein Dank erwartet wird. Solch ein Mißverhältnis ist das unglücklichste: auf beiden Seiten sind verschiedene Maßstäbe und eine richtige und deshalb wohltuende Begegnung ist fast prinzipiell ausgeschlossen. Und doch ist nur solch eine Begegnung imstande, das Ganze zu fördern. Will also das gute Glück nicht – und das deutsche Theater hat noch selten gutes Glück gehabt –, daß ein mächtiger deutscher Fürst eine der Zeit entsprechende Neigung faßt für deutsches Schauspiel, und eine gründliche, Literatur und Publikum wesentlich beteiligende Reform des Institutes an Haupt und Gliedern ins Werk setzt, will es das Glück nicht, daß ein solcher Vorgang Nacheiferung und allgemeine Folge weckt, dann gewinnt unser Theater trotz aller literarischen Bestrebungen keinen festen Grund, keine dem Nationalbedürfnis entsprechende Gestalt. Denn die literarische Einwirkung hat keine Macht auf die organischen Wurzeln des Übels bei unsern Hoftheatern, und auch ein einzelner wohl ausgerüsteter Intendant ist nicht imstande, ein organisch fehlerhaftes Wesen gründlich und folgenreich zu bessern.

Wozu also sich mit Aufzählung der Hindernisse beschäftigen, welche auch dieses Stück bei den Intendanzen der Hoftheater gefunden! Es sollen ja diese Mitteilungen der Vorreden nicht einem persönlichen, sondern einem allgemeinen Interesse dienen. Nur eines absonderlichen Widerspiels, welches dem Stück begegnete, will ich darum gedenken, weil es eine nicht unwichtige Frage über literarische Sitte oder Unsitte darbietet und weil es dazu beitragen kann, für ähnliche Fälle eine ritterliche oder unritterliche Form vorzuzeichnen.

Dies Widerspiel ging davon aus, daß vor etwa zwanzig Jahren der Struenseestoff von Michel Beer behandelt und, so viel ich weiß, nur an einem einzigen Orte, in München, zur Aufführung gebracht worden war. Nicht bloß um diplomatischer Engherzigkeit willen, obwohl auch diese an einem oder dem andern Theater die Ablehnung des Stückes unterstützte, fand jener Struensee keinen Zugang, sondern die Form versprach keine Theaterwirkung. Einige Theaterdirektoren aus jener Zeit wurden besonders durch die zweite Hälfte des Stückes, welche sich nach dem bereits erfolgten Sturze des Helden in einen Prozeß ausdehnt, abgeschreckt und das Stück geriet in Vergessenheit.[126] Mir selbst war dasselbe von keiner Bedeutung gewesen, weil es einer für uns überlebten Zeit und Richtung im Dramatischen angehörte, einer Richtung, welche nur im Äußerlichen die Schillersche Periode fort setzte und ohne besonderen Sinn für Charaktere und Handlung sich wesentlich der Deklamation hingab.

Unbefangen war ich der erste, welcher dem Bruder des verstorbenen Michel Beer, dem berühmten Komponisten Meyerbeer die Mitteilung machte, daß mich der Struenseestoff ebenfalls bis zur Abfassung eines fünfaktigen Dramas interessiert habe. Ich war der naiven Meinung, dies müsse gerade seines Bruders wegen eine gewisse Teilnahme bei ihm wecken. Der gute Stil unter deutschen Poeten bestand wenigstens bisher noch immer darin, daß man im Reiche der poetischen Wahl und Erfindung die Idee einer alltäglichen Kaufmannskonkurrenz nicht kannte, und daß sich Leute um so näher rückten in freundschaftlicher Gesinnung, welche einen gleichen Stoff in Haupt und Herzen getragen. Der Poet sucht ja in erster Linie ein objektives Gelingen, nicht aber eine persönliche Genugtuung.

Vielleicht wäre auch hierbei dieser Stil nicht verletzt worden, wenn solche Mitteilung an Michelbeer selbst hätte gelangen können. Was man von ihm weiß, spricht durchaus für ein ganz feines und edles Verständnis in solchen Dingen. Die Mitteilung geriet aber an einen Bruder, welcher in dem kostspieligen Konkurrenztreiben des Pariser Opernwesens groß geworden, und welcher offenbar eine Art Familienmajorat in dem Struenseestoffe verwerten zu müssen glaubt – meine Mitteilung bestürzte ihn bis zur Sprachlosigkeit und trieb ihn eiligst aus meinem Zimmer. Ich konnte meine Phrase kaum beendigen: daß es gerade uns besonders reizen würde, die beiden Struenseedramen einmal auf der Bühne zu vergleichen.

Von Stunde an begann ein Eröffnen der Belagerungslaufgräben gegen mein Stück, sogar an Orten, wo es bereits angenommen war, namentlich in Dresden und München. Ich war einfältig genug, den Zusammenhang nicht sogleich zu begreifen. Es schien mir ganz natürlich, daß durch das neue die Aufmerksamkeit auch für ein vergessenes Stück wieder geweckt, und daß es hie und da, wo man Zeit und Mittel genug besäße für solche Parallele, aufgeführt werden möchte. Der in Konkurrenz eingeschulte Bruder war aber ganz anderer Meinung: er eilte in eigner Person zu Herodes und Pilatus, und wendete alle Mittel an, mein Stück zu beseitigen. Sogar in [127] München, wo doch das seines Bruders gegeben worden war. Der in Paris so liberale Mann berief sich tapfer auf das Recht der Anciennität, ja er brachte eine Direktion wirklich dahin, daß sie mir in folgenden Worten die literargeschichtliche Logik der Beers auseinandersetzte:

»Es dürfe doch durch ein neues Stück ein älteres nicht in Nachteil gebracht werden, und wenn man dies ältere an die zwanzig Jahre übersehen, so sei doch nun eben durch meine Bearbeitung desselben Stoffs die Verpflichtung gegen den verstorbenen Dichter unabweislich aufgeweckt worden.«

Ist dies nicht eine tröstliche Logik zur Aufmunterung für die lebendige Produktion?! So etwas hatte nur eben noch gefehlt unter den Regimentern, welche jedes neue deutsche Stück mit abwehrenden Bajonetten empfangen! Die Uniform war ganz neu: auch die alten Stücke müssen gegen die Entstehung neuer geschützt werden.

An den genannten beiden Orten gelang es nun aber doch, die Familienlogik zu widerlegen, und zufällig sind gerade diese Orte Dresden und München die günstigsten Stätten für das neue Stück geworden. Meinen eignen Anfragen in München, ob man jetzt nicht den Beerschen Struensee wieder aufnehmen wolle, damit einer literar-geschichtlichen Aufmerksamkeit und Pietät genügt werde, nachdem das neue Stück sein Recht der Existenz erobert habe, ist ablehnend geantwortet worden. Und zwar ging der Bescheid dahin, daß die Form des Beerschen Stückes jetzt veraltet erscheine und solch ein Aufwand von Zeit dem voraus ersichtlichen Erfolge nicht entspreche. Das wäre nun allerdings ein Bescheid gewesen, um die Anstrengung des Bruders für den Vortritt seines Erbes zu rechtfertigen. Aber er kannte ihn ja nicht voraus und durfte ihn nicht voraussehn, wenn seine Anstrengung eine gründliche Berechtigung haben wollte, und für das Berliner Hoftheater, welches nun sein Hauptaugenmerk wurde, blieb ihm ja für alle Fälle der sichre breite Boden einer Vaterstadt übrig. Hier stand ihm der größte Einfluß zu Gebote, eine respektable Aufführung auch nach dem neuen Stücke zu bewerkstelligen, und hiermit eine Pietät des Bruders zu befriedigen, welche jedermann natürlich und billig finden würde.

Hier zeigte sich's denn aber grell genug, daß es sich um Konkurrenz im alltäglichsten Sinne des Wortes handle. In Berlin war der Stoff überhaupt nicht erlaubt. Mein Stück wurde von der [128] Intendanz angenommen, die Staatsbehörde verbot aber die Aufführung aus Rücksicht für Dänemark. Umsonst suchte ich geltend zu machen, daß ja alles, was für die dänische Königsfamilie verfänglich sein könne, auf das Vorsichtigste behandelt oder umgangen worden sei. Das Stück blieb verboten, trotzdem daß es sich viel mehr als das Michelbeersche von allen grellen Verhältnissen und Motiven der wirklichen Geschichte entfernt gehalten. Es bedurfte einer zweijährigen unermüdlichen Beflissenheit von meiner Seite, dies leider so tief verzweigte Vorurteil gegen Stücke aus neuerer Geschichte zu erschüttern. Nach zweijährigen Bemühungen unter allen Formen der Beweisführung gewährte im Frühjahr 1846 eine Kabinettsorder die Aufführung meines Stücks, und die Intendanz zeigte sich meinem Wunsche bereitwillig, die erste Darstellung zum Herbste, dem Beginn der Theatersaison, anzuberaumen. Wer hätte gedacht, daß so mühsame Eroberung von einem Künstler wie Herr Meyerbeer mir zu nichte gemacht und zu seinem Zwecke ausgebeutet werden könnte! Alles sprach dagegen: die natürlichste Billigkeit, der literarische Stil und die Intendanz selbst, welche nicht im Entferntesten daran dachte, die oben erwähnte Logik zum Nachteile eines neuen Stückes gut zu heißen und das Beersche Stück zu wählen. Die Kabinettsorder lag vor, die Wahl der Intendanz lag vor, einem gewöhnlichen Poeten wäre da gar kein Weg zum Einschleichen ersichtlich gewesen. Herr Meyerbeer ist kein gewöhnlicher Poet, sondern ein Geschäftsmann von Pariser Erfahrungen und literarisch ungewöhnlichen Mitteln. Er sucht und findet einen Weg, und plötzlich erscheint ein Ministerialbefehl: da Struensee durch Kabinettsorder erlaubt sei, so solle der von Michel Beer vor dem von Laube aufgeführt werden.

Bedürfen diese Wege und Fördernisse gegen neue Produktion im deutschen Drama noch einer Bezeichnung?

Was wäre nun noch über das weitere Tatsächliche zu sagen! Das fünfaktige Trauerspiel ist am Ende gar von Meyerbeer in eine Oper verwandelt worden. Er mag wissen, warum. Und so sind wir denn mit unserer armen Tragödie, welche keine Lockmittel hat für die Menge, und welche eben deshalb eines zarten Schutzes bedarf von seiten aller edleren Freunde des einfachen Dramas, so sind wir denn wieder einmal auf den banalen Kampfplatz hinaus gebracht, auf den Kampfplatz, wo das rezitierende Drama seit langer Zeit sich mühsam aufrecht erhält gegen die mit allen sinnlichen Reizmitteln [129] ausgestattete Oper. Dies ist der triviale Ausgang einer forcierten Konkurrenz, welche in literarischen Schranken und Wegen nicht das geringste Störende gehabt hätte, wenn sie natürlicher Entwickelung überlassen und nicht mit gehässiger Vordringlichkeit und unliterarischen Mitteln geführt worden wäre.

Ich erwähne sie an diesem Orte nicht bloß, weil sie eine ganz eigentümliche Wolfsgrube für neue Stücke darstellt, sondern um folgende Bemerkungen daran zu knüpfen.

Ein fremdes Element dringt neuerer Zeit überall in unsere Bahnen, auch in die der Literatur. Dies ist das jüdische Element. Ich nenne es mit Betonung ein fremdes; denn die Juden sind eine von uns total verschiedene orientalische Nation heute noch, wie sie es vor zweitausend Jahren waren. Ich gehöre keineswegs zu den Gegnern der Iudenemanzipation, im Gegenteil, ich dringe auf eine möglichst radikale; ich finde es tief fehlerhaft, der Emanzipation nicht alle ersinnlichen Wege zu öffnen. Denn als Mitmenschen haben die Juden alle Ansprüche auf menschliche, will sagen bürgerliche Rechte, und was uns an ihnen stört, das ist eben das Fremde, welches nur durch gründliche Einheimsung der Juden unter uns verwandelt werden kann. Das Nichtemanzipieren beläßt sie fortwährend in einem Zustande der Belagerung, und der Belagerte bleibt Feind und verteidigt sich instinktmäßig mit allen möglichen Waffen, also auch in diesem Falle besonders mit den von ihm natürlichsten einer uns wildfremden Nationalität. So erhalten wir gerade das lebendig in den Juden, was uns gründlich zuwider ist; alle die innerlichsten Lebensmaximen, die uns hundertfach und schreiend widerstreben, werden durch unsre halbe Abwehr aufrecht erhalten im Charakter der Juden. Entweder wir müssen Barbaren sein und die Juden bis auf den letzten Mann austreiben, oder wir müssen sie uns einverleiben.

Letzteres geschieht unausbleiblich, und somit ist es unsere heilige Pflicht, wiederholt und schonungslos aufzudecken, was in ihren innerlichsten Lebensmaximen zu uns nicht paßt, und was wir, was sie nach Kräften mildern müssen, da doch niemand sich völlig ändern kann.

Ein solches Etwas des fremden Judentums liegt hier vor und schiebt sich zudringlich in die deutsche literarische Welt, wie denn jeder Schriftsteller in sei nem Bereiche jetzt schon mit Leichtigkeit solch ein Eindringen jüdischer Maximen nachweisen könnte und [130] meines Erachtens jetzt nachweisen sollte, da der Überdrang des jüdischen Moments bedenklich wird für unsere nationalen Eigenschaften. Dies Etwas ist hier eine bereits tief verzweigte Maxime des Berliner Judentums. Unter den Berliner Juden zeigen sich mehr als anderswo reichbegabte geniale Menschen. Sie gedeihen in Berlin besonders, oder zeigen sich dort besonders, das sei dahingestellt. Berlin bietet mehr denn eine andere Stadt Gelegenheit: es ist einer zerfahrenden, bloß witzigen Äußerung sehr geneigt, es respektiert eine bloß mechanische Geistesbewegung, es ist mehr Lager als Stadt, wenigstens ist sein Hauptstadtcharakter viel mehr ein gemachter als ein innerlich aus Lage und Landschaft entsprungener, und deshalb ist in der Mehrzahl der Bewohner das starke Gefühl eines organischen Lebens, welches dem Fremden mißtrauisch zusieht, nicht ausgebildet. Man nimmt das einzelne, das Blendende günstiger auf denn anderswo in Deutschland. Hier konnte sich also das brillante Judentum, welches der Natur der Sache nach in seinen besten Leistungen einen organisch deutschen Charakter nicht haben kann, hier in Berlin konnte es sich am freiesten entwickeln.

Aus diesem Elemente des Judentums und des Berliner Judentums im besonderen stammt die Taktik Herrn Meyerbeers, welche er in unsere literarische Welt einführt und welche wir als etwas uns widerwärtig Fremdes zurückweisen. Der deutsche Stil, wenn zwei Autoren einen gleichen Stoff behandelt haben, ist ein ganz anderer. Ich will nicht sagen, daß der Neid überall ausbleiben werde. Leider sind wir gute Deutsche recht schwache Menschen wie andere Nationen eben auch. Leider ist gerade unter Künstlern der Neid ein garstig Erbteil menschlicher Natur, welches man bekämpfen und wenn auch vielleicht nicht besiegen aber doch niederhalten kann. Letzteres geschieht unter den Deutschen. Es ist uns allen gründlich zuwider, einen offnen Schacher mit Gegenständen der Kunst und Wissenschaft dergestalt zu treiben, daß dabei ein sogenannter Konkurrent – das Wort ist uns unausstehlich in der Literatur! – in Nachteil kommen könne. Ereignet sich ein solches Zusammentreffen zwischen zwei Lebenden wie hier zwischen einem Lebenden und einem Verstorbenen, so wird jeder von beiden sich geltend zu machen suchen, aber jeder wird die Forderung, daß der andere zurückgedrängt werden solle, sorgfältig vermeiden. Ein solches Zusammentreffen künstlich erzeugen zwischen einem Lebenden und einem längst Verstorbenen; dies Zusammentreffen [131] herbeiführen und betreiben zu nackter Beseitigung des Lebenden, und zwar für einen Verstorbenen, dessen nur die Familie eingedenk ist, die Literatur und deren Vertreter bei artistischer Anstalt aber nicht, ein solches Zusammentreffen mit allen erreichbaren Mitteln betreiben und durch unliterarische Hilfsmittel durchsetzen – das ist ein fremdes Element in deutscher Literaturwelt, das ist von jenem jüdischen Elemente, welches wir nicht mit aufnehmen wollen in die Kreise des literarischen Stils.

Wenn unter Poeten Ritterlichkeit und Zartsinn niedergetreten werden soll, so ist dies noch schlimmer, als wenn der marktschreierische Ausverkauf den soliden Kaufmannsstil auf den deutschen Messen untergräbt.

Nur in diesem Interesse für literarischen Stil halte ich solche Struenseekonkurrenz für erwähnenswert, und um an einem Beispiele zu zeigen, was ich unter Abweisung des jüdischen Moments in der Literatur verstanden wissen will, nenne ich einen jüdischen Schriftsteller unter uns, welcher dies uns widerstrebende Moment bereits gänzlich in sich überwunden hat. Dieser Schriftsteller ist Berthold Auerbach. Er ist ein redendes Zeugnis, daß sich der hingebende Jude unter uns gründlich deutsch nationalisieren kann. Freilich wird dies nicht leicht im oberflächlichen Getreibe des großstädtischen Lebens geschehen können. Auerbach hat auch die Lösung der schweren Aufgabe nicht in der Lungerei des Kaffeehaus- und Börsentreibens, sondern in der keuschen Einsamkeit des Landlebens gefunden. Gabriel Riesser und noch mancher andere hat vor und neben Auerbach gezeigt, daß diese Nationalisierung des Juden nicht eine persönliche Ausnahme Auerbachs, sondern eine allgemeine Möglichkeit sei für durchgebildete jüdische Naturen.

Möge diese Episode von der deutschen Schriftstellerei einer weiteren Ausführung gewürdigt werden. –

Das folgende Stück Struensee hat auf der Bühne selbst überall eine so gleichmäßig günstige Stellung gefunden, wie keines meiner anderen, und Lob wie Tadel, dem es in der Kritik begegnet ist, hat sich ebenfalls in Kreisen bewegt, die einander ungewöhnlich glichen. Den Tadel habe ich auch durchweg als wohl berechtigt und begründet anerkennen müssen.

An diesen Tadel mich haltend will ich näher einzugehn versuchen in das innere Geflecht und Getriebe dieses Stücks, zugebend, [132] wo die gerechte Anforderung meine Kräfte leider übersteigt, abwehrend, wo ich im Recht zu sein glaube.

Der Tadel hat die Form im allgemeinen mit dem Bedenken angegriffen: Wozu jetzt wieder die klassische Einheit in Zeit und Raum? Die Einführung und Empfehlung Shakespeares hat diese verarmende Steifheit ja längst überwunden, Hegel hat ja sogar zum Überflusse in seiner Ästhetik nachgewiesen, daß diese sogenannte Aristotelische Einheit nicht einmal dem Aristoteles angehöre.

Es ist nicht meine Sache, denjenigen Beweisführungen nachzugehn, welche diese Hegelsche Deutung des Aristoteles bestreiten. Ich würde mir in der Berufung auf Aristoteles sehr wunderlich vorkommen; denn nicht aus erlernter Theorie, sondern aus allmählicher eigner Bildung und Folgerung trachte ich und trachten wohl wir Neueren alle, auf Prinzipien und Gesetze zu kommen. Ich habe dem ästhetischen Stile gemäß, welchen Schlegel als Widersacher der klassischen Franzosen bei uns eingeführt und durchgesetzt, die französische Tragödie ganz so verächtlich betrachtet, wie sie nur ein deutscher Literat verächtlich betrachten kann. Selbst das Anschauen der strengen Aufführungen in Paris unter dem Vortritt der Demoiselle Rachel hat mich nicht für die konsequente Form der französischen Tragödie bekehrt. Die Verarmung, welche von solcher Konsequenz der Form unzertrennlich, ist mir nicht einen Augenblick verborgen geblieben. Ebensowenig ist mir verborgen geblieben, daß der den Franzosen innewohnende Sinn für römische Rhetorik, für Hingebung an das einzelne abstrakte Wort, an die abgerundete Phrase, für Hingebung an magere aber feste Form uns nimmer eigentümlich werden könne. Dabei ist mir aber auch deutlich geworden, daß oberflächliches deutsches Aburteilen über den Reiz französischer Tragödienklassik von geringer Bedeutung sei für denjenigen, welcher die tieferen Ursachen dramatischer Wirkung suchen und finden will. Nicht die griechische Tradition, sondern die national-französische Art erklärt die Wirkung der Tragödie in Frankreich. Der Franzose ist ein Virtuos der Form, und seine Tragödie ist und bleibt ihm ein unversiegbarer Genuß dieser ihm zum Bedürfnisse gewordenen Virtuosität. Bliebe nichts übrig in dieser Tragödie als die Virtuosität der Sprache, welche jeder Franzos wie einen Kultus verehrt, so würde die Tragödie den Franzosen noch in Ehren bleiben, und wer die Franzosen und deren klassisches [133] Schauspiel nicht sorgfältig und lange beobachtet, der wird nie begreifen, welch einen feinen und tiefen Reiz das Rezitieren des klassischen Dramas auf sie ausübt.

August Wilhelm von Schlegel hat es bekanntlich keinesweges an sorgfältiger und langer Beobachtung fehlen lassen, aber er hielt es nicht für seinen Beruf, die Nüancen zu betonen, sondern er wollte aus dem Ganzen und Großen reformieren. Er war überwältigt von dem unermeßlichen Reichtume Shakespeares, der durchaus unvereinbar ist mit der kargen französischen Form und der uns Deutschen auch unter allen Beziehungen näher liegt. Er hielt es für seinen Beruf, durch radikale Aussprüche Wirkung zu machen. Das hat er erreicht. Nicht seine, sondern unsre Schuld ist es, wenn wir es dabei bewenden lassen. In seinem Preise der Molièreschen Komödie hat er bereits gegen seine eigene Konsequenz die Wendung erlebt. Hier verehrt er bereits die Armut: für eine einzige Eigenschaft ein ganzes Stück zu erbauen, und es ist unsre Schuld, wenn wir dieses wie jenes nachbeten und nicht in die offne Lücke eindringen. Die offne Lücke heißt: Wenn du hier preisest, was du dort verwirfst, so wird es wohl ergiebig sein, hier vom Preise abzuziehn und dort am Tadel einzuschränken. Kurz, auch an jener Nationaltragödie werden sich wohl Momente auffinden lassen, welche unter allen Umständen und Nationen zu richtiger und guter dramatischer Wirkung verwendet werden können.

Ein solches Moment ist meines Erachtens die Einheit im weitesten Sinne des Worts. Man nenne es eine Pedanterie, wenn diese Einheit bis zu solchem äußersten Grade durchgesetzt wird, gut, aber man vergesse nicht, daß fast jede Pedanterie die Übertreibung einer würdigen Eigenschaft ist. Die Einheit im Drama streng zu nehmen ist für uns Deutsche etwas sehr Ersprießliches. Wir sind von Natur aus geneigt zu schweifen, und sind durch den Einfluß Shakespeares in dieser natürlichen Neigung nur gar zu sehr bestärkt worden. Was ein Genius höchster Art überwindet – und Shakespeare auch überwindet diese germanische Gefahr keineswegs immer! – das mag ein Triumph sein, aber nicht eine Regel.

Um so wenig wie möglich Einschränkung zu haben, fordern wir gern keine weitere Einheit als die Einheit der Handlung, und weil wir eben weiter nichts fordern, erweitern wir auch in betreff dieser einzigen Einheit unser Gewissen nach hundert Seiten und [134] gestatten Episoden und Nebenausführungen aller Art und erleichtern uns den Verlust des geschlossenen Eindrucks hundertfältig.

Das Resultat ist erstaunlicher Umfang der Versuche, erstaunliche Mannigfaltigkeit in den Ausführungen – erstaunlicher Mangel gefesteter und haltbarer Formen.

Daß in meinem Struensee alle drei Einheiten beobachtet sind, ist für mich selbst etwas beinahe Zufälliges. Ich bin weit entfernt, einen Wert darauf zu legen, daß die Einheit äußerlich in allen Punkten durchgesetzt sei. Die Einheiten sind mir nur ein Symptom, ein Symptom, daß innerlich alles zusammengedrängt ist. Ob dies Symptom ausgedehnt sei bis in die äußersten Spitzen einer Ultraregel, das ist mir von keiner Bedeutung.

Allerdings aber ist es meine feste Überzeugung, daß der Drang nach möglichster Einheit deutschem Drama wünschenswert und förderlich werden müsse. Ich will die Franzosen nicht weiter in Rede ziehn, weil sie eben in ihrem Wesen wenig Entsprechendes für uns haben, ich will also nicht einmal auf die französischen Romantiker aufmerksam machen, welche nach englisch-deutschen Anregungen die klassische Einheit verlassen haben. Diese Erweiterung, wieviel Ungebärdiges sie mit sich geführt, war dem eingeschnürten französischen Drama wahrscheinlich heilsam. Aber bei aller Ungebärdigkeit und Willkürlichkeit, denen sich die französische Romantik ergab, findet man nirgends bei ihr eine so völlige Nichtachtung der formellen Einheit, wie man sie bei uns sich vorherrschend gestattet, und nur deshalb ging die dramatische Revolution jenseits des Rheins nicht aus Rand und Band und nicht aus den Bedingungen heraus, welche unerläßlich sind zu einer Wirkung vom Theater herab. Sie erweiterte die Einheit, aber sie entzog sich ihr nicht, und der Ultraromantiker wagt nicht, es mit einer wirkungsvollen Einteilung vereinbar zu finden, daß während der Akte verwandelt und in Zeit und Ort gesprungen werde. Die äußerlichsten Fabrikanten helfen sich dann, wenn sie einmal ihren Stoff nicht besser bewältigt haben, mit Tableaus, welche die Sprünge in vermittelte Abschnitte bringen.

Das hat sie äußerst hilfreich vor der wirklichen Zerstreuung und Wirkungslosigkeit bewahrt, denn der Verdacht auf eine äußerliche Einheit bringt eine einheitliche innere Bewältigung des Stoffes mit sich.

[135] Unsere Schlottrigkeit in der Form fördert im Gegenteile unsere Zerstreuung und Auflösung des inneren Stoffes. Freilich ist's eine Beschränkung, aber eine solche ist jede Form, und alles in allem zu geben ist eben nicht Sache des Kunstwerks. Wie wir es vorherrschend mit dem Drama getrieben haben und treiben neben den Meistern, die uns auch im Vaterlande geworden sind, das ist ein Treiben, welches statt der Form die Genialität sucht. Die Genialität wird aber nicht gesucht, sie erzeugt sich von selbst. Sie überspringt die Regel, weil sie dies vermöge ihres Atems und Inhaltes kann – ohne ihren Atem und Inhalt zu springen gleich ihr, das bringt Nichtigkeit zuwege. In Form und Regel sich schließen und innerhalb dieses Schlusses sich nach Kräften ausdehnen, dies ist die allein etwas versprechende Methode eines Talentes. Es fehlt uns die Bescheidenheit, nur Talente sein zu wollen. Wer aber den Genius hat, dem wird er auf den Wegen und in den Formen des Talentes nicht verloren gehn. Das Sprengen der Form ist etwas ganz anderes als das Vernachlässigen derselben.

So wird derjenige lächelnd auf uns herabsehn, welcher Zeit und Ort seines Dramas weit ausdehnen, oder was noch mehr sagen will, in Sprüngen wechseln und dennoch den Zuschauer in organischer, wohltuender Teilnahme erhalten kann für sein Stück. Er hat das Recht zu lächeln, denn seine Kraft ist ungemein. Ich traue mir diese Kraft nicht zu, und hoffe nur dadurch, daß ich meinen Stoff eng zusammenhalte und Schritt für Schritt organisch entwickele, den Zuschauer auf meinem Wege mit fort zu nötigen. Ich nehme also die volle Hilfe der Form in Anspruch, und verzichte lieber auf manche mir erreichbare Ausbreitung des Inhalts, als auf ein festes Hilfsmittel der Form. Ich schreibe eben für das wirkliche Theater, was man unter unsern Genies gern für etwas Untergeordnetes ausgibt.

Nicht also aus äußerlichem Respekt für eine fremde Klassik dränge ich in meinen Stücken Zeit und Raum so eng als es mir erreichbar und mit der Handlung vereinbar ist, zusammen, sondern weil ich zu wissen glaube, daß ein Stück um so kernhafter wird, je strenger man im Komponieren alles nahe aneinander bringt, daß ein Stück um so tiefer wirkt, je enger es in seinen Bewegungen zusammengearbeitet ist, und weil ich ferner zu wissen glaube, daß das Interesse um so schwieriger aufrecht zu erhalten ist, je mehr [136] Spielraum man den Dingen und Personen einräumt. Der Zuschauer dehnt sich aus in Gleichgültigkeit und Trägheit, je weniger er sich zusammengehalten fühlt. Warum sagt man: Es fesselt mich, oder es fesselt mich nicht? Strenge Form ist Fessel. An den eigenen Arbeiten habe ich die Erfahrungen gesammelt: im Monaldeschi fing ich an auf dem breitesten Wege. In diesem vierten Stücke bin ich bereits auf dem schmalsten. Dieser hindert mich nicht, Erweiterungen zu suchen, er zwingt mich nicht Pedant zu werden, aber er hat mich belehrt, jegliche Einheit als Symptom hoch zu halten. Hinter dem Symptom ruht eine strenge Gewältigung des Stoffes, und eine solche ist stets ein wesentlicher Gewinn.

Sollte denn auch wirklich Hegel, dieser Mann der Kategorien, so obenhin über diese Lehre von den Einheiten hinweggeschlüpft sein, wie obiger Ausspruch zu bekunden scheint? Der Ausspruch ist mir im Gedächtnisse aus seiner Ästhetik, aber es sind acht Jahre her, seit ich sie gelesen.

Ich hole sie herbei, ich schlage nach im dritten Teile. »Das System der einzelnen Künste. Dritter Abschnitt. Drittes Kapitel. Die Poesie. b. Das dramatische Kunstwerk. α«:

»Das Nächste und Allgemeinste, was sich über die Einheit des Drama feststellen läßt, knüpft sich an die Bemerkung, daß die dramatische Poesie, dem Epos gegenüber, sich strenger in sich zusammenfassen müsse.« – »Als nähere Gesetze lassen sich die bekannten Vorschriften der sogenannten Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung angeben.« »α. α. Die Unveränderbarkeit eines abgeschlossenen Lokals für die bestimmte Handlung gehört zu jenen steifen Regeln, welche sich besonders die Franzosen aus der alten Tragödie und den aristotelischen Bemerkungen abstrahiert haben. Aristoteles aber sagt nur (Poet. c. 5.) von der Tragödie, daß die Dauer ihrer Handlung meist die Dauer eines Tages nicht überschreite, die Einheit des Orts dagegen berührt er nicht, und auch die alten Dichter sind ihr nicht in dem strikten französischen Sinne gefolgt, wie z.B. in den Eumeniden des Äschylus und dem Ajax des Sophokles die Szene wechselt. Weniger noch kann sich die neuere dramatische Poesie, wenn sie einen Reichtum von Kollisionen, Charakteren, episodischen Personen und Zwischenereignissen, überhaupt eine Handlung darstellen soll, deren innere Fülle auch einer äußeren Ausbreitung bedarf, dem Joche einer abstrakten Dasselbigkeit des Orts beugen. Die moderne Poesie, [137] insoweit sie im romantischen Typus dichtet, der überhaupt im Äußerlichen bunter und willkürlicher sein darf, hat sich daher von dieser Forderung frei gemacht. Ist aber die Handlung wahrhaft zu wenigen großen Motiven konzentriert, so daß sie auch im Äußeren einfach sein kann, so bedarf sie auch keines mannigfaltigen Wechsels des Schauplatzes. Und sie tut wohl daran. Wie falsch nämlich auch jene bloß konventionelle Vorschrift sein mag, so liegt wenigstens die richtige Vorstellung darin, daß der stete Wechsel eines grundlosen Herüber und Hinüber von einem Orte zum andern ebensosehr unstatthaft erscheinen muß. Denn einerseits hat die dramatische Konzentration der Handlung sich auch in dieser äußerlichen Rücksicht, dem Epos gegenüber, das sich im Raume aufs vielseitigste in breiter Gemächlichkeit und Veränderung ergehn darf, geltend zu machen, andererseits wird das Drama nicht nur wie das Epos für die innere Vorstellung, sondern für das unmittelbare Anschauen gedichtet. In unserer Phantasie können wir uns leicht von einem Ort aus nach einem andern versetzen; bei realer Anschauung aber muß der Einbildungskraft nicht zu vieles zugemutet werden, was dem sinnlichen Anblick widerspricht. Shakespeare z.B., in dessen Tragödien und Komödien der Schauplatz sehr häufig wechselt, hatte Pfosten aufgerichtet und Zettel angeheftet, auf denen stand, an welchem Orte die Szene spiele. Dies ist nur eine dürftige Aushilfe und bleibt immer eine Zerstreuung. Deshalb empfiehlt sich die Einheit des Ortes wenigstens als für sich verständlich und bequem, insofern dadurch alle Unklarheit vermieden bleibt. Doch kann allerdings der Phantasie auch manches zugetraut werden, was der bloß empirischen Anschauung und Wahrscheinlichkeit entgegenläuft, und das gemäßeste Verhalten wird immer darin bestehen, in dieser Rücksicht einen glücklichen Mittelweg einzuschlagen, d.h. weder das Recht der Wirklichkeit zu verletzen, noch ein allzugenaues Festhalten desselben zu fordern.«

Mich dünkt, diese Entwickelung stimme in ihren wesentlichen Punkten mit dem zusammen, was ich oben als praktisch erworbene Gesichtspunkte bezeichnete. Ich führe übrigens die Worte des Philosophen nicht zu meiner Rechtfertigung an. Denen, die schöpferisch im Drama zu Werke gehn wollen, würde es nicht weit helfen, sich bloß auf die Theorie einer Autorität zu berufen, und wenn sie nicht den Mut besäßen, auch allein recht haben zu wollen, so wären ihre Ansprüche auf Schöpfung als sehr dürftige zu bezeichnen. Ich könnte schon [138] zum Beispiele den von Hegel angeführten Gegensatz zwischen der Form des Dramas und des Epos von unserm jetzigen Standpunkte der Ästhetik nicht in solcher Ausdehnung annehmen, ohne eine wesentliche Erscheinung neuerer Literatur zu verleugnen. In dieser neueren Erscheinung ist jene tiefe Trennung zwischen Epos und Drama bereits geändert, und die dramatische Form hat als vollendetste Form das Epos bereits unterjocht, die breite »Gemächlichkeit« und die »vielseitigste« Ausdehnung desselben im Raume enger und lebendiger zusammenraffend. Der moderne Roman, mehr eine innere als eine äußere Welt darstellend, vereinigt sich schon nicht mehr mit jenen vom alten Epos abstrahierten Grundlinien.

Aber trotzdem sind uns bei entscheidenden Punkten die Worte eines so universell gebildeten und trachtenden Philosophen von lehrreicher Bedeutung.

Deshalb will ich der Vollständigkeit wegen noch in Kürze berichten, was er im wesentlichen über Einheit der Zeit und der Handlung beibringt: »ß. ß. Ganz das selbe gilt für die Einheit der Zeit. Denn in der Vorstellung für sich lassen sich zwar große Zeiträume ohne Schwierigkeit zusammenfassen, in der sinnlichen Anschauung aber sind einige Jahre so schnell nicht zu überspringen. Ist daher die Handlung ihrem ganzen Inhalte und Konflikte nach einfach, so wird das beste sein, auch die Zeit ihres Kampfes bis zur Entscheidung rasch zusammenzuziehen.« Was er nun weiter ausführt über die stets nur relative und konventionelle Zeitdauer, und daß man die »sinnliche Wirklichkeit nicht als letzte Richterin«, die »bloß empirische Wahrscheinlichkeit« nicht als entscheidende Instanz gelten lassen dürfe, das kann vom Poeten in der Hauptsache alles zugegeben werden. Man vermißt aber hier die Anwendung auf das wirkliche Drama, man vermißt den Versuch eines Nachweises und Fingerzeiges an der Form selber. Das Gesagte ganz in Ehren haltend wird man doch zu der Äußerung getrieben: Das ist zu vag, und der scheinbar ganz äußerliche Vorschlag, die Sprünge in der Zeit wenigstens durch Akte zu trennen, um jedem Akte die Zeiteinheit zu bewahren, ist von größerer Hilfe. Über die notwendige Einheit der Handlung herrscht kein Zweifel und kein Streit. Was Hegel über den Begriff der dramatischen Handlung sagt, deren Wesen in einem »kollidierenden« Handeln zu suchen sei, nicht aber in der bloßen Begebenheit, das sind goldene Worte.

[139] Die Handlung entwickle sich einheitlich aus den Charakteren an den vorliegenden Zwecken, so lautet in Kürze das, was als unwandelbares Grundgesetz anzuerkennen ist.

Wenn mir ein Kritiker vorgeworfen, ich dringe in der Vorrede zu Monaldeschi fälschlich allem übrigen voraus und mit zu geringer Berücksichtigung der Charaktere auf Handlung, so ist dies ein Mißverständnis, welches ich wohl durch ungeschickten Ausdruck erzeugt haben mag. Ich kenne im Drama keine andere des Namens werte Handlung als diejenige, welche aus den Charakteren und dem Zusammenstoß derselben untereinander hervorgeht, und ich habe nur die Handlung in den Vordergrund stellen wollen, weil wir geneigt sind, dies Resultat der Charakterentwickelungen zu vernachlässigen.

Soviel über die Streitfrage der Einheiten, um Mißverständnissen vorzubeugen, als ob ich ein Ultratum wollte, und um nachzuweisen, daß doch auch die gründlichste philosophische Ästhetik nicht so weit von Forderung der Einheiten entfernt ist.

Ich komme nun zu einem zweiten Vorwurfe, welchen das Stück gefunden und verdient hat. Er betrifft das Innere der Form. Es sei eine Intrigentragödie und eine solche sei nicht deutscher Art.

Der Vorwurf ist sehr wichtig. Gründe gegen ihn vorzubringen, ist freilich nicht schwer, denn ich könnte mit gutem Fug sagen: Der Stoff selbst hat sich geschichtlich als Intrige entwickelt, und warum sollte die Intrige von der Tragödie ausgeschlossen sein, wenn sie große Zwecke zu ihrem Inhalte hat? Warum ferner sollte es nicht deutsche Art sein, eine geschichtliche Katastrophe ihrem Hergange gemäß zu behandeln? Diese objektive Treue ist ja vorzugsweise deutsch. Warum sollte es heutiger Zeit, welche auch das deutsche Wesen politisch zu ergänzen und zu erweitern trachtet, undeutsch genannt werden, eine politische Tragödie in der ihr inwohnenden Intrigenform zu versuchen? Und liegt nicht endlich eine ganz deutsche Wahrheit darin, daß der deutsche Struensee, eben weil er die Intrige gering achtet und sie den Dänen überläßt, zu Boden geworfen wird?

Solcher Fragen zu meiner Verteidigung gäb' es noch eine große Anzahl, aber ich will weder die Kritik noch mich selbst täuschen, sondern unumwunden eingestehn, daß ich ein ganz gerechtes Moment in diesem Vorwurfe anerkenne. Wenn unsere dramatische Bestrebung tieferen Eindruck machen, dauernde Folge wecken soll, so muß sie [140] Formen suchen und anbahnen, welche aus dem Kern deutscher Eigenschaften entspringen und welche uns dadurch familienhaft wert und eigentümlich bleiben. Die Intrigenform entspringt nicht aus unserm Kerne. Freilich ist das völlige Aufgeben derselben eine außerordentliche Erschwernis für dramatische Schöpfung, denn das Intrigenhafte ist etwas der dramatischen Maschinerie gar zu tief und notwendig Inwohnendes. Aber ein völliges Aufgeben ist ja auch etwas anderes als ein Beschränken. Die Intrige bleibt uns ja als Bewegungsmittel gestattet, wenn wir auch nicht gern gestatten, daß sie einziger Haupthebel sei.

Dies ist sie nun wohl in meinem Stücke nicht, und meines Erachtens wird sie nur durch die Charaktere möglich; dennoch ist sie mächtiger, als es dem deutschen Wunsche zusagt, und ich gestehe den Kritikern dankbar ein, daß mich ihr Vorwurf unablässig beschäftigt und zu ruheloser Spekulation getrieben hat: auf welchen Wegen und durch welche Mittel eine unserm eigentümlichsten Wesen angemessenere und entsprechendere Form des Dramas zu finden sei, ohne daß vorhandene Vorbilder bloß nachgeahmt würden. Mit bloßer Nachahmung wäre freilich nichts gewonnen, da ja auch sämtliche Vorbilder Lücken geboten für die Kritik, Lücken, welche wahrlich von uns schwächeren Jüngern nicht ausgefüllt werden könnten. Es ist leicht gesagt, daß Goethe nicht geschlossen und theatralisch genug sei für die Bühne und daß Schiller zu idealisch in den Gestalten und Motiven walte, wer gibt uns die Vorzüge, um so schöne Fehler zu begehn oder zu vermeiden! – Vollkommen deutsch ist allerdings Iffland, der überhaupt in den Stoffen und der Technik noch heute sehr lehrreich ist für unser Theater. Die Stoffe sind familienhaft und deshalb innerlichst national, und die Technik ist eine Entwickelung in kleinen Schritten mit Vermeidung jeglichen Sprunges wie jeglichen Schwunges.

Hieraus ist gewiß manches Ersprießliche zu folgern. Die oft gar zu hausbackenen Motive und die gar zu enge Welt braucht man ja deshalb nicht nachzuahmen. Das Theater selbst erobert niemand leichter, als wer Iffland nachgeht, denn er hat von vornherein außer dem großen Publikum auch sämtliche Schauspieler für sich. Das bürgerliche Charakterstück spielen sie nicht nur am liebsten, sondern auch am besten. Hier sind sie zu Hause und reproduzieren ihren eignen Gedankenkreis und die Anschauungen ihrer Jugend, während sie in den nichtbürgerlichen Gattungen immer ohne eigentlichen [141] Fußboden schwanken und taumeln, oder, um dies zu verbergen, Manieriertheit auftischen.

Aus diesem Wege liegen gewiß ergiebige Entdeckungen für das deutsche Theater. Der Autor muß Darsteller und Publikum nehmen, wie sie sind, er kann nach Erhöhung beider trachten, aber nicht nach Änderung. Aufsteigend vom Familienstück der langsamen Charakterentwickelung findet er im deutschen Theater die sicherste Folge. Wir fahren mit unsern Stücken noch viel zu viel umher und trachten zu ehrgeizig nach Geist, indem wir uns von einer Kritik stacheln lassen, welche nicht das Gelingen erstrebt, sondern das Rechthaben. Wir sollten zunächst nach der unter uns eigentümlichen Wahrheit trachten. Der Kenner darf es noch immer nicht verleugnen, daß in Paris viel besser Komödie gespielt wird als bei uns. Dies rührt nicht bloß daher, daß dort unvergleichlich mehr Fleiß und künstlerische Sorgfalt auf das Einstudieren verwendet wird und verwendet werden kann, weil zahllose Wiederholungen möglich sind und weil durch diese Wiederholungen hinreichende Zeit für reife Vorbereitung des Neuen gewonnen wird, bei uns aber durch das Bedürfnis immerwährender Abwechselung die Oberflächlichkeit unvermeidlich bleibt. Nicht bloß daher rührt es, ja selbst nicht bloß daher, daß die Franzosen geborene Komödianten sind. Sie spielen hauptsächlich darum besser, weil die gründliche Sorge für das Theater alles in festere Gleise gefügt hat, und weil in diesen Gleisen die Autoren dem Schauspieler viel mehr in die Hände, das heißt in die nationalen Anlagen hinein vorarbeiten. Die Schauspieler haben immer Franzosen zu spielen und deshalb werden sie fertiger. Wir wollen auch auf dem Theater Kosmopolitismus ausgeprägt sehen, wir verlangen die größte Mannigfaltigkeit und müssen uns deshalb mit der Mittelmäßigkeit begnügen.

Von der Form des Ganzen zu der Form im einzelnen übergehend habe ich dankbar anzuerkennen, daß die Kritik dem Stücke wohlwollende Teilnahme und Milde geschenkt hat. Selbst was gerügt und getadelt worden ist, das ist mild und aufmunternd gerügt und getadelt worden und ich muß der Rüge und dem Tadel auch von meinem Autorstandpunkte Fug und Recht zugestehn. Sie trafen zumeist den Helden des Stückes, Struensee selbst. Es hat allerdings etwas, ich will nicht geradezu sagen Störendes, aber doch Befremdendes, daß der Held einer politischen Tragödie nicht durch die [142] Politik in erster Linie, sondern durch ein von Liebe überwallendes Herz in sein Verderben gerissen wird. Und zwar jählings auf den Rossen der Schwärmerei, welche herkömmlich nur einem Jünglinge gebühren sollen. Soll ich mich entschuldigen mit dem geschichtlichen Tatbestande, welcher Struensee wirklich als so unbedachten Sanguiniker darstellt? Nein. Ich gestatte weder anderen noch mir solche Berufung auf gewesene Wirklichkeit. Sie ist untergeordnet neben der Wahrheit, die im Kunstwerke selbständig herrschen soll. Das Nichtgeschehene kann wahr sein durch die Kunst des Poeten, welcher eine Welt im Ganzen erschafft, und das Geschehene kann unwahr werden, wenn es unpassend dem Organismus einer Poesie angehängt wird. Ich kann mich nur damit entschuldigen, daß ein schwärmerischer Staatsmann doch auch seine Berechtigung hat als poetische Figur, und daß er nur eben befremdet, weil er nicht erwartet wird. Mir scheint es auch, als verschwinde im Laufe des Stückes dies Befremden, nachdem man sich eben in dem sanguinischen Charakter zurecht gefunden und nachdem man zugestanden, daß Struensees Interesse und Pathos gerade aus den Gegensätzen zwischen Herz und Politik erwächst.

Ich habe wenigstens kein stärkeres Motiv für das Schürzen der Handlung und für die wohltuend schmerzliche Entwickelung des Charakters zu finden gewußt. Wird diese Erfindung schwach befunden, so muß ich mich bescheiden. Wer kann über die Tragweite seiner Kräfte hinaus! Falsch ist sie nicht und auch nicht undankbar, das haben mir die Darstellungen tröstlich erwiesen.

Endlich hab' ich noch zu erwähnen, worin und warum ich an einigen Hauptpunkten von dem tatsächlich Geschichtlichen abgewichen bin. Es bedarf dies, wie ich soeben angedeutet, von meinem Standpunkte aus keiner Verteidigung und die Kritik hat auch keine verlangt. Sie hat anerkannt, daß die Zufälligkeit des Faktums unbedeutend ist vor der wahrhaftigen Innerlichkeit der Geschichte, und daß es gestattet ist, Äußerlichkeiten umzugestalten im wahren Sinne des Ganzen und zu wirklich poetischem Zwecke.

Jene Hauptpunkte sind das Verhältnis Struensees zur Königin, der Krankheitsgrad des Königs und Struensees Todesart.

Das Liebesverhältnis zwischen der Königin und Struensee war bekanntlich nicht ein entstehendes, wie es in diesem Stücke dargestellt wird, sondern ein ausgebildetes. Ich berufe mich nicht auf [143] die erhöhte Schwierigkeit der Zulassung bei unsern Hoftheatern, welche vor einem ausgebildeten Liebesverhältnisse solcher Art doppelte Scheu empfinden, das wäre zu äußerlich, ich berufe mich aber auf die größere poetische Macht, welche einer entstehenden Neigung innewohnt vor einer schon bestehenden.

Ein kranker König ferner ist überall einem schwachsinnigen vorzuziehn, und die rasche Tötung Struensees endlich war mir für die Technik des Stückes unerläßlich. Fallen oder Nichtfallen ist fünf Akte lang dergestalt auf die Spitze getriebene Hauptfrage, daß der Schluß ein sichtlich entscheidender werden mußte, wenn er nicht ungenügend sein und immer neue Chancen in Aussicht lassen wollte. Der wirkliche Hergang, ein langer Prozeß und die Kriminalprozedur einer öffentlichen Hinrichtung, ist in diesem Stoffe für jede Theaterform eine gefährliche Klippe, und wer alles der Wirklichkeit gemäß haben will, könnte auch noch mit demselben Rechte der Äußerlichkeit auf Abhauen der rechten Hand bestehn – für die zusammengedrängte, in zwölf Stunden die Katastrophe ereilende Handlung meiner Form war solch ein verzögerter Ausgang unter keiner Bedingung anzunehmen.

Feiner und ganz berechtigt ist die Frage, ob ich nicht die bloße Todesdrohung mit Köllers Soldaten bestehen und nur Gefangennehmung und Abführung zum Tode eintreten lassen könnte. Besonders für den Druck des Stückes, welches nun doch auf den Theatern eingeführt sei. Moritz in Stuttgart hat auch die erste Darstellung auf jene stille Weise endigen lassen, und Herr Fedor Löwe hatte einen passenden Monolog Struensees zu solchem Schlusse geschrieben.

Ich kann mich indessen nicht dazu entschließen. Das Bedenken, von einer bloßen Notiz der Geschichtskompendien abzuweichen – denn töten müssen sie ihn doch lassen – dies Bedenken ist mir ein zu geringes vor dem künstlerischen Bedürfnisse eines entscheidenden Schlusses. Wer nichts weiter darin findet als das Bedürfnis eines Knalleffekts, für den ist diese Freiheit des Poeten allerdings nicht aufzuklären.

Den Bühnen, welche mit Ausnahme Wiens und Berlins fast sämtlich das Stück aufgeführt, habe ich herzlichen Dank zu sagen für den Eifer und Fleiß der Vorbereitung und Darstellung, welchen gerade dieses Stück überall gefunden hat. Durch so gleichmäßigen[144] Eifer und Fleiß ist es wohl nur möglich geworden, daß ein so gleichmäßig günstiger Erfolg, eine in Deutschland seltene Erscheinung, gewonnen worden ist. Nähere Nachrichten und teilweise eigene Anschauung setzen mich instand, namentlich hervorzuheben Stuttgart, wo Herr Moritz mit bekannter Tüchtigkeit die erste Vorstellung des Stückes bewerkstelligte; Mannheim, wo Herr Düringer als Oberregisseur wenig Tage später mit sorgfältig vorbereiteter Darstellung folgte; München, wo Herr und Frau Dahn dem Stücke die schönste Hingebung bewiesen und im Verein mit Herrn Jost und Fräulein Denker ihm eine Aufnahme der innigsten und, wie die Folge gezeigt, nachhaltigsten Art bereiteten; in Norddeutschland aber allen voraus Dresden, wo Eduard und Emil Devrient, Fräulein Bayer und Berg und Herr Porth das schönste Gelingen zuwege brachten; Leipzig, wo Herr Wagner und Fräulein Baumeister, Herr Marr und Herr Richter alle Kräfte zu gutem Erfolge aufboten; Hamburg, wo Herr Baison und Herr Grunert an die Spitze traten und die tiefe Liebenswürdigkeit der gastierenden Fräulein Bayer die Aufführung überhaupt möglich machte und den glücklichen Eindruck unterstützte; Kassel und Schwerin endlich, wo Herr Bolzmann und Herr Baumeister die Rolle des Struensee zu Ehren brachten.

Schwerer als bei einem meiner anderen Stücke ist es bei Struensee, unter so vielen um das Gelingen desselben verdienten Mitgliedern des deutschen Theaters eins auszuwählen, dem ich es vorzugsweise widmen könnte zum Zeichen meiner Dankbarkeit.

Ich hoffe, Herr Emil Devrient gestattet mir, solchen Gruß der Erkenntlichkeit an seinen Namen zu richten. Er war der erste und vollendetste Darsteller des Struensee, welchen ich gesehn, und er ist damit vorangegangen, wie er einst mit Monaldeschi in Norddeutschland voranging.

[145]

Personen

Personen.

    • Christian VII., König von Dänemark.

    • Karoline Mathilde, Königin von Dänemark, dessen Gemahlin.

    • Gräfin Mathilde von Gallen, deren Ehrendame.

    • Graf Ranzau.

    • Graf Struensee.

    • von Köller, Obrist.

    • Ove Guldberg, Staatsrat.

    • Lorenz, Prediger.

    • Hofstaat, Pagen, Diener, Soldaten.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Das Theater bleibt eine Weile leer, und man hört vom Schloßhofe herauf lang gezogene Jagdhörnersignale. Nachdem diese in kurzen Pausen zweimal wiederholt worden sind, erscheint von links 1 hinter den Pfeilern denn links und rechts hinter den Pfeilern werden offene Gänge vorausgesetzt Guldberg und bald darauf von rechts hinter den Pfeilern Graf Ranzau.

GULDBERG
nachdem er einen Augenblick unter dem Bogen stehen geblieben ist und rückwärts nach der Glastür hinaufgesehen hat, tritt er an den Tisch, welcher links vom Zuschauer und so steht, daß die Seitentür hinter ihm noch völlig offenen [147] und sichtbaren Eintritt gewähren kann.

Auf diesem Tische ist das Schachspiel. Er stellt es auf, während das Hörnersignal sich wiederholt, und.

GRAF RANZAU
hinten auftritt, und ebenfalls nach der Glastür hinausblickt, ehe er Miene macht, einzutreten.
GULDBERG
ihn gewahrend und ihm entgegen schreitend.

Ah, der gnädigste Herr Graf also wirklich in Kopenhagen zurück! Es sei mir gestattet, ihn lebhafter noch als pflichtschuldig willkommen zu heißen.

RANZAU.

Ich danke, Herr Guldberg. Es ist mir wirklich, als sei ich erstaunlich lange entfernt gewesen, denn ich finde mich nicht mehr zurecht, so verändert ist alles. Was bedeuten diese Hörnerrufe aus dem Schloßhofe?

GULDBERG.
Die Jagd ist bereit für Ihre Majestät die Frau Königin.
RANZAU.
Die Frau Königin jagt?
GULDBERG.

Zu Pferde! Ein prächtiger Anblick auf englischen Rossen, die in Dänemark neumodisch sind. Graf Struensee findet, daß diese Leibesbewegung der Gesundheit und der Gesichtsfarbe zuträglich sei.

RANZAU
eintretend.
Und der König?
GULDBERG.
Seine Majestät der König spielen unterdessen Schach.
RANZAU.
Er begleitet sie nicht?
GULDBERG.

Nein, das tun die jungen Herrn vom Hofe und Graf Struensee, da die Frau Oberhofmeisterin nicht reiten kann.

RANZAU.
So?
GULDBERG
sich verbeugend.

Der Herr Graf werden es in der Christiansburg viel heitrer finden, als es ehedem war. Man hat keine Vorurteile mehr, und alle Pedanterie ist verschwunden.

RANZAU.
Pedanterie?
GULDBERG.
Das ist der neue Ausdruck für das, was man sonst Etikette nannte.
RANZAU.

So? – Dahin gehört wohl auch die Umwandlung dieses alten Empfangsaales, der jetzt wie ein Gesellschaftszimmer aussieht?

GULDBERG.

Zu Befehl, Herr Graf! Wir nennen das Reformen. Die hohen Herrschaften, deren Zimmer hier zusammentreffen, sehen sich solcherweise mit Leichtigkeit, und sind in leichterer Verbindung mit der Nation, da die Schloßtreppe unmittelbar hier heraufführt. Graf Struensee sagt, dies sei der Weg zur Popularität. Will man [148] unbeobachtet sein, so schließt man nur den Vorhang und erreicht damit eine bloß repräsentative Trennung.

RANZAU.
Ich verstehe diesen Jargon nicht, Guldberg.
GULDBERG.

Bedaure sehr. Des Herrn Grafen mächtiger Schüler, Graf Struensee, wird ihn Euer Gnaden wohl verständlich machen. Jedenfalls ist das Resultat ein allgemeines Wohlbefinden.

RANZAU.
Also auch des Königs Zustand hat sich gebessert?
GULDBERG.
Der Zustand? Der Herr Graf meinen den Kopfschmerz und die Zerstreutheit?
RANZAU.
Nun?
GULDBERG.

Diese Übelstände sind wohl noch vorhanden, aber Seine Majestät spielen mit großer Geistesgegenwart Schach, und Graf Struensee meint, die völlige Heilung werde nicht ausbleiben.Unterdes ist Prediger Lorenz von rechts hinten eingetreten.

RANZAU.
Wer ist der Mann?
GULDBERG.

Habe nicht die Ehre. Das kommt wohl vor bei unsrer Popularität. – Während er dies sagt und auf den Prediger zugeht, kommt Obrist von Köller durch die Glastür herein. Sie bleibt geöffnet und wird von Trabanten besetzt; er selbst steigt herab und nähert sich dem Grafen Ranzau unter Verbeugung. Dies geschieht so rasch nebeneinander, daß er vor diesem steht, als Guldberg hinten zum Prediger tritt.

2. Szene
Zweite Szene.
Graf Ranzau. v. Köller. Guldberg und Prediger Lorenz letzterer im Hintergrunde bleibend.

RANZAU.

Sieh da, lieber Vetter! Entschuldigen Sie meine Eile, die mich vorhin nicht aushören ließ, in welcher Weise ich Ihnen nützlich sein könne. Sie wollen zum General befördert sein?

KÖLLER
verbeugt sich bejahend.
RANZAU.
Und es bedarf nur einer Empfehlung an Graf Struensee?
KÖLLER
verbeugt sich wiederum bejahend.
RANZAU.
Struensee ist also dieser Beförderung nicht abgeneigt?
KÖLLER.

Das darf ich wohl nicht behaupten. Herr Struensee ist gegen meinesgleichen nicht sehr zuvorkommend; und vom Standpunkte seiner bürgerlichen Vorurteile hat er mir bis jetzt immer [149] Schwierigkeiten entgegengesetzt, Schwierigkeiten, die ein Wort aus Eurem Munde sogleich beseitigen würde.

RANZAU.

Seid da nicht allzu zuversichtlich, Herr von Köller. Graf Struensee tut oder verweigert nicht leicht etwas ohne triftigen Grund, und was mich anbetrifft, so bin ich durch längere Abwesenheit ohne unmittelbaren Einfluß auf die Geschäfte. Eure Vermögensumstände, lieber Köller, werden wohl der Beförderung im Wege stehn: die Generalsstelle fordert Aufwand, und Ihr habt nicht gespart.

KÖLLER.

Dergleichen hat Graf Struensee bis jetzt nicht eingewendet, und ich hoffe auch, gerade diesem Übelstande binnen kurzem abzuhelfen.

RANZAU.
Sieh da! Man darf also wohl bald zu einer reichen Partie gratulieren?
KÖLLER.

Euch, verehrter Herr Vetter, darf ich wohl eine Aussicht mitteilen, die allerdings noch nicht verbrieft ist, die aber auch nur verbrieft werden kann, wenn ich die Generalsstelle erhalte, das heißt, wenn ich Eurer Unterstützung teilhaftig werde.

RANZAU.
Darf ich ohne Zudringlichkeit um eine nähere Aufklärung bitten?
KÖLLER.

Diese Aufklärung ist mir Euch gegenüber ein Bedürfnis. Ich hege eine lebhafte Neigung für die schönste und einflußreichste Dame des Hofes und schmeichle mir, deren Hand erringen zu können, wenn ich in Generalsuniform meine Bewerbung vortragen kann.

RANZAU.
Darf der Name zwischen uns genannt werden?
KÖLLER.
Es ist die Gräfin von Gallen.
RANZAU.

Ei, das freut mich! Demnach kehrt sich die Sache um: Ihr brauchtet nicht vermögend zu sein, um General werden zu können, sondern müßtet General sein, um vermögend zu werden.

KÖLLER.

Zu Befehl, Herr Graf. Während der letzten Worte Ranzaus ist Guldberg mit Lorenz in den Vordergrund gekommen.

RANZAU
zu Köller.

Mein Anteil verbürgt Euch meine Unterstützung. Köller verbeugt sich, und Ranzau wendet sich zu Guldberg. Ich hoffe, Graf Struensee erscheint hier zur Morgenaudienz?

KÖLLER.

Graf Struensee pflegt Ihre Majestät die Frau Königin auf der Jagd zu begleiten, und deren Erscheinen ist hier jeden Augenblick zu gewärtigen.

[150]
GULDBERG.

Graf Struensee haben auch, weil sie im Augenblicke zu beschäftigt gewesen, diesen deutschen Prediger hierher geschickt, um ihm die erbetene Audienz im Vorbeigehn hier zu erteilen, der Herr Minister sind also mit Zuversicht hier zu erwarten.

RANZAU
zum Prediger.
Das ist wohl ein Irrtum! Der Herr Minister empfängt nicht im Saale des Königs.
LORENZ.
Ich bin nach dem Marmorsaale beschieden worden.
GULDBERG.

Es hat seine Richtigkeit: die Zeit ist teuer, und wir sind über die Pedanterie hinaus!Schon bei den Worten »die Zeit ist teuer« treten aus der Tür links paarweis vier Pagen, in kurze Pelzröcke gekleidet, Pelzbarette auf den Köpfen, umgestülpte farbige Lederstiefel mit Sporen an den Füßen, Reitpeitschen in den Händen, und schreiten unverweilt durch den Bogen, die Treppe zur Glastür hinauf. Sobald sie aber oben sind und nach dem Schloßhofe hinabsehn können, winken sie hinab, es erhebt sich eine lebhafte Fanfare der Jagdhörner, es erscheinen Pikeure von unten herauf, und sie wie die Pagen stellen sich an den Seiten der offnen Glastür auf, während die Soldaten auf den Seiten des äußeren Balkons links und rechts zugerückt sind, und nur durch die Fenster gesehn werden. Sobald die Pagen erschienen und die letzten Worte Guldbergs gesprochen sind, ruft.

KÖLLER.
Ihre Majestät die Königin kommen.
RANZAU
halblaut zu Guldberg, während sie sich der geöffneten Tür gegenüber aufstellen.
Wo sind die Kammerherrn?
GULDBERG.
Gehören zur Reform und sind beseitigt.
3. Szene
Dritte Szene.
Die Königin im Reitkleide, schon während der letzten Worte Guldbergs eintretend. Gräfin Gallen ebenfalls im Reitkleide. Hofdamen die sich sogleich vom Pfeiler links bis an die Treppe aufstellen. Bald darauf der König.

KÖNIGIN.
Wo bleibt Graf Struensee?
GULDBERG
die Achseln zuckend.
Wahrscheinlich überhäufte Regierungsgeschäfte –
KÖNIGIN
ihn schon nach dem ersten Worte unterbrechend.

Sieh da, Graf Ranzau! Ich freue mich Eurer Rückkehr. Wenn Ihr wohlauf seid, solltet Ihr uns begleiten, wir jagen auf dem zugefrornen Sunde, wo wir Falken steigen lassen, Euer Freund Struensee hat uns gefährliche Dinge gelehrt, aber wo bleibt er? Herr von Köller, ich bitte! Während sich dieser verbeugt, und nach rechts hinten abgeht, wird [151] die Tür rechts geöffnet, man hört von innen heraus den Ruf »der König«. Zwei Hartschiere treten heraus und stellen sich zu beiden Seiten der Tür auf. Ihnen folgen Hofleute, die sich gegen die Königin verbeugen und dann zwischen Pfeiler und Treppe den Hofdamen gegenüber aufstellen. Unterdes ist die Königin, ohne die Begrüßung zu erwidern, mit der Gräfin Gallen links in den Vordergrund getreten, und sagt halblaut zu dieser.

KÖNIGIN.
Ranzau ist alt geworden!
GRAFEN GALLEN.
Guldberg aber ist derselbe!
KÖNIGIN.

Ach leider, und Neuer Ruf »der König«, und der König tritt ein. die andern auch! Sie geht dem Könige bis auf die Mitte der Bühne entgegen, unterwegs ihren Handschuh ausziehend. Sie verbeugen sich voreinander, und der König küßt ihr die Hand. Dann begrüßt er mit einer Handbewegung die Herren auf der rechten Seite.

KÖNIG.
Ah, Ranzau! Sich unruhig im Kreise umblickend. Struensee?
KÖNIGIN.
Er muß überhäuft sein, jedermann verlangt nach ihm.
KÖNIG
nicht darauf hörend und unverwandt auf Lorenz blickend.
Wer ist's?
GULDBERG.

Ein Prediger aus Holstein, Majestät, ein Blutsverwandter des Herrn Grafen von Struensee. Er bringt dem Herrn Grafen Familiennachrichten, welche der Herr Graf hier anzuhören für nötig erachtet, denn er hat den deutschen Prediger hierher gesendet –

KÖNIGIN.
Wie geht es mit dem Kopfschmerze Eurer Majestät?
KÖNIG.
Wüst! Wüst! liebe Mathilde. Aber ich bin wohl – Struensee wird helfen –
KÖNIGIN.

Eure Majestät sollten den sonnigen Wintertag zu einem Ausfluge benutzen, das würde den erhitzten Kopfnerven wohltun.

KÖNIG
sich wiederum überall umblickend und mit erhöhter Stimme sprechend.
Warum ist Struensee nicht zu sehn?

Kurze Pause.
KÖNIGIN
leise und rasch zur Gräfin Gallen.
Wenn ihm nichts begegnet ist, so ist sein Ausbleiben unverzeihlich!
GALLEN
ebenso.
Ich höre seinen Schritt! Man hört rechts hinter dem Pfeiler den Melderuf. Graf Struensee!
KÖNIG.
Ah!
KÖNIGIN.
Endlich!
GALLEN.
Gott sei Dank!
4. Szene
[152] Vierte Szene.
Graf Struensee. Köller. Die Vorigen.

KÖNIG
ihm die Hand entgegenstreckend.
Struensee!
KÖNIGIN
gleichzeitig.
Aber Graf Struensee!
STRUENSEE
die Hand des Königs küssend und sich gegen die Königin verneigend.

Ich bitte die Majestäten tausendmal um Vergebung! Die dringendste Notwendigkeit hielt mich zurück: Sendung auf Sendung aus der Stadt bestürmt mich seit Sonnenaufgang, ganz Kopenhagen ist in Bewegung, ist in törichter Bewegung. O die Menschen sind blödsichtige Geschöpfe, denn die Gewohnheit nur ist ihres Auges Stern! Helft ihnen auf ungewöhnlichem Wege, und sie empören sich gegen Euch wie gegen ihren Feind!

KÖNIG.
Empören?
KÖNIGIN.
Was ist?
GALLEN.
Weh uns!
RANZAU
einen Schritt zurücktretend.
Was gibt's?
GULDBERG.
Empörung!
STRUENSEE.

Ja, Empörung bereitet sich gegen alle die humanen Maßregeln, welche des Königs Regierung in letzter Zeit angeordnet hat.

KÖNIGIN.
Eine Wiederholung des Aufruhrs der Garden?
GULDBERG.
Des Zugs der Matrosen nach Hirschholm?
STRUENSEE.
Noch ist es nicht so weit, noch schleicht der angezettelte Aufruhr zusammenhangslos umher –
KÖNIG.
Wer hat ihn angezettelt? Pause.
STRUENSEE.
Befiehlt der König, daß ich das traurige Wort öffentlich ausspreche? Pause.
KÖNIGIN.
Der König befiehlt es! Wer stiftet Aufruhr in Kopenhagen?
STRUENSEE.
Der Adel Dänemarks!
RANZAU.
Graf Struensee!
KÖLLER.
Graf Struensee!
GULDBERG.
Sagt nicht der Adel Dänemarks, sagt vielmehr: der deutsche Adel!
STRUENSEE.
Klingt dies besser?
GULDBERG.
Ja.
KÖNIGIN.

Diesem Unwesen muß mit Energie ein Ende gemacht [153] werden ein für allemal – habt Ihr alle Vorkehrungen getroffen, Graf Struensee?

STRUENSEE.

Sorgt nicht, königliche Frau! Seit ich das Zeughaus und die Christiansburg mit Kanonen bepflanzt habe, ist an eine Wiederholung der Szenen von Hirschholm nicht zu denken, und weil ich weiteres tun will, muß ich mir heut' das Glück der Jagdbegleitung versagen. Ich will lieber hinüber in die Stadt, ich will unter sie treten, ich will ihnen vorhalten, was ich für sie getan, ich will ihnen schildern, wer ihren Sinn und ihr Urteil verwirre, wer sie zu Undank und Ungebühr verleite!

GALLEN.
Ihr setzt Euch aus, Graf Struensee!
KÖNIGIN.

Ihr vergebt Eurem Ansehn! Wer unterhandelt, der bekennt sich als schwach oder schuldig! Die Gräfin Gallen geht nach dem Hintergrunde und winkt mit der Hand nach dem offenen Zimmer des Königs, es erscheint ein Diener, dem sie leise einen Auftrag zu geben scheint, und der sich nach zustimmender Verbeugung nach hinten entfernt.

STRUENSEE.
Ja, ich bin schuldig! Ich habe die Menschen für gut und dankbar gehalten, das Volk für brav –
GULDBERG.
Das dänische Volk ist brav!
STRUENSEE.

Mag sein, aber gedankenlos ist es, so wahr die Sonne scheint! Gelöst hab' ich ihm eine Fessel nach der andern – o komm, Vetter Lorenz, reich mir deine Hand, daß die Erinnerung an deutsche Treue meinen gebeugten Sinn aufrichte! Nicht wahr, bei uns daheim ist der Undank ein Laster?

LORENZ.
Das ist er überall, Friedrich!
STRUENSEE.
Erlauben Sie, Majestäten, darf ich Ihnen meinen Jugendlehrer vorstellen.
RANZAU
für sich.
Wie unschicklich!
STRUENSEE
ohne sich zu unterbrechen.

Den bravsten Mann meiner Heimat, der den Sinn für Gerechtigkeit in mein Herz gepflanzt hat. Seine Ankunft ist mir ein Zeichen meines alten Glücks.

LORENZ
für sich.
Weh uns!
STRUENSEE
ohne sich zu unterbrechen.

Er wird mir Kunde bringen von meiner Mutter, an deren Leben das meinige geknüpft ist wie das Licht an die Sonne.

LORENZ
für sich.
Allmächtiger Gott!
STRUENSEE
ohne sich zu unterbrechen.

Und so strömt schon die Berührung seiner Hand neue Kraft mir in Leib und Seele, wie [154] man vom Riesen Antäus erzählt, daß er unbesiegbar gewesen, sobald er nur mit einer Fußspitze den Erdboden berührt habe.

KÖNIG.
Sind wir nicht im Januar?
GULDBERG.
Es ist heute der 16. Januar.
KÖNIG.
Der Januar ist mir gefährlich: meine Mutter gebar mich im Januar –
STRUENSEE.
Aber gnädigster Herr!
KÖNIGIN.
Welch ein Gedanke!
GALLEN.
Entsetzlich!
RANZAU.
Entsetzlich!
GULDBERG.
Majestät!
KÖNIG.
Und mein Vater starb, Guldberg, wann war's?
GULDBERG.
Vor sechs Jahren am 14. Januar.
KÖNIG.
Im Januar! 2 Pause.
STRUENSEE.

Der Aberglaube ist ein eigensinnig Spiel des Herzens mit dem Kopfe, gestatten wir dem Spiele nicht allzu große Macht. Nüchtern angesehn ist der Widerstand gegen unsre Regierung von keiner Gefahr, und die Kunst des Regierens gewinnt an Reiz, je mannigfaltiger sich die Opposition entwickelt!

GULDBERG.
Wie in Polen!
KÖNIGIN.
Das wäre ein traurig Vorbild!
GULDBERG.
Die neuesten Vorfälle in jenem Lande bestätigen nur zu sehr die Ansicht Eurer Majestät.
KÖNIGIN.
Welche Vorfälle, Graf Struensee?
STRUENSEE.

Eure Majestät wissen, daß der russische Gesandte unsrer Regierung abgeneigt ist, und da Herrn Guldbergs Mitteilungen wohl aus dieser Quelle fließen, so hat er die Kunde voraus.

KÖNIG.
Was ist, Guldberg?
GULDBERG.

Der König von Polen ist des Abends in der zehnten Stunde vom Kanzler Czartoryski nach seinem Palaste unterwegs gewesen. Die Reitereskorte, welche den Wagen des Königs sonst zu umgeben pflegt, hat diesen Abend gefehlt, nur ein Adjutant und ein Page sind beim Könige gewesen, und nur zwei bewaffnete Heiducken und zwei Pagen mit Fackeln haben hintenauf gestanden. Die Fackeln haben einem harrenden Haufen Konföderierter zum [155] Angriffe geleuchtet, den sie am Palais des Bischofs von Krakau auf den Wagen unternommen haben, und so haben die gut gezielten Schüsse mörderisch eingeschlagen, der Kutscher und die Heiducken sind niedergeworfen, der Page, der Adjutant, der König selbst sind von Kugeln getroffen worden, ja man hat den König aus dem Wagen gerissen, zwischen zwei Pferde genommen und in vollem Trabe aus Warschau hinausgeschleppt. Man wußte noch nicht, ob er des Todes sei, da man bis jetzt nur einen seiner Schuhe, der im Kot stecken geblieben war, und seinen blutbefleckten Hut gefunden hatte – so mannigfaltig wird die Opposition in jenem Lande! Pause.

KÖNIGIN.

Dies ist abscheulich und deutet auf große Fehler. Wehe dem Könige, der die Majestät so weit verloren hat! Ein König ohne moralische Macht und gebietenden Mut ist ein machtloser Schatten – zu Pferde, zu Pferde! Solche Eindrücke lähmen die Seele! Sie wendet sich nach hinten, Gräfin Gallen und Struensee folgen ihr, Struensee spricht leise zu ihr.

RANZAU.
Wollen Eure Majestät nicht auch an die frische Luft? Der König macht eine ablehnende Bewegung.
GULDBERG.
Gott schütze Dänemark! Seine Könige haben nichts gemein mit denen von Polen!
KÖNIGIN
an der Treppe umkehrend und zum Könige eilend.

Vergebung, Majestät, daß ich ohne Abschied und so heftig scheiden wollte. Wir sind alle überreizt, und jeder hat dem andern zu vergeben. Vergebet mir. Der König ergreift ihre Hand und sie sprechen weiter, während Gräfin Gallen den von ihr ausgesendeten und jetzt zurückkehrenden königlichen Diener, der ihr jetzt beim Zurückkehren bis in den Vordergrund gefolgt ist, angehört und schnell verabschiedet hat. Diese Verabschiedung findet in dem Augenblicke statt, als die Königin ihre letzten lauten Worte spricht, und Gräfin Gallen, Struensee winkend, welcher beim Zurückkehren zur Rechten der Königin geblieben ist, spricht ihre folgende leise Rede unmittelbar nach dem letzten Worte der Königin, so daß keine Pause entsteht. Sie geht links in den Vordergrund, und Struensee folgt ihr dahin.

GALLEN.

Wagt Euch nicht in die Stadt hinüber, Graf, meine Erkundigungen lauten, daß die Mißvergnügten es auf Euch gemünzt haben. Aber trefft Anstalten zur Sicherheit, diesem Palaste selbst soll der Volkssturm gelten.

STRUENSEE.

Man übertreibt Euch die Dinge, Gräfin Gallen. Brandt sorgt gegen das aufgeregte Kopenhagen, und ein gesammelter [156] Andrang der Aufrührer ist uns fast erwünscht. Sie haben uns in Hirschholm schwach gesehen, und es tut not, ihnen die Spitze zu bieten. Von Bedrohtsein der Christiansburg kann auch gar nicht die Rede sein, denn unsre besten Truppen halten die wenigen Zugänge besetzt.

GALLEN.
Struensee, Ihr fühlt Euch zu sicher, Ihr traut sogar Guldberg!
STRUENSEE.
Guldberg ist rauh und bitter, aber nicht falsch.
GALLEN.
Er ist ein Däne gegen Euch, gegen uns alle, die wir aus Deutschland stammen!
STRUENSEE.
Das war er stets!
GALLEN.

Möchte Eure Sorglosigkeit nicht bloß aus Eurer Großmut stammen – und noch eins! Schützt mich vor Obrist Köller! Ranzaus Rückkehr erhöht seine Zudringlichkeit; die Königin steht nach Euch –

KÖNIGIN.
Die Jagdlust ist verscheucht, wir wollen daheim bleiben und der Melancholie ihr Recht gewähren!
STRUENSEE.

Ich beschwöre Eure Majestät, dies nicht zu tun! Die Bewegung in frischer Luft ist Euch heilsam, und das Maskenfest heut abend heischt frische Nerven.

KÖNIGIN.
Unter so mißlichen Umständen täten wir besser, es abzusagen!
STRUENSEE.

Das wäre ein Zugeständnis an die Mißvergnügten, das hieße ihren Hirngespinsten eine Lebendigkeit und Wichtigkeit zugestehn. Wenn Eure Majestät in gewohnter Weise durch die Stadt sprengen, und am vorbereiteten Feste nichts geändert wird, so ist dies der wirksamste Widerstand, weil es der stolzeste ist.

KÖNIG.
Durch die Stadt sprengen? – Sprach nicht vorhin jemand davon, die Stadt sei unruhig –?
STRUENSEE.
Gewiß nicht in dem Grade, um die Würde der Majestät im geringsten zu verletzen.
KÖNIGIN.

Wohlan denn! Struensee hat recht. Wer weicht, bekennt sich schwach. Es werde nichts geändert in der Tagesordnung. Gott schütze Eure Majestät! Sie reicht dem Könige die Hand, und dieser geleitet sie bis zur Treppe, Struensee führt die Gräfin Gallen, Köller, Ranzau, Guldberg, Lorenz folgen bis an die Pfeiler. Abschiedsverbeugungen an der Treppe. Als die Königin oben erscheint, wiederholt sich die Fanfare der Jagdhörner, die Pagen gehen voraus ab, die Soldaten an den Fenstern präsentieren [157] das Gewehr, und man hört die Trommeln wirbeln. Sobald die Königin verschwunden ist, wendet sich der König, und verabschiedet mit einer Handbewegung die Hofleute; diese entfernen sich links und rechts, als der König wieder durch den Bogen eintritt. Während der König links nach dem Tische schreitet, auf welchem das Schachbrett, und Guldberg hinzueilt, den Sessel zu rücken, Struensee aber, dem im Hintergrunde verbleibenden Lorenz winkend, sich anschickt, dem Könige die Abschiedsverbeugung zu machen, sagt wie alles Folgende halblaut zu ihm.

GRAF RANZAU.
Auf ein Wort, Graf Struensee.
STRUENSEE
halblaut wie alles Folgende, ausgenommen das, was der König und Guldberg sprechen.
Ist es dringend, Herr Graf? Mich rufen die bedrohlichen Nachrichten –
RANZAU.
Es ist dringend.
STRUENSEE.

Dann übernehmt Ihr wohl, Obrist von Köller, eine genaue Rekognoszierung durch die Straßen, welche die Königin passiert.

KÖLLER.

Zu Eurem Dienst, Exzellenz. Er blickt fragend auf Ranzau, dieser nickt leicht mit dem Haupte, und Köller geht ab durch die Glastür.

STRUENSEE.

Ich bin sogleich zu Euren Diensten, Herr Graf! Er geht zu Lorenz. Erwarte mich, lieber Vetter, in meiner Wohnung. Ich sehne mich, deine Nachrichten aus der Heimat anzuhören, und ich komme, sobald ich einen Augenblick frei bin.


Lorenz rechts hinten ab.
5. Szene
Fünfte Szene.
Der König Schach spielend mit Guldberg. Ranzau. Struensee.

STRUENSEE
fortwährend alles halblaut.
Wenn's Euch also genehm ist, Herr Graf, beurlauben wir uns bei Seiner Majestät.
RANZAU.

Ich habe den König noch nicht gesprochen, und was ich Euch zu sagen habe, kann hier erledigt werden. Er geht in den Vordergrund rechts.

STRUENSEE
ihm folgend.
Ich bin ganz Ohr.
RANZAU.
Ihr steht am Abgrunde, Struensee.
STRUENSEE.
Neben Euch, Herr Graf?
RANZAU.

Wohl, ich will diese leichtsinnige Wendung ernsthaft nehmen, ich will neben Euch stehen, wenn Ihr auf mich hören wollt.

STRUENSEE.
Ich höre.
[158]
RANZAU.

Struensee! Als ich Kopenhagen verließ, war das Reich in hoffnungsvoller Einigkeit, und es war ein Streben fortschreitender Verbesserung im Gange, dem jedermann mit Vertrauen entgegenkam –

STRUENSEE.
Weil jedermann einen Fortschritt, eine Beförderung für seine Person dabei erwartete!
RANZAU.

Man segnete mich, daß ich dem Leibarzte des Königs, einem ungewöhnlich begabten Manne, die Hand geboten, daß ich Struensee zum ersten Minister empfohlen hatte – seit gestern abend bin ich zurück, und aus allen Ständen bereits haben mich die Unzufriedenen bestürmt mit Klagen und Vorwürfen.

STRUENSEE.
Gibt es eine Regierung, die nicht von Unzufriedenen und Klagenden bestürmt würde?
RANZAU.
Nein, es allen recht zu machen, ist über menschliches Vermögen.
STRUENSEE.

Gelingt es doch dem Schöpfer der Welt nicht, es allen recht zu machen: der eine will Sonnenschein, wenn der andre Regen will, und der Tag bringt weder Sonnenschein noch Regen, und der eine wie der andre ist unzufrieden.

RANZAU.

Ihr habt aber das Unglaubliche bewerkstelligt, Struensee, Ihr habt es keinem recht gemacht, und jedermann ist mit Eurer Regierung unzufrieden, Ihr habt gar keine Partei, Ihr steht allein.

STRUENSEE.

Kann ein aufgeklärter Staatsmann mir zum Vorwurf sagen, ich habe keine Partei? Ist eine Partei vereinbar mit unparteiischer Gerechtigkeit? Nein, ich habe keine Partei, denn ich will gerecht sein ohne Ansehn des Standes und der Person.

RANZAU.

Lieber Freund, das ist ein idealischer Standpunkt für den Schriftsteller; Ihr seid aber nicht mehr Schriftsteller, Ihr bedürft der Zustimmung des Landes, wenn Ihr wirken, wenn Ihr bestehen wollt. Ist es tugendhaft, daß Ihr alles, was Ihr besitzt, den Armen gebt?

STRUENSEE.
Ja.
RANZAU.

Nein. Ihr macht Euch dann selbst arm und vernichtet Euch. Wer da wirken will in der Welt, muß zuerst sein eignes Bestehen sichern. Höret auf mich, Struensee, noch ist es vielleicht Zeit. Ihr habt den Adel zurückgesetzt und den Bürgerstand gegen ihn begünstigt. Ich finde es ehrenwert, daß Ihr Eures [159] Herkommens eingedenk geblieben seid, aber ich warne Euch vor Übertreibung! Ihr seht jetzt, daß dieser Bürgerstand Euch mit Undank lohnt, und daß er sich gegen Euch zusammenrottet –

STRUENSEE.
Weil ich ihm schlechte Gewohnheiten verbieten mußte, um ihn für Höheres würdig zu machen!
RANZAU.

Wohl, ich will Eure Absicht nicht tadeln, aber ich will Eure Handlungsweise mildern. Ihr mochtet recht haben, strengere Zucht unter den Matrosen einzuführen, aber Ihr tatet es zu harsch, und der Aufstand, welcher nach Hirschholm kam, war die Folge davon. Ihr mochtet recht haben, Änderungen im Militär vorzunehmen, aber Ihr ändertet zu rücksichtslos, und der Soldatenaufstand in Kopenhagen war die Folge davon. Jeder Aufstand ist ein Zeugnis, daß die Regierung Fehler begangen hat, wenn auch der Aufstand gegen die beste Absicht der Regierung gerichtet ist, und wenn er auch zweifelloses Unrecht bleibt. Die Kunst der Regierung ist die Kunst zu handeln. In Eurem jetzigen Gange macht Ihr Euch diese Kunst unmöglich. Die gebornen Verteidiger des Bestehenden, den Adel, habt Ihr dem Königshause entfremdet, habt Ihr beleidigt, der Adel verläßt Euch, wenn der Sturm losbricht. Mit der Versöhnung des Adels also müßt Ihr anfangen, wenn Ihr den verlorenen Halt wiedergewinnen wollt, und ich beschwöre Euch, meinen Rat dafür anzunehmen und zu befolgen.

STRUENSEE.
Und was ratet Ihr?
RANZAU.

Ich mute Euch nicht auffallende Schritte zu; mit kleinen, unscheinbaren Zugeständnissen mögt Ihr einlenken – die beleidigende Zurücksetzung gegen die Königin-Witwe und deren Sohn auf Fredensburg müsset Ihr einstellen!

STRUENSEE.
Und doch hält sie in ihrem Schlosse Fredensburg das Heerlager meiner Feinde.
RANZAU.

Gebt Ihr der Dame nicht Veranlassung genug? War es anständig, ich kann nicht bloß sagen war es klug, die Königin-Witwe und deren Sohn aus der Theaterloge zu verweisen und den leichtsinnigen Grafen Brandt hineinzuführen zum Spott des königlichen Hauses? O, Struensee, mit Höflichkeit unpolitisch handeln, das ist ein verzeihlicher Fehler! Aber mit Unhöflichkeit unpolitisch handeln, das ist unverzeihlich!

STRUENSEE
lachend.
Darin mögt Ihr recht haben. – Brandt hat die Schuld daran.
[160]
RANZAU.

Und Brandt ist Euer böser Genius! – Ihr habt ferner den Staatsrat aufgehoben, und die Edelsten des Landes, Männer wie Thott, Moltke, Reventlow, Rosencrantz mit einer verächtlichen Handbewegung vom Throne entfernt!

STRUENSEE.
Weil sie mit aristokratischen Interessen den Thron beschränken wollten!
RANZAU.

Wollt Ihr denn Despotismus? Oder ist es weniger Despotismus, weil Ihr ihn mit bürgerlichen Ideen auspolstert? Aber wir sprechen nicht von wissenschaftlicher Politik, wir sprechen von persönlichen Zugeständnissen. Diese Edelleute müßt Ihr wieder ins Schloß ziehen!

STRUENSEE.
Das könnte ich nur, wenn ich sie wider mächtig machte, und das darf ich nicht.
RANZAU.
Warum dürft Ihr nicht?
STRUENSEE.
Weil meine Grundsätze es verbieten.
RANZAU.

Als ob Grundsätze die Höflichkeit ausschlössen! Ich verlange ja nicht, daß Ihr den Staatsrat wieder errichten sollt!

STRUENSEE.
Ohne diese Wiedererrichtung kommen jene Herren nicht in die Christiansburg.
RANZAU.

Nicht doch! Jeder Mißvergnügte greift nach einem Strohhalme, der wie Hoffnung aussieht. Zeigt an unbedeutender Beförderung zweier oder dreier Edelleute, daß Ihr Eurem Vorurteile gegen den Adel entsagen wollt, und alle die mißvergnügten Edelleute hoffen wieder und nähern sich. Da ist gleich eine unverfängliche Gelegenheit: mein Vetter Obrist von Köller hat mich um Fürsprache bei Euch gebeten. Er will zum General befördert sein.

STRUENSEE.
Er hat kein Talent zum Generale.
RANZAU.
Warum nicht?
STRUENSEE.

Er ist ohne Kenntnisse und er ist roh; Köller hat alle schreienden Adelsfehler und nicht einen Adelsvorzug.

RANZAU.
So? Ist er nicht tapfer?
STRUENSEE.

Die Gemeinen der aufgelösten dänischen Garde waren alle tapfer und deshalb doch nicht von Adel. Nein, Herr Graf, mit Köller kann ich nicht beginnen. Obenein fehlen ihm auch die Geldmittel zu einer Generalsstelle. Ihr wißt, daß ich die Besoldungen herabgesetzt habe, und doch macht eine Generalsstelle in Kopenhagen Aufwand nötig.

RANZAU.
Demnach begünstigt Ihr die Reichen –
[161]
STRUENSEE.

Der Himmel bewahre mich! Ich würde gern eine Geldzulage für diese Stelle bewilligen, wenn ein verdienstvoller unbemittelter Mann damit zu bekleiden wäre, aber Obrist von Köller hat weder durch Vermögen noch durch Verdienst Anspruch darauf.

RANZAU.
Wenn er nun aber zu Vermögen käme, und zwar durch die Stelle selbst zu Vermögen käme?
STRUENSEE.
Wie das?
RANZAU.
Wenn er eine reiche Frau dadurch gewänne?
STRUENSEE.
Ah, Gräfin Gallen –?
RANZAU.
Zum Beispiele.
STRUENSEE.
Sie liebt ihn nicht.
RANZAU.
Wißt Ihr das so genau?
STRUENSEE.
Ja.
RANZAU.

Ei! Darüber sind sonst nur Liebhaber genau unterrichtet, und ich wüßte nicht, daß man Euch diese Liebschaft nachsagte –

STRUENSEE.
Sondern?
RANZAU.

Sondern?! Besteht Ihr darauf, daß man Euch eine andere nachsage?! Zum Hofmanne seid Ihr verdorben, Struensee. Lassen wir das. Wenn Gräfin Gallen von Köller heiratet, wird Oberst Köller dann General?

STRUENSEE
laut.
Nein.
RANZAU.
Struensee!
STRUENSEE
laut.
Sie heiratet ihn nicht, und er wird nicht General!

Der König sieht auf.
RANZAU.
Mäßigt Euch, Ihr stört den König.
KÖNIG.
Struensee!
STRUENSEE
zum Könige gehend.
Eure Majestät wollen verzeihen, die Verhandlung über Staatsgeschäfte hat uns erhitzt.
KÖNIG
sieht ihm eine Weile starr ins Gesicht, wendet sich dann wieder zum Schachspiele, zieht eine Figur und sagt.
Gardez la reine!
GULDBERG.
Richtig! Das führt aber sehr weit, und bringt: Schach dem Könige!
KÖNIGE.
Oho!
STRUENSEE
sich wieder zu Ranzau wendend und halblaut sprechend.
Entschuldiget, Herr Graf, wenn ich mir die weitere Unterredung vorbehalte.
[162]
RANZAU.
Und Ihr beharrt auf Verweigerung meines Gesuchs?
STRUENSEE.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Graf Ranzau etwas anderes von mir verlangte.
RANZAU
etwas lauter.
Ich bestehe auf meinem Gesuche für Obrist Köller.
STRUENSEE
ebenso.
Ich bestehe auf meiner Weigerung.
RANZAU.
Ihr stoßt die Hand von Euch, die Euch vielleicht zum letzten Male geboten wird?
STRUENSEE
noch lauter.

Es ist nicht die Hand meines würdigen Gönners Ranzau, die um Lohn für einen verdienstlosen Vetter, die um Nepotismus mir entgegengestreckt wird –

KÖNIGEN
hat wieder aufgesehn.
GULDBERG.
Graf Struensee stört seine Majestät den König!

Man hört starken Trommelwirbel.
6. Szene
Sechste Szene.
Obrist Köller erscheint oben durch die Glastür. Die Vorigen – später die Pagen.

STRUENSEE.
Was bedeutet der Trommelwirbel, Obrist von Köller?
KÖLLER
aufgeregt.

Die Truppen des Schlosses werden unters Gewehr gerufen, weil Ihre Majestät die Königin beleidigt worden und in vollem Rosseslaufe vor aufrührerischen Volkshaufen in den Schloßhof geflüchtet ist.

KÖNIG
hastig aufstehend.
STRUENSEE.
Die Königin?
RANZAU.
Beleidigt?
GULDBERG.
Geflüchtet?
KÖNIG.
Die Königin beleidigt? Wehe dem, der's tat!
GULDBERG.
Und dem, der es veranlaßte!
STRUENSEE.
Sie ist unverletzt?
GULDBERG.
Nein, ihr Ansehn ist verletzt.
STRUENSEE.
Zu ihr! Und das fliegende Korps soll zu Pferde steigen, Obrist, die Frevler zu greifen.Will gehen.
KÖNIG.
Halt da! Erzählt, Obrist!
KÖLLER.

Als Ihre Majestät vor uns durch die Straßen ritt, zeigten sich schon überall trotzige Gruppen der Kopenhagener, die [163] träg und widerwillig oder gar nicht grüßten. An der Zollbude draußen aber lärmte der zahlreichste Haufe, und als Ihre Majestät an der abschüssigen Stelle, die auf den gefrornen Sund hinabführt, ihr Pferd in Schritt setzte, trat ein verwegener Kerl aus dem Haufen, griff in die Zügel und rief Ihrer Majestät achtungslos eine Rede zu, die wir im Gefolge nicht verstehen konnten, da die Königin uns ein wenig vorgeeilt war. Aber das zustimmende Geschrei des Haufens ließ uns keinen Zweifel über die Bedeutung der Worte, es waren Schmähworte gegen die Königin und –

STRUENSEE.
Und Ihr rittet die Frevler mit Euren Rossen zu Boden?!
KÖNIG.
Still! Und –?
KÖLLER.

Und Schmähworte gegen Graf Struensee, den »Doktorgrafen«, wie der Haufe ihn nannte. Ehe wir noch einsprengen konnten, hatte die Königin mit ihrer Reitgerte auf den verwegenen Kerl geschlagen, die Zügel befreit und das Pferd gewendet, sie war zornesrot, und ihr rasches Umkehren und Zurücksprengen verhinderte uns, den Aufrührern eine Lektion zu geben. Das Roß der Königin setzte mitten unter uns hinein und verwirrte das Gefolge, sogar die Falkeniere kamen dergestalt ins Gedränge, daß mehrere die Falken fahren ließen, und über Kopenhagen kreisen jetzt ziellos die Jagdvögel. In vollem Galopp und in Unordnung sprengte alles nach der Christiansburg zurück.

KÖNIG.
Und die Königin?
STRUENSEE.
Die Königin?
KÖLLER.

Sie war totenbleich geworden und sank unten im Hofe ohnmächtig der Gräfin Gallen in die Arme! Die Pagen erscheinen – Struensee, der bei den letzten Worten bis an den Bogen geeilt ist, bleibt stehn, und als die Königin gestützt auf die Gräfin Gallen oben erscheint, ruft.

STRUENSEE.
Die Königin kommt! Sie lebt!

Allgemeine Stille.
KÖNIG
einige Schritte ihr entgegeneilend und sie mit der Hand grüßend, bleibt stehn und sagt.
Sie lebt trotz Struensee! – Struensee hat zu verantworten, was ihr begegnet ist.

Vorhang fällt.
Das Orchester spielt nur einige Takte in langen, starken Strichen, und der Vorhang erhebt sich wieder.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene.
König. Königin. Gallen. Struensee. Ranzau. Köller. Guldberg.
Der König ist im Begriff, die Königin in deren Gemächer links zu führen. Sie ist noch im Reitkostüm, da dieser Akt sich in der Zeit fast unmittelbar an den ersten schließt.

STRUENSEE
zur Königin, mit Wärme.

Wenn Eure Majestät mich hören wollten, Sie würden mir vergeben. Es gibt nichts Schmerzlicheres, ja Demütigenderes für Struensee, als die Ungnade seiner Königin.

KÖNIGIN.

Wir haben noch nie einem Angeklagten Gehör verweigert. Sie geht ab mit dem Könige, nachdem sie ihm eine einladende Bewegung gemacht, die darauf zu deuten scheint, daß er ihr folgen könne. Struensee faßt es so auf, verbeugt sich dankend und bietet der Gräfin Gallen seine Hand, um sie dem königlichen Paare nachzuführen.

GALLEN
ergreift seine Hand lebhaft und führt ihn einige Schritte abwärts von der Tür.

Alles folgende wird sehr rasch gesprochen. Ich beschwöre Euch, Graf Struensee, verliert nicht noch länger die wichtigste Zeit. Trefft Anstalten gegen den Aufruhr, ehe es zu spät ist. Die Verzeihung der Königin bleibt Euch ja nicht aus, und ist Euch um so sichrer, je rascher Ihr Kopenhagen in Ruhe und Ordnung bringt.

STRUENSEE.
Zögert nicht, Gräfin! Je rascher mich die Königin freispricht, desto rascher –
GALLEN.
Ich werde unterdes für Euch sprechen, eilt nur, das Dringendste zu tun!
STRUENSEE.

Brandt sorgt für Kopenhagen! Und ich fürchte es nicht. Es gibt nichts Dringenderes für mich als die Verzeihung der Königin!

GALLEN.
Wahrhaftig?
STRUENSEE.
Ich kann nichts denken und nichts tun, bevor sie mir vergeben hat.
GALLEN
ihn eine Weile schweigsam anblickend.
Weh uns, wenn Eure Feinde recht haben! Sie geht eilig mit ihm dem königlichen Paare nach.
2. Szene
[165] Zweite Szene.
Ranzau. Köller. Guldberg.

GULDBERG
ihm nachsehend.

Und nun sage man noch, es fehle dem Grafen die nötige Herzhaftigkeit! Er kann schwärmen, während der Thron in Gefahr ist. Das ist doch ein echter deutscher Landsmann, Herr Graf!

RANZAU.
Die Königin-Witwe scheint recht zu haben mit ihrer leisen Anklage.
KÖLLER.
Er liebt die Königin!
GULDBERG.
St! Herr von Köller, wenn das der König hörte!
KÖLLER.
Er hört es nicht, auch wenn man's vor ihm ausspricht.
GULDBERG.

Ihr seid im Irrtum! Die traurige Krankheit unsers königlichen Herrn ist nicht zu berechnen. Zuweilen ist sein Kopfschmerz so anhaltend und betäubend, daß stundenlang alles spurlos über ihn hinzieht, und daß er nichts vernimmt als zusammenhangslose Worte. Aber kein Mensch kann vorhersagen, wie stark oder wie lange der Druck auf sein Haupt und auf die Verständniskräfte dauern werde, plötzlich und unversehens hebt sich die schwere Wolke von seinem Hirn, plötzlich und unversehens versteht er alles, selbst die feinste Beziehung, und er ist dann auf einmal der klar bestimmende Herr mitten unter uns. Denn sein Geist ist nicht gestört, sondern nur gebannt. Sein Geist scheint im Gegenteile unter der erzwungenen Ruhe all seine Kräfte eng zusammenzuhalten, denn in den Augenblicken der Freiheit ist er mächtig und königlich. Und eins, meine Herren, ist besonders wunderbar, und ich mache Euch Eurer Zu Köller. Äußerung wegen darauf aufmerksam: Zwei Namen sind's, die stets befreiend auf ihn wirken, es sind die Namen der Königin Mathilde und – Struensees. Was Ihr in Gegenwart des Königs von diesen zwei Personen sagt, das erwäget wohl, denn das müßt Ihr vor dem Könige gründlich verantworten.

KÖLLER.
Nun, ich habe nichts zu sagen, wenn mich Struensee zum General macht.
RANZAU.
Das tut er nicht.
KÖLLER.
Wie?
RANZAU.

Er hat mir's dergestalt abgeschlagen, daß Ihr hoffnungslos darauf verzichten mögt, solange Struensee am Ruder ist –

[166]
KÖLLER.
Struensee?!
GULDBERG.
Das kann ein langer Verzicht sein, denn Struensee ist 35 Jahre alt!
KÖLLER.
Der Emporkömmling!
RANZAU
zu Guldberg.
Und Ihr meint, er sei auf Lebenszeit am Ruder?
GULDBERG.

Er war und ist Leibarzt des Königs. Kann er den König heilen, so hält ihn die Dankbarkeit des Königs, kann er ihn nicht heilen, so bleibt er als Arzt des Königs unentbehrlich.

RANZAU.

Guldberg! Ihr seid ein kluger Mann, und Ihr seid unzufrieden wie wir, unzufriedener als wir mit dem Treiben Struensees –

GULDBERG.
Ich wüßte nicht, daß ich dies jemals geäußert hätte!
RANZAU.
Ihr werdet uns die Hand bieten, wenn es gilt, Hand ans Werk zu legen.
KÖLLER.
Der freche Doktor muß gestürzt werden!
GULDBERG.

Er brauchte aber nicht gestürzt zu werden, wenn er Euch zum General machte! Und kann er nicht morgen tun, was er heute verweigert hat?

RANZAU.

Seid unbesorgt, das tut er nicht, er ist prinzipientoll, und Obrist von Köller findet seinen Generalsstab sichrer, wenn er sein Regiment für uns kommandiert.

KÖLLER.
Das werd' ich.
RANZAU.

Zögert nicht, Guldberg! Der entscheidende Augenblick naht mit reißender Schnelle. Der Aufruhr schreitet unaufgehalten, in der nächsten Minute kann er an die Pforten dieses Schlosses donnern. Diese Pforten sind bewacht durch Köllers Regiment, und Struensee, offenbar von einer heftigen Leidenschaft geblendet, versäumt jegliche Vorkehrung, es gilt rasches Handeln, und ehe die Sonne untergeht, kann alles vollbracht sein. Wenn der König die Unmacht Struensees gegen den Aufruhr erkennt, wenn er von uns und von Euch besonders hört, daß der Aufruhr nur Struensee gelte, wenn er sieht, daß wir den Aufruhr bannen, sobald der König die Macht in unsre Hände lege – dann, Guldberg, ist Struensee gestürzt! Schlagt ein!

GULDBERG.

Dann wird Struensee vielleicht gestürzt, denn ein Auflauf in Kopenhagen ist noch weit entfernt von einem Sturme auf die Christiansburg, und diese ist viel besser geschützt, als Ihr[167] glaubt – das Zeughaus ist mit Kanonen und Kartätschen gespickt, und der Kommandant des Zeughauses gehorcht ihm, das fliegende Korps ferner gehorcht ihm, und während er hier sorglos den Regungen seines Herzens nachgeht, hält sein Busenfreund Graf Brandt sicherlich alle Verteidigungsmittel in Bereitschaft –

KÖLLER.
Keineswegs, Graf Brandt ist auf die Hetzjagd geritten und kehrt vor Abend nicht heim!
GULDBERG.

Wißt Ihr das so gewiß? Wer in Kopenhagen steht ein für den durchtriebenen, furchtbar beweglichen Grafen Brandt, den rechten Arm Struensees! Er züchtet die verhaßten englischen Pferde, können seine schnellen Reiter ihn nicht längst unterrichtet und zu fliegender Rückkehr bewogen haben? Das weiß Struensee vortrefflich, und deshalb kümmert er sich nicht um Straßenlärm. Wenn Eure Absichten, hochgeborne Herrn, verlautbaren, so könnt Ihr trotz Aufruhr und Köllers Regiment gefangen und des Hochverrats angeklagt sein, noch eh' die Sonne untergeht.


Pause; Guldberg entfernt sich einige Schritte zur Seite.
RANZAU.

Guldberg! Euer Widerstand zwingt mich, das auszusprechen, was ich am liebsten unberührt gelassen hätte zwischen uns: Ihr haßt die Deutschen!

GULDBERG.
Wer sagt Euch das?!
RANZAU.

Ihr zögert, den deutschen Struensee zu stürzen für andere Deutsche. Ich verarge Euch dies keineswegs, aber ich mache Euch aufmerksam, daß Ihr in solchem unterschiedslosen Hasse gegen die Deutschen Euer Ziel, nämlich eine rein dänische Regierung, nicht erreichen könnt. Alle kundigen Staatsmänner Dänemarks sind seit langer Zeit und sind jetzt Deutsche: Wenn Ihr die Bernstorff, Moltke, Reventlow, Schimmelmann, Holck von dänischer Regierung ausschließt, was wird aus Dänemark?! Begnügt Euch zunächst mit unserm guten Willen, das Dänische zu Ehren und zu innrer Bedeutung zu bringen. Ich für mein Teil mißbillige Struensees deutsche Neuerungen, ich mißbillige es, daß alle Regierungsschriften deutsch abgefaßt werden, daß der Däne sich in deutscher Sprache an seinen König wenden muß. Denn dies erbittert. Die Sprache einer Nation angreifen, heißt ihr Herz angreifen, und ich für mein Teil würde dies ändern.

GULDBERG.
Ich danke Euch, ich danke Euch sehr, Herr Graf, für diese gute Absicht. Aber –
[168]
KÖLLER.
Noch ein Aber!
GULDBERG.

O, mehr als eins! Herr Graf, so wie Ihr da den Dänen Hilfe versprecht, so habt Ihr einst Struensee Hilfe versprochen und geleistet bis – er Euch plötzlich nicht mehr gefiel.

RANZAU.

Bis er seinen Ursprung verleugnete. Er macht den Schulmeister zum Herrscher, er schadet. Soll ich mein Roß nicht wieder einfangen, wenn ich sehe, daß es keine Schranke achtet und wild zerstört?

GULDBERG.

Euer Roß?! Graf Ranzau, Ihr seid fremd worden in der Christiansburg, Ihr schätzt Struensees Macht viel zu gering. Wer ist hier neben uns nach dem Könige die wichtigste Person? Die Königin. Wer ist's nach der Königin an diesem zusammengeschmolzenen Hofe? Die Gräfin Gallen –

KÖLLER.
Das ist richtig.
GULDBERG.
Nun fragt jede einzeln um Struensee. Die Gräfin Gallen – liebt ihn.
KÖLLER.
Ach, Possen!
GULDBERG.

Sie wartet auf seine Hand, und wenn Struensee ihr seine Hand reicht, so ist er familienhaft fest gewurzelt an diesem Throne.

KÖLLER.
Warum nicht gar!
GULDBERG.
Die Königin ferner –
RANZAU.
Nun?
GULDBERG.

Ich weiß nicht, ob es respektwidrig ist, zu sagen, daß – die Königin leichtlich wie ihre erste Hofdame empfinden könnte –

RANZAU.
Wahrhaftig?
GULDBERG.

Ich sage es deshalb nicht, aber ich versichre Euch, sie würde Struensee bis aufs äußerste verteidigen.

RANZAU.
Und was würde der König zu solcher Verteidigung sagen?
GULDBERG.
Ganz recht, Herr Graf, es liegen hier Elemente zu einem Kampfe und einer Katastrophe, aber –
RANZAU.
Nun?
KÖLLER.
Ein Pistolenschuß endigt alle diese Aber.
GULDBERG
zu Köller.
Dies ist ganz logisch –
RANZAU.
Nun, Guldberg, Euer letztes Aber –
GULDBERG.

Das ist schwer zu entwickeln. Es ist ein Naturgeheimnis. [169] Ich beobachte es täglich, aber enträtseln kann ich's nicht. Struensee mit seinem unerträglich hochmütigen Lächeln nennt es Naturzauber. Soviel ist gewiß: er übt eine körperliche Zaubermacht aus über den König, des Königs Wesen verwandelt sich, sobald Struensee zu ihm tritt. Deshalb, meine Herren, wenn euch alles gelungen ist zu Struensees Verderben, wenn alles bereit ist zum Todesstreiche, so tritt dieser deutsche Doktor zum Könige, und all eure Vorbereitungen sind nichtig, und ihr selbst seid verloren. – Pause. Und deshalb warn' ich euch, statt zu euch zu treten!

RANZAU.

Still, die Tür öffnet sich, der König kommt zurück – Vetter, geht und versichert Euch Eurer Truppen und der Nachrichten über Brandt. Guldberg ist zaghaft geworden –

GULDBERG.
Meint Ihr?
RANZAU
ohne sich zu unterbrechen.

Und versäumt den Augenblick. Die schwärmerische Neigung Struensees zur Königin ist der Feuerbrand, dessen wir bedürfen, um ein mit Pulver angefülltes Günstlingshaus in die Luft zu sprengen! Ich kenne den König. Er liebt Caroline Mathilde; er hat ein königliches Herz; eine Untreue der Königin würde er verstehen und strafen, lägen noch so schwere Gewitter auf seinem Haupte, ja säße der Tod auf seiner Zunge – mit einer Handbewegung würde er den frechen Günstling ins Verderben schleudern!

GULDBERG.
Still, der König! Sie wenden sich und verbeugen sich vor dem Könige.
3. Szene
Dritte Szene.
Der König. Struensee. Gräfin Gallen die indes nur jetzt und bald darauf wieder an der offenbleibenden Tür der Königin erscheint. Die Vorigen.

KÖNIG
geht über die Mitte der Bühne, als wolle er gar keine Kenntnis von den Anwesenden nehmen und geradenwegs nach seinen Gemächern schreiten.

Dann hält er plötzlich inne und streicht mit der Hand über seine Stirn. Deine Hand, Struensee! So. Beruhigt die Königin Mathilde, Struensee, es erhöht meine Schmerzen, wenn sie in Sorgen ist. Und sie ist in Sorgen, Ihr habt sie nicht überzeugt, Struensee. Er kommt einige Schritte vor. Meine Stiefmutter Königin Juliane sei schuld an allem! Graf Ranzau! Wir haben ja sonst zusammen regiert, habt Ihr was Interessantes zu erzählen?

RANZAU.
Königliche Majestät –
[170]
KÖNIG.

Der Adel tut seit einiger Zeit gar wenig für uns; auch für die Unterhaltung der Königin tut er nichts. Man soll den Maskenball heut abend in größtem Glanze feiern – Euch will ich anhören, Graf Ranzau, Ihr seid fremd geworden in Kopenhagen, Guldberg wird's Euch beweisen. Er macht eine einladende Bewegung mit der Hand, und geht rechts nach seinen Gemächern; Ranzau und Guldberg folgen ihm, Struensee geleitet den König bis an die Tür und verbeugt sich dort vor ihm; Köller folgt ebenfalls bis in die Nähe der Tür und verbeugt sich. Struensees Augenmerk ist indessen die Tür der Königin, in welcher die Gräfin Gallen zu sehn gewesen ist, und als er nun, ohne sich um Köller zu kümmern, an ihm vorüber auf diese Tür zuschreitet, ruft dieser.

4. Szene
Vierte Szene.
Köller. Struensee.

KÖLLER.
Graf Struensee!
STRUENSEE
anfangs zerstreut.
Was beliebt?
KÖLLER.
Ihr versagt mir die Beförderung?
STRUENSEE.
Ja.
KÖLLER.
Warum?
STRUENSEE.
Ich frage zurück: Was berechtigt Euch zum Anspruch auf Beförderung?
KÖLLER.
Meine Geburt und mein Stand.
STRUENSEE.
Seid Ihr zum General geboren?
KÖLLER.
Ja, mein Herr!
STRUENSEE.
Nun, dann braucht Ihr mich nicht dazu, General zu werden.
KÖLLER.
Ihr sollt bald erfahren, daß Ihr damit vollkommen recht habt.
STRUENSEE
aufmerksam.
So?
KÖLLER.
Entschließt Euch auf der Stelle, mir gerecht zu werden!
STRUENSEE.
Ich bin gerecht gegen Euch!
KÖLLER.
Nun denn, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Herr Struensee!
STRUENSEE.
Ich heiße Graf Struensee!
KÖLLER.
Für mich nicht.
STRUENSEE.

Das freut mich! Ich bin gern der blanke Struensee [171] neben dem Herrn von Köller, aber Ihr widersprecht einem Edikte des Königs, welches mich in den Grafenstand erhoben.

KÖLLER.

Und Euch ein Schiff mit vollen Segeln zum Wappen gegeben! Wo bleibt der Graf, wenn das Schiff untergeht?

STRUENSEE.

In der Geschichte, mein Herr. Und wo bleibt Herr von Köller, wenn sein Leben zu Ende ist? Im Staube der Vergessenheit!

KÖLLER.
Und wenn er dem Schiffe Struensee den Mastbaum kappte und die nagelneue Flagge zerrisse?
STRUENSEE.
So dankte er's Struensee, daß man seinen Namen behielte.
KÖLLER.
Es wird mich sehr freun, auch Euch etwas verdanken zu müssen. Ab.
5. Szene
Fünfte Szene.
STRUENSEE.

Holla! Diese freche Sicherheit deutet auf gefährliche und reife Anstalten zu meinem Verderben! Schweige, Herz, schweige! Ranzaus Erscheinen und Benehmen, Guldbergs Bemerkungen, dieses Köllers Zuversicht, der Aufstand in der Stadt, – schweige, mein Herz, denn hier kann alles auf dem Spiele stehn, und ich muß selber handeln!Er wendet sich zum raschen Abgehn; Gräfin Gallen tritt hastig aus den Gemächern der Königin.

6. Szene
Sechste Szene.
Gallen. Struensee.

GALLEN.
Um Gottes willen eilt, Struensee, wir vergehen vor Angst!
STRUENSEE.
Und sie ist milder gesinnt gegen mich?
GALLEN.
Sie wird Euch vergeben, wenn Ihr kräftig gehandelt habt! Eilt und trefft Vorkehrungen!
STRUENSEE.
Sie sind getroffen! Aber sie, Ihr sprecht es zur Hälfte aus – sie hat mir noch nicht vergeben?

Kurze Pause.
GALLEN.

Struensee, diese heiße Beflissenheit um die Gunst der Königin in so bedrängtem Augenblicke kann Euren Feinden die gefährlichste Waffe liefern, und – Eure Freunde für Euch entwaffnen. Besinnt Euch!

STRUENSEE
nach vorn kommend, wohin sie ihm folgt.

Ihr habt ganz [172] recht. Für sich. Und ihr am wenigsten darf ich mein Herz verraten! Laut, ihre Hand ergreifend. Ihr gehört zu meinen Freunden?

GALLEN.
Zu Euren treusten, wenn Ihr durch liebenswürdige Aufmerksamkeit meine Seele nicht getäuscht habt.
STRUENSEE.

O, sprecht nicht so! Seht auf meinen Ursprung zurück, und rechnet es meinem bürgerlichen Herkommen zu, wenn ich im Hofleben Verstöße begehe. Was hat mich in die Höhe gebracht? Die Gunst des Königs. Was erhält mir die Gunst des Königs? Die Gunst der Königin. Sie war gegen mich eingenommen, als mich der König erhob, und es hat meiner eifrigsten Beflissenheit bedurft, mir ihr Wohlwollen zu erwerben, es bedarf heute noch meiner strengsten Aufmerksamkeit auf mich selbst, mir dieses Wohlwollen zu bewahren, denn meine bürgerliche Erziehung, die ohne Form und Rückhalt zu verkehren geneigt ist, mein rasches, nur das Wesen der Dinge ergreifendes Naturell sind ihr zuwider –

GALLEN.
Zuwider?
STRUENSEE.

Oder doch peinlich! Muß ich nicht außer mir sein, wenn ihrem königlichen Wesen so Unwürdiges begegnet, wie heute geschehen ist, und wenn die Beschuldigung auf mich fällt, daß ich durch ungeschicktes Regiment solche Unbill erzeugt, daß ich aus Leichtsinn sie wenigstens nicht vorhergesehen und die Königin nicht davor gewarnt und behütet hätte? Wenn sie mir nicht vergibt, wer hält mich gegen den andringenden Sturm meiner Feinde? Und was ist ein Sturm meiner Feinde, wenn König und Königin für mich sind? Des halb, meine Freundin, deshalb ist mir die Vergebung der Königin wichtiger, als ein Straßenaufruhr, der sich bereiten soll! Hab' ich unrecht?

GALLEN.
Bin ich geneigt, Euch unrecht zu geben? Wär' ich dann noch Eure Freundin?
STRUENSEE
ihr die Hände küssend.
Meine liebevollste Freundin!
GALLEN.
Glaubt Ihr das wirklich?
STRUENSEE.
Darf ich nicht?
GALLEN.

Ja, Struensee, Ihr dürft's! Und nun eilt, Euch gegen außen zu schützen, ich übernehm's, den Sinn der Königin Euch zu versöhnen. Eilt! eilt!

STRUENSEE
zum Gehen gewendet.
Mein innigster Dank wird's Euch lohnen! Geht.
7. Szene
[173] Siebente Szene.
Die Königin. Gallen. Struensee.

KÖNIGIN
in der Tür und noch im Reitkleide.
Struensee! Noch immer hier?!
STRUENSEE.
Eure Ungnade, Majestät, fesselt allein meine Schritte!
KÖNIGIN
eintretend.

Gräfin Gallen, ich hatte Euch ausgesendet, um nach dem Grafen Brandt fragen zu lassen! Ist er in Kopenhagen? Und was berichtet er uns, da sein Freund Struensee diese Gemächer nicht verlassen kann?

GALLEN.
Gnädigste Königin, ich eile, Euren Befehl aufzutragen! Verbeugt sich.
KÖNIGIN
aufmerksam Struensee und die Gräfin betrachtend.
Ihr nennt das Eile?
GALLEN.

Vergebung, Majestät! Sie geht, indem sie am Vorhange, durch welchen sie herausschreitet, noch einmal aufmerksam auf die Königin und Struensee zurückblickt. Ab.

8. Szene
Achte Szene.
Königin. Struensee.

KÖNIGIN.

Graf Struensee! Kurze Pause. Das Gerücht, welches Euch eine lebhafte Neigung für Gräfin Mathilde von Gallen zuschreibt, scheint wohlbegründet zu sein –

STRUENSEE.
Gnädigste Königin! –
KÖNIGIN
macht eine ablehnende Handbewegung und fährt fort, ohne sich unterbrechen zu lassen.

Und ich begreife nicht, was Euch hindert, eine Verbindung öffentlich zu schließen, welche Eurem jetzigen Stande angemessen und Eurer bürgerlichen Stellung vorteilhaft ist –

STRUENSEE.
Meine gnädigste Königin –
KÖNIGIN
dasselbe Spiel.

Leugnet nicht etwas, was Euch niemand verargen kann. Die Gräfin ist nicht nur reich, und dies ist für einen politischen Mann von besondrer Wichtigkeit, sie ist nicht nur geistreich und liebenswürdig, sondern sie ist auch von energischem Charakter, und das ist entscheidend für einen Mann in Eurer Stellung. Sie hat einen mächtigen Anhang unter den Großen des Reichs, und ihr mutiger Sinn würde Euch also innere und äußere Hilfe bringen für Eure politischen Pläne. Solcher Hilfe bedürft Ihr in diesem Augenblicke mehr als je, ich rate Euch also wohlmeinend, diese Verbindung nicht länger der Öffentlichkeit vorzuenthalten.

[174]
STRUENSEE
ihr zu Füußen stürzend.

O meine gnädigste Königin, welch eine Folterqual verhängt Ihr über mich! Nie, nie hab' ich die Gräfin geliebt!

KÖNIGIN.
Struensee! Ihr verleugnet, was außer Obrist Köller niemand am Hofe bezweifelt?!
STRUENSEE.

O, wär' es diese Neigung, die ich zu verleugnen hätte! Wie leicht wäre mein Herz dann zu befreien, zu beglücken! Warum sollte ich dann zögern? Warum ließe ich dann länger noch Auge und Haupt gefangen halten von einer Sorge des Herzens, die mich blind und unfähig macht mitten in drohenden politischen Gefahren?!

KÖNIGIN.
Steht auf, Struensee, Ihr redet irr'!
STRUENSEE.

Ach, redete ich irr', mir wäre leichter, Königin! Nein, Königin! Mag alles um mich her in dunkle Schleier gehüllt sein, mag es wie ein Schattenspiel an mir vorüberstreichen, daß dies Volk meine guten Absichten mißversteht und mich mit steigender Ungunst betrachtet, daß der Adel mich haßt als ungelegenen Eindringling, daß meine alten Freunde wie Ranzau sich von mir wenden, daß die Verschwörung zu meinem Sturze täglich fester und gefährlicher wird, und daß mir im entscheidenden Augenblicke die schwankende Hand des Königs entzogen werden kann, mag alles das wüst und wirr an meinem Geiste vorüberhüpfen, – eins seh' ich deutlich, eins seh' ich klar, wie der Gefangene durch eine Spalte seines finstern Kerkers einen Stern sieht bei Tag und Nacht, dies eine, Königin, ist meines Herzens Stern, der hoch am Himmel, aber täglich vor mir steht! Und niemals red' ich irr', wenn ich den Stern bewundre! Pause.

KÖNIGIN.
Steht auf!
STRUENSEE
sich das Gesicht mit den Händen bedeckend.

O laßt mich! Auch der Gefangene liebt seinen Kerker; denn er fürchtet draußen am zerstreuenden Tageslichte seinen tröstlichen Stern zu verlieren.

KÖNIGIN.
Und darin hat er recht. Nur die Einsamkeit ist unser –
STRUENSEE
rasch.
Sie aber ist's? –
KÖNIGIN.

Still, Struensee! Was man in Worte faßt, ist nicht mehr einsam – Sie reicht ihm die Hand. Steht auf! Er tut's, indem er ihr die Hand küßt. Gräfin Gallen kann jeden Augenblick zurückkehren, und sie liebt Euch, sie wird unsre schlimmste Feindin, wenn sie an Eurer Liebe zweifeln muß –

[175]
STRUENSEE.
Unsre Feindin! O, Königin, wie glücklich macht dies Wort!
KÖNIGIN.

Mit ablehnender Bewegung. – Pause. Die Königin geht langsam nach einem Sessel; sie bleibt gedankenvoll daran stehn und setzt sich dann – Struensee bleibt auf seinem Platze zurück und sieht zweifelhaft auf sie. Halblaut. Unglückliches Los, das mir beschieden ist! Meine sorglose Jugend ahnte nichts von solchem Kummer, als ich England verließ und auf das prächtige Kriegsschiff stieg, welches mich nach Dänemark führen sollte. Ein junger König harrte meiner, und die Meinigen sagten mir zum Abschiede, ich sei schön und liebenswürdig, ich würde geliebt werden, ich würde einen König und ein Königreich beglücken. – Seufzend. Es ist anders geworden, ganz anders! – Noch als Ihr auf Reisen gingt mit ihm, war ich einer leidlichen Zukunft gewärtig und ertrug standhaft alle Beleidigungen, welche mir die Königin-Witwe Juliane antat Tag um Tag. Lieber Gott, dachte ich, sie hat in ihrem Sinne wohl Grund zu Widerwillen gegen dich! Du hast einen Sohn geboren, welcher dem ihrigen die Erbschaft des Thrones entzieht. Du mußt es hinnehmen wie eine unvermeidliche Schickung, daß man drüben auf Schloß Fredensburg dir unhold verbleibe für und für; König Christian wird gestärkt und gesammelt zurückkehren von seinen Reisen, wird dich und dein Kind schützen gegen Mißgunst und Neid, wird dir mit Liebe vergüten, daß du schöne Jugendjahre einsam und freudlos, ja verbittert durch Kränkungen in diesen kalten Schlössern zugebracht hast. Das durft' ich hoffen, denn Christian ist gut. Ach, Güte ist so wenig, wenn man Macht und Liebe will! – Ihr war't ihm kein glücklicher Arzt gewesen, Doktor Struensee, zerrütteter kam er heim, als er gegangen!

STRUENSEE
unbeweglich stehen bleibend.
Dem Organismus können wir helfen, doch ändern können wir ihn nicht.
KÖNIGIN.

So wuchs das Leben mir in Sorge nur und in Entbehrung, und selbst die letzte Hoffnung löschte aus. Denn auch von Euch, Struensee, dem aufklimmenden Günstlinge erwartete ich nichts. Ich liebe sie nicht, die grellen Übergänge von niedrigem Stande zu hohem Stande: sie bringen niedrige Gewohnheiten in hohe Kreise, und Eure Seele ist uns ohne Trost, denn sie hat andere Erinnerung. Mißtrauisch sah ich Euch zu, als Ihr zu meinem kränkelnden Sohne tratet, mißtrauisch schalt ich die Kur, welche Ihr heischtet, eine rohe Bauernkur, mißtrauisch schweifte mein Auge von [176] Euch zur Fredensburg hinüber, und von der Fredensburg zu Euch – ich tat Euch Unrecht –

STRUENSEE.
Sicherlich!
KÖNIGIN.
Alles bewährte sich in Euch als brav: Eure Wissenschaft und Eures guten Herzens dreiste Formen –
STRUENSEE
tritt einen Schritt näher.
KÖNIGIN.

Ich lobe diese Formen heut noch nicht, allein ich glaub' es jetzt, daß formlose, ursprüngliche Geister gewitterhaft günstig eindringen mögen in starrendes Herkommen. So wurdet Ihr mir ein befremdliches Wesen, denn Ihr risset alles an Euch, Ihr brachtet Leben und Bewegung in eine Welt, die leblos und starr erschienen war vorher, und Ihr tatet dies alles Sie wendet sich während dieser Rede allmählich zu ihm. mit Kräften und Mitteln, die ich niemals gekannt. So wurdet Ihr mir ein befremdliches Wunder, Struensee! Ihr schuft wieder eine Macht, auf die ich mich stützen konnte, Ihr erhobt Euch, ein herrschender Mann unter Puppen und Schranzen im Königshause, ein Mann mit aller Zuversicht und Kühnheit, die verloren gegangen war Sie ist aufgestanden und ihm zugewendet geblieben, bis er bei diesen letzten lebhaft gesprochenen Worten eine leidenschaftliche Bewegung auf sie zu macht – da hält sie rasch inne, macht ein sanft ablehnendes Zeichen, und wendet sich wieder halb nach dem Publikum. Pause. Mit schwacher, welcher Stimme. Struensee, laßt Euch durch nichts übereilen und hinreißen! In der Fassung allein liegt Heil. Ich habe Pflichten zu bewahren, und Ihr habt Euch vor Argwohn zu schützen. Tausend Augen sind von Fredensburg auf Euch gerichtet, und in diesem Betracht wäre Euer zärtliches Verhältnis zur Gräfin Mathilde ein meisterhafter Schild –

STRUENSEE.
Aber es besteht nicht, meine gnädigste Königin.
KÖNIGIN
halb schalkhaft.
Und Ihr fürchtet Euch vor der Gefahr, wenn es bestünde?
STRUENSEE.
Vor welcher Gefahr?
KÖNIGIN.

Ihr seid liebenswürdig schwerfällig, oder liebenswürdig klug, daß Euch die Schönheit der geistreichen Gräfin Mathilde nicht gefährlich dünkt – still! Hört genau! Je feindlicher jetzt alles gegen Euch verschworen ist, desto gefährlicher wäre in diesem Augenblicke der geringste Argwohn, der Euch träfe. Der König ist in diesem Punkte feinfühlend, und, ich fürchte, grausam, Gräfin Mathilde ist von starken Gefühlen und leidenschaftlicher Schritte fähig, alle [177] vereinzelten Feindschaften würden gemeinschaftlich nach dieser Waffe greifen, um Euch zu verderben und mich zu peinigen. Ich fürchte diesen höflichen Guldberg: er ist der einzige Nationaldäne unter uns, dies erhält ihm eine tiefe Sympathie mit dem Könige, und dies nährt ihm einen tiefen Groll gegen uns alle – also Fassung und Haltung, Struensee! Sie wendet sich zum Gehen.

STRUENSEE
er schweigt und läßt sie einige Schritte tun; dann bricht er leidenschaftlich aus.

Fassung und Haltung, meine Königin, während mir das Herz überströmt! Ich bin verloren, wenn ich länger diesen ungestümen Drang verschlossen halten soll, denn ich seh' und höre nichts mehr als diesen Drang; und Hof und Staat sind nicht mehr vorhanden für mich und meinen Sinn. – Ihr vernichtet mich, o Königin, wenn ich auch Euch, auch Euch allein, auch Euch in solcher Einsamkeit von Aug' zu Auge mein Herz nicht öffnen darf! Ich bitt' Euch, o verlaßt mich nicht mit diesem kühlen, lähmenden Bescheide, ich bitt' Euch, glaubt, daß ich mich selbst verderbe, daß mich mein Herz durch plötzliche Sprengung jeglicher Fessel verdirbt, wenn dieser Zwang noch länger dauert, mein Herz ist stürmischer als Eures – Auf die Knie fallend. O seid beschworen, laßt ihm den Trost, daß es, allein mit Euch, sich öffnen darf, wie sich die Blume öffnet in der Sonne Strahl.

KÖNIGIN
welche während dieser Rede zittert, kehrt rasch zu ihm zurück.
Um Gottes willen, Struensee, beherrscht Euch besser, sonst sind wir verloren!
STRUENSEE.
Was ist verloren an einem halben Leben!
KÖNIGIN.
Ist denn Voraussetzung des Herzens nicht auch Leben?
STRUENSEE.

Ein dürftig Schattenleben ist's! O Königin Mathilde, leg die Hand mir auf mein brennend Haupt, das wird mich stärken!

KÖNIGIN
tut's.

Ungestümer Mann! Ihr ängstigt mich – Sich zu ihm beugend. Ihr seid ja außer Euch! In diesem Augenblicke tritt Gräfin Gallen durch den Vorhang ein.

9. Szene
Neunte Szene.
Gallen. Königin. Struensee.

GALLEN.
Graf Brandt ist nicht in Kopenhagen –
STRUENSEE
gleichzeitig.
Er hält sein Gesicht mit den Händen bedeckt und den Kopf abwärts. Mathilde! O Mathilde!
[178]
KÖNIGIN
die Stimme der Gräfin hörend, ohne sich nach ihr umzusehn.

Gerechter Gott! Gräfin Mathilde! Kurze Pause. Leise. Meine Krone und sein Leben stehen auf dem Spiele! Pause.

GALLEN
leise.
Verräter! Wehe mir und Euch!
KÖNIGIN.

Erhebt Euch, Graf Struensee! Gräfin Mathilde, die Ihr preiset und begehrt, ist meines Wissens Euren Wünschen nicht so ungeneigt, als Euch bedünkt, und ich will Euch das Wort reden bei ihr –

STRUENSEE aufblickend.
Gräfin Mathilde?!
GALLEN
einen Schritt näher tretend.
O Gott!
STRUENSEE
die Gräfin erblickend und aufspringend.
Gräfin Gallen!
GALLEN.
Struensee?!
KÖNIGIN
sich gezwungen ruhig umwendend.

Sieh da, Mathilde! Dein Name zaubert dich herbei! Es hat sich Wichtiges um dich ereignet. Erst deine Nachricht: Ist Graf Brandt in Kopenhagen?

GALLEN.
Graf Brandt ist nicht in Kopenhagen.
KÖNIGIN.

Nicht! Nun, meine Nachricht ist Euch hoffentlich erwünschter, Gräfin – Graf Struensee hat mich um Eure Hand gebeten –

GALLEN.
Mein Gott! Struensee! –
STRUENSEE.
Majestät!
KÖNIGIN.

Und ich habe keinen Grund, meine freudige Zustimmung zu verweigern, wenn Ihr, Gräfin Mathilde, keinen Grund der Verweigerung habt.

GALLEN
vom Kampf mit Zweifel und Überraschung in leidenschaftliche Freude übergehend, stürzt zur Königin, ergreift deren Hand, küßt sie, fällt ihr zu Füßen.

O meine gnädigste Herrin und Freundin, wie sprech' ich Dank und Überraschung aus, die mir das Herz bewegen!

KÖNIGIN
macht, während die Gräfin spricht, mit dem Haupte Struensee ein Zeichen, sich zu fassen.
Graf Struensee, ich höre den König im nächsten Zimmer sprechen, öffnet ihm die Tür.
STRUENSEE
nach der Tür schwankend.
Als ob des Himmels Gewölbe krachend auf mich stürzte! Er öffnet.
KÖNIGIN.

Steht auf, Gräfin Gallen, der König nahtSie sieht in das offne Zimmer rechts. Es ist nichts Trauriges, mein Herr und König!

10. Szene
Zehnte Szene.
König. Ranzau. Guldberg. Die Vorigen; bald darauf Köller.

KÖNIGIN
fortfahrend.
Gräfin Gallen wünscht den Brautkranz aus Eurer Hand; sie hat sich dem Grafen Struensee verlobt.
[179]
KÖNIG.

Gräfin Struensee! Er ergreift hastig ihre Hand, und blickt rückwärts nach Struensee, ihm die Hand entgegenstreckend.

Unmittelbar nach des Königs Ruf.
GULDBERG.
Mit Struensee!
RANZAU.
Mit Struensee!
GULDBERG
mit Ranzau links vorschreitend, nur halblaut.
Ich gratuliere Euch zu der Verschwörung, nun stürzt ihn nur ein Wunder und Geduld. Köller tritt ein.
KÖLLER
zu Ranzau und Guldberg.
Der Aufruhr naht unaufhaltsam dem Schlosse, und nichts steht ihm im Wege –
GULDBERG.
Schweigt!
RANZAU.

Leise, Vetter – der gelingende Aufruhr ist unsre einzige Hilfe; hier ist alles verloren, und Struensee verlobt mit Gräfin Gallen!

KÖLLER.
Tod und Verdammnis!
KÖNIG.

Ruft mir den holsteinischen Prediger, er soll den Bund segnen auf der Stelle, ruft ihn, holla, Guldberg. Während sich Guldberg verbeugt, um zu gehorchen, schwankt die Königin und greift nach der Stuhllehne.

RANZAU.
Die Königin wird unwohl!
GALLEN sie ergreifend, so daß die Königin auf den Sessel sinkt.
Allmächtiger!
STRUENSEE
für sich.
Die Nerven sind gerechter als das Herz.
KÖNIG.
Was ist?

Der Vorhang fällt ganz rasch.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Guldberg an der offnen Tür jener Zimmer stehend und hineinblickend. Ranzau und Köller auf und nieder gehend quer auf der Bühne.

RANZAU.

Ich begreife Eure Hast und Euren Grimm, Vetter, aber Aufruhr bleibt ein gefährliches Mittel, auch wenn es zum Ziele führt, und es ist ein tödliches, wenn es mißlingt –

[180]
KÖLLER.
Wie soll es mißlingen!
RANZAU.
Das fliegende Korps ist die einzige Truppe, welche er gebildet hat, und welche ihm anhängt –
KÖLLER.
Nein!
RANZAU.
Und dies fliegende Korps hält das Schloß besetzt.
KÖLLER
stehen bleibend, während Ranzau weiter geht.
Aber zum Henker, Graf, Ihr habt kein Herz für unsre Sache!
RANZAU
stets im Wandeln.
Nein, aber ich habe einen Kopf dafür!
KÖLLER
stehen bleibend.

Und fürchtet nur für diesen Kopf! Sagt Euch dieser Kopf nicht, daß Ihr unsre Kräfte unterschätzt? Struensee hat angesichts des Aufruhrs, der sich heranwälzt, nicht die geringste Widerstandskraft für sich, er hat nicht die geringste Hilfe von den Truppen des Schlosses zu erwarten. Sein fliegendes Korps ist durch starkbesetzte Wachtposten im Innern des Schlosses und auf der Hinterseite, die kein Mensch bedroht, bis zur Unmacht zersplittert und verteilt –

RANZAU
einen Augenblick stehend bleibend.
Sprecht nicht so laut, die Tür ist offen, er kann Euch hören! Weiter gehend.
KÖLLER.

Und von diesem fliegenden Korps sind ihm höchstens die gemeinen Soldaten zugetan. Aber auch sie werden gleichgültig sein, wenn sie das Volk gegen ihn sehn. Was sind gemeine Soldaten! Ihr Geist wohnt in ihren Befehlshabern. Diese hat er allerdings eingesetzt, aber wie hat er sie behandelt?! Weiß denn dieser Doktor etwas von militärischem Sinn und Takte?! Von Gerechtigkeit faselt er ihnen vor, und eine billige Rücksicht, welche der oder jener von ihnen verlangt hat, nennt er ungerechte Begünstigung. Sie sind ergrimmt, daß man sie das Schulmeisterregiment heißt, und fragen den Teufel nach des Doktors Wohlbefinden.

RANZAU.
Nicht so laut, Vetter!
KÖLLER.

Mein Regiment aber hat die Zugänge und den Schloßhof besetzt, und es wird die Bürger Kopenhagens bis dort an die Treppe lassen, dafür steh' ich Euch, und bis hierher soll ihr Ruf dringen: Nieder mit Struensee!

RANZAU.
Sprecht leise, ich beschwöre Euch!
GULDBERG
sich herumwendend.

Herr Obrist, Ihr sprecht so laut, daß der König den Grafen Struensee nicht verstehen kann, der ihm Bericht erstattet über das Befinden der Königin.

[181]
KÖLLER
leiser sprechend.
Das Volk weicht nicht vom Platze, bis ihm die Entlassung Struensees verkündigt ist.
RANZAU
ebenfalls leise.

Und das Geschütz vom Zeughause, das immerwährend schußfertig ist?! Wenn Struensee dort an die Tür tritt und sein Taschentuch wehen läßt, so schmettern die Kartätschen in den Schloßhof, verleitete Menschen büßen es mit dem Leben, und wir sind verloren. –

KÖLLER.
Der Menschenfreund kann ja kein Blut sehn und verliert den Kopf wie in Hirschholm!
GULDBERG
tritt heran.
Der König naht mit Struensee –
RANZAU.
Wie steht's mit der Königin?
GULDBERG.

Wüßte ich das genau, Herr Graf, so könnte ich dem Herrn Obrist sicher prophezeien für die nächste Stunde!

KÖLLER.
Was hat das Übelbefinden der Königin damit zu schaffen?
GULDBERG.
Wenn es nichts damit zu schaffen hat, so wird es Euch verzweifelt zu schaffen geben.
KÖLLER.

Ihr sprecht in Rätseln, um einer bestimmten Erklärung auszuweichen, ob Ihr mit uns gehen wollt oder nicht.

RANZAU.

Darin, Herr Guldberg, hat Herr von Köller recht. Wir wissen nicht, woran wir uns zu halten haben mit Eurer Teilnahme – wofür nehmt Ihr Partei?

GULDBERG.
Für die gute Sache.
RANZAU.
Jedermann nennt sein Interesse die gute Sache!
GULDBERG.
Ihr also auch?
RANZAU
kurze Pause.
Ja.
GULDBERG.

Wer sein Kind schlecht erzieht, darf später nicht über Undank des Kindes klagen – Ihr ruft die Kopenhagner zu Hilfe, um Minister zu werden –

RANZAU.
Das tu ich nicht!
GULDBERG.
Ihr laßt es geschehn – sprecht Ihr den Kopenhagenern das Recht zu, Minister zu machen?
RANZAU.
Nein.
KÖLLER
der nach hinten zur Tür gegangen ist.
Erklärt Euch, Guldberg, der König kommt!
GULDBERG.
Erklärt mir das Unwohlsein der Königin, das ist die Hauptsache.
KÖLLER
rasch.
Ihr seid falsch!
[182]
GULDBERG.
Vielleicht; so wie man ein fremdes ungebräuchliches Geldstück ein falsches nennt.
KÖLLER.
Ihr seid imstande, uns zu verraten!
GULDBERG.
O ja!
RANZAU.
Guldberg!
KÖLLER.
Weh Euch!
GULDBERG.
Der König!
2. Szene
Zweite Szene.
Der König. Struensee. Die Vorigen. Bald darauf Prediger Lorenz.

KÖNIG
langsam und schweigend bis in den Vordergrund gehend.
Ist der holsteinische Prediger da?
GULDBERG.

Zu Befehl, Majestät – und es soll die Einsegnung des neuen Paares nicht verschoben werden, bis der Königin Majestät an der Feierlichkeit persönlich teilnehmen kann?

KÖNIG.
Was sprachst du von der Königin – sie sei gegen die Heirat?
STRUENSEE
aus melancholischer Zerstreutheit auffahrend.
Die Königin sei gegen die Heirat?
GULDBERG.

Verzeihung, Majestät, das weiß ich nicht – Graf Struensee weiß uns vielleicht darüber Auskunft zu geben?


Pause.
KÖNIG.
Struensee?
STRUENSEE.
Nicht daß ich wüßte! Wie kommt Herr Guldberg überhaupt zu dieser Voraussetzung?
GULDBERG.

Ich bitte um Verzeihung; ich habe nichts vorausgesetzt, als daß der Königin Majestät ihres Unwohlseins wegen nicht teilnehmen werde an der Feierlichkeit –

STRUENSEE.
Die Königin hat sich erholt –
KÖNIG.

Sie wird Brautführerin sein – laßt den Geistlichen eintreten! Guldberg geht nach hinten und dort rechts ab, um den Prediger zu holen, mit welchem er bald darauf eintritt.


Kurze Pause.
KÖNIG.

Was ist das für ein Geräusch im Schloßhofe? Kurze Pause. Da keine Antwort folgt, sieht der König fragend auf Köller.

KÖLLER.
Vielleicht werden die Wachen abgelöst, Majestät.
KÖNIG.
Vielleicht? Wer kommandiert die Schloßwacht?
[183]
KÖLLER.
Oberst von Köller, zu Majestät Befehl.
KÖNIG
geht langsam nach hinten und steigt die Stufen hinauf; die Wachen außen präsentieren – als er erst einige Stufen hinaufgestiegen ist, tritt von rechts Guldberg mit Lorenz ein; er sieht, daß sich dieser vor ihm verbeugt, bleibt stehn, mit dem Profil dem Publikum zugewendet, und dem Prediger winkend.
Zu Struensee! In dieser Stellung scheint er in Gedanken zu versinken.
RANZAU
leise zu Köller.
Ihr seid verloren, wenn der König die Aufrührer sieht.
KÖLLER.

Wir sind verloren. Guldberg bleibt in der Mitte stehn, Lorenz tritt zu Struensee, der aus Gedanken auffährt, als er diesen neben sich sieht, ihn hastig bei der Hand ergreift und links in den Vordergrund führt. Ranzau und Köller stehen rechts an den Kulissen.

STRUENSEE.
Wenn du mich liebst, Vetter, so entferne dich auf der Stelle unter irgend einem Vorwande!
LORENZ.
Wie könnt' ich das! Der König hat mich rufen lassen, und der König ist hier.
STRUENSEE.

Ich beschwöre dich, Vetter, erfülle mir unverzüglich diese Bitte! Meine Stellung, meine Macht, mein ganzes Lebensglück stehn auf dem Spiele.

LORENZ.
Ich begreife dich nicht, Friedrich!
STRUENSEE.

Ich werde dir alles erklären. Wenn du hinaus bist aus diesem Saale, so sage, du müßtest unverzüglich nach Holstein zurückreisen. Dann schließe dich in meinem Arbeitszimmer ein und erwarte mich.

LORENZ.
Aber wie soll ich aus diesem Saale kommen, ohne daß mich der König selbst verabschiedet?
STRUENSEE
nach dem Könige und dann nach Guldberg und Ranzau blickend.

Der König ist das geringste Hindernis; seine Kopfnerven sind in diesem Augenblicke völlig gelähmt, er sieht und hört dich nicht und hat deiner vollständig vergessen. Von jenen Männern würde nur einer dich aufhalten, das ist Guldberg. Die andern beiden wünschen so wenig als ich meine Verheiratung mit Gräfin Gallen. Und von dir hinweg tret' ich zu Guldberg und beschäftige ihn, während du hinausschreitest. Folge mir und tue also, oder ich bin verloren! Und geh sogleich, denn die Königin und die Gräfin können jeden Augenblick eintreten! Er geht zu Guldberg hinüber, der ihm zugesehen hat, während Ranzau und Köller gespannt auf den König blicken – Lorenz bleibt betroffen auf seinem Platze stehen.

[184] STRUENSEE.
Staatsrat Guldberg, auf ein Wort!
LORENZ
für sich.
Wie kann ich dem Befehle des Königs schnurstracks entgegen handeln?
GULDBERG
zu Struensee ganz vor an die Lampen tretend, aber immer halb auf Lorenz, halb nach den offnen Gemächern der Königin blickend.
Herr Graf!
STRUENSEE.

Ihr seht, daß der König den Balkon nicht erreicht. Wollt Ihr hinaufsteigen und uns Nachricht geben über den Lärm; ich erwarte hier jeden Augenblick der Königin Majestät und die Gräfin! Er sieht seitwärts mit den Augen winkend auf Lorenz, der ihn unverwandt und unsicher anblickt. Infolge dieses Winkes wendet sich Lorenz halb wie zum Abgehn.

GULDBERG.
Armer Herr Graf, Ihr habt zu lange untätig gewartet – da kommt die Gräfin Gallen!
3. Szene
Dritte Szene.
Gräfin Gallen aus den Zimmern der Königin tretend; sie ist in Putz. Die Vorigen.

STRUENSEE
sich umblickend.
Weh' mir!
GULDBERG.
Ihr versprecht Euch wunderlich!
GALLEN
auf Lorenz zugehend.

Würdiger Herr, laßt Euch meine Freude ausdrücken, daß gerade Ihr, ein deutscher Landsmann Ihm die Hand reichend. und naher Verwandter Struensees, eingetroffen seid, um unsern Bund zu segnen! Struensee die andre Hand reichend, die dieser zögernd küßt. Ist's nicht ein schönes Zeichen des Himmels, Struensee? Kurze Pause. Ihr zittert ja!

STRUENSEE.
Wüßtet Ihr, was in mir vorgeht –!
GALLEN.

O Struensee, Ihr braucht mir nicht zu verbergen, daß Euer Inneres leicht und tief bewegt ist vom Ernst des Lebens! Diese schöne Erregbarkeit war es ja, welche mein Herz zu Euch gezogen. Nehmt mich auf in Euer großes Dichten und Trachten; meine Seele schmachtet danach, an all Euren Gedanken und Plänen hingebend wirksam teilzunehmen. Unsre Liebe soll sich in gemeinschaftlicher einiger Tätigkeit offenbaren, und wir werden es der Welt zum Staunen darstellen, was die Ehe darstellen soll: Mann und Weib sei eine Tat!

STRUENSEE
sie betrachtend.
Arme Gräfin!
[185]
GALLEN.

Struensee! Warum arm? Warum wollt Ihr Eure eigne Bedeutung so gering achten? Ihr regiert ein Reich, Ihr regiert es mit neuen Mitteln, zu neuem Ziele! Und das wäre ein Geringes? Gewiß nicht! Ich werde Eure Bescheidenheit aufrichten, ich werde Euch täglich zurufen: Struensee, Millionen sehen und harren auf uns, und erwarten von unsrer Liebe und unserm Geiste Gesetz und Vorschrift – wir haben die herrlichste Bestimmung errungen, Friedrich!


Pagen erscheinen links an der Eingangstür zur Königin.
STRUENSEE
in Gedanken.
Von wo kommt die Bestimmung?!
GALLEN.
Von Gott, der uns im Herzen wohnt.
STRUENSEE.
Wahrhaftig?

Ruf aus den Zimmern der Königin: Die Königin!
STRUENSEE
die Hand der Gräfin lassend und nach dem Eingang zur Königin einige Schritte machend.
Sie kommt!

Neuer und näherer Ruf: Die Königin!
KÖNIG
erwachend.
Die Königin! Er schreitet langsam die Treppe herunter und kommt nach vorn.
RANZAU.
Gott sei Dank!
KÖLLER.
Das wär' vorüber; nun zur Entscheidung!Er geht langsam nach hinten, die Treppe hinauf und hinaus.
GULDBERG
zu Ranzau.
Nun wird sich's zeigen!
4. Szene
Vierte Szene.
Königin. Die Vorigen.
Pause.

KÖNIG.

Ich dank' Euch, Mathilde, daß Ihr Eure Nerven so mächtig bezwingt – ach, könnt' ich's auch! – und daß Ihr kommt. Ich weiß selbst nicht warum, aber es ist mir eine Genugtuung, Struensee und Gräfin Gallen sogleich verbunden zu sehn. Das Paar gefällt mir ganz besonders – Euch doch auch, Mathilde?

KÖNIGIN
sieht schweigend einen nach dem andern an.
KÖNIG.
Nicht?
KÖNIGIN.
Jawohl!
GALLEN
ihr die Hand küssend.
O meine gnädige Königin!
KÖNIG.
Wo ist der holsteinsche Prediger?
[186]
LORENZ.
Königlicher Majestät zu Befehl.
KÖNIG.
Verrichtet Euer Amt, und segnet dieses Paar!

Erneutes und steigendes Geräusch aus dem Schloßhofe.
LORENZ.
Majestät verzeihen der Nachfrage, ob alle kirchlich gesetzlichen Vorbedingungen erfüllt sind –?
STRUENSEE.
Nein.
KÖNIG.
Was?
GULDBERG.

Majestät mögen verzeihen, der Mann ist aus den deutschen Provinzen und dänisches Kronenrecht ist ihm nicht hinreichend geläufig –Zu Lorenz. der König von Dänemark ist Haupt der dänischen Kirche; wovon er dispensiert, das ist gesetzlich!

KÖNIG.

Legt ihre Hände ineinander, ich bitte, Königin Mathilde – Ihr seid noch krank, Euer Antlitz ist ganz blaß.

KÖNIGIN.

Mag sein, doch hierfür bin ich stark genug! – Deine Hand, Mathilde! Struensee, die Eurige! Als sie seine Hand ergreift. o Gott!

STRUENSEE
leise.
Weh uns! – Ich kann es nicht!
KÖNIGIN
noch leiser.

Ihr müßt! Während die Königin erschöpft zur Seite tritt, und Lorenz ihre Stelle einnimmt, spricht die.

GALLEN
leise zu Struensee.
Was sagtet Ihr? Ihr gönnt mir keinen Blick!
LORENZ.
So weih' ich Euch denn, Euch Mathilde Gräfin von Gallen und dich Friedrich Grafen Struensee –
STRUENSEE.
Halt ein, ich kann nicht lügen!
KÖNIGIN.
O Gott!
KÖNIG.
Was ist?
RANZAU.
Wie?
GULDBERG.
Da tritt's zutage! Ranzau die Hand reichend. Jetzt, Graf, ist's Zeit!
KÖNIG.
Was ist zu lügen?
STRUENSEE.

Lüge wär's, wenn ich ein Bündnis segnen ließe und mit meinem Ja besiegelte, von welchem mein Herz in diesem Augenblicke entfernt ist –

GALLEN.
Struensee!
STRUENSEE.

Vergebt mir, Gräfin, gönnt mir Zeit! Vergebt mir, wenn ich nicht die rechten Worte finde – ich Steigender Lärm von unten. bin zerstreut durch die Sorge um den Staat, vergebt, mein König! –

[187] GULDBERG zur Gräfin.
Bedürft Ihr noch der Aufklärung?

Donnernder Lärm.
KÖNIGIN
sich gewaltsam fassend.
Was bedeutet jener Lärm?
KÖLLER
an der offnen Tür.
Der Aufruhr wälzt sich in den Schloßhof herein!
KÖNIGIN.
Der Aufruhr?
GULDBERG.
Revolution?
RANZAU.
Gegen wen?
KÖNIG.
Still!

Pause. Man hört Massengeschrei: Nieder mit Struensee.
KÖLLER.
Das Volk verlangt den Kopf Graf Struensees!
KÖNIG.

Struensee, rechtfertige dich? Warum stürmt mein Volk gegen mein Haus? Warum weichst du zurück vor dem erwünschten Ehebunde?

STRUENSEE.

Auf letztre Frage, Majestät, mag mir die Antwort jetzt erlassen werden. Bin ich auch meines Königs und des Staates Diener, mein Herz ist frei in seiner Wahl; niemand auf Erden hat ihm zu gebieten.

GULDBERG.
Ihr vergeht Euch!
RANZAU.
Welche Sprache!
KÖNIG.
Rede weiter!
STRUENSEE.

Der Gräfin Gallen, die ich lieb' und ehre, werd' ich darüber Rede stehn! Euch, Majestät, mein gnäd'ger Herr und König, dem ich ergeben bin bis in den Tod, hab' ich Verantwortung zu leisten für den Aufruhr. Hier bin ich schuldig, und ich werd' es büßen. Die Vorfälle dahier im Schlosse haben mich, ich muß es eingestehn, seit heute morgen so befangen, daß ich meine Pflicht verabsäumt, mit Brandt mich nicht beraten und den Strom der aufgereizten Kopenhagener bis daher gelassen habe. Nicht Euch, mein königlicher Herr, mir gilt der Sturm; Oberst Köller kennt genau, was er berichtet, durch mich nur ist der Sturm zu beschwören, sei's durch mein Wort, das Kopenhagens Bürger aufklärt gegen die adligen Empörer, die Quelle all des Unheils, – sei's durch mein Haupt, das man zur Sühnung heischt. Erneuter Volkslärm. Entfernt Euch, Majestät, ich bitte sehr, mit der Frau Königin – hier seid Ihr ausgesetzt! Mir aber, Oberst Köller, lasset öffnen und Platz schaffen auf dem Treppenplane; der Struensee, nach dem sie schrein, soll ihnen werden! Er geht nach hinten ab. Immer stärkerer Lärm.

[188]
KÖNIGIN.

Es ist unwürdig, König Christian, sich gegen Empörer durch Entschuldigung zu verteidigen. Ein meuchlerischer Schuß, der aus der Menge Struensee darniederwirft, wird die höhnische Antwort sein, und das Ansehn dieses Schlosses mit Schmach besudeln. Man soll die Truppen vorrücken und die Kanonen lösen lassen! Struensee und Köller hinaus.

KÖNIG
sie betrachtend.
Königin Mathilde!
KÖNIGIN.

So redet, ratet, helft, Ranzau und Guldberg! Ist es uns angemessen, mit dem Straßenaufruhr gütig und nachgiebig zu unterhandeln?

RANZAU.
Nein.
KÖNIGIN.
Nun also, auf, laßt die Soldaten handeln! Wofür seid Ihr Männer!
RANZAU.

Ich hab' kein Amt dazu! Befehlshaber ist Graf Struensee! Befiehlt mein König, daß ich handle, so ist dies Vollmacht und ich handle flugs.

KÖNIG
sieht ihn schweigend an.
KÖNIGIN.
Graf Ranzau feilscht im Augenblick der Not –

Erneuerter großer Lärm.
RANZAU.
Königin, ich heiße Ranzau.
GULDBERG.
Soviel erweist sich Nach hinten zeigend. Struensee beschwichtigt Kopenhagen nicht! –
KÖLLER
erscheint oben.

Ich bitte um Befehl! Struensee vermag nichts, niemand will ihn hören, hundert Waffen sind gegen ihn erhoben, und auch für uns und unsre Truppen weiß er kein Kommando –

RANZAU.
Ernennt einen Befehlshaber, Majestät.
GULDBERG.
Befehlt, befehlt, König von Dänemark!
KÖNIGIN
nach hinten eilend.
Ich werd' befehlen, wenn es niemand tut –

Der Lärm außen dauert fort.
STRUENSEE
eilig eintretend; die Soldaten drängen sich hinter ihm und besetzen in Masse die Tür mit nach außenhin gestrecktem Gewehr – er bleibt zunächst oben stehen.

Man hört mich nicht! Ich beschwöre den König und die Königin, sich in den hinteren Flügel des Schlosses zurückzuziehen; ich werde die Führer des Aufruhrs hier erwarten, und werde ihnen Rede stehn!

KÖNIGIN.

Ihr seid von Sinnen, Struensee, und wißt die Macht, die Euch in Händen ruht, nicht zu gebrauchen. Laßt die [189] Kriegsleute handeln und Gewalt mit Gewalt vertreiben! Das ist Eure Schuldigkeit!

KÖLLER.
Die Truppen sind zu schwach und widerwillig –
STRUENSEE.

Schweigt, Oberst Köller! Seht Ihr dort das Zeughaus? Seht Ihr den Grafen Brandt dort auf der Warte? Ein Wink von mir, und die Kartätschen säubern mörderisch den Schloßhof, und Eurer Truppen, die ihr widerwillig nennen müßt zu Eurer eignen Unehre, und Eures Degens, Herr, bedarf es nicht!

KÖNIGIN.
Nun denn, was zögert Ihr?
STRUENSEE
herabsteigend.

Ich zögre aus Gewissenhaftigkeit! – Laßt Euch beschwören, königliche Frau und königlicher Herr, zieht Euch zurück, und überlaßt es mir allein, den Aufruhr zu bestehn! Ich kann nicht, ich kann nicht schießen lassen auf verführtes Volk, ich kann nicht töten lassen, bloß um mich zu retten –

KÖNIGIN.
Die Majestät der Herrschaft sollst du schützen, törichter Mann –
STRUENSEE.

Sie ist nicht gefährdet, mir gilt's, nur mir! Und wer bin ich? Ich bin am Ruder, weil ich allgemeine Freiheit, allgemeines Glück versprochen habe. Jedweden Bürger, den reichen wie den armen, will und soll ich schützen. Ich scheitre an dem Eigennutz der Kaste; diejenigen, die ich beschützt, sind gegen mich gehetzt – soll ich mich so verlieren, daß ich dieses Volk, dem ich alles gewidmet, zusammenschießen lasse, wenn es irrt und tobt? Nein, beim lebendigen Gott! Es kann mich stürzen, kann mich töten, doch es soll mich einstens segnen!

KÖNIGIN
nach vorn kommend.

Weh uns! Dies ist ein bürgerlicher Träumer, in dessen Kraft wir alle uns getäuscht – entschließt Euch rasch, befehlt, daß man vom Zeughaus schieße! Gehorchet mir! Bei meiner Ungnade verlang' ich es!

STRUENSEE
flehend zu ihr vorkommend.

Dies, gnäd'ge Königin, stürzt mich in Verzweiflung! Ich kann nicht gegen mein Gewissen handeln, und fürchte doch auf dieser Welt nichts mehr, als Eure Ungunst – seid mir gnädig!


Großer Lärm.
KÖLLER.
Die Treppe wird gestürmt! Flieht, König Christian!
KÖNIG.

Wer wagt's, mir so zu sprechen! Er betrachtet die Königin und Struensee, der auf ein Knie sich vor ihr niedergelassen. Denkt Eurer Würde, Königin Mathilde, so es noch Zeit, zieht Euch zurück!

[190]
KÖNIGIN
zu Struensee.

Hinweg! Und wählet rasch! Dort handelt wie ein Mann, oder bleibt ein Schwätzer, der nie, niemals wieder ein Wort an seine Königin zu richten hat!

STRUENSEE
aufspringend.
So mag mir Gott vergeben, denn ich kann nicht anders! Er eilt nach hinten.

Donnernder Lärm.
KÖNIG.

Halt, Struensee! – Dies Spiel ist aus! – Und niemand folge mir, wer nicht ein Däne! Der König geht rasch die Treppe hinauf und tritt hinaus – es wird sogleich ruhig.

KÖNIGIN.
König Christian!
STRUENSEE.
Der König!
RANZAU.
Der König selbst!
GULDBERG.
König von Dänemark! – Ich bin ein Däne und ich folge ihm. Ebenfalls hinauf und hinaus.

Man hört Jubelruf: Es lebe König Christian!
KÖNIGIN
kaum hörbar.
Weh uns!
STRUENSEE
ebenso.

Ich bin verloren! König, Guldberg, Köller kommen herab – der König tritt zwischen Struensee und die Königin, beide abwechselnd betrachtend.

GULDBERG.

Das Schloß ist frei, die Bürger kehren heim, es lebe König Christian! Zur Gräfin Gallen leise. Seid Ihr nun aufgeklärt und wohl entschlossen gegen jenen Mann?

GALLEN
leise.
Das bin ich, Herr!
GULDBERG.
Zur Rache?
GALLEN.
Nichts Süßeres mehr für mich als Rache!
GULDBERG.

Sie soll Euch werden! Zu Ranzau gehend. Jetzt, Graf, ist er reif und ich beginne! – Befiehlt der König, daß das Maskenfest abbestellt werde?

KÖNIGIN.
Wer möchte heut' noch tanzen?! –

Pause.
KÖNIG.
Verlarvt Euch, Königin! Wir wollen tanzen! Er winkt Guldberg und geht nach seinem Zimmer zu.

Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Ranzau allein.

RANZAU
links auf einem Sessel sitzend, halb nach hinten gewendet, so daß er den Eingang zum Könige und zur Königin beobachten kann.

Alle zögern! Ahnen sie alle, daß die Entscheidung nahe rückt, und daß die Äußerung jedes einzelnen den Ausschlag geben kann? Und wenn ich aufrichtig gegen mich selbst bin, so kann ich mir eine unbequeme Stimmung nicht fortleugnen, ja, es tut mir leid, daß ich nicht daheim in Holstein geblieben bin. Bei vorgerücktem Alter mag man wohl noch gegen Grundsätze kämpfen, nicht gegen Personen, am wenigsten gegen Personen, die man lieb gehabt. Mein Herz vergißt es nicht, daß Struensee einst sein Liebling gewesen! Und was wird aus uns, wenn persönliche Anhänglichkeit nichts mehr gilt! Grundsätze sind ja wie die Jahreszeiten, sie müssen einander ablösen. Aufstehend. O Struensee, warum hörst du nicht! Eine peinliche Stimme warnt mich vor diesem Guldberg, diesem eingefleischten Dänen. Kaum weiß ich, was er will, wem er dient, wie weit er's wagt! Und doch weiß ich, daß er Feind meiner Vorfahren, Feind der deutschen Herren – weh mir, wenn ich in meinen alten Tagen das Werk deutscher Bildung und Herrschaft untergrübe! – Endlich, Köller! Warum so spät?

2. Szene
Zweite Szene.
Köller durch den Vorhang eintretend. Ranzau.

KÖLLER.

Weil alles vorbereitet sein mußte. Sobald der Ball begonnen hat, ist keine Zeit mehr übrig, und wenn es nicht heut' geschieht, so ist die Ausführung dreifach schwieriger.

RANZAU.
Heute noch? So weit sind wir noch lange nicht.
KÖLLER.

So weit müssen wir kommen. Niemals hab' ich Struensee in Sturm und Strudel und außer Gleichgewicht gesehen wie heut'; sobald er Brandt gesprochen, sobald er die heutigen Aufregungen überdauert hat, wird er sich fassen, wird er sich des [192] Königs wieder bemächtigen, wird er mit frechen Maßregeln uns entgegentreten!

RANZAU.
Ist Brandt bei ihm?
KÖLLER.

Noch nicht. Aber Struensee hat zu wiederholten Malen nach ihm gesendet, er gibt Befehle nach allen Seiten, die ihn retten müßten, hätt' ich nicht alle Ausgänge besetzen, all seine Boten aufhalten und durch unsere Boten ersetzen lassen.

RANZAU.

Was wagt Ihr? Ihr versperrt uns den Rückweg! Heute vielleicht noch, spätestens morgen erfährt er das Schicksal seiner Boten –

KÖLLER.

Ich will keinen Rückweg, und was er morgen erfährt, wenn es ein Morgen für ihn gibt, soll sein Todesurteil sein!

RANZAU.
Oder das Eure! Wohin treibt Euch die Hast! Wir sind ja Guldbergs noch gar nicht versichert!
KÖLLER.
Er ist noch immer beim Könige?
RANZAU.
Noch immer; es ist ihm also noch nicht gelungen, den König zu überzeugen!
KÖLLER.

Aber auch noch nicht mißlungen, sonst wär' er abgewiesen, und die Gräfin Gallen hab' ich im Fluge gesprochen –

RANZAU.
Was sagt sie?
KÖLLER.

Noch heute soll's entschieden werden! sagte sie, und sie war bleich und fürchterlich, und versprach, sogleich hierher zu kommen und Verabredungen mit uns zu treffen für die Maskerade.

RANZAU.
Entschieden wird's zu Eurem Verderben, wenn Struensee sie versöhnt!
KÖLLER.
Wie kann er das?
RANZAU.

Durch herzliche Offenheit, die ihm eigen ist. Baut nur auf den Haß eines Weibes, deren Haß in Liebe wurzelt!

KÖLLER.
Liebeshaß soll ja der stärkste sein!
RANZAU.
Solang' er dauert; ein Sonnenblick verwandelt ihn!
KÖLLER.
Guldberg!
RANZAU.
Guldberg!
3. Szene
Dritte Szene.
Guldberg aus der offnen Tür der Königszimmer tretend. Die Vorigen.

KÖLLER.
Ist der König überzeugt und entschlossen?
RANZAU.
Zur Entlassung Struensees entschlossen?
KÖLLER.
So sprecht doch!
[193]
RANZAU.
Ihr schweigt?
GULDBERG.

Herr Graf, wenn der König von Dänemark überzeugt und gegen Struensee entschlossen wäre, dann wäre das Wort »Entlassung« ein mattes, des Königs von Dänemark unwürdiges Wort –

KÖLLER.
Er ist also nicht entschlossen? –
GULDBERG.
Denn Struensee, der Gnade des Königs entrückt, hätte Anklage auf Leib und Leben zu bestehn.
KÖLLER.
Der König ist also noch nicht entschlossen?
RANZAU.
Der König hält ihn also noch?

Kurze Pause.
GULDBERG.
Der König ist noch nicht entschlossen.
KÖLLER.
So wird er's nie, und wir müssen allein handeln, oder wir selber sind verloren.
GULDBERG.

Oberst Köller wird in des Königs Angelegenheit nicht ohne unsers Königs Willen handeln, solange Ove Guldberg es verhindern und ein dänischer Mann die heilige Achtung für seinen König aufrecht halten kann.

RANZAU.
Das ist ganz richtig.
KÖLLER.

Was ist das, Guldberg! Ihr verlaßt uns im entscheidenden Augenblicke, nachdem Ihr vor kaum einer Stunde hier auf derselben Stelle als Verbündeter zu uns getreten – o Herr Ove Guldberg, das ist dänisch!

GULDBERG.

Wißt Ihr, was dänisch ist, Herr Edelmann aus Pommern, der sein Glück in Dänemark sucht? Lernt es erst, um Euer Glück zu finden. Ich schwieg und warnte Euch, ehe Struensee reif war zum Sturze; denn ich bin vorsichtig und wortkarg, weil ich ein Däne bin, und ich liebe das hohle Stürmen und Phrasenmachen nicht, wie – Ihr! Aber, mein Herr, wo ich hintrete nach reiflicher Überlegung, da bleib' ich stehn, stieg' die Gefahr bis an mein Haupt.

RANZAU.
Das tut der Deutsche auch, mein Herr.
GULDBERG.

So zeigt, daß er's politisch tut. Die Sache liegt, wie folgt: der König schritt hastig in sein Gemach, und warf sich in einen Sessel. Halb schien er erschöpft, halb schien er aufgeregt zu sein, aber sein leidender Kopf war merkwürdigerweise ungewöhnlich frei: im Laufe einer halben Stunde verließ ihn nur zweimal und immer nur eine Minute lang die rüstige Kraft des Geistes. Sein[194] ganzer Sinn war offenbar auf den Herzenspunkt, auf die Königin und Struensee gerichtet; aber nicht mit einem Worte sprach er ihn aus, nur sein Blick war oft minutenlang unverwandt auf das gegenüber hängende Bild der Königin gewendet, und seinen Sohn, den Kronprinzen, ließ er holen. Er betrachtete ihn lange Zeit, und richtete Fragen an ihn. Dadurch wurde sein Herz auffallend erweicht; was ich nie erlebt: – der König weinte und preßte sein Kind in tiefer Rührung an sein Herz. Seine gute Meinung für die Königin schien gesiegt zu haben, und als der Kronprinz das Zimmer verließ, und der König ihm Grüße auftrug für seine Mutter, da gab ich unsre Sache verloren. Es entstand eine Pause. Endlich stand der König auf, und ich erwartete, entlassen zu werden. Er befahl aber, daß die Königin Witwe Juliane zu ihm gerufen werde, und gebot mir, ihm Struensee zu schildern, wie er mir und den Dänen erschiene. Dies war der entscheidende Augenblick: die Königin Witwe, Todfeindin der Königin Mathilde und Struensees, war erwartet, die nachteiligste Schilderung unsrer Gegner stand also dem Könige bevor. Meine Schilderung brauchte nur eine einleitende und andeutende zu werden. So hielt ich sie. In Sachen der Politik klagte ich Struensee unumwunden an, im – übrigen wagte ich nur vorsichtige Worte, und Worte, die immer nur Struensee trafen. Aber selbst diese wurden oft von einer unwilligen Handbewegung des Königs unterbrochen. Ich konnte nicht unterscheiden, ob der Unwille Struensee galt, oder meiner Bemerkung. Da ward die Königin Witwe gemeldet, und der König entließ mich mit den Worten: Beweist oder schweigt! – Dies ist der Hergang, und wo sind unsre Beweise? Pause. Guldberg geht an des Königs Eingangstür und blickt hinein. Zurückkommend sagt er. Die Königin Witwe ist noch bei ihm; aber sie wirkt schwerlich günstig für uns, denn der König mißtraut den Beweggründen ihrer Feindschaft. Während dieser Worte ist Lorenz eingetreten.

4. Szene
Vierte Szene.
Lorenz. Die Vorigen.

RANZAU.
Still! Struensees Prediger!
KÖLLER.
Zum Henker!
GULDBERG.
Was horcht Ihr? Was wollt Ihr? Was habt Ihr gehört?
[195]
LORENZ.
Graf Struensee sendet mich –
GULDBERG.
Zu wem? Was habt Ihr gehört?
LORENZ.
Verzeiht, Herr, wenn ich Euch störe. Gehört hab' ich nichts, ich suche die Gräfin Gallen.
GULDBERG.
Aha. Er will kapitulieren.
LORENZ.

O spottet nicht, Ihr Herren von Macht und Rang! Gott schickt seine Prüfungen und Strafen auch in diejenigen Häuser, vor denen Zuversicht und weltliche Herrlichkeit Wache steht. Mein armer Friedrich ist ein trauriges Beispiel dafür. Noch heute morgen war er voll Zuversicht, und jetzt am frühen Abende schon ist Entsagung allein sein Trost –

GULDBERG.
Will er entsagen? Will seine Stelle niederlegen?
LORENZ.
Das weiß ich nicht, Herr!
RANZAU.
Das soll er tun, das rettet ihn!
LORENZ.

Das alles weiß ich nicht: ich weiß nur, daß sein frischer Sinn gedämpft, sein Vertrauen gebrochen ist. Sonst spottete er über die Erbsünde der Welt, jetzt widerspricht er nicht mehr, wenn ich sie nenne. Ach, armer Friedrich, und du weißt noch nicht, wie Schmerzliches deiner harrt aus meinem Munde!

GULDBERG.
Und was, Prediger?
RANZAU.
Was?
LORENZ.

Überbildung trieb meinen armen Vetter früh zum Unglauben. Leute, welchen der große Gott ungewöhnliche Denkfähigkeiten im Geiste belegt, sehen den Wald vor Bäumen, Gott vor den Taten Gottes nicht. Sie werden ungläubig wie die Kinder, d.h. sie werden abergläubisch. Also Struensee. An seine Mutter, an das Leben derselben knüpfte er wie ein Heide sein Geschick, und vermaß sich oft: solange die Mutter ihm lebe, sei das Glück an ihn gebannt. Frevelhaftes Gedankenspiel! Seine Mutter, meine teure Schwester –

GULDBERG.
Ist tot –?
LORENZ.

Ist heute vor neun Tagen plötzlich vom Schlage gerührt worden – es ihm tröstlich mitzuteilen, kam ich nach Kopenhagen.

GULDBERG.
Und er weiß es noch nicht?
LORENZ.
Noch nicht –

Pause.
GULDBERG
nimmt ihn bei der Hand.
Verschont ihn noch mit der Nachricht, bis wir Euch sagen, daß er sie vertragen kann!
[196]
LORENZ.
Ihr?
GULDBERG.
Und was sollt Ihr bei der Gräfin Gallen?
LORENZ.
Ich soll sie um eine Unterredung beschwören vor Beginn des Maskenballs –
GULDBERG.

Ganz recht. Und ich werd' Eure Bitte bevorworten; wir erwarten die Gräfin hier; tretet hier in das Vorzimmer des Königs, ich werd' Euch rufen, wenn sie kommt.

LORENZ.
Gott behüte Euch vor Spott!
GULDBERG.

Das möge er – tretet dort weiter hinüber ans dritte Fenster, würdiger Mann! Lorenz ist eingetreten, Guldberg zurück.

5. Szene
Fünfte Szene.
Guldberg. Ranzau. Köller.
Leise.

RANZAU.
Was habt Ihr vor mit ihm?
GULDBERG.
Er soll die Gräfin Gallen sprechen, und diese soll Struensee die Unterredung bewilligen –
RANZAU.
Das glaubt Ihr wagen zu können?
GULDBERG.

Gewiß. Mit Hilfe der Gräfin allein ist er zu fangen. Hier auf dieser Stelle sei die Unterredung. Durch die Tür dort, welche zum König führt, dringt jedes Wort, das er spricht. Und daß er Herz und Geist immer auf der Zunge trägt, wissen wir alle. Daß er der Gräfin gegenüber, die er versöhnen will, all seine besten Gedanken in Bewegung setzt und sein Herz ausschüttet, das ist vorauszusehn – wird da nicht auch zum Vorschein kommen, was wir brauchen?

RANZAU.
Und Ihr hofft, der König werde in seinem Vorzimmer zuhören?
GULDBERG.

Der König horcht nicht, das ist seiner unwürdig. Aber kann er nicht, ohne zu horchen, das Nötige erfahren? Das Bild seines Vorfahren Christian II. hängt in jenem Zimmer, hier dicht an der Tür, und fast täglich bleibt er vor diesem Bilde stehn – die geringste passende Bemerkung wird ihn heute dazu veranlassen. Und sein Geist wacht immer auf, wenn Struensee spricht. Mißlänge aber dies alles, werd' ich nicht hören? Glaubt Ihr, ich sei töricht anständig wie ein Deutscher, wenn es sich um Wohl und Wehe meiner selbst, meines Königs, meines Vaterlandes handelt? O nein. [197] Und was ich höre, erfährt der König, und was er erfährt, das bekräftige ich jetzt, da sich's um die Entscheidung handelt, mit meinem Eidschwure, und meinem Eidschwure glaubt der König, ich hab' ihn nie belogen. Er geht nach der Tür zur Königin. Die Gräfin kommt!

RANZAU.
Ich gehe; dies sind nicht meine Wege.
KÖLLER.
Aber Vetter!
GULDBERG.
In Liebe und Freundschaft wolltet Ihr den Despoten stürzen!
RANZAU.
In ehrlichem ritterlichem Kampfe soll er besiegt und gebessert werden. Ab.
KÖLLER.
Ihr verlaßt uns, Vetter?
GULDBERG.
Er verrät uns allenfalls!
KÖLLER.
Nimmermehr! Das tut kein Ranzau, und den Sturz Struensees wünscht er wie Ihr und ich –
GULDBERG.

Die Entlassung Struensees wünscht er, sonst nichts! Habt Ihr's vorhin nicht vernommen? Will man nicht mehr, so begnügt man sich wohl auch mit einer kleinen Beschränkung in Struensees Machtvollkommenheit – ist dies unser Endziel, Obrist Köller?

KÖLLER.
Nein.
GULDBERG
laut.

Dreimal nein. Verschwinden sollNach des Königs Zimmer sehend und die Stimme senkend. Struensee aus diesem Königshause für immerdar, verschwinden soll er für immerdar aus dem Reiche Dänemark, verschwinden soll er aus der Welt! Dies ist mein Ziel, danach tracht' ich seit Jahren, dafür bin ich zu Euch getreten, dafür wag' ich meinen Kopf!

KÖLLER.
Ich auch.
GULDBERG
sich umsehend.

Die Gräfin sieht uns zu und harrt! Eilt dem Grafen Ranzau nach, und verhindert ihn, mit der Königin zu sprechen. Darin läge Gefahr für uns. Noch besser: sucht rasch eine Kunde an die Königin zu bringen – aber wie geschieht das am besten? Durch einen Pagen? –

KÖLLER.
Durch eine holstein'sche Dame, die das Maskenkleid der Königin besorgt –
GULDBERG.
Die ist Euch zu Willen –?
KÖLLER.
Sogleich!
GULDBERG.

Vortrefflich – und sie wird jetzt zur Königin eintreten, denn es ist Zeit für den Putz – also! Aber unter welchem Vorwande die Königin hierher bringen? Denn alles gewinnt an [198] Leben, wenn sie zwischen Struensee und die Gräfin tritt, und Struensee wird dann zu den unzweideutigsten Äußerungen getrieben! Unter welchem Vorwande? Das Wahrste ist das Nächste, und das Nächste ist das Wirksamste – laßt der Königin die Wahrheit sagen!

KÖLLER.
Wie?
GULDBERG.

Die blanke Wahrheit! Struensee und die Gräfin hätten hier im Marmorsaale eine leidenschaftliche Unterredung, und Guldberg behorche sie in des Königs Zimmer, und der König sei neben Guldberg! Dann eilt sie herbei, um zu hindern, daß Struensee Verfängliches rede. So sei's! Und eilt!

KÖLLER.
Und Ihr wagt es, Euch solche Blöße vor der Königin zu geben?
GULDBERG.

Guter Freund, Struensee stürzt nur durch die Königin und nur mit der Königin – sie also mag mich kennen und hassen. Siegen wir nicht, so sind wir doch verloren, und siegen wir, so ist sie unmächtig. Also vorwärts!

KÖLLER.
Ihr versteht Euch besser darauf, und ich folge Euch. Ab.
6. Szene
Sechste Szene.
Guldberg. Gräfin Gallen. Später Lorenz.

GULDBERG
an die Tür zur Königin gehend und sprechend, ehe man die Gräfin sieht.

Verzeiht, gnädige Gräfin, daß Ihr einen Augenblick habt harren müssen! Sie tritt ein. Ich möchte Euer Verhältnis zu Obrist Köller nicht in Verbindung bringen mit unsern Plänen, so lange Ihr dies nicht selber wollt. Deshalb empfange ich Euch allein.

GALLEN.
Ich danke Euch dafür.
GULDBERG.

Bei der Seelenstärke, die Euch eigen ist, darf ich voraussetzen, daß Euer gefaßter Entschluß nicht wankt noch weicht.

GALLEN.
Das dürft Ihr.
GULDBERG.
Daß Ihr die tödliche Beleidigung, welche er Euch angetan, tödlich vergelten wollt.
GALLEN.
Das will ich.
GULDBERG.

Und ich werde dafür sorgen, daß Ihr die Rache nicht nur haben, sondern auch genießen sollt. Und zwar von Stunde an! Er bittet Euch um eine Unterredung.

GALLEN.
Der Unverschämte!
GULDBERG.

Mäßigt Eure Stimme; sein Bote harrt dort Eurer [199] Antwort, und wenn Ihr Eurer Rache eine Freude machen wollt, und wenn Ihr bereit seid, unsre Pläne zu fördern, so gewährt Ihr ihm die Unterredung.

GALLEN.
Was soll sie helfen?
GULDBERG.

Er wird Euch um Verzeihung bitten, denn er hat Euch zu fürchten, er wird sich vor Euch erniedrigen, und das ist ein Genuß! Noch mehr! Dort hinter dem Vorhange sind Ohrenzeugen dieses Eures Triumphes, unter ihnen vielleicht der König selbst – so wird diese Unterredung der erste Schritt, welcher ihn unmittelbar zum Rande des Abgrunds führt! Bewilligt Ihr sie?

GALLEN.
Ich bewillige sie.
GULDBERG.

Ich danke Euch. Geht nach des Königs Zimmer. Würdiger Herr! Lorenz erscheint und verbeugt sich gegen die Gräfin. Diese gnädige Dame bewilligt Graf Struensees Verlangen und erwartet ihn hier.

LORENZ.

Ich danke Euch, gnädigste Gräfin, und preise mich glücklich, den Weg zur Versöhnung geebnet zu haben.

GULDBERG.

So eilt mit der Botschaft; und zögert mit der Trauerkunde! Der Graf braucht heute seine Fassung! Lorenz verbeugt sich und geht ab. Jetzt, gnädige Gräfin, ein entscheidendes Wort zwischen uns. Ihr seid plötzlich die Hauptperson eines Aktes, der über Dänemarks Wohl und Wehe entscheidet. Ihr seid mit den Eigenschaften ausgerüstet, die dazu nötig sind: Ihr seid tugendhaft, stolz und tapfer. Aber Ihr seid keine Dänin, Ihr seid eine Deutsche, und es ist nicht Vaterlandsliebe, die Euch zum Handeln für Dänemark treibt, sondern es ist verletzter weiblicher Stolz –

GALLEN.
Was soll das?
GULDBERG.

Weiblicher Stolz, den ich billige und achte. Gräfin Gallen, wir Dänen werden Euch ewig dankbar sein für Euren Beistand gegen Struensee, aber in so entscheidendem Kampfe, in einem Kampfe, der Menschenleben kosten kann, bedürfen wir einer sichern Bürgschaft von Eurer Seite. Wollt Ihr sie uns gewähren?

GALLEN.
Ich versteh' Euch nicht.
GULDBERG.

Hört mich zu Ende. Struensee, der Euer edles Herz betrogen und Eure Würde dem öffentlichen Hohne ausgesetzt, ist ein den Frauen gefährlicher Mann, und in der Tiefe Eures Herzens wohnt Liebe für ihn –

GALLEN.
Nicht mehr –
[200]
GULDBERG.

In wenig Minuten wird er zu Euren Füßen sein und all seine verführerische Überredungskunst aufbieten, Euch zu versöhnen! Ihr seid eine starke Frauenseele, und dennoch ist's möglich, daß Ihr seinem Zauber weicht und ihm vergebt –

GALLEN.
Das ist nicht möglich.
GULDBERG.
Dafür bedürfen wir eben einer Bürgschaft von Euch!
GALLEN.
Welcher?
GULDBERG.

Sie ist schwer zu bestimmen, wenn Ihr auch dem freigeistigen Firlefanz Struensees jemals Euer Ohr und Herz geöffnet habt, wenn Ihr nicht mehr an einen einigen Gott glaubt, an unsern ewigen großen Gott, der unsre Herzen und Nieren prüft und uns tödlich straft, sobald wir bei seinem Namen lügen – so sprecht, war't Ihr auch darin Struensees, oder seid Ihr Gott treu geblieben?

GALLEN.
Darin war ich niemals Struensees; der einfache Glaube meiner Vorfahren ist auch der meine.
GULDBERG.
Und ein Eidschwur ist Euch heilig?
GALLEN.
Heilig nie der Schoß meiner Mutter, wie der Glaube an Gottes Barmherzigkeit.
GULDBERG.

Nun, ein Eidschwur ist die Bürgschaft, welche wir von Euch heischen. Schwört in meine Hand bei Eurer Mutter Schoße, schwört bei Gottes Barmherzigkeit, daß Ihr von diesem Augenblicke an alles tun wollt, was not ist zu Struensees Untergange, daß Ihr ihm verhehlen wollt, was ihn retten könne, Euer Herz mag dabei jubeln oder leiden! Schwört!

GALLEN.
Gemach! Bürgschaft für Bürgschaft! Was versprecht Ihr?
GULDBERG.

Struensees Untergang, ja, Struensees Tod! Eid für Eid – mit diesem Handschlage empfangt den meinigen; mit Gefahr meines Lebens werd' ich ihn halten, das schwör' ich Euch bei Gott, der Meer und Land voneinander hält zum Bestehen Dänemarks! Und Ihr?

GALLEN.
Ich schwöre Euch, in alle Wege den Untergang Struensees zu fördern.
GULDBERG.
Und Gottes Fluch gebrochnem oder nur verletztem Eide!
GALLEN.
So sei's.
GULDBERG.
Drauf Eure Hand!
GALLEN.
Hier ist sie.
[201]
GULDBERG.
Es lebe Dänemark, nun wird es frei! – Jetzt mag der Falsche vor Euch heucheln –
GALLEN
zusammenschreckend.
Er kommt! Ich höre seinen Namen von den Türstehern rufen.
GULDBERG.

Nun rasch die Übereinkunft! Preßt ihm die Wahrheit aus dem Herzen! Ein Wort von seiner Liebe für die Königin erwirbt uns seinen Kopf. Und reicht's nicht aus, gibt ihn der König noch nicht auf –

GALLEN.
Die Türsteher am Ballsaale rufen seinen Namen, er ist ganz nahe, eilt –
GULDBERG.

Dann entscheide der Maskenball! Euer Kostüm ist bereit, und nicht zu unterscheiden von dem der Königin?

GALLEN.
Nicht zu unterscheiden – er tritt aus dem Balsaale, eilt!
GULDBERG.

Seht, wie nötig der Schwur war! Ihr zittert wie Espenlaub, da er sich naht Gehend. – seid doch ein Weib! – Gott straft Euch, wenn Ihr wankt! In die Tür zum Könige ab.

7. Szene
Siebente Szene.
Gallen. Struensee.

GALLEN.
Er hat recht, und ich will die Schwäche überwinden!
STRUENSEE
nahe zu ihr tretend.
Gnädige Gräfin, Ihr zürnt mir! Und mit Recht.
GALLEN.
Faßt Euch kurz, Graf Struensee; es ist Zeit, an den Maskenanzug zu gehen.
STRUENSEE.
O, meine Bitte ist kurz, sie lautet nur: Verzeiht mir!
GALLEN.
Was soll ich Euch verzeihn?
STRUENSEE.

Nicht also, Gräfin! Euer Blick und Euer Ton sind hart, und Euer Wort ist schneidend. Wenn Euer Herz nicht für mich spricht, so hab' ich nichts zu hoffen.

GALLEN.
Mein Herz? Fürwahr, Ihr müßt mir ein schwächlich Weiberherz zutrauen, um so zu sprechen!
STRUENSEE.

Ein großes Herz trau' ich Euch zu. O Gräfin, denkt unsrer traulichen Gespräche draußen zu Hirschholm am stillen Waldsee im grünen Schatten der Buchen! Mit welch einem großen Sinne folgtet Ihr meinen Gedanken und Plänen, ja Ihr erhobt sie, [202] und durch Euch wurden sie veredelt! Das Werk der Reform Dänemarks, es ist zur schönen Hälfte Euer Werk. Und um ein Mißverständnis wendet Ihr nun unserm Werke und wendet mir den Rücken!

GALLEN.

Ein Mißverständnis! Wie Euch der Hof gebildet! Welch ein höflich und vieldeutiges Wort, ein Mißverständnis!

STRUENSEE.

Es ist das rechte Wort! Wir haben unsre herzliche Neigung für einander verkannt: sie war nicht angetan, um in schwierigem Augenblicke und beiläufig und auf Kommandowort in ein alltäglich Ehebündnis eingesargt zu werden. Denn ich schwör's Euch, Gräfin Mathilde, die Szene, welche heute an dieser Stelle sich ereignete und mein Herz so schmerzlich berührt hat wie das Eure, sie hätte nimmer stattgefunden, wär' einer andern Dame Hand in die meinige gelegt worden.

GALLEN.
Das glaub' ich ohne Schwur!
STRUENSEE.

Ihr irrt! Einer mir gleichgültigen Frau hätt' ich mich in solchem Augenblicke nicht entzogen! Genug. Eure Stimmung ist gereizter, als ich Eurer Seele zugetraut. Vielleicht hilft uns die Zeit!

GALLEN.
Wem gehört die Zeit?!
STRUENSEE.

Wohl wahr. Auch hab' ich verzichtet auf die Ideale meines Herzens. Kopf und Herz zugleich in poetischer Weise zu befriedigen, das ist dem Menschen nicht gestattet. Ein Reich regieren nach eignem Sinne und Lieb' und Freundschaft höchster Art dabei zu pflegen, zu genießen – das ist den Göttern vorbehalten. Uns ist nur Glück beschieden im Entsagen, und ich will entsagen!

GALLEN.
Wie?
STRUENSEE.

Betrachtet meine Laufbahn und mein Ziel! Liebe für die Menschen hat mein Sinnen und Trachten geleitet; Drang nach Gerechtigkeit und billiger Freiheit für jedermann, denn jedermann trägt Gottes Stempel, hat meine Maßregeln geschaffen – was find' ich am Ziele? Jedermann fühlt sich beeinträchtigt von mir und steht gegen mich auf. Der Bauer, welchen ich von der Scholle befreit, murrt, daß ich nicht mehr getan, der Bürger, welchem ich Selbständigkeit neben dem Adel verliehen, schilt und lärmt, daß ich ihn nicht aller Verpflichtung enthoben, der Soldat, welchem ich die sklavische Disziplin gelöst, wendet die Waffen gegen [203] mich, weil ich ihn nicht unabhängig gemacht, der Priester, welchen ich zu erheben getrachtet dadurch, daß ich seine Dogmen vernunftgemäß zu begründen heischte, er flucht mir, weil ich das Herkommen gestört, der Adel, welchem ich Bildung und Billigkeit lehren, welchen ich dadurch in Geist und Wahrheit zu edler Überlegenheit erheben gewollt, er verschwört sich gegen mich, weil ich ihn nicht um jeden Preis allmächtig gelassen – was blieb mir? Der König und das Weib! Der König, weil meine Persönlichkeit wohltätig auf ihn wirkt; das Weib, weil das Weib großmütig ist, uneigennütziger als der Mann, und mehr nach der Absicht richtet als nach dem Erfolge, weil das Weib liebt. Und jetzt? Jetzt verläßt mich auch das Weib, denn ihre Eitelkeit ist verletzt, und der Eitelkeit opfert sie all ihre Vorzüge. So find' ich das Ziel, Gräfin Mathilde! Alles ist nichtig und eitel geworden, woran ich mein Hoffen und Schwärmen, mein Sinnen und Trachten und Handeln, woran ich mein Leben gesetzt, alles, alles ist eitel und nichtig geworden, und Ihr wundert Euch, daß ich dem Ideal meines Lebens entsage? Mir ist's ein Wunder, daß ich's nicht längst getan.Er entfernt sich von ihr: Guldberg ist sichtbar hinter dem Vorhange.


Kurze Pause.
GALLEN
für sich.

Er ist edler als ich und beschämt mich tief! – Laut. Und wohin wollt Ihr Euch wenden, wenn Ihr entsagt?

STRUENSEE.

Wie habt Ihr Euch verändert in der Schule dieser Dänen! Meinen Idealen entsag' ich, meinem Amte nimmermehr!

GALLEN.
Weh Euch!
STRUENSEE.

Jawohl, weh mir, denn ich erfülle nur noch meine Pflicht, der Zauber meines Lebens ist dahin. Aber dafür bin ich ein Mann, daß ich aushalte in dem, was ich begonnen, daß ich einstehe mit Leib und Leben für das Trachten meines Geistes. Wenn ich dann unterliege, dann unterliegt ein Minister Struensee, aber Struensees Geist bleibt unbeschädigt, und der Geist ist ewig! Früh oder spät erfüllt er mit seinem Odem dies Königsschloß und wirkt über Land und Meer, und diejenigen, welche mich gestürzt, werden geächtet von der Geschichte Europas!

GALLEN
für sich.
Und er hat recht, und wir sind klein neben ihm.
STRUENSEE.

Gräfin Mathilde! Ich seh's, Ihr steht bei meinen Feinden! O Gott, das schmerzt mich tief! Nicht weil [204] meine Feinde dadurch wachsen, nein, weil ich eine Freundin, meine beste Freundin verloren. Und Euch bringt es kein Glück, Ihr kämpft gegen Euer bestes inneres Wesen, Ihr verliert Euch, indem ich Euch verliere! Arme Mathilde!

GALLEN
sich nach Guldberg umsehend, der bei dem Worte »Mathilde« wieder einen Augenblick den Vorhang erhoben.
Nicht diesen Namen, Struensee! Man hört Musik. Verlaßt mich, der Ball beginnt!
STRUENSEE.

Warum nicht diesen Namen? Laßt mir gepeinigtem Manne den Namen Mathilde, den Namen, der bis daher alles in sich schloß, was mir wert und heilig ist auf Erden!

GALLEN
für sich.
Ich verletze meinen Schwur, wenn ich ihn unterbreche – und doch treibt mich mein Herz dazu!
STRUENSEE.

Ich fürchte mich nicht, Euch mein Herz zu enthüllen! Wenn Ihr auch bei meinen Feinden steht, Ihr mißbraucht meines Herzens Geheimnisse nimmermehr!

GALLEN.
Um Gottes willen, Struensee!
STRUENSEE.

Ja, was ich Euch nicht sagen konnte, solange Ihr in meiner liebevollen Freundschaft für Euch nur Liebe suchtet, Liebe zwischen Mann und Weib, das kann ich Euch jetzt gestehen, seit Ihr mich aufgegeben, seit Ihr mich zu hassen glaubt. Erkennt darin, Mathilde, welch ein edles Herz Ihr habt! Ich, den Ihr zu hassen glaubt, kenne Euer Herz und vertraue ihm das wichtigste Geheimnis meines Lebens –

GALLEN.
Haltet ein! Für sich. Gerechter Gott, ich darf ihn nicht verhindern! Und sie hören ihn!
STRUENSEE
sie bei der Hand fassend.

's ist ein Geheimnis, welches den Kopf verwirkt, sobald es an ein unrechtes Ohr schlägt, und diese Gefahr, Mathilde, ist der unsägliche Reiz daran, und diese Gefahr, Mathilde, treibt mich mit unwiderstehlicher Gewalt, es gerade Euch anzuvertrauen, Euch, die mich eben darum verlassen hat –

GALLEN.
Laßt meine Hand los, Struensee, ich bin des Todes –!
STRUENSEE
sich besinnend, langsam.
Wär't Ihr schwächer, als Ihr in meinem Herzen steht?
GALLEN.

Schwach. Struensee, schlimmer noch als schwach – rachsüchtig, meineidig, o mein Gott! Sie verhüllt ihr Gesicht.

STRUENSEE.

Ich verstehe Euch nicht, Mathilde – Du heißt ja [205] Mathilde. Mathilde! In diesem Namen liegt ja alles! O laß mir die süße Genugtuung, meinen Kopf in deine Hand zu geben dafür, daß du mich verlassen hast. Diese Strafe lehre dich, daß ich deine Feindschaft nicht verdient. Ja, Mathilde, ich liebe! –

GALLEN.
Du tötest dich und mich, Struensee!
STRUENSEE.

Nein, Liebe belebt! Mit meiner Liebe im Herzen gehe ich wie auf sonnenbeschienener Wolke über die Schwerter und Verwünschungen meiner Feinde dahin, denn die Frau, welche ich liebe, sie ist – Aufschreiend, da die Königin hastig eintritt. die Königin!

8. Szene
Achte Szene.
Die Königin. Die Vorigen.

GALLEN
aufschreiend, ohne die Königin zu sehen.
Die Königin! Du bist verloren!
KÖNIGIN.

Struensee! Was tut Ihr? Bei den Worten Struensees »welche ich liebe« hat Guldberg den Vorhang weit zurückgeschoben und rückwärts nach des Königs Zimmern geblickt. Bei dem Worte Struensees »die Königin« tritt der König an die Schwelle.

GALLEN
sich umblickend, und nach vorn eilend wie flüchtend.
Die Königin!

Pause.
9. Szene
Neunte Szene.
König tritt ein, hinter ihm Guldberg. Die Vorigen.

KÖNIGIN
den König erblickend und zusammenschauernd.
Der König steht hinter Euch!
STRUENSEE
für sich.
Bin ich von Sinnen? Er wendet sich langsam um. Der König! – Auf ihn zueilend. Mein König und Herr!
GULDBERG
zwischen ihn und den König tretend.
Zurück! Niemand berührt des Königs Hand, bis er's befiehlt!
STRUENSEE.

Verwegner Däne! Den Degen ziehend und auf ihn eindringend. Wer zwischen mich und meinen König tritt, ist des Todes!

KÖNIGIN.
Struensee!
GALLEN.
Struensee!
GULDBERG
einen Schritt beiseite tretend und seinen Degen ziehend.
Majestätsverbrecher!
[206]
STRUENSEE
des Königs Hand ergreifend und küssend.

Mein König vergibt die blanke Waffe, wenn sie zu ihm den Weg mir bahnt! Er bleibt vor ihm auf den Knien.


Pause.
KÖNIG
betrachtet die Anwesenden und legt dann die freie Hand auf Struensees Haupt.
GULDBERG
dabei zusammenzuckend, geht rasch über die Bühne zur Gräfin, ergreift deren Hand und sagt halblaut.

Ihr brecht Euren Schwur! Ich aber halte meinen: Er fällt in dieser Nacht, oder Ihr selber sterbt, meineidige Frau, von meiner Hand!


Vorhang fällt rasch.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Köller in Tempelherrnmantel gehüllt, mit Tempelherrnmütze bedeckt, steht links am Vorhange unbeweglich. Guldberg als Skalde 3 gekleidet, kommt aus des Königs Zimmer und will nach hinten. Köller tritt ihm einen Schritt entgegen.

GULDBERG.
Euer Wort?
KÖLLER.
Dänemark!
GULDBERG.
Seid Ihr's, Oberst?
KÖLLER
ein wenig den Mantel zurückschlagend, unter welchem man die gewöhnliche Soldatentracht sieht.
Ich bin's.
GULDBERG.
Er ist da?
KÖLLER.
Er ist da.
GULDBERG.
In welcher Maske?
KÖLLER.
Als deutscher Herr!
[207]
GULDBERG.
Der freche deutsche Herr!
KÖLLER.
Wie steht's?
GULDBERG.
Schlecht.
KÖLLER.
Ist die Königin nicht dazu gekommen?
GULDBERG.

Leider ja! Diese Überspannung des Bogens hat uns den Schuß verdorben! Er war im schönsten Zuge seiner kindischen Herzlichkeit, und als der König bis an die Tür gekommen war, gestand er eben der Gräfin, daß er liebe, eine Minute durfte die Königin noch zögern, so war das ganze Geständnis vor den Ohren des Königs ausgesprochen und sie samt ihm verloren –

KÖLLER.
Nun? Er stockte?
GULDBERG.
Nein! »Die Frau, welche ich liebe,« rief er, »ist – die Königin.«
KÖLLER.
Sprach's also aus!
GULDBERG.

Unnütz – wie vom Blitz getroffen trat der König hinaus, und sah, daß die Königin eben eingetreten war, und daß der Zusatz »die Königin« bloß ein Ausruf bei ihrem Erscheinen gewesen war.

KÖLLER.
Hat dieser Plebejer Glück!
GULDBERG.

Und ist er verwegen! Der König mußte doch wenigstens schwanken, und es galt, ihn vor jeder körperlichen Berührung Struensees zu schützen, da diese so hexenmäßig auf ihn wirkt.

KÖLLER.
Auch dies mißlang?
GULDBERG.
Auch dies – der deutsche Herr erzwang sie gegen mich mit blankem Degen.
KÖLLER.
Neben dem König?!
GULDBERG.

Umsonst! Einmal des Königs Hand in seiner, achtete der König auf kein Vergehn, und alles war vergessen.

KÖLLER.
Weh uns!
GULDBERG.

Jawohl! Doch weh auch ihm! Ich stech' ihn nieder wie ein Tier, wenn er noch einmal im entscheidenden Augenblicke den König berühren will!

KÖLLER.

Wie soll aber nun, da der König noch immer für ihn, der entscheidende Augenblick herbeigeführt werden? Meine Vorbereitungen sind alle getroffen; ich kann nicht zurück – jeden Augenblick kann der Kanonenschuß vom Zeughause donnern zum Signale, daß Brandt überwältigt und daß die Notwendigkeit zum [208] Handeln gegen Struensee gekommen ist. Er wird den Schuß hören, und geschieht nichts gegen ihn, so sind wir verloren.

GULDBERG.
So ist's.
KÖLLER.
Und weiter?
GULDBERG.
Weiter nichts.
KÖLLER.

Daß Euch die Pest! Ihr steckt bloß in Intrigen, und zieht den Kopf wohl aus der Schlinge, ich aber hab' gehandelt als Soldat und ohne Order, mich kostet's Kopf und Kragen.

GULDBERG.

Jawohl! Pause; Köller greift an seinen Degen. Schließt Euren Mantel, man kommt aus der Königin Zimmern! Ranzau kommt aus der Königin Gemächern und geht hinten rechts ab. Wer ist's?

KÖLLER.
Weiß ich's!
GULDBERG.
Von der Königin kommend! wo ist Ranzau?
KÖLLER.
Weiß nicht.
GULDBERG.

Gibt's keine Schlacht, und ist Euer Degen so locker, Herr Tempelherr, so zieht ihn doch in einem Korridor gegen den deutschen Herrn, dann ist doch ein Zweck erreicht, und Ihr könnt dem Kriegsgerichte, das Eurer wartet, was Rechtschaffnes erzählen!

KÖLLER.
Ove Guldberg!
GULDBERG.

Höret ihn. – Der König ward überwältigt, aber er ist nicht mehr für ihn, wenigstens wühlt das Mißtrauen und der Argwohn wie ein Heer von Schlangen in seinem Busen. Er hat den holstein'schen Prediger, Struensees eignen Vetter, rufen lassen. Das Evangelienbuch soll er mitbringen! rief der König. Was er mit ihm vorgenommen, weiß Gott! Ich wußte, daß ich nicht mehr zögern durfte; auch ich habe Kopf und Kragen eingesetzt, und dem Könige rückhaltlos gesprochen von Struensees Liebe zur Königin: er weiß alles, und ich habe die Wahrheit zu verantworten. Hier ist der offne Königsbrief, den Verbrecher vor hochnotpeinliches Gericht zu schleppen; nur der Name des Verbrechers ist noch auszufüllen: er lautet Struensee, wenn es gelingt, was für die nächste Stunde vorbereitet ist, er lautet Guldberg, wenn es mißlingt. Seid Ihr beruhigt?

KÖLLER.
Ach was! Ob ich allein oder in Gesellschaft zugrunde gehe, ist Nebensache, was ist vorbereitet?
GULDBERG
leise.
Der König weiß – Sich umsehend. still! Das ist der deutsche Herr?

Struensee geht hinten nach rechts vorüber.
[209]
KÖLLER.

's ist Struensee, der vom Gardensaale kommt, er wird einen neuen Boten ausgeschickt haben, warum Brandt nicht komme!

GULDBERG.
Und dieser Bote?
KÖLLER.

Wird die alte Antwort bringen: Er solle unbesorgt sein, und den Grafen Brandt unter den Masken suchen. Also! Der König weiß –?

GULDBERG.

Der König weiß, in welcher Maskentracht die Königin erscheint; in derselben Tracht erscheint aber auch die Gräfin Gallen. Der König ist streng verlarvt, und Struensee erkennt ihn nicht; auch die Königin kennt ihn nicht, und er wird nicht ein Wort sprechen. Aber er wird hören. Ein gleichgültiger Mann wird Struensee aufmerksam machen, wie die Königin gekleidet sei, damit er sie zeitig entdecke. Daß er sich an sie schließt, daß er spricht, der herzliche Schwätzer, ist vorauszuwissen. Und da die Königin durch die Gräfin doppelt vorhanden ist, so wird er sie überall finden. Das Schweigen der Gräfin aber, das sie bei ihrem Leben gelobt, wird ihn herausfordern zu leidenschaftlichen Worten – ein einziges ist hinreichend, den König zu bestimmen, denn das Maß ist voll. Ich geleite den König und ich leite die Gräfin –

KÖLLER.

Und das ist alles? Da habt Ihr recht, es für geraten zu halten, daß ich ihm in einem Korridor mit dem Degen entgegenrenne – gehabt Euch wohl!

GULDBERG.
Seid nicht voreilig! Wir haben Zeit bis Mitternacht!
KÖLLER.

Jeden Augenblick kann der Kanonenschuß vom Zeughaus dröhnen, und taub ist Struensee nicht. Ich kann auch meine Soldaten nicht stundenlang in den Schloßhöfen stehen lassen, es fällt ununterbrochen Schnee vom Himmel, die Gewehre werden durchnäßt und versagen im entscheidenden Momente!


Die Musik hört auf. Masken drängen sich zahlreich hinten vorüber.
2. Szene
Zweite Szene.
Gräfin als Undine 4 gekleidet, bald darauf der Eremit welcher ihr folgt und an den Falten des Vorhanges stehen bleibt. Die Vorigen.

GRÄFIN
rückblickend.

Wer ist der Mann, der sich an meine Fersen heftet? Sie kommt hastig links nach vorn, ohne im ersten Augenblicke Guldberg und Köller, die rechts auf die Seite treten, zu bemerken.

[210]
GULDBERG
leise.
Eine Mathilde!
KÖLLER.
Welche?
GULDBERG.
Ich weiß es nicht!
GALLEN.

O Gott, was bin ich elend! – Wendet sich gegen die beiden. Auch hier beobachtet! Wer ist's? Sie sieht starr auf beide – kurze Pause. Auf sie zugehend. Was wollt Ihr von mir!

GULDBERG.
Ihr brecht Euren Schwur, indem Ihr sprecht!
GALLEN.
Weh mir, die Stimme des Henkers!
GULDBERG.
Des Rächers!
GALLEN.
Gib mir meinen Schwur zurück, Mann, ich kann ihn nicht halten!
GULDBERG.

Sobald Ihr ihn brecht, erscheint Ihr vor Gott, der die Schwurbrüchigen richtet; mein Dolch und meiner Freunde Dolch ist dicht an Eurer Schulter, des seid eingedenk!

GALLEN.

Entsetzlich! Für sich, nach links eilend. Der Schatten also, der mich fortwährend begleitet, ist einer meiner Henker! Der Eremit ist eingetreten während dieser Worte; sie wendet sich und erblickt ihn. Da ist er! – Ich bin unrettbar verloren! – So will ich den König selber suchen! Ab, rasch nach hinten rechts.

KÖLLER.
Sie liebt Struensee nach wie vor!
GULDBERG.
Natürlich!
KÖLLER.
Und wofür kämpfe und wage ich dann?
GULDBERG.
Wofür? Seid Ihr ein Mann! Wogegen? heißt Eure Frage.
KÖLLER.
Gegen ihn! Ihr habt recht. Und ein Zweck soll erreicht werden! Rasch ab nach hinten links.

Die Musik beginnt wieder.
GULDBERG
ihm nach.
Der Kanonenschuß sei's Signal! Rechts ab.
3. Szene
Dritte Szene.
Eremit bleibt unverändert stehen. Königin als Undine gekleidet aus ihren Zimmern tretend. Ranzau, in der Vandykstracht rechts von hinten kommend, bald darauf Struensee.

KÖNIGIN
entgegenwinkend zu Ranzau.
Gibt er nach?
RANZAU.
Nein, Majestät. Er will nicht von seinem Platze weichen und jede Gefahr bestehn.
KÖNIGIN.

Er hat recht. Verdient Ihr denn auch sein Vertrauen, [211] Graf Ranzau, und – das meinige? Mit unsern Feinden seid Ihr vereinigt gewesen –

RANZAU.
Und bin es noch. Ich verrate sie nicht, ich will nicht Struensee, nur Struensees Leben retten.
KÖNIGIN.
Ihr sagt, es sei bedroht.
RANZAU.
Es ist's.
KÖNIGIN.
Ihr übertreibt –
RANZAU.
Majestät!
STRUENSEE als deutscher Herr gekleidet von rechts hinten eintretend.
Für sich. Die Maske hat recht, sie ist's!
KÖNIGIN
die Maske vornehmend.
Wer kommt? Dies ist sein Wuchs und Schritt!
RANZAU.
Er ist's!
KÖNIGIN.
So sprecht zu ihm.
RANZAU
die Larve abnehmend.

Wir kennen Euch, Struensee! Verliert keinen Augenblick um Maskenspiel, hört mich und folgt mir flugs. Ich gehöre zu Euren Gegnern, aber ich will Euch wohl! Eure Stellung ist bereits so gut wie verloren, und Euer Leben ist bedroht. Vertraut Euch mir an; jetzt noch kann ich Euch aus dem Palaste bringen; sobald das letzte Signal gegeben ist, kann auch ich es nicht mehr. Jenseits der Brücke hält mein Schlitten, er ist bereit, Euch zur Flucht zu dienen; entschließt Euch rasch; vielleicht in wenig Minuten ist es zu spät.

STRUENSEE.

Welche Sprache! Aus Furcht vor einer Hofverschwörung soll ich meinen Posten verlassen, die Aufgabe meines Lebens mit dem Rücken ansehn! Und das in vollem Besitze der Macht, des Königs und der Truppen sicher?!

RANZAU.

Nicht des einen, noch der andern seid Ihr sicher! Verlangt nicht nähere Angaben von mir! Weil ich Euer Gegner bin, darf ich sie Euch nicht geben, weil ich Euer Gegner bin, durfte ich Euch nicht eher warnen, als bis Euer Leben in Gefahr war. Eure Person ist mir wert, und sie will ich gerettet sehen.

STRUENSEE.
Welch ein vortrefflich Spiel! Ihr seid ein Meister der Intrige, Graf von Ranzau.
RANZAU.
Struensee!
STRUENSEE.

Mit einem Streiche deutscher Gemütlichkeit würdet Ihr solchergestalt mehr ausrichten, als alle Ränke meiner dänischen Feinde vermocht haben! Mich vom Kampfplatze verdrängen ohne [212] Schwertstreich! Oh, Herr Landsmann, dies ist das Äußerste von deutscher Landsmannschaft! Zum Siege geführt hab' ich das deutsche Element in diesem Reiche, und Deutsche, ja fast lauter Deutsche sind's, die aus kleinlicher persönlicher Eifersucht den Sieg zu zerstören suchen! Das ist unsrer deutschen Heimat böser Wurm: jedweder einzelne will höher stehen als der Zweck des Ganzen, und über Hinz und Kunz verschwindet Deutschland!


Er tritt einige Schritte seitwärts und wendet sich ab; kurze Pause.
RANZAU.

Weh uns, daß Wahrheit in diesen Worten liegt. Weh dir, Struensee, wenn diese Wahrheit dich jetzt zögern läßt. Höre in mir deinen väterlichen Freund! Hier meine Hand darauf, daß jede Täuschung meiner Seele fremd: das Rohr ist geladen, der Hahn ist gespannt, die Todeswaffe ist auf dich gerichtet, ein Druck des Fingers, und du bist zerschmettert. Folge mir eiligst, sonst ist es zu spät.

STRUENSEE.

Wohlan! Ich wäre ein trauriger Schüler Eurer Politik, wenn ich auf solche allgemeine Drohungen hin mein Spiel verloren gäbe und die Flucht ergriffe. Solche Drohungen sollen aber beachtet werden. Graf Ranzau, ich bin erster Minister Dänemarks, und als solcher laß ich Euch und Eure wahrscheinlichen Genossen auf der Stelle verhaften!

KÖNIGIN.
Struensee!
RANZAU.
Struensee!
STRUENSEE.

Ihr kündigt mir selbst an, daß eine Verschwörung gegen mein Leben besteht – ist etwa der Grund nicht hinreichend? Er sei's! Gewalt gegen Tücke! Geht nach hinten.

KÖNIGIN
die Maske abnehmend.

Struensee, das ist nicht edel! Graf Ranzau hat um Euer Wohl sich ausgesetzt – Struensee bleibt stehn.

RANZAU
zur Königin.

So muß denn das Ärgste gesagt sein! Höret mich, Majestät! Er tritt einige Schritte vor, die Königin folgt ihm, er redet leise. Ihr seid beim Könige angeklagt, eine sträfliche Neigung Struensees für Euch zu begünstigen –

KÖNIGIN.
O Gott!
RANZAU.

Der König ist zum Ärgsten entschlossen nicht nur gegen Struensee, auch gegen seine Gemahlin; ein zweideutig Wort genügt, den Entschluß in schreckliche Tat zu verwandeln. Struensee fällt, in seinem Falle entschlüpft ihm sicherlich dies Wort; drum seinet- und Euretwegen muß er von hinnen! Bewirkt es sogleich! [213] Ich eile durch Eure Gemächer, mich des einzig noch offnen Ausganges für ihn zu versichern! Sorgt, daß er mir unverweilt folge, sonst ist alles verloren. Er geht.

4. Szene
Vierte Szene.
Königin. Struensee.

STRUENSEE.
Halt da, Graf Ranzau! Trabanten herbei!
KÖNIGIN.
Struensee, um Gottes willen, hindert nichts! Sonst sind wir verloren!
STRUENSEE.
Wir? Was ist?
KÖNIGIN
sich umsehend.

Sprecht leise! Ranzau eilt! Ranzau rechts ab. Die Königin geht in den Vordergrund; Struensee folgt ihr. Jede Maske kann uns verraten! Der König fahndet auf Eure Liebe für – erwidert nichts! – auf Eure Liebe für die Königin! Das geringste Zeichen ist Euer Tod, und der Königin Verderben! Sagt nichts, hört mich! Nun müßt Ihr fort! Durch meine Gemächer dem Grafen nach! Der Augenblick muß gewonnen werden. Ich eile zum Könige selbst, und sage ihm die Wahrheit; sie allein kann retten, denn der König ist edel. Lebet wohl, Struensee, lebe wohl! Vielleicht für dieses ganze Leben. Sie eilt rechts nach hinten ab; kurze Pause, der Eremit ihr nach.

5. Szene
Fünfte Szene.
Struensee allein.

STRUENSEE.

Meine Gedanken taumeln! Ist es möglich? Mit einem Schlage der stolze Bau meines ganzen Lebens zertrümmert! Sie gibt mich auf! Sie treibt mich selbst hinaus in die Nichtigkeit! – Heiliger Gott! So ist denn alles hohl, was ich im Herzen genährt, worauf ich gehofft, worin ich geschwelgt habe! Auch dieses Weibes Herz gehört der alltäglichen, der eigennützigen Sorge! Dies Herz, für welches ich zur Schwäche entschlossen war, für welches ich entschlossen war, meine heiligsten Grundsätze zu opfern und die Menschen niederschießen zu lassen wie eine rechtlose Herde – heiliger Gott, alles ist hohl, alles ist nichtig, wofür ich gelebt! Die Landsleute vergessen unser Deutschland über persönlichem Neide, die Freunde vergessen der Freundschaft über dem Ehrgeize. Niemand, niemand ist uneigennützig, ein ganzes Volk ist undankbar, und eines Staates [214] Fehler sind nur in Jahrhunderten, eines Volkes Gebrechen sind niemals zu heilen! Wofür hab' ich gelebt, gewirkt und getrachtet? Für einen Traum meines Geistes, für ein Irrlicht meines Herzens! Heiliger Gott, auch dies Herz schlägt in Lüge, auch sie, auch sie, auch Mathilde denkt nur auf gemeine Sicherheit – ja gemein ist der Mensch, und gemein ist unser Sinn, wie stattlich wir ihn putzen! Er verhüllt sich das Antlitz – leise. Wie ein wildes Heer tobt mir's durch Hirn und Adern; ist es Tod, ist es Wahnsinn, der über mich hereinbricht? Ich sehe nichts, ich denke nichts mehr als die Worte: Alles ist eitel! – Fassung! Fassung! Schreiend. Heiliger Gott! Ich komme von Sinnen, und meine Glieder bewegen sich ohne meinen Willen! Er wendet sich und geht langsam nach hinten.

6. Szene
Sechste Szene.
Gräfin Gallen kommt eiligst, bald darauf Eremit; Guldberg; Struensee.

STRUENSEE
auffahrend bei ihrem Anblick und durchweg außer sich.
Nein! Nein! Du kehrst zurück! Die göttliche Seele siegt, die Liebe ist größer als irdische Sorge!
GALLEN
vor seinem Anblick erschreckend, zurückprallend, links nach vorn fliehend.
STRUENSEE
ihr nacheilend.

Mathilde! Jetzt bist du wahrhaft Königin Mathilde! Scheue dich nicht! Unsre Liebe ist größer als alle Macht der Welt! Laß mir deine Hand! Laß mich zu deinen Füßen den Jubel meines Herzens in alle Lüfte rufen, daß unsre Liebe ewig sei! Laß mein tränenfeuchtes Auge auf deiner Hand, es ist der glücklichste Augenblick meines Lebens! Er beugt sein Haupt auf ihre Hand; unterdes ist der Eremit dicht hinter sie getreten und Guldberg zur rechten Hand der Gräfin, die Hand am Dolche und Aug' in Auge mit der entsetzten Gräfin. Pause. Die Musik schweigt. Ein Kanonenschuß dröhnt ganz vernehmlich. Struensee fährt zusammen und sieht halb auf; aber mit dem Antlitz nach dem Publikum und wie geistesabwesend. – Ein roter Domino tritt hinten ein.

KÖNIG
im roten Domino.
Was heißt der Schuß?
STRUENSEE
auffahrend.
Der König!
GALLEN.
Der König!
GULDBERG.
Dies der König? Dem Eremiten nach der Larve greifend. Wer bist du?
KÖNIG.

Zurück deine Hand! Mein Gesandter ist's!Zu Lorenz, [215] dem Eremiten. Folge mir, und erfülle, was du aufs Evangelium geschworen! Zu Guldberg. Harre meines Rufes Zu Struensee. und du auch! Er geht in die Tür rechts. Prediger Lorenz, der Eremit, folgt ihm.

7. Szene
Siebente Szene.
Struensee. Guldberg. Gräfin. Ranzau.
Pause.

GULDBERG
geht rasch nach hinten links hinaus; er kommt gegen Ende der Szene zurück und zieht die Vorhänge unter dem Bogen herunter, so daß der Raum von den Ballgästen abgeschlossen wird.
STRUENSEE.
Wo bin ich? Was ist geschehn? Der Schuß kam vom Zeughause! – Mathilde, hier?!
GALLEN
die Maske abziehend.
Die falsche Mathilde, die dich ins Verderben stürzt und mit dir zugrunde geht.
STRUENSEE.
Was ist das?
RANZAU
aus des Königs Gemächern.

Zu spät, Struensee, auch diese Pforte ist besetzt! Wirf einen Domino über, verstell dein Gesicht und suche mit den Ballgästen hinaus zu kommen; an jeder Pforte lauert man auf dich! O, Majestät – wie? Gräfin Gallen im Kleide der Königin?!

STRUENSEE.
O, Ranzau, wir stehn an einem Abgrunde von Nichtswürdigkeit!
GALLEN.
Jawohl! – Und wir sind alle unglücklich zum Sterben! Verworfen vor Gott in dieser und in jener Welt!

Pause.
8. Szene
Achte Szene.
Lorenz aus des Königs Zimmer. Guldberg von hinten eintretend. Die Vorigen.

LORENZ.
Staatsrat Guldberg! Des Königs Majestät befiehlt Euch, einzutreten.
GULDBERG
leise.

Sieg oder Tod! Zu Ranzau. Habt ihn im Auge, daß kein Unglück geschieht, sämtliche Wachen kennen ihn; wenn er entweichen will, ist er des Todes. Tritt ein zum Könige.

STRUENSEE.
Vetter Lorenz!
LORENZ.
Armer Friedrich!
[216]
STRUENSEE.
Was hab' ich dir getan? Was tust du mir?
LORENZ.

O Gott, das Schrecklichste, und doch konnt' ich nicht anders. Vor einer Stunde ließ mich der König rufen und sprach zu mir: Schwöre mir, Prediger, daß du mir treu berichten willst, was du in nächster Stunde von Struensee hören und sehen wirst. Tonlos. Ich schwor. Dann ward mir dieses Kleid gereicht, und ich mußte dir folgen auf Schritt und Tritt, und was ich sah und hörte, armer Friedrich, hab' ich, meinem Schwur getreu, bekannt.

STRUENSEE
ebenso tonlos.

Dies ist erschrecklich!Pause – er ermannt sich. Sei's drum! Es wird ein schwerer Kampf. Aber ich kann ihn bestehn: in meinem Geiste, in meinem Herzen, in meinen Sehnen sind die Kräfte dafür. Lebt doch meine Mutter noch, an deren Leben mein Wohl gekettet ist wie das Schiff an den Anker!

RANZAU
halblaut.
Deine Mutter ist tot!
STRUENSEE
auffahrend.
Wer sagt das? – Pause. Vetter Lorenz!
LORENZ.
Fasse dich, Friedrich! Diese Nachricht hat mich von Holstein hergeführt!
STRUENSEE
ihn starr betrachtend und nur flüsternd.

Todesvogel! – Laut ausbrechend. Allmächtiger Gott, ich bin allein! Sich das Gesicht mit den Händen bedeckend im größten Schmerze. Meine Mutter tot!


Pause.
GALLEN.
Graf Ranzau, helft! Dieser Anblick zerreißt das Herz!
RANZAU.
Auch das meine! Fasse dich, Struensee! Mit meinem Leibe will ich dich decken!
GALLEN.
Wir gehen mit Euch, Struensee, bis in den Tod!
STRUENSEE
sich mit Entschiedenheit aufrichtend.

Niemand soll mit mir gehn! Dies sei mein wahrer Stolz, der Stolz des Plebejers, den ihr verraten habt! Ja, einer nach dem andern habt ihr mich verraten, weil ich nicht von eurer Kaste war! Eure Freundschaft, eure Grundsätze, eures Herzens Adel, ja euer deutsches Vaterland habt ihr verraten, um mich, des Bürgers Sohn, zu stürzen! Das tatet ihr! Und darum weis' ich jetzt jeglichen Dienst von euch mit Entrüstung zurück. Dies ist der Stolz des deutschen Bürgersohnes Struensee. Ich hab' den Sinn erhoben bis zum Höchsten, ja! Nun denn, ich will euch zeigen, daß mein Sinn die höchste Schreckensprobe auch allein besteht, und daß mein Auge ohne Zucken der blutigen Gefahr, dem Tode selbst, entgegenblickt! – Zurück! – Es folgt niemand meinem Schritte! Bis daher hab' ich in diesem [217] Hause geboten, wir wollen sehn, ob meine Stimme plötzlich unbekannt und wirkungslos geworden, und ob die Krieger, welche ich geworben, des Bürgersohnes Wort verstehen werden. Ab.


Pause; von da an alles schnell.
LORENZ
fortwährend unverwandt die Gräfin betrachtend.

Ich seh's mit Schrecken, Ihr tragt nur das Kleid, Ihr seid die Königin nicht, ich habe falsch gezeugt.

GALLEN.
Das hast du, unglücklicher Mann.
LORENZ.
Gegen meinen Friedrich!
GALLEN.
So mach es gut!
LORENZ.
Wie kann ich!
GALLEN
hat ihn bei der Hand ergriffen.
Eile mit mir zum Könige. Sie zieht ihn hastig nach des Königs Tür. Aus dieser tritt Guldberg.
9. Szene
Neunte Szene.
Guldberg. Ranzau. Lorenz. Gräfin.

GULDBERG.

Niemand gelangt zum Könige! Rückwärts hinein sprechend. Trabanten, braucht eure Spieße, wenn jemand eindringen will! Ein Papier hoch haltend. Graf Ranzau! Während er diesen rechts in den Vordergrund führt, sagt Gräfin Gallen zu Lorenz.

GALLEN
leise.
Folgt mir, ich kenne den Eingang zum Könige hinter dem Ballsaale! Ab mit Lorenz.
GULDBERG
zu Ranzau.

Hier ist die Vollmacht! Lest und handelt unverweilt nach unsers Königs Befehl! Er übergibt ihm das Papier und geht an den Eingang zu des Königs Zimmern, hineinrufend. Hierher an diese Tür, Trabanten, und braucht eure Spieße, wenn jemand eindringen will, den ich nicht geleite. Sie bleiben innen, und der Zuschauer braucht sie nicht zu sehn. Rottmeister, bescheidet eiligst den Obrist Köller hierher! Läßt den Vorhang wieder zufallen.

RANZAU.
Peinlich Verfahren gegen die Königin selber?!
GULDBERG.

Gegen die Königin Karoline Mathilde! Der König überträgt Euch die Honneurs, mir das Verfahren. Und augenblicklich soll es geschehen. So beliebe es Euch, die Königin unverzüglich im Ballsaale aufzusuchen und hierher zu bitten; auch den Vorsitzer des höchsten Gerichtes, der an der Schwelle des Saales Eures Winks gewärtig ist.

RANZAU.
Guldberg!
[218]
GULDBERG.
Der König befiehlt. – Ich erwarte Euch hier, Graf Ranzau!
RANZAU.
Und Struensee?
GULDBERG.
Kommt erst in zweiter Reihe.
RANZAU.
Gott steh' uns allen bei! Gehend.
GULDBERG.
Das möge er! Sowie Ranzau gegen den hintern Vorhang kommt, stürmt Köller durch denselben herein.
KÖLLER.
Laßt handeln, Guldberg, sonst kommt man uns zuvor.
GULDBERG
mit einer Pantomime auf Ranzau.
Still! – Wir handeln! Ranzau hat einen Augenblick gezögert, und geht nun.
10. Szene
Zehnte Szene.
Köller. Guldberg.
Sehr schnell zu sprechen und zu spielen.

GULDBERG
Ranzau nachsehend.
Ich trau' ihm nicht. – Was gibt's?
KÖLLER.

Struensee, dem ich nirgends begegnen kann, soll überall sein. Ohne Larve zieht er seine und Brandts Freunde um sich zusammen, der ganze Saal ist in Bewegung, die Hände sind an den Schwertern, und von blutigem Ausfall gegen eine der Pforten geht die Rede.

GULDBERG.
Stehn Eure Truppen nicht fest? Ist das Arsenal nicht unser?
KÖLLER.

Das wohl. Aber nach den hinteren Höfen sind unsre Truppen vermischt mit Leuten aus Struensees fliegendem Korps, denen nicht zu trauen ist, und Eichfeldt meldet jetzt, Brandt persönlich habe sich durchgeschlagen, und mehrere Masken, die soeben hastig das Schloß verlassen, hätten sich nach den hinteren Höfen gewendet. Gelingt es ihnen, das fliegende Korps zu sammeln, und drängt Struensee mit den Seinen nach derselben Seite, so bricht er durch. Laßt handeln! Laßt meine Leute mit gefälltem Gewehr in die Säle rücken und ihn lebendig oder tot ergreifen!

GULDBERG.

Noch nicht. Wir spielen verwegen genug, das aber wäre tollkühn. Noch hängt des Todes Schwert an einem Haare. Ich habe Vollmacht –

KÖLLER.
Ihr habt sie?
GULDBERG.
Nur Vollmacht, ihn zu ergreifen, wenn die Aussage der Königin ihn bloßstellt.
[219]
KÖLLER
auflachend.
Der Königin, die ihn beschützt!
GULDBERG.

Still! Das ist meine Sorge. – Ans Werk! Sobald die Königin in diesem Saale, eine Rotte Eurer Truppen hinter diesen Vorhang Auf den hintern deutend. niemand darf herein! Will's Struensee erzwingen, so braucht Eure Waffen! Versteht Ihr mich? – Den Ballsaal laßt räumen! Spiel und Tanz sei vorbei, der König sei unwohl!

KÖLNER.
Also auf Befehl des Königs?
GULDBERG.

Vorsichtig! Der König ist furchtbar, sein Geist ist seit einigen Stunden ununterbrochen frei, und er mißtraut uns nicht viel minder als der Königin und Struensee –

KÖLLER.

Vollständige Tat, oder gar keine. Hört! Hier wird er eindringen wollen, wenn er die Königin hier weiß. Mein Degen soll's ihm wehren. Überlebt er auch dies, dann laß ich alle Lichter auslöschen und dort die Balkontüren angelweit öffnen. Ihr, Guldberg, öffnet den Vorhang, und zeigt ihm den offnen Weg zur Freiheit. Draußen auf dem Balkon stehen im Finstern meine Leute, meines Kommandos gewärtig. Ich stehe dort links im Schatten. Sowie er auf der Treppe erscheint, treten meine Leute vor, und mein Kommando lautet: Feuer!

GULDBERG.
Das kann nur ein Landsmann! Geht nach hinten.
KÖLLER.
Ein Mann, der haßt! An den Vorhang eilend und hinausblickend.
GULDBERG.
Das Gericht beginnt, die Königin kommt! Fort!
KÖLLER.
Ans Werk!
11. Szene
Elfte Szene.
Königin. Ranzau. Gerichtsherr im Hintergrunde bleibend. Guldberg sich verbeugend und Königin und Ranzau zwischen sich, und Köller, der sich ebenfalls verbeugt und nach hinten abgeht, nach dem mittlern Vordergrunde durchlassend. Guldberg spricht noch während des Nächsten einige Worte mit Köller am Ausgange, und dieser geht dann ab.
Schnell zu sprechen und zu spielen.

KÖNIGIN
sehr rasch eintretend.

Ich verstehe Euch nicht, Graf Ranzau, Eure Bitte klingt wie Befehl, und alles um uns her hat ein befremdlich geheimnisvolles Ansehn. – Ihr schweigt? – Was gibt's?

[220]
RANZAU.

Eure Majestät mögen meine Person außer acht lassen: ich bin ein unkundig Werkzeug der Befehle meines Königs.

KÖNIGIN.
Des Königs selbst? Was will der König?
RANZAU
auf Guldberg, welcher den Gerichtsherrn zum Schreiben an einen Tisch rechterhand gewiesen, deutend.
Staatsrat Guldberg allein ist mit dem Auftrage betraut, Majestät.
KÖNIGIN
für sich.

Weh mir, der falsche Däne! –Laut. Staatsrat Guldberg, was habt Ihr mir von des Königs Majestät zu sagen? Man hört den taktmäßigen Schritt einer Abteilung Soldaten, welche hinter dem Vorhange aufmarschiert. Halblaut klingt das Kommandowort »Halt! – Gewehr beim Fuß«, und es schüttert das gleichmäßige Aufstoßen der Gewehrkolben. Die Königin horcht erschreckt, und Guldberg zögert, bis es vorüber, mit der Antwort. Was bedeutet das? Eure Antwort!

GULDBERG.
Es sind Sicherheitsmaßregeln, Majestät.
KÖNIGIN.
Gegen wen?
GULDBERG.
Gegen Struensee.
KÖNIGIN.
Wer wagt es, gegen den Grafen Struensee zu verfahren?
GULDBERG.

Der König. – Und auf des Königs Befehl der Staatsrat Ove Guldberg. – In diesem Zusammenhange bin ich von des Königs Majestät beauftragt, einige Auskunft zu erbitten von Eurer Majestät, Frau Königin.

KÖNIGIN
für sich.

Allmächtiger, so weit ist es gekommen! Laut. Wenn der König durch Euch spricht, so redet, und seid eingedenk, daß jedes Wort auf Euer Haupt gesammelt wird.

GULDBERG.

Des bin ich eingedenk vor der Königin Dänemarks. Der König, mein Herr, hat den bisherigen Grafen Struensee soeben zur Verantwortung gezogen und ihn schlimmen Regimentes, schlimmer Aufführung bezichtigt.

KÖNIGIN.

Wie ist dies möglich? Vor Minuten noch hab' ich Graf Struensee gesehen, wie er frank und frei durch die Gesellschaft schritt!

GULDBERG.

Diese Minuten sind die entscheidenden seines Lebens geworden. Während ihrer hat er vor dem Könige gestanden, vor seinem Richter!

KÖNIGIN.
O Gott!
GULDBERG.

Seine politische Macht ist in diesem Gerichte zugrunde gegangen. Aber es handelte sich nicht bloß um diese –

[221]
KÖNIGIN.
Sondern –?
GULDBERG.
Sondern um Freiheit und Leben!
KÖNIGIN.
Weshalb?
GULDBERG.

Königin! Struensee hat ein zu weiches, zu enthusiastisches Herz als Staatsmann. Dies hat seine Macht gestürzt, vielleicht aber Freiheit und Leben ihm gerettet. Seine kindliche Offenheit hat den König gerührt; von Euch, Majestät, wird es abhängen, welche Wendung sein Schicksal nehmen soll!

KÖNIGIN.
Von mir?
GULDBERG.

Von Euch! Königin! Struensee hat Dinge ausgesagt, die für der Königin von Dänemark Würde und Ehre beleidigend sind –

KÖNIGIN.
Das ist nicht möglich! Das kann nicht sein, denn es wäre Lüge!
GULDBERG.
Er hat's gesagt, bestätigt, unterschrieben.
KÖNIGIN.
Nein, nein! Das kann Struensee nicht gesagt haben! Struensee ist kein Lügner!
GULDBERG.

Dann ist er ein Lügner; denn er hat's gesagt. – Da aber Eure Majestät dem widersprechen und ihn der Lüge zeihn, so ist es anders, und nun ist er verloren.

KÖNIGIN.
Was?
GULDBERG.

Jene leichtsinnigen Aussagen konnte ihm der König vergeben, besonders da der König sein rasches, übertreibendes Herz kennt und immer lieb gehabt. Jetzt aber, da die Königin jene Aussagen Lügen straft, jetzt ist er offenkundiger Verleumder der Königin von Dänemark, und anzuklagen auf Beleidigung der Majestät! – Schreibt's nieder, Vorsitzer des höchsten Gerichts!

KÖNIGIN.
Gerechter Gott! – Wartet! – Was steht auf solche Anklage vor dem höchsten Gericht?
GULDBERG.
Es steht darauf der Tod durch Henkershand!
KÖNIGIN.
Allmächtiger! – Welch ein Wirrsal! –Pause. Wie kann ich ihn retten, Ranzau!
RANZAU
die Achseln zuckend.
Ich bin nicht eingeweiht!
KÖNIGIN.
Guldberg!
GULDBERG.
Die Wahrheit hilft vor Gott und Menschen!
KÖNIGIN.

Wieviel ist hier Wahrheit! – Und wenn ich sage, daß es nicht Verleumdung gewesen, was er ausgesagt von mir – rettet ihn dies?

[222]
GULDBERG
macht eine zustimmende Bewegung.
KÖNIGIN.
Nun? Sprecht!
GULDBERG.

Wenn Ew. Majestät dies schriftlich bestätigen wollen – Zum Gerichtsherrn. schreibt's in zwei Zeilen nieder!


Kurze Pause.
KÖNIGIN.

Was ist ein erlogner Makel an meiner Ehre gegen ein Menschenleben! Gebt her! Eilt hin und nimmt die dargereichte Feder; in diesem Augenblicke reißt die Musik, welche rechts aus dem Saale von Zeit zu Zeit wieder vernommen worden ist, grell ab, und man hört großen Lärm. Was ist das?

GULDBERG.

Um die Maßregeln gegen Struensee ungestört zu betreiben, läßt der König das Fest aufheben und das Schloß räumen!

KÖNIGIN.

Welch furchtbar eilig Gericht – Es sei! –Sie fängt an zu schreiben. Nein! – Ihr seht so gierig drauf! – Ihr legt mir Schlingen! – Ihr betrügt und belügt mich! – Struensee hat mich nicht angeklagt, ich kenne ihn!

GULDBERG.

Euch angeklagt! Das sollt' er wagen! Sich hat er angeklagt, und beim Danebrogpanier, es soll ihm blutige Frucht tragen, wenn Ihr ihm nicht helfen könnt!

KÖNIGIN.

Ich also kann ihm helfen! So sei es denn!Sie unterschreibt – und bleibt dann starr und unbeweglich im Sessel sitzen.

GULDBERG
leise.

Jetzt sind sie beide verloren! Er geht rasch hin, nimmt das Blatt, geht an die Tür zum Könige, winkt dem Gerichtsherrn, übergibt es diesem, schlägt den Vorhang ein wenig zurück, winkt nach innen den Trabanten, und läßt den Gerichtsherrn eintreten, leise zu ihm sagend. Zum Könige! Dann geht er im Vordergrunde quer über die Bühne zu Ranzau.

RANZAU
leise.
Könnt Ihr's verantworten vor Gott?
GULDBERG
ebenso.

Vor meinem Vaterlande kann ich es; es spricht für mich vor Gott. – Ihr haftet für die Königin, Graf Ranzau, wie für eine Staatsgefangene.


Man hört schon während dieser Worte heftige Tritte, Stimmenlärm und darunter Struensees Ruf: Gebt Raum und öffnet die Pforte! Unmittelbar darauf Köllers Stimme: Fällt das Gewehr! Stimmengewirr.
KÖNIGIN
aus ihrer Erstarrung auffahrend.
Das ist Struensee! – Hierher! – Du hast gelogen, Guldberg, er ist frei!
GULDBERG
rasch nach hinten gehend, um ihr nötigenfalls den Weg zu vertreten.

Frei wie das Wild, in dessen Leib des Jägers Kugel fliegt. Man hört Schwerter klirren und den Fall eines Körpers.

[223]
RANZAU.
Faßt Euch, Majestät! Bleibt Königin auch in der Ohnmacht! Er streckt ihr die Hand entgegen.
KÖNIGIN
die Hand einen Augenblick ergreifend.

Ich dank' Euch, Ranzau! Diese Mahnung ist ein Trost. Hinweg über Lug und Trug, und Fassung im Untergange!

12. Szene
Zwölfte Szene.
Struensee stürzt herein mit blankem Schwert; hinter ihm Köller ebenfalls mit blankem Schwert. Die Vorigen.
Sehr schnell.

STRUENSEE.

Königin Mathilde, Ihr seid unter Verrätern! Er tritt vor Guldberg rechts seitwärts, um auch gegen den nachdringenden Köller Front zu machen.

GULDBERG der ebenfalls das Schwert gegen ihn gezogen.
Hochverräter! Du bist vogelfrei!
KÖLLER.

Und nicht zum zweitenmal wird dich mein Schwert verfehlen! Gruppe: links vorn die Königin, zu ihrer Rechten Ranzau; rechts von diesem mehr nach der Mitte Guldberg; rechts von diesem mehr nach hinten Köller; ganz rechts, einen Schritt links der Linie, auf welcher Guldberg steht, Struensee.

RANZAU.
Im Namen des Königs, keine Gewalttat in der königlichen Burg!
GULDBERG.

Des Königs Auge ist abgewendet für immerdar von diesem Manne – das Zeugnis tödlicher Schuld ist in des Königs Händen! Leise zu Köller. Ans Werk! Hier darf es nicht geschehn.Köller ab.

STRUENSEE.
Königin Mathilde, was ist geschehn! Was habt Ihr gezeugt gegen mich –
KÖNIGIN.
Das Entsetzlichste, Struensee!
STRUENSEE.
Mathilde!
KÖNIGIN.

Vergebt! Vergebt! Nicht mir! Der Tücke dieses Mannes vergebt. Ich ward getäuscht und glaubte Euch zu retten.

STRUENSEE.
Guldberg!
KÖNIGIN.
Ove Guldberg!
STRUENSEE
das Schwert in beide Hände nehmend.
So sprich zu deinem Gott; denn mit mir mußt du sterben!
KÖNIGIN.
Struensee, halt ein! Laß uns in Größe untergehn! Reicht ihm die Hand.
[224]
STRUENSEE
ihr zu Füßen stürzend und die Hand küssend.
Meine königliche Herrin!
KÖNIGIN.

Guldberg, Euer Auge such' ich! – Des Herzens Reiz hat man in Niedrigkeit verkehrt, und weil ich stolz war, werd' ich tief gebeugt. Eine Königin habt Ihr gestürzt, macht andre dafür glücklich – öffnet diesem Manne, der mir wert ist, die Pforte!

GULDBERG.
Das wird geschehn!
KÖNIGIN.
Ich danke Euch!
STRUENSEE
aufspringend.
Ihm Dank?
KÖNIGIN.

Den Willen Sterbender erfüllt man sonst, und ich geh' aus dem Leben – vergebt ihm, Struensee – Und jetzt das Lebewohl gewiß für dieses ganze Leben! Nie sieht das Auge mehr das andre wieder, o, weh uns, der süße Traum des stillen Glücks ist aus für immerdar – Leise. Vergib das Unglück, eine Königin geliebt zu haben, und Gott behüte dein Haupt! Sie reicht Ranzau die Hand und geht nach ihren Zimmern; Struensee steht unbeweglich, ihr nachblickend.

GULDBERG
eilt ihr voraus, öffnet den Vorhang und ruft mit gedämpfter Stimme hinein.
Platz für die Königin! Königin und Ranzau ab.
13. Szene
Dreizehnte Szene.
Guldberg. Struensee.

GULDBERG
geht nach dem Vorhang, blickt hinaus, und da alles finster ist, zieht er ihn auf; dann – immer noch mit blankem Degen, kommt er nach vorn.
Die Pforte steht Euch offen!
STRUENSEE
grimmig.
Des Todes Pforte für dich und mich durch diese Schwerter!
GULDBERG.
Versucht's! Pause.
STRUENSEE.

Nein! – Ihr Wille geschehe! – Wer Freiheit bringen will, der muß vergeben können! Er wirft weithin sein Schwert von sich. Der muß entsagen können. Ich will es können! – Leb wohl, du Königshaus, Haus meiner schönsten Träume! Die Täuschungen sind all zu Ende! – Es wird Mit einer kreisförmigen Bewegung nach oben. regiert! Und unser Regiment ist nur Atom in tausendfachem Ganzen. Ein bürgerlich Atom war ich, allein, grausam allein, ich bin zermalmt! Mein Vaterland ließ mich den Feinden – mög' es dies nie bereun!Er geht nach hinten; als er in [225] der Nähe des Vorhangs ist, hört man aus dem Zimmer des Königs der Gräfin Stimme. Struensee! Struensee! Er bleibt stehn.

GULDBERG.
Verräterisch Weib! Ab in das Zimmer des Königs.
14. Szene
Vierzehnte Szene.
STRUENSEE
allein.

Dort abwärts liegt mein Ziel in Nacht und Nichtigkeit! Er schreitet die Stufen hinauf; als er drei Stufen zurückgelegt, erscheinen geräuschlos an der offnen Tür und den geöffneten Fenstern die Soldaten, und schlagen auf ihn an. Er stutzt einen Augenblick. Köller, links an der Seite stehend, ruft. Feuer! Drei bis sechs Schüsse fallen mit einem Male auf ihn. Er stürzt aufrecht bleibend die Stufen zurück und taumelt in den Vordergrund, mit den Worten. Mein Lohn! Zusammenstürzend.

15. Szene
Fünfzehnte und letzte Szene.
Gallen den übrigen voraus. König. Guldberg. Lorenz aus des Königs Tür. Köller oben an der Balkontüre.

GALLEN.
Friedrich! Schreiend und sich über ihn stürzend.
KÖNIG
zu ihnen tretend.

Segne ihn, Priester; denn er starb am Throne, er war ein edles Menschenbild, und ich hab' ihn geliebt.


Vorhang fällt.
[226]
Fußnoten

1 Links und rechts vom Zuschauer aus.

2 Vor und nach jeder Rede des Königs durchs ganze Stück hindurch immer eine kurze Pause und große Stille.

3 In weißen Gewändern, Eichenlaubkranz im Haar, Schwert um die Hüfte. Für die Darstellung auf dem Theater sind für ihn und Ranzau Dominos vorzuziehen.

4 Silberschleier, der den ganzen Körper einhüllt; Schilfkrone im Haare.

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TextGrid Repository (2012). Laube, Heinrich. Dramen. Struensee. Struensee. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB0B-9