Der Vogel Wandelbar

Ein Märchen


War einst ein Vöglein Wandelbar,
an dem fast Alles seltsam war.
Ein rechter Wildfang wollt es sein
und hatte doch ein Humpelbein
und viel zu krumme Flügel.
Allein die Flügel sah man kaum,
so schön war sein Gefieder;
das schimmerte wie Purpurschaum,
und auf der Brust der weiche Flaum
wie ein Perlmuttermieder.
Vom vielen Zwitschern eigner Art
bekam's ein Schnäblein silberzart;
und Augen trug's im Köpfchen,
so lieblich-launisch-glitzerblau
wie Morgens die Tautröpfchen.
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Das gab dem Vöglein Wandelbar
ein Aussehn, sonderlich fürwahr.
Doch was das Sonderlichste war:
tief innen trug's unwandelbar
ein Herz von lautrem Golde.
Und Alles war dem Vöglein gut,
wie's humpelte und glänzte;
und Jeder nahm's in seine Hut,
solang es brav im Hofe saß,
der hoch sein Nest umgrenzte.
Bis unser Vöglein endlich
ein Vogel wurde; ei der Daus,
da lief es aus dem sichern Haus
allein ins weite Land hinaus,
und da erging's ihm schändlich.
Die Andern liefen gar so schnell,
das Ihre zu erjagen;
da kommt mit seinem Wackelschritt
solch armes Entlein nicht gut mit,
und muß den Spott noch tragen.
Sie stießen es und traten es
und rupften es gescheit;
und in dem wilden Drängen
blieb bald sein schönes Schimmerkleid
an Busch und Dornen hängen.
[13]
Zwar mancher blieb auch stehen;
vermahnten dann und schalten
den ungeschickten Wandelbar,
und wußten doch, wie lahm er war,
und – blieben selbst die alten.
Doch schließlich war es ihm geglückt,
mit letzten Kräften, arg zerpflückt,
ein Bäumlein zu erschwingen;
da dacht er heimlich auszuruhn
und sich in Schutz zu bringen.
Verwandelt war nun ganz und gar
der arme Vogel Wandelbar;
nur hier und da noch glänzte ein
zerschlissnes Purpurfederlein
in seinem grauen Kittel.
Und auch der Augen helles Licht
war blaß, wie welk Vergißmeinnicht;
nur noch das Silberschnäbelein
war ihm geblieben, blank und rein,
wenn's auch recht kläglich zirpte.
So saß er weitab vom Gewühl
und fragte sich voll Wehgefühl,
warum er so verlassen;
und wußte doch, daß Lahme nicht
[14]
zu so viel Schnellen passen.
Ein Rabe aber kam vorbei;
den ärgerte die Melodei
und auch das Silberschnäbelein.
Er schrie: "Ich mag nicht solch Geschrei!
marsch, lamentier wo anders!
Ich will mir hier mein Nest her baun,
und für uns Beide ist kein Raum!"
und stieß das Vögelchen vom Baum
und riß ihm aus dem Kleide
auch noch sein letzt Geschmeide.
Da war ihm aller Mut dahin,
der Mut sogar zum Klagen.
Mit seinem müden Humpelbein
lief's weinend in die Nacht hinein
und dachte voll Verzagen:
Jetzt ist rein garnichts mehr an mir,
jetzt kann ich nur gleich sterben;
jetzt will ich in die Wüstenei,
wo Keinen ärgert mein Geschrei,
und still für mich verderben.
Ja, garnichts, garnichts mehr war sein
von all dem schönen bunten Schein;
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sogar das Schnäblein hatte ganz
verloren seinen Silberglanz
von all den vielen Tränchen.
Und als das Vöglein Das gesehn,
ist fast sein Herz gebrochen.
Zum Sterben hat sich's hingesetzt.
Da kam der goldne Mond zuletzt
und hat zu ihm gesprochen:
"Du armes Vöglein Wandelbar,
was grämst du dich denn immerdar
um deine paar Juwelen?
Du dummes Vöglein Wandelbar,
vergaßest du denn ganz und gar,
was Keiner dir kann stehlen!
Hast du denn nicht viel mehr in dir
als diese ganze Lust und Zier,
worauf die Andern sinnen?
Was weinst du denn und machst dir Schmerz?
denkst du denn garnicht an dein Herz
von lautrem Gold tief innen!"
Da ward dem Vogel Wandelbar
auf einmal Alles licht und klar,
und lebte gerne weiter;
da pfiff er bis an seinen Tod
auf allen Spott, auf alle Not,
unwandelbarlich heiter.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Der Kindergarten. Gedichte. Der Vogel Wandelbar. Der Vogel Wandelbar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/