Karl Friedrich Benkowitz
Die Jubelfeier der Hölle,
oder
Faust der jüngere
Ein Drama zum Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts
Flectere si nequeo superos, acheronta movebo.

Personen

Personen.

    • Faust.

    • Mariane, seine Gattinn.

    • Theodora, seine Tochter.

    • Xaver, sein Sohn.

    • Wagner, sein Freund.

    • Rochus.

    • Moritz, dessen Sohn.

    • Paulina, dessen Tochter.

    • Satan, oberster Fürst der Hölle.

    • Ein Herold der Hölle.

    • Magog,
    • Belial,
    • Sebub,
    • Abdon,
    • Melech,
    • Gog,
    • Dragon, Teufel.

    • Singende Knaben.

    • Lisette,
    • Rudolph, Bediente in Fausts Hause.

    • Ein Jude.

    • Ein Bankier.

    • Stup, ein Spieler.

    • Volk.
      Pantomimische Personen.
    • Robespierre,
    • Marat,
    • Collot d'Herbois, Drei Schatten in der Hölle.

    • Adam.

    • Eva.

    • Ein Engel.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
FAUST.

Ja, Wagner, itzt bin ich ganz glücklich! Alles vereinigt sich, mich froh zu machen. Ich bin gesund, habe ein liebenswürdiges Weib, wohlgerathne Kinder, und ein reichliches Auskommen. Seit Jahren hatte ich keinen Kummer, als meinen Rechtshandel mit dem gehaßten Rochus. Nun ist auch dieser geendigt, mein Einkommen zehnfach erhöht, meine Rache befriedigt. Nichts bleibt mir zu wünschen übrig.

WAGNER.

Ich freue mich mit Dir darüber; aber ich höre es nicht gern, wenn jemand mit seinem Glücke so zuversichtlich prahlt.

[1]
FAUST.

Warum nicht? Sei nur in meiner Lage, guter Wagner, und Du wirst triumphiren, wie ich. Du weißt, von Jugend auf bin ich glücklich gewesen, und itzt steigt mein Glück höher, wie je. Soll ich es nicht genießen, nicht mein Herz darüber ausschütten, nicht meinen Mund überfließen lassen? Sage, was fehlt mir noch?

WAGNER.
Noch etwas Großes: die Gewißheit, ob dies alles bis ans Ende so dauern wird.
FAUST.

Recht so, Wagner! Philosophire Du, ich will genießen! Sei Du ein Solon, erinnere mich an Erösus, an Polykrates; ich will mich unterdessen über meinen gewonnenen Prozeß freuen. Geht auf und nieder.

WAGNER.

Ich erinnere Dich blos an Deinen Lieblingsdichter, an den lebensklugen Horaz. Hast Du seine schöne Ode: aequam memento servare mentem 1 vergessen?

FAUST.

Gut, daß Du mich an ihn erinnerst. Nach seiner Philosophie wollen wir künftig leben. Weißt Du, was ich gesonnen bin? Den Winter wollen wir hier in der Stadt zubringen, und alle ihre Freuden genießen, im Sommer aber gehen wir aufs Land, und lesen das Gedicht des Horaz: hoc [2] erat in votis 2. Dazu habe ich meine Anstalten gemacht. Was kann ich anders thun?

WAGNER.
Beten, daß alles so geschehen möge, wie es Deiner Einbildungskraft vorschwebt.
FAUST.

Beten? Wirklich beten? Oder nimmst Du es nur als die gewöhnliche Redensart, wobei man sich nichts denkt?

WAGNER.
Nein, Faust, wirklich beten.
FAUST.

O des weisen, und doch so unweisen Wagner! Der dort oben wird um meines Gebets willen seinen Plan ändern! wird sich durch mich irre machen lassen in dem, was von Ewigkeit bestimmt ist! Nicht wahr?

WAGNER.
Der alte Einwurf!
FAUST.
Aber zugleich der treffende, entscheidende!
WAGNER.

Bist Du dessen so ganz gewiß? Dein Gebet könnte ja auch von Ewigkeit vorher gesehen, und die Erhörung dafür bestimmt seyn. Es könnte Dir wenigstens Kraft geben, mit Ruhe und Weisheit alles anzufangen, was Du unternimmst.

FAUST
lächelnd.

Laß das, frommer Wagner! Ich bin nie zum Beten aufgelegt gewesen, und am wenigsten heute. Ich will handeln und genießen. [3] Sieht nach der Uhr. Weißt Du, wohin ich jetzt gehe? Die letzten zwanzig tausend Thaler in Empfang zu nehmen, die mir mein Prozeß ein, bringt, und das in klingendem Golde. O Wagner, diese einzigen zwanzig tausend Thaler machten auch Dich zu einem ganz andern Menschen. Sei nicht so trübsinnig! Ich will Dir meine Frau herschicken, Dich zu erheitern. Ab.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
WAGNER
allein.

Ich sollte mich freuen, daß mein Freund so glücklich ist, aber ich kann es heute nicht. Es liegt mir so schwer auf dem Herzen; der Tag ist heiter, aber schwül dabei. Seine Stimmung gefiel mir nicht; ich hätte es wenigstens verhehlen, und keinen Mislaut in der Harmonie seines Glücks anstimmen sollen. Dem, der so ununterbrochen glücklich ist, muß man vergeben, wenn er verlernt hat, das Unglück zu fürchten. Aber wie würde er's ertragen, wenn es ihn je mit seinem eisernen Arm ergreifen sollte. Ich zittre vor dem Gedanken!

[4]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Wagner, Mariane.

MARIANE
im herzlichem Ton.

Willkommen, guter Wagner! Gerade Sie wünschte ich mir heute. Wenn man recht glücklich oder unglücklich ist, so sehnt man sich nach der Gesellschaft eines wahren Freundes, dem man sich mittheilen kann. O Wagner, das Glück ist etwas Erhabenes, etwas Göttliches! Es stärkt unsern Glauben an die Vorsehung; es erhebt unser Herz zu so dankbaren, innigen Empfindungen gegen den Geber, und lehrt so viel von der Zukunft hoffen.

WAGNER.

Sehr wahr! Und diese Begleiter des Glücks haben mir immer noch reizender geschienen, als das Glück selbst. Es kann uns doch nur angenehme Empfindungen geben, und welche Empfindungen können angenehmer seyn, als jene?

MARIANE.

Auch unser Glück an sich selbst ist groß. Ihnen kann ich ja alles sagen, Wagner! Wir sind nun reich, unserm Stande nach sehr reich. Wir können mit Ruhe auf unsere Kinder hinschauen, und brauchen nicht zu fürchten, daß sie ohne Erbtheil in die Welt hineingestoßen sind. Wir können nun selber alle Bequemlichkeiten des Lebens genießen,[5] und auch andern mittheilen, auch noch die leidende Menschheit erquicken.

WAGNER.
Sehr viel, und man müßte ein eiskaltes Herz haben, wenn man nicht innig darüber erfreut seyn sollte.
MARIANE.

Ich bin es auch, und mein Herz ist so wohlwollend gegen die Menschheit gestimmt, daß ich alles, alles glücklich machen möchte.

WAGNER.

Das ist der gewöhnliche Einfluß des Glücks. Ich wünschte, daß ich Ihren Gatten auch in dieser Stimmung gefunden hätte.

MARIANE.
Nun, war er nicht heiter?
WAGNER.

Heiter wohl, vielleicht zu heiter. Es schien mir, als wenn das Glück ihn etwas übermüthig machte, etwas zu zuversichtlich, zu trotzend auf sein Schicksal.

MARIANE.

O lassen Sie ihn! Wenn man eben den letzten Stachel aus seinem Herzen gerissen, und dafür so viele Blumen gefunden hat, so kann man leicht etwas übermüthig werden. Es wird sich legen, wenn er sich an den Gedanken seines neuen Glücks erst gewöhnt hat.

[6]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Xaver kömmt etwas verstört herein, grüßt Wagnern, und setzt sich dann unruhig an einen Tisch, wo er den Kopf stützt. Die übrigen bemerken ihn, fahren aber in ihrem Gespräche fort.

MARIANE.

Das einzige, was mir noch auf dem Herzen liegt, ist Rochus. Wie wird er seinen Verlust ertragen! Es ist ein so rachsüchtiger Mann.

WAGNER.

Er wird wüthen. Der Grad seines Schmerzes wird den Grad Ihrer Freude weit übertreffen; denn der Schritt zum Reichthum erweckt Lust, aber zehnfach mehr Unlust der Schritt zur Armuth.

MARIANE.
Ich wünschte, daß wir mit ihm nicht in einer Stadt lebten.
WAGNER.

Ich wünschte selber, daß Sie eine Zeitlang aufs Land gehen könnten, bis die erste Wuth vorüber ist. Wenn nur das Amt Ihres Mannes Sie nicht fesselte.

MARIANE.

Er wird es aufgeben, und dann können wir leben, wo wir wollen. Gehn beide auf und nieder. Aber was fehlt Dir, Xaver? Heute, da wir alle voll von Freude sind, sitzest Du so trübsinnig da? Was ist Dir? Rede!

[7]
XAVER.
O nichts, nichts, Mutter!
MARIANE.

Nichts? Nein, es ist gewiß etwas, ich sehe es Dir an. Wie könntest Du heute so mißvergnügt seyn? Gesteh es Xaver, was ist Dir widerfahren? Du schweigst? Rede, ich bitte Dich! Hast Du das Zutrauen zu Deiner Mutter verloren?

XAVER.
Ich will Ihnen alles sagen, wenn wir allein sind.
MARIANE.
Sage es nur jetzt; Du weißt, daß wir vor Herrn Wagner keine Geheimnisse hahaben.
XAVER.
Ich bin sehr unglücklich gewesen.
MARIANE.

Unglücklich? Du erschreckst mich! Geschwind, laß mich nicht lange in der Unruhe! Was ist Dir geschehen?

XAVER.

Ich war so voll Vergnügen über unsern gewonnenen Prozeß, daß ich auf ein Kaffeehaus ging. Da habe ich gespielt, und alles Geld verloren, das ich in meiner Sparbüchse hatte, ach und mehr noch; ich habe nicht alles bezahlen können.

MARIANE.

Gespielt hat mein sonst so guter Xaver, so hoch gespielt, und so viel verlohren? Das ist nicht gut, mein Sohn!

XAVER.

Ich bin außer mir vor Scham! Daß meine ganze Sparbüchse ausgeleert ist, das [8] wollte ich noch verschmerzen, aber daß ich mehr verloren habe, als ich bezahlen konnte, daß ich meinen Namen nennen mußte, und daß man hinter mir her zischelte, als ich wegging, o das kränkt mich in der Seele!

MARIANE.
Wie viel hast Du noch verloren, das Du nicht bezahlen konntest?
XAVER.
Noch eine große Summe, liebe Mutter, noch achtzehn Dukaten.
MARIANE.

Du hast sehr viel in den beiden Stunden durchgebracht, wo ich Dich nicht sah, sehr viel! Aber ich will nicht, daß mein Sohn Schulden habe, auch keine Spielschulden. Geht an einen Schreibtisch, und zählt Geld ab. Hier, nimm! Es ist von meiner Ersparniß aus den Zeiten, wo wir noch nichts hatten, als was Deines Vaters Amt einbrachte, und ich habe lange daran gesammelt; aber nimm, und bezahle!

XAVER.

O liebe Mutter, ich will alles von meinem Taschengelde wieder sparen, aber lassen Sie es den Vater nicht wissen!

MARIANE.

Nein, Xaver, er soll es nicht wissen; ich will diesen Wermuth nicht in seinen Freudenbecher gießen, ich will ihn allein für mich behalten. Aber mein mütterliches Herz hast Du [9] tief durch Deine Unbesonnenheit gekränkt. Nun geh, und bezahle.Xaver küßt ihr die Hand, und geht ab.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Mariane, Wagner.

MARIANE.
Nun, habe ich's recht gemacht?
WAGNER.
Ich glaube es.
MARIANE.

Aber hätte ich nicht hart seyn, hätte ich ihn den Schimpf, den er sich selber zugezogen hatte, nicht sollen tragen lassen?

WAGNER.

Nein! dadurch wäre er zu tief er: niedrigt worden, und hätte eine Quitung von Schimpf erhalten, auf die er noch hätte hinsündigen können. Sein zartes Gefühl muß geschont werden. Er war außer sich, daß er eine Spielschuld nicht hatte bezahlen können; dabei muß man ihn lassen. Dann wird er um so weniger andere Schulden machen.

MARIANE.

Nun bin ich wieder zufrieden. Wir Weiber sind so furchtsam in der Erziehung, daß wir in unserm Benehmen immer gern die Beistimmung eines Mannes haben mögen. Den Verust will ich gern ertragen. Auf ein so großes Glück, [10] als wir gehabt haben, mag immer ein kleines Unglück folgen, da wird man nicht übermüthig. Aber wissen Sie, daß ich noch etwas anders auf dem Herzen habe?

WAGNER.
Nun, und was denn?
MARIANE.

Sie, als der Freund des Hauses, müssen alles wissen. Meine Theodora kömmt mir seit einigen Tagen ganz verändert vor. Sie ist zerstreut, geht oft ans Fenster, als wenn sie nach jemanden sähe, und stößt zu Zeiten einen kleinen Seufzer aus. Die Mütter haben einen scharfen Blick in solchen Dingen, und ich fürchte, daß zum erstenmal das Knöspchen in ihrem Herzen aufgeblüht ist, woran so viele Dornen sitzen.

WAGNER.

Mag es doch! Sie ist achtzehn Jahr alt, und Sie müssen sich Glück wünschen, daß es nicht früher aufgeblüht ist.

MARIANE.
Wenn es nur einem edlen Gärtner entgegen duftet!
WAGNER.
Prüfen Sie als Mutter; Ihnen liegt dies ob.
[11]
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Die Vorigen. Faust.
Zwei Bedienten bringen Säcke mit Geld. Er nimmt einen davon, und legt ihn auf den Tisch.

FAUST.

Hier bring ich, was graue Haare schwarz färbt, was den Lahmen schön gewachsen, den Dummkopf zu einem Aristoteles macht. Hier liegt das Gegengift gegen Trübsinn, gegen Schwachheit, gegen Mangel, gegen taufend Dinge, die uns hienieden ritzen wollen. Weib, freue Dich, wir sind künftig unabhängig, wie die Götter! Wagner, freue Dich, Dein Freund hat gesiegt. O die Rache ist süß, was auch Sokrates, was auch Christus, und unsere neuern Philosophen sagen mögen.

WAGNER.
Ich glaubte, die Empfindung der Rache erstürbe in dem Busen des Siegers.
FAUST.

Vielleicht mit der Zeit; jetzt muß ich sie noch erst etwas genießen. Es ist süß, reich zu werden, aber es auf diese Art zu werden, das ist die rechte Würze der Freude! Wie er schäumen, wie er toben mag, der stolze Rochus! Hönisch, und als wenn er mit ihm spräche. Ich bedaure Dich, armer Rochus! Aber es war so vom Schicksal bestimmt.[12] Du solltest etwas gedemüthigt werden; und es mag Dir wol recht gesund seyn. Ha, ha, ha! Wir haben die Rollen vertauscht; was ich war, das bist Du geworden. Es thut mir recht leid um Dich. Sieh, Du hast nun nichts weiter, als was Dein Amt Dir einbringt, und mußt von der Gnade des Königs leben. Armer Rochus! Aber was sprudelst Du so? Aergerts Dich? – Nicht wahr Weibchen, es ist eine süße Empfindung, seinen Feind zu bedauren?

MARIANE.

Vielleicht, lieber Mann, wenn es Ernst damit ist. Aber das, was bei Dir die Würze unsers Glücks zu seyn scheint, verbittert mir dasselbe etwas: die Wuth des stolzen Rochus.

FAUST.

Das macht, weil du frommes Ding alle natürlichen Empfindungen des Menschen in Dir erstickt hast, und nur das fühlst, was Du nach Deinem Gesangbuch, und nach Deinem Katechismus fühlen sollst. Glaube mir, das Toben und Wüthen eines besiegten Feindes ist die reizendste Musik.

WAGNER.
Aber oft nur auf Augenblicke. Sie kann sich leicht in einen unangenehmen Misklang auflösen.
FAUST.

Stimmst Du auch in diesen trübsinnigen Ton ein? Nein, den muß ich vertreiben. He [13] Rudolph.Stampft mit dem Fuße. Aber wißt ihr, warum ich so wütend freudig bin? Ich habe eben den Rochus gesehen, und er hat einen Blick auf mich geworfen, als wenn er Leih und Seele damit tödten wollte. Das hat mich wieder so in Feuer gesetzt. Der Bediente kömmt. Die Schüssel mit Austern und drei Bouteillen Champagner! Der Bediente ab. Komm Wagner, komm Weibchen! Ihr sollt beide bald meiner Meinung seyn! Der Champagner erstickt den Pfaffenglauben, und macht die Menschen wieder zu Menschen. Führt sie beide an der Hand ab.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Theodora's Zimmer. Theodora kömmt mit einem Spiegel herein, tritt vor einen andern Spiegel, besieht sich von allen Seiten, geht vor ihn auf und nieder, und untersucht ihre ganze Gestalt, aber durchaus bescheiden, und ohne alle Koketterie. Lisette tritt bald darauf ein, und bemerkt dies.

LISETTE.

Nun, das freut mich, daß Sie doch auch einmal anfangen, in den Spiegel zu sehen, wie wir andern Mädchen.

[14]
THEODORA
die zurück gefahren ist, und den Spiegel hingelegt hat.
Ach, Du hast mich recht erschreckt. Wenn das jemand gesehen hätte; ich müßte mich schämen.
LISETTE.
Warum denn? Ist es denn was Böses, in den Spiegel zu sehen?
THEODORA.

Es läßt so eitel; aber ich will Dir's entdecken, warum ich mich so betrachtet habe. Meine Mutter hat mir immer gesagt, daß ich gar nicht hübsch sey, und da wollte ich zusehen, ob denn das wahr ist. Sage mir Lisette, bin ich denn wirklich so häßlich?

LISETTE.

Sie häßlich? Ha, ha, ha! Wer soll denn schön seyn? Hübsch sind Sie, sage ich Ihnen, hübsch, wie ein Engel.

THEODORA.

Du machst Dich lustig über mich, Du leichtfertiges Mädchen! Ich werde doch meiner Mutter mehr glauben, als Dir! Aber sage mir recht aufrichtig, bin ich denn wirklich so häßlich nicht?

LISETTE.

Was es nicht für Mühe kostet, Sie davon zu überzeugen, was alle andere Mädchen ohne Versicherung glauben! Führt sie zum Spiegel. Sehen Sie sich doch nur an, und wenn Sie's denn nicht glauben wollen, so müssen Sie einen Fehler am Gesicht haben.

[15]
THEODORA.

Ich will nicht, ich schäme mich. Sich losmachend. Dir mag ich wohl gefallen, Du bist ein Mädchen; aber wenn Du eine Mannsperson wärest, würde ich Dir dann auch gefallen?

LISETTE.

Was das für eine Frage ist! Noch zehnmal mehr. Aber wie kömmt es denn, daß Sie sich auf einmal so genau nach Ihrer Gestalt erkundigen, und so besorgt darüber sind?

THEODORA.
Ach, ich weiß es nicht Lisette.
LISETTE.

Aber ich weiß es recht gut. Seit dem letzten Balle sind Sie so unruhig, so sorgfältig in Ihrem Anzuge, so aufmerksam auf Ihre Schönheit.

THEODORA.
Seit dem letzten Balle?
LISETTE.

Ja, und ich weiß auch, warum? Da haben Sie einen jungen hübschen Menschen gesehen, der Ihnen gefallen hat, und nun möchten Sie gerne wissen, ob Sie auch hübsch sind, und ihm wiederge fallen haben.

THEODORA.

Ach, Du bist ein schlaues Mädchen! Aber da Du es weißt, und ich keinen habe, dem ich mich entdecken kann, so will ich Dir's nur gestehen. Ja, ich habe auf dem letzten Balle einen jungen Menschen gefunden, der mir mehr gefallen hat. als bis jetzt alle andere Mannspersonen, der mir[16] immer vor den Augen schwebt, und über den ich alles andere vergesse.

LISETTE.
Nun, das wußte ich wohl; aber kannten Sie ihn denn nicht?
THEODORA.

Nein, und ich hatte auch nicht das Herz, jemanden zu fragen, wer er sei; aber ich kann Dir gar nicht beschreiben, wie schön er war, wie er so angenehm sprach, und so zärtlich gegen mich that. Ich kann ihn gar nicht vergessen.

LISETTE.
Das brauchen Sie auch nicht.
THEODORA.

Ich kann's nicht begreifen, wie ich mich so ganz von ihm habe hinreißen lassen. Meine Aeltern sind doch in der Zeit sehr reich geworden; aber ich habe weit mehr an ihn gedacht, als an unser Vermögen. Und wenn ich mich auch darüber freute, so geschah es immer nur um seinetwillen.

LISETTE.
Das will ich Ihnen alles erklären; das kömmt davon, weil Sie verliebt in ihn sind.
THEODORA.
Du erschreckst mich, Lisette; aber was soll daraus werden?
LISETTE.

Er soll Sie wieder lieben, und Sie sollen sich einander lieben, und Braut und Bräutigam werden, und sich heirathen.

THEODORA.
Ach behüte der Himmel, wie weit treibst Du die Sache. Denkst du denn gar nicht an meine Aeltern?
[17]
LISETTE.
Die werden schon einstimmen, wenn ihre Tochter einen hübschen jungen Mann heirathen kann.
THEODORA.

Ach, ich werde ganz unruhig; ich muß frische Luft schöpfen. Geh, Lisette, hole mir meinen Mantel, wir wollen auf die Promenade gehen.

LISETTE
für sich.

Das Feuer muß man anfachen! Bei solchen Liebeshändeln fällt gewöhnlich für die Kammerjungfern was ab. Laut. Was befehlen Sie? den Mantel soll ich holen? Gleich. Geht und bringt bald nachher den Mantel.

THEODORA.

Mir ist recht bange ums Herz. Wenn ich nur den Muth hätte, es meiner Mutter zu entdecken, Ich thue gewiß unrecht, daß ich allein mit Lisetten darüber spreche.

LISETTE
zurückkommend.
Hier ist der Mantel. Kommen Sie, es ist recht schönes Wetter, so lau; so angenehm. Beide ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Zimmer in Rochus Hause. Rochus. Moritz.

MORITZ.

Ich bin ganz ängstlich, mein Vater! [18] Ihre Unruhe erschüttert mich. Reden Sie, ich will alles thun was Sie verlangen.

ROCHUS.

Merke wohl auf, mein Sohn! Was ich itzt spreche, thue, fordre, kömmt aus dem Innersten meiner Seele, kömmt aus einer von Schmerz, von Wuth, von Rachsucht zerrissenen Seele; aber ich will mich fassen. Auf und niedergehend. Höre, Moritz, habe ich auf Deine Erziehung etwas verwandt?

MORITZ.
Ja, mein Vater, viel.
ROCHUS.
Habe ich Deine Anlagen, Deine Gewandtheit, Deinen Verstand auszubilden gesucht?
MORITZ.
Gewiß! Und ich glaube, daß Ihr Bestreben nicht verloren gewesen ist.
ROCHUS.

Nein Moritz, Du bist ein gewandter, einnehmender, liebenswürdiger Jüngling geworden.Moritz geht vor den Spiegel, und besieht sich. Aber ich muß Dich noch mehr fragen, ich muß alles in Deine Seele zurückrufen, was Dein Vater an Dir that. Hab' ich Dich reichlich auf der Universität unterhalten; habe ich Deine Schulden willig bezahlt, und alles angewandt, daß Du mit Glanz leben, daß Du hunderte von Deinen Mitbrüdern verdunkeln, und weit und breit Auffehn erregen konntest?

MORITZ.

Ja, mein Vater, das kann ich nicht [19] läugnen, Küßt ihm die Hand. und ich fühle gewiß den heissesten Dank dafür.

ROCHUS.

Wohlan, ich mahne Dich itzt um diese Schuld, ich fordre Bezahlung, und rufe Dir mit zitternder Stimme zu: räche Deinen Vater!

MORITZ.
An wem? Reden Sie! Ich will es, wenn es in meinem Vermögen steht.
ROCHUS.

Du müßtest dieser schön gebildete. hinreissende Jüngling nicht seyn, wenn Du es nicht vermöchtest. Aber ich muß noch mehr hinzufügen. Du weißt, welches Schicksal mich getroffen hat. Der schreckliche Faust hat mich mit einem langen Prozeß gequält, hat alle Grade der Feindschaft, der Bitterkeit, des Hasses gegen mich geübt, und mir endlich mein ganzes Vermögen geraubt. Aber damit ist der Unmensch nicht zufrieden. Jetzt triumphirt er laut über mich, und sucht in meiner Demüthigung seinen Stolz, in meinem Schmerze seine Wollust. Noch vor wenigen Augenblicken sah ich ihn; da hat er einen so triumphirend – höhnischen Blick auf mich geworfen, daß er mir durch die Seele gegangen ist. Nun, Moritz, rufe ich Dir zu: räche Deinen Vater!

MORITZ.
Ja, ich will es; ich bin zu allem bereit. Was soll ich beginnen?
ROCHUS.
Liebe die Tochter meines Feindes!
[20]
MORITZ.
Lieben? Höre ich recht?
ROCHUS.

Ja, mein Sohn, lieben! Du hast schon den Anfang zu meiner Rache gemacht, und mir selber den Gedanken dazu eingeflößt. Das Mädchen, mit welchem Du auf dem letzten Ball so oft tanztest, das so oft verstohlen nach Dir hinblickte, das war die Tochter Fausts.

MORITZ.

Das niedliche blauäugigte Mädchen? Das trift sich erwünscht. Die will ich schon lieben. Und wissen Sie mein Vater, daß ich einen tiefen Eindruck auf sie gemacht habe? Ich müßte ein zu großer Neuling bey den Weibern seyn, wenn ich das nicht bemerkt hätte.

ROCHUS.

Darauf gründe ich die Rache, die in meinem Innern kocht. Aber höre nun, wie Du sie lieben sollst. Schleiche Dich mit allen Deinen Künsten in ihr Herz ein, entflamme ihre Leidenschaften, raube ihren jungfräulichen Kranz, und schwelge Nächte hindurch mit ihr. Wenn Du dann gesättigt bist, wenn sie das Pfand Deines Genusses unter ihrem Herzen trägt, wenn sie ihre Schande bedecken will, und Dich anfleht, ihr Gatte zu werden, dann sprich zu ihr: ehrlose Dirne, geh zu deinem Vater, und sage ihm, daß der Sohn seines Feindes Rochus dich entehret, dich zum Ziel seiner Lüste gebraucht, und dich dann verstoßen hat!

[21]
MORITZ
bedenklich.
Das erwartete ich nicht. Die Rache ist bitter!
ROCHUS.

Noch nicht so bitter, als sie in meinem Herzen glühet. Sieh, mein Sohn, der einzige Trost, der in dieser schrecklichen Lage an meine Seele dringen kann, ist der Gedanke, daß ich an meinem Todfeinde gerächt werden soll. Vollbringe diese Rache, und Du sollst ewig mein Liebling bleiben.

MORITZ.

Aber es wird schwer seyn, dem Mädchen anzukommen, da ihre Aeltern uns hassen; sie wird mich fliehen, sobald sie erfährt wer ich bin.

ROCHUS.

Keine Schwierigkeiten, mein Sohn! Sie greifen mir ans Herz. Laß mich in Dir den talentvollen, den unwiderstehlichen Jüngling erkennen. Zeige es, daß Deine Anlagen entwickelt sind, daß Du auch das Schwere, das Verwickelte, das halb Unmögliche vollenden kannst. Sieh, mein Vermögen ist hin, aber Du sollst es nicht empfinden. Ich will darben, damit Du im Glanz leben kannst; ich will jährlich die Hälfte von dem, was mein Amt einträgt, sparen, damit ich Dir ein Erbtheil bereite. Nur erfülle meine Bitte, und räche mich! Es ist Pflicht, seinen Vater zu rächen.

MORITZ.

Nun wohlan, ich will es! Ich will meine Kraft dazu aufbieten. Und vielleicht bedarf [22] es derselben kaum. Ein Mädchen ist leicht zu besiegen.

ROCHUS.

So wünsche ich Dich, Moritz! Umarmt ihn. Liebling meines Herzens! Nimm Du die Tochter, ich will den Sohn nehmen. Denn wisse, daß auch ich mein Geschäft habe. Der Anfang ist schon dazu gemacht. Wir wollen nun sehen, wem es am besten gelingt. Faust war stolz auf seine Kinder; ich muß ihn sehen, wie er voll Jammer die Hände über sie zusammen schlägt, wie er sich die Haare ausrauft, daß er Kinder hat. Spiel, Gewinn, Verlust, berauschendes Getränk soll seinen Sohn hinreissen; wilde Freunde, verführerische Mädchen sollen ihn in ein Labyrinth führen, und nur mit gebrandmarkter Seele, mit Schmach, mit Schande, mit scheußlichen Krankheiten befleckt, soll er daraus zu seinem Vater zurückkehren.

MORITZ.
Sie sind ein furchtbarer Mann; groß in der Rache, wie in allen andern Dingen.
ROCHUS.

Du, und Paulina, ihr seid mein einziger Trost, und ich habe euch jetzt zusammen hieher kommen lassen, um diesen Trost zu genießen. Geh, hole Deine Schwester, und besuche mit ihr den öffentlichen Spaziergang; sie wird aller Augen auf sich ziehen. Mein Herz ist zerrissen. Ich muß mit meinen Kindern prahlen, ich muß zeigen, daß [23] mir noch etwas übrig geblieben ist, daß der liebenswürdigste Jüngling und das schönste Mädchen in dieser Stadt mir angehören.

MORITZ.

Wenn dies auch nicht wäre, so will ich doch die Rollen, die ich zu spielen habe, so spielen, daß Sie zufrieden mit mir seyn sollen. Ab.

ROCHUS.

Rache soll unedel seyn. Aber wie vermag ich anders Ruhe zu finden, wie diese Hölle, die in mir brennt, auszulöschen? Soll ich mich nicht rächen, und vor Ingrimm sterben? Nein, ich darf kein Selbstmörder seyn, ich muß mein Leben erhalten; das ist Pflicht! Ab.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Oeffentliche Promenade, Gebüsche und Bäume. Spaziergänger gehen vorüber, und begegnen sich einander. Mariane, Wagner, der sie führt, und Faust treten auf.

FAUST.
Viel Volk, viel Getümmel!
WAGNER.
Der schöne Tag hat die Menschen heraus gelockt.
FAUST.

Hier ist ein einsames Plätzchen, hier [24] wollen wir ausruhen, und des angenehmen Wetters genießen. Sie setzen sich.

MARIANE.
Ich bin selber ganz heiter geworden.
FAUST.

Nicht wahr: der Champagner macht Muth? Aber wenn wir auch keinen Champagner getrunken hätten, so müßten wir doch heiter seyn; was fehlt uns, Weibchen, sind wir nicht glücklich?

MARIANE.
Gottlob, wir sind's.
WAGNER.
Ja gewiß! Es möchten wenige unter den Lustwandelnden seyn, die sich so glücklich nennen können.
FAUST.

Nun, das freut mich, daß auch mein Wagner sich umstimmen läßt! Ist das nicht meine Tochter, die dort hinten herkömmt?

MARIANE.
Ja, sie ists; sie hat Lisetten bei sich. Vielleicht sucht sie uns.
FAUST.

Es ist ein trefliches Mädchen. Wie sie daher geht, geschmückt mit Unschuld, mit Sittsamkeit, mit jugendlichem Reiz.

WAGNER.
Und die es so wenig weiß, daß sie reizend ist; das ist viel werth.
MARIANE.
Bis itzt war sie die Unbefangenheit selbst; an den Spiegel dachte sie nicht.
FAUST.

Gebt nur Acht, wie viel Freier sich nun finden werden, da das Mädchen reich ist. Aber [25] wer nach ihrem Gelde freit, der bekömmt sie wahrhaftig nicht!


Theodora und Lisette treten lustwandelnd auf.
THEODORA.

O wenn ich Dir glauben könnte, Lisette, da würde ich nicht so unruhig seyn. Ach da sind meine Aeltern! Kömmt zu ihnen herangehüpft, und verneigt sich vor Wagner.

MARIANE.
Und Du hast Dich allein mit Lisetten hieher gewagt? Das thut ja sonst meine Theodora nicht.
FAUST.

O laß sie! Heute müssen wir alle etwas ausgelassen seyn. Und vor Theodora bin ich nicht bange, die kann ja keinem Manne ins Auge sehn!Theodora schlägt die Augen nieder.

MARIANE.
Wo ist denn Dein Bruder?
THEODORA.
Ich habe ihn dort in Gesellschaft einiger jungen Leute gesehn. Er wollte nicht mit mir kommen.
FAUST.
Wo willst Du denn eigentlich hin, Mädchen?
THEODORA.
Ich wollte blos frische Luft schöpfen.
FAUST.

Nun so geh! In der Nähe sehe ich Dich immer, jetzt möchte ich Dich gern etwas in der Ferne sehen. Theodora verneigt sich, und geht mit Lisetten weiter. Faust umarmt seine Frau. Sieh, Weib, [26] das ist unsere Tochter! Wallt Dir nicht das Herz vor Freude? O Wagner, heirathe, heirathe! Es ist etwas Großes, etwas Göttliches, Menschen hervor gebracht zu haben!

WAGNER.

Wären alle Kinder, wie die Deinigen, und alle Gattinnen, wie Deine Mariane, ich würde gleich heirathen.

MARIANE
die ihm eine Verbeugung macht.
Immer mehr Vollkommenheiten entdecken wir an unserm Wagner, sogar, daß er auch galant ist.
FAUST.

Ja, Wagner, ich schwöre Dir, mein jetziges Glück würde mir nicht halb so viel Freude machen, wenn meine Lieben nicht um mich wären, die Theil daran nehmen könnten.

WAGNER.
Sehr glaublich! Ein Paradies, worin man allein wäre, bliebe kein Paradies.

Moritz und Paulina gehen vorüber, doch so, daß die Gegenwärtigen sie nur im Rücken wahrnehmen.
FAUST.
Was ist das für ein Paar junger Leute?
WAGNER.
Ich kenne sie nicht.
MARIANE.
Ich auch nicht.
FAUST.
Das Frauenzimmer ist vortreflich gewachsen. Einen schönern Wuchs sah ich noch nie.

Xavev kömmt bald darauf Arm in Arm mit einem jungen Menschen, und im lebhaften Gespräch mit ihm. [27] Als er seine Aeltern wahrnimmt, verläßt er seinen Begleiter.
XAVER.

Warte doch einen Augenblick, ich komme gleich zurück. Hier, liebe Mutter, will ich meine Schuld bezahlen. Ich bin glücklich gewesen; ich habe alles wieder gewonnen. Zählt Geld ab, und giebt es ihr.

MARIANE.
Hast Du denn wieder gespielt?
XAVER.

Ja, liebe Mutter, und so glücklich, so glücklich! O ich bin so froh, wie ich noch nie gewesen bin. Aber ich habe keine Zeit länger. Zieht den Hut ab, und läuft fort.

MARIANE.

Xaver! Xaver! Höre doch! Der Ausgelassene hört mich nicht, und ich hätte doch so gerne mit ihm gesprochen.

FAUST.
Was giebt es denn?
MARIANE.
Er hat sich in ein Spiel eingelassen, und das gefällt mir nicht.
FAUST.

Laß ihn! Heute verzeih ich ihm alles. Ist doch dem Vater der Kopf vor Freude schwindelnd, wie soll es mit dem Sohne anders seyn! Ich mögte ihn nicht leiden, wenn er heute den Kopf hängen ließe. Dir selber, Weibchen, vergebe ichs, wenn Du heute mit einem andern Manne liebäugelst.

[28]
MARIANE.
Wirklich? Vor neunzehn Jahren warst Du so nachsichtig nicht.
FAUST.

Vor neunzehn Jahren war ich auch nicht so glücklich, wie heute. Sieh, über die Bäume dort mögte ich mich schwingen, so leicht fühle ich mich. Und wenn mir vollends einfällt, daß ich nun bald mein Amt abgeschüttelt habe, und daß ich dann ganz nach meinem Geschmack leben kann, o so – aber wer mögen denn die beiden jungen Leute seyn? Da kommen sie wieder her. Das Frauenzimmer ist wie eine Göttin. Die muß ich in der Nähe sehen. Steht auf, und geht näher nach dem Hintergrunde, wo er stehen bleibt.

WAGNER.

Der Zug hat mir gefallen von Xaver, daß er seine Schuld sogleich bezahlte. Es bedurfte keines hohen Grades von Leichtsinn, um das Geld zurück zu behalten.

MARIANE.

Eines hohen Grades freilich nicht; aber ich mögte auch keinen niedrigen Grad davon bei ihm entdecken. Mein Xaver war bis jetzt ein musterhafter Jüngling, und sein Spielen ängstigt mich.


Moritz und Paulina, gehen vorüber, und grüßen Faust. Dieser drückt die Veränderung aus, die
beim Anblicke Paulinens in ihm vorgeht.
[29]
FAUST
für sich.

Ich weiß nicht, wie mir geschieht. Der Anblick des Mädchens ist mir bis ans Herz gedrungen. Ich fühle mich wie zum Jüngling umgeschaffen. So schön sah ich noch keine. Ich muß sie kennen lernen! Aber Mariane! – Wie? Hundert und funfzig tausend Thaler im Vermögen, und ich sollte den Trieben meines Herzens nicht folgen?

WAGNER.

Ich freue mich, daß er mit aufs Land gehet; da wird sich ihm keine Gelegenheit zu Fehltritten darbieten.

MARIANE.

Das hoffe ich auch, und mir wird schon ganz bange in der Stadt. Sie glauben nicht, wie ich mich besonders jetzt sehne, in eine ruhige Einsamkeit versetzt zu seyn. Die obigen eingeklammerten Worte werden zugleich gesprochen. Mein Mann scheint fortgehen zu wollen. Kommen Sie, Wagner! Giebt ihm den Arm. Hast Du Lust nach Hause zu gehen, lieber Mann?

FAUST.
Geh Du immer mit Wagner! Ich will noch einen Freund besuchen.
MARIANE.
Du kömmst doch bald?
FAUST.

Allerdings! Mariane und Wagner ab. Was ist das in mir? Welch ein klopfendes Herz, welche plötzliche Leidenschaft! Kämpfen mag ich nicht mit ihr, denn ich würde ihr unterliegen. Ich [30] muß ihr nacheilen, ich muß dem herrlichen Mädchen näher kommen. Ab.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Theodora, Lisette treten von einer andern Seite auf.

THEODORA.

Da geht mein Vater. Es ist gut, daß er geht; in dieser schrecklichen Unruhe mögte ich nicht vor ihm erscheinen. O Lisette, ich fühle mich so geängstigt, wie ich noch nie gewesen bin.

LISETTE.
Warum denn?
THEODORA.
Hast Du ihn nicht gesehen? Das war er, der mich so einnehmend grüßte.
LISETTE.
Ich habe ihn recht genau angesehen. Es ist ein allerliebster, unwiderstehlicher Mensch.
THEODORA.
Ach, er hatte ein sehr schönes Mädchen bei sich.
LISETTE.
Sie sind auch schön.
THEODORA.

Sage mir das nicht! Ich fühle es viel zu sehr, daß ich nicht den zehnten Theil so schön bin, als sie.

[31]
LISETTE.

Sie können es mit jedem Mädchen in der Stadt aufnehmen. Hörten Sie nicht, daß selber Ihr Herr Vater sagte, daß er Sie gern in der Ferne sehen wollte? Das war blos, um Sie mit andern Mädchen zu vergleichen, und sich an Ihrer Gestalt zu ergötzen.

THEODORA.
Du redest mir allerhand angenehme Dinge vor.
LISETTE.

Nichts, als was Wahrheit ist. Aber hörten Sie auch daß er sagte, Sie könnten keinem Mann ins Auge sehn? Das gefiel ihm nicht. Und glauben Sie mir, Sie würden noch zehnmal liebenswürdiger seyn, wenn Sie so frei und dreist gegen die Männer wären, als wir andern Mädchen.

THEODORA.

Meine Mutter hat mir das nie gesagt, auch habe ich nie gewünscht, schön zu seyn. Aber jetzt wünsche ich, daß ich schön wäre, wie ein Engel; blos, um ihm zu gefallen.

LIFETTE.
Da kömmt er eben her.
THEODORA.
Wo? wo?
LISETTE.
Hier von der Seite; er kömmt gerade auf uns zu.
THEODORA.
O, mein Gott, Lisette, sage mir, was ich machen soll, wie ich mich benehmen soll?
[32]
LISETTE.
Seyn Sie nur dreist und ungezwungen; so recht fröhlich!
THEODORA.
Nein, das kann ich nicht. Mir wird ganz bange. Bleibe ja bei mir, Lisette!
11. Auftritt
Eilfter Auftritt
Moritz tritt mit einem einnehmenden Wesen auf, und naht sich Theodora. Die Vorigen.

MORITZ
ihr die Hand küssend.

Ich bin sehr glücklich, schöne Unbekannte, endlich Sie zu finden, nach der mein Herz schon mehrere Tage hindurch so sehnlich verlangt hat. Seit dem Ball, den Ihre Gegenwart beglückte, schwebt Ihr Bild, wie ein Engel Gottes, um mich.

THEODORA.
Sie scherzen mit mir; ich bin nicht so schön, daß mein Bild einen so tiefen Eindruck machen könnte.
MORITZ.

O wer vermöchte zu scherzen in einer Sache, von der das Glück unsers Lebens abhängt. Wenn Sie dies glauben, so kennen Sie die Gewalt dieser Reize nicht, die jedes Männerherz unwiderstehlich hinreißen müssen.

THEODORA.
Sagen Sie dies der schönen [33] Dame, die ich vorhin bei Ihnen sah; ihr kömmt es zu.
MORITZ.
Es war meine Schwester.
THEODORA.
Ihre Schwester? O wie freue ich mich! Ihre Schwester ist sehr schön.
MORITZ.

Ja, sie darf ihre Gestalt zeigen, und manche Männer bewundern sie. Aber wenn sie gegen diese hier erscheinen sollte, wie würden ihre Reize dahin schwinden.

THEODORA.
So etwas darf ich nicht anhören. Lisette wir wollen gehen.
MORITZ.

Nein, ich kann Sie nicht fortlassen, ehe ich mein Schicksal weiß. Umfaßt sie mit einer Hand, unterdeß sie sich zu sträuben sucht. O wenn hinter dieser himmlischen Außenseite ein kaltes, grausames Herz verborgen wäre, wenn es unempfindlich gegen meine Leiden bliebe, ich würde der Unglücklichste aller Sterblichen seyn.

THEODORA.
Lassen Sie mich! Wenn wir hier bemerkt würden, wenn meine Aeltern dies erführen!
MORITZ.

Wir sind hier an einem einsamen Ort, wo uns niemand bemerken kann, und ich muß erst mein ganzes Herz vor Ihnen aufschließen, ehe ich mich von ihm losreißen kann. Ich liebe zum erstenmal, und um so heißer und inniger. Seit [34] wenigen Tagen bin ich von der Universität zurückgekehrt, von einem Ort, wo der verführerischen Mädchen so viele sind; aber keine von allen hat mein Herz gerührt. Meiner Vaterstadt war es aufbehalten, mir das Wesen zu zeigen, das für mich geschaffen ist. Sie, Krone Ihres Geschlechts, haben mein ganzes Innere mit unwiderstehlicher Leidenschaft erfüllt, und wenn ich keine Gegenliebe finde, wenn das Herz unter diesem heiligen Busen hier mir nicht entgegen schlägt, so bin ich in meinem zwanzigsten Jahre schon hoffnungslos unglücklich.

THEODORA.
O mein Gott, Sie erschüttern mich. Aber was soll aus dieser Leidenschaft werden?
MORITZ.

Das glücklichste, das zärtlichste Paar, das die Erde betritt, so bald Sie mir Gnade, Liebe, Erhörung zulächeln.

THEODORA.
Aber ich kenne Sie nicht, ich weiß nicht wem ich mein Herz öffnen soll. Sagen Sie mir, wer sind Sie?
MORITZ.

Ich habe nicht gefragt, schöne Unbekannte, wer Sie sind. Forschen Sie jetzt noch nicht, wer ich bin. O ich wünschte so sehnlich, daß bloß reine, heilige Liebe unser Band stiftete, daß kein Rang, kein Vermögen entschiede.

THEODORA.
Aber meine Aeltern –
MORITZ.

Auch unsre Aeltern dürfen hier nicht [35] entscheiden; nur wir allein, nur unsre Herzen! Und wenn die sich gegen einander ergossen, wenn unsre Seelen gefühlt haben, daß wir für einander erschaffen wurden, dann wollen wir ihren Seegen erflehen. O lassen Sie mich das himmlische Wort aus Ihrem Munde hören, daß ich hoffen darf; daß Empfindung für mich in diesem unschuldsvollen Busen schlägt. Lassen Sie mich nicht hoffnungslos, nicht verzweiflungsvoll von hier gehen!

THEODORA
sich zu Lisetten wendend, die in einiger Entfernung steht.
Um Gotteswillen, Lisette, sage mir, was soll ich machen?
LISETTE.

Was besinnen Sie sich denn noch? Sagen Sie ihm doch, daß Sie ihm wieder gut sind, reden Sie doch die Wahrheit! der arme Mensch ist ja außer sich. 3

MORITZ.

Nun, Theuerste, sprechen Sie mein Urtheil, lassen Sie mich nicht länger auf dieser Folter der Ungewißheit.

THEODORA.
Ich bin sehr beschämt.
MORITZ.

Auch diese Beschämung ist hinreißend [36] bei einem so reizenden Geschöpf; darf ich sie zu meinem Vortheil erklären?

THEODORA
mit niedergeschlagenem Blick.

Thun Sie es, edler Jüngling! Ich will nicht länger die Empfindung meines Herzens verhehlen. Sie sind der erste, der mir von allen Männern gefallen, der die erste Empfindung der Liebe meinem unerfahrnen Herzen eingeflößt hat.

MORITZ.

O welche himmlische Musik sind diese Worte für mich! Ich muß sie hinweg küssen von diesen Rosenlippen. Umarmt und küßt sie.

THEODORA
sich wegwendend und halb leise.
Gott, was war das! – Und wie ist mir! – Ich muß fort!
MORITZ.

Nein, Königinn meines Herzens, erst setzen Sie meinem Glücke das Diadem auf, und bestimmen Sie mir den Ort, wo ich Sie wieder sehen darf. Wir müssen uns näher kommen, wir müssen die Verwandschaft unsrer Seelen fühlen lernen. Bestimmen Sie mir, Theuerste, wo ich Sie wieder sehen soll.

THEODORA.
Nein, das kann, das darf ich nicht.
MORITZ.

Was hör' ich? Wollen Sie mich wieder herunterstoßen von dem Gipfel meines Glücks? Wollen Sie bange Zweifel in mir erwecken, [37] daß Ihr Geständniß nicht aus dem Herzen kam? Soll ich voll Verzweiflung hinweg gehen, daß ich so schrecklich getäuscht ward?

THEODORA
abgewandt.
O mein Gott, was soll ich beginnen?
LISETTE
leise.
Seyn Sie doch nicht eigensinnig! Lassen Sie ihn doch heute Abend in unsern Garten kommen!
MORITZ.

Wenn ich hinweg gehen muß, ohne daß ich weiß, wo ich Sie wiedersehen soll, so irre ich trostlos umher, und klage laut mein Schicksal an, daß mein Herz so grausam gefoltert wird. Nirgends werde ich Ruhe finden.

LISETTE
leise.
Hören Sie? der arme Mensch kann sich noch Leides zufügen. Sagen Sie ihm doch, daß er kommen soll!
THEODORA
leise.
Nein, das kann ich unmöglich.
LISETTE.
So will ichs ihm sagen. Soll ich?
THEODORA.
Ach Gott ja, wenn es nicht anders ist.
LISETTE
zu Moritz.

Kommen Sie heute Abend um halb zehn Uhr an die Gartenpforte, die auf die Mühlenstraße geht. Ich werde Sie einlassen. Leise. Ich vermag viel bei meiner Mamsell.

[38]
MORITZ.
Darf ich kommen, Einzige, Göttliche?
THEODORE.

Sage ja, Lisette; ich kann es unmöglich. Ich muß fort, ich werde so unruhig. Zu Moritz. Leben Sie wohl! Geht mit einer Verbeugung ab.

LISETTE
im Abgehen.
Heute Abend um halb zehn Uhr. Vergessen Sie ja nicht!
MORITZ.
Nein gewiß nicht!
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
MORITZ
allein.

Geht stolz auf und nieder. Der liebenswürdigste Jüngling, sagt mein Vater? Ja warlich, das bin ich. Ich will den sehen, der es mit meiner Gestalt, mit meinen Talenten, mit meiner ganzen Liebenswürdigkeit aufnehmen soll. Da geht sie hin, die Ueberwundene! Ich war auf eine Belagerung gefaßt; es bedarf deren nicht. Die Festung wird beim ersten Angriff mit Sturm übergehen. Mit dem innern Feinde bin ich schon einverstanden. Und wer will mir widerstehen? – Was seh ich? Was ist das? Faust kömmt mit meiner [39] Schwester daher, und redet so zärtlich mit ihr? Was bedeutet das? Das muß ich erfahren. Versteckt sich hinter ein Gebüsch. Faust und Paulina gehen im lebhaften Gespräch vorüber.

PAULINA.

Ich kenne Sie nicht, und habe meinen Bruder hier gesucht. Ich bin erst seit wenigen Tagen aus dem Kloster zurück gekommen, und weiß nicht –

FAUST
schnell einfallend.

Aus dem Kloster? Nein, göttliches Mädchen, vom Himmel sind Sie herabgestiegen, um einen Sterblichen hienieden zu beglücken. Sie sind vorüber gegangen und man hört die letzten Worte noch von fern. O wenn ich dieser Sterbliche wäre, wie würde ich diesen Vorzug belohnen!

MORITZ
wieder hervortretend.

Habe ich recht gehört? Faust in meine Schwester verliebt? das ist ja mehr, als wir uns im Traume einfallen ließen! Nun ist er in unsern Händen. Es scheint, als wenn der Zufall in unsre Plane eingreifen wollte. Ich muß hin, und meinem Vater dies verkündigen.

Ende des ersten Acts.
[40]

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Der Schauplatz stellt die Hölle vor, bei halber Erleuchtung, und so fürchterlich, als sie vorgestellt werden kann. In der Mitte derselben sitzt Satanas mit einer Krone bedeckt, auf einem erhöhten Thron. Neben ihm unten am Throne steht der Herold der Hölle. Im Hintergrunde lodern Flammen zwischen Felsen hervor.

SATAN
langsam und mit tiefer Stimme.

Ein Jahrhundert auf unsrer Erde ist nach der Rechnung ihrer Bewohner verflossen. Ich will das Ende desselben durch eine Versammlung meiner Fürsten und Mächtigen feiern.

HEROLD.
Ein erhabener Gedanke, würdig deines großen Geistes!
SATAN.

So habe ich beschlossen! Viel sind in diesem Jahrhundert zu uns herabgestiegen, und das Ende desselben hat ganze Schaaren hieher gesandt. Ich will forschen, was meine Mächtigen [41] in meinem Reiche gethan, wie sie meine Herrschaft befestigt, und die Erdebewohner meiner immer würdiger gemacht haben.

HEROLD.
Nichts kann weiser, nichts majestätischer, nichts ruhmvoller erdacht werden.
SATAN.
Sodann will ich ihnen verkündigen, was ich selber that und noch thun will.
HEROLD.

Es wird das Erhabenste, das Größte seyn, was je ein schöpferischer Geist erfand; es wird die Thaten der kleinern Fürsten in der Hölle unendlich weit hinter sich lassen.

SATAN.

Schon habe ich meine Schaaren in die Welten ausgesandt, damit sie die Herrscher der Hölle zu der Versammlung vorbereiten.

HEROLD.
Was befiehlt Deine Majestät, das ich jetzt beginnen soll?
SATAN.

Erhebe Dich auf einen Felsen, wende Dich mit zuckendem Blitz gegen die vier Seiten der Unendlichkeit, und laß das Zeichen zur Versammlung erschallen! Der Herold schwingt sich auf einen Felsen hinter dem Thron Satanas, wendet sich unter Blitzen gegen die vier Himmelsgegenden, und läßt einen scharfen, sausenden, durchdringenden Ton hören, auf welchen ein Donnerschlag folgt. Mit dem Donnerschlage fahren von allen Seiten die Satane herbei, und stehen um den Thron.

[42]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Magog, Belial, Sebub, Abdon, mit Kronen. Melech, Gog, Dragon, mehrere Teufel, ohne dieselben.

SATAN.

Fürsten der Hölle! Unüberwindliche Beherrscher des Erdballs! Ich habe Euch zu mir versammeln lassen, um von Euch zu erforschen, was ihr in dem verflossenen Jahrhundert auf unsrer geliebten Erde vollbracht habt? Hebe Du an, Magog, und erzähle Deine Thaten!

MAGOG.

Ich bin es würdig, Satanas, daß Du zuerst mich hervorrufst. Du weißts, ich bin der Herrscher des Krieges, und schlachte die Menschen zu ganzen Schaaren. Ueberschaue jene unendlichen Gefilde, und Du wirst Millionen finden, die aus der Wuth der Schlacht in Sünd und Missethat zu uns herabgefahren sind.

SATAN.

Du erfreuest mein Herz, Magog! Ich will jene Gefilde durchwandeln, ich will selber erforschen, was Du für mein Reich thatest, und wie viel Bewohner Du hieher gesandt hast.

MAGOG.

Wisse, Satanas, im Anfange, in der Mitte, und am Ende dieses Jahrhunderts habe ich die Flamme des Krieges fürchterlich angeblasen, [43] habe ganze Welttheile damit bedeckt, habe mich in ein Meer von Blut und von Thränen untergetaucht. Vernahmst Du das unendliche Geschrei des Jammers, der Qual, der Verzweiflung, das von den Schlachtgefilden gen Himmel emporstieg? Hast Du das bleiche, grinsende Elend, den entfleischten Hunger, die martervolle Krankheit gesehn, die darauf folgten? Kennst Du den unendlichen Seufzer, die blutige Thräne des Grams um die Gebliebenen? Ich war der Schöpfer davon.

SATAN.
Ja, Magog, Du bist ein Schöpfer! Nenne Dich so, Du verdienst es!
MAGOG.

Ich habe das Ohr der Monarchen verstopft, daß sie das Jammergeschrei der Menschheit nicht hörten, ich habe ihr Auge verblendet, daß sie das Blutbad nicht sahen, in welchem sie wandelten; ich habe in ihr Herz heißen Durst nach Sieg, nach Ruhm, nach Eroberung gegossen, ich habe ihrer Seele den Wahn eingehaucht, daß sie für Religion, für den Ewigen dort kämpften, wenn sie ihre Beherrschten sich unter einander erwürgen ließen. Satan, habe ich genug gethan?

SATAN.

Du bist mein Geliebter, mein Aus erkohrner, und ich erkläre vor der ganzen Hölle, daß du würdig seist, an meiner Seite zu herrschen. Fahre fort in deinem erhabenen Geschäfte, laß das [44] künftige Jahrhundert von Krieg, von Jammer, von Elend schwanger seyn, wie das verflossene, dünge die Erde mit Blut, laß sie einen großen Kirchhof, ein großes beschleunigtes Grabmal für ihre Bewohner werden!

MAGOG.
Das will ich, Satan! Ich will mich deiner würdig beweisen!
SATAN.

Und nun vernimm noch einige Lehren, die aus der Tiefe meines Geistes geschöpft sind! Wache über die Fürsten und Könige der Erde! Gieße den Wahn in ihr Herz, daß der erhabenste Ruhm darin bestehe, groß im Kriege zu seyn. Flöße ihnen unaufhörlich den Gedanken ein, daß alle Bewohner der Erde ein Gesetz über sich haben, daß sie allein davon ausgeschlossen sind, daß sie allein das Recht des Stärkern müssen entscheiden lassen. Ersticke jedes Gefühl in ihnen, das diesem widerspricht! Aber vor allem laß nie den Gedanken in ihnen erwachen, ein Gericht über sich zu setzen, das ihre Streitigkeiten ohne Blut schlichte! In einem kleinen Lande richtet es schon über die Fürsten; wehe Dir, wenn dies in einem Welttheile geschieht! Dann ist dein Reich allda auf ewig zerstört! Meine höchste Ungnade, Magog, wenn je die Monarchen eines Welttheils einen Gerichtsstuhl erheben, der nach Gerechtigkeit ihre Fehden [45] entscheidet! Tritt nun hervor Belial, und sage an, was Du auf unserm Erdball gewirkt hast?

BELIAL.

Obwohl Magog, der Stolze, sich würdig befunden hat, früher zu reden, als ich, obwohl Du ihn selber zuerst nanntest, so darf doch ein Geist, wie ich, kühn mit ihm um den Rang streiten. Ich bin der Beherrscher der Erdengerechtigkeit, ich gebiete nicht im Kriege allein, auch im Frieden.

SATAN.

Ich verkenne Deine Größe nicht, ich weiß, daß Du unendlich viel zu wirken vermagst, daß Du tropfenweise das Mark der Sterblichen aussaugst.

BELIAL.

Und dennoch nanntest du Magog zuerst?Lacht fürchterlich. Ha! die Hölle ist verblendet, wie die Erde! Sie wähnt, wie diese, der Ruhm im Kriege erworben sei der höchste! Ha! Zu Magog. Was bewog Dich, Du Stolzer, Dich über mich erhaben zu glauben? Wisse, Verblendeter, daß ich nicht Fürsten und Könige allein, daß ich alle beherrsche, die Gewalt auf Erden haben, einen Richterspruch zu thun!

MAGOG.
Du wagst es, Elender, mich zu schmähen, mich, der ich auf meinen Lorbeeren ruhe?
BELIAL
lacht gräßlich.
[46]
SATAN.
Eure Zwietracht erfüllt meinen Busen mit Wollust. Fürsten der Hölle, so lieb' ich Euch!
BELIAL.

Höre mich an, Satan, was ich that. Du weißt, daß die Menschen durch Milde und sanfte Beherrschung besser, durch Strenge und Grausamkeit schlimmer werden. Darauf habe ich den Grund zu meinem großen Gebäude gelegt, die Menschen unter sich selber hinab zu ziehen. Ich habe allen Richtern und Gewalthabern den Wahn eingehaucht, daß sie durch Strenge und grausame Strafen besser werden.

SATAN.
Trefflich ersonnen, werth eines so tiefgrübelnden Geistes, als Belial ist!
BELIAL.

Und wähnst Du etwa, daß es bei der bloßen Lehre blieb? Steig hinauf zur Oberfläche der Erde, und schaue, wie sie darnach handeln. Sieh, wie ihre Bewohner in Kerkern schmachten, wie sie unter Stäben und Geißeln den Nacken beugen, wie sie zum Hochgericht geführt werden, und unter Martern ihren Geist aushauchen. Satan, was die Menschen unter ihren Obern leiden, das verdienen sie bald. So zieh ich sie immer tiefer zur Verworfenheit hinab, und mache sie der Hölle würdig.

SATAN.

Großer Belial, Du hast in meiner [47] Seele gelesen; ich selber vermöchte nicht sinnreicher für mich zu arbeiten.

BELIAL.

Vor allem habe ich auf die gewürkt, die Magog zu beherrschen wähnt. In der Stunde der Geißelung ist die Erde mit Blutenden bedeckt, deren Jammergeschrei gen Himmel schallt, und die oft um eines Scherfleins willen, das sie in Mangel und Dürftigkeit entwandten, ihren Geist unter zahllosen Geißelhieben aufgeben. Für Vater- und Muttermord giebt es bei ihnen keinen Grad der Strafe mehr, und wenn ich selber die Marter erfände. So vertilge ich allmählig den letzten Keim des Guten in ihnen, und wenn Magog sie aus der Schlacht hieher sendet, so habe ich sie vorher schon zur Hölle vorbereitet. Er mordet nur die Leiber, ich morde die Seelen.

SATAN.

Ich sinne auf einen Lohn für Dich, Belial, denn ich fühle ganz, was Du gethan hast. Und damit du siehst, daß ich in dein Werk eindringe, so höre noch einige Regeln von mir. Laß jene Geißelungen, laß alle Martern der Menschen öffentlich im Angesichte von Tausenden geschehen; dann gewöhnen sich die Schauenden daran, dann werden sie alltäglich, und das Herz der Sterblichen härtet sich allmählig gegen sie ab. Suche von neuem die Tortur einzuführen, und beginne damit, [48] daß jeder Angeklagte so lange gegeißelt werde, bis er das Verbrechen gestanden hat. Verbreite die Lehre, es sei besser, daß ein Unschuldiger leide, als daß ein Schuldiger der Strafe entgehe! Mache alle Gewalthaber auf Erden zu Zuchtmeistern, und Du wirst sehen, ob das Menschengeschlecht nicht aus Züchtlingen bestehen wird.

BELIAL.

Sehr weise gesprochen, Satan! Ich fühle, Du überschauest das Ganze, und hast es empfunden, was ich that.

SATAN.
Ich komme zu Dir Sebub, Beherrscher des Priesterthums! Was hast Du auf unsrer Erde vollbracht?
SEBUB.

Ich arbeite noch immer an den Priestern, und säe statt des Gesetzes der Liebe, Glaubenslehren aus. Ich unterdrücke in Gegenden, wo es noch dunkel ist, alles, was Licht anzünden kann, und lehre die Kinder, statt der Barmherzigkeit mit jedem Geschöpf, dunkle Sprüche.

SATAN.
Und weiter hast Du nichts gethan?
SEBUB.

Ich habe in einem großen Lande eine Christenverfolgung hervorgebracht, und aus einem kleinen fromme Menschen um der Religion willen vertreiben lassen.

SATAN.
Fahre fort!
[49]
SEBUB.
Ich habe in einem Lande der Freiheit eine Zauberinn –
SATAN.

Eine Zauberinn? Eine nur? Schweig, Elender! Dies war Dein ganzes Geschäft: und Du wagtest, vor mir zu erscheinen? Wo ist meine Inquisition? wo sind die Tausende von Scheiterhaufen, die der Hölle entgegen dampften? wo sind die Religionskriege? Rede, Elender! Hast Du nur einen Philipp, nur einen Alba erschaffen? Und Du, mein geliebter Torquemala, soll Dein Andenken ganz vergessen seyn? O was habe ich sehen müssen! Duldung blüht auf meiner Erde auf; die Religionen leben friedlich unter einander, und die unterirrdischen Martergewölbe –

SEBUB.
Höre mich, Satan; in Portugal, und –
SATAN.

Schweig, Nichtswürdiger! Ich will das Jammergeschrei gemarterter Menschen nicht von den Grenzen der Welttheile allein, ich will es von allen Gefilden der Erde erschallen hören! Ich will einen Hildebrand, einen Alexander den Sechsten an der Spitze der Religion sehen! Und was muß ich jetzt erblicken? Geh! Du bist unwürdig Deines Fürstenthums, und ich entsetze Dich desselben im Angesichte der Hölle. Belial, ich sann auf einen Lohn für Dich; ich habe ihn gesunden. [50] Sei fortan der Beherrscher Sebubs, treibe sein Werk, und erschaffe von neuem, was er vernichten ließ! Du aber Sebub, hebe Dich sogleich weg aus meinem Angesichte, daß mein Grimm nicht über Dich komme. Sebub fährt mit Geheul durch die Luft hinweg.

ABDON.
Ich zittre, Satan, und vermag kaum, meine Thaten zu erzählen.
SATAN.

Erzähle sie, und fürchte nichts! Sebub hat seit den vorigen Jahrhunderten schon meine Rache verdient; Du aber warst immer mein Getreuer, und erschufst an jedem Tage tausendfache Qualen für die Sterblichen.

ABDON.

Ja Satan, das that ich, ich der Schöpfer des Hungers, der Blöße, und alles Jammers, den der Mangel hervorbringt. Du weißt, der Ewige hat die Erde so seegensreich erschaffen, daß zwiefach so viel Sterbliche, als sie jetzt trägt, in Fülle darauf leben könnten. Aber vernimm mein Wort, und staune! Das Menschengeschlecht darbt mitten im Ueberflusse, es steht in einem Meer, und durstet; so weit hab' ich's gebracht!

SATAN.
Und Du zittertest, zu reden? Das durftest Du nicht! Du bist ein großer, weit herrschender Geist!
BELIAL.

Rühme ihn nicht, Satan! er hat [51] dies nur im Bunde mit den Fürsten und Gewaltigen, die ich beherrsche, vermogt.

ABDON.

Schweig, Neidischer, und schau die Selbstmörder auf jenen Gefilden! Ihre zahllose Schaar ist durch mich zu uns herabgestiegen. Ich habe sie durch Mangel und Elend und Jammer gepeitscht, bis des Lebens Becher glühend an ihren Lippen ward, und sie ihn voll Verzweiflung hinweg schleuderten. Höre mich Satan! Ein kleiner Theil von Sterblichen schwelgt auf der Erde; die übrigen Millionen nagt der eiserne Mangel, und saugt das Blut aus ihren Adern. Und weißt Du, wie ich dies vollbringe?

SATAN.
Erzähl' es laut, Abdon! Ich selber kann von Dir lernen.
ABDON.

Wenn der Krieg wütet, so laß ich den Seegen der Erndten wechselseitig, dringt der Feind heran, in Flammen auflodern, oder in die Tiefe der Wasser versenken. Ich verblende die Augen der Kriegenden, daß sie durch keinen Vertrag der Vernichtung wehren. Ich gewinne die Besitzer der Erde, daß sie ihre Schätze auf Kornböden vermodern lassen, um damit zu wuchern; ich lehre die Fürsten, ihre Grenzen bewachen, damit die Fülle des einen Landes nicht in das andere hinüberfließe, und gebe die Gesetze in die Hand derer, welche die[52] Gefilde der Erde besitzen, Sieh, Satan, so können wenig Mächtige durch Hunger das Mark eines ganzen Volks aussaugen.

SATAN.

Ihr habt mich entzückt, Fürsten der Hölle, und ich vermag mich nicht länger zu halten. Vernehmt nun auch, was ich that, ich, der das Ganze beherrscht, und in alle seine Theile eingreift. Vernehmts und staunt! In einem Lande der Erde wollte Freiheit aufblühen, und brach unaufhaltsam mit einer Kraft hervor, wie sie noch nie in unsrer Welt erschien. Freiheit, wißt ihr, macht das Menschengeschlecht edler und göttlicher; sollte ichs dulden? Unterdeß die Erde staunte, unterdeß die Sterblichen sich in dem Trank berauschten, und selbst die Monarchen entzückt waren, verfälschte ich ihn, und goß Gift aus der Hölle hinzu. Da standen die Leidenschaften wie Ungewitter gegen einander auf, da hob die Zwietracht gräßlich ihr Haupt empor, da wurden mitten im Jubel der Freiheit Greuel begangen, wie kaum die Sclaverei sie hervor zu bringen vermag.

MAGOG.
Du bist ein erhabner Geist, Satan, Du entflammst zu großen, geheimnißvollen Thaten.
BELIAL.

Ja, Satan, Du bist würdig, die [53] Hölle zu beherrschen, und Geister an Deinem Thron zu sehen, wie wir sind,

SATAN.

Vernehmt weiter, was ich that. Ich erweckte unter den Sterblichen eine Anzahl Seelen, die in den Geheimnissen der Hölle eingeweiht waren, die nach Blut und Grausamkeit dursteten. Kommt hervor ihr Schatten, und zeigt euch meinen Fürsten!Drei dunkle Schatten kommen unter Geheul aus dem Hintergrunde hervor. Seht, dies sind drei von meinen Geweihten, die den Quell der Freiheit vergiftet haben. Robespierre, Marat, und Collot d'Herbois war ihr Name auf der Erde, Ich biete euch Trotz, ihr Fürsten der Hölle, grausamer, als sie zu seyn. Die grauen Haare des Alters, das Lächeln der Kindheit, die Schönheit des Weibes, der Geist des Mannes, nichts vermogte sie zu rühren. O es war eine gräßliche Freude für mich, als sie mir täglich Ströme von Blut opferten, als das Wasser und die Erde ihre Greuel sah, als die Sterblichen vor der Freiheit zu schaudern begannen, und die schönste Tochter des Himmels auf ewig gebrandmarkt ward.


Die Satane erheben ein wildes Jubelgeschrei; großer Fürst der Hölle, erhabner Monarch! schallt daraus hervor.
ABDON.

Wir staunen Deine Größe von Ferne [54] an, Satanas, und vermögen sie kaum zu fassen! Selbst der Ewige muß Dich bewundern, und sein Reich durch Dich beengt fühlen.

SATAN.

Ja, das muß er, und ich schwöre bei meiner ewigen Herrschaft, es immer mehr zu beengen. Seht, jene schwachen Sterblichen haben mit mir gegen ihn gekämpft. Schaut sie an!


Schaut die gräßlichen Despoten,
Ueberall von Menschenblut beträuft!
Um sie liegen hundert tausend Todten
Zum Gerichtstag furchtbar aufgehäuft.

Schaut sie an, und heißt sie willkommen!
DIE SATANE.
Willkommen in der Hölle, willkommen, ihr Schatten, in Satans Behausung.
MAGOG.
Willkommen, ihr Todten, in unserm Bund!
Es lechze die Zung, es lechze der Schlund!
Es heule nun ewig der geifernde Mund.

Die Schatten heulen.
SATAN.

Erhebt euch itzt fort aus unserm Angesicht, und stürzt euch wieder in den Pfuhl der Verzweiflung! Die Schatten schweben unter Geheul zur Vertiefung der Hölle, und versinken allda. Ihr aber, mächtige Mitstreiter in meinem Reiche, vernehmt weiter, was ich that. Aus dem Blute der Unterthanen [55] ließ ich Königsmord hervorgehen, aus dem Königsmord einen schrecklichen blutigen Krieg, der einen ganzen Welttheil erschütterte. Nun ist die Freiheit vor der ganzen Erde gräßlich entstellt, nun zittern Herrscher und Beherrschte, wenn ihr Name genannt wird, nun wird sie ewig das Menschengeschlecht nicht veredeln. Das habe ich gethan!

DIE SATANE.
Es herrsche Satan, er herrsche ewig, ewig, ewig!
SATAN.

Ich erzähle nicht weiter, was ich in diesem Jahrhundert vollbrachte, nicht, wie ich den Thron der Fürsten mit einer ewigen Wolke umgab, daß sie nie ihre Unterthanen sahen, nicht, wie ich den Pfad der Gerechtigkeit so dornigt machte, daß tausende lieber Unrecht duldeten, als Hülfe bei ihr suchten, nicht, wie ich die Rettung der Sclaven in den heissen Welttheilen durch meine Geweihten hintertrieb; alles dies verschweige ich. Aber was ich jetzt thun will, das muß ich euch entdecken. Steht auf. Ich will etwas vollbringen, was die Erde, und die Hölle noch nie sah, was die Bewohner der Erde nur träumten, um uns Menschen zu opfern: ich will einen Sterblichen so weit bringen, daß er einen Bund mit mir macht.

DIE SATANE.
Das kannst Du nicht. Satan!
[56]
SATAN.

Das kann ich nicht? Seht, Geister, das Hohngelächter des untersten Pöbels in der Hölle will ich werden, wenn ich nicht vollende was ich beschloß. Ich habe mein großes Geschäft schon begonnen, schon den Sterblichen mir ausgewählt, der auf der Erde noch mein werden soll. Zweifelt ihr? Mit allen Leidenschaften, mit Haß, mit Liebe, mit Rachsucht, mit Furcht, mit Ehrgeitz, mit Gelddurst, mit Hofnungslosigkeit, mit Verzweiflung will ich ihn so lange geißeln, bis er den Ewigen verläßt, bis er Hülfe bei mir sucht, und ihn dann, wenn er den Becher aller Laster ausgeleert hat, im Triumph hieher führen.

BELIAL.

Vermagst Du dies zu vollenden, Satan, so wird Dein Name groß vor der ganzen Hölle seyn, und in alle Ewigkeit wird man dieser That gedenken.

SATAN
setzt sich.
Redet nun, ihr kleinen Geister! Melech was hast Du auf der Erde vollbracht?
MELECH.

Ich habe Männer erschaffen, die den Jungfrauen ihre Unschuld, und den Frauen ihre Ehre raubten; ich habe Weiber mit schönem Antlitz und ohne Herzen hervorgebracht, die eine Geißel für das männliche Geschlecht wurden.

SATAN.
Gog, was thatest Du?
[57]
GOG.

Ich habe über einen Sterblichen, den keine Verführung, keine Lockung des Bösen zu besiegen vermogte, so viel Leiden, so viel Elend gebracht, daß er sich vor Verzweiflung dem Laster in die Arme warf, um Lindrung zu finden.

SATAN.
Was waren Deine Geschäfte, Dragon?
DRAGON.

Ich habe einem Mächtigen alles Gute, was er that, mit so viel Undank lohnen lassen, daß er geschworen hat –


Ein langer durchdringender Donner erschallt, und die Hölle fängt an zu beben.
SATAN.

Was hör ich? Horcht! was ist das? Weh uns! Der Ewige geht durch die Schöpfung und kömmt bei der Hölle vorbei. Der Donner schallt stärker. Ja, es ist der Ewige; ich kenne sein Wandeln im Raume der Unendlichkeit. Flieht, ihr Geister, verbergt euch in die Klüfte der Hölle. Die Hölle wird heftiger erschüttert, die Satane beginnen ein Geheul, und fahren hinweg. Satan sinkt hinunter. sein Thron bricht über ihn ein, und die Felsen der Hölle stürzen unter Donnerschlägen zusammen.

[58]
2. Auftritt [2]
Zweiter Auftritt
Zimmer in Fausts Hause. Wagner kömmt gedankenvoll mit Hut und Stock herein, sieht sich um, und legt beides ab.

Schon als Knaben schreckten mich fürchterliche Träume; auch dem Jüngling hat das rollende oder stockende Blut oft in der Mitternacht schwer das Herz umlagert. Aber einen so drückenden, seelenangreifenden Traum hatte ich noch nie. Und dieser Traum mußte grade Dir gelten, Faust! Was steht Dir bevor, was macht mich so ängstlich um Dich?Lehnt den Kopf gedankenvoll an die Wand.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Mariane. Wagner.

MARIANE
im Hereintreten.

Ich habe doch jemanden kommen hören. – Sieh da, Wagner! Begrüßen sich. das war eine gedankenvolle Stellung!

WAGNER.
Ich bin es wirklich.
MARIANE.
Nun, und warum?
[59]
WAGNER.
Eine große Kleinigkeit hat mich so tiefsinnig gemacht: ein Traum.
MARIANE.
Erzählen Sie ihn; ich verstehe mich etwas auf das Deuten der Träume.
WAGNER.

Er ist nicht von der gewöhnlichen Art. Hören Sie, aber deuten Sie nicht! Ich war nicht auf der Erde, sondern in einem Winkel des unermeßlichen Raums, wohin kaum noch ein Strahl von einem Stern reichte, und hatte nur einen Freund bei mir. Wir irrten in den unendlichen Leeren bangsam herum, und waren beide nur mit einigen Fäden an die Schöpfung gebunden; ich zitterte, daß sie reißen und wir in den Abgrund versinken mögten.

MARIANE.
Das ist ein seltsamer, hochfliegender Traum!
WAGNER.

Ja, er war seltsam und bedeutungsvoll. Plötzlich befand ich mich mit meinem Freunde an den Pforten der Hölle, die wie ein grenzenloses Ungeheuer einen weiten Rachen mit vorschießender Gluth gegen uns aufsperrte. Meine Angst stieg höher, und mit Entsetzen sah ich, daß mein Freund an den Fäden, die von ihm zur Schöpfung hinüberliefen, heftig riß. Scheußliche Fantomen, die ihn umschwebten, vermogten ihn dazu, und ein Faden nach dem andern ward zersprengt. [60] Ich stand wie angewurzelt, und vermogte nicht ihm zu helfen. Endlich zerriß der einzige letzte Faden, und mit namenlosem Grauen sah ich meinen Freund in den feurigen Schlund hinunterstürzen. In demselben Augenblicke fühlte ich mich, wie durch einen unendlichen Schwung, in die Schöpfung zurückgeführt, und erwachte in kaltem Angstschweiß.

MARIANE.
Das ist wirklich ein schrecklicher Traum. Kannten Sie den Freund nicht?
WAGNER.
Nein!
MARIANE.

Ich wollte, Sie hätten mir nichts erzählt; der Traum vermehrt meine Bangigkeit. Erfahren Sie, Wagner, daß kein bloßer Traum, daß die Wirklichkeit mich sehr unglücklich macht. Mein Gemahl, mein sonst so wohlwollender, freundlicher Faust, ist ein ganz andrer Mann geworden; kalt, auffahrend, tiefsinnig, und mürrisch vorzüglich gegen mich: so seh ich ihn täglich.

WAGNER.
Eilen Sie, aufs Land zu kommen; Sie hält ja nichts mehr zurück.
MARIANE.

Uns hält nichts mehr; mein Mann hat eine ehrenvolle Entlassung aus seinem Amte erhalten, und wir könnten sogleich abreisen. [61] Aber er zögert, Gott weiß warum? Und meine Kinder – o Wagner, ich bin sehr unglücklich! Legt ihren Kopf auf seine Schulter.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Faust der hereingetreten ist und die letzten Worte gehört hatte. Die Vorigen auseinander fahrend, als sie seine Stimme hören.

FAUST.

Unglücklich? Warum bist Du unglücklich? und welche Vertraulichkeit? Soll ich Dich auch von dieser Seite kennen lernen?

MARIANE.
Ich verstehe diese Worte nicht, und will ihrem Sinne nicht nachspühren.
FAUST.

Ich will ihn Dir sagen: es ist nicht fein, daß ein Weib sich unglücklich nenne, und an einen andern Mann sich anschmiege.

WAGNER.
Ich verkenne Dich, Faust!
FAUST.

Verkenne die Weiber nur nicht auch! Sie schleichen sich bald in das Herz der Männer ein, verheirathete, und unverheirathete; und diese hier macht keine Ausnahme.

MARIANE
mit Würde.
Nein Faust, das ertrage [62] ich nicht! Sei kalt, sei zurückstoßend, aber zweifle nie an meiner Ehre!
FAUST.

Auch dann nicht, wenn ich Dich an dem Busen eines andern finde, wenn Du bei dem Ton meiner Stimme schnell von ihm zurückfährst?

WAGNER.

Um Gotteswillen Faust, welche Gedanken steigen in Dir auf! Du irrst mehr, als je ein Sterblicher geirrt hat.

FAUST.

Du magst unschuldig seyn, Wagner, aber Du kennst die Weiber nicht. Sie lieben die Abwechselung, und die meinige, seh ich, gehört zu dem gewöhnlichen Schlage; sie sucht sich einen andern.

MARIANE.

O mein Gott, das ist schrecklich! diese Worte sind Dolchstiche für mich, und ich kann sie nicht länger anhören. Helfen Sie mir, Wagner!Schwankt ohnmächtig nach der Thür.

WAGNER
indem er sie langsam hinausführt.

Faust, Du versündigst Dich ohne Maaß, ohne Ziel an Deinem edlen guten Weibe, Draussen. Lisette! Hülfe!

[63]
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
FAUST
allein.

Ich habe sie fürchterlich gekränkt. Aber was soll ich beginnen? Ich kann nicht anders, nein, ich kann nicht anders! Warum hat das Schicksal mich auf immer an sie gekettet? Warum länger, als mein Herz an ihr hängt? Sie hat es nicht zu erhalten vermogt, und ich bin unschuldig, daß es jetzt einer andern gehört. Sie ist meine schrecklichste Feindinn geworden! Sie tritt zwischen mich und Paulina, sie ist das unübersteiglichste Hinderniß, daß Paulina nicht mein werden kann! Soll ich die Gelegenheit nicht ergreifen, es hinweg zu schaffen? Soll Mariane an meiner Seite bleiben, und das himmlische Mädchen auf ewig von mir verscheuchen? Nein, ich muß sie besitzen, und wenn der Erdball sich dazwischen lagerte! Wie mein Herz ihr entgegen fliegt! Sieht nach der Uhr. bald kömmt die Stunde, wo ich sie sehen darf. Hin an den Ort, den ihre Gegenwart heiligen wird! Ab.

[64]
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Zimmer im Wirthshause. Spieler an einem Tisch im Hintergrunde. Xaver unter ihnen, pointirt. Man hört die gewöhnlichen Spielerausdrücke, und bemerkt die Ausbrüche der Leidenschaften. Nach einer Weile tritt Xaver, blaß und unordentlich im Anzuge, mit seinem Spielfreunde Stup vom Tische weg.

XAVER.

Wieder verloren! Das ist erschrecklich! Nun sind die hundert Ducaten auch weg, die ich von dem Juden Nathan habe. Stup, ich bin ganz rasend, ich möchte mir eine Kugel durch den Kopf schießen.

STUP.
Sage: va banque! Entweder nichts, oder alles!
XAVER.
Soll ich?
STUP.
Thu es! Dein Vater ist reich; was kümmerst Du Dich, um die Paar hundert Louisd'or mehr oder weniger.
XAVER
tritt zu dem Tische zurück und sagt: va banque! Aller Augen richten sich auf ihn.
BANQUIER.
Wer sagt: va banque?
XAVER.
Ich.
BANQUIER.
Wer sind Sie?
[65]
XAVER.
Ich heiße Xaver Faust, und meinen Vater kennt jedermann,
BANQUIER.
Den reichen Faust? Nun gut! Wirft die Karten herum. Ich gewinne!
XAVER
vom Tische zurückfahrend.
O mein Gott!
BANQUIER.
Was ist?
XAVER.
Ich habe so viel Geld nicht bei mir.
BANQUIER.
Was? Und sagen: va banque? Und wollen meine Casse sprengen? Unwilliges Gemurmel gegen Xaver.
XAVER.
Ich werde bezahlen!
BANQUIER.

Das hoffe ich auch. Papier und Feder!Der Marqueur bringt es; er schreibt. Hier, mein Herr, unterschreiben Sie. In diesem Beutel sind 230 Louisd'or, in jenem 200, und hier liegen 90 auf dem Tische, machen 520 zusammen. Hier! Xaver unterschreibt, und reißt seinen Freund Stup an der Hand mit sich fort.

XAVER.
Ich bin verloren, ich bin voll Verzweiflung, ich wollte, daß mich die Erde verschlänge!
STUP.

Ei warum nicht gar! Dein Vater kann bezahlen; der hat Geld genug. Komm! Du hast heute Unglück! Wir müssen uns erholen. Komm mit zur Lothringischen Caroline! Nicht wahr, bei dem Mädchen vergißt man alles?

[66]
XAVER.
Ja, zur Lothringischen Caroline! Komm, komm! Ich muß mich erholen! Beide ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Theodoras Zimmer. Theodora kommt etwas blaß herein und trocknet sich die Augen. Ihr ist bei der ganzen Unterredung das Weinen nahe. Lisette folgt ihr.

THEODORA.

Laß mich nicht allein, Lisette! Es liegt mir so schwer auf dem Herzen, als wenn ich einen Mord begangen hätte.

LISETTE.
Sie sind gar zu gewissenhaft; was kümmern Sie sich doch?
THEODORA.

Kein Kummer, kein Schmerz kann gerechter seyn, als der meinige. Ich vermag nicht länger zu schweigen, ich muß mich Dir entdecken; es bricht mir sonst das Herz. Lisette, was ich verloren habe, das findet man nie wieder.

LISETTE.
Ich verstehe; aber was ist das weiter? Viel tausend Mädchen haben eben das verloren.
THEODORA.

Ich weiß noch mehr; höre mir aufmerksam zu. Der, welcher mein Herz, meine Unschuld, meine Ehre geraubt hat, ist der Sohn [67] von dem Todfeinde meines Vaters, ist der Sohn Rochus.

LISETTE.

Er ist auch zugleich Ihr Bräutigam, und das wird zur Versöhnung führen. Eilen Sie nur, daß Ihre Vermählung zu Stande kömmt; es mag im Stillen seyn, oder öffentlich.

THEODORA.

Höre nun das Schrecklichste! Moritz, dieser einschmeichelnde Jüngling, der mein Herz so unwiderstehlich an sich gerissen hat, der mich so unendlich zu lieben schien, dieser Moritz ist kalt gegen mich geworden.

LISETTE.
Das giebt Ihnen Ihre traurige Stimmung nur ein.
THEODORA.

O nein, es ist die traurige Wirklichkeit. Und wem soll ich mich entdecken? Meiner Mutter? Ach, sie ist ohnehin schon so unglücklich, und ich würde ihr einen neuen Dolch ins Herz stoßen. Meinem Vater? O Gott, er würde mich umbringen! Nur Dir, Lisette, kann ich mein Herz öffnen. Komm mit in den Garten, wo er sich zum erstenmal an mich schmiegte, wo ich den Gott der Liebe zu besitzen wähnte, wo ich mich ihm auf ewig hingab; komm, ich muß mich ausweinen. Geht mit gesenktem Haupte ab.

[68]
8. Auftritt
Achter Auftritt
Oeffentlicher Spaziergang. Faust und Paulina treten auf.

FAUST.
Wenn alle Kronen der Erde auf der einen Seite lägen, und Paulina auf der andern, ich wählte Paulina.
PAULINA.
Sehr schmeichelhaft, aber bedeutungslos in dem Munde eines Mannes, der eine Gattinn besitzt.
FAUST.

Bedeutungslos? O warlich, es soll bedeutend werden, Paulina! nichts auf Erden kann mich glücklich machen, als Ihr Besitz.

PAULINA.

So etwas darf ich nicht anhören. Sagen Sie dies Ihrer Gattinn; auf deren Besitz dürfen Sie rechnen, und ihr gehört das Herz, über welches Sie hier bestimmen wollen.

FAUST.

Ihr? Nein, so wahr mir Gott helfe, ihr gehört es nicht mehr! Ihnen, göttliche Paulina, gehört es nur allein, und ewig wird es das Ihrige bleiben. Sollte es sich loswinden, es würde bis zur letzten Faser zerrissen werden, und mich tödten.

PAULINA.
Noch einmal: solche Worte kann ich von einem verheiratheten Manne nicht anhören.
FAUST.
Ich werde es nicht lange mehr seyn.
[69]
PAULINA.
Das sollte mir leid thun.
FAUST.
Was soll ich beginnen?
PAULINA.
Ihre Leidenschaft bekämpfen.
FAUST.

Das vermag ich nicht, und wenn Himmel und Erde sich dagegen auflehnten. Ich habe gekämpft, schrecklich gekämpft, als ich vernahm, mein Todfeind sey der Vater meiner Geliebten; ich habe fürchterlich gekämpft, als meine Gattinn, meine Kinder vor meinem Geist aufstiegen. Aber ich bin zu schwach. Ein Gedanke an diese himmlische Gestalt hat alle meine Entschlüsse vernichtet. Als Jüngling, als achtzehnjähriger Jüngling habe ich nicht so feurig geliebt, und selbst der Ewige dort oben kann nun das Toben in meinem Busen nicht mehr stillen.

PAULINA.
Aber wie soll denn dies enden?
FAUST.

Durch Besitz. Ich will mich trennen von meiner Gattinn, ich will Paulinen alles zum Opfer bringen, ich will ihr meinen ganzen Reichthum zu Füßen legen; nur ein Wort wünsche ich vorher aus diesem himmlischen Munde zu hören, das Wort: Liebe.

PAULINA.
Dies Wort kann nur dann gefordert werden, wenn ein Mann nicht mehr an eine Gattinn gebunden ist.
FAUST.

Nein, Paulina, ich fordre es vorher. [70] Alles, was das Glück meines Lebens machte, meinen ganzen Himmel will ich wegwerfen; soll ich nicht wissen, ob ich einen neuen hoffen darf?

PAULINA.

Schonen Sie die weibliche Schüchternheit! Wie soll mein Mund gestehen, daß ich einen verheiratheten Mann liebe?

FAUST.

Englisches Geschöpf! ein Strahl von Hoffnung leuchtet mir, wie vom Himmel herunter. Werden Sie ihn lieben, wenn er es nicht mehr ist? Erbarmen Sie sich meiner tödtenden Zweifel, reden Sie!

PAULINA
mit niedergeschlagenem Blick.
Ich werde ihn lieben.
FAUST.

Nun wohl, so habe ich meinen Himmel erobert! Ich gehe nun, ihn zu verdienen, und der Gottheit, die ich anbete, meine Opfer zu bringen. Aber unser Bund ist noch nicht besiegelt; darf ich ihm das heilige Siegel aufdrücken? Paulina steht verschämt da. Faust umarmt sie, und giebt ihr einen feurigen Kuß. Nun lebe wohl, Königinn Deines Geschlechts! bald bist Du ewig mein!

[71]
9. Auftritt
Neunter Auftritt
PAULINA
allein.

Lieben lassen sollte ich mich, sagte mein Vater, bis zur Raserei lieben lassen, und nicht wieder lieben? Das ist sehr schwer. Mein Herz klopft heftig; kann ich dies Klopfen bei ihm verantworten? Ich spiele meine Rolle nur halb, oder vielmehr, ich füge noch eine Hälfte hinzu. Das wilde Feuer, die Jünglingskraft, die Zuversichtlichkeit dieses Mannes, sind mächtige Werber für ihn. Ich fühle es, ich habe meine Rolle vergessen. Oder spiele ich sie vielleicht nicht besser, als selbst mein Vater wollte? Wird ihm ein so reicher Gatte für seine Tochter unwillkommen seyn? Nein, ich kenne ihn zu gut! Dies kann zur Versöhnung führen, zur Wiederherstellung unsers verlornen Vermögens. Ein köstlicher Gedanke! Ich muß ihn meinem Vater mittheilen, ich muß Gewißheit haben. Ab.

[72]
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Zimmer in Rochus Hause. Rochus. Moritz.

ROCHUS.

Es freut mich, mein Sohn, daß Du so weit gekommen bist. Mein Zutrauen zu Deiner Gewandheit ist nicht getäuscht.

MORITZ.

Rein, wahrlich nicht. Ich will das alte veni, vidi, vici! nicht wiederholen, aber hier ist es eingetroffen. Itzt bin ich im Rückzuge, und halb ist die Verlassene schon zur Verzweiflung gebracht; ein Wink von Ihnen, und sie ist es ganz, sammt ihrem Vater.

ROCHUS.
Jammert sie Dich nicht etwas?
MORITZ.
Das wohl; aber ich habe einmal mein Wort gegeben, und ich werde es zu halten wissen.
ROCHUS.
Wenn ich Dich nun davon entbände?
MORITZ.
Wie? Hätten sich Ihre Entschlüsse geändert?
ROCHUS.

Mein Sohn, es giebt vielerlei Dinge, die uns im Leben bestimmen müssen, es ist nicht die Rachsucht allein. Jetzt sage ich Dir nur, daß Deine schöne Theodora die Erbinn eines großen Vermögens ist.

MORITZ.
Allerdings.
[73]
ROCHUS.
Der Vater würde sie Dir nie gegeben haben, wenn sie nicht so weit gebracht wäre; jetzt muß er.
MORITZ.

Freilich muß er, ich habe einen mächtigen Fürsprecher in Theodora selber. Die Furcht vor der Schande ist stark.

ROCHUS.

Höre noch eins, mein Sohn! Seitdem ich weiß, daß der alte Faust so sterblich verliebt in Paulina ist, hat sich der erste Sturm der Rachsucht in meinem Herzen gelegt. Es schmeichelt mir, daß selbst mein Todfeind ihren Reizen nicht widerstehen konnte. Mag sie von ihm zu erlangen suchen, was sie kann, mag sie unser verlornes Eigenthum wieder zurückbringen!

MORITZ.
Sie sind ein heller, weitschauender Mann, dessen Pläne immer das Gepräge der Reifheit tragen.
ROCHUS.

Komm jetzt zu Paulina! Wir wollen ihr unsre Gedanken mittheilen. Sie ist ein kluges Mädchen, sie wird mit einstimmen. Beide ab.

Ein Sturmwind saust, und nachher hört man die Stimme Satanas von oben erschallen. Versöhnung? Liebe? Vermählung am Altar? Ein Hohngelächter. Nein! Rachsucht, Haß, Blut, und Vermählung mit der Hölle! Ein neues Sausen.

[74]
11. Auftritt
Eilfter Auftritt
Zimmer in Fausts Hause.

FAUST
allein, geht unruhig umher.

Ich muß es zu Ende bringen, oder es bricht mir das Herz. Sie ist nun genug vorbereitet. Noch einige heiße Augenblicke, und es ist vorüber. Muth, Faust! Ich muß so handeln. Mein ganzes Lebensglück steht auf dem Spiele. Soll ich es verlieren? Was soll einer Frau ein Mann, dessen Herz sie nicht mehr besitzt? Ich muß mich trennen von ihr, das ist Pflicht. Sie selber gewinnt dabei, denn wie unglücklich würde sie von nun an bey mir seyn. Um ihretwillen muß ich mich von ihr trennen. Mariane tritt ein.

MARIANE.
Du hast mich rufen lassen?
FAUST.
Ich habe Dich rufen lassen, um Dich zum letztenmal zu sehen.
MARIANE.
Zum letztenmal?
FAUST.
Ja, Wenn wir uns zum letztenmal sehen, so wird die Trennung uns um so leichter.
MARIANE.
Trennung?
FAUST.
Ja, Mariane, wir müssen uns trennen; unser beider Glück fordert es.
MARIANE.

Wohin deutet dies? Welch ein [75] Dämon hat Dein Herz erfüllt? Mit gefalteten Händen umhergehend. Es ist also wahr, es ist keine fürchterliche Einbildung, die mich quält, ich erblicke die schauderhafte Würklichkeit! Sich umwendend. Von einem Weibe willst Du Dich trennen, das neunzehn Jahr friedlich mit Dir lebte? Und das so grundlos?

FAUST.
Du hast einen andern gefunden, der Dir gefällt, und –
MARIANE.

Nein, Faust, kein Wort weiter! Dies greift mir zu tief ans Herz. Verstoße mich, lebe mit einer andern, aber bürde mir nichts auf, woran mein Herz nicht dachte!

FAUST.
Du machst es mir sehr schwer, was zu unser beider Wohl ist. Hast Du mich denn lieb?
MARIANE.
Diese Frage kann ich Dir jetzt nicht beantworten, da mein Herz gebrochen ist.
FAUST.

Wenn Du mich lieb hast, so zeige es! Ich werde hinfort höchst unglücklich mit Dir seyn, Du mit mir, wohlan, wir wollen diesem entgehen, wir wollen uns trennen.

MARIANE.
Und unsre Kinder?
FAUST.
Ich will für sie, ich will für Dich sorgen; Dir soll nie etwas mangeln. Nur Trennung, Trennung!
MARIANE.
Kömmt dies aus der Tiefe Deines Herzens, und ist es unwiderruflich?
[76]
FAUST.
Unwiderruflich! Ich kann nie wieder glücklich mit Dir seyn, nie!
MARIANE.

Wohlan, so sey es mit einer andern! Ich will diesen bittern Kelch trinken, ich will mein Leben im Stillen verweinen. Ich küsse meine Kinder noch einmal, und verlasse Dein Haus. Auch sollst Du unsre Trennung nicht erzwingen, nicht erkaufen durch Geld; ich will sie Dir leicht machen. Geh, und sage, daß unüberwindliche Abneigung von beiden Seiten uns scheide, und die Gerichte werden Deinen Willen thun. Ab.

FAUST
allein.

Es ist ein großes, edles Weib! Nur Paulina konnte sie verdrängen, nur Paulina! Gottlob, daß es überwunden ist! Sey ruhig mein Herz! Ich will sie glücklich machen, ich will sie mit Wagnern verheirathen. Und nun Eile, Eile, daß es vollendet werde! Ab.

12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Wagner. Rudolph.

WAGNER
im Hereintreten.
Komm Rudolph, hier sind wir allein; ich will mit keinem andern reden, als mit Dir.
[77]
RUDOLPH.
Es muß etwas Wichtiges seyn; Sie sind sehr unruhig.
WAGNER.
Nicht wahr, Rudolph, Du hast Deinem Herrn von Jugend auf gedient?
RUDOLPH.
Ja, das habe ich.
WAGNER.
Du weißt auch um manche von seinen Geheimnissen, und darfst treuherzig mit ihm reden.
RUDOLPH.
Ja das darf ich, und er hatschon oft stundenlang mit mir gesprochen.
WAGNER.
Hättest Du wohl das Herz, ihm eine Hiobspost zu bringen?
RUDOLPH.

Eine Hiobspost? Ach, das würde ich ungern thun; er ist jetzt ohnedieß so wunderlich, wie er noch nie war.

WAGNER.
Aber es muß seyn, er muß es wissen.
RUDOLPH.
Was ist es denn? Wenn es nur nicht gar zu schlimm lautet.
WAGNER.

Es lautet sehr schlimm. Der Sachwalter des Rochus, dessen Vermögen an Deinen Herrn gekommen ist, hat ein verlohrnes wichtiges Document in seiner Sache wieder gefunden, will den Prozeß von neuem anfangen, und hofft, ihn nun zu gewinnen.

RUDOLPH.
Ach, daß Gott erbarm! Nein, [78] das kann ich ihm nicht sagen, und wenn Sie mich todt machen wollten.
WAGNER.

Aber er wird es ja doch erfahren. In kurzem werden es ihm die Gerichte bekannt machen, und vielleicht läßt sich noch etwas vorbeugen.

RUDOLPH.

Nein, ich kann es ihm nicht sagen! Er wird wahnsinnig, wenn er es hört; denn er ist es jetzt schon halb. Ich kann nicht, ich kann nicht! Ab.

WAGNER.

Ich auch nicht. Alles will ich für einen Freund thun, nur keine unglückliche Bothschaft ihm hinterbringen. O Faust, Faust! Es ist, als wenn ein böser Geist mit einem guten um deine Seele gewürfelt, und sie ihm abgenommen hätte. Ab.


Ein scharfes Sausen erschallt, und nachher hört man ein Hohngelächter Satans.

Ende des zweiten Acts.
[79]

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
FAUST
allein in seinem Zimmer; tiefsinnig und gebeugt, in seinem Armstuhl sitzend.

Ich lebe hier wie ein Uhu, allein und verscheucht in einem Winkel; nein, nicht wie ein Uhu; er ist nur am Tage scheu, ich am Tage und in der Nacht. Ich lebe hier wie in der Hölle. Steht auf. Ja, dieser fürchterliche Prozeß ist eine Hölle für mich. O Rochus, Rochus, Teufel! willst du den letzten Blutstropfen aus meinen Adern saugen? Bin ich nur hoch gehoben, um in einen desto tiefern Abgrund zu stürzen? Ewiger, das sind tief ausgesonnene, sinnreich erhöhte Qualen, die ich dulden muß! Du hast mich von einem Gebürgsgipsel eine reizende Aussicht erblicken lassen, um mich am Fuße desselben auf spitzen Felsen zu zerschmettern. Was habe ich gethan, daß ich so gequält werde? [80] Und hätte ich der Frevel viele begangen, eine solche Rache ziemt dem Allgütigen nicht; sie ist wie aus der Hölle genommen.

Die Furcht, dieses gräßlichste aller Seelenleiden, foltert mich unaufhörlich und trinkt meine Lebenskraft. Was bin ich, wenn die Richter gegen mich entscheiden? Ein Bettler, ein verhöhnter Bettler. Und sie werden gegen mich entscheiden; das furchtbare Gerücht schleicht schon, wie eine Pest, zu meinem Ohr. O Paulina, Du bist der einzige Stern, der mir in dieser schwarzen Finsterniß leuchtet! Du liebst mich! – dieser Gedanke allein kann meiner Seele die Klarheit wieder geben.

Ich will mich erholen, ich will meine Kinder sehn! Meine Kinder? – O Xaver, mein Sohn, mein Sohn, was bist Du geworden? Ich will ihn dennoch sehen! Er war lange genug aus meinem Antlitz verbannt. Rudolph, Rudolph! Rudolph kömmt. Geh, rufe Xaver!

RUDOLPH.
Sogleich. Ab.
FAUST.

Mein Herz öffnet sich zum Vergeben; ich will dem Triebe folgen. Es ist doch süßer, zu lieben, als zu hassen.

[81]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Xaver, blaß, entstellt, schwankend, tritt ein. Faust.

FAUST
ihn schmerzlich betrachtend.

Unglücklicher, bist Du es, bist Du mein Xaver? Ich vermag Dich kaum zu erkennen. Rede mit mir, damit ich fühle, Du seyst mein Sohn.

XAVER
mit entkräfteter, feinkreischender Stimme.
Ich bin sehr krank, mein Vater, und kann Ihnen keine Freude machen.
FAUST.

Auch Deine Stimme erkenne ich nicht mehr. Wandelndes Gerippe, wer bist Du? O Gott, deine Hand liegt schwer auf mir! Bist Du mein Sohn? Unglücklicher, ich wollte Dich an mein Herz drücken, ich wollte Dir vergeben, und meine kranke Seele erquicken; aber Du bist ein Gespenst, Du bist nur der Leichnam von meinem Sohne, und ich bebe vor Deiner Gestalt zurück. Gehe, geh, mein Herz ist schon genug zerrissen.

XAVER
sinkt auf die Knie.

Vergebung mein Vater, Vergebung! Ich bin ein armer Verführter, der die Schuld seines Elends nicht allein trägt. Ach, Sie wissen nicht, wie man diese Seele, diesen Körper so künstlich gebrandmarkt hat.

[82]
FAUST.

Dieß jammervolle Wesen verdient Mitleid, auch wenn es Entschuldigungen lügen sollte. Rede, Du Armer, wie hat man Dich verführt?

XAVER.

Ich bin nur das Werkzeug der Rache in den Händen anderer gewesen. Ein Unmensch, mein Vater, hat mich sinnreich und stufenweise vom Spiele zum Trunke, vom Trunke zur Wollust, und von der Wollust zu diesem Grade des Elends leiten lassen. Jetzt weiß ich alles. Ich bin das unschuldige Opfer einer gräßlichen Rachsucht.

FAUST.
Steh auf, Du Bedauernswürdiger, Hebt ihn auf. und erzähle mir alles. Wer war dieser Unmensch?
XAVER.

Ein Todfeind von Ihnen, mein Vater, der durch den Sohn das Herz des Vaters zerreißen wollte. Es war Rochus. Rochus hat mich in diesen Abgrund gestürzt, um sich an Ihnen zu rächen. Sie sind selber der schuldlose Grund, daß ich so elend bin.

FAUST.

Was hör' ich? Allmächtiger, Ewiger! Aber lügst Du auch nicht, Elender, um die Last Deiner Schuld auf andere zu wälzen?

XAVER.

In dieser Tiefe des Elends lügt man nicht mehr. Wagner weiß, daß mein Mund nur gräßliche Wahrheit spricht; er hat der greulichen [83] That bis zu ihrem giftigen Quell nachgespührt, und sie entdeckt. Ich lüge nicht, aber ich schreie Weh über den fürchterlichen Rochus aus, der mich so elend gemacht hat.

FAUST.

Schreie ein tausendfaches, ein unendliches Weh über ihn aus! Ich will mit Dir schreien, bis es an aller Herzen dringt, bis das Haar des Greises sich vor diesem Teufel sträubt, und die Knaben mit lautem Angstgewimmer vor seinem Anblicke fliehen. Sinkt in einen Stuhl. Ach, Luft, Luft! Pause der Betäubung. Xaver steht mit gefalteten Händen da. Es ist mir so schwarz vor den Augen, so finster, so blutig! Wo bin ich denn, und was wollte ich? – Ja, ich wollte mich über meine Kinder freuen. Ha, ha, ha! Steht auf. Bist Du noch da, Sohn des Jammers? Was willst Du hier? –

XAVER.

Vergebung, mein Vater! Ich bin ja blos das Geschoß, das Sie verwundete; ich bin selbst dabei zermalmt worden.

FAUST.
Das Geschoß? Ja, Du warst ein scharfes Geschoß!
XAVER.
Ich kann nicht eher von hinnen gehen, bis Sie mir vergeben haben.
FAUST.

Vergeben? Das kann ich ja wohl! Vergeben ist ein seltsames Wort! So klein, so unbedeutend! Ja, mein Sohn, vergeben will ich [84] Dir; ich muß ja dem dort oben vergeben, was er an mir that, aber küssen kann ich Dich nicht. Sieh, ich hatte eine offne schmerzende Wunde; Du bist gekommen, und hast Gift hinein geträufelt, und dies brennt nun wie höllisches Feuer in meinem Innern. Aber vergeben will ich Dir. Geh, geh, und warte nicht! Von der Vergebung bis zum Kuß ist ein weiter Weg. Du siehst so bleifarben aus, so verzerrt, Du bist ein Sohn des Rochus. Geh, ich bitte Dich! Rudolph soll die Aerzte rufen; sie können Roth aufkleben,

XAVER.
Ach Gott, das ist schrecklich! Wär ich doch nicht gekommen! Wankt fort.
FAUST
allein.

Wo ist Theodora? – Nein, ich will sie nicht sehen! Ich will beten. In einem finstern Winkel will ich mich hinwerfen und beten. Wagner hat's gesagt; Wagner ist ein weissagender, ahnungsvoller Nachtrabe. Ihm muß man folgen. Aber ich will beten, daß dies alles nicht so bleibe, daß vorüber gehe dieser Kelch, ohne Zeit und Ewigkeit zu vergiften. Ab.

[85]
3. Auftritt.
Dritter Auftritt.
Zimmer in Rochus Hause. Rochus, Moritz, Paulina, traurig bei einer weiblichen Arbeit sitzend.

ROCHUS.
Mein Werk ist vollbracht; und das Deinige?
MORITZ.

Wird es seyn, so bald Sie es wollen. Ich bin des Mädchens satt, übersatt ihres Gewimmers, und unerträglich wird mir längere Verstellung. Ich muß ihr Endurtheil aussprechen.

ROCHUS.

Noch nicht, mein Sohn. Noch ist es nicht ganz entschieden, ob sie eine Bettlerinn wird; aber dann, dann! – O mein Zorn ist wieder fürchterlich gereizt worden; Faust hat noch einmal alle Ränke aufgeboten mir mein Vermögen zu rauben, hat mich noch einmal alle Qualen des verzögerten Rechts empfinden lassen. Aber bald wird der Ausspruch des Richters mich in mein entwandtes Eigenthum wieder einsetzen, und dann will ich den Becher der Rache bis auf den letzten Tropfen leeren. Ich kenne keine Schonung, keine Barmherzigkeit mehr, und meine Kinder müssen die Hand bieten ihren tiefgekränkten Vater zu rächen.

MORITZ.
Ich bin zu allem bereit, mein Vater, [86] ich brenne selbst vor Haß gegen den stolzen Faust.
ROCHUS.
Auch meine Paulina muß bereit seyn, die Schmach ihres Vaters zu rächen.
PAULINA.
Was begehren Sie von mir, was soll ich thun?
ROCHUS.

Den Todfeind Deines Vaters mit lautem Hohngelächter zurückstoßen, wenn er von Liebe, von Vermählung spricht, und ihn eine Dirne auf der Straße suchen heißen.

PAULINA.
O mein Gott, wie kann ich das jetzt? Sie haben ja selber mir befohlen, ihn zu lieben.
ROCHUS.

Jezt befehle ich Dir, ihn zu hassen. Der Bettler Faust, mit zwei geschändeten Kindern, die so alt als Paulina sind, ist kein Gatte für ein Mädchen, das Anspruch auf die ersten Jünglinge des Landes machen kann.

PAULINA.
Es ist ja noch nicht entschieden, ob er ein Bettler seyn wird.
ROCHUS.

Er wird es seyn! Ich rede nie früher von wichtigen Dingen, als bis ich Sicherheit darin habe. Widersprich mir nicht länger, Paulina. Sieh diese grauen Haare; Faust hat sie in kurzer Zeit grau gemacht! Sieh diese Furchen auf meiner Stirn; sie sind in Monaten tiefer geworden, [87] als sie sonst in Jahren werden! Fluch muß ich dem Kinde geben, das sich an meinen Todfeind hangen könnte.

MORITZ.

Um Gotteswillen, Schwester, mache Deinen Vater und mich nicht unglücklich, jetzt, da unser Glück so nahe ist.

PAULINA.

Nun wohl! Ich will mein Herz, das ich auf Befehl gab, auf Befehl losreißen; aber höhnen kann ich ihn nicht.

ROCHUS.

Ich bin zufrieden, ich erkenne meine gehorsame Tochter wieder; alles übrige werde ich veranstalten. Du sollst nichts, als ihn hieher bescheiden, wenn ich es wünsche, und ihm sagen, daß Du seine Gattinn nicht werden kannst.

EIN BEDIENTER
tritt ein.
Es sind Gerichtsdiener im Hause, die das Endurtheil des Prozesses bringen.
ROCHUS.
Kommt Kinder, um Gotteswillen, kommt mit mir! Alle drei eilend ab.
[88]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Zimmer in Fausts Hause. Theodora kömmt niedergeschlagen mit Lisetten herein.

THEODORA.

Ueberall gehe ich umher, und finde nirgends Ruhe. O Lisette, wie ist es in wenigen Monaten so ganz anders mit mir geworden! Meine Mutter ist verloren, mein Vater tief zur Erde gebeugt, mein Bruder ein elender Siechling, und ich? Allmächtiger, was bin ich?

LISETTE.
Nicht so traurig, liebe Mamsell! Es wird alles gut werden.
THEODORA.

Auf Deine Worte kann ich nicht hören; o hätte ich nie darauf gehört! sieh, so wäre diese Wange nicht so bleich, dies Auge nicht so verweint. Ich dulde Dich jezt nur um mich, weil ich kein Wesen habe, in dessen Busen ich mein geängstetes Herz ausschütten könnte; aber Du bist die Schlange, die mein Leben vergiftet hat.

LISETTE.

O mein Gott, wer konnte denn wissen, daß es so kommen würde? und es ist ja noch nicht alles verloren, er liebt Sie ja noch.

THEODORA.

Er liebt mich noch? Sage dies noch einmal Lisette, wenn Du es auch nicht glaubst,[89] wenn es auch nicht wahr ist; die bloßen Worte sind so schön. Ach, ein ganzer Himmel läge darin, wenn sie Wahrheit enthielten. Wäre doch die Stunde schon da, wo er kommen wird! Ich will heute den lezten Angriff auf sein Herz machen, ich will mich aus dieser marternden Ungewißheit loswinden, ich will ihm sagen, was mein Mund sich zu sagen weigert; was meine Wangen mit glühender Schaamröthe färbt. – Ich habe auch hier keine Ruhe. Komm Lisette, in den Garten. Ich will so lange wild darin herumlaufen, bis er kömmt. Beide ab.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Wagner, Rudolph, kommen herein.

WAGNER
ängstlich.
Wo ist dein Herr?
RUDOLPH.
In einsamen Zimmern, in finstern Winkeln, wo sonst niemand hinkömmt.
WAGNER.
Redet er nicht mit Dir?
RUDOLPH.
Mit mir nicht, aber mit sich selber.
WAGNER.
Steh ihm bei, Rudolph, Es wartet noch etwas Schreckliches auf ihn.
[90]
RUDOLPH.
Gott erbarme sich, was denn?
WAGNER.

Er verliert seinen Prozeß, und sein ganzes Vermögen. In wenigen Minuten wird er die Nachricht davon erhalten. Dann steh Du ihm bei, wenn er Hülfe bedarf.

RUDOLPH.
Allmächtiger Gott, was wird daraus werden?
WAGNER.

Wenn die erste Wuth des Schmerzes vorüber ist, dann will ich wieder kommen, und die Linderung des Trostes in sein Herz zu gießen suchen. Jezt eil' ich fort. Ich kann unmöglich zugegen seyn, wenn das ganze Gebäude seines künftigen Glücks so schrecklich zertrümmert wird. Ab.

RUDOLPH.
Ich auch nicht; um alles in der Welt nicht! Ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
FAUST
kömmt langsam und tiefsinnig.

Fünf Sinne trägt der sterbliche Wurm hienieden zur Empfindung der Lust an seinem Körper, tausend für den Schmerz. – Wenn's nun mit der Seele auch so wäre? – Dann dürften wir dem der uns schuf, nicht viel Dank wissen! – Und es [91] mag wohl so seyn. Der Duft der Rose ergötzt minder, als ihr Dorn verwundet; der Schmerz ist rein und ganz, die Freude nie. Ich weiß auch recht gut, warum das alles so geschieht, ich habe es in der Jugend schon gelernt: die Erde ist verflucht, und die Menschen sind's auch. Darum nistelt das Unglück sich so leicht ein. Bei mir hat sich's tief eingenistelt, und wuchert nun weiter, wie ein Krebsschaden um sich frißt. – Ich möchte gern reden mit dem dort oben, der das alles lenkt, und uns unser Schicksal zuwiegt; aber er antwortet mir nicht, wenn ich auch noch so laut schreie. – Ach, es ist hart, daß er nicht antwortet, keinem antwortet, auch dem nicht, der mit blutendem Herzen ihn anfleht. – Mir war sonst so wohl in diesem Zimmer, jetzt ist mir so bange darin. Wenn nur alles erst vorbei wäre, wenn ich nur den letzten Stoß erst empfangen hätte! Soll denn der Missethäter noch auf den Gnadenstoß warten? – Ich kann hier nicht bleiben, ich muß fort. Ruhe, Ruhe, wo bist Du?

[92]
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Ein Garten. Thedora, Moritz.

THEODORA.
Das ist sehr bitter.
MORITZ.
Es ziemt einem Mädchen nicht, immer nur vom Heirathen zu reden.
THEODORA.

Auch dann nicht, wenn sie mit dem spricht, der ihr ewige Treue, ewige Liebe schwur? Auch dann nicht, wenn die Stimme der Natur, der Ehre, des Gewissens sie laut dazu anmahnt?

MORITZ.

Ich weiß nicht, wie man so stark auf Heirath dringen kann! So etwas läßt sich nicht zwingen; vielleicht mit der Zeit.

THEODORA.

Um Gotteswillen, wohin deutet dies schreckliche Vielleicht? Ist hier ein Vielleicht möglich? Moritz, Moritz, dies Wort stößt einen Dolch in mein Herz.

MORITZ.

Was winselst Du doch über ein Wort, und was ist es denn weiter? Wir haben uns geliebt, wir haben uns genossen, müssen wir uns deshalb gleich heirathen?

THEODORA.

Ewiger, Allmächtiger, was muß ich hören? Wankt und hält sich an einem Baum. [93] Ich kann nicht mehr! – Moritz, ich muß Dir alles sagen, auch wenn mein Mund und mein Herz sich laut dagegen empören; Moritz, höre das schreckliche Wort: ich bin Mutter, ich trage das Pfand unsrer Liebe –

MORITZ.
Was? – Das ist nicht von mir, Dirne, Du hast es mit einem andern gehalten!
THEODORA
auf die Knie sinkend.

Um Gottes Barmherzigkeit willen tödte mich, Ungeheuer, aber mit Einem Stoß, nicht so langsam! Treuloser Bösewicht, mich hat nie ein andrer Mann berührt!

MORITZ.

Schmähst Du noch, freches Geschöpf? Du machst es mir leicht, Dich zu verstoßen. Geh zu Deinem Vater, ehrlose Dirne, und sage ihm, der Sohn des Rochus hätte seine Lust mit Dir gebüßt, aber heirathen möchte er eine Geschändete nicht!Ab, Theodora stürzt mit einem Schrei auf das Angesicht nieder. Lisette kömmt ihr zu Hülfe herbeigelaufen. Der Vorhang vor dem Hintergrunde fällt.

[94]
8. Auftritt
Achter Auftritt
Zimmer in Fausts Hause.

FAUST
kömmt wieder in sich vertieft gegangen.

Nun ist kein Oertchen im Hause, wo ich nicht war; aber das Oertchen der Ruhe habe ich nicht gefunden. Es muß schwer zu finden seyn. – Ich weiß doch, wo es ist: zehn Spannen tief in der Erde, wo es mit einem Rasenhügel bedeckt wird. Wer doch da wäre, wer doch ruhig einschlafen, und nicht wieder erwachen könnte! Ich möchte mich so gern in die Erde verbergen; denn mir graut vor dem, was mich auf derselben erwartet.

EIN JUDE
kömmt mit Büchern in dem Arme.
Da bring ich Bücherla zum Schacher.
FAUST.
Hast Du keinen Schlaf zu verkaufen?
JUDE.
Herr, es ist etwas Rares, wie's im ganzen Lande nicht mehr gefunden wird.
FAUST.
Hast Du keinen Schlaf zu verkaufen?
JUDE.

Ei ja wohl! Aus diesen Büchern läßt sich alles nehmen: Schlaf, Ruhe, Geld, Vergnügen! Schauen Sie nur auf! Hier ist Salomons Schlüssel; etwas kostbares, mit keinem Gelde zu bezahlen! Hier habe ich den Planetengeist, hier ist [95] Albertus magnus, und dies ist der Geisterzwang. Herr, aus der Hölle kommen die Geister, wenn Sie darin lesen!

FAUST.
Aus der Hölle sagst Du? Was willst Du haben?
JUDE.
Drei Ducaten, aber so wahr der Herr lebt, keinen Heller weniger.
FAUST
besieht das Buch.

Hier hast Du Geld, nun geh! Für sich. Ich muß eilend kaufen, morgen möchte ich nicht bezahlen können.

JUDE.
Ade Herr! Viel Glück und Seegen! Ab.
FAUST.

Geister aus der Hölle? die kann ich brauchen; besser wie Menschen. Zieht ein Papier aus der Tasche, und küßt es. Du, und dies Buch hier, ihr seyd nun mein einziger Trost!

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Theodora kömmt langsam herein, kniet hin, und hält ein Tuch vor die Augen. Lisette. Faust.

FAUST.
Was bedeutet dies? was will meine Tochter? Pause. Rede Mädchen, was weinst Du?
[96]
THEODORA.
Erbarmen, mein Vater, Gnade, Vergebung!
FAUST.

Theodora, was fehlt Dir? Rede geschwind. Das Warten auf etwas Böses ist ein zweischneidiges Schwerdt, das alle Gebeine durchdringt.

THEODORA.
Ich bin ein armes geschwächtes und verlaßnes Mädchen.
FAUST.
Geschwächt, und verlassen? –
LISETTE.
Ach Gott, ja, ihr Geliebter hat sie schändlich verlassen.
FAUST.
Ihr Geliebter? Bist Du wahnsinnig?
THEODORA.

Ach, mein Vater, ich bin fürchterlich gemißhandelt worden, und verdiene Barmherzigkeit. Ein listiger Verführer hat sich in mein Herz eingeschlichen, hat mich in einen Abgrund von Schande gestürzt, und mich dann schrecklich verstoßen.

FAUST.

Theodora! Theodora! Auch Du? – O nein, das ist eine teuflische Lüge! – Meine sittsame, unschuldige Theodora kann kein ehrloses Geschöpf seyn.

THEODORA.

O weh mir, ich bin es! – Erbarmen mein Vater! Ich muß alles sagen; es will mir das Herz brechen! Ich bin entehrt, ich bin Mutter!

FAUST.

Allmächtiger! Du hast Deine Pfeile [97] auf mich gerichtet, und deinen Bogen fürchterlich gegen mich gespannt. Mädchen, wiederrufe, zerreiße mein wundes Herz nicht ganz!

THEODORA
zieht einen Dolch hervor, und giebt ihm denselben.

Ich flehe um den Tod, ich bin müde in dieser Schmach zu leben, ich bin gesättigt von Schande und Gram.

FAUST.

Muß ich Dir glauben, Unglückliche? Muß ich das Mährchen aus der Hölle für wahr halten? – O so gebe der Ewige mir Kraft, daß es nicht blutig, nicht schrecklich ende! Es erheben sich entsetzliche Gedanken in meiner Seele. Unglückliche, wer ist Dein Verführer?

THEODORA.
Ich kann es nicht aussprechen; ich kann den Namen des heuchlerischen Bösewichts nicht nennen!
FAUST.
Rede Du, Lisette, ich will alles wissen!
LISETTE
weinend.

Haben Sie doch Barmherzigkeit mit ihr. Er hat es schrecklich mit ihr gemacht. Erst hat er ihr die Ehe versprochen, und sie verführt; hernach als sie Mutter war, hat er sie als eine Ehrlose von sich gestoßen, und ihr geheißen, es ihrem Vater zu klagen.

FAUST.
Hölle, und Teufel, wer ist der Bösewicht? Rede, oder Du bist des Todes!
[98]
LISETTE.

Es ist Moritz der Sohn des Rochus. Theodora stürzt mit einem Schrei auf das Angesicht, Faust sinkt in einen Stuhl zurück. Ach das Gott erbarm; sie sind beide todt. Was soll ich anfangen?Richtet Theodora auf, welche die Hände gegen ihren Vater ausstreckt.

FAUST
sich besinnend.

Ich bin wach, ich lebe; ja, es ist wahr! Da liegt sie, die Verworfene! Steht auf. Kommt herbei, ihr Väter und Mütter, kommt herbei ihr Söhne und Töchter, und vernehmt die Schandthat! Kommt nicht herbei, lernt keine Greuel der Hölle kennen! Die Natur ist aus dem Gleise getreten, die Kinder sind Dolche in der Hand eines Teufels geworden, um ihren Vater – zu tödten? – Nein, um ihn mit tausend Stichen bis ans Ende des Lebens zu martern, zu martern, zu foltern, bissenweise sein Fleisch zu essen. – Ich dürste nach Blut! – Fort von hier, Sünderinn, daß nicht Kindermord das erste auf meiner Schuldrechnung werde! Fort!Hebt den Dolch gegen sie auf. Lisette reißt Theodora mit sich fort.

THEODORA.
O weh mir, weh mir! Ab mit Lisette.
[99]
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Faust allein.

FAUST
voll Verzweiflung.

Rochus! Rochus! – Ein großer Name! Größer, als Satan, als alle Namen der Hölle! Wie er da brennt vor meinen Augen, wie er da glüht in meinem Herzen! – Rochus, Du kennst das Leben der Seele. Du hast es getroffen! – Aber ich schwöre bei dem ewigen Rächer, ich will es auch treffen! – Leiht ihr Geister des Abgrunds mir eure Rache! Ein Sterblicher hat euch zu Schanden gemacht; ihr seyd Knaben gegen ihn.

RUDOLPH
bringt ein versiegeltes Paket.

Ein Gerichtsdiener hat dies hier abgegeben. Siehst Faust schüchtern an, und eilt schnell wieder fort.

FAUST
hält das Paket.

Ich kenne dich; du bist ein zerrißner Faden der mich an die Seligkeit der Erde band. – Der Erde allein? – O weh! auch vielleicht des Himmels! Erbricht das Paket und liest; bald darauf ein Hohngelächter. Ha, ha, ha! – Da steht er, der Bettler! Der bestohlne, der niedergeschmetterte, der gebrandmarkte Bettler! – O wär ich so arm, als ich von Mutterleibe kam, ich wär ein König. Ich bin mehr als arm! Mein [100] Ausstattung in dies Leben ist mir gestohlen. – Das ist ein großer Diebstahl! – Weib, Kinder, Ehre, Brod, Frieden der Seele, alles ist hin; ich habe einen Tausch gemacht: Elend, Rachsucht, Verzweiflung, und unbefriedigte Liebe sind dagegen eingekehrt; ha, ha, ha! Ein herrlicher Tausch!

11. Auftritt
Eilfter Auftritt
Wagner. Faust.

WAGNER.
Faust der Glückliche war mir theuer, auch zu Faust dem sehr Unglücklichen neigt sich mein Herz.
FAUST
ihn vor die Brust fassend.
Wagner was willst Du hier? Fort, fort aus diesem Hause des Jammers!
WAGNER.
Besinne Dich, Faust; warum willst Du Deinen Freund von Dir stoßen?
FAUST.

Meinen Freund? Ich bitte Dich, geh! Willst Du eine Ausnahme von der Regel machen? Willst Du im Unglück aushalten? Das soll nicht seyn.

WAGNER.
Bedarfst Du keines Freundes im Unglück?
[101]
FAUST.

Nein. Ich will alles verloren haben, alles! Nichts soll mir übrig bleiben! – Ein Freund im Unglück, o das ist etwas zu Großes, zu Erhabenes, das soll nicht auf der Rechnung stehen, die ich bei dem Ewigen habe! – Geh, Wagner!

WAGNER.
Nein, ich gehe nicht.
FAUST.

So will ich Dich verscheuchen! Vielleicht weißt Du noch nicht alles. Sieh, Wagner, ich bin ein Bettler; da liegt das Papier, das mich dazu macht. Es wird keine fette Mahlzeit mehr bei mir aufgetragen, es perlt kein Champagner mehr im Glase. – Gehst Du noch nicht?

WAGNER.
O das ist schrecklich!
FAUST.

Nein, Wagner, bei mir sind keine Rosen mehr zu brechen. Daß mein Sohn durch die Hand Rochus an Leib und Seele gebrandmarkt ist, weißt Du, aber ich habe Dir noch etwas Fürchterliches ins Ohr zu kreischen, das Du nicht weißt: meine Tochter ist von seinem Sohn entehrt, zur Mutter gemacht, und dann von ihm als eine schändliche Dirne verstoßen.

WAGNER.
Gott, was hör' ich! –
FAUST
O ich habe Dir viel Herzerfreuliches zu sagen.

Sieh, in diesem Hause schleicht von nun an der Jammer, der Harm, die Verzweiflung wie eine Pest umher, und vergiftet alles, was [102] über die Schwelle tritt! Sieh, der Ewige hat alle Fäden zerrissen, mit welchen ich an ihn gebunden war.

WAGNER
für sich.
Allmächtiger Gott, mein Traum!
FAUST.

Nein, sie sind noch nicht alle zerrissen, einer hält noch fest; Zieht ein Papier hervor. hier ist er! Paulina, Paulina! O dieser einzige kann alle andre wieder anknüpfen! Wähnst Du mich unglücklich, Wagner? Schau her! Paulina, hat mich zu sich beschieden; sie wird sich mit mir vermählen. – Dagegen schwindet aller Jammer, wie der Brand der Pechfackel vor dem Sonnenlichte. – Die Stunde ist da, ich muß hin zu ihr. Eilt fort.

WAGNER.
Um Gotteswillen nicht in dieser Stimmung! Faust, Faust, höre! Eilt ihm nach.
12. Auftritt.
Zwölfter Auftritt.
Zimmer in Rochus Hause. Rochus. Paulina weinend.

ROCHUS.

Thörichtes Mädchen! Wie kann es Dir so schwer werden, einen Bettler zu verlassen; Dir, auf welche die reichsten und schönsten Jünglinge harren.

[103]
PAULINA.

Keiner von ihnen, mein Vater, liegt mir so nahe am Herzen, als Faust, der zum erstenmal die Empfindung der Liebe in mir erweckt hat.

ROCHUS.

Laß mich das Wort nie wieder aus Deinem Munde hören. Ich befehle Dir als tiefgekränkter Vater, von meinem Todfeinde zu lassen, oder Dich nicht mehr meine Tochter zu nennen.

PAULINA.

Ich will folgen, ich will dem Unglücklichen den letzten Dolch ins Herz stoßen; aber meine Brust ist mit ahnungsvoller Bangigkeit erfüllt.

ROCHUS.

Sie wird sich verlieren, so bald ein würdigerer Geliebter darin Platz genommen hat. Du bist ein unerfahrnes Mädchen, Du hast noch nicht viel Männer gesehen. Sieht durch das Fenster. Da kömmt er. Thue nun Deine Pflicht, wofern Du noch länger meine Tochter seyn willst. Tritt in ein Nebenzimmer. Paulina geht ängstlich umher.

[104]
13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Faust. Paulina.

FAUST.

Ich komme zu dem, was ich auf der Welt allein noch habe, zu Ihnen, Paulina, mein Einziges, mein Alles, um eine Labung in der heißen Sandwüste zu finden, worin ich wandle. Sie verhüllt sich das Gesicht und weint. Was weint meine Paulina? Was ist ihr wiederfahren? Weinen Sie es aus an meinem Busen. Will sie umarmen.

PAULINA.
Lassen Sie mich! das darf ich nicht zugeben.
FAUST.
Hat die Liebe ihr heiliges Recht verloren?
PAULINA.
Sie hat es; eine traurige Pflicht gebietet mir –
FAUST.

Weh wir! Wohin deutet dies? O nein; meine Versprochene, meine verlobte Braut will mich nur prüfen, was ich sagen werde, wenn sie mich bange macht.

PAULINA.
Wollte Gott, daß ich in diesem schrecklichen Augenblicke zu scherzen vermögte; nein Faust –
FAUST.

O ja! Es ist Scherz! Paulina will die Todtenblässe nur sehen, die in mein Angesicht [105] hinaussteigt, will sich nur an dem Ausbruche der Verzweiflung weiden, die mein Inneres ergreift.

PAULINA
weint heftiger.
Verwunden Sie mein Herz nicht tiefer; ich vermag nicht zu helfen. Mein Vater will es, wir müssen –
FAUST.

Um Gottes Barmherzigkeit willen sprich das Wort nicht aus, Mädchen! Es hängt mehr daran, als Dein Herz zu ahnen, als Dein Geist zu fassen vermag.

PAULINA.
O mein Gott, was soll ich beginnen?
FAUST
kniet nieder.

Paulina, das Glück der Liebe ist groß, es wiegt alle Schätze der Erde auf, und bedarf nur wenig; folge ihm, folge Deinem Herzen!

PAULINA.
Ach Gott, ich kann nicht, ich darf nicht!
FAUST.

Paulina, in Deinen Mund ist ein großer Urtheilsspruch gelegt; er entscheidet nicht über die Zeit, sondern über die Ewigkeit. Raube dem Himmel keine Seele! Paulina, ich beschwöre Dich bei Deiner und meiner Seligkeit. –

[106]
14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Rochus tritt hastig herein. Die Vorigen.

ROCHUS.

Was will der Bettler von meiner Tochter, was untersteht sich der verabscheuungswürdige Faust? Fort aus meinem Hause!

FAUST.
Was seh ich, was hör ich?
ROCHUS.
Fort, Elender, aus meinem Hause, oder ich lasse Dich hinauswerfen!
FAUST.
Teufel, ich zermalme Dich! Bösewicht aus der Hölle! –
ROCHUS.

Hülfe, Hülfe, kommt herbei! Moritz, und mehrere Bedienten treten herein, ergreifen Faust, und stoßen ihn hinaus. Fort mit Dir, Elender! Raffe Dir eine Dirne von der Straße auf, die ist für Dich, nicht meine Tochter!

15. Auftritt
Funfzehnter Auftritt
Kleines Stübchen mit ärmlichem Geräthe.

MARIANE
kömmt herein und trägt einen Stickrahm.

Es ist sehr traurig von allem getrennt zu seyn was uns theuer war, von allem, was das Glück [107] unsers Lebens ausmachte. Ich bin es! Mir ist nichts übrig geblieben, als das quälende Andenken an ehmalige Freuden. Ich habe viel, sehr viel verloren: einen Gatten, Kinder, Ehre, Ruhe, Vermögen; ich habe nichts, als diese schwachen weiblichen Hände, die so wenig zu erwerben vermögen. Aber ich will nicht untersinken in diesen Fluten des Unglücks. Es ist wahr, sie gehen mir bis an die Seele; aber ich will Muth fassen! Ein alter Weiser sagt, daß ein tugendhafter Mann, der muthig gegen das Unglück kämpft, selbst den Göttern ein großes Schauspiel wäre; sollte ihnen ein Weib dies nicht auch seyn? – Ich will dulden, was ich kann. Das Leben ist ja nur eine Spanne lang. Wagner tritt herein.

16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt
Wagner. Mariane.

WAGNER.
Arme, unglückliche Mariane, in welchem Zustande muß ich Sie hier finden!
MARIANE.

Bedauern Sie mich nicht in diesem Augenblicke, wo eine angenehme Empfindung in mir erwacht, wo ich sehe, daß Sie auch im Unglücke[108] mich nicht verlassen. In meiner Lage ist man so dankbar gegen alles Gute das uns wiederfährt.

WAGNER.
O daß ich Ihnen zu helfen vermögte! Ich kann Ihnen nichts bringen, als einen Freund.
MARIANE.

Das ist sehr viel; und Sie können noch mehr, Sie können mir Nachricht bringen von meinem Gatten, von meinen Kindern.

WAGNER.
Nachricht wol, aber traurige.
MARIANE.

O das traurigste weiß ich schon; ich weiß, daß unser Prozeß verloren, daß unser Xaver in einen Abgrund von Elend gestürzt ist.

WAGNER.

Und dennoch wissen Sie noch nicht alles. Mariane, es giebt Menschen auf der Erde, die mit dem Teufel um den Preis der Bosheit und Rachsucht streiten, und diese Menschen haben an dem Verderben Ihrer Familie gearbeitet.

MARIANE.
Allmächtiger Gott, was werde ich noch hören müssen?
WAGNER.

Stellen Sie sich nichts zu fürchterliches vor; nur in dem einen Gedanken suchen Sie sich zu finden, daß Sie nicht mehr viel Freude an Ihren Kindern erleben werden.

MARIANE.
Also auch meine Theodora? O Gott, sagen Sie geschwind, was ist mit ihr?
[109]
WAGNER.
Ich will Sie nicht lange durch Ungewißheit quälen: Theodora ist verführt.
MARIANE.
Verführt? Um Gotteswillen, wie ist das möglich, von wem ist sie verführt?
WAGNER.

Ich will Ihnen alles sagen; Rochus, dieser entsetzliche Mensch hat sich nicht begnügt den unglücklichen Xaver ins Verderben zu stürzen; auch Theodora ist in seine Schlingen gefallen. Sein Sohn Moritz, dieser schöne aber lasterhafte Bube, hat sie auf sein Anstiften verführen, und nun, da sie Mutter ist, von sich stoßen müssen.

MARIANE.

Barmherziger Gott, gieb mir Kraft, den Glauben an deine Vorsehung zu behalten; er wankt fürchterlich! Wie hat dein Blitz ruhen, dein Donner schweigen können?

WAGNER.

Er wird nicht ewig schweigen. Verzweifeln Sie nicht an der Gerechtigkeit Gottes, und lassen Sie Ihren Muth nicht ganz sinken. Ich habe Ihnen alles auf einmal gesagt, damit Ihnen der bittre Kelch nicht langsam und wiederholt gereicht würde.

MARIANE.
Warum kömmt die Unglückliche nicht zu mir?
WAGNER.
Sie wird kommen, um Trost an dem mütterlichen Busen zu suchen.
[110]
MARIANE.
Vernahm Faust die schreckliche Geschichte schon, und wie hat er sie ertragen?
WAGNER.

Er ist in Verzweiflung, hat in Verzweiflung die unglückliche Theodora von sich gestoßen. Für ihn zittre ich am meisten. Ist seine Liebe zu Paulina unglücklich, wenn er dann nur nicht den letzten traurigsten Schritt thut, und sein Leben endet.

MARIANE.

Eilen Sie zu ihm, erwecken Sie seinen Muth, retten Sie seine Seele! Noch seh ich keinen leitenden Faden, der aus diesem schrecklichen Labyrinthe führt; aber Gott wird uns ja nicht ganz verlassen.

17. Auftritt
Siebzehnter Auftritt
Theodora blaß und verweint, kömmt stumm herein, und schaut ihre Mutter mit flehendem Blick an.

MARIANE.
Ist dies Jammerbild meine Theodora? Ach, meine Tochter, wie bist Du so verändert in kurzer Zeit!
THEODORA.
Keinen Fluch, meine Mutter, Seegen, Erbarmen, und Vergebung!
MARIANE.

Ich will Dir nicht fluchen, unglückliches[111] Mädchen; diese bleiche Wange, dies thränenblutende Auge läßt keinen Zorn auflodern. O Theodora, auch ohne den Fluch Deiner Mutter ist Dein Daseyn jammervoll. Eine Lebenszeit vermag nicht abzuwischen, was ein Augenblick befleckt hat.

THEODORA.
Weh mir Unglücklichen! –
MARIANE.

Komm an das Herz Deiner Mutter, weine Deinen Jammer aus. Sie fallen sich einander in die Arme. Stumme Pause. Sage mir Theodora nun das einzige noch: liebst Du den, der Dich verführt hat?

THEODORA.
Ich liebe ihn unaussprechlich.
MARIANE.
Glaubst Du glücklich mit ihm seyn zu können?
THEODORA.
Ohne ihn mindestens nicht.
MARIANE.

Nun wohl, meine Tochter, fasse Muth! Die Gesetze werden Dir beistehen, und den Verführer zu seiner Pflicht rufen. Aber itzt muß ich mich im Freien erholen; im Zimmer ist mir so bange. Kommt ihr beiden übrig gebliebenen Theuren in mein Gärtchen hinab, der Abendluft zu genießen.

WAGNER.
Jetzt erst fühle ich Ihren Werth, Mariane; das Unglück prüft die Menschen. Alle drei ab.
[112]
18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt
Nacht. Zimmer Fausts. Er kömmt blaß, wild und starr mit einem Buch unter dem Arme herein, legt es auf den Tisch, und zeigt gen Himmel.

Der dort oben hat die Zügel der Weltregierung aus den Händen gelassen, und sie dem Teufel übergeben; bei diesem muß man Hülfe suchen, bei jenem nicht. Er mag nicht helfen. Ich habe gebetet, ich habe aus der Tiefe meines Herzens laut um Erbarmen geschrien; der niedrigste Sterbliche hätte sich erbarmt, der dort oben nicht. Auf jedes Gebet ist ein neuer Jammer, auf jedes Angstgeschrei ein neuer Dolchstoß gefolgt. Nun kann ich nicht mehr beten. – Im Himmel ist keine Rettung für mich, ich will sie in der Hölle suchen! Es müssen mächtige Geister seyn, die darin herrschen; denn sie treiben ihr Werk fürchterlich auf der Erde. – Zu euch wende ich mich, ihr der Gottheit feindlichen Mächte, um Rettung zu finden, Rettung aus diesem namenlosen Grauen! Ich komme nicht von selber; der Ewige hat mich gesandt, ausgestoßen aus seinem Reich; aufgewiegelt durch so vielen Jammer, als die menschliche Natur nicht zu ertragen vermag. – Helft mir, ihr gefallenen Geister, vernichtet [113] die Hölle, die in mir wütet, durch eine andre Hölle! – Naht sich dem Tische, auf welchem das Buch liegt. Was will ich beginnen? – wohin mich stürzen? – Nirgends hin! In einen tiefern Abgrund kann ich nicht fallen, als worin ich schon liege. Rochus, Paulina, Mariane, meine Kinder, alles fordert mich mit Jammergeschrei, oder mit Hohngelächter auf, Hülfe, Erbarmen, Rettung zu suchen, wo ich sie zu finden vermag. Der Ewige selber will es; ich folge seinem schrecklichen Rufe. Tritt an den Tisch und schlägt das Buch auf. Hier, hier ist der Scheideweg zwischen Himmel und Hölle, zwischen Zeit und Ewigkeit! – Ewigkeit? Nein, der Tausch ist jüdisch, auch in der Hölle jüdisch! So will ich's nicht! Eine Lebenszeit voll Hölle auf der Erde will ich gegen eine unter den Teufeln vertauschen. Anders nicht! – Glühende Rachsucht, glühende Liebe steht mir bei! – Liest in dem Buche. Hephata Gehenna! Ihr Pforten des Abgrunds öffnet euch! Steigt hervor ihr Mächte der Hölle; ein Sterblicher ruft euch! Hephata Gehenna!« Ein heftiges Sausen durchschallt die Luft. Ich zittre nicht, ich habe es angefangen, ich will es enden! Liest weiter. »Ihr Fürsten der Finsterniß, bei eurer Herrschaft in der Luft, unter den Himmeln beschwör' ich euch, erscheint mir! helft mir! Hephata Gehenna! Hephata Gehenna!« [114] Das Sausen wird stärker, und mitten unter demselben erscheint Satan mit einer Krone.

FAUST.
Wer bist Du?
SATAN.
Ich bin Satan, oberster Fürst der Hölle, siegreicher Beherrscher der Erde.
FAUST.
Willst Du mir dienen?
SATAN.
Ich will es, wofern Du es begehrst.
FAUST.
Kannst Du des Herzens glühende Rachsucht stillen?
SATAN.
Ich kann es.
FAUST.

Vermagst Du der Liebe Sturmgefühl zu befriedigen, und das Mädchen meiner Seele mir in die Arme zu liefern?

SATAN.
Das vermag ich.
FAUST.
Kannst Du in ein empörtes Herz der Ruhe Balsam gießen, und brennende Seelenwunden heilen?
SATAN.
Ein Fürst der Hölle vermag mehr als dies.
FAUST.
Hast Du des Reichthums Fülle in Deiner Macht, und kannst Du den Durst nach Golde stillen?
SATAN.

Ich kenne alle verborgenen Schätze der Erde, und vermag mehr zu geben, als je ein Sterblicher bedurfte.

[115]
FAUST.
Hast Du die Kraft, mich über Länder und Meere zu führen, und mir der Welt Herrlichkeit zu zeigen?
SATAN.

Ich schwinge mich in Augenblicken rings um den Erdball, und nehme jeden mit mir, der meines Schutzes genießt.

FAUST.
Vermagst Du Gesundheit zu verleihen?
SATAN.

Alle Heilkräuter der Erde kenn' ich, und kann dem Sterblichen Gesundheit und Lebenskraft bis zu dem Augenbicke seines Todes geben.

FAUST.
Willst Du mit allen diesen Kräften mir dienen?
SATAN.
Ich bin bereit dazu.
FAUST.
Was verlangst Du zum Lohne?
SATAN.
Sei der Meinige!
FAUST.
Auf wie lange?
SATAN.
Auf ewig.
FAUST.
Du forderst gräßlich. Ich will so lange der Deine seyn, als Du mir auf Erden gedient hast.
SATAN
reicht ihm ein Papier.
Unterschreibe!Drückt eine von seinen Krallen in Fausts Hand.
FAUST.
Ach! warum verwundest Du mich?
SATAN.
Du mußt mit Blut unterschreiben.
FAUST.

Ich unterschreibe, aber nicht auf [116] ewig. Ich will nur auf so viel Erdenjahre der Deine seyn, als Du mir hier dienst. Genügt Dir dies?

SATAN.
Ja! Unterschreibe nur! Faust unterschreibt, giebt es Satan.
FAUST
für sich.

O Ewiger, Du bist furchtbar! Du hast mich so weit gebracht, daß ich selbst vor dem Teufel nicht mehr zittre. Zu Satan. Leiste mir nun den ersten Dienst, und führe meinen Todfeind, den ich mehr als die Hölle hasse, führe den scheuslichen Rochus aus den Armen des Schlafs, gebunden an Händen und Füßen, hieher!

SATAN.
Ich bring' ihn Dir. Verschwindet.
FAUST.

Erwacht in mir, ihr tobenden Gefühle der Wuth! Lodre empor, flammende Rachsucht, durchdringe mein innerstes Wesen! Er hat meinen Sohn an Leib und Seele schändlich getödtet, er hat meine Tochter der Schmach und Schande Preis gegeben, er hat mich zum Bettler gemacht, hat meine Liebe zerstört, hat mein Herz unmenschlich zerfleischt, und mich mit Hohngelächter aus meinem Himmel gestoßen; komm nun Stunde der Vergeltung, Stunde der Rache! Sucht einen Dolch. Ich will deinen süßen Becher bis auf den letzten Tropfen leeren!Satan erscheint mit Rochus, der im Nachtkleide, und an Händen und Füßen gebunden ist, wirst ihn in einen Sessel, und tritt hinter ihn. Bist Du da [117] mit meinem Gast? Wohl! ich will einen Seelenschmaus halten.

ROCHUS.
Wo bin ich? – Was ist mir geschehen? – He! Robert! Jakob! – Wo bin ich denn?
FAUST.

In den Händen dessen, dem Du einen Himmel gestohlen, und eine Hölle zubereitet hast; in Fausts Händen!

ROCHUS.
Moritz, Paulina! helft mir!
FAUST.

Für Dich ist keine Hülfe mehr; Du bist in der Gewalt Deines Todfeindes, der eher dem Teufel hülfe, als Dir!

ROCHUS.
Weh mir! Hülfe, Hülfe! Will aufspringen, Faust stößt ihn in den Sessel zurück.
FAUST
zu Satan.
Feßle ihn! lähme seine Zunge, daß er nur winseln kann. Satan rührt ihn von hinten an.
ROCHUS.
Wie geschieht mir! Erbarmen, Erbarmen!
FAUST.

Hast Du Dich meiner erbarmt, hast Du Barmherzigkeit gehabt mit meinen schuldlosen Kindern? hast Du meiner Liebe geschont? Abschaum der Hölle, hast Du nicht jede Grausamkeit bis zu ihrer letzten Tiefe an mir erschöpft?

ROCHUS.
Ich will alles wieder ausgleichen, ich will Paulinens Hand, und ihr Vermögen –
[118]
FAUST.

Schweig Verworfener! Zu spät ist Deine Reue. Vernimm die Dinge die da kommen sollen, und bebe! Paulina geht mit mir zum Altar, und bringt mir alle Schätze zurück, die Du mir gestohlen hast. Moritz, dein Geliebter, dein Verbündeter, empfängt einen Trank, der ihn wahnsinnig macht, und vollbringt sein Leben an der Kette unter den Rasenden; Du aber stirbst hier in Verzweiflung und unter wütenden Schmerzen von meinen Händen.

ROCHUS.
Barmherziger Gott! errette mich nur noch einmal, ich will mein ganzes Leben –
FAUST.

Sieh, dieser Dolch soll in Deinem Busen wühlen, jedes Angstgeschrei soll mit einem neuen Stoß, jedes Zucken mit einem neuen gräßlichen Schmerz belohnt werden. Und wenn Du dann in Verzweiflung Deine Seele ausgehaucht hast, so soll Dein Leichnam mit diesem Dolch in der Hand auf sein Lager zurückgebracht werden, damit jedermann glaube, Du habest Dich aus Gewissensangst ermordet, und Dein Leib unter dem Rabensteine verwese! So rächt sich Faust!

ROCHUS.

O ihr ewigen Mächte des Himmels, rettet, rettet mich! Faust, gedenke an Deine Todesstunde, habe Erbarmen, Erbarmen!

FAUST.

Bereite Dich nun zum Tode! Nein, [119] bereite Dich nicht! In Deinem Meere von Sünden, mit Deiner unendlichen Schuldrechnung von Schandthaten sollst Du hinunterfahren.

ROCHUS.
Ich will einen Beichtvater, ich will beichten.
FAUST.

Du sollst ihn haben. Tritt hervor Satan!Satan stellt sich vor Rochus hin. Sieh, hier ist er, hier ist der oberste Fürst der Hölle. Er wird Deine Seele zur ewigen Vergeltung in Empfang nehmen.Rochus stößt Töne des Entsetzens aus. Empfange nun Deinen Lohn! Giebt ihm einige Dolchstöße in die Brust. So! So!

ROCHUS.
Weh! weh! Krümmt sich, und winselt immer leiser.
FAUST.
Ich weide mich an Deiner Qual. Mehrere Stiche.
ROCHUS.
Ach, ach! – Ewig – ewig! Er stirbt.
FAUST.
Er ist dahin; meine Rache ist befriedigt. Befriedige nun auch meine Liebe, und hole mir Paulina!
SATAN.
Das vermag ich nicht.
FAUST.
Warum nicht?
SATAN.

Sie ist meiner Herrschaft nicht unterworfen, wie dieser Todte hier es war, der sich [120] mir schon durch seine Thaten geweiht hatte. Suche sie selber, und sie wird die Deinige werden.

FAUST.

Wohlan, so will ich schlafen. Führe diesen hier weg, und gieb ihm den Dolch in die Hand.Reicht Satan den Dolch. Mir aber gieb Ruhe; ich will schlafen.

SATAN.
Nimm dies, und iß. Giebt ihm etwas, berührt Rochus, und sinkt mit ihm hinunter.
FAUST.

Ich habe einen süßen Becher getrunken, aber mein Herz pocht laut, und mein Blut wallt, wie ein empörtes Meer. Laß sehn, Satan, was Du vermagst. Ißt. Schlaf mußt Du geben können; das ist ein guter Bissen, und ich möchte ihn oft fordern. Ja, Du kannst es, ich fühl' es! Gähnt, setzt sich hin, und schläft ein. Scheusliche Gespenster kommen hervor, und tanzen um ihn herum.

Ende des dritten Acts.
[121]

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Die Hölle. Satan. Der Herold.

SATAN.

Ich habe vollbracht, was ich beschloß. Der Sterbliche ist unser, wie noch nie ein Sterblicher unser ward. Sieh, hier ist die Unterschrift seines Namens mit Blut.

DER HEROLD.
Welch eine That! So lange Du in diesen Bezirken herrschest, sah die Hölle sie nie.
SATAN.

Nein, warlich nicht! Und ich vollbrachte noch mehr. Zischt mit einem durchdringenden Tone worauf der Schatten des Rochus zitternd hervortritt. Sieh, diesen gebrandmarkten Schatten hat mein Verbündeter mitten in seinen Greueln ermordet, und hieher gesandt.

DER HEROLD.

Ein zwiefacher Triumph! Aber ein so erhabner Geist, als Du bist, Satanas, vollbringt nichts Alltägliches.

[122]
SATAN.

Vernimm weiter. Der Sohn dieses Verdammten liegt an Ketten unter den Rasenden, und seine Tochter ist mit seinem Mörder vermählt.

DER HEROLD.

Das ist entzückend anzuhören. Großer Satanas, Deine bloßen Worte sind die herrlichste Musik für die Bewohner der Hölle.

SATAN.

Und wähnst Du, dies sei alles? Höre, was die Blutsverwandten meines Verbündeten geworden sind. Sein ehemaliges Weib, über die keine Anfechtung etwas vermochte, schmachtet getrennt von ihm in banger Einsamkeit, und in herzfressendem Gram. Seine Tochter ist geschändet, und sein Sohn an Leib und Seele von Wollust vergiftet.

DER HEROLD.
O Satanas, wer vermögte Worte zu finden, Deine Thaten genug zu rühmen?
SATAN.
Geh nun, verkündige dies alles der Hölle, und sende mir Gog her!
DER HEROLD.
Ich gehorche Deinen Befehlen.Fährt hinweg.
SATAN
zu dem Schatten des Rochus, der unaufhörlich zittert.

Bebst Du nun? Du wirst noch lange beben. Die Ewigkeit ist lang. Ein Hohngelächter. Hebe Dich hinweg aus meinem Antlitz! Der Schatten versinkt mit Geheul. Gog kömmt herbeigeschossen.

[123]
GOG.
Was befiehlt Deine Majestät?
SATAN.

Du weißt, was ich jüngst den Fürsten der Hölle, und meinen übrigen Getreuen versprach. Ich habe es gehalten, ich habe einen Bund mit einem Sterblichen gemacht, und Du bist nun von mir ersehen, anstatt meiner diesem Sterblichen zu dienen.

GOG.
Wie glücklich machst Du mich, Satan, wie ruhmvoll ist es, in Deine Fußtapfen zu treten!
SATAN.

Erscheine ihm, wenn er Hephata Gehenna ruft, vollbringe seinen Willen, und schmeichle jeder seiner Launen! Du weißt, wie er einst dafür büßt. Unter meiner Würde ist es, mich einem Sterblichen allein zu widmen. Du, Gog, kannst Ruhm auf dieser Bahn erwerben.

GOG.
Das will ich, Satan; alle meine Kräfte will ich versammlen, Dein würdiger Nachfolger zu seyn.
SATAN.

Ich kehre zur Oberfläche der Erde zurück, um mit Magog die verlöschende Flamme des Krieges wieder anzublasen, mit Belial die peinliche Gerechtigkeit noch peinlicher zu machen, mit Abdon Hunger und Elend zu erschaffen, und mein eignes Werk, die Vergiftung der Freiheit, zu vollführen;[124] das sind meiner würdige Geschäfte! Dir überlasse ich unsern Verbündeten.

GOG.
Ich nehme ihn mit Freuden an, um bis zum letzten Augenblick über ihn zu wachen.
SATAN.

Merke wohl auf, was ich Dir noch gebiete. Wenn ein feuriger Strahl aus seinem Haupte hervorbricht, wenn eine zischende Schlange bei ihm vorüber zieht, und ein Donnerschlag darauf folgt, dann ist die Stunde seines Todes nah, dann eile, mir dies zu verkünden. Ich will ihn selber im Triumph in den Abgrund führen.

GOG.

Dein Befehl soll mir heilig seyn, und ich schwinge mich zur Erde, mein neues Geschäft zu beginnen. Beide fahren hinweg.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Zimmer Marianens. Mariane, Wagner treten auf.

WAGNER.
Seltsame Gerüchte verbreiten sich, und die wahren heraus zu finden ist schwer.
MARIANE.

Sehr schwer. Es sind Dinge unter unsern Augen vorgegangen, an die auch der Schauende kaum zu glauben vermag.

[125]
WAGNER.

Rochus ermordet mitten im Schoße des Glücks sich selber, sein Sohn wird wahnsinnig und seine Tochter heirathet den Todfeind ihres Vaters.

MARIANE.
Ob sie glücklich zusammen leben mögen?
WAGNER.
Zum Glücke gehört Ruhe des Herzens, und die scheint Faust nicht zu besitzen.
MARIANE.
Nein, er kann sie schon darum nicht besitzen, weil er sein armes Weib so unglücklich gemacht hat.
WAGNER.

Und wollte der Himmel, daß es dies allein wäre! Ich muß rein vom Herzen weg sprechen; Mariane, es scheint mir, als wenn Faust etwas Großes auf seinem Gewissen hätte.

MARIANE.
Warum?
WAGNER.

Sein schneller Uebergang von der höchsten Lustigkeit zum Schmerz, sein plötzliches Auffahren, wenn er vorher tief in Gedanken saß, die Heftigkeit in seinem ganzen Betragen, die Sucht nach Geräusch, nach Zerstreuung, alles dies zeigt mir, daß ein Wurm an seinem Herzen nage.

MARIANE.
Aber welch ein Wurm kann dies seyn?
WAGNER.
Das geheimnißvolle, flüsternde Gerücht sagt, er sey der Mörder des Rochus.
[126]
MARIANE.
Allmächtiger Gott! – Aber wie ist das möglich?
WAGNER.

Ich vermag es selber nicht zu fassen; denn es ist erwiesen, daß Faust in der Nacht, worin der Mord geschah, zu Hause war, und daß auch Rochus sein Zimmer nicht verließ. Aber etwas schreckt mich fürchterlich bei dieser Begebenheit. Ich habe den Dolch gesehen, den Rochus Leichnam in der Hand hielt, und es war derselbe, den sonst Faust besaß.

MARIANE.
Gott erbarme sich! das ist eine schreckhafte Erscheinung.
WAGNER.

Dies alles, und der plötzliche Wahnsinn des junges Rochus macht mich so verwirrt, daß ich nichts klar zu sehen vermag.

MARIANE.

Mich macht es noch unglücklicher, als ich schon war. O Gott, was wird aus Faust werden, und was ist schon aus ihm geworden!

WAGNER.
Wenden Sie Ihren Blick von ihm ab! Er ist auf immer für Sie verloren.
MARIANE.

Aber seitdem er wieder reich ist, hat er mich oft unterstützen wollen. Er hat mich gewiß nicht vergessen, und wohin soll ich mein Auge wenden?

WAGNER.
Auf einen andern Mann, der es werth ist, Sie glücklich zu machen.
[127]
MARIANE.
Eine arme und geschiedene Frau muß solche Ansprüche aufgeben.
WAGNER.

Nein warlich nicht! Eine Mariane verdient das glücklichste Loos in der Ehe zu haben; wollte Gott, ich vermögte Ihnen dies zu gewähren.

MARIANE.

Ihre Freundschaft, Wagner, bedeckt meine Schwächen, und erblickt mich in einem zu vortheilhaften Lichte.

WAGNER.

Nein, Mariane, Sie sind ein edles vortreffliches Weib, dessen Hand mich unendlich glücklich machen würde. Warum soll ich dies länger verhehlen? Ich habe nur wenig Einkünfte, aber sie reichen hin, eine so genügsame Frau zu erhalten. Darf ich hoffen?

MARIANE.
Der Antrag kömmt sehr schnell.
WAGNER.

Aber er ward reiflich überlegt, und stammt schon aus den Zeiten her, wo Sie unglücklich wurden, und wo Sie sich in Ihrem Unglücke so groß bewiesen.

MARIANE.
Das ist von Ihrer Seite sehredel, und für mich sehr schmeichelhaft.
WAGNER.

Lassen Sie mich nicht länger in dieser quälenden Ungewißheit! Verlängern Sie die ängstliche Zeit nicht, in welcher das Glück meines Lebens entschieden wird.

[128]
MARIANE.

Ich gebe mich Ihnen, Wagner, und gebe mich Ihnen mit Ruhe; denn ich kenne Sie schon lange, und weiß, was ich thun darf.

WAGNER.

O ich Glücklicher! – Umarmt sie. Mariane, das tugendhafte, edeldenkende Weib ist mein! Wie soll ichs fassen! Kommen Sie, Mariane! Wenn man recht glücklich oder unglücklich ist, so muß man unter der Wölbung des Himmels seyn. Ihr Gärtchen, dieser Freund, der Ihre stille Tugend sah, soll der Zeuge unsrer Verlobung seyn! Beide ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Faust. Paulina sitzen im Hintergrunde auf einem Sopha.

FAUST.

Genießen muß man, unaufhörlich fort genießen! Denken, daß noch ein Meer von Genuß vorhanden ist, und dennoch trinken, als wenn es der letzte Zug wäre.

PAULINA.

Aber diese Heftigkeit, dies Forteilen von einer Freude zur andern scheint Deine Ruhe etwas zu stören.

FAUST.

Das weißt Du nicht, Paulina. Die [129] Genüsse müssen so dicht auf einander folgen, daß sich kein Gedanke dazwischen drängen kann. Wir leben ja nicht ewig, es hört ja alles auf, und dies vergißt man dadurch. Komm, wir wollen aufs Land fahren, und jagen und fischen. Die Stadt eckelt mich an.

PAULINA.
Ruhe doch heute. Weißt Du nicht, daß nach der Ruhe die Genüsse reizender sind?
FAUST.
Das ist ein wahrer und heller Gedanke. Nun wohl, so laß mich allein. Ich will ruhen!
PAULINA.
Halt' auch Wort, Faust. Ruhe ja! Ab.
4. Auftritt
1. Verwandlung
Erste Verwandlung
Der Rheinfall mit seiner umliegenden Gebirgsgegend. Faust, Gog treten auf.

GOG.
Bist Du mit mir zufrieden?
FAUST.
Ich bin es. Eine so schnelle Reise habe ich noch nicht gemacht.
GOG.

Sieh, hier ist das berühmte Spiel Eurer Natur, zu welchem von allen Seiten der Erde die Bewohner derselben zum Anschauen herbeiströmen.

FAUST
schaut den Sturz an.

Es verdient dies Herbeiströmen. Warlich, das ist etwas Großes, etwas Begeisterndes! Gog, fühlst Du in diesem Augenblicke nicht, daß ein Gott ist?

GOG.
Ich will es nicht fühlen.
FAUST.

Daran erkenne ich Dich. Du magst es aus Neid nicht fühlen, weil er so etwas Großes hervorbrachte. O Ihr seyd doch elende Geister, Ihr Bewohner der Hölle! Vernichten könnt ihr wohl, aber könnt ihr auch schaffen, so etwas erschaffen?

GOG.

Unsre Hölle ist auch schön, und wenn es ihr gleich an Wasserstrudeln gebricht, so prangt sie desto reichlicher mit Feuerströmen.

FAUST.

Hu, hu! Du bist ein gräßlicher, schadenfroher [132] Teufel, daß Du mich in diesem Augenblicke daran erinnerst. Ich möchte Dich fortschicken, um Dich auf ewig nicht wieder zu rufen.

GOG.

Du verstehst mich unrecht, Faust. Unsre Hölle prangt nicht mit Feuer, um uns zu quälen, sondern um uns zu ergötzen. Sie ist prächtig schön.

FAUST.
Gut verantwortet! Aber dies genügt mir nicht; ich will sie sehen!
GOG.
Wie? Du wolltest es wagen –
FAUST.
Ja, ich will sie sehen.
GOG.
Das kann nicht seyn; kein Sterblicher kann ihre Pforten betreten.
FAUST.
Wenn Du mir die Hölle nicht zeigst, so begehre ich Deiner nicht weiter, und vernichte unsern Bund.
GOG.
Verweile hier. Ich muß höhere Mächte fragen.Verschwindet.
FAUST
allein.

Ich muß den Ort sehen, der mir bestimmt ist, der Jahre hindurch mein Aufenthalt seyn soll. Dieser Anblick hier hat mich zu allem bereit gemacht. Ich vermag jetzt das Schrecklichste zu schauen, und diesen Augenblick muß ich nutzen. Er möchte nicht wiederkommen.

GOG
erscheint von neuem.
Komm mit mir, [133] Dein Wunsch soll gewährt werden. Verschwindet mit Faust.
2. Verwandlung
Zweite Verwandlung
Die Hölle in ihrer gräßlichsten Gestalt. Faust und Gog treten auf.

FAUST
zitternd am ganzen Leibe.

Weh mir! Mich ergreift ein unnennbares Angstgefühl; mir bebt der Geist vor Entsetzen. Wo bin ich, wo bin ich?

GOG.
Du bist in der Hölle und Dein Gefühl ist ein Vorschmack von dem Gefühle der Verdammten.
FAUST.
Wo sind die Verdammten?
GOG.
Dort in jenem Feuermeere; Du hörst ihr Geheul.
FAUST.
Ich will fort von hier, ich will eilend fort! Führe mich zur Erde zurück!
GOG.
Komm schwacher Sterblicher. Führt ihn ab.
3. Verwandlung
Dritte Verwandlung
Eine gebirgige Gegend. Faust und Gog treten auf.

FAUST.

Ewiger, Du bist furchtbar in Deinen [134] Gerichten! Noch starrt mir das Haar vor Entsetzen, noch erbebt meine Seele in ihren innersten Tiefen von der erlittenen Angst.

GOG.
Es war Dein Wille; Du wolltest die Hölle sehen!
FAUST.

O Grauen, o Entsetzen! Gog, ich will vergessen, was ich gesehen, was ich empfunden habe; ich will vergessen, wo ich gewesen bin! Reiche mir einen Becher aus dem Lethe, einen Becher der Vergessenheit! Eile, eile, Gog, wie Du je geeilt hast!

GOG
zieht einen Becher hervor, und giebt ihn Faust.

Nimm und trink Elender Wicht! Faust trinkt ihn gierig aus, und giebt ihn zurück. Dann sinkt er allmählig in Betäubung und Schlaf zur Erde, und liegt wie todt da. Gog erhebt ein Hohngelächter. Es wird die Zeit kommen, tollkühner Sünder, wo Dir kein Becher mehr gereicht werden wird! Berührt Faust, der sich sodann bewegt und allmählig zum Leben zurückkehrt.

FAUST
steht auf.
Wo bin ich?
GOG.
Du bist in der Schweiz, und hast den Rheinfall gesehen; willst Du noch länger Dich an ihm ergötzen?
FAUST.

Nein, ich will jetzt nichts sehen, was der Schöpfer gemacht hat. Auch die Werke der Menschen sind groß; die will ich betrachten. Führe[135] mich nach Rom, und zeige mir die Peterskirche.

GOG.
Nach Rom? Da sind wir unter Tausenden von Menschen, da kann ich diese Gestalt nicht behalten.
FAUST.
Nimm eine ardre an, verwandle Dich in einen Menschen.
GOG.
Die menschliche Gestalt ist mir lästig.
FAUST.
Aber ich will es, ich will in Rom seyn.
GOG.
Komm, Unersättlicher! Führt ihn hinweg.
4. Verwandlung
Vierte Verwandlung
Platz vor der Peterskirche mit seiner Colonade, dem Obelisk, und den beiden Springbrunnen. Zur Rechten ist der Vatikan. Große Volksmenge. Auf dem Balkon an der Peterskirche erblickt man den Pabst unter seinen Cardinälen und Prälaten. Auf den Balkons an beiden Seiten sind andre Vornehme. Faust und Gog treten auf; der letzte in menschlicher Gestalt.

FAUST.
Was bedeutet dies Gedränge, diese feierliche Versammlung, diese Stille unter so vielen?
GOG.

Es ist Ostern, und wir sind in dem Augenblick angekommen, wo der Pabst den Seegen [136] sprechen will. Komm wieder hinweg, Faust, ich kann den Seegen nicht anhören.

FAUST.
Aber ich will ihn hören.
GOG.
Faust, ich bitte Dich um alles, was Dir hier und dort heilig ist, komm hinweg!
FAUST.
Nein! Ich will den Seegen empfangen, und Du sollst ihn auch empfangen.
GOG- Das ist unmöglich! Ich muß fort von hier.
FAUST.
Du sollst bleiben. Hält ihn bei dem Gewande. Wird hier Dein schwacher Fleck getroffen?
GOG.
Ich beschwöre Dich bei der Hölle und allen ihren Teufeln, laß mich!

Einer von den Versammelten auf dem Seitenbalkon hält ein weißes Schnupftuch in die Höhe. In dem Augenblick erschallt entfernter Kanonendonner, Glockengeläute, und die versammelte Menge fällt auf die Knie, Faust mit ihr; aber Gog stürzt, wie vom Blitze getroffen zu Boden. Der Pabst erhebt feierlich die Hände und spricht den Seegen.
Als er vorüber ist erhebt sich die Menge; es entsteht Geräusch, Unterredung und Gewimmel unter einander. Die Balkons werden leer, und die Gegenwärtigen verlieren sich allmählig. Faust rüttelt an Gog, der sich nach und nach erhebt.
FAUST.
Steh auf, der Seegen ist vorüber!
[137]
GOG.
Ach, wo bin ich?
FAUST.
Elender Teufel, kannst Du den Seegen eines Menschen nicht ertragen?
GOG.
Martre mich nicht, Geisterquäler, und komm hinweg von hier!
FAUST.
Ich will die Sixtinische Capelle sehen!
GOG.
Du sollst befriedigt werden; komm nur hinweg von diesem Platze. Führt ihn weg.
5. Verwandlung
Fünfte Verwandlung
Das Inwendige der Sixtinischen Capelle. Faust und Gog treten herein.

FAUST
der sich umher sieht.
Ein schöner Ort!
GOG.
Hier ist das jüngste Gericht von Michel Angelo.
FAUST
wendet sich weg.
Das will ich nicht sehen; ich will etwas hören.
GOG.
Was willst Du hören?
FAUST.
Das Miserere. Laß es anstimmen.
GOG.
Nein, das kann ich nicht; das steht nicht unter meinem Gebot.
FAUST.
Aber ich will es, und wende mich an Deinen Beherrscher, an Satan, wofern Du mir nicht gehorchst.
[138]
GOG
für sich.

Verdammter Frevler! Aber Du sollst einst büßen wie je ein Sterblicher gebüßt hat! Laut. Ich brauche Gehülfen zu meinem Geschäfte. Erwarte mich hier; ich komme in Augenblicken zurück.Verschwindet.

FAUST
allein.

Ich will hören, was von so vielen gepriesen wird; ich will erfahren, ob die Sage verschönerte, oder schmälerte; ich will wissen, ob dieser Ruf um Erbarmen die Empfindung der Menschen so zu erschüttern vermag. O ich möchte meine Empfindung, mein Herz so gern durch etwas Sanftes erschüttern lassen!

GOG
erscheint wieder.
Dein Wunsch soll sogleich befriedigt werden. Setze Dich nieder!

Faust setzt sich, und Gog tritt seitwärts, als wollte er sich verbergen. Knaben erscheinen auf einem Chor, und beginnen in leisen aber deutlichen Tönen das Miserere, ohne Begleitung von Instrumenten. Sobald es anhebt sinkt Gog zu Boden, und erstarrt so lange, als es dauert. Faust faltet gegen das Ende desselben die Hände.
FAUST.

Ja, das ist etwas Himmlisches, etwas Göttliches! O wer das hätte mit Andacht nachsprechen können! Weh mir, ich kann es nicht! Geht umher, und sieht Gog liegen. Gog was ist Dir? Wie? Kannst Du das Miserere auch nicht ertragen? Steh auf! Hast Du nichts gehört?

[139]
GOG
steht auf.
Ich will nichts hören. Wir Teufel flehen um kein Erbarmen zu dem Ewigen.
FAUST
für sich.

Ach, ich kann auch nicht darum flehen, und ich bin doch kein Teufel. Laut. Gog, führe mich in mein Zimmer zurück; ich will schlafen. Ja, nun bin ich satt, nun will ich ruhen!

GOG.
Komm mit ins Freie. Beide ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Zimmer in Fausts Hause. Theodora, Xaver treten herein. Beide sehen wieder muntrer aus.

XAVER.
Ja, Schwester, am Körper bin ich wieder hergestellt; aber an der Seele bin ich oft sehr krank.
THEODORA.
Wir wollen unser Herz gegen einander ausschütten; was fehlt Dir, guter Xaver?
XAVER.
Eben das, was Dir fehlt. Kann Deine Brust ruhig athmen, wenn Du unsern Vater siehst?
THEODORA.

Also auch Dir ist sein Zustand nicht entgangen? Nein, Xaver, ich bin nicht ruhig, wenn ich unserm Vater ins Auge, und noch [140] weniger, wenn ich ihm ins Herz blicke. Er ist mir jetzt so fürchterlich.

XAVER.

Fürchterlich; ja, das ist das rechte Wort. Ach, er ist der gute, offene, und fröhliche Vater nicht mehr!

THEODORA.

Und wer kann begreifen, warum? Alle seine Wünsche sind befriedigt; er ist wieder reich; er besitzt Paulina, und auch wir suchen sein Glück zu befördern; dennoch scheint er so wild, so unstät, so gepeinigt. Was bedeutet das? Was quält ihn? –

XAVER.

Ach, Schwester, das ist nicht alles; ich habe noch andere Bemerkungen gemacht, die mich in ein Labyrinth von seltsamen Gedanken führen. Wenn unser Vater schläft, so hat er fürchterliche Träume, und redet beständig mit bösen Geistern, die er Satan und Gog nennt.

THEODORA.
Ach, Gott, wenn er nur nicht wahnsinnig wird, wie mein unglücklicher Moritz!
XAVER.

Nein, es muß etwas anders seyn. Höre nur. Oft habe ich in seinem Zimmer zwei Stimmen gehört, wenn ich auch wußte, daß er allein darin war, und die eine schien mir so fürchterlich. Ein andermal, da ich ihn hatte hineingehen sehen, wollte ich zu ihm, fand aber die Thür verschlossen, und sie blieb es bei allem meinem Klopfen. [141] Ich fürchtete, daß ihm etwas zugestoßen seyn möchte, öffnete sie mit einem Hauptschlüssel, sah aber das ganze Zimmer leer. Eine Stunde darauf hörte ich es von inwendig öffnen, und sah unsern Vater daraus hervorgehen.

THEODORA.
Du hast Dich getäuscht, Bruder.
XAVER.

Nein warlich nicht. Was die höchste Wachsamkeit erfordert, das habe ich angewandt, um Täuschung zu vermeiden. Das Zimmer, weißt Du, liegt im zweiten Stockwerk, und hat nur einen Eingang; diesen habe ich in der ganzen Zeit nicht aus den Augen gelassen.

THEODORA.
Aber wohin wollen wir dies alles deuten?
XAVER.

Es ist schwerer zu deuten, als der verwickeltste Traum. Und noch eins liegt mir auf dem Herzen. Du weißt, daß ich sehr krank war, und daß die Aerzte mir nur langsame Herstellung versprachen. Mein Vater gab mir einen Trank, und wenige Tage darauf war ich zum Erstaunen der Aerzte gesund.

THEODORA.

Seltsam! Ich muß Dir nun auch meine Bekenntnisse machen. Du weißt meine unglückliche Liebe zu Moritz; Verschämt. ich war Mutter geworden, aber Schrecken und Schmerz tödteten[142] das Pfand meiner traurigen Liebe, ehe es ans Licht kam. Weint.

XAVER.
Hu, das ist schauerlich!
THEODORA.

Ach, ich habe Dir noch etwas zu sagen, das schauerlicher, als alles andre ist. In der Nacht, wo Rochus ermordet ward, konnte ich nicht schlafen; da hörte ich in der Mitternacht Geräusch und Klagestimmen in dem Zimmer meines Vaters, so daß mich eine halbe Todesangst überfiel; am andern Morgen aber fand ich Blutflecke in demselben an der Erde.

XAVER.

Ja wohl, Theodora, das ist fürchterlicher, als alles andere. O, das Räthsel wird immer dunkler und unauflöslicher.

THEODORA.
Was wollen wir beginnen? Mir graut, länger in diesem Hause zu bleiben.
XAVER.

Ich wüßte wohl einen Ort für uns, wo wir gut aufgehoben wären: Wagner lebt so glücklich mit unsrer Mutter, und ist so lange unser Freund gewesen, daß wir an ihm einen zweiten Vater wiederfinden würden.

THEODORA.

Das ist ein glücklicher Gedanke. Wir sind lange genug bei unserm Vater gewesen; wir können nun auch bei unsrer Mutter seyn. Und er wird uns gewiß nicht vermissen.

[143]
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Die Vorigen. Paulina.

PAULINA.

Ich komme, Trost und Beruhigung bei euch zu suchen, meine Kinder. Ihr kennt Euren Vater, meinen Gatten, schon länger; sagt mir, was fehlt ihm?

BEIDE.
Wir wissen es nicht.
PAULINA.
Ist er immer so gewesen?
THEODORA.
Nein, er ist es erst geworden, seitdem er so viel Unglück mit dem Prozesse gehabt hat.
PAULINA.

Sonderbar! – Es ist doch alles zu seinem Vortheil ausgeschlagen, und dennoch ist er so unruhig, so tiefsinnig, so seltsam in seinem ganzen Wesen.

XAVER.
Wir befürchten, daß irgend ein trauriges Geheimniß sein Herz belaste.
PAULINA.
Ja, ein Geheimniß muß hier verborgen liegen, das alle seine und meine Freuden vergiftet.
THEODORA.
Suchen Sie es ihm zu entlocken, Mutter, Sie haben die größte Gewalt über ihn.
[144]
PAULINA.

Ja, ich will es; ich vermag nicht länger diesen Zustand zu ertragen. Geht, meine Kinder, bittet ihn, zu mir zu kommen, und laßt mich allein mit ihm!

BEIDE.
Das wollen wir thun. Beide ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
PAULINA
allein.

Das Leben verliert seinen Reiz, und die Freude ihre Rosenfarbe, wenn uns ein geheimnißvolles Dunkel umlagert, aus welchem mit jedem Augenblick ein Ungeheuer hervorgehen kann. Ich will es zertheilen, oder aus demselben fliehen. Ich bin zu jung und zu schön, um mein Glück so frühzeitig zum Opfer zu bringen. Faust hat mich geliebt, und liebt mich noch; ich muß nun die Geheimnisse seines Herzens wissen.

[145]
8. Auftritt
Achter Auftritt
Paulina. Faust.

FAUST.
Paulina hat nach mir gesandt, was begehrt sie von mir?
PAULINA.

Etwas Großes und Wichtiges; etwas, dessen Gewährung Du Deiner Gattinn schuldig bist. Faust, Du lebst in einem unnatürlichen, unruhigen Gemüthszustande; sage mir, was die Ursache davon ist?

FAUST.
Warum willst Du sie wissen?
PAULINA.
Weil unser beider Lebensglück davon abhängt.
FAUST.
Unser beider? Ha, ha, ha!
PAULINA.
Lache nicht, Faust; die Sache ist mir sehr wichtig.
FAUST.
Mir auch.
PAULINA.
Und dennoch scheinst Du so leicht darüber hinzugehen?
FAUST.
Leicht? Ha, ich wollte, Du sprächst wahr.
PAULINA.
Oeffne mir Dein Herz, Faust, theile mir mit, was es belastet!
FAUST.
Hast Du je gehört, daß man dem [146] Kinde ein Scheermesser, oder ein glühendes Eisen in die Hand gab?
PAULINA.

Ich weiß nicht, wohin das Gleichniß zielt; aber eine Gattinn hat mehr Ansprüche zu machen, als ein Kind. Faust, Deine Laune, Dein wildes Wesen, Dein ganzes Betragen macht mich unglücklich.

FAUST.

Wenn Du unglücklich bist, so rechte mit dem dort oben; er hat die Erde zu einer Herberge des Unglücks gemacht.

PAULINA.

Nein, Faust, Du machst sie für mich dazu! Deine unnatürliche Gemüthsstimmung verbittert mein Leben, und Du bist mir schuldig zu sagen, woher sie rührt.

FAUST.
Wirklich? – Ha, ha, ha!
PAULINA.
Begegnet man so einer Gattinn? Ich bin kein Kind, Faust, für das Du mich zu halten scheinst!
FAUST.
Nicht? – doch! – Was mich betrifft, bist Du ein Kind, ein neugebornes Kind. Ha, ha, ha!
PAULINA.

Nein, das ist zu schrecklich! Du vergißt, daß ich Dich als einen Verzweiflungsvollen geheirathet, und wieder zu einem Manne gemacht habe.

[147]
FAUST.

Hhhu! – 4 Aber ich kann ja wohl Geduld mit einem Weibe haben, das ich durch wenig Worte zu Boden zu donnern vermag.

PAULINA.
Durch welche Worte willst Du mich zu Boden donnern? Ich fürchte mich vor Worten nicht!
FAUST.

Armes Geschöpf! Ich will Dich ja schonen! – Hast Du schon eine Schlange gesehen, die als ein unförmlicher Klumpen zusammengerollt da lag?

PAULINA.
Ich weiß nicht, wohin die seltsame Frage deutet, und will sie nicht beantworten.
FAUST.

Sieh, wenn ein unvorsichtiger Wanderer mit seinem Fuß an den Klumpen stößt, so entwickelt er sich plötzlich zu einem giftigen Ungeheuer, und tödtet durch seinen Hauch. – Ein solcher Klumpen ist mein Geheimniß; willst Du es noch wissen?

PAULINA.
Du suchst mich durch fürchterliche Worte zu schrecken; aber ich will es wissen.
FAUST.
Unglückliche, wecke den schlafenden Drachen nicht auf!
[148]
PAULINA.
Hat er geschlafen? Ich dächte, er hätte gewacht.
FAUST.
Er hat geschlafen, sag' ich Dir, tief geschlafen, betäubt da gelegen!
PAULINA.
Nun, so mag er erwachen! Ich bin satt, so zu leben, und will wissen, was mich unglücklich macht.
FAUST.

Wohl, so brich die erste Rose von meinem Geheimniß! – Daß Dein Bruder an Ketten liegt, ist mein Werk; ich habe ihm den Trank gereicht, der ihn wahnsinnig machte.

PAULINA.
Wie? Du? Allmächtiger! so etwas ruht auf Deinem Gewissen?
FAUST.

So etwas! Und noch etwas anders. – Dein Vater war ein großer Sünder; weißt Du, wer ihn gemordet hat? Ich habe ihn gemordet! Ich habe ihn mitten aus seinen Missethaten zur Hölle gesandt.

PAULINA.

O barmherziger Gott, Schrecken und Entsetzen ergreift mich! Welch ein Ungeheuer habe ich mit meinen Armen umschlungen?

FAUST.

Merkst Du was? – Siehst Du, und dies war Kinderspiel; was ich Dir noch zu sagen habe, dagegen schwinden diese armseligen Thaten wie der Hauch des Zephyrs vor dem Donnersturm. Du hast mich gereizt, Elende! So bald [149] Du dies letzte wissen willst, sende zu mir; ich will Dein Herz alsbald damit erfreuen! Ab.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
PAULINA
allein.

Der Mörder meines Vaters ist mein Gatte? Der, dessen teuflische Bosheit meinen Bruder zum reißenden Thiere herabgewürdigt hat, ruht in meinen Armen? Das ist gräßlich! Und doch sind diese Thaten nur Kinderspiel gegen das, was er noch weiß? Giebt es noch etwas Schrecklichers? Hat die Hölle es aufzuweisen? Ich würde nichts finden? – Und warum that ers? Ach, warum? Es ist eine gräßliche Geschichte! Das warum liegt fürchterlich darin begraben – Was soll ich beginnen? Zum Richter gehn? – Ach, daraus entstände ein langer feierlicher Todtenzug bis zum Rabensteine. Nein! Auch in seiner Mördergestalt ist er mir zur Verwesung auf dem Hochgerichte noch zu theuer. Ich will fliehen! – Ja, es war ein schlummernder Drache, der aufgeweckt ist; ich muß fliehen.

[150]
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Paulina. Theodora. Xaver.

XAVER.
Unser Vater sah sehr wild aus, als er uns begegnete.
PAULINA.
Ich glaube es.
THEODORA.
Hat sein Herz sich geöffnet, haben Sie seine Geheimnisse erforscht?
PAULINA.

Laßt die Geheimnisse ruhen, Kinder, und betet für euren Vater; das ist alles, was ich euch zu sagen vermag.

XAVER.
Es ist wenig, und sehr fürchterlich.
PAULINA.
Macht Euch auf, und zieht von hinnen! Ich will dasselbe thun, und gehe diesen Augenblick. Ab.
XAVER.
Komm, Theodora, wir wollen zu Marianen gehen. In diesem Hause wohnt Entsetzen und Grauen. Beide ab.
Ende des vierten Acts.
[151]

5. Akt

1. Auftritt
1. Verwandlung
Erste Verwandlung
Der Vesuv in der Entfernung, wie er Flammen, Rauch und Steine auswirft. Faust und Gog erscheinen.

FAUST.

Sei mir gegrüßt, Du mein furchtbares Ebenbild! O könnte ich, wie Du, das Ungewitter, das in meiner Brust wütet, hervorbrechen lassen, und gen Himmel auflodern! – Gog, gefällt Dir das Schauspiel?

GOG.
Ei, ja wohl! Vortrefflich, hinreißend.
[153]
FAUST.
Also auch einen Teufel kann etwas in der Natur ergötzen?
GOG.

Ich seh im Geist, wie viel Städte, wie viel Gefilde dieser Glutstrom schon vernichtet hat, wie viel er noch vernichten wird. Ich höre im Geist das Jammergeschrei der vertilgten Menschheit umher.

FAUST.

Herrlich! Du wirfst Dein Bild in wenigen kräftigen Zügen hin; ich will den sehen, der den Teufel nicht darin erkennt. – Sieh, ich finde keinen Gefallen an diesen Verwüstungen; kannst Du mich nicht auch zum Teufel machen?

GOG.
Habe Geduld!
FAUST.

O Du scheußlicher Drache, triumphire nicht! Ich bin ja nur auf wenige Jahre Dein! – Aber ich mag diesen brüllenden Flammenstrom nicht mehr sehen; zeige mir das Gegentheil davon!

GOG.
Was nennst Du das Gegentheil?
FAUST.

Schwachköpfiger, armseliger Teufel! muß man Dir alles sagen? Das stille, ruhige Meer will ich sehen, wie es gleich einem unendlichen Spiegel auf dem Erdball da liegt.

GOG.
Das sollst Du in wenigen Augenblicken schauen; wir sind in der Nähe desselben. Komm. Führt ihn ab.
[154]
2. Verwandlung
Zweite Verwandlung
Das ruhige Meer bis zu weiter Entfernung. In der Nähe und Weite fahren Schiffe vorüber. Faust und Gog treten auf.

FAUST.

Der Anblick gefällt mir; er gießt Ruhe in meine stürmische Seele. Hier will ich mich lagern.Legt sich nieder. Sieh, Gog, dies weite Meer gleicht dem menschlichen Leben, und die Schiffe darauf sind die armen Sterblichen. So lange es ruhig bleibt, gleiten sie sanft dahin; aber wenn der Ewige haucht, so fahren sie fürchterlich auf und nieder.

GOG.
Auch wenn wir hauchen.
FAUST.

Sohn des Elends, entflamme mich nicht von neuem; ich will ruhig seyn. – Sage mir, findest Du kein Vergnügen an dieser schönen Scene?

GOG.
Ja, ich finde Vergnügen daran.
FAUST.

Wohl, das freut mich. Aber fühlst Du auch wie ein Mensch? Sprich, was gefällt Dir bei diesem feierlichen, majestätischen Anblick?

GOG.
Das ein Abgrund darunter ist.
FAUST
springt auf.
O Du entsetzliches Wesen, Du Teufel in jedem Augenblick! –
GOG.

Habe nur Geduld! Mein Genuß an [155] diesem Orte wird bald beginnen. Ein Sturm wird sich erheben, und ein Schiff unter Jammergeschrei und Todesangst der Menschen an dieser Küste untergehen.

FAUST.

Scheusal, ich will den traurigen Anblick nicht sehen! Führe mich in einen Wald, wo ich mich sammeln kann.

GOG.

Seltsamer Mensch! Nun will er mir selber meinen Genuß nicht gönnen. Komm Veränderlicher!Führt ihn hinweg.

3. Verwandlung
Dritte Verwandlung
Ein enger dichter Wald. Faust und Gog treten auf.

FAUST.

Ist denn kein Geschöpf mehr auf der Erde, an das ich mich anschließen könnte? kein Geschöpf mehr, dem mein Vertrauen offen stehen dürfte? – Gog, kannst Du nicht an Leib und Seel' ein Mensch werden?

GOG.

Freilich kann ich das. Ich kann mich in jeder Art verstellen; ich kann Gefühl und edle Empfindungen heucheln, ich kann edle Sentenzen aussprechen.

FAUST.

Nein, wenn es nicht aus dem Herzen kömmt, so mag ich's nicht hören. Rede aus [156] Deiner Seele, rede ganz, wie ein Teufel denkt. Hörst Du?

GOG.

Das kann ich wol. Sieh, wenn ich den Rheinfall sehe, so wünsche ich, daß er auf ewig vernichtet seyn möchte, damit nie ein Sterblicher wieder Vergnügen daran finde, und wenn ich ein liebliches Gefilde von glücklichen Menschen bewohnt erblicken muß, so denke ich an das Erdbeben, das sie in den Abgrund stürzen wird.

FAUST.
Hu! – Findest Du denn an nichts Vergnügen?
GOG.

Allerdings! An den Jammertönen des Schmerzes, an den Seufzern der unterdrückten Unschuld, an allen Krämpfen der lebenden Natur.

FAUST.

Und mit diesem Ungeheuer steh ich im Bunde? mit diesem Verworfenen bin ich zusammen gekettet? Abschaum der Hölle, ich werde nie ein Teufel seyn!

GOG.
Desto schlimmer für Dich!
FAUST.

O Du sollst mich nicht schrecken, Du sollst mir durch Deine teuflischen Winke den Genuß, der hienieden noch für mich ist, nicht verbittern. Nein! Du, der am Jammer nur Vergnügen findet, Du sollst mir Genuß verschaffen! Ich will den schönsten Ort sehen, der je auf der Erde war.

GOG.
Den schönsten Ort? Wo ist er?
[157]
FAUST.

Ich wußte es vorher schon, dummer, seelenloser Teufel, daß Du ihn nicht kanntest; denn der Ewige hat Euren Verstand verfinstert in allem, was gut ist. – Ich will das Paradies sehen.

GOG.
Das Paradies? Was forderst Du? Es ist ja nicht mehr vorhanden!
FAUST.

Aeffe es nach, Schwachkopf! Ich will die Gefilde sehen, aus welchen der Pison, der Gihon, und der Phrath ausfließen; ich will die ersten Menschen, ich will den Sündenfall sehen.

GOG.
Nein, das kann ich Dir nicht zeigen; das vermag nur Satan, der Schöpfer des Sündenfalls.
FAUST.
Fahre hin, und fordre seine Hülfe!
GOG.
Ungenügsamer Fordrer, wirst Du nie satt?
FAUST.

Fort! ich befehle es! Gog verschwindet. Ich will versuchen, ob nichts mehr meine Seele mit den sanften Freuden eines stillen Genusses erfüllen kann; ob ich alle menschliche Freuden durch den Bund mit der Geisterwelt verspielt habe? dann hätte ich einen schrecklichen Kauf gemacht.

GOG
erscheint wieder.

Komm, kühner Geisterbändiger, Du sollst sehen, was seit Erschaffung der Erde noch kein Sterblicher sah. Führt ihn hinweg.

[158]
4. Verwandlung
Vierte Verwandlung
Ein weites reizendes Gefilde mit Bächen, Bäumen, Gebüschen und Thieren aller Art. In der Mitte steht ein größerer Baum, als die übrigen, mit schimmernden Früchten. Eine Schlange sitzt in seinen Zweigen. Das Gefilde erhebt sich terrassenmäßig. Faust und Gog treten auf.

FAUST.
Warlich, das ist paradisisch! In diesen Gefilden möchte ich mein Leben vollbringen.
GOG.
Es war das Werk der Hölle, daß die ersten Menschen es nicht thaten, und ist jetzo ihr Hohngelächter.
FAUST.

Schweig, Verworfner, und sprühe Deinen Gift nicht im Angesichte des Paradieses aus! Ich will diesen Anblick rein und in seiner ganzen Kraft genießen. Setzt sich auf einen Rasenhügel. Gog lehnt sich an einen Baum.


Adam tritt mit dem Ausdruck der Freude und des innern Glücks pantomimisch auf. Er schaut entzückt umher; breitet die Arme gen Himmel, und lagert sich endlich auf eine Rasenbank. Ein Löwe kömmt, mit ihm zu spielen, und leckt ihn. Mehrere Thiere versammeln sich um ihn.
Eva erscheint pantomimisch mit gleichem Ausdruck
des Entzückens. Sie beginnt den Baum, worin die[159] Schlange sitzt, lüstern anzuschauen, und geht voll Verlangen um ihn herum. Die Schlange deutet ihr durch Zeichen an, daß sie von den Früchten nehmen soll. Eva streckt einigemal die Hände darnach aus, bebt aber immer wieder zurück. Endlich bricht die Schlange eine Frucht ab, und giebt sie ihr. Eva naht sich damit ihrem Manne, zeigt ihm, woher die Frucht sey, und bricht sie aus einander.
FAUST.
Ewiger, gieb es nicht zu! Eine Unendlichkeit von Jammer, von Verzweiflung hängt daran!

Adam steht auf. Sie bietet ihm die Frucht dar, vor welcher er aber zurück flieht. Sie dringt starker in ihn, und endlich nimmt er sie. Die Schlange giebt ihre Freude zu erkennen. Eva ißt, und Adam folgt ihr. Bald darauf werden sie unruhig, schauen voll Verwirrung umher, und schämen sich vor einander. Beide beginnen Blätter von den Bäumen zu reißen, und machen sich einen Gurt daraus. Sodann sehen sie sich einander voll Begierde an, und umarmen sich heftig. Ein Engel erscheint mit einem flammenden Schwerdt, droht ihnen, und treibt sie vor sich her aus dem Paradiese. Sie gehen unter Händeringen, und Zeichen der Bekümmerniß ab. Ein Sturm erhebt sich, und das Paradies verwandelt sich in eine weite Oede.
[160]
FAUST.

Trefflich vorgestellt! O ich wußte es schon: was den Sündenfall betrifft, da seyd ihr Teufel zu Hause. Es ist ja euer erstes und größtes Werk. – Nun bist du hinausgestoßen aus deinem Paradiese, unglückliches Paar, und mit dir dein ganzes Geschlecht aus seinem Himmel! – Mit diesem Gefühle will ich in meine Heimath zurückkehren. Gog, führe mich dahin! Gog führt ihn hinweg.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Zimmer in Marianens Hause. Mariane und Theodora treten herein.

MARIANE.
Ich habe Dir etwas Angenehmes zu sagen, meine Tochter, und führe Dich deshalb allein hieher.
THEODORA.

Etwas Angenehmes? O das ist mir jetzt zwiefach willkommen, nachdem ich so viel Trauriges und Unangenehmes erduldete.

MARIANE.
Dein Moritz ist von seinem Wahnsinne hergestellt worden.
THEODORA.
Wäre es möglich?
MARIANE.

Ja, und scheint ein ganz anderer [161] Mensch geworden zu seyn. Die That, die er, verführt von seinem Vater, beging, reut ihn bitter.

THEODORA.
O das wolle der Himmel!
MARIANE.
Liebst Du ihn noch?
THEODORA.
Mein Gefühl in diesem Augenblicke sagt es mir.
MARIANE.
Würde es Dir angenehm seyn, wenn er auch Dich noch liebte?
THEODORA.

O Mutter, erwecken Sie getäuschte Hoffnungen nicht wieder in meiner Seele. Reißen Sie die Wunde, die eben benarbte, nicht wieder auf!

MARIANE.
Diese Grausamkeit würde ich nicht besitzen, wenn ich jene Wunde nicht zu heilen vermöchte.
THEODORA.
Zu heilen? Ist dies noch möglich?
MARIANE.

Ja, meine Tochter! Moritz ist ein andrer und besserer Mensch geworden, und will sein Verbrechen wieder gut machen. Er liebt Dich mehr, als jemals, und wirbt um Deine Hand.

THEODORA.
Das ist etwas zu Unerwartetes, zu Ueberraschendes, als daß ich es glauben könnte.
MARIANE.
Willst Du es aus seinem eignen [162] Munde hören? Öffnet die Thüre des Zimmers. Kommen Sie herein, Moritz!
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Moritz blaß und schüchtern. Die Vorigen.

MORITZ.

Darf ich es wagen, noch einmal vor das Antlitz meiner Theodora zu treten, die ich so unendlich beleidigte?

THEODORA.

Er ist es; o mein Gott! Hält sich an einen Stuhl. Moritz muß mich fürchterlich behandelt haben, daß mich bei seinem Anblicke ein solches Zittern überfällt.

MORITZ.

Ja wohl habe ich das! aber die schmerzlichste Reue nagt mich, und ich komme, wieder auszugleichen, was ich verschuldete.

THEODORA.
Am Körper ist Moritz sehr verändert: sollte er es auch an der Seele seyn?
MORITZ.

Wer so unbeschreiblich viel litt als ich, der ist es auch an der Seele. Aber darf ich hoffen, daß meine Theodora nicht verändert gegen mich ist?

THEODORA.
Das vermag ich in diesem Augenblicke nicht zu beantworten.
MORITZ.

O Theodora, laß mich nicht länger [163] auf dieser Folter der Ungewißheit! Jetzt erst weiß ich zu erkennen, was ich in Dir besitze, die Du schon ehmals mein Weib warst. Sei es wieder! Ich will eine Lebenszeit anwenden, mein Vergehen gut zu machen.

THEODORA.

Glatten Worten traute ich einst; ich habe schrecklich dafür gebüßt. Soll ich ihnen noch einmal trauen?

MORITZ.

O Theodora, glatte Worte in einem geheimnißvollen Winkel gesprochen, und vor den Ohren einer Mutter, sind unendlich verschieden. Den letztern darf man trauen.

THEODORA.
Haben Sie den Reuigen geprüft, meine Mutter?
MARIANE.
Ich habe ihn geprüft.
THEODORA.
Was soll ich beginnen?
MARIANE.
Dem Antriebe Deines Herzens folgen.
THEODORA
zu Moritz.

Ich gebe mich Dir zum zweitenmal; aber Fluch, ewiger Fluch über Dich, wenn Du noch einmal mich täuschen könntest!

MORITZ
fällt ihr um den Hals.

Nein Theodora, da sei Gott vor! Moritz ist nicht mehr Moritz; sein schrecklicher Zustand hat ihn in einen andern Menschen verwandelt; aber wie glücklich bin ich jetzt wieder, wie glücklich! –

[164]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Wagner, Xaver treten herein. Die Vorigen.

WAGNER.

Die Versöhnung ist eilend zu Stande gekommen. Wohl! Wer glücklich leben will, muß nicht säumen es zu werden.

THEODORA.
Habe ich mich nicht zu eilend hingegeben?
WAGNER.

Das erste Mal allerdings, dies zweite Mal unter den Augen Deiner Mutter nicht; Moritz hat den Weg zu Dir durch uns gesucht.

THEODORA.

O, jetzt ist es eine ganz andere Empfindung, an dem Halse meines Moritz zu hangen, jetzt, da meine Eltern es wissen.

MORITZ.
Und wie glücklich fühle ich mich, da unsre Verbindung auf Tugend gegründet ist!
WAGNER.

Wohl, daß Ihr glücklich seyd; aber hier ist noch ein Wesen, das glücklich zu seyn wünscht; unser Xaver.

XAVER.
Ich will mich an dem Glücke meiner Eltern und meiner Schwester weiden.
WAGNER.

Nein, Xaver, das reicht nicht hin, Dich auf immer glücklich zu machen; Du mußt eine Bestimmung suchen.

[165]
XAVER.
Ich schmachte darnach; aber bestimmen Sie für mich. Sie kennen mich.
WAGNER.

Gut, mein Sohn, ich will es. Erlerne die Rechte, werde ein Verwalter der Gerechtigkeit. An der Erdengerechtigkeit ist noch unendlich viel zu bessern; verwalte sie schnell, menschlich, und nach dem Geiste der Gesetze!

XAVER.
Sie haben in meiner Seele gelesen, mein Vater; dies war immer mein Wunsch.
MARIANE.

Alle meine Theuren seh ich auf einem glücklichen Lebenspfade. Nur ein einziges Wesen unter denselben, geht auf einem einsamen, traurigen Wege.

WAGNER.
Ich weiß, von wem Du redest.
MARIANE.

Von wem könnte ich reden, als von dem unglücklichen Faust? Er ist fürchterlich verändert, und lebt, wie ein verscheuchter Nachtvogel. Sein alter Rudolph ist das einzige Wesen, das er um sich sieht.

WAGNER.

Es ist ein schreckliches Schicksal, diesen einst so glücklichen Mann in einer solchen Tiefe des Elends zu sehen.

MARIANE.

Paulina hat ihr Vermögen zurückgenommen, und niemand weiß, wovon er lebt. Sollte es nicht möglich seyn, ihn zum Wege des Glücks zurück zu führen?

[166]
WAGNER.

Wir wollen es versuchen. Auf, Kinder, wir wollen uns zusammen vereinigen, diesen Unglücklichen wieder glücklich zu machen, ihn wie der zu den sanften Freuden der Menschheit zurück zu führen!

ALLE.
Ja, das wollen wir.
WAGNER.

Es ist gewiß eine gute That. Laßt uns unsre Kräfte vereint aufbieten, ihm die Gefühle der Freundschaft und der Liebe wieder zu geben. Paulina wird uns beistehen.

MORITZ.
Das wird sie; und sie vermag viel über ihn.
MARIANE.

Jetzt kommt, meine Theuren; wir wollen ein kleines Mahl an einem Tage begehen, an welchem so manches Ungleiche ausgeglichen ward! Kommt, wir wollen uns mit einander freuen! Alle ab.

[167]
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Nacht. Zimmer Fausts.

FAUST
allein.

Halbe Erleuchtung. Einst lebte ich, wie ein Uhu, als ich mein Weib, meine Kinder, mein Vermögen, mein Alles verlor, und glaubte, auf der niedrigsten Stufe des Elends zu stehen; ach! – es gab noch tiefere Stufen, noch einen Abgrund unter dem Abgrunde. – Wehe dem Sterblichen, der dies erfährt! Ich möchte jener Uhu seyn. Damals gehörte ich noch zu den Menschen. Und wem gehöre ich jetzt? – Hu! – Das Hinüberschwindeln in die Geisterwelt dient dem Erdebewohner nicht. Es hat nicht seine Dornen, es hat seine glühenden Dolche. Ach, es sondert, mitten unter den Menschen, von den Menschen und ihren Freuden ab! – Aber soll ich meine noch übrigen Tage hindurch wehklagen? soll ich mir hier die Hölle schon bauen? Ich habe ja einen Geist, der mir geben muß, wenn die Menschen mir nichts mehr geben. Hephata Gehenna, Hephata Gehenna! Gog erscheint.

GOG.
Was begehrst Du?
FAUST.
Ruhe, Freude, Genuß!
GOG.
Nenne mir, welche Genüsse Du verlangst?
[168]
FAUST.
Nenne Du sie mir! Kannst Du nichts erfinden?
GOG.
Willst Du schöne Weiber, eine leckere Tafel, eine lockende Musik?
FAUST.
Deine Genüsse sind alltäglich, wie Du selber; nein, ich will ein fremdes Gestirn sehen!
GOG.
Ein fremdes Gestirn? Das kann ich Dir nicht zeigen, und selbst Satan vermag es nicht.
FAUST.
Aber ich will es sehen, und befehle Dir, zu gehorchen.
GOG.

Und wenn Du die ganze Hölle aufbietest, so vermag sie Dir dies nicht zu gewähren. Die Menschen sind von dem Ewigen mit diamantenen Ketten an die Erde gebunden, und auch unser Gebiet reicht nicht weiter.

FAUST
von dessen Haupt eine Flamme auflodert.

Nun so führe mich zur Spitze des höchsten Berges auf der Erde, führe mich zur Spitze der Cordilleras.

GOG.
Nein, das vermag ich itzt nicht!
FAUST
bei dem eine zischende Schlange vorüberfährt.

Wie, Elender? Du weigerst Dich, meinen Befehlen zu gehorchen? Bist Du nicht meiner Herrschaft unterworfen? Ein Donnerschlag erschallt. Was war das? Kömmt ein Gewitter?

[169]
GOG.
Ich muß fort. In der Hölle sehen wir uns wieder. Verschwindet.
FAUST.

Wie geschieht mir? Mir wird so angst. Warum verläßt Gog mich? Ist meine Herrschaft zu Ende? O nein, nein! Ich will noch nicht hinunter! Mir graut vor dem, was da kommen soll. Mir graut fürchterlich! Satan erscheint. Was willst Du, Satan? Ich habe Dich nicht gerufen.

SATAN.

Ich komme ungerufen, um Dir zu verkündigen, daß das Ende Deines Lebens naht. Bereite Dich, mit mir zur Hölle zu fahren. Noch in dieser Nacht bist Du mein! Verschwindet.

FAUST.

Welch Entsetzen, welch Grauen überfällt mich! Welch ein Donner hat meine Seele erschüttert! Was soll ich beginnen? – He! Rudolph! Rudolph! Wo bist Du? Rudolph!

RUDOLPH
der gelaufen kömmt.
Hier bin ich!
FAUST.

Auf, Rudolph! Eile zu Wagnern; zu Marianen, zu Paulina, zu meinen Kindern, zu allen, die ich auf Erden mein nannte; sie sollen insgesammt hereilen, als wenn höllische Gewissensangst sie vor sich hertriebe!

RUDOLPH.
Aber es ist ja Nacht.
FAUST.

Und wenn es die Nacht vor dem jüngsten Tage wäre; rüttle sie auf, wenn sie im Todesschlaf liegen, reiße sie hieher, wenn bleierne Krankheit[170] sie umklammert hält; sage ihnen, daß die Zeit und die Ewigkeit hier im Kampfe lägen, und daß die Ewigkeit siegen würde! Hörst Du? Geh', eil', als wenn ein böser Geist Dich verfolgte!

RUDOLPH.
Ach das Gott erbarm! was ist das? Ab.
FAUST
allein.

Ihr ewigen Mächte dort oben, ihr seyd stärker, denn die Hölle. Als der Erzengel Michael mit dem Teufel stritt, da hat er den Sieg davon getragen. Erbarmt euch nun über einen armen Sterblichen, dessen Seele die Hölle umklammert hält, und rettet ihn! Ihr könnt es. Ich will zu dem Ewigen beten! Hebt die Hände gefaltet empor. Ich kann nicht beten! Weh mir! Geht voll Seelenangst umher. Aber es ist nicht so! Wie! Ich hätte einen Bund mit dem Teufel? Das kann nicht seyn! – Ach, es kann seyn! es ist! – O Entsetzen und Grauen, o unendliches Weh! – Wo bin ich? Bin ich schon in der Hölle? Nein, und ich will nicht hinunter, ich will hier bleiben! – Ist kein Erbarmen, kein Erbarmen, – nirgends Erbarmen? – Ihr Todten steht auf, und helft mir! Ihr Lebenden kommt herbei, und rettet euren Bruder! Ich bin von einem Weibe gebohren, wie ihr; ich habe auch an einer Mutter Brust gelegen, und mir graut vor den Qualen der Ewigkeit. – [171] Der Ewigkeit? Ich bin ja nicht auf ewig, ich bin ja nur auf wenig Jahre sein! Aber das Entsetzen ergreift mich mit eisernem Arme, als wär es auf ewig.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Faust. Wagner, Mariane treten in Nachtkleidung hastig ein.

WAGNER.
Armer Faust, was ist Dir zugestoßen?
FAUST.
Zugestoßen? Die Hölle ist mir zugestoßen.
WAGNER.
Besinne Dich, Faust; wir sind Deine Freunde. Was begehrst Du von uns so tief in der Nacht?
FAUST.

Tief in der Nacht? Ja! – Ich will Dir's sagen, aber Du mußt nicht erschrecken: Rettung will ich; ich habe einen Bund mit dem Teufel.

WAGNER
zu Marianen.
Ach Gott, er hat den Verstand verloren. Xaver und Theodora treten ein.
FAUST.

Das ist brav, Wagner, daß Du [172] nicht erschrickst! Sieh, es giebt Dinge, vor denen die ganze Natur im Schauder zusammenfährt, aber ich möchte doch nicht, daß Du davor erschräckst; ich habe einen Bund mit dem Teufel, und in dieser Nacht noch, will er mich in die Hölle führen. Rette mich nun, Wagner!

WAGNER.
Ja, er ist wahnsinnig geworden.
FAUST.

Wahnsinnig? O das sind glückliche Leute, die wahnsinnig geworden sind! Ueberzeuge mich, daß ich es bin, und ich will Dich anbeten. Nein, Wagner, ich bin nicht wahnsinnig, Gott erbarme sich, ich bin nicht wahnsinnig! Es ist wahr, ewig wahr: ich bin mit dem Teufel verbündet! Rette mich, Du bist fromm, Du hast auch in guten Tagen gebetet; rette mich! –

MARIANE.
Unglücklicher Faust! fasse Dich; wir wollen Dich retten.
FAUST.

Bist Du hier, Mariane? O das ist gut! Du bist ein edles, großes Weib, und an solchen Weibern hat der Teufel keine Gewalt. Bleibe ja hier, Mariane!

MARIANE.
Ich bleibe bei Dir, armer Faust! sieh, hier sind auch Deine Kinder.
FAUST.

Kommt alle herbei, meine Lieben! Umringt euren Vater, euren Freund! Haltet nur diese einzige Nacht bei mir aus, daß sie vorüber [173] gehe, ohne die Ewigkeit, ohne die Hölle mit zu bringen!

MARIANE.

Wir wollen alle bei Dir bleiben; aber laß die irren Gedanken fahren. Schon viele haben die traurige Einbildung gehabt, daß der böse Feind ihnen nachstelle.

FAUST.

Einbildung? Um Gottes Barmherzigkeit willen glaubt nicht, daß es Einbildung sey; sonst kämpft und betet ihr nicht mit Inbrunst! Mariane, Wagner, Ihr meine Kinder, ich schwöre euch bei der ganzen Ewigkeit mit ihren Freuden und Qualen, ich bin mit dem Teufel verbündet, und noch diese Nacht will er mich zur Hölle führen.


Paulina tritt ein, ebenfalls im Nachtkleide, ohne bemerkt zu werden.
PAULINA.
Gott, was ist hier?
MARIANE.
Mich könnte ein Schauder überfallen!
WAGNER.
Rede, Faust! Woher sind diese Gedanken in Dir entstanden?
FAUST.

Mariane ist standhaft geblieben, als die Wellen des Unglücks über uns zusammenschlugen; ich bin gefallen, ich habe Hülfe bei einem bösen Geiste gesucht, und sie gefunden. Weh mir, weh jedem, der im Unglücke nicht fest steht!

[174]
MARIANE.
Das sind keine Worte eines Wahnsinnigen.
FAUST.

Nein, keines Wahnsinnigen! O Mariane, Mariane, hätte ich wie Du das Unglück mit Heldenmuth ertragen, ich stünde jetzt nicht mit der Angst eines Verdammten unter euch! Ich habe im Verbrechen Hülfe gesucht, und daraus ist diese entsetzliche Nacht entstanden.

WAGNER.
Aber wie ist es möglich, ein Bündniß mit dem Teufel zu schließen?
FAUST.

Als der Ewige mir nicht helfen wollte, da habe ich den bösen Feind angerufen, und er ist gekommen, mir zu dienen. Er hat mir Geld gebracht, er hat mir Paulinen in die Arme geliefert.

PAULINA.

Allmächtiger Gott, was hör' ich! Ist dies das schreckliche Geheimniß, das noch auf Deinem Herzen lag?

FAUST.

Ja, dies ist das letzte furchtbare Geheimniß, gegen das alle übrige verschwinden, wie das Kerzenlicht vor dem Brande der Hölle. Betet nun für meine Seele; gebt es nicht zu, daß Euer Vater, Euer Gatte, Euer Freund in die Klauen Satans falle.

MARIANE.
Wir wollen Dich schützen! Der böse Feind hat an Dir so wenig Macht, als an uns.
[175]
FAUST.
Schwöre mir, daß er keine Macht an mir habe.
MARIANE.
Ich schwöre Dir – Ein Sausen ertönt.
FAUST.

Weh mir, ich vernehme seine Ankunft! Umschlingt mich, Ihr meine Kinder, umklammert mich fest, Ihr meine Gattinnen, erbarmt euch, und verlaßt Euren Gatten, Euren Vater in dieser Todesangst nicht!

ALLE
umschlingen ihn von allen Seiten.
O unser Vater, unser Freund, niemand soll Dich uns entreißen!

Ein stärkeres Sausen erschallt, alle taumeln von Faust zurück, sinken rings um ihn auf die Knie, und strecken die Hände nach ihm aus.
FAUST.

Weh mir, ich bin verlassen, ich stehe erstarrt und allein in diesem gräßlichen Augenblicke! Helft mir!


Ein drittes Sausen ertönt, das mit einem Donnerschlage endet. Mit dem Donnerschlage stürzen die Knieenden leblos zu Boden. Satan erscheint.
SATAN.

Ich komme. Deine Seele von Dir zu fordern, und sie auf ewig in die Hölle zu führen. Hier ist Deine Verschreibung mit Blut. Hält ihm ein Papier hin.

[176]
FAUST
am ganzen Leibe zitternd.
Auf ewig? Ich habe mich Dir nur auf einige Jahre verschrieben; willst Du Deinen Bund brechen?
SATAN.
Weißt Du nicht, daß ich der Vater der Lügen bin? Wer mein ist, der ist auf ewig mein,
FAUST.

Allbarmherziger, wehre ihm, daß er mich nicht antaste! Er hat mich um meine Seele betrogen! – Satan, habe Erbarmen, Erbarmen! Ich bin Vater, ich bin Gatte!

SATAN
im Hohngelächter.
Desto süßer schmeckst Du der Hölle!
FAUST.
Ihr Todten, wacht auf, helft mir, er will mich ergreifen!
SATAN.

Dem Fürsten der Hölle vermag kein Sterblicher zu widerstehen. Schlummert ihr! Du aber komm mit hinunter zur Hölle. Der Augenblick Deines Todes ist da. Naht sich ihm, umklammert ihn, und fährt mit ihm durch die Luft. Faust stößt einen fürchterlichen Schrei aus. Die Erstarrten an der Erde erholen sich allmählig, und sehen wild umher.

[177]
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Die Vorigen ohne Faust.

WAGNER.
Was ist hier geschehen?
PAULINA.
Wie ist mir? Mir war, als läge ich in der Hölle.
MARIANE.
Wo ist Faust?
ALLE.
Wo ist Faust?
XAVER.
Er ist fort.
THEODORA.
Er ist nirgends.
MARIANE.
Allmächtiger Gott, hier sind Blutstropfen an der Erde.
ALLE.
Ach, Blutstropfen!
WAGNER.
Kommt hinweg von diesem Orte des Entsetzens und des Grauens! Kommt, laßt uns fliehen!
ALLE.
Ja, fliehen, fliehen! Alte eilen voll Entsetzen hinweg.
[178]
8. Auftritt
Achter Auftritt
Die Hölle. Teufel unter einander. Herold. Satan erscheint mit dem Schatten Fausts.

SATAN.

Auf Herold, verkünde der Hölle, daß ich einen Sieg erkämpft habe, wie er seit dem Beginnen der Erde über keinen Sterblichen erkämpft ward. Rufe die Fürsten der Hölle!

HEROLD.

Ich gehorche. Schwingt sich auf einen Felsen, und das Zeichen der Versammlung erschallt. Die Satane schießen herbei.

SATAN.

Hier ist der Sterbliche, mit dem ich einen Bund gemacht, und den ich nun im Triumph hieher geführt habe. Auf, wir wollen diese Begebenheit durch ein Fest feiern!

DIE SATANE.
Ja das wollen wir! Es lebe Satan, er lebe ewig, ewig!
SATAN.
Laßt die Musik der Hölle erschallen, und tanzet darnach!

Eine wilde, mißtönende, fürchterlich rauschende Musik erschallt; und die Satane tanzen wütend darnach zwischen Glut und Flammen um den Schatten Fausts her.

Ende des fünften und letzten Acts.
Fußnoten

1 Suche Gleichmuth zu erhalten.

2 So war es mein Wunsch.

3 Daß Theodora und Lisette nicht laut mit einander reden dürfen, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Immer besser, daß man hier und in ähnlichen Fällen nur erräth, als zu laut versteht.

4 Wer vermag einen Ton zu schreiben, wie er hieher gehört? Dem Künstler bleibt alles überlassen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Benkowitz, Karl Friedrich. Drama. Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2E7C-E