Julius Roderich Benedix
Die Lügnerin
Lustspiel in einem Aufzuge

Personen

[120] Personen.

    • Constanze Braun, eine reiche Erbin.

    • Dr. Langenberg, Advocat, deren Vormund.

    • Frau Greiner, deren Hauswirthin.

    • Moritz Hartmuth.

    • Zacharias Hahnenbein, Seifensieder.

    • Kaspar Backes, Handarbeiter.

    • Ein Hauptmann der Bürgerwehr.

    • Gustchen, Constanzens Kammermädchen.

    • Bürgerwehrmänner.

Rechts und links vom Zuschauer aus genommen.


[120]

1. Auftritt

Erster Auftritt.

Constanze mit einer Häkelarbeit beschäftigt, sitzt auf dem Sopha, Langenberg sitzt neben ihr.

LANGENBERG.
Und Sie beharren auf Ihrem Nein?
CONSTANZE.
Ich beharre darauf.
LANGENBERG.
Was aber können Sie allen meinen vernünftigen Gründen entgegensetzen?
CONSTANZE.
Einen einzigen, der sie alle zu Boden schlägt: ich liebe Sie nicht.
LANGENBERG
empfindlich.

Sie lieben mich nicht? Wo durch bin ich Ihnen denn so unangenehm geworden, womit habe ich Ihren Haß verdient?

CONSTANZE.

Wie Sie übertreiben! Wer spricht denn von Haß? Sie sind mein Vormund, haben treulich mein Vermögen verwaltet, haben mich geleitet und geschützt – für alles das bin ich Ihnen sehr dankbar, ich schätze und ehre Sie. Allein diese Dankbarkeit ist noch keine Liebe – wenigstens nicht die Liebe, die mich wünschen ließe Ihre Gattin zu werden.

LANGENBERG
gereizt.
Sie sprechen so klug von Liebe, kennen Sie denn die Liebe schon?
CONSTANZE
wendet sich ab.
[121]
LANGENBERG.

Sie leben eingezogen, kommen meines Wissens mit jungen Männern nicht zusammen, kennen Sie denn die Liebe schon? Antworten Sie mir.

CONSTANZE
schelmisch.

Herr Vormund, Sie sind nicht alt genug um diese Frage an mich stellen zu können. Wenn Sie einmal weißes Haar haben, mögen Sie darauf Anspruch machen Herzensgeständnisse eines jungen Mädchens zu erhalten.

LANGENBERG.
Sie sind meine Mündel.
CONSTANZE
lachend.
Allein mein Herz steht nicht unter Ihrer Vormundschaft.
LANGENBERG.

Sie wollen mir durch schlaue Wendungen entschlüpfen. Bedenken Sie, Constanze, daß Sie nach allen Vernunftgründen nichts Besseres thun könnten, als mir Ihre Hand zu reichen. Ich bin sechsunddreißig Jahre alt, habe eine ausgedehnte Praxis, bin seit Jahren mit der Verwaltung Ihres Vermögens vertraut –

CONSTANZE
unterbrechend.

Sie sind ein ganz an genehmer Mann, wohlgelitten in der Stadt, ein tüchtiger Advocat, tausend Mädchen würden sich glücklich schätzen Ihre Gattin zu werden – Sie sehen, ich kenne die triftigen Gründe alle, ich sehe alles ein, mein Verstand ist gänzlich auf Ihrer Seite –

LANGENBERG.
Nun?
CONSTANZE.

Aber mein Herz nicht. Und so oft sich auch noch in mir Verstand und Herz gezankt haben, stets behielt das letztere Recht. Man sagt es solle mehreren jungen Mädchen so gehen. –

LANGENBERG.

Als Ihr Vater vor acht Jahren starb und mir die Vormundschaft über Sie und Ihren Bruder übertrug, sagte er mir: »Ich übergebe Ihnen das Schicksal meiner Kinder als einem erprobten Freunde – vielleicht gewinnen Sie einst das Herz meiner Constanze und ich werde dann euren Bund von oben herab segnen.«

CONSTANZE
ernst.
Erwähnen Sie jetzt meines guten Vaters nicht, sein Andenken ist mir zu schmerzlich.
LANGENBERG.
Er hatte Sie für mich bestimmt, es ist sein Wille daß Sie meine Gattin werden.
[122]
CONSTANZE.

Da Sie denn doch fortfahren, so sage ich Ihnen daß mein Vater zu gut und vernünftig war, um das Schicksal seiner Kinder noch in die fernste Zukunft hinaus festsetzen zu wollen. Ich ehre den Willen des Verstorbenen am besten, wenn ich meiner Ueberzeugung folge.

LANGENBERG.
Es sind seine eigenen Worte: »vielleicht gewinnen Sie das Herz meiner Constanze.«
CONSTANZE
munter.
Nun ja, dies »Vielleicht« ist aber nicht eingetroffen, Sie haben mein Herz nicht gewonnen.
LANGENBERG.
Constanze, Sie berufen sich fortwährend auf Ihr Herz, sollte mein Argwohn gegründet sein?
CONSTANZE.
Welcher Argwohn?
LANGENBERG.

Seit acht Jahren bin ich gewohnt Sie als meine künftige Gattin zu betrachten, ich habe Sie gewissermaßen für mich erzogen. Sie wußten das, Sie haben mich niemals ahnen lassen daß Sie meinen Wünschen entgegen sein könnten – und jetzt wo ich diesem stillschweigenden Verhältnisse Wort gebe, wo ich mit dem bestimmten Antrag hervortrete, weisen Sie mich entschieden zurück?

CONSTANZE.
Auf Ihre entschiedene Werbung muß ich Ihnen doch eine entschiedene Antwort geben.
LANGENBERG.
Und diese hat einen Grund – Herr Moritz Hartmuth?
CONSTANZE
wendet sich ab.
LANGENBERG.

Sie schweigen? Jetzt wird mir klar was ich längst argwöhnte. Darum also waren Sie seit sechs Wochen, wo der junge Herr dort drüben wohnt, so gern in Ihres Bruders Zimmer Deutet nach links. Mir sagten Sie: das Geräusch, das Treiben auf der Straße ergötze und unterhalte Sie, die Aussicht von hier nach dem Garten, Auf das Fenster deutend. sei so ermüdend, so langweilig auf die Dauer – ich habe es längst gemerkt!

CONSTANZE
schnippisch.
Und wenn dem nun so wäre?
LANGENBERG.
So? Also einen jungen Menschen ziehen Sie einem geprüften Freunde vor?
CONSTANZE.
Das habe ich noch nicht gesagt.
[123]
LANGENBERG.
O wann sagt ein Mädchen wol was es denkt und fühlt!
CONSTANZE.
Man muß nicht alles sagen – haben Sie mich selbst gelehrt.
LANGENBERG.

Und so sollte Ihr schönes Vermögen in fremde Hände kommen? Und dieser Moritz Hartmuth, der seit kurzem das große Wort in den politischen Vereinen führt, diesem unruhigen Kopfe soll ich, der treue Freund, nachgesetzt werden?

CONSTANZE.
Ich habe noch nichts gestanden.
LANGENBERG.

Ich weiß genug ohne Ihr Geständniß. Aber ich habe noch ein Wort mitzureden, Sie dürfen sich ohne meine Bewilligung nicht verheirathen.

CONSTANZE
munter.

Herr Vormund, morgen ist mein Geburtstag, morgen werde ich mündig Zeigt ihm ihre Uhr. Noch fünf Stunden! Schlag Mitternacht hat Ihr Befehlen ein Ende!

LANGENBERG.
Aber Constanze, sein Sie vernünftig, geben Sie nach!
CONSTANZE.
Aber Herr Vormund, sein Sie vernünftig, geben Sie mich auf!

2. Auftritt

Zweiter Auftritt.

Vorige, Gustchen durch die Mitte.

GUSTCHEN
eilig.
Ach Herr Doctor, Herr Doctor!
LANGENBERG.
Was gibt es denn?
GUSTCHEN.
Aufstand, Empörung, sie bauen Barricaden!
CONSTANZE
erschrocken.
Barricaden?!
GUSTCHEN.

Alles rennt und läuft! Die Bürgerwehr kommt zusammen, es wird Generalmarsch geschlagen, Sie können es hier hinten nach dem Garten heraus nicht hören.

LANGENBERG.
Generalmarsch! Dann muß ich fort zu meiner Compagnie!
[124]
CONSTANZE
ängstlich.

Mein Gott und ich bleibe allein in dieser Angst! Wird es denn niemals ruhig werden? Wenn doch mein Bruder zurück wäre von seiner Reise!

LANGENBERG
nimmt seinen Hut, eilig und leise.

Sie sehen wie nöthig Ihnen ein männlicher Schutz ist in dieser aufgeregten Zeit – geben Sie nach!Fernes Trommeln.

GUSTCHEN
am Fenster.
Herr Doctor, hören Sie, da trommelt es wieder.
LANGENBERG.

Ja ich gehe schon! Verdammte Zeit, wo man keinen Augenblick seiner selbst Herr ist. Schlafen Sie wohl, wenn ich kann komme ich noch einen Augenblick vor und bringe Ihnen NachrichtEilig ab.

GUSTCHEN.

Das nimmt auch gar kein Ende, das ewige Lärmen. Die Woche drei, vier Mal Generalmarsch ist das wenigste. Man gewöhnt sich am Ende daran.

CONSTANZE.

Was soll noch daraus werden!? Ich habe für die Freiheit geschwärmt, habe sie mir so schön gedacht – und jetzt, wo alle Welt von Freiheit spricht, kommt man aus Angst und Schrecken nicht heraus.

GUSTCHEN.

Sie müssen auch nicht zu furchtsam sein, Fräulein, es ist ja meist nur blinder Lärm. Ein Haufen muthwilliger Buben bringt die ganze Stadt auf die Beine!

CONSTANZE.

Oft ist es nur Muthwillen, aber es war auch schon Ernst, es ist schon Blut geflossen und mir schaudert vor Blut. Daß auch meinen Bruder gerade jetzt Geschäfte nach London riefen, wäre er hier, ich zöge mit ihm fort, weit weg von hier.

GUSTCHEN
lachend.

Wo wollten Sie denn hin? Es gibt ja jetzt in ganz Europa kein ruhiges Fleckchen. Doch da Sie von Ihrem Herrn Bruder sprechen, da ist ein Brief von ihm, den mir der Thürsteher gegeben hat. Gibt den Brief, nimmt dann ein Licht und geht nach links.

CONSTANZE
den Brief besehend.
Nicht mit der Post? Ach nein, durch Einschluß Zu Gustchen. Wo willst du denn hin?
GUSTCHEN.
In Ihres Herrn Bruders Zimmer, ein wenig auf die Straße sehen was es denn eigentlich gibt.
[125]
Hier hinten heraus ist man ja abgeschnitten von aller Welt und sieht und hört nichts.
CONSTANZE.

So laß das Licht hier; gibt es wirklich Aufstand, so werfen sie die Fenster ein, wenn sie Licht sehen.

GUSTCHEN
setzt das Licht weg und geht links ab.
CONSTANZE
allein, hat den Brief geöffnet und überfliegt ihn flüchtig.

Erst in vier Wochen kehrt er zurück? das ist ja eine Ewigkeit. Da werde ich noch manchen harten Strauß mit meinem Herrn Vormund haben! Ja ja Herr Vormund, Sie sind ein kluger Mann, aber ich bin denn doch auch so klug um zu wissen daß es Ihnen bei Ihrer Werbung um mich hauptsächlich um mein Vermögen zu thun ist. Mein Persönchen wäre Ihnen eine ganz angenehme Zugabe – ich glaube wohl, allein ich will doch dieses Persönchen ein wenig besser im Preise halten, als daß ich es für eine bloße Zugabe weggäbe. Horch, was ist das? Flüstert es da nicht im Garten? Geht unbefangen nach dem Fenster, öffnet es und fährt mit einem lauten Schrei bis nach dem Sopha zurück, wobei sie den Brief auf das Nähtischchen legt.

3. Auftritt

Dritter Auftritt.

Constanze, dann nacheinander Backes, Hahnenbein, Moritz, Gustchen.

CONSTANZE
erschrocken.
Herr Gott was ist das?!
BACKES
erscheint im Fenster; er trägt einen blauen Kittel ohne Gürtel, helle Beinkleider, ein rothes Halstuch und eine Schirmmütze.
Dabei hat er vollen starken Bart, ohne Schnauzbart. Schreien Sie nicht, wir thun Ihnen nichts.
CONSTANZE.
Um Gotteswillen was wollen Sie?
BACKES.

I was Sie brauchen keine Angst zu habenSpringt ins Zimmer, nimmt die Mitte und sieht sich überall um. Donnerwetter, hier ist es hübsch!

CONSTANZE.
Aber so sagen Sie doch nur –! Mein Gott, noch jemand!
[126]
HAHNENBEIN
erscheint im Fenster.

Er trägt eine wollene Aermeljacke, eine lange blaue Schürze vom Halse bis zu den Füßen, ein schwarzes Sammetkäppchen; Gesicht ohne Bart; furchtsam und zitternd. Ich bin unschuldig, weiß Gott, ich bin ganz unschuldig!

CONSTANZE.
Im Hause sind Leute, ich rufe um Hülfe. Will nach der Thüre.
BACKES
immer derb, ohne grob zu sein, vertritt ihr den Weg, halb bittend.
Sie werden doch nicht? So nehmen Sie doch Vernunft an!
HAHNENBEIN
ist hereingestiegen, ängstlich.

Verrathen Sie uns nicht, ich bin ganz unschuldig, sie haben mich gezwungen – ich habe sieben Kinder zu Hause.

CONSTANZE
immer ängstlicher.
Gustchen! Gustchen!
BACKES.
Ei in's Teufels Namen so lassen Sie doch mit sich reden!
GUSTCHEN
kommt von links.
Was gibt es denn?
CONSTANZE.
Gustchen, zu mir, komm her zu mir! Fremde Männer, sie kommen durch das Fenster gestiegen.
GUSTCHEN.

Da wollen wir bald helfen, das ganze Haus wird eben mit Bürgerwehr besetzt, ich hole Hülfe Will nach der Thüre.

BACKES.
So hören Sie doch, Jungfer, wir sind ja ehrliche Leute Hält sie.
HAHNENBEIN
kläglich.
Grundehrlich sind wir, wenigstens ich, für die andern kann ich freilich nicht stehen.
MORITZ
erscheint im Fenster; er ist in feiner Kleidung.
Pst! Pst!
CONSTANZE.
Noch mehr? Erkennt ihn. Ah!
MORITZ.
Himmel und Hölle, wo sind wir hingerathen! Springt herein.
GUSTCHEN.
Na das wird lustig!
MORITZ
eilt auf Constanze zu.

Ah mein Fräulein, hätte ich das ahnen können – wie stehe ich beschämt vor Ihnen, Sie werden mir nie verzeihen.

BACKES
steht an der Mittelthüre, um Gustchen nicht hinauszulassen, und horcht zuweilen nach draußen.
HAHNENBEIN
ist aufgestanden und steht mit gefalteten Händen flehend gegen Constanzen.
[127]
GUSTCHEN
hinter Constanzen.
CONSTANZE.
Mein Herr, – so spät – und auf so ungewöhnlichem Wege – und in dieser Gesellschaft –?
MORITZ.

Zwei Worte lösen Ihnen das Räthsel, dann sprechen Sie das Urtheil über mich Strafbaren. Es gab einen kleinen Aufstand, wir errichteten eine Barricade.

HAHNENBEIN.
Mich haben sie gezwungen!
MORITZ.

Indessen ehe sie fertig war, wurden wir von zwei Seiten angegriffen, die meisten liefen davon, an ernstlichen Widerstand dachte niemand – und so wurden wir verhaftet. Man führte uns nach dem Gefängniß, unterwegs aber gelang es uns dreien zu entkommen. Wir wurden verfolgt, geriethen in ein Seitengäßchen, in einer offnen Gartenthüre stand da ein Mann und horchte. Dieser würdige Proletarier Auf Backes zeigend. packte den Mann mit raschem Entschlusse, zog ihn auf die Straße, wir schlüpften in den Garten und warfen die Thüre hinter uns in das Schloß. Allein wir waren noch nicht gerettet. Die Bürgerwehr umstellte den Garten und durch das Haus konnten wir nicht entkommen, da die Thüre, die aus dem Garten in das Haus führte, verschlossen war und wir keinen Lärm machen durften. Endlich erblickten wir das Licht in Ihrem Zimmer und mit Hülfe des Weingeländers stiegen wir herauf, vielleicht hier einen Rettungsweg zu finden. Das ist das ganze Abenteuer.

BACKES.

Na also, Jungfer, sind wir keine Spitzbuben, wir haben ehrlicher Weise nur ein bischen Barricaden gebaut.

HAHNENBEIN.

Ja und mich haben sie gezwungen mitzuhelfen, da der Kaspar Backes am meisten, mich, einen Familienvater von sieben Kindern.

MORITZ.
Und nun – wir verursachen Ihnen Unruhe – wir verlassen Sie.
GUSTCHEN
horcht mit Backes an der Thüre.
Still, ich höre Stimmen im Hause!
BACKES.
Gewehre stampfen auf den Boden!
HAHNENBEIN
jammernd.
Sie kommen, sie holen uns, wir müssen vor Gericht, am Ende gar in's Zuchthaus!
[128]
GUSTCHEN.
Sie vertheilen die Wachen.
MORITZ.

So bleibt uns nichts übrig; um keinen Preis dürfen Sie belästigt werden; vorwärts Kameraden, wieder zum Fenster hinaus!

CONSTANZE.
Aber im Garten werden Sie sicher ergriffen?
MORITZ.
Gleichviel, Sie sollen keine Unruhe durch uns haben. –
CONSTANZE.
Nicht doch – bleiben Sie –
MORITZ.
Wie? Sie wollten uns retten?
CONSTANZE
zögernd.
Ich wollte wol gern, aber wie?
GUSTCHEN.
Durch's Haus können Sie nicht mehr.
BACKES.
So verstecken Sie uns!
HAHNENBEIN.
Ach ja, verstecken Sie uns.
CONSTANZE.
Das wird nicht gehen, meine Zimmer bieten keinen Versteck! Wenn man sie durchsuchte –
MORITZ.

Das wird jedenfalls geschehen. Unsere Verfolger haben uns gesehen, sie wissen daß wir im Hause oder im Garten sein müssen.

GUSTCHEN
ist ans Fenster gelaufen.
Der Garten wird durchsucht, Bürgerwehr mit Laternen!
CONSTANZE.
Mein Gott was fangen wir an?
HAHNENBEIN.
Und ich komme so unschuldig in die Geschichte!
MORITZ.
Wenn man in Ihr Zimmer kommt, behandeln Sie uns als Ihre Gäste!
CONSTANZE.

Herrlich, herrlich, das geht! Sie trinken Thee bei mir. Gustchen, rasch, besorge alles! Sieht Backes und Hahnenbein an. Ja, – aber –

MORITZ.

Ich verstehe, meine Kameraden sehen nicht darnach aus um an Ihrem Theetische Platz nehmen zu können. Könnte man ihnen nur andere Kleider –

CONSTANZE.

Das geht – Gustchen führe den Herrn in das Nebenzimmer, im Schranke hängt noch ein Anzug meines Bruders.

BACKES.
Das wird lustig! Na meinetwegen, kommen Sie, Jungfer! Will mit Gustchen fort.
[129]
HAHNENBEIN.
Aber was wird denn mit mir? Ich in meiner Arbeitsjacke passe doch auch nicht auf Ihr Sopha!?
GUSTCHEN.

Kommen Sie nur mit, ich gebe Ihnen eine Livrée von des Herrn Bedienten, sie ist ganz neu in Schnitt und Farbe.

HAHNENBEIN
beleidigt.
Bedienter? Na höre Sie, Jungfer, ich bin ein Seifensieder, Bürger und Familienvater. Livrée? Ne!
GUSTCHEN.
Wollen Sie lieber verhaftet sein?
HAHNENBEIN.
Verhaftet? Ne ne, Sie haben Recht, her mit der Livrée!

Backes, Hahnenbein, Gustchen (links ab.)

4. Auftritt

Vierter Auftritt.

Constanze, Moritz. Dann Gustchen.

MORITZ
verlegen.
Mein Fräulein!
CONSTANZE
verlegen.
Mein Herr –
MORITZ.

Die eigenthümliche Lage, in der ich vor Ihnen stehe, macht mich verlegen, und doch – doch habe ich Ihnen so viel zu sagen –

CONSTANZE.
Ich weiß nicht –
MORITZ
immer unbefangener.

Seit sechs Wochen, seit dem Augenblicke, wo ich Sie zuerst am Fenster erblickte, habe ich keinen heißeren, keinen dringenderen Wunsch, als Sie zu sehen, Sie sprechen zu können, um Ihnen zu sagen –

CONSTANZE.
Still – hören Sie nichts?
MORITZ.
Ich höre nichts, sehe nichts in diesem Augenblicke als Sie.
CONSTANZE.
Still, mein Kammermädchen kommt zurück!
GUSTCHEN
von links, hat den Kittel des Backes und die Schürze des Hahnenbein über dem Arme hängen.
[130]
CONSTANZE.
Wohin, Gustchen?
GUSTCHEN.

Die beiden Herren ziehen sich an, ich will diesen Kittel und diese Schürze verstecken, sie könnten Verdacht erwecken, wenn man sie fände.

CONSTANZE.
Das ist gut, dann besorge aber den Thee!
GUSTCHEN.
Im Augenblicke! Rechts ab.
MORITZ.

Mein Fräulein, wozu soll ich eine Einleitung machen, Sie wissen ja doch was ich Ihnen sagen möchte, Sie wissen – daß ich Sie liebe.

CONSTANZE
verwirrt, zurückweisend.
Herr Hartmuth –!
MORITZ
immer kecker.

Sehen Sie, Sie kennen meinen Namen, Sie haben nach mir gefragt; denn Sie haben es wohl bemerkt daß mir der schönste Platz in dieser Stadt mein Fenster war, aus dem ich Sie sehen, Sie beobachten konnte. Sie haben es wohl bemerkt wie ich in Ihrem Anblicke schwelgte, wenn Sie den Blumen an Ihrem Fenster Wasser gaben, wenn Sie dem Canarienvogel über dem Tische sein Futter reichten, wenn Sie hinter den Blumen halb versteckt bei Ihrer Arbeit saßen und zuweilen Ihr liebes Köpfchen wandten hinabzuschauen. Mein Tag hatte ja nur zwei Zeiten, eine selige und eine traurige, wo ich Sie sehen konnte, und wo ich Ihren Anblick entbehren mußte.

CONSTANZE
ernst.
Mein Herr, diese Worte –
MORITZ.

Sie zürnen über meine Keckheit? Die drängenden Umstände mögen mich entschuldigen. Seit Wochen male ich mir im Geiste den Augenblick aus, wo ich endlich vor Ihnen stehen würde, seit Wochen bereite ich mich auf diesen Augenblick vor – und jetzt da ich reden möchte, fehlen mir die Worte. Alles ist vergessen, was ich Ihnen sagen wollte, Ihre Erscheinung blendet, verwirrt mich, ich habe nur das eine Wort: ich liebe Sie.

CONSTANZE.

Aber Herr Hartmuth, ich darf das nicht hören von einem Manne, der bei mir nicht eingeführt ist – und dann, wir können jeden Augenblick überrascht werden.

MORITZ.

Mag es, ich kann jetzt nicht schweigen, jetzt mich nicht bezwingen. Gesegnet sei das Abenteuer, das mich zu Ihnen bringt; wer weiß ob ich sobald das Glück gehabt hätte [131] bei Ihnen eingeführt zu werden. Darum geben Sie mir Bescheid, mit einem einzigen Wörtchen nur. Sie haben meine Grüße freundlich erwiedert, ich bilde mir ein daß Ihr erster Blick, wenn Sie an's Fenster traten, nach dem meinigen gerichtet war, um zu sehen ob ich da sei – habe ich mich getäuscht? Bin ich Ihnen ganz gleichgültig? Sie kennen meinen Namen, also haben Sie nach mir gefragt, also haben Sie erfahren daß ich in den günstigsten Verhältnissen lebe! Wenn ich Ihnen nun meine heiße Liebe gestehe, wenn ich um Erwiederung flehe, werden Sie mein Werben verschmähen?

CONSTANZE.
Meinen Sie man könnte so im Sturm ein Mädchen erobern? Das geht nicht so rasch, mein Herr!
MORITZ.

O Sie sagen nicht nein, das ist mir schon genug, mehr verlange ich in diesem Augenblick nicht. Ja ich habe mich nicht getäuscht, diese himmlischen Augen konnten nicht lügen. Grausames Mädchen, und Sie konnten mich so lange schmachten lassen, auf keinen meiner Briefe eine Antwort?!

CONSTANZE
verwundert.
Briefe? Ihre Briefe?
MORITZ.

In denen ich Ihnen meine Liebe gestand, Ihnen Herz und Hand anbot, Sie um die Gunst einer Unterredung anflehte –

CONSTANZE
im höchsten Staunen.
Ich habe keine Briefe erhalten –
MORITZ
verwundert.

Nicht? Ich habe sie selbst dem Thürsteher Ihres Hauses übergeben. Sie waren alle unterzeichnet: Ihr treuer Verehrer!

CONSTANZE.
Ich habe keinen erhalten – ha – sollte mein Vormund –?
MORITZ
feurig.

Sie haben meine Briefe nicht erhalten? Und doch zürnen Sie mir nicht, und doch bewiesen Sie mir vorhin so viel Teilnahme? Liebes Mädchen, reichen Sie mir die Hand!

CONSTANZE
den ganzen Auftritt hindurch immer mit halbem Ohr nach der Mittelthüre lauschend.
Ich bitte Sie dringend –
MORITZ.
Die Hand reichen Sie mir, die Hand, ich will ja nichts weiter in diesem Augenblicke.
[132]
CONSTANZE
reicht ihm die Hand.
MORITZ
küßt sie feurig.
Nun ist alles gut, ich stehe am Ziele meiner feurigsten Wünsche.
CONSTANZE
ernst.

Sachte, mein Herr, so weit sind wir noch nicht. Man reicht die Hand auch einem gleichgültigen Menschen aus Höflichkeit. Sie werben um mein Herz, – meinen Sie ich werde meine Liebe einem so ungestümen, tollkühnen Menschen schenken?

MORITZ.
Ungestüm? Ich bin es ja nur aus Liebe für Sie.
CONSTANZE.

Sie wollen mich nicht verstehen. Auf welche Art kommen Sie jetzt zu mir? Wie stehen Sie vor mir? Als ein Verbrecher, den die Gerechtigkeit verfolgt! Und in welcher Gesellschaft dringen Sie in mein Zimmer, welchen Verlegenheiten setzen Sie mich aus!?

MORITZ.
Das Letzte ist allerdings ein Verbrechen, ein unverzeihliches – sonst kenne ich keines!
CONSTANZE.
Wie? Sie haben sich an einem offnen Aufruhr betheiligt, haben mit Barricaden gebaut?
MORITZ
munter.

Ach der Lärm war nicht so ernstlich, es war eine Tollheit, ein Muthwille, sonst nichts. Wir wollten die Bürgerwehr ein wenig necken.

CONSTANZE.

Und dieser Muthwille bringt die ganze Stadt in Aufregung, setzt viele Frauen in Angst, die ihre Männer nach den Sammelplätzen eilen sehen, dieser Muthwille kommt Ihnen vor dem Richter theuer zu stehen.

MORITZ.

Sie haben Recht! Schelten Sie, theures Mädchen, schelten Sie, ich höre es gern. Sie würden mir nicht zürnen, wenn ich Ihnen gleichgültig wäre.

CONSTANZE
zürnend.
Sie sind ein Mann wie alle Männer, von unbesiegbarer Eitelkeit. Alles legen Sie zu Ihrem Besten aus!
MORITZ
zärtlich.
Und habe ich so Unrecht mit meiner Eitelkeit?
CONSTANZE.
Still, es klopft! Hören Sie?
MORITZ.
Ich höre es auch.
CONSTANZE.
Um Gotteswillen –
MORITZ.
Aengstigen Sie sich nicht –
CONSTANZE.
Herein!

5. Auftritt

[133] Fünfter Auftritt.

Vorige, Frau Greiner d.d.M.

FR.
GREINER. Guten Abend, mein Fräulein. Spitz und höhnisch. Ah so, ich störe.
CONSTANZE
verlegen.
Dieser Herr –
FR.

GREINER immer spitz. Bitte, mein Fräulein, das geht mich ja gar nichts an. Ich glaubte Sie zwar allein, da der Herr Vormund auf der Wache ist und der Herr Bruder verreist –

CONSTANZE.
Ich sage Ihnen, dieser Herr –
FR.

GREINER. Lassen Sie doch, Fräulein, was kümmert das mich. Ich wollte Ihnen nur melden daß drei entsprungene Verbrecher in mein Haus gedrungen sind und daß das ganze Haus nach ihnen durchsucht wird. Man hat im obersten Stockwerk angefangen und wird auch bald zu Ihnen kommen. Sie sind jetzt vorbereitet, also erschrecken Sie nicht. Wünsche viel Vergnügen und gute Unterhaltung.

CONSTANZE.
Frau Greiner, Sie sagen das in einem so spitzen Tone –
FR.
GREINER. Bitte mein Fräulein, gar nicht spitz, mich kümmert ja nicht was Sie thun. –
CONSTANZE.

Es muß Ihnen allerdings auffallen mich in so später Stunde allein mit einem jungen Manne zu treffen –

FR.
GREINER. O gar nicht, ganz und gar nicht!
CONSTANZE
verlegen.
Ich möchte mich keiner Mißdeutung aussetzen, dieser Herr – kommt von meinem Vormunde.
FR.
GREINER. Ah so, vom Herrn Vormunde.
CONSTANZE.

Ja, mein Vormund läßt mir sagen: er müsse die ganze Nacht auf der Wache bleiben, er brauche aber morgen in aller Frühe mehrere Papiere, die ich diesem Herrn einhändigen soll. –

[134]
FR.

GREINER. Ah so – ich wußte wohl – Sie sind auch im Irrthum, wenn Sie glauben ich sei spitzig gewesen.

CONSTANZE.
Sie kennen nun den Zusammenhang und werden nichts Uebles denken.
FR.

GREINER. Ganz und gar nicht, Fräulein, ich hätte auch ohnehin nichts Uebles gedacht. Na erschrecken Sie nicht wenn der Hauptmann von der Bürgerwehr kommt, es ist ein freundlicher Mann. Schlafen Sie recht wohl. Ab.

MORITZ.
Hu das ist eine böse Zunge, Ihre Frau Hauswirthin!
CONSTANZE
schmollend.

In welche Verlegenheit bin ich gekommen, ich mußte lügen, Ihretwegen lügen. Ich habe noch niemals gelogen.

MORITZ.
Sie zürnen mir?
CONSTANZE.
Habe ich nicht Ursache?
MORITZ.

Ja, Sie haben Ursache. Wohlan, lassen Sie uns fort; besser man verhaftet uns, als daß Sie weiter belästigt werden.

CONSTANZE
tritt ihm in den Weg.
Was wollen Sie? Man wird Sie in's Gefängniß bringen, Sie verurtheilen!
MORITZ.
Ach ja, und im Gefängnisse werde ich Sie nicht sehen, lange nicht sehen!
CONSTANZE.
So bleiben Sie doch!
MORITZ.
Aber wenn man kommt und Sie nach uns fragt, werden Sie –
CONSTANZE
seufzend.

Noch mehr lügen müssen?Schmollend. Verdienen Sie wol daß ich mein Gewissen um Ihretwillen mit einer Sünde belaste?

MORITZ
warm.
Nein, liebes, liebes Fräulein, aber ich will mir Mühe geben es zu verdienen.
CONSTANZE
schelmisch.
Daß ich lüge?
MORITZ.
Nein, daß Sie es um meinetwillen thun.

6. Auftritt

[135] Sechster Auftritt.

Vorige, Gustchen. Dann Backes und Hahnenbein.

GUSTCHEN
von rechts mit einem großen Theebret, worauf alles, was zum Thee gehört.
Sie werden bald hier sein, die obern Stockwerke sind schon durchsucht.
CONSTANZE
ängstlich.
Wo bleiben denn Ihre Gefährten?
MORITZ.
Erlauben Sie! Geht nach links und öffnet. He seid ihr fertig?
BACKES
kommt heraus, er ist in ganz moderner Kleidung, die ihm nirgends recht paßt.

Statt seine runden vollen Bartes hat er einen Backenbart, wie ihn die Engländer tragen. Ich bin fertig, der Seifensieder kommt auch gleich!

CONSTANZE.
Geschwind den Theetisch geordnet!
GUSTCHEN
ordnet den runden Tisch vor dem Sopha.
MORITZ
lachend.

Würdiger Proletarier, Sie sehen prächtig aus! Bald wird die Zeit kommen, wo Sie in diesem Anzuge an Ihre Arbeit gehen werden.

BACKES
steht in der Mitte.
Na in der Jacke könnte ich die Arme nicht bewegen – mein Kittel ist doch bequemer.
MORITZ.
Und wie fein Sie Ihren Bart gestutzt haben!
BACKES.

Hm ich fand da ein Rasirmesser, und da ich dachte mein Bart könnte mich verrathen, habe ich mir ein Stück abgeschnitten.

MORITZ.
Das war gescheidt.
BACKES.
Aber wen stelle ich denn nun vor? Wenn wir gefragt werden, was soll ich denn sagen?
MORITZ.

Blitz daran habe ich noch nicht gedacht. Man wird zwar nicht viel fragen, aber Sie werden doch einige Antwort geben müssen.

CONSTANZE
immer ängstlicher.
Und die – die – die etwas breite Aussprache dieses Herrn wird ihn verrathen.
MORITZ.
Edles, souveränes Volksmitglied, vermögen Sie nicht etwas hochdeutsch zu sprechen?
[136]
BACKES.
Ne, anders kann ich nicht reden, so habe ich es von meiner Mutter gelernt.
CONSTANZE.
Das verräth alles!! Dieser Anzug –
MORITZ.

Und diese Mundart, das paßt nicht zusammen. Halt, ich hab's! Sie müssen gar nicht reden, unterdrücktes Mitglied der menschlichen Gesellschaft, wir geben Sie für einen Engländer aus, der nicht deutsch versteht!

BACKES.
Gar nicht reden? Das werde ich schon können, das ist mir recht.
MORITZ.
Setzen Sie sich an den Tisch, trinken Sie Thee und essen Sie Kuchen.
BACKES.

Kuchen essen? Das werde ich auch leisten können, das ist mir noch mehr recht. Setzt sich dem Sopha gegenüber.

MORITZ.
Wenn Sie jemand fragt, so antworten Sieno oder yes, nein oder ja.
BACKES.
Wie?
MORITZ.
No oder yes.
BACKES.
Gut, yo und nes!
MORITZ.
Nicht doch, no und yes!
BACKES.
Aha, no und yes.
MORITZ.

Der Hauptmann wird hoffentlich nicht englisch verstehen, wir müssen es darauf wagen. Was mich betrifft, ich bin erst seit sechs Wochen hier, bin wenig ausgegangen – Zärtlich. Sie wissen was mich zu Hause hielt – mich kennt niemand.

CONSTANZE.
Ach Gott, mir wird ganz ängstlich zu Muthe.
MORITZ.
Sie ängstigen sich? Rasch, noch können wir durch das Fenster in den Garten!
CONSTANZE.
Nein nein, auf keinen Fall!
MORITZ
zärtlich.
So fassen Sie Muth!
HAHNENBEIN
kommt von links; er ist in moderner Livrée, mit hohen Vatermördern sucht er sein Gesicht zu verbergen.
So, da bin ich auch. Aber die Kleider drücken mich in allen Näthen.
GUSTCHEN.
Gut, kommen Sie, Herr – wie heißen Sie denn? –
HAHNENBEIN.
Hahnenbein. Ich bin der Bürger und Seifensieder Hahnenbein. Familienvater. –
[137]
GUSTCHEN.

Von sieben Kindern, ich weiß es schon. Also Herr Hahnenbein, helfen Sie mir die Herrschaften beim Thee bedienen.

HAHNENBEIN
beleidigt.

Bedienen? Ne, das ist gegen meine Würde als Seifensieder. Und der Kaspar Backes soll am Tische sitzen und Herrschaft spielen, während ich die Tassen ausspüle? Ne das ist offenbare Ungerechtigkeit.

MORITZ.
Na wollen Sie lieber eingesteckt sein?
HAHNENBEIN.
Ne Herr, Sie wissen ja am besten daß ich ganz unschuldig bin, daß sie mich gezwungen haben.
BACKES
aufstehend, drohend.
Donnerwetter, Hahnenbein, macht nicht so viel Fisematenten, oder ich komme über Euch!
HAHNENBEIN
erschrocken.
Na still nur, Backes, still nur!
MORITZ.
So thun Sie was Ihnen gesagt wird.
HAHNENBEIN.
Ich will alles thun. Hilft Gustchen während der folgenden Auftritte.
CONSTANZE.

Allein wir sind ja noch gar nicht einig was wir sagen wollen; wir müssen doch übereinstimmen, müssen uns doch verabreden.

GUSTCHEN.
Still, sie kommen!
MORITZ.

Es ist zu spät. Fassen Sie Muth, es wird nicht viel gefragt werden. Wir sagen was der Augenblick uns eingibt. Führt sie zum Sopha und setzt sich neben sie hinter den Tisch.

CONSTANZE
setzt sich aufs Sopha.
Ich vergehe vor Angst.
MORITZ.
Nur Muth.

Es wird geklopft.
CONSTANZE.
Herein.

7. Auftritt

Siebenter Auftritt.

Vorige, Bürgerwehrhauptmann in Uniform.
Man sieht vor der Thüre einige Bürgerwehrmänner.

HAUPTMANN.
Sie entschuldigen, mein Fräulein, daß ich Sie belästige.
CONSTANZE.

Bitte, Herr Hauptmann, ich bin auf Ihren [138] Besuch vorbereitet. Gustchen, leuchte dem Herrn, daß er die anstoßenden Zimmer nachsehen kann.

GUSTCHEN
nimmt das Licht und öffnet links.
Hier, Herr Hauptmann.
HAUPTMANN
geht hin und sieht in das Zimmer.
Hier ist niemand!
CONSTANZE.
Auch das andere Zimmer werden Sie leer finden.
GUSTCHEN
leuchtet in das Zimmer rechts.
HAUPTMANN
sieht hinein.
Auch hier ist niemand.
BACKES
ißt und trinkt tüchtig.
HAHNENBEIN
bedient und ist sehr ängstlich.
MORITZ
spricht Constanzen leise zu.
CONSTANZE
lachend.
Sie sehen, Herr Hauptmann, die Verfolgten sind nicht zu mir geflüchtet.
HAUPTMANN.
Ich sehe. Sie müssen mich entschuldigen, ich that meine Pflicht.
CONSTANZE
liebenswürdig.
Sie bedürfen keiner Entschuldigung.
HAUPTMANN
Backes und Moritz in's Auge fassend.

Sonderbar, Haus und Garten sind sorgfältig umstellt, es ist unbegreiflich wie sie entkommen sein könnten – und doch ist im ganzen Hause keine Spur von ihnen zu finden.

CONSTANZE.
Vielleicht über das Dach?
HAUPTMANN.
Das Haus steht frei und stößt an kein Nachbarhaus.
CONSTANZE.
Haben Sie schon alles durchsucht?
HAUPTMANN.
Ihre Zimmer sind die letzten, die ich nachsehe.
CONSTANZE.
Und auch hier suchen Sie vergebens.
HAUPTMANN.
Mein Fräulein, meine Pflicht heischt noch eine Frage.
CONSTANZE.
Und die ist?
HAUPTMANN.
Ich leugne es nicht daß es mich einigermaßen überrascht bei Ihnen Gesellschaft zu finden.
CONSTANZE.
Mein Gott, ich werde doch das Recht haben jemanden zum Thee bei mir zu sehen?
[139]
HAUPTMANN.
Unzweifelhaft.
CONSTANZE.
Was finden Sie Auffallendes an meiner Gesellschaft?
MORITZ.
In der That, das ist ein wenig sonderbar.
HAUPTMANN.

Mein Fräulein, ich bin ein vertrauter Freund Ihres Vormunds und kenne Ihre Verhältnis se ziemlich genau. Demnach weiß ich daß Sie in Abwesenheit Ihres Herrn Bruders niemals Gesellschaft bei sich sehen. Sie werden mir also erlauben daß ich durch die Anwesenheit dieser Herren wirklich etwas überrascht bin. Zudem sagte mir Frau Greiner, Ihre Hauswirthin, die ich bat Sie auf meinen Besuch vorzubereiten, es wäre ein junger Mann bei Ihnen und jetzt finde ich zwei Herren hier.

CONSTANZE.

Als Frau Greiner bei mir war, befand sich dieser Herr im Zimmer meines Bruders, um nachzusehen was auf der Straße vorginge.

HAUPTMANN.
Das ist sehr möglich – ich muß aber doch die Herren bitten mir ihre Namen zu nennen.
CONSTANZE.

Herr Hauptmann, erlauben Sie, daß ich diesem Auftritte etwas von dem Anstrich eines polizeilichen Verhörs nehme und Ihnen meine Gäste vorstelle. Zudem versteht dieser Herr Ihre Fragen nicht, da er kein deutsch kann. Sie sehen hier Mister Steffenson, einen Kaufmann aus London, der mir einen Gruß von meinem Bruder gebracht hat und das ist auch die Veranlassung, daß ich ihm eine Tasse Thee angeboten habe. Is it not, Sir?

BACKES.
No, no!
HAUPTMANN.
Ah so.
CONSTANZE.

Dieser Herr ist mit Mister Steffenson von der letzten Station hierhergereist und mit ihm in einem Gasthofe abgestiegen. Da er englisch versteht, Mister Steffenson aber kein deutsch, so hat er die Gefälligkeit gehabt ihm zum Führer zu dienen.

MORITZ.

So ist es, mein Herr. Es thut mir leid daß unsere Anwesenheit dem Fräulein Unruhe macht und hätten wir ahnen können –

[140]
HAUPTMANN.
Ihr Name?
CONSTANZE
rasch, ihn vorstellend.
Herr Heinrich Beier.
HAUPTMANN.
Und wo sind Sie abgestiegen?
MORITZ.
In der Stadt London.
HAUPTMANN.
Schön. Und diese Herren waren bereits bei Ihnen, als der Lärm auf der Straße ausbrach?
CONSTANZE.
Sie kamen beinahe um dieselbe Zeit.
HAUPTMANN.
So waren sie doch hier, ehe das Haus besetzt wurde?
CONSTANZE.
Ja.
HAUPTMANN.

Und Sie haben von den Verfolgten nichts bemerkt? Ein junger, fein gekleideter Mann und zwei Leute im Kittel?

CONSTANZE.
Nicht das Geringste.
HAUPTMANN
auf Hahnenbein zeigend.
Und das ist Ihr Diener?
CONSTANZE.
Ja.
HAUPTMANN.
Ich bin befriedigt. Sie verzeihen wenn ich Ihnen lästig gefallen bin.
CONSTANZE.
Bitte, Herr Hauptmann. Gustchen leuchte dem Herrn. Für sich. Gott sei Dank!
HAUPTMANN
will ab.
Schlafen Sie wohl.
GUSTCHEN
nimmt das Licht.

8. Auftritt

Achter Auftritt.

Vorige, Langenberg in Bürgerwehruniform.

LANGENBERG.
Da bin ich wieder. Was ist das?Bleibt erstaunt stehen.
CONSTANZE
für sich.
O weh nun ist alles verloren.
MORITZ
verbirgt möglichst sein Gesicht vor Langenberg.
LANGENBERG.

Sie haben Gesellschaft, Constanze, und ich weiß kein Wort? So recht hinter meinem Rücken? Sonderbar. Und Sie Herr Hauptmann?

[141]
HAUPTMANN.
Sie werden von der Haussuchung gehört haben, die ich anstellen mußte?
LANGENBERG.
Allerdings.
HAUPTMANN.

Diese nöthigte mich auch Ihre Fräulein Mündel zu belästigen. Doch ich habe auch hier nichts gefunden und alles ist in Ordnung.

LANGENBERG.
Aber Constanze, ich begreife in der That nicht –
HAUPTMANN.

Lassen Sie, Freund, dieser Herr hat dem Fräulein einen Gruß von ihrem Bruder aus London gebracht und der zweite Herr dient ihm zum Führer.

LANGENBERG.
Und dieser Diener?
HAUPTMANN.
Ist ja des Fräuleins Diener, wie sie sagt.
LANGENBERG.
Seit wann haben Sie denn einen Diener, von dem ich nichts weiß?
HAUPTMANN
argwöhnisch.
Sie wissen nichts davon?
LANGENBERG.

Kein Wort. Constanze hat nie einen Diener gehabt. Wohl ihr Bruder, allein der hat den seinigen mit nach England genommen.

HAUPTMANN.
Wie ist das, mein Fräulein?
CONSTANZE
sich zusammennehmend.

Hier herrscht ein Mißverständniß. Das ist der Diener des Mister Steffenson, der meinem Kammermädchen etwas zur Hand geht.

HAUPTMANN.
Sie sagten aber doch es sei der Ihrige?
CONSTANZE.
Nicht doch, Sie fragten: ist das ein Diener und ich antwortete: ja.
HAUPTMANN.
Ich fragte ausdrücklich, ob das Ihr Diener wäre.
CONSTANZE.
So habe ich Sie falsch verstanden.
HAUPTMANN.

Mein Fräulein, das ist doch sonderbar. Ich will nicht hoffen daß Sie aus übel angebrachter Gutmüthigkeit – ich muß doch diese Herren bitten sich etwas näher auszuweisen. Zu Backes. Können Sie das?

BACKES
bejahend.
No, no!
CONSTANZE.
Der Herr versteht Sie nicht.
HAUPTMANN
leise zu Langenberg.
Können Sie nicht englisch?
[142]
LANGENBERG
leise.
Kein Wort.
HAUPTMANN
leise.
Das ist dumm.
LANGENBERG
leise.

Ich habe es einmal lernen sollen, allein ich hielt es für überflüssig. Verdammt, jetzt könnte man es brauchen.

HAUPTMANN
laut.
Der Herr reist doch sicher nicht ohne Papiere?
CONSTANZE
lachend.

Ich pfusche zwar der Polizei in's Handwerk, wenn ich nach dem Passe frage, allein ich muß Ihnen wol etwas helfen Zu Backes. Have you a passport, Sir?

BACKES.
Yes, yes.
CONSTANZE.

Der Herr hat seine Papiere im Gasthofe. Doch mir fällt eben ein, ich habe ja den Brief hier, den mir Mister Steffenson von meinem Bruder überbracht hat, vielleicht kann der zum Beweise dienen.

HAUPTMANN.
Ein Brief?
CONSTANZE
nimmt den Brief vom Arbeitstische.
Hier ist er.
HAUPTMANN
besieht ihn, zu Langenberg.
Der Brief ist ohne Poststempel, hier steht: durch Güte, er ist also offenbar überbracht worden.
LANGENBERG
leise.
Es kann auch ein alter Brief sein.
HAUPTMANN.
Mein Fräulein, darf ich das Datum nachsehen?
CONSTANZE.

Sie gehen sehr genau zu Werke – indessen um meinen Gast vor Unannehmlichkeiten zu schützen – der Brief enthält keine Geheimnisse, sehen Sie nach.

HAUPTMANN
öffnet den Brief.

London, den vierten, Halb für sich. heute ist der sechste, der Brief ist also ganz neu. Zu Constanzen. Kommt der Herr gerade aus London?

CONSTANZE.
Er ist ohne Unterbrechung gereist und heute Mittag hier angekommen.
HAUPTMANN.

Schön, dieser Brief genügt mir vollkommen zum Ausweis für diesen Herrn. Und dann wird es ja wol mit Herrn Heinrich Beier auch seine Nichtigkeit haben.

LANGENBERG.
Heinrich Beier? Wer ist Heinrich Beier?
HAUPTMANN.
Da.
[143]
LANGENBERG.
Der? Das ist ja Herr Moritz Hartmuth, der Sohn des reichen Gutsbesitzers!
CONSTANZE
für sich.
Jetzt ist es aus!
HAUPTMANN.

Wie ist das? Ein falscher Name? Mein Fräulein, Ihre Verlegenheit, die Sie hinter Lachen zu verbergen suchten, ist mir gleich aufgefallen, jetzt ertappe ich Sie auf einer Unwahrheit! Was soll ich davon denken?

BACKES
rückt leise seinen Sessel zum Entspringen.
HAHNENBEIN
faltet bittend die Hände und will knieen.
Ich bin ganz –
GUSTCHEN
hält ihm rasch den Mund zu.
CONSTANZE
in höchster Verlegenheit.
Ich weiß nicht –
MORITZ
munter.
Mein Fräulein, hier hilft nun kein Leugnen mehr, sagen Sie die Wahrheit.
CONSTANZE.
Die Wahrheit? Sie meinen –
MORITZ.
Verborgen kann es doch nicht bleiben, erklären Sie den Herren in welchem Verhältnisse wir stehen.
LANGENBERG.
Verhältnisse? Sie stehen in einem Verhältnisse?
HAUPTMANN.
Und in welchem?
MORITZ.
Holde Scham! Wie schwer das Wort über ihre Lippen geht. Ich bin –
CONSTANZE.
Dieser Herr ist –
HAUPTMANN.
Nun?
CONSTANZE.
Mein Verlobter.
LANGENBERG
schreiend.
Verlobter! Constanze, was muß ich hören!
MORITZ
ist schon früher aufgestanden, reicht jetzt Constanzen die Hand und führt sie hinter dem Tische vor.

Und mit dieser Erklärung werden sich alle Mißverständnisse lösen. Immer launig. Unser Verhältniß hat sich ohne Wissen des Herrn Vormunds, vielleicht auch etwas gegen seinen Willen gemacht und sollte ein Geheimniß bleiben bis zur Zurückkunft des Bruders meiner Braut. Daher war sie verlegen, als Sie mich hier fanden, darum legte sie mir einen falschen Namen bei. Als der Lärm auf der Straße begann, eilte ich hierher, um meine Braut nöthigenfalls nicht [144] ohne Schutz zu lassen. Mister Steffenson kam beinahe gleich zeitig mit mir und zwar sehr gelegen, denn Constanze konnte uns zusammen zum Thee da behalten, während ich allein der Schicklichkeit halber nicht hätte dableiben dürfen. Den Herrn Vormund glaubten wir auf der Wache festgehalten und fürchteten nicht von ihm überrascht zu werden. Ich hoffe jetzt ist Ihnen des Fräuleins Verlegenheit und ihre kleine Nothlüge erklärlich.

HAUPTMANN.

Vollkommen. Ich bin Ihnen nun schon zu lange lästig gewesen. Mein Fräulein, nehmen Sie meinen besten Glückwunsch und schlafen Sie wohl. Mit Gruß gegen die Uebrigen ab.

GUSTCHEN
leuchtet ihm hinaus und kommt nicht wieder.
LANGENBERG.

Aber Constanze, was soll ich davon denken? Das ist ja gar nicht möglich, so rasch knüpft man doch derartige Verhältnisse nicht!

CONSTANZE
schelmisch.

O das ist auch nicht so rasch gegangen, Herr Vormund; Sie waren doch wirklich auf der rechten Spur, als Sie vorhin auf Herrn Hartmuth anspielten.

LANGENBERG
zu Constanze.

Aber gestern hatten Sie doch den Herrn noch nicht einmal gesprochen,Zu Moritz. Sie baten ja so flehentlich um eine Unterredung, um eine Antwort nur?

MORITZ.
Ei woher wissen Sie denn das?
CONSTANZE.
Ei ei Herr Vormund, haben Sie vielleicht die Briefe dieses Herrn gelesen?
MORITZ.
Von denen keiner an das Fräulein gelangte?
CONSTANZE.
Die Sie also unterschlagen haben müssen?
LANGENBERG
beschämt, weiß sich nicht mehr zu helfen.
Angenehme Ruhe. Ab.
CONSTANZE.
Gott sei Dank, ich athme wieder auf.
BACKES
steht auf.
Aber Donnerwetter, Fräulein, was können Sie prächtig lügen.
HAHNENBEIN
kommt vor.
Wie gedruckt! Ach ich habe Todesangst ausgestanden.

Stellung: Constanze, Moritz, Backes, Hahnenbein.
CONSTANZE.
Ich schäme mich vor mir selbst! So viele Unwahrheiten zu sagen!
[145]
MORITZ.

Ach ja, Sie haben Recht, so viele Unwahrheiten würden Ihr Gewissen zu schwer drücken, eine wenigstens muß zu einer Wahrheit werden. Halb bittend, halb fragend. Meine holde Braut?

CONSTANZE.
Mein Herr!
MORITZ.
Wollten Sie Ihr Wort zurücknehmen? Bittend. O nein, Sie thun es nicht.
CONSTANZE
schmollend.
Kann ich's denn nach meiner öffentlichen Erklärung?
MORITZ
zieht an sich.

Meine holde Braut! Wer hätte das vor einer Stunde gedacht! Jubelnd. Glücklich! Verlobt! Lachend. Und vor diesen Zeugen. Doch da fällt mir ein daß wir Sie schon zu lange belästigt haben – es wird spät, wir müssen Sie allein lassen. Kommt, ihr würdigen Volksmänner, wenn es dem Herrn Hauptmanne doch noch einfallen sollte in der Stadt London nach Mister Steffenson zu fragen, müßt ihr in Sicherheit sein.Zärtlich. Gute Nacht, Constanze, träumen Sie süß – mich, ach mich läßt die Freude die ganze Nacht nicht schlafen.

BACKES.
Wir danken auch schön daß Sie uns aus der Patsche geholfen haben.
HAHNENBEIN.
Meine sieben Kinder sollen für Sie beten.
CONSTANZE.
Hartmuth – und ihr Männer, noch eins! Ihr baut keine Barricaden wieder, versprecht mir das.
HAHNENBEIN.
Niemals! Ach Gott ich bin ja so nur gezwungen worden.
BACKES.
Ich habe heute auch ein Haar darin gefunden.
MORITZ.
Niemals Constanze, es müßte denn sein dich mein süßes Weib zu vertheidigen. Umarmt sie.

Der Vorhang fällt rasch.
[146]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Benedix, Julius Roderich. Dramen. Die Lügnerin. Die Lügnerin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2E71-4