Des Schneiders Feyerabend und Meistergesang

Altes Lied in meinem Besitz. C.B.


Und als ich saß in meiner Zell und schreib,
Da kamen drey Beginnen
So alte heil'ge Weib.
Sie lasen mir vor
Den schnellen grimmen Tod.
Ich bin ein armer Schneider,
Und leid' es wohl durch Gott,
Da hatt ich armer Schneider
Für sie und mich kein Brod.
Die Erste spann, den Faden dreht die Zweyt,
Die Dritte hielt die Scheere
Zum Schneiden schon bereit,
Sie lasen mir vor:
Zum schnellen grimmen Tod
Bereit dich armer Schneider,
Das Sterben thut dir Noth,
Dieweil du armer Schneider
In deinem Sack kein Brod.
Und als ich hungrig saß in meiner Zell und schreib,
Da stiegen durch die Decke
[402]
Drey junge schöne Weib,
Sie sangen mir vor
Wohl von der Ewigkeit,
Da hätt ich armer Schneider
Noch lange lange Zeit.
Gebt Brod mir armen Schneider,
Mein Weg ist noch gar weit.
Der Erste trug ein Speer, ein Saitenspiel die Zweyt,
Die Dritt ein Lorbeerzweig,
Das war die Ewigkeit.
Die erste sang mir vor:
»Der Speer in gutem Streit,
Der trägt das Lorbeerzweiglein,
Der trägt die Ewigkeit!«
O hätt ich armer Schneider
Ein Stärkung in dem Streit.
Des zürnt die alte Katz und knappet mit der Scheer,
Da steckt ich sie zum Fenster naus,
Auf meinem guten Speer,
Da las ich ihr vor:
»Dein schneller grimmer Tod,
Trifft nicht mich tapfern Schneider,
Ich fechte wohl um Gott,«
Wer giebt mir müden Schneider
Zur Stärkung nun ein Brod.
Da reichte mir die Dritt das Lorbeerzweigelein,
Mein Haupt das war zu dicke,
Der Lorbeer war zu klein.
Die Zweyte sang mir vor:
»Hätst du die Harfe mein,
[403]
Es müst' der Kranz sich weiten,
Schlüg' Gottes Finger drein!«
Ach hätt ich armer Schneider
Ein Trünklein rheinschen Wein.
Da trat in meine Zell ein schönes Jungfräulein,
Was trug sie auf den Händen?
Ein Becher Gotteswein.
Der sang ich wohl vor,
Mein Harfe klang auch rein,
Der Lorbeer thät sich breiten,
Schloß uns in Schatten ein,
Sie warf mir armen Schneider
Ins Glas ihr Fingerlein.
Nun sitze ich in meiner Zell und sing
Und leere meinen Becher,
Da klingt der Buhlen Ring.
Den Alten sing ich vor,
Sie schlafen nickend ein,
Mein Lieb nimmt ihren Faden,
Spinnt alte Zeit hinein,
Und spinnt mir armen Schneider,
Ein Brauthemd obendrein.
Die Alte, die zum Fenster naus nun knappet mit der Scheer,
Die ist der Werkstadt Zeichen,
Lockt gut Gesellen her.
Ich singe ihnen vor,
Wie doch der grimme Tod
Nur sey ein Bärenhäuter,
Vor Sang und Streit, und Gott,
Das bracht mich frommen Schneider
Wohl wieder an das Brod.
[404]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 1. Des Schneiders Feyerabend und Meistergesang. Des Schneiders Feyerabend und Meistergesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-091D-1