Erster Teil Im Frühling des Jahres 1784 .
kam zu Saumür in der ehemaligen Provinz Poitou , ein ältlicher Mann an , der , nach seiner Kleidung zu urteilen , ein Seeoffizier von ansehnlichem Rang sein mußte .
Er war von seinen Kindern begleitet : einem Sohn und einer Tochter von neun bis dreizehn Jahren , und einer zweiten Tochter , die noch in der frühesten Kindheit war .
Die Kinder trugen tiefe Trauer um ihre vor kurzem verstorbene Mutter , aber weiter konnte die Neugier der Wirtsleute in dem wenig besuchten Gasthofe anfangs nichts erfahren ; denn die beiden Bedienten des Fremden , ein junger Bursche aus der Gegend von Saumür selbst , der zufällig ganz kurze Zeit vorher nach Paris gewandert war , um dort Dienste zu suchen , und eine Kinderwärterin , waren nur gerade vor der Abreise des Fremden aus der Hauptstadt von ihm angenommen worden , und wußten wenig mehr von ihrem neuen Herrn , als daß er seinem Namen nach zu urteilen - er hieß Seldorf - kein geborener Franzos sein müßte , im amerikanischen Kriege gedient hätte , und mit einem zerschmetterten Arm zurückgekommen wäre .
Er äußerte indessen bald , daß er sich einige Zeit in der Stadt aufzuhalten gedächte ; und sobald er seinen Kindern , für welche er die größte Sorgsamkeit zu haben schien , alle Bequemlichkeiten verschafft hatte , die bei der Beschaffenheit des Hauses zu erlangen waren , erkundigte er sich bei dem Wirt , ob in diesem Strich nicht irgend ein gut gelegenes Landgut , von mäßigem Umfang , zu kaufen sein sollte .
Es fand sich , daß dieser durch einen kleinen Weinhandel mit mehreren Herrschaften in Verbindung stand , und Leute in der Stadt kannte , die mit Aufträgen zu dergleichen Geschäften versehen waren .
Seldorf nahm auf den folgenden Tag Abrede mit ihm , einige Gänge zu diesen Leuten zu tun , und kehrte hierauf zu seinen Kindern zurück .
Er fand Sara , seine älteste , ein sanftes Geschöpf von neun Jahren , neben der Kinderwärterin knien , und ihr Schwesterchen , das ein heftiges Fieber zu haben schien , liebkosend trösten , indes der Knabe an einem Fenster stand , und mit großen ernsten Augen auf die Gruppe blickte .
Seldorf näherte sich der Kleinen , legte seine Hand an ihre glühenden Wangen , sah in ihre trüben Augen , und sagte zu Sara : Gutes Kind , deine Schwester wird nun gesund werden , diese Luft ist heilsam - Sara sah freundlich zum Vater auf , der mit Bestürzung wahrnahm , daß ihr Gesicht von Tränen benetzt war .
Was hast du ? rief er , und zog sie zu sich .
Antoinette ist ja nicht so krank , sie soll leben , und wir wollen sie pflegen , und für sie sorgen - O Vater , das ist es nicht ! wenn sie auch stürbe - ich denke wohl , Vater , der Tod ist nicht das Betrübteste ; aber so lange sie lebt , müssen wir ihr wohltun , und sie lieb haben - und Theodor - - Ungeduldig hatte dieser der Schwester zugehört , er eilte nun zu ihr - Sara , rief er dringend , du hast Unrecht , ich will Antoinetten wohltun , ich möchte jeden Schmerz für sie leiden ; du weißt ob es wahr ist , was du mir vorwarfst , was du nun dem Vater sagen willst - Seldorf unterbrach den stürmischen Knaben , drückte beide Kinder an seine Brust , und wollte sich eben nach der Entstehung ihres Zwistes erkundigen , als die kleine Kranke von dem Schoß ihrer Wärterin herabglitschte , und mit zitternden Schritten zu ihm schlich , seine Knie mit beiden Armen umfaßte , und indem sie bittend zu ihm hinaufsah , einige süße Worte lispelte .
Seldorfs Gesicht überflog eine glühende Röte , sein Blick wurde finsterer , er bückte sich aber nach dem Kinde , dessen Kopf matt auf seine Knie gesunken war .
Theodor nahm es auf seine Arme , sah auf den Vater , sah auf die lächelnde Kleine , und wollte sie lebhaft an sich drücken , als sie schmerzhaft ausschrie :
Ach mein Hals ! und nach einer breiten Binde griff , die sie bis an das Kinn verhüllte .
Des Knaben Tränen stockten , er gab das Kind eiligst der Wärterin , und ohne den mindesten Ausdruck von Teilnahme gegen das wimmernde Geschöpf , warf er sich seinem Vater um den Hals .
Vater , rief er , Sara findet mich hart gegen Antoinette , weil ich nicht - weil mein Herz mir es unmöglich macht - weil wir Knaben wohl helfen mögen , aber nicht klagen und trösten können . -
Ach Theodor , unterbrach ihn Sara , wie ich die Blattern hatte , konntest du da nicht klagen und trösten ? Habe ich da nicht oft gebeten :
Bruder , weine nicht !
wie ich blind war , und deine Tränen so kühl auf meine brennenden Hände fielen ? -
Sara , quäle mich nicht , denn ich habe recht .
Du bist älter , du bist meine liebe Herzensschwester gewesen , lange ehe der Vater uns allein ließ , dich liebte ich ja , ehe du nur mit mir sprechen konntest - Seldorf wollte nun den zärtlichen Streit , dem er gerührt und nachdenkend zugehört hatte , endigen .
Liebreich stellte er Theodor'n vor , wie selten es in der Macht des guten Mannes stände , den Leiden seiner Mitgeschöpfe abzuhelfen , und wie lindernd für den Leidenden Teilnahme und sanfte Tröstungen wären .
Während daß Beschämung und Hartnäckigkeit in des Knaben Seele noch kämpften , wendete sich der Vater zu Sara , und sagte : Mein Kind , Theodor will nicht hart sein gegen das arme Geschöpf , das weißt du ; von der Art , wie er euch beide liebt , kannst du nicht urteilen , meine Sara .
Wenn du einst älter bist , wirst du lernen , daß es weibisch wäre , wenn Knaben und Männer liebten und trösteten , wie es deinem Geschlecht wohl ansteht , es zu tun .
Sara verstand ihres Vaters Worte kaum zur Hälfte , denn sie war sehr jung und einfach ; aber eben dieser Einfalt prägte sich der Sinn dieser Worte , für welchen die Natur das weibliche Herz so empfänglich gemacht hat , tief ein , und mit demselben Achtung für den Unterschied zwischen ihrem Gefühl und dem , was ihr Vater als Eigenschaft des Mannes zu bestimmen schien , liebende Behutsamkeit , in den beiden Geschöpfen , die sie so innig ehrte , diesen Unterschied nicht zu beleidigen .
Es kam Seldorf darauf an , unverzüglich einen ländlichen Aufenthalt zu finden , und er hatte hierzu bloß die Mühe der Wahl , denn in der Hauptstadt waren eine Menge Gutbesitzer ungeduldig , einen Teil ihres väterlichen Erbes in fremde Hände zu bringen , um in dem glänzenden Wirbel , wo sie sich wie Strohhalme im Weltmeer umtrieben , sich einen Augenblick länger eine lügenhafte Wichtigkeit zu geben .
Er entschied sich für ein artiges Landhaus , von welchem ein kleines Dorf und ziemlich ansehnliche Ländereien abhingen , das die reizendste Lage hatte , und von allem Geräusch und Überfall von Müßiggang so entfernt war , wie es in einer Provinz sein konnte , wo es Rittergüter , alte Schlösser mit Türmen und Gräben und allen feudaleschen Ehrenzeichen in zahlloser Menge gab .
Das Haus war zuletzt von der verwitweten Gräfin ** bewohnt gewesen , die es als Witwensiz besessen hatte , und nach deren Tode es ihres Mannes ältestem Sohne aus seiner ersten Ehe zugefallen war .
Diese arme Dame , welche durch verschiedene Umstände sehr wider ihren Willen vom Hof entfernt gehalten wurde , hatte alle Laster , aus welchen die Bewohner jener erhabenen Sphäre die Fesseln schmieden , mit denen sie lächelnd sich selbst Geißeln , unter die Einwohner dieser Gegend gebracht .
Zu alt , zu beschränkt in ihren Glücksumständen , und zu verlebt , um einen Zirkel von Menschen ihres Standes um sich zu versammeln , hatte sie Neid , Intrige , Raubsucht , Haß , und alle Wirkungen , die es in dem Menschen hat , wenn er nicht allen Menschen anzugehören glaubt , in die täglich wirksamen Verhältnisse des häuslichen und ländlichen Lebens übertragen , ihre Untertanen gedrückt , ihre Nachbarn verscheucht , ihr Gesinde verschlechtert .
Nach ihrem Tode sahen sich die Untertanen mit dumpfer Gleichgültigkeit in eines neuen Herrn Gewalt kommen , indes mancher unter ihnen weinen mochte , wenn er aus Not gezwungen war , sein letztes Pferd einem anderen Eigentümer zu überlassen .
Daß sein Pferd es besser oder schlimmer haben konnte , wußte er , da er selbst viele Jahre lang sein schwarzes Brot zwischen diesem Tiere und seinen nackten Kindern geteilt hatte ; aber daß die Bauern jemals von einem Herrn besser als von dem anderen wären behandelt worden , hatte ihm sein alter Vater nie erzählt .
Seit vielen Menschenaltern ohne Genuß von sicherem Eigentum , von Liebe oder Dank , sahen sie fühllos die lächelnde Sonne ihre Fluren bescheinen ; die Trauben die sie rötete , die Saaten die sie reifte , gehörten nicht ihnen ; sie kannten ihre Wirkung nur von dem Schweiß der bitteren Mühe her , der ihre erniedrigte Stirn benetzte .
Nie hörte man sie von dem Segen ihrer Arbeit sprechen ; wenn sie nach einem schwülen Tag finster vor ihren Hütten saßen , erzählten sie sich höchstens von dem Hagelwetter , dessen Verwüstungen ihnen Brot und Obdach nahmen .
Unglücklich fühlten sie sich nicht , denn es fiel ihnen nicht ein , sich mit Glücklicheren zu vergleichen ; hätten sie das gekonnt , hätten sie gar sich mit ihren prassenden Herren zu vergleichen gewagt , es wäre schon der erste , gefährliche Schritt zum Erwachen aus ihrer Dumpfheit gewesen .
Die seelentötende Erniedrigung dieser armen Menschen bestand gerade darin , jenes Geschlecht , das sie von allen Ansprüchen der Menschheit ausschloß , für erhabener als sich selbst zu halten ; und erwachte je ein Funken von Ehrgeiz in ihnen , so befriedigten ihn glänzendere Zeichen ihrer Dienstbarkeit .
So waren die Einwohner dieser Gegend , und die paar hundert Menschen beschaffen , über welche Seldorf nun zu gebieten hatte .
Dieser Mann hatte früh denken gelernt , er hatte früh seinen Geist bereichert ; aber in der Einsamkeit erzogen , hatte er den Menschen nur in seinem eigenen Herzen studiert , und das Ideal , was er hier fand , leitete ihn auf einen Pfad , wo er ohne Gefährten blieb .
Nirgends begegnete ihm in der Wirklichkeit die hohe Tugend , nach welcher er strebte , die er allein seiner würdig hielt .
Oft glaubte sein warmes Herz ihre Spur gefunden zu haben , er verfolgte sie eifrig , und immer sah er sein schönes Bild in Luft zerfließen .
Doch riß ihn keine Erfahrung von seinen Schwärmereien los , bei jeder wurde ihm vielmehr sein Ideal teurer , bei jeder strahlte dessen Glorie heller , und bedeckte neues Dunkel den Pfad seines Lebens .
Er sehnte sich nach Mitgefühl , und wachte zu streng über sich selbst , um die Einsamkeit seines Herzens seiner Vortrefflichkeit zuzuschreiben .
Indessen sah er sich oft mit Beifall umringt , wenn er sich kleiner Antriebe bewußt war , und oft erging über ihn das strengste Gericht , wenn seine schöne Seele im Gefühl ihres Adels glühte .
Misstrauen gegen den Schein der Tugend mußte also mit Geringschätzung fremden Urteils in ihm entstehen .
Bei einem kälteren Herzen wäre er ein Menschenverächter geworden .
Aber Seldorf konnte sich nur von den Einzelnen losreissen , unter denen ihn so viele betrogen und verkannten , um das ganze Geschlecht mit desto innigerem Wohlwollen zu umfassen .
Verschiedene Umstände verschafften ihm schon in früher Jugend , ob er gleich in Deutschland geboren , und seine Eltern von der nämlichen Nation waren , eine Stelle im Dienst des königlichen Seewesens in Frankreich .
Dies war keine Gelegenheit für ihn , Menschen nach seinem Bild zu finden ; was ihn umgab , war vielmehr Unrecht , Druck , und Vergessenheit aller Pflichten .
Sein Herz litt unendlich dabei , und da er sich eben so fruchtlos nach Glück als nach Tugend umsah , fing er an , beide weniger für den Lohn , als für den Leitstern des menschlichen Geschlechts zu halten .
Seine schönsten Jahre waren in überspanntem Streben und trüber Ergebung verflossen , als der siebenjährige Krieg ausbrach , der für Frankreichs Ehre und Wohlstand so verderblich war , in welchem schamlose Intrige , Privatinteresse und Weiberlaune Leben und Gut der Nation in die Hände spottender Feinde lieferten .
Seldorf fühlte alle diese Abscheulichkeiten bei seinem Dienst zehnfach bitter ; die wenigen redlichen Seeoffiziere sahen mit Zähneknirschen , wie sie und ihre brave Mannschaft durch die Pflichtlosigkeit der Oberen dem Hohngelächter der Fremden preisgegeben waren .
Wo indessen der Mut der Seeleute nicht durch die Ungeschicklichkeit oder Verräterei ihrer Anführer fruchtlos gemacht wurde , behaupteten sie ihre Ehre ; und einige durch Tapferkeit und Klugheit geglückte Unternehmungen brachten Seldorf früher in seinem Dienst empor , wie er als Ausländer und Bürgerlicher unter anderen Umständen je hätte erwarten können .
Die Tätigkeit , zu welcher er dadurch immer mehr Anlaß bekam , hatte den wohltätigsten Einfluß auf seinen Geist ; statt müßiger Spekulation , sah er nun Wirklichkeit um sich her , und wenn er auch dabei auf Gestalten stieß , die gegen die Bilder seiner ehemaligen Betrachtungen ihm sehr verzerrt vorkamen , so traf er auch freundliche , anziehende Gruppen , die durch ihre menschlichen Unvollkommenheiten Zutrauen , und durch manche einzelne Züge Ahnungen hoher Tugend erweckten .
In der erzwungenen Achtung seiner unwürdigen Oberen schien ihm die zertretene Menschheit einigermaßen gerächt , und ihr richtiges Verhältnis schien ihm in der zutraulichen Liebe seiner mutigen , sorglosen Untergebenen zum Teil wieder hergestellt .
Sein Herz erweiterte sich , denn er fühlte die mangelhafte Wirklichkeit beglückender als seine vollkommenen Ideale .
Der Zustand , in welchen das arme Frankreich immer tiefer versank , setzte den guten Seldorf , als er nach beendigtem Kriege in das bürgerliche Leben zurückkehrte , zwar in Gefahr , den kleinen Vorrat von Lebenslust , den er aufgesammelt hatte , wieder einzubüßen .
Allein jene unbestimmten Triebe seiner Jugend waren nun verraucht , des Mannes ruhiger Sinn begnügte sich mit den gewöhnlichen Hilfsquellen des gesellschaftlichen Lebens ; er wollte sich nun auf immer vor Schwärmerei schützen , und beschloß , so nah er auch seinem Herbst war , mit noch ganz neuem Herzen eine Gattin zu suchen .
Das weibliche Geschlecht war ihm bisher unbekannt geblieben .
Der Begriff von weiblicher Tugend und weiblichem Adel war seinem Ideengang überhaupt angemessen .
Das einzige Weib , das er je kannte , seine Mutter rechtfertigte diesen Begriff ; ihr Andenken heiligte bei ihm ihr ganzes Geschlecht , und machte es ihm so ehrwürdig , daß er die einzigen weiblichen Geschöpfe , die er in seinem Dienst und durch den Umgang mit seinen Kameraden zu sehen Gelegenheit gehabt , nie mit diesem Geschlecht in die mindeste Verbindung gebracht hatte .
Der Zufall führte ihm ein Mädchen zu , die er zu seinem Weibe machte , nachdem er sie schon durch alle Bande der Dankbarkeit an sich gefesselt hatte .
Leidenschaftlich lieben konnte der vierzigjährige Mann wohl nicht mehr , aber mit dem vollsten Zutrauen sein ganzes Glück aus den Händen eines reizenden Weibes erwarten , die ihm mehr wie das Leben zu verdanken hatte , das konnte er mit mehr Einmischung seiner ganzen Seele als manche heftige Leidenschaft erfordert .
Er wurde auch glücklich , und zwei Kinder , Theodor und Sara , schienen ihn auf immer an die Fehler , Leiden und Genüsse der gebrechlichen Menschheit zu knüpfen , als die unergründliche Staatskunst des französischen Hofs seine Untertanen nach Amerika schickte , um dem kühnen Volke eines anderen Weltteils ein Gut erkämpfen zu helfen , das bei ihnen Majestätsverbrechen geheißen hätte .
Seldorf konnte bei seinem Gefühl und seiner Denkungsart dem Ruf seines Monarchen für Freiheit und Volksglück zu streiten , nicht als bloßer Mietling folgen .
Erstaunt durch einen Dienst , wie der seinige , aufgefordert zu sein , für die Sache der Menschheit zu fechten , flog er auf seinen Posten , und die Freude seiner Seeleute jauchzte ihm entgegen .
Das wohlgemute Volk hatte unter Seldorf gesiegt , und sein Blut vergossen aus gewohntem Gehorsam , die wenigsten darunter bekümmerten sich ernsthaft um das Wesen und den Grund des Kampfes ; indessen trieben sich manche unbestimmte Begriffe und Sagen von den Taten und dem Vorhaben der neuen Bundsgenossen jenseits des Ozeans in den leichtfassenden Köpfen dieser Nation umher , und ob es schon verworren genug darum aussah , so gibt es doch einen Ton , der rein angeschlagen in jedem denkenden Wesen wiedertönt - Freiheit heißt er , und der Lerche kühner Flug im Duft der Morgenröte verkündet ihn der ganzen Schöpfung wie das geopferte Leben von Tausenden ihn in das Ohr der Tyrannei ruft .
Für Seldorf war dieser Krieg ein wichtiges , ernstes Schauspiel .
Er hielt sich lange in den amerikanischen Häfen auf , und folgte mit spähendem Blick der Schöpfung der Freiheit um ihn her .
Jetzt sah er die Menschheit in einem neuen und wohltätigen Lichte , er verglich die Bewohner jenes Landes mit dem braven , empfänglichen Volke , unter welchem er seit seiner Kindheit lebte , dachte den Abgrund von Elend , worin es verschmachtete , und wenn mancher schwarzlockiger Knabe mit kindischem Mut den oft gehörten Ruf von Freiheit und Eigentum nachrief , sah er seines Theodors unterdrücktes Verdienst an den Stufen des Throns zertreten .
Er selbst war mit seinem kleinen Haufen fast immer des Sieges gewiß gewesen , aber was vermochte die edelmütige Tapferkeit eines Seldorfs gegen die Machinationen des Eigennuzzes und der treulosen Selbstsucht ?
Im letzten Jahre des Kriegs zerschmetterte ihm eine Kugel die rechte Schulter , lange verzweifelte man an seinem Leben , und unter den unsäglichen Schmerzen seiner Krankheit mußte er über sich selbst lächeln , wenn in den Händen des Wundarztes ihn der Gedanke stärkte , für die Sache der Freiheit zum Krüppel zu werden , er , der als Söldling eines Königs in einer fremden Sache sein Blut vergoß !
Seldorf war nun zu ferneren Kriegsdiensten unfähig , und eilte nach Frankreich zurück , versöhnter mit dem Schicksal der Menschen , denn er hatte in jenem Lande den Keim ihrer Veredlung und ihres Glücks gesehen , und alle Freuden des Gatten und Vaters in seiner Heimat erwartend .
Wie viel glücklicher wäre der Arme gewesen , wenn die Kugel , die seine Schulter zerschmetterte , sein gutes Herz mit allen seinen Hoffnungen und Aussichten getroffen hätte !
Er kam zurück , und Zerrüttung seines häuslichen Friedens und Schande war der Lohn seines Vertrauens und seiner Wunden .
Seine Gattin machte ihn zum drittenmal zum Vater , und brach in schuldvolle Tränen aus , als er das Kind mit bitterem Zähneknirschen aus den Händen der Wehmutter empfing .
Nach kurzer Zeit trennte sie der Tod , und in dem finsteren , tränenlosen Blick , den er ihrem Sarg nachschickte , las man die ewige Scheidung zwischen ihm und den Freuden des Lebens .
Sogleich nach diesem Vorfall schaffte er alle seine Bedienten ab , brach mit seinen wenigen Bekannten und verließ die Hauptstadt , welche der Schauplatz dieser Begebenheiten gewesen war .
Seldorf erschien seinen neuen Nachbarn und seinen Untertanen bald als ein Wesen ganz anderer Art , wie die letztverstorbene Gutsbesizzerin .
Jede seiner Einrichtungen , jedes Tagewerk bewies , daß er um so eifriger darauf bedacht war , alles um sich her zu beglücken , je ferner jedes frohe Gefühl von seinem eigenen Herzen war .
Keiner , der ihm nahte , konnte seinen Willen verkennen , aber aller Dank , der ihm wurde , konnte ihm nicht den schönsten Lohn seiner Tugend geben ; er konnte Wohltaten austeilen , aber Freude geben konnte der freudenlose Mann nie .
Mit treuer Sorgsamkeit wachte er für seine Kinder , und pflanzte den reinsten Enthusiasmus für alles Edle und Gute in ihren Herzen , innig verehrten sie in ihm das Vorbild seiner Lehren ; aber das teilnehmende Lächeln seines gramvollen Gesichts verscheuchte ihre jugendliche Fröhlichkeit .
Mit weiser Menschlichkeit zog er seine Untertanen aus Armut und Elend , lehrte sie zuerst nach den Annehmlichkeiten des Lebens trachten , indem er es ihnen möglich machte , sie zu erlangen .
Wenn aber ein schöner Sommerabend das Landvolk zu lustigen Spielen versammelt hatte , und er unerwartet erschien , verstummte die Freude vor dem trüben Blick ihres Schöpfers .
Sara und Theodor lebten von dem ersten Augenblick ihres ländlichen Aufenthalts ein neues Leben .
Die ersten ohne deutliches Bewußtsein verfloßenen Jahre ihrer Kindheit hatten eben keinen Eindruck weiter in ihrem Gedächtnis zurückgelassen , als daß sie die lange Abwesenheit ihres Vaters mit einem dunklen Gefühl von ehemaligem Glück verglichen .
Theodor , vier Jahre älter wie seine Schwester , hatte sich glühende Bilder von den Gefahren und Taten des geliebten Vaters gemalt , und von dem Entzücken des Wiedersehens .
unablässig hatte er in seine Mutter gedrungen , daß sie ihm von Amerika erzählte , und das Wort Freistaat durchdrang ihn mit Ehrfurcht , seitdem er wußte , daß dafür seines Vaters Blut geflossen war .
Nach des Vaters lang ersehnter Rückkehr lag ein schweres Schicksal auf der ganzen Familie , der Kinder unschuldiger Sinn entzifferte es nicht , aber jungen Vögeln gleich , die unter einer finsteren drückenden Gewitterwolke leise mit gebückten Köpfchen an der Erde wegfliegen , war , ihnen selbst unbewußt , alle Freude gelähmt , und ihr heiterstes Geschwätz lispelte kaum hörbar dahin wie Gespenstermährchen .
In Theodors lebhaftem Geist schienen manchmal wohl befremdliche Gedanken zu dämmern , aber kindlich begnügte er sich , seines Vaters Gram zu teilen , ohne tiefer in dessen Ursachen einzudringen .
Seit sie indessen das Land bewohnten , war dieser Zauber gehoben ; des Vaters Gesicht blieb zwar von Kummer umwölkt , aber die neue Lebensweise , Seldorfs unablässiges Bemühen , ihnen jeden Genuß zu verschaffen , alles gab ihnen das Glück der Jugend zurück .
Sein liebstes Geschäft war , die Kinder eines durch das andere zu bilden ; Lage und Charakter hatten sie einander so genähert , daß der Unterschied ihrer Jahre verschwunden war .
Theodor gewöhnte sich , Sara gleichsam als die Stellvertreterin ihres ganzen Geschlechts anzusehen , und achtungswürdiger konnte es ihm nie erscheinen als in ihr .
Sara glaubte in ihrem Bruder das Urbild alles Schönen , das der teure Vater als Ziel der Vervollkommnung schilderte , zu erkennen .
Bei so empfänglichen Herzen , und der Abgeschiedenheit , worin sie lebten , mußte sich bald Enthusiasmus in diese Gefühle mischen .
Oft sagte Seldorf zu seinem Sohn : Willst du ein Mann werden , so lerne die Weiber ehren .
Nur wenn sie uns beglücken , sind sie liebenswürdig ; nur wenn wir sie ehren , können sie uns beglücken .
Die Natur setzte die Vollkommenheit beider Geschlechter in der größten gegenseitigen Abhängigkeit , indem sie ihr die größte Verschiedenheit gab .
Der feste , treue , eiserne Mann kann nur der sanftesten Weiblichkeit huldigen ; Schwächlinge lieben Amazonen .
Damit aber das Weib diesen Zauber ihres Geschlechtes besitze , muß ihr Herz kindlich bleiben , wie gebildet auch ihr Verstand sei ; und unsere Achtung allein kann das Zutrauen hervorbringen , welches diese Kindlichkeit erhält .
Fühlt das Weib nicht diesen Lohn seiner Liebenswürdigkeit , so sucht es sich von uns unabhängig zu machen , und dann wird es verächtlich .
Die Natur , die uns stärker machte als sie , verträgt diese Unabhängigkeit nicht ; alsdann erniedrigen wir sie dafür , gewaltsam oder listig , zu unseren Sklavinnen , und pflanzen auch alle Laster des Sklavensinnes in ihre entartete Brust .
Aus Händen , die wir nicht achten , können wir den Lohn nicht mehr empfangen , der nächst unserem Selbstgefühl der reinste Antrieb zur Tugend ist , und alle einfachen Bande des geselligen Lebens lösen sich auf .
Alle Lehren , die Seldorf seinen Kindern gab , atmeten diese Grundsätze .
Nach ihrem mehr oder weniger gebildeten Alter veränderte sich zwar die Einkleidung , aber der Sinn blieb derselbe .
Er bedachte nicht , wie viel bittere Erfahrungen er einst in der wirklichen Welt zwei einsamen , liebevollen Geschöpfen zubereitete , die er mit abgezogenen Begriffen über Wesen ausrüstete , welche alle in tausend und aber tausend Abänderungen irgend einen Zug dieses Bildes darstellen , aber demselben nie gleichen würden .
Seine Absicht war indessen berechnet und schön .
Er selbst war auf seiner Laufbahn an einen Abgrund von Unglück geraten , er hatte sich für Menschen geopfert , die sein Herz zerrissen hatten , und sein hoher Begriff von der Menschheit hatte sein eigenes Selbst vom Untergang errettet , hatte ihm Mut gegeben , bei einer völlig zerstörten Existenz Schöpfer fremder Glückseligkeit zu werden .
Die bürgerliche Gesellschaft und ihre Verhältnisse waren ihm verhaßt , er dachte mit Schaudern daran , seine Kinder in diesem schalen Chaos kaltherziger Leidenschaft und geistloser Vernunftanstrengung zurückzulassen ; da er aber keine Einsiedler aus ihnen machen wollte , so sollten sie in den Stand gesetzt werden , sich einst ihren Weg selbst zu bahnen .
Die einzige Sicherheit , die er ihnen gegen alle Gefahren geben zu können glaubte , war der höchste Begriff von ihrer moralischen Bestimmung ; hatten sie den , so konnten sie unter so vielen entarteten Mitgeschöpfen wohl unglücklich , aber nie ihnen gleich werden .
Das Landleben und die sanfte Luft schienen anfangs Sara's Wünsche für Antoinetten , die leztgeborne Tochter von Seldorfs Weib , zu begünstigen , sie bekam Kräfte , und erwiderte die Liebe ihrer älteren Schwester mit der rührendsten Zärtlichkeit .
Indes Theodor bei dem Vater lernte , oder ihn in seinen landwirtschaftlichen Geschäften begleitete , war Antoinette beständig um Sara , ließ sich allerlei kleine Spiele und Arbeiten von ihr weisen , oder wurde von ihr , mit süßer Sorgfalt für ihre Gesundheit , im Garten und auf den Wiesen umher geleitet .
Kamen der Vater und der Bruder zurück , so brachte die gute Sara ihren Pflegling der Wärterin wieder , denn es tat ihrem weichen Herzen zu weh , ihren Vater bei dem Anblick und den Liebkosungen des kleinen Geschöpfes finster werden zu sehen .
Anfangs , und so lange Antoinette krank war , hielt sie das für Schmerz über ihr vieles Leiden ; nun war sie aber gesund , und wenn Sara ihrem Vater erzählte , daß ihr Schwesterchen hübsch laufen , und schwatzen , und sonst allerlei niedliche Dinge könnte , und er sie dann mit erzwungener Freundlichkeit anhörte , oder mit trüben Augen umarmte , und finster abbrach , strengte sie ihren liebenden Sinn an , um die Ursache dieses Unwillens zu ergründen .
Natürlich erwachte dann in ihr das Andenken der Mutter , um derentwillen sie ihren Vater oft betrübt sah .
So geschah es einmal , da er ihre kindische Freude über ihr Schwesterchen kalt zurückzustoßen schien , daß sie furchtsam fragte :
Vater ist es denn Antoinettens Schuld , daß die Mutter starb ?
Seldorf trat heftig zurück , und ging mit sich selbst kämpfend im Zimmer umher .
Das gute Mädchen glaubte es nun erraten zu haben , und ergriff weinend des Vaters Hand : Zürne nicht , verzeih ihr !
Sie ist so allein , weil du sie nicht magst - bringe sie dann her , gute Sara , ich will sie mögen , ich will ihr verzeihen - - weiter ließ ihn seine Bewegung nicht sprechen , und weiter hätte auch Sara nichts gehört , denn sie war schon hinaus geeilt , um ihrer Schwester ein Glück zu verschaffen , das sie für das schönste , wünschenswerteste hielt .
Die Kleine spielte im Garten unter den Blumen , und folgte Sara's freudigem Ruf , zum Vater zu kommen , mit furchtsamen Schritten ; denn sie war seiner Gegenwart fast entwöhnt , und liebte ihn nur aus Sara's Lehren , wie die unbekannte Gottheit ihres kleinen Herzens .
Seldorf empfing sie tief gerührt , mit offenen Armen , und Antoinette blickte scheu bei den Tränen und Liebkosungen des Vaters .
Ihre schönen , wenn gleich matten Augen , suchten kindisch staunend auf Sara's Gesicht eine Erklärung dieses Auftritts ; indes , wie sie ihre kleine Mama so fröhlich sah , wurde sie auch munter und wacker , suchte die schönsten Blumen aus ihrem Körbchen , und steckte sie dem Vater erst in die Hand , dann gar an die Brust , eilte geschäftig hin und her , und holte alle ihre kleinen Arbeiten , und zeigte sie ihm mit einem sanften , um Beifall bittenden Blick ; und wenn ihr Wunsch gewährt wurde , rief sie : das hat mich alles Sara gelehrt , das hat mir meine Sara geschenkt ; Sara erzählt mir auch viel schöne Geschichten , soll ich dir eine erzählen , lieber Vater ? -
Es war deutlich , daß Seldorfs Herz bei diesem ganzen Auftritt von tausend Empfindungen zerrissen wurde ; aber je länger er Saras inniger Teilnahme an der liebenden Geschäftigkeit dieses Kindes zusah , und je vertraulicher die arme Kleine , in der Bemühung ihm zu gefallen , wurde : je sanfter schien sein Schmerz zu werden . -
Ja , erzähle mir deine schönste Geschichte , die dich Sara zuletzt lehrte , die erzähle mir . -
Nun Vater , da war einmal ein Mann , der war sehr gut , so gut wie du , und hatte auch ein hübsches Haus , und Garten , und allerlei Schönes ; und da kam einmal eine arme Frau zu ihm mit einem kleinen Kinde ; das war ein Mädchen , und Sara sagt , es wäre ganz klein gewesen , und hätte noch nicht gekonnt allein gehen , und essen , und um nichts bitten .
Die Frau bat den guten Mann , daß er ihr doch ein Stübchen gäbe , und ihrem Nettchen eine Suppe , die bösen Menschen hätten ihr alles genommen .
Und das tat auch der gute Mann , und die Frau bekam auch ein Stübchen , und durfte in dem schönen Hause wohnen .
Einmal , da mußte der gute Mann ausgehen , weit weg , daß er erst spät am Abend wieder kommen konnte , und da gab er der armen Frau alle Schlüssel , und sagte : sieh hübsch auf das Haus , daß die Diebe nicht hineinkommen , und - Vater , das habe ich vergessen : der Mann hatte zwei Kinder , daß es war , wie bei uns , eine große Schwester , und einen Bruder wie Theodor - Liebe Sara , nicht wahr , der Bruder in der Geschichte , der war wie unser Bruder , aber - aber er hatte das arme kleine Mädchen lieb , ob sie gleich nur von einer armen Frau war - - der kleinen Erzählerin standen die Augen voll Tränen .
Seldorf sagte : liebe Kleine , Theodor liebt dich auch , erzähle du nur ! nun , der Mann ging fort ? -
Ja , sagte Antoinette , und blickte auf Theodorn , dessen flammendes Gesicht schon längst abwechselnd Strenge und Rührung ausgedrückt hatte - ja , er ging fort , und die Frau legte sich zu Bett , und ließ das Licht brennen , und auf einmal da war großes Feuer in der Stube , und das ganze Haus brannte , und wie der gute Mann wiederkam , da sah er sein Haus brennen , und da rief er : ach meine Kinder !
da kamen ihm die Kinder halb nackend entgegen , aber die arme Frau war tot vom Rauche , und die Kleine hatte überall Weh vom Feuer , und des guten Mannes Gesicht war auch verbrannt , daß seine Augen finster wurden , und er nie mehr die Sonne sah , und die Blumen , und seine Kinder nicht mehr sah ; er nahm aber doch das gute kleine Mädchen auf seine Arme , und sagte :
du armes Mädchen , deine Mutter hat mich zum Bettler gemacht , und es wird nicht mehr hell um mich sein , denn meine Augen sind finster ; aber ich will dich lieb haben , und dich nicht verlassen - - die Kleine erzählte schon lange mit stockender Stimme , die letzten Worte lispelte sie an Seldorfs Brust gelehnt , die sich gewaltsam hob bei dem kindischen Geschwätz .
Theodor war still zum Vater getreten ; wie aber die Kleine verstummte , und der Vater mit inniger Rührung ihre Stirn küßte , schlug er seine Arme um sie , und drückte sie schweigend an sein Herz ; dann sprang er zu Sara , die stumm auf ihre Arbeit niedersah , indes große Tropfen über ihre glühenden Wangen rollten , und umarmte sie stürmisch .
Ob das Geschichtchen weiter ging , das kindische Nachplauderei , und eben so kindische Divinationsgabe in den Köpfchen der Erfinderin und der Erzählerin zusammengesetzt hatten , wissen wir nicht ; aber das Bündnis schien von nun an besiegelt , und Seldorfs Schwermut hatte eine weit sanftere Schattierung erhalten .
Mit wehmütiger Sorgfalt beschäftigte er sich mit dem Kinde , dessen unendlich empfängliches Gefühl und vorzeitig reifer Geist ihn oft überraschten , wenn er gleich wußte , daß diese Erscheinung bei Kindern , die von ihrer Geburt an ein kränkliches Dasein fortschleppen , als eine traurige Art von Ersatz für ihr verkümmertes Leben , nichts seltenes ist .
Antoinette genoß die kaum erwachte Liebe ihres Vaters nur kurze Zeit , plötzlich stand sie in der Zunahme ihrer Kräfte still , und eine schnelle Auszehrung führte sie in ihr frühes Grab .
Das verlöschende Leben des zarten Geschöpfes schien von leisen Ahnungen jener Welt umgeben ; fast schon entkörpert , schien ihr Geist hinter den dichten Schleier zu blicken , und oft war in den kindischen Bildern , die sie ihren neuen Gefühlen anpaßte , ein Sinn , der Seldorfs ganze Seele traf .
Eines Abends hielt er sie auf seinen Knien , und das Kind schwatzte in matten Träumen von den Freuden , die es sich in jener Welt verspräche .
Der Vater suchte sie von dem Begriff vom Tod abzulenken - Nein , nein , Vater !
Ich will gern sterben , im Himmel ist es schön , noch schöner als im Garten , wenn es Frühling ist , und die Bäume blühen , und die Vögel singen - im Himmel ist immer Frühling , Vater !
Sie schwieg erschöpft , aber plötzlich fuhr sie auf : Vater , ist die Mutter nicht im Himmel ? -
Ja , Antoinette . -
Nun Vater , so gib mir einen Kuß für die Mutter , den will ich ihr bringen bis du kommst .
- Sie legte ihre Arme um seinen Hals , drückte krampfhaft ihr Gesicht an seinen Mund , und ihr Kopf fiel leblos auf seine Brust herab . -
O bringe ihr ihn , bringe ihr ihn , und meine Verzeihung für mein vergiftetes Leben ! rief Seldorf , wie er den Tod auf ihrem starren Gesicht las .
Sanft küßte er noch einmal die Lippen , die ihr letztes Leben in Liebe ausgehaucht hatten , und übergab sie dem Grabe .
Dicht an Seldorfs Ländereien grenzte ein schönes Freigut , dessen Eigentümer , ein Anwalt aus Saumür , es bisher nur sehr selten auf einige Tage besucht hatte , um Pachtgeschäfte zu berichtigen .
Berthier - dies war sein Name - hatte von Jugend auf die Rechte erlernt . Seinem geraden Verstand , seinem wohlwollenden Herzen war das Labyrinth alter Irrtümer , verjährter Missbräuche , willkürlicher Deutungen , niederträchtiger Bemäntelungen , eigenmächtigen Zwanges , das sein Gewerbe ihn täglich durchzuwandern zwang , schon früh ein Greuel ; er hatte sich versucht gefunden , die ganze Rechtswissenschaft aufzugeben , und in dem kleinen Erbteil seiner Väter das Feld zu bauen , als ihm , ziemlich in den ersten Zeiten seiner Amtsführung , das Glück widerfuhr , einzig durch gewissenhafte Aufmerksamkeit in seinen Geschäften einen abscheulichen Betrug zu entdecken , der eine ganze Familie durch einen Rechtshandel ins Elend gestürzt haben würde .
Er nahm alle seine Kräfte zusammen , um den unterdrückten Teil zu verteidigen ; der mächtige Gegner sah daß er mit einem gefährlichen Mann zu tun hatte , und versuchte Bestechung .
Berthier wies ihn ohne Prunk von sich , verfolgte seinen Weg mit unerschrockenem Eifer , und verschaffte der gerechten Sache den Sieg .
Der ganze Handel hatte nichts außerordentliches ; selbst der verlierende Teil war durch andere Geschäfte seiner glorreichen Laufbahn zu zerstreut , um sich lange dabei aufzuhalten , daß ihm eine kluge Maßregel , seine Einkünfte zu vermehren , unter so vielen mißlungen war , und daß sein gelindes Mittel , dem natürlichen Gang der Gerechtigkeit etwas nachzuhelfen , diesmal bei Herrn Berthier nicht besser angeschlagen hatte .
Auf Berthier war aber die Wirkung dieses Vorfalls dauernder ; er hatte bis jetzt nur das Widersinnige , das Empörende der gerichtlichen Formen und der sogenannten Gesetze empfunden , jetzt erkannte er , wie wohltätig , gerade im Verhältnis mit der Mangelhaftigkeit dieser Einrichtungen , ein redlicher Mann in seinen Geschäften sein konnte .
Je mehr er fürchten konnte , daß seine Kollegen manche Gelegenheit , Verteidiger des Rechts zu sein , entschlüpfen ließen , desto tiefer fühlte er den Beruf , selbst jede zu ergreifen .
Der Dank der geretteten Familie , das Gefühl , durch einfache Redlichkeit dem Einfluß des gefürchteten Grafen von ** die Waage gehalten zu haben , entschied seine Bestimmung ; er blieb auf der angefangenen Laufbahn , und hatte in der Zeit , von welcher hier die Rede ist , seinem Amte nah an sechzig Jahre vorgestanden .
Nie hatte ihn sein Entschluß gereut ; Gelegenheiten , die Unschuld zu beschützen , boten sich oft dar , und er ließ sie nie unbenutzt .
Stand es auch nicht immer in seiner Macht , Ungerechtigkeit zu verhindern , so blieb er sich doch bewußt , nie ein Werkzeug der Unterdrückung gewesen zu sein .
Von Jahr zu Jahr sah er indessen die Missbräuche zunehmen ; in späterem Alter wurde es dem braven Mann oft schwerer , den Zwang seines Amtes mit seinem Gewissen zu vereinigen ; aber der Gedanke , wie viel schädlicher als sein Gezwungenes Erdulden der böse Wille manches anderen sein möchte , hielt ihn noch aufrecht .
Endlich ereignete sich bei einem Rechtshandel , in welchen eines von den ersten Häuptern im Königreich verwickelt war , der Fall , daß ein höherer Befehl dem Gerichtshof von Saumür andeutete , gegen den Vater einer zahlreichen Familie , dessen Unschuld sonnenklar war , die Galeerenstrafe zu erkennen ; zwei seiner hoffnungsvollen Söhne wurden zugleich mit Schimpf von ihren Regimentern hinweggejagt .
Berthier bot seinen Kollegen an , sich aufzuopfern und den Widerspruch allein über sich zu nehmen ; die passivste Rolle von ihrer Seite hätte alsdann hingereicht einen Frevel zu verhüten , der so ungereimt als abscheulich war ; allein er fand nichts als bestochene Gewissen und verhärtete Herzen , man verwies ihn zur Ruhe , und drohte mit ernster Ahnung seiner Kühnheit .
Nein , sagte der acht und siebenzigjährige Greis , meine Verdammnis soll wenigstens an jenem Tag meinen armen König nicht belasten ; tut was Ihr nicht lassen könnt , ich will ruhig sterben !
Er legte sein Amt nieder , und bezog mit seinem Enkel , dem letzten Zweig einer zahlreichen Familie , die ihm der Tod nach und nach geraubt hatte , sein väterliches Erbteil in Seldorfs Nachbarschaft .
Roger war der Trost und der Liebling des alten Mannes , der ihn erzogen , und seine unerschütterliche Redlichkeit , seine stille Wirksamkeit , seine heitere Fähigkeit zu genießen auf den Jüngling übertragen hatte .
Sein Unterricht bestand in Beispiel , in beständigem Hinweisen auf die Wirklichkeit , und der Lohn , den er dem wilden Knaben und nachher dem feurigen Jüngling anbot , in dem Bewußtsein erfüllter Pflicht .
Bei seiner natürlichen Anlage zum Guten , war Rogers ganze Jugend eine Reihe praktischer Tugenden , die er in der Einfalt seines Herzens für eben so wenig außerordentlich hielt als Essen und Trinken , und die ihm auch eben so unentbehrlich waren .
Seine Leidenschaften , seine Torheiten , die Wallungen seines heißen Bluts waren , bei seinem frohen Streben nach dem Besten , nur ein herzliches Band , das ihn mit Nachsicht gegen anderer Schwächen und dem Bewußtsein , selbst Duldung zu bedürfen , an alle Menschen knüpfte .
Wurde die Welt um ihn her der ungebändigten Kraft des jungen Mannes zu schal , stemmte er sich gegen einen Zwang , welcher der Tugend selbst so oft eine Hülle aufdringt , gegen Vorurteile , die noch öfter dem Laster Weihrauch streuen , so sagte ihm der freundliche Großvater in der wortreichen Sprache seines Alters :
" Lieber Sohn , ein Mensch allein baut kein Haus , es müssen viele daran arbeiten , und der Bursche der die Steine im Schurz herbeischleppt , hat auch ein Verdienst dabei , so gut wie der Baumeister , welcher den sinnreichen Riß angab .
Wollte jeder Arbeiter nur das Ganze ausführen , und an die einzelne Teile keine Mühe wenden , wollte er das schöne Gebäude errichtet sehen , und doch von Schutt und Leim , von missmutigen Aufsehern und groben oder ungeschickten Mitgesellen nichts wissen , so käme nie ein Haus zu Stande .
So ist_es mit dem Guten das wir tun , es geht dessen kein Stäubchen verloren , jeder schöne Gedanke deines edlen Geistes gehört mit zur Schönheit der ganzen Schöpfung .
Alles schön und am besten machen kann das Menschengeschlecht nie , noch weniger ein einzelner Mensch ; und in dieser Zeit , in diesem Lande , wo die letzten Bande der Gesellschaft vom Laster gelöst werden " - Schnell verlosch hier der glänzende Blick des alten Mannes ; er kehrte von dem schaudernden Bild des Jahrhunderts wieder zu der Lehre zurück , die er dem aufblühenden Enkel gab .
- " Aber glaube mir , Sohn , jede Bemühung etwas Gutes zu tun pflanzt dir dein verheißenes Paradies , sie ist ein Stein zum Gebäude ; und siehst du es auch nie fertig , so kannst du doch einst zu deinem Enkel sagen , wie ich zu dir :
ich hinderte den Bau niemals ! "
Dieses menschlich weise Geschwätz war für Rogers gutes Herz mehr gemacht , als für seinen gewaltigen Sinn .
Wenn er - um in der Allegorie seines Großvaters zu bleiben - so manchen tauglichen Stein herbeischleppen sah , den der Baumeister verwarf , oder ein schlechter Arbeiter verkleisterte , ja wenn er alle Augenblicke wahrnahm , das Gebäude könnte nach der Anlage unmöglich bestehen , sondern müßte krumm und schief und der Welt zum Spott ausfallen , bis es endlich gar über die sauberen Künstler zusammenstürzte ; so wurde es ihm heiß vor der Stirn , er sann und Maß seine Kräfte , und fragte furchtsam den freundlichen Ahnherrn : ob es nicht besser sein möchte , die ganze Gaukelbude umzureissen ?
Lächelnd über den Feuereifer des Jünglings sagte dieser :
Und wenn der Schutt nun da läge , wo wohnte man dann , und wer hälfe dir wiederbauen ? -
Vater , die Natur gab jedem Geschöpf die Freiheit sich seine Wohnung zu wählen , und sendet nur Sonne , Tau und Regen , damit es habe was es zu seinem Gedeihen braucht ; warum sollte der Mensch nicht frei leben , wie sein Sinn ihn leitet ?
Und was braucht er andere Gesetze , als die ihn sein bestes Gedeihen lehren ? - Roger , mein Sohn ! antwortete Berthier mit Ernst , fehlte dir je die Freiheit rechtschaffen zu sein ?
Von der Tugend führt nur Ein Scheideweg - ins Grab ; und kein Mißbrauch der Menschen versagte jemals der Seele die Wahl zwischen Rechttun oder Sterben , und ich - hier nahm er seine Mütze zwischen seine gefalteten Hände , und beugte sein weißes Haupt - Dank sei es meinem gnädigen Gott , ich entging acht und siebzig Jahre der furchtbaren Wahl .
- Tief gerührt drückte der wackere Jüngling des ehrwürdigen Greises Hände an seinen Mund , und lenkte heiter in seinen stillen Lebensgang wieder ein .
So lohnend das Gefühl erfüllter Pflichten für den alten Berthier war , so mochte er Rogen doch nicht zu eben der dornenvollen Bahn anführen , die er durchwandert hatte ; er hatte ihm vielmehr immer das Landleben als die einzige noch übrige Freistätte eines unabhängigen Gemüts ; und den Ackerbau als diejenige Beschäftigung , die den Menschen zum nützlichsten Bürger macht , geschildert .
Er hatte ihn einige Reisen machen lassen , um an Ort und Stelle praktische Kenntnisse zu erwerben , und als ihn der oben erwähnte Vorfall in seinem Amte von Saumür vertrieb , freute er sich , seinen Liebling in den Wirkungskreis , den er für so wohltätig hielt , selbst einzuführen .
Es waren nun seit Antoinettens Tod einige Jahre verflossen , und hatten das Band zwischen Sara und Theodor immer fester geknüpft .
Der Bruder glaubte die kleine Abgeschiedene zu versühnen , indem er seiner übrig gebliebenen Schwester alle Liebe widmete , die er Antoinettens Liebe bedürfendem Herzen versagt hatte ; und Sara vereinigte den ganzen Schatz ihres innigen Zutrauens , ihrer sorgenden schwärmerischen Herzlichkeit , den ihr armes Pflegkind sonst geteilt hatte , auf ihren teuren Theodor . Einsam und friedlich floß ihnen die Zeit dahin , und ihr tätiger Geist , ihre empfängliche Fantasie füllte den Mangel an Begebenheiten , bei welchem sie ihre erste Jugend verlebten , überflüssig aus .
Mit wehmütiger Freude sah Seldorf diese beiden Geschöpfe , in denen alle seine Pflichten , alle seine Bande an das Leben vereinigt waren , wachsen und sich vervollkommnen .
Sonst war der Schimmer von Heiterkeit , der sich in der letzten Zeit vor Antoinettens Tod über ihn verbreitet hatte , mit ihr wieder verschwunden ; ihr Grab verschloß zwar den letzten , erbitternden Zeugen seines Unglücks , aber die stumme Tote konnte nicht wie die lächelnde Leidende sein vergiftetes Herz mit der Vergangenheit aussöhnen .
In dieser Stimmung fand der Besuch des neuen Nachbars die Seldorfsche Familie .
Das Gerücht , das in der ziemlich menschenleeren Gegend von ihr verbreitet war , konnte Berthier keinen Aufschluß weiter geben , und ließ ihn höchstens etwa auf einen in Ungnade gefallenen oder verarmten Großen raten .
Zu bekannt mit dieser Art Menschen , um etwas vortreffliches zu erwarten , und viel zu brav , um unberechtigt das Böse vorauszusetzen , ging er , in Begleitung seines Enkels , aus bloßer althergebrachter Höflichkeit zu Seldorfs . Solche Menschen waren aber früh genug über einander verständigt .
Der Anblick von Seldorfs Kindern , die einfache und stille Güte in dem Betragen des Vaters gegen sie , Theodors lebhafte Bereitwilligkeit den Eindruck zu empfangen , den Rogers Bekanntschaft auf ihn machte , Sara's schüchterne Höflichkeit gegen den Jüngling , ihre kindlich-ehrerbietige Freundlichkeit gegen den braven Alten - alles flößte diesem gar bald Achtung und Zutrauen ein .
Freimütig empfahl er seinen Roger Seldorfs Güte , und forderte die beiden jungen Männer auf , nähere Bekanntschaft mit einander zu machen , um wo möglich Freunde und Gespielen zu werden .
Sara errötete in diesem Augenblick , und mit einem dunklen Gefühl von Eifersucht trat sie näher zu Theodor , welcher , Rogers Hand drückend , ihn voll Eifer bat , den Gedanken , den sein Großvater angab , nicht fahren zu lassen .
Berthiers Gespräch , in welchem Wohlwollen , gesunder Verstand , tiefe Empfindung und Erfahrung die Stelle des Welttons so reichlich ersetzten , hatten auf Seldorf , der seit Jahren schon den Umgang der Menschen floh , einen außerordentlichen Eindruck gemacht .
Es war ihm bei den Menschen , mit welchen er bis dahin von Zeit zu Zeit gezwungener Weise zu tun gehabt hatte , sehr leicht geworden , seiner Abgeschiedenheit getreu zu bleiben :
aber dieses graue Haupt , dieser heitere Blick der so teilnehmend auf ihm ruhte , die Herzlichkeit mit welcher der Alte ein Band zwischen ihren Kindern zu knüpfen bemüht war , erweckten das lang unterdrückte Bedürfnis der Mitteilung wieder in seinem Herzen , und verleiteten ihn , aus seinem einsamen Lebensgang herauszugehen .
Wie der arme Verödete zum erstenmal seinen alten Nachbar aufsuchte , sträubte sich seine angewöhnte Schwermut dagegen , und er suchte sich selbst zu überreden , als ob er bloß vermeiden wollte , dem Greis durch Vernachlässigung wehzutun .
Einige Tage darauf dachte er mit Rührung an seinen freien und lebhaften Geist bei seinem hohen Alter - wer weiß , wie lange dieses reine Flämmchen noch lodert ? so fragte er sich selbst , und betrat unwillkürlich den Weg nach seines Nachbars Haus .
Endlich suchte er ihn willig auf , und überließ sich dem Gefühl , in Gegenwart eines Weisen , der am Scheideweg des Lebens stand , seine trostlose Fassung auf Augenblicke zur ruhigen Ergebung werden zu sehen .
Oft fand er den Greis , mit einem alten Schriftsteller in der Hand , in der Abendsonne sitzend ; vor ihnen liefen dann die jungen Leute auf einem Wiesenplan umher , und kämpften und rangen zusammen ; Sara saß mit ihrer Arbeit , und sah den Spielen zu , oder war geschäftig um den Großvater , ( denn bald gaben sie und ihr Bruder dem alten Berthier diesen Namen , ) und verband bei den kleinen Diensten , die sie ihm zu leisten beflissen war , alle mädchenhafte Liebenswürdigkeit mit der rührenden Ehrerbietung , welche das hohe Alter jungen unverdorbenen Herzen unfehlbar einflößt .
Manchmal hörten auch die Jünglinge zu , wenn der Alte mit Entzücken von der Vorwelt sprach , die er in seinen Griechen und Römern studierte .
Sein Auge blitzte dann unter den weißen Wimpern hervor , und trotz des bleichenden Alters färbten sich seine Wangen .
Das ist , sagte er , die einzige Abschweifung von der Wirklichkeit , die ich mir je erlaubt habe .
Manchmal sah ich es in der Welt so bunt hergehen , daß ich mich selbst kaum mehr von den Menschen um mich her zu unterscheiden vermochte ; wenn es aber nach einem Jahre von Arbeit einmal eine Feierzeit gab , und ich mich mit meinem Plutarch in meinem Kämmerchen einschloß , da gewann ich mich wieder lieb , und dachte zu meinem Trost : deine Schuld ist es ja nicht , wenn du kein Brutus , kein Cato , kein Mark Aurel geworden bist ; vom Weibe geboren wie jene Helden , strebe ihnen nach , so weit deine Kräfte dich führen !
Freilich ist sie vorbei , die Zeit wo es solche Menschen gab - Nach alter Sitte wagte es Roger selten , sich in die Gespräche seines Großvaters zu mischen , wenn dieser seine Worte nicht gerade an ihn richtete ; indessen riß ihn hier seine Teilnahme hin , er unterbrach lebhaft :
Warum sollte es aber keine solchen Männer mehr geben , da sie noch vom Weibe geboren werden wie damals ?
Warum lehren wir unsere Jugend durch Beispiele , die wir nicht nachahmen können ?
Warum nähren wir unsere Seele mit Idealen , die unser Zeitalter zu Undingen macht , die uns selbst zu verächtlichen Missgeburten herabwürdigen ? -
Warum , mein Sohn ?
warum wächst dieser Baum - er wies hier auf einen gezogenen Pfirsichbaum - nicht so mächtig und stark wie die Eiche , unter welcher du mir eine Bank bauen willst ? -
Weil er künstelt ist , Vater , weil er nicht in seinem angeborenen Erdreich steht , weil seine Zweige gefesselt und gezwungen sind , Früchte zu tragen , die unsere Begierde erzwingt , der einfachen Ordnung der Natur zum Trotz .
Der Baum muß sich biegen und schneiden , und aus seiner Muttererde reißen lassen , weil er sich nur leidend verhalten kann ; allein der Mensch .... siehst du , Vater ! das Bild paßt nicht ; denn der Mensch kann wollen - wohl , sagte der Alte ernst und bedeutend ; so Sorge daß nie ein Baum verstümmelt werde um deinen Übermut zu befriedigen , wache über dich , daß du nie durch Wort und Beispiel einen Menschen verhinderst , jenen großen Mustern zu folgen ; aber vergiß nie , daß du allein nicht allen verstümmelten Stämmen ihren natürlichen Wuchs zurückgeben kannst ; vergiß nicht , daß Brutus in sein Schwert fiel , weil er allein wollte wozu die Welt verdorben war . -
Roger schwieg erschüttert , da neben einem Namen , vor welchem der alte Berthier sein Haupt ehrerbietig zu neigen pflegte , der seinige erwähnt wurde , er fühlte es , als hätte er einen Frevel begangen , und unterbrach mit keinem Laut die Stille , während deren alle Augen auf dem begeisterten Greis ruhten :
Sara war die erste , die mit schmeichelnder Stimme das Gespräch wieder belebte .
Der Geist dieses alten Mannes , der bis zur äußersten Spannung aller Kräfte ausdauerte , und so wie der Widerstand noch mächtiger wurde als diese Kräfte , in die heiterste Ergebung überging , war , obschon das Widerspiel von Seldorfs Geist , doch das Vorbild der höchsten menschlichen Weisheit für Seldorfs unbefangene Vernunft .
Oft verglich er die wehmütige Stille , mit welcher er auf sein vorfrühes Grab zuschlich , und den Siegerschritt , mit welchem Berthier dem Lohne jenseits entgegeneilte .
Auch dieser hatte Betrug statt Wahrheit gefunden , hatte der Bosheit weichen müssen , und stand nun verkannt am Rande des Grabes ; aber ihm war nicht Undank geworden für Liebe - Hier tönte laut die Stimme des alten Grams aus seinem armen Herzen , er wandte seinen Blick von Berthiers grauem Scheitel , und rief seiner Kinder Bild hervor , um damit seine Sehnsucht nach dem Tod zu bekämpfen .
Theodors Lebensweise hatte sich durch diese neue Nachbarschaft sehr verändert .
So entfernt auch jede Spur von Menschenverachtung von seinem Gemüt und seines Vaters Grundsätzen war , so hielten ihn doch seine Sitten , sein früh verfeinertes Gefühl von den Kindern der rohen dürftigen Landleute , und das Lokale seiner Lage von jedem anderen vertraulichen Umgang zurück .
Seine Knabenjahre waren ohne Gefährten verflossen , und als Jüngling vermißte er oft einen Teilnehmer an seinen Zeitvertreiben ; denn einen Freund hatte ihm seine lebhafte Zärtlichkeit für Sara bis jetzt ganz entbehrlich gemacht .
Roger war zwar einige Jahre älter wie er ; aber die Einfachheit seines ganzen Wesens , seine ungleich weniger wissenschaftliche Erziehung , seine offene Art machten diesen Unterschied unmerklich .
Seldorf fühlte den Vorteil , welchen sein Sohn für seine Bildung von der Gesellschaft dieses wackeren Jünglings ziehen konnte ; er suchte sie durch Beschäftigung und Zeitvertreib an einander zu knüpfen .
Konnte Theodor bei den Haushaltsarbeiten seines Freundes auch seinen Eifer für Feld und Wiese und Weinberge nicht teilen , so horchte er ihm doch aufmerksam zu , und half ihm mit lustigem Fleiß .
Roger nahm dagegen an manchem Unterricht Teil , den Theodor von seinem Vater empfing .
Er lernte zeichnen und fechten mit ihm , ob er sich gleich anfangs gegen das letzte geweigert hatte .
In meinem Stande brauche ich es nicht , sagte er mit einem trotzigen Wesen , indem er , gewiß unwillkürlich , auf Seldorfs Ludwigskreuz blickte .
Seldorf , der ihn erriet , fragte lächelnd : nun , warum denn nicht so gut wie Steine schleudern , und Armbrustschiessen ?
Es soll Ihren Arm stark machen , und mit keiner dieser Künste werden weder Sie noch Theodor je in Friedenszeit irgend wen aus der Welt befördern .
- Roger lernte mit treuem Fleiß , hielt fest was er einmal gefaßt hatte , blieb aber unaufhörlich hinter Theodors Schnelligkeit zurück , ohne darum jedoch sich irre machen zu lassen .
Theodor machte hingegen , ohne die mindeste Anstrengung , die schnellsten Vorschritte , und benutzte alle Vorteile seines gewandten Körpers mit der zierlichsten Leichtigkeit ; galt es aber einen starren Widerstand , so machte ihn seine unmäßige Lebhaftigkeit aller kaltblütigen Gegenwehr unfähig .
In anderen Übungen , beim Kämpfen , Ringen , und in allen Spielen , die Kräfte und Festigkeit erfordern , war Roger immer Sieger , wenn er nicht absichtlich Blössen gab .
Wurde Seldorf dies gewahr , so rief er ihm wohl zu , und ermahnte ihn , redlich mit seinem Gegner zu verfahren , und dann fehlte es selten , daß Theodor nicht bald am Boden gelegen hätte ; wenn er sich aber wieder aufgerafft hatte , schüttelte er freundlich seines biederen Überwinders Hand .
So verlebten sie ungetrübt heitere Tage ; Sara teilte jede Freude ihres Bruders , wohnte seinen Lehrstunden bei , und ermunterte ihn durch ihren eifersüchtigen Beifall .
Roger diente ihr bei diesem zarten , zu lauter überspannten Empfindungen , zum Umgang mit lauter Idealen erzogenen Geschöpfe nur zur Folie ; sie ließ zwar seinem treuen Sinn , seinem kühnen Mut , seinem kindlichen Herzen volle Gerechtigkeit widerfahren ; aber gegen Theodors in glühende Leidenschaft übergehende Gefühle schien ihr das arme Naturkind nichts als ein froher , auf gut Glück loslebender Junge .
Wurde sie von den beiden Jünglingen aufgerufen , bei ihren Spielen zu entscheiden , und Billigkeit nötigte sie , für Rogen den Ausspruch zu tun , so sah sie deutlich , daß seine Geschicklichkeit ihn freute und nicht ihr Ausspruch ; hatte hingegen Theodor den Sieg behalten , so war sein Gefühl nur Dank gegen sie , daß sie ihm den Preis zuerkannt hatte , und schmeichelnde Liebe , als sei er ihn ihrem Herzen , und nicht seinem Verdienst schuldig .
Waren die beiden jungen Leute durch Feld und Wald gestreift , so brachte ihr Roger einen ungeheuren Strauß von allen möglichen Feldblumen , und legte ihr , treuherzig überzeugt , seinem guten Wort könnte die gute Stätte nicht fehlen , den ganzen Plunder auf den Nähtisch , so daß er von allen Seiten auf den Boden fiel .
Aber Theodor zog eine einzelne Waldrose aus dem Busen , und steckte sie in ihr braunes Haar , und sie hatte kaum Zeit , dem armen Roger zu danken , der indessen seinen Kräuterkram geduldig auflas , und ihr anbot , ihn ins Wasser zu stellen .
Erhöhte aber auch jeder Tag der Schwärmerin schwesterliche Liebe , so nahm sie doch mit der ihr eigenen Innigkeit den Eindruck von Rogers unverkennbaren Tugenden auf .
Theodor hatte zu viel Edelmut , um ihn nicht nach seinem vollen Werte zu schätzen ; stolz auf seinen Freund erzählte er der Schwester jede seiner im Stillen , und doch so offen , ohne prunkvolle Verhehlung getanen schönen Taten .
Einmal hatten die drei jungen Leute einen etwas weiten Spaziergang gemacht .
Bei ihrer Rückkehr kamen sie an einer einzelnen ärmlichen Hütte vorüber , wo sie klagende Stimmen mitten unter einem heftigen Zank tönen hörten .
Die beiden Jünglinge traten mit dem Gedanken , vielleicht helfen oder schützen zu können , hinein , und fanden in einer fast ganz ledigen Stube ein Weib , dem Anschein nach schon in der Unempfindlichkeit , die dem Tod oft vorhergeht , auf dem Stroh liegend ; ihr Mann hielt ein neugebohrnes , aus Hunger schreiendes Kind auf seinem Arm , und suchte mit geschwächter , klagender Stimme einen Fronvogt zu erweichen , der eben gekommen war , um zur Tilgung des rückständigen Zehnten seine Kuh in es Amt abführen zu lassen .
Theodor fuhr über die barbarische Härte auf , und kam mit dem Gerichtsdiener in einen heftigen Wortwechsel über die Strafbarkeit des Schuldners , von welcher dieser , wie natürlich , überzeugt war ; Roger ließ sich von dem Manne seine Lage erklären :
er war durch Misswachs in Schulden geraten ; voriges Vierteljahr hatte man ihm seinen Pflug und sein Rind genommen ; mit der Kuh allein konnte er nichts anfangen , da lag nun das Feld brach , und er hatte die nächste Ernte eingebüßt ; seine Frau war ins Kindbett gekommen , und lag jetzt den siebzehnten Tag im hitzigen Fieber ; da konnte er nicht einmal wilde Kräuter zum Gemüse sammeln ; diese einzige Kuh mußte ihn , und das unglückliche Weib , und das umsonst nach der Mutterbrust schreiende Kind nähren ; endlich konnte er sein Weib auch nicht mehr verlassen , um die Kuh auf die Weide zu führen , denn eines Tages da er abwesend gewesen war , hatte die Arme in ihrer Raserei das Kind gegen die Mauer geschleudert ; nun nahm man ihm auch diese Kuh , um das ablaufende Vierteljahr zu bezahlen - Ein neues Wimmern des elenden Kindes unterbrach den verzweifelnden Vater .
Ach , rief er , und schwang das kleine Geschöpf gegen die Mauer , hätte dich die arme Mutter nur hingerichtet !
Gott hätte ihr verziehen , und ich brauchte dich doch nicht verschmachten zu sehen - Nein , es soll nicht verschmachten ! rief Roger voll Eifer , und hielt unwillkürlich das Kind mit beiden Händen auf ; Ihm soll geholfen werden ! -
Jetzt hatte Theodor den Gerichtsfron befriedigt , und die Kuh wurde dem Bauern gelassen .
Theodor zitterte bei der wiederholten Erzählung seines Elends , und schüttete alles Geld , das er bei sich hatte , in seine Hände aus ; der Mann war betäubt über diesen schnellen Glückswechsel , sein armer Verstand hatte keinen Dank für so außerordentliche Wohltaten : in trauriger Einfalt betete er lateinische Segenssprüche gegen seine Erretter her .
Sara , welche über die lange Abwesenheit ihrer Gefährten besorgt zu werden anfing , und jetzt die tiefste Stille in der Hütte zu hören glaubte , wagte sich endlich bis an die Stubentüre .
Roger erblickte sie , legte schnell das Kind , das er noch hielt , auf das Strohlager , und vertrat ihr , ehe sie hereinkommen konnte den Weg ; rasch rief er : nein Fräulein , hier haben Sie nichts zu tun ; das wird mir schon schwer mit anzusehen , Sie sollen deswegen doch helfen . -
Warum soll sie nicht sehen ? rief Theodor , dessen Einbildungskraft mit jedem Augenblick lichter in Flammen stand , warum nicht sehen , Berthier ?
Halten Sie Sara für zu empfindsam , um menschlich zu sein ?
Hier sieh den Raub des grausamsten Eigennutzes , des tiefsten Elends - Zugleich riß er Sara an das Bett der Wöchnerin , die totenbleich , mit starren , weit offenen Augen und zuckendem Mund dalag ; das Kind streckte winselnd gelbbraune Hände , an denen eine zusammengeschrumpfte Haut klebte , aus etlichen zerrissenen Lumpen ; der Vater stand , durch Theodors für ihn ganz unverständliche Heftigkeit scheu geworden , in einem Winkel , das Bild des Elends , mit langem Bart und struppigen Haaren , die um ein hageres , fast blödsinniges Gesicht hingen .
Sara hatte das menschliche Unglück nie in dieser scheußlichen Gestalt erblickt , sie wankte und wurde bleich ; Theodors Feuereifer bemerkte es nicht , sondern erzählte ihr stürmend den eben vorgefallenen Auftritt .
Roger faßte das zitternde Mädchen am Arm , machte ihre Hand von ihrem Bruder los , und führte sie hinaus .
Diese Kaltblütigkeit stach zu sehr gegen Theodors Heftigkeit ab ; bald hätte dieser Abend den schönen Bund der Jugend und Herzensgüte zerrissen .
Theodor ging in seinem Ungestüm so weit , seinen Freund der Unempfindlichkeit und der Lässigkeit im Helfen , bei dem ganzen Vorgang zu beschuldigen .
Roger schien tief gekränkt ; aber um Sara's Willen , die sichtbarlich litt , vermied er jede Erklärung bis zu ihrer Rückkehr .
In diesem Streit , sagte er schonend , kann das Fräulein nicht entscheiden ; und wenn ihr Wohlbefinden mich überweist , daß ich zu weichlich gegen sie verfuhr , so will ich gern von ihr verurteilt werden .
Sara fühlte seine Güte , und eben so lebhaft , aber mit bitterem Kummer , Theodors beleidigendes Unrecht .
So bald sie zu Haus ankamen , trennte sich Roger von ihnen ; und so früh es noch am Tag war , so bedurfte es doch des ganzen Abends , damit Theodors wallendes Blut , und noch mehr seine falsche Scham sich legte .
Endlich erkannte er mit Reue , wie irrig er Leidenschaft mit Gefühl verwechselt , wie knabenmäßig er neben seinem biederen , langmütigen Freund gestanden hatte .
Er eilte am anderen Tag nach Rogers Wohnung , wo er aber den Alten allein bei seinem Frühstück fand ; von Rogen wußte dieser nichts :
er müßte wohl irgend etwas vorhaben , denn er wäre gestern erhitzt und tiefsinnig gewesen , hätte bis tief in die Nacht geschrieben , um einen von ihm erhaltenen Auftrag zu besorgen , und wäre nun seit Tages Anbruch aus dem Haus .
Unbefriedigt kehrte Theodor zurück , und brachte , unfähig zu jedem Geschäft , einen trüben Tag zu , bis ihm gegen Abend seine Schwester anlag , sie wieder nach der Hütte zu begleiten , wohin sie Wäsche für Mutter und Kind , und Speise für das ganze Haus mitnehmen ließ .
Auch diese liebe Mildtätigkeit erschien ihm wie ein Vorwurf ; er hatte aus Leidenschaft das Verdienstloseste getan , er hatte Geld gegeben , und sich seitdem nur mit seinem bösen Bewußtsein geschleppt .
Stillschweigend langten die beiden Geschwister bei der Hütte an .
Sie fanden die Kranke zwar matt , aber wieder völlig bei sich selbst , auf einem neuen reinlichen Strohsack , in eine warme wollene Decke gehüllt ; das Kind war in grobe , aber saubere Windeln gewickelt , und am Feuerherd stand ein ältliches Bauernweib von Seldorfs Gut , das der Familie ein Abendbrot bereitete .
Erstaunt über diese wohltätige Veränderung , fragte Sara ahnend , wo sie herrührte ?
Mit einer ehrerbietigen Verbeugung erzählte die Wärterin , daß ihr Herr Roger Berthier gestern am frühen Abend Geld gegeben hätte , um sogleich alles Nötige im nächsten Städtchen zu kaufen , und heute mit Tages Anbruch das Eingekaufte , und einen Korb voll Eßwaren zu diesen Leuten zu bringen ; er hätte sie gemietet , da zu bleiben , bis die Kranke selbst wieder ihrer Arbeit vorstehen könnte .
Theodor schlug bei dieser Erzählung errötend die Augen nieder ; Sara vergaß auf einen Augenblick ihres armen Bruders Beschämung , um ihr warmes Herz ganz der Freude über Rogers stille tätige Menschenliebe zu überlassen .
War er schon selbst hier ? fragte sie gerührt . -
Ei ja wohl , antwortete die Bäuerin mit einer neuen Verbeugung ; wohl ist er hier , seit Tages Anbruch ; er kam mit einem Gespann Ochsen und dem Knecht , und er bereitet und pflügt die Brachfelder des armen Nikolas zur Nachernte .
- Sie setzte schwatzhaft eine Menge Umstände hinzu , die Rogers Weisheit , in der Art wie er den Bedürfnissen des armen Nikolas aushalf , noch mehr ins Licht stellten .
Geld hatte er ihm noch nicht gegeben , er hatte ihn um nichts aus seinem Kreis genommen , sondern mit praktischer Kenntnis dessen was ihm in seinem Stand am meisten nottun mochte , ihm die Mittel verschafft , durch Fleiß und Tätigkeit sich wieder aufzuhelfen .
Herr Roger , schloß sie , ist noch im Felde , und führt die Ochsen - Theodor kämpfte mit Scham und Liebe für den einfachen stolzen Berthier , der mit dem Bewußtsein seines Willens und seiner Fähigkeit zu helfen , gestern so still bei seiner Heftigkeit geblieben war , und sich heute so empfindlich an ihm rächte .
Seine Schwester sah Tränen in seinen schönen Augen , sie zog ihn gegen die Türe , schlang den Arm um seinen Hals , und sagte bittend und leise : Komme zu ihm , wir können ihm gewiß noch etwas helfen .
Fort eilten sie , dem Felde zu , das ihnen die Bäuerin angedeutet hatte , und fanden dort Roger , der mit glühendem Angesicht und schweißbedeckter Stirn , in bloßen Hemdärmeln , seine Tiere führte .
Der Knecht breitete Dünger aus , und seitwärts unter einem großen Kastanienbaum stand ein Topf mit Milch und schwarzes Brot zur Labung für beide .
Wie Roger die beiden erblickte , ließ er sein Gespann stehen , lief froh auf sie zu , und fragte nach Saras Gesundheit , nach dem Großvater , dem er heute auf den ganzen Tag davongelaufen war - aber ich habe auch recht geschafft , der Großvater wird sich selbst freuen und uns helfen , denn es ist noch längst nicht alles in Stand ; Abends wollte ich zu Ihnen kommen , Fräulein , und Sie und Herrn Seldorf um Rat und Hilfe bitten .
- Mit seinem sorglos heiteren Gesicht , und seinen feurigen Augen , die bald auf Sara , bald auf die Furchen , bald auf die unsaubere Beschäftigung des Knechts umherblickten , hätte er noch eine Weile fortgeschwätzt ; allein Theodor fiel ihm um den Hals , und sein Stillschweigen , sein redendes Gesicht legten jetzt das Geständnis ab , das Roger gestern so schmerzlich entbehrt hatte , ob ihm gleich nur eben in diesem Augenblick von gutherzigem Leichtsinn das alles wieder entfallen war .
Theodors Beschämung ergriff ihn sehr lebhaft , Tränen standen in den spiegelreinen Augen , die er jetzt gerührt auf seinen Freund heftete .
Guter Theodor , sagte er , es ist mir lieb daß Sie mich nun verstehen ; wirklich , wirklich ich wollte das schon gestern was ich heute tat , vom ersten Augenblick wollte ich ; aber ich dachte nur wie ich_es einrichten sollte , und wenn ich denke , wissen Sie ja daß ich oft herzlich stumm bin .
Dagegen - fuhr er wieder voll Lustigkeit fort - dagegen schwatze ich wieder tausendmal ohne zu denken .
Aber daß Sie so gut sind - wahrlich der Tag war mir recht trüb , aber wie ich das Fräulein sah , hatte ich alles vergessen ; ich hätte vielleicht nie wieder daran gedacht .
- Theodor war über Rogers kindlichen Sinn entzückt ; zum erstenmal hörte er ihn mit dieser vertraulichen Herzlichkeit sprechen .
Schon oft hatte ihm der Eigensinn im Weg gestanden , mit welchem der störrische Bursche nach Jahrelanger Freundschaft noch auf einem gewissen Zeremoniell in Ton und Betragen beharrte ; jetzt nannte ihn Roger zum erstenmal seinen Theodor , nannte ihn so , mit einer Innigkeit als hätte es ihm lange gefehlt ; Theodors verfeinertes Gefühl faßte in idealischen Zügen auf , was Roger aus bloßem gutmütigen Instinkt tat , und sich selbst des Kampfes bewußt , den seine gestrige Heftigkeit ihn gekostet hatte , bewunderte er Rogen , weil er in seiner freudigen Versöhnung einen noch höheren Grad von Selbstbesiegung zu finden glaubte , als er über sich gewonnen hatte .
Aber wirklich tat er dem wackeren Jüngling zu viel und zu wenig Ehre .
Gestern hatte Roger Theodors Unart ertragen , weil ihn sein Sinnen auf das heutige Unternehmen zerstreute , und Saras bleiches Gesicht ihn entwaffnete .
Wie er heim gekommen war , hatte ihm alles leid getan was vorgefallen war ; und am meisten setzte es ihn in Verlegenheit , gegen Theodorn so höhnend vernünftig abgestochen zu haben .
Bei seiner heutigen Arbeit hatte er sich in manchem Augenblick vor der ersten Zusammenkunft mit seinem Freund gefürchtet ; was er ohne seine Teilnahme getan , schien ihm heimlich getan zu sein .
Wie er aber Theodorn und Sara auf sich zukommen sah , behielt die Freude über alles was ihm geglückt war , und der Wunsch , durch ihre Hilfe noch mehr auszuführen , in diesem Gemisch von Empfindungen die Oberhand ; er dachte an keinen Groll mehr , wo er Liebe und Freude fühlte .
Sara hatte dieser Szene stillschweigend , aber mit inniger Teilnahme zugesehen .
Sie war nun gegen fünfzehn Jahr alt , aber ihre gänzliche Abgeschiedenheit von der Welt , ihr in lauter Fantasien schwebender Geist hatte sie , wie gebildet sie auch in mancher Rücksicht durch Erziehung und natürliche Anlage war , sehr kindlich erhalten .
Sie war sich ihres Herzens nur in ihrer Liebe für Theodorn bewußt ; und daß sie ein Weib , und daß er ein Mann war , wußte sie nur weil sie seine Schwester hieß .
Alles was ihr der Vater sonst über diesen Gegenstand gesagt haben mochte , hatte sich auf eine abenteuerliche Weise an die übrigen Träume ihrer reichen Einbildungskraft gereiht , ohne mit ihren Sinnen je in Verbindung zu kommen .
Indessen hatte Rogers gestriges Betragen einen Eindruck auf sie gemacht , den seine heutige Versöhnung mit ihrem Bruder noch verstärkte ; neue Ideen entwickelten sich in ihrem Kopf , die sie von ihm entfernten und zu ihm anzogen , die ihr Herz erwärmten und es scheu machten .
Ihr Gefühl verstand zum erstenmal des Vaters oft wiederholte Lehren von der Hilfsbedürftigkeit des Weibes , und der Pflicht des Mannes , sie zu schützen , und wie nahe die Natur sie durch ihre ganz verschiedene Bestimmung mit einander verbunden hätte .
Sie war noch mit ihren Schwärmischen Ahnungen beschäftigt , als Rogers einfacher Sinn das Empfindsame dieses Auftritts beendigte .
Er führte die jungen Leute unter den Kastanienbaum , rief dem Knecht zu , Feierabend zu machen , weil das Vieh müde wäre , teilte das schwarze Brot und die Milch brüderlich mit ihm , und erschöpft von der Arbeit speiste er , zu Saras Füßen hingestreckt , seine Portion , als wäre er zu nichts anderem in der Welt .
Es war vielleicht ein Glück , daß diese wirklich patriarchalische Einfalt Saras neue Gefühle wieder mit der Wirklichkeit verband ; aber leider schlug es diesmal zu Rogers Nachteil aus .
Sein Betragen gegen den armen Nikolas war so schön wie vorher , seine Großmut gegen Theodor wurde um nichts vermindert ; aber mitten durch alle die hohen zarten Gefühle , die ihr liebes Herz durchwandert war , und die sie nun auch eben so glühend in unserem echten Naturkind vorausgesetzt hatte , einen Napf Milch und ein derbes Stück Brot aufessen , und gar kein Hehl haben , daß es aus Hunger geschähe - es schadete dem braven Roger nun just nicht bei ihr , aber es trug dazu bei , der neuen Schöpfung in ihrem Herzen Theodorn zum Abgott unterzuschieben .
Wie reizend lag dieser neben seinem Freund , sein schönes Gesicht auf einen Arm gestützt , seine redenden Augen auf ihn gerichtet , seine ganze Gestalt durch die spielenden Schatten der breiten Kastanienblätter in den Strahlen der rötlichen Abendsonne , mit zauberischem Lichte umgossen ! -
Rogers unseliger Milchnapf entschied vielleicht das Schicksal ihres Herzens !
Es erschien nun ein Zeitpunkt , in welchem vieles zusammentraf , um Seldorf in der einfachen Stille , mit der er die Zeit hatte fortschreiten sehen , aufzustören .
Die Welt war ihm seit langer Zeit so verhaßt , gegen alles was außer dem kleinen Zirkel vorging , in welchen sich sein Herz gebannt hatte , war er mit so viel Härte bepanzert , daß er die großen Bewegungen , welche die französische Nation damals zu erschüttern anfingen , mit erzwungener Verachtung für lauter Komödie und Kinderspiel erklärte .
Am allgemeinen Glück wie an dem seinigen verzweifelnd , erbitterte ihn jeder Versuch , der dahin abzuzwecken schien , weil er eine neue Fehlschlagung für sein Herz dahinter fürchtete - für ein Herz , das freilich immer nur zu bereit war , diesen schönsten Traum wieder von vorn zu träumen .
Der alte Berthier sah diese Zeiten aus einem sehr verschiedenen Gesichtspunkt ; seine lange Erfahrung hatte manchen Gedanken in ihm entwickelt , der seit dem Anfang des Jahres 1789 zur Ahnung wurde .
Je länger , je mehr schien neue Jugend seinen Geist zu beleben .
Manche Stunde , die er sonst bei seinen unsterblichen Helden der Vorzeit verträumt hatte , widmete er jetzt den ernstesten Gesprächen mit seinem Enkel , bildete seinen Geist , und erweiterte seine Begriffe von den Rechten und Ansprüchen der Menschen um ihn her .
Jetzt gestand er die Notwendigkeit einer Verbesserung , und suchte ihm den einzigen Leitfaden in einer Zukunft , die er hell vor sich sah , wenn gleich ihre mannigfaltigen Abscheulichkeiten vor seinem Sinn vorübergingen , in die Hand zu geben .
Sammle früh , sagte er , einen Reichtum an gutem Gewissen ; denn es wird eine Zeit kommen , wo es dem , der das einzige Notwendige will , schwer werden muß , seinen Handlungen vor sich selbst das Zeugnis der Gerechtigkeit zu erhalten , und unmöglich vor den Menschen .
Wehe dir , wenn dein Sinn dann nicht mehr rein und fest ist , um dich der Wahrheit zu opfern !
Aber Seldorfs trübes Auge war nicht fähig , mit diesem freien Blick benutzter Erfahrung in die Zukunft zu dringen .
Anfangs wies er jedes Gespräch über diesen Gegenstand mit einer Abneigung von sich , wie sie ein matter Kranker in der Zwischenzeit der Leiden gegen jede äußere Anregung empfindet .
Als die Umstände ernster , und die Deutungen auf die Zukunft heller wurden , mischte sich eine Art von bitterem Spott hinein ; denn Berthiers warme Freude , über ein Volk dessen Verderbnis er so lange studiert hatte , den Augenblick der Wiedergeburt aufgehen zu sehen , und sein mutiger Entschluß , um dieser Wiedergeburt Willen auch das Fürchterlichste nicht zu scheuen , mahnten den Unglücklichen bloß , daß sein Feuer erloschen , seine Kraft gelähmt war .
Manchmal ergriff es wohl sein angeboren Gefühl für Wahrheit und Recht ; er gedachte des amerikanischen Kriegs , wie er damals für fremdes Glück willig geblutet , und unter der zur Freiheit heranwachsenden Jugend diesseits des Meeres sich wehmütig seines zur Dienstbarkeit geborenen Lieblings erinnert hätte .
Die ernsten Worte : Vaterland und Mitbürger , die für den , welcher sie gebrauchen darf , alle Pflichten des Mannes und allen Lohn der Tugend enthalten , drangen auf Augenblicke in Seldorfs zerschlagenes Herz , wie eine geistige Arznei in die Adern des unvermeidlich Sterbenden : noch einmal klopfen die Pulse , noch einmal strahlt Leben im gebrochenen Auge , noch einmal ergreift er die Hand der weinenden Gattin , aber die künstliche Wärme durchdringt das schon erstarrte Blut nicht mehr , die Kälte des Todes kehrt zurück , und die Hand des getäuschten Weibes , welche den Druck der Zärtlichkeit erwartete , entwindet sich schmerzlich und schaudernd dem Todeskrampf .
Seldorf mußte von der Summe von Glück , die er zu ahnen verführt wurde , zu den einzelnen Quellen sich wenden , aus welchen es fließen sollte ; und da scheiterten seine Hoffnungen .
Unter den Menschen , die sich jetzt zu den Rettern der Nation aufwarfen , waren auch die Namen derer , die sein Leben vergiftet , und seine Wohlfahrt zerstört hatten .
Bitter lachend sagte er zu seinem glaubensvollen Freunde : also im Großen sollen diese Menschen das Gute wollen , das sie einzeln auf tausend Wegen verhinderten ?
Also dieser *** , welcher Menschenglück vor sich niedertrat , wie das ungezähmte Roß die Halmen des Feldes wo es einbricht , dieser soll nun nach dem Wohl des Volkes streben ? -
Umsonst ermahnte ihn Berthier , die Werkzeuge vom Endzweck der Arbeit , und den Plan der Schöpfung von der Entwicklung des Chaos zu unterscheiden .
- Nein , nicht Chaos , menschenliebender Schwärmer ! rief Seldorf; mit dem Chaos ist schaffende Kraft und Keim verbunden , und davon ruht nichts im Schoße des Tods .
Kein Chaos kann sich hier entwickeln , es ist das Reich der Verwesung , das in ekelhafte Gehrung gerät .
Die scheußliche Maße wälzt sich , schäumt und wogt eine Weile , und sinkt dann in sich zusammen , ein totes Meer , dessen Dünste jedes lebendige Geschöpf vergiften , hinabziehen was an seine Ufer nur streift .
Armer Greis , hinunter in dein Grab ehe das Gift dich ergreift !
Erwache dort von deinen gutgemeinten Träumen ; das Erwachen diesseits würde zu schrecklich sein .
Tau und Frühlingssonne können neues Leben in den vom Blitz zerschmetterten Eichbaum rufen ; auf dem eingestürzten Felsen keimen nach Jahren Moose , und endlich grünende Kräuter - Öde ohne Hoffnung neuer Jugend ist nur im Herzen des Armen , der einmal den Glauben an Glück und Menschen verlor .
Das Auge seines Geistes ist erloschen , er blickt nur um sich , um Finsternis zu entdecken , und kennt selbst die Tugend nur um über sie zu weinen .
O wäre Seldorf damals gestorben ! dort wäre er erwacht , um dankbar über seinen Irrtum zu lächeln ; hier sank er , ihn fruchtlos erkennend ins Grab .
Am meisten litten Theodor und Sara bei Seldorfs zunehmender Vereinzelung .
Ihr junges Gemüt konnte seinen traurigen Bildern nicht folgen ; und Rogers Denkart , die ihrem Alter weit angemeßener war , und die sie zu ehren gewohnt waren , weil sie zum Teil immer ein Ausfluß von dem Geist seines Großvaters schien , leitete besonders Theodorn auf einen Weg , den er nicht lange mit dem Beifall seines Vaters wandeln konnte .
Von jeher hatte Seldorfs trüber Sinn ihn zum Freund und Vertrauten seiner Kinder unfähig gemacht ; er war ihre Gottheit , sie riefen ihn an , sie brachten ihm Opfer und Dank ; aber mit seinem inneren Selbst nie vertraut , suchten sie außer ihm , wenn sie des Tausches von Gedanken und Empfindungen bedurften .
Ihre Zärtlichkeit selbst hatte sie zurückgehalten , vor seinen Augen jemals mehr als die mattesten Strahlen ihres feurigen Geistes schießen zu lassen , weil sie seine Rührung , und die finstere , ihnen unbekannten Erinnerungen , die so oft in seiner Seele angeregt werden konnten ; weil sie sogar den Enthusiasmus seiner Tugend scheuten , die in einem einfacheren kindlicheren Gewand ihre jungen Seelen gewonnen haben würde .
Und wenn es ja Augenblicke gab , wo sie diese Schüchternheit vergaßen , wenn Theodor , von irgend einer Leidenschaft überrascht , seinen ganzen Ungestüm , oder Sara ihre grenzenlos schwärmende Herzlichkeit verriet , dann war der Vater betroffen über den Ausbruch von Gefühlen , die er nicht kannte ob sie sich gleich nie verleugneten ; und der irrende , und doch so wohlmeinende Mann behandelte als Fehltritt , was er als entstehendes Vertrauen mit Sorgfalt hätte pflegen sollen .
So wurde er seinen Kindern immer fremder ; er fühlte es bitter , aber zu unglücklich um die rechte Hilfe zu schaffen , legte er sein gekränktes Vaterherz mit zu dem Gewicht seines Grams .
Dieses Verhältnis begann nun , das Leben seiner Lieblinge mit eisernen Banden an das Unglück zu schmieden .
In Theodors feuriger Seele malte sich die Zukunft , welche aus dem damaligen Zeitpunkt entstehen sollte , mit aller der Vollkommenheit , die reiner Wille zum Guten und ungeprüfte Erfahrung jedem Gegenstand , nach welchem die Hoffnung eines Jünglings strebt , so leicht zuschreiben .
Unbekannt mit den geheimen Fäden , woran das Tun seiner Zeitgenossen hing , sah er in allen Menschen , die jetzt öffentlich glänzten , nur die Züge , die sie durch Wort und Rede ins Licht stellten , und hielt sie treuherzig für Erlöser der Nation . Seinem hochfahrenden Geist , seinem unruhigen Gemüt war es angemeßener , der Menge das Glück mit überlegener Weisheit auszuteilen , als die Menge so zu stellen , daß jeder mit einfacher Kenntnis sein Glück selbst erlangen könnte .
Seine Lage , die ihn bisher zum Freund weniger Auserlesenen , und zum Wohltäter aller anderen Geschöpfe um sich her gemacht hatte , bereitete ihn dazu ein Anhänger jenes Systems zu werden , nach welchem Freiheit und Aufklärung ein Gut ist , woran zwar die ganze Nation teilnehmen soll , dessen inneres Heiligtum aber im Busen einer Anzahl von Erwählten niedergelegt , das Vorrecht gewisser erhabener Tugenden bleiben muß .
Die Geschichtsbücher aller Nationen schienen ihm diese Meinung zu bestätigen .
Glühend im übermütigen Gefühle , einer der Erwählten zu werden , sah er nicht daß die treueste Darstellung des Geschichtsschreibers nur das Gemälde von Wirkungen tausend und aber tausend vorhergegangener Ursachen sein kann .
Man mag die Quelle , die man verfolgt , noch so sehr von Sand und Strauchwerk säubern , ihre erste Entstehung findet man doch nicht , und umsonst forscht man nach dem Ursprung der Tautropfen welche den Boden befeuchteten , umsonst nach den inneren Schichten des Hügels den sie durchdrangen , um hier als Quelle zu rieseln : eben so unbefriedigend ist die Arbeit des Geschichtsschreibers , und nie kann er uns die Vergleichung mit dem gegenwärtigen Augenblick gewähren .
In Theodors Kopf , der voll kühner Resultate der Vergangenheit war , fand sich wenig Platz für die anscheinend geringfügigen und oft widrigen Züge der Wirklichkeit .
Er äußerte zuweilen seine Ideen gegen seinen Vater , aber die kalte Verachtung , mit welcher dieser seine glänzenden Luftschlösser zerstörte , stieß ihn zurück ohne ihn zu belehren , und seine innere Heftigkeit wurde durch das Gefühl von Unterdrückung vermehrt .
Weiblich und schüchtern , entging Sara durch ihr Stillschweigen dem Unwillen des Vaters ; aber desto inniger teilte sie des Bruders Träume und seinen Kummer , zwischen seines Vaters Liebe und seiner Meinung , die ihm schon anfing eine Religion zu werden , wählen zu müssen .
Natürlich führte dies alles die jungen Leute näher zusammen .
Wenn die arme Sara einen peinlichen Tag lang ihres Bruders Unruhe und ihres Vaters niederschlagenden Trübsinn ertragen hatte , hörte sie gern zu , wenn sich die beiden Jünglinge stritten , und da ihr Zweck der nämliche war , einander voll Herzlichkeit ihre Begriffe aufklärten .
Streit war denn freilich auch zwischen ihnen :
Roger hatte nie einem Gözen geopfert , als der Tugend ; er hatte nie einen Sterblichen vergöttert , denn den heiligsten , den er kannte , seinen Großvater , kannte er für einen Menschen .
Früh hatte er mit anderen gelebt , genossen , gearbeitet , und alle seine Ansprüche unterstützten nicht Vorzüge , sondern Billigkeit und Kraft , die seinem Wunsch und Willen nach , allen Menschen gemein sein sollten .
Zum Ausspenden des Heils fühlte er in sich keinen Beruf , und er empörte Theodorn , indem er sein Heiligtum der Freiheit ein neugestaltes Gerüst der Selbstsucht nannte .
Freiheit erkämpfen und Freiheit bewahren , war sein einfacher Begriff ; und es war sein einziger Glaube , daß diese Freiheit allen gleich sein müßte , wie die Luft die uns umgibt , wovon jeder so viel einatmet als seine Lungen bedürfen .
Wurden die Toren hitzig , und es fehlte dem Sohn der Natur an Waffen gegen die stürmische Beredsamkeit und den Ideenreichtum seines Freundes , so legte Sara sanft ihre Hand auf seinen Mund , und sagte : aber , lieber Wilder , Theodors Auserwählte wollen ja nur eben das , jeder soll haben was ihm dient - Rogers Stimme konnte ihre donnernden Töne nicht mehr finden ; ohne die Hand zu küssen , die ihm so unbefangen schmeichelte , nahm er sie von seinem Mund , und sagte in einem Ton der mehr wie Handkuß war :
Aber so wollen sie Götter sein , mein Fräulein , und solche Götter waren es ja , die uns die Fesseln schmieden wollten , die zu lösen noch Ströme von Blut fließen werden .
Umsonst war dieser Satz ein neuer Gegenstand des Streits für Theodor .
Die Stimme , welche ihn aussprach , konnte nicht mehr streiten ; Roger setzte sich neben Sara , sah in ihr liebes Gesicht , und ließ Theodors Eifer allein austoben .
Der Zwang den Seldorfs Mißbilligung seinem Sohn auflegte , die Ungewißheit die durch Rogers Widerspruch und des alten Berthiers Meinung in ihm entstand , noch mehr aber sein unruhiger Geist , dem nur ein Schauplatz fehlte , um den Ehrgeiz zu seiner Leidenschaft zu machen , alle diese Umstände erweckten nach und nach den Wunsch in ihm , sich dem Mittelpunkt aller Begebenheiten zu nähern .
Voll Selbstvertrauen , hoffte er daß ein kurzer Aufenthalt in Paris alle seine Begriffe berichtigen würde ; denn sein Wille war lauter , er wollte Wahrheit , wenn er gleich nicht fühlte daß er nur das von der Wahrheit auffaßte , was seine Meinung bestätigte .
Er entdeckte diesen Wunsch seiner Schwester und seinem Freunde , indem er diesem zugleich anlag ihn zu begleiten .
Sara schauderte vor dem Gedanken ihren Bruder zu verlieren ; sie hatte nie in die Zukunft geblickt , ihrem Herzen hatten bis jetzt die Gegenstände genügt , denen ihre Sorgfalt gewidmet war ; allvertrauend auf die Liebe derer , die sie umgaben , hatte sie nie an eine Änderung in ihrer Lage gedacht , und nur instinktmässig regten fremde oder neue Gegenstände sie an , als sollten sie ihr das Glück schmälern , in dessen Besitz sie war .
So war ihr Rogers Dazwischenkunft erst lange lästig gewesen , sie ehrte zwar gleich seine unverkennbar treue Seele , aber er störte den stillen Gang ihres Wesens ; und wenn er Theodorn von ihr abzog , mit ihm etwas trieb , woran sie keinen Teil nehmen konnte , oder lustig mit ihm war wenn sie es eben gern anders gehabt hätte , so dachte sie wohl an ihre arme Antoinette , und meinte in ihrem Herzen , so möchte es wohl Theodorn mit seinem Schwesterchen gegangen sein wie ihr mit Rogen .
Die kindliche Verwechselung kam dem braven Roger zu gute , denn unwillkürlich gönnte sie ihm Theodors Liebe und Aufmerksamkeit um desto williger , als sie sich dunkel bewußt war , eben so würde sie es damals an ihres Bruders Stelle gegen Antoinetten gemacht haben .
Nach und nach verwischte sich dieses kleine Mißverhältnis , und wer jetzt die jungen Leute zusammen gesehen hätte , wäre in Versuchung gewesen , Theodorn und Sara für ein Paar Liebende , und Rogen für Sara's älteren Bruder zuhalten , so liebte und ehrte sie ihn , so zutrauensvoll wünschte sie ihren Theodor immer unter seinem Schutz .
Wie dieser nunmehr den Wunsch , ja fast den Entschluß äußerte , die Hauptstadt zu besuchen , war seine Bitte , daß Roger ihn begleiten möchte , ihr einziger Trost .
Roger hörte alle seine Gründe , alle seine Plane ernsthaft und aufmerksam an ; aber er stellte ihm dringend vor , daß Pflicht und Grundsätze ihm verböten , von dem alten Berthier zu gehen .
Hier , sagte er , können wir durch Beispiel und Ermahnung viel nutzen , bis unsere Mitbürger uns Gelegenheit geben , noch tätiger für sie zu wirken .
Dort würden wir uns in dem Wirbel verlieren , ohne zu wissen wohin er uns führte .
Hier ist es mir leicht , die Wahrheit zu unterscheiden , und treu alle meine Gedanken auf sie zu richten ; dort aber ist sie jetzt mit so glänzenden und vielfarbigen Wolken umgeben , daß ich - jung und unerfahren wie ich bin - irre an ihr werden und gegen mein eigenes Gewissen handeln könnte .
Lassen Sie uns hier bleiben , mein Freund ; glauben Sie mir , wir brauchen den Begebenheiten nicht entgegen zu gehen , sie werden uns schon ereilen - und wie schön , wenn wir sie dann zusammen bestehen , wenn wir für ein Gut kämpfen , nach welchem wir beide mit innigem Eifer trachten , wenn wir es auch zuweilen aus einem verschiedenen Gesichtspunkt beurteilen !
Bis unsere Mitbürger uns rufen , ist dieses Haus Ihr Posten ; Ihr Vater , Ihre Schwester sind Ihr anvertrautes Gut ; und ich wenigstens - ich gehe nicht von meinem alten Vater , bis die einzige Macht , der ich gehorche , es gebietet .
- Rogers Zureden war vergeblich , vergeblich der Ernst mit welchem der alte Berthier dem Jüngling manche Wahrheit zeigte , manche Aussicht eröffnete ; Theodor hatte diesen Weg einmal erwählt , den jeder Widerspruch ihm nur glänzender malte .
Alles was Sara noch über ihn vermochte , war daß er die Einwilligung des Vaters suchen würde .
Aber wie bitter mußte sie diesen Sieg ihres kindlichen Gehorsams bereuen !
Seit geraumer Zeit wurden durch einen stillschweigenden Vertrag zwischen Seldorf und seinen Kindern alle Gespräche über die Meinung , worin sie von einander abwichen , vermieden .
Die arme Sara suchte ängstlich andere Gegenstände zur gemeinschaftlichen Unterredung ; und nach ihrem heiteren Geschwätz , nach der geistreichen Leichtigkeit , mit welcher sie von allem ablenkte , was Theodor aus Unbiegsamkeit oder Unbesonnenheit vorbringen mochte , hätte ein Fremder das gute weiche Geschöpf für sorglos und ruhig gehalten .
Seldorf täuschte sich darüber nicht , er liebte sie um so zärtlicher , ließ sich aber leicht verleiten , der Wirkung , die diese betrügerische Stille auf seinen Sohn haben konnte , nicht weiter nachzudenken .
Wie ihm jetzt Theodor sein Anliegen nach der Hauptstadt zu reisen vortrug , traf es ihn daher viel unvorbereiteter als es billig gesollt hätte , seine ganze Bitterkeit erwachte , und sein krankes Gemüt schilderte ihm die nachgebende Behutsamkeit , mit welcher der Jüngling bis jetzt geschwiegen hatte , als tückischen Betrug .
Diese Ungerechtigkeit führte Theodorn viel weiter als er je hatte gehen wollen .
Er hatte kindlich gebeten , sich belehren zu dürfen durch diese Reise ; hingerissen von seinem gekränkten Gefühl , forderte er nun vom Gängelband losgelassen zu werden .
Kaum waren ihm die Worte entfahren , so erblaßte der unglückliche Vater ; eine Weile blickte er ihm starr ins Gesicht , und sagte dann langsam :
Ha , deiner Mutter Geist ist mächtig in dir ! -
Weiter ließ ihn Sara nicht sprechen , sie lag zu seinen Füßen , und rief : Vater , Vater !
Antoinettens letzter Kuß versöhnte ja der Mutter Geist - Theodor kniete still und erschüttert neben der Schwester , und hielt die Hände seines Vaters , der sich gewaltsam von ihm wandte .
Lange konnte indessen Seldorf den Tränen seiner Kinder , und dem Gefühl seines Unrechts nicht widerstehen , er verzieh Theodorn , aber unter der Bedingung daß er nie wieder an die Reise denken dürfte .
Theodors schlecht unterdrückte Sehnsucht nach einem größeren Wirkungskreis , und Sara's immer mehr sich entwickelndes Gefühl , daß ihre Liebe und ihre Innigkeit nicht genügten um den Bruder zu fesseln , verbannten indessen die vorige unbefangene Fröhlichkeit aus diesem kleinen Zirkel .
Sara fühlte sich zwar durch Rogers Gleichmut , durch seine nie sich verleugnende Freundschaft beruhigter über den Einfluß , den Theodors Sinnesart auf seine zukünftige Ruhe haben könnte ; aber ihr selbst fehlte eine Stütze , die ihr die Heiterkeit gegeben hätte , welche sie täglich für andere aufwandte ; und dabei war in ihrem Inneren etwas , das sie , ihr selbst unbewußt , immer mehr von Roger entfernte , je herzlicher der brave Jüngling für ihre Ruhe und ihre Wünsche sorgte .
In diesem Zustand von unsicherer Schwermut kam sie eines Tages von einem einsamen Spaziergang zurück , und wollte von einem kleinen Gehölze durch Berthiers Weinberge nach ihrem Landhaus gehen .
Von dem Gehölze bis zu dem engen Wege zwischen den Weinbergen lag eine Trift , wo die Herde eben weidete .
Der Hirte hatte sich entfernt , und der Stier war , von einigen mutwilligen Knaben gehetzt , durch das Gehege auf den Weg geraten , über welchen Sara jetzt kam .
Das Tier erblickte sie , hielt sie für den ihn angreifenden Feind , und verfolgte sie mit wütendem Ungestüm .
Umsonst schrie Sara um Hilfe , niemand war in der Nähe ; sie flog mehr als sie lief , und von der Angst verblendet eilte sie in den engen Fußpfad , wo von jeder Seite mannshohe Mauern die Weinberge stützten .
Der Stier folgte ihr auf dem Fuß ; ihre erschöpfte Brust , der steinige Boden , das Schnaufen des wütenden Stieres , alles machte ihr jeden Schritt , den sie tat , als den letzten fühlen dessen sie fähig wäre .
Jetzt strauchelt sie wirklich , und stürzt mit einem letzten schwachen Schrei zu Boden ; Sara war verloren - Doch im nämlichen Augenblick sprang Roger etwas höher am Weg die Mauer herab , flog neben Sara vor über auf den Stier zu , der mit gesenkten Hörnern und gesträubtem Haar nur noch einige Schritte von dem Mädchen entfernt war , faßte ihn an beiden Hörnern , und indem er seine ganze Stärke auf einen Arm legte , stürzte er ihn damit seitwärts auf den Rüken. 1 Schnell eilt er zu Sara zurück , die noch am Boden liegt , faßt sie in seine Arme , und geht einige dreißig Schritte bis an eine niedrige Stelle der Mauer , über welche er in seines Großvaters Baumgarten springt , ehe das um sich schlagende Tier wieder aufrecht steht .
Er hatte im Weinberg gearbeitet , als ihn Sara's Geschrei aufmerksam machte , er begriff nicht sogleich von welcher Seite es käme , aber der Trieb zu helfen hatte ihn den einzigen Weg zu ihrer Rettung geführt .
Jetzt hielt er sie noch in seinen Armen , und rief einige Leute , die sich ihm näherten , um Hilfe für sie .
Sie war nicht ohnmächtig , aber ein konvulsivisches Zittern und Schluchzen schien sie gegen alles , was um sie her vorging , fühllos zu machen .
Bang und erwartend redete ihr der Jüngling , sich seiner eigenen Worte unbewußt , mit den zärtlichsten ausdrücken zu , als sie endlich in Tränen ausbrach , und ihr Gesicht an seine Schulter verbarg .
Sara , liebste Sara , hier sind Sie ja sicher ! rief er mit dem innigsten Ton , und drückte sie mit beiden Armen an sich .
Waren es diese Worte , oder die erleichternden Tränen , die jetzt ihr Bewußtsein zurückriefen , Sara wand sich schnell aus seinen Armen , warf einen scheuen Blick auf ihn , und stürzte auf ihren Bruder zu , der sich eben mit raschen Schritten , voll Schrecken über die Gefahr seiner Schwester , ihnen näherte .
Der tiefgerührte Dank des Vaters , Theodors feurige Anerkennung , daß sein Freund ihm sein liebstes gerettet hatte , Sara's sanfte Tränen , selbst des ehrwürdigen Greises einfaches :
Gott segne meinen wackeren Jungen ! - nichts konnte Rogen von nun an befriedigen .
Ein Schleier war von seinen Augen gefallen , er hatte mit den Worten : Sara , hier sind Sie ja sicher ! eine Empfindung in seine Seele gerufen , der seit Jahren schon ihre Stätte bereitet war .
Er liebte , und war sich es nun bewußt .
Zum erstenmal irrte er in wachen Träumen auf einsamen Wegen , und nie war ihm die Schöpfung so lebendig , nie lachte ihm so die ganze Natur .
Ihm tönte aus jedem Lüftchen seine Stimme : liebe Sara ! in es Ohr , und das Gekrächz jedes Raben schien ihm Harmonie ; mußte er den Forst umgehen und die Bäume messen , so drückte er einen Baum in die Arme , und hörte : liebe Sara , hier sind Sie ja sicher !
Glücklicher hatte nie die Liebe einen Menschen gemacht , und nie verkehrter .
Stadt Sara aufzusuchen , war ihm der erste Eindruck genug ; um mit diesem allein zu sein , ging er allen Menschen aus dem Weg , und es brauchte einige Tage , ehe seine reifere Vernunft sein Kinderherz lehrte , mehr zu wünschen .
Hätte sie doch diesmal sich ihrer Rechte entäußert !
Sobald sie ihre Stimme hatte vernehmen lassen , verschwanden Rogers Träume und sein Glück .
Er wünschte , und mußte seine Wünsche berechnen , und die Folge war Misstrauen und Furcht .
Er ging nun die ganze Vergangenheit durch , ob sie seine Zukunft zu begünstigen schiene ; aber leider sah er überall nur Gleichgültigkeit in Sara's Betragen .
Ihm schien es , als hätte er sie immer geliebt ; Eindrücke , die er längst verwischt glaubte , standen wieder hell vor seiner Seele ; er dachte an Seldorfs geheimnisvolles Schicksal , an seine ununterbrochene Zurückhaltung , und auch von dieser Seite fühlte er wenig Hoffnung .
Endlich gelangte er doch zu dem Entschluß , den er ohne die zauberische Wirkung eines so neuen Gefühls auf sein kindliches Herz , viel früher hätte fassen können :
er beschloß , um Gegenliebe zu werben .
Ob sie ihm versagt werden könnte ?
Wie an einem scheußlichen Gespenst , floh er an diesem Gedanken vorbei , und eilte nach Seldorfs Wohnung , die er nun nach zwei Tagen zum erstenmal betrat .
Der Augenblick , welcher Rogen einen so hellen Aufschluß über sein Herz gegeben hatte , war auch für Sara nicht unbeobachtet vorübergegangen , und er hatte Begriffe bei ihr entwickelt , deren Dunkelheit bisher so wohltätig für sie gewesen war .
Ein Mädchen , das mehr mit der Welt bekannt gewesen wäre , hätte Rogers Betragen , ihren Einfluß auf seine frohe Stimmung , ihre Gewalt über seine lebhafte Aufwallungen früher verstanden .
Aber der guten Sara fehlte sogar jeder Vergleichungspunkt zum Urteilen , sie sah ihn nur in ihrer und ihres Bruders Gesellschaft ; und fanden sie sich ja einmal mit anderen Menschen , so Maß sie den Anteil , den sie an seiner Aufmerksamkeit hatte , nach ihrer Achtung für ihn , und fühlte keinen Vorzug darin .
Seitdem ihres Vaters traurige Strenge gegen Theodors Denkungsart die Kinder unvermerkt zu einem heimlichen Bund gegen ihn verleitet hatte , war eine Vertraulichkeit in ihr Verhältnis gekommen , durch welche Rogers brüderliche Herzlichkeit sich allmählich in Liebe verwandelt hatte , während daß Sara in dem nämlichen Verhältnis ihre Unbefangenheit gegen ihn verlor .
Es bedurfte eines Zufalls wie jenen , wo Rogers warmes Blut seinem Herzen das Rätsel löste , um Sara den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe zu erklären .
Die Stunde war nun gekommen , und sie entriß ihr ihren treuesten Freund , ihren Jugendgefährten , den Schutzgeist ihres Theodors .
Sie fing an , den Mann zu verabscheuen , der sie zuerst die Liebe kennen lehrte , ohne ihr Liebe einzuflößen ; ihre Sinne empörten sich gegen den Mann , der sie belebt hatte , ohne ihnen zu gefallen .
Das reine unschuldige Geschöpf litt unter allen diesen neuen Empfindungen .
Tausendmal dachte sie ihre Gefahr , und ihre Rettung , und ihren Dank ; wenn sie aber Rogers liebeglühenden Blick , und die Heftigkeit zurückrief , mit welcher er sie an seine Brust drückte , so hätte sie sein Bild aus ihrem Gedächtnis vertilgen , und nur ihre Dankbarkeit behalten mögen .
Sie fürchtete seinen nächsten Anblick , und warf sich vor , ihm nicht freudig entgegenzusehen , da er so edel , und selbst um seiner Liebe Willen so edel war ; denn wußte sie nicht jetzt , wie lange schon seine Freundschaft Liebe war ? und mußte sie nicht erkennen , wie ehrend der Ausbruch seiner Leidenschaft für sie war ?
Sie war einfach genug , um ohne Selbstbetrug die mögliche Zukunft , die seine Liebe ihr bereiten könnte , zu berechnen ; aber sie blieb erstaunt stehen bei dem Widerwillen , mit welchem ihr Herz das Bild des häuslichen Glücks von sich stieß , wo Roger die Hauptrolle an ihrer Seite spielte .
Bei diesen widersprechenden Empfindungen mußten ihre Äußerungen eben so ungleich sein .
So oft von ihrer Gefahr Erwähnung geschah , gab sie ihre Dankbarkeit für ihren Retter mit desto mehr Eifer zu erkennen , als es ihr dünkte , ein jeder , der davon spräche , blickte in ihr Herz , und sähe ihren Undank gegen seine Liebe .
Saß sie still in ihr Sinnen vertieft , und man nannte seinen Namen , so errötete sie , und fuhr auf , als wäre davon die Rede wie er sie in seine Arme gedrückt .
Man war so wenig gewohnt , Rogen so lange abwesend zu sehen , daß ihn Theodor zweimal aufsuchte ; da er ihn aber immer in der heitersten Laune von der Welt , aus allen Kräften arbeitend fand , und vom alten Berthier hörte , daß er seit zwei Tagen es so triebe , als wollte er die Arbeit aller vier Jahrszeiten in acht Tagen vollenden : so nannte er ihn einen närrischen Menschen , gerade jetzt so viel zu schaffen , da Sara wegen der Folgen ihres Schreckens das Zimmer hüte , und er ihr wohl Gesellschaft leisten könnte .
Als Roger endlich wieder bei seinen jungen Freunden erschien , empfing ihn Sara mit dem festen Vorsatz , durch ihr Betragen ihre Entdeckung und ihr widerspenstiges Herz zu verbergen .
Doch dieses Herz war so weich , so innig in allen seinen Gefühlen , daß sie bei Rogers erstem Anblick mehr wie das tat ; sie vergaß alles , und eilte ihrem Retter mit glänzendem Auge entgegen , und mit einer Stimme , in welcher ein Reichtum von Liebe war , der den gleichgültigsten erwärmt hätte , die aber der junge Mann sich kaum enthalten konnte , kniend zu vernehmen , dankte sie ihm , und warf ihm vor daß er so spät käme seine Errettete zu sehen .
Armer , armer Roger , um die Ahnung des höchsten Glücks zu behalten , hättest du dieses Glück nicht sollen zu achten scheinen !
Hingerissen von ihrer Güte , überließ sich nun sein einfaches Herz seinem Gefühl , seinem Genuß der Liebe ; so wie es aber mit Zutrauen sich ihrem Herzen nahte , stieg ihr Widerwillen wieder auf , und wurde mit jedem Augenblick , wo sie den Freund so sorglos geehrt hätte , heftiger gegen den Liebhaber .
Von nun an war der Friede ihrer Seele geflohen ; denn sie , die nur in Anderer Glückseligkeit lebte , sie sah wie sie das Wohl des Mannes zerstörte , der in der kleinen Welt ihres Herzens eine so wichtige Stelle einnahm ; sie sah immer mehr , wie Theodor durch die Gewalt , welche die großen Angelegenheiten der Zeit über ihn gewannen , von ihr abgezogen wurde ; und ihr Vater , der ungeachtet ihrer Bemühungen Frieden zu erhalten , seinen mit jedem Tag zunehmenden Enthusiasmus bemerkte , setzte ihm allenthalben despotische Unterdrückung oder bittere Kälte entgegen .
Wie oft , wenn sie sich nicht hatte erwehren können , Rogers herzliches Bemühen ihr zu gefallen , bloß mit entfremdender Freundlichkeit zu beantworten , beweinte sie die Zeit , wo sie mit offenem Blick ihm entgegen ging , und ihm ihre Unruhe und Sorgen klagte , ihn bat ihres Theodors Eifer zu milderen , und endlich , durch seine herzliche Munterkeit erweckt , ihre Sorgen vergaß !
Bei Rogers völliger Unbekanntschaft mit dem weiblichen Herzen , und einem Charakter , der keiner traurigen Voraussetzungen fähig war , brauchte es einige Zeit , ehe er aus seinem frohen Traum erwachte .
Geliebt glaubte er sich zwar nie , aber um den Lohn seiner Liebe zu ringen hatte er lange Mut und Beharrlichkeit .
Ein gerechtes Selbstgefühl und die Erfahrung einer Reihe von Jahren überzeugten ihn von Sara's Achtung ; ob aber jetzt ihre zunehmende Zurückhaltung , ihre ungleiche Stimmung , die von wehmütiger Güte zu zurückstoßender Lustigkeit wechselnd überging , mädchenhafte Laune oder Abneigung sei , darüber lag seine Liebe mit seiner Vernunft noch im Streit .
Endlich mußte er doch wahrnehmen , daß Sara ihren Kummer vor ihm verbarg , seinen Trost als einen Anspruch auf ihre Liebe von sich stieß , und ihn in den Fällen , wo sie ihn sonst als ihre Stütze aufgesucht hatte , gerade am sorgfältigsten zu meiden schien .
Dieser bitteren Prüfung unterlag seine Hoffnung .
Er hatte so innig , er hatte nur einmal geliebt ; denn was er in unversehrter Jugendkraft je bei anderen Mädchen empfunden hatte , war durch Sara's Bild längst verwischt , oder bis zur Unkenntlichkeit geheiligt .
Wie in den Frühlingstagen ein lauer Regen aus allen Keimen blühendes Leben hervorruft , so hatte diese Liebe die letzte Hand an die Schöpfung seiner Jugend gelegt , und eine Welt von Seligkeit in ihm entwickelt .
Das alles war nun zerstört , er sah sein Herz verschmäht , und hatte mit Sara's Vertrauen und Freundschaft alles verloren , was ihm so lange die Liebe ersetzte , und was ihn jetzt allein - doch wie ärmlich für sein verlangendes Herz ! -
für Liebe entschädigen konnte .
Innig trauernd , aber voll weiser Güte beobachtete der alte Berthier seinen zerstörten Lebensgang ; wenn er mit immer neuer Fehlschlagung von Seldorf zurückkam , fragte ihn der Greis wohl mit stiller Besorgnis : Roger , warum glüht dein Gesicht ? wie kannst du so finster und stumm sein ? -
Hatte er den ganzen Tag eifrig gearbeitet , und alle seine Geschäfte mit angestrengtem Mut vollendet , und saß dann tiefsinnig neben dem Vater , so strich ihm dieser sanft mit der Hand über die Stirn , und sagte mit einem Ton , der , aus Besorgnis wie Vorwurf zu klingen , zitterte : sonst warst du heiter nach erfüllter Pflicht ! -
Oft war der junge Mann im Begriff , seine graue Erfahrung um Waffen gegen eine Leidenschaft zu bitten , die seinen männlichen Stolz zu stürzen drohte ; aber er schämte sich , einem Mann , der stets nur für andere gelebt hatte , eine Empfindung zu gestehen , die ihn von allem außer sich selbst abzog .
Oft wollte er Theodorn zu seinem Vertrauten machen , und in seiner Brust das Gelübde , mit seiner Leidenschaft zu kämpfen , niederlegen ; aber sein Stolz fürchtete in ihm einen Fürsprecher bei Sara , und in einem geheimeren Winkel seines Herzens lauerte noch eine andere Furcht : an einem Bruder , der stets die Wünsche seiner Schwester geteilt hatte , einen Verbündeten ihrer Abneigung zu finden .
In diesem Zeitpunkt , der so leicht den braven jungen Mann zu einem verfehlten Dasein hingerissen hätte , wurden die Wolken sichtbarer , welche sich über die Angelegenheiten des Staates türmten .
Aus dem scheinbaren Frieden zwischen unverträglichen Parteien drohten schon ziemlich sichre Anzeichen der künftigen Verwirrung , und in allem was getan wurde , um ihren Ausbruch zu verschieben , lag bloß die Vorbedeutung , wie viel fürchterlicher er darum sein würde .
Hauptsächlich über die vorgehabte Reise des Königs nach Saint-Cloud , und über die Bewegungen durch welche sie verhindert wurde , begannen in der damaligen Zeit auch in den Provinzen die Meinungen , die Vorurteile , die Leidenschaften , die kühnen Vorgriffe , für welche so viel Bluts fließen sollte , schon gegen einander zu gehren .
Aber mit bitterem Schmerz sah Berthier , wie tief Rogers Herz verwundet sein mußte ; denn still und kaum gerührt empfing der Jüngling die wichtigsten Nachrichten , und kalt hörte er den ernsten Weissagungen des Großvaters zu .
Jetzt blickte der ehrwürdige Greis in des Jünglings verfinstertes Gesicht : Roger , es kommt die Zeit , wo du deinem Vaterland deine Kräfte , deine Tugenden als ein Kapital vorschießest , für welches dich vielleicht das Glück deiner Kinder erst lohnt - das Glück meiner Kinder ! wiederholte Roger halb vernehmlich ; für mein Glück wäre die Rechnung also doch geschlossen - Berthiers erste Bewegung war ein Blick , in welchem Zorn und Unwille blitzten ; er schlug ihn bald nieder , und sagte nach einer Stille , in welcher Rogers Seele mit Scham und Kummer kämpfte , mit einer Stimme , die in jeder anderen Brust zum Schrei des Schmerzens geworden wäre : wohl mir , daß ich dem Grabe so nah bin , denn ich werde nicht sehen wie meine Enkel vor ihrem Vater erröten ! -
Zitternd setzte er nach einem kurzen Schweigen hinzu :
Solltest du denn wirklich verloren sein , für Tugend und Vaterland verloren ?
Länger hielt es Roger nicht aus , er stürzte zu Berthiers Füßen , und rief außer Atem von dem Streit in seinem Inneren : Nein Vater , ich bin nicht verloren , dein Sohn gehört dem Vaterland ; dem soll er allein angehören , höre meinen Schwor , und verzeih meinen Irrtum ; ich opfre dem Vaterland Kraft und Tugend bis in den Tod , wenn gleich nie das Glück meiner Kinder mich belohnen wird ! -
Schwörst du , Roger ? schwörst du das ?
Ist dein Schwor dir heilig , so scheide ich mutig von hinnen , denn du setzest mein Leben fort , und nahe an ein Jahrhundert fortdauerndes Dulden von Unterdrückung wird durch deinen Kampf um Freiheit gelohnt .
Wären die Wünsche deiner Liebe dir wichtiger als die Forderungen deiner Nation , so hätte ich umsonst gelebt .
- Berthiers letzte Worte hatten Rogers Stolz aufgerufen ; er sammelte genug Unbefangenheit , um seinem alten Vater die Lage seines Herzens und die Fehlschlagung seiner Hoffnungen zu gestehen .
Voll Güte sagte ihm der würdige Greis , daß nicht seine Wünsche allein betrogen wären , daß auch er durch Sara's Abneigung eine Tochter verlöre , die er sich lange ausersehen , auf welche sein Blick schon gefallen wäre , noch ehe die Umstände seine Plane begünstigt hätten : ein braver Bürger soll Gatte und Vater sein , und gegen dieses reizende Mädchen wären diese Pflichten doppelt süß gewesen !
Gib sie auf ; sie ist zu jung , oder sie missversteht die Stimme der Natur , indem sie dich flieht , seit du mit allen Ansprüchen deines Geschlechts dich ihr nahest .
Gib sie auf ; du bist jung und unverdorben , du kannst in späteren Jahren noch lieben .
Roger , wie deine Großmutter mir ihre Hand gab , war ich zwölf Jahre älter als du ; und hätte ich nicht damals geliebt , so würde ich jetzt dich nicht verstanden , und dir nicht verziehen haben .
Und ich , im Druck des Unrechts aufgewachsen , liebte doch noch so spät ; wie viel länger muß nicht eines freien Mannes Herz jung bleiben !
Sind mir doch unsere Jünglinge immer verhaßt gewesen , mit ihren früh weisen oder verbrauchten Herzen - Rogen war bei diesem freundlichen Geschwätz seines Großvaters nicht anders zu Mute , wie einem , der sich in der dringenden Gefahr sähe blind zu werden , und dem man zur Aufheiterung von der Pracht des künftigen Frühlings vorspräche .
In der nächsten einsamen Stunde suchte er einen Entschluß festzuhalten , und ging nach Seldorfs Haus .
Er fand die beiden Geschwister in einem eifrigen Gespräch , dessen Inhalt , nach Sara's verweinten Augen zu urteilen , sehr angreifend für sie gewesen sein mußte :
aber bei Rogers Eintritt suchte sie ihren Kummer zu verbergen , und verließ nach wenigen Augenblicken das Zimmer .
Rogen gab der Zwang , den er ihr auflegte , einen Stich ins Herz ; indessen zog sein Freund jetzt seine ganze Aufmerksamkeit auf sich , indem er ihm mit der größten Entschlossenheit verkündigte , er wolle das väterliche Haus verlassen .
Ich muß , sagte er , vor jedem Burschen im Dorfe erröten , der frei mit seinen Kameraden sprechen darf ; und mancher Jüngling in meinem Alter wurde schon mit dem Vertrauen seiner Mitbürger beehrt .
Ich muß es von mir scheuchen , weil mein Vater mich in Fesseln hält .
Glaubst du , ich hätte die unsicheren , zurückhaltenden Blicke nicht bemerkt , mit welchen deine Freunde und Brüder , die neulich von Saumür kamen , mich ansahen ?
Bedurfte es nicht der wiederholten Erklärungen deines Vaters , um einige Offenheit in ihr Betragen zu bringen ? -
Roger wußte seiner Heftigkeit keine Gründe entgegen zu setzen , und fühlte das Peinliche von Theodors Lage zu lebhaft , um ihm in diesem Stück zu widersprechen ; er suchte ihn nur an den ungewissen Erfolg einer Flucht , und an den sichern Kummer seines Vaters zu mahnen .
Über Theodors Gesicht ergoß sich bei dieser Vorstellung eine höhere Röte , er ging unruhig im Zimmer umher ; und indem er Sara , die eben wieder hereintrat , bei der Hand ergriff , und sie zu Roger führte : Ihr sollt ihn trösten , rief er , Ihr sollt ihn fühlen machen , daß ich hier unnütz verglühe , und ehrlos veralte .
Sara verstand den Sinn dieser Worte nur halb ; als aber Theodor fast gewaltsam Rogers Hand und die ihrige zusammendrückte , erwachte ihre gewöhnliche Zurückhaltung , und sie sagte mit matter Stimme :
O Bruder , folge dem Rat deines Freundes ; der Trost den du deinem Vater zugedacht hast , möchte ihm nachher gebrechen .
Zugleich zog sie ihre Hand weg , und setzte sich an ihren Arbeitstisch .
Vielleicht hatte ihr das Zweideutige in der lebhaften Äußerung ihres Bruders diese Antwort eingegeben , die einen sehr bitteren Sinn für Roger enthalten konnte .
Im ersten Augenblick fühlte er seinen Stolz so heftig beleidigt , daß er sich abwandte , um seine Bewegung zu verbergen ; als er aber wieder auf Sara blickte , und ihrem reuigen tränenvollen Auge begegnete , stand die Notwendigkeit , seinen Entschluß auszuführen , wieder lebhaft vor ihm , er machte sich von Theodorn , der ihn noch immer hielt , los , und ging mit einer gewaltsamen Äußerung seines Muts auf Sara zu .
Sein hochklopfendes Herz versagte ihm anfangs die Stimme , und erst wie er einige Augenblicke gesprochen hatte , wurde seine Brust freier .
Sara , sagte er , und ergriff eine ihrer Hände , lassen Sie uns unseren ehemaligen Frieden wieder finden ; geben Sie mir für das unaussprechliche Glück , dem ich von heute an entsage , das Vertrauen zurück , das ich noch heute verdiene .
Ich will wieder Ihr Freund , Ihr Ratgeber sein , und kann es besser wie sonst ; denn wahrlich , wahrlich , das Gelübde , das ich hier ablege , muß mich weiser machen , oder es würde mir den Verstand kosten .
Sie können mich nicht lieben , Sie können es so wenig , daß Sie - Sie Engel an Güte ! hart und ungerecht darüber wurden , daß Sie ein reines treues Herz , ein Herz das noch jetzt , da es alles verloren hat , Ihnen seine schönsten Freuden verdankt , grausam zerrissen haben . -
Sara hatte bei Rogers ersten Worten erschrocken aufgeblickt , und ihm nachher ängstlich zugehört , bis sie jetzt mit einem Strom von Tränen ihn unterbrach : Nein , mein armer teurer Freund , ich war nicht grausam , ich war bang und gequält !
Nie sah ich Ihr Auge trüb , ohne daß mein Herz die bittersten Qualen litt ; ich litt mehr als Sie , denn ich tat Unrecht , wider Willen Unrecht - Ja wider Willen , unterbrach sie Roger , das weiß ich , das fühlte ich , und sonst wäre meine Liebe erloschen .
Nun aber , Sara , lassen Sie uns Schwor gegen Schwor tauschen .
Um mich zu retten , um Ihr weiches Herz vor Reue zu schützen , lassen Sie nun diesen fürchterlichen Zeitpunkt vergessen sein , lassen Sie mich wieder in die Rechte eintreten , die ich an jenem Abend verlor - Sara verstand ihn wohl , und schlug errötend die Augen nieder .
Roger sah sie ernst und gerührt an , und fuhr fort :
Meine Wünsche werden ersterben , da ich von heute an meine Vernunft überzeugt habe , daß Sie ihnen niemals Nahrung gewähren können .
Aber dieses Herz , das Sie zu verwerfen genötigt sind , wird nie für eine andere glühen , nie - denn wenn ich auch jetzt geheilt bin , so werde ich nicht mehr so jung , nicht mehr des Unglücks so ungewohnt sein ; ich werde nie mehr so kindlich hoffen , wie ich tat , ehe Sie mich hoffnungslos machten .
Wenn Sie einst für einen anderen fühlen werden - Seine Stimme stockte , er suchte sich zu fassen , und Theodor , der erstaunt und teilnehmend zugehört hatte , trat jetzt zu seinem Freund , und schloß ihn schweigend in die Arme .
Sara es Tränen versiegten ; zu wahr und zu weich um jetzt sprechen zu können , entzog sie Rogen ihre Hand , und verbarg damit ihr Gesicht .
Roger machte sich sanft von seinem Freunde los , kniete vor ihr nieder , und sprach gesammelt weiter : Wenn Sie einst für einen anderen fühlen werden , was Sie mir versagen müssen , wenn die treueste , anmaßungsloseste Freundschaft Sie versöhnt hat , so lassen Sie mich , der ich für Ihr Wohl zittre , Ihren Vertrauten , Ihren Beschützer sein . -
Hier siegte endlich der Schmerz , er verbarg seine Tränen an Sara's Schoß .
Die tiefe Stille , die jetzt auf einige Augenblicke erfolgte , und während deren Rogers redliches Herz eifrig bemüht war , sich mit der Heiligkeit seines Entsagens zu durchdringen , wurde von der guten Schwärmerin Sara unterbrochen .
Sie hatte endlich Worte für ihr überströmendes Gefühl gefunden ; begeistert von der Hoffnung , den alten Frieden wiederkehren zu sehen , begeistert von Bewunderung über Rogers edle männliche Einfalt , schloß sie ihre Arme um den Hals des Jünglings , der noch immer an ihrer Seite kniete , küßte mit Engelsreinheit seine offene Stirn , und rief :
Ich schwöre alles , alles !
Sie sollen mein Freund und mein Führer sein , danke ihm , Theodor , danke ihm ; er hat mir sehr wohl getan - Sie bemühte sich umsonst , mehr zu sagen ; sie faltete nun ihre Hände , und hob ihre schönen Augen zum Himmel auf : der Sinn ihres Gebets war Dank gegen Gott , daß er die bittere Qual , Unrecht zu tun , von ihrem Herzen genommen hatte .
Roger stand betäubt auf , und lehnte sich an seinen jungen Freund ; Sara wußte nicht daß ihr unschuldiger Kuß dem armen Scheidenden das Eden , dem er entsagen mußte , noch einmal in seinem ganzen Glanz gezeigt hatte .
Theodor sagte halb laut zu ihm : verzeih mir !
Ich hätte dir und dem guten Mädchen manche peinliche Stunde ersparen können , wenn mich mein unruhiger Kopf nicht blind und taub gegen alles um mich her gemacht hätte .
Jetzt ist mir alles klar : halte dein Versprechen , sei ihr Beschützer , ihr Freund .
- Er hielt seine Hand , auf seinem Gesicht kämpften Wehmut und Zärtlichkeit und Härte , er umarmte Rogen , drückte Sara an sein Herz , und eilte aus dem Zimmer .
Man muß das Gemisch von Kraft und von Unverdorbenheit bedenken , die in Roger vereinigt war , um zu begreifen , wie er in dem einsamen Gespräch , welches jetzt erfolgte , seinem Entschluß selbst in seinem Inneren getreu blieb .
Sara war in einer Spannung , deren nur ihre Unschuld ihr Kinderherz fähig machte .
Dies bewirkte einen Ausbruch von Vertrauen , in welchem sie Rogen alles mitteilte , was sie seit Monaten ihm entzogen ; die feierlichsten Gefühle neben dem liebenswürdigsten Geschwätz ; Tränen im schwärmerischen Auge bei der Erwähnung irgend eines bitteren Abends , den sie durch ihres armen Vaters mißverstehende Härte gehabt hatte , und mutwilliges Lächeln auf den noch benetzten Wangen , indem sie von ihrer letzten Expedition mit einer Brut junger Hühner erzählte .
So verflossen ein Paar Stunden , als Seldorf dem in seiner Art einzigen Tete-a-tete ein Ende machte ; er trat herein , heiterer als er seit langer Zeit geschienen hatte , und schlug Rogen vor , den Abend bei seinem Großvater zuzubringen .
Sara hüpfte froh auf , eilte ihre Hausgeschäfte abzutun , kam zurück mit einem Körbchen voll von einer Art Gebackenes , das , wie sie wußte , der alte Berthier sehr gern zum Weine aß - das ist für unseren guten alten Vater , sagte sie leise , indem sie es Rogen zeigte , und zugleich seinen Arm ergriff .
Seldorf fragte beim Fortgehen nach seinem Sohn , es hieß daß er vor einer Stunde ausgeritten wäre .
Berthier empfing seine Nachbarn mit der treuherzigsten Freude , sah aber Rogen mit einem fragenden , besorgten Blicke an , als ihm Sara mit einer Unbefangenheit , die er lange bei ihr vermißt hatte , die Hand küßte .
Sie fing indessen mit der nämlichen Heiterkeit bald an , die beiden Alten in ein Gespräch über ihre Landwirtschaft hineinzuschwatzen , und trieb dann häuslich wie ehemals ihr Wesen mit Anordnung des Vesperbrots , wobei Roger ihr helfen mußte .
Ihr ganzes Tun hatte einen wunderbaren Ausdruck von begeisterter Güte und Innigkeit , es war die zarteste Weiblichkeit mit der Sorglosigkeit eines Kindes verbunden .
Roger , hingerissen von ihrem Zauber , stimmte in ihr Wesen , und die schwermütige Wolke auf dem frohsten Gesicht , das die Natur je bildete , gab ihm neben Sara den Ausdruck der Sehnsucht .
Berthier wurde irre an den beiden jungen Leuten ; Sara , der seine beobachtenden Blicke nicht entgiengen , benutzte einen Augenblick da ihr Vater entfernt war , und indem sie Rogen bat , ihr eine Flasche aufpropfen zu helfen , warf sie mit einer reizenden Hast dem alten Mann die Worte hin : er ist mein Bruder geworden , wir waren alle im Irrtum .
Aber so ungestraft lief die kleine Keckheit nicht ab , denn Sara mußte sich nun über Berthiers Hand beugen , um ihre Röte zu verbergen ; und zu furchtsam ihre Augen zu trocknen , fielen ein Paar Tränen auf die Hand des alten Mannes , der gerührt und betroffen das Geheimnis der jungen Leute jetzt ahnte .
Bei einbrechendem Abend fing man an , nach Theodor zu fragen ; da man aber sein weites Umherschweifen gewohnt war , so beunruhigte sich weiter niemand .
Nur Roger wurde nachdenkend , und ging gegen das Ende der Abendmahlzeit aus dem Zimmer .
Nach einer kleinen Stunde kam er zurück , mit einem Gesicht in welchem sich Wehmut und Sorge malten ; er überreichte Seldorf einen Zettel , indem er mit zitternder Stimme sagte :
ich würde Sie durch Schonung und Umschweife zu beleidigen glauben .
- Was ist es ? rief Sara , und sprang erblassend von ihrem Stuhle auf .
- Theodor ist auf dem Weg nach Paris , antwortete Roger .
Sara warf beide Arme um ihres Vaters Hals , und verbarg mit dem bittenden Ausruf : Verzeihung , mein Vater , Verzeihung ! ihr Gesicht an seiner Brust .
Seldorf hatte das Papier gelesen , legte es vor sich hin , und machte sich unfreundlich aus den Armen der weinenden Sara los , so daß sie an seiner Seite auf die Knie sank , und ihren Kopf auf seinen Schoß legte , und das fürchterliche Schweigen ihres Vaters nur durch ihr Schluchzen unterbrach .
Anfangs arbeiteten auf Seldorfs Gesicht die heftigsten Leidenschaften ; Zorn , Schmerz , Bitterkeit wechselten darin ab ; nach und nach schien tiefer Gram seine Züge zu versteinern ; und wie selbst der alte Berthier eine Träne abwischte , welche das Leiden des unglücklichen Vaters ihm entriß , fragte Seldorf mit eiskaltem Ton : Herr Roger , als Mann von Ehre sagen Sie mir , wußten Sie von Theodors Verräterei ?
Die Hand auf das Herz , und mit einem Blick , dessen Himmelsklarheit den Ungläubigsten überzeugt hätte , antwortete Roger : bei meines Vaters grauem Haar , bei meinem Vaterland schwöre ich , ich habe ihn sechs Monate von diesem Schritt abgehalten , und wußte von dessen Ausführung nichts . -
Gut , fuhr Seldorf fort , ich hätte mich auch nicht gern von allen betrogen gesehen . Sara , dich weiß ich unschuldig , der Unglückliche schreibt es , und du könntest mich nicht betrügen - hier wollte sein Auge naß werden , er drängte die Träne zurück . -
Er richtete Sara's Kopf empor , und sprach weiter :
ich will Theodorn nicht verstoßen , den unseligen jungen Menschen wird die Strafe des Undanks mehr drücken , wie mich mein Kummer .
Mein würdiger junger Freund , schreiben Sie ihm - nein , weiter nichts als er sollte Wort halten , und uns alles berichten was er täte .
Schreiben Sie ihm , da er vor dem Anblick meines Grams geborgen wäre , sollte er wenigstens , was er auch tun möchte , aufrichtig gegen mich sein . -
Er stand nun auf , nahm ruhig von Berthier Abschied , und sagte ihm mit einem matten Händedruck ; ich hatte einen heiteren Abend ; es tut mir leid daß den guten Kindern hier - indem er auf Sara und Roger zeigte - ihr froher Mut so gestört wurde . -
Berthier , welcher zu weise war , um jetzt trösten zu wollen , ließ ihn fortgehen : sein ehrwürdiges Gesicht bezeugte ohnehin seine Teilnahme .
Roger begleitete sie , und erzählte unterwegs , auf Seldorfs Frage , wie er zu dem Billet gekommen ? daß ihn einige Worte , welche Theodorn diesen Nachmittag bei einem Streit über sein Vorhaben , nach Paris zu gehen , entfahren wären , wegen seines langen Aussenbleibens beunruhigt hätten , daß er im Dorfe nach ihm gefragt hätte , und dem Boten begegnet wäre , welcher Theodors Brief aus Saumür gebracht hätte .
Vor Seldorfs Haus bat er Sara heimlich , einige an ihn gerichtete Worte ihres Bruders ohne Vorwissen des Vaters zu lesen .
Sara fand folgendes :
" Die Höhe der Empfindung , auf welche Ihr männlicher Edelmut und Sara's wiederkehrendes Glück mich gespannt haben , geben mir die nötige Stimmung um einen Schritt zu tun , vor welchem ich um meines Vaters Willen zitterte .
Ich verlasse euch ; ersetzt ihm seinen Sohn , bis er - gewiß seiner würdig - wiederkehrt . "
Mit fürchterlichem Zwange hatte Seldorf sein Herz gehalten , er eilte jetzt wankend auf sein Zimmer , wo selbst Sara's bange Tränen um ihres Bruders Schicksal ihn nicht aus seiner Dumpfheit rissen .
Der einzige Gedanke , durch welchen Sara , wenn sie ihn in seinem Herzen hätte lesen können , sich überzeugt haben würde , daß ihr Vater nicht gegen alles Gefühl erstorben wäre , überraschte ihn durch eine sinnliche Täuschung , wie er tränenlos den Kopf auf sein Küssen legte .
Es schmiegte sich so kühl an sein brennendes Gesicht ; indem er sich dichter hineindrückte , dachte er mit ruhiger Sehnsucht : wäre es doch das kühle Grab ! und schlief ermattet ein .
Der folgende Tag und viele andere kamen und verflossen , und Seldorfs Stille blieb sich gleich ; er sprach von Theodor , öfters und ruhig , mit der Absicht seine Tochter zu überzeugen , daß kein Groll und keine Bitterkeit in seinem Herzen verborgen wären .
Wenn aber ein Fremder in das Zimmer trat , oder der Anblick irgend eines neuen Gegenstandes ihn überraschte , fuhr er zusammen , und geriet über die gleichgültigsten Dinge in eine kranke Heftigkeit .
In dieser Zeit schien Antoinettens Andenken sich lebhaft in ihm zu erneuern ; er erinnerte Sara an manchen kleinen Umstand ihres Lebens , und eines Abends , da er mit einer Handvoll Blumen nach Hause kam , die er tiefsinnig auf seinen Tisch legte , und ihn Sara fragte , woher die Blumen wären ? antwortete er : vom Grabe des einzigen Wesens , das mir Liebe um Liebe gegeben hat . -
Sara war bei diesen Worten von Wehmut durchdrungen , und schwor weinend , ihm ewig Liebe um Liebe zu geben .
Mit einem matten Lächeln fuhr er sanft über ihre nassen Wangen , und sagte : um dessen sicher zu sein , müßte ich ja auch von deinem Grabe Blumen pflücken ; so teuer soll ich doch meine Überzeugung nicht kaufen ?
Theodors Briefe enthielten anfangs nichts , wie schwärmerische Beschreibungen von allen den zeitlichen Helden der ersten Konstitution ; bald aber begann er , über die wichtigen Verbindungen , in welche er sich einließe , geheimnisvolle Winke zu geben .
Mit zitternder Hand empfing nun Seldorf jeden Brief , der von seinem Sohne kam , und legte ihn , nachdem er ihn gelesen hatte , still vor seine Tochter hin ; aber zu dem alten Berthier , der ihn dringend bat , seinen Sohn wenigstens vor den Fallstricken des Hofs zu warnen , sagte er kalt : da wo er wandelt , dringt meine Stimme nicht mehr hin ; diese Blätter - hier legte er seine kalte abgezehrte Hand auf Theodors Briefe - sollen mir nur den Augenblick andeuten , wo jede Hoffnung zur Rückkehr verschwunden sein wird . -
Das Gift des unheilbaren Grams nagte an seinem Inneren ; immer nach Täuschung ringend und immer getäuscht , hatte es seinem reizbaren Gehirn an einem Faden gefehlt , um von seinem letzten Unglück zu einer neuen Hoffnung überzugehen ; ohne Mut , diesen Faden zu suchen , machte er seinen Kummer zu seinem erkorenen Liebling , und es bedurfte nur eines heftigen Sturms , um die wankende Hülle zu zerstieben .
Sara es Versöhnung mit Rogen war ihre einzige Stütze in dem traurigen Zeitpunkt , der auf ihres Bruders Entweichung folgte .
Heiliger wie dieser edle junge Mann seine Versprechungen hielt , beobachtete nie ein Gottgeweihter seine Gelübde , die doch kaum der Natur mehr widersprechen können , wie Rogers neue Verbindlichkeiten seinem Herzen .
Sein Geist war durch das Unglück seiner Liebe um viele Jahre gereift , er hatte ernste Pflichten und harte Entsagungen vor sich , und dieser Wechsel seines Schicksals gab ihm eine Liebenswürdigkeit , die ihm wirklich ehemals gefehlt hatte .
Seine fast rohe Lustigkeit milderte sich zur wohlwollenden Heiterkeit , und seine Geradheit , die in den feinen Zirkeln den Namen Zudringlichkeit erhalten hätte , bildete sich in eine edle Freimütigkeit um .
Sara zog ihn bei allen ihren Sorgen zu Rate ; er half ihr in ihren Geschäften , die durch Seldorfs zunehmende Schwermut und Theodors Abwesenheit , da diese beide sonst der Landwirtschaft vorgestanden hatten , sich sehr häufen mußten , und dieses ganze Verhältnis befestigte natürlicher Weise Rogers Fesseln .
Sara empfand den Wert seines Opfers , ihr Dank war nicht Liebe , und konnte nun nimmermehr Liebe werden ; aber es war ein seelenvolles Gefühl , und um so spannender , als es sich auf einen Betrug der Fantasie gründete .
Kummer um ihren Vater , Furcht bei Theodors unsicherem Schicksal , bange Erwartung bei der Entscheidung , welche nun über das Vaterland schwebte - alles in ihr und um sie riß sie über die gewöhnliche Höhe weiblicher Empfindungen empor ; in dieser Lage lohnte sie Rogen mit unbedingtem Vertrauen und der kindlichsten Herzlichkeit , aber ihm standen noch härtere Prüfungen bevor , die zwar nie seine Treue , wohl aber seine Kräfte besiegten .
Der ganze Landstrich von la Rochelle bis zur Loire , alles was zu den ehemaligen Provinzen Bretagne , Poitou , Anjou und Touraine gehörte , war schon in verschiedenen Zeitpunkten der französischen Geschichte ein Schauplatz bürgerlicher Unruhen , blinden Eifers , und derjenigen hartnäckigen Anhänglichkeit für Meinungen gewesen , die gewöhnlicher Weise aus dem Zusammentreffen von Kraft , Rohheit und Unwissenheit entsteht .
Die nämlichen Ursachen , welche zur Zeit der Religionskriege diese Stimmung der Gemüter in dieser Gegend hervorbrachten , fanden auch jetzt statt .
Mit körperlicher Kraft ausgerüstet , unter einem Himmelsstrich , wo die Natur es freundlich zum Lebensgenuß einlud , war dieses Volk durch die Verfassung weniger gequält als beschränkt ; alle Fesseln des Geistes und der bürgerlichen Existenz erbten von Vater auf Kinder fort ; heute wie vor hundert Jahren baute der Landmann , in ärmliche Lumpen gehüllt , an seiner leimernen Hütte den kleinen Fleck , dessen Ertrag ihm keine Freude machte , weil ihm das Gefühl des sicheren Besitzes fehlte , das allein in dem Menschen schaffende Kräfte erweckt .
Gleichgültig sah er viele Meilen weite Strecken des schönsten Landes unbearbeitet liegen , indem sein Acker nicht hinreichte , seine Kinder mit schwarzem Brot zu sättigen ; jedes Wechsels zum Besseren ungewohnt , kam auch kein Plan von Verbesserung in sein dumpfes Gehirn .
Die einzige Leidenschaft dieser Menschen war ihre Religion , denn die Drohung mit der Hölle , und das freche Versprechen ihrer Priester , sie mit dem Gott zu versöhnen , aus dessen Barmherzigkeit die Sünder ihren ausschließenden Handel machten , trieben sie in einem ihnen angemessenen , engen Kreis von Furcht und sinnlosem Hinbrüten bei ihren ärmlichen Genüssen umher .
Ihre lebendige Gottheit auf Erden mußten ihre Gutsherren sein , denn ob sie gleich ihre Spur öfter durch Druck und Elend als durch Wohltat erkannten , so mußten diese blinden Geschöpfe dennoch durch die Wirkung ihrer Allgewalt an sie gefesselt werden .
Diesen Druck und diese Gewalt stellte das ganze Land gleichsam sinnbildlich dar : zahllose Schlösser und Rittersitze , die von ihren Höhen herab die finsteren Hütten der Armut beherrschten ; große Forsten in welche der halbnackte Bauer das übermütige Wild zurücktrieb , das ihm , trotz seiner Wachen in den kalten Frühlingsnächten , die junge Saat verwüstete ; unabsehliche Heiden , deren tote Stille die Herrschaft ihres mächtigen Besitzers würdig ehrte .
Der Hauch der Tyrannei verzehrte den Geist des Fleisses in dem Landmann , wie der Südwind den befruchtenden Tau auf dem ewig toten Sand im heißen Afrika .
Doch klage man den Genius der Menschheit , der über jene jetzt mit Blut gedüngten Strecken weint , nicht an , daß er etwa keinem der vorgezogenen Sterblichen , unter welche sie geteilt waren , den Wunsch zu beglücken eingegeben hätte .
Nicht alle waren Tyrannen , aber alle konnten die Mittel , selbst zum beglücken , nur despotisch gebrauchen ; sie mußten ihren Untertanen befehlen , weniger arm , weniger dumm , weniger gedrückt zu sein , und der wohltätige Strahl , den sie ausgehen ließen , diente weit mehr dazu , sie im Gefühl ihrer Gewalt zu bestätigen , als den Untertanen eine Ahnung ihrer Rechte zu geben .
Diesem Volk stand ein fürchterlicher Übergang bevor , um zur Freiheit zu gelangen .
Der Altar dieser Gottheit ließ sich nicht unter den Mauern zackiger Rittertürme erbauen ; er sollte auf dem Schutte der ländlichen Hütten errichtet werden , von den blutigen Schatten der ehemaligen Bewohner umschwebt , von Witwen und Waisen bedient sein , und in einen Trauerschleier gehüllt , sollte die erhabene Göttin den dargebrachten Weihrauch empfangen .
Die ersten Jahre der Revolution hatten hier weniger Einfluß , als in den meisten anderen Gegenden von Frankreich .
Das Volk gebrauchte seine Rechte höchstens wie Vergünstigungen , und empfing nicht Licht genug , um die neuen Vorteile als sein unbestreitbares Eigentum anzusehen .
Der Widersetzungsgeist der adligen Herrschaften , welcher mit jeder Faser ihres Daseins verbunden , auch nur mit ihrem Dasein aufhören konnte , vermehrte in dem Fortgang der Zeit die Verwirrung in den Begriffen und den Erwartungen des Volks .
Die alte Zuchtrute war zerbrochen , aber die neue Ordnung wurde nicht gelehrt ; die alten Gözen waren dem Volke genommen , aber die neue Gottheit wurde ihm nicht gepredigt : der Adel schmeichelte ihm , die Priester gossen das Gift ihres Hasses in seine Seele - so war der geklommene Sinn dieser verscheuchten Menschen bald zu einer fanatischen Heftigkeit gereizt , und das duldende Haustier zum Tiger umgebildet .
Der Augenblick , in welchem Adel und Geistlichkeit die Geburt ihrer Herrschsucht und ihrer Rachbegierde an das Licht bringen wollten , nahte heran ; mancher Edelmann , der seit der Revolution in beständigem Umherschweifen das Feuer der Zwietracht überall angefacht hatte , zog sich jetzt auf seinen Landsitz zurück , und erwartete in geschickt benutzter Ruhe das Zeichen zum Handeln .
Während daß diese Menschen prahlerisch und listig Volksliebe und Menschlichkeit zur Schau trugen , und auf diese Weise das unwissende Volk verleiteten , die Wohltaten der Freiheit mit ihrer eigenen väterlichen Denkart zu verwechseln , und für jene demnach unverbesserlich blind zu bleiben , deuteten die Priester auf eine Unglückschwangere Zukunft , umlagerten das Bett der Sterbenden mit Besorgnissen über das Schicksal der Zurückbleibenden , verlasen in den Lehrstunden der Katechumenen die Geschichten der Märtirer und der Gefahren , welche die streitende Kirche bestanden hätte , und forderten am Altar die schaudernden Kommunikanten auf , ihr Leben für ihren Glauben zu opfern , und wie der Heiland , den ihre sündenbefleckte Hand austeilte , sich selbst zur Besiegelung der Wahrheit hinzugeben .
Unter den Adligen , die um diese Zeit in ihre Stammgüter zurückkehrten , war L , der Sohn eines alten Hauses , dessen Ahnen seit Jahrhunderten in C bei Mortagne ihren Sitz hatten .
Ob die Natur in diesem jungen Mann einen Satan unter der Form eines Helden verbarg , oder ob in ihm das Schicksal eine Engelsseele zwang sich mit Werken der Finsternis zu belasten , oder ob er einer von den Menschen war , die in einem gewöhnlichen Gang der Dinge übersehen und unbemerkt , von außerordentlichen Umständen fortgetrieben bald kühn , bald schwach , bald frevelnd erscheinen - das wird vielleicht in einem Zeitpunkt , wo so mancher Göze in Staub zerfällt , und der Nachruhm selbst von dem Machtspruch der Leidenschaft abzuhängen scheint , nie entschieden werden .
Während der kurzen Zeit da sein Name genannt wurde , war L in den Augen von mehreren Tausenden Feldherr , Heiliger , Wundertäter selbst nach seinem Tode ; aber weder seine Apotheose , noch die Flüche , die von einer anderen Seite seinen Schatten verfolgen , decken die geheimen Triebfedern seiner Taten auf . *** , Seldorfs Landgut lag auf dem halben Weg von Saumür nach Mortagne , in einer Gegend , wo sehr häufige Zusammenkünfte des Adels gehalten wurden .
Die nächsten Schlösser um *** gehörten Verwandten und Freunden von L , und überdem hatte L ein besonders Interesse diesen Fleck scharf zu beobachten , weil Seldorfs Unentschiedenheit in Rücksicht auf die eingeführten Neuerungen , und Berthiers bekannter kühner Eifer für die Sache des Volks ihm bei seinen politischen Planen nicht gleichgültig sein konnten .
Den ersten , welcher ehemals Herr über einige hundert streitbare Männer gewesen war , bei denen es ihm auch jetzt nicht an Einfluß fehlte , in seinen Bund zu ziehen , über den anderen , der ein Menschenalter lang der Verteidiger der Unterdrückten gewesen war , ein wachsames Auge zu behalten , gehörte allerdings mit zu den tief angelegten Vorbereitungen , von denen seine nachmalige Wirksamkeit gezeugt hat .
Seine ersten Bemühungen , Seldorfs Bekanntschaft zu erlangen , waren in die Zeit von Theodors Entweichung gefallen ; er hatte sich daher leicht beschieden , daß er in diesem traurigen Augenblick , als ein Fremder , nicht den vertrauten Zutritt finden würde , den er suchte , und er versparte seinen Besuch auf eine gelegenere Zeit .
Er hatte sich schon mehrere Wochen in C und der umliegenden Gegend aufgehalten , als er an einem schönen Frühlingsmorgen , auf einem einsamen Spazierritt von einem Schlosse jenseits des Flüßchens Layon nach Chollet , einen angenehmen Seitenweg einschlug , den er , da ihm mehr daran lag , jeden Winkel des Landes kennen zu lernen , als schnell an den Ort seiner Bestimmung zu gelangen , gern verfolgte .
Dieser Weg führte ihn durch ein enges Tal in eine kleine Ebene , wo er durch eine Pflanzung blühender Obstbäume auf dem schönsten Wiesenplan bis an eine kleine Gartenpforte kam , die ihm die Aussicht in eine reizende ländliche Anlage nicht benahm , hinter welcher in einiger Entfernung unter hohen Nußbäumen ein Kirchturm hervorragte .
Die unendliche Schönheit des Morgens , der Gedeihen und Leben in die ganze Schöpfung hauchte , die strahlende Sonne , welche schmeichelnd mit dem West eiferte , die Tautropfen von den jungen Blüten zu küssen , das Rieseln einer nahen Quelle , alles lud L ein , sein Pferd an den nächsten Baum zu binden , und die angelehnte Pforte zu öffnen .
Er wendete sich nach der Seite , wo er das Wasser gehört hatte , und gelangte bald an einen hohen dunklen Bogengang von Geißblatt , bei dessen Ausgang eine Reihe Wasserrohre im Schatten von alten Akazieas sich in ein steinernes Becken ergoß .
Sein eilfertiger Gang wurde aber hier durch den Anblick eines jungen Mädchens gehemmt , die neben dem Wasser stand , und eine Menge Kräuter und Blumen auf dem Rand des Beckens ausbreitete .
War es der Zauber des Morgens , der Sara's Liebenswürdigkeit erhöhte - denn L war in Seldorfs Garten geraten , und sie war es , die frische Blumen zum Aufputz für ihres Vaters Zimmer sammelte - oder machte das Romantische des Orts , des Augenblicks L Seele für jeden Eindruck von Schönheit empfänglicher , oder scheint ein reizendes Weib immer das Meisterstück der Schöpfung : genug L vergaß jetzt seine Neugier und seine Nebenabsicht , in der Gegend zu spähen , und war bloß in Anschauen verloren .
Die Blüte der reinsten Gesundheit , welche bei ihrer schlanken Gestalt nur den Ausdruck der Jugend und Unschuld hatte , ein seelenvolles Gesicht , in welchem ein lächelnder Mund mit dem schwermütigen Blick des großen schwarzen Auges so anziehend-seltsam abstach , der ernste Eifer , mit welchem sie ihre kindliche Beschäftigung trieb , und die Blumen so denkend und teilnehmend ansah , als verstünden sie ihre Meinung - das ganze reizende Schauspiel fesselte L an seinen Platz , bis Sara nach beendigter Arbeit das Körbchen , in welchem sie ihre Blumen geordnet hatte , aufnahm , noch einen lächelnden vergnügten Blick darauf warf , und ihren Arm hoch aufstreifte , um sie mit frischem Wasser zu besprengen .
Jetzt trat L näher hinzu , und mit einer Entschuldigung wegen des ungewöhnlichen Wegs , auf welchem er sich verirrt hätte , erzählte er mit ungezwungener Höflichkeit , durch welches Ungefähr er hierher geraten wäre .
So unbefangen und verbindlich die Art war , mit welcher Sara seine Anrede erwiderte , so sah er doch jetzt den Augenblick kommen , wo er wieder nach der kleinen Pforte zurückgemußt hätte , als Roger sich näherte , und noch hinter dem Gebüsch rief : Sind Sie fertig , Fräulein ?
Ihr Vater fragt nach Ihnen. - Sara setzte lebhaft einen großen Strohhut auf , ergriff ihr Blumenkörbchen , und sagte : das ist gut , lieber Roger , daß Sie kommen ; hier ist ein Herr , den ich nicht zum Frühstück einladen konnte , jetzt tun Sie es - Roger trat näher , und die beiden Männer , welche sich schon öfters bei öffentlichen Versammlungen gesehen hatten , erkannten sich sogleich ; der Anblick wirkte aber verschieden auf beide .
Bei Roger war es das sonderbare schnelle Gefühl , hier wie in den Volksversammlungen und allenthalben in einem Menschen wie L einem Gegner zu begegnen , der zwar gefährlich war , den er aber den unerschütterlichen Willen hatte , endlich zu besiegen :
dieses Gefühl gibt allen wahren Republikanern , wenn sie friedlich mit Anhängern der Gegenpartei zusammentreffen , die nämliche Fassung , die brave Offiziere von zwei feindlichen Armeen haben , wenn sie durch ein Ungefähr außer dem Schlachtfeld auf einander stoßen .
Hier kam noch die jedem unverdorbenen Herzen heilige Ehrfurcht für die Gesetze der Gastfreiheit hinzu ; Roger wiederholte also dem Fremden Sara's Anerbietung , zwar mit einer ernsten und eher trotzigen Art , zugleich aber mit der anständigsten Höflichkeit .
In L Herzen zu lesen würde schwerer gewesen sein , doch schien es von Sara's Bild zu eingenommen , um in diesem Augenblick so sehr auf seiner Hut zu sein , als es dem Charakter dieses Mannes angemessen war .
Er sagte , nachdem Sara mit einer leichten Verbeugung davon gegangen war , mehr spöttisch wie gefaßt : Sie haben eine liebenswürdige Schwester , Herr Berthier ? - Roger berichtigte seinen Irrtum , und forderte ihn auf , Sara's Einladung zu folgen .
Die Entdeckung war L doppelt erfreulich , da ihm nun ein Ungefähr dasselbe Haus eröffnete , in welches er so lange vergeblich einen Zugang gesucht hatte .
Roger kehrte mit ihm an die Pforte zurück , um das Pferd in den Hof zu führen , und begleitete ihn sodann nach dem Haus , indem er ihm unterwegs von Seldorfs schwacher Gesundheit erzählte , die ihn seit einiger Zeit genötigt hätte , allen Umgang außer dem Hause aufzugeben .
L hatte sich jetzt völlig gesammelt , und ob ihm schon , nachdem er Sara erblickt , die Vertraulichkeit in welcher er den jungen Berthier hier festgesetzt sah , nicht sonderlich gefiel , so herrschte doch in seinem Kopf eher die Neugierde , das eigentliche Verhältnis zwischen Leuten zu erforschen , die nach allem was er von Seldorf wußte , durch etwas anders als ihre politischen Meinungen verbunden sein mußten .
Je länger er Rogen , dessen öffentlichen Charakter er schon ehrte , so häuslich und doch anmaßungslos von der Familie sprechen hörte , zu welcher sie gingen , desto ungeduldiger wurde er , ihn noch einmal mit Sara beisammen zu sehen , und desto unwillkürlicher schmiegte er sich wieder in alles Gefällige hinein , was Natur , Erziehung , Bildung ihm in so reichem Maße verliehen hatten , und womit er jetzt , von seinem guten Geist oder einem blutdürstigen Dämon geleitet , aller Herzen anzog .
Bald darauf , nachdem ein Frühstück aufgetragen worden war , kam Sara zu ihnen ; sie dankte Rogen vertraulich , daß er so gut für ihren Gast gesorgt hätte , und versicherte L mit einer schmeichelhaften Wendung , sein Besuch sei doppelt angenehm , weil er ihren Vater gerade heute munterer und gesünder finde , als er seit langer Zeit gewesen - wirklich , denken Sie ! sagte sie zu Roger , er will herunterkommen , und diesen Herrn selbst begrüßen .
Dieses zuvorkommende Betragen stimmte freilich mit seinem gewöhnlichen Gange nicht überein .
War es aber die Lebhaftigkeit , mit welcher seine unerfahrene Sara von dem unvermuteten Besuch sprach ; oder war es die Erinnerung daß Roger entschieden gegen L Familie gesprochen hatte , und bei einigen Veranlassungen schon öffentlich gegen sie aufgetreten war , und überraschte ihn sein zartes Gefühl , ungeachtet seiner angewöhnten Apathie , mit der Furcht daß die beiden Männer allein zusammen nicht taugen möchten ; oder war es ein dunkler Gedanke an seinen Sohn , der in jedem seiner Briefe genauer mit Menschen von der Art dieses L verwickelt schien : genug , Seldorf verfügte sich zu dem Fremden , dessen Besuch sich bis gegen die Mittagszeit verlängerte .
Dieser Proteus umstrickte Seldorf mit aller Liebenswürdigkeit des geschmeidigsten Geists ; fein genug , um da , wo er von anderen abging bloß originell zu scheinen , wurde er anziehender indem er anderer Meinungen widersprach , und wenn sein Gesicht auch nicht der Spiegel seiner Seele war , so war es doch die vollkommenste Pantomime eines Geistes , der sich in alles , was zur Empfindung gehörte , hineinstudiert hatte .
Sara es Unerfahrenheit war ihm sehr behilflich , sich von einer interessanten Seite zu zeigen ; indem sie bei Erwähnung ihres Bruders sich ganz ihrem Gefühl , ganz dem Ausdruck der Besorgnisse ihres liebenden Herzens überließ , erfuhr er so viel er zu wissen brauchte , von Theodors anfänglicher Vereinzelung in Paris , und von einem anscheinend unbedeutenden Zufall , der ihn seitdem mit verschiedenen Menschen von seiner Partei in Verbindung gebracht hatte .
L war mit dem Geist des Zeitpunkts zu vertraut , um hier etwa den Beschützer spielen zu wollen ; er wünschte vielmehr der guten Sache , die er aber nicht näher bestimmte , Glück , wenn Jünglinge wie Theodor so lebhaft dafür fühlten ; er sprach mit einem idealisierenden Enthusiasmus von der Vereinigung aller Patrioten , die sich um ihren guten König drängen müßten , um eigennützigen Feinden des Volks den Zugang zu seinem edlen Herzen unmöglich zu machen - dieser Ton fand in Sara's schwärmerischer Seele einen harmonischen Widerhall ; das Bild von patriarchalischem Glück , das L aufstellte , paßte besser zu der kindlichen Stimmung ihres noch nie betrogenen Gemüts , als das dunkle Gewirr von Aufopferung , Streit und Tod , welches in Berthiers Gesprächen mit Theodor immer am meisten hervorgestochen hatte .
Seldorfs Denkungsart , sein Widerwille , Gutes zu erwarten , blieb sich gleich ; die Weichheit seines Charakters widerstand indessen der Versuchung nicht , an L eine Ausnahme unter seiner Klasse zu machen , und sich für sein Gespräch um so lebhafter zu interessieren , als er die Namen mehrerer von den Menschen , in deren Arme sich Theodor jetzt geworfen hatte , mit eifrigem Lob nannte , das er mit Anführung mancher schönen Tat , mancher Aufopferung von ihrer Seite bewährte .
Roger hatte sich bald nach Seldorfs Ankunft entfernt , und der kleine Zirkel hätte die anrückende Mittagstunde vielleicht nicht bemerkt , wenn man Sara nicht herausgerufen hätte .
Sie fand Rogen reisefertig ; ich muß fort , sagte er innig und gerührt , äußeren Sie davon nichts gegen Ihren Gast - Sara , fuhr er errötend fort , und ergriff ihre Hand , ich muß Sie bitten , so ungeziemend es scheinen mag : verhindern Sie Ihren Vater , diesen Mann in sein Haus zu ziehen - Sara stutzte - Nein , nein , bei meinem Schwor , nicht deswegen ! - er drückte ihre Hand an sein Herz :
Um Ihres Hauses , um Ihrer Sicherheit Willen - Sara erschrak , und hielt seine Hand fester ; er sprach weiter :
Es ist jetzt Bewegung im Lande ; ich muß es meines Schwester anvertrauen , damit sie mich nicht missverstehe .
Adieu Sara ! - Fort eilte er , und Sara ging tiefsinnig in das Zimmer zurück .
Ihre Unbefangenheit war durch die mögliche Auslegung von Rogers ersten Worten gestört , L war nun kein gleichgültiger Fremder mehr , sondern ein Mann , der sie verleitet haben konnte , ihren braven Freund mißzuverstehen .
Die dunkle Nachricht , die ihr Roger gegeben hatte , trug noch mehr dazu bei , ihre Empfindung zu reizen , und wie sie in das Gesellschaftszimmer zurückkam , blieb der Ausdruck von Zweifel und Rührung in ihrem Wesen L es scharfem Blick nicht verborgen .
Er wollte jetzt Abschied nehmen , die Sonne prallte um diese Zeit brennend von dem Hofpflaster zurück , Seldorf konnte ihn unmöglich jetzt gehen lassen , er nötigte ihn zum Mittagsessen zu bleiben , und führte ihn in seine Bibliothek , während daß Sara froh war , sich bei ihren Hausgeschäften wieder sammeln zu können - vielleicht auch schon froh , sie für L vermehrt zu sehen .
Nachmittags kamen verschiedene Bauern in den Hof , welche mit widersprechenden , abenteuerlichen Umständen erzählten , daß in ** , einer benachbarten Kommüne vom Distrikt Mauleon , Unruhen ausgebrochen wären , und ein Teil des Volks zu den Waffen gegriffen hätte .
Sara erblaßte bei dieser Nachricht , und stand in Begriff , Rogers Ermahnung zur Diskretion zu vergessen ; aber L zerstreute den widrigen Eindruck dieser Störung , die ihn selbst anfangs nicht ganz vorbereitet getroffen hatte , mit der meisterhaftesten Gegenwart des Geistes .
Auf einem Spaziergang im Dorfe bestätigte sich ein Teil jener Nachrichten , und die Gesellschaft vernahm jetzt sogar ziemlich deutlich den Schall der Sturmglocke gegen Mauleon hin. L nahm davon Gelegenheit , schneller wegzugehen , indem seine Pflicht ihn aufforderte , die Sache selbst näher zu besichtigen .
Er sprach dabei mit der männlichsten Ruhe von der möglichen Gefahr , wünschte Seldorf Glück , von anerkannt guten Patrioten umgeben zu sein , und bestieg unter den schmeichelhaftesten Dankesbezeugungen sein Pferd , nachdem er Seldorf um Erlaubnis gebeten hatte , ihm in den nächsten Tagen von der wahren Beschaffenheit jener kleinen Gehrungen Nachricht zu bringen .
Seldorf war von einem so ungewohnten Tag ermattet , seine traurige Stimmung kehrte mit der Stille zurück , und er eilte in sein einsames Zimmer .
Sara war von mehr wie einer Empfindung angegriffen , aber unbekannt mit sich selbst , suchte sie den Grund ihrer Unruhe außer ihrem Herzen , und ging zu dem alten Berthier , um ihn wegen seines Sohnes Reise zu befragen .
Doch es sollte heute keine freundliche Hand der armen Sara aus dem Labyrinth zurückwinken , in welchem sie sich zu verstricken anfing .
Berthiers Haus war voll Männer aus der umliegenden Gegend , welche von dem Lärmgeschrei herbeigeführt zusammen beratschlagten .
Auf Sara's wiederholte Bitte verließ der alte Berthier einen Augenblick die Versammlung , um sie zu sprechen ; aber die Gegenstände der Beratschlagung , sie mochten nun der Wahrheit getreu oder vergrößert sein , hatten diesmal die Sanftmut des braven Greises gestört .
Er entwarf einige so empörende Züge von den Verrätereien , mit welchen man das Volk umspinne , von der höllischen Falschheit , die man anwende es zu verführen , daß Sara zitternd rief : wo ist Roger ? - Gegen C wo der Sitz des Verrats ist - Nein , nein !
L war den ganzen Tag hier ; er liebt das Volk , er liebt das Vaterland - Urteilen Sie von den Gesinnungen eines Menschen , der im Schoß der Gastfreiheit seine Ränke schmiedet !
Ich weiß daß er bei Ihrem Vater war , dort - indem er auf das Zimmer zeigte , wo die Männer versammelt waren , bürgte ich eben mit meinem Leben für die Treue Ihres Vaters , die jedem redlichen Bürger verdächtig wird , weil er , der jedem aus unserer Mitte den Zutritt versagt , einem L seinen Schmerz über Theodors glänzende Laufbahn anvertraut - - Sara verstummte ; sie stand erst im Begriff , L statt ihres Vaters zu verteidigen ; beschämt über ihre Verwirrung , erschrocken über die Gefahr , welche drohend herannahte , hüllte sie sich in ihren Stolz , und antwortete mit so vieler Kälte , daß der Greis im Unwillen von ihr ging .
Sie kehrte nun schwermütiger , als sie gekommen war , nach ihrem Haus zurück .
Noch niemals hatte sie sich so einsam und trostlos gefühlt , noch niemals hatte die Arme eines freundlichen Herzens , um Hoffnung und Ruhe darin zu schöpfen , so schmerzlich bedurft .
Aber Theodor war fern , und von ihm erhielt sie seit langer Zeit nichts mehr , als ehrsüchtig schwärmerische Deklamationen ; Roger hatte diesen Morgen ihr Vertrauen zurückgeschreckt , der wehmütigernste Blick , mit welchem er ihre Hand an sein Herz drückte , hatte die Furcht ihn zu betrüben erweckt ; und diese Furcht , und des alten Berthiers unvorsichtiger Eifer warfen ein Interesse auf L , als die erste Ursache ihres Kummers , das er vielleicht ohnedem nicht gehabt haben würde .
L schien so edel , er hatte so männlich gefaßt von der Gefahr , so menschlich und schonend von dem verführten Volke gesprochen :
er konnte nicht falsch sein , er war das Opfer der Vorurteile , der argwöhnischen Stimmung von Menschen , die sie lange geliebt und geehrt hatte , die aber jetzt hart , ungestüm , ja anmaßend gegen sie verfuhren .
So brachte sie einen Teil der Nacht schlaflos zu ; noch war es dunkel , als sie im Grunde des Tals den Himmel mit einer Flammenröte überzogen sah , und ihr Ohr den Ton einer fernen Sturmglocke vernahm , der vom Morgenwind herbeigeführt wurde .
Zum erstenmal dachte sie das Bild der Verwüstung , der Gefahr in einer so fürchterlichen Nähe , sie dachte verwirrt an Roger , an L , sie bildete sich ein , sie gegen einander fechten zu sehen .
Ihr Schrecken nahm zu , als sie unter ihrem Fenster von einzelnen Männern , die über den Weg eilten , und leise und ängstlich mit einander sprachen , die Worte zu hören glaubte :
man mordet das Volk - Ein Fieberfrost ergriff das einsame Mädchen , sie sah nichts als Zerstörung und Tod vor ihren Augen , indes doch die Natur um sie her Frieden und Ruhe atmete .
Endlich erloschen die Flammenstreifen im Morgenrot , und der schaudervolle Glockenton wurde von dem tausendstimmigen Gesang der Vögel , die den anbrechenden Tag begrüßten , in der Luft verdrängt .
Jetzt legte sie sich erschöpft nieder ; aber der leichte Schlummer , der ihre Augen deckte , verschwand bald bei dem Geheul einiger Bauernweiber , deren Männer entweder zufällig oder durch Anstiftung in dem Distrikt von Mauleon gewesen waren , an dem Zusammenlauf des gestrigen Tages Teil genommen hatten , und nun gar übel zugerichtet nach Hause gebracht wurden .
Seldorfs Wohltätigkeit war so bekannt , daß ihm der traurige Parteigeist das Recht , die Zuflucht der Bedrängten zu sein , noch nicht genommen hatte .
Sara fand ihn schon mitten unter einem Trupp von Landleuten , die ihm eine schaudervolle Beschreibung von den Begebenheiten des vorigen Tages machten .
Sie waren , sagten sie , auf einem Viehmarkt in ** gewesen , und hatten sich durch Trinken und Neugierde aufhalten lassen , bis der Lärm ausgebrochen war .
Wo er entstanden , woher die bewaffneten gekommen , wer sie angeführt , wußte niemand zu sagen ; aber nach den Übertreibungen dieser armen verstörten Leute , welche Räuberei , Verwüstung , Mordbrennerei als die Früchte der neuen Ordnung der Dinge anzusehen begannen , war gestern eine große Anzahl von Dörfern verheert , und viel Blut vergossen worden .
Seldorf hörte mit Abscheu zu , und sagte in einem vorwurfsvollen Ton zu Sara : Bürgerkrieg ist also die Folge aller dieser Glückseligkeitsplane !
Wäre doch L hier , und hörte wie sein Patriotenbund sich realisiert - Sara schlug ihre tränenschweren Augen bei diesem Namen nieder ; die Bauern fingen ihn auf , und riefen einstimmig :
Er hat das Land gerettet ; er und Herr Roger Berthier flogen von Haufen zu Haufen , sie drangen bis zu den Aufrührern , und sprachen von Gesetz und Treue ; sie stellten sich als Brustwehr vor die erschrockenen Weiber und Greise , sie sammelten die Nationalgarden , die nicht wußten wohin die Sturmglocke sie rief ; in dem Augenblick da wir aus dem Getümmel entkamen , verfolgten sie den Feind - diese Worte hatten eine Wunderkraft für Sara's zerschlagenes Herz ; sie durfte nun bei L es Namen aufblicken , er wurde mit Rogen zugleich als Verteidiger der guten Sache genannt ; sie dachte mit Entzücken , wie gern sie dem alten Berthier verzeihen wollte , nun sie so gewiß wußte daß er Unrecht hatte , und die Verwüstung verlor einen großen Teil ihres schrecklichen , da Roger und - der Mann , dessen Unschuld ihr so teuer zu werden anfing , dagegen kämpften .
In der Folge des Tages liefen beruhigendere Nachrichten ein ; die Aufrührer waren in die Wälder geflüchtet , die Nationalgarden standen allenthalben unter den Waffen , und im ganzen Distrikt herrschte die größte Ruhe .
Gegen Abend sprengte ein Reuter in den Hof ; es war L , der sogleich in das Zimmer trat , und sich mit der einfachsten Freimütigkeit gegen Seldorf entschuldigte , daß er sich schon die Rechte eines alten Bekannten anmaßte .
Er sprach von dem gestrigen Vorfall , verringerte das Unglück und die Gefahr , versicherte daß es weit mehr eine zufällige Zwistigkeit unter den Bauern als eine Parteisache gewesen wäre , daß nur der wohlmeinende Eifer einiger Patrioten es für ernsthafter angesehen , und durch übereilte Anstalten zum Widerstand die Erbitterung vermehrt hätte .
Er erwähnte Rogers mit vieler Achtung , und lobte seine Wachsamkeit , die ihn so früh zur Hilfe , selbst eines fremden Departements angetrieben hätte .
Sara fühlte sich seit L Eintritt von einem gewissen stillen Frieden umgeben , durch welchen ihr Herz nur wohltätigen Empfindungen offen war ; sie überließ sich dieser , und genoß nach dem gestrigen bangen Abend und der traurig durchwachten Nacht , desto inniger ein Paar heitere Stunden in der Gesellschaft dieses Mannes , dessen Liebenswürdigkeit und geschickte Wendungen selbst ihren Vater von seinen traurigen Gedanken über die Lage des Landes zu zerstreuen schienen .
Seitdem schlich der Geist der Zwietracht eine Zeitlang nur still und dumpf in der Gegend umher , und zeigte sich bloß hie und da in stillschweigenden Verhöhnungen des Gesetzes , in Neckereien gegen die Obrigkeiten , in ungeziemenden Festen auf den Schlössern und Rittersitzen .
Roger blieb abwesend ; der Auftrag einer Gesellschaft von Volksfreunden entfernte ihn lange von seiner Heimat , und die Vereinzelung , worin sich die gute Sara befand , machte ihr L Besuche , die er alle Wochen einigemal wiederholte , um so werter .
Sie hatte dabei den Kummer , den alten Berthier von seinem ungerechten Vorurteil gegen den neuen Freund ihres Vaters nicht zurückbringen zu können , und Seldorf selbst entfernte sich mehr von jenem , weil ihm die Erinnerungen an politische Gegenstände leicht verhaßt wurden , und L es gefällige , biegsame , unerschöpfliche Unterhaltung ihm wohltätiger war als Berthiers zunehmender Eifer .
L war zu fein , um nicht alle Vorteile dieser Umstände bei Sara zu benutzen .
Über den Platz , welchen Roger in ihrem Herzen einnahm , hatte er sich bald beruhigende Aufklärung verschafft ; ihre unbefangene Herzlichkeit , und das ehrerbietige , anspruchlose Betragen , mit welchem Roger diese erwiderte , überzeugten L daß von ihrer Seite wenigstens , vielleicht Enthusiasmus , aber nicht Liebe im Spiel wäre .
Ihm kam wenig darauf an , Rogen zu verstehen ; denn sobald er ihn nicht als Nebenbuhler fürchtete , warf er ihn unter die große Anzahl derer , die er zu Werkzeugen oder Opfern ausersehen hatte .
Ob das was ihm Sara vom ersten Augenblick einflößte ; ob überhaupt was er für sie empfand , Liebe war , läßt sich nicht so genau bestimmen .
Vielleicht liebte ein L ein Mädchen wie Sara , ungefähr wie ein Nero den größten Enthusiasmus , den reinsten Geschmack für Musik haben konnte .
Vielleicht auch daß es Menschen gibt , die zu allem Edlen geschaffen , und durch gewaltsame Umstände von ihrer Bestimmung abgeleitet , in Einem Gefühl ihres Herzens , das mit keiner von den verstimmten Saiten desselben in Zusammenhäng ist , die Urschönheit ihrer Natur wiederfinden , und dieses Gefühl mit desto glühenderem Eifer pflegen , weil es das einzige ist , das ihnen die Ahnung des verloschenen Götterfunkens zurück gibt .
Eine solche Liebe muß um so heftiger und kühner sein , als sie gegen alles Böse in dem Gemüt , dessen sie sich bemeistert , unaufhörlich ankämpft .
Im Ganzen aber war es L Schicksal , allenthalben von Trug umhüllt vor der Nachwelt zu stehen , und auch seine Liebe für Sara , mit seinen politischen Verhältnissen verbunden , trägt noch mehr dazu bei , ihn unverständlich zu machen .
In der Legende wenigstens , die unter seinen fanatischen Mitstreitern ihn überlebt haben mag , wird das betrogene Mädchen nicht mit unter den Wundern gezählt sein , die er verrichtet hat .
Sara mußte für jedes des Schönen empfängliche Herz ein Studium des Schönen sein .
L sah sie ihrem Haushalt mit einer Tätigkeit , mit einer Einsicht vorstehen , als beschränke sich darauf der ganze Kreis ihrer Bestimmung ; er sah sie ihren Vater verpflegen , zerstreuen , aufheitern , mit ihm weinen , und alles was sie umgab , alles , selbst ihre Liebe , so wie sie entstand und zunahm , zu seinem Wohl anwenden ; er sah sie unter den Landleuten , ihr wohltätiges Herz oder der Zufall mochte sie zusammenbringen , mit einer Güte die zu holdselig war um bloß Liebe zur Gleichheit auszudrücken , in alle ihre Sorgen und Freuden eingehen .
Der Genuß eines schönen Abends , der Anblick einer lachenden Gegend öffnete zuweilen ihr Herz einer kindlichen Heiterkeit , in welcher jede Blume , jeder grünende Baum , jeder zwitschernde Vogel der Gespiele ihrer Freude wurde ; hüpfend eilte sie dann an L es Arm durch die Wiese , pflückte übermütig die schönsten Blumen , um den Weisdorn am Saum des Gehölzes mit Kränzen zu behängen , und jauchzte vor Fröhlichkeit , wenn die lüsternen Ziegen sie abweideten .
Dann ging sie wieder ernst und in sich gekehrt , und sah den aufsteigenden Mond ; der Duft der Blumen , der Gesang der Vögel , das ferne Leuchten der Wetterstrahlen schien ihr eine Feier der Natur , und sie stand einfach , rein und innig wie ihre erste Priesterin in der jungen Schöpfung .
Entzückte sie L durch die holde Vertraulichkeit , mit welcher sie in ihrer fröhlichen Stimmung ihn zum Werkzeug des unschuldigsten Scherzes gebrauchte , so durchdrang ihn der Blick voll Hoheit , und die Ahnung von inniger Liebe , womit sie ihm ihren Arm entzog , um einsam vorauszugehen in den Augenblicken ihrer feierlichen Schwärmerei .
Sein überlegener Geist wurde unwillkürlich angezogen , in Gesprächen und gesellschaftlicher Unterhaltung , der Lehrer , der Bildner dieser unerfahrenen schönen Seele zu sein ; sein männliches Wesen , sein kaltes Blut mußten ihm tausendfache Gelegenheiten geben , sie bei ihrer übereilten Kühnheit , bei ihrer oft alles äußere vergessenden Empfindung , so verschmolzen wie dies alles in ihr mit weiblicher Schüchternheit war , im Zaum zu halten .
Die Lage der Sachen , die Gehrung unter dem Volt , die Zudringlichkeit der Priester , deren sich Seldorf nicht ganz erwehren konnte , der Kummer über ihren geliebten Bruder , dessen Briefe immer unverständlicher und seltener wurden : alles führte sie auf einen Weg , der mit jedem Tag enger und abschüssiger wurde , und sie mit jedem Tag unbedingter in L Gewalt lieferte .
Sie sah nie eine Ursache , auf ihrer Hut zu sein , denn nie brachte dieser Mann ihr Herz mit ihrem Verstand in Widerspruch ; sie sah in allem seinem Reden und Tun nichts als Mut , Offenheit , Patriotismus , Wunsch alles Gute , und alle guten Bürger zu Einem Endzweck zu vereinigen und zu benutzen .
Sie war bloß Mädchen , bloß fühlendes Geschöpf , und die Zeiten hatten damals ihre schreckliche Reife noch nicht erlangt , da es bei weitem noch nicht hinreichen sollte , ein menschlicher wohlmeinender Mann zu sein , um kein Verräter zu scheinen .
Verschiedenheit in Meinungen war damals noch kein Hochverrat , und führte noch nicht zum Verbrechen .
Bei den schwachen Ausbrüchen zwischen den Parteien , die hie und da , vielleicht auf Anstiften der Royalisten , vielleicht wider ihre Absicht , aber doch gewiß unter ihrem Schutz vorfielen , war L bald mutiger Verteidiger seines Systems , bald Friedensstifter , immer aber ein Muster von Billigkeit .
Alle Unzufriedenen versammelten sich um ihn , aber er schien sie immer zur Ruhe , zum Guten zu lenken , und sein Wort bändigte ihre feindselige Wut .
Einfach bis zur Beschränktheit in seinem Schloß , glich es eher einem Hospiz , wo jeder Dürftige Pflege und Atzung , jeder verirrte Wanderer Obdach und Schirm fand ; und setzte er gestärkt seinen Weg fort , so dachte er sich fortan C als den Ort , wo im Drang der Not eine Zuflucht vor Hilflosigkeit ihm offen stehen würde .
Bei einem seiner Besuche wurde Sara eine Unruhe an ihm gewahr , die ihr Herz , das schon so innig an ihm hing , mit Besorgnis erfüllte ; umsonst aber forschte sie mit schüchterner Freundlichkeit , woher seine Laune entstünde : ohne sie zu befriedigen , fesselte sein Stillschweigen das weiche Mädchen durch die süße Abhängigkeit der Liebe .
Bald nachher gelangte die Nachricht von der Flucht des unglücklichen Ludwigs in die entferntesten Gegenden , und erfüllte alle Gemüter mit Schrecken , Haß , oder übermütiger Freude .
Jede Schenke war jetzt eine Schule des Aufruhrs , wo bald ein feiger , herrschsüchtiger Priester die getreuen Diener des königlichen Hauses aufbot , bald ein kühner Patriot oder ein feiler Emissar Königshaß , Freiheit und Rache predigte .
Es blieb nicht bei müßigem Geschwätz ; die Nachricht von der glücklich gelungenen Flucht wurde zwar widerrufen , aber die losgelassenen wilden Leidenschaften ließen sich nicht so leicht an die Kette des Gehorsams zurückführen .
Zahlreiche Haufen von Menschen , welche durch die neuen Einrichtungen ihres ehrlichen oder unehrlichen Broterwerbs beraubt waren , rotteten sich zusammen , überfielen die als patriotisch bekannten Kommunen , und plünderten oder misshandelten die Einwohner , wo keine zeitigen Widerstandsanstalten sie abschreckten .
Die ganze benachbarte Gegend stand unter Waffen , die Nachrichten aus der Hauptstadt lauteten verworren und drohend ; alle Sicherheitsmaßregeln die von dem Sitz der Herrschaft aus verordnet wurden , verloren ihre Kraft , indem sie hier mit niederträchtiger Kriecherei gegen die Vornehmen , und despotischer Härte gegen das Volk , dort mit unvorsichtiger Vergünstigung gegen das letzte , und leidenschaftlichem Übermut gegen die Gutsbesitzer vollstreckt wurden .
Oft begaben sich die Munizipalitätsbeamten mit ängstlicher Demut auf die Schlösser , um die von der Nationalversammlung anbefohlene Auslieferung aller Waffen zu betreiben .
Man empfing sie mit einem Schmaus , wo die herablassende Güte der Herrschaft ihre ehrwürdige Sendung erniedrigte , und sie kehrten , unter tiefen Verbeugungen , mit etlichen Jagdflinten zurück , die ihnen ein Lakai nicht ohne einige Persiflagen auslieferte , indes in den unterirdischen Gewölben des Schlosses Tausende von Patronen verfertigt wurden , und die Gewehre angehäuft lagen .
Im Distrikt von Saumür hingegen war ein Freund des alten Berthier an der Spitze der Munizipalitätsbeamten , welche die Auslieferung der Waffen besorgten ; und dieser setzte seinen Auftrag mit der Unerschrockenheit , welche das Bewußtsein der Gesetzmäßigkeit immer geben sollte , aber auch mit der Härte lang erwarteter Rache durch .
Der Mann hatte nichts von Berthiers menschlichweiser Güte , er hatte nur seinen kühnen Geist ; alles was ihm sein Freund von Seldorfs Unglück , von seiner unschädlichen Einsamkeit gesagt hatte , erlosch den Eindruck nicht von dem Kaltsinn , mit welchem Seldorf jeden stürmischen Patrioten aufnahm ; und der Nahme seines Sohnes , der jetzt unter den Anhängern des Hofs genannt wurde , und dem man in dem kleinen Zirkel seiner Bekannten mehr Anteil an der Entweichung des Königs zuschrieb , als er je gehabt hatte , führte den Mann , der zum kalten und passiven Handhaber des Gesetzes bestellt war , mit dem einseitigen beleidigenden Vorurteil des Argwohns in Seldorfs Haus , als auf seiner Runde dieses die Reihe traf .
Seit jenem Abend , an welchem Sara über L Betragen unruhig gewesen war , hatte sie ihn nicht mehr gesehen .
Alle fürchterlichen , abenteuerlichen Nachrichten , die sie seitdem vernommen hatte , alle Besorgnisse wegen der Zukunft hatte sie allein ertragen und bekämpft ; die Sehnsucht nach dem Gegenstand ihrer Zärtlichkeit , und die Bangigkeit über sein Schicksal zerrissen zugleich ihr Herz , und erschwerten mehr wie jemals ihre Bemühungen , die Bitterkeit ihres Vaters zu besänftigen .
Sie sann umsonst , was in einem Augenblick wo Gefahr von allen Seiten her drohte , ihren Freund entfernt halten konnte , unter dessen Augen sie sich geborgen dünkte , wie das Kind in der Mutter Armen .
Die schreckliche Erzählung , die sich von dem Tag des Marsfeldes verbreitete , setzte ihrer Einbildungskraft von neuem zu ; jede laute Stimme unten im Dorf , jedes ferne Getöse schien ihr Tumult und Mord zu verkünden .
Ruhig wie ein abgeschiedener Geist von dem Leben im Staube spricht , wenn er in einer stürmischen Mitternachtsstunde seinen zurückgelaßenen Freunden erscheint , hatte sich indessen Seldorf mit Sara in ein Gespräch über ihre Kinderjahre , und über das Glück , das sein Vaterherz sich von ihrer Jugend versprochen hatte , vertieft .
Mit grausamer Kälte zerriß er sein eigenes Gefühl , und erzählte wie er gehofft hätte , diesen Teil des Hauses sollte Theodor einst mit seinem Weibe bewohnen , dort würde Sara sein Alter pflegen ; er sprach weiter , wie er manchen Baum gepflanzt hätte , um mit seinen Enkeln unter dessen Schatten zu spielen , und wie dort jenes Feld nur mit einer leichten Hecke umzäunt wäre , weil er , wenn die Wirtschaft größer geworden wäre , des Nachbars Grundstücke dazu gekauft haben würde .
Sara hörte bang diesem hoffnungslosen Herzählen nie genossenen Glückes zu , und suchte , mit einem Herzen das fast von Wehmut brach , seine Träume an die Zukunft zu knüpfen .
Seldorf hielt inne , und ließ sie allein sprechen ; ermuntert durch sein Stillschweigen , glaubte das gute Mädchen , über des Vaters finsteren Dämon zu siegen , als Seldorf langsam den Kopf schüttelte , und mit seinem matten erstorbenen Tone sagte : Du wirst bald vergebens meine Spur und meiner Träume Denkmäler hier suchen - Diese Worte durchfuhren Sara mit einem Schauder , und unvermögend zu sprechen , verfolgte sie mit tränenschwerem Blick seinen wankenden Schritt , mit welchem er unter den Bäumen verschwand .
Sie saß lange in tiefem Gram versunken , als sie plötzlich von einem Wortwechsel , und von der Stimme ihres Vaters erweckt wurde , welcher mit einer Heftigkeit und Stärke , die ihr ganz unbegreiflich waren , sich zu verantworten schien .
Sie eilte auf das Haus zu , und fand die Munizipalitätskommission , deren Anführer mit Seldorf im Streit begriffen war .
Unglücklicher Weise fiel die Szene auf einem mit Bäumen bepflanzten Platze vor dem Hause vor , und hatte einen Haufen von Menschen zu Zeugen , die zum Teil nicht aus den besten Absichten den Kommissarien auf allen Tritten folgten .
Seldorf hatte die ganze Zumutung als einen Eingriff in das Eigentumsrecht jedes Hausherrn angesehen , und die erste Anrede mit mehr Stolz als Gleichgültigkeit beantwortet .
Übrigens weit entfernt sich zu widersetzen , befahl er alles Gewehr herbeizubringen ; und ohne den unzeitigen Eifer von Berthiers Freund hätte die Sache hier endigen können ; dieser konnte sich aber nicht enthalten , einige sehr beissende Anmerkungen über die Zierlichkeit der wenigen Jagdflinten , die man ihm vorlegte , zu machen ; mühsam an sich haltend , sagte Seldorf : um einem jungen Menschen auf der Jagd zu dienen , nähme man keine Musketen , und einen anderen Gebrauch hätten diese Gewehre nie gehabt , denn sie gehörten seinem Sohn .
Der unglückliche Name , und der Zusammenhäng in welchem er hier vorkam , vermehrten die Bitterkeit des Kommissairs ; bald erfolgte die Beschuldigung , es müßte anders Gewehr im Haus verborgen sein , und wie Sara herbei eilte , drang die Kommission in das Haus um es zu durchsuchen .
Von Schrecken außer sich rief Sara um Hilfe , und hielt ihren Vater , der vor Wut mit den Zähnen knirschend eines der vor ihm liegenden Jagdmesser mit seiner linken Hand aufnehmen wollte .
Das umstehende Volk wurde unruhig , ein Teil aus Schrecken über den Auftritt , ein Teil aus boshafter Freude am Unfug ; hie und da wollte ein bestochener Taugenichts es aufhetzen , die Abgeordneten der Nation zu verteidigen , und war so frech zu versichern , daß eine aufgehäufte Rüstkammer im Schloß verborgen sei .
Um das Unglück zu vollenden , eilten einige Bedienten des Hauses , die im Feld gearbeitet hatten , mit den ersten besten Waffen herbei , und stellten sich neben ihren Herrn ; der Auftritt hätte nun wahrscheinlich eine blutige Wendung genommen , wenn nicht der alte Berthier auf den ersten Lärm , der zu ihm gelangte , herzugeeilt wäre , und mit der ihm eigenen Geradheit die Hitze der Kommissairs gemildert hätte .
Er ließ sie ihre Nachsuchungen fortsetzen , führte sie sogar in alle ihm bekannte Winkel des Hauses , und forderte sie endlich ernsthaft auf , vor dem nämlichen Haufen , der die Beschuldigung angehört , Seldorf auch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen .
Zu einem solchen Schritt hatte aber Berthiers Freund nicht Biegsamkeit genug .
Seldorfs heftige Äußerungen schienen ihm so gefährlich wie verborgene Waffen , und er kehrte mit einer sehr unüberlegten Ermahnung zu Seldorf zurück .
Dieser hatte in seiner kranken Hitze Berthiers Dazwischenkunft , und sein Betragen gegen die Kommissarien , wovon die erschrockenen Hausbedienten , welche Zeugen dabei waren , ihm einseitige und falsche Berichte hinterbrachten , ganz mißverstanden ; zu stolz um gegen den anderen noch ein Wort zu verlieren , warf er mit ausbrechender Bitterkeit dem wohlmeinenden Alten sein treuloses Betragen vor , und nannte mit einer höhnenden Anwendung diese Missbräuche eine Geburt der neuen Freiheit .
Der patriotische Kommissair schäumte ; der alte Mann war über Seldorfs Unvorsichtigkeit und Gefahr zu betroffen , um sich bei der persönlichen Beleidigung aufzuhalten - er wandte sich zu den Kommissairs , und sagte fast ruhig : der Mann ist krank ; laßt ihn , ich bürge für ihn .
Hierauf legte er seine Hand auf Sara's Schulter .
Ich habe Rogers Stelle vertreten wollen , sagte er , suchen Sie mich wenn Sie mich brauchen .
- Er zog die Kommissairs mit sich fort ; und jetzt gelang es endlich dem armen geängsteten Mädchen , ihren Vater zu bereden , daß er auf sein Zimmer ging .
Der heftigen Aufwallung folgte eine so grimmige Bitterkeit , daß Sara es nicht wagen durfte , ihn allein zu lassen .
Mit bangem Herzen duldete sie sein Schelten , seine Ungerechtigkeit , seinen Groll , und nahm zugleich mit unbeschreiblicher Angst wahr , daß bei einbrechender Dunkelheit Haufen von Männern um das Haus schlichen , und von der Dorfschenke lautes Geschrei herschallte .
Der Vater , welcher in seinem Unmut ihren inneren Kampf nicht bemerkte , und ihr sogar über ihre Ruhe Vorwürfe machte , nahm ihr endlich zornig ein Buch aus der Hand , in welchem sie , um Fassung zu finden , einige Minuten gelesen hatte : Du bist glücklich , sagte er ; die erdichteten Leiden deiner Bücherhelden trösten dich über die Schmach deines Vaters - aber schnell legte er das offene Buch , das er von Sara's Tränen überflossen fand , vor sich hin , und blickte erschrocken auf seine Tochter , die von Weinen erstickt und sprachlos vor ihm stand .
Einige Augenblicke stützte er den Kopf auf beide Arme , dann stand er auf , faßte die Hände seiner Tochter , drückte sie an seine Lippen , und rief : verzeih , Sara ! verzeih meinem wachsenden Elend ! - welches fühlende Herz denkt sich nicht das Ende dieses Auftritts ?
Fast glücklich durch das Übermaß seines Unglücks , weil er ein lebhaftes Gefühl für die Wirklichkeit darin wiedergefunden hatte , schickte Seldorf sein geliebtes Kind früh auf ihr Zimmer ; und sie war so müde von Schmerz , daß sie die Nachricht einer Magd , das Dorf sei voll von fremden Männern , die auf der Straße herumschwärmten , kaum hörte .
Ehe sie sich zur Ruhe legte , dachte sie noch einmal an Berthiers Worte :
er hätte Rogers Stelle vertreten wollen .
Wäre er hier ! seufzte sie leise - und mit noch sehnlicherem , aber furchtsamerem Wünsche seufzte sie noch einmal : wäre er hier ! und hatte L Bild vor der Seele .
Kaum hatte der erste Schlaf sich ihrer bemächtigt , als sie durch ein dumpfes Getöse erweckt aufsprang .
Plötzlich wurde ihre Türe aufgerissen , und ihr Vater trat mit L herein : eile , rief er ; wir müssen uns retten , die Ungeheuer sind schon nahe . -
Sara erblaßte , fragte , warf ihren Mantel um , und fast getragen von L verließ sie das Haus .
Gleich darauf schien ein tobender Lärm anzugehen , sie sah Fackeln , hörte Schüsse fallen , und kam halb entseelt bei einer Chaise an , welche von einem Haufen von bewaffneten bewacht wurde , denen L sie und ihren Vater übergab , sich sodann auf ein Pferd schwang , und in der dunklen Nacht verschwand .
Sie fuhren einige Meilen , und hielten endlich bei einem abgelegenen zierlichen Hause still , wo jedoch keine Anstalt zu ihrem Empfang gemacht war ; ihre Begleiter selbst schienen hier eben so fremd und verwundert als sie , und verloren sich bald nach ihrer Ankunft .
Sara es Empfindungen waren zu widersprechend , als daß ihre Fassung so bald hätte zurückkehren können .
Der fürchterlichste Augenblick ihres Lebens , das sicherste Unglück hatte etwas süßes für sie , weil sie sich wieder unter L es Schutz gefühlt hatte .
Indessen war das Herz , das so innig liebte , nicht abgestumpft für das Gefühl dieses Unglücks ; ihr erstes deutliches Bewußtsein war der Anblick ihres Vaters , der mit finsterer Stirn und glühenden Wangen heftig auf und nieder ging ; sie ergriff seine Hand : Vater , rief sie , ich bin nicht mutlos ; verzeih diesen unwillkürlichen Schrecken , der mich betäubte .
Sage , wo sind wir ?
was drohte , was rettete uns ? -
Drohen ? antwortete Seldorf , und hielt in seinem raschen Schritt einen Augenblick inne , um seine von unnatürlichem Feuer blitzenden Augen auf sie zu heften ; die Menschen , die mich seit sieben Jahren Vater nannten , wollten den Vater im Schlaf ermorden - Und L ? rief Sara zitternd .
- Ist ihr Helfershelfer oder mein Schutzgeist , murmelte er , und riß sich los , um seinen Gang fortzusetzen .
Ihr Herz stand still , sie setzte sich an ein Fenster - durch die Luft rauschte ein heftiger Gewittersturm , einzelne Blitze erleuchteten eine ihr ganz fremde Gegend , und zeigten ihr Reiter und Männer , die an den Mauern der Hofgebäude hielten .
Endlich hörte sie , nachdem das Wetter einen Augenblick nachgelassen , eine große Pforte öffnen , es entstand ein verwirrtes Getümmel von Menschen und Rossen , aber ein Blitz , der bald darauf folgte , ließ sie nichts wahrnehmen als eine tote Leere über dem ganzen Hof .
Seldorf hatte sich auf einen Lehnsessel gestreckt , und war endlich nach unnatürlicher Spannung seiner Nerven in einen betäubten Schlummer gefallen .
Rund umher wurde es immer stiller , der Morgen brach an , Sara hörte in der Ferne das Gebell der Dorfhunde , das Geklirr vorbeifahrender Ackersleute .
Sie konnte nun die Lage des Hauses unterscheiden , es war am Eingang eines Waldes , und nur mit Ställen umgeben ; nach und nach vernahm sie daß man darin munter wurde , sie hörte einige Türen auf und zuschlagen , sah Vieh aus den Ställen treiben - endlich erschienen einige Reiter mit Jagdflinten bewaffnet , L war an ihrer Spitze , sie sprengten in den Hof , bald eilten sie die Treppe herauf .
Sara es Herz schlug ungestüm .
Mitschuldiger oder Schutzengel - o ihr Herz hatte längst gewählt , aber die Ungewißheit ihres Vaters scheuchte die reine Äußerung ihres Kindersinnes grausam zurück .
Seldorf blieb in seinem matten Schlummer versunken ; aber bei L Eintritt war aus Sara's Herzen alles andere verschwunden , unwillkürlich bloß von der Nähe ihres Schutzgeistes ergriffen , lief sie , so unbefangen als träte ihr Bruder herein , auf ihn zu - ihre Hand lag in der seinigen , und wie er reden wollte , deutete sie mit der Heiterkeit eines Engels auf ihren schlafenden Vater .
L verstand sie , führte sie in das Vorzimmer , wo seine Begleiter im Hintergrund um einen Tisch mit Trinkgerät und Speisen saßen , und setzte sich neben ihr nieder .
Deutlich genug ist der Gang , den Sara's Herz genommen hatte , und die Stimmung in welcher sie sich jetzt befand .
Aber konnte es einen Bösewicht geben , der nicht wider Willen alle Seligkeit der Tugend geahnt hätte , indem das unschuldigste , reinste Geschöpf das Bild der höchsten Tugend in ihm verehrte ?
Und wirklich war es nicht die Seele eines Bösewichts , die sich auf L es schönem Gesicht malte , wie er des entzückten Mädchens Dankestränen fließen sah , wie er ihre Fragen beantwortete , wie er die schuldlose Unbefangenheit , mit welcher sie seine Hand an ihre Lippen drückte , so ehrfurchtsvoll und gerührt zu empfinden schien .
Sara erhielt nun die Auflösung des Rätsels , die ihr zerstörter Kopf so lange umsonst gesucht hatte .
Der gestrige unglückliche Auftritt hatte bestochenen Aufruhrstiftern den abscheulichen Gedanken eingegeben , das gegen Seldorf entstandene Misstrauen zu reizen , und unter dem heiligen Vorwand des Patriotismus , sein Betragen als eine offenbare Auflehnung gegen die konstituierten Autoritäten vorzustellen .
Wie es schien , waren andere Bösewichter von demselben Schlag aus einem benachbarten Departement herübergekommen , und hatten eine Handvoll rüstiger unzufriedener Burschen mit in das Komplott gezogen , indem sie ihnen vorgespiegelt hatten , es sei Pflicht gegen das Vaterland , einem so gefährlichen Mann seine Mittel zur Kontrerevolution zu nehmen , und man wolle das Haus bloß von den darin versteckten Waffen reinigen , damit der Befehl der Gesetzgeber doch vollstreckt würde , indem die dazu bestellte Kommission durch Gewalt zum Abzug genötigt worden wäre .
Einige von L Jägern waren noch spät im Wirtshaus bei Seldorfs Gut gewesen , hatten etwas von jenem Vorhaben abnehmen können , und waren geeilt , es ihrem Herrn zu hinterbringen , der erst gestern von einer Geschäftsreise in dem Schloß eines benachbarten Freundes angelangt war .
L erkannte die Gefahr des Augenblicks , Anstalten zur Gegenwehr waren nicht mehr zu treffen , und diese lagen ohnehin der Obrigkeit des Orts ob ; er konnte also bloß für Seldorfs persönliche Rettung sorgen .
Er bat den Freund , bei welchem er war , um eine Kalesche und um Begleiter , und eilte nach Seldorfs Schloß , dessen Vorderseite schon von den Bösewichtern umzingelt war .
Er erinnerte sich der Gartenpforte , durch welche er zuerst eingetreten war , brach hier durch , weckte Seldorf , der , von seinen Leuten verraten oder verlassen , unbesorgt schlief , und überzeugte den unglücklichen Mann bald von der Nichtigkeit eines Versuchs , den Rasenden ihr Unrecht vorzustellen .
Das Haus , in welches er sie bringen lassen , war ein Jagdhaus , das einem seiner Freunde zugehörte , und zu keinem anderen Gebrauch , als einzelnen Landfesten , oder höchstens einem Nachtlager bei Jagdpartien bestimmt war .
Er versicherte Sara , das Ganze sähe noch viel zufälliger aus als es wirklich wäre , weil die Leute im Haus nicht einmal etwas von ihrer nächtlichen Ankunft erfahren hätten , sondern sie erst jetzt in seiner Gesellschaft angelangt glaubten ; seine Freunde hätten alles allein besorgt , daher rührte auch der Mangel an allen Bequemlichkeiten die Nacht über - Wie ? unterbrach ihn Sara , die Menge von Reitern , die diese Nacht den Hof anfüllten , die Zeichen , die ich durch den Gewittersturm vernahm , konnten den Hausleuten unbekannt bleiben ? -
Eine unmerkliche Veränderung ging hier in L Gesicht vor , er sah fest in Sara's Auge : was Reiter , liebes Fräulein ?
Meine Freunde blieben doch nicht so lange hier - Nein , Ihre Freunde ließen uns ja allein , sie verloren sich in dem Augenblick da wir ankamen ; wir blieben ja unbegreiflich einsam in diesem Hause ; aber der ganze Hof war voll von Menschen , die scheu und heimlich ihren Pferden schmeichelten , daß sie still blieben , und ihre Waffen fest zusammen faßten damit sie nicht klirrten .
Ach L ! diese Nacht , diese Reiter !
Sie müssen mir verzeihen , wenn ich Verrat fürchte sobald mein Schutzgeist fern ist - Sie blickte ihn so bittend mit gefalteten Händen an , als fürchtete sie , sein Ohr möchte es hören , wie laut in diesem Augenblick die Worte ihres Vaters in ihrem Herzen widerhallten .
Gute Sara ! sagte L voll Güte und Ruhe ; armes banges Mädchen , werfen Sie die Schrecken Ihrer Einbildungskraft von sich , fühlen Sie wie gefährlich diese Furcht vor Verrat selbst in Ihrem schönen Herzen ist !
Meine Freunde können sich des Gewitters wegen verweilt haben ; ich hatte sie so ernstlich gebeten , Ihnen Ihren Vater allein zu überlassen , daß sie alles getan haben werden , damit das Haus nicht wach würde .
Sie wissen , wie wenig eine Zuflucht bei dem Vicomte *** dazu gemacht war , die Rasenden , die Ihnen drohten , zu besänftigen -
O so lassen Sie uns dies Haus verlassen ! rief Sara erschrocken ; guter L , unser Schutzengel , unser Retter ! lassen Sie meinen Vater in sein Haus zurückkehren ; die Menschen werden ihn ja nun in Ruhe lassen , sie haben sich ja nun überzeugt , wie grausam falsch ihr Verdacht war . -
Sie weinte über die neue Gefahr ihres Vaters , L faßte ihre beiden Hände , die sie gegen ihn aufhob :
Meine Freundin , meine teure würdige Freundin , ich will , ich kann Sie trösten und schützen , aber ich forder auch Mut .... ich habe noch nicht auserzählt .
Sie müssen Ihren Vater , mit der Ihnen eigenen , liebenswürdigen Schonung vorbereiten .... zu einem längeren Aufenthalt hier oder an einem anderen Ort , über welchen wir einig werden müssen , überreden .... sanftes , gutes Kind , Sie müssen es über sich nehmen , ihm die Trennung von seiner ehemaligen Wohnung vorzuschlagen . -
Nie , niemals ! das kann ich nicht , rief Sara; dort , sagte er noch gestern , wollte er leben und sterben ; es wird bei seinem Erwachen sein erster Gedanke sein , dahin zurückzugehen - Er kann nicht , Sara !
Seine Wohnung liegt in Asche , die Verwüstung hat alles ergriffen : soll der alte Mann die rauchenden Trümmer erblicken ? -
Das unglückliche Mädchen blieb versteinert , ihre aufgehobenen Hände sanken langsam auf ihren Schoß herab , auf ihrem bleichen Gesicht kämpften Ergebung und Schrecken ; mit einem Strom von Tränen rief sie endlich leise aus : rauchende Trümmer !
Armer alter Mann , du selbst solltest noch vergebens die Spur deines Daseins suchen ? - L verstand die Veranlassung dieser Worte nicht ; aber dieses Gesicht , von welchem der Kummer so plozlich die Farbe der Jugend verwischt hatte , und das in seinem unaussprechlichen Schmerz doch so nahe an kindlichste Ergebung grenzte , benahm ihm auf einen Augenblick die Fähigkeit , sie zu trösten .
Seine Augen ruhten auf ihr , bis sie von Tränen verfinstert sich abwandten , er stand von seinem Sitz auf , und ging mit langsamen leisen Schritten vor Sara's Stuhle auf und ab .
Sie weinte einige Augenblicke sanft und still , horchte dann auf , und winkte L zu sich ; sie stand auf , und indem sie auf das innere Zimmer zuging , sagte sie mit rührender Fassung zu ihm :
Jetzt habe ich Mut !
Mein Vater ist , glaube ich , aufgewacht , stehen Sie uns mit Ihrem Rate bei . -
Sie fanden den armen Seldorf wirklich von seinem tiefen Schlaf erwacht , aber in einer Mattigkeit , welche die Erinnerung des vorhergehenden Abends sehr geschwächt zu haben schien ; sein Wesen drückte mehr Verwunderung über die Neuheit der Szene aus , und ein schwaches Lächeln von Freude , wie Sara vor ihm hinkniete , und seine Hände an ihre Brust drückend , nach seinem Befinden fragte .
Er erblickte jetzt auch L , und schien in dem Augenblick von einem unwillkürlichen Schauder überfahren ; die vergangene Nacht trat aus ihrer Finsternis hervor , er fragte nach der Zeit , nach der Lage der Sachen ; und Sara nahm mit einer Fassung , mit einer Leichtigkeit , durch welche sie sich aufzusparen schien , um nur in den Ausdruck ihrer Liebe ihre ganze Seele zu legen , das Wort , ließ sich für es erste in eine Erzählung von der Entstehung des Aufruhrs ein , zog ihren Freund , der ihre Absicht schnell begriff und ihr beistand , mit ins Gespräch , und war geflissentlich so weitläufig , daß sie Zeit gewann ihren Vater ein Frühstück einnehmen zu lassen , für welches L gesorgt hatte .
Ihre unglaubliche Empfänglichkeit machte daß sie den gewaltsamen Kampf , wo ihr Mut eben gesiegt hatte , in der Ruhe des Augenblicks vergaß .
Die heiterste Luft fächelte durch die offenen Fenster ihr heißes Gesicht , das Geräusch einer ländlichen Wirtschaft zauberte ein seltsames Gefühl von häuslichen Freuden in ihr hervor , die Gegenwart ihres Geliebten , der mit zärtlicher Bangigkeit vor dem Ausgang seine Blicke kaum von ihr verwandte , und ihr in dem fremden Aufenthalt hundert kleine Dienste leistete , wiegte sie täuschend in die anfangs erzwungene Stimmung ein ; kurz alles riß das überspannte Geschöpf zu einer Heiterkeit hin , die unter diesen Umständen zu sonderbar war , um von Seldorf ganz unbemerkt zu bleiben .
Er blickte sie ein Paarmal halb fragend an ; diese Blicke und L es zärtliche Geschäftigkeit riefen durch eine ganz entgegengesetzte Ideenverbindung jenen Abend in ihr zurück , wo der alte Berthier ihr und Rogen so ungewiß zusah , wo Theodor aus dem väterlichen Hause entwich , und wo der erste Pfeil ihres armen Vaters nun fast verblutetes Herz traf .
An jenem Abend , so quälend er war , ahnte sie noch keine so finstere Zukunft !
Und alles , alles , was sie damals liebend quälte , war nun dahin - Theodor , Roger ! beide fern und entfremdet !
Und jenes Haus , jene Gärten ! - L , der allen Bewegungen ihrer Seele folgte , und diese Wolke vor ihren Geist treten sah , weckte sie aus dem Trübsinn , in welchen sie verfiel , durch eine zufällige Frage , die zwar ziemlich gleichgültig war , aber der Wohllaut der Liebe in seinem Ton erinnerte sie daß sie jetzt ein Gefühl gewonnen , das sie an jenem Abend , welchen sie im Begriff stand für den letzten ihres Glücks zu halten , noch nicht gehabt hätte - sie dachte nicht weiter , sonst hätte sie sich über diesen Leichtsinn Vorwürfe gemacht ; aber sie fühlte sich gestärkt , und glaubte sich eine Heldin , da sie doch nur liebte .
Bei dem Fortgang des Gesprächs zeigte es sich , daß die fürchterliche Nachricht , welche Seldorf von der Verwüstung seines Schlosses erhielt , ihn nichts weniger , als unerwartet traf .
Seine Bitterkeit hatte das Schrecklichste schon vorausgesetzt , und er bat mit einer Ruhe , die Sara's Herz durchbohrte , man möchte nur Erkundigungen einziehen , ob gar nichts gerettet wäre , nicht etwa soviel , daß er mit seinem Kinde irgendwo auf dem Lande unterkommen könnte , bis er Mittel gefunden hätte , einen Teil des kleinen Kapitals , das er in Paris stehen hätte , einzunehmen .
Es war dein Erbteil , mein Kind , sagte er , indem er sich gegen Sara wandte ; du wirst es als eine Erleichterung in deinem Unglück fühlen , deinen Vater mit deinem Vermögen zu ernähren .
- Sie dankte ihm voll Wehmut , und beschäftigte sich nun ernsthaft mit L , einen Aufenthalt für die Zukunft ausfindig zu machen .
Er erbot sich sogleich , nach seines Freundes Schloß zurückzukehren , um von da aus die etwa geretteten Trümmer von Seldorfs Habseligkeiten an sich zu ziehen , und Berthiers Rat über die Vergütung des Schadens einzuholen .
Der an Leib und Seele kranke Mann ließ bei Berthiers Namen die erste Spur von Leidenschaft wieder blicken , nachdem er den Brand seiner Wohnung , die Verwüstung seines Jahre lang gepflegten Gartens mit toter Resignation erfahren hatte , entzündete Bitterkeit wieder das erste Fünkchen Feuer in diesem Herzen , das sonst nur der Liebe offen war .
Er verbat sich heftig jede Gemeinschaft mit Berthier , und erzählte L mit leidenschaftlicher Verblendung den traurigen Auftritt , in welchem er den redlichen Greis so unbillig verkannt hatte .
L las in Sara's Blick , wie unendlich sie litt , und wie herzlich sie auf Berthiers Hilfe traute , aber Seldorfs unglücklicher Zustand vertrug keinen Widerspruch .
Noch am Abend desselben Tags eilte L nach der Brandstätte , und fand wirklich alles verwüstet .
Die Rasenden hatten den Wink heuchlerischer Anstifter nur zu gut befolgt .
Wehe dem Menschen , der diese Werkzeuge der Hölle zur Vollstreckung seiner Plane braucht !
Er gibt die Fackel der Rache in die Hand des Unverstandes , und jedes Unheil , das daraus entsteht , lastet auf der Seele des Frechen , der bei menschlichem Beginnen Gottes Allmacht nachäffen , und die Leidenschaften der Menschen gebrauchen wollte , wie Tau , Gewittersturm und Sonnenschein , um das Saatkorn zu pflegen , das er ausersah .
Wehe ihm , wenn es ihm gelang die Menschheit abzulegen , und fühllos über dem Schauplatz seines Handelns zu schweben ; aber zehnfach Wehe , wenn der Anblick ihm noch Tränen entlockt , denn von dem ausgedorrten Boden , worauf sie fallen , können sie nimmer die Vergangenheit abwaschen ! -
Das freundliche Haus , wo man ihn sonst so gastfrei aufnahm , die blühende Natur umher , alles war eine gestaltlose , grause Maße von Schutt und Verwüstung .
Die Mauern , die gestern noch mit schützendem Efeu umwunden unter den hohen Linden hervorblickten , standen jetzt schwarz und halb eingestürzt neben den abgebrannten Stämmen .
Der schattige Gang nach dem Garten war vom niedergerissenen Gesträuch versperrt ; den Bogengang , durch welchen er zuerst hier eingetreten war , fand er von Zweigen entblößt , und an der niedergestürzten Brunnensäule sammelte sich das Wasser in einen schmutzigen Pfuhl .
L wandelte schaudernd unter den Ruinen umher ; aus seinem Gesicht leuchtete nicht die Seele , welche in Sara's Herzen Ruhe , Vertrauen und Hoffnung gezaubert hatte .
Er sah düster und scheu , wie ein Mörder , der noch einmal an den Leichnamen seiner Erschlagenen vorbei muß : ein Lüftchen , dessen Wehen ihr blutiges Haar bewegt , erstarrt sein Herz - und ein Schauder , daß ihm die Stimme versagte , ergriff L , da Sara's Hündchen winselnd aus einer verfallenen Türe kroch , und den alten Hausfreund erkennend , mit einer zerbrochenen Pfote zu ihm hinkte , und seine Füße legte .
Er nahm das arme Tier schnell auf den Arm , und eilte nach Berthiers Wohnung .
Der Alte empfing ihn weniger unbefangen als mit Fassung und Würde .
Er wußte zu L Erstaunen die Art von Seldorfs Rettung und seinen Aufenthalt ; er ging sogleich mit ihm in die näheren Umstände seines Verlustes , und in die Möglichkeiten ein , seine Ländereien zu retten .
L vermochte nicht den tiefen Eindruck zu verbergen , welchen die Brandstätte in ihm hervorgebracht hatte ; da ließ der Greis seinen himmelklaren Blick auf ihm ruhen , als hätte er den Faden zu seinen innersten Gedanken , und mehr ernst wie bedeutend sagte er :
Auf dem Wege wo wir wandeln , werden wir noch manche Brandstätte vorbeigehen , und manche Verwüstung lenken .
- Flammend sah ihm L ins Auge , und sprach : Alter Mann , gehe neben mir , der Brandstätten werden weniger sein - Berthier nahm seine Mütze ab , und legte seine Hand auf sein Schneeweisses Haupt : Junger Mann , dieser Kopf wußte fast neunzig Jahre allein frei zu sein .
Gehe deinen Weg ; wir kennen uns nun . -
Nach einer tiefen Stille von einigen Sekunden nahmen beide das Gespräch über Seldorfs Angelegenheiten wieder auf , und Berthier erbot sich unter einem angenommenen Namen Seldorfs Güter zu verwalten .
Die Sache wurde bei der Commune abgetan , deren Mitglieder allen Verdacht auf ihren unglücklichen Mitbürger von sich ablehnten ; und L hatte die Freude seiner Sara - denn daß sie sein Eigentum war und sein mußte , das sagte ihm jeder Augenblick , den er mit ihr gelebt hatte - seiner Sara Zukunft vor Mangel zu schützen .
Er kam auch wegen eines Aufenthalts überein , den man Seldorf in demselben Distrikt , wo er immer gelebt hatte , verschaffen sollte , und aus welchem er , sobald es seine Gesundheit erlaubte , sein Gut wieder besorgen , und dem Aufbau eines neuen Wohnhauses vorstehen könnte .
Den armen wiedergefundenen Hund gab L seiner Pflegerin zurück , er war ein Geschenk von Roger , er entkam aus der Verwüstung ihres Hauses , er war von der geliebtesten Hand gerettet worden - welche Ansprüche an ihr fantastisches Gefühl !
Die kleine Familie wurde nach wenigen Tagen bei Varnier , dem ehemaligen Pachter eines adligen Hauses , welcher durch den Lauf der Revolution und durch ansehnliche Schuldforderungen an seine Herrschaft ein unabhängiger Eigentümer geworden war , auf eine bequeme Weise untergebracht .
Seldorf bestand auf eine strenge Einschränkung , ohne welche er sich bei seiner misstrauischen , einsamen Laune nie ohne Zwang und Verbindlichkeiten gefühlt hätte .
Sara sah sich in ein kleines Häuschen verbannt ; aber sie ersetzte ihrem Vater alles , was ihm an Bequemlichkeit abging , und ihr - ersetzte die Liebe alle Freuden der Vergangenheit , wie sie das Andenken aller Schrecken derselben versüßte .
Seldorfs Gesundheit war so zerrüttet , daß sich kurz nach seinem Einzug in die neue Wohnung ein zehrendes Fieber bei ihm einstellte , welches seine Leidenschaften , aber freilich auch alle Kraft seiner Seele außer Tätigkeit setzte .
Jede äußere Berührung war ihm schmerzhaft , und die abgestorbene Mattigkeit seiner Tage wechselte nur mit der kranken Lebhaftigkeit einiger Abendstunden ab , wo die Fieberhitze alle Bilder seines Gehirns aufregte , ohne daß sie bei seinem erschöpften Körper zu etwas mehrerem als Fantasien wurden .
Sara pflegte ihn bei seiner Schwäche , und in den Zwischenräumen ihrer Tätigkeit suchte sie seine Einbildungskraft auf beruhigende Gegenstände zu lenken .
Wie ein guter Engel wachte sie an seinem Lager über seine Träume ; L Beifall und seine kurzen Besuche waren ihr Lohn , ihre Erholung .
Ihr Verhältnis , der Zwang , den ihr ihres Vaters Krankheit auflegte , selbst der Reiz des Geheimnisses , wozu sie aus Schonung bei vielen ihrer Handlungen genötigt war , stifteten den innigsten Bund zwischen dem Geliebten und ihr .
Es war nie ein Geständnis vorgefallen , man hatte sich nie erklärt , man hatte sich nie etwas versprochen ; aber im reinsten Einverständnis , das Geist und Herz zwischen einem Weib und Mann hervorbringen können , nannte sie ihn Freund , und verbarg sich nicht aus falscher Scham , daß er mehr wie das , daß er Herr ihrer Liebe und ihrer Sinne war .
Ihr reines Herz erschrak nicht davor , sich nach dem Mann zu sehnen , den sie zuerst , einzig , und auf ewig liebte .
Daß er sie zu seinem Weib machen wollte , hatte er ihr nie gesagt ; daß er sie aber wie seine Gattin ehrte , nahm ihr Verstand wahr , und daß sie nur die Seine und nie eines Anderen sein konnte , wußte ihr Gewissen .
Von aller Gemeinschaft mit dem Wohnplaz ihrer Jugendjahre getrennt , eingeschränkt und einsam , duldete sie in stillem sanftem Frieden manches Leiden , und vergaß die finstere Zukunft über dem Trost , den die Gegenwart ihr darbot .
Seit der unglücklichen Begebenheit , welche Seldorf aus seiner Heimat vertrieben hatte , waren mehrere Wochen verflossen , und er hatte immer vergeblich auf Antwort von seinem Wechsler in Paris , bei welchem die für Sara's Erbteil bestimmte Summe niedergelegt war , gewartet .
Etwas Papiergeld , das er auf L Erinnerung bei seiner Flucht gerettet , und einige Juwelen hatten ihm bis jetzt die Mittel zu seiner Einrichtung und seinem Unterhalt verschafft ; endlich fing er aber an unruhig zu werden , und wendete sich an einen alten Bekannten in der Hauptstadt , um einen Aufschluß über das Stillschweigen zu erhalten .
Sara bemerkte , daß ihr Vater nach bald einlaufender Antwort sichtbar finsterer wurde , und sie teilte ihrem Freund ihre schweren Ahnungen über den Gegenstand von ihres Vaters Sorgen mit .
Sich vor Mangel zu fürchten , kam der einfachen Seele nie ein ; sie erbat und empfing mit kindlicher Bescheidenheit L Unterstützung , und glaubte , ihre Pflicht geböte ihr den kleinen Betrug , durch welchen sie ohne sein Vorwissen ihres Vaters Kasse schonte .
Aber immer dichter wurde die Wolke , die seine Mattigkeit in Unruhe , seine kranke Heiterkeit in heftige Fieberträume verwandelt hatte ; nachdem wieder einige Wochen so vorübergegangen waren , brachte ihm Sara einst , mit bangem Zittern vor dessen Inhalt , ein Paket das mit der Pariser Post einlief .
Seldorf hielt es lange in der Hand , besah das Siegel und die Aufschrift , und legte es endlich auf den Tisch vor sich hin .
Mit unruhiger Erwartung machte sich Sara einige Geschäfte im Zimmer , und fragte endlich furchtsam : willst du nicht lesen , ehe ich dir dein Abendbrot bringe ? -
Nein , meine Liebe ! antwortete Seldorf; es kann viele Briefe enthalten , es kann mich stören , und ich habe Lust heiter zu sein .
Komme , setze dich zu mir ; wir wollen nach dem Abendessen die Briefe ansehen .
- Sara wußte nicht , ob sie sich über diese Fassung freuen , oder darum noch banger sein sollte ; sie faßte aber mit herzlicher Teilnahme seine Absicht auf , und suchte ihm den Abend durch ihre Heiterkeit angenehm zu machen , so deutlich sie auch wahrnahm , daß er , so oft sein Auge auf die Briefe fiel , gegen eine unwillkürliche Furcht arbeitete .
Er betrog sich selbst durch eine lange und mühsam fortgesetzte Unterredung , und erbrach endlich mit einer geflissentlichen Zerstreuung die Briefe , die er im Gespräch mit den Augen durchzulaufen anfing .
Sara es Herz klopfte , da sie seine Stimme immer ungleicher , seine Reden immer unzusammenhängender werden hörte ; endlich deckte Totenblässe sein Gesicht , er las schweigend fort , atmete tief , schlug sich mit dem zusammengelegten Papier vor die Stirn , und stieß einige unverständliche , abgebrochene Reden aus , worunter Sara nur die Worte unterschied : Weib , Weib !
Geht die Rache aus deinem Grab hervor ? -
Sara bat umsonst , bedeckte umsonst seine Hände mit ihren Küssen , suchte umsonst die unseligen Papiere vor ihm zu verbergen ; er stieß sie matt zurück , und rief endlich mit erzwungener Festigkeit :
ich will lesen ! -
Er las , dachte nach , rief :
Nie ! nie !
.... dieses verhaßte Geschlecht ! -
Das Blatt fiel ihm aus den Händen : Unglücklicher !
....
Sara du bist eine Bettlerin .
Dein Bruder hat dir dein Eigentum gestohlen - Ich verzeihe ihm , mein Vater !
Ich will arbeiten ; es soll mir nie fehlen , es soll dich nie schmerzen , und ihn nicht reuen .
Höre nur dein Kind , und verschließe mir dein Herz nicht - Es war unmöglich , dem dringenden sanften Flehen zu widerstehen ; es war dem gebrochenen Herzen des armen Seldorf unmöglich , den Trost ganz von sich zu stoßen , den ihm sein weinendes Kind in der Fülle ihrer Liebe bot .
- Sara , sagte er nach langem Kampfe mit sich selbst , dein Bruder zwingt mich , den Schleier zu zerreißen , mit dem ich von jeher meine Vergangenheit umhüllte , und sie nach meinem Tod auf ewig zu vertilgen hoffte .
Nicht meine Schande habe ich vor euch geheim gehalten , sonst hätte jedes Zeichen eurer kindlichen Ehrfurcht mein Gewissen empört ; aber mein Unglück sollte euch unbekannt bleiben , die Welt sollte euren jungen Herzen nicht als das Grab meiner Seligkeit , die Menschen nicht als die Mörder meiner Ruhe erscheinen .
Von Täuschung zu Täuschung verführt , fühle ich schon lange daß die letzte nur im Grabe verschwinden wird .
Mag es dann aber noch einmal Täuschung sein !
Mit Schande sollst du mein Elend nicht krönen , thöriger Bube !
Du sollst deinem Vater , du sollst der Natur , oder deinen unsinnigen Entwürfen entsagen - Seine trüben Augen glühten , indem er dies sprach , und er hob drohend seinen zitternden Arm auf , als stünde Theodor vor ihm .
Er reichte nun seiner Tochter einen langen Brief ihres Bruders hin , und befahl ihr , ohne eine einzige Frage an ihn zu tun , denselben zu lesen ; er würde ihr nach her durch die Erzählung seiner früheren Geschichte die Ursache seiner Bewegung erklären .
- Opfre mir diese Nacht deinen Schlaf , sagte er , und zeigte auf seine Uhr , nach welcher es fast Mitternacht war ; ich muß eilen ihn zu retten , wenn er noch zu retten ist ; ich muß eilen , ehe diese letzte gespannte Kraft niedersinkt -
Er drückte Sara's Hand an seine brennende Stirn ; sie las .
Dieser Brief , der im Original , außer einer Menge überflüssiger Details , viel politisches Raisonnement , und dunkle Hindeutungen auf die verworrenen Plane enthielt , zu denen Theodors fantastische Grundsätze und hochfliegende Erwartungen sich so leicht mißbrauchen ließen , kann hier nur teilweise geliefert werden .
Die hauptsächlichen Plane aller Parteien in der großen , noch unentschiedenen Sache des Menschengeschlechts sind bekannt genug ; und um die Verirrungen und das Elend einiger unbekannten Unglücklichen aus der zahllosen Menge derer , die in den letzten fünf Jahren litten , zu bemitleiden , braucht man die verworrenen Fäden der Ehrsucht und der Falschheit nicht zu verfolgen .
Theodors Unglück und Fehltritte entstanden nicht aus seiner Lage in der Hauptstadt , er brachte den Keim dazu in seinem Herzen mit ; und er hätte des Grafen von Vieilleroche Schwiegersohn oder Chabots Schwager sein mögen , er wäre doch nie in der Einfalt des Geistes gewandelt .
Theodor an seinen Vater .
" Ihr letzter Brief , mein geliebter Vater , und noch mehr die Erkundigung , die Sie durch Herrn von Montgrand meinetwegen haben einziehen lassen , überzeugen mich von meiner Pflicht , Ihnen so weit es heiligere Pflichten zulassen , das Geheimnis meiner Lage zu entdecken .
Da Sie mich zur Wahrheit und Offenheit aufzogen , so müssen Sie fühlen wie schwer die Notwendigkeit , bis jetzt zu schweigen , mich drückte , und wie wichtig meine Gründe dazu sein mußten .
Sollte ich mich Ihnen nicht ganz verständlich machen , sollte mir Ihr Beifall fehlen , so beschwöre ich Sie , teilen Sie wenigstens die hohe Ruhe meines Bewußtseins , meiner Überzeugung und meinem König mein Leben geweiht , und vielleicht sogar meine Pflichten zum Opfer gebracht zu haben .
Lesen Sie die folgenden Blätter , und urteilen Sie selbst .
Ich verließ meine Heimat mit dem unbestimmten Verlangen , eine Richtschnur meiner Handlungen , einen festen Punkt für meine Grundsätze , einen Wirkungskreis für meine Kräfte zu finden .
Ihr ewig verehrter Wille war es nicht , mir durch Ihre Erfahrungen fortzuhelfen ; aber Sie hatten mir den Gehorsam zu wert gemacht , als daß ich mich einer Herrschaft , deren Weisheit ich anerkannte , hätte entziehen mögen ; und meiner Jugendfreunde unbegrenzte Vor liebe für Freiheit und Gleichheit verletzte zu oft mein verfeinertes Gefühl für das Schöne und Erhabene , als daß nicht immer gewisse Ahnungen in mir gelegen hätten , die nur einer glücklichen Entwickelung durch den Zufall bedurften , um mich meinen ganzen Beruf als Verteidiger eines beleidigten , edlen Königs fühlen zu lassen .
Von diesem unerwarteten Zufall , der mir eine würdige Laufbahn öffnete , bin ich Ihnen , mein teuerster Vater , Rechenschaft schuldig .
Ich langte in Paris an , ohne alle Bekanntschaft , ohne alle Lokalkenntnis ; ich folgte dem Strom des großen Haufens , der bald hier bald dort hintrieb , besuchte öffentliche Orte , beobachtete die Vorübergehenden , und fing schon an , mich in diesem Gewühl einsamer als in einer Wüste zu fühlen .
Die verschiedenen Meinungen , die ich um mich her äußeren hörte , waren wie Irrlichter , welche den Wanderer verwirren , indem sie ihm mehrere Ziele auf einmal zeigen .
Eines Abends stieß ich in den Elisäischen Feldern auf eine Gruppe von Leuten , die , um einen Mann versammelt , heftig gegen ihn stritten , und ihn mit den leidenschaftlichen ausdrücken belegte , welche die getreuen Anhänger unseres guten Königs seit einiger Zeit von der Wut des Pöbels leiden müssen .
Er wurde beschuldigt , Botschafter der Emigrierten zu sein , verfängliche Briefe zu bestellen , und dergleichen mehr ; im Vorbeigehen sah ich ihn seine Rocktaschen umkehren , wahrscheinlich zum Beweis daß er keine Papiere bei sich trüge ; der Mann wurde alsdann von dem Haufen fortgeführt , und ich verfolgte meinen Weg .
Kurz darauf da ich fünfzehn bis zwanzig Schritte weiter durch das Gras gegangen war , sah ich etwas farbiges zu meinen Füßen liegen : es war ein kleines buntes Säckchen , worin ich etwas rundes , wie eine Geldmünze , fühlte .
Neben mir war eine Allee von hohen Bäumen , in welcher nur wenige Fußgänger wandelten ; ich setzte mich hier auf eine Bank , um die verschlungene Schnur des Säckchens aufzulösen , weil ich es für erlaubt hielt , den Sparpfennig eines Schulknaben , wofür ich es hielt , in näheren Augenschein zu nehmen .
Ich zog eine Münze von der Größe eines drei Livresstüks , mit dem Bildnis der heiligen Jungfrau heraus , und ein kleines Blatt Pergament , worauf ein mit einem Pfeil durchbohrtes Herz gemalt war .
Der abenteuerliche Fund beschäftigte mich noch , als ein Mann , den ich schon ein Paarmal hatte vorbeigehen sehen , sich neben mich setzte ; ich schob meinen Hut auf die Seite , um ihm Platz zu machen ; indem er aber bloß seine Knieschleife band , sagte er mir in es Ohr : " um Gottes Willen , es geht auf Leben und Tod ! " stand auf , und ging mit einer leichten Verbeugung hinweg .
Anfangs ergriff mich der leise Zuruf ; als ich aber den Mann so sorglos seinen Gang fortsetzen sah , hielt ich ihn für verwirrt , und suchte mein Beutelchen , um den symbolischen Schatz , aus welchem ich nicht klug werden konnte , wieder hineinzustecken .
Da ich es nicht gleich wieder fand , griff ich mit der Hand zwischen der Bank und dem daranstossenden Baumstamm , weil ich es mit meinem Hut heruntergefallen glaubte ; ich zog es wirklich da hervor , und fand zugleich einen Brief , der , obschon zugesiegelt , ohne Adresse war .
Jetzt klopfte mein Herz , denn ich konnte mich nicht enthalten , den Inhalt des Beutels , den Ausruf des Unbekannten , und diesen Brief in Verbindung zu bringen .
Ich steckte meinen doppelten Fund schnell ein , und eilte nach Haus , um mit mir selbst zu beratschlagen , was Klugheit und Ehre mir unter diesen Umständen gebieten möchten .
Bald wurde es mir klar , daß ich den Brief öffnen dürfte und müßte .
Ich tat es , und fand ein Blatt , das wie der Inhalt zeigte an denjenigen gerichtet war , welcher die Münze und die kleine Miniatur besäße ; und aus einigen Umständen mußte ich vermuten , daß der Mann , den ich einige Minuten vorher vom Volk hatte misshandeln sehen , der Besitzer dieser Erkennungszeichen war , und vermutlich Geschicklichkeit genug gehabt hatte , sie beizeiten von sich in das hohe Gras zu werfen ; der Unbekannte aber mochte mich , weil der Zufall sie mir in die Hände gespielt hatte , und er bei jenem Auftritt nicht gegenwärtig gewesen war , für den nämlichen gehalten haben , dem er den Auftrag hatte , den Brief zuzustecken , und der besser darauf vorbereitet sein mußte , als er mich , nach meiner unvorsichtigen Art mit dem gefährlichen Geheimnis umzugehen , wirklich fand .
Den übrigen Inhalt des Blattes muß ich verschweigen ; durch den Zufall , der dasselbe und ein Paar andere dabei gelegene Schriften in meine Gewalt brachte , fand ich mich so glücklich , Personen zu retten , denen ich meine jetzige Wirksamkeit zu verdanken habe . " - - - Hier folgte eine weitläufige Zergliederung des royalistischen Systems , dem Theodor mit der treuen Ergebung eines Sülly , und der Blindheit eines jungen Ehrgeizigen anhing .
Seine ganze Erzählung , sein ganzes Raisonnement bewies deutlich daß bei manchen von den wichtigsten Anhängern dieser Partei selbst eben so viel Schwärmerei als Ehrgeiz im Spiele war ; sonst hätten sie nicht so ungeprüft den Talenten eines Jünglings vertraut , der ohne Erfahrung und Menschenkenntnis leicht jedem geschickteren Menschenangler in die Hände fallen konnte .
Mit Theodor gelang es ihnen indessen völlig , er ergab sich ihnen mit Ehre und Gewissen ; und die heilige Genoveva glaubte kein gottgefälligeres Werk zu tun , indem sie ihre Schiffer so teuer bezahlte , als der verblendete Jüngling , indem er , bald Spion bald Verräter über die Grenzen reiste , in den Provinzen umherstrich , und das Feuer verbreiten half , das zu löschen nun schon Ströme von Blut nicht hingereicht haben .
Ein Wort des kunstreichsten aller Weiber , ein Blick von ihr , in welchem wo es nötig war eine Träne des Dankes glänzte , ihre rührenden Aufforderungen im Namen ihrer reizenden Kinder , entzündeten in diesem , wie in manchem stärkeren und reiferen Kopf eine Begeisterung , die glühender war , als die himmlischen Visionen um derentwillen mancher Märtirer sich in den Scheiterhaufen stürzte .
Nachdem die Flucht des Königs mißlungen war , arbeitete man unermüdlich an anderen Entwürfen .
Theodor erhielt Aufträge nach ** , und dort hätte die unverbesserliche Torheit der ** ihm bald die Augen geöffnet , indem sie seinen , nun fast zur Höhe der Sphäre , in welche er sich verloren hatte , emporgewachsenen Stolz beleidigte .
Die ** achteten eines Abgeordneten wenig , der ohne glänzende Titel mit aller Wärme eines redlichen Dieners die Vorteile seines Herrn sich angelegen sein ließ ; und er hatte auf dem Schauplatz des Greuels einer gewissen Ansteckung nicht entgehen können , die gegen die bei Zeiten gerettete Glaubensreinheit der ** und ihres Gefolges genug anstieß , um ihn in ** bei einem Haare in den Ruf eines **** zu bringen .
Die Nebenabsichten mancher seiner Helden erschienen ihm bei der höhnischen Behandlung , die er erfuhr , in einem weniger trügenden Lichte , und er stutzte vor der Aussicht , die vor ihm zu dämmern anfing .
Unglücklicher Weise äußerte er die Betrachtungen , die in ihm aufstiegen , ohne alles Hehl gegen seine Oberen , und sie erschraken , einen Menschen , dem so wichtige Geheimnisse anvertraut waren , am Rand eines Abwegs zu sehen .
Er wurde sogleich zurückgerufen , und durch einen neuen Zauber gefesselt .
Sein ganzes Wesen und seine Kenntnis der deutschen Sprache , die er seinem Vater zu verdanken hatte , machten ihn für Geschäfte an deutschen Höfen vorzüglich geschickt :
es sollte ihm jetzt ein solches aufgetragen werden , dessen Wichtigkeit einen Vertrauten zu fordern schien , der mit den unauslöslichsten Banden an den Hof gefesselt wäre .
In dieser Rücksicht verstand sich der Graf Vieilleroche zu dem Opfer , Theodorn als seinen Schwiegersohn anzunehmen .
So verlieren diese Menschen den einfachen Faden der Glückseligkeit immer unwiederbringlicher im Labyrinth des Lebens !
Wie hatte jene Zeit sich verändert , da Seldorfs Familie ihre Freuden und ihre Pflichten noch in dem kleinen Kreis ihrer ländlichen Heimat beschränkte ; da sie das Bewußtsein hatte , durch Liebe und Güte mit der Menschheit abgerechnet zu haben ; da Theodor an Rogers Arm zur heiteren Sara eilte , und Seldorfs still leidendes Gesicht von dem Lächeln der Hoffnung erhellt wurde !
Jetzt keimte über dem Schutt von Seldorfs Haus das Gras langsam empor , weil Hoffnungslosigkeit die Hand des Eigners gelähmt hielt ; Sara weinte am Krankenlager des vom Kummer entstellten Vaters , und hinter ihrem schönsten , tröstendsten Gefühl lauerte ihre künftige Hölle ; Roger lenkte mit wundem Herzen alles Feuer seines Willens und die feste Redlichkeit seiner Grundsätze auf ein blutiges - unsicheres Ziel ; und Theodor wurde das blinde Werkzeug des selbstsüchtigen Stolzes und der Unterdrückung , er dünkte sich über die Schwächen der Menschheit erhaben , indem er aus kaltherzigem Ehrgeiz der hirnlosen Erbin eines großen Namens seine Hand gab , indem er einem Geschöpf ohne Tugend und Weiblichkeit zuschwor , nie einer anderen zu gehören .
Wir wollen ihn selbst hören die Täuschungen auseinander setzen , in welche er sich wiegte .
" Der erste Vorschlag dieser Heirat überraschte mein eigennütziges Herz .
Ich hatte das Fräulein Vieilleroche bei einigen Gelegenheiten gesehen ; und von dem Augenblick , da ich sie mir als meine Gattin dachte , drängte sich Sara's Bild neben sie , und mit allen Reizen der weiblichen Tugend umstrahlt , schien ihr Vestalinenblick mich zu fragen : ist dieses das Ideal , das deine Sara verdrängen darf ?
Mit Schauder sah ich die mir bestimmte Braut neben diesem heiligen Bilde ; wenn es meinem Auge gelungen war , durch die Verstellung der Kunst bis zu ihrem wahren Gesicht zu dringen , so scheuchte mich ihr kalter , unsteter , Lebhaftigkeit nachäffender Blick , und die blasse Wange , und der erschlaffte , nichts sagende Mund , auf welchem leeres Lächeln und die Härte des Stolzes abwechseln - O mein Vater , hatte ich für dieses Weib mein Herz neu und meine Sinne rein erhalten in meiner glühenden Jugend ?
Ich zerfleische wieder mein innerstes Gefühl , indem ich Ihnen die Größe meines Opfers schildre .
Um mir aber einen Schwiegervater , eine ganze Familie zu verbinden , deren Ehre und Sicherheit es ihr nun zur Pflicht auflegen , mir in meinen Unternehmungen beizustehen , um die Stützen des besten Königs , der erhabensten Frau fester zu gründen , siegte ich über mein widerspenstiges Herz .
Ich schied auf ewig von allen Ansprüchen auf häusliches Glück - Vater ! möge Sara Ihnen bald mit einem würdigen Gatten die Schwiegertochter ersetzen , die Ihrem Herzen ewig fremd sein wird !
Es war eine Zeit , wo ich ihn zu wissen glaubte , den Mann , mit welchem ich den Namen Ihres Sohnes zu teilen gewünscht hätte ; jetzt müßte ich zittern , wenn mich meine angebetete Schwester zwänge , in meinem Bruder einen Rebellen zu erkennen . - -
Ich kann mich über so manche , zum Teil äußerst peinliche Schritte , zu denen mich meine Lage und meine Überzeugung zwingt , nicht deutlicher erklären .
Verzeihen Sie Ihrem Sohn die letzte Schwäche , die er sich erlaubt : Ihnen zu sagen , daß es schwere Pflichten sind , die mir geboten , so manche Neigung zu ersticken , so manches schöne Gefühl meines Herzens zu ewigem Schweigen zu verdammen , so manchen lange geehrten Grundsatz beiseite zu stellen , und mir für diese eiserne Zeit so zu sagen ein neues Gewissen zu machen Die Weichheit , welche diese Klagen verrät , ist nicht in meinen Handlungen ; ich gehe mutig auf meiner Bahn fort .
- Stürzen wir die Rotte von Elenden und Schwärmern , die sich zwischen das betrogene Volk und dessen gütigen Vater gelagert hat , so ist mein Los das schönste , höchste !
Und sinke ich früher an den Stufen des erschütterten Throns , so entschädigt mich ein Blick des vortrefflichsten Königs , den er meiner Treue nicht versagen wird .
Ihr Wechsler wird Ihnen berichten , daß er das Kapital , welches er von Ihnen in Händen hatte , auf meine Veranstaltung als Darlehn ausgeliefert hat , wo es für das Herz eines treuen Bürgers die reichsten Zinsen trägt .
Ich weiß , daß mein Vater diesen Lohn seiner geleisteten Dienste willig dem Wohl des Vaterlandes aufopfern wird .
Durch eine glückliche Wendung der Dinge werden Sie mehr wie entschädigt , und meine edle Schwester beklagt es sicher nicht , daß sie ihrem Bruder dazu verhalf seinem Herrn zu dienen .
Ihr Wechsler , welcher der guten Sache ganz ergeben ist , hat keine Schwierigkeit gemacht , meine Ordre als gültig anzuerkennen .
Die Sicherheiten für die Wiedererstattung sind zu heilig , um mich länger darüber auszubreiten . " - - - Wie dunkel , unverständlich und schmerzlich der Inhalt dieses Briefes für Sara sein mußte , wird man leicht begreifen , wenn man die reine Einfalt ihres Herzens , die großmütige , sich selbst immer vergessende Schwärmerei ihres Geistes , und jenes noch nie erschütterte Vertrauen auf die Gegenstände ihrer Liebe in Erwägung zieht .
Das Raisonnement ihres Bruders schien ihr matt und schief , seine Handlungsweise falsch und knechtisch , und doch traf sie allenthalben Spuren seines Herzens ; sie sann lange nach , und je mehr sie sann , desto mehr verwirrten sich ihre Gedanken , bis sie sich endlich in dem ängstigenden Bilde verloren , als sähe sie ihren Bruder von fremden , widrigen Gestalten fortgezogen , neben einem grausenvollen Abgrund hinstürmen .
Vater , er hätte nie aus unseren Armen gesollt , rief sie endlich mit hochatmender Brust , und einer Bangigkeit als sähe sie ihn stürzen ; Roger sagte es wohl , und ich weinte umsonst !
O Theodor , wenn ich dein Unglück doch wenigstens verstünde , wenn ich nicht scheu davor erschräke wie vor einer bösen Tat !
Sage mir , Vater , tut er recht ?
Kann er sich ein neues Gewissen haben machen müssen ?
Ein neues Herz , Theodor , kannst du dir nicht machen ; und dein neues Gewissen wird dein treues schönes Herz zermalmen . -
So weinte und klagte sie neben ihrem Vater , der mit festem gesammeltem Ernst ihren weiblichen , jugendlichen Schmerz austoben ließ .
Wie sie stiller ihr Haupt auf seinen Schoß lehnte , redete er sie mit einer Stimme an , die seine gewaltsame Bemühung , ohne Leidenschaft , ja wenn er es vermöchte , ohne Empfindung zu sprechen , ausdrückte ; es war der entkräftete Nachhall des Schmerzens in der Ruhe dieser Stimme , und wo sein Gefühl ihn zu überwältigen drohte , ein allmähliches Verstummen , worauf sein Ton kalt und hohl , wie die eherne Stimme des Todes wieder anhob .
Er erzählte ihr seine Jugendgeschichte , bis zu dem erst spät bei ihm entstandenen Wunsch , in die Verhältnisse des ehelichen Lebens zu treten .
Um aus Liebe zu wählen , war seine Vernunft zu lange an die Oberherrschaft gewöhnt ; um ohne alle Leidenschaft , bloß aus kalter Achtung sich zu entschließen , war sein Herz zu gefühlvoll .
Die Ungewißheit , welche die Folge einer solchen Stimmung war , dauerte eine Weile fort ; denn die meisten Mädchen , unter denen er sich umsah , fand er ohne allen Charakter , so lange keine Leidenschaft sie anregte , und selbstsüchtig , falsch gegen sich selbst , sobald ein unmittelbares Interesse auf dem Spiel war .
Der Gegenstand seiner zärtlichsten Freundschaft war unterdessen ein junger armer Edelmann aus der Provinz , der mit Mut , Einsicht und Menschlichkeit unter ihm gedient , und zu dessen Bildung er jede Gelegenheit benutzt hatte .
Einst kam Seldorf nach einer ziemlich langen Abwesenheit nach Brest zurück , wo sich sein junger Freund unterdessen aufgehalten hatte , und er bemerkte bald eine Veränderung in seinem Betragen , die ihn anfangs für seine Sitten , bald aber für seinen inneren Frieden besorgt machten .
Zutraulich und Zutrauen erwartend sprach er ihm zu , und bat ihn um die Entdeckung der Ursache seiner ungewöhnlichen Stimmung .
Der junge Mann schien heftig gerührt , blieb lange unentschlossen , und sagte ihm endlich , daß sein Geheimnis nicht sein ausschließliches Eigentum wäre , und daß es jetzt sein schwerster Kummer sei , sich ihm nicht offenbaren zu dürfen .
Seldorf kannte seinen offenen und einfachen Charakter , er drang also nicht weiter in ihn , sondern beschwor ihn bloß , sich die Gewalt über sein Geheimnis zu verschaffen .
Die zwei folgenden Tage besuchte er einige Bekannte auf dem Land ; am dritten erfuhr er auf dem Heimweg daß ihn sein Freund an mehreren Orten , wo er ihn vermutet , ängstlich gesucht hätte ; und wie er des Abends in sein Haus trat , fand er die offizielle Meldung , daß der Leutnant ** sich heute geschlagen hätte , und im Zweikampf tödlich verwundet worden wäre .
Seldorf forschte nach seinem Aufenthalt , man hatte ihn in ein abgelegenes Haus geschafft ; es war schon Nacht da Seldorf in sein Zimmer trat , der Verwundete lag in tödlicher Mattigkeit auf einem Bett ; seine Rettung war unmöglich , und bei der ersten Wallung mußte sein Leben entfliehen .
Ein Schimmer von Freude glänzte auf dem Gesicht des Sterbenden , er winkte den Anwesenden , um mit Seldorf allein zu sein , und sagte eilig , als wollte er dem Tod zuvorkommen : Mein Vertrauter können Sie nicht mehr sein , wohl aber mein Retter vor Verzweiflung im Tode .
Die Tochter des *** hat mir ihre Liebe geschenkt , ich betete sie an , ich vergaß meine Lage .... sie mußte mein Weib werden , damit ihre Ehre gesichert - Hier hörte ich , sagte Seldorf , einen leisen schnellen Schritt sich der Türe nähern , ich legte mechanisch den Finger auf den Mund meines unglücklichen Freundes , die Leute im Vorzimmer schienen sich zu bewegen , die Türe öffnete sich , und ein verschleiertes Weib flog auf das Bette zu : Neben deiner Leiche soll meine Schande kund werden , rief sie wild - ** hatte meine Hand mit einer von den seinigen gefaßt , er nahm jetzt mit der anderen die rechte der Verschleierten , die sie gegen ihn ausstreckte , richtete sich auf , und sagte mit festerer Stimme : Sie ist rein wie Schnee , sie ist meine Witwe ; Seldorf , um die Unschuld zu erhalten , sein Sie so ihr Retter - Er legte ihre Rechte in die meine , drückte sie fest zusammen , beugte sich über beide ..... ein Strom von Blut quoll aus seiner Wunde ; er war tot ! -
Nach einer Weile fing Seldorf leise und ausdruckslos wieder an : das Mädchen war schwanger , und der Vater gab sie mir , weil er nicht hart genug war sie ins Kloster zu stecken , und ich sie ohne Aussteuer nahm ; denn der Mann hatte drei Söhne , und war so arm wie adlig .
Eure Mutter empfing meine Hand , als das heilige Vermächtnis ihres ersten Gemahls , mit dem Schmerz und dem Dank der ihr zukam .
Ich war sehr glücklich ; ein Gefühl lebhaft wie die Liebe , und nicht trügend wie sie , verband mich mit einem jungen , reizenden , für jedes Schöne empfänglichen Weibe , deren moralisches und bürgerliches Dasein mein Werk war .
Wir verreisten nach unserer Hochzeit ; ein unglücklicher Zufall machte mich an dem Krankenbett eurer Mutter es beweinen , nicht der Vater von meines edlen ** Waise geworden zu sein .
Theodors und deine Geburt erhöhten nach und nach das Glück meiner Ehe .
Einsam auf einem kleinen Landgut , das ich an den Bretagner Küsten gekauft hatte , verlebte ich die Zeit , die mein Dienst mir übrig ließ , in dem süßesten Frieden .
Deine Mutter war jünger noch wie ihr Alter , sie schien durch den schrecklichen Tod ihres ersten Gemahls von jeder heftigen Leidenschaft geheilt , und sie behielt bei der abgesonderten Lebensart , die wir führten , ein Gepräge von kindlicher Einfalt , das mein weiches Herz entzückte .
Ich hätte ihrem Glück mehr wie mein Leben geopfert ; es gab Stunden wo ich in ihren innersten Gefühlen zu lesen glaubte , und ich sagte zu ihr :
du bist jung wie ein Kind ; wenn dein Herz , das gewiß mehr erstarrt als kalt ist , sich einst erwärmen sollte , laß mich dieses liebe Herz dann lenken - -
Der amerikanische Krieg brach aus , ich ging an meinen Posten , und stand treulich einem Volke bei , das nicht wie deine Landsleute durch Verbrechen sich zur Tugend und zum Glück aufschwingen wollte .
Zwei Brüder deiner Mutter fielen bei Gibraltar ; ihr Vater hatte trotz seines Standes noch so viel menschliches Gefühl , seinen Schwiegersohn zu schätzen , und ihm das Glück seiner Tochter anzurechnen .
Er rief sie jetzt zu sich nach Paris , um ihn zu trösten , sie mußte aber bald ihm die Augen zudrücken , und sie blieb in der Hauptstadt , in den Händen ihrer Schwägerin und einiger anderer Weiber dieses Standes .
Nach fünf Jahren kam ich zurück , mit festerem Glauben an Menschenwert und Menschenglück als ich je gehabt hatte , stolz , meinem sanften Weibe diesen gelähmten Arm zu zeigen - ich sehnte mich , meinem Theodor zu sagen :
Dieses Blut floß der Freiheit .
Ich kam zu meiner Gattin , und fand Kälte , Verlegenheit , künstliche Liebkosungen , ich fand sie für mich verloren - ich bat sie innig , väterlich - ja väterlich !
Ich sagte :
du bist schön , jung , du bliebst allein - kannst du in dem veralteten , verstümmelten Freund den Gatten nicht mehr lieben , so sprich - Erinnere dich , daß ich um deines Glückes Willen deine Hand erbat , und dir nun Jahrelang das meinige danke . -
Es gelang mir nicht , ihr Herz zurückzuführen ; sie beteuerte , daß ich sie misverstünde .
Ein streitiges Dienstgeschäft , das mir der unsinnige Hochmut meines Gegners , eines der schamlosesten Weichlinge im Seedienst , zur Ehrensache machte , indem er alle müßigen Höflinge aus seiner Familie gegen mich aufhetzte , gab mir so viel außer dem Haus zu tun , daß ich deine Mutter wenig sah , und noch nicht Zeit gehabt hatte , in ihre Vergnügungen und Bekanntschaften , die mir sehr zahlreich schienen , näher einzugehen - Seldorf wurde hier unruhig , er suchte sich zu fassen , fing ein Paarmal wieder an , und fuhr endlich fort , als eilte er bei einem gräßlichen Gegenstand vorüber :
Einen Abend schien sie mir befangener als jemals ; ich wiederholte meine herzlichen Bitten um Vertrauen , meine Beteuerungen daß ich sie als völlig frei ansähe .
Sie nahm eine hinreissend liebenswürdige Wehmut in ihren Antworten an , wiegte mich in Zärtlichkeit und Hoffnung ein ; und ich überredete mich , seit meiner Rückkehr zum erstenmal in ihren Armen , nicht sie , sondern die Gegenstände um sie her hätten sich verändert .
Mit der frohen Erwartung , bald in unsere Einsamkeit zurückzukehren , trennte ich mich von ihr , um nach Mitternacht auf mein Zimmer zu gehen , das ich am folgenden Morgen sehr früh wieder verließ , weil mich Geschäfte aus dem Haus riefen .
Ich war sonst nie so zeitig zu ihr gegangen , weil wir , da wir noch bei ihrer Schwägerin wohnten , von der Lebensart dieser Frau abhingen ; diesen Morgen .....
Er atmete tief , seine Lippen zitterten , er blickte endlich streng auf Sara's bang horchendes Gesicht :
Ehre deines Vaters Schwäche , sie war auch der Keim seiner Tugend .
Ich ging durch den Garten , von welchem eine kleine Treppe in ihr Zimmer führte .... ich trat ein , sie rief erschrocken ..... der Elende , der ihr Bett teilte , war der Graf Vieilleroche , meines Feindes älterer Bruder , der Vater von Theodors Braut ! - - Sara tat einen lauten ächzenden Schrei , und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen .
Seldorf fuhr fort :
Ich mußte vor der Welt meine Schande entdecken , oder sie ewig auf meinem Herzen tragen .
Die Unglückliche gab mir ihr Schicksal in die Hände , und ich legte die Last dieses Bewußtseins auf mein Herz .
Nach wenigen Tagen wurde ich krank , die Unglückliche umschlang meine Knie - sie war es ! -
sie war schwanger - Antoinette - -
Seine Zähne schlugen wie im Fieberfrost zusammen , Sara lag mit ihrem Kopf auf seinen Knien , und schluchzte : Genug , genug !
Laß dich versöhnen , sie ruhen im Grabe -
Eine lange tote Stille folgte jetzt , während deren Seldorfs Schmerz in kalte Erstarrung überging : sein Gedächtnis erleuchtete die Vergangenheit , wie der Mond ein Schlachtfeld erhellt , unempfindlich gegen die Schrecken die aus der Finsternis hervorgehen .
Mit unverrücktem Blick sah er vor sich hin , und sprach mit eintöniger Kälte weiter :
Ich traf sogleich alle Anstalten , um das Haus meiner Schwägerin zu verlassen , ich untersagte meinem unglücklichen Weib allen Umgang mit den Menschen , die sie bisher gesehen hatte ; Fremde hielten mich für einen Sonderling , die Familie meines Gegners sah es als Haß an , der Elende , der sein Leben von mir erbettelt hatte , wurde trotziger .
Er hatte die Frechheit , in der Sache seines Bruders mit mir zu sprechen , er unterließ indessen die Vorsicht nicht , es vor Zeugen zu tun .
Die Verachtung die ich ihm bewies , und für welche er mir innerlich Rache schwor , ohne den Mut zu haben seine Empfindlichkeit zu äußeren , brachte alle meine Gegner noch mehr auf ; man erregte eine schändliche Kabale gegen mich , und ich sah mich auf dem Punkt , schimpflich meines Dienstes entsetzt zu werden .
Seit dem letzten Geständnis meiner Frau hatte ich sie nicht wieder allein gesprochen ; mein verirrtes zerstörtes Gefühl weidete sich an dem bitteren Possenspiel von ehelichem Frieden , das ich vor den Hausbedienten und den wenigen Fremden , die wir sehen mußten , spielte ; in der Stunde , wo ich die Nachricht meiner unvermeidlichen öffentlichen Entehrung erhielt , drang ich in ihre Einsamkeit , um sie mit dem Fortgang ihres Verbrechens bekannt zu machen .
Ihr verschloßenes Gesicht wurde bei meinen Worten noch finsterer , sie zeigte mir einen Dolch , den sie gegen ihre Brust hielt : Du kannst mir das Leben nur bis zu einem gewissen Punkt aufzwingen , über den hinaus bist du mein Mörder !
- Erniedrigt und beschämt verließ ich sie .
Den Tag wo meine Sache entschieden werden sollte , langte eine Gesandtschaft von allen Subalternen der Flotte an ; meine braven Kameraden drohten mit unwiderlegbaren Anklagen gegen alle Oberen , man zitterte vor den Folgen ; die redlichen Seemänner führten mich in den Gerichtssaal , und empfingen die abgedrungene Gerechtigkeit , die ich erhielt , mit einem Freudengeschrei , das in meinem verwüsteten Herzen öde verhallte .
Sie begleiteten mich bis in mein Haus , verlangten mein Weib zu sehen , und ein grauer Seeoffizier küßte ihr im Namen aller meiner Kameraden die Hand , weil sie durch einen heimlich von ihr nach Brest abgesandten Expressen erfahren hatten , in welcher Gefahr sich ihr Waffenbruder befand .
Wie sie mit sanfter Würde ihnen dankte , meiner mit einer ehrerbietigen , feierlichen Bewunderung gedachte , und dann in ihr Zimmer zurückging , fühlte ich mich nahe daran , durch den Zwang , den ich mir antat , den Verstand zu verlieren .
Ich nahm nun meinen Abschied , den die Vorstellungen , welche der König dagegen machte , und der laut ausgedrückte Schmerz aller meiner Kameraden ehrenvoll machten .
Von dem Zeitpunkt bis zu ihrem Tod lebten wir wie zwei verdammte Geister , die um dasselbe Grab zu wandeln verurteilt wären .
Unauflöslich zusammen an die Vorstellung der Vergangenheit geschmiedet , schauderten wir auseinander , so oft eure kindische Unbefangenheit oder irgend ein Zufall uns erinnerte daß es eine Gegenwart gab .
Ich haßte sie nicht , wahrlich nicht ! -
aber ihr fürchterliches Verstummen ließ mich nie über den Abgrund , der uns trennte , einen Weg entdecken .
Antoinette wurde geboren .
Der Keim des Todes , den sie bei ihrer Geburt mitbrachte , von dem schwärzesten Gram genährt , endigte eurer Mutter Leben .
Ihr schimpfliches Leiden , das sie mit unveränderter Fassung ertrug , beugte mich endlich bis zum wehmütigsten Schmerz .
Vierzehn Tage pflegte ich sie mit schonender Sorgfalt , ich wachte und weinte an ihrem Lager - wie der herannahende Tod ihr Auge schon verdunkelte , und keine Bitte etwas über ihr entsetzliches Stillschweigen vermochte , drückte ich ihr Kind an meine Brust , und sagte : Du verkennst mich bis ins Grab , aber diese Verlassene soll mir deine Grausamkeit mit Liebe ersetzen !
- Sie richtete sich in die Höhe , ihr brechendes Auge sah mich mit wilder Starrheit an , und sie sprach : Eigennutz und Herrschsucht waren die Quelle deiner Wohltaten :
ich sollte dein Geschöpf sein , und das Glück , das ich nicht aus deinen Händen nahm , wurde mir zum Verbrechen ; deine Sklavin hat dich betrogen , und ihre unendliche Verdammnis bewies dir , daß sie den Wert ihres Herrn kannte .... ich verzeihe dir mein Elend , diese hier folgt mir nach - - sie ergriff das Kind , zog es auf ihren Schoß , und hielt es fest , bis der Tod nach wenigen Minuten ihre Hand erschlaffte . - -
Ich habe sie nie verstanden ; ein undurchdringliches Dunkel verhüllt den Weg , auf welchem sie ins Verderben wandelte .
Zwölf Jahre lebte ich nur um ihres Glückes Willen , und ihr sterbender Mund beschuldigte mich , ihr Despot gewesen zu sein .
Ihr seid Zeugen meines übrigen Lebens gewesen ; Antoinette hat ihr nun gesagt , ob ich Wort hielt . - -
Schreibe deinem Bruder , Sara , ich beföhle ihm sogleich zu uns zu eilen ; die Verbindung mit der Tochter jenes Verworfenen wäre unnatürlich und schändlich , aber sage ihm auch noch , daß keine Verbindung , von welcher Art sie sein mag , mit irgend einem aus dem verhaßten Stande , um dessen Gunst er so schimpflich buhlt , je meinen Segen haben wird ; sage ihm , daß er dem Namen meines Sohnes , oder dem Bündnis mit diesen Menschen entsagen soll .
Höre , Sara , höre diese Worte , und mache , daß dein Bruder sie fühle .
Meine letzte Kraft ist mit dieser Nacht von mir gewichen , rede mir nie von dem , was sie dir entdeckte , nutze es für deine Zukunft , und ehre mein künftiges Stillschweigen .
Seldorf zeigte nun auf die anbrechende Morgendämmerung , und hieß ihr , sich zur Ruhe begeben .
Sie verließ ihn gern , denn ihr Geist erlag beinahe unter der Menge von Eindrücken , die er heute empfangen hatte .
Wie sie aber ihr Zimmer verschlossen hatte , und sich allein sah , und die Entdeckungen dieser Nacht einzeln vor ihrer Fantasie vorübergingen , da erschien ihr die Welt in einem neuen feindseligen Lichte , und es fing ihr an vor der Stille um sie her zu schaudern .
Daß es Bosheit unter den Menschen gäbe , war bisher fast nur durch Tradition auf sie gekommen ; denn das Schrecklichste , was sie von ihnen erlitten hatte , die Verwüstung der väterlichen Wohnung , hatte kaum einen anderen Eindruck bei ihr zurückgelassen , als wenn das Feuer des Himmels ihre Heimat vertilgt hätte : die Menge der Frevelnden , und die Vielseitigkeit der Veranlassung verwischten die Bitterkeit gegen jeden unbekannten Einzelnen aus ihrem Herzen .
Sie hatte Zeitlebens nur geliebt , nur vertraut ; und alle Verhältnisse , die äußerlich den ihrigen glichen , hielt sie für innig und beglückend wie die ihren , so lange sie das Gegenteil nicht wußte : alsdann aber schienen ihr die tadelhaftesten Menschen nur unglücklich , und Unglückliche konnte sie nur beweinen , und zu trösten wünschen .
Jetzt zum erstenmal trat die Larve des Betrugs , der Sünde , der Leidenschaft vor ihr jungfräuliches Auge , das noch keine Lüge erkannt hatte ; und ihr war zu Mute , wie einem Kind , das in den Armen der Mutter eingeschlafen , unter fremden Menschen er wachte .
Das Zutrauen der Unschuld war dahin , in ihrem noch durch keinen Argwohn entheiligten Herzen war ein Schauder vor der Menschheit aufgeregt -
denn die Menschen hatten ihre Mutter vernichtet , hatten ihren Vater betrogen , sie wollten ihr jetzt ihren Theodor entreissen .
Aber ihr Vater blieb ihr , und L , und Roger - und auch Berthiers graues Haupt war von keinem Betrug belastet - Sie fühlte ihr Herz glühen in Liebe , sie hätte diese alle um sich versammeln , sie ewig um sich bannen mögen , wie auf einem Schiff , das der Sturm umherschleudert und die Wellen peitschen , die Menschen die sich lieben , sich näher zusammendrängen , und das Geheul der Winde sie weniger schreckt , wenn sie mit den Augen den kleinen Haufen überzählen , und keiner fehlt .
Sara hätte gern die ganze Welt vergessen , wenn nicht Theodor ihr noch angehangen hätte .
Sie ging eifrig daran , ihm den Befehl ihres Vaters so unausweichlich als möglich zu verkündigen ; und wenn er dann zurückkehrte - dann schwärmte das holde Geschöpf sich eine Rückkehrende Jugendzeit vor ; das Schloß wurde aufgebaut , der Garten blühte wieder ; mit den beiden Freunden ihrer Kindheit verbunden wandelte L - aber auf einmal vor Schrecken erstarrt ließ ihre Hand die Feder fallen , wie sie des Vaters Schwor niederschrieb , nie einer Verbindung mit jenem Stande seinen Segen zu geben .
Er hatte zweimal mit so furchtbarem Nachdruck gerufen : höre es , Sara , höre es , und mache , daß dein Bruder es fühle - Wollte er auch sie treffen , da er Theodors Urteil sprach ?
Von allen Seiten geängstet , mit erschöpfter Kraft und verweintem Auge ging sie an ihre Hausgeschäfte , und sehnte sich , des Denkens müde , nach der Stunde , wo der Anblick ihres Freundes allen Kummer hinwegzaubern würde .
Arme Sara , du ahntest nicht , welch ein giftiger Tau nun schon auf die Blüte deiner Liebe gefallen war !
Der Augenblick erschien , und sie eilte L entgegen , wie am stillen Gestade jenseits die müden Sterblichen auf den Quell der Vergessenheit zuwandeln .
Aber zwischen sie und den Geliebten hatte sich des Vaters Geheimnis und des Vaters Schwor gestellt , und verstimmte den reinen Ton der Liebe , ehe er von Herz zu Herz gelangte .
Bei jeder Träne , die ihr Auge füllte , bei jeder trüben Ansicht der Dinge , auf welcher ihre glühende Fantasie ruhte , bei der bangen Traurigkeit selbst , mit welcher sie die süßen Bande zwischen ihr und ihrem Freunde fester anzog , fühlte L , daß in ihrem Geist etwas vorgegangen war , was ihm unbekannt blieb .
So oft Sara mit gewohntem zärtlichem Hingeben sich an ihn zu lehnen im Begriff stand , so oft er mit Wort und Blick die Geliebte ansprach , schallten Seldorfs Worte in ihr armes Herz , und schreckten Trost und Zärtlichkeit zurück .
Der Ausdruck von Fehlschlagung oder Unruhe in L es reden dem Gesicht überwältigte wohl jene Phantome , und ihre Zärtlichkeit wurde durch wehmütige Reue erhöht , bis eine neue Frage , eine neue Anregung die traurigen Bilder wieder hervorrief .
Manche Zusammenkunft verstrich in dieser gefährlichen Stimmung , wo Furchtsamkeit , und Schmerz den Geliebten zu stören , Neugierde , Unruhe , und endlich Eifersucht in der Seele des Mannes die Harmonie des Gefühls in Ungleichheit wandelt , und die Leidenschaft bis zur verderblichsten Spannung reizt .
Diesen Zeitpunkt in Sara's Schicksal mag jedes Weib , welche diese Blätter liest , mit der Kenntnis , die sie von ihrem eigenen Herzen und ihrem Geschlecht hat , ergänzen ; die Erzählung muß hier mangelhaft bleiben . - -
Weib oder Mädchen , die du deine Würde anders als im Zulächeln der bunten Menge erkennen lerntest , fühle die bittere Angst der reinen schuldlosen Sara , als sie in einem Augenblick ungerechten Vorwurfs und Zornes in L es Arme gesunken war , und der Unsinnige - das kostbarste Pfand ihrer Reue raubte !
Nein , ihr guter Engel weinte nicht in dieser Unglücksschwangeren Stunde , er weinte nicht - aber er blickte ernst und wehmütig auf den schweren Pfad , den nun seine Schwesterseele zu dem Ziel der Verschönerung zu wandeln hatte .
Auch Sara weinte nicht , wie L zu ihren Füßen lag , wollusttrunken ihre Knie umfaßte , und er rief :
du bist mein , du bist mein ! -
Sie weinte nicht , aber erschüttert von dem Taumel der eben verflossenen Stunde , die zwischen der Vergangenheit und allen Bildern der Zukunft eine ewige Scheidewand niedersenkte , mit dem Blick des Schreckens , als wollte sie in mitternächtlicher Dunkelheit eine Erscheinung festhalten , taub gegen seine freudejauchzende Stimme , fühllos gegen die feurigen Küsse , mit denen er ihre Hände bedeckte , riß sie sich von dem Rasen auf , ging langsam und staunend unter dem abgefallenen Laube der hohen Ulme umher , die sie verhüllt und verraten hatte , und blieb endlich vor L stehen , der auf den Boden hingelehnt ihr mit lächelndem Siegerblick zusah .
Ist es möglich ? rief die Unglückliche mit hohler Stimme und fest verschlungenen Armen - Ist es möglich ? wiederholte sie , und verhüllte ihr Gesicht , indem sie von neuem auf und niedergieng .
L erhaschte einen Zipfel ihrer Kleidung , den er lebhaft küßte , ehe ihr rascher Schritt sie dahin riß .
Sie ging , und kehrte zurück , faltete die Hände , kniete einen Augenblick , stand auf , und trat noch einmal zu L , der bei dem Anblick ihrer zunehmenden Heftigkeit ihr entgegengegangen war .
Sie legte ihre kalte zitternde Hand auf seine Schulter , und sagte mit dem Ton der kältesten Verzweiflung : wußtest du , was du übernahmst , wie du der Gottheit die Zügel meines Schicksals entrissest ?
Weißt du , daß jede Folge dieser Stunde auf deiner Seele lastet ? -
Sara ! rief er sanft und drückte ihre Hand an seine Lippen - Sara , mein süßes Weib , rief er und drückte sie fest an mein Herz ; was du sagst ist wahr , und erfüllt mich mit einer Freude , die unaussprechlich ist - Bei dem Worte Weib war die Arme zusammengefahren : Nein , nicht Weib !
Nie , nie ! -
Er sah sie forschend und streng an :
Warum nicht mein Weib ?
Frage die Natur um uns her , die Zeugin unserer Seligkeit war , frage dein Gewissen und die Rechte der Menschheit , ob du nicht mein Weib bist ? -
Die wilde Verzweiflung , welche jedes andere Gefühl in ihrem Herzen erstickt hatte , konnte diesen Waffen nicht widerstehen ; ihr Haupt sank auf L Schulter , und unter den stillen Tränen , die sie weinte , kehrte die Wärme des Lebens wieder in ihre erstarrten Hände , in ihr erblaßtes Gesicht zurück .
In Sara's Lage , deren völlige Hilflosigkeit sie entweder vernichten oder zum Kinderglauben zurückführen mußte , konnte diese Spannung nicht dauern ; L kannte das Herz , das sich ihm so unbedingt ergeben hatte , zu gut , um nicht zu wissen , wohin er ihren dumpfen Schmerz zu leiten hatte .
Eine Viertelstunde reichte nun hin , um ihn hinter Seldorfs Geheimnis , und seinen Schwor , der Veranlassung zu Sara's Schwäche und ewig verschloßener Rückkehr , kommen zu lassen .
Er schwatzte mit der süßesten Beredsamkeit ihre Zweifel und Sorgen hinweg .
Bald als Gatte mit sanften Befehlen , bald bittend und eindringend wie ein weiserer Freund , bald dankend und eine Zukunft voll Glück in rosenfarbener Ferne hinmalend , wie ein siegender Liebhaber : so führte er das schöne reine Herz durch jedes Gefühl weiblicher Zärtlichkeit zu einer Stimmung ruhiger Ergebung , die bald in lächelnden Frieden überging .
Das Geschehene war unwiderruflich , die Zukunft bis zu Seldorfs Tod unabänderlich ; aber ihr Fall hatte ihr weder Tugend noch Selbstachtung gekostet , er hatte sie unauflöslich mit L verbunden , und schien ihn unaussprechlich beglückt zu haben .
Durch Unerfahrenheit und Unschuld in Irrtum gewiegt , und von L sorgsam darin erhalten , begann nun eine Existenz für dieses liebende Geschöpf , die sich mit jedem Tag mehr von der gewöhnlichen Wirklichkeit entfernte .
Geheimnis und Betrug mußten sie von jetzt an umgeben , aber rein und unerniedrigt wie sie war , mischte dieser bittere Druck in ihre sonst heitere Stimmung eine Art von Wehmut , die jeder ihrer Handlungen den Ausdruck der innigsten Zärtlichkeit gab .
Der Gedanke , daß ihr diese Last erst mit ihres Vaters Tod genommen werden könnte , machte ihr sein übriges Leben unendlich teuer ; denn ihr großmütiges Herz litt dabei , auf den Namen von L Gattin erst dann Anspruch machen zu dürfen , wenn Seldorfs teurer Mund sie nicht mehr Tochter nennen würde .
Ihre ganze Welt war nun auf ihn und L beschränkt , Theodor schien verloren ; bei Rogers Andenken klopfte ein banges Gefühl in ihrer Brust , das vielleicht eine Mahnung an ihre Vernunft hätte hervorrufen können , und diese hatte sie jetzt unter die Gewalt der Liebe gefangen genommen .
Sie hielt sein Bild von sich entfernt , bewahrte aber ihre Zärtlichkeit für ihn wie ein heilig vertrautes Gut , das selbst L nicht angreifen durfte .
Durch L es Liebe beglückt , mit tausend kleinen Diensten für ihn beschäftigt - denn sein Einfluß auf den Mann , der die kleine Familie aufgenommen hatte , und ihres Vaters Krankheit gaben ihr außer seinem Zimmer die vollkommenste Freiheit - schien es als versühnte sie durch die Tätigkeit in ihren häuslichen Pflichten , durch die Engelsgüte , mit welcher sie den Vater pflegte , das durch kein Gesetz geheiligte Glück ihrer Liebe .
Und hätte man sie mit L gesehen , geehrt von ihm als hätte der laute Ruf des Stolzes sie ihm zur Gattin gegeben , mit dem Ausdruck der reinsten Unschuld jede stille Freude , jedes keiner Beschreibung fähige Glück gegenseitiger Achtung und Liebe genießend ; man hätte in jedem sanften Lächeln ihres Gesichts den Lohn der Tugend zu lesen geglaubt .
Nach einigen Wochen fühlte sich Sara kränkeln ; L beobachtete sie mit halb mutwilliger halb entzückter Sorgfalt , und wie er bangen Zweifel auf ihrem blassen Gesichte las , schmeichelte er ihre Furcht in frohe Gewißheit .
- Sara , willst du nicht für deines Geliebten Kind , für deines Geliebten höchste Seligkeit leiden ?
Bei diesem Zuruf kämpfte ein holdes Lächeln mit den Tränen der errötenden Sara .
Keine Angst ihrer ängstlichen Besorgnisse konnte der Vaterfreude des unbegreiflichen Mannes widerstehen .
Klagst du , so sagte er , noch mehr mein zu sein , als du schon warst ?
Fürchtest du dich davor , mit der Mutterwürde mehr Ansprüche auf Achtung wieder zu gewinnen , als du in deiner Mädchenehre verlorst ?
O meine Sara , o meine reizende Mutter , deines müden Vaters Geist wird heiter und vom Irrtum entfesselt auf seinen blühenden Enkel herablächeln !
Laß ihn auskämpfen und dann ruhen , versüße seine letzten Tage , und zieh durch keinen Unglauben , durch keine kurzsichtige Reue mir und dir Kummer zu .
Sie litt und lächelte in ihre Leiden , sie sorgte und richtete ihr Auge gen Himmel , wo L es allgegenwärtiges Bild ihr neue Täuschung herabwinkte .
Dieser wunderbare beseligende Traum hatte nun vom Oktober bis zu Anfang des neuen Jahrs ( 1792. ) gedauert , als L ihr mit männlicher Fassung verkündigte , daß ihnen eine Trennung auf eine unbestimmte Zeit bevorstünde .
Er hatte ihr zwar nie mit ungetrübtem Glück geschmeichelt , er hatte sie vielmehr oft mit liebendem Ernst auf unerwartete Wendungen ihres Schicksals vorbereitet , welche die gespannte Lage der öffentlichen Angelegenheiten nach sich ziehen könnte ; aber doch empfing sie diese Nachricht mit einer so heftigen Bestürzung daß L erschrak ; er faßte die Arme , die vor Zittern fast niedersank , in seinen Armen auf , setzte sie auf einen Sessel nieder , stand einige Augenblicke mit einer gewissen Wildheit im Blick vor ihr - dann wandte er sich ab , schlug sich vor die verfinsterte Stirn , und stürzte zu ihren Füßen :
Weib !
Weib ! wenn es wahr ist , daß dein Elend mich einst verdammen müßte , so erwarte mit Zuversicht , daß ich dich beglücke - Sie zwang sich zu einer Fassung , die sie behielt , bis sie seine angebetete Gestalt aus den Augen verlor .
Daß er bald wiederkehren oder ihr zur rechten Zeit seinen Aufenthalt melden würde , war alles was sie von ihm erfuhr ; durch die Liebe zur Sklavin von L Willen gemacht , hörte sie mit einem stillen Seufzer , daß er aus Ursachen , die mit seiner ihr nie von ihm offenbarten politischen Lage zusammenhingen , ihr nur selten schreiben würde , und tröstete sich mit seiner dringenden Bitte , ihm alles was in ihrem Herzen vorgienge zu melden .
Die Ärzte gaben übrigens ihrem Vater keine Hoffnung , daß er den nächsten Frühling überleben könnte , und ohne daß sie sich es selbst deutlich erklärte , sah sie in diesem Zeitpunkt der Auflösung ihres Schicksals entgegen .
Aber mit jeder Stunde , die nach L Abreise verfloß , erlosch allmählich der Zauber , der ein trügerisches Licht auf ihren dunklen Pfad geworfen hatte .
Wie Rezia nach des Einsiedlers Tod ihr Paradies in eine Wüste umgewandelt fand , weil die schaffende Kraft der Natur mit seinem letzten Hauch entflohen war , so war jeder Gegenstand , der sonst der guten Sara Trost und Freude darbot , in eine Quelle von Schmerz und Kummer umgeschaffen .
Gegen ihres Vaters langsame Leiden hatte sie keine Aufheiterung mehr in L es freundlichem Beifall für ihre Pflege ; jeder seiner erstorbenen Blicke , die sich oft fragend auf ihr blasses verweintes Gesicht hefteten , flößte ihr Entsetzen ein , und die ganze Natur um sie her , in das unfreundliche Gewand des Winters gehüllt , dünkte ihr der verwüstete Schauplatz ihrer entflohenen Freuden .
So von den Folgen ihrer Irrtümer getroffen , ohne daß ihre reine Unschuld sie als Strafe ansehen konnte , gewöhnte sich diese unerfahrene glühende Seele bald , sie als Märtirerthum der Liebe hinzunehmen , und glaubend und lächelnd im Schmerz zu dem Preis ihrer Leiden aufzublicken .
Freuden der Gegenwart konnte sie nicht mehr träumen , aber bei jeder neuen Wunde ihres Herzens erhöhte ihre Fantasie den Lohn ihres Duldens .
Ein Brief von Theodor , der um diese Zeit anlangte , befestigte L Allmacht über seine Geliebte , indem er ihren Kummer vermehrte .
Der verblendete Jüngling hatte gewählt zwischen Vaterland und König , zwischen seines Vaters Segen und dem Phantom des Ehrgeizes ; und er rühmte sich das Opfer seiner Pflicht zu sein , indem er seinem Vater verkündigte , er habe keinen Sohn mehr .
Wir können seinen verschlungenen Pfaden nun nicht weiter folgen ; wo wir ihm aber fortan auch wieder begegnen , wird es in Falschheit und Unheil sein .
Seldorf las den Brief , faltete seine Hände , schien einen Augenblick zu beten , und ließ sich dann alle Briefe seines Sohnes geben , aus denen er ein Paket machte , es mit einem schwarzen Siegel verschloß , und neben Antoinettens Totenschein legte .
Sara , welche die traurige Entwickelung von ihres Bruders Schicksal erriet , warf ihre Arme schweigend um des Vaters Hals ; ihre Tränen benetzten ihre Augen , die sie flehend gen Himmel hob - auch Seldorfs Blicke waren naß , als er sie nach einigen Augenblicken auf seine Tochter richtete ; aber er sagte ruhig , indem er ihre Hände zwischen die seinigen drückte :
wir finden ihn einst wieder ! du warst bestimmt , mir alles zu ersetzen - Er umarmte sie zärtlich , und setzte nach einer Weile hinzu : dein Los mag schwer sein , aber es ist schön !
Sein Geist hatte lange schon das Bild des nie wiedergebenden Todes mit Theodors Ungehorsam verwechselt ; und er schien jetzt seine Entweichung und seine Fortschritte in der Torheit so zu fühlen , wie ein zärtlicher Vater die unheilbare Krankheit eines geliebten Kindes betrachtet : der Tod endet sie , und Hoffnung und Schmerz verlieren sich in genügsame Ergebung .
Opferte der langsam Hinscheidende sein zerrissenes Vaterherz der eisernen Notwendigkeit , so legte Sara den bitteren Gram über ihres Bruders Schicksal am Altar der Liebe nieder ; Seldorf fühlte sich zu nah am Grabe , um sich noch der Verzweiflung zu überlassen , Sara vertraute der ihr so sicher dünkenden Zukunft zu heilig , um sie nicht auch mit diesem Schmerz erkaufen zu wollen .
An einem trüben Wintertage harrte einst Sara sehnsuchtsvoll der Stunde , wo sie in ihrem einsamen Zimmer ihr Herz in Glauben und Hoffnung würde stärken können .
Seldorf war kränker wie gewöhnlich , und seine matten Augen , die auf Sara ruhten , füllten sich unwillkürlich mit Tränen .
Er hatte sich über ihre Lage , wie über sein ganzes Schicksal , eine Art von Philosophie gemacht , mit welcher er in gesunden Tagen freilich nicht ausgekommen wäre ; er glaubte sie keines Fehltritts fähig , und wußte daß sie ihr Brot gewinnen könnte , selbst wenn die Einkünfte seiner Ländereien , die er , nachdem er seinen Sohn verloren , ihr zugesichert hatte , ihr entrissen würden .
Fest überzeugt , daß Unglück das allgemeine Los besserer Menschen wäre , hatte er übrigens anderen Hoffnungen für sie entsagt .
Wie er sie aber jetzt vor sich sah , das Bild der tätigen Güte und des heiteren Ertragens , reizend in dem Ausdruck von Ermattung auf ihrem Gesicht und in ihrer ganzen Gestalt , wie ihn die einsame Stille , von welcher er sich umgeben sah , an die noch größere Einsamkeit mahnte , in welcher sie nach seinem Tod sein würde , fühlte er seine Brust beklemmt , und er hätte in diesem Augenblick von Rückkehr zu den Sorgen des Erdenlebens , einen gleichgültigen Fremden anrufen können : schütze mein verlaßenes Kind ! -
In dieser wehmütigen Stimmung hatten Vater und Tochter einen großen Teil des Abends zugebracht , als sie plötzlich einen Reiter in den Hof sprengen hörten , der lebhaft nach Seldorf fragte ; und noch hatte Sara nicht Zeit gehabt an das Fenster zu gehen , als die Türe aufflog , und Roger zu ihren Füßen stürzte .
Meine Schwester , meine geliebte langentbehrte Schwester ! rief er entzückt und umarmte ihre Knie , blickte dann zu ihr hinauf , und tat einen neuen freudigen Ausruf .
Sara es erste Bewegung war eher Schrecken ; sie saß atemlos auf ihrem Stuhl , bis endlich Tränen aus ihren Augen quollen , und sie ihre Hand auf seine Schulter legte - Guter Roger ! seufzte sie , aber Weinen erstickte ihre Stimme , und des jungen Mannes ungestüme Freude schwieg nun um ihre Wehmut zu schonen .
In diesem Augenblick nahm er Seldorfs Gegenwart erst wahr , der erstaunt und betroffen dem Auftritt zusah .
Die edle Freimütigkeit , die Rogen eigen war , verwischte bald den Ausdruck von Verwirrung , der sich bei dem Anblick des Vaters über sein Gesicht verbreitet hatte ; er eilte zu ihm , drückte ehrerbietig seine Hand , und sagte , indem er sie fort hielt und näher zu ihm trat , mit halb leiser Stimme :
Ich glaubte Ihre Tochter allein , aber sein Sie versichert daß ich mit dem Bewußtsein Ihrer Gegenwart eben so wenig Herr meiner ersten Freude gewesen wäre .
Vielleicht hatte Roger immer in Seldorfs Herz einen Platz besessen , dem er seine jetzige Aufnahme zu danken hatte , vielleicht waren es auch die trüben Betrachtungen des heutigen Tages , die , dem alten Mann selbst unbewußt dazu beitrugen , ihm Rogers Rückkehr erfreulich zu machen ; gewiß war die matte Freude des Unglücklichen , und seine stillen Tränen , indem er den edlen guten Roger den übrigen Abend sprechen hörte , der unbefangenen Dienstfertigkeit mit welcher er ihn behandelte , und seiner innigen Zärtlichkeit gegen Sara zusah , gewiß waren sie das rührendste Zeugnis seines Wohlgefallens an der Zurückkunft des jungen Freundes .
Roger erwähnte bald seines Großvaters , von dem er , sagte er , einen Auftrag hätte ; Sara wollte das Gespräch ängstlich ablenken - Nein , sagte Roger mit bittendem Ernst , diese Schonung ist falsch ; Ihr guter Vater muß die Beruhigung haben , seinen alten Freund zu lieben .
Er ging nun , trotz Sara's banger Mine und Seldorfs finsterem Gesicht , mit so viel Klarheit und Delikatesse an die Erörterung dieses Mißverständnisses , daß die Falten von Seldorfs Stirn wichen , und er , Rogers Hand fassend , zu ihm sagte : Ich hatte keinen Haß , aber da wohin ich wandle ist es besser zu lieben ; sagen Sie ihm das , sagen Sie ihm aber daß ich zu müde bin , daß ich schon zu sehr von allen diesen Dingen getrennt bin um ihn wieder zu sehen - Nein , Herr von Seldorf , nahm Roger das Wort ; dann hätte ich meinen Auftrag übel ausgerichtet .
So weit zwang mich schon Gerechtigkeit allein zu sprechen , jetzt hören Sie auch meine Bitte .
Die ganze Gemeinde von ** - ( dem Ort wo Seldorfs Schloß gelegen hatte ) - ist von Ihrem Unglück , zu welchem vielleicht einige aus ihrer Mitte mit beitrugen , aufrichtig und innig gerührt ; sie bittet Sie , morgen nach dem Gottesdienst eine Gesandtschaft anzunehmen , durch welche Sie eingeladen werden sollen , zu Ihren Mitbürgern zurückzukehren .
Die Jahrszeit verbietet , die Arbeit an Ihrem Wohnhaus vorzunehmen ; aber die Gemeinde hat einen Vertrag mit meinem Großvater gemacht , dem zufolge er Ihnen und Ihrer Tochter einen Teil seines Wohnhauses , mit allen Bedürfnissen versehen , Einschwielen abtritt - O Roger , rief Sara , dieser Trost , diese Gerechtigkeit ist Ihr Werk ; Sie lenkten diese wilden blinden Menschen - Nein Liebe , sie brauchten das nicht , sie brauchten nur den Ausdruck für das was sie dachten , sie brauchten nur jemanden der ihre Art zu fühlen genug kannte , um ihnen ihre eigenen Begriffe zu entwickeln - Der edle junge Mann glaubte das vielleicht selbst was er da sagte , indessen war er es doch gewesen , der , vor wenig Tagen erst bei seinem Großvater angekommen , nachdem er alle Erkundigungen wegen jenes ihm schon längst im Allgemeinen bekannten Unglücks seines alten Freundes eingezogen , der versammelten Gemeinde mit eindringender Freimütigkeit die Abscheulichkeit dieses Frevels und das Unrecht , das sie hätten , es nicht wieder gut zu machen , vorgestellt hatte .
Er gab ihnen die handgreiflichsten Beweise von Seldorfs Unschuld , und benachrichtigte sie sogar , daß er bei seiner neulichen Anwesenheit in Paris auf das Zuverlässigste in Erfahrung gebracht , Seldorf habe seinen Sohn wegen der von ihm ergriffenen Partei verstoßen und enterbt .
Sein kühner Eifer und der anerkannte Ruf seiner Denkart verschafften ihm den Sieg sowohl über den Eigensinn der meisten und ihren Widerwillen Unrecht zu vergüten , als über die schleichende Bosheit in dem eigentlich tätigen Teil der Commune .
So war die Entschließung , Seldorf zurückzurufen und zu entschädigen , bewirkt werden ; allein der Zustand des armen Kranken ließ jetzt in der Mitte des Winters keine Veränderung seines Aufenthalts zu , und die Abgeordneten der Gemeinde , arme starre Kerls , in welchen selbst diese schöne Handlung von Billigkeit keinen Funken eigentlicher Begeisterung entzündete , wurden betroffen wie sie ihren ehemaligen Herrn in einem ausgeweißten , mit schlechtem Gerät versehenen Stübchen , abgezehrt und mit erloschenem Blick in seinem Sessel zurückgelegt erblickten .
Der älteste hatte sich vielleicht auf eine ordentliche Anrede eingerichtet , aber das Gefühl , das ihn überraschte , tat ihm bessere Dienste als es sein Gedächtnis je gekonnt hätte ; er trat zu Seldorf , ergriff seine dürre matte Hand , und rief in seiner rauhen Mundart : Verzeiht uns um der heiligen Jungfrau Willen !
Dies war das Signal für die beiden anderen , welche , die Hände über den abgezogenen Hut gefaltet eben den Ausruf taten .
Seldorfs Herz verlor die Fähigkeit zu hassen täglich mehr mit der Kraft des Lebens ; er hatte sich indessen , ehe die Männer hereintraten , mit einigen Entwürfen , ihnen Strenge , Würde wenigstens zu zeigen , beschäftigt ; so wie aber die Bauern in diesem Augenblick nur ihren unglücklichen Herrn in ihm sahen , so erblickte er auch in ihnen nur den Ausdruck des Mitleidens und der Reue ; er antwortete mit gerührter gebrochener Stimme :
Ich verzeihe euch , haltet mein Andenken in Ehren , und schützt diese hier - indem er auf Sara zeigte , die an seiner Seite stand .
Der Auftritt griff ihn so an , daß man aus Schonung für ihn bald ein Ende machen mußte .
Es währte einige Tage nach Rogers Ankunft , ehe er eine Gelegenheit fand oder suchte , allein mit Sara zu sein .
Sie vermied es und sehnte sich danach , und in dieser widersprechenden Empfindung litt ihr Herz weit mehr bei seiner Abwesenheit , als wenn seine unbefangene Innigkeit bei seinen Besuchen ihr den Trost seiner Teilnehmung verschaffte , und sie zugleich von dem schmerzlichen Geheimnis zerstreute .
Schon lange ehe er zurückkehrte , war sie gesonnen gewesen ihm alles zu offenbaren ; und es gehört zu dem Unbegreiflichen in L Charakter , daß er ihr die Erlaubnis gegeben hatte , ihn zum Vertrauten zu machen .
Der Ausgang hat unentschieden gelassen , ob er in seiner Liebe von allen Grundsätzen seines übrigen Lebens abging , und hier sich bloß nach der Anerkennung von Rogers und seiner Geliebten Edelmut bestimmte , oder ob es eine Komplikation von Unredlichkeit war , zu welcher diese Vertraulichkeit ihm einen Faden an die Hand geben sollte .
Roger beobachtete indessen Sara mit ununterbrochener Aufmerksamkeit , und ihr Herz schlug ängstlich , wenn seine Blicke immer trüber und nachdenkender auf ihr ruhten .
So oft er bis jetzt da gewesen war , hatten Seldorfs Angelegenheiten , die der arme Mann bei seiner zunehmenden Schwäche und seinem wachsenden Vertrauen ihm ganz übertrug , die meiste Zeit hingenommen .
Einst fand sich indessen Seldorf so matt , daß er allein zu sein verlangte , und seinen jungen Geschäftsführer bat , nach einer Stunde wieder heimzukommen .
Roger warf einen lebhaften Blick auf Sara , ließ ihn aber schnell wieder sinken , da er sie erröten sah , und sie verlegen anfing einen Vorwand zu suchen , um unterdessen bei ihrem Vater zu bleiben .
Seldorf verhinderte es , und Roger zitterte , wie er mit ihr in ihr kleines Zimmer trat .
Sein erster scheuer Blick fiel auf L Bild , das unter dem Spiegel hing - er fühlte seine Brust beengt , und wandte sein Auge schweifend auf andere Gegenstände .
Noch dauerte dieser für Sara unendlich qualvolle Augenblick , als ihr Hund an der Kammertüre lärmte , und wie sie ihm geöffnet wurde , ungeachtet seines Pfötchens , das nicht recht hatte geheilt werden können , vor Freuden bellend auf Rogen zustürzte , an ihn hinansprang , ihm die Hände legte , und ihn so , wie er ehemals zu tun gewohnt war , an dem Rockzipfel zu Sara hinzog , die tief erschüttert sich niedergesetzt hatte .
Anfangs streichelte Roger den Hund , indem über sein verbranntes Gesicht eine Träne floß ; als aber das arme Tier , dessen glücklich eingeschränktes Gedächtnis die längst verflossene Zeit freudig an die gegenwärtige knüpfte , ihn zu Sara hinzog , und das geliebte Mädchen den Hund aufhob und mit einer vielsagenden Heftigkeit an ihre Brust drückte , da sank er ihr zu Füßen , und rief : Sara , ich weiß alles - alles !
Ich bin der Alte , und will nur Ihr Glück .
Früher konnte , durfte ich ja nicht wissen , aber ich hätte ja nie geliebt , meine Schwester , wenn ich nicht erraten hätte -
Er stockte , und verbarg sein Gesicht , auf welchem Anstrengung und männlicher Schmerz abwechselten .
Scham , Dankbarkeit , und vielleicht Reue , die sich aber gewiß nur als Sorge für die Zukunft zeigte , kämpften in Sara's Seele .
Sie hatte sich nach dem Augenblick der Mitteilung gesehnt , sie hatte vor dem der Entdeckung geschaudert - und doch hatte sie diese nie so schrecklich gedacht , wie sie jetzt in Rogers Mund klang , aus welchem doch Liebe und Schonung sprachen .
Ihre Tränen hörten auf zu fließen : alles wissen Sie ?
Alles , Roger ? fragte sie wild und atemlos .
- Alles , antwortete er , indem er aufstand , und sich mit edler Festigkeit gegen L Bild wandte ; meine Schwester wird dieses Mannes Weib - Roger , ich bin es ; heiliger Gott , ich bin es !
Sagen Sie so - Roger schauderte zusammen , er legte beide Hände vor seine Augen als blendete ihn ein plötzliches Licht ; aber bald wieder seiner mächtig , ergriff er ihre Hand und sprach : Sie sind sein Weib - und die Mutter seines Kindes ! vertraut mir , und lohnt mir so diese fürchterliche Stunde .
Sara hatte sich mit einem Schrei in seine Arme geworfen , sie weinte sanft ; er hielt sie mit abwärts gekehrtem Gesicht , er hielt sie , als hätte er gefürchtet , zwei Herzen neben einander klopfen zu fühlen , zwischen welche Tugend und Sittlichkeit sich nun auf ewig gelagert hatten .
Wie sie sich beide einigermaßen gefaßt hatten , gestand er ihr , daß er genug geahnt hätte , daß seine sorgende Freundschaft deutlich genug auf ihrem Gesicht gelesen hätte , um auf alles vorbereitet zu sein , daß ihm aber ihr Geständnis demungeachtet schrecklicher als sein erster Gedanke gewesen wäre , nicht aus Rücksicht auf ihn , nicht als sei ihm irgend eine Hoffnung zerstört ; er habe keine , als sie auf einem Wege , dessen Dunkelheit ihm noch unerleuchtbar schiene , zu führen und zu leiten .
Hier wachte Sara's Vertrauen auf ihr Schicksal wieder auf , alle Bilder der Vergangenheit glänzten ihr wieder im hellsten Schimmer , und der Schluß dieser Stunde und viele , die darauf folgten , weihten den treuen Freund in dem Heiligtum ihrer Liebe und ihrer Sorgen ein .
Der einfache Roger konnte der Schwärmerin nicht folgen in allen Schattierungen ihres Gefühls ; die Strahlen ihrer glühenden Phantasie erleuchteten zwar auch seine Seele , doch nur mit stiller Klarheit , wie die Sonne auf einem spiegelhellen Wasserbecken von den ebenen Wellen wiederglänzt , indes sie auf dem in Schaum zerstiebenden Staubbach alle Farben des Regenbogens malt .
Oft zerriß es sein Innerstes , selbst ewig verstoßen , so lieben zu sehen ; aber er hatte seine Pflicht als Mann und Freund fest ergriffen , und widerstand jeder Versuchung , treulos gegen diese Pflicht und das geliebte , verlassene Geschöpf zu sein .
Verlassen ! - denn je länger er ihr zuhörte , je mehr er die Wirklichkeit , ja die Wahrscheinlichkeit mit L es Tun , mit seinen seltenen , dunklen , despotischen Briefen verglich , desto banger wurde es ihm für Sara's Schicksal .
Sie verschloß ihre Augen vor jedem aufsteigenden Zweifel , und sog aus der Ruhe , die Rogers Nähe und die Gewißheit seines Schutzes ihr gaben , neuen Glauben an den Mann , den sie allein liebte , dem sie allein anzugehören sich so heilig bewußt war .
Seldorf gewöhnte sich schnell , den Jugendfreund seiner Kinder um sich zu sehen ; er schien unmutig an den Tagen , wo Roger nicht da gewesen war , und wußte er ihn neben sich , wenn er in dem leichten Schlummer lag , in welchen jeder Versuch zu denken ihn einwiegte , so schien er ruhiger zu atmen , und erwachte oft mit einem wehmütig freundlichen Blick auf den jungen Mann .
So nah am Grabe mit Entschlüssen und Taten unvermischt , verloren seine Urteile und Meinungen viel von ihrer Bitterkeit ; und mit väterlichem Wohlgefallen ruhte oft sein Auge auf Rogers blitzendem Blick , wenn dieser von dem größten Schwor durchdrungen , so entfernt er auch von der leichten Prahlerei war , ihn bis zum Verbrechen erfüllen zu wollen , doch mit unerschütterlicher einfacher Treue kein größeres Verbrechen zu begreifen schien , als ihn nicht zu erfüllen .
Seldorf erkannte , daß sein ehemaliger Ekel an der Menschheit und ihrem verworrenen Treiben in denen , die ihn überlebten , schimpflicher Verrat an ihren Zeitgenossen sein würde ; und so matt er nur Rogers : bis in den Tod ! segnen konnte , so war es klar , daß er noch Leben zu fühlen gewünscht hätte , um mit einzustimmen : bis in den Tod ! - Der Winter verstrich unter dieser Lebensweise , und Seldorf nahm wohl wahr , daß die nahe Frühlingssonne , die in der ganzen Schöpfung das Lebendige vom Erstorbenen scheidet , auch ihm seinen Platz im Grabe anweisen würde .
Wenn er seinen Stuhl an das Fenster schieben ließ , und im Obstgarten neben den toten Blättern einzelne grüne Halme hervorkeimen sah , dachte er bang , sehnend , kummervoll an das Grab .
Nachdem er gegen das Ende vom Februar einige Tage sehr schlecht zugebracht hatte , bemerkten einst beide junge Leute , daß er sich in seinem Geist sehr lebhaft beschäftigte , und bald seine Tochter unruhig ansah , bald finster nachzudenken schien ; er sprach weniger abgespannt , aber unzusammenhängend , wie jetzt alle seine Ideen waren , von der Bekanntschaft mit L , und setzte seine Tochter dadurch einer grausamen Folter aus ; dann fragte er nach dem alten Berthier , und wünschte , die Jahrszeit möchte es ihm möglich machen , noch einmal zu ihm zu kommen .
Roger , welcher für Sara litt , ergriff eifrig diesen Gegenstand , um das Gespräch zu verändern , und versicherte die Luft heute so sanft gefunden zu haben , daß sein Großvater gewiß diese kleine Reise nächstens würde unternehmen dürfen .
Seldorf schien über diese Aussicht sehr erfreut , als ein neuer Anfall von Gichtschmerzen seine Gedanken wieder von allem äußeren abzog .
Es war Vormittags ; Roger hatte im Begriff gestanden , nach Haus zurückzureiten ; er blieb aber bis zum Abend , um Sara bei ihrem Vater hülfreiche Hand zu leisten .
Seldorf empfing seine Dienste mit Dank , und druckte einmal in der Todesangst des Schmerzens die Hände der beiden jungen Leute zusammen an seine Brust .
Endlich legte sich der Anfall , und Roger wollte nach der ersten ruhigen halben Stunde fortgehen , als Seldorf seine Hand faßte , um ihn zurückzuhalten .
Er ergriff auch Sara's Hand , und , einige Minuten außer Stand zu sprechen , drückte er sie bald an seine Lippen , bald sah er , mit einem bittenden Lächeln auf seinem von Schmerz erschlafften Gesicht , zu ihr hinauf .
In Sara's Seele dämmerte eine schreckliche Ahnung , die anstatt sie zur Fassung vorzubereiten , ihre Phantasie erhitzte , bis ihre Gefühle in einer unnatürlichen Spannung unter einander anstießen .
Roger stand unbefangen , und mit der Aufmerksamkeit eines Sohnes , der jedem Wort des kranken Vaters entgegen horcht , in gebückter Stellung beim Lager seines alten Freundes , als Seldorf endlich , obschon sehr matt , doch gesammelt anhob : Sara , dich allein hat mir das Schicksal nicht geraubt , du allein beweisest mir , daß mein langes mühseliges Leben nicht ein bloßes Spiel wechselnder Truggestalten war , Sara , du kannst mir ein Pfand geben , daß die Gottheit mich nicht dem Elend ausschließend weihte ... meine Sara , du kannst das letzte schwindende Bild des Lebens mir wohltätig erleuchten - er hielt mit seinem Gefühl kämpfend inne , und näherte die Hände der beiden jungen Leute - Dieser junge Mann wäre mir mehr als Sohn geworden ... mehr ! denn der Unglückliche , den ich Sohn nannte , wenn dieser ihm einst auf dem Schlachtfeld begegnen sollte , so darf sein Arm nicht zaudern , und er sage ihm noch : diesen Streiche führe ich für deines Vaters Nachkommenschaft !
....
Ob du ihn liebst , weiß ich nicht ; er liebt dich !
.... du wirst dann nicht verlassen sein , und ich werde heiter sterben - Er legte ihre Hände zusammen , und blickte wieder fast flehend auf Sara .
Diese hatte erstarrt auf des Vaters Worte gehört , wie aber Rogers Hand die ihrige berührte , riß sie sich los , bedeckte mit beiden Händen ihr Gesicht , und rief durchdringend :
Nie ! nie ! -
Roger stand wie von einem Wetterstrahl getroffen ; erst durch Sara's Heftigkeit wurde er zu sich selbst gebracht , küßte fast weinend die Hände des Kranken , der bestürzt seine Tochter ansah , und wie von einem plötzlichen Lichte erhellt , wandte er sich gegen Sara : Meine geliebte Schwester , geben Sie ihm diese Beruhigung , geben Sie mir dieses Recht , Sie zu schützen - Des unglücklichen Mädchens Begriffe verwirrten sich ; der Anblick des sterbenden Vaters , Rogers dringende Bitte brachten die Empfindung von Zwang , ja von Betrug hervor ; sie riß sich von neuem von Roger los , und rief schaudernd :
du ! auch du !
L es Weib .... bald Mutter - Sara , unterbrach sie Roger ängstlich , fassen Sie Mut ; Sie müssen einen Beschützer , Ihr teures Kind muß einen Vater haben , und L wird mir diese Würde gönnen - Sara , die mit Todesangst ihre Hände rang , warf jetzt einen Blick auf ihren Vater - er lag in Zuckungen .
Das schreckliche unvorbereitete Geständnis seiner Tochter hatte seine gebrechliche Maschine zerstört , ein Schlagfluß riß an dem letzten zähen Faden des Lebens - man eilte herbei , schaffte Hilfe - Sara stand sinnlos neben seinem Bette , und folgte mit stierem Blick dem Wechsel von Erstarrung und Leben auf ihres Vaters Gesicht .
Einen Augenblick schien sein Bewußtsein zurückzukehren , er richtete seinen Blick auf Roger , dann auf Sara , und ein Paar große schwere Tropfen rannen aus seinen gebrochenen Augen , die er sogleich wieder schloß .
Dieser Anblick überwältigte das unglückliche Mädchen , sie sank ohnmächtig in Rogers Arme ; bei dem Geräusch , welches dadurch unter den Anwesenden entstand , schlug Seldorf die Augen noch einmal auf , und sie fielen auf die Gruppe , wie Roger , beide Arme um Sara geschlungen , sie fest an sein Herz drückte - ein mattes Feuer schien noch in seinem Blick zu flimmern , ein schwaches Lächeln spielte um seine Wangen ; er legte sein Haupt seit wärt , und entschlief .
Fußnoten 1 Dieses Kunststück sieht riesenmäßiger aus , als es wirklich ist .
In den Gebirgen des Jura , und an vielen Orten , wo die Herden in der guten Jahrszeit von den Dörfern entfernt sind , ist es bekannt genug .
Da der Stier sehr ungelenk , und in einem solchen Augenblick von Wut betäubt ist , so kommt es darauf an , alle Kraft in den ersten Anlauf zu setzen , und dem Tier das Gleichgewicht zu nehmen , ehe es auf seinen vier Füßen den Angriff gemacht hat .
Zweiter Teil Zweiter Teil Lange noch lag Sara ohne Bewußtsein in den Armen ihres jungen Freundes ; denn Roger besorgte , daß ihre ausbrechende Verzweiflung bei ihrem Erwachen die entfliehende Seele des unglücklichen Vaters aufhalten möchte .
Eine grauenvolle Stille folgte auf das unruhige Geräusch der Hilfsleistungen um den Sterbenden .
Zwei Weiber aus dem Hause , die ihn aufrecht gehalten hatten , drückten ihm nun kalt und methodisch den Mund zu .
Sie flüsterten gegen einander :
er ist ohne den Segen der Kirche gestorben .
- Heilige Jungfrau ! rief die eine , und warf ein Tuch hin , mit welchem sie eben den lächelnden Toten bedecken wollte ; heilige Jungfrau , erbarme dich !
wir wollen beten - Die beiden Weiber sanken neben dem Bett auf die Knie ; Roger schauderte , da er diese neue Veranlassung zur Pein für Saras zerstörtes Herz entstehen sah .
Er faßte sie auf , und trug sie aus dem Zimmer .
Diese Vorsicht war sehr notwendig , denn ihr Erwachen war so fürchterlich , daß ihr Geheimnis und die Geschichte der letzten Augenblicke ihres Vaters durch ihre Reden bekannt geworden wären .
Rogers Gegenwart schien ihr Abscheu einzuflößen :
sie rechnete ihm ihres Vaters Tod zu , weil er ihm zu dem Plan einer unnatürlichen Verbindung die Hand geboten hatte .
Bei aller dieser Verwirrung ihres Geistes war keine Heftigkeit , sondern eine kalte , feste , finstere Verzweiflung , die taub gegen Güte und Vernunft , nur für die Eingebungen ihrer zerrütteten Fantasie Gehör hatte .
Roger litt unendlich , aber es gelang ihm durch sein einfach männliches Wesen , ihr zu widerstehen .
Er behandelte sie wie ein Kind , ließ sie nicht aus dem Zimmer , besorgte alle Anstalten zu Seldorfs Begräbnis , und schrieb seinem Großvater den traurigen Vorfall , der seinen alten Freund so schnell hinweggerafft hatte .
Er bat ihn zugleich um Rat wegen Sara's; " denn ich gestehe dir , Vater - so drückte er sich aus - daß ich keine Gewalt mehr über mein Herz habe , seitdem ich sie durch L Verrat frei , und bei allem was sie umgibt , ohne unsere Stütze , unendlich verlassen weiß .
Selbst das Beste zu wählen , bin ich in diesem Augenblick nicht fähig ; eile , Vater , mir jetzt beizustehen , da ich noch keinen Entschluß in mir aufkommen ließ . "
- Der alte Berthier hatte kaum Zeit gehabt , diesen Brief zu lesen , als er sich ungeachtet der rauhen Winternacht auf den Weg machte , und mit Tages Anbruch bei dem Pachterhof anlangte .
Er befreite Rogen von der peinlichsten Lage .
Sara hatte gegen Morgen mit großer Heftigkeit verlangt , zu ihrem toten Vater gelassen zu werden , und auf Rogers sanftes Verweigern , das sich vorzüglich auf die Besorgnis gründete , die Umstehenden möchten aus den ausdrücken ihres Schmerzes mehr erraten , als zu ihrer Sicherheit dienlich wäre , setzte sie ihm die Herrschaft der Verzweiflung entgegen .
Er gewann es zwar über sich , als Mann mit ihr zu sprechen ; er beschwor sie bei ihrer Pflicht als Tochter , und bald als Mutter , ihm zu gehorchen ; aber unfähig , sie länger mit Gründen zu bestreiten , war er gezwungen gewesen , sie in ihrem Zimmer einzuschließen , und er erwartete nun neben dem Leichnam des Entschlafenen die Antwort seines Großvaters .
Wie froh wurde er überrascht , als er den edlen Greis selbst ankommen sah !
Dieser stand einige Augenblicke mit gefalteten Händen bei der Leiche , und was aus seinem gen Himmel gerichteten Blick leuchtete , war Gewißheit des Daseins jenseits , in welchem Seldorf jetzt den Endzweck seiner Leiden erkannte .
Er legte seine Rechte auf die kalte Stirn des Toten - so sanft schliefst du nie ! sagte er , indem eine Träne seinen Blick verdunkelte .
Roger erzählte ihm nun alles ; der Alte hörte sehr ernst zu , und saß noch lange darauf in tiefem Nachdenken : bald blickte er auf Rogers von Wachen und Unruhe glühendes Gesicht , bald schien er mit sich selbst zu sprechen .
- Roger , sagte er endlich , meine Tochter soll Sara von diesem Augenblicke sein ; ob sie dein Weib wird , hängt von ihr ab ; aber ich verspreche dir meinen Segen dazu .
Du mußtest Rat fordern , ich aber gäbe dir ein schlechtes Beispiel , wenn ich dir Vorurteil und Menschenfurcht neben den Tugenden des Patrioten anpriese .
Führe mich jetzt zu ihr ! -
Sie fanden Sara sehr eifrig schreibend ; wie sie Berthier sah , fuhr sie vor Schrecken zusammen , und sah Roger forschend und mit stolzem Unwillen an .
Dieser kam ihren Gedanken zuvor : ja Sara , der Vater kennt alle Ihre Ansprüche auf unsere Liebe , auf unsere Schonung , er weiß , daß Ihr Vater mir ein Glück zudachte , das ich nie ertrotzen will , das aber ewig das Ziel meiner Hoffnungen bleibt .
- Sara geriet bei diesen Worten in die heftigste Bewegung .
Wissen Sie auch , rief sie mit dem Ausdruck der Verzweiflung , daß er daran Schuld ist , daß mein Vater mir fluchend aus der Welt schied ; und jetzt gebraucht er Gewalt , um mich von seinem Leichnam zu trennen .
- Berthier ergriff ihre Hand , und führte sie stillschweigend in das Zimmer des Toten .
Sara ! sagte er ernst und feierlich , indem er das Tuch von dem Lager hinwegzog ; dieses lächelnde Gesicht fluchte seinem Kinde nicht im Tod !
Die Hoffnung Ihres Glücks begleitete ihn vor Gott ; hier an seinem Sterbebett geloben Sie mir Gehorsam und Sanftheit , die ihn ehren . -
Das arme Mädchen war bei diesem Anblick , wie von einem Lichtstrahl getroffen , zu Boden gesunken .
Sie blieb einige Minuten unbeweglich , dann stand sie auf , legte ihre kalten Hände in Berthiers Hand , und fragte mit hohler erloschener Stimme : Versichern Sie mir das ?
er fluchte nicht ?
Und Sie - indem sie sich zu Roger wandte - Sie hatten ja wohl kaltes Blut um zu hören !
Er fluchte nicht ? -
Nein Sara , er starb mit einem heiteren Gedanken . -
Sie hob Hände und Augen gen Himmel , küßte des Vaters Stirn und Hände , seufzte , als bräche ihr Herz :
Gute Nacht , Vater , gute Nacht - o gute Nacht ! rief sie noch einmal , indem sie die gefalteten Hände an ihr Herz drückte , und ging in ihr Zimmer , wohin ihr die beiden Berthiers folgten .
Sie setzte sich noch einen Augenblick zum Schreiben nieder ; aber der alte Berthier erinnerte sie , ihr Gepäck zu besorgen , weil er sie sogleich nach ihres Vaters Begräbnis mit sich fort in sein Haus nehmen würde , wo sie sich ganz als sein Kind , als Mitherrschaft ansehen sollte .
Ich weiß , daß dies Ihres Vaters Wunsch war , und daß nur die letzten Vorfälle seines Lebens ihn verleiteten , falsche Wege dazu zu suchen ; Sie können meine Tochter sein , ohne sein Weib zu werden - indem er auf seinen Enkel deutete - obschon Sie es auf keine ehrendere Art für Sie , auf keine beglückendere für mich sein könnten .
Sie sah finster und unentschlossen auf Roger sie nahm das Papier , an welchem sie so eben geschrieben hatte , vom Tisch , und sagte : Gehorsam , Liebe , Ehrfurcht bin ich Ihnen schuldig , und gibt es ein Mittel , mir das Leben zu erleichtern , bis mein Schutzgeist erscheint , so ist es , daß dieser junge Mensch es mir möglich mache , ihn wieder zu lieben , wie ich seit der ersten Bildung meines Herzens ihn liebte .
In diesem Blatte habe ich ihn darum gebeten , ich habe ihm den Weg dazu gezeigt . -
Da Roger !
Sie gewähren mir dieses , oder reißen sich auf ewig aus meinem Herzen .
- Sie ging nun mit scheinbarer Ruhe an das einpacken ihres Gerätes , und trieb das verschloßene Wesen ihres Schmerzens so weit , daß sie neben des Vaters Leiche aufräumte ; nur bemerkte man eine zitternde Tätigkeit in ihren Bewegungen , und wenn sie sich einen Augenblick vergaß , flossen einzelne große Tropfen aus ihren starren toten Augen .
Sie kam ein paarmal in ihr Zimmer zurück , wo sie den alten Berthier , wegen der Anstalten zur Beerdigung , und anderer Angelegenheiten , die mit dem plötzlichen Todesfall zusammenhingen , mit verschiedenen Leuten im Gespräch begriffen fand ; Rogen sah sie aber nicht , bis sie an einem Fenster vorbeikam , wo sie ihn unter den Bäumen erblickte ; er ging in der heftigsten Bewegung auf und nieder ; sie stand im Begriff , weich zu werden , aber sie entfernte sich , und hob einen Augenblick die Decke von des Vaters Gesicht , worüber ihr starrer Mut zurückkehrte .
Es war jetzt Mittag , und sie kam mit den beiden Berthiers wieder zusammen .
Sie schien bei Rogers Anblick zu leiden ; der Alte bemerkte es , und nahm das Wort : Sara , mein Sohn hat mir Ihre Bitte mitgeteilt .
Er soll durch einen feierlichen Schwor Ihrer Hand entsagen , damit Sie seine Großmut , seine Aufopferungen ohne Verdacht annehmen , damit Sie die Veranlassung zu Ihres Vaters Tod verschmerzen .
So lange sie L es sind , wird er keine Ansprüche auf Sie machen ; werden Sie frei , so haben Sie das Recht , ihn auszuschlagen , aber nicht seinem Willen Einhalt zu tun .
Roger schwört nicht . -
Nein Sara , rief der junge Mann innig , indem er ihre Hand faßte , nein !
ich schwöre nicht , aber ich schweige wie das Grab . -
Sara ließ ihren Blick ungerührt auf ihm ruhen :
Auch so !
Trage , was darauf folgt , ich wollte es gut machen .
- Mehr sagte sie nicht , sondern fing bald darauf an , von Geschäften zu sprechen .
Gegen den Abend wurde der Leichnam nach dem nächsten Kirchhof gebracht , Roger folgte ihm , und Berthier stieg sogleich mit Sara in seinen Wagen , um nach *** zu fahren .
Es war nötig , Sara zu entfernen ; denn in dem Augenblick , wo der Sarg aus dem Hause gebracht wurde , schien ihr Leben in Gefahr zu sein .
Wer ein Wesen , das ihm teuer war , sterben sah , wird über diese menschliche Täuschung nicht lächeln .
Das letzte Röcheln des Hinscheidenden ist schrecklich , aber mit der ersten Schaufel Erde , die auf den Sarg rollt , fällt erst die furchtbare Scheidewand zwischen uns und der Geisterwelt ganz nieder .
So lange er da lag , lächelnd und sanft im ewigen Schlummer , sagte sich Sara leise im innersten Herzen :
er war versöhnt !
Wie aber der schwarze Sarg ihn verhüllte und dahin fuhr , verschwand das Bild des Lächelns vor ihrem Blick ; sie sah ihn in finsterer Erde wie einige Minuten vor seinem Tod , da die stummen Tränen aus den erstarrten Augen flossen - wehe , wenn man auf das Geisterleben warten muß , um versöhnt zu sein mit dem in Verzweiflung gestorbenen .
Tage und Wochen vergingen , ehe Sara's Fassung zurückkam .
Wie viel Roger damals von L wußte , ist unbekannt .
Er konnte während seiner langen Abwesenheit von ihm gehört haben , indessen war es nicht in seinem Wesen , Erkundigungen einzuziehen , und er berührte den Gegenstand nie .
Überhaupt mag der Leser von hier an einige Lücken finden ; denn Menschen , die in der Einfalt ihres Tuns von der Gewalt allgemeinerer Schicksale fortgerissen werden , beobachten die kleineren verborgenen Fäden ihrer Geschichte gar wenig , und können dem Frager selten andere Erklärungen über eine Begebenheit geben , als deren Folgen .
Für ein teilnehmendes erfahrenes Herz aber wird diese Geschichte immer Zusammenhäng genug haben , um die Gefühle der Menschen , die darin handeln , zu begreifen .
- Sara verfolgte Rogers Äußerungen mit misstrauischer Aufmerksamkeit ; und so oft sie abzunehmen glaubte , daß er ihre Verbindung mit L für unverletzt hielt , so oft näherte sie sich in ihrem Betragen wieder ihrer alten Innigkeit und Unbefangenheit .
Ihre Schwangerschaft war nicht länger zu verbergen ; auch befahl ihr der alte Berthier , sich mit bescheidener Sittsamkeit jeder Bemühung der Art zu enthalten :
in meinem Hause , sagte er , sind Sie geehrt , und so viel die Meinung der Welt sie noch angeht , sind Sie ihr schuldig , sie durch Erfüllung der Mutterpflichten zu versöhnen , nachdem Sie als Mädchen sie beleidigt haben . -
In der Gegend herrschte so viel Misstrauen , Unruhe , Gehrung , daß es kein bloß gesellschaftliches Urteil mehr gab ; jeder noch so kleine Vorfall wurde in die politischen Meinungen verflochten , und diese wurden mit aller hämischen Kleinlichkeit , Verläumdungs- und Verkezerungssucht behandelt , welche Priester und ihre Kreaturen einer Sache geben können , sobald sie wichtigeren Planen damit dienen .
Unter dieser Partei , welche die stärkere war , wurde Berthiers Großmut gegen Sara so feindselig ausgelegt , als möglich :
Roger sollte das Mädchen verführt haben , aus Kummer war der Vater gestorben , und jetzt hielt sie Berthier als seines Enkels Buhldirne in seinem Haus .
Die Meinung der entgegengesetzten Partei war durch die unvorsichtige oder boshafte Geschwätzigkeit des Pachters , bei welchem Seldorf nach der Zerstörung seines Gutes gewohnt hatte , entstanden , und sie enthielt mehr Wahrheit .
In dieser argwöhnte man Sara's geheime Verbindung mit L , und dazu gehörte ohnehin wenig Scharfsinn , da Sara bei ihrer natürlichen edlen Unbefangenheit , bei dem Bewußtsein ihrer innerer Würde nie zu verhehlen gelernt hatte , bis ihre wirkliche Schuld den Blicken neugieriger Landleute schon in ihren verweinten Augen deutlich werden mußte .
Man machte Berthier ein Verbrechen gegen das Vaterland daraus , die Geliebte , Vermählte , oder - Missbrauchte eines L zu beherbergen , und die Unzufriedenheit ging so weit , daß er von verschiedenen seiner Brüder darüber zur Rede gestellt wurde .
Er antwortete mit aller Festigkeit der Tugend , und verschaffte sich , vor unmittelbaren Anklagen Ruhe , indem er in einer Versammlung fragte , ob einer von ihnen das Kind des offenbarsten Feindes vom Vaterland hülflos von sich stoßen würde wenn es ihn um Schutz anflehte ?
Und diese sagte er , ist das Kind meines unglücklichen Freundes ; sie wird Mutter eines Geschöpfes das ich dem Gemeinwesen erhalte ; sie hat keinen Flecken auf sich , als dem Wort eines Menschen , den sie für redlich hielt , getraut zu haben .
Sollen sie und ihr Kind deswegen der Schande und der Sünde bloßgestellt werden ? soll ich deswegen meinen Freund im Grabe verraten ?
Ihr hättet eure Pflichten schlecht erlernt , wenn Menschenliebe davon ausgeschlossen wäre , und Ihr hättet mich schlecht gekannt , wenn Ihr Menschenfurcht mit zu meinen Schwächen gerechnet hättet .
Seldorfs Waise bleibt mein Kind , solange sie von ihrem Verführer getrennt bleibt ; fordert er sie als sein Weib zurück , so scheide ich von der Gattin unseres Feindes .
Bis dahin trotze ich der Verleumdung - Die rohen Menschen schwiegen gerührt , und die Bosheit ergrimmte , diese Würde nicht zu ihrer Maske nützen zu können .
Der Frühling hatte jetzt die Natur neu belebt , und Sara schlich am späten Abend oft in den Trümmern von ihres Vaters ehemaligem Wohnort umher .
Garten und Feld waren durch Berthiers Sorgfalt so weit hergestellt , daß ihr Ertrag Sara immer vor dem dringendsten Mangel schützen konnte ; aber die sonst so wohl erhaltenen Gänge , die schattigen Lauben lagen noch danieder .
Wie trüb und bang stieg die Vergangenheit in Sara's Seele auf , da ihr Irrgang sie zum erstenmal wieder bis an die eingestürzte Brunnensäule brachte ! dort hatte sie Ihn zum erstenmal gesehen - und alles war zerstört , wie die Stätte dieses heiligen Andenkens !
Jene Sara mit leichtem schwebendem Gang , frisch und hold wie die Blumen , die sie trug , rein und hell ihr Blick wie der Kristall des Wassers , vor welchem sie stand , sanft und ruhig ihr Herz wie die Frühlingsluft , die in den Zweigen umherspielte - und nun !
Matt und mühsam schlich die immer noch holde Gestalt durch das wildverwachsene Gesträuch , umwölkt und zutrauenslos suchte ihr Blick die verwüsteten Spuren der Vergangenheit .
Sie saß erschöpft auf dem eingefallenen Brunnenbecken nieder , und - betete für L .
Sie hätte um ihn beten mögen , denn seit Monaten hoffte sie umsonst auf Nachricht von ihm , forderte ihn umsonst auf , seinem Weibe , seinem Kinde beizustehen .
Nur einmal nach dem Tod ihres Vaters hatte sie einen kurzen Brief von ihm erhalten , in welchem er ihren Aufenthalt bei Berthiers billigte , und sie mit dem ganzen Gewicht seiner Allmacht beschwor , sich still zu verhalten , jetzt nicht von ihm zu fordern , daß er sich öffentlich ihrer annähme , und ihren Glauben an eine Liebe nicht wanken zu lassen , die nicht von Vorurteilen und gewöhnlichen Grundsätzen , nicht von dem früheren oder späteren Anfang ihres Glückes abhinge .
Er schickte ihr zugleich eine ansehnliche Summe , die sie mit einem sehr gemischten Gefühl von unaussprechlichem Kummer über sein hartnäckiges Zögern , und von Freude , noch sein Eigentum , noch in seiner Abhängigkeit zu sein , empfing .
Seitdem war aber eine lange Zeit verflossen , sie sah nunmehr den entscheidenden Augenblick heranrücken , der jedes Weib so wunderbar dem Tode nähert , und zugleich mit so unzerstörbaren Banden an das Leben bindet .
Einsam mußte sie dem Schrecken dieser Stunde entgegengehen , einsam das weißte Geschöpf empfangen , das seines Vaters Lächeln nicht in diesem Dasein begrüßte .
Und wenn diese Stunde ihr Leben endigte - sie weinte sanfter bei dieser Vorstellung , dachte sich Ruhe im stillen Grabe , und ihr Kind in Rogers treuer Hand - wiederum aber bei dem Bilde des Grabes tat sich ihres Vaters Sarg vor ihrem Blicke auf , sie sah seine stummen Tränen , sein sterbendes starres Gesicht - Schaudernd rief sie :
dann verzeihst du mir dort !
Und der Tod blieb ihr der liebste Gedanke , und sie wandelte ruhiger dahin , gleich als hätte sie einen Weg durch das Labyrinth des Lebens gefunden .
In diese schwermütigen Träumereien wiegte sie sich bis gegen die Mitte des Junis ; sie war glücklicher dabei , und empfänglicher für Rogers edle Sorgfalt , für Berthiers väterliche Güte .
Eine neue Erscheinung in L es Liebe störte diese Stille und Rogers Hoffnungen , so bescheiden er sie in die treueste Bruderliebe hüllte .
Es langte eine Kiste von Saumür an , in welcher Sara ein vollständiges Kinderzeug , einfach und anspruchlos , aber mit der sorgfältigsten Sauberkeit verfertigt fand .
Jedes Stück war mit den beiden Anfangsbuchstaben von L es Namen bezeichnet , ein Zettel lag dabei , der nur diese Worte enthielt : " Wann wird die Zeit kommen , wo ich heiligere Pflichten erfüllen , und süßere Freuden genießen soll , als ein Befehl an eine Näherin mir verschafft ?
Gesegnet sei die holde Mutter mit ihrem Kinde ! "
Dahin war Sara's ruhiger Schmerz und ihre stille Ergebung ; neue Hoffnung , Freude , und Zuversicht tra ten an die Stelle , und wechselten mit Sehnsucht und Unruhe von neuem ab .
Roger hatte mit väterlicher Sorgfalt der Geburt ihres Kindes entgegengesehen , er hatte sich darauf gefreut , es mit seiner Liebe zu empfangen , er hatte den Großvater beredet , Sara manches Kindergerät zu schenken , das mit altväterischer Haushältigkeit sauber in Schränken verwahrt stand , und von Berthiers jüngstem Enkel her , der vor vielen Jahren gestorben war , für Rogers künftige Wirtschaft aufgehoben wurde .
Mit wahrer männlicher Züchtigkeit hatte er gesucht , Sara die Scham zu ersparen , die diese Sorgfalt , wenn sie von ihm herzurühren schiene , bei ihr erregen könnte ; aber er genoß eine wehmütige Freude , sie durch alle diese kleinen Mittel an sich zu fesseln , und in seine Familie zu verflechten :
Berthier nannte sie seine Tochter , ihr Kind sollte die feinen Kragen haben , die seine Mutter genäht hatte , und den silbereingefaßten Wolfszahn umgehangen bekommen , an welchem schöne silberne Denkmünzen von Ludwigs des Vierzehnten Siegen gereiht waren , der von Vater auf Sohn schon über ein Jahrhundert in der Familie fortgeerbt hatte .
- Roger , der glühende Patriot , der wilde Jüngling , war einfach genug geblieben , um diesen Dingen noch einen ehrwürdigen Wert beizumessen .
Das war aber vorbei , seitdem jene unglückliche Kiste anlangte .
Verworfen waren die gestickten Hemdchen , die altväterischen Spitzen , und das ganze Geräte ; mit liebenswürdiger Weiblichkeit ordnete Sara die kleine Wirtschaft ihres künftigen Kindes , die sie des Vaters Zärtlichkeit zu verdanken hatte .
Es war eine Kleinigkeit , aber sie zerstörte die Täuschung des guten jungen Mannes .
Er ging Sara schwermütig aus dem Wege , um nicht Zeuge ihrer Zufriedenheit zu sein , sie suchte sie zu verschließen , weil sie fühlte , daß er litt ; aber mit einem einzigen Gedanken beschäftigt , gelang ihre Bemühung nur schlecht .
Die entscheidende Stunde kam endlich , und ließ Sara das ganze Unglück ihrer Lage empfinden .
Unter allen Schmerzen , welche das strenge Gesetz der Natur einer Mutter auflegt , bei der Angst , die selbst unter den rohsten Völkern alle Begriffe von Qual zu erschöpfen scheint , vermißte sie den Mann , für welchen , durch welchen sie litt .
Bei dem Bewußtsein ihrer inneren Reinheit , wurden die Tränen , die der körperliche Schmerz ihr auspreßte , doch zu bitteren Zeugen ihres Kummers und ihrer Scham , als die Frau , welche ihr beistand , von ihren Leiden gerührt , ausrief : es ist nicht recht getan , daß der Vater nicht wenigstens dabei ist , sie zu trösten ! -
Diese einfache , ungeschickte Bemerkung machte das Gefühl , das die arme Leidende unterdrücken wollte , in laute Worte ausbrechen ; sie rang ihre matten Hände , und rief durchdringend um Kraft , diese Stunde zu überstehen .
Wäre es möglich , das Gefühl eines Menschen ganz und unverändert in die Seele eines anderen übergehen zu lassen , wäre es möglich , dem leichtsinnigen oder boshaften Verführer , dem durch romanhafte Schwärmerei oder unstatthafte Vernünftelei selbst zuerst Verleiteten , den Zustand von unaussprechlichem Gelassensein , in welchem eine unglückliche Geliebte in dieser Stunde leidet , zu schildern ; es würde vielleicht keines Mannes Herz dem Schrecken widerstehen , Schöpfer dieser Qual zu sein .
Roger war abwesend , wie Sara von den Schmerzen überfallen wurde , und er kam erst spät nach Haus .
Seit vielen Monaten hatte er sich auf diesen Augenblick gefaßt gemacht ; als er aber nun herbeigekommen war , als er denken mußte :
Leben oder Tod würde jetzt über sie entscheiden , da konnte er sich kaum enthalten , den Gesetzen des Anstands , des Stolzes , der Stimme seiner Vernunft zu trotzen , und zu ihr zu eilen .
Er wachte neben ihrem Zimmer , fragte bang einen jeden , der heraustrat , und wie der Schmerz ihr den ersten Schrei auspreßte , stürzte er erblaßt in seines Großvaters Schlafgemach , und rief : sie stirbt , Vater , sie stirbt !
Der gute Alte war auf : Nein , nein , sagte er , indem er nicht ohne Zittern nach Sara's Zimmer eilte , es ist keine Gefahr ; ich bin unterrichtet , aber ich will sie sehen .
- Der alte Mann erschien dem leidenden Geschöpf wie ein wohltätiger Engel , er fragte mit inniger Teilnahme nach ihrem Zustand , bat sie väterlich , nicht aus falscher Scham seinen Trost von sich zu stoßen , und lehnte ihren Kopf an seine Brust .
Ein holdes Mädchen war der Lohn von Sara's Schmerzen , aber die Mutter war anfangs zu schwach zur Freude ; Berthier blickte das Kind gerührt an , und ging zu seinem Sohn heraus , der in der heftigsten Unruhe seiner wartete :
Sara hat uns eine Tochter gegeben , sagte er ihm freundlich , sie ist außer Gefahr , sie wird uns erhalten .
Roger war entzückt , er bat , er flehte sie sehen zu dürfen .
Endlich brachte man ihm das Kind .
Er schauderte bei dessen Anblick : das Kind eines glücklichen , eines unwürdigen Nebenbuhlers - aber Sara's Kind , ein verlassenes , von seiner Geburt bestohlenes Geschöpf , ein Geschöpf , das einst ein heiliges Band zwischen ihm und Sara knüpfen konnte !
Er nahm es auf seine Arme , und ging tiefsinnig in das Zimmer der Mutter , die nun zu sehen war .
Sie war noch so matt , daß sie im halben Schlummer dalag , und die Gegenstände kaum unterschied .
Roger kniete , das Kind im Arm , neben ihrem Bette , und sah , zitternd von Liebe , Scham und Unruhe , auf das blasse Gesicht , das noch Spuren des wütenden Schmerzens hatte .
Sie öffnete endlich die Augen , blickte ihn lange halbverwundert an , bis ihr Herz nach und nach erwachte , und sie ihre Arme matt nach dem Kinde ausstreckte .
Er reichte es ihr hin , und sie fühlte seine Tränen auf ihrer Hand ; sie hatte die Kräfte nicht das Kind zu halten , es sank auf ihren Schoß , und sie machte eine Bewegung , es in Rogers Arme zurückzugeben , indem sie die eine Hand des jungen Mannes mühsam zu ihrem Munde führte , und mit einem dankbaren Blick küßte .
War es Bedürfnis ihres armen Herzens , sich von Liebe umgeben zu sehen , welches sich jetzt , da ihr Geist in diesem Zustand von Erschöpfung gewissermaßen schlummerte , nur deutlicher äußerte , oder war sie gerührt von der unerschütterlichen Liebe des jungen Mannes , oder fühlte sie nunmehr als Mutter ihre Rechte auf L so gegründet , daß sie von ihrer Strenge nachlassen dürfte - genug , Rogers Gegenwart schien ihr wohlzutun , und wenn sie nach einem halben Stündchen leichten Schlafs erwachte , legte sie mit einem wehmütigen Lächeln ihre Hand auf seinen Arm , als wollte sie ihn an dieser Stelle festhalten .
Nach drei Tagen hatten Jugend und Pflege die holde Mutter so weit hergestellt , daß sie ihrem Kind die Brust reichte .
Bescheiden entfernte sich Roger in diesen Augenblicken , aber eines Tages überraschte er sie , und war durch einen Zufall verhindert , das Zimmer sogleich zu verlassen .
Bis jetzt hatte Sara als Mutter zu laut zu seinem Herzen , zu seiner Teilnahme geredet , als daß eigennützigere Gefühle in ihm hätten aufkommen können ; und einfach und redlich , wie er war , hatte seine Fantasie seine Sinne selten verführt .
Aber der Anblick dieses geliebten reizenden Weibes , die mit dem Ausdruck der reinsten Unschuld , mit stiller heiterer Mutterliebe , ihr Kind an den schönsten , bis jetzt seinen Augen immer verhüllt gebliebenen Busen drückte , deren zurückgebliebene Mattigkeit , deren unbefangenes Vertieftsein in ihre Beschäftigung ihrer Stellung einen wollüstigeren Reiz gab , wie die studierteste Kunst es je vermocht hätte - dieser Anblick erregte in Rogers Blut einen Aufruhr , den er nicht bemeistern konnte .
Nachdem er eine Minute lang seine flammenden Blicke auf sie geheftet hatte , stürzte er zu ihren Füßen , umfaßte Mutter und Kind , drückte sein glühendes Gesicht an dieses Heiligtum , das sein Auge noch nie erreicht hatte , riß sich endlich mit konvulsivischer Heftigkeit los , und eilte atemlos fort .
Sara blieb erstaunt , erschrocken zurück .
Ihre Achtung , ihr langer schwesterlicher Umgang mit ihm wollte sie überreden , er wäre vielleicht krank , oder er müßte vielleicht fort , und dies wäre sein Abschied gewesen ; aber die Glut seiner Wangen und ihr innerer Schrecken widersprachen der Täuschung , es war ihr , als hätte sie ihn verloren , und sie zitterte ihn wiederzusehen , nach ihm zu fragen .
Sie warf sich vor , gefehlt zu haben , sie bat L mit Tränen ihr Vergehen ab , und weinte um Rogers Schuld , die ihre Ruhe vernichtete .
Der unglückliche Jüngling hatte von dem Augenblick an Höllenqual gelitten .
Er konnte an Sara nicht mehr denken , als mit wallendem Blut , mit unbändigen Wünschen .
Seine Grundsätze , seine Entschlüsse blieben fest , aber seine Einbildungskraft hatte ihm das Weib , das er seit fünf Jahren mit übernatürlicher Entsagung liebte , in die Arme geliefert , sie verschlang ihre Reize mit rasendem Feuer , und er fühlte sich ohnmächtig in dem Kampf gegen seine verirrten Sinne .
Ihr Name , der Anblick ihres Halstuchs , das am Gartenzaun trocknete , der Befehl , den sein Vater ihm am Abend dieses Tages gab , Sara's Nachtlicht anzuzünden - alles führte eine Reihe der ausschweifendsten Bilder in seinem Gehirn vorbei , durch welche sein moralisches Gefühl vielleicht vergiftet , und er zu herabwürdigenden Verirrungen getrieben worden wäre , wenn ein Zufall ihn nicht aus diesem Zustand gerissen hätte .
Vor Sara's Gegenwart zitternd , und doch mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihr gezogen , empfand er eine Marter , die endlich eine Ahnung von Haß gegen den Gegenstand seiner Liebe selbst hervorbrachte .
Er war treu und schuldlos , und doch zerstörte sie sein Dasein .
Er hätte sie nur einen Augenblick besitzen , halten - dann ermorden mögen , denn seine Vernunft war betäubt .
Sonst durfte er seinen Vater um Rat , um Hilfe bitten , jetzt errötete er zum erstenmal vor sich selbst .
Roger war dieser Demütigung nicht gewohnt , er mußte sie enden :
er nahm den folgenden Tag von seinem Vater Abschied , um nach Saumür zu gehen , und dort sich zu zerstreuen .
Er konnte sich nicht entschließen , Sara zu betrüben , und abzureisen , ohne sie zu sehen .
Sie war verlegen bei seinem Eintritt ; als er ihr aber stotternd sagte : Sara , ich muß fort , muß mich wiederfinden , muß wieder fähig werden in Ihrer Nähe zu sein ; jetzt ist_es unmöglich ! - da sah sie ihn wehmütig an , Tränen erstickten bald ihre Stimme ; er glühte , und wollte fort , als fürchtete er , sie möchte so wie sonst ihm die Hand zum Abschied reichen , oder ihren Kopf an seine Schulter lehnen .
Aber sie kniete nieder , benetzte seine Hand mit Tränen , und sprach leise :
Ja es ist besser , Segen geleite Deine Schritte , kehre ruhig wieder . -
Er hörte nichts mehr , er riß sich los , eilte nach der Türe , warf noch einen Blick auf die Kniende , und verschwand .
Als er in Saumür ankam , erfuhr er , daß das Departement eben versammelt wäre , um aus der Nationalgarde die Deputierten zu dem Bundesfest des vierzehnten Julius in Paris zu erwählen .
Dies schien ihm ein Wink des Schicksals , er eilte sich unter die Bewerber zu stellen , und da man eifrig bedacht war , nur die wärmsten Patrioten zu dieser Sendung zu gebrauchen , so wurde er mit Freuden angenommen .
So fand er sich denn auf eine unbestimmte Zeit erlöst von der Gefahr , die ihm zu Hause drohte ; der neue Gang , den seine Gedanken nahmen , die Anstalten zur Reise wirkten wohltätig auf seine Fantasie ; seine Vernunft erhielt wieder ihre Oberherrschaft , aber es blieb mit dem Gedanken an Sara eine Schwermut in ihm zurück , die keine Zeit zu heilen versprach .
Sie hatte seit Jahren sein Glück in ihrer Hand , sie war die Gottheit seines einfachen Herzens gewesen , das kindlich einen großen Teil seiner angeborenen Tugenden ihr zuschrieb - und jetzt hatte sie ihn fast dem Laster in die Arme gestürzt , er hatte gefühlt , daß er , um die Gehrung seines Bluts zu tilgen , zu niedrigen Ausschweifungen hätte schreiten können , und rettete ihn auch jetzt die Festigkeit seines Verstandes , so schauderte er desto mehr vor dem Gedanken , herzlosen Taumel der Sinne als Entschädigung für die reinste Liebe zu ergreifen .
Er ging noch auf einige Tage nach *** zurück , um von seinem Großvater zu dieser langen Abwesenheit Abschied zu nehmen .
Natürlich mußte er Sara wiedersehen , seine Schwermut vermehrte sich bei diesem Anblick ; das Gefühl , ungeliebt zu lieben , war in seiner Seele haftend geworden , und die Hoffnung , den Abgott seines Herzens glücklich zu sehen , diese einzige Entschädigung für seine unerwiderte Liebe , schwand immer mehr dahin , je verblendeter Sara für L schien , und je unerklärlicher dieses Mannes Betragen wurde .
Der Streit seiner Empfindungen brachte eine Verschlossenheit in ihm hervor , die sich durch finstere Kälte äußerte , und Sara mit banger Ungewißheit erfüllte .
Sie konnte sich nicht verbergen , daß seine Abwesenheit , durch solche vorteilhafte Umstände veranlaßt , in diesem Augenblick sie beruhigte ; aber äußerst peinlich war es ihr , so von ihm zu scheiden , den Schmerz der Trennung nicht durch sanftes Vertrauen lindern , das Gefühl ihrer Dankbarkeit und ihres Unrechts gegen ihn nicht vor seinen Augen ergießen zu dürfen .
Er sah sie wenig , und wenn er bei ihr war , und Fassung genug erkämpfen konnte , um über ihre Lage zu sprechen , geschah es mit einem kalten ernsten Wesen , das sein Herz zusammenpreßte .
Ihr Stolz hielt sie aufrecht ; sie hielt in solchen Augenblicken ihre tränenschweren Augen auf ihre Arbeit geheftet , und suchte Gleichgültigkeit in ihre zitternde Stimme zu legen .
Roger glaubte , daß seine unglückliche Verirrung ihr bei längerem Nachdenken beleidigend geschienen hätte , und diese vermeinte Unbilligkeit mischte noch etwas Bitterkeit in den Zwang seines Wesens .
So erhielt sich das Mißverständnis , und stieg immer höher , bis an den Tag , der zur Abreise bestimmt war .
Roger saß finster und tiefsinnig neben Sara und seinem alten Vater , dessen Stolz auf die Sendung , die sein edler Enkel erhalten hatte , durch den Anblick seiner vernichteten Heiterkeit sehr getrübt wurde .
Man fragte Roger , ob sein Pferd nun gesattelt werden sollte ; Sara fuhr erschrocken zusammen , und bückte sich tiefer auf ihr Nähzeug ; Roger atmete hoch auf , und ließ sich zweimal wiederholen , was man von ihm wollte , ohne die Antwort zu vernehmen .
Dann stand er auf , und ging mit ängstlicher Heftigkeit durch das Zimmer umher ; der alte Berthier gab endlich mit erzwungener Gleichgültigkeit den Befehl , das Pferd zu satteln , sein trüber Blick folgte den unstäten , nach Fassung kämpfenden Schritten seines Lieblings .
Rogers Stimmung war sehr gewaltsam , alle Gefühle seines Herzens , seine feurigsten Wünsche und seine redlichsten Entschlüsse stritten noch einmal gegen einander in diesem bangen Augenblick ; er rechnete darauf , seinen Verdacht gegen L in Paris aufzuklären oder zu bestätigen , dann aber - würde er dann an Sara's zunehmendem Widerwillen einen schlimmeren Feind als L Anspruch zu bekämpfen haben ?
Und wenn er L Unrecht täte , wenn er nur darum mehr erführe , um sich zu überzeugen , daß seine Leidenschaft gegen Gesetze und Möglichkeit strebte ? -
er wurde in diesem unruhigen Kampf durch das Erwachen von Sara's Kind unterbrochen , das nach seiner Mutter weinte .
Sara verstand sein Verlangen , unwillkürlich rief es ihr jenen traurigen Ausbruch von Rogers Heftigkeit zurück , und sie beugte sich verlegen über die Wiege , um durch ihre Stimme die Kleine zu besänftigen .
Diese ließ sich betrügen , und schlummerte lächelnd wieder ein .
Mechanisch war Roger der Mutter bis zum Kinde nachgefolgt , und stand nun fast gedankenlos bei dem kleinen holden Geschöpf .
Vielleicht war es der Ausdruck von Ruhe auf dem sanften Gesicht des Kindes , vielleicht wirkte die bange Stille , die in dem Zimmer herrschte , auf sein gespanntes Gehirn , vielleicht nahmen ihm selbst unbewußt seine Gedanken einen sanfteren Gang : kaum hatte er einige Sekunden auf das Kind geblickt , so wurden seine Augen naß , und wie jetzt der Knecht unter dem Fenster rief , daß alles bereit wäre , stürzte er lautweinend neben dem Bettchen auf die Knie , drückte das Kind an sich , und rief in der Bitterkeit seines Schmerzens :
er wird sie nie so innig lieben - nie so unaussprechlich wie ich !
Sara konnte sich nicht mehr halten , sie eilte zu ihm , sie wollte ihm mit der süßen Beredsamkeit der gekränkten Liebe , des unwillkürlich schuldigen Gewissens beweisen , daß sie ihn nie zärtlicher lieben könnte , wie sie ihn als Schwester liebte , daß er nie sie mehr beglücken könnte , wie er sie als Bruder beglückte .
Dieser Zauber konnte Rogers Herz noch treffen , aber sein Verstand war nicht mehr zu verblenden ; er sah jetzt die Unmöglichkeit eines Bundes , wie der , welchen er mit Sara geknüpft hatte .
Dennoch nahm ihre in diesem Augenblick ausbrechende Herzlichkeit diesem Abschied den quälenden Zwang , den die bisherige Verstimmung zwischen ihnen hervorgebracht hatte .
Er antwortete ihr sanft und fest , daß nur eine späte unbestimmte Zukunft ihm die Wahrheit dessen , was sie jetzt so kühn versicherte , dartun könnte , daß alles , was er bis dahin seinem Gram entgegenzusetzen hätte , die Liebe für das Vaterland wäre , das ihn riefe - und alles , Sara , was Sie für mich tun können , ist für meine Tugend zu beten , die Ihr Bild nicht mehr aufrecht hält ! -
Der alte Berthier hatte Sara's schwärmerische Äußerungen unwillig angehört , und sein redendes Gesicht war bei Rogers männlichem Ernst heiterer und stolzer geworden , bis diese letzten Worte ihm wieder bewiesen , daß mehr Verzweiflung als Entschlossenheit aus Rogers Munde sprach .
Nicht so , rief er streng , beten muß sie , daß deinem Herzen der Friede wiederkehre ; deine Tugend gehört nicht ihr , und nicht dein eigen .
Sie gehört wie dein Leben dem Vaterland , das dich zu seinem Streiter weihte : wehe , wenn ein so eigennütziges Gefühl , wie das , welches jetzt in deinem Busen kämpft , seine edelsten Söhne entnervte , wenn unsere Weiber sie von ihren heiligsten Pflichten abwendeten , anstatt sich ihrer Macht für diesen einzig großen Zweck zu bedienen ! -
Roger unterbrach ihn ehrerbietig und ruhig : Nein Vater , so entlaße deinen Sohn nicht !
so laß mich nicht eine Bahn betreten , die mich erst spät wieder in deine Arme führt !
teilte ich dein Zutrauen auf meine Tugend nicht , so hätte ich den Augenblick nicht überlebt , wo ich das Jahre lang gehegte Traumbild meiner brüderlichen Liebe zerstört sah .
Gönne mir aber jetzt den Genuß meines Schmerzens , das Vaterland soll nicht dabei verlieren , und einen anderen Ersatz für mein ewig verlorenes Glück , einen anderen als diesen Genuß - Vater , dring mir ihn nicht auf , jetzt in dieser bitteren Stunde nicht !
Er ging , und sein Abschied hinterließ einen traurigen Eindruck bei den Zurückgebliebenen .
Sara es weiches schwärmerisches Herz konnte dem Gedanken , der sie so lange unablässig beschäftigt hatte , L es Glück und Rogers Frieden zu verbinden , nicht entsagen .
Roger hatte ihr moralisches Dasein verdoppelt , indem er fast von der ersten Bildung ihres Gefühles an , ihr Geschöpf , ihr Eigentum , und sie die Meisterin seines Schicksals gewesen war .
Seit sie zuerst wußte , was Liebe sei , wußte sie sich von ihm geliebt ; er hatte nie gewankt , sie hatte sich nie geändert , sie hatte ihm stets jede Empfindung im vollsten Maße gewährt , außer der einzigen , welche die Natur ihr für ihn versagt hatte .
Ohne seine Liebe und ihren wehmütigen Dank hatte sie niemals eine Zukunft sich als möglich gedacht - und jetzt zerriß Roger diesen mühsam unter stetem Kampf erhaltenen Bund , warf ihren Einfluß , ihre Macht von sich , wollte kein Glück mehr von ihr empfangen .
Ach sie wußte , daß sie ihn nie ganz beglückt hätte , wußte , daß ihn doch keine andere je beglücken würde !
Der bittere Gedanke , ihn Jahre lang um den Genuß seines Daseins betrogen zu haben , stritt mit der Kränkung , daß er seine Fesseln zu zerbrechen vermochte ; und weibliche Schwärmerei malte ihr seinen männlichen Entschluß als Undankbarkeit vor .
Des alten Berthiers Missfallen an der Wirkung einer Verbindung , zu welcher er in seinem einfachen Sinne selbst die Hand geboten hatte , war nicht dazu behilflich , den verschloßenen Gram der armen Schwärmerin zur ruhigen Anerkennung des Vernünftigsten und Besten zurückzubringen .
Er war edel und wahr , und hatte sich in Rogers Stelle versetzt ; so um Sara zu leben , sie so zu beschützen , unter solchen Bedingungen die Zukunft abzuwarten , das mußte Roger wünschen , und das gewährte er ihm .
Aber er hatte sich mit seinem abgekühlten Blut , mit seinem Bewußtsein , die Rechnung über seines Herzens Glück nun schon längst mit dem Schicksal abgeschlossen zu haben , in Rogers Stelle versetzt , und auf diese Weise die unausbleibliche Gefahr , der sich der junge Mann aussetzte , übersehen .
Rogers Wille blieb immer gleich großmütig und uneigennützig , aber es mußte ein Augenblick kommen , wo Natur und Liebe diesem Willen eine andere Richtung gaben , als die sein wohlmeinender Großvater sich gedacht hatte .
Es war also ungerecht von dem redlichen Alten , Sara des üblen Ausschlags zu beschuldigen , und über sie , die Rogen niemals ihre Liebe verheißen hatte , zu zürnen , daß es ihn nun unglücklich machte , ihre Liebe zu entbehren .
Auch der Gang der öffentlichen Angelegenheiten , der sich immer mehr verwickelte , trug dazu bei , den alten Berthier von der unschuldig irrenden Sara zu entfernen .
Die Parteien wurden immer heftiger ; und alles , was zu L Anhang gehörte , wendete allen Einfluß , alle List und Dreistigkeit an , um die Begriffe des Volks zu verwirren , und jeder wahren Nachricht oder richtigen Vorstellung den Eingang zu versperren .
Man befleißigte sich , die rohsten , wildesten und bestechlichsten Menschen aus Berthiers Bunde zu den schlimmsten Bubenstücken zu verleiten oder aufzuhetzen , um diese nachher , als eine Folge ihrer Grundsätze , dem Volke vor die Augen zu stellen .
Berthier , welcher von allen geheimen Kunstgriffen dieser Art unterrichtet war , oder ihren Zusammenhäng mit dem großen System der Revolutionsfeinde wenigstens erriet , konnte sich bei aller seiner weisen Billigkeit nicht enthalten , die arme Sara einigermaßen mit in die Verdammnis der Elschen Rotte zu ziehen ; unter seiner nie zu trübenden Güte drang doch oft die heimliche Missbilligung ihrer Gefühle , und der Wirkung , die sie auf seines Enkels Glück hatten , hervor .
Endlich ereignete sich ein an sich kleiner Vorfall , der Sara's Schicksal schneller entwickelte .
Ein kleiner Teil vom Volke hatte den vierzehnten Julius mit brüderlichem Entzücken gefeiert , für manche war er ein Tag wüster Fröhlichkeit , aber bei weitem die meisten Einwohner jenes Landstrichs sahen ihn mit blindem Misstrauen an , als einen neuen Schritt zur Empörung und Gottlosigkeit .
Die Priester taten alles mögliche , um diese Meinung zu rechtfertigen , und sie mischten unter die hier und da angestellten Feste nur zu gut zum Unheil abgerichtete Aufhetzer , die alles anwandten , um die freudige Begeisterung in Unordnung und Ausschweifung zu verwandeln .
Das Land war voll von unbeeidigten Priestern ; in einem Grenzort des Distrikts von ** geriet einer von diesen , der in die Schenke einkehrte , unter verschiedene dort versammelte , patriotisch gesinnte Bauern .
Sie ließen sich anfangs nur mit einigen Stichelreden gegen ihn aus ; wie er diese aber mit schäumender Priesterwut aufnahm , überhäuften sie ihn mit bitteren Vorwürfen wegen seines verweigerten Eides .
Der hochmütige Pfaffe war unfähig , sich in Zeit und Umstände zu fügen , sondern donnerte einen Bannstrahl über den anderen gegen die Frevler heraus .
Er kam gerade von *** , einer zu L Gütern gehörigen Einsiedlerkapelle , die mit einem Wundertätigen Heiligenbilde prangte .
Der folgende Tag war zur Feier dieses Heiligen , welche durch außerordentliche Ablaßspenden begangen wurde , bestimmt ; und Stolz und Unverstand gaben dem Priester ein , die betrunkenen Bauern um ihn her zu bedrohen , daß ihnen , statt der Fürsprache des heiligen Fulgentius , dessen Fluch werden würde .
Die bis dahin unerhörte Frechheit , dem Zorn eines Priesters zu trotzen , erhitzte die Trinker in ihrem Fortschritt so weit , daß sie sich vermassen , der Heilige sollte ihnen nicht allein morgen die Absolution nicht versagen , sondern sie ihnen sogar noch heute , vor des hochwürdigen Herrn Augen , hier an Ort und Stelle geben .
Sogleich teilte sich der tolle Haufen ; eine Hälfte bewachte den wütenden Pfaffen , die andere eilte durch die hinter dem Hause gelegenen Weinberge und Baumstücke in den nächsten Wald , wo eine halbe Stunde entfernt der Heilige seine Kapelle hatte .
Der Einsiedler war beschäftigt , mit einigen hierzu von einem benachbarten Kloster gekommenen Mönchen , die geweihte Stätte mit Blumen und Wachskerzen für die nahe Feier zu schmücken , als die wilde Rotte hereinstürmte , und mit tobendem Geschrei die erschrockenen Klausner auseinander trieb .
Der Einsiedler mochte schon Ungläubige aller Art gesehen haben ; er ließ sich von diesen nicht irre machen , sondern eilte , die Kerzen am Altar auszulöschen , und stellte sich in die immer zunehmende trübe Dämmerung vor seinen Heiligen , in dessen Namen er den Verruchten mit lauten Flüchen die augenblickliche Rache des Himmels verhieß .
Die Szene war grauenvoll genug , um geübteren Freveln einigen Schrecken einzujagen : eine alte gotische Kapelle , deren düsteres Gemäuer von dem roten Lichtstrahl der ewigen Lampe nur bei ihrem Aufflackern überschossen wurde ; die Lampe selbst hing neben einem halb eingefallenen Bogen von Laubwerk und Blumen , die sie malerisch mit blutigem Schimmer umgoß , indem sie zugleich zwei große weiße Heiligenbilder , die den von Flittergold blitzenden Altar unterstützten , etwas erleuchtete ; unter dem Laubbogen stand der Einsiedler , eine lange , fast entkörperte Figur , mit kahlem Schädel und dichtem weißen Bart , die mit Grabesstimme die Qualen der Verdammten , die Blitze der rächenden Gottheit auf die Entweiher des Heiligtums herabrief , und dumpf schallte jeder Fluch aus dem nahen Gruftgewölbe zurück .
Die berauschten Bilderstürmer waren schon durch die Finsternis des Orts , in welchen sie aus der blendenden Abendsonne traten , überrascht ; seine feuchte Kühle mochte auch auf ihr brausendes Gehirn wirken - sie hielten einen Augenblick in ihren Stürmen inne , und nun waren sie verloren ; denn die schreckenden Bilder , die ihnen der Wächter des Heiligen vorgehalten hatte , frischten leicht ähnliche und bekannte in ihrem Gedächtnis auf , und gleich den Sklaven , welche der Anblick der Geisel zum Gehorsam zurückbrachte , verwischten bei ihnen die Moderkühle , der Weihrauchsdampf und die Mönchskutte den jungen Freiheitstaumel ; sie sanken zähneklappernd vor dem fluchenden Priester nieder , und murmelten ihr Bußgebet .
Aber ihrer Zerknirschung war noch ein weiterer Spielraum aufbewahrt , denn ehe noch die erflehte Absolution aus des Einsiedlers doppelzüngigem Munde tönte , kam ein Haufen Bewaffneter Bauern , um die Verbrecher zu fangen .
Der Wirt der Schenke , in welcher sich der ganze Unfug entspann , hatte gerichtlichen Beistand aufgefordert , und einige Bauern waren dem gefangenen , von ihnen in Freiheit gesetzten Priester , der den Heiligen so unvorsichtig kompromittiert hatte , nach dem Schauplatz des ketzerischen Komplotts gefolgt .
Die umgestürzten Betstühle und das herabgerißene Altartuch verkündigten die Untat der Frevler so deutlich wie ihr Zittern und Zagen ; sie wurden gefangen genommen , und nach ** gebracht .
Der älteste und wütendste unter ihnen , der jetzt furchtsamer als die übrigen schien , machte ein Paar Versuche zu entspringen , und wie ihm diese misslangen , suchte er dem Priester einige Worte insgeheim zu sagen .
Nach einer kurzen Unterredung mit dem Bilderstürmer fing der , man weiß nicht wie , versöhnte Diener der Kirche von weitem an , darauf einzuleiten , daß der Mensch im Grunde einige Nachsicht verdiente , er sei fremd in dem Dorfe , und sei nur von ungefähr unter die Zechbrüder geraten ; aber den ehrlichen Bauern , welche sich zu Rittern des heiligen Fulgentius aufgeworfen hatten , lag der Heilige mehr am Herzen als der Pfaffe , und die übrigen Gefangenen brachen in laute Schimpfreden gegen ihren Mitschuldigen aus , versicherten , er sei ihr Anstifter und Verführer gewesen , ja einer , der niedergeschlagener war als alle andere , sagte endlich , nun er ihn zum zweitenmal verführt hätte , sollte er auch seinen Teil an der Strafe haben ; auf das Zureden dieses nämlichen Menschen wäre er schon im letzten Sommer mitgezogen , wie sie des braven ehrlichen Gutsherrn Schloß zerstört hätten .
Seitdem , setzte der Bauer bleich und zitternd hinzu , bin ich aus Angst zum Söffe geworden , denn alle Heiligen haben mich verlassen , und mir keine Ruhe gegönnt , ob uns gleich der selige Herr durch die ältesten sagen ließ , er habe uns vergeben ; und wie uns der heilige Klausner verfluchte , war mir_es , als stöhnte der arme selige Herr :
Amen aus dem Gruftgewölbe heraus .
Diese Entdeckung diente dem Verbrecher nicht zur Empfehlung ; und wie am folgenden Morgen bei dem Verhör herauskam , dieser Mensch sei der Sohn des Verwalters in C , L Schloß , und ein Vertrauter des dortigen Kapelans , verbreitete sich bei dem hellsehenden und braven Teil der Commune ein allgemeines Kopfschütteln .
Es trafen so viele bedenkliche Zeugnisse gegen den Menschen zusammen , daß seine Sache sehr weitläufige Aussichten gab , als ganz unerwartet , es sei von Ungefähr oder auf Veranlassung , L selbst in C ankam .
Seine Erscheinung flößte dem zahlreicheren Teil der Partei , welche bei des Bilderstürmers Prozeß interessiert war , Trotz , dem anderen aber die Art von Bitterkeit ein , welche die Erwartung einer Ungerechtigkeit , die zu hintertreiben man zu schwach ist , so leicht geben kann .
Kaum aber hatte sich L die Sache , die ihm ganz fremd schien , berichten lassen , und mit den Richtern gesprochen , so erhielt der Beklagte sein Todesurteil als Mordbrenner und Aufrührer , und wurde in der möglich kürzesten Frist hingerichtet .
Der Elende schien wütend , er wollte zu dem anwesenden Volke reden , allein sein zitternder Mund brachte nur die wiederholten Worte vor : Ihr seid betrogen , ich bin geopfert - Der Geistliche , der ihn begleitete , schwang das Kruzifix und betete lauter , bis die Todesmarter des Sterbenden Bemühung zu sprechen zum Gewinsel machte .
Sara erhielt die erste Nachricht von L Ankunft in der Gegend durch den alten Berthier .
In der Art , wie er sie ihr mitteilte , hätte sie seine ganze Gutherzigkeit lesen können , wenn sie nicht schon ein gewisses Misstrauen gegen ihn in ihrer Seele hätte Wurzel fassen lassen .
Das höchst zweideutige Licht , in welchem L von neuem erschien , brachte den rechtschaffenen Alten auf , und erfüllte ihn mit bitteren Sorgen über den Gang der Zukunft ; aber in dem nämlichen Grad , wie er L mißbilligte , beklagte er Sara's Schicksal .
Er hatte sie so lange geliebt , und nicht , weil sie seine Liebe weniger verdiente , war er jetzt unzufrieden mit ihr , sondern weil sie nicht für seinen Roger so liebenswürdig war .
Er sagte ihr fast störrig , um nicht betrübt zu scheinen , L sei angekommen , und eben zur rechten Zeit , um einem Eindruck vorzubeugen , der seinem Hause nicht zur Ehre gereiche ; er erzählte ihr sodann , was sich am Abend des Bundesfestes ereignet hatte , und wie man erstaunt gewesen war , in dem Anführer der Unruhestifter einen Menschen zu finden , der , wie die ganze Gegend um C wußte , zu L Hauswesen gehörte .
Bedenklich setzte er hinzu : Sara , der Vater Ihres Kindes soll unter meinem Dache geehrt werden , den Mann , von welchem Sie Ihr Glück erwarten , hoffe ich rechtschaffen und gut zu finden ; aber aus Schonung für Ihren alten Pflegvater , gehen Sie vorsichtig zu Werke !
Bis ich nicht überführen kann , habe ich keinen Verdacht ; aber sehen Sie um sich , wie seine Genossen unseren armen Brüdern Zutrauen und Gewissensruhe rauben - diesen müssen Sie es verzeihen , wenn sie nicht so nachsichtig sind .
Man setze sich an Sara's Stelle , um von ihren Empfindungen bei diesen Worten zu urteilen .
Sie , die dennoch Entehrte , so rein ihr Herz sich fühlte , so zärtlich ihre Freunde sie schonten , sie , die Einsame , Weißte , durch Misstrauen Vereinzelte , sie sah nun auf einmal den lang ersehnten Augenblick vor sich ; ihres Schicksals Gebieter , ihr Gatte , ihres Kindes Vater war da ; jeder Augenblick konnte ihn in ihre Arme führen - sie hörte halb erstarrt Berthiers Rede an , hörte anfangs nur die Nachricht von L Ankunft , dann fühlte sie einen Augenblick bloß den Schmerz des Tadels , der wieder auf ihn fiel ; dann erinnerte sie sich , wie es damals war , da ihr Haus verbrannt wurde , wie ihr Vater damals auch auf L gezürnt , und sich hernach doch seiner Führung überlassen hatte .
Alles stritt und wälzte sich in ihrem Kopfe : Unwille über den redlichen alten Berthier , Liebe , Angst , Ungeduld , und endlich weibliche , mütterliche Zärtlichkeit , die über alles siegte .
Lächelnd und mit perlenden Tränen eilte sie zu ihrem Kinde , weinte laut , schwatzte der Kleinen vom Vater , kleidete sie , war von ihrem Liebreiz überzeugt , und schmückte sie von neuem , und schmückte sich selbst , und neue Tränen und Schamröte überflossen ihr Gesicht , wie sie ihr Halstuch um den mütterlichen Busen schlang .
Wollust , und inniger Schmerz , und züchtige Furcht , ob das Weib ihm so reizend scheinen möchte wie das Mädchen , kämpften in ihrer Seele .
Endlich fiel ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Greis , der unruhig aus- und einging , und sie zuweilen tiefsinnig ansah .
Sie ergriff seine Hände : jetzt kein Misstrauen !
Vater , nach so langem Leiden , lassen Sie mir einen Augenblick Kinderglück - o ich werde allein die Weise gewesen sein , denn ich glaubte der Liebe ! setzte sie begeistert hinzu , und hob die nassen schönen Augen zum Himmel , mit der Zuversicht einer Märtirerin , welcher die göttliche Glorie entgegenstrahlt .
Der Alte hörte ihr ernst zu : Gott gebe es , meine Tochter ! und indem er ihr sanft die triumphierende Stirn küßte , fuhr er leise , wie zu sich selbst sprechend , fort : Könnte ich allein fallen , für dich und ihn ! -
Er schwieg erschüttert , und eilte von ihr .
Aber die Stunden vergingen , der Abend brach ein , und L kam nicht .
Mehrmals erwachte die Kleine , und weinte , und Sara ängstigte sich , er möchte nun gerade jetzt kommen , da sie weinte ; schnell reichte sie ihr die reizende Brust , und glühte bei dem Gedanken , daß er jetzt hereintreten , und das Kind an ihrem Busen finden könnte .
Endlich wandelte sich die zarte Glut der Liebe auf ihren Wangen in ein tieferes Rot , indem ihr Herz von peinlicher Erwartung hoch aufklopfte ; bei jedem neuen Schlag der Dorfuhr , nachdem sie schon bang die Sonne hinter die Hügel sinken gesehen hatte , zog es sich krampfhaft zusammen ; jedes ferne Geräusch machte sie stutzen , sie lauschte , und zürnte innerlich , so oft einer der Hausgenossen in das Zimmer trat , und doch sang sie selbst sich mit unsicherer Stimme etwas vor , um die bleierne Zeit zu betrügen .
Aber auch ihre Stimme verstummte in der immer zunehmendenden Stille ; die Dunkelheit ließ sie auf den Weg hin , und den Hügel hinauf nichts mehr erblicken , mit trüben Augen und eiskalten Händen faßte sie ihren Stuhl an , und rückte ihn weit weg vom Fenster an das Bett ihres Kindes .
Sie fürchtete sich vor dem Augenblick , da der alte Berthier zu ihr zu kommen pflegte , denn sie mußte dann ruhig scheinen , und sprechen - doch plötzlich hörte sie einen Knecht im Hofe reden , und auf die Treppe zugehen - bald war es ihr , als ob ein ruhiger leiser Schritt sich ihrer Türe nahte - sie zitterte - die Türe ging auf , und - L stand im Zimmer .
Nach einem flüchtigen Blick auf die Gegenstände umher , die spärlich erleuchtet waren , weil die herzliche Mutter einen Lichtschirm gegen die Wiege gekehrt hatte , flog er auf sie zu ; von Entzücken überwältigt , vermochte sie es kaum , ihm ein Paar Schritte entgegenzuwandern , und er empfing sie in seine Arme . -
O sie hätte diese Stunde noch ungetrübt genießen können ! noch war ihr Gewissen rein von Unrecht , noch hatte keine wilde Leidenschaft ihr Inneres verwüstet !
Hätte dieser Mann die Stimme der Menschheit und Natur noch hören können , so wäre diese Stunde die erste von Sara's Glück gewesen .
Reizender als je , rein , treu , und ehrwürdig neben dem Zeugen ihrer Schwäche , lag jetzt das holde Weib in seinen Armen ; sie erwartete alle ihre Seligkeit von seiner Hand , er hatte alle Verantwortung ihres Glückes auf sich genommen , da er sie zu seinem Eigentum machte - warum erwiderte sein Blick , sein Kuß , selbst sein Entzücken nicht das kindliche Zutrauen der wonnetrunkenen Sara ?
Die Natur siegte zwar einen Augenblick , wie die von Freude zitternde Mutter ihm das schlafende Kind hinreichte , wie es ruhig atmend das Köpfchen an seine Brust sinken ließ , und im Vaterarm fortschlummerte , wie Sara aufrief :
O es zeigt mir , daß diese Brust mir noch treu ist !
Klopfte sie nicht für mich , es würde erschrocken aufwachen .
- Sie schmiegte sich nun an ihn , ihr Auge blitzte unter Tränen , ihr kindliches Gemüt liebkoste ihn lange spielend , und in ihre eigene Freude vertieft , ohne den Ausdruck seines Gesichts auszulegen .
Endlich mußte sie seinen unruhigen Blick , seine ungleiche Stimme , sein öfteres Verstummen wahrnehmen ; sie mußte fühlen , daß er über diesen seligen Augenblick hinaus dachte .
Sie fragte , und ihr süßer Ton , der Reiz ihres ganzen Wesens riß ihn wieder zur Heiterkeit hin ; er wollte antworten , und dann verwirrte er sich wieder in seinen eigenen dunklen Gedanken .
Sie erfuhr endlich so viel , daß er von unangenehmen Geschäften verfolgt , alles abgebrochen habe , um sich über ihre Lage zu beruhigen , ehe ein neuer Strom von Begebenheiten ihn auf noch längere Zeit von ihr fortrisse .
- Diese letzten Worte durchschauderten das zärtliche Weib ; sie hielt ihn mit beiden Händen fest , als wollte sie ihn der ganzen Welt streitig machen , und beteuerte , keine Wendung der Umstände , keine Bürgerpflicht sollte sie mehr von ihm entfernen .
Die Furcht vor einer neuen Trennung überwand ihre zärtlich stolze Scham , mit dem feierlichsten Ernst forderte sie L auf , sie nun in den Besitz des Rechtes , an seiner Seite zu leben , einzusetzen .
Deine Treue , setzte sie mit dem Ausdruck der innigsten Liebe hinzu , will ich nicht binden , die sichert mir dieses Herz zu , das jetzt an deinem schlägt ; aber jener schlummernde Engel fordert einen Vater , der ihn vor der Welt anerkenne !
Er wird seine Mutter nach ihrem Gatten fragen .
- Ein Strom von heißen Tränen überfloß ihre Wangen , die von Schamröte glühten ; L drückte sie an seine Brust , und der wechselnde Ausdruck seines Gesichts bewies , daß er nach Fassung kämpfte .
Er konnte ihr endlich zureden , Leidenschaft und Überredung ergossen sich von seinen Lippen , aber sein zweideutiger Blick lud zu keinem Glauben ein , und in seinem ganzen Wesen war mehr Spannung als teilnehmender Schmerz .
Er stellte ihr vor , wie unmöglich bei seinem jetzigen Unternehmen die öffentliche Verkündigung der heiligen Verpflichtung wäre , die seine Liebe und ihr Wert , auch ohne ihr Kind , ohne dieses teure Pfand seines Glückes und ihres Vertrauens , ihm auflegten ; wie pflichtwidrig er als Staatsbürger handeln würde , wenn er , um ihre zärtlichen Besorgnisse zu heben , sich zu dem Dienst seines Vaterlands unfähig machte , indem er durch die Wahl seiner Gattin seiner Partei Misstrauen einflößte .
Er verwirrte nun Sara's banges Gemüt durch ein scheußliches Gemälde , das er ihr von den Absichten der Bundesbrüder ihres alten Freundes entwarf , und er wußte künstlich seiner Sache den schönen Schmuck der Freiheit und der Vaterlandsliebe anzulegen .
Berthier sprach er von allen bösen Absichten frei , er nannte ihn einen edlen Schwärmer , der um einige Menschenalter zu spät lebte .
Seine reine Römertugend , sagte er , wird von den Bösewichtern , die ihn umgeben , mißbraucht , und er wird endlich ihr Opfer sein ; denn ihnen ist Redlichkeit ein Greuel , sie rechnen ihm den Schutz , den er dir und meinem Kinde gewährt , zum Verbrechen an , und wenn ich es nicht über dich vermag , daß du mir ohne Bedingung folgst , so kannst du über den alten Mann die blutige Rache seiner eigenen Rotte ziehen .
- Die Arme war nun in ein Meer von Zweifeln gestürzt , die zu lösen ihre Erfahrung nicht hinreichte ; und in dieser bangen Stimmung mußte L sie für diesen Abend verlassen .
Es wurde ihm schwer : oft wollte er gehen , und seine Unruhe und ihr Schmerz führten ihn zurück ; er kniete lange vor ihr , während daß ihre Tränen auf ihr lächelndes Kind herabfielen , das auf ihrem Schoße spielte ; Liebe und finstere Unentschlossenheit wechselten in ihm , und umsonst rief ihn Sara's holde Stimme zum unbefangenen Genuß dieses Augenblickes auf , der ihn zwar fesselte , aber nicht erheiterte .
Nach seinem Abschied suchte sich Sara zu sammeln , er hatte ihr versprochen den folgenden Abend wieder zu kommen , und sie wünschte , seine Plane dann mit frohem Herzen annehmen , oder widerlegen zu können .
Sie mußte ihm folgen , ohne in den Augen der Welt sein Weib zu sein , oder sie mußte bleiben , und ihren ehrwürdigen Pflegvater in Gefahr setzen ; denn jetzt reihte sie L es Wink , und des alten Mannes letzte Worte zusammen , und zitterte für des Greises Sicherheit .
Diesen Abend tat Berthier keine Frage an sie ; er blickte ihr gütig forschend , aber schweigend ins Auge , das sie bei diesem Blick , in welchem der ganze Friede der menschenfreundlichsten Tugend glänzte , wehmütig niederschlug .
Den anderen Tag bat er sie , ihrem alten Freund ihre Freude mitzuteilen , wenn sie froh wäre , und ihren Schmerz nicht zu verhehlen , wenn der Besuch ihres Gatten sie betrübt hätte .
Dieser Ton , dieser Ausdruck erweckte das Zutrauen der unentschloßenen Sara , sie entdeckte ihm ihre Zweifel und ihre Besorgnisse , verschwieg aber aus Schonung oder Vorsicht , und weil die Sache ihr in diesem umfassenderen Gesichtspunkt nicht am Herzen lag , das abschreckende Gemälde , das ihr L von Berthiers Partei gemacht hatte .
Wie sie mit ihrer Erzählung zu Ende war , schwor der Alte mit bitterer Heftigkeit , daß er sie nie anders , als wie L es anerkannte Gattin aus seinem Hause lassen würde - ja , mein Leben , rief er , mag ihr Opfer werden , denn er mag der Helfershelfer mehr haben , die meine eigenen Brüder , die diese ehrlichen Landleute , welche mich zehn Jahre lang liebten und achteten , gegen mich aufhetzen ; aber so lange diese Augen sind , soll meines Rogers Liebe nicht seine Beute sein .
Nein Sara , er hat die Rechte deines Gatten , oder gar keine ; und dann mache ich die meinen geltend .
Ich will ihn heute selbst sprechen .
- Diese Erklärung konnte die verscheuchte Sara nicht beruhigen , sie sah dem Gespräch der beiden Männer mit Angst entgegen , und hatte keine Klarheit in ihre Seele bringen können .
Die bittere Herabwürdigung , mit welcher Berthier von dem Abgott ihres Herzens sprach , flößte ihr von neuem eine geheime Entfernung gegen den Greis ein ; sie bereute es , ihm nicht alles verschwiegen zu haben , sie warf sich das Vertrauen , das sie ihm gezeigt hatte , als einen Verrat an L vor , und eilte bei seiner Ankunft seine Verzeihung zu erhalten .
Er war heute froher , und dem Glück des Wiedersehens offener .
Anfangs schien er über Berthiers Absicht , mit ihm zu sprechen , verlegen ; bald aber schalt er Sara lachend über die Ehrensache , die sie ihm angestiftet hätte , und versicherte ihr , wenn ihr Herz ihm genug traute , um als treue Gattin ihm zu folgen , ehe eine müßige Zeremonie es ihr zur Pflicht machte , so stünde er dafür , auch des alten Mannes Einwilligung zu erhalten .
Sara seufzte , blickte auf den verführerischen Mann , aus welchem heute Leben und frohe Zuversicht sprach , und wähnte in seinem unstäten Auge nichts als Liebe zu lesen .
Der alte Berthier ließ L bitten , auf sein Zimmer zu kommen ; so kurz ihre Unterredung war , so empfand Sara dennoch die peinlichste Unruhe , bis sie beide zusammen hereintreten sah .
Sie richtete ihre Augen fragend auf L , der mit erhitztem , aber freudigem Gesicht ihre Hand ergriff ; ehe er noch sprechen konnte , kam Berthier ihm zuvor , Unwille und tiefe Traurigkeit lag in seinen Zügen .
- Sara , sagte er , dieser Mann hat mich überzeugt , daß meine Ansprüche den seinigen nachstehen müssen ; er hat mich überzeugt , daß nur das wirkliche Eintreffen dessen , was ich fürchte , mich berechtigen könnte , Sie von dem Vater Ihres Kindes zu trennen .
Also nichts mehr davon !
Ich kann seine Rechte nicht schmälern , wenn Ihr Wille sie heiligt ; ziehen Sie mit ihm - er richtete seine trüben Augen gen Himmel :
Verzeih mir , unglücklicher Vater , daß ich hier meine Verpflichtung aufhören lasse !
Aber noch einmal wende ich mein väterliches Ansehen an , hören Sie mich , Sara - Ihnen , mein Herr , fuhr er fort , indem er sich gegen L wandte , kann , was ich sagen werde , gleichgültig sein , sobald Sie rechtschaffen sind ; wo nicht , so wäre es Unrecht , es bloß hinter Ihrem Rücken zu sagen .
Der Mann , Sara , dessen unzusammenhängenden Grün den , gegen Sitte und Gesetz zu handeln , Sie nachgeben , ist der Feind seines Vaterlands und der Verräter seines Volks ; wer die Sache der Freiheit verrät , wird sich nicht scheuen , die hülflose Unschuld aufzuopfern !
Suchen Sie sich vor Verzweiflung zu schützen , wenn der Erfolg meinen Argwohn rechtfertigt .
So kunstvoll er ist , kann er Sie nie erniedrigen , solange Sie nur von ihm betrogen , und nie seine Mitschuldige sind .
Gott erhalte Ihr Gewissen rein !
Herr von L , ob Sie mich Ihrer Politik oder Ihrer Rache opfern , gilt mir gleich ; ungewarnt sollte sie nicht aus meiner Pflege - Mit diesen Worten , indem er noch einen festen ruhigen Blick auf L heftete , entfernte sich der Greis .
Sara blieb , ein Bild des Entsetzens , wie angezaubert stehen ; des grausamen Alten Beschuldigungen umwölkten die reine Glorie nicht , in welcher L ihrem liebenden Herzen erschien ; aber fürchterlich ergriff es sie , den Mann , den sie über alles ehrte , so hartnäckig verfolgt und angefeindet zu sehen .
L führte schnell den gefährlichen Schwindel ihrer Gedanken vorbei , der doch endlich in Zweifel an ihm hätte übergehen können ; er nahm sein Kind in seine Arme , und fragte sie ernst und eindringend :
mein Weib , sagt dir nicht Pflicht und Natur , daß du mir mehr vertrauen mußt , als dem traurigen Parteigeist dieses kühnen Alten ?
Ich betrog dich noch nie , und werde dich nie betrügen ; mißverstand deine ehrwürdige Unerfahrenheit auch zuweilen meine Worte , so war dir meine Liebe doch immer deutlich , und von dieser erwartest du ja dein Glück , nicht von dem Einfluß meiner äußeren Lage , nicht von den politischen Verhältnissen , die Berthier so hinterlistig auszulegen sucht . -
Sara mußte in diesem Augenblick dem Glück ihres Lebens , dem Glauben an seine Redlichkeit entsagen , oder mehr wie je hingegeben , in ihm alle ihre Erwartungen von Frieden und Seligkeit vereinigen - konnte sie da wohl anstehen ?
In dem letzten Zeitpunkt von ihres Vaters Leben , und seit seinem Tode hatte Einsamkeit , Liebe , Kummer , sie gegen alle Unterschiede der Parteien und gegen ihre Absichten sehr gleichgültig gemacht .
Die Sache der Freiheit und der Gleichheit konnte zwar nicht anders als ihr teuer bleiben , allein war L denn ein Bundsgenosse der Gegner dieser Sache ?
Bei dieser Frage war es ihr jetzt unmöglich zu verweilen , sie wollte nichts als sich aus der hülflosen Ungewißheit retten , in welcher ihre Trennung von dem Geliebten sie hielt , sie wollte dem Manne gehören , für welchen sie Rogers Liebe , Berthiers Vertrauen verloren hatte - ach und einen noch teureren Kaufpreis durfte sie sich um ihrer Ruhe Willen nicht nennen , aber der Gedanke an die Todesstunde ihres Vaters rief ihr diesen doch unzähligemal zu - Diesem Mann , der ihr nun alles war , wollte sie gehören , und Vertrauen auf ihn konnte sie allein beglücken .
L wußte diesen fantastischen , gleich weichen und starren Sinn zu behandeln : durch ein Spiel der Empfindung beruhigte er ihren Verstand , und durch Ermahnungen an ihren Verstand fesselte er wiederum ihr weiblich schüchternes Herz .
Kaum war einiger Zusammenhäng in ihre Unterredung gekommen , so sprach er ernst und fast gebieterisch über die Pflicht , welche jetzt mehr wie jemals den Weibern obläge , sich vor leidenschaftlichen Meinungen über öffentliche Vorfälle zu hüten .
Er äußerte den entschiedensten Widerwillen gegen allen politischen Geist an Weibern ; er bat sie , niemals , was auch geschehen möchte , den zärtlichen Gatten mit dem Geschäftsmann zu verwechseln ; er stellte ihr mit den reizendsten Farben der Liebe und Schmeichelei das Glück vor , sich bei ihr auszuruhen , zu erholen , an ihrer Seite Mensch zu sein , wenn er allenthalben nur das Gespenst der Politik vor Augen gehabt hätte .
Sara fühlte nicht das Einseitige seines Raisonnements , sie fühlte nur die Wonne der häuslichen Szenen , die L ihr schilderte , sie ergab sich mit glühendem Herzen in den Willen ihres Gebieters , und hatte nie eine Ausübung der Herrschaft gekannt , die so süß gewesen wäre als die Anerkennung dieses Gesetzes .
Zwischen Berthier und Sara war in der darauf folgenden Zeit von L nicht mehr die Rede ; doch nahm in den wenigen Tagen , die dieser noch in der Gegend zubrachte , während deren der Prozeß des Kirchenschänders geendigt wurde , des Alten Unmut sichtbar zu .
Sara hatte von L alle nötigen Mittel und Anweisungen bekommen , um sich unterdessen zu ihrer Abreise zu bereiten .
Ihr Herz war bei diesen Veranstaltungen zwischen Unruhe , Sehnsucht und Kummer geteilt .
Sie getraute sich nicht mehr , in der Gegend umherzugehen ; bei jedem Denkmal ihrer früheren Jugend beklemmte ahnungsvoller Schmerz ihren Busen .
Oft stieg sie bis auf den Hügel , der zwischen Berthiers Haus und dem Gut ihres Vaters lag , und blickte auf die Trümmer ihrer ehemaligen Wohnung ; dann sah sie rechter Hand über die Wiese hin , wo Roger sie von dem wütenden Stier rettete , dann irrte ihr Auge in die Ferne , und überall traf es auf Spuren ihres verschwundenen Glückes .
Wenn sie nun träumte , welche Zukunft ihr Vater für sie gewünscht , erwartet hatte , und dem Pfad hinabfolgte , auf welchem sie nun wandelte , so schienen ihr alle Fäden zwischen der Vergangenheit und der Zukunft abgeschnitten , sie schien sich ein ganz verschiedenes Geschöpf von der Sara , die in den Schatten jener Ulmen aufblühte , und es war ihr , als erblickte sie ihr zitterndes wandelndes Bild in den spielenden Wellen eines Stroms : jetzt wirft die Welle einen Teil der Gestalt zurück , ein anderer fließt dahin , das Auge will den Umriß verfolgen , und verliert sich in den schwimmenden Zügen , immer ist die Gestalt dieselbe , nie ist sie es ganz . -
Trüb und mit schwerem Herzen kehrte sie dann zurück , und ging sie durch den Garten , so erkannte sie überall Rogers liebende Sorgfalt , hier eine Rosenhecke , die er für sie angelegt hatte , dort einen Mandelbaum , von dem er ihr Früchte brach . -
So irrte sie einst bis in einen kleinen Schoppen , wo er eine ganze Schreinerwerkstatt hatte .
Als Kinder hatten sie oft hier gesessen ; die Brüder , wie Theodor und Roger damals hießen , zimmerten dort Laubengeländer , Nelkenstäbchen , und allerlei Spielereien ; sie brachte ihnen in der Schürze ihr Vesperbrot , Obst und Semmeln , und Theodor suchte ungestüm ihren Vorrat durch , indes Roger ihr geschäftig seine Arbeit zeigte .
Späterhin erhielt sie von Roger manches Geschenk seiner Geschicklichkeit , Nähkästchen , Fußschemel , Blumenkisten . -
In diese Erinnerungen vertieft , setzte sie sich auf der Hobelbank nieder , und ihr Blick fiel auf den oberen Teil eines kleinen Rollwagens , der unter den Spänen verborgen steckte ; sie sah zugleich auf einem Tisch vor sich ein Brett , auf welchem ein Wagenrad abgezeichnet war , und Rogers Taschenbuch liegen , aus dem er seinen Bleistift genommen hatte , der noch auf dem Brette lag .
Roger hatte einen ihrer flüchtigen Wünsche , einen kleinen Wagen für ihr Kind zu haben , aufgefaßt , er war fast damit fertig geworden - heiße Tränen stürzten aus ihren Augen , bei diesem neuen Beweis seiner stillen innigen Sehnsucht , ihr Freude zu machen .
Sie hörte seine verzweifelnde Stimme , als er in der Abschiedsstunde rief : nie , nie wird er sie lieben wie ich ! - sie erschrak , nahm das Taschenbuch zu sich , und eilte von diesem Ort hinweg , wo vorwurfsvolle Geister sie zu umschweben schienen .
Aus den zuletzt geschriebenen Aufzeichnungen im Taschenbuch sah sie , daß dieser Wagen ihn noch an dem unseligen Tage beschäftigt hatte , welcher seinen Entschluß sich zu entfernen veranlaßte .
Wenige Tage nach L Abreise kam eine ehrbare Frau , seine ehemalige Amme , die seitdem in der Familie gedient hatte , und holte am frühen Morgen Sara mit ihrem Kinde ab .
Sie war davon benachrichtigt gewesen , und hatte den Abend vorher von Berthier Abschied nehmen wollen ; aber der Greis sagte zitternd :
Schone mein Alter !
Vor vier und zwanzig Jahren nahm mir der Tod mein letztes Kind , ich dachte , nur er würde dich mir nehmen . -
Er schloß sich in sein Zimmer ein , wo Sara die ganze Nacht Licht sah .
Sie stieg von Schmerz betäubt in den Wagen ; wie der Knecht die Hofpforte hinter ihr zuschloß , schien ihr die eherne Pforte der unwiederbringlichen Vergangenheit in ihren Angeln zu klirren , sie schlug die gefalteten Hände über ihre Augen zusammen , und schluchzte halb von Sinnen :
Auch dieses um deinetwillen ! - -
Sie sah die Gipfel ihrer vaterländischen Hügel vor ihren blicken verschwinden , und es war ihr , wie einem armen Verwiesenen , dem jenseits des Weltmeers eine Existenz angewiesen wird .
Das Mutterland ist verödet für ihn , er war dort auf der Menschen Geheiß bürgerlich tot , ehe die Natur seine Laufbahn abgeschnitten hatte ; die weite See stellt sich zwischen ihn und den Schauplatz seines ehemaligen Daseins , aber weder seine stürmenden Wogen noch seine plätschernden Wellen waschen das Bild der zerstörten Vergangenheit aus , sein Geist umirrt ewig die verbotene Stätte , wo er lebte , litt , und genoß .
Je fremder für Sara die Gegenstände um sie her wurden , desto unmöglicher wurde es ihr , ihr Kind aus ihren Armen zu geben ; ihre Begleiterin stellte ihr umsonst vor , wie sehr sie sich ermüdete , sie beobachtete das Weib mit scheuer Aufmerksamkeit , und wünschte allein weinen zu können .
Marton hatte nichts Widriges , und sie behandelte ihre neue Herrschaft mit aller Ehrerbietung ; aber sie war die erste fremde Person , bei welcher Sara die Verlegenheit empfand , sie von ihrer ganzen Lage unterrichtet zu glauben , und der gleichgültige Gehorsam gegen ihres Herrn Befehl war die Triebfeder ihres Betragens , keine Teilnahme an Sara , an ihrem Kinde .
Beim Eintritt in Paris nahm Sara's Beklemmung zu :
hier war also ihre Bestimmung , hier ihrer Liebe Lohn und Glück ihr aufbewahrt ; in diesem geräuschvollen Labyrinth sollte sie L finden , ihn beglücken , unter Tausenden verloren nur ihm leben ; hier , um sie , neben ihr vielleicht mußte Roger sein , aber sie konnte nicht erwarten ihn zu sehen ; hierher konnte auch Theodor zurückkommen , und keines von ihnen beiden würde wissen , wie nahe sie einander wären !
An der Barriere wurden sie von einem bescheiden gekleideten Bedienten empfangen , der sie in die Gegend der Honore-Strasse begleitete , wo Sara in einem ungeheuer großen Hause eine zwar einfach , aber sehr zierlich eingerichtete Wohnung fand .
Der Bediente überreichte ihr bei ihrem Eintritt einen Zettel von L , der das zärtlichste Willkommen enthielt , und ihr seinen Besuch für den Abend versprach .
Sara es Gedanken verwirrten sich in der Neuheit ihrer Lage .
Sie hatte noch nie in einer Stadt übernachtet , sie hatte nur einmal in Saumür einer Nonneneinkleidung beigewohnt , und war aus dem Klostersaale wieder in den Wagen gestiegen ; sie war gewohnt , mit allen Menschen , die sie umgaben , wie mit ihrer Familie zu leben , in aller herzlichen Einfalt , Teilnahme und Gastfreiheit patriarchalischer Sitten ; Liebe oder Hilfsbedürftigkeit war das Band zwischen ihr und allen Wesen außer ihr gewesen , von allen hatte sie empfangen , oder ihnen gegeben .
Als Kind hatte ihr der Nachbar über den Steg geholfen , als aufblühendes Mädchen hatte sie den Hochzeitstrauß für eine Tochter gepflückt , bei deren erstem Kinde Theodor , kurz ehe er aus dem väterlichen Hause entwich , Taufzeuge geworden war .
Jede Hütte im Dorfe hatte sie neu erbauen , veralten , oder ausbessern sehen ; bei manchem Baum , von welchem sie ihrem Vater Früchte brach , erinnerte sie sich , Antoinetten abgewehrt zu haben , daß sie ihn nicht mit ihren schwachen Händchen schüttelte - Wo war sie jetzt ?
Dieser ganze weite Häuserhaufen , dieses zahllose Volk umher , dieses Gewühl auf den Straßen , das in der einbrechenden Dämmerung dahin wogte , alle diese fremden Gestalten , die ihr ungeübtes Auge doch immer mit ehemals gekannten zu vergleichen versucht war - Bald glaubte sie Roger an dem festen schnellen Gang eines jungen Nationalgarden zu erkennen , dann bemerkte sie eine zierliche leichte Figur , die auf einem raschen Pferde daher eilte : so ritt Theodor , so schien die Schnelligkeit seines Rosses der über alle seine Bewegungen verbreiteten Ungeduld noch nicht Genüge zu tun .
Die Nacht verhüllte ihr nun die Gegenstände , ihr Kind schlief , Marton , die mit L es Verstorbener Mutter mehrmals in der Hauptstadt gewesen war , hatte , nachdem sie ausgepackt , tausend Fragen an den Bedienten zu tun , und plauderte mit ihm im Vorzimmer .
Sara fing an , sich ängstlich einsam zu fühlen : sie war , mitten unter Menschen , wie auf einer wüssten Insel , und bei ihrer Unkunde des Bodens , bei ihrer furchtsamen Fremdheit , in ihrem Zimmer sicherer eingesperrt als in einem Gefängnis .
So oft sie jemanden an dem Haus klopfen hörte , erschrak sie ; denn L konnte es noch nicht sein , und jedes neue fremde Geschöpf unter Einem Dache mit ihr , ängstigte und störte sie .
Sie hörte indes , wie sie über das Vorzimmer ging , eine weibliche Stimme zu einem Kinde sprechen , das ihr auch in einem herzlichen Ton antwortete , und dies war der erste beruhigende Laut , den ihr Ohr vernahm :
sie wußte doch ein weibliches Geschöpf in der Nähe , das auch Mutter war , das also wenigstens Ein übereinstimmendes Verhältnis mit ihr hatte .
Noch vor dem erwarteten Augenblick riß sie L Ankunft aus der bangen Einsamkeit ; er umfaßte sie mit Entzücken und Dank , er fragte mit der zärtlichsten Besorgnis nach allen Umständen ihrer Reise , nach seinem Kinde , detaillierte ihr die Einrichtung ihres Hauswesens , das Einkommen , welches er ihr bestimmte , ging mit einer bürgerlichen Einfachheit in alle Kleinigkeiten ihrer Lage , in die Bedürfnisse ihres Kindes ein , und schien bloß zärtlicher Gatte und Vater .
Er schloß die Schränke auf , die Sara noch nicht berührt hatte , ließ lachend in einem derselben einiges Silbergerät , das er mitgebracht hatte , aufheben , und übergab ihr ein Verzeichnis des Leinenzeugs , das sie finden würde - Sara , sagte er , ich hätte dich aus deiner ehrwürdigen Sitteneinfalt reißen können , ich hätte dir , ohne den Namen meiner Gattin , den mit diesem Namen verbundenen Glanz und Luxus geben können ; aber so würde ich dich wie eine Maitresse behandelt , und mein ganzes Glück zerstört haben .
In dieser Lage fand ich dich , betete ich dich an , in dieser Lage vertrautest du mir , lehrtest mich die Freuden der Menschheit kennen ; in dieser Lage bist du mein bürgerliches Weib , und von Geschäften , von Sorgen ermüdet , fliehe ich zu dir - Er schien tiefsinnig zu werden , und drückte sein Gesicht in ihre Hände .
Könnte ich wahrhaft , ungeteilt hier mein Leben genießen ! setzte er halb in sich gekehrt , halb zerstreut hinzu .
Sara war von diesen letzten Worten gerührt und - sich selbst vielleicht unbewußt - aufgeschreckt .
Wahrhaft , ungeteilt ? wiederholte sie mit einer Art von Ängstlichkeit .
Seine Liebkosungen zerstreuten ihre Unruhe , und die wenigen Worte , mit denen er sich über seine sonstige Lage ausließ , legten ihr wie gewöhnlich Stillschweigen auf , indem sie von neuem ihre Besorgnisse wegen endlichen Ausgangs so geheimnisvoller Geschäfte bei ihr erregten .
L bat sie , mit niemanden im Hause Umgang zu haben , er forderte mit zärtlicher Zuversicht und männlichem Ernst von ihr , sich niemanden anzuvertrauen , weil die traurige Ungewißheit ihrer äußeren Lage , sie sonst aussetzen würde , da hingegen bei einer völligen Eingezogenheit es selbst der frechsten Neugierde der Nachbarn nicht einfallen würde , in einer so eingeschränkten Lebensart etwas anders als eine Offiziersfrau , oder die Gattin irgend eines Deputierten zu vermuten .
Marton unterbrach ihr Gespräch mit der Nachricht , daß das Abendessen bereit sei , und fragte Sara zugleich nach dem Gedeck ; freudig errötend wies ihr diese L Geschenk an , worauf er sie in ein kleines Zimmer führte , dessen Fenster auf einen langen Hof ging , welcher mit bewohnten Gebäuden rings umgeben war .
Heute , meine Liebe , hat Marton unseren Geschmack zu erraten gesucht , sagte L mit heiterer Vertraulichkeit , indem er sich mit ihr zu der einfachen Mahlzeit niedersetzte ; aber fortan übernimmst du deine Wirtschaft , und wenn deine Mittage einsam sind , so denkst du , daß dein bürgerlicher Freund alle Abende wenigstens um acht Uhr nach Hause eilt .
- Ihr Abendessen war ein wahres Hochzeitmahl , durch Zärtlichkeit , Neuheit des Verhältnisses , und Ahnung einer seligen Zukunft in Sara's entzücktem Herzen ; und doch glich es , durch Einfachheit und beschränkten Genuß , dem stillen Beisammensein eines lang vertrauten häuslichen Paares .
Gegen zehn Uhr erwachte die Kleine ; ehe Sara aufstehen konnte , eilte L hin , brachte sie der Mutter herüber , und wie diese sich mit ihr entfernen wollte , rief er mit feurigen Augen , und einer von Liebe und Sehnsucht gedämpften Stimme : o meine Sara , laß mir , der ich so viel entbehre , jeden möglichen Genuß , jede süße Täuschung !
Ich sah mein Kind noch nie an der Brust meines Weibs - Er hatte sie an ihren Sitz zurückgeführt , er zog mit blicken , die eben so viel Ehrfurcht als Liebe ausdrückten , einige Nadeln aus ihrem Halstuch , und begnügte sich dann , ihre Hand an seine zitternden Lippen zu drücken , indes sie das kleine Geschöpf umschlang , das seinem Vater bald gierig den schönen Busen entzog .
Sara vermochte keine Worte zu finden , bei allen den neuentzückenden Empfindungen , in welche sie der Zauber , den L um sich her zu verbreiten wußte , versenkt hatte ; stumm beugte sie ihr holdes Gesicht zu dem Geliebten herunter , und ihr nasses Auge blickte dankend gen Himmel , und schien ihres Vaters Geist zum Zeugen einer so reinen Glückseligkeit aufzurufen .
L verließ sie nach zehn Uhr in Sehnsucht , Dankbarkeit und freudiger Hoffnung auf den morgenden Tag ; er verließ sie in einer Stimmung , deren stiller , inniger , und doch an Wehmut grenzender Friede das weiche , schwärmerische Herz des guten Weibs völlig von allen ehemaligen Banden losriß , und sie ihm unbedingt übergab .
So verlebte sie eine Reihe von Tagen , deren Genuß sie verdiente , und die nur reinen Seelen , wie die ihrige damals war , aufbewahrt sein sollten .
Ihr Kind , ihr kleines Hauswesen beschäftigte sie den Morgen , den übrigen Tag brachte sie mit ihrer Handarbeit , oder mit Büchern zu , an denen ihr Geliebter es ihr nicht fehlen ließ ; und sobald die Abendlüfte es gestatteten , fuhr sie mit Marton bis ins Freie , wo sie dann zu Fuß umherirrte , bis zu dem immer ersehnten Augenblick , da sie nach Haus eilte , um den Abgott ihres Herzens zu empfangen .
Die trüben Wolken , die sie oft auf seiner Stirn sah , zerstreute ihre unerschöpfliche Liebe , und sie wußte ihm Dank für den geheimen Schauder , der ihn meistens befiel , wenn sie in hingegebener Innigkeit von dem Zeitpunkt sprach , wo kein trauriges politisches Verhältnis ihm mehr eine doppelte Art von Existenz , in dem öffentlichen Leben und in seinem häuslichen , aufzwingen würde - denn so wenig Stunden er nur bei ihr zubringen konnte , so nannte er ihre Wohnung doch immer seine Heimat - wenn sein Auge bei diesen Äußerungen von ihr abglitt , und umherirrte , als suchte es einen festen Blick , verbarg sie zärtlich ihr Gesicht an seiner Brust , und bat ihn , die unersättliche Begierde nach Glück ihr zu verzeihen :
denn mehr Seligkeit , sagte sie , zu genießen , als du mir jetzt schenkst , mein Geliebter , ist kaum möglich ; es kann deren mehr geben , dennoch aber würde ich bei jedem Wechsel erzittern .
Wenn ich dich umfasse ; wenn du mir zusprichst , wenn du unser Kind liebkosest , so möchte ich in jedem solchen Augenblick mein ganzes Leben zusammendrängen ; es könnte nicht schöner verfließen - L schien sich bei diesen Worten zu erheitern : Möchtest du immer so denken , mein Weib ! möchte nie das Streben nach einem anderen Glücke uns vernichten ! -
Sie hatte ihn gleich bei ihrer Ankunft nach Theodor gefragt , und erfahren , daß er seit seiner Heirat im Ausland wäre ; von Roger hatte L zuerst mit ihr gesprochen , er hatte das Opfer von ihr verlangt , ihn nicht zu sehen - Unter anderen Umständen müßte er unser Bruder sein , sagte er mit edler Wärme , aber als Berthiers Glaubensgenossen würde ich ihn jetzt vermeiden , wenn auch die Art seines hiesigen Aufenthalts , unter einem Schwarm junger Leute , welche der öffentlichen Ruhe im Weg stehen , seinen Besuch bei meinem Weibe nicht ohnehin unstatthaft machte .
- Sara fühlte das Gewicht dieser Gründe , und freute sich , daß Paris so groß wäre , einer solchen Entfremdung das Unnatürliche zu benehmen .
Eines Abends in den ersten Tagen des Augusts 1792 . wurde sie durch muntere und in zahlreichem Chor gesungene patriotische Lieder aufmerksam gemacht , welche aus einem oberen Stock ihres Hauses herüber schallten .
Es waren ihr bekannte Weisen , die Roger oft gesungen hatte , und der harmonische Zusammenklang einer Menge jugendlicher Stimmen vermehrte den lebhaften , halb wehmütigen Eindruck , den einfache Musik immer auf sie machte .
L traf sie über diesem Genuß , den sie ihm zu teilen geben wollte .
Aber nachdem er einige Augenblicke aufgehorcht hatte , rief er mit Heftigkeit dem Bedienten , und befahl ihm in Erfahrung zu ziehen , wer diese Leute wären .
Der Bescheid lautete , daß es der Bürger sei , der den oberen Teil des Hauses bewohne , welcher heute einige Landsleute aus seiner Provinz bewirte , die sich unter den Föderierten befinden -
Ich habe nicht gewußt , setzte der Mensch mit sichtbarer Verlegenheit hinzu , daß die Leute oben aus Saumür sind , noch daß sie dergleichen Gesellschaften halten .
L befahl ihm mit einer Härte , die für Sara sehr unverständlich war , den folgenden Morgen zu ihm zu kommen , weil er ihm Aufträge zu geben habe .
Da die gute Sara fürchtete , dieser Mensch , welcher viel Anhänglichkeit für sie zeigte , möchte bei der Gelegenheit Verdruß haben , so suchte sie L scherzend von der Geringfügigkeit dieses Zufalls zu überzeugen ; sie sähe wohl ein , daß es unziemlich für sie sein möchte , in einem Hause zu wohnen , wo junge Leute tränken , dies wäre ja aber nur ein Familienfest - Und vielleicht ist Roger dabei , setzte sie gerührt hinzu ; da wird alles ehrbar zugehen .
Mir war es wirklich , als hörte ich seine Stimme bei dem hübschen Liedchen - Sie war hier liebkosend um L beschäftigt , streichelte seine Stirn , und küßte seine Augen , um sich von ein Paar hellen Tränen zu zerstreuen , die sie bei Rogers Erwähnung in den ihrigen merkte , und die trotz ihrer Bemühung auf L Gesicht fielen . -
Meine arglose Sara , meine unschuldige Taube , rief L bewegt ; du weißt nichts , du ahnest nichts !
Meine Arme sind deine Welt , und du ahnest nicht , wie ich Sorge , dich sicher in diesen liebenden Armen zu erhalten .
Die Stadt ist in einer Lage ! die Gemüter sind in einer Stimmung !
- Mein Weib , ich habe dieses Haus unter Tausenden ausgesucht , damit nichts , keine Gefahr , keine Anregung dieses bedenklichen Augenblicks dir zu nahe käme ; und jetzt sehe ich mich betrogen - Erschrick nicht , meine Teure ; vertraue mir !
Ich werde alle Gefahr von dir wenden . -
So gleichgültig wie ihr der Vorgang an sich schien , so machte er doch einen tiefen Eindruck auf Sara's Gemüt , und sie fragte L dringend , wie lange diese Sorgen noch dauern möchten ? wenn er endlich die Menschen als Freunde , nicht als lauter Verschworene betrachten würde ?
Aber er liebte diesen Gegenstand nicht , und er suchte Sara durch allgemeine Beruhigungen davon abzuziehen .
Das späte Auseinandergehen der Gäste , und eine kleine Unpäßlichkeit ihres Kindes , hielten Sara diesen Abend noch lange , nachdem L sich entfernt hatte , in ihrem Eßzimmer auf , dem einzigen , das auf den Hof ging .
Wie es still zu werden anfing , bemerkte sie eine weibliche Stimme , die mit dem Ausdruck der tiefsten Schwermut die Lieder wiederholte , welche die muntere Gesellschaft vorher so lustig gesungen hatte .
Der Kontrast zwischen einer gedämpften , unendlich sanften Stimme , welche manchmal von Tränen zu stocken schien , und dem kühnen Geist ihrer Lieder , hatte etwas so auffallendes als rührendes .
Sara sah hinaus , und erblickte zur Seite im Erdgeschoß , durch die Fenster , aus welchen die Stimme kam , eine weibliche Gestalt , die eben von einem niedrigen Stuhl aufstand , und eine kleine Lampe in die Hand nahm , mit welcher sie emsig in alle Winkel des Zimmers zu leuchten schien .
Wie sie noch damit beschäftigt war , trat eine andere weibliche Person in das Zimmer , und sprach ihr freundlich zu : Nanny , was machst du wieder ?
Suche nicht , arme Nanny; komme zu Bett , es ist spät . -
Ach er ist nirgends , nirgends ! rief die erste mit einem durchdringenden Schmerzenston , und ließ sich geduldig aus dem Zimmer führen .
In der stillen Sommernacht , welche jeden Ton hörbar machte , konnte Sara den Auftritt genau beobachten , und sie wurde sehr begierig zu wissen , wer die beiden Weiber wären .
Marton konnte ihr indessen keinen anderen Bescheid geben , als daß sie erst seit etlichen Tagen da wohnten , Schwestern zu sein schienen , und vermutlich sei die eine davon verrückt ; wenigstens habe man sie in den wenigen Tagen meistens weinen und auf den Knien liegen sehen .
Sara gab noch ein Paar Abende auf diese Nachbarinnen Acht , und bemerkte dasselbe , sah die wahrscheinlich vorrückte Kleine , hörte sie singen , worauf sie dann mit der Lampe allenthalben umhersuchte , bis die Schwester sie fortführte .
Von dem Eindruck dieser sonderbaren Erscheinung zerstreute sie L Stimmung in diesen Tagen .
Er war sehr tiefsinnig , und schien mit seinen Gedanken oft ganz abwesend zu sein .
Zuweilen umarmte er Sara mit einer schmerzvollen Heftigkeit , die ihr Innerstes bewegte .
Sie fühlte die Veränderung um so lebhafter , als in den wenigen Wochen , die sie in Paris zugebracht hatte , ihre stille Eintracht noch durch nichts gestört worden war ; jeder kleine Umstand hatte ihre Liebe erhöht , und L hatte in der Entfaltung von Sara's Geist , welchen jetzt kein Zwang mehr drückte , in der unerschöpflichen Zärtlichkeit dieses kindlichen Geschöpfs , den höchsten Genuß zu finden geschienen .
Am Morgen des neunten Augusts kam er , zum erstenmal in dieser Tageszeit , zu Sara , die über die unvermutete Erscheinung innig erfreut und dennoch erschreckt , ihn um die Ursache des ungewöhnlichen Besuches fragte .
Er sagte ihr , seine Pflicht würde ihn den Abend und die ganze Nacht abrufen , er hätte indessen nicht so völlig entbehren wollen , und da er seine stille Abendstunde einbüßen würde , bäte er sie wenigstens um ein Frühstück .
Er schien gespannt munter , und ließ nur vorübergehend fallen , man fürchtete einige Unruhe in der Stadt , die Wachen im Schloß wären verdoppelt , und er würde die ganze Nacht dort sein . -
Fahre heute Abend nicht aus , Liebe ; setzte er hinzu , und halte morgen früh deine Zimmer verschlossen , bis du von mir hörst .
- Sara war äußerst ängstlich , er lachte aber ihre Besorgnisse hinweg , und sprach voll Zuversicht von einer nahen Veränderung zum Besten in den öffentlichen Angelegenheiten , die auch auf ihr Schicksal würde Einfluß haben können .
Sara entging es nicht , daß seine Munterkeit von manchen widersprechenden Empfindungen durchkreuzt wurde , und sie suchte mühsam ihre Angst zu zerstreuen .
Sie hielt ihn unter tausend Vorwänden auf , er gab ihrer Bemühung zärtlich nach , beschäftigte sich lange mit seinem Kinde , und nahm endlich den herzlichsten Abschied , indem er zugleich sein Möglichstes zu tun versprach , um den folgenden Morgen wiederzukommen .
Sara brachte nun den Tag in der bangen Erwartung gewaltsamer Auftritte hin .
Sie sah mehrere Haufen von bewaffneten Föderierten über die Straße ziehen , hörte auch von fern das Rasseln von schwerem Geschütz über dem Pflaster ; aber noch schien alles friedlich , und sogar eher festlich zu sein .
Wie gegen die einbrechende Nacht alles um sie her in die tiefste Stille versunken war , wobei der wilde Gesang einzelner Bewaffneter desto schauderhafter abstach gegen die bürgerliche Ruhe in den Häusern , setzte sie sich neben das Bett ihres Kindes , und horchte auf jeden Ton , der von der Seite des Schlosses herschallte .
Gegen elf Uhr wurde die Straße lebhafter ; stillschweigend , aber mit schnellen Schritten fingen zahlreiche Gruppen an , gegen den Ludwigsplaz zuzueilen , und Sara suchte sich damit , daß alle hinströmten , niemand aber von dort zurückkäme , zu beruhigen .
Sie sah zahlreiche Abteilungen von der Nationalgarde diesen Weg nehmen , und glaubte nun den Pallast vor jeder Gefahr gesichert , da brave Bürger ihn beschützen würden .
Plötzlich riß sie der Ton der ersten Sturmglocke aus dieser Zuversicht ; ihr Herz stockte , ihr Atem selbst hielt inne , sie strengte sich an , diesem furchtbaren ihr noch unbekannten Klang einen Sinn zu geben , als ein leiser Nachtwind von dem Inneren der unermeßlichen Stadt herwehte , und einen ähnlichen Ton nach dem anderen mit sich führte .
Bald lebte die Luft von dem verworrenen und schnellen durcheinander Läuten der vielen Glocken , durch die Kränzwege schmetterte die Lärmtrommel , alle Fenster wurden erleuchtet , und furchtsam sah man die friedliebenden Bewohner der Häuser herausblicken , indes die junge Männer und die ärmeren Mietsleute der Bodenkammern , die in diesem Aufruhr auf ein unentgeldliches Schauspiel rechneten , dem Ludwigsplaze zueilten .
Sara rief nach Marton und Thomas , sie bat den letzteren zitternd , sich nach der Ursache dieses Auflaufs zu erkundigen , zu seinem Herrn zu eilen .
Der junge Mensch war blaß und traurig , er antwortete , sein Herr hätte ihm verboten sie zu verlassen , bis Nachrichten von ihm eingegangen wären .
Der Lärm nahm überhand , fern über der Stadt hin färbte ein blasses Rot den grauenden Himmel , und eine schaurige Luft vermehrte den Fieberfrost von Angst , welche Sara immer heftiger ergriff .
Sie hörte jetzt das laut wiederholte Losungsgeschrei der Menge :
Es lebe die Nation !
Nieder mit dem König .
- Der König ! rief Sara , und stürzte nach der Türe ; dein Herr verteidigt den König , rette ihn , eile zu ihm . -
Thomas schüttelte schweigend den Kopf ; außer sich schrie sie :
Zeige mir den Weg ! -
und riß ihn mit sich fort .
Er bat sie flehend , ruhig zu bleiben :
ich muß , sagte er , Gewalt brauchen , um Sie von allem heftigen Tun abzuhalten ; und Gott weiß , wie mich das schmerzt , wenn ich bedenke , was in diesem Augenblicke alles geschehen kann .
- Du wüßtest was geschehen könnte , und erwartest du denn deinen Herrn nicht ?
Sara stieß ihn von der Türe , sie erschöpfte sich , um ihren Zweck zu erreichen ; Thomas kniete endlich vor der Türe hin , und rief wehmütig : gnädige Frau , dort wird Blut vergossen , dort können Sie nicht helfen .
- In dem nämlichen Augenblick tönte zufällig ein schallendes Geschrei die Straße herauf .
Deswegen muß ich hin ! rief Sara , indem sie mit einer letzten Anstrengung ihrer Kräfte die Türe aufriß .
Thomas fiel von der gewaltsamen Bewegung die sie machte , nieder ; aber indem sie über ihn weg eilen wollte , rief er noch einmal flehend :
Und Ihr Kind , gnädige Frau ? -
Sara stand betroffen still , und kehrte mit gerungenen Händen in das Zimmer zurück .
Sie setzte sich wieder neben die Wiege , und hob ihre trocknen , von Angst und Wachen geschwollenen Augen zum Himmel auf , den sie um Fassung und Mut anzuflehen schien .
Sie sah , daß der junge Mensch sein Gesicht mit seinem Schnupftuch bedeckte : Thomas , sagte sie , was soll diese schreckliche Nacht ? warum mußte dein Herr sich dieser Gefahr aussetzen ?
Gnädige Frau , antwortete er mit niedergeschlagenem Wesen , ich weiß zu wenig , um Ihnen Auskunft zu geben .
Die Menschen , die mich beredet haben , bei meinem Herrn Dienste zu suchen , mögen es auf ihrer Seele haben , wenn nicht alles , was sie tun recht ist ; aber allwissend schienen sie zu sein , und selbst jetzt , indem ich mit Ihnen spreche , bereiten sie mir vielleicht die Strafe meines Verrats .
Ich sollte ihnen alles hinterbringen , was mein Herr vornähme ; mein gutgemeinter Eifer , uns alle frei und gleich zu sehen , hatte sie wohl hoffen gemacht , daß mir jedes Mittel dazu gut wäre .
Ich dachte auch , ich könnte ihnen ja wohl sagen , was mein Herr so vor meinen Augen täte ; sie verlangten , daß ich ihm nachforschen , nachgehen sollte , wenn er sich dessen nicht versähe , da wurde mir bang , den Handel eingegangen zu sein , und ich war froh wie ich zu der gnädigen Frau kam .
Nun mögen sie mich aber als einen Abtrünnigen ansehen , und Gott weiß , was mir bevorsteht , wenn sie heute die Oberhand behalten . -
Bis dahin hatte Sara in der dumpfen fast gedankenlosen Stille zugehört , die oft auf einen heftigen Ausbruch von Leidenschaft folgt ; bei den letzten Worten fuhr sie auf :
Wer soll die Oberhand haben ?
Wer kann unterliegen ? -
Aber starres Entsetzen ergriff sie , da ein tausendstimmiges Geschrei auf der Straße erschallte : Sie morden sie alle ! -
Thomas riß die Fenster auf ; das Volk rannte gegen einander : alle Schweizer !
alle nieder - nieder ! rief es mit heulendem Ungestüm .
- Heiliger Gott , wie sich die armen Menschen wehren ! seufzte Thomas mit zusammengeschlagenen Händen .
Sara hatte in dem ersten Schrecken über dieses neue Geschrei ihr schlafendes Kind aus der Wiege gerissen , und hielt es jetzt fest an ihr Herz gedrückt ; ein fürchterliches Getümmel gerade unter ihren Fenstern rief sie dahin .
Sie sah zwei Schweizer , die sich durch das Volk drängten , und ihre Uniformen herabrissen , eine Anzahl Menschen umringte sie , in der Absicht , sie zu retten , indes andere in einem größeren Kreis um sie wüteten , und schrien ; plötzlich riß ein Bürger seinen grauen Überrock ab , und warf ihn einem von den Unglücklichen über , der nun gegen die Türe von Sara's Haus floh . -
Hilf , guter Thomas , hilf ihm ! rief Sara mit innigem Mitleid .
Thomas flog herab , riß die Türe auf , und der verkleidete Schweizer stürzte atemlos herein , und durch das Vorhaus in den Hof , die mitleidigen Bürger hatten seinem armen Kameraden den nämlichen Dienst leisten wollen :
aber von dem Mordgeschrei seiner Verfolger , die den um ihn geschloßenen Kreis durchbrechen wollten , betäubt , stieß er den ihm angebotenen Kittel eines Taglöhners von sich , und drängte sich in der Uniformsweste selbst seinen Feinden entgegen , um seinem entflohenen Waffenbruder nachzueilen .
Die aufgebrachte Menge brach mit ihm zugleich in das Haus , er eilte die Treppe hinauf , stürzte in Sara's Zimmer , zu ihren Füßen - Barmherzigkeit , Barmherzigkeit ! rief er in seiner Mundart , und umfaßte Sara's Knie .
Aber einige von seinen Verfolgern hatten ihn schon ergriffen , und hauten ihn vor Sara's Augen nieder .
Im nämlichen Augenblick zitterte die Luft von dem Abbrennen der ersten Kanonen in den Tuilerien .
Man mordet das Volk ! rief der Haufen in der Straße .
Lautes Geheul mischte sich in den Lärm , alles drängte sich nach dem Ludwigsplaz , die Mörder des unglücklichen Schweizers horchten am Fenster auf die wiederholten Schüsse , und eilten die Treppe herab .
In stummer Betäubung stand Sara , ihr Kind im Arm , der Blutende zu ihren Füßen .
Des armen Fremden letztes Röcheln rief sie jetzt zu sich , sie trat entsetzt zurück , der Sterbende streckte die Hand krampfhaft nach ihr aus , und verschied .
Die Straße war jetzt einen Augenblick leer , man hörte nur ein fernes Summen von Menschenstimmen , und nach jedem neuen Schuß ein dumpfes Geschrei .
Mord vor ihren Augen , Tod und Verderben um sie her , und alles was sie liebte im Mittelpunkt dieses Verderbens - ihr Gehirn brannte , sie dachte sich L unter den Händen dieser Unmenschen , die den wehrlosen Schweizer zu ihren Füßen niedergemetzelt hatten .
Sie wickelte ihr Kind in ihren Morgenmantel , und rief Marton , die sie noch im Nebenzimmer glaubte , ihr zu folgen .
Sie rief umsonst , Marton war fort , auch Thomas fand sich nirgends , das Haus war leer , totenstill - sie konnte es in der fürchterlichen Stille nicht aushalten , sie ging , eilte die Straße hinauf ; L war ihr einziger Gedanke !
So schritt sie fast ohne Besinnung fort , jedes lebendige Geschöpf , das sie sah , floh vor ihr her , kein freundliches Wesen kam ihr entgegen sie zurückzuführen .
Auf dem Ludwigsplaz begegneten ihr einzelne Gruppen von Menschen , die Verwundete trugen , und mit bitterem Lachen ihnen den Trost zuriefen , der Schauplatz ihres Todes sollte bald ein Steinhaufen sein .
Wie von bösen Geistern getrieben , suchte Sara den Eingang des Schlosses , wo man ihr einmal bei einer Spazierfahrt eine Reihe Fenster gezeigt hatte , die man ihr die Galerie des Königs nannte .
Dort mußte sie hin , denn dort mußte L sein !
Sie drängte sich in den ersten Hof , mit einer Hand wehrte sie alle Umstehenden von ihrem Kinde ab , das sie fest an sich drückte ; man machte ihr Platz , aber je näher sie dem Hauptgebäude kam , desto gedrängter standen die Haufen .
Endlich trieb ein Trupp sie vor sich her in einen kleinen Hof , man schrie wütend um sie :
" die Ritter vom Dolch sind dort im Hinterhalt ! "
Sie konnte nicht zurück , ob sie gleich Schuß auf Schuß um sich her , wahrscheinlich aus den Fenstern , fallen hörte .
Endlich erblickt sie einen Eingang in das Schloß , und will nun voran ; aber wie wurde ihr , als L , in einen großen blauen Überrock gehüllt , zwei gespannte Pistolen in der Hand , ihr entgegen stürzte !
Fünfzehn bis zwanzig Männer , mit Dolchen oder Pistolen bewaffnet , folgten ihm , und L schrie wild : Feuer !
Stoßt nieder !
- " Es ist ein Weib dabei ! " rief einer von den Männern , und warf sich vor den andrängenden Haufen. L ! schrie Sara; halte ein , halte ein ! -
Die Unglückliche stürzte auf ihn zu , das bewaffnete Volk ihr nach , und umringte sie ; L , nur auf Verteidigung der Seinen bedacht , verblendet , vielleicht gar wähnend , daß Sara's wilde Bewegung ein Angriff auf ihn wäre , schoß sein Gewehr los , und zerschmetterte die Schulter seines unglücklichen Kindes , das Sara mit ihren Armen umschlungen hielt .
Mit einem lauten Schrei sank sie nieder , die Kämpfenden würden sie unter ihren Füßen zertreten haben , wenn nicht ein Paar Männer , in diesem wütenden Getümmel noch menschlich , sie aufgerafft , und von dieser Stelle , die nun mit Blut und Leichen bedeckt wurde , hinweggeschleppt hätten .
Sie war ohne Besinnung , aber nicht ohnmächtig ; krampfhaft hielt sie ihr blutendes Kind im Arm ; und wie die Männer sie auf der Terrasse der Feuillans in das Gras legten , behielt sie es noch immer an sich gedrückt .
Neben ihr lag ein Knabe von sieben Jahren , dem das Gehirn zerschmettert war , und ein noch viel jüngeres Mädchen , das ohne sichtbare Beschädigung , in der Brust verletzt , schon sterbend sich streckte ; die Mutter dieser beiden Kinder kniete vor ihnen ; beide Hände über ihrem Schoß gefaltet , blaß , unbeweglich , ohne Tränen , ohne einen Seufzer ; nur wenn der Todeskrampf dem Mädchen noch einen röchelnden Atemzug auspreßte , hob sich die Brust der Mutter gewaltsam empor , dann wandte sie die Augen auf den Knaben , der gestaltlos da lag , ihr Blick schauderte vor dem fürchterlichen Anblick zurück , und ruhte wieder in toter Stille auf der Tochter .
Um die jammervolle Gruppe her trieb sich der zahllose Haufen ; Verwundete , Tote wurden vorbei geführt , Fliehende verfolgt , neue Bewaffnete drängten sich vorwärts ; von fern donnerte das Geschütz , und wirbelnd stieg schon aus dem Schlosse Feuer und Rauch empor .
Bei den Weibern standen Leute , die für sie auf Hilfe zu warten schienen , endlich langte auch wirklich eine Tragbahre an , auf welche man die beiden toten Kinder legte ; und in diesem Augenblick nahte sich ein junger Mensch , der mit zerstörtem Gesicht schon einigemal vorbeigelaufen war .
Es war Thomas , welcher unter den eindringenden Männern , die bis in Sara's Zimmer den Schweizer verfolgt hatten , einige seiner alten Bekannten erkannt , und einen Augenblick seinem Schrecken nachgebend , sich aus dem Hause geflüchtet hatte ; als er zurückkehrte , war Sara schon entflohen , und von Furcht und Reue , um seiner Sicherheit Willen sie in diesem Augenblick verlassen zu haben , getrieben , hatte er jetzt schon lange in der Gegend des Schlosses nach ihr umhergespäht .
Wie er die Kinder aufheben sah , eilte er herbei ; und erkannte Sara , die sich aufgerichtet hatte , und mit starrem , halb gleichgültigem halb fragendem Blicke um sich herum blickte , wie ein Totgeglaubter , der im Grabgewölbe erwachte .
Meine Herrschaft , meine arme Herrschaft ! rief er und stürzte zu ihren Füßen ; rettet sie ! bringt sie fort !
Sie ist verwundet - Sie war es nicht , aber ihres Kindes Blut hatte ihren Hals und ihre Kleidung gefärbt .
Sie stand matt vom Boden auf , sah die Umstehenden mit einem Blicke an , der das Gefühl des tiefsten , unerwartetsten und eben darum unwiderstehlichsten Schmerzens ausdrückte .
- " Er hat es selbst getötet ! " sagte sie leise und doch durchdringend , indem sie ihnen ihr winselndes Kind hinreichte .
Man verstand den Sinn dieser Worte nicht , aber bei ihrem Anblick schien Mitleid die Stelle des Schreckens bei den Zuschauern einzunehmen , und ihnen auf die großen Abscheulichkeiten , von denen sie Zeugen gewesen waren , wohlzutun .
In einen weißen Mantel gehüllt , den halb offenen Busen von dem Blut ihres Kindes gefärbt , ohne Haube , ihre Schultern von ihren schönen Haaren bedeckt , stand sie da , und obgleich keine Klage aus ihrem Munde , keine Träne aus ihren Augen floß , forderte doch ihr hilfloser Schmerz die Menschlichkeit zum Beistand , oder selbst zur Rache auf .
Thomas wollte ihr Kind nehmen , sie stieß ihn heftig zurück ; er nahm ehrerbietig ihren Arm , sie ließ sich still wegführen .
Ein Bürger ging auf der anderen Seite .
Thomas sagte ihm ihre Wohnung , er sah die Bahre mit den beiden Kindern , und die unglückliche Mutter den nämlichen Weg nehmen .
Der Zug schritt langsam fort , und wurde durch den Zulauf des Volkes oft unterbrochen ; die beiden kinderlosen Mütter schienen ohne besondere Anstrengung , aber auch ohne Besinnung dahin zu wandeln .
Endlich langte man vor dem Hause an , Thomas erstaunte , die Frau mit den beiden Kindern ebenfalls hineinführen zu sehen , und er erkannte jetzt in ihr die Gattin des Bürgers , bei welchem sich vor wenigen Tagen die Föderierten versammelt hatten , und die Kinder waren die nämlichen , deren Geschwätz mit ihrer Mutter auf die arme Sara am Abend ihrer Ankunft einen tröstenden Eindruck gemacht hatte .
Thomas überließ seine Herrschaft einen Augenblick der Obhut seines unbekannten Begleiters , und eilte die Treppe hinauf , um die Zimmer zu öffnen .
Der erste Gegenstand , der ihm hier in die Augen fiel , war der Leichnam des Schweizers , der noch auf der Stelle , wo er ermordet worden war , in seinem Blute lag .
Er schauderte zurück , besann sich , wohin er die gebeugte Mutter wohl bringen könnte , um ihr diesen Anblick zu ersparen - er war schon unten , da erblickte er die Schwester des armen Geschöpfs , dessen rührendem Gesang er in der Nacht oft aufmerksam zugehört hatte ; sie öffnete eben vorsichtig ihre Türe ; er bat sie , Sara Einschwielen zu beherbergen .
Sie schien es anfangs verweigern zu wollen ; wie sie aber Sara stumm und fühllos an einem Pfeiler gelehnt stehen sah , trat sie mit dem einfachsten Ausdruck von Teilnahme zu ihr , und fragte ihre Begleiter , ob sie verwundet wäre .
Thomas erzählte ihr mit wenigen Worten , wie er seine Herrschaft auf der Terrasse gefunden hätte , und wie ihr Kind mit den Kindern der Bürgerin im oberen Stock ein gleiches Schicksal gehabt haben müßte .
Hier schien die erste Wärme von Gefühl bei Sara wiederzukehren , eine schwache Röte färbte ihr Gesicht , ihre Züge arbeiteten sich gewaltsam aus der starren Ausdruckslosigkeit hervor , und sie brach unter lautem Schluchzen in die Worte aus :
O nein , nein ! der Vater hat sie nicht selbst ermordet .
- Diese Tränen schienen die Krisis ihres bisherigen Zustandes zu machen , jetzt erst zeigte sie , daß sie sich bewußt wäre , ihr Kind in ihren Armen zu halten , willig folgte sie der Nachbarin , die sie in ihre Wohnung führte , jedoch unter dem Beding , daß Thomas nicht mit ginge , sondern in den Zimmern seiner Herrschaft bliebe .
Auch litt Sara , daß sie die Kleine entkleidete , indes sie selbst , zitternd und zuckend bei jeder Bewegung , welche die Frau mit dem Kinde vornahm , ihre fragenden Blicke auf sie heftete .
- Es lebt , es lebt ! rief die Frau wiederholt ; es ist vom Bluten erschöpft , jetzt will ich es nur erleichtern , nur tun , was für es erste nötig sein mag !
dann hole ich den Wundarzt .
- Wie sie die zerschmetterte Schulter entblößte , schauderte sie , und deckte sie schnell zu ; denn die arme Sara hatte durch die Art wie sie das Kind gehalten und gedrückt hatte , die Wunde in einen schrecklichen Zustand gesetzt , und sie wollte der Mutter diesen Anblick ersparen .
Sie wies sie nun an , ihr aus diesem oder jenen Winkel des Zimmers allerlei was das Kind brauchte herbeizuschaffen , weil sie es gern in seiner jetzigen Lage erhalten wollte , um ihm nicht von neuem wehzutun , aber Sara war unfähig sie zu hören , sie zu verstehen ; ihr Gesicht verriet Anstrengung , aber ihre Bemühung zu denken weckte nun ihr erstarrtes Gedächtnis , und führte das Gefühl ihres Unglücks nach und nach vor ihre Seele .
Sie wurde immer unruhiger , ging finster und mit schweren Seufzern im Zimmer umher ; die gute Frau , die so bald sie ihren Zustand wahrgenommen hatte , behutsam aufgestanden war , um das Kind auf das Bett zu legen , und selbst nach den Dingen , die sie verlangt hatte , zu gehen , rief ihr freundlich dringend zu : wenigstens rühren Sie es nicht an ! -
da kniete sie nieder , ohne zu antworten , küßte leise die Zipfel des Küssens , worauf das Kind lag , seufzte tief , und fing von neuem an , wie in einem schrecklichen Traum umherzugehen .
Die Frau brachte das Kind wieder so weit ins Leben , daß es ein Paar Löffel voll Milch schluckte ; bei diesem Anblick überfloßen heiße Tränen Sara's Gesicht , ein zuckendes Lächeln schwebte um ihren blassen Mund , sie küßte die Hände , die Kleider der Nachbarin , ihre eigene Hand , und legte sie sachte auf die Decke des Kindes , das sie zu beunruhigen fürchtete .
Jetzt entfernte sich Frau Thirion - so hieß die Nachbarin - auf einige Augenblicke , kam aber bald mit ihrer Schwester zurück , der sie zuzureden schien , indem sie noch im Hereintreten zu ihr sagte : Sie ist krank , liebe Nannette , du musst recht vorsichtig sein , und ja das Kind nicht anrühren .
- Wie Nanettens Blicke auf das Kind gefallen waren , schien sie ängstlich zu werden ; sie hielt die Schwester beim Arm zurück , und mit scheuer verwirrter Mine sagte sie : das Kind ist blutig - träumt die Frau auch ? -
Nein , meine Liebe , nein !
Ich habe dir ja gesagt , daß die arme Mutter ins Gefecht geraten war ; du hast ja den ganzen Morgen schießen gehört - denke doch nur an das was du jetzt siehst ; bleibe bei der Frau so lange ich aus bin , und wenn der Bruder und der Schwager kommen sollten , so sage ihnen , daß die Frau unsere Hilfe braucht .
- Sie ging nun , den Wundarzt zu holen .
Sara blieb mit Nanni allein , sie schien aber nicht auf sie zu merken , sondern versank in immer tiefere Finsternis des Schmerzens .
Anfangs sah ihr Nanni von weitem zu , bald trat sie teilnehmend neben sie , und sagte ein Paarmal mit wehmütig tröstendem Tone :
Arme Liebe !
O diese Träume sind fürchterlich .
- Da Sara sie nicht hörte , wandte sich ihre Aufmerksamkeit auf das Kind , an dessen Bett sie sich setzte .
Sie erblickte die Schale mit Milch , gab der Kleinen einige Löffel voll , machte sich behutsam allerlei um sie her zu schaffen , wobei sie leise sang , und wie das halb entseelte Geschöpfchen wieder ohne Bewegung da lag , erhob sie ihre Stimme lauter , weil sie es im Einschlafen glaubte , und Sara's Ohr wurde plötzlich von den rührenden Worten des bekannten Wiegenlieds getroffen :
Deux victimes infortunees Se doivent de tendres secours ; Je veillerai sur tes jeunes années , Tu auras soin de mes vieux jours !
Sie heftete jetzt den ersten Blick auf Nanni : eine lange magere Gestalt , mit großen Augen , deren verwirrter umherirrender Blick sich nur fixierte , wenn er ein Paar fließende schwere Tränen zurückhalten zu wollen schien ; ein Mund , der ehemals gewiß schön war , jetzt aber immer aussah , als verhielte er den Schrei des Schmerzens , und den bei den ungleichsten Veranlassungen ein zuckendes Lächeln bewegte , womit der übrige Ausdruck des Gesichts nie übereinstimmte ; schöne schwarze Haare fielen auf ihre Stirn , ihr Anzug war ärmlich , reinlich , bürgerlich , aber vernachlässigt ; nichts wie die Stimme schien an ihr noch unzertrümmert , denn Gang und Bewegung drückten träumende Verwirrung aus .
Sie sang , ein Strickzeug in der Hand haltend , mit starrem tränenvollem Auge , als wenn sie bei einem sehr ernsten Geschäft begriffen wäre .
Sara es armes Gemüt war durch die ihr bekannten Worte tief zerrissen , denn sie hatte dieses Lied oft an der Wiege ihres Kindes gesungen , und so überzeugt wie sie von L es Treue war , sich dennoch selten der Tränen dabei enthalten können .
Jetzt hörte sie eine ferne Ahnung ihres Unglücks in einem fremden Munde , es kam ihr vor wie die Stimme des Schicksals ; und indem sie ihre eine Hand auf Nanni's Schulter , die andere auf ihr eigenes Herz legte , rief sie ängstlich : nein , er konnte er konnte es nicht sein , nein , es ist nicht möglich ! -
Nanni besann sich eine Weile , und sagte dann : nein , Liebe , er war es auch nicht ; aber das machte es nicht besser , denn seine schöne Stirn trägt doch nun das entehrende Zeichen - o da kommt er ! still , still !
Er darf mich nie davon sprechen hören .
- Sie lief an die Türe , und zwei Männer traten herein , ein ältlicher , rechtlicher , mit einer ernsten Physiognomie , in Nationalgardenkleidung , und ein jüngerer , der den Ausdruck der finstersten Überspannung auf seinem mit schwarzen Haaren umfangenen Gesicht trug .
Nanni ! rief dieser , unsere Rache beginnt . -
Er erblickte Sara und stutzte .
Der andere fragte , wer die junge Fremde wäre ?
Nanni führte ihn zum Kinde , und sagte mit ihrem verwirrten Lächeln und wilden Blick : Sieh , es ist gerade wie Henriot; aber die Schwester sagt , es werde nicht so lange schlafen .
- Der Auftritt wäre vielleicht noch unverständlicher für alle Teile geworden , wenn Frau Thirion nicht jetzt mit dem Wundarzt zurückgekommen wäre .
Wie sie die Männer erblickte , fiel sie dem älteren lebhaft um den Hals : Gott sei Dank , daß du wieder da bist !
darauf reichte sie dem anderen die Hand , und sagte noch einmal : Ihr seid mir erhalten !
Ich habe es aber verdient , denn ich hätte Mut gehabt , wenn man euch auch blutend wiedergebracht hätte . -
Braves Weib ! war alles was ihr Gatte ( denn das war der ältere ) ihr antwortete .
Sie unterrichtete ihn nun mit wenigen Worten von der Veranlassung zu Sara's Anwesenheit , und stand alsdann dem Wundarzt in der Verpflegung des Kindes bei , dessen Zustand dieser für nicht ganz hoffnungslos ansah .
Sara hing an seinem Munde , und schien wieder aufzuleben .
Sie fragte jetzt nach ihrer Wohnung , nach Thomas , nach Marton .
Ihre gutherzige Wirtin berichtete ihr , daß jene nach den traurigen Begebenheiten des Morgens erst in Ordnung gebracht würde , und daß ihre Leute damit beschäftigt wären .
Mit jedem Augenblick wurde Sara wieder fähiger , die Gegenwart an die Vergangenheit zu reichen , sie bat daß man Thomas rufen möchte , und Frau Thirion erfüllte jetzt ihren Wunsch , nachdem sie ihres Mannes Einwilligung erhalten hatte .
Thomas kam , und zeigte bei dem Anblick seiner Herrschaft die lebhafteste Rührung ; Sara trat beiseite mit ihm , kämpfte gegen ihren Schmerz , bis sie die Frage herausbrachte :
er schickte nicht ? -
Nein , war die traurige Antwort .
Sara zitterte , besann sich , zeigte ihm das Kind , und sagte : gehe zu ihm , sage ihm das . - Sie konnte nichts mehr sagen ; der arme Bursche machte eine bejahende Verbeugung , und wollte gehen .
Sara hielt ihn beim Arm zurück , suchte lange nach Worten , endlich fragte sie : sind sie alle ermordet ? -
Lebhaft erwiderte Thomas : die ganze Familie unversehrt !
Alle unter dem Schutz der Nation , keines ja berührt ! -
Sara schien einen Augenblick heiterer : eile , eile ! rief sie ; und Thomas ging .
Es war gegen Abend , die Hausfrau trieb ihre Geschäfte , und bereitete den Männern , welche den ganzen Tag unter den Waffen gewesen waren , ein kleines Mal .
Diese saßen indes am Herd , und während daß Frau Thirion im Hin- und Hergehen ihrem Mann die Vorgänge des Tages abfragte , blickte Joseph , ihr Bruder , finster in das Feuer .
Sara blieb neben ihrem Kinde , ängstlich auf Thomas Rückkehr harrend ; Nanni saß in ihrer stillen Zerstreuung , und arbeitete .
Wenn Joseph von Zeit zu Zeit in die Stube kam , richteten sich ihre Augen mit einem seelenvolleren Blicke auf ihn , und ihr Lächeln wurde bedrückender ; er hingegen schien dann finster hinauszugehen .
Einmal setzte er sich hin , einige Papiere in einem Tischkasten zu suchen ; Nanni legte ihre Arbeit aus der Hand , stellte sich neben ihn , und winkte Sara gleichsam verstohlen , indem sie die Haare von seiner Stirn strich , und sie lebhaft küßte .
Der junge Mann fuhr bei dieser Liebkosung auf , rief heftig ein Paar unverständliche Worte , und stürzte , seine Papiere zusammenraffend , mit verbißenen Zähnen hinaus .
Nanni seufzte , schüttelte den Kopf , und nahm ihre Arbeit wieder .
Sara war nicht fähig , diese kleinen Bewegungen zu deuten , ob sie gleich mechanisch darauf merkte :
ihr Körper fing an , einer Erschütterung , die gegen vier und zwanzig Stunden anhielt , zu unterliegen , ihre Nerven wurden von einem brennenden Fieber gespannt .
Die Veränderungen in ihrem Aussehen entging der Frau Thirion nicht , sie fühlte ihre glühenden Hände und Wangen , sie bat sie freundlich , sich auf dem Bett niederzulegen .
Wie Sara sich heftig weigerte , fragte sie mit bescheidener Teilnehmung : kann ich denn niemand zu Ihnen rufen ? kennen Sie keinen Menschen ? -
Nein , nein ! rief Sara in der schrecklichsten Bewegung , und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen .
Die Frau beruhigte sie , sagte ihr , sie wollte zusehen , ob ihre Zimmer fertig wären , und sie dann mit dem Bedienten hinaufbringen ; Sara hörte kaum etwas mehr , jeder Augenblick vermehrte ihr Übel .
Auch war Marton nirgends zu finden , und Thomas kehrte nicht wieder .
Wie die Nacht vollends einbrach , brachten sie die guten Menschen selbst auf ihr Zimmer ; die Männer mußten wieder unter die Waffen , und Frau Thirion machte Anstalt mit Nanni bei Sara und ihrem Kinde zu wachen .
Die Angst und die Stärke des Fiebers überwanden Sara's bisherigen Entschluß , sich niemanden anzuvertrauen .
Sie fragte tausendmal nach Thomas , und bat endlich Frau Thirion flehend , ihn aufsuchen zu lassen .
- Und wo das ? -
Sara nannte ihr L Wohnung .
Es war fast zehn Uhr , der Weg war lang , aber die gute Frau schien ihre Angst zu teilen , sie übernahm selbst Sara's Auftrag , und ging , nachdem sie ihrer Schwester auf das dringendste eingeschärft hatte , sie nicht zu beunruhigen , und sie sorgsam zu pflegen .
Nanni tat Anfangs auch pünktlich danach ; aber Sara , deren Gehirn in der bangen Stille , welche diese Nacht hindurch in Paris herrschte , noch mehr erhitzt wurde , fing selbst an , mit ihr zu sprechen , bat sie zu singen , und fragte sie nachher , ob Joseph ihr Gatte oder ihr Bruder wäre ? -
Gatte ? wiederholte Nanni lächelnd , und schwieg .
Sara glaubte , sie hätte sich nicht deutlich genug ausgedrückt , und sie fragte wieder , ob der dessen Stirn sie geküßt hätte , ihr Mann wäre ?
Nanni schien unruhig zu werden , und sagte , wie halb im Vertrauen : Nein , nein !
Ich weiß nicht wo er ist , Joseph will ihn ja ermorden . -
Wen ? rief Sara erschrocken und teilnehmend .
Die Unglückliche gab noch viele unverständliche Antworten , aus denen nur deutlich war , daß ihr armer verwirrter Kopf Sara für ganz unterrichtet von ihrem Schicksal hielt .
Sara fand eine ihrer bangen Stimmung angemessene Zerstreuung in dieser Unterhaltung , und sie machte , indem sie teilnehmend darin fortfuhr , die arme Nanni immer zutraulicher .
Auf die Frage , ob sie schon lange in der Hauptstadt wäre ? antwortete sie traurig :
Fast seitdem ich nicht aufwachen kann ! -
Weil dieser Begriff von Schlafen und Träumen es hauptsächlich war , der alle ihre Gedanken zu verwirren schien , so fragte Sara sie freundlich um die Ursache dieses langen Schlafs .
- Sie wissen es also gar nicht mehr , wie ich aus Hunger einschlief in der kleinen Hütte im Wald ?
Und mein Henriot weckte mich immer , weil er auch hungerte , und schrie ; und endlich träumte ich , Henriot müßte ja doch sterben , weil ich kein Brot hatte , und Joseph gar nicht wiederkam ; und da schnitt ich meinen armen Henriot in seinen kleinen Hals , bis er auch schlief ; und wie ich denn da neben ihm saß , und mich am Feuer wärmte , kam Joseph wieder , und rief :
da bringe ich zu essen , meine Nanni ! und hatte ein ganzes Reh , und das blutete wie mein Henriot; aber wie er den sah , war er sehr böse - und hernach mußten wir alle im Keller wohnen , und der arme Joseph stieß sich vor die Stirn , wie er meinen Henriot wieder aus der Erde graben wollte ; davon hat er noch das Mal , das ich heute küßte ; aber im Traum halte ich es immer für ein Brandmal , das ihm der grausame Graf hätte aufdrücken lassen , weil er das Reh schoß - und er wollte doch sein Kind damit vom Hungertod retten ! -
Nanni hatte höchst abgebrochen geredet , als suchte sie bloß fürchterliche Erscheinungen , die an ihrem Blick vorübergingen , zu beschreiben und zu nennen ; jetzt schien sie vor Angst dem ersticken nahe , und ihr Zustand rührte Sara so innig , daß sie einen Augenblick ihre eigene Lage weniger empfand , und auf Nanni's kalte Hände weinte .
Nanni fühlte ihre Tränen , besah ihre Hand , und sagte schluchzend :
Seitdem kann ich nicht weinen !
Martha sagt oft , wenn Henriot endlich aufwachte , würde ich vor Freude weinen .
Es währt aber so lange ! setzte sie sehnsuchtsvoll hinzu , könnte ich nur sein Bett finden ! wie ich ihn zuletzt schlafen legte , stand es dort - da ! -
Sie stand auf , nahm das Licht , suchte im ganzen Zimmer umher ; endlich kam sie wieder zu Sara , und rief hoffnungslos :
O es ist nirgends - nirgends zu finden !
Sara hatte jetzt eine Art von Aufschluß über das traurige Geschäft , bei welchem sie das arme Geschöpf einige Zeit vorher schon belauscht hatte ; aber folgendes ist die zusammenhängende Geschichte ihres Unglücks , die sie nur zerstückelt erfuhr .
Armand , der Vater der drei Geschwister , war Pachter auf einem großen Teil der Güter des Grafen von , die in dem jetzigen Departement der Charente lagen .
Er hatte Gelegenheit gehabt , in früheren Jahren einige Bildung zu erhalten , er hatte ein wohlhabendes Mädchen geheiratet , stand also besser als die meisten Landbauern seiner Gegend , und gab seinen Kindern eine sorgsame Erziehung .
Martha , die älteste , heiratete einen Seemann , mit welchem sie nach la Rochelle zog ; Joseph folgte dem Gewerbe seines Vaters , und die zärtlichste Bruderliebe verband ihn mit Nanni , der jüngsten , einem damals blendend schönen Mädchen , deren schwärmerisches Gefühl keinen anderen Gegenstand hatte , als ihren Bruder .
Den Grafen von ** nötigten seine Verschwendungen , sich für eine gewisse Zeit auf seine Güter zurückzuziehen ; hier warf er ein gnädiges Auge auf Nanni , bei der er sich in diesen Umständen einen ganz angenehmen Zeitvertreib versprach .
Bei den ehrwürdigen Grundsätzen von Tugend und Pflicht , die sie von ihrem Vater überkommen hatte , konnte er sie weder von diesem kaufen , noch sie selbst , ohne ihr Herz in das Spiel zu ziehen , verführen .
Aber Nanni war für ihren Stand zu gebildet , und der Elende war in diesen Künsten ein Meister ; ihr Herz empfing also die ersten Eindrücke der Liebe mit unbefangenem Zutrauen .
Schwüre und Versprechen von seiner Seite , Unerfahrenheit und glühende Jugend von der ihrigen , bereiteten ihren Fall .
Der alte Armand schöpfte Verdacht , und forderte seinen Abschied , um , wie er noch hoffte , sein Kind einer Beschimpfung zu entziehen , für welche kein Gesetz ihn rächte .
Ehe sein Gesuch bewilligt war , nahm ihn ein Schlagfluß hinweg ; in der Betäubung des ersten Schmerzens entdeckte Nanni ihrem Bruder ihren Zustand ; dieser reizte durch stolzen Ungestüm die Rache des vornehmen Verführers ; der Graf machte Schikanen über die Pachtrechnungen des Vaters , die er doch selbst aus Unordnung , seit vielen Jahren zu berichtigen sich geweigert hatte ; und die Kinder wurden fast des ganzen väterlichen Nachlasses beraubt , und aus dem Pachthof gestoßen .
Martha war mit ihrem Manne , wegen einer kleinen Handelsspekulation , nach England gereist ; die Familie ihrer vor vielen Jahren verstorbenen Mutter war ihnen fremd geworden - kurz , manche unglückliche Zufälle trafen so zusammen , daß ihnen in der harten Jahrszeit keine Zuflucht übrig blieb , als die Hütte eines alten Jägers , welche in der Gegend von Saint Hyppolite mitten im Walde lag .
Joseph fühlte die Schmach die dem Andenken seines Vaters , das Unrecht , das seiner Schwester angetan war , in einem so hohen Grade , daß er auf die abenteuerlichsten Anschläge verfiel , um sich an dem Grafen persönlich zu rächen .
Einsamkeit und halbe Ausbildung hatten seinen Kopf zu überspannten Begriffen gestimmt ; er wollte in Seedienste gehen , und hoffte sich durch die schnellen Fortschritte seiner Geschicklichkeit so weit zu bringen , daß ihm der Mörder seiner Ehre im Zweikampf würde Rechenschaft geben müssen .
Nanni es Verzweiflung , und ihre völlig hülflose Lage vermochten ihn , die Ausführung seines Plans bis auf das Frühjahr zu verschieben .
Sie gebar einen Knaben , bei dessen ersterem Weinen Joseph einen feierlichen Schwor , sich und ihn zu rächen , ablegte ; und seine Bitterkeit hatte bei der grausen Abgeschiedenheit seiner Wohnung , bei dem beständigen Kampf gegen herannahendes höchstes Elend , nur zu viel Nahrung .
Indessen teilte der alte Jäger sein tägliches Brot redlich mit ihnen , und Joseph half es ihm auf der Jagd verdienen ; aber auch diese Stütze wurde ihnen bald entrissen , der Alte kam in einer rauhen Winternacht , wahrscheinlich , weil er nicht nüchtern aus Saint Hyppolite zurückkehrte , im Schnee um .
Von Gram und Mangel an Hilfe ermattet , lag Nanni seit ihrer Niederkunft krank ; Joseph ging umsonst in die benachbarten Dörfer , um Arbeit zu finden ; wegen der eben sehr harten Witterung brauchte man keine Taglöhner , und als Knecht sich zu verdingen , erlaubte ihm der Zustand seiner Schwester nicht .
Ihr Jammer stieg auf es höchste , Nanni's Kopf fing an zu leiden , sie gab sich alles Unglück Schuld , und wünschte sich und ihrem kleinen Henriot den Tod .
Der Hunger , den sie öfters litt , wirkte noch mehr auf ihr Gehirn , und an einem unseligen Tage , dem dritten daß Joseph gefastet hatte , und wo Nanni das letzte trockene Brot aß , ohne daß ihr schmachtendes Kind Nahrung an ihrem Busen fand , ging Joseph mit der Flinte in den Wald , um , was auch daraus werden möchte , Speise zu finden ; das Ungefähr brachte ihn in ein Gehege , das zu den Gütern des Grafen von ** gehörte , er erlegte dort ein Reh , sah sich entdeckt ; da ihm aber die Schlupfwinkel von der Jagdgrenze an bekannt waren , gelangte er glücklich bis zur Hütte .
Bitter triumphierend wirft er die Beute vor Nanni's Füße , die er an dem Herd vor einem großen Feuer sitzend findet .
Sie winkt ihm verwirrt , still zu sein - die Vernunft der Armen war unterlegen ; was ihre eigentliche Absicht gewesen war , konnte man nicht erraten , ihr blutendes Kind zeugte bloß von ihrer Tat .
Sie hatte ihm die Kehle abgeschnitten , und glaubte nun , daß es schliefe .
Der unglückliche Bruder schaudert - ein natürlicher Sicherheitstrieb gibt ihm ein , den kleinen Leichnam vor der Hütte zu vergraben , indes Nanni in ruhiger Abwesenheit des Geistes sich schlafen legt .
Kaum war er mit dem traurigen Geschäft zu Ende , so sah er die Hütte von Menschen umringt ; man war dem Wilddieb auf die Spur gefolgt , und er wurde nun auf dasselbe Gut , wo sein Vater ehrenvoll gelebt hatte , ins Gefängnis geschleppt .
Nanni wäre vor Hunger und Raserei gestorben , hätte sich ihrer nicht einer von den Häschern erbarmt , dem sie in guten Tagen , in ihres Vaters Haus , manches Glas Wein gereicht hatte .
Dieser nahm sie zu sich , bis er bald darauf Gelegenheit fand , sie nach la Rochelle zu ihrer Schwester zu schicken , die eben nach einem vorteilhaft beendigten Handel aus England zurückgekommen war .
So oft Nanni auch von ihrem schlafenden Kinde sprach , so ließ doch ihre unverkennbare Verstandesverwirrung , und die Stumpfsinnigkeit , vielleicht sogar die Gutherzigkeit derer , die sie umgaben , keinen Argwohn aufkommen ; und ihre Schwester benutzte diese Fantasie , deren Grund ihr freilich bald klar werden mußte , um sie in der Unwissenheit oder Vergessenheit der noch fürchterlicheren Wahrheit zu erhalten .
Man ließ sie dabei , ihr Kind schliefe , und sein Tod habe ihr geträumt ; alles , was nachher sie schmerzhaft berührte , oder die Erinnerung des Geschehenen wieder in ihr wecken konnte , reihte sie an diese Idee , und gab es sich für Traum aus .
Ihren armen , durch sein Schicksal ergrimmten Bruder hatten Gram und Elend in den wenigen Monaten so entstellt , daß er bei seinem Eintritt ins Gefängnis , auf sein Verlangen vor den Grafen gelassen wurde , ohne daß man ihn für den Sohn des letzten Pachters erkannt hatte .
So wie er vor ihm stand , warf er ihm mit wütender Bitterkeit vor , der Mörder seines eigenen Kindes zu sein , und drohte ihm , daß früh oder spät keine Macht auf Erden ihn vor der gerechten Strafe schützen sollte .
Der kleinmütige Wollüstling schauderte , als er von dem blutigen Auftritt hörte , aber er schäumte über die Kühnheit des jungen Menschen , und er bewies ihm höhnisch , wie er sich durch das Geständnis von Nanni's Verbrechen in seine Gewalt gegeben hätte ; die Reihe zu drohen wäre an ihm , sagte er , und er rühmte sich seiner Milde , wenn er ihn und seine Schwester nicht einer weit schrecklicheren Ahnung überlieferte , als seine Wilddieberei nach sich ziehen würde .
Bei diesem niederträchtigen Missbrauch der Macht vergaß der Unglückliche seiner wehrlosen Lage , unsinnig fiel er den Grafen an , der vielleicht ein Opfer seiner Wut geworden wäre , wenn man ihm auf sein Geschrei nicht zur Hilfe geeilt wäre .
Seine Sache war nun sehr verschlimmert , der Gang des Rechtshandels blieb indessen unbekannt , wie so manches Werk der Finsternis in jenen Zeiten ; allein der Richterspruch verurteilte ihn , auf der Stirn gebrandmarkt zu werden , und zu vierjähriger Galeerenstrafe .
Thirion , Marthens Gemahl , sah sich nun in seiner Frau , durch die schändende Strafe die ihr Bruder erlitt , selbst entehrt ; aber zu redlich und edel , um es den unglücklichen Schwestern entgelten zu lassen , verließ er la Rochelle , und trat in der Hauptstadt einen Spezereihandel an .
Der Kummer seiner Frau , Nanni's Wahnsinn , der zwar sanft blieb , aber für unheilbar erkannt wurde , das fürchterliche Schicksal seines Schwagers , den er sehr geliebt hatte , ein von seinem früh getriebenen Seeleben sich herschreibender Hang zur Freiheit - alles traf zusammen , um ihn an der großen Revolution , welche ein Jahr nach dem Unglück , das seine Familie betroffen hatte , ausbrach , einen schwärmerischen Anteil nehmen zu lassen .
Er hatte sich ein Bild von Freiheit und Gleichheit gemacht , das seinen Begriffen angemessen war ; diese Vorteile seinem Vaterland zu verschaffen , war sein Ziel , und er verfolgte es mit einer Starrheit , die bei jedem Schritte , über die Mittel es zu erreichen , gleichgültiger werden mußte .
Anfangs schien ihm jedes Opfer zur Sühne für Nanni's zerrüttete Vernunft , für des redlichen Josephs gebrandmarkte Stirn zu fallen ; bald wog er jedes gegen die Tausende ab , die der ränkevolle Widerstand der Feinde der Freiheit vernichtete ; endlich lieferte er selbst die Unglücklichen unter das Beil , weil er bei jedem hoffte , dieser würde die Zahl der Ruhestörer schließen ! -
Im Frühjahr 1791 hatte Joseph seine schändliche Strafe auf der Galeere abgebüßt .
Mit einem durch und durch vergifteten Herzen , mit einem Gehirn , das die Langeweile , und die heiße Sonne des mittelländischen Meeres ausgetrocknet hatte , das unter seinen Mitgefangenen die verzerrtesten Züge der alten Sklaverei , der durch den Missbrauch der Gesetze erniedrigten Menschenwürde , der abscheulichsten Unsittlichkeit aufgefaßt hatte , durchbettelte er Frankreich .
Menschen hatten ihn , den Unschuldigen , gebrandmarkt , und jetzt scheuchte dieses Zeichen die Menschen von ihm , als hätte Gottes Finger es seiner Stirn aufgedrückt .
Mit glühendem Freiheitssinn , und dürstend nach Recht betrat er den Boden , der nun der Freiheit und Gleichheit geweiht sein sollte , und dennoch flohen seine Brüder die Gemeinschaft mit ihm .
In einem anderen Zeitpunkt wäre er ein gemeiner Mörder geworden , um sich an dem Menschengeschlecht zu rächen ; jetzt geriet er bald unter Menschen , von denen er die tröstende Nachricht erhielt , daß die Revolution noch nicht vollendet wäre ; er gelobte in ihrer Mitte , erst bei dem Blut des letzten aus der verfluchten Caste , die sein Leben vergiftet hatte , seinen Dolch abzutrocknen , und sie ließen ihn seine empörte Leidenschaft in die große Maße niederlegen , aus welcher die Wunder und die Greuel des ausgehenden Jahrhunderts hervorgären sollten .
Seitdem war er bloßes Werkzeug des Todes , er hatte keinen Gedanken mehr als Rache ; aber von dem Augenblick an , da sich das Gefühl der ersten Blutschuld in seinem Herzen niederließ , hatte er fest beschlossen , die letzte , die er als die endliche Gründung der Freiheit erkennen würde , mit seinem eigenen Tode zu versiegeln .
Zufällig erfuhr er seines Schwagers Aufenthalt in Paris , und suchte ihn sogleich auf .
Welch ein Wiedersehen für Nanni , und die gute einfache Marthe !
Ihm war der jüngsten fortwährende Verstandeszerrüttung unbekannt , und die Heftigkeit , mit welcher er von seinem vierjährigen Elend sprach , die wiederholten Schwüre , daß Nanni's Verführer seiner Rache nicht entgehen würde , die Verzweiflung , in welcher er mit der Stirn gegen die Wand stieß , als Nanni , um sie freundlich zu küßen , die Haare daran heraufstrich , und zum erstenmal die eingebrannten Lilien erblickte - das alles trug dazu bei , Nanni's Zustand seitdem um vieles schlimmer zu machen .
Und so hatte sie , bis zu diesem Augenblick , der Sara's und dieser unglücklichen Familie Schicksale auf eine Weile in einander verwickelte , ihr trübes Dasein fortgeschleppt .
Marthe kam mit der Nachricht zurück , daß Thomas , eine halbe Stunde ehe sie nach ihm gefragt hätte , in Verhaft genommen , und nach den Gefängnissen der Abtei gebracht worden wäre :
ich habe , setzte sie hinzu , aus Besorgnis für den guten Menschen mich nach seinem Herrn erkundigt , aber diesen hat seit gestern niemand gesehen , das ganze Haus ist in der äußersten Angst , und die Gräfin hat Wache vor ihrer Türe - - Sara erstarrte , und fragte Atemlos : wer ? wer hat Wache ? -
die Gräfin L , antwortete Marthe , und setzte mit ahnender Schonung hinzu : seine Mutter oder Schwester . -
O nein , nein ! rief Sara , und wollte aus dem Bett stürzen - aber diesem neuen Schrecken , der entsetzlichen Ungewißheit , die nun bei ihr begann , erlagen ihre Kräfte , und sie sank steif und leblos in Marthens Arme .
Ihr zwischen Todesschwäche und Fieberfantasie abwechselnder Zustand war mehrere Tage verzweifelt , und die gute Marthe mußte alle ihre Tätigkeit anwenden , um sich unter ihrer und ihres Kindes Pflege , und der Sorge für ihren eigenen Haushalt zu teilen .
Erst nach vierzehn Tagen kehrte ihr Bewußtsein zurück ; als sie aus dem langen Schlummer erwachte , in welchem ihr Geist gelegen hatte , erkannte sie wohl , daß das Kind ihrer Liebe , dieser Zeuge ihres nunmehr vernichteten Glückes , dem Grabe entgegen schmachtete .
Die arme Kleine hätte vielleicht die Gefahr ihrer Wunde überstanden , wenn nicht die Veränderung ihrer Nahrung , da Angst und Krankheit Sara's mütterliche Brust schnell ausgetrocknet hatten , und selbst die Milch , die sie noch in der schrecklichen Nacht des zehnten Augusts die Unvorsichtigkeit gehabt hatte , ihr zu reichen , ihre Säfte verderbt hätten .
Der Zustand ihres Kindes , und das fürchterliche Rätsel ihrer eigenen Lage gaben Sara's Nerven bald eine solche Spannung , daß ihre Kräfte wie durch ein Wunder aufzuleben schienen .
Sobald sie sich stark genug fühlte , schlich sie sich , Marthens sorgende Wachsamkeit betrügend , aus dem Hause , und fand Mittel , sich bis nach L Wohnung hinzufragen .
Sie wollte selbst unverzögert den letzten Zug aus dem Kelch des Unglücks tun .
Sie fragte nach dem Herrn des Hauses , und mit zweideutig verlegenem Wesen sagte man ihr , er sei abwesend .
Sie forderte nun , die Gräfin zu sprechen :
sie fühlte ihren Mund trocken , wie sie eine Person ihres Geschlechts bei L es Namen nannte .
Sie mußte lange im Vorzimmer warten , alles um sie her verkündigte Luxus und großen Ton ; ein jeder , der vorübergieng , blickte auf sie , wie auf eine Bittende , Untergeordnete - und sie war in L es Haus !
Ihr Zustand war unbeschreiblich .
Sie wußte nicht , was ihr bevorstand , nicht was sie tun würde , nicht ob sie es wirklich ausdachte , daß sie im nächsten Augenblick vor L Gemahlin stehen würde .
So oft die Türe der inneren Zimmer aufging , fühlte sie ihr Herz zusammengezogen , und so oft sie in ihrer Erwartung getäuscht war , hob sich ihre gepreßte Brust freier , um gleich nachher desto schmerzlicher wieder zu stocken .
Endlich wurde sie von einem zierlich gekleideten Kammermädchen abgerufen , und durch ein glänzendes Zimmer in ein Kabinett geführt , wo die Gräfin sie erwartete .
Nicht zitternd , aber von Spannung fast erstarrt , trat sie herein , warf einen Blick auf die Gräfin , und mit einem lauten Schrei , ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckend , sank sie auf den Boden - ein junges Weib hatte vor ihr gestanden , schön , stolz , kalt und neugierig auf die Unbekannte blickend , nachlässig einen Spitzenmantel zusammenziehend , der ihre nahe Hoffnung , Mutter zu werden , darum nur reizender entdeckte . - -
Sara wurde aufgehoben , man setzte sie in einen Sessel , reichte ihr Salz , Riechfläschchen ; die Gräfin selbst trat näher zu ihr , und ermahnte sie herablassend , sich nicht zu fürchten , sondern frei zu ihr zu sprechen .
Sara war nicht ohnmächtig ; was in ihrer Seele vorging , war unaussprechlich - eine plötzliche Umschaffung ihres moralischen Wesens ! der Geist der Liebe entschwebte ihrem betäubten Gehirn , und der Dämon des Verderbens zog in dieses Herz ein , wo bis heute nur sanfte und wohlwollende Gefühle gewohnt hatten .
Die Schöpfung eines feindseligen Schicksals war in ihr vollendet , seufzend entfloh ihr guter Engel , und irrte einsam umher , bis die geläuterte Seele wieder zu ihm kehrte .
Sie wies mit völligem Bewußtsein die Hilfsleistungen von sich , und trat nun vor die Gräfin mit einer Hoheit , einer Kälte , die jeden , welcher dieses holde Gesicht ehemals kannte , mit Schauder erfüllt hätte .
Mit kalter fester Hand ergriff sie beide Hände der erschrockenen Frau , und fragte mit ehern hohler Stimme :
Sind Sie L Gemahlin ? -
Ohne den Eindruck , den die Sonderbarkeit des Augenblicks auf die Gräfin machte , würde sie auf eine so befremdende Art schwerlich eine eigentliche Antwort erteilt haben ; und auch jetzt drückte sich der Stolz des Weibes und der Frau von Stande bei ihr aus - ernsthaft zurücktretend erwiderte sie : mich dünkt , mein Anblick und alles was Sie umgibt , macht die Frage unnötig .
- Sara's Augenbraunen zogen sich finster zusammen :
" Als seine Witwe sehen Sie mich wieder ! " sagte sie , in dem vorigen Tone und ging langsam aus dem Zimmer .
Bei ihrer Rückkehr fand sie Nanni vor ihrer Schwester kniend , um den Kopf des Kindes zu halten , das in heftigen Zuckungen auf Marthens Schoß lag .
Mit freundlicher Angst suchte diese den schrecklichen Anblick vor Sara zu verbergen , und bat sie , sich zu schonen , da der unvorsichtige Ausgang ihr vielleicht schon geschadet haben könnte .
- Er tat gut ! sagte Sara mit ihrer Grabesstimme , und stellte sich vor das Kind , das sie mit starren Augen betrachtete .
Sollte es wohl sterben ? fragte sie nun .
Hoffentlich ; antwortete Marthe , mit einer Stimme , die von Tränen erstickt wurde .
Nun , dann ist es auch so recht ! sprach Sara , und blieb stehen .
Martha erstaunte : das Kind lag neun Stunden in diesem Zustand , Nanni sang Totenmetten und flocht Rosmarinkränze , Sara ging in starrer Fühllosigkeit im Zimmer umher , sah zuweilen finster auf das Kind , und ging wieder umher .
Die Kleine hauchte ihren letzten Atem aus ; Sara wartete eine Weile , stand betäubt , hielt ihr Herz mit beiden Händen fest , und rief schaudervoll :
nun er !
Und dann - dann ! -
Wild klopfte sie in die Hände , und schlug ihre blitzenden Augen aufwärts .
Dieses Betragen fiel Marthens weichem und gesundem Gefühl so auf , daß Sara's Zustand ihr sehr bang zu machen anfing .
Sie bat sie , diesen Abend zu ihnen herunter zu kommen .
Sara willigte hastig ein .
Die verschloßene Tätigkeit , mit welcher sie alle ihre Geschäfte verrichtete , der harte schneidende Ton ihrer Antworten auf alle Fragen die man an sie tat - jede ihrer Bewegungen zeugte von der schrecklichen Veränderung , die in ihr vorging .
Gegen das Nachtessen kam Thirion mit einem Mann , den sie nicht kannte , nach Hause .
Er fragte hastig nach seinem Schwager , mit welchem er , sogleich nach dessen Eintritt , eine kurze , aber wie es schien leidenschaftliche Unterredung hatte .
Bald trat er zu den Weibern , und indem er sich mit seinem finsteren Wesen an Sara wandte , Bürgerin ! sagte er ; wenn Sie das scheuen , was Rache und Recht hier zu sprechen haben mögen , so erlauben Sie meiner Frau , Sie auf Ihr Zimmer zu führen .
Ich kenne Ihre Meinungen nicht , und schone Ihr Geschlecht . -
Sara hatte die Männer mit einem wilden , forschenden Blick betrachtet :
Rache und Recht kennt und braucht auch das Weib , antwortete sie kalt ; Rache und Recht geben mir allein noch Denkkraft - ich bleibe bei euch ! -
Eine hohe überfliegende Röte vertilgte die angeborene Zartheit von ihren Zügen ; kühn blickte ihr Auge ; von ihrer Stirn fielen die dunklen Locken zurück , indem sie ihr Haupt erhob , und den Arm drohend streckte , als faßte er einen Dolch .
Die Männer standen betroffen .
Thirion runzelte finsterer die Stirn : ein neues Opfer der Verräter ! rief er aus .
Was willst du aber unter uns ? setzte er hinzu , indem er sich wieder zu ihr wandte ; du bist Mutter .
- Sara schauderte :
Ich war Mutter !
Und am Tag der Rache schoß der Vater meines Kindes die Kugel ab , die des zarten Geschöpfes Leben zerstörte .
Ich hielt mich für seine Gattin , und nun habe ich das Weib gesehen , die seinen Namen führt , vor welcher er mich verbarg , wie eine Verbrecherin .
- Sie schwieg , als stiege eine blutige Erscheinung vor ihr auf .
Sie sah im Geiste ihres Vaters Schloß brennen , sie sah ihren Vater vor sich stehen , wie er in jener fürchterlichen Nacht L den Helfershelfer seiner Feinde nannte , sie sah ihn , wie bei eben diesem Namen der Tod ihn ergriff ; sie sah den alten Berthier , wie er weissagend ausrief : wer sein Vaterland verrät , wird auch die Unschuld verraten !
O hätte nur hier ihr treuloses Gedächtnis nicht geschwiegen ! hätte es ihr auch zurückgerufen , wie er damals sagte : so lange du nur sein Opfer , nicht seine Mitschuldige bist , wirst du nicht erliegen !
Aber das Schicksal riß sie gewaltsam fort ; zerstört hatte das erlittene Unrecht jedes weiche Gefühl ihrer Seele , und aus der Vergessenheit traten nur die Bilder wieder vor ihren Geist , die ihren Geist , die ihre Rache erhitzen , ihr Herz vergiften konnten .
Morgen , fing sie von neuem an , und schüttelte ihr finsteres Haupt , als wollte sie es aus den schwarzen Bildern erheben ; morgen empfängt die Erde mein Kind , und L ist dann nichts mehr als mein Verderber . - L ? rief der Mann , der mit Thirion hereingekommen war , und faßte sie noch schärfer ins Auge ; wären Sie Sara Seldorf ? - Seldorf ? Ja , Seldorf , sagte sie , hieß der Mann , in dessen friedliche Hütte der Verderber sich einschlich , dessen friedliche Hütte seine grausame Rotte verbrannte ; der Märtirer , den sein Kind aus Liebe für den Verführer in das Grab stürzte .
Unmenschlich betrogen , unmenschlich im Inneren meines Herzens vergiftet , ruft mich das Schicksal zur Rache !
Sara Seldorf ist nicht mehr ; abgerissen von den Menschen durch Treulosigkeit und Verrat , will sie in Rache das zehrende Feuer löschen , das in ihr brennt .
- Joseph hatte ihr staunend zugehört ; wie sie jetzt , von ihrer Heftigkeit erschöpft , inne hielt , streckte er seine Arme nach Nanni aus , die furchtsam zur Seite stand , und Sara anstarrte : Arme Wahnsinnige , rief er , einen Tropfen dieses Rachgefühls in dein kindlich Herz , und du wärest dem Bewußtsein wiedergegeben ! -
Nanni warf sich ihm schluchzend um den Hals :
sie war so gut und so schön , sagte sie leise , wie ihr Kind noch weinte ; jetzt schläft es so sanft , und sie macht mich furchtsam mit ihrer Stimme !
Ließe sie es doch schlafen , bis es überall hell wird ! - der Fremde nahm jetzt das Wort : Sara , Sie haben einen Freund , der vorgestern nach der Grenze aufbrach .
Roger Berthier glaubte Sie in dem Haus seines Vaters wohl aufbewahrt ; warum entwichen Sie aus dieser Freistatt ?
- Die Entdeckung , daß dieser Mann Rogen kannte , ihren Namen kannte , die Art seiner Anrede hatte sie etwas erschüttert ; aber bei dem Vorwurf , der in seinen letzten Worten lag , erwiderte sie stolz : das Weib glaubte dem Gatten zu folgen ! -
Und Sara wußte Berthiers Enkel in ihrer Nähe , und ließ ihn im Irrtum , sie sei unter den Augen seines Vaters ?
Er wachte für Sie , und nur höhere Pflichten hielten ihn ab , selbst zu Ihnen zu eilen , und Ihnen L Verbrechen zu offenbaren .
Er schrieb , und ängstigte sich bei Ihrem , bei seines Vaters Stillschweigen .
Er eilte endlich mit seinen Waffenbrüdern gegen den Feind , und seine letzten Worte trugen mir auf , jede Gelegenheit nach seinem Departement zu benutzen , L Schritte zu beobachten - sie ist frei , sagte er , und ich komme ihrer würdiger zurück !
Und Sie waren es , die der Verräter hier in diesem Hause , unter meinen Augen , verborgen hielt ? -
Sara hörte finster zu :
In diesem Hause unter Ihren Augen ?
So waren es wohl Ihre Kinder , die an jenem Tag mit dem meinen bluteten ? -
Und mein unglückliches Weib stirbt in diesem Augenblick vor Gram ! -
Sara stand in düsterem Nachdenken ; deine jauchzende Stimme rief Rache auf unsere Feinde , du bist gegangen sie zu erfüllen ; dein Los ist schön - ich gehe hier dem meinigen nach !
Rogers Freund ! sprach sie weiter , indem Schwermut einen Augenblick die Wildheit ihres Ausdrucks milderte , nehmen Sie mich zur Gefährtin Ihrer Rache .
Er zog hin , für das Vaterland zu streiten ; mein Arm soll hier Unschuld und Menschheit rächen .
- Rächen durch Blut und Tod ! rief Joseph , und bot ihr die Rechte .
- Du streitest für Jene ? fragte Sara , auf die zitternde Nanni deutend .
- Für jene Wahnsinnige , für den Geist des gemordeten Knaben , der mich nächtlich aufruft , für die Tausende , die litten wie sie , die verschmachteten wie er , für ein ehrenvolles Grab , in welchem diese geschändete Stirn einst Ruhe ! -
Er schlug hier wütend mit der anderen Hand gegen sein Haupt , und Sara legte die ihrige in die ihr dargebotene Rechte .
Nanni verbarg schreiend ihr Gesicht , die Männer blickten finster in den unnatürlichen , blutigen Bund - da trat Martha weinend in die Türe , und rief : Nachbar Raimond , euer Weib will euch ihren letzten Segen geben .
Sie erfuhr euren Beschluß , abzureisen ; und der Jammer brach ihr krankes Herz .
Eilt , wenn Ihr sie noch sehen wollt . -
Raimond seufzte schwer , und folgte der guten Martha . Kommt , rief diese noch im Fortgehen ; sie stirbt wie eine Heilige .
Nehmt ihren Segen , Ihr könnt dessen noch bedürfen .
- Jedes Bild des Todes war jetzt Sara willkommen ; sie ging mit den übrigen in das obere Stockwerk , wo die Frau , von einer Nachbarin unterstützt , auf einem Lehnstuhl saß .
Der Ausdruck ihres Gesichts war Begeisterung , eine schwache Röte wechselte mit der Blässe des Todes ab , sie winkte ihren Mann zu sich , der sie herzlich an seine Brust drückte .
- Der Gott , der meine Kinder zu sich nahm , sprach sie , hat dich von jedem Bande befreien wollen , das dich an Menschen knüpfte , er wußte was du littest , von mir zu gehen , und er ruft mich , daß ich dich dort erwarten möge .
Gehe hin im Dienst des Vaterlands , als dessen stumme hülflose Opfer deine Kinder fielen ; verzeih mir , daß die Bande meines Lebens nicht so stark waren wie meine Liebe und mein Mut .
Strafe das Verbrechen , rette die Freiheit - dort winkt sie mir - dort erwarte ich meinen siegreichen Gatten !
- Sie hatte mit Anstrengung , mit sichtbarer Spannung gesprochen , ihr verklärtes Auge war gen Himmel gerichtet ; sie drückte mit einer Hand das Haupt ihres halbknienden Gatten an ihre Brust , mit der anderen zeigte sie in die Höhe - jetzt sank sie zurück , ihr Gesicht entstellte sich . -
Da rief die fromme Marthe , auf Joseph und ihren Mann deutend ; auch diese segne , mutige Märterin !
Segne sie , daß sie recht tun in ihrer Rache , und dich wiederfinden mögen vor Gottes Thron ! -
Unwillkürlich sanken die Umstehenden auf die Knie ; die Scheidende streckte beide Arme mühsam aus , und ließ sie erstarrt sinken .
Alles schwieg , und der Augenblick wo dieses Opfer der Mutterliebe in das Land des Friedens einging , besiegelte die blutigen Entschlüsse in den Herzen der Überlebenden .
Sara war von nun an in einen Strom geraten , der sie unaufhaltsam mit sich fortriß .
Raimond wäre noch das einzige menschliche Geschöpf gewesen , von dem ihr in diesem Augenblick Rettung hätte kommen können , aber es war zu spät , und ihn selbst hatte der nämliche Strom schon gefaßt .
So waren alle Zufälle gegen sie verschworen gewesen .
Roger hatte , in der Meinung daß Sara noch bei seinem Großvater sein müßte , alle Entdeckungen , die er in Rücksicht auf L gemacht hatte , nach seiner Heimat berichtet ; und da der Briefwechsel zwischen den Patrioten jenes Departements und der Hauptstadt damals aufgehalten wurde , so erhielt er keine Nachricht von seinem Großvater , und Sara's Abreise aus dem Hause des alten Berthier blieb ihm unbekannt .
Von einem neuen Ankömmling aus Saumür hatte er erst die Vorfälle bei der Bundesfeier des vierzehnten Julius , und L Anwesenheit in der dortigen Gegend erfahren ; mit jeder Falschheit unbekannt , und zu allem geheimen Nachforschen zu unbiegsam , war es ihm bis jetzt nicht in den Sinn gekommen , L nachzuspüren : zufrieden , die Nachricht seiner Heirat eingezogen zu haben , mit welcher er Sara zu retten hoffte , hatte er ihn voll Verachtung ganz aus den Augen gelassen .
Roger konnte der Tyrannei und dem Tode trotzen , er konnte für seine gerechte Sache eine Welt zum Kampfe herausfordern , er konnte den Verbrecher mit eigener Hand schlachten ; aber ihm nachgehen , ihn lange ausforschen konnte der einfache Jüngling nicht - nicht um des Vaterlandes Willen , wie viel weniger also um seiner selbst Willen !
So konnte Sara wohl vor ihm verborgen bleiben , ob er es gleich wirklich gewesen war , dessen Stimme sie bei dem Fest , das Raimond seinen Landsleuten gab , in ihrer Nähe gehört hatte .
Seitdem er indessen wußte , daß L sie bei seinem letzten Aufenthalt in der Gegend von Saumür gesehen haben müßte , war er unruhiger geworden , und fürchtete mit brennender Eifersucht , was wirklich geschehen war .
Er bewachte nun L , und fand ihn täglich überall , und blickte ihm überall mit der offenen Verachtung ins Auge , die seine Redlichkeit dem Verrat zugeschworen hatte .
Suchte er ihn auf , so war es seine Absicht , ihn auszuforschen ; hatte er ihn gefunden , so schien es ihm , als könnte der Verräter ihm doch nicht entgehen , und das Ausforschen war bald rein vergessen .
Auch hielt es bei L Behutsamkeit , selbst für ein geübteres Auge , schwer ihn zu erraten ; und überdem trat nun der entscheidende zehnte August ein , durch welchen L außer Stand gesetzt sein mußte , Sara weiter zu verfolgen , und Roger genötigt war , Paris zu verlassen .
Noch immer ohne Nachrichten von seiner Heimat , wagte er es aber vor seiner Abreise , sich seinem Landsmann Raimond zu entdecken , einem feurigen Kopf und warmen Freund der Volksklasse , die er als Arzt in einem Stadthospital von Jugend auf beobachtet hatte .
Er bat ihn , auf welche Art es immer gehen möchte , seinem Vater Nachrichten von ihm zukommen , und Sara von dem was L beträfe , unterrichten zu lassen .
Wie Raimond diese zuerst sah , hatte er den Vorsatz , sie von dem schrecklichen Pfade , auf welchem er sie traf , zurückzureissen ; er wollte sie seinem Weibe zuführen , deren Tod er nicht so nah glaubte .
Allein in eben der Stunde , wo er diesen Plan entworfen hatte , starb sie ; und ihr Tod schien seinem gespannten Gehirn ein Zuruf , Sara ihrem Schicksal folgen zu lassen .
Sein Weib , seine unschuldigen Kinder waren durch einen traurigen Zufall unter den Opfern des zehnten Augusts gewesen ; die letzten Worte dieses sterbenden Weibes , die ihn zehn Jahre mit seltener Innigkeit geliebt , ihm in mancher drückenden Lage das schönste häusliche Glück gewährt hatte , schienen ihm ein Spruch der Weihe , der seine Laufbahn bestimmte - und Sara war verlassen wie er , sie war zehnfach elender wie er : warum konnte sie das Schicksal nicht zur Rächerin ihres Geschlechts ersehen haben ?
Er folgte der unerklärlichen Gewalt , welche die ungeheure Menschenmaße von Paris damals in unsichtbaren Banden gefesselt hielt , und einen Teil zu Anstiftern der entsetzlichsten Greuel , einen anderen zu Werkzeugen des Mords , und die ganze zahllose Menge zu stummen und geduldigen Zeugen der schaudervollen Grausamkeit machte .
Wenn der Gesichtspunkt einmal verrückt ist , aus welchem man die Menschen gewöhnlich betrachtet , wenn die Moralität der Handlungen durch außerordentliche Umstände einmal unsicher geworden ist , können Grundsätze der friedlichen Ruhe nicht mehr über die Frevler richten .
Gesetz und Recht mögen sie ergreifen ; aber die Menschen müssen mit heiligem Schauder auf sie blicken , als stünde das Zeichen Kains auf ihrer Stirn , oder wie die mildere Vorwelt jene Unglücklichen betrachtete , die von den Unrechtstrafenden Göttern in die Gewalt der Erinnyen gegeben waren .
Auf diese Weise war der letzte warnende Zuruf durch Rogers Namen , wie ihn Raimond vor ihr aussprach , in Sara's betäubten Ohren verhallt , und er hatte nur neuen Durst nach Rache erweckt .
In den wenigen Stunden , die sie nach diesen gewaltsamen Auftritten allein zubrachte , schritt sie , wie von bösen Geistern getrieben , umher , und durchdachte ihr durch L zerrüttetes Schicksal ; und je schärfer sie sann , desto klarer erkannte sie seinen tief angelegten Plan , sie zu hintergehen , verstand die berechnete Zweideutigkeit seiner Äußerungen , die ihn sogar vor dem Vorwurf schützen sollten , daß er sie hätte betrügen wollen .
In ihr unbegrenztes Zutrauen eingewiegt , durch ihre Unkunde des Bösen sicher gemacht , durch den Wert der Opfer von der Größe , der Allmacht ihres Gözen immer mehr durchdrungen , hatte sie ihren Vater betrogen , ihre jungfräuliche Würde verloren , Rogers Treue von sich gestoßen , Berthiers Fürsorge verschmäht und endlich den einzigen Lohn ihrer Leiden , ihr geliebtes Kind , dem Tod in die Arme geworfen .
Von diesen Betrachtungen , die ihr Gehirn versengten , rief sie Joseph zu den Versammlungen seiner Gefährten ab , wo sie allgemeine Schmach , allgemeines Elend um Rache schreien hörte ; und so löste sich ihr ganzes Wesen in Haß und Wut .
In diesen höllischen Zusammenkünften wurde ein Teil der Greuel verabredet , welche die ersten Tage des Septembers 1792 . auf ewig zu den schwärzesten machen , die jemal die Jahrbücher der Freiheit geschändet haben .
Sara wurde bald in den Schreckensgeheimnissen eingeweiht , insoweit wenigstens Rache und blinder Fanatismus dabei mitwirkten ; denn die noch verhaßteren , geheimen Triebfedern der Politik , der Herrschsucht , des Eigennutzes entgiengen ihrem leidenschaftlichen Blick .
Wenn indessen noch etwas ihr einen geheimen Schauder vor dem Pfad einflößte , auf welchem sie wandelte , so war es die Gemeinschaft mit einigen Weibern , die sie bei jenen Beratschlagungen antraf .
Diese entarteten Geschöpfe hatten Mord und Aufruhr zu ihrem Gewerbe gemacht , weil sie nur darin erlangten , was der Mensch von der Wiege an bis zum Grabe sucht : einen Platz im gesellschaftlichen Dasein .
Wenn sie aber Sara als ihres gleichen ansahen , und diese sie im stolzen Grimm von sich schleuderte , so sehnte sie sich um so schrecklicher nach den Opfern der reinen Rache , zu welcher die Herabwürdigung ihres Geschlechts , selbst in diesen Furien , sie aufzufordern schien .
Seitdem ihr Wille und ihre Kräfte zurückgekehrt waren , hatte sie vorzüglich gestrebt , L Aufenthalt zu erforschen , und so blutig ihre Absicht war , so fühlte sie sich doch noch so menschlich , ihm der ihren Glauben an Tugend , Liebe und Treue vernichtet hatte , nur das Leben rauben zu wollen .
Sie verschloß anfangs ihren Plan in ihrem innersten Herzen , aber noch war dieses Herz an Wut und Rache nicht gewöhnt ; die feindseligen wilden Gefühle preßten es quälend zusammen , und schreckten ihren Geist mit den entsetzlichsten Bildern , bis die Menschen , mit welchen der Zufall sie in Verbindung gebracht hatte , sie aus diesem unbestimmten Zustand emporrissen .
Joseph erbot sich zum Gehilfen ihrer Rache , und sie trug ihm auf , L Schlupfwinkel ausfindig zu machen .
Treue und eifrig befolgte er ihre Befehle , denn ein dunkles Gefühl fesselte ihn an das unglückliche Weib .
Liebe war dieses Gefühl nicht : bei dem völlig zermalmten Streben nach anderer Achtung , unter welchem dieses Schlachtopfer gemißbrauchter Gesetze seit Jahren schon ächzte , war Liebe unmöglich .
Aber er hatte immer zärtlich an Schwester Nanni gehangen , er war um Nanni's Willen vernichtet , und nun schien ihm Sara wie ein höheres Wesen in seine Rache einzuwirken ; sein Wille wurde dem ihrigen dienstbar , und ob er gleich nicht lieben konnte , so fesselte ihn doch auch die Macht der Schönheit an sie -
denn schön stand Sara noch im schrecklichen Abgrund , unter den Verworfenen groß und furchtbar , wie Medea , wenn sie von den Unterirdischen umringt , Befehle erteilte , die ihre eigene Gottheit entheiligten , und ihr menschliches Herz mit Jammer erfüllten .
Am Morgen des zweiten Septembers erschien Joseph vor ihr , und rief ihr frohlockend zu , der Verräter sei gefunden , und für sie und das Volk falle er noch heute zum gerechten Opfer ; er sei im Karmeliterkloster unter einer Menge anderer Gefangenen , und , wie sie alle , der schrecklichen Volksrache preis gegeben .
Jetzt erst vernahm Sara bestimmt und zusammenhängend den Plan dieses Tages .
Sie schauderte vor der fürchterlichen Tat , die sie nicht mehr abscheulich nannte ; aber der Gedanke daß er , den sein Verbrechen ihr zugeeignet hatte , fallen sollte ohne die Hand , die ihn träfe , zu kennen , ohne es um diese Hand verdient zu haben , füllte sie mit Eifersucht und Unmut .
Lange wälzten sich die wildesten Fantasien in ihrem Gehirn - dort wo er war , konnte sie ihn nicht befreien , retten wollte sie ihn nicht , und selbst daß er zum Tode bestimmt war , milderte ihr unbewußt das entsetzliche des Mords , den ihre Seele dachte .
Sie sah ihn vor sich in seinem ganzen Zauber , sie hörte die Stimme , die sie in den Abgrund des Elends gezogen hatte , und liebte ihn noch einmal , um ihn zu ihrem eigenen Opfer zu ersehen .
Nein , rief sie glühend und zitternd vor dem schrecklichen Entschluß , nein , so sollst du nicht fallen , größter , unmenschlicher Verräter ! das Herz , für das ich meine Seligkeit verkaufte - das Herz ist mein , und meine Hand muß es durchbohren .
O , ich weiß ja was Mord ist ! ich sah jenen Unglücklichen bluten , und verging nicht ; und damals glaubte ich mich geliebt - damals war ich Weib , Mutter . - -
Sie verstummte , von dem unnatürlichen Streit zwischen dieser Erinnerung und ihrem Vorsatz überwältigt .
Sie nahm nun mit ihrem finsteren Unglücksgesellen Abrede ; er mußte um das Gefängnis herumschleichen , seine höllischen Gehilfen hatten bei jedem Posten Aufpaßer ; und gegen Mittag wußte er genau das Gemach , worin L festsaß , die Zahl seiner Mitgefangenen , seine Kleidung selbst .
Er beschrieb der gierig horchenden Sara jeden Umstand ; und wie der abscheuliche Zeitpunkt erschien , war sie an der Spitze einer Rotte , die in jene Wohnung des Schreckens eindrang .
Um sie her jauchzte der blutdürstige Haufen , jauchzte konvulsivisch aus ihm selbst die sich sträubende Menschheit , und wollte das Ächzen der Erschlagenen , durch die er seinen Weg bahnte , überjauchzen .
Mit jedem Schritt in der entweihten Freistatt des Gesetzes ersann die Verzweiflung des Verbrechens neue Greuel , um sich gegen die eben begangenen zu betäuben .
Flüche , wildes Geschrei , schallendes Gelächter tobten um Sara , die schweigend mit gezücktem Dolch , im Ausdruck des bittersten Grimms vor ihnen hergieng - und immer starrer wurde ihr Grimm durch die Abscheulichkeiten , die ihre Sinne bestürmten und abstumpften , und hielt ihre schaudernde Seele zusammen .
Vor ihr stürzten die Unglücklichen , Erbarmen flehend , nieder ; hoch stand sie mit erhabenem Angesicht unter dem wälzenden wogenden Gewühl der Mordenden und der Sterbenden , ließ ihr Auge kalt über die Erschlagenen hingleiten , und spähte nur nach ihrem Opfer .
Jetzt drängten sich die Henker gegen seine Türe , deren Eingang die arme Schlachtopfer zu erschweren gesucht hatten ; die schwachen Bollwerke stürzen ein , sie fliegt auf , die Gefangenen innerhalb treten in einem halben Zirkel zusammen , entschlossen ihr Leben teuer zu verkaufen - in ihrer Mitte steht L . Sara , mit fliegendem Haar , das weiße Gewand vom Blut der Erschlagenen , über welche sie schritt , befleckt , hebt den Arm , hebt das Eisen , das sie für diesen Augenblick rein bewahrt harte .
- Du bist mein , ruft sie , nur ich darf dich richten ! - und stürzt auf ihn zu .
Sara , Sara ! erschallt plötzlich eine bekannte Stimme aus dem Mordgewühl um sie her - es ist Theodors Stimme !
Nur diese , nur die Stimme der Natur vermochte noch in dem durch Rache verwilderten Herzen wiederzutönen ; bei der leisen unerwarteten Anregung brach die Kraft ihrer gespannten Nerven : und Sara sank sinnlos unter den Geschlachteten nieder .
Joseph hatte sich nicht von seiner Heldin entfernt ; wohin er sich auch in seinem blutigen Geschäft wandte , hatte er sich immer wieder gegen die Seite hingedrängt , wo sie fürchterlich und bewegungslos stand ; jetzt hörte er ihre dumpfe , erschütternde Stimme ihres Verderbers Todesurteil rufen , und in eben dem Nun sah er sie stürzen .
Er eilte zu ihr , riß sie auf vom blutigen Boden , und dem Unmenschen fluchend , den sie , wie er glaubte , nicht früh genug ereilt hatte , trug er sie von dem abscheulichen Schauplatz hinweg .
Erst spät kam Sara in einem Hof des Gefängnisses wieder zu sich .
Ihr erster Laut rief ihren Bruder .
Sie fragte ungestüm , mit irrendem Blick , ob ihr Bruder gerettet sei ?
Erstaunt und verwirrt fordert Joseph Erklärung , sie weiß ihm keine zu geben , rafft sich auf , fliegt durch die schaudernden Zuschauer , durch die brüllenden Mörder , dringt wieder in das Gefängnis , findet Blut , Leichen , Gewinsel - aber ihr Opfer und ihr Retter von der Blutschuld waren nicht unter den Toten , nicht unter den Sterbenden .
War es eine Täuschung gewesen ?
War es des Bruders Geist gewesen , der sich zwischen sie und noch größere Greuel stellte ? war sein zerrißener Leichnam so entstellt , daß sie ihn nicht unterscheiden konnte ? oder hatte er sie gerettet ? - Zitternd , L zu erkennen , und ihren Bruder umsonst zu suchen , blickt sie unter den Toten umher .
Nur Theodors Stimme im Ohr , ruft sie sich selbst zu : Sara , Sara ! als würde der Ruf jenes Echo erwecken - umsonst , die Toten bleiben stumm !
Um der Menschheit Willen , deren Genius damals sein weinend Angesicht verhüllte , um unseres Mitgefühls Willen bei den früheren Leiden der noch schuldlosen Sara , laßt mich schweigen , wo ich keine Worte habe , für die Finsternis ihrer Seele , für den Wechsel von Wut und Schmerz , in welchem sie ein unnatürliches Dasein hinschleppte .
In ihren wilden , düstern Stunden gab Martha schonend auf sie Acht , und tröstete Nanni , die vor Weinen verging , über den Traum der Unglücklichen , der ihren Geist mit so blutigen Bildern gefangen hielt .
War sie ruhiger , so nahte sie sich ihr mit freundlicher Furchtsamkeit , sang ihr vor , und schmeichelte ihr bittend , bis sie einen Augenblick Ruhe oder Nahrung genoß .
Raimond und Thirion waren nun nach der Grenze gewandert , und Joseph blieb allein bei den Weibern zurück .
Aber er lebte ganz in seinem fanatischen Taumel , und nur Sara's Interesse mochte ihn auf Augenblicke herausreissen .
Seit jenem entsetzlichen Tage war es ihr einziges Bestreben gewesen , Nachricht zu erhalten , ob L gefallen sei , und ob Theodor noch lebe .
Es gelang endlich Joseph durch seine unermüdeten Nachforschungen , ihr ein Mittel anzuzeigen , wie sie dies erfahren könnte ; und sie wußte sich bei einem von den Männern , welche die echten Septemberlisten besaßen , Eingang zu verschaffen .
Ihre Stimmung , ihre Sprache , ihr ganzes Wesen fiel auf ; man erkannte in ihr einen Stoff , den man einst für gewisse Plane würde benutzen können ; ihre Bitte wurde gewährt , und es ergab sich aus den geheimen Registern , daß Theodor wirklich mit L auf der Liste der zum Tod bestimmten Gefangenen gestanden hatte , daß aber jener allein unter den wirklich Ermordeten gewesen sein mußte . - L war , wie durch unsichtbare Geister , gerettet worden , und es fand sich bald , daß seine Existenz jenen revolutionären Staatsmännern nicht viel weniger zu schaffen machte , als der unglücklichen Sara . Sie hörte dort , daß ihr Verderber eben so treulos an seinem Vaterland gehandelt hatte , wie an seiner Geliebten - in dem neuen Kreis von Begriffen und Verbindungen , in welchen sie bei dieser Veranlaßung geriet , schraubte sich ihr Geist , der angefangen hatte , in eine vielleicht heilsame Dumpfheit zu versinken , zu einem neuen Fieber auf , das sie immer weiter von ihrer Bestimmung entfernte .
Nun schwindelte sie eine Weile auf den Höhen des Berges fort ; und wahrlich , sie war unter den Handlungen des Mords am zweiten September der Menschheit näher gewesen , als unter diesen politischen Rechenkünstlern , die in dieser Zeit besonders anfingen , ihr Zerstörungssystem zu gründen .
Schon damals hörte sie über die blutigen Zwangsmittel , über das Reich des Schreckens , über die Proskriptionen , über alle die Plagen , welche späterhin vom Berge herab auf das unglückliche Frankreich gehäuft wurden , beratschlagen .
Auch sie wurde , mit so vielen anderen , verführt , die heilige Freiheit für ihre zum Teil zufälligen Symbole und Formeln aufzuopfern ; auch sie trug das ihrige bei , sie in die Hände ihrer abgesagtesten Feinde zu liefern , die unter der Larve von Beschützern , mehr mit Nebenbuhlern als mit Gegnern um den Preis der Unterdrückung und der Tyrannei kämpften .
Sie traf auf dieser Laufbahn wiederum mit Wesen ihres Geschlechts zusammen ; nur waren es hier meistens feine , zierliche , verkehrte Geschöpfe , die in die kalte Raserei dieses oder jenes Demagogen einstimmten , weil sie überhaupt eines Gözen bedurften , der sie aus Dankbarkeit an dem Weihrauch des blinden Haufens teilnehmen ließe .
Wenn aber ein solches Weib die Deklamationen , die Sophismen , die Phrasen , auf welchen ihr Freund seine Herrschaft über das getäuschte Volk , über Gut und Leben jedes Bürgers gründete , im sinn- und herzlosen Eifer nachplapperte - wie verschieden war davon Sara's leidenschaftliche , aber immer wahre und innige Stimmung , ihr in den traurigsten Verirrungen immer nach sittlichen Beziehungen , nach sittlichem Zusammenhäng strebender Geist , die edle und reine Glut , mit welcher sie für die Wahrheiten entbrannte , die von der unseligen List der Heuchelei mit dem verderblichsten Irrtum vermischt wurden !
So zeichnete ihr angeborener Wert sie auch unter den Abarten ihres Geschlechts aus , mit denen ihr feindseliges Schicksal sie in die unwürdige Gemeinschaft gebracht hatte ; aber die notwendige Rache der beleidigten Weiblichkeit blieb darum bei ihr nicht aus .
Wie jeder Tag ihren Kopf mit neuen politischen Tollheiten füllte , so starb jeden Tag eine Faser ihres Herzens ab ; selbst die Erinnerung , Tochter , Geliebte , Weib , Mutter gewesen zu sein , äußerte sich endlich nur in heftigeren Ausbrüchen des Parteigeists auf den Tribünen der Volksgesellschaften , in den Sälen der Sektionsversammlungen - denn dorthin drängte sich jetzt jene Sara , deren Stimme ehemals aus mädchenhafter Scham lieblich zitterte , wenn sie einem fremden Knecht einen Auftrag ihres Vaters ausrichtete , dort stand sie jetzt , und stürmte ihrer Partei wilden Beifall zu , oder höhnte keck die schwächeren Gegner .
Der große Streit über das Schicksal Ludwigs beschäftigte jetzt die Stellvertreter des Volks ; und Sara , die am zehnten August seinetwegen gezittert hatte , weil L für ihn stritt , sah nun dem Augenblick seines Todes ungeduldig entgegen , weil L auch um seinetwillen sie verraten hatte , weil Theodor um seinetwillen seinem Vater entsagt , und vor den Augen seiner unglücklichen Schwester das Los der Volksverräter geteilt hatte , weil seine falschen treulosen Verteidiger die Wiege ihrer Kindheit zerstört , das Alter ihres Vaters unter Armut und Gram gebeugt hatten .
Höchst erbitternd vermischte sich bei ihr das Gefühl ihres Schicksals mit jener Angelegenheit , deren Wichtigkeit selbst ihr wundes Herz beleidigte , und sie mit unmutigen Zweifeln an Vorsehung und Würde der Menschheit erfüllte .
Tiefer konnte ihr moralisches Wesen nicht sinken , trauriger konnte der Abglanz der Gottheit auf ihrem schönen Gesicht nicht verlöschen , als in dieser Zeit , wo ihre Züge entweder von toter Abspannung , oder zweckloser Unruhe , Haß und Hohn entstellt wurden .
Ihrer zerrütteten Seele fehlte nur noch ein Stoß , um den gespannten Faden ihrer Vernunft zu zerreißen , und diesen Stoß führte das Schicksal herbei .
Das Todesurteil über den König war gesprochen : kalte , menschenfeindliche Neugierde trieb sie an , sich als Nationalgarde verkleidet zu dem Dienst im Tempel zu drängen , um seine letzten Stunden zu beobachten .
Die heldenmütige Fassung , die einfache Güte , welche das ferne Europa an diesem Schlachtopfer der Politik bewundert hat , schrumpften vor ihrem bitteren Haß zur elenden Alltäglichkeit zusammen .
Am Tage seiner Hinrichtung stand sie unter den weiblichen Zeugen dieses schrecklichen Schauspiels , und lachte bitter auf , daß , um diesen Menschen zu töten , eine ganze Stadt im Auflauf , ein Heer unter den Waffen war - und vor ihren Augen war Theodor gemordet worden , ohne daß die Ruhestätte seines Leichnams zu finden gewesen war !
Sie befand sich nahe genug am Richtplaz , um die Heiligsprechung des unglücklichen Königs durch den Priester , der ihn begleitete , zu vernehmen . -
Heilig ! murmelte sie knirschend - was ist der Gottheit heilig ?
was ist es den Menschen ?
- Sie tauchte ihr Schnupftuch in das herabrinnende Blut :
Im Blut eines noch Heiligeren will ich dich wieder rein waschen ! rief sie , an L denkend .
Ihr Kopf fing an , so vieler Wut zu erliegen ; ermüdet drängte sie sich aus dem Gewühl heraus , und eilte ohne bestimmten Endzweck durch einige entfernte Straßen , wo eine bange , feierliche Stille herrschte .
Sie sank endlich erschöpft auf einer steinernen Bank , an der Türe eines bürgerlichen Hauses nieder .
Gedankenlos saß sie in anscheinender Ruhe , als der ungewohnte Ton von Kinderstimmen in ihr Ohr drang .
Sie blickte auf , und sah einen Knaben und ein Mädchen von sieben bis neun Jahr vor dem Hause spielen .
Der Knabe hatte sich eine Nationalfahne gemacht , die er hoch emporschwang , und ein Kriegslied dazu sang ; das Mädchen baute mit Steinen am Boden .
Wie der Knabe ein Paarmal das Refrain seines Liedes gesungen hatte , welches Triumph über den Tod des Tyrannen ausdrückte , sah das Mädchen , das ältere von den beiden Kindern , auf , und sagte mit einem sanft traurigen Wesen : Henri , es ist nicht recht , daß du so jauchzest , da die Mutter weint , und der Vater so ernst von uns ging . -
Ach , sprach der Bube leichthin , ich singe das Siegeslied über den Fall des Tyrannen , das die Bürger gestern beim Trinken sangen .
- Lieber Henri , weißt du nicht , wie der Vater neulich sagte : bei einem toten Feind jauchzt nur der Feige ?
Er ist ja nun tot !
Laß auch dein häßliches Jauchzen .
- Der Knabe war näher zu seiner Schwester getreten , und sah sie nun fragend an : wer ist tot ? - der Tirann , von welchem du singst - der arme König ! wie die Trommel so fern tönte , wurde er ja geköpft - der arme König ! spottete Henri nach ; man sieht wohl , daß du eine Aristokratin bist . -
Henri ! sagte das Mädchen , errötend vor Zorn , und warf ihre Steinchen zusammen ; das ist nicht recht von dir , daß du mich schimpfest .
Daß der König tot ist , geht mich nichts an ; aber die Mutter sagt , wenn er denn auch ein Verräter gewesen wäre , seine Kinder wären doch arme Waisen , und wir sollten Gott bitten , daß ihr Unglück das Heil des Volks gründen möchte - und Henri , sprach sie in Tränen ausbrechend , die Mutter sagt , mit Haß im Herzen könnte man Gott um nichts bitten . -
Henri nahm ängstlich ihre Hände , bat , versicherte , er wollte ja dem kleinen Kapet nichts tun , er wolle ja Gott für ihn bitten ; die Kleine ließ sich lange nicht versöhnen .
Endlich wurde aber doch aus ihrem Streit ein kindliches Geschwätz , indem die Schwester ihrem Henri von dem Jammer einer Familie erzählte , wo der Vater vor kurzem hingerichtet worden wäre .
Sie sagte , nun müßte der kleine Kapet auch so weinen , wie die Kinder dieses armen Mannes , und - setzte sie schluchzend hinzu - wenn nun unser Vater auch so fortgerissen und gerichtet würde ? - der Knabe richtete sich schnell auf ; sein offenes Auge blitzte unter Tränen :
O nie , nie ! er ist ein Patriot - er kann im Kriege fallen ; aber dann weinen wir nicht , dann starb er für die Freiheit .
- Die Kleine schüttelte den Kopf , und weinte still fort .
Der Übergang , den dieses kindische Gemisch von natürlichem Gefühl und nachbetendem Heroismus in Sara's Wesen hervorbrachte , war nur bei der dumpfen Abspannung möglich , zu welcher ihre Nerven gesunken waren .
Sie war aufgestanden , und hatte sich dem Mädchen genähert , ihr selbst unbewußt füllten Tränen der Teilnahme an ihrem Kummer ihre Augen , sie streichelte des Kindes Wangen - das weiche Geschöpf weinte , durch fremdes Mitleid gerührt , noch heftiger ; und von einem Anblick , dessen sie so entwöhnt war , hingerissen , saß jetzt Sara neben ihr , tröstete sie , rief den Bruder herbei , und versöhnte ihn mit der Schwester , die ihn wiederum um Vergebung bat , als wäre ihre Heftigkeit weit schlimmer gewesen , wie das Wort , durch welches er sie erregt hatte .
Während dieses Gesprächs trat ein noch ziemlich junges Weib , mit einem Säugling im Arm aus dem Hause .
Es war die Mutter dieser Kinder ; wie sie eine Fremde mit ihren Kindern beschäftigt sah , ging sie näher hinzu - ohne alle Erklärung entstand nun ganz natürlich zwischen diesen Menschen ein scheinbarer Einklang von Empfindungen .
Sara es Tränen waren eine wohltätige Erschlaffung ihres gepeinigten Gehirns , die guten Kinder , die sie zuerst veranlaßt hatten , weinten jetzt aus blinder Teilnahme mit , und bei ihrer Mutter brauchte es keiner großen Anregung , um ihre Traurigkeit zu erneuern - sie drückte den Schmerz aus , den so manches stille Herz in dieser unermeßlichen Stadt heute so tief empfand ; eben den Schmerz glaubte sie auch in Sara's Tränen zu lesen , und fühlte sich dadurch zu der schönen Fremden hingezogen .
Der Säugling schmiegte sich unterdessen schmeichelnd an die Mutter , und wie diese sich nicht mit ihm abgab , bog er sich zu der Fremden , spielte mit einem Bande an ihrer Kleidung , blickte mit heiteren Kinderaugen an ihr hinauf , und legte seine kleinen Hände lächelnd an ihr Gesicht , als wollte er ihr beweisen , was er tue sei Zutrauen und Liebe .
Hier zersprang die harte Rinde , die sich um Sara's Herz gebildet hatte .
Im Gewühl der Menschen war sie des Anblicks der Menschheit entwöhnt worden : hier lachte sie ihr zum erstenmal wieder in ihrem reinsten , sanftesten Abdruck entgegen - das war ihres Kindes rührender Blick , so berührte seine schwache schmeichelnde Hand ihre Wangen !
Ihr Herz brach fast unter dem gewaltsamen Zuströmen so fremdgewordener Empfindungen .
Schluchzend , tief atmend riß sie das Kind an sich , drückte es gegen ihre Brust , vergaß sich und die Vergangenheit in dem dunklen Bewußtsein , wieder einmal Weib zu sein .
Die Mutter sah ihr befremdet , aber gerührt zu , als der Knabe aufsprang , und fröhlich rief : der Vater ! der Vater kommt ! indem er einem Nationalgarden entgegen lief , der im Hintergrunde der Straße sich von seinem Haufen trennte , und auf sie zukam .
Das Weib ließ den Säugling in Sara's Armen , und ging zu ihrem Mann , der seinen Kindern liebkosend an der Türe stehen blieb .
- Du mußtest ihn morden sehen ! sagte sie schmerzlich , indem sie sich an ihn lehnte .
Er richtete sie auf , reichte ihr sein Gewehr , seine Patrontasche , und sagte ernst und gütig :
Liebes Weib , du folgtest sonst meinem Rat , du hieltest mich für den Weiseren ; willst du dich in dem wichtigsten Zeitpunkt unseres Lebens von anderen stimmen lassen ?
- Sie weinte ungestümer bei dieser Zurechtweisung , und nachdem er ihr eine Weile vergebens zugesprochen hatte , schien er noch ein letztes Mittel versuchen zu wollen , indem er herzlich nach dem jüngsten Kinde fragte , und heiter und sanft ihren Arm nahm , um mit ihr hineinzugehen und es zu sehen .
Nun zeigte sie es ihm in Sara's Armen : Sieh , da ist es bei einer guten fremden Frau ; die kost ihm schon lange , und weint - die magst du nur auch trösten ! -
der Mann betrachtete jetzt Sara , und wie diese sich aufrichtete , stutzte er , sein Gesicht drückte sogar Schrecken aus ; er blieb stehen , und fragte leise : wie kommt dieses Weib zu euch ? - die Kinder erzählten nun schwatzhaft , wie sie sich zu ihnen gesetzt , wie sie so herzlich mit der Kleinen geweint hätte , und am Schluß ihrer lebhaften , verwirrten Erzählung näherten sie sich Sara , und wollten sie zum Vater führen .
Aber dieser hatte unterdessen seine Frau beiseite gezogen , und kaum hatte sie aufgehört , was er ihr mit einem ziemlich heftigen und leidenschaftlichen Ausdruck zu sagen schien , so stürzte sie pfeilschnell auf Sara zu , riß ihr den Säugling vom Arm - Furie , rief sie erbost , wolltest du auch des Kindes Blut trinken ?
Gehe , und vergifte meine armen Kinder , mein Haus nicht mit deiner Gegenwart .
- Sara wankte ; die beiden älteren Kinder prallten erschrocken zurück ; der Säugling hing schreiend an der Mutter , die ihn heftig an sich drückte - da trat der Mann hinzu , nahm den Knaben und das Mädchen bei der Hand , und sagte mißbilligend zu seinem Weibe : ist sie nicht elend genug durch unseren Abschen vor ihr ?
Geht hinein , laßt sie - armes Weib , was machte dich so unmenschlich ? rief er noch , indem er einen traurigen Blick auf sie warf , und in das Haus eilte .
Die Türe wurde verschlossen , Sara blieb allein ! -
man floh sie also , als wäre ihr Anblick vergiftend ; der Mann hatte also ihre Taten genannt , und durch diese erschien sie diesen schmeichelnden Kindern , diesem weichen Weibe , wie ein Ungeheuer ! -
Sara betrog sich nicht ; der Mann hatte bei der Hinrichtung seinen Posten in ihrer Nähe gehabt , er hatte sie unter ihren abscheulichen Gefährtinnen erblickt , und sie nach ihrer Handlung wohl mit denselben verwechseln können - nun fand er schaudernd seinen Säugling an dem Busen des Weibes , die ihr blutiges Schnupftuch an eben diesem Busen verbarg !
Von diesem Augenblick an war Sara vernichtet ; sie fühlte sich gebrandmarkt , ausgestoßen von den Menschen , unfähig ihr Antlitz aufzuheben vor ihnen ; aber diese , die sie von sich gestoßen hatten , konnte sie nicht hassen - hassen konnte ihr einmal erweichtes Herz nicht mehr !
Sie warf sich in unaussprechlicher , dumpfer Verzweiflung auf die Bank .
Die Nacht brach ein , und vermehrte noch mit ihrem Dunkel das Grauen ihrer Seele .
Sie irrte , an diese Gegend wie gebannt , umher - schaudernd vor der Rückkehr nach Haus , wo Joseph und seine Gesellen versammelt waren , schaudernd vor der Stille ihrer Zimmer , wo sie die Bilder der Vergangenheit mit kalter Bitterkeit abzuwehren , nicht mehr die Kraft in sich fühlte , und mehr noch schaudernd vor den gewöhnlichen Tummelplätzen der wütenden Parteien .
Unter dem Gewühl von quälenden Vorstellungen , malte sich dann und wann des Säuglings Lächeln , mit ihres Kindes Bilde verschmolzen , vor ihren Augen ; sie fühlte seinen sanften Atem an ihrem Hals , sie sah seinen hellen Blick , das fremde Kind und L Tochter wurden Eins in ihrer Fantasie - und sie weinte endlich laut nach ihrem Kinde , das Grab ihres Kindes schien ihr endlich der einzige Fleck in der ungeheuren Stadt , der sie gastfrei aufnehmen würde .
Sie eilte durch die Straßen , und suchte den Kirchhof , wo sie so oft die Bitterkeit ihres Herzens auf dem Erdhügel , der das unschuldige Schlachtopfer deckte , genährt hatte ; und von Finsternis umfloßen , sank sie endlich sinnlos , und von Jammer erstarrt , dort nieder .
Es mochte schon tief in der Nacht sein , als ein neuer Zufluß von Leben die Wirkung der Winterkälte , des feuchten Bodens und ihrer tödlichen Erschöpfung überwand , und sie aus diesem schrecklichen Zustand erweckte .
Der Himmel war mit finsterem Gewölk bedeckt , dessen zerrissene Massen nur selten eine trügerische Dämmerung auf die Gegenstände umher fallen ließen .
Anfangs setzte sich Sara , ganz unbewußt wo sie war , auf das Fußgestell eines alten Grabmals , und starrte das schwarze Gebäude vor sich an , das sie erst nach einigem Nachsinnen für eine Kirche erkannte .
Jetzt flimmerten ein Paar Sterne über dem gotischen Dach , und in dem dunklen Gewirr von Gestalt und Chaos , das vor ihren Augen schwamm , unterschied sie einige morsche Denkmäler des Todes . O mein Kind ! seufzte sie mit sterbender Stimme , und warf sich , den Schauplatz nunmehr ganz erkennend , mit ausgebreiteten Armen über den kleinen , versunkenen Hügel .
Sie drückte ihren zerfleischten Busen jetzt schweigend an die kalte Erde , und suchte ihre irrenden Begriffe wieder zur Verzweiflung zu sammeln .
Plötzlich aber vernahm sie hinter sich ein leises Gemurmel von Stimmen , erst achtete sie dessen nicht ; doch bald mit den zischenden Lüften in den Mauerzacken der Kirche , bald mit dem Grächzen der Nachtvögel vermengt , erregten die Menschenstimmen Entsetzen in ihrer Seele .
Auf ihre Knie gestützt , beugte sie sich , um einen aufgerichteten Grabstein , nach der Gegend hin , wo die Töne herkamen .
Eine flüchtige Helle erleuchtete den Teil des Kirchhofs , wo ihr Auge umherspähte - ein großes weißes Kreuz erhob sich dort am Eingang eines Gruftgewölbes ; an dessen Fuß knieten zwei Gestalten , aus eben dem Steine gebildet , die von trübem Lichte umfloßen , bald von dem Schatten eines sich bewegenden Menschen bedeckt wurden , bald durch das Vorübergleiten des Schattens wiederum ganz hell erschienen .
Sara unterschied endlich zwei Männer , deren einer an dem Eingang der Gruft gelehnt , der andere frei neben ihm stand ; sie schienen sich leise zu unterhalten - eine neue Wolke entzog sie Sara's Blick , doch waren sie nur wenige Schritte von ihr entfernt , und gespannter horchte sie nun auf .
Der eine fing an , lauter zu murmeln , die Stimme des an deren schien von Seufzern erstickt ; doch jetzt schwieg jener , und Sara hörte den anderen im Ton des unaufhaltbaren Schmerzens rufen :
O meine verlorene Schwester !
- Ihres Bruders Namen stürzte über ihre Lippen , aber er wurde zu einem unverständlichem Schrei ; sie raffte sich auf , eilte über die Grabhügel der Erscheinung zu - es fiel ein Schuß , und von Überraschung und Schwäche niedergeworfen , sank sie wieder zwischen den Gräbern hin .
Eine von den zahlreichen Wachen des Viertels war auf den Schuß herbeigeeilt ; man sprengte die Türe des Kirchhofs , die während Sara's Ohnmacht am Abend geschlossen worden war , man durchsuchte alle Winkel , und fand nur Sara , ohne alles Bewußtsein bei den Gräbern liegend ; die Kugel war neben ihr in einen Stein gefahren , aber es ließ sich keine Spur dessen , der sie abgeschossen hatte , entdecken .
Nach vielen Bemühungen brachte man Sara in das Leben zurück , aber ihr Verstand kehrte nicht wieder .
Sie war in eine trübe , stumpfsinnige Raserei gefallen , während deren sie kein Zeichen von Erinnerung gab , außer einem zerreißend wehmütigen Lächeln bei dem Anblick kleiner Kinder , und einem ängstlichen Zittern bei dem Ton der Trommel , welches wahrscheinlich der Wirkung beizumessen war , das dieses schmetternde Instrument am 21. Januar auf ihre Nerven gehabt hatte .
Hörte sie einen Schuß , so rief sie oft : Theodor , Theodor ! und fuhr über ihre eigene Stimme zusammen ; schien sich besinnen zu wollen , und versank wieder in ihre Dumpfheit .
- Da in dieser Gegend der Stadt niemand sie gekannt hatte , und sie selbst nicht im Stande gewesen war , die geringste Nachweisung zu geben , hatte sie die ersten Tage unter der Aufsicht und Pflege der dortigen Sektionspolizei zugebracht ; allein die treue Martha hatte sie nicht lange in fremden Händen gelassen .
Vom ersten Morgen nach der unseligen Nacht , wo sie umsonst auf Sara's Rückkehr gewartet hatte , war sie in ihren Nachforschungen mit dem ängstlichsten Eifer fortgegangen , bis das Gerücht jenes abenteuerlichen Zufalls ihr die Sektion ausfindig machen half , in welcher Sara aufgehoben war .
Mit den gehörigen Beweisen versehen reklamierte sie die Unglückliche , als ihre Pflegbefohlne und ihre Freundin ; man übergab ihr das verlaßene Geschöpf , und sie führte sie in Nanni's Arme , der das Schicksal Vernunft genug gelassen hatte , um über die Rasende zu weinen .
Der erste Ton , den Sara bei Rückehrendem Bewußtsein unterschied , war ein Schrei der Freude , der in ihr dumpfes Ohr schallte , sie wußte nicht woher , sie wußte nicht aus wessen Munde .
Ihr Auge öffnete sich , oder es führte zum erstenmal wieder das aufgefaßte Bild ihrem lange gelähmten Geiste zu , und sie sah sich in einem ihr unbekannten , kleinen Zimmer , das von einem halben Lichte , wie der Strahl der Abendsonne , erleuchtet wurde .
In dessen feurigstem Schimmer standen , Arm in Arm fest verschlungen , ein junges weibliches Geschöpf , das sie nicht kannte , und ein junger Mann in Soldatenkleidung .
Ihr Kopf schwindelte , wie in einem Traum , und sie hielt ihre Augen eine Weile wieder geschlossen .
Du lebst , du lebst ! hörte sie nun ein Paarmal , bald lauter , bald erstickter rufen .
Sie schlug die matten Augen von neuem auf , und sah jetzt das junge Weib neben dem Mann auf den Knien , mit aufgehobenen und gefalteten Händen , mit einem von Freudentränen bedeckten Gesicht ; sie schien stumm , und doch mit sich bewegenden Lippen , zu beten .
Der rührende Anblick riß gewaltsam an Sara's schwachem Gehirn ; nicht Teilnahme - denn noch war ihre Seele ein bloßer Spiegel , in welchem diese Gestalten sich abbildeten , ohne einen Begriff hervorzubringen - sondern bloß die äußere Anregung ehemaliger Eindrücke , mochte Tränen in ihr Auge ziehen wollen ; aber zu ausgetrocknet , um Tränen zu liefern brannte ihr feuchtes Auge , und tiefe Seufzer drängten sich in ihrer Brust .
Jetzt sah sie eine alte Bäuerin , die wahrscheinlich neben ihrem Bett gestanden hatte , vor sie treten , und erstaunt sich gegen das zärtliche Paar wenden .
- Babet , sie lebt ! rief sie .
Sie rief umsonst ; Babet kniete , stand auf , umarmte wieder den jungen Mann , betete wieder , weinte und lachte wechselsweise .
Die Alte beugte sich über Sara , die unfähig zu sprechen , ihr die Hand auf den Arm zu legen suchte ; wahrscheinlich war es eine fragende Bewegung , aber ihre Kräften reichten dazu nicht hin , und ihre Hand sank nieder - Babet , sie blickt sanft und lebt ! rief noch einmal die Alte , und holte das Mädchen beim Arm herbei .
Babet schien sich jetzt zu sammeln , blickte anfangs noch zerstreut auf Sara , dann trat sie , ohne den jungen Mann loszulassen , näher .
- Wäre es möglich ?
Arme Sara - ja gewiß , sie lebt !
Mathieu , du bringst allen Leben mit . -
Bei diesen abgebrochenen frohen Worten nahm sie leise Sara's Hand , und schien ihr Leben fühlen , ja sogar behorchen zu wollen ; denn sie legte ihr Ohr an Sara's Mund .
Diese machte einen neuen Versuch zu sprechen , und sagte kaum hörbar : wo ist Martha ? - Martha , antwortete Babet traurig , und weinend umfaßte sie wieder den Fremden :
O die arme Martha !
Mathieu , unsere arme Baase , unser armer Vater ! -
die Alte hatte Arznei geholt , die sie jetzt Sara brachte , indem sie zugleich verdrießlich zu Babet sagte : Junge Frau , eure Freude ist gut und erlaubt , aber Ihr wißt doch , daß der Arzt auf Leben und Tod befohlen hat , sie ruhig zu erhalten , wenn sie wieder zu sich käme . -
Babet hörte sie an , sah zärtlich auf Mathieu , dann auf Sara , deren schwachen Kopf die Unruhe grausam an strengte .
- Geht in den Garten mit dem Liebsten , fuhr die Alte fort , und laßt mich mit ihr allein , bis Ihr über die erste Freude weg seid .
Babet schien unentschlossen , und beugte sich zu Sara , die noch einmal , und ängstlicher , nach Marthen fragte .
Marthe grüßt Sie , sagte nun Babet verwirrt ; sie hat mir vieles an Sie aufgetragen ; Sie sind in guten Händen .
- Der junge Mann sprach halb leise mit ihr , und zog sie ungeduldig fort ; das alte Mütterchen blieb bald mit Sara allein , deren Zustand in diesem Augenblick unbeschreiblich war .
Sie fühlte sich wie aus einem tiefen Schlafe erwacht , konnte aber durchaus nicht urteilen , wie lange sie geschlafen hatte .
Das erste Bild , das aus der Vergangenheit wieder vor ihr aufstieg , war die Nacht vom 21. Januar , aber es war nur Bild , nicht Gefühl , nicht Gedanke , und da sie , indem es vor ihr stand , nahe an ihrem Bett grüne Ranken erblickte , die in das Fenster sich bogen , und Sommerluft fühlte , so stellte sich dieses Lokale neben dem Lokalen jener Winternacht , und machte sie unsicher , welches von beiden Traum wäre .
Sie wollte die Alte fragen , aber das erstemal sagte ihr diese mit feierlichem Wesen : im Namen des gütigen Gottes , der euch das Leben so wunderbar wiedergibt , schweiget !
Euch wird besser werden .
- Und so oft sie wieder versuchen wollte , mit ihr zu sprechen , legte das Mütterchen ihr freundlich den Finger auf den Mund , und schüttelte mit dem Kopf .
Sie reichte ihr aber sorgsam in sehr kleinen Zwischenräumen ein Arzneimittel , und schien sie jedesmal mit größerem Wohlgefallen anzublicken .
Sara schwieg endlich , und suchte zu denken .
Außer dem letzten Augenblick vor ihrer Verstandesverwirrung , war ihr alles wie ein wogendes Meer - bald Bilder der Kindheit , bald des Vaters , Rogers , L Bild ; aber alle schwanden so leise , so im Nebel vorüber , daß sie manches festzuhalten suchte , um sich zu besinnen , ob es schrecklich wäre .
Nach und nach reihten sich die abgerißenen Vorstellungen zusammen ; sie war sich der grausamsten Augenblicke bewußt , aber wie nun überstandener Leiden ; sie dachte die Toten , ihren Vater , ihr Kind , Theodorn - hier zog sich ihre Brust banger zusammen , aber wie ein Kind , das die Erinnerung an ein Gespenstermährchen entfernt , um sich nicht im Finsteren zu fürchten , wich sie diesem schrecklichen Andenken aus , und spann neue Fäden aus ihrer Vergangenheit zusammen .
So lag sie eine ganze Weile , bis es dunkel wurde .
Der Mond schien in das Zimmer , die Alte brummte ein Paarmal vor sich hin , über die jungen Leute , die so lange ausblieben , getraute sich aber nicht , von der Bettseite wegzugehen .
Endlich hielt ein Pferd vor dem Haus , ein Mann trat ins Zimmer - ach der Bürger Doktor ! ging ihm die Alte entgegen ; Wunder , Wunder !
sie lebt ; und so mir Gott helfe , sie ist vernünftig ! -
Nun gut , liebe Frau ; daran zweifelte ich ja nie , fiel der Doktor mit einer freundlichen Stimme ein , aber denkt ein andermal besser an das , was ich euch sagte , und holt mir jetzt Licht , damit ich meine Kranke sehe - die Alte schaffte Licht , der Arzt nahte sich Sara , betrachtete sie aufmerksam , fühlte ihren Puls , und fand ihn heftig bewegt .
Sara hatte in dem gutmütigsten Zuruf der Alten eine schreckliche Aufklärung über ihren Zustand erhalten ; sie wußte jetzt was ihr Schlaf gewesen war , konnte jetzt den kalten Reif auf ihres Kindes Grabe , und die sanfte Sommerluft , die hier durch das Fenster hauchte , zusammen reimen .
- Ich hatte den Verstand verloren ? sagte sie zu dem Arzt .
Der Mann sprach sehr leutselig mit ihr , und suchte anfangs nur dahinter zu kommen , wie weit sie wieder bei sich wäre ; je mehr er sich aber von der Rückkehr ihrer Vernunft überzeugte , desto männlicher aufrichtend behandelte er sie .
Er sagte ihr endlich selbst , daß sie fürchterliche Unglücksfälle zu beweinen hätte ; aber , setzte er hinzu , Ihr wunderbar wiedergekehrter Verstand , Ihr neugeschenktes Leben fordern Sie auf , die Vergangenheit zu überwinden , und das können Sie nur durch Ruhe , und durch Mäßigung Ihres Gefühls , bis Ihr Körper wieder Kräfte gesammelt hat - So freundlich und tröstend sprach er ihr noch einige Augenblicke zu , und wandte sich dann gegen die Alte , die er nach Babet fragte .
Sogleich fing sie an , mit lebhafter Treuherzigkeit ihm zu er zählen , wie nichts auf der Welt , wenn es nicht der Zustand gewesen wäre , in welchem das arme Weib - auf Sara deutend - gelegen hätte , sie hätte abhalten können , um die jungen Leute zu sein , denn denkt nur , Bürger , Mathieu ist zurück !
Er ist mit der letzten Abteilung der Mainzer Garnison angekommen , und ist frisch und gesund , und wird nun nach der fände marschieren . -
Indem trat Babet selbst mit ihrem Manne herein ; diese vier Menschen bildeten nun eine einfach häusliche Gruppe , Babet hatte ihre herzliche Freude über die Achtung , mit welcher der Doktor ihren Helden behandelte , der ihm seine Fragen über den Feldzug mit vielem Anstand beantwortete .
Sie blieb neben Sara , und schien halb verlegen halb furchtsam , sie unterhalten zu wollen , und war doch nur mit ihrem Mathieu beschäftigt .
So hielt sie denn Sara's Hände , und erzählte mit neuen Freudentränen :
er war vier Monate eingesperrt ; sieben Monate habe ich nicht gewußt , ob er noch lebte , oder schon längst unter freiem Himmel schlummerte - ach es fielen so viele arme Bürger ! es weinen so viel unglückliche Weiber ! - und heller flossen der guten Babet Tränen , bei dem Gedanken , daß auch sie dieses Los hätte treffen können .
Plötzlich erinnerte sich Sara , daß Roger auch in der Gefahr wäre , aus welcher Mathieu nur eben zurückkehrte - lebt Roger ? fragte sie , ohne zu überlegen , ob auch hier jemand Rogen kennte .
- Roger ? wiederholte Babet befremdet , und blickte fragend auf ihren Mann ; Mathieu hat ihn vielleicht gekannt - wer ist Roger , liebe Sara ? - Hier erwachte neues Bewußtsein in der Unglücklichen , und neues Gefühl ihrer Lage .
Sie erkannte sich nun unter Fremden , und diese Entdeckung , denn das war es für ihren Geist , erschreckte sie , wie ein Kind , das sich plötzlich allein sähe . -
Wo ist Marthe ? Nanni ? - wo sind sie ? wo ist Joseph ? fragte sie verwirrt , und machte eine angestrengte Bewegung , sich aufzurichten .
Sie hatte so laut gefragt , daß der Arzt sich erschrocken gegen das Bett wandte , und ihr von neuem zusprach , sich nicht durch Angst und Unruhe zu schaden .
Aber sie fuhr fort , mit Ungestüm nach ihren alten Bekannten zu fragen , und wo sie wäre , und wer Babet wäre ? -
der Arzt besann sich einen Augenblick ; dann setzte er sich zu ihrem Bett , und hob freundlich an : Liebes Kind , Babet ist Marthens Nichte durch ihren Mann ; Martha liebte Sie zärtlich - und wie sie starb - -
denn es soll Ihnen nicht länger verhehlt sein , Martha ist ihrem guten Mann , der als braver Soldat fiel , nachgefolgt !
Und bei ihrem Tode übertrug sie ihrer Nichte und dieser redlichen alten Frau die Sorge für Sie !
Nanni und Joseph waren ihr schon vorausgegangen ; ihnen allen folgte Ihre brave Freundin willig nach , denn sie wußte , daß Sara in guten Händen blieb . - -
Sara hatte ihn still angehört - also tot ? alle tot ? -
Ja mein gutes Kind , antwortete der menschenfreundliche Arzt , bang auf den Eindruck lauschend , welchen diese traurigen Nachrichten auf die erschöpfte Maschine machen würden .
Sie blieb ruhig , ja sie war nun viel ruhiger als vorher ; außer daß sie ein Paarmal die Lippen bewegte , wie eine Person , die mit sich selbst beschäftigt ihre Gedanken in einzelnen Worten ausbrechen läßt , schwieg sie den übrigen Abend ganz still , und blieb es auch die folgenden Tage , während deren ihre Kräfte so zunahmen , daß sie bald von ihrem Lager aufstehen und anfangen konnte , sich in der warmen Sonne zu erquicken .
Nach vier bis sechs Wochen war ihre Gesundheit fester , als sie jemals gewesen war , und ihr Geist hatte sich so erholt , daß man ihr nach und nach alles , was sich in jenem schrecklichen Zeitpunkt zugetragen hatte , beibringen konnte .
Bald nachdem Martha ihre unglückliche Freundin wieder unter ihre Pflege bekommen hatte , war Thirion's Schwestersohn , der junge Mathieu , auf seinem Durchmarsch mit einer Abteilung neuer Kriegsvölker von den westlichen Seeufern , zu ihr gekommen .
Die herzliche Aufnahme , die er hier fand , und seine eigene Unruhe , bewogen ihn , der guten Frau anzuvertrauen , daß ein Mädchen , als Kriegskamerad verkleidet , ihn begleitete , und daß die Gefahren , denen die Ehre und das Leben dieses geliebten Mädchens , jeden Augenblick ausgesetzt wären , ihn Tag und Nacht verfolgten und quälten .
Seine Babet war eine arme Waise , die Mathieus Mutter , ihre weitläufige Verwandte , erzogen hatte ; sie liebten sich von früher Jugend , aber der Eigensinn seiner Eltern hatte sich einer Verbindung zwischen dem wohlhabenden Mathieu und der armen Babet entgegengesetzt .
Von jugendlichem Eifer für das Vaterland zu streiten , begeistert , wäre er schon als Freiwilliger an die Grenzen geflogen , wenn ihn Babets verlaßener Zustand nicht zurückgehalten hätte ; als aber jetzt der Befehl des Konvents ihn rief , hatte Babet , die mutige zärtliche Babet , weder zurückbleiben , noch durch eine schleunige Heirat , in welche die Eltern unter diesen Umständen vielleicht gewilligt hätten , um ihren einzigen Sohn bei sich zu behalten , ihren Geliebten entehren wollen .
Sie entschloß sich , an seiner Seite zu fechten , seine Lorbeern zu teilen , oder neben ihm zu fallen .
Mathieu liebte zu zärtlich , Patriotismus und Bewunderung von Babets Mut spannten seine Einbildungskraft zu hoch , als daß er sogleich alles Bedenkliche dieses Vorhabens übersehen hätte :
er ließ sie voll Entzücken den Marsch an seiner Seite antreten .
Noch aber hatten sie Paris nicht erreicht , so fühlte er , was durch die Nähe des Mädchens und durch ihre Verkleidung , seinem Mut und seiner Liebe drohte .
Der redliche junge Mann zitterte , so oft bei den Waffenübungen die Kameraden über die schwachen Glieder des kleinen André lachten ; er fühlte seine Brustschmerzen , wenn sie im Eifer zu lernen , das schwere Gewehr gegen ihren zarten Busen stieß ; schlaflos lag er neben ihr auf der Streue , gepeinigt , daß er neben ihr lag , und noch mehr , daß zehn bis zwölf andere junge Bursche sie umgaben ; tranken sie unter einander , so gab jeder Tropfen , den sie schlürfen mußte , jeder ausgelaßene Scherz der wilden Kameraden , jede ihrer Spöttereien über den jüngferlichen André , ihm einen Stich ins Herz .
Wie er zu seiner Baase Martha kam , hatte er Gelegenheit , ihre sanfte häusliche Sorgfalt für Nanni , deren von Jammer vergiftetes Leben in einer langsamen Auszehrung erlosch , ihren rührenden Kummer über Josephs immer mehr verwildernde Fantasie zu beobachten - und noch entging ihm ein Teil ihres Verdienstes , denn sie verbarg Sara vor seinen blicken , weil diese in der damaligen Zeit zu heftig erschüttert war , um unter Menschen zu erscheinen .
Was er aber sah , flößte ihm den Wunsch ein , seine mutige , treue Geliebte in den Händen dieser vortrefflichen Frau zu lassen .
Er führte Babet zu ihr ; seine Bitten , seine Schwüre , und vorzüglich die Angst , die das arme Mädchen schon jetzt unter dem lärmenden Haufen seiner Kameraden ausgestanden hatte , erschütterten ihren Entschluß .
- Marthens Vorschlag , nur als Mathieu's rechtmässiges Weib zurückzubleiben , besiegte vollends ihre Schwärmerei ; das Band ihrer Ehe wurde von dem Gesetz geknüpft , und Mathieu zog allein mit seinen Waffenbrüdern an den Rhein .
Babet teilte nun die menschenfreundlichen Geschäfte ihrer Baase , und besonders ihre Sorge für Sara , deren trauriger Zustand sie um so lebhafter interessierte als die Gattung ihres Unglücks und der wilde Heroismus ihrer Rache mit der kühnen Begeisterung ihrer eigenen Liebe in einiger Berührung standen .
Sie wurde in kurzem der treuen Martha , über deren Haupt jedes häusliche Unglück zusammenschlug , eine unentbehrliche Gehilfin .
Seit zwei Monaten hatte die gute Frau nicht die mindeste Nachricht von ihrem Gatten ; doch wußte sie ihn am Rhein , und sein letzter Brief war aus einer kleinen Festung in der dortigen Gegend gewesen .
Die anfangs sehr übertriebenen Gerüchte von dem Unfall , der die republikanischen Truppen am 2. Dezember in Frankfurt betroffen hatte , und von dem mannigfaltigen Verrat , der sie dort der Wut des Feindes preisgegeben haben sollte , hatten sie zwar erschreckt ; indessen hatte sie nach allen Erkundigungen , die sie einzog , geschlossen , daß die Garnison jener kleinen Festung bis dahin nicht gewechselt hätte .
Die große Unordnung , die in allen Kriegsgebieten herrschte , schnitt alle bestimmten und regelmäßigen Nachrichten aus der Gegend ab , und Marthens sanftes Herz überredete sich in frommer Ergebung , daß ihr Mann in Mainz eingeschlossen sein möchte .
Gegen Ende des Winters trat eines Abends ein verstümmelter Kriegskamerad , der vom Rheine kam , in Marthens traurige Wohnung .
Er fand sie mit Babet bei dem Krankenlager ihrer Schwester Nanni , die dem Tod sanft entgegen lächelte ; denn in dem Verhältnis wie ihre Lebenskraft verlosch , kehrte die Helle ihres Geistes zurück , die Wirklichkeit schied sich von ihren schauderhaften Träumen , und ihre Sehnsucht nach dem Grabe mehrte sich mit jedem deutlich gewordenen Bilde der fürchterlichen Vergangenheit .
Der Soldat kündigte ihnen seinen Namen an , und schien vorauszusetzen , daß sie diesen kannten :
es war mir nicht genug , sagte er zu Marthen , bloß geschrieben zu haben ; ich bin vom Hospital zu Landau hierher geeilt , um auch bei meiner Rückkehr in mein Vaterland , meines braven Kameraden letzten Auftrag selbst auszurichten , - Martha erblaßte : heiliger Gott , was macht mein Thirion ? - Der Soldat wurde betreten ; sein Brief war nicht angekommen .
Gute Frau , sagte er bewegt , hätte ich das gewußt , ich wäre vorsichtiger gewesen .
Thirion fiel in Frankfurt , unter den Säbelhieben der wütenden Hessen .
Ich hatte ihn wenig gekannt ; wenn wir uns aber Abends auf der Wache manchmal trafen , sah ich ihn immer traurig sitzen , während daß unsere frohen Landsleute schwärmten ; und gerade so war_es mir auch um_das Herz , denn wie er an euch dachte , so war ich bei meinem Weibe und vier lieben Kindern .
Das machte uns bekannter ; und wie an dem abscheulichen Morgen unsere braven Krieger von ihren elenden Anführern verraten , umherirrten , begegnete ich ihm auf der Straße , focht mit ihm - aber ohne Gewehr , mit dem bloßen Säbel bewaffnet , ohne Anführung und Befehle , von den feindseligen Einwohnern umgeben , fielen meine Landsleute - euer guter Mann stürzte verstümmelt an meiner Seite , - mein armes Weib ! rief er , und wie er den letzten Hieb auf dem Kopf empfing , ächzte er mir noch zu : Grüßt meine Martha - - Nanni blickte mit glänzendem Auge zum Himmel , als erkennte sie dort des Bruders Geist ; Babet lag schluchzend neben dem Bett auf den Knien , und betete angstvoll , daß Mathieu noch leben möchte ; Martha saß mit gefalteten Händen , ein Bild des Kummers und der Ergebung : still rannen ihre Tränen an den kalten Wangen herab , nur bei dem letzten Gruß des blutenden Gatten seufzte sie krampfhaft auf ; der Krieger selbst hielt die Hand über den Augen , - nur die elende Sara saß dumpf nachsinnend in einem Winkel des Zimmers , und hörte nichts von dem schmerzvollen Bericht .
- Ich entkam , fuhr Thirions Kriegsgefährte fort ; kurz darauf schlugen wir uns im Felde gegen die Deutschen , da nahm eine Kanonenkugel meinen Fuß mit weg , - ich wurde geheilt ; sobald ich meine Krücke führen konnte , eilte ich hierher .
Nun habe ich seinen letzten Willen erfüllt .
Gott tröste euch !
Wäre euer Mann im Felde gefallen , ich sagte euch : sein Tod war schön ; aber so - auf der Schlachtbank ! -
Gott tröste euch , und gebe uns treue Anführer !
Geduldig werden noch Tausende fallen wie er , Tausende verstümmelt zu ihren Weibern heimkehren wie ich , um unsere Freiheit zu sicheren , - aber so geopfert , so verraten zu werden . - -
Er warf noch einen Blick auf die traurige Gruppe , und indem er ging , sagte er für sich : Gutes Weib , wenn du dieses sähest , du würdest nicht über mein abgeschoßenes Bein jammern . - -
Noch schwerere Prüfungen standen der guten Seele bevor .
Die fürchterlichen Szenen , in denen ihr Bruder verwickelt gewesen war , hatte sein ohnehin so schwarzes Blut in einem so unnatürlichen Grad erhitzt , daß er in einen Zustand von Raserei verfiel , der alle Umstehenden mit Entsetzen erfüllte .
Die Schrecknisse der Septembertage verfolgten ihn wie Furien , und peitschten sein belastetes Gewissen .
Erstarrt und schweigend sahen die Nachbarn und Freunde den Ausbrüchen seiner Wut zu , und flüsterten dann unter einander von der Rache des erzürnten Himmels , welche mehrere von den verführten Werkzeugen jene Abscheulichkeiten auf eine ähnliche Weise ergriffen hatte , - und wenn sie die satanischen Verführer noch im hohen Gepränge geheuchelter Tugend und Vaterlandsliebe daherfahren sahen , so ahndete ihr gestärkter Glaube an Vorsehung auch für diese eine richtende Zukunft , oder schauderte vor der Hölle , die trotz der eisernen Stirn schon jetzt in dem finsteren Abgrund ihres Herzens lauern möchte .
Bang erweckte das Angstgeschrei des unglücklichen Bruders die arme Nanni aus dem matten Schlummer , der sie in dieser letzten Zeit umhüllt hatte , bis Joseph endlich unter den rächenden Dolchen der Erschlagenen , die sein brennendes Gehirn ihm vormalte , sich windend , den gemarteten Geist aufgab .
Nanni folgte ihm bald nach , sanft hinüberschlummernd , und in ihrem inneren Bewußtsein nun hell überzeugt , daß sie bald mit ihrem Henriot von allen schrecklichen Träumen erwachen würde .
Unter der Witwe Trauer und des jungen Weibes ängstlicher Furcht vor gleichem Unglück , unter der Pflege ihrer armen Freundin , die nun der einzige Gegenstand von Marthens und Babets Sorgfalt war , und den Handarbeiten mit welchen sie sich bei ihren eingeschränkten Umständen forthalfen , ging der Winter dahin .
In dieser ganzen Zeit schien Sara nur selten auf einen flüchtigen Augenblick ihre Freunde zu kennen ; sie saß meistens stumm und fast bewegungslos , und man würde sie für ein steinernes Bild angesehen haben , wenn nicht von Zeit zu Zeit ein leichter Schauder über ihre Glieder geschlichen wäre .
In lichteren Zwischenräumen arbeitete sie maschinenmäßig und gedankenlos neben den beiden Weibern ; Nanni es Abwesenheit bemerkte sie gar nicht ; wenn sie die Weiber viel weinen sah , schien sie sich besinnen zu wollen , fuhr mit der Hand über ihre trocknen Augen , und besah sie dann mit geistloser Verwunderung .
Nach der politischen Revolution , die im Mai und Junis des Jahres 1793 . ein nach Freiheit dürstendes , heldenmütig um Freiheit kämpfendes , und nur durch die Zauberformeln der Freiheir zu unterjochendes Volk , der eisernen blutigen Herrschaft des finstersten , frechsten , unbegreiflichsten aller Tyrannen zuführte - nach dieser Revolution geriet Martha an einem Morgen wo einige ausgezeichnete Patrioten von der gestürzten Partei hingerichtet wurde , durch ein Geschäft in die Gegend des blutigen Schauplatzes .
Die Sache für welche ihr Gatte gefallen war , für welche der Gemahl ihrer geliebten Babet stritt , war ihr zu teuer geblieben , als daß ihr der Gang der öffentlichen Angelegenheiten , so weit ihr stiller einfacher Sinn ihn zu verfolgen wußte , hätte gleichgültig sein können ; und der Fall der milderen Partei hatte sie tief bekümmert .
Durch ein trauriges Ungefähr verspätete sie sich , und fand sich unversehens in den wilden Haufen verwickelt , der zum Richtplaz strömte ; blaß und zitternd eilte sie , sich durchzudrängen und ihren Rückweg zu suchen , aber ihre Verwirrung diente ihr schlecht , sie stieß auf den Zug , der die Verurteilten begleitete , und außer sich von Schrecken und Angst , wurde sie wieder nach dem Richtplaz fortgerissen .
Ihr Abscheu verratendes Wesen zog die Aufmerksamkeit einiger elenden Spionen der blutgierigen Anstifter dieses Schauspiels an ; ihre rechtliche Kleidung , ihr Anstand ließ nicht vermuten , daß sie den empörenden Anblick aufgesucht hätte ; mit boshaftem Mutwillen umringte man sie , versperrte ihr den Ausgang , und die weiche , gute Martha mußte halb entseelt der Todsscene beiwohnen .
Wie diese mutigen Opfer des Schicksals sich ihrem letzten Augenblick nahten , und indem sie mit lauter Stimme den Gesang der Freiheit anstimmten , ihre Unschuld besiegelten , und durch den letzten Gedanken ihrer fliehenden Seele tausend neue Jünger der Freiheit aufriefen , da konnte Martha nicht mehr widerstehen ; sie fiel bei der heiligen Hymne ohne Bewußtsein den Umstehenden in die Arme .
Man brachte sie fort , einige von den schadenfrohen verworfenen Buben folgten ihr nach , um jede ihrer Bewegungen zu bewachen .
Ihre ersten Worte als sie wieder zu sich kam , die bitteren Tränen , die sie jenen Märtirern weinte , deren Blut eben geflossen war -
denn als Märtirer , als triumphierende Märtirer waren sie ihr erschienen - gaben Stoff genug , den grausamen Mutwillen zu üben .
Man warf ihr höhnisch ihren Schmerz vor , man schwatzte von Verrat , von Aristokratismus , und wie sie mit dem Stolz der Unschuld antwortete , führte man sie vor den nächsten revolutionären Sektionsausschuß .
Dort wurde sie vom Unwillen und von der Erbitterung über die abscheuliche Behandlung endlich zu der unüberlegt trotzigen Behauptung hingerissen , daß sie nicht einmal zu tadeln sein würde , wenn sie alle die elenden Beschuldigungen verdiente , denn vor dem zehnten August hätte man keine Opfer mit dem Gesang der Freiheit auf den sterbenden Lippen fallen gesehen .
Schweigen Decke Marthens Grab , und das Grab der vielen Unschuldigen , aus deren Blut Frankreichs Glück entsprießen möge !
Die Freiheit , die Tugend des kommenden Geschlechts sei der Lohn ihres Todes - Martha sah ihre traurige Wohnung , ihre verlaßenen Freundinnen nicht wieder ; das richtende Eisen leitete sie zu ihrem Gatten , zu ihrer erlösten Nanni , und einst zu Josephs geläuterten Geist . - -
Nun war Babet allein , schrecklich allein , denn seit den letzten Niederlagen am Rhein hörte sie nichts von Mathieu , und nebst Sara's fast lebloser Gestalt waren nur die Geister ihrer Verwandten ihre tägliche Gesellschaft .
Auch mußte sie sich immer mehr einschränken , denn gewissenhaft sparte sie für Sara die kleine Summe , die Martha teils bei ihr vorgefunden , teils aus dem Verkaufe ihres Silbers , ihres Gerätes , und einiger Kostbarkeiten die sie besaß , gelöst hatte .
So lange Martha gelebt hatte , war nie die Rede davon gewesen , Sara nach ihrer Provinz zurückzuschicken ; jetzt wußte Babet kaum Berthiers Namen , und es war ihr bekannt , daß die Rebellen in dem Lande hausten , wo dieser letzte Freund der verlassenen Sara wohnen müßte ; übrigens hatte sie , so gut wie Martha , Sara's frühere Geschichte immer nur sehr unvollkommen gewußt , aus Raimonds Reden , und aus ihren Handlungen , denn erzählt hatte sie nie etwas - willig trug sie also die durch namenloses Elend geheiligte Unglückliche .
Der Zufall erleichterte ihr indessen diese Last : eine wohlhabende Landmannsfrau aus einem benachbarten Dorfe , deren Sohn ehemals in Thirions Würzladen gedient hatte , wollte bei ihrer Anwesenheit in der Stadt Marthen besuchen ; von der Lage des jungen Weibes , von Marthens Tod gerührt , nahm die gutherzige Alte jene nebst Sara zu sich auf das Land , räumte ihnen ein Stübchen ein , und schaffte Babet Arbeit .
Sara , die seit ihrer Krankheit in einem kleinen engen Quartier in einem Winkel von Paris eingesperrt gewesen war , schien in der Landluft aufzuleben , aber dieses neue Erwachen ihrer Geister war ihrem zerrütteten Gehirn gefährlicher als die tote Dumpfheit , in welcher sie bisher gelegen hatte .
Eine heftige Unruhe fing an , sie umherzutreiben ; so wie sie vorher zu halben Tagen sinnlos hinstarrte , so irrte sie nun mehrere Stunden nach einander durch den Garten , durch das Feld , rastlos wie von einem unsichtbaren Feind getrieben , ohne Klage , von innerem Feuer still glühend .
Babet sprach ihr umsonst zu , sie schien niemanden zu verstehen ; schloß man sie aber ein , so erstickte sie fast vor Angst , und glich einem Vogel , der in ein Zimmer verlaufen , jedes helle Fleckchen für freie Luft ansieht , und sich das arme Köpfchen gegen die Glasscheiben zerschlägt .
Sie rannte dann unablässig im Zimmer umher , Maß die Fenster mit ihren Augen , suchte den Ausgang an jeder Leiste des Getäfels .
So wie man sie herausließ , wurde sie ruhiger , wandte ihren trocknen Mund gegen die Gegend wo die Luft herwehte , und schien sie mit ihren aufgeborstenen Lippen zu trinken .
Einmal begegnete sie einem Bataillon Freiwillige , die nach der Hauptstadt zogen ; sie setzte ihren Weg bei der hohen Mittagsonne fast neben ihnen fort , und schien sie nicht zu bemerken ; wie sie aber bei ihrem Einzug in das Dorf ihre Trommeln zu rühren anfingen , tat die arme Sara einen fürchterlichen Schrei , und stürzte durch die Straßen , Theodors und ihres Kindes Namen wechselten in ihrem Munde ab , sie rief nach dem Grabe ihres Kindes , glaubte allenthalben es zu finden , und in diesem Zustand von wilder Heftigkeit wurde sie nach Haus gebracht .
Der Anfall ließ ein Fieber zurück , dessen Krisis der Todesschlaf war , aus welchem sie bei Mathieu's Ankunft erwachte , und worauf ihre Vernunft so wunderbar wiederhergestellt wurde .
Sara es Geist war nun geheilt , aber ihr Herz war gebrochen , ihr gesellschaftliches Dasein zerstört - kein Band fesselte sie mehr an die Menschen ; Babet selbst war für sie fast eine Fremde , und seitdem sie alles , was während ihrer Krankheit vorgefallen war , erfahren hatte , war sie in verschloßener Verzweiflung unaufhörlich bloß damit beschäftigt , das traurige Schicksal von Thirions Familie mit an die schwarzen Fäden des ihrigen zu spinnen .
Aber mit dieser düstern Untätigkeit war ihr Verhängnis noch nicht erfüllt , und die Umstände stürzten sie bald in einen neuen Strom von Begebenheiten .
Mathieu hatte sein junges Weib von neuem verlassen müssen ; ihre Liebe war so feurig wie ehemals , während einer ängstlichen Trennung hatte sie sich zu kühneren Schritten für die Zukunft vorbereitet , der Schutz , dessen sie damals genoß , war ihr noch dazu durch das Schicksal entrissen , und das treue Weib zitterte nicht mehr vor den Gefahren , welche das entflohene Mädchen bedroht hatten - fest beschloß also Babet , ihrem Gatten in den neuen Kriegen zu folgen .
Die Geister waren damals zu einer solchen Höhe gespannt , daß alle Begriffe von Gesetz und Pflicht von dem Gesichtspunkt jedes einzelnen abhingen , und nie kämpften wohl so verschiedene Gefühle in den Herzen braver Streiter , als bei dem schrecklichen Bürgerkrieg , zu welchem Mathieu mit seinen vom Rhein zurückkehrenden Waffenbrüdern berufen war .
Tief trauernd ergriffen so manche gute , für Freiheit glühende Bürger das Schwert , um ihre Brüder selbst der Freiheit zu opfern ; aber mit innerem unaussprechlichem Grimm betrachteten sie oft das Blut der teuren Opfer , das an ihren Schwertern klebte , wie sie wahrnehmen mußten , daß man sie zu Werkzeugen der Grausamkeit , des Verrats , der satanischen Selbstsucht , der tiefsten Greuel gebrauchte .
Doch stritten sie mutig fort , unwandelbar auf das Ziel blickend , und kaum der zehnte Teil der tapferen Schar kehrte späterhin von dem Grabe ihrer Landsleute , von den rauchenden Brandstätten zurück , um unmutig für den traurigen Ruhm , verirrte Unglückliche geschlachtet zu haben , das dumpfe , zweideutige Zujauchzen der unterdrückten Nation zu empfangen ! -
Als sie dahin zogen , waren sie indessen weit entfernt , die wahre Beschaffenheit der Dinge in jenem Fabellande zu kennen , und bei einer Unternehmung , wo es , wie mancher sich gern überredete , bloß darauf ankommen würde , durch den Mut und durch alle übrigen Tugenden der Freiheit , einen von tückischen Priestern und stolzen Großen erregten Hauszwist beizulegen , fand Mathieu ungleich weniger Bedenklichkeiten , seine Babet mitzunehmen , als auf einen Feldzug gegen fremde Feinde .
Er hätte sich daher gleich bei seinem Abmarsch von ihr begleiten lassen , wenn ihr gutes Herz und seine Menschlichkeit es ihnen damals erlaubt hätten , die noch sehr schwache Sara allein zurückzulassen .
Auch bis sie nicht vollkommen genesen war , konnte es Babet nicht über sich gewinnen , sie mit ihrem Entschluß bekannt zu machen , den sie ohnehin der guten Alten , von welcher sie so gastfrei aufgenommen worden war , verschweigen mußte .
Nunmehr aber , wie sie ihr endlich ihr Vorhaben entdeckte , forschte sie schonend , was ihre eigenen Plane wären .
Sara hatte seit der Rückkehr ihrer Vernunft schon oft in die Zukunft geblickt ; aber diese stand finster , wesenlos , wie ein weiter öder Raum vor ihrem trüben Auge ; keine Gestalt der Vergangenheit schwebte neben ihr dahin , keine winkte ihr dort , sie alle deckte das Grab - sie alle , denn jene Stimme , die auf dem Kirchhof ihren Verstand zerstört hatte , hielt sie jetzt für eine Erscheinung - sie alle , denn an Roger zu denken , war die einzige lebendige , schmerzhafte Seite ihres Herzens , die einzige die kaum hörbar nach Hoffnung tönte , und vor der Hoffnung schauderte die vom Schicksal zertretene zurück !
Endlich aber stieg Berthiers ehrwürdige Gestalt in der leeren Ferne auf - erst kaum sichtbar in dem Entsetzen vor der Erinnerung an glückliche Tage zerfließend , doch bald hatte sie sich klarer ausgebildet , und jetzt - jetzt hörte Sara jene Worte des tugendhaften Greises wieder :
So lange du nicht seine Mitschuldige bist , wirst du nicht ganz erliegen ! - Schuldig , zehnfach schuldig war sie durch unbändige Leidenschaft , durch den höchsten Grad des menschlichen Unglücks , durch die Zerstörung aller weiblichen Verhältnisse ; aber Seine Mitschuldige war sie nie geworden , nie treulos an ihm , nie Verräterin am Vaterland - und wiewohl sie mit tiefem Gram sich tot fühlte für diesen großen Namen , tot für jedes hohe Gefühl , so sehnte sie sich doch aus der öden Verlassenheit nach einem angewiesenen Pfad durch ein unglückliches Dasein , das sie nicht enden durfte , nachdem es die Natur so sorgsam erhalten hatte .
Sich in Berthiers Arme zu retten , wurde erst zum Gedanken bei ihr , dann zum Entschluß , und endlich zum wehmütigen Bedürfnis .
Babet war sehr damit einverstanden , bis sie sich erschrocken besann , daß die Rebellen hauptsächlich in jener Gegend ihre Fortschritte gemacht hätten .
Allein sie riet ihr umsonst an , zu warten bis die Ihrigen es dort wieder sicher gemacht haben würden ; Sara bestand auf ihren Entschluß , wie ein matter Pilger eigensinnig lieber auf hartem Fels unter dem Schutz der Gesträuche ruht , als sich der Gefahr aussetzt , während des kurzen Wegs zur nächsten Herberge zu verschmachten .
Wenn er lebt , sagte sie , so nimmt er die müde Unglückliche auf , und ich diene ihm wo er auch leben mag - und ist er dahin , so kann ich ja dort dem Tod mich entgegen sehnen wie hier , so habe ich meine Pflicht getan , und noch einmal versucht , mein Elend zu lindern . - -
Sie kamen überein , die Reise zusammen anzutreten ; wenige Tage vor der dazu bestimmten Zeit erhielt Babet einen Brief von ihrem Mann , worin er ihr meldete , daß sein Haufen gegen Saumür rückte , und sie bat , ihren Weg ebenfalls dahin zu nehmen .
Diese Nachricht war den beiden Freundinnen sehr willkommen , Babet versprach nun , bis *** mit Sara zu gehen , und dort , bei dem alten Berthier , ihre Verwandlung in einen Streiter des Vaterlands vorzunehmen .
Die gute Alte erfuhr von dem Zweck der Reise nur was Sara betraf , und das billigte sie von ganzem Herzen ; auch konnte sie es nicht tadeln , daß Babet sie begleiten und bei ihr bleiben wollte , um ihrem Mathieu näher zu sein .
Mit unaussprechlich wehmütigem Gefühl betrat nun Sara denselben Weg zurück , den sie im vorigen Jahre nach Paris gekommen war .
Oft erkannte sie deutlich , daß ihr Gehirn schon durch Wahnsinn gegangen sein mußte , um nicht von allen Erinnerungen , die diese Reise aufregte , zerrüttet zu werden .
Sie wandelte wie ein Geist neben ihrer treuen Gefährtin ; schweigend , ohne Tränen , sanft und ernst ließ sie ihren Blick auf manchem Gegenstand haften , der ihr kleine Szenen aus jenem Zeitpunkt zurückrief - hier hatte sie mit ihrem Kinde übernachtet , dort bei jenem heiter gelegenen Pachthaus hatte sie sich frische Milch für die Kleine geben lassen ; dort hatte eine freundliche Wirtin es an ihrer Brust schlafen sehen , und das schöne Kind und die zärtliche junge Mutter gesegnet .
Aber bald kamen sie an Stäten , wo der gegenwärtige Jammer die Bilder entflohener Seligkeit verdrängte - sie eilten grausend über Schlachtfelder , und umsonst fragte sie in den zerstörten Dörfern nach einem Bissen Brot , umsonst in den mit Blut durchströmten Straßen verödeter Städte nach einer Herberge .
Bleiche Gesichter , Töne der Verzweiflung , finstere Blicke schreckten sie von Ort zu Ort .
Überall wo sie rasteten , von Bildern des Elends , von fürchterlichen Erzählungen empfangen , eilten sie nach Saumür , wie verscheuchte Vögel , die verspätet dem drohenden Nordwind entfliehen wollen , und von Schneeflocken verfolgt , über öde Felder und entlaubte Haine flattern .
Menschenalter werden verfließen , ehe sich die schaudervollen Spuren jener Verwüstung verlieren , und das gegenwärtige Geschlecht wird aussterben , ohne daß Glaube an Freiheit , Treue und Frieden in den durch alle Schrecknisse gefolterten Seelen der elenden Einwohner sich niederlasse .
Der Strich , wo Sara's ehemalige Heimat lag , war seit dem Anfang des Vendeekriegs gerade am unausgesetztesten und grausamsten mitgenommen worden .
Saumür selbst war wechselsweise der Royalisten und der Patrioten Grab gewesen ; jetzt bei der Ankunft der beiden Freundinnen besetzten es die Patrioten , obgleich nur mit sehr wenigen Truppen .
Hier wollte Sara mit ihrer Gefährtin ausruhen , um neue Kräfte zu ihrer traurigen Wanderschaft zu sammeln , und aus der Gegend , nach welcher sie hinwollten , Erkundigungen einzuziehen .
Hier , in einem kleinen abgelegenen Haus - denn das allgemeine Misstrauen , der gegenseitige Verfolgungsgeist machte ihnen die behutsamste Entfernung von allem was sie mit Menschen zusammenbringen konnte , zur Notwendigkeit - hier hörte Sara zum erstenmal wieder , gleich einer dunklen Geistersage , L es Namen .
Vertieft in finstere Betrachtungen über ihr eigenes Schicksal , das so fürchterlich mit der Verwüstung um sie her einstimmte , war sie lange nur mit halbem Ohr gegenwärtig , wie die armen Leute , bei denen sie eingekehrt war , von den Leiden , von den Abscheulichkeiten erzählten , die seit mehreren Monaten sie der Reihe nach belagerten .
Sie sah zu einem Fenster hinaus , über die Stadtmauer weg , auf die Hügel , die im vorigen Jahr ihr die letzte Aussicht auf ihre Heimat entzogen , und erblickte von fern schon Schutthaufen , wo damals freundliche Dörfer , unter Eichen und Kastanienbäumen versteckt , ihr auf jedem Schritt die Wiege ihrer Kindheit vormalten .
Endlich wurde sie aber durch Babets unruhige Blicke aufmerksam gemacht , und noch mehr durch die Hoffnungen , welche ihre Wirtsleute , eine heimlich royalistische Familie , durch ihr eigenes Geschwätz erhitzt , immer weniger versteckt äußerten , bis sie endlich mit der lebhaftesten Schwärmerei von einem der Anführer ihrer Partei wie von einem Halbgott sprachen , der zum Erlöser der unterdrückten Gläubigen gesandt wäre .
Noch war sein Name nicht ausgesprochen ; Babet war nur betroffen , unter diese Partei geraten zu sein , und Sara beobachtete mit schmerzlichem Mitleiden den finsteren Fanatismus , die unterdrückte Wut , die nagende Furcht vor Elend , in den Worten dieser Unglücklichen .
Je mehr Teilnehmung sie bei Sara zu bemerken glaubten , desto näher rückten sie zu ihr , und erzählten ihr , oder zischelten , wo sie sich geheimnisvoller dünkten , jedoch immer noch hörbar , unter sich , von den Wundern der Heiligen zum Besten ihrer Sache , von ihrer festen Zuversicht , daß der große Held sie endlich retten würde , und mit dunklen Winken gaben sie zu verstehen , daß sie alle für die Sache der Kirche Erschlagenen lebendig wieder in ihre Heimat einziehen zu sehen erwarteten .
- Hat man euch schon gesagt , fragte jetzt der Sohn vom Haus , ein achtzehnjähriger Jüngling , dessen plumpe starre Züge durch rohe Begeisterung ein zuckendes Leben erhielten - hat man euch gesagt , wie in den Trümmern von C jeden Abend eine feurige Kugel auf dem Gewölbe niedersinkt , wo man seine Gattin und sein Kind ermordet hat , und wie in der stillen Mitternacht eine Gestalt , die einem frommen Einsiedler gleicht , auf dem Stein , wo sie fielen , eine Messe liest ?
Oft wollten die Ruchlosen ihn stören , aber nie konnten sie durch den unsichtbaren Kreis dringen , den die Heiligen um die geweihte Stätte ziehen . -
Der fromme Schwärmer schwieg schon lange , schon lange lauschten die anderen mit Ehrfurcht noch auf den Nachhall der schon hundertmal gehörten Erzählung : Sara saß zwischen Erstaunen , Unwillen , und dem leisen Aufbrausen erstickter Rachgier geteilt , wie sie in dem Helden , dem Erlöser des Volks , dem Halbgott , ihren Verderber erkannte .
Denn war noch daran zu zweifeln ?
Er hatte ein ganzes Volk zu seinen Füßen - wer wußte besser als er , Herzen zu gewinnen ?
Und in C war es ja gewesen , wo die wilden Krieger Sara's Schmach an seinem Weibe , an seinem Kinde gerächt hatten . -
Nun fing ein anderer aus der kleinen Gemeinde an : wo des holden Knäbleins Blut floß , da sprang ein klarer Wasserquell hervor , aber zu der Stunde wo der Geist die heilige Messe sagt , strömt jedesmal helles Blut daraus in den Forellenbach am Fuße des Felsen .
Als er ihren Tod erfuhr , gelobte er , ihnen dort eine Kapelle zu bauen ; und der heilige Vater will sie in den Kalender setzen , denn wie letzthin die Katholischen sagten , die sich über den Fluß stahlen , so soll ein Tropfen von dem fließenden Blut aus der Quelle , Wunden und schwere Krankheiten heilen . - -
Krampfhaft zog es Sara's mütterlichen Busen zusammen , da sie L und sein Kind , und ein anderes als das Kind ihrer Liebe nennen hörte , da sie vernahm , wie der vielseitige schwarze Betrüger die Wunder der Religion zur Verherrlichung dieses Kindes aufgeboten hatte , wie er das Blut dieses Sohnes rächen wollte , er , der Mörder ihres Kindes !
Sie hätte sich beinahe verraten , indem sie heftig fragte : und wo ist dieser Held ? warum verteidigte er nicht sein Kind , seinen Herd ? -
Etwas befremdet antwortete man ihr , daß er damals gegen die Seeseite mit seinen Haufen gestanden , und durch die frommen Priester wohl gewußt hätte , wie sein Weib und sein Sohn zum Besten des Volks fallen müßten .
In einer unaussprechlichen Verwirrung von Gefühlen , begab sich Sara mit ihrer Freundin auf ihre Kammer , und nun fachte die ungebildete , feurige Babet ihre Leidenschaft durch ihre ungestüme Teilnahme noch an .
Ihr kriegerischer Geliebter hatte sie Priesterlist und Aberglauben als die schändlichsten Fesseln , welche ihre Nation gedrückt hätten , betrachten gelehrt ; und alles was eben von L erzählt worden war , beschuldigte ihn , sich mit der frechsten Heuchelei dieser Kunstgriffe zu bedienen .
Heftig rief sie :
er opfert ein ganzes Volk , wie er das Weib , das ihn anbetete , geopfert hat ! -
Sara blieb schweigend und in sich gekehrt ; das Licht in welchem L ihr jetzt erschienen war , erfüllte ihre Seele mit so viel Abscheu , daß ihr ganzes Schicksal ihr um so schrecklicher vorkam , je tiefer der Göze sank , zu dessen Opfer sie geworden war .
Sie fühlte sich immer mehr vom Menschengeschlecht geschieden , sie fühlte sich immer mehr ein Spiel des grausamsten Zufalls ; unsicher , welche neue unerwartete Wunden ihr der nächste Augenblick schlagen würde , sah sie ihm untätig entgegen , und setzte Babet durch ihre finstere Ruhe in Erstaunen .
So viel sie durch ihre behutsame Erkundigungen herausgebracht hatte , war der Strich Landes , welcher bis *** vor ihnen lag , und von da bis ** , ein Raub der grausamsten Verheerung .
Seit einigen Wochen vollzogen höllische Ungeheuer den unseligen Beschluß , die Schlupfwinkel der Rebellen zu zerstören , an jedem menschlichen Wohnplaz , wo ihr Durst nach Unheil sich letzen konnte , und so hielten sie die fürchterliche Nachlese von Greueln und Untaten , wo die Rebellen schon ihre blinde Wut gestillt hatten .
Sara schmeichelte sich , daß Berthiers bekannte Freiheitsliebe sein Haus vor den Strafgerichten dieser Partei geschützt haben würde - ja , sie die an der Vorsehung verzweifelte , glaubte sogar , noch instinktmässig , so weit an Menschlichkeit , daß sie hoffte , sein ehrwürdiges graues Haupt würde selbst den Fanatismus der Rebellen entwaffnet haben .
Auf jeden Fall folgte sie dem Trieb , der sie dahin rief , und wich jeder Möglichkeit , sich auch hier getäuscht zu finden , furchtsam aus .
Ungeduldig , sich von Menschen zu entfernen , deren Religion Verrat an ihren Gegnern zur Pflicht machte , verließen sie Saumür schon am folgenden Tag , und nahten bald der Gegend , wo Sara , wie ehemals ein von den Göttern Verfolgter im delphischen Tempel , aus Berthiers Mund die Weisung für ihr künftiges Leben erwartete .
Kaum bezeichneten ihr noch Hügel und Felsen den wohl bekannten Weg , denn alles was Menschenhand zerstören kann , lag zertrümmert am Boden .
Verbrannt streckten die Bäume des Walds ihre Zweige empor , oder lagen in Asche zerfallen über dem Weg , oder bedeckten mit ihren zerschlagenen Ästen halb verscharrte Leichname .
Rauchende Brandstätten sagten ihnen , wo ehemals Dörfer gestanden hatten , und stießen sie irgendwo noch auf eine bewohnte Hütte , so scheuchte der Anblick von Menschen die elenden Bewohner heraus .
Die Felder lagen zerstampft von den wilden Roßen , zerzaust das Getreide von den Wagenrädern , die Weinberge von Kugeln aufgewühlt .
Schwerer und schwerer wurde Sara's Herz .
Endlich nahm man sie wenige Stunden von *** in einem Städtchen auf , von welchem Sara sich erinnerte , daß Berthiers Geschäfte ihn sonst öfters hinriefen .
Sie merkte bald , daß ihre Wirtsleute und der ganze Ort dem Betrug der Priester entgangen waren , und bei allem Jammer über das grenzenlose Elend , es dennoch der Knechtschaft vorzogen , mit welcher ihnen der Sieg der Katholiken gedroht haben würde .
Hier konnte also Sara nach dem Schicksal von *** fragen .
Sie hatte unterwegs genug gesehen , um in der schaudervollen Beschreibung , die man ihr von dem Schicksal dieser Kommüne machte , keinen neuen Zug zu finden ; aber sie wurde dadurch zur Verfinsterung des letzten Strahls , der ihrem Pfad leuchtete , vorbereitet - sie erwartete nun Berthiers Tod , denn wie konnte der achtzigjährige Greis diese Greuel wohl überlebt haben ?
Mit unglaublicher Schnelligkeit wog sie gegen einander ab , was sie jetzt noch sein könnte , und was mit ihr werden möchte , wenn die Hoffnung verschwände , die sie hierher geführt hatte .
Zum erstenmal , seitdem sie den Entschluß gefaßt hatte , sich in Berthiers Arme zu werfen , erklärte sie sich selbst , daß ein dunkles Verlangen in ihr auf Ruhe , weibliche Bestimmung - auf ein Wesen , das sie mit Liebe umfaßte , hindeutete .
Lebte Berthier , so war sie noch einmal Weib , Tochter - Arme , arme Sara ! -
Im tiefsten Winkel ihrer zerrißenen Brust sprach eine öde , furchtsame - ach eine nach menschlichem Dasein sich sehnende Stimme Rogers Namen - schaudernd vor der Ahnung von Glück wandte sie sich wieder zu den guten Leuten , die indes ihr Gespräch mit Babet fortgesetzt hatten ; und wie der gemarterte Kranke , sein Übel dem Messer darbietet , und vom nächsten Augenblick Genesung oder Tod erwartet , fragte sie : überlebte der ehrwürdige Berthier das Unglück seiner Landsleute ?
- Berthier ?
Ihr kanntet ihn ?
Er fiel ein frühes Opfer der Rasenden die von C herstürmten ; bei seinen weißen Haaren haben sie ihn in die Kirche geschleift , und dort ermordet , weil er einige Tage vorher eben da zwei wütende Priester ergriffen hatte , die sich am Altar vor dem tausendfach von ihnen beleidigten Gesetz retten wollten .
Er war der Vater des Volks !
Er warnte uns oft vor den Ränken , mit denen man uns umstrickte , er lebte nur für uns , seitdem sein Sohn in das Feld gezogen war , seitdem eine Pflegtochter , die er zärtlich liebte , ihn verlassen hatte -
Ja , fiel der Wirt , ein Alter mit redlichem Gesicht , dem Sprechenden ins Wort ; wie ich bei der letzten Ernte dort war , fragte ich nach dem guten alten Herrn , der sonst sein Nachbar gewesen war , und da erzählten mir die Leute vieles von seiner Tochter , die der Bürger Berthier so gut wie an Kindesstatt angenommen hatte , und wie ich mit ihm sprach , sagte er :
Gott hat mir sie genommen , daß ich gar keine Freude mehr auf Erden hätte als unsere Freiheit ! - nun , dort wird er sie haben , denn jeder , der nach ihm gemordet wurde , und jeder , der für die Freiheit starb , wird es ihm dort sagen , wir tun und leiden alles , um sie unseren Kindern zuzusichern - -
Der Alte hatte in einfacher Begeisterung gesprochen , und ein matter Strahl von Hoffnung goß Leben auf die bleichen , von Schrecken entstellten Gesichter um ihn her ; aber Sara hörte nichts ; wie er die Frage ausgesprochen hatte : kanntet Ihr ihn ? hatte sie sich matt auf einen Stuhl niedergesetzt - Der letzte Lichtstrahl war geschwunden , und sie fand sich in besinnungslosem Dunkel .
Die treue Babet sah die ganze Hilflosigkeit ihrer Freundin ; doch glaubte sie , daß Sara in Berthiers Sohn , dessen man eben erwähnt hatte , noch einen Schutz haben könnte , und sie forschte begierig nach ihm .
Schon nach dem Föderationsfest , hieß es , sei der brave Roger nach den Grenzen gegangen - die letzten Nachrichten von ihm hatte man aus Mainz gehabt .
Bei dem Namen Roger spann Babet in ihrem Kopf einen luftigen Plan für ihre verlaßene Sara , denn eben diesen Namen erinnerte sie sich von der armen , nur erst aus dem Todesschlummer Erwachten gehört zu haben , und seitdem hatte Sara manche Frage wegen des Schicksals der Föderierten bei der Armee getan .
Roger war in Mainz gewesen , ihr jugendlich hoffendes Herz zweifelte nicht , daß er die Belagerung überlebt hätte , und mit seinen Waffenbrüdern in der fände sein müßte - schon überredete sie sich , er könne gar Mathieu's Zeltkamerad sein , denn Berthiers Sohn war edel und brav , und mit allen solchen Männern war ihr Mathieu bekannt .
Sara war verwaist , ohne Schutz , ohne Zuflucht auf Erden , ohne Zukunft - was wurde aus ihr in dem verheerten Lande , wenn ihre Freundin , ihrem Entschluß treu , zu dem Haufen ihres Mannes stieß ?
Und der Entschluß war bei jeder eingeäscherten Hütte , bei jedem trauernden Gesichte ihr als heilige Pflicht erschienen - aber Sara sollte ihn teilen , sollte , ausgeschlossen von jeder Bestimmung , diese ergreifen .
Mit lebhafter Freude über diese Ideen weckte sie Sara aus ihrer gedankenlosen Starrheit , setzte ihr alles was sie gedacht hatte stürmisch aus einander , und drang heftig in sie , ihrem gefährlichen Umherirren ein Ziel zu setzen , und mit ihr zur Armee zu gehen .
Sara war auf den Punkt gekommen , wo bei Neulingen im Unglück tobende Verzweiflung anfängt , das von den Schlägen des Schicksals gestählte Haupt hingegen , mit kalter Geringschätzung der Gefahr , jedem Winke des Zufalls folgt .
Hätte ihr Babet einen Dolch gereicht , und gesagt : hier endet deine Verpflichtung zu leben ! -
sie würde ihn eben so gleichgültig in ihr Herz gedrückt haben , als sie jetzt diesen Vorschlag anhörte , und antwortete : auch das , wenn dieser Arm es vermag ! -
Babet sorgte nun für alles was zu der Verwandlung erforderlich war , und nach zwei Tagen standen sie und Sara , unter dem Namen André und Verrier , bei derjenigen Abteilung der Armee , mit welcher das Korps der Mainzer Garnison , wo Mathieu diente , kombiniert war .
Nach der ersten Feier , der ersten rührenden Freude des Wiedersehens , befragte Babet ihren Mann auf das genaueste wegen Roger aber Mathieu hatte nie etwas von ihm gehört , er konnte in Mainz gewesen sein , aber schwerlich während der Belagerung ; übrigens war er selbst bei dem geschlagenen Korps von einigen Tausenden gewesen , das sich erst kurz vor der Blockade in die Festung geworfen hatte , und dennoch konnte Roger schon längst vorher zu anderen Unternehmungen gebraucht worden sein .
Sara hatte bei Babets froher Gewißheit , daß sie Rogen unter ihres Mannes Kameraden finden würden , den Wiederwillen empfunden , den jede Hoffnung ihr einflößte .
Mathieu's Antworten veränderten keinen ihrer Züge , nur wie sie Babets betrübte , und über die Fehlschlagung halb unwillige Mine sah , schlich ein trübes Lächeln über ihr kaltes Gesicht : laß die Toten ruhen , gute Babet , sagte sie sanft ; je mehrere mir schon voran sind , desto eher darf ich den langen Zug beschließen ! -
Da ihr Entschluß von Babets heiteren Erwartungen unabhängig gewesen war , so änderte diese Täuschung nichts daran .
Von dem Geheimnis ihres Geschlechts war außer Mathieu und Babet niemand unterrichtet ; auch wurde es ohnedem durch die Vorfälle des Kriegs gesichert , die sie auf lange Zeit von den zärtlichen Eheleuten trennten , und sie sah ihre treue Babet nur wieder , um auch an ihr den Willen ihres alten Schicksals zu erkennen .
Kaum hatte Sara Zeit gehabt , sich mit den unentbehrlichsten Handgriffen ihrer neuen Lebensart bekannt zu machen , als das unerhörte Waffenglück der Royalisten die republikanische Armee zwang , das ganze südliche Ufer der Loire zu räumen , und nach den blutigsten Niederlagen eine neue Anstrengung der Nation abzuwarten , um dem überall sich vervielfältigenden Feinde die Spitze zu bieten .
Sara kämpfte nicht für ihr Leben , sie kannte also keine Furcht ; die Namen Freiheit , Vaterland , schallten dumpf und bedeutungslos , wie aus Gräbern , aus ihrer verödeten Brust zurück - sie kannte also eben so wenig die Übereilung der Schwärmerei .
Sie ging ruhig in den Streit , betrachtete den Tod in allen seinen Zügen , und wenn er sich ihr nahte , hatte sie ihm seine Schwäche so abgesehen , daß sie ihn wie einen verratenen Überfall von sich schüttelte .
Ihre Kameraden nannten sie anfangs den finsteren Jungfernknecht , weil ihr schweigender Ernst bei ihrer unter Mannskleidern sehr jugendlich und zart scheinenden Gestalt , ihren Spott erregte .
Aber nach dem ersten Gefecht sagten sie ihren Offizieren , dieser Knabe müsse schon in Mutterleibe gefochten haben ; er sehe den Kugeln nach als spielte er Federball .
Und nun hieß Sara bald der tapfere Gerier die schwärmenden Jünglinge bei der Armee verhießen ihm Unsterblichkeit in den Jahrbüchern der Republik , und wenn er fiele , eine Stelle im Pantheon , und sie wurde nach einem der blutigsten Tage , auf dem Schlachtfeld selbst , von ihren Kameraden zum Rang ihres Kapitains erhoben .
Ohne daß sie sich dessen bewußt war , da sie jeden hellen Gedanken in die innersten Tiefen ihres Herzens zurückdrängte , hatte sich Sara doch wohl bei ihrem unnatürlichen Entschluß die Waffen zu tragen , L als ihren Gegner gedacht ; es war nicht so wohl der Wunsch , ihn Arm gegen Arm , Schwert gegen Schwert , vor sich zu haben , als ein düsteres Verlangen , in seinem Anblick ihre Seele wieder aufleben zu fühlen , wenn es gleich zur Rache , oder zur Verzweiflung wäre - sie ahnte in diesem Augenblick einen Ausweg aus dem unbestimmten Stillstand ihrer Gefühle .
Auch wußte sie diesen sonderbaren Menschen , dessen Charakter , ja dessen Dasein selbst immer etwas fabelhaftes behalten hat , sehr oft in ihrer Nähe .
Unzählige Male hörte sie seinen Namen von den Unglücklichen , die unter ihren Streichen fielen , inbrünstig anrufen ; und wo die Haufen der Patrioten flohen , war er fast immer Anführer der Feinde .
Oft drang sie , Verderben verbreitend , ungestümer vorwärts , weil sie dort sein weißes Roß sich bäumen zu sehen meinte ; aber immer war es , als entzöge ihn eine Wolke ihrem Blick , sobald sie sich ihm näherte ; und dann mischte sich ein Tropfen Wildheit in ihr kaltes Blut , und nicht mehr wie ein Todesengel , der mit höheren Befehlen gerüstet , die Sterblichen vernichtet , sondern mit der schrecklichen Feindseligkeit , die Menschenleben gegen eigenes Elend aufwiegt , tötete sie L in jedem bewaffneten Gegner , und indem sie so über Leichen schritt , wie der Fuß des gleichgültigen Wanderers in welken Blättern rauscht , hatte sie oft sich selbst gleichsam nur durch ein Wunder erhalten .
Ihr war jedes Elend , jede Verirrung beschieden , die den Menschen nur treffen können ; aber mit der schrecklichen Genugtuung , die ihr trauriger Wahn verfolgte , wollte das Schicksal sie doch verschonen , und L es bleiche , blutige Gestalt sollte nicht mit unter den Erscheinungen sein , die ihre Fantasie marterten .
In der Schlacht bei Laval , wo L den Sieg , den er erfocht , mit tödlichen Wunden erkaufte , wurde sie gleich bei 'm ersten Angriff von dem Schlag eines mit Eisen beschlagenen Stoks niedergeworfen , und sie wäre den Feinden in die Hände gefallen , wenn ihre Leute nicht das äußerste gewagt hätten , um ihren tapferen Kapitän zu retten .
Man schleppte sie vom Schlachtfeld hinweg , und wie sie wieder zu sich kam , fand sie sich unter den Händen des Wundarztes im Hospital zu Angers .
Das eiserne Ende des Stoks hatte ihre linke Schulter gestreift , und den Hinterteil des Kopfs so heftig verletzt , daß der Wundarzt anfangs mit schrecklichen Operationen drohte , welche aber , da ihr Blut so kalt und ruhig wie ihr erstorbener Geist dahinfloß , entbehrlich wurden .
Wie ihr Bewußtsein zurückkehrte , und sie zugleich den Schmerz an ihrer Schulter empfand , erschreckte sie der Gedanke , daß diese Verletzung entdeckt werden , und bei dem Verband den sie Not wendig machen würde , ihr Geschlecht an den Tag kommen möchte .
Sie hatte den Mut , über vierzehn Tage lang eine Quetschung , die ihren linken Arm lähmte , und die Schulter bis zur Brust hinab mit gestocktem Blut schwärzte , für sich im Stillen zu ertragen .
Das einzige Mittel , das Zufall und List ihr zu erhalten möglich machten , Salz und kaltes Wasser , durfte sie sogar nur verstohlen anwenden , und sie mußte sich das frische Wasser , wonach ihr Fieberdurst so heiß verlangte , entziehen , um ihr darein getauchtes Schnupftuch , mit etwas Salz , das sie unter allerlei Vorwänden sich verschaffte , des Nachts auf ihre Quetschung zu legen , die durch den heftigsten Schmerz in Eiterung überzugehen drohte .
Jedes neue Leiden schien ihr ein Schritt zu dem Ziel ihrer Laufbahn .
Still und lauschend auf die Annäherung des freundlichen Genius , der endlich die Fackel ihres Lebens umstürzen würde , lag sie da in unsäglichen Schmerzen , und studierte die mannigfaltigen Wendungen des Todes in ihren Unglücksgefährten um sie her .
Wenn ihre Gedanken in die Vergangenheit schweiften , so lächelte sie , wie alle ihre Hoffnungen , alle ihre Entwürfe , sie mochten Gutes oder Böses zum Ziel haben , gescheitert waren .
Sie ging alle Erwartungen ihres Lebens durch , von den gutherzig frohen Aussichten , die ihr Antoinettens Kindheit gegeben hatte , bis zu dem Tag , da wilder Durst nach L es Blut sie in das Gefängnis vom Karmeliterkloster getrieben hatte , bis zu der letzten Schlacht , von deren Ausgang , so wie von L es kurz darauf in Fougeres erfolgten Tod , sie unterrichtet war ; und sie fand überall nur Fehlschlagen , Blindheit , Leitung eines feindlichen Geschiks. L es Tod schien ihr der letzte Auftritt des Schauspiels , und sie sehnte sich nur noch nach der Gewißheit , daß auch Roger ihr vorausgegangen wäre ; den Mangel an Nachricht hinüber fühlte sie wie einen lästigen Aufenthalt im Augenblick der Abreise .
Zur Bitterkeit war sie ihrem Ende zu nahe , und zu sehr Weib , um ohne Liebe zu sterben , versöhnte sie sich in ihrem Inneren mit der Gottheit , um jenseits mit Liebe zu beginnen .
Aber nicht der Tod sollte den Vorhang vor ihren Augen hinwegziehen , ihr Erdenleben selbst sollte den Nebel des Irrtums , der ihre Seele verdunkelte , noch zerstreuen - sie genas , und eilte , das neu erhaltene Dasein , für welches sie keine bessere Bestimmung kannte , wiederum auf das Spiel zu setzen .
Ihre Compagnie war mit unter den Truppen , welche in der neuen fände zusammengezogen wurden , um die tapfere Gegenwehr von Granville , und den Abzug der Royalisten , nach ihrem vereitelten Angriff auf diesen wichtigen Platz , zu benutzen .
Auf dem Marsch dahin hörte Sara manche Umstände von L und seinem Tode erzählen ; seitdem sie aber selbst sich auf dem Krankenlager so friedlich mit dem Tod besprochen hatte , war keine Rache mehr in ihrem Herzen - sie gönnte auch ihm Ruhe im Grab , und es war ihr oft , als wäre ein Art Schleier über seinen Verbrechen gefallen , da ihn und sein Kind , und ihren Hingeschiedenen Engel , und alle , alle , dasselbe Element nun beherbergte .
So zu einer Art von sanfter Melancholie gestimmt , und von den sehr beschwerlichen Märschen ermüdet , bezog sie ihr Quartier in der Gegend von Avranches , mit einer Sehnsucht nach Stärke und Heiterkeit des Geistes für den folgenden Tag , von welcher sie sich keinen Grund anzugeben wußte .
Sie legte sich sogleich zur Ruhe , und blieb ungestört bis nach Sonnenuntergang , da ein Befehl vom General anlangte , um Mitternacht einen wichtigen Posten in der Nähe des Feindes zu besetzen , und die Nacht dort zu kampieren .
Gleich darauf stürmte eine Anzahl junger Leute von ihrer Compagnie , mit lärmendem Gelächter , und dabei einer gewissen Indignation in ihren Zügen , zu ihr herein , und sie hatte Mühe , einen Augenblick Stillschweigen zu erhalten , während dessen sie ihnen den eben angekommenen Befehl mitteilen konnte .
Kapitän , sagte ein junger Mensch , der im Hospital neben ihr verwundet gelegen hatte , und später wie sie wieder hergestellt , mit sanfter Güte von ihr gepflegt wurde , wofür er mit herzlicher Dankbarkeit an ihr hing - Kapitän , weißt du , daß wir nicht mehr mit Menschen , nicht mehr mit Rebellen , mit Verrätern streiten ?
Weißt du , daß Proteus L , mit dem wir , als er Held , Prophet , und sogar halber Pfaffe war , schon so viele Not hatten , nun auch als Heiliger gegen uns steht ?
Da haben sie eben eine ganze Herde solcher Unsinnigen in die Ewigkeit geschickt ; die haben sich alle darauf totschlagen lassen , in drei Tagen hätten sie die Ehre uns wiederzusehen , die Überreste ihres großen Helden brauchten nur ihre Leichname zu berühren , so ströme neues Leben in sie , wie beim Schall der Posaune .
Und kurz und gut , L tut Wunder , und unsere Kameraden balgen sich nun wer weiß wie lange , um seinen Sarg zu erobern , den die Wahnsinnigen mit sich herum schleppen , und mit unerhörter Wut verteidigen .
- Jetzt sprachen alle auf einmal , und von der lächerlichen Seite des Gegenstands zu der wichtigeren übergehend , legten sie einander gegenseitig den Schwor ab , dieses Pfaffenblendwerk bis morgen zu zerstören , oder in dem Versuch zu sterben - Kapitän , rief der erste ; du hörst den Schwor !
du führst uns , und wir dringen vor ; man sagt ohnehin , diesmal werde es Sieg gelten oder Tod - -
Tod oder den schändlichen Heiligen ! tobten sie alle , und Sara stand betäubt und starr , und empfing fast ohne Bewußtsein den Schwor in ihre kalte Hand .
Nun ließ sie der tolle Haufen mit ihrem aufgeregten Herzen allein - also nicht einmal im Grabe sollte das feindselige Verhältnis enden ?
Dem sie lebend , Schwert gegen Schwert , Arm gegen Arm zu begegnen gewünscht hatte , vor dessen Sarg schauderte sie jetzt zurück .
Umsonst rief sie ihre Vernunft auf , dies Gefühl zu bekämpfen ; als die Zeit heranrückte , war die Sehnsucht , morgen nicht wieder zu kehren , die einzige klare Empfindung ihrer zerrissenen Seele geblieben .
Die Nacht war trüb und regnicht , feuchte Wolken zogen vom Winde getrieben über die Flur , und nur selten loderten die Wachtfeuer matt aus dem Nebel auf .
Verrier lagerte sich bei einer Grube , in welcher einige Bündel Rebstöcke brannten , um ihn herum standen oder lagen mehrere seiner Kameraden , hinter ihm im Finsteren waren deren zwei , die vertraulich zusammen zischelten .
Nach einer Stunde trat der eine an das Feuer , das er schürte , und bat Verrier und die Umliegenden , ihm und seinem Kameraden ein Plätzchen zum Wärmen zu räumen .
Indem er Verrier anredete , schien er zu stutzen , und sprach beim Niedersitzen leise und lebhaft mit dem anderen ; dieser wandte sich plötzlich gegen Sara , die aber nicht Acht auf ihn gab , bis der junge Soldat vor sie trat , und ehrerbietig fragte :
Bürger betraten wir nicht vor drei Monaten zusammen diese rühmliche , gefährliche Laufbahn ? -
Sara erkannte ihre treue Babet; mit der freudigsten Bewegung , die sie seit dem letzten Röcheln ihres Kindes gefühlt hatte , reichte sie ihr die Hand , und ging mit ihr in die Verschanzung , wohin ihnen Mathieu , der neben Babet gesessen hatte , sogleich folgte .
Sara hatte nichts zu sprechen ; Babets herzliche Freude , ihres Mannes redlichen Glückwunsch über ihren ehrenvollen Dienst erwiderte sie bloß mit der Frage : liebt Ihr euch noch ? -
Die beiden drückten sich die Hände - Wenn man so oft in Gefahr ist , mit einander zu sterben ! rief Mathieu - Wenn er so oft sich vor mich stellt , den Tod statt meiner zu empfangen ! sagte Babet - Sara seufzte tief ; sie wurden gestört - auf Morgen ! sagte Sara , und gab Babet ihre Hand . -
Morgen Abend sage ich dir noch einmal was du jetzt hörtest , oder unser Tod hat es dir wiederholt ! antwortete Babet , und umschlang ihren Geliebten .
- Kalt und stürmisch brach nun der Morgen an .
Die Truppen versammelten sich , und erhielten das Zeichen zum Angriff des feindlichen Tages .
Der gestrige Schwor schien von dem ganzen Heer abgelegt , mit einer so hartnäckigen Tapferkeit trotzte man der unerhörten Gegenwehr des Feindes !
Sara es kleiner Haufen stampfte den Boden , denn sie standen weit hinter dem ersten Angriff zurück ; und nur der furchtlose Tod der vorderen Reihen tröstete sie mit der Hoffnung , daß es auch für sie noch siegen oder sterben ! gelten würde .
Durch den Rauch unterschied Sara in einer kleinen Entfernung Mathieu und Babet , die ihrem Blick begegnete , und ihr freundlich zunickten .
Jetzt erhielten sie den Befehl vorzurücken , Sara sah die Beiden , Auge an Auge hangend , den ersten Schritt tun , im nächsten Augenblick riß eine Kugel sie beide nieder - Babet wankte , Mathieu umschlang sie , sie stürzten , die Reihe schloß sich , und schritt über sie fort , dem gleichen Schicksal entgegen .
Auch noch diese ! tönte es schmerzlich in Sara's Brust ; und sie führte nun die Ihrigen vorwärts , und es war ihr , als habe nun ihre Stunde geschlagen :
Tod drohte ihr von allen Seiten , Tod verbreitete sie nach allen Seiten .
Bald waren die Vorteile der neueren Kriegskunst hier unnütz , Mann gegen Mann focht auf Leben und Tod den schrecklichen Kampf aus .
Plötzlich erblickte Sara das große weiße Panier nahe vor sich , und durch den dünner werdenden Haufen der Feinde ein schwarzes Gerüst mit wallenden Flören - die Märtirerkrone zu den Füßen des Gekreuzigten auf dem hohen Sarg !
Sie tat einen lauten Schrei ; eine Reihe von Leiden verschwand aus ihrem Gedächtnis ; Sieg oder Tod ! rief begeistert das unglückliche Weib , und stürzte fort , den Leichnam des Geliebten zu erobern .
Sieg oder Tod ! übertäubte es das Geheul des Schmerzes und der Wut - und den Sarg umwehten dreifarbige Fahnen , und Sara hielt betäubt das herabgerissene weiße Panier .
Die Rebellen , mit ihrem Heiligtum aller ihrer Kraft beraubt , flohen von allen Seiten , und mit unaussprechlichem Schmerz belastet , folgte Sara dem Triumphzug ihrer Siegsgefährten , finster lächelnd , daß sie noch hätte zweifeln können , ob ihr widersinniges Schicksal sie zwingen würde , seiner Leiche zu folgen .
Den folgenden Tag wurde der Sarg , mit vielen erbeuteten Fahnen , Reliquien , Heiligenbildern , auf dem behaupteten Schlachtfeld verbrannt .
Der tapfere Haufen , dem man den Sieg verdankte , schloß den nächsten Kreis um den Holzstoß , und Sara's zitternde Stimme erstarb in dem rauschenden Hymnus der Menge , da sie die letzten Überreste dessen der ihr alles gewesen war , der sie dem Glück und der Menschheit entrissen hatte , in rötlichen Flammen emporlodern sah . -
Nun lernte sie sich nach und nach wie einen abgeschiedenen Geist betrachten , den ein wunderbarer Götterspruch verurteilte , auf dieser Erde die Schuld seiner Menschheit zu büßen .
Hätte sie noch ein Glück zu verlieren gehabt , so würde sie es lächelnd hingegeben haben ; denn sie fand den Schmerz ihres Herzens nun so kindisch !
Es war ja zum Schmerz geschaffen ! -
Diesen Ideengang hätte sie schwerlich ohne einen Rückfall in ihren Wahnsinn ertragen , wenn nicht alle Umstände , die sie umgaben , sie so völlig aus ihrer ursprünglichen Bestimmung gerissen hätten .
Nun ging sie jeden Tag mit einer Art von Neugierde Szenen des Elends entgegen , und im Elend fand die Arme eine geheime Labung für ihr Herz .
Sie hatte den Abscheulichkeiten , die man verübte , wie dem Spiel höherer Wesen mit dem verirrten Geschlecht der Menschen zugesehen .
Sie hatte geschlachtet , wie ihre blutbelasteten Gefährten , wo ein unumgänglicher Befehl sprach , ihr empörtes Herz bitter verhöhnend , und sich als willenloses , blindes Werkzeug betrachtend ; sie hatte gerettet , so oft ihr gegen den unbewehrten flehenden Feind freie Hand gelassen war .
Man gönnte jetzt den Truppen , welche die meisten Mühseligkeiten bestanden hatten , so weit es die Umstände gestatteten , einige Ruhe , indem man sie vom Mittelpunkt des Kriegs hinweg , in jene abgelegenere Gegenden zog , wo die unglücklichen Feinde , von ihren Sammelplätzen abgeschnitten , von allen Hilfsmitteln entblößt , in den öden Wäldern und Morasten wie wilde Tiere gejagt wurden .
Der tausendfache Jammer , den diese abscheulichen Maßregeln hervorbrachten , bot Sara tausend Veranlassungen , zu helfen und zu retten .
Oft ging sie , mit einigen Kriegsgefährten , die zu menschlich fühlten , um unbarmherzigen Feindeshaß mit Tapferkeit zu verwechseln , in feuchten kalten Nächten auf die Menschenjagd ; und sie brachten halb verhungerte Kinder , Jungfrauen und Weiber , als ehrenvolle Beute zurück , und übergaben sie in dieser oder jener kleinen Stadt den mitleidigen Bürgern , die sie mit reiner Menschlichkeit aufnahmen , pflegten , verbargen , keinen Verrat von Geschöpfen befürchtend , an welchen sie Bruderpflichten erfüllten .
Wenn die Unglücklichen , mit Speise erquickt , ihre Retter segneten , wenn die zitternden Mädchen ihren Dank auf den Händen der gerührten Krieger weinten , wenn die hülflosen Kinder , in Sara's Mantel gehüllt , an ihrem , unter der Verkleidung , von mütterlichen Erinnerungen klopfenden Busen erwärmt , ihre kleinen Arme um ihren Hals schlugen , und bis ein schützendes Dach erreicht war , oft an ihrer Schulter einschliefen - da konnte Sara wohl zu Augenblicken ihres Schicksals vergessen , oder mit feierlicher Rührung in den Wegen selbst , die es sie zu diesem Genuß geführt hatte , einen wunderbaren und hohen Sinn ahnen .
Der schöne Bund blieb unentdeckt , der wohltätige Ungehorsam ungestraft - Bosheit entgeht dem Verrat nicht , Mitschuldige selbst werden Verräter ; aber selbst der Bösewicht verrät die Tugend selten , wenn sie nur seinen Vorteil nicht schmälert .
Sara es militärische Bestimmung führte sie auf einige Zeit nach Nantes .
Im Mittelpunkt dieser großen , jetzt von den Feinden nicht mehr beunruhigten Stadt , gingen damals Greuel vor , die ihr , welche seit Monaten in den blutigsten Szenen des Bürgerkriegs lebte , bisher unbekannt gewesen waren .
Sie sah mit ihren tapferen Gefährten einige von den unmenschlichen Gerichten , an denen ein großer Teil von Europa viel leicht noch zweifeln würde , wenn nicht seitdem die Revolution selbst diese Untaten vor ihr Tribunal gezogen hätte .
Während ihres Aufenthalts in Nantes erhielt man die Nachricht , daß in der Gegend von C sich wieder einzelne Rotten von Rebellen sehen ließen , denen verschiedene zerstörte Schlösser , und unter anderen auch dieses Stammschloß ihres berühmten Anführers , zum Schlupfwinkel dienten .
Eine Anzahl Truppen , wozu auch Ries Haufen gehörte , wurde beordnet über die Loire zu gehen , um die diesseits befindlichen Kriegsvölker zu verstärken .
Die armen Menschen , welche durch die unerbittliche Grausamkeit ihrer Gegner und ihr rettungsloses Elend jetzt mehr wie durch die Anhänglichkeit an ihre Partei , bei dem Aufruhr erhalten wurden , waren in der unwirtbaren Jahrszeit bald bezwungen und aufgetrieben .
Nur C blieb übrig , das man in der ganzen Gegend noch immer für einen Sammelplatz der Rebellen hielt ; unter Menschen , denen das Abenteuerlichste immer das Glaublichste war , trug man sich noch mit manchen Sagen , die mehr oder weniger mit den schauderhaften Märchen zusammenstimmten , welche Sara vor einigen Monaten in Saumür gehört hatte .
Die Nähe dieser Ruinen hatte für Sara etwas ahnungsvolles , dem sie mit Wohlgefallen nachhing - als ihr Glaube an Glück und Menschheit noch blühte , waren diese schwarzen Steinhaufen das unbekannte Eden , in welches ihre Träume sie zu versetzen pflegten ; dort als L Gattin zu leben , dort sein Kind zu erziehen , diese Überbleibsel alter Tugenden und Vorurteile mit den sanften Farben der Freiheit , der Gleichheit , und der allgemeinen Glückseligkeit zu verjüngen , war damals so oft die frohe Aussicht ihres liebevollen Herzens .
Jetzt keimten Moose aus den umgestürzten Trümmern , und Geister der Erschlagenen waren ihre einzigen Bewohner !
Sara es Schicksal , das sie mit unbarmherzigem gleichem Schritt der Erfüllung zuführte , ließ den Auftrag , diese verdächtigen Ruinen zu untersuchen , auf sie fallen ; ein kleiner Haufen wurde mit ihr beordnet und zog nach dem Schloß , dessen weitläufiger Bezirk auf jeder zugänglichen Stelle , jedoch ohne allen Erfolg , durchstrichen wurde .
Man fand in keinem der noch vorhandenen Gemächer , in keinem der vielen Gewölbe , die mindeste Spur irgend eines lebendigen Wesens - nichts als ausgebrannte Mauern über der Erde , Moder und Verwesung und verschüttete Leichname unter derselben .
Sara schritt bei dieser Nachforschung vor den anderen her , selbst einer der nächtlichen Erscheinungen gleichend , von welchen die sie begleitenden Landleute ohne Unterlaß erzählten .
In einem der Höfe , am Eingang eines verfallenen Turms , der dicht am Abhang eines Felsen gebaut war , führten sie die Bauern vor einen großen Stein , der vom Gesimse der Warte herabgefallen schien - hier , sagten sie , erschlug man seine Gattin und sein Kind ; und nun erfolgte fast die nämliche Litanei von Zeichen und Wundern , mit welcher ihre frommen Wirtsleute in Saumür sie unterhalten hatten .
Hier war es , wo jede Mitternacht die feurige Kugel niedersank , und mit einem dumpfen Donner zerfloß ; dieser Stein war es , wo die Quelle entspringen , wo jede Nacht der Eremit Messe lesen sollte .
Unwillkürliches Entsetzen ergriff Sara an dieser Stelle ; aber halb aus Wohlgefallen an den schrecklichen Bildern , die hier sie umgaben , halb weil es ihre Pflicht war , jede Vorsicht zu gebrauchen , beschloß sie , einige Nächte mit den Ihrigen in diesen Ruinen zu wachen .
Ihre ungeduldigen Landsleute bequemten sich ziemlich ungern , die harten Winternächte in diesen unwirtbaren Trümmern zuzubringen ; und wie die ersten vier und zwanzig Stunden verstrichen waren , ohne daß man das mindeste wahrnahm , lagen sie ihrem Kapitän an , sie nach dem nächsten Flecken zurückgehen zu lassen .
Selbst von der Unnötigkeit eines längeren Aufenthalts überzeugt , gab Sara ihre Einwilligung .
War es aber eine dunkle Ahnung , daß ihr Geschäft hier doch noch nicht vollbracht sein möchte , oder war es Liebe zum Wunderbaren , die in uns wächst , je mehr unser Weg von der gewöhnliche Bahn abweicht , oder hing sie bloß jener bei unwiderruflich Unglücklichen so natürlichen Freude an Gräbern und Gegenständen des Jammers nach - genug sie tat einigen von den jüngern Männern , die auf ihren menschlichen Zügen in die Wälder diesseits der Loire ihre Begleiter gewesen waren , den Vorschlag , noch eine Nacht mit ihr auf dem Schlosse zu wachen ; er wurde fröhlich genehmigt , und Sara brach mit einem sonderbaren heiteren Mut , und zugleich mit einem unerklärlichen Schauder , dahin auf .
Wenigstens wußte sie , daß mit ihren heutigen Gefährten Rache und Mutwillen gegen den wehrlosen Feind das Unternehmen nicht beflecken würde .
Sie lagerten sich ihrer zwanzig , einige Stunden nach Sonnenuntergang , in einem Gemäuer am Eingang des ersten Vorhofs , dessen Thorgewölbe so verschüttet war , daß man nicht anders als von der entgegengesetzten Seite , oder über eine der Breschen , in das Innere des Schlosses dringen konnte .
Dieser Ort mochte ehemals die Wohnung des Thorwärters gewesen sein , und er war von allen Gebäuden des Schlosses noch der unversehrteste .
Hier hatten sie über die Schutthaufen hin die Aussicht auf den Turm , wo der fabelhafte Stein lag , und näher vor sich auf den Eingang eines Gewölbes , in dessen Tiefe ein verfallener Brunnen war , der am Fuß des Felsen in das Tal floß .
Ries Begleiter - so wenig eine so große Anzahl Menschen durch feinere Gefühle ganz zusammenhängen konnten - hatten doch schon alle das Glück des Wohltuns , und den Stolz der Tapferkeit geschmeckt , sie hatten zusammen dem Tode getrotzt und das Leben von Unschuldigen gerettet , in beiden Fällen ihren braven Kapitän an ihrer Spitze :
sie hatten also einen menschlicheren , aber auch strengeren Begriff von ihrer Pflicht als Krieger und Patrioten .
Selten war ihnen eine so stille Nachtwache geworden wie die heutige , und wohl niemals hatten die Umstände sie so feierlich gestimmt .
Es war eine wunderbar milde Nacht für die Jahrszeit ; mit Sternen übersäet , flimmerte der Himmel durch einen leichten Nebelflor ; die Luft wehte stoßweise , als bemühte sie sich umsonst , den verhüllenden Schleier durchzureissen .
Tiefes ödes Schweigen umgab die treuen Kriegsgefährten , sie hörten jedes Gewürm in dem Gemäuer neben ihnen , sie vernahmen das Rollen jedes Steines , der vom Regen losgeweicht bei den leichten Windstössen von den morschen Massen herabbrach .
Sara stand am Eingang des Gebäudes , ihr Blick irrte unablässig auf dem öden Schauplatz umher , und ruhte nur von Zeit zu Zeit auf der Gegend des Turms , beim Opferaltar ihrer ehemaligen Feinde .
Immer weicher und sanfter wurde ihr Herz , die letzten Spuren von Bitterkeit schienen sich an dieser Stätte zu verlieren ; sie fühlte sich nur in dem allgemeinen Strudel der menschlichen Schicksale mit fortgerissen , und hätte sie so bei dem blutigen Felsstück gestanden , sie hätte mit der Versöhnung Tränen ihn rein gewaschen ! -
Mitternacht mochte sich jetzt nahen .
Zwar verkündete sie keine Glocke aus den verwüsteten Dörfern rings umher , diese verstummten längst ; statt dem Landmann ihr stündliches : Gedenke an den Tod zuzurufen , schleuderten sie jetzt , in Kanonen und Mörser umgestaltet , Vernichtung in seine friedliche Hütte - aber einzelner Hahnenruf tönte durch die Stille , und heller flimmerten die Sterne in ihrer nächtlichen Höhe .
Jetzt hörte Sara zu ihrer Linken ein dumpfes Geräusch , wie aus der Tiefe des Brunnenkellers .
Sie zog leise einen ihrer Gefährten zu sich , um mit ihm zu lauschen .
Bald sahen sie aus dem Bergschlund eine Gestalt in Eremitenkleidung hervorschleichen , eine schwere Last auf dem Haupte , die sie tief keuchend zu tragen schien .
Ein Schauder überlief alle , ihr Anführer nahm die Stellung eines Menschen , der einen Angriff erwartet ; mechanisch wollte ihre physische Kraft ihr aushelfen , da ihr Geist erstarrte .
Die Erscheinung wandelte über den Hof , schien über dem Schutt zu schweben , und schon glaubten sie die Zuschauer verschwunden , als sie im anderen inneren Hof wieder hervortrat , und gegen den Stein wankte .
Hier hob sie ihre Last vom Haupte , und verbarg sich einen Augenblick im Inneren des Turms .
Bald kam sie wieder heraus , und bückte sich neben dem Felsstück , wo in dem Augenblick ein blutig feuriger Schein aufstieg , der , in einen schwarzen Rauch aufgelöst , die Gegenstände mit Nebel umzog .
Dorthin ! flüsterten die Krieger sich jetzt leise zu , und schlugen Feuer , um Fackeln , die sie mitgebracht hatten , anzuzünden .
Sara wies ihnen ihre Posten an , und rief ihnen feierlich zu :
Tod den Verrätern , und Schutz den Hülflosen ! -
Schutz den Hülflosen , antworteten alle , und unerbittliche Strenge den Rebellen !
- Sie folgten ihrem Kapitän , der einige von ihnen am Eingang des Brunnenlochs stellte , und die anderen um eine enge Höhle , die sie jetzt , nachdem der rote Schein vor dem Fackellicht erloschen war , an der Stelle des Steins entdeckten .
Sara stieg durch die Öffnung hinab , die sich bald erweiterte , und sie fand sich in einem Gewölbe , das von einer Lampe erhellt war , und worin eine Menge Waffen aufgehäuft lagen .
Hier sammelten sich sechs von ihren Begleitern ; allein indem sie sich nach einem weiteren Ausgang umsahen , hörten sie zuerst ein Gemurmel , dann ein durchdringendes Geschrei , worauf plötzlich hinter den Waffenhaufen einige Menschen hervordrangen , die mit verzweifelter Wut auf sie stürzten .
Sie fochten wie Geister ; ohne einen Laut von sich zu geben , hieben sie vor sich zu : ( Schießgewehr schienen sie nicht zu haben , und in dem Handgemenge , zu welchem der enge Raum zwang , wurde es auch Ries Haufen unnütz ) - eben so stumm empfingen sie ihre Wunden , und stürzten zu Boden .
Doch aus dem Inneren des Gewölbes tönte Jammergeheul , Gewinsel , und wenn ein Augenblick von Stille dazwischenkam , konnte man die klagende Stimme eines Kindes unterscheiden , die aber jedesmal von lauterem Geheul bedeckt wurde , so oft neue Gespenster aus dem Dunkel hervortraten , die Gefallenen zu ersetzen .
Sara und ihre Gefährten hatten bei dem sonst so unverhältnismäßigen Kampf diesen Vorteil , daß sie mit dem Gesicht gegen die Seite standen , von welcher der Angriff sich beständig erneuerte , und so wegen des Mangels am Platz , der ihren Feinden in dem Hinterhalt übrig war , aus welchem sie hervortraten , deren nie mehr als eine höchstens ihnen gleiche Anzahl abzuwehren hatten .
Vier Republikaner waren indes gefallen , allein andere , die auf ihres Anführers Ruf hinunterstiegen , hatten die Reihe ergänzt .
Das Geschrei in der Höhle wurde jetzt schwächer , und obwohl noch einige Feinde fielen , drangen deren keine mehr an ihre Stelle .
Sara wollte nun das traurige Gefecht enden , sie wich im Mittelpunkt zurück gegen den Eingang ; einer von den Feinden , der am heftigsten , und immer an der Spitze gefochten hatte , den die anderen mit ihren Leibern zu decken schienen , drang ihr nach ; die Feinde gewannen Raum , aber Sara's List gelang , ihre Leute umzingelten die Unvorsichtigen am Eingang ihrer Höhle , und bald waren sie niedergeworfen und entwaffnet .
Ihr Anführer allein stand noch unbezwungen , allein kaum sah er , daß seine Gefährten keinen Widerstand mehr tun konnten , so senkte er sein Schwert , und näherte sich Sara mit einem Anstand , der keinen der Sieger über seine Absichten in Zweifel ließ .
- Mein Leben ist verwirkt , sagte er mit einer männlichen Ruhe ; ich könnte es zwar noch teuer verkaufen , aber auf euren Blutgerüsten kann es jenen Unglücklichen - er deutete auf das Innere der Höhle , die Ries Leute besetzt hielten - mehr nützen , als wenn ich es hier opfre . -
Er griff nach Ries Hand : Kommen Sie ; wenn Sie kein Ungeheuer sind , so wird es mir gelingen .
Und meine Abgeordneten nannten mir ja den tapferen Verrier , den mit seinem Haufen die Unglücklichen an der Loire und Mayenne segnen - - Sara's innerstes Herz war aufgeregt , seitdem der Fremde seine Stimme erhoben hatte ; unfähig die Worte zu vernehmen , hörte sie nur diesen Ton , den ein tausendfaches Echo in ihrer bebenden Brust wiederholte , und der ihr doch unbekannt war .
Sie folgte ihm mechanisch in die innere Höhle .
Diese war schwach erleuchtet , aber bald erhellten sie die Fackeln von Ries Leuten so gut , daß man alle Gegenstände unterscheiden konnte .
Ein junges schönes Weib lag , wie es schien , tot auf einem Lager hingestreckt .
Ein blühender Knabe , dessen himmelblaues Auge in Tränen schwamm , hob den Kopf von dem Schoß der Toten auf , und lief , wie er den Fremden erblickte , mit offenen Armen auf ihn zu , und lallte klagend : Theodor , die Mutter ! die Mutter ! -
Sara fuhr zusammen , wie von einem Blitzstrahl getroffen , faßte den Fremden ins Auge , der sich gebückt hatte , um das Kind aufzunehmen , und dessen Gesicht jetzt von der niedrig hängenden Lampe erleuchtet wurde - Theodor ! rief sie , wankte , und fiel ihren herbei eilenden Begleitern in die Arme .
Der Fremde setzte verwundert das Kind nieder , und sah den Soldaten zu , die einander zuriefen , es sei die Luft im Gewölbe , von der er ersticke , und ihren Kapitän gegen die Öffnung führen wollten - Nein , sagte einer aus dem Haufen , er kann verwundet sein -
Und sogleich riß man Sara's Kleid auf , und entblößte ihre Brust , und alle , die sie umgaben , riefen mit dem Ausdruck des unbeschreiblichsten Erstaunens :
Es ist ein Weib ! -
Verrier ein Weib ! wiederholten die ferner Stehenden , und der Fremde trat mit ihnen herbei .
Sara lag , auf die Knie eines ihrer Soldaten gestützt , am Boden ; ihr Arm war durch das Herabziehen ihrer Kleidung ganz unbedeckt , ihr Busen offen und weiß wie Schnee , ihr Gesicht zwar von der Sonne und der Luft geschwärzt , aber noch so schön , von so feinem schwarzen Haare beschattet , das bei der zurückgebogenen Stellung ihres Kopfes ihre edle Stirn blicken ließ -
Der Fremde starrte sie an , rief mit dem Ausdruck des Entsetzens : Sara , meine Schwester ! - und stürzte zu ihren Füßen .
Ries Gefährten standen betäubt ; - das ohnmächtige Weib , das sich jetzt langsam aus dem Todesschlaf erhob , war ihr tapferer Kapitän , und war dieses Rebellen Schwester !
Aber in ihren rauhen Sitten vergaßen sie Spott und Verwunderung , und stießen nur mit Abscheu den Verräter von ihrem Kameraden zurück .
Sara war jetzt erwacht , sie raffte sich langsam auf , machte sich von ihnen los , und schloß schweigend , doch nicht mit dem Verstummen der Freude , sondern mit jenem fürchterlichen Schweigen , da der erschöpfte Geist seine letzten Kräfte aufbietet , den wiedergefundenen Bruder in ihre Arme .
Der Knabe hatte den kurzen Augenblick ängstlich zugesehen , jetzt klammerte er seine beiden Arme um die unglücklichen Geschwister : sein kleines gepreßtes Herz hoffte Trost und Hilfe , wo er den Ausdruck der Liebe erblickte .
Unter Sara's Gefährten entstand ein unruhiges Murren ; der älteste , ein redliches , rauhes Gesicht , zog sie von ihrem Bruder hinweg : Kapitän , sagte er trotzig , bis du deine Autorität bei unserem Chef niedergelegt hast , sind wir Dir Gehorsam schuldig , so wenig dein Geschlecht sich mit dieser Autorität reimt ; vergisst Du aber Deine Waffenbrüder über diesen Rebellen , so bin ich der nächste , meine Kameraden von Verletzung des Gesetzes zurückzuhalten - Sara entfernte sich einige Schritte von Theodor , und übersah mit einem Blick , der nach Fassung rang , den ganzen Schauplatz - sie hielt eine Minute schaudernd die Hand über die Augen , versuchte zu sprechen , und wandte sich endlich mit einer Stimme , deren hohler , gewaltsam angestrengter Ton in den Winkeln des schwarzen Gewölbes wie die letzten Worte eines Sterbenden verhallte , gegen die Umstehenden : Nein , Brüder und Freunde , wenn ich so glücklich war , euch oft zum Sieg , immer zur Befolgung der Gesetze und zur Ausübung der Menschlichkeit anzuführen , so wurde ich selbst von Grundsätzen geleitet , die auch in diesem Augenblick , da mich der grausamste Schlag des Schicksals trifft , mich noch würdig machen , zum letztenmal Gehorsam von euch zu fordern - -
Sie hielt inne ; über sich selbst erhaben , in reiner Begeisterung stand sie da ; ihr Auge blitzte , wie sie wieder anhob , war ihre Stimme fest ; ihr schöner , noch halb entblößter Busen klopfte hoch , und indem er bewies , daß sie ein Weib war , löste sich der Schauder , den ihr Wesen erregte , in stiller Bewunderung auf - ihre Kriegsgefährten fühlten diesen Zauber , und traten ehrerbietig zurück .
Dieser Mann ist mein Bruder , sagte sie ; seit drei Jahren trennte ihn sein trauriger Irrtum von mir , vom väterlichen Haus .
Ich glaubte ihn nach dem zehnten August für jeden Irrtum bestraft - er lebt , und meine und eure Pflicht übergibt ihn jetzt dem Gesetz , mit allen , die unserem Schwert entgiengen .
Dieses Kind - Hier unterbrach sie sich , und ergriff die Hand des Knaben : Bruder , sage dort deiner Gattin , ich werde ihm Mutter sein ; sage ihr , dieses Kind allein mache mich diese Stunde überstehen - Theodor schien von ihr zu gleicher Begeisterung emporgehoben ; er hörte ihr ruhig zu , und wie sie geendet hatte , sagte er gerührt :
Ja ich erkenne den Gang unseres Schicksals !
Nur auf diesen blutigen Wegen sollten wir uns wieder treffen , aber unsere Seelen sind ewig vereint - Ja empfange diesen holden Knaben von meiner Hand ; doch nicht , wie du glaubst , hängt er mit dem Fluche zusammen , der schon bei unserer Geburt , der vor uns schon über unseren Vater ausgesprochen wurde .
Jene Erblaßte , die der Schrecken über euren Sieg tötete , war nicht mein Weib ; mein Weib hat nie Unglück und Gefahr mit mir geteilt - Er nahm den Knaben in die Höhe , und legte ihn in Sara's Arme :
Weihe L es Sohn dem Vaterland , gegen das wir Rasende stritten !
Diese Rache sparte dir das Schicksal auf , zum Ersatz für grausame Leiden , zur Büssung deines fürchterlichen Unglücks ! -
Sara hielt den Knaben , der sie und alles umher ängstlich anstaunte , und jetzt vom Arme des Unbekannten sich zur toten Mutter hinbog - Sara hielt ihn fester , ja heftiger , sie zitterte unter dem Sturm , der ihre Seele zerriß .
Endlich hatte sie den Sturm überstanden ; sie kniete , den Knaben im Arm , im Kreis der erstaunten Gefährten :
Ja , ich folge deinem Ruf , unbegreifliches Schicksal !
Hier vor dieser Entselten , vor dem Bruder , vor diesen allen , die mit ihm dem Tode geweiht sind , hier in eure Hände , meine Mitbürger , lege ich den Schwor ab :
Des Knaben Tugenden sollen einst seines Vaters Verbrechen versöhnen !
- Sie stand auf , eine schöne Verwandlung schien in ihrem ganzen Wesen vorzugehen : ehemals hatte ihr finsterer Blick , der ausdruckslos dumpfe Ton ihrer Stimme , ihre trotzig feste Stellung , jeden Verdacht , den ihre zarte Haut , ihre sanft herabfallenden Schultern , ihre schnell erschöpfte Brust erregen konnten , abgeleitet ; jetzt stand sie unverkennbar ein weiches , unglückliches Weib , wehmütig zuckte der Mund , der so lange das Gefühl wegtrotzte , unverhalten drängten sich große Tränen aus dem nun milderen Auge - mit einer schmerzvollen Stimme , die tief in den Herzen der Anwesenden erklang , mit einem Arm das Kind fest an ihren Busen drückend , mit der anderen Hand den Hut herabnehmend , und den Säbel von der Seite losgürtend , wandte sie sich zu dem Mann , der sie vorher so störrisch angeredet hatte , und indem sie ihm beides übergab : Braver Mann , sagte sie , du brauchtest dich deines Kapitains nie zu schämen !
Nun führe mich zu unserem Chef , daß ich ihm Rechenschaft von dieser Nacht ablege , - erst aber verordne , was unterdessen mit deinen Gefangenen geschehen soll .
Und ihr , Kameraden - noch einmal laßt mich euch so nennen - Ihr werdet alle für mich zeugen , damit man mir dieses Kind nicht entreisse .
Lebt wohl - dient dem Vaterland - sichert unsere Freiheit - Sie hob ihre schönen Augen gen Himmel , hielt das Kind in ihren Armen empor : Freiheit !
Für die mein Blut floß , für die ich so vieles fließen sah - zum erstenmal mir wahrhaft heilig und teuer , um dieses verwaisten Geschöpfs Willen ! - - Theodor schien sein Schicksal , seine Zukunft vergessen zu haben , er stand , sein Auge entzückt auf Sara geheftet - er sah in ihr dasselbe Wesen wieder , in welchem er seit seiner ersten Jugend das Ideal des Weibes angebetet hatte .
Die Krieger drängten sich , die meisten mit nassem Blick , zu Sara , jeder schwor ihr Achtung und Liebe , jeder schwor , das Kind zu verteidigen und zu erhalten ; jeder bat sie wehmütig , ihm zu verzeihen , wenn seine Pflicht ihm gegen ihren Bruder nicht ein Gleiches erlaubte .
Die Gefangenen wurden versammelt und abgeführt , die Toten wurden verscharrt ; und auf Sara's Bitte begrub man L es unglückliche Witwe in dem nämlichen Gewölbe , wo sie ihr angstvolles Ende gefunden hatte .
Sara stand neben der Leiche , bedeckte das blasse Gesicht der Entseelten , und gedachte ihrer eigenen ahnungsvollen Worte :
Als seine Witwe sehen Sie mich wieder !
Auf dem Weg von den Ruinen zu dem Hauptquartier wetteiferten Sara's ehemalige Gefährten , den kleinen Hippolyt seiner Pflegmutter abzunehmen ; keinem fiel ein ungeziemender Scherz ein , sie schienen ihre ganze Achtung für Verrier , den braven Soldaten , auf Sara , das unglückliche Weib , übertragen zu haben .
Diese ging matt , als wäre mit der Entdeckung ihres Geschlechts dessen ganze Schwäche zurückgekehrt , neben ihrem Bruder ; und mit blicken und Minen , die wohl bezeugten , daß er sich vom Leben hienieden schon losgerissen hatte , winkte ihr Theodor Mut und Liebe zu .
Wenn von Zeit zu Zeit der Zug anhielt , nahte sie sich ihm , und küßte das Ende der Stricke , die ihn mit seinen Unglücksgefährten zusammenfesselten .
Als sie gegen Mittag ankamen , war ihnen ihr nächtliches Abenteuer , auf hunderderterlei Art erzählt , schon vorausgeflogen ; Sara verlor keine Zeit , um sich einen weiblichen Anzug zu verschaffen , und in diesem , ihren Pflegsohn auf dem Arm , begab sie sich sogleich zu ihrem General .
Sie gab ihm mit bescheidenem Wesen , und einem Erröten , das auf ihren durch den Kriegsdienst verhärteten Zügen den vollen Ausdruck der Weiblichkeit wiederherstellte , Rechenschaft von den Gründen , die sie bewogen hatten , die neueren Dekrete zu umgehen , durch welche ihr Geschlecht von der unnatürlichen Laufbahn des Kriegs ausgeschlossen war ; sie gab ihm Rechenschaft von ihrer hülflosen Lage , von ihrer Verzweiflung über Berthiers Tod , als sie diesen Entschluß ergriff ; sie nannte ihm die Gefechte , an denen sie , seit ihrer Aufnahme unter den Truppen , teilgenommen hatte , und forderte dann mit edlem Stolz das Zeugnis ihrer Waffenbrüder auf , ob sie nicht stets als ihr Kamerad , ohne einen Schatten von Verdacht auf ihr Geschlecht , von ihnen geliebt und geehrt worden wäre ?
Einstimmig lautete dieses Zeugnis , und das reinste herzlichste Lob aus dem Munde aller .
Der junge Mensch , der neben ihr im Hospital gelegen , den sie gepflegt und nie verlassen hatte , setzte unter hervorstürzenden Tränen hinzu : nur der kleinste Teil von uns ist übrig geblieben , seitdem sie uns anführt , die meisten liegen im Felde verscharrt ; aber ich war immer an ihrer Seite , ich sah sie mit dem Tode kämpfen , und weder Mut noch Ehrbarkeit verließen sie je - der General gab ihr einen rühmlichen Abschied ; doch ehe sie ging , sagte sie noch mit erstickter Stimme , und die Hand auf ihr bebendes Herz gelegt :
Ich höre , daß mein Bruder morgen früh zum Tode geführt wird - ob ich einen Versuch machte , den Rebellen zu retten , werden diese redlichen Bürger mir bezeugen !
Vergönne mir , den sterbenden Bruder zu trösten ! -
Es wurde ihr bewilligt .
Theodor und Sara brachten die ganze Nacht mit einander zu .
Der Inhalt ihres Gesprächs ist leicht zu erraten .
Wenn ein Verunglückter Reisender mit seinem Weibe , seinen Kindern , mit allem , was ihm teuer ist , an eine wüsste , unwirtbare Küste geworfen würde , wenn er , die ersten Tage noch von Hoffnung belebt , die Geliebten in das wilde Land hineinführte , dann sie mit Bedürfnissen umringt sähe , und umsonst nach Hilfe umher irrte , so würde bei dem ersten Gegenstand seiner Sorge , der dem Verhängnis unterläge , sein ganzes Wesen sich empören - doch bei dem zweiten waffnet er sich mit fürchterlichem Mute , und jetzt verliert er sie nach und nach alle , durch den grausamen Hunger , oder zerrissen von wilden Tieren , oder verglühend von der Schlangen giftigem Bis - da blickt er auf die übrigen , schaudert nur vor der Dauer des Kampfes zwischen ihrem Leben und dem unvermeidlichen Tod - endlich sitzt er neben dem letzten Sterbenden , müde harrend , wie eine Mutter auf den Schlaf ihres Säuglings , um selbst zur Ruhe zu gehen !
So vergingen erst seine Hoffnungen , dann seine Wünsche , dann auch sein Groll gegen das Unglück - Er lauscht auf den nahen Tod , wie er den letzten Geliebten aus seinen Armen windet - jetzt ist auch dieser dahin , und auf seinem Grabhügel schlummert er den ersten Schlaf .
Einem solchen Schlaf entgegen sehend , erzählte Sara ihrem Bruder , oder hörte abgebrochen die Hauptzüge seiner Geschichte , von seiner Flucht bis zu diesem schrecklichen Wiedersehen .
Es war ein Gewebe von Irrtum und Schwärmerei , die , von Bosheit und Eigennutz mißbraucht , den edlen Jüngling zu einem Pfade hinrissen , wo er , von seinem reinen Selbstgefühl verlassen , den Mut verlor , seiner Eitelkeit zum Trotz , zur Wahrheit zurückzukehren .
Sein Vater hatte ihn um eines Weibes Willen verstoßen , die seinem Herzen wie seinem Geiste ewig fremd blieb ; und kaum hatte er ihr seine Freiheit geopfert , so suchte sie in einer fernen Hauptstadt des Auslandes ungestörte Befriedigungen ihres Leichtsinns und ihres Stolzes .
Ungefähr zu eben der Zeit , wie Sara nach Paris kam , kehrte er in sein beleidigtes Vaterland zurück .
Hier arbeitete er , durch Verrat und Intrige an seine Partei gefesselt , gleich einem nächtlichen Räuber , auf dunklen und verborgenen Wegen für Menschen , die er endlich verachten gelernt hatte , für eine Sache , deren Güte ihm täglich zweifelhafter wurde .
Seine Liebe für Sara war indessen nicht mit seinen übrigen Tugenden ein Raub des Parteigeists geworden , und er hörte auf seine Erkundigungen mit unaussprechlichem Schmerz den Ruin seines Vaters , seinen Tod , und Sara's Schicksal , das er nach verfälschten Gerüchten als ganz schimpflich kennen lernte , indem sie aus dem Haus ihres Beschützers , des ehrwürdigen Berthier , entwichen sein sollte , um Rogen zu folgen .
Von L Einfluß auf das Unglück seiner Familie hatte er keine Ahnung ; und als die Geschäfte ihrer Partei sie zusammenbrachten , erlag auch Theodor dem Zauber dieses Mannes , dessen unbegreiflicher Geist in seinen Planen mit dem Bruder vielleicht einen Ersatz für seinen Verrat an der Schwester bezweckte .
So lebten Theodor und Sara mehrere Wochen einander nahe , und oft reichte der grausame L dieser eine Hand , die jener in der Stunde vorher gedrückt hätte , und verhinderte sie , eines durch des anderen Hilfe und Schutz , vielleicht wieder in den Schoß der Tugend zu kehren .
Am zehnten August hatte Theodor an L es Seite gefochten , und er war es gewesen , der ohne Sara zu erkennen , bloß aus mechanischer Menschlichkeit , ihm zugerufen hatte : es ist ein Weib ! -
Bei dem Tode von Sara's Liebling hatten in diesem Augenblick von allgemeinem Aufruhr , wo nichts als Selbstverteidigung handeln konnte , beide nicht mehr Schuld gehabt , und beide hatten eben so wenig darum gewußt , als die Kugel selbst , die in des Kindes Schulter gefahren war .
Sie wollten sich nachher durch einen ihnen bekannten Schlupfwinkel im Schlosse retten , aber sie verließen ihn zu früh , und wurden ergriffen .
Selbst unter den Mördern am 2. September war ihre Partei nicht unwirksam , und es waren Mittel verabredet , um sie während des Getümmels entkommen zu lassen .
Doch hätten sie im geltenden Augenblick diese Mittel beinahe versäumt , so erschüttert waren sie von Sara's fürchterlicher Erscheinung gewesen .
L hatte sich zuerst gefaßt , und ihm verdankte Theodor sein Leben .
Lange in den vergessenen Kreuzgängen eines Klosters versteckt , trachtete Theodor nur danach , von seiner verlorenen Schwester etwas zu erfahren , und L bahnte sich den Weg nach dem neuen Schauplatz , auf welchem er bald darauf eine so glänzende und abenteuerliche Rolle spielte .
Sie hatten Verbindungen nach außen , und ein Grabgewölbe im nächsten Kirchhof diente zu ihren geheimen Zusammenkünften mit ihren Vertrauten , die sich des Abends in den Kirchhof verschließen ließen , während daß sie durch einen unterirdischen Weg , dessen Ausgang , in einer von den Nischen der Gruft , mit einem Sarg bedeckt war , an den verabredeten Platz gelangten .
Am Abend des 21. Januars hinterbrachte einer von jenen Unterhändlern Theodorn die Umstände dieses wichtigen Tags ; eben derselbe hatte auch Sara's Aufenthalt , ihre damaligen Verbindungen entdeckt , und war Augenzeuge ihrer unnatürlichen Wut bei dem Blutgerüste des Königs gewesen .
Bei diesem schmerzlichen Bericht vergaß Theodor alle Vorsicht , er brach in laute Klagen aus - und es war wirklich wieder seine Stimme gewesen , welche Sara's gepeinigtes Gehirn vollends zerrissen hatte .
In der ersten Bestürzung über ihren Schrei und ihr Herbeistürzen schoß er blindlings eine Pistole gegen den vermeinten Feind ab ; sein kühlerer Gesellschafter riß ihn fort , und ihr Schlupfwinkel war schon längst wieder unter dem nachgezogenen Sarge verborgen , ehe man in dem Gewölbe nachsuchte .
Bald darauf entwich er glücklich mit L an die Ufer der Loire .
Die beiden Geschwister waren bestimmt , ihren Pfad bis zum Ausgang im grausesten Dunkel zu suchen ; wenn indessen alles , was Sara erfuhr , unmittelbarer ihr Herz bestürmte , so blieb sie doch , selbst in Verirrung und Raserei , sich und ihrem Gefühle treuer - Theodor hingegen hatte seinen Antrieb und seinen Lohn immer außer sich gesucht , und war so das Spiel der Listigeren , die ihn umgaben , geworden , bis er , mit sich selbst unzufrieden , misstrauisch gegen seine Sache , seinen Unmut mit einem trügerischen System von Grundsätzen dämpfte , nach welchem der moralische Mensch , von dem handelnden getrennt , bei der Kenntnis der Wahrheit im Irrtum beharren durfte , wenn die Umstände es erforderten .
Mit diesem Widerspruch in seinem Inneren , der seine Selbstachtung tötete und seinen Mut lähmte , war er L in die fände gefolgt ; doch mußte er sogleich mit geheimen Aufträgen seiner Partei nach England , und kam erst kurz , nachdem die katholische Armee über die Loire gegangen war , wieder in diese Gegenden .
Hier wurde er bald , wie die meisten Menschen von solchen Anlagen und in solchen Verhältnissen , vom Betrogenen zum Betrüger .
Nachdem er lange für König und Gesetz geschwärmt , sein Gewissen , sein Glück dafür geopfert hatte , warb er um andere für den Glauben , den er selbst verloren hatte , und kein Mittel war ihm zu empörend oder zu verächtlich .
Sein stolzer Geist , sein aufgeklärter Verstand fügte sich in jede Mummerei der Priester ; sein weiches Herz panzerte sich gegen alle Unmenschlichkeiten , die um ihn her vorgingen , die er selbst vollstreckte , und die den schrecklichen Wetteifer von Grausamkeit unter Mitbürgern und Brüdern einführten .
In den seltenen Augenblicken , wo der Sturm einer solchen Wirksamkeit ihm Freiheit ließ , sich mit sich selbst zu beschäftigen , versank er entweder in die finsterste Verzweiflung , oder spannte sich zu einer unnatürlichen Höhe , auf welcher er sich dünkte die Waage des Schicksals selbst zu halten , und dem Menschengeschlechte Elend , das zum Heil führe , zuzuwägen .
Er focht bei Laval an L es Seite , und rettete ihn mit Gefahr seines Lebens , als er nach seinen empfangenen Wunden im Begriff war , den Feinden in die Hände zu fallen .
L zog siegend , aber auch sterbend in Fougeres ein .
Wie er seinen Tod fühlte , der ihn mitten in seinen Planen , auf dem Gipfel seines Glücks überraschte , machte er seine Verordnungen mit der Kälte , mit der Ruhe eines Hausvaters , der sich zu einer kleinen Abwesenheit rüstet .
Nachdem er für die Angelegenheiten seines Heeres , für die Sicherheit seiner Vertrauten , so weit es in seiner Macht stand , gesorgt hatte , schloß er sich mit Theodorn ein , der seinem nahen Tod , halb mit Schrecken , halb mit der Art von Spannung entgegen sah , welche der Ehrgeizige bei dem erlöschenden Ruhm eines anderen immer fühlt , auch wenn er nie sein Nebenbuhler gewesen ist .
Der Sterbende schien sich jetzt seinen Gefühlen zu überlassen ; er drückte lange seines Freundes Hände , und schien ihn mehr in seine weiche Stimmung ziehen , als Stärke bei ihm finden zu wollen .
Nach einer feierlichen Vorbereitung , mit einem Wesen , in welchem ein mehr geübter Menschenkenner als Theodor vielleicht Zwang und inneren Kampf erkannt haben würde , entdeckte er ihm , daß seine Gattin und sein Kind noch lebten ; daß er das Gerücht ihres Todes selbst genährt hätte , um sie sicherer zu verbergen ; daß sie ihren Aufenthalt im Gewölbe des alten Schlosses von C seit den Niederlagen der Seinigen jenseits der Loire , nicht verlassen hätten ; daß eine langsame Krankheit , die dem Leben seiner Gattin drohte , ihr Entweichen nach England , selbst wenn es bei der Wachsamkeit des Feindes ratsam gewesen wäre , unmöglich gemacht haben würde - Sie verdiente ein besseres Los ! setzte er , in tieferen Ernst versinkend , hinzu .
Ich verband mich im Ausland mit ihr , weil ich ihre Familie brauchte .
Ihre verächtlichen Verwandten hatten sie mit sich in das Ausland geschleppt ; das junge furchtsame Mädchen gab ihre Hand mit Vergnügen einem Manne , bei welchem sie ihre ganze ehemalige Existenz wieder zu erhalten hoffte .
Ich habe ihr Zutrauen mit Betrug gelohnt ; denn mein Ziel - -
Er legte seine Hand auf die tiefe Wunde unter seiner Brust , und schwieg einen Augenblick .
Er fuhr fort : die sanfte Seele wurde flüchtig , verfolgt - sie tröstete sich mit dem Sohn , den sie mir gebar .
Sie klagte nie , und schmachtet nun , in einem ehemaligen Kerker verborgen , seit sieben Monaten dem Tode entgegen .
Einige bewährte Diener meines Hauses pflegen sie , bringen ihr die nötigsten Bedürfnisse , und sie entgeht der Mordlust des Feindes nur , weil man ihr lebendiges Grab von Geistern bewohnt glaubt .
Wie wird aber die Unglückliche widerstehen , wenn das Gerücht meines Todes zu ihr dringt ?
Und wird es nicht den Mut der Getreuen , die stündlich ihr Leben für sie aussetzen vollends niederschlagen ?
Wird dann mein Sohn , werden sie nicht vielleicht beide in die Gewalt der Feinde fallen ? -
Theodor !
Ich begehre Ihren Schutz für die Meinigen - Indem Sie diese Verbindlichkeit übernehmen , müssen Sie freilich für jetzt Ihren Ehrgeiz der Menschlichkeit aufopfern - aber nicht Mitleid allein , nicht Freundschaft , wie Sie Betrogener wähnen , fordert Sie auf - eine höhere Tugend , die den Menschen zum Helden , die ihn über sich selbst erhebt !
Theodor !
- Ihr ärgster Feind , der Zerstörer Ihrer Familie - der Verführer , der Verderber Ihrer Sara , bittet Sie , sein Weib und sein Kind zu retten - - Theodor riß seine Hände los , die der Verwundete hielt , und stand mit rollendem Auge , Entsetzen in jedem Zug , erstarrt vor dem Bett .
L lehnte sich erschüttert zurück , und sagte mit bebenden Lippen :
Sterbend mußte freilich Ihr Feind sein , um Ihrem rächenden Arm zu entgehen ! -
Theodor ballte seine Hände krampfhaft zusammen , und wie er sein Seitengewehr , an das er heftig stieß , klirren hörte , stürzte er beide Arme verschlingend an das andere Ende des Zimmers , als fürchte er sich , es wider Willen zu entblößen . -
Mit einer Stimme , an deren Erschöpfung und Anstrengung fast nur sein körperlicher Zustand Schuld zu sein schien , mit beinahe trockener Kürze , ohne Erklärung , ohne Beschönigung wie ohne Übertreibung , erzählte nun L die Geschichte seiner Verbindung mit der unglücklichen Sara . Öfter von den Ausbrüchen des unbeschreiblichen wütenden Jammers bei seinem Zuhörer unterbrochen , als von seiner eigenen Schwäche oder Bewegung , hielt er jedesmal inne , bis jene vorüber waren , und Theodor wieder bereit stand , den Giftbecher vollends auszuschlürfen .
Sara es Schicksal war ihm bis zu der schrecklichen Krankheit bekannt , in welche sie nach dem 21. Januar verfallen war .
Von dieser hatte Theodor nichts gewußt ; das Bild seiner wahnsinnigen Schwester ergriff ihn mit einer solchen Gewalt , daß er den Kopf auf beide Hände gestützt , selbst der Wut vergessend , laut weinte - da fuhr ein leichtes Zucken über L Gesicht : hätte ich nun versäumt , die Täuschung über mein Leben hinaus zu verlängern , und ich stürbe in diesem Augenblick , so könnte die Welt denken , ich wäre nicht selig gestorben !
Gut daß die Priester schon da waren - und um des Besten unserer Angelegenheiten Willen wirst Du mich nicht verraten , Theodor - Bitter lachend murmelte er noch : Heiliger L !
Bitte für uns - - Theodor widerstand kaum dem wieder erwachten Zorn ; er knirschte : Heuchlerischer - kalter Bösewicht ! -
Eine flüchtige Röte ergoß sich auf einen Augenblick über die Wangen des Kranken ; dann hob er sein bleiches Haupt : Nein , Theodor !
Ich liebte sie ! - - Gewaltsam schien er sich nun zu spannen : Höre , Theodor !
Vielleicht sind die Geheimnisse dieser Brust noch ein Vermächtnis , mit welchem ich an Deinem vergifteten Leben etwas wieder gut machen kann - Er wollte sich sammeln , um fortzufahren ; es ist zu vermuten , daß in diesem Augenblick Wahrheit aus seinem Herzen und über seine Lippen gekommen wäre ; aber das Schicksal wollte das Rätsel dieses Geistes unaufgelöst lassen .
Die heftige Bewegung brachte innerlich eine Krisis hervor , die seine Sprache hemmte .
Er griff matt nach Theodors Hand , die ihm dieser schaudernd entzog .
Ein unmerkliches Lächeln , das Resignation sein konnte , schwebte um seinen blassen Mund ; er faltete die ausgestreckte Hand wieder in die andere . -
Eine kurze Pause erfolgte ; Verklärung und Verdammnis schienen jetzt auf dem Gesicht des Sterbenden in einander verschmolzen .
Zu schwach , um sich zu erheben , wandte er langsam den Kopf gegen einen Tisch an der anderen Seite seines Betts .
Fast ohne seine Lage zu verändern , und als belebte die entfliehende Seele zum letztenmal noch leise die äußersten Spitzen seiner Glieder , nahm er eine Feder , schrieb ein Paar Worte auf einem Blatt Papier , winkte Theodorn , es zu holen - Theodor stand mechanisch auf - er las die bebende Schrift : Mein Weib und mein Kind !
Durchdrungen suchte er L es Blick - Sein Kopf war wieder gegen die vorige Seite gekehrt ; Theodor bog sich über ihn - L hatte sein letztes Wunder getan , und war verschieden .
Theodor verließ die Armee , und stahl sich durch tausend Gefahren bis zu den Trümmern von C , wo die ihm von L anvertrauten Zeichen ihm den Eingang in das Gewölbe öffneten .
Hier fand er ein Paar Geschöpfe , die den inneren Grimm , mit welchem er an diese menschenfreundliche Handlung ging , bald in sanftes Mitleid umschmolzen .
Auf dem Krankenlager lechzte L es schöne , junge Gemahlin nach Trost und Erquickung .
Im ersten Schrecken über die Nachricht von der tödlichen Verwundung ihres Herrn waren die Hausbedienten , unter deren Schutz er sie gelassen hatte , aus einander geflohen , bis auf drei , welche nur mit den abwechselndsten Kunstgriffen einen kümmerlichen Unterhalt herbeischafften .
An Geld fehlte es ihnen zwar nicht , L hatte einen Teil seiner Schätze und Kostbarkeiten in diesen Gewölben vergraben ; aber der geringste Umstand , ein Becher , ein silbernes Geschirr , ein Geldstück selbst , konnte sie verraten , und außerdem war die umliegende Gegend so verwüstet , daß man mit Tonnen Goldes keine Erquickung für die arme zarte Kranke auftreiben konnte .
Die gröbsten Gemüse , oft rohe Kastanien , wozu nur selten ein Stück Brot kam , erhielten jetzt diese Frau , die , zu solcher Weichlichkeit gewöhnt , so wenig mit Schmerz und Not bekannt gewesen war , daß sie bei der sanftesten Anlage kaum jemals etwas dem Mitleiden ähnliches gefühlt hatte .
Ihr Knabe allein hielt sie aufrecht , und war zugleich der Gegenstand ihres peinlichsten Kummers ; neben ihm durchweinte sie die langen Winterabende , indes er unbesorgt schlummerte , denn er wußte diesen Kerker , in welchem die erste Entwickelung seiner kindischen Seele vor sich gegangen war , mit nichts besserem zu vergleichen , und seine früheren Erinnerungen hatten sich hier so verwischt , daß er , als man ihn an jenem schrecklichen Tag heraustrug , von der Sonne geblendet , fragte , was das für ein großes Licht wäre ?
Wenn aber seine arme Mutter ihre elenden Gefährten herbeischleichen hörte , erstarrt , ermüdet , und oft von der ängstlichen Wanderschaft , wo jeder Schritt ihnen mit Entdeckung und Tod drohte , nichts zurückbringend als Schreckensposten , da trocknete sie ihre müden Augen , und sammelte sich zu neuem Schmerz und neuer Geduld .
Ein Zufall verbesserte indessen ihre Lage .
Ein ehemaliger Pachter ihres Gemahls , ein Mann der seine Habe für die Sache der Freiheit zugesetzt hatte , und für einen der festesten Patrioten galt , erkannte eines Abends einen von den drei Getreuen , der , um Lebensmittel zu suchen , in seine halb abgebrannte Hütte gekommen war .
Der Unglückliche glaubte sich verloren , machte aber dem Mann eine so rührende Beschreibung von dem Elend der Gräfin , von dem Liebreiz des Knaben , daß dieser , von Mitleid hingerissen , der Retter dieser bedrängten Familie wurde .
Er war die nächtliche Erscheinung im Eremitenkleid , welche den Wahn des Landvolks veranlaßte ; so oft er Lebensmittel zusammenbringen konnte , stieg er durch einen fast verschütteten heimlichen Fußpfad , neben der am Fuß des Berges fließenden Quelle , den Brunnenkeller herauf , und gelangte auf dem mühseligsten Weg mitten in den Schloßhof ; ein Stein , den er in dem Inneren des Turms durch das Luftloch des Verlieses herunter warf , war das Zeichen seiner Ankunft , worauf man ihm die verrammelte Höhle öffnete .
Noch mehr Hilfe aber schaffte nun Theodors sinnreicher Mut in einer Gegend , die ihm von Jugend auf bekannt war , und seitdem das arme Weib in dieser Einöde schmachtete , war er das erste menschliche Geschöpf , das , anstatt sie mit Klagen zu quälen , die ihrigen vernehmen konnte .
Indem er aber ihr Elend milderte , setzte er auch ihre Sicherheit aus : er zog mehrere herumirrende Flüchtlinge von seiner Partei an sich , und sein unruhiger Kopf machte nach und nach diese Zuflucht der Unschuld zu einem neuen Tummelplatz politischer Plane , die ihn und die Unglückliche , die er beschützen wollte , verdarben , indem sie Unvorsichtigkeiten veranlaßten , welche die Aufmerksamkeit der Gegenpartei erweckten .
Schon mehrere Tage vor dem Überfall befand sich die Gräfin sehr schlecht , sie sprach oft mit Theodor von ihrem nahen Ende , von dem Traum ihres jungen Lebens , von dem schrecklichen Wechsel , der sie nun hinraffte .
Sie erwähnte mit tiefem Gefühl , aber ohne Bitterkeit , wie wenig ihr Gemahl für sie gewesen wäre - Und jung , wie ich war , setzte sie hinzu , hätte ich ihn doch zu meinem Abgott gemacht , und die Herrschaft über mein reines Herz hätte ihn sicher mehr beglückt , als der blutige Zepter , mit welchem er stumpfsinnige Elende lenkte !
Sie hatte ein Paarmal geäußert , daß sie wohl nicht die Einzige gewesen sein möchte , welche das Los des Unglücks aus ihres Gatten Hand empfangen hätte .
Am letzten Abend erklärte sie sich hierüber noch deutlicher :
Ich habe , sagte sie wehmütig lächelnd , einmal eine Erscheinung gehabt - die aber einen solchen Eindruck auf mich gemacht hat , daß ich nachher , wie ich so viel Unglück erfuhr , daß ich es in die kurzen Jahre meines Lebens gar nicht hineindrängen konnte , immer von dieser Erscheinung an rechnete .
Sie erzählte nun den kurzen Besuch , den sie von einer Unbekannten gehabt hätte ; wie erschüttert sie gewesen wäre ; wie sie geforscht hätte , etwas von der Unglücklichen zu erfahren ; wie einer von den Bedienten endlich herausgebracht hätte , es sei ein junges Mädchen , die sein Herr unterhalte , sie sei Mutter gewesen , aber ihr Kind sei tot , und was aus ihr selbst geworden sei , wisse man nicht ; wie sie dies gerührt hätte , indem sie damals eben ihren Sohn geboren hätte ; und wie sie , seitdem sie einsam und verlassen in diesem Gewölbe lebte , oft an das Mädchen gedacht , und gemeint hätte , wenn sie damals aufzufinden gewesen wäre , sie hätten zusammen weinen und leiden wollen - Im Glück , sagte sie , wäre ich vielleicht ihre Feindin gewesen , aber wir waren ja beide verlassen , beide so unglücklich , und ich hatte ja doch meinen Sohn , und war Gattin - Das Mädchen sah so rührend aus !
Seit Sie da sind , fuhr sie gegen Theodor fort , denke ich noch öfter daran - sie sah Ihnen , glaube ich , ähnlich , besonders wenn Sie wild reden - das arme Mädchen !
Als seine Witwe wollte sie mich wiedersehen - da wäre es nun Zeit ! -
So schwatzte die arme , liebende Seele ihre wenig entwickelten Gefühle her , und sah nicht , welchen Eindruck sie auf Theodor machte , der seine unglückliche Schwester in diesem Bilde erkannte , aber zu viel Schonung gegen die Kranke hatte , um ihr sein nahes Verhältnis mit dieser Erscheinung zu entdecken .
- Als das Gewölbe bestürmt wurde , suchte sie eine Zeitlang ihren Sohn zu trösten und zu beruhigen ; bald aber lösten Schrecken und Angst die abgenutzten Fäden auf , die sie noch an das Leben hielten ; und sie war verschieden , ehe noch die Sieger in das Behältnis gedrungen waren , das ihr so lange schon zum Grabe gedient hatte .
Sie war eben achtzehn Jahre da sie starb : still und unschädlich hatte ihre schöne Jugend geblüht ; man hatte sie keinen Gebrauch ihrer angeborenen Güte gelehrt , die Menschen um sie her wußten diesen Funken der Gottheit nicht zu schätzen - so konnte sie , um wohlzutun , nichts als lieben , um zu genießen , nichts als lachen und scherzen .
Ihre Liebe wurde von den kalten abgestorbenen Seelen , mit denen ihr Stand sie verband , zurückgewiesen , von ihrem Gemahl nie angenommen ; und Scherz und Lachen wandelte sich früh in Elend , Not und Angst .
Ihr Leben glich einer kleinen Lampe , die in einem menschenleeren Raume brennt und erlöscht ; sie leuchtete niemand , und ihr Erlöschen wird von niemand bemerkt .
Mögen so manche , deren Schicksal wie das ihrige anfing , nie ein so trauriges Ende erfahren ! - -
Der Morgen brach an , welcher Theodor und seine Gefährten zum Tode rief .
Seine Fassung war wehmütig .
Er mußte sich selbst sagen , daß er seit dem erstenmal , da sein treuer Roger ihn warnte , bis zu diesem Augenblick , immer die Wahl zwischen dem Besseren und Schlimmeren gehabt hatte ; sein Geist war erstorben , sein Herz ausgeglüht , nur seine Liebe für Sara erleuchtete , gleich dem Abendrot an einem stürmischen Tag , dessen Morgen doch heiter anbrach , noch einmal sein finsteres Dasein ; er heftete auf sie seine schweren Augen , und schloß sie gern auf ewig .
In Sara waltete eine über das Schicksal erhabene Ruhe ; sie hielt des Bruders kalte Hände , drückte sie an ihr Herz , an ihre Lippen , und in dem sinnenden Blick ihres ernsten Auges schienen Ahnungen eines freieren , reineren Daseins zu liegen .
Wie die Wachen den Unglücklichen abholten , schauderte sie auf ; er stand sprachlos , zeigte auf den sanft schlummernden Hippolyt - dann rief er mühsam : ohne ihn riße ich Dich mit mir fort ! -
Ohne ihn folgte ich Dir ! sprach sie zitternd , umarmte den Bruder , wandte sich gegen die Soldaten , und sagte mit gebrochenem Ton und gefalteten Händen :
Faßt ihn scharf ins Auge - es ist meine letzte Bitte ! -
Jetzt erstickten die Tränen ihre Stimme , und Theodor wurde fortgeführt .
Sara es Betragen im Kriegsdienst , gegen ihren Bruder , gegen den verwaisten Knaben hatte ihre Oberen , und alle , die in der Gegend von ihr hörten , so gewonnen , daß es ihr an Unterstützung nicht fehlte , die sie , an ihren Pflegsohn denkend , ohne Widerwillen annahm .
Sie sann indessen darauf , sich in eine Einsamkeit zurückzuziehen , wo sie , fern von Menschen , fern von dem Geräusch der Waffen - denn beides preßte ihr Herz zusammen - sich nach und nach wieder an das Leben gewöhnen könnte , dessen Last zu tragen sie nun so feierlich verpflichtet war .
Der herannahende Frühling bestärkte sie in einem Plane , den sie in ihrem Inneren seit jenem Augenblick entworfen hatte , da sie neben Hyppolits erblaßter Mutter ihren Bruder dem Tode überantworten , und sich selbst zum Leben verurteilen mußte .
Das kleine Gebäude in den Ruinen von C , wo sie mit ihren Kriegsgefährten eine Nacht im Hinterhalt gelegen hatte , ließ sich mit einer kleinen Ausbesserung bewohnbar machen ; unter diesen grausenvollen Trümmern vermutete man keines lebendigen Geschöpfes Aufenthalt , und sie fand da Nahrung für ihren Schmerz , reine Luft für ihren Zögling , und den ungestörten Anblick der sich aus der Verwüstung hervorarbeitenden Natur , von den hohen Felsen in die Täler herab .
Ein Bauer , bei welchem sie in der damaligen Zeit im Quartier gelegen hatte , war durch ihr sanftes Betragen , durch die menschliche , regelmäßige Aufführung ihrer Untergebenen , für sie eingenommen worden , und hatte den Auftritt im Schloß , und was darauf erfolgt war , mit herzlicher Teilnehmung gehört .
Sara hatte auch zu ihm Zutrauen gefaßt , und sie teilte ihm ihren Wunsch mit , sich in den Ruinen einzurichten .
Ein Geheimnis wollte sie daraus nicht machen ; aber um künftig ungestörter zu sein , bat sie ihn , nur seinen Sohn zum Gehilfen bei der Arbeit zu nehmen , und so wurde die kleine Wohnung bald zu Stande gebracht , ohne daß die Nachbarschaft es ahnte .
Eine kleine Küche , welche das Vorhaus zugleich vorstellte , und eine einzige Kammer , woraus das ganze Gebäude bestand , war in wenigen Tagen vom Schutt gereinigt , mit Fenstern versehen , und so viel Geräte hineingebracht , wie Sara und ihr Pflegsohn brauchten .
Eine wunderbar stille Empfindung war es für Sara , als sie zum erstenmal neben ihrem brennenden Herd die Nacht erwartete .
Es war eine Nacht wie jene schreckliche , da sie Theodorn fand , um ihn auf ewig zu verlieren ; eben so flimmerten die Sterne im Nebel - Sie stellte sich einen Augenblick vor die Türe , blickte nach jenem Turm ; sie hatte nun den Kelch des Leidens geleert , keine Erwartung mehr - wie war sie so ruhig !
Indessen erwachte der Knabe in der anstoßenden Kammer , und lallte schmeichelnd : Sara , willst Du nicht schlafen gehen ? -
Sara es Herz zerschmolz in Wehmut ; es war ihr , als riefen mit dieser Stimme alle Geister , die sie jetzt eben umschwebten : Sara , Sara ! komme in das Grab - und doch lockte sie diese Stimme in das Leben , knüpfte sie an das Leben durch alle Bande des Mitleids und der Großmut .
Neben der Hütte war eine kleine Pforte , die in einen Zwinger ging , wo ehemals Jagdhunde und Kaninchen gehalten wurden .
Diesen reinigte Sara von Steinen und Schutt , und mit den ersten Frühlingsregen keimten da Gemüse heraus , und wilde Blumen , die sie für ihren Kleinen sorgfältig pflegte .
Von Zeit zu Zeit besuchte sie ihr Vertrauter , der alte Bauer , und freute sich über ihren Fleiß , über das frohe Wesen des Knaben ; und wenn er ihr bleiches ernstes Gesicht ansah , auf welchem das freundliche Lächeln so wehmütig zuckte , sprach er ihr zu : Junge Frau , wem Gott solch Gedeihen gibt in dem , was er unternimmt , wie der Knabe wächst und der Salat draußen aus dem steinigen Boden keimt - wahrlich , der muß nicht so trostlos drein sehen !
Gott , der Keime aus den Trümmern ruft , kann auch wehe Herzen heilen - Sara drückte ihm die Hand - Ergebung und Ausharren sind sich also immer gleich !
Diesen Sinn hatten Berthiers weise Lehren , und die treue Einfalt dieses Mannes atmete eben diesen Sinn - Der Alte half ihr von dem Teil des Schloßhofs , der an ihre Hütte stieß , die Mauersteine wegräumen , und bald bekleidete er sich mit jungem Gras , auf welchem Hippolyt , dessen Schritt nun fester wurde , in der warmen Sonne spielte .
Es kamen jetzt Stunden , wo Sara's Herz mit der Natur um sie her einstimmte - Keime , die den grausen Trümmern entsproßt !
Sie unterdrückte nicht , wie ehemals , jeden Wunsch nach Heiterkeit , sie verdrängte nicht mehr jedes Bild der glücklichen Jugend mit dem Andenken ihres schwarzen Schicksals .
Ihre wohltätigsten Stunden waren die , wo sie berechnete , wie viel zerstörender das Elend gewesen sein würde , dem sie entgangen war , als das , welches sie wirklich erfahren hatte .
Wenn der Knabe auf ihrem Schoße scherzte , wenn er an ihrem Busen einschlief , wenn er schmeichelnd sie Mutter , gute Mutter ! nannte ; so hob sich ihr Auge gen Himmel , und suchte dort ein Wesen , dem sie danken möchte , daß nicht , so wie sie einst darauf ausgegangen war , seines Vaters Blut an ihren Händen klebte .
Jede ihrer Sorgen für ihn besänftigte jetzt ihr Herz ; hätte damals der Zufall ihre Rache begünstigt , so war jede seiner Liebkosungen nunmehr ein Dolch in ihr Gewissen !
Wenn sie indessen nach ihrem Tagewerk ausruhte , der Mond am Himmel aufstieg , oder die zahllosen Sterne hinter den verfallenen Türmen hervorfunkelten , und ihr Herz die stille Feier ihrer Verstorbenen begann , da schwebte , seitdem die Ahnung des Friedens bei ihr wieder eingezogen war , manchmal der leise Gedanke vor ihr , daß in der Reihe der geliebten Toten noch ein Name fehlte - Roger war nicht zurückgekehrt , und ob er tot sei , hatte niemand ihr zu sagen gewußt !
Je ruhiger ihr Herz , je weiblicher ihr Tun wurde , desto schmerzlicher dachte sie , daß er , allein von allen übrig , vielleicht noch in den Schrecken des Krieges lebte , und nie erfahren würde , wie sie gelitten , und wie sie gebüßt hätte .
Dabei schauderte sie vor der Möglichkeit , ihn je wiederzusehen ; es war eine Kluft zwischen ihnen entstanden , die ihr von allen menschlichen Wesen nun losgerissenes Herz nicht mehr auszufüllen wußte .
Wie sie ihn gekannt hatte , in einfacher Tugend und weichem , reinem Kindersinn fortwandelnd , übte er seine männliche Kraft nur in Augenblicken , wo er eine Leidenschaft zu bekämpfen hatte ; sein Herz glich der milden Sonnenwärme - und das ihrige , war es nicht ein ausbrennender Vulkan ?
Sie fühlte , welches Mißverhältnis dieser Unterschied zwischen dem Weib und dem Mann stiften müßte .
Alle Harmonie war gestört , alle Gleichheit ; Roger konnte in ihr nur ihr Unglück ehren - und sie wollte und konnte nun keinem menschlichen Wesen mehr nahen , das sie ehemals gekannt hatte , das denken mußte : wie glücklich war sie einst !
Sie konnte nur Hippolets Liebe ertragen , denn sein Lallen sagte ihr bloß : wie gut bist du jetzt !
Eines Abends arbeitete sie in dem kleinen Garten im Zwinger , und da ihr der Bube überall im Wege war , geschäftig die Pflanzen ausrupfte , die sie eben sorgsam gesetzt hatte , schickte sie ihn in den Schloßhof , um da seinen Unfug zu treiben .
Nach einer kleinen Weile hörte sie ihn zusammenhängend reden , und mit mütterlicher Freude über den kleinen Schwaetzer , wollte sie sehen , welchen Stein oder welche Pflanze seine kindische Fantasie belebt , und zum Spielkameraden umgeschaffen hätte .
Sie ging an die Pforte , und erblickte das Kind zwischen den Knien eines Soldaten , der auf der Bank vor der Türe ihrer Hütte saß .
Sara konnte des Mannes Gesicht nicht sehen , weil die Abendsonne sie blendete , und er ihr halb den Rücken zukehrte ; doch unterschied sie , daß der Knabe mit ihm spielte , und der Fremde das Kind freundlich liebkoste , indem er mit der Hand auf einen Haufen Steine zeigte , die es zusammengetragen hatte .
Hippolyt holte jetzt mühsam einen großen Stein , den er dem Soldaten zu halten gab ; dieser faßte den Stein mit einer Hand an - nein , rief der Kleine , und zog an seiner anderen Hand ; mit beiden Händen !
dann will ich klopfen -
Ich kann nicht , mein Kind , sagte der Fremde , die andere ist tot -
Tod ? fragte Hippolyt , und machte große Augen ; die Hand tot , und Du nicht tot ? -
Sie ist im Kriege abgeschossen - Armer Mann ! sprach der Knabe klagend , und streichelte leise den ausgestopften Ärmel - soll heilen , die Mutter soll ein Pflaster geben ; ich war auch recht krank am Kopfe von einem großen Stein , da hat mich die Mutter geheilt -
Und wird die Mutter denn mir Pflaster geben ? fragte der Fremde .
- Wenn Du weh hast ? rief der Kleine , und zog ihn am Ärmel gegen die Pforte des Zwingers , wo er jetzt die Mutter erblickte .
Bei der Annäherung eines Fremden , des ersten in dieser wilden Einsamkeit , war ihre erste Bewegung Schrecken ; doch konnte sie ihren Hippolyt nicht allein lassen , da er sie suchte ; sie trat also aus der Türe , und sah den Mann aufstehen , und seinen Stock und das Kind in einer Hand haltend , auf sie zukommen .
Der Fremde stutzte bei dem ersten Anblick , kam aber sogleich näher , ließ den Knaben stehen , und zog mit der einzigen Hand seinen Hut ab - Gute Bürgerin , sagte er mit einem heiteren Ton , Ihr Kleiner versprach mir ein Pflaster für meinen abgeschossenen Arm ; wollen Sie mir einen Trunk Wasser geben für meine herzliche Müdigkeit ? -
Die Art , die Stimme des Mannes hatten etwas , das Sara auffiel ; selbst sein Rock , dieser Rock , den sie so lange getragen hatte , rührte sie - Gern , antwortete sie freundlich , möchte ich doch auch für meinen Knaben Wort halten können ! -
Wie sie sprach , fuhr der Fremde erschrocken zusammen ; sie bemerkte es nicht , und ging neben ihm weiter auf die Hütte zu -
Das sind ehrwürdige Andenken , Bürger Soldat ! sagte sie ; und wo Ihr hinkommt , findet Ihr gewiß tausend Arme , die sich beeifern , Euch den Verlust des Eurigen zu ersetzen - Sie traten jetzt in den Schatten der Hütte ; der Fremde schwieg , und faßte Sara schärfer ins Auge , sein Gesicht schien zu glühen , er warf bald auf sie bald auf den Knaben unruhige Blicke - sie ließ das alles gut sein , und ging hinein .
Als sie zurückkam mit Wein und Brot , und es ihm auf die Bank setzte , und zugleich fragte , wie er auf eine so abgelegene Höhe geraten wäre ? näherte er sich äußerst bewegt - Vielleicht von meinem guten Engel geleitet , sagte er ; ich kann nicht begreifen - und doch ! - die Stimme , der Gang ! -
Sara Seldorf ! Roger kann doch keine andere für Sie ansehen - -
Ein Schleier fiel von Sara's Augen , und ungeachtet der tiefen Narbe über seiner Stirn , der naht über die linke Wange , die seinen ehemals schönen Mund entstellte , erkannte sie jetzt alle seine Züge , und wankte , zwischen der Freude und dem Schrecken einer solchen Überraschung geteilt , zurück - Meine Schwester ! rief Roger , und faßte sie in seine Arme , führte sie auf die Bank , lehnte ihren Kopf an seine Brust , und weinte und jauchzte vor Entzücken - Aber Sara wand sich aus seinen Armen , sie stand auf , sah ihn mit einem Blick voll unaussprechlicher Wehmut an -
Schwester ! wiederholte sie schaudernd - o , eine arme verirrte , durch Unglück bis an den Rand des Verbrechens geführte Schwester - - Nein , meine teure , ewig geliebte Schwester - o ich Kind ! ich Kind ! da wandle ich zum Grabe meines Großvaters , und bitte Gott um Mut , es zu erblicken , und die abgebrannte Hütte wieder zu bauen , und statt der niedergeworfenen Bäume wieder andere zu pflanzen ; und Gott schickt Dich mir entgegen , die ich so lange schon unter den Toten glaubte - Unter den Toten , fiel Sara ein , die Hand feierlich auf die Brust gelegt - ja , tot für das Glück , für die Menschheit - Sara , antwortete der redliche Mann lächelnd , und zog das Kind zu sich ; Sara , Mutter ! - und tot für die Menschheit , die hier so schön aufblüht ? -
Eine schwache Röte über seinen Irrtum wurde bald von bitteren Tränen über die Erinnerung an ihr Kind , das ihn veranlaßte , hinweggewaschen -
Dies ist L , nicht mein Sohn , sagte sie ; mein Kind , und alles was mein war , alles , was ich liebte und was mich liebte , liegt im Grabe - die Sara , die Ihre Schwester war , ist unter den Toten - der Schmerz erstickte ihre Worte - die Sara , sprach Roger , die noch so fühlt , so weint , ist meine Schwester - nie , so lange dieses Auge Tränen , so lange dieser Körper Leben hat , kannst Du aufhören , es zu sein !
Und selbst dann - wie ich Sie tot glaubte , Sara , seit drei Monaten , daß ich diese schreckliche Gewißheit hatte , war meine Liebe im Grabe , so wie sie nun wieder auf Erden ist - Er schwieg , Sara's Hand haltend ; dann das Kind ungewiß betrachtend , dann mit glänzendem Auge , mit einem Ausdruck von verklärter Freude , vor welchem seine gräßlichen Narben zu schwinden schienen , in das ferne Tal hinblickend - armes Land ! rief er aus ; arme Menschen !
So viel Seligkeit wohnte in diesen Trümmern , - so viel Heldenmut ! -
Er drückte das Kind an sich , sah es nachdenkend an , spielte mit seinem blonden Haar , das es dem Vater so ähnlich machte , und blickte nach Sara's dunklen Locken , die sich unter dem großen Tuch , das ihren Kopf verhüllte , hervordrängten .
Der frohe Fantast schien etwas angenehmes in dieser Vergleichung zu finden ; er nahm den Knaben in die Höhe , und herzte ihn - man sah es ihm an , daß er einen Arm zu wenig hatte , um alles , was er fühlte , in seine Gebärden zu legen . - L es Sohn ! wiederholte er leise , - und nicht meiner Sara Kind - und doch in ihrem Schutze ! - -
In sprachlosem Schmerz , von ihren Erinnerungen überwältigt , hatte Sara den wunderbar kindlichen Menschen betrachtet ; jeder Ausdruck seines unzerstörbar heiteren Sinnes machte sie schaudern - sie konnte es nun nicht länger ertragen .
O diese fürchterliche Freude ! rief sie aus ; Mann mit dem Kinderherzen , weißt Du , was seit dem Abend Deines Abschieds mit mir wurde ? -
Alles , alles , meine Schwester , bis zu Ihrer Krankheit bei der alten Bauersfrau - dort , sagte man , wären Sie gestorben - Ihr ganzes Unglück weiß ich , die ganze Güte des Schicksals , das meine Sara vor einer Reue schützte , die meine treue Liebe selbst nicht zu heilen gewußt hätte - O Sara , wie der brave Kriegskamerad , der Marthen die Kundschaft von ihres Mannes Tod gebracht hatte , mit den Worten schloß : und in der Bauerhütte starb sie - wie ich nun meine Liebe ewig vergraben wußte mit Dir , da war es mein erster heiterer Gedanke :
sie kann dort ohne Schrecken erwachen - sie blieb rein von Mord !
Wirklich wußte er durch jenen Soldaten , der seiner Pension wegen nach Paris zurückgekommen war , und dort alles , was Marthen und ihr Haus betraf , so weit es den Nachbarn bekannt war , erfragt hatte , ziemlich die Hauptzüge von Sara's Geschichte , bis zu ihrer Abreise nach dem Dorf , und das übrige war in den dienstfertigen Berichten , die der ehrliche Mann eingezogen hatte , wahrscheinlich genug ergänzt worden .
Rogers Rührung war jetzt unbeschreiblich , als ihm Sara nach und nach , in mehreren Tagen , ihr Schicksal , von ihrer Abreise in die Provinz bis zu diesem Augenblick , erzählte .
Oft mußte sie inne halten , weil er außer sich vor Schmerz bei der Schilderung ihrer Leiden , die sie ihm so kalt , mit so abgestorbenem Tone machte , sie nicht mehr hörte , sondern auf dem Rasenplatz so heftig auf- und abging , daß der kleine Hippolyt sein Spiel verließ , und sich bittend an ihn klammerte , und wenn er ihn ungestüm von sich wies , weinend zur Mutter lief .
Mit stillen Tränen , mit verhaltenen Seufzern lehnte sie dann ihr Gesicht an ihn , bis er sich wieder gefaßt hatte , und sie leise , mit ruhiger Stimme , weiter erzählte .
Zuweilen mußte er sie unterbrechen , weil der Zwang , in dem sie ihre Gefühle hielt , sie bis zu Verzuckungen angriff .
So war es , wie sie an dem Augenblick war , wo sie bei L Totenbahre gestanden hatte - Roger war diesen Tag spät gekommen , es war schon Abend , als sie zu sprechen anfing - starr hingen die schweren Tropfen in ihrem Auge , aber die Natur durchbrach den gewaltsamen Zwang , und ein heftiges ersticken hemmte ihre Stimme .
Roger legte ihr seine Hand auf den Mund , holte ihr schweigend einen Trunk Wasser , sah sie ruhiger werden , küßte den Knaben , und indem er noch einmal wehmütig auf Sara blickte , ging er stumm hinweg .
Wie sie zu dem Gefecht im Gewölbe , zu der Erkennung ihres Bruders kam , war es ganz anders - er kniete vor Sara , weinte , verbarg sein Gesicht , küßte ihre Hände , rief , als wollte er das taube Grab erbitten : o Theodor , mein Bruder !
Gespiele meiner Jugend - Und wie Sara's Geschichte sich ihrem Ende nahte , und ihre Stimme leiser aus ihrer schweren Brust atmete , und ihre Tränen unverhaltener flossen , da lag er still vor ihr , blickte sie schweigend an ; sie sprach fort , ohne Stocken , aber langsam und abgesetzt , ruhte mit dem nassen Auge auf Rogers Stirn , fuhr sanft mit ihrer Hand über sein redendes Gesicht - und nun verstummte die bange Geschichte , nur leises Schluchzen vernahm man noch , ihr Kopf sank matt auf seine Schulter ; der Kleine sah sie an , kam herbei , lehnte sich klagend an Sara's Schoß , und Roger , der Sara nicht berührt hatte , zog ihn an sich , und schloß jetzt sie und ihn zugleich in seinen Arm .
Seine Schicksale waren so einfach wie sein Herz und sein Sinn , und doch erzählte er länger daran , als wenn sie mit tausend Abenteuern angefüllt gewesen wären ; denn er verflocht damit jeden schönen Zug seiner Kameraden , jede Szene des Elends und der Verwüstung , die sein Gefühl zerrissen hatte , die Geschichte jedes Unglücklichen , dem er zu helfen Gelegenheit gehabt hatte .
Sprache er von den Siegen der Feinde , so blitzte in seinen Augen ein Feuer , das ihnen noch jetzt Rache zu drohen schien ; war es ein Triumph seiner Landsleute , dann dehnte sich seine Brust , und er schien es dem Weltall zuzujauchzen : so kämpft man für Freiheit und Vaterland !
Er hatte auf seiner kriegerischen Laufbahn zu allen diesen wechselnden Gefühlen Veranlassung genug gehabt ; denn seit er an die Grenzen gegangen war , hatte er , außer einigen Wochen , die er zweimal im Hospital zubrachte , um von den schrecklichen Wunden über seiner Stirn und an seinem Munde geheilt zu werden , immer im Angesicht des Feindes gestanden , und sein gut Geschick ließ ihn dem Vaterland dienen , bis bei dem Entsatz von Landau die Grenzen befreit waren .
Dort zerschmetterte eine Kugel seinen rechten Arm , er rief noch einmal seinen stürmenden Gefährten zu : Landau oder Tod !
und sank heulend von Schmerz unter die stampfenden Rosse .
Zerquetscht , unkenntlich raffte ihn ein mitleidiger Landmann auf - und mit einem Arm weniger , mit einem von dem Hufschlag der Pferde steif gebliebenem Knie , das Lied der Freiheit laut singend , verließ er erst nach mehreren Wochen das Straßburger Hospital .
In Paris erhielt er von den Repräsentanten des Volks die Belohnung der Tapferkeit , aber weder dort noch in seinem verwüsteten Geburtsland fand er mehr seine Geliebten , um mit ihnen sich der erworbenen Ehre zu freuen ; und so irrte er eine Weile ziemlich ohne Zweck umher , bis ihn der Zufall , und das sehr gemischte Interesse , das die Trümmer von L Schloß für ihn haben mußten , auf einer einsamen Wanderung , vor Sara's Hütte führten .
Gleich vom ersten Tag an , da er hier sein ganzes Glück , seine Jugend , seine Freude am Leben wiedergefunden hatte , gab er für jetzt jedes andere Vorhaben auf , und mietete sich in einem benachbarten Dorfe ein , wo er den Tag über , so weit es bei dem Verlust seines Arms anging , sich mit dem Feldbau beschäftigte , und hauptsächlich durch seinen Rat , seine Aufmunterung , und seine wesentliche Hilfe , den mutlosen Landmann anfeuerte , den Schutt wegzuräumen , die Hütten wieder aufzubauen , die Felder von neuem zu besäen ; und Abends stieg er dann auf die Ruinen , und so oft er zurückkehrte , hatte seine treue Liebe die Lücke zwischen dem Abschied und dem Wiedersehen mehr ausgefüllt , und bald fehlte ihm nur der segnende Blick seines Ahnherrn , um den ganzen Schauplatz seiner frohen Jugend unter C es schwarzen Trümmern hinzuzaubern .
Das scheue , ernste , vom Unglück gebeugte Weib erschien ihm noch als seine Sara , nur ihr Kind war erwachsener - er sah es nicht mehr an ihrer schönen Brust , er konnte schon ihre mütterlichen Sorgen teilen .
Daß er nur für Sara leben würde , daß sie sein gehörte , wo sie lebte , wie sie ihn nennte , wohin sie sich verbärge - das wußte er vom ersten Wiedersehen an , daran zweifelte er nie ; aber daß er sie noch immer am liebsten als sein Weib , in seiner Hütte , an seinem Herde sich denken mußte , das erfuhr er erst nach und nach , wie er im verwüsteten Dorfe die Hütten wieder aufsteigen , die Felder wieder sich beleben sah , wie er , von allem , was sie tat und litt , unterrichtet , nicht ein einzigesmal sich mehr fragte : wird sie mir alles , alles noch ersetzen können ?
Nun fing er an , sich nach dem Boden zu sehnen , wo sein Vater gelebt hatte , wo sein Schatten durch Wohltun versöhnt , der Schauplatz seines schrecklichen Todes neu erschaffen werden mußte , um den Zeugen - vielleicht den Mitschuldigen seiner Ermordung die Sonne wieder lieb zu machen .
Sollte er aber ohne Sara dort leben und wirken ?
Unglück und Leidenschaft hatten freilich ihre Jugend gewelkt , und gaben ihr Jahre voraus ; aber er war der Weisere durch die ungetrübt gebliebene Einfachheit seines Geistes - nicht mehr ängstlich und mit der Ungewißheit der Liebe , sondern mit dem ruhigen Zutrauen einer unbefangenen Seele , betrat er einst den Weg zu Sara's Wohnung , in der Absicht , der treuen Freundin sein ganzes Herz aufzuschließen .
Es war ein schwüler Sommerabend ; schwarze Wolken hingen über den alten Türmen ; scheu und von der schweren Luft gedrückt , flogen die Vögel unter die Mauersteine und Vorsprünge ; nur die Schwalbe durchschnitt noch in niedrigen Zirkeln am Boden die brennende Luft .
Sara war heute schwermütiger wie sonst , es war der Jahrestag ihres Abschieds von Berthiers Haus .
So schwer , wie die Luft auf der stillen Landschaft , lag damals die Ahnung ihres Schicksals auf ihr !
Sie sah in das Tal hinab , sah die Felder grünen , die Äste an den Bäumen von ihren Früchten sich beugen ; und die finsteren Wolken änstigten sie , als würden sie allgemeine Vernichtung bringen .
Immer tiefer in traurige Erinnerungen versinkend , wollte sie sich losreissen , und ging , den Knaben an der Hand , gegen die Seite des Schlosses , von welcher Roger kommen mußte .
In kurzem erhob sich ein heftiger Sturm , und sie stieg , um sich vor den großen Regentropfen zu schützen , und von ihrer Stimmung hingerissen , in das Gewölbe hinab , welches L Gemahlin zur Grabstätte diente .
Indes sie am Eingang des inneren Gewölbes saß , die zunehmende Finsternis beobachtete , und die kindischen Fragen des Knaben , den die neuen Gegenstände beschäftigten , langsam beantwortete , geriet dieser auch auf die Erhöhung über dem Grabe seiner Mutter , und fragte neugierig , wer den kleinen Berg dahin gebracht hätte ?
Sara hatte ihm von dem Schicksal seiner unglücklichen Eltern schon oft so viel erzählt , als sein kindischer Verstand begreifen konnte ; aber dieses Grab hatte sie ihm , aus milder Schonung , noch nie gezeigt .
Die unbesorgte Frage des Knaben , der , unter Ruinen und in der Einsamkeit erzogen , so furchtlos in diesen dunklen Höhlen spielte , ergriff ihr Herz -
Unter diesem Hügel schläft Deine gute Mutter , antwortete sie sanft weinend .
- Und der Vater ? fragte er weiter , und blickte forschend in der Höhle umher . -
Der Vater - der Schmerz erstickte ihre Stimme ; sie sah im Geist den traurigen Holzstoß , hörte das Knistern der Flamme und den Gesang der Kriegsgefährten - der Vater ruht weit von hier , Du wirst sein letztes Bett nie finden - Willst Du denn auch hier schlafen ? fragte nun Hippolyt , und lehnte sich , mit frohen Augen sie ansehend , an ihren Schoß - Ich auch ; Du sollst mir hier mein Bett machen - Der Kleine klopfte hüpfend in die Hände , und meinte , dann wolle er ihr auch Blumen auf ihr Bett werfen , wie gestern Abends , und bei ihr singen wie heute früh - In dem Augenblick trat Roger an den Eingang der Höhle , und rief Sara's Namen .
Er war herauf gestiegen , hatte sie überall gesucht , hatte ein Gefühl von Schrecken in den einsamen Mauern gefunden , die überall nur seine Stimme und den fernen Donner widerhallten , und er hatte von neuem erfahren , wie verödet ohne Sara die Schöpfung für ihn war .
Endlich wollte er noch in dem Gewölbe nachsehen , das er allein schon öfters besucht , von welchem er aber Sara immer entfernt gehalten hatte .
Sein heiterer Mut war schon bei dem ängstlichen Suchen gefallen ; und wie er ihre sanfte Stimme : hier bin ich , mein Freund ! aus der Gruft herauftönen hörte , schien es ihm , seiner Vernunft zum Trotz , eine Vorbedeutung fehlgeschlagener Wünsche .
- Sara , sprach er , indem er sich näherte : welch ein Aufenthalt ! bei dem drohenden Wetter , mit dem frohen Kinde - lassen Sie uns ehe der Regen zunimmt -
Aber sie bat ihn , zu bleiben , um hier die Wirkung des Gewitters zu sehen , und sie machte ihm neben sich auf den Steinen Platz .
Mit einer Ergiessung ihrer düstern Fantasie zeigte sie ihm , wie alles um sie her Tod und Vernichtung predige , sprach von dem Andenken , das mit dem heutigen Tag verknüpft wäre , von der Reihe Leiden , die sie seit jener Reise zählte .
So verschieden die Gefühle , mit welchen Roger gekommen war , von dem Auftritt waren , der ihn hier empfing , so fühlte sich doch der starke Mann unwillkürlich in ihren Schmerz gezogen , und es hätte ihm eine unstatthafte Härte geschienen , jetzt Sara's tiefen , so natürlich veranlaßten Kummer , mit seinen Wünschen , seinen Vorschlägen zu unterbrechen .
Von diesem schaudervollen Ort hätte er sie gern hinweggeführt , aber schon heulte der Sturm , und der Regen schlug gegen die Mauern , so daß er sie und ihr Kind auszusetzen fürchtete .
Sie hatte geschwiegen , und betrachtete den Widerschein der Blitze auf der schwarzen Mauer - Wie sie nun alle , alle ruhen wie diese ! fing sie langsam wieder an , und deutete auf das Grab - in zwei Jahren alle !
Alle fühllos dem Schmerz , unzugänglich dem Elend - -
Meine Schwester !
Vielleicht nicht unzugänglich dem Trost , uns neben einander , uns eines dem anderen zur Stütze dienen zu sehen - -
Erst mein Kind - das süße Leben !
Schon damals glaubte ich kaum , daß meine Mutterliebe hinreichte , meine Schuld zu versöhnen - -
Und Sara , versöhnst Du hier nicht überschwänglich ? -
Er zeigte auf den Knaben , der bei dem Schein der Blitze spielte - -
Was ich kannte , zog ich in den Strudel meines Schicksals !
Weder Unschuld noch Unwürdigkeit schützten - sie mußten alle fallen , damit ich allein stehen bliebe , ein warnendes Denkmal meines Elends - -
Der Donner rollte langsam über sie hin , ihre Stimme klang hohl und kalt ; Roger ergriff ihre Hand , um zu reden , aber sie sprach fort , die Hand des Freundes bei jeder Pause an die bebenden Lippen führend , und er , der ihre einzelnen schweren Tränen fühlte , verstummte vor Mitleid . - -
So mußten die redlichen Männer dahin - Thirion , der keine Freude an meiner Raserei hatte - und Raimond , mein letzter guter Engel , der Rogers Namen sprach - und der fürchterliche Joseph - Ein geheimer Schauder . schien sie bei diesem Namen zu ergreifen - Die arme Nanni , die treue redliche Martha ! -
O wie sinnreich hat doch das Schicksal mir jede Art von Wunden versetzt !
Meine teilnehmende Babet , ihr Gatte - und dann der Mann , dem die Erde nicht einmal ein Grab gegönnt hat ! -
Ein heftiger Donnerschlag , mit einem roten Blitze begleitet , trieb jetzt den erschrockenen Hippolyt auf Rogers Schoß , der , ihn streichelnd , auf sein leises Geschwätz nicht Acht gab ; die Unterbrechung , welche dadurch einen Augenblick entstand , gab ihm aber Zeit , sich zu ermannen .
Er reichte Sara seine Hand wieder , die er zurückgezogen hatte , um das Kind aufzunehmen , und sprach innig gerührt :
sie ruhen nun alle , meine Sara; auch unser Theodor - auch der sanfte Weise , der so früh , so oft uns zum Glück einsegnete - -
O Dein Vater !
Und heller flossen Sara's Tränen - - Sieh , meine Schwester , und was er wünschte - was auch Dein sterbender Vater wünschte - es kann noch geschehen ! -
Er drückte ihre beiden Hände an seinen Mund .
Sie schien zu ahnen , sie wollte ihre Hände losmachen .
Er hielt sie , und fuhr mit sanft bittendem Tone fort : Sara , wir wollen seine Hütte wieder auf bauen !
Wir wollen seine Bäume wieder pflanzen - um seine Ruhestätte ein Paradies schaffen ! - - Sie riß ihre Hände aus den seinigen , und bedeckte ihr Angesicht :
O nie , nie ! rief sie schaudernd - Dein reines Kinderherz neben mir , der von Geistern umringten ? -
Roger verstummte .
So weit vom Frieden entfernt , hatte er sich sie nicht gedacht !
Hippolyt legte ihm jetzt seinen Arm um den Hals , damit er auf sein Geschwätz hören sollte -
Dort , dort wo meine Mutter schläft , sagte er schmeichelnd -
Was dort ? fragte Roger erschrocken , und blickte hin . -
Dort mache ich Sara ihr letztes Bett - - Roger schauderte ; der Sturm heulte in den Mauern , ein heller Blitz erleuchtete das Gewölbe , und laut schluchzend sank Roger zu Sara's Füßen .
CC-BY

Rechtsinhaber*in
Bildungsroman Projekt

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Korpus. Die Familie Seldorf. Die Familie Seldorf. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0rh.0