1. Die Abreise. D Der Wagen war vorgefahren , Friedrich knallte mit der Peitsche und die Braunen stampften ungeduldig den Fußboden .
Noch einmal lag ich Vater und Mutter weinend in den Armen , küßte noch einmal alle meine lieben Geschwister und reichte dem versammelten Gesinde die Hand zum Abschied ; dann drückte ich mich schluchzend in die Ecke des Wagens , beugte mich jedoch sogleich wieder zum Fenster desselben hinaus , um mit dem feuchtgeweinten Taschentuche unzählige Abschiedsgrüße zurück zu winken .
Nun fuhr der Wagen durch das Dorf , und aus allen Fenstern , von allen Türen her tönten freundliche Grüße und Wünsche zu mir herüber , denn ich kannte ja alle Bewohner dieser friedlich kleinen Bauerhäuser , war allen mehr oder weniger nahe getreten während der glücklichen Kindheitstage , die ich hier in der Heimat verlebte .
Und nun sollte ich fort von allem , was meinem Herzen bis jetzt das Liebste gewesen , fort von meinem Vaterhause und von dem schönsten Orte der Welt , meinem lieben Heimatsdorfe !
Neben mir im Wagen saß eine sanfte , feine Frau von mittleren Jahren , deren mildes Gesicht graue Löckchen umgaben , unter denen zwei kluge dunkle Augen hervorblickten .
Sie war es , die mich aus der Heimat hinweg führte nach ihrem stillen Hause in Berlin .
Dorthin sollte das junge Backfischchen sie begleiten , um unter ihrem Schutze etwas von Welt und Leben kennen zu lernen .
Diese milde Frau hieß Tante Ulrike und war die verwitwete Schwester meines Vaters , verehrt und geliebt von allen , die sie kannten .
Sie streichelte sanft meine Hand , die ich in meinem Schmerz in die ihre legte , und sprach so liebe Trostesworte zu mir , daß ich mich bald etwas beruhigte , denn an der Seite einer so lieben Gefährtin war ich gewiß nicht so verlassen , als es mir bisher erscheinen wollte .
Jetzt fuhr der Wagen einem Gehölz zu , das auf der Höhe sich weit hinzog , und noch einen letzten Blick sandte ich zurück nach meinem lieben Dorfe .
Der Kirchturm und die kleinen Bauerhäuser alle blickten mich so freundlich an , die grünen Fensterladen am Giebel unseres Hauses konnte ich noch ganz deutlich erkennen , mir war , als wehte von dort ein weißes Tuch herüber , und wehmütig erwiderte ich den Gruß .
Dann entzogen mir die Bäume neidisch alle weitere Aussicht , und ich hing still meinen Gedanken nach , in denen mich die Tante auch wenig störte .
Nach einigen Stunden waren wir in Magdeburg , von wo die Eisenbahn uns der Residenz zuführen sollte .
Hier trennte sich der letzte Bote aus dem Vaterhause von mir , der alte treue Kutscher Friedrich , mit den lieben beiden Braunen , die ich so oft selbst an der Leine gehabt , wenn wir auf das Feld hinaus fuhren , Getreide oder Heu einzuholen .
Tausend , tausend Grüße trug ich ihm noch auf für jeden Einzelnen in Schreibersdorf , immer wieder streichelte ich die Pferde und gab ihnen noch ihre Leckerbissen , Weißbrot und Zucker , strich zärtlich über die blauen Sitzkissen der lieben weichen Chaise und verfolgte dann mit Tränen im Auge lange noch die Staubwolke , die hinter dem fortrollenden Wagen dahinzog .
Ein Spaziergang , den ich mit der Tante durch die Stadt und deren Umgebung machte , zog mich endlich von meinen trüben Gedanken etwas ab , und die Fahrt auf der Eisenbahn durch Gegenden , die mir noch fremd waren , zerstreute mich sehr wohltätig .
Die Tante verstand es gar zu gut , die Aufmerksamkeit rege zu erhalten für alles , was an uns vorüberzog , und auch die Reisegesellschaft beschäftigte meine Gedanken vielfältig .
Endlich öffnete die Tante sogar eine Schachtel mit allerlei leckern Früchten und Kuchen , die Mama ihr heimlich für mich mitgegeben , und der reiche Inhalt derselben zeigte mir so ganz das liebe , sorgliche Mutterherz , das ihrem Kinde auch in der Ferne noch Freude machen wollte .
Ich war wirklich noch Kind genug , um mit diesen köstlichen Leckerbissen meine letzten Tränen hinab zu schlucken , und so hatte meine beste Mama den Zweck erreicht , den sie damit im Sinne gehabt .
Hellen Auges zog ich endlich der großen Stadt entgegen , die sich jetzt vor uns ausbreitete , und mit neugierigen Blicken schaute ich mich in den Straßen um , durch welche wir dann fuhren .
Die schönen Häuser und glänzenden Kaufläden erregten meine volle Bewunderung , hohe Statuen sahen hier und da ernst zwischen grünen Bäumen hervor , breite Brücken führten über den Fluß , der die Stadt durchschnitt , und stattliche Kirchen und Paläste blickten stolz und würdig auf mich armes Landmädchen hernieder .
Alles verkündete die Hauptstadt , die Residenz eines großen Fürsten .
Endlich hielt der Wagen in einer der breiten Straßen vor einem freundlich aussehenden Hause , das nicht so hoch in den Himmel hinein ragte als seine Nachbarn , die mir ordentlich das Herz bedrückten durch ihre unzähligen Fenster .
Hier in der gewaltig großen Stadt , wo so zahllose Menschen Platz finden wollten , mußte man freilich hoch in die Luft hinein bauen ; selbst die Keller der Häuser , in welchen bei uns kein Mensch sich aufhalten möchte , sah ich von unzählig viel Familien bewohnt , und kein Plätzchen schien unbenutzt gelassen .
Das hübsche Haus der Tante hatte nur wenig Mitbewohner und sprach durch sein zierliches sauberes Ansehn von Wohlstand und Behaglichkeit .
Ein kleiner schattiger Garten umschloß seine Rückseite , und da an denselben keine Straßen , sondern wieder andere Gärten anstießen , so konnte man beim Blick über diese grünen Bäume ganz vergessen , daß man sich in der geräuschvollen Residenz befand .
Hier also sollte ich nun die nächste Zeit verleben , hier in dem fremden Hause , der fremden Stadt , den neuen Verhältnissen !
O wie bang klopfte mir mein Herz , als ich die Stufen der Treppe hinauf stieg , hinter Tante Ulrike und der sauberen Dienerin her , welche sich mit den unzähligen Paketen und Schachteln bepackt hatte , die mich auf der Reise begleiteten .
Schüchtern blieb ich an der Türschwelle des schönen Zimmers stehen , in das wir eintraten , und wagte nicht , meine Sachen abzulegen .
Da aber kam Tante Ulrike freundlich auf mich zu , zog mich liebevoll an ihr Herz und sagte : " Nun sei mir willkommen in meinem Hause , mein liebes Kind !
Gott gebe , daß du dich wohl und glücklich hier fühlen mögest , und meine Liebe dir die Heimat ersetze ! "
Mit welcher Innigkeit schmiegte ich mich an die Brust dieser lieben , lieben Tante !
O wie allein , wie schrecklich allein und verlassen hätte ich in dieser großen , fremden Stadt dagestanden ohne diese treue , mütterliche Freundin !
Aber an ihrer Seite , unter ihrem Schutz konnte ich getrost all dem Neuen und Fremdartigen entgegen gehen , das mich hier erwartete .
Nun führte mich die Tante in ihrer ganzen Wohnung umher , die für eine einzelne Frau sehr groß und geräumig war .
Überall herrschte die größte Sauberkeit , sowohl in den Zimmern , als in Küche und Wirtschaftsräumen , alles war reich und gut eingerichtet , überall erkannte man behagliche Fülle , aber nirgends blendende üppige Pracht oder modernen Luxus .
Einfach und gediegen , das war der Eindruck , den alles umher auf mich machte , und ebenso war ja auch die ganze Erscheinung der Bewohnerin dieser Räume .
Es lag etwas in dem Wesen der Tante , das mir immer wieder geheime Bewunderung erweckte , und doch war durchaus nichts Auffallendes in der Art und Weise dieser stillen , feinen Frau , im Gegenteil , alles erschien so einfach , so natürlich , man hätte meinen sollen , gerade so und nicht anders müsse man auch sprechen , gehen und sich bewegen .
Aber das war ja eben das Ausgezeichnete an ihr , nirgends ein Mangel , nirgends etwas , das man anders gewünscht hätte .
Damals wußte ich mir nicht Rechenschaft zu geben , worin das Harmonische eigentlich bestand , das sie umgab , jetzt aber weiß ich es , - es war eben die gute Erziehung !
Erst jetzt neben dieser ausgezeichneten Frau fühlte ich mehr und mehr , wie sehr mir armen Landmädchen die feinere Erziehung noch fehlen möchte .
Zu Haus auf dem Dorfe , in einfachen Verhältnissen , und mitten unter den vielen kleinen wilden Geschwistern war mir nie dieser Gedanke gekommen .
Aber meine liebe Mama , welche durch die vielen Kinder und große Kränklichkeit abgehalten wurde , sich mehr mit meiner Erziehung zu beschäftigen , und die ihre eigene Jugend nur auf dem Dorfe verlebt hatte , fern von den feineren Sitten und Gewohnheiten der Städte , sie wünschte sicher lange schon , daß ihr ältestes Töchterchen in anderen Verhältnissen lernen möchte , was das Vaterhaus ihr nicht bieten konnte .
In den stillen , häuslichen Tugenden , mit denen meine geliebte Mutter das Glück ihres Hauses begründete , hatte sie mich mit Sorgfalt und Treue unterwiesen , und nie in meinem Leben kann ich ihr dafür genug danken .
Ihre Lehren bildeten die Grundlage alles dessen , was das spätere Leben mir zuführte , und wodurch Herz und Verstand seine fernere Entwicklung erhielt .
Daß ich diese weitere Ausbildung aber nirgends besser finden konnte , als an der Hand unserer lieben Tante Ulrike , das wußte meine Mama recht wohl , da sie selbst die treffliche , feingebildete Schwägerin so aufrichtig verehrte .
Wie gern überließen meine Eltern mich ihr deshalb für einige Zeit , als sie sich erbot , für meine weitere Ausbildung Sorge zu tragen .
Welchen treuen , liebevollen Händen ich anvertraut worden , das fühlte ich selbst gar bald .
In der ersten Zeit meines Aufenthaltes aber bei der Tante war ich unaussprechlich bedrückt und unglücklich , denn neben dieser fein gebildeten Frau fühlte ich jeden Augenblick , wie hölzern ich mich bewegte , und meine angeborene Schüchternheit vermehrte die Ängstlichkeit meines Benehmens .
Wie ein steifer Perückenstock stand ich an Tante Seite , und so oft sie mit mir sprach , wurde ich bis unter das Haar hinauf feuerrot und wagte nicht zu antworten , denn ich kam mir gar zu albern und kindisch vor .
Die sanfte Freundlichkeit der Tante wirkte aber bald ungemein wohltätig ; meine Schüchternheit schmolz davon wie Schnee vor der Sonne , und ich gewann nach und nach meine kindliche Heiterkeit wieder , trotz aller Fehler und Verstöße , die ich immer von Neuem beging .
Die Tante sagte mir schon am ersten Tage sehr liebevoll , sie werde mich gleich von vorn herein erbarmungslos auf alles aufmerksam machen , was sie anders wünsche , nur müsse ich dabei nicht ungeduldig werden , böse sei es nie gemeint .
Natürlich versprach ich dies aus vollem Herzen , und hielt es tapfer und standhaft , so schwer es mir oft genug wurde .
Was mir nun von diesem meinem Aufenthalte im Hause der Tante noch im Gedächtnis geblieben , das erzähle ich euch , meine lieben Freundinnen , jetzt mit offenem Herzen , es sind gar liebe Erinnerungen für mich .
Und da das Geschlecht der Backfischchen noch bis auf den heutigen Tag grünt und blüht , so ist unter ihnen gewiß eins oder das andere , das sich in seiner 15jährigen Haut ebenso unbehaglich fühlt , als es bei mir der Fall war , und ihnen mögen denn diese Zeilen zum Troste und zur Unterhaltung dienen .
2. Am Morgen .
" Du sollst mit in meinem Zimmer schlafen , Gretchen ! " sagte Tante Ulrike , als sie mich in ihrer Wohnung umher führte , und dabei öffnete sie ein nettes , behagliches Stübchen .
Mit ängstlicher Scheu blickte ich nach dem zierlichen Himmelbett , unter dessen schneeweißen Gardinen ich von jetzt an träumen sollte .
Mein einfaches Bettchen zu Haus entbehrte jeglichen Schmuckes , und doch , wie himmlisch hatte ich darin geschlafen !
Das Bett der Tante war auch von langen , weißen Vorhängen umgeben , deren Schnüre von dem Schnabel eines Adlers gehalten wurden .
Das Tier sah mich so böse an , als ärgere ihn der neue Ankömmling , mir wurde ganz unheimlich zu Mute .
Zum Glück schien es mir bald , als blicke er von Tag zu Tage freundlicher auf mich armes Kind hernieder , er mochte wohl einsehen , daß ich den besten Willen mitbrachte , es jedem recht zu machen .
Neben meinem Bett stand ein niedliches Waschtischchen , ebenfalls von Gardinen umwallt , und alle möglichen Toilettengegenstände schmückten dasselbe .
Ein weicher Teppich bedeckte den Fußboden , grüne Vorhänge harmonierten mit der grünen Tapete der Wände , und machten das Zimmer ungemein behaglich .
Das Beste darin aber war der Platz meines Bettes unmittelbar neben dem Fenster , das nach dem Garten hinaus führte .
Von hier aus fielen meine Blicke ja gleich beim Erwachen auf Himmel und Bäume , gerade wie es zu Hause gewesen in der großen Unterstube , in welcher wir Kinder schliefen .
Mit welch unbeschreiblich schwerem Herzen drückte ich am ersten Abend meinen Kopf in die weichen Kissen meines Himmelbettes !
Ach es war die erste Nacht , die ich außer dem Vaterhause zubrachte , die erste Trennung von meinen Lieben in der Heimat !
Träne auf Träne rollte auf die weißen Kissen , und unnennbares Heimweh bedrückte mein Herz .
Endlich aber faltete ich still meine Hände und suchte Trost und Ruhe bei Dem , der ja auch hier über mir wachte , und dessen Hand mich auch hier gütig und väterlich leiten würde , wie sie es bisher getan .
Ein süßer Friede kam während des Gebetes in mein Herz , und ruhig schloß ich endlich die Augen , um im Traume wieder dorthin zu fliegen , wo mein Herz und meine Gedanken weilten , nach dem lieben , teuren Vaterhause !
Wie erstaunt war ich , als ich am anderen Morgen erwachte , und halb noch im Geiste unter meinen lärmenden Geschwistern , mich nun hier in dem stillen , grünen Zimmerchen fand .
Mit einem leisen Seufzer besann ich mich endlich auf alles und blickte nun spähend nach dem anderen Himmelbett hinüber , ob dessen Bewohnerin schon erwacht sei .
Sie nickte mir einen freundlichen Morgengruß zu und fragte , wie ich geschlafen .
" Sehr gut , liebe Tante , " sagte ich fröhlich .
" Ich habe die ganze Nacht von Schreibersdorf geträumt und von all meinen Geschwistern .
Sie sind heute gewiß rechte Langschläfer , da ich sie nicht aus den Federn treibe . "
" Du scheinst mir auch noch nicht ausgeschlafen zu haben , Kleine ! " sagte die Tante lächelnd , als ich jetzt den Mund zu einem lauten Gähnen öffnete , und ohne die Hand vorzuhalten , die Tante anblickte .
" Hu , verschling mich nicht , Mädchen ! " rief diese , sich die Augen zuhaltend , und beschämt steckte ich meinen Kopf wieder unter die Decke .
Es war die erste Unmanier , mit der ich den Tag begann , und sie machte so tiefen Eindruck auf mich , daß ich mein Gähnen seitdem außerordentlich kultivierte .
Die Tante mahnte jetzt zum Aufstehen , und so fuhr ich denn schleunigst , wie ich all mein Lebtag getan , mit beiden Beinen unter dem Deckbett hervor und kauerte mich im allerleichtesten Nachtkostüm auf den Fußboden , um mir dort die Strümpfe anzuziehen .
Ein herzliches Gelächter der Tante brachte wieder dunkle Glut auf mein Gesicht .
" O , " rief sie lustig , " wie alt ist denn das liebe kleine Hemdenmätzchen dort an der Erde , das fünf Fuß preußisch in der Länge mißt ? "
Wie der Blitz flog ich bei diesen Worten der Tante hinter die Bettgardine , und jetzt lernte ich erst deren Tugenden schätzen , denn bis ich mein gar zu natürliches Nachtkostüm mit anderen Kleidern vertauschte , schützte mich diese gar trefflich .
Beschämt kam ich hinter derselben wieder zum Vorschein und eilte an das Bett der Tante , um derselben meinen Morgengruß zu bringen .
Den Gruß erwiderte sie freundlich , als ich ihr jedoch meine Lippen zum Kuß darbot , schob sie mich sanft zurück und sagte : " Erst waschen und den Mund reinigen , ehe man damit küßt , liebes Gretchen ! "
Das war schon Dummheit Nummer drei , die ich beging , und ich war kaum aus den Federn ; zu welcher Summe würden Tante Ermahnungen wohl angewachsen sein , wenn ich am Abend mich wieder hinter den weißen Gardinen meines Himmelbettes niederlegte !
Kleinlaut schlich ich zum Waschtisch , meine Morgentoilette zu machen , die bisher zu Hause sehr wenig Zeit gekostet hatte .
Ein wenig Wasser , eben genug , um die Hände naß zu machen , genügte mir vollkommen zum Waschen , und ohne mein weißes Nachtjäckchen abzulegen , fuhr ich mit dem nassen Handtuchzipfel ein paar Mal über das Gesicht und den Nacken , ebenso schnell ging es mit den Händen , und fertig war ich .
Die Tante war indessen aufgestanden und trat nun zu mir an den Waschtisch .
" Ist bei Euch auf dem Lande das Wasser so teuer , daß du so sparsam damit bist ? " fragte sie , auf die paar Tröpfchen im Waschbecken deutend .
" Ich brauche nicht mehr , Tantchen ! " sagte ich verwundert .
" Ich wünschte , daß du diesem Geschäft etwas mehr Sorge zuwendest , es ist gut sowohl für die Reinlichkeit als für die Gesundheit ! " sprach die Tante freundlich , und begann nun selbst ihre Toilette , der ich erstaunt zusah .
Zuerst goß sie eine große Menge Wasser in das Waschbecken , entblößte dann Nacken und Arme von ihrer Umhüllung , und badete nun Kopf und Hals immer und immer wieder mit einem großen weichen Schwamme , den sie im Nacken ausdrückte .
Dann rieb sie Arme und Hände mit schäumender Seife ab und rief munter :
" Wasser und Seife kannst du mir nie zu viel verschwenden !
Nach dem Verbrauche der Seife taxiert man die Kultur der Staaten , je mehr Seife derselbe konsumiert , je weiter ist er im Fortschritt . "
Dabei überreichte sie mir einen ebenso schönen , weichen Schwamm , als der ihrige war , und forderte mich auf , nun ihrem Beispiele zu folgen .
Verlegen machte ich mich an das ungewohnte Werk und benahm mich dann auch dabei so geschickt , daß bald alles um mich herum schwamm .
Zum Überfluß stieß ich auch noch den Wasserkrug um , und nun triefte alles rings umher , sowohl der zierliche Waschtisch , als auch der Fußboden und meine Bettgardine , ja sogar die Kleider auf meinem Stuhle .
" Himmel , wir ertrinken !
Das nenne ich Wasser konsumieren ! " lachte die Tante , nach mir umschauend , und rettete die noch trockene Umgebung vor den strömenden Wogen .
" Du bist ja riesenhaft kultiviert , meiner Theorie zu Folge ! "
" Ach der dicke Schwamm ist dran Schuld , Tantchen ! " rief ich fast weinend und blickte trostlos auf die Sündflut um mich her .
" Alles will gelernt sein , Kind ! " tröstete die Tante freundlich .
" Mache jetzt , daß du wieder trocken wirst , sonst bezahlst du meine Lehren mit einem tüchtigen Schnupfen . "
" Wäre dies Anziehen doch nur erst überstanden ! " seufzte ich im Herzen , während ich mir das Wasser zur Reinigung des Mundes zurecht machte .
" Was wird dabei nun wieder falsch sein ! "
Aber das ging besser ab , als ich gefürchtet .
Die Bürste war köstlich fein , das Pulver von angenehmen Geruch , und das half mir trefflich .
" Ich hoffe , du wiederholst dies Geschäft auch stets nach dem Mittagessen , Kind ? " sagte die Tante , als ich fertig war .
" Nach dem Mittagessen , Tantchen ?
Nein , bis jetzt tat ich das nie ! "
" So tue es ja von heute an , es ist vortrefflich für die Konservierung der Zähne ! "
" Ja wohl , liebe Tante ! " Ach wie oft habe ich in jener Zeit " Ja wohl , liebe Tante ! " gesagt !
Hätte ich für jedes Mal einen Taler bekommen , ich wäre als Millionärin nach Haus zurück gekehrt !
" Ich habe es gern , wenn junge Mädchen sich gleich am Morgen das Haar flechten ! " sagte die Tante , als ich mir eben meine braunen Zöpfe unter das Morgenmützchen stecken wollte .
" Ja wohl , liebe Tante ! " entgegnete ich demütig und riß mein Häubchen schnell wieder vom Kopfe und die Flechten herunter , daß die Nadeln umher flogen .
" Ich lese dir indes aus der Zeitung vor , Gretchen , nimm dir Zeit , daß du ordentlich aussiehst , darauf halte ich etwas ! " fuhr die Tante fort , indem sie sich in einen Lehnstuhl setzte und mir aus der Zeitung allerlei vorlas , wobei sie aber fortwährend über dieselbe hinaus und zu mir hin blickte , ob ich auch alles regelrecht mache .
Da hieß es denn bald : " Löse die Haare aus dem Kam , ehe du wieder damit kämmst !
Lege das Haar nicht auf den Tisch , sondern auf Papier !
Nicht so fest flechten , hübsch gleichmäßig !
Reinige Kämme und Bürsten , ehe du sie fortlegst ! " und was dergleichen kleine Mahnungen mehr waren .
Endlich war das Werk vollbracht , und ich griff nach dem Morgenrock , um mich , wie ich gewöhnt , bequem hinein zu hüllen .
" Nein Kind , ein junges Mädchen zieht sich gleich fertig an , nur keine Verwöhnung ! " sagte die Tante mir zusehend , und erstaunt legte ich das verschmähte Kleidungsstück wieder auf die Seite .
" Das ist vortrefflich , wenn du krank bist , aber nicht in gesunden Tagen , mein Töchterchen ! " fügte sie freundlich hinzu .
" Nur immer schmuck und à quatre epeingles !
Ein saloppes Mädchen ist etwas Widerwärtiges , und der Schlafrock verleitet nur gar zu gern hierzu .
Komme , ich will dir helfen , mein Kind ! "
Dabei griff sie nach meinen Kleidern und befestigte mir freundlich alle Bänder und Haken und Knöpfe , die zu meinem Anzuge gehörten .
" Ei ei !
da sehe ich allerlei Dinge , die mir nicht gefallen ! " tönte es aber während ihrer Hilfsleistungen hinter mir , und dabei schwebte eines meiner Rockbänder , das ich gestern in der Eile zusammen geknotet , als es tückisch aus einander riß , verhängnisvoll in der Luft .
" Dergleichen darf nun und nimmer bei mir vorkommen , Gretchen ! " sagte die Tante streng .
" Und hier , die Haken deines Kleides sind sämtlich so lose , daß sie sich von oben bis unten in ihrer ganzen Fülle an das Licht drängen !
Das geht nicht , geschwind hole ein anderes Kleid , und das Rockband nähe augenblicklich . "
Wie ein begossener Pudel schlich ich zum Kleiderschranke und tat , wie mir geheißen .
" Hat deine gute Mutter denn dergleichen Unordnung gelitten ? " sagte die Tante , während ich das Band annähte .
" Ach nein , Tantchen , niemals !
Sie hält sehr auf Ordnung ! " entgegnete ich leise und fast weinend .
" Ich bin auch nicht immer so nachlässig , es ging gestern bei der Abreise nur so schnell , daß ich keine Zeit zum Ausbessern hatte . "
" Ich will dir einen guten Rat geben , damit dergleichen nicht öfter vorkommt , mein Kind ! " sagte die Tante liebevoll .
" Jeden Abend vor Schlafengehen sieh regelmäßig all deine Sachen nach , die du anderen Tages anziehen willst , und bringe das Fehlende daran in Ordnung .
So viel Zeit hat man da immer , und entbricht man sich dadurch etwas am Schlafe , so hat das nicht viel zu bedeuten .
Wie man Herz und Seele vor dem Einschlafen prüfen , und wie man sich vornehmen soll , alles das besser zu machen , was an diesem Tage nicht recht war , ebenso muß man auch den äußeren Menschen in Ordnung halten , und am Schlusse des Tages nachhelfen , wo etwas fehlt .
Solche kleine gute Angewöhnungen tragen gute Früchte , das sollte man immer bedenken .
Vernachlässigte kleine Schäden wachsen schnell zu großen an , sowohl im Kleid als im Herzen , und dann macht jede Reparatur zehnfache Arbeit . "
Ich küßte der guten Tante still die Hand , mit der sie mir die Wange streichelte .
Da bemerkte ich , wie sie plötzlich ein halb ernstes , halb komisches Gesicht machte und auf meine Hände blickend sagte :
" Du hast ja Hoftrauer , Gretchen ! "
" Hoftrauer , liebe Tante ?
Was meinst du damit ?
Ist jemand von der königlichen Familie gestorben ? " fragte ich verwundert .
" Wie ? den Ausdruck kennst du nicht ? " lachte die Tante und hielt meine beiden Hände mir vor das Gesicht .
" Das hier nennt man Hoftrauer , Kind , deine zehn schwarzen Fingernägel , denen keine Nagelbürste zu Hilfe gekommen ist !
Geschwind , lege die Trauer ab , ich habe auf deinem Waschtische reichlich für die Mittel dazu gesorgt , gehe und bürste deine Nägel ! "
" Gehe und bürste deine Nägel ! "
Ich ging und versuchte mein Heil , das erste Mal in meinem Leben , zu Haus hatte nie jemand meine Finger dieser Prozedur unterworfen .
Tantchen kam bald zu meiner Hilfe herbei , und das war gut , nun erfuhr ich doch , wozu die netten kleinen Bürsten und Haken da waren , die meinen Waschtisch schmückten .
Es ist wahr , als zum ersten Male in meinem Leben so schöne weiße Nägel an meinen Fingerspitzen prangten , sahen die Hände noch einmal so hübsch aus .
" Gretchen , die Morgenschuh gehören auch in das Bereich der Dinge , welche junge Mädchen außerhalb des Schlafzimmers nicht an den Füßen dulden sollen ! " wandte sich die Tante noch einmal zu mir , indem sie meinen Füßen verdächtige Blicke zuwarf .
" Auch blitzt es noch gewaltig , mein Herz . "
" Es blitzt ? " rief ich erstaunt und blickte nach dem Fenster .
Die Tante lachte abermals herzlich über meine Einfalt und sagte : " Bist du denn eben vom Baume herunter gefallen , Mädchen , daß du die Redensart auch noch nicht kennst ?
Der Schlitz deines Kleides steht offen , das nennt man blitzen , du kleines Närrchen !
Gewiß hast du ihn nicht zugesteckt ! "
" Nein , das tue ich nie , Tantchen ! " erwiderte ich verwundert .
" Ja das gehört aber auch zur Ordnung , Kind ! " entgegnete die Tante , das Versäumte nachholend .
" Es ist ein häßlicher Anblick , oft bei ganz eleganten Toiletten diese Nachlässigkeit zu bemerken . "
Während ich nun noch die verpönten Morgenschuh von meinen Füßen streifte , um sie mit strafen Schnürstiefeln zu vertauschen , verließ die Tante unsere Schlafstube , und bald folgte auch ich ihr nach dem Wohnzimmer , wo das Frühstück uns erwartete .
Als ich dort eintrat , kam Tante Ulrike freundlich auf mich zu , nahm meinen Kopf zwischen beide Hände und drückte einen herzlichen Kuß auf meine Lippen .
" Siehst du , jetzt bekommst du gern , was ich dir vorhin versagte ! " sprach sie heiter .
" Es ist eine arge Zumutung , von unsauberen und unappetitlichen Lippen geküßt zu werden , und das vergessen gar viele Menschen , nicht bloß meine kleine , liebe Grete ! -
Aber nun komme zum Kaffee , mein Töchterchen ! " fuhr die Tante fort , und brachte die zierliche gemalte Kaffeekanne herbei .
" Heute ist er schon fertig , aber von jetzt an übergebe ich dir das Geschäft des Kaffeekochens , sowie Abends auch die Theebereitung .
Ich mache alle das gern in meinem Zimmer , das Summen des Theekessels ist gar zu behaglich . "
Geschäftig eilte ich , der Tante die Tasse mit Kaffee zu füllen und ihr denselben mit Sahne und Zucker zu versetzen .
" Erst Zucker , dann Sahne , das ist eine alte Regel , sonst gibt es eine unglückliche Liebe ! " scherzte die Tante , indem sie mir zusah .
" Und dann gieße die Tasse nicht so voll und schütte nichts über ! "
" Ach verzeih ! " rief ich errötend und goß schnell aus der Untertasse wieder in die obere , was beim Hinreichen übergeflossen war .
Aber nun kam ich aus dem Regen in die Traufe , wie man zu sagen pflegt , denn das war ja erst recht unschicklich .
Endlich setzte auch ich mich zum Frühstück nieder und machte mir ganz behaglich , wie zu Hause , eine recht schöne " Brockei " , wie wir Kinder es nannten , das heißt , ich stopfte eine Menge Weißbrot in die Tasse , daß es vom Kaffee dick aufgeschwemmt wurde und hoch oben hinaus stand .
" Du bist doch noch ein recht ordentliches Kind ! " rief die Tante und sah mir lächelnd zu .
" Nun laß es dir gut schmecken !
Wenn wir unter uns sind , will ich dir dein Vergnügen nicht stören , aber in Gesellschaft von Anderen mußt du solchen Kaffeepudding schon dran geben . "
" Wie schade !
das schmeckt so gut , Tantchen ! " sagte ich kindisch , und blickte mein süßes Gericht zärtlich an .
Die zweite Tasse jedoch versuchte ich , nach Tante Ulrike's Angabe , ganz manierlich hinunter zu schlürfen ; da er aber sehr heiß war , goß ich ihn in die Untertasse , damit er schneller abkühlte , und führte dieselbe dann pustend an die Lippen .
" Das schickt sich ja aber wieder nicht , Kind ! " lachte die Tante , und erschrocken setzte ich schnell die Tasse nieder .
" Wir Kinder haben zu Haus immer aus der Untertasse getrunken ! " sagte ich errötend .
" Das glaube ich gern , Kindern ist eben alles erlaubt ! " entgegnete die Tante .
" Aber du bist ja doch bei mir um das zu lernen , was sich für erwachsene Leute schickt , und die Kinderschuh abzustreifen , und darum quäle ich dich so ohne Erbarmen , du armer kleiner Backfisch !
Nun wollen wir es aber für heute gut sein lassen , mache jetzt , was du Lust hast , sonst vergißt du am Ende eins mit dem anderen .
Heute habe ich dich mit den Pflichten und Regeln des Morgens gepeinigt , das war Lektion Nummer I. Ich denke , wenn wir alle Tage solch Kapitelchen durchnehmen , so werden wir ja wohl in Jahr und Tag so ziemlich mit dem fertig sein , was ein Backfischchen zu lernen hat . "
In dieser freundlich heiteren Weise verstand es Tante Ulrike , mich ungehobeltes Dorfmädel nach und nach etwas abzuschleifen , was gewiß keine leichte Aufgabe war .
Die Milde und Geduld , mit welcher sie mich auf alles aufmerksam machte , ließ in mir jede Aufwallung von Ärger oder Unwillen zur Unmöglichkeit werden .
Wenn ich auch noch so viel Falsches und Törichtes tat , noch so viel Verweise erhielt , immer war ich nur von Dank erfüllt gegen die , welche meine Erziehung mit so viel Selbstverleugnung und Liebe übernommen hatte , und das größte Bestreben , diese Bemühungen mit Eifer und Aufmerksamkeit zu vergelten , beseelte mich an jedem Morgen von Neuem .
Aber freilich , was hatte ich alles zu merken , was alles anders zu machen , als ich es bisher getan hatte !
Wie eine Flut brauste es über mich daher , denn nur allein der Morgen , wie reich war der an vielfachen Rügen und Mahnungen gewesen !
Welch langen Herzenserguß sandte ich da gleich am ersten Tage nach meinem lieben Vaterhause ! -
Ach dort war stets alles recht und gut , was ich tat , dort war ich noch ein Kind , für das sich alles schickte , und wie glücklich und seelensfroh war ich dabei gewesen !
Aber jetzt !
Jetzt war ich kein Kind mehr , jetzt sollte ich ein erwachsenes Mädchen vorstellen , mit neuen Pflichten und neuen Anforderungen !
Da kamen mir immer und immer wieder die Schlußworte jenes schönen Liedes in den Sinn , die auch ich aus tiefstem Herzen seufzte : " O selig , o selig , ein Kind noch zu sein ! "
3. Visiten .
So deutlich , wie mir dieser erste Morgen im Hause meiner lieben " Tante Anstand " , wie ich sie scherzend nannte , im Sinne geblieben , ist es freilich mit alle den darauf folgenden Tagen und Stunden nicht der Fall .
Doch stehen mir besonders aus der ersten Zeit meines Aufenthaltes noch viele einzelne Szenen so deutlich in der Erinnerung , als hätten sie sich eben erst zugetragen , und von diesen will ich denn weiter erzählen .
" Hole dir Hut und Tuch , Gretchen , wir wollen einige Visiten machen ! " sagte die Tante eines Tages , und ich eilte , ihrer Weisung zu folgen , um schnell fertig zu werden , denn sie liebte es gar nicht , auf mich zu warten .
Nun war ich aber an solch feierliches Ausgehen gar nicht gewöhnt , denn zu Haus stülpte ich schnell meinen Hut über und sprang sonst , wie ich war , hinaus in Garten und Flur ; Schal , Handschuh , Schirme , Aufschürzer und was dergleichen nötige Gegenstände mehr waren , die zu einer Stadtpromenade gehörten , kannte ich wenig .
So kam es denn regelmäßig , daß ich jetzt irgend etwas von diesen Dingen vergaß , was ich erst bemerkte , sobald wir unterwegs waren , und natürlich wurde die Tante hierüber oft recht verdrießlich .
Heute nun hatte es geregnet , und so schürzte ich mit zwei niedlichen Klammern , welche die Tante mir zu diesem Behufe geschenkt , mein Kleid sehr sorgfältig auf , denn oft hatte die Tante mich aufmerksam gemacht , wie häßlich es aussah , wenn nett gekleidete Damen entweder die guten Kleider im Schmutze nachschleppten , oder sich dieselben so ungeschickt aufnahmen , daß man alle Etagen ihrer Unterkleider verfolgen konnte , wobei sich oft nicht eben das Sauberste den Augen darbot .
" Oben hui , unten pfui ! " wie Tantchen sagte .
Mit Schal und Regenschirm wohl ausgerüstet folgte ich eilig meiner Führerin , welche wie gewöhnlich früher als ich fertig war .
Auf der Treppe aber bemerkte ich erst , daß ich meine Handschuh vergessen , und erschrocken sprang ich zurück , dies mir recht unangenehme Kleidungsstück zu suchen .
Glücklich holte ich die Tante auch bald ein , bemerkte aber in der Eile nicht , wie naß die Straße war , und daß ich dünne Zeugstiefeln an den Füßen hatte , bis die Tante plötzlich stehen blieb und auf mein Fußwerk zeigte .
" Ohne Überschuh in solchem Wetter , Mädchen ? " rief sie unwillig .
" Das geht nicht !
Erstens bekommst du nasse Füße , und zweitens verdirbst du deine guten Zeugstiefeln .
Kehre schnell um , hole dir Gummischuh und komme mir dann nach , du kannst mich bei Gehe .
Rat Delius treffen , wohin ich zuerst gehen werde . "
Auf Windesflügeln lief ich nach unserer Wohnung zurück und holte die vergessenen Schuh aus ihrem Kasten .
Aber wie ärgerlich !
Sie waren von dem Schmutz des letzten Regenwetters noch völlig überdeckt , und ich mußte nun warten , bis Dore sie mir gereinigt hatte .
" Warum dachte ich auch daran nicht und setzte die dummen Dinger schmutzig in den Kasten ! " brummte ich ärgerlich und trippelte vor Ungeduld mit den Füßen .
" Mache doch nur rasch , Dore , " schalt ich dann heftig , " ich kann ja sonst Tantchen nicht mehr einholen , und muß dann allein bei Geh. Rat Delius in das Zimmer treten ! "
Mir wurde ganz heiß vor Angst bei diesem Gedanken , und so schnell ich konnte , rannte ich der Tante nach , so daß ich in tausend Pfützen patschte , alle Menschen umriß , die mir begegneten , oder denselben meinen aufgespannten Regenschirm vor den Magen stieß .
" Gott bewahre , die hat es eilig !
Das fahrige , junge Ding ! " hörte ich hinter mir drein rufen , aber unaufhaltsam stürzte ich vorwärts , um die Tante noch einzuholen , ehe sie an dem betreffenden Hause angelangt war .
Doch vergebens , ich hatte mich zu sehr verspätet und mußte nun allein in das Zimmer treten .
Mit hoch klopfendem Herzen folgte ich dem anmeldenden Diener , und trat dann schüchtern der Dame des Hauses entgegen , welche mich freundlich bewillkommnete .
Tante Ulrike saß schon neben ihr auf dem Sofa , stand jedoch bei meiner Ankunft ebenfalls auf , um mich der Geheimrätin vorzustellen .
Da kam ein schrecklicher Moment :
ich mußte meine Verbeugung machen !
Ach das war ein großer Stein des Anstoßes , und täppisch genug mochte ich mich bewegt haben , ich fühlte es ordentlich an meinen zitternden Knien und der brennenden Glut , die mein Gesicht bedeckte .
" Kommen Sie näher , liebes Gretchen ! " sagte die Geheimrätin herzlich und bot mir einen weichen Lehnstuhl zum Niedersitzen an .
" Erlauben Sie , liebe Freundin , daß Gretchen zuvor Überschuhe und Regenschirm in den Korridor trägt ! " sagte die Tante jetzt , als ich mich eben ängstlich auf den Lehnstuhl setzen wollte .
Erschrocken fuhr ich schnell wieder von meinem Sitz empor und blickte an mir hernieder .
Da sah ich denn , in welch erbaulicher Verfassung ich in meiner Hast und Verlegenheit in dies elegante Zimmer eingetreten war !
Nicht bloß , daß ich vergessen , mein aufgeschürztes Kleid herunter zu lassen , damit es die Röcke bedeckte , welche bei dem schnellen Sturmlauf arg bespritzt worden , sondern ich hatte auch meine kotigen Überschuh an den Füßen behalten , welche herrliche Spuren auf dem glatten Parquetfußboden , sowie auf dem köstlichen Teppich zurück ließen .
Ebenso umklammerte meine Hand noch mit krampfhafter Gewalt den Regenschirm , an dessen Spitze die Gewässer des heutigen Regenhimmels in sanften Strömen herab träufelten und sich zu einem kleinen See auf dem Fußboden vereinigten .
Eine scheue Entschuldigung stammelnd stürzte ich zum Zimmer hinaus und entledigte mich in der Vorstube dieser argen Missetäter .
Dabei blickte ich in den Spiegel und sah nun , wie wenig meine Erscheinung für eine feine Morgenvisite geeignet war .
Das Haar hing vom Winde gezaust nach allen Himmelsrichtungen um meine Stirn , der Hut saß schief und hatte eine arge Quetschung beim Kampf mit anderer Leute Regenschirmen erhalten , die Schleifen meines Knüpftuches hingen im Nacken , und der Kragen war eben im Begriff , auf und davon zu gehen .
" Daß auch Tantchen gerade bei solch gräßlichem Wetter Visiten macht ! " dachte ich ärgerlich und brachte meine Toilette wieder einigermaßen in Ordnung .
Während ich aber hastig noch damit beschäftigt war , fiel mein Blick auf meine Handschuh , und neuer Schrecken durchfuhr mein armes Herz !
Ach in der Eile und Hitze hatte ich ein Paar alte ergriffen , und erst jetzt mußte ich das bemerken !
Was würde die Tante sagen , wenn sie das sah , denn sehen würde sie es , ihrem Auge entging ja nichts !
Und was sollte die vornehme Geheimrätin von mir denken , vor der ich mich schon so schrecklich blamiert hatte !
Anbehalten mußte ich die abscheulichen Dinger , denn ohne Handschuh , wie ich auf dem Lande ging , das wäre ja ganz unschicklich !
So trat ich denn ängstlich und zaghaft wieder in das Visitenzimmer herein , meine Hände sorgfältig unter den Enden meines Shawles versteckend , was mir aber ein noch steiferes , ungelenkeres Benehmen gab .
Die liebe Dame des Hauses war taktvoll genug , meinen Wiedereintritt wenig zu beachten und sprach eifrig mit der Tante , und so setzte ich mich still auf einen einfachen Rohrstuhl , denn ohne Aufforderung wagte ich den schwellenden Polstersessel nicht wieder einzunehmen .
Da saß ich denn schweigend eine lange Zeit und hatte Muße genug mich zu sammeln .
Ich zog und zerrte heimlich an den Fingerspitzen meiner unglückseligen Handschuh , von denen an einer Hand zwei , an der anderen gar drei Finger aufgeplatzt waren , so daß die Fingerspitzen wie Rosenknospen aus der Blätterhülle hervorleuchteten .
Es half aber nichts , davon wurden sie nicht wieder ganz .
Endlich hatte ich Verlangen , mein Taschentuch zu gebrauchen und griff danach , aber siehe da , mein Tuch fehlte , ich mußte es in der Eile verloren oder im Vorzimmer liegen gelassen haben .
Das war doch gar zu unangenehm !
Wie sehnlich wünschte ich , Tantchen möchte aufbrechen , aber diese schien nicht daran zu denken und sprach lebhaft immer weiter .
Da endlich stand die Geheimrätin auf , um dem Diener zu klingeln , und diesen Moment benutzte ich schnell .
Mit einem flehenden Blicke neigte ich mich zu Tante Ulrike hinüber und zog das feine Taschentuch aus ihrer Hand , was sie zwar ruhig duldete , aber ein mißbilligendes Schütteln ihres Kopfes sagte mir gar wohl , was sie von ihrer ausgezeichneten Nichte dachte .
" Friedrich , sagen Sie meiner Tochter , daß Besuch bei mir ist ! " rief die Geheimrätin dem eintretenden Diener entgegen !
Bald öffnete sich denn auch die Tür des Nebenzimmers , und eine hohe , schlanke Dame in höchst eleganter Toilette schwebte zu uns herein .
Mit ein Paar ruhigen , schmachtenden Augen blickte sie um sich , und begrüßte dann die Tante mit einer leichten Verneigung .
Mich schien sie gar nicht zu sehen , obwohl ich in meiner ganzen Länge neben ihr stand , bis endlich ihre Mutter mich vorstellte .
Das miserable Kompliment , das ich der Dame des Hauses bei meinem Eintritt gemacht hatte , wollte ich jetzt durch ein besseres wieder gut machen , und so verneigte ich mich vor Fräulein Amanda denn höchst schulgerecht fast bis zur Erde , und ich war wirklich ganz zufrieden mit mir .
Das Fräulein aber nickte kaum bemerkbar mit dem Kopfe und ließ sich dann langsam in den von mir leer gelassenen Lehnstuhl niedergleiten , in welchem sie sich nachlässig zurücklehnte .
Das schien ihr aber noch nicht bequem genug zu sein , denn sie zog sich einen kleinen Fußschemel herbei , auf den sie ihre Füße stützte , und während sie den Kopf leicht auf die eine Hand lehnte , und mit der anderen einen zierlichen Fächer auf und zu rollte , sah sie mich mit halb geschlossenen Augen lange schweigend an .
Mir trat bei dieser Prüfung der Angstschweiß auf die Stirn , ich rutschte unruhig auf meinem Sitz hin und her und blieb endlich auf der äußersten Stuhlecke hängen , dunkelrot bis zum Wirbel .
" Sie sind wohl vom Lande ? " sagte die junge Dame endlich mit gezierter Stimme .
Neue Glut färbte mein Gesicht bei dieser einfachen Frage .
Bis jetzt war ich noch immer stolz auf meine Heimat gewesen , und mein Auge leuchtete , wenn ich jemand davon erzählen konnte , jetzt aber war mir , als müßte ich mich schämen , daß ich " nur vom Lande " war , denn ich fühlte recht wohl die Geringschätzung , welche für mich in dieser Frage Amanda's lag .
Die Tante , welche zwar während dieser Zeit mit der Geheimrätin gesprochen hatte , erlöste mich von meiner peinlichen Situation , indem sie an meiner Stelle antwortete .
Nach einiger Zeit , in welcher ich wieder stumm dagesessen hatte , denn wie hätte ich gewagt , dieses Fräulein meinerseits anzureden , wandte sie sich abermals zu mir .
" Wie alt sind Sie denn , Liebe ? " fragte sie herablassend , ungefähr so , wie eine Prinzessin ein armes Mädchen fragen würde , das eine Gnade von ihr erflehen möchte .
Auch mein Alter hatte ich bis jetzt Jedermann offen und freudig genannt , Amanda Delius gegenüber aber war ich wie ausgetauscht .
" Eben 16 Jahre geworden ! " lispelte ich , abermals vor Scham erglühend , daß es nicht mehr Jahre waren .
" Also noch ein Backfischchen ! " schmachtete Amanda gelangweilt , und wehte sich mit ihrem Fächer langsam frische Luft zu .
Es war durchaus nichts Neues , Unbekanntes , was das Fräulein mir da sagte , ich wußte recht gut , ich war noch ein Backfischchen , die Tante und alle Leute sagten es mir Tag für Tag , und nie war mir der Name unangenehm oder beleidigend gewesen .
Aber jetzt aus dem Munde Amanda's kam er mir unerträglich vor , und ich hätte weinen können vor Ärger und Verdruß .
Zum Glück stand jetzt die Tante auf und verabschiedete sich von Mutter und Tochter , und so wurde ich aus der unangenehmen Lage erlöst , in der ich mich befand , denn mit diesen wenigen Worten schien mich das Fräulein abgefertigt zu haben und sprach nun entweder gar nicht , oder gab einige Bemerkungen zu dem Gespräch zwischen ihrer Mutter und Tante Ulrike .
Nun Gott sei Dank , endlich waren wir wieder auf der Straße !
Ich ging ganz stumm und beschämt neben der Tante her , und diese sprach Anfangs auch kein Wörtchen .
Endlich aber sagte sie :
" Nun Gretchen , heute hast du dich mit Ruhm bedeckt , das muß ich sagen ! "
" Ach Tantchen , ich bin ganz außer mir über meine Dummheiten ! " rief ich nun schluchzend , denn jetzt brach meine ganze Haltung zusammen , und trostlos dachte ich an alles , was so eben vorgegangen war .
" Nun nun , Kind , tröste dich nur , was sollen denn die Leute denken , wenn du großes Mädchen auf offener Straße so weinst und schluchzest ! " sagte die Tante beruhigend .
" Etwas Unrechtes hast du ja nicht gemacht , nur einige Versehen gegen Anstand und feine Bildung , und das wird schon besser werden ! "
" O ich bin ein zu großer Tölpel , Tantchen , schilt mich nur tüchtig , ich verdiene es nicht anders ! " rief ich noch immer schluchzend .
" Schelten werde ich dich wegen solcher Dinge niemals , Kind , denn du weißt es noch nicht besser ! " entgegnete die Tante liebevoll .
" Aber die Erlaubnis , noch länger mein armes Batisttaschentuch mit deinen Tränen zu tränken , die entziehe ich dir jetzt ! "
Trotz meiner Tränen mußte ich nun lachen , und bald fand sich denn auch mein Gleichmut wieder .
" Unseren Besuch bei diesen meinen Freunden betreffend , " fuhr die Tante freundlich fort , " will ich dir nur das noch sagen , was du dir nebst den anderen Dingen , die zum Anstand gehören , merken magst :
Wenn du dich hinsetzest , es sei auf einen Stuhl oder was sonst , so bleibe nicht auf dem äußersten Rande oder der einen Ecke hängen , sondern nimm ruhig und sicher den vollen Sitz ein , du erscheinst sonst linkisch und ängstlich .
Ferner warte , ob man dir die Hand reicht , ehe du die deinige hinhältst , du kannst nicht wissen , ob man auch gesonnen ist , sie dir zu drücken .
Endlich aber richte dich mit deinen Verbeugungen , in denen ich dich noch ein wenig zurecht stutzen werde , nach dem Alter und Stande der Personen , vor denen du sie machst .
Heute bekam die würdige Frau Geheimrätin kaum einen kleinen unbedeutenden Knicks von dir , während du der prätentiösen Fräulein Tochter ein Kompliment setztest , das wenigstens für eine Prinzessin feierlich und tief genug war . "
" Sie war aber auch so unnahbar wie eine Prinzessin ! " seufzte ich leise für mich hin .
" Da hast du nun zwar so Unrecht nicht ! " sagte die Tante lachend , " aber um so weniger huldige ihr nur , die Erlaubnis gebe ich dir .
Aber jetzt komme nach Haus , die anderen Besuche machen wir ein anderes Mal , wenn besser Wetter ist und sich ein Taschentuch in deiner Tasche und anständige Handschuh an deinen Fingern befinden ! "
Dachte ich es doch , ihren Augen kann nichts entschlüpfen !
Hatte sie doch richtig die Rosenknospen unter ihrer Hülle entdeckt , so sehr ich auch bemüht war , diesen Anblick ihren forschenden Augen zu ersparen .
O Tante Anstand !
4. Freundschaft .
Zum Glück waren nicht alle Besuche , welche die Tante mit mir machte , so tragischer Natur als dieser eben beschriebene , dennoch aber bekam ich jedesmal ein kleines Visitenfieber , wenn wir uns zu dergleichen Unternehmungen rüsteten .
So klopfte mir denn das Herz auch gewaltig , als ich die Tante einige Zeit nach jenem Besuche bei Geh. Rat Delius zu Professor Dunker begleiten sollte .
" Es ist ein junges Mädchen dort im Hause , mit der du Freundschaft schließen kannst ! " sagte die Tante unterwegs , doch seufzte ich im Stillen bei diesem Gedanken , denn so sehr mein Herz nach befreundetem Verkehr verlangte , so schienen mir die jungen Mädchen der Residenz ein so anderes Geschlecht zu sein , als ich und meine Freundinnen auf dem Lande , daß ich starke Zweifel hegte , hier jemals ein gleichgeschaffenes Wesen kennen zu lernen .
Diese jungen Damen standen für mich armes , ungelenkes Dorfkind alle auf einer so unerreichbaren Höhe , daß ich mich immer am liebsten wie ein Mäuschen verkrochen hätte , wenn ich einem solch feinen Fräulein vorgestellt wurde . -
So trat ich denn auch hier , von Tantchens Flügeln wie ein Küchlein gedeckt , mit schüchternen Schritten in das Zimmer von Frau Professor Dunker .
Eine sehr lebendige , freundliche Dame kam uns mit herzlichen Worten entgegen , und kaum hatte sie uns begrüßt , so eilte sie nach der Tür , und rief : " Mariechen , geschwind komme herein , hier ist lieber Besuch ! "
Ein junges Mädchen mit schönem , blondem Haar und freundlichen blauen Augen erschien auf diesen Ruf in der Tür und trat leicht errötend und etwas schüchtern , aber doch frei und anmutig zu uns herein .
Tante Ulrike umarmte sie herzlich und führte sie dann zu mir , uns mit einander bekannt machend .
Das schöne blaue Auge Marie's blickte freundlich in das meine , und indem sie meine Hand ergriff , sagte sie lebhaft : " O ich habe von Tante Ulrike schon so oft von Ihnen gehört , liebes Gretchen , wie freue ich mich , Sie nun kennen zu lernen ! "
Dabei zog sie mich auf ein kleines Sofa am Fenster , während die älteren Damen entfernt von uns Platz genommen hatten , und redete so herzlich und vertraulich , so frisch und natürlich zu mir , daß mir das Herz ganz aufging vor Freude und Entzücken .
Das war freilich ein anderes Wesen als Fräulein Amanda Delius , die mich kaum dreier Worte gewürdigt und wie ein Gänschen behandelt , und auch anders als die anderen jungen Damen , deren ich bis jetzt einige bei der Tante kennen gelernt hatte .
Neben diesem lieben , offenherzigen Naturkinde schwand meine Blödigkeit , bald schwatzten und lachten wir so vertraulich mit einander , als hätten wir uns seit Jahren schon gekannt .
Als die Tante sich endlich verabschiedete , küßte mich Marie zärtlich und versprach , mich recht bald zu besuchen , denn sie habe mich so herzlich lieb gewonnen .
" Nun , sagte ich es nicht , ihr werdet gewiß gute Freundinnen ! " sprach die Tante , als wir wieder unterwegs waren .
" Mariechen ist ein liebes , herziges Kind , und es wird mich sehr freuen , wenn ihr Gefallen an einander findet . "
" Ach sie ist einzig lieb und nett , Tantchen ! " rief ich begeistert , " und ich würde glücklich sein , wenn ich ihre Freundin werden könnte . "
" Das sollte auch mich sehr freuen , " entgegnete die Tante , " denn bei all ihrer kindlichen Natürlichkeit ist Marie ein durchaus gebildetes , kluges Mädchen , deren Erziehung sehr sorgfältig geleitet wurde , so daß du viel von ihr lernen kannst . "
Diese neue Bekanntschaft erfüllte mein Herz mit unbeschreiblicher Freude , denn was ich so sehnlich wünschte , wurde mir nun wirklich in schönerer Weise , als ich je gedacht und gehofft hatte .
Je öfter ich mit der liebenswürdigen Marie Dunker zusammen traf , je enger schlossen sich unsere Herzen an einander und knüpften ein Band der Freundschaft , welches bis auf den heutigen Tag uns innig und fest umschlungen hält .
Meine Freundin war etwas älter als ich und durch ihre gute Erziehung schon über die schwierige Backfischzeit hinaus , doch hielt sie sich noch immer lieber zu jüngeren Mädchen , als zu ganz erwachsenen , denn ihrem kindlichen Sinn widerstand alles Gemachte , Gezierte , Anspruchsvolle , worin sich die jungen Mädchen hier oft sehr gefielen .
Sie war eine allerliebste kleine Blondine , mit feinen , schlanken Gliedern und zierlichen Bewegungen , so daß ich hoch aufgeschossenes Ding mit meinen langen Armen und Beinen , mit denen ich höchst täppisch in der Welt umher telegraphierte , sehr wunderlich gegen sie abstach .
Sie hatte ein unbeschreiblich gutes , weiches Herz , das aus ihren Vergißmeinnichtaugen so innig heraus schaute , daß man sie lieb gewinnen mußte , man mochte wollen oder nicht .
Unsere Freundschaft wurde denn auch bald feierlichst mit allen dazu gehörigen Attributen abgeschlossen .
Das Erste war natürlich , daß wir uns du nannten , das verstand sich schon beim zweiten Male , wo wir uns sahen , von selbst .
Dann schrieben wir uns gegenseitig den feurigsten Freundschaftsgruß in unser Album , ich wählte das Gedicht von Geibel : " O kennst du Herz die beiden Schwesterengel " , in dem Freundschaft und Liebe so schwärmerisch besungen sind ; Marie wählte für mich Göthe's reizendes Gedicht :
" An Lottchen " , das uns beiden wie aus der Seele gedichtet war .
Natürlich trugen wir dann auch bald jede ein goldenes Herzchen , in dessen innerem Heiligtume die aufgerollte Haarlocke der Freundin ruhte , an einer Gummischnur um den Hals , und die Tante besiegelte den Bund noch durch allerliebste goldene Ringe mit blauen Steinen , welche sie uns schenkte .
Daß über meinem Nähtischchen binnen Kurzem das kleine Bild meiner Freundin zwischen zarten Efeuranken schwebte , wie meines über ihrem Tische , versteht sich ebenso von selbst , wie die tausend zierlichen Billettchen , welche zwischen uns hin und her flogen .
Was hatten wir uns alles zu sagen , wenn wir uns einige Tage nicht gesehen hatten , es war , als gäbe es dann kein Ende mit Erzählen und Fragen .
Von jetzt an begann mein Leben sich unendlich viel angenehmer zu gestalten , denn wenn ich mich auch immer sehr gern mit der liebenswürdigen Tante Ulrike unterhielt , und ihr Umgang für mich von unendlichem Nutzen war , so zählte sie doch so viel Jahre mehr als ich , daß unsere Empfindungen und Ansichten unmöglich ganz gleichartig sein konnten .
Meine liebe Herzensfreundin aber fühlte und dachte fast ganz wie ich selbst , nur daß sie mehr erfahren und durchgebildet war und mir dadurch mit gutem Rate zur Seite stand .
Jetzt war mir nicht mehr fieberhaft ängstlich zu Mute , wenn ich die Tante zu ihren Freunden und Bekannten begleiten sollte , wußte ich ja doch , daß ich meine liebe Marie fast überall traf und an ihr Halt und Stütze in meinen Verlegenheiten fand .
Mein Auge flog suchend durch die Räume , sobald ich in den Kreis Fremder eintrat , und erst wenn ich Marie's hellblaues Kleid erblickte , wurde mir froh und sicher zu Mute , fehlte sie , so fühlte ich mich unbeschreiblich verlassen und einsam .
Marie trug fast immer himmelblau , und diese Farbe stand dem zarten blonden Wesen auch so reizend , daß ich sie gar nicht anders gekleidet sehen mochte .
Noch jetzt , wenn ich an die liebe Jugendzeit zurück denke , sehe ich meine Freundin stets in hellblauen Farben vor meinen Augen , sie war so recht mein blauer Himmel , und ihr freundliches Gesicht die goldene Sonne an demselben .
Außer unseren Plauder- und Kosestündchen verbrachten wir auch ernstere Zeiten mit einander , denn Tante Ulrike wünschte , daß ich noch einigen Unterricht in Sprachen , Musik und Zeichnen nehmen sollte , und zu meiner unaussprechlichen Freude nahm Marie an einigen dieser Stunden Anteil .
So wurde ich denn auch innerlich noch gehobelt und poliert , und Geist und Körper um die Wette in die höhere Schule geschickt .
Doch wie sehr man auch ein anderes Geschöpfchen aus mir zu machen strebte , so sorgte die gute Tante doch dafür , daß meine gesunde Natur nicht verbildet und verschoben wurde , und so ist mir denn glücklicherweise Ziererei und Prätention bis auf den heutigen Tag ebenso unausstehlich geblieben , als sie es mir damals schon waren .
So wenig als ich konnte auch Marie an unnatürlichem Wesen Gefallen finden , und daß die rechte Bildung eben nicht in jenen Dingen besteht , das sah ich ja deutlich an ihr wie an Tante Ulrike , und pries mich doppelt glücklich , im Umgang mit so trefflichen Wesen leben zu können .
Während die Tante in ihrer liebenswürdigen Weise fortfuhr , mich auf meine Fehler und Angewohnheiten aufmerksam zu machen , tat es Marie ihrerseits ebenfalls .
Eines Tages z. B. sah ich meine liebe Freundin mir auf der Straße entgegen kommen , und meinen Gefühlen freien Lauf lassend , wie ich es nie anders kannte , breitete ich weit die Arme aus und flog ihr jubelnd an den Hals , indem ich sie herzte und küßte .
Ihr zartes Gesichtchen bedeckte sich unter meinen Liebkosungen mit dunkler Glut , und statt wie sonst mich ebenfalls zärtlich an sich zu drücken , machte sie sich schnell und nicht eben sanft aus meinen Armen los und blickte ängstlich rings um sich her .
" Was hast du , Mariechen ? " rief ich überrascht , und sah fragend in ihr sonst so ruhig mildes Gesicht .
" Bist du mir nicht mehr gut ? "
" O freilich Gretchen , sage doch so etwas nicht ! " entgegnete sie halblaut und zog mich schnell mit sich fort .
" Aber komme , komme , ich will es dir gleich sagen . "
Abermals blickte sie ängstlich zur Seite , und jetzt erst bemerkte ich , wie ein junger , eleganter Herr dicht neben uns stand , und , das Augenglas fest eingekniffen , uns mit spöttischen Blicken betrachtete .
Ich fuhr erschrocken in Marie hinein , starrte aber nichts desto weniger dem jungen Herrn dabei in das Gesicht .
Dieser lächelte mich vertraulich an und schnarrte süßlich , indem er uns Kußhändchen zuwarf :
" Himmlisch !
Göttlich !
Welch reizende Kinder ! "
Marie zog mich so rasch aus der Nähe dieses impertinenten Gecken , daß ich weiter nichts sehen und denken konnte , aber nach einer Weile wollte ich in meiner Angst doch wissen , ob wir verfolgt würden , und blickte mich hastig nach dem abscheulichen Menschen um .
Marie es Mahnung :
" Um Gottes Willen , Gretchen , sieh dich nicht um ! " kam zu spät , es war schon geschehen , und ich sah denn auch , daß unser Peiniger uns von Weitem noch zärtlich zunickte , ohne uns zum Glück jedoch zu folgen .
" Wie konntest du mich auch auf offener Straße so stürmisch und laut begrüßen , liebe Grete ! " sagte Marie mit zärtlichem Vorwurf .
" Das tue ja nicht wieder , du siehst , was es für Folgen hat ! "
" Aber wir begrüßen uns doch immer so , Mariechen ! " rief ich außer mir .
" Was fällt denn diesem Menschen ein , uns so zu beleidigen ! "
" Er meinte sich das erlauben zu dürfen , weil du dich gar zu auffallend benahmst , Herzchen ! " entgegnete Marie .
" Auf der Straße bewillkommnet man sich einmal nicht so wie im Hause .
Küssen und umarmen ist hier nicht erlaubt , das mußt du lernen , sonst kannst du noch schlimmere Dinge erleben . "
" Das ist doch aber schrecklich , daß man unter Gottes freiem Himmel nicht einmal zeigen soll , wenn man sich lieb hat ! " seufzte ich betreten und ließ den Kopf hängen .
" Ja was das Zeigen der Gefühle betrifft , das ist überhaupt ein ganz besonderes Kapitel ! " sagte Marie lachend .
" Man muß unter Anderen nur gar zu oft seinen Gefühlen Zwang antun und ein ruhig Gesicht machen , es mag inwendig so fröhlich oder so traurig aussehen , wie es will . "
" Das ist schwer , ich glaube , das werde ich nie lernen ! " sagte ich niedergeschlagen .
" Aber tue mir die Liebe , beste Marie , und sage mir noch einiges , was sich auf der Straße nicht schickt .
Es ist alles hier so anders , bei uns brauchte ich mich in keiner Weise zu genieren , denn wenn ich im Dorfe oder auf den Wiesen umher lief , da war alles recht und gut , was ich tat , und kein Mensch dachte daran , daß sich allerlei nicht schickte . "
" Nun z. B. sprich nicht so laut auf der Straße , liebes Herz , wie du soeben tust , alle Vorübergehenden sehen uns verwundert und lächelnd nach ! " sagte Marie halblaut und drückte meine Hand .
" Und dann tue mir die Liebe und renne und stoße nicht an Jedermann an , der uns begegnet , sondern weiche den Leuten etwas aus ! "
" Ja ja , deine chère amie ist ein wundervoller Rüpel ! " seufzte ich und ging in weitem Bogen um jeden herum , der mir begegnete .
Das war aber wieder nicht recht , denn dieser Zirkumflex , den ich um die Leute herum beschrieb , fiel ebenso sehr auf , und alles was auffällt , ist nun einmal verboten , das sah ich wohl ein .
" Du bist gewiß schrecklich böse auf mich , Marie , denn du mußt dich ja meiner schämen ! " erwiderte ich , ärgerlich über mich und alle Welt .
" Ich blamiere dich zu sehr , wenn ich noch länger mit dir gehe , es ist besser , wir trennen uns .
Adieu , auf Wiedersehen , liebes Herz ! "
" Aber so sei doch kein Närrchen , Grete ! " sagte Marie , mich liebevoll zurück haltend .
" Das wäre eine schöne Freundin , die nicht gern die Schwächen der anderen ertrüge !
Du hast meine Fehler ja auch zu tragen ! "
" Ach du hast gar keine Fehler ! " rief ich verdrießlich .
" Wie ?
Ich keine Fehler , Gretchen ? " lachte Marie .
" Da wäre ich ja ein Wunderkind , und dazu habe ich Gott sei Dank nie große Lust verspürt .
Siehst du , da will ich dir gleich einen Fehler deiner allervortrefflichsten Freundin sagen , " fuhr sie lustig fort und hielt ihren Fuß in die Höhe .
" Der Anstand erfordert , daß man seine Schuhbänder zu Haus hübsch fest zubindet , damit sie auf der Straße nicht aufgehen und nachschleppen , wie Figura zeigt , und man genötigt ist in einen Hausflur zu treten , um den Schaden zu reparieren . "
Während wir nach Verbesserung dieses kleinen Übels nach Haus eilten , begegneten uns einige sehr junge fein gekleidete Mädchen , die ihren Schulmappen nach zu urteilen aus der Stunde kamen .
Sie hatten sich gegenseitig untergefaßt und nahmen mehr als die ganze Breite des Trottoirs ein .
Als sie nahe zu uns heran kamen , zeigten sie wenig Lust die Kette zu lösen , um uns durchzulassen .
Marie schritt jedoch so ruhig und ernst vorwärts , daß die eng Verbündeten es für besser fanden , uns Platz zu machen , wobei sie jedoch kicherten und sich gegenseitig stießen und drängten .
" So ungeschliffen hätte sich die arme dumme Grete nicht einmal benommen , wie diese jungen Kälbchen ! " rief ich sehr verwundert , daß junge Residenzdämchen sich so aufführen konnten .
" Ja das ist eine der schönen Schulmädchenmanieren , " entgegnete Marie ärgerlich .
" Die jungen Dinger wissen recht gut , daß es nicht passend ist , gassenbreit zu gehen , aber deshalb lassen sie es doch nicht .
Wie abscheulich solcher Schulton oft unter den jungen Dämchen ist , davon kannst du dir gar keine Vorstellung machen ; man muß gewaltig dagegen ankämpfen , wenn man darunter steckt .
Ausnahmen gibt es darunter natürlich wie überall ; aber das kann ich dir zum Troste sagen , daß solch echtes Residenzdämchen mit ihrer Überbildung und Eitelkeit zehnmal schlimmer dran ist als du , mein liebes Naturkind , selbst wenn du mich alle Tage auf offener Straße umarmtest , und eine ganze Legion junger Gecken herbeikäme , sich das Schauspiel mit anzusehen . "
Ich fiel Marie lachend um den Hals , denn jetzt waren wir zu Haus angekommen , und in Marie's traulichem Stübchen hatte ich keine Rücksichten mehr zu nehmen .
Lange saßen wir hier noch plaudernd zusammen , bis die sinkende Sonne mich endlich an den Heimweg mahnte .
Da mußte ich fort ; denn es war ja auch eine der lästigen Eigenschaften der großen Stadt , daß man Abends nicht allein im Freien umher laufen konnte .
Zu Haus wurde es erst recht hübsch , wenn der Abend kam .
Wie lustig und harmlos trieb man sich da vor dem Hause und im Dorfe umher , da hatte man keine Anfechtungen zu befürchten , wie hier sogar am hellen Tage , nur weil man seine Gefühle der Welt zeigte .
Ja zu Hause !
5. Mittagessen .
Wie schon beim Frühstück so gab es natürlich auch beim Mittagessen gar viele Dinge , welche ich nicht nach den Regeln des Anstands verrichtete ; denn zu Haus nahm die lärmende kleine Kindergesellschaft alle Aufmerksamkeit der Eltern in Anspruch , und Erhaltung der Ruhe war das erste und einzige Erfordernis bei Tisch , alles Übrige blieb so ziemlich dem eigenen Gutdünken überlassen .
Die Mittagsmahlzeiten im Hause der Tante vergingen in der Regel ziemlich gleichförmig , dabei aber gemütlich und heiter , denn die Tante würzte das Mal durch angenehme Unterhaltung , in welcher ihre Ermahnungen zur Wohlanständigkeit wie große Ausrufungszeichen die gleichmäßige Rede unterbrachen .
" Bediene dich doch deiner Serviette , liebes Kind , " lautete z. B. eins der Gebote in meinem Anstandskatechismus .
" Mit der Hand wischt man sich das Gesicht wohl nur da ab , wo keine Servietten wachsen . "
Das war auf deutsch bei den Bauern , ich verstand das wohl , und griff hastig nach dem bis jetzt so arg vernachlässigten Wesen .
" Sieh Mal , was du für ein kleiner Gourmand bist ! " sagte Tante Ulrike dann wieder neckend .
" Schlürfst deine Suppe mit einer Kennermiene , gerade wie ein Feinschmecker seinen Wein .
Gewiß willst du heraus schmecken , wie viel Pfund Rindfleisch diese Kraftbrühe hervorbrachten .
Auch hast du es dir dabei recht bequem gemacht ; essen bei euch die Ellbogen auch mit ? "
" O der Torweg ist zu klein für das mächtige Fuder Heu , " lachte sie ein andermal , wenn ich so große Bissen zum Munde führte , daß ich Mühe hatte , derselben Herr zu werden .
Als ich nun gar mit diesem Vorrat zwischen den Zähnen sprechen wollte , legte die Tante energischen Widerspruch ein , denn : " mit vollem Munde redet man nicht . "
Ebenso durfte ich weder die Finger auf den Teller , noch das Messer in den Mund führen , worin ich ebenso regellos handelte wie mit der Placierung von Kartoffelschalen und Knochen , die es nie merken wollten , daß ihr Platz nicht auf dem Tischtuche war , sondern auf dem Tellerrande .
" Du könntest dem armen Phylax wohl auch ein Fäserchen Fleisch gönnen , liebe Grete , und nicht selbst die Knochen so gründlich abnagen , " hieß es dann wieder , wenn ich mit jugendlichem Appetit Hühnchen oder Tauben verzehrte und dabei unbarmherzig alle Knochen zerbiß und benagte .
" In den Knochen sitzt das beste Mark , sagt Papa immer , " erwiderte ich eifrig .
Als ich jedoch eines Tages mit meinen fettglänzenden Fingern in der Welt umher fuhr , indem ich ein zierliches Hühnerkeulchen zum Munde führte , sagte die Tante lächelnd :
" Mein lieber Schatz , morgen sind wir bei Dunkers zu Tisch , wie du weißt .
Sei so gut und nimm dann kein junges Huhn zwischen die Finger ; hier bei mir will ich es dir nicht wehren , eigentlich aber löst man das Fleisch mit Messer und Gabel vom Knochen , es schickt sich nicht anders . "
" Ja wohl , liebe Tante , " erwiderte ich überrascht , denn Geflügel hatte ich bisher immer nur mit Hilfe der Finger verzehrt .
Es war das erste Mal , daß ich mit der Tante zu einem Diener ausging , und mir klopfte das Herz , denn ich armer Neuling fürchtete überall , mich zu blamieren .
Zum Glück setzte sich Marie neben mich , und so war ich denn im Falle der Not gedeckt .
Mein anderer Nachbar war ein dicker freundlicher Herr , der mir aussah , als bestehe sein größtes Vergnügen in Essen und Trinken .
Das war denn allerdings auch wohl der Fall ; aber das Behagen , mit dem er nun schlürfte und schmatzte , die unaussprechlich unappetitliche Art und Weise , wie er eben so viel neben seine breiten Lippen als zwischen dieselben führte , und endlich das Schnaufen , das diese gewichtige Arbeit dem dicken Herrn entlockte , verdarben mir selbst alle Eßlust .
Ich dachte so recht an die Worte , welche Tante Ulrike mir noch gestern sagte , wie unangenehm es sei , einen Tischnachbar mit schlechten Angewohnheiten zu haben .
Heute lernte ich dies Ungemach aus dem Grunde kennen .
Freilich waren dergleichen Untugenden einem alten Herrn eher zu verzeihen , als einem jungen Mädchen , das litt keinen Zweifel , und ich begriff nun erst völlig , wie sehr ich selbst auf gute Manieren zu achten habe , um nicht auch Ärgernis zu erregen .
Nach der Suppe wurde ein wunderliches Gericht herum gegeben , das ich noch nie gegessen hatte : es war eine schwärzliche Maße , und seiner körnigen Gestalt nach hielt ich es für eingemachte Beeren .
Da ich hiervon eine große Freundin war , und der alte Herr neben mir auch wacker zulangte , so nahm ich mir eine gute Portion auf den Teller und fing an zu schmausen .
Aber wie erschrak ich , als ein salzig schleimiger Geschmack statt des erwarteten süßen meine Zunge berührte !
Ich war nicht im Stande , einen zweiten Bissen davon zu verzehren , und betrachtete verwundert meinen Nachbar , der die schwarzen Körner auf geröstete Semmelscheiben strich , sie dann mit Zitronensaft beträufelte , und das Ganze alsbald mit größtem Behagen verzehrte .
Eben wollte ich Marie fragen , was das eigentlich für ein Produkt der Kochkunst sei , da wandte der alte Herr sich käuend zu mir , und mit den dicken glänzenden Lippen schmunzelnd sagte er , indem er auf meinen Teller zeigte :
" Delikater Kaviar !
Auch Liebhaberin davon , meine Gnädige ? "
Also Kaviar war das .
Ja , dem Namen nach kannte ich diese edle Gottesgabe wohl , in Person aber hatte sich nie ein Körnchen davon bis zu unserem Dorfe verirrt und war mir deshalb völlig unbekannt .
" O nein , ich ... ich war zerstreut , als ich mir davon nahm , " stotterte ich dunkelrot vor Verlegenheit , meine Unwissenheit törichter Weise hinter einer Lüge verbergend .
" O , nicht möglich !
Versuchen Sie nur einmal , ganz delicat , ich kann es versichern , und ich ... ich verstehe mich etwas darauf , was gut schmeckt , " versicherte der Dicke eifrig , und obwohl ich durchaus von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugt war , so lehnte ich die Aufforderung dennoch dankend ab und sah mit großem Ergötzen , welche sehnsüchtigen Blicke mein Nachbar der von mir verschmähten Leckerei zuwarf , wovon der Diener mich endlich befreite .
Einige folgende Gerichte gingen ohne weitere Verlegenheiten vorüber , nur als ich Marie um Salz bat , und ich bei Überreichung desselben , wie ich gewohnt war , mit den Fingern in das Salzfaß greifen wollte , fuhr Marie erschrocken zurück und sagte leise : " Mit dem Messer , Gretchen ! "
Ich folgte beschämt ihrer Weisung , obwohl ich wirklich sehr verwundert war ; denn bis jetzt hatte ich mich immer meiner fünfzackigen Fingergabel zu diesem Geschäfte bedient .
Nun kam der Braten auf den Tisch , wirklich junge Hühner , wie Tante Ulrike gedacht , und ich erinnerte mich zum Glück der erteilten Ermahnung und versuchte , das Fleisch mit Messer und Gabel abzulösen , statt wie sonst die zarten Knochen mit meinen Zähnen zu bearbeiten .
Aber das war ein recht undankbares Geschäft , das Beste blieb dabei an den Knochen sitzen , und mit wahrem Bedauern trennte ich mich von diesen Resten .
Die eingemachten Früchte , welche als Kompott zu dem Braten gegeben wurden , täuschten mich jetzt nicht wieder , sie waren süß und lecker , wie ich es liebte , und nicht unangenehm salzig wie jener Kaviar .
Mit einem Behagen , das beinahe dem meines eßlustigen Nachbars gleich kam , verzehrte ich diese süßen Erdbeeren , Kirschen und Pflaumen , und freute mich kindisch auf den Genuß der dicken Zuckersauce , in welcher die Früchte auf meinem Glasteller umher schwammen .
Da ich diesen Zuckersaft jedoch nicht mit der Gabel verzehren konnte , ein Löffel aber nicht in meinem Bereiche lag , so erhob ich eben den kleinen Teller zu meinen Lippen , um , wie ich zu Haus so oft getan , die Sauce davon zu schlürfen .
Schon schwebte der Teller in der Luft meinem Munde entgegen , da fühlte ich mich plötzlich am Arme erfaßt , und mit einem schnellen Ruck stand der Teller wieder an seinem Platze .
" Um Himmels Willen , Grete , bist du nicht klug ? " raunte Marie mir dabei in das Ohr .
" Die Sauce läßt man auf dem Teller . "
" Auf dem Teller ? " rief ich ungläubig und sah mich nach Marie um , welche noch immer meinen Arm festhielt , in der Furcht , ich könnte die Komödie noch einmal aufführen wollen .
" Die schöne Zuckersauce ist mir ja das Liebste am Eingemachten , die werde ich doch nicht zurück lassen ? "
" Zu Haus tue was du willst , in Gesellschaft geht es aber nicht anders , ich bitte dich , folge mir , Grete ! " flüsterte Marie schnell , denn eben wurde sie von ihrem Nachbar in Anspruch genommen und konnte sich um mich nicht mehr bekümmern .
Da saß ich denn nun betrübt meiner schönen Fruchtsauce gegenüber , die ich nicht essen durfte , und ärgerte mich recht aus Herzensgrunde über die sonderbaren Gesetze des Anstands , welche mir erst geboten , das Fleisch an den Knochen sitzen zu lassen und jetzt gar das Beste vom ganzen Diener aufzuopfern .
" Was würde Mama zu dieser Verschwendung sagen , " dachte ich ärgerlich , wurde da aber gewaltsam aus meinem Sinnen gerissen , indem ich erschrocken vom Stuhle auffuhr und um mich blickte , wer denn geschossen habe .
Mein alter Nachbar lachte herzlich über meinen Schreck , und bald sah ich , daß nur ein Champagnerpfropfen geknallt hatte , aber auch das hatte ich bis jetzt so selten gehört , daß mir dieser Ton sehr neu war .
Und nun gar das Getränk selbst !
Ich hatte es kaum einmal zu Haus gekostet , wenn Kindtaufen waren , nun stand ein hohes volles Glas davon vor mir , und lustig tanzten zahllose kleine Perlen aus der Spitze desselben empor .
Der Geschmack dieses Weines behagte mir aber ganz außerordentlich .
Dieses Prickeln auf der Zunge , dieses Feuer , diese Süßigkeit , ohne weichlich zu sein , alles trug dazu bei , den Wohlgeschmack zu erhöhen , und jetzt ließ ich sogar mein Glas Ananaskardinal stehen , der mir so gut geschmeckt hatte , und trank lieber diesen köstlichen Champagner .
Mein dicker Nachbar verstand es freilich noch besser als ich , aber er ergötzte sich so sehr an dem Wohlgefallen , das ich an dem Weine hatte , daß er mir ein Glas nach dem anderen einschenkte .
Bald glühten meine Backen , und es flimmerte mir vor den Augen ; aber ich achtete nicht sehr darauf , bis ich endlich mit einem Male so verwirrt umher blickte , daß Marie mich ängstlich ansah und sagte : " Bist du unwohl , Gretchen ?
Oder was ist dir ? "
" Ich bin so konfus , es dreht sich ja Alles , " rief ich leise und griff nach Marie's Hand , um mich an ihr festzuhalten .
" Hast du Champagner getrunken ?
Er ist sehr stark , nimm dich in Acht ! " sagte Marie .
" Ja , drei oder vier Gläser .
Herr von Martini hat mir immerfort eingegossen , " flüsterte ich und hielt mir die Augen zu , um mich zu fassen , denn mir war wunderlich zu Mute .
" Aber wie kannst du auch ?
Kardinal hattest du ja auch schon getrunken , " schalt Marie und goß mir ein großes Glas Wasser ein , das ich hastig hinunter stürzte .
Wirklich wurde ich davon auch klarer und freier und hütete mich nun wohl , noch einen Tropfen von jenem bösen , verführerisch leckern Weine zu genießen , so sehr mich auch mein Nachbar nötigte und neckte .
Er selbst konnte , wie mir schien , Ungeheures vertragen , ohne davon Schwindel zu bekommen , wie ich armer Neuling , denn sein Glas war stets auf der Wanderung begriffen vom Tische zu seinen Lippen und wieder zurück .
Ich war herzlich froh , als man endlich vom Tische aufstand , um nach dem Garten zu gehen , wo der Kaffee eingenommen wurde .
Die frische Luft brachte meine verwirrten Lebensgeister bald wieder in Ruhe und Klarheit , und an einer Erfahrung reicher wandelte ich mit Marie heiter im Garten umher .
Unserer lieben Tante Ulrike , welche sich bald zu uns gesellte , beichtete ich dann ehrlich alle meine klugen Streiche , mit denen ich auf diesem meinem ersten Diener debütierte , und die mir unvergeßlich geblieben sind .
6. Verschiedenes .
An jedem Montage erhielt die Tante Besuch von einigen Freunden , welche Abends den Tee bei ihr tranken und sich mit Gesprächen , Vorlesen oder auch wohl Kartenspiel unterhielten .
Mir wurde an diesen Abenden das Amt , den Tee zu bereiten und den kleinen Kreis zu bedienen , da die Tante ungern Dienstleute im Zimmer sah .
Das war mir , als ich die ersten Schwierigkeiten überwunden hatte , die mir aus diesem Geschäft entsprangen , recht sehr angenehm ; denn häusliche Arbeiten machten mir stets viel Vergnügen , und ich entging dadurch am besten der Verlegenheit , unter diesen älteren Herren und Damen anständig still zu sitzen oder gar an Gesprächen Anteil zu nehmen , für die ich noch zu wenig allgemeine Bildung besaß .
Zuhören konnte ich ja dabei ganz nach Behagen und war doch in meinem Wirkungskreise gut untergebracht .
Aber Anfangs gab es freilich wieder mancherlei Dinge , welche ich erst lernen mußte .
So füllte ich die Tassen stets bis hoch hinauf an den Rand , was die Tante mir zwar gleich am ersten Morgen verboten , ich mir aber gar nicht merken konnte .
Mir schien es immer , als würden die Leute meinen , ich gäbe es ihnen nicht gern , wenn ich so wenig in die Tassen goß .
Die Folge davon war denn , daß der Tee über den Rand hinaus gedrängt wurde , sobald man Zucker und Sahne hinzu tat , und daß von jeder Tasse ein Regen herab träufelte , sobald man sie an den Mund führte .
Ferner lief ich mit der Teekanne rings im Zimmer umher , um gleich an Ort und Stelle die Tassen der Gäste wieder zu füllen , bis Tantchen mich leise zurück zog und mir die Tassen an das Buffet brachte , um dort einzugießen .
Dankte dann eins oder das andere der Gäste und wollte nichts mehr genießen , so hielt ich es für meine Pflicht , sie mit Bitten so lange zu bestürmen , bis ich meinen Tee oder Kuchen wieder angebracht hatte , was mir oft schwer genug wurde , bis die Tante mich endlich von diesem Amte erlöste .
" Denn , " sagte sie , " in guter Gesellschaft dankt man , wenn man genug hat , ohne auf Nötigung zu warten .
Dies Bitten und Bestürmen ist gut kleinstädtisch und in manchen Kreisen vielleicht wohl gebräuchlich , zum guten Tone aber gehört es nicht , obwohl es eben auch kein Unrecht ist . "
Die Art und Weise , wie man jemandem etwas darbietet , will auch gelernt werden , und so erfuhr ich , daß man dem Gaste von der linken Seite etwas präsentiert , nicht aber von der rechten , denn sonst hat derselbe die rechte Hand nicht frei zum Zulangen .
Vor Allem hielt die Tante darauf , daß ich alle meine Geschäfte hübsch still und geräuschlos tat , damit die Gäste nicht das Knarren der Räder , welche die Hausordnung trieben , unangenehm bemerkten .
" Mir wird immer ganz unbehaglich zu Mut , wenn ich jemanden besuche und sehe , welche Störung meine Gegenwart hervorruft , " sagte die Tante .
" Da wird gerannt und gerufen , Türen und Schränke auf und zu geworfen , heraus und herein geschossen , geklappert und gepoltert , und das Alles , um mir vielleicht ein Stückchen Kuchen auf einem Teller darzubieten , oder den Teetisch zurecht zu machen .
Nur ja niemals viel Lärm um nichts , liebe Tochter , weder in leiblicher noch in geistiger Hinsicht . "
Da an diesen Montagen nur ältere Herren und Damen bei der Tante erschienen , so konnte ich ganz meiner Neigung folgen , welche mich antrieb , so zuvorkommend und aufmerksam , so dienstfertig und gefällig zu sein , als möglich .
Jüngeren Personen , besonders jungen Herren gegenüber , hielt mich die Tante oft in meiner Dienstbeflissenheit zurück , da dieselbe , wie sie sagte , häufig zu weit ging .
Daß man auch übertrieben gefällig sein könnte , kam mir freilich sonderbar vor , aber die Tante verstand das besser .
Gegen alte Damen jedoch ließ sie mich ruhig gewähren , und da mein Herz mich ganz besonders zu einigen derselben hinzog , kannte meine Dienstfertigkeit keine Grenzen .
Ihnen den Sitz behaglich zu machen , Fußbänkchen unter die Füße und Kissen in den Rücken zu schieben , nach Tuch und Mantel zu springen , ihnen die Maschen ihres Gestrickes zu zählen , oder herunterstürzenden Maschen zu Hilfe zu kommen , Nadeln einzufädeln , Garn oder Seide zu wickeln , Obst zu schälen , nach Riechfläschchen oder frischem Wasser zu springen , - alles das waren Dinge , die ich mit Entzücken besorgte , sobald mein spähendes Auge nur den leisesten Wunsch danach zu entdecken meinte , und freundlicher Dank wurde mir dann immer zu Teil .
Gegen die alten Herren war ich natürlich zaghafter , doch beeilte ich mich ebenfalls , wo es wünschenswert schien , bequeme Sitze herzurichten , alles was zur Erde fiel aufzuheben , fein gedruckte Schrift heraus zu buchstabieren , Brillengläser abzuwischen , oder auch ruhig und gefällig zuzuhören , wenn irgend eine langweilige Erzählung keine aufmerksamen Zuhörer finden wollte .
Häufig , wenn diese gemütlichen Abende nicht durch Kartenspiel ausgefüllt wurden , griff man zu der Lektüre irgend eines guten Buches , aus welchem ein oder das andere Glied der Gesellschaft vorlas .
Am liebsten hörte ich Tante Ulrike vorlesen , deren weiches , klangvolles Organ wie Musik tönte und mir jetzt erst einen Begriff davon gab , welch ' schöne Sache es um gutes Vorlesen sei .
Übrigens wurde mir die Freude , Tante Ulrike lesen zu hören , öfter zu Teil ; denn damit auch ich in dieser Kunst etwas lernte , nahm sie sich die Mühe , häufig auch mit mir etwas zu lesen .
Ich armer kleiner Stümper wagte anfangs kaum , neben dieser fertigen Vorleserin die Lippen zu öffnen ; aber in ihrer freundlichen Weise ermunterte sie mich dabei , ohne müde zu werden , ließ mich oft Zeile für Zeile nachsprechen , Sätze drei bis vier Mal lesen , bis ich den Ton und Ausdruck gefunden , den sie selbst hinein legte , und so bildete sich nach und nach auch mein Vortrag .
Mit diesen Vorlesungen verband die Tante übrigens noch einen anderen Zweck , meine Erziehung betreffend .
Um mich zu gewöhnen , auch mit müßigen Händen anständig und still dazusitzen , was mir sehr schwer wurde , wie vielen anderen Leuten auch , duldete die Tante nicht , daß ich mich während des Lesens mit einer Handarbeit beschäftigte .
" Junge Mädchen wissen immer nicht , was sie mit ihren Gliedern anfangen sollen , wenn sie nicht mit den Händen arbeiten oder mit den Füßen tanzen können , " sagte die Tante , und wie sehr sie darin Recht hatte , fühlte ich an mir selbst nur zu wohl .
Auch meine Haltung ließ viel zu wünschen übrig , und mein Rücken suchte sich immer kräftigen Beistand an der Stuhllehne ; ich glaube , mein Kreuz bedurfte der Stütze , da ich eine so lang aufgeschossene Hopfenstange war .
" Sieh , ich bin alt , und halte mich viel besser , als du junges Mädel ! " sagte die Tante , und darin hatte sie nur zu wahr gesprochen , denn sie hielt sich in der Tat so musterhaft gerade und stattlich , ohne dabei steif oder altmodisch auszusehen , daß ich es mit ihren silbergrauen Löckchen gar nicht vereinen konnte , welche doch die Schwäche des herannahenden Alters verkündeten .
" Das ist alles nur Gewohnheit , Kind , " pflegte sie zu sagen , wenn ich diese meine Verwunderung gegen sie aussprach .
" Wer krumm sitzt , wächst krumm .
Das Bäumchen , das als schwacher Stamm gerade gezogen wird , gibt einen stolzen , stattlichen Baum im Alter .
Jung gewohnt , alt getan !
Wer z. B. , wie meine liebe Grete so eben tut , schon mit 16 Jahren seine Füße so weit von sich fort streckt und mit den Händen ungeheuerliche Fechtübungen macht , während der Mund redet , der wird auch mit 60 Jahren nicht , wie es der Anstand erfordert , geschlossene Glieder und ruhige Bewegungen erlangt haben . "
Dabei schob die Tante eine Fußbank unter meine baumelnden , zappelnden Füße , leider aber gab es für meine zehn Finger keinen derartigen Ruhepunkt , und dieselben einfach und ruhig im Schoße liegen zu lassen , wie es schicklich , war eine schwere Aufgabe .
" Die du aber lernen mußt , " sagte die Tante , " denn ein junges Mädchen , das während des Gespräches die Finger still hält , und nicht irgend etwas darin dreht oder sonstige Verlegenheitsmaneuvres macht , ist eine seltene Erscheinung .
Wenn ihr nur wüßtet , ihr jungen Mädchen , wie unbehaglich ihr durch diese Unruhe des Körpers für Andere werdet , ihr dächtet mehr daran , es zu vermeiden . "
" Ja , Tantchen , da muß man aber immerfort nur an sich denken , und an alles das , was anständig ist , " klagte ich kleinlaut .
" Das lernt sich schon , und dann kann man später gar nicht anders , " entgegnete die Tante .
" Auch du wirst es früher lernen , als du jetzt denkst , mein kleiner Backfisch ; denn ich sehe , du gibst dir Mühe , und ich bin ganz gut mit dir zufrieden , wenn ich auch immerfort tadle .
Nur Geduld , es wird schon werden , mein Töchterchen ! "
Das war das erste Lob , welches die Tante mir in Betreff dieses Punktes erteilte .
Wie glücklich machte es mich , und wie hob es meine mutlos sinkenden Flügel !
Damit ich mir aber nichts auf meine riesigen Fortschritte einbilden möchte , stand schon wieder ein kleiner Dämpfer in der Nähe .
So eben nämlich lasen wir in Goethes Tasso die schönen Worte :
" Willst du genau erfahren , was sich ziemt , " So frage nur bei edlen Frauen an , " Denn ihnen ist am meisten dran gelegen , " Daß Alles wohl sich zieme , was geschieht . "
" O , Tantchen , das klingt gerade , als hätte Goethe dich mit diesen edlen Frauen gemeint ! " rief ich mit jugendlicher Wärme .
Die Tante blickte lächelnd vom Buche auf , und indem sie mich ansah , spielte plötzlich ein lustiger Gedanke auf ihren Lippen .
" Du bist eine kleine Schmeichelkatze , " sagte sie .
" Mir fällt da aber gerade ein anderer Vers ein , der auf dich vortrefflich paßt . "
" Auf mich , Tantchen ?
Ein Vers ?
Was denn für einer ? " fragte ich verwundert .
" O er ist nur kurz , aber desto treffender , " lachte die Tante , und nun sprach sie in singendem Tone :
" Kätzchen ist gestorben heute , " Giebt's ein schönes Grabgeläut , " Unsere liebe Kleine " Baumelt mit dem Beine , " Stühlchen setzt sich auch in Trab , " Wackelt munter auf und ab ! "
Also das war_es !
In Gedanken verloren hatte ich mich in meinen Stuhl zurück gelegt , und mit demselben auf und nieder wippend , schlug ich mit meinen Füßen munter den Takt dazu , indem ich sie hin und her schlenkerte .
Mit fröhlichem Gelächter fiel ich der Tante um den Hals und küßte sie wegen ihrer köstlichen Einfälle so stürmisch ab , daß sie mich nur mit Gewalt von sich abwehren konnte und mich ein tolles , wildes Ding nannte , dem sie zur Strafe nun heute kein klassisches Wort weiter vorlesen werde .
" Hier ist andere Speise für das kleine Bauermädel , " sagte sie dabei und griff nach einem Buche , das sie mir für mein einsames Stündchen nach Tische , während sie selbst ihre Mittagsruhe hielt , zum Durchlesen anempfahl .
Es war Uli der Knecht , und dessen zweiter Band , Uli der Pächter , von Jeremias Gotthelf .
Ach ja , das gefiel mir allerdings unbeschreiblich ; aber an diesem wundervollen Werke mußte ja wohl jeder Gefallen finden , der Sinn und Herz besaß für einfache , tief gefühlvolle , brave Menschen .
Welch einen Schatz an Gemüt barg dieses liebe Buch in sich , welche derben , biederen Naturen waren darin gezeichnet , und welche feine Beobachtung des rein Menschlichen !
Ich vertiefte mich bald völlig in diese schöne Welt , in welche der Dichter mich einführte , in das Leben unter schlichten Bauern draußen auf dem Dorfe , eine Welt , die mir selbst ja so lieb und vertraut war , und erwachte erst wieder für meine gegenwärtige Umgebung , als die Tante zum Kaffee rief .
O weh , o weh , den hatte ich ganz über meinem Buche vergessen !
" Erst die Pflicht , dann das Vergnügen ! " lautete der Wahlspruch der Tante , wer den aber nicht beherzigte , war die nachlässige Jungfer Grete , sonst hätte sie erst den Kaffee gekocht und dann gelesen .
7. In Gesellschaft .
Der lebhafte Verkehr , den Tante Ulrike mit allen ihren Bekannten unterhielt , und die häufigen Gesellschaften , in welche sie nun auch mich mit einführte , verursachten mir anfangs große Angst und gaben Anlaß zu gar mancher Rüge von meiner lieben Tante Anstand .
Unvergeßlich ist mir vor Allem ein Abend geblieben , der so reich an Ereignissen für mich war , daß ich davon erzählen muß , da er in seinen Folgen tief in mein Leben eingriff , ohne daß ich es damals ahnen konnte .
Wir waren in einer glänzenden Abendgesellschaft bei Präsident Römers .
Ich stand , wie gewöhnlich , neben meiner Freundin Marie , die mir hier wie überall ein Retter in der Not war , denn ich kannte in der zahlreichen Gesellschaft fast keine Seele weiter .
Ziemlich gelangweilt blickte ich im Saale umher und musterte die elegante Menge .
Plötzlich aber blickte ich freudig auf .
" Ach Marie , sieh doch , da ist der Dr. Hausmann aus F. , der hat Papa kürzlich besucht , " rief ich hoch erfreut und zeigte mit dem Finger nach einem großen blonden Herrn , der mitten unter anderen Gästen stand .
" Den muß ich begrüßen !
Wie wird er sich wundern , mich hier zu sehen ! "
Schnell wollte ich von Marie's Seite fort und zu Dr. Hausmann hinüber , als ich meiner Freundin Hand fest auf meinem Arme fühlte .
" Halt , Gretchen ! " rief sie leise , mich zurück ziehend .
" Erstens zeige um Himmels Willen nicht mit den Fingern nach jemand , das ist schrecklich unanständig , und dann muß ich dir sagen , es geht doch wirklich nicht an , daß du den Dr. Hausmann jetzt anredest , wo er mitten unter den anderen Herren steht , du müßtest dich ja mit Gewalt zwischen diesen hindurch drängen , um zu ihm zu gelangen . "
" Ach das ist wahr , daran hatte ich gar nicht gedacht ! " sagte ich betreten .
" Überhaupt , " fuhr Marie fort , " kennst du denn den Herrn so genau , daß du ihn zuerst begrüßen willst ?
Er ist wohl ein guter Freund eures Hauses ? "
" Nein , ich habe ihn nur ein einziges Mal bei uns gesehen , er kam in Geschäften zu Papa und blieb den Nachmittag bei uns , " erwiderte ich etwas befangen .
" Aber da ich die Leute hier so wenig kenne , so freue ich mich darauf , mit ihm von Schreibersdorf zu sprechen ; das bringt ihn mir viel näher , als alle die anderen Herren , die weder meinen Papa noch irgend jemand von zu Haus kennen . "
" Weißt du was , Gretchen , wenn du ihn nicht näher kennst , so warte , bis er dich begrüßt , " sagte Marie .
" Dann schickt es sich wirklich nicht anders .
Denn wenn er dir auch dadurch interessant wird , daß er die Deinen kennt , so bist du es ihm doch vielleicht viel weniger , sonst hätte er dich wohl schon angesprochen . "
Wie immer , mußte ich auch hier meiner weisen Marie Recht geben ; doch verdroß es mich gewaltig , daß ich für den jungen Herrn , der mich so lebhaft interessierte , gar nicht zu existieren schien .
Aber lange sollte mein Zorn nicht anhalten ; denn bald bemerkte ich , wie sich der Herrenknäuel entwirrte , und mein blonder Herr Doktor juris rasch auf mich zugeschritten kam .
" Fräulein Geßler , finde ich Sie hier ?
Welche Überraschung ! " rief er freudig .
" Ich sehe Sie erst in diesem Augenblicke , sonst hätte ich mich beeilt , Sie früher zu begrüßen .
Wie geht es Ihnen denn ? "
Dachte ich_es doch !
Er freute sich auch , mich hier unter alle den fremden Leuten zu sehen , und hatte es mir nur nicht früher sagen können , da er mich jetzt erst bemerkte .
Das war mir gar zu angenehm , und fröhlich schwatzte ich nun mit meinem " lieben Freunde " , wie Marie ihn neckend nannte , von allen meinen Lieben zu Hause , und Dr. Hausmann schien sich so für Alles zu interessieren , was ich ihm vorplauderte , daß ich meine Umgebung völlig vergaß und ihm mit unbeschreiblichem Vergnügen und offenem Herzen gleich von allen möglichen Dingen erzählte .
Nachdem wir lange Zeit mit einander geschwatzt hatten , sah ich Tante Ulrikens feine Gestalt in meiner Nähe , und mir schien , sie blickte sehr prüfend und überrascht zu ihrem Backfischchen hinüber .
Da fiel mir ein , daß es ihr auch Freude machen würde , den Dr. Hausmann kennen zu lernen , und so stand ich rasch auf und sagte , ich wollte meine Tante herbei rufen .
Der Doktor folgte mir aber auf dem Fuße und bat , ihn doch lieber zu der Tante hinzuführen , damit er sich ihr vorstelle .
Dabei lächelte er so eigen , daß ich fühlte , ich hatte da gewiß wieder etwas Dummes gemacht , und mit Purpur übergossen eilte ich ihm voran , hin zu Tante Ulrike , der ich meinen Bekannten mit einigen Worten präsentierte .
Die Tante begrüßte den Doktor zwar in ihrer freundlichen Weise , wie sie eben gegen alle Menschen so engelsgut war , aber meinen Gefühlen genügte dieser Empfang bei weitem nicht und erschien mir gar zu kühl und zurückhaltend .
Hatte ich ja doch schon von so Vielem mit ihm gesprochen , was meinem Herzen nahe stand , von meinen Eltern und Geschwistern , meinem lieben Vaterhause mit alle seinen gemütlichen Einwohnern und Räumen , und von unserem traulichen , freundlichen Dorfe , das mitten in Wald und Wiese lag , wie eine Perle in der Muschel .
Das Alles hatte ihn mir so nahe gebracht , mir die Zunge gelöst und das Herz auf die Lippen geführt , und nun behandelte ihn die Tante zwar freundlich , aber doch gerade ebenso fremd als jeden anderen jungen Herrn , der ihr vorgestellt wurde .
Das war recht unangenehm !
Aber wie groß war mein Erstaunen , als der Doktor sich entfernt hatte , und die Tante sich nun mit nicht gar zu freundlichem Gesicht zu mir wandte .
" Du warst ja recht vertraut mit dem jungen Herrn , " sagte sie , mich mit sich in eine Fensternische ziehend , wo wir wenig beobachtet werden konnten .
" Ist denn der Dr. Hausmann ein so naher Freund eures Hauses ?
Davon wußte ich gar nichts . "
" Nein , Tantchen , sehr befreundet ist er meinen Eltern nicht , " erwiderte ich , etwas ängstlich geworden .
" Ich freute mich aber sehr , ihn hier zu sehen , wo mir so viele Personen unbekannt sind . "
" Und in deiner Freude hast du ganz vergessen , was sich für ein junges Mädchen schickt , mein Töchterchen , " sagte die Tante sanft .
" Ich , Tantchen ? " rief ich wahrhaft erschrocken , denn davon hatte ich keine Ahnung .
" Ja du , mein Herz !
In deiner Lebendigkeit hast du nicht beachtet , wie viele verwunderte Blicke zu dir hinflogen , während du dich mit dem jungen Mann so laut unterhieltest , daß die ganze Umgebung an eurem Gespräche Anteil haben konnte .
Dann lachtest du dazwischen auch so laut , wobei du den Mund recht unschön aufsperrtest und dich auf dem Stuhle weit hintenüber legtest , daß mir Angst und bange wurde .
Das Schlimmste aber war , daß du mit dem jungen Herrn sogar leise tuscheltest , als wäret ihr die intimsten Freunde .
Was in aller Welt fällt dir ein , Kind ?
Du bist doch sonst so schüchtern und ängstlich , heute aber kenne ich dich gar nicht wieder . "
" Ach , Tantchen , ich erzählte ihm einige meiner dummen Streiche , und das sollte doch niemand weiter hören ; aber ich sah wohl , daß einige Gäste unserem Gespräche lauschten , " sagte ich ganz außer mir vor Schrecken .
" Also dergleichen hast du schon mit ihm gesprochen ?
Das ist ja viel Vertrauen , das du diesem Herrn schenkst .
Kennst du ihn denn so genau , daß du weißt , er verspottet nicht etwa im Herzen deine Vertraulichkeit ? "
" Nein , Tantchen , das würde ich nie von ihm glauben ! " rief ich erglühend .
" Er hat sich ja so für Alles interessiert , was ich ihm von meiner Familie und meiner Heimat erzählte , und das würde er gewiß nicht getan haben , wenn er so schlecht wäre . "
" Nun natürlich erschien dir das so , Kind , denn er konnte doch nicht so unartig sein , fortzulaufen , wenn eine junge Dame ihm so vertrauliche Herzensergüsse macht , " sagte die Tante lächelnd .
" Aber Tantchen ! " jammerte ich dem Weinen nahe .
" Ich kann dir nicht helfen , du mußt diese kleine Strafpredigt hinnehmen , damit du vorsichtiger wirst , " fuhr die unerbittliche Tante fort .
" Wer weiß , ob dein Freund nicht jetzt gerade dabei ist , einem anderen jungen Herrn zu erzählen , welch törichtes Backfischchen dieses junge Fräulein Geßler ist , und ob diese Beiden sich dann nicht auf deine Kosten recht herzlich lustig machen . "
" Tantchen , um Alles in der Welt sprich nicht so ! " flehte ich trostlos , indem dicke Tränen der Angst und Verzweiflung über mein Gesicht rollten .
" Nun wir wollen das Beste hoffen , Kind , tröste dich nur , " sagte die Tante , mir das Haar aus meinem glühenden Gesicht streichend .
" Aber warnen mußte ich dich , damit du vorsichtiger und besonnener wirst , und deinen Gefühlen nicht noch freieren Lauf läßt .
Jetzt nimm dich zusammen , mache durch gehaltenes , nettes Betragen wieder gut , was du in den Augen so Mancher versehen , und vor Allem , zeige ein ruhiges , freundliches Gesicht ; denn es ist nie ratsam , die Gesichtszüge Verräter der Gefühle und Herzensbewegungen werden zu lassen , in Gesellschaft aber am wenigsten .
Sieh , da kommt deine gute Marie , sie wird dich besser trösten können , als ich es im Stande bin . "
Während Marie zu uns trat , ging die Tante einer alten Dame entgegen , und überließ es uns , nach Belieben unsere Herzen gegenseitig zu öffnen .
Die stille Fensternische verbarg denn auch noch für eine Weile alle meinen Jammer , den ich in das Herz meiner guten Marie ausschüttete , und von ihr erhielt ich allerdings auch reichlich Trost und Beruhigung für alle Torheiten , die ich begangen .
" Aufgefallen ist dein Betragen freilich , das kann ich nicht leugnen , " sagte Marie nach meinen Bekenntnissen , " und ich hätte dich gar zu gern aufmerksam gemacht , daß du lange genug mit dem Dr. Hausmann gesprochen habest .
Du schienst mich aber über deinem Gespräche ganz zu vergessen , so nah ich dich auch umschwärmte , und unaufgefordert konnte ich mich in eure Unterhaltung nicht mischen , da ich deinen Freund nicht kannte . "
" Ach nenne ihn nur nicht so ! " bat ich kleinlaut .
" Wer weiß , ob er dieses Namens nicht vielleicht völlig unwürdig ist und meiner spottet . "
" Nein , das glaube ich nicht , " sagte Marie ernst .
" In seinem Gesicht spricht sich viel Ernst und Milde aus , und wenn er vielleicht auch ein klein wenig im Herzen über das junge Backfischchen lächelt , das sich noch nicht recht zu benehmen weiß , so wird er dich doch sicher nie verspotten , sondern dein Zutrauen zu ehren wissen . "
" Glaubst du das wirklich , Marie ? " rief ich voll Entzücken , " Ach die Tante hatte mir gar zu bange gemacht ! "
" Ich müßte mich in seinem Gesicht völlig irren , wenn es anders wäre , " sagte Marie sinnend .
" Aber alle die Menschen hier , wie schrecklich habe ich mich vor denen blamiert !
Ich wage gar nicht aus meiner Ecke heraus zu kriechen , " seufzte ich weiter .
" Auch damit ist es nicht so schlimm , als du denkst , " tröstete Marie .
" Das Schlimmste , was ich in deiner Umgebung vorhin hörte , war , daß man lachte und dich für sehr jung erklärte , und sehr kindlich und unbefangen , und das ist am Ende Alles zusammen kein großer Fehler .
Übrigens wird man jetzt nach so langer Zeit die Geschichte vergessen haben ; komme nur getrost wieder an das Lampenlicht , denn länger dürfen wir hier jetzt nicht mehr stehen .
Sieh , da kommt Fräulein Meinfeld , sie ist stets sehr freundlich zu mir , und ich habe sie noch nicht begrüßt .
Adieu , auf Wiedersehen !
Sei guten Mutes , mein Rosenknospchen , und mache kein solch armes Sündergesicht mehr ! "
Dabei nickte mir Marie's blondes Köpfchen fröhlich zu , und bald sah ich meinen blauen Himmel an der Seite Fräulein Meinfelds , eines ältlichen , angenehmen Fräuleins , dahin schweben .
Zaghaft mischte ich mich wieder unter die übrigen Gäste , und setzte mich still etwas seitwärts in einem Zimmer neben dem Salon nieder , in welchem man eben anfing zu musizieren .
Die Diener reichten Eis herum , was ich sehr liebte , und so vertrieb ich mir die Zeit eine Weile recht gut ganz allein , indem ich bald der Musik lauschte , bald mein Eis langsam auf der Zunge schmelzen ließ , so daß es mein heißes Blut angenehm kühlte .
Dabei beobachtete ich meine Umgebung , ob ich nicht auch vielleicht etwas bemerkte , was nicht ganz nach den Regeln des Anstands sein möchte , damit ich doch nicht allein solch armer Sünder war .
Aber nein , ringsum war alles gehalten , ernst , anständig ; man unterhielt sich wohl , aber wegen der Musik nur leise , machte sich zierliche , wohlanständige Verbeugungen , und saß und stand überall so gerade , so sittig und passend , daß ich mich seufzend abwandte .
Da fiel mein Blick auf einen Herrn , der dicht neben mir stand .
Er schien mir nicht mehr ganz jung zu sein und sah auffallend ängstlich und befangen aus ; auch war er augenscheinlich ganz unbekannt in dem Kreise und verstand so wenig , seine Schüchternheit zu verbergen , daß ich herzliche Sympathie mit diesem Einsamen fühlte .
Die Musik schwieg endlich , die Gesellschaft schwirrte wieder lebhafter durch einander , nur mein Fremdling verharrte in seiner Verlassenheit .
Auch ich blieb ruhig auf meinem Stuhle sitzen , denn ich war verstimmt und konnte meiner Laune nicht Herr werden .
Endlich aber erhob ich mich , um meinen Teller fortzusetzen und sah dabei , das auch mein Einsamer seinen Teller noch in der Hand hielt und sich augenscheinlich dadurch in großer Verlegenheit befand , da er nicht wußte , was damit anfangen .
" Ach , " dachte ich , " du armer Schelm bist doch noch ungelenker , als ich kleiner Backfisch , " und da ich dicht an ihm vorbei gehen mußte , so griff ich , ein freundliches Wort sprechend , auch nach dem Teller des Einsamen und erlöste den Armen von seiner Verlegenheit .
überrascht fuhr derselbe auf und starrte mir stumm in das Gesicht .
Endlich besann er sich und machte mir eine Verbeugung , die herzlich steif ausfiel .
Dann stand er wieder wie vorher still auf seinem Platze , und auch ich nahm meinen Sitz wieder ein , da die Musik von Neuem ertönte .
Ich glaubte , wie gesagt , anfangs , als ich meinen stummen Nachbar betrachtete , einen nicht mehr jungen Mann vor mir zu haben .
Indem ich denselben jedoch jetzt in der Nähe angesehen , merkte ich wohl , daß er noch zu den jüngeren Herren gehörte , und daß nur seine wunderliche Haltung an diesem Irrtum die Schuld trug .
Ich blickte deshalb jetzt von meinem Stuhle aus noch einmal zu dem Fremden hin , um den ersten Eindruck mit dem späteren zu vergleichen .
Da aber wandte sich der Beobachtete schnell nach mir um , und ehe ich noch meine Blicke von ihm abgewendet , sah er mich mit seinen dunklen , eigentümlich schwermütigen Augen starr und stumm lange Zeit an .
Etwas gepeinigt durch dieses Anstieren machte ich mir schnell an meinen Handschuhen etwas zu schaffen , deren Knöpfe aufgesprungen waren .
Nun aber , als ich des Einsamen Gesicht jetzt eben wieder betrachtete , war mir dessen Ähnlichkeit mit irgend jemand aufgefallen , den ich kannte , ich konnte mich aber durchaus nicht besinnen , wer es sei , der ihm gleiche .
War es Prediger Moller in Magdeburg , oder Onkel Heinrich in Leipzig ?
Nein , nein , Dr. Sarre in Halle sah ihm wohl ähnlich , oder mehr noch Amtmann Amelang , unser Nachbar in Schreibersdorf .
Ich konnte mit mir nicht darüber einig werden , und doch quälte es mich unablässig , wie es mit solchen Dingen geht , denn eine große Ähnlichkeit war da , aber mit wem nur am meisten ?
Ich mußte es heraus bekommen , mußte mir noch einmal das eigentümlich anziehende Gesicht des Einsamen darauf ansehen .
Getrost blickte ich deshalb wieder auf und gerade zu dem Fremden hin , der mich jetzt gewiß längst ignorierte .
Aber wie erschrak ich , als ich nun bemerkte , daß die Blicke desselben immer noch auf mir ruhten wie vorher .
Das war doch recht lästig , was hatte denn der wunderliche Mann an mir zu sehen ?
Er war doch gar zu sonderbar !
Ich fühlte , wie mein Gesicht vor Verlegenheit feuerrot wurde , eine Erscheinung , die mich freilich oft genug belästigte , aber ich konnte es nicht ändern .
Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhle umher und nahm mir fest vor , den Platz zu wechseln , sobald das Gesangstück beendigt war .
Das schien aber kein Ende nehmen zu wollen , und während ich nun ordentlich scheu und erschrocken meine Augen vor den Blicken des Sonderlings senkte , geschah wieder etwas , das denselben in neue Verlegenheit brachte .
Er hielt nämlich , wie alle Herren , seinen Hut unter dem Arme , aber so ungeschickt , daß ich schon immer gefürchtet hatte , er werde ihn fallen lassen .
Und richtig !
Plautz ! da lag der unglückliche Hut endlich auch und zwar gerade vor meinen Füßen .
Der Fremde war in höchster Bestürzung , und vor Verlegenheit wagte er kaum , nach seinem Eigentum die Hand auszustrecken .
Unwillkürlich bückte ich mich deshalb schnell , griff nach dem Hute und reichte , natürlich abermals tief errötend , denselben seinem Besitzer hin , der ihn mit einer steifen Verbeugung aus meiner Hand empfing .
Hierbei aber verlor er nun wieder seine Handschuh , die er in der Hand hielt , und ehe er noch seinen steifen Rücken gekrümmt hatte , übergab ich ihm auch schon das Verlorene wieder .
Abermaliger Bückling und große Verlegenheit , denn nun stand er vor mir und wußte nicht , sollte er sprechen oder seine stumme Rolle ferner weiter spielen .
Um den wunderlichen Gesellschafter , sowie mich selbst aus der peinlichen Situation zu erlösen , griff ich nach einer Bildermappe , welche in der Nähe aufgeschlagen lag , und vertiefte mich scheinbar lebhaft in die Betrachtung der Kupferstiche .
Hatten nun aber diese Bilder wirklich das Interesse des Einsamen erregt , oder meinte er , mir seine Aufmerksamkeit beweisen zu müssen , kurz , er schaute mit vorgestrecktem Halse und weit geöffneten Augen nach den Bildern hin , die ich durchblätterte , blieb dabei aber in so gemessener Entfernung stehen , daß ich das Lachen verbergen mußte , das seine Stellung in mir erregte .
Um ihn jedoch los zu werden , reichte ich ihm ein Blatt nach dem anderen hin , damit er es sehen konnte , ohne mich zu belästigen .
Diese neue Aufmerksamkeit schien den Damm seiner Schüchternheit zu durchbrechen .
War ich ja doch augenscheinlich die Einzige , die sich seiner erbarmte unter alle den Gästen , - unter Larven die einzig fühlende Brust ! -
dem konnte sein Herz nicht widerstehen , das besiegte selbst seine Blödigkeit !
" Mein gnädiges Fräulein , " sagte er stotternd und leise , indem er sich an meine Seite setzte , " ich danke Ihnen , o ich danke Ihnen ! "
Dann fragte er mich , ob ich mich für die Kupferstiche interessiere , und als ich dies bejahte , dabei aber meine völlige Unkenntnis eingestand , fing er an , mit leiser Stimme , um die Musik nicht zu stören , von den Meistern zu reden , deren Werke vor uns auf dem Tische lagen : Dürer , Holbein , Carstens , sowie den berühmtesten Italienern Raffael und Michel Angelo .
Mir war anfangs etwas ängstlich zu Mute , denn ich erinnerte mich wohl , daß die Tante mir geboten , nur mit solchen Herren zu sprechen , die mir vorgestellt seien , und den wunderlichen Fremden kannte ich doch gar nicht .
Aber bald vergaß ich diese meine Furcht über dem lebhaften Interesse , das seine Reden mir erregten .
Er hatte augenscheinlich große Kenntnis in Kunstsachen , denn von jedem der Meister , sowie von ihren Werken wußte er mir in einer sehr anziehenden Weise etwas zu sagen .
Jetzt aber schwieg die Musik wieder , und es wurde um uns her lebhaft .
Ich fing wieder an mich zu ängstigen , daß ich mit dem wunderlichen Fremden so allein in einer Ecke saß , er aber schien dies gar nicht zu bemerken , sondern fuhr in seiner Unterhaltung gleichmäßig fort .
Da endlich sah ich Marie's blaues Kleid in der Nähe , und mich schnell erhebend , sagte ich hastig :
" Entschuldigen Sie , ich glaube , man sucht mich . "
Da kam Marie aber schon auf mich zu .
Sie war sehr erstaunt , mich mit dem Fremden in so nahem Verkehr zu finden , und indem sie demselben eine leichte Verbeugung machte , sagte sie : " Ah , Herr Baron , sieht man Sie auch einmal hier ?
Das ist schön ! "
Ich flüsterte Marie hastig zu , sie möchte mir den Herrn vorstellen , da sie ihn kenne .
Marie sah mich verwundert an , denn sie dachte natürlich , daß mein gesprächiger Kavalier dies schon selbst getan hätte , nun aber wandte sie sich gefällig wieder zu uns und sagte : " Liebes Gretchen , erlaube , daß ich dir einen Freund meines Bruders vorstelle , den Herrn Baron von Senft .
Und dies , Herr Baron , ist meine liebe Freundin Margarethe Geßler . "
Alle Steifheit und alles Ungeschick , das mein armer Einsamer während der lebhaften Unterhaltung glücklich überwunden hatte , kehrte jetzt mit einem Male in vollster Blüte zurück , sowie Marie zu uns getreten , und gesellschaftliche Formen wieder von ihm verlangt wurden .
Er machte eine unendlich linkische Verbeugung und stotterte einige unzusammenhängende Laute , aus denen nur einzelne Worte , wie : entzückt - Fräulein - gütig , vernehmbar hervor tauchten , wie Froschköpfe aus dem Sumpfe .
Wir eilten der Verlegenheit ein Ende zu machen , indem wir uns schnell empfahlen und nach einem anderen Zimmer gingen .
Aber mit wahrhaftem Mitleiden bemerkte ich die traurigen Blicke , welche der aufs Neue Vereinsamte mir nachsandte , und ich konnte mir nicht helfen , mein gutes Herz trieb mich , ihm noch einen recht freundlichen Gruß zurück zu schicken .
" Was tausend heißt denn das , Grete ?
Du bist heute ja ganz ausgetauscht ! " lachte Marie , als sie meinen Gruß bemerkte .
" Erst so vertraulich mit Dr. Hausmann , und nun gar ein Herz und eine Seele mit dem menschenscheuen Baron Senft ?
Irre ich nicht , so habe ich so eben ein sehr interessantes Tete-a-tete gestört , in dem du mit dem Sonderling begriffen warst .
Nun sollst du mir noch einmal weiß machen , du seist blöde !
Dem Mädchen , das den Baron Senft gewinnen kann , gehört wahrlich eine Verdienstmedaille ! "
" So schweige doch nur endlich mit dem Unsinn und höre , wie das alles gekommen ist ! " rief ich ärgerlich , denn ich schien heute wirklich dazu verdammt , den Schein eines unbesonnenen , koketten Mädchens auf mich zu ziehen .
Hastig erzählte ich nun der Freundin , wie sich unsere Bekanntschaft angeknüpft , und wie ich nichts weniger gewollt , als mich dem Sonderling aufzudrängen ; aber wie das Mitleid , das ich mit seiner Unbehilflichkeit gehabt , mir endlich seine Aufmerksamkeit erworben und die Eisrinde seiner Schüchternheit aufgetaut habe .
" Nun ein anderer , als unser scheuer , guter Baron hätte deine Aufmerksamkeiten wohl noch anders verstehen können , " lachte Marie .
" Ich bitte dich um Alles , spare deine Dienstfertigkeiten für andere Leute auf , junge Herren werden nun einmal nicht von jungen Damen bedient .
An dem armen Baron aber hast du eine Eroberung gemacht , den haben deine schwarzen Augen versengt ; denn sieh nur , da steht er schon wieder in der Tür und blickt sehnsuchtsvoll zu uns herüber . "
Wirklich , Marie hatte Recht , dort stand er und sah mich mit seinen großen Augen so eigentümlich an , daß ich wieder dunkelrot wurde und mich ängstlich an Marie's Arm klammerte und flehentlich bat , sie möge mich nicht mehr verlassen , ich mache sonst noch mehr Torheiten .
Zum Glück nahte sich die Gesellschaft ihrem Ende , und ich wurde aus der peinlichen Situation erlöst , in welche meine Unerfahrenheit mich wieder aufs Neue versetzt hatte .
Die lose Marie flüsterte mir als Gruß zur guten Nacht noch schelmisch zu :
" Gratuliere zu deiner Eroberung , träume süß , liebes Gretchen ! "
8. Folgen .
Am anderen Morgen kam Marie zeitig zu mir , um zu hören , wie meine gestrigen Aventüren mir bekommen wären .
Sie neckte mich in so lustiger Weise , war so ausgelassen und schalkhaft , daß ihre Heiterkeit mich bald auch ansteckte , und wir nun alle Beide um die Wette über meine Eroberung lachten .
Wahrscheinlich waren wir schrecklich albern und kindisch , denn die Tante , welche sonst gern mit uns scherzte , wollte heute gar nicht auf unsere Fröhlichkeit eingehen .
Gestern Abend hatte ich ihr beim Schlafengehen in unserem traulichen grünen Stübchen noch ehrlich alles gebeichtet , und obwohl sie mich vor ähnlichen Unbesonnenheiten warnte , so mußte sie dennoch herzlich über die Geschichte lachen ; zuletzt aber wurde sie ernst und nachdenklich und sprach nicht weiter von der Sache .
" Hört einmal , Kinder , " sagte sie jetzt , als wir beiden Mädchen in toller Lust neben ihr schwatzten und lachten , " nehmt es mir nicht übel , aber euer Betragen gefällt mir nicht !
Freilich hat der gute Baron euch allerlei Ursache zu Scherz und Lachen gegeben ; aber ein gutes Herz zeigt ihr wahrlich nicht , wenn ihr nur die komische Seite der Sache betrachtet , die traurige Rolle nämlich , welche der arme Mensch darin spielte .
Wißt ihr denn so genau , ob sein Interesse für Gretchen nur so flüchtig war , und ob er in seiner einsamen Lage nicht vielleicht wirklich innig gerührt worden ist durch die Freundlichkeiten eines so jungen Wesens ?
Verlassen dastehen ist hart und verdient Mitleid , nicht aber Spott . "
" Aber liebe , gute Tante , darüber lachen wir ja doch auch wirklich nicht , sondern über Gretchens naives Betragen , und was damit zusammenhing , " sagte Marie ernst werdend .
" Und was das Alleinstehen des Barons betrifft , so ist er ja ganz und gar selbst daran schuld , warum isoliert er sich so absichtlich !
Er hat Alles , was sein Herz verlangt , und wodurch er auch andere glücklich machen könnte , Reichtum , alten geachteten Namen , unabhängige Lage , gesunden Körper , und dabei lebt er wie ein Einsiedler , sieht und besucht fast keine Seele , ladet selten jemand auf seine Besitzungen ein , und wenn er sich ja entschließt , einmal aus seiner Klause hervorzukommen , so sieht er so scheu und unglücklich aus , daß sich niemand an ihn heran wagt .
Nicht einmal seine alten Freunde können etwas mit ihm anfangen , wie Eduard mir sagt .
Es ist ihm einmal nicht zu helfen , er ist gar zu wunderlich . "
" Bei alledem ist er aber doch zu bedauern , " sagte die Tante sanft , " denn es fehlt ihm trotz seiner irdischen Güter das rechte Glück .
Er versteht nicht , das Leben richtig zu erfassen , um sich und Anderen nützlich zu werden , und solche Menschen erregen immer mein Mitleiden . "
" Nun , wir wollen nicht mehr über ihn lachen , Tantchen , " sagte ich , der Tante die Hand küssend .
" Es war recht kindisch von mir , und doppelt Unrecht , da er mich gestern Abend wirklich gut unterhalten und belehrt hat .
Gewiß ist er ein innerlich sehr gebildeter Mann , dem nur die äußeren Formen abgehen .
Und ich alberne Bauerndirne sollte über diesen Mangel am wenigsten lachen . "
In diesem Augenblicke wurde der Dr. Hausmann angemeldet .
Dunkle Glut übergoß mein Gesicht bei diesem Namen , denn mein unpassendes Betragen von gestern Abend trat in seiner ganzen Größe vor meine Seele .
Um so mehr überraschte mich der Tante froher Ausruf : " O , das freut mich ja herzlich ! " denn ich hatte geglaubt , es würde ihr unangenehm sein , den Mann wieder zu sehen , vor welchem ich mich so kindisch betragen hatte .
Aber die Tante war oft ganz unberechenbar .
In ihrer freundlichen Weise ging sie dem Doktor zum Willkommen entgegen , und dieser begrüßte sie sowohl , als auch Marie und mich so offen und liebenswürdig , und doch dabei so ernst und würdig , daß sich meine Scheu sehr minderte , denn so hätte er sich sicher nicht benommen , wenn er mich im Herzen verspottet , oder gar von meiner Vertraulichkeit Mißbrauch gemacht hätte .
Sehr beruhigt faßte ich denn auch bald den Mut , mich mit in die Unterhaltung zu mischen , um wo möglich wieder auszuwetzen , was ich gestern dumm gemacht hatte , und wirklich , es schien , ich hatte heute meinen guten Tag , denn ich sprach fast so verständig , wie ein erwachsener Mensch .
Aber die gute Tante wußte auch so geschickt Dinge zur Sprache zu bringen , über welche ich gut Bescheid wußte , und der Doktor hatte eine so angenehme Art , auf Alles einzugehen , daß der Besuch sehr angenehm verlief , und mir ganz froh und frei zu Mute wurde .
" Nun , Gretchen , ich denke , der Doktor Hausmann ist besser , als ich dir gestern vorgeredet , " sagte die Tante , als der Besuch uns verlassen hatte .
" Gewiß , Tantchen , das sagte ich gleich .
Aber warum denkst du jetzt anders über ihn , als gestern ? "
" Weil er sich sonst gewiß nicht beeilt haben würde , zu uns zu kommen .
Gleichgültigkeit oder böses Gewissen hätten ihn sicher zurück gehalten .
Sein heutiger Besuch aber zeigt mir , daß er deine kindliche Vertraulichkeit ganz fein und richtig beurteilet hat , und das gefällt mir sehr wohl von ihm .
Er ist ein gebildeter , feinfühlender junger Mann , den ich stets gern bei mir sehen werde . "
Tante es Urteil , das mir stets maßgebend war , erfreute mich doppelt , denn nun konnte ich mich doch über mein Benehmen vom vorigen Abend beruhigen .
Der Doktor verlachte mich nicht , und das war mir die Hauptsache , die anderen Leute hatten sicher mehr zu tun , als an mich armes Backfischchen noch lange zu denken und über meine Dummheiten zu spotten .
Marie ihrerseits triumphierte , daß sie sich in meines Freundes Gesichtszügen nicht geirrt hatte , von denen sie gestern schon eine so gute Meinung gehabt .
In heitere , harmonische Stimmung versetzt , schieden wir endlich fröhlich von einander , als Marie sich zum Heimwege rüstete .
An jenem Tage beauftragte mich die Tante mit einigen Einkäufen , und ich machte mich fertig , dieselben nach dem Mittagessen zu besorgen , während Tante Ulrike zu einer alten Freundin ging .
Aber ich wurde durch Besuch einiger junger Mädchen zurück gehalten , und so war es schon ziemlich spät geworden , ehe ich meine Aufträge besorgen konnte .
Endlich aber hatte ich meine Geschäfte beendet und rüstete mich zum Heimweg .
Die Lampen brannten schon auf den Straßen und in den Kaufläden , und voll Bewunderung ging ich an den hellerleuchteten Schaufenstern vorüber , in denen beim Glanze so vieler Lichter Alles doppelt reich und kostbar erschien .
Mich einfaches Landkind entzückte ja ohnehin alle das Neue , das ich hier in der großen Stadt sah , und neugierig spähend blieb ich gern vor den Fenstern der Kaufläden stehen , um Alles recht genau zu betrachten .
Besonders waren es die an den Schaufenstern ausgestellten Bilder , für welche ich eine große Vorliebe besaß , und stundenlang hätte ich davor stehen mögen , um diese Kunstwerke anzusehen .
An einer solchen Handlung sah ich nun jetzt im Vorübergehen einzelne jener Blätter , welche ich Tags zuvor mit Baron Senft betrachtet hatte , und über deren großen Wert ich durch ihn belehrt worden war .
Voll Interesse trat ich deshalb an das hellerleuchtete Fenster und studierte diese Kunstwerke noch einmal , sowie auch die reiche Sammlung anderer Abbildungen , welche daneben lagen .
Im Anschauen dieser Sachen vertieft , bemerkte ich nicht , wie ein junger Mann mich schon seit geraumer Zeit beobachtete , bis mir derselbe in sehr auffallender Weise nahe trat und mir höchst zudringlich unter den Hut blickte .
- Ich erschrak und wandte mich schnell zur Seite , hoffend , der Lästige werde sich entfernen , wußte aber nicht , daß mein Verweilen am Schaufenster , und zwar bei beginnender Nacht , etwas durchaus Auffallendes war , und jener Herr sich meist nur in Folge hiervon die Zudringlichkeit erlaubte .
Endlich redete er mich gar mit einigen faden Redensarten an , und nun geriet ich in heftige Angst und Aufregung .
Schnell lief ich die Straße hinab , um dem jungen Manne zu entfliehen , aber ich merkte wohl , daß derselbe mir dicht auf den Fersen war , und hörte fortwährend , wie er mich mit den unerträglichsten Worten verfolgte .
Mein Weg war noch sehr weit , und in meiner Hast und Unkenntnis der Straßen verfehlte ich gar die Richtung und wußte bald gar nicht mehr , wohin ich mich wenden sollte .
Daß ein Mietswagen mir aus dieser Verlegenheit geholfen hätte , fiel mir in der Angst gar nicht ein , ich hörte nur immer den lästigen Begleiter neben mir und stürmte vorwärts , denn ich fürchtete jeden Augenblick , er werde mich anfassen , da er sich immer enger an mich heran drängte .
Der Angstschweiß stand mir auf der Stirn und die Tränen im Auge .
Eben war ich im Begriff , in einen Kaufladen zu treten , um dort Schutz und Hilfe zu suchen , da sah ich ein bekanntes Gesicht auf mich zukommen - Baron Senft , meinen neuen Freund vom vorigen Abend .
Freudig lief ich demselben entgegen , und wie ein Kind seine Hand ergreifend , rief ich flehend : " O , Herr Baron , bitte , beschützen Sie mich doch , und begleiten Sie mich nach Haus , ich habe den Weg verloren ! "
Der Baron sah mich verwundert an , denn ich zitterte vor Angst und Aufregung , ergriff aber sogleich meinen Arm und sagte , einen schnellen Blick auf meinen Begleiter werfend , der sich langsam zurückzog :
" Mit Vergnügen , gnädiges Fräulein .
Sein Sie ohne Furcht , ich werde Sie zu schützen wissen . "
Jetzt erst bedachte ich , wie wunderlich abermals mein Benehmen war dem Baron gegenüber ; aber er konnte nichts Übles von mir denken , sah er doch , in welch verzweifelter Lage ich mich befand , als ich um seinen Schutz bat , und natürlich erzählte ich ihm nun ausführlich , wie alles gekommen .
Mein braver Begleiter sprach seine aufrichtige Freude aus , mir nützlich sein zu können , und war so herzlich und offen zu mir , wiederholte mir immer wieder , wie sehr das Vertrauen ihn beglücke , das ich ihm schenke , daß mir ganz froh und ruhig zu Mute wurde , und ich dem guten Manne innig dankbar wie ein Kind in das Auge blickte , als ich endlich am Hause angelangt war .
Er sah mich zwar dabei so sonderbar ernst mit seinen dunklen , schwermütigen Augen an , daß ich nicht recht wußte , was ich dabei denken sollte ; aber ich hatte ihn ja als einen Sonderling kennen gelernt , und so machte ich mir weiter keine Gedanken darüber .
Küßte er mir ja doch sogar zum Abschied die Hand , er , der steife , ungelenke Menschenfeind , und bat um die Erlaubnis , anderen Tages sich nach meinem Befinden erkundigen zu dürfen .
Das war doch mehr , als ich je von ihm erwartet hätte , und fröhlich eilte ich zu Tante Ulriken , dieser meine neuen Abenteuer zu erzählen und ihr den Besuch des Barons zu verkünden .
Die Tante war aber sehr ungehalten über meine Unvorsichtigkeit und verbot mir streng , je wieder lange Zeit an den Schaufenstern stehen zu bleiben , was am Tage schon wenig schicklich , Abends jedoch völlig ungehörig sei , und mir stets einen Wagen zu mieten , sobald die Dunkelheit mich überraschte .
Über das Zusammentreffen mit dem Baron war sie ebenfalls nicht sehr erfreuet , kurz ich fühlte wohl , daß ich recht gründlich unvernünftig gewesen war und setzte mich sehr kleinlaut hinter meine Näharbeit .
Am anderen Morgen erschien denn auch wirklich der angekündigte Besuch :
Baron Senft ließ sich melden , und Tante Ulrike empfing ihn in ihrer feinen , liebenswürdigen Weise .
Ich fand aber , daß sie zurückhaltender war , als gewöhnlich , und da der gute Baron sich auch wieder im äußersten Stadium der Verlegenheit und Steifigkeit befand , so verlief der Besuch sehr wenig erquicklich .
Der arme Mann tat mir wieder gar zu leid , denn ich konnte ihm seine Pein lebhaft nachempfinden , und so tat ich mein Möglichstes , durch herzliches Entgegenkommen und kindliche Unbefangenheit ihm die Situation zu erleichtern .
Endlich empfahl er sich , und ich war ordentlich froh darüber , denn Tante Ulrike war unbegreiflich kühl und zurückhaltend .
Ich konnte es mit dem liebevollen Urteile , das sie des Tages zuvor über den Baron geäußert , gar nicht vereinigen , und sprach dies nun unverhohlen gegen sie aus .
" Es geschah , um der gar zu großen Freundlichkeit meines Gretchens ein Gegengewicht zu geben , " sagte die Tante ernst .
" Ich muß dich bitten , mein Kind , bei alle deiner unbefangenen Herzlichkeit , mit welcher du dem Baron über seine Schüchternheit fortzuhelfen strebst , doch viel zurückhaltender zu sein .
Du weißt nicht , ob solches Betragen auch so beurteilt wird , als du in deiner Harmlosigkeit denkst , und eine andere Auslegung würde dir doch sehr schmerzlich sein . "
" Eine andere , Tantchen ?
Wofür könnte er denn sonst meine Freundlichkeit halten ? " fragte ich betreten .
" Für Gefallsucht , Koketterie , mein Kind , " sagte die Tante , immer ernster werdend .
" O das ist doch aber nicht möglich , davon bin ich ja weit entfernt ! " rief ich heftig .
" Was habe ich denn getan , daß er so etwas von mir denken sollte ?
Nein das wäre doch zu schlecht von ihm ! "
" Ich hoffe , wir brauchen dies allerdings von dem Baron Senft nicht zu fürchten , " sagte die Tante sanft .
" Aber zurückhalten mußt du dich von jetzt an , mein Kind ; denn wenn er auch nicht von dir denken wird , du seist gefallsüchtig , so könnte er bei dir doch ein lebhafteres Interesse für ihn vermuten , das er , wie ich denke , dir immerhin nicht einflößt . "
" Aber liebe Tante , wie kannst du so etwas nur sagen ! " rief ich dunkelrot werdend .
" Du meinst , er könnte denken , ich sei - ach Tantchen ! "
Die Idee war mir so unsäglich komisch , daß ich trotz der Ernsthaftigkeit der Tante in ein herzliches Gelächter ausbrach .
Ich in den Baron verliebt !
Ich armer , junger , halberwachsener Backfisch !
Und er , dieser ernste , vornehme , steife Baron , der mir trotz seiner Jugend wie ein älterer Herr , eine Art Respektsperson gegenüber stand , und dem ich wie ein harmloses Kind mich anvertrauet hatte .
Man konnte nichts Wunderlicheres denken , die Tante hatte zu sonderbare Einfälle .
Als unser Gespräch diese heitere Wendung genommen hatte , denn auch Tante Ulrike mußte bei dem Gedanken lächeln , war mir das Herz wieder leichter geworden , und singend und heiter wie gewöhnlich ging ich an meine täglichen Beschäftigungen .
Am Nachmittag wurde ich durch Marie's Besuch erfreut , und voll Entzücken lief ich der herzigen Freundin entgegen .
" Liebste Marie , wie herrlich , daß du kommst ! " rief ich sie umarmend .
" Aber was hast du denn , du siehst ja ganz kurios aus , " fuhr ich sogleich fort und sah ihr forschend in die Augen , welche mich halb schelmisch , halb ernsthaft anblickten .
" Ja ich weiß selbst nicht , soll ich lachen oder weinen , Gretchen , " entgegnete Marie ungewöhnlich aufgeregt .
" Sage mir nur vor allem , was hast du wieder für Streiche gemacht !
Hast du den Baron etwa gestern wieder gesprochen ? "
" Den Baron ?
Ja freilich .
Gestern und auch heute ! " sagte ich errötend , denn was sollte Marie's Frage bedeuten ?
" Ich brenne vor Sehnsucht , dir Alles zu erzählen . "
" Nun dann erklärt es sich leichter , " sagte Marie sinnend .
" Aber wie ich dich kenne , ist es dennoch eine gar zu unangenehme Geschichte . "
" Aber was denn nur in aller Welt , Marie , so rede doch deutlich ! " rief ich voll Ungeduld .
" Was gibt es denn , und was sollen deine salbungsvollen Reden ? "
" Komme zur Tante Jagow , sie muß die Sache auch gleich erfahren , " sagte Marie , mich nach Tante Arbeitszimmer ziehend .
" Was gibt es denn , Kinder ? " fragte die Tante , bei unserem Eintritt ihre Arbeit unterbrechend .
" Marie ist eine Sphinx geworden , die in Rätseln spricht , Tantchen , " rief ich lachend .
" Vielleicht verstehst du , was sie will , mir armen Kinde ist die Sprache zu hoch . "
" Ach Tante Ulrike , das ist eine schöne Geschichte ! " rief Marie nun wieder halb lachend , halb weinerlich .
" Was machen wir nun ? "
" Was denn , was ist denn eine schöne Geschichte ? " entgegnete die Tante .
" Du bist ja ganz aufgeregt , ich kenne dich gar nicht wieder .
Was hat dich denn so aus deinem Gleichgewicht gebracht ? "
" Doch nicht etwa wieder unser guter Baron ? " rief ich lustig lachend .
" Ja ja , lache nur , du Böse , eben der ist_es ! " sagte Marie schmollend .
" Der Baron ?
Was hat er denn wieder verbrochen ? " scherzte auch Tante Ulrike .
" Mein Gott , nichts weiter , als daß er - nun damit ich_es nur sage , - daß er Gretchen heiraten will ! " stieß Marie heraus und sank auf einen Stuhl nieder , als hätte diese Eröffnung ihr alle Kräfte genommen .
" Heiraten - ! " riefen Tante Ulrike und ich wie aus einem Munde , und mir kam augenblicklich wieder das kindische Lachen an , das mich heute schon einmal bei diesem Gedanken erfaßte .
" Sprich doch nicht solchen Unsinn , Marie , und sage vernünftig , was du hast ! " rief ich endlich ; " denn ernsthaft kann diese wunderbare Eröffnung doch nicht gemeint sein . "
" Ja ja , bitterer Ernst ist es , Grete , du kannst es mir glauben , " sagte Marie eifrig .
" Warum wäre ich denn sonst so außer mir , wenn mich diese Geschichte nicht so aufregte ? "
" Aber Marie , es kann doch unmöglich jemand daran denken , mich dummes Ding heiraten zu wollen , " fuhr ich lustig fort , " Denke doch nur , ich heiraten , und nun gar den Baron Senft ! "
Nun kam auch meiner kleinen Marie die Sache so komisch vor , daß wir alle Beide in kindischer Ausgelassenheit lachten und kicherten und uns über diesen Gedanken gar nicht wieder beruhigen konnten .
In meiner Lustigkeit umschlang ich Tante Ulrike's Hals und blickte ihr fröhlich in ihre lieben , sanften Augen , in denen ich ebenfalls Anklänge an unsere Fröhlichkeit zu finden erwartete .
Aber ernst und sinnend war der Blick , der mich aus diesen Augen traf , und mit leisem Kopfschütteln sah die Tante zu uns lachenden Mädchen hinüber .
" Ich begreife euch alle Beide in dieser Sache nicht , " sagte sie jetzt milde , aber vorwurfsvoll .
" Gestern schon liest ihr eurer Heiterkeit in Betreff dieses armen Mannes den Zügel schießen und verrietet wenig Zartgefühl , und jetzt ist mir diese Auffassung der Dinge nun gar unbegreiflich .
Gretchen , vergißt du denn ganz , was ich dir heute Morgen gesagt habe ?
Hatte ich denn wirklich so Unrecht , als ich mein Bedenken darüber aussprach , deine freundliche Zuvorkommenheit könne anders gedeutet werden ?
Der Gedanke erscheint dir sehr lächerlich ; aber wird er es demjenigen auch sein , in dem du diesen Wahn erregtest ? "
Die Worte der Tante trafen mich wie ein bitterer Vorwurf , und beschämt barg ich mein Gesicht an ihrem Halse .
Sie ließ mich still eine Weile auf ihrer Schulter ruhen , um mir Zeit zur Überlegung zu lassen , dann hob sie meinen Kopf sanft empor , strich mir das Haar aus der Stirn und blickte mich ernst und liebevoll an .
" Siehst du wohl , mein Kind , " sagte sie dann leise , " daß ich nicht Unrecht hatte , wenn ich meinte , der arme Baron habe vielleicht viel tieferes Gefühl , als seine steife , wunderliche Figur und seine schlechten Manieren vermuten lassen ?
Es ist sehr schwer , einsam und verlassen durch die Welt zu gehen , und darfst du nun darüber lachen , wenn der einsame Mann glaubt , jemand gefunden zu haben , der ihn lieb hat mitten unter einer Menge Menschen , von denen er sieht , wie gleichgültig , ja unfreundlich sie ihm begegnen ?
Uns ist es lächerlich , daß der Arme sich hierin geirrt hat , und daß er also auch ferner sein einsames , freudenloses Dasein fortsetzen muß ! "
Während Tante Ulrike's Rede war das Lachen gänzlich von meinen Lippen geschwunden und hatte ernsten Vorwürfen Platz gemacht , welche jetzt wie Sturzwellen mich überfluteten und sogar Tränen in meine Augen brachten .
" Ach mein Gott , Tantchen , das hatte ich nicht bedacht , das war sehr , sehr schlecht von mir ! " sagte ich niedergeschlagen , und mit jeder Minute stieg meine Unbesonnenheit höher vor mir auf und sah drohender und zürnender auf mich nieder .
Die stille , ernste Gestalt und die traurigen Blicke des armen Barons traten jetzt plötzlich in so anderem Lichte vor mich hin ; die Bitterkeit , sich betrogen und verschmäht zu sehen , und der Schmerz , einem gehofften Glück entsagen zu müssen , ließen ihn so ganz anders in meinen Augen erscheinen , daß ich nicht begriff , wie ich so eben nur die andere Seite der Sache betrachten konnte .
Das innigste Mitleiden mit dem armen Manne ergriff mich , ich hätte ihm so unsäglich gern helfen und beistehen mögen - aber wie konnte , wie sollte ich das ; denn ihn wirklich heiraten , daran konnte doch niemand ernstlich denken , und ich am allerwenigsten .
Je mehr ich dachte , je trauriger wurde ich , denn ich wußte keinen Rat .
Endlich drang Träne auf Träne aus meinen Augen , und beschämt barg ich mein Gesicht in meinen Händen .
" Ach Tantchen , er tut mir so schrecklich leid , und ich kann ihm doch nicht helfen , " klagte ich trostlos .
" Daß ich auch so unbesonnen sein mußte !
Wer konnte das aber auch denken ? "
Die Tante war ganz still und störte meine Gedanken nicht , endlich aber kam Marie , die im Zimmer auf und nieder gegangen und dann sinnend an das Fenster getreten war , zu mir heran , nahm meine Hand von den Augen und sagte : " Nein , das kann ich so nicht länger mit ansehen .
Ich wollte die Geschichte zwar eigentlich nicht ganz so erzählen , wie sie ist , aber jetzt muß ich es , das sehe ich wohl .
Tante Ulrike , du hattest ganz recht , unser albernes Lachen zu tadeln , denn kindisch war es , ich sehe es ein ; aber so wie du die Sache ansiehst , ist sie doch nicht .
Tut mir Beide die Liebe und laßt sie euch erzählen .
Ihr seid auch gar nicht ein bisschen neugierig , woher ich sie weiß , und wie das alles zusammenhängt . "
" Das ist wahr , erzähle doch , Kind , " sagte die Tante .
Marie setzte sich neben mich , schlang ihren Arm zärtlich um meine Schulter und sprach :
" Als ich vor einigen Stunden von einem Besuch nach Hause kam , sah ich unseren guten Baron Senft vor mir die Treppe hinauf gehen und in dem Zimmer meines Bruders verschwinden .
Er hatte mich nicht gesehen , was mir sehr lieb war , ich aber glaubte zu bemerken , daß er aufgeregt und erhitzt aussah , als er in so ungewöhnlicher Hast die Treppe hinauf stürmte .
Ich dachte nicht weiter an den seltsamen Gast , sondern besorgte einige häusliche Arbeiten ; aber nach einiger Zeit trat mein Bruder mit unbeschreiblich lustigem Gesicht zu mir in das Zimmer .
" Rate einmal Marie , wer so eben bei mir gewesen ist , " sagte er schelmisch .
" Nun dein Freund , der Baron Senft , das ist nicht so schwer zu erraten , " erwiderte ich .
" Aber was er wollte , das rate einmal , mein kluges Schwesterlein ! " fuhr er lachend fort .
" Was kümmern mich eure Angelegenheiten , laß mich damit in Ruhe ! " rief ich und beugte mich wieder auf meine Arbeit .
" Nun ich denke doch , sie gehen dich etwas an , Kleine , " sagte Eduard neckend und zog mir den silbernen Leuchter fort , den ich so eben polierte .
" Oder ist es dir so gleichgültig , wenn es sich um deine hübsche , schwarzäugige Freundin handelt ? "
" Wie ?
Gretchen betrifft der Besuch des Sonderlings ?
Nicht möglich !
Was will er , erzähle , lieber , bester Eduard ! " rief ich überrascht , und schob mein Silberzeug schnell auf die Seite .
Eduard lachte und rieb sich vergnügt die Hände .
" Allerdings , deine lustige kleine Grete war der Gegenstand unserer Unterhaltung , " sagte er geheimnisvoll .
" Aber was will denn der Baron ?
So rede doch nur , was soll Gretchen ? " drängte ich den Bruder .
" Weiter nichts als ihn heiraten ! " sagte Eduard trocken .
Ihr könnt denken , daß mein Erstaunen nicht kleiner war , als vorhin das eure .
Als ich mich endlich etwas über diese Neuigkeit beruhigt hatte , ließ sich Eduard herbei , mir das ergötzliche Gespräch mitzuteilen , daß er mit dem Baron gehabt , und ich will versuchen , es euch möglichst getreu wieder zu berichten .
" Eduard ! " rief der Baron , als mein Bruder den seltenen Gast freudig begrüßt hatte , " ich bitte dich heute um einen Freundschaftsdienst . "
" Stehe mit Vergnügen zu deinen Befehlen , " entgegnete Eduard .
" Was gibt es , du willst dich doch nicht etwa duellieren ? "
" Das gerade nicht , aber etwas fast eben so Wichtiges .
Ich will heiraten ! " sagte der Baron ernst .
" Heiraten ?
Vortrefflich !
Wer ist denn die Erwählte deines Herzens , und welche Rolle soll ich bei dem Stücke übernehmen , das hoffentlich keine Tragödie sein wird ? " rief Eduard .
" Es ist Fräulein Margarethe Geßler , " entgegnete der Baron , " und da sie die Freundin deiner Schwester ist , so bitte ich dich , ihr meinen Heiratsantrag zu überbringen . "
" Wie ?
Die hübsche kleine Grete hat das Herz des Menschenfeindes bezwungen ? " rief Eduard in höchstem Erstaunen .
" Alle Wetter , das ist charmant !
Aber wie kommt das , wie in aller Welt ist das zugegangen ?
Und das ist alles gleich fix und fertig wie aus der Pistole geschossen ? "
" Weil ich gesehen , daß sie Neigung zu mir hat , " sagte der Baron kurz und trocken .
" Sieh da , was man nicht alles erlebt .
Du bist ja ein wahrer Hexenmeister ! " lachte Eduard .
" Also du weißt wirklich ganz sicher , daß sie dich liebt ?
Hat sie es dir denn gesagt ! "
" Nicht in Worten , aber was mehr ist als das , durch ihre Blicke und ihre Taten , " entgegnete der Baron .
" Die kleine Grete hat mit dir kokettiert ?
Pots Blitz , das hätte ich dem frischen Waldröschen kaum zugetraut ! " rief Eduard unaussprechlich ergötzt ; denn er merkte wohl , daß hier nicht alles ganz richtig war , und daß der Baron in seiner Wunderlichkeit wohl mehr gesehen und vermutet hatte , als an der Sache war .
" Von Koketterie kann hier nicht die Rede sein , " sagte der Baron beleidigt .
" Das junge Mädchen hat mir unbewußt gezeigt , daß ich ihr nicht gleichgültig bin , und deshalb verlangt es mich , die Rose zu pflücken , die sich mir in aller Lieblichkeit erschließt . "
" Wetter , du wirst ja ganz poetisch , alter Junge ! " rief Eduard , sich auf die Lippen beißend .
" Also aus reiner ritterlicher Aufopferung erhebst du das kleine Mädchen zu deiner Gemahlin ?
Bringst du ihr denn selbst die gleichen Gefühle entgegen , die du bei ihr vermutest ? "
" Eduard , " sagte der Baron jetzt einen Grad wärmer und vertraulicher werdend , " Eduard , du weißt , daß ich von meiner Familie gedrängt und bestürmt werde , mich zu verheiraten .
Alle möglichen Vorschläge haben sie mir schon gemacht , mir die reichsten , vornehmsten Mädchen angepriesen ; aber ich mag sie alle nicht , ich kann das hochmütige Weibervolk nicht ausstehen .
Lachen und spotten sie nicht alle über mein steifes , ernsthaftes Wesen , haben sie mich nicht alle zum Besten und mögen mich nicht leiden , und würden sie mich nicht alle nur wegen meines Reichtums und meines alten Adels heiraten , um mich dann mit ihren Launen vor Verzweiflung zum Hause hinaus zu jagen ?
Nein , aus solcher Heirat wird nie etwas !
Ich wollte nun gar nicht heiraten , das hielt ich für das Beste .
Aber in diesen letzten Tagen bin ich anderen Sinnes geworden .
Margarethe Geßler ist das erste weibliche Wesen , das mir Achtung und Vertrauen statt des Spottes entgegen brachte , ich habe es deutlich in ihren Augen gelesen , und darum bin ich fest entschlossen sie zu heiraten . "
" Hm , das ist merkwürdig ! " sprach Eduard , nachdenklich geworden .
" Aber noch einmal :
Was sagt denn dein Herz zu diesem Entschluss ?
Ist es nur Mitleid mit dem holden Kinde , das dich dazu drängt , ihr deine Hand anzubieten ? "
" Ich bin sehr einsam , Freund , und mein Herz hatte bis jetzt selten Gelegenheit mitzusprechen , " sagte der Baron mit zitternder Stimme .
" Die Neigung eines so jungen , liebenswürdigen Wesens kann mich nicht ganz gleichgültig lassen , und was meiner Neigung jetzt noch fehlt , wird kommen , wenn sie meine Gattin ist . "
" Aber Freund , bedenke , ein so junges Kind ! " mahnte nun Eduard den Kopf schüttelnd .
" Sie ist ja kaum sechzehn Jahre alt . "
" Jugend ist kein Fehler , " entgegnete der Baron gleichmütig .
" Aber sie ist bürgerlicher Abkunft und deine Familie von altem Adel !
Bedenke , was werden die Deinen dazu sagen ?
Du , der Erb- und Standesherr auf und zu Sänftenburg ! " fuhr Eduard dringend fort .
" Geht keinen was an , ich bin selbständig und brauche sie alle zusammen nicht ! " rief der Baron kurz .
" Sage mir nur , ob du in meinem Namen den Antrag machen willst .
Es selbst zu tun , habe ich weder Gelegenheit noch Gewandtheit genug . "
" Herzlich gern .
Aber vergilt es mir nicht , wenn die Antwort anders ausfällt , als du erwartest , " sagte Eduard , dem Baron die Hand reichend .
" Darüber mache dir keine Sorgen ; mein Dank für die endliche Erreichung meiner Wünsche mag der Lohn für deinen Freundschaftsdienst sein , " entgegnete der Baron warm und herzlich .
Darauf verabschiedete er sich bald , und Eduard suchte mich auf , um mir die Neuigkeit augenblicklich zu verkünden und meine Hilfe in Anspruch zu nehmen , da er dir selbst den Antrag nicht überbringen mochte .
Nun wißt ihr die ganze schöne Geschichte , und ich denke , unser liebes Tantchen sieht die Angelegenheit nicht mehr mit so tragischer Miene an , als vorher .
Denn da das Herz unserer Grete sich hoffentlich nicht in so desolatem Zustande befindet , als der gute Baron glaubt , dies aber , wie er ziemlich deutlich ausgesprochen , die Haupttriebfeder zu seinem Antrage war , so fällt die ganze Sache in sich selbst zusammen , und wir dürfen uns weiter keinen Kummer darüber machen , daß dem Baron das Herz davon brechen wird . "
" So leicht möchte ich denn doch nicht darüber hingehen , liebe Marie , " sagte die Tante noch immer ernst , als Marie ihre Erzählung geschlossen .
" Seine eigene Neigung mag allerdings nicht die erste Triebfeder zu dem Antrage gewesen sein , darüber ist wohl kein Zweifel , aber wie weit sein Herz dennoch trotz all dem dabei beteiligt war , werden wir freilich nicht erfahren .
Ich muß gestehen , es gefällt mir sehr von ihm , daß er sich ohne alle anderen Rücksichten ein einfaches Mädchen erwählt , nur weil sie ihn lieb hat , wie er meint , und er tut mir noch immer aufrichtig leid , daß er sich nun wieder in die vorige Einsamkeit gewiesen sieht . "
" Aber seiner Eitelkeit kann die kleine Lektion wahrlich nicht schaden , Tantchen ! " sagte Marie eifrig .
" Er muß sich doch für sehr anziehend halten , daß er meint , ein so nettes Mädel , wie unsere frische kleine Rose , sei knall und Fall bis über die Ohren in ihn verliebt , nur weil sie ihm einige Freundlichkeiten erzeigte . "
" Ich habe dir unser gestriges Zusammentreffen noch nicht erzählen können , das den Baron in dieser Meinung sehr bestärken konnte , Marie , " sagte ich verschämt ; Marie aber meinte , es werde auch weiter nichts gewesen sein , und daß der Herr Baron bei dieser Gelegenheit einmal erfahre , es gibt noch junge Mädchen in der Welt , die Reichtum und vornehme Stellung nicht so hoch anschlagen , um damit ihre fehlende Neigung zu verdecken , sei ihm auch ganz zuträglich .
" Es wird den armen Mann aber nur noch steifer und scheuer machen , als er ohnehin schon ist , " fuhr ich traurig fort .
" Nein , nein , Marie , du urteilst zu hart , und trotz allem , was du ihm vorwirfst , tut er mir doch schrecklich leid ! "
" Nun so gehe und heirate ihn , Schatz !
Vielleicht tust du ein gutes Werk und machst einen brauchbaren Menschen aus ihm ! " rief Marie mit komischer Heftigkeit .
" Nein , das bin ich trotz all ' meines Mitleids doch nicht im Stande , " lachte ich mit Tränen im Auge .
" Er verlangt mich ja auch nur , weil er meint ich liebe ihn , also würde ich ihn ja betrügen , nähme ich seinen Antrag an .
Also davon kann gar keine Rede sein .
Aber ich wünschte von ganzem Herzen , er fände bald , was er suchte , und was ich ihm nicht bieten kann . "
" Nun wir wollen es hoffen , Kind ! " sagte Tante Ulrike freundlich und küßte mich auf die Stirn .
" Die Sache wird hoffentlich hiermit abgemacht sein und weiter keine Folgen haben .
Du aber , mein Töchterchen , zieh dir die ernste Lehre daraus , daß ein junges Mädchen Herren gegenüber nicht vorsichtig und besonnen genug sein kann .
So manches Mädchen ist in den Ruf der Koketterie gekommen , nur weil ihre Unbesonnenheit und Lebendigkeit sie verleitete , Dinge zu sagen und zu tun , welche gegen die hergebrachten Regeln der Gesellschaft verstießen .
Daß der Baron dich trotz deiner Weigerung jetzt dennoch nicht für gefallsüchtig halten möge , hoffe und wünsche ich aufrichtig ; von einem weniger ernsten , soliden Manne , als er ist , dürftest du kaum eine andere Auffassung deines Betragens erwarten . "
Still neigte ich mich auf die liebe Hand der Tante , welche in der meinen lag , und einen Kuß auf dieselbe drückend , verließ ich ziemlich kleinlaut mit Marie das Zimmer .
Aller kindische Übermut war von uns Beiden gewichen , und in ernster Stimmung sprachen wir noch lange über die schonendste Art und Weise , in welcher ich dem Baron die abschlägige Antwort zukommen lassen wollte .
Eduard übernahm natürlich diesen schwierigen Auftrag ; aber trotz des feinen Taktes , mit dem er dem Freunde den Stand der Dinge berichtete , hatte meine Weigerung freilich zur Folge , daß der arme Einsame wieder für lange Zeit hinter den Mauern seiner Einsiedelei verschwand .
Ich aber konnte nicht ohne gerechte Selbstvorwürfe an dies Ereignis zurück denken , das mich heftig bewegt hatte , und immer wieder sah ich im Geiste jene dunklen , schwermütigen Augen , welche mich so ernst und forschend anblickten .
O was hätte ich darum gegeben , diesem trefflichen Manne ein Glück verschaffen zu können , das diese traurigen Augen in freudig strahlende verwandelte !
Ich selbst hätte diesen Wechsel nie hervorbringen können , das wußte ich nur zu gut , und auch der Baron würde dies bald genug selbst erkannt haben .
9. Noch eine Neuigkeit .
Das Leben im Hause der Tante gestaltete sich immer angenehmer und harmonischer , je länger ich dort verweilte , und schon lange dachte ich nicht mehr mit jener verzehrenden Sehnsucht , welche mich im Anfange so unsäglich peinigte , an mein liebes Vaterhaus zurück .
Ich erkannte jetzt mehr und mehr , welchen Wert es für meine ganze geistige Entwicklung hatte , einen Teil meiner Jugend bei Tante Ulrike zu verleben , und die unbeschreibliche Liebe , mit der dieselbe mich erzog , brachte mich leichter über die tausenderlei Mängel und Fehler hinweg , mit denen ich armes Backfischchen täglich immer wieder zu kämpfen hatte .
Bei dem engen Verkehr , welcher zwischen Tante Ulrike und mir stattfand , konnte es mir nicht entgehen , wenn die heitere Stirn derselben sich trübte , und so beunruhigte es mich ernstlich , als ich die Tante eines Morgens aufgeregt und in Tränen in ihrem Lehnsessel fand , sie , die sonst immer klar und ruhig alle Verhältnisse überblickte und sich eine ungewöhnliche Herrschaft über ihre Gefühle errungen hatte .
Ein Brief lag vor ihr auf dem Tische , und als ich erschrocken herbei eilte zu fragen , was ihr fehle , winkte sie mir sanft zu , mich zu entfernen , was ich natürlich in großer Sorge tat .
Lange hatte ich zu warten , ehe die Tante zu mir in das Zimmer kam ; ich hörte sie viele Male in ihrem Kabinett auf und nieder gehen , ein Zeichen , daß sie nach Fassung rang ; dann endlich knitterte Papier , und ich hörte , wie die Klappe ihres Schreibsekretärs knarrte , also schrieb sie .
Endlich kam sie zu mir , zwar ernst und niedergeschlagen , aber doch ruhig wie immer .
Sie setzte sich neben mich , strich mir liebevoll über das Gesicht und sagte : " Gretchen , ich muß dir einen Teil dessen erzählen , was mich , wie du gesehen , so unbeschreiblich bedrückt .
Du bist ein verständiges Mädchen und hast mich lieb , also kann ich dir immerhin etwas anvertrauen , wovon mein Herz belastet wird .
Natürlich sprich außer gegen deine gute Marie und deren Mutter , welcher ich es selbst mitteilen werde , gegen niemand davon . "
Ich küßte ihre liebe Hand , was ich so oft und so gern tat , wenn ich ihr meine Liebe und Verehrung bezeigen wollte , und mit sanfter Stimme sprach die Tante weiter :
" Du weißt , mein liebes Kind , daß ich seit vier Jahren schon Witwe bin , nachdem ich an der Seite meines trefflichen , geliebten Mannes die schönsten Jahre des Glückes und der Zufriedenheit verlebte .
Wir schlossen uns um so inniger an einander , nachdem uns Gott das einzige Kind wieder genommen , das unser Glück vollkommen machte .
Eine schwere , traurige Zeit war es , als ich den süßen Knaben verloren , aber meines Gatten zarte Liebe half mir das Schwerste tragen , und so hat mein Herz sich endlich ruhig in Gottes Willen ergeben .
Aber noch ein anderes Leid drückte uns bald danieder , und hier war ich es wieder , die meinem Gatten tröstend zur Seite stand .
Sein einziger Bruder nämlich , mit dem mein Mann durch die innigsten Bande der Liebe verknüpft war , hatte einige Jahre nach dem Tode seiner ersten Frau ein junges Mädchen geheiratet , das ihn durch Schönheit und Anmut zu fesseln verstanden .
Zwar hatte man ihn von allen Seiten vor dem Leichtsinn und der launischen Gemütsart des schönen Mädchens gewarnt , aber Adolph verachtete alle diese Stimmen und ließ sich , verblendet wie er war , von seiner Bewunderung und Leidenschaft hinreißen .
Leider war auch die Sorge für seine kleine elfjährige Tochter nicht im Stande , ihn von dem unbesonnenen Schritte zurück zu halten , obwohl das reich begabte Kind gar sehr einer zweiten treuen Mutter bedurft hätte .
Nur zu bald freilich sah mein armer Schwager , wie unbesonnen seine Wahl gewesen .
In den sieben Jahren seiner Ehe mit Kathinka ist der kräftige Mann vor Kummer fast zum Greise geworden , denn unmöglich können zwei Naturen weniger zusammen stimmen , als er und sein eitles herzloses Weib .
Adolph ist zu schwach und liebt den Frieden im Hause zu sehr , um alle den Launen und Torheiten seiner vergnügungssüchtigen Frau so entgegen zu treten , als er es wohl sollte , und so mag es dir genügen zu wissen , daß diese Ehe eine unendlich unglückliche ist .
Daß die Erziehung der kleinen Eugenie neben solcher Mutter natürlich auch keine gute war , kannst du dir denken ; denn der Einfluß des Vaters genügte nicht , um alle nachteiligen Elemente von seinem Kinde fern zu halten .
Eugenie wuchs heran , begabt mit Talenten und körperlichen Vorzügen , eine fertige junge Dame , glänzend und anmutig , wie die Mama es nur wünschen konnte ; aber wenn auch nicht leichtsinnig und herzlos wie diese , wovor sie ihr natürlich gutes Herz bewahrte , so doch ohne rechte innere Gemütswelt , wie ich sie bis jetzt zu beurteilen Gelegenheit hatte .
Ihre große Selbständigkeit und Originalität sind außerdem noch eine zwar interessante , aber gefährliche Zugabe , und wohl hätte ihre Erziehung bei solchen Anlagen einer ganz besonderen Sorgfalt bedurft .
Oft schon bot ich meinem Schwager an , Eugenie eine Zeitlang zu mir zu nehmen ; aber der arme Mann konnte sich nicht entschließen , die einzige Freude seines Lebens von sich zu geben , und so blieben die Sachen bis jetzt wie sie waren .
Der heutige Brief jedoch gibt mir nun die Nachricht , daß mein Schwager , um sich dem häuslichen Jammer für einige Zeit zu entziehen , als Gesandter seiner Regierung nach dem Auslande gehen wird , scheinbar zwar dorthin geschickt , in der Tat aber nur auf seinen eigenen dringenden Wunsch .
Seine Frau wird ihn also nicht begleiten , und um Eugenie nicht unter der alleinigen Obhut der leichtfertigen Mutter zu lassen , bittet er mich dringend , seine Tochter für die Dauer seiner Abwesenheit in meinem Hause aufzunehmen .
Ich habe ihm so eben geantwortet , daß ich hierzu bereit sei , und so sehe ich denn Eugeniens baldiger Ankunft entgegen .
Da dieser Wechsel in unserer Häuslichkeit nun auch dich betrifft , mein Gretchen , " fuhr die Tante nach einer kleinen Pause liebevoll fort , " so mußte ich dir einen Teil jener traurigen Familienverhältnisse enthüllen , von denen ich mit dir sonst niemals gesprochen hätte .
In Rücksicht darauf wirst auch du Nachsicht haben gegen die Fehler Eugeniens , welche in solcher Umgebung entstanden .
Auch meine Aufgabe , unserer neuen Hausgenossin gegenüber , ist keine leichte , und so wollen wir denn Beide mit gutem Mute und herzlicher Liebe unsere Eugenie erwarten . "
Ich hatte die Erzählung Tante Ulrike's mit inniger Teilnahme angehört , als sie jedoch von der Ankunft Eugeniens sprach , erzitterte mein Herz unwillkürlich , und angstvoll blickte ich in das sanfte Auge der Tante , um mir dort Ermunterung und Zuversicht für den bevorstehenden Wechsel zu suchen .
Eben fing ich an , mich wohl und behaglich hier im Hause zu fühlen , meine schüchterne Zurückhaltung gegen die Tante war erst jetzt einem innigen Vertrauen und herzlichem Anschmiegen gewichen , wie würde es nun werden , wenn eine dritte Person zwischen uns trat , und zwar solch bedeutendes , glänzendes , selbständiges Mädchen , als Eugenie der Beschreibung nach sein mochte !
Welch traurige Rolle würde ich armes Dorfkind neben solch einem Wesen spielen , wie verächtlich würde diese Eugenie gewiß auf mich herab sehen , und wie viel neue Plage würde daraus für mich nun wieder entstehen , wo ich kaum anfing , mich etwas in die neuen Verhältnisse zu finden .
Solche Gedanken fuhren mir blitzschnell durch den Sinn und brachten mein Herz in unbeschreiblichen Aufruhr .
Da aber erklangen die Worte der Tante , welche mich an die trüben Verhältnisse mahnten , in denen Eugenie bis jetzt gelebt , und daß wir derselben mit gutem Mute und treuem Herzen entgegen kommen wollten .
Tief beschämt , daß ich eigensüchtiger Weise nur an mich und meine Unbequemlichkeiten gedacht , drückte ich die Hand der verehrten Tante , diese aber zog mich liebevoll an ihr Herz , und indem sie mich küßte , blickte sie mir voll Zärtlichkeit in die Augen .
" Habe keine Furcht , mein Kind , " sagte sie dabei sanft , " dir soll kein Nachteil durch unsere neue Hausgenossin entstehen .
Ich bin dir schützend und helfend zur Seite , meine Liebe wird vermitteln , wo es nötig ist .
Vertraue mir nur und sei guten Mutes . "
Es war , als ob die Tante alle Befürchtungen meines armen Herzens gelesen hätte , denn ohne daß ich ein Wort gesprochen , traf sie sogleich den Punkt , wo ich schwach und zaghaft gewesen .
Tief errötend gestand ich ihr nun meine egoistischen Gedanken und schöpfte mir für alles , was da kommen möchte , Mut und Vertrauen an ihrem treuen Herzen , das schon so oft mein Trost und meine Zuflucht gewesen .
Nur wenige Wochen nach diesem Gespräche kam die Erwartete denn auch wirklich eines Nachmittags an .
Die Tante war nach dem Bahnhofe gefahren , um Eugenie zu empfangen , und ich harrte indessen zu Haus in banger Erwartung hinter meiner dampfenden Kaffeemaschine , in welcher ich für die Reisende den warmen Bewillkommnungstrank braute .
Da fuhr der Wagen vor , und hinter der Gardine spähend sah ich neben Tante Ulrike eine hohe , schlanke Gestalt aussteigen , welche in leichten Schritten nach dem Hausflur eilte , die Sorge für alle ihre unzähligen Reiseeffekten einem hübschen , jungen Mädchen überlassend , das sich bis zum Kinn hinauf damit bepackte .
Ich eilte den Ankommenden jetzt schnell entgegen und wurde Eugenie durch die Tante als ihre liebe Nichte Margarethe vorgestellt .
" So so , das ist das Backfischchen vom Lande , von dem du mir vorhin erzähltest , " sagte Eugenie leichthin und ließ ihre Blicke flüchtig auf mir ruhen .
Dann reichte sie mir im Vorübergehen ihre zierlichen Fingerspitzen , die von zarten grauen Handschuhen bedeckt waren , und sich zu Tante Ulrike wendend fuhr sie schnippisch fort : " Hast du die Absicht , dir ein Mädcheninstitut anzulegen , daß du dir eine junge Dame nach der anderen kommen läßt , Tante Ulrike ? "
" Ich hoffe , mein Gretchen wird dir eine liebe Schwester werden , " entgegnete die Tante sanft , indem sie die häßlichen Worte Eugeniens nicht beachtete und mir leise mit der Hand über das Haar strich .
Eugenie wandte sich lachend zu mir und sagte : " Nun , ich bin zwar bis jetzt auch ohne Schwester fertig geworden , aber ich habe nichts dagegen , daß wir gute Freunde werden , Cousinchen ! "
Dabei kam sie rasch auf mich zu , und ehe ich es dachte , drückte sie einen herzlichen Kuß auf meine Lippen .
Dann wandte sie sich eben so rasch nach jenem belasteten jungen Mädchen , das jetzt in das Zimmer trat und rief : " Lisette , lege die Sachen nur indessen alle auf die Erde und hole mir zuerst ein Glas Wasser , ich komme um vor Hitze und Durst ! "
Aber noch ehe Lisette diese Geschäfte beendet , warf sich ihre Herrin auf einen Stuhl , und indem sie einen Fuß empor streckte , rief sie :
" Zieh mir diese abominablen Pelzstiefeln von den Beinen , in denen ich aussehe wie ein Lappländer , und gib mir meine leichten Hausschuhe dafür . "
Lisette tat wie ihr befohlen , indem sie vor Eugenie niederkniete , und diese ergötzte sich damit , jeden der geschmähten Pelzstiefeln mit dem Fuße über Lisettes Kopf hinweg in die entgegengesetzte Ecke zu schleudern , wobei sie kindisch lachte und jubelte .
Ich stand ganz verblüfft neben diesem sonderbaren Wesen , das so ganz anders war , als ich dachte .
Hochmütig und doch dabei herzlich , despotisch und zugleich kindlich , und vor allem so unbegreiflich sicher und ungeniert , als ob sie schon hundert Jahre lang bei Tante Ulrike heimisch sei , es war für mich etwas Unerhörtes .
Die Tante schien aber das sonderbare Betragen des neuen Ankömmlings gar nicht zu beachten , denn als sie ihre Sachen abgelegt , setzte sie sich behaglich in die Sofaecke , und sagte heiter :
" Nun Gretchen , ich hoffe , du hast uns eine gute Tasse Kaffee bereitet , sie soll uns wohl tun .
Eile dich , Eugenie , sonst lasse ich dir gar nichts übrig . "
" Kaffee ? Behüte der Himmel , den trinke ich nie ! " rief Eugenie , ihren reizenden braunen Lockenkopf schüttelnd , und zog ein Paar hellblaue , weich gefütterte Pantöffelchen an ihre wunderniedlichen kleinen Füße .
" Kaffee , ein nichtswürdiges Getränk , puh !
Verdirbt den Teint und macht Hitsflecke . "
" Aber was genießt du denn statt des Kaffee's , Kind ? " fragte die Tante .
" Des Morgens Schokolade , Nachmittags gar nichts oder Tee ! " entgegnete Eugenie leichthin , indem sie sich in Tantchens behaglichen Lehnstuhl streckte und mit den hellblauen Füßchen in der Luft auf und nieder wippte .
Ich wurde ganz rot vor Überraschung , als Eugenie sich so mir nichts dir nichts in Tantchens Stuhl setzte , von dem mich stets eine heilige Scheu zurückgehalten hatte ; aber dergleichen Gefühle durfte ich freilich bei dieser kleinen Prinzessin nicht voraussetzen , ihr schien das Beste eben gut genug für ihre Bedürfnisse .
Die Tante ließ sie auch ruhig gewähren und wandte sich zu mir , indem sie mich bat , etwas Tee für Eugenie zurecht zu machen , da dieser ein warmes Getränk gut tun würde .
Eugenie sagte nichts dagegen , und so tat ich , wie die Tante mir geheißen .
Das junge Mädchen hatte indessen eine kleine Bürste aus der Tasche gezogen , und putzte damit die fabelhaft langen Fingernägel ihrer zierlichen weißen Hände , ganz als sei sie allein im Zimmer , und achtete gar nicht mehr auf ihre Umgebung .
Dann sprang sie vom Stuhle auf , ringelte ihre braunen Locken vor dem Spiegel und ging bald im Zimmer , bald in Tantchens Boudoir umher , indem sie alle Bilder , Kunstwerke , Bücher und dergleichen Sachen flüchtig betrachtete .
" Wie himmlisch altmodisch alles bei dir ist , Tantchen ! " rief sie dann lachend .
" Den alten Plunder hätte Mama längst zum Trödler geschickt .
Wir hatten alle paar Jahr unsere neue Einrichtung . "
Ich erstarrte ordentlich über Eugeniens Reden .
Diese schönen , gediegenen , kostbaren Meubles und geschmackvollen Einrichtungen nannte sie alten Plunder !
Hier , wo ich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes mich kaum zu bewegen wagte vor Hochachtung gegen die kostbaren Dinge , die mich umgaben , hier hörte ich dieselben Gegenstände als altmodischen Trödel verachten !
Das war denn doch zu arg , und angstvoll blickte ich zu der Tante hin , um zu erfahren , was sie dazu sagte .
Sie errötete leicht und bis sich auf die Lippen .
Dann aber sprach sie gelassen :
" An diesen alten Meubles hängt der Zauber schöner Erinnerungen , Eugenie .
Sie waren Zeugen meiner glücklichsten Tage und sind mit mir alt geworden .
Ich möchte kein Stück davon missen oder gegen etwas Neues vertauschen , denn sie sind alle mit mir und meinem Geschick verwachsen .
Wer stets neue Umgebung liebt , der denkt entweder nicht gern an die vergangenen Tage , oder hat einen weltlichen , unruhigen Sinn , für den nur das Neue Reiz und Wert besitzt . "
Eugenie sah mit wunderlicher Miene nach der Sprechenden , halb war ihr lächerlich , halb ernsthaft zu Sinne .
" Was du für hübsche Gedanken hast , Tantchen , " sagte sie unbefangen .
" Sie passen prächtig zu den alten Meubles , sie sind eben so ehrwürdig und altmodisch wie diese .
Aber du hast Recht !
Was du da sagtest , gefällt mir ; es war mir noch nie eingefallen . "
" Du hast wahrscheinlich an gar vieles noch nicht gedacht , Kind , was wahr und gut ist , " sagte die Tante sanft .
" Ich hoffe , das wird nun kommen . "
Eugenie setzte sich still und etwas empfindlich wieder in ihren Stuhl , und ich brachte ihr eine Tasse Tee .
" Ich mag keinen Tee , mir ist heiß genug ! " sagte sie verdrießlich und schob die Tasse unsanft zurück , so daß der Tee auf mein Kleid floß .
Ich wandte mich schnell ab , denn ich ärgerte mich unbeschreiblich über das launische Mädchen , die Tante aber sagte sehr bestimmt , obwohl ruhig :
" Du wirst jetzt diese Tasse Tee trinken , Eugenie ; denn erstens tut er dir nach der Reise gut , und zweitens ist er so eben von Gretchen für dich bereitet worden .
Du hättest ihr die Mühe sparen können , wenn du vorher wußtest , daß du keinen trinken wolltest . "
Eugenie fuhr verwundert ein wenig vom Sitz auf und wurde dunkelrot .
Sie saß ein Weilchen noch wie ein trotzig Kind in ihrem Stuhle und beguckte ihre weißen Fingernägel , dann richtete sie sich plötzlich rasch empor , zog die Theetasse heran , tat Sahne und Zucker hinein , trank den Tee in einem Zuge aus und schob mir die leere Tasse hin .
" Noch eine , Gretchen ! " sagte sie gebieterisch .
Ich goß ein , und nun trank sie die zweite Tasse eben so schnell hinunter , indem sie mir abermals die leere Tasse hinschob und " noch eine ! " rief .
Ich sah die Tante fragend an , denn offenbar war Eugenie trotzig und wollte die Tante reizen .
Diese aber sagte ganz ruhig : " Nein Gretchen , gieße keinen Tee weiter ein , Eugenie würde sich schaden . "
Meine eigensinnige Cousine sagte nichts , saß aber bitterböse im Lehnstuhl und trommelte mit den hellblauen Pantöffelchen auf dem Teppich .
" Gretchen , " rief sie endlich , den Kopf zurück werfend , " bist du hier auch im Korrektionshause ? "
" Aber Eugenie ! " sagte ich bebend ; weiter war ich keines Wortes mächtig .
Eugenie erwartete auch gar keine Antwort , sondern schnippte mit den Fingern in der Luft und fing an ein Liedchen zu trällern .
Die Tante ging still nach ihrem Boudoir und machte die Tür hinter sich zu , und wir Beiden waren nun allein .
Mir waren die Tränen in das Auge getreten , denn offenbar hatte die böse Eugenie Tante Ulriken weh getan , und vorwurfsvoll sagte ich deshalb :
" Aber liebe Eugenie , wie konntest du die Tante so kränken ! "
Eugenie trällerte weiter und gab mir keine Antwort .
" Du glaubst gar nicht , wie gut die Tante ist , liebe Cousine .
Du solltest wirklich artiger gegen sie sein , sie verdient so sehr deine Liebe und Achtung ! " fuhr ich wärmer werdend fort .
" Du kennst sie gewiß noch nicht ; aber ich bin schon so lange hier , daß ich ihren großen Wert und ihre hohen Verdienste unendlich lieben und schätzen gelernt habe .
Sie meint es so gut mit jedermann ! "
Jetzt wurde ich von einem gewaltsamen Gähnen unterbrochen , welches Eugenie hervorstieß , indem sie sich beide Ohren zuhielt .
" Du himmlische Güte , seid ihr hier langweilige Philister ! " rief sie sich im Stuhle zurück werfend .
" O sancta simplicitas , wie wird_es mir armen Heidin unter diesen Heiligen ergehen ! "
Sie machte ein so komisches Gesicht , und sah so schelmisch dabei aus , daß ich mir trotz meiner ernsten Stimmung das Lachen verbeißen mußte .
" Sage Mal , du kleiner Vernunftkasten , wie alt bist du denn eigentlich , daß du dir heraus nimmst , mir gute Lehren zu geben ? " fuhr Eugenie dann fort , indem sie mich mit Semmelkrümmchen warf .
" Bist du denn schon aus dem dummen Vierteljahr heraus ?
Du scheinst mir eigentlich noch ein Backfischchen zu sein .
Zählst du schon vierzehn Jahre und sieben Wochen ? "
" O ja , die liegen glücklich hinter mir , wenn auch noch nicht lange , " sagte ich lächelnd und warf ihr die Semmelkrumen wieder in das Gesicht .
" Wie kannst du dich aber " Gretchen " nennen lassen ! " sprach Eugenie weiter .
" Das klingt wie lauter Idylle , und die kann ich nicht leiden .
Ich werde dich Marguerite nennen , oder auch Gänseblümchen , was ja dasselbe bedeutet . "
" Und was sehr bezeichnend für das simple Backfischchen ist , nicht wahr ? " fuhr ich neckend fort , denn ich fühlte recht gut , daß sie mir einen Hieb versetzen wollte .
" Nun dumm bist du nicht , wenn auch simpel ! " warf Eugenie leicht hin .
" Nicht so dumm als ich aussehe , " sagte ich lachend .
" Hm !
wer sagt dir , daß du so aussiehst ? " rief Eugenie rasch .
" Ich nicht , denn ich finde dich im Ganzen passabel hübsch . "
" Du meinst la beauté du diable von sechzehn Jahren , wo jedes Mädchen niedlich ist , weil sie frische Farben und jugendliche Formen hat ? " warf ich spottend ein .
" Ach mit dir streite wer Lust hat , du bist eine Hexe ! " rief Eugenie , mir ein ganzes Milchbrot auf den Rücken werfend , da ich ihr gerade denselben zuwandte .
" Gehe nicht so schlecht mit der edlen Gottesgabe um , Eugenie ! " sagte ich vorwurfsvoll , die Semmel wieder auf den Tisch legend .
" Die Tante leidet es niemals , daß man mit Brot spielt . "
" Um Gottes Willen , da will ich es lassen ! " rief Eugenie im komischen Schrecken , " ich muß sonst am Ende auch alles Brot genießen , woraus ich Kugeln und Figuren gedreht habe , wie vorhin deinen gräßlichen Tee , von dem mir noch der Kopf brennt wie Feuer . "
" Weil du unvernünftig dabei warst , wenn ich es dir ehrlich sagen soll , " rief ich , das Theegeschirr zusammen setzend .
" Ich muß doch sehen , ob Tante wieder Lust hat , mich zu verschlingen wie vorhin , " sagte Eugenie jetzt mutwillig und ging nach Tante Zimmertür , und noch ehe ich sie voll Schrecken zurückhalten konnte , warf sie mir ein Schnippchen zu und war hinter der Tür verschwunden .
" O mein Gott , ist das ein Mädchen ! " rief ich , indem ich ihr angstvoll nachblickte , denn nie hatte ich es gewagt , die Tante zu stören , wenn diese sich zurück gezogen hatte , und sie wagte es , nachdem sie dieselbe durch ihre Unarten so erzürnt hatte !
Ich lauschte aufmerksam , ob ich heftigen Wortwechsel hören würde ; aber es dauerte nicht lange , so erklang Eugeniens kindlich helles Lachen , die Tür öffnete sich , und von ihrer Nichte zärtlich umschlungen , trat die Tante mit dieser in das Zimmer .
" Du brauchst dir nicht einzubilden , daß du die Versöhnung verursacht hast , heilige Margaretha , " sagte Eugenie , den Kopf aufwerfend , aber ein freundlicher Blick Tante Ulrike's sagte mir , dies sei allerdings der Fall .
Nun ich freute mich , die gute Tante wieder heiter zu sehen , die Ursache davon mochte ich oder jemand anders sein .
" Jetzt komme nach deinem Zimmer , mein Kind ! " sagte die Tante , Eugenie in ihr freundliches Stübchen führend , welches an unser Schlafzimmer grenzte .
Ich hatte schon gefürchtet , Tante würde mich mit in Eugeniens Zimmer einquartieren , was mir sehr leid getan hätte , da mir unser trauliches Stübchen herzlich lieb geworden war , nachdem ich so manchen schweren Augenblick darin überstanden hatte .
Aber mein Gardinenbettchen stand nach wie vor an seinem alten Fleck , und von einer Änderung war keine Rede .
Eugeniens Zimmer hatte eine ungemein zierliche , obwohl einfache Einrichtung , und augenscheinlich machte es auf das verwöhnte Kind einen angenehmen Eindruck , denn sie sprang singend und übermütig von einem Gegenstand zum anderen .
" Aber hier die stolze Landschaft muß fort ! " rief sie plötzlich , vor dem kleinem Kamin stehen bleibend , über welchem ein schöner Claude Lorrain aufgehängt war .
" Hier kommt mein herzig liebes Väterchen hin , obwohl der böse Mensch eigentlich gar nicht verdient , daß ich ihn noch ansehe , seit er mich so treulos verlassen und mich den barbarisch grausamen Händen einer gewissen Frau Ulrike überantwortet hat .
Geschwind , Lisette , ausgepackt , daß ich meinen Papa endlich wieder unter den Augen habe ; er kennt mich doch am Besten von allen Menschen , und weiß , ob ich so schlecht bin , als gewisse Leute von mir denken . "
Dabei riß sie ungeduldig an den Schnüren und Pappen , welche ein großes Bild umhüllten , das Lisette so eben aus einer der vielen Kisten heraus genommen .
Aber trotz ihres Eifers gelang es ihr nicht , das Bild aus seiner Umhüllung zu lösen , so daß ich endlich zugriff und ihr die Sache abnahm .
" Du bist zu heftig , Eugenie , so geht es nicht ! " sagte ich , vorsichtig die Schnüre entwirrend , aus denen sie einen wahrhaft gordischen Knoten geschürzt hatte .
" Da nimm es , ich mache alles dumm ! " rief sie stürmisch , aber nun stand sie ungeduldig neben mir und ließ mir kaum Zeit und Raum , die Arbeit zu beenden .
Endlich fiel das letzte Papier , und mit einem lautem Jubelschrei umfaßte Eugenie das Bild des Vaters mit beiden Armen , drückte es heftig an ihre Brust und bedeckte es dann mit tausend Küssen , wobei ihr die hellen Tränen über die Wangen rollten .
" Väterchen !
Mein einzig liebes Väterchen ! " rief sie mit zärtlicher Stimme .
" Nun habe ich dich ja doch , wenn du auch weit fort von deiner armen lustigen Jenny bist und gar nichts mehr von ihr wissen magst , du böser , böser , lieber Papa ! "
Es war wirklich ein unbeschreiblich rührender Anblick , das wunderliebliche Mädchen mit so kindischer Zärtlichkeit das Bild des würdigen Mannes liebkosen zu sehen , und aller Groll , den sie mir bis jetzt durch ihr wunderliches Betragen erregt hatte , schwand beim Anblick dieser Szene .
Sie hatte das beste , liebevollste Herz , das zeigte sich nur zu deutlich , aber unter wie viel Schlacken ruhten diese Goldkörner !
Schweigend stand ich neben Tante Ulrike , welche ebenfalls tief bewegt nach Eugenie hinblickte , und auch ihr Auge schimmerte in Tränen , sei es vom Anblick des geliebten Schwagers , sei es über die Bewegung ihrer wunderlichen Nichte .
Sie trat näher zu Eugenie heran , und indem sie sich tiefer auf das Bild neigte , zog sie das liebe Kind innig an ihr Herz und hielt sie lange schweigend umfangen .
Eugenie weinte still am Halse der treuen Tante , und ihr guter Genius schloß einen Bund mit dem besten Herzen , das über ihr wachte .
Aber sich lange der Wehmut zu überlassen , das war denn doch nicht die Sache unserer Eugenie .
Plötzlich raffte sie sich empor , schüttelte die wirren Locken aus der Stirn , trocknete sich die Augen , und rief wieder mutwillig :
" Das ist eine schöne Geschichte !
Hat der böse Papa mich doch wahrhaftig wieder zum Weinen gebracht , und ich hatte es doch verschworen , seit sein Reisewagen um die Ecke bog .
Geschwind an den Nagel mit dem Sünder , der mich zu solch weichgebackenem Seelchen umgewandelt hat . "
Dabei sprang sie auf einen der schwellenden Polsterstühle , und hing mit kräftiger Hand das prachtvolle Ölbild an den Nagel .
Dann nickte sie demselben schelmisch zu , küßte es noch einmal herzlich und sprang wieder herab , leicht und lustig wie ein Vogel von dem Zweige .
Der Abend verging ganz gemütlich mit Auspacken , Einrichten , Erzählen und Plaudern , und Eugenie war bis zum Schlafengehen so liebenswürdig und artig , sprach so viel Gescheites und Geistvolles zwischen allerlei Wunderlichem und Barockem , daß man ihr eine geheime Bewunderung nicht versagen konnte .
Beim Schlafengehen küßte sie mich herzlich und sagte , ich sei doch eine kleine Hexe , dann hüpfte sie trällernd ihrer voranleuchtenden Jungfer nach , und noch eine ganze Weile hörten wir ihr lustiges Plaudern und Lachen .
Als wir allein waren , strich mir Tante Ulrike freundlich über das Haar , wie sie immer tat , wenn sie mit mir zufrieden war ; dann zog sie sich noch für ein Stündchen in ihr Zimmer zurück , während ich mein Lager suchte ; aber lange noch scheuchten die Gedanken über unsere neue Hausgenossin den Schlaf von meinen Augen , bis endlich der freundliche Traumgott auch meine Sinne mit holden Bildern umgaukelte .
10. Eugenie .
Als ich am anderen Morgen erwachte , traf mein erster Blick Tante Ulriken , welche vor meinem Bette stand und die Langschläferin wohl schon eine geraume Weile angeschaut hatte , denn sie nickte mir freundlich zu und sagte : " Wie schön du geschlafen hast , kleine Grete , ich mochte dich wahrlich nicht stören , obwohl es schon spät ist .
Du schienst sehr angenehm zu träumen , denn du lachtest so eben wie ein Kind im Schlafe . "
" Mir träumte von unserer neuen Hausgenossin , Tantchen , " sagte ich , mich im Bett empor setzend .
" Sie machte eben einen recht lustigen Streiche :
denn unserem guten alten Pudel hatte sie ihren feinen Spitzenkragen umgebunden , und die hellblauen Pantöffelchen an die Füße gezogen .
Eben wollte sie ihm noch einen Schleier überwerfen , dann sei das Fräulein fertig , wie sie sagte , da erwachte ich .
Wie kann man nur so dummes Zeug träumen ! "
" Nun unsere übermütige Eugenie wäre solcher Streiche wohl fähig , " lachte die Tante .
" Jetzt will ich aber aufstehen , denn sonst überrascht sie mich gar noch im Bett , sie ist vielleicht an frühes Aufstehen gewöhnt , " sagte ich eifrig und griff nach meinen Kleidern , um mich geschwind fertig zu machen .
" O , " sagte die Tante , indem sie sich auf mein Bett setzte , " da brauchst du dich nicht sehr zu beeilen , Eugenie liegt wie du noch in den Federn , ich war eben in ihrem Zimmer .
Sie schlief zwar nicht mehr , sondern lag mit offenen Augen im Bett und schien gelesen zu haben , zum Aufstehen aber hatte sie noch keine Lust .
Sie ist eben ein verwöhntes Kind , das tut was ihm beliebt .
Für es erste muß ich sie schon ruhig bei ihren Launen lassen , so schwer es mir wird , ich rechne auf ihren richtigen Verstand und ihr gutes Herz , welche sie mit der Zeit wohl auf besseren Weg bringen werden .
Dein Beispiel , mein Gretchen , soll mich in der Erziehung Eugeniens unterstützen ; denn im Umgange mit dir , mein gutes Kind , wird sie bald einsehen , wer von euch Beiden auf dem richtigsten Wege ist , ein brauchbarer Mensch zu werden . "
" Mein Beispiel , Tantchen ? " rief ich verwundert .
" Wie kann ich armes , ungeschicktes Bauermädchen ein Beispiel für die elegante , feingebildete Eugenie sein ?
Das sagst du wohl nicht im Ernste ! "
" Doch , mein liebes Kind , " entgegnete die Tante liebevoll , " du bist ein natürlich einfaches Mädchen , das zwar noch wenig feine gesellschaftliche Bildung besitzt und gar mancherlei Dinge noch lernen muß , ehe ihre Erziehung vollendet ist ; aber dein bescheidener Sinn und dein einfach sittiges Wesen können der hochfahrenden Eugenie trotz alle ihrer feinen Bildung und ihrer äußeren Eleganz gar wohl zeigen , was ihr fehlt , und wer von euch Beiden einen größeren inneren Wert besitzt .
Eugenie fehlt bei alle ihrer äußeren Vollendung doch die recht eigentliche Bildung , ich meine die Bildung des Herzens , und diese , hoffe ich , wird sie hier bei uns mit der Zeit erhalten .
Das arme Kind hatte bis jetzt leider wenig Gelegenheit , sich hierin zu vervollkommnen , möchte es noch nicht zu spät sein , und möchten wir diesem reichbegabten Wesen geben können , was ihm noch so sehr fehlt . "
Die Tante zog mich liebevoll an ihr Herz , während ich stumm und demütig mein erglühendes Gesicht an ihrer Schulter barg .
Ach ich war unsäglich glücklich über die Worte der geliebten Tante !
Wohl oft schon hatte sie mir durch einige zufriedene Äußerungen oder Blicke gezeigt , daß sie nicht unzufrieden mit mir war , und daß ich trotz meiner vielen Torheiten dennoch ihre Liebe und ihr Vertrauen besaß , aber so viel Lob war mir noch nie von ihr zu Teil geworden .
Fast hätte ich stolz und eitel davon werden können , aber die Tante kannte mich genug , um zu wissen , daß ihre Worte bei mir diese Folgen nicht haben würden ; denn ich fühlte gar wohl , wie sie mich durch ihr Lob nur etwas sicherer und selbstbewußter Eugenie gegenüber machen wollte , bei welcher meine ängstliche Bescheidenheit durchaus nicht angebracht war .
Offenherzig gestand ich der Tante diesen Gedanken , und ihr feines Lächeln bestätigte meine Vermutung .
" Du bist ein kleiner Schalk , Gretchen , " sagte sie heiter .
" So ganz fehlgeschossen hast du freilich nicht ; denn ich kann nicht leugnen , daß ich allerdings herzlich wünsche , du möchtest dich recht fest in den Sattel setzen , um im Laufe mit Eugenie von ihr nicht herausgeworfen zu werden , was ihren Übermut sehr vermehren würde .
Aber ich hoffe , es wird schon gehen , wenigstens tat Eugenie gestern schon einige Äußerungen über dich , welche mir zeigten , du habest ihren Capricen tapfer die Stirn geboten .
Damit hast du dir schon ein gutes Teil Terrain bei ihr erobert , und das ist mir lieb zu hören . "
Ich erzählte der Tante lachend mein gestriges Gespräch mit Eugenie , das sie sehr ergötzte .
" Ja ja , auf seiner Hut muß man bei dem Blitzmädchen sein , " sagte sie , " denn vergibt man sich bei ihr erst einmal etwas , so hat man das Spiel verloren .
Nun halte dich tapfer ; für dich wird aus dem Umgange mit ihr auch gar vielerlei Gutes erwachsen , wenn du es wohl zu nützen verstehst .
Aber jetzt eile dich mit deiner Toilette , sonst überrascht dich Eugenie am Ende wirklich noch im tiefsten Negligee . "
Ich kleidete mich mit Tantchens Hilfe schnell an und hatte die Freude , von ihr abermals ein Lob zu erhalten , wie nett und richtig ich jetzt alles machte , was zur Toilette gehört .
" Entsinnst du dich noch des ersten Morgens , Gretchen ? " fragte sie neckend .
" Weißt du noch , wie ich da nicht aufhören konnte zu verbessern und zu reden ?
Weißt du , wie du mit den nackten Füßen zum Bett heraus fuhrst , und als Hemdenmätzchen an der Erde hocktest ?
Wie du dich ohne Wasser wuschest und endlich eine ganze Sündflut um dich her verbreitest ? "
" O still , still , Tantchen !
Wie sollte ich das vergessen haben ? " rief ich , der Tante den Mund zuhaltend .
" Damals dachte ich nicht , daß ich es dir je würde recht machen können , das kann ich dir jetzt ehrlich gestehen .
Nachgerade aber ist mir nun doch einige Hoffnung gekommen , daß dein dummes Backfischchen noch ein vernünftiger Mensch werden könnte . "
" Die Zeit wird es ja lehren , " sagte die Tante mir zunickend .
" Jetzt gehe und sieh , ob Eugenie nicht bald kommt , sonst müssen wir ohne sie frühstücken , mein Magen hat wegen meiner kleinen Faulpelze jetzt lange genug gefastet . "
Ich eilte in Eugeniens Zimmer , um die Cousine zum Frühstück abzuholen .
Aber wie erstaunte ich , als ich die junge Dame noch im Bett und eben im Begriff fand , ihre Schokolade zu schlürfen , welche Lisette ihr präsentierte .
" Guten Morgen , Gänseblümchen ! " rief sie mir fröhlich entgegen und gebot ihrer Jungfer , das Frühstück neben ihr Bett zu stellen .
" Was habt ihr für gräuliches Zeug von Schokolade hier im Hause ! " fuhr sie , den Mund verziehend , fort .
" Das ist ja süßer Mehlbrei für Wickelkinder , pfui !
Mama soll mir augenblicklich von unserer Vanillechocolade schicken , hörst du Lisette !
Schreibe es gleich auf den Bestellzettel .
Aber du mein Himmel !
Heilige Margarethe , schon fix und fertig in den Kleidern ? " rief sie dann , mich verwundert vom Kopf bis zu den Füßen anblickend .
" Was hast du denn vor , willst du verreisen , daß du dich so früh schon anziehst ? "
" Nein , das tue ich stets , Eugenie ! " sagte ich gleichmütig .
" Die Tante sieht es nicht gern , wenn junge Mädchen im Morgenrock umher gehen , weil sie es für Verwöhnung hält . "
" Nun da wird sie sich bei mir wohl daran gewöhnen müssen , " entgegnete Eugenie schnippisch und strich die feine Stickerei ihres Nachtjäckchens am Handgelenk glatt .
" Ich bin kein Bürgermädchen , das gleich aus dem Bette auf die Straße muß , meine Bequemlichkeit lasse ich mir nicht stören . "
" Jeder nach seinem Gefallen , liebe Cousine , " erwiderte ich achselzuckend .
" Ich habe es mir zur Pflicht gemacht , allen Wünschen der Tante nachzukommen , und so tue ich auch dies , obwohl auch ich an Morgenrock und Häubchen gewöhnt war .
Jetzt finde ich es selbst sehr angenehm , gleich früh fertig zu sein , man gewinnt sehr viel Zeit dabei . "
" Bah , Zeit !
Was habe ich davon ! " rief Eugenie spöttisch .
" Der Tag ist ohnehin lang genug . "
" Ich möchte ihn stets noch einmal so lang haben , die Zeit vergeht mir immer viel zu schnell , " erwiderte ich .
" Du bist eine Närrin , Gänseblümchen , " rief Eugenie ärgerlich .
" Aber was willst du eigentlich bei mir , kommst du etwa nur , um mir wieder eine Predigt zu halten ?
Den Anlauf dazu nimmst du schon wieder . "
" Ich habe das Gespräch nicht angefangen , Eugenie ! " sagte ich kurz .
" Ich kam nur , dich zum Frühstück zu rufen ; da du dasselbe aber für dich allein einzunehmen für gut findest , so habe ich weiter nichts hier zu suchen . "
Dabei wandte ich mich nach der Tür und wollte gehen .
Ein schallendes Gelächter Eugeniens traf mein Ohr , und unwillkürlich blickte ich nach ihr zurück .
" Du bist eine kostbare kleine Kratzbürste ! " rief sie lustig .
" Nun gehst du schnurstracks zu unserer wohllöblichen Tante und berichtest ihr brühwarm , was sich allhier so eben zugetragen , und wie ich der heiligen Margarethe höchsten Zorn erregte .
Und dann setzt ihr beiden Tugendexempel euch einander gegenüber und weint heiße Tränen über das räudige Schaf , das unter eure fromme Herde gekommen . "
" Rede doch nicht solchen Unsinn , Eugenie ! " entgegnete ich , indem ich gegen meinen Willen lachen mußte .
Da die Tante mich jedoch erwartete , eilte ich zur Tür hinaus , hinter mir drein aber flog einer der seidenen Pantoffeln , welche das lose Mädchen mir nachsandte .
Die Tante schüttelte den Kopf , als ich ihr von diesem Morgenbesuche erzählte , und wir tranken ziemlich still und ernst unseren Kaffee .
Aber noch waren wir nicht damit fertig , so öffnete sich die Tür , und Eugeniens rosiges Gesichtchen schaute zu uns herein .
" Da ist sie doch ! " rief ich freudig überrascht und eilte ihr entgegen .
Auch die Tante stand auf , der Ankommenden die Hand zu reichen , Eugenie aber schritt feierlich zu uns heran und sagte salbungsvoll :
" Wo zwei oder drei beisammen sind in meinem Namen , da bin ich mitten unter ihnen ! "
Ich erschrak über diesen Frevel , als hätte ich selbst die Sünde begangen , die Tante aber blickte rasch auf , dunkle Glut färbte ihre Stirn , und finster , wie ich sie noch nie gesehen , schaute sie Eugenie an .
" Unbesonnenes Mädchen ! " sprach sie streng , " laß mich nie wieder dergleichen frevelhafte Worte hören !
Leichtsinn und Unarten will ich dir verzeihen , aber wer Spott mit dem Heiligsten treiben kann , von dem will ich nichts mehr wissen , für den habe ich nur noch die tiefste Verachtung .
Ich hoffe , du siehst ein , wie unverantwortlich du gehandelt und bereust es von Herzen ! "
Eugenie stand erschrocken vor der zürnenden Tante und hatte ihre kecke Haltung ganz verloren .
Sie faßte sich zwar endlich wieder und wandte sich etwas verlegen zur Seite , aber der tiefe Ernst der Tante ließ jegliche Erwiderung auf ihrer Lippe ersterben , und schweigend setzten wir unser Frühstück weiter fort .
Eugenie fühlte sich augenscheinlich dabei höchst unbehaglich , denn bald stand sie auf und machte sich im Zimmer zu schaffen .
Endlich öffnete sie den Flügel und ließ die Finger über die Tasten gleiten , ohne rechten Zusammenhäng zwar , aber so kunstvoll und meisterhaft , daß ich erstaunt aufhorchte .
" Spiele uns doch etwas , liebes Kind , " sagte Tante Ulrike sanft , und herzlich erfreut , daß sie aus dem Dilemma durch Tante gütige Anrede erlöst worden , ließ Eugenie nun ihre Finger im raschen Spiele über die Tasten rollen .
Es war ein wirklicher Genuß , ihr zuzuhören , denn Anschlag , Geläufigkeit und Vortrag , alles war so vortrefflich , wie ich es selten gehört hatte .
Dem Spiel folgte bald auch Gesang , und die reine hohe Sopranstimme sowie der ungemein ansprechende Vortrag Eugeniens entzückten mich von Neuem , und auch der Tante ernstes Gesicht hellte sich mehr und mehr auf .
Musik ist der beste Vermittler , Tröster und Helfer in so manch trüber Lage des Lebens , und auch hier halfen uns die Töne über den unangenehmen Zustand hinweg , in den Eugeniens Torheit uns versetzt hatte ; denn als sie vom Klavier aufstand , reichte ihr die Tante freundlich die Hand und lobte ihre treffliche musikalische Ausbildung .
" Du mußt meine Lehrer loben , nicht mich , Tantchen ! " rief Eugenie , sich nachlässig auf das Sofa werfend .
" Sie haben mich genug damit gequält , mehr als alle die Lappalie wert ist . "
" Nun du solltest es ihnen danken , denn du bist durch diese Mühe in den Besitz schöner Talente gelangt , " entgegnete die Tante .
Eugenie beantwortete diese Ermahnung aber in ihrer bekannten liebenswürdigen Weise , indem sie den Mund zum Gähnen öffnete , und leise seufzend ging die Tante an ihr vorüber .
Einige Zeit nachher kehrte ich mit dem Ausgabebuche der Köchin aus der Küche in das Wohnzimmer zurück und trug vorsichtig eine Menge kleiner Münzen , welche ich eingewechselt , auf dem Umschlage des Buches .
Eugenie ging trällernd an mir vorüber , und ehe ich wußte , wie mir geschah , schlug sie mir Geld und Buch aus den Händen , daß die Münzen rings im Zimmer umher flogen .
Wie ein tolles Kind lachte sie dann über ihren mutwilligen Streiche , während ich bestürzt niederkniete , die vielen kleinen Geldstücke mühsam aufzulesen .
Aber da trat die Tante , welche alles aus ihrem Cabinet mit angesehen , zu uns heran , gebot mir aufzustehen , Eugenie aber , selbst aufzusuchen , was sie hingeworfen .
Eugenie blickte betroffen auf , dann warf sie den Kopf in den Nacken , öffnete die Tür und rief ihre Kammerjungfer herbei .
" Lies die Münzen auf , Lisette ! " befahl sie dem eintretenden Mädchen , und schon kniete dieses am Boden , da sagte Tante Ulrike :
" Lisette , gehe nur , es ist schon gut . "
Dann aber , als das Mädchen das Zimmer verlassen , gebot sie Eugenie ruhig aber sehr ernst , selbst ihren stolzen Rücken zu beugen und wieder zu verbessern , was sie Törichtes getan .
Eugenie wußte nicht , ob sie ihren Ohren trauen sollte ; aber der stille Ernst der Tante imponierte ihr doch gewaltig , und ohne eine Erwiderung begann sie das mühsame Werk .
Unter Stöhnen und Schelten kroch sie am Boden umher , kaum aber hatte sie eine Hand voll Münzen aufgesammelt , so warf sie mir dieselben voll Ingrimm wieder an den Kopf , und so würde sie nimmermehr zu Ende gekommen sein , hätte ich mich ihrer nicht endlich dennoch erbarmt und ihr beigestanden .
" Ach meine Füße , meine Glieder ! " rief sie nun , als wir fertig waren .
" Ich bin wie gerädert , es ist mein Tod ! "
Ich ließ sie ruhig klagen und ging meinen häuslichen Geschäften nach .
Als ich wieder zurück kehrte , fand ich sie nicht mehr , und da ich glaubte , sie werde wohl Toilette machen , ging ich nach ihrem Zimmer , ihr zu helfen .
Aber wie erschrak ich , sie hier im Bett zu finden .
Als sie mich sah , überhäufte sie mich mit Scheltworten und Klagen , sagte , sie werde hier behandelt wie ein Sträfling , und es werde sicher ihr Tod sein , sie fühle sich jetzt schon völlig krank und elend .
Bestürzt eilte ich zu Tante Ulrike , dieser den Zustand Eugeniens mitzuteilen , die Tante aber lächelte über meine Sorgen und sagte ruhig : " Laß nur Kind , Eugenie wird schon wieder gesund werden , aber gehe nicht zu ihr , wir müssen sie sich selbst überlassen . "
Dann ergriff sie ein Buch und begann unsere tägliche Lektüre , und Lessings geistvolle Worte , die sie mir vorlas , führten meine Gedanken bald in andere schönere Regionen .
Meine Freundin Marie unterbrach nach einiger Zeit unsere Beschäftigung , um sich nach dem neuen Ankömmling zu erkundigen .
Da Eugenie aber noch immer nicht sichtbar war , so hatten wir Zeit genug , lange allein mit einander zu schwatzen .
Schon nahte die Mittagstunde , und Marie wollte wieder gehen , da erschien plötzlich Eugenie in der Tür , höchst zierlich angekleidet und stolz und vornehm in Miene und Haltung .
Ich stellte ihr meine Freundin vor und fragte nach ihrem Befinden , sie aber lehnte sich matt in den Sessel , nickte Marie kalt einen Gruß zu und schien uns dann nicht weiter zu beachten .
Marie entfernte sich bald und war außer sich über Eugeniens Art und Weise , ich suchte sie indes zu entschuldigen ; aber meine Versicherung , daß sie unendlich liebenswürdig sein könne , fand bei meiner feinfühlenden kleinen Freundin durchaus keinen Glauben .
Ich setzte mich still an meine Arbeit , während meine Cousine wieder nachlässig auf dem Sofa ruhte .
Ihr helles Lachen überraschte mich aber bald darauf , so daß ich verwundert aufblickte .
" Ist sie immer so blau und so blond ? " rief Eugenie lustig .
" Wen meinst du denn ? "
" Nun deinen Castor , mein Pollux ! "
" Ja , blond ist sie immer , wie ich immer schwarz bin .
Und blau trägt sie viel , ich liebe das gerade an ihr .
Wie gefällt sie dir denn , Eugenie ! "
" Wie einem solch ' Butterschäfchen gefallen kann !
Es fehlt nur Totenkopf und Bibel , und die büßende Magdalena ist fertig . "
Ich war empört .
Meine Marie , meine vergötterte , herrliche Freundin so zu schmähen , es war abscheulich !
Ich wollte eben einige rechte bitterböse Worte erwidern , da fühlte ich mich plötzlich von hinten umschlungen , und Eugeniens schönes Gesicht blickte voll Schelmerei in meine feuchten Augen .
" Richtig , das Wetter wird gleich losbrechen ! " rief sie , und küßte mich .
" Schleudere deine Blitze nur herab auf mein reuig Haupt , o Kronion , ich verdiene es nicht besser ! "
Nun mußte ich wieder lachen , wo ich böse sein wollte , es war nicht auszuhalten mit diesem Mädchen !
" Was machst du denn eigentlich da ? " fragte Eugenie und nahm mir meine Arbeit aus der Hand .
" Etwas sehr Häusliches und Prosaisches , wie du siehst , ich stopfe Strümpfe . "
" Du stopfst sie ?
Um es Himmels Willen , warum tust du denn das , das macht doch kein anständiges Menschenkind selbst ! "
" Ich wüßte nicht , was bei solcher Arbeit Entehrendes wäre ?
Die Tante sagt , je weniger Hilfe wir von Anderen brauchten , je besser wären wir daran , denn um so unabhängiger machte man sich von anderen Menschen . "
" Hm , das ist nicht dumm .
Machst du dir noch mehr selbst , auch etwa die Kleider und das Weißzeug ? "
" Die Wäsche und Kragen natürlich .
Und die Tante hat mir versprochen , ich solle auch das Schneidern erlernen , damit ich später auch meiner Mutter und den Schwestern die Kleider machen kann , denn auf dem Lande ist das doppelt angenehm . "
" Aber wo in aller Welt nimmst du denn die Zeit her zu alle den Arbeiten ?
Das brächte ich ja nun und nimmermehr zu Stande , und wenn der Tag Millionen Stunden hätte ! "
" Ja siehst du nun wohl , wozu es gut ist , zeitig aufzustehen und sich gleich anzuziehen ?
Auf dem Sofa kann ich freilich auch nicht immer liegen , wenn etwas fertig werden soll . "
" Hexe , die du bist ! " schmollte Eugenie , und spielte Ball mit meinen aufgerollten Strümpfen .
" Wie geht es dir denn eigentlich , Eugenie , " fragte ich nun teilnehmend , " bist du denn wieder ganz wohl ! "
" Das kann dir ganz einerlei sein , da du nicht früher danach gefragt hast , " sagte sie trotzig .
" Ich glaube , ich könnte sterben und verderben , ehe sich jemand von euch um mich bekümmerte . "
Ich mußte still vor mich hin lächeln und sah wohl ein , das beste Mittel sie zu kurieren sei , wie Tante meinte , ihre Krankheit gar nicht zu beachten , wer weiß , wie lange sie noch stöhnend im Bette geblieben wäre , hätten wir uns ängstlich und sorgenvoll um sie bemüht .
Am Nachmittag machte die Tante einige Besuche mit uns , um ihren Freunden ihr zweites Pflegekind vorzustellen .
Ach welch ein Unterschied war in Eugeniens Erscheinen bei ihrem ersten Besuche im Vergleiche mit dem meinigen damals !
Unwillkürlich sah ich mich armes , hölzernes Mädel , dem Angst und Ungeschick die Röte der Scham und Verlegenheit auf die Wangen jagte , neben der feinen , eleganten , anmutigen Eugenie .
Wie unendlich liebenswürdig konnte dies Mädchen sein , wenn sie wollte !
Und den Fremden gegenüber wollte sie fast immer , deshalb gewann sie bald Aller Herzen , und niemand ahnte , wie schwere Stunden dieses verzogene , launische Kind den Ihren zu Hause bereiten konnte .
Auch Marie söhnte sich etwas mit Eugenie aus , da sie am Nachmittage ganz ausgetauscht schien , und freundlich und gesprächig war , wie gewöhnlich .
Sehr ergötzlich fiel der Besuch bei Geh. Rat Delius aus .
Amanda schwebte wieder in ihrer bekannten affektierten Weise durch das Zimmer und machte es sich im Lehnstuhle bequem , indem sie bald das Flacon , bald den Fächer oder das Taschentuch handhabte ; mich ignorierte sie natürlich gänzlich , aber auch Eugenie behandelte sie so von oben herab , daß mir ganz bange wurde .
Zu meiner Verwunderung schien dies Betragen Eugenie gar nicht zu verletzen .
Sie beobachtete Amanda ziemlich still eine Weile , und ich sah es um ihre Lippen zucken wie lauter Lust und Mutwillen .
Leise lehnte auch sie sich in ihren Lehnstuhl zurück , noch viel bequemer als Amanda , zog rasch einen Fußschemel herbei , nach dem jene so eben greifen wollte , setzte ebenfalls Riechfläschchen und Taschentuch in Bewegung und sprach noch viel matter und blasierter als ihre Gegnerin .
Und das alles war so wenig gemacht , schien so ganz eigene Natur zu sein , daß ich staunend die sonst so frische Eugenie betrachtete .
Amanda wußte augenscheinlich auch nicht , was sie dazu sagen sollte , unwillkürlich erhob sie sich etwas aus ihrer bequemen Lage , suchte ein ordentliches Gespräch anzuknüpfen und zierte sich weniger .
Eugenie aber ließ sich nicht stören , gab zwar Antworten , aber ganz in Amanda's bisheriger Art und Weise , und wandte sich viel mehr zu mir armen Dinge , als zu der eleganten Tochter des Hauses .
Als jedoch die Geheimrätin selbst mit Eugenie ein Gespräch begann , betrug sie sich wieder so liebenswürdig und fein , wie es stets ihre Art war .
Wirklich setzte es Eugenie in dieser Weise mit der Zeit durch , daß Amanda ihr abgeschmacktes Wesen ihr gegenüber aufgab und natürlicher sprach und sich bewegte , und wie sie , so stimmte auch Eugenie ihren natürlicheren Ton wieder an , so daß diese beiden eigentümlichen Mädchen recht gut mit einander fertig wurden .
11. Noch einmal Eugenie .
Ich ging am anderen Morgen zeitig wieder nach Eugeniens Zimmer , um zu hören , ob sie wieder ganz wohl sei , und heute empfing sie mich zwar eben so mutwillig wie gewöhnlich , aber doch herzlich und freundlich .
" Willst du meinem Lever beiwohnen , Gänseblümchen ? " sagte sie , die Glocke ihres Nachttisches bewegend .
" Du sollst auch die Ehre haben , mir höchst eigenhändig das reine Hemdchen über meinen jungfräulichen Nacken zu streifen , und niemand soll dir dein Amt streitig machen .
Du kennst doch die schöne Geschichte von Ludwig XIV. , der eine halbe Stunde ohne jegliche Hülle im Naturkostüme verharren mußte , nur weil jedesmal in dem Augenblicke , als der Vornehmste seiner Umgebung ihm besagtes Kleidungsstück überwerfen wollte , ein noch Vornehmerer in das Zimmer trat , dem dann dies höchste aller Ämter im großen Staate Frankreich übergeben werden mußte ? "
Ich kannte die Geschichte wohl , ließ Eugenie jedoch ruhig erzählen und betrachtete mir indes die schöne Stickerei ihrer Wäsche .
" Wie schön das alles ist ! " sagte ich voll Bewunderung .
" Gefällt es dir ? " entgegnete Eugenie gleichgültig .
" Suche dir aus , was du willst , das Zeug ist mir alles egal . "
" Aber das kostet ja alles so viel Geld , Eugenie , egal kann es dir doch unmöglich sein ! " wagte ich einzuwerfen .
" Bah , Geld ! " rief sie achselzuckend .
" Was kümmert mich das !
Mama sagt , das sei Nebensache , Papa habe genug davon . "
" Aber du könntest es doch besser anwenden , als es so wegzuschleudern , liebe Cousine .
Wie viel Freude könntest du Anderen machen mit einem kleinen Teil dessen , was du so verschwendest . "
" Besser anwenden ?
Was meinst du damit , Kleine ? "
" Nun wie gesagt , du könntest Andere damit glücklich machen , die weniger haben . "
" Wen meinst du denn ?
Listen gebe ich alles , was sie haben will , und wer mich sonst anbettelt , der bekommt auch immer etwas . "
" Laß gut sein , du verstehst nicht , wie ich das meine , liebe Eugenie , " schloß ich endlich .
" Komme lieber und stehe auf , ich habe keine Zeit mehr zu warten . "
Eugenie rief Listen an das Bett und streckte derselben einen Fuß nach dem anderen entgegen , woran die Zofe erst die feinen Strümpfe und dann die blauseidenen Pantoffeln streifte .
Dann löste sie alle Knöpfe und Bänder an dem Nachtkleide der jungen Dame , und diese ließ alles geschehen ohne selbst auch nur einen Finger zu rühren .
Ich schaute dem Dinge voll Verwunderung zu , sagte aber kein Wort ; doch als sie fertig war , und Lisette ihr alle Knöpfe , Bänder und Haken wieder geschlossen und ihr den feinen weichen Morgenrock übergeworfen hatte , der durchweg mit weißer Seide gefüttert war , bat ich sie scherzend , sie möge nun auch einmal meinem Lever beiwohnen , um sich zu revanchieren .
Das ergötzte sie sehr und sie versprach es .
Natürlich glaubte ich nicht , daß sie es tun würde und war deshalb höchst erstaunt , sie wirklich am anderen Morgen schon neben meinem Bette zu sehen , als ich erwachte .
" Nein solch ' ein Faulpelz ! " rief sie triumphierend , als ich sie voll Staunen anblickte .
" Da nimm dir ein Beispiel an Eugenie , dem braven Mädchen , die hat schon seit drei Stunden Strümpfe gestopft ! "
Wirklich sah ich einen ganzen Berg Wäsche neben ihr aufgehäuft , und einen Strumpf über ihren Arm gezogen , focht sie mit langer Nadel und Faden heftig in demselben auf und nieder .
Bald sah ich wohl , daß sie nur Scherz trieb und keine Idee von der Arbeit hatte , die sie vorgab , ich ignorierte es aber und blickte staunend auf sie hin .
Ihr fröhliches Lachen fand dann natürlich sogleich Erwiderung , und ich fand nicht Worte genug , ihren Heroismus zu bewundern , bis sie endlich den ganzen Haufen Wäsche auf die Seite warf und sich im Lehnstuhle behaglich streckte .
" Aber nun rasch aus den Federn ! " rief ich und griff nach meiner Wäsche und den übrigen Sachen .
" Machst du das denn selbst , Gänseblümchen ? " sagte Eugenie erstaunt und sah auf meine Finger , welche schnell Bänder und Haken lösten und schlossen .
" Natürlich , das macht mir niemand anderes schnell und gut genug ! " entgegnete ich .
" Es wäre mir unerträglich , solch ' Kammermädchen an mir herum zupfen und zerren zu lassen , und zu warten , bis es ihr gefällig wäre , mich zu bedienen .
Selbst ist der Mann !
Du glaubst nicht , wie angenehm es ist , alles selbst zu machen . "
" Ja diese Lisette ist ein gräulicher Tölpel ! " sagte Eugenie nachdenklich .
" Du glaubst gar nicht , wie sie mich quält und peinigt durch ihr Ungeschick !
Und gerade wenn ich sie brauche , kann sie niemals kommen .
Du bist zehnmal besser daran als ich , ich beneide dich wirklich ! "
" Aber so versuche doch , dich einmal allein zu bedienen , liebes Herz , dann bist du allen Ärger los , " rief ich lachend und fuhr mit dem Kam durch mein dichtes Haar .
" Ich kann es ja nicht !
Mama sagt immer , es sei unschicklich , sich selbst zu bedienen . "
" Nun weißt du was ?
Ich werde dir helfen , bis du es kannst , willst du das , Eugenie ? "
" Hm , ja , nein , wie du willst !
Ich weiß selbst nicht ! " stotterte Eugenie und drehte mein Haar um ihre Finger .
" Du würdest doch davon laufen , denn ich quälte dich natürlich so lange , bis du es tätest , " setzte sie dann in ihrer lustigen Weise hinzu .
" Nun , darauf wollen wir es ankommen lassen !
Soll ich morgen früh kommen ? "
" Nein , ich mag nicht , es ist doch unbequem , und du bist mir ohnehin weise genug ! " rief sie und warf sich wieder nachlässig auf den Lehnstuhl , ich aber ließ sie in Ruhe , denn hier stürmen oder drängen zu wollen , wäre sehr unklug gewesen .
Aber siehe da , am folgenden Morgen saß Eugenie schon am Frühstückstisch , als die Tante und ich in das Zimmer traten , und auf unsere verwunderten Ausrufungen sagte sie leichthin :
" Ich ennuyiere mich tot bei meiner einsamen Schokolade , ich will mit euch zusammen frühstücken .
Und Gänseblümchen soll nur ihre Dienste Anderen anbieten , ich brauche sie nicht .
Ich habe mir heute alles selbst gemacht , da seht her , ob es nicht ordentlich ist ! "
Natürlich überhäuften wir sie mit Lobeserhebungen , aber die waren bei ihr nie angebracht , und in komischem Verdruß hielt sie sich die Ohren zu .
Dergleichen kleine Szenen wiederholten sich fast täglich , und so böse wir nur gar zu oft über das unverständige Mädchen sein mußten , eben so sehr söhnte uns bald darauf ihr gutes , herzvolles Betragen wieder mit ihr aus .
Es lag ein Schatz von großem Werte in diesem wunderlichen Geschöpfe , und wer nur die Geduld nicht verlor , der konnte in ihr noch viel Gutes erwecken .
Tante Ulrike war ganz die Person dazu , das fühlte auch die leichtsinnige Eugenie gar wohl , und hing in ihrer Weise bald eben so innig an diesem trefflichen Wesen , als ich es in der meinen tat .
Daß auch ich mich bald der Gunst Eugeniens mehr zu erfreuen hatte , als ich je gehofft , erleichterte mir das Herz unbeschreiblich , liebte ich doch das reizende , wunderliche Mädchen trotz allem , was sie mir antat , bald aus ganzer Seele .
Aber wie manches hatten wir im Anfange noch zu überwinden , ehe Eugenie etwas vernünftiger wurde !
Ich besonders war stets die Zielscheibe ihrer losen Streiche , und doch wußte sie es immer wieder gut zu machen , wenn sie mich gekränkt oder geärgert hatte .
Eines Tages trat ich an meinen Arbeitstisch am Fenster und ordnete die rankenden Schlingpflanzen , welche sich an demselben hinzogen .
Dabei wollte ich , wie ich täglich tat , das Bild meiner lieben Marie begrüßen und hob die Blätter des Efeu empor , um es besser zu sehen .
Aber erschrocken fuhr ich zusammen , und mit bebender Hand griff ich nach dem geliebten Schatze , um mich zu überzeugen , ob ich mich täuschte .
Nein es war kein Irrtum !
Eine böse , frevelnde Hand hatte mir verdorben , woran mein ganzes Herz hing .
Ein dicker , schwarzer Schnurrbart deckte die feinen Lippen des netten Bildes und entstellte das zarte Gesicht der rosig frischen Blondine .
Es war zu abscheulich , zu boshaft , und doch konnte man sich des Lachens über den sonderbaren Anblick nicht enthalten .
Daß Eugenie mir diesen Streiche gespielt lag außer Frage , denn oft schon hatte sie dies kleine Ölbild verhöhnt , das ich allerliebst fand , sie aber meinte , es sähe aus wie ein Ritterfräulein auf dem Pfeifenkopfe eines Handwerksburschen .
Ich nahm das arme Bild still von der Wand und legte es in den Kasten , schelten konnte ich das lose Mädchen nicht , dazu war mir zu weh um das Herz ; aber meine rot geweinten Augen und die leere Stelle über meinem Nähtisch , welche ich durch kein anderes Bild verdeckte , sagten Eugenie wohl , wie sehr ich mich grämte .
Bald erfuhr ich auch , daß die Tante sehr ernst über diesen herzlosen Streiche mit ihr geredet hatte , und dies war mir lieber , als mich selbst mit ihr darüber zu streiten .
Wie sehr staunte ich nun eines Morgens , als ich den leeren Platz durch ein neues Bild ausgefüllt sah , und zwar ein Bild von meiner lieben Marie , ganz zart und duftig in Wasserfarben gemalt und unendlich viel schöner als das verdorbene !
Die frischen Farben und die anmutigen Züge waren so treu wieder gegeben , daß ich voll jubelnden Entzückens das liebe Bild an die Lippen drückte und außer mir war vor Freude .
Wer hatte das getan !
Konnte Eugenie ?
- aber nein , das war ja ein kleines Kunstwerk , und verstand sie das , wann hätte sie es gearbeitet ?
Und doch , es sähe ihr so ähnlich !
Aber sie selbst würde es nie eingestehen , mich höchstens noch verspotten .
Da kam das Urbild meiner Freude selbst , meine liebe gute Marie !
Jubelnd flog ich ihr entgegen und fragte , wer das Bild gemalt .
" Nun Eugenie , wie kannst du daran zweifeln ? " sagte Marie .
" Sie war ja einige Mal heimlich bei mir , um es zu malen .
" Das alte ist ein Monstrum , " sagte Eugenie , " und ich habe es absichtlich verdorben , um ihr ein anderes dafür malen zu können , sonst nähme sie es doch nie von der Wand , und ich hätte mich ewig darüber zu ärgern . "
Das sah ihr ähnlich , aber danken durfte ich nicht dafür , sonst war sie im Stande , dem lieben Gesichtchen abermals einen schwarzen Bart anzumalen .
Jetzt erst fiel mir ein , daß sie einige Vormittage allein ausgegangen war , um , wie sie sagte , allerlei zu besorgen .
Da war dies Bildchen entstanden .
Welch Talent lag in dem Mädchen !
Musik , Malerei , alles konnte sie trefflich , nur davon sprechen , sie loben , das durfte niemand , sie rechnete alle ihr Können der Mühe ihrer Lehrer zu und legte scheinbar gar keinen Wert auf ihre Talente .
Eugeniens Lieblingsthema für ihre Neckereien , deren sie ewig im Sinn hatte , war besonders meine einfach ländliche Garderobe , die freilich gegen die üppig elegante Toilette der verwöhnten Cousine gewaltig abstach .
" Nett und sauber ! " das war meiner guten Mutter Prinzip bei Anschaffung neuer Kleidungsstücke ; aber freilich drang die neueste Mode nur langsam hinaus auf unser fern gelegenes Landgut , und so mochte ich wohl etwas altfränkisch ausgesehen haben , als ich zu der Tante kam , denn diese hatte schon allerlei Änderungen an meiner Toilette vorgenommen , so daß ich erstaunlich modisch und zierlich gekleidet zu sein meinte , bis die elegante Eugenie mich durch ihre Garderobe völlig in den Schatten stellte .
Aber dieser Abstand in der Erscheinung drückte mich nicht , es paßte eben so ganz zu unser Beider Persönlichkeit , und in Eugeniens köstlichen Kleidern wäre ich gewiß noch viel steifer und ängstlicher gewesen aus Furcht , sie zu verderben .
Ein etwas buntes , schwerfällig gemachtes Kleid war es besonders , das vor Eugeniens Augen durchaus keine Gnade fand und fortwährend Grund zu neuen Neckereien abgab .
Aber der Stoff des Kleides war gut und fein , das Kleid noch neu und sauber , und so trug ich es trotz alledem ruhig weiter .
" Es riecht nach Butter und Käse ! " sagte Eugenie , wenn sie mich darin erblickte .
" Um Gottes Willen gehe nicht vor die Stadt , die Kühe halten dich für eine bunte Wiese und wollen auf dir grasen . "
Oder auch : " Großmutter , in welchem Winkel deines Strickbeutels steckte einmal der kostbare Stoff deines Bratenrockes ?
Heißt dein Schatz Bauer Michel oder Peter , mit dem du in diesem Staate Hochzeit machen willst ? " und was der losen Reden mehr waren .
Aber ich kehrte mich , wie gesagt , wenig daran und trug mein geschmähtes Kleid weiter .
Eines Tages jedoch konnte ich es durchaus nicht finden , ich durchsuchte alle Schränke , aber vergebens .
Da kam Eugenie an mir vorüber und sagte leichthin :
" Ach Gänseblümchen , wenn du etwa dein Großmutterkleid suchst , so bemühe dich nicht länger , das hat jetzt die arme Zeitungskate an .
Das alte Wesen bat mich um einen warmen Rock für die Kälte , aber du weißt , meine Kleider sind alle so dünn und wärmen nicht .
Aber das Butter- und Käsekleid von dir ist so warm und weich , ich dachte , das müßte dem armen Weibe gut tun und gab es ihr .
Du bist doch nicht böse darüber ? "
Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten tanzte sie trällernd davon , ich aber schaute verblüfft drein und wußte nicht , war das Scherz oder Ernst .
Wäre es nicht Eugenie gewesen , so hätte ich es für einen Spaß gehalten ; aber sie war fähig das zu tun , was sie erzählte , und der leere Schrank sprach nur zu deutlich von der Wahrheit ihrer Geschichte .
Das war denn doch etwas zu stark , dieses feine , gute Kleid an solch armes Weib zu geben , der mit etwas Geringerem viel besser gedient war , und nun gar über das Eigentum Anderer so willkürlich zu verfügen !
Ich ging fast weinend vor Verdruß in mein Schlafzimmer , um mich fertig anzukleiden und der Tante dann mein Leid zu klagen .
Aber siehe da , als ich an mein Bett trat , sah ich auf diesem ein wunderschönes violettfarbenes Kleid liegen von einem so köstlich feinen Wollenstoff , daß ich voll Bewunderung stehen blieb und es anschaute .
" Nun ich hoffe , es paßt dir , kleine Gänseblume ! " rief Eugenie und schaute zur Tür herein .
" Die Schneiderin behauptet dein Maß zu haben . "
" Soll das denn für mich sein ? " fragte ich verwundert und hob das reiche Gewand in die Höhe , das mit Samt und Spitzen wunderschön ausgeputzt war .
" Mama hatte den Stoff zu einem Winterkleide für mich bestimmt , " sagte Eugenie achselzuckend , " doch es gefiel mir nicht .
Da es aber immerhin hübscher ist als dein Bratenkleid , so habe ich es dir machen lassen und verschenkte deinen Hochzeitrock , nur damit ich mich nicht vollends tot darüber ärgern muß .
Zu bedanken brauchst du dich nicht , denn ich konnte die Farbe für mich nicht leiden .
Veilchen sind mir nun einmal schrecklich langweilig , darum mag ich auch ihre Farbe nicht tragen . "
So wußte das sonderbare Mädchen stets die Sachen zu wenden und zu drehen , daß man schließlich weder schelten noch danken konnte , aber das wollte sie eben .
Sie hatte ihren Willen , das war die Hauptsache , und alles Andere mußte schweigen .
Noch nie im Leben hatte ich ein so schönes Kleid besessen , und freudestrahlend eilte ich damit zur Tante .
Diese begrüßte mich lächelnd und sagte , es möge jetzt gut sein , ihre Strafpredigt hätte Eugenie erhalten , denn Unrecht sei ihre Handlung bei alledem ; aber den Tausche könne ich mir wohl gefallen lassen .
Das fand ich auch , denn mit Vergnügen sah ich in Tante großem Spiegel , daß ich ordentlich hübsch in dem stattlichen Kleide aussah .
" Tust du den Armen gern Gutes , Eugenie ? " fragte ich in Folge der Kleidergeschichte , denn lange schon hatte es mir am Herzen gelegen , meine reiche Cousine mit meinen Armen bekannt zu machen , die ich regelmäßig jede Woche besuchte .
" Tue ' doch nicht solche Alt-Jungferfragen , Gänseblümchen ! " erwiderte Eugenie .
" Die Armen sind schrecklich unbequemes Volk , ich kann sie nicht leiden , darum schenke ich ihnen immer schnell etwas , wenn sie an mich heran kommen , dann bin ich sie los . "
" Aber das ist nicht recht , Eugenie , deshalb mußt du es doch nicht tun !
Denke doch , wie schrecklich schlimm diese armen Geschöpfe daran sind , denen oft das Nötigste zum Leben fehlt .
Wenn wir ...
Aber was machst du denn , was soll denn das heißen ? " fuhr ich endlich fort und sah Eugenie zu , welche mir eine schwarze Schürze als Mantel umband und eine Art Thron von Stühlen erbaute .
" Wenn es gefällig wäre , Herr Pastor , die Kanzel ist fertig , predigen Sie dort weiter , " sagte sie mit einer feierlichen Verbeugung gegen mich und setzte sich mit andächtiger Miene mir gegenüber .
Natürlich war ich nun mit meinen weisen Reden zu Ende , und das hatte sie nur gewollt .
" Du bist so weise , wie du reizend bist ! " war sonst ihre gewöhnliche Redensart , wenn ich bei ihrem leichten Geschwätz meine solideren Ansichten nicht unterdrücken konnte , und diese Rede Titania , mit der sie im Sommernachtstraum den zum Esel verwandelten Weber Zettel begrüßt , war auch für mich eine eben so zweideutige Phrase , da ich von meinen eigenen Reizen gar schwache Begriffe hatte .
Wie Eugenie von meiner Predigt über die Armut nichts hören wollte , so war sie auch taub gegen meine Bitte , mich zu einigen armen Familien zu begleiten , denen ich in jeder Woche etwas zu bringen pflegte , bald Geld , bald Kleider , bald Essen , was ihnen gerade am nötigsten tat .
" Es riecht so gräßlich bei solchen Leuten , man bekommt es nicht wieder aus den Kleidern heraus .
Mein Lehrer nannte diesen Geruch Buttersäure , " sagte sie und gab mir Geld , das ich dem " armen Volke " schenken sollte , nur sie selbst solle man in Ruhe lassen .
Natürlich drang ich nicht weiter in sie , aber als ich eines Tages von einem dieser Besuche zurückkehrte , konnte ich nicht unterlassen zu erzählen , wie sehr mich die Not und das Elend in einer jener Familien ergriffen hätte , in welcher die Mutter krank , der Vater auf Arbeit , und die kleinen Kinder sich selbst überlassen waren .
Eugenie schien kaum auf meine Erzählung zu achten , wie überrascht war ich deshalb , als ich einige Tage darauf wieder zu der armen Familie kam , zu hören , daß eine junge Dame dort gewesen und sie mit Geld und Sachen reich beschenkt , ja den kleinsten Knaben lange auf dem Schoße gehabt und ihm endlich eine kleine goldene Kette um den Hals geschlungen hatte , weil er gar so hübsch sei .
Die Kette war von Eugenie , ich kannte sie wohl , und die ganze Beschreibung paßte auch auf sie .
Aber erwähnen durfte ich gegen sie nicht , daß ich von ihrem Besuche wußte ; schon bei meiner leisen Andeutung zuckten ihre Augenbrauen , das Zeichen ihres Verdrusses , und so schwieg ich , Freude und Bewunderung nur gegen die Tante aussprechend , welcher bei meiner Erzählung die Tränen in die Augen traten .
" Wunderbares liebes Kind ! " sagte Tante Ulrike , und ihr Herz erwärmte sich mehr und mehr für ihr zweites Pflegekind , in welchem täglich neue treffliche Eigenschaften erwachten .
Und dieser Besuch bei der armen Familie blieb nicht der einzige , den Eugenie machte .
Nach und nach hatten sich eine ganze Anzahl armer Leute ihrer Gunst und Fürsorge zu erfreuen ; aber durch wen sie diese Armen kennen gelernt , danach durften wir nicht fragen , wie es ihr denn überhaupt unerträglich war , sich beobachtet oder kontrolliert zu sehen .
Tante Ulrike und ich fürchteten freilich nicht ohne Grund , daß Eugenie in ihrer Unerfahrenheit und Güte sicher so manchen törichten Streiche bei Beschenkung ihrer Armen begehen würde , und einzelne wertvolle Gegenstände , welche ich bald bei ihr vermißte , bestätigten unsere Vermutung .
Aber es war da nicht viel zu tun , wollte man Eugenie nicht den ganzen neu erwachten Wohltätigkeitssinn wieder verleiden .
Eines Tages aber gab sie selbst Anlaß zu einem Gespräche über derartige Dinge .
" Ich begreife nicht , Gänseblümchen , wo du das Geld hernimmst , um deine Armen zu versorgen , " sagte sie nachdenklich , als sie von einem ihrer Besuche heimkehrte .
" Ich bin nun bald selbst so arm wie eine Kirchenmaus ; aber hätte ich noch zehnmal mehr , es reichte doch nicht für alle das , was diesen Leuten fehlt . "
" Ich glaube , du beurteilst die Bedürfnisse dieser Armen falsch , liebes Kind , " sagte die Tante , welche freundlich zu uns trat .
" Von allem , was dir und uns zum täglichen Leben unbedingt nötig scheint , bedürfen diese Leute nur einen geringen Teil .
Wir sind verwöhnter , als wir es selbst glauben , und wären wir in solch armen Familien aufgewachsen , wir brauchten nur den hundertsten Teil von alle dem , was wir jetzt für nötig halten .
Darum können wir auch mit kleinen Gaben in armen Häusern viel Gutes tun , denn die Bedürfnisse dort sind leicht zu befriedigen . "
" Aber Tante , das finde ich gar nicht ! " rief Eugenie lebhaft .
" Ich gebe und gebe , daß ich selbst nichts mehr habe , das ist aber alles wie ein Tropfen auf einen heißen Stein , immer brauchen die Leute noch etwas .
Vor einigen Tagen komme ich z. B. zur Familie des Maurergesellen Franke .
Ich fand sie gerade beim Mittagsbrot , sie saßen rings um den hölzernen Tisch herum , und aßen alle aus ein und derselben Schüssel .
Das war mir schon ein schrecklicher Gedanke , nun aber sah ich die Löffel , mit denen sie aßen , und ich schrak ordentlich zusammen , denn es waren ganz alte , schwarze , halb zerbrochene Blechlöffel !
Ich fragte , warum sie denn kein Tafeltuch auflegten , und jeder seinen Teller für sich habe , aber da sahen sie sich verlegen an , denn denkt nur , die armen Menschen hatten nicht ein einzig Tischtuch , keine Serviette , nur zwei Teller , und die waren aus braunem Ton , und nur diese abscheulich schwarzen Blechlöffel zum Essen .
Ich ging denn sogleich mit Listen nach der Stadt , und kaufte eine Menge Teller und Schüsseln , drei Tischtücher mit Servietten , und ein halbes Dutzend silberne Eßlöffel , was ich alles den armen Leuten so eben hinschickte .
Aber so geht es mir fast überall , die armen Menschen entbehren ja oft das Allernötigste , doch wie wenig kann ich ihnen darin beistehen !
Beim armen Schlosserhanse fand ich die Frau neulich im Bette liegen , aber statt der Nachtjacke hatte sie ein altes Tuch umgeschlungen , Nachtzeug besaß die Ärmste nicht .
Stadt der Matratze hatte sie nur einen Strohsack als Lager , und ihre drei Kinder lagen alle in ein und demselben Bette .
Ich besorgte nun gleich allerlei Matratzen und Bettzeug und der Frau einen netten Anzug für die Nacht ; aber solche Ausgaben haben mich ganz ausgebeutelt , ich weiß nicht mehr , was ich machen soll . "
" Mein gutes Kind , erlaube mir , daß ich mich deiner Verlegenheit annehme , " sagte die Tante sanft und streichelte Eugeniens Wange .
" Was du mir da erzählt , spricht für dein liebes Herz , aber ich kann dir nicht verhehlen , daß du auf einem falschen Wege bist , den Leuten Gutes zu tun .
Was ich vorher schon sagte , finde ich bei dir bestätigt :
du hältst Dinge für nötig , welche dem Geringeren durchaus nicht als Bedürfnis erscheinen .
Ich bin fest überzeugt , die Schlosserfrau trägt das feine Nachtzeug in eine Leinenhandlung , und läßt sich Geld oder derbes Leinen dafür geben , das ihr nötiger ist , und das Tischzeug und Tafelservice bei Frankes liegt entweder unbenutzt im Kasten , oder geht denselben Weg , den die silbernen Löffel ohne Frage gehen , nämlich den , zu Geld eingewechselt zu werden . "
" Aber Tante , warum denn ?
Denke doch , wie nötig die Leute diese Sachen brauchten und wie froh sie nun sein werden , endlich von einem Tischtuche und von weißen Tellern zu essen , sowie vor allen statt der abscheulichen schwarzen Löffel nun Silber in den Mund stecken zu können ! " sagte Eugenie verwundert .
" Nein Kind , darin besteht eben dein Irrtum , " entgegnete die Tante lächelnd .
" Du meinst , die Leute hätten diese Sachen bitter entbehrt , weil du sie entbehren würdest , wärest du an ihrer Stelle .
Aber sie kennen es ja gar nicht anders , haben nie in ihrem Leben anders gegessen , und werden gar nicht wissen , was sie mit alle den Tellern und gar mit Servietten und Tischtuch anfangen sollen .
Das Silber aber bedürfen sie nötiger , als es in Löffelgestalt in den Mund zu stecken .
Dazu dienen ihre alten Blechlöffel vortrefflich , und du darfst ihnen nicht zürnen , wenn sie jenes Silber in Geld verwandelt haben , damit sie dafür etwas anschaffen , was sie mit den schwarzen Blechlöffeln verzehren können . "
Eugenie war ganz gedankenvoll geworden , denn die Rede der Tante erschloß ihr eine ganz neue Ansicht dieser Dinge .
Halb verlegen , aber doch endlich in ihrer gewöhnlichen neckischen Laune fing sie an über sich selbst zu spotten und sich lustig zu machen , und in liebenswürdig kindlicher Weise bat sie Tante Ulrike , ihr bei der Sorge für die Armen mit gutem Rate beizustehen , damit sie den Frauen nicht zuletzt noch Blondenhauben und Tüllschleier und den Männern goldene Schnupftabaksdosen anschaffte als notwendige Lebensbedürfnisse .
Mit tausend Freuden versprach die gute Tante ihren Rat und Beistand , und so konnten wir in der Sorge für unsere Armen jetzt alle gemeinsam wirken .
Eugenie entschloß sich mit der Zeit sogar , Röckchen und Schürzen für die Kinder selbst mit nähen zu helfen , und mit stillem Jubel erblickten wir eines Tages gar einen groben grauwollenen Strumpf in ihren feinen Händen , den sie für einen armen Tagelöhner eifrig zu stricken unternommen , nachdem Lisette ihr ihn eingerichtet .
12. Allerlei .
Wie in meiner Erzählung , so verdrängte auch im täglichen Leben Eugeniens Eintreten in unseren Familienkreis fast alles andere , und wie ich diesem eigentümlichen Mädchen zwei volle Kapitel gewidmet , so erfüllte sie unsere Gedanken und Gefühle in der ersten Zeit fast ausschließlich .
Nach und nach jedoch kamen die durch sie erregten Wellen des täglichen Lebens wieder in ruhige Bewegung ; Eugeniens absonderliches Betragen bereitete allmählich weniger störende und ärgerliche Auftritte , und sie schloß sich den Beschäftigungen etwas mehr an , welche Tante Ulrike's und meine Zeit ausfüllten .
An meinen Lehrstunden mochte sie freilich keinen Anteil nehmen , davon sei sie bereits übersatt , wie sie sagte , und es war mir nicht unlieb , dieselben mit meiner lieben Marie ungestört weiter fort nehmen zu können .
Auch das Vorlesen , das die Tante noch regelmäßig mit mir fortsetzte , langweilte sie Anfangs zu Tode , und mir war es recht peinlich , in ihrer Gegenwart vorzulesen , da sie sich nicht genierte , mich wegen meiner schlechten Aussprache oder der falschen Betonung gründlich auszulachen .
Aber die Tante verbot ihr bald dies Betragen , und eine Zeitlang mied sie unsere Lesestunden .
Eines Tages jedoch erschien sie wieder und fragte , ob sie heute einmal mit lesen dürfe , und natürlich erlaubte die Tante es gern .
Wir hatten gerade Götz v. Berlichingen angefangen , dies wunderbar edle kraftvolle Werk Goethes , und mit wahrem Entzücken hörte ich nun , wie schön und ausdrucksvoll die herrliche Sprache des Dichters von Eugeniens Lippen floß .
Sie las anders als die Tante , es war mehr jugendliches Feuer und ein wundervoller Klang in ihrer Stimme , während die Tante ernster und würdiger und ich möchte sagen , edler sprach , und mit aufrichtiger Bewunderung und Freude folgte ich ihren Worten .
Nun schien sie mit einem Male Gefallen am Vorlesen zu finden , denn von jetzt an war sie stete Teilnehmerin dieser genußreichen Stunden .
Sie las abwechselnd mit der Tante und mir , und ihre Neckereien bei meinem Lesen hatten sich auf harmlose kleine Scherze beschränkt , welche ich herzlich gern ertrug und selbst mit belachte .
So war sie eben .
Man mußte ihr Zeit zur Überlegung lassen , nachdem man ihr den rechten Weg gezeigt hatte , und dann konnte man sicher sein , ihre gute Natur leitete sie zum Richtigen und Guten .
Diese Überzeugung war es , welche die Tante tröstete und aufrecht erhielt in aller Sorge , die Eugeniens Betragen ihr bereitete , und ihr Herz war voll Dank gegen Gott , der ihr dies liebe Wesen an die Brust legte , ehe der gute Same von dem üppigen Unkraut erstickt wurde , das schon so hoch ringsum aufgeschossen war .
Eugenie selbst fühlte dies auch von Tag zu Tag mehr , und mit unendlicher Naivetät sprach sie diese Gedanken zuweilen selbst aus , freilich in ihrer wunderlichen Weise , die Dinge zu besprechen .
" Tante , welches von uns beiden Wickelkindern macht dir eigentlich die meiste Not ? " sagte sie wohl .
" Gänseblümchen , der ungeleckte junge Bär , oder Eugenie , der Ausbund von Tugend und Ehrbarkeit ?
Gestehe es nur , das zweite Kind ist doch der größere Rüpel von Beiden !
Doch was kann ich armer kleiner Käfer dafür , daß ich so lange in der Pfütze wühlen mußte , ehe ich sah , wo eigentlich guter Grund und Boden zu finden sei ?
Aber langweilig werde ich jetzt auf diese Weise und ehrpußlig und altbacken , gerade wie unsere alte Katze zu Hause , die auf ihre alten Tage keine Mäuse mehr fangen wollte , wahrscheinlich weil eine Tante Ulrike ihr ins Ohr geflüstert , es sei eine Sünde . Puh !
wenn Mama mich jetzt sähe , wie ich mit meinem großen grauen Strickstrumpfe liebäugle , oder die kleinen Schmutznaschen Bettelkinder abküsse , sie hätte ihre helle Freude daran und kaufte mich sicher gleich in den alten Weiberspittel ein , für den sie mich reif erklären würde . "
Und dann lachte sie in ihrer lustigen Weise und drehte mich mit sich im Kreise herum , daß man ihr gut sein mußte , man mochte wollen oder nicht .
Aber trotz ihrer eleganten äußeren Bildung kamen doch auch bei Eugenie allerlei Dinge zum Vorschein , welche Tante Ulrike tadelte , und die ich mir hinter das Ohr schrieb zur eigenen Beherzigung .
So machte es z. B. Eugenie großen Spaß , zum Fenster hinaus zu sehen und auf der belebten Straße über die Vorübergehenden ihre lustigen Bemerkungen zu machen .
Mich ergötzte dies ebenfalls nicht wenig , und so lagen wir Beide mit unseren Schultern weit zum offenen Fenster hinaus , um ja alles dort unten recht ordentlich zu sehen .
Aber bald kam die Tante dazu und tadelte unser unpassendes Betragen , denn es gefalle ihr nie , wenn junge Mädchen nichts Besseres zu tun wüßten , als zum Fenster hinaus zu sehen ; und nun gar den ganzen Oberleib in die Luft hinaus zu hängen sei ein Zeichen von wenig Anstand .
Ich zog mich wie ein begossener Pudel zurück , Eugenie aber lachte wie immer und sagte , die Tante fürchte nur , man werde ihr Schloß stürmen , um die darin gefangenen Schönheiten zu befreien , deshalb wolle sie uns den Augen der Welt entziehen .
Aber sie tat dennoch , wie die Tante geboten , und das offene Fenster sah uns von nun an stets nur für wenig Augenblicke .
Eine andere Unart Eugeniens , welche ich jedoch weniger mit ihr teilte , war der Gebrauch von starken Ausdrücken und unpassenden Worten .
Es war wirklich komisch , wenn dies feine Dämchen ganz kavaliermäßig wetterte und derbe Beteuerungen und Ausrufe von dem lieblichen Munde flogen .
" Ich bin nun einmal ein halber Junge , was kann ich dafür ! " entgegnete sie den hierauf bezüglichen Mahnungen der Tante , aber doch erklangen Kraftausdrücke wie : Donnerwetter , verdammt , höllisch und dergleichen mehr , viel seltener als früher .
In dies Kapitel gehörte auch die häufige Anwendung des Namens Gottes und Christus , eine Gewohnheit , die leider sehr in der Welt verbreitet ist , und welche auch Eugenie oft genug gedankenlos im Munde führte .
" Ach Gott Jesus !
Mein Himmel ! " so sagte sie aller Augenblicke , bis die Tante sie sanft und ernst darauf aufmerksam machte , welch ein Mißbrauch des Heiligsten dies sei .
Eugenie gab sich nun Mühe , auch daran beim Sprechen zu denken , obwohl sie Anfangs halb ernst halb lachend sagte , sie werde sich ein Pflaster auf den Mund kleben , denn hier rede sie keinem Menschen recht .
Mein Fehler hingegen war der , nachlässig zu sprechen , die Endbuchstaben wegzulassen , und was der Unarten mehr waren , welche gar viele junge und alte Menschen mit mir teilen .
Eugenie sagte dann neckend , sie würde die Tante verklagen , daß sie mir nicht satt zu essen gebe , so daß ich aus Heißhunger Buchstaben verschlingen müsse .
So hatte jede von uns ihre Fehler abzulegen , und gut war es , wenn wir über dem Splitter im Auge des Anderen den Balken im eigenen nicht vergaßen .
Verwöhnte Menschen sind nachlässig in Bezug auf die Rücksichten , welche sie Anderen Schulden , und so war es auch Eugenie ganz gleichgültig , ob Andere Grund hatten , von ihr eine Aufmerksamkeit zu erwarten oder nicht .
" Laßt mich in Ruhe , ich kann das Visitenschneiden nicht ausstehen ! " war ihre regelmäßige Antwort auf die Erinnerung der Tante , daß sie dieser oder jener Dame einen Besuch schulde .
" Die Leute sind mir ganz gleichgültig , ich mag gar nicht , daß sie sich um mich bekümmern . "
Entschloß sie sich aber endlich , diesen Pflichten nachzukommen , so geschah es dann mit der liebenswürdigsten Miene von der Welt , so daß sie alle Menschen entzückte .
Die Tante war in solchen kleinen gesellschaftlichen Rücksichten ungemein streng und gewissenhaft , " denn , " sagte sie , " wer sich im Kleinen daran gewöhnt , Andere zu beachten , der wird auch in größeren Dingen nicht rücksichtslos gegen seine Nebenmenschen handeln . "
Diese Nichtachtung Anderer wurde auch Ursache , daß Eugenie Dinge , die Anderen gehörten , nicht schonte , und schon mehrfach war ihr daraus Ärgernis entsprungen .
Einen schönen Schal , den eine Dame ihr beim Nachhausegehen geborgt , hatte der Hund beschmutzt , so daß sie den Fleck nur mit großer Mühe wieder vertilgen konnte ; einen entlehnten Regenschirm ließ sie irgendwo stehen , wofür sie natürlich einen neuen schicken mußte , und über ein wunderschönes Album Amanda's floß eines Tages das Öl der stürzenden Lampe , und verdarb nicht nur einige schöne Zeichnungen , sondern auch den Diwan der Tante .
Wohl ersetzte Eugenie sowohl Zeichnungen als Überzug durch andere noch schönere , aber sie hatte viel Mühe und Kosten davon , die sie durch Sorgfalt für anderer Eigentum sich hätte ersparen können .
Eben so nachlässig ging sie mit den Büchern um , die man ihr borgte , und die Tante sagte ihr sehr streng , sie solle sich nicht wundern , wenn man ihr keine fremden Bücher mehr anvertraue , da sie dieselben nie ohne verstoßene Ecken und beschmutzte oder eingekniffene Blätter zurück gab .
" Es ist dies ein Zeichen von wenig Bildung , liebes Kind , " schloß die Tante ihre Rede , der Eugenie sehr nachlässig zuhörte , aber doch nahm sie von da an mehr und mehr Rücksicht sowohl auf andere Menschen , als auch auf deren Eigentum .
Freilich ging sie auch mit ihren eigenen Sachen nicht sorgfältig um , und die Tante hatte viel Not und Mühe , ihr beizubringen , wie Unrecht dies sei .
Der Gedanke , sparsam zu sein , indem sie ihre Sachen schonte , war ihr ganz fremd , und da sie eben so nachlässig als unerfahren in Verwendung ihres Geldes war , so erfreute es die Tante herzlich , daß Eugenie ihr volle Disposition über dieses Departement einräumte .
Unter Tante Ulrike's Leitung lernte sie bald ihre Finanzen besser zu ordnen , aber freilich hatte sie trotz alledem stets große Lust , mehr auszugeben als sie einnahm .
" Ich muß einmal einen reichen Mann haben , " sagte sie oft , und mir schien allerdings , daß sie darin so Unrecht nicht habe .
Aber wenn sie nun einen armen bekam , wie dann ?
" Den nehme ich nicht .
Ich mag überhaupt gar keinen ! " erwiderte sie auf diese Frage .
Eugeniens Sorglosigkeit in Betreff ihres Eigentums erstreckte sich auch auf etwas , das ich nicht begreifen konnte , das war ihre Korrespondenz .
Ich hütete und verwahrte meine Briefe als meinen teuersten Schatz unter Schloß und Riegel , und es war das Zeichen von größtem Vertrauen , wenn ich jemand Einblick in meine Korrespondenz gestattete .
Eugenie hingegen schien gar keinen Wert auf ihre Briefe zu legen , denn diese trieben sich oft Tage lang offen auf den Tischen herum , und sie gebrauchte dieselben häufig als Umschlag für alle möglichen Dinge , oder drehte sie zu Haarwickeln für ihre schönen , braunen Locken zusammen .
Freilich schien in den Briefen , die sie von ihrer Mutter sowie von einigen Bekannten erhielt , wenig genug zu stehen , das des Aufhebens wert gewesen wäre , und von ihrem Vater kam sehr selten Nachricht .
Diese wenigen Briefe allein schloß sie sorgfältig in ihre Mappe , und nach Empfang derselben war sie stets für eine Weile ernster und weicher gestimmt , als gewöhnlich .
In dieser Beziehung bleibt mir immer eine Szene unvergeßlich , die von ihrem tiefen Gefühl Zeugnis gab .
Ich hatte mit unbeschreiblicher Sehnsucht auf die Ankunft eines Briefes von den Meinen gewartet , und mit lautem Jubel sprang ich deshalb dem Boten entgegen , der mir den teuren Ankömmling brachte .
Es war ein Brief von meiner guten Mutter dabei , und deren treue , liebevolle Worte erschütterten mein Herz so unendlich , daß mir die Tränen über das Gesicht rollten , und ich voll inniger Liebe die glühendsten Küsse auf diese Schriftzüge drückte .
Eugenie hatte mir still zugesehen , auch sie hatte an dem Morgen einen Brief von ihrer Mutter erhalten , aber wie gewöhnlich trieb sich derselbe auf den Tischen im Wohnzimmer umher , ohne daß Eugenie seiner weiter achtete .
" Laß mich den Brief lesen , Gänseblümchen , tue mir den Gefallen , " sagte sie jetzt in ihrer raschen Weise und griff nach meiner Mutter Brief .
Ich überließ ihr denselben gern , und sie schob mir dafür das rosa Zettelchen hin , das sie von ihrer Mutter erhalten .
" Zu Tränen wird dich der freilich nicht rühren ! " sagte sie dabei etwas spöttisch .
Ich trat in die Fensternische und studierte das flüchtig geschriebene Briefchen .
Es enthielt nichts als einige Klagen über furchtbare Langeweile , über das schlechte Spiel der neu engagierten Opernsängerin und Berichte über die neuesten Moden .
" Die Ärmel trägt man jetzt wieder offen und die Kleider unten herum mit schmalen Volants besetzt , " so lautete ungefähr dieser wichtigste Gegenstand .
" Versäume ja nicht , dir deine Kleider so ändern zu lassen , du wirst dann freilich neue Stickereien gebrauchen , aber dafür trage ich Sorge , damit du nicht wie aus dem vorigen Jahrhundert umher gehst .
Du schreibst mir kein Wort über die dortigen Moden , und doch weißt du , wie begierig ich auf diese Mitteilung bin ; denn finde ich etwas darin , das mir interessant erscheint , so trage ich es sicher , du weißt , wie oft ich schon in diesen Dingen den Ton angegeben und Furore gemacht habe !
Die goldenen Blumen meines rothsammetnen Kopfputzes von vergangener Saison erregen noch immer den Neid der hiesigen Damenwelt .
Ich hoffe , du vernachlässigst die Konservierung deiner Schönheit in keiner Weise , dies kann ich dir nicht genug empfehlen .
Die Tropfen für den wohlriechenden Atem vergiß nie zu benutzen , wasche dich des Abends stets mit Mandelmilch , zu der ich dir ein neues Rezept schicken werde , das die Haut noch frischer machen soll , und genieße ja nie zu heiße oder kalte Sachen , damit der Schmelz deiner Zähne nicht leide . "
- So ging es noch eine Weile fort , dann war der Brief zu Ende .
Unten am Rande stand noch die Bemerkung : " Papa ist wohl .
Seine Briefe sind furchtbar langweilig .
Schreibe mir ja , was moderner ist , ob Federn oder Blumen auf den Herbsthüten .
Die farbigen Schuhe werden wieder sehr Mode . "
Ich war so überrascht und verletzt von dem Inhalt dieses Briefes , daß ich , ganz damit beschäftigt , nicht bemerkt hatte , wie Eugenie das Zimmer verließ .
Den Brief meiner Mutter schien sie mit sich genommen zu haben .
Ich wartete eine Weile , endlich aber ging ich nach Eugeniens Zimmer , um zu sehen , wo sie blieb .
" Sie können nicht hinein , Fräulein Gretchen , das gnädige Fräulein hat die Tür verriegelt , " sagte Lisette etwas bestürzt , als ich die Türklinke ergreifen wollte .
Ich ging also zurück und wartete .
Nach einiger Zeit trat Tante Ulrike sehr ernst bewegt zu mir in das Zimmer und gab mir den Brief meiner Mutter zurück .
" Warst du bei Eugenie , Tante ? " fragte ich schnell .
" Ja , Kind , warum ? "
" Weil sie sich vorhin eingeschlossen hatte .
Was gab es denn ? "
" Das arme Kind ist von dem Briefe , den deine Mutter dir geschrieben , unbeschreiblich aufgeregt ! " sagte die Tante , und die Tränen zitterten wieder in ihren Augen .
" Sie ließ mich auf meine Bitte in ihr Zimmer eintreten , und ich fand sie in Tränen aufgelöst neben dem Briefe deiner Mutter .
" O Tante , Tante , " rief sie an meinem Halse , " was habe ich für eine Mutter ! "
Mehr konnte sie nicht sagen .
Es war das erste Mal , daß ihr der nichtige Wert ihrer Mutter neben der edlen Tiefe der deinen so recht vor die Seele trat und das arme Kind durch und durch schüttelte .
Ich ließ sie ruhig weinen und stellte ihr endlich vor , wie viel sie doch an ihrem guten Vater habe .
" Ja , mein Papa , mein einzig lieber Papa , wenn ich den nicht gehabt hätte , was wäre aus mir geworden ! " schluchzte sie .
" Aber ich kann so wenig bei ihm sein , er ist stets so mit Geschäften überhäuft und so viel über Mama's Launen verstimmt , und jetzt , ach jetzt ist er nun vollends so weit , so weit , und ich habe keinen Menschen auf der ganzen Welt , der mich so lieb hat wie Gretchens Mutter ihr Kind . "
Ich hielt das arme Mädchen still an meiner Brust , und das beruhigte sie nach und nach .
" Ja , Tante , du hast mich lieb , und Gretchen hat mich auch lieb ! " sagte sie endlich weich und zärtlich , und ihr froher Mut gewann wieder die Oberhand .
" Meine Trostesworte fanden Eingang in ihre Seele , und bald wird sie wieder bei uns sein frisch und fröhlich wie immer .
Aber du siehst , mein Gretchen , was das arme Kind entbehrt hat , ohne daß sie es bis jetzt wußte ; laß sie uns nun doppelt lieb haben . "
" Ja , Tante , das wollen wir ! " sagte ich tief ergriffen , dann aber gab ich der Tante den Brief von Eugeniens Mutter , damit sie selbst lese , welch schneidenden Kontrast die Worte unserer Mütter bildeten .
Tante Ulrike konnte während des Lesens ihren Unwillen kaum verbergen , und heftig , wie ich sie selten gesehen , warf sie den Brief auf den Tisch .
" Armer , armer Bruder ! " das war alles , was sie sagte , dann ging sie in ihr Cabinet , ich aber hatte Zeit genug , die Briefe meiner Lieben aus der Heimat wieder und immer wieder zu lesen und dem gütigen Gott zu danken , der mir so viel Glück durch die Liebe der Meinen geschenkt hatte .
13. Der Ball .
" Nun Kinder , heute bringe ich euch eine Einladung , die euch Freude machen wird , " sagte Tante Ulrike eines Morgens , indem sie ein Briefchen hervorzog , das uns für den nächsten Montag zu einem Ball aufforderte , welcher zur Feier von des Königs Geburtstag in einem öffentlichen Locale gegeben wurde .
" Gott sei Dank , also tanzt man doch auch hier !
Ich dachte , ich würde es ganz verlernen , " rief Eugenie vergnügt und schlug eine zierliche Pirouette .
" Meine Ballkleider sind gewiß halb vermodert , so lange haben sie kein Lampenlicht gesehen .
Gänseblümchen , was machen wir für Toilette ?
Ich lasse dir die Wahl und spreche wie Abraham zu Lot : " Willst du zur Rechten , so will ich zur Linken ! "
Willst du weiß oder blau oder rosa , oder was sonst ?
Egal wie Zwillinge oder Inseparables kleiden wir uns nicht , das ist mir zu zärtlich . "
Ich saß ganz still und fühlte nur , welch ' heiße Glut mehr und mehr durch meine Adern flog .
Eugeniens Fragen hörte ich kaum .
Ein Ball !
Ich sollte auf einen Ball gehen !
In größeren Gesellschaften war ich wohl schon einige Mal mit Tante Ulrike gewesen , aber auf einem Balle ?
Das war doch ganz etwas anderes !
Einen Ballsaal hatte ich noch nie in meinem Leben betreten , und mein Herz zitterte und bebte vor Angst , Freude und Erwartung .
Die Tante bemerkte endlich meine Aufregung und strich mir lachend über das Haar .
" Ich glaube gar , du hast jetzt schon das Ballfieber , Kleine ! " sagte sie .
" Nun warte , wenn nur erst dein Ballstaat fertig ist , so werden dir die Flügel schon wachsen .
Ans Leben geht es nicht , beruhige dich nur ! "
Eugenie war unerschöpflich in Neckereien über meinen Kleinmut , denn da sie schon als Kind sich in den glänzendsten Gesellschaften bewegte , war ihr der Ballsaal ein so bekannter Ort , daß er ihr niemals Scheu oder Bangigkeit erregt hatte .
Ich fand sie jetzt häufig in Beratungen mit Lisette , welche so vergraben unter Flor , Blumen und Bändern war , daß nur ihr Kopf über alle den Herrlichkeiten schwamm wie ein Schiff auf den Wellen .
Eugenie litt aber nie , daß ich ihr bei diesen Konferenzen Gesellschaft leistete , denn kaum betrat ich ihr Zimmer , als sie mich mit den kostbarsten Blumen und Schmucksachen bombardierte , oder mich in dichte Wolken von Crêpe und Flor hüllte und mich zur Tür wieder hinaus schob .
Meine eigene Balltoilette gab mir auch allerlei zu tun ; wenn mich auch Tante Ulrike höchst freigebig mit schönen luftigen Stoffen beschenkt hatte , so mußte ich doch bei Anfertigung meines Staates fleißig selbst mit Hand anlegen , denn die Tante sagte , was man selbst macht , hat doppelten Wert .
Das Kleid lag endlich zu meinem höchsten Entzücken fertig da , aber noch wußte ich nicht , welche Blumen ich in das Haar nehmen würde .
Die Tante hatte mir selbst die Wahl überlassen , aber - Wahl macht Qual , ich konnte mich schwer bestimmen , und Marie , die ich um Rat und Hilfe bat , war nicht wohl und konnte mich beim Einkauf nicht begleiten .
Da brachte mir eines Morgens die Dienerin eine Schachtel mit der Meldung , hier sei der von mir bestellte Kranz .
Ich wollte die Sendung nicht annehmen , da ich nichts bestellt hatte , doch mein Name stand auf dem Umschlag und voll Verwunderung öffnete ich den Kasten .
Aber was fand ich darin ?
Einen dicken Kranz von frischen blühenden Gänseblümchen , wie ihn die Kinder auf der Wiese zusammen binden , und daran hing ein Zettel , auf welchem mit verstellter Hand die Worte aus Fanchon geschrieben standen , " Ich gebe mit Entzücken Dir selbst dich selbst zurück . "
Das war nun sicher wieder einmal ein loser Streiche Eugeniens !
Wo sie diese frischen Wiesenblümchen im Spätherbst aufgetrieben hatte , begriff ich nicht ; doch das war mir gleich , der Scherz sah ihr ähnlich , verdroß mich aber doch gewaltig .
Ich warf den Kranz ärgerlich wieder in den Kasten , da verschob sich aber das Papier , das unter den Blumen gelegen , und einige grüne Blättchen kamen darunter zum Vorschein .
Ich nahm das steife Papier fort und vor mir lag nun der reizendste , duftigste Blumenkranz , der je den Laden einer Putzmacherin geschmückt hatte .
Zarte Apfelblüte , deren Blätter rötlich angehaucht waren , und zwischen deren Blüten sich rote Knospen und frische grüne Zweige hervor drängten , schlangen sich zum reizendsten Kranze .
Das also war des Pudels Kern !
Eugenie wieder wie immer der Kobold , der sticht , um dann desto freundlicher zu schmeicheln !
Denn daß Eugenie mir diesen Kranz ausgesucht , war jetzt vollends zweifellos .
Voll Jubel wollte ich mit meinen Blumen zur Tante eilen , da trat Eugenie in das Zimmer , und dankend flog ich ihr an den Hals .
Sie aber hielt sich schnell das Taschentuch vor das Gesicht und rief : " Puh ! ich wittere sentimentalen Wiesenduft , gerade wie lauter Gänseblümchen ! " und schnell eilte sie wieder zur Tür hinaus .
Auf diese Weise war ich also zum schönsten Blumenkranz gekommen , ohne daß ich mich weiter mit Zweifeln zu plagen hatte .
Die Blumen und mein weißes Tüllkleid lachten mich an so reizend und duftig , als sollte Schneewittchen in dem Staate tanzen , Schärpe und weiße Atlasschuhe fehlten auch nicht , und was der zarten , zierlichen Dinge mehr waren .
Tante Ulrike hatte selbst die Leitung und Beaufsichtigung meines Anzugs versprochen , und so sah ich dem verhängnisvollen Montage etwas ruhiger entgegen , denn die schöne Toilette hatte mir wirklich etwas Mut eingehaucht .
" Alles sauber und rein , liebes Gretchen , " sagte die Tante , als sie kam , die kleine Balldame anzukleiden , und so mußte denn alles was ich anlegte , vom kleinsten Stück Wäsche an , frisch gewaschen und rein sein , und vor allem verbannte meine liebe Kammerfrau jedes farbige , dunkle Unterkleid als eines Ballsaales unwürdig .
Als ich endlich vor den Spiegel trat , und mich in dem feinen weißen Kleide und dem duftigen Kranze erblickte , erschrak ich fast vor mir selbst , reicher und schöner konnte doch keine der Damen auf dem ganzen Balle gekleidet sein .
Aber siehe , da öffnete sich die Tür , und herein schwebte eine Fee - so wenigstens dachte ich im ersten Augenblicke , bis ich unsere schöne Eugenie erkannte .
Von zartem rosa Flor umwebt , der mit frischen weißen Kamelien über einem rosa Seidenkleide festgehalten wurde , einen Kranz weißer Kamelien , zwischen denen einzelne Diamanten blitzten , in den braunen Locken , so schwebte die schlanke , zierliche Gestalt zu uns herein , und ich war ganz bezaubert von ihrer Schönheit .
" Ah , da ist ja unser Gänseblümchen , gerade als wäre es frisch von der Wiese gepflückt , weiße Blätter mit rötlichen Spitzen , " rief sie auf mich zueilend .
" Wie sie niedlich ist , wahrhaftig , du wirst allen Schmetterlingen die Köpfe verdrehen ! "
Lachend gab sie mir mit ihrem kostbaren Fächer einen Schlag auf die Schulter , dann warf sie ein Paket neuer Handschuhe auf den Tisch und fing an , darin zu wühlen und Paar um Paar anzuprobieren .
Aber lange dauerte es , ehe sie zufrieden schien , und in ihrer Ungeduld zog sie so heftig an dem feinen weißen Leder herum , daß sie mehr als ein Paar zerrissen zur Seite warf .
Ich sah ihr staunend zu , denn das Paar Handschuhe , das die Tante mir für den Ball gekauft , lag sorgfältig gehütet neben dem feinen Taschentuche und wartete nur darauf , noch viel sorgfältiger über meine Finger gestreift zu werden ; sie zu zerreißen war mir ein schrecklicher Gedanke , - ich hatte keinen zweiten Pfeil zu verschießen !
Als ich Eugenie meine Gedanken sagte , lachte sie mich aus und schob mir das Paket zur Auswahl hin , denn daß man auch mit solchen Kleinigkeiten ökonomisch sein könne , war ihr eben so neu als unbegreiflich .
Endlich trug denn ein schaukelnder Wagen Tante Ulrike und ihre beiden Pflegekinder nach dem Ziele der Erwartungen .
Ich klammerte mich fest an die Hand der Tante , als die Türen des Ballsaales aufflogen , und wie ein Meer wogten die luftigen hellen Stoffe der Balldamen um mich her .
Alles Ballfieber , das ich bis dahin kräftig zurück gedrängt , kam jetzt wieder über mich , und als gar einige strahlende , duftige junge Damen aus unserer Bekanntschaft auf uns zuschritten , wäre ich der Tante am liebsten in die Tasche gekrochen .
Doch o Wonne !
jetzt erschloß sich der Himmel , denn in die Farbe des Äthers gehüllt , einen Kranz weißer Rosen in den blonden Locken , flog meine Freundin Marie auf mich zu , und an ihrer Hand atmete ich froh auf , nun war ich geborgen !
Die ersten Töne der Tanzmusik brachten zwar wieder einiges Zittern in meine Glieder , aber bald hatte ich auch das überwunden , und die Wonne des Tanzes verdrängte alle anderen Gefühle .
Fröhlich musterte ich meine Tanzkarte , auf welcher ich alle Tänze als vergeben bezeichnen konnte , und so hatte ich doch nicht die traurige Aussicht , als Mauerblümchen an der Wand sitzen zu müssen , während alles um mich her tanzte .
Ich begriff bald selbst nicht , welches Entzücken mich beseelte , während mich die Wellen des Tanzes dahin trugen ; es war unbeschreiblich angenehm , sich nach dem Rhythmus der Musik zu bewegen , ich tanzte mit wahrer Wonne .
" O du liebe sechzehnjährige Unschuld , " lachte Eugenie mir zu , als ich während einer Pause mit glühenden Wangen zu ihr eilte und ihr mein Entzücken aussprach .
" Wahrlich , ich könnte dich beneiden !
Das tanzt noch mit voller Seele , während unsereins froh ist , in einer Pause sich verschnaufen zu können . "
Eugenie war die schönste der Damen , das stand außer Frage , sowohl was ihr Äußeres , als was ihren Anzug betraf .
Der Ballsaal war so recht der Ort , ihre Schönheit und Anmut im vollen Glanze zu zeigen , und ich fand es nur zu begreiflich , daß sie stets von einer Menge junger Herren umlagert war , welche sich darum stritten , ihr die größten Huldigungen zu erweisen .
Mir wäre an ihrer Stelle Angst und bange geworden , Eugenie schien aber alles das sehr gleichgültig zu sein , denn mit Erstaunen bemerkte ich mehrmals , wie sie alle ihren Verehrern den Rücken kehrte und mit irgend einer der älteren Damen davon ging .
" Ja , sie ist einzig , dieses Mädchen , " sagte Marie .
" Mein Bruder macht ihr wie alle Herren den Hof ; aber entweder gibt sie ihren Verehrern spitze Antworten und entschlüpft ihnen wie ein Aal der Hand , oder sie spottet und lacht und kehrt ihnen den Rücken .
Louise von Mering hat mir eben eine köstliche Geschichte von ihr erzählt , die auch dich ergötzen wird , Gretchen , höre nur !
Der Leutnant Schmettau , den alle Welt wegen seiner Albernheiten verlacht , steht neben Eugenie und sagt derselben so fade Schmeicheleien , daß Eugenie ungeduldig auf ihren Fächer beißt und ihre Blicke zerstreut im Saale umher schweifen läßt .
Endlich blickt sie aufmerksam nach jener Nische , in welcher wir Beiden stehen , du und ich , und seelenvergnügt zusammen lachen und schwatzen .
Eugenie lächelt auch unwillkürlich , und ihr süßer Galan hält es für seine Pflicht , ebenfalls zu lächeln und nach uns zu schauen .
Eugenie wendet ihm ärgerlich den Rücken , und indem sie sich zu Louise Mering neigt , sagt sie auf uns deutend ziemlich leise : " Sehen sie doch , Louise , die Veilchen kichern und kosen ! "
- " Und schau 'n zu den Sternen empor ! " schnarrt es plötzlich neben Eugenie , und mit einer tiefen Verbeugung steht abermals Leutnant Schmettau lächelnd vor ihr , welcher , seinen roten Schnurrbart kräuselnd , in dieser Weise das angeführte Lied Heine's ergänzt .
- Das überstieg denn doch endlich die Langmut unserer schönen Eugenie .
Unwillig blickt sie sich nach dem unberufenen Schwätzer um , wirft den Kopf in den Nacken und sagt scharf :
" Es hüpfen herbei und lauschen Die Lieutenants wie die Gazellen ! "
Dann macht sie eine stolze Verbeugung und hängt sich an den Arm Louises , ein anderes Zimmer aufsuchend . "
Ich war entzückt über die Geschichte , fürchtete aber nicht mit Unrecht , daß die stolze Eugenie sich auf diese Weise allerlei Verdruß zuziehen würde .
Was sie an spitzen Gegenreden oder sonstigem Ungemach erfahren mochte , das erzählte sie freilich nie , nur einmal während des Kotillon kam sie zu mir , warf ein wunderschönes Bouquet , das sie während des Tanzes erhalten , verächtlich in den Winkel und gab mir lachend einen kleinen Zettel , der zwischen jenen Blumen gelegen und auf dem die Worte standen : Dein Zünglein sticht , Darum Jeder spricht : Dich mag ich nicht !
Erschrocken blickte ich Eugenie an , denn wie sehr mußte sie dies Spottgedicht ärgern , aber schelmisch lachend sagte sie :
" Nicht wahr , den bin ich glücklich los , Gänseblümchen ?
Aber schaffe du dir angenehmere Verehrer an ; es ist nicht gerade schmeichelhaft , sich auf diese Weise besingen zu lassen ! "
Dabei schweiften ihre Blicke schalkhaft zu Dr. Hausmann hinüber , welcher sehr viel mit mir tanzte und soeben wieder herbei kam , mir einen der schönen Sträuße zu überreichen , welche im Kotillon unter die Damen verteilt wurden .
" Er ist ja ein Freund meines guten Papa's , " sagte ich , verlegen Eugeniens Blicken folgend , aber doch fühlte ich , wie ich dunkelrot wurde .
" Ah so , verzeihe , ich meinte der Strauß sei für dich , nicht für deinen Vater .
Aber du mußt das freilich besser wissen , Gänseblümchen ! " sagte Eugenie lachend und schlug mich mit ihrem Fächer neckend auf die Finger .
Dann nickte sie mir freundlich zu und trat mit ihrem herbeieilenden Tänzer wieder in die Reihe des Kotillon .
Solch Kotillon ist ein wunderbarer Tanz .
Endlos wie seine Dauer ist die Aufregung , in welche er die Tanzenden versetzt , denn hier kann aller Galanterie , allen warmen Gefühlen , Zu- wie Abneigungen Sprache und Ausdruck gegeben werden .
Hier sind es ja nicht nur die Herren , welche , wie überhaupt im Leben , dergleichen Töne anschlagen dürfen , auch den Damen ist Gelegenheit geboten zu zeigen , wen ihr Herz begünstigt oder wem es nicht hold ist .
Für die Damen gab es , wie ich schon gesagt , zierliche Blumensträuße , und den Herren wurden von den Tänzerinnen dafür kleine Orden angesteckt .
Ich hatte schon mehrere Bouquets erhalten und war ganz stolz und glücklich .
Doch nun sollte ich eine Wahl treffen , und wem hätte ich meinen niedlichen Orden lieber gegeben , als dem Freund meines Vaters , dem lieben Dr .
Hausmann ?
Er hatte sich ja ohnehin ein Verdienst um mich erworben , indem er mich so häufig zum Tanz aufforderte , also war es nur ein Zeichen der Dankbarkeit , daß ich ihm den Orden gab .
Aber doch klopfte mir das Herz gewaltig dabei , gerade als ob ich etwas Unrechtes täte .
Ängstlich blickte ich nach Eugenie hinüber und war herzlich froh , daß sie nicht bemerkte , wem ich meinen Orden brachte .
Spät erst kehrten wir heim , die arme Tante herzlich müde ( denn Ballmutter sein ist keine Kleinigkeit ) , Eugenie noch immer unerschöpflich in Scherz und Übermut , ich aber wie berauscht von Entzücken , denn so vergnügt war ich noch niemals gewesen .
Lange Zeit lag ich noch wachend im Bett und rief mir alles Erlebte noch einmal vor die Seele .
Mir schien , das Backfischchen hatte sich heute außerordentlich gut benommen , denn keine Mahnung der Tante hatte , wie sonst wohl , gleich einem kalten Bade meine glühende Seele überflutet .
Ich war recht zufrieden mit allem , was ich gesprochen und getan , süß drückte der Schlaf mir endlich die Augen zu , und im Traume schwebte ich noch immer fröhlich tanzend auf und nieder .
" Höre Mal , Gänseblümchen , ich werde dir Tanzstunde geben , " sagte am anderen Morgen Eugenie , als ich zu ihr in das Zimmer trat .
Ich fand sie noch im Bette , obwohl auch ich der Ballfreuden wegen spät genug aufgestanden war .
" Tanze ich so schlecht , Eugenie ? " rief ich erschrocken , denn ich meinte ganz hübsch getanzt zu haben .
" Ungefähr wie Mama's Schoßhund , wenn ich ihn auf die Hinterbeine stelle ! " warf Eugenie leicht hin , indem sie sich gähnend streckte und reckte .
Ich wurde dunkelrot und bis beleidigt die Lippen zusammen , Eugenie schloß die Augen und schien mich nicht weiter zu beachten , so daß ich ärgerlich wieder meines Weges gehen wollte .
Da sang sie plötzlich halblaut :
" Mein Zünglein sticht , Darum Gretchen spricht : Dich mag ich nicht ! "
" es ist doch ein nettes Lied , nicht wahr , Gänseblümchen ? " fuhr sie munter fort und setzte sich im Bette in die Höhe .
" So tiefsinnig , läßt sich so leicht verändern und auf andere Dinge anwenden .
Ja , so ein Leutnant , es ist eine Pracht !
Was für eine Fülle von Geist und Humor hinter solchem zweifarbigen Tuche steckt , man sollte es nimmermehr glauben . "
" Aber Alle sind sie ja doch nicht so , Eugenie , " sagte ich etwas versöhnt , denn sie hatte mich sicher nur wieder necken wollen .
" Ich habe doch einige sehr angenehme junge Offiziere kennen gelernt , fade Gecken gibt es auch unter anderen jungen Leuten genug . "
" Ich glaubte , du wärest mehr für den Lehr- als für den Wehrstand eingenommen , Kleine , " rief Eugenie blinzelnd .
" Dein Ballorden stand dem hübschen Dr. Hausmann allerliebst . "
Mir schoß das Blut in die Wangen , also hatte Eugenie doch gesehen , wem ich meinen Orden gegeben !
" Er hatte soviel mit mir getanzt , dafür mußte ich mich doch erkenntlich zeigen , " sagte ich etwas verwirrt .
Eugeniens schallendes Gelächter riß mich aus der verlegenen Situation , denn sie fand es über alle Maßen naiv und spaßhaft , einen Tänzer für die Gnade noch zu belohnen , die man ihm erwiesen , indem man mit ihm tanzte .
Sie hatte eben eine so andere Auffassung von allen Dingen , daß ich manchmal ganz verdutzt vor ihr stand .
Mit meiner lieben Marie harmonierte ich doch viel besser ; sie blickte auch noch , wie ich , demütig und schüchtern in die Welt hinein ; Eugenie war über dergleichen " grüne Albernheiten " , wie sie unsere jugendlichen Ansichten nannte , hinweg , sie forderte viel , und die Natur hatte ihr reiche Mittel gegeben , wodurch sie auch viel erlangte .
Aber für mich bescheidenes Backfischchen paßten auch bescheidene Ansprüche an Welt und Menschen , und darum ließ ich mich durch Eugenie nicht irre machen .
Ich hatte mich zwar sehr über Eugeniens Spötterei , meinen Anstand beim Tanzen betreffend , geärgert ; aber ich schluckte meine Aufregung hinunter , denn ich wußte , sie meinte es im Grunde sehr gut mit mir , und sagte : " Im Ernste , Eugenie , jetzt gestehe mir , tanze ich wirklich so schlecht ? "
" Nun die Grazie liegt freilich bei dir noch in den Windeln , Kleine , " lachte Eugenie jetzt gutherzig .
" Aber beruhige dich nur , selbst Tante Anstand war mit dir und deinem Anstand zufrieden , also raufe dir deine schwarzen Zöpfe noch nicht vor Verzweiflung aus .
Aber in die Schule möchte ich dich noch ein Bisschen nehmen , das kann dir nicht schaden , dich sowohl wie deine kleine Marie ; denn was diese zu viel hinten über tanzt , das neigst du zu viel nach vorn , so daß eure Oberkörper einen richtigen spitzen Winkel bildeten , tanztet ihr neben einander .
Und dann macht ihr alle Beide noch so himmlisch schulrechte Pas , gerade als stände Mr. le Professur de danse hinter euch und klopfte euch für jede Nachlässigkeit mit seinem Fiedelbogen auf die Fußzehen . "
Mit Freuden unterwarf ich mich den Übungen , die Eugenie noch an demselben Morgen mit meinen Füßen und Händen vornahm , und voll Jubel wurde auch Marie in Beschlag genommen , als sie kam , von dem gestrigen Balle mit uns zu schwatzen .
Freilich war Eugenie eine sonderbare Lehrmeisterin , da sie endlosen Unfug bei unseren Übungen trieb ; aber doch lernten wir , was sie wünschte , nämlich uns etwas sorgloser zu bewegen und uns beim Tanzen hübsch gerade zu halten .
Auch ein gutes Kompliment zu machen brachte sie mir glücklich bei , und Tante Ulrike fügte dem allen noch die Lehre hinzu , den Gästen möglichst wenig unsere Rücken zukehren zu wollen , besonders solchen , denen wir als den Vornehmsten oder Bedeutendsten die meiste Beachtung und Höflichkeit Schulden .
Dies zu beachten habe ich aber , ehrlich gestanden , bis auf den heutigen Tag noch immer äußerst schwierig gefunden .
14. Begegnung .
Diesem ersten Balle folgten im Laufe des Winters noch mehrere andere , so daß ich nach und nach meine Schüchternheit überwand , und die Tante mir das Lob erteilte , mein Benehmen sei freier und leichter , als sie je erwartet habe .
Neben Eugenie freilich kam ich mir noch immer wie eine Holzpuppe vor , doch ihre Anmut war eben unerreichbar .
Ehe ich jedoch von unserem Zusammenleben weiter erzähle , muß ich eines Ereignisses gedenken , das in seinen Folgen sehr bedeutend wurde , so wenig es anfangs den Anschein hatte .
In das Haus Tante Ulrike's kam häufig ein armes Weib , das Eier , Gemüse oder Obst verkaufte , welche Produkte ihr kleines ländliches Besitztum lieferte , und die von der Tante gut bezahlt wurden .
Das arme Weib war aber krank geworden , und da die Tante sich selbst gern einmal überzeugen wollte , wie es bei ihr aussah , so benutzte sie einen der schönen Tage des Spätherbstes und fuhr mit uns nach dem Dorfe , in welchem die Frau wohnte .
Es war alles wie uns beschrieben worden , Not und Sorge in Menge , und die gute Tante machte sich mit den Kindern gleich allerlei zu schaffen , uns aber trieb sie hinaus , wohl wissend , daß Eugenie nicht lange hier aushalten würde .
So gingen wir Beiden denn auf den Wiesen und Feldern spazieren und freuten uns der einzelnen Blumen , welche der Frost noch nicht gewelkt hatte , sowie der wunderschönen duftig blauen Färbung , die Wald und Ferne bedeckte .
Am Saum des Waldes erblickten wir ein schönes , schloßartiges Gebäude , von stattlichen Wirtschaftsräumen umgeben , und um diesen Herrenhof genauer zu betrachten , schritten wir über eine Wiese , auf der eine Menge Kühe die letzten Reste an Gras und Kräutern abweideten .
Ich hatte mich von Kind auf so viel unter den Tieren umher getrieben , daß ich keine Furcht vor ihnen kannte , Eugenie aber blickte sich ängstlich um , so daß heute einmal die Neckerei auf meiner Seite war .
Plötzlich aber wurde auch ich aufmerksam , denn ein dumpfes Brummen sagte mir , daß der Stier bei der Herde sei , und daß mit dem nicht zu spaßen , wußte ich wohl .
Ich spähte nach dem Hirten , doch dieser war nirgends zu erblicken , und so ging ich schnell vorwärts , Eugenie nichts von meiner Besorgnis zu verraten , denn von Weitem sah ich den gefürchteten Gesellen mit gesenktem Haupte sich uns nähern .
Aber jetzt bemerkte auch Eugenie den Feind und erschrocken rief sie : " Der Stier !
Der Stier ! " und stürzte unaufhaltsam davon .
Nun erst sah ich , daß ein rotes Tuch Eugeniens das Tier wahrscheinlich gereizt hatte , aber ich konnte sie nicht mehr erreichen und eilte ihr atemlos nach .
Jetzt aber setzte sich auch unser Verfolger in Trab , und bald war er Eugenie so nah , daß diese voll Verzweiflung um Hilfe rief , und ich angstvoll zu ihrem Beistande hinzustürzte , obwohl ich wußte , daß meine Kräfte doch zu schwach waren , ihr zu helfen .
Da im letzten schrecklichsten Augenblicke , als das furchtbare Tier schon den Kopf neigt , um Eugenie mit seinen Hörnern zu fassen , trifft ein furchtbarer Schlag seine breite Stirn , so daß es betäubt zur Seite fährt .
Taumelnd schlägt es seine Hörner so wütend in einen dicken Baumstumpf , daß es wie gefesselt zusammenbricht und sich laut brüllend am Boden wälzt .
Eine hohe männliche Gestalt eilte nun von dem machtlosen Tiere fort zu Eugenie , welche kraftlos zur Erde sank , sobald sie sich von ihrem wütenden Verfolger befreit sah .
Auch ich war endlich an ihrer Seite und umschlang sie mit meinen beiden Armen , da Angst und Schrecken ihr alle Kraft geraubt hatten .
Dankend blickte ich nun auf zu dem Retter , der im letzten Augenblicke uns so kräftig befreit hatte ; aber schnell war derselbe , sobald er Eugenie durch mich versorgt sah , zu dem Stiere zurückgekehrt , dem er mit Hilfe des jetzt herbeikommenden Hirten die Hörner aus dem Blocke frei machte , und ihm den Kopf mit einem der Vorderfüße zusammenband , so daß er keinen Schaden mehr tun konnte .
Jetzt kam unser Befreier wieder auf uns zu , aber wie groß war meine Überraschung , als ich in ihm Baron Senft erkannte !
Ich wurde blutrot und wußte vor Verlegenheit kaum einige Dankesworte hervorzubringen , und auch er war sichtlich überrascht und betroffen .
Eugenie jedoch , welche sich schnell wieder erholt hatte , befreite uns aus der peinlichen Situation ; denn mit warmen , feurigen Dankesworten reichte sie dem Baron die Hand und bat dringend , er möge uns zu Tante Ulrike begleiten , damit auch diese den edlen Mann kennen lerne , der ihr das Leben gerettet .
Der Baron wußte nicht recht , was er tun oder sagen sollte .
Er blickte mich schnell an , und alle meine Verlegenheit niederkämpfend vereinte auch ich jetzt meine Bitten mit denen Eugeniens , und so begleitete uns der Baron denn zu dem Bauernhause , vor dem die Tante schon wartend stand , und nun eben so sehr durch unsere Erzählung überrascht wurde , als durch das Zusammentreffen mit unserem alten Bekannten .
Aber hier in der freien Natur , nur umgeben von wenig heiteren Menschen , war der Baron ein ganz anderer .
Seine steifen , verlegenen Manieren , welche im glänzenden Salon und unter so viel fremden , eleganten Menschen als so lächerlich auffielen , bemerkten wir jetzt kaum ; die Jägerkleidung , welche er trug , stand ihm sehr vorteilhaft , und die Kühnheit und Stärke , mit der er Eugeniens Verfolger zu Boden geworfen , hatten ihn in alle seiner männlichen Kraft und Bedeutung hervortreten lassen .
Er bat sich nun die Ehre aus , uns in sein Schloß führen zu dürfen , und mit Vergnügen folgten wir dieser Einladung .
Ein schönes , altes Gebäude , umgeben von prächtigem Park und großartigen Wirtschaftshäusern , lag vor uns ; das Innere des Schlosses war einfach , aber schön und gediegen eingerichtet , und Adel und Wohlstand ruhte auf dem ganzen Besitztum .
Mir war sehr sonderbar zu Mute , als ich diese Räume durchschritt .
Dies alles hätte ich mein nennen , von alle diesem reichen , stattlichen Besitztum hätte ich Herrin werden können !
Dieser Gedanke drängte sich mir immer und immer wieder auf , ich sah ihn auch auf der Stirn Tante Ulrikes geschrieben , und hätte ihn auch wohl in des Barons Augen lesen können , hätte ich den Mut gehabt , ihn anzusehen , oder er mich .
Aber sonderbar , statt daß mich dieser Gedanke niedergeschlagen , oder mir Bedauern und Reue über meine Torheit erweckt hätte , fühlte ich im Gegenteil jetzt erst doppelt , wie ganz unmöglich es mir gewesen wäre , die Wünsche des Barons zu erfüllen , und wäre sein Schloß noch zehnmal schöner und kostbarer gewesen .
Unserem Wirte machte es viel Freude , uns alles recht genau zu zeigen , und unsere aufrichtige Bewunderung der vielen köstlichen kleinen Altertümer , woran das alte Schloß so reich war , regte ihn so an , daß er ganz lebendig und heiter wurde .
Eugenie war in vollem Enthusiasmus über alle die herrlichen altmodischen Dinge , und ihr feiner Schönheitssinn fand reichlich Stoff zu aufrichtiger Bewunderung .
Sie huschte und kletterte überall herum , untersuchte alle geheimen Türen , Treppen und Winkelchen , wovon das alte Schloß einen ganzen Schatz barg , und war reizend und fröhlich wie ein ausgelassenes Kind .
Der Schrecken , welcher sie zuerst bleich und erschöpft gemacht hatte , war jetzt ziemlich überwunden , und das zarte Rot ihres Gesichts machte sie nun schöner als je .
Der Baron verfolgte sie unablässig , und sie war mit ihren Blicken so herzlich und unbefangen zu dem steifen Herrn , daß dieser alle Zurückhaltung abstreifte und mit ihr umher lief und kletterte , wohin sie wollte , so daß die Tante nicht so schnell nachkommen konnte , und ich mit ihr langsamer folgte .
Eugenie gelangte endlich auch in ein kleines Zimmer oben im Turm , und voll Staunen erblickte sie hier allerlei musikalische Instrumente und hohe Stöße von Noten .
Besonders schön war ein Cello , doch auch ein kostbarer Flügel erregte ihre volle Bewunderung .
" Sie sind musikalisch , Herr Baron ? " rief Eugenie lebhaft und deutete auf ein Notenheft , das aufgeschlagen neben dem Cello lag .
" Ein wenig , gnädiges Fräulein .
Aber lassen wir das ! " entgegnete unser Wirt verlegen und wollte Eugenie wieder herausführen , denn ihr Eindringen war ihm sichtbar unangenehm .
Eugenie aber hüpfte vergnügt nach dem Flügel , und indem ihre Finger über die Tasten flogen , nickte sie dem Baron lächelnd zu .
" Hier werden Sie mich nicht wieder los ! " rief sie fröhlich .
" Kommen Sie nur , liebster Baron , begleiten Sie mich .
Sie spielen Cello , das ist herrlich , wie lange Zeit habe ich dies liebe teure Instrument nicht mehr gehört !
Wir werden unter Ihren Noten sicher etwas finden , das wir zusammen spielen können . "
Dem Baron half kein Sträuben .
Hier in seinem Turmstübchen , wohin er seine Kunst als in ein verborgenes Heiligtum geflüchtet hatte , von dem niemand etwas wußte , hier war der lustige , neckische Kobold Eugenie eingedrungen , und mit ihr fanden wir unseren guten Baron in der eifrigsten musikalischen Unterhaltung , als wir den Klängen folgend wieder mit ihnen zusammen trafen .
Er spielte sein Cello meisterhaft , und es war ein großer Genuß , dem trefflichen Spiel der Beiden zuzuhören .
Wir hielten uns in einiger Entfernung , um nicht zu stören , aber der Baron war bald so mit voller Seele bei seinem Spiel , daß die ganze Welt hätte zuhören können , es würde ihn nicht mehr geniert haben .
Nur ungern verließen wir das kleine Gemach , aber die Sonne neigte sich zum Untergange und mahnte an die Heimfahrt .
Der Abschied von unserem guten Baron war so herzlich , als wären wir schon längst die besten Freunde gewesen , und wir erhielten von ihm sogar das Versprechen seines Besuches , sobald er nach der Stadt kommen würde .
Oft mochte er aber wohl die Stadt nicht besuchen , denn in seiner schönen Besitzung fühlte er sich unendlich viel wohler , als unter den gewandten Stadtleuten , auch hatte ich ihn seit jenen verhängnisvollen Tagen nicht wieder in Gesellschaft getroffen , was mir natürlich nur lieb sein konnte .
Sehr verwundert war ich , mit wie viel Achtung , ja selbst Bewunderung Eugenie von dem Baron sprach .
Sie schien ganz ausgetauscht , denn ihr kecker Mutwille , der sonst nichts schonte , hätte immerhin reichen Stoff zu Spöttereien finden können , so vorteilhaft sich der Baron ihr auch gezeigt hatte .
Mir kamen deshalb so allerlei wunderliche Gedanken in den Sinn , die ich aber weislich für mich selbst behielt , und über meine einstigen Beziehungen zu unserem Retter schwieg ich nun gar erst sorgfältig .
Nur gegen Marie sprach ich mir Herz und Seele frei , sie war ja meine Vertraute in allen Dingen .
Wenige Tage nach diesem unseren Abenteuer erschreckte uns die Nachricht , daß in dem Dorfe , in welchem Baron Senfts Besitzungen lagen , eine Feuersbrunst ausgebrochen und außer vielen Bauerhäusern auch Pfarr- und Schulhaus , sowie ein Teil der Kirche abgebrannt sei .
Wir bedauerten das Unglück um so lebhafter , da wir so eben selbst noch in jenem Orte gewesen waren , und der Sammlung zum Besten der Abgebrannten steuerten wir reichlich bei .
Glücklicherweise war unsere arme kranke Bäuerin von dem Unglück verschont geblieben , aber Schrecken und Angst hatten ihr Leiden arg verschlimmert .
Durch sie erfuhren wir nun , mit welcher Aufopferung Baron Senft sich der armen Abgebrannten angenommen , wie tätig er selbst beim Löschen des Feuers gewesen , und wie er die Zuflucht sei für alle Bedrängten .
Eugenie nahm ungewöhnlich lebhaftes Interesse an diesem Vorfall , und sie sann ernstlich darüber nach , wie den armen Leuten kräftig zu helfen sei .
Eine kleine Lotterie , welche Marie zu diesem Zwecke veranstaltete , behagte ihrem Geschmack wenig , obwohl sie wunderhübsche Geschenke dazu lieferte .
" Wir wollen ein Dilettanten-Concert arrangieren ! " rief sie endlich entschlossen .
" Das muß mehr abwerfen , als eure Nadelkissen-Lotterie mit den Silbergroschen-Loosen .
Oder was meint ihr zu einer kleinen dramatischen Vorstellung ?
Meiner Ansicht nach würde das den Leuten Spaß machen , natürlich müssen die Billetts mit Auswahl vergeben werden . "
Unsere Bedenken , daß solche Gedanken nicht ausführbar seien und gar zu viel Mühe machen würden , verwarf sie alle , und da Tante Ulrike nichts Unpassendes darin fand , indem wir ja für einen guten Zweck mit unseren Leistungen hervortreten wollten , so stand Eugeniens Entschluß fest : die Aufführung einiger kleinen Lustspiele zu arrangieren , denen einige musikalischen Leistungen vorangehen sollten .
Die sonst so bequeme , untätige Eugenie war jetzt Feuer und Flamme .
Theatralische Vorstellungen gehörten zu den Dingen , welche ihre Mutter sehr liebte und häufig veranstaltet hatte , und so wußte Eugenie mit dergleichen gut Bescheid , denn sie war sogar selbst einige Male mit aufgetreten .
Von Büchern umgeben , wie ehedem vor dem Balle von Flor und Bändern , fand ich sie jetzt täglich in ihrem Zimmer , denn die Wahl der darzustellenden Stücke war sehr schwierig .
Bald jedoch war ihr Entschluß gefaßt , und der Erfolg zeigte , daß sie sehr geschickt gewählt hatte .
Nicht ohne allerlei Qual und Mühe brachten wir unter unseren Bekannten das passende Personal für die Aufführung zusammen , und es bedurfte oft aller Liebenswürdigkeit , deren Eugenie fähig war , um die Herzen zu unseren Gunsten zu stimmen .
Endlich aber waren alle Rollen besetzt , ein passender Saal errungen , in dem eine nette Bühne erbaut wurde , und nun schritten wir rüstig zu dem Einstudieren unserer Rollen und der Herstellung der passenden Kostüme .
Wie in einem Taubenhause ging es jetzt den Tag über bei uns aus und ein , denn jeder wollte etwas anderes wissen .
Eugenie hatte für alles Rat , und ich bewunderte dabei fortwährend , wie geschickt sie alle keimenden Streitigkeiten zu umgehen verstand .
Bald fehlte hier ein Mieder , bald dort passender Besatz , bald stritt man , wie die Beleuchtung am Besten anzubringen sei , bald welche Dekoration man wählen sollte .
Dann wieder kamen Zweifel über die Betonung einzelner Worte , oder über die Art des Auftretens , kurz , Jeder hatte ein anderes Anliegen , und alle dem wußte Eugenie gewöhnlich schnell zu entsprechen , und die Tante half ihr , wo sie konnte .
Mein Beistand war mehr untergeordneter Art , indem ich meine Finger in Bewegung setzte und fleißig die Garderobe in Stand brachte .
Dabei lernte ich , daß mir der Kopf rauchte , denn trotz furchtbaren Sträubens war auch ich von Eugenie dazu verdammt worden , eine der Rollen zu übernehmen .
" Aber ich bin ja so hölzern , ich blamiere euch alle ! " jammerte ich vergebens .
" Ich werde dich schon zurecht stoßen , Gänseblümchen ! " lachte Eugenie .
" Du bist hier bei Tante Ulrike auf der Hochschule , und zur rechten Bildung gehört auch , daß man gelegentlich einmal Komödie mitspielen kann , also bin ich nur auf deine Ausbildung bedacht . "
So wenig ich nun auch mit diesem , als zur Erziehung notwendigen Element einverstanden war , so mußte ich doch endlich nachgeben , wollte ich nicht eigensinnig erscheinen .
Eugeniens Plan , der Aufführung ein kleines Konzert vorausgehen zu lassen , machte ihr fast noch mehr Not , als die Besetzung der Rollen .
Sie selbst wollte allerlei spielen und singen , aber einige andere tüchtige Kräfte mußten ihr zur Seite stehen , sonst ging es nicht .
Amanda Delius hatte sich endlich bereit erklärt , etwas auf dem Flügel vorzutragen , da sie trefflich spielte , und Dr. Hausmann übte mit Eugenie einige Duette ein , aber noch fehlte eine Art Ouvertüre , welche das Ganze würdig einleitete .
" Ich habe_es !
Das muß gehen ! " rief mir Eugenie eines Morgens entgegen und zeigte mir ein niedliches Briefchen , dessen Aufschrift lautete : " Sr. Hochwohlgeboren dem Herrn Baron von Senft , Erb- und Standesherrn auf und zu Sänftenburg . "
" Nun mache nur nicht Augen , als wolltest du mich geradewegs verschlingen ! " rief Eugenie und zog die Klingel .
" Schnell den Brief in den Briefkasten , " sagte sie dann , Listen das Billet übergebend .
" Aber Eugenie , was tust du denn ? " rief ich halb versteinert vor Verwunderung .
" Bah , ich bitte nur unseren guten Baron , für seine Abgebrannten einige Striche auf dem Cello als Beitrag zu liefern , " entgegnete Eugenie , sich etwas befangen abwendend .
" Auf dem Cello ?
Soll er bei unserem Konzert mitwirken ?
Hast du ihn darum gebeten , Eugenie ? "
" Nun ja , warum denn nicht ?
Er spielt ja so gut , warum sollte er nicht ein Trio mit mir und Maries Bruder ausführen ?
Ich übernehme den Flügel , Eduard die Geige und der Baron das Cello , das leitet die Geschichte prächtig ein . "
Ich schüttelte den Kopf und dachte , sie würde sicher eine ablehnende Antwort vom Baron erhalten .
Aber o Wunder ! schon am anderen Tage erschien , etwas steif und verlegen zwar , aber doch lebendig und angeregt wie ich ihn nie gesehen , unser braver Baron .
Welches Opfer es ihm mochte gekostet haben , seine Menschenscheu und Ängstlichkeit zu überwinden , das konnten wir nur ahnen , aber er hatte alles überwunden , und kam nun voll ängstlicher Beflissenheit , Eugeniens weitere Befehle zu vernehmen .
Diese strahlte vor Freude und Dankbarkeit , und war ordentlich zärtlich zu ihrem neuen Freunde , der sich nun mit ihr bald so in die Auswahl eines passenden Musikstückes vertiefte , daß Tante und ich uns erstaunlich überflüssig vorkamen , gerade wie damals beim Besuch des Schlosses Sänftenburg .
Als der Baron fort war , konnte ich meinen Mutwillen nicht unterdrücken und sagte recht fromm :
" Wie gut ist es doch von dem Baron , daß er um des edlen Zweckes Willen seine Schüchternheit überwindet und das Opfer bringt , mit dir zu spielen , Eugenie ! "
Sie blickte rasch auf , bückte sich aber sogleich wieder und machte sich mit ihren Noten zu schaffen .
" Hm , ja , sehr gut ! " sagte sie zerstreut .
" A propos , Gänseblümchen , " fuhr sie dann in ihrer alten neckischen Weise fort , " ich hätte dich nicht für so hartherzig gehalten , diesen guten Mann so grausam zu behandeln . "
Nun kam die Reihe an mich , rot und verlegen zu werden , denn es war mir gar sehr unangenehm , daß gerade Eugenie um diese Geschichte wußte .
Eduard mußte sie ihr verraten haben , denn Tante und Marie schwiegen darüber , dies Versprechen hatte ich von ihnen .
Eugenie setzte ihren Mutwillen aber wunderbarer Weise nicht weiter fort , und ich meinerseits hütete mich nun wohl , sie durch Neckereien wieder zu reizen .
15. Allerlei Neues .
" Eine Vorstellung zu wohltätigem Zwecke " , so waren die Eintrittskarten beschrieben , welche wir für den Abend , an dem unsere Vorstellung stattfinden sollte , austeilten .
Alle Plätze im Saale wurden bald vergeben , und eine reiche Einnahme lohnte unsere Mühen .
Aber mit welchem Herzklopfen sah ich den verhängnisvollen Abend herankommen , ein Ball war ja dagegen ein Kinderspiel und wahre Bagatelle !
Doch was half alles Zagen ; der Abend war endlich da , die Glocke ertönte , und langsam hob sich der Vorhang , der Bühne und Saal von einander trennte .
Dumpfes Gemurmel drang aus dem Zuschauerraume bis hinter die Kulissen , in denen wir Spielenden lauschten , bald aber wurde es still , und man vernahm die helle Stimme meiner lieben Marie , welche einen kurzen Prolog zu sprechen hatte .
Sie bat darin , den Zweck unserer Darstellungen als Entschuldigung für unsere schwachen Leistungen gelten zu lassen und der Kritik , welche heute keine Einlaßkarte erhalten , ja nirgends den Zutritt zu gestatten .
Rauschender Beifall lohnte die heitere Rede , und so sehr ich meine Freundin anfangs bedauert hatte , daß ihr die schwere Aufgabe zu Teil geworden , zuerst und so allein aufzutreten , so sehr beneidete ich sie jetzt ; denn sie war nun fertig und konnte ihre phantastische Kleidung , die ihr allerliebst gestanden , abstreifen und in Ruhe unserem Treiben zuschauen .
Nachdem Marie ihren Prolog beendet , erklangen die ersten Töne des Beethoven'schen Trio's , und lautlose Stille herrschte unter der Versammlung .
Hohe Pflanzen und Blumen , welche Eugenie voll feiner Rücksicht auf die Schüchternheit ihres Cellospielers hatte aufstellen lassen , verdeckten zum Teil die Musiker , und hinter dieser duftenden Blumenwand führte das kunstfertige Kleeblatt nun das Musikstück zu Ende und erregte einen abermaligen Beifallssturm .
Jetzt sang Eugenie ein schönes Lied , und des Baron's Augen strahlten , als er bei uns hinter den Kulissen erschien ; all seine Sinne schienen sich in dem einen des Gehörs zu konzentrieren , mit dem er Eugeniens Gesang lauschte .
Er kam erst wieder zu sich , als das Lied zu Ende war , und Amanda dem Gesange ein prächtiges Concertstück folgen ließ .
Dann schloß ein Duett , von Eugenie und Dr. Hausmann gesungen , den musikalischen Teil der Unterhaltung .
Nun aber kam der schreckliche Moment : unsere Aufführung mußte beginnen !
Wir gaben das heitere Lustspiel Kotzebue's : " Der gerade Weg ist der beste . "
Ich hatte die Rolle der jungen Predigerwitwe , welche mit der erledigten Pfarre zusammen vergeben werden soll , und ein sehr heiteres , nicht mehr ganz junges Mädchen übernahm die Rolle der Haushälterin , welche zur Prüfung der Bewerber als diejenige Dame vorgeführt wird , die mit der Pfarre in den Kauf genommen werden soll .
Ein alter Major , von Dr. Hausmann mit Perücke , langer Pfeife und angemalten Runzeln prächtig dargestellt , ist Patronatsherr und hat die Stelle zu vergeben , und bei ihm melden sich nun zwei Bewerber .
Der eine hat viel Fürsprache und steckt sich hinter alle möglichen Personen , die zu seinen Gunsten sprechen sollen ; auf die Bedingung , die Alte zu heiraten , geht er augenblicklich ein , besonders da er hört , sie habe Geld .
Der andere Bewerber ist ohne Fürsprache und wendet sich direkt an den Major , die Bedingung aber , gleich die Pfarrerin mit in den Kauf zu nehmen , bestimmt ihn , ohne noch dieselbe gesehen zu haben , von der Bewerbung zurück zu treten , bis er denn endlich erfährt , daß die ihm Bestimmte seine frühere Liebe ist , um Deernwillen er nie heiraten wollte .
Daß er Pfarre und Frau nun bekommt , ist keine Frage , und alles endet vortrefflich .
Leichter als meine ehrbare Rolle der jungen Witwe war die der alten Haushälterin , deren Auftreten großen Jubel erregte ; denn eine ungeheure Haube mit faltenreichen Strichen , sowie eine köstlich altmodische , blumige Contusche gaben ihrer gezierten , selbstgefälligen Erscheinung etwas unbeschreiblich Komisches .
Überdies spielte sie ausgezeichnet gut .
Trotz meiner Angst und Sorge ging unser Spiel trefflich von statten , keins blieb stecken , der Souffleur tat löblich das Seine , und alles fügte sich nach Wunsch in einander .
Mir wurde zwar anfangs ganz heiß und drehend , als ich meine Blicke von der Bühne fort nach dem zahlreichen Publikum wendete , aber auch das verging , und der Mut wuchs beim Spiel .
Daß auch wir reichen Beifall und Hervorruf ernteten , freute uns sehr , und selbst Eugenie gab mir das Lob , ich sei " ganz passabel " gewesen , ganz die " ehrpußlige kleine Gänseblume , die diese Pastorfrau sein müsse . "
Diesem unserem Lustspiel folgte nun noch ein anderes , das dem Ganzen die Krone aufsetzte , obwohl nur zwei Personen darin auftraten .
Es war das reizende Genrebild von Schneider :
" Der Kurmärker und die Picarde , " und Eugenie als graziöse Französin , sowie Eduard in der Rolle des braven Soldaten übertrafen alle Erwartungen .
Der zierlichen Gestalt Eugeniens schmiegte sich das kleidsame , französische Kostüm trefflich an , und die hohe Mütze der Picarde stand dem schönen Mädchen zum Verlieben hübsch .
Der Inhalt des Stückes ist unbedeutend : die niedliche Französin weiß durch Anmut , Tanz und Schmeichelei den groß lourdand prussien sich günstig zu stimmen , und dieser wieder gewinnt durch treuherzige Gutmütigkeit die Gunst der Feindin , so daß die Beiden als die besten Freunde von einander gehen .
Das bekannte ergötzliche Lied : " O Tanneboom , o Tanneboom , wie grün sind deine Blätter ! " sang Eduard so voller Humor , und ließ dabei doch den einfachen ergreifenden Ernst so hindurch fühlen , daß er uns alle tief rührte , und uns selbst die Tränen im Auge standen , als der Gesang des braven Soldaten , vom Schmerz des Heimweh's erstickt , mit Schluchzen endete .
Eugeniens zierlicher Tanz im Gegensatz zu den plumpen Sprüngen des guten Deutschen war allerliebst , sie erntete grenzenlosen Beifall und " mon brave " mit ihr .
So war denn alles gut und ohne erhebliche Störung abgelaufen ; unsere Aufführungen hatten ungeteilten Beifall gefunden , wir selbst trotz vieler Mühe auch viel Vergnügen dabei gehabt , und , was die Hauptsache , unser Zweck , eine Unterstützung für die Abgebrannten zu erlangen , war glänzend erreicht , denn voll Freude konnten wir den Händen des Barons eine hübsche kleine Summe zur Verteilung übergeben .
Die Unruhe und Aufregung , in welcher dieser Abend uns Alle eine Zeitlang versetzt hatte , wich nun wieder dem ruhig gleichmäßigen Gange des täglichen Lebens .
Der Winter mit seinen langen Abenden versammelte uns meist in Tante behaglichem Wohnzimmer , dessen " himmlisch altmodische Meubles " jetzt auch der leichtfertigen Eugenie lieb wurden , wie überhaupt unser ganzes behaglich ruhiges Leben .
Ein solches kannte sie eigentlich gar nicht , denn ihrer Mutter erschienen die Tage , an denen sie kein Vergnügen vorhatte , völlig verloren , eine trauliche Häuslichkeit war ihr zuwider .
Zum Glück lag in unserer Eugenie eine völlig andere Natur , und die tiefe Innerlichkeit ihres Gemütes gewann mehr und mehr die Herrschaft über ihre bisherigen leichtsinnig weltlichen Neigungen .
übermütig und wunderlich blieb sie dabei freilich noch immer , und das verwöhnte Kind schaute noch überall hindurch , aber man mußte doch seine Freude an ihr haben , sie war trotz allem ein gar liebes Geschöpf .
Ihre große musikalische Begabung verschaffte uns in den langen Winterabenden gar manchen Genuß , und in Folge ihrer steten Ermutigung versuchte auch ich nach und nach , meine kleinen Talente im Klavierspiel und Gesang unter ihrer Leitung zu vervollkommnen .
Marie leistete uns häufig Gesellschaft , und auch ihr Bruder Eduard , sowie Dr .
Hausmann gehörten zu der frohen traulichen Gesellschaft , die Tante Wohnzimmer gar häufig belebte .
Bald gewannen wir noch ein Mitglied zu unserem kleinen Kreise , und das war unser neuer Freund : der Baron Senft .
In großer Gesellschaft sahen wir ihn nie , und auch unser kleiner Kreis schien ihn anfangs zu beängstigen , die Musik aber half ihm bald über alle Bangigkeit fort .
Eugenie hatte eine so feine , angenehme Weise , sein linkisches Benehmen zu ignorieren und ihn dreister und unbefangener zu machen , und Tante Ulrike war so herzlich und zutraulich gegen ihn , daß die starre Rinde bald schmolz , und man ihm mehr und mehr Behagen und Wohlsein anmerkte .
Dr. Hausmann , der große Reisen gemacht hatte , verstand sehr hübsch von denselben zu erzählen , auch Eduard unterhielt gut , und bald zeigte es sich , wie gebildet und unterrichtet auch der Baron war , dessen Kenntnisse bisher unter Schloß und Riegel gelegen hatten ; denn Niemand vermutete sie bei dem scheuen , stillen Landedelmanne , der jetzt oft ganz lebhaft und gesprächig wurde .
Marie teilte mit mir die feste Überzeugung , daß der Baron in Eugenie bis über die Ohren verliebt war , denn man hätte blind sein müssen , um das nicht zu sehen .
Wie aber Eugenie dachte , konnte man freilich nicht so deutlich wissen ; ihr neckisches Wesen machte sie unberechenbar , und sie entschlüpfte flink und gewandt , wollte man sie etwas fester und schärfer fassen .
Aber doch sprach gar Vieles dafür , daß auch sie den Baron gern hatte .
Es war unbegreiflich , aber es war so : der wunderliche , steife , scheue Menschenfeind gefiel unserer schönen , eleganten , in jeder Weise verwöhnten Eugenie besser , als irgend ein anderer Mann unserer Bekanntschaft .
Sie verteidigte ihn stets , hob stets alles hervor , was zu seinen Gunsten sprach , und vor allem :
sie spottete und lachte nie über ihn , so viel Stoff er ihr auch dazu liefern mochte ; und jetzt erst fühlte ich so recht die Wahrheit jener Worte , die Tante Ulrike einst sagte : Spott ist schlimmer als Tadel .
Ein Mädchen wird leichter einen Mann heiraten , an dem sie allerlei zu tadeln fand , als einen , über den sie sich lustig gemacht und den sie verspottet hat .
Auch ich lachte jetzt nicht mehr über unseres guten Barons linkisches Wesen , denn mehr und mehr lernte ich ihn wegen seines trefflichen Charakters achten und seinen inneren Wert anerkennen .
Aber freilich muß ich gestehen , daß mir anfangs ihm gegenüber nicht sehr behaglich zu Mute war , und ich gewiß in linkischen Manieren mit ihm wetteiferte ; denn es ist ein sehr peinliches Gefühl , dem Manne gegenüber zu stehen , dem man - einen Korb gegeben .
Zu meiner Freude schien der Baron viel leichter darüber fort zu kommen , denn er ignorierte mich bald vollständig , wenn sich Eugenie neben mir befand ; sie war die Sonne , nach der er schaute , sie liebte und verehrte er mit aller Innigkeit seines Herzens , - mich hatte er ja nur heiraten wollen , weil er glaubte , ich liebte ihn ; das war ein Irrtum , und somit war er seiner Verpflichtungen gegen mich entbunden .
Aber der arme schüchterne Baron war sehr schlimm daran !
Woche um Woche verging , schon wich der Winter dem warmen Hauche des kommenden Frühlings , aber immer noch standen die Sachen auf demselben Fleck ; denn die Furcht , auch von Eugenie abgewiesen zu werden , band des armen Barons Zunge .
Er wagte nicht dem schönen , bedeutenden Mädchen zu gestehen , wie sehr er sie liebe .
Hätte er sich abermals geirrt , wäre er auch ihr gleichgültig , wie er mir war , so stürzte sein Wünschen und Hoffen in bodenlosen Abgrund und nahm alles mit , was ihm jetzt Freude und neues Leben brachte .
Diese Gedanken standen so deutlich auf seiner Stirn , daß ich mir von Neuem die bittersten Vorwürfe über meine Torheiten machte , die noch jetzt solche Früchte trugen .
Ein Gespräch mit Eduard zeigte mir aber erst ganz , wie begründet solche Gedanken waren .
" Fräulein Gretchen , Sie könnten sich ein rechtes Verdienst erwerben , " sagte Eduard eines Tages zu mir , als ich bei seiner Schwester Maria war .
" Ein Verdienst , um wen denn ? " fragte ich verwundert .
" Nun , um wen sonst , als um Ihren einstigen Verehrer , den Baron Senft , " entgegnete Eduard .
" Er ist nie mein Verehrer gewesen und hat jetzt ganz andere Gottheiten , denen er huldigt ! " sagte ich lachend .
" Aber Sie haben ihn doch einmal bitter enttäuscht und gekränkt , dafür sollten Sie ihm wirklich Gutes erzeigen . "
" Herzlich gern , aber wie kann ich das ? "
" O die Damen verstehen sich ja so trefflich darauf , Verborgenes zu enträtseln .
Wollen Sie nicht einmal das Herz Ihrer schönen Cousine sondieren , damit Sie erfahren , wer der Glückliche ist , dem sie ihre Gunst zuwendet ? "
" Das ist eine furchtbar schwere Aufgabe , lieber Freund !
Eugenie schimmert wie ein Kolibri stets in anderen Farben , und durchschaut meine Absichten zehn Mal , wenn ich den Versuch machen wollte , sie zu durchschauen . "
" Sie täten aber ein gutes Werk , Gretchen , " sagte Eduard , jetzt ernst werdend .
" Unser armer Baron stirbt fast vor Liebe zu Eugenie ; aber die bittere Erfahrung mit Ihnen hat ihm allen Mut geraubt , je wieder einem Mädchen seine Hand anzutragen .
Ich bot ihm meine Hilfe dazu aus freien Stücken an , aber angstvoll bat er mich , keine Schritte für ihn zu tun , denn Eugeniens Weigerung würde ihn auf ewig unglücklich machen .
Aber was soll daraus werden , wenn er sich nie erklärt ? "
" Nun ich will das Meine tun , Eugenie zu erforschen , ich verspreche es Ihnen ! " sagte ich seufzend .
" Ich glaube zwar bestimmt , daß sie des Barons Neigung erwidert , aber in wie weit , das weiß ich freilich nicht , sie ist ein gar zu wunderliches Mädchen . "
Aber wie schwer war diese Aufgabe , die ich übernommen !
Ich suchte oft das Gespräch auf den Baron zu bringen , doch was half mir das , ich kam keinen Schritt weiter .
" Findest du nicht , Eugenie , " sagte ich z. B. einmal , " daß der Baron eigentlich ein recht interessantes Gesicht hat , besonders wenn die Musik ihn belebt ? "
" Ich finde ihn sehr häßlich , er mag musizieren oder nicht ! " entgegnete Eugenie trocken .
" Ja , seine Manieren sind nicht schön , das muß ich auch gestehen , " warf ich ein .
" Was tut das ! " sagte sie rasch .
" Meinetwegen mag er so steif sein , als er Lust hat , ich will ja nicht mit ihm tanzen !
In der Unterhaltung ist er nicht steif , das ist besser als umgekehrt . "
So machte sie es immer : tadelte ich , so lobte sie ihn , sagte ich aber etwas Günstiges , so war ihr das auch nie recht .
" Der Baron muß doch sehr reich sein ! " begann ich dann wieder einmal mein Manöver .
" Aber wie schade , daß er so allein in dem schönen alten Schlosse wohnt . "
" Nun warum hast du es denn abgeschlagen , ihm dort Gesellschaft zu leisten , wenn dir seine Einsamkeit so leid tut ? " lachte Eugenie .
Ich wurde dunkelrot , überwand aber meine Verlegenheit und sagte mutig :
" Es gibt genug andere Mädchen , die recht gern seine Frau würden ; glaubst du nicht auch ? "
" Das kann wohl sein ! " entgegnete Eugenie ihre Locken über den Finger drehend .
" Nur gerade du solltest ein Gericht nicht anderen preisen , von dem du selbst nicht essen mochtest .
O du unmenschlich kluges Gänseblümchen , denkst du , ich werde in deine Falle gehen ? "
Mir ein Schnippchen schlagend tanzte sie singend davon , und ich war ärgerlich über meine Dummheit , die so plump mehr verdarb als gut machte .
Endlich eines Tages , als der Baron lange bei uns gewesen , faßte ich mir ein Herz und sagte ernst :
" Eugenie , ich glaube , der Baron liebt dich über alle Maßen ; aber er ist zu schüchtern , es dir zu sagen ; du solltest es ihm deutlicher zeigen , wenn du seine Neigung begünstigst , damit der arme Mann weiß , woran er ist . "
Eugenie sah mich einen Augenblick ganz verwundert an , dann lachte sie laut auf und sagte : " Hat er dich etwa damit beauftragt , du mitfühlende Seele ?
Ich glaube beinahe .
Aber Schätzchen , ich will es dir nur gestehen , die Wahl seiner Gesandten war nicht viel glücklicher , als die des schlauen Klosterbruders im Nathan ; es fehlt nur , daß du dessen Rede : " so sagt der Patriarch " in : " so sagt der Herr Baron ! " verwandelst .
Übrigens , mein Gänseblümchen , " fuhr sie schmeichelnd fort , als sie sah , daß ich mich verletzt fortwandte , " übrigens werde ich deine weisen Lehren beherzigen !
Schade nur , daß wir nicht im Lande der Amazonen leben , da hätte der schüchterne Herr Baron es bequemer .
Wenn wir nur wenigstens Kotillon zusammen tanzten , " sagte sie neckend , " da könnte ich ihm doch noch einen Orden bringen , und ihm zeigen , daß er mir der liebste von allen Herren der Schöpfung wäre !
Nicht wahr , Gänseblümchen ?
Ach wem brachtest du doch neulich auf dem ersten Balle den Kotillonorden , war es nicht Eduard ?
Ach nein , wer war es doch ? "
- " Gehe , laß mich in Ruhe , du abscheuliches Mädchen ! " rief ich ärgerlich und doch lachend .
" Mit dir binde der Kuckuck an , ich habe es satt ! "
" Nun das ist prächtig , da habe ich doch endlich Ruhe vor dir und deinen Verschworenen , " lachte Eugenie .
" Doch , " fuhr sie munter fort , " damit dein armes Herzchen vor Jammer und Mitleid nicht breche , will ich es dir nur gestehen , daß ich den Baron wirklich sehr gern habe .
Nun aber geschwind , mache daß die Anderen es erfahren und durch sie der arme Baron , sonst hat er am Ende vorher noch den Heldenmut , mich selbst danach zu fragen , und euer Triumph , die Sache vermittelt zu haben , fällt über den Haufen .
Das wäre doch jammerschade !
Nun , hörst du nicht , Schätzchen ?
Lauf und mache , daß er es erfährt !
Glaubst du es denn noch nicht , wenn ich es dir in trockenen Worten sage :
ich liebe ihn ?
Oder warum machst du wieder deine verwunderten Wickelkindaugen ? "
Ja , verwundert stand ich allerdings da ; denn was ich auf Umwegen nicht herauslocken konnte , das sagte das wunderliche Mädchen mir in wenig trockenen Worten , als ich es am wenigsten erwartet hatte .
Jubelnd fiel ich ihr um den Hals , aber das konnte sie ein für allemal nicht leiden und lief scheltend davon , ich aber stürzte mit meiner Neuigkeit zu Marie , und mit dieser zu Eduard .
Sobald er irgend konnte , wollte Eduard selbst zu dem Baron hinaus eilen , ihm die frohe Kunde zu bringen , um dann den Brautwerber für den Freund zu machen .
Auch Tante Ulrike wurde nun in das Geheimnis gezogen ; sie hatte alles längst geahnt , und freute sich der nun hoffentlich bald stattfindenden Vereinigung , welche sie sehr wünschte .
" Aber liebe Tante , " sagte ich kopfschüttelnd , als ich erfuhr , daß dieser Wunsch lange schon ihr Herz bewege , " glaubst du denn wirklich , daß Eugenie den Sonderling so liebt , um für das Leben glücklich zu werden ?
Sie sind doch zu verschieden ! "
" Das schadet nichts , mein Kind , " entgegnete die Tante lächelnd .
" Wie ich Eugenie nach und nach kennen gelernt habe , weiß ich , daß ihr tiefes Gemüt den hohen Wert dieses Mannes all seinen Wunderlichkeiten vorziehen , diese aber in ihrer leichten , graziösen Weise übersehen , ja anderen gegenüber verdecken wird .
Bei seiner Verehrung für alle Eigenschaften Eugeniens , sie mögen heißen wie sie wollen , wird sie freilich ihr Lebenlang das verwöhnte Kind bleiben , das sie ist ; aber da ihr in der äußeren behaglichen , ja glänzenden Lage , in die sie des Barons Reichtum versetzt , die Mittel nicht fehlen werden , alle Launen zu befriedigen , so mag sie immer bleiben , wie sie ist , wenn sie dabei nur ferner so gut und liebenswürdig sein wird , als sie jetzt geworden . "
Eugeniens Geständnis hatte ich in den Morgenstunden von ihr erhalten , den Tag über sprachen wir Beide kein Wort weiter darüber , Eugenie blieb viel in ihrem Zimmer , und mir war das sehr angenehm .
Aber in der Dämmerstunde sah ich sie zu Tante Ulrike gehen , und endlich kam sie zu mir in die Wohnstube und sagte : " Gänseblümchen , da du doch hier auf der Hochschule bist und alles lernen sollst , so kannst du nun auch Studien machen , wie man sich als Braut in der Welt zu benehmen hat . "
Ich wußte nicht , was ihre Rede bedeuten sollte , und da ich wieder eine Neckerei dahinter vermutete , sagte ich abwehrend : " Laß doch nur solche Späße , Eugenie , sie passen so wenig für mich ! "
" Das ist mir ganz einerlei , ob es dir paßt , Kleine , wenn es mir nur paßt ! " lachte sie .
" Und Spaß mache ich ja gar nicht , es ist mein bitterer Ernst ! "
" Meinetwegen , mir aber liegen solche Gedanken fern ! " sagte ich ärgerlich .
" Nein , ich behaupte aber , sie liegen sehr nahe ! " erwiderte Eugenie lustig .
" Du meinst von mir so manches lernen zu können .
Nun , jetzt kommt zu meinen übrigen Tugenden noch eine hinzu , und das ist die , mit Anstand Braut zu sein ! "
" Eugenie , wie ?
du bist Braut ? " fuhr ich überrascht empor .
" So hat der Baron doch von selbst den Mut gehabt , sich dir zu erklären ? "
" Der Baron !
Nein , wer sagt das ? " entgegnete Eugenie lachend .
" Nun eins mußte sich doch zuerst erklären , du hast doch nicht etwa .... " stotterte ich blutrot .
" Ich ?
Ich habe nichts weiter getan , als die Ratschläge meiner trefflichen Cousine befolgt , " sagte Eugenie knicksend .
" Sie hat mir gezeigt , wie man Orden verteilt , um die Sprache seines Herzens zu verkünden .
Auch ich habe heute Vormittag einen Orden verschenkt und dafür , wie es sich für einen galanten Kavalier schickt , ein Sträußchen erhalten , denn das ist ja wohl Kotillonsregel , nicht so , Gänseblümchen ?
Da , sieh einmal , da du die Blumensprache verstehst !
Du weißt , ich bin sehr freigebig mit meinen Mitteilungen . "
Dabei enthüllte sie ein prachtvolles Bouquet , das sie unter dem Taschentuche verborgen und hielt es mir neckend unter die Nase .
Ein kleines Briefchen schaute aus den bunten Blumen heraus , und hastig griff ich danach .
Es enthielt nur die kurzen Worte :
" Dank , ewigen Dank für diesen Lichtstrahl in dunkler Nacht !
Jetzt bist Du mein , mein auf ewig !
A. S. "
Ich war wie im Traume .
Also alles lag schon fix und fertig da , unsere Vermittlung war ganz unnötig geworden ; Eugenie hatte uns in kühnster Weise ein Schnippchen geschlagen und ihre Angelegenheiten selbst keck in die Hand genommen .
Nur ein solcher Mut , ein so sicheres Selbstgefühl , als es Eugenie besaß , konnte dergleichen fertig bringen ; sie war in der Tat ein Stückchen Amazone !
Aber konnte man sie deshalb tadeln ?
War ein solcher Schritt nicht durch des Barons unüberwindliche Schüchternheit entschuldigt , ja sogar gerechtfertigt ?
Das Lebensglück zweier Menschen beruhte auf einem einzigen Worte , und da er dieses Wort nicht auszusprechen wagte , warum sollte sie es nicht tun , und dadurch die Pforten ihres Glückes öffnen ?
Solche Gedanken gewannen auch in mir nach und nach die Oberhand , wie sie Eugenie schon lange mochten beschäftigt haben .
Doch im ersten Augenblicke war ich allerdings etwas bestürzt über diese neue Art der Verlobung , denn meine schüchterne Natur hätte diesen Schritt nie getan , und wenn mein ganzes Lebensglück davon abgehangen hätte .
Aber man konnte freilich auch nicht verschiedener sein , als Eugenie und ich , und das gestanden wir uns Beide sehr offenherzig .
Eine halbe Stunde nach Eugeniens Eröffnungen stürmte es die Treppe herauf , und in meinem Leben habe ich nicht solche Verwandlung eines Menschen gesehen , als die unseres lieben Barons .
Strahlend vor Glück und Liebe , rasch und lebendig wie ein feuriger Jüngling , schwamm er in einem Meere von Glückseligkeit , und Eugenie war so hold , so sittig , und doch wieder so schelmisch , neckisch und zärtlich , daß man allerdings seine Studien an ihr machen konnte ; sie erschien mir als das Ideal einer schönen , glücklichen Braut ! -
16. Die Braut .
" Ehe ein Mädchen verlobt oder gar verheiratet ist , kann man nicht wissen was in ihr steckt ! " hatte Tante Ulrike manchmal gesagt , und wie wahr und sinnig ihre Worte immer waren , das erfuhr ich jetzt wieder .
Auch Eugenie , dieses bunt schillernde Wesen , entwickelte als Braut ganz neue , nie gekannte Eigenschaften , welche ihr unsere aufrichtige Bewunderung verschafften .
Sie war oft wirklich rührend in dem Streben nach größerer Vollendung .
Bisher hatte sie nie daran gedacht , auf irgend jemand viel Rücksicht zu nehmen ; alles war ihr entgegengekommen , ihr abgenommen oder zugetragen worden , sie fragte bei ihrem Tun und Lassen nicht danach , paßt es auch meiner Umgebung , oder störe und verletze ich jemanden .
Jetzt aber war sie fortwährend auf alles bedacht , was den Baron erfreuen und ihm angenehm sein konnte , und mit reizender Zartheit suchte sie alles aus dem Wege zu räumen , was ihn bei seiner Schüchternheit belästigen mußte .
Dahin gehörten vor allem die Besuche , welche das junge Brautpaar zu machen hatte , um sich dem Bekanntenkreise vorzustellen .
Diese konnte sie dem armen Baron freilich nicht ersparen , und da ich denselben nicht beiwohnte , so kann ich auch nicht wissen , wie steif und befangen er sicher dabei gewesen ; aber bei Erwiderung dieser Besuche sah ich , wie Eugenie mit feiner Gewandtheit immer da einzutreten wußte , wo er fehlte , wie sie es verstand ihn stets in das Gespräch zu ziehen , im rechten Augenblicke seinen Arm zu ergreifen , geschickt alle Hindernisse zu beseitigen , die ihn bei seinen eckigen Bewegungen störten , wie Sessel , leichte Tischchen , Blumenvasen und alle dergleichen leicht stürzende Dinge , welche ungraziöse Menschen nur gar zu oft in Verlegenheit setzen .
Dabei war sie so unbefangen , so heiter und liebenswürdig , daß ich es gar wohl begriff , warum ihres Bräutigams Augen nur an ihr hafteten , und die ganze übrige Welt eigentlich für ihn nicht existierte .
Eugenie war alles , was er dachte und fühlte , ihr Glück und ihre Freude der einzige Zweck seines Lebens .
O wie dankte ich Gott aus tiefstem Herzen , daß er meinen sehnlichen Wunsch nun erfüllt , und dem braven Manne das Glück zugeführt hatte , das er so sehr verdiente , und welches ich ihm zu geben doch nie fähig gewesen wäre .
Eugenie war trotz der unglaublichen Verschiedenheit , die zwischen ihr und dem Baron herrschte , doch wie für ihn geschaffen , denn ihre Schwächen entzückten ihn ebenso sehr wie ihre guten Eigenschaften .
Er verzog sie so viel er nur konnte , und je mutwilliger sie ihn umgaukelte , je glücklicher strahlten seine Augen .
All ihre kleinen lustigen Streiche bewunderte er , als wären es die fabelhaftesten Heldentaten , und nie wurde er verstimmt oder ärgerlich , selbst wenn er , wie nur gar zu häufig , die Zielscheibe ihrer Neckereien war .
Daß Eugenie bei all ihrer Schelmerei tiefes Gefühl besaß und ihn innig liebte , wie er sich nie geträumt , das wußte er wohl , und es war wunderbar , mit welcher Innigkeit der so scheue , verschlossene Mann nun der Geliebten sein Gemüt eröffnete .
Und Eugenie , welche bisher allem , was Gefühlsäußerungen ähnlich sah , den Krieg erklärt hatte , sie lauschte jetzt mit feuchtem Auge den Worten der hingebendsten Liebe .
In ihrer liebenswürdigen Offenheit teilte sie uns vieles von dem mit , was der Baron ihr gestanden ; denn sie wußte , daß sie an Tante und mir innig teilnehmende Herzen besaß , voll Diskretion und Verständnis , denen sie wohl mitteilen durfte , was ihr das Liebste und Heiligste war .
Wie sehr der Baron sie vom ersten Augenblick an geliebt , seit er sie kannte , das zeigten einige seiner früheren Gedichte , und eben so warm sprach er jetzt die Wonne und das Glück seines Herzens aus , seit er die Geliebte gewonnen .
So z. B. klagte er in jenen Tagen der Trauer voll Sehnsucht :
O wäre ich doch ein Edelstein Von wunderbarem Feuer , Du faßtest wohl in Gold mich ein , Trügst gern mich an dem Finger dein , Ich wäre dir lieb und teuer !
Wäre ich am weiten Himmelszelt Der schönste aller Sterne , Es würde einzig deine Welt Von meinem lichten Strahl erhellt , Dir glänzt ich nah und ferne .
Wäre ich ein Ton , so süß und rein , Ich wollte dein Herz erquicken ; Und läge der Schönheit Himmelsschein Doch still auf Haupt und Seele mein , Dich innig zu entzücken !
Doch nichts von allem wurde mir , Dich , Liebste , zu erwerben !
Darum , armes Herz , was bleibt dir , Als einsam leben für und für , Und einsam auch zu sterben !
Dann wieder sucht sein banges Herz Trost und Ruhe im Liede , denn still ergeben singt er :
Wenn ich_es länger nicht kann tragen , Und das Herz mir brechen will , Schließe ich meine bangen Klagen In ein Lied , und es wird still !
Es wird still wie Meereswogen , Die der wilde Sturm gejagt .
Friede Gottes kommt gezogen , Tröstet , wo ich fast verzagt .
O daß mir doch nimmer fehle Solch ' ein Lied im Herzen mein , Ihr Gebete meiner Seele Tragt den Himmel mir herein !
Dann kommt der Frühling und mit ihm die Erfüllung seiner teuersten Wünsche , und voll Entzücken singt er nun , der Geliebten alles zu Füßen legend : Neues Leben .
Ich habe es selber ja nicht gewußt , Wie reich an Klängen die eigene Brust !
Es singet und tönet , es wehet und rauscht , Daß still und wonnig die Seele lauscht .
Als einsam ich stand im dunklen Tal , Da brach mir herein der Sonne Strahl , Nun schau ich voll Wonne den Wunderglanz , Und sammle die Blumen zu duftigem Kranz . Dir werfe ' ich sie alle in den Schoß hinein , O möchte ihr Blühen zuweilen dich freuen !
Du wecktest den Frühling , nun ist er erwacht , Nun hat er dir alle seine Blüten gebracht !
Ähnlich lautet das folgende Gedicht , das ich zum Schluß noch mitteilen möchte , da es von dem Glück seines Herzens die beste Kunde gibt : Frühling .
Du wundervoller Wonnemond , Du Mai voll Lust und Leben , Wie hast du meinem Herzen auch Den Frühling neu gegeben !
Des kalten Winters bange Nacht Umhüllte meine Seele , Und duldend beugt ' ich still das Haupt , Wohl ahnend , was mir fehle .
Weit draußen sah ich glänzend hell Die schönste Blume sprießen , Und warme Lüfte , weich und mild , Sie schienen mich zu grüßen .
Ich streckte weit die Arme aus , Dies Paradies zu fassen , - Umsonst , in kalter Winterluft Blieb ich allein , - verlassen !
O Blütenmonat , Frühlingszeit , Nun bist du doch gekommen , Nun hast du in dein Zauberschloß Auch mich mit aufgenommen .
Wie blüht und sproßt es um mich her Mit frischem , reichem Leben !
O Wonnemond , wie hast du mir Den Mai ins Herz gegeben !
Doch nun genug der kleinen Lieder , welche uns in ihrer sinnigen Einfachheit einen tiefen Blick in die Gemütswelt unseres Freundes gaben , in dessen Innerem so viel Schönes schlummerte , das nun jetzt an das Licht trat .
Daß auch Eugenie ihrem Herzen in vielen kleinen Gedichten Luft machte , bemerkte ich wohl , aber auf alles , was sie selbst schuf , legte sie keinen Wert und liebte es nicht , davon zu sprechen .
Wir wußten das längst und ließen sie deshalb in Ruhe , da sie uns von selbst nichts davon mitteilte .
Der glückselige Bräutigam hätte seine Eugenie am liebsten noch in demselben Monat , seinem wirklichen Wonnemond , als Gattin in das alte Schloß seiner Ahnen eingeführt ; aber dagegen erhob sich Tante Ulrike's Stimme , welche ihr Pflegekind nicht sogleich von sich lassen und erst einigermaßen in die Geheimnisse eines Hauswesens einweihen wollte .
Der Baron meinte zwar , das sei ganz unnütz , seine Frau solle gar keine Mühe von der Wirtschaft haben , das ginge alles seinen Gang weiter , wie es bisher gegangen .
Dazu machte aber auch Eugenie ein bedenkliches Gesicht und sagte : " Nun ehrlich gestanden , ganz so dumm wie ein Gänschen möchte ich der Wirtschafterin doch nicht gegenüber stehen , ich blamierte mich am Ende wie jener Backfisch ( bitte um Verzeihung , Gänseblümchen ! ) , der weiche Eier kochen sollte und nach einer Stunde trostlos der Mama klagte , die Eier wollten absolut nicht weich werden , sie möchten kochen , so lange sie wollten .
Nein , nein , Tante Ulrike hat Recht , wie immer !
Erst will ich ein Bisschen Wirtschaften lernen , und dann mag der Baron seinen Willen haben , wenn er es durchaus nicht erwarten kann , das Hauskreuz auf den Rücken zu nehmen . "
Bei diesem Ausspruche blieb es denn auch für's Erste , neugierig aber war ich , wie viel Eugenie vom Wirtschaften lernen würde , denn bis jetzt hatte sie nie etwas davon wissen mögen .
" Bah , laß mich mit dem Zeug in Ruhe ! " sagte sie immer , wenn ich sie mit mir in die Küche nehmen wollte , in der ich mir sehr gern zu tun machte .
" Aber diese Dinge gehören ja doch zum Leben der Frauen , willst du dich nie darum bekümmern ? " fragte ich dann wohl vorwurfsvoll .
" Kommt Zeit , kommt Rat , laß mich zufrieden und sei nicht so unerträglich weise , heilige Margarethe ! " entgegnete sie in gewohnter Weise und fuhr in raschen Läufen über das Klavier , oder warf sich nachlässig in den Lehnstuhl und drehte ihre Locken über die Finger .
Das also sollte nun anders werden .
Eugeniens Ehrgefühl kam jetzt mit ins Spiel , und alle Energie ihres Charakters trieb sie zur schleunigen Ausfüllung dieser Lücke in ihren Kenntnissen .
Aber es war eine schwere Aufgabe für Tante Ulrike , welche es übernommen hatte , ihre wirtschaftlichen Talente zu wecken , denn Eugenie nahm bei allem Eifer die Sache doch nicht ernst und hatte ewig Schelmereien im Sinne .
Sie bewaffnete sich zu ihrem neuen Unternehmen mit einem Dutzend der schönsten weißen Küchenschürzen , und Baron Senft schenkte ihr eine ganze Bibliothek der vortrefflichsten Kochbücher .
Aus diesen lernte sie täglich drei Rezepte auswendig , und diese sagte sie dann wie ein kleines Schulmädchen ihrem künftigen Hausherrn auf , indem sie sich mit sittig gefalteten Händen vor ihn hinstellte ; es war unsäglich lächerlich , und der Baron schwamm in Entzücken .
Aber was von diesen Studien in ihrem Kopfe hängen blieb , war wenig brauchbar und gab ihr nur Stoff zu neuen Tollheiten ; denn sie bereitete zuweilen heimlich die fabelhaftesten Gerichte und berief sich dabei stets auf ihre Kochbücher .
Sobald sie nur wollte und aufmerksam war , begriff sie schnell und leicht und zeigte Geschick zu allem , aber bald fuhr ihr der Schelm wieder durch den Sinn , und dann war_es mit der Achtsamkeit vorüber .
" Sei so gut , Eugenie , und putze diese Rübe , " sagte z. B. Tante Ulrike , und eifrig ging Eugenie ans Werk .
Bald war sie fertig und überreichte ihre Arbeit .
Aber die Rübe hatte sich unter ihren Händen in eine kleine Puppe verwandelt ; unter dem grünen Blätterbüschel war ein Gesicht ausgeschnitten , das der Büschel wie eine Mütze deckte , ein Krautblatt bildete das Röckchen , und zwei auf Hölzchen gespießte lange Kartoffeln saßen als Ärmchen zu beiden Seiten .
" Was soll das , Eugenie ? " lachte Tante Ulrike .
" Nun , ich sollte die Rübe ja putzen , da hast du sie , ist sie noch nicht schön genug ? " sagte Eugenie ernsthaft .
" Es ist ihr Sonntagsputz , versichere ich dir . "
Dann wieder sollte Obst geschmort werden .
" Aber wasche es erst , liebes Kind ! " sagte die Tante .
Eilig sprang Eugenie fort und kam mit Seife und wollenem Lappen zurück .
" Was willst du machen , Eugenie ? " fragte die Tante mit großen Augen .
" Die Beeren abwaschen , liebe Tante , " rief diese schelmisch und lachte dann wie ein Kobold .
Ein ander Mal stand Eugenie sinnend am Feuer und blickte auf das lustige Spiel der Flamme unter dem Kessel .
" Gib doch Acht auf das Wasser und sage mir , wenn es kocht , Eugenie ! " rief Tante Ulrike , indem sie die Küche verließ .
Gleich darauf kam unser hoffnungsvoller Zögling der Kochkunst zu mir in das anstoßende Zimmer , wo ich mit Plätten feiner Wäsche beschäftigt war , und indem sie mir eine Schöpfkelle voll dampfenden Wassers unter die Nase hielt , sagte sie ganz ernsthaft :
" Du , Gänseblümchen , sage Mal , kocht das Wasser ? "
Und so kamen täglich Schelmereien vor , man war ihrer nie sicher .
Manchmal bat sie , Tante sollte sie allein kochen lassen , und dann ließ sie ihrer Laune die Zügel schießen , brachte schließlich aber doch immer etwas Ordentliches auf den Tisch .
" Heute gibt es nur Wassersuppe , ihr müßt genügsam sein , " sagte sie z. B. , und in der Suppenschüssel befand sich dann nichts als helles , klares Wasser , das wir verblüfft ansahen .
Dann lachte sie , sprang hinaus und brachte irgend eine gute Suppe zum Ersatz , denn sie hatte nur unsere langen Gesichter sehen wollen .
Auch kam fast kein Gericht durch ihre Hände auf den Tisch , mit dem sie sich nicht irgend einen Scherz gemacht hätte .
Bald trug die gebratene Gans einen Blumenstrauß auf dem Busen , bald schmückte jedes Kotelett oder Hühnchen eine Girlande von Petersilie oder eine gekniffte Papierkrause ; die Fische trugen stets irgend etwas im Maule , bald ein Klagelied über frühen Tod , bald ein Geldstück oder dergleichen , das sie im Wasser verschluckt , wie die Erläuterung sagte , ja eines Tages hatte sie eine gebratene Gans sogar mit einem Kranze von roten Radieschen umschlungen , und die so Geschmückte bat in zierlichen Versen , sie doch mit auf den nächsten Ball zu nehmen , sie sehne sich nach Gesellschaft und dort tanzten gewöhnlich gar viele ihrer jungen Schwestern .
Auch der Baron bekam zu seinem höchsten Entzücken in dieser Weise sein Teilchen Neckerei .
Natürlich fand er Eugenie reizend in der netten weißen Küchenschürze , und wenn ihre niedlichen kleinen Finger von Mehl umhüllt sich in ihrer ganzen Zierlichkeit mutwillig auf seinem schwarzen Rockärmel abdrückten , so freute er sich wie ein Kind und drückte die Händchen an seine Lippen , es mochte Mehl oder Teig oder sonst etwas daran kleben .
Mit Wonne aß er alles , was Eugeniens Kunst bereitet , es mochte schmecken , wie es wollte , ihm ging nichts darüber , und eine Kartoffel oder einen Apfel , den sie ihm geschält , hätte er am liebsten als wundervolle Reliquie aufgehoben , statt ihn in den Mund zu stecken .
" Heute habe ich dir eine Sandtorte gebacken , Arthur , weil du sie so gern ißt ! " rief Eugenie eines Tages ihrem Geliebten entgegen .
Dieser war natürlich ganz zerknirscht vor Freude und Dank , und Eugenie sprang fort , das Wunderwerk zu holen .
Bald kam sie denn auch mit einer großen Torte zurück , die sauber mit Zucker bestreut und von Blumen umgeben war .
" Du mußt sie selbst anschneiden , da ! " sagte sie und überreichte dem Baron ein großes Messer nebst Teller .
Dieser schob die Blumen etwas zur Seite und schnitt ein tüchtig Stück aus der Torte heraus , das er dann auf den Teller legte .
Es war eine wunderliche Torte , das Stück brach und krümelte merkwürdig , und die Farbe war höchst verdächtig .
Aber Eugenie hatte sie gebacken , also mußte sie gut sein .
In dieser Überzeugung führte der Baron den Bissen zum Munde , und Eugenie konnte eben nur " Halt , halte ! " rufen , sonst wäre der Scherz zu weit gegangen ; denn nun erst sah der Baron , daß es zwar eine Sandtorte war , die der Schalk ihm vorgesetzt , aber keine gebackene , sondern eine aus wirklichem Sande .
Die gebackene und wohl geratene trat nun schnell an die Stelle der falschen , und der Baron war voller Bewunderung seiner neckisch holden Braut , die immer neu , immer schelmisch und munter , aber immer voll der innigsten Liebe und Aufmerksamkeit für ihn war .
Wie viel Eugenie von der Wirtschaft lernte , dahinter bin ich eigentlich nie gekommen , denn zuweilen war ihr das Einfachste neu und fremd , wenigstens stellte sie sich so , und dann wieder überraschte sie durch allerlei Kenntnisse , die eine praktische Hausfrau kennzeichnen .
Tante Ulrike lächelte , als ich ihr diese meine Verwunderung aussprach , und sagte : " Laß sie nur , Gretchen ; mir ist nicht bange , Eugenie wird schon ihren Posten ausfüllen , denn sie kann es , wenn_es Ernst wird .
Das alles hier ist ihr nur Scherz , bei uns wird sie nicht anders .
Ein Mädchen , das so viel richtigen Verstand und praktische Anlagen hat als Eugenie , wird eine tätige Hausfrau , sobald sie in ihrem Eigentum schaltet und waltet .
Sie wird zuerst manches Lehrgeld bezahlen , aber das tut nichts , sie wird sich schon hindurcharbeiten , das Zeug dazu hat sie .
Gott gebe nur , daß das Leben sie nicht gar zu rauh erfaßt , damit ihr Frohsinn dauernd sei .
Kleine Prüfungen werden auch bei ihr nicht ausbleiben , aber ich kenne unseren Liebling jetzt hinreichend und weiß , daß ein guter Kern hinter dieser schillernden Schale steckt , und der wird sich erhalten und bewähren an der Seite ihres braven Gatten .
Gott führt uns Menschen weise und wunderbar , das zeigt mir Eugeniens Geschick wieder recht deutlich .
In den Verhältnissen des elterlichen Hauses wären die edlen Keime erstickt , welche in dem guten Kinde ruhen ; Gott legte mir dasselbe an das Herz , gab ihr in dir , mein Gretchen , eine liebe Schwester , und alles Gute , das in ihr schlummerte , trat deutlich hervor .
Er führte ihr den Mann , der für ihren wunderlichen Sinn am besten paßte , in einer Weise zu , daß sie gleich seinen hohen Wert erkannte , und jetzt kann ich ruhig Eugeniens Zukunft entgegen sehen , denn alles wird gut werden . "
Die Briefe , welche Eugenie jetzt von ihrem Vater erhielt , sprachen die innigste Freude aus über das Glück seines Kindes .
Zur Hochzeit versprach er zu kommen , obwohl ihn die Geschäfte dann wieder nach Bayern zurück riefen .
Eugenie sollte später mit ihrem Gatten eine Reise nach den schönen Gegenden Süddeutschlands machen , in denen der Vater sich aufhielt .
Das waren schöne Pläne , und auch für mich leuchtete von fern eine herrliche Aussicht , denn Tante Ulrike hatte ihrem Bruder versprochen , ihn zu begleiten , wenn er nach Bayern zurück kehrte , und ich Glückspilz sollte mit ihnen reisen .
" Du bist bei mir auf der Hochschule , wie Eugenie es nennt , " sagte die Tante , " da ist es denn auch nötig , daß du lernst , dich auf Reisen zu benehmen .
Alles will gelernt sein , also auch das Reisen , und da sich die Gelegenheit dazu gerade bietet , so wollen wir sie benutzen . "
Nun aber waren wir noch nicht so weit .
Da die Hochzeit auf neues Drängen des Barons schon im Juli stattfinden sollte , hatten wir alle Hände voll zu tun , dem jungen Paare Haus und Wirtschaft einzurichten .
Eugenie hatte zwar den besten Willen , an ihrer Ausstattung tüchtig zu helfen , aber daß es beim Wollen blieb , wußten wir vorher .
Zum Glück kann man in einer großen Stadt alles , was man bedarf , gleich fertig geliefert erhalten , und von dieser Bequemlichkeit machten wir guten Gebrauch .
Es war ein Vergnügen , all die schönen Dinge auszusuchen , welche Eugeniens reiche Ausstattung bildeten , und hatten wir unsere Angelegenheiten geordnet , so kam der Baron mit bittender Miene , doch auch ihm in seinen neuen Einrichtungen mit Rat und Urteil beizustehen ; denn sein altes Schloß mußte sich allerlei Neuerungen gefallen lassen , damit der schönsten jungen Frau nichts zu wünschen bliebe , wie er sagte .
" Das wäre eigentlich Arbeit für Mama ! " meinte Eugenie lächelnd .
" Sie schwärmt für neue Einrichtungen und hat sehr guten Geschmack . "
Tante Ulrike sah Eugenie forschend an und fragte , ob es ihr Ernst sei , und sie ihre Mutter auffordern wolle , uns zu besuchen .
Eugenie errötete und sagte niedergeschlagen :
" Nein , Tante , besser sie kommt nicht !
Du weißt es ja selbst , es ist besser für uns Alle . "
Tante Ulrike seufzte und küßte Eugenie , der die Tränen im Auge standen .
Sie tat mir innig leid , denn ich wußte wohl , der Brief , den sie von ihrer Mutter als Antwort auf die Anzeige ihrer Verlobung erhalten , war gar zu wenig mütterlich und hatte Eugenie heiße Tränen gekostet .
Sie hatte zwar auch ihre Freude über die Verlobung ausgesprochen , aber es war doch nur Freude über die " gute , glänzende Partie , " wie sie es nannte ; das innere Glück ihres Kindes , den hohen sittlichen Wert ihres Schwiegersohnes erwähnte sie mit keiner Silbe .
Es leuchtete sogar etwas wie Neid und Mißgunst über die glänzende äußere Lage der künftigen Frau Baronin aus ihren Worten hervor , ja am Schluß des Briefes standen einige bittere Zeilen über ihre eigene unglückliche Ehe und über ihren armen , von ihr so vernachlässigten Gatten , von dessen Unglück sie einzig die Schuld trug , ohne es sich eingestehen zu wollen .
" Da Deine Hochzeit Anfang des Sommers ist , so bedaure ich , dazu nicht kommen zu können , " schrieb sie am Schlusse des Briefes .
" Du weißt , ich leide seit einiger Zeit an der Leber , und die Ärzte raten mir , Karlsbad dafür zu gebrauchen , eine Unterbrechung der Kur würde mir sicher schaden .
Aber im Herbst , wo es hier so langweilig ist , ehe die Wintersaison beginnt , hoffe ich Dich auf Deinem Schlosse besuchen zu können . "
Daß dieser Brief Eugenie bitter weh tat , begriff ich nur zu wohl , uns Allen aber konnte es nur lieb sein , in unserem glücklichen Beisammenleben durch solch herzlos weltliche Dame nicht gestört zu werden .
Daß Eugeniens Vater zur Hochzeit kam , freute uns Alle von Herzen , denn an diesem hing Eugenie mehr und mehr , und mit der größten Ungeduld erwartete sie seine Ankunft .
17. Der Mensch denkt - Gott lenkt .
Aber es kam anders , als wir Alle gedacht und gerechnet .
Der Baron war ein trefflicher Reiter , und es machte ihm Vergnügen , besonders unbändige Pferde seinem Willen dienstbar zu machen .
Die mutige Eugenie freute sich ebenfalls an solchen Siegen ihres Geliebten , dessen Aussehen dabei ungemein stolz und männlich wurde , und ihr Lob feuerte den Eifer des kühnen Reiters oft bis zur Tollkühnheit an .
Mir zitterte das Herz , und ich begriff Eugenie nicht , deren Augen bei der Gefahr ihres Geliebten doppelt leuchteten , während mir das Herz erbebte .
Eines Tages jedoch kam eine erschreckende Nachricht .
Der Baron war von einem jener wilden Pferde gestürzt und eine Strecke weit von demselben geschleift worden .
Eine Kopfwunde und ein gefährlicher Beinbruch war die Folge des Unfalls .
Mir traten bei dieser Trauerkunde die heißen Tränen in die Augen , Eugenie aber sprach kein Wort , hatte keine Träne ; doch die Totenblässe ihres Gesichtes zeigte den tiefen Aufruhr ihrer Seele .
" Schnell einen Wagen ! " befahl Tante Ulrike , und bald flogen wir nach Schloß Sänftenburg ; Eugenie war noch immer stumm und bleich und tränenlos .
Auch wir sprachen nichts , doch meine Tränen flossen unaufhaltsam , und auch die Tante trocknete ab und zu die Augen .
Als wir im Schlosse ankamen , hatten die Ärzte soeben die Verbände angelegt und brachten uns tröstliche Nachricht .
Der Fußbruch war allerdings schlimm und bedenklich , die Kopfwunde jedoch nicht beunruhigend ; Schonung und sorgliche Pflege würden sie bald heilen .
Augenblicklich habe die Anstrengung des Verbandes alle Kräfte des Kranken erschöpft , er liege in einem fast bewußtlosen Zustande ; doch sobald dieser sich in Schlaf verwandeln werde , sei nichts mehr zu fürchten .
Zu ihm durfte augenblicklich niemand , auch Eugenie nicht , die mit weit geöffneten Augen den Bericht anhörte .
Aber obwohl sie ihn nicht sehen konnte , so wollte Eugenie doch im Schlosse bleiben ; sobald der Baron eingeschlafen , durfte sie zu ihm , so lange wollte sie warten , und wir natürlich mit ihr .
Endlich nach langem Harren winkte der Arzt ihr zu und führte sie an das Lager des Schlummernden .
Bis dahin hatte sich das tapfere Mädchen aufrecht erhalten und dem Schmerz kein Übergewicht gestattet ; aber als jetzt der kräftig starke Mann so bleich und hülflos vor ihr lag , fast wie ein Toter , da zitterte ihre schlanke Gestalt leise , und auf die Tante gestützt eilte sie schnell wieder zum Zimmer hinaus .
Hier brach sie schluchzend zusammen , und der Krampf ihres Herzens , der ihre Tränen bis jetzt zurück gehalten , löste sich endlich .
Sie weinte lange , und das war eine große Wohltat für ihr armes Herz .
Als sie endlich ruhiger geworden , sagte sie ernst und weich : " Tante , nun weiß ich erst , was er mir ist .
Ich gehe nicht wieder von ihm fort , wer weiß , wie lange ich ihn noch habe .
Mir gehört er , ich habe die heiligsten Rechte an ihm , ich muß ihn pflegen . "
Die Tante nickte still mit dem Kopfe , sie mußte das wohl erwartet haben , denn ihr Entschluß war schon gefaßt .
" Ich bleibe bei dir , mein Kind , anders geht es nicht ! " sagte sie sanft .
" Gretchen versieht mein Haus während meiner Abwesenheit und leistet uns dazwischen Gesellschaft , die übrige Zeit mag sie ihrer Marie widmen . "
Nun gab mir die Tante Anweisungen , was ich zu tun habe , welche Sachen ich ihnen durch Listen schicken , und welche Anordnungen ich treffen sollte .
Mit schwerem Herzen kehrte ich allein nach Haus zurück und besorgte treulich , was die Tante mir aufgetragen .
Dann eilte ich zu meiner Freundin Marie , welche schon von dem Unglück gehört und mich in großer Aufregung erwartete .
Marie es Mutter ließ mich nicht wieder fort , als sie die Lage der Dinge gehört , und so war ich während dieser Leidenstage der Gast meiner liebsten Freunde .
Daß dies für mich unaussprechlich trostreich war , könnt ihr euch wohl denken , meine lieben Leserinnen , denn gegen wen hätte ich mein banges , übervolles Herz freier aussprechen können , als gegen meine teure Marie und deren treffliche Mutter !
Ich schlief mit Marie zusammen in deren Zimmer , das war unbeschreiblich gemütlich , und unsere Gespräche beim Schlafengehen zogen sich oft sehr in die Länge .
Immer wieder wünschten wir uns gute Nacht und beschlossen nun endlich zu schlafen , aber immer wieder fiel uns dann noch etwas gar zu Wichtiges ein , das die Andere erfahren mußte , und die Frage :
" Marie , schläfst du schon ?
Gretchen , bist du noch wach ? " war der stete Wiederbeginn neuer Erzählungen und Herzensergüsse .
Fast täglich fuhr ich nach Schloß Sänftenburg , wohin des Barons Wagen mich führte , und Marie oder deren Mutter begleiteten mich häufig .
Der Zustand des Kranken war in den ersten Tagen ein sehr beunruhigender gewesen , denn er fieberte heftig und schien viel Schmerzen zu leiden .
Eugeniens Gegenwart hatte ihn zuerst etwas aufgeregt , aber nach einem leisen , kurzen Gespräch , das sie mit ihm führte , schien eine wunderbare Ruhe über ihn zu kommen , und das geliebte Mädchen durfte bei ihm bleiben , wie sie es gewünscht , und welche treue , sorgfältige Wärterin wurde nun die verwöhnte Salondame !
Die Tante konnte mir nicht genug erzählen , welche Veränderung mit Eugenie vorgegangen war .
Aller Leichtsinn , alles oberflächliche , unbesonnene Wesen war stillem Ernst und gewissenhafter Pflichterfüllung gewichen .
Nur auf kurze Stunden konnte man sie in den ersten bangen Tagen von dem Lager des Kranken entfernen , damit sie selbst der Ruhe pflege .
Sie wachte fast eifersüchtig darüber , daß alles , was der Kranke genoß , nur durch ihre Hände ging , und mit der sorgfältigsten Pünktlichkeit beobachtete sie die Stunden , an denen die verschiedenen Arzneien gegeben und Umschläge gemacht wurden , oder sonstigen Anordnungen der Ärzte nachzukommen war .
Die Kopfwunde heilte schnell , und der Kranke konnte sich bald der Gesellschaft seiner Eugenie besser erfreuen , da der Arzt nun Beiden das Sprechen erlaubte , das in der ersten Zeit fast ganz verboten war .
Bald konnte sie ihm auch vorlesen , ihm mit Musik die Zeit kürzen , und die Tante , welche die Sorge für das Hauswesen übernommen hatte , leistete Beiden treulich Gesellschaft .
Kam auch ich hinzu , oder gar eins unserer Freunde , so versammelte sich ein heiterer Kreis um den teuren Kranken , dessen Augen mit rührender Dankbarkeit von Einem zum Anderen schweiften , zuletzt aber immer mit wahrhafter Verehrung an seiner schönen Braut hafteten .
Eugenie wurde dann zuweilen wieder das lustig neckische Kind mit den schelmischen Augen , aber im Ganzen war durch diese Leidenszeit ein stiller , weicher Ernst über sie gekommen , der mir oft die Tränen in das Auge trieb .
Sie klagte nie , selbst nicht in den ersten Tagen der Angst , oft aber sah ich , wie ihr Blick inbrünstig gen Himmel gerichtet war , von dort hoffte und erwartete sie alles .
Der Beinbruch heilte sehr langsam und schien den Ärzten große Sorge zu machen , da es ein Splitterbruch war , dessen völlige Heilung selten gelang .
" Arme Eugenie , einen Krüppel kannst du doch nicht heiraten ! " sagte der Baron eines Tages mit Tränen im Auge .
Eugenie überflog leises Zittern .
" Meinst du , dein Fuß müsse doch noch abgenommen werden ? " fragte sie angstvoll .
" Das fürchte ich gerade nicht , da es bis jetzt nicht geschehen ist , " erwiderte der Baron .
" Aber steif bleibt das Gelenk sicher , darüber will ich mich selbst nicht täuschen . "
" Hoffen wir doch lieber das Beste , Arthur ! " entgegnete Eugenie sanft lächelnd .
" Du hast so gute Ärzte , die Heilung gelingt gewiß . "
Der Baron schwieg , doch bemerkte Tante Ulrike , daß er seit diesem Gespräche oft unruhig war , und seine Augen mit sorgenvoller Angst auf Eugenie hafteten .
Doch sprach er seine Besorgnis nicht wieder gegen sie aus und schien selbst zuversichtlicher seiner Heilung entgegen zu sehen .
Woche um Woche verging , der Verband des Fußes war erneuert worden , wieder vergingen einige Wochen , und jetzt sollte der Hauptverband abgenommen werden .
Der Baron konnte seine Aufregung kaum bemeistern , er hatte ein langes Gespräch mit Tante Ulrike , und auch diese schien erregt ; nur Eugenie erwartete ruhig die wichtige Stunde und war heiter und zuversichtlich .
Den Tag zuvor kam sie mit der Tante nach der Stadt , wie sie in letzter Zeit öfters getan ; aber kaum waren einige Stunden vergangen , als die Tante einen Brief vom Baron erhielt mit einer Einlage an Eugenie .
Der Verband war heute schon abgenommen worden .
Eugenie erbrach schnell die Zeilen und wurde bleich , dann setzte sie sich still an das Fenster und blickte gedankenvoll gen Himmel .
Tante Ulrike stürzten die Tränen aus den Augen , als sie ihren Brief gelesen .
Sie ging schnell zu Eugenie und schloß sie in ihre Arme .
" Gott legt dir Schweres auf , mein Kind ! " sagte sie sanft .
" Wo dein Glück so nahe vor dir lag , sendet er dir solch harte Prüfung .
Der Baron hat dir doch mitgeteilt , wie es mit ihm steht ? "
" Tante , ich wußte , daß es so kommen würde ! " entgegnete Eugenie fest aber weich .
" Ich habe gehört , daß die Ärzte nach dem Abnehmen des ersten Verbandes unter sich die traurige Gewißheit aussprachen , das Knie werde steif bleiben ; ich habe also nichts anderes erwartet . "
" Du wußtest das , Kind , und warst doch die Ruhigste und Heiterste während dieser ganzen Zeit ? " rief die Tante staunend .
" Weißt du denn auch , was das sagen will , ein steifer Fuß ? "
" O ja , Tante , ich weiß , daß viel Beschwerde und ein schleppender Gang und Krückstock damit zusammenhängt , " sagte Eugenie mit zitternder Stimme , und indem einige schwere Tränen über ihre Wangen liefen .
" Aber ich weiß auch , daß ein solcher Mann doppelt seines Weibes bedarf . "
" Aber er entbindet dich deines Gelübdes , Eugenie , " sagte die Tante leise .
" Du hast einem gesunden , kräftigen Manne dein Wort gegeben ; dich als das Weib eines Krüppels zu sehen würde ihm ewig schmerzlich sein .
Überlege es wohl , mein Kind , du bist jung und frisch und voll Ansprüche an das Leben , wird dir der gelähmte Gatte nicht bald unsäglich hinderlich sein ?
Wirst du nicht mit der Zeit die Fesseln gar zu drückend empfinden , welche dir durch seine Unbehilflichkeit angelegt werden ?
Du übernimmst doppelte Pflichten , und hast du sie einmal übernommen , so mußt du sie auch treu und willig erfüllen ! "
" Ich danke dir für deine lieben Worte , Tante Ulrike , " sagte Eugenie mit ungewohnter Milde .
" Es war deine Pflicht , mir das zu sagen , und meines Bräutigams Zartgefühl gebot ihm ebenfalls , mich bei der jetzigen traurigen Lage der Dinge meines Gelübdes zu entbinden .
Aber da ihr nun getan habt , was euer Gewissen euch lehrte , so laßt jetzt auch das meine ein Wörtchen mitsprechen .
Sage ehrlich , Tante Ulrike , hältst du mich wirklich für so - nun welches Wort soll ich nur gebrauchen , um das genügend auszudrücken , was ich mir zu Schulden kommen ließe , verweigerte ich jetzt , die Gattin des edlen Mannes zu werden , der durch sein Mißgeschick ohnehin unglücklich genug geworden ist ?
Ich bin ein unsäglich oberflächliches , leichtsinniges Mädchen gewesen , dem nichts ernst und heilig schien , und das in ihrer Verzogenheit sicher grenzenlos anspruchsvoll und unliebenswürdig gewesen ist .
Aber , meine liebe Tante , jetzt steht die alte Eugenie nicht mehr vor dir . Dir und Gretchen danke ich mehr , als ich je im Leben wieder vergelten kann !
Ihr habt Beide viel von mir ertragen ; aber wenn ich es euch auch nie zeigen mochte , tief im Herzen drin habe ich vom ersten Augenblicke an wohl empfunden , in welch treue Hände mich der liebe Gott geführt hatte .
Und was nun noch Verwerfliches und Törichtes in meinem Herzen kämpfte , das haben die letzten Leidenstage vollends vertilgt .
Arthur wird mit Gottes Hilfe ein braves Weib in seiner Eugenie erhalten .
Glaubst du das , Tante ? "
Ich konnte Tante Ulrike's Antwort nicht hören , denn den Kopf in mein Taschentuch gedrückt schluchzte ich bitterlich .
Aber jetzt umschlossen mich Eugeniens Arme , und mit ihrem alten neckischen Tone zog sie mir das Tuch von den Augen .
" Nun ist doch meine kleine Gouvernante mit ihrem Zöglinge zufrieden , nicht wahr Gänseblümchen ? " fragte sie schmeichelnd und blickte mit inniger Liebe in mein Gesicht .
" Solche abscheulich lange Reden zu halten habe ich von meinem ehrpußligen Backfischchen gelernt , habe ich es gut gemacht , Kleine ? "
Daß ich statt aller Antwort an ihrem Halse hing und ihr liebe , süße Worte sagte , die ich jetzt freilich nicht recht mehr weiß , versteht sich wohl von selbst .
Es war eine innige , unvergeßliche Stunde , welche unsere Herzen für das Leben an einander fesselte .
Ein ankommender Brief an Tante Ulrike lenkte unsere Gedanken bald auf etwas anderes .
Die Tante und mein Papa hatten eine einzige bedeutend ältere Schwester , welche heftig erkrankt war und ihre Geschwister noch einmal zu sehen wünschte .
Mein Papa schrieb der Tante , er werde in den nächsten Tagen der Bitte Folge leisten und hoffe , auch Tante Ulrike könne es möglich machen , nach F. zu der kranken Schwester zu kommen .
Ein Werk der Barmherzigkeit werde es sein , könne Tante Ulrike bis zu dem Tode der alten einsamen Schwester bei derselben bleiben ; die zunehmende Schwäche der Kranken scheine leider ihr nahes Ende zu bestätigen .
Die Tante war in großer Erregung ; denn obwohl sie mit dieser etwas wunderlichen Schwester nie viel Verkehr gehabt hatte , so hing sie doch mit herzlicher Liebe an ihr und wünschte dringend zu ihr zu reisen .
Andererseits aber hielten sie die Pflichten gegen ihre beiden Pflegetöchter zurück , denn wenn auch ich gern noch länger bei Marie's Eltern bleiben konnte , was sollte aus Eugenie werden , die doch weder allein in Sänftenburg bleiben , noch gerade jetzt zu ihrer Mutter gehen konnte , ehe der Baron gesund war .
Eugenie stand gedankenvoll am Fenster und trommelte auf den Scheiben .
" Tante , " sagte sie plötzlich , " ist nicht der dir so befreundete Prediger Sommer der Geistliche unseres Kirchspiels ? "
" Ja wohl , Kind , was willst du mit ihm ? "
" Wo wohnt er , weißt du das ? "
" Nun nicht weit von uns , in der Kronenstraße 12 . "
" Danke ! "
Und sogleich verschwand Eugenie .
Wir blickten ihr verwundert nach und warteten begierig ihrer Rückkehr .
Nach einiger Zeit trat sie etwas bleich wieder in das Zimmer , legte Hut und Schal schnell ab und eilte in das Kabinett der Tante , wohin sich dieselbe zurück gezogen .
Ich hörte sie lebhaft mit einander sprechen , ohne etwas Zusammenhängendes verstehen zu können , endlich aber kam Eugenie mit glänzenden Augen zu mir und fragte errötend :
" Gretchen , willst du morgen meine Brautjungfer sein , du und Marie ? "
Ich fuhr erschrocken auf .
" Morgen , Eugenie ?
Was meinst du denn ? "
" Nun ja , morgen ist unsere Hochzeit , es fehlen mir nur die Zeugen dabei , alles andere ist möglich gemacht worden , " sagte Eugenie lächelnd .
" Der Prediger Sommer ist ein braver Mann , er wird heute noch alles besorgen , was nötig ist ; meinen Taufschein habe ich zum Glück zufällig hier unter meinen Papieren , das war die Hauptschwierigkeit .
Morgen ist Sonntag , da wird er uns früh ein für alle Mal verkündigen , und nach der Kirche traut er uns in Schloß Sänftenburg .
Bei Arthur bleiben muß ich , das geht nicht anders , und damit die Tante reisen kann , will ich schnell Arthurs Frau werden , dann darf Niemand etwas dagegen haben , daß ich allein bei ihm bleibe .
Tante hat soeben ihre Einwilligung gegeben , mir fehlen nur noch meine Brautjungfern und für Arthur die Zeugen .
Ich denke , Eduard und Dr. Hausmann werden uns gern diesen Dienst erzeigen , ich werde sehr liebenswürdige Briefchen an sie schreiben . "
" Aber der Baron , ist er denn damit einverstanden ? " warf ich voll äußerster Überraschung ein .
" Er will mich ja gar nicht mehr zur Frau haben , ich muß mich ihm schon mit Gewalt aufdrängen und ihm die Sache über dem Kopfe fort nehmen ! " lachte Eugenie schelmisch und flog hinaus .
Das war doch nun wieder ganz und gar im Stile von Eugenie !
Gut und brav und engelsgut , mehr als je zuvor , aber entschlossen , keck , amazonenhaft , wie sie all ihr Lebtag gewesen !
Ich schüttelte bedenklich mein " ehrpußliges " Haupt , mit Eugenie zu sprechen , und eilte zu Tante Ulrike , mit dieser die Sache zu beraten .
Zu meiner großen Verwunderung fand ich die Tante mit Eugeniens Entschluß ganz einverstanden und wurde sogleich mit allen möglichen Aufträgen beehrt , welche ich eilig und schleunig besorgen sollte .
Sie selbst schrieb einige Briefe und kehrte dann nach Schloß Sänftenburg zurück , dort Vorkehrungen für die morgende Feier zu treffen , begleitet von Pastor Sommer , welcher mit dem Prediger in Sänftenburg gleich selbst alles in Ordnung bringen wollte , damit das junge Paar auch hier im Wohnorte des Barons in der Kirche aufgeboten wurde .
Der Baron sollte absolut nichts vorher von alle dem wissen , da er sonst sicher aus Rücksicht für Eugenie seine Einwilligung nicht geben würde .
" Aber kehrt Eugenie heute denn nicht mit dir nach Sänftenburg zurück ?
Und was soll der Baron davon denken ? " fragte ich unruhig Tante Ulrike .
" Nein , sie will ihn erst im Brautkranze wieder sehen , ich soll ihm sagen , was ich will , " entgegnete die Tante lächelnd .
" Mache nur jetzt und eile dich , sonst bist du am Ende eine Brautjungfer ohne Kranz für die Braut . "
Ich stürzte davon , so schnell ich konnte , aber ehe ich noch irgend etwas anderes besorgte , eilte ich zu meiner Marie , sie mußte erst alles erfahren , selbst auf die Gefahr hin , daß ich für Eugenie keinen frischen Myrtenkranz mehr bekäme .
18. Ein froher Tag .
" Wird Eugenie heute auch nicht nach Sänftenburg kommen , Tante Ulrike ? " fragte der Baron traurig , als die Morgenstunden des Sonntags vergangen waren , und immer noch kein Wagen vorfahren wollte .
" O doch , lieber Baron ! " entgegnete die Tante .
" Sie wollte nur so gern mit Gretchen erst in die Kirche gehen , dann kommt sie .
Aber wie wäre es , lieber Baron , " fuhr die Tante heiter fort , " wenn Sie heute einmal wieder ordentliche große Toilette machten !
Sie dürfen Ihren armen Fuß zwar noch nicht in Bewegung setzen , aber außerdem sind Sie kaum noch ein Patient zu nennen .
Zeigen Sie das Ihrer Braut , überraschen Sie das liebe Kind , die Sie nun lange genug in diesem vortrefflichem Krankenkostüme bewundert hat .
Ja ? soll ich Ihnen den Johann schicken ? "
Der Baron warf ängstliche Blicke bald auf die Tante , bald auf seinen noch immer etwas verbundenen Fuß , dann sagte er :
" Wenn Sie glauben , Eugenie freut sich darüber , so will ich es sogleich tun .
Aber , liebe Tante , " fuhr er zögernd fort , " sagen Sie mir zuvor nochmals ganz offen , glauben Sie wirklich , daß Eugenie jetzt doch noch meine Frau werden will ? "
Der Tante Gesicht wurde ernst .
" Lieber Baron , " sagte sie fast streng , " ich wiederhole es Ihnen noch einmal , Ihr Zweifel an Eugeniens edlem Sinn wird das gute Kind beleidigen ; darum bitte ich dringend , sagen Sie solche Worte nicht mehr .
Glauben Sie denn so wenig an Eugeniens Liebe zu Ihnen ?
Halten Sie dieselbe wirklich für fähig , anderen Sinnes zu werden , es sei , aus welchem Grunde es wolle ? "
" Aber beste Tante , bedenken Sie doch , die wunderschöne Eugenie das Weib eines Krüppels ! " seufzte der Baron .
" Ach was , Krüppel ! " rief die Tante heftig .
" Was ist es denn weiter !
Ein etwas steifer Fuß macht noch lange keinen Krüppel !
Sie wissen noch gar nicht einmal , ob er wirklich so steif ist , als Sie fürchten , und dann wollen wir erst die Wirkung von Teplitz abwarten ; wer weiß , ob da nicht alles noch ganz gut wird , und Sie übers Jahr nicht mit Eugenie um die Wette reiten ; nur etwas weniger tolle Pferde , wenn ich bitten darf . "
Der Baron küßte Tante Ulrike's weiche Hand voll kindlicher Zärtlichkeit , diese aber nickte ihm freundlich zu und ermahnte ihn , ja recht sorgfältige Toilette zu machen , er wisse ja , die schöne Eugenie halte etwas darauf .
Eben war er fertig und blickte noch einmal prüfend in den vorgehaltenen Spiegel , da fuhr ein Wagen vor .
Ein zweiter und dritter folgte , und verwundert über den zahlreichen Besuch schickte der Baron seinen Diener fort , ihm Kunde zu bringen , wer gekommen sei .
" Fräulein von Jagow und einige Freunde und Freundinnen aus der Stadt , " meldete der Diener .
" Sie werden gleich um die Ehre bitten , dem Herrn Baron ihre Aufwartung machen zu dürfen ; die Damen ordnen nur noch ihre Toilette , da der arge Wind sie sehr staubig gemacht hat . "
Es dauerte sehr lange , ehe besagter Staub von den Toiletten entfernt war , und fast wurde der Baron ungeduldig .
Endlich aber öffneten sich die Flügeltüren , und an der Hand der Tante Ulrike trat Eugenie in das Zimmer , im lieblichsten Brautschmuck .
Ihnen folgten Marie und ich , ebenfalls festlich geschmückt , dann Maries Eltern , und endlich Eduard und Dr. Hausmann , frische Blumensträuße im Knopfloch .
Tante Ulrike führte die hoch erglühende Braut ihrem Geliebten zu und sagte , Eugenie bringe ihm selbst die Antwort auf seine gestrige Frage , indem sie ihren Verlobten bitte , sie heute schon als Gattin heimführen zu wollen , falls es ihm selbst nicht etwa leid geworden sei .
Der Baron glaubte zu träumen .
Er vergaß seinen kranken Fuß und wollte vom Lehnstuhle aufspringen , aber Tante Ulrike drückte ihn sanft wieder auf denselben nieder .
" Eugenie , ist das dein Ernst ? " stammelte er nun und streckte die Arme nach der Geliebten aus .
Eugenie verhüllte das Gesicht mit ihren Händen , und an seiner Seite niedersinkend lehnte sie den Kopf an seine Schulter .
Er legte beide Arme um die geliebte Braut und hielt sie still und selig umschlungen .
Feierliche Stille lag über uns Allen , Marie und ich drückten uns die Hände und weinten leise , und Tante Ulrike hatte das Tuch vor den Augen .
Da öffneten sich wieder die Flügeltüren des Nebenzimmers , und zwischen hohen Gewächsen und frischen Blumen war ein kleiner Altar errichtet , an welchem Prediger Sommer das Brautpaar erwartete .
Einige Diener rollten des Barons Lehnstuhl zu ihm hin , Eugenie kniete an der Seite des Geliebten nieder , und die Feier begann .
Im Hintergrunde des Zimmers , von den Blumen verdeckt , standen einige Sänger und Sängerinnen aus unserem Bekanntenkreise , und ihnen hatten sich einige Burschen aus dem Dorfe angeschlossen , dessen Schullehrer sie im Gesang trefflich geschult hatte .
Sie begrüßten das Brautpaar mit sanften Tönen , dann sprach der Geistliche ernste und milde Worte und vollzog die Trauung .
Bei der Beglückwünschung der Neuvermählten ließ Tante Ulrike eine Menge Einwohner des Dorfes in das Zimmer treten , welche dringend baten , dem lieben Herrn ihre Glückwünsche bringen zu dürfen , und vom Hofe herauf erschallte endloser Jubel , denn dort war das ganze Dorf versammelt , Alt und Jung , welche Alle auf die wunderbare Nachricht herbeiströmten .
Ein frohes Festmahl , das Tante Ulrike gestern schnell angeordnet , folgte der Feier , und auch das ganze Dorf erhielt seinen Anteil ; denn auf dem Rasen des Hofes erhoben sich bald lange Tafeln , auf denen die Knechte und Mägde des Gutes , sowie sämtliche Kinder aus dem Dorfe gespeist wurden .
Es war eine unvergeßlich frohe Hochzeit , und der Baron bald weich und voll stillen Glückes , bald so lustig und übersprudelnd von Humor und Neckerei , daß man ihn gar nicht wieder erkannte .
Am Abend mischten wir jungen Leute uns unter die Tänzer des Dorfes , und die Burschen trugen den Kopf noch einmal so hoch , wenn ihre schöne junge Herrin mit ihnen tanzte .
Der Baron freilich konnte die jungen Bauerdirnen nicht auch stolz machen , indem er sich mit ihnen umherdrehte , aber getanzt hatte er ja überhaupt nie , da wußte es niemand anders .
" Überhaupt , " sagte der Baron lächelnd zu seiner schönen Frau , " jetzt habe ich doch eine Entschuldigung , wenn ich in meiner Steifheit alle Stühle und Tische umwerfe ; denn nun heißt es : " der arme Mann hat einen lahmen Fuß , er kann nichts für seine Tölpelei . "
Erst spät wurde es still auf Schloß Sänftenburg , denn als die Nacht herein brach , und die Wagen der Gäste zum Schloßtore hinaus rollten , kam noch ein prächtiger Fackelzug die Dorfstraße herauf .
Die Bauern brachten ihrer lieben Herrschaft noch ein jubelndes Lebehoch zum Abschied , und unter Jauchzen und Fackelschein fuhren wir fröhlich zum Dorfe hinaus .
Diesem frohen Feste folgte nun eine stille Zeit , denn Tante Ulrike reiste anderen Tags zu ihrer kranken Schwester , und bald gab sie uns Nachricht , in welch traurigem Zustande sie dieselbe gefunden , und daß sie die Leidende nicht mehr verlassen werde , da ihr Ende nahe zu sein scheine .
Mein Papa hatte der Tante den Vorschlag gemacht , mich gleich jetzt wieder mit nach der Heimat zu nehmen , von wo ich ja schon länger abwesend war , als bei meiner Abreise bestimmt worden .
Die Tante jedoch wünschte meine Begleitung auf der schon früher besprochenen Reise , und da meine Eltern mir dies Vergnügen von Herzen gönnten , so blieb ich noch in Berlin , oder vielmehr bei Eugenie , welche sich wie ein Kind freute , ihr Gänseblümchen als Gast ihres Hauses bei sich behalten zu können .
Es war eine schöne Zeit , reich an frohen und gemütvollen Stunden , welche ich jetzt in dem lieben Sänftenburg verlebte !
Eugenie überhäufte mich mit Liebe und Güte , und wenn der Schalk auch noch überall in tausend Neckereien wieder zum Vorschein kam , so schien sie mir doch jetzt ein ganz anderes Wesen geworden zu sein , das ich mehr als je liebte .
Der Aufenthalt auf Schloß Sänftenburg war mir doppelt angenehm , sobald ich bemerkte , wie nützlich meine Anwesenheit Eugenie wurde .
Diese verließ ihren Gatten nur sehr ungern , um anderen Pflichten nachzukommen , und so übernahm ich die häuslichen Geschäfte nun mit großem Eifer und schaltete und waltete Tag für Tag ziemlich selbständig in den Räumen des alten Schlosses .
Eugeniens schöne Ausstattung hier überall einzuräumen war ein wirkliches Vergnügen , und glücklich wie ein Kind hüpfte und tanzte die junge Frau zwischen den Sachen umher , welche ich ordnete , und damit auch der Baron von all der Herrlichkeit etwas zu sehen bekam , rollte sie dessen Lehnstuhl fröhlich aus einem Zimmer in das andere , von einem Schranke zum anderen .
Bald mußte er die Blumen auf den Damastgedecken bewundern , bald die glatten weißen Bettüberzüge , welche zierlich mit rotseidenen Bändern umwunden waren .
Dann wieder ließ sie die Sonne in den weißen , roten und grünen Gläsern ihres Geschirrschrankes blitzen , oder baute Teller und Schüsseln aus ihrem kostbaren Tafelservice vor ihm auf ; die weichen Polster ihrer schönen Sopha's und Lehnstühle mußte er selbst prüfen , die gestickten Gardinen und Tischdecken bewundern , ja sogar ihr Kleiderschrank wurde seines reichen Inhalts beraubt , um letztere den Augen des bewundernden Gatten vorgeführt zu werden .
Ich erkannte Eugenie gar nicht wieder , denn wie gleichgültig war ihr bis jetzt alles gewesen , was dergleichen Dinge betraf !
" Jetzt gehört es zur jungen Hausfrau , da wird es schon Wert für sie bekommen , " hatte Tante Ulrike oft gesagt , und sie hatte Recht , wie immer .
Der Baron durfte seinen Fuß noch immer nicht gebrauchen , aber jetzt wartete er gern und geduldig besserer Zeiten , da Eugenie ja nun sein eigen war und ihn nicht wieder zu verlassen brauchte , wie er im Anfang immer fürchtete .
An Besuchen fehlte es auf dem Schlosse auch nicht , die ehemalige Einsiedelei hatte jetzt in jeder Hinsicht ein anderes Aussehen gewonnen .
Und welche liebenswürdige Wirtin war die junge Hausfrau !
Man konnte nichts Hübscheres sehen , als Eugenie in ihrer neuen Würde .
Mit einer Sicherheit , als wäre sie nie im Leben etwas anderes als Frau Baronin von Senft gewesen , machte sie die Honneurs des Hauses , und obwohl ihr während der Krankheit ihres Gatten allein alle Pflichten gegen ihre Gäste oblagen , entsprach sie denselben doch in jeder Weise .
Die Wirtschaft freilich ließ sie für's Erste noch in ihrer bisherigen Einrichtung , denn die Pflege des Barons war jetzt ihre einzige Sorge .
Aber im Herbst , wenn sie von der Reise zurückkehren würden , da wollte sie eine Hausfrau werden , wie es keine Zweite unter der Sonne gäbe , behauptete sie .
Wer das nicht glauben wollte , der möge es bleiben lassen , wenn es nur der Baron glaubte , und daß dieser alle Leistungen Eugeniens anstaunte als etwas noch nie Dagewesenes , das wußte der Schelm gut genug .
Wenige Tage nach der Hochzeit kam auch Eugeniens Vater in Sänftenburg an , zum großen Jubel seiner Tochter .
Er war ein schöner , schlanker Mann mit geistreichen Zügen und edlem Anstande , der feine Diplomat und Edelmann durch und durch , unbeschreiblich liebenswürdig und angenehm .
So verschieden er und sein Schwiegersohn auch in der Erscheinung waren , so fanden sie sich doch bald , denn der vielseitig durchgebildete Verstand des Barons entsprach dem seines Schwiegervaters in vielen Beziehungen , und ihre beiderseitige Liebe zu Eugenie schlang ein inniges Band um ihre Herzen .
Das Glück seiner Tochter , das aus deren Augen leuchtete , war der Sonnenstrahl für den ernsten , oft sehr gebeugten Vater und erheiterte sein Gemüt mehr und mehr , so daß er sich unbeschreiblich wohl fühlte im Schoße seiner Lieben .
Er wollte die Ankunft Tante Ulrike's hier erwarten , um dann mit ihr und mir nach Süddeutschland zurückzukehren .
Eugenie sollte alsdann mit ihrem Gatten zur Badekur nach Teplitz gehen , und auf dem Rückwege wollte Tante und ich sie daselbst besuchen , um mit ihnen gemeinsam die Heimreise anzutreten .
Nach einigen Wochen kehrte Tante Ulrike endlich zu uns zurück .
Ein sanfter Tod hatte die schwer geprüfte Schwester von allem irdischen Leide befreit , und so betrübt die Tante auch über den Verlust war , der sie betroffen , so dankte sie doch Gott , daß er das Leiden der Armen nicht verlängert hatte .
Im Kreise ihrer Lieben wurde die Tante bald wieder ruhiger , und besonders trug die Anwesenheit ihres geliebten Schwagers viel dazu bei , sie aufzuheitern .
Sie mochten viel und Wichtiges mit einander zu besprechen haben , denn ich sah sie stundenlang zusammen in der Akazienlaube des Parkes sitzen , oder in den sauberen Kieswegen auf und nieder gehen , und auf der Tante liebem Gesicht , deren verschiedenen Ausdruck ich jetzt sehr genau kannte , ruhten dann noch lange Zeit ernste Gedanken .
Eugenie sagte mir , ihr Vater halte es für das Beste , dauernd von seiner Gattin getrennt zu werden ; doch die Tante redete noch immer wieder zum Guten , und nur zu gern ließ sich der gemütvolle Mann von diesem äußersten Schritte abhalten , immer noch hoffend , die leichtsinnige Frau könne sich ändern .
Wie innig bedauerte ich diesen liebenswürdigen Mann , der so viel durch die Launen eines Weibes zu leiden hatte , und wie sehr erkannte ich an diesem Beispiele , welch ' wichtige Sache eine sorgfältige Erziehung ist , die alle bösen und verderblichen Anlagen im Keime erstickt .
19. Die Reise .
Der Sommer war während dieser Zeit längst schon in das Land gezogen , der Arzt trieb zur Abreise nach Teplitz , damit der allerdings sehr steife Fuß des Barons durch die Kur vielleicht doch noch beweglicher werde , und so rüsteten wir Alle uns denn zur Abreise .
Ich half Eugenie treulich , die gar zu wenig vom Einpacken verstand und es doch gern lernen wollte ; aber erst als ich sah , wie Tante Ulrike einpackte , merkte ich wohl , daß ich ebenfalls nichts davon verstand und ging nun selbst erst in die Schule .
Da wir Trauerkleider trugen , bedurften wir keines großen Gepäckes , was Tante überhaupt gern vermied ; sie sagte , hohe Reisekoffer und zahllose Schachteln und Kisten gäben ihr eine wenig vorteilhafte Meinung von der dazu gehörenden Reisenden , denn entweder sei dieselbe sehr eitel oder sehr unpraktisch .
In der Folge sah ich selbst , wie angenehm es war , wenig Gepäck mit sich zu führen , und war ordentlich stolz auf die kleinen Dimensionen unserer Reiseeffekten im Vergleich mit denen anderer Mitreisenden .
Besonders Schachteln , Kästchen , Paket und derartige Gegenstände , die man lose mit sich führt , vermied die Tante möglichst , und mit einiger Scham gedachte ich jetzt der unzähligen kleinen Kistchen und Päckchen , welche ich bei meiner Abreise vom Vaterhause um mich her türmte ; ich hätte sogar meinen Kanarienvogel in seinem Bauer auf meinen Knien mit mir entführt , hätte Tante Ulrike dies nicht lächelnd abgewehrt .
Jetzt hatten wir nichts bei uns im Wagen , als ein Paket wohlgeschnürter Schirme , ein Bündel Schals , von Lederriemen umschnallt , und jede von uns eine lederne Handtasche mit kleinen Bedürfnissen während der Reise , z. B. Eau de Cologne , etwas Schokolade , ein kleines Nähzeug , ein Reisehandbuch nebst Karte , Notizbuch , Bürste , Taschentuch und was dergleichen wünschenswerte Dinge mehr waren .
Alles Unnütze mußte zurück bleiben , so sehr ich oft bat und jammerte und nicht begreifen konnte , daß man auf Reisen eben allerlei entbehren muß , sonst soll man zu Hause bleiben bei seinem Komfort und seinen Siebensachen .
Die Tante war früher mit ihrem Manne viel gereist , da hatte sie ihre Erfahrungen gesammelt ; einfach und praktisch war sie ohnehin , und so konnte ich auch für dies neue Element keine bessere Lehrmeisterin finden .
Wie wundervoll verstand sie einen Koffer zu packen !
Ich hatte es versucht , aber bald war er voll und ein ganzer Berg Sachen schaute trostlos darein , denn sie fanden keinen Platz mehr in meinem Kofferchen .
Da kam die Tante .
Ruhig packte sie alles wieder heraus , und nun machte sie sich ans Werk .
Unten auf den Boden kamen die schweren Sachen , wie Wäsche , Bücher u. dergl. , dann sorgfältig gefaltet Kleider und Röcke , und obenan in einer besonderen Abteilung Kragen , Tücher und dergleichen leichte Dinge .
Bänder und Handschuhe und andere lose Kleinigkeiten flüchteten sich zusammen in ein besonderes Kästchen , das sich bescheiden in eine Ecke drückte , Lücken aber wurden nun durch Schuhe und derartige Rückstände ausgefüllt ; es war ein Vergnügen , wie schließlich alles Platz fand ; der kleine Koffer schien unter Tante Händen Gummiwände bekommen zu haben , so viel nahm er in sich auf .
Eugenie reiste einige Tage früher ab als wir , und Herr v. Jagow blieb in der Gesellschaft seiner Kinder , um Eugenie alle Reisesorgen abzunehmen .
Später wollte er mit uns wieder zusammentreffen , falls er Eugenie verlassen konnte ; ein kleiner Badeort in den Bayrischen Alpen sollte uns wieder vereinigen .
Unsere Fahrt war Anfangs nicht sehr unterhaltend , denn sie führte uns durch langweilige Gegenden der Mark .
Um so mehr hatte ich Muße , die Reisegesellschaft zu beobachten , welche sich in dem Eisenbahncoupe mit uns befand .
Es waren einige Damen , alte und junge ; zwei davon saßen schweigsam in ihrer Ecke , die dritte jedoch begann mit der Tante und mir sehr bald ein Gespräch und schien sich für alles zu interessieren , was man ihr mitteilte .
Aber die Tante hatte augenscheinlich keine sehr große Lust , sich mit ihr zu unterhalten , sie zog ein Buch aus der Tasche und begann zu lesen .
Die gesprächige Dame widmete sich mir nun ganz allein , und obwohl ich keinen großen Gefallen an ihrer Art und Weise fand , so hielt ich mich doch für verpflichtet , ihr über alles höflich Rede zu stehen , wonach sie fragte .
So erfuhr sie denn gar bald alle meine Verhältnisse , Namen und Stand der Tante , sowie Zweck und Ziel unserer Reise .
Sie war sehr erfreut zu hören , daß wir das Bayrische Gebirge besuchen wollten , denn auch sie reiste dorthin und suchte Gesellschaft , welche sie in uns glaubte gefunden zu haben .
Sie versprach , sich ganz nach uns richten zu wollen , gute Gesellschaft sei ihr die Hauptsache ; eine einzelne Dame sei auf Reisen gar zu schlimm daran .
Ich konnte ihr darin nicht Unrecht geben , und da sie eine gutmütige , gescheute Dame zu sein schien , so ging ich auf ihre Anerbietungen freundlich ein .
Nun fing sie an , die Tante mit Fragen zu bestürmen , wohin sie gehen würde , damit sie sich danach richte ; diese aber schien verstimmt und gab ihr ausweichende Antworten .
Bei dem nächsten Anhaltepunkte wechselte die Tante zu meiner Verwunderung den Wagen .
" Gefiel es dir nicht in jenem Coupe , Tantchen ? " fragte ich .
" Wir hatten ja so gute Gesellschaft . "
" Nein , Kind , die Zudringlichkeit jener Dame war unerträglich ! " sagte die Tante .
" Sie gehörte sicher nicht zu der besten Art Frauen ; ihr Wesen mißfiel mir vom ersten Augenblicke an . "
" Aber sie schien so gutherzig und reist so allein , " entgegnete ich mitleidig .
" Ich kann mir wohl denken , wie lieb es ihr sein muß , Gesellschaft zu finden . "
" Das verstehst du nicht , Kind , " lächelte die Tante .
" Sie wird nicht lange allein sein , darüber mache dir keine Sorgen .
Nur auf unsere Gesellschaft wird sie verzichten müssen , wir passen nicht für sie .
Übrigens sei vorsichtiger , mein Töchterchen , und erzähle nicht Jedem gleich , wer wir sind , und was wir treiben .
Auf Reisen trifft man gar zu häufig mit Personen zusammen , vor denen man sich zu hüten hat .
Lieber zu schweigsam gegen deine Reisegesellschaft , als zu offenherzig ; besonders ein junges Mädchen kann hierin nicht vorsichtig genug sein . "
Ich beachtete den Rat der Tante und bemerkte nun allerdings , wie zurückhaltend die meisten Mitreisenden waren , besonders die Damen .
gemütlich war das freilich nicht , aber es gab bald so viel zu sehen , daß ich der Unterhaltung gern entbehrte .
Daß die Tante aber Recht hatte mich zur Vorsicht zu ermahnen , zeigte mir kurze Zeit darauf unser Zusammentreffen mit jener gesprächigen Dame , wovon ich hier gleich erzählen will .
In dem reizenden Partenkirchen nämlich , wo wir uns längere Zeit aufhielten , gingen wir eines Tages im Tale spazieren in Begleitung einer sehr angenehmen Familie aus Berlin , welche wir dort getroffen .
Nach einiger Zeit hörten wir Lachen und laute Stimmen einer uns entgegenkommenden Gesellschaft , und bald erkannte ich in einer der Damen unsere lebhafte Reisegefährtin .
Sie war höchst elegant gekleidet und schien sich durchaus nicht mehr über Einsamkeit beklagen zu können , denn eine Menge junger , eleganter Herren umgab sie , und die Unterhaltung war sehr heiter .
Plötzlich erblickte sie uns und eilte auf uns zu .
" Ah , Frau von Jagow , wie freue ich mich , Sie wieder zu sehen , und Sie , Fräulein Gretchen , wie geht es Ihnen ?
Welch reizendes Zusammentreffen ! "
Die Tante erwiderte den Gruß mit auffallender Kälte ; ich freute mich auch durchaus nicht , die Dame wieder zu sehen , die mir heute noch viel weniger gefallen wollte ; doch gab ich ihr freundliche Antworten auf ihre Fragen , das ging doch nicht anders .
Sie schien große Lust zu haben , in unserer Gesellschaft zu bleiben , aber bald besann sie sich eines Besseren und folgte dem Rufe ihrer Begleiter , welche sehr befreundet mit ihr zu sein schienen .
" Wie in aller Welt kommen Sie zu dieser Bekanntschaft ! " rief lachend Herr von Barnheim , sobald die Dame uns verlassen .
" Sie ist mit uns gereist , weiter kenne ich sie nicht , " entgegnete die Tante .
" Wissen Sie vielleicht etwas Näheres über dieselbe ? "
" O , so viel als alle Gäste von Partenkirchen , mehr auch nicht ! " lachte Herr von Barnheim .
" Aber mich dünkt , es ist eben genug , Ihnen zu raten , sich die gute Dame etwas fern zu halten , denn für Fräulein Gretchen scheint sie mir nicht gerade der passendste Umgang .
Wie ich höre ist sie Mitglied verschiedener wandernder Schauspielertruppen gewesen und hat überall die verschiedensten Aventüren gehabt . "
Ich wurde blutrot und freute mich , daß unser Spaziergang bald ein Ende hatte , damit wir der Dame nicht etwa noch einmal begegneten .
Am anderen Tag erfuhren wir , daß dieselbe weiter gereist sei , und das erleichterte mein Herz außerordentlich , denn nun waren wir hoffentlich von ihrer Gesellschaft befreit .
Nach dieser Abschweifung jedoch kehre ich wieder zum Anfang unserer Reise zurück , denn noch waren wir unterwegs , und zum ersten Male fuhr ich durch ein fremdes Land .
Über die Grenze von Preußen war ich bis jetzt nie gekommen , nun flogen wir durch Sachsen und dann abermals nach einem anderen Lande : das schöne Bayern lag vor uns .
In Sachsen fing die Gegend zuerst an , einigen Reiz zu bieten , besonders das schöne Elstertal gefiel mir ausnehmend , und mit Staunen betrachtete ich die gewaltigen Eisenbahnbrücken , welche sich über das Tal spannen .
Hof in Bayern war unser erstes Nachtquartier ; anderen Tages fuhren wir an Kulmbach vorüber , dessen Schloß höchst malerisch vom Felsen herab schaut , und während allen Reisenden das treffliche Bier mundete , das erste echt bayrische , ließ die Tante uns Kaffee zur Erquickung bringen .
Sie selbst trank wenig und ging im Freien auf und nieder , ich aber setzte mich in dem netten Zimmer der Restauration an einen Tisch und machte es mir bequem , legte Hut und Handschuhe ab , ordnete mein Haar und blies dem heißen Kaffee von Zeit zu Zeit Kühlung zu .
Eben wollte ich anfangen ihn behaglich zu schlürfen , da läuteten die Glocken zum Einsteigen , die Tante rief , und traurig mußte ich meinen schönen Kaffee im Stiche lassen .
Aber das war eine gute Lehre , von nun an beeilte ich mich besser .
Die schöne Gegend tröstete mich bald über den kleinen Verdruß , denn wir näherten uns Bamberg , fuhren an dem schönen Kloster Banz vorüber , und in der Ferne lagen die grünen Berge der fränkischen Schweiz .
In Bamberg blieben wir einige Tage .
Was ist das für eine nette Stadt ; wie prächtig liegt sie da , umkränzt von sanften Bergen und geschmückt mit dem stattlichen Dom und der Ruine Altenburg auf der Höhe !
Bei prächtigem Wetter stiegen wir zu diesem alten Schlosse hinauf .
Wie freute ich mich an der schönen Gegend , Berge sah ich zum ersten Male ; ich wünschte mir Flügel , um mich dort hinauf zu schwingen ; wie weit mußte man da oben sehen können !
Geschichtliche Erinnerungen sprachen auf dem alten Schlosse zu uns , denn im Jahre 1208 soll in dem Turmzimmer , in welchem wir uns ausruhten , der Kaiser Philipp von Schwaben durch Otto von Wittelsbach umgebracht worden sein .
Mir grauste , obwohl mir der nie verlöschende Blutfleck am Boden nicht echt erscheinen wollte ; dergleichen Fleck gehören aber nun einmal zu solchen grausenhaften Geschichten .
In Hof , wo wir unser erstes Nachtquartier hielten , war ich am Morgen der Abreise nur mit Mühe und Not mit meinem Anzug fertig geworden ; denn zuerst ließ ich sehr sorglos die Zeit vergehen , und schließlich mußte ich in höchster Eile mein Haar nur halb geflochten unter den Hut stecken , da der Omnibus vor der Tür stand , uns abzuholen .
In Erinnerung an diese Angst und Hast stand ich denn am Morgen unserer Abreise von Bamberg sehr früh auf und war mit Anziehen , Einpacken und Frühstücken so zeitig fertig , daß ich die Tante um Erlaubnis bat , noch ein wenig in den Straßen umher gehen zu dürfen .
" Versäume nur die Zeit nicht ! " mahnte Tante Ulrike , gewährte mir aber gern meinen Wunsch .
So strich ich denn frohen Sinnes in den Straßen auf und nieder und vertrieb mir die Zeit sehr angenehm , denn es war gerade Markttag , und zu allen Toren kamen die Landleute in fremdartiger Tracht mit ihren Waren herein , und buntes Leben herrschte bald überall .
Auch in den schönen Dom trat ich noch einmal zum Abschied , betrachtete mir die alten Bilder und Grabsteine , besonders das berühmte Denkmal von Kaiser Heinrich II. und seiner Gemahlin Kunigunde , und so bemerkte ich nicht , daß es schon spät geworden , bis die Uhr am Glockenturm über mir plötzlich die Stunde schlug .
Erschrocken eilte ich fort , denn die Zeit unserer Abreise war nahe , und noch hatte ich den Rückweg vor mir .
Hastig schritt ich durch die Straßen ; ich meinte , den Weg zu wissen , aber welch ein Schrecken , ich mußte mich verirrt haben , denn plötzlich war ich wieder auf dem Platze am Dom , von wo ich ausgegangen .
Ich fragte mich nun von Straße zu Straße , einer zeigte hier- , der ander dorthin ; in Schweiß gebadet lief ich immer vorwärts , der nächste Weg konnte es unmöglich sein , den man mir angab .
Gern hätte ich einen Wagen genommen , aber nirgends traf ich einen leeren ; dem Weinen nahe bat ich endlich einen Knaben , mich zu begleiten , und atemlos gelangte ich an unserem Hotel wieder an .
Die Tante war in großer Sorge um mich ; den Frühzug hatten wir versäumt und mußten nun mit dem Mittagszuge fahren .
Ich war sehr niedergeschlagen über meine Unbesonnenheit , die Tante jedoch tröstete mich ; heute habe unsere Versäumnis ja nichts zu bedeuten ; für ein anderes Mal möchte ich es mir zur Lehre nehmen , denn in fremder Stadt könne mir in Zukunft dergleichen öfter passieren .
Aber die Irrfahrten am Morgen waren nur das Vorspiel von anderweitigem Ungemach , das mir an dem Tage zustieß ; man hat so seine Unglückstage , ich mußte heute wohl mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bette gestiegen sein .
Als wir nämlich Mittags endlich glücklich auf der Eisenbahn angekommen waren und unsere Plätze gewählt hatten , stieg die Tante noch einmal aus dem Wagen , da sie soeben eine alte Bekannte in einem anderen Coupe gesehen hatte , welche sie begrüßen wollte .
Sie übergab mir die Reisebillets und eilte fort .
Im selben Augenblicke wurde köstliches Obst vorbei getragen , und ich sowie alle Mitreisenden kauften davon .
Man drängte sich um die offene Tür , an der ich saß , ich reichte dienstfertig Obst nach allen Seiten , nahm dafür Geld in Empfang , kurz war sehr eifrig in diese Angelegenheit vertieft und ordnete dann geschäftig unsere Sachen , die noch umher lagen .
Da kam die Tante und mit ihr der Beamte , welcher die Billetts einforderte .
Ich griff nach den unsrigen , welche die Tante mir gegeben , - sie waren fort !
Bestürzt suchte ich am Boden , auf den Kissen , kehrte alle Taschen um , schüttelte Kleid und Tuch aus , alle Mitreisenden halfen suchen , - es war umsonst , die Billetts waren nirgends zu finden .
Nur der weiße Gepäckschein fand sich vor , die anderen Zettel mußten mir beim Handeln um das Obst verloren gegangen sein ; ich konnte mich nicht besinnen , sie wieder gesehen zu haben , seit die Tante sie mir auf den Schoß gelegt .
Der Beamte zuckte die Achseln und bedauerte das Mißgeschick , aber ohne Billet konnte er uns beim besten Willen nicht reisen lassen ; wir mußten aussteigen und neue Billetts lösen .
Es war die höchste Zeit , der Zug sollte sogleich abfahren , und in Hast und Eile stürzte ich zum Wagen hinaus .
Da flog etwas neben mir zu Boden , es war eines der Billetts .
Gott sei Dank , so war doch eins wenigstens da , das zweite freilich erschien nicht , wer weiß , wohin sich das geflüchtet ; ich eilte zur Kasse und war endlich froh , überhaupt noch mit fort zu kommen .
Bitterlich weinend drückte ich mich in die Wagenecke ; die gute Tante sagte mir kein Wort des Vorwurfs , aber Scham und Ärger über meinen Leichtsinn verbitterten mir den Genuß der ganzen Reise .
" Du mußt künftig die Billetts sogleich in den Geldbeutel stecken , das ist der beste Platz , " sagte die Tante später .
" So wie dir heute ist es schon manch Anderem auch ergangen . Dir wird es nun so leicht nicht wieder geschehen ! "
" Ja , nachdem du arme Tante meine Torheiten mit schwerem Gelde bezahlen mußtest ! " seufzte ich , ihr die Hand küssend .
" Nun beruhige dich , Kind , " entgegnete sie liebevoll .
" Wenn man alle Torheiten so leicht wieder gut machen könnte , so wäre es ein Glück .
Genieße jetzt die schöne Gegend und laß das Grübeln und ärgern , ich vergebe dir alles von Herzen ! "
Und wahrlich , bald gab es so viel Schönes und Interessantes zu sehen , daß es mit freiem , frohem Herzen genossen sein wollte , und so war ich der Tante innig dankbar für ihre Güte und Nachsicht .
Wie entzückte mich das prächtige , altertümliche Nürnberg , wohin wir nun kamen ; wie konnte ich mich nicht satt sehen an dieser merkwürdigen Stadt , voll von Schönheiten aus dem Mittelalter .
Jedes Haus hat dort seine besondere Physiognomie , jedes Türmchen , jeder Giebel , jede Dachrinne sogar den eigentümlichsten Schmuck ; Malereien , Schnitzwerk , Tierköpfe und alle dergleichen Schnörkel sieht man , wohin das Auge sich wendet , und das alles gibt den Straßen ein lustiges , buntes und doch wieder so ehrwürdiges Ansehen .
Natürlich betrachteten wir alle Sehenswürdigkeiten der Stadt auf das Beste ; da all diese Dinge aber viel genauer und besser in Bedeckers rotem Reisehandbuch zu finden sind , so erspare ich euch und mir die Beschreibung .
Vor allem entzückte mich die Sebalduskirche mit dem herrlichen Sebaldusgrabe .
Was muß dieser Meister Peter Vischer für ein Mann gewesen sein , so bürgerlich schlicht und doch so groß in seinen Werken .
Die prachtvolle Lorenzerkirche hob meine Seele mächtig zu Dem empor , zu Dessen Dienste sie gebaut worden , und die wunderschöne Fensterrose über dem gotischen Eingangsportale begeisterte mich sogar zu einem kleinen poetischen Versuche , den ich ehrlich mitteilen will , da ich hier doch nun einmal all meine Schwächen und Torheiten zum Besten gebe .
Ich hoffe , meine lieben jungen Freundinnen werden ein gnädig Gericht ergehen lassen ; welche von ihnen hätte nicht auch einmal ein Verschen versucht .
Das meine also heißt :
Die Rose .
Zu Nürnberg , dem alten , Im lieben Bayerland , Da blüht eine köstliche Rose , Gar weit und breit bekannt .
Sie blühet seit grauen Zeiten Schon manch Jahrhundert dort , Und immer noch duftet und strahlet Die Krone der Blumen fort .
Noch hat aus dem blühenden Schoße Die Zeit kein Blättchen geraubt , Von Wetter und Sturm unberührt Erhebt sie zum Himmel das Haupt .
Sie blüht an geheiligter Stätte In wunderlieblichem Glanz , Und schlanke Säulen und Bogen Umziehn sie in herrlichem Kranz .
Aus ihrem schimmernden Kelche Umwehet uns heiliger Duft , Wie holde , liebliche Klänge Durchzittert es leise die Luft .
Und auf ihren glänzenden Schwingen Trägt sie die Sonne empor ; Sie strahlet im Dienste des Höchsten , Wie Engel im himmlischen Chor .
Und willst du die Rose kennen ?
Zu Sankt Lorenzen dort Da blüht sie im hohen Portale Als Fenster-Rose fort !
Soll ich nun auch noch das andere zum Besten geben , wozu das allerliebste Gänsemännchen mich angeregt ?
Schön ist es nicht , aber es sei darum !
Also : Auf dem Markt zu Nürrenberg Steht ein Bauersmann , Lieben Leute , kommt herbei , Seht den Mann euch an .
Gänse hat er unterm Arm , Bringt sie wohl zu Kauf ?
Nimmt sie ihm denn Niemand ab ?
Macht den Beutel auf !
Aber wie ?
sie scheinen euch Nicht recht fett zu sein , Auch der Preis ist viel zu hoch .
Und die Gans zu klein !
Ei das fährt dem Bäuerlein Garstig in den Sinn , Auf den Nürrenberger Markt Tritt er trotzig hin .
Und dem , der zu nah ihm kommt Diesem kleinen Wicht , Speien seine Gänse gleich Wasser ins Gesicht .
Und so steht er heute noch , Allen wohl bekannt Auf dem Nürrenberger Markt , Gänsemann genannt .
Unerwähnt kann ich außerdem aber Eines nicht lassen , das ist der Johanneskirchhof bei Nürnberg , die eigentümlichste Grabstätte , die man sehen kann .
Edle Männer sind hier einst zur Ruhe gegangen , wie Hans Sachs , Albrecht Dürer , Peter Vischer und andere große Bürger des alten Nürnberg .
Aber keine Kreuze , Urnen oder glänzende Denkmäler , keine blumenbedeckten Gräber , keine Bäume und Rasenhügel erheben sich an dieser Ruhestätte ; sondern Seite an Seite , dicht an einander gereiht , bedecken hier mehr als 3000 große flache Sandsteine die ganze Länge und Breite ihrer Gräber .
Sie sind verziert mit den eisernen Wappen und Namenszügen der alten Geschlechter , welche seit Jahrhunderten unter diesen Steinen schlafen gegangen .
In die ausgemauerte Gruft unter denselben wird Sarg auf Sarg gestellt , alle Glieder der Familie bei einander , alle bedeckt von demselben Grabsteine , der schon vor Jahrhunderten ihre Vorfahren deckte .
Wahrlich , eine Ahnentafel , ernst und gewaltig , von der Hand des Todes selbst auf den Stein eingegraben !
Das schöne Nürnberg verließ ich sehr ungern , aber es lag ja noch Schöneres vor uns , die Herrlichkeit , die keines Menschen Hand geschaffen , die wunderbare Alpenwelt !
Den Besuch von München , das auf unserem Wege lag , verschoben wir bis zur Rückreise , denn Herr v. Jagow , welcher jetzt dort lebte , wollte alsdann unser Führer sein .
Nun näherten wir uns mehr und mehr der fernen Alpenkette , und unser Eintritt in diese schöne Welt hätte nicht schöner sein können : die Sonne neigte sich soeben ihrem Untergange zu und tauchte die Berge in dunkelrot schimmernde Glut , so daß sie dastanden wie Bilder aus dem Feenreiche .
Es war so über alle Begriffe erhaben und prachtvoll , daß ich still die Hände faltete , und mir Träne auf Träne über die Wangen lief .
O Gott , wie groß , wie herrlich ist deine Welt und wie namenlos glücklich Jeder , der wie ich einen so schönen Teil davon kennen lernt !
Was sind alle Werke der Menschen gegen deine Schöpfungen , deine Wunder ?
Wollte ich ausführlich erzählen , wo wir nun die nächsten Wochen umher schwärmten , so könnte ich allein davon ein ganzes Buch schreiben , ohne ein Ende zu finden , und dennoch würde ich euch keinen Begriff davon geben können , wie schön es überall war , wie unvergeßlich diese so herrlichen , wonnevollen Tage .
Zuerst machten wir einen kurzen Ausflug nach dem Allgäu , dem Lande der üppig grünen Wiesen und des prachtvollen Rindviehes , dessen wunderbar schöne Alpenkette mir aber freilich viel lieber war , als all dies .
Immenstadt , Sonthofen und Oberstdorf waren dort die bedeutendsten Orte , von wo aus wir einzelne Streifzüge nach den Bergen unternahmen .
Von Immenstadt geht die Eisenbahn nach Lindau und dem Bodensee , eine Schweizerreise aber versprach mir die Tante für ein anderes Mal , jetzt zogen wir nach den Bayrischen Alpen und deren erstem Stationspunkte Füßen .
Mit besonderer Vorliebe denke ich an dies Fleckchen schöne Gotteswelt zurück ; denn dort nahebei liegt die Perle der ganzen Umgegend , das reizende Hohenschwangau , wo wir uns in dem Wirtshäuschen zur Alpenrose gar zu wohl fühlten , treulich gepflegt von der Wirtin , einer munteren Tirolerin in ihrer malerischen Nationaltracht , die rote Rose auf dem spitzen Hut und silberne Ketten am Mieder .
Dicht vor der Tür , von prachtvollen Linden überschaut , ist das einladest Plätzchen bereit ; vor uns , blitzend im reinsten Blaugrün , der stille Alp-See , auf dem sich weiße Schwäne wiegten , rings umzogen von saftigem Grün und malerischen Felswänden , über welche hinaus in weiterer Ferne einige Häupter der Alpenkette herüber schauen .
Zu verdenken war es dem jungen Bayernkönig wahrlich nicht , daß er hier seiner schönen Königin Marie , welche ohnehin die rüstigste Bergsteigerin ist , ein köstliches kleines Schloß erbaut hat , das einen Blick vergönnt weit hinaus über Berge , Seen und Flachland .
Garmisch und Partenkirchen , am Fuße des prachtvollen Zugspitz gelegen , waren , wie ich schon erwähnte , ferner die Orte , an denen wir längere Zeit verweilten , und obwohl wir dann noch weitere Touren machten , z. B. nach dem schönen Kochel- und Walchensee , so verweile ich doch nur in jenen malerisch gelegenen Flecken noch einige Augenblicke , da mir dort etwas begegnete , was ich nie wieder vergessen werde , so lang ich lebe .
20. Ein Abenteuer .
Eingeschlossen von den mächtigen Felswänden des Zugspitz liegt dort still und einsam der friedliche Eibsee zwischen grünen Abhängen und schroffen Felsblöcken aus der Tiefe hervor schimmernd .
Sein Wasser ist reich an Fischen ; aber nur gering sind die Zahl derer , welche hiervon Vorteil ziehen , denn der See gehörte seit Jahrhunderten den Besitzern jener wenigen Hütten , welche sich an dem Ufer angesiedelt haben .
Es ist eine wilde , zigeunerhaft aussehende Klasse von Menschen , diese Fischer des Eibsees ; schwarze Augen blitzen uns aus den dunklen schmutzigen Gesichtern entgegen , und wer mit ihnen verkehrt , der sei vorsichtig , sonst wird er betrogen und überlistet , sei es auch nur um einige Kreuzer .
Doch die eigentümliche Schönheit des Sees lockte die Fremden von allen Seiten herbei , wie unbehaglich auch die Menschen sind , die seine Ufer bewachen .
Auch wir besuchten den reizenden Winkel und freuten uns an der großartigen Einsamkeit und Schönheit seiner Lage .
Ein starkes , schwarzäugiges Weib mit finsterem Gesicht fuhr uns auf dem Wasser umher , und nur die reichliche Spende , womit die Tante unsere Spazierfahrt bezahlte , konnte ihren grimmigen Zügen ein Lächeln abgewinnen .
Der Abend war noch ziemlich fern , als wir den Rückweg nach dem Dorfe Greinau antraten , wo unser Wagen stand .
Der Weg dorthin zog sich durch grüne Wiesen und Abhänge und machte zahllose malerische Biegungen , welche reichen Stoff für meine Zeichenmappe gaben ; deshalb bat ich die Tante , mit den beiden anderen Damen unserer Begleitung immer voraus zu gehen , während ich zurück blieb , um einige flüchtige Skizzen der Gegend zu zeichnen .
Die Tante zögerte , mich allein zurück zu lassen ; doch die Sonne stand noch ziemlich hoch am Himmel , der Weg war viel betreten , und so tat sie mir endlich den Willen , hieß jedoch den kleinen Buben bei mir zu bleiben , der uns den Weg zeigte .
Ich vertiefte mich bald völlig in meine Arbeit ; die Bäume hingen so unbeschreiblich malerisch über kleine Felsvorsprünge , lichte Durchblicke lockten in die Ferne , dazwischen tauchte hin und wieder ein spitzer Kirchturm empor oder das zierliche Dach einer Bauerhütte , ich konnte kein Ende finden , ein Punkt war immer noch schöner als der andere .
Endlich sah ich , daß der Himmel sich rötete ; die hellen Wände des Zugspitz leuchteten auf , als wären sie von rotem Golde , die Sonne sank , und es war die höchste Zeit für mich , den Rückweg anzutreten , da die Tante mich gewiß ungeduldig erwartete .
Ich suchte meine Sachen zusammen und bemerkte nun erst , wie zwei braune Männer , vom Eibsee herkommend , sich mir näherten .
Sie trugen große Stöcke in den Händen , ihr Anzug war zerlumpt und zigeunerhaft , und an dem lichten Abendhimmel hoben sich ihre riesigen Gestalten drohend empor .
Ich erschrak und blickte mich ängstlich nach ihnen um , denn mit bangem Herzen dachte ich gleich an allerlei schreckliche Dinge , Raubanfälle , Mißhandlung und wer weiß , was alles , dessen man die Bewohner des Eibsees für fähig erklärte .
Der Abend war nahe , mit jeder Minute wurde es dunkler , und diese Männer kamen gerade auf mich zu .
Voll Unruhe rief ich nach dem Knaben , der bis vor Kurzem in meiner Nähe gespielt hatte ; aber er war verschwunden , wer weiß ob er nicht gar mit den Männern im Einverständnis handelte .
Eine namenlose Angst ergriff mich , ich lief auf dem Wege fort , der nach Greinau führte ; aber das Dorf war noch fern und die Männer kamen immer näher .
Schon hörte ich ihre Stimmen , sie schienen mir etwas zuzurufen und lachten dazwischen .
Wieder blickte ich mich angstvoll nach ihnen um und , o Entsetzen , ich sah deutlich , wie der Eine den Knüttel hob und mir damit drohte .
Nun wer es kein Zweifel mehr und meine Furcht nur zu begründet , sie hatten es auf mich abgesehen .
Laut schreiend stürzte ich davon , Hügel auf und ab , nichts mehr denkend , als Rettung durch die Flucht .
Ich fiel über Geröll und über Baumstümpfe , verlor meinen Schirm und mein Zeichenbuch ; es war mir alles gleich , nur vorwärts , vorwärts , ehe mich die Entsetzlichen erreichten , die ich immer hinter mir wußte .
Jetzt hörte ich ihre Stimmen so nahe neben mir , daß mir die Sinne fast vergingen vor Angst , und ich mich eben niederwerfen wollte , ihr Mitleid anzuflehen und ihnen alles zu geben , was ich bei mir trug .
Aber wie wenig war das , sie würden mich sicher plündern und mißhandeln ; Da , im letzten schrecklichen Augenblicke , sah ich eine Gestalt durch die Bäume schimmern .
War es einer ihrer Spießgesellen ?
Heftig rief ich um Hilfe und stürzte vorwärts .
Gott sei Dank , es war ein gut gekleideter Herr , ich war gerettet !
Mit Todesangst flog ich zu dem Fremden , seinen Schutz anzuflehen , er mochte sein wer er wollte .
Aber wer begreift mein Entzücken , als ich meinen Freund Dr. Hausmann vor mir sah !
Mit ausgebreiteten Armen stürzte ich ihm entgegen , und ohne recht zu wissen , was ich tat , sank ich an seine Brust .
" Retten Sie mich , um Gottes Willen ! " rief ich außer mir , dann vergingen mir die Sinne .
Als ich wieder zu mir kam , lag ich auf dem Rasen , Dr. Hausmann kniete neben mir .
Ich fühlte mich namenlos matt und konnte mich lange nicht besinnen , was geschehen sei .
Endlich aber erinnerte ich mich plötzlich an alles , und angstvoll blickte ich um mich .
" Seien Sie außer Sorge , Fräulein Gretchen , es ist nichts mehr zu fürchten , " sprach Dr. Hausmann beruhigend .
" Die Männer haben sich einen bösen Scherz mit Ihnen gemacht und Sie scheinbar verfolgt , da sie Ihre Furcht bemerkten .
Jetzt sind Sie ganz sicher , denn ich bleibe bei Ihnen . "
Nun erst fiel mir ein , in welcher Weise ich in meiner Angst bei dem Freunde Schutz gesucht hatte .
Dunkle Glut bedeckte mein Gesicht , ich wagte nicht aufzublicken .
Dr. Hausmann bemerkte meine Pein und suchte mich davon zu befreien .
" Und Sie wundern sich gar nicht , mich hier zu sehen ? " sagte er heiter und setzte sich neben mich in das Gras .
" Wußten Sie denn , daß ich Sie aufsuchte ? "
" Ich ?
Nein , wie sollte ich davon wissen ? " entgegnete ich , nach Fassung ringend .
" Sind Sie denn allein , und wo erfuhren Sie unseren Aufenthalt ?
Ich wußte nicht , daß Sie auch diese Reise beabsichtigten . "
" Es ist auch ein ganz plötzlicher Entschluß , den ich aber jetzt doppelt segne , da ich Ihnen nützlich sein konnte , Fräulein Gretchen ! " sagte Dr. Hausmann und blickte mir so herzlich in die Augen , daß mir wieder alles Blut in die Wangen schoß .
" Bitte , ich möchte zur Tante , sie wird sich um mich sorgen , " flüsterte ich ängstlich und versuchte aufzustehen .
Die Knie zitterten mir noch heftig , und so mußte ich mich auf den Arm meines Freundes stützen , so peinlich es mir auch war .
Dieser aber plauderte munter fort und erzählte , daß Eduard ihn begleite , den ich bei der Tante in Greinau finden werde , wohin sie Beide geeilt , als sie bei ihrer Ankunft in Partenkirchen erfahren , wo wir seien .
Das Gehen tat mir gut , bald bedurfte ich des Führers nicht mehr , meine Kräfte fanden sich schnell wieder .
Ich erzählte nun das Nähere meines Abenteuers und suchte meine Angst zu rechtfertigen .
Mit zarter Schonung ging Dr .
Hausmann darauf ein , um mir zu zeigen , wie natürlich er meine Bewegung gefunden .
Gegen die Tante und Eduard , welche meine Angst übertrieben fanden und mich als ein Hasenherz etwas verhöhnten , verteidigte er mich dann so entschieden , daß ich ihm aufrichtig dankte , besonders da er über die Art unseres Begegnens sehr leicht fort ging .
Sonderbar , sonst beichtete ich meiner guten Tante Ulrike alles , was ich Törichtes getan ; aber mein Zusammtreffen mit Dr. Hausmann konnte ich ihr unmöglich genau so beschreiben , wie es sich zugetragen , die Worte wollten absolut nicht über meine Lippen .
Aber wozu auch ?
Dr. Hausmann schien gar nicht mehr daran zu denken , so fein und zurückhaltend benahm er sich gegen mich , und das ganze Ereignis erschien mir endlich selbst wie ein wunderlicher Traum .
In der Gesellschaft unserer neuen Reisegefährten verbrachten wir einige sehr angenehme Wochen und durchstreiften die schönen Berge nach allen Richtungen .
Auch Eugeniens Vater kam , wie er versprochen , bald zu uns , und mit ihm reisten wir endlich nach Bayerns schöner Residenz , dem interessanten München .
Wie staunte ich über alle die unzähligen Kunstschätze , welche großenteils durch den kunstsinnigen König Ludwig hier geschaffen und aufgesammelt wurden .
Zwei Wochen blieben wir in München , und so hatten wir reichlich Muße , uns alles genau zu betrachten : die beiden Pinakotheken , die Glyptothek , Schlösser , Kirchen und was es sonst an Sehenswürdigkeiten gab .
Das Allermerkwürdigste blieb mir aber immer die erzene Riesenjungfrau Bavaria auf der Theresienwiese , in deren Kopfe wir so behaglich umherwanderten , als sei es ein Turmstübchen , und deren Augen die prächtigsten Fensterchen bildeten , durch die wir auf München und die ganze weite Ebene schauten und weiter hinaus , wo die blauen Alpen uns freundliche Abschiedsblicke zuwarfen .
Unseren Heimweg nahmen wir durch Böhmen , um in Teplitz Eugenie und den Baron zu besuchen , von denen Herr von Jagow uns die besten Nachrichten gebracht hatte .
Das Bad war dem Baron anfangs zwar nicht gut bekommen , und Eugenie hatte wahrscheinlich all ihre Heiterkeit in Bewegung setzen müssen , um den Leidenden zu zerstreuen , wenigstens konnte der dankbare Gatte uns später davon nicht genug Gutes und Liebes erzählen .
Jetzt nach Beendigung der Kur jedoch ging es dem Baron vortrefflich , und die Steifigkeit seines Fußes verringerte sich von Tag zu Tage , so daß wir mit den freudigsten Hoffnungen für völlige Genesung abreisten , und der Herbst uns endlich Alle wieder in dem traulichen Wohnstübchen Tante Ulrike's versammelt sah .
Wie schön auch die Reise gewesen , und wie viel Herrliches ich gesehen , hier bei der besten Tante in meiner zweiten Heimat war es doch am allerschönsten , das fühlte ich mit innigem Behagen , als die lieben Räume mich wieder so still und heimlich umgaben .
Aber mit mächtigen Schritten nahte jetzt die Zeit , in welcher ich diesen Räumen Lebewohl sagen sollte .
" Für ein Jahr nehme ich dein Gretchen mit mir , " hatte Tante Ulrike zu Papa gesagt , als sie an jenem unvergeßlichen Tage mit mir von Schreibersdorf abreiste , und das zaghafte Kind sich zum ersten Male vom Elternhause trennte .
O damals glaubte ich es nimmer aushalten zu können , eine solche Trennung nimmer zu ertragen .
Ein Jahr !
Welche Ewigkeit für mich , die bis dahin nicht einen Tag von Eltern und Geschwistern getrennt war !
Zwölf lange , lange Monate !
Und jetzt war mehr als ein Jahr seit jenem Tage vergangen , nicht nur zwölf Monate , sondern noch fünf außerdem , und ich lebte noch , die Trennung hatte mich nicht krank gemacht , mich nicht verzehrt und abgehärmt , wie ich einst glaubte .
Nein , im Gegenteil , ich blühte frisch und kräftig in gesunder Jugendfülle , war stärker und vollständiger in der Erscheinung geworden , wenn mein Spiegel mir die Wahrheit sagte , und in der großen Stadt , in dem neuen Kreise , wohin die Tante mich geführt , und vor dem mein ängstlich Herz erzittert hatte , da fühlte ich mich jetzt mit tausend Fäden festgewachsen .
So unsäglich ich mich auf die liebe teure Heimat , auf Eltern und Geschwister freute , so überkam mich doch eine grenzenlose Traurigkeit , dachte ich an die Trennung von alle den Lieben in Berlin .
Die Tante mit ihrer unaussprechlichen Güte und Milde , ihrer feinen Bildung und ihrem steten Wohlwollen für mich , der ich so namenlos viel dankte , Eugenie , an die mich die herzlichste Schwesterliebe kettete , Marie , die treueste Freundin für das Leben , der Baron , Dr. Hausmann , Eduard , ach und so viele , viele , die mir lieb und teuer geworden , sie Alle ließ ich hier zurück , ich konnte den Gedanken kaum fassen .
Und doch , es war nicht anders !
Der Tag der Abreise kam wirklich heran und überschüttet von tausend Liebesbeweisen schied ich von allen meinen Lieben .
Eugenie und der Baron gaben das Versprechen , mich im Elternhause bald zu besuchen , auch die Tante tröstete mich mit dieser Aussicht , und besonders entzückte mich der Gedanke , meine liebe Marie , wie ich dringend gebeten , bald nach meiner Heimkehr für längere Zeit im Hause meiner Eltern zu sehen .
So schied ich denn leichteren Herzens von der lieben Stätte , wo mir so viel Gutes geworden .
Ein reich beschriebenes schönes Blatt hatte der gütige Gott mir in das Buch meines Lebens gefügt , ich konnte Ihm nie innig genug dafür danken ! 21 .
Wieder im Vaterhause .
Mit welchen Gefühlen flog ich meinem geliebten Vater nach so langer Trennung an die Brust , als er kam , mich von Berlin abzuholen und mit welchen Gefühlen wandte ich mich nun der Heimat wieder zu , nachdem der Abschied von meiner so unsäglich verehrten Tante hinter mir lag !
Wie jubelte mein Herz , als ich der Gegend immer näher kam , in der das Gut meiner Eltern lag , wo mich alles so vertraulich und bekannt anblickte !
O das war doch die schönste Gegend auf der ganzen Welt , schöner als alles , was ich auf der Reise soeben noch voll Wonne und Entzücken bewundert hatte .
Bald lagen die bekannten Orte vor mir , die unser Dorf umgaben ; jetzt verließen wir das Wäldchen , das mir bei der Abreise den lieben Anblick meiner Heimat zuerst entzogen .
Da schaute der spitze Kirchturm noch wie ehedem zum Himmel empor , sein grünes Kupferdach blitzte in der Sonne , und auf der goldenen Kugel dort oben drehte sich nach wie vor die glänzende Wetterfahne .
Nun kamen wir in den sandigen Hohlweg , der nach dem Dorfe führte , in welchen sich die Wagenräder so tief einwühlten , daß es immer so langsam vorwärts ging .
Zu beiden Seiten des Abhanges wuchsen wie sonst gelbe Immortellen und fette Wolfsmilch ; die Schmetterlinge und Bienen umflatterten die kleinen gelben Blüten , und über uns am blauen Himmel zog eine Schar blendend weißer Tauben hinweg .
Ihr lieben freundlichen Tiere , kommt ihr mir als Boten vom Elternhause entgegen ?
Am Ausgange des Hohlweges warteten wie ehedem eine Schar Bauerkinder auf den herankommenden Wagen ; die größeren Jungen knallten mit langen Peitschen , die Mädchen blickten mit ihren hellblauen Augen verlegen nach uns hin , kicherten dann und nahmen die Schürzenzipfel in den Mund , und die kleinen Kinder versteckten ihre blonden Flachsköpfe schüchtern in den Röcken der Mädchen .
Auf dem Anger trieb noch immer der alte Hirte seine Schafe ; der braune Regenmantel hing trotz des warmen Wetters um seine Schultern , und der blaue Strumpf , an dem er strickte , baumelte wie sonst vor ihm hin und her .
Sein Hund spitzte die Ohren und sprang herbei , die Pferde anzubellen , wie es einmal alle Hunde zu tun pflegen , bis Friedrich , unser alter Kutscher , ihn mit der Peitsche fortjagte , und der Schäfer rückte grüßend an dem breitkrempigen Hute .
Nun endlich kamen wir zu den ersten Häusern unseres Dorfes ; es war Bauer Fechners Grundstück , ich kannte es wohl , kannte auch die weißbaumwollene Quaste , die da zum Fenster heraus nickte ; sie saß auf einer eben solchen Mütze , und das alte gute Gesicht darunter glänzte vor lauter Vergnügen , als ich ihm meinen fröhlichen Gruß zurief .
Jetzt reihte sich Haus an Haus , überall war ich bekannt , überall blickten gute Freunde zu den kleinen Fenstern heraus , saßen alte Bekannte auf der Bank vor der Haustür .
Hier die alte Armgard , bei der wir so oft Honig gegessen , dort Bauer Niklas , der zur Obstzeit im Garten half , da der gutherzige kleine Schuster , der uns Kindern die Schuhe flickte ; dann wieder junge Mädchen , mit denen ich eingesegnet worden , Kinder , die mit meinen Geschwistern gespielt , o es war gar kein Aufhören mit Grüßen , Anrufen und Händeschütteln ; ich wäre am liebsten aus dem Wagen gesprungen , doch das litt Papa nicht .
Und nun kamen wir an unser Gehöft , unser liebes prächtiges Wohnhaus mit den grünen Fensterladen und dem hohen Giebel , auf dem das Storchnest saß , in dem wirklich die Störche wieder Junge hatten , gerade wie sonst , als ich zu Hause war .
Die alten Linden beschatteten wieder den Platz vor dem Hause , und da , richtig da kamen die kleinen Brüder in ihrer Eselequipage , Lieschen mitten drin sitzend wie eine Dame .
" Halt still , Kutscher , ich muß hinaus , ich kann es nicht länger im Wagen aushalten ! "
Fast erdrückt haben mich die Jungen , als sie sahen , ich war es , die ihnen entgegen kam .
Und nun ging es im Jubel nach dem Hause !
Meine Mama wollte ich gar nicht wieder los lassen ; ich lachte und weinte durch einander , und dann fiel ich immer wieder Allen der Reihe nach um den Hals .
Und dann kamen die Dienstleute im Hause heran , deren Augen glänzten in alter Anhänglichkeit , und nun ging es von einer Stube zur anderen , von einem Winkel in den anderen ; alles mußte ich wiedersehen , mußte allem zeigen , daß ich noch lebte und nun wieder zu Haus sei !
In Hof und Garten , in Ställen und Remisen , überall schleppten mich die Jungen umher ; ich mußte alles ansehen , überall hatten sie mir etwas Neues zu zeigen , bald hier junge Tauben und Hühner , bald dort das kleine Kalb der schwarzen Bleß , oder die neue Schaukel im Schuppen und das hübsche Taubenhaus im Hühnerhofe .
Und wie waren die Kinder alle gewachsen !
Hannchen zählte drei Jahre weniger als ich und war der kleinen Mama fast schon über den Kopf gewachsen !
Eduard , der ein Jahr jünger war als ich , verlebte gerade seine Ferien zu Hause .
Er sah etwas blaß aus , der gute Junge , es war gewiß vom Wachsen , denn er überragte mich ein gutes Teil , und ich war auch nicht gerade ein Liliput .
Und Anton , der stramme Bursche , und die Kleinen , Max und Ulrich und Lieschen , wie frisch und prächtig sahen sie Alle aus ; ich mußte sie immer wieder küssen trotz ihrer nicht sehr sauberen Gesichtchen , die mit allerlei Dorfstraßenresten verziert waren .
" Was du für ein stattlich Mädchen geworden bist , Gretchen ! " sagte die Mutter , mich mit frohen Blicken musternd .
" Die Stadtluft scheint dir gut zu bekommen . "
" Sie sieht wie eine Dame aus , höllisch fein ! " bemerkte der Gymnasiast und zupfte an den sehr zweifelhaften Bartsprossen auf seiner Oberlippe .
" Hast du mir was mitbracht , Gretsen ? " sagte die kleine Liese , und zog an den Schnüren meiner Reisetasche .
" Ja auspacken , Gretchen , auspacken ! " riefen auch die anderen Kinder , und nun ging es an ein Wühlen und Kramen in meinen Sachen , daß ich die kleinen Quälgeister ernstlich abwehren mußte .
Am besten geschah dies , indem ich ihnen die Geschenke an Naschereien gab , die ich ihnen " mitbracht " , wie Lieschen sagte .
Dann machte ich mich selbst über das Auspacken meiner Sachen , und mit innigem Behagen räumte und kramte ich in dem niedlichen Stübchen , das Mama mir jetzt als Eigentum anwies .
Ein eben solch zierliches Himmelbett , wie ich bei Tante Ulrike besessen , schmückte auch hier mein Zimmer ; die gute liebe Mama hatte mich damit gar freudig überrascht , und über meiner Kommode hing , von einem grünen Kranze umschlungen , Tante Ulrike's Bild !
O das war doch gar zu schön und zart !
Mit Tränen des Dankes und der Liebe küßte ich die beste der Mütter , und unter dem Bilde der Tante fanden augenblicklich meine beiden lieben Freundinnen Marie und Eugenie ihren Platz .
Nun hatte ich sie alle beisammen , und jeden Abend und jeden Morgen nickte ich ihnen zu und schickte den Lieben in der Ferne die innigsten Grüße .
Neben meiner Stube schlief Hannchen , deren besondere Erziehung und Aufsicht meine gute Mutter mir nun anvertraute .
" Ich denke , du wirst eine gelehrige Schülerin in dem Kinde haben , " sagte Mama dabei .
" Es ist das beste Mittel für dich , deine eigene Erziehung nicht wieder zu vernachlässigen , wenn du der Schwester als gutes Vorbild dienen willst .
Nun kannst du zeigen , ob du bei der Tante etwas lerntest . "
Ich freute mich unbeschreiblich über das Vertrauen , das Mama in mich setzte , indem sie mir Hannchens Erziehung übergab .
Schon während meines Aufenthaltes bei Tante Ulrike war dieser Wunsch oft in mir rege geworden ; denn meine sanfte Schwester , welche viel zierlicher und anmutiger war , als ich selbst je im Leben gewesen , wuchs gleich mir in ländlichen Sitten und Manieren empor , wie wir sie zu Haus eben nicht anders kannten .
Was Tante Ulrike nun an mir Gutes und Liebes getan , das sollte jetzt meinem hübschen Schwesterchen zu Gute kommen , das war mein innigster Herzenswunsch , und die Liebe und Fügsamkeit , mit welcher das sanfte Kind mir entgegentrat , erneuerte mein Verlangen .
Außerdem hoffte ich jetzt , meiner zarten Mama die Sorgen des Hauswesens durch treue Hilfe zu erleichtern und die kleinen Geschwister , besonders Lieschen , unter meine besondere Aufsicht zu nehmen .
Papa hatte seit Kurzem einen Hauslehrer engagiert , welcher die Knaben in Zucht hielt und unterrichtete , und bei ihm nahm auch Hannchen ihre Stunden .
Nun sollte auch ich noch seine Schülerin werden , da er sich erbot , mir in Sprachen und Musik einige Nachhülfe zu erteilen .
Natürlich nahm ich dies mit Dank an , und so lag denn ein stilles , schönes , glückliches Leben vor mir , voll Tätigkeit und Freude im Kreise meiner Lieben , und die Erinnerung an die vergangenen Tage in Berlin schmückte dieses Stillleben mit freundlichem Glanze .
Ein eifriger Briefwechsel verband mich außerdem mit den fernen Freunden ; denn sowohl die Tante als Marie schrieben mir lange , ausführliche Briefe , welche mich von allem unterrichteten , was sich in ihrem Kreise zutrug .
Eugenie schrieb seltener , denn Briefschreiben war nicht ihre Sache , das wußte ich wohl ; um so dankbarer nahm ich deshalb aber ihre heiteren , neckischen Briefchen auf , welche , wie die anderen Lebenszeichen meiner Lieben , immer großen Jubel erregten .
Mit welcher Ungeduld erwartete ich stets den Boten , der drei Mal wöchentlich unsere Postmappe mit Zeitungen und Briefen aus der nächsten Stadt brachte !
Stundenweit lief ich ihm oft entgegen , wenn ich auf Nachricht von Tante Ulrike oder Marie hoffte , und die Erfüllung dieser Erwartungen war der größte Festtag für mich .
Eines Tages aber kam eine sehr traurige Nachricht , welche mich tief bewegte .
Tante Ulrike hatte mir schon einige Male mitgeteilt , daß Eugeniens Mutter sehr leidend zu sein scheine .
Ihren versprochenen Besuch auf Schloß Sänftenburg hatte sie aufgeben müssen , und Eugenie war deshalb mit dem Baron zu ihr gereist , um ihr den geliebten Gatten vorzustellen .
Sie hatte die lebenslustige Frau sehr verändert gefunden , zwar immer noch voll Interesse für alle Eitelkeiten des Lebens , aber doch viel teilnahmloser und matter als früher , und von einer Weichheit des Gemütes und einer Sehnsucht nach teilnehmender Umgebung , daß Eugenie in ihrer Herzensgüte sich kaum von ihr trennen konnte .
In Folge ihrer Mitteilung kehrte Herr von Jagow augenblicklich zu seiner Gattin zurück , kam aber nur eben zur rechten Zeit , um der schwer Erkrankten ihre letzten Lebenstage zu verschönen .
Ein schleichendes Fieber , das jetzt mit aller Macht ausgebrochen , setzte ihrem Leben ein Ziel ; aber was die gesunde , lebensfrische Frau nie erkannt hatte , das empfand jetzt die Sterbende voll bitterster Reue .
Ihr letztes Wort an ihren Gatten war eine Bitte um Vergebung des Leides , das sie ihm angetan , ihr letzter Blick ein Dank für seine treue , unverdiente Liebe .
So hatte denn der Tod dieses Leben geendet , das so wenig im Stande gewesen , Glück und Segen um sich zu verbreiten !
Eugenie betrauerte die Mutter aufrichtig , denn ihr gutes Herz hing an derselben trotz aller Fehler und Schwächen , welche sie besessen .
Sie wußte ihren tief gebeugten Vater zu bestimmen , die erste Trauerzeit in ihrem Hause zu verleben , und die Liebe seiner Kinder war der schönste Ersatz für alle Leiden und Entbehrungen , welche diesen edlen Mann so schwer getroffen .
Über seine fernere Zukunft war er für den Augenblick noch unentschlossen ; doch durch einen Brief Eugeniens erfuhr ich , daß ihres Vaters innigster Wunsch dahin gehe , Tante Ulrike zu bestimmen , mit ihm zusammen zu ziehen , wodurch sein einsames Leben wieder Reiz erhalten , und das so lange entbehrte Glück einer stillen Häuslichkeit ihm sein Alter versüßen würde .
Ich zweifelte keinen Augenblick daran , daß Tante Ulrike , welche von jeher mit besonderer Liebe an dem einzigen Bruder ihres Gatten gehangen , den Wunsch desselben erfüllen werde ; auch ihr Leben erhielt dadurch neue Bedeutung , ihre Tätigkeit einen so passenden Wirkungskreis .
Freilich mußte sie alsdann Berlin verlassen , wo sie so lange Jahre gelebt , denn Herr von Jagow kehrte jetzt wieder in seine Stellung nach Braunschweig zurück ; aber diese edle , allgemein verehrte Frau verstand ohne Zweifel , sich überall eine schöne Heimat zu schaffen ; an ihr mußten sich die Worte Schillers bewähren , welche er in der Huldigung der Künste seinem Genius auf die Lippen gelegt , als die junge Erbprinzessin von Weimar aus ihrer russischen Heimat in deutsche Erde verpflanzt wurde , gleich jenem fremden , blühenden Baum , den die Landleute pflanzten :
Ein schönes Herz hat bald sich heim gefunden , Es schafft sich selbst , still wirkend , seine Welt .
Und , wie der Baum sich in die Erde schlingt Mit seiner Wurzeln Kraft , und fest sich kettet , So rankt das Edle sich , das Treffliche , Mit seinen Taten an das Leben an .
Schnell knüpfen sich der Liebe zarte Bande , Wo man beglückt , ist man im Vaterlande .
Und sie beglückte immer und überall , die beste der Frauen ; ihr ganzes Leben war eine Kette steter Opfer und Liebesbeweise , welche sie ihren Mitmenschen darbrachte , wie sollte sie da nicht auch jetzt Segen in das Haus bringen , das sie zur Heimat erwählte !
Eugenie war glücklich in diesen Plänen und Hoffnungen und ich mit ihr , denn wie sehr alle meine Interessen mit denen meiner Lieben in Berlin verknüpft waren , das sah ich erst ganz , nachdem ich von ihnen geschieden .
22. Nachtrag .
Ein ganzes Jahr war vergangen seit dem Tage meiner Heimkehr in das Vaterhaus , da schaute die Sonne eines Morgens mit ganz besonderem Glanze in das Fenster meines Stübchens im Giebel .
Es war noch sehr früh , der kühle Herbstmorgen braute weißlich graue Nebel über den Wiesen ; auf dem bunten Laube der Bäume , das die Wege im Garten schon reichlich deckte , blitzte der feuchte Tau , und einzelne Blätter trug der Wind bis zu meinem Fenster empor , aus dem ich still sinnend meine Blicke in die Ferne hinaus schweifen ließ .
Auf dem Dorfe lag noch Ruhe und Schlaf , nur über mir im Storchnest wurde es lebendig ; die Alten klapperten ihrer kleinen Gesellschaft den Morgengruß zu , und bald begannen sie die Jungen im Fliegen zu unterrichten , denn die Zeit ihrer Abreise war nahe , und wehe dem Storche , der dann den langen Flug über das weite Weltmeer nicht aushalten kann : unbarmherzig wird er von seinen Gefährten getötet , da er ihnen auf der Reise nur hinderlich ist .
Weit über die Häuser des Dorfes schwebten sie hinweg und ihr weißes Gefieder glänzte im Sonnenschein .
Jetzt tönte auch das Morgenlied der Lerche an mein Ohr ; hoch in den blauen Äther schwirrte sie hinauf , und aus den gelben Stoppelfeldern , aus denen sie aufstieg , flatterte zu gleicher Zeit ein Volk Rebhühner kreischend empor .
Ruhe und Frieden , welche über der ganzen schönen Gotteswelt lagen , erfüllten auch meine Seele , und mit dankbar frohem Herzen blickte ich auf zu dem Vater dort oben und bat um Seinen ferneren Schutz und Segen , dessen ich in der vor mir liegenden Zeit doppelt bedurfte .
Da legten sich zwei Arme um meinen Hals und zwei hellblaue sanfte Augen blickten mir liebevoll in das Gesicht .
" Guten Morgen , meine Grete !
Gott segne dich ! " sagte eine sanfte Stimme , und weiche Lippen drückten sich auf die meinen .
" Wie , du schon wach , Marie ? " rief ich erstaunt , und blickte der Freundin in das rosig frische Gesicht ; denn sie war es , die mich begrüßte , meine liebe teure Marie .
" Ich hatte auch keine Ruhe mehr in den Federn ! " entgegnete sie heiter .
" Die Freude raubt den Schlaf gerade wie der Schmerz .
Übrigens ist es auch gut , daß ich zeitig aufstehe , wir haben heute noch gar viel zu besorgen .
Ich werde mir Hannchen wecken und mit ihr den Garten plündern .
Viel Blumen gibt es freilich nicht mehr , aber etwas wird der Herbst uns schon noch liefern .
Im Notfall nehmen wir buntes Laub statt der Blumen , für Girlanden ist alles zu gebrauchen . "
Bald sah ich die beiden hübschen Blondinen , Marie und Schwester Hannchen , in ihren hellen Morgenkleidern durch den Garten schlüpfen , und wie Bienen von Blume zu Blume schwebend zwischen den Bäumen verschwinden .
Überall wurde es nun lebendig .
Von allen Seiten ertönte der gleichmäßige Schlag der Drescher rings im Dorfe , Hunde bellten , kleine Kinder trippelten halb angekleidet aus den Türen , Fenster wurden geöffnet , feiner Rauch wirbelte aus den Schornsteinen empor , Stimmen erklangen nah und fern , und die Frühglocke läutete .
Nun duldete es auch mich nicht länger im Zimmer ; eben wollte ich den jungen Mädchen in den Garten nacheilen , da öffnete sich unter mir ein Fenster , und eine fröhliche Kinderstimme krähte in die Morgenluft hinein .
Wie ein Pfeil schoß ich die Treppe hinab , dem Stimmchen nach .
An dem offenen Fenster stand eine schöne stattliche Amme in fremdartiger Tracht , und aus ihrem Arme tanzte ein prachtvoller dicker Knabe von nur wenig Monaten , und streckte mir krähend seine runden Arme aus den fein gestickten weißen Hemdchen entgegen .
Ich kletterte außen an dem Fenster hinauf , küßte den Engelsjungen und ließ meine Blicke durch das Fenster schweifen .
Im Hintergrunde desselben lag eine bildschöne junge Frau im Bette und nickte mir freundlich zu .
" Guten Morgen , Eugenie , du kleiner Faulpelz ! " rief ich grüßend .
" Dein Sohn artet nicht nach dir , der ist schon frühzeitig munter ! "
" Das weiß der liebe Himmel ! " sagte die junge Frau , sich dehnend .
" Der kleine Quälgeist wacht mit der Sonne auf wie ein echter Bauerjunge . "
" Das macht , weil er bei deinem Gänseblümchen , der Bauerdirne , in Kost und Wohnung ist , " lachte ich neckend .
" Schöne Anlagen das zu einem jungen Baron ! "
" Ein abscheulicher Bengel , ein wahrer Backfisch in Jungengestalt ! " rief Eugenie .
" Und auf den ist der Herr Papa so stolz , wie ich mein Lebtag noch keinen Menschen gesehen habe .
Mich wundert nur , daß er sich für acht Tage von ihm trennen konnte .
Ob ich fortging , das hatte gar keine Bedeutung , da hieß es :
" Du bist es Gretchen schuldig , hast es ihr längst schon versprochen ; ich werde auch kommen , sobald die nötigsten Arbeiten besorgt sind , es soll ja nur eine kurze Trennung sein u. s. w. "
Aber der Junge , daß er den ein paar Tage entbehren sollte , war das ein Unglück !
O es ist zum Davonlaufen mit solchem Bären von einem Manne ! "
" Nun du bist ihm ja auch davon gelaufen , " rief ich voll Ergötzen und schwang mich auf das Fensterbrett , um mit dem Kleinen zu tändeln .
Eugenie war indessen aufgestanden und trat nun zu uns , und die stolze Mutterliebe , mit dem sie ihren Knaben auf den Arm nahm , konnte unmöglich von der Zärtlichkeit des Papa's übertroffen werden , so sehr die junge Frau auch über dessen Vaterstolz schalt .
Es war ein reizendes Bild , die schöne Mutter mit dem blühenden Knaben im Arm , Beide in feine weiße Morgenkleider gehüllt ; neben ihnen die stattliche Amme in ihrer fremden Tracht , und zur Seite die grünen Zweige eines Akazienbaumes , durch welche einzelne Sonnenstrahlen hindurch fielen .
Aber lange blieben wir nicht allein .
Bald ging die Haustür auf , und meine jüngeren Geschwister , " die Rotte Korah " , wie Eugenie sie nannte , stürmten heraus .
Ich sprang von meinem Fenstersitz herab , und das war gut , sonst hätten mich die kleinen Feuergeister herunter gerissen , so fuhren sie alle auf mich los .
" Frischen Kuchen , Gretel !
Frischen Kuchen , komme geschwind ! " riefen sie durcheinander .
" Sechs große Napfkuchen , zehn Zuckerkuchen mit Rosinen , drei Streuselkuchen , acht Pflaumenkuchen , und noch viel mehr , komme doch nur , im Backhause kannst du alles sehen ! "
" Und der Gärtner schneidet die letzten Weintrauben vom Spalier , und wir sollen die Birnbäume schütteln und die Pflaumenbäume , - und Kathrine schlachtet die fettsten Truthähne , - und Herr Kandidat Reier macht mit dem Kutscher im Garten das Feuerwerk zurecht , und wir sollen die bunten Ballons an die Bäume hängen ! " so rief und jubelte es durch einander , daß man kaum ein Wort deutlich verstehen konnte .
Es half nichts , ich mußte mit ihnen kommen und alles mit ansehen , wovon sie erzählten .
Bald zogen sie mich unter die Obstbäume im Grasgarten , bald zu den Hühnern und Tauben auf dem Hofe ; hier mußte ich die süßen Trauben kosten , die der Gärtner mir reichte , dort wieder den köstlichen Duft des frischen Kuchens einatmen , der in großer Menge aufgehäuft lag .
Überall war Leben und Geschäftigkeit , und überall schwirrten die lebhaften Kinder umher , die natürlich Jedermann im Wege waren und von Einem zum Anderen liefen , um zu fragen , ob sie etwas helfen könnten .
" Kommt , wir wollen mit Marie und Hannchen Kränze winden ! " rief ich endlich , um Mama von der lästigen kleinen Bande zu befreien .
Im Jubel zogen wir denn Alle nach der Weinlaube im Blumengarten , wo wir die beiden jungen Mädchen mitten unter bunten Girlanden und Blumen geschäftig fanden .
Sobald sie mich erblickten , kamen sie freudig auf mich zu , und Marie setzte mir einen wunderschönen Kranz von kleinen roten Astern auf den Kopf , so sehr ich mich auch dagegen sträubte .
" Rosen gibt es nicht mehr genug , so müssen wir Hilfstruppen suchen , um dich zu krönen , " sagte sie , indem sie mich küßte .
" Du bist heute die Königin des Festes und mußt eine Krone tragen , damit alle Welt dich kennt und dir huldigt . "
" Morgen ist ja erst der Hauptfesttag , heute darf ich doch noch keinen Kranz tragen ! " rief ich freudig errötend .
" Nein , nein , morgen tun es keine solch gewöhnlichen Blumen , da muß das uns Jungfrauen geheiligte grüne Reis dieses schwarze Haar zieren , " sagte Marie pathetisch und umarmte mich von Neuem .
" O meine Grete , " fuhr sie weich und zärtlich fort , " wie freue ich mich , daß ich diesen Tag mit dir erleben kann ! "
Mir schossen die Tränen in die Augen , und ich hielt die Freundin meines Herzens umschlungen .
" Guten Morgen , meine Damen ! " ertönte jetzt eine klangvolle Männerstimme neben uns , und aufsehend erblickten wir unseren lieben Freund und Nachbar , den jungen Pfarrer Baumhard , an unserer Seite .
Herzlich erfreut reichte ich ihm die Hand zum Gruß , und plaudernd gingen wir drei eine Weile im Garten umher .
Doch bald wurde ich abgerufen und ließ Marie bei unserem Gast allein zurück , meine Wiederkehr erwartend .
Ich wurde länger aufgehalten , als ich gedacht und meinte den Pfarrer nicht mehr zu treffen ; aber als ich einen der dunklen Lindengänge hinauf schritt , fand ich die Beiden neben einander auf einer Bank sitzend , Maries liebes Gesicht von dunkler Glut überzogen , und den Pfarrer mit freudig strahlenden Augen .
Ein einziges Wort unseres Freundes sagte mir alles .
Lange schon hatte ich die keimende Liebe dieser Beiden bemerkt ; heute am Vorabende meines eigenen Hochzeittages hatte Marie sich dem braven Manne verlobt .
" Aber bitte , Fräulein Gretchen , schweigen Sie noch bis morgen , " bat der Prediger .
" Ich hätte selbst meine Erklärung gegen meine geliebte Marie verzögern sollen , bis der morgende Tag vorüber war ; aber ich konnte es nicht länger ertragen , über mein Geschick in Ungewißheit zu sein , morgen besonders , wo ich den Liebesbund von Marie's treuester Freundin einsegnen soll .
Aber da ich nun Gewißheit habe , daß auch ich glücklich werden soll , ist alles klar und gut in mir , und ich habe Ruhe und Sammlung im Gemüt .
Morgen , nachdem ich Sie eingesegnet , teure Freundin , mag die Welt auch von unserem Bunde erfahren ! "
Der stille , innigste Wunsch meines Herzens war erfüllt , Marie sollte die Gattin des Mannes werden , den wir Alle so unbeschreiblich verehrten , seit er vor zwei Jahren unser Pfarrer geworden .
Marie liebte ihn vom ersten Tage an , das wußte ich , und jede Stunde ihres Aufenthaltes bei uns gab ihrer Liebe neue Nahrung , denn Pastor Baumhard war unser täglicher Gast , unser vertrautester Hausfreund .
Aber Woche um Woche verging , Marie war schon fast zwei Monate bei uns , und immer noch erfolgte keine Verlobung , obwohl der Pfarrer Marie entschieden auszeichnete .
Doch Marie war das blödeste , schüchternste Mädchen ihm gegenüber , ich begriff sie nicht , und so war es auch ihrem Verehrer gegangen , bis dieser endlich gewaltsam die Pforte ihres Herzens erbrach , die ihm Einsicht gab in das Paradies seiner Zukunft .
Nun war alles gut , nun konnte auch ich den kommenden Festtag ruhig erwarten .
Ja , meine lieben Freundinnen , es war wirklich mein Hochzeittag , zu dem diese Vorbereitungen alle getroffen wurden .
Schon fast ein Jahr lang war das einstige Backfischchen eine glückliche Braut , und stand nun am Ziele aller Wünsche und Hoffnungen .
Und wer war der Bräutigam ?
Solltet ihr das nicht längst erraten haben ?
Ihr dachtet vielleicht sogar früher als ich selbst daran , während ihr die vorhergehenden Blätter gelesen .
Ach mein junges Herz barg freilich wohl lange schon Gefühle in sich , welche diesem Ziele zustrebten , aber ich war über dieselben so völlig im Unklaren , daß ich durchaus gar nicht wußte , was mir nur fehle , seit ich wieder in das Elternhaus zurückgekehrt war .
Diese unaussprechliche Sehnsucht nach allem , was mit Berlin in Zusammenhäng stand , dieses krankhafte Verlangen nach Nachricht von dorther , dieses ewige Unbehagen bei allem , was ich dachte und arbeitete , quälte mich unbeschreiblich .
War ich nicht grenzenlos undankbar für alle das Gute und Schöne , das mich jetzt im Vaterhause wieder umgab , und das mich so wenig befriedigen konnte ?
Ich machte mir unaufhörlich die bittersten Vorwürfe darüber , vergrub mich mit leidenschaftlicher Heftigkeit in alle möglichen Arbeiten , um meine Gedanken zu zwingen , trieb mit Hannchen Französisch und Englisch , musizierte mit Herrn Reier , half Mama in Küche und Wirtschaft , spielte mit den kleinen Geschwistern selbst wie ein Kind , - es war alles umsonst !
Immer wieder ertappte ich mich beim trüben , unklaren Dahinbrüten , und alle Lust und Freudigkeit schien mir entfliehen zu wollen .
So waren die ersten beiden Monate verstrichen , seit ich wieder in die Heimat zurückkehrte .
Da kam eines Tages ein Brief an mich - ein Brief von einem Freunde aus Berlin - und wenige Tage darauf der Schreiber selbst .
O nun wurde mit einem Male alles anders !
Wie Schuppen fiel es von meinen Augen ; jetzt wußte ich , was mir gefehlt , was meine leidenschaftliche Sehnsucht bedeutete .
Wie helles Morgenrot leuchtete es empor an dem trüben Himmel , der mich umgeben , die Sonne des Glückes und ungeahnter Freude ging meinem jungen Leben auf !
Ich war Braut , Braut des Mannes , der mir der Herrlichste schien von allen Männern , die ich je gesehen , der mir nun sagte , daß er mich liebe , seit jenem Augenblicke liebe , wo ich ihm so unbefangen kindlich entgegen getreten , und der seitdem keinen anderen Wunsch mehr gehabt , als mich zu erwerben .
O welch namenloses Glück kann doch ein kleines Menschenherz umfassen !
Welch namenloses Glück barg jetzt mein liebes trautes Vaterhaus !
Und nun war der Tag erschienen , der mich ganz glücklich machen , mich ganz mit dem vereinen sollte , außer welchem es für mich keine Freude mehr auf der Welt gab .
Alle meine Freunde hatten mir versprochen , zu dem Feste zu kommen .
Marie war schon wochenlang bei uns , ihre Eltern und Eduard wurden erwartet , Eugenie hatte sich mit ihrem Prachtsöhnchen aufgemacht , mir ihren Anteil zu beweisen , ihren Gatten , ihren Vater und vor allem Tante Ulrike erwarteten wir heute , und wer fehlte nun noch ?
Die Wagen rollten durch das Dorf , die Hunde bellten , die Dorfjugend jubelte , und die Kutscher verkündeten mit der Peitsche knallend ihre Ankunft .
War das ein Leben unter den Linden vor unserem Hause !
Papa und Mama flogen Tante Ulrike an das Herz , Marie wanderte aus einem Arm in den anderen , Eugenie versank vollständig bald in dem weiten Reisemantel ihres Vaters , bald in des Barons Armen , der Frau , Kind und Amme zu gleicher Zeit umschlang und sich umherspringend gebärdete wie ein toller Junge , trotz seines noch immer etwas steifen Fußes .
Und ich ?
Ja ich habe das alles eigentlich nur vom Hörensagen , denn ich sah nichts über mir als zwei blaue Augen , darin der ganze Himmel wohnte , und wurde von zwei Armen so fest umschlungen , daß ich von der ganzen übrigen Welt nichts sehen und hören konnte .
- Wie ?
Waren denn wieder Zigeuner in der Nähe , daß ich mich so stürmisch an diese Brust flüchtete ?
" Onkel Hausmann , Lieschen will auch guten Tag sagen , " rief es jetzt neben uns , und mein kleines Schwesterchen drückte ihren braunen Lockenkopf an die Knie dessen , der mich gar nicht wieder los zu lassen Miene machte .
" Guten Morgen , meine liebe kleine Schwägerin ! " rief der Angeredete nun fröhlich , indem er mich frei gab und Lieschen zu sich emporhob .
Jetzt drängten sich auch die Knaben herbei , den Schwager zu begrüßen , auf den die kleinen Burschen sehr stolz waren ; Vater und Mutter hießen den geliebten Schwiegersohn willkommen , aber ich fand kaum Blicke und Worte genug zur Begrüßung der vielen lieben Gäste , welche mir alle so warme Glückwünsche entgegen brachten .
Unser liebes altes Wohnhaus war gewiß sehr verwundert über die vielen Fremden , die es in seinen Mauern aufnehmen mußte ; aber es blickte so stolz und stattlich durch die alten Lindenbäume hernieder , als wisse es die Ehre zu würdigen , die ihm wurde , und die Störche auf dem Giebel klapperten lustig ein lautes Willkommen .
Von allen Seiten fuhren jetzt noch liebe Freunde , Verwandte und Nachbarn herbei , welche das Fest mit uns begehen wollten , und in den schattigen Gängen des Parkes , wie in Haus und Hof schwirrte es lustig durcheinander .
Ein herrlich warmer Herbsttag gestattete uns den Aufenthalt im Freien , und so ließ Papa auf dem Platze unter den Linden die Mittags- und Abendtafeln für alle die aufschlagen , welche drinnen im Hause keinen Raum mehr fanden .
Es war ein fröhliches Treiben , und Lust und Freude belebte alle Gemüter ; ich aber war die Glücklichste von allen , und wenn auch meine Lippen nicht aussprechen konnten , was mein Herz so unnennbar beseligte , in meinen Augen stand es sicher deutlich geschrieben , denn diese Augen sahen nur eins , und das war der Geliebte meiner Seele , Theodor Hausmann .
Den Abend dieses freundlichen Festes beschloß ein prächtiges Feuerwerk , das Herr Reier im Garten abbrannte .
Den Schluß desselben bildete ein höchst ergötzliches Transparent , das sich auf meinen Aufenthalt in Berlin bezog , und dessen Urheber die gottlose Eugenie gewesen .
Rings um das Mittelbild gruppierten sich kleinere Szenen .
Da war denn z. B. Backfischchens erste Reise dargestellt , aus nichts bestehend als aus einem Haufen Schachteln , Paketen und Kisten , über denen hoch oben ein Mädchenkopf schwebte .
Ferner Backfischchen in großer Bedrängnis , die Szene bei Geh. Rat Delius , wo ich hoch aufgeschürzt mit triefendem Schirm und zerrissenen Handschuhen Amanda gegenüber auf der Stuhlecke schwebe , und dicke Schweißtropfen von Stirn und Regenschirm auf den Fußboden rollen .
Dann die Straßenscene , in der ich Marie um den Hals fliege , indes ein daneben stehender Stutzer seine Arme verlangend nach uns ausstreckt .
Dann vor allem Backfischchens erstes Rencontre mit dem Freunde :
unser trauliches Gespräch in jener Gesellschaft , belauscht von umstehenden Gästen , in der Ferne Tante Ulrike , die sich verzweiflungsvoll das Haar rauft .
Natürlich auch Backfischchen im Ballfieber , wie sie eben im Begriff ist , Tante Ulrike in die Kleidertasche zu kriechen , später dann die Überreichung des Kotillonordens an " den Freund " , alles war dargestellt .
So ging es fort .
Unzählige kleine peinliche Momente , die ich während meines Aufenthaltes in Berlin zu bestehen hatte , gab die lose Eugenie in possierlicher Darstellung zur Schau , und Eduard , als würdiger Bänkelsänger , erklärte in köstlichen Reimen dem Publikum die Bilder zu dieser wunderbaren Geschichte .
Die Hauptsache aber war das Mittelbild , betitelt : " Beelzebubs Meisterstück , eine schreckliche Mordgeschichte , zur Warnung für alle Backfischchen . "
Ein Trupp wilder Teufelchen , als Zigeuner gekleidet , stürzt , Keulen , Knüttel und andere Waffen schwingend , aus dem Gebüsch hervor , gerade auf ein junges Mädchen los .
Dieses aber fliegt mit ausgebreiteten Armen einer Gestalt entgegen , welche soeben auf einer Wolke zu ihr hernieder schwebt , und die zwar mit Flügeln und einem Strahlenkranze versehen ist , wie man die Engel darstellt , deren Pferdefuß aber und kleine Bockshörnchen nichts weniger als einen Engel vermuten lassen .
Er trägt die Züge Th. Hausmanns , und streckt der Flehenden die Arme entgegen , um sie in sein Reich zu entführen , das hinter ihm als höllisches Feuer lodert .
Der Schluß dieses Wunderwerks lautete dazu : Darum , lieben Mädchen , habt wohl Acht , Nun wißt ihr , wie_es Herr Satan macht !
Mit siebzehn Jahren komme ja Dem Eibsee Keine je zu nah , Sonst geht es wie jenem Backfisch ihr , Verloren ist sie für und für .
Daß diese lustige Geschichte unerschöpfliche Heiterkeit erregte , war sehr begreiflich , und auch ich konnte der schelmischen Eugenie keinen Moment zürnen , so sehr sie mich auch mitgenommen hatte .
Verwundert war ich nur , woher sie so manche kleinen Züge kannte , die sie selbst doch nicht mit erlebt hatte , besonders diese Schlußscene ; aber sie war ja ein pfiffiger kleiner Schalk gewesen , so lange ich sie kannte , und der blieb sie ihr Lebenlang , obwohl sie jetzt eine ganz vortreffliche Gattin und Mutter geworden .
Und das beste Herz schaute immer hinter dem Schelmgesicht hervor , das sollte ich auch an diesem unvergeßlichen Tage erfahren .
Ihre Schalkhaftigkeit hatte sogar die würdige Tante Ulrike bewogen , mir gemeinsam mit ihr ein ebenso kostbares als neckisches Hochzeitgeschenk zu machen , welches Eugenie mir mit einem höchst launigen Gedichte überreichte .
Das Geschenk der Tante bestand in einem " Backfischchen " , wie sie sagte , einem wunderschönen elastischen Armband in Gestalt eines goldenen Fisches , der sich in den Schwanz beißt und dessen Augen von zwei köstlichen Diamanten gebildet wurden .
Eugenie brachte mir ebenfalls mein Ebenbild , wie sie behauptete , nämlich ein " Gänseblümchen " .
Es war dies eine kostbare Broche , allerdings in Gestalt einer großen Gänseblume , deren Blumenkrone jedoch von lauter kleinen Brillanten gebildet wurde , welche auf goldenen Blättern ruhte .
Diesem ebenso geschmackvollen als kostbaren Geschenk fügte der kleine Schelm noch eine zierliche Handarbeit hinzu und zwar - ein Paar eben solch hellblauseidener Pantöffelchen , als sie selbst einst bei ihrer Ankunft in Tante Hause an die Füße gezogen , und welche mir so vielerlei Stoff zur Verwunderung und Ärger gegeben hatten .
Außer diesen und zahllosen anderen Geschenken , mit denen wir von allen Seiten erfreut wurden , erwähne ich nur noch eines geschmackvollen Kissens , auf welches meine sanfte Marie einen Strauß blauer Vergißmeinnicht gestickt hatte , und das als Unterlage diente zu dem blühenden Myrtenkranze , den sie mir überreichte .
Wie schön die Stunden waren , an denen dieses grüne Reis am folgenden Tage meine Stirn schmückte , das zu beschreiben bin ich nicht im Stande .
Mein Herz war so voll Dank und Rührung über alle das namenlose Glück , das Gott mir bereitet , über all die Liebe , die mein Leben verschönte , daß ich für die Außendinge und die äußeren Festlichkeiten dieses Tages wenig Sinn und Gedanken übrig hatte .
Es war , das könnt ihr glauben , eine rechte , echte , große Landhochzeit , und was das heißen will , welche Verschwendung an Blumenkränzen und Lichtern in Haus und Kirche , welche zahllosen beputzten Dorfbewohner , welch Glockengeläut und welcher Jubel , welche Fülle von Kuchen und Getränken und Festessen , und endlich welch ' fröhlicher Tanz unter unseren Linden von Alt und Jung aus dem ganzen Dorfe ; - daß dies alles zu einer echten Landhochzeit gehört , das weiß nur derjenige ganz zu würdigen , der es einmal selbst mit erlebt hat .
Die frohe Kunde , daß unserem Hochzeitsfeste bald ein zweites folgen werde , und zwar vom Pastor Baumhard und meiner besten Marie , erregte endlosen Jubel ; denn Bräutigam sowohl als Braut wurden von Allen , die sie kannten , so allgemein verehrt und geliebt , wie wenig Menschen .
Dieser schöne Bund verherrlichte unser Fest noch um vieles , und nur schöne , harmonische Klänge waren es , die in den Herzen aller derer nachtönten , welche demselben beigewohnt .
Unter den Segenswünschen alle meiner Lieben schied ich , das Herz voll von Wehmut und Freude , noch an demselben Tage an der Seite meines Gatten von dem geliebten Vaterhause , um einer anderen Heimat entgegen zu gehen .
In Braunschweig , wo Eugeniens Vater Minister geworden , hatte Theodor die Stelle eines Regierungsrates erhalten , und hier nun , in der Nähe meiner verehrten Tante Ulrike , welche jetzt im Hause des Schwagers lebte , erblühte mir das schönste Lebensglück , das einer Frau werden kann .
Und so nehme ich denn von euch Abschied , meine lieben Freundinnen , die ihr mir freundlich folgtet durch die ernsten und frohen Tage meiner Jugend .
Möchte doch einer jeden von euch ein Glück werden , wie der gütige Gott es mir schenkte ; möchtet auch ihr einst froh und dankbar wie ich zurückblicken können auf jene Zeit eurer Jugend , als auch ihr noch zu den Backfischchen zähltet .

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TextGrid Repository (2025). Helm, Clementine. Backfischchens Leiden und Freuden. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0r4.0