Erster Band .
Lübeck und Leipzig , bei Friedrich Bohn , 1801 .
Vom Herausgeber .
Gern flieht der Geist vom kleinlichen Gewühle Der Welt , wo Albernheiten ernsthaft thronen , Auf zu des Scherzes heiteren Regionen , Verhüllt in sich die heiligsten Gefühle : Umweht ihn einmal Äther leicht und kühle , So kann er nimmer wieder unten wohnen ; Und schnell wird jenen Scherz der Ernst belohnen , Daß er sich neu im eigenen Bilde fühle .
Die Wünsche die Dich hin zur Dichtung ziehen , Der frohe Ernst in den Du da versankst , Das sei dein eigen still verborgenes Leben ; Was Du gedichtet , um ihr zu entfliehen , Das mußt Du , weil Du ihr allein es dankest , Der Welt zum Scheine scherzend wiedergeben .
Laß edlen Mut den weißen Altar gründen , Hoch Fantaste in Purpurflammen wehen , Und Liebe wirst du bald im Zentrum sehen , Wo grün die Feuersäulen sich entzünden :
Durch braune Locken wird sich Myrte winden , Der Freund mit goldenen Früchten vor Dir stehen , Die Kinder dann in Blumen zu Dir gehen , Mit Ros' und Lorbeer Dich die Schwester binden .
-- Es war der alten Maler gute Sitte , Des Bildes Sinn mit einem Strich zu sagen , Der den Akkord der Farben drunter schriebe ; So mag auch dieses Lied es kühnlich wagen , Zu deuten auf der Dichtung innere Mitte , In Farben spielend um die süßte Liebe . Florentin. 1 Erstes Kapitel .
Es war an einem der ersten schönen Frühlingsmorgen .
Allenthalben , auf Feldern , auf Wiesen und im Wald , waren noch Spuren des vergangenen Winters sichtbar , und der Härte , womit er lange gewütet :
noch einmal hatte er mächtig im Sturm seine Schwingen geschüttelt , aber es war zum letztenmal .
Die Wolken waren vertrieben vom Sturm , die Sonne durchgebrochen , und eine laue milde Wärme durchströmte die Luft .
Junge Grasspitzen drängten sich hervor , Veilchen und süße Schlüsselblumen erhoben furchtsam ihre Köpfchen , die Erde war der Fesseln entledigt , und feierte ihren Vermählungstag .
( 1 ) 2 Mutig trabte ein Reisender den Hügel herauf .
Vertieft im Genuß der ihn umgebenden Herrlichkeit und in Phantasien , die ihn bald vor- bald rückwärts rissen , hatte er den rechten Weg verfehlt , und nun sah er sich auf einmal vor einem Walde , den er durchreiten mußte , wenn er nicht gerade wieder umkehren und zurückreiten wollte ; ein anderer Weg war nicht zu finden .
Er war lange zweifelhaft .
" Jetzt wieder umkehren wäre ein unnützes Stück Arbeit .
Wäre ich etwa umsonst hierher geraten ?
In diesen Wald kam ich ungefähr auf eben die Weise wie ins Leben ... wahrscheinlich habe ich im Ganzen auch des Weges verfehlt .
Und wie ? wenn mir auch hier wie dort die Rückkehr unmöglich wäre ? ... Sei meine Reise wie mein Leben , und wie die ganze Natur , unaufhaltsam vorwärts ! ...
Was mir nur begegnen wird auf dieser Lebensreise , oder diesem Reiseleben ? ... Ich rühme mich ein freier Mensch zu sein , und dieser Sonnenschein , dieses laue Umfangen , die jungen Knospen , das Erwarten der Dinge , die mich umgeben , ist Schuld , daß auch ich erwarte ... und was ? ...
War mir doch mit allem bunten Spielzeug schon längst Hoffnung und Erwartung entflohen ! ...
Närrisch genug wäre es , wenn mich dieser Weg auch endlich an den rechten Ort führte , wie alles Leben zum unvermeidlichen Ziel . "
-- Unter diesen Betrachtungen , und Spott über sich selbst , ritt er rasch weiter , fühlte aber endlich sein Pferd ermüden , auch war er selbst durchnäßt vom nächtlichen Regen .
Er wünschte jetzt , bald irgend ein Obdach zu finden , um einige Zeit ausruhen zu können .
-- " Hab guten Mut , Schimmel ! wir müssen beide weiter ; billig ist es aber , daß du es jetzt nicht schlimmer habest als ich . "
-- Hiermit sprang er ab , machte Riemen und Schnallen am Sattelzeuge weiter , und führte das Pferd hinter sich am Zaum .
Der Schimmel wieherte und stampfte , als wollte er Zeichen seiner Zufriedenheit geben .
Sein Führer drehte sich zu ihm herum , stand still , legte seine beiden Hände an den Kopf des Pferdes und blickte es ernsthaft an .
-- " Laß dich umarmen Schimmel , sagte er , du bist ein königliches Tier ! ein Tier für Könige !
Was fehlt uns beiden , um in der Geschichte verewigt zu werden , du als ein Muster der Treue und Unterwürfigkeit , ich als ein Beispiel von menscheufreundlicher Herablassung , als daß ich einen Thron besäße , und du wärest mein Untertan ?
Gewiß bist du ganz verwundert und froh , und ohne Zweifel fühlst du dich überaus glücklich , gerade von mir und von niemand anders bis aus Ende deines treuen Lebens geritten zu werden !
Ahnst du etwa , daß ich deine Last bloß deswegen etwas leichter machte , damit du mir nicht völlig unterlägst , und darüber zu Grunde gingest , ehe ich dich missen kann ?
Ich weiß es freilich , aber du sollst es nie erfahren , denn du sollst glücklich sein ; du sollst , verlaß dich auf meine Wachsamkeit , gewiß nie in dem klugen Glauben gestört werden , daß du in deiner Unvernunft und demütigen Genügsamkeit ein glückliches Tier bist . "
-- Er ließ den Kopf des Schimmels , und stand gedankenvoll eine Weile an ihn gelehnt .
Sein Auge schweifte umher , bald beschaute es die ihn noch umgebenden Gegenstände mit dem innigsten Vergnügen , bald drang es mit Sehnsucht in die Ferne .
Es gab für ihn Momente , wo er sich keines drückenden und keines vergangenen Verhältnisses bewußt war .
Ihm war , besonders in der Einsamkeit und im Freien , als hätte er alles , was ihm jemals weh getan , zurückgelassen , und ginge nun einer heiteren Aussicht entgegen .
Er konnte sich einbilden , vor einem Augenblicke gestorben , und mit dieser besseren Empfindung in ein schöneres .
Dasein übergegangen zu sein .
-- " Welche sehnende , ahndende Hoffnung treibt mich wieder zu euch Menschen ? warum ergebe ich mich denn aufs neue euren unsinnigen Anstalten ?
Ist es mir denn nicht bekannt , daß ich dessen , was ich bei euch Sache , schon längst überdrüssig bin ? ...
Schön ist_es hier im Wald !
hier möchte ich bleiben , ... O hier , hier sollte ich bleiben ! ... allein ? ... ach , nicht allein ! ... mit ihr ! ... noch hat mein Auge sie nicht gesehen , aber ich kenne sie , ... o sie wird alles verlassen , was sie halten will , und hat sie mich gefunden , mir hierher folgen , und hier mit mir der Liebe leben .
Laß dich in meine Arme fassen ! komme , Ruhe hier aus an diesem Herzen , das harte Schläge des Schicksals erlitten hat wie deines ; laß mich deine Tränen trockenen , Blick um dich !
Was du verließest , war nicht die Welt : Fesseln , enge Mauern , nanntest du das die freie schöne Welt ? ...
Schwer hast du geträumt , o erwache , erkenne hier was du suchtest ! ...
Nicht weit von ihm fiel ein Schuß , und bald darauf hörte man ein Rufen nach Hilfe .
Im Augenblicke hatte er Sattel und Bügel wieder in Ordnung gebracht , seine Träume , des Schimmels Müdigkeit , so wie seine eigene vergessen , sich aufs Pferd ge Schwüngen und nach der Gegend hingespornt , von wo er die Stimme vernahm ; er kam auf einen kleinen runden dicht umschloßenen Platz im dicksten Teil des Waldes ; hier sprengte ihm hastig ein reichgekleideter Jockey entgegen , der ein gesatteltes Handpferd führte .
Retten Sie meinen gnädigen Herrn ! rief der Knabe .
Unser Reisender sah nach der Gegend hin , wo der Knabe mit ängstlicher Gebärde hinzeigte , und erblickte einen ältlichen Mann , der eben im Begriff war , ein wildes Schwein abzufangen ; er fang eben , wie der Mann noch einen Schritt zurücktrat , um sich mit dem Rücken an einen Baum lehnen zu können , sah ihn an eine Baumwurzel stoßen , rücklings niederfallen , und in der größten Gefahr , von der gereizten Sau zerfleischt zu werden .
Im Moment sprang er vom Pferde und feuerte sein Pistole auf das Tier , wodurch er , ohne es zu treffen , seine ganze Wut auf | sich zog : das war seine Absicht .
Das erboste Tier kehrte um und rannte auf ihn los , er zog sein Jagdmesser und fing es mit Besonnenheit und Geistesgegenwart auf .
Während dessen war der alte Herr aufgestanden , näherte sich dem Reisenden , und ergoß sich in Danksagungen und Lob wegen seines Mutes und seiner Geschicklichkeit .
Dieser lehnte mit Anstand beides von sich ab , erkundigte sich freundlich , ob der Gefallene keinen Schaden genommen , und da dieser mit Nein antwortete , wandte er sich nach seinem Schimmel , der noch ruhig da stand , wo er ihn gelassen .
Der Mann wunderte sich über die Demut eines sonst so mutig aussehenden Pferdes .
-- " So eifersüchtig ich sonst auch bin , nichts von meinem Gefährten sagen zu lassen , als was zu seinem Lobe gereicht , erwiderte der Reisende , so muß ich dennoch gestehen , daß er diesmal gezwungen ist , tugendhaft zu sein ; das gute Tier ist erschöpft von Müdigkeit .
Führt der Weg , auf dem ich hier vorbei kam , ganz durch den Wald , und wo führt er hin ? "
-- Er hatte sich während dem wieder aufgesetzt , begrüßte den alten Herrn , und wollte zurückreiten .
-- " Ich hoffte , Sie würden mich nicht so schnell wieder verlassen , sagte der alte Herr .
Sie haben sich das größte Recht auf meine Dankbarkeit erworben , es würde mich schmerzen , wenn Sie mir alle Gelegenheit rauben wollten , sie Ihnen zu bezeigen .
Fügen Sie zu dem großen Dienst , den Sie mir leisteten , auch noch den hinzu , sich meiner Familie vorstellen zu lassen .
Meine Gemahlin , meine Kinder würden untröstlich sein , dem Retter meines Lebens nicht ihre Freude bezeugen zu können .
Komme , mein Sohn ! rief er einem jungen Manne zu , der auf einem Seitenwege zu ihnen heransprengte , vom Pferde sprang , und mit besorglicher Freude auf ihn zueilte ; hilf mir diesen Herrn erbitten , daß er sich nicht in so großer Eile von uns trennt , du verdankst ihm nichts weniger als das Leben deines Vaters . --
O mein Vater , rief der junge Mann , daß ich mich gerade in diesem Moment entfernen mußte ! mein Gott , Sie waren so nahe ... mein Herr , indem er sich zu dem Reisenden wandte , Sie haben ein kostbares Leben gerettet , verschmähen Sie nicht den Dank einer liebenden Familie anzunehmen , die durch Ihre Hilfe einem schrecklichen Unfall entging .
-- Es würde unbescheiden von mir sein , antwortete er , wenn ich mich länger widersetzte .
-- Der alte Herr bezeigte seine Freude über diesen Entschluß in vielen höflichen und verbindlichen Worten , der junge Mann reichte ihm die Hand herüber , und sprach einiges , das den Ausdruck der höchsten Empfindung bezeichnete .
Der Reisende brachte vollends alles an seinem Zeuge in Ordnung .
Jetzt eilten alle auf demselben Wege fort , auf dem er zuerst gekommen war .
-- " Aber wie ging es eigentlich zu ? fragte der junge Mann , wie kommen Sie zu dem gefährlichen Abenteuer , mein Vater ? --
Ganz zufällig ! antwortete dieser .
Du weißt , daß der Jäger schon seit einigen Tagen angewiesen wurde , das Lager aufzusuchen , weil die Klagen über Verwüstungen sich täglich mehren ; es war aber bis jetzt noch immer nicht geschehen .
Zufällig entdeckte ich es , da ich eben einen Vogel aufnehmen wollte , den ich heruntergeschossen .
Ich bezeichnete den Ort , um ihn dem Jäger anzuzeigen , und ging etwas näher hin zum Lager , weil die Alte nicht dabei war ; in dem Augenblick kam sie aber aus dem Dickicht , wo der Schuß sie aufgeschreckt hatte , und gerade auf mich los .
-- Und nun erzählte er ferner in prächtigen Ausdrücken den ganzen Hergang , und was der Fremde so glücklich ausgeführt hatte .
Der junge Mann suchte sich zu entschuldigen , daß er sich so weit von ihm entfernt ; und nun erzählte auch der Jockey seinen Schrecken , als er Ihre Gnaden hätte fehlschießen sehen ; wie er gleich nach Hilfe gerufen habe , und dem fremden Herrn begegnet sei , und wie auch dieser fehlgeschossen ; wie er dann in großer Angst umhergeritten , um den jungen gnädigen Herrn zu suchen , den er endlich auf dem Berge am Ende des Waldes gefun den , wo die Aussicht nach dem Schloßgatten frei sei .
Während dieser weitläufigen Erzählungen , die alle nach einander gehört wurden , die niemanden etwas neues lehrten , und wovon doch keiner ein Wort Geltern wollte , und die alle mit den größten Lobeserhebungen für den Fremden anfingen und endigten , war dieser still und nahm auf keine Weise Anteil daran .
" Man kann doch , dachte er , in der Welt nicht einmal mehr zu seiner Lust , oder weil es einem gerade in den Weg kommt , ein Tier erlegen , oder man muß dann viel Langeweile dafür erleben !
Zu seinem Glücke ist der gute Maun gerettet worden :
ist es meine Schuld , daß sein Leben an meinem Spiele hing ?
Den weitläufigen Dank könnten sie einem größeren Verdienst aufsparen . ... Ich hätte die größte Lust von der Welt , ihnen das mit eben dem Pathos vorzutragen , wie sie einander die wundervolle Begebenheit .
Bei Gott ! mich machen diese Leute sehr |ungeduldig .
Der feierliche , umständliche , höfliche Alte ! der empfindsame exaltierte Knabe !
Repräsentanten ihrer Zeit und ihres Standes , ... wenn ich ihre Porträte zu einer Ahnengalerie zu machen hätte , so malte ich den ersten , wie er mit großer Devotion ein von Pfeilen durchbohrtes Herz darbringt , und den anderen in erhabenen und rührenden Betrachtungen vertieft über ein Büschel Vergißmeinnicht .
Es ist das Lächerlichste von der Welt , außer ich selbst , der ich mich verleiten lasse , ihnen zu folgen , und mich in Prozession aufzuführen . ...
Was will ich dort ?
Was ich nun schon hier bis zum Überdruß anhören mußte , etwa mir von der ganzen Familie wiederholen lassen ?
Oder bilde ich mir nicht schon wieder ein , ein geheimer Zug im Inneren meines Herzens ziehe mich hin ? ... Ich war mein eigener Narr von jeher . --
Der alte Herr unterbrach sein Selbstgespräch .
Der Name eines Mannes , fing er an , kann uns zwar wenig mehr lehren , als wo von uns der erste Anblick und sein ganzes Benehmen unterrichtet : indessen , haben Sie keine Gründe den Ihrigen verschwiegen zu halten , so möchte ich Sie ersuchen , uns damit bekannt zu machen .
Mir sind die besten Familien unseres Landes auf eine oder die andere Weise bekannt ..... so wie ich selbst den meisten nicht unbekannt sein werde ; setzte er mit einer Art von Selbstbewußtsein hinzu .
Mein Name ist Graf Schwarzenberg , ich bin General in Diensten des Kaisers .
Dieser junge Mann Eduard von Usingen , ein Sohn meines verstorbenen Freundes , und bald mein geliebter Sohn , Gemahl meiner Tochter .
-- " Ich heiße Florentin . "
-- Der Name war mir bis jetzt nicht bekannt . --
Ich bin ein Fremder . --
Ihre Bekanntschaft ist mir überaus wert , ich darf voraussetzen , daß Sie mein Haus als das Ihrige ansehen werden ; als Ausländer dürften Sie einmal sich in dem Fall befinden , Gebrauch davon zu machen .
-- " Ihr Anerbieten , " erwiderte Florentin verbindlich , fordert meine ganze Dankbarkeit ; ich wünschte nur diesmal schon Gebrauch davon machen zu können . "
-- Wie so ? --
Ich will meine Reise durch Deutschland abkürzen , und auf dem kürzesten Wege zum nächsten Hafen , wo ich mich nach Amerika einschiffen will , um den englischen Kolonien dort meine Dienste anzubieten .
-- Nach Amerika ? rief Eduard . --
Ihr Vaterland hält Sie nicht ?
fragte der Graf .
-- Wo ist mein Vaterland ? rief jener in wehmütig bitterem Ton ; gleich darauf halb scherzhaft :
So weit mich mein Gedächtnis zurückträgt , war ich eine Waise und ein Fremdling auf Erden , und so denke ich das Land mein Vaterland zu benennen , wo ich zuerst mich werde Vater nennen hören . --
Er schwieg , und sein Blick senkte sich trübe und ernst .
Bescheiden drang der andere nicht weiter in ihn , und unter Gesprächen verschiedenen Inhalts , die bedeutend genug waren , gegenseitig ihre Begierde zu näherer Bekanntschaft zu reizen , langten sie im Park an , der durch Florentin. I. 2 eine bloße Weißdornhecke vom Walde getrennt war ; sie überließen hier ihre Pferde dem Knaben .
Meine Gemahlin , sagte der Graf , hat durch diese Hecke einen Teil des Waldes als Park erklärt , oder zur Freistatt für die Hirsche und Rehe , die , vom Jäger verfolgt , sich hierher retten ; denn hier darf weder der Huf eines Pferdes , noch das Anschlagen der Hunde oder ein Schuß gehört werden .
Allenfalls läßt sie sich ein fröhliches Jägerstückchen gefallen , damit sie mich bei meiner Zurückkunft von fern höre .
Sie gingen den Weg gerade durch den Park auf das große hohe Schloß zu , das in den Zeiten der alten Ritter erbaut zu sein schien , über eine Zugbrücke durch einen großen Vorhof , wo ihnen am Gitter zwei Frauen entgegen kamen : ein Mädchen von außerordentlicher Schönheit zwischen fünfzehn und sechzehn Jahren , und die andere eine ebenfalls sehr schöne Frau , die ihre Mutter zu sein schien .
Florentin gewann Fröhlichkeit und Zutrauen beim Anblick der beiden Schönheiten , die ihm der Graf als seine Gemahlin | und seine älteste Tochter vorstellte .
" Du lässt uns lange warten heute ! " rief die Gräfin ihnen entgegen .
-- Dafür meine Liebe , wird dir ein werter Gast zugeführt .
Heiße Herrn Florentin bei dir willkommen .
Und unsere Kleinen ? sie werden ja wohl nicht weit sein ? --
Sie erwarten noch immer im Garten des Vaters Ankunft .
Therese war mit einer langen Kette von Blumenstengeln beschäftigt , mit der sie dich fest machen will , damit du nicht immer von ihr gehest .
-- Du siehst mich nun wieder , meine Liebe , unverletzt und am Leben , ( es hätte leicht anders sein können , ) und du ahndest nicht , wem du es verdankest ?
-- Nächst der Güte Gottes , meinem Gebete und deiner Tapferkeit wüßte ich nicht -- Verdankst du es dem jungen Helden hier : komme , ich erzähte dir hernach alles umständlich .
-- Sein Sie mir noch einmal und herzlich willkommen ! sagte die Gräfin , und reichte dem Fremden freudig die ( 2 ) 2 Hand , die er küßte .
Während dem war auch Juliane wieder näher gekommen , die sich nach der ersten Begrüßung einige Schritte mit Eduard entfernt hatte , der ihr lebhaft etwas erzählte , und dem sie , so viel Florentin wahrnehmen konnte , mit Teilnahme zuhörte .
Jetzt ging sie auf ihn zu : Unser guter Engel führte Sie auf diesen Weg ! flüsterte sie leise und schüchtern errötend .
Eben kamen die Kinder aus dem Garten herzu gesprungen , zwei Knaben und ein Mädchen ; der Lärm , das Getümmel und Schäkern wurde allgemein .
Die Kleinen umwanden den Vater mit ihren Ketten und zogen ihn mit ihren Händchen zur Treppe .
Der Alte gab sich dem Mutwillen der Kinder ganz hin , und die anderen folgten .
Es kamen noch einige Hausgenossen hinzu , und man ging zur Tafel .
Florentin fühlte sich leicht und wohl bei der allgemeinen Heiterkeit und der gutmütigen Laune , die durch nichts unterbrochen wurde .
Man begegnete ihm wie einem längst Bekannten , wie einem Hausgenossen .
Die Unbefan genheit der Frauen bei seinem Einpfang , die wenigen bedeutenden Worte , der herzliche Ton , der Blick von dem sie begleitet waren , hatten ihn leichter zu bleiben bewogen , als die dankbaren Einladungen der Männer .
Auch mußte das offene , zutrauliche , arglose Benehmen der Eltern , Kinder , Geschwister , Hausgenossen , Domestiken gegen einander wohl jeden Zwang und jedes Misstrauen verscheuchen .
Nicht leicht konnte man eine Familie finden , in der so wie in dieser jedes Verhältnis zugleich so rein und so gebildet sich erhielt , die ganz durch Einen gemeinschaftlichen Geist belebt zu sein schien , indem jeder Einzelne zugleich seinem eigenen Werte treu blieb .
Hier zum erstenmal bemerkte Florentin die wahre innige Liebe der Kinder zu den Eltern , und die Achtung der Eltern für die Rechte ihrer Kinder .
Keiner verleugnete sich selbst , um dem anderen zu gefallen , es bestand alles vollkommen gut neben einander .
Eben so stimmte alles Äußere zusammen .
Allenthalben blickte durch die glänzende etwas antike Pracht die Bequemlichkeit und Eieganz anmutig durch : gleichsam der ernste Wille des Herrn , durch die gefälligere Neigung der Hausfrau gemildert .
Ein allgemeines Wohlsein war ringsum verbreitet , eine gewisse Reichlichkeit und unbesorgte Ordnung .
Nichts von dem Spärlichen neben der sinnlosen Verschwendung , was man so oft wahrnimmt , wo einseitiges Bestreben nach einem erzwungenen Glanze das übrige armselig erscheinen macht .
Jetzt betrachtete Florentin auch die Schönheit der beiden Frauen mit großer Bewunderung .
Julianeus Gesicht gehörte nicht zu den regelmäßigen Schönheiten , die man anstaunt , aber deren Mangel an Lebhaftigkeit kalt läßt :
das feine Spiel der sprechenden Züge , die so sichtbar alles abspiegelten , was in ihrer Seele vorging , war unwiderstehlich anziehend und liebenswürdig .
Sie war im vollkommensten Ebenmaß gebaut , obgleich nicht sehr groß ; ein wahrer Reichtum an lichtbraunen Haaren umfloß in vielen Locken und Flechten das schön geformte Köpfchen und den weißen Nacken ; an den aufblühenden Busen schloß sich in weichen Umrissen der schlanke Hals , der oft mit anmutiger Schalkhaftigkeit sich seitwärts neigte , und dann sich wieder frei und stolz erhob .
Eine blühende Farbe , ein schön geformter Arm , eine längliche Hand , durch deren Weiße die Adern bläulich hindurch spielten , zarte Finger , die sich in ein fein getuschtes Rot endigten ; der helle und doch biegsame Ton ihrer Stimme ; der kleine Eigensinn in den nah zusammen stehenden Augenbrauen und in dem etwas aufgeworfenen Munde ; die Anmut im Spiel der leicht entstehenden und verschwindenden Grübchen in Wange und Kinn ; große dunkelblaue Augen , die bald voll Seele und frohem Leben blitzten , bald tränenschwer , wie taubenetzte Veilchen sich unter die langen seidenen Wimpern senkten , bald mit kindlicher Unbefangenheit vertrauend in ein anderes Auge schauten , bald mit großer , beinahe zurückschreckender Hoheit um sich her schauen konnten ; besonders das feine , zarte und doch entschiedene und mutwillige , gleichsam durchsichtige , woraus ihr ganzes Wesen geformt zu sein schien : alles das waren eben so viele Bezauberungen , von deren vereinigter Macht Florentin nicht ungerührt bleiben konnte .
Anfallend war es ihm , wie ihr Bau und ihre Reize bei der beinahe noch kindlichen Jugend doch schon so vollkommen aufgeblüht prangten ; dieses Wunder glich einem Werk der Liebe , an deren Hauch sich diese junge Knospe eben zu entfalten schien .
Auch Eleonore war eine sehr schöne Frau .
Ihn dünkte , wie er ihre hohe , etwas reichliche Gestalt erblickte , über die der Ausdruck der Milde , der inneren fröhlichen Ruhe , der mütterlichen Liebe und des Segens verbreitet war , als sähe er ein Bild der wohltätigen Ceres : alles an ihr , sogar die runden Hände trugen das Gepräge dieses Charakters .
In ihre schönen blauen Augen sah man wie in einen wolkenlosen Himmel , die blendend weiße Stirn umgaben freundlich blonde Haare in kleinen Ringeln ; man konnte sie nicht ansehen , ohne vergnügt zu werden , und jedes Leiden lächelte sie tröstend aus der Menschen Brust .
Wer sich nach dieser vielleicht etwas zu aus führlichen Beschreibung ein deutliches | Bild der beiden schönen Frauen machen kann , wird es nicht unnatürlich von Florentin finden , daß er seine Reise und seinen Plan etwas weiter hinaus schob , und recht gern die Einladung des Grafen annahm , noch einige Zeit bis nach dem Hochzeitfeste bei ihnen zu verweilen .
Es war ihm jetzt schauderhaft , an seine Einsamkeit zu denken , die ihm vor wenig Stunden noch so lieb war .
Hätte er auch seinen ersten Vorsatz treu bleiben wollen , der Einladung der wohlwollenden Eleonore , und dem schmeichelnden Blick Julianens war nicht zu widerstehen , und so versprach er zu bleiben .
Nach der Tafel wurden einige schöne Pferde vorgeritten , Florentin lobte sie , und der Graf freute sich , einen Kenner in ihm zu finden .
Die Gräfin führte sie nun nach dem Park , wo sie ihnen einige neue Anlagen zeigte , die unter ihrer Aufsicht gemacht wurden .
Man ging auf dem Rückwege durch das große schöne Dorf am Fuße des Hügels , worauf das Schloß lag .
Auch hier verbreitete Wohlhabenheit und Reichtum sich wie Segen vom Himmel herab .
Voll Ehrerbietung , ohne Furcht und ohne knechtische Erniedrigung wurden sie von den Landleuten , die ihnen begegneten , begrüßt .
Gesundheit und Vergnüglichkeit leuchtete auf jedem Gesicht , Ordnung und Reinlichkeit glänzte ihnen aus jedem Hause entgegen .
Schöne fröhliche Kinder tanzten auf dem Rasenplatze im Schein der untergehenden Sonne ; dem Fremdlinge wurde das Herz groß , ihm war , als fände er hier die goldene Zeit , die er auf ewig entflohen geglaubt .
Man kam aufs Schloß zurück , nachdem sie im Vorbeigehen die schönen weitläufigen Wirtschaftsgebäude und einige innere Einrichtungen besehen hatten .
Florentin freute sich kindisch an allem , was er sah , und besonders an der freundlichen und leichten Ordnung , mit der alles geleitet wurde .
Er hatte , was dahin gehört , immer in so trauriger und widerwärtiger Gestalt gesehen , daß er es für erdrückend und Geist ertötend halten mußte :
aber wie ganz anders fand er es hier !
Jetzt erkundigte er sich mit Teilnahme beim Grafen nach man cherley , was ihm fremd war . -- Wollen sie sich nicht gleich , sagte dieser , an den großen Meister selbst wenden , dessen Schüler auch ich bin ?
Alles was Sie gesehen haben , was Sie hier freut , ist das Werk meiner Eleonore , mich hat sie erst zu dem Geschäft einigermaßen gebildet .
Eigentlich leben wir wie unsere deutschen Väter : den Mann beschäftigt der Krieg , und in Friedenszeiten die Jagd , der Frau gehört das Haus und die innere Ökonomie .
-- Glauben Sie nur , sagte Eleonore , der Mann , der jetzt eben so kriegerisch und wild spricht , muß manche häusliche Sorge übernehmen .
-- Es geziemt dem Manne allerdings , erwiderte der Graf , der Gehilfe einer Frau zu sein , die im Felde die Gefährtin ihres Mannes zu sein wagt . --
Wie das ? darf ich erfahren ? fragte Florentin . -- Nichts , nichts , rief die Gräfin , hören Sie nicht auf ihn !
Er wird Ihnen bald eine prächtige Beschreibung meiner Taten und Werke zu machen wissen , die darauf hinaus laufen , daß ich ihn zu sehr liebte , um mich von ihm zu trennen .
Wollen Sie mein Schüler in der Ökonomie werden , Florentin ?
dann setze ich mich zur Ruhe und übergebe Ihnen das Hauswesen .
-- " Es soll ja den Frauen angehören . "
-- Nun gut , so wählen Sie unter den Töchtern des Landes und leben hier in Frieden .
-- " Das Recht zu beidem werde ich erst mühevoll erringen müssen , Gräfin Eleonore , jetzt suche ich die Ferne und den Krieg . " --
Bravo ! rief der Graf ; auch bekommt die Ruhe nicht eher , bis man ihrer bedarf .
-- Eduard schien hier in einiger Verlegenheit , Juliane blickte liebevoll zu ihm hin .
Das Gespräch nahm eine andere Wendung , und man ging in einen Gartensaal , wo sich bald alles wieder versammelte , was sich von der Gesellschaft nach der Tafel zerstreut hatte .
Juliane setzte sich zum Fortepiano , Eduard und einige andere griffen nach anderen Instrumenten : ein recht gut besetztes Konzert war bald zu Stande gebracht .
Juliane spielte vortrefflich , und Eduard war Meister auf dem Violoncello .
Eleonore fragte Florentin , ob er nicht musikalisch sei ? --
Ich liebe die Mu sich als die größte Wohltäterin meines Lebens , erwiderte er ; wie oft hat die Himmlische die bösen Geister zur Ruhe eingesungen , die mich drohend umgaben !
Und so bin ich , wenn Sie es so nennen wollen , musikalisch , soviel die Natur mich lehrte , bis zur Kunst habe ich es noch nicht gebracht .
Mit diesen Worten nahm er eine Gitarre , stimmte sie , machte einige Gänge , und sang Verse , die er aus dem Stegreif dazu erfand .
Er befang den Strom , der dicht unter den Fenstern des Gartensaals vorbeifloß , das Tal , den Wald , das hohe entfernte Gebirge , von dem die Gipfel noch von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet waren , da sie selbst schon lange aufgehört hatte , sichtbar zu sein .
Dann sang er von seiner Sehnsucht , die ihn in die Ferne zog , von dem Unmut , der ihn rastlos umhertrieb , und endigte sein Lied mit dem Lobe der Schönheit , unter deren Schutz ihm die Morgenröte des Glücks schimmere , und bei deren Anblick jedes Leiden in seiner Brust in die Nacht der Vegessenheit zurücksinke .
Hier hörte er auf und legte die Gitarre nieder .
Seine Worte , die frei und ungebunden und doch sinnvoll und auserwählt , bald groß und ruhig wie der Strom , den sie besangen , dahin flossen , bald kühn mit dem Gebirge sich über die Wolken erhoben , bald wie Abendschein lieblich flimmerten , dann die Schmerzen und Freuden seiner Seele so wundersüß darstellten ; seine schöne , reine , accentvolle Tenoristimine , deren Töne bald von ihm gelenkt zu werden , bald ihn zu übermeistern schienen ; die ganz kunstlose Begleitung die immer mit seinen Worten genau übereinstimmte , und seine tiefsten Gefühle , das , was keine Worte auszusprechen vermögen , in die Brust der Zuhörer hinüberströmte : -- mit seinem kühnen , halb nachlässigen Anstande , mit der Begeisterung auf dem edlen Gesicht , -- es war so wunderbar und ergriff die Zuhörer so seltsam , daß sie ganz hingerissen von der Erscheinung , noch immer in Staunen und Horchen verloren waren , wie er schon eine Weile die Gitarre niedergelegt hatte .
Juliane unterbrach die augenblickliche Stille .
Jetzt ist es an uns , Eduard , rief sie ; Sie haben es vortrefflich gemacht , Florentin , aber nun sollen Sie auch uns loben müssen .
-- Sie suchte unter den Musikalien , die Gräfin setzte sich zum Fortepiano , und begleitete Juliahnen und Eduard .
Sie sangen ein komisches Duett mit vieler Laune und in echt Italienischer Manier .
Julianens Stimme war überaus süß und schmeichelnd , und sie wußte sie wie eine geübte Künstlerin zu gebrauchen ; auch Eduard hatte eine schöne sonore Baßstimme und sang sehr angenehm .
Bei der Wiederholung des Duetts begleitete Florentin den Gesang , abwechselnd bald wie eine Flöte bald wie ein Waldhorn singend , es gefiel allen , und die Fröhlichkeit und das Lachen nahm kein Ende .
Es wurden nun Erfrischungen gereicht , man scherzte und vergnügte sich bis tief in die Nacht .
Gute Nacht , sagte die Gräfin ; ich hoffe , Ihr Entschluß , einige Zeit bei uns zu verweilen , wird Sie nicht gereuen , wenn Sie erfahren , daß Sie es alle Tage ungefähr wie heute bei uns finden .
Lassen Sie sich Ihr Schlafzimmer anweisen , und sein Sie morgen früh nicht der späteste .
[/0041 ] Zweites Kapitel .
Florentin war allein ; er lehnte sich in ein Fenster seines Schlafzimmers , aus dem er die Aussicht über das Dorf nach dem weit sich hindehnend fruchtbaren Tale hatte , wodurch der Strom sich majestätisch und ruhig in großen Schwingungen hinwand .
In grauer Ferne beschloß das hohe Gebirge den Horizont ; das Tal war vom Monde hell erleuchtet .
Er sah nach den Schatten , die das Mondlicht bildete , und die in wunderlichen Gestalten bald hervortraten , dann verschwanden .
So stand er lange wie gedankenvoll , und dachte doch nichts .
Er hatte an diesem Tage so viel neue Eindrücke empfangen , daß er , wie berauscht , sich selbst aus den Augen verloren Florentin. I. 3 hatte .
Allmählich verhallte es in seiner Seele , wie Töne in den Wellen der Luft immer in weiteren Kreisen verklingen , bis die Bebungen schwächer werden , und endlich alles ruhig ist .
So wurde es auch still in ihm , und das bekannte Bild seiner selbst trat wieder deutlich vor ihn .
Doch konnte er lange keinen fröhlichen Gedanken fassen .
Er war schwermütig , es war ihm traurig , daß er allein hier ein Fremdling sei , wo es ein Gesetz schien , einander anzugehören , daß er allein stehe , daß in der weiten Welt kein Wesen mit ihm verwandt , keines Menschen Existenz an die seinige geknüpft sei .
Seine Traurigkeit führte ihn auf jede unangenehme Situation seines Lebens zurück ; der Gesang einer Nachtigall , der aus der Ferne zu ihm herüber klang , löste vollends seine Seele in Wehmut auf , er gab sich ihr hin und bald fühlte er seine Tränen fließen .
" Es ist sonderbar ! höchst sonderbar ! sagte er , als er ruhiger wurde ; wie ich noch die Gesellschaft suchte , lernte ich sie verachten , und nun ich sie floh , nun ich sie haßte , nun muß sie mir wieder liebenswürdig erscheinen !
Und hier in einem vornehmen Haufen , wo ich sonst immer den Mittelpunkt aller Albernhen der menschlichen Einrichtungen fang : gerade hier muß ich mich wieder mit der Gesellschaft aussöhnen !
... .
Es ist doch gut , daß mir noch diese schöne Erinnerung wurde auf meine lange Wallfahrt !
So liegt doch die Zukunft nicht mehr so bodenlos vor mir , so zeigt sich mir doch in weiter Entfernung ein Punkt , an dem die Hoffnung sich erhält !
Und damit sei zufrieden , Florentin !
Suche nicht fest zu halten , was bestimmt ist , dir vorüberzugehen .
In der Entfernung , als Hintergrund , als endliches Ziel alles menschlichen Sehnens und Strebens , lächelt mir die Ruhe süß entgegen :
so will ich dich fest im Auge behalten , wenn der Strudel des Lebens mich wild ergreift , und ich in Not zu versinken drohe .
Recht , guter Alter !
jetzt würde sie mir schlecht bekommen ; sie ist das goldene Blies , das mit Gefahren erkämpft werden muß . "
Er dachte nun an Alle insbesondere , die er ( 3 ) 2 an dem Tage so zufällig gefunden , und suchte ins klare zu kommen , welchen Eindruck sie auf ihn gemacht hätten .
Eduard war ihm in den wenigen Worten , die er ihn hatte sprechen hören , doch lieber geworden ; das erkannte er besonders daran , weil er nicht mit dem Leichtsinn an Juliahnen denken konnte , der ihm sonst beim Anblick einer Schönen gewöhnlich war .
Die Verhältnisse , in denen eine Frau stand , hielten ihn sonst nicht leicht von Entwürfen ab , wenn er nicht einen Freund dabei zu schonen hatte .
-- " Wie ein Frühlingsmorgen erschienst du mir , reizendes Geschöpf , und dein Anblick erfüllte meine Brust mit Ahnung und Freude .
Nur Barbaren können gefühllos bleiben bei solcher Schönheit !
Eure Verabredungen sollten mich nicht hindern , ... auch nicht der unschuldige Bräutigam , ... und am Ende ? ...
Betrüge dich nicht Florentin ! "
-- Wünsche und Erinnerungen an den schönen Leichtsinn von ehemals erwachten in ihm , und dann erschien ihm wieder die Geliebte seines künftigen Freundes , und alle ihre Verhältnisse in einer Würde , die ihn zurückschreckte .
Er hatte die Gitarre mit auf sein Zimmer genommen , und während seiner Betrachtungen und kleinen Monologen einige Griffe darauf getan ; jetzt sang er folgende Worte dazu :
Unter Myrtenzweigen Beim Rieseln der Quelle Und der Nachtigall Lied , Auf sanftem Rasen Durchwirkt mit Blumen , Im duftenden Hain , Gebogen die Äste Von goldener Frucht Und silberner Blüte , Wo ewig blau der Himmel , Ewig lau die Lüfte Dich umwehen -- Das Mädchen im leichten Gewand Tanzet den bunten Reihen , Bricht die labende Frucht , Schöpfet vom Quell .
Am Felsen ein Hüttchen Mit weniger Habe , Dort ruht es die Glieder Auf reinlichem Lager .
Du blickst dein Verlangen Ihr tief in das Herz , Sie hat dich verstanden , Und teilet die Glut .
Nichts wehrt dir die Küsse Auf Lippen und Wangen ; Lilien und Rosen , Blüten und Knospen , Alles ist dein .
Leicht wie der Westwind , Scherzend wie er , Berührst du die Blumen , Und fliehest vorüber , Schonend der zarten .
Wer fürchtet da Neid ?
Wen lockt der Ruhm ?
Zürnet die Mutter ?
Das Lächeln kann sie Doch nicht verbergen ; Denn eigene süße Schuld Ruft die Tochter Zurück ihr ins Herz .
Sei still , mein Sinn ! ein anderes Land empfängt Dich ; Es hebt sich das Gebirge zwischen Dir Und jenen Spielen .
-- Ernst umgeben diese Mauern dich , Gesetze ernst und ernste Sitten ; Gelübde , Priester , Zeugen , Verein der Wappen .
Zahllose Dinge , Auf ewig fremd dem Scherz , Fremde auf ewig dir , Gehen der Liebe voran , Legen die Freie In eruste Bande .
So gefesselt geht sie dir vorüber .
Tröstend reicht sie dir die Hand , Blickt mit Sehnsucht in die Ferne .
Hier kann ich niemals dein Gefährte sein , Ruft sie dir zu ; Unter jenen Blumen Hast du gespielt mit mir , Auf und ab Wandert ' ich im Scherz mit Dir .
Du sollst auch ernst Mich wieder finden , Ernst und treu ; Und wieder mein sein :
Nur laß mich frei !
[/0049 ] Drittes Kapitel .
Die Sonne schien hell und warm herein , als Florentin erwachte .
Er schickte sich sogleich an , zur Gesellschaft zu gehen , die er im Garten vermutete .
Vorher ging er durch einige Prachtzimmer des alten Schlosses , das ihn mit seinen Türmen , Gängen und hohen gewölbten Sälen lebhaft in die Zeiten des Rittertums versetzte , von denen er schon als Kind am liebsten erzählen hörte , und die noch jetzt seine Fantasie hinreißen konnten .
Hier in diesen Sälen malte er sich nun die mannigfachen Szenen aus , die darin gespielt wurden ; wie sich alle die Mitspielenden für ihre Rolle interessierten , als sollte sie niemals endigen .
-- " Und nun , sagte er , wo sind sie hin ?
Hier beweinte vielleicht eine Schöne ihren Geliebten , oder seine Untreue , oder ein hartes Schicksal , das sich ihrem Glück entgegen stellte ; tränenvoll schlug sie das fromme Auge aufwärts , und die Engelchen , die Heiligen , die so künstlich in der Stukkatur an der Decke geformt sind , waren Zeugen ihrer Leiden .
Hier , an dieses hohe Fenster gelehut , drückte der Jüngling , zärtlich und schüchtern , die errötende Jungfrau an sein Herz , und vernahm mit Entzücken das Geständnis ihrer Gegenliebe .
Um diesen geräumigen Lehnstuhl hingen Kinder und Enkel , und horchten auf die schauerlichen Gespenstergeschichten , die der Großvater erzählte , und auf die weise Lehre .
Mit dem begünstigten Jagdhund au dem Boden wurde dann die Belohnung für ihre Aufmerksamkeit friedfertig geteilt .
An diesem künstlich verzierten Tisch saßen Eltern , gedachten mit freudiger Rührung der ersten Tage ihrer Liebe und der nie verletzten Treue ; hatten auch wohl manchen Kummer , manche sorgenvolle Stunden um den entfernten Sohn , der ausgezogen war , voll Kraft und mutiger Ehrbegierde sich zu versuchen , und die Fehde für seinen Vater zu fechten .
" Ob er sich gut halten wird ?
ob die Knechte wacker sind ? ob kein feindliches Geschoß ihn getroffen ?
Er wählte sich das größte Schwert ; war es seinem Arm nur nicht zu schwer ?
Zwar ist er stark und rüstig , und Gott wird den Edlen schützen ! "
Und ehe sie es ausdenken , öffnet sich jene Tür , der Jüngling tritt ein !
Er war allein voran geeilt , um den Eltern diese Überraschung zu bereiten ; segnend empfangen sie ihn , er hat gesiegt , vertilgt ist der Feind , und neuer Ruhm und Glanz kommt von ihm über das Haus !
.... Sonne , Sterne , Luft und Erde , Alles was sie umgab , schien ihnen mit ihrem Leben so innig verwebt ; aber Sonne und Sterne gehen auf , gehen unter , die Jahreszeiten wechseln ; doch ihr Glück und ihre Leiden , Schmerz und Fröhlichkeit sind vorbei gezogen , wie Schatten der Wolken , die vor der Sonne vorüberfliehen , keine Spur mehr auf der Erde davon .
Was ihnen im Leben heilig war , hat mit dem Leben geendet ; der Ehre allein , unter allem dieser allein , verdanken die Helden das Andenken ihrer Nachkommen ; sie leben in den künftigen Zeitaltern fort , da Millionen neben ihnen untergehen ...
Nun so ist es auch billig , daß sie dem selbstgeschaffenen Götzen vor allen Göttern Opfer bringen ; dieser macht sie unsterblich , da alles , was die Natur in ihre Brust gepflanzt , mit ihnen untergeht ! "
Eduard trat zu ihm .
" Sie sind schon auf , Florentin ! ich wollte Sie eben abholen , die anderen sind wahrscheinlich schon im Gartensaal . --
Ich habe mich etwas zu lange in den Zimmern und Gängen verweilt , um sie zu betrachten .
Dieses Schloß ist ein vortreffliches Monument seines Jahrhunderts ; mich freut es , daß es so wohl erhalten ist , und so ganz ohne modernen Zusatz .
Es wundert mich um so mehr , da die übrige Einrichtung im Ganzen nach dem jetzigen Geschmack mehr elegant und zierlich , als nach je einem reich und kostbar ist ! --
Weil diese mehr der Gräfin überlassen bleibt ; und da sie die Eigenheit des Grafen schont , der gerne , was das Altertum seiner Familie bezeugt , in der ursprünglichen Gestalt zu erhalten wünscht , auch nichts von der Stelle gerückt , und keiner Sache eine andere Gestalt gibt , die noch als Überrest der alten Zeit sich erhalten hat , so läßt sich der Graf mit eben der Gefälligkeit ihre übrigen Einrichtungen gefallen .
Sie sehen selbst , wie klug und gewandt sie beides zu vereinigen weiß .
Sie erhält das Alte mit Achtung , und fügt hinzu , was die neueren Erfindungen Angenehmes verschaffen .
Die das Innere hier nicht zu kennen Gelegenheit haben , finden es sonderbar , und erlauben sich manchen Spott über das Gemisch von veraltetem und modernen Geschmack .
Auch sieht es befremdend genug aus , wenn an den alten gewirkten Tapeten eine neue Flöten-Uhr , große Spiegel mit schweren künstlichen Verzierungen und neue kristallene Kronleuchter , schwerfällige Sessel und einladende Sopha's friedlich neben einander besiehe ; eben so werden Sie es im Garten , im Park , kurz überall finden .
Wer aber die Menschen kennt , die hier wohnen , der wird bald das Übereinstimmende in diesen anscheinenden Ungleichheiten finden .
Die Grafin ist eine vortreffliche Frau ; mit wahrer Religiosität ehrt sie das Gemüt ihres Gemahls und alles , was ihm heilig ist .
Darf man ihr wohl keinen Sum für das Schöne zutrauen , weil sie nicht wie die Kinder alles gewohnte Spielzeug zerstört , immer nach neuem greift , und das letzte jedesmal für das Schönste hält ?
-- Was ich sie über Werke der Kunst habe sprechen hören , verriet gewiß keinen gemeinen Sinn , fakte Florentin .
-- Sie hat große Reisen gemacht und viele der vorzüglichsten Kunstwerke selbst zu sehen Gelegenheit gehabt .
Doch kommen Sie jetzt , man wird uns erwarten ; ich will vorher zusehen , ob der Graf nicht in seiner Bibliothek ist , ich habe ihn heute noch nicht gesehen , vielleicht geht er dann mit uns hinunter . --
Ich begleite Sie . "
-- Sie traten in das Kabinett des Grafen , er war nicht mehr darin .
Ein großes Gemälde zog Florentins Aufmerksamkeit auf sich .
-- " Einen Augenblick noch , Eduard !
Die heilige Anna , die das Kind Maria unterrichtet .
-- Wie finden Sie das Gemälde ? --
Es scheinen Porträte zu sein ; in dem Kinde erkenne ich Juliahnen wieder .
-- Sie ist es auch in der Tat . --
Es ist nicht übel gemalt ; ganz vorzüglich ist aber das Charakteristische in den Köpfen so wohl , wie in der ganzen Anordnung des Gemäldes .
Die horchende Aufmerksamkeit , die Begierde nach dem Unterricht , und der Glaube in dem Kinde , wie der Hals , der Kopf , mit dem Blick zugleich , sich vorwärts und in die Hohe richtet , der halbgeöffnete Mund , als fürchtete sie etwas zu verhören , und als wollte sie die Lehren durch alle Sinne in sich auffassen .
Dabei die Hingebung , das Vergessen ihrer selbst in der kleinen Figur , die halb liegend sich dem Schoß der Anna anschmiegt ; es ist schön , und zart gefühlt .
Und diese Anna , gewiß eine Heilige !
Diese Hoheit , dieser milde Ernst in den verklarten Au gen ! mit welcher Liebe sich ihr Haupt zu dem Liebling hinneigt , sich ihre Tugend lehrenden Lippen öffnen !
Ruhe und Würde in | der ganzen Gestalt , und wie erhaben diese Hand , die gegen den Himmel zeigt !
Ist auch diese Anna ein Porträt ? --
Es ist eine Schwester des Grafen , die er vorzüglich liebt ; Gräfin Clementina ; Sie haben uns schon von ihr sprechen hören , sie wird von uns gewöhnlich die Tante genannt .
Juliane hat ihre erste Erziehung bei dieser Tante erhalten ; die Mutter hatte sie ihr , da sie ihre Jugendfreundin ist , und ihres ganzen Zutrauens genießt , bald nach ihrer Geburt überlassen , weil sie damals ihrem Gemahl nachreisen mußte , der gefährlich verwundet war , und den sie keiner fremden Pflege überlassen wollte .
Sie verließ ihn nun nicht wieder , begleitete ihn so wohl auf seinen Feldzügen , als auf seinen Reisen , da er an verschiedenen Höfen als Gesandter stand .
Unterdessen erreichte Juliane beinahe ihr vierzehntes Jahr bei der Tante , und verehrt sie als Mutter . --
Doch muß die Gräfin Clementina dem Bilde nach noch sehr jung sein , obgleich der Idee und dem Kostüme zufolge , sie älter sein müßte .
-- Sie haben recht , doch ist sie in der Tat nicht mehr jung , sie ist älter als die Gräfin Eleonora , dieses Bild aber ist eigentlich die Kopie eines Gemäldes , das in ihrer Jugend ist gemacht worden .
Sie wurde damals als heilige Cäcilia gemalt ; so wohl dieses Bild , das sie dem Grafen auf sein Bitten malen zu lassen erlaubte , um ein Denkmal der Zeit zu stiften , in der sie Julianens Lehrerin war , als das , welches unter den anderen Familiengemälden in der Galerie hängt , und auch das Miniatur-Bild , das Juliane an ihrer Brust trägt , sind Kopien nach dieser Cäcilia , welche von einem schon verstorbenen fremden Künstler gemalt wurde ; seinen Namen weiß ich nicht .
Die Tante war uie dazu zu bewegen noch einmal einem Maler zu sitzen .
Merkwürdig ist es , wie diese Bilder alle noch der Gräfin Clementina ähnlich sind , obgleich es schon vielleicht dreißig Jahre her sein mag , daß sie gemalt Florentin. I. 4 wurde , und ein tiefer Gram in ihren Gesichtszügen gewütet hat . --
Gut , daß mich Ihre gütige Ausführlichkeit warnte , rief Florentin lachend ; war ich doch in Gefahr mich in diese heilige Anna , und das in meinem Leben zum ersten Male ernstlich zu verlieben .
Bald wäre ich ausgezogen , nach echter Rittersitte , das Original zu meinem Gemälde zu finden , und hätte es dann auch wirklich gefunden . ... in einer ehrwürdigen Matrone . --
Haben Sie wirklich noch nie ernstlich geliebt , so verdienen Sie ein solches Schicksal .
Ich werde Sie bei den Frauen für diesen Frevel hart anklagen .
-- Wagen Sie es nicht , Sie könnten sich selbst eine Strafe für Ihre Verräterei zuziehen . --
Ich wage nichts , man wird es Ihnen nie verzeihen , sich von einem Gemälde haben hinreißen zu lassen , da Sie die Gegenwart der schönen Frauen selbst so ruhig läßt . --
Nun auch dafür müssen Sie nicht gut sagen ; doch im Ernst , das Gemälde hat mich bewegt , und ich stehe mit wahrer Audacht davor .
Guter Edu Art !
ich hoffe Sie fühlen es , wie glücklich Sie sind , und wie wenigen es vergönnt wird , eine solche Jugend zu haben ! --
Eduard schien bewegt , und sie gingen beide schweigend hinunter zur Gesellschaft .
( 4 )
2 [/0060 ] Viertes Kapitel .
So verstrich ein Tag nach dem anderen .
Man kann sich keine angenehmere Lebensweise denken , als die auf dem Schlosse geführt wurde .
Ein Vergnügen reihte sich an das andere ; Tanz , Musik , Jagd und Spiel wechselte lustig ab , und in der Einsamkeit suchte jeder nur die Ruhe , um sich zu neuen Ergötzlichkeiten zu bereiten .
Die Liebenden erwarteten beide den Tag ihrer Vermählung sorglos und fröhlich , es stellte sich ja nichts ihren Wünschen entgegen ; doch mit ganz verschiedenen Empfindungen .
Eduard hatte eine peinigende Ungeduld Juliahnen ganz die seinige zu nennen ; er liebte sie mit der ungestümen Heftigkeit des Jünglings ; er dachte , er träumte nichts als den Augenblick , sich im ungeteilten ungestörten Besitz der schönen Geliebten zu sehen ; seine Fantasie lebte nur in jenem so heiß ersehnten Moment , alles Leben bis dahin würdigte er nur als Annäherung zu jener Zeit , wie der Gefangene , der der bestimmten Befreiung entgegen sieht .
Von dieser Ungeduld begriff Jultane nichts .
Mit aller Innigkeit ihres reinen Herzens liebte sie ihn ; niemand war ihr jemals liebenswürdiger erschienen ; sie gab sich ihm gern , sie war von jeher schon mit der Idee vertraut , und hatte es als ihr Schicksal ansehen gelernt ihm anzugehören .
Aber den Tag erwartete sie mit großer Ruhe ; klopfte auch ihr Herz stärker bei dem Gedanken , so war es mehr eine bängliche Ahnung , die furchtsame Scheu des sittsamen Mädchens , als die Erwartung eines größeren Glücks ; sie ahndete kein größeres Glück , als daß es immer so bliebe , wie es war , es sehlte ihr so gar nichts .
Sie nahm an allem den gewöhnlichen Anteil , hatte die immer gleiche , besonnene Aufmerksamkeit auf die Gesellschaft , Eduard mochte zugegen sein , oder nicht .
Sie war also nicht so beschäftigt , daß sie nicht hätte wahrnehmen sollen , welchen Eindruck ihre Schönheit auf Florentin gemacht hatte .
Er hatte die allgemeine Aufmerksamkeit erregt .
Es schmeichelte der Eitelkeit des Mädchens , die seinige auf sich zu ziehen ; es interessierte sie kindisch , den stolzen Mann zu beherrschen .
Ohne es sich bewußt zu sein , und sich ganz der fröhlichen Stimmung hingebend , zog sie ihn mit einer feinen , ihr natürlichen Koketterie an .
Florentin fand sie immer schön , reizend , liebenswürdig , es ergötzte ihn , sie so eifrig bemüht und beschäftigt um ihn zu sehen , und die kleinen Schelmereien des jungen Herzens zu belauschen !
Daß er aber gleich am ersten Abend so mit sich zu Rate gegangen war , schützte ihn gegen jeden tieferen Eindruck .
Auch war es ihm nicht entgangen , daß sie Willens war , ihn zum Spiel ihrer Eitelkeit zu machen , und nichts konnte so seine Fantasie zügeln , als wenn er irgend eine Absicht merkte .
Er war leicht kindlich vertrauend :
dann konnte er aber auch bis zur Ungerechtigkeit argwöhnend sein .
Doch interessierte ihn Juliane sehr , die Tiefe ihres Gemüts war ihm nicht entgangen , trotz der Anlage zur Koketterie , und dem etwas künstlichen Wesen , welches ihre Erziehung und ihr Stand ihr gegeben hatte , und das ihn immer etwas entfernte , obgleich er es hier in so schöner Gestalt erblickte .
Lange konnte er es doch nicht aushalten , sie unzufrieden zu sehen ; so oft er sie durch ein zu kühnes Wort , oder eine Anspielung , die ihre Eitelkeit strafte , erzürnt hatte , so wußte er sie gleich wieder durch irgend eine Überraschung oder eine kleine schmeichelhafte Aufmerksamkeit zu versöhnen .
Er stimmte nie mit ein , wenn sie in Gesellschaft von den um sie her flatternden Herrn wegen ihres Gesangs oder Tanzes , oder ihrer Schönheit erhoben wurde ; vielmehr suchte er sie dann durch einen kleinen Trotz , eine Art von Vernachlässigung zu demütigen .
Wenn sie sich aber irgend einer Regung ihres guten empfindlichen Herzens überließ , oder in ihrer natürlichen Anmut , kunstlos , ohne Anmaßung und ohne Absicht sich gar nicht bemerkt glaubte ; dann wußte er ihr etwas angenehmes zu sagen , oder sie durch einen Blick seiner Teilnahme zu versichern .
Dann ließ er sich auch gern ihre kleine Siegermine gefallen , und ertrug gutmütig ihre mutwilligen Neckereien .
Nach und nach war die Zufriedenheit ihres launenhaften Lehrers allein bedeutend für Juliahnen ; der laute Beifall der Menge wurde ihr gleichgültiger , zuletzt beinahe verhaßt .
Eduard bemerkte mit Freude diese Veränderung .
Er scherzte eines Tages darüber , daß Florentin mehr Einfluß auf ihre Bildung habe als er .
-- " Sie haben mir es niemals merken lassen , sagte Juliane , daß ich zu eitel sei . --
Ich liebte Sie Juliane , so wie Sie sind . --
Und jetzt merken Sie erst , daß ich besser sein könnte ! ich kann mich wenig auf Ihre Erziehungskunst verlassen .
-- Die Liebe weiß nur zu lieben ; wie sollte sie erziehen ?
-- Sie er zieht freilich , sagte Florentin , aber nicht den anderen .
-- Machen Sie meiner Liebe einen Vorwurf , unartiger Florentin ? erwiderte Juliane .
-- Nein , vielmehr spreche ich sie dadurch rein von einem Vorwurf , den man ihr allerdings machen könnte .
-- Nun ? --
Nun , daß Sie Eduard nicht besser erzogen haben .
Denn er wird es doch nicht leugnen , daß er die Huldigungen Ihrer Eitelkeit mit noch weit größerer und sträflicherer Eitelkeit sich hat gefallen lassen .
Es ist in der Tat eine schwierige Untersuchung , wer von Ihnen beiden mehr Erziehung oder weniger Liebe hat . --
Trauen Sie sich zu , uns in beiden zu übertreffen ? --
Ich , Ihr Guten , kann weder mein Leben , noch meine Liebe mit dem Kunstwerk der Erziehung vergleichen ! --
Man kann nicht anders als sich für ihn interessieren , sagte Juliane , aber er ist doch zu sehr verschlossen gegen seine Freunde , es ist ihm auf keine Weise beizukommen .
-- Doch hat vielleicht niemand mehr als er die Fähigkeit , Freund zu sein , sagte Eduard .
Wissen wir doch nicht , wie oft er schon ist hintergangen worden ; reizbar wie er ist , muß jede üble Behandlung ihn wohl auf lange verstimmen . "
Florentin vermied anfangs Eduards Annäherung mit eigensinnigem Stolz , ob er ihn gleich im Herzen wohl leiden mochte .
Eduard ließ sich aber nicht dadurch abschrecken , er gewann immer mehr Anhänglichkeit für ihn , näherte sich ihm mit freundlicher , bescheidener Aufmerksamkeit , und suchte seinem etwas wilden , nach Freiheit strebenden Sinn mit dem feinen , gebildeten Geist , der ihm eigen war , zu begegnen ; es mußte ihm gelingen .
Florentin fühlte endlich , daß er am unrechten Ort mißtrauend gewesen war .
Mit der Überzeugung seines Unrechts erweichte sich auch sein absichtlich verhärtetes Gemüt gegen Eduard , er wurde bald offener und geselliger gegen ihn .
Auf einem Morgenspatziergang öffneten sich ihre Seelen gegen einander ; sie nennten sich seitdem Freunde .
Florentin gewann Eduard so lieb , daß er ohne Wehmut bald nicht daran denken konnte ihn zu verlassen ; doch mußte und sollte es geschehen !
So waren Wochen verflossen ; mit einer jeden nahm er sich es fest vor , in der nächsten zu reisen ; immer hielt ihn aber das Bitten seiner neuen Freunde und seine eigene Neigung fest .
Zum erstenmal empfand er die Bitterkeit der Trennung ; bis dahin hatte er alles , was er jemals verließ , gleichgültig verlassen .
[/0068 ] Fünftes Kapitel .
Gräfin Clementine hatte eine junge Anverwandte bei sich .
Diese kam , und machte Juliahnen einen Besuch , indem sie zugleich einen mündlichen Auftrag der Gräfin Clementina an Julianens Eltern ausrichtete mit der Bitte , die Vermählung noch einige Wochen aufzuschieben , weil sie in diesen nächsten Tagen abgehalten würde , zugegen zu sein , wie sie es doch sehr wünschte .
Sollte der Tag aber schon unwiderruflich festgesetzt sein , und es bei der ersten Verabredung bleiben müssen , so wäre sie genötigt diesen Wunsch aufzugeben .
Doch ersuchte sie ihren Bruder und Eleonore , wenigstens noch einen Brief von ihr abzuwarten ; sie hätte ihnen noch einiges zu sagen , wäre aber durchaus in diesem Augenblick nicht im Stande zu schreiben ; doch sollte es in den nächsten Tagen geschehen .
Eduard war nicht leicht zum Aufschub zu bewegen , seine Ungeduld , die schöne Juliane ganz die seinige zu nennen , wuchs mit jedem Tage , und seitdem er Florentin kannte , schien sie den höchsten Punkt erreicht zu haben .
Doch mußte er es sich aus Achtung für die Gräfin Clementina gefallen lassen .
Betty eilte zurück , so bald sie sich ihres Auftrags entledigt hatte .
Ein Brief , den Juliane folgenden Tag an ihre Tante schrieb , ist ein Beweis , wie interessant Florentin der ganzen Familie schon geworden war .
Juliane an Clementina .
Jetzt verdient Betty nicht mehr von Ihnen bestraft zu werden , wegen ihrer zu großen Leidenschaft für das Tanzen ; sie ist viel mehr zu unser aller Verwunderung bis zum Kaltsinn mäßig darin geworden .
Alles unseres Bittens und Zuredens ungeachtet , wollte sie durchaus nicht länger bei uns verweilen , als sie es Ihnen zugesagt hatte , ob wir gleich noch denselben Abend einen recht brillanten Ball hatten .
Der Vater erbot sich , Ihnen einen Boten zu Pferde zu schicken , um Sie nicht in Unruhe ihretwegen zu lassen ; aber sie war nicht zurück zu halten .
Alle Ihre Aufträge waren ausgerichtet , sie sah mit großer Gemütsruhe die glänzende Gesellschaft sich versammeln , ja , sie wagte es sogar den Anfang des Balls abzuwarten ; und indem sie mit Eduard den Saal einmal auf und nieder walzt , winkt sie uns allen im Vorbeifliegen zu , und so fort aus der Tür in den Wagen , so hastig , daß Eduard mit noch einigen Herrn ihr kaum folgen konnten .
Kaum daß wir ihr noch einen Gruß für die Tante nachriefen .
So geht es uns allen , teure Clementina !
wenn wir zu Ihnen sollen , was könnte uns zurückhalten ?
Keiner fühlt das wohl mehr als Ihre Juliane , ich habe Betty mehr beneidet als bewundert .
-- Das war nun alles recht hübsch von dem Mädchen ; aber die Arge , was hat sie Ihnen für loses Zeug erzählt !
was meinte sie mit ihren Eroberungen ? und dem sonderbaren Fremden , der den Meister über uns macht , dem wir alle auf eine so lächerliche Weise ergeben sind , weil wir uns einbilden ihm Dankbarkeit schuldig zu sein !
Und ich , die ich diesen Vorwand so gern nehmen soll , um ihm ganz unbefangen mit Auszeichnung begegnen zu dürfen ! --
Alles dieses hat sie Ihnen wirklich erzählt ? --
Gut , daß Sie ihren boshaften Erzählungen nicht so unbedingt Glauben beimessen , daß Sie Sich selbst an Ihr Kind wenden , um die Wahrheit zu erfahren .
Liebe Tante , sehen Sie doch einmal dem bösen leichtfertigen Mädchen scharf in die Augen , wenn sie wieder dergleichen vorbringt .
Allerdings sind wir dem Fremden Dank schuldig !
Ist meine Clemen Tina nicht auch der Meinung ?
Wenn es ihm selbst wohl geziemt , den wichtigen Dienst , den er uns geleistet , dem Zufall zuzuschreiben , so würde es sich von uns nicht ziemen , es eben so anzusehen , und seinen Mut , mit dem er das Leben unseres Vaters gerettet hat , zu vergessen .
Und warum gesteht Ihnen denn Betty nicht , daß der Fremde sich recht geschäftig um sie gezeigt , und daß sie seine Aufmerksamkeiten recht wohlgefällig und artig annahm ? --
Ich hielt sogar die Festigkeit , mit der sie sich losriß und fort eilte , für ein Opfer , das sie ihrem eifersüchtigen brauseköpfigen Walter brächte , und habe ihr im Herzen deswegen wohlgewollt .
-- Belohnt sie so meine gute Meinung ? böse Betty !
Wenn sie Ihnen nicht abbittet , liebe Tante , und Ihnen gesteht , daß sie ihre Freude daran hat , Unfug zu treiben , so werde ich sie bei Herrn von Walter verklagen ; er traut mir ! --
Von dem Fremden , von diesem Floren tin sollte ich Ihnen also erzählen ?
Es ist wahr liebe Tante , daß er uns allen wert geworden ist .
Er macht jetzt das Leben und die Seele der Gesellschaft aus .
Mit dem sonderbarsten , oft zurückstoßenden Wesen weiß er es doch jedem recht zu machen , und zieht jedes Herz an sich , ohne sich viel darum zu bekümmern .
Es hilft nichts , wenn man auch seinen ganzen Stolz dagegen setzt , man wird auf irgend eine Weise doch sein eigen .
Oft ist es recht ärgerlich , daß man nicht widerstehen kann , da er selber nicht festzuhalten ist .
Einmal scheint es , als verbände er mit den Worten noch einen anderen Sinn , als den sie haben sollen ; ein andermal macht er zu den schmeichelhaftesten Dingen , die ihm gesagt werden , ein gleichgültiges Gesicht , als müßte es eben nicht anders sein ; dann freut | ihn ganz wider Vermuten einmal ein absichtsloses Wort , das von ungefähr gesprochen wird ; da weiß er immer einen ganz eigenen Sinn , ich weiß nicht , ob hinein zu legen , oder heraus zu Florentin. I. 5 bringen . Uns ist dieses sonderbare Spiel sehr erfreulich , da wir ihn näher kennen , und besser verstehen .
Sie können aber denken , wie er oft in Gesellschaft Anstoß damit gibt ; doch versteht er sich recht gut darauf , ein solches Ärgernis nicht zu groß werden zu lassen ; er macht bald alles wieder gut .
Wir begreifen eigentlich nicht , wie es ihm möglich ist , diese Fröhlichkeit und gute Laune immer um uns zu erhalten , da er selbst doch nicht froh ist .
Ich und Eduard , wir sind oft allein mit ihm , und da haben wir es deutlich genug merken können , daß ihn irgend ein Kummer drückt .
Der Vater machte ihm neulich den Vorwurf er wäre zu wenig ernst , und nähme oft die Dinge zu scherzhaft .
Florentin ließ es über sich hingehen .
Eduard meinte aber , und sagte es mir allein : der Ernst in ihm wäre vielmehr zu ernst und zu tief , als daß er ihn in der Gesellschaft anwenden könnte ; und da er nie sich so gegen den Scherz versündigte , daß er ihn ernsthaft nähme , so käme es ihm zu , auch wohl ein Mal den Ernst scherzhaft zu finden .
Am besten findet sich Eduard in ihn , sie sind Freunde geworden , und man sieht jetzt einen nicht ohne den anderen .
So interessant er auch ist , so glauben Sie mir nur , liebe Tante , Eduard verliert gar nicht gegen ihn , er kommt mir vielmehr neben seinem Freunde noch liebenswürdiger vor .
Ich weiß gewiß , ich könnte diesen nicht so lieben , wie ich Eduard liebe .
Er gefällt auch dem Vater sehr wohl , der ihn so viel als möglich um sich zu haben sucht .
Er mag seine Einfälle und seine seltsamen Wendungen gern , so sehr er auch sonst gegen jedes auffallende , neue oder sonderbare spricht .
An Florentin liebt er es , und verteidigt ihn gegen jede Anklage .
Sogar das Geheimnisvolle , das über seinem Namen und seiner Herkunft schwebt , achtet er , zu unserem Erstaunen .
Noch heute war die Rede davon , ihn einem Manne vorzustellen , den er zu sprechen wünschte .
Von Florentin ? fragte der Vater .
Wir erwarteten alle seine Antwort .
Wenn es durchaus ( 5 ) 2 mit meinem Namen allein nicht genug ist , sagte er , so setzen Sie Baron hinzu , das bezeichnet wenigstens ursprünglich , was ich zu sein wünschte , nämlich ein Mann .
Der Vater ließ es sich wirklich so gefallen . --
Sogar Thereschen hat er ganz für sich gewonnen .
Sie weiß nichts besseres , als sich von Florentin etwas vorsingen zu lassen , oder ihn zeichnen zu sehen , sie vergißt Spiel und Alles , wenn sie nur bei ihm sein darf .
Sie kennen ihre heftige Art sich an etwas zu hängen .
-- Mit den Knaben reitet er viel , und kann sich mit ihnen balgen und Lärmen und Festungen erobern , die sie zusammen bauen , bis sie ganz außer sich geraten , und er mit ihnen . --
Dem Mütterchen bleibt aber der Kopf ruhig , wenn er uns auch allen verdreht wird ; nicht ein einziges Mal ist es ihm doch gelungen sie irre zu machen , wiewohl er es oft darauf anlegte ; sie lächelt , und ist freundlich und liebreich gegen ihn , aber Gewalt hat er gar nicht über sie , er fühlt es : Mutter ist auch die einzige , vor der er gehörigen Respekt hat .
Mit uns Anderen schaltet er nach Belieben ; wenn ich recht aufgebracht bin , und ihm stolz begegne , so ist er im Stande , gar nicht einmal darauf zu merken . --
So schön hat ihn Betty gefunden ?
So schön als Eduard ist er auf keinen Fall , das meint auch die Mutter , er ist auch nicht so groß und herrlich als Eduard ; aber sein Bau ist fein , schlank , und dennoch kräftig .
Er hat eine edle Physiognomie , und überhaupt etwas interessantes ; sein Anstand ist frei und kunstlos , manchmal sogar trotzig .
Was ihn auszeichnet , ist ein gewisses , beinahe verachtendes , Lächeln , das ihm um den Mund schwebt ; aber der Mund ist doch hübsch , so wie auch sein Auge , das gewöhnlich fast ganz ohne Bedeutung , still und farblos , vor sich hin schaut , das aber helle Funken sprüht bei einem Gespräch , das ihn interessiert , es wird dann sichtbar größer und dunkler .
Er hat eine schöne helle Stirn , und es kleidet ihn gut , wenn er , wie er oft tut , sich die dunkelbraunen Locken , die tief darüber her fallen , mit der Hand zurückstreicht , oder wenn sie vom Wind gehoben werden .
Die Mutter findet , er hätte etwas altritterliches , besonders wenn er ernsthaft aussieht , oder unvermutet in ein Zimmer tritt , sie müßte sich ihn immer mit einer blanken Rüstung und einem Helm denken .
Therese hat viel mit Auffinden von entfernten Ähnlichkeiten und mit den alten Bildern zu schaffen , und behauptet er sähe dem Gemälde vom Pilgrim ähnlich , das in der Mutter Zimmer hängt .
Sie ruhte nicht eher , bis ich es mir von ihr zeigen ließ , und sie hat wirklich Recht ; es ist eine entfernte Ähnlichkeit .
Ich fürchte , Sie werden , trotz meiner umständlichen Beschreibung , doch kein richtiges Bild von ihm haben .
Sie sehen aber , liebe Tante , wie gern ich Ihnen alles lieber mit der größten Umständlichkeit berichte , damit Sie nur nicht verleumderischen Nachrichten Glauben beymes sein dürfen , und dann mit vorgefaßten Meinungen , die uns nachteilig sind , herkommen .
Sie haben noch keinen Tag festgesetzt , an dem wir Sie sehen sollen .
Mit welcher Ungeduld erwarte ich Sie , meine verehrte , liebe Freundin !
Ich hätte Ihnen gern erzählt , welches fröhliche Leben wir leben , und welche Dinge wir unter Florentins Anleitung ausführen .
Aber heute , und in den nächsten Tagen , kann ich nicht daran denken .
Es wird mir wenig Zeit zum schreiben gelassen .
Kommen Sie bald , und nehmen Sie Teil , und erhöhen Sie unsere Fröhlichkeit durch Ihre Gegenwart .
Ich hoffe heute noch , oder doch morgen einen Brief von meiner gütigen Freundin zu erhalten , mit der bestimmten Nachricht Ihrer Abreise .
Leben Sie wohl , lieben Sie Ihre Juliane .
[/0080 ] Sechstes Kapitel .
Eduard und Florentin hatten einigemal kleine Reisen im Gebirge und in der umliegenden Gegend gemacht .
In abwechselnden Verkleidungen hatten sie die benachbarten Städtchen und Dörfer durchzogen , auf Kirmsen , Hochzeiten , Jahrmärkten , bald als Krämer oder als Spielleute .
Manches lustige Abenteuer kam ihnen entgegen , sie wiesen keines von sich .
Wenn sie dann von ihren Wanderungen zurück kamen , hatten sie viel zu erzählen und von den Eroberungen zu sprechen , die sie wollten gemacht haben .
Juliane bekam den Einfall sie einmal zu begleiten ; und das nächste Mal , daß sich die beiden jungen Männer wieder zu einer solchen abenteuerlichen Reise anschickten , teilte sie Eduard ihren Wunsch sie zu begleiten mit .
Er war voller Freude über diesen Entschluß , der ihm die Hoffnung gab , Juliahnen auf ein paar Stunden der Förmlichkeit zu entziehen , die jetzt bei der vergrößerten Gesellschaft immer mehr überhand nahm , und ihrer in der Einsamkeit froh zu werden ; auch seinem Freunde war es lieb , er hatte einen solchen Wunsch bei Juliahnen gar nicht vermutet .
Der Graf und seine Gemahlin hatten aber viel dawider , und wollten es anfangs unter keiner Bedingung zugeben .
Der Wohlstand wurde beleidigt , Julianens Gesundheit ausgesetzt , der übrigen Gefahren und ihrer eigenen Ängstlichkeit nicht zu gedenken .
Florentin , der seinen Kopf auf diesen Plan gesetzt hatte , und Eduard , der ein Recht zu haben glaubte , eine solche Erlauhniß zu fordern , hörten mit Bitten und Vorstellungen nicht eher auf , bis sie ihnen zugeteilt wurde , nur unter der Bedingung , daß sie nicht zu Pferde sondern zu Fuß gingen , und daß sie nicht die Nacht ausbleiben wollten .
Und nun wurden noch so viele Anstalten gemacht , so viel Regeln und Warnungen gegeben , daß Juliane , ganz ängstlich gemacht , sich im Herzen vornahm , gewiß nichts zu übertreten , und gewiß zum letztenmal eine solche Erlaubnis zu begehren .
Eduard aber wurde der ganze Einfall beinahe zuwider wegen der großen Umständlichkeit , und er war eben nicht gesonnen , sich gar zu streng an die Vorschriften zu halten .
Nachdem sie endlich alles zu Stande gebracht , und Juliane den Abend mit schwerem Herzen von ihren Eltern Abschied genommen hatte , machten sie sich morgens früh auf den Weg , nur von ein paar Jagdhunden begleitet .
Sie waren alle drei als Jäger gekleidet .
Eduard und Florentin trugen Büchsen , Juliane hatte nur ein Jagdmesser und Tasche , statt der Büchse trug sie die Gitarre , von der sich Florentin selten trennte .
Da Juliane gut zu Pferde saß , und oft in Männertracht ausritt , so war sie ihrer nicht ungewohnt , sie ging so leicht und ungezwungen daher , als hätte sie nie eine andere Kleidung getragen , und auch so als Knabe sah sie wunderschön aus ; auch die beiden Freunde nahmen sich gut aus , als ältere Brüder des lieblichen Kindes .
Sie gingen dem Morgen entgegen , der in voller Pracht heraufstieg , der Frühling in seiner ganzen Herrlichkeit umfing sie , die Vögel sangen munter , Blüten dufteten und die Bäume glänzten im Schein der Sonne .
Sie gingen durch den Wald nach dem Gebirge zu , fröhlich und unbekümmert wie die Kinder .
Sie genossen sich selbst in reiner Unbefangenheit ; Vergangenheit und Zukunft war ihren Gedanken fern , der Wille des Augenblicks war ihnen Gesetz .
" Ach , rief Eduard auf einmal aus ; so leben , wenn auch nur eine kurze Zeit , und sterben , ehe wir den Tod zu wünschen haben !
Schlafen gehen und nicht wieder aufstehen ! --
Ihr denkt an den Tod , sagte Florentin , um zu bedenken wie ihr so gern nicht an ihn denken wollt ! --
Torheit ! rief Juliane , wer will jetzt vom Tode sprechen ? --
Florentin nahm ihr die Gitarre ab , und spielte einen raschen Tanz , sie drehte sich mit Eduard in schnellen Kreisen .
Er hatte sich unter einem Baume niedergesetzt .
Nachdem sie zu tanzen aufgehört hatten , setzten sich beide neben ihn . --
Es tanzt sich gut auf dem kurzen Grase .
-- Besser und erfrenlicher als auf dem getäfelten Fußboden Eurer Säle , das ist gewiß .
-- Wenn man nun hier im Walde an eine Assemblee denkt ! --
Davon kein Wort , Juliane , ich mag eben so wenig von Assembleen hören , als Sie vom Tode . --
Hiermit nahm er die Gitarre wieder auf , und sang : Sie ist mir fern , wie soll ich Freude finden !
Ich kann dem Kummer nur mein Leben weihen .
Wie um den Baum sich üppig Ranken winden , Die Nahrung raubend seiner Krone dräun , So , fern von Dir , mich Sorge und Unmut binden , Daß keine Erdenlust mich kann erfreuen .
Fragt nicht , warum mein Sinn so rastlos eilt ; Für mich ist nirgends Ruhe , als wo sie weilt .
Juliane , erhitzt vom raschen Tanz , lehnte sich an Eduard , ein sanfter Wind , der hoch in den Wipfeln der jungen Birken rauschte , kühlte ihr das glühende Gesicht , und wehte die Locken zurück , die in der Bewegung durch ihre eigene Schwere sich von der Nadel losgemacht hatten , und nun bis tief auf die Hüften herabfielen .
Eduard verlor sich ganz im Anschaun ihrer Schönheit , und die Töne der Gitarre , die dazu gesungenen Worte drangen in sein Innerstes .
Er drückte Juliahnen mit Heftigkeit an seine Brust ; die Gegenwart des Freundes vergessend hielt er sich nicht länger , seine Lippen waren fest auf die ihrigen gepreßt , seine Umarmung wurde kühner , er war außer sich .
-- Juliane erschrak , wand sich geschickt aus seinen Armen , und stand auf , ihm einen zuründen Blick zuwerfend .
Eduard war betroffen , sie reichte ihm beruhigend die Hand , die er mit Küssen bedeckte .
Nunmehr sang Florentin , mit raschen Griffen sich begleitend , gleichsam als beruhigendes Echo jener ersten sehnsuchtsvollen Anklänge :
Ich bin dir nah , wie soll die Wonne ich fassen , Die mir aus deinen lieben Augen winkt !
Als sollt ich nimmermehr dich wieder lassen .
Wann voll Verlangen Herz an Herz nun sinkt , So soll mein Arm den holden Leib umfassen , Indes mein Mund der Liebe Tränen trinkt .
O Glück der Liebe , seliges Entzücken !
Geschenk der Götter , Menschen zu beglücken !
Wie schön , rief Juliane , als das Lied geendigt war , wie schön weiß er die Selig keit und die Schmerzen eines liebenden Herzens auszusprechen !
Florentin , Sie lieben ! gewiß Sie lieben !
Sie sollten uns die Geschichte Ihres Glücks mitteilen ! oder , wenn Sie nicht glücklich lieben ... armer Florentin !
-- Sie nahm seine Hand in ihre beiden Hände .
Er seufzte und lehnte seine Stirn auf ihre Hand .
" So öffnen Sie uns Ihr Herz , fuhr sie mit bewegter Stimme fort , wir sind es beide wert . --
Florentin richtete sich auf . --
Wie mich Eure Teilnahme rührt , Ihr Guten .
Es ist das erste von Herzen zu Herzen gehende , dem ich begegnet bin !
Wohl trage ich Liebe in meiner Brust , Juliane , aber ein Weib , dem sie eigen gehörte , die sie mit mir teilte ... die fand ich noch nie ! --
O das ist unglaublich .
Sie entziehen sich uns . --
Nein , bei Gott , Nein !
Sie werden es weder glückliche noch unglückliche Liebe nennen wollen , wenn Sie hören , daß ich von meinem sechzehnten Jahre an der Erziehung der berühmtesten schönen Frauen in Venedig überlassen war .
Ich lernte jeden Sinnenrausch kennen , früher als ich das geheime Feuer im innersten meines Herzens kannte und verstand , und keine Verderbnis der verderbtesten Welt hat es daraus vertilgen können .
Die Schönheit betete ich an , wo sie sich mir darbot , ein glückliches Naturcll unterstützte mich ... kurz , ich wurde nirgend grausam behandelt .
Nachher lebte ich eine Zeit lang von aller schönen feinen Welt entfernt bei armen Hirten in den Gebirgen ; dieser schönen Tage werde ich immer mit Freude gedenken .
Ich lebte mit lieben holden Kindern zusammen , wahren Kindern der Natur , und der ersten Unschuld ; bei ihnen heilte meine Fantasie wenigstens wieder . ...
Einen Gegenstand der Liebe aber , die bis jetzt mir nur unbelohnt , aber tief im Herzen lebt , wo würde ich den wohl finden ?
Er eristirt irgend wo , das weiß ich , von dieser frohen Ahnung werde ich im Leben festgehalten : aber wo er existiert ? wo ich ihn finde ? --
Aber welche Forderungen werden Sie auch machen ? sagte Juliane .
Was wird der Herr verlangen von einer Frau , die ihm die rechte sei ! --
Unwiderstehlich reizend sind Sie , Juliane , wenn Sie die kleine Lippe so trotzig aufwerfen , und das Näschen höhnisch rümpfen ! -- Welche Anmaßung ! --
O keinen Zorn , wenn ich meinen Kopf behalten soll , er kleidet Sie viel zu schön !
Was hilft es denn , daß ich in Einer alles vereinigt fand , was meine Wünsche fassen ?
Sie ist ja die liebende Braut des Glücklichen dort ! --
Sie sind ausgelassen , Florentin ! --
Nun seht , ihr Lieben . ich fordre wenig , ihr werdet es vielleicht nicht glauben , recht sehr wenig ; doch scheint es eine große Forderung zu sein , denn ich fand sie nie erfüllt .
Nichts als ein liebenswürdiges Weib , die mich liebt , liebt wie ich sie , die an mich glaubt , die ohne alle Absicht , bloß um der Liebe Willen , die meinige sei , die meinem Glück und meinen Wünschen kein Vorurteil und keine böse Gewohnheit entgegensetzt , die mich trägt wie ich bin , und nicht erliegt unter der Last ; die Florentin. I. 6 mutig mit mir durch das Leben , und , wenn es sein müßte , mit mir in den Tod schreiten könnte . ... Sehen Sie Juliane , das ist alles ! ... und ich habe es nicht gefunden , obgleich schöne Frauen jedes Standes mir überall und ohne Bedenken die unzweideutigsten Beweise ihrer Liebe , wie sie es nannten , gaben . --
Mit welchen Frauen haben Sie gelebt , Florentin ! --
In der besten , der feinsten Gesellschaft mitunter , sein Sie versichert , gute Juliane .
-- Sie sollten uns doch bald mit ihren Schicksalen und Abenteuern bekannt machen , sagte Eduard . --
O tun Sie es , sagte Juliane , Ihr Lebenslauf muß sehr interessant sein ! --
Interessant ! rief er aus ; ich bitte euch , was nennt ihr denn interessant ?
Ich weiß wahrhaftig nicht , ob er das sein wird .
Ich wollte , mein Lebenslauf gehörte irgend einem anderen zu , vielleicht würde ich ihn dann auch ergötzlich finden : als mein eigener Lebenslauf aber gefällt er mir eben nicht . Euch will ich auch einmal die Lust verschaffen , nur jetzt nicht , denn mich dünkt , es ist Zeit , daß wir uns nach einer Mahlzeit umsehen .
-- Wenn Sie es zufrieden sind , sagte Juliane , so gehen wir , während die Mittagssonne brennt , nicht von diesem Platz , er ist schattig und kühl .
Geben Sie her , was von kalter Küche da ist , unser grünes Lager mag zugleich unsere Tafel sein . --
Sehen Sie , auch für ein sauberes Tuch hat man gesorgt , um es aufzudecken . --
Sogar Wein findet sich hier , sagte Florentin , indem er die Flasche hervorzog .
-- Stellen Sie ihn dort an den Bach hin , damit er abkühle . --
So reichlich fanden wir uns noch nie auf unfern Zügen versorgt . --
So hat die Umständlichkeit , die meine Begleitung verursachte , doch wieder etwas angenehmes erzeugt . --
Wie oft mußte ich nicht schon die Annehmlichkeiten eines bequemen Lebens entbehren ! konnte ich mir aber nur eine größere Unabhängigkeit damit erkaufen , so geschah es mit tausend Freuden . --
Doch wohl auch oft dem Liebchen zu gefallen ? sagte Eduard . --
Auch das genug , ( 6 ) 2 sagte Florentin , ich hatte dann auch süßen Lohn . "
Sie lagerten sich um das Tuch und verzehrten ihren Vorrat unter fröhlichen Scherzen , Gesängen und Lachen .
Florentin pflegte durch den Wein lebhafter noch und heiterer zu werden als gewöhnlich , Eduard aber fühlte seine Lebensgeister leicht durch ihn erhitzt , reizbarer und zugleich schwerer ; Juliane wurde von ihnen mit Bitten bestürmt , diesmal doch ihren Wein ohne die gewöhnliche Mischung von Wasser zu trinken , sie war aber nicht dazu zu bewegen .
Die Ausgelassenheit und der steigende Mutwille der beiden fing an sie zu ängstigen , sie fand jetzt ihr Unternehmen unbesonnen und riesenhaft kühn ; die beiden Männer kamen ihr in ihrer Angst ganz fremd vor , sie erschrak davor , so ganz ihnen überlassen zu sein ; sie konnte sich einen Augenblick lang gar nicht des Verhältnisses erinnern , in dem sie mit ihnen stand , sie bebte , wurde blaß . --
Eduard bemerkte ihre Angst .
" Was fürchtest du holder Engel !
Du bist bei mir , bist mein -- er um armte sie mit einigem Ungestüm .
-- Lassen Sie mich , Eduard ! rief sie , sich aus seinen Armen windend ; nicht diese Sprache ... ...
Sprechen Sie jetzt gar nicht zu mir , Ihre Worte vergrößern meine Furcht ... ich bin so erschreckt ... ich weiß nicht warum ? --
Sie verbarg ihr Gesicht in ihre beiden Hände .
-- Beruhigen Sie sich Juliane ! -- Stille , ich beschwöre Sie , nicht ein Wort weiter , wenn Sie mich lieben ! --
Florentin hatte sich , als er ihre Unruhe bemerkte , zurückgezogen , die Gitarre genommen , und allerlei Melodien fantasiert ; die beiden Hunde hatten sich zu ihm gelagert , und drückten aufwärts ihre Köpfe an seine Knie .
Gesammelt fing Juliane endlich an : die Sonne steht noch zu hoch , wir können in der drückenden Hitze diese Schatten nicht verlassen .
Sie , Florentin , könnten jetzt Ihr Versprechen erfüllen , und uns einiges aus Ihrem Leben erzählen !
Er schwieg ein Weilchen , dann sang er folgende Worte : Draußen so heller Sonnenschein , Alter Mann , laß mich hinaus !
Ich kann jetzt nicht geduldig sein , Lernen und bleiben zu Haus .
Mit lustigem Trompetenklang Ziehet die Reiterschaar dort , Mir ist im Zimmer hier so bang , Alter Mann , laß mich doch fort !
Er bleibt ungerührt , Er hört mich nicht :
" Erlaubt wird , was dir gebührt , Tust du erst deine Pflicht ! "
Pflicht ist des Alten streng Gebot ; Ach , armes Kind !
du kennst sie nicht , Du fühlst nur ungerechte Not , Und Tränen netzen dein Gesicht .
Wenn es dann längst vorüber ist , Wonach du trugst Verlangen , Dann gönnt man dir zu spät die Frist , Wenn Klang und Schein vergangen !
Was du gewähnt , Wonach | dich gesehnt , Das findest du nicht :
Doch bleibt bethränt Noch lang dein Gesicht .
" Was soll uns jetzt das Lied , Florentin ? fiel Juliane ungeduldig ein ; ich dringe auf die Erfüllung ihres Versprechens !
-- Sie könnten auch mein Lied als eine Einleitung nehmen zu dem , was ich Ihnen zu erzählen habe .
Aus meiner Kindheit weiß ich mir nichts so bestimmt zu erinnern , als den Zwang und das Unrecht , das mir geschehen ist , und das ich schon damals sehr klar fühlte .
Gewiß ist jedem Kinde so zu Mute , dem man nach einer vorher bestimmten eigenmächtigen Absicht eine streng eingerichtete Erziehung gibt .
[/0096 ] Siebentes Kapitel .
Die Gesellschaft lagerte sich bequem , und Florentin fing an zu erzählen :
Wie ein Traum schwebt mir die frühe Erinnerung vor , daß ich in meiner ersten Kindheit in einem einsamen Hause auf einer kleinen Insel lebte .
In dem Hause wohnte niemand , als eine gute freundliche Frau , die Sorge für mich trug und mich keinen Augenblick verließ , und ein etwas ältlicher Mann , der die schweren Haus- und Gartenarbeiten verrichtete , und jeden Tag mit einer kleinen Barke fortruderte , und die nötigen Vorräte einholte .
Es befanden sich gewiß noch mehrere Häuser auf der Insel ; von diesen erinnere ich mich aber nichts , so wenig als von ihren Bewohnern .
Ein paarmal kam eine schöne | sehr prächtig gekleidete Dame , von zwei Herrn begleitet , mit der zurückkehrenden Barke .
Diese Dame liebkoste mich zärtlich , gab mir Spielzeug und Konfekt , und ich mußte sie Mutter nennen .
Einer von den Herren , der auch schön und glänzend gekleidet war , bezeigte meiner Mutter viel Aufmerksamkeit , und war sehr freundlich gegen sie , so wie sie auch gegen ihn .
Dem anderen Herrn , der , wie ich nachmals erfahren habe , ein Geistlicher war , begegneten beide mit Ehrfurcht .
Gegen mich waren beide unfreundlich ; sie schalten mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter drängte oder nicht von ihrem Schoß fort wollte .
Sie waren mir beide verhaßt , besonders der geistliche Herr , dessen Recht mich zu schelten ich immer im Herzen bezweifelte .
Der Stolz und die Unfreundlichkeit der beiden Männer hatte einen so verhaßten Eindruck auf mein kindliches Gemüt gemacht , daß ich sie fürchtete , und sie niemals begrüßen oder anreden mochte , so sehr meine Mutter darauf bestand .
Empfindlichen Kindern ist Härte und Unfreundlichkeit un erträglicher als jede Entbehrung , die man ihnen mit Güte und Sanftmut auferlegt .
Eines Tages kam unser alter Mann mit der Barke zurück .
Er war ganz bestürzt und sprach heftig mit der Frau ; diese weinte , küßte mich und stieg mit mir in die Barke .
Der Mann fuhr uns an ein fremdes Ufer , wo der Anblick der vielen Menschen und Häuser mich in Erstaunen setzte .
Ich wurde durch viele Straßen in ein sehr großes Haus geführt , dann durch eine Menge Zimmer , in denen sich viele Menschen hin und her drängten .
Die meisten waren schwarz und wunderlich gekleidet , und obgleich es so viele waren , und alle besorgt und beschäftigt schienen , so ging es doch still und feierlich zu .
Mein Herz wurde kalt bei dem geistermäßigen Anblick , den ich mir so gar nicht erklären konnte .
Endlich gelangte ich in ein sehr großes Zimmer , dessen Wände und Fußboden schwarz behängt waren ; kein Tageslicht drang hinein , ein paar Wachskerzen mit schwarz umwundenen hohen Leuchtern brannten düster .
Ganz am entgegengesetzten Ende stand ein schwarz bei Hanges Ruhbett , auf dem eine gleichfalls ganz schwarz gekleidete Dame saß , die einen langen schwarzen Schleier über das Gesicht hatte .
Indem ich hineintrat , stand die Dame auf , und ich erkannte die Stimme meiner Mutter ; der geistliche Herr bat sie ruhig zu sein , und ging mir entgegen , um mich zu ihr zu führen , ich war vor Angst und Schrecken wie im Fieber , und ich verbarg mich zitternd im Gewand meiner Wärterin .
Meine Mutter mochte die Ursache meines Schreckens erraten , sie kam auf mich zu , und legte ihren Schleier zurück , so daß ich ihr Gesicht erkannte ; aber ich vermißte schmerzlich den glänzenden Schmuck , den ich sonst mit solchem Ergötzen in ihren Haaren , an Hals und Ohren hatte schimmern sehen .
Ich blieb lange furchtsam und ängstlich ; man gab mir glänzendes Spielzeug , ich konnte mich aber nicht beruhigen .
Endlich wurde mir ein kleines Mädchen zugeführt , die mir freundlich zuredete , und den Gebrauch des schönen Spielzeugs kannte ; man sagte mir , sie sei meine Schwester ; ich spielte mit ihr , und meine Furcht verschwand beinahe ganz .
Dies war das erste Mal , daß ich ein anderes Kind sah , und meine Freude war sehr groß über diese neue Bekanntschaft .
Nun war ich glücklich genug , nur konnte ich mich durchaus nicht an die finsteren Zimmer gewöhnen , ich sehnte mich nach der frischen Luft , nach dem Himmel und den Bäumen ; meine Mutter begegnete mir mit der größten Zärtlichkeit , ich liebte sie , aber ich ging doch noch lieber mit meiner Wärterin ins Freie .
Meine Mutter blieb immer in diesen mir verhaßten Zimmern , sie weinte fast immer , wenn ich sie sah , und ich hörte sie oft wiederholen :
mein Vater sei gestorben ; aber ich konnte es nicht fassen , ich wußte nicht , wer mein Vater gewesen sei , ich hatte diese Benennung gar nicht zu brauchen gelernt .
Meine Mutter sagte mir mit Tränen : der schöne Herr , der mich in ihrer Gesellschaft auf der Insel besucht hätte , wäre mein Vater gewesen .
Ich weinte nun auch , und war nicht wieder zu beruhigen ; die Wärterin fragte mich : warum ich denn so sehr weinte ?
Ich wollte es nicht sagen , man drang in mich. O daß der Prior nicht mein Vater war , schrie ich , so wäre der tot , und der andere Herr lebte noch ! --
Ich erinnere mich jetzt nicht mehr , was auf diesen Ausruf erfolgte , auch nicht , ob der Prior zugegen war .
Von den Hausleuten hörte ich manchmal mit Bedauern sagen :
es wäre doch sonst viel anders im Hause gewesen !
Ich erkundigte mich dann bei ihnen und bei meiner Schwester , wie es eigentlich gewesen wäre ?
Ihre Erzählungen gaben mir ein wunderliches buntes Bild von den weltlichen Freuden , die jetzt ganz aus dem Hause verbannt , und an deren Stelle feierliche Unterredungen und Andachtsübungen getreten waren .
Meine Schwester wußte nicht viel zu erzählen , außer daß die Mutter damals sehr reiche glänzende Kleider angehabt hätte .
Einige Mal hörte ich den Prior meine Mutter erinnern , daß es jetzt die höchste Zeit sei , mir die Erziehung meiner künftigen Bestimmung zu geben , und mich in die notwendige Lebensart einzuführen .
Meine Mutter bat ihn aber , ihr die Gesellschaft ihrer Kinder noch nicht zu nehmen , sie würde alles versäumte wieder nachholen .
Ohne daß ich den Sinn dieser Worte verstand , ängstigten sie mich mit trauriger Ahnung , die auch sehr bald erfüllt wurde .
Meine Mutter wurde immer ernster und trüber , und bald auch strenger gegen uns .
Anstatt unserer gewöhnlichen zierlichen leichten Kleidung gab man uns häßliche Kleider von grobem Zeuge , mit klösterlichem Schnitt , und das während derselben Tage , da ich die Freude hatte , daß man die schwarzen Vorhänge aus dem Zimmer meiner Mutter nahm .
Die hellen Teppiche kamen nun zum Vorschein , die prächtig vergoldeten Zieraten glänzten mir entgegen , ich war voller Freude über diese Herrlichkeiten ; und nun mußte ich diese Kleidung anlegen , die mir schon an den Mönchen , die ich gesehen hatte , so widerlich war .
Ich war außer mir , ich wollte es durchaus nicht leiden , keine Drohung konnte mich bewegen .
Endlich zog meine Schwester mit stillen sanften Tränen an , was man von ihr verlangte , da ließ ich mir es auch gefallen .
Noch mehrere Schrecken erwarteten mich an diesem unglücklichen Tage .
Wir wurden zur Mutter herein gerufen ; sie war im Gespräch mit dem Prior und noch einem Mann in geistlicher Kleidung , den ich nicht kannte , der mir aber einen so fatalen Eindruck machte , daß ich gewiß den Augenblick , wo ich ihn zuerst gesehen , nie vergessen werde .
Er hatte ein finsteres kaltes Gesicht wie der Prior , nur daß dieser , ein vollkommen schöner Mann , mit feierlichem stolzen Anstand sich sehr gut zu präsentieren wußte , auch über meine Mutter eine Superiorität hatte , die Allen Ehrfurcht einflößen mußte .
Der neue Ankömmling war lang und mager , von gelber Gesichtsfarbe , und hatte so durchaus etwas jämmerliches und demütiges .
Er bückte sich bei jedem Wort , das meine Mutter mit einer Protektionsmiene zu ihm sprach , so furchtsam und ungeschickt .
Mir entging nichts von dem allen , meinen Widerwillen wußte ich aber erst später zu erklären .
Er wurde mir als mein Hofmeister bekannt gemacht , und zu gleicher Zeit sagte meine Mutter zu meiner guten Wärterin , sie wäre von nun an die Hofmeisterin meiner Schwester , die unter ihrer unmittelbaren Aufsicht stehen sollte .
Ich beneidete meine Schwester , ich wäre so gern bei meiner Wärterin geblieben .
Es erfolgte jetzt ein förmliches Abschiednehmen ; meine Mutter küßte mich , und führte mich zum Prior , der mir seinen Segen gab , meine Schwester wurde weinend von mir getrennt , der Hofmeister empfing mich aus den Händen des Priors , der ihm Wachsamkeit und Fleiß empfahl .
Er führte mich fort , ich folgte ihm halb tot vor Entsetzen und bangem Erwarten .
Es war der Anfang einer unglücklichen Reihe von Jahren , der ich entgegenging .
Er führte mich in das für uns bestimmte Zimmer , es war ganz entlegen , und vom geräuschvollen Teile des Hauses entfernt .
Eine große schwere Türe , am Ende eines finsteren Ganges wurde aufgetan .
Wir traten hinein , eine kalte Luft umfing mich , ich schauderte , und derselbe Schauder überfiel mich jedesmal , wenn ich hineinkam .
Das Zimmer war groß und hoch , gotisch gewölbt , die Fenster ganz oben , und zum Überfluß noch vergittert , die nackten grauen Wände nur von finsteren Heiligenbildern verziert .
Am einen Ende bedeckte ein großes Kruzifix einen Teil der Wand ; drunter ein Tisch , worauf eine Decke und zwei große Kerzen sich befanden , gegen über unsere Betten , zwei Tische mit Schreibe-Zubehör , ein Repositorium mit Büchern und einige Stühle : das war alles , was diese Gruft enthielt , in der ich vier lange , bange Jahre mit meinem gespensterhaften Aufseher , unter unaufhörlichem Zwang verleben mußte .
Ich mochte ungefähr zehn Jahr Florentin. I. 7 alt gewesen sein , als ich hineingelassen wurde .
Seltene spärliche Sonnenstrahlen fielen durch die kleinen Gitter , und diese vermehrten nur immer mehr meine Traurigkeit und meine Sehnsucht nach dem freien Himmel , wenn sie die gegenüber stehende Wand erhellten .
Jeden Morgen beim Erwachen fiel mir das Kruzifix in die Augen , auf das oft ein solcher blasser Strahl schräg hinfiel und es so schauderhaft erleuchtete , daß ich davor zurückbebte .
Ich habe mich in diesen ganzen vier Jahren an den Anblick nicht gewöhnen können ; ich war froh , wenn der Himmel umwölkt war , damit ich die Strahlen nicht mehr sähe , die sonst meine größte Freude gemacht hatten .
Seitdem war ich noch oft sehr unglücklich , ich habe Momente der schrecklichsten Verzweiflung erlebt ; aber gegen die Bitterkeit jenes Zustandes , in dem ich die lieblichsten Jahre meiner Kindheit vertrauern mußte ... daran reichte seitdem nichts wieder !
Wie grenzenlos unglücklich ein Kind sein kann , dem die Hoffnung noch nicht bekannt ist , das Nichts hat , Nichts kennt als den gegenwärtigen Moment , an dem es mit allen Sinnen , mit aller Kraft und Begierde seiner empfangenden Seele hängt ; wenn es abhängig von fremder Laune , fremder Absicht , seine frohen Wünsche , die natürlichen Gefährten seines Alters unterdrücken muß , so daß selbst diese ihm fremd werden ... gewiß hat ein jeder dies irgend einmal erfahren : aber die meisten vergessen diesen peinvollen Zustand wieder , sobald sie darüber hinaus sind .
Ja oft rächen sie sich für das ausgestandene Übel wiederum an ihren Kindern , so wie diejenigen gegen ihre Untergebenen am härtesten verfahren , die selbst aus dem Stand der Dienstbarkeit sind .
Kinder werden von einer Generation auf die andere als angeborenes Eigentum angesehen , das man zu seinem eigenen Vorteil , oder nach Laune , bearbeitet und benutzt .
Nun , wenn es unabänderlich so bleiben muß , so ist es nur eine Inkonsequenz , daß die Eltern nicht ( 7 ) 2 auch über Leben und Tod ihrer Kinder zu richten haben !
Es hielt schwer , ehe ich mich bewegen ließ , bei meinem Hofmeister zu bleiben , der im Hause allgemein der Pater genannt wurde .
Ich sträubte mich aus allen Kräften dagegen .
Endlich wurde mir im Namen meiner Mutter notifiziert , daß ich mich durchaus fügen müßte , sonst sollte ich sogleich ins Kloster der Benediktiner , wohin ich durch besondere Vergünstigung des Priors nun erst in vier Jahren zu gehen brauchte .
Er hätte aus Gewogenheit für mich und meine Mutter es erlaubt , daß der größte Teil meines strengen Noviziats in ihrem Hause unter der Aufsicht des Paters vergehen dürfte , und für diese Gunst sollte ich doppelt Gehorsam und dankbar sein .
Mein Schrecken war übermäßig , als ich erfuhr , daß ich zu den Benediktinern sollte .
Der Prior hatte mich einmal im Kloster herumgeführt , mir die Ordnung , Einrichtung und Gesetze erklärt , und trotz dem , daß er mir alles aufs schönste und unter vielen Schmeicheleien vortrug , konnte doch nichts den Abscheu überwinden , den ich mit der größten Heftigkeit gegen Kloster und Mönche faßte .
Er war sonderbar , dieser Haß , denn ich kannte ja die Welt noch nicht , und wußte nichts von ihren Freuden .
Aber es war mir immer , als spräche etwas in meinem Inneren zu mir :
es gibt noch viel schöne Dinge , aber weit von hier !
Doch alles , was ich einwenden mochte , half nichts , wohl : te ich diese vier Jahre noch im Hause meiner Mutter bleiben dürfen , so mußte ich mir alles gefallen lassen ; und nun war es beschlossen , daß sowohl ich , als meine Schwester zum Kloster bestimmt wären , und daß wir , dieser Absicht gemäß , schon jetzt unsere Lebensart daran gewöhnen sollten .
Anfangs wurde ich und meine Schwester täglich zu meiner Mutter gesühnt , nach und nach wurden aber diese Befuge immer seltener , meine Schwester blieb meiner alten Wärterin ganz überlassen , und ich war allein mit dem Pater .
Nur an seltenen Festtagen dursten wir zur Mutter kommen ; auch fanden wir immer weniger Trost bei ihr , sie bezeigte uns zwar viel Liebe , besonders mir ; aber sie selbst wurde täglich trüber , und den Andachtsübungen immer mehr hingegeben .
Mein einziger Trost war meine Schwester , die ich aber nie sprechen konnte als im Garten , wohin mich der Pater regelmäßig jeden Abend führte , wo sie sich dann auch mit ihrer Hofmeisterin einfand ; dies war die einzige frohe Stunde , die ich den ganzen Tag hatte ; und auch diese war beschränkt , denn der Pater verließ mich keinen Augenblick , und gelang es uns auch , uns allein zu unterhalten , so vergingen sie unter gegenseitigen Klagen .
Das arme kleine Madchen jammerte besonders sehr über die haßliche Kleidung , die ihr nicht stehen wollte , ich tröstete sie oft , wenn ich weniger übel gelaunt war , und einigemal versicherte ich ihr sogar als eine Prophezeiung , ich wurde es , wenn ich erst älter wäre , gewiß ändern , und ich wollte sie frei machen , sobald ich frei wäre .
Darauf wußte sie aber niemals etwas zu sagen , sie sah mich mit großen Augen an , und es schien als glaubte sie mir nicht , was mich denn nicht wenig verdroß .
Meine Tage füllten trostlose Studien , die alle darauf abzweckten , mich zu meinem künftigen Stande geschickt zu machen ; das kanonische Recht , geistliche Gebräuche , Kirchengeschichte , kurz alles was in dieses Fach gehört :
mein armes Gedächtnis wurde mit diesen toten Dingen bis zur Zerstörung gemartert .
Das beste , was ich davon trug , war die Kenntnis einiger alten , und der deutschen Sprache ; der Pater war ein Deutscher von Geburt , und liebte seine Sprache .
Der Prior , der als ein gelehrter Mann bekannt war , hatte es über sich genommen , meine Studien zu dirigieren .
Er kam jede Woche einmal und untersuchte meine Fortschritte , es war daher leicht zu begreifen , daß der Pater sein Bestes an mir versuchte .
Mit der größten Strenge hielt er mich an , mir Sachen einzuprägen , die ich , Gott sei Dank , in kürzerer Zeit vergaß , als ich zu ihrer Erlernung gebraucht hatte ; zur Erholung wurde mir verstattet in den Legenden die Geschichte der Heiligen und Märtyrer zu lesen , deren Gemalte an den Wanden hingen .
Auch versuchte ich es oft , mit der Feder die Umrisse dieser Bilder nachzuahmen , welches mir immer gut gelang ; mit einiger Anleitung hätte ich vielleicht ein Künstler werden können .
Gewiß ist es aber , daß Kinder von lebhaftem Geiste gegen die Dinge , wozu man ihnen durch frühe Gewöhnung eine Neigung zu geben sucht , gerade dadurch einen Widerwillen bekommen ; nur auf schwache , furchtsame Gemüter vermag die Gewohnheit etwas .
Der Abscheu gegen mein Leben und meine Bestimmung nahm mit jedem Tage zu , da alles , was mich umgab , mich bis zur Ermüdung darauf hinwies .
Freiwillig und lebensmüde hätte ich sie vielleicht einst selbst gewählt .
Alle erwachsenen Leute erschienen mir nicht allein mürrisch und hart , sondern ganz unverständig und blind , ihre Befehle und Verbote sinnlos und abgeschmackt .
Darin wurde ich besonders durch einen Zufall aus dem ersten Jahre meines widrigen Lebens bestärkt ; ich war nämlich einmal mit meiner Schwester im Zimmer meiner Mutter , sie wollte unsere Fähigkeit im Lesen prüfen .
Zufällig war kein anderes Buch in der Nähe , als ein Gedicht , das meine Mutter eben gelesen hatte .
Ich las einige Verse , in denen das Glück der Kindheit gepriesen wurde ; meine Mutter war mit der Fertigkeit , womit sie gelesen wurden , zufrieden , und rühmte , indem sie sich zum Pater wandte , die Schönheit der Verse , und die rührende Wahrheit des Inhalts ; der Pater stimmte laut mit ein .
Schwache Geschöpfe , die in solcher Abhängigkeit leben müssen , glücklich zu preisen , zu beneiden , das war zu toll !
Ich wurde ganz wütend , weinte , und war durch nichts zu bewegen , noch weiter zu lesen , und mußte die Strafe für meinen Ei gensinn , wie sie es nannten , erleiden , deren Ungerechtigkeit mich nur noch mehr empörte , und meine Verachtung gegen die geringe Einsicht meiner Vorgesetzten noch vergrößerte .
Wie seufzte ich nach dem Moment , mich von den hartherzigen , unverständigen Tyrannen los zu machen , sie nicht mehr fürchten zu dürfen !
Ich suchte in den Augen meiner Schwester eine Übereinstimmung mit diesem Gefühle , ohne sie zu finden ; das Kind war durch meine erlittene Strafe erschreckt , und las gedankenlos , was man ihr aufgab , mit allem Eifer , bloß um den Beifall der Mutter zu erhalten ; ich hatte Mitleid mit ihr , aber mein Zutrauen zu dem schwachen Kinde war verschwunden .
Der Eindruck dieser Begebenheit haftete unauslöschlich in meinem Gemüt ; ich war seitdem überzeugt , mehr Verstand zu haben , als die mich beherrschten , und sie betrügen zu dürfen .
Weil sie stärker waren und ihre Stärke gegen mich anwandten , so glaubte ich meinen Verstand , als die einzige Waffe , wodurch ich ihnen überlegen wäre , gebrauchen zu Mys sein .
Ich suchte auf jede Weise meine Unabhängigkeit in meinem Inneren zu erhalten , je mehr ich meine Handlungen und mein äußeres Leben nach ihrem Willen ordnen mußte .
In jeder Meinung ging ich geflissentlich von der ihrigen ab , es war mir genug , daß jene etwas fest glaubten , um starke Zweifel in mir dagegen zu hegen , und gerade das entgegengesetzte anzunehmen .
Da ich nun meine Freidenkerei sorgfältig verbergen mußte , so hielt ich mich heimlich für den Zwang schadlos ; jeder Akt von Unabhängigkeit , auch der unbedeutendste , erfüllte meine Seele mit einem geheimen Triumph , und daß ich nicht gleich auf der Stelle für meine Unwahrheit von Gott bestraft wurde , befestigte mich in meiner Überzeugung .
So lebte ich , in anscheinendem Frieden , innerlich in beständigem Krieg mit meinen Vorgesetzten , dachte auch , sie verachteten mich eben so , wie ich sie , und suchten mich nur zu überlisten .
Wie wurde ich nun überrascht und erschüttert , als ich bei einer Krankheit , die ich aus Stolz einige Tage verbarg , der ich aber endlich unterliegen mußte , die Zärtlichkeit meiner Mutter und die Sorgfalt meines Hofmeisters für meine Genesung gewahr wurde !
Es waren die Blattern , die mit gefährlichen Symptomen herausbrachen .
Einige Tage lag ich in heftigen Fieber ohne Bewußtsein ; in dem Augenblick , als ich endlich zu mir kam , und noch ganz entkräftet die Augen aufschlug , war das erste , was ich unterscheiden konnte , der Anblick meiner Mutter , die auf ihren Knien lag , und mit heißen Tränen und geängstigtem Herzen Gebete für ihr Kind zum Himmel schickte .
Ich machte eine Bewegung , sie kam zu mir , ich sah sie bleich und ihre Kleidung und Haare zerstreut und nicht in der gewöhnlichen Ordnung ; ich erkundigte mich nach der Ursache , da hörte ich : sie wäre in den Nächten meiner Lebensgefahr nicht von meinem Bette gewichen , und hätte sich auch am Tage nicht von mir entfernen wollen , um gehörig auf ihrem Bette zu ruhn , oder sich umzukleiden .
Ihre Freude , als sie gewahr wurde , daß ich meine Besinnung wieder erlangt hätte , und sie mich wieder ruhig und zusammenhängend sprechen hörte , auch der Arzt versicherte , ich sei jetzt außer aller Gefahr , war unbeschreiblich , und bewegte mich tief .
Mein Zustand schien mir selbst höchst abschreckend und ekelhaft ; doch hielt er weder meine Mutter noch meinen Hofmeister ab , mir alle möglichen Dienste selbst zu leisten , und Erleichterungen zu verschaffen .
Sie verließen mich fast keinen Augenblick , begegneten mir mit nie erfahrener Freundlichkeit , und suchten mir sogar durch kleine Spiele diese Leidenszeit zu verkürzen .
Trotz meiner körperlichen Schmerzen war ich zum erstenmal vergnügt ; mein Herz erweichte sich gegen diejenigen , die ich für meine Feinde gehalten hatte , und die mich jetzt so freundlich und zärtlich behandelten .
Mein Vergehen , sie als Feinde betrogen zu haben , fiel schwer auf mein Gewissen ; es drängte mich , mich ihnen zu entdecken , und sie selbst um die Auflösung meiner Zweifel zu bitten .
In dieser Aufwallung von frommer Treuherzigkeit legte ich eine vollständige Beichte in Gegenwart meiner Mutter und des Paters ab ; heiße Tränen entfielen meinen Augen bei dem Bekenntnis meiner Sünden !
Der Moment war entscheidend , denn jetzt hing es von ihnen ab , mich auf immer für sich zu gewinnen .
Die Idee vom Kloster ausgenommen , war ich zu Allem bereit , was von mir gefordert würde ; ja auch zu diesem hätte ich mich vielleicht verleiten lassen , wenn sie mich mit weniger sichtbarer Absicht behandelt hätten ; aber sie verstanden mich nicht , dies rettete mich .
Während meiner Beichte waren beide sehr erschreckt , wegen der Tiefe meiner Ruchlosigkeit , wie mein Hofmeister sich ausdrückte , meine Mutter aber wegen meines weltlichen Hanges zur Unabhängigkeit , der durch keine geistliche Übung und Anstrengung zu unterdrücken sei .
Während meiner Genesung wurde ich mit Schonung behandelt , nur mußte ich mehr noch als vorher , Gebete hersagen , und sonst allerlei von mir verachtete Dinge vor nehmen .
Mit unbeschreiblicher Geduld verrichtete ich alles , bloß aus Gefälligkeit für die Menschen , die mich liebten , und die ich beleidigt hatte .
Daß sie mir mein Unrecht nicht suhlen ließen , hatte ihnen mein ganzes Herz wieder gewonnen .
Ihr Betragen veränderte sich aber , je mehr ich wieder an Kräften zunahm .
Mit der möglichsten Streuge wurde ich beobachtet ; zu unaufhörlichen , mir verabscheuungswürdigen Übungen angetrieben ; nicht die allergeringste Freiheit wurde mir verstattet ; im Hause der Mutter mußte ich vollkommen so leben , als im Kloster ; dabei zeigte man mir unaufhörlich das größte Misstrauen .
Ich fühlte mich hier so rein , war es mir bewußt , daß ich durch meine Aufrichtigkeit vielmehr ihr Zutrauen hätte erwerben sollen ; ich Sand jene so klein , so unedel in ihrem Misstrauen , und mich so unwürdig behandelt , daß mein Entschluß wieder aufs neue fest wurde , mich zu befreien .
Wie ? und wann ?
das sah ich , unerfahren und kindisch wie ich war , durchaus nicht ein .
Der Zufall kam mir zu Hilfe .
Wir machten unseren gewöhnlichen Spaziergang im Garten ; der Prior kam dazu und nahm unsere Aufseher auf die Seite , um etwas mit ihnen zu überlegen ; ich blieb mit meiner Schwester in einem bedeckten Gang allein .
Auf einmal hörten wir auf dem Hof neben an einige Stimmen und Pferdegetrappel ; neugierig , wie jeder Eingekerkerte , guckten wir durch eine ziemlich große Öffnung der Pianke , die unseren Garten von jenein Hofe trennte .
Ich erblickte einen Jüngling , der sich in munterer militärischer Tracht eben auf ein schönes Pferd schwang , und vom Hofe herunter ritt .
Er war nicht mehr zu sehen , und Alles still um uns .
Ich betrachtete bald mich , bald meine Schwester .
Das Bild des leichten schlanken Jünglings , wie er sich auf das rasche Pferd schwang , einen reichgekleideten Knaben hinter sich , schwebte mir noch immer vor Augen ; mein Zustand kam mir ganz unleidlich vor ; ich weinte heftig , ich war ausser mir , und in einem Zustande von Verzweiflung .
Meine arme Schwester versuchte mich zu trösten ; es gelang ihr aber nicht eher , bis sie mir versprach , sie wollte ihr möglichstes tun , mich mit dem Jüngling bekannt zu machen .
Wirklich gelang es ihr einige Tage darauf , ihn durch die Planke zu sprechen , und ihn zu bitten , den anderen Tag in derselben Stunde wieder an dem Ort zu sein , zugleich sagte sie ihm von meiner Begierde , ihn zu sprechen .
Sie gewann ihre Hofmeisterin für mich , die mir noch immer sehr gewogen war , öffentlich aber nichts für mich tun konnte .
Den anderen Tag , als wir im Garten waren , entfernte sie sich um die bestimmte Zeit mit dem Pater und meiner Schwester , die nur unter der Bedingung nicht dabei zu sein , sie in ein so gewagtes Unternehmen hatte hinein ziehen können .
Ich blieb allein am bestimmten Ort , der Jüngling erschien bald darauf , nicht wenig neugierig auf eine so abenteuerliche Zusammenkunft .
Mit wenigen Worten , und ohne Zeitverlust , sagte ich ihm kurz die Ursache , warum ich seine nähere Bei Florentin I. 8 Kantschaft wünschte , bei welcher Gelegenheit ich ihn zuerst gesehen , und welche Hoffnung ich gleich beim ersten Anblick von ihm gefaßt habe ; zugleich machte ich ihn mit meiner ganzen Lage bekannt .
Er nahm auf der Stelle den wärmsten Anteil an meiner Not , beklagte mich , versprach mir seine Hilfe und seinen Rat in allem , was ich unternehmen wollte , und gewann mein ganzes Herz durch sein edles Wesen .
Er bestärkte mich in meinem Vorsatz , mich mutig zu widersetzen , vorher aber sollte ich zu erlangen suchen , daß wir freundschaftlich zusammen umgehen könnten .
Wir trennten uns , da ich die Stimmen der Übrigen vernahm , mit dem gegenseitigen Versprechen , uns bald wieder zu sehen .
Ich hatte neuen Mut durch diese Bekanntschaft gewonnen ; und die erste Wirkung davon war die , mich nicht ferner zu verstellen ; jetzt verachtete ich meine Unterdrücker mehr , als ich sie fürchtete .
Den anderen Morgen sagte ich dem Pater in einer ordentlichen Anrede :
ich dankte ihm für seine bisherige Bemühung , der er aber von nun an überhoben sein sollte , weil es mit meinen Studien vollkommen aus wäre !
Wollte er mich aber etwa zum Studieren zwingen , so würde ich sogleich zu meiner Mutter gehen und es ihr selber sagen , daß ich unter keiner Bedingung ins Kloster gehen , noch auch die geistlichen Studien weiter fortsetzen wolle ; ich sei fest entschlossen und ganz bereit , mich jeder Begegnung auszusetzen , um mich frei zu machen .
Der Pater war wie aus den Wolken gefallen , als er mich diese Sprache führen hörte , und wollte einiges versuchen , mich wieder zum alten Gehorsam zu bringen ; da er mich aber unwandelbar entschlossen sah , nahm er plötzlich eine ganz andere Miene an .
Der arme Teufel mochte wohl fürchten , seine gute einträgliche Stelle , und die künftige Versorgung , die ihm der Prior zugesagt hatte , zu verlieren , wenn ich mich meiner Mutter entdeckte ; er wußte , diese würde den Fall sogleich dem Prior mitteilen , der dann vor allen Dingen einen anderen Hofmeister für den re ( 8 ) 2 bellischen Knaben herbeischaffen würde ; eine Veranstaltung , die zuerst den Pater zu seinem eigenen Nachteil hätte betreffen müssen .
Nach einigem Bedenken fragte er mich nach meinem Plan , sagte viel zu seiner Verteidigung : wie ich ihn verkennte , wie er mich im Herzen immer bedauert hätte , und mir aufrichtig zugetan sei ; da es ihm aber aufgetragen wäre , mich so zu behandeln , so hätte er seine Pflicht doch tun müssen .
Verlassen wollte er mich aber auf keinen Fall , und hier würde Gott es ihm verzeihen , wenn er , im Zweifel über seine Pflicht , seinem Herzen folgte ; und was der Worte mehr waren .
Sobald ich nur merkte , daß es sein Vorteil sei , mir nichts in den Weg zu legen , hörte ich nicht weiter darauf .
Alles was er für mich tun könnte , sagte ich ihm , wäre , mir die Erlaubnis zu geben , daß ich den Sohn unseres Nachbars , des M rchese , besuchen dürfte , mir auch unverzüglich und ins Geheim ein Pferd und eine anständige Kleidung für mich anzuschaffen , dies alles dann dem jungen Manfredi zu überbringen , und so viel möglich mir zum Ausgehen zu verhelfen .
Er versprach alles , nur sollte ich Sorge tragen , daß er mich nicht verlassen dürfte ; ich gab ihm mein Wort , und von dem Augenblick schwor er mir ganz ergeben zu sein . --
Ich traute ihm viel zu leicht : wahrscheinlich hätte er mich bei der nächsten Gelegenheit verraten , wenn er Zeit dazu gefunden hätte , aber es nahm schneller eine gute Wendung , als ich selber hoffen durfte .
Ich ging sogleich zu meinem jungen Freunde , der Pater begleitete mich , damit es im Hause keinen Verdacht erregte , wenn man mich ohne ihn ausgehen sähe .
Zu meinem Freunde ließ er mich aber allein , nachdem wir einen Ort verabredet hatten , wo wir uns jedesmal wieder antreffen wollten .
Die Freude , die wahrhaft kindische Lust , als ich nenn im Zimmer meines lieben Manfredi war , und in Freiheit mich mit ihm unterhalten konnte , beschreibe ich euch nicht . --
Ich machte ihm bekannt , wie weit ich in der Insurrektion gekommen war , und daß er nun das Pferd , was mir der Pater verschaffen würde , versorgen , und meine Kleider bei sich verbergen möchte , die ich dann immer bei ihm anlegen wollte , so oft wir zusammen ausritten ; denn daß ich gleich zuerst wollte reiten lernen , versteht sich von selbst , mein guter Manfredi wollte mein Meister sein .
In unseren heißen Köpfen fand dieser ganze Plan nicht die geringste Schwierigkeit , mein Freund versprach mir alles , was ich verlangte ; was am Ende daraus werden sollte , das wollten wir ein andermal überlegen , in diesem Augenblick hatten wir vor aller Herrlichkeit keine Zeit dazu .
Ich war bei meines Freundes Fechtübungen zugegen , und sogleich wurde beschlossen , auch ich sollte heimlich Teil daran nehmen .
Jetzt wußte ich bestimmt , daß ich Soldat werden wollte , und Manfredi bestärkte mich in diesem Vorsatz .
Ich lief ganz voll von allem , was ich gesehen , und betäubt von tausend Empfindungen zu meinem ehrwürdigen Hofmeister , den ich antrieb mir das nötige herbeizuschaffen .
Als ich das nächste Mal zu Manfredi kam , Sand ich seinen Vater bei ihm , und er stellte mich diesem so vor , daß ich merken konnte , er hätte ihm von mir etwas gesagt .
Ich war ängstlich , ich hatte noch immer eine gewisse Furcht vor allen erwachsenen , älteren Leuten , als den Feinden der jungen .
Der Marchese flößte mir aber bald Zutrauen ein , er begegnete mir freundlich und mit Schonung .
Als ich einigen Mut gefaßt hatte , fragte er mich nach den genaueren Umständen meiner Geschichte , Manfredi hatte ihm nur das allgemeine davon mitgeteilt .
Ich erzählte nun meine Lebensart , klagte über den Zwang zu Studien , die mir Langeweile machten ; daß ich zum Kloster bestimmt , aber entschlossen wäre , mich bis in den Tod zu widersetzen ; daß an dieser Härte und diesem Zwang niemand Schuld wäre , als der mir satale Prior , der Beichtvater meiner Mutter , dem sie nicht allein das Heil ihrer Seele , sondern auch die Führung aller weltlichen Dinge anvertraut hätte .
Ja , rief ich mit dem größten Affekt , ich will lieber den Tod als das Kloster ! ich will die abscheulichen Mönchskleider nicht länger tra gen ! ich will nicht aussehen wie diese Mönche , und nicht werden wie sie ; dazu hat man mich schon seit der zarten Kindheit gewöhnen wollen .
Ich klagte sogar mit der größten Bitterkeit , daß mir schon angekündigt wäre , mir in den nächsten Tagen die Haare abzuscheren , die ich , eitler törichter Weise , zu sehr liebte .
Bis jetzt hatte sie meine Mutter trotz der Vorstellungen des schrecklichen Priors immer noch erhalten , weil sie selbst sie liebte ; nun sollten sie aber herunter , weil sie befürchtete , ihr Herz zu sehr an diesen weltlichen Schmuck zu hängen .
-- Sie lächeln , Juliane , über die Wärme , mit der ich dieser kindischen Eitelkeit erwähne !
Sie können aber wohl schwerlich denken , wie entsetzlich mir die Idee war , eben so auszusehen wie die Mönche mit ihren geschorenen Köpfen : meine Haare hielt ich noch für das einzige , was mich von dieser verhaßten Klasse unterschied , das Seil , das mich noch in gewissem Sinn an die Welt knüpfte , die ich durchaus nicht verlassen wollte , die ich erst wollte kennen lernen ; diese Haare sollte ich nun las senl -- Nun , lieber Florentin , rief Juliane , halten Sie sich nicht auf , was sagte der Marchese zu Ihrer tragischen Erzählung ? --
Dem Marchese schien sie Vergnügen zu machen , er lächelte einigemal mit Bitterkeit , als ich vom Einfluß des Priors auf meine Mutter sprach .
In der Folge erfuhr ich , daß er durch die Einmischung der Geistlichen in Familien :
Angelegenheiten schon eine schreckliche Zerrüttung bei einem seiner Freunde erfahren , und seitdem allem was zum Mönchstum gehörte , den unversöhnlichsten Haß geschworen habe .
Er ist so wohl durch seine Herkunft als durch sein Vermögen von großem Einfluß , und gebraucht diesen so viel er vermag , und mit der größten Vorsicht und Klugheit , um allen Orden zu schaden , wenigstens ihrem zu großen Einfluß entgegenzuarbeiten .
Er fragte mich , wozu ich entschlossen wäre , und was ich zunächst tun wollte ?
Ich entdeckte ihm mein Verständnis mit dem Pater , und wie ich , so bald mich Manfredi in den notwendigsten Stücken würde unterrichtet ha ben , gesonnen sei , davon zu gehen , und im Auslande Soldat zu werden .
Mit dem letzten war der Marchese zufrieden , aber die Heimlichkeit wollte er nicht billigen .
Er drang darauf , mich meiner Mutter zu entdecken .
Ich erinnerte ihn , wie meine Mutter so ganz von ihrem Beichtvater abhinge , und daß ich von diesem ja auf keine Weise etwas hoffen dürfte .
Gegen jeden Mann von Ehre , setzte ich keck hinzu , und der mit gleichen Waffen gegen mich ficht , werde ich offen und ohne Rückhalt handeln und sprechen , aber gegen diese Menschen halte ich die List für erlaubt , sie ist mein einziger Vorteil gegen sie .
Den Marchese belustigte wahrscheinlich mein kindischer Eifer , denn er ließ mich eine gute Weile deklamieren .
Endlich sagte er :
Nun gut , mein junger Freund ! beruhigen Sie sich nur .
Sie haben Recht , Sie dürfen sich nicht aussetzen , ich werde Ihre Sache führen , hoffentlich soll es mir gelingen Sie frei zu machen , nur versprechen Sie mir , nichts ohne mein Vorwissen zu unternehmen .
Ich versprach alles , was er wollte , in der Freude einen Beschützer an den Vater meines Freundes gefunden zu haben .
Jetzt gedachte ich auch meiner armen Schwester , die , wie ich mir einbildete , in derselben angstvollen Lage seufzte .
Der Marchese erkundigte sich näher nach ihr ; da nahm Manfredi das Wort , und beschrieb ihre rührende Schönheit , ihre Sanftmut und Geduld mit einiger Wärme .
Der Marchese hörte ihn ernsthaft an , und sagte dann :
Es tut mir leid , für Ihre Schwester kann ich nichts tun ; Familien Verhältnisse machen es für die Töchter oft zur Notwendigkeit den Schleier zu nehmen , und nach allem , was mir Manfredi sagt , scheint sie sich recht gut in dieses Schicksal zu fügen .
Ich wollte ihm vom Gegenteil überzeugen :
-- Nein , nein , fuhr er fort , es geht nicht an , für Ihre Schwester läßt sich nichts tun , und es wäre sehr gut , wenn ihr junge Herrn ihr nicht Hoffnung machtet , und sie von dem Wege ablenktet , den sie gehen muß .
Was aber Sie betrifft , verhalten Sie sich ganz ruhig , Sie sollen bald frei sein .
Ein Jüngling sollte niemals zum Kloster bestimmt werden , so lassen ge man noch Köpfe und Arme in der Welt braucht , und so lange es Armeen gibt .
Ich folgte dem Marchese , und blieb ruhig auf meinem Zimmer , beim Pater wurden meine Aufträge widerrufen , und ihm nur empfohlen ein wachsames Auge auf das zu haben , was bei meiner Mutter vorginge , und es mir zu hinterbringen .
Einige Tage darauf kam er besorgt zu mir , und erzählte :
er wäre zu meiner Mutter gerufen worden , wo er den Prior gefunden hätte ; beide hätten mit Heftigkeit geredet , indem er hinein getreten sei , und ihn scharf befragt : wo ich den Marchese gesprochen hätte ? und bei welcher Gelegenheit ?
Er , der Pater , hatte sich dann völlig entschuldigt , und versichert er wüßte von nichts , er wollte mich aber danach fragen .
Dies wäre ihm gestattet worden , und nun wollte er sich bei mir erkundigen , was er berichten sollte ?
Es wurde nun geschwind etwas ersonnen , das ziemlich glaubwürdig klang , und wobei der Pater zugleich von jedem Verdacht frei blieb , und alles allein auf mich fiel .
Er gab mir zugleich Nach richtet von einigen ernsthaften Unterredungen , die meine Mutter mit dem Prior gehabt , endlich wurde ich vorgerufen ; der ehrwürdige Pater empfahl mir noch einmal sein Heil , und nun trat ich nicht ohne Herzklopfen und bange Erwartung in meiner Mutter Zimmer .
Hier hatte ich einen schweren Auftritt zu überstehen .
Ich wurde genau aber ohne Strenge vernommen ; dann wandten sowohl meine Mutter als der Prior jede Überredung , jede Schmeichelei an , mich zu bewegen , daß ich mich freiwillig zum Kloster entschließen sollte .
Meine Mutter weinte , bat , rief mir jede Erinnerung ihrer mütterlichen Zärtlichkeit ins Gedächtnis zurück , beschwor mich mit aufgehobenen Händen , mit den rührendsten Gebärden , ihr alles was sie je für mich geduldet hätte durch diesen einzigen Entschuß , der das ewige Heil meiner Seele und ihrer eigenen sicherte , zu belohnen .
Ich war wie gepeinigt , konnte nicht sprechen , nur durch meine Liebkosungen suchte ich sie zu beruhigen ; im Schmer , die Frau , die ich ehrte , so leiden zu sehen , und um meinet Willen , aus Sorge für meine ewige Seligkeit so leiden zu sehen , konnte ich durchaus meinen Widerwillen nicht wieder finden ; halb war | ich erweicht , und wirklich in Gefahr nachzugeben ; in dem Augenblick singe aber der Prior an , mit seiner fetten Stimme , die mir in den Tod zuwider war , mir die großen Vorteile der Abgeschiedenheit von dieser verderbten zur ewigen Verdammnis lebenden Welt vorzuzählen , und mir mit allen Höllenstrafen für meine Widersetzlichkeit gegen meine Mutter zu drohen .
Da fiel mir mein guter Manfredi ein , und sein vortrefflicher Vater , und daß ich , wenn ich standhaft bliebe , ein Pferd haben und Soldat werden sollte ; dies brachte mich zu mir selbst , und ich war gerettet .
Dem Prior antwortete ich nicht , aber meiner Mutter mit einer für mein Alter seltenen Entschlossenheit und Festigkeit .
Wie es der Marchese angefangen hatte , bes greife ich noch jetzt nicht ; denn ich weiß gewiß , er hat mit meiner Mutter selbst nicht einmal gesprochen : kurz , ich wurde befreit , und das Resultat aller Überlegungen und Unterredungen war , daß ich nach einer nicht sehr entfernten großen Stadt , in die adelige MilitairSchule daselbst geschickt wurde , um mich dort in den nötigen Übungen geschickt zu machen , ehe ich in Dienste treten konnte .
Mein Hofmeister , auf den nicht der geringste Verdacht fiel , bekam die Versorgung nun noch früher , als er gehofft hatte , er tröstete sich also für meinen Verlust , und mir war es auch nichts geringes , ihn so auf gute Art los zu werden .
Der Abschied wurde mir leicht ; meine arme Schwester grämte sich aber recht herzlich , daß ich mich von ihr trennen mußte .
Das arme Kind war nun ganz den Menschen überlassen , die sich der Schwäche ihres Characters bedienten , um sie nach ihrer Willkür zu lenken .
Sie fühlte ihre Abhängigkeit , aber diese drückte sie nicht so wie mich ; doch ich konnte es mir gar nicht denken , daß sie nicht eben so unzufrieden sein müßte .
Beim Abschied steckte ich ihr einen Zettel zu , ich riet ihr darin mir zu schreiben , wenn ich ihr helfen sollte , ihre Hofmersterin würde mir zu Liebe gewiß ihre Briefe bestellen .
Jetzt erwartete mich aber noch eine große Freude :
Manfredi kam , und kündigte mir an , daß er mit mir reise .
Er war zwar älter als ich , und hatte seine Übungen schon vollendet , da der Marchese ihn aber so jung nicht zum Regiment schicken wollte , so hatte er in die Bitte des Sohns gewilligt , in meiner Gesellschaft sich noch in manchen Dingen vollkommener zu machen , und mich auch , da ich so völlig ohne Welt war , und man mich auf eine so unverzeihlich nachlässige Weise ganz allein reisen ließ , dort einzuführen , und meine Studien zu dirigieren .
Auffallend war es in der Tat , wie man mich nach der strengsten Aufsicht plötzlich mir selbst überließ , ohne Führer , ohne Ratgeber , als ob ich von nun an für vogelfrei erklärt wäre .
Man hielt mich von dem Augenbick an wahrscheinlich für einen Raub des Satans und jede Sorgfalt für ganz unnötig .
Der Marchese billigte gleich den Vorsatz seines Sohns , und befestigte ihn noch darin .
Meine Erziehung schien ihn zu interessieren .
In der Folge glaubte ich zu bemerken , daß es ihm auch darum zu tun war , Manfredi von meiner Schwester zu entfernen ; damals fiel es uns aber beiden gar nicht ein , wir freuten uns herzlich beisammen zu sein , und waren dem gütigen Marchese dankbar für seine Wohltaten .
Ich war damals etwa vierzehn oder fünfzehn Jahr , Manfredi einige Jahre älter .
Es war in derselben Jahreszeit , in der wir jetzt sind , daß ich zuerst die schöne Welt frei betrat , an der Hand meines guten Manfredi . --
Ach , rief Juliane , ich schöpfe endlich freien Odem !
Ich fand keinen Ausweg für Sie , und ängstete mich gewaltig , Sie endlich dennoch unter den Mönchen zu sehen ; es wollte mir gar nicht dentlich werden , daß Sie nun hier sind , und kein Mönch haben werden müssen .
-- Florentin , fiel Eduard ein , hat so gut erzählt , man mußte es ganz aus den Augen verlieren , daß es eigentlich seine Geschichte sei ! --
In der Tat , sagte Juliane , ich hätte nie geglaubt , daß er so zusammenhängend und in einem Stroh Florentin. I. 9 me fort reden könnte . --
Ich kann nicht finden , daß ich so gut erzählt hätte , denn anstatt die einfache Geschichte gerade weg zu erzählen , bin ich in den Konfessions-Ton hinein geraten .
Es ist die Erinnerung meiner Kindheit , die einzige Epoche meines Lebens , die mich interessiert , die mich so schwatzhaft gemacht hat .
Zum Glück ist es hier nun aus , denn ich bin es selbst müde .
-- Wie ?
Aus ? --
Ja , aus !
denn was mir nun noch zu erzählen bleibt , ist des Erzählens kaum wert , und läßt sich in ein Dutzend Worten ung fair fassen ; nämlich die eine , bis zur Ermüdung wiederholte Erfahrung : daß ich eigens dazu erkoren zu sein scheine , mich in jeder Lächerlichkeit bis über die Ohren zu tauchen , immer nur von einem Schaden zum anderen etwas klüger zu werden , mich immer weniger in das Leben zu schicken , je länger ich lebe , und zuletzt der Narr aller der Menschen zu sein , die schlechter sind als ich . --
Nicht so gar bitter , lieber Florentin , sagte Eduard freundlich ; vergessen Sie nicht , daß dieses mehr oder weni ger das Schicksal aller Jünglinge ist , nur wirkt diese Allgemeinheit verschieden auf die verschiedenen Gemüter . --
Ja wohl , aber eben das ist es , sagte Florentin , daß es gerade auf mich so und nicht anders wirken mußte !
Ist denn diese Verschiedenheit nicht eigentliches das Schicksal zu nennen , als die äußeren Begebenheiten ? -- Juliane unterbrach ihn :
O lieber Florentin , nur einige von Ihren Erfahrungen , wie Sie sie nennen , erzählen Sie noch , ich bin sehr begierig zu hören , wie man Sie so oft hat zum Besten haben können , man muß es doch eigen angefangen haben . --
Auf die einfachste Weise von der Welt , das sollen Sie hören .
Manfredi und ich waren unzertrennlich während unfers Aufenthalts auf der Akademie : noch liebe ich ihn immer herzlich , und ich wünschte wohl , wir träfen noch einmal im Leben zusammen , wir waren uns gewiß echte Freunde , obgleich wir , dem Äußeren nach , eben nicht für einander paßten :
ich war immer wild , ausgelassen , einigermaßen tollkühn und ( 9 ) 2 roh ; er hingegen sanft , liebend , von schöner Gestalt , und edlem Gesicht , feinem Anstand , tadellosen , wahrhaft altadeligen Sitten , strengen Grundsätzen über die Ehre ; und doch zog uns diese Verschiedenheit vielmehr gegenseitig an .
Er konnte am ersten mich von irgend einer Ausgelassenheit zurückführen , dagegen konnte ich sicher auf ihn rechnen , wenn es darauf ankam , irgend etwas rechtes auszuführen , oder wenn meine Ehre zu retten war .
Hatte ich zu irgend etwas mein Wort gegeben , so half er es lösen , wenn auch mit Lebensgefahr .
War es aber vollbracht , so mußte ich oft die ernsthaftesten Verweise wegen meiner Unbesonnenheit von ihm hören .
Von niemand hätte ich sie ertragen , als von dem , der den Mut und die Liebe hatte , alles für mich zu wagen .
O du mein guter Genius , der du meine Jugend , mein schönstes Dasein schütztest , warum haben wir uns trennen müssen ?
Seitdem , mein Manfredi , wandre ich einsam und in der Irre .
-- Florentin sagte diese letzten Worte mit einer vor Rührung erstickten Stimme , er hob sein Auge mit Wehmut empor , dann schwieg er , in Gedanken verloren .
Eduard nahm seine Hand ; Florentin blickte ihn an und sah Tränen in seinen Augen glänzen , er warf sich in seine Arme : -- Ich verstehe den Vorwurf dieses Händedrucks , mein guter Eduard !
Nein , ich bin jetzt nicht mehr allein , nicht mehr in der Irre ! ich habe wieder ein Herz gefunden , das verdient neben dem Andenken an meinen Manfredi zu stehen !
Ich bin Dein , Eduard , auf immer ! --
Ewig Dein , mein Florentin !
-- Sie hielten sich in fester Umarmung umschlossen .
-- Schließt mich nicht aus , aus eurem Bunde , sagte Juliane , auch ich bin euer ! --
Eduard umarmte sie zärtlich ; sie beugte sich gegen Florentin , er berührte freundlich lächelnd ihre Stirn mit seinen Lippen .
[/0142 ] Achtes Kapitel .
Nach einer Pause fing Florentin wieder an : Wir waren ungefähr zwei Jahre auf der Akademie , unsere Übungen waren vollendet , wir sprachen schon von unserer Rückreise und meinem weiteren Fortkommen , als ganz unerwartet ein Brief an mich ankam , er war von meiner Schwester .
" Der Tag ihrer Einkleidung sei bestimmt , schrieb sie mir , und sehr nah , sie wolle also von mir und meinem Freunde schriftlich Abschied nehmen , und mich meines Versprechens , ihr zu helfen , entlassen , denn sie dürfe jetzt nicht mehr auf die Ausführung desselben hoffen .
Sie sei nun entschlossen , sich drein zu ergeben ; auch hoffe sie , es würde ihr gewiß am Ende gut gehen , denn seit dem Jahre , daß sie nun im Kloster gelebt , habe sie viel Liebe und Freundlichkeit von den Nonnen erfahren ; sie habe auch schon eintge gute Freundinnen , die sie sehr liebe , die sie wieder zärtlich lieben , und mit denen sie immer zusammen sei , das sei doch eine Freude , die sie bei der Mutter entbehre , wo sie eben so streng eingezogen leben müsse , als im Kloster , und dabei ganz allein , ohne eine Gespielin ihres Alters zu haben .
Sie wünsche sehr von mir und Manfredi mündlich Abschied zu nehmen , wir sollten es doch möglich zu machen suchen , zurückzukommen , um bei der Seierlichen Einkleidung zugegen zu sein , und sie in ihrem Schmuck zu sehen , denn sie würde ganz herrlich geschmückt sein , die Mutter hätte ihr für ihren Gehorsam einen reichen Anzug zur Zeremonie gegeben , und so viel Geld zu guten Werken , als sie nur immer verlangte .
Ihre vorige Hofmeisterin habe diesen Brief zu bestellen übernommen , aus alter Liebe für ihre Pflegekinder , und wolle ihr auch meine Ant Wort überbringen , wenn ich ihr eine schreiben wollte . "
Dies war ungefähr der Inhalt ihres Briefes .
Die Unschuld aber , das Unbewußte , Einfältige , das aus jedem Wort hervorblickte , kann ich nicht ausdrücken .
Wir wurden beide auf eine eigene Weise von der Beschränktheit gerührt , und Manfredi erinnerte sich dabei mit vieler Zärtlichkeit der süßen Gestalt und der frommen kleinen Miene .
Ich beschloß auf der Stelle , sie zu retten , wenn Manfredi mir zur Ausführung helfen wollte .
Dieser war nicht so bald zu bewegen , aber ich hatte ihm das Geständnis abgedrungen , daß ihr rührendes Bild , so wie er es durch die Planke des Gartens erblickt hatte , jetzt aufs neue mit großen Ansprüchen auf seine Hilfe vor ihn träte , daß er es eigentlich noch nie aus seiner Seele verloren habe , kurz daß er sie liebe , und gewiß glücklich sein würde , wenn er sich mit ihr verbinden dürfte .
Überdem hatte ich ihr Hilfe versprochen , und sie schien sogar auf ihn gerechnet zu haben ; er wurde endlich überredet , daß unsere Unternehmung gerecht und ehrenvoll sei , und versprach mir seine Hilfe .
Und nun wurde ein allerliebster Plan verabredet , der so toll war , daß es uns alle drei , wenn er gelungen wäre , ins tiefste Elend gezogen hätte .
Uns kam aber damals nichts leichter , nichts natürlicher vor .
Meiner Schwester schrieb ich in wenigen Worten :
Ich wolle mein Versprechen mit Manfredis Hilfe erfüllen .
Sie solle alles tun , was man von ihr verlangte , nur Sorge tragen , daß sie nicht die erste sei , die an dem Tage das Gelübde ablegte .
Sie werde mich in dem Augenblick sehen , wenn sie zum Altar gehen müsse , dann solle sie sich gefaßt halten , mir auf meinen Wink zu folgen .
Mit Manfredi hatte ich verabredet , gleich zurück zu reisen , ohne es jemand wissen zu lassen , ohne uns zu zeigen , und den Tag der Einkleidung in einem entlegenem Hause vor dem Tor zu erwarten .
Dann wollte ich ganz eingehüllt ins Kloster gehen , und mich unter das Gedränge mischen ; wenn dann meine Schwester sich mit der Begleitung aller Angehörigen durch die Menge drängte , um zum Altar zu gelangen , und alles aufmerksam auf die Himmelsbräute wäre , die vor ihr eingekleidet würden , dann sollte ich den Moment wahrnehmen , sie von den übrigen ab , und zur Tür zurück führen , sie dann schnell in einen Mantel verhüllen , den ich über meinen eigenen hängen wollte , und mit ihr durch den nächsten Gang in den Garten eilen .
Da bei einer öffentlichen Feierlichkeit die Türen offen sind , oder doch nachlässig bewacht werden , so war von dieser Seite kein Hindernis zu befürchten .
Manfredi mußte unterdessen eine Strickleiter an die Mauer befestigt haben , und uns draußen mit einer Chaise und raschen Pferden erwarten ; auch müßte er eine Männerkleidung in Bereitschaft halten , die meine Schwester sogleich anlegen könnte , wenn wir uns außer der Stadt sähen , dann wollten wir , ohne zu rasten , nach Venedig reisen , dort würden sie sogleich getraut .
Für die Einwilligung meiner Schwester war ich Bürge , ich war überzeugt , sie würde sich in ihrem neuen Lose besser und glücklicher finden , als in dem traurigen , wozu sie sich schon so geduldig gefügt hatte .
Manfredi bleibt mit ihr in Venedig , ich reise zurück , versöhne den Marchese mit ihnen , der zu edel ist , um sie seinen Zorn lange empfinden zu lassen , besonders da diese Handlung seinen wahren Grundsätzen gar nicht entgegen sein kann ; was er uns damals darüber gesagt , war gewiß nur , um uns von allen weiteren Planen abzuhalten , sein Ernst konnte es aber nicht sein .
Ist nur erst der Marchese versöhnt , so muß es ihm leicht werden , auch unsere Mutter zu beruhigen , besonders da es doch nun einmal geschehen , und nicht zu ändern sein wird .
Dann hole ich sie wieder von Venedig ab , sie werden beide glücklich sein , und werden mir ihr Glück danken ; ich habe dann redlich meine große Schuld gegen Manfredi abgetragen .
Wir haben unser Leben gewagt für die gute Sache , wir haben den Priestern ein Schlachtopfer aus den Händen gewunden !
Das Bewußtsein dieser großen Handlung wird uns auf ewig stärken und erheben , und unser Trost im Tode sein , wenn wir dem Versuche unterliegen sollten ! --
Mit diesen hohen Worten , die wir wechselsweise einander zuriefen , und uns die Köpfe immer mehr erhitzten , eilten wir an die Ausführung des großen Werks .
Von den unzähligen Schwierigkeiten fiel uns keine ein .
Anfangs ging alles dem Plane gemäß .
Wir reisten ab , kamen an , wohnten im strengsten Inkognito vor dem Tore in einem unbekannten Hause .
Den Morgen nach unserer Ankunft erzählte uns unsere Wirtin :
es werde heute in dem Nonnenkloster ein großes Fest gefeiert , wo die ganze Stadt gewiß hinströmen würde , um es anzusehen , sie selbst wolle auch nicht zurückbleiben ; sie bat uns daher , mit unserer Abreise zu eilen , wenn wir nicht etwa auch Zuschauer abgeben wollten .
Es würden drei vornehme Fräulein heute ihr Gelübde ablegen , die alle drei schön und fromm wie die heiligen Engel wären , und es wohl verdienten , glückselige Bräute des Himmels zu werden .
Das wäre ein sehr schönes und erbauliches Schauspiel , auch freute man sich schon , die heiligen Reden des vortrefflichen Priors zu Höh Ren und seinen Segen zu erhalten .
Sie nannte den wohlbekannten Namen des Priors , und mein ganzer Eifer entbrannte aufs neue .
Manfredi eilte , seine Aufträge zu besorgen , ich in die Kirche des Klosters .
Es war noch sehr früh , das Volk versammelte sich allmählich , mir wurde die Zeit lang .
Ich ging wieder hinaus , um mir den nächsten Gang nach dem Garten , und durch denselben nach der Mauer , recht zu merken .
In der Tür begegnete mir meine alte Wärterin ; ich wandte mich von ihr , um mich zu verbergen , sie hatte mich aber schon erkannt und guckte mich scharf an .
" Mein Jesus ! sind Sie wahrhaftig hier ; kommen Sie nur gleich mit mir zum Fräulein , sie erwartet Sie schon , folgen Sie mir nur .
Ei , ei , Sie sind wirklich gekommen ! "
Ihre Anrede befremdete mich , ich suchte sie so vorsichtig als möglich auszuforschen , sie wußte aber nichts weiter , konnte mir auf keine Frage antworten , als daß sie mich zu meiner Schwester führen sollte , die mich sprechen müßte , ich folgte ihr also .
Sie öffnete eine Tür , ich trat hinein , und sah meine Schwester in prächtigem Brautschmuck in den Armen meiner Mutter , die sie mit Schmeicheleien und Küssen bedeckte .
Meine Schwester schrie laut auf , als sie mich gewahr wurde , ihr Gesicht in beiden Händen bergend ; dann kam sie auf mich zu : Vergib mir ! rief sie , und fiel mir um den Hals , vergib mir , Guter , und lebe wohl !
Sie wollte noch sprechen , meine Mutter verhinderte sie aber daran .
Gehe , meine fromme Tochter ! sagte sie , laß mich mit ihm allein .
Meine Schwester ging hinaus , ich war unbeweglich und stumm vor Erstaunen .
Meine Mutter singe wieder an :
Ich habe nur wenig Zeit , Florentin , mich mir Dir zu unterhalten .
Dein entsetzliches gottloses Vorhaben ist entdeckt !
Sei ewig gepriesen von mir , gebenedeite Jungfrau , daß du das Herz meines Kindes gerührt hast , ehe es unwiderruflich verloren war !
Ju dieser Nacht , die das arme Kind in der Angst ihres Herzens unruhig und schlaflos zubrachte , wurde es ihr in einer wundervollen Erscheinung offenbar , daß sie auf schlimmem Wege sei , und im Begriff ihre Seele ewiger Verdammnis zu übergeben , und mit ihr zwei andere Seelen noch , die leider , ach ! vielleicht nicht mehr zu retten sind .
Ein Strahl der ewigen Gnade hat das geliebte Kind des Himmels erleuchtet , und sie fest im Entschluß zum Guten gemacht .
Diesen Morgen , als ich ihr den Brautschmuck anlegen holf , und mich ihrer Schönheit im Herzen erfreute , hat sie mir euer Vorhaben entdeckt , und Deinen Brief gezeigt .
Florentin , ich will jetzt nichts davon erwähnen , wie sehr es mich beugte , noch steht es bei Dir , mich in hoher Himmelsfreude wieder aufzurichten .
Auf mein Geheiß hat das fromme Kind gebeichtet , und ihre Seele von aller Angst lösen lassen .
Der Prior , den sie die Beichte abgelegt , weiß nun alles ; auch habe ich so eben eine Unterredung mit ihm Deinetwegen gehabt .
Du hast Dich schwer vergangen , er kann und darf es nicht verhindern , daß Du schwer dafür büßest .
Ein einziges Mittel gibt es noch , Dich mit dem Himmel | zu versöhnen .
Entsage der Welt , lebe in Ruhe im Schoß der Kirche ! -- Nimmer , nimmermehr , Mutter ! rief ich in höchster Bewegung . --
Nein ? durchaus nicht ?
Nun so fliehe , eile von hier weg , es ist das einzige , was ich für Dich tun kann , wenn ich Dich aufs schnellste entfliehen heiße , denn hier bist Du jetzt keinen Augenblick in Sicherheit , mein Herz blutet für Dich , glaube mir das !
Hier , nimm diesen Beutel !
Was er enthält , ist alles , was Du jemals von mir zu erwarten hast .
Dein weiteres Fortkommen bleibt Dir selbst überlassen ; Du hast Dir ein müh- und sorgenvolles Leben erwählt , nun mußt Du es tragen .
Du wirst kümmerlich darben müssen in der Welt ; in der heiligen Zurückgezogenheit , hättest du weltliche Not nie gekannt . --
Davon nichts mehr , Mutter ! ich will gehen , gleich gehen !
Nur ein Wort noch !
Ist es möglich , daß Sie selbst meiner schwachen Schwester zureden konnten , mich dem Prior zu verraten ? --
Lästerliche Worte ! nennst Du die Beichte Verrat ?
Deine fromme Schwester schwach ?
Es galt ihre Ruhe auf dieser , ihre Seligkeit auf jener Welt .
Sie ist mein Kind ! --
Und ich nicht , Mutter ? bin ich nicht Ihr Sohn ? --
Ich erzähle euch hier so zusammenhängend als möglich , was mit der äußersten Verwirrung gesprochen wurde , indem eins dem anderen immer in die Rede fiel , ich war besonders wegen dieser unerwarteten Wendung in großer Verwirrung .
Zuletzt wurde ich heftig , meine Worte fallen mir jetzt nicht wieder ein , aber sie mochten wohl eben nicht sanft sein ; ich strömte über von Vorwürfen , daß sie ihren Sohn , ihren einzigen Sohn , im blinden Aberglauben den Pfaffen aufgeopfert hatte , und schonte sie vielleicht zu wenig .
Sie wurde aufgebracht und rief endlich in großer Hitze : Trotze nicht länger , Florentin , und höre etwas , wozu ich nicht wieder einen schicklichen Augenblick finden werde , denn wir werden uns nie wieder Florentin I. 10 sehen !
Ich bin nicht Deine Mutter , und meine Tochter ist nicht Deine Schwester !
-- Das war freilich etwas neues , ich war wie betäubt .
Wo ? wer ? wer denn ? rief ich . --
Dazu ist jetzt nicht Zeit , auch nützt es Dir nicht , es zu wissen , Deine Eltern leben nicht mehr ; sie waren mir teuer , darum warst auch Du es mir .
Es wird geläutet , ich muß jetzt fort .
Halte Dich nicht länger auf , Florentin , wenn man dich hier erblickt , so vermag ich Dich nicht zu retten .
Es ist der letzte Liebesdienst , den ich Dir erweise : laß Dich umarmen , mein Sohn !
Ich bin zwar nicht Deine Mutter , aber ich habe mütterliche Sorge für Dich getragen , vergiß es niemals !
Lebe wohl , Gott fegne dich !
Fliehe ! ich höre Stimmen im Nebenzimmer !
Oder kehrst Du noch um ? wirfst Du dich reuig in die Arme der heiligen Kirche ? --
Leben Sie wohl ! rief ich ihr nach , als sie mich standhaft verneinen sah und sich mit einem Ausdruck von Schmerz und Unwillen ins Nebenzimmer wandte .
Jetzt hörte ich viele Stimmen , unter allen hervor die mir so verhaßte Stimme des Priors .
Betäubt eilte ich fort , im allgemeinen Getümmel kam ich unbemerkt wieder hinaus .
Manfredi erwartete mich , der Abrede gemäß , an der Gartenmauer ; ich setzte mich in den Wagen , und ohne ihm weiter etwas zu sagen , mußte er wieder hinfahren , wo wir hergekommen waren .
Dies war das tragische Ende unserer Heldenunternehmung !
Begreifen Sie jetzt wohl , Juliane , wie leicht es ist , einen Narren aus mir zu machen ?
Manfredi sah mich mit großen Augen an , und wartete mit Gelassenheit , bis der Strom von Ausrufungen und Schtmpfreden , der sich reichlich von meinen Lippen ergoß , gemäßigter wurde .
Endlich war ich ruhig genug geworden , ihm den Verlauf meiner Unternehmung zu erzählen .
Er war nicht wenig erstaunt über die Veränderungen , Erklärungen und Verwicklungen , die diese hervorgebracht hatte .
Die Schwäche meiner Schwester fiel ihm wenig ( 10 ) 2 auf , er gestand mir , er hätte gleich anfangs Hindernis von ihrer Seite befürchtet , und ihre Einwilligung würde ihn weit mehr gewundert haben .
Er war mit mir überzeugt , daß sie einst ihr Gelübde bereuen , und dann diesen verlorenen Moment gern mit ihrem Leben zurückrufen würde .
Mein guter Manfredi trauerte über ihr Schicksal , und suchte sie gegen meine heftige Anklage in Schutz zu nehmen .
Von seiner Liebe zu ihr war nicht wieder die Rede zwischen uns .
Entweder sie war in ihm eben so schnell erloschen als aufgelodert , oder er drängte sie gewaltsam in sein Inneres zurück , um den gemeinschaftlichen Angelegenheiten , die uns jetzt so nahe lagen , Raum zu lassen .
Es wurde beschlossen , daß Manfredi wieder zurück auf die Akademie gehen müßte ; von dort sollte er an seinen Vater schreiben , ihm alles entdecken , und ihn um Rat fragen , ob er es wagen dürfte , in seine Vaterstadt zurück zu reisen , oder wenn der Anteil , den er an meinem Unternehmen genommen , bekannt geworden , und es gefährlich für ihn war , so sollte er ihn um die Erlaubnis bitten , mir folgen zu dürfen , ich hatte beschlossen , nach Venedig zu reisen .
Dürfte er aber zu seinem Vater reisen , so sollte ich in Venedig Nachricht von ihm erwarten , er würde alsdann dort alles anwenden , die bösen Folgen unseres Unternehmens zu unterdrücken , dann wollten wir uns auf irgend eine Weise wieder zusammen treffen .
Manfredi versprach mir auch vor allen Dingen keine Mühe und keine Nachforschung zu sparen , um etwas über meine Geburt und meine Eltern zu erfahren :
wir hofften , der Marchese selbst würde sich dafür interessieren , und uns eine Aufklärung dieser seltsamen Begebenheit verschaffen .
Wie die Kinder beschäftigte uns die Dunkelheit über mein vergangenes Schicksal mehr , als die Sorge für die Zukunft ; ein sonderbares Rätsel war es allerdings , daß fremde Menschen sich eine solche Gewalt über mich hatten anmaßen wollen , und dann mich wieder mit so vieler Sorgfalt behandelt hatten .
Die Nacht hin durch reisten wir , dann trennten uns unsere verschiedenen Wege .
Den Morgen schieden wir unbekümmert und mit der Zuversicht , uns bald wieder zu sehen , um uns dann gewiß nie wieder zu trennen .
[/0159 ] Neuntes Kapitel .
In wenigen Tagen war meine Reise glücklich und ohne Abenteuer zurückgelegt ; da war ich nun , ohne Aufsicht , ohne Zweck , ohne Plan , als den zu leben , in meinem siebzehnten Jahr , mit aller meiner eigentümlichen Ausgelassenheit , die noch ausgelaßener war , seitdem ich niemand Angehörte , mit einem Vermögen von ungefähr tausend Dukaten , ( ein unerschöpflicher Reichtum für meine Unbesorglichkeit und Unerfahrenheit ) sprudelnd vor Gesundheit und Mutwillen und allen erwachenden Sinnen -- in Venedig ! -- Erwartet hier von mir , ihr lieben Freunde , keine detaillierte Fortsetzung meiner Lebensgeschichte , es könnte mich leicht zu weit führen ; auch gehören meine tollen Begebenheiten in der majestätischen Republik , diesem Sammelplatz aller Torheiten in ernsthafter zeremoniöser Hülle so wie der gräulichsten Anhäufung aller Grausamkeiten unter die fröhlichste Maske gesteckt , sie gehören nicht in den eigentlichen Lauf meines Lebens : vielmehr wurde dieser durch jene gehemmt ; aber sie machen zusammen ein artiges Kapitel in meinen Konfessionen aus , die ich gewiß noch einmal schreiben , und Ihnen zueignen werde , Juliane . --
Gut , ich werde Sie bei Ihrem Wort halten .
-- Und dieses deswegen , weil sie sich mit einem Bekenntnis endigen sollen , das , aller Wahrscheinlichkeit nach , das letzte sein wird , das ich abzulegen haben werde , und das Juliahnen am nächsten betrifft . --
O jetzt keine von Ihren niedlichen Possen , Florentin !
Bringen Sie Ihre Geschichte zu Ende , ich bin höchst neugierig .
-- Und ich höchst ermüdet von den Erinnerungen meiner unnütz vertaumeiten Jahre !
Doch ich gehorche .
In kurzer Zeit war ich nun in Venedig der Polarstern des guten Tons , | die Seele aller Jntriguen , der Freund aller lustigen Köpfe , der Anführer aller tollen Streiche , der Tyrann aller zärtlichen , und der Ehrgeiz aller koketten Frauen geworden .
Es gab kein gutes Haus , in das ich nicht freien Zutritt hatte .
Da ich mit meinen tausend Dukaten zu leben angefangen , als waren es eben so viele Tonnen Goldes , so nahmen sie ein rasches Ende .
Die Börsen meiner Anhänger benutzte ich nicht , wiewohl sie mir offen standen , weil ich sie nicht brauchte :
ich war sehr glücklich im Spiel , und spielte viel .
Einigen kläglichen dummen Teufeln , die weder das Spiel , noch sich selbst verstanden , ( denn sie hatten in wahrer blinder Wut ihr ganzes Vermögen gegen mich gesetzt und verloren ) deren Frauen ich kannte und bedauerte , hatte ich ihren Verlust zurückgegeben , wodurch ich bald in den Ruf der Großmut geriet .
In dieser brillanten Epoche bekam ich einen Brief von Manfredi .
Sein Vater war gleich nach Empfang seines Briefes zu ihm auf die Akademie gekommen .
Durch unsere Geschichte war der Prior zu sehr in Vorteil gegen den Marchese gesetzt , als daß er ihn nicht hätte zu benutzen suchen sollen .
Manfredi durfte es so wenig als ich wagen , sich in seiner Vaterstadt sehen zu lassen , aber auch nach Venedig durfte er nicht kommen , sondern er mußte nach Frankreich zu dem Regiment , worin sein Vater ihm eine Kompanie gekauft hatte .
Der Marchese war sehr aufgebracht wegen des unüberlegten Streichs , besonders weil er es uns eigentlich untersagt hatte , irgend etwas für Felicita , ( so heißt sie ) zu unternehmen .
Doch ließ er mir durch Manfredi wissen , er würde jemand den Auftrag geben , auf mein Betragen in Venedig Acht zu geben , und weiter Sorge für mein Fortkommen tragen , wenn der Bericht über mich gut ausfiele .
Noch habe er nichts näheres über meine Geburt und meine Eltern ersah : Ren können , er würde aber keine Mühe sparen und mir , sobald er etwas sicheres wisse , Nachfichtt darüber erteilen .
Unterdessen sollte ich der würdigsten Eltern mich würdig machen .
Ich hatte eine große Freude über den Brief meines Manfredi , denn außer diesen Nachrichten fand ich die schönsten Beweise von der Fortdauer seiner Liebe und einige freundliche Vorschläge , uns wieder zu sehen .
Auch der väterliche Ton des Marchese freute und beruhigte mich ; doch war es , als ob irgend ein Geist mich abhielt , mich , wie ich gekonnt hätte , ganz seiner Sorge zu überlassen , und seinem gutgemeinten Rat zu folgen .
Es widerstrebte etwas in mir der Notwendigkeit , einen regelmäßigen Stand und ein Amt zu bekleiden , es war mir nicht bestimmt , auch fühlte ich selbst mich nicht dazu gestimmt .
Zwar nahm ich mir vor , Manfredi aufzusuchen , um bei demselben Regimente , wobei er stand , wo möglich Dienste zu nehmen , und ich schrieb es ihm , aber die Ausführung dieses vernünftigen Plans schob ich immer weiter hinaus .
Bald wollte ich dies nur noch abwarten , bald jenes ausführen ; kurz es wurde nichts daraus .
Unter vielen Reisenden und Fremden , die ich kennen lernte , waren ein paar Engländer , die sich sehr an mich hingen : reiche Lords , die ihr Geld um sich her warfen , um ihre Langeweile los zu werden , und das , was sie für ihr Geld eintauschten , machte ihnen nur noch größere .
Ihr sonderbares humoristisches Wesen zog mich an , ihre Langeweile machte mir die größte Kurzweile .
Was ihnen an mir gefallen haben mochte , weiß Gott ; sie waren beständig bei mir und sagten oft , in ihrer rauhen Mundart , ich wäre der einzige Italiener , der ihnen nicht unleidlich wäre .
Das war freilich sehr schmeichelhaft für mich , wenn ich nur nicht Venedig mit seinen Herrlichkeiten und meines Lebens dort herzlich überdrüssig geworden wäre !
Ich sehnte mich fort . --
Ich hatte meine Lords zu allen Kunstwerken , die Venedig enthält , geführt , hatte viele Städte Jtaliens , wo es etwas Sehenswürdiges gab , mit ihnen durchreist .
Dies und der Umgang mit einigen jungen deutschen Malern , die ich in der Zeit kennen lernte , brachten mich auf den Gedanken , die Kunst zu studieren und dann nach Rom zu gehen , um seine Wunder der Kunst zu sehen und zu verstehen .
Diesen Gedanken ergriff ich nun aus ganzer Seele und schob das Soldatwerden weit , weit zurück .
Ich sann und tat und träumte nichts anders , als zeichnen , die Werke des Altertums studieren , und mit meinen Malern Kunstgespräche führen .
Mit diesen war ich auch entschlossen , nach Rom zu reisen , und mit ihnen dort zu leben : durch einen sonderbaren Vorfall sah ich mich aber genötigt , früher noch , als diese es bewerkstelligen konnten , Venedig zu verlassen .
In einem großen Hause wurde eines Abends während dem Karneval ein Ball gegeben ; ich wurde von den Engländern beredet , mit ihnen hinzugehen .
Man spielte , der eine von meinen Lords spielte hoch , und verlor ansehnlich gegen eine Maske , die durch ihr anhaltendes Glück wohl Verdacht gegen sich erregen mochte .
Mein ehrlicher Grosbrittannier verstand das Ding Unrecht , und schimpfte etwas zu laut , und in der gewohnten kräftigen Manier .
Nach einem kurzen heftigen Wortwechsel warf der Lord seine Karte der Maske an den Kopf .
Ich befand mich an einem anderen Ende des Saals in einer Unterhaltung mit ein paar mir unber kannten Masken , die mich neugierig machten , weil sie mich zu kennen schienen , wenigstens wußten sie viel von mir ; plötzlich hörte ich Tumult , sah Stilette blinken , die Maske sank nieder ; in demselben Moment kam der andere Lord hastig auf mich zu , nannte höchst unvorsichtig meinen Namen laut , und rief mich seinem Landsmann zu Hilfe .
Ich , noch unvorsichtiger , folgte ihm hin .
Man hatte dem Niedergesunkenen die Maske abgenommen , man erkannte den Sohn eines Nobile , er war tot .
Der Lärm nahm zu ; der Lord hatte ganz den Kopf verloren , bewegte sich nicht von der Stelle , und ließ das Gedränge um sich her anwachsen .
Ich riß ihm das blutige Stilett , das zum Glück noch kein anderer bemerkt hatte , aus der schlafen herunterhängenden Hand , ließ es fallen , indem ich mich zu gleicher Zeit danach bückte , und es wieder aufnahm .
Dem Mörder nach ! rief ich aus , dort nach jener Tür !
er hat hier neben mir das noch blutige Stilett fallen lassen , so eben drängt er sich dort hinaus !
Alles folgte mir nach der Tür , die ich bezeichnet hatte .
Der Lord wurde verlassen . Seinem Landsmann gab ich einen Wink , und im Vorbeigehen sagte ich ihm :
zu mir !
Alsdann mischte ich mich in den dichten Haufen , der nach der Tür strömte ; ich trieb und drängte mit der Menge und kam glücklich hinaus .
Ich mietete sogleich selbst eine Gondel , die ich an einem bestimmten Ort warten ließ , und eilte nach meiner Wohnung , wo ich die beiden Lords schon fand .
Ich kündigte ihnen an , daß sie unverzüglich fort müßten , bezeichnete ihnen den Ort , wo sie die Gondel in Bereitschaft finden würden , und riet ihnen , gleich nach Rom zu reisen .
Sie waren wegen Geld in Verlegenheit ; was sie bei sich gehabt , war im Spiel verloren und nach ihrem Hause durften sie sich nicht wagen , weil man dort gewiß schon auf sie wartete .
Ich gab ihnen alles , was ich an barem Gelde hatte .
Sie versprachen mir mein Darlehn gleich wieder auszahlen zu lassen , denn auf ihr zurückgelaßenes Vermögen in Venedig war nicht mehr zu rechnen .
Sie gingen fort , und kamen glücklich nach Rom .
Ich hatte alles so schnell und vorsichtig getrieben , daß es selbst vor meinem Bedienten ein Geheimnis geblieben war .
Ich hatte mir eine Erkältung zugezogen , und mußte einige Tage zu Hause bleiben .
Als ich zum ersten Mal den Abend wieder in Gesellschaft ging , kam mir die Dame vom Hause , die meine Freundin war , entgegen , und führte mich , so bald sie unbemerkt war , in ein Kabinett .
Sein Sie auf Ihrer Hut , sagte sie , es ist bekannt , daß Sie dem Mörder des jungen Nobile durchgeholfen haben , und daß er Ihr Freund ist .
Sie erinnern sich , daß zwei Masken mit Ihnen sprachen , als einer von den Engländern Sie bei Ihrem Namen zu Hilfe rief .
Der Ermordete ist ein Anverwandter und Freund der einen von den beiden Masken :
er erfuhr erst , wer der Ermordete sei , nachdem Sie sich schon hinaus gedrängt hatten .
Der Mörder war gleich nicht zu finden , Sie haben ihm fortgeholfen , und der Freund des Nobile hat beschlossen , Sie für Ihre unzeitige Hilfe büßen zu lassen .
Sie sind angeklagt , und man wird einen Haftbefehl auswirken .
Was diese Maßregel gegen Sie erleichtert , und jeden Verdacht bestärkt , ist : daß man aus Ihrem Geburtsort einigen Leuten von Bedeutung aufgetragen hat , über Ihre Aufführung genau zu wachen .
Einer von denen , welchen es aufgetragen worden , ist eben der Ermordete , und dieser hatte es wieder seinem Freunde aufgetragen , Ihre Bekanntschaft zu machen , um Sie besser zu beobachten ; dieser nimmt nun diesen Umstand als einen Beweis , daß Sie Anteil an der Ermordung gehabt , um sich von seiner Aufsicht zu befreien .
Ich beklagte mich gegen meine Freundin über diese |sinnlose Beschuldigung .
Sinnlos Florentin. I. 11 oder nicht , fiel sie mir ein , Sie wissen , es ist genug , daß man den leisesten Verdacht erregt , um Sie zu verderben .
Sie haben dem Mörder fortgeholfen , dies ist genug , und mehr als genug gegen Sie .
Ihr Feind hat sich auf das Zeugnis der anderen Maske berufen , daß Sie zu Hilfe gerufen worden , und wirklich hingeeilt sind .
Diese Maske nun ist mein sehr guter Freund , der es weiß , daß ich Ihnen gewogen bin , er hat mich also , kurz vorher , ehe Sie kamen , von Allem unterrichtet .
Das Zeugnis abzulegen darf er nun einmal nicht versagen ; aber wenigstens sind Sie gewarnt .
Eilen Sie nach Hause , sorgen Sie , daß man keine Papiere bei Ihnen findet ! --
Ich mußte sogleich fort ; auf der Treppe , wie ich hinuntergehe , kommt der eine meiner jungen Deutschen atemlos mir entgegen .
Gott Lob , daß ich Sie finde ! rief er mir zu , Sie müssen fort , gleich auf der Stelle .
Ich begleite Sie bis hinaus , und erzähle Ihnen unterwegs .
Ich war ohne Geld , von dem jungen Künstler war nichts überflüssiges zu erwarten .
Er mußte einen Augenblick auf mich warten , ich ging wieder zur Gesellschaft zurück ; meine Freundin mochte mir meine Bestürzung ansehen , sie kam mir entgegen , ich vertraute ihr meine Verlegenheit , sie half mir auf der Stelle heraus , nach einem kurzen zärtlichen Abschied verließ ich sie und Venedig .
Ich eilte mit meinem Deutschen Freunde durch lauter enge Gäßchen , und wir kamen glücklich hinaus .
Er erzählte mir nun , daß er und sein Freund mich hätten in meiner Wohnung besuchen wollen , zu ihrem Schrecken hätten sie aber Gerichtspersonen bei mir gefunden , die alles durchsucht , und meine Briefe und Papiere durchgelesen hätten .
Aus den verwirrten Reden , die ihnen entfallen wären , hätten sie ungefähr vernehmen können , wessen man mich beschuldigte .
Sie wären darauf fortgeeilt mich aufzusuchen , und mir zu helfen , daß ich fortkäme .
Glücklicher Weise wäre ihnen nicht weit von meiner Wohnung mein Bedienter begegnet , von diesem hätten sie erfahren , wo ich hingegangen sei . ( 11 ) 2 Ich mußte fort , das sah ich ein .
Meine Papiere waren allein schon hinreichend mir den Prozeß zu machen .
Außer einigen launenhaften possenmäßigen Sachen , die ich zu meiner Lust aufgefetzt , in denen ich das würdige Venedig nicht geschont hatte , waren auch einige Briefe und Billetts vorhanden von Frauen , welche die Richter etwas nahe angingen , und die ich unvorsichtiger Weise nicht vernichtet hatte .
Gnade war also nicht zu hoffen .
Ich machte mich sogleich auf den Weg , und empfahl meinen guten Deutschen mich bald in Rom aufzusuchen .
Sie versprachen es mir .
Der Aufenthalt in Venedig war ihnen durch diese Begebenheit verleidet , auch hatten sie in der Tat viel Anhänglichkeit für mich .
Sie wollten durchaus etwas Deutsches an mir finden , ich hätte es ihnen gern und mit Vergnügen geglaubt , hätten die Lords nicht zu gleicher Zeit behauptet , ich habe viel von einem Engländer an mir .
[/0173 ] Zehntes Kapitel .
Auf meiner einsamen Reise hatte ich Raum etwas nachzudenken .
Mir war , als hätte mich ein bezauberter Wirbelwind aus Venedig und allen Verhältnissen gerissen .
War es aber das plötzliche des ganzen Ereignisses , oder war es , daß mein Leben in Venedig mich beschäftigt hatte , ohne mich zu interessieren , kurz mir schwebte das Ganze wie längst vergangen nur entfernt im Gedächtnis , ich konnte meine Wünsche und meine Gedanken alle vorwärts richten , nichts zog mich zurück .
Dies machte mich aufmerksam auf mich selbst , und auf die Leere meiner geführten Lebensart .
Ich dachte an Manfredi , ich wünschte bei ihm zu sein ; zu gleicher Zeit fühlte ich eine gewisse Abneigung , mich jetzt schon dem Soldaten-Stand zu ergeben .
Das Leben eines Soldaten in Friedenszeit schien mir eine lustige Sklaverei , nicht viel besser als Lakaien-Dienst , und nur durch herrschendes Vorurteil darüber hinaus gesetzt .
Soldat wollte ich zwar sein , dabei blieb es , dies war der Hintergrund meines Lebensplanes , aber nicht in einer Garnison , nicht bei einer stehenden Armee .
Ich wollte nie für den Despotismus , nie für eine unbekannte , oder gar nach meinen Begriffen ungerechte Sache fechten .
Wie die Helden des Altertums , wollte ich nur für die Freiheit streiten , und in erkämpftem Frieden , ruhig , frei , mein eigen sein .
Bei dem Gedanken an die Helden des Altertums wurde mir zugleich der an mein Vorhaben wieder rege , die Kunst der Alten in Rom zu studieren .
Jetzt fühlte ich ganz bestimmt den Trieb dazu aufs neue in mir erwachen , und ich beschloß meine ganze Zeit und mein Leben in Rom dazu anzuwenden .
So bald ich dort ankam , machte ich auch gleich alle Anstalten , einsam und fleißig meinen Plan auszuführen .
Er schien mir so gut und so würdig , daß ich davon an Manfredi schrieb , und nachdem ich ihm meine letzte Begebenheit mitgeteilt , wendete ich meine ganze Beredsamkeit an , ihn zu bewegen , daß er sogleich seine Kompanie in Stich lassen und zu mir nach Rom kommen sollte , um mir nachzuahmen .
Ich bekam nach einiger Zeit eine freundschaftliche Antwort von meinem guten Manfredi .
Zu mir könnte er aber nicht kommen , der Marchese halte es nicht für ratsam , daß er seine Laufbahn unterbreche , und habe es ihm untersagt .
Meine Katastrophe in Venedig habe er schon durch seinen Vater erfahren , der überaus aufgebracht wegen meiner Unbesonnenheiten gewesen sei .
Man hatte es ihm nämlich aus Venedig mit allen möglichen Verkehrtheiten und Verfälschungen berichtet .
Vom Anteil an der Mordtat sprach er mich übrigens zwar frei , aber ich hätte mich niemals , meinte er , in solche gefährliche Gesellschaften mischen sollen .
Da ich aber doch die Ehre nicht verletzt hätte , so habe er noch nicht auf gehört , sich für mich zu interessieren , und es sei ihm erfreulich gewesen , aus meinem Briefe an Manfredi zu erfahren , daß ich in Rom sei .
Auch habe er gar nichts dagegen , daß ich mich dort einem ruhigen Leben und den Studien überlasse , nur sollte ich meine Zeit zweckmäßig benutzen .
Zuletzt kam wieder dasselbe Versprechen , er wolle auch in Rom auf meine Aufführung wachen lassen , und nach den Berichten , die darüber einliefen , würde er mich behandeln .
Ich ärgerte mich entsetzlich über diese Aufsicht , die so unsichtbar wie die Allwissenheit über mir schwebte , ohne daß sie mit der Allweisheit verbunden gewesen wäre , wie diese ; denn sie hatte mir in Venedig auf die verkehrteste Weise von der Welt den größten Schaden zugefügt .
Ich fand kein Mittel , mich von ihr zu befreien , ohne den Marchese zu erzürnen ; er war mir zu wert , niemand als er hatte noch so viel für mich getan .
Ich glaubte aber , man würde es bald müde werden , mich zu beobachten , da ich äußerst eingezogen , und bloß mit meiner Absicht beschäftigt lebte .
Mit den beiden Lords , die ich noch in Rom fand , und die mir sehr lästig wurden , mußte ich noch viel umherstreifen und ihnen helfen die Beweise ihres Kunstverstandes zusammen treiben , die sie für ihre baren Guineen einhandelten .
Sie hatten mir meinen Geldbeutel zurückgegeben , ich fand die geliehene Summe dreifach verdoppelt darin ; was mir gehörte , nahm ich davon , das übrige gab ich ihnen zurück ; nicht etwa , als ob ich es unter meiner Würde gehalten hätte , Geld anzunehmen : unter den Umständen , in denen ich lebte , wäre dies lächerlich und zwecklos gewesen .
Mein kleines Vermögen war aufgezehrt , dem Marchese Geld abzufordern , dazu hielt ich mich nicht berechtigt , ob er es mir gleich durch Manfredi hatte anbieten lassen , mich im Fall der Not an ihn zu wenden .
Diese Not schien mir aber noch nicht eingetreten .
Ich machte den Cicerone , sobald es mir an Geld fehlte , und lebte wieder bei meinen Studien , so lange es vorhielt .
Von den Fremden , die meiner bedurften , nahm ich unbefangen meinen Lohn an , es war kein anderes Verhaltniß zwischen mir und ihnen , als daß ich ihnen meine Dienste , sie mir ihr Geld gaben .
Mit den Lords stand ich aber nicht auf demselben Fuß ; der Dienst , den ich ihnen geleistet , den konnten sie mir mit Geld nicht bezahlen .
Diese Herren aber fühlten meinen Unterschied nicht , sie waren beleidigt , und taten aufgebracht , daß ich ihre vollwichtige Dankbarkeit verschmachte ; ich konnte sie nur mit dem Versprechen beruhigen , sie in England zu besuchen , wenn ich einst Italien verlassen möchte , und in jeder Geldverlegenheit von ihrer Freundschaft Gebrauch zu machen .
Sie reisten endlich nach England zurück .
Unterdessen waren meine guten Deutschen Künstler aus Venedig angelangt , und nun hob eine Zeit für mich an , die wohl immer zu den glücklichsten Epochen meines Lebens gehören wird .
Ich ging mit niemand um , als mit Künstlern , besonders mit den ausländischen , und unter diesen zeichnete ich besonders wieder die Deutschen aus .
Unter ihnen fand ich jederzeit den hellsten Sinn , das treulichste Bestreben , und am meisten innere Freiheit .
Mein angestrengtester Fleiß brachte mich in kurzem so weit , daß ich mit meinen Gefährten wetteifern konnte .
Sobald meine Gemälde verkäuflich waren , legte ich das Gewerbe eines Cicerone völlig nieder , zeichnete und malte ununterbrochen .
Um den Verkaufe meiner Bilder , meistens Landschaften , bekümmerte ich mich eben so wenig , als um die Anwendung des gelösten Geldes .
Das erste besorgten meine Freunde , und die Summen , die zu meiner wenig kostbaren Lebensart vollkommen ausreichten , händigten sie meiner Frau ein . --
Ihrer Frau ? rief Juliane erstaunt ; doch wahrscheinlich bloß Ihrer Haushälterin ? --
Nein , meiner Frau ! --
Wie ?
Sie sind verheiratet ? -- Wirklich getraut ? fragte Eduard .
-- Wahrscheinlich traute sie mir , und ich habe ihr nur zu viel getraut .
Es war ein sehr schönes Mädchen , eine Römerin , die uns lange zum Modell gesessen hatte .
Sie hielt sich klug und bescheiden , so daß sie von uns allen hochgehalten , und wegen ihrer großen Schönheit sehr bewundert wurde .
Einige Tage fanden wir sie niedergeschlagener als gewöhnlich , ich bat sie , uns etwas vorzusingen , um sich selbst damit zu erheitern .
Sie sang uns nun ein Lied , dessen Inhalt ungefähr war :
wenn sie einen Mann hätte , der sie liebte , und für sie sorgen wollte , so möchte sie einzig für ihn und seine Wünsche leben , das würde dann ihr größtes Glück sein .
Sie fange das Lied mit einer solchen süßen Unschuld , so schüchterner Innigkeit , und sah dabei so entzückend schön aus , daß ich , da sie während des Gesanges ihre Blicke am meisten auf mich geheftet hatte , ihren Wunsch erfüllen mußte .
Sie blieb gleich bei mir . --
Ich hatte meine große Freude an dem Kinde , wie gut sie sich nahm , und mit welchem Anstande sie dem Hauswesen vorstehen konnte .
Ich muß aber gestehen , sie hätte es weit schlechter machen können , sie würde mir doch nicht weniger gefallen haben , denn ihr kleidete alles , was sie unternahm ; man kann sich nichts reizenderes erdenken , als dieses kleine anmutige Wesen .
Meine größte Lust war es , sie zu schmücken , und sie jeden Tag in unserem Zirkel in immer neuem Kostüme und unerwarteten Abänderungen aufs kostbarste zu kleiden , darauf verwandte ich nicht eben den kleinsten Teil meiner Einkünfte .
Ich malte sie unter jeder Gestalt , und in allen ersinnlichen Stellungen , als Göttin , als Heilige , als Priesterin , als Nymphe : diese Bilder sollen mir sehr gut gelungen sein .
Wir führten das einfachste und doch tollste Leben , das sich erdenken läßt .
Ich war der beste Ehemann von der Welt , und ließ mich von ihr beherrschen , so viel sie wußte und vermochte ; sie lernte es immer besser .
Je mehr sie ihre Gewalt über mich kennen lernte , desto impertinenter und launenhafter wurde sie ; da es mir aber damals auch gar nicht daran fehlte und ich , wenn es darauf ankam , zehnmal launenhafter und tollköpfiger war als sie , so entstand nicht selten ein gar artiges Gepolter und Lärmen zwischen uns .
In unseren gewöhnlichen Abendzusammenkünften , die bei mir gehalten wurden , wurde entweder über das Werk eines großen Meisters , das wir denselben Tag gesehen hatten , gesprochen , oder es stellte einer unter uns , der eine Arbeit vollendet hatte , sie zur Beurteilung auf , oder man las auch wohl einen alten Dichter laut vor .
Mitten in den ernsthaftesten Beschäftigungen entstand dann nicht selten , zur großen Verwunderung aller Anwesenden , ein plötzlicher lauter Lärm und Zank zwischen mir und meiner Frau , wovon niemand den Grund erraten konnte .
Gewöhnlich war es aber nichts anders , als daß sie mir , von den anderen unbemerkt , ein Gesicht geschnitten , das mir , wie sie wohl wußte , verhaßt an ihr war ; dies beantwortete ich ihr dann mit einer impertinenten Gebärde , die sie nicht leiden konnte , so ging es eine Zeitlang hin und her , ohne daß es die anderen bemerkten , bis wir dann laut auf einander losfuhren .
Natürlich endigte der Krieg eben so lustig , als er entstanden war .
Unsere Haushaltung bestand aber herrlich , zur Erbauung und Belustigung aller Angehörigen .
Ich hätte füglich eine lange Reihe Jahre in denselben Beschäftigungen und denselben Freuden hinbringen können , aber eine geheime Unruhe im innersten Gemüt , ein Treiben nach einem unbekannten Gut ließ es mich selten rein genießen , daß es mir doch eigentlich recht wohl ging .
Ich wünschte mir einen größeren Wirkungskreis , es kam mir oft ganz verkehrt vor , daß ich Kraft und Jugend einer einseitigen Ausbildung hingegeben ; es dünkte mir lächerlich , daß ich so viel angewendet hätte , um mich frei zu machen , und nun diese errungene Freiheit doch nicht in ihrem ganzen Umfang benutzte .
Mein Bestreben schien mir kindisch und zwecklos , weil ich immer mehr inne wurde , daß ich eigentlich gar kein Talent zur Malerei hatte ; dennoch war es mir wieder gar nicht möglich , mich loszumachen , so wenig von meiner Lebensweise , als vom Anblick und dem Studium der großen Wunder der Kunst .
In manchen Stunden beunru hegte es mich wieder , nichts über meine Geburt und meine Eltern zu erfahren , ich mußte bei jedem Schritt , den ich unternehmen wollte , befürchten , daß ich meiner eigentlichen Bestimmung entgegen arbeite .
Oft fühlte ich mich zu diesen unruhigen Betrachtungen geführt , doch konnte ich mich nicht lange einer trüben Stimmung überlassen , meine Freunde sowohl als alle meine Übungen führten bald wieder Vergessenheit alles Grams herbei .
Endlich wurde mir von meiner Kleinen die nahe Aussicht zur Vaterwürde verkündet .
Wie soll ich euch beschreiben , wie mir wurde bei dieser Nachricht !
Es geschah eine plötzliche Revolution in mir .
Alles , was ich bis dahin geglaubt , gedacht , gefürchtet , gehofft , geliebt und gehaßt hatte , nahm eine andere gleichsam glänzendere Gestalt in mir an .
Jetzt wußte ich , was ich wollte ; ich dachte nicht mehr an ein entferntes Glück , ich hatte meine Bestimmung gefunden .
Doch mich selbst verlor ich völlig dabei aus den Augen , auf das Kind bezog ich Alles :
ich dachte unaufhörlich an die Art , wie ich es erziehen , wie ich für sein Glück Foren , und wie ich in diesem Kinde erst meine Kindheit genießen wollte , die mir selbst so getrübt worden war .
Was ich von Konntnissen befaß , suchte ich zu ordnen und fest zu halten , um es dann nützen zu können , dabei strengte ich mich mehr als gewöhnlich an , immer neue zu sammeln .
Meine Einkünfte , um die ich mich sonst nie bekümt mehrt hatte , berechnete ich jetzt mit großer Genauigkeit ; jedes Goldstück , das ich beiseite legen konnte , erhielt im voraus seine Bestimm mung zum Besten des Ankömmlings .
Lange Reden hielt ich an die Mutter , als sie mit einigen Einschränkungen unzufrieden war , die ich einführen wollte , in denen ich ihr Sinn für ihre neue große Würde zu geben versuchte .
Ich merkte es nicht in meinem Eifer , daß sie sie mit großem Leichtsinn aufnahm .
Einigemal war ich gegen meine Freunde , die sich eines Lächelns und leichten Spottes über meinen gut mutigen Enthusiasmus nicht enthalten konnten , ernsthaft aufgebracht : sie schwingen und sahen mir gelassen zu .
Kein rauhes Lüftchen Florentin .
1. 12 durfte die Mutter anwehen , ich bekümmerte mich um jede Regel der Diät , ich dachte nur darau , sie in der besten und ruhigsten Stimmung zu erhalten , und vermehrte durch meine Ängstlichkeit ihre Ungeduld , so daß ich unaufhörlich von ihren Launen litt .
Was habe ich nicht angewandt , sie vom Tanze abzuhalten , dem sie mit großer Leidenschaft ergeben war !
Geliebt hatte ich sie wohl eigentlich nie , aber jetzt fühlte ich wahre Zärtlichkeit für sie ; sie war mir heilig .
Wie weit aber war sie von diesen Gefühlen entfernt , die mich so entzückten !
Ich war genötigt , eine Reise nach Florenz vorzunehmen , um eine angefangene Arbeit dort zu vollenden .
Ich arbeitete mit solchem Eifer , daß ich in zwei Monaten vollendete , wozu ich sonst noch einmal so viel Zeit gebraucht hätte .
Ich erhielt eine ansehnliche Summe , und eilte zurück zu meinen Freunden .
Ich fand meine Kleine etwas blaß bei meiner Zurückkunft , ich erkundigte mich ängstlich nach ihrem Befinden , ihre Antwort befriedigte mich nicht , indessen schob ich es in meiner Freude auf ihren Zustand , denn sie war übrigens wohl und fröhlicher , mutwilliger , als ich sie verlassen hatte .
Wir saßen bei Tische , ich erzählte , fragte , überließ mein Herz den schönsten Eindrücken der Freude .
Endlich fragte ich sie so schonend als nur möglich , wie es zuging , daß ihr Wuchs noch so unverändert wäre , ich hätte nicht geglaubt , sie noch so schlank zu finden ?
Meine zärtlichen bescheidenen Fragen wurden mit lautem Gelächter beantwortet ; ich ließ nicht ab , sie wurde übel gelaunt , einige heftig ausgestoßene Worte vermehrten meine Besorgnis , ich drang in sie , endlich ... sie hatte meine Abwesenheit benutzt ... sie hatte sich durch künstliche Mittel von dem Zustande befreit . --
Die lange Beschwerde , ... die ewige Sorgfalt wurde , dem leichtsinnigen Geschöpfe sträflich zur Last , ... sie fürchtete für ihre Schönheit ! ... Gott ! ich werde noch jetzt ganz verwirrt , wenn ich mich daran erinnere . ... Ich verlor alle Fassung , alle Gewalt über mich . ... Atem und Sinne , vergingen mir ... meiner selbst nicht mehr ( 12 ) 2 mächtig , warf ich mein Messer , das ich in der Hand hatte , mit solcher Gewalt zu ihr hinüber ... es hätte sie auf der Stelle töten müssen , hätte die Wut mich nicht blind gemacht ; es blieb über ihrem Kopf tief in der Wand stecken .
Von meiner Wildheit erschreckt , schrie sie laut auf , und verließ eilends das Zimmer , ich war unvermögend , ihr zu folgen . --
O Florentin , sagte Juliane , wie fürchterlich erscheinen Sie mir !
Sie hätten eine Mordtat begehen können !
-- Wie ! war nicht sie eine hartherzige , treulose , widernatürliche Mörderin ?
Mich , mich hatte sie höchst unbarmherzig gemordet !
Still nur davon , und erlaubt , daß ich Ende . --
Die Treulose hatte auf der Stelle das Haus verlassen , ich sah sie nicht wieder .
Ein gewisser Kardinal hatte sich ihrer angenommen .
Wie ich nun erfuhr , hatte Se. Eminenz , die übrigens ein Muster der Frömmigkeit für ganz Rom war , ihr schon längst nachgestellt , und wahrscheinlich während meiner Abwesenheit seine Absicht erreicht .
Ein heftiger Blutsturz , den ich gleich nach jenem Auftritt bekam , drohte meinem Leben .
Ich war zerstört , konnte meine Kraft , meine Fröhlichkeit und meinen Trieb zur Arbeit nicht wiederfinden .
Die Lust zu reisen kam mir wieder an , ich durfte es aber nicht wagen , wegen meiner angegriffenen Gesundheit .
Ich mußte bei jeder etwas heftigen Bewegung Blut auswerfen .
An dem Mädchen rächte ich mich weiter nicht ; dem Kardinal konnte ich es aber doch nicht so hingehen lassen ; ich machte einige Verse , in denen ich ihn eben nicht schonte .
Es war Witz und Bitterkeit genug darin , sie kamen bald in Rom herum .
Meine Geschichte war bekannt geworden , man erriet den Dichter , und zugleich die Eminenz .
Er mochte es wahrscheinlich durch aufmerksame Diener erfahren haben , und für seinen Heiligenschein besorgt geworden sein .
Ich suchte nun diese Begebenheit zu vergessen , und strengte mich an , meine alte Lebensweise wieder einzuführen , als ganz unerwartet ein Billet von meiner treulosen Schönen an mich kam .
Aus einem Rest von Anhänglichkeit für mich , riet sie mir , so geschwind als möglich Rom zu verlassen .
Se. Eminenz wären äußerst aufgebracht auf mich , und hätten beschlossen , mich auf die Galeeren zu schicken , ich wäre also keinen Tag sicher in Rom. Se. Eminenz hätten ihr versichert , ich hätte diese Strafe verdient , nicht allein wegen des boshaften Pasquills , wofür er sich niemals rächen würde , das er mir auch schon von Herzen vergeben habe , sondern sowohl wegen der abschenlichen Absicht sie zu ermorden , nachdem ich sie gewaltsam verführt habe , als auch wegen meiner Irreligiosität , und des gottlosen Planes , eine heidnische Sekte zu stiften , zu welchem Ende ich geheime Zusammenkünfte mit jungen Künstlern gehalten habe , wobei wir lästerliche Reden gegen den katholischen Glauben ausgestoßen , und verschiedene heidnische Gebräuche eingeführt hätten .
Überdies wäre ich schon längst verdächtig , und ein Gegenstand der Aufmerksamkeit für die Polizei , weil von auswärts her von gewissen Leuten Nachfrage nach meiner Aufführung geschehen sei ; ich müßte mich also schon längst verdächtig gemacht haben . --
Denkt euch ! denkt euch diesen Abgrund von Absurdität !
Es lag mir nichts daran , mich zu verteidigen , ich hätte es leicht gekonnt .
Es war mit gleichgültig , wo ich lebte , Italien war mir aber verhaßt .
Ich verließ Rom noch in derselben Stunde .
Weil ich die Bewegung des Fahrens nicht ertragen konnte , ging ich zu Fuß nach Civita Vecchia , einige von meinen guten Gefährten gingen mit mir bis dahinHier schiffte ich mich nach Marseille ein .
Dort war die Luft , und die ruhige Einförmigkeit meines Lebens , meiner Gesundheit so zuträglich , daß ich in einigen Monaten wieder völlig hergestellt war .
Auf wiederholte Briefe an Manfredi bekam ich keine Antwort .
In der Folge erfuhr ich , daß sein Regiment die Garnison verändert habe , und meine Briefe wahrscheinlich nicht an ihn gelangt waren .
Damals glaubte ich aber zu meinem tiefsten Schmerz , er habe sich von mir gewandt .
Ich schrieb dies dem Marchese zu , der wahrscheinlich den Nachrich ten aus Rom zufolge eine schlechte Meinung von mir bekommen , und sie seinem Sohn mitgeteilt hätte .
An den Marchese selbst schrieb ich also nicht , ich glaubte seine Antwort vorher wissen zu können .
Nan durchwanderte ich einsam einen großen Teil von Frankveich ; die schönen Träume und Bilder waren von mir gewichen , die sonst auf jeder neuen Reise vor mir herflogen .
Mein Herz hatte sich verschlossen , und so blieb ihm auch alles verschlossen .
Ich lebte von Porträtmalen .
Hatte ich mir an einem Ort einiges Geld erworben , so reiste ich weiter .
Manches zog mich an , aber nirgends wurde ich fest gehalten .
Allenthalben fand ich dieselben Gewohnheiten , dieselben Torheiten wieder , denen ich so eben entgehen wollte .
Ein Vorurteil hing am anderen , und an dieser Kette sah ich die Welt gelenkt und regiert .
Allenthalben fand ich Sklaven und Tyrannen ; allenthalben Verstand und Mut unterdrückt und gefürchtet , Dummheit und niedrige Gesinnung beschützt von denjenigen , denen sie wieder als Pfeiler diente .
Ich trieb mich in Paris umher , es war mir nach und nach ein gar schlechter Spaß geworden , Gesichter aller Art für bare Bezahlung zu konterfeien , und für dieses sündlich erworbene Geld ein leeres törichtes Leben weiter hinaus zu spinnen , und die Erfahrung immer zu wiederholen , daß ich nirgends hinpasse .
An einem öffentlichen Ort kam ich zufällig in ein Gespräch mit einem Englischen Manufakturristen , der auf Frankreich schimpfte , und mir die Englische Freiheit rühmte ; mir fiel das Versprechen ein , das ich meinen Lords in Rom gegeben hatte , -- in wenigen Tagen war ich in London .
Hier fand ich nur den einen Lord , der andere , der den Nobile getötet hatte , wohnte auf seinem Landsitz .
Eine Zeitlang lebte ich nun mit jenem im Zirkel der Londoner Elegants .
Ich fand aber keine Lust an ihren Rots und Punsch und tollen Wetten , worin sie den Ehrgeiz des guten Tons setzten .
Die Gesellschaft ihrer Frauen erfreute mich nicht ; ihre Fabriken , Manufakturen , ihr Geld , ihr Hochmut , ihre Nebel und ihre Stein kohlen machten mich traurig und schwermütig .
Und ihre Freiheit , die mir so oft gepriesene ? ... Ich war bei einer Debatte im Unterhause zugegen ... und nun war ich bestimmt entschlossen , und es bleibt unwiderruflich dabei , ich gehe zur republikanischen Armee nach Amerika .
Es muß jenen Menschen gelingen , sich frei zu machen , da sie nicht von falschem Schimmer geblendet sind , den man ihnen anstatt des echten Goldes aufdringen will .
Meine Kraft und meine Tätigkeit sei ihnen geweiht .
Bei diesem Gedanken erwachten Mut und Freudigkeit wieder in mir , für die Amerikanische Freiheit fechten , dünkte mir ein würdiger Endzweck .
Ich fetzte einen Tag fest , an dem ich wieder nach Frankreich wollte .
Den Tag vorher hatten meine Londoner Herren ein Pferderennen , zu dem sie mich mit zogen ; ich folgte mit einigen anderen den Rennern , mein Pferd stürzte , ich wurde heftig herunter geschleudert ; ohne es zu achten , stieg ich wieder auf , fühlte mich aber , nach einer kurzen Anstrengung je einen zu folgen , so angegriffen , daß ich mich nach Hause mußte bringen lassen .
Meine Brust war durch den Fall aufs neue verletzt worden , ich war krank , allein und verlassen .
Mein Geldvorrat war erschöpft , was noch übrig war , reichte kaum hin , mich wieder herzustellen .
Um dieses zu beschleunigen , wollte ich einige Zeit auf dem Lande leben ; die Luft in London war mir höchst schädlich .
So bald ich es nur wagen durfte , so weit zu gehen , machte ich mich auf , um meinen Lord auf seinem Landhause zu besuchen , und mich bei ihm völlig zu erholen .
In seinem mit der gewöhnlichen Pracht der Englischen Land-Paläste errichteten Wohnsitz fand ich alles in bunter , lauter Freude und Lustbarkeit .
Der Lord hatte sich vor wenigen Tagen mit einer reichen Erbin vermählt , und man war noch sehr mit den Festen beschäftigt .
Ich kam zu Fuß , war matt , bleich und im Kostüm eines Fußgängers .
Ich mußte lange stehen , ehe ich jemanden fand , der mich Sr. Herrlichkeit melden wollte .
Es gab eine Zeit , wo ich es nicht so geduldig abgewartet hätte , aber ich war krank , und mein Geist gebeugt .
Des Stehens im lärmenden Vorsaal endlich müde , schickte ich eine Karte mit meinem Namen hinein , und setzte dazu , ich wäre im Garten .
Ich ging wirklich dahin und setzte mich auf die erste Bank , die ich fand .
Bald darauf kam auch der Lord mit einem wahren Festtagsgesicht , das immer länger wurde , je näher er mir kam , und mein Aussehen und meinen Aufzug gewahr wurde .
Seine ganze Haltung schwebte zwischen Erstaunen und Verlegenheit .
In jeder anderen Stimmung hätte mich Se. Herrlichkeit sehr belustigt , jetzt war es mir aber ganz gleichgültig ; es war ein schöner warmer Herbsttag , der Sonnenschein tat mir wohl , ich legte mich bequem auf den schönen Sitz und ließ den Lord sich wundern und nicht begreifen .
Seine Fragen beantwortete ich ihm zur höchsten Notdürftigkeit ; er wußte bald , wie es gegenwärtig mit mir stand , und mein Begehren , einige Zeit lang bei ihm auf dem Lande zu wo einen .
Nach einigem Husten und Räuspern , und einem sehr bedeutenden Spiel mit Uhrkette und Hemdkrause , erzählte er mir endlich : während seiner Rückreise nach England sei sein Vater plötzlich gestorben , und habe viel Schulden und die Güter in Unordnung gelassen .
Auch er habe nach gemachter Rechnung , auf seinen Reisen weit mehr ausgegeben , als ihm eigentlich erlaubt gewesen .
Schon auf dem Punkt , ganz ruiniert zu sein , habe er seine gesammelten Schätze der Kunst und die größten Seltenheiten alle verkaufen müssen , was doch nicht zugereicht habe , ihn wieder in Ordnung zu bringen ; er sei aber jetzt so glücklich gewesen , eine sehr reiche Frau zu finden , durch deren Vermögen er sich wieder in den Stand gesetzt sähe , seinen alten Glanz anzunehmen .
Er finde sich überaus glücklich ; nur auf das Glück , seinen alten Freunden öffentlich viel zu sein , müsse er Verzicht tun ; heimlich könne er aber manches für sie tun .
Seine Anverwandte und die Familie seiner Gemahlin , die jetzt zu seinem Glück alles getan habe , müsse er durchaus hierin schonen , und ihnen nicht das Zutrauen nehmen , daß er von seiner Neigung zur Verschwendung geheilt sei , wovon sie immer noch . einen Rückfall befürchteten .
Da sie nun seinen .
Aufenthalt in Italien als den Hauptgrund seines Verderbens ansähen , so sei ihnen alles verdächtig , was von dort herkomme , besonders alle Künstler , und was damit zusammenhänge .
Jetzt sei die ganze Familie noch in seinem Hause zu den Vermählungsfesten versammelt , und er sowohl als ich würden viel von ihrer üblen Laune und ihrem Verdacht zu leiden haben , wenn er mich als Künstler und Bekanntschaft aus Italien bei ihnen einführen wollte ; das , was er mir schuldig sei , was ich für ihn getan , komme in keinen Betracht bei ihnen , da er jene Geschichte mit einigen anderen Umständen erzählt habe , und sie nur die Summe berechneten , die er an jenem Abend im Spiel verloren .
Seine Freundschaft und ewige Dankbarkeit sei noch immer dieselbe für mich ; ich sollte nur erst eine andere Toilette machen , und in einem Wagen oder zu Pferde bei ihm an kommen , dann wollte er mich unter fremden Namen , als Graf oder Marquis vorstellen ; unter diesem Titel könnte ich eine Zeit lang , wie zum Besuch , bei ihm bleiben .
Alsdann wollte er mir eine bequeme Gelegenheit , nach Frankreich zu reisen , verschaffen , und mir einige sehr gute Empfehlungen dorthin mitgeben .
Sollte ich mich aber nicht in diese Maßregeln fügen können , so möchte ich wenigstens nicht die kleinen Beweise seiner Dankbarkeit und Freundschaft verschmähen , und erlauben , daß er sich zum Teil der großen Verbindlichkeiten entledige , die er mir habe .
Wo ich auch wäre , sollte ich mich seiner erinnern , und immer auf seine Freundschaft rechnen .
Während dessen hatte der großmütige Lord einen Geldbeutel hervorgezogen und ihn neben mir auf die Bank hingelegt .
Als ich merkte , daß er nichts mehr zu sagen hatte , und irgend eine Antwort erwartete , stand ich auf , setzte meinen Hut gelassen auf , wandte mich und ging hinaus , ohne ein Wert zu sagen .
Überdies war auch eben die Sonne untergesunken .
Wie lange er mir nachgesehen haben mag , weiß ich nicht .
Mir war leichter , da ich hinaus ging , als da ich herein trat .
Der Auftritt hatte meiner Laune ganz wohl getan , mir war so leicht wieder zu Sinn , als seit lange nicht ; es war mir , als hätte ich eine große Rechnung im Leben abgeschlossen , und könnte nun auf neues Conto wieder anfangen .
Ich genoß im nahen Gasthofe einiger ruhigen Stunden , in denen ich überlegte , was ich nun tun wolle ?
Zur Armee konnte ich noch nicht , ich hätte bei meiner angegriffenen Gesundheit das Soldatenleben nicht ertragen , es ging überdies zum Winter .
Ich ging zurück nach London , verkaufte meine überflüssigen Habseligkeiten , und so mit recht frischem heiteren Sinn , der nicht wenig dazu beitrug , daß ich bald wieder Kräfte und Gesundheit erlangte , verließ ich England und schüttelte den Staub von meinen Füßen , als ich wieder zu Calais anlangte .
Im südlichen Frankreich hoffte ich zuerst meine Gesundheit wieder zu erlangen , ich beschloß also hin zu wandern und den Winter unter jenem milden Himmel abzuwarten .
Den Fußreisen fing ich an vielen Geschmack abzugewinnen ; es gibt keine lustigere und abenteuerlichere Art zu reisen , wenn es einem eben nicht darauf ankommt etwas später an das Ziel seiner Reise zu gelangen , oder wenn man , was noch schöner ist , seiner Reise kein Ziel zu setzen braucht .
Freilich mußte ich nun wieder zum Porträtmalen meine Zuflucht nehmen , um durchzukommen .
Es wurde mir aber schwerer und zuletzt ganz unmöglich , eine Kunst , die die Göttin , das Glück und die Gefährtin meiner schönen und glücklichen Tage gewesen war , im Unglück als Magd zu gebrauchen .
Ich behalf mich oft lieber äußerst kümmerlich , litt manchen Tag lieber wirklich Not , ehe ich mich dazu entschloß .
Ich half mir sinnreich genug , und auf unzählige Weisen durch ; eine der angenehmsten war mir darunter , als Spiel Florentin. I. 13 Mann von Dorf zu Dorf versorgt zu werden .
Auf meiner Wanderung machte ich zufällig die Bekanntschaft eines Schweizers , der mit seiner kranken Frau den Winter in Frankreich zubringen wollte , um sie wenigstens so lang als möglich zu erhalten , da keine Hoffnung zu ihrer völligen Wiederherstellung war .
Sie starb während des Winters , und er , der über ihren Verlust sehr trauerte , bat mich , ihm auf seiner Rückreise nach Basel Gesellschaft zu leisten .
Ich nahm es gern an , ich hatte die Schweiz noch nicht gesehen .
Um sich zu erheitern , reiste er nicht geradezu nach Basel , wo er wohntc , sondern begleitete mich vorher auf meinen Zügen in den Alpen .
Ich machte einige gutgelungene Zeichnungen , die er behielt .
Unter diesen Beschäftigungen verstrich wieder der Sommer ; nun ging ich mit ihm nach Basel , wo ich durch ihn in einigen artigen Häusern bekannt wurde .
Die Härte des Winters hielt mich lang in Basel , während dem gab ich Unterricht im Zeichnen und Malen .
Einigen liebenswürdigen Menschen dort habe ich gar vieles zu verdanken , ohne daß sie es vielleicht ahnden .
Auf ihren Rat , und durch ihr Lob aufmerksam gemacht , lernte ich Deutsch und einige eurer guten Dichter kennen .
Sie gaben mir glückliche Stunden , und rechtfertigten meine Vorliebe für die Deutschen .
Ich wurde durch sie bewogen noch erst durch Deutschland zu reisen , und mich noch länger den Stürmen eines ungewissen Lebens hinzugeben , ehe ich zu meiner Bestimmung gelange .
So bald man nur hoffen durfte , daß die Kälte nicht mehr zurückkehren würde , habe ich mich von Basel aufgemacht ; ich habe einige schöne Teile von Deutschland durchreist , und fühle mich so gestärkt an Leib und Seele , daß ich nun meinen Entschluß gewiß auszuführen gedenke .
Mich treibt etwas unnennbares vorwärts , was ich mein Schicksal nennen muß .
Es lebt etwas in mir , das mir zuruft , nicht zu verzagen , und nicht bloß zu leben , um zu leben , ( 13 ) 2 ich muß meinen Endzweck , ich muß das Glück , das ich ahne , wirklich finden . --
Ihr wolltet es so , meine guten Freunde , da habt ihr also die Erzählung meiner wichtigsten Begebenheiten .
Es sind wunderliche Bilder der Vergangenheit in mir rege geworden , bei denen ich mich vielleicht zu lange aufgehalten habe , sie haben sich meiner bemeistert .
Laßt es geheim zwischen uns bleiben , was ich euch erzählt habe .
Es gibt Menschen , die das , was man ihnen sagt , selten so nehmen , wie man es sagt , und wie man es genommen haben will , sondern aus eigener Bewegung noch ganz etwas anders dahinter suchen und vermuten .
Der Himmel gebe , daß euch meine Erzählung keine Langeweile gemacht , und daß ihr jetzt nicht übler von mir denkt als vorher .
Beide versicherten ihn ihrer freundschaftlichsten Teilnahme , und daß er ihnen vielmehr jetzt noch werter geworden sei .
Sie unterhielten sich noch mit ihm über diese und jene Begebenheit , die ihnen aufgefallen war .
Juliane erkundigte sich genauer nach den Namen , Verhältnissen und den Personen , die darin vorkommen .
-- Fragen Sie mich nicht um dergleichen Zufälligkeiten , liebe Juliane , sie gehören nicht auf die entfernteste Weise zu mir , und von mir sollte ich Ihnen erzählen !
Hinz oder Kunz , es ist einerlei .
Wenn es Ihnen so um den deutlichen Begriff der Persönlichkeit zu tun ist , so können Sie sich Personen nach Ihrer Bekanntschaft dazu denken , man findet sehr leicht passende Vorbilder .
Und nun , bevor wir uns auf den Rückweg machen , lassen Sie uns noch erst tiefer ins Gebirge hineingehen , dort von dem Gipfel eines Bergs , den ich kenne , ist eine Aussicht , die ich , ehe die Sonne untergeht , zeichnen und Ihnen , lieben Freunde , als ein Gastgeschenk und ein Andenken dieses Tages zurücklassen will .
Die Sonne steht nicht mehr hoch , es hat sich ein kleiner Wind erhoben , und Sie können ohne Beschwerde gehen , Juliane . --
Jene waren es wohl zufrieden , man machte sich auf den Weg , und im Gehen sagte Florentin : jene Aussicht habe ich aus einem ganz besonderen Grund zum Abzeichnen ersehen .
Man sieht von dort ein Haus , das mich durch seine Bauart und eine Ähnlichkeit in der Lage an eine lustige Geschichte erinnert , die ich euch noch erzählen will .
Ihr mögt euch meiner dabei erinnern , wenn ich fern bin , und ihr die Zeichnung beschaut in friedlichen Tagen .
Als ich in Venedig war , ließ ich mich in einer der schönen Nächte mit einigen jungen Leuten auf dem Golfo herum fahren .
Wir machten Musik , und waren voller Mutwillen und Lust .
Einer unter ihnen hatte eine gute Freundin , die in einem Landhause nicht weit vom Ufer wohnte , es fiel ihm ein , ihr eine Musik unter ihrem Fenster zu bringen , und er bat uns ihn zu begleiten :
wir willigten ein , und stiegen ans Land .
Die Musik wurde gebracht , und so gnädig aufgenommen , daß man uns alle einlud ins Haus zu kommen , um Erfrischungen einzunehmen .
Der gute Freund ging sogleich hinein , wir anderen entfernten uns bescheiden , nachdem wir einen Ort bestimmt hatten , an dem wir uns wieder zusammen finden wollten .
Wir zerstreuten uns ; was die anderen anfingen weiß ich nicht , ich ging am Ufer des Golfo entlang , freute mich über die entzückende Aussicht , die in glänzendem Mondlicht vor mir lag , und hörte dem Gesang der Gondeliere zu , und der verschiedenen Musik auf den Gondeln , die hin und her schwammen .
So fortwandelnd , sah ich mich auf einmal vor einem Gitter , das ein anmutiges Blumenparterre umschloß , von dem die Gerüche die Luft um mich her durchwürzten .
Am anderen Ende des Parterres , dem Gitter gegenüber , war ein Haus sichtbar mit einem Balkon , der nur wenig von der Erde erhöht war , auf demselben standen die Türen offen , die nach einem Zimmer zu führen schienen , aus dem ein helles Licht schim mehrte , und der Gesang einer weiblichen S___me , von einer Gitarre begleitet , erscholl .
Das Ganze zog mich hinlänglich an , um mich etwas näher umzusehen .
In einem Augenblick sprang ich über das Gitter , und stand dicht vor dem Balkon , wo ich das ganze Zimmer hinter demselben übersehen konnte .
Es war ein niedlich gebauter Salon , der so geschmackvoll und zugleich prächtig dekoriert war , als ich es selten gesehen habe .
Besonders zog meine Blicke ein schöner Fußteppich an , mit grünem Grund , auf den zerstreute Rosen eingewirkt waren , der sich gegen die glänzenden mit Gold verzierten Wände sehr schön ausnahm .
Das Ganze wurde von einem kristallenen Kronleuchter zauberisch beleuchtet .
Eine schöne junge Frau , im leichtesten zierlichsten Gewande , die schwarzen Haare oben auf dem Kopfe zusammengeknüpft , ging singend auf diesem Teppich mit leichtem Fuß umher , in ihrem Arm ruhte die Gitarre , die sie mit vieler An Mut spielte .
Einige große Spiegel an der gegen mir überstehenden Wand vervielfachten das Bild der reizenden Gestalt im Vorüberschweben .
Ich war wie festgebannt , ich konnte mich nicht satt sehen .
Sie legte die Gitarre hin , und zog eine Schelle , ein Lakai in reicher Livree trat herein und brachte Erfrischungen , sie setzte sich nun auf den Sofa dicht am offenen Balkon und verzehrte einige Orangen , die sie erst mit großer Zierlichkeit schälte .
Die unbedeutendste Bewegung gefiel mir an ihr .
Ich mußte es wagen , sie zu sprechen , das war gewiß .
Ohne mich lange zu besinnen , sang ich halb leise einige Verse auf dieselbe Melodie , die sie so eben gesungen hatte .
Ich konnte sie genau dabei beobachten : erst war sie erschrocken , dann staunte sie , zuletzt wurde sie aufmerksam , ich hörte auf und seufzte tief .
Einen Augenblick besann sie sich , dann trat sie auf den Balkon heraus ; sie sprach einige Worte , aus denen ich merkte , daß sie mich für einen anderen nehmen mußte .
Ich antwortete so , daß sie nicht sogleich aus dem Irrtum gerissen wurde .
Als ich hoffen durfte , daß die Unterhaltung sie genügsam interessierte , gab ich ihr zu verstehen , daß ich ihr unbekannt sei .
Sie war aufgebracht , ging zurück , sprach aber doch immer weiter durch die offen gebliebene Türe ; es währte nicht gar lange , so hatte ich sie wieder durch Bitten und Schmeicheleien auf den Balkon gezogen .
Sie wollte meinen Namen wissen , ich sagte ihn ihr , sie schien einiges Zutrauen zu gewinnen als sie ihn hörte .
Sie hatte schon viel zu meinem Vorteil gehört , sagte sie , und schon lange gewünscht mich persönlich zu kennen .
Was konnte sie mir erfreulicheres sagen ?
Auch war unsere Bekanntschaft mit diesen wenigen Worten so gut als befestigt .
Meine Rolle war etwas schwierig , ich mußte durchaus sie schon gesehen , gekannt , geliebt haben , sonst wäre mein Eindringen ganz unverzeihlich gewesen , auch sprach sie ganz so , als ob mir alle ihre Verhältnisse bekannt sein müßten , da ich doch nicht das mindeste , nicht einmal ihren Namen wußte , und sie zum ersten Mal sah .
Gewandtheit und Dreistigkeit halfen mir glücklich durch .
Nach einigen kleinen Debatten erhielt ich Erlaubnis , sie den folgenden Abend an demselben Ort wieder zu sehen .
Ich mußte nun zurück , ich fand meine Gefährten am bestimmten Ort wieder , und schiffte mich mit ihnen ein .
Auf meine Erkundigung erfuhr ich von ihnen , wer meine schöne Unbekannte sei .
Die Nachrichten waren gut und erfreulich .
Aus einem großen Hause , vom Kloster an einen Mann vermählt , der alt genug war ihr Großvater zu sein ; sie lebte größtenteils auf dem Lande , wo ihr Gemahl sie dann und wann besuchte .
Sie liebte ihn nicht , war keine Feindin der munteren Gesellschaft , ... kurz ich fand keine Ursache zu verzweifeln .
Die folgende Nacht fand ich mich wieder vor dem allerliebsten Balkon ein .
Dasselbe Licht , derselbe Glanz .
Ich stand nicht lange , als sie heraustrat , sie sprach freundlich mit mir , ich bat um Erlaubnis zu ihr hinauf zu kommen , sie verweigerte es nur schwach , ich wurde dringender , sie nachgebender ; mit einem Sprung war ich auf dem Balkon zu ihren Füßen .
Das Geständnis ihrer Liebe entzückte mich .
Nun saß ich ihr gegenüber , auf demselben Teppich , von demselben Kronleuchter beleuchtet .
Sie saß wieder auf demselben Sofa , schälte Orangen , die sie mit mir teilte , ich war wie berauscht , meine Sinne waren gefangen .
Einige Stunden waren schnell verscherzt , nun verlangte sie , ich sollte wieder fort ; dieser leichte Anstrich von Sprödigkeit , mich nicht länger bei sich zu behalten , konnte mir nicht sehr imponieren , ich bestand darauf nicht fortzugehen , und es wurde mir erlaubt zu bleiben .
Doch mußte ich wieder hinaus auf den Balkon , um dort zu warten , bis sie mich wieder rufen würde , und ihre Frauen erst fortzuschicken .
Die Lichter wurden ausgelöscht , ich mußte lange draußen stehen , es fing an zu regnen , ich wurde verdrießlich , Langeweile war mir von je her unter jeden Umständen unleidlich .
Endlich kam eine Gestalt , die mich bei der Hand nahm , nicht die bekannte , es war eine vertraute alte Kammerfrau , sie führte mich durch einige finstere Zimmer , jeder Umstand fiel mir unangenehm auf .
Endlich öffnete sie eine Tür und ging zurück .
Die Gebieterin kam mir entgegen , sie war im nachlässigen Nachtgewande , sehr schön , das Zimmer äußerst prächtig , der Schein einer Lampe erleuchtete es nur dämmernd , alles war köstlich , unvergleichlich , aber es war nicht jenes Zimmer , jene Erleuchtung , jene Spiegel , jener schöne Teppich ; mich umgab nicht der süße Blumenduft , es war nicht dieselbe Grazie , die umherschwebte .
Ich sehnte mich nach dem Schimmer , nach der Luft jenes kleinen Tempels , der mich zuerst so freundlich begrüßt , und meine Fantasie gefangen genommen hatte .
Das ganze reizende Bild war mir entrückt , meine Wünsche mir fremd geworden .
Ich setzte mich neben die schöne gütige Dame , und sprach einiges mit ihr , wahrscheinlich waren es höchst gleichgültige abgeschmackte Phrasen , die die Dame sehr betreten machten , und eben so gleichgültig beantwortet wurden .
Es gab einen Augenblick der sonderbarsten verlegensten Stille , ich fühlte das unschickliche , wollte durchaus wieder in meine vorige Stimmung kommen , die Anstrengung gelang mir schlecht , ich wurde völlig verdrießlich , und ... schlief endlich ein !
Als ich erwachte , schien der Tag hell ins Zimmer hinein ; ich fand mich allein , noch auf demselben Sofa :
es währte einige Minuten ehe ich mich entsinnen konnte , wie ich in dieses Zimmer gekommen , und was mit mir vorgegangen war ?
Aber mit welcher Beschämung fiel mir nun mein ganzes Abenteuer und mein unerklärlich albernes Benehmen ein .
Die Türen waren alle offen , kein Mensch kam mir in den Weg , ich schlich mich unbemerkt aus dem Hause , und eilte aus der Gegend , so schnell als möglich .
Ich war überzeugt , daß meine Geschichte so höchst lächerlich , als sie wirklich war , und gewiß mit den unvorteilhaftesten Zusätzen , in Venedig herumkommen würde , und traute mich gar nicht , mich die erste Zeit wieder dort sehen zu lassen .
Ich verließ also Venedig auf einige Monate , und zog aufs Land , Das war die Zeit , von der ich Ihnen erzählt , die ich unter Hirten auf dem Lande gelebt habe . --
Dies ist gegen die Abrede , Florentin , sagte Juliane , diese Geschichte gehörte noch zu ihren Konfessionen ! --
[/0216 ] Elftes Kapitel .
Die Zeichnung war beinahe ganz angelegt , als die Sonne sich auf einmal hinter eine dicke Wolke verbarg , die ein plötzlicher Wind von Abend her am Horizont herauftrieb ; es donnerte in der Entfernung .
Unsere Wanderer rafften sich auf , um vor dem nahenden Gewitter noch ein Dorf zu erreichen , von dem sie nicht weit entfernt waren .
Das Wetter zog sich aber schneller zusammen , als sie dahin gelangen konnten .
Ein Wirbelwind jagte den Staub wie eine dichte Wolke über ihnen empor , der Donner kam naher , die Blitze wurden stärker , einzelne große Regentropfen fielen .
Juliane wurde ängstlich , sie lief aus allen Kräften , bald versetzte der Sturm ihr den Atem , der Staub verdunkelte , und verletzte ihre Augen .
Sie fürchtete eben so sehr auf freiem Felde zu bleiben , als Schutz unter einem Baume zu suchen .
Ihre Füße waren vom Laufen auf den spitzen Steinen wund geworden , und sie stieß allenthalben an .
Ein starker Blitz , dem der Donner gleich nachfolgte , fiel vor ihnen nieder , Julianens Knie wankten , sie fiel halb ohnmächtig zu Boden .
Die beiden Freunde nahmen sie abwechselnd in ihre Arme , und trugen sie fort .
Das Gewitter war nun ganz nahe , Blitz und Donner wechselten unaufhörlich , der Regen strömte in Güssen herab .
In der Verwirrung verfehlten sie den rechten Weg zum Dorfe , sie irrten , für Julianens Gesundheit besorgt , ängstlich umher ; endlich erblickten sie , indem sie an einem Bache hinauf gingen , am jenseitigen Ufer eine Mühle , die einsam im Tale lag , von Bergen umschlossen .
Eine Brücke ging nicht hinüber , sie riefen laut ; aber der Sturm und das Rauschen des Florentin. I. 14 Bachs war lauter als ihre Stimmen .
Endlich gelang es ihnen nach vielem Winken und Rufen bemerkt zu werden ; einige Müllerburschen kamen mit einem Kahn zu ihnen herüber , nahmen die beiden Freunde und die vor Angst und Müdigkeit halb tote Juliane ein und brachten sie nicht ohne Mühe über den vom Regen angeschwollenen Bach nach der Mühle .
Sie waren vom Müller und von seiner Frau nicht gekannt , wurden aber gastfrei aufgenommen .
Eduards erste Sorge war trockene Wäsche und Kleider für Juliahnen zu verschaffen .
Eine neue Verlegenheit entstand .
Sie mußten Julianens Geschlecht der Müllerin entdecken , diese war erstaunt und getraute sich nicht , ihnen zu glauben .
Nach vielen Bitten und Beteuerungen ließ sie sich endlich bewegen , Wäsche und Kleider für Juliahnen herzugeben , und ihr bei der Umkleidung hülfreich zu sein , denn die arme war so erschöpft , daß sie kaum zu stehen vermochte .
Während sie umgekleidet und zu Bette gebracht wurde , war in der daran stoßenden Stube ein Kaminfeuer gemacht worden ; Eduard und Florentin waren dabei beschäftigt , ihre Kleider zu trockenen .
Die Müllerin trat aus der Kammer , und berichtete ihnen , " die Jungfer wäre eingeschlafen ! "
Sie sah die jungen Leute mit mißtrauenden neugierigen Blicken an .
Sie konnte sich das Verhältnis auf keine rechtliche Weise erklären , indem diese junge schöne Person , von deren Geschlecht sie nun völlig überzeugt war , mit den beiden Männern stehen müsse .
Sie hatte allerlei Vermutungen , schmiedete sich irgend einen Zusammenhäng , den sie ihnen in nicht gar feinen Wendungen deutlich zu verstehen gab .
Zuletzt sagte sie etwas ängstlich : " sie habe zwar " ihre Hilfe nicht versagen dürfen , aber weder " sie noch ihr Mann würden gern Leute becher " bergen , die sich zu verbergen Ursache hätten ; " und mehr solcher Redensarten , die eben keine günstige Meinung von ihren Gästen verrieten .
Die beiden belustigte ihre Besorgnis , und sie vermehrten sie mutwillig durch Geheimnis ( 14 ) 2 volle Bitten , sie nicht zu verraten .
Florentin trieb tausend kleine Possen um sie her und suchte sie durch Schmeicheleien und artigen Scherz freundlich zu erhalten .
Sie schien dafür auch gegen ihn besonders gefällig , und Eduard zog sie deshalb auf .
Bald war sie so dreist gemacht , daß sie sich einige zweideutige Späße über Juliahnen erlaubte , deren Stand sie weit entfernt war zu ahnden .
Sie drang immer mehr mit Fragen in sie , die aber nicht ernsthaft beantwortet wurden .
Der Müller war unterdessen seinen Geschäften nachgegangen , und hatte seiner Frau die Sorge für die Wanderer überlassen .
Juliane erwachte nach einem kurzen Schlummer und hörte zu ihrer nicht geringen Beschämung die Zweifel und den Argwohn der Müllerin .
Sie gab ein Zeichen , daß sie erwacht sei , Eduard eilte zu ihr ans Bett , um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen ; sie bat ihn , diesen für sie sehr verdrießlichen Auftritt zu endigen , und die Frau über ihren Irrtum ernsthaft aufzuklären ; sie hatte zwar anfangs gewünscht , unbekannt zu bleiben , lieber wollte sie aber diesen Vorsatz aufgeben und ihren Namen entdecken , um den Vermutungen und den Zudringlichkeiten der Frau ein Ende zu machen .
Eduard ging sogleich wieder hinaus , und verkündigte ihr nun , wen sie unter ihrem Dache bewirte .
Juliane rief sie zu sich , und bestätigte , was Eduard gesagt hatte ; aber die Frau wollte ihnen durchaus nicht glauben .
Alles was sie zu ihrer Beglaubigung vorbringen mochten , schien eben dem Argwohn der guten , etwas einfältigen Frau nur neue Nahrung zu geben ; " das machen Sie mir nicht weiß , rief sie , daß meine gnädige Herrschaft zu Fuß , ohne Bedienten und verkleidet ausgehen wird ! "
Florentin lachte ausgelassen über diese tolle Begebenheit , Juliane mußte trotz der Verwirrung auch lachen .
Die Müllerin lief hinaus und holte ihren Mann .
Dieser sah kaum Juliahnen etwas genauer an , als er sie gleich erkannte :
er hatte sie oft gesehen , wenn er in seinen Geschäften aufs Schloß gekommen war , in der Männertracht aber , blaß und ohnmäch tig , mit nassen herunterhängenden Haaren , beim Eintritt nicht wieder erkannt ; er bat sie sehr wegen des Verdachts seiner Frau um Verzeihung , suchte diese , so gut als er vermochte , zu entschuldigen , und verließ sogleich das Zimmer wieder .
Die Müllerin war beschämt und verwirrt , sie erbot sich zu allen Diensten mit der größten Bereitwilligkeit , und erkundigte sich nach den Befehlen der jungen Gräfin .
Vor allen Dingen bat Juliane , ihr einen Boten zu verschaffen , den sie aufs Schloß schicken könnte , um ihren Wagen heraus zu holen , weil sie gleich nach Hause fahren wolle .
Die Nacht war aber unterdessen völlig hereingebrochen , das Gewitter hatte zwar aufgehört , aber der Sturm war noch stark und der Regen strömte gewaltig herab , dabei konnte man in der Finsternis nicht einen Schritt vor sich sehen .
Der Müller entschuldigte sich , daß er jetzt niemand über den Bach könne fahren lassen , es wäre beinahe unvermeidliche Lebensgefahr dabei , da er vom Regen sehr angeschwollen sei , und der Sturm den Kahn gegen die Pfähle schleudern möchte .
Bis zu Tages Anbruch müßte sie also geduldig warten .
Man erkundigte sich , ob nicht noch ein anderer Weg als der über den Bach nach dem Schloß führte ?
Es ging allerdings noch einer durch das Gebirge , dieser führte aber so weit herum , daß der Bote doch nicht vor dem anderen Morgen anlangen würde .
Juliane befand sich in unbeschreiblicher Angst , wegen der Angst ihrer Eltern .
Sie zitterte und weinte , ihre Fantasie füllten die schreckhaftesten Vorstellungen .
Eduard war bereit , sich selbst über den Bach zu wagen , nur um sie desto eher zu beruhigen ; hierin willigte sie aber auf keinen Fall ein . --
Wollen Sie mich hier allein lassen , rief sie , und sich selbst in Gefahr geben ?
das würde ja meine Angst noch vermehren !
Sie versprach endlich , gedul dig den Tag abzuwarten .
Nun wollte sie versuchen aufzustehen , sie fühlte aber eine solche Mattigkeit und so große Schmerzen an ihren Füßen , daß sie sich entschließen mußte , im Bette zu bleiben .
Die Müllerin hatte ein Abendessen bereitet .
Eduard und Florentin setzten sich vor das Bett ; auf eine solche Ermüdung fehlte es unseren jungen Wanderern nicht an Eßlust , und wären die Speisen auch nicht so niedlich und sorgfältig zubereitet gewesen , es würde ihnen dennoch gewiß trefflich geschmeckt haben ; an diesen hatte aber die Müllerin wirklich ihre ganze Kunst verschwendet , um ihre Gäste nach Würden zu bewirten , die sie anfangs zu ihrer großen Beschämung so verkannt hatte .
Es gelang den beiden Freunden , Juliahnen auf Augenblicke ihre Unruhe vergessen zu machen , und sie etwas zu erheitern .
Sie fanden aufs neue Gelegenheit über ihre Schönheit zu erstaunen .
Die Blässe und die Mattigkeit in Blick und Stimme verlieh ihr neue Reize , und kontrastierte auf eine interessante Weise mit der Kleidung , die die Müllerin ihr geliehen hatte , die tüchtig und für das Bedürfnis gemacht , ihren zarten Gliedern nirgend anpassen wollte .
Florentin wollte sie durchaus in dieser Umgebung zeichnen , damit sie sich künftig in ihrem höchsten Glanze der Nichtigkeit aller menschlichen Pracht erinnern möge .
Denn , setzte er hinzu , wahrscheinlich wird diese Begebenheit doch die anstrengendste und abenteuerlichste sein , die sie in ihrem ganzen künftigen Leben erfahren werden .
-- In den Blicken der beiden Liebenden leuchtete die innigste Zärtlichkeit hervor .
-- Darf er so kühn unser künftiges Leben verspotten ? schien Juliane mit ihrem beseelten Blick zu fragen ; und in Eduards Augen las sie die Versicherung der ewigen Liebe , des unvergänglichen Glücks .
Er hatte seinen Arm um sie geschlungen , sie lehnte das holde Gesicht an seine Schultern ; die Seligkeit der Liebe hielt ihre Lippen verschlossen , sie sprachen nicht , und sagten sich doch alles .
Florentin war hinausgegangen und hatte sich an die Haustür gelehnt .
Er hörte auf die Wogen des Bachs , der sich reissend fortwälzte , und sprudelnd und schäumend über die Räder der Mühle hinstürzte ; auf das Brausen des Windes im Walde , und das friedliche Klappern innerhalb der Mühle .
Es klang ihm wie veruehmliche Töne .
Wie ein Wettgesang des tätigen zufriedenen Landmanns und des mutigen , ehrsüchtig drohenden Kriegers tönten Mühle und Waldsturm ; der Bach rauschte in immer gleichen Gesängen ununterbrochen dazwischen , wie die ewige Zeit , allem Vergänglichen , allem Irdischen trotzend , und seine Bemühungen verhöhnend .
Er hörte im Wohnzimmer des Müllers laut reden , er schlich sich aus einem Anfall von Neugierde unter das offene Fenster , und hörte ein Gespräch zwischen dem Müller und seiner Frau an , das sie über ihre Gäste führten ; diese Erscheinung mochte ihnen wunderlich genug vorkommen .
-- Der Müller konnte , wie es schien , die Sitte nicht billigen , die die vornehmen Leute einführen , inkognito zu reisen .
Man kennt sie nicht ! rief er , am Ende werde ich noch in jedem wandernden Gesellen einen verkleideten Prinzen , oder eine Prinzessin vermuten müssen , und mich in Acht nehmen , daß ich ihm nicht zu nahe trete . --
Die Müllerin war ganz besänftigt , und wollte ihn mit dieser Sitte aussöhnen : Sie hören und sehen doch , sagte sie , wenn sie so reisen , manches , was sie sonst nimmermehr erfahren würden , und daß die vielen Umstände und Weitläufigkeiten wegfallen , ist bequemer für sie , und auch für unser einen . --
Nun , sagte der Müller wieder , manches brauchen sie auch nicht zu erfahren , und dafür , daß wir keine Umstände mit ihnen machen dürfen , machen sie auch wieder mit uns keine . --
Nun , Vater , du wirst dich noch einmal um den Kopf reden , ich dächte doch , wir hätten nicht zu klagen . --
Wer spricht davon ?
ich meinte nur . --
Ja dir macht man es nimmermehr recht ! mit deinem häßlichen Mißtrauen machst du einen auch mit so argwöhnisch ; hätte ich mich nicht beinahe ganz erschrecklich gegen die junge gnädige Herrschaft vergangen ? und wer war Schuld als du ? --
Ich will alles verantworten , was ich spreche , aber das können nicht alle , und darum müssen sie sich wohl in Acht nehmen ! --
Ach und es ist doch gewiß eine liebe allerliebste Herrschaft !
ich würde mich in meinem Leben nicht zufrieden geben , wenn ich sie beleidigt hätte .
-- Beleidigt hast du sie doch , aber sie hat es dir wieder verziehen ! --
Ja so gütig ist sie , und so herablassend , wie eine Heilige , und dabei so zart und so schön !
Vater , wenn du das so gesehen hättest , wie ein Wachsbild , man kann sie doch gar nicht genug ansehen !
-- Und die beiden jungen Herren sind wohl auch so gütig wie die Heiligen ?
Ja ihr Frauen ! -- --
Nun , was fällt dir wieder ein ?
du hast immer ganz besondere Gedanken . --
Ja vorzüglich der Eine , der ist nun vollends lauter Güte ! nicht wahr ? --
Welchen meinst du denn , Väterchen ? --
Nun den , du weißt wohl , du hast ihn mir ja so schlau gezeichnet . --
Ich verstehe dich nicht , mein Schatz ! --
Sieh doch nur seine grüne Jacke an , der linke Ärmel ist ja ganz weiß !
wo sollte er denn das wohl her haben ? --
Weiß ? der linke Ärmel ?
Wie soll ich es denn wissen ?
In der Mühle macht man sich leichtlich weiß . --
Ja besonders , wenn die Müllerin so leicht rot wird ! --
Es muß auch alles zusammentreffen , um dich argwöh Nische zu machen .
-- Behüte , lieber Schatz , sagte der Müller laut lachend , und küßte sie , ich bin nicht im geringsten argwöhnisch , wenn ich deutlich alles sehe und höre , wo man mich nicht vermutet . --
Nun , wenn du alles gesehen hast , so wirst du auch wohl gesehen haben -- Daß du dich wacker gesträubt hast , als er einen Kuß von dir verlangte .
Ja mein Kind , siehst du , daher ist er weiß am Ärmel ! --
Florentin gefiel die leichte gutmütige Art , womit der Müller über die kleine Begebenheit scherzte .
Er selbst war gemeint ; er hatte sich mit der jungen artigen Müllerin einige Schäkereien erlaubt , um sie bei guter Laune zu erhalten , als ihre Gäste ihr noch unbekannt waren , und er ihr mit immer neuen Forderungen für Juliahnen viel Mühe machen mußte .
Er trat vom Fenster zurück und pfiff und rief den beiden Hunden , um sich vom Müller bemerken zu lassen .
Dieser kam ans Fenster und nötigte ihn , noch ein wenig in die Stube zu kommen .
Florentin ging hinein und unterhielt sich mit ihm ; der heitere , gerade Sinn des Mannes und sein guter Verstand gefielen ihm immer besser .
Florentin nahm , während er sprach , mit der größten Unbefangenheit die Bürste vom Nagel , die unter dem Spiegel hing , und bürstete sich ruhig das Mehl vom Ärmel ; die Müllerin lief ganz beschämt aus der Stube , aber der Müller lächelte und ließ sich nicht im geringsten aus der Fassung bringen .
Er sprach viel von seinem Stande und seinem Geschäft .
Seine sparsamen , ruhigen Worte , und die Überzeugung der Wichtigkeit , mit denen er die Sorgen und Freuden davon schilderte , ohne irgend einen anderen Stand im Leben unnötig , und mit affektierter Verachtung mit dem seinigen zu vergleichen , gab ihm eine Würde , der Florentin mit Ehrerbietung begegnen mußte .
Er gedachte dabei mit einem Gefühl von Beschämung an die Unruhe , mit der er selbst sich umtrieb , um einen Zweck zu finden , der seinem Leben Wert und Bestimmung gäbe .
Der Müller bemerkte endlich , es wäre nun wohl Zeit für ihn , sich zu Bett zu legen ; Florentin bot ihm eine gute Nacht , und war im Bei griff hinaus zu gehen , als Eduard hereintrat , und in Julianens Namen den Müller und seine Frau ersuchte , die Nacht mit den beiden Herren durchzuwachen , sie selbst wollte versuchen zu schlafen , sie wäre aber so ängstlich , daß sie gewiß nicht würde schlafen können , wenn nicht alles im Hause wachte .
Sie ließ die Frau bitten , bei ihr im Zimmer zu bleiben , und den Müller , ja so bald der Tag anbräche , jemand aufs Schloß zu schicken .
Die Müllerin ging sogleich zu ihr , und der brave Mann war eben so willig , den Befehlen der jungen Gräfin zu gehorchen .
Florentin bemerkte etwas ungewöhnlich heftiges und leidenschaftliches an seinem Freunde .
Er ließ sich in kein Gespräch mit hineinziehen , gab zerstreute oder gar keine Antwort , und ging hastig , und mit ungleichen Schritten in der Stube auf und ab .
Florentin glaubte sogar in seinen Augen Spuren von vergoßenen Tränen wahrzunehmen .
Diese Äußerungen waren bei dem sonst sanften stillen Eduard etwas befremdend , doch beunruhigten sie seinen Freund nicht weiter ; er hielt es höchstens für Zeichen eines kleinen Zwistes zwischen ihm und Juliahnen , von denen , welche die Liebe eben so schnell zernichtet , als sie sie erzeugte .
Er redete ihn an und äußerte fein spottend , seine Vermutung ; Eduard blieb aber ernst und trübe , und bat ihn kurz darauf , mit ihm hinaus ins Freie zu gehen .
Die Nacht war kalt und stürmisch , er bestand aber darauf dennoch hinaus zu gehen , und Florentin begleitete ihn .
Sie saßen schweigend neben einander auf der Bank vor dem Hause .
Florentin unterbrach die Stille zuerst :
-- Immer höre ich doch wieder diese Töne des Waldes , des Stroms und der Mühle mit derselben angenehmen , gleichsam anregenden Empfindung .
Beinahe möchte ich glauben , daß ich eigentlich für das beschränkte häusliche Leben bestimmt bin , weil alles dafür in mir anspricht , nur daß ein feindseliges Geschick wie ein böser Dämon mich immer weit vom Ziele wegschleudert ! --
Glaube mir , sagte Eduard , es weiß selten einer , was er soll . --
Ja wohl , fiel Floren tin ein , und es dauert lange , bis er weiß , was er will ! --
es ist auch beinahe alles einerlei , und alles Tun ist das rechte .
Nur daß man etwas tue ! --
Ja wohl !
und darum will ich eilen .
Ich will fort !
Vielleicht habe ich schon zu lange verweilt .
-- Eduard antwortete nicht , Florentin hörte ihn seufzen .
Was ist dir , Eduard ? fragte er ihn mit herzlicher Liebe , du hast Schmerz , warum verhehlst du ihn mir ? --
Nein , ich will ihn dir nicht verhehlen , rief Eduard aus .
Sieh , Florentin ! eine Seele , wie die deinige , einen Freund , wie du bist , suchte ich , seitdem Freundschaft mir ein Bedürfnis ist , und das ist sie , seit ich mich meiner selbst bewußt bin .
Unverhofft fand ich dich ; ich vermutete gleich in den ersten Stunden , du seist der , den ich suchte , und diese Vermutung fand ich in der Erzählung deiner Schicksale mehr als einmal bestätigt .
Und nun soll ich dich , kaum gefunden , wieder verlieren !
Halte es nicht eines Mannes unwürdig , wenn ich dir mein Leid darüber gestehe .
Ich kann dich nicht wieder Florentin I. 15 lassen , es ist mir in manchen Augenblicken ganz unmöglich zu denken , daß ich dich wieder lassen soll !
Ich bin sehr reich , ich weiß es , vielleicht ist es Unrecht , mehr zu verlangen , als ich besitze :
aber ich bin in der Freundschaft unersättlich , und an dich fühle ich mich mit unnennbaren Banden geknüpft ! --
Ich begreife dein Gefühl , mein Freund ! dies sei dir Bürge , daß ich dessen wert bin ; du bist mir teurer , als ich es sagen kann .
Daß du bei allen Gütern , die dir nie fehlten , selbst in dem Besitz der Geliebten noch Raum für Freundschaft hast , und dir den Sinn dafür erhieltest , macht dich mir verwandt und ewig wert .
Wie kann dich aber eine Trennung so wehmütig ergreifen , die doch eben durch keine besonders unglücklichen Umstände bezeichnet ist ?
Wie fehlten dürfen Freunde ihren Lauf bei einander beginnen und vollenden ?
Ist das Band , das Freunde verknüpft , durch die Trennung gelöst ?
Muß nicht , in der Welt zerstreut , von ihnen ausgeführt werden , was sie vereint beschlossen ?
O , daß ich Armer , Einsamer , dich reichbeglei täten trösten soll !
Verzeih meinem Zweifel , ich kann nicht glauben , daß meine Trennung von dir , diesmal allein die Ursache deiner Traurigkeit ist . --
Es kann sein ; aber wie es auch sei , Florentin , ich mag , ich werde dich nicht lassen !
Höre , ich gehe mit dir ; ich teile deine Unternehmungen , ich will die Stelle deines Manfredi ersetzen , ich verschmähe jedes andere Schicksal , als das Deinige .
Was mir fehlt , besitzest du so groß und frei !
Du wirst auch in mir manche gute Gabe finden .
Vereint , ungetrennt , wollen wir ersinnen und ausführen , fechten , leben und sterben , sterben für die Freiheit !
Ich gehe mit dir nach Amerika ! --
Wie ist dir ?
Wie ist dir ?
Du schwärmst ! --
Nein , ich lasse dich nicht wieder , ich gehe mit dir ! --
Was kann ich dir anders zurufen , als Juliane !
O Eduard , mir ist dieser ganze Auftritt wie ein Traum .
Welches Rätsel ! du bist durch irgend einen Vorfall aufgebracht , ja gereizt bis zum Wahnsinn .
Mit Fragen will ich dich nicht quälen .
Aber ich beschwöre dich , sei gefaßt , sei ruhig , und ( 15 ) 2 wenn du es vermagst , so entdecke mir , was dich so erschüttern konnte .
Erinnere dich , was du so rasch verlassen willst !
Mich laß aber ziehen , mir ein Glück zu erringen , für das und mit dem du geboren wurdest , erfreue dich dessen , und bleibe in Frieden . --
So bleibe du bei mir , Florentiu ! nur noch ein Jahr bleibe bei mir , dann ziehe ich mit dir , wohin du willst ! --
Ach , Eduard !
du solltest mich nicht halten wollen ! --
Was du nicht sagen kannst , fiel Eduard ein , weiß ich längst , mein Freund !
Du liebst Juliahnen , ich weiß es , aber --
Wer ? wer darf das sagen ? --
Bleibe ruhig , Florentin , es blieb mir nicht unbemerkt .
-- Du hast dennoch falsch gesehen -- Kannst du so dein eigenes Gefühl verleugnen , und was hast du zu fürchten ?
Ich fürchte nichts von dir , sei überzeugt !
ich kenne dich , dir ist die Freundschaft heilig .
Du wirst dich für den Freund aus aller Kraft deiner Seele zu bekämpfen wissen .
Auch wird deine Leidenschaft sich bald in das reinste Freundschaftsgefühl auflösen .
Und dann , von beiden Freunden geleitet , soll Juliane des schönsten Daseins sich zu erfreuen haben .
Keine Lücke bleibe in ihrem Herzen , ihre Liebe bedürfende Seele sei ganz glücklich im Genuß . ...
Gemach , mein guter Eduard ! gemach !
So gelassen wolltest du wirklich drein sehen , wie der Freund feine Tage unter Prüfungen der Selbstüberwindung hinschleichen ließe , sein wärmstes Leben , sein lebendigstes Gefühl ertötete , und mit halbverschloßenem mißtrauenden Herzen keinen fröhlichen Augenblick verlebte ?
Ich gestehe dir aufrichtig , diese heroische Tugend darf ich nicht zu der meinigen zählen .
Wäre der Fall so , wie du ihn wähnst , so wäre , aufs schnellste entfliehen , für mich das ratsamste , und das , was ich gewiß zuerst tun würde .
Aber es ist nichts von dem allen .
Wahr ist es , Julianens Schönheit überraschte mich : sie ist ein anmutiges Wesen , mit immer neuen , immer lieblichen Bildern erfüllt ihre holde Gestalt die Fantasie , aber --
Ach , wenn du ihre Seele kenntest , so weich ! zugleich so voller Kraft und Liebe , ihren Charakter , die herrlichen Anlagen ! --
Ich verkenne Juliahnen nicht .
Wäre sie aber auch für mich bestimmt , ich zweifle , daß ich ganz glücklich sein würde . -- Freund , wer mit diesem Engel nicht leben könnte , der -- Der verdient gar nicht zu leben , willst du sagen .
Leicht wahr !
ich spüre selbst so etwas ! indessen ... verstehe mich , mein lieber Freund !
Gräfin Juliane , Erbin eines großen Namens , eines großen Reichtums , aus den Händen der höchsten Kultur kommend , im Zirkel der seinen Welt schimmernd , der Anbetung von allen , die sie umgeben , gewohnt , und Florentin , der arme , einsame , ausgestoßene , das Kind des Zufalls .
-- Wilder , seltsamer Mensch ! warum nennst du dich so ?
und warum dünkst du dich noch immer allein ? in unserer Mitte allein ?
-- Habe Geduld mit mir , ich darf mich nicht entwöhnen , allein zu sein ; muß ich nicht fort ? --
Was treibt dich , ich beschwöre dich ?
Vertraue dich nicht ohne Not dem eigensinnigen Glück , bleibe bei mir ! --
Ich will_es versuchen , lieber Freund , aber ich stehe nicht dafür , ich muß , ich muß doch endlich dahin , wo meine Bestimmung mich ruft . --
Eduard wollte noch etwas sagen , als die Müllerin zu ihnen heraus kam .
Juliane ließ ihnen sagen , sie möchten in ihr Zimmer kommen , und ihr Gesellschaft leisten , sie könnte unmöglich schlafen .
Alle , auch der Müller , den sie darum hatte bitten lassen , versammelten sich nun bei ihr ; sie war vom Bett aufgestanden , und saß in einem bequemen Stuhl beim Kaminfeuer ; die Kleider der Müllerin hatte sie noch an .
In der erhellten Stube sah Florentin nun deutlich die Zerstörung auf Eduards Gesicht , und in seinem Wesen ; kaum daß diese sich etwas legte , da Julianens zärtlich beredter Blick sich nicht von ihm wandte und ihn um Verzeihung zu flehen schien .
Sie rief ihn zu sich , und sprach leise und beruhigend mit ihm .
Florentin war gewiß , daß etwas ernsthaftes zwischen ihnen vorgegangen sein mußte , während er sie allein gelassen hatte .
Es war ihm klar , daß es Eifersucht sei , was das schöne reine Verhältnis der Liebenden zerstöre .
Eine ängstigende Unruhe drückte sein Herz , da es ihm einfiel , daß er selbst vielleicht , unglücklicher oder unvorsichtiger Weise , Ursache dazu gegeben habe .
Er überdachte noch einmal jedes Wort , das ihm Eduard vor der Tür gesagt hatte , er mußte ihn bewundern , daß er , bei einer Leidenschaft , die ihm selbst so fürchterlich und so zerreißend schien , mit so viel Feinheit und Aufopferung fühlte und sich äußerte .
Sein Glaube an Eduards schöne edle Seele erhielt eine neue Bestätigung , die ihn mehr als jemals anzog ; auf diese Weise fühlte er sich von widersprechenden Gefühlen durchstürmt , und alles , was er in sich beschließen konnte war : bald , sehr bald fort zu gehen .
Während daß er in sich gekehrt , und in seine Gedanken verloren da saß , waren die übrigen in einem allgemeinen Gespräch begriffen .
Juliane erzählte : das Brausen des Waldes und des Wassers hätten sie entsetzlich zu fürchten gemacht ; es wäre ihr nicht möglich gewesen einzuschlafen , obgleich sie die Augen fest verschlossen und sich die Decke über den Kopf gezogen habe , um nichts zu hören .
Als spräche des Waldes und des Wassers Geist drohend zu mir herüber , sagte sie noch schaudernd , so war mir ; jeden Augenblick fürchtete ich , sie würden mir in sichtbaren Gestalten erscheinen ; alle alten Romanzen und Balladen , die ich jemals gelesen habe , sind mir zu meinem Unglück grausend dabei eingefallen .
Sie hätten es nur hören sollen , Florentin ! --
O ich habe auch die Geister zusammen sprechen hören , aber mich nicht vor ihnen gefürchtet , mir klang es freundlich und vertraulich ; es sind mir freilich keine Balladen und Romanzen dabei eingefallen .
-- Wissen sie uns keine Geistergeschichte zu erzählen ? fragte sie den Müller , in Gesellschaft mag ich sie gar gerne hören ; der Kreis wird gleich eng und vertraulich dabei . --
O wir wissen ge nug , sagte die Müllerin , da es der Mann ablehnte zu erzählen :
aber sie sind alle gar zu fürchterlich und erschrecklich , so daß ich es nicht wagen möchte , sie der gnädigen Gräfin jetzt zu erzählen -- Ich bin der Meinung unserer guten Frau Wirtin , fiel Eduard ein ; es möchte Sie zu sehr beunruhigen , da Sie ohnedem bewegt und angegriffen sind . --
Gut , sagte Juliane , wenigstens müssen Sie mir aber erlauben , Ihnen etwas zu erzählen ; es fällt mir eben eine Geistergeschichte wieder ein , die weder schreckhaft noch fürchterlich und doch merkwürdig ist .
Sie setzten sich insgesamt um sie her , und versprachen ihr Aufmerksamkeit .
Sie erzählte nun folgende Geschichte .
[/0243 ] Zwölftes Kapitel .
Meine Tante Clementine hatte in ihrer Jugend eine Freundin , von der sie sich oft Monate lang nicht trennte .
Diese Freundin war verheiratet , ihren Namen habe ich nicht erfahren , die Tante nannte sie nur immer Marquise .
Sie lebte glücklich mit ihren Gemahl , den sie sehr liebte , und von dem sie eben so wieder geliebt wurde .
Sie waren schon fünf oder sechs Jahre verheiratet ohne Kinder zu bekommen , wie sie beide es sehnlichst wünschten .
Dem Marquis war es sehr wichtig einen Erben zu haben , weil der Besitz großer Güter an diese Bedingung geknüpft war .
Die gute Dame fürchtete für die Liebe ihres Gemahls , und sparte weder Gelübde noch Gebete , um sich das ersehnte Glück von allen Heiligen zu erflehen .
Sie wallfahrtete nach allen Wundertätigen Bildern , und nach den gerühmten Bädern .
Meine Tante die sie auf vielen dieser Reisen begleitete , war Zeuge ihres Grams , der endlich so tief wurzelte , daß man und nicht ohne Grund , anfing , für ihre Gesundheit besorgt zu werden :
denn nicht allein , daß der Schmerz vergeblicher Erwartung sie nagte , sie wurde auch größtenteils dadurch untergraben , daß sie unzählige Gebräuche des Aberglaubens anwandte , und von jeder guten Gevatterin oder jedem gewinnsüchtigen Betrüger sich Verordnungen und Arzneien geben ließ .
Die Vorstellungen ihrer Freunde gegen diese Verblendung waren vergeblich .
Um diesen endlich zu entgehen , brauchte sie meistens die Mittel heimlich , oder unter mancherlei Vorwand .
Unterdessen versuchten jene alles ersinnliche , um sie aufzuheitern , meine Tante verließ sie in dieser Zeit fast gar nicht .
In der Weihnachtsnacht waren die Freundinnen in der Kirche , die Marquise betete länger und eifriger als jemals und konnte sich , der häufigen Erinnerungen und Bitten ihrer Freundin ungeachtet , gar nicht losreißen .
Sie gab vor , da diese sich über den vermehrten Eifer verwunderte , sie hätte viele Dankgebete zum Himmel zu schicken für die glückliche Errettung ihres Gemahls , der Tags vorher von einer Reise zurückgekommen , auf der er mancherlei Gefahren ausgesetzt gewesen war .
Die Tante wagte es nun nicht mehr sie wieder zu siöhren , da sie sie an den Stufen des Altars und zu den Füßen eines Wunderbildes tief hinabgebeugt , weinen und laut schluchzen hörte , denn sie wußte aus Erfahrung , daß sie durch eine Unterbrechung auf viel Tage unruhig gemacht wurde .
Sie erwartete also , teils mit Geduld , teils mit ihrer eigenen Andacht beschäftigt , bis die ihrer Freundin geendigt wäre .
Da diese ihr doch endlich zu lang dünkte , rief sie ihr zu ; da sie aber ohne zu antworten und ohne sich zu bewegen liegen blieb , so beugte sie sich zu ihr hinunter , hob den Schleier von ihrem Gesicht und fand sie ohne Bewußtsein , kalt und in tiefe Ohnmacht gesunken .
Mit Hilfe einiger zunächst stehender Menschen führte meine Tante sie aus der Kirche , und half sie in den Wagen heben , der vor der Kirchtür hielt .
Sie hatten einen ziemlich großen Weg nach ihrem Hause zu fahren , während dem gelang es ihr , sie durch alle Hilfe , die in dem Augenblick möglich war , wieder zn sich selbst zu beinen .
Als sie wieder sprechen konnte , fragte sie die Tante um die Ursache ihrer sonderbaren Heftigkeit , und bat sie so dringend und unter so zärtlichen Liebkosungen , ihr Herz gegen sie zu öffnen , daß sie nicht länger widerstehen konnte .
Sie vergoß in den Armen ihrer Freundin einen Strom von Tränen , und nachdem diese ihrem Herzen Luft ge macht hatten , erzählte sie ihr : sie hätte so eben einen Vorsatz ausgeführt , den sie schon seit länger als einem Jahre in ihrem Herzen gehegt , habe , zu dessen wirklicher Ausführung sie noch niemals Kräfte genug in ihrer Seele gefühlt hätte ; aber heute Nacht hätte sie diese in ihrem heißem Gebete zur heiligen Jungfrau errungen .
Sie hätte es glücklich vollbracht , doch sich so angestrengt , daß sie gleich darauf ihre Besinnung verloren habe .
Dieselbe , an deren Altar sie die augenblickliche Kraft wie einen Strahl vom Himmel in ihrer Seele empfangen , möge es ihr vergeben , daß gleich darauf ihren Körper diese Schwäche befallen , und daß sie auch jetzt noch sich der Tränen nicht enthalten könne . --
Meine Tante erwartete mit ungeduldiger Unruhe das Ende dieser Vorrede und das , wohin sie führen sollte .
Endlich sammelte sich ihre Freundin und erzählte ihr : sie habe das Gelübde abgelegt , und würde es unverbrüchlich halten , sich freiwillig von ihrem geliebten Gemahl zu trennen , wenn sie länger als das nächste Jahr ohne Kinder bliebe ; ihr Gemahl soll te sich alsdann eine andere Gattin wählen , mit der er glücklicher wäre , sie selbst aber wollte ihr Leben unter eifrigen Gebeten für sein Wohl in einem Kloster beschließen .
-- Sie kamen bei diesen Worten vor dem Hause an , und wurden aus dem Wagen gehoben , noch ehe meine Tante ein Wort über dieses traurige Gelübde hatte vorbringen können .
Der Marquis kam ihnen entgegen , voll Besorgnis wegen ihres ungewöhnlich langen Ausbleibens .
Die beiden Frauen sprachen kein Wort , er sah sie verwundert an , und nahm an der blassen Gesichtssarbe seiner Gemahlin und der bekümmerten Miene meiner Tante gleich wahr , daß ihnen etwas außerordentliches müsse zugestoßen sein .
Er führte sie ins nächste Zimmer , und ließ nicht eher ab , bis er die Ursache ihrer Bestürzung erfahren .
Sie erlaubte es endlich meiner Tante , dem Marquis ihr Gelübde zu entdecken .
Dieser suchte sich ungeachtet seines heftigen Schreckens zu fassen , und bat sie , sich zu beruhigen ; sie ließ aber nicht eher mit Tränen und Bitten nach , bis er ihr versprach , sie durch keine Gegenvorstellung , und keine heimliche Veranstaltung an der Ausführung ihres Gelübdes zu verhindern .
Nun erfolgte eine Szene von zärtlichen Vorwürfen , von Liebe , Großmut und Aufopferung , die man sich wohl leicht vorstellen kann .
Die Nacht war unterdessen beinahe verstrichen , die Marquise fühlte sich sehr ermüdet , und bat meine Tante sie nach ihrem Zimmer zu begleiten , weil sie trotz ihrer Müdigkeit nicht würde schlafen können , und sie ihr noch einiges sagen wollte .
Ihr Gemahl führte sie die Treppe hinauf , ein Gitter verschloß einen ziemlich langen Gang , an dessen Ende das Schlafzimmer der Dame lag .
Der Marquis zog an der Klingel , die Kammerfrau trat aus dem Zimmer , um zu öffnen , er wollte eben wieder die Treppe hinuntergehen , als die Marquise ausrief :
Ach seht ! seht hin !
was kommt da für ein englisch schönes Kind .
Man fang hin durch das Gitter , wo sie hinzeigte , sah aber nichts als die Kammerfrau , Florentin. I. 16 die mit einem Licht in der Hand den Gang herunter kam , und die Gittertür aufschloß .
-- Was hast du da für ein schönes Kind ? fragte sie sie hastig .
Die Kammerfrau sah sie an , ohne zu antworten .
O seht doch das Engelskind ! rief die Marquise wieder , tat einige Schritte vorwärts , und beugte sich freundlich , wie zu einem Kinde herab .
Entsetzen und Erstaunen bemeisterte sich der Anwesenden , denn sie sahen kein Kind .
Die Marquise ging mit offenen Armen noch einige Schritte , als wollte sie etwas umfassen , wankte , und sank mit einem lauten Schrei nieder .
Sie wurde zu Bette gebracht .
Als sie wieder zu sich selbst kam , fragte sie , ängstlich die Antwort erwartend , ob denn die anderen nicht das Kind am Fuße des Bettes stehen sähen ?
Da man nun an der Stelle , die sie bezeichnete nicht das geringste wahrnahm , und sie am Achselzucken und am bedauernden Zureden der anderen merkte , daß man sie für krank hielt , und als ob ihr nicht geglaubt würde , daß sie wirklich das sähe , was sie zu sehen vorgab , bei schrieb sie mit der größten Genauigkeit und ganz gelassen die Gestalt des Kindes , das sie zu ihren Füßen an das Bett gelehnt stehen sah .
Es schien ihr in einem Alter von drei Jahren , trug ein leichtes weißes Gewand , Arme und Füße waren nackt , um den Leib hatte es einen blauen Gürtel von hellglänzendem Zeuge , dessen Enden hinter ihm nieder flatterten .
Das Köpfchen sei mit himmlischen blonden Locken , wie mit den zartesten Strahlen umgeben , das mit den kindlichen Wangen , dem frischen Munde und den lachenden blauen Augen wie ein wundersüßes Engelsköpfchen aussehe .
Das ganze Figürchen umschwebe hinreißende Anmut ; kurz , sie beschrieb es so umständlich , daß man gar nicht mehr zweifeln durfte , sie sähe es in der Tat vor sich ; da sie es aber anfangs hätte umarmen wollen , wäre es zurückgewichen , daher sei ihr Schreck und die Ohnmacht gekommen , denn es hätte sie überzeugt , daß sie eine Erscheinung sehe .
Ihre Freunde durften keinen Widerspruch wagen , aus Besorgnis sie aufzubringen , und ( 16 ) 2 man geriet in große Verlegenheit .
Der Arzt wurde herbeigeholt , er fand sie in heftiger Wallung , sonst aber keine Spur von irgend einer Krankheit .
Er verordnete vorzüglich Ruhe .
Sie wollte versuchen zu schlafen , rief aber in dem Augenblick :
O seht doch , wie es sich freundlich gegen mich neigt , und nun geht es , das liebe Gesichtchen immer zu mir gewendet , zurück .
Seht , dort setzt es sich im Winkel nieder , es winkt mir mit den Händchen , ich solle schlafen ! --
Man bat sie , die Augen zu verschließen , damit sie Ruhe fände .
Die Bettvorhänge wurden niedergelassen , und nachdem sie etwas kühlendes getrunken hatte , schlief sie ein .
Bei ihrem Erwachen , nachdem sie einige Stunden ruhig geschlafen hatte und es unterdessen völlig Tag geworden war , hoffte man , ihre Erscheinung würde verschwunden sein ; aber zum Erstaunen blieb diese , wie in der Nacht .
Kaum erwachte sie , so zog sie die Vorhänge zurück und sah auch sogleich das Kind mit munteren freundlichen Gebärden auf sich zukommen .
Sie unterhielt sich nun auf die vertraulichste und liebreichste Weise mit ihm , und versicherte , es gäbe ihr durch sehr ausdrucksvolle Mienen verständliche Antwort .
Sie gebot ihm , sich vom Bett zu entfernen ; es ging zurück ; drauf winkte sie ihm wieder , und es kam näher ; dann gebot sie ihm , ihr etwas zu reichen , da machte es , wie sie versicherte , eine Gebärde mit Kopf und Schultern , als wollte es ihr zu verstehen geben , dies sei über seine Macht .
Sie stand auf , ging im Zimmer herum , das Kind lief beständig vor ihr her , immer rückwärts , das Gesicht zu ihr gewendet .
Man war in der schrecklichsten Besorgnis wegen dieser bleibenden Erscheinung ; man hielt es für eine völlige Zerrüttung der Sinne und der Gesundheit ; und man drang einigemal in sie , sich den Händen eines Arztes zu übergeben .
Sie war aber nicht zu bewegen Arznei zu nehmen , weil sie sich so wohl fühlte , als sie seit lange nicht gewohnt war .
In der Tat blühte sie zum Erstaunen aller Bekannten , in kurzer Zeit , ordentlich neu auf .
Sie wurde wieder munter , sie konnte wieder gehörig Speisen zu sich nehmen und ruhig schlafen , sie nahm wieder an der Gesellschaft frohen Anteil , und schien sogar ihres traurigen Gelübdes nicht mehr zu gedenken .
Ein paar Mal sprach sie nur mit ihrem Gemahl davon , aber mit der größten Geistesruhe ; sie versicherte ihn , sie verlasse sich völlig auf sein Versprechen , ihr in der Erfüllung nicht entgegen zu sein .
Die Erscheinung des Kindes verließ sie keinen Augenblick .
Es begleitete sie bis an die Gittertüre , so oft sie ausging ; so bald die Tür zugemacht war , sah sie es den Gang wieder zurück nach ihrem Zimmer schweben ; wenn sie wieder kam , fand sie es eben so am Gitter ihr entgegen kommen .
Dabei war es , wie sie vorgab , immer traurig , wenn sie es verließ , und vergnügt , wenn sie es wieder sah .
Bei Nacht trug es eine Kerze in der Hand , und am Tage einen Blumenkranz .
Außer jenem Bezirk hatte es sie nie verfolgt .
Man beredete sie ein anderes Zimmer zu beziehen , dazu war sie aber auch nicht zu bewegen .
Sie weinte , wenn sie nur daran dachte , es von sich zu stoßen , und der Marquis ließ es sich endlich gefallen , weil er hoffte , sie würde doch nun ihrer Vision zu gefallen nicht ins Kloster gehen .
Sie liebte die kleine Gestalt mit wahrer mütterlicher Leidenschaft ; sie wurde oft in Gesellschaften unruhig , und sehnte sich nach dem Kinde hin , wenn sie es einige Stunden verlassen hatte .
Man hörte sie in ihrem Zimmer mit ihm sprechen .
Sie hatte ein kleines Bett dem ihrigen gegen über stellen lassen , darein legte es sich , wenn sie es ihm sagte , auch sah sie es des Nachts , wenn sie von ungefähr aufwachte , drin liegen , aber es erwachte in demselben Moment mit ihr .
Eben so machte sie ihm in einer Ecke des Zimmers eine Spielanstalt , mit einem kleinen Tisch und Stühlchen , sie sah es sich dazu niedersetzen ; die Spielsachen berührte es aber nicht , es spielte nur mit den Blumen , die es in der Hand hielt , oder es saß still ihr gegenüber und lächelte sie mit großen Augen an .
Nur wenn sie es fassen wollte , dann wurde sie erinnert , daß es eine bloße Täuschung sei , dann wich das Luftbild von ihren Händen zurück , und ließ sich eben so wenig ergreifen , als die farbige Gestalt des Regenbogens .
Nach einiger Zeit ereignete sich etwas , welches das Wunderbare dieser Erscheinung zugleich erklärte und vergrößerte .
Die Marquise fühlte nämlich deutliche Zeichen , daß sie guter Hoffnung sei .
Die Freude des Ehepaars war ohne Granzen , als sie dessen endlich gewiß waren .
Im Taumel der Freude , ihr Gebet erhört , und sich des trostlosen Gelübdes entbunden zu sehen , eilte sie nach demselben Altare , vor welchem sie es damals abgelegt hatte , und gelobte nun an der Stelle ihr Kind , statt ihrer , dem Kloster zu weihen !
Der Marquis war mit diesem Gelübde beinahe so unzufrieden , als mit dem vorigen , doch mußte er es geschehen lassen .
Einen Knaben hoffte er mit Golde loszukaufen .
Neun Monate nach dem Tage der ersten Erscheinung wurde sie glücklich von einer Tochter entbunden .
Während ihrer Niederkunft sah sie die Erscheinung an ihrem Lager unbeweglich stehen , in dem Augenblick aber , daß ihr Kind zur Welt kam , war jene verschwunden , und sie hat sie niemals wiedergesehen .
Juliane endigte hier ihre Erzählung , und ihre Zuhörer dankten ihr einstimmig für das Vergnügen , das diese ihnen gemacht hatte .
-- Wenn ich mir jemals wünschen könnte , eine Erscheinung zu sehen , sagte der Müller , so wäre es eine solche !
-- Behüte mich Gott und alle heilige Engel vor Geistern ! rief seine Frau , indem sie andächtig ein Kreuz machte ; sie mögen auch sein , oder Gestalt haben , was und wie sie wollen ! sie bedeuten gar zu selten etwas Gutes . --
Eine sehr niedliche Geschichte ! sagte Eduard ; besonders gefällt mir_es , daß sie so wunderbar , und doch so einfach , so wahrscheinlich ist ; man versteht sie vollkommen , ohne durch eine besondere prosaische Auflösung gestört zu werden , wie es sonst bei wirklich erlebten Wundern gewöhnlich der Fall ist .
-- Und Sie sagen gar nichts dazu , Florentin ? fragte Juliane ; Sie sehen so gedankenvoll aus , haben Sie etwa gar nicht zugehört ? --
Ich habe wohl zuhören müssen , sagte dieser , die Geschichte zwang mich ordentlich zur Aufmerksamkeit .
Mir war , als wären mir sowohl die Begebenheiten , als die Menschen darin nicht fremd ; unwillkürlich schob sich mir bei jedem eine bekannte Person unter ; so wie man , wenn man ein Schauspiel liest , sich die Schauspieler denken muß , von denen man es einst hat spielen sehen .
Und was ich sonst nicht leicht fühle , mich hat ein leises Grauen dabei überfahren . --
Grauen ? fragte Juliane , diese Wirkung hatte sie doch auf mich gar nicht , da mich sonst schon bei dem bloßen Gedanken an eine Geistergeschichte schaudert ; man sollte es aber schon an Ihnen gewohnt sein , daß die Dinge allezeit auf Sie ganz anders wirken , als auf andere ehrliche Leute .
-- Doch sehen Sie , der Tag bricht an , fuhr sie fort , nun dächte ich , während unser guter Herr Wirt Anstalten trifft , daß der Bote aufs Schloß geht , und die Frau Müllerin uns noch ein Frühstück bereitet , so singen Sie etwas , Florentin !
Ich kann nicht verhehlen , ich bin voller Unruhe und Ungeduld , Musik wird am ersten fähig sein , diese zu täuschen .
Der Müller und seine Frau gingen hinaus , um zu tun , was sie verlangt hatte .
Nun fangen Sie an , sagte Juliane , die Gitarre werden Sie nicht brauchen können , sie hat wahrscheinlich sehr von der Nässe gelitten .
-- Es tut nicht viel , sagte Florentin , sie wird noch immer gut genug sein , Takt und Tonart ungefähr drauf zu bemerken , mehr braucht es nicht .
Doch was verlangen Sie für ein Lied ? --
Singen Sie , was Sie wollen , nur etwas neues und kluges ! --
Nach einem kurzen Besinnen sang er folgende Strophen : Mein Lied , was kann es neues euch verkünden ?
Und welche Weisheit , Freunde , fordert ihr ?
Der Hohen meine Jugend zu verbünden , Dies , wie ihr wißt , gelang noch niemals mir .
Noch neu , noch alt wußte ich je zu ergründen ; Das Schicksal gönne im Alter Weisheit mir .
Wir irren alle , denn wir müssen irren , Gelassen mag die Zeit den Knäuel entwirren .
Der Waldstrom braust im tiefen Felsengrund , Gar schroffe Klippen führen drüber hin , Die furchtbar hängen überm finsteren Schlund ; Wer strauchelt , dem ist sicherer Tod Gewinn !
Ein Müder wankt am Geist und Gliedern wund Daher , schaut bang hinab , kalt graust der Sinn :
Am Felsen spielt ein Kind , sorglos bemühet Ein Blümchen pflückend , das am Abgrund blühet .
Oft mühten sinnreich Dichter sich und Weise , Das Leben mit dem Leben zu vergleichen .
Am glücklichsten geschah es im Bild der Reise !
Ein Tor eröffnet Armen sich , wie Reichen ; Früh ausgewandert auf gewohntem Gleise Sieht er die Dämmerung kaum dem Licht entweichen , So treibt der Wahn , ihm dürf's allein gelingen , Rastlos in nie erreichte Fern zu dringen .
Es türmen Felsen sich in seinen Wegen , Des Mittags Strahlen glühn auf seinem Haupt , In Wüssten Sands muß sich der Fuß bewegen , Ein Ungewitter naht , der Sturmwind schnaubt , Wo kommt ein sicheres Dach dem Blick entgegen ?
Es seufzt nach Nuh , wem stolzer Mut geraubt ; In später Nacht , nach tausendfältiger Not Kommt er ans Ziel -- und dieses ist -- der Tod !
Der Jüngling tritt , von Ahnung fortgezogen , Zur Schwelle hin , die in das Leben führt .
An seiner Schulter tönt der goldene Bogen Der Göttin , so die Welt ihm hold verziert , Der Phantasie , die ihn auf kühnen Wogen Sanft fortreißt , ihn mit bunten Bildern rührt .
Wenn er dann so nach schönen Träumen hascht , Wird unbewußt vom Glück ' er überrascht .
Gebt acht , gebt acht , Gelegenheit ist flüchtig .
Nicht leicht ihr Stirnenhaar im Flug zu fassen .
Obgleich zu nützen sie ein jeder tüchtig , Dem es klug gelang , sie nicht entfliehen zu lassen , So ist dem Würdigen sie nie so wichtig , Daß er von ihr sich mag bestimmen lassen .
Doch was hilft Mut , was mächtiges Bestreben Dem Schiff , das tollen Stürmen Preis gegeben ?
So mancher hat gefunden , was zu suchen Er gleichwohl nicht verstand , was zu gewinnen Vergebens er , und mühvoll wird versuchen ; Mißlingen droht dem treulichsten Beginnen .
Wie viele hört man dann ihr Los verfluchen Und klagen :
" Glück ! o mußtest du zerrinnen ? "
Was traut ihr müßig auf des Glückes Gunst ?
Natur sei Vorbild , Leben eine Kunst !
Wer hebt des Künstlers Mut in Kampf und Leiden Als ferne Ahnung hoher heiliger Liebe ?
Was lehrt ihn Schellenlaute Torheit meiden Als eigenes Glück der süßen zarten Liebe ?
Wo ist ein Port für Hohn und böses Neiden , Als in den Armen frommer , treuer Liebe ?
Und wird des Helden Stirn in Myrtenkränzen Der Nachwelt schöner nicht , als Lorbeer glänzen ?
Florentin war von seinem eigenen Gesange nach und nach so begeistert , daß ihm Reime und Gedanken je mehr je leichter zuflossen , und die beiden wären es nicht müde geworden , zuzuhören , wenn er auch noch länger fortgesungen hätte .
Die Müllerin unterbrach aber seinen Gesang und ihre Aufmerksamkeit , indem sie das Frühstück herein brachte .
Zu gleicher Zeit kam auch der Bote mit der Nachricht zurück , der Wagen und die Bediente der Gräfin würden in weniger als einer Stunde anlangen .
Er hatte am jenseitigen Ufer einen Reitknecht vom Schloß zu Pferde angetroffen , der ihn bei seiner Überfahrt erwartete .
Dieser hatte ihn gefragt , ob er nicht etwa drei Herren in Jagdkleidern gesehen hätte , denen zwei Hunde gehörten , die er vor der Tür der Mühle liegen sähe ?
Da er nun gleich gesagt , daß sie alle drei in der Mühle eingekehrt seien , und dort übernachtet hätten , und daß er eben abgeschickt sei , um den Wagen vom Schloß zu holen , so habe ihm der Reitknecht befohlen , nur wieder zurückzugehen , und der Herrschaft zu sagen , daß er sogleich den Wagen , der im Dorfe warte , nach der Mühle schicken würde .
Juliane hatte wieder ihre Kräfte gesammelt ; die Nachricht , daß sie in kurzer Zeit abgeholt würde , machte sie völlig heiter und gut gelaunt .
Um Eduards Stirn schwebte eine Wolke , die Julianens ganze Heiterkeit nicht völlig zerstreuen konnte .
So oft sie ihre Ungeduld , nach Hause zu ihren Eltern zu kommen , äußerte , stieg sein Unmut beinahe bis zur Bitterkeit .
-- Mein geliebter Freund , sagte Juliane , es hilft Ihnen zu nichts , daß Sie Ihre Vorwürfe nicht aussprechen , sie sind sichtbar auf Ihre Stirn geschrieben ; aber wie sie auch erscheinen sind sie sehr ungerecht ; Sie sollten die angenehmen Stunden nicht mit Mißmut endigen ! --
Das Frühstück war kaum verzehrt , als der Wagen mit der Kammerfrau der Gräfin Eleonore kam , die ihr Wäsche und Kleider mitbrachte .
Juliane erkundigte sich nach ihren Eltern .
Sie hatten die Nacht in erschrecklicher Angst zugebracht , erzählte die Kammerfrau ; der Graf wollte sich trotz dem Ungewitter selbst aufmachen , um sie aufzusuchen , durfte aber Florentin. I. 17 die Gräfin nicht verlassen , die sich sehr übel befunden , und bei jedem starken Blitz ohnmächtig wurde .
Im ganzen Schloß blieb alles die Nacht über auf , und sobald das Gewitter nur etwas nachgelassen , mußte die Kammerfrau mit dem Wagen nach dem Dorfe fahren , weil sie vermuteten , daß die jungen Leute nach dieser Seite zu gewandert wären , der Reitknecht mußte unterdessen zu Pferde das Gebirge und die Gegend durchsuchen .
Er war auch gleich , nachdem er dem Kutscher die Mühle bezeichnet , aufs Schloß zurückgeritten , um es zu melden , daß sie glücklich gefunden wären .
Juliane war gerührt über die Angst , die sie ihren Eltern gemacht hatte , und eilte sich umzukleiden , um so schnell als möglich wieder zu ihnen zu kommen .
Florentin und Eduard beschlossen , zu Fuß zurückzugehen , sie konnten auf dem weit nähern Fußweg doch noch früher als der Wagen auf dem Schlosse ankommen .
Sie nahmen freundlich Abschied von ihren guten Wirten , die es als eine Beleidigung ansahen , als man davon sprach , ihnen ihre ge habt Mühe und Unkosten zu bezahlen .
Juliane zog einen kleinen Ring vom Finger und gab ihn der Müllerin zum Andenken , um einigermaßen ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen .
Der Graf und Eleonore kamen ihrer Tochter eine große Strecke entgegen , die beiden Freunde ergötzten sich die Freude zu sehen , mit der sie empfangen wurde , und mit der sie aus dem Wagen in die Arme ihrer Eltern stürzte , als ob sie Jahre lang getrennt gewesen wären .
Juliane wurde mit Fragen bestürmt und mußte es feierlich ihrem Vater versprechen , niemals wieder seine Einwilligung zu einer ähnlichen Unternehmung zu fordern .
So endigte die abenteuerliche Wanderung .
Obgleich ihnen keine andere als gewöhnliche Begebenheiten zugestoßen waren , so war sie ihnen doch wichtig geworden .
Sie hatten auf diesem kurzen Wege , den sie mit einander gewandert , tiefere Blicke in ihr Inneres zu tun Gelegenheit gefunden als sie in einem Jahre langen Nebeneinandergehen in der großen Welt vermocht hätten. Julia ( 17 ) 2 ne hatte die Erfahrung ihrer Abhängigkeit gemacht , und mußte es sich gestehen , daß sie es nicht so unbedingt wagen dürfe , außer ihren Grenzen , und ohne ihre Bande und ihre erkünstelten Bequemlichkeiten fertig zu werden .
[/0269 ] Dreizehntes Kapitel .
Die Zeit des Aufschubs war verstrichen , es waren nur noch drei Tage bis zu dem für die Vermählung festgesetzten , und man erwartete jede Stunde die Ankunft der Gräfin Clementine .
Unter verschiedenen Anverwandten und Freunden , die sich nun allmählich auf dem gräflichen Schlosse einfanden , kam auch einer ihrer Nachbarn , auf den sich schon alle längst gefreut hatten , weil er ihnen durch seine Eigenheiten viel zu lachen gab .
Er war vormals Oberstwachtmeister , hatte aber bei seinem herannahenden Alter den Abschied genommen , und lebte nun auf seinen Gütern , wo er Ökonomie trieb , seine Besitztümer verbessern , und seine Bauern aufklären wollte : zu dem Ende las er alles , was in diesem Fache geschrieben wurde , und versuchte alle Menschenfreundlichkeit lehrende Theorien zu realisieren .
Da er nun den größten Teil seines Lebens sich mit Ideen ganz anderer Art beschäftiget hatte , so konnte es nicht fehlen , daß er alles falsch anfing , seine oft gute Absicht verfehlte , und sich nur selten nützlich , desto häufiger hingegen lächerlich machte .
Da seine Verbesserungen gewöhnlich mehr darauf hinausgingen , ihn zu bereichern , als wie er vorgab das Gute wirklich gemeinnützig zu machen , und er bei allen Vorkehrungen , die er traf , seine Bauern zu bilden , sich doch niemals vorstellte , daß sie klug genug wären , seine eigentliche Absicht einzusehen , und aus eben dem Grunde nicht allein sie nicht beförderten , sondern ihr auch noch auf alle ersinnliche Weise entgegenarbeiteten , so lebte er in ewigen Verdrüßlichkeiten und Zänkereien .
Übrigens war er , was man einen recht guten tätigen Mann nennt .
Niemals hat wohl jemand , bei so vielen Anspruch auf Gravität und Würde , mehr Anlaß zum Lachen und Bedauern gegeben , als der gute Oberstwachtmeister .
Er brachte bisweilen seine Lächerlichkeiten mit einer solchen Naivetät vor , daß man geneigt war zu glauben , er wolle sich selbst parodieren :
so geschah es denn oft , daß seine Hörer ohne alle kränkende Absicht laut auf lachten , wo er eigentlich die ernsthafteste Aufmerksamkeit hatte erregen wollen .
Bei seinem jetzigen Besuche brachte er das Gespräch auf die ökonomischen Einrichtungen des Grafen , und konnte seine Verwunderung nicht genug darüber bezeigen , daß diesem alles so wohl , so leicht und ohne alle Widerwärtigkeiten gelinge , während er mit aller Arbeit es nur bis zum Streit und zur Verwirrung zu bringen wisse .
Er hatte auf seinem Wege nach dem Schloß sich mit einem alten Landmann aus dem Schwarzenbergischen Dorfe in eine Unterredung eingelassen , der die eingeführten Neuerungen und Verbesserungen seiner Herrschaft nicht genug loben und segnen konnte .
Dieses unverdächtige Lob hatte ihn ganz wild gemacht ; er polterte und sprudelte nun eine Anrede an den Grafen heraus , wo neben recht kräftigen derben militärischen Ausdrücken , die Worte Bildung und Verfeinerung äußerst drollig hervorstachen , und endigte mit dem Anliegen : der Graf solle ihm Unterricht in der neuesten Verbesserungs-Methode geben .
Um ihn etwas zu besänftigen , und ihn von seiner Mutlosigkeit zu heilen , erinnerte ihn der Graf an seine Verschönerungen des Parks , des Gartens und des Wohnhauses . --
Ja , ja , sagte er mit Selbstzufriedenheit , das ist freilich Etwas !
Es hat mir doch auch , muß ich sagen , viel Arbeit und Kopfbrechen und viel schweres Geld gekostet .
Nun freilich !
so etwas wie mein Ermenonville , meinen Otaheitischen Pavillon , meine Chinesischen Brücken , dergleichen haben sie noch nicht ausgeführt , das ist wahr !
Apropos , ich muß Ihnen doch erzählen :
ich habe von meinem Neffen , der vorigen Sommer von seiner Reise um die Welt zurückgekommen , eine ganz vortreffliche und genaue Zeichnung von den ägyptischen Pyramiden erhalten , die ich , sobald ich mit meinem Vesuv zu Stande bin , eben so nachzuahmen gedenke ; unter uns , ich hoffe , es soll gewiß ein Meisterwerk und ein seltenes Stück werden .
Dabei habe ich den Gedanken , in diesen Pyramiden ein Monument für mein seliges Lottchen zu stiften .
Ich habe auch schon den Platz mit Trauerweiden und wilden Rosen bepflanzen lassen , und der Neveu will die alten Inschriften , die er mitgebracht hat , hinein besorgen .
Dahin will ich mich dann in melancholischen Stunden in die Einsamkeit begeben , mich meinen Gedanken überlassen , und das Andenken meines lieben seligen Lottchens feiern .
Jetzt meinte ich aber nur die Ökonomie , Ihre Verbesserung des Ackerbaues , und das ehrbare folgsame Betragen Ihrer Bauern .
Sehen Sie , das war_es , dahin bringe ich es mit aller Arbeit nicht .
Wie ich es mir sauer werden lasse , das werden Sie wohl nicht glauben ; wie ich mich Tag und Nacht damit beschäftige die Bestien auszubilden ; und wie sollte es einen nicht dreifach ärgern , wenn man dahinter kommt , daß sie ihrem Wohltäter Gutes mit Bösem vergelten , und lügen und betrügen , wo sie nur immer können .
Blutsauer habe ich_es mir werden lassen !
Ja sollten Sie sich vorstellen , ich bin so weit gegangen : als ich neulich etwas von ihnen verlangte , wobei ich , wenn es mir gelungen wäre , auf ein paar tausend Talerchen jährlich mehr hätte rechnen können , mußten nicht allein meine Töchter , bei einem Fest , das ich veranstaltete , mit ihnen tanzen , ja ich ging so weit , daß ich sie selbst in ihren eigenen Häusern überraschte , mich mit ihnen zu Tische setzte , und von ihrer miserablen ( Gott verzeih mir die Sünde ) Kocherei aus einer Schüssel mit ihnen verzehrte !
Ich tat nicht anders , als ob es mir ganz vortrefflich schmeckte , dankte ihnen , und unterhielt mich mit ihnen , als ob sie meine Kameraden wären .
Ich sage das eben nicht darum , als ob es so besonders tugendhaft von mir wäre , ich weiß recht wohl , daß es gegen die Aufklärung und gegen die reine Menschlichkeit liefe , wenn ich anders handelte , aber , ich vermutete , die Halunken würden von meiner Herablassung gerührt sein , und in alles einwilligen , was ich von ihnen verlangte , es wäre denn doch ein Beweis ihrer verfeinerten Sitten und ihrer edlen Herzen gewesen .
Aber mir nichts , dir nichts ! sie blieben bei ihrem starren Eigensinn , es fehlte nicht viel , so hätten sie sich gegen mich zusammen gerottet , bloß aus Egoismus , weil mir , wie sie sagten , allein der Vorteil zufließe , und sie freilich wohl ein wenig mehr Arbeit und einen kleinen Zeitverlust dabei gehabt hätten .
Anfangs wollte ich es nun doch mit Gewalt durchsetzen , aber sie waren so undankbar , mir mit einem Prozeß zu drohen !
Ich ließ es gut sein und war zufrieden ; aber geärgert hat es mich , daß ich aus der Haut hätte fahren mögen !
Nun , Herr Graf , sagen Sie mir nur , Sie richten ja aus , was Ihnen beliebt !
Tun Sie denn nach mehr ? --
Bei weitem nicht so viel , als Sie , Herr Obristwachtmeister , sagte der Graf beruhigend .
Aber Sie haben selbst sehr richtig bemerkt , ich bin so glücklich , einen Schlag sehr guter Leute auf meinen Gütern zu besitzen , die mir allenthalben kräftig die Hand bieten .
Ich suche nur zu verhüten , daß sie nicht durch Zufälliges Unglück bis zu dem schauderhaften Elend gebeugt werden , wo sie Hilfe in der Niederträchtigkeit und Vergessenheit ihres Elends in der Völlerei zu suchen haben .
Sie werden erfahren haben , wie meine Schwester für die Kranken sorgt .
Auf eine ähnliche Weise wer den sie jedesmal unterstützt , wenn es nötig ist .
Da sie nun für die ersten Bedürfnisse nicht so hart und unablässig zu sorgen brauchen , so kommen sie von selbst und ganz ohne Zwang darauf , ihren Zustand immer mehr und mehr zu verbessern .
Sie tun mir also zu viel Ehre an , Herr Obristwachtmeister , wenn Sie mir allein alle Verbesserungen und manches ungewöhnlich Gute zuschreiben , daß Sie auf meinen Gütern bemerken wollen .
Sehr viele , ja die meisten Ideen dazu , kommen von meinen Landleuten selbst ; sie kennen den Boden , den sie bearbeiten müssen , durch ihre Erfahrung am besten , daher sind sie am ersten im Stande und berechtigt , sich die vorteilhafteste Behandlungsart zu ersinnen ; ich reiche ihnen nur hülfreich die Hand , wenn etwa die Ausführung ihre Mittel übersteigt .
Der Vorteil des Gelingens gehört ihnen unbezweifelt , so wie auch billig der Schaden des Irrtums oder des Verfehlens , der jedoch ihre ganze Bestrafung ausmacht .
-- Das Wichtigste , fing Eleonore an , hat mein Gemahl Ihnen noch nicht erwähnt , Herr Obristwachtmeister :
ich meine den abgeschafften Frondienst .
Die Leute haben nun , was ihnen so wichtig ist , Muße , ihre eigenen Geschäfte desto besser zu besorgen .
-- Der Obristwachtmeister hatte , während der Graf gesprochen , mit komischer angestrengter Aufmerksamkeit zugehorcht , um etwas zu lernen , auch einigemal Beifall genickt , indem er die Umstehenden nach der Reihe anguckte .
Als aber Eleonore vom Abschaffen des Frondienstes anfing , sprang er ungeduldig auf .
Gut , daß Sie davon anfangen , Frau Gräfin ! ich hatte es mir schon längst vorgenommen , Ihnen meine Meinung darüber zu sagen .
Sie haben Ihren Bauern den Frondienst erlassen , der jedem Gutsbesitzer von Gott und Rechts wegen zukommt , dadurch haben Sie aber allen Ihren Nachbarn vielen Schaden zugefügt .
Herr Graf ! es ist nicht ein jeder gesonnen , seinen gerechten Vorteil so mutwillig zu verschleudern , und nun wird uns alles erschwert .
Nein , erlauben Sie mir , daß ich_es Ihnen sage , daran taten Sie sehr Unrecht !
Eine alte Gerechtigkeit muß man nicht aufheben .
Unsere Vorfahren haben den Frondienst eingerichtet , und das waren auch keine Narren ; die Nachkommenschaft sollte nur mehr Respekt vor ihren Einrichtungen haben !
Einzelne Verbesserungen , ja einzelne lasse ich mir gefallen , aber das Ganze darf nicht niedergerissen werden !
Alle Teufel !
bei der Ordnung muß es bleiben .
Und nehmen Sie mir_es nur nicht übel , Herr Graf , auf diese Weise geht es Ihren Bauern freilich herrlich und in Freuden , da Sie sich das Ihrige entziehen !
aber damit wäre mir noch gar nicht gedient , meine Bauern sollen sich nicht aus Eigennutz vervollkommnen , und meinen Willen ihres eigenen Vorteils wegen vollziehen , sondern aus reiner Liebe und Dankbarkeit sollen sie mir meinen Willen tun .
Weltlichen Vorteil sollen sie gar nicht vor Augen haben , sondern Moralität , feine Ausbildung des Kopfs und des Herzens !
Lieben sollen mich die Halunken ! --
In diesem Ton fuhr der gute Obristwacht Meister noch ein Weilchen fort , zur großen Belustigung der Gesellschaft , die über diesen Freund der Kultur sich nur mit Mühe das laute Lachen enthielt .
Eleonore mußte einigemal das Gesicht wegwenden ; der Graf versuchte es , ihn zu unterbrechen , und ein anderes Gespräch auf die Bahn zu bringen , aber das ging nicht so leicht .
Er kramte mit großem Eifer alles durch einander aus , und schwieg nicht eher , bis man zu Tische ging , wo er sich dann wieder beruhigte .
Beim Anblick der mannigfaltigen Flaschen wurde er vollends wieder friedlich und freundlich gesinnt , vergaß Kultur , Ökonomie und Moralität , ließ es sich trefflich schmecken , und prüfte so lange die einheimischen und fremden Weine gegen einander , bis man ihn nach einem anderen Zimmer führte , wo er den Rest des Tages ruhig verschlief .
Wie gefällt Dir die herrliche Karikatur ? fragte Eduard . -- Dieses ist einer der umfassendsten Geister , die es gibt , erwiderte Florentin ; er vereinigt in sich alle die Narrheiten , die man sonst in der ganzen Welt ausgebreitet findet ; jedes Rätsel , das uns in ihr verwirrend und ängstigend entgegenfährt , ist aufs belehrendste in ihm allein aufgelöst ! --
Juliane bedauerte spottend die armen Fräulein , die aus ökonomisch-politisch-menschenfreundlicher Absicht mit den unwilligen , aufgebrachten Bauern tanzen mußten , und stellte die Not , sich nach ihrer Weise fügen zu müssen , sehr komisch und lebhaft vor .
Sogar Therese und die Knaben übten ihren Mutwillen an dem ehrlichen Obristwachtmeister , bis der Graf ihnen endlich Einhalt tat , der sich bei diesen Gesprächen erinnert hatte , daß seinen Bauern am Vermählungstage ein Gastmahl auf dem Schloß bereitet werden müsse , und war verwundert noch keine Anstalten dazu machen zu sehen .
-- Eleonore gestand ihm : sie hätte es zwar nicht vergessen , könnte sich aber immer nicht entschließen etwas anzuordnen , was noch jedesmal ihr Mißfallen erregt , so oft sie dabei gewesen .
-- Der Graf erwiderte :
es lasse sich schwerlich etwas gegründetes gegen eine so ehrwürdige Sitte einwenden , Florentin. I. 18 die von jeher in seinem Hause Stadt gefunden , und die er nicht gern ohne Grund abschaffen würde .
-- Verzeih mir , mein Bester ! sagte Eleonore , aber ich konnte mir nie weder gutes , noch erfreuliches dabei denken , wenn ich diese Leute an einer langen Tafel , Schnur gerade gereiht sitzen sah , Zwang und staunende Langeweile auf allen Gesichtern , die Männer an der einen , die Frauen auf der anderen Seite ; zufällig Feinde sich nah , Freunde und Liebende getrennt , fremd , ängstlich , unbehaglich !
Von der Dienerschaft , wo nicht gar von der herrschaftlichen Familie selbst bedient , fühlten sie sich in nicht geringer Verlegenheit , so oft ihnen etwas gereicht wurde , und nahmen sich dann natürlich so ungeschickt und link dabei , daß die übermütigen Lakaien sich berechtigt glaubten , sie hohnlachend zu verspotten .
Irgend ein Lächeln , oder das Ansehen von Superiorität , das man doch nicht unterdrücken kann , und das nur auffallender wird , je mehr man es unterdrücken will , macht ihnen vollends diesen ostensiblen Akt von Herablassung zur Pein .
Es kann nicht fehlen , daß das demütigende und zugleich erniedrigende Bewußtsein sich nicht in ihre Herzen schleiche : sie seien unter dem Vorwand eines Gastmahls bloß zur Dekoration für die Vornehmen bestimmt , die sich an einer ländlichen Szene erlustigen wollten .
Dürften diese ehrlichen Leute freimütig ihre Meinung sagen , so würden sicherlich die meisten , wie Sancho Pansa bei den Ziegenhirten , ihrem Herrn für die unbequeme Ehre danken , in seiner Gesellschaft zu speisen ; von denen , die es nicht ausschlügen , hätte ich auch nicht die beste Meinung .
-- Eleonore wandte ihre ganze Beredsamkeit an , den Grafen zu bewegen , daß er diesen alten Gebrauch abstellen , und den Bauern auf eine andere Art ein Andenken des fröhlichen Tages vergönnen möchte , aber der Graf wollte nichts davon hören .
Es sind noch Leute darunter , sagte er , die sowohl am Tage unserer Vermählung , als bei Julianens Geburt sind bewirtet worden , was würden diese glauben und glauben machen , wenn wir es bei dieser Gelegenheit unterließen ?
Entweder , daß unsere Freude nicht ( 18 ) 2 von Herzen gehe , oder daß wir die Gebränge unserer Vorfahren nicht mehr ehren .
Es darf nicht unterbleiben !
Doch bleibt Dir , Liebe , die ganze Anordnung unumschränkt überlassen .
Die Mißbräuche , die Du ganz richtig angemerkt hast , werden sich vielleicht vermeiden lassen .
Das Gespräch wurde durch Briefe von der Gräfin Clementine an den Grafen und an Juliahnen unterbrochen .
Beide entfernten sich .
Eleonore beratschlagte während dem mit Eduard und Florentin wegen des Auftrags , den ihr der Graf gegeben .
Es wurde endlich unter ihnen etwas verabredet , und Florentin eilte sogleich die nötigen Anstalten dazu zu treffen , die Kinder begleiteten ihn .
Der Graf kam zurück , und als er Eleonore mit Eduard allein antraf , sagte er ihnen : sie dürften nun nicht mehr auf Clementines Gegenwart bei der Vermählung rechnen , sie hätte es völlig abgeschrieben .
Eleonore bat ihn , ihr etwas Näheres aus dem Briefe mitzuteilen , weil sie auf des Grafen Ge Sicht einige Sorge wahrnahm , die sie beunruhigte .
Ich befürchte , sagte er , daß Clementine von einem ernsthafteren Grund zu kommen abgehalten wird , als der ist , den sie vorschützt .
Wenn sie nur nicht wieder krank ist , und es uns verbirgt ! --
Eleonore suchte ihn zu beruhigen ; sie erinnerte , daß ihre fast niemals weichende Kränklichkeit ein ganz ruhiges Verhalten oft notwendig mache , gefährlich schien es doch nicht zu sein , da sie beide Briefe eigenhändig geschrieben hätte .
Sie schlug dem Grafen einen verlängerten Aufschub vor , er unterbrach sie aber mit einiger Ungeduld :
-- Es scheint auch Clementines Wunsch zu sein , sagte er ; aber , meine Liebe , ich kann weder dir , noch jener hierin nachgeben .
Ich werde es nicht länger aufschieben , ein so heilig gegebenes Versprechen zu erfüllen , und ich selbst sehne mich zu lebhaft , dich , Eduard , als meinen Sohn zu umarmen .
Es bleibt bei dem bestimmten Tage , gleich nachher wollen wir zusammen Clementiney besuchen , mich ver langt recht danach , sie zu sehen .
-- Er ging mit Eleonore in den Garten , wo er ihr noch einiges aus dem Briefe mitteilen wollte .
Juliane war traurig , ihre geliebte Tante nun nicht erwarten zu dürfen .
Sie überlas ihren Brief immer wieder aufs neue .
Eduard suchte sie bei sich in ihrem Zimmer auf , und wollte sie durch seine zärtlichen Liebkosungen erheitern .
Sie fühlte seine Liebe , konnte sich aber dennoch nicht aus ihrer trüben Stimmung reißen , und bat ihn endlich , sie allein zu lassen .
Er ging fort und suchte Florentin auf ; er wollte nicht mit seinem Unmut allein sein .
Juliane schrieb folgenden Brief an Clementinen .
Juliane an Clementina .
Ihr letzter Brief hat mich nicht so froh gemacht , wie sonst alles , was von ihnen kommt .
Sie selbst erwartete ich , liebe Tante , wie soll ich mir nun an einem Briefe von derselben Hand genügen lassen , die ich selbst so gern mit Küssen überdeckt hätte , auf deren Segen ich hoffte !
Ich habe jetzt Sorgen , meine Tante ! wie soll ich sie aber aussprechen ?
Wenn ehedem eine kindische Sorge mein Gemüt traf , dann wußten Sie es zu erraten , ich war durch Ihre Hilfe davon befreit , ehe ich sie zu nennen wußte .
Aber jetzt wird es bedeutender , ich fürchte mich vor den ernsthaften Anstalten .
Man kommt und geht ; Einrichtungen werden gemacht , andere zerstört ; Vater und Mutter haben lange geheime Unterredungen , dann wird oft Eduard dazu gerufen . --
O hätte ich es gedacht , daß es so viel Mühe , und mir so viel Angst machen würde ! --
Und alles ist weit schlimmer geworden , seit Ihren Briefen , Tante !
Nachdem sie gelesen waren , fielen lange Unterredungen vor ; der Vater war sehr bewegt , meine Mutter weinte .
Ich saß unbemerkt an meinem Fenster , da konnte ich sie sehen , sie gingen auf der Terrasse auf und ab .
Ich durfte um nichts fra gen , denn es schien , als machten sie mir absichtlich aus dem Inhalt des Briefs und des Gesprächs ein Geheimnis , aber es beunruhigte mich .
Was kann vorgehen ?
Ich habe Ihren Brief unzähligemal durchgelesen , um vielleicht in ihm selbst einen Aufschluß zu finden , aber umsonst ! --
Meine teure Clementine schreibt von Pflichten , die mir nun aufgelegt werden , denen ich vielleicht nicht gewachsen sei .
Was sind das für Pflichten ? gibt es noch andere , als die ich kenne : daß ich Eduard einzig und bis in den Tod lieben soll ?
Und wenn es nur diese sind , wie sollten sie mir zu schwer sein ?
Kann man zu lieben aufhören ? gibt es eine andere Glückseligkeit , als treu zu lieben bis in den Tod ? -- Einst sagten Sie mir : das schönste Glück auf Erden für eine Frau wäre , wenn der Gatte zugleich ihr Freund sei .
Sie sprachen mir aus der Seele , meine geliebte Clementine ; und wenn dem so ist , so dürfen Sie sich mit Ihrem Kinde freuen ; Eduard ist gewiß der Freund seiner Juliane ; er liebt mich ja , und kann man lieben , ohne der Freund der Geliebten zu sein ?
Aber , was ihm nur fehlen mag ? er ist nicht allein besorgt und nachdenklich , wie ich es bin ; er ist traurig , voll Mißmut bis zur ungerechten Klage : " ich liebe ihn nicht so , wie er hoffte , von mir geliebt zu sein . "
Ich weiß seine Zweifel nicht zu beruhigen , und meine eigene Unruhe wird immer größer .
Vielleicht zerstreut sich dieser Nebel um uns , wenn wir erst in Ruhe uns selber werden leben , wenn erst der Lärm , die Wichtigkeit , die Feierlichkeiten vorüber sind .
Ich hätte vielleicht größeres Recht zu klagen , als Eduard , daß ihn nicht so ganz genügt an seiner Freundin , daß er noch eines Freundes zu seinem Glücke bedarf .
Jetzt wünschte ich aber selbst so sehr als er , daß Florentin bei uns bleiben möchte .
In diesen Stunden der Mißverständnisse ist er unser guter Engel ; die bösen Geister weichen vor seiner Gegenwart .
Es ist ein ganz herrlicher Mensch , liebe Clementine !
Eduard hängt mit der brüderlichsten Freundschaft an ihm und ich liebe ihn wie einen älteren Bruder .
Ich fühle es wohl , was ich ihm schon jetzt verdanke , und was er uns beiden werden könnte !
Aber alles unser Bitten vermag nicht , ihn zurückzuhalten .
Eduard hat eine Vermutung , die ich Ihnen einmal mündlich mitteilen werde ; ich halte sie aber nicht für gegründet , und auf keinen Fall ist es so ernsthaft , als er glaubt .
Diesen Morgen war ich lang allein mit Florentin .
Wir überraschten uns beide mit der gegenseitigen Frage : " was fehlt Ednard ? " jeder von uns glaubte den anderen im Verständnis .
Er wußte aber so wenig und ist so unruhig über diese Erscheinung , als ich selbst .
Zum erstenmal habe ich ihn mit vollem Zutrauen begegnet ; ich gestand ihm meine kleine Eifersucht , und daß ich für Eduards Liebe besorgt bin ; aber er gab mir Unrecht , er warnte mich , nicht in die gewöhnliche Schwäche der Frauen zu verfallen und Achtung für die Freundschaft der Männer zu haben .
Es waren Ihre Worte , Clementine .
Ich mußte voll staunender Achtung vor ihm stehen , denn so tiefe Blicke in mein Inneres hat niemand noch , außer Ihnen , getan ; solche Dinge hat mir noch kein Mensch sonst gesagt .
Er hat mich aus den tiefsten Winkeln meines Herzens , da wo ich selbst nicht hin zu dringen wagte , herausgefunden .
Es war beinahe zu hart , mein Stolz empörte sich endlich gegen seine Beschuldigungen .
" Sie kennen freilich meine Schwächen , " sagte ich ihm , " aber Sie wissen doch nicht , was ich zu tun im Stande bin . "
-- Das glaube ich , sagte er ; wenn Sie das nur in der Tat tun wollten , was Sie zu tun im Stande sind ; wenn Sie nur nicht das , was Sie sind , verleugnen , um wie die anderen zu scheinen .
-- Drauf sprach er noch viel über Eduard und mich ; so süß tröstete er mich nun , sprach mir so beredt , als ob er für sich selbst spräche , von Eduards inniger Liebe , wußte mir so fein alle seine Feinheiten herzuzählen -- Ich konnte nicht länger sorgen , alle meine Bangigkeit war fast verschwunden bei seinem freundlichen Trost .
Nur vergessen Sie nicht , sagte er , was ich Ihnen gesagt ; wenn Sie es auch jetzt nicht verstehen , einst werden Sie es doch verstehen lernen . --
Ich fühlte eine Träne über mein Gesicht rollen , als ich ihm die Versicherung gab ; seine Worte , seine Stimme , die wie eine scheidende Prophezeyhung klang , hatten mich tief bewegt .
Er küßte sanft mir die Träne vom Gesicht ; ich konnte es nicht wehren , er war selbst zu sehr gerührt . --
Auch ich werde diesen Augenblick nicht vergessen , sagte er ; so sehe ich Sie niemals wieder .
-- Darauf verließ er mich .
Aber Clementina , warum sind Sie nicht bei mir ?
wo soll ich Mut hernehmen die ernste Stunde zu überstehen ? mußten Sie gerade jetzt Ihr Mädchen verlassen ?
Ich vergesse alles , wovon ich Ihnen sonst schreiben könnte .
Mein Herz ist so voll ! von mir selbst voll ! muß es , wird es nicht bald besser werden ?
Leben Sie wohl Clementina , teure geliebte Freundin !
Segnen Sie Ihre Juliane .
[/0293 ] Vierzehntes Kapitel .
Es war ein heiterer herrlicher Morgen ; ein großer , von hohen schattigen Bäumen umgebener Platz im Park , den man aus dem Cabinet der Gräfin übersehen konnte , und der von der anderen Seite die Aussicht ins freie Feld ließ , war zur festlichen Bewirtung der Landleute eingerichtet .
Unter den Bäumen rings um den Platz standen Tische von verschiedener Größe ; jeder Familie war einer angewiesen , dessen Größe der Anzahl der Personen angemessen war .
Es durste keiner aus Mangel an Raum zurückgelassen werden .
Jede Hausmutter sah sich im Kreise der ihrigen , und sorgte nach ihrer gewohnten Weise für ihre Bequemlichkeit .
Stühle standen umher , geräumige Lehnsessel für die Alten .
Glänzend weiße Tücher waren über die Tische gedeckt .
Frauen und Töchter stellten geschaftig das nötige Gerät umher , kein Lakai , keine Livree war zu erblicken .
Gelassen sorgte jede für die ihrigen , brachte sorgsam das ererbte , lang geehrte Glas , das gewohnte Messer des Hausvaters , damit er keine häusliche Bequemlichkeit vermisse .
Mit Braten , Wein und Kuchen waren die Tische reichlich besetzt , mit Blumen anmutig verziert .
Die Mitte des Platzes , ein frischer dichter Rasen , war zum Tanz für die jungen Leute bestimmt ; da konnten die Alten ruhig an ihren Tischen sitzend dem Tanze zusehen .
Früh war Eleonore hinausgegangen , um selbst noch einmal nachzusehen , ob alles nach ihren Befehlen eingerichtet sei , und ob nichts mangle ?
Nach und nach kamen alle zusammen in festlichem Anzuge .
Junge Mädchen mit Bändern und Blumen geschmückt , versammelten sich , Therese an ihrer Spitze , um Juliahnen einen blühenden Myrtenkranz zu überreichen .
Jetzt kamen auch einige Abgeordnete aus Eduards und des Grafen nah liegenden Gütern .
Jeder Tisch war für einige Gäste mit berechnet , sie fanden also leicht einen Platz .
Sie suchten sich sogleich ihre Verwandte oder Bekannte heraus , und wer keine zu finden hatte , wurde von allen eingeladen , er wählte selbst seinen Wirt ; die freundlichste Hausfrau , das netteste , sittsamste Töchterchen zählten die meisten Gäste , und entschieden die Wahl auf den ersten Blick .
Der Graf hatte einige Söhne aus dem Dorfe unter seinem Regimente , diesen hatte er heimlich Urlaub gesandt , nach ihrer Heimat zurück zu kehren und sich mit ihren Mädchen zu verbinden , die schon längst auf diese Erlaubnis geharrt hatten .
Jetzt kamen die munteren Soldaten unvermutet zwischen den Bäumen hervor , und begrüßten die freudig erschreckten Eltern und die errötenden Bräute , die sich unter den versammelten Mädchen befanden , und welche heute ihre Aussteuer von Eleonorens Händen erwarteten .
Herzlich froher lauter Willkommen schallte von allen Seiten ; Umarmungen , Glückwünsche und Händeschütteln gingen im kunstlosen Reihentanz durch einander , bei dem der freiere militärische Anstand und die hellen Farben der Uniformen lustig abstachen gegen das einfältige friedliche Betragen der Einwohner .
Der Graf und Florentin kamen dazu ; er bezeigte Eleonore seine Zufriedenheit , und lächelte vergnügt bei dem schönen Anblick . --
Sehen Sie , Florentin , sagte Eleonore , wie das alles lacht und lebt !
-- Mir ist , sagte Florentin , als sähe ich eine Szene von Teniers lebendig werden !
Es wäre noch der Mühe wert zu leben , wenn es immer so auf der Welt aussehen könnte ! -- Mutter , rief Therese , wo bleibt denn Juliane ? ich werde ungeduldig . --
Es ist wahr , sagte Eleonore , sie müßte schon hier sein , und wo bleibt Eduard ? --
Sie waren schon diesen Morgen mit ihm aus , Florentin , sagte der Graf , ich sah sie beide zurückkommen , was hatten Sie schon so früh vor ? --
Die Gesellschaft trennte sich gestern sehr früh , wir blieben noch zusammen , ein Buch , das wir vor einigen Tagen zu lesen angefangen hatten , zog uns so fort , daß wir nicht eher aufhören konnten , bis es geendigt war ; es war nun nicht mehr Zeit sich niederzulegen , wir gingen hinaus , und erwarteten den Morgen . --
Seit einigen Tagen , fing der Graf wieder an , habe ich ein nachdenklicheres , trüberes Wesen an Eduard bemerkt , als ihm gewöhnlich ist .
Hat er Ihnen etwa die Ursache vertraut , Florentin ? oder haben Sie sonst Gelegenheit gehabt zu bemerken , was ihn drückt ?
Sie müssen uns kein Geheimnis daraus machen , es ist vielleicht nicht unmöglich seinem Verdruß abzuhelfen , oder irgend einen geheimen Wunsch zu erfüllen .
Warum verbirgt er sich uns ? --
Mir ist nichts bekannt , Herr Graf , als was Sie selbst bemerkt haben , nämlich daß er nicht so heiter als gewöhnlich ist . --
Haben Sie sonst keine Vermutung ? --
Die steigende Unge Florentin I. 19 dulde , vielleicht die Erwartung ! --
Unmöglich ! sein Glück ist so nah , so sicher .
-- Vielleicht ist es etwas ... mir hat er ... wirklich ... ich weiß nicht ...
Wenn Sie mir erlauben , so will ich jetzt die Gräfin Juliane aufsuchen .
-- Er ging zurück auf das Schloß .
Die Fragen des Grafen hatten ihn verwirrt .
Entdeckt hatte Eduard sich ihm nicht , aber er war fest überzeugt , eine geheime Eifersucht , die er gerne unterdrücken möchte , marterte ihn , er war bis zur Peinlichkeit reizbar geworden ; Juliane erheiterte ihn freilich oft wieder auf , aber nur auf kurze Zeit , dann war irgend eine Kleinigkeit wieder im Stande , ihn zu beunruhigen .
Wie ein Gespenst trat es Florentin vor die Seele , er sei die Ursache tiefer Zerstörung .
Auch das , was in jener Nacht in der Mühle vorgegangen war , konnte er sich auf keine andere Weise sonst erklären .
Auf dem Korridor nach Julianens Zimmer sah er eine Tür geöffnet , die er bis jetzt immer verschlossen gefunden hatte ; er trat hinein , es war das neu eingerichtete Schlafzimmer für Juliahnen , in dem die Kammerfrauen eben noch einiges ordneten .
Ein Basrelief mit Figuren in Lebensgröße über dem Kamine zog sogleich seine Augen auf sich .
Es war eine Psyche , welche die Lampe in der Hand , den schlummernden Gott der Liebe mit staunendem Entzücken beschaute .
Es war in edlem Stil gearbeitet , und von vollendeter Ausführung , Florentin betrachtete es mit innigem Vergnügen , und glaubte die Hand des Meisters darin zu erkennen ; er freute sich es so unverhofft erblickt zu haben .
Das ganze Zimmer war übrigens mit glänzender Pracht eingerichtet .
Als er es eben verlassen wollte , und noch einen Blick umher warf , fiel ihm das große Prachtbette auf , das dem vortrefflichen Kunstwerk gegenüber stand .
Am Oberteil des Lagers sowohl , als zwischen den stolzen Federbüschen , die auf den reich mit goldenen Quasten verzierten schweren seidenen Vorhängen prangten , breiteten sich mit großer ( 19 ) 2 Würde die Wappen , gleichsam der schwebenden , beinahe entkörperten Psyche erdrückend entgegen .
-- Wir wagen es nicht zu bestimmen , was dem Florentin für Bemerkungen eingefallen sein mögen , aber er lachte laut auf .
Juliane und Eduard begegneten ihm , als er zur Tür heraustrat .
-- Ich war im Begriff Sie beide aufzusuchen , Sie werden im Park erwartet . --
Von wem ? sind meine Eltern dort ? --
Sie wünschen im Park zu frühstücken , ehe die Gesellschaft zu groß wird , auch werden Sie eines erfreulichen Anblicks genießen .
-- Sie eilten hinunter .
Eine jubelnde Symphonie von vielen Instrumenten , die zwischen den Bäumen versteckt waren , empfing sie .
Juliane trug ein weißes Kleid von der feinsten Gaze , das in leichten Falten bis zu den Füßen herab fiel , unter der Brust war es von einer Reihe Smaragden zusammengehalten , ihre Haare in eigener Pracht , ohne allen Schmuck aufgesteckt ; feine goldene Kettchen zierten Hals und Arme , auf dem schönen Busen wiegte sich ein Stern von Diamanten .
So schwebte sie aus dem Schatten der Bäume hervor , herrlich geschmückt , doch leicht und kunstlos .
Augen und Herzen flogen ihr entgegen .
Eine selige Heiterkeit verklärte ihr Gesicht beim Anblick der frohen Menge .
Ihre Eltern an der anderen Seite des Platzes erblickend , wollte sie sogleich zu ihnen herüberfliegen ; ihre eiligen Schritte aber wurden von Kindern gehemmt , welche sie mit Blumenketten umgaben und fest hielten ; zugleich näherte sich ihr mit Gesang der Trupp junger Mädchen .
Sie hob Theresa zu sich hinauf , küßte sie , und ließ sich den blühenden Kranz von ihr auf die Locken drücken .
Mit nassen Augen lächelte sie beim Gesang der Mädchen , die einen Korb mit den schönsten Blumen zu ihren Füßen niedersetzten .
Kaum hatte sie sich in den Armen ihrer Eltern von der freudigen Rührung erholt , als die beiden Knaben , Julianens Brüder , einen kleinen War gen ganz von Rosen durchflochten herbeizogen , die Kinder zwangen sie scherzend hinauf , sie setzte sich unter eine Art von Rosenthron .
Therese stand ihr auf dem Schoß , der Blumenkorb zu ihren Füßen , so wurde sie im Triumph und Freudengeschrei fortgezogen ; das Ganze sah so reizend und zauberisch aus , daß man einen Feen-Aufzug zu sehen glaubte .
So ging es fort nach einem stillen entfernten Teil des Parks , wo das Frühstück bereitet war .
Zwischen den Büschen standen blühende Orangenbäume , die einen balsamischen Duft verbreiteten .
Wo man hinsah , erblickte man Julianens und Eduards Namen aus Blumengehängen .
Die Bäume waren durch eben solche Blumengehänge verbunden , und das Ganze bildete einen vollen bedeutenden Blütenkranz .
Von verschiedenen Seiten in kleiner Entfernung ließen sich Oboen und Waldhörner bald wechselnd , bald zusammenstimmend hören , und wenn sie schwiegen , erschallte ganz von ferne die fröhli che Musik bei den Landleuten herüber .
Jedes Geräusch war entfernt , alle saßen schweigend und horchend , jedes schien beschäftigt , die Freuden mit allen Sinnen in sich aufzunehmen .
Florentin verglich im Stillen den Eindruck dieses kleinen Tempels mit dem des prangenden Schlafgemachs , das er gesehen , und es ist leicht zu erraten , welches er sich von beiden am liebsten zum Allerheiligsten im Heiligtum der Liebe ausersehen hätte .
Von tausend süßen Gefühlen durchströmt , das Herz pochend von liebevoller Ahnung , lehnte Juliane das glühende Gesicht an den Busen ihrer Mutter , Eduards Lippen ruhten auf ihrer Hand , die er mit den seinigen umschlossen hielt . --
Meine Juliane , mein angebetetes Mädchen ! sprach er im Entzücken der Liebe : werde ich Dich jemals so glücklich machen können , als Du in den Armen der Mutter bist ? --
Sie bleibt in den Armen ihrer Mutter , sagte Eleonore , sie sanft an sich drückend , auch wenn sie die Ihrige sein wird !
Sie rauben sie uns nicht , lieber Eduard ! -- Mögt Ihr beiden das höchste Glück jedes das seine im anderen finden , sagte der Graf , indem er sie umarmte , Ihr seid mein kostbarstes Kleinod .
Gott verleihe Euch seinen reichsten Segen in dem meinigen ! --
Die Rede des Grafen schien erst bestimmt zu sein , noch mehreres zu enthalten , er brach aber mitten darina ab , und sah nach seiner Uhr mit einiger Bedenklichkeit .
Ich hätte sehr gewünscht , fing er wieder an , noch einige Zeit in diesem vertraulichen Kreise zu verweilen , aber ich sehe so eben , daß wir keine Zeit mehr zu versäumen haben :
Juliane , Du mußt an Deine Toilette denken , wir müssen uns ja noch alle umkleiden .
-- Bleibt die Gräfin Juliane nicht so , wie sie da ist ? fragte Florentin ; das werden wir bedauern müssen ; sie ist so schön in diesem Anzuge , daß keine Veränderung vorteilhaft für sie sein kann .
Es ist wahr , sagte der Graf , aber hier darf nicht die Rede von der Schönheit der Kleidung sein , sondern von der Schicklichkeit .
In dieser kann sie nicht öf fantlich getraut werden , heute müssen wir notwendig in Gala sein .
Wenn uns nur die Fremden nicht überraschen , wir haben zu lange verweilt . --
Nun laßt uns zurück gehen , sagte Eleonore , wir finden wahrscheinlich schon einige versammelt .
Auch unser wunderlicher Obristwachtmeister wird wohl schon aufgestanden sein ; es wird mich belustigen zu sehen , was er zu unserem Volksfeste sagen wird ; ich wette , er findet etwas gegen die Humanität darin zu tadeln . --
Man trennte sich .
Jeder ging auf sein eigenes Zimmer .
Eleonore fand , daß sie noch eine Stunde übrig hatte , sie verschloß sich in ihr Kabinett und schrieb folgenden Brief an Clementinen , die in der allgemeinen Freude von allen schmerzlich vermißt wurde .
Eleonore an Clementinen .
Mitten aus dem festlichen Getümmel , und in unruhiger Besorgnis , jeden Augenblick abgerufen zu werden , schleiche ich mich in meine Kammer , um Dir einige Worte zuzurufen :
ich will meinem Herzen diese Freude nicht versagen , ich will zu Dir reden , will mir einbilden , Du säßest neben mir , und ich sähe es dem lieben Gesicht an , wie Dein Herz die Freuden des meinigen teilt .
Aber auch schelten muß ich mit Dir , Du Übervernünftige !
Wie ?
Juliane wird zum Altare geführt , und Du bist nicht bei ihr ?
wie magst Du es nur verantworten ?
Du weißt wohl , wie ich Dein Tun und Deinen Wandel verehre ; dennoch glaube ich nicht , daß Du die Art und Weise von uns Weltkindern so sichtbar verachten darfst :
es ist wohl eben so verdienstlich von mir , daß ich mich aus dem Getümmel losreisse , um an Dich zu schreiben , als daß Du das Haus der Fröhlichkeit nicht besuchen willst , um den armen kleinen Geschöpfen Deiner Pflege unter Deinen Augen Hilfe und Nahrung reichen zu lassen .
Denkst Du nicht daran , wie notwendig Du auch hier bist ?
Wer unter uns soll wohl Juliahnen das Beispiel der Sammlung und Frömmigkeit geben , das sie von ihrer Tante erhalten würde !
Es werden viele gedankenlos um sie stehen , und sie wird umsonst die Augen suchen , an deren frommen Andacht sie sonst gewohnt war , die ihrigen zum Himmel zu erheben !
Wird nun nicht die wichtigste Angelegenheit ihres Lebens fast leichtfinnig vollendet werden ?
Die böse Nachricht , daß wir Dich nicht erwarten dürfen , betrübte uns alle , und wie sehr Juliane anfangs darüber trauerte , kannst Du wohl denken ; bald wußte sie sich aber zu beruhigen , da wir ihr von Deiner eigentlichen Besorgnis nichts mitteilten , und sie so gewohnt ist , alles gut und recht zu finden , was von der Tante kommt .
Jetzt atmet ihre Brust wieder in ihrer natürlichen leichten Unbefangenheit .
Du nennst es gewiß nicht blinde mütterliche Eitelkeit , wenn ich mich im Herzen freue , die Holdseligkeit des lieben Mädchens zu sehen , diese stolze zarte Schönheit , die aus ihrem Inneren strahlend sie umgibt .
Ja Du Teure !
Du würdest , wenn Du sie so vor Dir sähest , leuchtend und glühend im vollen Ausdruck je res Glücks , Du würdest nicht länger unzufrieden sein , daß ihr Vater eilt , sie mit dem Geliebten zu vereinigen , daß sie trotz aller Deiner Gründe so früh vermählt wird .
-- Juliane ist beinahe noch Kind , sagst Du , vieles liegt unentwickelt und tief verborgen in ihr , das nicht geahndet wird , am wenigsten von ihr selbst , sie fängt kaum an , sich selbst zu erkennen , sie wird aus einem Kinde zur Gattin , und wird gewiß einst auf die übersprungene Stufe ihres Lebens mit Wehmut zurücksehen . --
Das ist sehr wahr , Liebe ; nicht weniger aber ist es wahr , daß Juliane vielleicht ihre Bestimmung ganz verfehlen möchte , wenn sie den ersten vernehmlich ausgesprochenen Wunsch ihres Herzens unterdrücken müßte .
Du weißt , wie sehr Juliane mir in vielen Stücken ähnlich ist , da mein Gemüt von jeher in schwesterlicher Liebe vor Dir aufgeschlossen lag , so wie auch das ihrige von der zartesten Kindheit an .
Du wirst es nicht vergessen haben , daß auch die Mutter , wie jetzt die Tochter , sich nur spät und langsam erkannte ; wie nur ihre frühe glückliche Bestimmung verhinderte , daß nicht das lang verborgene Feuer heftiger Leidenschaftlichkeit verderblich um sich gegriffen .
Was anders bewahrte sie vor jeder Gefahr , die ihr aus ihrem Inneren drohte , als die Zufriedenheit mit ihrem Lose , die sie an den Pforten der Selbsterkenntnis , empfing ; als die ruhige Liebe in ihrem Herzen ; als der Gatte , die Schwester , die Kinder !
Ihr kostbaren Reichtümer !
Meinem Glück verdanke ich meine Tugend !
Auch das ist wahr , daß Eduard uns von Jugend auf mehr Beweise eines liebenden Gemüts und der feinen Ausbildung , als eines selbstständigen Sinns gegeben ; aber eben dies sein liebendes Gemüt , dächte ich , müßte uns Bürge sein .
Wie hängt er doch mit inniger Liebe an der Geliebten seiner Jugend !
Wie ist er ihr durch alle Wandelbarkeit seines Lebens so wahrhaft treu geblieben !
Seine Liebe war gleichsam der dauernde Grund , auf welchem die bunten Farben des Lebens wie lose Fäden hin und her gewebt waren .
Es fehlt ihm vielleicht nichts weiter , als die bestimmen de Vereinigung mit der Geliebten , um ihn ganz fest zu halten .
Ich habe Sinn für häusliche Freuden an ihm wahrgenommen ; ich kann an niemand verzweifeln , dem dieser Sinn nicht fehlt .
Laß uns nur nicht weiter mit unserer Vorsorge dringen wollen !
Unsere Hoffnung ist , sie dauernd glücklich zu sehen .
Doch wer enthüllt uns die Zukunft ?
Dürfen wir uns erlauben , Böses zu verüben , um ein künftiges Gut zu sicheren ?
Das wäre ja sogar gegen Deinen eigenen Grundsatz .
Du weißt doch , daß Eduard seinen Plan , gleich nach der Vermählung mit Juliahnen auf Reisen zu gehen , aufgegeben hat , zu unserer großen Freude .
Die Kleine konnte sich nicht entschließen , uns zu verlassen , er hat sich auf ihr unablässiges Bitten entschlossen , noch einige Jahre bei uns zu leben , ehe er seine weiteren Plane ausführt .
Sie bleibt also immer noch in unserer Mitte , er raubt sie unserem Kreise noch nicht , er selbst ist ein teures Mitglied desselben geworden .
Wir wollen nun alles aufbieten , um ihn seinen neuen Entschluß nicht bereuen zu lassen .
Fest soll sich an Fest ketten , und eine Lust die andere verdrängen .
Wärst Du nur hier , die bange Sorge würde bald von Dir weichen !
Dein Bruder ist in der besten Laune von der Welt ; Du weißt , wie liebenswürdig er in seiner Heiterkeit sein kann ; und überhaupt sind wir so fröhlich und ausgelassen wie die Kinder , haben alle Sorgen weit abgeworfen .
Nun ernstlich an meine Toilette , Juliane ist sicher schon fertig ; der Lärm wird immer lauter , ich darf doch nicht zuletzt erscheinen .
Bald siehst Du uns bei Dir , ich habe Dir viel zu erzählen von den lieblichen Festen , die hier begangen werden , vorzüglich von einem hier im Park , meinem Fenster gegenüber .
Dies wird Dir gefallen , es ist ganz in Deinem Sinn ; das kommt daher , weil ich nichts anordne , ohne in meinem Sinn den Deinigen zu Rate zu ziehen .
Eleonore .
[/0312 ] Fünfzehntes Kapitel .
Florentin war allein geblieben .
Er ging auf den Platz im Park :
er war leer , die Leute waren hinausgegangen auf den Weg zur Kirche , dort wollten sie , in zwei Reihen geordnet , die herrschaftlichen Wagen durchfahren lassen .
Er ging verdrießlich ins Schloß zurück .
Auf Gängen und Treppen war alles voller Tumult und Gedränge von wichtig tuenden , mit Nichts lärmend beschäftigten Menschen .
Allenthalben begegneten ihm fremde Gesichter .
Unmutig floh er auf sein Zimmer .
Das Gerassel der Wagen zog ihn ans Fenster .
Eine lange Reihe von vier- und sechsspännigen Equi Pagen , mit goldbedeckten Lakaien behangen , leerte sich , eine nach der anderen .
Unerträgliche Figuren wurden maschinenmäßig aus den glänzenden Kasten gehoben , und ins Schloß gefördert .
Florentin schauderte bei dem Anblick .
Endlich wurde er von den prächtigen Kleidungen erinnert , daß er sich wohl auch noch anders anziehen müsse , und nun fiel es ihm erst ein , daß ihm die wesentlichen Stücke zum gehörigen Anzug mangelten .
Halb verlegen , halb lustig , war er noch unschlüssig , was er zu tun habe , als ihn ein Bedienter zu Juliahnen rief .
Er fand sie in ihrem Zimmer völlig angekleidet .
Kommen Sie her , Florentin , rief sie ihm entgegen , ich will nicht allein bleiben .
Haben Sie die Mutter nicht gesehen ?
Ist Eduard nicht bei Ihnen ?
Es kommt auch kein Mensch zu mir .
Aber wie Sie mich anstaunen !
Nicht wahr , es kleidet mich nicht ?
-- Sie war mit fürstlicher Pracht gekleidet .
Sie blitzte und funkelte vom köstlichen Geschmeide und reicher Stickerei .
An der Stelle des frischen Morgenkranzes war eine kleine Krone von Juwelen Florentin. I. 20 gesetzt , die Arme und der freie Hals waren mit den auserlesensten Perlenschnüren geschmückt , und diesen angemessen schimmerte der übrige dazu gehörige Schmuck .
Wundert Sie mein Erstaunen ? fragte Florentin , Sie sind blendend , Juliane ! --
Aber ich gefalle Ihnen nicht , nicht wahr ? --
Ich suche vergebens den leichtfüßigen schalkhaften Knaben im Walde ; wo ist die gedemütigte Übermütige hin , im geliehenen Wams und kurzen Rock ?
Wo sind die Umrisse der gewohnten Gestalt vom heutigen schönen Morgen ? --
Ich glaube es Ihnen gern , sagte Juliane .
Der Himmel behüte mich auch vor einer Existenz , wo ich oft so gekleidet sein müßte ; ich glaube , am Ende könnte man das Lachen dabei verlernen .
-- Ja es mag wohl ernsthaft machen , aber was zwingt sie dazu ? --
Wir haben herzlich gewünscht , diesen Tag mit Festen ganz anderer Art zu begehen ; aber Sie wissen , der Vater läßt nicht leicht eine alte Sitte abändern ; um ihm nun seine Freude auf keine Weise zu stören ... wären nur erst diese Tage vorüber !
-- Sie werden durch sie auf alle künftige glücklich ! --
O über alles glücklich werde ich sein ! ohne diese Hoffnung müßte ich der glänzenden Last erliegen .
Es ist schön von Ihnen , daß Sie meine augenblickliche schlechte Laune durch diese Erinnerung verscheuchten .
Wie man doch oft so undankbar sein kann ! --
Üble Laune ist freilich am ersten dazu aufgelegt .
-- Lieber Florentin , Sie müssen ein Andenken von mir nehmen , um sich dieser Stunde und meines Glücks zu erinnern .
-- Sie suchte einen Augenblick unschlüssig in einigen Schubladen .
-- Nehmen Sie diese Brieftasche , die Stickerei darauf ist von mir , dies mag ihr einigen Wert in Ihren Augen verleihen . --
Er kniete nieder vor ihr und küßte ihre Hand :
-- So empfange ich den Dank aus Euren Händen , schöne Jungfrau ; wäre mir doch der erste Dank bestimmt , so dürfte ich ihn von den holden Lippen einsammeln ! --
Die Tür wurde geöffnet , Eduard trat herein , Florentin stand auf . --
Was hast Du vor , Flo ( 20 ) 2 Renten ? -- Anbetung , mein Freund ! --
Tolle Possen ! und noch nicht anders gekleidet ?
Fort , fort , es kommt Gesellschaft .
-- Florentin ging hinaus .
Auf der Treppe begegnete ihm der Jockey , der ihn noch vom ersten Augenblick an , da er ihn im Walde gesehen , zugetan war .
-- Sattle mir gleich den Schimmel , mein guter Heinrich , sagte er ihm leise , reite ihn durch das Hinterethor hinaus , vor das Dorf , und erwarte mich dort , daß Dich aber niemand sieht ; sage es auch niemanden !
Hröst Du ? --
Verlassen Sie sich auf mich . --
Er sprang fort ; Florentin ging wieder auf sein Zimmer .
-- Du hältst es nicht aus , rief er unmutig ; was soll dir das widersinnige Wesen ?
Immer wieder die alte Weise : wieder einige bessere Menschen , die vom Haufen der Gewöhnlichen bestimmt werden !
Halte es nicht aus ! ... aber die wenigen Stunden noch ; es ist kindische Ungeduld , ... nicht einen Augenblick will ich mir selbst zur Last sein ...
Was werden sie aber dabei denken ? ... Gut gefragt , wer steht mir in irgend einem Falle für die Gedanken der Menschen ? ...
Es ist aber ungesittet , wenn ich gehe ... es ist aber unwürdig , wenn ich bleibe .
Eduard ! wirst Du mich verstehen ? wirst Du Dein schwankendes , zweifelndes Gemüt bald beruhigen können ? ...
Wie hat sich aber auch die Szene verändert !
Wie sind die lieblichen Farben der Morgenröte hingeschwunden , und haben dem lärmenden Tage Platz gemacht !
Wie werden vom schweren Geschütz der Konventionen Deine zarten Freuden zertrümmert , göttliche Liebe !
Alles ist zerstört !
Julianens holde Gestalt durch ein Gewicht angefesselt , verzerrt ; das eigene , schöne , bewegliche Leben von versteinertem Kristall umstarrt .
Eduard ! was will der blasse Mondschimmer der heimlichen Kränkung auf Deinem Gesicht , worauf der Sonnenschein der glücklichen Liebe onst glänzte ?
O es ist wahr , daß Friede und Freude bald entfliehen , wo ich verweile .
Fort will ich , fort muß ich !
Alles wird bald gut werden für Dich , Eduard .
Nur der Verbannte wird oft seine Arme um sonst nach einem Freunde ausstrecken , und sie ohne Trost wieder sinken lassen .
Aber fort , fort ; allein will ich den Fluch tragen , der über mich verhängt ist ! --
Während diesen bald hastigen , bald zögernden Worten war er , indem er sich zu gleicher Zeit zur Reise anschickte , im Zimmer unruhig auf und abgegangen .
Jetzt war er ganz reisefertig und stand in der geöffneten Tür , den Hut in der Hand ; er besann sich , es war ihm , als müßte er Abschied nehmen .
Zu Eleonore will ich noch einmal gehen , dachte er , ich finde sie vielleicht noch allein .
-- Eleonore war mit ihrem Putze ganz fertig , und siegelte eben den Brief an Clementinen , um ihn noch fortzuschicken .
-- Mich dünkt , es ist jemand im kleinen Korridor , sagte sie zur Kammerfrau , sieh zu . --
Florentin wurde ihr gemeldet , und trat gleich darauf selbst hinein .
-- Was ist das ? rief die Gräfin ; Stiefel ?
Sporen ?
Was wollen Sie in diesem Aufzug ? --
Geben Sie mir Ihren Segen , teuerste Gräfin , ich will fort ! -- Träumen Sie ? oder träume ich ?
ich verstehe Sie nicht -- Gütige Eleonore , fragen Sie nicht , Ihre segnende Hand lassen Sie mich zum Abschied küssen .
-- Was ist Ihnen , ums Himmels Willen , was ist Ihnen widerfahren ? wo wollen Sie hin ? --
Die Kammerfrau kam wieder hinein :
Gnädige Gräfin werden erwartet , es ist geschickt worden --
Den Augenblick !
Florentin , Sie dürfen nicht so rätselhaft sein , was wird mein Gemahl sagen ? --
Ihnen überlasse ich meine Verteidigung , Eleonore , und deswegen komme ich eigentlich zu Ihnen , leben Sie wohl , ich darf Sie nicht länger aufhalten .
-- Aber wo wollen Sie hin ?
Wir sehen Sie doch wieder ? --
Soll ich einst noch so glücklich sein ?
Der Ort , wohin ich gleich zuerst komme , ist Ihnen bekannt .
-- Mein Gott ! freilich , Sie reisen zu Clementinen .
Wollen Sie uns dort erwarten ?
Sobald es hier wieder ruhig ist , werden wir zu ihr reisen .
-- Florentin verbeugte sich : Geben Sie mir irgend ein Zeichen für die Gräfin Clementina mit , das mich ihr empfiehlt .
-- Hier nehmen Sie diesen Brief , ich hätte nicht gedacht , daß er durch Sie würde bestellt werden , Ihrer ist nicht darin erwähnt , aber Sie sind ihr sonst schon bekannt , Sie dürfen nur Ihren Namen nennen .
-- Gnädige Gräfin ! rief die Kammerfrau wieder . --
Leben Sie denn wohl , Florentin , auf Wiedersehen ! --
Leben Sie wohl , Eleonore , Ihnen trage ich es auf , Eduard zu beruhigen , und mein Andenken bei Juliahnen zu erhalten ! --
Wie , diese wissen nicht ? --
Florentin war wieder zur kleinen Tür hinaus , ohne weiter zu hören , oder zu antworten .
Die Kammerfrau schloß hinter ihm zu ; in dem Augenblick führte von der anderen Seite der Graf einige Damen herein .
Florentin ging durch den Park , wo er hoffen durfte , niemanden zu begegnen , und so fort zum Dorfe hin , wo er Heinrich , mit dem Schimmel ihn erwartend , fand .
Er nahm Abschied von dem Knaben , drückte ihm eine Belohnung für seinen Diensteifer in die Hand , setzte sich auf den getreuen Schimmel , und fort sprengte er im Galopp , ohne sich umzusehen .
Heinrich sah ihm noch nach , als er ihn plötzlich still halten und das Pferd herumwenden sah ; er kam wieder zurück . --
Warte noch einen Augenblick , rief er ihm zu .
Heinrich trat hinzu und hielt das Pferd ; Florentin zog seine Schreibtafel heraus , und schrieb mit Bleistift auf ein Blatt :
" Des " Schicksals Schläge stählen und geben Kraft " sich aufzurichten , indem sie niederbeugen ; aber " der Menschen kleinliche Mißverhältnisse und " Mißverständnisse zerstören grausam das Ge "müth .
Ich segne meinen Eintritt in Euren " Kreis , aber ich gehe , damit ihn niemand ver " wünsche !
Lebe wohl , Eduard , gedenke mei "ner . " -- " Juliane , wer Sie sieht , wird Sie ken "nen ; wer Sie kennt , muß Sie lieben ; wer " Sie liebt , kann nie aufhören .
Bleiben Sie " glücklich ! " Florentin .
Gib es an Eduard von Usingen , guter Heinrich , aber gib es ihm allein .
Und nun Adieu . --
Er ritt langsam fort .
Er hatte beschlossen , die Nacht in der bekannten Mühle zu bleiben , und mit Tages Anbruch vollends zur Stadt zu reiten .
[/0323 ] Sechzehntes Kapitel .
Florentin war nach einer verdrießlichen Reise in der Stadt angekommen .
Nie war er mehr mit sich selbst uneins gewesen .
Zwar gefiel ihm die Hast , mit der er das Schloß und alle seine Reizungen , so bald es ihm Zeit zu sein gedünkt , verlassen , da es ihm nicht unbemerkt geblieben war , daß er die Empfindsamkeit des schönen Mädchens so hoch hätte hinauf spielen können , als er nur immer gewollt ; dennoch konnte er sich nicht des heimlichen Verdachts gegen sich selbst erwehren , der Mangel an den üblichen Staatskleidungsstücken hätte ihn so plötzlich auf und davon getrieben .
Vollends lächerlich erschien es thm , wenn er überlegte , daß die gräfliche Familie vielleicht diesen Grund als ausgemacht , und sogar als den einzig möglichen annehmen würde .
Er beschloß , wenigstens in der Zukunft , sich die beschämende Ungewißheit seiner eigenen Motive zu ersparen .
Sobald er daher im Gasthof eingekehrt war , trug er sogleich Sorge , eine Art von Uniform für sich zu bestellen , die man ihm des anderen Tags mit allem dazu gehörigen zu liefern versprechen mußte .
So viel er von der großen Stadt im Hineinreiten gesehen , hatte sie wenig Anziehendes für ihn .
Roher Lärm , nichtstuende Geschäftigkeit , prahlsüchtige Armseligkeit , leere unteilnehmende Neugierde auf den geräuschvollen Gassen , fiel ihm diesmal mehr als jemals widerlich auf .
Wahrscheinlich wäre er , ohne sich aufzuhalten , gerade zum anderen Tor wieder hinaus geritten , aber es lag ihm daran , Eleonorens Brief an Clementinen selber zu bestellen .
Bald nach seiner Ankunft ging er hin .
Das Haus war leicht zu finden , denn es ragte durch seine schöne Bauart vor allen benachbarten hervor .
Am Eingang des Vorhofs lagen auf einer Erhöhung zwei Sphinxen .
Die Ungeheuer sahen den Eintretenden so klug und prüfend an , als wollten sie seine Absicht erforschen .
Florentin überfiel eine Art Grauen , als er zwischen ihnen durch , über den stillen Platz nach dem Hauptgebäude schritt .
Während er gemeldet wurde , führte ihn ein Bedienter die breite steinerne Treppe hinan , durch einige Vorzimmer in einen vortrefflich dekorierten Saal , wo er ihn einige Augenblicke zu verweilen ersuchte .
Florentin betrachtete einige Chinesische Vasen von seltener Größe , welche an den Pfeilern zwischen den großen Flügeltüren sich befanden , die statt der Fenster auf einen Altan führten ; hier standen Orangen- und Zitronenbäume in schön verzierten Gefäßen umher , deren süßer Duft sich im Saal verbreitete .
Florentin trat durch eine der offenen Türen hinaus , und fand sich sehr angenehm überrascht , als er in einen wie ten vortrefflichen Garten hinunter sah .
Dieser grenzte in der Ferne an einen See , dessen lachende Ufer mit Weinbepflanzten Hügeln , Kornfeldern , Gebüschen und netten einzelnen Häusern umgeben waren .
Im Garten gingen eine Menge Leute , oder saßen im Schatten der hohen Bäume , so daß er ungewiß wurde , ob es ein öffentlicher Garten sei , oder ob er zum Hause gehöre .
Ein herrlicher Springbrunnen trug seinen hellen Wasserstrahl beinahe bis zur Höhe des Hauses , wo er dann in vielfarbigen glänzenden Kristalltropfen wieder hinunter fiel und sich in ein weites Marmorbecken sammelte ; Weiden und Akazien spiegelten mit vermischtem Grün ihr Laub im klaren Wasserspiegel .
Anmutiger grünte der Rasen um ihn her , und die Luft wurde durch sein Spiel erfrischt und erquickend .
Florentin dachte an das gräfliche Schloß zurück ; ein und derselbe Geist schien dieses so wohl als Clementines Haus , nur in einem verschiedenen Sinn , zu bewohnen .
So wie dort der alte mit dem moder einen Geschmack neben einander bestand , so kontrastierte hier der steinerne Ernst des Eingangs mit der freundlichen Schönheit des Inneren .
Er ahndete Clementines Geist , und ein Ehrfurchtsschauer durchbebte ihn bei dem Gedanken , sie selbst nun bald zu sehen .
Indem rauschte ein weiblicher Fußtritt in dem Nebenzimmer , Florentin ging vom Altan zurück . --
Es kann nicht Clementina sein , dachte er , der Schritt ist zu rasch .
-- Betty war es .
Er hatte es vergessen , daß er diese hier finden müßte ; jetzt freute er sich , das muntere zierliche Mädchen unverhofft erscheinen zu sehen .
Er lief auf sie zu . --
Nicht so ausgelassen ! rief sie mit komischer Gravität , begrüßen Sie fein ehrerbietig in mir die Gräfin Clementina .
Ich komme in ihrer Person , als bevollmächtigter Minister , und mir haben Sie Ihr Kreditiv zu überreichen .
Nun so halten Sie nur Ihre ehrfurchtsvolle Anrede !
denn Sie sehen doch ganz so aus , als hätten Sie sich eine ersonnen , und wollte sie so eben wieder hinunterschlucken ! --
Betty ist ja eben das Redenhalten nicht an mir gewohnt worden , sagte Florentin -- Nein , antwortete sie , Ihre Impromptus sind mir bei Kanter ; aber eben darum bin ich neugierig auf Ihre Rede !
Mein Auftrag ist aber , Sie in der Gräfin Clementina Namen hier willkommen zu heißen , und Sie um Nachrichten vom Schloß zu bitten .
Heute kann die Gräfin Sie nicht sehen ; sie erholt sich erst jetzt langsam von einem sehr heftigen Anfall ihrer gewöhnlichen Krankheit .
-- So hatte der Graf doch richtig geahndet ! die Briefe aber waren von ihrer Hand -- Sie schrieb sie mit der größten Anstrengung .
Außerdem will sie sich heute ruhig verhalten , um morgen im Stande zu sein , eine Musik aufführen zu hören , die sie nie versäumt .
Sie , Florentin , werden nun durch mich von ihr ersucht , morgen nach dieser Musik sich bei uns einzufinden . --
Ich werde erscheinen ; doch wünschte ich auch wohl diese Musik zu hören ; wo wird sie aufgeführt ? --
Gut , daß Sie fragen !
ich hätte es beinahe vergessen ; die Tante läßt Ihnen zugleich sagen , wenn Sie etwa die Musik zu hören wünschten , so soll Sie jemand zur rechten Zeit abholen und einführen .
Sie läßt es Ihnen eigentlich wissen ; das ist eine Auszeichnung , merken Sie sich dies fein .
Und nun geschwind , was macht man auf dem Schloß ? -- Gestern , als ich fortritt , war man eben dabei , sich den priesterlichen Segen geben zu lassen .
-- Wie ? gestern ? und wir haben keinen Brief ? und Sie ritten fort ? --
Hier ist ein Brief für die Gräfin Clementina , von Eleonore -- -- Geben Sie her , o geschwind ! warum gaben Sie den nicht gleich zuerst ?
Wie wird die Tante sich freuen ! nun so geben Sie doch ! --
Er zog den Brief hervor , wollte ihn aber nicht ohne einen Kuß von Betty herausgeben .
Mit einer schalkhaft verdrießlichen Miene , als ob sie ihn nur recht bald los zu werden wünschte , hielt sie ihm die Wange hin .
In demselben Moment ging die Tür auf , und ein junger Offizier trat herein .
Betty fuhr Florentin. I. 21 zusammen und veränderte die Farbe .
Der Offizier begrüßte sie mit einem finsteren Blick , und sah nun stumm und störrisch vor sich hin .
Halb nur gefaßt , mit unsicherer Miene , stellte sie beide einander vor , den Offizier nannte sie Rittmeister von Walter .
Sie gab sich Mühe , ein haltbares Gespräch auf die Bahn zu bringen , es gelang ihr aber schlecht .
-- Sie müssen mir erlauben , fing sie endlich an , daß ich der Tante nicht länger den ersehnten Brief vorenthalte ; auf morgen also , Florentin . --
Ich möchte Sie bitten , mir einen Augenblick zu schenken , sagte der Rittmeister , mehr fordernd , als bittend .
-- Jetzt nicht , lieber Walter , sagte sie so freundlich als möglich ; aber darf ich nicht hoffen , Sie diesen Abend im Garten zu sehen ? --
Gat dann , antwortete er , diesen Abend ! --
Betty verneigte sich gegen beide und eilte aus dem Saal .
Florentin erinnerte sich , von Juliahnen gehört zu haben , daß Betty nächstens die Braut eines gewissen Walters würde .
-- Also der Bräutigam ! dachte er im Hinuntergehen , und wie es scheint , wenig geliebt , und noch weit weniger liebenswürdig .
Arme Kleine ! wahrscheinlich wirst du diesen einzigen mutwilligen Augenblick durch eine Reihe von unangenehmen zu büßen haben !
Laß sehen , vielleicht gelingt es mir , sie dir zu ersparen , es gelingt mir vielleicht , diesen Drachen zu zähmen . --
Er ging denselben Weg mit ihm und redete ihn Einigewal freundlich an , wurde aber mit kurzen Antworten abgefertigt , bis er es wie absichtslos fallen ließ , daß er höchstens noch einen Tag in der Stadt zu bleiben gedächte .
Sogleich nahm der Rittmeister mehr Anteil an ihm , und erbot sich , ihm noch vor dem Mittagsessen einige Merkwürdigkeiten der Stadt zu zeigen : unser Florentin nahm es an .
Diese Merkwürdigkeiten bestanden nun in allerlei Dingen , die ( was sich der Rittmeister nicht träumen ließ ) für Florentin weder merkwürdig noch erfreulich waren ; zuletzt wurde dann mit einigen anderen jungen Leu ( 21 ) 2 ten , die zu ihnen kamen , eine sogenannte Partie fine zum Abend verabredet , und Florentin dazu eingeladen .
Dieser , dem es beinahe leid war , sich mit Walter eingelassen zu haben , versuchte es , von ihren gemeinschaftlichen Bekannten mit ihm zu sprechen ; seine rohen Ansichten traten aber bei dieser Gelegenheit in ein so helles Licht , daß er Florentin je länger , je mehr unerträglich wurde .
Er schwieg unmutig still , und war froh , als er wieder in seinen Gasthof gelangte , wo er den lästigen Begleiter los zu werden gedachte ; zu seinem Verdruß ging dieser aber mit hinein und setzte sich nebst noch einigen hinzugekommenen mit zu Tische .
Hier führte er sehr laut das Wort .
Durch einige zweideutige Späße , lächerliches Gesichterschneiden , und die Dreistigkeit , durch platte Persiflage , andere in beschämende Verlegenheit zu setzen , war er bei den bekannten Tischgenossen in den Ruf eines witzigen Kopfs , und eines angenehmen Gesellschafters geraten .
Man belachte und bei klatschte alles , was er vorbrachte ; Florentin , der Langeweile hatte , lachte nicht , und gab sich auch die Mühe nicht aus Gefälligkeit zu lachen .
Waltern schien diese Gleichgültigkeit gegen sein anerkanntes Verdienst eine beleidigende Anmaßung , und um sich zu rächen , kehrte er die Spitze seines Witzes , mit nicht zu feinen Anspielungen gegen Florentin , die zur Absicht hatten , den Anwesenden einen Wink zu geben :
er hätte sich diesen heute ganz eigentlich zur Tischbelustigung ausersehen .
Der Plan war gut , nur nicht genau genug berechnet ; Florentin , der nicht mehr in der Stimmung war , sich etwas gefallen zu lassen , hatte gar bald durch ein paar beißende Antworten das Lachen auf seiner Seite .
Dieser Sieg wirkte auf Walters Witz . wie ein Platzregen auf ein Feuerwerk .
Pikiert darf ein solcher Spaßmacher nicht sein , oder es ist um ihn geschehen .
Von nun an glückte ihm nichts mehr .
In seiner Angst wurde er ziemlich grob , ohne allen Witz .
Während dem hatte ein Mann , der nicht weit von Florentin saß , diesen mit Aufmerksamkeit zu beobachten geschienen :
er wurde von den anderen , Doktor , genannt .
Zu diesen wandte Florentin sich jetzt , um der Unterredung mit Waltern auszuweichen .
Das Gespräch kam bald auf die Musik , die den anderen Tag bei der Gräfin Clementine aufgeführt werden sollte . --
Es ist eine geistliche Musik ? fragte Florentin . --
Ja antwortete der Doktor , es ist ein Requiem von ihrer eigenen Komposition , das jährlich auf den bestimmten Tag aufgeführt wird .
-- Walter trällerte einen Gassenhauer ; bei den Worten " geistliche Musik " sagte er einem neben ihm sitzenden Offizier etwas ins Ohr , und beide lachten überlaut Der Doktor hatte diesen Ausbruch von Lustigkeit mit Gelassenheit abgewartet , ehe er weiter sprach .
-- Sie werden , fuhr er dann gegen Florentin fort , ein stark besetztes Chor von meistens vortrefflichen Stimmen hören .
Es ist eine der liebsten Beschäftigungen der Gräfin , sich dieses Chor auszubilden , von dem sie sich nicht allein ihre eigenen Kompositionen vortragen läßt , sondern auch die herrlichsten alten Sachen , die man sonst nirgends mehr hört als bei ihr .
-- Für die alte Dame , fing der Rittmeister an , ist diese melancholische Musik erstaunlich passend , sonst aber hat sich noch jeder honette Mensch dabei ennuyiert .
-- Hier mischten sich noch andere ins Gespräch , teils für , teils gegen diese Behauptung , der Streit wurde allgemein , während dem sagte Florentin zum Doktor : Wenn Sie eben jetzt nichts besseres zu tun haben , so würde ich Sie bitten , einen Spaziergang mit mir zu machen .
-- Ich war im Begriff dieselbe Bitte an Sie zu tun , erwiderte jener . --
Es entstand eine kleine Stille , als man die beiden aufstehen sah .
Im Hinausgehen hörte Florentin ganz deutlich , daß Walter " Glücksritter " sagte .
Ich hatte Unrecht , sagte der Doktor , als sie draußen waren , in Gegenwart die sehr unmusikalischen Seelen von einer zu sprechen , die ganz Musik ist .
-- Sie gingen in einen der nahgelegenen öffentlichen Gärten außerhalb der Stadt , wo sie sich Erfrischungen geben ließen .
Florentin konnte sich nicht enthalten , einiges über die schlechte Tischgesellschaft zu äußeren .
Er fragte seinen Begleiter , ob er diesen Walter genauer kenne ? --
Ich kenne ihn , sagte dieser .
Ich habe das Glück , zu den Freunden der Gräfin Clementine zu gehören , und fast immer in ihrem Hause zu sein , dort sehe ich ihn nur zu oft !
Gewöhnlich speise ich nicht an der öffentlichen Wirtstafel ; darf ich sagen , daß ich mich heute dort einfand , bloß um Ihre persönliche Bekanntschaft etwas früher zu machen ?
Ich bin durch Fräulein Betty's Erzählung zu begierig geworden . --
Ich freue mich Ihrer Bekanntschaft , versetzte Florentin ! --
Nach einigen Fragen und Erläuterungen , ihr beiderseitiges Verhältnis mit der gräflichen Familie betreffend , rückte Florentin endlich mit der Frage heraus :
Wie es komme , daß Clementine , die ihm als der Schutzgeist der Angehörigen sei bekannt gemacht worden , daß diese die Verbindung zwischen Walter und Betty wünschen , ja nur zugeben könne ?
Wie ! leuchtet es ihr nicht in die Augen , sagte er , daß Betty mit diesem Menschen höchst unglücklich werden , oder ganz zu Grunde gehen muß ? wie ist es so Schade um diese liebenswürdige Natur ! --
Ja wohl Schade ! rief der andere , mit einem halbunterdrückten Seufzer .
Ich kenne Betty seit ihrem zwölften Jahre , ich liebe sie , seit ich sie kenne .
Das sanft ernsthafte Gesicht des Mannes errötete etwas bei diesen Worten .
-- Betty hat einen würdigen Freund , wie ich sehe , sagte Florentin nach einem kleinen Schweigen ; wie kann es zugehen , daß sie einem schrecklichen Schicksal sichtbar entgegen gehen darf ? --
Bettys unglückliche Neigung -- Wäre es möglich ?
Was kann dieses liebenswürdige Kind , im Schoß der Liebe mit aller Sorgfalt ausge bildet , was kann sie bewegen , sich diesen rohen Gefährten zu wählen ?
Gehört sie etwa auch zu jenen Zarten , die sich bloß an die äußere Erscheinung der Energie halten ? --
Nicht ganz so hart ! fiel ihm jener ein ; es ist ihm gelungen sie zu fesseln , oder vielmehr sie in einem Moment der Hingebung sich eigen zu machen .
Es ist nicht gewiß , ob sie ihn noch liebt , ja ob sie ihn jemals liebte .
Ist es die schöne wachsende Treue eines unverdorbenen weiblichen Herzens ?
Ist es Reue , oder Stolz ?
Genug sie hält sich für unauflöslich gebunden , obgleich die Gräfin , der sie sich ohne Rückhalt anvertraute , ihre Vermählung immer weiter hinaus zu schieben sucht .
Walter weiß sehr wohl , wie übel er bei der Gräfin angesehen ist , daher sein Haß gegen diese unvergleichliche Frau .
Es ist sehr wahrscheinlich , daß alles von ihm aus Liebe zu ihrem ansehnlichen Vermögen angelegt wurde ; und nur zu wohl ist ihm sein Plan gelungen ! --
So muß denn die Arme aus Schwachheit um Schwach heit ewig verloren sein ? und die Freunde könnten sie retten und sehen müßig zu , wie sie untergeht ! --
Woher wissen Sie das ? --
Warum wendet Clementine nicht hier ihre ganze Autorität an ?
hier ist es an der Zeit , sich dem Vorurteile mit Macht entgegen zu setzen !
-- Sie müßten die Vortreffliche freilich kennen lernen , um sie zu verstehen .
Clementine gehört zu den seltenen Seelen , die wahre Ehrfurcht , die zarteste Scheu für die Sinnes-Freyheit anderer Personen hegen .
Diese , in sich und in den sie umgebenden , nie zu verletzen und auf das höchste auszubilden , ist ihr größtes Bestreben .
Nie hat sie aber jemand durch Autorität zum Besseren zu zwingen versucht .
Sie hat nicht versäumt , Betty das Elend vorzustellen , dem sie entgegen geht ; da diese aber fest ist in ihrem Glauben :
Walter liebe sie , die Liebe würde ihn ausbilden , und einer liebenden geliebten Frau sei alles möglich ; so erlaubt sie sich weiter keinen Schritt dagegen zu tun , weder offen noch heimlich ; außer daß sie die Vermählung noch lange aufgeschoben hat , damit Betty Zeit habe , ihren Irrtum gewahr zu werden .
Auch dann noch , wenn sie vielleicht zu spät zurück kommt , darf sie gewiß sein , Hilfe und Schutz bei ihr zu finden , so bald sie ihn bedarf und sucht ; denn nie legt sie dem Irrtum eine härtere Strafe auf , als den er selbst mit sich führt , und auch diese bemüht sie sich , auf jede Weise zu lindern Sie hätte es wohl gewünscht , mich mit Bettys Hand beglücken zu können , da es aber meiner innigen treuen Liebe nicht gelang , so hält sie mit Recht jedes andere Mittel , sie dazu zu bewegen , für unerlaubt und unwürdig .
Sie deren große Seele jeden Schmerz mit geprüfter Standhaftigkeit trägt , vermag nie anderen irgend eine unangenehme Empfindung zu verursachen ; sie findet es bei ihrer Reizbarkeit immer noch leichter selbst zu dulden , als andere dulden zu sehen ; auch findet sie in ihrem Geist , und ihrer Religion , Kraft und Trost , wo andere verzweifeln würden .
Doch verzeihen Sie mein Herr , ich sage Ihnen mehr als Sie vielleicht zu wissen verlangen .
Ich weiß in der Tat nicht schicklich aufzuhören , wenn ich von dieser erhabenen Frau sprechen darf . --
Ich bitte Sie , fahren Sie fort .
Zum Teil bin ich schon vorbereitet ; Eleonorens Freundin , Julianens zweite Mutter , kann nicht anders als ganz vorzüglich sein .
Ich war allerdings begierig mehr von ihr zu erfahren , und ich wüßte nicht , wen ich lieber über sie sprechen hörte , als einen würdigen Vertrauten und Hausgenossen .
-- Florentin sprach diese Worte mit so sichtbarem Anteil , daß der andere sogleich fortfuhr : Sie ist immerwährend krank , bald mehr , bald weniger .
Sie erhält ihr Leben nur durch die strengste Diät , die geringste Abweichung bringt sie dem Tode nahe ; so wie sie die Lust zu leben und eine gleichmütige heitere Laune durch immerwährende Tätigkeit erhält .
In ihren schönsten heitersten Stunden beschäftigt sie sich mit Musik ; und nicht bloß zum eitlen Zeitvertreib , wie die meisten Frauen , sondern als ernstes Studium .
In ihren Kompositionen atmet die Begeisterung inniger Andacht einer hohen frommen Seele ; wer reines Herzens ist , wer Sinn für Harmonie hat , muß mit Entzücken von diesen Tönen sich über alles Irdische hinweg gehoben fühlen ; nur ein fühlloser Barbar , nur Walter konnte so sich äußeren , da von dieser Musik die Rede war .
Viel Zeit und Aufmerksamkeit nimmt ihr der Umgang mit Kindern .
Sie ist fast immer von Kindern umgeben , mit denen sie sich Stundenlang zu beschäftigen weiß .
Sie wird von ihnen wie eine Mutter geliebt , und sie hat auch die Zärtlichkeit einer Mutter .
Oft habe ich Tränen in ihren Augen glänzen sehen , wenn ein Säugling in seiner Hilflosigkeit die kleinen Ärmchen nach ihr ausstreckt , oder auf ihrem Schoß einschläft , und im Schlafe lächelt .
Clementina ist aber nicht allein die gute Fee aller schönen lieblichen Kinder ; sie schenkt den unglücklichen , mitleidswürdigen noch eine besondere tätige Aufmerksamkeit .
Es war ihr nämlich nicht entgangen , daß die geringere Klasse der Eltern nur wenig Sorgfalt auf ihre kranken Kinder zu wenden vermag ; daß aus Mangel an der notwendigen Wartung eine große Menge davon sterben , oft als Krüppel ein höchst elendes Leben fortschleppen müssen , den Eltern eine Last , und von diesen dafür verachtet und schlecht behandelt werden .
Das Elend selbst muß ihnen ein Nahrungszweig werden , indem sie es vorzeigen , um das Mitleid anderer zu erregen , und sich selbst immer mehr dagegen abstumpfen .
Denken Sie sich , wie diese Vorstellungen eine Seele wie die ihrige erschüttern mußten !
Ich sah sie in der gewaltsamsten Anstrengung , bis es ihr gelang , zu helfen , so weit menschliche Hilfe reicht .
Den Garten der Gräfin begrenzt ein See -- Ich sah ihn diesen Morgen .
Kleine Häuser , Felder und Gärten umgeben ihn . --
Ganz recht !
Diese Häuser , diese Gärten , Felder und Hügel sind die Zufluchtsörter der armen kleinen Wesen .
O , mein Herr , wenn Sie hier das Tun und die Art zu handeln der Gräfin je beobachtet hätten , wie ich es täglich tun darf , Sie würden meinen Enthusiasmus für diese Frau verstehen .
Ich darf sie in diesem ehrwürdigen Geschäft als Arzt unterstützen , und fühle mich unendlich geehrt in diesem Auftrag .
Eins der kleinen Häuser bewohne ich selber , um so viel als möglich gegenwärtig zu sein .
Oft haben wir schon die Freude gehabt , Kinder gesund und blühend in die mütterliche Arme zurück zu führen , aus denen sie uns im tiesten Elende und ohne Hoffnung des Wiedersehens überliefert waren .
Doch , eine ausgeführtere Beschreibung kann ich Ihnen hier unmöglich geben ; sie dürfte nur weitläufig werden , ohne Ihnen weiter etwas zu lehren .
Der Geist und die Liebe , in Plan und Ausführung , läßt sich mit Worten nicht beschreiben , diese können nur durch eigene Anschauung wahrgenommen wer den .
Sind Sie es zufrieden , so führe ich Sie hin . --
Ihre Erzählung ist vollkommen befriedigend ; ich habe berühmte Anstalten der Art gesehen , ich kenne das . --
Nein , rief der Arzt , eine ähnliche haben Sie wahrlich nie gesehen .
-- Überdies , fuhr Florentin fort , möchte es der Gräfin nicht angenehm sein , mich dort zu sehen , da sie ausdrücklich verlangte , heute allein zu sein . --
Ich würde Sie nicht hinführen , wenn sie selbst dort wäre ; bei diesem Geschäft ist sie für niemand sichtbar , denn sie haßt jede Art von Ostentation .
Auch ist es niemand außer mir erlaubt , Fremde dort hinzuführen , weil die Aufmerksamkeit für diese die notwendige Sorgfalt abzieht und zerstreut .
Jetzt ist ohnedies die Zeit , in der ich dort sein muß ; kommen Sie doch nur mit ! --
Florentin ließ es sich endlich gefallen .
Der Mann gefiel ihm in seinem schönen Eifer für das Gute , trotz der etwas starken Neigung zur Redseligkeit .
Sie ist doch meistens , dachte er , Zeichen eines offenen , absichtslosen Gemüts ; Florentin. I. 22 wenige Menschen sind mit ihren Worten zum Vorteil anderer so freigebig . --
In wenig Tagen , fing der Doktor , indem sie gingen , wieder an , sehen wir sie wieder mit anderer Sorgfalt beschäftigt .
Sie werden vielleicht schon von einer Badeanstalt gehört haben für arme Kranke , diese ist ihr Werk und entstand wie von selbst .
Es ist wenige Meilen von hier entfernt , sie selbst braucht dieses Bad zu ihrer Erhaltung seit mehreren Jahren .
Ihrem mitleidenden , für jeden fremden Schmerz empfindlichen Herzen war es eine höchst peinvolle Empfindung , eine Klasse Menschen an Allem Mangel leiden zu sehen , die wegen wirklicher , sehr harter Gebrechen sich am Bade einfanden , unterdessen andere im größten Überfluß lebten , die nur Vergnügen und Zeitverkürzung dort suchten .
Auf eigene Kosten hat sie also jede Bequemlichkeit für die kranken Armen einrichten lassen , und zwar alles so gut , so sauber und bequem , daß sie für ihre eigene Person sich derselben jedesmal bedient .
So dürfen nun die armen geplagten nicht mehr den Abhub der Reichen kümmerlich erbetteln , und die Hilfe für ihre Schmerzen nicht erst dann erwarten , wenn jene , oft weniger leidende befriedigt sind .
Es wird alles für sie auf das pünktlichste und gefälligste besorgt , so daß sie auf jede Weise gegen den Einfluß des Übermuts geschützt bleiben .
Zu diesen gehören dann auch die sonst üblichen Kollekten , die oft ganz unzweckmäßig verteilt werden ; und das Schauspiel der allgemeinen Abfütterungen , die auf den Kranken , bei ihrer gewöhnlichen Not und der täglichen schlechten Nahrung von sehr üblen Folgen sind . --
O , rief Florentin , oft war ich Zeuge , mit welchem Überdruß , mit welcher Verachtung man seinen Beitrag zollte ! -- Freilich , antwortete jener , doch vergesse man nicht , daß dergleichen auch für viele , die sich nicht ausschließen dürfen , oft ein lästiger Tribut sein kann .
Freiwillige Beiträge , von Einzelnen , weiset die Gräfin nie zurück ; um , wie sie sagt , den Segen des Wohltuns niemand zu entziehen .
Die Gabe wird augenblicklich von der Gräfin selbst , in der Gegenwart des Gebers , den Armen zum freien ( 22 ) 2 Gebrauch eingehändigt .
Bekannt wird aber nichts davon gemacht , weder mit noch ohne Namen .
-- So werden auch wohl diese milden Beiträge selten genug sein . --
Das doch nicht ; es gibt viel gute Menschen ; und zeigt man ihnen den rechten Weg , so gehen sie ihn auch wohl . --
In welcher Welt , dachte Florentin , habe denn ich gelebt ? --
Sie waren am Ufer des Sees angelangt , und hatten ein Haus , ein Zimmer nach dem anderen in der kleinen Kolonie besucht .
Florentin war dem Arzt gefolgt , teils aus Gefälligkeit , teils auch um dem Rittmeister desto sicherer auszuweichen , dessen Gesellschaft er mehr als jedes andere Übel verabscheute .
Diese Rohheit bei so viel Anmaßung , die Verachtung der feinen Welt im Besitz aller mit ihr verknüpften Verkehrtheiten , sie waren ihm in der Seele zuwider .
Er war sich keiner Menschenfurcht bewußt , doch überfiel ihm etwas ähnliches von böser Vorbedeutung bei diesem Walter .
Er zog es also vor , mit dem guten Doktor die wohltätigen Anstalten der Gräfin zu besuchen , obgleich er denselben unangenehmen Eindruck befürchtete , den er schon oft bei Besuchen der für Elende erbauten Paläste gefühlt hatte , wo es der einzige wirklich ausgeführte Endzweck war , den Namen und Reichtum des Stifters bis an das Ende aller Dinge bekannt zu machen .
Freudig wurde er aber überrascht beim Anblick dieser Stiftung , wo ohne allen Prunk und irdische Verherrlichung der Geist der Liebe allein , still und heilig wirkte .
-- Hat Clementine nie geliebt ? fragte Florentin . --
Ich weiß nichts eigentliches von ihrer Geschichte , auch weiß diese wohl niemand als Eleonore ; jetzt spricht sie nie darüber .
Was könnte es aber anders sein , das eine so fromme Seele beugt und erhebt , als Leiden der Liebe ?
So wie es nur durch die Liebe allein möglich ist , die zweckmäßigste Wohltätigkeit im schönsten Sinn zu verbreiten .
-- Nur von liebenden Frauen , sagte Florentin , müßte alle Wohltätigkeit kommen .
Die Frauen verstehen auch am besten die Bedürfnisse einer schwachen Natur ; der Mann würde die Schwachheit lieber vertilgen von der Erde , als sie im Leiden unterstü Zehn . --
Ei , Sie sagen das einem Arzt ! --
Ja wohl ; eben darum denke ich , können die Frauen vortreffliche Wärterinnen und Verpflegerinnen , weniger aber Arzt sein .
Dieser muß auch die härtesten Mittel nicht scheuen , um das Übel zu verderben ; jene würden aus Mitgefühl des äußeren Leidens nichts entscheidendes tun können .
-- Darin liegt etwas wahres .
Doch sind fromme Stiftungen von unglücklichen Männern errichtet worden . --
Immer werden diese doch mehr das Gepräge des wilden , herben Schmerzens tragen , werden eigentlich mehr für Büßende als für Leidende taugen .
Erinnern Sie sich des Mannes , der den strengsten aller Orden gestiftet !
Auf dem Gipfel der Hoffnung seiner glühenden Liebe von einem vernichtenden Schlage getroffen , indem er die Geliebte tot unter den Händen der Wundärzte antraf , die ihren von einer entsetzlichen Krankheit entstellten Körper öffneten , als er eben von einer Reise zurückkommend , sich durch eine geheime Tür mit Vorsicht und Ungeduld einschlich , um sie mit seiner unerwarteten Erscheinung freudig zu über raschen , verbannt er sich auf immer aus der menschlichen Gesellschaft , und bildet eine um sich her , wo aus keinem Munde je ein anderes Wort erschallt , als die beständige Erinnerung des Todes .
Eine Frau an seiner Stelle würde eine milde Stiftung errichtet haben . --
Ich habe nicht geglaubt , einen so beredten Kenner der weiblichen Natur in dem Manne zu finden , den mir Betty als einen Verächter der Frauen geschildert hat . --
Diese Ironie ist stark ! rief Florentin lachend .
Die Frauen haben freilich im Ernst weder Glück noch Unglück meines Lebens bestimmt .
Hat Betty mir das abgemerkt , so werde ich auch wohl nicht Gnade gefunden haben vor ihren Augen , das ist natürlich .
Ist es aber meine Schuld , wenn es so ist ?
Wären die Frauen alle wohltätige Engel , wie Eleonore und Clementine , sie würden der Menschheit jedes Leiden vergüten , das ihr dummes Vorurteil und selbstsüchtige Eitelkeit zufügen .
-- Sie verlangen etwas unmögliches , diese großen Mittel -- Verstehen Sie mich :
es ist ja nicht das , was geschieht , sondern der Sinn , in dem es geschieht .
Die freudige , glückliche Eleonore macht um sich her alles glücklich .
Sie sammelt die Freuden des Lebens , um sie wieder zu spenden .
Die erhabene , unglückliche Clementine haucht ihren eigenen Schmerz in göttliche Harmonien aus , und fühlt die Schmerzen der anderen tiefer , um Trost und Hilfe zu verleihen .
Die Liebe ist es und nichts als diese , die hier tröstet , wie sie dort vergnügt .
Es scheint die Tugend der weiblichen Langmut immer mit ruhiger Heiterkeit die Folgen des bösen Prinzips unschädlich zu machen ; sich ihm vernichtend entgegen zu stellen ist mehr die unsrige .
Ist unser Bestreben auch größer , so ist ihr Gelingen desto sicherer ! --
Der Doktor hatte Florentin mit großem Vergnügen eigentlich mehr sprechen sehen , als zugehört ; denn so wenig auffallend Florentin gewöhnlich erschien , so wuchs der Ausdruck seiner Gestalt bis zur Schönheit , wenn er im Feuer der Rede sich selbst und alles um sich her zu vergessen schien .
-- Sie sollten uns nicht so bald wieder verlassen , sagte er ; Sie würden vielleicht in unserer Mitte eine Laufbahn finden , die Ihnen genügte , und Ihrer würdig wäre ! --
Das doch noch nicht , antwortete er gelassen ; das darf ich noch nicht .
Zuerst will ich , um es zu dürfen , damit beginnen , daß ich wirklich trotz jeder Lockung das ausführe , was ich mir vorgenommen , und an dessen Ausführung ich schon so viel Zeit gesetzt .
Sie soll nicht so ganz nur verschwendet worden sein .
Sie folgen Ihrem Beruf unter den Augen der erhabenen Clementine , und werden vielleicht doch noch einst dauerndes Glück und Lohn aus ihren bildenden Händen empfangen .
Mir aber ist es notwendig , das in großer Maße arbeiten zu sehen , was ich , seitdem ich denken kann , in mir trage .
Allenthalben , wo man sich befindet , kann man den Krieg für die Freiheit unterstützen und verfechten .
Allenthalben steht man auf dem Schlachtfelde , wo Habsucht und Barbarei herrscht , und so hinge man freilich , wenn auch unsichtbar , mit jener großen Maße zusammen ; wäre es mir nur nicht so notwendig , andere Menschen , einen anderen Weltteil zu sehen , als den , der sich jetzt der kultivierte nennt .
Das Schauspiel eines neuen , sich selbst schaffenden Staats ist mir interessant .
Es häufen sich überdies immer mehr innere und äußere Gründe , warum ich in einer übertäubenden Tätigkeit mich selbst zu vergessen suchen muß . --
Nach diesen Worten wurde er wieder still , und in sich gekehrt .
Bald darauf gingen sie nach dem Haus des Doktors , das wohleingerichtet , zierlich und bequem , am Ufer des Sees , mitten in der Kolonie lag .
Hier zeigte er ihm seine vortreffliche Naturaliensammlung , seine reiche auserlesene Bibliothek , die zugleich einen Schatz an seltenen Karten und Reisebeschreibungen enthielt .
Florentin sprach über diese Dinge mit einer Sachkenntnis , worüber der Arzt erstaunte , da er ihn dergleichen nicht zugetraut haben mochte ; auch nahm er seitdem sichtbar an Achtung für ihn zu .
Er selbst erschien hier bei seinen Heiligtümern im vorteilhaftesten Lichte .
Florentin hatte niemals weniger den Mangel an Witz und überraschenden Einfällen in der Unterhaltung vermißt , als bei diesen wahrhaft verdienstvollen Mann .
Er wurde nicht müde ihn reden zu hören ; auch sprach er immer besser je mehr er Gelegenheit fand , seine tiefe Gelehrsamkeit und die mannigfaltigen gründlichen Kenntnisse anzuwenden .
Seine sonst mehr ruhige Physiognomie wurde dann durch Begeisterung erhöht , besonders bei gewissen , ihm heiligen Dingen .
So sprach er das Wort , Natur , immer mit einer Art von Ehrfurcht aus , so wie man im Tempel sich vor den Namen des Allerhöchsten beugt .
Eine neue Welt ging vor Florentin auf bei seinem Gespräch .
Nie hat er sich mehr belehrt gefühlt , nie hatte er größere Achtung für einen Menschen empfunden .
Nur zu schnell verging ihm der Abend ; es graute ihm , als er daran dachte , in die Stadt zu dem lärmenden Gasthof zurück zu kehren .
Es konnte ihm also nichts erwünschteres begegnen , als da der Doktor ihm anbot , daß er die Nacht in seinem Hause bleiben möchte .
Er nahm das Anerbieten eben so freimütig an , als jener es getan .
[/0357 ] Siebzehntes Kapitel .
Sie waren beim Abendbrot im Garten ; von Juliahnen und Eduard sprachen sie viel .
Florentin verbarg es seinem neuen Freunde nicht , wie sehr ihm beide wert waren .
Der Doktor gab ihm einige Aufschlüsse über das rätselhafte in Eduards Charakter , das so tief in ihm lag , daß man lange Zeit mit ihm umgehen konnte , ohne irgend etwas anderes zu ahnden , als den ausgebildeten Weltmann , der das gefühlvollste Herz mit einem hellen Kopf verbindet .
Niemand ahndet in ihm , fuhr er fort , diesen Abgrund von Unzufriedenheit und gefährlichen Eigensinn ; seine Bildung liegt wie ein Firnis über diese scharfen Ecken , die bei weitem noch nicht durch die der Erfahrung verarbeitet und abgerundet sind .
Auch diese frühe Vermählung lag nicht in Clementines Absicht , und daß sie dennoch geschieht , ist wahrscheinlich mit ein Grund ihrer letzten verstärkten Krankheit .
Sichtbar hat aber der Brief von der Gräfin Eleonore sie beruhigt , denn er sagte ihr , daß es geschehen sei ; niemals bereut oder beklagt sie aber eine Sache , die geschehen ist . --
Er sprach ferner von Juliahnen mit großem Anteil .
Sie ist Clementines geliebtester Liebling , doch glaubte sie neulich , die kleine Therese würde vielleicht Juliahnen einmal übertreffen .
-- Nicht mit Unrecht , sagte Florentin , sie ist in der Tat ein seltenes Kind ; ich habe nie soviel Ernst und Tiefe bei einem Kinde wahrgenommen als bei diesem .
Ob sie aber eigentlich so wunderbar liebenswürdig , so wahrhaft bezaubernd wird als Juliane , kann man wohl noch nicht bestimmen , und auch in dieser liegt noch so vieles in tiefer Verborgenheit .
-- Clementine sagte einmal , Juliane müßte durch das Leben zur Liebe gebildet werden ; aber Therese würde erst durch die Liebe , zum Leben sich ausbilden .
Hier sahen sie Betty , nur von einem Bedienten begleitet , über den See auf einem Kahn zu ihnen kommen .
Sie brachte dem Arzt die Nachricht , daß es mit Clementinen recht gut ginge , sie schliefe ruhig .
Sie wäre herüber gekommen , teils ihm das zu verkündigen , teils auch , da sie gehört Florentin sei bei ihm , diesen zu fragen , ob er den Rittmeister nicht irgendwo gesehen hätte ? --
Er hat diesen Abend im Garten zu sein versprochen , sagte sie , die bestimmte Stunde ist aber längst vorüber und er ist nicht gekommen .
-- Florentin erinnerte sich , daß er , des Versprechens an Betty uneingedenk , die Partie fine mit den anderen jungen Leuten verabredet hatte , wozu er selbst mit eingeladen war ; er schwieg aber davon , und erwiderte bloß , er hätte ihn nicht weiter als bei Tische gesehen .
-- Aber Doktor , rief Betty aus ; lernen Sie doch von Florentin , Fassung zu behalten , wenn man Sie auch stört .
Sie machen ja ein so bedenkliches ungewisses Gesicht , als hätte ich Sie eben bei einer Verleumdung von mir selbst überrascht .
Gestehen Sie nur , Sie haben von mir geschwatzt !
Doch was liegt daran ?
Florentin hat doch nicht recht Acht darauf gegeben , er ist viel zu sehr mit sich selber beschäftigt .
-- Halten Sie mich für so selbstsüchtig , gute Betty ? --
Ei es wäre mir gar nicht angenehm , wenn Sie es nicht wären .
Sie machten dann eine Ausnahme , die Ausnahme müßte ich respektieren , das respektieren macht mir Mühe und die Mühe Langeweile .
-- Nun und Clementine ? -- Stille wer wird einen solchen Namen unnötigerweise aussprechen !
Hier , setzen Sie sich nieder , und erzählen Sie mir ordentlich und bedächtig , wie es am Hochzeitstage auf dem Schlosse war ?
War Eduard liebenswürdig ?
wie sah Juliane aus ? --
Florentin machte ihr eine drollige Beschreibung von Julianens Putze , von dem er natürlich nichts zu bestimmen wußte als den Effekt , worüber Betty sich dann tot lachen wollte , sie behauptete , ihn durchaus nicht zu verstehen .
-- Nun so will ich zeichnen , wenn ich mich mit Worten nicht verständlich machen kann ! --
Er zeichnete darauf eine Karikatur hin , man lachte , und scherzte fröhlich darüber .
Betty war noch lustiger als gewöhnlich ; es schien als wollte sie durch die gewaltsame Anstrengung eine innere Kränkung betäuben und unterdrücken .
Florentin hatte sie nur noch lieber wegen dieser Kraft ; um so mehr haßte er aber den Urheber dieser Kränkung .
Es wurde vorgeschlagen , Florentin sollte ihren Schattenriß machen .
-- Das nicht , sagte er , dies Stumpfnäschen schickt sich schlecht zu einem Schattenriß , aber zeichnen will ich Sie .
-- Sie stellte sich in einer leichten angenehmen Stellung vor ihn hin .
Mit wenigen Strichen war das Figürchen entworfen , im schwebenden Tanz mit beiden Händen ein Tamburin in die Höhe haltend , Gesicht und Haltung , obgleich nur in flüchtigen Umrissen , zum Sprechen ähnlich .
Florentin war ver Florentin. I. 23 genügt mit dem Entwurf , er hatte seiner Hand nicht mehr diese Sicherheit zugetraut .
Er war noch nicht ganz fertig , als auf einmal der Rittmeister dazu kam . --
Sie haben Gesellschaft Herr Doktor , rief er im Hereintreten ; ich begreife nun , warum ich Sie Fräulein , vergeblich gesucht und Sie mein Herr vergeblich erwartet habe ; doch ich hätte es auch wohl erraten können .
-- Sie werden mich entschuldigen sagte Florentin , ich hielt es nicht für ein gegebenes Versprechen ; überdies habe ich den Nachmittag und Abend so angenehm zugebracht --
O das glaube ich gern , unterbrach ihn Walter ; Sie mein Herr Doktor sind immer die Gefälligkeit selbst .
-- Betty war in der schmerzlichsten Verlegenheit ; Florentin und der Doktor waren es ihretwegen nicht weniger .
-- Lassen Sie doch sehen , fuhr Walter fort , indem er näher zum Tisch trat , wo die Zeichnung lag ; Sie haben hier eine Akademie wie ich sehe ; die Künste werden doch immer mehr getrieben in der Welt ! --
Florentin kam ihm zuvor , als jener das Blatt in die Hand nehmen wollte .
Er verdeckte es schnell mit einem anderen Blatt .
Entschuldigen Sie , sagte er kurz und trocken , es ist nicht sertig .
-- Mir können Sie es immer halb fertig zeigen , ich bin gar kein Kenner . --
Um desto weniger Herr Rittmeister ! --
Es ist Fräulein Betty , ihr Porträt das habe ich gesehen !
-- Allerdings ist es das . --
Nun so muß ich Ihnen dann sagen :
ich habe ein Recht dazu es zu fordern . --
Das mag sein , aber ich habe kein Recht es Ihnen zu geben , es gehört dem Fräulein -- Sie werden also entscheiden Fräulein , rief er aufgebracht .
-- In der Tat lieber Walter ... es war ein Scherz ... ich bat darum --
Nun so wird man es doch wenigstens erkaufen können ; was ist Ihr Preis ? fragte er , seine Börse hervorziehend .
-- Florentin antwortete nicht , und legte das Blatt mit Gelassenheit in sein Taschenbuch . --
Es ist nicht für Bezahlung gemacht , lieber Walter , sagte Betty wieder .
-- Es muß doch auf irgend eine Weise wieder in Ihre Hände kommen , denn ( 23 ) 2 weder ich , noch Sie selbst , werden zugeben , daß ihr Bild in der Welt mit auf Abenteuer zieht . --
Herr Rittmeister ! sagte hier der Doktor mit fester Stimme , Sie scheinen zu vergessen , daß Sie hier in meinem Haufen sind ! --
Ich werde diesem ehrwürdigen Hause nicht länger beschwerlich fallen .
-- Hohnlachend , und aufgedunsen von wildem Zorn fuhr er zur Tür hinaus . --
O ihr wißt nicht , was ihr mir tut !
rief Betty voller Angst , und ging ihm nach .
Das ist zu viel ! sagte Florentin . --
Es ist entsetzlich , sagte der Doktor .
So habe ich ihn noch nie gesehen .
Ich vermute beinahe , daß er einen Rausch hatte .
Offenbar legt er es aber besonders auf Sie an .
Sie werden also wohl tun ihm auszuweichen .
-- Ich bin ihm ausgewichen , sagte Florentin ; doch wenn er mich geflissentlich sucht , so soll er mich finden !
Aber wie dauert mich das gute Kind , daß der schönste Moment , die Blüte ihres Daseins unter einem solchen Einfluß verdorr Ren muß !
Kann man sie nicht losmachen ?
Ist es nicht möglich , der Gräfin Clementine Licht über seine Nichtswürdigkeit zu geben ? --
Diese ist ja nichts weniger als im Irrtum über ihn , aber ich glaube Ihnen schon gesagt zu haben , wie sie darüber denkt .
Sie läßt jeden auf seine Gefahr nach seiner Überzeugung handeln , und hält sich durchaus nicht für berechtigt , vermittels ihrer Autorität andere zu bestimmen , nicht durch Vorstellungen , viel_weniger durch irgend ein Zwangsmittel .
Betty ist es bekannt , wie die Gräfin über Walter denkt , da sie sich aber gebunden glaubt , und in der festen Hoffnung lebt , die Liebe würde ihn erziehen , so hält Clementine es für einen Wink der Vorsehung , für ein unabänderliches Verhängnis , dem sie sich nur sträflicherweise , und dennoch ohne Nutzen entgegen setzen würde .
-- Glaubt Clementine nur an eine göttliche Vorsehung , und nicht zugleich auch an die vernichtende Einwirkung des Teufels , so hat sie doch nur eine hal bei Religion , das sollten sie ihr einmal sagen .
Unbegreiflich bleibt immer die verhaßte Schwäche ( denn lassen Sie es uns ja nicht Liebe nennen ) vieler , ja sogar ausgezeichneten Frauen , für Menschen , die ihnen in jeder Rücksicht untergeordnet sind ; es ist hier nicht das erstemal , daß ich einen liebenswerten , achtungswürdigen Mann gegen einen Wicht habe zurücksetzen sehen .
Sollte nicht etwa die Täuschung dabei zum Grunde liegen , daß die Achtung , die sie für jenen zu haben sich gezwungen fühlen , ihre Oberherrschaft zweifelhaft macht ? oder daß sie die Würde der Liebe nicht verstehen , und sich ihrer als eine Schwäche vor dem Manne schämen , den sie einer gleichen Schwäche für unfähig halten ? -- Nichts davon !
Keinen anderen Grund kann es in diesem liebereichen , unbefangenen Herzen geben , als unbestechliche Treue , die der Hingebung folgt .
Der Verführer verstand es , ihre Sinne gefangen zu nehmen ; sie ahndet nicht die Möglichkeit , wie dieses hätte geschehen können , wenn sie ihn nicht liebte .
Sie ist unschuldig trotz ihrer Schuld , und ihre Treue höchst achtungswert ! --
Lernt sie aber nicht endlich diesen Irrtum verachten , und erkennt die Liebe ; tritt an die Stelle der blühenden Unbefangenheit nicht die Reife der Achtung vor sich selber , die eine liebende Frau nur in der Liebe für einen hochverehrten Mann findet , so waren es dennoch taube Blüten , oder ein giftiger Tau hat die edle getötet .
Und darum ist es Eure Pflicht , sie , wenn auch unter tausend Schmerzen , vom Verderben zurückzuführen .
Und nun sagen Sie mir noch , wie kann Clementine , nach allem was ich von ihr gehört habe , in der großen Welt leben ? --
Schon seit mehreren Jahren lebt sie auch wirklich nicht in der großen Welt .
Sie geht nie in Gesellschaften ; schon ihre fortdauernde Kränklichkeit leiht ihr einen Vorwand sich davon auszuschließen ; doch ist ihr Haus immer der guten Gesellschaft offen , auch Fremde besuchen sie ; der feine zwanglose Ton , der in ihrem Hause herrscht , macht , daß es von allen gesucht wird .
Die Unterhaltung der Gräfin ist leicht , und geistreich , durch diese allein ahndet man in der Gesellschaft die Frau von außerordentlichen Gaben .
So oft sich Gelegenheit zeigt , gibt sie Konzerte und Bälle , wo sich immer eine Menge junger Leute einfinden , deren Vergnügen durch nichts , was die ernste Stimmung der Wirtin verraten könnte , gestört wird .
Sie zieht sich freilich immer sehr bald in ihr einsames Zimmer zurück , aber ohne im geringsten die Lust zu unterbrechen , so wie sie niemals irgend eine Art von Aufsehen ihretwegen erlaubt . --
Ich denke mir , wie oft diese Güte mag mißbraucht worden sein , in der Welt ! --
Dem ist es auch wohl nur allein zuzuschreiben , daß der Zutritt zu ihr so erschwert worden ist , obgleich sie auf keine Weise argwöhnender wurde durch den wiederholten Betrug .
Die Not der Hilfe suchenden wird jederzeit von ihr selbst geprüft .
Dies Geschäft überträgt sie niemals irgend einem anderen ; kann sie nicht selbst prüfen , so hilft sie ohne Untersuchung .
Übrigens lebt sie immer allein , obgleich fast stets von Menschen umgeben ; auch wüßte ich nicht , daß sie eine Freundin hätte , der sie sich mitteilt , außer Eleonore .
Da der erste Eindruck gewöhnlich für sie entscheidend auf das ganze Leben bleibt , und sie wohl erfahren haben muß , daß kein Räsonnement und keine Vernunft stark genug ist , diesen jemals bei ihr zu vertilgen , so macht sie so selten als möglich neue Bekanntschaften , und hütet sich gleichsam vor jedem neuen Eindruck .
Sie können es als einen ganz besonderen Vorzug ansehen , daß sie Sie zu sprechen wünscht .
-- Sie sprachen nun noch manches über Eduard und Juliane so wohl als über Betty .
Was Florentin an diesem Tage über den verworrenen Zusammenhäng ihres Betragens so unzusammenhängend gehört und gesehen hatte , ging ihm wild durch einander im Kopfe herum . --
Dies sind also , rief er aus , die zarten Verwirrungen der feinen Verhältnisse und der tugendhaften Mißverhältnisse der gebildetsten Welt !
O alle Ihr Vortrefflichen , Auserkorenen , ihr wißt doch mit euren angestrengtesten Kräften nichts anders zu tun , als die zahllosen Plagen zu erleichtern , die ihr euch selbst einander zufügt !
Unter meiner plumpen Hand aber zerrisse dies künstlich gefügte Gebäude , dessen Türme sich prahlend in die Wolken heben , während sein Fuß im Treibsande wankt .
Möchte es mir nur einst gelingen mir eine niedere , feste Hütte zu erbauen , die Sturm und Wogen trotzt , und auch dem Rütteln meiner eigenen mutwilligen Hand widersteht !
-- Und wo , fragte der Doktor lächelnd , suchen Sie Boden zu diesem Wunderhüttchen ?
-- Gewiß nicht hier , nicht von den wurmzernagten Splittern der seinen Welt gedenke ich es mir zusammen zu betteln -- Ruhig lieber Florentin , wer gedenkt sie Ihnen aufzudringen ?
Die feinere Ausbildung läßt sich mit jenem geheimnisvollen Berg vergleichen , von dem die Dichter unter dem Namen Venusberg viel wun Derbares erzählen .
Berauscht von einer süßtönenden Harmonie , sagen sie , wird man hinein gezogen ; wer am Eingange stehen bleibt , ahndet nichts als Schrecknisse in der Verworrenheit , die sein Blick nicht zu durchdringen vermag ; wer aber unerschrocken vordringt , der findet ewige Freuden ; und wer sich voll Ungeduld wieder hinauszusehnen vermag , findet doch sonst nirgend Ruhe , und unaufhaltsam zieht der Zauber ihn wieder zurück .
-- Nun mir scheint dieser Zauber doch in nichts zu liegen , als im Hochmut sich so gern etwas gar großes zu dünken .
Dies ist der Rausch , der ihre Sinne gefangen hält , daß sie in die schwindelnde Tiefe wieder zurück müssen , und in der freien Welt sich nicht zu finden wissen , wo jeder gleicher Rechte sich erfreut , und niemand sich über den anderen erheben darf . --
Nun sehen Sie , so ist es doch nur anders maskierter Hochmut , der es Ihnen so verleidet , unter den Emporstrebenden zu existieren . --
O guter Gott , es mag wohl sein , nichts ist ansteckender als das Böse !
Doch soll es mir wohl noch gelingen , die schlechten Gewohnheiten wieder abzustreifen . --
Ich sehe , es ist heute nichts mehr mit Ihnen anzufangen , Sie sind bitter . --
Das doch nicht !
Wo ist der Tor , der auf ein sicheres , dauerndes Lebensglück rechnet ?
Aber lassen Sie es mich Ihnen gestehen :
Betty es Schicksal , und das Ihrige , das ich so deutlich vor mir sehe , das von Eduard und Juliane , was ich nur ahne , es hat mich verwirrt und betrübt .
Aus welchen losen Fäden ist der Traum eures Glücks gesponnen ! --
Es lebt dafür in unserer Seele etwas , das , dem ungebildeten Menschen fremd , uns über jeden Glückswechsel erhebt ! --
Nein , Siegen oder Untergehen ! rief Florentin aus , als er allein war . --
Und doch hatte die freudige Gelassenheit , mit der der Doktor die letzten Worte gesprochen , etwas in ihm erregt , das ihn nachdenklich machte .
Am Ende blieb er aber freilich dennoch überzeugt : daß er seinem jetzigen Plane folgen müsse ; daß es für ihn keine andere Tätigkeit gebe , als in einem neuen Leben das zu vergessen , was ihn im alten gequält hatte .
Jene Ahnung war auch noch nicht aus seinem Herzen geflohen :
er müsse in der Welt einen Aufschluß über seine Bestimmung und seine Geburt aufsuchen .
Den anderen Tag , während der Doktor seine Geschäfte in der Stadt verrichtete , war Florentin allein zurück geblieben , weil er ohne Not nicht gern dort verweilen mochte .
Der Doktor schickte ihm sein Pferd und seine übrigen Sachen aus dem Gasthof , und kam zum Mittagsessen selbst wieder zu ihm hinaus . --
Er erzählte ihm : Walter habe den Morgen schon einigemal im Gasthofe nach ihm fragen lassen ; ... was wird er wollen ?
-- Vielleicht eine Ausforderung , sagte Florentin .
-- Leicht möglich , daß er sich von Ihnen beleidigt hält !
-- Sie sehen , sagte Florentin , indem er auf seinen Degen zeigte , ich habe eine Vorbedeutung gehabt .
-- Die Uniform ist überhaupt gar nicht übel ; gewisse Menschen haben Nespect vor einer Uniform , weil diese das einzige ist , wodurch sie selbst sich Respekt zu schaffen wissen .
Während sie noch am Tisch saßen , kam folgendes Billet :
" Florentin wird es nicht vergessen ha " ben , daß er zur Musik abgeholt wird .
" Die Tante freut sich sehr , ihn diesen " Abend zu sehen .
Bereiten Sie ihn " darauf vor , lieber Freund , daß er Wal " teeren hier finden wird , und bitten Sie " ihn in meinem Namen , des gestrigen " fatalen Auftritts nicht weiter zu geden " ken .
Es war ein Mißverständnis .
Wal " ter hat seinen Irrtum eingesehen , und " es wird nur auf Florentin ankommen , " daß uns der Abend Friede und Freude " bringt . "
Betty .
Es war also eine Aussöhnung ! sagte Florentin . --
Ich traue dem nicht so ganz , sagte der Doktor ; wegen einer Aussöhnung hätte er sicherlich nicht so oft nach Ihnen fragen lassen . --
Ich wollte nur , Betty wäre nicht dabei zu schonen , mir ist er im innersten Herzen fatal .
-- Lassen wir ihn jetzt .
Die Gräfin ist heiter und sehr wohl ; ich mußte ihr viel von Ihnen erzählen , sie hörte jedes Wort mit ganz besonderem Interesse an .
Es sind auch Briefe vom Schloß diesen Morgen gekommen .
Juliane und Eduard befehlen Ihnen ja hier zu bleiben , bis sie herkommen .
-- Wollen sie kommen ? wann ? --
Vielleicht noch heute , in den nächsten Tagen aber gewiß .
[/0376 ] Achtzehntes Kapitel .
Am Eingange des Hauses wurde Florentin nach einem Seitenflügel gewiesen .
Er trat in einen hochgewölbten Gang ; zwischen den Säulen gingen mehrere Personen still hinauf , nach dem Ende des Ganges , wo sich eine große Flügeltüre öffnete .
Es war alles feierlich ernst ; die Schritte hallten von dem Boden wieder ; die Idee eines Wohnhauses war verschwunden , es war der Eingang zum Tempel .
Jetzt öffneten sich die Flügeltüren für ihn , ein hoher Dom empfing ihn .
Er hörte noch die letzten Worte der Messe , die Versammlung erhob sich von ihren Knien , einige Einzelne verweilten noch in tiefer Andacht .
Der Orgel gegenüber befand sich ein Mol nument .
Florentin ging näher hinzu , um es zu betrachten .
Auf einem Sarkophag ruhte ein Genius in Gestalt eines Kindes , die Fackel entsank verlöschend seiner Hand ; es war nicht gewiß , ob er tot oder schlafend abgebildet war .
Auf den Seiten des Sarkophags zeigten sich in halberhobener Arbeit die Hören , die trauernd , mit verhülltem Angesicht , eine nach der anderen hinschlichen ; über dem Monument befand sich das Gemälde der heiligen Cäcilia , der Beschützerin der Tonkunst und Erfinderin der Orgel .
Florentin erschrak fast , als er seine Augen zu dem Bilde aufhob ; es war die göttliche Muse , die in lichter , freudenreicher Glorie des großen Gedankens , über Tod und Trauer siegend schwebte .
Das Gemälde jener heiligen Anna , das ihn , als er es zuerst gesehen , so ergriffen hatte , war nur ein schwacher Abglanz dieser Herrlichkeit .
Im Anschauen verloren , vergaß er es völlig , daß es Clementines Porträt sei , von dem er schon so viel gehört hatte .
Nichts was Florentin. I. 24 an Menschen und Menschenwerk erinnert , war seiner Seele dabei gegenwärtig , nie hatte er die Göttlichkeit der Musik so verstanden , als vor diesem Angesicht .
Die Sonne warf im Untersinken noch einen blendenden Strahl durch die hohen Fenster , die weißen Kerzen schimmerten blaß hindurch , alle Gegenstände lenchteten auf eine seltsame Weise , und bewegten sich wie Geister .
Der Strahl fiel gerade auf das Gesicht der heiligen Cäcilia ; Farben und Züge waren verschwunden , es war nur ein blendender Glanz ; Florentin hätte in die Knie sinken mögen vor dieser Herrlichkeit .
-- Die Betenden standen auf ; zuletzt erhob sich langsam von den Stufen des Altars die Gräfin Clementine .
Es war eine edle schlanke Gestalt , etwas über die gewöhnliche Größe .
Ein schwarzes glänzendes Kleid floß in reichen Falten bis zu ihren Füßen herab , und bedeckte die Arme bis zur weißen , feinen Hand .
Auf der linken Seite trug sie ein Kreuz von Diamanten ; ein langer schwarzer Schleier verhüllte Kopf und Haare , so daß man nur die erhabene Haltung wahrnehmen konnte , auch das Gesicht war ganz davon verdeckt ; in der einen Hand , die sich auf Betty stützte , hielt sie ein weißes Tuch , die andere trug herabhängend eine Rolle .
So wankte sie , sichtbar ermattet , vor Florentin vorüber , ohne ihn wahrzunehmen , ihre Augen blieben fest am Boden geheftet .
Neben dem Monument war ein halbvergitterter Sitz _ dort setzte sie sich ; Betty und einige junge Mädchen , die ihr gefolgt waren , bemühten sich geschäftig um sie her ; diese entfernten sich , und Clementine blieb allein .
Sie hatte ihren Schleier aufgeschlagen , und sah die Blätter durch , die nun aufgerollt vor ihr lagen .
Ihr Gesicht zeigte mehr als Reste ehmallger erhabener Schönheit ; die Züge standen im reinsten , edelsten Verhältnis , aber eine Marmorblässe bedeckte sie .
Waren ihre Augen unter den schöngewölbten Liedern gesenkt , so schien sie mit der leuchtenden Stirn , den bleichen , mit den Spuren des Grams nur leicht gezeichneten Wangen , und den feinen , fest geschloßenen , farblosen Lippen , nicht ( 24 ) _ mehr dem Leben dieser Erde zu gehören .
Aus diesen Zügen schien das Leben entwichen und ganz nach den großen Augen entflohen zu sein , die in ihrem schwarzen nächtlichen Glanze , wenn sie sie langsam erhob , wie einsame Sterne durch den umwölkten Himmel funkelten .
Florentin konnte die seinigen nicht von ihr abwenden , sie bemerkte ihn aber nicht , war auch überhaupt bloß mit den Blättern beschäftigt und sah sich nach niemand um .
Indem er sie aber immer schärfer ansah , dünkten ihm ihre Züge je länger je mehr bekannt .
Die Szenen seiner Kindheit wurden wieder lebendig vor ihm ; die Erinnerung an Manfredi drängte sich ihm besonders wieder auf , und alle Begebenheiten jener Zeit .
Nach einer kurzen feierlichen Stille erschollen wie vom Himmel nieder die Stimmen der unsichtbaren Sänger !
Begleitet von den Tönen der allmächtigen Orgel , schwoll der Gesang des heiligen Chorals in tief ausströmenden Akzenten , wälzte sich an der hohen Kuppel hinauf , und zog die Andacht des tiefsten Herzens wie in einer Weihrauchsäule mit sich zum Himmel auf .
Wie zum ersten Male hörte Florentin diese himmlische Musik wieder , die er in seiner Jugend so oft gehört zu haben sich erinnerte .
Niemals hatte er aber sich so davon durchdrungen gefühlt als jetzt .
Er wußte nicht , wurde sie hier vollkommener noch ausgeführt , oder war sein Gemüt empfänglicher dafür geworden ?
Der schwebende Nachhall des Chorals erstarb in einen leisen Hauch ; da erscholl die Posaune durch Herz und Gebein rufend , und nun begonnen die Chöre bald abwechselnd sich einander antwortend , bald vereinigt vom Aufruf einer einzelnen Stimme geweckt , zur mächtigen , alles mit sich fortreissenden Fuge anzuwachsen , bis Himmel und Erde in den ewigen , immer lauter werdenden Wirbel mit einzustimmen schienen , und alles wankte und bebte und zusammen zu stürzen drohte .
Die Brust des Knaben auf dem Sarkophag schien sich vom gewaltigen Gesange zu heben ; staunend erwartete Florentin , er würde sich aufrichten und seine Stimme mit einmischen in die Stimme der ganzen Welt für die Ruhe der Seelen , und mit der heiligen Cäcilia , die ihre Lippen zu off einen schien , beten für die Erlösung der Büßenden .
Clementine war wie in Entzückung gehoben ; ihre Augen ruhten entweder auf der Rolle , die sie rasch umblätterte , oder sie wendete sie glänzend freudig in die Gegend , wo die Stimmen der Sänger herabkamen ; dann ruhte sie wieder wie verloren in sich selbst , sanfte Tränen gleiteten langsam über das heilige Gesicht herab , die sie weder zu hemmen noch zu verbergen bedacht war .
Florentin war aus der Menge ihr gegenüber getreten , um sie genau mit der heiligen Cäcilia vergleichen zu können , zu der sie in ihrer Begeisterung ein wahrhaftes Urbild war .
Die Musik war beinahe zu Ende ; zu Anfang des herrlichen sanft aushauchenden Schlußchors kam Betty wieder zu Clementinen , die ihr einige freundliche Worte sagte .
Betty sah sich hierauf in der Versammlung umher ; da sie Florentin erblickte , grüßte sie ihn freundlich .
Clementine schien sie etwas zu fragen , worauf jene eine bezeichnende Bewegung mit der Hand machte , gegen Florentin .
Clementine stand auf und suchte ihn mit den Augen ; zufällig wichen einige vor ihm stehende zurück , so daß er deutlich vor ihr stand .
Einige Augenblicke blieb sie , weit hervor sich beugend , in derselben Stellung , ihre Augen fest mit sichtbarem Erstaunen auf ihn geheftet ; eine schnelle Röte überflog den Marmor ihres Gesichts , dann erblaßte sie wieder , ihre Augen schlossen sich , und sie sank ohnmächtig zurück .
Betty faßte sie in ihre Arme , einige andere eitten ihr zur Hilfe , sie wurde hinaus getragen , Betty folgte .
Bald darauf war auch die Musik geendigt , deren Schluß Florentin nicht vernommen hatte .
Betäubt eilte er hinaus und in den Garten .
Der Abend senkte sich dämmernd nieder .
Der große Garten war voller Menschen .
Fröhliches Lachen und muntere Gespräche ertönten von allen Seiten .
Auf dem Rasen tummelten sich liebliche Kinder ; hier saß eine Gruppe , die zu einer Gitarre sang ; dort waren andere um eine Flasche Wein versammelt .
Auf den versteckteren Plätzen im dichteren Gebüsch wandeln liebende Paare in süßer Vertraulichkeit ; der ganze Garten war ein fröhliches liebliches Bild eines Kummerfreien vergnügten Lebens , für jedes Alter und jedes Gemüt .
In einer anderen Stimmung wäre Florentin dieser Anblick höchst erquickend gewesen ; jetzt suchte er aber einen einsamen Ort , um sich zu sammeln ; er war unruhig und zerstreut .
-- Warum , dachte er , warum ist diese Clementine und alles was sie umgibt , gerade mir wie eine Erscheinung , da sie doch unter den übrigen Menschen wie eine längst bekannte Mitbürgerin wandelt ? warum wird jede ferne Erinnerung wieder wach in mir ?
was tut sich die Vergangenheit , dies längst verdeckte Grab , gegen mich auf ? warum kann ich nicht mit den anderen des gegenwärtigen Augenblicks froh werden ? --
Er suchte endlich dem Eindrucke der Musik die Unruhe zuzuschreiben , die immer noch in seiner Seele widerhallte .
Aus dem geöffneten Gartensaal kam ihm der Doktor entgegen .
-- Die Gräfin ist erst jetzt wieder zu sich selbst gekommen , sagte er , und ist noch sehr ermattet .
Die Anstrengung war zu groß für sie .
Da ihr jede Bewegung und auch das Sprechen untersagt ist , so hat sie mir aufgetragen , sie bei Ihnen zu entschuldigen , daß sie nicht zur Gesellschaft herunter kommt ; sie ist heute nicht im Stande , Sie zu sehen , sie hofft , Sie würden noch einige Tage länger hier verweilen .
-- Hier kamen Betty , der Rittmeister und noch einige andere zu ihnen .
Der Doktor entfernte sich , die Gräfin hatte ihn zu sprechen verlangt .
Dem Rittmeister schien sein Versprechen , sich gesitteter gegen Florentin zu betragen , entweder zu reuen , oder unmöglich zu halten , er war widerwärtiger als jemals gegen ihn .
Während Betty zu erwarten schien , daß es zwischen ihnen zu einem Gespräch kommen sollte , fing der Rittmeister an in seiner gewöhnlichen Manier Florentin um seine Uniform zu befragen ; dieser antwortete kurz ab , mit sichtbarer Verachtung .
Endlich stand Walter auf und ging mit den anderen in eine Ecke des Saals , wo er auf eine beleidigende Weise bald halb laut mit ihnen flüsterte , dann überlaut lachte .
Die arme Betty war wie auf Kohlen . --
Ich kenne Sie heute gar nicht , sagte sie leise zu Flo Renten , wie zeigen Sie sich so widerspenstig ? --
Das nicht , sagte er , aber auf der Folter bin ich ; dieser Walter und ich sind notwendig Feinde .
Auch weiß ich selbst nicht , wie ich verstimmt bin ; erst die Musik -- Sie scheint Ihnen also keinen angenehmen Eindruck gemacht zu haben ? fragte sie , ihn laut unterbrechend .
-- Sie mißverstehen mich , Betty ! --
Er suchte die unangenehme , drückende Gegenwart der übrigen zu vergessen , und erzählte ihr ganz so , wie er es fühlte , und als ob er allein von ihr gehört würde , den Eindruck , den die erhabene Musik auf ihn gemacht hatte . --
Fragen Sie mich um keine einzelne Stelle , fuhr er fort , deren entsinne ich mich keiner einzigen ; aber mein Gemüt war gelöst von allem Kummer dieses Lebens .
Wie auf Engelschwingen fühlte ich mich durch die allmächtigen Töne der Erde entnommen und sah eine neue Welt sich vor meinen Augen auftun .
-- Walter kam hier wieder zu ihnen und störte die Unterredung und Florentins Begeisterung .
Man sprach von anderen Dingen , und zuletzt vom Monument in der Kapelle .
Florentin erkun Dichte sich nach der Veranlassung .
-- Die Tante , sagte Betty , hat es , so viel ich weiß , nach ihrer Angabe für sich verfertigen lassen , das ist aber schon sehr lange her , vielleicht noch ehe ich geboren wurde .
Es ist ihr heilig , eine nähere Veranlassung hat sie aber keinem von uns mitgeteilt .
-- Schade nur , rief der Rittmeister , daß die ganze Stadt von dem heiligen Geheimnis sehr wohl unterrichtet ist . --
Ich weiß nicht , was Sie damit sagen wollen ? sagte Betty schüchtern .
-- Wie sollten Sie das wissen können , Liebe ? erwiderte er ; es ist ja auch schon , wie Sie selber bemerkten , eine sehr alte Geschichte .
-- Betty schien aufgebracht und verlegen wegen dieser Ausfälle .
-- Sie ist gerettet , dachte Florentin , wenn sie erst zum deutlichen Gefühl , sich seiner zu schämen , zu bringen ist ! --
Er fragte nun absichtlich nach manchen Dingen , die sie interessieren mußten und ließ sich geduldig vom Rittmeister , durch boshafte , witzig sein sollende Anmerkungen , hämische Verdrehungen und unmäßiges Lachen unterbrechen .
Ihm war es recht , je mehr jener sich selbst herabsetzte .
Betty sprang endlich ungeduldig auf , nahm Florentin am Arm , und lief nach den Garten hinaus ; die übrigen folgten , Walter mit sichtbarem Grimm .
Es war stiller in dem Garten geworden , nur einzelne Personen wandelten in der Entfernung in den hohen Gängen , bis auch diese sich allmählich verloren .
Sie stiegen eine Terrasse hinauf , die mit hohen Bäumen besetzt war , und dem Hause gegenüber den Garten am Ufer des Sees begrenzten .
In der Mitte der Terrasse stand ein kleiner runder Tempel auf weißen Marmorsäulen mit Rosen- und Jasminbüschen umgeben .
Von hier hatte man die freie Aussicht über den jenseits liegenden , bekannten See , mit seinem Kranz von wohltätigen Pflanzungen .
Darüber hinaus ging der Blick in weite Ferne , bis dunkel am Horizont das bläuliche Gebirge ihn begrenzte .
Der Mond stieg eben herauf , und schien eine hochrote verzehrende Flamme durch die fernen Dünste , bis er sich plötzlich völlig hinauf geschwungen hatte , und rein und silberhell seine Bahn betrat .
Tief im Herzen wurde nun Florentin die Gegenwart der rohen Gesellen zuwider .
Anfangs war er zwar Willens gewesen , sich mit ihnen zu belustigen , aber er war es nicht im Stande .
Im Freien , in einer schönen Gegend , dünkten ihm verhaßte Personen noch verhaßter als im Zimmer . --
Er erkundigte sich bei Betty , ob der Garten immer , so wie heute , für jedermann frei wäre ? --
Immer , sagte sie ; hier ist der beliebteste , besuchteste Spaziergang der Einwohner , und der liebste Spielplatz der Kinder .
Man kommt und geht , wenn man will , und jeder genießt der unumschränktesten Freiheit .
-- Einer von den Begleitern bezeigte seine Verwunderung , daß die Gräfin weder Beschädigung noch Unordnung befürchte bei dieser allgemeinen Freiheit .
-- Mißbrauch der Freiheit , sagt die Tante , ist bei weitem nicht so sehr zu befürchten , als Schadloshaltung für den Zwang !
Sei es nun dies oder die allgemeine Achtung und Liebe für sie , kurz es ist noch niemals etwas verdrießliches vorgefallen , so viel ich weiß . --
Es kommt darauf an , fuhr Walter wieder dazwischen , was man so dafür annehmen Florentin I. 25 will oder nicht , gegen gewisse Dinge dieser Art ist man auch ziemlich nachsichtsvoll . --
Ist denn , fing Florentin wieder an , der Gräfin die Menge niemals lästig ? sehnt sie sich niemals nach einer einsamen Stille ?
Im Garten , dächte ich , müßte man diese gern suchen .
-- Nein , sie liebt es , gerade hier viel fröhliche Menschen zu sehen und zu begegnen .
Recht einsam , sagt sie , bin ich doch nur in meinem Zimmer ; die Häuser sind ursprünglich erfunden , sich von den anderen abzusondern .
Was mich im Freien umgibt , was ich dort sehe und empfinde , läßt mich von selbst nicht einsam sein .
Der Aufenthalt im Freien , sagte sie auch einmal , hätte für sie eine gewisse Zauberkraft ; die Geliebten stehen ihr hier näher und die Beschwerlichen entfernter .
-- Das heißt , unterbrach sie der Rittmeister : die alte Dame braucht Gesellschaft .
Sie selber hat weder zu verlieren noch zu fürchten , wenn der Garten von Menschen allerlei Art wimmelt , und für die jungen Damen im Gefolge ist es sehr erwünscht . --
O Walter !
Sie wissen nicht was Sie sprechen , rief Betty aus . --
O Betty ! rief er , sie Pa rotierend , Sie werden nie die Augen öffnen ! --
Betty verbarg ihre hervorströmenden Tränen in ihrem Tuche ; und schluchzte endlich laut , da er nicht aufhörte , sie zu ärgern .
Florentin wurde dies zu viel , er verwies ihm mit Mäßigung sein Betragen ; Walter aber , der es nur zu erwarten geschienen , daß dieser sich mit einmischen sollte , fragte ihn mit trotzigem Hohn :
Ob die irrende Ritterschaft wieder erstanden sei , den beleidigten Jungfrauen Schutz zu gewähren ? --
So kam es zu beleidigenden Reden und Antworten hin und her , denn Florentin hielt sich länger nicht .
Bis zur Wut gereizt zog Walter den Degen , und rief jenem zu , sich zu verteidigen .
Betty schrie laut auf vor Entsetzen .
-- Nicht hier , Herr Rittmeister , sagte Florentin ; Sie vergessen , was Sie diesem Orte schuldig sind !
Kommen Sie , Fräulein , ich führe Sie nach dem Hause ; Sie , Herr Rittmeister , erwarten morgen früh Nachricht von mir . --
Nicht hier von der Stelle , feiger Schurke ! rief der tolle Walter , nicht von der Stelle !
ich lasse hier mein Leben , oder -- Den anderen , die ihn zurück zu hal ( 25 ) 2 ten suchten , befahl er drohend , sich ruhig zu verhalten , und so drang er voll Wut auf Florentin ein , dieser mußte sich zur Wehr setzen .
Nach einigen Gängen , da Walter trotz seiner überlegenen Stärke , im Nachteil gegen Florentins Gewandtheit kam , der sich geschickt und gelassen bloß verteidigte , führte er mit hämischer Wut einen Streiche gegen das Gesicht seines Gegners , der , wenn er ihm gelungen wäre , ihn aufs Leben unglücklich gemacht hätte . --
Bube ! rief Florentin , dem die boshafte Absicht nicht entging ; und im Moment hatte er durch eine kühne , geschickte Wendung ihm den Degen aus der Hand gewunden und in Stücken gebrochen zu seinen Füßen geworfen .
Betty war , sobald der Kampf begann , nach dem Hause zurück mehr geflogen als gelaufen , unaufhörlich nach Hilfe rufend .
Durch den Garten kam sie , ohne jemand zu begegnen ; die Bediente , die sie unten im Hause fand , liefen sogleich , ohne zu wissen , was sich zutrüge , ihrer Bezeichnung nach , in den Garten .
Unaufgehalten flog sie die Treppe hinauf , und stürzte , immer noch nach Hilfe rufend , bleich , atemlos , mit herunterhängenden Haaren , in Clementines Zimmer , die eben eingeschlummert war .
Der Doktor saß lesend in einer Ecke des Zimmers .
Clementine fuhr erschrocken auf , der Doktor eilte herzu , Betty sank ohnmächtig an Clementines Ruhbett nieder . --
Im Tempel ... im Garten ... -- rief sie , als sie wieder zu sich kam , mehr brachte man nicht von ihr heraus , ihre Sinne waren wie verwirrt vom Entsetzen .
-- Eilen Sie hin , lieber Freund , sagte Clementine ; sehen Sie selbst nach , was dem unbesonnenen Kinde widerfahren sein mag .
-- Walter ...
Florentin ... -- rief Betty wieder , noch außer Atem . --
Um des Himmels Willen , rief Clementine , eilen Sie , eilen Sie . --
Man hatte in der Verwirrung nicht darauf geachtet , daß ein Wagen rasselnd vorgefahren , und ein blasender Postillon gehört wurde .
Jetzt öffnete sich die Türe ; Juliane und Eduard traten herein .
-- Was ist hier ? um Gottes Willen ! rief Juliane , indem sie bei Clementine niederkniete . --
Warum haben wir niemand im Hause gefunden ? rief Eduard , was geht hier vor ? welche Verwirrung ! --
Der Doktor wiederholte ihnen Bettys Ausruf .
-- Walter haben wir hier nicht weit vom Hause stehen , und mit einigen anderen heftig sprechen hören ; ich irre nicht , es war Walter .
-- So ist er nicht tot ? rief Betty . --
Tod ?
Wie das ? --
Und Florentin ? fragte Clementine . --
Ist Florentin noch hier ? rief Eduard wieder .
Mein Kind !
mein gutes Mädchen ! sagte Clementine , und küßte die sich fest an sie schmiegende Juliane .
Müßt ihr , meine Lieben , gerade jetzt erscheinen -- O , lieber Doktor , unterbrach Betty sie mit Ungeduld , es kommt noch niemand zurück , wollen Sie nicht in den Garten gehen ? auf der Terrasse .
-- Er ging , die anderen drangen in Betty , den Vorfall zu erzählen . --
Es gab ein Gefecht zwischen den beiden , auf das übrige muß ich mich erst besinnen , jetzt weiß ich nichts , gar nichts .
-- Sie kniete neben Juliane vor Clementine nieder , und weinte über ihre dargebotene Hand .
-- Fasse dich nur , du heftiges Kind , sagte Clementine beruhigend , gehe jetzt auf dein Zimmer , und versuche es , etwas ruhiger zu werden -- O nein , Tante , schicken Sie mich nicht fort , ich kann nicht allein bleiben , ich fürchte mich --
Die Bedienten kamen hier zurück , die zuerst auf Betty's ängstliches Hülferufen in den Garten geeilt waren .
Sie hatten den ganzen Garten durchsucht und niemand gefunden , es war alles ruhig . --
So können wir es ja auch wohl sein fürs erste , sagte Clementine , es wird sich alles aufklären .
Und nun , meine teuren Gäste , sagt mir , wie kommt Ihr so unerwartet , und doch so längst erwartet ? --
Wir gedachten Sie eigentlich auf eine ganz andere Art zu überraschen , als es uns gelungen ist , sagte Juliane .
Wir wollten noch zur Musik hier sein , wollten uns unbemerkt unter die Zuhörer mischen , um zu sehen , ob Sie uns heraus finden würden .
Es zerbrach aber etwas an unserem Wagen , wir mußten uns einige Stunden aufhalten , die Freude war verdorben , und beim Eintritt fanden wir uus mehr überrascht , als Sie selbst .
Aber , liebe Tante , wir kommen auch eigentlich mit darum , um die Eltern und die Kinder zu melden , sie werden ge wiß in wenigen Stunden hier sein . --
So müßt ihr mich jetzt verlassen , Ihr Lieben , ich muß nun zu ruhen suchen , um auf die Freude des morgenden Tages gestärkt zu sein . --
Erst Ihren Segen , Tante , ehe wir Sie verlassen !
Segen für uns ! --
Gott segne meine lieben Kinder ! mögt Ihr nie die Leiden der Liebe erfahren !
Gott segne Euch ! --
Eduard war über ihre Hand gebeugt , Juliane hob ihre Augen zum Himmel , um Erfüllung des segnenden Wunsches zu erflehen ; Betty weinte , ihr Gesicht mit beiden Händen verdeckend .
Eduard ging dem Doktor im Garten nach ; da sie nun daselbst alles still fanden , so gingen sie von der anderen Seite der Terrasse am See hinunter , und suchten an dem bestimmten Ort den Kahn , der zur Überfahrt immer bereit war ; da sie ihn aber nicht fanden , vermuteten sie sogleich , daß Florentin sich nach dem Hause des Doktors übergesetzt hätte .
Sie eilten zurück , ließen anspannen , und fuhren hinaus .
Florentin war nirgends zu finden .

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TextGrid Repository (2025). Schlegel, Dorothea von. Florentin. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0pw.0