Erstes Buch .
Klugheit und Irrtum Erstes Kapitel Erstes Kapitel An einem deutschen Sommertage , wo Gußregen und schwüler Sonnenblick wechselten , und das Gefilde zu öfterem halb unter grauen Wolken , halb unter glühendem Lichte lag , gingen mehrere Männer suchend durch die Heide .
" Sie muß sich in die Erde verkrochen haben " , sagte der eine , " wir haben doch nirgends eine Spur von ihr gefunden . "
" Wenn nur die Alte , die ihr hat wahrsagen müssen , uns nicht angeführt hat " , versetzte ein anderer .
" Sie schickt uns vielleicht nach einer falschen Gegend , und hält das Kind unterdessen in ihrer Spelunke verborgen .
Ich habe es dem Landrat oft gesagt , er solle das Luder von hier fortweisen zu den Zigeunern nach Friedrichslohra . "
" Zigeuner ! " rief ein Dritter aus .
" Das alte Weib ist so wenig eine Zigeunerin , als deine und meine Frau .
Ich habe sie als Unteroffizier dazumal im Kriege recht wohl gekannt .
Zu der Zeit war sie unsere Marketenderin .
Sie ist aus Halle in Sachsen .
Mit Büchern und allerhand Schnurren hatte sie immer ihr Wesen , davon sind ihr die Redensarten sitzengeblieben , und nun tut sie so , als wäre sie von weit her , weil sie merkt , daß es in ihrem Gewerbe dann vor den Leuten besser fleckt .
Aber da kommt wieder am Himmel so ein Schlauch hergezogen , laßt uns bei den Bäumen untertreten . "
Die Männer bargen sich vor dem Wetter an einer Waldecke .
Ihr Gespräch verließ bald die Zigeunerin und das entflohene Kind , dem sie nachspüren sollten , und wandte sich auf die Mühsale der Polizei , welche für alles sorgen müsse und von jedermann für überflüssig erachtet werde .
Bei diesen Reden machte eine Branntweinflasche , die nicht zu den kleinsten gehörte , fleißig die Runde .
Als die Unterhaltung erschöpft , die Flasche ausgetrunken , und der Regen verzogen war , sagte der eine Mann :
" Wenn ihr mir folgen wollt , so nehmen wir jetzt am Stern noch einen , und gehen dann zu Rathause .
Mit dem Busch können wir uns doch nicht befassen , denn er ist zu groß .
Wir haben getan , was möglich war , und der Komödiant mag nun selbst ausgehen , wenn er sein Mädchen wiederhaben will . "
Diesem Vorschlage gaben die anderen mit der Bemerkung , daß eine ungesunde Witterung herrsche , lebhaften Beifall , worauf sich alle , ohne dem Walde weitere Aufmerksamkeit zu schenken , nach dem Wirtshause in Bewegung setzten , welches sie vor kurzem erst verlassen hatten .
Währenddessen saßen im Dickicht zwei junge Leute auf einem umgestürzten Stamme .
Der Regen tröpfelte durch die Blätter und schien dem einen , welcher schlank und wohlgebildet war , beschwerlich zu fallen , wogegen der andere , untersetzt und knochig , dessen nicht achtete .
Er hielt eine Landkarte auf seinen Knien entfaltet , und redete , unbekümmert darum , daß sie naß wurde , auf seinen Genossen mit Feuer und heftiger Gebärde ein .
" Nach acht Tagen " , rief er , " bin ich in Genf . -
In vierzehn Tagen kann ich Marseille erreichen , und wenn die Winde des Himmels dem Wünsche der Freiheit günstig sind , so küsse ich nach sechs Wochen den Boden der heiligen Hellas . "
" Nehmt nur eine Taschenausgabe der Klassiker mit " , versetzte der andere lächelnd , " damit ihr die Illusion immer wiederherstellen könnt .
Die Neugriechen werden euch mitunter unsanft in euren Träumen stören . "
" Es gilt " , versetzte der mit der Landkarte , " ein gesunkenes Volk aus den Fesseln der Knechtschaft erlösen , es gilt , edlen Herzen eine Freistatt erobern , wohin sie sich vor der Zwingherrschaft verrotteter Kerkermeister retten können ; es gilt , den Grundstein zu einer neuen Ordnung der Dinge legen , und du tätest besser , Hermann , statt über das Heilige zu spotten , dich unserem Bunde anzuschließen .
Was willst du in Deutschland ? "
" Traurig für mich , wenn ich in Deutschland etwas wollte " , erwiderte sein Freund .
" Als ob in unserer mit Dünsten geschwängerten Atmosphäre ein Entschluß nur entstehen , geschweige denn ausgeführt werden könnte .
Aber eben , weil ich nichts mehr will , tauge ich auch nirgend mehr hin , als nach Deutschland .
Ich habe abgeschlossen mit dem Leben .
Seit ich das getan , bin ich ruhig .
Ich wünsche nichts , ich verlange nichts ; die Zeit der Täuschungen ist für mich vorüber .
Tummelt ihr euch immerhin umher zwischen Schein und Irrtum , nur hofft nicht , in mir einen Nachfolger zu finden !
Ich war in London , in Paris ; ich habe sie gesehen , die sogenannten bedeutenden Charaktere der Zeit .
Nun , was waren sie denn mehr , als gewöhnliche Figuren , nur deshalb hervorragend , weil der Zufall sie auf hohe Postamente gestellt hatte .
Nein , mich soll nichts mehr betrügen , und da jetzt an einen großen Inhalt des Lebens doch nicht zu denken ist , so will ich meine Tage wenigstens heiter hinleben .
Ohne Zweck und Ziel sollen mir die Stunden verfließen , denn Zweck ist nur ein anderes Wort für Torheit , und wenn man sich ein Ziel setzt , so kann man wohl gewiß sein , daß man von dem Strudel der Umstände in entgegengesetzter Richtung fortgerissen wird . "
Der Freund stand auf , faltete die Landkarte zusammen , und sprach sehr ernsthaft :
" Diese Reden klingen wie die Philosophie der Verzweiflung .
Möge dich Gott bald von solcher Sinnesart heilen ! -
Der Mensch muß würdige Entwürfe verfolgen , darin besteht sein eigentliches Leben .
Was man recht will , das kann man auch , und wenn uns das Jahrhundert , dessen Gehalt du gegen deine Überzeugung leugnest , irgend etwas gelehrt hat , so ist es das Gebot , nicht unserem beschränkten Selbst , sondern den allgemeinen Interessen der Menschheit zu leben .
Doch , von etwas anderem zu reden , bis ich nach Marseille komme , wo ich den ersten Sold vom Vereine beziehe , reiche ich wohl schwerlich aus .
Könntest du mir vielleicht - "
Hermann ließ den Philhellenen nicht vollenden , griff in seine Tasche , und reichte ihm eine Note .
Der andere steckte , ohne sich zu bedanken , das Papier ein , schüttelte seinem Freunde herzhaft die Hand , und sprach :
" Auf Wiedersehen in Napoli .
Du kommst uns nach , ich weiß das schon .
Du bist besser und wärmer , als du dich stellst . "
Stadt einer Antwort faßte Hermann in den Busen , zog ein versiegeltes Päckchen hervor , wandte sich ab , und drückte , wie er meinte , unbemerkt vom Freunde , einen Kuß auf das Papier .
" Du gehst über München " , sagte er zum Philhellenen , " gib das an Fränzchen ab , du kennst sie ja . "
" Das sieht wie eine Trennung aus .
Seid ihr auseinander ? "
" Man tut am besten , fallen zu lassen , was sich nicht länger halten kann .
Sie ist sonderbar mit mir umgegangen .
Und doch war sie allein aufrichtig .
Ich habe mich um ein Dutzend Weiber gedreht , und die Schwüre ewiger Treue von ihnen empfangen , die dann in den Armen eines neuen Freundes vergessen wurden .
Franziska sagte : » Wir wollen ein paar vergnügte Tage zusammen haben und weiter nichts . «
Wenn ich auf eine ernstere Verbindung drang , so lachte sie mich aus , und meinte , sähe ich sie einmal verheiratet , so wüßte ich , wen sie für den größten Gimpel auf der Welt gehalten habe .
Sage ihr , ich hätte anfangs diese lieben Briefchen als Unterpfand , daß unser Bündnis nicht ganz zerrissen sei , behalten wollen , aber die Freiheit sei das höchste Gut , sie solle mich vergessen und glücklich sein . "
" Daß du die Weiber verachtest " , sprach der Freund , " ist recht und gut .
Kein frauenhaft-gesinnter Mensch kann höheren Ideen leben .
Du bist auf gutem Wege , ich gehe beruhigt von dir .
Ich weiß , daß wir uns nicht zum letzten Male gesehen haben .
Tanze nur nicht , hörst du ?
Gottlob !
Die Neigung zu diesem entnervenden Vergnügen nimmt doch immer mehr ab . "
Er umarmte Hermann feierlich-herzlich , und ging mit großen Schritten , sein kleines Ränzel tragend , quer durch den Wald .
Der jugendliche Philosoph blieb auf dem Stamme sitzen .
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Zufällig hatten sie einander in dem Dorfe , wo beide tags zuvor eingetroffen waren , gefunden .
Manche Erinnerungen verknüpften sie , der Abend und ein Teil der Nacht war unter Gesprächen hingegangen .
Als Hermann die Gestalt des Freundes hinter den Stämmen verschwinden sah , schlich eine unangenehme Empfindung über sein Herz .
Ihm war , als gehe seine Vergangenheit von ihm , er kam sich wie ein ausgesetzter Findling vor .
Beinahe wäre er aufgesprungen , jenen zurückzurufen , und sich Fränzchens Liebespfänder wiederzuerbitten , hätte ihn nicht die Scheu vor dem Ausbruche einer solchen Weichlichkeit an seinen Sitz gefesselt .
" Ihr grünen Kräuter , ihr schlanken Stauden , ihr kräftigen Bäume , wie beneide ich euch ! " rief er aus .
" Ihr steht so gesund da , so selbstvergnügt , daß euch die kränklichen Menschen , die ihr unter euch umherschleichen seht , recht zum Hohn und Spott dienen mögen .
Der Frühling ruft eure Knospen hervor , der Sommer schenkt euch Laub und Blüten , der Herbst bringt euch , wie Wiegenkinder , zur Ruhe .
Die Knospenzeit denkt nicht an die Blütenmonde , und wenn eure vollen Kronen in den warmen Lüften schaukeln , sie erschrecken nicht vor der Ahnung winterkahler Zweige !
Wir armen Menschen !
Wir Frühgereiften !
Wir haben keine Knospen mehr , keine Blüten ; mit dem Schnee auf dem Haupte werden wir schon geboren .
Wahrlich , unser Los ist ein recht lächerlicher Jammer !
Daß man heutzutage so früh gescheit wird , gescheit werden muß , daß es gar nicht möglich ist , die törichten Streiche bis in die Dreißig mit hinüberzunehmen !
O gäbe mir ein Gott die glückliche Dunkelheit , die hoffnungsreiche Nacht , statt des kalten Lichtes , welches Verstand und Erfahrung uns Spätlingen unwiderstehlich anzünden . "
Zwei Arme strickten sich um seinen Nacken , zwei weiche , warme Händchen hielten ihm die Augen zu .
Erschrocken wollte er sich losmachen , das Ding hinter ihm vereitelte durch aalartiges Drehen und Wenden seine Bestrebungen .
" Nun hast du ja , was du wolltest , die Finsternis vor den Augen ! " rief eine zarte Mädchenstimme .
Endlich bekam er das Gesicht frei .
Er sah sich um .
Ein wunderhübscher Kopf steckte , wie das Haupt der Dryas , zwischen den Aststumpfen des Baums , unter welchem er gesessen hatte .
Er zog das Wesen hinter dem Stamme hervor .
Es war ein schönes Geschöpf zwischen Kind und Jungfrau .
" Wer bist du ?
Woher kommst du ?
Was willst du von mir ? " fragte Hermann , der sich von seinem Erstaunen kaum erholen konnte .
" Ich bin Fiametta oder Flämmchen , ich komme aus meiner Grotte hier nebenan , wo ich hörte , was ihr miteinander spracht , du und dein dummer Freund .
Was ich von dir will , weißt du , denn die Alte hat es gesagt , und es steht in den Sternen geschrieben . "
Sie schmiegte sich bei diesen Worten an Hermann , und sah ihm zärtlich in die Augen .
Dieser wußte nicht , ob er mit etwas Menschlichem oder ob er mit einem neckischen Waldgeiste zu tun habe .
Er strich dem Kinde die braunen Haare , die , ungefesselt von Kamm und Nadel , in üppiger Fülle bis zu den Hüften niederwogten .
Er wollte fragen , und doch unterließ er es , aus Furcht , einen anmutigen Zauber zu zerstören .
Das Kind setzte sich auf seinen Schoß , streifte ihm die Weste auf , legte die Hand auf sein Herz , lehnte den Kopf an , horchte , und sagte dann :
" Das klingt , wenn man nur so obenhin zuhört , wie : » Vorbei !
Vorbei !
Vorbei ! « wenn man aber genauer acht gibt , so klopft es : » Aufs neu !
Aufs neu !
Aufs neu ! « -
Komme , du schöner Prinz , nach meinem Palaste , du sollst sehen , wo Flämmchen dieser Tage gesteckt hat . "
Sie zog ihn tänzelnd und singend vom Stamm auf , und den Erdwall hinunter , an dessen Kannte jener lag .
Rasch schlug sie ein wucherndes Gesträuch auseinander , und der Eingang zu einer Art von Grotte wurde sichtbar .
Man schien dort früher Ton gegraben zu haben , dadurch mochte die Aushöhlung entstanden sein .
Hermann sah bei dem Scheine des gedämpft einfallenden Lichts ein Mooslager , und einen Sitz , aus Steinen zusammengefügt . -
Er versuchte , das Mädchen auszuforschen , erfuhr aber nichts weiter , als daß ihr wahrer Vater , wie sie sich ausdruckte , längst gestorben sei , daß sie darauf viele Jahre bei dem falschen Vater zugebracht habe , der in dem Städtchen nahebei Hause .
Dieser habe sie an einen häßlichen alten Ritter verkaufen wollen , da sei sie ihm entsprungen .
" Und wo hast du dich denn seitdem befunden ? " fragte Hermann .
" Hier , im Walde , in der Höhle , du siehst es ja .
Da ist mein Lager , und hier mein Sitz .
Heute morgen hungerte mich , da fiel mir der Mut , ich weinte und rief meinen toten Vater .
Der muß mich gehört haben , denn er schickte mir die Alte , die versprach mir Hilfe , und nun ist die Hilfe da . "
Hermann redete ihr jetzt mit guten und bösen Worten zu , ihm zu folgen , er wolle sie zu dem Vater zurückbringen , und dafür sorgen , daß sie freundlich empfangen werde .
Alles Bitten war jedoch vergebens .
Endlich beschloß er , Gewalt zu brauchen , da er die Verirrte sich nicht selbst überlassen zu dürfen meinte .
Er nahm sie auf den Arm und wollte sie forttragen .
Aber heftig riß sich das Abenteuer von ihm los , stieß ein Geschrei aus , welches ihm durch Mark und Bein drang , warf sich gewaltsam zu Boden , und rief , die Hände vorgestreckt , in einem wunderbar schneidenden Tone :
" Du willst mich verraten ?
Du ? "
Darauf sprang sie empor , der junge knospende Busen flog , ein blutiges Rot überlief ihre Augäpfel , sie schien außer sich zu sein , und nicht zu wissen , was sie begann .
Wie eine Wütende zerriß sie das seidene Fähnchen , welches sie trug .
Es glitt von ihren Schultern , das Hemd glitt ihm nach , oder warf sie es ab ? er konnte es nicht unterscheiden , so rasch waren ihre Bewegungen .
Nun stand sie , nur von ihren langen Haaren umflogen , Hermann gegenüber , und unaufhörlich ertönte aus ihren zitternden , dunkelgeröteten Lippen jener Ruf :
" Du willst mich verraten ?
Du ? "
Endlich gelang es ihm , sie durch Liebkosungen und Schmeicheleien zu beruhigen .
Sie legte die Hand an die Stirn , sah betroffen an sich herab , huschte , schnell wie ein Wiesel , in die dunkelste Ecke der Höhle , und hockte dort in der Stellung nieder , welche die Alten , die jedes Ding am besten verstanden , dem weiblichen Gefühl in einer solchen Lage für alle Zeiten geliehen haben .
Hermann war in der größten Verlegenheit .
Was sollte der Unsinn nun anziehen ?
Das rote seidene Kleidchen war von oben bis unten zerrissen .
" Es ist kein anderes Mittel " , rief er dem Mädchen zu , " du mußt dich als Knabe kleiden , bis man für dich anderweit gesorgt hat . "
Er klomm aus der Grotte den Erdwall hinauf , zu dem Stamme , auf welchem seine Reisetasche lag .
Vorsorglich hatte er Kollett und Pantalons für den Fall der Not auf dieser Fußwanderung eingepackt ; beides warf er von der Erhöhung dem nackten Kinde hinunter . -
Oben rieb er seine Augen , und fragte sich , ob er wache oder träume ?
Dann ging er mit großen Schritten unter den Bäumen auf und nieder , denn er fühlte , daß ihm hier ein kräftiges Eingreifen obliege .
Er ahnte ein Bubenstück , und beschloß , das Seinige zu tun , die gekränkte Unschuld zu schützen .
Als er mit solchen Gedanken einige Male unter den Bäumen auf und nieder gegangen war , sprang ein allerliebster Junge durch das Gesträuch , dem das veilchenblaue Jäckchen und die gestreiften Hosen sehr hübsch standen .
Der Grundtrieb des Geschlechts hatte sich tätig erwiesen .
Aller Überfluß an den Kleidungsstücken war so weggebunden , weggesteckt und weggenestelt , daß sie knapp , wie angegossen , saßen .
Flämmchen nahm seinen Arm , und sagte : " Ich will dich nun auf den Weg bringen . "
Sie führte ihn durch den Wald , und zwar entgegengesetzt der Richtung , welche er , seinem Reisezwecke gemäß , einschlagen mußte .
Jede Spur der Leidenschaft , in welcher Hermann sie gesehen hatte , war verschwunden .
" Du hast nichts weiter zu tun " , sagte sie gleichmütig , " als in der Stadt dich nach meinem falschen Vater zu erkundigen , und ihm zu sagen , daß du mich heiraten wollest , dann hat er keine Gewalt mehr über mich , und der alte häßliche Ritter muß von mir ablassen . "
Hermann sah sie mitleidig an .
" Die Mißhandlungen , die sie erdulden mußte , haben ihr den Verstand genommen " , dachte er bei sich .
Er legte die Hand auf ihr Haupt und sprach :
" Ich schwöre dir , du armes Kind , dich nicht zu verlassen . "
Sie standen am Ausgange des Waldes .
In einiger Entfernung ragte eine Turmspitze empor .
" Das ist das Nest ! " rief Flämmchen .
Sie faßte ihren Beschützer schmeichelnd bei der Hand , strich hätschelnd mit dem kleinen Finger über den Ballen und die innere Fläche , und sagte : " Höre , wenn wir erst in deinem Fürstentum sind , und du mein Herr Gemahl bist , dann lassen wir auch die Alte kommen , damit wir immer wissen , was uns begegnet , nicht ? "
" Hältst du mich für einen Fürsten ? " fragte Hermann verwundert .
Das Mädchen wollte sich vor Lachen ausschütten .
" Nun tut er , als wisse er nichts davon ! " rief sie .
" Aber alle deine Verstellungen werden ein Ende nehmen .
Gib mir deinen Hut !
Die Sonne und die Kälte in meinem Walde machen mir Kopfweh . "
Ohne eine Antwort zu erwarten , hatte sie ihm den Strohhut vom Kopfe gestreift , und sich aufgesetzt .
Sie gaukelte in den Wald zurück .
Hermann sah ihr eine Weile stutzig nach , dann ging er der Stadt zu .
Alles dieses begab sich in der ehrbarsten Provinz unseres Vaterlandes , nämlich in Westfalen , auf einer bekannten Heide .
Woraus zu entnehmen , daß auch der trockenste Boden mitunter seine Früchte trägt .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Vor der Tür des Gasthofs im kleinen Städtchen stand der Gastwirt , wie es schien , erhitzt von der Anstrengung des Tages .
Hermann trat zu ihm , und fragte : ob er bei ihm Unterkommen finden könne ?
Der verständige Mann , welcher einen sicheren Blick für den wahren Wert seiner Gäste hatte , betrachtete unseren hutlosen Wanderer und sein schmächtiges Reisetäschchen prüfend , und schien auf eine abschlägige Antwort zu sinnen .
Endlich aber sagte er zum Hausknecht , der mit eingeknickten Beinen , die Hände in den Hosentaschen , gähnend unter dem Torwege stand : " Führe den Mann nach Nummer Zwölf . "
Der Hausknecht schlenderte voran , ohne dem Gaste das Bündel abzunehmen .
Sie gingen über den Hof , durch einen langen Garten , und betraten eine Remise , worin der Wirt seine Felle trocknete , denn er war zugleich ein Lohgerber .
Eine schmale Treppe , die sich zuletzt in eine Leiter verlor , führte zum oberen Teile dieses Fellmagazins .
Als die Leiter erklommen war , machte der Hausknecht einen bretternen Verschlag auf , und sagte :
" Dieses ist Seine Stube . "
- " Das ist ein Taubenschlag ! " rief Hermann .
" Nein , der ist darüber " , versetzte der Hausknecht kaltblütig , und kletterte die Stiegen hinunter .
Hermann sah sich in diesem Wohnorte um , und mußte laut lachen .
Hierauf machte er die Runde durch denselben , was nicht viel Zeit erforderte , da er , genau gemessen , sechs Fuß im Gevierte hielt .
Die Wände waren unschuldig weiß , und nur mit jenen Spielen der Laune bemalt , welche die Bedienten- oder Soldatenkammern zu schmücken pflegen .
Es fehlte nicht an Nasen verschiedener Größe ; Zöpfe und Grenadiere wechselten mit Störchen und Blumen ab .
Ein beständiges Piepen , Sand und Federn , die von Zeit zu Zeit durch die ritzenvolle Decke fielen , diese Umstände überzeugten unseren Freund , daß der Hausknecht recht gehabt habe .
Der Taubenschlag war wirklich über seinem Sorgenfrei vorhanden .
Der Wirt hatte unterdessen überlegt , daß heutzutage manche Personen von Stande zu Fuß reisen ( in seinen Augen eine sonderbare Liebhaberei ! ) , und daß ein solcher Querkopf auch wohl einmal den Einfall gehabt haben könne , die Welt barhaupt zu durchstreifen .
Um daher nicht etwa einen der Achtung werten Ankömmling zum Nachteile des Gasthofs zu beleidigen , entschloß er sich , durch Höflichkeit mit Worten gutzumachen , was er in der Tat verbrochen hatte ; denn jenes so üble Quartier , welches dem Eingekehrten gegeben worden war , stand selbst bei den Wirtshausleuten in Verachtung und hieß gemeiniglich bei ihnen nur das Loch .
Er nahm sich in der Stille vor , dem Fußwandrer ein besseres Stübchen abzulassen , sobald er nur erst die moralische Überzeugung von dessen Zahlungsfähigkeit geschöpft haben würde .
Übrigens war der Raum in dem Gasthofe wirklich beschränkt .
Ein Herzog , der zu den Mediatisierten gehörte , hatte mit Gemahlin und Gefolge fast alles in Beschlag genommen .
Der Wirt trat unter Entschuldigungen über das etwas enge Logis in das sogenannte Loch , welches er , da niemand das Seinige beschälten soll , in seinen Reden zu einer Pièce erhob .
" Wahrhaftig ! " rief er , " es tut mir leid , einen solchen Herrn nicht ganz nach Wunsch aufnehmen zu können .
Das Hotel steckt aber heute so voll von Fürsten , Grafen und Freiherrn , daß , mit Respekt zu sagen , kein Apfel zur Erde kommt . "
" Lassen Sie das gut sein " , versetzte Hermann .
" Ein Reisender von Profession ist an dergleichen gewöhnt .
In Dijon hat man mich einmal in einem Stalle untergebracht . "
" In einem Stalle ! " rief der Wirt , mit einer Miene , die das Entsetzen ausdrücken sollte .
" Nein , da ginge ich selbst lieber in den Stall , und gäbe einem solchen Herrn meine Schlafkammer . "
Hermann fand an diesen unnützen Reden kein Behagen .
Ihm lag das Abenteuer im Walde am Herzen .
Ehe der Wirt daher zu seinem Zwecke gelangte , unterbrach ihn jener mit der Frage :
Ob nicht vor einigen Tagen hier ein junges Mädchen seinen Angehörigen verlorengegangen sei ?
Hierauf bediente ihn der Wirt sofort ausführlich und überflüssig .
Er war die wandelnde Chronik des Städtchens , und wußte , was von dem einen Tore bis zum anderen sich ereignete , oder doch hätte ereignen können .
" Das ist eine wilde Geschichte ! " rief er .
" Haben der Herr auch schon davon gehört ?
Kommt hier ein nichtsnutziger Komödiant an , mietet sich ein , lebt , man weiß nicht wovon ? treibt , man weiß nicht was ?
Er hat ein Kind bei sich , schön wie die Sonne und wild wie der Teufel , mit dem gibt es alle Tage Lärmen , daß die Nachbarn zum Bürgermeister gehen , und bitten , dem Unfuge zu steuern .
Was ist der Grund gewesen ?
Denken Sie nur ; der Abschaum von Vater hat das unschuldige Kind einem alten Sündengesellen zur Unehre verkaufen wollen .
Seine leibliche Tochter !
Da ist das Mädchen weggelaufen .
Die beiden Alten haben gestern und heute die Gegend abgesucht , und der Bürgermeister hat gesagt , er werde suchen .
Die arme Person ist weg , und wer weiß , in welchem Weiher schon ihr Leichnam schwimmt ! "
Hermann erwiderte , daß man das Beste hoffen müsse , und daß das Schicksal der Witwen und Waisen in höherer Hand Ruhe .
Damit war der Wirt zwar einverstanden , aber es beruhigte ihn nicht .
Er sagte daher , weil ihm keine feinere Wendung einfiel :
" Es ist hier weder Schrank noch Kommode .
Wenn der Herr vielleicht Ihre Sachen , und besonders die Barschaften mir zum Aufbewahren geben wollten ... "
Hermann fand dieses Anerbieten vernünftig , und griff nach seiner Brieftasche , in welcher er bedeutende Wechsel führte , um sie dem Wirte einzuhändigen .
Wie erschrak er , als er nicht die seinige , sondern die des Philhellenen hervorzog !
Beide sahen einander ähnlich , und waren im Nachtquartiere vertauscht worden .
Hermann erblaßte ; die Sache konnte von den übelsten Folgen sein .
Indessen faßte er sich , und sagte dem Wirte , daß er denn doch lieber alles , was er habe , selbst behalten wolle .
Dieser aber hatte ihn erblassen sehen , und verließ ihn mit bedenklichem Gesichte .
Hermann kannte die Umstände , in welchen sich ein Philhellene zu befinden pflegt .
Er wußte , daß versteckte Schätze hier wohl kaum zu erwarten seien , und öffnete mit einer bösen Ahnung die Brieftasche .
Ach , da waren Freiheitslieder in großer Anzahl , Logenzertifikate , und Marschrouten nach allen vier Himmelsgegenden , aber keine Dinge , welche einem irdischen Bedürfnisse abzuhelfen vermochten !
Er verwünschte diesen Zufall .
Drei bis vier Taler in der Tasche , ohne Kreditbriefe , ohne Hut auf dem Kopfe , ein einziges Kleid am Leibe , irrte er hier umher , mehrere Tagereisen von seinen Quellen entfernt .
Was sollte er beginnen ?
Fremde in der Gegend , wie leicht konnte er den Strich verfehlen , den der Philhellene gegangen war , der ohnehin von der Landstraße abzuweichen liebte , um in weniger besuchten Gegenden seine Grundsätze auszubreiten !
Dazu schwebte ihm die Gestalt jenes Kindes vor , dem schleunige Rettung vom Verderben Not tat .
Flämmchen und der Philhellene zogen ihn nach verschiedenen Seiten ; er wußte nicht , was er tun sollte , und blätterte zerstreut in den Freiheitsliedern seines Freundes , der dagegen das Geld und die Wechsel hatte .
Wie das ferne Licht in der Grube dämmerte ihm aber doch die Hoffnung , sein Geist werde ihm auch dieses Mal helfen , wie er ihm so oft in Bedrängnissen geholfen hatte .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Währenddessen hatte sich unten im Gasthofe ein großer Lärmen erhoben .
Der Wirt hinkte , ( denn er war lahm ) im Hausflur und in der anstoßenden Stube umher , die Wirtin rang die Hände , vier bis fünf Neugierige standen vor dem Ehebette des Paars ; alles schwatzte durcheinander .
Der Grund dieses Aufruhrs war die Kammerjungfer der Herzogin .
Diese litt an der Epilepsie , und war eben von ihrem Übel befallen worden , als sie in der Küche das Brenneisen wärmen wollte , um die Gebieterin zu frisieren .
Der Wirt sollte einen Friseur schaffen , und konnte es nicht .
Von solchem Gewerbe hatte das kleine elende Landstädtchen nie gehört ; das Haarabschneiden wurde dort in den Familien besorgt .
Die Person zuckte auf dem Bette , die Umstehenden gaben Mittel an , ihr zu helfen , jeder ein anderes .
Die Wirtin rief der Kranken zu , wenn es ihr möglich sei , das frisch überzogene Bett mit ihren heftigen Bewegungen zu verschonen ; worauf die Arme natürlich keine Rücksicht nahm .
Der Wirt beteuerte unter allerhand Flüchen , daß der Stadt niemand nötiger tue , als ein Friseur , wie er stets gesagt habe .
In dieses Getöse trat Hermann .
Das Flattern und Mausern der Tauben über ihm , der Dunst und Geruch der Felle unter ihm , seine Unruhe und Ratlosigkeit hatten ihn aus der abscheulichen Nummer Zwölf ins Freie getrieben .
Von einem gelaßenen Karrentreiber , der mit seinem Hundegespann , um besser hören zu können , bis vor die Tür des Zimmers gefahren war , in welchem die Kranke stöhnte , vernahm er die Geschichte .
Er ließ sich den Namen des eingekehrten Herzogs sagen , und erschrak , diesmal aber freudig , als der Karrentreiber ihn aussprach .
Er schloß aus der für ihn unerwarteten Neuigkeit auf die Nähe seines Dämons .
Schnell kam ihm ein närrischer Einfall .
Er wußte , daß , um zwei Verlegenheiten zu entgehen , es nichts Besseres gebe , als sich in eine dritte zu begeben .
In die Küche eilend , nahm er dort Kohlen und Brenneisen , war blitzschnell die Treppe hinauf , ließ sich durch den Bedienten als den Mann melden , der die Herzogin frisieren solle , und stand bald darauf im Zimmer der Fürstin .
Die Dame saß im Lehnstuhl , das Gesicht von dem Haarkünstler aus dem Stegreife abgewendet , und las .
Sie mochte an diesem Orte für ihr Haupt nichts Besonderes hoffen , und sagte , vom Buche aufsehend , doch ohne sich umzukehren :
" Nur ganz schlicht ! "
- Hermann blickte nach der Toilette , da war alles , was er brauchte .
Er stellte sich hinter den Stuhl , und da ihm wirklich einige Reminiszenzen des Handwerks beiwohnten , so ging die Sache ganz erträglich von statten .
Er prüfte mit Sorgfalt das Eisen , verfuhr behutsam , und so kam denn nach und nach etwas zustande , was wenigstens für die Skizze einer Frisur gelten durfte .
Freilich dauerte das Geschäft ziemlich lange .
Die Herzogin , welche die Geduld selbst zu sein schien , brachte die Augen nicht von ihrem Buche .
Als er dem Ende seines Werks nahte , meinte er , daß nun der Augenblick gekommen sei , den er erharrt hatte , und sagte : " Gnädigste Herzogin , der Geringste hat Rechte , die auch der Vornehmste nicht kränken darf .
So ist es ein altes Privilegium meiner Zunft , daß diejenigen , welche ihr Haupt uns anvertrauen , sich auch unserem armen und seichten Geschwätze hingeben müssen .
Keiner ist davon befreit ; selbst der König muß den Friseur plaudern lassen .
Untersagt er ihm das , so bin ich überzeugt , daß der Mann das Elend der Verbannung einem stummen Herrendienste vorziehen würde .
Ew. Durchlaucht haben gelesen ; das hat mich tief verletzt .
Ich überlasse Ihrer Gerechtigkeit , zu entscheiden , ob Sie mir nicht werden erlauben müssen , einige Worte zu Ihnen zu reden ? "
Die Herzogin legte , erstaunt über diese Apostrophe , das Buch zusammen .
Da Hermann schwieg , sagte sie mit einem verlegenen Lächeln :
" Nun ? "
" Ich habe etwas zu erzählen " , fuhr Hermann fort , " was freilich verdiente , ernsthafter eingeleitet zu wer den .
Ein Schauspieler will seine Tochter um ein Stück Geld der Erniedrigung , dem Elende preisgeben .
Verzeihung , daß ich so unsaubere Dinge in Ew. Durchlaucht reiner Nähe ausspreche .
Wer jenen Stand kennt , wer es weiß , wie seine Lügenkunst das Gemüt bis in die innersten Fasern verfälscht , der wird sich über dergleichen Schändlichkeiten kaum wundern .
Ein solcher Mensch hat vielleicht jahrelang den Marinelli gespielt , und , wie er den Charakter auf den Brettern behandelte , gedankenlos , so gedankenlos überträgt er die Rolle auch wohl einmal in das Leben . -
Ein sonderbarer Zug des Vertrauens führt das Mädchen zu mir , die Verzweiflung beschwört mich um Schutz vor der Entehrung .
Ich bin sonst der Meinung , daß man sich vor allen raschen Verpflichtungen zu hüten habe .
Oft wird ja durch ein fürwitziges Helfenwollen das Wirrsal nur noch größer .
Hier aber überwältigte mich der Anblick der Not , ich versprach mich und alle meine Kräfte dem Mädchen .
Aber wie soll ich für mein Wort einstehn , ohne Einfluß , ohne Verbindung in der Gegend , ich , ein junger Mann , der an und für sich der Welt in solcher Sache als ein zweideutiger Vormund erscheint .
Da höre ich , daß Ew. Durchlaucht hier angekommen seien .
Augenblicklich war meine Sorge gehoben .
Ich wußte , daß ich einer solchen Fürstin den bösen Vorsatz eines ehrvergeßnen Vaters , die Trübsal der Tochter nur schmucklos zu melden brauchte , um Rat zu schaffen .
Dieses habe ich denn hiermit getan , und nun meinen Worten nichts mehr hinzuzufügen . "
Mit so entschiedenen Farben hatte unser Abenteurer diese Angelegenheit darzustellen sich gedrungen gefühlt .
Die Herzogin hörte mehr auf den Ton seiner Rede , als auf den Inhalt .
Der reine Dialekt , die gebildeten Wendungen hatten sie ganz verwirrt gemacht .
Sie wußte nicht , was sie von dem Menschen denken sollte .
Hermann nahm ihr mit einer anständigen Verbeugung den Staubmantel ab .
Ihr erster Blick war in den Spiegel .
Sie sah sich wenigstens nicht verunstaltet .
Ihr zweiter fiel auf Hermann .
Wie erschreckt senkte sie die Wimpern , und eine Marmorblässe überzog die zarten , ohnehin nur leicht gefärbten Wangen .
Noch einmal schickt sie zweifelnd und forschend ihren Blick aus , als wolle sie die Widerlegung eines Irrtums erspähn .
Aber unwillkürlich flüsterte sie :
" Mein Gott , welche Ähnlichkeit ! "
Die Tür öffnete sich , und ein großer ernster Mann im schlichten Überrock trat ein .
Es war der Herzog .
" Ist der Not abgeholfen ? " fragte er lächelnd .
Dann , näher tretend , musterte er Hermann auch nicht ohne ein gewisses Erstaunen , doch schien die Befremdung weniger durch das Antlitz , als durch den Aufzug Hermanns veranlaßt zu sein , der im modischen Kleide , den Staubmantel der Herzogin auf dem Arme , und die Friseurwerkzeuge in den Händen , dastand .
" Ich bin von jemand bedient worden , den man wohl schwerlich zu diesem Gewerbe erzogen hat " ; sagte die Herzogin .
" Der Rock sieht freilich nicht nach Kamm und Schere aus " , sagte der Herzog .
" Wie heißen Sie ? "
Hermann nannte sich .
" Ist es möglich ? " rief der Herzog .
" Sie sind der Sohn des Senators in Bremen ? des vertrautesten Freundes meines seligen Vaters ? "
" Derselbe . "
Der Herzog konnte sich über dieses Zusammentreffen nicht zufriedengeben .
" So unerwartet muß ich den Sohn des würdigen Mannes hier finden , von dem mein Vater nie ohne Rührung redete !
Aber sagen Sie mir , wie kommen Sie darauf , sich bei uns in dieser wunderbaren Weise einzuführen ? "
" Man muß überall aushelfen , wo es fehlt " , versetzte Hermann .
" Unserer Fürstin gebrach ein Mann der Pomade , ich konnte allenfalls so ein Subjekt notdürftig vorstellen , wie hätte ich anstehn sollen , mit meiner geringen Kunstfertigkeit zu dienen ? "
Der Herzog fragte ihn lachend , wo er denn diese Geschicklichkeit erworben habe ?
Hermann versetzte , das dürfe er nicht verraten , das sei ein Handwerksgeheimnis .
Die Herzogin hatte an diesem Gespräche nicht Teil genommen , sondern nur von Zeit zu Zeit ihn verstohlen betrachtet .
Ihr Gemahl raunte ihr ein Wort ins Ohr , worauf sie nickte , und Hermann eine Einladung zu Mittag empfing .
Als er die Treppe hinabging , sagte er für sich :
" Das hätte ich nicht gedacht , als ich im Feldzuge bei dem alten Perückenmacher im Quartier lag , und seine Tochter Lotte mich zu ihrem Werther machen wollte , und ich ihr aus Langeweile die Locken und die Touren fertigen half , daß mir die Possen noch einmal bei den vornehmsten Leuten helfen würden .
In unserer Zeit muß man sich auf alles schicken , denn man kann alles gebrauchen .
Die Lotte und der alte Perückenmacher sollen leben ! "
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel " Welche Ähnlichkeit ! "
Diese Worte der Herzogin gaben ihm viel zu sinnen .
Er fragte den Wirt nach der Ursache , weshalb das fürstliche Paar hier verweile ? erfuhr aber nur , daß es eine Bewandtnis mit den Herrschaften haben müsse , denn es sei viel Fragen es und Schickens nach dem alten verfallenen Schlosse in der Nähe gewesen , von dessen Bewohner man allerhand erzähle .
Ein langer grauer Mann von verdrießlichem Ansehn trat ein , und sagte zum Wirte :
" Ich habe Sie so sehr gebeten , mir eine Stube ohne Zug zu geben , den ich durchaus nicht vertragen kann , und dennoch ist mir eine angewiesen worden , worin kein Fenster und keine Tür schließt .
Ich habe nicht Lust , hier ungesund zu werden , und verlange von Ihnen auf der Stelle ein anderes Quartier . "
Der Wirt versicherte , es sei alles besetzt , er werde aber sogleich Schreiner und Glaser kommen lassen , damit jede Ritze verleimt und verstopft werde .
Es war um die Zeit der Hundstage , und selbst dem entschiedensten Rheumatiker konnte ein kühles Lüftchen nur willkommen sein .
Hermann hatte an der eigentümlichen Falte des Überdrusses um den Mund sogleich den Hypochondristen erkannt .
Er trat höflich zu dem Verstimmten und sagte , daß er sich glücklich schätzen würde , wenn er ihm ein besseres Gelaß anzubieten vermöchte , das seinige werde aber auf jeden Fall wohl das allerschlechteste im ganzen Hause sein .
Der andere Maß ihn mit einem matten , sterbenden Blick , als verdrösse ihn jede Artigkeit , und ging , ohne ihm etwas auf seine freundliche Anrede zu erwidern , fort .
Hermann , sehr böse über dieses rauhe Benehmen , fragte den zurückkehrenden Wirt , wer jener Bär sei und erfuhr , daß er Wilhelmi heiße und bei dem Herzoge in Diensten stehe .
Auch der Wirt nannte ihn einen eigensinnigen Kauz , dem nichts recht zu machen sei , " aber " , setzte er hinzu , " man muß ihn schonen , denn er ist des Herzogs rechte Hand . "
Hermann beschloß im stillen , die Unart nicht so hingehen zu lassen .
Doch für den Augenblick hatte er eine dringendere Sorge .
Im Überrocke setzt man sich bekanntlich nicht zu einer fürstlichen Tafel .
Er aber besaß kein anderes Kleidungsstück , er hatte sich erst in der nahen Stadt neu equipieren wollen .
Lange dachte er darüber nach , was vorzunehmen ? endlich erinnerte er sich aus der Geschichte der Moden , daß der Frack aus dem Überrock entstanden ist , indem nach und nach die Vorderblätter immer weiter und weiter weggeschnitten wurden .
Er beschloß , diesen historischen Weg zu verfolgen , und erkundigte sich nach dem besten Schneider , der ihm leicht nachgewiesen werden konnte , da es nur einen am Orte gab .
Der Meister , welcher wegen der geringen Nahrung im Städtchen zugleich sein eigener Junge und Geselle war , saß mit gekreuzten Beinen auf dem Tische und nähte , was das Zeug halten wollte .
Hermann trat in das kleine Stübchen , an dessen Wänden die papiernen Maße herabhingen , und welches durch schmauchte Fensterchen sein spärliches Licht erhielt .
Er sagte dem Meister , was er von ihm wolle , nämlich , er solle die Vorderteile des Rockes abschneiden , denn er habe einen Frack nötig .
Der kleine blasse Mann kam von seinem Tische herab , tat die Brille hinweg , prüfte den Schnitt des Kleides , befühlte das Tuch , sah erschrocken empor , und fragte mit wehmütigem Tone :
" In dieses Tuch soll ich hineinschneiden ? "
" Es geht nicht anders , Meister " , versetzte Hermann , " es muß so sein " .
Der Meister schüttelte den Kopf , legte unschlüssig die Hände auf den Rücken , und murmelte :
" So ein Rock !
So ein Tuch !
Schade !
Jammerschade !
Die Elle kostet wohl ihre drei Taler ? "
" Mehr Meister , mehr . "
" Vier ?
Fünf ? "
" Ich glaube , man hat mir acht auf die Rechnung gesetzt .
Rührt Euch , Meister , ich habe nicht lange Zeit . "
" Acht Taler die Elle !
Gott ! " war alles , was der Schneider hervorbringen konnte .
Er ließ die Schere sinken ; nur Ausbesserung und der gröbste Stoff war ihm sein Leben lang unter die Hände geraten .
Jetzt erblickte er ein Prachtkleid , von dem seine seligsten Träume nichts wußten , und dieses sollte er verwüsten ?
Hermann sah nicht ohne Teilnahme dem Seelenkampfe dieses Männleins zu , dem ein feiner Rock zur höchsten Lebenserscheinung wurde .
Endlich überwand sich der Meister , zeichnete in wilder Hast mit Kreide die Form auf dem Leibe ab , die Schere arbeitete , die Nadel flog , und bald war ein Frack fertig , wenn nicht von elegantem , doch von wohlgemeintem Schnitte .
Hermann freute sich der Metamorphose , die so leicht vonstatten gegangen war .
Schwieriger konnte es mit der Bezahlung werden , denn er hatte unterwegs für eine Kopfbedeckung seine Barschaft bis auf einen armseligen Rest ausgegeben .
" Was sollen mir die Vorderblätter ? " sagte er .
" Meister , die wären so etwas für Euch , wollt Ihr sie an Zahlung Stadt annehmen ? "
- Der Meister war schon daran gewöhnt , von seinen Kunden in Naturalien , als Butter , Käse , Eiern u. dgl. bezahlt zu werden .
Die Vorderblätter galten ihm weit mehr , als er fordern durfte , schon sah er sich im Geiste mit der Sonntagsweste aus dem Achttalertuche bekleidet ; er schlug freudig ein .
Hermann klopfte ihm auf die spitzen Achseln und sagte : er sei recht geschickt gewesen .
In so kurzer Zeit einen Frack zustande zu bringen , möchte nicht jedem gelingen .
Dieses Lob stieg dem Schneiderechen ins Gehirn .
Triumphierend rief er : " O , ich habe auch nicht immer geflickt !
Ich bin überhaupt nur durch Unglück hierher unter das dumme katholische Pack geraten . "
Dann sich scheu umwendend , als fürchte er das Verhängnis einer großen Mitteilung , setzte er geheimnisvoll hinzu :
" Ich habe schon einmal einen ganzen Rock gemacht !
Der Herr Pastor an meinem früheren Orte wollte sich verheiraten ; wie solche Herrn sind , sie haben kein Vertrauen zu unsereinem , er bestellte sich den Bräutigamsrock bei dem Modeschneider in der großen Stadt , den sie den Kleidermacher nennen .
Mein Herr Kleidermacher ließ aber meinen Herrn Pastor sitzen .
Der wollte zur Braut abreisen , kein Rock war da .
Ich hörte von der Not und lief zu ihm .
» Er wird es nicht können « , sagte er .
» Vertrauen Sie Gott « , sagte ich .
Ich ging nach der Stadt , kaufte Tuch , freilich nicht so fein , als das Ihrige , schneiderte Tag und Nacht , und siehe da ! der Rock wurde fertig , und der Herr Pastor sind darin getraut worden , und haben darin das heilige Abendmahl ausgeteilt , und tragen ihn noch zur Stunde , und ich bin doch nur ein lumpiger Flickschneider ! "
Seine Augen glühten , er hatte sich auf die Fußspitzen gestellt , und drei Finger der rechten Hand vorn in das aufgeknöpfte Wams geschoben .
So stand er , und der siegreiche Feldherr , der gegen Abend die Meldung von der letzten eroberten Schanze empfängt , kann nicht stolzer aussehn .
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Das Gespräch an der Tafel drehte sich um sittlich-anthropologische Fragen .
" Wie kommt es nur " , sagte die Herzogin beim Dessert , " daß wir gleichgültiger gegen die Tugend als gegen die Höflichkeit sind ?
Wenn man durch seinen Stand gezwungen ist , viele Menschen zu sehen , so muß man auch mitunter Leute empfangen , deren Handlungen sich keineswegs billigen lassen .
Ich kann nun wohl sagen , daß mich die Nähe solcher Personen wenig verletzt ; unbefangen sehe ich sie kommen und gehen .
Dagegen bin ich gleich aus meiner Fassung , wenn in meinem Kreise ein Verstoß gegen die Lebensart vorfällt . "
" Das rührt daher , weil wir alle , auch die Besten unter uns , nie den Hang vollkommen ablegen , uns nach außen zu vergeuden , statt daß wir streben sollten , nur nach innen wahrhaft zu leben " , erwiderte der Kammerrat Wilhelmi .
" Ich denke " , entgegnete die Herzogin , " man lebt in jedem Augenblicke zugleich nach innen und nach außen .
Übrigens bitte ich Sie , mich nicht einer schlafen Moral anzuklagen .
Alles , was ich sagte , bezieht sich nur auf die gewöhnlichen gesellschaftlichen Zusammenkünfte , und wenn jene zweideutigen Figuren mich irgendwo im Heiligtume meiner Verhältnisse berühren , so machen sie mir auch Kummer genug . "
" Darin liegt die Antwort auf deine Frage " , versetzte ihr Gemahl .
" Das Leben besteht , wo es nicht Geschäft ist , meistenteils aus Repräsentation .
Unsittlichkeiten drängen sich uns nicht vor das Auge , wohl aber Roheit , Ungeschick .
Was gehen uns also jene an , da wir niemandes Richter sind ? "
Hier nahm Hermann das Wort , und sprach :
" Vielleicht fordert keine Zeit mehr zur Beobachtung äußerer Sitte auf , als die unsrige .
Alle Gegensätze sind bloßgelegt , wo irgend Menschen zusammenkommen , bringen sie die widersprechendsten Gefühle und Überzeugungen in Betreff der wichtigsten Dinge mit .
Politik , Religion , das Ästhetische , ja selbst , was im Privatleben erlaubt sei ? alles wurde zum Gegenstande des Zwiespalts .
Wie kann man sich aber mit Behagen nebeneinander sehen , wenn nicht wenigstens auf der Oberfläche die in der Tiefe zürnenden Geister beherrscht werden , wenn nicht die strengste Regel der Konvenienz , welche jedem Kunstwerke notwendig ist , waltet ?
Und die gute Gesellschaft ist doch , wie man mit Recht gesagt hat , eine Art von Kunstwerk , oder sollte wenigstens eins sein . "
" Am schlimmsten hat man es mit den Gelehrten " , sagte der Herzog .
" Ich lade auch nie zwei zu gleicher Zeit ein .
Denn ich bin dann nicht sicher , daß die Herrn über einen alten römischen König , oder eine Sprache , von der man nur vermutet , daß sie einmal gesprochen sein soll , einander Beleidigungen sagen . "
" Auch die Hypochondristen sind böse Gäste ! " rief Hermann .
Die Herzogin warf lächelnd einen Seitenblick auf Wilhelmi , der die ganze Tafel über sein verdrießliches Gesicht noch nicht abgelegt , und , sooft die Tür aufging , ängstlich mit den Händen den Kopf bedeckt hatte , obgleich , wie wir bemerkt haben , die Hitze der Hundstage herrschte .
Sie meinte , Hermann solle sich in acht nehmen , er werde da Widerspruch bekommen .
Angereizt vom Lächeln der Dame , rief dieser aus :
" Muß ich doch mich selbst verurteilen , wenn von jenen Üblen geredet wird !
Ich hatte immer gehört , daß man heutzutage , um interessant zu erscheinen , unzufrieden und kränklich sein müsse .
Da die Natur mir aber beide Eigenschaften versagt hatte , so bestrebte ich mich , durch Kunst dieselben hervorzurufen , denn ich wollte nun einmal nicht so unbedeutend durch das Leben gehen .
Fürs erste schaffte ich mir eine finstere Miene an , und sah aus , als Ruhe die Last der Welt auf meinem Busen .
Es war aber nicht so schlimm ; das Essen und Trinken schmeckte mir dabei , und ich schlief mit meinem Grame bis an den Morgen .
Aber so schon begann ich zu gelten , einige Damen wollten selbst etwas Byronsches an mir bemerken .
Es kam nur noch darauf an , krank zu werden .
Ich rief die Einbildungskraft zu Hilfe , und richtete meine Aufmerksamkeit stundenlang auf mich selbst .
Ich fragte mich so lange und so ernstlich :
» Tut dir nicht da und da etwas weh ? « bis es mir endlich vorkam , als tue mir da und da etwas weh .
Nicht mit Darstellung der ganzen Methode will ich Ew. Durchlaucht ermüden , nur so viel darf ich versichern , daß ich es in Erzeugung der Schmerzen bis zur Virtuosität gebracht habe .
Kopfgicht , Armweh , Brustkrampf , Podagra , jegliches Übel kann ich nach Gefallen hervorbringen .
Denke ich zum Beispiel nur daran , daß jene Tür aufgetan werden möchte , so wütet schon ein ganzes Heer von Rheumatismen mir durch Kopf und Genick . "
Diese Beziehungen waren zu deutlich , um nicht verstanden zu werden .
Beide Herrschaften hielten den Kammerrat , wie es solchen Leidenden zu gehen pflegt , für krank in der Einbildung .
Sie sahen in einer Mischung von Verlegenheit und Schadenfreude auf ihre Teller .
Hermann genoß seinen Sieg ; aber nicht lange .
Wilhelmi hatte ganz gefaßt dessen Rede mit angehört .
Als nun die Pause , die nach dem Schlusse derselben entstanden war , nicht enden wollte , sagte er freundlich zu ihm :
" Was Sie vorhin von der Notwendigkeit der feinen Lebensart äußerten , hat mir sehr gefallen . "
Hierauf wurde Hermann rot und stotterte einige Worte , die wie ein Dank für den ihm erteilten Beifall klangen .
Die Herrschaften aber taten , als gehe sie der letztere nichts an .
Die Herzogin rückte den Stuhl , und die Tafel wurde aufgehoben .
Er war mit dem Herzoge allein .
Die Gemahlin sprach in einem Nebenzimmer mit dem verdrießlichen Freunde über wichtige Angelegenheiten , welche das fürstliche Paar in diesen jämmerlichen Ort geführt hatten .
Der Herzog schien sich für den Jüngling zu interessieren , er fragte ihn nach dem Zwecke seiner Reise .
Hermann versetzte , daß er sich auf der Wanderung befinde , um seinen Oheim , den großen Fabrikherrn , den er noch nie gesehen habe , zu besuchen .
" Da werden Sie einen merkwürdigen Charakter kennenlernen " , sagte der Herzog .
" Ich mache oft Geschäfte mit ihm .
Er steht ganz einzeln in der heutigen Welt da , und vergegenwärtigt mir immer das Bild eines Bürgers der Hansa .
Ihr Vater und er sind ein sehr eigentümliches Brüderpaar gewesen . "
" Sie lebten beide , wo nicht in Haß , doch in stiller Entfremdung " , sagte Hermann .
" Ich will nun versuchen , ob der Oheim gegen mich auftaut .
Wahr ist es : wenn ich an meinen Vater zurückdenke , so suche ich vergebens nach seinesgleichen in der Gegenwart .
Er war mit Sinn und Lebensgewohnheit ungefähr in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stehengeblieben .
Von daher schrieben sich die großblumigen Tapeten seines Zimmers , die geschnörkelten Meubles , der Zuschnitt seines Rocks ; an welchen Dingen allen er mit hartnäckiger Strenge festhielt .
Und doch soll er als junger Mensch munter und beweglich gewesen sein .
Aber etwas Störendes scheint plötzlich seinen ganzen Organismus gehemmt zu haben .
Überhaupt liegen die Erinnerungen an meine Eltern wie Märchen hinter mir , an deren Wahrheit zu glauben , mir oft schwerfällt . "
Er erzählte noch manches von seinem väterlichen Hause , welches wir später an geeigneter Stelle einschalten werden .
Der Herzog , welcher großen Anteil an allem , was aus dieser Familie herrührte , nahm , fragte nach Hermanns Studien und Lebensgange , worauf er die gewöhnliche Geschichte eines unserer jungen Männer hörte .
Hermann hatte als Siebenzehnjähriger den Befreiungskrieg mitgemacht , als Zwanzigjähriger auf der Wartburg gesengt und gebrannt , und war dann auch in jene Händel geraten , welche die Regierungen so sehr beschäftigt haben .
" Indessen " , fuhr er fort , " war ich der Torheiten selbst bald müde geworden .
Und , als wolle mich das Geschick für diese zeitige Reue belohnen , meine Rhadamanthen fanden , daß ich zum Ravaillac verdorben sei , und entließen mich nach kurzem Verhör . "
Er erzählte weiter , daß er sodann die jetzt gewöhnliche Reise durch Frankreich , England und Italien gemacht habe , demnächst aber in den Dienst des wegen seiner Verwaltung berühmten Staats als sogenannter Referendar getreten sei .
" Sie sind noch in dieser Anstellung ? " fragte der Herzog .
Hermann trat drei Schritte zurück , schöpfte tief Atem und rief : " Nein , Ew. Durchlaucht , in dieser Anstellung bin ich gottlob ! nicht mehr .
Nachdem ich die Welt gesehen , in Rom und Neapel meine Seele ausgeweitet , in London und Paris mich in die bewegten Wogen großer Völker gestürzt hatte , mußte ich nun mit erheucheltem Ernste protokollieren und expedieren über Dinge , die selten des Federzugs wert waren .
Anfangs , solange mir die Handgriffe noch neu waren , trieb ich die Sache wie einen mechanischen Scherz , bald aber ergriff mich die furchtbarste Langeweile , und ein unergründlicher Ekel an meinen Tagen , welche sich in diesem trockenen Nichts dürr und farblos verzettelten .
Das altweiberhafte Helfenwollen , wo die Natur schon immer für die Hilfe gesorgt hatte , das Bevormunden von Menschen , welche gewöhnlich klüger waren , als die Herren Vormünder , dieses norddeutsche Vielgeschrei und Vieltun !
Die unendlichen , müden Sessionen !
Kein Blick aus der quetschenden Grube in die lichte Tageshelle des Geistes , alles umbaut mit Kabinettsbefehlen , Paragraphen , Instruktionen , Akten , Tintefässern , Sandbüchsen !
Mir war in dem Getreibe zumute , wie in einer ewig klappernden und sausenden Mühle ; nur das Mehl sah ich nie , welches zu gewinnen , so viele Räder sich abarbeiteten .
Zum ersten Male in meinem Leben war ich unglücklich , und als ich das recht empfunden hatte , fragte ich mich : » Warum bist du es denn ? « -
Da tat ich mit beiden Füßen einen großen Schritt in die Freiheit , und als ich die Tore der Marterstadt hinter mir hatte , jauchzte ich laut , wie Orestes , als die Furien von ihm abließen , und - ich schäme mich des Bekenntnisses nicht - ich habe mich zu Boden geworfen , und habe die grüne Erde geküßt , der ich nach der Fahrt durch ein wüstes Papiermeer nun erst wieder anzugehören glaubte .
Nein , Ew. Durchlaucht , ich bin nicht mehr Referendar !
Ich überlasse das Metier den geistigen Nihilisten , deren ganzer Stolz darin besteht , eine Sache mehr abgemacht und aus der Welt geschafft zu haben , während der geringste Handwerker sich freut , ein sichtbares Produkt von seiner Hände Arbeit in die Welt setzen zu können . "
Hermann trocknete von der Stirn den Schweiß ab , in welchen ihn diese leidenschaftliche Herzensergießung versetzt hatte .
Der Herzog strich mit einer leichten Bewegung der Hand ihm über die Achsel , als wolle er da etwas wegwischen .
Betroffen sah Hermann nach der Stelle hin ; er wußte nicht , was die Gebärde bedeuten sollte .
" Beruhigen Sie sich " , sagte der Herzog .
" Es kam mir nur so vor , als sei da noch etwas Asche von den Feuern der Wartburg sitzen geblieben ! "
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Inzwischen hatten sich andererorten im Gasthofe wichtige Ereignisse zugetragen .
Der Wirt war nämlich nicht so bald innegeworden , daß sein verachteter Gast bei dem Herzoge speise , als er zu seiner Frau sagte , daß man einen solchen Herrn unmöglich auf Nummer Zwölf lassen könne .
Nun war aber guter Rat teuer , denn zwischen Vormittag und Nachmittag hatte sich neuer Besuch eingefunden , so daß jetzt wirklich kein Zimmer mehr leer stand .
Endlich schlug die Wirtin vor , die Kammerjungfer der Fürstin nach Nummer Zwölf zu verweisen , und Hermann dagegen die von ihr bewohnte Nummer Vier zu geben .
Wo es Ungerechtigkeiten und Schelmenstücke galt , war der Wirt mit seiner Gattin immer einverstanden .
Die Jungfer war , um nach ihrem Anfalle frische Luft zu schöpfen , spazierengegangen .
Die redliche Wirtin unternahm es , ihr bei der Rückkunft vorzuspiegeln , daß die Decke in Nummer Vier eingestürzt sei , und daß dieser Umstand eine Quartierveränderung notwendig gemacht habe .
Als Hermann vom Herzog kam , wurde er vom Wirt mit vielen Kratzfüßen nach seinem neuen Zimmer , welches sich in einem Nebenhause befand , geführt .
Er freute sich der reinlichen Wohnung und des Blicks nach hinten hinaus über grüne Wiesen .
Aber leider sollte dieser ruhige Besitzstand bald gestört werden .
Denn er hatte kaum einige Minuten dort zugebracht , als er auf der Treppe ein heftiges Gezänk hörte .
Die Jungfer war in den Gasthof zurückgekehrt , hatte von der Wirtin die Umquartierung vernommen und Nummer Zwölf besichtigt .
Der Anblick dieses schauderhaften Gelasses setzte sie bei ihrer cholerischen Gemütsart in einen großen Zorn .
Über den Hof streichend , fand sie die Wirtin an der kleinen Treppe im Nebenhause , und überschüttete die Frau mit einer Flut von beleidigenden Worten .
Hermann riet dem Wirte , den er gern loswerden wollte , hinunterzugehn , und seiner Frau beizuspringen .
Der Wirt blieb aber , machte ein ängstliches Gesicht , und rief , indem er an den Nägeln kaute :
" Wir haben den Skandal hier oben noch früh genug ! "
Diese Besorgnis war nur zu gegründet .
Denn alsobald betraten beide Frauenzimmer die Stube , die Jungfer , mit Händen und Füßen vorwärtsstrebend , die Wirtin , vergeblich bemüht , sie am Rocke zurückzuhalten .
Jene hatte sich mit eigenen Augen überzeugen wollen , ob die Decke in Nummer Vier wirklich eingestürzt sei .
Da sie nun sah , daß dieselbe so heil war , wie ein neugeborenes Kind , so erstarrte sie anfangs über die Tücke der Wirtsleute zu einer stummen Bildsäule .
Dann aber brach ein solcher Schwall von Verwünschungen aus ihrem Munde , daß man sich nur wundern muß , wie das Haus stehenbleiben konnte .
Sie beschränkte sich nicht auf die eigentlichen Übeltäter , sondern ging bald auch zu Schmähungen unseres Freundes über .
Dieser , gescholten , er wußte nicht , weshalb , fragte nach der Reihe herum , was denn der ganze Auftritt bedeuten solle ?
Aber keiner gab ihm Antwort .
Die Kammerjungfer schrie , in die Höhe deutend :
" Ist da etwas eingestürzt ? "
Der Wirt schrie :
" Bedenken Sie , daß ich Ihr heute morgen die Daumen aufgebrochen habe ! "
- " Ist dieses der Dank dafür , daß Sie uns das Bett rammelt hat ? " schrie die Wirtin .
Während dieses Geschreis war eine neue Figur an der offenen Tür erschienen .
Den Reitknecht Wilhelm hatte der Lärmen herbeigezogen ; er kam , die kurze Pfeife im Munde .
Als die Jungfer den Dienstgenossen erblickte , lebten in ihr alle Hoffnungen auf ; sie lief zu ihm , und beschwor ihn bei der Ehre des Stalls und der Gesindestube , ihr das gegen göttliche und menschliche Rechte entrißene Zimmer wiedererringen zu helfen .
Es hätte so dringender Worte nicht bedurft .
Der brave Kerl war selbst auf den Wirt und dessen schlechten Hafer böse , und eine Gelegenheit , ihm etwas anzuhaben , kam ihm gerade erwünscht .
Es rückte nunmehr die Heersäule der Bundesgenossen vor ; die Kammerjungfer , mit einer Elle bewaffnet , die sie irgendwo gefunden hatte , der Reitknecht , sich verlassend auf seine derben rotbraunen Fäuste .
Sofort duckte sich der Wirt mit seiner Gattin zwischen zwei Stühlen nieder .
Hermann , der endlich merkte , worum es sich handle , rief wiederholentlich ; " Hört mich an ! "
Es achtete aber niemand seiner , und nun beschloß er , vorerst die Entwicklung der Begebenheiten abzuwarten .
Er zog daher einen Tisch vor das Sofa , auf dem er saß , um sich gegen alle gezwungene Teilnahme an den drohenden Ereignissen der nächsten Zukunft zu sicheren .
Der Reitknecht und die Kammerjungfer gingen indessen gerade gegen die Stühle vor .
Dem verständigen Gastwirte , welcher zwischen denselben hockte , wurde nicht wohl zumute .
" Ihr wollt mich doch nicht in meinem eigenen Hause prügeln ? " rief er mit einer zwischen Mut und Furcht zitternden Stimme .
- " Haun Sie zu , Wilhelm ! " redete die Jungfer den Knecht an .
" Hurra ! " rief der brave Kerl , welcher nur an seine übelgenährten Pferde , und nicht an den Dienst des Herzogs dachte , und reichte dem Wirte eine Ohrfeige von schwerem Gewichte .
Diese Ohrfeige gab das Zeichen zum allgemeinen Kampfe .
Der Wirt fuhr grimmig auf den Reitknecht los , und die Jungfer machte sich mit der Wirtin handgemein .
Zuerst von den Männern .
Mit leichter Mühe hatte der Reitknecht , ein baumstarker Mann , den Wirt zurückgeworfen .
Er verfolgte den errungenen Vorteil , und legte den Gegner , alles Sträubens ungeachtet , über einen Stuhl , mit dem Gesichte gegen die Erde .
Die Rockschöße des Wirts trennten sich , und nun erst wurde dem Reitknechte das eigentliche Feld seiner Tätigkeit sichtbar .
Alsobald begann er auf dieser Tenne zu dreschen , so flink und so gewaltig , als gälte es , die Ernte des ganzen Jahres an einem Tage zu gewinnen .
In dieser schrecklichen und letzten Not rief der Wirt inbrünstig alle Heiligen um Beistand an .
Einer derselben mußte ihn gehört haben , denn es ereignete sich eine völlige Wendung der Geschicke .
Der Reitknecht hatte im Übermaße seiner Siegestrunkenheit sich die Faust an dem Wirte fast lahm geschlagen .
Deshalb müde , noch mehr Lorbeern mit Schmerzen zu gewinnen , nahm er den Geprügelten in seine Arme , nicht , um ihn zu küssen , sondern um ihn zur Stube hinauszutragen .
Aber er hatte denn doch seiner Kraft zu viel vertraut .
Auf der Hälfte des Wegs stolperte er über seine Sporen , stieß an Hermanns Tisch , und fiel mit seiner Bürde donnernd zu Boden .
Jetzt fügte es jener unbekannte Heilige so , daß der Wirt eher auf den Füßen zu stehen kam , als der Reitknecht .
Hurtig , wie eine wilde Katze , holte jener seinen Marterstuhl herbei , und stülpte denselben dem Reitknecht über den Leib , dergestalt , daß dieser kein Glied zu regen vermochte .
Nun war der Augenblick der Vergeltung erschienen .
Der Wirt saß auf dem Stuhle und ließ alle zehn Finger im Gesichte des Reitknechts spazierengehn , welcher , die Farben des Regenbogens vor den Augen sehend , vorn wieder empfing , was er hinten ausgeteilt hatte .
So rächte der Wirt sein gemißhandeltes Kreuz .
Der brave Kerl lag unter dem Stuhle , zerschlagen , wehrlos , regungslos , und rief unaufhörlich :
" Jungfer , zu Hilfe ! "
Aber wie hätte die Jungfer ihm helfen mögen , sie , die selbst nur zu ernsthaft beschäftigt war ?
Anfangs suchten die beiden Frauenzimmer einander mit den Nägeln möglichst zu schaden .
Da indessen dieses Gefecht der Kammerjungfer kein genügendes Resultat gab , so drängte sie die fette und unbehilfliche Wirtin in eine Fenstervertiefung und fing an von ihrer Elle Gebrauch zu machen .
Die Wirtin konnte sich der ungemein schmächtigen und behenden Jungfer nicht erwehren , tat einen Satz der Verzweiflung , und sprang auf die Fensterbrüstung .
Hier wurde nun die Schnur des Vorhangs von der heftigen Erschütterung gelöst , und die Gardine rollte vor der Wirtin nieder .
Mit großer Geistesgegenwart ergriff die Jungfer augenblicklich das untere Ende des Vorhangs , hielt die Wirtin wie in einem Sacke gefangen und hämmerte wacker auf die runde Erhöhung los , welche der Leib der Feindin im Vorhange bildete .
Die Frau seufzte nach ihrem Manne , wie der Reitknecht nach der Jungfer , aber beide Sieger spürten größere Begierde in sich , die Gegner zu prügeln , als den Ihrigen zu helfen .
Endlich fiel der genotängsteten Wirtin das letzte Mittel ein , durch welches sogar eine Hinrichtung hinausgeschoben wird , und welches freilich dem armen Kerl von Reitknecht nicht zu Gebote stand .
Sie rief hinter dem Vorhange :
" Jungfer , schonen Sie meiner , ich bin in anderen Umständen ! "
Bei diesen Worten geriet Hermann in eine Todesangst , denn die funkelnden Augen der Jungfer ließen besorgen , daß sie auch das Ungeborene ihrer Rache opfern werde .
Er fürchtete ein Unglück , und fand , wie durch innere Eingebung einen rettenden Gedanken .
Vom Sofa aufspringend , den Tisch umwerfend , rief er mit lauter Stimme :
" Haltet inne , der Herzog kommt ! "
Dies wirkte .
Sogleich hörte die Schlägerei auf .
Die Wirtin sprang vom Fenster und pustete , die Kammerjungfer stellte sich vor den Spiegel , brachte ihre Flechten in Ordnung und keuchte , der Wirt ließ den Stuhl los und spuckte , der Reitknecht raffte sich auf , und schüttelte sich am ganzen Leibe , wie ein durchnäßte Pudel .
Hermann erklärte darauf dieser pustenden , keuchenden , und sich schüttelnden Versammlung , daß es des ganzen Krieges nicht bedurft habe , und daß er lieber im Freien zubringen , als jemandem sein Zimmer nehmen wolle .
Der Reitknecht sah die Jungfer verdrießlich an , und sagte :
" Auf ein andermal lasse Sie einen mit Ihren Dummheiten ungeschoren . "
Den armen Kerl schmerzten seine Beulen , er ging , sich mit Branntwein zu waschen .
Hermann wollte auch hinaus .
Aber der Wirt , der seine Schläge umsonst empfangen zu haben , nicht begehrte , hielt ihn zurück , und erklärte rund und nett , die Jungfer solle nun durchaus ihren Willen nicht haben , die Stube sei ihm zugeteilt , und dabei habe es sein Bewenden .
Auf dieses Manifest machte die Jungfer ein grimmiges Gesicht .
Hermann fürchtete den Wiederausbruch der Feindseligkeiten , und um nur die Sache vorderhand beizulegen , schlug er vor , die Stube zwischen ihm und ihr zu teilen ; ob der Wirt nicht ein Saattuch oder sonst etwas habe , womit man die beiden Hälften abscheiden könne ?
Wirklich erinnerte sich jener eines alten riesigen Krankenschirms .
Dieser wurde herbeigeholt , aufgestellt , und schied das Zimmer in zwei gleiche Teile .
Hermann überließ der Jungfer das Kabinett rechts , und zog links vom Schirm ein .
Zuerst hatte sich ihr Zartgefühl gegen einen solchen Vorschlag gesträubt , endlich war sie durch wiederholte feierliche Versichrungen Hermanns , daß er jede ersinnliche Rücksicht auf ihre Nähe nehmen werde , beschwichtigt worden .
Beim Hinausgehen fragte der Wirt seine Gattin mit dem Ausdrucke einer stillen Trauer , ob denn ihre Nachricht von vorher richtig sei , und der Herr sich an ihrem Leibe noch mächtig erwiesen habe ?
Die Frau versetzte , er solle doch nicht so töricht sein , sie sei ja weit über die Jahre hinaus .
Das war denn doch eine Freude nach manchem Leid , denn der Wirt hatte Kinder genug , und verlangte nicht nach mehreren .
Nun schien Ruhe und Frieden links und rechts des Schirmes eingekehrt zu sein .
Die Jungfer nähte , und Hermann hatte sich auf das Bett gelegt , welches in seiner Hälfte stand .
Er suchte seine Gedanken zu ordnen , und sich in den mannigfaltigen Zufällen dieses Tages zurechtzufinden .
" Ich muß wohl der Mann des Schicksals sein " , rief er , " da um meinetwillen ohne Not Unheil und Katzbalgerei entsteht ! "
- Ermüdet , wie er war , von Wandern und Hitze , versank er bald in Schlummer .
Die Kammerjungfer drüben wurde auch des Nähens überdrüssig , legte sich mit dem Kopf auf den Tisch , und nickte ein .
Aber Eris schlief nicht , und brauchte diesmal statt des Apfels einen Hund , um die Eintracht zu stören .
Ein Newfoundländer von der größten und zottigsten Art , den ein Gast mitgebracht hatte , ging , nach Wurstschalen und anderen Leckerbissen umherschnoppernd , durch das Haus .
Er kam auch zu Nummer Vier , fand die Tür nur angelehnt , und schob sich sacht hinein .
Die Hunde wissen auf der Stelle , wer ihr Freund ist .
Dieser sah dem schlafenden Hermann so eine Art von Sympathie an .
Er setzte sich vor dem Bette nieder , beroch die niederhängende Hand des Schlummernden , leckte dann an derselben , und setzte dieses Spiel eine Weile fort .
Hermann , der bald die kalte Nase , bald die warme Zunge des Tiers an seiner Hand hatte , wachte von dieser Abwechslung auf .
Der Instinkt des Hundes war richtig gewesen , Hermann hielt wirklich gute Freundschaft mit allen lebendigen schönen Geschöpfen .
Er freute sich des mächtigen Tiers , streichelte seinen Kopf und Rücken , so daß der Hund vor Vergnügen zu gähnen anfing .
Hermann ballte das Schnupftuch zusammen , der Hund apportierte lustig .
Ihn ergötzten die gewaltigen Sprünge des Newfoundländers , er wiederholte den Zeitvertreib und warf das Tuch nach dem Schirme zu .
Der zottige Gesell sprang mit seiner ganzen Stärke gegen den Schirm , dessen Bespannung , alt , mürbe und kaum noch in den Nägeln hangend , einem solchen Stoße nicht zu widerstehn vermochte .
Ein großer Fetzen riß aus , der Hund fuhr hindurch , und in das Gebiet der Kammerjungfer ; Hermann hörte den Hund bellen und die Jungfer schrein .
Diese war durch das Getöse , welches der Köter machte , längst erweckt worden .
Tapfer gegen ihresgleichen , war sie überaus furchtsam , wenn sie nur eine Spinne oder Kröte sah .
Und nun gar eine Newfoundländer Dogge !
Sie floh vor der erregten Bestie in eine Ecke , warf sich dort nieder , und brachte , wie der Vogel Strauß , ihren Kopf in Sicherheit , alles übrige preisgebend .
Der Hund sprang ihr lustig nach , und mit den Vorderfüßen auf beide Hüften .
So stand er halb auf der Jungfer und bellte aus Leibeskräften , ohne etwas Arges im Schilde zu führen .
Die Sache schien ihn vielmehr ausnehmend zu belustigen , und er wurde immer vergnügter , je heftiger die Jungfer kreischte .
Vergebens rief ihn Hermann durch das ganze Register der ihm bekannten Hundenamen .
Indessen war der bedrängten Jungfer bereits ein Retter erschienen und zwar in der Person des verständigen Wirts , welchen der abermalige Lärmen in der verhängnisvollen Nummer Vier wieder herbeigezogen hatte .
Um gutzumachen , was er an der Jungfer verbrochen , faßte er den Beller am Schweife , ihn von ihrem Rücken herabzureißen .
Der Hund verstand aber , wie alle seine Brüder , am Schweife durchaus keinen Scherz , fuhr herum und versetzte dem Wirt einen solchen Bis in die Hand , daß der Mann sie unter Geheul blutig in die Luft schlenkerte .
So wurde jener an einem Tage für beides bestraft , für Laster und Tugend .
Inzwischen trat die Kammerjungfer zum Schirme und schalt in den bittersten Ausdrücken nach Hermann hinüber .
Dieser aber hörte von allem , was sie sagte , nichts , denn er hatte das Schlachtfeld verlassen , entschlossen , die Stätte so vieler Streitigkeiten mit keinem Fuße wieder zu betreten .
Unten begegnete er dem Newfoundländer , der auch gleichgültig fortgerannt war , sobald er den Wirt in die Hand gebissen hatte .
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Der Abend war schön , Hermann beschloß denselben im Freien zuzubringen .
Draußen vor dem Tore zwischen grünen Hecken , unter mächtigen Kastanienbäumen sah er ein blaues Schieferdach .
Spitzbogen , Kreuze und hohe schmale Fenster überzeugten ihn , daß das kleine einsame Gebäude eine Kapelle sei ; er erinnerte sich , von einem weit und breit berühmten Marienbilde gehört zu haben , welches hier den Gläubigen seine Wunder spendete .
Die Neugier führte ihn in das Heiligtum ; leise trat er durch die nie verschloßene Pforte .
Der den katholischen Kirchen und Betörtern eigentümliche Geruch , welcher vom zersetzten Weihrauchs- und Lichterdampfe herrührt , schlug ihm entgegen .
Samt , Borten , Blumen von gesponnenem Gold und Silber , Schmelzwerk , und was sonst die Andacht zur Zier verwendet , prangten um den geschmückten Altar .
Zwischen diesen glänzenden Dingen nahm sich freilich das von Dunst und Alter gebräunte Bild der Mutter Gottes nicht sonderlich aus .
Indessen bewegte ihn ein eigener Anblick .
Dieses Bild erzeigte sich besonders Gichtkranken hülfreich .
Da hatten nun die Reicheren , welche die Befreiung von ihren Leiden hier erbetet , silberne Votivglieder geschenkt ; kleine blinkende Arme und Füße hingen in großer Anzahl um die himmlische Helferin .
Die Armen , welche Silber zu schenken unvermögend waren , stellten ihre Krücken als Denkzeichen hin .
Zu Hunderten standen die unnötig gewordenen Notbehelfe rechts und links vom Altar .
" Sie ist zur Fabel geworden , diese Religion der Wunder " , sagte Hermann für sich , " aber sie ist eine rührende Fabel . "
Er sah zwei Betende in der Kapelle und erkannte den Herzog und die Herzogin , die hier ihre Abendandacht verrichteten .
Sonst war niemand darin .
Als sie sich erhoben , trat Hermann mit einer unwillkürlichen Bewegung hinter ein Seitentabernakel zurück .
Die Herrschaften setzten sich auf die Bänkchen ihrer Betpult .
" Man weiset uns an , Gott einzig um geistige Dinge zu bitten " , sagte die Herzogin .
" Heute muß ich gestehen von dieser Vorschrift abgewichen zu sein .
Ich habe dem Herrn nur allein die Bitte vorgetragen , uns die Spur der unglücklichen Johanna zu zeigen . "
" Ich denke " , versetzte der Gemahl , " daß die Ehre unseres Hauses und das Schicksal eines verirrten Wesens wohl auch Dinge sind , von denen man zu dem höchsten Ordner der menschlichen Angelegenheiten reden darf . "
" Glaubst du , daß wir morgen auf dem Falkenstein etwas von ihr hören werden ? " fragte die Herzogin .
" Wenn ich aufrichtig sprechen soll , nein " , erwiderte der Gemahl .
" Der Entführer ist schlau genug , und der alte Amtmann , dem ich längst nicht mehr traue , war vermutlich mit ihm im Einverständnis .
Er wird sich anstellen , als sei er selbst getäuscht worden .
Liebe wäre es mir , wenn du den geraden Weg nach Hause einschlügst , und mich mit Wilhelmi diese verdrießliche Seitentour allein abmachen ließest . "
" Nimmermehr ! " rief die Herzogin .
" Es müßte denn sein , daß meine Gegenwart euch in etwas Dienlichem hinderte .
Ich bin doch auch schuld daran , daß die Unselige sich so weit vom rechten Pfade verlieren konnte , ich hätte sie vielleicht sanfter behandeln , ihr Herz mehr aufschließen sollen .
Deswegen halte ich es für meine Pflicht , alle Mühsale und Verlegenheiten , die sie uns verursacht , mit tragen zu helfen . "
" Wer hat hier Schuld ? " sagte der Herzog .
" Der , welcher eigentlich für die Fehltritte einer zügellosen Natur verantwortlich ist , liegt im Grabe .
Die Sünden der Väter werden heimgesucht an den unsträflichen Kindern ; ich mache mich auf schmerzliche Dinge gefaßt . "
Hermann hörte noch manches , was sich auf das Hausgeschick bezog , dessen diese Reden gedachten .
Er fühlte sich in seiner gezwungenen Horcherrolle sehr gepeinigt .
Wenn man ihn beim Hinausgehen sah , in welchem Lichte mußte er erscheinen ?
Und doch war es jetzt unmöglich geworden , unbemerkt aus der Kapelle zu schlüpfen .
Die Herzogin stand plötzlich auf , ergriff ihren Gemahl bei der Hand und sagte mit einiger Leidenschaftlichkeit :
" Du mußt mir etwas versprechen .
Ich weiß , daß du talentvolle junge Männer gern an dich heranziehst .
Tue mir den Gefallen , und halte uns unsere heutige Bekanntschaft fern . "
Ihr Gemahl sah sie verwundert an .
" Wie kommst du darauf ? " fragte er .
" Es ist eine Grille " , erwiderte sie , " und ich mag ihr keine Wichtigkeit beilegen .
Aber tue mir den Gefallen , und lade diesen jungen Mann nicht über unsere Schwelle . "
" Man sollte sich bei seinen Handlungen eigentlich durch Grillen nicht leiten lassen ! " rief der Herzog .
" Er ist der Sohn eines Manns , dem mein Vater die größten Verpflichtungen hatte ; Verpflichtungen , die nach hingeworfenen Äußerungen zu schließen , ganz eigener , sonderbarer Art gewesen sein müssen .
Er rennt ohne Zweck und Ziel durch die Welt .
Ich hatte daran gedacht , ihn nützlich zu beschäftigen .
Indessen gehen mir deine Wünsche über alles , und er mag sich daher selbst in der Irre zurechtfinden . "
Sie standen jetzt kaum zwei Schritte von Hermann , und er sah der Fürstin in das schöne regelmäßige Antlitz .
" Hätten wir doch unsere Pferde bei der Hand " , sagte sie .
" Ein Ritt am Flüßchen müßte in dieser Kühle sehr behaglich sein . "
" Ich habe leider keinen Bedienten mitgenommen , den wir nach dem Gasthofe schicken könnten " , erwiderte der Herzog .
" Laß uns eine Strecke zu Fuß spazieren . "
Als sie die Kapelle verlassen hatten , trat Hermann aus seinem Verstecke hervor .
" Was hat sie gegen mich ? " fragte er bitter und wehmütig .
Es war ihm so neu , in der Damenwelt etwas wie Abneigung zu finden , daß er sich nicht wohl darein zu schicken wußte .
Er trat in die Türe der Kapelle , und sah die Herrschaften zwischen wallenden Kornfeldern gehen .
Der Schmerz kleidete sich bei ihm leicht in den Scherz .
Er strich sich über die Augen , wischte eine Träne aus , und rief : " Weiset ihr den Gast zurück , so werdet ihr doch den Bedienten nicht verschmähen . "
In fünf Minuten hatte er das Wirtshaus erreicht .
Er stöberte den Reitknecht Wilhelm auf , und hieß ihn satteln ; der Herzog befehle die Pferde .
Er wollte ihm die Gegend beschreiben , wo sein Herr lustwandelte , der Reitknecht ließ ihn aber nicht ausreden , sondern schlug sich mit beiden Fäusten in das Gesicht , welches von den Stößen des Wirts schon blau genug war , und rief : " Ich bin aus dem Dienst , wenn die Herrschaft mich so zu sehen bekommt . "
Vergebens stellte ihm Hermann vor , morgen bemerke der Herzog ja doch sein geschwollenes Antlitz , und erfahre mithin die Sache .
Der Reitknecht dachte wie ein Wilder nicht über den heutigen Tag hinaus .
Hermann sah , daß mit dem Menschen nichts anzufangen war .
" Was tut's , ob mich das Nest für einen Narren hält ? " rief er .
" Sattelt , Wilhelm , ich will den Herrschaften die Pferde bringen . "
Diese Großmut schlug dem Kerl bis auf die Seele durch , er küßte Hermann inbrünstig die Hand , und sattelte weinend die Rosse .
Bald trabte jener auf einem gedrungenen Polacken , den Zelter der Herzogin , und den Fuchs des Herzogs an der Hand führend , davon , zum Erstaunen des Wirts , dem dieser Gast ein Rätsel war und blieb .
Als die Herrschaften den Hufschlag hörten , wandten sie sich um , und machten verwunderte Gesichter .
Er war rasch vom Pferde , trat , die Tiere führend , zu jenen , und sagte schnell , um die Entdeckung des wahren Zusammenhangs zu verhüten :
" Ich sah Ew. Durchlauchten im Felde spazieren , ich dachte , daß ein Ritt vielleicht angenehmer sein möchte , habe ich mich geirrt , so bringe ich die Pferde zurück .
Den Reitknecht konnte ich nicht finden , ich erlaubte mir deshalb , selbst den Stallmeister zu machen . "
Der Herzog fixierte ihn , und versetzte nicht ohne eine gewisse Schärfe :
" In wie vielen Gestalten wird man Sie denn noch zu sehen bekommen ? "
" In jeder , welche schicklich ist , Ew. Durchlaucht Dienste zu leisten " , sagte Hermann trocken .
Man sprengte durch Wiesen und lichte Baumplätze .
Hermann hielt sich streng mehrere Schritte zurück .
Da der Weg breit genug für drei war , so forderte ihn der Herzog auf , Front zu machen .
" Der Platz des Dieners ist hinter den Gebietern " , erwiderte er , und blieb , wo er gewesen , der schlanken Reiterin vor ihm im stillen grollend .
Es war dunkel , als man zurückkehrte .
Hermann half vor dem Gasthofe der Herzogin vom Pferde .
Sie flüsterte ihm , als sie ins Haus ging , zu :
" Ich habe noch mit Ihnen zu reden . "
In der Dämmerung stand er ihr bald in ihrem Zimmer gegenüber .
Sie ging nach ihrer Schatulle , holte eine Rolle , drückte sie in seine Hand und sagte : " Sie haben mir heute morgen von einem unglücklichen Mädchen erzählt .
Hier ist Geld .
Finden Sie den Vater ab , bringen Sie das Kind anständig unter ; wenn ich späterhin gute Zeugnisse zu sehen bekomme , so will ich die Verlaßene selbst aufnehmen . "
Hermann weigerte sich , das Geld anzunehmen .
" Ich bin Ew. Durchlaucht unbekannt , und kann mir nicht schmeicheln , Ihr Vertrauen schon in dem Maße zu verdienen , um der Depositar einer so großen Summe sein zu können . "
" Was meinen Sie ? " fragte die Herzogin befremdet .
" Sie sind brav und klug , und Ihr Name hat für unser Haus einen guten Klang .
Leben Sie wohl !
Wir sehen uns wohl schwerlich wieder ! "
Sie machte ihm ein Zeichen , daß er entlassen sei .
Er ging , und wußte nicht , was er von ihrer Abneigung und von dem letzten Lobe denken sollte .
Man setzte sich in der größeren Stube , die den Salon vorstellen mußte , zum Spiel .
Nachdem einige Partien gemacht waren , sagte die Herzogin :
" Wir treiben die Sache so ernsthaft , daß , wenn uns jemand sähe , der uns nicht kennt , dieser glauben müßte , die bunten Blätter lägen bei uns zu Hause beständig auf dem Tische . "
" Das Spiel ist in eine unverdiente Mißachtung gefallen und bis jetzt durch nichts Besseres ersetzt worden " , sagte Wilhelmi .
" Grade die mäßige Aufmerksamkeit , die es fordert , das Zählen und Anlegen ist wohltätig .
Es hält uns in einem heilsamen Mittelzustande zwischen Anspannung und Zerstreuung . "
" Unser Freund sagt wieder Schmeicheleien eigener Art ! " rief der Herzog .
" Weil wir zu geistlos sind , miteinander zu reden , müssen wir spielen . "
" Ich verwahre mich gegen alle besonderen Auslegungen , gnädigster Herr " , versetzte Wilhelmi .
" Sie wissen , daß es meine Schwachheit ist , gern im allgemeinen zu reden .
Und das darf ich denn doch wohl behaupten , daß unsere deutsche Gesellschaft meistenteils ein wunderbares Gesicht macht , welches nicht schöner geworden ist , seitdem man die Tische mit den Markenkästchen entfernt , und an ihre Stelle die Musikpulte und die Lesebrettchen geschoben hat .
Sonst kam man zusammen , ganz einfach und aufrichtig , ein Spielchen zu machen , man freute sich auf seine Partie , der Abend wurde dadurch kürzer , späterhin gelang wohl ein heiteres Gespräch an runder vertraulicher Tafel .
Jetzt strömt das Verschiedenartigste in die erleuchteten Säle , Menschen , die keinen Ton leiden mögen , die man , wollten sie aufrichtig reden , mit Gedrucktem und Geschriebenem , wer weiß wie weit , jagen könnte , Leute , die an nichts Wissenswürdigem einen wahren Anteil nehmen , dieser bunte Jahrmarkt flutet zwischen Musik , Vorlesen und sogenannter geistreicher Unterhaltung hin und her , mit erlogenem Interesse , mit scheinbarer Erhebung .
Jeder Vernünftige , welchen sein Unstern in dieses Getreibe wirft , seufzt im stillen :
, Ach ! ständen doch die Kartentische erst wieder da ! «
Ich erinnre mich von meiner letzten Geschäftsreise eines solchen Festes .
Ein alter General , dem man die Pein ansehen konnte , saß traurig in einer Fenstervertiefung , und klagte , sich unbelauscht glaubend , in seinem eigentümlichen Deutsch über die verwünschte Bücher- und Singemode .
Gleich darauf war ein Hauptaktus beendigt ; ein geckenhafter Mensch trat an den Gelangweilten hinan , und der alte Degenknopf mußte sich nun zwingen , in den Enthusiasmus des Windbeutels einzustimmen . "
" Welche Predigt ! " rief die Herzogin .
" Was dergleichen kleine Torheiten nur groß schaden ! "
" Was sie schaden ? " sagte Wilhelmi .
" Ich glaube , daß sie mit dazu beitragen , den Zustand allgemeiner Heuchelei hervorzubringen , der recht eigentlich das Kennzeichen unserer Zeit ist .
Wir Deutschen sind ein häusliches und bürgerliches Volk , ehrwürdig durch einen einfachen Sinn , durch gesunden Menschenverstand .
Was man Geist nennt , ist nur das Erbteil einzelner , nicht der Nation .
Am allerwenigsten kann man sagen , daß das Gefühl für das Schöne bei uns so häufig verbreitet sei , als man jetzt sich und anderen einbilden will .
Wir sind und bleiben Barbaren , und wollen die Musen und Grazien , wie jener König in Phokis , immer gleich einsperren , wenn sie ja einmal bei uns einkehrten .
Darum wiederhole ich : Ständen doch die Kartentische erst wieder da ! "
" Und vergessen , daß Sie an einem sitzen " ; sagte der Herzog .
" Sie hätten längst mischen sollen .
Dieses Schelten auf die Zeit , auf unsere Zeit !
Gehören Sie denn nicht auch zu ihr , Sie mit Ihren trüben Ansichten eben recht zu ihr ?
Es ist charakteristisch , daß wir immer von der Zeit reden , von unserer Zeit .
Wo fängt sie denn an , und was hat sie eigentlich so Besonderes , wenn wir einmal ganz auf den Grund gehen wollen ? "
" Sie spielt Komödie , wie keine andere " , sagte Wilhelmi .
" Die alten Jahrhunderte haben uns ihre Röcke hinterlassen , in die steckt sich die jetzige Generation .
Abwechselnd kriecht sie in den frommen Rock , in den patriotischen Rock , in den historischen Rock , in den Kunstrock , und in wie viele Röcke noch sonst !
Es ist aber immer nur eine Faschingsmummerei , und man muß um des Himmels Willen hinter jenen würdigen Gewändern ebensowenig den Ernst suchen , als man hinter den Tiroler- und Zigeunermasken wirkliche Tiroler und Zigeuner erwarten soll .
Was aus unserer Jugend , die so recht vom Geiste der Gegenwart durchsogen ist , werden mag , ist in der Tat schwer abzusehn .
So ein junger Mensch von heute steht im vierundzwanzigsten Jahre fertig da , alles wurde ihm leicht und mundrecht gemacht , im Fluge hat er den Schaum von der Oberfläche der Dinge abgeschöpft .
Daß der Mensch nur durch Erfahrung , unter Arbeit und Not zu irgendeiner Erkenntnis gelangen kann , daß man durch das Kleine sich lange Jahre hindurchwinden muß , bevor man das Größere zu verstehen imstande ist , daß nur das wahrhaft besessen wird , was errungen , ermüht und erlitten wurde , wer möchte dergleichen Dinge jetzt aussprechen ?
Die wohlfeilen Kommunikationsmittel fördern den jungen Weisen in reißender Schnelligkeit durch alle Lande , er ist durch den Vatikan gestrichen , nun wurde er ein Kunstkenner , er hat den Tunnel angesehen , seitdem versteht er sich auf Mechanik .
Benjamin Konstant sprach mit ihm ein paar höfliche Worte - der Politiker war ausgebrütet .
Bescheidenheit , Gehorsam , Unterordnung , Zweifel an der eigenen Unfehlbarkeit sind ihm Ammenmärchen , Großmutterschwächen .
Überall und nirgends zu Hause , kehrt er zurück ins Vaterland , ein Riese an Sicherheit , der aber bei jedem Schritte ausgleitet , kluge Reden hält er über gute Lebensart ... "
Ein herzliches Lachen unterbrach den schwarzgalligen Redner .
" Daher der Zorn ! " rief die Herzogin .
" Der arme Hermann !
Sie haben doch ein rachsüchtiges nachtragendes Gemüt , Wilhelmi ! "
Währenddem der Herzog den Spott seiner Gemahlin fortsetzte , wurde ein Billet an Wilhelmi abgegeben .
Dieser wollte es ungelesen einstecken .
" Öffnen Sie doch , es könnte etwas Eiliges sein " , sagte der Herzog .
Wilhelmi brach auf und rief : " Von unserem Abenteurer ! "
Er las folgende Zeilen :
" Es ist mir eine unerträgliche Empfindung , in dem hohen und freundlichen Kreise , welcher mich einige Stunden in seiner Mitte duldete , eine herbe Nachwirkung befürchten zu müssen .
Ich habe mich gegen Sie vergangen , und ich gestehe Ihnen mein Unrecht aufrichtig ein .
Die Unart des Jünglings kann einem Manne , wie Sie sind , nicht empfindlich sein .
Aber um meinetwillen und zu meiner Beruhigung lassen Sie mich glauben , daß Sie mir vergeben .
Ich möchte an den heutigen Tag so gern ganz heiter zurückdenken , und ich kann es nicht , wenn Sie mir wegen meiner Torheit zürnen . "
Der Herzogin Antlitz glänzte vor Freude .
Der Herzog sagte :
" Ich hoffe , du hältst mich wegen des braven Jungen nicht beim Worte " ; und Wilhelmi rief mit der Gutmütigkeit , die sich bei den Hypochondristen einstellt , wenn sie tüchtig auf die Welt geschmält haben , aus :
" So möchte ich mich wohl alle Tage in einem Menschen irren ! "
Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Hermann war indessen nach dem Walde hinausgeeilt , worin er das wilde Mädchen gefunden hatte .
Rasch war , sobald er von der Herzogin die Mittel besaß , sein Plan zu Flämmchens Rettung entworfen worden .
Vorerst sollte sie in dem Dorfe jenseits des Waldes untergebracht werden , dann wollte er die Sache mit dem Komödianten abmachen , und wenn dies geschehen , hatte er vor , das Kind in eine benachbarte Pension zu geben , deren Vorsteherin ihm bekannt war .
So war sein Entwurf , an dessen Gelingen er nicht zweifelte .
Es war bei ihm ein Ehrenpunkt geworden , diese Angelegenheit zur Zufriedenheit der Herzogin zu Ende zu bringen , die ihn nach seiner Meinung so ungerechterweise von ihrem holden Antlitze hinwegwies .
Flämmchens romantische Gestalt schwebte vor seinem Geiste , sein Blut befand sich in heftiger Wallung .
Vielleicht bewirkte es dieser aufgeregte Zustand , daß er im Walde , den er halb laufend erreicht hatte , bald von der Richtung , die er am Morgen genommen , abkam .
Der umgestürzte Stamm , welcher ihm den Ort , wo Flämmchen weilte , zeigen sollte , blieb unsichtbar , und es dauerte nicht lange , so sah er sich zwischen fünf bis sechs Kreuz- und Quersteigen verirrt .
Anfangs wählte er noch unter denselben , dann ließ er den Zufall walten , und endlich war er durch Wahl und Zufall im dichtesten Forste .
Erschöpft sank er an einer Quelle nieder , die durch aromatische Kräuter hinrieselte .
Nachdem er seinen brennenden Durst gelöscht , und sich hinlänglich ausgeruht hatte , wollte er seine Irrgänge wieder anfangen , obgleich er bei dem fast taghellen Scheine des inzwischen aufgegangenen Mondes an seiner Uhr sah , daß Mitternacht herannahte .
Ein Rascheln wurde im Laube hörbar .
Hermann erblickte eine schwarze Gestalt , die gebückt am Stabe daherschlich .
Das alte Weib kam näher , setzte sich auf einen Stein , und sagte : " Nun wird mich , wie ich meine , das Ding nicht wiederfinden .
Dieses Flämmchen kann wohl eine Flamme heißen ! "
Hermann trat heftig auf die Alte zu , faßte sie bei der Schulter , und rief : " Wer bist du ?
Von wem sprichst du ? "
Ohne aus der Fassung zu kommen schlug die Alte ihr dunkelfarbiges Kopftuch zurück , und ein braungelbes , scharfkantiges , runzelvolles Antlitz sah ihn im Mondenstrahle an .
" Das bin ich " , sagte die Alte , " und von dem Flämmchen , dem jungen Teufel , sprach ich . "
" Wo ist sie ? " fragte Hermann .
" In den Fichten " , versetzte die Alte .
" Ich habe sie hingeschickt , um sie loszuwerden , und dort mag sie den Geist erwarten , den ich ihr zitieren sollte . "
Er nahm so viel aus den Reden des alten Weibes ab , daß Flämmchen sie vor dem Zusammentreffen mit ihm gesprochen , und nachher wieder aufgesucht habe .
Was sie ihr gewahrsagt , vermochten weder Bitten noch Drohungen herauszubringen .
- " Es ist gegen unser Gewissen " , sagte sie .
" Unsere Reden gehen nur zu zwei Ohren ein ; so lautet ein Sprichwort . "
- Den Ort , wohin sie die Abergläubische geschickt , wollte oder konnte sie nicht angeben , sie sei selber fremd in der Gegend , sie habe den Narren auf das Geratewohl nach einem Fichtenkampe gehen heißen , dessen Lage sie nicht mehr bezeichnen könne .
Er sei wohl eine Stunde von hier ; ob er nach Morgen oder Abend stehe , wisse sie nicht .
" Wenn du mich belögest ! " rief Hermann , " wenn du mit dem Mädchen etwas Schlimmes vorgenommen hättest ... "
Die Alte erwiderte :
" Ich bin eine gute Christin , und glaube an Himmel und Hölle .
Bei dem Kreuz !
Ich habe dem Mädchen nichts zuleide getan .
Wartet die Nacht ab , morgen wird sie schon wieder zum Vorschein kommen , und Ihr werdet Eure Perle nach Herzenslust beschauen können .
Ich glaube , vor der nimmt Wolf , Bär , Löwe und Tiger Reißaus .
Ihr seid ein Aufgeklärter , das sehe ich Euch auch bei Mondenschein an .
Ihr würdet mich nur auslachen , wollte ich in Eure Hand sehen , und sagen : so und so .
Aber nehmt von einem alten Weibe einen Rat an .
Hütet Euch vor dieser Flamme !
Sie hat zehntausend böse Geister im Leibe .
Ich habe geschlummert die Nacht hinter dem Dorn am alten Raubschloß , auf der Bahre im Beinhause , im weißen Klippentale und auf der grauen Heide , und ich habe mich nicht gefürchtet .
Heute aber fürchtete ich mich , als sie vor mir stand , die junge Hyäne , das blanke Messer in der Hand und von mir verlangte , ich solle ihren toten Vater berufen ! "
" Laß dein angelerntes Geschwätz ! " rief Hermann .
" Gewiß hast du die Not der Armen benutzt , ihr den letzten Pfennig abgenommen , und dafür ihr Gehirn mit aberwitzigen Dingen erfüllt . "
" Nur aus der Hand , auf der etwas Blankes liegt , läßt sich wahrsagen " , versetzte die Alte .
" Sie hat bezahlen müssen , was recht ist .
Wer gibt Euch die Befugnis , mich auszuschelten ? "
In diesem Augenblick trat der Mond hinter eine finstere Wolke , und bei der Dunkelheit , die hierdurch entstand , gewahrte Hermann durch die Bäume den Schimmer eines schwachen Lichts .
Der Mondschein hatte vorher das spärliche Leuchten überstrahlt .
Er schloß aus diesem Umstande auf die Nähe einer menschlichen Wohnung , und da er seiner Meinung nach von dem Städtchen weit verschlagen sein mußte , die Alte aber fest dabei verblieb , daß sie ihm den Ort , wohin sie Flämmchen geschickt , nicht bezeichnen könne , so entschloß er sich , auf den Schein loszugehn , und den guten Willen der Bewohner um ein Obdach anzusprechen .
Er verließ die Alte ohne Abschied .
Diese hob , wir wissen nicht , ob zu ihrer Erbauung , oder zum Zeitvertreibe , ein holpriges Lied an , und sang mit tiefer und rauher Stimme Strophen durch die Nacht , deren Worte Hermann nicht verstehen konnte .
Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Ein Hirschgeweih über der Pforte , und das Anschlagen der Hunde von einem Hinterhof her , kündigten die Wohnung eines Weidmanns an .
Hermann schritt durch den mit Bäumen bepflanzten Vorraum , und klopfte an die aus zwei Hälften bestehende Tür .
Von innen riefen zarte Stimmen : " Ach , er kommt !
Er kommt ! "
Die Tür wurde auf getan , er trat in eine nur vom Kohlenfeuer des Herdes beleuchtete Küche , zwei Kinder drängten sich an ihn , und fragten ängstlich :
" Sie sind doch der Herr Doktor ? "
" Ich bin kein Arzt , Kinder " , versetzte Hermann , " ich bin ein verirrter Reisender , der um ein Nachtlager bitten wollte .
Wo sind eure Eltern ? "
Stadt hierauf zu antworten , warf sich das Mädchen jammernd über einen Stuhl , die hellen Tränen drangen aus dem Gesichtchen , sie rief schluchzend :
" Unsere Mutter stirbt , und alles hat uns verlassen ! "
Anfangs stand der Knabe , wie verlegen , still und tränenlos neben der Weinenden , dann zuckte es um seine Lippen , er ballte die Hände , stampfte mit dem Fuße , riß das Haupt der Schwester an seine Brust , drückte es heftig an sich , und sagte mit einer Stimme , die halb wie Trotz , halb wie die innigste Liebe klang : " Cornelie , du sollst nicht weinen . "
" Muß ich zuletzt noch an ein Krankenlager geraten ! " rief Hermann .
Er sah sich um , es war das gewöhnliche Innere eines westfälischen ländlichen Hauses .
Die Küche mit dem Feuerherde als allgemeiner Versammlungsort in der Mitte , mit Fliesen gepflastert , mit schwarz-beräucherten Bohlen gedeckt .
Hinter diesem Raume der Viehstall , ohne sonstige Trennung von dem Aufenthalt der Menschen , als durch die Krippe .
Gegenüber ein paar Türen , die zu den kleinen Zimmern in den vorspringenden Teilen des Gebäudes führten .
Ein Ächzen ließ sich nebenan vernehmen .
Hermann ging zu dem Bette der Kranken .
Sie fieberte und phantasierte , sprach viel von einem Fräulein und von Briefen , und wiederholte oft mit Heftigkeit den Ruf : " Die Briefe weg !
Verbrennt die Briefe ! "
Er kehrte zu den Kindern zurück .
Sie schienen in dem einsam liegenden Waldhause ganz allein zu sein .
Er begriff nicht , wie man die Gewissenlosigkeit so weit hatte treiben können , ihnen die Kranke , und sie sich selber zu überlassen .
Aufs neue schien ihm die Schutzrolle zugeteilt zu sein , und der Tag sollte enden , wie er begonnen hatte .
Der Knabe sagte ihm , es sei nach dem Arzte in der Stadt geschickt worden , welcher auch versprochen habe , zu kommen .
Sie hätten nun von Stunde zu Stunde auf ihn gewartet , und als sie das Klopfen gehört , gemeint , er sei endlich da .
Hermann suchte die armen Geschöpfe mit herzlichen Worten zu beruhigen .
Er nahm sie bei der Hand , streichelte ihre Wangen , sprach ihnen Mut ein , und versicherte , mit der Mutter habe es keine Gefahr , er sei zwar kein Arzt von Profession , verstehe sich aber doch auf die Krankheiten , es sei nichts als ein Flußfieber .
Der getroste Ton , mit dem er sprach , machte einen günstigen Eindruck auf seine Schutzbefohlenen .
Cornelie trocknete die Tränen im Schürzchen ab , lehnte sich an ihn , und umfaßte , da er nicht aufhörte , zu trösten und zu ermutigen , mit beiden Händen seinen Arm .
Ihren Bruder , den sie Ferdinand rief , schien dies zu verdrießen , er lief in eine Ecke der Küche , stampfte wieder mit dem Fuße , und sagte derb und trocken :
" Cornelie , mich hungert , Koch etwas zu essen . "
Auch Hermann wären ein paar Bissen angenehm gewesen .
Zu seinem Erstaunen wußten die Kinder trefflich Rat zu schaffen .
Ferdinand war rasch eine Leiter über dem Kuhstalle hinauf zu einer Art von Verschlage , kroch hinein , Hühner schrien , gleich darauf kam der Knabe mit einem Tuche voll Eier herab .
Cornelie hatte unterdessen den Wasserkessel , der nach Landesbrauch nie den Haken über dem Herdfeuer verließ , in die Siedenähe gerückt , und tat die Eier hinein .
Ferdinand spürte das Brot und die Butter auf , das Tischtuch , die Messer und Gabeln fanden sich , in wenigen Minuten war der Tisch gedeckt .
Cornelie nahm mit der Kelle die Eier aus dem Wasser , setzte sie auf , ging in die Krankenstube , kehrte , ein neues Schürzchen vorgebunden , zurück , und nötigte , zierlich sich verneigend , ihren Gast zum Essen .
Hermann hatte mit Behagen den lieblichen Gestalten zugesehn , wie sie sich geschäftig vor dem Feuer des Herdes hin und her bewegten .
Es war , als führten sie seit Jahren eine Wirtschaft , so geschickt war alles Häusliche von ihnen besorgt worden .
Nun setzte er sich mit seinen jungen Wirten zu Tische , nicht neben Cornelien , denn zwischen sie und ihn hatte sich Bruder Ferdinand geschoben .
Hermann mußte über die kindische Eifersucht lächeln .
Der Knabe genoß , obgleich er vorher sehr hungrig getan hatte , nun fast gar nichts , hing mit seinen Blicken an Cornelien , und drückte ihr verstohlen die Hand , sooft sie dieselbe vom Tische nahm .
Sie litt es einige Male , dann aber zog sie dieselbe hinweg , und sah verschämt nach Hermann hinüber .
Nur das Feuer des Herdes leuchtete zu dem kleinen Mahle , Kerzen hatten die Kinder nicht zu finden gewußt .
Sie plauderten allerlei ; vom Vater und dem nach ihm geschickten Boten , daß der Vater gewiß morgen kommen werde , daß nun alles gutgehe , da die Mutter nur das Flußfieber habe .
Dieses Wort , und die Gegenwart Hermanns hatte sie beruhigt , sie schienen ihre Angst vergessen zu haben .
Die Kranke war auch still geworden , und lag in einem tiefen Schlummer .
Hermann fühlte sich in dieser Stille ungemein wohl .
Er kam sich wie ein Hausvater vor ; alles war so heimlich , traut und natürlich , der kleine Tisch , die schönen Kinder , manch ländliches Gerät umher im ungewissen Feuerschein .
Um die Ekloge zu vollenden , erhoben sich ein paar breitgestirnte Kühe , durch das späte Geräusch aufgestört , von ihrer Schlummerstätte und streckten über die Krippe ihre Köpfe dumm und zutraulich nach den Menschen hinüber .
Endlich hieß Hermann die Kinder , welche , überwacht , noch munter Fortschwatzen wollten , sich niederlegen .
Er versprach ihnen , wach zu bleiben , und auf die Mutter zu achten .
Die Wanduhr hatte Eins geschlagen .
Ferdinand ging , Cornelie machte noch ein Glas Brotwasser für die Kranke zurecht .
Dann wollte sie dem Bruder folgen , und wünschte ihrem Beschützer wohl zu schlafen .
Dieser umfaßte sie , und wollte ihr unbefangen , wie man mit Kindern zu tun pflegt , einen Kuß geben .
Aber sanft entwand sie sich ihm , und flüsterte ängstlich :
" Ach nein , lassen Sie das doch ! "
Indem sie ging , kam sie ihm länger vor , er wußte nicht , wo er zuerst die Augen gehabt hatte , daß sie ihm so gar klein erschienen war .
Elftes Kapitel Elftes Kapitel Nun war er mit sich allein , in tiefster nächtlichster Stille , die nur von dem einförmigen Schlage des Perpendikels belebt wurde .
Er ging in die Krankenstube , wo er jetzt erst in einer Ecke allerhand aufgespeichertes Reisegerät : Koffer , lederne Behälter , Körbe und dergleichen bemerkte .
Was diese Zusammenhäufung von Dingen in einem Wohnzimmer , denn das schien jene Stube zu sein , bedeuten sollte , war ihm unerklärlich .
Einige Bücher lagen unter den Sachen umher , eins derselben nahm er zur Hand .
Er wollte versuchen , am Herde , dessen Glut er mit einigen Kienscheiten erfrischte , zu lesen .
Es waren die Schriften von Novalis .
Blätternd stieß er auf das schöne Märchen von Hyazinth und Rosenblütchen , welches so lieblich die Lehre ausspricht , daß wir mit allem Suchen nur unsere Kindheitswonne wiederzufinden streben .
In den Fragmenten umhersehend , fand er den Satz : " Wer rechten Sinn für den Zufall hat , der kann alles Zufällige zur Bestimmung eines unbekannten Zufalls benutzen .
Auch der Zufall ist nicht unergründlich , er hat seine Regelmäßigkeit . "
Ihm schmerzten die Augen , er tat das Buch hinweg .
" Kann man doch alles behaupten , wenn man nur den Mut dazu hat " , sagte er .
" Wir haben so ziemlich jegliches Ding nach Schnur und Maß geordnet , nur der Zufall hatte sich noch seine weltalten Launen vorbehalten .
Nun will uns der schlafengegangne Magus überreden , daß wir auch diesen äußersten dunkelsten Winkel der Welt mit unserem Lichte erleuchten können .
Wohlan , welche Regel ist in dem Gastmahle , vom Zufall mir in diesen letzten vierundzwanzig Stunden aufgetischt ?
Was für eine Lehre hat mir das Begegnen Flämmchens , das sonderbare Benehmen der Herzogin , und meine letzte improvisierte Hausvaterschaft geben wollen ? "
Noch einmal das Buch in die Hand nehmend , schüttelte er ein Blatt , lose eingelegt , heraus .
Er hob es auf .
Es war eine kolorierte Zeichnung ; ein tiefes gewundenes Tal , mit weißen langen Gebäuden besetzt .
Er las mühsam die Unterschrift ; wie erstaunte er , als er den Namen der Fabriken seines Oheims fand !
" Wie mag diese Landschaft sich hierher verloren haben ? " fragte er .
" Willst du mir vielleicht ein Zeichen deiner Regelmäßigkeit geben , rätselhafter Gott Zufall ?
Lauscht hinter den Geldsäcken des Oheims mein Rosenblütchen ? "
Die Augen sanken ihm vor Müdigkeit zu .
Er fand einen Lehnstuhl , in dem er sich bequem zurechtsetzte .
Doch schlief er nicht ein .
Er befand sich in dem überreizten Zustande , worin die Phantasie , unwillkürlich , aus eigener , losgebundener Kraft nicht müde wird , ihr mischbuntes Arabeskengedicht zu spinnen .
Die Figuren des Tages wuchsen ihm aus Blumen entgegen , zerstäubten in Flocken , setzten sich aus den Flocken wieder zusammen , strichen hinüber und herüber .
Zwischen allen diesen Phantasmen kehrte eine Erscheinung am öftesten wieder .
Aus weiter Ferne sah ihn ein Haupt erblichen , sanft an , schwebte dann näher , und je näher es kam , desto deutlicher erkannte er das Medusenantlitz , welches ihm zuletzt voll furchtbaren Ernstes , und doch unendlich milde , tief in die Augen blickte .
Darauf wich es zurück , und so schwankte dieses wache Traumbild zwischen Nähern und Entfernen , Milde und Schreck einige Male hin und her , bis es plötzlich wie eine Maske umfiel , und eine lachende Gestalt , die sich dahinter verborgen , hervorsprang , welche Flämmchens Züge trug .
Sanfte Töne erweckten ihn nach einigen Stunden aus dem dumpfen Morgenschlafe , in welchen sich denn doch zuletzt jene Spiele der Einbildungskraft verloren hatten .
Ein roter Schein zitterte durch das Haus .
Noch war es leer .
Sein erster Gedanke suchte die Kinder .
Er stieß eine Tür auf , da wurde ihm ein Anblick , der nicht schöner sein konnte .
Auf einer über den Fußboden gebreiteten Matratze ruhten die Unschuldigen lächelnden Gesichts nebeneinander .
Die trotzigen Züge des Knaben waren gemildert , der Kopf des Mädchens lag auf der Brust des Bruders , sie hielt ihre Hände gefaltet .
Der Knabe hatte seine Schwester im Arme .
Das Morgenrot beleuchtete die Gruppe , und gab dem dunkelblauen Pfühle , auf dem die Kinder schliefen , eine tiefe Purpurfärbung .
Dazu erklangen von draußen die gehaltenen Töne der Blasinstrumente .
Doch nur wenige Augenblicke dauerte dieses schöne Gesicht .
Das Morgenrot setzte sich schnell in den gelben Schein des Tages um , die Gestalten der Kinder erbleichten , und die Farbe des Pfühls wurde ein kaltes Blau .
Draußen fielen die Instrumente mit einem hallenden Jägerstückchen ein .
Hermann ging hinaus .
Vier bis fünf Grünröcke standen im Kreise und bliesen .
Nachdem sie ihr Stückchen vollendet , wandte er sich an den , der ihm der Herr und Meister der übrigen zu sein schien .
" Herr Förster " , sagte er etwas bitter , " Ihre Frau lebt noch , aber Ihre armen Kinder sind fast vor Angst gestorben . "
Der Förster , der sich seines Hagestolzstandes in Ehren bewußt war , und schon mit Verdruß einen Fremden aus seinem Hause hatte kommen sehen , musterte Hermann vom Kopf bis zum Fuß , und entgegnete nichts , als ein langgezogenes :
" Was ? "
Man erklärte sich indessen bald .
Die Kinder waren mit ihrer kranken Mutter tags zuvor angekommen , und hatten den Förster um den Liebesdienst gebeten , sie aufzunehmen , weil die Mutter vor übergroßen Schmerzen nicht einen Schritt weiter fahren konnte .
Woher sie gekommen ?
Wie die Familie heiße ?
Was der Frau fehle ? um alles dieses hatte sich jener Westfale nicht bekümmert .
Denn er war der Meinung , daß das Wissen aufblase , und unnütze Neugier vom Übel sei .
Es war gleich nach dem Arzte geschickt , die Kinder selbst hatten , entschlossen , wie Hermann sie kannte , einen Boten an ihren Vater gedungen .
Somit war alles Nötige geschehen , und der Förster hatte sich nicht weiter um die Sache bekümmert , sondern seinen gewöhnlichen Holzgang gehalten .
" Es war keine Seele im Hause .
Wie konnten Sie die Unglücklichen über Nacht allein und hülflos lassen ? " fragte Hermann mit Heftigkeit .
" Mein Herr , was geht Sie denn eigentlich meine Handlungsweise an ? " entgegnete kaltblütig der Förster .
" Ich war auf dem Tanz bei dem Hofschulzen , wohin ich alle Jahre mit meinen Leuten gehe .
Engel sollte zu Hause bleiben , ist Engel fortgelaufen , so kriegt Engel die Karbatsche ! " -
Er verstand unter diesem Engel seine Magd Angela , welchen Namen das Volk dort solchergestalt zusammenzieht .
Hermann war überzeugt , daß er hier ins Mittel treten müsse , um die Gefühllosigkeit des Grünrocks durch das Interesse zu bezwingen .
Die Goldstücke der Herzogin , die ihm freilich zu einem anderen Zwecke gegeben waren , brannten in seiner Tasche ; er rief :
" Ich bezahle alles , was die Kinder mit ihrer Mutter bei Ihnen verzehren , aber ich bitte mir aus , daß Sie gewissenhafter sich ihrer annehmen .
Heute abend oder morgen früh bin ich wieder hier . "
Er ging , ohne den Förster nach dem Wege zu fragen , was auch unnötig war .
Denn nur die Nacht hatte ihn getäuscht .
Das Försterhaus lag auf einer Waldblöße , und hinter einem dünnen Saum von nahem Gebüsch lief der große Heerweg .
In kurzer Entfernung sah er den wohlbekannten Turm des Städtchens .
Er hatte sich also am Abend zuvor im Zirkel umhergetrieben .
Der Förster stand nach der leidenschaftlichen Anrede Hermanns einige Minuten schweigend , als müsse sich seine Seele erst besinnen , wie sie solche Beleidigungen aufzunehmen habe .
Dann brach er mit einem grimmigen Fluche los , und rief zornig , daß seine Rüden zu bellen begannen :
" Brauche ich denn dein Geld !
Bin ich denn ein Schenkwirt ?
So soll doch das Donnerwetter dareinschlagen ! "
Er ging eiligst in sein Haus , entschlossen , wie rohe Menschen in solchem Fall zu sein pflegen , für die Schuld eines Dritten die Unschuldigen büßen zu lassen .
Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Nach der tiefsinnigen Bemerkung des seligen Asmus rühren die Mißverständnisse gewöhnlich daher , daß einer den anderen nicht versteht .
Dieser Satz erhielt durch das , was nunmehr zwischen Hermann und dem Komödianten vorfiel , eine neue Bestätigung .
Flämmchens Fluchtgeschichte war einfach genug .
Das Mädchen war die Tochter eines polnischen Offiziers , der , unter den Fahnen des Eroberers dienend , Mutter und Kind auf den Kriegszügen durch Deutschland mit sich umhergeführt hatte .
Er blieb in einer großen Schlacht , bald nachher starb auch seine Geliebte , eine Spanierin , von Klima und Mangel aufgezehrt .
Aus den Händen armer Leute empfing der Komödiant das elternlose Geschöpf .
Er war ein gutmütiger Mensch und spielte schon damals edle Väter .
Der Anblick des kleinen Wesens , dem die Augen wie Kohlen im Kopfe brannten , und welches aus seinen Lumpen so keck hervorsah , als sei es eine Prinzessin , rührte ihn .
Er ließ das Kind sich abtreten , und beschloß , es zu seinem Gewerbe anzuführen .
Indessen brachte ihm diese wohltätige Handlung keinen Segen , sondern nur Herzeleid .
Fiametta , die lieber Flämmchen heißen wollte , war das eigensinnigste , widerspenstigste Ding , was polnisches und spanisches Blut , vereinigt erzeugen können .
Die sogenannte Erziehung , welche ihr in jener Komödiantenwirtschaft zuteil wurde , fruchtete nichts , und unmöglich war es , sie zum Auftreten zu bewegen .
Sie begreife nicht , sagte sie , wozu das dumme Zeug , wie sie das Schauspiel nannte , diene ? der falsche Vater lüge ja den ganzen Tag über , warum er denn des Abends zu seinen Lügen die fremden Kleider anziehe ?
Einmal hatte man sie unter Mühe und Not , durch Hunger und Kummer dahin gebracht , die Rolle des Knaben Otto in der " Schuld " zu lernen .
Der Abend kam , Flämmchen ließ sich Gehorsam anziehen , schminken wolle sie sich schon selbst , sagte sie .
Jerta stand auf den Brettern , und deklamierte die erhabensten Sachen , Elvire zitterte noch von dem Ereignis mit der gesprungenen Saite , da kam Flämmchen , der kastilianische Knabe , aber wie ?
Rot , blau , gelb , grün , weiß , und was für Farben noch sonst ! hatte sie sich in das Gesicht gestrichen , sie glich durchaus den Macis mit den Regenbogenwangen , welche die Zierden der umherwandernden Menagerien zu sein pflegen .
Jerta verstummte , Elvire kreischte , das Publikum wußte nicht , woran es war .
Flämmchen trat an den Rand des Proszeniums , sang ein Lied ohne Sinn und Verstand , sprang ins Orchester , half sich am Bass empor , kletterte über die Brüstung , war im Parkett , wischte sich ge lassen die Schminke aus dem Gesichte , und erklärte den Leuten in den Sperrsitzen , es sei ihr unmöglich , vor der ganzen Stadt die verrückten Streiche zu machen , die man von ihr begehre .
Nach der Bühne rief sie hinauf :
" Spielt nur weiter , ihr könnt meine Sachen auslassen ! "
Man denke sich die Verzweiflung der Schauspieler und den Jubel des Publikums !
Geschrei , Gelächter , Klatschen von oben bis unten , aus allen Ecken des Hauses !
Man verlangte Flämmchen in den Logen , im Parterre , überall .
Sie aber blieb ruhig in einem Sperrsitze , und schien sich um den ganzen Lärmen nicht weiter zu kümmern .
Bald wurde das Publikum seines Jubels auch wieder müde , man forderte von den armen Schauspielern heftig das Stück !
Don Valeros , der Vater und Pflegevater trat heraus , erklärte , der beklagenswürdige Vorfall mache die Fortsetzung der " Schuld " unmöglich , und kündigte den " Lustigen Schuster " an .
Nun gingen die Gebildeten aus dem Theater , ließen sich das Legegeld an der Kasse zurückgeben , und nur der Pöbel blieb .
Seit diesem verderblichen Abende , der dem Pflegevater vom Direktor auf Rechnung gestellt wurde , wünschte jener herzlich , der Bürde entledigt zu sein , die seine Gutmütigkeit ihm aufgeladen hatte .
Es kam dazu , daß alle Menschen , und insbesondere die jungen Männer , Partei gegen ihn und für Flämmchen nahmen , deren Eulenspiegeleien jedem , der nicht durch dieselben litt , gefielen .
Man redete auf ihn ein , er müsse nur zu erziehen wissen , er müsse diese Natur nach Prinzipien behandeln .
Der arme Komödiant wußte aber von Pädagogik so viel , wie von den Bewohnern des Sirius .
Er war daher mit seinem Verstande durchaus am Ende , und verschwor , jemals wieder die Tugend der Wohltätigkeit zu üben .
Nachdem er wegen schwindenden Gedächtnisses verabschiedet worden war , zog er durch das Land , und stoppelte noch hin und wieder ein Deklamatorjam in irgendeinem Winkel zusammen .
Auch nach dem kleinen Städtchen war er in dieser Hoffnung gekommen , hatte aber erst nichts zustande bringen können , und stilliegen müssen .
Hier fand er eine frühere Bekanntschaft wieder , einen alten verwitterten Menschen , der mit dem Johanniterkreuze geziert war , und , da der Orden nichts mehr zu leben gibt , sich zu einem kleinen Posten , wenn wir nicht irren , im Zollfache hatte bequemen müssen .
Sie hatten einander in besseren Verhältnissen gesehen .
Damals war der Pflegevater ein beliebter Akteur , der andere ein kräftiger , lebensfrischer Offizier gewesen .
Letzterer gehörte zu den Figuren , wie deren so viele in Deutschland umherwanken .
Er hatte während der Umwälzungen unseres Vaterlandes mehreren Herrn nacheinander gedient , und war auch eine Zeitlang der Kamerad von Flämmchens Vater gewesen .
Er sah das geckenhafte Mädchen bei dem alten Genossen seiner schöneren Erinnerungen , und faßte eine Zuneigung zu ihr .
Nach seiner Meinung mußte der schöne Trotzkopf mit vernünftiger militärischer Strenge behandelt werden .
" All dein Gebelfere hilft nichts " , sagte er zum Komödianten .
" Sie muß durch Disziplin , Kommando , Tempo , Prison und dergleichen in Ordnung kommen . "
Er bat , Flämmchen ihm zu geben .
Die Ordnung und die Sparsamkeit selbst , besaß er eine kleine Wirtschaft , und mochte vielleicht bei seinem Vorschlage den Gedanken an eine junge Frau zum Troste seines Alters im Hintergrunde der Seele hegen .
Wer war froher , als der Pflegevater ?
Mit Freude schlug er ein , nur besorgte er im stillen , daß der Johanniter sein Flämmchen nach wenigen Wochen als unverbesserlich ihm zurückgeben werde .
Vorderhand vereitelte aber ihre Flucht die Überlieferung .
Flämmchen entsprang nämlich , sobald sie hörte , daß ihrer eine strenge militärische Disziplin harre .
Die Unordnung war noch das einzige , was sie am Pflegevater liebte , sie hatte schon immer Reißaus genommen , wenn der hagre Johanniter gekommen war .
Die Alten suchten und fanden sie nicht , sie war wie verschwunden .
So hing die Sache zusammen .
Was dem Flüchtling in der Irre begegnete , werden wir späterhin erzählen .
Freilich fehlte viel , daß Hermann der Zusammenhäng der Dinge so unschuldig erschienen wäre .
Die zärtlichen Blicke des Mädchens , die Verleumdungen des Wirts , seine eigenen übereilten Äußerungen gegen die Herzogin hatten gewissermaßen den Verführungsroman zusammengebaut , in welchem er selbst mit den Goldstücken der erlauchten Geberin als Held und Ritter der Unschuld glänzte .
Sein Abscheu gegen die Schauspieler vollendete in ihm die Überzeugung von der Ruchlosigkeit des Pflegevaters .
Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Freilich konnte er nicht zum besten auf diesen Stand zu sprechen sein .
Er hatte , wie viele junge Leute heutzutage , ein Stück geschrieben ; wenn wir nicht irren , war es eine Tragödie .
Nach dem Urteile derer , die es gelesen haben , fehlte es demselben keineswegs an Geist .
Wenn es als Dilettantenarbeit auch vielleicht ohne eigentliche Wirkung vorübergegangen wäre , so hätte das Theater dem Verfasser dennoch wohl den Gefallen tun können , es unter die Fracht aufzunehmen , womit unser Bühnenschiff von Tag zu Tage segelt .
Er erfuhr aber die Tücke jener Sphäre , sobald er sich mit ihr einließ .
Enthusiastische Versichrungen , brennender Eifer für seine Dichtung , Lauwerden , kritische Zweifel , gänzliches Erkalten , treuloses Zurückziehn , Widerruf des gegebenen Worts unter ersonnenen Vorwänden : alle diese Dinge mußte er in kurzer Frist erleben , wodurch er in die übelste Stimmung versetzt wurde .
Seine jungen Leidensgefährten halten sich nun bekanntlich nach solchen Wechselfällen dadurch schadlos , daß sie das Dasein der deutschen Bühne überhaupt leugnen , und neuen Erscheinungen , welche sich die Gunst der Meinung gewinnen , aus allen Kräften rezensierend entgegentreten .
Bei Hermann nahmen aber alle Erfahrungen mehr eine moralische Wen dung .
Er hatte eine so reine Begeisterung bei seinem Werke gefühlt , dieser war so schmählich vergolten worden !
Sein Haß , seine Verachtung wandte sich nicht bloß gegen das Institut , sondern er begann auch die Persönlichkeit der Schauspieler gering zu schätzen .
Es gab nichts , dessen er sie nicht fähig gehalten hätte , und jede Anschuldigung war er geneigt zu glauben , sofern sie einen aus dieser von ihm verworfenen Kaste betraf .
So vorgestimmt und verstimmt ging er zu dem armen Komödianten .
Daß ein schlechter Plan schwer zu beweisen sei , daß die Obrigkeit den Kuppler vertreten werde , wenn man nicht eine entschiedene Niederträchtigkeit darzutun vermöge , diese Betrachtungen zogen ihm durch den Kopf ; er sah ein , daß er in einem so verwickelten Falle mit seiner ganzen so früh erworbenen Klugheit werde handeln müssen .
Da ihm nun ein anderes Mittel schlechterdings nicht einfallen wollte , so geriet er auf den wunderbarsten Gedanken .
Er beschloß nämlich , sich anzustellen , als habe er selbst die Absichten auf das Mädchen , welche er bei dem alten Spießgesellen des Pflegevaters voraussetzte , letzteren dadurch in eine Falle zu locken , und wenn er hineinging , wenn er durch unvorsichtige Äußerungen sich bloßstellte , dann im Namen der Tugend mit ihm zu machen , was er wollte .
Der Komödiant hatte die Sorge um sein entlaufenes Unkraut gerade etwas beiseite gesetzt , und an das Deklamatorjam gedacht , welches endlich doch zustande kommen sollte .
In diesem wollte er unter anderem Lear auf der Heide produzieren , und zwar , die Wirkung zu verstärken , im Kostüme .
Er erwartete den Johanniter als Zuhörer zu einer Probe , und ging , für sich rezitierend , die Stube auf und ab .
Sein Negligé war das tiefste ; er befand sich nämlich noch im Hemde , hatte aber , um das Mantelspiel einzuüben , die Enveloppe seiner seligen Frau umgeworfen .
Grade bei den Worten an die Elemente :
Hier stehe ich , euer Knecht , Ein armer , schwacher , tief gekränkter Greis ! trat Hermann , dessen Klopfen nicht vernommen worden war , in das Zimmer .
Der Anblick eines barfüßigen Menschen mit der Nachtmütze auf dem Kopfe , dem die alte kurze Weiberenveloppe kaum die Hälfte der dürren Schenkel bedeckte , brachte unseren Helden einigermaßen aus der Fassung ; doch nahm er sich zusammen , und stellte sich dem mißhandelten Könige als einen Kunstfreund dar , der ihm seinen Besuch machen wollte .
Er gab sich in der Schnelligkeit den Charakter als Baron , um für sein Kavaliermärchen Grund und Boden zu gewinnen .
König Lear , sehr erfreut über den Besuch eines Mannes , welcher , nach rasch angestellter Schätzung zu schließen , ihm mehr als ein Billet abnehmen würde , nötigte den Fremden mit äußerster Höflichkeit , ohne Bestürzung über seine Blöße , zum Sitzen , und verstrickte ihn sofort in ein Kunstgespräch , welches freilich nicht geeignet war , nach dem Punkte hinzuführen , den Hermann im Auge hatte .
Konnte dessen Überzeugung , dessen Widerwille gegen den Pflegevater noch gesteigert werden , so geschah es nun .
Hermann gehörte zu denen , welche durch eine Physiognomie , durch den Klang einer Stimme bis in ihr Innerstes zu verwunden sind .
Der Komödiant hatte jenen weichen bürgerlichen Biedermannston , mit welchem sie auf den süddeutschen Bühnen Helden und Väter spielen , in das tägliche Leben hinübergenommen , sein Gesicht war welk und aufgedunsen von Wein , Schminke und theatralischen Rührungen .
Hermann ekelte der widerwärtige Ton an , ihn erhitzte der Anblick des alten schlafen vermeintlichen Lasters , welches wie der deutsche Hausvater sprach , immer heftiger ; er unterbrach den salbadernden Komödianten plötzlich , und sagte : " Nun etwas anderes , weshalb ich eigentlich gekommen bin . "
- Er wiederholte mit einem gewissen Akzent , daß er Baron sei , einige Güter in Böhmen und eine Herrschaft in Schwaben besitze .
Seine Wangen glühten vor Scham und Verdruß .
Der gute und anständige Mensch mag sich nicht einmal zur Erdichtung einer Schlechtigkeit hergeben .
Es entstand also eine tiefe Pause .
König Lear sah den jungen reichen Baron mit großer Ehrfurcht an , und zerbrach sich den Kopf , was bei diesem Gespräche herauskommen werde .
Seinerseits fühlte Hermann , daß er nunmehr durchaus ohne Weg und Steg sei .
Unfähig , den angelegten Wüstlingscharakter rein und frech zu halten , verlegte er sich auf Andeutungen .
Er stammelte und stotterte allerlei daher ; daß er den anderen mit Flämmchen da und dort gesehen habe , daß es Eindrücke gebe , rasch und augenblicklich und doch tief und entscheidend , daß die Liebe ein Wunder sei , und als Wunder behandelt werden müsse , über kleinliche Formen erhaben , daß die Sehnsucht eines fühlenden Herzens nach Vereinigung lechze , und was dergleichen mehr war .
Der Pflegevater begleitete diese verworrenen Reden , solange sie bloß von Flämmchen handelten , mit Ausrufungen , deren Muster in den Stücken zu finden war , worin eine Tochter dem Vater wegläuft .
Als er aber von dem Eindrucke hörte , von der Liebe und von der Sehnsucht , als er das erhitzte Gesicht , die feurig umherirrenden Augen des Jünglings erwog , da kam ihm eine andere Gedankenreihe und zwar eine sehr freudige .
Was konnte der junge Mann Schlechteres sein , als ein verliebter Edelmann , der einen dummen Streiche machen , und ein schönes Findelkind heiraten wollte ?
Es war ein Fall , der ganz in seine Praxis gehörte .
Zu Hunderten hatte er abends zwischen neun und zehn Uhr hinter den Lampen die Mißbündnisse eingesegnet .
Seine Seele frohlockte ; endlich erschien der Tag , an welchem er Flämmchen gründlich loswerden sollte , und was ging ihm nicht alles noch daneben auf !
Er überlegte in der Geschwindigkeit , ob er seine alten Tage auf den böhmischen Gütern , oder in der schwäbischen Herrschaft zubringen solle , und entschied sich für Böhmen , wegen des Karlsbades .
Die Augen trocknend , welche immer weinten , sobald er wollte , schnupfte er stark , und wiegte vergnügt das Haupt hin und her , während Hermann seine Bruchstücke vortrug .
Als dieser ausgestattet hatte , stand jener auf , streckte die Hand in Hemdärmeln aus der Enveloppe , nahm unseren Freund bei der Rechten , und sagte , Kriegsrat Dallner in Stellung , Blick und Gebärde :
" Lieber Baron , die Papiere über Ihre Angaben !
Sind die Papiere in Ordnung , hegen Sie wirklich die Absichten , welche Sie hegen , so sage ich , es sei !
Nimm sie hin ! "
" Und wie machen wir es mit Ihrem alten Freunde ? "
" Nun mein Gott , von dem kann ja gar nicht mehr die Rede sein .
Wenn ein Mann , wie Sie , mit solchen Anträgen auftritt ... "
" Ha , Schändlicher ! " rief Hermann , sich vergessend , packte den Komödianten bei der Brust und schüttelte ihn aus allen Kräften .
" Schändlicher Kuppler , habe ich dich endlich ? "
- " Donner und Doria , zu Hilfe ! " ächzte der entsetzte Alte .
Der Johanniterritter trat ein .
" Was gibt es hier ? " fragte er erstaunt .
Hermann ließ den vermeintlichen Lastervater los .
" Mord !
Mord , und Mortimer ! " rief der Komödiant .
" Dieser Mortimer drang zum Heiligtume meines Herdes , begehrte Flämmchen zum Weibe , ich willige ein , da spinnt er meinen Tod , der Entsetzliche ! "
" Grauer Lügner ! " rief Hermann .
" Ich hätte Flämmchen zum Weibe begehrt ? "
- " Nun , was wolltest du sonst , Ungeheuer der Nacht ? " fragte der Pflegevater .
- " Hier muß ich Licht anstecken " , rief der Johanniter , und trat dicht vor Hermann .
" Wenn dem so ist , wie mein Freund hier sagt , so haben Sie sich , auf Ehre , sehr sonderbar betragen , mein Herr , und ich bitte mir von Ihnen eine Erklärung aus , und zwar eine bestimmte . "
" Sie wollen von mir eine Erklärung , und in dem Tone ? " rief Hermann mit funkelnden Augen .
" Wohlan , hier ist sie .
Sie sollen Ihr Vorhaben mit dem unschuldigen Kinde nicht ausführen , solange ich einen Arm rühren kann !
Pfui , mein Herr !
Sie betragen sich Ihrer Jahre wenig würdig .
Das Kreuz auf Ihrem Rocke ist übel daran . "
Der alte ehrenzarte Johanniter , der sich ohne irgendeinen Grund so empfindlich beleidigen hörte , geriet in einen schrecklichen Zorn , der sich durch ein dumpfes Lachen ankündigte .
Er knöpfte seinen Rock zu , grub mit den Fingern in der schwarzen Halsbinde , zerrte am Schnurrbart , sein gelbes Gesicht wurde dunkelbraun .
In der Ecke hatte der Komödiant das Schwert des Otto von Wittelsbach stehen , auf dieses warf der Gekränkte einen Blick , welcher das Schlimmste fürchten ließ .
Der Komödiant , der seinen Freund kannte , und nichts inniger haßte , als wirkliches Blutvergießen , war mit einem Satze in der Ecke , packte die Waffe , und sprang damit in die Kammer , welche er hinter sich verriegelte .
Der Johanniter sagte , mühsam unter der Wucht seines Grimms atmend :
" Es sind nur zwei Fälle möglich .
Entweder , Sie sind ein Hergelaufener Landstreicher ohne Namen und Stand , dann werde ich Ihnen angedeihen lassen , was Ihnen gebührt , oder Sie sind imstande , mir Genugtuung zu geben , dann wissen Sie , was ich für Ihre Worte von Ihnen zu fordern habe . "
" Ich weiß " , versetzte Hermann .
" Man darf sich das Äußerste erlauben , und dann doch sehr entrüstet sein , wenn der andere die Sache bei ihrem Namen nennt .
Die Sitten und Gebräuche der Welt sind über mir .
Ich war Offizier ; verlangen Sie , mein Patent zu sehen ? "
Der Johanniter verneinte kalt und höflich , und das war gut , denn jenes Dokument wanderte ja auch in der eingebüßten Brieftasche mit dem Philhellenen gen Hellas .
Man bestimmte Ort und Stunde , der Johanniter versprach auch , da im Städtchen keine Waffen zu bekommen waren , aus seinem Vorrate für diese zu sorgen .
Sie schieden voneinander in den Formen hergebrachter Artigkeit .
Der Komödiant kam aus seinem Verstecke hervor , noch immer im Hemde , und sagte zum Freunde :
" Ich verstehe mich auf den Wahnsinn aus so manchen Sachen her , aber diese Art der Tollheit ist mir fremd , daß der Liebhaber den Vater bei der Gurgel packt , wenn man eben die Einwilligung erteilt . "
" Das geht mich alles nichts an , und ist mir ganz einerlei " , versetzte der alte Ritter .
" Ich habe mit Ehren gelebt und gedient , und auf meine Ehre , er soll einen Aderlaß bekommen , daß es ihm nie wieder einfallen wird , einen Mann , wie ich bin , zu beleidigen . "
Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Mit der unbehaglichsten Empfindung kehrte Hermann nach dem Wirtshause zurück .
Dort erfuhr er , daß die fürstlichen Personen frühmorgens abgefahren seien , und wohl nicht wiederkommen , sondern vom Falkensteine den näheren Weg , eine Stunde von der Stadt , nach ihrem Schlosse einschlagen würden .
Auf ein hastiges Erkundigen , ob nicht nach ihm gefragt worden sei ?
wurde verneinend geantwortet .
Jener schlotternde Hausknecht , der gerade , um eine häusliche Verrichtung abzumachen , hinzugetreten war , und die Anfrage Hermanns vernommen hatte , sagte gähnend , es sei allerdings nach dem Herrn gefragt worden , aber von einem kauderwelschen Jungen , welcher bei ihm hinten im Stalle gewesen sei , und gemeint habe , der Herr nehme ihn in Dienst .
Die Beschreibung des Anzugs paßte auf Flämmchen .
Sie hatte hinterlassen , daß sie vor Abend wieder nachfragen werde .
Hermann gab den Befehl , sie , sobald sie sich zeige , in eine abgelegene Kammer zu bringen .
Er mußte nun erwarten , wie die Sache sich weiter entwickeln würde .
" Nicht einmal nach mir fragen zu lassen , und sie sehen mich doch vielleicht nicht wieder ! " rief er .
" So sind die Vornehmen ! " -
Er zog wehmütig die Rolle hervor , welche ihm die Herzogin gegeben hatte , tat die Goldstücke aus dem feinen , roten , wohlriechenden Papiere , welches sie umschloß , wickelte den Schnitzel sorgfältig ein , und steckte die kleine Reliquie in ein Medaillon mit dem Bilde seiner verstorbenen Mutter , welches den Platz über dem Herzen des Sohns nie verließ .
Die Stunden sind launenhafte Dirnen .
Sie führen bald einen Schwamm , bald einen Pinsel mit Farbe gefüllt , in der Hand .
Mit jenem wischen sie so lange über unsere Freuden hinweg , bis diese erbleicht oder ganz verschwunden sind , mit dem Pinsel malen sie das Bild unserer Leiden immer deutlicher und schärfer aus .
Hermanns Stimmung wurde trüber und trüber , je länger er in der Gaststube saß .
Der Wirt wollte ihm nun durchaus ein gutes Zimmer geben , er verbat es , er hätte zwischen den einsamen vier Wänden nicht ausdauern können .
So blieb er denn an dem allgemeinen Versammlungsorte der Gäste , und sah dem Getreibe um sich her zu .
Dieses Kommen und Gehen , dieses Fragen , Bestellen und Abbestellen , dieses Durcheinander von gleichgültigen Fragen und schläfrigen Antworten , wie man es in einer solchen Stube bemerkt , war ihm recht das Bild unseres unter tausend Widersprüchen sich abhaspelnden Lebens , und er rief : " Am Ende kommt bei der Sache auch nichts weiter heraus , als daß man dem Wirte die Zeche bezahlt , dafür , daß er uns schlechtes Quartier , versalzene Speisen , und ein hartes Folterlager gegeben hat ! "
Langeweile und Ungeduld führten ihn auf die Straße .
Aus dem Fenster , aus welchem gestern die holde Fürstin geschaut hatte , sah heute ein neuer Gast , ein graues Männchen mit einem weißen Hute auf dem Kopfe .
Das Zimmer dünkte ihn entheiligt , er wendete seinen Blick ab .
Der Graue rief den Wirt , welcher in der Tür stand , an , und fragte :
" Wird der Bote nicht bald kommen ? "
- " Ich sehe mir die Augen nach ihm aus , Herr Kommerzienrat " , versetzte der Wirt .
" Das faule Zeug ! ehe das im Gang ist , kann man gestorben und wieder auferstanden sein . "
Er wollte den Wirt nach dem Namen des Fremden fragen , als der trotzige Knabe , den er im Försterhause kennengelernt hatte , sichtbar wurde .
Der Knabe kam eiligst die Straße herab ; er lief mehr , als er ging .
Ohne von Hermann Notiz zu nehmen , wandte er sich an den Wirt , und erkundigte sich , ob er wohl auf der Stelle zwei Zimmer für seine kranke Mutter und seine Schwester haben könne ?
Ehe der Wirt Bescheid erteilte , rief der graue Mann aus dem Fenster :
" Ferdinand ! "
Der Knabe sah empör , die Freude loderte über sein Gesicht , mit dem Rufe : " Vater !
Vater ! " stürzte er in das Haus , die Treppe hinauf .
Der Wirt sagte : " Das ist der Kommerzienrat aus *tal , der sein Geld mit Scheffeln mißt , und der junge Herr ist der Herr Sohn .
Wie wird sich der Herr Vater freuen ! "
Welche neue Überraschung für Hermann !
Der Graue war sein Oheim .
Unwissend hatte er seiner Familie die Nacht über beigestanden , die liebliche Cornelie war sein Mühmchen !
Er ging in das Haus , Vater und Sohn standen schon unten in der Stube .
" Laß anspannen , Ferdinand " , sagte der Oheim , " und gib dem Wirte das für den Boten , den ich nun nicht mehr nötig habe . "
Hermann sah den Oheim mit Verwunderung an .
Diese kleine , kümmerliche Figur mit den viereckigen Knieschnallen , den fahlen Strümpfen , und den schweren Schuhen war also der Millionär , vor dem sich schon Fürsten tief gebückt hatten !
Weißes Haar lag um das Antlitz , welches grau war , wie der Anzug , und nur ein Paar helle , kluge Augen verrieten einen nicht gewöhnlichen Geist .
Er machte dem Oheim eine Verbeugung , und nannte nach einigen einleitenden Redensarten seinen Namen .
Der Oheim stutzte nur leicht , nahm seine Brille , betrachtete den Verwandten durch die Gläser , wie eine zu prüfende Ware , und sagte : " Sieh da !
Du bist also der Neffe .
Nun , nun , du siehst ja recht ordentlich aus .
Wir haben dich längst erwartet ; nach deinem Briefe konntest du schon vor acht Tagen bei uns sein .
Wie gerätst du denn hierher ? das ist ja ganz aus dem Wege . "
" Wenn ich vom Wege abgekommen bin , so habe ich mich wenigstens zur Erfüllung einer Pflicht verirrt .
Ich war diese Nacht hindurch bei Ihren Kindern ; soviel ich über die Sache urteilen kann , hat es mit der Tante keine Gefahr . "
" Das glaube ich auch " , sagte der Oheim .
" Sie wird sich erkältet haben .
Nach einer Badekur ist man immer sehr reizbar .
Kinder wissen sich denn nicht zu helfen , am wenigsten auf Reisen . "
Hermann erfuhr nun , daß die Tante Wiesbaden gebraucht , daß der Oheim den Tag ihrer Rückkunft berechnet habe , und ihr heimlich entgegengereist sei .
" Ich mag sonst die Überraschungen nicht , und mein Plan war mir unterwegs schon leid geworden , nun ist es mir aber doch lieb , daß ich ihn ausgeführt habe " , sagte er .
" Wie hast du sie denn getroffen und erkannt ? "
" Ich habe sie nicht gekannt . "
" Und ihnen doch geholfen ? -
Nun , nun , das ist ja recht hübsch , du scheinst ja einen recht guten Charakter zu haben . "
" Ich wurde , wenn etwas Gutes an meiner Handlungsweise war , sogleich dafür belohnt " , versetzte Hermann .
" Ich muß Ihnen nur gestehen , lieber Onkel , daß ich mich in Cornelien verliebt habe .
Mein Mühmchen wird ihren Mann einmal glücklich machen , sie ist schon jetzt ein vollkommenes Hausmütterchen . "
Dem Oheim schien dieser Scherz wenig zu gefallen .
" Sie ist nicht dein Mühmchen " , sagte er , " sondern die Tochter meines verstorbenen Buchhalters ; wir erziehen sie nur . "
Ferdinand kam .
" Das ist dein Vetter " , sagte der Oheim .
" So ? " versetzte der Knabe gedehnten Tones , und hielt Hermann , der ihn küssen wollte , gleichgültig nur die Wange hin .
" Wie geht es draußen ? " fragte Hermann .
" Warum wolltest du hier Zimmer haben , lieber Ferdinand ? "
" Weil der Förster uns sagte , wir sollten uns aus seinem Hause machen , wir könnten zu dem Herrn gehen , der sich unserer so sehr angenommen , und ihn so schnöde behandelt habe . "
Hermann sah bestürzt vor sich nieder .
" Bester Onkel " , rief er , " es empörte mich , daß der Gefühllose die armen Kinder und die Kranke verlassen hatte , und ich mußte ihm sagen , was mir mein Herz eingab ! "
Der Oheim schüttelte den Kopf , und versetzte :
" Neffe , ich kann dir nicht beistimmen .
Die Leute tun jetzt kaum für Geld etwas , leistet einer ausnahmsweise einmal etwas umsonst , so muß man zufrieden sein , und ja nichts mehreres von ihm verlangen .
Der Transport hätte meiner Frau doch sehr schaden können .
Es ist recht gut , daß ich noch zur rechten Zeit gekommen bin ; der Förster wird sich , wie ich denke , wohl wieder bedeuten lassen . "
Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Die Chaise fuhr vor .
" Willst du mit ? " fragte der Oheim .
Hermann entschuldigte sich mit einem Geschäfte , welches ihn am Orte zurückhalte .
" Das ist ein anderes " , versetzte jener .
" Geschäfte sind immer die Hauptsache .
Auf guten Erfolg !
Wir sprechen uns ja noch , dann kannst du mir sagen , wann du kommen willst .
Ich verlange nach deinem Besuche , ich muß wegen der Gelder , die ich für dich verwalte , mit dir abrechnen , auch habe ich geheime Sachen von deinem seligen Vater an dich abzuliefern , da du nun das Alter erreicht hast , in dem du sie nach seiner Disposition bekommen solltest .
Mein Bruder war ein Mystiker ; man muß den Toten ihren Willen tun . "
Die Chaise rollte davon .
Noch immer wollte die Stunde des Duells nicht schlagen .
Das unbeschäftigte Warten auf etwas , was , man mag es nehmen wie man will , doch unangenehm bleibt , bringt eine Pein ganz eigener Art hervor .
Die Vergangenheit verschwindet , die Zukunft ist bedeckt , und nur das widrige Gefühl einer faden Gegenwart schneidet sich mit stumpfer Gewalt in die Seele ein .
Diese nagende Empfindung zehrte an Hermanns Gemüt .
Obgleich fest entschlossen , Blut und Leben für die Rettung eines unglücklichen Wesens einzusetzen , mußte er sich bekennen , daß der Schmelz von dem Abenteuer abgestreift sei , seitdem er nicht mehr hoffen durfte , den Lohn seiner Anstrengungen in einem gütigen Lächeln der Fürstin sich zu gewinnen .
Die Kinder hatten ihren Vater , die Kranke war unter Obhut , er kam sich in allen Beziehungen , die ihn seit gestern umsponnen hatten , so überflüssig vor .
Ja , er begann zu zweifeln , daß er irgendwo nötig gewesen sei .
Die Gestalt seines umherirrenden Mündels verflüchtigte sich zu einem luftigen Märchenbilde .
" Vielleicht " , rief er unmutig aus , " hatte ich hier an nichts , als an meine verlorene Brieftasche zu denken ! "
Endlich war die Zeit hingegangen , und Hermann stand am bezeichneten Orte .
Ein finsterer Tannenkamm umgab einen geräumigen Platz .
Durch die schwarzen Kronen der alten Stämme sah ein bedeckter Himmel , ein grauer , melancholischer Tag .
Hermann war früher da , als sein Gegner ; er vertraute sich , als dem besten akademischen Fechter seiner Zeit , und war entschlossen , den Feind zu schonen .
Der Johanniter kam in einem kleinen Cabriolet angefahren .
Man begrüßte einander .
Hermanns Gegner ließ ihn unter den beiden mitgebrachten Degen wählen .
Die Sache gewann wegen des Mangels an Sekundanten ein sehr unförmliches Ansehn , und ein gefährliches , da niemand des Arztes gedacht hatte .
Man vereinigte sich , daß jeder das Recht haben solle , die Dauer des Ganges zu bestimmen , und daß ein Haltrufen nicht für unehrenvoll gelten dürfe .
Die Streiter warfen die Röcke ab , der Hals wurde von der Binde entfesselt , Hermann legte sich aus , der Johanniter hieb aus .
Schon nach den ersten Gängen merkte Hermann , daß er den Gedanken an Schonung aufgeben müsse .
Er focht regelrecht auf den Hieb , wie der Universitätsbrauch ist , der Widerpart verfuhr dagegen nach dem komplizierten französischen Systeme von Hieb und Stoß , und machte ihm mit Finten und blitzschnellem Nachschlagen viel zu schaffen .
Er hielt sich zwar brav , wie immer , war aber doch zerstreuter als sonst , unruhig von den durchwachten Nächten , und vom Getreibe der vergangenen beiden Tage .
Indessen wäre dieser Handel , wie so mancher , durch die Ermüdung der Kämpfer wohl zum unblutigen Ziele gediehen , wenn nicht Hermann plötzlich während einer Pause in der Ferne zwischen den Bäumen eine Figur sich hätte bewegen sehen , die er für Flämmchen halten mußte .
Seine Verwirrung nahm zu , er wollte den Kampf um jeden Preis zu Ende bringen , und suchte durch Heftigkeit den Mangel an Sicherheit zu ersetzen .
Er drang gewaltsam vor , gab dabei eine Blöße , diese benutzte der Gegner , rasch einspringend , und die Terz hauend .
Der Stahl zischte durch die Luft und fuhr in die rechte Seite .
Die Degen sanken , das Blut tröpfelte aus der aufgeschlitzten Seite , quoll dann immer reichlicher hervor , floß und floß unaufhaltsam .
Der Johanniter schlug sich wie ein Rasender vor den Kopf , und verwünschte den Streiche , der ihn um seinen Posten bringen könne .
Hermann war erschöpft zu Boden gesunken , und sagte mit matter Stimme :
" Beruhigen Sie sich , eilen Sie nach der Stadt , holen Sie einen Arzt , und sagen Sie überall , Sie hätten hier einen Verwundeten liegen sehen .
Ich bestätige jedes Ihrer Worte , und will versichern , daß mich ein Räuber angefallen habe . "
Unterdessen war Flämmchen weinend und jammernd herbeigekommen .
Sie fuhr mit entsetzlicher Gebärde auf den Johanniter zu .
" Du hast ihn erstochen , meinen Gemahl , den Prinzen , er stirbt !
Ich werde nie eine Prinzessin werden ! " rief sie .
" Aber dafür sollst du verdorren !
Ich weiß , wo die Hexenmeister wohnen , die einem den Schatten nehmen und das Spiegelbild rauben , und das Galgenmännlein verkaufen . "
" Bist du verrückt ! " fuhr sie der Johanniter an .
" Komme mit !
Welch ein Aufzug ! "
" Bleibe mir vom Leibe ! " rief die junge Furie .
" Ich sage sonst , was du begangen hast , und sie sollen dir den Kopf abschlagen . "
Hermann richtete sich halben Leibes empor .
" Bringt Sie mein Blut nicht zur Besinnung ? " fragte er .
" Ich beschwöre Sie , achten Sie die Tugend dieses Mädchens ! "
Der Johanniter sah ihn starr an .
" Ich alter Tor ! " brach er endlich aus , " über meine verdammte Hitze !
Sich beleidigt zu halten von einem Menschen , der seine fünf Sinne nicht beisammen hat ! "
Er warf den Degen weit von sich in das Gebüsch , und jagte mit seinem Wägenchen im Galopp davon .
Flämmchen warf sich zu dem Verwundeten an den Boden , stopfte Moos in die verletzte Seite , rief ihm die süßesten Namen zu , und dazwischen dem Johanniter gräßliche Verwünschungen nach .
Hermann hörte und sah nichts mehr .
Eine tiefe Ohnmacht hatte ihn überschattet .
Sein Gesicht war totenbleich .
Das Moos hemmte die Blutung nicht .
So lag er unter den düstern Tannen , als ein Opfer seines guten Willens .
Zweites Buch .
Das Schloß des Standesherrn Erstes Kapitel Erstes Kapitel Im Park , dem Schlosse gegenüber , saß die Gesellschaft , und erfreute sich des klaren Herbstabends .
" Wie geht es unserem Kranken ? " fragte der Herzog einen Mann von zuversichtlichem Äußeren .
" Nach Wunsch " , erwiderte der Arzt .
" Das Fieber ist zwar noch vorhanden , doch schon im Abnehmen .
Die Krisis ist überstanden .
Wenn ich bedenke , daß zu den Folgen der schweren Verwundung sich noch die starke nervöse Affektion gesellt hatte , so muß ich über die Kraft dieser Natur erstaunen , welche so vereinigten Angriffen zu widerstehn imstande war . "
" Hat man den Täter noch immer nicht entdeckt ? " fragte die Herzogin .
" Der Verwundete konnte bis jetzt keine Auskunft geben .
Jener Mann , der ihn gefunden und die Nachricht in das Städtchen gebracht hat , wußte auch nichts Näheres zu sagen . "
" Und der Knabe , sein kleiner Diener ? "
Der Arzt sah mit einem eigenen Blicke vor sich nieder .
" Er erzählt Sachen , gnädigste Herzogin , die zu abenteuerlich sind , als daß ich sie hier wiederholen möchte .
Ich fürchte , dieser Knabe ist auf eine greuliche Art verwahrloset oder verbildet . "
Das Gespräch wandte sich auf die sonderbare Fügung der Umstände , welche unserem Freunde die Hilfe gebracht hatte .
Der Weg , welchen die Herrschaften bei der Rückkehr von dem alten Schlosse Falkenstein einschlugen , führte in geringer Entfernung an dem Tannengehölze durch , in dem Hermann seine Wunde erhielt .
Er mochte eine Stunde in seinem Blute gelegen haben , ohne daß ein Chirurg sich blicken ließ .
Flämmchen saß ausgeweint , still , verzweifelt bei dem Ohnmächtigen .
Da hörte sie von fern den dumpfen Ton der über Kies und Grand fortarbeitenden Kutsche .
Sie stürzte durch die Tannen , fiel am Wagenschlage auf die Knie und flehte um Erbarmen für den Halbtoten .
Welcher Schreck für die Herrschaften , als sie den jungen Mann , der ihnen in mancher Beziehung interessant geworden war , in solchem Zustande wiedersahen !
Man half sich mit ihm , wie man konnte , und brachte ihn , notdürftig verbunden , langsamen Fahrens nach dem Schlosse .
Aber welches Unglück , wenn sie später gekommen wären !
Wenn die Abendkälte , der Tau den Verwundeten auf dem kühlen Boden getroffen hätten !
Wenn der andere Weg , wie der Kutscher anfangs gewollt , eingeschlagen worden wäre !
Alle diese Fälle wurden besprochen , in deren Aufzählung besonders die Herzogin die größte Lebhaftigkeit zeigte .
Ein junger blasser Mann , den Tonsur und schwarze Kleidung als den Hausgeistlichen bezeichneten , hatte sich bisher wenig geäußert .
Nun aber , als das Reich der Möglichkeiten solchergestalt durchgemustert wurde , nahm er das Wort , und erklärte mit schwärmerischem Feuer , daß es für den Gläubigen kein Ungefähr gebe , daß Gottes Finger in allem sichtbar sei , und daß auch der Fremde nicht ohne den Ratschluß des Himmels sich in diesem Schlosse befinde .
Der Arzt warf hierauf schalkhaft die Frage hin , welcher Religion der Fremde wohl sein möge ?
" Er ist aus einer protestantischen Familie " , versetzte Wilhelmi sarkastisch .
" Indessen wer kennt den Ratschluß des Himmels mit ihm ? "
Der Geistliche war still geworden .
Der Herzog erklärte , der Ratschluß des Himmels werde wenigstens auf keinen Fall sein , den jungen Mann innerhalb des Burgfriedens zu einem anderen Glauben zu bringen .
Er halte als Grundherr auf seinem Gebiete an den Bestimmungen des Westfälischen Friedens fest , und keine Konfession solle da , wo er etwas zu sagen habe , sich gegen eine andere Zudringlichkeiten erlauben .
Der Geistliche stand auf , und beurlaubte sich , weil die Stunde seiner Übungen gekommen sei .
Nach seiner Entfernung entstand die Stille , durch welche ein gebildeter Kreis die Medisance schlechter Gesellschaften bei sich ersetzt , wenn jemand weggegangen ist , dessen Sinn nicht ganz zu den übrigen paßt .
Endlich sagte die Herzogin :
" Sich gegen die Ereignisse ungebärdig stemmen , ist meistens so unnütz .
Können wir dem armen , in der Dunkelheit forttappenden Menschen einen anderen Rat geben , als :
» Gewöhne dich , in jedem Vorfallen das Walten der himmlischen Mächte voll Ergebung aufzusuchen « ? "
" Aufzusuchen !
Sehr schön ! " versetzte Wilhelmi .
" Aber um alles in der Welt nur nicht zu früh , zu gedankenlos es zu finden .
Jedwedes , auch das Herrlichste , kann zur Spielerei , zur Redensart werden .
Wer wollte gegen das Schönste , gegen einen wahrhaft gottergebenen Sinn polemisieren ?
Aber zu rasch bei einem Unglücke mit der Unterwerfung unter die allmächtige Hand Gottes fertig zu sein , beweiset mir nur , daß das Unglück dem Betroffenen ein so gar großes nicht war .
Nur mit abgefallenen Wangen , erloschenen Augen , und kummerbleichen Lippen spricht der Mensch jenes Wort würdig aus .
Auch die Heiligen haben ihr Haar zerrauft , und in der Asche getrauert !
Es ist unsittlich und unfromm , immer sittlich und fromm sein zu wollen .
Wenn Sie , meine Fürstin , mir nach einem schweren Leid , wovor Sie Gott bewahren möge , sagen : » Der Herr ist über mir ! « dann weine ich mit Ihnen , wenn ich Ihnen nicht helfen kann .
Wenn aber die Mutter , der das Kind starb , spricht :
» Wie sollte ich klagen , da es bei Gott ist ? « und acht Tage darauf in ihre gewöhnlichen Gesellschaften geht ; wenn der sogenannte Freund dem in weite Ferne , vielleicht für immer , scheidenden Freunde nichts weiter nachzurufen weiß , als :
» Man soll sein Herz an nichts Irdisches hängen ! « dann wende ich meine Schritte , und überlasse die gemütlichen Schwätzer ihrer öden Selbstzufriedenheit .
Aus dunkler Tiefe , aus tausend Quellen springt das Leben ; man soll ja nicht glauben , die unendliche Flut in einem Fingerhute auffangen zu können ! "
Er war sehr bewegt .
Unter einer kalten , ja abstoßenden Außenseite verbarg sich bei ihm die höchste Zartheit , und eine bis zum Leidenschaftlichen gehende Wahrheit der Empfindung .
Vielleicht bedurfte er jener Kruste , um nicht zwischen den Rädern des Alltags zerrieben zu werden .
Der Herzog flüsterte dem Arzte zu :
" Bringen Sie etwas auf , was uns vor der Fortsetzung dieser Predigt schützt . "
Worauf jener laut anhob :
" Mein Metier verschafft mir nicht so tiefe Seelenanschauungen , wie unser Freund sie uns vorgetragen hat .
Indessen sehe ich am Krankenbette doch auch manches Menschliche .
Nur , daß ich nicht darüber weine , sondern lache .
Ich habe in meinem Gedenkbuche eine Anekdote aufgezeichnet , an welche ich durch diese Gespräche erinnert wurde .
Wenn für die Teestunde keine bessere Unterhaltung bereit ist , so will ich meine Geschichte von den Fügungen des Himmels hiermit dazu anbieten . "
Man verlangte sie zu hören .
Die Herzogin erhob sich .
Ein alter Bedienter kam , und sagte Wilhelmi etwas ins Ohr , seinen Zorn , wie es schien , schwer verbergend .
Wilhelmi sah bestürzt auf den Herzog und entfernte sich .
Der Arzt ging , um noch einige Krankenbesuche zu machen .
Die Herrschaften wollten durch den Laubgang nach dem Schlosse zurückkehren .
Ein kleiner Junge trat aus dem Gebüsch , schlug Rad , stellte sich auf den Kopf , und machte noch mehrere dergleichen Kunststücke , um sein Almosen zu verdienen .
Die Herzogin verbot ihm die halsbrechenden Possen , reichte ihm Geld , und fragte :
" Wie heißt dein Vater ? "
Als der Junge den Namen eines Bettlers genannt hatte , sah die Herzogin ihn scharf an , und sagte : " Ich möchte für diese Unwahrheit dir das Geld wieder abnehmen .
Du bist ein Kind des Waldmeiers , und hast nur aus Übermut gebettelt . "
Der Junge wurde rot und schlich davon , er gehörte wirklich jenem Manne , der für sich und die Seinigen genug zu leben hatte .
" Wie war dir möglich , die Abkunft des Knaben so bestimmt auszusprechen ? " fragte ihr Gemahl .
" Du kennst meine unglückliche Gabe , Familienzüge zu erkennen " , versetzte sie .
" Ich habe früher geglaubt , es sei Täuschung , aber unzählige Erfahrungen haben mich endlich überzeugt , daß mir die Genealogie auch da erscheint , wo sie anderen Menschen nicht sichtbar wird .
Es ist kein gutes Geschenk der Natur . Leider " , fuhr sie schamhaft fort , " sehe ich so manchen geheimen Fehler , wo die Welt nur Pflicht und Tugend erblickt .
Ach , es ist nicht alles eines Bluts , was einen Namen trägt .
Laß mich dir nun auch ein Geständnis tun .
Als ich unserem Kranken zum erstenmal ins Gesicht sah , erschreckte mich die größte Ähnlichkeit mit Johannen .
Ich war bestürzt !
Ich möchte so gern mit dir nun ein ruhiges , geordnetes Leben führen ; wir haben schon so viel Verdruß von jener , ich ahnte neue Störungen , die nie ausbleiben , wenn man sich mit Menschen verworrenen Schicksals einläßt , deshalb bat ich dich , uns den Jüngling fernzuhalten . "
Ihr Gemahl stand einige Minuten nachdenklich .
" Du irrtest dich gewiß .
Mein Vater war ja leider so offen gegen mich über seine Fehltritte .
Er hätte mir diesen auch gestanden .
Und überdies ... es ist nicht möglich ! "
" Nein " , sagte sie , " und wir wollen nicht mehr daran denken .
Ein unerwartetes Ereignis hat ihn uns , wenn nicht wider , doch ohne unseren Willen gebracht .
Ob darin etwas Besonderes zu finden ist , weiß ich nicht , aber ich fühle , daß wir ihn pflegen , und für ihn sorgen müssen , wenn er es verdient .
Das Los eines Menschen gilt mehr als Ahnungen und Träume . "
Sie sprach das einfach , sanft , wie sie pflegte .
Ihr Gemahl sah umher ; es war niemand in der Nähe .
Er umfaßte sie , und schloß sie mit der zärtlichsten Liebe in seine Arme .
" Bleibe die Genossin meiner Entwürfe , die Freundin meiner innersten Gedanken ! " sagte er gerührt .
Sie ruhte beglückt am Herzen des Manns , der ihres Lebens Stolz und Freude war .
Sie standen unter der Gruppe des Amor und der Psyche , und die reinen Sterne sahen auf diese Umarmung nieder .
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Der Arzt zog am runden Tische sein Büchelchen hervor , und las : Der Leutnant und das Fräulein Anekdote aus meiner Praxis Als ich in der Hauptstadt meinen Kursus machte , lernte ich einen Offizier von der Garnison kennen , der mir wegen seines gesetzten Wesens sehr zusagte , und von allen seinen Kameraden als ein ruhiger Charakter bezeichnet wurde .
Dieser ruhige Charakter war schon seit einigen Jahren mit einem Frauenzimmer von desto unruhigerer Gemütsart verlobt .
Fräulein Ida hatte alles Feuer zugeteilt bekommen , welches die Natur bei der Erschaffung des Leutnants Fabian erspart hatte .
Lebendig , galt sie bei ihren Tänzern für geistreich , und konnte allerliebst sein , wenn ihre Partien auf vierzehn Tage hinaus versichert waren .
Anfangs spielte sich das Verhältnis überaus artig fort , er wurde von ihrer Beweglichkeit in Bewegung gesetzt , sie gewann durch seinen Ernst mehr Haltung , woran es ihr früherhin zu ihrem Nachteile bisweilen gebrochen hatte .
Das Unpassende , was das Publikum sonst wohl in Lieutenantsverlobungen findet , fiel hier weg , da die Braut ein artiges Vermögen besaß , und nur der Eigensinn der Mutter die Heirat bis zu dem Zeitpunkte verschob , wo der Schwiegersohn einen höheren Rang , und die Kompanie erlangt haben würde .
Indessen mußte der Monarch wohl noch eine große Anzahl verdienstvollerer oder älterer Leutnants besitzen .
Das Patent blieb länger aus , als man gedacht hatte , und da die Mutter ihre Tochter durchaus nicht ohne einen klingenden Titel von ihrem Herzen weggeben wollte , so dehnten sich die Tage der Hoffnung zu Jahren der Erwartung aus .
Ein zu langwieriger Brautstand hat aber die bedeutendsten Unannehmlichkeiten .
Die Liebe ist für Stunden , die Ruhe für das Leben ; wer kann aber der Ruhe genießen , solange die Früchte noch auf dem Halme stehen ?
Das Gefühl gleicht nach so gedehntem Harren einem schönen Weine , den man im offenen Glase hat fade und abschmeckend werden lassen .
Grade kurz vor der Zeit , wo dieser bedenkliche Mangel an Geschmack im Verhältnisse der Liebenden eintrat , lernte ich den Leutnant kennen , und wurde durch ihn im Hause seiner zukünftigen Schwiegermutter eingeführt .
Ich sah noch die letzten Sommertage der Zärtlichkeit , bald aber nahm ich eine gewisse Kälte zwischen den Brautleuten wahr , die nur mit einem unangenehmfeurigen Wesen abwechselte .
Sie ließ sich wohl , wenn er dicht bei ihr stand , durch einen anderen den Mantel holen , und betonte den Befehl ; er rannte mitunter in der zierlichsten Gesellschaft nach heimlich-raschem Zwiegespräch in die Ecke , wo sein Hut und Degen sich befand , und nur meine Zuredungen konnten ihn alsdann bewegen , Aufsehn zu vermeiden und zu bleiben .
Denn schon war ich sein Vertrauter geworden .
Als junger Arzt mußte ich mir auf jede Weise zu helfen suchen .
Ich machte damals in Herzenssachen den Rat und Beistand , um stärkere Praxis zu bekommen .
Der Leutnant bekannte mir seinen ganzen Kummer .
Er könne seiner Geliebten nichts mehr recht machen .
Jede Laune werde an ihm ausgelassen .
Bald solle er erkaltet sein , bald sich ohne Gemüt betragen haben , neulich habe sie ihm vorgeworfen , er verstehe sie nie .
Er sei wirklich noch ganz und gar der alte , gehe im Frühlinge mit dem ersten Märzveilchen zu ihr , im Junis komme der Rosenstock , im Herbst ein Almanach an die Reihe der Geschenke , wie sonst ; zum Geburtstag mache er seinen Vers , die Weihnachtsbonbonniere fehle nimmer .
Aber alles werde jetzt kaltsinnig oder schnöde aufgenommen .
Was er denn nur in dieser Not beginnen solle ?
Ich konnte ihm freilich als einziges Mittel nur die Heirat nennen .
Er versetzte , dieses stehe nicht in seiner Gewalt .
Sich selber könne er nicht avancieren , und das Kriegsdepartement wolle es noch nicht .
Indessen sind solche ruhige Charaktere nur bis auf einen gewissen Punkt zu treiben , und dieser fand seinen Gleichmut wieder , als er vor seinem Gewissen sicher war , im Dienste der Liebe nicht lässig geworden zu sein .
Nun verwies er seine Braut , wenn sie ohne Grund klagte , an die Vernunft .
Von dieser wollte sie nichts hören .
Darauf kam er mit der Notwendigkeit hervor , sich zufriedenzugeben , wenn die Dinge einmal nicht anders gehen wollten .
Worauf sie ihm sagte , er sei unausstehlich .
Endlich , da alle Trostgründe niederer Schicht nichts helfen wollten , wählte er als letzte Arznei die Fügungen des Himmels .
Wenn sie über ein Fältchen zuviel oder zuwenig im Kleide sich ungebärdig anstellte , sprach er , man könne nicht wissen , wozu ein Mißgeschick fromme .
Wenn der Regen eine Spazierfahrt vereitelte , lehrte er , die Vorsehung lasse Tropfen fallen , damit die Sonne nachher um so herrlicher scheine .
Und als sie einst weinend auf ihrem Stuhle saß , weil man den Gesang einer Mitschwester stärker beklatscht hatte , als den ihren , gab er , zu ihr tretend , den Spruch zu vernehmen :
" Wen der Herr liebt , den züchtiget er ! "
Er war ein ordentlicher Kirchengänger , und hatte wirklich den Glauben , daß dem Geduldigen alle üblen Sachen zum Heile ausschlagen müssen .
Zuerst war ihr dieser Ton neu , und es vergingen einige Wochen unter solchen Tröstungen ganz leidlich .
Indessen wollte das Gute , zu welchem nach ihrer Meinung das Schlechte führen mußte , nämlich das Avancement , immer noch nicht erscheinen .
Da wurde sie böser als je , und der arme Phlegmatiker geriet in ein Fegefeuer , welches nicht läuternder sein konnte .
Zu gleicher Zeit begann ein Einfluß auf sie zu wirken , welcher den Frieden zwischen beiden bald ganz aufhob .
Eine jener alten Jungfrauen , welche , weil sie sitzengeblieben sind , es gern sähen , wenn das Heiraten abkäme , hatte sich des verdüsterten Sinns unserer schönen Ärgerlichen bemächtigt .
Sie ließ in ihre Gespräche einfließen , daß sie schon längst mit Kummer bemerkt , wie der Leutnant immer gleichgültiger geworden sei , wie seine Neigung wohl keine Probe bestehen werde , und was dergleichen mehr war .
Diese bösartigen Worte fanden ein offenes Ohr .
Verdrießlich , von Mißstimmungen geplagt , ließ sich die Getäuschte zu dem Schritte hinreißen , dessen gefährliche Albernheit schon so viele beklagt haben .
Sie wollte den Sinn ihres Liebhabers prüfen .
Eines Morgens wurde ich an das Krankenlager des Fräuleins berufen .
Sie lag , anmutig gekleidet , allerdings im Bette , und klagte fast über jegliches , was den Menschen schmerzen kann .
Die Mutter stand untröstlich daneben , sie liebte das Kind , vielleicht zu sehr .
Man kann denken , daß mir , als jungem Arzte , eine Krankheit in einem geachteten Hause , welches selbst einigermaßen in der Mode war , höchst angenehm sein mußte , ich strengte daher die ganze Kraft meiner Diagnose , deren Feinheit man stets auf der Klinik gerühmt hatte , an , um die Natur des Übels zu entdecken .
Aber der Puls ging vortrefflich , die Augen strahlten vom gesündesten Feuer , die Wangen lachten im reinen Rote der Jugend , die Zunge war unbelegt , alles , ohne Ausnahme alles befand sich leider im wünschenswertesten Zustande .
Ich entschied mich , daß hier Verstellung sei , verordnete die unschuldigen Mittel , welche Hippokrates uns für einen solchen Fall an die Hand gegeben hat , äußerte indessen natürlich meine wahre Meinung nicht , sondern sagte der Mutter draußen , auf ihre ängstliche Frage : ob es auch keine Gefahr habe ? mit Ernst und Nachdruck , daß man noch gerade zur rechten Zeit nach mir geschickt habe , und daß eine Stunde später für nichts mehr zu stehen gewesen sei .
" Sie glauben nicht , welches Zutrauen sie zu Ihnen hat " , sagte die Mutter .
" Den Geheimen Rat durfte ich nicht holen lassen . "
- " Nein " , dachte ich .
" Der alte grobe Heros würde wenig Umstände gemacht haben , meine blöde Jugend ist für dergleichen Leiden geeigneter . "
Auf der Straße fand ich den Liebhaber , dem man schon durch die dritte Hand dieses Siechtum zu wissen getan hatte .
Er war so bestürzt , wie es einem Seladon geziemt , und in Verzweiflung , daß er nicht gleich nach dem Hause seiner Braut eilen könne , aber er müsse auf die Parade .
Ich beruhigte ihn , und verpfändete mein Ehrenwort , daß die Sache nichts weiter sei , als ein kleiner Schnupfen .
Gegen Abend fand ich mich wieder bei der verstellten Kranken ein , denn ich war neugierig , wohin diese Komödie führen werde .
" Treuer , sorgsamer Freund ! " sagte die Mutter , welche von meinem Eifer gerührt war .
In bescheidener Entfernung vom Krankenbette saß der Leutnant , wie es schien , zerstreut und verlegen .
" Es ist doch ein großes Glück um einen gleichmütigen Sinn " , stichelte die Mutter .
" Man versäumt dann nichts Notwendiges , und macht die Geschäfte erst ab , bevor man dem Herzen folgt . "
" Er will es nicht glauben , daß ich so krank bin , Doktor " , seufzte Fräulein Ida , deren hochrotes Antlitz von großer Bewegung zeugte .
Die alte Jungfer saß im Fenster und strickte für die Armen .
Diesmal erriet meine Diagnose die Krankheit .
Mich gelüstete nach der Krisis , und da ich als junger Arzt , traurig für mich , überflüssige Zeit hatte , setzte ich mich zu den gesunden Damen , und knüpfte mit ihnen eins der Gespräche an , aus welchem man noch immer mit Geistesfreiheit nach etwas anderem hinzuhören vermag .
" Wenn ich sterbe , Fabian ... " lispelte das Fräulein .
" Teure Ida , an einem Schnupfen stirbt man ja nicht " , versetzte freundlich aber gefaßt der Leutnant .
Sie begann immer heftiger und weinerlicher zu reden , kam in den Ton der Jean Paulischen Liane , sagte , im Traume sei ihr ihre selige Caroline erschienen , und sprach viel von Ahnung und Vorgefühl .
Ich saß so , daß ich im Spiegel die Szene beobachten konnte .
Je pathetischer das Fräulein wurde , desto mehr nahm das Gesicht des Bräutigams den Ausdruck der Abwesenheit an , er half sich fast nur noch mit Interjektionen , als : " Hm !
So !
Ei bewahre ! "
Nachmals hat er mir gestanden , daß er an dem Tage einen Verdruß mit seinem Obersten gehabt habe , und daß seine Gedanken freilich mehr bei dem ungerechten Vorgesetzten , als bei dem Schnupfen des Fräuleins gewesen seien .
In einem solchen Zustande laufen einem gewisse Redensarten , die man häufig im Munde führt , ohne Sinn und Verstand über die Lippen .
Daher geschah es , daß , als das Fräulein , welche über die Fassung ihres Geliebten immer mehr aus der Fassung geriet , mit unterdrücktem Weinen sagte : " Ja , ich empfinde ein gewisses Etwas in mir , ein Weben der Auflösung , die schwarzen Männer werden mich gewiß wegtragen " - der Leutnant , der schon lange nicht mehr wußte , wovon die Rede war , zerstreut und feierlich ausrief :
" Wie Gott will !
Der Wille des Herrn geschehe ! "
Schrecklich war die Wirkung dieser Worte .
Das Fräulein , entrüstet über eine solche Ergebung in die Fügungen des Himmels , die doch gar zu weit ging , warf meine unschuldige Medizinflasche zu Boden , daß die Scherben umherflogen , und rief :
" Aus meinen Augen !
Ich habe dich durchschaut !
Fort !
Wir sind für immer geschieden ! "
- " Wenn meine Tochter stirbt , sind Sie ihr Mörder " , wehklagte die Mutter .
Die alte Jungfer hatte ihr Strickzeug in den Schoß sinken lassen , und äußerte so mit Salbung : daß derjenige zu beneiden sei , der so früh , wie Ida , die Einsicht in die Nichtigkeit aller Erdenlust gewinne .
" Erlauben Sie mir nur einige Worte zu meiner Verteidigung ... " stammelte der arme Fabian .
" Es ist jetzt nicht Zeit dazu , machen Sie , daß Sie fortkommen " , raunte ich ihm zu .
Ich war mit den Damen allein .
" Ida ! meine Ida ! " seufzte die Mutter .
" Diese Gemütserschütterung in deinen Leiden !
Erhole dich , mein Kind , denke nicht mehr an den Abscheulichen . "
- Ich beschloß , die kleine Heuchlerin zu strafen , und die alte Jungfer dazu .
Und so ist es gekommen .
Ich erklärte den Zustand des Fräuleins für verschlimmert , ich ernannte die bejahrte Freundin zur nächtlichen Wächterin , da die Mutter eine solche Anstrengung nicht aushalten könne .
Drei Tage mußte die gesunde Kranke im Bett zubringen , drei Nächte hatte die Friedensstörerin auf dem Wächterstuhl zu versitzen .
Endlich erklärte jene sich mit Gewalt für hergestellt , zuletzt lief diese aus dem Hause und verschwor , es wieder zu betreten , wenn ich dort aufgenommen bleibe .
Darüber bekam sie mit der Mutter Streit und Feindschaft , die mich einen seltenen Menschen nannte .
Kurz , der böse Feind hatte sich diesmal die Grube selbst gegraben .
Mehrere Wochen vergingen , in denen ich nichts von meinen Liebesleuten hörte .
Einige wirkliche und zwar sehr ernste Krankheiten hatten meine ganze Zeit in Anspruch genommen .
An einem schönen Märztage wanderte ich über den neuen Kirchhof , wo alle Sträucher in dem ungewöhnlich frühwarmen Wetter schon die Knospenaugen aufschlugen .
Ich wollte die neuen Einrichtungen im Leichenhause besichtigen , welche zur Rettung der Scheintoten angebracht worden waren .
Soeben mit dem Meisterdiplom versehen , hatte ich , die Obsorge über jene Anstalten zu führen , von der Stadt den Auftrag bekommen .
Als ich durch die gewundenen , mit Kies reinlich gefesteten Wege des parkartigen Gottesackers ging , und das im gefälligen Stil erbaute Leichenhaus hinter einem Rasenplatze liegen sah , sagte ich :
" Es ist kein Wunder , daß die Menschen jetzt mit dem Leben unzufrieden sind , man macht die Sterbehäuser und Grabstätten zu anlockend . "
Auf einem freien Platze fand ich unvermutet meinen Phlegmatiker .
Er stand bei einem Sträußermädchen , die ihren Korb voll Frühlingsblumen ihm vorhielt .
Er wählte und suchte sich das Schönste , was sie an Veilchen , Primeln und Aurikeln hatte , zusammen .
" Für wen der Strauß ? " fragte ich .
" Für Ida " , versetzte er .
" Gottlob !
So seid ihr versöhnt ? "
" Ach nein !
Ich habe sie nicht wiedergesehn .
Aber es ist heute ihr Geburtstag .
Ich will den Strauß unter ihrem Porträt in Wasser setzen . "
Er sprach diese Worte ruhig , ja kalt .
Aber seine Augen waren erloschen , und die Wangen bleich .
Ich muß gestehen , daß mich die stummen , geduldigen Patienten immer am meisten zur Teilnahme bewegt haben .
Ich sah meinen armen Verstoßenen an , ich überlegte hin und her , ob hier nicht mit einem raschen Streiche zu helfen sei ?
Die Natur der Leidenschaften , insbesondere der Liebe , kannte ich aus der Seelenlehre , das Fräulein war mit der Mutter in der Stadt , das wußte ich .
Ich war jung , verwegen !
Ohne an die möglichen Folgen eines tollen Einfalls zu denken , lud ich den Leutnant ein , sich von mir in die Rettungsanstalten zeigen zu lassen .
Das Sträußermädchen wies ich an , vor der Türe zu warten .
Der Wächter war ausgegangen ; alles begünstigte meinen Plan .
Ich öffnete mit dem Hauptschlüssel , wir waren allein im leeren , schallenden Hause .
Ich erklärte meinem Begleiter jedes Ding : die Einrichtung und Verbindung der Gemächer , die leicht zu bewegenden Glockenzüge , die Wärmmaschinen , die Frottierzeuge , die Bürsten , den Elixier- und Essenzenapparat des Wächters für die ersten Augenblicke des Erwachens aus dem furchtbaren Schlummer .
Er fragte , ernst und wissenschaftlich gesinnt , verständig nach allem , und keine empfindsame Betrachtung kam in diesem Hause des Todes über seine Lippen .
Endlich sagte er scherzend :
" Diese reinlichen schimmernden Wände , die bronzenen Lampen , die blinkenden Stahlgriffe , die schönen Teppiche und Matratzen zeigen , wie jetzt alles auch bei den schrecklichsten Dingen zum Bequemen und Geschmückten strebt .
Es fehlen nur noch die Tische mit den Journalen , um den Geretteten Unterhaltung zu bereiten , bis die Ihrigen sie wieder abholen . "
Ich bat mir seinen Verlobungsring aus .
Er stutzte , wußte nicht , was ich wollte .
Ich erklärte ihm trocken , daß ich gesonnen sei , noch heute zwischen ihm und seiner Braut dauerhaften Frieden zu stiften , aber dazu des Ringes bedürfe , nahm ihn bei der Hand , und streifte mit freundschaftlicher Gewalt ihm den Ring vom Finger .
Er , in plötzlich auflodernder Hoffnung und Freude , rief : ob ich verwirrt sei ?
Ich , ohne zu antworten , schrieb mit Bleifeder auf ein ausgerißenes Blättchen meines Portefeuilles ein paar Zeilen an die Schwiegermutter , legte den Ring bei , verschloß das Billet mit Oblate , eilte zum Mädchen hinaus , sagte ihr , den Herrn habe ein Nervenschlag betroffen , sie sollte das Briefchen auf der Stelle da und da hintragen .
Mein bestürzter Freund war bis auf den Flur gefolgt , und hatte die Bestellung gehört .
Ich nötigte ihn in eine der angenehmsten Sterbekammern zurück .
" Um Gotteswillen ! " rief er , " was treiben Sie ? was machen Sie aus mir ? "
- " Einen Scheintoten " , versetzte ich .
Er sah mich an , wie einen , von dem man glaubt , er habe den Verstand verloren .
" Idas Krankheit " , sagte ich , " führte den Bruch herbei .
Ihr Tod soll das Bündnis herstellen ; das nennt man einen Klimax , welcher zu den wirksamsten Redefiguren gehört .
Sie haben die Wahl , entweder mich zuschanden zu machen und sich jede Aussicht zu verbaun , oder folgsam zu sein , und Ihr Glück im letzten Akt einer Posse zu empfangen . "
Er stand anfangs starr , dann verwünschte er meine Torheit , und überschüttete mich mit Vorwürfen .
Ich behielt indessen Geistesgegenwart , kramte Schnepper und Bindzeug aus , setzte eine Menge Flaschen auf den Tisch , ließ den Essigäther duften , verbrannte Federn , kurz , ich richtete das Zimmer so zu , daß es ganz medizinisch aussah und roch .
Er , über meine Kaltblütigkeit in Verzweiflung , warf sich auf eine Matratze .
Ich erklärte ihm , da könne er liegenbleiben , denn dahin gehöre er in seinem jetzigen Zustande .
Ich löste seine Halsbinde , knöpfte die Uniform und Weste auf , und machte mir immerfort zu schaffen , um meine Unruhe zu verbergen , die sich mit dem Nachdenken doch allmählich bei mir einzustellen begann .
Nach einiger Zeit sprang er auf , und rief : " Ich muß fort , ich bin an diesen Dingen unschuldig !
Sehen Sie zu , wie Sie aus der Verlegenheit kommen , die Sie angerichtet haben . "
Ein Wagen fuhr sturmschnell vor .
" Sie kommen " , rief ich , " ich wußte das ja ! " und ging ihnen entgegen .
Sie waren es , Ida und ihre Mutter , meine Berechnung war richtig gewesen .
Aus dem Schlage stürzte das Fräulein entgeistert , blaß , die Augen voll Tränen , und rief :
" Wo ist seine Leiche ? "
- " Er lebt , beruhigen Sie sich , er ist erwacht , meine Furcht war zu voreilig ! " rief ich ihr hastig zu .
" Wo ?
Wo ? " stammelte sie , flog in das Haus , und wie durch Instinkt geleitet , in das rechte Zimmer .
Ich half der Mutter aus dem Wagen .
Sie wußte sich in diesen Wechsel von Trauer und Freude nicht zu finden .
" Teuerster , warum erschreckten Sie uns ?
Man muß bei dergleichen doch erst das Ende abwarten " , sagte sie .
Ich bat um Verzeihung , ich hätte ganz den Kopf verloren gehabt , sie möchte einem jungen unerfahrenen Manne um des glücklichen Ausgangs Willen nicht zürnen .
Wir traten in die Sterbekammer .
Da war die Liebe von den Toten auferstanden .
Fabian und Ida lagen einander in den Armen .
Sie herzten sich und küßten sich , und wußten beide nicht , was sie taten .
Sie wollte von ihm wissen , wie ihm zumute gewesen sei ? er erwiderte , in diesem Punkte besonnen , er wisse von nichts , sie müsse den Doktor fragen .
Ich verbot alle Erklärungen , und riet ihnen , sich des Lebens zu freuen .
Die Mutter trat hinzu , gab ihm die Hand , und sagte sehr freundlich :
" Lieber Sohn , Sie machen uns schöne Streiche .
Mein Gott , wie das hier aussieht und riecht , es fällt mir auf die Nerven .
Verlassen wir den leidigen Ort . "
Ich benutzte den Augenblick , küßte ihr ehrerbietig die Hand , und sagte bescheiden :
" Edle Frau !
Ida ist vor Liebe krank geworden , Fabian wäre beinahe daran gestorben ; sollen Ihre Kinder noch länger schmachten ? "
Die Gewalt dieser Auftritte hatte sie erweicht .
Sie gab die Zustimmung zu dem , was die Verlobten wünschten .
Es folgte ein neuer Sturm von Liebkosungen und Umarmungen , in dem ich ebenfalls zuletzt von ungefähr mehrere Küsse bekam .
Indessen waren die Fügungen des Himmels auch tätig gewesen .
Denn als wir eben aus dem seltsamsten aller Boudoir aufzubrechen im Begriff standen , nahte sich der Bursche Fabians mit der in gemessener Haltung vorgebrachten Meldung , daß der Oberst schon dreimal nach ihm geschickt habe , indem das ersehnte Patent nun endlich eingetroffen sei .
So führte Ida statt eines erblichnen Leutnants , nach dem sie ausgefahren war , einen lebendigen Kapitän nach Hause .
- Sie leben sehr glücklich miteinander , manche Szene , die sonst in die Ehe fällt , haben sie vorher schon unter sich abgetan , dazu ist wenigstens der lange Brautstand dienlich gewesen .
Mir brachte die sorgsame Behandlung des Fräuleins während jener drei Tage und die Rettung des Bräutigams große Gunst in den vielen mit dem Hause verbundenen Familien zuwege .
Einer lobte mich immer noch mehr als der andere , so entstand mir bald ein Ruf , den mir so manche an armen Leuten im Verborgenen geübte saure Mühe nicht erworben hatte .
Zuerst schlug mich das Gewissen etwas , nachher beruhigte ich mich durch den Anblick der allgemeinen Scharlatanerie , die in der Welt herrscht , über die meinige , die wenigstens niemand geschadet , vielmehr eine zufriedene Ehe gestiftet hat .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel In den folgenden Tagen war in den Zimmern des Herzogs große Geschäftigkeit .
Ein fremder Rechtsgelehrter war angekommen , mit dem der Fürst und Wilhelmi in eifrigen Gesprächen unter Papieren und Akten zusammensaßen .
Es wurde viel nach dem Archive geschickt , bunte Stammbäume mit vergoldeten Siegelkapseln lagen auf den Tischen umher , man holte Bücher aus der Bibliothek ; eine wichtige Frage beschäftigte die Versammelten .
Der Advokat hatte die Nachricht von dem Tode eines Seitenverwandten überbracht , und mit dieser Post ungewünschte Eröffnungen verbunden .
Wir fassen das Resultat jener Gespräche in einem kurzen Berichte zusammen .
Das alte Haus , dessen Glanz gegenwärtig nur allein noch der Herzog in kinderloser Ehe repräsentierte , teilte sich schon seit hundert Jahren in zwei Linien , in die ältere , und in die jüngere gräfliche .
Die Natur schien es auf ein Erlöschen des berühmten Namens angelegt zu haben , denn jener Seitenverwandte , der Graf Julius , war der letzte der jüngern Linie gewesen .
Er hätte noch länger leben können , wenn nicht zu rascher Genuß seine Tage abgekürzt hätte .
Als Jüngling vaterlos geworden , gebot er über ein bedeutendes Erbe , dem er auf keine Weise vorzustehen wußte .
Kühnheit und Leichtsinn verwickelten ihn in vielfältige Abenteuer , er glänzte am Hofe , er wollte auch zu Hause glänzen ; dieser gedoppelte Aufwand hätte die Minen Perus erschöpfen können .
Bald war er von Gläubigern umringt , sah sich in Verlegenheit , und bei seinem gänzlichen Mangel an Erfahrung , ohne Mittel , aus derselben zu kommen .
Damals lernte er Hermanns Oheim kennen , welcher in der für Tausende unglücklichen Periode , die unserem Vaterlande angebrochen war , eben sein Glück zu machen begann .
Vom düstern kleinen Comptoir im Hinterstübchen eines mäßigen Hauses ging er mit sicherem Schritte auf die Million zu .
Schon dachte er an Landbesitz , um seine großen , weitgreifenden Fabrikplane zu verwirklichen .
Graf Julius sprach ihn um ein bedeutendes Kapital an , womit die dringendsten Schulden bezahlt werden sollten .
Der Oheim pflegte sonst an Verschwender , deren Güter bereits über die Hälfte des Werts anderen gehören , nicht zu leihen .
Indessen mußte ihm wohl in diesem Falle der Verschwender selbst eine gute Hypothek sein .
Er gab und gab , bis die Besitzungen des Grafen , nach einem freilich wohlfeilen Anschlage , sein waren .
Nun erklärte er , nichts mehr geben zu können .
Jetzt war der Graf erst in der rechten Not .
Die Zinsen verschlangen die Einkünfte , niemand wollte sein Geld mehr bei ihm wagen .
Man weiß , wie die allgemeine Verzweiflung jener Zeit auch das Letzte , worauf sich sonst der Mensch verläßt , den Grund und Boden , im Werte heruntergedrückt hatte .
Zum zweiten Male erschien ihm der Oheim jetzt als Retter und Heiland .
Er schlug ihm einen Verkaufe der Güter vor , wollte sie für die vorgeschoßenen Summen annehmen , und dem Grafen freie Wohnung auf dem Schlosse seiner Väter , sowie eine jährliche anständige Rente gewähren .
Das Geschäft war zulässig ; die Gesetze der großen Nation , welche uns beherrschte , hatten bekanntlich alle feudalistischen Beschränkungen des Eigentums aufgehoben .
Der Graf frohlockte bei dem Gedanken an ein sorgenfreies Leben , wie seine Imagination es ihm vorstellte ; er schlug ein .
Die Rittergüter gingen in die Hände des Bürgerlichen über , das Geld hatte gesiegt .
Nach einigen Jahren des Verdrusses , welchen der Graf statt der erwarteten Lebensfreude gefunden , war er gestorben , und an diesen Todesfall knüpften sich die wichtigsten Folgen .
Die herzogliche Linie , in der jedoch diese höhere Würde ein neues Datum hatte , war im Besitze der Haupt- und Stammgüter , deren Komplex vor kurzem zur Standesherrschaft erhoben worden war .
Aber nie hatte sie unangefochten besessen .
Der Ahnherr des Hauses sollte sich nämlich mit einer Person unadligen Standes verbunden haben ; man sprach sogar von der Tochter eines Leibeignen .
War dies der Fall , so hatte die Deszendenz natürlich nie ein Erbfolgerecht gehabt , und ihr Besitz war eine Usurpation gewesen .
Darauf stützten sich die Nachkommen des zweiten , in die gesamte Hand aufgenommenen Bruders , die Glieder der jungen Linie .
Sie behaupteten , und hatten immer behauptet , die rechten Erben der Herrschaft zu sein .
Die jüngere Linie erlosch , wie gesagt , mit dem Grafen Julius .
Als dem Herzoge diese Nachricht wurde , empfand er eine sehr verzeihliche Freude .
Nun waren alle Zweifel , die ihn bisweilen noch in seinem Wirken beunruhigt hatten , getilgt ; der letzte war mit dem letzten Prätendenten in die Gruft gegangen .
Heiter hatte er an jenem Abende die Anekdote des Arztes angehört .
Man blieb bis spät in die Nacht beisammen , lachte und scherzte über die Torheiten der Menschen , und teilte einander in mannigfachen Wendungen die aus den Memoiristen geschöpfte Überzeugung mit , daß die geringfügigsten Dinge , ein Wort , ja ein Buchstabe die Ereignisse so oder so gestalten .
Der Arzt hatte die lustigsten Einfälle über die Ahnfrau , deren reines Geblüt noch eine Untersuchung habe bestehen sollen , nachdem die Möglichkeit einer chemischen Analyse längst verschwunden gewesen sei .
Zuletzt brachte er einen Toast auf die Ruhe ihrer Seele aus , in welchen der Herzog munter , die Herzogin gefällig , und Wilhelmi widerstrebend einstimmte .
Dieser hatte seine ernste Stimmung nicht verloren , und sagte , als die Gläser klangen :
" Mit den Geistern ist nicht gut scherzen . "
Am anderen Morgen zeigte es sich , daß die Sache nicht zu Ende sei .
Der Rechtsgelehrte , welcher abends zuvor seine Müdigkeit vorgeschützt hatte , um auf dem Zimmer bleiben zu dürfen , überreichte eine Zession , welche der Graf bereits vor einigen Jahren ausgestellt hatte .
In derselben trat er alle seine Rechte auf die Herrschaft an Hermanns Oheim ab .
Man musterte voll Erstaunen diese Urkunde , man wußte von Mißverständnissen , selbst von Streitigkeiten zwischen beiden Teilen , man konnte sich den Beweggrund zu einem so auffallenden Schritte nicht erklären .
Aber alles Erstaunen und Verwundern führte zu nichts .
Die Urkunde lag vor ; jede Form war beobachtet worden , man sah sich genötigt , auf den Inhalt einzugehn , womöglich dessen Gültigkeit zu widerlegen .
Letzteres versuchte Wilhelmi .
" Die Güter , welche jetzt die Standesherrschaft bilden , waren unter der deutschen Reichsverfassung Lehen " , sagte er .
" Darauf folgte die Fremdherrschaft mit ihren Umwälzungen , dann der Befreiungskrieg .
Der Vater meines Gebieters starb nach dem Frieden .
Entweder hat nun der Herzog die Standesherrschaft als freies Eigentum überkommen , oder als Lehen .
Im ersten Falle waren alle aus den Rechtsantiquitäten hergenommenen Ansprüche der jüngern Linie erloschen , keine Mißheirat eines Vorfahren kann meinem Herrn noch gegenwärtig schaden .
Im letzten Falle hatte nur der Graf , nur er für seine Person ein Familienrecht , welches er einem Dritten , Fremden , Ihrem Machtgeber nicht übertragen durfte . "
Darauf erwiderte der Rechtsgelehrte : " Der erste Fall ist nicht eingetreten .
Man hat es für gut gefunden , nach der Katastrophe , welche Europa den alten Dynastien zurückgab , die schon halbeingeschlafenen Agnattischen Rechte der Familien wiederzuerwecken .
Seine Durchlaucht besitzen Ihre Schlösser nicht , wie der Bauer sein Gütchen , der Bürger sein Haus besitzt .
Alle Fehler , alle Mängel aus der ältesten Vorzeit her , haften auf dem jüngsten Erwerber . "
" Welche also nur der Agnat , nur der ebenbürtige Anwärter rügen dürfte ! " warf Wilhelmi ein .
" Keineswegs " , versetzte der Rechtsgelehrte .
" Indem man jene abgekommenen Ansprüche herstellte , ging man , wenigstens hiesigen Landes nicht so weit , auch die Verbindung zwischen Lehnsherrn und Vasallen aufs neue erstehen zu lassen .
Nur die persönlichen Rechte der Vettern sind restauriert , sie haben aber eben wegen der nur teilweise geschehenen Operation eine Umwandlung erlitten , sie stehen nun mit allen übrigen gewöhnlichen Befugnissen in Reihe und Glied .
Ich frage : warum hätte Graf Julius über die seinigen zu verfügen nicht die Macht gehabt ? "
Die Deduktion konnte nicht bestritten werden .
Wilhelmi äußerte sich sehr leidenschaftlich über das kindische Halbwesen der Zeit , über das ungeschickte Vermischen von Alt und Neu , über die grellen Widersprüche , die aus dem jetzt so häufig ersichtlichen Mangel an allem Gefühl für die Ergründung der eigentlichen Verhältnisse entsprängen .
Der Herzog unterbrach ihn und sagte ruhig : " Der Monarch hat mich durch seine Gnade aus der Reihe der übrigen Untertanen emporgehoben .
Wir waren Fürsten des Reichs , das sind wir , ich weiß es , nicht mehr , es kam eine Zeit , in der wir nur gewöhnliche Edelleute gewesen sind .
Aber die Zeit ist vorüber .
Ich stehe wieder bevorrechtet zwischen Thron und Volk , eigentümlich , nur mir selbst und meinen Pairs gleich da .
Ich gehöre der Herrschaft und die Herrschaft gehört mir .
Wie kann der Bürger , der Fabrikant diesen Zusammenhäng zerreißen ? "
" Der Regent wird den Fabrikanten nicht zum Standesherrn machen " , antwortete der Rechtsgelehrte .
" Aber der Bürger kann Rittergüter erwerben und benützen .
Keine Verfügung des Monarchen schadet wohlerworbenen Rechten dritter Personen .
Graf Julius hatte seine Anrechte als freies persönliches Eigentum erworben .
Ew. Durchlaucht sind Standesherr erst seit zwei Jahren , es ist kein Geheimnis , daß Ihre Erhöhung eben wegen der Zweifelhaftigkeit Ihres Rechts so bedeutenden Aufschub gelitten hat .
Unsere Zession ist vier Jahre alt .
Wir haben bis jetzt damit nicht auftreten wollen , weil der Graf bei seinen Lebzeiten dies unterlassen zu sehen wünschte .
Zu allem Überflusse steht in Ihrem Diplom die ausdrückliche Klausel :
» Vorausgesetzt , daß die jetzt besitzende Familie ein vollständiges Recht hat « . "
Der Herzog erinnerte daran , daß die Linie die Herrschaft seit unvordenklicher Zeit innegehabt habe .
Hierauf bemerkte sein Gegner , daß , wie man Gegenseite sehr wohl wisse , der Prozeß zur gehörigen Stunde bei den Reichsgerichten angehoben und immer im Gange erhalten worden sei , daß derselbe aber nach wetzlarischer Sitte unter dem Stabe des Kammerrichters seine Endschaft nicht erreicht habe .
Er wies die Abschrift eines Dekrets vor , vielleicht des letzten , welches jener Hof erlassen , und schloß mit dem Anführen , daß das Deutsche Reich bekanntlich noch nicht seit dreißig Jahren aufgelöst sei , und daß mithin von einer Verjährung hier nicht geredet werden könne .
Ohne den Vortrag des Advokaten einzuräumen , ließ man die Verhandlung über diese Punkte fallen .
Von allen Seiten wurde gefühlt , daß die tote Ahnfrau in dem Streite den Ausschlag geben werde .
So ging also doch wieder dieses Gespenst , und nicht in theatralischer , sondern in sehr wirklicher Weise durch das Haus .
Die Gegner waren im Besitz der unverwerflichsten Zeugnisse , daß der Ahnherr sich mit einer Jungfrau ehelich verbunden hatte , vor deren Namen das Wortlein von fehlte .
Die Extrakte aus den Kirchenbüchern wiesen zugleich nach , daß ein Landmann gleiches Namens erst lange nachher in dem Dorfe , welches sich späterhin zum Residenzflecken der Herrschaft erhob , verstorben war .
Man hielt ihn für den Vater des Mädchens ; die regierende Linie , so folgerte man , stammte von einer Bäuerin ab .
" Alle diese Stammbäume , welche ich hier vor mir ausgebreitet liegen sehe , beweisen nichts ! " rief der gewandte Konsulent .
" Es sind einseitig in Ihrem Hause aufgestellte Tafeln , die noch dazu die untrüglichsten Zeichen später Abfassung an sich tragen .
Wir nehmen als möglich an " , fuhr er fort , " daß jener Graf Archimbald seiner Maria Sibylla vom Kaiser den Adel erwirkt hat .
In diesem Fall würden wir für ein Geringes abzustehn bereit sein .
Die Familienstatuten reden nur vom Adel der Mutter schlechthin , als Bedingung der Erbfähigkeit der Kinder , nicht von altem stifts- und turnierfähigem Adel , wahrscheinlich , weil man an einen anderen gar nicht dachte .
Wir sehen jedoch ein , daß unsere Ansprüche dann zweifelhaft würden , und daß , wenn die Sache bei Gericht in die Hände eines Referenten von neuen Ansichten fiele , die geadelte Bäuerin leicht für vollwichtig erachtet werden möchte .
Aber wo ist der Adelsbrief ?
War er je vorhanden , so muß er doch aufbewahrt , er muß herbeizuschaffen sein . "
Über diese Urkunde gab der Herzog eine ablehnende Antwort .
Er wußte aus seiner frühen Jugend , daß sie dagewesen war .
Noch wie von heute erinnerte er sich des Tages , an dem der alte strenge Großvater sie ihm gezeigt hatte , mit den Worten : betrachte das Blatt , es verteidigt uns gegen die Vettern .
Noch sah er mit den Augen des Gedächtnisses die braune Saffiankapsel , in welche der alte Mann sie tat .
Nachher war sie verschwunden .
Beim Kammergericht hatte man ein Jahrhundert hindurch über den Punkt gestritten , welcher von beiden Teilen zu beweisen habe , und zur Vorlegung des Dokuments war man daher nicht gediehen .
Wilhelmi suchte Tag und Nacht im Archive , aber seine Mühe war diesmal , wie früher , vergebens .
Darauf eröffnete der Advokat die Vergleichsvorschläge des Oheims .
Sie liefen auf eine Halbierung der Güter hinaus .
Der Herzog ließ den alten Fabrikherrn einladen , mit ihm persönlich zusammenzutreten .
Der Rechtsgelehrte übernahm es , seinen Klienten zum Besuche auf dem Schlosse zu vermögen .
In seinen einsamen Augenblicken fühlte sich der Fürst sehr erschüttert .
Den wilden verschwenderischen Vetter hatte er nie gescheut , vor dem alten eisernen Handelsmann ergriff ihn eine Art von Geisterfurcht , über die er nicht Herr zu werden vermochte .
Mit diesen Schlössern , Feldern und Wäldern durch alle Erinnerungen verwachsen , hielt er es für eine Unmöglichkeit , aus solcher Gemeinschaft zu scheiden .
Seine Existenz stand auf dem Spiele , das empfand er , und daß er seinen Sturz nicht überleben wolle , gelobte er sich vor den Bildern der Ahnen .
Indessen , gewohnt , immer derselbe zu scheinen , wie es auch innerlich wechselte , zeigte er vor anderen das heitere Antlitz eines Manns , den nichts in Erstaunen setzt .
Es war ausgemacht worden , der Herzogin diese Verhandlungen geheimzuhalten .
Sie ahnte daher nicht , welche Wolke über ihrem Haupte schwebte .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Aber auch sie hatte ihr Leid .
Jenes unglückliche Kind des Hauses , die verirrte Johanna lag ihr schmerzlich am Herzen .
Endlich , nach vielen vergeblichen Erkundigungen wußte man so viel , daß sie in der großen Stadt im Norden mit dem Manne lebe , dem sie ihr Geschick anvertraut hatte .
Das Gerücht sprach von einer Vermählung .
Man würde früher ihre Spur gefunden haben , wenn man nicht aus Rücksicht auf den Ruf der Entflohenen alle Nachforschungen nur durch die dritte Hand anzustellen sich genötigt gesehen hätte .
Die Herzogin war durch das Ereignis im Innersten verletzt .
Den Herzog sah sie beschäftigt , gedankenvoll ; sie meinte das Gespräch mit ihm über diese Verwirrung bis zu einem freieren Zeitpunkte verschieben zu müssen .
Inzwischen wollte sie nicht feiern .
Sie nahm sich vor , der Unglücklichen zu schreiben ; auf welche Weise dieser Brief zu versenden ? das sollte späterhin überlegt werden .
Manche Stunde saß sie , das Haupt auf die Hand gestützt , vor ihrem Schreibtische , nie war ihr etwas schwerer geworden , oft legte sie halb unwillig die Feder weg , endlich kam ein Blatt zustande , in welchem ihre ganze Seele zu lesen war .
Der Advokat hatte sich der Herzogin vorstellen lassen , und war als Glied der Gesellschaft aufgenommen worden .
Man behandelte ihn artig , wie seine Sitte und Bildung es verdiente .
Insbesondere ließ ihm der Herzog die unheilbringende Botschaft nicht entgelten .
Denn jener benahm sich bei der Erörterung der Frage : wer hier Herr sein solle ? so verständig und bescheiden , daß der Fürst eher eine Art von Neigung zu ihm faßte .
Er hielt ihn unter einigen Vorwänden etliche Tage zurück , weil er immer noch hoffte , Wilhelmi werde die vermißte Urkunde finden , und damit dem ganzen Streite auf der Stelle ein Ende machen .
In diesen Tagen ging bei dem jungen Manne eine große Veränderung vor , und er bedurfte der ganzen Festigkeit , welche ihn auszeichnete , um das Gefühl seiner Pflicht in sich lebendig zu erhalten .
Teils Wilhelmi , teils der Herzog selbst hatten ihn im Schloß und in den Umgebungen , die nicht leicht ansprechender gefunden werden konnten , umhergeführt .
Überall stieg ihm das Bild eines würdigen , stillprächtigen Daseins entgegen , welches auf den Erwerbe verzichtet , weil es in seiner Fülle genug hat .
Und wie in einer schönen Landschaft ein klarer Wasserspiegel die reizende Natur ringsumher noch einmal verklärt wiedergibt , so erhielt dieses Bild adligen Lebens zuletzt sein seelenvolles Auge in der Anmut der Herzogin .
Vom Herzoge hatte er sich beurlaubt .
Bei ihr angemeldet , war er nach einem Gartenkabinette beschieden worden .
Himmelblaue Tapeten bedeckten die Wände dieses Zimmers , weiße Meubles mit goldenen Leisten standen umher , von Konsolen herab sahen die Büsten der großen Dichter .
Heitere und doch ernsthafte italienische Landschaften füllten die Zwischenräume aus ; auf einem runden Tische lagen rote vergoldete Bände .
Der Advokat schlug einige derselben auf , und fand " Hermann und Dorothea " , " Tasso " , " Iphigenia " , Homer , die Gesänge unseres Schiller .
Die Herzogin hatte dieses Zimmer vor kurzem erst einrichten lassen ; man brachte dort den Abend zu , wenn es draußen zu schwül war , und genoß der Aussicht auf die neuen Anlagen , welche in stetiger Folge die Blüten jeder Jahreszeit spendeten .
Alle Hausgenossen , welche zum Zirkel gehörten , besaßen den Schlüssel zu diesem Gemache , um nach Bequemlichkeit dort verweilen zu können .
Er war eine geraume Zeit lang allein , und seine Empfindungen wurden immer trüber , je länger er diese gewölbten Marmorstirnen , diese Prospekte auf Felsen und Palmen , Himmel und Meer betrachtete , oder in die gelbrot glühenden Georginenbeete der holden Fürstin schaute .
Der junge Mann hatte nichts von dem , was man heutzutage ästhetische Bildung nennt , aber er folgte einem natürlichen Gefühle .
Seine erste Empfindung war stets , andere Menschen für edler und klüger zu halten als sich , und das Lied eines Dichters konnte ihn bis zu Tränen rühren .
In diesem , der geistigen Erholung gewidmeten Orte , drängten sich ihm nun alle Anregungen der vergangenen Tage zusammen .
Schon erblickte er hier , wo das Schöne gute Menschen beseligt hatte , ein ödes rechnendes Comptoir , schon sah er dort , draußen , quer über die armen Blumen , über den samtenen Rasen einen Weg für Karren und Schleifen zu irgendeiner trostlosen Fabrikhütte führen .
Er kam sich selber hassenswürdig und niedrig vor , daß er zu solchem Beginnen die mithelfende Hand bieten wollte .
Mit dem Buchstaben eines ungerechten Rechts den geheiligten Zustand so verehrungswerter Personen zu zerstören , es erschien ihm gemein und ruchlos .
Aber was sollte er tun ?
Wie durfte er eine Treulosigkeit begehen , gegen welche sich alle seine Begriffe sträubten ?
Im heftigen Kampfe mit sich selbst ging er auf und nieder , und blickte bald diese bald jene Büste an , als fragte er die Helden des Gesangs um Rat in seiner Not .
Denkverse standen mit goldenen Buchstaben unter jeder Konsole .
Er las den Spruch unter Schillers Haupt :
Die Weltgeschichte ist das Weltgericht !
Und plötzlich kam ihm , wie durch innere Erleuchtung der Entschluß .
" Ja " , rief er , " es gibt etwas Höheres , als die Form , und das ist der Gehalt .
Über alle Worte und Satzungen hinaus liegen die Quellen des Wahren und Guten .
Kein Kontrakt kann uns zu einer Schlechtigkeit verpflichten .
Mein Machtgeber kennt den ganzen Stand der Sache , ausführlich will ich ihm melden , was ich hier verhandelt habe , aber dann rühre ich keine Feder mehr für ihn an ! "
In einer Selbstvergessenheit , wie sie ihn noch nie überwältigt hatte , warf er sich an einem Sessel vor der Büste des Dichters nieder .
Er war mit sich im reinen , er hatte eine neue Richtschnur für sein künftiges Verhalten gefunden .
Er gelobte dem Verewigten über ihm , daß er fernerhin nur dem seinen Mund leihen wolle , der ein wirkliches , nicht ein bloß papiernes Recht habe , müsse er auch arm und unangesehen darüber bleiben .
So kniend fand ihn die Herzogin .
Wer beschreibt ihr Erstaunen ?
Bestürzt erhob er sich , und konnte kein Wort vorbringen .
" Sie knieten an keiner unwürdigen Stelle " , sagte sie nach einer Pause .
" Man hat vor diesem Haupte immer so reine Gedanken .
Sei es Ihnen nicht unlieb , daß ich Sie überrascht habe .
Ich bin von der altfränkischen Partei , und liebe den tugendhaften Künstler , wie man ihn so schön genannt hat . "
Ihr Auge schimmerte , sie nahm eine Rose vom Busen , hauchte einen Kuß darauf , und legte sie auf den Sessel unter der Büste .
Er hatte sich inzwischen gesammelt und schon ganz wieder die Haltung des schlichten Geschäftsmanns gefunden .
" Ich kann keine Worte vorbringen , welche Ihrer , und der Geister , die uns umschweben , wert wären " , sagte er .
" Ich versichre nur , daß es mich sehr freut , auf Ihr Schloß gekommen zu sein , und daß ich hier etwas für meinen Beruf gelernt habe . "
Man wechselte noch einige freundliche Reden .
Sie empfand ein stilles Zutrauen zu dem Manne , der vor ihrem geliebten Sänger das Knie gebogen hatte , und nun so fest und doch so anspruchslos vor ihr stand .
Sie reichte ihm die Hand zum Kusse .
Hocherrötend empfing er dieses Zeichen des Wohlwollens .
So schied der verwandelte Feind .
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Der Herzog hatte nach der Entlassung des Advokaten in seinen Zimmern ein Standrecht abgehalten .
Im Schlosse wankte eine alte Gestalt umher , wie man dergleichen wohl als Erbstück in den Häusern großer Familien antrifft .
Ein sechzigjähriger Bedienter , der bei dem Großvater und Vater gedient hatte , und nun noch so mitschlenderte ; derselbe , von welchem der Fremde Wilhelmin so zornig angemeldet worden war .
Eigensinnig und unverträglich , war er eine Plage der übrigen Dienerschaft , er glaubte mehr Recht zu haben , als sie , weil er seine Kameraden alle hatte eintreten sehen .
Oft hatte man , seiner Unbehilflichkeit wegen , ihn von der Aufwartung bei Tafel entfernen wollen , er setzte sich aber hartnäckig zur Wehre , wenn man sein verjährtes Amt ihm zu nehmen gedachte , und einmal , da man ihn mit Gewalt aus dem Saale trieb , fand man ihn kurz nachher auf dem Söller in unheimlichen Zurüstungen mit Strick und Nagel begriffen .
Damals hatte der Herzog befohlen , man solle ihn dulden , und in seinem Wesen gewähren lassen .
Diesem Menschen erteilte er jetzt einen ernsthaften Verweis .
Er hatte bemerkt , daß jener , statt den Fremden zu bedienen , immer mit der Schüssel an ihm vorübergegangen war , so daß der Gast oft von mehreren Gerichten nichts bekommen hatte .
Streng fragte er ihn , was für ein Benehmen das sei ? und verbat sich für die Zukunft dergleichen grobe Nachlässigkeiten .
Der alte Erich zitterte vor Ärger .
" Es war keine Nachlässigkeit , Ew. Durchlaucht " , rief er .
" Ich bin noch so akkurat , wie einer von den Jüngsten .
Aber dem sollte ich etwas zu essen geben ? dem ? der uns von Haus und Hof treiben will ?
Nimmermehr !
So einer muß hier verhungern und verdursten . "
" Was meinst du damit ? " fragte der Herzog betroffen .
" Hast du gehorcht ? "
" Ich mußte ja das Licht immer zu den Konferenzen bringen .
Höre ich nicht , wenn gesprochen wird ?
Sehe ich nicht , was zu sehen ist ? "
Wirklich hatte der Herzog , gleich vielen seiner Standesgenossen , sich gewöhnt , die Diener nicht für Personen , wenigstens nicht für augen- und ohrenbegabte , zu halten .
Manches war schon hin und wieder in Gegenwart der Aufwartenden verhandelt worden , was diese dann zum Nachteil der Herrschaft umhertrugen .
Er sagte dem Alten , daß er vernünftig sein , und die Sache bei sich behalten solle .
» Die Narren haben ihr Herz im Maul , aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen « ; Jesus Sirach am Einundzwanzigsten " , versetzte Erich , der gern in biblischen Sprüchen redete .
" Sie denken , ihren Stuhl herzusetzen , aber es wird ihnen nicht gelingen . "
Er klopfte auf seine linke Brust .
Der Herzog wußte nicht , was der Alte damit sagen wollte , und bedeutete ihn mit finsterer Miene , sich zusammenzunehmen , denn aller Geduld sei ihr Ziel gesetzt .
Draußen zog der zornige Greis ein langes Messer , welches er immer unter dem Rocke bei sich trug , aus dem Futteral , und murmelte , mit der scharfen Waffe durch die Luft fechtend :
» Wer den Stein in die Höhe wirft , dem fällt er auf den Kopf .
Wer einem anderen Schlingen stellt , der fängt sich selber .
Wer seinem Bruder Schaden tun will , dem kommt es über den eigenen Hals , daß er nicht weiß , woher ? «
Sirach am Achtundzwanzigsten . "
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Die Herzogin an Johanna " Es ist mit dem Briefschreiben eine schlimme Sache .
Alles , was man spricht , kann man durch Blick und Ton verdolmetschen , aber die schwarzen Buchstaben stellen sich zwischen unsere Meinung und den Dritten , und wer sagt uns , ob sie unseren Sinn getreu überliefern ?
Ich schreibe diese Zeilen mit dem innigen Wünsche , Ihnen und uns etwas Heilsames zu erzeigen ; muß ich aber nicht befürchten , daß Sie statt der Gesinnung nur Worte darin finden werden ?
Darf ich von demselben irgendeine günstige Wendung des Ereignisses , welches uns betrübt , erwarten ?
Ich lasse meines Herzens Meinung fliegen , wie die Taube aus der Arche ; ob ich ein Ölblatt zurückbekomme , oder nicht ? ist mir unbekannt , aber ich lasse die Taube fliegen .
Wir dachten immer über einen Punkt sehr verschieden .
Sie hassen die Selbstbetrachtung , Sie glauben , man verliere dadurch alle Freuden des Daseins .
Mich dagegen führten die äußeren Dinge von jeher in mein Inneres zurück ; nur was ich dort eroberte , genoß ich als wohlversichertes Besitztum .
Solchen Beobachtungen , selbst denen , die anderen niederschlagend gewesen wären , verdanke ich die größten Freuden .
Mit Entzücken erinnre ich mich noch des Tages , wo mir zum ersten Male recht tief im Busen die durchdringende Überzeugung von meiner schwachen , hülflosen Weiblichkeit wurde .
Es war am Morgen nach einem Ballabende , wo man mich mit den schönsten Artigkeiten überhäuft hatte .
Da erhielt ich ein Billet , und sah mich in einer Verlegenheit , die ich mit allem Aufwande meines bißchen Verstandes nicht zu besiegen vermochte , und von welcher ich mir doch gestehen mußte , daß ein kluger Mann sie spielend gelöst haben würde .
An jenem Tage gelobte ich mir , nie mich als Opfer meiner Täuschungen bekränzen zu lassen , nichts sein und vorstellen zu wollen , als eine untergeordnete , hülfsbedürftige Frau .
Welches Glück , welchen Frieden hat mir diese Erfahrung bereitet !
Ich erzähle Ihnen dieses nur , um Sie womöglich zu überzeugen , daß die Einkehr in uns selbst uns nicht dem Leben entfremdet , uns vielmehr mit freierem Blicke dem Leben zurückgibt .
Was haben wir denn eigentlich , wenn wir nichts haben , als unsere Irrtümer und den kühnen Willen , sie , koste es , was es wolle , festzuhalten ?
Ein Tröpfchen Wahrheit ist ja mehr wert , als der ganze Strom selbstgeschaffener Einbildungen , auf dem wir , vertrauen wir demselben unser Schiff an , wer weiß ? zu welchen öden Küsten geführt werden .
Könnte ich Sie überreden , einmal das , was Sie Unmöglichkeit nennen , zu besiegen !
In jedem Menschen ist ein grauer Fleck , den wir doch ja nicht mit Blumen überdecken sollten !
Jenseits dieser dunklen Stelle liegt erst unser besseres Selbst .
Alles , was Sie , wie Sie sich auszudrücken pflegen , hemmt , empfängt Ihren Haß , aber wenn ich Ihnen die Frage vorlegte : ob Sie wohl je erforscht haben , was in Ihnen gehemmt werde ? würden Sie mir Antwort geben können , Johanna ?
Die Gegenwart umfängt uns mit den Nebeln augenblicklicher Täuschungen .
Dagegen ist die Vergangenheit ein fester Spiegel , in dem wir unser Antlitz erblicken können .
Diesen Spiegel will ich Ihnen vorhalten , so gut ich es vermag .
Vielleicht zeigt er Ihnen , daß an Ihrem Anzuge etwas zu ändern sei .
Als der Herzog mich nach dem Tode seines Vaters heimführte , fand ich Sie im Schlosse .
Sie waren der Mittelpunkt des häuslichen Lebens gewesen .
Die Dienerschaft hatte Ihnen zu gehorchen , jeder Fremde sah in Ihnen die Dame des Hauses .
Was für alle Umgebungen seit lange offenbar sein mußte , das Geheimnis Ihrer Geburt , hatte erst kurz vor dem Tode des Vaters aufgehört , für Sie verborgen zu sein .
Die Schwachheit entriß dem Greise das Wort , welches seine Liebe zu Ihnen , und den Platz , den er Ihnen eingeräumt , erklärte .
Er wollte in Ihnen vor dem letzten Abschiede nicht bloß die Tochter seiner Wahl , er wollte in Ihnen auch das Kind seines Bluts umarmen .
Ich kam nun an , die junge Frau ; in strenger Regel erzogen .
Meine Lage war nicht angenehm .
Hätte der Vater doch lieber sein Geständnis mit in die Gruft genommen !
Mich dünkt , es ist nie gut , zu erfahren , daß unser Dasein mit den Einrichtungen der Welt in Widerspruch steht .
Sie fühlten sich ; was war verzeihlicher , als daß Sie sich in Ihrem natürlichen Rechte zu behaupten suchten ?
Sie sind großmütigen Sinns ; vielleicht wirkt es auf Sie , wenn ich Ihnen bekenne , daß ich in den ersten Zeiten meines Ehestandes viel gelitten habe .
Ich machte keine Ansprüche , aber ich war denn doch die Gattin des Herrn .
Und nichts um mich her war so , wie ich es mochte .
Jener Kreis , den Sie herbeigezogen hatten , er war der nicht , in dem mir das Herz aufging , er konnte nie der meinige sein .
Große Gaben hat mir der Himmel nicht beschert , aber ich vermag das Wahre vom Falschen zu unterscheiden , und in Ihrer Gesellschaft , bei dem Anblick der allgemeinen Kälte wehte mich oft ein Schauder des Todes an .
Ich beschloß , diese Menschen zu dulden , aber ihnen entgegenzukommen , mit dem Wünsche , sie zu fesseln - dazu war ich außerstande .
Sie verstanden mein Benehmen Unrecht ; ich fühlte , daß ich bei Ihnen für eine stumpfe , neidische Seele zu gelten begann .
Am besten kommen wir mit denen , die uns nachgestellt sind , aus , wenn wir uns geradezu entschließen , sie zu lieben .
Ich nahte Ihnen mit dem aufrichtigen Verlangen nach Ihrer Freundschaft .
Ob Sie hierunter irgendeine künstliche Absicht suchten , weiß ich nicht .
Genug , ich wurde wieder mißverstanden .
Sie wichen mir mit der ganzen Gewandtheit Ihres Geistes aus .
Nun konnte ich freilich nichts weiter tun , als mich auf meinen Gatten und mich selbst beschränken .
Es kam jene Zeit des gegenseitigen Beobachtens und Deutens , die uns beiden wohl immer eine trübe Erinnerung sein wird .
Inzwischen setzte der Herzog , welcher , mit wichtigeren Dingen beschäftigt , auf den geheimen Zwiespalt seiner Frauen nicht achten konnte , die Reformen fort , welche er nach des Vaters Tode begonnen hatte .
Unter den Klagen entlaßener Müßiggänger , die auf meiner Schwelle lagen , umgeben von verdrießlichen Gesichtern derer , die auf schmalere Bissen gesetzt worden waren , sollte ich ihm mit Meinung und Rat beistehn , ich , die ich mir selbst nicht zu raten wußte , ich , unter deren Füßen der Boden schwankte ! " ( Einige Tage später )
" Am tröpfelnden Tage wünschen wir uns klaren Himmel , und wenn dann der schwüle Druck des glühenden Sonnenbrandes auf uns lastet , so hätten wir gern die kleine Unbequemlichkeit wieder . -
Jene , mindestens unschuldige Gesellschaft hatte sich weggewöhnt , dafür kam der Verderber ins Haus , und bemächtigte sich Ihrer .
Wie oft wünschte ich , von seiner unheimlichen Nähe bedrückt , mir den Schwarm zurück !
Ich rede von Medon .
Ich fürchte ihn nicht , und nichts in der Welt soll mich abhalten , über ihn zu sprechen , wie ich denke .
Er ist böse , grundböse ; er ist böser als Worte sagen können .
Dieser Mann hat gewiß noch niemand ermordet , aber er wäre imstande , das Menschengeschlecht zu vergiften , um den Raum für seine eingebildete Schöpfung zu gewinnen .
Ich schelte Sie nicht , daß Sie in seine Schlingen gefallen sind - mußte ich doch selbst meinen Kopf zusammennehmen , um nicht von ihm bezaubert zu werden .
Aber als ich an hundert kleinen untrüglichen Zeichen sah , daß er nur ein Schauspieler , wiewohl ein überaus großer war , daß er mit Wissen , Geschichte , Religion , mit dem Ideellen seiner ganzen Erscheinung immer auf Effekt abzielte , da ergriff mich auch ein Widerwille gegen ihn , wie ich ihn noch nie gegen einen Menschen gefühlt hatte .
Mit Entsetzen bemerkte ich , daß Ihre Seele einem solchen Eindrucke nicht zu widerstehn vermochte .
Ich sah Ihr wachsendes Zutrauen , ich sah , - verzeihen Sie mir , daß ich es ausspreche - wie er mit Ihnen spielte .
Leider sind wir ja immer am schwächsten , wenn wir nicht schwach sein wollen .
Der Herzog teilte meine Besorgnisse , die Sie freilich von uns nicht hören mochten .
Wir waren nun einmal in Ihren Augen prosaische Naturen .
Ich sah Sie dem Abgrunde zuhüpfen , und Sie stießen mich zurück , als ich Sie aufhalten wollte .
Was ich lange geahnt , erfolgte endlich : ein auffallender Bruch aller Verhältnisse .
Medon nahm Abschied und reiste ; Sie entfernten sich gleichzeitig ohne Abschied , und ein zurückgelaßenes kurzes höfliches Billet sagte uns , daß Sie es Ihrer Neigung angemessen fänden , einen anderen Aufenthaltsort zu wählen .
Seit dieser Zeit waren Sie für uns verschwunden .
In der alten Burg , wo wir uns auf unserer Rückreise aus Osterreich nach Ihnen erkundigten , haben Sie mit ihm unter fremden Namen einige Monate lang gelebt .
Betrachtungen über diese Geschichte anzustellen , halte ich für überflüssig .
Redet sie selbst nicht zu Ihnen , so würde mein Wort auch kraftlos sein .
Nur noch eins :
Nicht die Liebe hat Sie hingerissen .
Die Liebe macht still und weich ; so sah ich Sie nie , Sie waren aufgeregt , nicht bewegt .
Ihre Unzufriedenheit mit dem , was Ihnen das Schicksal zugemessen hatte , Ihre Sehnsucht nach der Ungebundenheit , die nun einmal dem Weibe nicht beschieden ist , fand an Medons größerer Unzufriedenheit mit den Menschen und mit der Gegenwart , an seinem Fanatismus für einen erträumten besseren Zustand der Dinge , gleichsam die Beglaubigung , den Anhalt .
Aus dieser Sympathie des Mißvergnügens ist Ihr Verderben gewoben worden .
Die Hand auf das Herz , Johanna , habe ich Unrecht ?
Man nennt Sie vermählt .
Das glaube ich nicht .
Ein Medon verheiratet sich nicht .
Sie haben Ihr Los jemandem vertraut , der bei seinen Handlungen sehr wenig an Sie denken wird .
Kehren Sie zurück , Johanna !
Sie wandeln einen schmalen gefährlichen Weg ; lenken Sie ein in die gebahnte Straße !
Kein Blick des Vorwurfs wird Ihnen hier begegnen .
Der Herzog ist Ihnen brüderlich gesinnt ; die Bitte des sterbenden Vaters bleibt ihm ein Befehl für das Leben .
Gern wird er Ihnen das Landhaus , welches Sie liebten , so lange Sie wollen , einräumen .
Da können Sie in der Stille , fern von unangenehmen Erinnerungen , sich zurechtfinden , können mit uns wieder anknüpfen , wann und wie Sie mögen .
Ihr Ruf ist bewahrt ; die Freunde wissen nicht anders , als daß Sie eine Reise gemacht haben .
Mich sehen Sie erst , wenn Sie selbst es wünschen .
Kehren Sie zurück , Johanna ! "
Diesen Brief , so freundlich er klang und so innig er gemeint war , hatte die Herzogin dennoch mit großem Widerstreben geschrieben .
Beinahe hätte ein Zufall das mühevolle Werk vernichtet .
Sie besaß einen zahmen Papagei , der frei im Zimmer umherspazierte , und von der Gebieterin verzogen , nach der Weise dieser affenähnlichen Vögel , tausend Possenstreiche ausgehen ließ .
Er pflegte in der Regel ernsthaft auf der Lehne ihres Stuhls zu sitzen , wenn sie arbeitete oder schrieb .
Als sie eben mit dem Briefe fertig geworden war , schoß er von seinem Platze auf die Klappe des Sekretärs , hatte den Brief im Schnabel , und war damit im Umsehn weg .
Schon saß er in einer Ecke , bereit , das Papier mit Schnabel und Krallen zu zerarbeiten .
Sie jagte ihm den Raub zwar wieder ab ; ob sie aber sehr gezürnt haben würde , wenn der Vogel die Vernichtung vollendet hätte , steht dahin .
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Während seine Wohltäter auf so verschiedene Weise beschäftigt waren , lag Hermann noch immer in der Bewußtlosigkeit des Fiebers .
Beinahe etwas zu hart war er für seinen irrtümlich verwendeten Eifer bestraft worden .
Denn der Degen des alten Raufbolds hätte nur noch einen Zoll tiefer zu schneiden gebraucht , so wäre die Leber verletzt gewesen .
Eine geraume Zeit lang hatte er ohne Hoffnung gelegen .
Nach und nach kehrte die Besinnung zurück , anfangs wie ein dämmernder Traum , dann wie ein blasser , zarter Tag .
Als er die Augen aufschlug , sah er einen ernsthaften Mann an seinem Lager sitzen , der ihm die Medizin reichte .
Er kannte den Mann nicht .
Ein anderer Unbekannter , schwarzlockig , kam und fühlte den Puls .
" Wo bin ich ? " fragte er mit matter Stimme .
" Bei Freunden " , versetzte der Arzt ; " halten Sie sich ruhig . "
Die nächsten Tage vergingen unter der treuen Obhut jener Männer .
Er hatte das Gedächtnis eingebüßt .
Als man ihm den Herzog nannte , die kleine Stadt , in deren Nähe man ihn verwundet gefunden , wußte er von nichts .
Seine Sinne litten an krankhafter Reizbarkeit , wenn er etwas Rauhes anfaßte , schmerzten ihm die Fingerspitzen , ein hartes Auftreten dröhnte ihm im Ohr , das helle Tageslicht hätte er nicht zu ertragen vermocht .
Bei der Dämmerung verhangener Fenster bekam er Zeit , seine Lebensgeister wieder zu sammeln .
Er fand sich in einem hohen ernsten Zimmer .
Alte Stukkatur verzierte die Decke , von den Wänden hingen schwere , rote Tapeten herab , massive , vorzeitliche Meubles standen umher .
Große eichene Flügeltüren wiesen nach anderen Gemächern .
Kaum hallte ein Fußtritt durch den Gang .
Man hatte den Verwundeten absichtlich im stillsten Teile des Schlosses untergebracht .
Die Einsamkeit und die altertümliche Umgebung machten einen angenehmen Eindruck auf ihn , welcher durch die Töne der Orgel , zu bestimmten Morgen- und Abendstunden aus der nahen Kapelle herüberklingend , noch verstärkt wurde .
Wilhelmi und der Arzt erschienen pünktlich mehrmals des Tages , der alte Erich versah die Aufwartung .
Nach und nach traten die Bilder der Tage , welche diesem einförmigen Zustande vorhergingen , aus dem Dunkel , aber wie Schatten , ohne rechten Zusammenhäng .
Er suchte nach einem festen Punkte , er hätte sich um sein Leben gern auf eine Gestalt besonnen , die ihm nicht erinnerlich werden wollte .
Einst brachte ihm Wilhelmi eine Schale voll der schönsten Pfirsichen .
" Diese Früchte schickt Ihnen die Herzogin " , sagte er .
Die Herzogin !
Der Name durchzuckte ihn wie ein Blitzstrahl .
Sie war es , die Gestalt , nach welcher er vergebens bisher gesucht hatte .
Nun sah er sie , nun stand sie vor ihm , in dem feinen , braunen , englischen Kleide ; er hörte sie in der Kapelle ihn zurückweisen , er half ihr vom Zelter , er empfing von ihr das Geld , Flämmchen zu retten .
Alles , jeder Moment war ihm mit einem Schlage gegenwärtig .
Wilhelmi lächelte über die Ausrufungen , welche bei dieser Gelegenheit laut wurden .
" Unsere Fürstin verdient Ihren Enthusiasmus " , sagte er .
" Sein Sie nur recht dankbar , wenn Sie Ihr Zimmer wieder verlassen haben werden , sie hat große Teilnahme an Ihnen bezeugt .
Man hat Sie uns gerade zur rechten Zeit ins Schloß getragen .
Wir anderen sind mit unseren Geschäftsgesichtern jetzt wenig geeignet , sie zu unterhalten , wie sie es verdient .
Er ließ Hermann allein , der sich in diesen süßschmerzlichen Fall nicht zu finden wußte .
" Aufgedrungen bin ich hier .
Welches Geschwätz , daß sie Teil an mir nehme ?
Ja , den Almosenanteil eines gewöhnlichen Mitleids ! " rief er aus .
Nicht lange konnte er dieser Wehmut nachhängen .
Die Türe flog auf , und Flämmchen herein .
Tränen im Auge fiel sie ihm zu Füßen , drückte und küßte seine Hand , und war wie außer sich vor Freude , daß man sie wieder zu ihm ge lassen habe .
- " Ich hatte das beste Mittel , dich in drei Tagen gesund zu machen , das wollte ich dir eingeben , da rief mich der böse Doktor von dir , und sie haben mich abgesperrt gehalten .
O , hier ist es sehr häßlich , alles so gleich und langweilig , wie im Grabe , laß uns bald fort ! "
Sie drückte seine Hand so , daß er sie unter empfindlichem Schmerze zurückzog .
Langsam kehrte ihm die Erinnerung an diese Figur wieder .
" Ich habe meine Wunde um dich bekommen , welche Not wirst du mir noch sonst verursachen ? " sagte er .
" Wie konntest du so unbesonnen sein , mir als Knabe zu folgen ? "
" Es war doch gut , daß der Knabe bei der Hand war " , versetzte sie trotzig .
" Du hättest sonst unter den Fichten verbluten müssen .
Wie sprichst du denn ?
Ich dachte , die Schmerzen hätten dich vernünftiger gemacht .
Wo soll ich anders sein , als bei dir ? "
" Es ahnet doch wohl niemand hier dein Geschlecht ? "
Sie sah ihn starr an .
" Geschlecht ?
Was ist das ? "
Hermann befahl ihr streng , sich ordentlich zu betragen , und nicht aus dem Vorzimmer zu weichen .
Er drohte ihr mit augenblicklicher Verstoßung , wenn sie mit irgend jemand , außer mit ihm spräche .
Traurig , den Kopf hängend , schlich sie fort .
Der Arzt , der ihn schon für geheilt erklärt hatte , fand ihn gegen Abend verändert .
Gemütsbewegung und Sorge hatten ihn aufgeregt , es meldete sich wieder ein kleines Fieber .
Auf seine Fragen wollte Hermann mit der Sprache nicht heraus .
Die Tür zum Vorzimmer war offen geblieben , Flämmchen saß am Tische und studierte in einem Punktierbuche .
Ein verlegener Blick Hermanns auf sie verriet , woher das Fieber rühre .
Der Arzt zog die Türe zu .
" Beruhigen Sie sich " , sprach er , " Ihr Geheimnis mit dem Mädchen ist unentdeckt , und soll unentdeckt bleiben , wenn Sie vernünftig sind . "
" Geheimnis ?
Mädchen ?
Ich verstehe Sie nicht " , stotterte Hermann .
" Gemach , mein Freund , nur keine Maske .
Vor seinem Arzte muß man offen sein , auch sind wir in solchem Punkte nicht so leicht zu täuschen .
Sein Sie unbesorgt , ich weiß es , sonst niemand .
Unser Wilhelmi sieht vor der Verderbnis des Zeitalters im allgemeinen , das besondere Fleckchen zu seinen Füßen nicht , dem Herzog sind alle romantischen Dinge Allotria , um welche sich ein Mann , der Geschäfte hat , nicht bekümmert , und unsere schöne fürstliche Tugend glaubt an nichts Schlimmes , weil sie selbst nie einen bösen Gedanken gehabt hat .
Die Kammerjungfer , welche etwas erlauscht haben mußte , hat Sie anschwärzen wollen ; sie ist heute als Verleumderin des Dienstes entlassen worden .
Daß ich es treu mit Ihnen meine , können Sie daraus abnehmen , daß ich Ihrem Fritz , oder wie dieser Jüngling sonst heißen mag , sein langes Haar , welches leicht zu einer Entdeckung führen konnte , habe abscheren lassen .
Als Schwedenkopf geht er schon eher mit durch . "
" Um Gotteswillen , urteilen Sie nicht übel von mir ! " rief Hermann .
" Ich brauche mich des Verhältnisses zu jener Unglücklichen nicht zu schämen . "
" Ich bin kein Richter , und am wenigsten ein Sittenrichter " , erwiderte der Arzt etwas spöttisch .
" Die Moralität unserer Kranken geht uns nichts an .
Aber mein tugendhafter Freund , hier in diesem ehrbaren Altvaterschlosse darf der Skandal nicht fortgesetzt werden .
Denn ein Skandal bleibt es doch immer , wenn ein verkleidetes Mädchen , welches die Kinderschuhe vertrat , sich bei einem jungen Manne aufhält .
Nur unter der Bedingung schweige ich , daß Sie diesen Zwitter so bald als möglich fortschaffen . "
Hermann erklärte dem Arzte , daß es sein eigener sehnlichster Wunsch sei , Flämmchen irgendwo sicher unterzubringen .
Er wollte ihn über das Mädchen ausholen , bekam aber anfangs nur ziemlich ironische Antworten zu hören , welche deutlich anzeigten , wofür er gehalten werde .
Zuletzt gab der Arzt dem Andringen Hermanns verwundert nach , und rief : " Entweder sind Sie ein vollendeter Heuchler , oder hier ist etwas , was mir mein Konzept über die Menschen verrückt !
Wie ?
Sie sollten von ihr so wenig wissen , und doch wäre sie bei Ihnen ?
Sie hätten sie nicht ihrem Vater entführt ! der alte Johanniter hätte Sie nicht für dieses Unterfangen verwundet ? "
" Wer kann das behaupten ? "
" Die beiden Alten haben es überall ausgesagt .
Ich hatte Mühe genug , die Sache zu stillen . "
" In welcher schrecklichen Verlegenheit befinde ich mich ! " seufzte Hermann .
- Die Mitteilungen des Arztes flößten ihm ein Grauen gegen das Wesen ein , welches sich so gewaltsam so seinen Spuren nachdrängte .
" Sie ist " , berichtete jener , " durchaus und bis in die letzte Faser ihrer Natur Aberglauben , und nie habe ich diese geistige Krankheitsform so rein auftreten sehen .
Ich habe jetzt über alles , was uns das Mittelalter von Hexen , Besessenen , Doppelgängern und ähnlichen Fratzen erzählt , durch sie eine andere Meinung bekommen ; diese Dinge waren keineswegs Pfaffentrug ; ich sehe an einem lebendigen Beispiele , daß eine verstörte Einbildungskraft alles das hervorrufen kann .
Sie tut keinen Schritt , ohne irgendein willkürliches Orakel zu fragen , sie hat Visionen , sie führt im Mondschein sonderbare Gespräche mit ihrem Schatten , dabei ist sie durchaus nicht heimlich und verschlossen , nein , man kann ihre ganze Verkehrtheit in jedem Augenblicke von ihr erfahren , weil die abenteuerlichsten Dinge ihrem Geiste so gemein erscheinen , wie uns der Wechsel der Tageszeiten .
Ihr Verderben wäre sie gewesen , kam ich im rechten Augenblicke nicht noch dazu .
Gerade , als Sie in der heftigsten Fieberhitze lagen , fand ich sie im Begriff , Ihnen einen Trank einzugeben , der , wie mich die Untersuchung des Gemisches lehrte , Sie in wenigen Stunden getötet haben würde .
Woher sie die Spezies Bebkommen ?
Von wem das Zeug bereitet worden ? habe ich nicht ausmitteln können .
Zufälligerweise geriet mir kurz nachher eins jener alten verworrenen Büchelchen aus dem siebzehnten Jahrhundert in die Hände , worin allerhand Phantastereien als Naturkunde prunken , und darin fand ich das Arkanum Ihrer unberufenen Helferin als allgemeinen Lebensbalsam Gran für Gran verordnet . "
" Aber wie ist nur eine solche Verbildung möglich geworden ? "
" Fragen Sie mich in Ernst , so kann ich darauf nur Mutmaßungen mitteilen .
Sie wuchs auf unter Leuten , deren eigentliches Geschäft es ist , alle ihre Stunden in Schein und Schaum zu verzetteln .
Denken Sie sich lebhaft das Innere einer Komödiantenwirtschaft , und Sie haben das Bild der Gemeinheit und faselnden Dämelei , von welcher das Kind immer umgeben war .
Die Einbildungskraft überragt in ihr alle anderen Vermögen , dabei fehlt ihr das Talent der Nachahmung , woraus die Schauspielkunst entspringt .
Es mangelte ihr also in jenem Kreise die Möglichkeit , mit dem Äußeren , Wirklichen anzuknüpfen .
Sie ist sehr unwissend , Lesen und Schreiben hat man sie zur Not gelehrt , übrigens weiß sie von dem Zusammenhänge der Dinge nichts , und alles Überirdische ist ihr völlig fremd .
Gleichwohl will ein lebhafter Sinn , eine entzündliche Phantasie Beschäftigung .
Früh mögen ihr manche Sachen in die Hände gefallen sein , die im verflossenen Jahrzehnt Mode waren ; jene talentvoll-bizarren Ausgeburten eines vielgelesenen Autors , worin das Märchenhafte , ja das ganz Unmögliche und Widersinnige dicht an die tägliche Umgebung geschoben wird .
Fabeln , die aus fabelhaftem Rahmen blicken , wären wohl kaum imstande gewesen , die junge Törin so zu verwirren , aber diesen alten Weibern , welche so vertraut an der und der Straßenecke sitzen , und dann plötzlich Gott weiß was ? werden , diesen Koboldchen und Diavolinis in Schlafrock und Pantoffeln , vermochte das Gehirnchen keinen Widerstand zu leisten .
Sie hat sich eine Art von Fetischismus gebildet , und es ist mir oft merkwürdig gewesen , an ihr dasselbe wahrzunehmen , was man uns von den Völkern erzählt , die sich noch auf der Stufe der Kindheit befinden .
Im ganzen bemerkte ich nämlich auch an ihr , daß alle Religion aus dem Schrecken entspringt , und daß der Mensch das Gute und Angenehme als sich von selbst verstehend , hinnimmt .
Der große Stein im Schloßhofe , an dem sie sich im Sprunge den Fuß verletzte , ein alter fauler Weidenbaum , der ihr , als sie sich eines Abends verspätet hatte , zum Entsetzen ins Auge glühte , die verwitterten , in den dunklen Gang nach dem Archive beiseite geschafften Gartenstatuen , sind die Gegenstände ihrer heimlichen , fürchtenden Verehrung ; während sie bei keiner Blume an etwas anderes denkt , als daß sie wohl rieche , den Sonnenschein und die gute Speise genießt , ohne darüber nachzusinnen , woher beides stamme . "
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Eine bedeutende Krankheit kann bisweilen ein Glück sein .
Unser Leben wird zur größeren Hälfte von Gewohnheiten , und nur zur kleineren von Freiheit und Entschluß genährt .
Gewohnheiten aber sind meistens die Polster , welche die schwachen Seiten unserer Natur sich unterlegen .
Eine Krankheit unterbricht nun den einschläfernden Gang dieser Nachgiebigkeiten , und macht es dem Genesenden möglich , sich nicht bloß im körperlichen , sondern auch in einem höheren Sinne , wie neugeboren zu fühlen .
Wirklich nahm sich Hermann in den ersten Tagen des wiedergeschenkten Lebens ernstlich vor , künftig vorsichtiger zu sein .
Die Äußerungen des Arztes hatten schon ein unangenehmes Streiflicht auf seine Ritterschaft geworfen , und Flämmchens eigene Reden dienten nur dazu , den Tag heraufzuführen , bei dessen Glanze er sich zuletzt wie ein zweiter Don Quijote vorkommen mußte .
Das wilde Mädchen hatte gar kein Hehl , daß sie sich bloß vor der Strenge des alten Johanniters gefürchtet habe .
Ihre Tugend war durchaus nicht in Gefahr gewesen , das sah ihr Beschützer nunmehr zu seinem Leidwesen ein .
Es war ihm unbegreiflich , wie sich ein solches Hirngespinst in ihm hatte festsetzen können , und er beschloß , hinfort noch kälter und klüger zu sein , als er nach seiner Überzeugung bereits war .
Die Lage , in der er sich trotz aller Unschuld befand , war sehr zweideutig .
Ein junges Mädchen , verkleidet , Tag und Nacht in seinem Vorzimmer zu wissen ; welches Mißgefühl für ihn , welch ein Anlaß zu den übelsten Verwicklungen !
Aber wohin sollte er mit dem Kinde ?
Vom Pflegevater , an den er gleich geschrieben , hatte er eine in schwülstigen Ausdrücken verfaßte ablehnende Antwort erhalten .
So grausam durfte er nicht sein , ein verlaßenes Wesen von sich zu stoßen ; und konnte er hoffen , daß jemand sich mit dem verwahrlosten Geschöpfe befassen werde ?
Diese Sorgen hielten ihn mehrere Tage lang zwischen Furcht und Zweifel gespannt .
Niemand konnte er sich vertraun .
Dabei war ihm der Mangel an aller ordentlichen Bedienung äußerst lästig .
Sein Kaleb war ohne Ohr für die Stunde , ohne Sinn für Ordnung , warf alles unter- und übereinander , und wenn er ihr Anweisungen gab , oder Strafpredigten hielt , so fiel sie ihm um den Hals , statt zu gehorchen .
Er war daher fast allein auf sich und seine Hände beschränkt , und dazu kam noch , daß schon ihr Geschlecht ihm verbot , manches von ihr zu fordern , dessen ein Genesender bedarf .
Der Arzt , der allein hier hätte einschreiten können , schien , voll Schadenfreude , kein Auge für diese Verlegenheiten zu haben .
Konnte ihm etwas seine verdrießliche Situation erträglich machen , so war es der Umstand , daß das Mädchen über alles , was Lüsternheit oder nur Sinnlichkeit heißen mochte , in völliger Unbekanntschaft lebte .
Er sammelte hierüber merkwürdige Erfahrungen ein , und mußte die ewige Konsequenz der Natur bewundern , welche immer nur in einer Richtung bildet und mißbildet .
Während ihre Phantasie ganz vom Abenteuerlichen und Seltsamen geschwängert worden war , blieb sie rein von allen den Dingen , womit sich sonst in den Jahren der Entwicklung ein stilles und gefährliches Nachsinnen zu beschäftigen pflegt .
Mit dem Gedanken , daß er sie heiraten werde , woran sie starr und steif festhielt , verknüpfte sie keine andere Vorstellung , als daß sie sich neben ihm in weichgepolsterter Kutsche wiegen , oder den Schmuck einer vornehmen Dame am Halse tragen werde .
Eines Tages war er auf einen Augenblick ins Freie gegangen , und fand sie , als er zurückkehrte , nicht in ihrem Vorzimmer .
Am Pfosten des Bettes hing ein Täschchen , wie es schien , vollgestopft .
Ein Buch , das hervorsah , machte ihn neugierig ; er nahm das Täschchen und leerte es aus .
Da zeigte sich ein sonderbarer Inhalt .
Allerhand Dornen , Stäbchen , beschmutzte Bilder , halbzerbrochene Whistmarken kamen zum Vorschein .
Ein sogenannter Krötenstein wurde sichtbar , nebst Stücken von einem Kindesschädel .
Er sah ein Band von ungewöhnlicher Farbe , auf dem fremdartige Charaktere eingestickt waren , vermutlich das Ordensband einer Loge , irgendwo verlorengegangen .
Er öffnete ein zugenähtes Säckchen ; dieses fand er mit Salz und Kümmel angefüllt 1 .
Er schlug die Büchlein auf , welche das Täschchen enthielt , und sah die Vermutung des Arztes bestätigt .
Es waren einige von den Sachen , die vor Jahren die Einbildungskraft aller jungen Leute so sehr in Bewegung setzten : die " Teufelselixiere " , der " Goldene Topf " , " Rasmus Spikher " u.a.m . teils vollständig , teils in zerlesenen Bogen und Blättern .
Er hielt also den Kram in Händen , welcher das Gehirn des armen Kindes verdreht hatte .
Mit der Vertilgung dieser äußerlichen Dinge meinte er den Aberglauben an der Wurzel zu zerstören , und warf daher alles rasch in das herbstliche Kaminfeuer .
Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Eine geheime Scheu hatte ihn noch immer abgehalten , sich seinen Wohltätern vorstellen zu lassen , obgleich er das lebhafteste Verlangen empfand , der edlen Herzogin wieder in das Antlitz zu sehen .
Er errötete , wenn er ihrer gedachte , und verschob den Tag des Besuchs von Woche zu Woche , unter dem Vorwande , daß er noch zu angegriffen sei , um in Gesellschaft erscheinen zu können , obgleich der Arzt ihm längst alle Rechte der Gesunden eingeräumt hatte .
Diesem Manne mußte er sich dankbar und verpflichtet fühlen ; dennoch empfand er kein Behagen an seinen Gesprächen .
Der Arzt hatte seine Wissenschaft mit Geist und Freiheit studiert , die verwandten Naturgebiete waren von ihm in den Kreis der Betrachtung gezogen worden , er teilte sich gern und ausführlich mit .
Aber freilich hatten diese Studien die gewöhnliche Folge gehabt .
Dem Eingeweihten war das animalische Leben die Hauptsache geworden .
Von Natur zweiflerisch gesinnt , hatte er durch ein wundes Verhältnis welches ihn heimlich peinigte , einen noch schärferen Blick für den Zwiespalt der einzelnen Dinge bekommen .
Alles Geistige und Gemütvolle fand an ihm einen entschiedenen Verneiner , der die ätzendsten Einwürfe im ruhigsten Tone vortrug .
Jene trostlose Meinung , daß der Mensch sich nur durch eine Art von höherem Instinkt über das Tier erhebe , trat hier in reiner ausgeprägter Gestalt auf .
Der Arzt war unerschöpflich in Beispielen , welche beweisen sollten , daß alles ideelle Streben der Menschheit und des Menschen immer nur zur Torheit oder zum Verbrechen geführt habe , daß der Kreis , in welchem sich die Geschlechter umherdrehn , ein überaus kleiner sei , und daß nur die unermüdliche Einbildung der Selbstgefälligkeit ihn zu einem großen erweitre , oder seine Peripherie in die beliebte gerade Linie nach dem sogenannten Ziele der Vollkommenheit verwandle .
Hermann hatte sich , wie wir wissen , selbst für einen frühreifen Propheten des Nihilismus gehalten .
Wie aber das Licht der Kerze neben der Strahlenglut der Sonne erbleicht , so schmilzt die Spielerei eines angeeigneten Wahns am Feuer einer echten Gesinnung .
Er bestritt den Arzt mit allen Waffen , die ihm zu Gebote standen , und führte die Sache der Begeisterung , so gut er konnte .
An Eifer fehlte es ihm nicht , aber die Rüstkammer , welche für solchen Streit nur in der Geschichte oder in dem eigenen , auf große Weise geführten Leben anzutreffen ist , war ihm verschlossen .
Sein Leben , wenn er es gründlich untersuchte , erschien ihm ziemlich dünn , und die Geschichte hatte er , wie er zu seinem Schrecken bemerkte , über der Beschäftigung mit den Zeitungen bis auf einige allgemeine Umrisse fast vergessen .
Der Fülle von Stoff , welche der Arzt phalanxartig ihm entgegensetzte , wußte er selten auslangend zu begegnen , und mußte sich eines Tages , als jener jede eigentliche Freundschaft bestimmt leugnete , und mit grausamer Deutlichkeit alle Verbindungen unter Männern aus dem Interesse ableitete , mit dem Argumente der Frauen helfen ; daß er trotz allem Gesagten doch fühle , es sei anders und besser .
" Orest und Pylades , Damon und Pythias gehören in das Reich der Fabeln " , sagte der Arzt .
" Wenn es wahr ist , was man von Jonathan erzählt , so sehe ich darin nichts Großes .
Er wußte recht wohl , daß er von seinem Vater Saul wenig zu befürchten habe , und daß es immer vorteilhafter sei , sich zur aufgehenden Sonne zu halten , als zur sinkenden .
Und so geht es noch heutzutage .
Wie empfindsam wurde der Göttingische Dichterbund ausgeputzt !
Die Jünglinge umarmten einander unter der Bundeseiche unweit der Leine , hoben die Finger empor und leisteten den Schwor ewiger Treue , Klopstock erschien in ihren Versammlungen als Oberpriester und Erzdeutscher ; wie schön , wie erhebend !
Die Treue hielt auch vor , solange einer vom anderen regelmäßig seine Ode empfing ; als aber dieser Tauschhandel wechselseitiger Begeisterung flau wurde , schlief die Liebe allgemach ein , und an ihrer Stätte erwachte ein grimmiger Haß , der noch nach Jahren gedruckt hervorbrach , und von dem wenigstens ich den Grund nur darin finde , daß Voß Stolberg und Stolberg Voß zu besingen überdrüssig geworden war .
Glauben Sie mir , die Sache steht , nüchtern betrachtet , so :
Jugendfreundschaften dauern nie aus , und was in den späteren Jahren Freundschaft genannt wird , bezieht sich auf Sachen und Zwecke , nicht auf die Person .
Wenn man aufrichtig sein will , so wird man sich gestehen müssen , daß ein Mann immer vor dem anderen im letzten Winkel seiner Seele einen geheimen Widerwillen behält .
Auch in dieser Hinsicht sollten wir uns von unseren Mitgeschöpfen nicht so weit entfernt glauben .
Der Sozietätstrieb läßt sich nicht leugnen ; er ist aber auch in den Ameisen und Bienen , in der Wanderratte , und unter den Vögeln , in den Krähen und Staren sichtbar .
Die Freundschaft soll , wenn sie echt ist , reingeistiger Natur sein , nun frage ich :
wie kann sie also uns , die wir in Haut und Knochen , Fleisch und Sehnen hängen , eigenen ? "
" Mit solchen Reden kann man freilich den Frühling entlauben , die Menschheit entmenschen , und den Himmel entgöttern ! " rief Hermann .
- " Sie selbst aber sind , wie alle Verkündiger des Nichts , Ihr eigener Widerleger .
Sie fühlen sich zu anderen hingezogen , ohne Eigennutz ; Sie haben Zuneigungen , die um ihrer selbst Willen vorhanden sind , ohne Rücksicht auf Vorteil , oder sonstige unedle Motive . "
- " Was wollen Sie damit sagen ? " fragte der Arzt verlegen .
" Ich bin geheilt .
Ihr Amt hat bei mir aufgehört " , versetzte Hermann warm und eifrig .
" Dennoch kommen Sie täglich zu mir .
Ich weiß , daß ich Ihnen nichts bieten kann , was Ihren Verstand beschäftigte .
Und doch kommen Sie , und wir sind stundenlang zusammen .
Soll ich aus dieser Annäherung , wodurch Sie mich höchlich ehren und erfreuen , die Folgerung gegen Sie machen , oder übernehmen Sie dies nun selbst ? "
" Ich muß ja wohl " , erwiderte der Arzt , indem er beruhigt Atem schöpfte , und seine Hand aus der Hand Hermanns , ohne dessen Druck zu erwidern , zurückzog .
Er sprach von anderen gleichgültigen Dingen , konnte aber ein Lächeln nicht verbergen , womit er hin und wieder unseren Freund von oben bis unten betrachtete .
Beim Abschiede sagte er :
" Sie glauben nicht , wie unsereinen , jetzt , wo man fast nur eingebildete Kranke unter Händen hat , ein wirkliches großes Übel , wie das Ihrige war , anzieht .
Und dann sah ich , als ich Sie baden ließ , daß Sie den schönsten normalsten Körper besitzen , den ich je erblickte .
Ich muß gestehen , daß mir ein solcher Leichnam noch nie auf dem anatomischen Theater vorgekommen ist . "
Hieraus merkte denn Hermann freilich , daß er dem Arzte mehr ein pathologisches Objekt sei , als ein Gegenstand der Zuneigung .
Verstimmt und traurig fand ihn Wilhelmi , der in der Regel gegen Abend kam , mit ihm Schach zu spielen .
Zu diesem zog ihn die Sympathie in dem Maße hin , als ihn der Arzt abstieß .
Auch hier trat ihm eine verzweifelnde Ansicht des Lebens entgegen , aber die Verzweiflung entsprang aus dem fruchtlosen Suchen nach der irdischen Erscheinung der himmlischen Urania .
Wilhelmi gehörte zu den vielen Deutschen , bei denen der Sinn die Tatkraft überwiegt .
Es scheint fast , daß man mit einem gewissen Leichtsinn handeln müsse , um eigentliche Resultate zu erblicken .
Er war mit seinem bedeutenden Verstande , mit seinen Kenntnissen und Gesinnungen doch nur in kleinliche Verhältnisse geraten ; unter Zaudern und Wählen waren ihm die besten Lebensjahre verstrichen .
Nun war er der Diener eines abgelegen hausenden Dynasten , und konnte sich in dieser Stellung unmöglich gefallen .
Aus dem Mißverhältnis , in welchem er sich zu seinem Geschicke fühlte , erwuchs ihm das Gefühl für das allgemeine Mißverhältnis in der Welt , ein Gefühl , welches durch körperliche Leiden noch geschärft wurde .
Unzufrieden mit allem , was er in der Wirklichkeit sah , erbaute er sich eine Art von Traumwelt , und suchte sich in allerhand Willkürlichkeiten eine problematische Existenz zu gründen , da das Leben ihm die Mittel zu einer anderen nicht bieten wollte .
Die Jugend hat einen natürlichen Hang , die Welt anzuklagen , um das Recht zu bekommen , sie zu verbessern , und wer diesen Ton voll und stark erklingen läßt , wird ihr immer angenehm sein .
Hermann hatte von dem ernsten verdrießlichen Manne eine hohe Meinung gefaßt , und überbot sich mit ihm in Reden gegen die Menschheit und Zeit , wo es sich denn oft ergab , daß er über das Ganze gerade das Gegenteil von dem sagte , was er kurz vorher dem Arzte gegenüber im Einzelnen aufrecht zu erhalten versucht hatte .
Der Schimmer des Geheimnisvollen , welcher Wilhelmi umwebte , vermehrte nur den Eindruck seiner Persönlichkeit .
Hermann hatte bemerkt , daß wenn er jenen nach seiner Wohnung im ältesten Teile des Schlosses begleitete , er nicht in das eigentliche Arbeitszimmer des Freundes gelassen , sondern in einem Vorgemache abgefertigt wurde .
Die Spöttereien des Arztes über die Höhle des Sehers , welche kein Profaner betreten dürfe , reizten seine Neugier nur noch stärker , und er spürte mehrmals die Versuchung , wenigstens durch das Schlüsselloch in das Mysterium zu blicken , wenn Wilhelmi , ihn zurücklassend , durch die Pforte abschritt , um ein Buch , oder sonst etwas , worauf die Unterhaltung geführt hatte , zu holen .
Wilhelmi seinerseits erfreute sich endlich eines geduldigen Zuhörers , ja einer zweiten Stimme in dem Konzerte , welches er so gern anstimmte , und in dem er bisher fast immer nur Solo hatte spielen müssen .
Aus dem Zusammenreden entstand bald ein Zusammenempfinden , und da Hermann ihm mit wahrer Liebe entgegenkam , so konnte ein aufrichtiges Wohlwollen des älteren Mannes nicht ausbleiben .
Dieser nahm sich im stillen vor , eine Lieblingsgrille , welche er noch niemand zu eröffnen gewagt hatte , mit seinem jungen Freunde auszuführen .
Als einige Partien gemacht worden waren , in denen sich Hermann heute ziemlich schwach verhalten hatte , stand Wilhelmi auf , ging mit feierlichem Anstande durch das Zimmer , trommelte sodann auf den Fensterscheiben , und sagte und tat hiernächst gewisse Dinge , die nicht verraten werden dürfen .
Seine Mutmaßung bestätigte sich .
Hermann antwortete , wie er mußte , und beide schüttelten einander als Brüder einer weit verbreiteten Genossenschaft herzlich die Hand .
" Kommen Sie " , sagte Wilhelmi , " ich habe Ihnen etwas zu vertraun . "
Erwartungsvoll folgte Hermann seinem Verbündeten durch die langen Gänge des Schlosses .
Es war schon spät , und die Fußtritte hallten auf dem Estrich .
Wilhelmi nahm in seinem Vorzimmer zwei Armleuchter vom Tische , zündete die Kerzen an , und hieß mit dem Ernste eines Magus Hermann in das Allerheiligste treten .
Wir meinen das Studierzimmer .
Hier wurde freilich die Erwartung des Gastes enttäuscht .
Er sah nichts , als eine Art Faustischer Zelle , wie sie zu jedem deutschen Gelehrten herkömmlich gehört .
Bücher standen auf Brettern , die vom Fußboden bis zur Decke emporreichten , Glasschränke mit Antiquitäten und allerhand Seltenheiten nahmen den übrigen Raum ein , jede etwa noch leere Stelle an der Wand war mit einem Kupferstiche , einer Zeichnung , oder einem Risse zugedeckt .
Man konnte sich kaum umdrehen .
Vergebens aber spähte Hermann nach Geheimnissen .
" Warum halten Sie dieses Zimmer so verborgen ? " fragte er ungeduldig seinen Wirt , der mit ängstlicher Sorgfalt einige Federn , die von dem ein für allemal angewiesenen Orte gewichen waren , zurechtlegte .
" Hier ist der einzige Raum auf der Welt , wo ich frei Atem hole " , versetzte Wilhelmi .
" Zwischen diesen vier Wänden liegt mein Asyl ; hier kann ich sein , wie ich will , und nur mein innigster Freund soll dieses kleine Königreich mit mir teilen .
Kein kaltes , kein freches Gesicht störe den Frieden , der hier mich umsäuselt !
Hier bleibe es Ordnung , wenn die Unordnung draußen auch noch so groß wird . "
Wirklich schien dieses Gemach , so überfüllt es war , ein Heiligtum sauberer Genauigkeit zu sein .
Kein Stäubchen wäre wegzublasen gewesen , denn Wilhelmi fegte selbst mehrmals des Tages alles ab , und dem Diener war nur erlaubt , den Grund zu kehren .
Symmetrisch geordnet lagen und standen auf dem Schreibtische Papiere , Federmesser , Brieffalzer in abgemeßener Entfernung voneinander , umsonst würde ein Maler hier das Modell zu der reizenden Verwirrung eines Stillebens gesucht haben .
In Reihe und Glied schnurgerade standen die Bücher , von himmelblau angestrichenen Brettern hoben sich die Raritäten hinter wasserhellen Scheiben nett und deutlich ab .
" Helfen Sie mir ! " sagte Wilhelmi zu Hermann , der die Totenurnen , die Elfenbeinsachen in den Schränken , die Zeichnungen und Risse an den Wänden betrachtete .
Sie gingen in ein Seitenkabinett , und Wilhelmi schlug den Deckel von einem großen Kasten zurück .
Mit Verwunderung sah Hermann darin einen vollständigen mystischen Apparat .
Als sie ihn auspackten , horchte Wilhelmi auf .
" Mir war es " , sagte er , " als hörte ich ein Geräusch . "
Im Zimmer war aber nichts zu erblicken .
Vorsichtig schloß er die Türe nach außen ab .
Hierauf schmückten beide das Zimmer in seltsamer und geheimnisvoller Weise aus .
" Tun wir auch recht ? " fragte Hermann bedenklich .
" Es ist auf kein Schisma abgesehen " , versetzte Wilhelmi , " ich stelle diese Zeichen nur um uns her , unsere Gedanken von der gemeinen Alltäglichkeit abzusondern , die leider in jedem Momente sich aufdrängt . "
Er nahm in einem thronartigen Lehnstuhle Platz , Hermann mußte sich gegenüber auf einem Tabouret niederlassen .
Er war sehr gespannt auf das , was aus diesen Anstalten sich entwickeln werde .
Wilhelmi begann seinen Vortrag folgendermaßen .
Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel " Wir können nicht leugnen , daß über unsere Häupter eine gefährliche Weltepoche hereingebrochen ist .
Unglücks haben die Menschen zu allen Zeiten genug gehabt ; der Fluch des gegenwärtigen Geschlechts ist aber , sich auch ohne alles besondere Leid unselig zu fühlen .
Ein ödes Wanken und Schwanken , ein lächerliches Sichernststellen und Zerstreutsein , ein Haschen , man weiß nicht , wonach ? eine Furcht vor Schrecknissen , die um so unheimlicher sind , als sie keine Gestalt haben !
Es ist , als ob die Menschheit , in ihrem Schifflein auf einem übergewaltigen Meere umhergeworfen , an einer moralischen Seekrankheit leide , deren Ende kaum abzusehn ist .
Man muß noch zum Teil einer anderen Periode angehört haben , um den Gegensatz der beiden Zeiten , deren jüngste die Revolution in ihrem Anfangspunkte bezeichnet , ganz empfinden zu können .
Unsere Tagesschwätzer sehen mit großer Verachtung auf jenen Zustand Deutschlands , wie er gegen das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts sich gebildet hatte , und noch eine Reihe von Jahren nachwirkte , herab .
Er kommt ihnen schal und dürftig vor ; aber sie irren sich .
Freilich wußten und trieben die Menschen damals nicht so vielerlei als jetzt ; die Kreise , in denen sie sich bewegten , waren kleiner , aber man war mehr in seinem Kreise zu Hause , man trieb die Sache um der Sache Willen , und , daß ich bei der Schutzrede für die Beschränkung mit einem recht beschränkten Sprüchlein argumentiere : der Schuster blieb bei seinem Leisten .
Jetzt ist jedem Schuster der Leisten zu gering , woher es auch rührt , daß kein Schuh mehr uns bequem sitzen will .
Wir sind , um in einem Worte das ganze Elend auszusprechen , Epigonen , und tragen an der Last , die jeder Erb- und Nachgeboreneschaft anzukleben pflegt .
Die große Bewegung im Reiche des Geistes , welche unsere Väter von ihren Hütten und Hüttchen aus unternahmen , hat uns eine Menge von Schätzen zugeführt , welche nun auf allen Markttischen ausliegen .
Ohne sonderliche Anstrengung vermag auch die geringe Fähigkeit wenigstens die Scheidemünze jeder Kunst und Wissenschaft zu erwerben .
Aber es geht mit geborgten Ideen , wie mit geborgtem Gelde , wie mit fremdem Gute leichtfertig wirtschaftet , wird immer ärmer .
Aus dieser Bereitwilligkeit der himmlischen Göttin gegen jeden Dummkopf ist eine ganz eigentümliche Verderbnis des Worts entstanden .
Man hat dieses Palladium der Menschheit , dieses Taufzeugnis unseres göttlichen Ursprungs , zur Lüge gemacht , man hat seine Jungfräulichkeit entehrt .
Für den windigsten Schein , für die hohlsten Meinungen , für das leerste Herz findet man überall mit leichter Mühe die geistreichsten , gehaltvollsten , kräftigsten Redensarten .
Das alte schlichte : Überzeugung , ist deshalb auch aus der Mode gekommen , und man beliebt , von Ansichten zu reden .
Aber auch damit sagt man noch meistenteils eine Unwahrheit , denn in der Regel hat man nicht einmal die Dinge angesehen , von denen man redet , und womit beschäftigt zu sein , man vorgibt . "
" Wie wahr !
Wie haben Sie so ganz recht ! " rief Hermann , den Redner unterbrechend , aus .
Die Gedanken , welche Wilhelmi vortrug , hatten ihn in die höchste Bewegung versetzt .
Jener fuhr fort :
" Ich muß Ihnen gestehen , daß mich die Betrachtung der allgemeinen Schwätzerei oft der Verzweiflung nahe gebracht hat .
Wenn ich rings um mich nichts als das lose lockre Plaudern vernahm , wenn ich Kunstvereine mit pomphafter Ankündigung von Leuten stiften sah , die kalt an den Werken des Raffael vorübergehen würden , zeigte man ihnen diese , ohne den Namen des Meisters zu nennen ; wenn ich hörte , da habe wieder einmal einer , vom inneren Drange getrieben , das katholische Glaubensbekenntnis abgelegt , von dem ich recht wohl wußte , daß es mit dem religiösen Bedürfnisse bei ihm betrübt stand , daß er nur ein leichter nachgiebiger Weltcharakter war , wenn die Schneeflocken des politischen kalten Brandes mir aus dem Munde solcher entgegenstäubten , von denen ich voraussehen konnte , sie würden nicht der kleinsten Aufopferung für ein Gemeinwesen fähig sein , dann , mein junger Freund , hatte ich Momente , in denen ich mir hätte das Leben nehmen können !
Ich betastete mich und fragte :
» Bist du nicht auch ein Schemen , der Nachhall eines anderen selbständigen Geistes ? «
Ich grub in die letzten Tiefen meiner Seele , und suchte nach der Affektation , die , das wußte ich wohl , in irgendeinem verborgenen Winkel bei mir ebenfalls lauern mußte .
Ich sah ja alles verfälscht , vom armseligen Journalisten und seinem Handlanger an , die beide mit entwendetem Tiefsinn und geraubtem Scharfblick nur ihr trostloses Leben fristen , und ihre winzige Persönlichkeit bemerkbar machen wollen , bis hinauf zum Fürsten , dem ein faselnder Minister allerhand unregentenhafte Kostbarkeiten vor dem Volke in den Mund legt .
Sollte ich denn allein eine Ausnahme machen ? "
" Sie sind eine ! " rief Hermann begeistert , Wilhelmin feurig die Hand drückend .
" Wir leben in einer erbärmlichen Welt , und man möchte mit Feuer und Schwert darein wüten ! "
" Da würden wir nebenher auch verzehrt .
Nein , bei uns müssen wir beginnen , und mit unserem Selbst den ersten Baustein zum Tempel der neuen Andacht tragen ; Lege den Gehalt einer Gesinnung auch in das kleinste Tun !
Sprich nichts , als was du wirklich gedacht hast !
Sei wahr in jedem Atemzuge !
Nach diesen drei Vorschriften lassen Sie uns jeden Moment unseres Daseins prüfen , und wenn wir selbst auf solche Weise streng gegen uns sind , dann haben wir die Befugnis , unerbittlich gegen andere zu sein .
Antworten Sie mir !
Sind Sie durchdrungen von dem , was ich äußerte ?
Haben Sie den Mut , mit mir auf der neuen dornigen Bahn zu wandeln ? "
" Ja ! " war alles , was Hermann vorbringen konnte .
Sein ganzes Leben ging in diesem Augenblicke ihm vorüber .
Er fühlte , wie oft er die Fehler und Zweideutigkeiten sich hatte zuschulden kommen lassen , die Wilhelmi so scharf rügte .
Die Sucht zu glänzen und zu scheinen , war ihm leider nicht fremd geblieben .
Er gelobte sich mit stillem Schwure , ein anderer und besserer zu werden .
Wilhelmi nahm einige Zeremonien vor , die wir unbeschrieben lassen .
Dann umarmte er den Neophyten , und rief : " So nehme ich dich denn auf , mein Bruder , in den neuen Grad , den ich hiermit stifte ! "
Elftes Kapitel Elftes Kapitel " Der Orden , dem Sie und ich angehören , wird bestehen , solange die Welt besteht , denn seine Formen sind ewig und unsterblich .
Aber der Stoff , der in das Gefäß getan wird , veraltet von Zeit zu Zeit , oder verbraucht sich ganz und gar , und auf diesem Punkte stehen wir jetzt .
Was soll uns die Humanität , die einst in unseren geweihten Hallen zuerst ihr stilles Reich gründete ?
Leider sind wir draußen nur gar zu human geworden .
Ein neues Licht tut uns Not , dafür wollen wir Lehrlinge suchen , stufenweise sollen sie zu der Erkenntnis geführt werden , daß die Menschheit eine Maße ist , welche der Verwesung entgegengeht , wenn nicht rasch eingeschritten wird .
Das sei fortan das Geheimnis unserer Bruderschaft , und in diesem Sinne helfen Sie , mein Freund , den Orden ohne Feindschaft und ohne Kampf in seinem innersten Wesen verjüngen . "
Hermanns Busen schwoll von Entschlüssen .
Er wünschte sich die schwersten Proben , um den neugewonnenen Sinn für Wahrheit kräftig zu betätigen .
" Wir werden keinen leichten Stand haben " , fuhr Wilhelmi fort .
" Neben der Schminke und dem Firnis der anderen wird sich unsere Art arm und einfältig ausnehmen .
Jeder gibt sich für mehr , als er ist , wir , die wir uns nur zeigen wollen , wie wir sind , werden auch das Wenige nicht gelten , was wir sind .
Schlicht und vernünftig sein , heißt heutzutage dumm sein , und wer handelt , ohne Prätentionen zu machen , kann darauf rechnen , übersehn oder gar verachtet zu werden . "
" Ist es zu irgendeiner Zeit anders gewesen ? " rief Hermann .
" Wollen wir es besser haben , als die tausend Märtyrer vor uns , welche auch litten und bluteten , weil sie sich nicht entschließen konnten , die Gebrechen ihrer Mitwelt zu teilen ? "
Jetzt raschelte es hinter dem Postamente der großen etruskischen Vase in der Ecke ganz vernehmlich .
Wilhelmi und Hermann sahen nach und standen beide starr vor Erstaunen und Schreck .
Flämmchen saß hinter dem Postamente .
Sie warf sich zitternd auf die Knie , und rief : " Vergebt mir , ich konnte mich nicht halten ; schon lange wußte ich , daß der Schwarze ein Hexenmeister sei , es zog mich hinter euch her , als ihr fortschlicht . "
" Nur erst das hier weg ! " rief Wilhelmi .
Beide packten die Heiligtümer stürmisch auf und warfen sie unordentlich in das Seitenkabinett .
Unterdessen huschte Flämmchen durch die Stube nach der Türe , um zu entfliehen .
Wilhelmi bemerkte es , eilte ihr nach , und hielt sie beim Arm zurück .
" Du gehst nicht von der Stelle , bis du gebeichtet hast " , sagte er .
" Ungezogener Knabe , wie hast du dich erkühnen dürfen , hier einzudringen ?
Was hast du gesehen ?
Was hast du gehört ? "
- " Alles ! " stotterte Flämmchen .
" Mache mich nur nicht tot !
Du hast mit meinem Zukünftigen ein Bündnis gestiftet , und ihn die Künste gelehrt , den Teufel zu zwingen , daß er allen Leuten den Mund aufbricht , damit sie die Wahrheit sagen ! "
Hermann mußte ungeachtet des Ernstes der vorhergegangenen Szene lächeln .
Wilhelmi schlug sich vor den Kopf , und sagte französisch :
" Wenn der Junge ausplaudert , was er erlauscht hat , so werden wir vor dem Herzoge , dem alle höhere Dinge eine Torheit sind , zum Gespötte ! "
" Benutzen Sie seinen Aberglauben , ihm die Lippen zu versiegeln " , versetzte Hermann ebenfalls französisch .
Flämmchen sah sie beide ungewiß und furchtsam an .
Wilhelmi faßte sie am Kinn , hob ihr den Kopf in die Höhe und sagte in einem ruhigeren Tone :
" Es ist wahr , daß ich manches verstehe , was kein Mensch sonst weiß .
Wenn du aber von dem , was du hier beobachtet hast , eine Silbe verrätst , so dreht dir der Teufel im nämlichen Augenblicke den Hals um ! "
Flämmchen legte den Finger auf den Mund , reckte ihn dann wie zum Schwure in die Luft , und sagte :
" Wenn ich etwas sage oder merken lasse , so will ich des Todes sein auf der Stelle .
Was denkst du auch von mir ?
Werde ich mich gegen euch auflehnen ?
Weiß ich nicht , daß , wenn ihr durch das Bild stecht , den Menschen der Schlag rührt , daß ihr eure Feinde Totbeten , oder bei lebendigem Leibe verwesen machen könnt ? "
- Sie lehnte sich an ihn , und flüsterte mit dem zärtlich-schmeichelnden Ausdruck , der ihr eigen war , wenn sie etwas erlangen wollte : " Lehre mich auch deine Künste !
Oder " , fügte sie hinzu , " entdecke mir wenigstens , wer mir meine Zaubersachen weggenommen hat ?
Ach , der böse Mensch !
Alles hat er mir gestohlen , und ich bin ganz arm ! "
Ihre Stimme hatte bei diesen Worten etwas so Tiefklagendes , daß Hermann , der schon in den letzten Tagen ihr verzweiflungsvolles Suchen nach den verschwundenen Kleinodien nicht ohne Bewegung hatte mit ansehn können , gerührt wurde .
Er wandte sich ab , und sah durch das Fenster in die Nacht hinaus .
Wilhelmi dagegen lachte über die Einfalt des Kindes .
" Kommt Zeit , kommt Rat " , scherzte er .
" Wer weiß , was ich tue , wenn du folgsam und gelehrig bist .
Aber jetzt leiste mir zuerst einen Dienst , spring hinab zum Haushofmeister und bestelle ein kaltes Abendbrot , mit dem nötigen Getränk aus meinem Keller , und sage dem Philipp , er solle zwei Couverts auflegen . "
" Woher haben Sie diesen Knaben ? " fragte er Hermann nach Flämmchens Entfernung .
" Er ist eine Waise aus guter Familie " , versetzte jener beklommen und suchte ein anderes Gespräch auf die Bahn zu bringen .
Aber Wilhelmi ließ sich nicht ablenken , und sagte : " Eine seltsame Erscheinung , der Fritz ! dieser Aberglaube ! man sollte kaum glauben , daß dergleichen sich in unserer Zeit noch so ausbilden könnte !
Überhaupt scheint die Natur es mit ihm auf eine Spielart angelegt zu haben .
Seine Haut ist fein , wie aus dem Ei geschält , sein Haar das zarteste , was man nur finden kann , und er ist so eigen gebaut , daß , wenn man ihn zum Scherz in Mädchenkleider steckte , jeder ihn für eine Dirne halten würde . "
" Wo denken Sie hin ? " rief Hermann roten Antlitzes , gezwungen lachend .
Nachdem , wie vorgedacht , die Gesetze des neuen Ordens betätigt worden waren , kam Flämmchen , sich mit einem Korbe schleppend , woraus weißes Gedeck , die leckersten Sachen und einige verpichte Flaschenhälse sahen .
" Es geht auf Mitternacht ; dein Philipp ist schlaftrunken , er würfe alles entzwei , ich habe es ihm abgenommen , laß mich euch bedienen " , sagte sie .
" Du bist zu ungeschickt " , rief Hermann , der für sein Leben gern das Mädchen entfernt hätte .
- " Lassen Sie den Fritz gewähren " , sagte Wilhelmi , " mit meinem Philipp ist in diesem Zustande , den ich an ihm kenne , nichts anzufangen . "
Die Ritter der Wahrheit setzten sich hierauf zu Tische .
Hermann bemerkte , daß , wenn auch sein Wirt die Welt im ganzen schalt , diese Verachtung sich nicht auf das einzelne gute Eß- und Trinkbare ausdehnte , was noch hin und wieder in derselben angetroffen wird .
Man sprach den feinen Sachen , die aufgetragen waren , wacker zu , der köstliche Burgunder , mit dem man begann , wurde nicht geschont , und man ging über die erste Champagnerflasche ohne Zagen hinaus .
Wilhelmi hatte sich durch seine Mitteilung einer langgetragenen Bürde entledigt und war unbeschreiblich vergnügt .
Er konnte nicht viel vertragen , und mit Erstaunen sah sein Gast , wie er nach den ersten Gläsern aus dem Extreme der trübsten Gedanken , womit diese Zusammenkunft begonnen hatte , in das entgegengesetzte der ausschweifendsten Lustigkeit überging .
Er nötigte ohne Unterlaß , erzählte Schnurren über Schnurren , schwatzte von den Abenteuern seiner Jugend , und nannte Hermann , welcher Grund hatte , sich zu schonen , und sich etwas gelinder verhielt , einen finsteren Moralisten .
Endlich begann er , Studentenlieder zu singen , in die , da sie alle Freiheit , Bruderschaft und Recht atmeten , Hermann , von dem neugewonnenen Orden entzündet , feurig einstimmte .
Nichts exaltiert so , als Singen beim Glase ; bald war unser Freund so laut , als sein Genosse .
Flämmchen war unterdessen auch nicht still geblieben .
Man hatte ihr in ihrem Winkelchen des Guten , so viel sie begehrte , zukommen lassen , und bald zeigten sich die Wirkungen .
Ihr Grauen verschwand , die leichtfertige Natur kam zum Vorschein , sie hüpfte in drolligen Sprüngen durch das Zimmer , umarmte den singenden Wilhelmi und schwor unter Lachen , er sei der lustigste Teufel , den sie je gesehen habe ; schlug Rad , zertrümmerte dabei eine Scheibe an einem Antiquitätenschranke , schlich sich zu den Büsten des Plato und Pythagoras unter dem Spiegel , malte ihnen mit Kohle Schnurrbärte , kurz , sie trieb alle Torheiten , die in einem Zimmer , welches noch vor kurzem ein Tempel der Weisheit gewesen war , nur verübt werden können .
So dauerte dieses Bacchanal unter Singen , Schwatzen und Possenreißen fort , bis des Nachtwächters Stimme Zwei abrief .
Da nahm sich Hermann zusammen , stand auf , und wünschte seinem Wirte gute Nacht .
Wilhelmi überschaute das Zimmer , welches freilich einen ungewöhnlichen Anblick darbot , lachte herzlich , wie ein vergnügtes Kind , und rief :
" Hier sieht es munter aus ! "
Flämmchen war an einem Stuhle in tiefen Schlaf gesunken .
Hermann versuchte , sie auf ihre Füße zu stellen , vergebens !
sie fiel immer wieder zusammen .
Er wußte , daß sie von diesem Todesschlummer oft befallen wurde .
Endlich lud er sie auf seine Arme und trug sie fort .
Ihr Westchen war aufgegangen , die Nadel war aus dem Hemdkragen gewichen , der schönste , jüngste , frischeste Busen sah ihn an , als er sie auf ihr Lager niederlegte .
Sein Blut , von der Schwärmerei des Abends erhitzt , wallte siedend auf , er wollte , wie vor einem Gespenste seiner Gedanken sich flüchten , weit , weit weg , und blieb gefesselt stehen , das schöne Kind mit seinen Blicken verschlingend .
Endlich drückte er ihr einen heißen Kuß auf die Lippen , Tränen entstürzten seinen Augen ; er meinte , er sagte sich selber vor , daß er das arme verwahrloste Geschöpf aus Mitleid geküßt habe .
Durch die Nacht erklang von draußen ein Lied zur Gitarre .
Eine tiefe , sonore Baßstimme sang folgende Strophen :
Stehe still mein Herz , und rühr dich nicht , Kannst ja ein zweites Herz nicht rühren !
Doch liebe , bis der Tod dich bricht , Ins Land der Kälte dich zu führen .
Aus aller Blüten schönem Reich Habe ich die tauben nur erworben , Mein Leben ist ein welker Zweig , Ich bin allein , und schon gestorben !
Verwundert sah Hermann im nahen Hause des Arztes noch Licht .
Er überzeugte sich , daß der Gesang aus dessen Zimmer kam .
Was hatte der kalte , abgeschloßene Mann mit solchen Gefühlen zu schaffen ?
Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Wilhelmis Erwachen war äußerst schmerzlich .
Der Diener Philipp hatte nicht gewagt , die Unordnung anzurühren ; er ließ alles stehen und liegen .
Denn seiner Meinung nach war es bei dem Herrn nicht mit rechten Dingen zugegangen , und er wünschte , daß dieser sich selbst von dem Greuel überzeugen möge .
" Bei uns hat der Satan gewirtschaftet , Herr Kammerrat " , sagte der Mensch , als er ihn endlich spät aus dem Bette holte .
Wilhelmi fühlte sich matt und angegriffen , aber er meinte in die Erde zu sinken , als er sein Zimmer betrat .
Schon der gedeckt stehengebliebene Tisch mit den Resten der Mahlzeit würde hingereicht haben , ihn höchlich zu verstimmen ; was war jedoch dieser Tisch gegen die Stühle , die Flämmchen in ihrem Mutwillen zu einer Pyramide zusammengeschoben , gegen den Tintenstrom , der sich aus der umgeworfenen Flasche ergossen hatte , gegen die zerschlagene Scheibe , und endlich gegen die Schnurrbärte des Plato und Pythagoras ?
Ärgerlich befahl er dem Diener , schnell aufzuräumen , und ging zum Herzog , der , wie er hörte , schon nach ihm verlangt hatte .
" Nun , Sie sind gestern abend recht lustig gewesen ! " rief ihm der Fürst heiter entgegen .
" Ich habe die Genesung unseres jungen Freundes gefeiert " , versetzte Wilhelmi mit halber Stimme .
" So werden wir ihn ja endlich auch wohl zu sehen bekommen " , sagte der Herzog einigermaßen empfindlich .
" Aber die Briefe , wo sind sie ? lassen Sie mich sie unterschreiben ! "
" Welche Briefe , Ew. Durchlaucht ?
Ja , die Briefe ! - Großer Gott , die Briefe ! -
O ich Unseliger ! "
Es war Posttag .
Wichtige Geschäftsbriefe , deren Abgang aus manchen Gründen beschleunigt werden mußte , waren zu schreiben gewesen ; Wilhelmi hatte sich vorgenommen gehabt , den Rest des Abends oder den frühen Morgen dazu zu verwenden , als er Hermann in sein Zimmer führte .
Pünktlich sonst in seinem Dienste bis zum Pedantischen , war er jetzt so gröblich von der Regel abgewichen , welche den Ehren- und Angelpunkt seines Lebens bildete , und bei welcher Veranlassung !
Er geriet völlig außer sich , und ergoß seinen Kummer , ohne der Gegenwart des Herzogs zu achten , in einer verzweiflungsvollen Rede über die Schwäche und Inkonsequenz des Menschen .
Kaum konnte ihn der Herzog , der diesen gewaltsamen Ausbruch eines unbegrenzten Pflichteifers ( denn darin suchte er den Grund desselben ) nicht ungern hörte , durch herablassende und gütige Worte einigermaßen beruhigen .
Indessen kleidete sich Hermann an , um seinen Besuch bei der Fürstin zu machen .
Zur guten Stunde war ein schwerer Geldbrief vom Oheim angelangt , nebst Abrechnung und Beilagen , die er durchzusehn , sich noch nicht die Zeit genommen hatte .
Sogleich war ein Bote im gestreckten Trabe nach der Stadt geschickt worden , um das Notwendigste herbeizuschaffen , was zur anständigen Kleidung gehört .
Mit großer Genugtuung vervollständigte er die ihm für Flämmchen anvertraute Summe wieder , von welcher er die Zeit her zu seinen Ausgaben hatte nehmen müssen .
Es blieb ihm ein sehr bedeutender Überschuß , er sah sich im Spiegel vorteilhaft ausstaffiert , er fühlte sich frei , berechtigt , wie jeder mit Gelde versehene Mensch .
Nur von der Ausschweifung der vergangenen Nacht empfand er noch einige Nachwehen .
Aber auch diese verschwanden , als er in das Zimmer der Herzogin trat .
Homer erzählt von einem Kraute Moly , dessen Genuß alle Einflüsse unheimlichen Zaubers abwendet , und es war Hermann , als habe ihm ein himmlisches Wesen so ein schützendes Mittel gereicht , da er den holden Duft süßer Wohnlichkeit einsog , der durch das heitere prächtige Gemach hinwehte .
Die Herzogin hieß ihn freundlich willkommen ; er wurde aufgefordert , ihrem Stickrahmen gegenüber Platz zu nehmen .
Nun war ihm erst wie einem Gesunden zumute .
Unterwegs hatte er einen Entschluß gefaßt , den auszuführen er für Pflicht hielt .
" Wie ? " sagte er , " du hast gehorcht , du bist im Besitz der Hälfte eines Familiengeheimnisses , und deine Wohltäter wüßten von diesem Umstande nichts ? -
Wahr zu sein hast du geschworen , beweise hier auf die Gefahr , in Ungnade zu fallen , daß du deinen Eid halten willst . "
Als daher in dem Gespräche eine Pause entstand , fing er seine Beichte an , in welcher er freilich den Umstand betonte , daß ihn nur der Zwang der Umstände zum unerbetenen Vertrauten gemacht habe .
Er beteuerte , daß , was er gehört , für ewig in seinem Busen begraben bleiben werde , und schloß mit der Bitte , ihm zu sagen , ob er auf der Stelle einen Ort verlassen solle , wo sein Anblick vielleicht mißfällig sei ?
Die Herzogin hatte sich , um ihre Bewegung zu verbergen , anfangs tief auf ihre Arbeit niedergebeugt ; bald aber fand sie sich , und noch während Hermann sprach , faßte sie einen Plan .
Sie glaubte , vielleicht zu sehr , an einen vernünftigen Zusammenhäng der Zufälligkeiten in der Welt , und sah in der Dazwischenkunft des jungen vielversprechenden Fremdlings so etwas von einem Winke der Vorsehung .
Ganz beruhigt erhob sie daher ihr Haupt , als jener geendet hatte , und sagte :
" Daß es mir nicht angenehm sein kann , von Ihnen belauscht worden zu sein , begreifen Sie selbst .
Indessen waren Sie unschuldig daran , und damit ist die Sache abgemacht . "
Er hoffte , sie werde ihm irgendeine tröstliche Andeutung geben , wie die seine Näherung ablehnenden Worte , welche sie damals zugleich gesprochen hatte , zu verstehen wären , aber vergebens .
Schon erwartete er mit Herzklopfen seine Entlassung , als die Herzogin , scheinbar nur , um das Gespräch fortzuführen , einige Fragen nach seiner Vaterstadt tat .
Mit weiblicher Feinheit wußte sie den Faden von Straße zu Straße zu spinnen , bis nach dem Hause seiner Eltern , und so war er auf einmal , er merkte selbst nicht , wie , in einer Erzählung von seiner Jugend und von seinen frühesten Verhältnissen begriffen .
" Es ist gewiß " , sagte er , " daß dem Menschen nichts mehr schadet , als wenn über dem Gemälde seiner ersten Tage ein verworrenes unruhiges Licht zittert .
Das Kind soll , wie die Pflanze , aus festem Boden , unter dem gleichen Scheine der nach ewigen Gesetzen wiederkehrenden Sonne emporwachsen .
Ich dagegen bin in einer Lage zum Bewußtsein gekommen , die viel von dem Schwanken des Schiffsbruchs , oder vom Stegreifsleben einer Nomadenhorde hatte .
Ich war etwa neun Jahre alt , als es dem damals Allmächtigen beliebte , auch unsere gute ehrwürdige Reichsstadt unter die Fürsorge seines Zepters zu nehmen .
Nun sollten wir Franzosen werden , blieben Deutsche , und niemand wußte , was bei der Sache herauskommen werde .
Auf großen Tafeln stand mit ellenlangen Buchstaben zu lesen , daß wir jetzt eine Munizipalität , ein Tribunal , und eine Präfektur statt des Rats der Oberalten , des Schoppenstuhls und der Pfennigmeisterei hätten .
Die Patrioten zogen sich ins Dunkel zurück , schweigend , wie grollende Titanen , die Geschichte der eigenen Stadt , womit sonst ein Knabe aufgärt wird , blieb uns fremd ; wer mochte von der Vergangenheit reden , der man das ganze Unglück der Gegenwart aufbürdete ?
Wir liefen hinter den neuen Mäntelchen , Krägelchen und Schärpen her , bis wir hörten , in den hübschen Kostümen steckten lauter abgefeimte Schelme .
Rings um uns zischte es von nichts , als von Bestechungen , Kabalen , Begünstigungen durch die niedrigsten Mittel .
Welche Eindrücke für ein junges Alter , worin alles so scharf aufgefaßt wird . "
" Sonderbar " , sagte die Herzogin .
" Ich lebte damals in Paris .
Es war der ruhigste Ort auf der Welt .
Niemand fühlte die Bewegung , die den ganzen Erdboden erschütterte .
Man sah derselben , wie einem Schauspiele zu ; die Bulletins glichen den Reden der Helden in der Tragödie , und die Trophäen , welche von Zeit zu Zeit anlangten , kamen den Menschen nur wie neue Szenerien vor , womit seine Hauptstädter zu ergötzen , der Gebieter die kluge Gefälligkeit hatte .
Aber Ihre Eltern ? "
" Sie ruhn in Frieden !
Teuer sei mir das Andenken dieser verehrten Häupter !
Sie haben in mir das höchste Vertrauen erweckt ; warum soll ich zaudern , von allem zu sprechen , was mich bei dieser Erinnerung bewegt ?
Außer dem Hause war das Verderben , im Hause gab es kein Behagen .
Nicht , daß irgendein Zwiespalt hervorgetreten wäre ; nein , im Gegenteil , mein Vater bezeugte der Mutter nur Achtung und Aufmerksamkeit , und sie war das Muster weiblicher Sanftmut und Unterwürfigkeit .
Aber dem Blicke des Kindes blieb nicht verborgen , daß hier doch jene Eintracht der Herzen fehle , die in tausend kleinen unbeschreiblichen Zeichen sich kundgibt .
Ernst und still gingen die Urheber meiner Tage nebeneinander her :
Wie oft fand ich die Mutter in Tränen !
Wie oft sah ich den Vater , wenn ich von der Straße und meinen Kameraden kam , trüb und gedankenvoll am Fenster stehen !
Sein schwerer Blick ruhte in den Wolken , als suche er da etwas , was ihm auf der Erde mangle .
Er hatte viele Eigenheiten .
So durfte in seiner Gegenwart nie von einer Hochzeit gesprochen werden .
Er geriet , geschah dies einmal zufällig , in eine solche Schwermut , daß er dann mehrere Tage lang für jeden unsichtbar blieb .
Eine andere Sonderbarkeit war , daß nichts in der Welt ein Versprechen ihm abzulocken vermochte .
» Wir wollen sehen « , war alles , was er auf die dringendsten Bitten erwiderte .
Dann aber tat er , was er nur konnte , und dieses ungewisse Wort galt bei den Leuten mehr als ein Eidschwur anderer .
Ich liebte meine Eltern herzlich .
Mein Vater war mir eine Art Gottheit , die sich in heiliges Dunkel verbirgt .
In mancher Nacht lag ich auf meinen Knien , und bat den Himmel , es so zu fügen , daß meine Eltern einander doch auch so liebhaben möchten , wie ich sie liebte .
Aber mein Naturell war munter und beweglich ; alle diese finsteren Dinge konnten seine Fröhlichkeit nicht zerstören .
Ich war viel außer dem Hause , viel unter anderen Menschen , man mochte mich gern leiden , eine Antwort fehlte mir nie , und mehrere meiner jüngern und älteren Bekannten schienen ein Vergnügen daran zu finden , wenn sie meine Geistesgegenwart auf die Probe stellen durften .
Was sonst einem Kinde so natürlich ist : daß es seine Eltern für einen Wall und Rückhalt in jeglicher Not ansieht , blieb mir immer fremd .
Sie waren von einem mir unbekannten Leide schon so sehr bedrückt ; sollte ich ihre Verlegenheiten vergrößern ?
Nun erschien das Jahr 1813 .
Als Siebenzehnjähriger stand ich in den Donnern von Lützen .
Da lernte man sich erst recht fühlen , den Schanzen und Kolonnen gegenüber , sich selbst und seinem Schicksale überlassen .
Nachher habe ich meine Eltern immer nur auf kurze Zeiten wiedergesehn .
Ich studierte , reiste viel , war hier und dort .
So bin ich das unruhige , unstete , ach und leider zu früh mit der Welt und ihrem Laufe bekannt gemachte Wesen geworden , welches Sie mit solcher Nachsicht angehört haben .
Bringen Sie mich nicht in eine Klasse mit den eitlen , vorlauten , zerstreuten Jünglingen unserer Tage ; ich stehe vielleicht an Geist in keiner Beziehung über ihnen , aber mein Sinn ist anders .
Sie sind so höchst zufrieden mit sich , ach ! und ich bin leider so höchst unzufrieden mit mir !
Ich habe keine Jugend gehabt .
Ist das vielleicht die Krankheit und der Mangel meiner Natur ?
Die Dinge gewähren mir keine Resultate .
Alles , was ich anfasse , löst sich unter meinen Händen in ein Abenteuer auf , welches sich immer in die Gestalt meines Vorteils verwandelt .
Wer aber wird nicht müde , vom Leben nur die sogenannten Annehmlichkeiten zu erbeuten ?
Wer wünschte nicht , daß ihn eine milde Fügung mit gütiger Hand in die Mitte des Dasein stellen , und in dessen Geheimnisse einweihen wollte ? "
Die Herzogin hatte mit größerem Interesse zugehört , als sonst den Erzählungen und Klagen der Jugend zuteil zu werden pflegt .
" Milde Fügung !
Gütige Hand ! " sagte sie lächelnd .
" Es ist schlimm , daß sich die Fügungen nicht bestellen lassen .
- Übrigens glaube ich , daß Sie empfinden , was Sie aussprechen .
Und daher denke ich , daß die Schicksale nicht ausbleiben werden , nach denen Sie sich sehnen . "
Hermann erhob sich .
" Mir ist eben von der dunklen Macht , welche unsere Tage beherrscht , eine Frage vor gelegt worden , und wenn ich nicht gar zu unbescheiden erschiene , so möchte ich mir die Antwort wohl hier erbitten . "
Er zog ein kleines Portefeuille hervor .
" Diese Brieftasche sendet mir mein Oheim " , sagte er .
" Ich soll dieselbe nach dem Willen meines Vaters öffnen , wenn ich das vierundzwanzigste Jahr zurückgelegt habe .
Die Worte des Verstorbenen besagen , daß ich nicht eher mich ankaufen , nicht eher ein festes Amt übernehmen und hauptsächlich nicht eher mich verloben soll , bis ich den Inhalt kennengelernt .
Vor einigen Tagen erreichte ich jenes Lebensalter .
Was soll ich tun ? "
Die Herzogin sah ihn betroffen an .
Dann beschaute sie aufmerksam das Portefeuille .
Es war alt , mit kostbarer eingelegter Arbeit von Goldstäbchen , Perlemutter und Steinen geziert .
Auf der hinteren Fläche war etwas , wie ein großes Wappen eingebrannt , dessen Embleme sich aber nicht mehr entziffern ließen .
Es schien viel gebraucht worden zu sein .
Sie hakte an dem silbernen Schlösschen ; sie schien auf einen passenden Ratschlag zu sinnen .
" Hat Ihr Vater in seinen Angelegenheiten etwas ungeordnet zurückgelassen ? "
" Nein , sein Leben war dem Gange einer wohlgestellten Uhr gleich . "
" Sie lieben Ihre Eltern , nicht ?
Sagten Sie nicht so ? "
Er neigte sich , stumm bejahend .
" Lassen Sie das Portefeuille uneröffnet ! " rief die Herzogin .
" Alle Geheimnisse sind verderblich , alle ohne Ausnahme . "
Er zauderte , es aus ihrer Hand zurückzunehmen .
" Die Neugier ist der unüberwindlichste Fehler unserer Natur . "
Er wagte nicht , mehr zu sagen .
" Sie haben es so gewollt ! " versetzte sie , indem sie es hastig in den Schreibtisch legte .
" Nun ist es für Sie verloren , denn mit meinem Willen lesen Sie kein Blatt darin . "
Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Von diesem Tage an war Hermann auf dem Schlosse einheimisch .
Der Herzog beruhigte sich bei einer allgemeinen Erzählung über dessen Geschick unter den Tannen , und schien an dem gesitteten , wohlunterrichteten jungen Manne immer mehr Geschmack zu finden .
Da er nicht leicht jemand unbenutzt lassen konnte , so brauchte er ihn bald zu verschiedenen Expeditionen , welche jener unter Wilhelmis Oberaufsicht zu seiner Zufriedenheit ausführte .
Nur bei einem Geschäfte gelang es ihm nicht , Beifall zu gewinnen .
Die Kriegsschäden waren noch zu liquidieren , welche der Herrschaft vom Staate ersetzt werden sollten .
Hermann hatte alle Papiere , die sich auf diesen Gegenstand bezogen , erhalten , und nach deren Einsicht eine billige Rechnung aufgestellt , solche Posten , die bestritten werden konnten , aus derselben weglassend .
Der Herzog sah die Arbeit voll Verwunderung durch , und fragte kopfschüttelnd , womit er es denn verdient habe , daß Hermann gegen ihn Partei nehme ?
Es könne ja die Hälfte mehr gefordert werden .
Er zählte die Summen auf , die nachgetragen werden müßten , und versetzte , als Hermann seine Einwürfe dagegen vorbrachte :
" Diese Zweifel wollen wir den Herrn Revisoren überlassen . "
" Ich glaubte den Sinn Eurer Durchlaucht durch die Art , wie ich dieses Geschäft behandelt , getroffen zu haben " , wandte Hermann bescheiden ein .
" Nach meiner Meinung dürfte ein Teil des Schadens gegen den Gewinn aufzurechnen sein , den uns die glückliche Veränderung der Dinge gebracht hat . "
" Was ich oder meinesgleichen ihr Großes zu danken hätte , wüßte ich so eigentlich nicht " , versetzte der Herzog .
" Über diesen Punkt gilt das :
Post hoc , non propter hoc , mit vollem Rechte .
Der Adel ist so alt , als die Welt , und daß man wenigstens in Monarchien ihn nicht entbehren kann , werden Sie mir zugestehen .
Da nun der Freiheitsschwindel längst vorüber , und alles bereits wieder in die gewohnten Formen eingelenkt war , da man überall große Reichslehen schuf , so würde man sich auch schon wieder nach uns umgesehen haben , und vermutlich ständen wir , wo wir jetzt stehen , wenn auch die Sachen geblieben wären , wie sie waren . "
Hermann mußte sich bequemen , eine Kriegsschädenrechnung anzufertigen , die ihm sehr übertrieben zu sein schien .
Gefielen ihm nun dergleichen Grundsätze keineswegs , so war sein Mißvergnügen doch nur vorübergehend .
Das Schloß , und die ganze Lebensweise darin , übte auf ihn denselben Eindruck aus , von dem wir bereits bei dem jungen Rechtsgelehrten geredet haben .
Er empfand ein eigenes Vergnügen , für sich , allein durch die hohen Bogengänge und Hallen , seinen Gedanken überlassen , stundenlang zu wandern , und er hätte nie geglaubt , daß eine so einförmige Tagesordnung , wie sie hier herrschte , ihm , der an Abwechslung gewöhnt war , in dem Grade behagen könne .
Er ließ sich von dem Elemente , welches ihn umgab , fortspülen , und schob die Gedanken an die Zukunft weit hinaus .
Freilich trug zu seinem Wohlbefinden die Güte , womit ihn die Herzogin behandelte , vieles bei .
Sie hatte gewisse Einflüsterungen , die ihr über ihn gemacht worden waren , mit Verachtung von sich gewiesen , und mochte ein stilles Bedürfnis empfinden , den unschuldig Angeklagten durch besondere Freundlichkeit für die ihm zugefügte Unbill schadlos zu halten .
Überdies gehörte sie nicht zu den Frauen , die an unmündigen Männern Gefallen finden , und die Sorge für ihre Erziehung sich aufbürden mögen .
Hermanns gewandte Entschiedenheit , der leichte Ton , mit welchem er von allem wenigstens zu reden wußte , waren Eigenschaften , die ihm bei ihr nur nützten .
Bald erkannte sie auch , daß der Anschein von Übermut und Selbstgenügen , welchen er bei der ersten Begegnung Fremden zeigte , durch die nähere Bekanntschaft sich sehr minderte .
Er schadete in der Tat immer nur sich und nie anderen .
An tausend Zeichen nahm sie wahr , daß er in jedem Augenblicke bereit sei , sich im Dienste seiner Freunde aufzuopfern .
Die Farbe der Zeit konnte er nicht verleugnen , aber im Innersten mußte man ihn für unversehrt erklären .
Wenn er seinerseits durch die Bemühungen für den Herzog sich ein stilles Recht auf das längere Verweilen in diesen Mauern zu erarbeiten meinte , so empfing er dagegen durch die Gemahlin nur Geschenke , für welche er sich ewig als Schuldner fühlen mußte .
Solange er Rekonvaleszent war , wurde ihm ihre liebende Sorgfalt zuteil .
Sie verbot ihm über Tische die Speisen , welche er nach ihrer Meinung noch nicht genießen durfte , sie warnte ihn , wenn ein Abendspaziergang zu lang zu werden drohte .
Wir wissen nicht , ob es Absicht oder Zufall war , daß er , als er dies bemerkte , gegen ihre Gebote zu sündigen liebte ; es könnte sein , daß er den Wunsch empfunden hätte , von solchem Munde recht häufig zurechtgewiesen zu werden .
Das ist gewiß :
er wäre unter diesen Bedingungen gern immer krank gewesen .
Bald erteilte auch sie ihm einen Auftrag , welcher ihm angenehmer war , als die Korrespondenz mit Behörden und Verwaltern , die ihn der Herzog besorgen ließ .
Sie zog eines Tages ein Heft aus dem Pulte , und fragte , indem sie es ihm zum Lesen einhändigte , ob er wohl glaube , daß in ihr eine Schriftstellerin verborgen sei ?
Er sah den Titel an .
Es war eine Übersetzung des Romans " Ivanhoe " von Walter Scott .
Dieser Autor stand gerade damals bei uns in der höchsten Blüte seines Ruhms .
" Erschrecken Sie nicht , wie die Männer pflegen , wenn sie von einer neuen Gelehrten oder Dichterin hören " , sagte die Herzogin scherzend .
" Ich habe das Buch nur für mich übersetzt , um die Sprache aus dem Grunde zu lernen , nicht um den Meßkatalog damit zu vermehren .
Aber ich möchte , da ich mir einmal die Mühe gegeben habe , es auch gern in vollkommener Gestalt sehen , und wünsche nicht , daß in meinem Büchlein , wie in dem Produkte jener Prinzessin , von der Sie neulich das Märchen vorlasen , der Mond in der Welt hereinscheine . "
Sie fragte ihn , ob er die Mühe übernehmen wolle , das Werk von Stilfehlern und grammatischen Unrichtigkeiten zu säubern ?
Wer war froher , als er ?
Er nahm das Heft mit , und betrachtete innig erfreut die zierlichen perlenrunden Züge der Handschrift , worin eine Zeile , wie die andere , in gleichen Zwischenräumen gerade fortlief .
Wenn irgendwo die Schrift die Sinnesart ausdruckte , so war es hier der Fall .
Hermann weidete sich an den Blättern , wie an einem Gemälde , bevor er sein Werk begann , welches er auch mehr als galanter Kavalier , denn als kritischer Zensor vollbrachte .
Es schien ihm ein Frevel zu sein , diese anmutigen Charaktere zu zerstören ; er korrigierte mit der feinsten Feder , mit den zartesten Strichen .
Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Des Abends waren die Zusammenkünfte gemeinschaftlich .
Man hatte festgesetzt , daß jeder aus seinem Fache immer etwas vortragen solle .
Im Anfang hielt man auch diese Anordnung aufrecht ; der Arzt handelte allgemein-verständliche Kapitel der Naturwissenschaft ab , Wilhelmi gab einen populären Abriß der neueren philosophischen Systeme zum besten , der Herzog erzählte von der englischen Landwirtschaft , mit welcher er sich gerade eifrig beschäftigte .
Da aber nach dem Willen der Herzogin jeder an jedem Abende sein Pensum enden sollte , so wurde der Kursus doch bald gar zu aphoristisch .
Die übrigen Männer zogen sich daher mit guter Manier zurück , und das Regiment gelangte unvermerkt an Hermann , der die Poesie und Unterhaltungsliteratur erwählt hatte .
Unangenehm war es freilich , daß auch hieraus , nach der einmal gegründeten Sitte des Hauses fast nie etwas Vollständiges zum Vorschein kommen durfte .
Der Eintritt des Bedienten , welcher zu melden hatte , daß serviert sei , zerschnitt mit unerbittlicher Strenge die anziehendste Vorlesung mitten im Akt , Szene , Perioden .
Die Herzogin hatte eine eigentümliche Gabe , sich an Einzelheiten zu erfreuen , weshalb sie auch weniger nach einem Ganzen verlangte , ja ein solches nur in Einzelheiten aufnahm .
Sie schaffte sich alle Blumenlesen und Geister , welche aus den Schriftstellern gezogen zu werden pflegen , mit besonderer Vorliebe an , und nichts glich ihrem Vergnügen , wenn sie einen schönen Gedanken in schöner Sprache außer dem Zusammenhänge mit weniger glänzenden Dingen genießen durfte .
Gesellschaft des umherwohnenden Landadels brachte doch meistens wöchentlich eine Abwechslung in den Kreislauf der Stunden .
Grade in dieser Gegend waren die Gutsbesitzer unverrückt auf ihren Schollen sitzen geblieben , und hatten von den Ansteckungen des Stadt- und Hoflebens , die dem Adel anderer Orten so gefährlich geworden sind , kaum etwas gelitten .
Hermann wunderte sich nicht wenig , als er in den Zirkeln , die er kennenlernte , auf manchen Mann stieß , dessen einfache Denkungsweise ihm Ehrerbietung einflößte , als er selbst hin und wieder Töchter edler Häuser fand , in deren Unterhaltung er sich schon gänzlich resignieren zu müssen gemeint hatte , und die ein sehr gutes Gespräch zu führen wußten .
Denn der Adel dieser Landstriche war bei seinen eleganteren Standesgenossen fast im Verruf , und galt nur für eine Sammlung völlig verbauerter Krautjunker .
Schlittenfahrten , die , so oft es sich tun ließ , veranstaltet wurden , gaben ihm Gelegenheit , sich als gewandten Vorreiter , oder als ersten Diener der Herzogin , wie er sich gern in ihrer Gegenwart nannte , zu zeigen .
Vor allem aber vergnügte ihn die Jagd , die auch wirklich in dem waldig-hügligen Gebiete des Herzogs von großer Ergiebigkeit war .
Es freute ihn indessen weniger , ein Stück zu erlegen , als dieses fröhliche Ausziehn in der Mitte lustiger Gesellen mitzumachen , das sachte listige Streifen und Schleichen durch den Nebel über Heiden und Waldplätze zu versuchen , die Geschichten , die Ahnungen und Vorbedeutungen zu hören , das heitere Mal nach vollbrachter Arbeit verzehren zu helfen .
Er fühlte sich auf diesen frohen Zügen in solcher Gemeinschaft mit der Natur , dem kräftigen Urzustande der Menschheit so nahe gerückt !
Auch wenn kein größeres Treiben stattfand , lag er mit dem alten Erich , der ein firmer Schütze war , und einem Menschen , der zuweilen herüberkam und der Amtmann vom Falkenstein genannt wurde , viel im Forste , wobei manche Mondnacht im Kreise kahler reifglänzender Bäume auf dem Anstande versessen wurde .
Einmal hatte er bei solcher Gelegenheit das fabelhafte Glück , zwei Füchse , die um die Ecke geschlichen kamen , mit den Schüssen seiner Doppelflinte zu töten .
Ein Fall , der noch nicht vorgekommen war , und ihm bei allen Weidmännern ein fast mythisches Ansehen gab !
So gingen unserem Freunde wohl- oder übelbeschäftigt die Tage hin .
Die Bäume waren kahl geworden , der Schnee hatte die Erde bedeckt , war wieder geschmolzen , und nun kamen aufs neue die Knospen hervor .
Seine Gegenwart schien allen willkommen zu sein , es sah aus , als müsse das immer so fortdauern .
Nur einmal wurde er zu einem flüchtigen Nachdenken aufgeregt .
Sein Tagebuch fiel ihm in die Augen , welches er sonst sehr ordentlich zu führen gewohnt war .
Um das Versäumte der letzten Woche , wie er meinte , nachzuholen , schlug er es auf , sah aber zu seinem Schrecken , daß er schon mehrere Monate lang nichts geschrieben hatte .
Auch von früher standen nur Notizen mit einem Worte vermerkt , als : " Jagd den und den " , " Gesellschaft aus * " , " Schlittenfahrt nach * " ohne alle weiteren Zusätze .
Er besann sich , er hatte geglaubt , daß ihm viel begegnet sei , konnte indessen nichts darüber zu Papiere bringen .
Die weißen Blätter sahen ihn wie strafend an ; in diesem Augenblicke hörte er die Herrschaften unten von einer Spazierfahrt zurückkehren , und eilte , indem er das Buch weglegte , hinab , sie zu empfangen .
Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Von Flämmchen war nie die Rede gewesen .
Die Herzogin hatte sich mit keinem Worte nach dem Kinde , für welches sie ihm Geld gegeben , erkundigt .
Unmöglich aber konnte er sich zu einer Beichte überwinden , welche sein angenehmes Verhältnis gestört , ihn lächerlich und verkehrt gezeigt haben würde .
Der Arzt , gegen den er , wie die Sachen standen , seinen Widerwillen hatte niederkämpfen müssen , hatte ihm einen Pädagogen genannt , der nach seiner Meinung das Mädchen in die rechte Bahn bringen würde .
Diesen wollte Hermann nun baldigst aufsuchen .
Vor seinem Ordensgelübde rechtfertigte er das Verschweigen gegen die Herzogin mit der Distinktion , daß man zwar nie lügen müsse , daß es aber zuweilen unumgänglich notwendig sei , die Wahrheit einigermaßen beiseite zu stellen .
Was den anderen Ordensritter betrifft , so hatte dieser nach jener mystisch-lustigen Nacht , als deren Anstifter er sich den unschuldigen Hermann einbildete , mit ihm zu schmollen versucht .
Bald aber wich dieser künstliche Zorn , und , als ob Torheit fester verknüpfe , denn Vernunft :
sie wurden noch bessere Freunde , wie vorher .
Gewöhnlich brachte Hermann , wenn die Gesellschaft auseinandergegangen war , noch einige Stunden bei Wilhelmi zu .
Dieser war ein erklärter Liebhaber alles Alten und Veralteten ; er besaß die seltensten Sachen und Pergamente .
In einer solchen Zusammenkunft holte er eine Urkunde herbei , woraus sich das schönste Licht über die großen Bauverbrüderungen des Mittelalters verbreitete .
Alles war darin bestimmt : wie der Gesell dienen solle , wie jeder verpflichtet sei , sein Zeichen zu führen , wie Hader , Schimpf und Unzucht in der Hütte zu meiden , wie wenn einer der Bauleute mit einer anrüchtigen Person notwendig sprechen müsse , er sich mit ihr über Hammerwurfsweite vom Bauplatze zu entfernen habe , und was dergleichen Vorschriften mehr waren , welche alle auf die strengste , sittlichste Geschlossenheit des Handwerks Bezug hatten .
Das Himmlische schwebte auch hier über dem Irdischen .
Die Verehrung der heiligen drei gekrönten Baumärtyrer : Claudius , Simplicius und Castorius , welche lieber sterben , als einen heidnischen Tempel bauen wollten , war zur unerläßlichen Pflicht gemacht ; kein Tag sollte , ohne sie anzurufen , begonnen werden .
" Schöne Denkmale einer untergegangenen Zeit ! " rief Hermann .
" Man verwundert sich weniger über jene Riesengebäude , wenn man dergleichen Urkunden durchliest .
Und noch klarer begreift man , daß sie jetzt nicht mehr nachzuahmen sind , und daß alle Versuche dieser Art schwach und kindisch ausfallen .
Aber was hilft es , Unwiederbringliches zu beklagen ?
Wir müssen doch vorwärts !
Niemand kann in den Leib seiner Mutter zurückkehren . "
" Und doch müssen die Zünfte wiederhergestellt werden , wenn wir überhaupt noch künftig vor Wind und Wetter geschützt wohnen wollen " , sagte Wilhelmi .
" Jetzt , wo jeder baut , wie er Lust hat , sind wir nahe an den Stand der Nomaden zurückgeführt .
Das ist auch eine von den Früchten der gepriesenen Gewerbfreiheit , die denn wieder zu den Blüten unserer Kultur gehört .
Aber diese sogenannte Kultur scheint mir nur eine andere Barbarei zu sein , der wir entgegengehen , oder vielleicht schon verfallen sind .
Denn , wenn die frühere darin bestand , daß niemand oder wenige etwas wußten , so ist die jetzige wohl nicht minder beklagenswürdig , wo alle zu verstehen glauben , was kaum einer oder der andere überwältigt .
Das ist eben das traurige Gefühl , was man gar nicht los wird , daß man die Nichtsnutzigkeit der Gegenwart immer empfinden muß und mit seinem Verstande sich doch vorhält , wie schwierig eine Restauration dessen sein möchte , was vor der Welt freilich zur Ruine geworden ist . "
" Auch der Adel ist so eine Ruine " , sagte Hermann .
" Ich muß immer lächeln , wenn ich sie noch mit ihren Titeln und Würden sich brüsten sehe .
Was macht den Adel ?
Die Abgeschlossenheit , das Kastenmäßige .
Nun aber haben die Besseren sich längst mit dem gebildeten Mittelstande vermischt .
Nirgends finden Sie noch in der guten Gesellschaft den Unterschied der Stände .
Leben wir hier auf unserem Schlosse anders , als in einer anständigen Bürgerfamilie ?
Erinnert irgendeine Etikette daran , daß wir mit Gliedern eines der ältesten Häuser unseres Vaterlandes Umgang pflegen ? "
Wilhelmi lachte bitter .
" Sie Neuling Sie in der Welt , trotz aller Reisen und Bekanntschaften ! " spottete er .
" Ja freilich ist der Adel im Kern verwest , aber das Gehäuse steht noch aufrecht , und man kann sich daran noch immer die Stirn einrennen .
Die Lebensluft der Aristokratie ist der Egoismus .
Andere Menschen sind selbstsüchtig aus Not , böser Gewöhnung , angeeigneter Maxime .
Der Edelmann ist es von Natur , er muß es sein ; mit der Muttermilch saugt er , wie etwas sich von selbst Verstehendes die Überzeugung ein , daß er da sei um seiner selbst Willen , und daß er die Kräfte anderer von Rechts wegen benutzen dürfe . "
Hermann sah ihn voll Verwunderung an .
" Es macht Sie stutzig , daß ich so rede " , fuhr Wilhelmi fort .
" Ich bin alt und verkümmert , und wäre wohl ein Stück weiter , wenn man in mir je etwas anderes gesehen hätte , als ein Lasttier ; denn der Gelegenheiten gab es genug , mir fortzuhelfen .
Und so liefre ich in meiner Person und durch meine Tagelöhnerei eben recht den Beweis für den Satz . "
Der Adelsfeind würde noch länger in diesem Tone fortgesprochen haben , wenn nicht plötzlich wieder aus der Wohnung des Arztes das düstre Lied erklungen wäre , welches Hermann schon einmal ungefähr um dieselbe Stunde gehört hatte .
Wilhelmi horchte auf , und geriet in eine wilde Lustigkeit .
" Nichts als Kontraste ! " rief er ; " feuriges Eis , frierendes Feuer !
Hier ein armer Bürgerlicher , der den Adel haßt , und sich doch für die Hochgeborenen totschlagen ließe , dort der ärztliche Verstand , der mit aller seiner Kälte sich vor der unsinnigsten Leidenschaft nicht zu schützen vermocht hat !
Weil er nicht selbst Dichter ist , paraphrasiert er den Byron , und schüttet dessen Schmerzenstöne verdeutscht in die Lüfte ! "
" Der abgelebte ausgetrocknete Mensch !
Sagen Sie mir , wen liebt er ? "
" Wen ? -
Wen er liebt ?
Wenn Sie es wissen wollen : die Herzogin !
Nun machen Sie noch einen recht widersinnigen Streiche , dann können wir Terzett singen ! "
Sechzehntes Kapitel Sechzehntes Kapitel Ein für allemal war täglich eine Stunde bestimmt , worin Hermann der Herzogin das korrigierte Pensum des " Ivanhoe " zu bringen hatte .
An die Verhandlungen hierüber knüpfte sich seit einiger Zeit eine Lektion im Englischen , welche ein junges Mädchen aus der Stadt , über welches die Fürstin Obsorge übte , von ihm empfing .
Alles dieses hatte sich , wie von selbst , gemacht , doch war es Hermann schon oft so vorgekommen , als sei der " Ivanhoe " und das Englische nur Nebensache .
Er bemerkte , daß die Herzogin seinen Lehren über deutschen Stil eine mehr gefällige als gespannte Aufmerksamkeit schenkte , und die junge Lucie wurde nicht gescholten , wenn sie unter allerhand Vorwänden vor Ablauf des gesetzten Zeitraums der Grammatik entrann , und sich wieder ins Fenster zum Filet setze .
Man benutzte diese Zusammenkünfte zu Gesprächen über wichtige Punkte des Lebens ; es schien , daß man unseren Freund von allen Seiten kennenlernen wolle , und er unterließ nicht , als er diese ihm überaus behagliche Absicht wahrnahm , sich im besten Lichte zu zeigen .
Nun war durch Wilhelmis unvorsichtige Eröffnung eine gärende Unruhe in sein Blut geworfen worden , und er ging sehr befangen am anderen Morgen zur Herzogin .
Daß sie unschuldig sei , unschuldig bis in den geheimsten Gedanken ihrer Seele , davon überzeugte ihn der erste Blick auf diese reine Stirn , in diese milden Augen .
Er bedauerte sie , er verwünschte die Begehrlichkeit der Männer , die kein Heiligtum unangetastet lassen können .
Der Arzt erschien ihm gemein und niedrig , er fühlte sich berufen , den Ritter jener hochverehrten Dame zu machen .
Zerstreuter hatte er nie Unterricht gegeben .
Seine Verwirrung erreichte den Gipfel , als der Arzt sich anmelden ließ , und angenommen wurde .
Dieser war , wie immer , frei und unbefangen , was unserem Freunde als die äußerste moralische Verdorbenheit vorkam .
Er hätte an Pausen des Gesprächs , an einigen verlegenen Bewegungen der Herzogin wohl abnehmen können , daß der Besuch einen Zweck habe , und daß seine Gegenwart nicht ferner gewünscht werde , doch blieb er sitzen , bis ihn die Herzogin auf die freundlichste Weise entließ .
Sie hatte dies nie getan , und es kam ihm vor , als ob ihm der Arzt beim Abschiede einen höhnischen und triumphierenden Blick zuwerfe .
Er irrte durch den Park , worin es schon grün zu werden begann .
Das junge Laub erfreute ihn nicht .
Er sah den Herzog kommen , und wich ihm aus .
Seine Seele war in einer wogenden Bewegung , in einem unbestimmten Verdrusse , voll Mißmut , der eigentlich keinen Gegenstand hatte .
Die Stunden bei der Herzogin gingen fort , aber wie sehr hatte sich seine Stimmung in ihnen verwandelt !
Nun war ihm die Plauderhastigkeit der kleinen Lucie , welcher ihre Beschützerin viel Freiheit eingeräumt hatte , äußerst zuwider .
Das Geschrei des Papageien , über welches er sonst gelacht hatte , klang ihm jetzt ganz unerträglich , und er begriff nicht , wie eine Dame von so feiner Konstitution das überlaute Tier in ihrer Nähe dulden konnte .
Die abendlichen Versammlungen gereichten ihm zur Pein , er nahm sich jeden Tag vor , aus denselben fort zu bleiben , und saß doch regelmäßig , wenn die Glocke geschlagen hatte , mit empfindlichen Schmerzen auf seinem Stuhle .
Alles war ihm durch die unglückliche Entdeckung verschoben und zerstückt .
Sein durch üble Laune geschärfter Blick sah nunmehr auch so manches um ihn her , was ihm lächerlich und abgeschmackt vorkam .
Er bemerkte , daß man das Wappen des Hauses überall angebracht hatte , wo sich nur ein Plätzchen dafür finden wollte ; über Toren und Türen , Sälen , Zimmern , Gartenhäuschen und Vorratskammern , und er konnte aus der Neuheit vieler Verzierungen dieser Art abnehmen , daß sie erst während der Besitzzeit des Herzogs entstanden sein mußten .
Wilhelmis Sarkasmen über den neualten Aufputz , der hin und wieder im Schlosse sichtbar war , klangen ihm wieder vor den Ohren .
Wirklich sahen einige Räume sehr buntscheckig aus .
Des Herzogs Vater , ein Charakter , wie er im achtzehnten Jahrhundert unter vornehmen Edelleuten nicht selten vorkam , war im Sinne seiner Periode liberal und modern gewesen .
Französische Papiertapeten , Goldleistchen , Phantasieblumen , leichte geschnörkelte Meubles verdrängten den alten schweren Schmuck .
Der Sohn , fast in allem ein Gegensatz seines zu Genuß und Empfindsamkeit aufgelegten Vaters , ließ , sobald Graf Heinrich in die Gruft der Ahnen gegangen war , was noch von früheren Zeiten übriggeblieben , wieder hervorsuchen , und machte die Kontrerevolution , inwieweit es anging .
Da kamen die bunten Schäfer und Landschaftsbilder , die massiven Schränke und Tische aus ihrem Versteck , aus Böden und Verschlägen wieder hervor , und nahmen sich nun freilich neben den übrigen Dingen im neusten Geschmack seltsam genug aus .
Der Herzog äußerte , wenn ihm der Kontrast von Eichenholz und Mahagoni , von dickem Damast und dünner Seide selbst auffallend werden wollte , daß es besser sei , ohne Kosten sich mit den alten soliden Sachen zu helfen , die trotz ihres Jahrhunderts noch aussähen , wie von heute und gestern , als neue Fabrikate anzuschaffen , gegen deren Dauerhaftigkeit jeder ein entschiedenes Mißtrauen empfinden müsse .
Hermann sah aber in seiner jetzigen Verstimmung nur das Ungereimte solcher Zusammenstellungen .
Und bald überzeugte ihn ein kleiner Vorfall noch mehr , daß er sich unter Menschen anderer Art und Natur aufhalte .
Er bemerkte eines Tages , daß unter den Arbeitern im Garten ein Rennen und Treiben entstand , und sah mit nicht geringem Erstaunen nach kurzer Zeit die wohlbekannten Figuren , welche soeben noch in ihren kurzen Jacken gesteckt hatten , in schönen roten Uniformen einherstolzieren .
Eine Trommel ließ sich vernehmen , und bald war ein Häuschen vor dem Schlosse , welchem sich dieser Gebrauch sonst nicht ansehen ließ , als Hauptwache von den neugeschaffenen Soldaten besetzt .
Zwei Schildwachen faßten gravitätisch vor der Rampe des Mittelgebäudes Posto , kurz , ein kleiner Militärstaat wuchs im Augenblicke , sozusagen , aus der Erde .
Als er sich nach der Ursache dieser plötzlichen Verwandlung erkundigte , hörte er , daß der Herzog das Recht der Standesherrn , eine Leibwache zu halten , auf diese Weise ausübe .
Man habe vernommen , daß ein fremder General noch heute ankommen werde .
In solchen und ähnlichen Fällen nun , wo es gelte , den Glanz des Hauses zu zeigen , werde die Armee zusammenberufen , für welche jeder Arbeiter zugleich geworben sei , und welche nur so lange bestehe , als die Veranlassung währe .
Wirklich sah Hermann noch vor Abend die Posten von dem Schlosse abziehen , die Hauptwache verlassen , und die Arbeiter wieder rüstig in ihren Jacken schaufeln und jäten , denn die Nachricht mit dem fremden Generale hatte sich nicht bestätigt .
Dergleichen Beobachtungen führten ihn darauf , über die Schlußworte in dem Briefe seines Oheims nachzusinnen .
Sie lauteten folgendermaßen :
" Du bist da in Umgebungen geraten , wo Du nur verdirbst .
Traue ihnen nicht , sie meinen es immer falsch mit uns . Deinen Vater haben sie zum unglücklichen Mann gemacht , laß Dich von seinem Schicksale warnen . "
Siebenzehnte Kapitel Siebenzehnte Kapitel Um Flämmchen hatte er sich seither wenig bekümmert .
Sie zeigte nach dem mystischen Abende eine heftige Neigung zu Wilhelmi , und schien die Hoffnungen ihres Wahnglaubens auf ihn gesetzt zu haben .
Wo er ging und stand , suchte sie ihm zu dienen , und war endlich durch Dreistigkeit und unermüdliches Verfolgen dahin gelangt , daß ihr Wilhelmi erlaubte , einen Teil des Tages bei ihm im Archive zuzubringen , wo er sich im Schweiße seines Antlitzes bemühte , Ordnung zu stiften , soviel dies möglich war , denn die Eigenheiten des Herzogs legten ihm große Schwierigkeiten in den Weg .
Flämmchen durfte ihm dabei zur Hand gehen , sie brachte ihm die Akten und Skripturen zu , versah sie mit Papierstreifen und was dergleichen mechanische Dinge mehr sind , welche bei einer Arbeit dieser Art so vielfach vorkommen .
Wilhelmi fand sie in allem , was er ihr auftrug , äußerst brauchbar ; er gewann den munteren bildschönen Knaben lieb , und sprach eines Tages gegen Hermann die Bitte aus , ihm den Jungen ganz zu überlassen .
Dieser geriet hierdurch in eine große Verlegenheit .
Er sah zwar , daß sein Freund wirklich , wie der Arzt sagte , blind für alles Nächste war , allein irgendeine Unbesonnenheit Flämmchens konnte ihm dessen ungeachtet mit jedem Tage gewaltsam die Binde von den Augen reißen .
Er kannte Wilhelmis strenge Grundsätze , und wenn er auch hoffen durfte , diese durch einen wahrhaften Bericht zu beschwichtigen , so mußte er doch von dessen Hange , alles gleich auf die Spitze zu stellen , den schlimmsten Verrat fürchten .
Sein Aufenthalt im Schlosse war ihm ohnehin verleidet , er nahm sich daher kurz und gut vor , zu reisen , und den ihm empfohlenen Pädagogen um Erlösung aus seiner seltsamen Not zu bitten .
Indessen mußte in der Zwischenzeit für sie gesorgt werden .
Trotz seiner Abneigung gegen den Arzt , die zuletzt fast in Verachtung übergegangen war , sah er sich gezwungen , mit diesem über ihre vorläufige Unterbringung zu verhandeln .
Der Arzt empfing ihn zwischen seinen Elektrisiermaschinen und Spirituspräparaten höflich , als sei nichts vorgefallen .
Er wußte gleich Rat .
" Sie soll " , sagte er , " solange Sie abwesend sind , zu meiner alten Kräutersammlerin gebracht werden , und wir wollen sofort mit dieser die Sache richtig machen . "
Sie ritten auf Wegen , die Hermann noch nie betreten hatte , durch ein wüstes Hügelland , und kamen in ein abgelegenes Tal , welches , obgleich in geringer Entfernung von menschlichen Wohnplätzen , den Charakter völliger Einsamkeit zeigte .
Freilich waren die Pfade , die hineinführten , die schlechtesten , sie hatten sich mehrmals genötigt gesehen , abzusteigen , und ihre Pferde hinter sich herzuleiten .
Ein Bach floß hindurch ; an demselben zwischen alten Rüstern stand die Hütte der Alten , gegen den Stamm der einen gelehnt .
Die Alte kroch zwischen den Klippen umher , und sammelte Pflanzen .
Vor sich hatte sie ein blendendweißes Tuch ausgebreitet , auf welches sie die grünen Sprossen und Blätter mit Bedachtsamkeit legte .
" So fleißig , Mutter ? " rief sie der Arzt an ; " habt Ihr gesucht , was ich haben wollte ? "
- " Nur der Waldmeister fehlt noch " , versetzte die Alte in ihrer gebückten Stellung und ohne sich stören zu lassen , " sonst ist alles da , was Sie befohlen . "
" Laßt es jetzt sein , und kommt herunter zu uns , wir haben mit Euch etwas auszumachen " , sagte der Arzt .
Ungern schien sie sich von ihrem Geschäfte zu trennen .
Sie pflückte erst noch einige Blumen ab , band jede Spezies , behutsam nur den Stängel berührend , mit Halmen in gesonderte Bündelchen , faßte das Tuch locker bei den Zipfeln , und kam , ihr Gewand vorn zusammennehmend , ohne aufzusehen , von den Felsen herab .
" Sie sind heute recht frisch und kräftig " , sagte sie , das Tuch oben etwas lupfend ; " damit sie nichts verlieren , will ich sie gleich in den Keller legen . "
Der Arzt hielt sie zurück , und eröffnete ihr seinen Wunsch .
Er fragte sie , ob sie ein junges Mädchen , welches er ihr zubringen werde , gegen gute Bezahlung auf einige Wochen hinnehmen wolle ?
Sie machte eine ehrerbietige Bewegung mit der Hand und rief : " Sie sind mein Herr und Gebieter .
Ich werde die , welche Sie mir bringen , wie mein Kind aufnehmen . "
Als Hermann das Gesicht der Alten betrachtet , und ihre Stimme gehört hatte , stieg in ihm eine Vermutung auf , die ihn unruhig machte .
Um Gewißheit zu erlangen , fragte er den Arzt auf dem Heimritte über sie aus .
Dieser erzählte , daß er sie im Spätsommer des verwichenen Jahrs kennengelernt habe .
Sie sei als Zigeunerin mit einem Trupp verlaufenen Gesindels durch den Flecken transportiert worden , habe wegen Krankheit liegenbleiben müssen , Hilfe begehrt , und so sei er zu ihr geführt worden .
" Die Reden dieser Person " , fuhr er fort , " erregten meine Aufmerksamkeit .
Sie beschrieb mir ihre Leiden , und den Sitz derselben , die Milz , mit einer solchen Deutlichkeit , daß ich daraus schließen mußte , sie sehe gewissermaßen das Organ und seinen Zustand .
Ich folgerte hieraus eine eigentümliche Stärke der sinnlichen Erregtheit , setzte diese Wahrnehmung mit ihrem Gewerbe zusammen , und da es eine meiner Grundüberzeugungen ist , daß jede Abnormität auf einer natürlichen Anlage beruht , so faßte ich den Vorsatz , aus einer verworfenen Herumtreiberin womöglich ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu machen .
Zur Probe hielt ich ihr meine Hand hin ; sie sah weniger auf diese , als in mein Gesicht und sagte : » Ihr wollt mich versuchen . «
Ich bemerkte , daß sie mit einem unendlichen Scharfblick für alles Körperliche ausgerüstet war , aus den Lineamenten die geheimsten Seelenregungen las , und mit diesen Kräften , durch Elend und Dürftigkeit gezwungen , auf Prophezeien und Quacksalbern verfallen war , während sie unter günstigen Umständen vielleicht eine berühmte Frau geworden wäre .
Ich öffnete ihr die Augen über sich , sagte ihr , daß ich ihr helfen wolle , wenn sie folgsam sei , und fand Zutraun .
Meine homöopathischen Kuren , welche ich , wo die Konstitution dieses Verfahren rechtfertigt , zuweilen vornehme , erfordern Mittel , zu welchen die Substanzen mit der äußersten Sorgfalt eingesammelt werden müssen .
Niemand hatte mir bis dahin die Sache zu Dank machen können ; ich war genötigt gewesen , selbst stundenlang die Halme und Binsen aus dem eigentlich Brauchbaren zu lesen , um nicht nach großer Mühe noch endlich einen verfälschten , groben Saft durch die Extraktivpresse zu gewinnen .
Ich beschloß , mit der Alten einen Versuch anzustellen , und er ist vollkommen gelungen .
Als sie von ihrem Lager erstanden war , lehrte ich sie Botanik d.h. soviel davon zu ihrem Geschäfte nötig schien , mietete ihr das Häuschen in dem Hügelkessel , welcher die seltensten Pflanzen weit in die Runde trägt , und schickte sie auf das Suchen aus .
Sie hatte mich wunderbar schnell begriffen , ja sie trug die Kunde , welche ich ihr beibringen wollte , sozusagen , schon vollständig , nur unentwickelt , in sich .
Sie hat sich mit dem Pflanzenreiche gleichsam identifiziert , entdeckt , was nur entdeckt werden kann , verfährt mit einer Genauigkeit , die Sie selbst zum Teil haben bemerken können , und leistete mir im vorigen Herbste , sowie in diesem Frühjahre schon die wesentlichsten Dienste .
Anfangs fürchtete ich für den Winter , weil ich nicht wußte , womit ich sie während desselben beschäftigen sollte .
Aber die Natur half auch hier , wie gewöhnlich , aus .
Sie verfiel nämlich zu meinem Erstaunen in einen Schlaf , welcher der Erstarrung mancher Tierarten ganz ähnlich war , und aus dem sie oft nur je um den zweiten Tag zu einem Halbbewußtsein erwachte , in dem sie dann wie träumend für ihre Bedürfnisse sorgte , um sich , nachdem diese abgetan waren , wieder auszustrecken .
Ich glaube , daß eine furchtbare Krankheit , die , wie ich aus einzelnen Reden geschlossen habe , selbst bis zum Scheintode geführt hat , dergestalt ihre Lebenskraft schwächte , daß diese nur während der warmen Jahreszeit vorhält , und sich , sobald es kalt wird , als Fünkchen in das Innere des Organismus zurückzieht .
So gewährt sie mir noch nebenbei ein merkwürdiges Studium . "
Hermann entdeckte ihm , daß er die Alte für dieselbe Person halte , welche er schon einmal im Walde gesehen , und welche Flämmchen gewahrsagt habe .
Er äußerte seine Besorgnis vor den Folgen , wenn man beide wieder zusammenbringe .
Der Arzt teilte dieselbe aber nicht , sondern sagte : " Sie wird eher heilsam auf das Kind wirken , denn sie hegt den größten Abscheu vor ihrem ehemaligen Gewerbe , und bereut , wie sie sich ausdruckt , jeden Augenblick , wo sie in die Hand und in das Antlitz der Menschen gesehen , seitdem sie erfahren , wieviel Gott auf die Blätter der Pflanzen geschrieben hat . "
Er erbot sich , Flämmchen , wenn Hermann abgereist wäre , unter einem Vorwande von Wilhelmi zu entfernen , und jener mußte wohl nachgeben , da er keinen anderen Ausweg wußte .
Achtzehntes Kapitel Achtzehntes Kapitel Flämmchen kam dazu , als er packte .
" Willst du fort ? " fragte sie .
Er bejahte es .
- " Warum ? "
- " Um deinetwillen . "
Sie zog ihn mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl , kniete vor ihm nieder , und schaute ihm mit einem unbeschreiblichen Blicke in die Augen .
" Um meinetwillen ! " sagte sie gedehnt .
" Ich meinte schon , mit uns sei es aus , und die Alte und der Geist hätten gelogen . "
Sie wollte lächeln , aber der Schmerz verzog ihren Mund , und ein Tränenstrom floß über Lippen und Kinn .
Er hielt den Augenblick für geeignet , ihr Inneres zu erforschen .
" Sei einmal recht offen gegen mich , mein liebes Kind " , sagte er .
" Was hat dir den Gedanken in den Kopf gesetzt , von dem du nicht lassen willst ? "
" Ich lag nach meiner Flucht vom falschen Vater im Walde , und weinte , denn zurück wollte ich nicht , und um mich waren nichts als Bäume , und mir graute in der Einsamkeit .
Ich wußte mich vor Angst nicht zu lassen ; ach , es ist so schrecklich , ganz allein zu sein !
Ich zog meine Sachen hervor , aber nichts wollte mir helfen .
Den falschen Vater hatte ich , wenn er seine weinerlichen Reden hielt , oft » lieber Gott ! « rufen hören .
Nun rief ich auch wohl hundertmal : » lieber Gott ! « aber kein lieber Gott kam , und ich merkte , daß der auch nur eine Lüge sei , wie alles , was der falsche Vater gesagt hatte . "
" Mädchen ! Mädchen ! " rief Hermann , " du weißt nicht , was du sprichst .
Erzähle weiter . "
" Da stand die Alte vor mir .
Sie mußte aus der Erde gewachsen sein , denn ich hatte sie nicht kommen sehen .
Ich solle nicht weinen , sagte sie zu mir , und nannte mich ein schönes Kind , dem es nicht übel ergehen könne .
Ich müsse etwas Blankes auf die Hand legen , dann wolle sie mir wahrsagen .
Ich hatte noch ein Silberstück von den Geschenken der jungen Herren bei mir , das legte ich auf die Fläche meiner Hand .
Sie schlug , nachdem sie die Linien beschaut , die Hände vor Freuden über dem Kopfe zusammen , und rief : » O du gebenedeite Kreatur !
Welch ein großes Glück steht dir bevor ! «
Dann weissagte sie mir , ein Prinz werde sich in mich verlieben , und mich zu seiner Frau Gemahlin machen .
Ich fragte : » Wann ? wo ?
wie bald ? «
- Sie machte sich von mir los , und lief durch die Bäume davon , flink wie ein Feldhuhn , aber ich hörte noch aus der Entfernung ihre Antwort : » Bald !
Vielleicht noch heute !
Ganz in der Nähe ! «
Und an demselben Vormittage habe ich dich gefunden . "
" Mich , Flämmchen , ja .
Aber wann den Prinzen ?
Ich bin eines Bürgers Sohn .
Wer bildete dir ein , daß ich der verheißene Prinz sei ? "
Flämmchen sah ihn an , stutzig , als ob sie an diese Frage noch nie gedacht habe .
" Wer ? " fragte sie sinnend .
" Ich lauschte hinter einem Baume , als du neben deinem Freunde auf dem Stamme saßest , und als ich dein Gesicht erblickt hatte , wußte ich , du seist es . "
Eine dunkle Röte hatte bei diesen Worten ihr Antlitz , ja den Hals überzogen .
Sie sprach mit einem Tone , welchen er nie von ihr vernommen hatte , tiefer , bebender , als gewöhnlich .
Es war , als ob eine andere Person aus ihr rede .
Auch ihn ergriff ein mächtiges Gefühl .
Die Natur sah ihn durch alle Verkehrtheit mit ihren heiligen Augen an .
So muß dem zumute sein , der unter einer Karikatur die Züge einer früheren lieblichen und wohlgefälligen Zeichnung erblickt , die der Zerrmaler übersudelt hat .
" Ich lief " , fuhr Flämmchen fort , " als wir auseinandergegangen waren , durch Feld und Busch umher , meine Alte wiederzufinden , die , das wußte ich schon , alles konnte , was sie wollte .
Ich traf sie auch glücklicherweise auf der Heide an den großen Steinen , die da im Kreise umher lagen .
Ich sagte ihr , sie solle mir den Geist meines Vaters rufen , denn ich mußte ja den auch um dich befragen .
Sie wollte nicht , und endlich antwortete sie mir , sie könne nicht .
Da bin ich ingrimmig geworden , und weiß nicht , was ich getan habe .
Aber als ich zu mir selbst kam , sah ich , daß ich mein Messer aufgeklappt in der Hand hatte , und die Alte lag vor mir an der Erde , zitternd , und bat , ich möchte ihres Lebens schonen .
Sie sagte mir darauf die Worte , mit denen ich den Geist rufen müsse , und die ich dir nicht wiederholen darf , sonst sterbe ich in neun Tagen .
Nach den Tannen schickte sie mich , und da habe ich gewartet bis Mitternacht unter Furcht und Angst , dann kam er in einer schönen bunten Uniform , ganz bleich , mit einem blutigen Streifen über der Stirn .
Ich fragte ihn , und er antwortete mir , ich solle dir folgen , wohin du gehest , und mich ganz auf dich verlassen . "
" Und fragtest du ihn denn auch , mein Flämmchen , ob ich ein Prinz sei ? "
" Daran habe ich wahrhaftig gar nicht gedacht " , rief das Mädchen , und machte eine Bewegung mit der Hand , wie ein Kind , das sich einer Nachlässigkeit erinnert .
" Das habe ich doch wirklich rein vergessen . "
Hermann stand auf und beruhigte sie .
" Prinz oder nicht " , sagte er zu ihr , " werde ich mich deiner annehmen . "
" Es streiten sich zwei um dich " , fuhr sie mit verfinstertem Gesichte fort .
" Aber ich hoffe , sie wird es mit dem Tranke , den sie dir eingegeben hat , nicht durchsetzen , ich werde dich behalten .
Es wäre recht übel , wenn es anders käme .
Denn sie hat genug , aber Flämmchen hat niemand als dich ! "
" Trank ?
Sie ?
Wer ? "
" Nun , die Herzogin .
Das ist doch zu sehen , daß sie sich in dich verliebt hat .
Sie kann ja nicht leben , wenn du nicht ein paar Stunden des Tages über bei ihr bist . "
" Du schwärmst !
Ist es möglich , daß dir nur so etwas in den Kopf kommt ? "
" Ich denke , die unschuldigen Tiere werden wissen , was sie tun ! " rief Flämmchen leidenschaftlich aus .
" Spricht nicht ihr bunter Vogel in einem fort : » Teurer Hermann ! «
Wie oft habe ich es gehört , wenn ich unter dem Balkon durchging , auf welchem er sich sonnte .
Er muß es doch von ihr haben !
Heißt du nicht Hermann ?
Und ich sollte nichts merken ? "
Neunzehntes Kapitel Neunzehntes Kapitel In diesem Augenblicke erhielt er den Befehl zur Herzogin zu kommen .
" Da haben wir_es ! " rief Flämmchen , und lief schluchzend fort .
Er ging bestürzt zur Fürstin .
Sie war sehr bewegt .
Vergebens suchte sie heiter und unbefangen zu erscheinen .
Sie fragte ihn , ob es wahr sei , daß er reise ?
Ihre Stimme zitterte , sie machte sich mit Blumen und Büchern allerhand zu schaffen .
Er versetzte , daß er sich nur fortbegebe , um ein Geschäft abzumachen , daß er aber , wenn es ihm erlaubt werde , in wenigen Tagen zurückzukehren wünsche .
" Wir sehen Sie also wieder ? " rief sie freudig .
Sie holte tief Atem , als ob eine Last von ihrer Brust gehoben sei .
Dann versank sie wieder in eine stille Verlegenheit , knüpfte ein Gespräch über gleichgültige Dinge an , ließ es fallen , schien kaum zu hören , was er erwiderte .
Es war , als ob sie ihm etwas vertrauen wolle , und gleichwohl die Mitteilung scheue .
Er befand sich in der peinlichsten Stimmung .
Der Boden glühte unter ihm .
Und als ob ein Dämon heute sein Spiel triebe , plötzlich öffnete der unbescheidene Vogel im Käfig seinen Schnabel , und wiederholte ein dutzendmal die Worte , welche Flämmchens Eifersucht schon früher vernommen hatte .
Er sprach sie mit dem rauhen Tone dieser Tiere .
Hermann hatte früherhin auf sein Geschwätz nicht geachtet , nun aber aufmerksam gemacht , konnte er nicht zweifeln , daß der Vogel zum Verräter an den einsamen Stunden und Selbstgesprächen seiner Gebieterin werde .
Unwillkürlich sah er nach dem Schwätzer , dann warf er einen scharfen fliegenden Blick auf die Fürstin .
Sie errötete , und deckte einen Teppich über den Käfig .
" Er spricht recht deutlich " , sagte Hermann , um nur etwas zu sagen .
" Man hatte ihn schon diese Worte gelehrt , als ich ihn kaufte " , versetzte sie , mit dem Teppich beschäftigt , ohne sich umzuwenden .
- " Reisen Sie glücklich ! "
Der alte Erich brachte ihm draußen die Nachricht , daß heute keine Fuhre zu haben sei .
So mußte er sich denn entschließen , noch einen Tag zu verweilen .
Es wäre ihm nicht möglich gewesen , dem gewohnten Kreise zu nahen , und ebenso unmöglich fiel es ihm , einsam zu bleiben .
Er suchte sich selbst , er suchte den Bildern zu entfliehen , die in stürmender Eile an seiner Seele vorüberjagten .
In dieser Verfassung war es ihm recht , daß der Hausgeistliche sich zu ihm fand .
Die gemeinschaftliche Erinnerung an Rom verknüpfte beide Männer ; auch heute war es wieder jene Weltstadt , welche Hermann wenigstens auf eine Zeitlang über sich und die Gegenwart erhob .
Der Geistliche gehörte zu denen , welche dort ein neues Glaubensbekenntnis wählten .
Scheu , zurückgezogen , mit äußerster Strenge die Gebräuche seiner Kirche übend , stand dieser junge Mann sehr einsam unter den neuen Glaubensgenossen da .
Man kennt den Spott , womit bereits in Rom die sogenannten Nazarener verfolgt wurden ; unser armer Proselyt hatte auch diesseits der Alpen nur Achselzucken und Zweifel an seiner Gesinnung gefunden .
Der Herzog duldete ihn , als vom Vater ererbt , Wilhelmi hielt ihn für einen Toren , und der Arzt für einen Heuchler .
Er ertrug Kälte , verdeckte und offenbare Angriffe mit musterhafter Geduld , und hatte schon mehrere Vorschläge zu Veränderungen seiner Lage , die ihm nur zum Nutzen gereichen konnten , abgelehnt , weil er nach der Weise solcher Charaktere den Aufenthalt in diesem Schlosse für eine gottverhängte Schickung und Buße ansah .
Hermann war ihm immer freundlich begegnet , und der Geistliche , dem diese sanfte Berührung wohltat , hatte sich gegen ihn mehr , als gegen irgend jemand aufgeschlossen .
Unser Freund hatte bei dieser Gelegenheit eine nur unserer Zeit eigentümliche Gemütsart kennengelernt ; eine Individualität , die sich mehr fühlen als beschreiben läßt , und von der wir nur den allgemeinsten Umriß angeben , wenn wir sie weibliche Männlichkeit nennen .
Er war über die Abreise seines Freundes sehr betrübt .
" Sie gehen fort " , rief er , " und wenn Sie auch noch einmal wiederkehren , wie lange wird das dauern ?
Ich werde Sie bald verlieren , ich werde bald wieder ganz allein sein .
Der Mensch ist eine schwache Kreatur ; es ist , als könne er den holden Schall menschlicher Rede nicht entbehren .
Wie fest hatte ich mir vorgenommen , nur in stummen Gesprächen mit Gott meine Tage hinzubringen !
Sie haben mich verwöhnt !
Werde ich leben können ohne Sie ?
Von niemand geachtet zu werden , o es ist ein ödes schreckliches Gefühl !
Aufzustehn mit der Überzeugung :
Wieder einmal ist der Tag angebrochen , der den anderen Liebe , Traulichkeit , Teilnahme bringt , und dir bringt er nichts , als trostlose Versenkung in dich selbst , als ein unendliches Brüten über den grauenvollen und unergründlichen Tiefen der Gottheit !
Sich niederzulegen mit der Bitte :
» Vater , laß diese Nacht die letzte sein ! « und zu erwachen im Dunkel , und schaudernd zu wissen , daß man sein erstorbenes Dasein weiterzuschleppen verdammt ist . "
" Armer Mann ! " sagte Hermann , den die Klage des Priesters , der sich selbst kein Heil wußte , rührte .
" Wie ich Sie kenne , haben Sie den Schritt , welcher Sie aus der Mitte Ihrer Verhältnisse riß , reinen Herzens getan , und das sollte Sie trösten , wenn andere Sie kalt oder lieblos beurteilen . "
" Es ist nicht das " , seufzte der Geistliche .
" Reinsten Herzens , jawohl , so tat ich diesen Schritt .
Hören Sie die Geschichte meiner Bekehrung ; es kommt weder von Heilandskassen noch von Zeichen und Wundern etwas darin vor ; ach , und sie hat mir nichts eingetragen , als Schmerzen und Dornen ! "
Zwanzigstes Kapitel Zwanzigstes Kapitel Eine Bekehrungsgeschichte " Ich war Protestant , d.h. ich wurde in dieser Konfession eingesegnet .
Der Religionsunterricht der Katechumenen hatte sich mehr über Naturgeschichte und Physiologie , als über den Katechismus verbreitet .
Der Prediger , welcher diese Stunden abhielt , war der Meinung , daß dieselben auf solche Weise noch immer nützlich zu machen seien .
Unser Lehrer galt in der Stadt überaus viel .
Er besaß die schönsten geselligen Tugenden , erheiterte wöchentlich einen großen Kreis durch Knittelverse und Gelegenheitsgedichte , und wenn er unter ganz vertrauten Personen war , ging seine Vorurteilslosigkeit so weit , hin und wieder auch ein Tänzchen oder ein Pfänderspiel nicht zu verschmähen .
Ich stand den übrigen Knaben an Kenntnissen vor , wurde wegen meiner raschen Antworten sehr gerühmt , und wußte mir viel mit dem erhaltenen Lobe .
Auch an verliebten Blicken zu den Mädchen hinüber und von ihnen herüber fehlte es nicht .
So war ich zur Ablegung meines Glaubensbekenntnisses vorbereitet worden , und meiner Meinung nach fest in demselben , kam ich nach Rom .
Erwarten Sie hier keinen Mortimer .
Ich kann wohl sagen , daß der Glanz , das Geflitter und der rauschende Pomp , wovon das Leben der Kirche dort begleitet wird , nicht auf mich eingewirkt haben .
Ich freute mich an diesen bunten Dingen , ohne daß sie mich religiös berührten .
Aber ein anderer Einfluß begann allmählich mich umzugestalten .
Sie waren dort , und wissen , welche Stille über so manchen Plätzen und Winkeln , über Trümmern und Schädelstätten , bei den Gräbern der Märtyrer , in den Hallen der weniger besuchten Kirchen und Kapellen weilt .
Wer in Rom nicht fühlt , daß der Mensch ein Nichts ist , und wem nach dieser Empfindung , die zum Nichts führt , kein tröstender Geist , riesenhaft und doch vertraulich zuspricht , der muß ein verwahrlostes Herz haben .
Überall sah ich Geschichte , überall trat ich auf Boden , den vor mir Menschen beschritten hatten , durch welche die Welt verwandelt worden war ; wie kümmerlich kam ich mir mit meinem neuen Sinne , mit meinem aus bunten Läppchen zusammengeflicktem Wesen unter dieser Herrlichkeit des Todes vor !
Ich kann Ihnen die Versicherung geben , daß ich anfangs an nichts weniger dachte , als an eine Religionsveränderung .
Ich besah Gemälde , Antiken , Ruinen , Paläste , Kirchen , war ein Reisender , wie es deren Tausende gibt .
Aber nach und nach wurde mir , als ob aus der Gewalt aller dieser verschiedenartigen Erscheinungen doch nur eine Stimme rede .
Ich horchte zu , und siehe , es war die Stimme Gottes .
Da wurde ich nachdenkend , und je mehr ich hörte , desto fühlbarer weitete sich mein Inneres .
Ich wüßte von diesem Zustande keine Beschreibung zu machen .
Meine Brust baute sich wie mit granitenen Pfeilern und Bogen himmelanstrebend aus , mein Herz hing und brannte in dem neuen Heiligtume , wie die ewige Leuchte , und ein Choral , ernst , wie das Gespräch der Dreieinigkeit mit sich selbst , durchtönte es .
Ich tat nichts zu diesen Sachen ; es wurde etwas in mir , ohne mein Verdienst , ja ohne meinen Willen .
Auch fehlten nicht die düstern gramvollen Stunden .
Ich sah nicht bloß die Wunder Roms , ich sah auch den Violettstrumpf , den hinterhältig lächelnden Monsignore , die Schnörkel an der Monstranz , die zerstreuten Blicke sogenannter Andacht ; wie sie dem Volke aus jeder heiligen Handlung eine Komödie zubereiteten .
» Diesen Wust , diesen Trug , all die Alfanzerei , welche sich darum und daran gehängt hat , willst du mit in den Kauf nehmen ? « fragte ich mich erbleichend .
Meine Seele spaltete sich , ich hatte verlassen , was mir zugehörte , und konnte das andere noch nicht ergreifen .
Die Karwoche kam heran .
Ich hatte mich einem alten Priester anvertraut , und ich müßte die Unwahrheit sagen , wenn ich behauptete , jemals Künste der Überredung von ihm erfahren zu haben .
Alles , was man in dieser Beziehung in Deutschland über mich verbreitet hat , ist eine Erfindung .
Er riet mir , mich in Ruhe und Sammlung zu erhalten , dann werde mir von selbst das Rechte gezeigt werden .
Seine Kirche sei zwar die Spenderin der alleinigen Wahrheit , aber auch zur Wahrheit komme man nur vorbereitet .
Ich erlangte durch seine Vermittlung während jener Periode Aufnahme im Kloster der Passionisten , wohin sich , wie Sie vielleicht erfahren haben , gegen die Osterzeit fromme Gesellschaften zurückziehn , um sich zum Feste in der tiefsten Stille geistlich zu rüsten .
Man wußte , daß ich noch nicht übergetreten war , gewährte mir aber den Aufenthalt unter der Bedingung , daß auch ich mich der Regel des Hauses fügen wolle .
Wer jene Lebensweise erwählt , scheidet sich während der Dauer seines Verweilens völlig von der Außenwelt ab .
Kein Brief , keine Nachricht darf von jenseits der Klostermauern zu den Genossen der Übungen dringen .
Letztere sind fest bestimmt , und nehmen fast den ganzen Tag , auch einen Teil des frühen Morgens ein .
Jeder hat seine Zelle , auf welcher er von niemand Besuche empfangen darf .
Selbst bei dem Mahle , welches gemeinschaftlich ist , sind weltliche Gespräche untersagt .
Das war nun ein Leben , wie man es nirgends wieder findet , ein eigentliches Leben im Geiste .
Ich gestehe , daß gerade dort , zwischen den Wänden meiner Zelle , in mir die schwersten Zweifel aufstiegen .
» Ist diese Absonderung menschlich ?
Lauert nicht auch hier die Schlange unter den Blumen ?
Werden sich deine Mitgenossen , wirst du selbst dich nicht von solcher Entbehrung in gedoppelter Lust und Zerstreuung erholen ?
- Vielleicht stirbt dieser einem ein teurer Mensch ab , vielleicht streckt nach einem anderen die Not ihre Arme flehend aus , sie aber hören nichts davon , sie haben zwischen sich und der Natur eine Scheidewand gesetzt ; liegt darin nicht eine Verkehrung der ewigen Ordnung der Dinge ? « -
So lauteten ungefähr meine stillen Selbstgespräche .
Das Kloster liegt ziemlich hoch auf einem Hügel .
Ich saß in den Freistunden meistenteils unter der herrlichen Palme , die in der Mitte des Hofes ihre Schatten verbreitet .
Über die Mauer am Abhange sah ich auf den Aventin und die Kaiserpaläste .
Aber der Berg und die Trümmer sprachen nicht mehr zu mir , und der Gesang aus der Kirche tönte an meinen Ohren vorüber .
Es war völlig finster in mir geworden , und mich verlangte nach dem Ende dieser grabähnlichen Tage .
Eines Abends ging ich in meiner großen Bekümmernis zur Kirche .
Noch hatte der Gottesdienst nicht begonnen ; ich war allein .
Redlich hatte ich gekämpft , es durchdrang mich , wie ein Schwert , daß Gott solchem Suchen sich zeigen müsse .
Ein unendliches Zutraun erfüllte mich ; ich wollte am Hochaltare zum Gebete niedersinken , als meine Blicke auf das Kruzifix über demselben fielen .
Schon oft hatte ich dieses Bild gleichgültig betrachtet , in meiner damaligen Erregung machte es aber einen äußerst widerwärtigen Eindruck auf mich .
In der Tat konnte man sich auch nichts Häßlicheres denken .
Groß , plump , von Holz geschnitzt , war es ein getreuer Abdruck der krassesten Vorstellung .
In den Zügen des Hauptes die abscheulichste Fratze des tierischen Schmerzes , alles dick mit Farben bestrichen , das Blut in ekelhaften roten Streifen herabrinnend , und mit diesem Jammer in Widerspruch geschmacklose Zieraten auf dem Kreuze in verblichenem Gold und Schmelzwerk eingeschlagen .
Meine Gedanken schrumpften vor dieser Mißgestalt ein , ich richtete mich empor , und stand Strafe auf meinen Füßen , mißmutig , ernüchtert , verworren .
Mechanisch ging ich einige Schritte zur Seite , da sah ich , daß es von Würmern zerfressen war , und es kam mir zugleich so vor , als ob sich in der Seitenfläche eine ganz feine Spalte befinde .
Ich trat wieder hinzu , ich erhob mich über die Brüstung des Altars , und konnte nun deutlich sehen , daß es nicht aus einem Stücke bestand , sondern aus zwei aufeinander gelegten Hälften gemacht zu sein schien .
Ich weiß nicht , war es Neugier oder etwas Ernsteres , Besseres , was meine Hand führte , genug , ich faßte das Heiligtum an , wie um ein verborgenes Geheimnis zu erobern .
Zu meinem Schreck blieb mir die obere Hälfte , wie eine Schale , in der Hand ; ich traute meinen Augen nicht , als mir der wahre Gehalt dieses Bildes erschien .
Das Holz war nur Kapsel , nur Futteral für ein Werk der edelsten Kunst .
Aus der zweiten stehengebliebenen Hälfte blickte der Gekreuzigte , im reinsten Elfenbein auf tief glänzendem Schwarz sich abhebend , zu mir nieder .
Eine göttliche Arbeit ! sie mußte der besten Florentiner Periode angehören .
Nie habe ich einen Christuskopf gesehen , in dem die Pein so geistig und rührend dargestellt war .
Und welche Pein !
Nicht um die blutigen Fuß- und Handwunden , nein , um die gefallenen Menschen , die sie schlugen .
Überrascht , ergriffen , entzückt , warf ich die rohe hölzerne Decke aus meinen Händen , und stürzte vor dem gefundenen Erlöser nieder .
Auf einmal war mir alles klar ; meine Lage , meine Pflicht ! in diesem Gleichnisse erschien mir sichtlich , körperlich , greifbar , der ganze Stand und das innerste Wesen der Kirche .
Meine Seele geriet in eine Verzückung .
Das war nicht totes Elfenbein und Ebenholz mehr , was ich vor mir sah ; der schwarze Stamm des Kreuzes fing an , sich von innen zu erleuchten , bis er , ganz durchsichtig , in rosenrotem Lichte strahlte , der Leib des Erlösers begann zu pulsieren , Blutstropfen perlten aus den Armen und Füßen , die Wangen färbten sich leicht an , und aus den milden Lippen tönte es mit Geisterlauten : » Willst du den Kern verachten , der Hülle wegen ?
Hier bin ich unter allem Tand und Aberwitz ; hier , und nirgend anders !
Die Toren haben ihr Werk getan , und die Würmer tun ihr Werk an dem Werke der Toren , du aber suche mich nicht draußen , sondern drinnen . «
Wie lange ich mich in diesem erhöhten Zustande befunden habe , ist mir nicht klargeworden .
Als ich erwachte , stand der Prior hinter mir , nebst seinen Mönchen und den Andachtsgenossen .
Alle sahen verwundert auf mich , auf das entdeckte Heiligtum , auf die Holzdecke , die von meinem Wurfe in Splitter und Wurmfraß zerfallen , am Boden lag .
Ich beichtete meinen Vorwitz , man vergab mir um seiner Folgen Willen .
Die starre Regel des Tages war durch das unerwartete Ereignis gestört worden , und sie meinten Gott zu dienen , wenn sie ihren Betrachtungen darüber freien Lauf ließen .
Die Ältesten der Kongregation erinnerten sich , daß im Kloster traditionell die Sage von einem unendlich schönen Kruzifix , welches man vor Zeiten besessen , gegangen sei , und daß man auch oft , wiewohl vergebens , Nachforschungen angestellt habe , solches wieder aufzufinden .
Nun suchten sie in den Registern und Urkunden zu entdecken , wann , von wem und zu welchem Zwecke dieses Werk so mumienhaft den Augen entzogen worden sei ?
Die Jüngeren , welchen das Amt obgelegen , den Leib des Erlösers am Karfreitage in das ausgeschmückte Grab zu tragen , und am Auferstehungsmorgen ihn zum Altare zurückzubringen , meinten , sie hätten sich immer über die unverhältnismäßige Schwere des Kruzifixes verwundert .
Einige fragten , wie es doch möglich gewesen sei , daß man nicht früher den Falz in dem Holze gesehen habe ?
Darauf erwiderten andere , daß , solange der Stoff noch einigermaßen haltbar gewesen , beide Hälften fest aufeinander geschlossen hätten , erst durch Alter und Zerstörung sei das Volumen verringert , und dadurch ein Zurückweichen der Teile hervorgebracht worden .
Was mich betrifft , so hatte ich während alles dieses Fragen es , Verwunderns und Erklärens nur einen Gedanken .
Mir war die Decke von der Gestalt hinweggetan , der Katholizismus hatte sich mir in jener Stunde der Erleuchtung göttlich , hüllen- und makellos gezeigt .
Am ersten Ostertage ging ich zu meinem guten geistlichen Vater , sagte ihm , wie es mit mir geworden sei , und empfing bald darauf von ihm das hochzeitliche Kleid des neuen Menschen !
Himmel und Erde lagen jungfräulich , wiedergeboren vor meinen Blicken .
Nein ! es kann keine Täuschung gewesen sein !
Diese Momente überströmender Seligkeit , diese Gefühle leiblicher Gemeinschaft mit dem Allmächtigen , sie waren nicht Lüge , sie trugen auf ihren Flügeln den Lichtglanz der Urwahrheit . "
Der bewegte Mann hatte von dem Tone der Klage , womit seine Geschichte begann , sich bis zu dem Ausdrucke der höchsten Begeisterung erhoben .
Er schaute mit glänzenden Blicken in die Sonne , die hinter den Hügeln hinabsank .
Sie standen auf einer kleinen Anhöhe .
Hermann hatte die Erzählung des Proselyten voll Teilnahme gehört .
Erinnerungen schöner Art waren in ihm aufgewacht .
Von diesen bewegt , drückte er dem Geistlichen die Hand , und sagte leise : " Rom ! "
" Rom !
Rom ! " rief jener außer sich , und warf sich dem Erstaunten leidenschaftlich an die Brust .
" Ja , Rom !
Und ist Rom nur über den sieben Hügeln ?
Du Unglücklicher , Armer , Darbender !
Komme herüber zu uns , wir haben der Speise die Fülle auch für dich !
Sei der unsere ; du bist dessen wert ! "
Hermann erschrak über diese unerwartete Wendung .
Gegenüber in einem Fenster des Schlosses erschien die Herzogin .
Ihr Blick ruhte lange und durchdringend auf der Gruppe .
- " Wir sind nicht unbemerkt " , sagte er ängstlich , und machte sich los .
" Die Herzogin sieht uns ! "
" So sieht dich der Engel deiner Tage ! " rief der Geistliche .
" Auch ihre Wünsche steigen für deine Rettung empor .
Auch sie fleht mit den unschuldigen Lippen :
» Erlöse ihn aus seiner Unseligkeit , o Heiland , daß wir ihn haben und behalten , diesseits und jen seit ! « " Drittes Buch .
Die Verlobung Erstes Kapitel Erstes Kapitel Nach einer ziemlich beschwerlichen Reise durch das Gebirge hatte Hermann sein Ziel erreicht .
Als er die Stadt im dampfenden Tale vor sich liegen sah , überdachte er seinen Plan , beschloß im Hause des Pädagogen zuerst pseudonym aufzutreten , und wie im Auftrage eines anderen seinen Wunsch vorzubringen .
Auf diese Weise hoffte er die Sache in der für ihn leichtesten Art zum Ende zu führen .
Das Gymnasium war aus den Überbleibseln einer Stiftung entstanden .
Alte Linden umgaben den Schulhof ; durch einen Kreuzgang gelangte er zu der munter angestrichenen Wohnung des Rektors .
Er erfuhr von der Magd , daß dieser verreist sei , und mußte sich daher bei der Frau anmelden lassen .
Die Rektorin empfing den Kandidaten Schmidt aus Leipzig - diesen Namen und Stand hatte er sich gegeben - mit lebhafter Freundlichkeit .
Als sie ihn zum Sitzen nötigte , wollte er ihrem Sofaplatze gegenüber auf einem Stuhle sich niederlassen .
Sie verhinderte es aber , zog ihn auf das Sofa und sagte : " Wir leben hier nicht steif und vornehm .
Seine Feinde faßt man ins Antlitz , seine Freunde hat man gern neben sich . "
Er eröffnete ihr , daß er sich auf einer gelehrten Wanderung befinde , deren vorzüglichster Zweck sei , die ersten Männer des Fachs kennenzulernen .
Schon lange habe er sich gesehnt , dem ausgezeichneten Erzieher , dessen Methode man weit und breit rühme , seine Verehrung zu bezeugen .
Das Mütterchen schien das Lob ihres Eheherrn mit Behagen einzuschlürfen .
" Er benutzt jetzt die Ferien zu einem Abstecher nach S. , wo wir leider einen verdrießlichen Handel abzumachen haben " , versetzte sie .
" Indessen erwarte ich ihn morgen oder übermorgen zurück , und wenn Sie einige Tage hier verweilen können , so soll es mir lieb sein . "
Sie gehörte zu den Personen , mit denen man in fünf Minuten bekannt ist .
Die gutmütigsten Augen sahen unter dem weißen Spitzenhäubchen hervor ; ihr Herz schwebte auf der Zunge .
Sie schien nicht viel Ruhe zu haben , stand öfters auf , quirlte hin und her , setzte ihm ein Frühstück vor , und er mußte , ungeachtet aller Versichrungen , daß er schon im Gasthofe das Nötige genossen habe , wenigstens davon kosten .
" Wer in unser Haus tritt , ißt von unserem Brote und trinkt von unserem Weine " , sagte sie .
" Wir ahmen darin den Erzvätern nach , und dem edlen Alkinoos , wenn wir gleich keine phäakische Schmauserei anstellen können . "
Diese und ähnliche Anspielungen , welche bald darauf zum Vorschein kamen , deuteten dem falschen Schulamtskandidaten den Ton an , in welchem er sich hier vernehmen lassen müsse .
Das saubere Zimmerchen , dem aber jede Eleganz fehlte , war mit den Porträts berühmter Gelehrten verziert .
Der besten Rähmchen erfreuten sich die Philologen .
Heine , Wolf , Ernesti , Gesner , Bentley , Ruhnkenius zeigten ihre ausdrucksvollen Gesichter , Voß war dreimal vorhanden , gezeichnet , im Kupferstich und in Gips .
Er suchte daher in aller Eile sein Lateinisch und Griechisch zusammen , sprach von der hehren Göttin Kalypso , besann sich zum Glück auf ein paar Horazische Verse , die er ohne wesentliche Verstümmlungen herausbrachte , und bemerkte , daß die Rektorin nun erst das volle Zutraun zu ihm gewann .
Mit Erstaunen hörte er im Verlaufe des Gesprächs völlig regelrechte Hexameter aus ihrem Munde tönen , die nur durch gehäufte Spondeen etwas Unbeholfenes erhielten .
Nach einer Viertelstunde waren sie wie alte Freunde miteinander .
Indessen entstanden doch , wie es bei raschem Bekanntwerden zu geschehen pflegt , Pausen .
Hermann erhob sich daher und wollte gehen .
Sie faßte ihn bei der Hand und sagte , ihm treuherzig ins Gesicht sehend :
" Ihr Herrn habt es im Kopfe , aber selten viel im Beutel , und obgleich Sie wohlhabender zu sein scheinen , als die Kandidaten , welche uns sonst besuchen , so dächte ich doch , daß frei Quartier bei guten Leuten besser wäre , als teure Gasthofszeche .
Ich will Ihnen Ihr Zimmerchen zeigen , und Sie können nur gleich Ihre Sachen vom Wirtshause herüberbringen lassen . "
Ohne seine Antwort zu erwarten , nahm sie ihn mit in das obere Stockwerk , wies ihm unterwegs verschiedene wirtschaftliche Einrichtungen , namentlich den Ofen , der zwei Stuben zugleich heizte , und den neuen Wandschrank , und führte ihn dann in ein helles Erkerzimmerchen , von welchem man das ganze Flußtal übersah .
Er fragte nach dem Namen eines Dorfs , dessen Turmspitze am Horizonte hervorragte , und erfuhr nicht nur diesen , sondern lernte auch auf der Stelle die Topographie des ganzen Umkreises mit allen Verwandten , Freunden und Gevattern , die da und dort wohnten , kennen .
" Sind Sie versprochen , Herr Schmidt ? " fragte sie plötzlich .
" Nein ! "
- " Rauchen Sie Tabak ? "
- " Auch nicht . "
- " Dann sind Sie auch kein ordentlicher Kandidat ! " rief sie lachend .
" Ich habe wenigstens noch keinen kennengelernt , der nicht eine Braut und eine Pfeife gehabt hätte .
Sie müssen sich beides bald anschaffen . "
Er erwiderte ihren Scherz , der halb wie Ernst klang , und wurde von ihr mit einem Armvoll Tischzeug beladen , welches er unten in das Eßzimmer tragen sollte .
Sie schien es als etwas sich von selbst Verstehendes zu betrachten , daß ein Kandidat der Frau eines Schulvorstehers nötigenfalls dienstbar sein müsse .
Unten sagte er , um seinem Zwecke etwas näher zu kommen :
" Es ist so still in Ihrem Hause , und ich sehe keinen Ihrer Pensionäre oder Pensionärinnen . "
- " Pensionäre ? Pensionärinnen ? " fragte sie erstaunt .
" Wir haben bloß unsere Knaben in Pension .
Man hat mit den eigenen Kindern Last genug , wer wollte sich noch die Mühe mit fremdem liebem Gute machen ? "
Da sie nun merkte , daß diese Worte ihn befremdeten , fuhr sie nach einigem Besinnen fort : " Ach , gewiß ist da wieder eine Verwechselung vorgefallen , und Sie meinen , bei dem Edukationsrate zu sein .
Wir werden noch an das Stadttor schreiben lassen müssen :
» Da wohnt der Philologe und da der Realschulmann . « "
Bei näherer Erkundigung hörte er nun , daß sich noch ein Namensvetter des Rektors am Orte befinde , welcher aber nicht am Gymnasium angestellt sei , sondern eine Privaterziehungsanstalt habe .
Er sei in allem der Gegner ihres Alten , sagte die Rektorin , halte nichts auf Römer und Griechen , wolle vielmehr die ganze Bildung der Jugend auf das Praktische richten .
" Dies hindert aber nicht " , fügte sie hinzu , " daß wir gute Freunde bleiben .
Wir kommen zusammen , die beiden Alten zanken sich tüchtig ab , wenn der Konrektor dabei ist , so spricht auch das Mittelalter noch ein Wort darein , am Ende sind sie müde , der Edukationsrat ruft :
» Die Gegenwart gehört der Gegenwart ! « das ist mein Stichwort ; ich sage dann :
» Es ist ange richtet « , wir setzen uns zu Tische und verzehren ganz verträglich und lustig ein Gericht Gerngesehen miteinander . "
Hermann überzeugte sich im stillen , daß der Arzt ihm jenen Edukationsrat habe empfehlen wollen und daß er verkehrterweise in ein anderes Haus geraten sei .
Indessen würde es unartig gewesen sein , das Mißverständnis zu bekennen , und er erwiderte daher auf den scherzhaften Zuruf der Rektorin , sich nunmehr zwischen dem linguistischen und dem Realsysteme zu entscheiden , daß seine Nachfrage nur eine zufällige gewesen sei , und daß er niemand hier habe kennenlernen wollen , als den in der gelehrten Welt hochgefeierten Herausgeber des Eutrop .
" Nun wohl " , sagte die Rektorin , " ich glaube Ihnen , aber nehmen Sie sich in acht ; Sie werden auf den Zahn gefühlt werden .
Und jetzt lassen Sie uns voneinander scheiden .
Sie können den näheren Weg durch den Garten nach Ihrem Wirtshause nehmen ; schicken Sie mir mein Kornelchen daher , wir wollen einen Topf mehr zum Feuer rücken , damit es heute mittag heißen kann : Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle ; worauf es dann ferner lauten soll :
Aber nachdem die Begierde des Trank_es und der Speise gestillt war , Gingen sie alle gesamt zu dem göttlichen Hirten Eumäos , Dort des Kaffees Gebräu zu schlürfen aus blumiger Tasse . "
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Indem Hermann über den Hof und durch den Garten ging , war es ihm nicht unlieb , daß er sich in der Person des Schulmanns geirrt hatte .
Nach dem Wesen der Frau , nach dem Begriffe , den er durch ihre Reden von dem Manne erhalten , bei dem Anblicke der philologischen Bildnisse , der engen Häuslichkeit , der schmalen Gartenstiegelchen und sauber gehaltenen Beetchen hätte er nicht erwarten können , daß ein Sinn , der diese Umgebung sich geschaffen , geneigt gewesen wäre , sich mit einem wilden Geschöpfe , wie Flämmchen , zu befassen .
Nun aber durfte er von dem Edukationsrate noch alles hoffen .
Im Pavillon , der am Ende des in eine Spitze auslaufenden Gärtchens stand , sah er ein junges Mädchen mit Blumen beschäftigt .
Sie kniete vor den Töpfen , in welche sie Samen und Sprossen senkte .
" Mademoiselle ... " sagte er , und wollte den Auftrag der Rektorin ausrichten .
Welche Überraschung für ihn , als sie sich wandte , erhob , und er das Hausmütterchen aus der Försterei erblickte !
Sie war es , Cornelie .
Aber welche Verwandlung !
Aus dem Kinde war die Jungfrau geworden .
Er stand , durch die unerwartete Begegnung aus der Fassung gebracht , verloren in den Anblick dieser reizenden Jugendblüte , und konnte kein Wort vorbringen .
Sie dagegen schien von seiner Erscheinung nur erfreut zu sein , und begrüßte ihn mit holder Unbefangenheit .
Er wollte sich erkundigen , wie sie hierher komme , als vom Hofe der Ruf der Rektorin nach ihr ertönte .
Mit fliegenden Worten konnte er ihr nunmehr nur sagen , daß er unter fremdem Namen hier sei , daß auch sie ihn bei diesem nennen müsse , und die Wahrheit nicht verraten dürfe .
Sie erschrak und flüsterte bestürzt : " Ach Gott , das wird mir schwer werden ! "
Er faßte sie bei der Hand , und beschwor sie , ihm dennoch den Gefallen zu tun , es sei etwas ganz Unschuldiges .
Die Rektorin trat in den Garten , Cornelie zog ihre Hand aus der seinigen , und eilte jener ängstlich entgegen .
Hermann hatte sich vorgenommen gehabt , sogleich zum Edukationsrate zu gehen , fühlte sich aber nach diesem Vorfalle zu beunruhigt , und suchte das Freie , um sich zu sammeln .
Die Gegend war die anmutigste , die man sich denken kann ; Hügel , mit dem frischesten Laubholze bestanden , liefen in sanften Linien bis beinahe an die Tore des Orts , der mit Ringmauer , Türmen und Graben , altertümlichen Ansehens , dazwischenlag .
Hermann setzte sich auf eine Wiese , die von roten , gelben und weißen Blumen ganz bunt war , und genoß den Überblick .
Ein Hirte , der in der Nähe stand , und dessen Ziegen und Schafe zwischen den Büschen umher grasten , trat zu ihm und sagte :
" Wenn der Herr meinem Rate folgen will , so steht Er auf , die Stelle ist ungesund , Er kann den Schwindel dort bekommen . "
Wirklich hatte Hermann ein leichtes Übelbefinden verspürt , als er sich niedergesetzt hatte .
Es verlor sich , sobald er aufstand .
" Woher wißt Ihr das , Landsmann " , fragte er den Hirten .
Dieser versetzte :
" Das Vieh frißt dort nichts , es geht in einem Bogen um die Stelle , wie Sie an den Kräutern sehen können .
Ein Gift muß da in der Erde verborgen sein . "
Hermann bemerkte , daß die Gräser an der Stelle unberührt üppig emporgeschossen waren , während ringsumher der Zahn der Tiere die Halmen abgenagt hatte .
Er fühlte sich versucht , mit dem Hirten , der aus klugen Augen schaute , das Gespräch fortzusetzen , und erfuhr eine Menge von Ernten- und Wetterprophezeiungen .
Als er seine Zweifel kundgab , und fragte , wie der Hirte das alles erfahren habe , versetzte dieser :
" Es trifft doch zu .
Die Leute in der Stadt sehen von ihren Fenstern immer nur auf die Straßen und gewahren höchstens ein kleines Stückchen Himmel , und da meinen sie , kein Tag sei dem anderen gleich , und wenn sie das grüne Gemüse bekommen , verwundern sie sich , weil sie es nicht wachsen gesehen haben .
Wir aber , die wir immer im Freien sind , merken , wie es mit Wolken und Wind , Wärme und Kälte und Wachstum steht , und ich versichre Sie , es geht jahraus Jahr ein immer in einem fort .
Ich habe oft meine Gedanken , wenn die Herrn über die Erziehung , wie sie es nennen , sich streiten , und meine :
» Fragtet ihr den Hirten um Rat , der würde es euch sagen . « "
" Welche Herrn ? "
" Der Herr Rektor , und der andere .
Sie trinken ihren Kaffee zuweilen in meinem Baumgarten , weil sie von dort die schöne Aussicht , wie sie es nennen , haben , und ich muß ihnen das Feuer dazu besorgen .
Sie haben immer ihr Gespräch , wie man die Kinder am besten in die Höhe bringen soll , und sie treffen es beide nicht . "
" Wie würdet Ihr denn die Kinder erziehen , Freund ? " fragte Hermann .
" Mehr wie das Vieh " , antwortete der Hirte .
" Die Hauptsache bleibt das Waschen und Kämmen , das Füttern , und daß keins sich überfrißt .
Für alles übrige sorgt der liebe Gott .
Aus einem Schaflamme wird mein Tage keine Ziege , und aus einem Zickchen niemals ein Schwein .
Aber soviel ich von den Worten der gelehrten Herrn verstehe , wollen sie immer auf dergleichen mit den Kindern hinaus .
Da kommt der eine Herr eben mit seinen Söhnen . "
Ein kleiner rascher Mann trat aus einem Hohlwege , gefolgt von vier bis fünf Knaben .
Er stand auf der Wiese still , stützte sich auf seinem Stock , schaute umher und fragte dann den Hirten :
" Was meint Ihr , Schäfer ? gibt es eine gute Ernte heuer ? "
" Die Eichhörner haben noch nicht fertig gebaut , Herr Rat " , versetzte der Hirte ; " es läßt sich noch nicht sagen . "
" Wie kann sich die Ernte nach dem Bauen des Eichhorns richten ? "
" Wenn das Eichhorn sein Nest sehr dick baut , so gibt es Regen und kühle Witterung bis Fronleichnam , und danach kommt eine gute Ernte .
Bauen sie dünn , so folgt Dürre und Trockne und die Saat verbrennt in der Erde . "
Hermann trat mit einer höflichen Verbeugung zum Edukationsrat , sagte ihm ungefähr das nämliche , womit er sich bei der Rektorin eingeführt hatte , und bat um die Erlaubnis , ihn besuchen zu dürfen .
Der andere verhielt sich zwar darauf freundlich , aber doch ganz trocken und kurz , und Hermann konnte bemerken , daß die Schmeichelei auf diesen Mann keinen Eindruck machte .
Desto gesprächiger wurde er , als ihn jener auf sein System brachte , welches ein Gemisch von Basedowischen , Pestalozzischen und Jacototschen Reminiszenzen war .
Während dieser Unterredung hatten die Knaben umher ihr Wesen getrieben .
Zu seiner Verwunderung hörte Hermann , daß sie einander nicht bei den Namen , sondern nach Ständen riefen .
Hinter dem Gebüsche fiel ein Schuß ; einer der Knaben kam mit der Vogelflinte und dem Erlegten heraus , und wurde von einem zweiten als Förster angesprochen mit der Frage , was er geschossen habe ?
Der Förster versetzte :
" Ich weiß es nicht , besieh du ihn , Naturforscher . "
Der Naturforscher nahm den Vogel , betrachtete Brust , Rücken und Flügel , und sagte : " Es ist die gemeine Amsel ; turdus merula .
Linné . "
Ein kleiner munterer Junge verließ sein Spielwerk von Sand und Steinen an der Erde , sprang neugierig zu den Brüdern und wurde der Baumeister genannt .
Außerdem war noch ein Pastor zur Stelle , ein stiller Knabe , der blöde vor sich hinsah .
" Wie soll ich die Benennungen verstehen , welche sich Ihre Söhne untereinander geben ? " fragte Hermann .
" Wie ich Ihnen schon gesagt habe , ist es mein Grundsatz , die mir anvertrauten Zöglinge auf dem kürzesten Wege zu Menschen , welche dem wirklichen Leben angehören , auszubilden " , erwiderte der Edukationsrat .
" Ich wünsche sie ohne Umschweife zu dem zu machen , wozu man nach der alten Manier nur infolge der schmerzlichsten Pilgerschaft wurde , nämlich zu Bürgern .
Deshalb ist in meinen Lehrplan nur das aufgenommen , was sie in ihrem künftigen Berufe unmittelbar brauchen : Länder- und Völkerkunde , Gewerbe , Naturwissenschaft , Geschichte der neuesten Zeit .
Von Sprachen , namentlich von den toten , nur das Notdürftigste .
Ich leugne die Würde des Gelehrten nicht , aber die Menschen so erziehen , als ob sie alle Gelehrte werden sollen , heißt das Bette des Prokrustes von neuem in Anwendung bringen .
Am günstigsten steht die Aufgabe des Jugendbildners , wenn früh sich entschiedene Neigungen zeigen , die den künftigen Stand vorbedeuten .
Denn der Stand ist eigentlich der Mensch .
Dieses Glück hatte ich bei meinen Söhnen .
Sobald die beiden ältesten nur auf ihren Füßen stehen konnten , schleppten sie an Steinen , Pflanzen , toten Tieren herbei , dessen sie habhaft wurden .
Ich bemerkte indessen , daß der eine sich mehr mit dem Erbeuten , der andere mehr mit dem Trockenen und Aufbewahren abgab .
Auch verließ den ersten bald die Lust am Mineralreiche ; er wandte sich ganz zum Vegetabilischen und Animalischen .
Steckte nun also nicht in jenem der geborene Jäger , und in diesem der Naturforscher ?
Der Kleine dort , der Baumeister , schnitt , seitdem er die Hände zu regen vermochte , Figuren in Papier und Pappe aus , und der Pastor , über den ich am längsten unklar gewesen bin , hat mich endlich dadurch von seiner Anlage überzeugt , daß er stundenlang still sitzen , und dann plötzlich aus dem Stegreife anfangen kann , Verse zu deklamieren .
Anfangs gaben wir die Namen , welche Ihre Aufmerksamkeit erregt haben , den Knaben zum Scherz , nach und nach ist bei uns und ihnen , ja in der ganzen Anstalt daraus Ernst geworden , und sie werden nun in jeder Hinsicht so behandelt , als seien sie das schon , was sie werden sollen . "
Hermann fühlte , daß man mit diesem Manne in der Kürze handelsein werden könne .
Er fragte ihn , ob in seinem Hause auch Mädchen erzogen würden ?
" Allerdings " , versetzte jener .
" Mit ihnen hat aber lediglich meine Frau zu tun , ich bekümmere mich nicht um sie .
Wir nehmen auch nur solche auf , welche durch irgendeine üble Gewohnheit oder einen eingewurzelten Fehler , meiner Frau , welche einen außerordentlichen Tätigkeitstrieb hat , ein Interesse gewähren .
Gute , reinsittliche Kinder gehören nirgends anders hin , als unter die Flügel der Mutter , und das neuere Pensionswesen führt nur zur Koketterie oder zur Bleichsucht .
An den Verwahrlosten aber verrichtet meine Frau wahre Wunder der Besserung . "
Diese Erklärungen waren , wie sie Hermann nur wünschen konnte .
Er trug dem Pädagogen sein Anliegen vor und verschwieg nicht , daß Flämmchen diesem vielleicht nur zu unbändig erscheinen werde .
" Das hat nichts zu sagen " , versetzte der Edukationsrat .
" Wenn Sie meine Frau kennenlernen , werden Ihre Zweifel schwinden .
Die Sache ist abgemacht ; wir haben gerade einen Platz offen , da wir gestern eine Gebesserte ihren Eltern zurückschickten .
Sie legen die Jahrespension bei mir nieder , und können dann Ihr Komödiantenkind bringen , wann Sie wollen . "
Beide gingen miteinander den Abhang hinunter , dem Tore zu ; der Hirte aber , welcher ihrem Gespräche kopfschüttelnd zugehört hatte , sagte :
" Wenn ein Stück krank wird , so nehme ich mich der Kreatur an ; aber das sollte mir fehlen , eine räudige Herde mir zusammenzubetteln . "
Er wollte sich hierauf in der Mitte der Ziegen und Schafe niedersetzen , um sein Brot mit Käse zu verzehren , als sich ihm vom Walde her eine sonderbar aussehende Figur näherte , welche wir später kennenlernen werden .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Leichtern Herzens setzte sich Hermann unter der Laube , wo die Rektorin hatte decken lassen , zu Tische .
So rasch war ihm seit lange nichts geglückt .
Er war sehr heiter , und überbot sich mit der Alten , welche nichts lieber hatte , als Lachen und Lustigkeit , in drolligen Einfällen .
Ein junger Mann , welcher ihm als der Konrektor vorgestellt worden war , und ein wohlgebildetes Frauenzimmer , jedoch schon in gewissen Jahren , auch dem Hause , wie es schien , angehörig , und Wilhelmine genannt , machten die Gesellschaft aus .
An verschiedenen kleinen Aufmerksamkeiten , die der Konrektor , der sonst ziemlich zerstreut war , ihr erwies , und an flüchtig gewechselten Blicken konnte er bald abnehmen , daß zwischen ihnen ein Verhältnis entstanden oder im Entstehen sei .
Cornelie saß mit niedergeschlagenen Augen ihm gegenüber .
Sie berührte die Speisen kaum , sprach nichts und antwortete , wenn er sie anredete , errötend nur das Notwendigste .
Die Rektorin , welche schon bei der Szene im Garten ihre eigenen Gedanken gehabt hatte , ließ zwischen beiden prüfende Blicke hin und her wandern .
Er brannte , zu erfahren , wie Cornelie hierher komme , und beschloß , die Rektorin darüber sobald als möglich auszufragen .
Sie waren beim Obste , als eine kräftige tiefe Baßstimme durch das Weinlaub erscholl , und der Virgilianische Vers : Nunc frondent silvae , nunc formosissimus annus ! den Speisenden zugerufen wurde .
Alles sprang auf , die Rektorin rief : " Der Vater ! " und herzte eine lange hagre Mannsgestalt , welche mit heftigem Schritte in die Laube trat .
" Quis ? " fragte der Rektor , auf Hermann deutend .
" Candidatus , nec non , nisi fallor , baccalaureus " , versetzte seine Frau .
" Salve ! " sagte der Rektor , und gab ihm derben Handschlag .
" Ubi liberi ? " fragte die Rektorin .
" Sie schwärmen noch , sicuti hoedi , wie die Böcklein , in pratis " , antwortete der Hausherr .
" Da die Ferien erst morgen zu Ende gehen , so wollte ich ihnen diese fernere Freiheit gönnen , denn auch Cicero scherzte nach den Staatsgeschäften in seinem Tusculo . "
Er bat die Gesellschaft , sich nicht stören zu lassen ; er sei ermüdet , und wolle schlummern , worauf er sich entfernte , ohne den Hut vom Haupte zu tun , den er auch bei dem Eintritte nicht abgenommen hatte .
Nach dem Essen sagte die Rektorin :
" Nun zu unserem Eumäos .
Der Himmel ist wunderklar , wir werden einen prächtigen Nachmittag draußen haben . Cornelie " - fuhr sie nach kurzem Innehalten schalkhaft fort- " mag mit dem Gastfreunde vorangehen , und ihm die Gegend zeigen , wir alten verständigen Leute , der Herr Konrektor , du Wilhelmine und ich , schlendern gemächlich hinterdrein . "
Auf dieses Wort entfernte sich Cornelie , wie um etwas zu holen , und einige Augenblicke darauf sah Hermann sie zu seinem Verdrusse mit dem Konrektor und Wilhelmminen , denen sie einen verstohlenen Wink gegeben hatte , über die Straße nach dem Tore zu gehen .
Die Rektorin hatte sich den Strohhut aufgesetzt und kam zurück .
" Noch hier ? " fragte sie .
" Wo ist das Jungfräulein ? "
- " Es scheint " , erwiderte Hermann etwas verlegen , " daß man meine Begleitung nicht wünscht .
Woher ist dieses junge Mädchen ?
Wem gehört sie an ?
Was führte sie zu Ihnen ? "
" Ei , so eifrig ! " sagte die muntere Frau .
" Und wie unwissend der Herr Kandidat sich anstellen !
Gut denn , da Sie der Belehrung in dieser Hinsicht so bedürftig sind , so sei Ihnen gedient .
Mein Kornelchen ist die Pflegetochter der Kommerzienräten Hermann , von dieser meiner alten Jugendfreundin mir auf einige Monate zum Besuche geschickt .
Damit aber hat die Beichte ein Ende ; das übrige bleibe vorderhand noch unter sieben Siegeln .
Jetzt auf Ihre drei Fragen eine zurück :
Was halten Sie von dummen Streichen in der Liebe ? "
" Wie soll ich das verstehen ? " fragte Hermann äußerst bestürzt .
" Zum Beispiel so .
Wenn ein junger Mann nur geradezu , ehrbar , im schwarzen Frack mit weißen Manschetten , hintreten und um ein frommes schönes Kind werben dürfte , statt dessen aber lieber unter fremdem Namen in ein stilles Bürgerhaus eindringt , und allerhand Angst und Schrecken verbreitet . "
" Um Gottes Willen ! " rief er , " was hat Sie in diesen seltsamen Irrtum versetzt ? "
" Irrtum ? -
Machen Sie mich nicht zu Ihrer Feindin .
Ich meine es ja wohl mit Ihnen , mir gefallen die Schleifwege der Zärtlichkeit .
Auch mein Alter mußte bei Nacht und Nebel mit mir zusammenkommen , weil die Base den jungen Menschen , der nur einen Rock besaß und weiter nichts , von ihrer Schwelle wies .
Es ist mir nichts langweiliger , als die Vernünftigkeit der jetzigen jungen Leute , welche ohne die Aussicht auf ein Amt , oder auf eine reiche Mitgift , dos , dotis , sich gar nicht mehr verlieben .
Also nur frisch zu ; die Rektorin steht Ihnen bei .
Aber ein Kandidat sind Sie nicht , denn Sie haben keine Pfeife , tragen feine Wäsche und machen Fehler gegen die lateinische Prosodie . "
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Draußen , auf grünem birkenbesetzten Rasen , machten sich die Frauenzimmer um das Feuer zu schaffen .
Der Ort war wirklich allerliebst und verdiente zum Familien- und Nachmittagsplätzchen ausersehen zu werden .
Links und rechts sah man in das lichte , weißstämmige Gehölz , zwischen den Bäumen lag das reinlich gehaltene Häuschen des Hirten , am Fuße der Anhöhe sprang die Stadt in einem scharfen , mit Warttürmen gekrönten Winkel vor , der Fluß wand sich blinkend um diese Ecke .
Nimmt man dazu , daß unter den Birken ein Sauerwasser aus der Erde quoll , über welchem von vorsorglicher Hand das Brunnendach gewölbt worden war , so hat man das Bild der friedlichen anmutigen Stelle .
Der Konrektor sprach mit einem Menschen , der seinen Gesichtszügen nach unkenntlich , auf einer Bank abseits am Hause saß .
Er trug einen ziemlich verbrauchten Rock von weißlicher Farbe , und einen Hut mit breiter Krempe , der das Antlitz verschattete .
Was davon noch zu sehen gewesen wäre , bedeckte zum Teil wieder eine schwarze Binde , die über dem linken Auge und über der Wange lag .
" Wer ist der Mensch ? " fragte die Rektorin , welche jetzt , geführt von Hermann , zum Platze gekommen war .
" Ein armer Spätrückkehrender aus Spanien , wie er sagt , wo er die sonderbarsten Schicksale erlebt haben will " , versetzte der junge Schulmann .
" Er wandert zu seinen Eltern , die noch weit von hier wohnen sollen .
Da er nicht Geld genug hatte , um in der Stadt einzukehren , so hat er seine paar Groschen dem Hirten gegeben , der ihm dafür auf einige Tage Obdach gewähren will .
Er hat sich nach Ihnen und Ihrem Gemahle eifrig erkundigt , wie mir der Hirte sagte . "
Die Rektorin trat auf den Verhüllten zu , und fragte ihn :
" Kennen Sie uns ?
Wissen wir etwas von Ihnen ? "
" Wohl schwerlich " , versetzte der Fremde mit einer tiefen und rauhen Stimme .
" Ich hatte nur von Ihnen , als von mildtätigen Leuten gehört , und da mein Weg noch weit ist , und mein Geld mir ausgegangen war , so ließ ich mir Ihr Haus beschreiben .
Sie um eine Gabe anzusprechen . "
Sie erwiderte ihm etwas Freundliches und reichte ihm vorderhand , was sie bei sich trug , mit gutmütiger Einladung auf Speise und Trank in ihrem Hause .
" Wenn ich auch den Bettlern sonst eben nicht hold bin " , mit diesen Worten wandte sie sich an Hermann , " so bekommt doch jeder Soldat etwas , der aus der Kriegsgefangenschaft in den fremden Ländern , wohin unser junges deutsches Blut geschleppt wurde , zurückkehrt .
Mit diesen Almosen ehre ich das Andenken meines umgekommenen Sohns . "
Hermann , dem es lieb war , daß sich die Gelegenheit zu einer von ihm ablenkenden Unterredung darbot , erkundigte sich nach diesem Hausunfall und hörte ein Geschick , wie es durch die ungeheuren Kriegsereignisse leider so vielen deutschen Familien bereitet worden ist .
Die Rektorin erzählte ihm , daß ihr ältester Sohn , ein wilder Siebenzehnjähriger Bursche , mit dem der Vater nie zurechtkommen können , im Jahre Zwölf ihnen fortgelaufen und der Fahne des Eroberers nach Rußland gefolgt sei .
Bis Smolensk , ja bis zur Moskwa habe er , da er bald seinen Schritt bereut , noch Nachricht gegeben , nachher sei er verschollen .
" Wir hatten nach dem Frieden alle möglichen Erkundigungen angestellt , wir hatten , da diese nichts fruchteten , ihn betrauert und ihn darauf zu den Toten geschrieben " , fuhr die Rektorin gleichmütig fort .
" Da machte er uns vor kurzem auf einmal wieder Unruhe .
Ein hübsches Erbteil , welches ihm angefallen ist , und auf welches wir nach seinem Tode Anspruch haben , kann von uns nicht erhoben werden , bevor er nicht bei den Gerichten förmlich für tot erklärt worden ist .
Und dieses Geld käme uns gerade jetzt sehr zustatten , da die Bibliothek eines Professors in H. aus freier Hand verkauft werden soll , die der ganze Herzenswunsch meines Mannes ist , weil sie die Lücken seiner eigenen vollständig ergänzt .
Auch den beiden halben Liebesleuten da soll die Todeserklärung helfen .
Zu den törichten Streichen meines Sohns gehörte auch , daß er sich mit Wilhelmminen , welche damals sechzehn Jahre alt war , alles Ernstes versprochen hatte .
Die Sache ist natürlich veraltet , der Konrektor und sie geben ein gutes Paar ab , sie ist auch mit ihm einig ; dann aber kommen wieder Tage , wo ein überspannter Begriff von Treue in ihr aufwacht , wo sie Gewissensbisse empfindet , daß sie einem Zweiten angehören wolle , ehe sie noch völlig überzeugt sei , daß der Erste nicht mehr unter den Lebendigen wandle - kurz auch da wird der Ausspruch nötig sein , daß der Tote wirklich tot sei , um alles zum Abschluß zu bringen .
Wir haben viele Umstände von dieser Angelegenheit gehabt , mein Alter war deshalb nach S. gereist , ich hoffe , daß er seinen Zweck erreicht hat . "
In dieser Erzählung fuhr sie noch eine Zeitlang fort , und sprach über die Dinge , welche sie und ihr Haus betrafen , mit derselben Rückhaltlosigkeit , welche ihr in Reden über fremde Verhältnisse eigentümlich war .
Hermann , welcher diesen Geschichten etwas zerstreut zuhörte , und seine Augen umherschweifen ließ , bemerkte , daß der Fremde von seiner Bank gespannt lauschte , und das Haupt nicht von der Redenden abwandte .
Indessen war das Getränk am Feuer zubereitet wor den , Cornelie und Wilhelmine verteilten die Tassen und als hätte die Nachahmung der " Luise " vollkommen getreu werden sollen - die Löffel waren wirklich vergessen und mußten durch Birkenstäbchen ersetzt werden , die der Konrektor rasch zu dem Zwecke zu liefern wußte .
Cornelie hatte , da dieser sich seinen Platz neben Wilhelmminen nicht rauben ließ , neben Hermann sitzen müssen , machte ihn aber ihrer Nähe nicht froh , sondern benutzte jeden Vorwand , um aufzustehn und etwas zu besorgen .
Als es Abend werden wollte , kam der Rektor den Hügel herauf .
Zugleich erschien von der Wiesenseite der Hirte , welcher sein Vieh eintrieb .
Sie begegneten einander auf halbem Wege und der Rektor , welcher mit dem Hirten immer seinen archäologischen Verkehr hatte , begrüßte ihn , und sagte : " Wie geht es dir , männerbeherrschender Sauhirt ? "
" Herr Rektor " , versetzte der Hirte , " Sie wissen es ja , daß ich keine Schweine hüte , sondern nur Ziegen-und Schafvieh .
Und was die Männerbeherrschung angeht , so bin ich froh , wenn ich meine Herde in Ordnung halte , mit weiterem Regiment gebe ich mich nicht ab .
Aber Sie haben hier so oft die alte Geschichte von dem Manne erzählt , der , ich weiß nicht , wie ? heißt , und so lange fortgewesen ist , und endlich zurückkommt und bei dem Hirten liegt ... "
" Nun , und ?
Pergas ! " sagte der Rektor .
" Ich meine nur , daß noch alle Tage kuriose Dinge vorfallen können " , sagte der Hirte .
" Nun erzähle mir , wie deine Reise abgelaufen ist " , sagte die Rektorin zu ihrem Manne .
" Ganz nach Wunsch " , versetzte dieser .
" Unsere Zeugnisse und Bescheinigungen sind endlich als gültig angenommen worden .
Wir haben nur noch den üblichen Eid zu leisten , daß wir seit dem Verschwinden Eduards nichts von ihm vernommen haben und ihn wirklich für tot halten , und dazu ist schon der nächste Donnerstag angesetzt worden .
Tandem aliquando , kann ich sagen ; die Bibliothek ist unter Brüdern das Dreifache wert , was dafür gefordert wird . "
Beide Gatten ergingen sich noch in behaglichen Gesprächen über die gehabte Mühe , die nunmehr hinter ihnen lag , Hermann war in eigene Gedanken verloren , und Cornelie zerpflückte wie im Traume Blumen .
Aus diesem Gespräche und Sinnen wurden alle durch einen dumpfen Schrei aufgeschreckt , den der Fremde ausstieß .
Sie sahen sich um , und erblickten den jungen Schulmann , der neben Wilhelmminen , verlegen , die Augen gesenkt , stand .
Auch sie war errötet .
Der Fremde erhob sich , und ging in die Hütte .
Man konnte bemerken , daß er wankte .
Hermann war ihm gefolgt .
Der Fremde lag schluchzend , das Haupt auf einen Tisch gelegt , und rief , da er den Eintretenden in seinem Schmerze nicht gewahr wurde , selbstvergessen : " Ja , ich bin ein Toter , und unter den Lebendigen ausgetan ! "
- In Hermann stieg blitzschnell eine Vermutung auf , die ihn vermochte , leise wie er eingetreten war , die Stube zu verlassen , um nicht eine zu gewaltsame Szene herbeizuführen .
Er sagte der draußen wartenden Gesellschaft , daß der Wanderer von der großen Anstrengung , die er gehabt , ein Übelbefinden gespürt habe , jedoch sich schon wieder erhole , und bewog sie , von weiterer Sorge um ihn abzustehn , und den Rückweg nach der Stadt anzutreten .
Nach so mannigfaltigen Vorfällen , die sich im engen Rahmen einer beschränkten bürgerlichen Haushaltung ereignet hatten , fühlte er das Bedürfnis der Einsamkeit , und war sehr froh , als er sich nach überstandenem Abendessen auf seinem Erkerzimmerchen befand .
Er ließ den Zustand , in den er , ohne es zu wollen , eingetreten war , an seiner Seele vorübergehen , und wenn ihm die Weise dieser Leute freilich etwas eng und einförmig vorkommen wollte , so fühlte er doch , daß auf so schlichtem Denken und Empfinden eigentlich das Glück des Daseins Ruhe .
Aber auch dieser Idylle waren die düstern Farben der entsetzlichen Welterschütterung zugeteilt , auch in sie ragte eine fremde unheimliche Gestalt hinein .
" Ach ! " rief er aus , " wer kann jetzt wissen , ob er nicht auch einmal , unkenntlich seinen Nächsten , fremd und abgeschieden umherschwanken wird ? "
Er sah durch das Fenster .
Ein schöner Stern ging hell am Horizonte auf .
In diesem Augenblicke trat das Bild Corneliens wieder vor seine Seele , und eine innige Wärme durchdrang ihn .
Er hatte nicht zehn Worte mit ihr gesprochen und doch war es ihm , als kenne er sie seit Jahren .
Er hatte geglaubt , sein Herz sei in Liebeshändeln abgemüdet , und nun kam es ihm vor , als habe er noch nie empfunden .
Er fühlte ein unaussprechliches Verlangen , sich anzuheften , anzuklammern , und dem zweck- und planlosen Leben ein Ende zu machen .
Mit diesen frommen Regungen sank er auf sein Lager zum erquickendsten Schlummer nieder .
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Gestärkt durch einen freundlichen Gruß Corneliens , welche ihm frisch wie der Morgen begegnet war , ging er anderen Tages , sobald es ihn schicklich dünkte , zum Edukationsrat .
Sie schien ihm freier zu sein , als gestern .
Bei dem Edukationsrate hatte er bald sein Geschäft in Richtigkeit gebracht .
Nun lernte er auch die Frau des Erziehers kennen .
Er fand sie allerdings geeignet , dem Systeme , wonach hier eingewurzelte Fehler ausgetrieben werden sollten , Nachdruck zu verschaffen .
Sie war von ungewöhnlicher Größe , starken Gesichtszügen ; auf ihrer Oberlippe ließ sich ein leichtes Bärtchen nicht verkennen .
" Nach Ihrer Erzählung ist das Kind , dessen Sie sich annehmen , mittellos , folglich zum Dienen bestimmt " , sagte sie zu Hermann .
" Ich werde sie daher mit besonderer Strenge zum Kochen , Backen und Spinnen anführen , und wenn sie soweit ist , sich selbst zu helfen , ihr eine Kondition verschaffen . "
Hermann mußte hierauf mit den beiden Ehegatten einen Gang durch das Gebäude machen , um alle Einrichtungen zu beaugenscheinigen .
Das Haus war früher ein städtisches Mehlmagazin gewesen , und konnte noch nicht ganz seine vorige Bestimmung verleugnen .
Denn abgesehen davon , daß darin , nach der Klage seiner Führer , eine unermeßliche Anzahl Grillen zurückgeblieben war , wozu sich , wie sie sagten , nunmehr leider auch beträchtliche Wanzenscharen zu gesellen schienen , so waren auch noch nicht sämtliche Räume zu dem Erziehungszwecke ausgebaut .
Der Edukationsrat hatte mit mäßigen Geldkräften anfangen müssen , zu wirtschaften , und so grenzten denn noch weite , wüsste Speicher mit Lukenöffnungen an Wohnzellen und Lehrzimmer .
Über mehreren Türen stand mit großen Buchstaben der Spruch :
Nach Freiheit strebe der Mann , Das Weib nach Sitte !
" Ist Ihnen diese Maxime so wichtig ? " fragte Hermann .
" Ganz gewiß " , versetzte der Edukationsrat , " denn in diesen zwei Zeilen ist die Bestimmung der Geschlechter vollständig ausgedrückt , und alles , was noch sonst darüber gesagt werden mag , ist nur ein Kommentar jener Verse .
Leider bekomme ich nur meine Zöglinge nicht so unverbildet , wie ich meine eigenen Knaben erhalten habe .
In der Regel ist ihnen durch Zwang schon allerhand eingeimpft , was denn erst wieder heraus muß , damit nur die Natur zum Vorschein kommt und ich sehe , wozu eines jeden Sinn und Neigung ihn führt . Habe ich das erkannt , so ist eigentlich das Hauptgeschäft getan , und die junge Raupe frißt sich , wenn ich ihr nur die Blätter gebe , worauf ihr Instinkt sie angewiesen hat , von selbst zum Schmetterling . "
Hermann mußte über dieses seltsame Gleichnis lächeln und wandte ein , daß wenn man sich nach eines jeden Neigung richten wolle , man so viele Erzieher haben müsse , als Kinder in die Welt gesetzt würden .
" Ein System ist nur unter Beschränkungen auszuführen , das versteht sich von selbst " , versetzte nicht ohne Empfindlichkeit der Realschulmann .
" Annähernd aber kann man allerdings verfahren , und um ein Beispiel zu geben : Ich quäle diejenigen , welche einen entschiedenen Sinn für Mathematik und Zeichnen verraten , nicht mit der Technologie , und so umgekehrt .
Das glücklichste wäre , wenn meine Methode nach und nach zur Aufhebung der Universitäten führte , die in ihrer jetzigen Gestalt wahre Invalidenanstalten des Geistes sind .
Wenigstens müßte die philosophische Fakultät , in welcher man alles Wichtigste : Geschichte , Geographie , Naturkunde und was sonst noch , zusammengerührt hat , in Spezialschulen auseinandergelegt werden .
Geschichte kann man nur lernen in einer Gegend , wo die verschiedenen Perioden der Vergangenheit ihre Niederschläge in Denkmalen , Sprache und Sitten abgesetzt haben ; ebenso Erdkunde und Physik nur an wirklich bedeutenden Naturpunkten .
Was Jurisprudenz und Theologie betrifft , so möchten diese immerhin bleiben , wo sie sind , und die Philosophie kann freilich auch überall und nirgends gelehrt werden . "
" Mit deinem Systeme hat es noch weite Wege " , sagte die Edukationsrätin , welcher Hermann die Ungeduld angesehen hatte , auch zum Wort zu gelangen .
" Desto kürzer ist das meinige auszuführen .
Ja , mein Herr , das Weib strebe nach Sitte ! das ist die ganze Weisheit weiblicher Erziehungskunst .
Und was heißt Sitte ?
Gehorsam , Fleiß .
Daher : um fünf Uhr morgens aufstehen , gehorchen , bis neun Uhr abends die Hände nicht in den Schoß legen , und dann wieder zu Bett !
Alles andere ist ganz unnütz , wir lernen nichts aus Büchern , sondern nur durch Umgang und Menschen .
Wenn sie heiraten und Kinder bekommen , wird Klavierspielen und Französisch an den Nagel gehängt .
Stille , Liebe , Verträglichkeit , bescheidenes Fügen , das sind die Eigenschaften , welche uns ziemen und zieren . "
Sie bekam gleich Gelegenheit , diese Tugenden einzuschärfen , und zugleich den Besuchenden von ihrem Ansehn zu überzeugen .
Denn in einer an den Gang , über den sie wanderten , stoßenden Stube , worin Hermann kurz zuvor eine Menge junger Mädchen bei häuslicher Arbeit eingepfercht gesehen hatte , erhob sich ein ungemeiner Lärmen und heftiger Streit .
Sofort rief die Edukationsrätin mit donnernder Stimme : " Still ! " und stampfte mit dem Stocke , den sie beständig in der Hand führte , heftig auf den Fußboden ; worauf augenblicklich die tiefste Ruhe eintrat .
Beim Abschiede legte der Edukationsrat Hermann die Hand auf die Schulter , und sagte mit Feierlichkeit :
" Ich freue mich , einen Mann gefunden zu haben , der mit Aufmerksamkeit Grundsätze anhört , von welchen , wenn sie durchdringen , die Erneuung des Menschengeschlechts beginnen muß .
Mehr könnte ich wirken , wenn mir der Rektor mit seinem Gymnasio nicht auf dem Halse säße .
Dieser Mann , sonst ein achtungswerter Gelehrter und gewissermaßen mein Freund , schadet mir durch sein falsches Beispiel über alle Begriffe .
So muß ich notgedrungen Ferien halten , weshalb Sie auch jetzt alle Knabenzimmer leer sehen .
Denn obgleich sie das ganze Jahr hindurch nur spielend lernen , und also einer besonderen Erholungszeit nicht bedürfen , so regt sich in ihnen jedesmal eine unbezwingliche Unruhe , wenn sie die Gymnasiasten abziehen sehen , und ich muß sie dann wider Willen entlassen .
Deshalb habe ich auch vor , wenn es sich irgend tun läßt , fortzuziehn , und meine Anstalt in eine abgelegene Gegend des Gebirges , wo sie vor schädlichen Einflüssen gesichert ist , zu verpflanzen . "
Obgleich Hermann in dem , was er von beiden Personen gehört hatte , den guten Willen und auch zum Teil das Richtige nicht verkennen mochte , so war die Lokalität doch wenig geeignet , in ihm die Behaglichkeit hervorzubringen , welche das Haus des Rektors gleich entschieden in ihm erweckt hatte .
Denn außer dem Wüssten und wenig Erfreulichen der nicht ausgebauten Räume hatte sein Auge der Anblick mancher Unordnung verletzt , welche in Zimmern und Vorplätzen trotz den Worten der Edukationsrätin sich dort bemerken ließ .
Um die Stunden hinzubringen , ging er in die Bibliothek des Rektors , wozu ihm dieser gleich nach den ersten Begrüßungen die Erlaubnis gegeben hatte .
Sie war wegen ihrer Größe nicht im Studierzimmer aufgestellt , sondern hing nur mit diesem durch ein kleines Gemach zusammen .
Ausgestattet mit allem , was zur klassisch-philologischen Rüstkammer gehört , war sie besonders reich an Apparaten zum Eutropius .
Der Rektor hatte auf eine Ausgabe dieses untergeordneten Schriftstellers große Mühe und viele Zeit verwendet , und denn auch ein Werk geliefert , welches in der gelehrten Welt nur rühmlichst genannt wurde .
Es fehlte indessen dieser Büchersammlung ebenfalls nicht an Engländern und Deutschen .
Er nahm ein englisches Buch , in welchem Menschen- und Weltverhältnisse aphoristisch betrachtet wurden , zur Hand , um darin zu lesen , und fand einen Satz , der ihn stutzig machte , er wußte nicht , warum ?
" In flachen Gegenden oder auf dem Meere " sagte jener Autor , " gibt es ein Phänomen , welches man das Heliakallicht nennt .
Die Kugel der Sonne bildet sich frühmorgens in den Dünsten ab , welche den Luftkreis durchziehn , das Tagesgestirn scheint schon aufgegangen zu sein , während es in der Tat noch unter dem Horizonte verweilt .
Etwas Ähnliches begegnet oft im Leben .
Das Schöne , Reizende , Wünschenswerte zeigt sich uns nicht selten zuerst in seinem Dunstbilde , wir meinen es dann schon zu besitzen , und doch ist es vorderhand nur ein Schein , der erst einige Zeit später zum leuchtenden und wärmenden Gestirne unserer Tage werden kann , wenn das Schicksal es uns überhaupt so gönnen will . "
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel In der Lektüre und in den dadurch angeregten Gedanken störte ihn ein dumpfes Geräusch , welches vom Nebenhäuschen im Hofe heraufdrang .
Er sah die Knaben des Rektors , welche schon abends zuvor im väterlichen Hause wieder eingerückt waren , auf den Stufen der Vortreppe übereinander sitzen , und hörte ihre Vorbereitung zu den morgen aufs neue beginnenden Lektionen .
Da sie verschiedenen Alters waren , so reichten sie von Quinta bis Prima hinauf und trieben folglich die Latinität von " alauda cantat " bis zum Exponieren des Virgil .
Ganz laut wurden diese Studien betrieben , wodurch ein Geräusch entstand , nicht unähnlich demjenigen , welches in einer Judenschule zu tönen pflegt .
Was Hermann in Erstaunen setzte , war , daß keiner den anderen irrte , vielmehr jeder sein Pensum unter den fremden Beschäftigungen , die ihm vor dem Ohr klangen , fortlernte .
Nachdem dieses babylonische Sprachgemisch eine Zeitlang angehalten hatte , kamen zwei Söhne des Edukationsrats vorsichtig durch eine Hintertür geschlichen .
Es war der Naturforscher und der Baumeister .
Ersterer trug eine große Flasche , letzterer einen Topf und ein leinenes Säckchen .
Sie sahen sich vorsichtig um , als fürchteten sie , bemerkt zu werden , und schlichen sodann zu den Lateinern .
Sobald diese jene bemerkten , warfen sie Brüder , Cäsar und Virgil weg , stießen ein Freudengeschrei aus und hielten mit den beiden Angekommenen ein heimliches Gespräch , wobei von letzteren viel auf Flasche , Topf und Beutel gedeutet wurde .
Nachdem einer darauf einen Spaten ergriffen hatte , zog der ganze Trupp durch die Hintertür nach dem wüssten Platze ab , welcher dort zwischen Scheunen der Nachbarn neben dem Garten lag .
Durch die offene Türe sah Hermann sie noch an der Erde graben und wirtschaften , ohne gewahr werden zu können , was sie eigentlich vornahmen .
Im Verlaufe des Tages fragte er den Rektor , ob seine Söhne Grammatik und Autoren immer auf die Weise behandelten , welche er wahrgenommen hatte .
" Jederzeit " , antwortete dieser .
" Sprache kommt her von Sprechen .
Man kann sie nur laut lernen .
An dem hörbaren Schalle prägt sich alles lebendiger ein ; stilles Lesen und Memorieren ist nur ein halbes Werk . "
" Ich habe mich deshalb auch genötigt gesehen , die Jungen nach dem Nebengebäude zu verweisen , welches früher eine Waschküche war , denn im Hause war das Getöse nicht auszuhalten " , sagte die Rektorin .
" Es gab allerdings zuweilen multum clamoris " , sprach der Rektor gravitätisch .
Hermanns Besuch bei dem Edukationsrate war fruchtbar geworden , und diese Nachricht gab zu allerhand Scherzen über diesen Mann und sein Erziehungswesen Veranlassung , worin besonders die Rektorin unerschöpflich war .
Sie verschonte auch sein Zöpfchen nicht , welches er freilich , auffallend genug , noch trug , da doch dieser Zierat schon längst abgekommen ist , und meinte , er lasse es nach seinem Grundsatze von der Freiheit der Entwicklung stehen , weil die Haare nun einmal diese Richtung genommen hätten .
" Dieser sonst würdige Mann und mein Freund wird durch seine fast pueril zu nennenden Grillen noch einmal das größte Unglück herbeiführen " , sagte der Rektor .
" Heute morgen vertraute mir der Apotheker , welcher hier vorbeikam , daß zwei seiner nebulonum , der sogenannte Naturforscher und der Architekt , in der Offizin fünf Pfund Eisenfeilspäne und eine große Flasche Vitriolsäure angekauft hätten .
Was nun die Knaben damit Verderbliches beginnen wollen , mögen die unsterblichen Götter wissen . "
Bei diesem Hin- und Herreden wurde Hermann , der sich nun auch noch an so manches aus den Gesprächen des Edukationsrats erinnerte , das sonderbarste Verhältnis offenbar , eins von denen , welche der deutschen Stuben- und Gelehrtenwelt eine so wunderliche Gestalt geben .
Beide Schulmänner gingen von Prinzipien aus , die , jedes in seiner Art , etwas für sich hatten .
Denn alle Bildung bestand ja von Anbeginn der Geschichte nur darin , daß man entweder durch einen mächtigen allgemeinen Begriff das Individuum zu steigern versuchte , oder sein besonderes Inneres erforschend , es zu entfalten suchte .
Da sie nun aber diese Grundsätze auf die Spitze trieben , so sahen sie sich mit der Welt , welche eigentlich beide zu einer unbestimmten Mitte verflacht wissen will , in beständigem Widerstreite .
Häufig kam der Fall vor , daß Eltern ihre Söhne dem Edukationsrate nach kurzer Frist wieder wegnahmen , " weil sie bei ihm nichts lernten " , und der Rektor war schon verschiedentlich von der oberen Behörde scharf bedeutet worden , die Kräfte der Jugend weniger anzugreifen , und über das Studium der Alten nicht alles andere zu vernachlässigen .
Beide hatten aber beschlossen , fest zu beharren bei dem , was sie für wahr erkannten , beide fühlten sonach die Notwendigkeit , zu stets bereiter Polemik gerüstet zu sein .
Das Bedürfnis , sich in dieser zu üben , hatte die Gegner zueinander geführt , und da sie nebenbei joviale rechtschaffene Männer waren , so schlich sich unter allem Streit und Hader eine aufrichtige Freundschaft ein , die sich schon durch verschiedene wesentliche Dienste , welche einer dem anderen erwiesen , betätigt hatte .
Freilich konnte ein Dritter bei ihren Zusammenkünften , welche wöchentlich regelmäßig einige Male stattfanden , davon nichts merken , denn diese gingen nie ohne hitzige Wortgefechte ab .
Zwischen ihren Häusern hatte sich überhaupt ein förmlicher kleiner Krieg ausgebildet , und es war ein eigenes Idiom entstanden , welches dem Nichteingeweihten unverständlich war .
So hatte Hermann bei dem Edukationsrate von den Alten , und bei dem Rektor von den Ständen , wie von lebenden Personen reden hören , und erst durch einige Fragen herausgebracht , daß mit dem ersten Ausdrucke die Söhne des Rektors und mit dem zweiten die des Edukationsrats gemeint waren .
Die Gattin des letzteren tat sich viel auf den Einfall zugute , daß der Rektor alles Ernstes bedaure , seinen Hirten nicht Schweine hüten zu sehen , weil dieser in seiner gegenwärtigen Verfassung doch noch keine vollkommene Ähnlichkeit mit dem Homerischen Vorbilde zeige ; die Rektorin dagegen nannte ihre rüstige Freundin wegen des schon berührten Stabes nie anders als die speerschwingende Minerva .
Das Geschick hatte noch außerdem für Mehrung der Verwicklungen gesorgt .
Durch eine besondere Nemesis sah sich der Edukationsrat gezwungen , seinen Pastor , bei dem es denn doch nun einmal ohne Römer und Griechen nicht abgehen konnte , zu dem Widersacher auf das Gymnasium zu schicken .
Lange hatte er sich gesträubt ; der Knabe , welcher ohnehin keinen raschen Kopf hatte , war daher für seine Jahre zurückgeblieben und saß in einer unteren Klasse .
Diesen Umstand verfehlte der Rektor nicht bei Gelegenheit gehörig aufzustechen .
Im stillen hatte er sich vorgenommen , dem Pastor , sobald er nur erst die Rudimente hinter sich hätte , selbst alle mögliche Nachhülfe zu geben , ihn der Kanzel zu unterschlagen , aus ihm einen Philologen zu bilden , und so dem Gegner aus seinem eigenen Blute den Rächer an den verachteten Klassikern zu wecken .
Dagegen erlebte der Rektor nun wieder an seinen Knaben manches Leidwesen .
Ihnen war streng jeder Umgang mit den Söhnen des Edukationsrates untersagt worden , von welchen der Vater nur Zerstreuung und allerhand törichte Streiche besorgte .
Aber die Alten fühlten eine unbezwingliche Neigung zu den Ständen , die immer etwas Neues vorzuweisen und anzugeben hatten , und befriedigten dieselbe auf hundert und aber hundert Schleifwegen .
Gegenseitig wurden geheime Besuche abgestattet , denen der Edukationsrat mit stiller Schadenfreude nachsah , der Rektor dagegen durch einen Vorpostendienst , zu dem er sich selbst in Haus , Hof und Garten bequemen mußte , möglichst entgegenzutreten strebte .
Alles dieses störte indessen die Geselligkeit beider Familien nicht , und so war auch an dem Tage , von welchem hier die Rede ist , ein Abendessen im Garten des Rektors verabredet worden .
Der Fischer hatte der Rektorin einen großen Hecht , frisch aus dem Wasser gezogen , überbracht , welcher nicht allein verzehrt werden durfte .
Cornelie , welche das Lusthäuschen zum Empfang der Fremden ausschmückte , kam von ihrer Arbeit eilig zu Hermann und sagte leise zu ihm :
" Bringen Sie doch heute etwas auf , worüber kein Streit entstehen kann .
Ich weiß gar nicht , warum sie hier zusammenkommen , wenn sie immer miteinander Zwist haben wollen .
Es hört sich so unangenehm zu . "
Er ging und sann , wie er ihrem Gebote Folge leisten solle .
Als gegen die Zeit des Besuches der Rektor in das Lusthäuschen trat , sah ihm seine Gattin einige Verstimmung an .
" Wir bekommen noch einen Fremden , der mir nicht ganz gelegen ist " , sagte er " * übernachtet auf seiner Reise nach * in unserem Orte , und hat sich anmelden lassen .
Er ist mir als Feind meines teuren , hochverehrten Johann Heinrich , und weil er , der Gelehrte , mit Süßduft und Modeschwatz den Chevalier , equitem , spielen will , äußerst widerwärtig , dennoch habe ich ihn , heuchlerischer Weltsitte gemäß , die auch den Biederen zwingt , willkommen heißen müssen . "
" Spricht er denn noch deutsch , oder schon nichts als Sanskrit und Prakrit ? " fragte die Rektorin .
" Ich bitte dich , schweige .
Bilem moves , ich möchte unartig werden , wenn mir bei seinem Anblicke die indischen Ungeheuer einfielen . "
Der Rektor befand sich , wie er immer pflegte , wenn er nicht ausging oder Schule hielt , im Schlafrock und Pantoffeln .
Die Gattin ermahnte ihn , für heute , des fremden Gastes wegen , die bequeme Hauskleidung abzulegen , erhielt aber einen verneinenden Bescheid .
" Das fehlte noch " , rief er , " daß ich um des alten Gecken Willen , von ehrbarer Gewohnheit abweiche !
Nein , deus haec nobis otia fecit .
Wer mich nicht sehen will , wie ich bin intra privatos parietes , der bleibe haußen . "
Die Rektorin , welche bei aller Achtung und Liebe für ihren Mann dennoch einen Blick für seine kleinen Lächerlichkeiten hatte , und oft befürchtete , daß er dadurch den Spott Dritter über sich hervorrufen möchte , war über die Weigerung etwas verdrießlich .
Wie die Frauen sind , die gern im Angenehmen und Unangenehmen beharren , sie brachte gleich noch ein Zwietrachtsthema hervor .
" Ich weiß nicht , was heute einmal wieder mit unseren Kindern sein mag " , sagte sie .
" Sie lassen sich kaum blicken ; wenn ich einen sehe , so verkriecht er sich , oder macht ein sonderbares Gesicht .
Gewiß ist eine ausbündige Schelmerei und für uns ein tüchtiger Ärger unterwegs .
Wenn ich dich doch überreden könnte , den lauten Sprachunterricht einzustellen , damit ich sie wieder in das Haus nehmen dürfte .
In der Waschküche sind sie unserer Aufsicht entrückt , können tun , was sie wollen , und überdies habe ich jetzt mit der großen Wäsche wegen Mangels an Raum immer meine liebe Not . "
" Du häufest verkehrte Wünsche " , erwiderte der Gatte gehaltenen Tons .
" Den lauten Sprachunterricht einstellen , hieße , von einem obersten leitenden Grundsatze abweichen , und dieses wirst du deiner großen oder kleinen Wäsche wegen wohl im Ernste nicht von mir verlangen .
Was aber die heutige Unruhe der Knaben betrifft , so beruhige du dich darüber .
Es ist morgen die große Klassenversetzung , der Quintaner und Tertianer rücken auf , Quarta und Sekunda bleiben sitzen .
Praesentiunt , praesagiunt , spei timorisve pleni , das bringt sie so in Bewegung , und wenn du mehr Menschenkenntnis besäßest , so hättest du wohl den wahren Grund erraten können . "
Der letztere Vorwurf , mit welchem der Rektor , der sich für einen großen Menschenkenner hielt , gegen seine Gattin freigebig zu sein pflegte , traf sie empfindlich .
Sie bezwang sich indessen dieses Mal und fragte ihn nach einer Pause mit einer gewissen scharfen Freundlichkeit :
" Sage mir Väterchen , was hältst du von unserem Gastfreunde ? "
" Dieser Kandidat Schmidt hat leider mehr von der modernen ästhetischen als von der gründlich gelehrten Bildung abbekommen " , versetzte der Rektor .
" Wenn er sich mir anvertraute , so wollte ich ihm wohl nachhelfen , denn er ist ein gescheiter , offener Kopf .
Was sein Hiersein betrifft , so ist dieses nicht ohne geheime Absichten ; er will unter der Hand etwas durchsetzen . "
" Hast du das gemerkt ? " fragte die Rektorin , betroffen über den Scharfsinn ihres Manns .
" Freilich .
Er will etwas über den Eutrop edieren , wozu es denn nun an allen Ecken und Enden fehlt .
Da soll der Rektor vorspannen .
Deshalb bringt er das Gespräch einigermaßen in fastidium , beständig auf diesen Autor , und sucht mich auszuholen . "
Sie schöpfte Atem , im stillen überzeugt , daß , wenn sie auch in Nebensachen sich fügen müsse , ihr doch in den Hauptpunkten wohl die Herrschaft verbleiben werde .
Indem sie ging , noch allerhand häusliche Besorgungen vorzunehmen , konnte sie sich nicht enthalten , ihrem Gatten Zurückhaltung über den Eutrop gegen den Kandidaten Schmidt anzuempfehlen .
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Die beiden Ehepaare gewährten einen eigenen Anblick .
Der lange und hagre Rektor saß neben der großen Edukationsrätin , deren kleiner Ehegatte bei der kurzen Rektorin seinen Platz gefunden hatte .
Wenn man die verschiedenen Längen dieser Personen sich mit Linien umzogen dachte , so kam fast die Figur eines lateinischen Z heraus .
Das Gespräch war ziemlich einsilbig ; der junge Konrektor sah sich nach Wilhelmminen um , die abwesend war und das Mal bereiten half , Cornelie , welche Tee einschenkte , wartete ängstlich auf Hermann , der sich noch nicht hatte blicken lassen ; dem Rektor lag , wie man ihm deutlich ansah , etwas auf dem Herzen .
Nach einigen nichtsbedeutenden Reden und Gegenreden befreite er seine Brust .
" Ehe wir eins in das andere reden " , sagte er zum Edukationsrat , " erfordert es die Pflicht , Ihnen , werter Freund , eine Entdeckung zu machen .
Sie haben oft für gut gefunden , meine Warnungen zu verachten , die heutige darf deshalb doch nicht unterbleiben .
Ihre Söhne haben in der hiesigen Offizin die gefährlichsten Substanzen angekauft , Dinge , womit sie die Gesundheit , ja das Leben selbst in Schaden setzen können . "
" Ist mir schon bekannt " , versetzte der Edukationsrat sehr ruhig .
" Vitriolsäure , Eisenfeilspäne , Schwefel , Salpeter , nicht wahr ? der Naturforscher und der Baumeister wollen gemeinschaftlich damit einen künstlichen feuerspeienden Berg verfertigen , wozu sie die Anleitung in Wieglebs » Natürlicher Magie « gefunden haben .
Man wirft einen Erdhügel auf , setzt den Topf mit dem Gemische hinein , verbindet diesen Herd durch eine Kraterröhre mit der äußre Luft , verstopft die Mündung ; nach einigen Stunden ist die Gärung der Stoffe , die Entwicklung der Gasarten vollendet , der Propfen wird vom Krater hinweggezogen , und es gibt eine feurige Entladung , welche im kleinen die gewaltige Naturerscheinung recht artig darstellen soll .
Ich freue mich selbst auf das Gelingen dieses interessanten Experiments . "
" Quid ? " rief der Rektor .
" Ist es möglich ?
Freund , Sie stehen an einem Abgrunde , und werden , wenn Ihnen das Haus über dem Kopfe angezündet worden , oder einer Ihrer Knaben exanimis auf der Bahre liegt , vergebens beklagen , nicht gehört zu haben . "
" Die Natur " , sagte der andere , " verletzt nur den , der sich scheu vor ihr zurückzieht .
Dreiste Vertraulichkeit mit ihren Kräften zähmt sie .
Sitzen über den Büchern bildet Feiglinge , und es ist einer der gröbsten Irrtümer , die Alten , welche sich gerade durch ihr inniges Gefühl für die sie umgebende Welt auszeichneten , zu Werkzeugen einer solchen Verzärtelung zu machen . "
Hierauf setzte der Rektor die Pfeife in den Winkel und nahm eine starke Prise .
Die Abwechslung dieser Genüsse war für die Kundigen immer ein Vorzeichen des herannahenden Sturms .
Die Frauen legten die Strickzeuge weg , wie sie bei solcher Gelegenheit zu tun pflegten , um als aufmerksame Richterinnen dem Kampfe vorzusitzen .
Noch aber sollte durch die Erscheinung eines Dritten der Ausbruch verschoben werden .
Der Fremde , den wir von seiner Hauptbeschäftigung den Hindu nennen wollen , trat zur Gesellschaft .
Dieser Mann hatte so oft die Schwerfälligkeit deutscher Gelehrten verspotten hören , daß er sich vorsetzte , in seiner Person eine Ausnahme darzustellen .
Er trug sich ungeachtet seiner hohen Jahre noch wie der jüngste Modeherr , und hatte seine Manieren durchaus nach Pariser Mustern einzurichten sich bestrebt .
Als der Hindu den mitten in anständiger Gesellschaft in Schlafrock und Pantoffeln dasitzenden Rektor wahrnahm , geriet er außer Fassung , und starrte den Verstoß gegen die Sitte einige Sekunden lang an , bevor er die herkömmlichen Begrüßungen finden konnte .
Doch erholte er sich , streichelte mit leichter zärtlicher Handbewegung die Ordenszeichen , welche seine Knopflöcher zierten , und kam durch diese Berührung wieder zum Gefühle seiner selbst .
Es gelang ihm sofort , einige französische Epigramme vorzubringen , die niemand in diesem Kreise verstand , und darauf in den leichten Weltton zu fallen , den er so sehr innezuhaben glaubte .
Bald hatte er sich des Gesprächs bemeistert , und da er gehört , daß vornehme Personen nie von wichtigen Dingen , welche sie zunächst berühren , zu reden pflegen , so hielt er die Abschweifung zu gelehrten Diskussionen mit einiger Gewalt fern .
Er erzählte dafür lieber ausführlich das Abenteuer vom Verluste seiner goldenen Brille , welches , da diese Brille , wie er sagte , unersetzlich sei , und er weder eine silberne noch eine von Horn im Gesichte zu dulden vermöge , ihn zwinge , vorderhand unbewaffneten Auges umherzuwandeln , wodurch seiner Kurzsichtigkeit manches Mißverständnis bereitet werde .
Von dieser Kurzsichtigkeit , wenn es nicht Zerstreuung gewesen , legte er gleich einen auffallenden Beweis ab , der selbst dem Rektor , welcher sich sonst ziemlich mürrisch verhielt , ein Lächeln entlockte .
Der Fremde saß nämlich zwischen der Rektorin und Cornelien , und war der Pflichten seines Platzes , wie man merkte , vollkommen eingedenk .
Nur begegnete es ihm dabei , daß er die Rektorin für die Tochter und Cornelien für die Mutter ansah , denn er verwandte an jene galante Scherze , und behandelte diese mit achtungsvoller Kälte .
Man wurde ganz fröhlich ; die Männer suchten durch allerhand übertriebene Behauptungen die Stimmung des Fremden zu steigern , die Frauen teilten einander ihre Bemerkungen über seine Perücke und über die berühmte Spiegeldose mit , welche er von Zeit zu Zeit hervorzog , um sich verstohlen in Augenschein zu nehmen .
Cornelie war gegangen .
Hermann kam und brachte Weltneuigkeiten mit , die er auf dem Kaffeehause in den Zeitungen gefunden hatte , kurz der Abend schien sich zu einem allgemeinen Frieden anzulassen .
Unglücklicherweise erwähnte Hermann der Untersuchungen gegen demagogisches Unwesen , die mit besonderem Eifer gerade damals wieder aufgenommen worden waren .
Söhne angesehener Familien waren plötzlich verhaftet worden ; der Argwohn hatte seine Schatten in schon gegründete bürgerliche Verhältnisse geworfen .
Man beklagte den unglückseligen Schwindel der Jugend , welcher sie selbstmörderisch treibe , ihre ganze Heiterkeit und Frische sich so jämmerlich zu verderben .
Der Rektor nahm hiervon die Veranlassung zu bemerken , daß das ganze Unheil davon herrühre , daß in den neuesten Zeiten die eigentlich gelehrte Bildung vernachlässigt zu werden beginne .
" Die Beschäftigung mit den Alten " , sagte er , " drückt in die junge Seele das Bild eines vollkommenen in sich zusammenhängenden Lebens .
Ein einziger Vers des Horaz , eine Sentenz des Tacitus wirft über ganze Strecken ein mächtiges Licht .
Nennen Sie mir etwas , was gleich mit solcher Gewalt die Seele ausweitete , als die bloßen Namen :
Rom , Athen .
Nicht unpassend hat ein großer Dichter und Weiser gesagt , man fühle sich wie in einer Montgolfiere schwebend , sobald man Homer zur Hand nehme . "
" Die Gleichnisse hinken " , versetzte der Edukationsrat , " man könnte aber auch sagen :
sie sind Fackeln , die den Pfad dessen , der auf unrechten Wegen geht , erhellen .
Ja leider , leider , haben wir in der Luft geschwebt , seit Jahrhunderten in der Luft geschwebt , und es dürfte nicht schwer sein , nachzuweisen , daß auch die Fehltritte jener unglücklichen Jünglinge nur das Stolpern derer sind , die aus der Wolkenhöhe endlich wieder auf festem Grund und Boden sich niederlassen .
Dieses ganze politische Traumgebäude ist denn doch weiter nichts , als der Nachklang gewisser Schulbegriffe , die lange Zeit in den Auditorien eingesperrt , durch die unruhige Gegenwart an die Oberfläche des wirbelnden Tages geschleudert worden sind . "
" Die Schulbegriffe , wie Sie sie nennen gaben dem Leben der ersten Staatsmänner seinen Halt " , sagte der Rektor .
" An solchen Schulbegriffen haben der große Chatham und sein großer Sohn sich auferbaut ; Cannings Reden sind voll von klassischen Zitaten . "
" Weshalb man auch sagt , daß sie nach dem Schimmel riechen " , fiel der Edukationsrat ein .
" Überhaupt meine ich , daß ein ganz anderer Einfluß , als den Sie beide im Auge haben , bevorsteht " , hob der Hindu mit einer gewissen graziösen Feierlichkeit an .
" Ich darf wohl sagen , daß ich das klassische Altertum kenne , ich war der erste , der die Mangelhaftigkeit des Vossischen Hexameters aufdeckte ; ich habe es vorausgesagt , daß die reinen Trochäen in diesem Metro auch ganz verworfen werden würden , und ich denke , daß der Vers :
Wieder zur Ebene rollte der frech sich empörende Steinblock ein wenig besser klingt als das : Donnergepolter des tückischen Marmors über welches wir , sobald es durch Germanien zu poltern begann , gleich unsere herzliche Freude hatten .
Nachmals , als ich das Glück hatte , jener Frau anzugehören , die , man kann wohl sagen , eines europäischen Rufes genoß , machte ich sie oft zu lachen , wenn ich ihr den fraglichen Vers zum Beweise für den Wohllaut unserer Sprache vorsagte , sie versuchte ihn dann nachzusprechen , kam aber nie damit zustande , besonders machte ihr jenes so kraftvoll gebildete Wort , worin sozusagen , der große Philologe , Dichter und Kämpe für Wahrheit und Recht sich völlig inkarniert zeigt , viele Schwierigkeit ; sie sprach es immer à la française aus , etwa so : Tonnere guepoltere , und vergebens war meine ganze Didaskalie .
Ich weiß nicht , ob Sie aus jener Zeit mein Epigramm auf Napoleon kennen , welches ich machte , als Canova seine Statue verfertigte .
Dieses Witzwort hatte einer meiner amerikanischen Freunde gehört , und ließ es in der » Baltimorer Zeitung « abdrucken , von wo es denn wieder dem Tyrannen zu Ohren kam ; daher sein Haß auf mich , der mich etwas in den Bemühungen störte , die ich dazumal noch immer dem » Tristan « zugewendet hatte .
Ich habe zuerst auf dieses Gedicht hingewiesen , worin süße Frische , Lüsternheit und Unschuld den Becher mit bezauberndem Getränk füllen , unerwartet fand ich vor einigen Monaten eine dritte , weder von Ulrich noch von Heinrich herrührende Fortsetzung , deren Verfasser ich noch nicht habe entziffern können ; es ist sehr leicht , bei diesem Gedichte an Ariosst zu denken , aber welch ein Abstand ! "
Er war hierauf im Begriff , das erste Buch des Ariosst auswendig herzusagen , als man ihn erinnerte , daß er von einem Einflusse haben reden wollen , der die Alten verdrängen werde .
Er besann sich , und führte nicht ohne Beredsamkeit aus , daß in dem mit so regem Eifer erwachten Studium des Orientalischen sich die gemeinte Wirkung anzudeuten scheine .
" Die Modernen sind einmal Aneigner und Verarbeiter " , sagte er .
" Seitdem Petrarca sein Gedicht » Afrika « schrieb und es über die süßen Reime stellte , die ihn unsterblich gemacht haben , ist nun ein halbes Jahrtausend verflossen .
Mich dünkt , es wird Zeit , sich nach einem anderen Kompendium umzusehen , und welches Füllhorn neuer Begriffe , wunderbarer Anschauungen öffnet uns der Orient !
Ich arbeite an einem Werke über die Elefanten und über die Bedeutung dieses Tiers in den Epen vom Ganges .
Der » Mahabharata « , der » Ramayana « , der » Brahma-Purana « ... "
" Quousque tandem ... " murrte der Rektor .
" Ich kann über diese Dinge nicht gelehrt mitsprechen , weil ich sie nur aus Exzerpten und Rezensionen kenne .
Aber was darin steht , macht mich nach dem übrigen nicht lüstern .
Monstrum informe , ingens , cui lumen ademtum !
Ich glaube , daß der Inhalt jener Gedichte , alle die Tiger , Affen , Gänse , Gazellen , die ungeheuerlichen Büßungen , welche eintreten , wenn einer ausspuckt , oder sonst etwas Natürliches verrichtet , wo er es nicht soll , weil irgendein Ölgötze mit Schweinsrüssel im Tulpenkelch sitzend , dies nicht leiden kann , daß , sage ich , alle diese riesenhaften Puerilien der Welt nicht so viel Licht geben , als der letzte der Klassiker in einer schlechten Waisenhauser Ausgabe ihr geschenkt hat .
Übrigens wird das alles auch nur dicis causa traktiert , ich weiß es wohl , und im Grunde ist_es verkappter Katholizismus , der mit uraltem Bonzen-und Pfafftume eingeschwärzt werden soll .
Aber : Dumm machen lassen wir uns nicht , Wir wissen , daß wir es werden sollen ! "
Diese sonderbare Grille des Rektors gab nun Veranlassung zu noch heftigeren Debatten , in welchen der Hindu zuletzt den begeisterten Anhänger der evangelischen Lehre spielte , obgleich er , wenn wir die Wahrheit gestehen sollen , gleich Falstaff vergessen hatte , wie das Inwendige einer Kirche aussieht .
Die ausschweifendsten Dinge wurden infolge dieses Streites behauptet , der sich denn doch bald wieder auf die Jugend und ihre Führung zurückwandte .
Der Konrektor war inzwischen eingetreten , und brachte die vierte Stimme zu diesem Hausund Gesellschaftskonzerte .
Die beiden Alten , der Rektor und der Edukationsrat , wiederholten fast mit denselben Worten ihr Thema ; dazwischen wogten Persien und Indien , Nibelungen und Parzival .
Es blieb sonach unentschieden , ob das heranwachsende Geschlecht gen Latium oder Delhi geführt werden , ob es an Minne und Ritterkampf sich auferbauen , oder in früher bürgerlicher Hantierung erstarken solle , denn jede Meinung hatte einen kräftigen Verfechter , dem es nicht an triftigen Gründen fehlte .
Plötzlich rief die Edukationsrätin mit ihrer Stentorstimme :
" Was ist das ?
Es riecht nach Schwefel ! "
Alles schwieg .
Der Gestank war nicht zu verkennen , zugleich hörte man ein sonderbares , aus Zischen , Wimmern und Heulen zusammengesetztes Geräusch ganz in der Nähe des Gartenhäuschens .
Indem man noch verwundert und erschreckt über dieses Abenteuer sprach , stürzte eine Magd mit dem Rufe herein :
" Kommen Sie um Gottes Willen !
Die Jungen sind alle verbrannt ! "
Bestürzt folgten ihr die Streitenden , Hermann , die beiden Frauen .
Nur der Hindu blieb zurück .
Er nahm sich vor , diesen Augenblick zu seinem Abzuge zu benutzen ; denn es mißfiel ihm höchlich hier .
Er tappte also durch die Dunkelheit nach seinem Wirtshause .
Unterwegs fielen ihm einige Epigramme auf die Rustizität der deutschen Gelehrten ein , die nachmals auch der Welt bekannt geworden sind .
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Die Magd führte die anderen nach dem wüssten Plätzchen zwischen den Scheunen .
Ein dicker Qualm drang ihnen entgegen , und es dauerte einige Minuten , ehe man recht wahrnehmen konnte , was sich dort begab .
Endlich unterschied das Auge bei dem Scheine eines wilden roten Feuers die Gegenstände .
Ein sprühender Strahl drang gewaltsam aus der Erde , zwei Knaben des Rektors lagen wehklagend am Boden , die anderen und die Söhne des Edukationsrats standen verlegen umher .
Hermann suchte das Feuer mit einem Spaten auszuschlagen , machte aber die Sache nur noch ärger ; das gereizte Element zischte in springenden Funken umher und versengte die Kleider der Anwesenden .
Er mußte den Spaten wegwerfen , und die Naturkraft gewähren lassen .
Indessen zog der Rektor von der Magd Erkundigung ein , welche diese zögernd gab , da sie sich auch halb schuldig fühlte .
Die Knaben des Edukationsrats hatten die des Rektors zur Bereitung eines feuerspeienden Bergs zu überreden gewußt , die Magd hatte allerhand Geräte dazu hergegeben .
Unvorsichtig war von einem zu früh der Pfropfen aus der Röhre gezogen worden , während zwei sich darüberhin gebogen hielten , die denn den ganzen feurigen Schuß ins Antlitz bekommen hatten .
Das Auge müsse wenigstens weg sein , sagte die Person , nach Art solcher Leute im Unglück noch übertreibend .
Der Rektor nahm sich kaum die Zeit , diese Erzählung vollständig zu hören .
Rasch ergriff er einen Stecken und eilte , von seinem Grimme übermannt , auf die bestürzte Gruppe der Knaben zu .
Diese benahmen sich bei dem Anblicke der herannahenden Gefahr auf sehr verschiedene Weise .
Denn während die Stände , als sie den Stecken und den Rektor sahen , zu lauter Füßen wurden , mit katzengleicher Behendigkeit eine niedrige Scheidemauer überklimmend und entrinnend , blieben die Alten , von Schreck gefesselt , stehen und erwarteten das Schicksal .
Die Geschichte meldet hierauf von mehreren ausgeteilten und empfangenen Streichen .
Indessen war das vulkanische Feuer verglüht , der Konrektor hatte eine Laterne herbeigeholt und auf die Stätte dieses Ereignisses niedergesetzt .
Er und Hermann beluden sich mit den Verwundeten , die Frauen folgten , die Geschlagenen schlichen hinterher .
Der Rektor wollte ohne Wort und Gruß nachgehn ; der Edukationsrat hielt ihn aber beim Arme zurück , und hob folgende Rede an :
" Wahrheit , mein Freund , in allen Verhältnissen , unter jeder Bedingung !
Das ist meine Maxime .
Ich kann , ich werde sie auch heute Ihnen nicht verschweigen ; ja , dieses unglückliche Ereignis mahnt nur um so dringender , rückhaltlos mich auszusprechen , als es Sie zunächst am empfindlichsten berührt hat .
Sie erfahren heute an einem schlagenden Beispiele , wohin die Richtung , welcher Sie mit starrer Konsequenz sich und andere eigneten , führt .
Harmonie , Zusammenhäng gebe der Seele das klassische Altertum ?
Ich sehe wenig von diesen schönen Eigenschaften an einem steckenbewaffneten zornigen Manne . "
Hier warf der Rektor den Stecken heftig fort , und wollte abermals gehen .
Der andere hielt ihn aber mit beiden Händen fest , und sprach also weiter :
" Sie sollen und müssen mich aufhören ; nicht sobald wird sich wieder eine gleichgünstige Gelegenheit ergeben .
Wenig Besinnung verrät es schon , fremde Kinder in Gegenwart des Vaters körperlich abstrafen zu wollen .
Das überläßt man diesem wohl in jedem Falle , der eine so traurige Notwendigkeit erfordern sollte .
Nun aber , wie weiter ?
Der Gegenstand Ihrer Leidenschaft wird Ihnen entrückt , da fallen Sie völlig blind und unfrei diejenigen an , welche doch in Ihrem Sinne nur die Verleiteten , Schwachen sind .
Allerdings erinnert dieser letzte Zug an ein klassisches Muster , nämlich an den rasenden Ajax , wie er anstatt der Atriden die Schafe geißelt !
Wer aber bei allem diesem Gebaren noch jenen spiritum Grajae tenuem Camenae säuseln hört , der hat schärfere Sinne als ich .
Kommen wir nun auf unsere Zöglinge selbst !
Denn » an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen « , heißt es hier mit vollem Rechte .
Unverletzt sind meine Söhne .
Sie hüten sich wohl , ihre Nase über einen gärenden Feuerbrodel zu halten , was wirklich nur abgestumpften , auf der Sitzbank vennüfften Geschöpfen begegnen kann .
Diese warten denn auch ruhig die ungerechte Züchtigung ab , während meine gewitzigten , frühpraktischen Gesellen , rasch wie die Hirsche , zu entrinnen wissen .
Das kommt vom Vertrautsein mit allen vier Elementen .
Sie haben selbst gesehen , mit welcher Schnelligkeit sie sich über die Mauer schwangen .
Lassen Sie also , mein Freund , von einem Systeme , welches Ihnen und den Ihnen Angehörigen Welt und Leben verbaut .
Nie ist es zu spät , zum Richtigen umzukehren . "
" Doch ist es zu spät , die Fortsetzung dieser Moralien zu vernehmen " , sagte der Rektor mit schneidender Kälte .
" Rechnen Sie es meinem Erstaunen zu , daß ich bis jetzt geduldig dem mein Ohr lieh , womit Sie einen Vater , dem die Kinder verbrannt sind , besprechen wollen .
Apage !
Das ist das letzte Wort zwischen uns .
Wir sind Geschiedene Leute .
So ist es beschlossen .
Staat alta mente repostum ! "
- Er nahm die Laterne auf und ging .
Der Edukationsrat blieb im Dunkel zwischen den Scheunen stehen .
Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Im Hause hatten unterdessen die Frauen und die jungen Leute um die Verletzten Sorge getragen .
Nachdem Gesichter und Hände mit einem Schwamme gereinigt worden waren , sah man , daß der Schreck das Schlimmste gewesen sei .
Außer versengten Augenbrauen und Haaren ließ sich kein Schaden erspähn .
Die Rektorin schickte die Patienten zu Bett , die gleich den übrigen Knaben ganz verdutzt waren und kein Wort sprachen .
Sie verbot ausdrücklich , den Arzt zu holen .
Kaltes Wasser werde hier vollkommen genügen .
Als man sich zu Tisch setzte , stieß sie einen Seufzer über die leerbleibenden Plätze aus .
Ihr Mann hatte sich eingeschlossen und wollte nichts essen , die Edukationsrätin war denn doch auch fortgegangen .
Der Konrektor , welcher nach Art junger Schulleute zuweilen von auffallenden Grillen geplagt wurde , nahm sich plötzlich eine willkürliche Eifersucht auf Hermann zu Kopfe , der an niemand weniger dachte , als an Wilhelmminen ; genug aber , er war eifersüchtig und entfernte sich mit verdrießlichen Blicken , worauf Wilhelmine um die Erlaubnis bat , bei den kranken Knaben bleiben zu dürfen .
So war aus einer Gesellschaft von neun Personen eine von drei geworden , die durch weite Zwischenräume getrennt , an dem beträchtlichen Tische Platz nahm .
Ein großmächtiger Hecht wurde aufgetragen , welcher der Rektorin neue Sorge machte , wie er von so wenigen Personen verspeiset werden solle .
Dieser Bekümmernis war indessen abzuhelfen , denn die beiden Patienten ließen durch Wilhelmminen um ein Stück Fisch bitten , da sie außerordentlich hungrig seien .
Nach dem Essen blieb Hermann mit der Rektorin allein .
" Das übelste wäre , wenn der einfältige Vesuv Feindschaft stiftete " , sagte sie .
" Das darf nicht sein .
Zwar ist der Edukationsrat ein Narr und hat meinen Alten ungeschickt behandelt , aber das Leben währt zu kurz , um nachzutragen .
Also muß ich Versöhnung stiften und dazu sollen Sie den Mittelsmann machen .
Sie gehen morgen in der Frühe zum Rat , und lassen fallen , mein Mann habe die ganze Nacht vor Schmerz über die Zwistigkeit kein Auge schließen können .
Dann sagen Sie dasselbe vom Rat bei meinem Alten , und ich wette , sie sind noch vor Abend wieder gute Freunde .
Man kann die Menschen aufeinanderlügen , aber glauben Sie mir , man kann sie auch ebenso leicht zusammenlügen .
Das erste ist nicht meine Sache , das zweite darf man sich schon erlauben . "
Als Hermann einwenden wollte , er werde die aufgetragene Rolle nicht geschickt genug spielen , lachte ihm die Rektorin in das Gesicht .
" Versuchen Sie es nur immerhin " , rief sie ; " Sie Neuling in solchen Händeln ! "
Die Verlegenheit , welche er nach den ersten derartigen Worten der kurz angebundenen Frau in ihrer Gegenwart nicht mehr besiegen konnte , wuchs , und erreichte ihren Gipfel , als ihm jetzt ein Zettel des Rektors gebracht wurde , worin dieser ihn bat , morgen anstatt seiner mit den Primanern den Sophokles zu lesen , da er sich zu unwohl fühle , um die Lektion abhalten zu können .
Gott weiß es , Hermann verstand zu wenig Griechisch , um einem solchen Ansinnen gewachsen zu sein .
Er reichte der Rektorin mechanisch den Zettel hin , die ihn lächelnd überlas , und dann sagte : " Herr Schmidt , setzen wir uns !
Sie spielen Komödie mit uns , das ist nicht fein ; Sie sind darob in Ungelegenheit geraten , das macht mich geneigt , Ihnen zu helfen .
Wozu dienen nur diese Winkelzüge ?
Warum kommen Sie , trotz ehrlicher Absichten , welche ich doch bei Ihnen voraussetzen muß , mit einem fremden Namen , wie der Betrüger Sinon in unser Haus ?
Sie sind nicht der Kandidat Schmidt aus Leipzig , Sie heißen Hermann und wollen Kornelchen heiraten . "
Hermann wußte vor Bestürzung nicht , wo er bleiben sollte .
" Ich bitte Sie wegen dieses Streichs tausendmal um Vergebung ...
Ich habe nichts Schlimmes im Sinne ...
Aber Sie irren sich ...
Es war nur dem Flämmchen zuliebe ... " stotterte er .
" Ach was Flämmchen ! " rief die Rektorin eifrig .
" Ein Feuer , welches den Herrn fünfzehn Meilen weit dahertreibt , kann wohl eine Flamme heißen .
Aber Ihr Benehmen ist für meinen schwachen Verstand zu spitz .
Das arme Kind so in Verlegenheit zu setzen , das heißt einem jungen Herzen für seine unschuldige Neigung übel lohnen . "
" Verlegenheit ?
Herz ?
Neigung ?
Liebt Cornelie mich ? "
" Sollten Sie das nicht wissen ?
Sollten Sie ein Mischling sein von Schlauheit und Kindersinn , der nichts merkt ?
Nun ja , der Herr hat in jener Waldhütte ein Unheil angerichtet , er erschien dem armen Dinge wie ein Helfer und Heiland , und da er so ziemlich wohl gewachsen ist , ein Paar feurige Augen im Kopfe hat , und seine Worte sanft zu setzen weiß , so wurde das Geschöpfchen danach ganz still und schwermütig , seufzte , und ... ach es ist eine alberne Kindergeschichte , und recht töricht von mir , daß ich das alles Ihnen so gutmütig hererzähle . "
" Fahren Sie fort , beste Frau " , rief Hermann .
" Ich schwöre Ihnen bei Gott , ich bin aller dieser Dinge unkundig , aber Sie schenken Ihr Vertrauen keinem Bösartigen .
Warum ist Cornelie hier ? "
" Das ist ja eben das Tollste .
Heutzutage fangen die Menschen früh an zu leben , Gott weiß , wie früh sie aufhören werden , wenn das so fortgeht .
Die Kinder haben jetzt Leidenschaften , welche sich sonst erst mit dem zwanzigsten Jahre einstellten .
Kurz , Ihr Vetter Ferdinand hat , ohne es zu wissen , sein Pflegeschwesterchen geliebt , als Sie , der Störenfried dazwischentraten , und nun ergriff den Jungen , den mein Alter vermutlich noch nicht nach Sekunda setzen würde , eine unbändige Eifersucht , die zu den ärgsten Dingen geführt haben muß , wiewohl Ihre Tante mir darüber nichts Näheres geschrieben hat .
Aber wie ich aus abgebrochenen Reden Corneliens schließe , so hatte der Knabe einmal gegen sie ein Messer erhoben .
Die Eltern sahen sich genötigt , das Mädchen auf einige Zeit zu entfernen , bis sich weiterer Rat finden wird . "
" Sie haben mir Ereignisse mitgeteilt , welche ich nicht von fern ahnen konnte " , sagte Hermann nach einigem Schweigen .
" Nur ein sonderbarer Zufall hat dieses Zusammentreffen mit Cornelien herbeigeführt .
Doch warum nenne ich Zufall , was vielleicht die höchste , die heiligste Schickung meines Lebens ist ? "
Er berichtete ihr hierauf den Zusammenhäng der Sachen , und da er die Wahrheit sprach , so mußte er Glauben finden .
Die Rektorin schien sehr verdrießlich über diese Entdeckung zu sein , und kündigte ihm , offen , wie sie in allem war , an , daß er am besten tun werde , morgenden Tages abzureisen .
Aber Hermann fühlte , daß für ihn zu Wichtiges auf dem Spiele stehe , um die nächsten Entscheidungen durch Empfindlichkeit zu verscherzen .
Er bezwang sich , wußte der Rektorin so viel Kindlich-Schmeichelndes zu sagen , bat so dringend , ihm doch nur Zeit zu lassen , daß er sich besinnen , zu dem entschließen könne , wovon vielleicht sein ganzes Glück abhange , daß er weniger liebenswürdig hätte sein müssen , um eine alte Frau nicht umzustimmen .
Mit einem derben Schlage auf die Schulter , ärgerlichen Worte aber freundlichen Gesichte verließ sie ihn .
Als er allein war , warf er sich in einen Lehnstuhl , und ließ seiner inneren Bewegung Raum .
Aus dem formlosen Gedränge wunderbarer Vorstellungen entwickelte sich endlich ein lieblich-entzückendes Bild , mit dessen Ausmalung er noch beschäftigt war , als Cornelie , das Nachtlicht in der Hand , ins Zimmer trat .
Er saß in einer beschatteten Ecke , so daß sie ihn nicht bemerkte .
Was er schon am Tage nach jeder Beschäftigung , sie mochte noch so reinlich sein , von ihr gesehen hatte , sie tat es auch jetzt .
Den Hahn des Wasserkränchens am Fenster aufdrehend , netzte sie ihre Finger und trocknete sie dann sorgfältig ab .
Es war Hermann , als ob eine leichte Röte ihre Augenwimpern säume , da sie zufällig das volle Antlitz nach der Seite wandte , wo er sich befand .
Sie prüfte Fenster und Läden , ob sie verschlossen seien , hing die Schlüsseln in das Wandschränkchen und entfernte sich .
Hermann war , wie in zwei Hälften geteilt .
Die sichtliche Erscheinung hatte das Bild , womit er beschäftigt gewesen war , zerstört ; sie war anders , als jenes .
Er wußte unter beiden nicht zu wählen .
Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel In jedem Hause , besonders in bürgerlichen , wo ein enges Zusammensein manche Reibung erzeugt , sammelt sich von Zeit zu Zeit allerhand Gärstoff , der denn zu Ausbrüchen des Verdrusses zwischen den Ehegatten oder den Eltern und Kindern notwendigerweise führen muß .
Dann wird wieder Friede geschlossen , den alle Teile für einen ewigen halten , obgleich die Verhältnisse bleiben , wie sie sind .
Am besten ist es , wenn jener Gärstoff , durch eine Berührung von außen entzündet , sich nach außen entladen kann .
Auch unter dem Dache des Rektors hatten verschiedene Meinungen über Häusliches , Kindererziehung und dergleichen ein gewisses Mißbehagen hervorgebracht , welches freilich dem Fremden nicht gleich sichtbar wurde .
Dazu kam die Angelegenheit mit der Todeserklärung des verschollenen Sohns und das Verhältnis Wilhelminens zum Konrektor , welches Mann und Frau nicht mit denselben Augen ansah .
Letztere , wie alle Frauen , Anhängerin der Natur , wollte die Verbindung , ersterer , sein System über jede menschliche Beziehung setzend , gönnte dem mittelalterlichen Jünglinge nichts , am wenigsten ein Frauenzimmer , woran er selbst einen fast väterlichen Anteil nahm .
Nun waren durch den feuerspeienden Berg und den Zwist der beiden Familienhäupter alle verborgenen Fermente entbunden und aufgezehrt worden .
Es bedurfte der Unterhandlungen , welche die Rektorin in Hermanns Hand hatte legen wollen , nicht einmal , um die Versöhnung herbeizuführen .
Am frühen Morgen war nach vorausgesandtem herzlichen Schreiben der Edukationsrat zum Rektor gekommen , und hatte aufrichtig um Verzeihung gebeten , die ihm denn auch mit einem lateinischen Verse gewährt worden war .
Der Rektor fühlte sich hierauf hergestellt , und hielt wohlgemut seine griechische Stunde ab , so daß unser Freund vor den Schülern nicht zuschanden zu werden brauchte .
Eine große Heiterkeit verbreitete sich über das Haus , man erwies einander kleine Aufmerksamkeiten , verhielt sich über die streitigen Punkte schonender und nur die Kinder wurden , wie zuweilen die Völker , die Opfer dieses Friedensschlusses ; man nahm sie nämlich von beiden Seiten unter die geschärfteste Aufsicht , um die Gelegenheit zu neuem Hader zu vermeiden .
Hermann waren von der Rektorin , die gern in allen Stücken Fristen festsetzte , drei Tage des Verweilens zugestanden worden .
Er war viel außer dem Hause , hatte Bekanntschaft mit dem Konrektor gemacht , welcher wieder von seinem Verdachte zurückgekommen war , ließ sich alte Sagen erzählen , und suchte sich auf alle Weise zu zerstreun .
Die Eröffnungen seiner Wirtin hatten ihn in eine gespannte , peinlich-süße Lage versetzt .
Der unvermutete Anblick einer weiblichen Neigung hat , wir dürfen uns des Ausdrucks bedienen , etwas Erschreckendes .
Die Natur , welche verlangt , daß des Manns Gefühl , ausgesprochen , erst jene Blüte hervorrufen soll , kehrt sich in einem solchen Falle um , aber , anstatt den Greuel zu enthüllen , deckt sie das verborgene Schöne auf .
Was Wunder , wenn dann die Sinne des Anschauenden in Wonne und Graus durcheinanderschwanken !
Hermann fragte sich hundertmal des Tages über sein Herz aus ; es wollte ihm keine Antwort geben .
Was vorher so nahegelegen hatte , schien nun durch Entdeckungen , die es noch näher bringen sollten , weit , weithin entrückt zu sein .
Er fühlte ein Bedürfnis , beständig um Cornelien zu sein , und wenn er sie sah , so wich er ihr doch lieber aus .
Seine Unruhe wurde durch die ihrige noch vermehrt , sie war , wenn sie mit ihm zusammen sein mußte , augenscheinlich verlegen , ja traurig .
Die Rektorin schien sich um beide nicht zu bekümmern .
Ein geringfügiger Umstand entschied endlich seine Empfindung .
Auf einer Kommode sah er Schreibbücher liegen , auf denen Corneliens Name stand .
Er öffnete eins ; in scharfen und doch unsicheren Zügen waren allerhand Sprüche und Vorschriften kopiert , am häufigsten der Satz :
" Wer zu rasch nach dem Ziele läuft , bricht unterwegs den Fuß . "
Draußen hörte er ein Geräusch und sah , durchs Fenster blickend , die Knaben des Rektors mit Cornelien im Garten Haschen spielen .
Eine Kälte , die ihm wohltat , breitete sich durch seine Brust .
" Sie ist noch ein Kind " , sagte er für sich .
" Mein Verhältnis zu ihr wäre gemacht , unnatürlich , erzwungen .
Das beste wird sein , zu schweigen und zu reisen . "
Er war ein paar Straßen auf und ab gegangen , um seinen Vorsatz recht reif zu denken , als ihm zunächst dem Tore der Hirte begegnete .
" Bester Herr " , rief dieser , " wie gut , daß ich Sie treffe !
Wenn es Ihnen nichts verschlägt , so kommen Sie auf ein Stündchen hinaus .
Ich glaube .
Sie könnten da durch Zureden etwas Gutes stiften . "
" Was ist , Alter ? " fragte Hermann .
" Lieber Gott , der Fremde mit dem großen Hute , den Sie bei mir gesehen haben , und der seinen Namen durchaus nicht nennen will , macht mir viel Not .
Seine wenigen Groschen sind aufgezehrt , nun wollte ich ihm gern noch weiter borgen , aber er will fort , und wenn ich ihn frage , wohin ?
so zuckt er die Achseln und macht so sonderbare Gebärden , daß mir Angst und bange wird . "
" Habt Ihr keine Vermutung , wer er ist ? "
" Ach " , sagte der Hirte , " Vermutung genug , im Grunde weiß ich es wohl schon .
Ich habe ein Historienbuch , das lese ich des Winters richtig durch , darin steht ein großer Vogel abgemalt , der steckt seinen Kopf weg , und meint , dann sehe ihn niemand .
So ist_es mit dem Unglücke , es meint , wenn es nur den Kopf verberge , werde es für jedermann unsichtbar .
Aber im Gegenteil , dann merkt man erst , wie der Hase läuft . "
" Ihr hättet ihn sollen vermögen , zum Rektor zu gehen " ; sagte Hermann .
" Habe ich es denn nicht vom Morgen bis zum Abend versucht ? " rief der Hirte .
" Aber dann fährt er mich an und brummt :
was er bei dem Rektor solle ? und hinterher stürzen ihm die Tränen aus den Augen .
Ich sage es ja immer , das Vieh ist vernünftiger als die Menschen , da schreit doch jedes Zicklein , wenn es sich verloren hat , nach seiner Alten , und läuft zu ihr , wenn es sie wieder erblickt . "
" Was wolltet Ihr denn jetzt hier in der Stadt ? " fragte Hermann .
" Den alten Leuten die Sache ansagen " , erwiderte der Hirte .
" Aber unterwegs fiel mir ein , ich könne mich doch irren und nur unnütze Freude verursachen , oder wenn es auch richtig sei , so brächte ich es doch vielleicht nicht auf die rechte Art an , und kurz , es ist mir lieb , daß ich Sie gefunden habe ; Sie werden wohl eher hierin Bescheid wissen . "
Hermann war gern bereit , mit dem Hirten nach seiner Hütte zu gehen .
Vor dem Tore kam der Konrektor auf seinem gewöhnlichen Abendspaziergange daher geschritten ; leider durfte Hermann seine Begleitung nicht ablehnen , um kein Aufsehn zu erregen .
Er dachte noch darüber nach , wie er sich von ihm wieder losmachen solle , als sie schon vor dem Hirtenhause anlangten .
Der Fremde saß auf der Bank unter den Birken , wieder , wie früher , den breitkrempigen Hut tief in das Gesicht gedrückt .
Als er Menschen kommen sah , wollte er aufstehen , und sich in die Hütte begeben .
" Bleiben Sie " , sagte der Konrektor , " wir müssen sonst auch vorübergehen , und wir wollten uns gern hier ein wenig ausruhn . "
" Meine Nähe kann niemand erfreulich sein " , erwiderte der Fremde .
" Sie sollten uns etwas von Ihren Abenteuern erzählen " , sagte der Schulmann .
" Was hat Sie so lange in Spanien zurückgehalten ?
Warum kehrten Sie nicht gleich nach den Friedensschlüssen heim ?
Es muß eine wunderbare Empfindung für Sie sein , das Land , welches Sie unter dem Faustdrucke des Despotismus betäubt verließen , nun verjüngt , im fröhlichen Regen aller Kräfte wiederzusehn . "
" Mein Herr " , versetzte der Fremde , " ich weiß von dieser wunderbaren Empfindung , wie Sie sich ausdrücken , wenig zu sagen .
Ich hörte überall nur , wo ich einkehrte , wie ehedem , über die schlechten Zeiten klagen . "
" Das ist der Widerhall von dem Liede der Demagogen " , antwortete der Konrektor kaltblütig , indem er sich mit Behaglichkeit zurechtsetzte und seine Pfeife anzündete ; denn er rauchte , wie der Rektor , außer den Schulstunden fast beständig .
- " Wir sind Deutsche worden , treu , fromm , guter Art , in aller löblichen Kunst und Wissenschaft fleißig .
Welch ein Abstand zwischen Sonst und Jetzt !
Es gibt wirklich Erscheinungen in der Menschenwelt , die einem das , was die Sagas von Zauber und Verblendung melden , ganz glaublich und natürlich darstellen .
Wie wäre es ohne einen solchen Zauber gedenkbar , daß ein kleiner , unansehnlicher Mensch , dem die Tücke aus den Augen blickte , von einer altberüchtigten Insel her , die Menschen , Völker , Fürsten auf seine Seite bringen konnte , obgleich ein jeder wußte , daß er von ihm hintergangen werde . "
Hermann erinnerte halblaut den anderen , daß dieses Gespräch dem Fremden schwerlich angenehm sein werde , jener aber war im Eifer , ließ sich nicht stören und rief : " Wer deutsche Luft atmet , muß deutsch Wort vernehmen können .
Wer an seinem Vaterlande , dem Erobrer zuliebe , ein Verräter werden konnte , muß sich jetzt selbst seines Irrtums schämen , blieb noch ein Funken richtigen Gefühls in ihm . "
Der Fremde rückte unruhig hin und her und rief :
" Mein Herr , es ist leicht , hinterher zu richten !
Vaterland !
Wir sind beide nicht alt genug , um viel von der Zeit zu wissen , die jener Periode vorherging , welche Sie die verblendete zu nennen belieben .
Doch scheinen Sie noch jünger zu sein , als ich .
Vaterland !
Ich erinnre mich , daß man an das Vaterland nur dachte , wenn die Soldaten Gassen laufen mußten , wenn die Akzisebeamten am Tore visitierten , oder wenn der Edelmann dem Bürgerlichen vorgezogen wurde .
Sicherlich hat man in der Verbannung , im Elende Zeit genug , Jugendträume , die in bittere Wirklichkeit ausgingen , zu beweinen , aber glauben Sie mir , der Zauber , den die Größe ausübt , ist noch nicht der schlimmste !
Wir sind die Geschlagenen , die Besiegten !
Nun gut , so lasse man uns .
Aber man denke nur nicht , daß man selbst so ganz und gar in neuen Häuten lebe .
Ich komme aus der Fremde , bin unbekannt mit den jetzigen Verhältnissen , aber ich meine immer , nach einer großen Tyrannei kann nichts anderes , als die Tyrannei der Kleinen oder ein wildes Getreibe befreiter Knechte folgen . "
" Das spricht ein ... " versetzte der Konrektor .
" Aber freilich sind für manche Menschen die Zeiten schlecht , denn die Landläufer haben keine Hoffnung mehr .
Glück zu machen . "
" Landläufer ! " rief der Fremde außer sich , sprang auf den Konrektor zu , gab ihm einen Faustschlag , daß er zu Boden stürzte , schlug sich dann , als ob er diesen Ausbruch bereue , heftig an die Stirn , und stürzte in die Hütte .
Hermann , obgleich erschreckt von dem Vorgefallenen , konnte den Konrektor kaum bedauern , überließ ihn dem Hirten , und folgte dem Zornigen .
Diesen fand er eifrig beschäftigt , sein Bündelchen zu schnüren , wobei er einmal über das andere ausrief :
" Ich muß fort , weit , weit , bis ans Ende der Welt ! "
" Das sollen Sie nicht " , sagte Hermann .
" Aber wie konnten Sie sich so vergessen ? "
" Einen Landläufer nannte der harte Vater mich , wenn ich mich über den lateinischen Schriftstellern nicht zu Tode quälen wollte ; mit diesem Worte hat er mich endlich hinter die Adler , in die Schlacht , in die Bergwerke gejagt ; ich kann es nicht hören , ohne daß es dem , der es ausstößt , übel bekommt . "
" Es ist mir lieb , daß es jetzt dahin geführt hat .
Sie mir zu entdecken " , versetzte Hermann .
" Stehen Sie von Ihrem unglückseligen Entschluss ab , und kommen Sie mit mir zu den Eltern , denen ein gütiges Geschick Sie erhalten hat . "
Der Fremde ergoß sich hierauf in wilden , höhnischen Reden .
Hermann ließ aber nicht ab , ihm freundlich zuzusprechen , und brachte es wirklich dahin , daß jener sich etwas beruhigte .
Er machte ihm begreiflich , daß es wenigstens unnütze Plage sei , im Dunkel fortzustürmen , und daß er morgen am hellen Tageslichte ja noch alles tun könne , was er wolle .
Der Hirte kam , nachdem er den Konrektor draußen abgefertigt hatte , auch in die Hütte , zündete seine Lampe an , und nun gewahrte Hermann erst das Antlitz des Fremden .
Es schien völlig blutlos zu sein , der Schädel , nur von Haut bedeckt , sah totenkopfähnlich aus ; dünne , erbleichte , ja ins Grünliche spielende Haare umsäumten den Scheitel .
Hermann fuhr unwillkürlich zurück , indessen faßte er sich , und folgte der Einladung des Hirten , der beide freundlich bat , mit ihm vorlieb zu nehmen .
Sie setzten sich um den Tisch , der Hirte trug eine große Schüssel dampfender Kartoffeln auf , holte etwas geräuchertes Fleisch aus dem Schornstein , und da zufällig einige Flaschen Wein von einem neulichen Schmause der beiden Familien bei ihm stehengeblieben waren , so fehlte diesem einfachen Mahle auch das Getränk nicht .
Jeder zog sein Messer aus der Tasche , Gabeln waren unnötig , zwei Gläser ließen sich auftreiben ; der Hirte trank aus einem Topfe .
Der Fremde war , nachdem sein Inkognito aufgehört hatte , zutraulich geworden , und erzählte den beiden anderen eine wunderbare Gefangenschafts- und Rettungsgeschichte .
Im Anfange hatte sie noch Ähnlichkeit mit dem , was viele auf jenem furchtbaren Zuge erdulden mußten , dann aber berichtete er etwas , was , nach unseren Verhältnissen angesehen , fast unglaublich klang .
Als der Friede geschlossen worden war , befand er sich schon mit einer großen Menge von Unglücksgenossen auf dem Heimwege .
Da traf in einem wüssten Landstädtchen , in entgegengesetzter Richtung ziehend , ein Transport schwerer Verbrecher mit ihnen zusammen .
Beide Kolonnen machten an dem Orte Rast .
In der Nacht entsprang einer der gefährlichsten Verbrecher ; der Führer des Transports , besorgt vor der harten Strafe , welche seiner Nachlässigkeit drohte , ergriff ein schändliches Mittel , sich zu retten .
Er wußte den unglücklichen Kriegsgefangenen mit List an sich zu locken , an einem abgelegenen Orte sprangen ein paar Helfershelfer herzu , er wurde geknebelt , in Eisen geschmiedet , und als der Tag graute , befand er sich unter Räubern und Mördern auf dem Wege nach Sibirien .
Vergebens war sein Toben , sein Widerstand ; Mißhandlungen besiegten diesen .
Keine Behörde konnte oder wollte ihn verstehen , die Menschen , welche in den Dörfern und Städten , durch die der Zug ging , am Wege standen , sahen in seinen Gebärden nur den Trotz eines unfügsamen Missetäters ; so ging es Wirst für Wirst weiter , bis das unselige Ziel erreicht war .
Welche Greuel nun da unten in der Nacht der Bergwerke sich begaben , wollen wir , um die Gemüter unserer Leser nicht zu ängstigen , verschweigen .
Wie es ihm dennoch gelungen , sich zum Lichte wieder emporzuschwingen , darüber glitt der Fremde selbst einigermaßen hinweg .
Er sprach von einem Aufseher , den er überwältiget habe .
Aber ein Zittern der Stimme , ein unheimliches Zucken der Augenwimpern deutete an , daß eine blutige Tat dabei vorgefallen sein mochte .
Die nun folgende Flucht durch die ungeheuren Wald-und Grassteppen erinnerte an Mazeppas Abenteuer .
Mit einer tartareschen Horde , welcher er Dienste leisten konnte , drang er bis an die Grenzen Europas .
In Kasan fand er einen alten , durch Liebesgeschick auf dem fremden Boden zurückgehaltenen Kriegsgefährten , der ihn mit Geld , Wäsche und Paß ausstattete .
Der Hirte vergaß bei dieser Erzählung beinahe Essen und Trinken , starrte den Fremden mit offenem Munde an und schlug die harten Hände vor Verwunderung einmal über das andere zusammen .
Hermann hatte eigentlich einen Widerwillen gegen solche grelle Geschichten , in welchen das Menschliche kaum noch wahrzunehmen ist .
Er hörte nur zu , um den Fremden im Fluß zu erhalten , schenkte ihm fleißig ein , und dachte darüber nach , wie er jenen mit seiner Familie wieder vereinigen solle .
Denn dazu glaubte er vom Schicksal offenbar berufen zu sein .
Elftes Kapitel Elftes Kapitel Als daher der verschollene Sohn auserzählt hatte , der Wein getrunken und Mitternacht herangekommen war , fragte er , um einzulenken : " Warum haben Sie Ihren Eltern nicht früher Nachricht von sich gegeben ? "
" Ich schrieb ihnen aus Polen ; der Brief muß nicht angekommen sein " , versetzte der Fremde mit einer wilden Gleichgültigkeit .
" Stoßen Sie mit mir in diesem Reste an !
Es lebe der Krieg , es lebe das Vagabundieren ! "
" Das ist ein schlechter Toast " , versetzte Hermann .
" Lassen Sie uns nun ein vernünftiges Wort reden .
Wie lange wollen Sie in der Irre umherschweifen ?
Eltern , Geschwister , Freunde , Familie werden Ihnen wiedergegeben , darf ich Sie den Ihrigen ankündigen ? "
" Das wäre schade um die schöne Bibliothek , die der gute Vater sich dann nicht anschaffen könnte , und um das zarte Liebesbündnis zwischen dem Schulfuchse und der alten Jungfer .
Nein , mein Herr , hüten wir uns vor törichten Streichen .
Zehn Jahre Abwesenheit sind in der Tat wie der Tod ; warum soll ein Gespenst die Lebenden erschrecken ? "
" Ich fühle , daß Sie von manchem , was Sie sahen und hörten , verletzt sein müssen " , sagte Hermann .
" Aber erwägen Sie die Gewalt der Umstände , vertrauen Sie auf die Kraft der Natur .
Ihre Angehörigen haben Sie als tot beweint .
Wie sollten wir armen Menschen überhaupt fortbestehn können , wenn uns nicht die traurige Fähigkeit gegeben wäre , zu vergessen ?
Ist aber mit diesem öden Vermögen der Kreis unseres Wesens umschrieben , das Innerste unserer Seele ausgedrückt ?
Lassen Sie uns also auch in diesem Falle fröhlich auf die heilige Empfindung baun , der das Grab seinen Raub wiedergibt , für welche ein Wunder geschieht , nicht ein erzähltes , nein , ein wirkliches . "
" Das sind alles nur Redensarten " , sagte der Fremde , bedächtig sein Glas ausschlürfend .
" Die Wunder darf man nicht zu nahe besehn , so ein tausend Jahre weit weg nehmen sie sich trefflich aus .
Es gibt Nöte , mein Herr , welche nicht beten lehren .
Vater und Mutter muß man ehren , solange sie einem etwas zu essen geben , aber in Nertschinsk helfen sie uns blutwenig . "
" Kein Schaf spräche so unvernünftig , wenn es das Maul auftäte " , sagte der Hirte leise zu Hermann .
" Lassen Sie ihn in Gottes Namen laufen , er ist nichts Besseres wert . "
Dann streckte er sich auf sein Lager , murmelte ein Vaterunser und schlief ein , denn er war müde vom ungewohnten Weine .
Hermann ergriff der Bekehrungseifer , er machte den Fremden auf das Frevelhafte solcher Reden aufmerksam und beschwor ihn , sich seinen letzten Trost nicht zu zerstören .
Aber jener unterbrach ihn ungestüm und rief : " Junger Sittenprediger , was haben Sie erfahren , daß Sie mitreden dürfen ?
O mein Herr , mein Herr , Sie wissen nicht , was einem Menschen auszukosten gegeben werden kann .
Ich dachte , als ich befreit war , nun sei das Elend vorbei , ich könne auch wieder glücklich sein , und leben , wie andere Menschen .
Aber das Schlimmste sollte ich nicht in Sibirien gelitten haben , hier in der lieben deutschen Heimat mußte ich es erfahren .
Sie haben ganz recht ; daß Eltern endlich sich über ein totgeglaubtes Kind beruhigen , daß eine Geliebte neue Bande sucht , es ist nichts Besonderes und steht zu verzeihn .
Aber daß uns Qualen auferlegt werden können , welche uns zu lebenden Schemen machen , und die Kraft zur Empfindung in uns aufzehren , das möchte ich nicht zu verantworten haben , wenn ich das Weltregiment führte . "
" Und doch brach diese Empfindung sehr lebhaft hervor , als Sie das alte Band , welches Wilhelmminen an Sie knüpfte , zerrissen sahen " ; sagte Hermann .
" Sie irren " , versetzte der Fremde .
" Wilhelmine ist mir ganz gleichgültig geworden , ich wüßte nicht , wie ich mich noch überwinden könnte , ihr einen Kuß zu geben .
Sie hat gealtert , und sieht , wie mich dünkt , etwas einfältig aus .
So geht mir es auch mit den Eltern .
Der pedantische Vater , die schwatzende Mutter - ich empfand wirklich eine Art von Widerwillen , als ich ihre Gestalten erblickte .
Sie könnten alle jetzt tot vor mir liegen , ohne daß mir eine Träne in das Auge träte .
Darum ist es nicht gut , nach Rußland zu ziehen und in die Bergwerke zu geraten .
Daß ich aufschrie , als der Schulmensch Wilhelmminen umarmte , war keine Eifersucht , nein , es war Schmerz um mich selbst .
Ich saß dem Vater , der Mutter , der Braut gegenüber , und fühlte doch keine Neigung , aufzuspringen , ihnen zu Füßen zu fallen .
Das hatte lange schon in Kopf und Herz gewühlt , endlich wurde mir es zu stark , die Natur machte sich in einem Laute der Pein Luft .
Die Erinnerung bleibt dem Menschen ; mein Gedächtnis sagte mir , daß ich nicht aus der Erde gewachsen sei , sondern von Wesen meinesgleichen abstamme , diese Vorstellungen lenkten meine Schritte der Heimat zu .
Aber als ich die Wirklichkeit vor mir sah , erkannte ich , daß ich nur noch , sozusagen , in der Theorie Sohn , Bruder , Liebhaber sei .
In meines Vaters Haus gehe ich nimmer .
In Neapel , Piemont , am Ägäischen Meere gibt es , wie ich höre , tapfere Arbeit , dort will ich mir Brot suchen , gleichviel auf welcher Seite .
Und so sei denn diese Neige dem Greuel der Verwüstung als Libation dargebracht ; ein würdiges Opfer für eine solche Gottheit , die einzige , welche ich anerkenne . "
Er stand auf , schnellte den Rest des Weins aus seinem Glase auf die Erde , und warf das Glas zum Fenster hinaus .
Hermann trennte sich ohne Abschied von dem verwilderten Menschen , hinter dessen wüssten Worten er dennoch etwas Besseres wahrzunehmen glaubte .
Seine Meinung , daß wir uns immer nur innerhalb der uns gezogenen Kreise , im Guten , wie im Bösen bewegen , und daß alles , was darüber hinauszugehn scheint , eben nur Schein ist , stand zu fest .
Nach dieser Meinung wollte er verfahren .
Er tastete sich durch Gebüsche auf engen Wegen in die Stadt zurück , worin eben der Wächter Eins abrief .
Das Haus seiner Gastfreunde war verschlossen , und schon meinte er die Nacht auf dem Steinpflaster zubringen zu müssen , als er sich des niedrigen Mäuerchens an den Scheunen erinnerte , über welches die Söhne des Edukationsrats so behend entsprungen waren .
Überzeugt , daß ihm nicht mißglücken werde , was den Knaben gelungen war , suchte er , durch ein Nebengäßchen schreitend , den freien Platz auf , von dem das Mäuerchen den Raum zwischen jenen Wirtschaftsgebäuden abschied .
Er sah ein Licht im Hofe , erklimmt die Mauer , und war froh , noch jemand wach zu finden , der ihm das Haus öffnen könne .
Das Licht brannte in Corneliens nach hinten hinaus zu ebener Erde belegnen Stübchen .
Er blickte hinein , und sah sie mit gerungenen Händen weinend umhergehn .
Sie setzte sich zuweilen , und stützte ihr Haupt schmerzlich auf , doch schien es sie nicht an einem Orte zu leiden , immer erhob sie sich wieder und begann von neuem ihre unruhvolle Wanderung .
Hermann pochte ans Fenster und rief leise ihren Namen .
Sie erschrak , fragte ängstlich :
" Wer ist da ? " und schauderte wie entsetzt zusammen , da er etwas lauter Antwort gab .
Vergebens rief er ihr zu , sich doch zu besinnen , er sei es ja , aus Zufall so verspätet , sie möge ihm öffnen .
Sie stand bleich , zitternd da , und er mußte jeden Augenblick besorgen , daß sie umsinken werde .
Was sollte er tun ? die Tür nach dem Hofe war verriegelt , er drückte am Fenster , nur angelehnt , gab es nach , leicht schwang er sich in das Zimmer .
Er hatte eben noch Zeit , Cornelien aufzufangen , die ohnmächtig in seine Arme sank .
Er war in der größten Verlegenheit und Sorge .
Er hielt den lieblichen jungfräulichen Körper umfaßt .
Die Mittel waren ihm nicht unbekannt , welche in solchen Fällen die stockende Natur wieder in Bewegung bringen helfen , aber er trug eine innige Scheu , ihren Leib durch Blick oder Hand zu entweihen .
Er begnügte sich , ihre Schläfen mit kaltem Wasser zu netzen , es gelang ihm , sie damit in das Bewußtsein zurückzubringen .
Sie schlug die verweinten Augen auf , errötete , da sie in die seinigen sah , entwand sich ihm , und setzte sich erschöpft zu Füßen ihres Betts nieder .
Unter dem Vorwande , daß er sie in diesem Zustande unmöglich verlassen könne , blieb er noch eine Zeitlang bei ihr , obgleich sie ihn , sobald sie wieder zur Besinnung gekommen war , dringend gebeten hatte , zu gehen .
Er war mit sich uneins , ob er nach der Ursache ihrer Betrübnis fragen solle , unterdrückte endlich seinen Wunsch , und schied von ihr in sonderbarer Bewegung .
Den Rest der Nacht verbrachte er schreibend .
Es schien ihm unpassend zu sein , den Familienszenen , welche bevorstanden , als Dritter beizuwohnen , sein Geschäft war vollbracht , wenn er den Eltern den verlorenen Sohn angezeigt hatte .
In diesem Sinne setzte er einen Brief an den Rektor auf , worin er ihm sagte , was wir bereits wissen .
Während des Schreibens verschwanden einige Bedenklichkeiten , die er anfangs gehegt hatte , gänzlich .
Mit Entzücken malte er sich die Freude der Eltern , die Umwandlung des Sohnes aus , wenn die rauhe Rinde von dessen Herzen schmelzen werde .
In der Frühe bestellte er Postpferde , und hieß vor dem Tore den Wagen seiner warten .
Bei dem Frühstück , welches er gemeinschaftlich mit der Familie einnahm , erkundigte man sich nach seinem nächtlichen Abenteuer .
Er gab eine ins allgemeine ausweichende Antwort .
Der Rektor sagte zu ihm :
" Da Sie durch H. kommen , so tun Sie mir doch den Gefallen , zum Justizrate zu gehen , und ihn zu bitten , daß er einen anderen Termin zur Ableistung des Eides wegen meines Sohns ansetze ; ich habe am Donnerstage dringende Abhaltung . "
Hermann stand auf , und nahm Abschied von seinen Wirten .
Die Knaben , welche ihn liebgewonnen hatten , hingen sich an ihn , herzten und küßten ihn .
" Der Mensch denkt , Gott lenkt " , sagte er feierlich .
" Wie ? " fragte der Rektor erstaunt .
" Oben auf meinem Zimmer liegt ein Schreiben an Sie " , erwiderte Hermann .
" Wichtige Eröffnungen sind darin , es ist ein Schicksal gewesen , daß ich zu Ihnen gekommen bin .
Lesen Sie es , wenn ich Ihr Haus verlassen habe , und gedenken Sie meiner im Besten . "
- " Gottlob ! " rief die Rektorin .
" So ist alles gekommen , wie ich gewünscht und gewollt habe .
Ich werde Ihre Fürsprecherin bei den Eltern sein " , setzte sie mit freundlichem Händedrucke hinzu .
" Welche seltsame Mißverständnisse ! " sagte Hermann und war zur Tür hinaus .
Cornelie hatte an dem Frühstücke nicht teilgenommen .
Er konnte unmöglich gehen , ohne ihr Lebewohl zu sagen .
Er suchte sie auf ihrem Zimmer , in den Gängen des Hauses , endlich glaubte er ihre Stimme vom Gartenhäuschen her zu vernehmen .
Dorthin eilte er .
Wieder war sie , wie damals , als er bei seiner Ankunft sie hier fand , beschäftigt .
Sie kniete vor Blumentöpfen .
Aber diesmal säte und pflanzte sie nicht ; sie nahm einen verwelkten Stock aus dem Topfe .
Er trat bescheiden vor sie hin , und sagte : " Ich gehe , Cornelie . "
Sie verfärbte sich und antwortete nichts .
" Ich weiß " , fuhr er fort , " daß ich Ihnen zuwider gewesen bin , lassen Sie es nun gut sein , da ich mich entferne ; geben Sie mir ein freundliches Wort mit .
Und wollen Sie mich in dieser letzten Stunde recht glücklich machen , so vertrauen Sie mir , warum Sie in der vorigen Nacht geweint haben .
Ich wüßte niemand , dem ich lieber helfen möchte , als Sie . "
Sie stand , die Augen niedergeschlagen , und versetzte :
" Es ist nicht recht von Ihnen , daß Sie tun , als hätte ich etwas gegen Sie .
Sie haben wohl gesehen , wie herzlich ich mich freute , als Sie so unerwartet hier ankamen .
Aber als Sie sich den falschen Namen gaben , und auch mich zwangen , zu lügen , da bin ich so traurig geworden , wie ich noch nie war .
Ich hatte nirgends Ruhe , konnte niemand ansehn .
Und darum war ich auch in dieser Nacht so betrübt .
Ich hatte mich schon schlafen gelegt , als ich vor Angst wieder aufstehen und mich ausweinen mußte .
Nun wissen Sie es , sein Sie mir deshalb nicht böse . "
Sie erhob ihr Gesicht gegen ihn , und reichte ihm die Hand .
Er sah in das gute unschuldige Auge ; das heilige Leidwesen einer reinen Natur , die zum ersten Male von dem Gedanken , daß es ein Böses gebe , berührt worden ist , blickte aus diesen bewölkten Spiegeln .
Ein zärtlicher Schmerz durchdrang ihn , mit einer Art von Ehrfurcht neigte er sich zu ihr , und sagte : " Ich will mich nie wieder verstellen , Cornelie . "
Nun hätte er wohl scheiden sollen , aber er blieb .
Ein unbezwingliches Gefühl trieb ihn gegen seinen Willen .
Er hatte sich vorgesetzt , schweigend zu gehen , und schon war die scheue Frage über seine Lippen :
" Liebst du mich , Cornelie ? "
Sie antwortete nicht ; sie fiel an sein Herz .
In diesem Augenblicke rief einer der Knaben im Garten :
" Cornelie , wo bist du ?
Bruder Eduard ist wieder da ! "
Sie fuhr empor und flüsterte ängstlich :
" Was haben wir getan ? "
Er durfte nicht eine Sekunde länger verweilen .
Leidenschaftlich ihren Mund küssend , der nun eher den seinigen vermied , rief er :
" Du hast mein Wort !
Ich verlobe mich dir und werde bei deinen Pflegeeltern um dich anhalten . "
Er schwang sich über das Mäuerchen .
Sie schickte ihm den schmerzlichsten Blick nach , dann wankte sie dem Knaben entgegen , der ihr Wunderdinge erzählte .
Sie aber hörte von allem nichts , was er ihr sagte .
Viertes Buch .
Das Caroussel , der Adelsbrief Erstes Kapitel Erstes Kapitel In einem gotischen Pfeilergewölbe unter Helmen , Kürassen , Schwertern und Streitkolben stand die Herzogin mit dem Arzte in ernstlicher Beratung .
" Wenn das Turnier regelrecht sein soll , so muß nicht bloß courtoisiert , sondern auch mit scharfen Waffen gekämpft werden , à outrance " , sagte sie .
" Suchen Sie doch die besten Speere und Schwerter aus . "
Der Arzt nahm eine Anzahl Waffen von den Pflöcken , und sagte lächelnd : " Mein Amt ist , Wunden heilen , und hier muß ich , in Ermangelung eines besseren Beistandes , welche vorbereiten helfen .
Es tut mir leid , daß ich Rene d' Anjous Buch , welches ich einst in Dresden durchblätterte , nicht exzerpiert habe .
Die französischen Ritterspiele waren weniger ernsthaft , als das englische , dessen Nachahmung Ew. Durchlaucht beabsichtigen .
Gut möchte es auf alle Fälle sein , wenn die Herren sich zuvor erst sorgfältig auf Stoß und Hieb einüben , sonst dürfte der Chirurg eine reichliche Ernte haben . "
" Soll ich aufrichtig sprechen " , versetzte die Herzogin , " so wäre ich sehr zufrieden , wenn ich die Sache nicht angefangen hätte .
Sie macht so viel Arbeit , bringt eine solche Unruhe in das Haus , daß ich nicht weiß , ob das Vergnügen alle diese Anstalten lohnen wird . "
" Dann sollten wir lieber dieses ohnehin fremdartige Fest einstellen " , sagte der Arzt .
Die Herzogin entgegnete aber , daß das nicht möglich sei , der Herzog wisse schon darum und scheine sich auf den Tag ungemein zu freuen .
Auch könne sie die Einladungen an die Teilnehmer nicht wieder rückgängig machen , ohne zu spöttischen Reden in der Umgegend Veranlassung zu geben .
" Wie sehr entbehren wir unseren Wilhelmi bei dieser Gelegenheit ! " rief der Arzt .
" In seinen Bilderbüchern , Mappen und Urkunden fand er immer für solche Dinge Rat und Aushilfe .
Er besitzt eine große Geschicklichkeit , das Wesentliche von dem Zufälligen zu sondern , und eine gewisse allgemeine Idee von der Sache zu geben , auf die es doch allein ankommt .
Ist es denn nicht möglich , den Herrn mit ihm zu versöhnen , und uns den melancholischen Freund zurückzuführen ? "
Die Herzogin antwortete hierauf nichts , sondern sagte : " Der Domherr hat Unrecht , uns in der Not zu verlassen , die nur er im Grunde angerichtet hat .
Versuchen Sie doch , ihn zu halten . "
" Ew. Durchlaucht kennen die Grillen dieses seltsamen Mannes " , versetzte der Arzt .
" Ich habe ihn schon dringend gebeten , zu bleiben , aber er sagte , seine Geschäfte litten es nicht .
Freilich ist dies ein leerer Vorwand , der wahre Grund liegt in seiner gänzlichen Unfähigkeit , irgend etwas mit Stetigkeit zu verfolgen .
Sobald er sieht , daß einem Plane , wie deren seine Seele täglich hunderte gleich Blasen aufwirft , die Ausführung zukommen soll , ergreift ihn ein unbezwinglicher Widerwille , er kann dann nicht ausdauern , es treibt ihn wie mit Geistermacht von solchem Orte hinweg .
Nichts Seltsameres soll es geben , als seine sogenannten Sammlungen und die Einrichtung seines Hauses .
Alles hat er angefangen , nichts vollendet ; die Zimmer ließ er reich meublieren , ehe sie noch ausgeweißt waren . "
" Ein unglücklicher Charakter " , sagte die Herzogin .
" Ich möchte von einem solchen Wesen die Worte Glück und Unglück gar nicht gebrauchen " , erwiderte der Arzt .
" Sie deuten doch immer auf einen gewissen Zusammenhäng im Menschen hin , und der ist es gerade , welcher hier fehlt .
Eigentlich tut er mir leid , da er gutmütig ist und auf seine Weise Verstand besitzt .
Wir sehen in ihm doch auch nur ein Opfer vernachlässigter Erziehung , und der Zwangsverhältnisse , welche jüngeren Söhnen vornehmer Familien sonst nur die Wahl zwischen dem Müßiggange des Degens und dem Müßiggange der Tonsur offenließ .
An der Wurzel dergestalt getötet , kann jemand zwar , solange die Jugend vorhält , durch Libertinage und Gesellschaftskünste den Schein des Lebens um sich verbreiten , aber wenn die Jahre kommen , die keinem gefallen , weil sie unerbittlich von jedem sagen , was an ihm sei , dann tritt der psychische Tod , die Torheit , unaufhaltsam ein , ehe noch das Spiel der Nerven und Muskeln ausgespielt ist . "
" Ich habe immer darüber nachdenken müssen , warum uns die anderen Stände beneiden ? " sagte die Herzogin .
" Seitdem das Geld weit mehr bei den Bürgerlichen als bei uns ist , kann man nicht einmal sagen , daß wir leichter imstande seien , uns die Genüsse zu verschaffen , worin doch auch das Leben nicht besteht .
Was haben wir also voraus ?
Mich dünkt , die Pflichten sind geblieben , während die Rechte verlorengingen . "
" Man nennt den Adel häufig eine Ruine " , versetzte der Arzt .
" Ich will die Wahrheit dieses Gleichnisses nicht untersuchen , und es dahingestellt sein lassen , ob so wenig Mauer und Fundament geblieben sei , daß ein geschickter Baumeister nicht daraus ein neues Gebäude solle herstellen können .
Aber das ist gewiß , der schönste Anblick wird uns , wenn wir die Blume unter Trümmern blühn sehen .
Dann ergreift uns ein liebliches Gefühl von Entstehn und Vergehen , von Lust und Trauer .
Mögen die Männer Ihres Standes immerhin eine schwierige Aufgabe haben , für die Weiblichkeit bleibt er doch immer noch der günstigste Boden , ihre zartesten Erscheinungen herauszufördern .
Grade diese Konvenienzen , Erinnerungen und Schranken , welche in den übrigen Ständen vor der sogenannten praktischen Richtung fast ganz verschwanden , und bei Ihnen doch wenigstens zum Teil noch gelten , sind dem Wesen einer Frau so gemäß .
Ich möchte es , wenn Sie den Ausdruck nicht mißverstehn wollen , auch nur eine liebenswürdige Fiktion nennen .
Mit Frauenzimmern des Bürgerstandes , wenn sie überhaupt aus der gleichgültigen Menge sich durch irgend etwas sondern , kann der Mann sich immer vergleichen , sie sind , was sie haben , sei es Geld , Verstand , Tüchtigkeit ; und nichts ist der Empfindung nachteiliger , als die Vergleichung , zu welcher sich Ihre Schwestern in jenen Sphären nur zu unvorsichtig drängen .
Aber in Ihrem Stande habe ich noch Frauen gesehen , die von nichts getragen und behütet sein wollten , als von anmutigen Mythen .
Wie gewinnend ist der Zauber reizender Hilflosigkeit !
Wie saugen sich unsere Sinnen fest an dem , was in jedem Augenblicke ihnen verschwinden kann , eben weil es nur ein wunderbarer Schein ist .
Ja , hier überwältigt uns eine trunkene Schwelgerei , in der Gewalt der Empfindung wenigstens das süße Nichtige zu verewigen ; eine schwärmende Wonne , vergleichbar den Entzückungen der Kunstenthusiasten , den Verzückungen des Andächtigen .
Ich möchte behaupten , meine Fürstin , daß ein recht männlicher Mann jetzt nur eine Dame von Adel lieben könne . "
Die Herzogin lächelte .
" Sollte man nicht glauben , daß Sie in eine verliebt seien ? " sagte sie .
" Ich wünschte nur , daß Ihre Gesinnung bei unseren jungen Herrn Verbreitung fände .
Dann würde es mehr Freiwerber als harrende Jungfrauen geben , statt daß jetzt das umgekehrte Verhältnis sichtbar ist , weil man leider weiß , daß der Erbe die Güter und die Tochter den Segen bekommt . "
Der Arzt hatte sein gewöhnliches kaltes Wesen wieder angenommen , und sagte : " Was den Domherrn betrifft , so habe ich mich einigermaßen gewundert , daß er hier so wohl empfangen wurde .
Er hat sich durch seine Unzuverlässigkeit überall außer Kredit gesetzt . "
" Da er früher ab- und zuging , so müssen wir ihn auch jetzt gelten lassen , obgleich wir uns wenig aus ihm machen " , erwiderte die Herzogin .
" Es ist sonderbar , wie die Natur sich durch Kontraste im Gleichgewicht zu halten pflegt " , fuhr der Arzt fort .
" Er , der an nichts , und an dem nichts haftet , der demzufolge kein Bedenken trägt , für die unnützesten Dinge Geld auszugeben , hat gleichwohl eine fast kindische Scheu , Bares , wäre es noch so wenig , geradezu einzubüßen .
Diese Abneigung geht so weit , daß er sich selbst nicht überwinden kann , einem Armen Almosen zu reichen , und sich lieber von beharrlichen Bettlern mit Sachen , die er eben bei sich trägt , loskauft .
Es scheint , daß , wo Grundsätze und Vernunft versagt sind , gewisse starre Launen ihre Stelle in dem des Halts so bedürftigen Menschen vertreten sollen .
Hierauf gründe ich auch einen Plan , den ich mit ihm vorhabe ; denn da ich , wie Sie wissen , gern etwas in die Psychologie oder in das Moralische pfusche , so habe ich mir vorgenommen , ihn womöglich zurechtzubringen . "
Die Herzogin hatte sich schon mehrmals nach den Bedienten umgesehen , welche nach der Rüstkammer beordert worden waren .
Endlich erschienen sie unter Anführung des alten Erich , der ihr Ausbleiben damit entschuldigte , daß die Herrn aus der Nachbarschaft bereits angekommen und nach dem Ahnensaale zu führen gewesen seien .
Dies war der Herzogin unangenehm , da sie vor dem Eintreffen der Ritter alle Armaturen dort ordentlich hätte aufhängen lassen wollen .
Nun beluden sich die Bedienten hastig mit dem Eisen , wobei nicht gar zu vorsichtig verfahren wurde , und manches morsche Nicht auswich .
Auch der Arzt nahm einen Panzer , und so schwankte der Zug , unter der Last des Mittelalters keuchend , nach dem Ahnensaale .
Wir lassen sie hin- und Wiedergehen , und erzählen unterdessen die Veranlassung dieser Dinge .
Es ist nämlich zu sagen , daß kurz nach der Abreise Hermanns bei Gelegenheit einer wirtschaftlichen Einrichtung , die der Herzog ausführen wollte , die Rüstkammer eröffnet wurde .
Seit seiner Kindheit hatte er sie nicht betreten ; nur im allgemeinen wußte er von dem Dasein einer Waffensammlung .
Wie freudig erstaunte er , als der vergeßene Raum sich auftat , alle Wände und Gestelle sich mit Schildern , sperren , Brust- und Beinharnischen bedeckt zeigten !
In der Tat war hier weit mehr vorhanden , als man hätte ahnen können .
Der Herzog nahm sich gleich vor , bessere Ordnung zu stiften , vor allen Dingen einen Katalog anfertigen zu lassen ; seine Gemahlin aber entwarf in der Stille einen anderen Plan .
Er hatte sein Vergnügen über diese Denkmale kräftigerer Zeiten so lebhaft ausgesprochen , so wiederholentlich geäußert ; wie weit die freudigen Kampfspiele jener Tage über allen jetzigen gesellschaftlichen Vergnügungen ständen , daß sie wünschte , ihrem Gemahle zu seinem Geburtstage , welcher herannahte , einen solchen Genuß verschaffen zu können .
Die Lektüre in Walter Scott gab ihr das Muster ; eine Nachahmung des Turniers von Ashby de la Zauche , welches der schottische Barde so beredt geschildert hat , schien nicht unmöglich zu sein .
Indessen wäre es wohl bei dem Gedanken geblieben , wenn nicht der Zufall um diese Zeit jenen alten Bekannten des Hauses , den Domherrn , auf das Schloß geführt hätte .
Kaum hörte er von dem Vorhaben , als er sich niedersetzte , und aus dem Stegreife ein Programm verfaßte , worin alle Momente des Ritterspiels enthalten waren .
Randzeichnungen waren an schicklichen Orten hinzugefügt , altertümliche Spruchreime , für den Mund der Herolde bestimmt , leiteten das Fest ein und fort .
Als die Herzogin alles so zierlich auf dem Papiere stehen sah , schwand jeder Zweifel über die Schwierigkeit der Ausführung .
Der Domherr erhielt die Erlaubnis , alle ebenbürtige junge Edle , alle stiftsfähige Fräulein der Umgegend in ihrem Namen einzuladen , von welcher er den raschesten und ausgedehntesten Gebrauch machte .
Nun entstand auf sämtlichen Landgütern und Rittersitzen , mehrere Meilen weit in die Runde , die lebhafteste Bewegung .
Pferde wurden probiert .
Fechtübungen angestellt , man versuchte , ob die vorläufig mit einem Brette geschützte Brust den Stoß der Lanzen , welche durch Stangen dargestellt wurden , aushielt .
Man stöberte jeden Winkel nach irgendetwas Obsoletem durch ; Fahnen wurden gestickt , Wappenschilder gemalt .
Noch geschäftiger als die Männer waren die Damen .
Es war angeordnet worden , daß niemand anders , als im Kostüm erscheinen solle .
Manches frische Gesicht , manche schlanke Gestalt freute sich auf den Spitzenkragen , auf das Kleid mit langem Schoße , auf die bauschigen Ärmel .
Zofen und Nähterinnen hatten alle Hände voll zu tun , um all den Samt , die Seide , die goldenen und silbernen Borten , die Federn , das Schmelzwerk zu bewältigen .
Im stillen teilten die Hübschen , eine jede sich selbst , die Rolle der Königin der Minne und Schönheit zu , deren Ernennung nicht ausbleiben durfte , wenn das Fest seinen Charakter behalten sollte ; was die Häßlichen betrifft , so beschlossen diese , die Wahl , wenn selbige auf sie fallen würde , bescheiden abzulehnen .
Während so in den Wohnungen derer , welche sich vollständiger Ahnen rühmen durften , nur Erwartung , Hoffnung und Freude herrschte , war bei einigen anderen Gutsbesitzern bedeutend angestoßen worden .
Auch in diesen Gegenden hatte es im Strudel der Zeiten nicht fehlen können , daß ein Teil der Bodenfläche auf Neugeadelte oder bürgerlich Verbliebene überging .
Mehrere davon waren sogar , wenn man den Herzog ausnimmt , die vermögendsten Eigentümer des ganzen Bezirks .
Die Herzogin hatte nach mildem verständigem Frauensinne ein Auge zudrücken und auch diese zu ihrem Feste entbieten wollen , allein der Domherr erklärte mit großem Ernste , das gehe durchaus nicht an .
Er erzählte ihr so viel von der Wappenprüfung und anderen bei einem Turniere vorkommenden Dingen , wobei die Darlegung eines vollständigen Stammbaums notwendig ist , daß sie endlich , wiewohl ungern , seiner eigensinnigen Gewissenhaftigkeit nachgab .
Natürlich erhob sich unter den Ausgeschloßenen großer Verdruß .
Einer derselben schlug vor , unter sich ein zweites Turnier zu geben , welches noch mehr Geld kosten müsse , als das herzogliche ; welcher Gedanke indessen , obgleich er ein echt deutscher war , von den übrigen als lächerlich verworfen wurde .
Man fuhr jedoch fort , untereinander zu munkeln , und schon wollte verlauten , daß von dort etwas zu Spott und Schimpf ausgehen . werde .
Die Herzogin hatte dem Domherrn die Funktion des Waffenkönigs zugedacht , welcher bekanntlich in den alten Zeiten der Zeremonienmeister solcher Festlichkeiten war , von dessen Geschick und Einsicht das Gelingen derselben wesentlich abhing .
Wie erschrak sie , als der charakterlose Mann , nachdem er den Aufruhr in Schloß , Stadt und Landschaft angestiftet , erklärte , er müsse sich nun empfehlen .
Sie hatte niemand , der seine Stelle vertreten konnte .
Der Arzt war schon vermöge seiner Geschäfte dazu unfähig , mit Wilhelmi hatte ein unangenehmer Vorfall stattgefunden .
Sie war wirklich in großer Verlegenheit ; zumal da die Anstalten in der Wirklichkeit sich anders verhalten wollten , als auf dem Papiere .
Man hatte den jungen Edelleuten , welche nicht selbst für altertümliche Waffen und Rüstungen zu sorgen gewußt , den Vorrat des Schlosses angeboten .
Die meisten machten hiervon Gebrauch und so war denn eine beträchtliche Reiterschar eingetroffen , um nach Statur und Leibesumfang das Passende auszuwählen und anzuprobieren .
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Im Ahnensaale , den Bildnisse , Schenktische und Hirschgeweihe herkömmlich schmückten , warteten gegen zwanzig junge Edelleute , sehr vergnügt über den bevorstehenden herrlichen Zeitvertreib .
" Gott strafe mich ! " rief einer , " es war ein vernünftiger Gedanke , auf so etwas zu verfallen .
Man hat gar nichts mehr voraus , aber das können sie uns nicht nachmachen . "
Nachdem die eintretende Herzogin mit großem Geräusch verehrt worden war , und jeder seine Empfehlungen von Müttern und Schwestern ausgerichtet hatte , warf man sich jubelnd über die herbeigebrachten Waffen her .
Die Bedienten hatten eine ungeheure Last Eisenwerk im Saale umher aufgeschichtet , unter dem nun jeder nach dem , was ihm gemäß sei , spürte .
Man setzte Helme auf , legte Schienen an , suchte mit den Harnischen fertig zu werden .
Die Bedienten halfen , so gut sie konnten , da aber die Ungeduld zu groß , oder das Geräte zu alt war , so riß vieles und zerbrach mehreres .
Ja einige der schönsten Rüstungen , die gleich den Leichen in manchen Gewölben nur noch zum Scheine zusammenhielten , fielen gänzlich auseinander , bei welchem unerwarteten Anblicke die Herzogin erschreckt und verstimmt den Saal verließ .
Etwa ein Dutzend Ritter kam indessen doch nach vielfältigen Versuchen mit der Wehrhaftmachung zustande , freilich nicht ohne dieses und jenes Mißverständnis .
Denn so behauptete einer hartnäckig , die Beinschienen , welche bekanntlich zum Schutze des vorderen Teils der Schenkel dienten , gehörten an die entgegengesetzte Stelle , um gewisse unangenehme Folgen heftigen Reitens zu verhüten , ließ sich auch von seinem Irrtume nicht überführen , sondern die Schienen verkehrterweise anschnallen ; worauf ihn ein anderer mit derbem Scherze in einen Stuhl drückte und fragte : ob er denn nun so sitzen könne ?
was er freilich leugnen mußte .
Die Fertiggewordenen schwankten , von der ungewohnten Wucht bedrückt , vor die großen Wandspiegel , und brachen bei ihrem Anblicke in ein schallendes Gelächter aus .
Und wirklich waren diese wankenden düstern , verrosteten Gestalten eher scheußlich als lieblich anzusehen .
Der Arzt , welcher zurückgeblieben war , um den Wirt zu machen , lud die Gesellschaft jetzt zu dem unterdessen aufgetragenen Gabelfrühstück ein .
Man war so vergnügt über die Maskerade , man fühlte sich so groß in dieser Hülle der Altväter , daß die meisten sich in Wehr und Waffen zu Tisch setzten .
Die Speisen waren vortrefflich , die Eßlust der jungen Leute war es nicht minder .
Man schmauste tapfer und zechte weidlich dazu .
Die Hitze , welche unter den Rüstungen sich entwickelte , trug dazu bei , daß der Wein noch eher , als sonst wohl geschehen wäre , den Trinkenden zu Kopfe stieg ; bald entstand ein Gespräch , in dem keiner mehr sein eigenes Wort vernahm .
Die Bedienten , welche nicht frische Flaschen genug herbeischaffen konnten , schüttelten , an das gemeßene Wesen der Herrschaft gewöhnt , über diesen erstaunlichen Lärmen die Köpfe , der alte Erich murrte ganz laut , und belferte seine biblischen Sprüche daher .
Zufälligerweise hatte sich eine Musikbande im Hofe des Schlosses eingeschlichen , welche , angelockt von dem Geräusch , durch Gänge und Vorsäle drang , und von niemand bemerkt , mit stimmenden Instrumenten in den Saal trat .
Sogleich verlangten die Trunkenen etwas Lustiges aufgespielt , worauf die Musikanten , welche nichts Besseres hatten , die Marseillaise zum besten gaben .
Niemand fand an dieser Wahl Anstoß , denn es war eine völlige Vergessenheit der Zeiten eingetreten ; die ganze gerüstete Schar hüpfte , walzte , oder marschierte nach diesen neusten aufrührerischen Tönen munter im Saale umher , daß die Fenster erklirrten .
Der Herzog , welcher von einem Ritt über Land heimkam , hielt im Hofe still und fragte jemand , der ihm begegnete , mit strengem Tone nach der Ursache des Lärmens .
Der Mensch glaubte , nichts verraten zu dürfen , und zuckte die Achseln , indem er nur einen Blick nach den Fenstern der Herzogin warf .
Der Herzog besann sich und sagte : " Das ist ja aber , als ob Haspe a Spada , Bremser von Rüdesheim und Bumsen vereint dem Grabe entstiegen wären .
Ich merke , das deutsche Rittertum ist von starkem Getöse nicht zu trennen . "
Der Arzt hatte sich , sobald er gekonnt , von der lauten Gesellschaft getrennt , und in der Eile einige halbversäumte Patienten besucht .
Die Beratungen , zu denen er notgedrungen sich hergeben mußte , die Verrichtungen , welche ihm für das Fest aufgetragen wurden , raubten , ihm zu seinem Verdrusse Zeit , ein Gut , mit welchem er sehr haushälterisch umging .
Vor allem aber hatten die Worte , zu denen er durch sein Alleinsein mit der Herzogin hingerissen worden war , ihn in die übelste Stimmung versetzt .
Er gefiel sich nur in der verschloßenen Kälte , welche er als das ihm geeignete Element sich zubereitet hatte , und war außer Fassung , wenn er befürchten mußte , das Gefühl , welches ihm als Menschen denn doch auch geblieben war , aus seinem Versteck entlassen zu haben .
In solchem Unmute war er immer zu harter sarkastischer Laune , willkürlicher Behandlung anderer aufgelegt .
Er nahm nach vollbrachtem Geschäfte ein Buch zur Hand , aber das Lesen wollte nicht gelingen .
Er ging durch den Park , und hatte schon vor , da niemand sich zeigte , an dem er den Zorn auslassen konnte , Wilhelmi in seinem Exile zu besuchen , als die Alte , zu welcher er Flämmchen gebracht , ihm in den Weg trat .
Sie verbeugte sich , kreuzte die Arme über der Brust , und streckte schweigend die flache Hand aus .
Der Arzt verstand diese Gebärde , reichte ihr Geld , und sagte : " Ich meinte , Ihr hättet länger mit dem auskommen müssen , was ich Euch neulich gegeben hatte . "
" Es wäre auch geschehen , wenn das Flämmchen nicht so viele Schuhe durchtanzte " , versetzte die Alte .
" Wie soll ich das verstehen ? " fragte der Arzt .
" Es läßt sich nicht erzählen , man muß es sehen " , antwortete die Alte .
" Wir haben Mondlicht , da treibt sie es . "
Er fragte sie , wie sie sich vertrügen .
Die Alte erwiderte :
" Sehr gut .
Es wäre mein Tod , wenn das Kind wieder von mir genommen würde .
Sie legt mir die Kräuter aus , das fehlte mir noch , nun bin ich ganz zufrieden . "
Er tat noch allerhand Kreuz- und Querfragen , und brachte dadurch heraus , daß Flämmchen , nachdem sie zu der Alten gekommen , in einen Zustand von Exaltation verfallen war , welcher besonders in der Zeit des Mondlichts sich offenbaren sollte .
Was er hierüber erfuhr , dünkte ihn merkwürdig , und er versprach der Alten einen baldigen Besuch .
Kaum hatte sie ihn verlassen , als der Domherr reisefertig zu ihm trat .
" Wo stecken Sie , Doktor ?
Ich wollte Ihnen Lebewohl sagen " , rief er , und umarmte lebhaft den Arzt .
" Warum eilen Sie so , fortzukommen ? " fragte dieser .
" Sie könnten unserer Herzogin manche Verlegenheit abnehmen , wenn Sie blieben .
Ich habe den Auftrag , Sie dringend darum zu bitten . "
" Es ist mir wahrhaftig nicht möglich " , versetzte der andere .
" Ihr Kinder wißt nicht , was für Geschäfte auf mir lasten . "
" O ja , Kanarienvögel zu füttern , Kupferstiche durcheinander zu werfen , Hunde abzurichten , und dergleichen wichtige Dinge mehr . "
Auf der Landstraße , welche am Park vorbeiführte , kam in dem Augenblicke der Zug der heimreitenden jungen Edelleute durch .
Sie sangen , saßen ziemlich unordentlich zu Pferde ; einige hatten in der Abwesenheit ihrer Sinne die Helme auf dem Haupte behalten .
" Da sehen Sie , was Sie angerichtet haben " , sagte der Arzt .
" Es wäre Ihre Pflicht , was Sie uns einbrockten , auch mit uns zu verzehren .
Indessen reisen Sie nur , wenn Sie sich durchaus eine Krankheit in der Abendkühle holen wollen . "
Auf dieses Wort wurde der Domherr stutzig und fragte nach dessen Bedeutung .
Der Arzt erzählte ihm hierauf eine Geschichte von den jetzt herrschenden bösartigen Wechselfiebern , welche so allgemein vorkämen , daß man sie fast eine Epidemie nennen könne , und welche durch die kleinste Erkältung herbeigeführt würden .
Der Domherr ersuchte den Arzt ängstlich , ihm nach dem Pulse zu fühlen , welchen dieser in der Tat schon fieberhaft erregt fand .
Hierauf ließ der Domherr eiligst abspannen , begab sich nach seinem Zimmer und erwartete dort unruhig den Arzt , der ihm noch einen Besuch zugesagt hatte .
Dieser verfehlte nicht , sich einzustellen , weil er einen absonderlichen Plan mit ihm durchsetzen wollte .
Das Gespräch , welches er auf geschickte Weise einzuleiten wußte , und welches sich bis tief in die Nacht ausdehnte , führte zu dem wunderlichsten Ergebnisse .
Um letzteres wahrscheinlich zu machen , müssen wir einiges über die Persönlichkeit des fremden Gastes beibringen .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Der Domherr , aus alter Familie als jüngerer Sohn entsprossen , war frühzeitig in eine einträgliche Pfründe eingekauft worden , und , durch verschiedene unerwartete Todesfälle begünstigt , zur Hebung gediehen , sobald er nur das kanonische Alter erreicht hatte .
Ohne Beschäftigung , ja selbst ohne die Sorge für die Erhaltung eines Vermögens , genoß er reichlicher Einkünfte , welche ihm keine anderen Pflichten auferlegten , als seine Residenz an dem Orte des Kapitels zu halten , und die kirchlichen Stunden innezuhalten , welche in diesem Stifte , ohne bedeutenden Verlust an Gelde , nicht durch Vikarin abgestattet werden durften .
Sein lebhafter und neugieriger Geist trieb ihn , die Langeweile eines solchen Zustandes dadurch zu versüßen , daß er das Verschiedenartigste nacheinander las und vornahm .
Da er indessen zu wenig Ruhe besaß , und ein äußerer Zwang , welcher vielleicht allein imstande ist , lockeren Naturen Halt zu geben , hier mangelte , so berührte er von allem nur die Oberfläche , erwarb zwar durch leichte Fassungsgabe und gutes Gedächtnis mannigfaltige Kenntnisse , denen es aber an einer Wurzel in der Seele völlig gebrach .
So entstand denn in ihm ein wahres Chaos von unzusammenhangenden Meinungen , und einander aufhebenden Maximen .
Ein Spötter hatte ihn einst den lebendig gewordenen Vordersatz ohne Nachsatz genannt .
Dagegen galt er wieder bei vielen anderen für einen reichen Geist , ja für ein Genie .
Am übelsten stand es mit seinem Verhältnisse zu den übersinnlichen Dingen .
Der Katholizismus seiner Jugend war ihm nichts als das lästigste Formenwesen geworden ; die dumpfen Choräle , welche er späterhin als Pfründner in seinem holzgeschnitzten Stuhle täglich geduldig mitsingen mußte , dienten auch nicht dazu , die Liebe zu dem angestammten Glaubensbekenntnisse zu steigern .
Er hatte sich bei Voltaire und Holbach Rats erholt , und eine Zeitlang mit großer Dreistigkeit die Sätze versponnen , welche in dieser Schule zu gewinnen sind .
Als er aber über das vierzigste Jahr hinaus war , und , er wußte selbst nicht wie ? immerfort auf den Gedanken kam , daß er nicht mehr so lange leben werde , als er gelebt habe , ergriff ihn eine große Unruhe , die bald zur ausschweifendsten Todesfurcht wurde .
Daß damit eine ängstliche Sorge für seine Gesundheit sich verband , ist natürlich , allein was half diese ?
Endlich müssen wir ja doch sterben .
Er faßte daher mit leidenschaftlicher Begierde nach dem Dogma von der Unsterblichkeit der Seele , welches er aber nur physikalisch oder magisch sich anzueignen wußte .
Er las Swedenborg , Paracelsus , vertiefte sich in kabbalistische Phantasien , und suchte sich dadurch die Himmelsleiter zu zimmern .
Nach der nächsten und einfachsten Quelle empfand er keinen Durst ; vielmehr äußerte er einst mit großer Naivetät gegen einen vertrauten Bekannten , daß ihm an dem Dasein Gottes im Grunde wenig liege , wenn er nur das ewige Leben bekomme .
Geistlicher Zuspruch war ihm von seiner Jugend her verhaßt geblieben .
Als daher der bekehrte Priester , dessen wir uns erinnern , ihm bei seinem Eintreffen im Schlosse nahen wollte , weil er an dem Gaste so etwas Schadhaftes witterte , wies ihn dieser mit entschiedener Geringschätzung zurück .
Dagegen wandte er sich lebhaft dem Arzte zu , den der Fremde belustigte .
Jener nahm ein geheimnisvolles Wesen gegen den Domherrn an , und hatte sich bald in eine solche Achtung bei ihm gesetzt , daß selbst die tollen Scherze , zu welchen ihn der Anblick des närrischen Mannes bisweilen hinriß , von diesem für verhüllte Hierophanttische Weisheit erachtet wurden .
Sein ganzer gegenwärtiger Zustand war eine Kette von Zerstreuungen .
Die Umwälzungen der Zeit hatten ihn seiner geistlichen Pflichten entbunden , ohne ihm die Präbende zu nehmen .
Eine Erbschaft war ihm zugefallen , so daß er für reich gelten konnte .
In der Nähe der großen Stadt hatte er sich das Landhaus erbaut , von dessen widersinniger Einrichtung der Arzt der Herzogin erzählte .
An jenem Abende nun versuchte zwar der Arzt zuvörderst den Domherrn über seine Gesundheitsumstände zu trösten , ließ jedoch ein entscheidendes Wort über die Lebensdauer gewisser Konstitutionen fallen , wobei er ihn bedenklich ansah .
Dieser Blick konnte den anderen wenig vergnügen , und seine Stimmung wurde nicht gebessert , als der Arzt ein treffendes Bild der Auflösung entwarf , worin deren einzelne Erscheinungen und Stadien mit schauderhafter Lebendigkeit hervortraten , so daß man froh sein mußte , wenn dieses widerliche Gären endlich in lauter grauem Staube sich beruhigte .
Der Domherr ging im Zimmer auf und nieder und sagte : " Possen !
Wer an Fortdauer glaubt , läßt sich durch dergleichen nicht schrecken . "
Der Arzt versetzte hierauf , daß der Glaube und die Wissenschaft allerdings zwei gesonderte Gebiete beherrschten , wovon nur das eine den Vorzug habe , daß man wisse , wo es liege , während dies von dem anderen sich nicht so ganz behaupten lasse .
Er wollte hierauf das Gespräch abbrechen , und sich entfernen , womit aber dem Domherrn durchaus nicht gedient war .
Dieser hielt ihn vielmehr mit schlecht verhüllter Ängstlichkeit zurück , und rief : " Ihr seid Materialist , Doktor , ich weiß das , aber ein innerstes Gefühl sagt dem Menschen , daß seine Seele etwas Grundverschiedenes sei von dem Zucken der Muskeln und dem Umlaufe des Bluts .
Sprecht Eure Zweifel nur aus ; es ist mir nichts unerträglicher , als dieses Halten hinter dem Berge . "
" Man hat " , sagte der Arzt , " auch lange von den vier Elementen gesprochen , und nun wissen wir denn doch , daß diese für Grundstoffe gehaltenen Dinge aus verschiedenen anderen bestehen , welche erst zusammengefügt das bilden , was wir Erde , Wasser , Luft und Feuer nennen .
Und wer weiß , wie weit die Chemie die Scheidung noch treiben kann !
Hiervon die Anwendung auf die menschliche Seele zu machen , scheint mir leicht .
Zum Beweise ihrer ewigen Dauer ist viel von ihrer Einfachheit gesprochen worden .
Dabei wurde nur vergessen , daß derselbe Mensch unter verschiedenen Umständen oft als ein ganz anderer erscheint , daß Grundsätze , Meinungen und Überzeugungen in demselben Individuo einander widersprechen , und daß daher in dem Dinge , welchem wir so gern eine vornehme Selbständigkeit beilegen möchten , manche gar nicht so notwendig zueinander gehörende Potenzen wirksam sind , die ja auch die empirische Psychologie längst aufgezählt und nachgewiesen hat . "
" Also sollte sich die Seele bei dem Tode gewissermaßen in Verstand , Vernunft und Urteilskraft zerlegen ? " fragte der Domherr , froh , seinen Gegner zum Absurden geführt zu haben .
Der Arzt versetzte :
" Wie die Auflösung des Seelischen vonstatten gehe , weiß ich nicht , ich habe es hier nur mit einem Irrtume zu tun .
Sind Sie derselbe noch , der Sie als Kind und Jüngling waren ?
Entschwanden nicht ganze Regionen von Erinnerungen und Empfindungen aus Ihrem Geiste ?
Wechselten nicht Liebe und Neigung in Ihnen ?
Wollen Sie noch , was Sie wollten ?
Können Sie einen einzigen Moment in sich nachweisen , wo Ihre Seele anders als zeitlich , räumlich , hinfällig , leiblich dachte und fühlte ?
Welchen Teil , welche Stufe dieses Etwas wollen Sie also für jene Ewigkeit retten ?
Denn Sie werden immer etwas aufgeben müssen , entweder die Vernunft , wenn Sie das , was im Herzen klopfte , oder das Gemüt , wenn Sie das , was im Haupte leuchtete , erhalten wünschen .
Will das nun irgend jemand ?
Gewiß nicht .
Vielmehr ist es ja gerade das Verlangen , sich in seiner Totalität zu bewahren , was man die Sehnsucht nach dem Jenseits genannt hat , auf welche Sehnsucht denn wieder einer der sogenannten Beweise gebaut worden ist .
Weil es einen Hunger gibt , so gibt es eine Speise , weil wir Durst fühlen , so muß Getränk vorhanden sein .
Also , weil wir jene Sehnsucht fühlen , so wird der Gegenstand ihrer Befriedigung nicht ausbleiben .
So weit bin ich einverstanden .
Nur , was der Gegenstand sei , darüber herrscht eine Täuschung .
Man hat auch von Nektar und Ambrosia gesprochen , und gewiß hat mancher nach dieser Götterspeise , wie Tantalus , ein Gelüsten empfunden ; gleichwohl , hat sie jemand gekostet ?
Mußte nicht jeder sich mit gemeiner menschlicher Kost begnügen ?
Und so ist es mit dem Unsterblichkeitsglauben .
Ein lügenhaftes , schwärmendes Etwas in uns verlangt nach Nektar und Ambrosia , während die wahre , innige und viel tröstlichere Befriedigung überall uns nachgestellt worden ist , ohne daß unsere blöden Sinne sie wahrnehmen . "
" Und die wäre ? " fragte der Domherr .
" Das gegenwärtige , irdische Leben selbst " , versetzte der Arzt .
" Auch ich sage in meinem Sinne : Der Mensch ist ewiger Dauer .
Aber ich setze hinzu :
Der Himmel ist auf Erden , und mit dem Tode ist es nicht aus , sondern es beginnt aufs neue .
Wie Feuer von oben ergreift das Psychische den Ton , bildet und wirkt ihn aus , und wenn es ihn abgenutzt hat , sucht es sich frischen Stoff .
Wir sind alle Revenants , und dieser Erscheinung der Geister oder des Geistes ist kein Ziel der Zeit gesetzt . "
" Das ist eine schlechte Fortdauer " , seufzte der Domherr .
" Was hilft es mir , zu vermuten , ich habe schon irgendwo einmal gesteckt , wenn ich nicht weiß , wo und in welcher Haut ich steckte . "
" Und wenn nun jene Vermutung sich bis zur klarsten Anschauung steigern ließe ?
Im ahnenden Vortraume ist letztere schon gesetzt , er heißt Geschichte .
Diese in allen so lebendig zu machen , daß jeder sich auf Jahrtausende zurück wiederfinden kann , ist eigentlich die geheimnisvoll-verhüllte Aufgabe der Gegenwart .
Wir reifen einer Periode entgegen , worin die Menschen ebensosehr Bürger der Vergangenheit sein werden , als sie eine Zeitlang in der durch das Christentum angewiesenen Richtung Anwärter der Zukunft waren .
Das ist der heilig zuckende Wille des Weltgeistes unter der Decke der politischen Bestrebungen unserer Zeit , welche eben dieses , von ihrer bewußten Absicht ganz verschiedene Resultat hervorzubringen bestimmt sind . Hin und wieder ist dieser Unsterblichkeitsglaube , oder vielmehr dieses Wissen schon vorhanden ; es gibt Vorboten der neuen Epoche .
So glaube ich von mir sagen zu können , daß ich mit Bestimmtheit sehe , wo ich da und dort schon aufgetaucht bin . "
" Ist es möglich ? " rief der Domherr .
" Entdecken Sie mir ... "
" Diese Kunde gehört nur mir " , erwiderte der Arzt .
" Allein ich glaube , daß jeder nicht ganz Verwahrloste sie in sich erzeugen könnte . "
" Und wie ? "
" Man kommt zu Mysterien bekanntlich erst nach vielen Vorbereitungen .
Auch wird nur der eine höhere Seelenerfahrung recht besitzen , der sie selbsttätig sich hervorbringt .
Um aber auf Ihre Angst und Not , die ich mit Bedauern wahrnehme , zurückzukommen ; es gibt ein sehr einfaches Mittel , sie zu heben , Sie von aller Unruhe über die Dinge jenseits des Grabes zu heilen , und Ihnen dieses so zu zeigen , wie es ist , nämlich als einen unschuldigen , harmlosen Hügel Erde . "
" Nun ? dieses Mittel ? "
" Heiraten Sie und zeugen Sie einen Sohn .
Wenn wir uns einigermaßen an die Natur halten wollen - und das ist wohl in jedem Falle das Sicherste - so müssen wir erkennen , daß mit jener wunderbaren Funktion , worin der ganze Mensch zu einer belebenden Flamme auflodert , auch der ganze Mensch im natürlichen und im höheren Sinne fortgesetzt wird .
Nur eine verdorbene Phantasie hat um sie ihr lüsternes Unkraut gewoben , sie ist für den wahren Priester des Universums etwas so Ernstes und Schweres wie die Bewegung der Himmelskörper , die Reise des Lichts , der Drang der Voltaischen Säule .
Hier ist uns auf die liebreichste Weise das Mittel in die Hand gegeben , alle kranken Schrecken abzuschütteln , und ich habe immer die Weisheit der alten Indier bewundert , welche aus dem Geschäfte , zu welchem ich Sie aufmuntern möchte , einen Punkt ihrer Pflichtenlehre machten .
Meine Beobachtungen lehrten mich auch fast immer , daß Personen , welche die Zeit nach ihnen verkörpert vor sich sahen , aufhörten , dieselbe zu fürchten , und die wenigen Ausnahmen befestigten mir eben die Regel .
Es ist keine Redensart , es ist eine Wahrheit , daß die Eltern in den Kindern fortleben .
So aber geht es ; der Mensch sucht über den Sternen , was zu seinen Füßen liegt , wie die Spanier nach dem fernen Eldorado fuhren und in den Wildnissen verhungerten , während sie mit treuer Arbeit zu Hause sich hätten nähren und auch des so heiß ersehnten Goldes ein bescheidenes Teil gewinnen können . "
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Am folgenden Morgen besuchte der Domherr den Arzt ganz früh , und eröffnete ihm , daß er sich verheiraten werde , da er auf Erlassung der Zölibatspflicht seitens der Staatsbehörde sicher rechnen könne .
Der Arzt bezeigte sich darüber nicht im mindesten erstaunt , sondern fragte ihn trocken :
" Wen ? " Worauf der Domherr versetzte :
er wisse es noch nicht , da es ihm aber an Bekanntschaft unter den Damen des Landes nicht mangle , so werde er leicht eine angemeßene Partie ermitteln , zu welchem Ende er gegenwärtig aufbrechen wolle .
" Dieser Plan ist ein unglückseliger zu nennen " , sagte der Arzt .
" In Ihren Jahren haben sich Gewohnheiten und Verwöhnungen so festgesetzt , daß ein zweites , freies und selbständiges Wesen nicht mehr in diesen Bann sich finden kann , und die Sache notwendig mit Scheidung oder vollendeter Herrschaft des Pantoffels schließen muß . "
Er erzählte ihm aus dem Stegreife einige Geschichten von verspäteten Heiraten , die wirklich ein betrübtes Ende genommen hatten , so daß der andere ganz nachdenklich wurde , und mit trauriger Miene sagte : " Aber heiraten will ich und muß ich , denn , was Ihr gestern abend zuletzt sagtet , Doktor , das hat Grund , und es ist mir über Nacht schon die Bestätigung geworden .
Ich konnte nicht schlafen , versenkte mich in Eure Unsterblichkeitstheorie , und auf einmal , nicht träumend , sondern wie gesagt , hellwachend im Bezirke jener Gedanken und Gefühle , die Ihr in mir aufgeregt hattet , empfand ich etwas , was mir die unumstößlichste Wahrheit Eurer Behauptungen erwies .
Plötzlich war ich nämlich nicht mehr ich selbst , der Domherr aus dem neunzehnten Jahrhundert , sondern mein Urgroßvater , der General in venezianischen Diensten .
Ich hielt um die Hand meiner Urgroßmutter an , ich drückte mich in dem damals üblichen Kauderwelsch von Deutsch und Französisch aus , und , Ihr mögt mir es glauben oder nicht , ich habe den roten Plüsch mit silbernen Litzen , den er zu tragen pflegte , deutlich auf meinem Leibe gefühlt . "
" Lieber " , sagte der Arzt mit ungläubigem Gesichte , " transzendentale Dinge so ins Einzelne verfolgen , führt nur zu Phantastereien . "
" Ich weiß wohl , daß Ihr gleich wieder skeptisch werdet , wenn Ihr etwas behauptet habt " , versetzte der Domherr .
" Aber ich lasse mich dadurch nicht irreführen .
Den Verjüngungstrank , von dem Ihr neulich spracht , und den Ihr jetzt ableugnet , muß ich auch noch von Euch herausholen .
Kurz , seht mich an :
Bin ich mein Urgroßvater oder bin ich es nicht ? "
" Domherr " , sagte der Arzt , welcher sich während dieses Gesprächs vor seinem Gaste unbefangen ankleidete , " Ihr seid ein großer Narr . "
" Ihr könnt mich gar nicht beleidigen ! " rief der Domherr .
" Heimführen wollt Ihr mich , wie man den Bauer nach Hause schickt ; aber es wird Euch nicht gelingen .
So gewiß ich in mir die Tatsache erlebt habe , daß der Urgroßvater in mir wirklich fortbesteht , so gewiß werde ich in einem Sohne fortdauern , den ich daher fest entschlossen bin , zu erzeugen .
Was soll nun dieses Abschweifen , dieses Ironisieren ?
Gestern waren wir ja ganz einverstanden ; geht doch ehrlich mit mir um . "
" Kann man sich denn auf Sie verlassen ? " erwiderte der Arzt , indem er begann , sich zu rasieren .
" Muß man nicht immer besorgen , daß Sie umschlagen , sobald man glaubt , Sie bei einem Punkte fest zu haben .
Seit mehreren Tagen trage ich mich mit einer Idee , Ihre Unsterblichkeit festzustellen , doch , was hilft das ?
Sie werden nach Ihrem Kopfe heiraten , höchst unglücklich , vielleicht ein Hahnrei werden , und ohne Ihren Zweck zu erreichen , früh ins Grab sinken . "
Der Domherr drang hierauf angelegentlichst in den Arzt , ihm seine Idee zu eröffnen .
Dieser ließ sich lange bitten , endlich sagte er ihm , daß Heiraten ältlicher Männer nur dann zum Heile führen könnten , wenn der Gatte die Gattin sich erzöge .
Er könne ihm ein schönes durch allerhand Unglück hülflos gewordenes Kind aus guter Familie zuweisen , welches gewiß das Erziehungswerk verlohnen , und mit der Zeit die allein für ihn passende Frau abgeben werde .
Als der Domherr nun heftig verlangte , mit diesem Kinde bekanntgemacht zu werden , verwies ihn der Arzt zur Geduld und sagte , er müsse zuerst sich überzeugen , daß er die arme Verlaßene ihm auch sicher anvertrauen könne .
Durch seine Reden schimmerte so etwas von fürstlicher Abkunft , wodurch die Einbildungskraft des Domherrn in Feuer und Flammen gesetzt wurde .
Ihr Gespräch wurde durch einen Bedienten unterbrochen , welcher die Meldung machte , daß Waffenschmiede und andere Handwerker angekommen seien , die nötigen Zurüstungen zum Turnier ins Werk zu richten .
Der Arzt erklärte nun dem Domherrn rundheraus , daß er zuerst das Kampfspiel in Gang bringen helfen müsse , ehe an weitere Unterhandlung über den bewußten Gegenstand zu denken sei .
Dieser fügte sich in die Bedingung und ging mit erneuter Tätigkeit an die halbvergeßenen Arbeiten .
Nun wurden im Ahnensaale rüstige Schmiede und gewandte Polierer beschäftigt , die Rüstungen zu ordnen , auszubessern und zu putzen , so daß in kurzem alles ein blankes Ansehn gewann .
Wo etwas fehlte , wo einem Schwerte , einem Schilde durch leichte Vergoldung nachzuhelfen war , ließ der geschäftige Mann gleich das Nötige besorgen , und da er viel Geschmack besaß , die Kosten nicht schonte , und geschickte Werkmeister unter sich hatte , so konnte er der Herzogin bald eine Sammlung der spiegelhellsten Schutz- und Trutzwaffen vorweisen .
Auf einem grünen Platze hinter dem Park , von dem ein gewundener Weg zu der Anhöhe führte , auf welcher der Geistliche Hermann versucht hatte , sollte das Turnier gehalten werden .
Der Domherr ließ den Rasen abstechen , Sand anfahren , Schranken und Tribünen aufrichten .
Mit Hilfe reichlicher Trinkgelder erhoben sich , zum Erstaunen schnell , zierliche gotische Gerüste , die auf leichten Pfeilern um den reinlichen Plan liefen .
Im Inneren des Schlosses beschäftigte er fünf fleißige Tapezierer , welche die Fahnen , Behänge , Festons und Pavillon so rasch lieferten , daß man berechnen konnte , mit allen Vorbereitungen wenigstens acht Tage vor dem Geburtsfeste des Herzogs , welches in die Mitte des Junis fiel , fertig zu werden .
Unter dem Hammern , Klopfen und Nieten , wovon das Geräusch durch das ganze Schloß schallte , drangen eine Menge Hausierer und Juden ein , welche immer , wie durch Instinkt geleitet , merken , wo es etwas zu handeln geben möchte , Seiltänzer und Taschenspieler meldeten sich , um bei dem ritterlichen Spiele ihre Künste zu zeigen , ein zudringlicher Mensch , der eine kleine Menagerie umherführte , hatte nur mit Mühe abgewiesen werden können .
Der Zulauf so vieler fremder Gesichter verursachte einige Hausdiebstähle , welche , obgleich sie unbedeutend waren , der Herzogin die trübsten Stunden machten .
Indessen wußte sie sich gegen den weiblichen Besuch , der ihr jetzt fast täglich aus der Nachbarschaft zuteil wurde , auf das beste zusammenzunehmen .
Diese Damen , welche entweder ihre eigene Sache , oder die ihrer Töchter führten , hätten gern erfahren , wer zur Königin der Minne und Schönheit bestimmt worden sei ? und jede schöpfte aus den freundlichen Mienen und gefälligen Worten der liebenswürdigen Festgeberin beim Abschiede die schönsten Hoffnungen .
Während nun der Domherr mit Freigebigkeit jedes Hindernis bezwang , die teuersten Rechnungen genehmigte und doppelten Taglohn anwies , warf die Herzogin immer ängstlichere Blicke auf ihre Nadelgelder , mit welchen sie sehr haushälterisch umzugehen gewohnt war , und die unmöglich für diesen Aufwand zureichen konnten .
Kaum bemerkte der Herzog , welcher sonst für alles jetzt taub und blind zu sein schien , an seiner Gemahlin eine Verlegenheit , als er , die Ursache ahnend , dem Arzte eine bedeutende Summe einhändigen ließ , mit der Weisung , dafür Sorge zu tragen , daß sämtliche Rechnungen bis zur Hälfte gekürzt , seiner Gemahlin vorgelegt würden .
Der Domherr las in den Abendstunden , wann seine Geschäfte zu Ende waren , viel in Memoiren einer gewissen Gattung , von denen der Vater des Herzogs eine starke Sammlung in der Bibliothek hatte aufstellen lassen .
Seine Vermutungen , welcher erlauchten Familie Sprößling ihm anvertraut werden solle , schweiften wild umher .
Er suchte bei den Orleans , bei italienischen und russischen Geschlechtern .
Endlich fand er es so reizend , ein Kind aus dem bekanntlich nie ganz erloschenen Stamme der Komnenen zu seiner Gattin zu erziehen , daß der Gedanke sich in ihm festsetzte , Flämmchen müsse daher rühren .
Denn den Namen hatte ihm der Arzt vertraut , der sonst unerbittlich blieb , und erst nach dem Turnier ihn zu dem Mädchen führen wollte .
Dieser schrieb indessen in seinem Denkbuche allerhand Bemerkungen nieder , von denen wir einige hier mitteilen .
* " Was ist ein Menschenleben ?
Ein Nichts .
Jedes Ereignis , welches in der Geschichte Front macht , fährt gleichgültig über deren tausend hin , die alle in unseren Augen ebenso kostbar und wichtig erscheinen müssen , als das einzelne , womit wir uns im Zustande des sogenannten Friedens ängstlich zu schaffen machen .
Unter allen Wahrheiten ist die wahrste , daß kein Mensch unentbehrlich ist .
Der Arzt stellt sich an , als sei er vom Gegenteil überzeugt . "
* " Man wird es müde , Blut und Fleisch , Nerven und Eingeweide zu untersuchen .
Was wir von diesen Dingen wissen können , wissen wir so ziemlich , und ich für meine Person Teile wenigstens den Eifer meiner Kollegen nicht , zu dem aufgeschichteten Haufen der Tatsächelchen noch das und jenes Sandkörnchen zu fügen .
Die einzige interessante Substanz bleibt für mich noch die menschliche Seele . "
* " Da gälte es nun , Experimente anzustellen , zu analysieren , zu verbinden .
Wie man Blut und andere Flüssigkeiten des Körpers auf den geeigneten Mitteln prüft , so müßte man ein gleiches Verfahren mit den Geistern anstellen , um zu sehen , in welche Bestandteile sie sich zersetzen lassen , was an ihnen wandelbar und was dagegen unbezwinglich erscheint .
Freilich verbietet die Moral den Gebrauch der Agenzien und Reagenzien , welche in dieser Sphäre allein wirksam sein möchten .
Allein , wie uns niemand darüber Vorwürfe macht , wenn wir , um zu einem wichtigen wissenschaftlichen Aufschlüsse zu gelangen , den Schmerz der Tiere nicht achten , so gibt es ja auch wohl unter den Menschen Exemplare , mit denen man allenfalls sich erlauben dürfte , Versuche zu machen . "
* " Und dann habe ich bei den Dingen , die mir jetzt durch den Kopf gehen , doch immer eine gute Absicht : Abweichungen im Psychischen wieder auf die Linie der Natur zurückzuführen .
Wer kann mich also tadeln ? "
* " Was ich von dem Mädchen höre , lege ich mir als Arzt leicht aus .
Dennoch bleibt darin etwas Mystisches .
Tanz ?
Wer hat seine Bedeutung schon ergründet ?
Religiöse Tänze .
Tanz der Schamanen . "
* " Wenn ich den alten Wilhelmi um eine Lappalie verbannt und trauernd sehe , wenn ich den Lärmen um nichts hier im Schlosse höre , wenn ich daran denke , wie der Herzog , ohne Kinder , spart , um nur das Fideikommiss zu vergrößern , welches einmal Gott weiß wem ? zustatten kommt , wenn ich den Krämer von der einen und den Pfaffen von der anderen Seite lauern sehe , so ist es mir , als müsse über kurz oder lang etwas Fremdes , Unerwartetes hereinbrechen , wovon jetzt keiner einen Begriff hat . "
* " Was hat uns denn nur zusammengeblasen und was hält uns noch beieinander ? "
* " Es ist mit den Häusern , den Familien , den Freundschaften zu Ende , man sieht es klar . "
* " Wenn ich nur der verruchten Liebe quitt werden könnte !
Daß eine weiße Haut , eine kleine Hand , eine Iris von der und der Farbe , ein seidenes Kleid und ein gesticktes Taschentuch einen vernünftigen Menschen aus der Fassung bringen !
Und es ist keine Sinnlichkeit dabei ; das ist das schlimmste . "
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Der Arzt , welcher von Zeit zu Zeit einsame Spazierritte nach Flämmchens Verstecke machte , um sich über ihren Zustand aufzuklären , hatte es dem beharrlichen Andringen des Domherrn endlich doch nicht versagen können , sie wenigstens ihm zu zeigen .
Vorher mußte aber der launische Mann eine Verschreibung ausstellen , wodurch er sich anheischig machte , eine bedeutende Summe einzubüßen , wenn er das Mädchen zu sich nähme , und sie dann auf das Geratewohl wieder entließe .
Dieses Papier unterschrieb er ohne Zaudern , denn er glaubte fest an die Beständigkeit seiner Entschlüsse , obgleich er , wie wir wissen , darin täglich wechselte .
Es war zu Ausgang Mais , und ein wunderschöner Mondabend .
Der Arzt hatte vorgeschlagen , zu reiten , jedoch bei seinem Freunde kein Gehör gefunden , welcher die Gefahr der Erkältung vorschützte und anspannen ließ .
Jener wunderte sich , daß verschiedene Sachen , die man auf dieser kurzen Fahrt nicht gebrauchte , in den Wagen getragen wurden .
Man konnte mit dem Wagen nur bis zu einer gewissen Entfernung von der Hütte der Alten vordringen , und hatte noch eine starke Viertelstunde zu gehen .
Der Domherr sagte dem Kutscher etwas ins Ohr , und machte sich dann mit dem Arzte auf den Weg .
Dieser erzählte seinem Begleiter , um ihn auf den Anblick , der seiner wartete , vorzubereiten , was er von der Alten gehört hatte .
Das Mädchen war nach dem ersten Erstaunen über das Wiederfinden ihrer Zigeunerin in einen sonderbaren Zustand verfallen .
In der Einsamkeit zwischen Waldeichen , Klippen und Bachwellen machte sie gewissermaßen zum ersten Male die Bekanntschaft der Natur , und der Eindruck , den diese Gewaltige auf einen halbreifen Geist , der , wie der Arzt sich ausdruckte , eigentlich nur Phantasie war , hervorbrachte , war sehr stark .
Sie ging , wie eine Träumende umher , führte Gespräche mit den Bäumen und Steinen , und war dann oft wieder wie erstarrt .
Gleichzeitig traten bei ihr gewisse körperliche Erscheinungen ein , die sie sehr angreifen mußten , denn sie begann an Konvulsionen zu leiden , welche die Alte besorgt machten , daß daraus eine Art von Veitstanz entstände .
Letztere verschwieg indessen ihrem Beschützer alles dieses , weil sie befürchtete , er möchte ihr das Kind wegnehmen , zu welchem sie , nachdem sie ihm einmal tief in die Augen geschaut , eine unbezwingliche Neigung gefaßt hatte .
Sie behandelte ihren Pflegling mit Kräutern und Tränken , und hatte die Freude , ihn bald hergestellt zu sehen .
Es entwickelte sich nun etwas an dem Mädchen , was niemand hatte vorausahnen können , nämlich eine Neigung , oder - denn dieses Wort sagt viel zuwenig - eine unwiderstehliche Notwendigkeit , zu tanzen .
Als das Mondlicht kam , ging Flämmchen eines Abends fort , und wurde von der Alten , die ihr nachgeschlichen war , auf einer Felsenplatte in den wundersamsten Bewegungen angetroffen .
Diese wiederholten sich seitdem alle Abende , und nun , da das Mädchen wieder gesund wurde , erhielt erst der Arzt vom Vorgefallenen Kunde .
" Es ist " , sagte er , " als habe ihr Organismus alle Schrecken abschütteln , und zugleich ein geheimes Gesetz der Schönheit , welches lange in dem armen verlaßenen Kinde geschlummert , entfalten wollen . "
Unter dieser Erzählung waren sie aus dem Dickicht auf einen frei hervorspringenden Hügel getreten .
Der Domherr , welcher immer einige Schritte vorausgehabt hatte , stand plötzlich still , und rief mit gedämpfter Stimme :
" Was ist das ? "
Der Hügel verlief in ein glattes , Grades , ziemlich geräumiges Felsenstück .
Auf dieser natürlichen Bühne schritt Flämmchen umher , in den Vorbereitungen zu ihrem Tanze begriffen .
Die Nacht war taghell , so daß man alles genau sehen konnte , die Entfernung so gering , daß kein Laut verlorenging .
Beide Männer drückten sich hinter einen Stamm ; seitwärts zwischen den Kanten eines ausgezackten Gesteins wurde der schwarzbraune Kopf der Alten sichtbar , die , am Boden zusammengekauert , gleichfalls horchte und lauschte .
Einen Kranz auf dem Haupte , und einen in jeder Hand haltend , schritt das Mädchen gemessen , fast feierlich , erst rund um die Felsenplatte , als vollziehe sie die Weihe des Orts .
Dann in die Mitte sich stellend , wandte sie ihr glänzendes Antlitz gegen den Mond , und begann nun , immer seiner leuchtenden Scheibe zugekehrt , ihren ausdrucksvollen Tanz .
Bald neigte sie sich ihm mit zärtlicher Gebärde entgegen , bald schien sie vor ihm verstellterweise zu fliehen , jetzt hob sie den einen , dann den anderen Kranz lockend empor , darauf ließ sie beide sinken , verwechselte sie , warf sie in die Luft , daß sie dort Bogen beschrieben , und fing sie jederzeit gewandt und zierlich wieder auf , während Füße und Leib ihr anmutiges Spiel fortsetzten .
Der Sinn dieses Tanzes war ein liebliches Gedicht ; der kalte hohe Freund da oben , sollte zur Erde herabgezogen werden , mit welcher er einst in größerer Vertraulichkeit gelebt habe , und auf der jede Sehnsucht nur eine Erinnerung an diese schöne Liebeszeit sei .
Was ihre Bewegungen an diesem Mondscheinmärchen noch dunkel ließen , deuteten Strophen aus , die sie dazwischen absang , und womit sie sich den Takt anzugeben schien .
Sie hatten alle ein gewisses Metrum , bestanden aber oft nur aus abgebrochenen Worten , deren Verbindung die Zuhörenden ergänzen mußten .
Die Alte gab zuweilen in einer fremden Sprache , welche weder der Arzt , noch der Domherr verstand , eine Art von Refrain zu vernehmen .
Der Domherr war wie außer sich .
Trotz aller Verkehrtheiten , welche diesem Manne anklebten , mußte man ihm wenigstens einen zarten Sinn für das Schöne , besonders der phantastischen Gattung , zugestehen .
Er seufzte , drückte dem Arzte die Hand ; dieser sah , daß Tränen aus seinen Augen flossen .
" Ist es nicht " , sagte der Domherr leise , " als sei die alte Fabel wieder jung geworden , und schaue uns Spätlinge mit entzückenden Kindesaugen an ?
Was sind unsere Ballette mit ihrer absichtsvollen Lüsternheit gegen dieses einzige Schauspiel ?
Hier entbrennt eine Seele , deren Drange nichts Geringeres als das Ganze : Fuß , Hand , Leib , Stimme , genügen kann , zu einem lebendigen Kunstwerke , und spricht das aus , wozu der armen , stummen , gefesselten Natur ewig die Organe mangeln !
Wie danke ich Ihnen , mein Freund , für solchen Anblick ! "
Die Bewegungen Flämmchens waren langsamer geworden , die Kränze entfielen ihren Händen , sie sank mit dem Ausdrucke einer angenehmen Ermattung auf einen Stein und schien einzuschlummern .
Die Alte kam zwischen den Klippen hervor .
" So ruht sie nun , und läßt mit sich machen , was man will " , sagte sie .
" Wenn ich sie auf ihre Füße stelle , so geht sie auch , von mir gestützt , und weiß dennoch von nichts . "
" Kommen Sie " , sagte der Arzt zum Domherrn .
" Es ist in der Tat kühl , und ich spreche heute nicht im Scherz , sondern im Ernst von Erkältungen . "
- " Lassen Sie mich bei dem schönen Kinde noch einen Augenblick allein " , versetzte der Domherr .
" Ich kann mich an ihr nicht satt sehen , und werde sie in die Hütte nachbringen . "
Der Arzt stieg mit der Alten die Klippen hinunter .
Unten begegnete ihnen ein Mensch , der sich verirrt zu haben schien , denn er fragte ängstlich und eilig nach dem Wege , der auf den Felsen führe .
Erst nachdem er zurechtgewiesen und vorbei war , erkannte der Arzt in ihm den Bedienten des Domherrn .
Unten in der Hütte kündigte er der Alten an , daß er Flämmchen wahrscheinlich binnen kurzem von ihr nehmen werde .
Auf dieses Wort stand sie wie versteinert , und sah ihn mit starren Augen an .
Er redete ihr zu , und wollte sie durch die Nachricht , daß er das Geld , welches er für das Mädchen ihr gegeben , auch nach deren Entfernung noch eine Zeitlang fortzahlen werde , beschwichtigen .
Sie aber unterbrach ihn , und rief mit einem herzzerreißenden Tone :
" Nehmen Sie mir das Kind nicht ! "
" Was soll sie ferner bei dir ? " versetzte er .
" Überhaupt , wie kommt es , daß du solchen Anteil an dem unbekannten Mädchen nimmst ? "
" Unbekannt ! " rief die Alte .
" Ach , sie ist mir nur zu wohl bekannt !
O mein Herr , lassen Sie mir das Kind !
Es wehte ein Sturm , und verwehte die Geschlechter der Erde , man schlief ein unter blühenden Mandelbäumen und erwachte im öden , sandigen Blachfeld .
Wißt Ihr , was es heißt , im Grabe gelegen haben , und wieder aufwachen ?
O ich könnte Euch Dinge erzählen , vor denen Ihr erschrecken würdet !
Aber durch Nacht und Tod und Finsternis geht der Weg des Fleisches , und es fügt sich alles wieder zusammen , was zueinander gehörte . "
Er drang in sie , ihm diese dunklen Reden zu erklären .
Sie antwortete hierauf etwas in der fremden Sprache , welche er schon draußen von ihr vernommen hatte , und sagte dann :
" Wollt Ihr , daß ich mein Kleinod hinwerfe , daß Ihr darauf tretet und es zerstört ?
Ich glaube daran , damit gut ; meinen Glauben will ich behalten ! "
Sie legte den Finger auf den Mund , dann ging sie umher , bewegte die Arme , als wollte sie ein Kind in den Schlaf schaukeln , und summte dazu ein Wiegenlied .
Plötzlich fuhr sie empor , rief heftig :
" Was ist das ?
Wo bleibt sie ? " und eilte aus der Hütte .
Verdrießlich über das lange Ausbleiben des Domherrn ging der Arzt in dem düstern , kleinen Raume hin und her , und erwog bei sich , ob es nicht besser sei , alle diese Abenteuer sich selbst zu überlassen , als er von außen einen gellenden Schrei vernahm , und die Alte in die Stube stürzte .
" Verruchte !
Treulose !
Ungeheuer ! " schrie sie .
" Betrügen wolltet Ihr mich !
Das Feuer des Himmels über Euer schändliches Haupt ! "
Die entblößten Brüste , das flatternde , schwarze Haar gaben ihr das Ansehn einer Furie .
" Besinne dich ! " rief der Arzt , und faßte ihren Arm .
" Was ist geschehen ? "
" Der Bösewicht hat sie geraubt !
Ach , ich unglückseliges Weib ! " erwiderte sie jammernd .
Bestürzt klomm der Arzt die Felsen empor .
Es war richtig .
Niemand war auf der Platte zu sehen .
Etwas Weißes flatterte zwischen den Steinen .
Es war ein beschriebenes Blatt .
Er gab sich Mühe , es zu lesen , was aber selbst in dem hellen Mondscheine nicht gelingen wollte .
Von unten hörte er die Klagen der Alten , die schauerlich durch die Nacht tönten .
Mit Mühe arbeitete er sich auf den beschwerlichen Pfaden nach dem Orte zurück , wo auf gebahnter Straße der Wagen des Domherrn stehengeblieben war .
Er war verschwunden .
Als er sein Ohr an den Boden legte , meinte er , in weiter Ferne das Geräusch der fortrollenden Räder zu vernehmen .
Er mußte sich zur Rückkehr entschließen , und dem kommenden Tage überlassen , was weiter zu tun sei .
Als er nach mehreren Stunden ermüdet heimgekommen war , hörte er noch von dem Bedienten zur Vermehrung seiner üblen Laune , daß spät abends Hermann wieder im Schlosse eingetroffen sei .
Er las das Blatt .
Es enthielt nur wenige Zeilen , wodurch der Domherr ihm bekanntmachte , daß er das Mädchen , welches ihm zur Erziehung bestimmt sei , mit sich nehme , und alles zwischen ihnen Verabredete ausführen werde .
Hinzugefügt war die lakonische Bitte , den übereilten Abschied zu entschuldigen , und bei der Herzogin entschuldigen zu helfen .
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Hermann wurde von der Fürstin mit unverstellter Freude empfangen .
Er mußte berichten , wie es ihm ergangen sei , und beeilte sich , sein neues Verhältnis ihr zu entdecken .
Sie fragte ihn , ob er schon die Einwilligung des Oheims habe ?
Er versetzte , daß er , diese einzuholen , den Umweg über die Fabriken gemacht , dort jedoch vergebens einige Wochen auf den Oheim gewartet habe , welcher nach England verreist gewesen sei .
Endlich habe ein Brief von diesem den Seinigen gemeldet , daß er den Rückweg über die Standesherrschaft nehmen wolle , weil er mit dem Herzoge über die streitige Angelegenheit selbst zu sprechen wünsche .
" Darf ich " , sagte er , " wie unbescheidene Bitter zu tun pflegen , aus gewährter Gunst auf vermehrte hoffen , so bleibe ich unter dem Schirme Ihrer Huld , bis der Oheim hier eintrifft . "
Sie sprach über verschiedene Dinge mit ihm , erzählte ihm von dem bevorstehenden Feste , und es fiel ihm auf , daß sie seiner Verlobung weiter mit keinem Worte gedachte .
Der Herzog , welcher dazukam , begrüßte ihn ebenfalls in seiner herablassenden Weise und sagte dann , indem er ihn näher betrachtete :
" Was ist mit Ihnen vorgegangen ?
Sie haben einen Zug im Gesicht , den ich sonst nicht an Ihnen wahrgenommen habe , und den ich nur den Bräutigamszug nenne . "
" Damit könnte es seine Richtigkeit haben " , versetzte Hermann .
" Wirklich ! " rief der Herzog .
" Siehst du , Ulrike , daß ich mich in diesem Punkte nie irre .
Der Bräutigamszug besteht in einem gedankenvollen Senken der Mundwinkel , auch pflegt damit ein eigener Ausdruck der Lippen und Augen verbunden zu sein . "
" Er ist in der Tat verlobt " , sagte die Herzogin .
" Dann mag er sich nur Gewichte an Hände und Füße hängen , denn er sieht noch nicht danach aus , als ob er Willens sei , Stich zu halten " ; fuhr ihr Gemahl in seinen Scherzen fort , die Hermann mit Verwunderung hörte , da er dergleichen von dem Herzoge nicht gewohnt war .
Die Herzogin empfing in diesem Augenblicke die Nachricht von der unvermuteten Abreise des Domherrn .
Sie erschrak , dann aber warf sie einen zuversichtlichen Blick auf unseren Freund , und ihr Gemahl sagte , da sie sich hierauf mit etwas anderem beschäftigte , ihm leise ins Ohr : " Sie erscheinen , wie der Spiritus familiaris , immer zur rechten Zeit ; wenn die Not am höchsten , sind Sie am nächsten .
Meine Frau würde es ohne Sie nicht zustande gebracht haben , helfen Sie ihr recht treulich , Sie erwerben sich wirklich dadurch ein Verdienst um unseren Stand . "
Kaum hatte er sich gefällig entfernt , als Hermann bereits mit einer Menge von Aufträgen für die Anordnung der Festlichkeiten versehen wurde .
Er mußte , als er sich darangab , dieselben auszurichten , mancher Reden Wilhelmis gedenken , und sagte zu sich selbst :
" Sollte es denn wahr sein , daß das Erbübel der privilegierten Stände , der Egoismus , immer noch , wenngleich von angenehmen Formen bedeckt , in alter Stärke fortwuchert ?
Um mein persönliches Geschick hat man sich kaum bekümmert , ja , der Herzog fragte nicht einmal nach dem Namen der Braut . "
Waren diese Betrachtungen geeignet , in ihm eine verdrießliche Stimmung hervorzurufen , so mußte ihm dagegen die fröhliche Bewegung , welche unter den Arbeitern entstand , als er ihnen ankündigte , daß er nunmehr die Leitung des Ganzen übernehme , wohltun .
Die Menschen leisten gern das Mögliche , wenn ihnen gehörig befohlen wird .
Sein sicheres anstelliges Wesen war den Leuten im Schlosse von sonst her bekannt , sie rühmten den fremden Werkmeistern diese Eigenschaften , und gleich war ein erhöhter Eifer überall sichtbar .
Hermann ließ sich die Apparate vorweisen , und besuchte den Turnierplatz .
Er fand bald , daß , obgleich vieles getan war , doch noch mehreres nachzuholen übrig blieb .
Denn der Domherr hatte in seiner hastigen Manier oft das Nötigste vergessen .
So waren unter anderem keine Treppen angebracht worden , auf welchen die Zuschauer zu den Tribünen emporsteigen konnten .
Hermann mußte sich daher entschließen , einen Teil des Bretterwerks wieder abbrechen zu lassen , um die nötigen Zugänge zu öffnen .
Unter den Hausbeamten , welche bei diesen Zurüstungen mitwirkten , bemerkte er einen Mann von unangenehmen Manieren , dessen Wesen etwas Aufdringliches hatte .
Man nannte ihn nur den Amtmann vom Falkenstein .
Hermann erfuhr , daß er Kammerdiener bei dem Großvater des jetzt regierenden Herrn gewesen sei , daß er bei jenem und bei dem Vater des Herzogs in Ansehn und Einfluß gestanden habe .
Die jetzige Herrschaft , hieß es , dulde ihn , obgleich er ihr nicht genehm sei , weil er für den Mitwisser verfänglicher Geheimnisse gehalten werde , die jedoch der Herzog ihrem eigentlichen Inhalte nach selbst nicht kennen solle .
Dieser Mensch , welcher über alles seine spöttischen Bemerkungen machte , faßte Hermann scharf ins Auge , und begegnete ihm darauf mit einer übertriebenen Höflichkeit .
Er nannte ihn nur den gnädigen Herrn , und sagte zu den Leuten laut , so daß Hermann es hören mußte , sie möchten ja alles pünktlich tun , was der gnädige Herr befehle .
Bei Tafel sah er sich vergebens nach Wilhelmi um .
Er fragte seinen Nachbar nach diesem alten Freunde .
Der Mann blickte verlegen vor sich hin , und gab ihm ein Zeichen , daß er es zu vermeiden wünsche , über jenen hier Auskunft zu erteilen .
Mit dem Arzte hatte er über Flämmchen reden wollen , dieser vermied ihn sichtlich , und setzte sich ein paar Plätze weit von ihm weg .
Das Gespräch berührte nur die gleichgültigsten Dinge ; alle schienen mit ihren Gedanken abwesend zu sein .
Die außerordentlich heitere Laune des Herzogs fiel ihm immer mehr auf .
Der sonst ziemlich trockene Herr erschöpfte sich in munteren Einfällen , die nur zuweilen einem eigenen schwärmerischen Ernste Raum gaben .
Seine ganze Stimmung schien eine erhöhte zu sein .
Auch ein gewisses Zeremoniell hatte sich an der Stelle der sonstigen Ungezwungenheit eingefunden .
Früher waren die fürstlichen Personen , jede für sich , wie die Dame ihre Toilette , der Herr seine Geschäfte beendigt hatte , in den Speisesaal getreten .
Heute war von zwei Bedienten , nachdem die Gesellschaft eine volle Viertelstunde versammelt gewesen , die Flügeltüre aufgetan worden , und der Herzog hatte seine Gemahlin feierlich-zierlich an den Fingerspitzen in den Saal geführt .
In gleicher Weise nahm er mit ihr nach aufgehobener Tafel seinen Rückzug , ohne weiter mit den Tischgenossen zu verkehren .
Indessen hatte unser Freund nicht lange Zeit , über diese Veränderungen nachzudenken .
Schon waren die jungen Edelleute wieder angekommen , welche , wie neulich die Rüstungen , so nun Lanze und Schwert probieren wollten .
Hermann wurde beordert , die Recken zu empfangen , und der Übung als Waffenkönig vorzustehn .
Wieder legte man im Ahnensaale unter schallendem Jubel die Panzer und Schienen an , die nun , glänzend , den Gliedern angepaßt , die vielen jugendlichen Gestalten kräftig hervorhoben .
Der klirrende , schimmernde Zug stieg eine verborgene Treppe hinunter , um durch eine Hintertür in das Freie zu gelangen .
Alle waren außer sich vor Freude und Hermann hatte genug zu tun , um die lauten Ausbrüche des Entzückens , welche ungelegene Zuschauer herbeiziehn konnten , zu mäßigen .
Draußen standen die Pferde der Ritter .
Sie scheuten bei dem Anblicke ihrer verwandelten Gebieter , und prallten zurück .
Die Reitknechte hatten einige Mühe , die brausenden Tiere zu begütigen , was indessen doch zuletzt den angewandten Schmeichelkünsten gelang .
Man saß auf , und nach einigem Springen und Bocken schien die Gewandtheit der jungen Männer siegen zu sollen .
Nur einer , ein ältlicher Herr , der es aber für seinen Vorteil ansah , sich so lange als möglich zur Jugend zu halten , konnte trotz aller Mühe nicht auf seinen Rappen gelangen , und mußte endlich von dem schweißtreibenden Werke abstehn .
Er gab dem armen Tiere , welches in seiner Furcht vor dem stählernen Herrn wahrlich noch mehr ausstand , als er , einen ungerechten Schlag , ließ sich entwaffnen , und setzte sich in seinem grünen Nankingröckchen traurig unter eine Fichte .
Seit der Zeit wurde dieser Mann , welcher vorher das Fest eifrigst hatte betreiben helfen , ein Verächter desselben ; die anderen aber gaben ihm unter scherzhafter Anspielung auf den Helden des Scottschen Romans den Spitznamen : el Desdichado , oder der Enterbte .
Auch wir sind genötigt , ihn künftighin , wo er uns noch vorkommen sollte , unter dieser Bezeichnung aufzuführen , da die Geschichte seinen wahren Namen nicht aufbewahrt hat .
Hermann ließ die Ritter nun zuvörderst einige Volten auf dem Turnierplätze machen , und dabei den Speer senkrecht im Bügel führen .
Dann mußten sie in gleicher Weise , zwei Glieder tief und zwölf Lanzen hoch - denn im ganzen hatten sich so viele Kämpferpaare gemeldet - rund um den Plan sprengen .
Diese vorläufigen Übungen gelangen vortrefflich , und gaben die besten Hoffnungen .
Daß einige etwas hart die hölzernen Schranken streiften , andere nicht die völlige stallmeisterliche Sicherheit in den Sätteln behaupteten , konnte hierbei nichts verschlagen , da solche kleine Unregelmäßigkeiten kaum irgendwo ausbleiben , wo Mensch und Roß sich zusammenfinden .
Man war daher kühn geworden , und wollte gleich mit dem Schwierigsten beginnen , mit dem allgemeinen Lanzenstechen , Zwölf gegen Zwölf .
Hermann hielt es aber für ratsam , stufenweise zu verfahren , und bestand darauf , daß sich zuerst die Paare einzeln gegeneinander versuchen sollten .
Er selbst begann , im knappen Kollett auf einem leichtfüßigen Engländer sich wiegend , an der Sache Geschmack zu finden .
Die Herzogin sah zwischen den Bäumen aus ihrer Droschke zu , und man will wissen , daß unser Freund mehr als nötig , sein Roßlein habe kurbettieren lassen , obgleich er sich gewissenhaft bestrebte , nur an die ferne Cornelie zu denken .
Wie es bei solchen Gelegenheiten zu geschehen pflegt : die Schwächsten drängten sich zu den ersten Versuchen , während die tüchtigsten Reiter lächelnd warteten , um zuletzt das Hauptstück zu vollführen .
Leider zeigte sich nur zu bald , wie gegründet Hermanns Vorsicht gewesen war , da auch sie das Geschick nicht abzuhalten vermochte , welches nun einmal in seinem Eigensinne jeden Versuch , dahingeschwundene Zeiten wiederzuerwecken , vereiteln zu wollen scheint .
Man kann nicht sagen , daß diese Adligen das Unmögliche gewollt hätten .
Die Aussicht , mit zerbrochenen Gliedern vor Oheimen und Tanten , Schwestern und Bräuten im Sande zu liegen , hatte für keinen der Kämpfer etwas Erfreuliches ; es war daher durch eine stillschweigende Übereinkunft vorgesehen worden , daß so wenig Gefahr , als möglich , entstände .
Man hatte die Schäfte der Lanzen dünn und von sprödem , zerbrechlichem Holze machen lassen .
Es war mithin mehr Wahrscheinlichkeit vorhanden , daß diese schwachen Waffen auf der beschützten Brust der Gegner zerbrechen , als daß die Kämpfer von der Gewaltsamkeit des Stoßes zu Boden stürzen würden .
Die ersten , welche gegeneinander ritten , waren zwei junge Vettern , namens Caspar und Max , denn alle diese Erben riefen sich gegenseitig fast nur bei ihren Vornamen .
Sie sprengten hastig ein , und es wäre gewiß zu einem lebhaften Treffen gekommen , wenn nicht die Pferde , als man noch etwa sechs Schritte voneinander war , plötzlich stillgestanden hätten , so daß die Reiter , von dieser unvorhergesehenen Hemmung erschüttert , beinahe über die Hälse ihrer Tiere hinweggeflogen wären .
Umsonst war alles Schenkelandrücken und Spornen ; die Pferde sahen einander feurig und wütend mit schnaubenden Nüstern an , ließen sich geduldig auf die Punkte , von denen ausgelaufen wurde , zurückreiten , rannten lustig vor , standen aber dann auf den Stellen , über welchen ein Zauber zu brüten schien , wie angemauert still .
Nachdem diese Vereitlungen sich drei- bis viermal wiederholt hatten , wurde einigen Reitknechten geheißen , die Hinterteile der Widerspenstigen mit Peitschenhieben zu bearbeiten , was offenbar nur für einen Ausbruch roher Leidenschaftlichkeit gelten konnte , denn man durfte doch unmöglich beabsichtigen , am Tage des Turniers die Kämpfer auf eine so lächerliche und unwürdige Weise von hinten flott zu machen .
Auch halfen jene Hiebe nur insoweit , daß die Pferde ausschlugen , und beinahe einen der Züchtiger getroffen hätten ; vorne wichen und wankten sie nicht .
Hierauf stiegen Caspar und Max ab , schleuderten unter lauten , landüblichen Flüchen ihre Lanzen weg , und setzten sich zum Enterbten , der seinerseits bei dem Anblicke dieser Hemmung wieder etwas heiterer zu werden begann .
Demnächst ritten zwei andere Vettern , welche Konrad und Bernhard hießen .
Deren Pferde blieben keineswegs stehen , schossen vielmehr , als ihre Herrn eben meinten , einander mit den Spitzen der Lanzen erreichen zu können , recht und links abspringend , vorbei , im wütenden Laufe über die niedrigen Schranken hinwegsetzend , gerade auf die Tribünen zu .
Da die Pfeilerbogen derselben nicht so hoch waren , daß ein ausgewachsener Mann zu Pferde darunter wegkommen konnte , so wären die Reiter verloren gewesen , wenn sie sich nicht rasch bügellos gemacht und zur Erde gelassen hätten .
Glücklicherweise lag auf jeder Seite ein großer Haufen Sand , welcher noch umher verbreitet werden sollte .
Auf diese natürlichen Betten stürzten die Jünglinge , und diese Sandhaufen waren es , welche ihr Leben retteten .
Denn obgleich dem einen das Blut aus Mund und Nase quoll , und der andere mehrere Minuten betäubt dalag , so zeigte sich doch , als man die Helme abnahm , und die Panzer aufschnallte , außer einigen Quetschungen und Schrunden kein Schaden .
Sie standen auf , der Betäubte zuletzt , gingen zum Enterbten , dem die Schadenfreude immer heller aus dem Gesichte leuchtete , begehrten kein Lanzenrennen weiter , sondern nur den Feldscherer , der denn auch bald nachher mit Bindzeug und Seifenspiritus ankam .
Hermann sah die Herzogin die Hände ringen und suchte alles fernere Stechen und Tjosten zu hindern .
Seine Zurufungen fruchteten aber nichts .
Gleichsam als ob der Anblick der Gefahr etwas Verführerisches habe !
Die folgenden sechs Paare stürzten sich nur noch heftiger in den Kampf .
Bei ihnen nahmen Ungeschick und Zufall mannigfaltigere Gestalten an .
Mehrere fielen ohne Umstände von den Pferden , einer stach , seine Lanze zu hoch führend , durch das Visiergitter des Gegners und bohrte diesem beinahe das Auge aus , etliche rannten so zusammen , daß , wie sie sich nachmals ausdruckten , ihre Rippen knackten .
Auch die armen Tiere , welche nicht so geschickt , wie ihre Vorgänger , die Kämpfe des Mittelalters zu vermeiden wußten , litten , denn zwei Pferde wurden lahm und eins brach im Niedersitzen auf die Kruppe , einen Fuß .
Kurz , es wurde offenbar , daß weder Rosse noch Reiter zu dem Ritterspiele paßten .
Es waren noch vier Paare übrig , und gerade die gewandtesten ; lauter Kavallerie-Offiziere .
Obgleich diese mit bedenklichen Blicken das Schlachtfeld überschauten , so machten sie sich doch auch fertig , Wunden und Beulen zu gewinnen .
Da hörte Hermann mehrere Male seinen Namen überlaut rufen , wandte sich um , und sah die Herzogin leichenblaß neben der Droschke stehen .
Sie winkte ihn ängstlich herbei , und er verfehlte nicht , dem Zeichen eiligst zu folgen , nachdem er den noch unversehrten Kämpfern geboten hatte , wenigstens bis zu seiner Rückkunft ihren Eifer zu mäßigen .
Ein Strom von Tränen floß aus ihren Augen ; die armen feinen Lippen zitterten , sie war außer sich .
Ohne der Menschen zu achten , welche sich in großer Anzahl versammelt hatten , der Waffenprobe zuzusehn , ergriff sie leidenschaftlich seine Hand , verwünschte das Turnier , den unseligen Domherrn , welcher es angegeben , den Arzt , der ihr nicht mit besserem Rate beigestanden , Wilhelmi , dem Grillen lieber wären , als die Angelegenheiten seiner Freunde ; rief , daß wenn Hermann im Schlosse geblieben wäre , er es ihr ausgeredet haben würde .
Augenblicklich sollten Schranken und Gerüste abgebrochen werden , denn sie wolle nicht eine zweite Angst , wie die heutige , erleben .
Hermann gab ihr die heiligsten Versichrungen , daß niemand an Leib und Leben geschädigt sei , daß es doch noch zu einem schönen gefahrlosen Feste kommen solle , und daß er schon einen Gedanken darüber habe , den er ihr sofort mitteilen werde .
Er hob sie sanft in den Wagen , und hieß den Kutscher auf der Stelle nach dem Schlosse fahren .
Sie ruhte willenlos auf dem Sitze , ließ geschehen , was er anordnete , und bat ihn nur beim Wegfahren mit leiser Stimme , ja gleich nachzukommen .
Er eilte zu den Edelleuten zurück und verkündete ihnen den Willen der Fürstin .
Die noch nicht gekämpft hatten , waren im stillen zufrieden , daß es nicht dazu kommen sollte .
Aber alle riefen :
" Was wird nun aus unseren schönen Mänteln und Trikots , worin wir tanzen wollten ? "
" Sie werden alle in Ihren Mänteln tanzen , es gibt doch ein Fest ! " versetzte Hermann zuversichtlich .
" So ? " fragte der Enterbte höhnisch .
" Wollen Sie etwa eine Freiredoute geben ? "
Man warf die Rüstungen ab .
Zwei Birutschen wurden vom Schlosse herbeigeschafft , in welche man die Wunden und Gequetschten lud .
Langsam ritten die unversehrt Gebliebenen beiher .
Die Reitknechte folgten mit den hinkenden Pferden an der Hand .
Das , welches den Fuß gebrochen hatte , und jämmerlich stöhnte , blieb zurück .
So sehr verunglückte eine Nachahmung des Turniers bei Ashby de la Zauche im neunzehnten Jahrhundert .
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Unangemeldet , - denn die ganze Dienerschaft befand sich noch auf dem Turnierplatze - trat Hermann in das Zimmer der Herzogin .
Sie war nicht dort .
Die Vorhänge waren der Sonne wegen niedergelassen ; eine sanfte Dämmerung erfüllte den heimlichen Raum .
Hermann warf seine verlangenden Blicke umher , und empfand ganz den süßen Schauder , der uns ergreift , wenn wir für uns die stillen Umgebungen der Frauen mustern dürfen , mit denen sich unsere Einbildungskraft beschäftigt .
Seine Augen schweiften von der halbfertigen Stickerei , auf der ihre Hände gelegen hatten , zu den Blumen , die ihr Hauch berührte , von da zu den Porträts , an denen manche Erinnerung haften mochte .
Die Blätter dieses Gebetbuchs empfingen ihre unschuldige Morgenandacht , in jenem Sessel mit dem gestickten Fußbänkchen davor , ruhte sie gewiß aus , wenn sie vom Spaziergange zurückkehrte !
Schon wollte er sich bescheiden wieder in das Vorzimmer zurückziehn , als er in der Ecke den Papagei gewahr wurde , der , wenn wir nicht irren , schon zuweilen in diesen Geschichten erwähnt worden ist .
Die Klappe des Schreibtisches war offengelassen worden , Papiere , aus farbigen Mappen hervorsehend , lagen darauf .
Der dreiste Vogel hatte sich die Entfernung der Gebieterin zunutze gemacht , vieles herausgezerrt , zerbissen , auf den Fußboden gestreut .
Jetzt saß er auf dem Rande eines Korbes , welcher zur Aufnahme der weggeworfenen Papierschnitzel diente , und zerstörte mit großer Emsigkeit ein paar feine rote Blättchen , die er zwischen Klauen und Schnabel hin- und herzog .
Hermann wollte ihm den Raub abjagen ; der Papagei ließ die Blätter in den Korb fallen und entfloh mit lächerlichen Sprüngen .
Hermann sah in dem Korbe die halbzerrißenen Blätter auf anderen gleichfarbigen liegen ; er mußte sie für Wegwurf halten und konnte meinen , wenigstens keine Indiskretion zu begehen , wenn er sich dieselben zueignete .
Die Handschrift der Herzogin winkte ihm von ihnen entgegen ; in seinen unklaren verworrenen Empfindungen streckte er nach ihnen die bebende Hand aus , er wollte etwas von der Fürstin besitzen , heute besitzen , er drückte unwillkürlich seinen Mund auf die Blätter , und schob sie unter die Weste ; auf seinem Herzen sollten sie ruhn .
Wie ein Schatten schwebte die Gestalt Corneliens seiner Seele vorüber , schon hatten seine Finger die Blätter gefaßt , um sie an ihren Ort zurückzubringen , als das Erscheinen der Herzogin , die aus dem anstoßenden Gemache in das Zimmer trat , dieses gute Vorhaben vereitelte .
Verweint trat sie ihm , schamrot er ihr entgegen .
" Das gehört auch noch zu den üblen Folgen solcher Zerstreuungen , worin ich seit vier Wochen lebe , daß man das nächste vergißt " , sagte sie , indem sie die Verwüstung erblickte .
" Ich kenne den Schelm und seine Unarten , und lasse ihn hier uneingesperrt bei den Papieren zurück . "
Hermann hob die am Boden liegenden Blätter auf , sie ordnete sie , so gut es in der Schnelligkeit gehen wollte , in die Mäppchen ein , und sagte : " Es sind meine Erinnerungsblätter , ich hatte heute ein Bedürfnis , darin zu lesen .
Welchen eigenen Eindruck macht eine solche Lektüre !
Wie vieles schreibt man auf , worüber man kurz nachher lächeln muß , oder wovor man auch wohl zu erröten hat . -
Aber nun , mein Helfer und mein Trost , zur Hauptsache !
Die ganze Gegend ist in Erwartung unseres Festes , es kostet leider , wie ich aus den Rechnungen , die mir nach und nach jetzt schon vorgelegt werden , sehe , Tausende , und doch ist es , wie wir heute erfahren haben , nicht zustande zu bringen .
Was für Unglück hätte ich anrichten , welche schreckliche Gewissensbisse hätte ich mir zuziehen können !
Mit Schauder denke ich an die Auftritte , die ich draußen sah . "
" Beruhigen sich Ew. Durchlaucht " , sagte Hermann .
" Ich hoffe , Ihnen einen Plan vorlegen zu können , dessen Ausführung Sie , den Herrn , und alle Gäste zufriedenstellen wird . "
" Ich bin begierig , ihn zu vernehmen " , sagte die Herzogin .
" Mein Gedanke ist folgender " , versetzte Hermann .
" Die Idee zu dem Feste ist aus dem Bewußtsein Ihres Standes hervorgegangen , es sollte ein adliges sein .
Dabei müssen wir also stehenbleiben .
Aber warum gehen wir in so entlegene Zeiten zurück ?
Warum wählen wir eine Darstellung des Ritterwesens , mit welchem , wenn wir die Sache näher betrachten , unsere heutigen Begriffe durchaus nicht mehr zusammenhängen ?
Lassen Sie uns also immerhin einige Jahrhunderte weiter vorrücken und ein Fest aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. und Augusts des Starken veranstalten , in welches die Blüte der ersten Klasse der Gesellschaft fiel . "
" Und das wäre ? " fragte die Herzogin .
" Ein Caroussel " , versetzte Hermann .
Sie haben gewiß , meine Fürstin , von den prächtigen Lustbarkeiten gelesen , die in dieser Art besonders am sächsischen Hofe gefeiert worden sind .
Auch sie geben reichliche Gelegenheit , Figur , Anstand , Geschick zu zeigen , auch bei ihnen empfängt der Kavalier aus den Händen der Dame den Dank ; Galanterie und Sitte haben auch da freien Spielraum .
Und alles ist mit einigen Quadrillen , mit dem Stechen nach dem Ringe und nach dem Türkenkopfe abgetan .
Jeder wird sein Vergnügen haben , und wir dürfen vor keiner Leiche besorgt sein . "
Die Herzogin entzückte dieser Vorschlag .
" Aus welcher Verlegenheit retten Sie mich ?
Wie erkenntlich muß ich Ihnen sein ! " rief sie .
Hermann fuhr fort :
" Alle Anstalten zu dem Turniere können wir auch zu dem Caroussel gebrauchen ; an dem Kostüm der Damen und Herren braucht kaum etwas geändert zu werden , denn es ist nichts törichter , als in solchen Fällen , worin es doch nur auf gesellige Freude ankommt , gelehrt sein zu wollen .
Schließt sich an unser Ringelrennen ein Ball für die Herrschaften , ein Scheibenschießen für Diener und Untertanen an , so wüßte ich nicht , wie es einen bunteren und lustigeren Tag geben könnte . "
Hermann bekam unumschränkte Vollmacht , alles , was die Umwandlung des Festes erforderte , zu verfügen .
Die Herzogin händigte ihm die Schlüssel zu den Zimmern ihres verstorbenen Schwiegervaters ein , worin sich , wie sie meinte , einige Abbildungen befänden , die ihm bei Ausführung des neuen Plans nützlich sein würden .
Sie selbst übernahm es , den Herrn , welche bei dem Caroussel tätig sein sollten , die Änderung des Festspiels anzuzeigen ; was die übrigen Gäste betraf , so war man übereingekommen , daß es klüger sei , diesen nichts zu sagen , da sie doch hinnehmen müßten , was ihnen geboten werde .
Während Hermann sich in den Zimmern des alten Herrn umsah , empfing der Arzt seine Boten , die er nach der Hütte der Alten , und hinter dem Domherrn her gesandt hatte .
Der erste meldete , er habe die Alte nicht in der Hütte betroffen , und in letzterer eine greuliche Zerstörung alles dessen , was nicht niet- und nagelfest gewesen , wahrgenommen .
Der zweite , welcher zu Pferde dem Domherrn nachgesetzt war , gab das Wort des Rätsels an .
Er hatte den Flüchtigen in einem kleinen Orte getroffen , wo er mit Flämmchen und der Alten ganz geruhig zu Tische saß und speiste .
Nach einigem Hin- und Widerreden erfuhr er den ganzen Hergang .
Die Alte hatte in der Wut alles in ihrer Hütte zerschlagen und war dann wie rasend der Spur des geraubten Kindes nachgelaufen .
Halbtot erreichte sie den Entführer , und beide , Flämmchen und sie , erklärten ihm , er müsse sie entweder zusammen mitnehmen , oder zusammen entlassen .
In seiner jetzigen Stimmung war ihm die braune Greisin ein erwünschter Zuwachs , leicht entschloß er sich , sie ebenfalls zu behalten .
Dem Arzte ließ er auf dessen Anforderung , das Mädchen zurückzuschicken , sagen , es bliebe beim Erziehen und Heiraten .
Zum ersten Male war dieser entschloßene Mann in Verlegenheit .
Wir dürfen bei dieser Gelegenheit sagen , daß der Beweggrund zu seiner Handlungsweise gegen den Domherrn nicht bloß die Lust gewesen war , psychologische Experimente anzustellen , sondern hauptsächlich in dem Mißtraun gesucht werden mußte , welches er gegen Hermann fühlte .
Dessen ganzes Wesen , diese Mischung von Leichtsinn und Ernst , von Frühreife und Jugendlichkeit war ihm unverständlich , und da er nur das , was er begriff , gelten ließ , so hielt er ihn lieber für einen charakterlosen Abenteurer .
Er fürchtete , daß jener nicht wiederkommen , daß ihm die Last der Obsorge für das verwaiste Mädchen bleiben werde , und diese wollte er auf die Schultern des Domherrn abladen , aber freilich nicht so übereilt , bei nächtlicher Weile , auf eine Art , die üble Nachreden geben konnte .
Nun war aber Hermann zurückgekehrt .
Was sollte er ihm sagen , wenn dieser das Mädchen forderte ?
Er war äußerst verdrießlich auf sich , auf die Menschen , auf die Welt .
Am meisten schmerzte es ihn , von einem Narren überlistet worden zu sein .
Indem er noch erwog , wie er dem jungen Vormunde den Handel am wenigsten zu seinem Nachteil darstellen solle , trat dieser in sein Zimmer .
Zufällig war er mit den beiden Boten des Arztes zusammengetroffen .
Es waren Bürgersöhne aus dem Städtchen .
Sie kannten Hermann , er hatte im Winter oft mit ihnen gejagt ; es bestand zwischen ihnen eine Art von Kamaradschaft .
Voll , bis zum Überfließen , von ihrem Geheimnisse , teilten sie es ihm nach den ersten Begrüßungen unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit .
" Ich weiß alles " , rief Hermann dem verlegenen Arzte zu .
" Nur eine Frage : Ist der Mann , der sich so rasch in unser Geschäft gedrängt hat , gut , gesetzt , zuverlässig ? "
" Das möchte ich von ihm mit Sicherheit behaupten " , antwortete der Arzt kleinlaut .
" So danke ich Ihnen und ihm , daß mir eine Sorge abgenommen worden ist , der ich doch auf die Länge nicht gewachsen war " , sagte Hermann .
Der Arzt sah ihn verwundert an .
Jener händigte ihm eine Rolle Gold ein und fuhr fort :
" Wenden Sie dieses Geld , welches mir von milder gnädiger Hand für das Mädchen vertraut war , zu ihrem Besten an .
Ich sage mich hiermit von ihr los , da sie einen anderen Beschützer gefunden hat . "
Nach seiner Entfernung brach der Arzt in ein bitteres Gelächter aus .
Er schwor sich zu , niemals wieder vor der Beständigkeit und Konsequenz eines Menschen Furcht zu hegen , und erklärte ein für allemal das ganze Geschlecht nur für die höchste Gattung des Tierreichs .
Und doch tat er unserem Freunde Unrecht .
Dieser war , sobald er nach dem entscheidenden Augenblicke mit Cornelien zur Besinnung kam , in die unruhigste Stimmung geraten .
Er fühlte einen Wendepunkt seines Lebens , und fühlte sich doch auf keine Weise der Zukunft gewachsen .
Daß ein neuer Zwiespalt in ihm entstand , als er die Türme des Schlosses wieder er blickte , daß dieser wuchs , da die schöne Fürstin ihn begrüßte , wollen wir gerade nicht billigen , gewiß aber ist es , daß er in den Gemächern des schlafen gegangenen Herrn Dinge zu sehen bekam , welche ihn außer Fassung bringen , und sein Wesen an der Wurzel erschüttern mußten .
Es hätte eine übermenschliche Kraft dazu gehört , sich in solcher Verfassung mit etwas anderem , als mit sich und mit seinem Geschicke zu beschäftigen .
Er freute sich , daß die Tage bis zur Ankunft des Oheims , der über sein Los das Urteil fällen mußte , in wechselnder Beschäftigung vergehen sollten .
Denn darin war er glücklich zu preisen : kein Zweifel , kein Leid versenkte ihn unnütz grübelnd in sein Ich , wo so viele Menschen fruchtlos die Auflösung ihrer Bedrängnisse suchen , fruchtlos , weil alle Selbstbetrachtung nur tiefer zerstört .
Ihm sagte ein geheimer Glaube , daß die Fragen in uns , und die Antworten in den Dingen liegen , denen er deshalb , wie es mit ihm auch stehen mochte , immer in Liebe und Freundlichkeit zugetan blieb .
Man sah ihn daher auch jetzt unbefangen scherzen , plaudern und die Zurüstungen , über welche er selbst im stillen lächelte , eifrig besorgen , während er kaum noch wußte , was aus ihm werden solle , ja , wer er nur sei ?
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Über Wilhelmi hatte er durch den alten Erich , der ihn jetzt bediente , nur in Erfahrung gebracht , daß er im Kruge wohne , und daß ein Schrank das Unglück herbeigeführt habe .
Er konnte sich hieraus nichts zusammensetzen , und der verdroßene Alte gab keine weiteren Erklärungen .
Er war einigermaßen in Verlegenheit , wie er sich bei dieser Zwistigkeit benehmen solle , als ein Billet Wilhelmis ihn ohne Verweilen zu dem Freunde rief .
Wilhelmi saß in einem elenden Dorfstübchen und schnitt Federn , deren schon eine große Menge zugespitzt auf dem Tische lag .
" Ich will " , rief er Hermann entgegen , " den Undank beschreiben , aber so viele Federn ich schon fertig habe , ich denke doch , es sind noch nicht genug , und da schneide ich denn immer noch ein paar mehr . "
" Liebster " , sagte Hermann , " was tun Sie hier ?
Wie war es möglich , daß zwischen Männern , welche so sehr zueinander gehören , wie Sie und der Herzog , sich der Zwist einschleichen konnte ? "
" Ich bitte dich , nenne mich du " , versetzte Wilhelmi .
" Schon mit dem Ihr kam das Unglück in die Welt , da gewöhnte man sich , einen Menschen , einen Mitbruder im gleichgültigen Plural zu betrachten , wo individuelle Beziehungen auslöschen .
Das verrückte Sie hat aber den Greuel vollendet , nun ist der andere nichts als ein Konglomerat dritter Personen , eine Versammlung toter Atome , die man heute braucht , morgen wegwirft .
Aber Du um Du , das heißt Auge in Auge , Arm gegen Arm , in Liebe oder Haß . "
" Bester " , rief Hermann , " lassen wir die Abschweifung !
Soll ich dich du nennen , so schenke mir auch ein brüderliches Vertraun .
Was hat euch entzweit ? "
" Ein Schrank .
Du lachst !
Ja , ja , nichts weiter als ein Schrank , ein elender Schrank .
Aber in diesem nichtsnutzigen Kasten siehst du ein Gleichnis und Symbol von dem ganzen Tun und Treiben dieser abgelebten Klasse .
Sie fühlen sich überholt von dem Sturmschritte der Zeit ; Ehre , Mut , kriegerische Tapferkeit sind bürgerlich geworden , da suchen sie sich denn an Strohhälmchen festzuhalten , und das nennen sie altväterliche Gesinnung .
Sie haben mich fortgejagt , wie einen ausgedienten Jagdhund , und werden mich auf dem Dünger sterben lassen .
Mühevolle Tage , durchwachte Nächte , ausgeschlagene Verbesserungen meiner Lage , Treue , Fleiß , alles gilt vor diesen nur den Taglohn , womit sie uns von Morgen bis Abend abzufinden meinen .
Natürlich !
Der Schrank muß stehen bleiben , das gehört auch in das System des historischen Bestandes der Rechte .
Wilhelmi kann eher fort .
Bravo !
Ist es denn wahr , daß der Herzog sich jetzt , da er Turnier halten will , für einen Abkömmling Karls des Großen hält ?
O glaube mir , diese Anmaßungen , diese Herzlosigkeiten werden ein furchtbares Ende nehmen !
Das Schicksal wird auftreten und wenig danach fragen , ob sie den Schrank stehenlassen wollen oder nicht . "
Noch mehrere und krausere Redensarten bekam Hermann zu vernehmen , die ihn ungeduldig gemacht haben würden , hätte er nicht das tiefe Leiden des rechtschaffenen Freundes in Gesicht und Mienen gesehen .
Er hörte also geduldig zu und aus , bis der gekränkte Hypochondrist sich erschöpft hatte , und fähig war , auf die Frage : Was es denn nun eigentlich gegeben habe ? ohne Umschweife zu antworten .
Die Geschichte war ziemlich einfach .
Wilhelmi hatte schon längst , wie wir wissen , Ordnung im Archive stiften wollen , welches durch die Vereinigung mehrerer Registraturen von anderen Gütern des Herzogs eine ungeheure Überfüllung bekommen hatte .
Nicht bloß Wertloses und Reponiertes lag über- und untereinander , selbst Urkunden hatten schon aus Bergen von Akten mühsam hervorgezogen werden müssen .
Es schien , um diesen Wust zu lichten , und Platz für das Aufbewahrungswerte zu gewinnen , kein anderer Rat möglich , als die Repositorien bis unter die Decke des Gewölbes zu erhöhen .
Dieser Einrichtung stellte sich nun hauptsächlich ein Schrank von gewaltiger Tiefe und Breite entgegen , welcher zwei Drittel der einen Wand bedeckte .
Wilhelmi bestand darauf , das riesige Möbel zu entfernen , der Herzog wollte es nicht von der Stelle gerückt wissen .
Hierüber kam es zwischen beiden zu einem heftigen Auftritte , welcher damit endigte , daß Wilhelmi seinen Dienst aufsagte , und der Herzog ihm erwiderte , er halte niemand , der nicht bei ihm bleiben wolle .
Seit diesem Tage lebte er im Kruge , wollte abziehen und ließ doch seine Sachen im Schlosse , indem er sich vorsagte , daß er die Geschäfte erst ordnen müsse , gleichwohl aber von Tage zu Tage verschob , Hand daran zu legen .
Seine beste Lebensnahrung entging ihm , seit er nicht mehr von den Blicken der Herzogin zehrte .
Er sah übel aus .
Hermann suchte den trübsinnigen Lieben , der , wie er sagte , irgendwo Galerieinspektor werden wollte , um nicht mehr mit Menschen , sondern nur noch mit Sachen zu tun zu haben , zu trösten , und nahm sich gleich vor , Versöhnung zu stiften .
Er erinnerte sich der Theorie , welche die alte Rektorin für ähnliche Fälle angeraten hatte , begann also damit , dem Herzoge , der jetzt gegen ihn in der gnädigsten Laune war , zu sagen , wie sehr Wilhelmi den Vorfall bedaure und sich seiner Hitze schäme .
Der Herzog hatte gerade den Brief des Oheims , welcher seine Ankunft nunmehr auf die nächsten Tage verkündigte , empfangen .
Er war nachdenklich und in sich gekehrt .
" Ich brauche ihn zwar nicht " , erwiderte er auf Hermanns vermittelnde Reden , " aber wenn er kein anderes Unterkommen hat , so mag er immerhin einstweilen zurückkehren . "
Hierauf sagte Hermann zu Wilhelmi , daß der Fürst nur ungern an die Übereilung denke , deren auch er sich schuldig wisse .
Er wünsche nichts sehnlicher als die Wiederkehr des alten bewährten Dieners , ohne den er , wie er fühle , nicht bestehen könne .
Über Wilhelmis Gesicht flog es , wie wenn die Sonne im Januar auf Eisfelder scheint , er rief :
" Dann ist es freilich meine Pflicht , den Vorfall zu vergeben ! "
Kurz , nachdem Hermann noch einige Male hin und her parlamentiert hatte , brachte er die Ausgleichung zustande .
Die Szene hatte etwas Diplomatisches .
Der Herzog kam , wie zufällig , begleitet von einigen Verwaltern , bis an die Grenze des Parks geritten , dort fand er Wilhelmi , der ebenso zufällig daherum spazierengegangen war .
Der Herzog hob sich etwas im Sattel , grüßte den Verbannten und sagte in leichtem Tone , als ob nichts vorgefallen wäre : " Ah ! "
- Wilhelmi , der gebückt und einigermaßen verlegen vor dem Herrn stand , erwiderte :
" Ja ! "
Der Herzog machte einen Gestus nach dem Schlosse zu und sagte : " Nun ? " worauf der andere sich von seinem Freunde in das Schloß führen ließ , und noch vor Abend große Päcke Korrespondenz erhielt , welche freilich inzwischen unerledigt geblieben waren .
Hermann , der den Friedensstifter , Festordner , Vertrauten abgeben mußte , nebenbei noch Bräutigam war , und zu allem Überflusse die aufregendsten Entdeckungen gemacht hatte , hätte sich nur gleich zerteilen können , um allen den verschiedenartigen Anforderungen zu genügen .
Man verlangte ihn hier , man verlangte ihn dort , man verlangte ihn allenthalben .
Im stillen durfte er sich doch die Frage vorlegen , was denn aus allen diesen Dingen hätte werden sollen , wenn er nicht zufällig im rechten Augenblicke hergekommen wäre ?
Wahrhaft unleidlich war ihm die Aufdringlichkeit des Amtmanns , der wie an seine Fersen gebannt zu sein schien .
Die Bemerkungen dieses Menschen hatten alle etwas Gemeines und Höhnisches , er war der Sklave « , der um die Schwächen der Herrschaft weiß , und in dieser Kunde sich dreist und behaglich fühlt .
" Sie glauben nicht , mein gnädigster Herr " , sagte er , als er jenen am Abend vor dem Feste auf dem Turnierplätze fand , beschäftigt , die Anstalten noch einmal sorgfältig zu überschaun , " wie viele Veränderungen ein alter treuer Diener mit durchmachen muß , der so ein fünfzig Jahre nebenher gegangen ist .
Der Herr Vater würden über diese Gerüste recht lachen und der Herr Großvater kreuzigten und segneten sich gewiß , hörten sie von dem vielen Gelde , was sie gekostet haben .
Der Herr Großvater taten nichts , als sparen und schaben , Bäume pflanzen , Feld und Vieh in Ordnung halten .
Wie oft erinnre ich mich , aus seinem Munde gehört zu haben :
» Wenn man alles hätte , müßte man noch etwas mehr zu bekommen suchen . «
Der Herr Sohn war denn schon anders , brachte Mösen und die Propheten wieder unter die Leute , in der Jugend hatte er ein empfindliches Herz , aber schön war es ; die Liebe brachte ihn nie in groß Leid , er wußte sich immer mit so guter Manier zu helfen .
Nachmals , als die Kräfte schwanden , wollte der Selige Gold kochen , späterhin sahen wir Geister , und endlich wurden wir gar fromm und ließen uns von Rom einen Priester kommen , nicht so einen , der in der Sache jung geworden und auferzogen worden ist , nein , einen expreß sich selbst Verfertigthabenden , welche immer , gleich der eigengemachten Leinwand , die besten sein sollen .
Nun sind denn endlich Seine Durchlaucht an das Regiment gekommen , da geht alles groß und statisch zu , ich glaube , sie legen sich sogar mit ihren Orden zu Bette ; das habe ich nun so insgesamt mit angesehen , und was werde ich vielleicht noch alles erleben müssen ! "
In diesem Geschwätze fuhr er fort , obgleich Hermann ihn durch dazwischengeworfene verdrießliche Fragen abzubringen versuchte .
Endlich rief er :
" Wenn ich nur einmal das Glück hätte , die ganze liebe Familie hier beisammen zu sehen ! "
Worte , über die Hermann nachdenken mußte , und deren Sinn er nicht ergründen konnte .
Man war nunmehr dicht vor dem Tage , um welchen man sich eine so bedeutende Mühe gegeben hatte .
Es herrschte die größte Bewegung .
Die gemeinschaftlichen Mittags- und Abendtafeln waren aufgegeben worden ; jeder aß , wie und wo er konnte .
Schon war das Schloß von Besuch halb voll , denn mehrere vorsichtige Familien hatten es für ratsam gehalten , sich beizeiten in Besitz zu setzen , um nicht , mit der heranflutenden Maße vermischt , übel quartiert zu werden .
Niemand konnte sich um diese Gäste bekümmern , und da sie ihrerseits es für unschicklich hielten , vor der Stunde des Festes öffentlich zu erscheinen , so verbrachten sie , in ihren Zimmern eingesperrt , in der Tat eine sehr unbequeme Gefangenschaft .
Noch zur rechten Zeit vernahm Hermann , daß jene Gutsbesitzer , die es nicht verschmerzen konnten , uneingeladen geblieben zu sein , einen satirischen Streiche auszuführen beabsichtigten , und zu dem Ende in der Stadt , wie in einem Feldlager , zahlreich versammelt wären .
Er hielt sogleich mit Wilhelmi und dem Arzte einen Kriegsrat , in welchem anfangs mehrere ideelle und geistige Gegenoperationen zum Vorschlag kamen .
Zuletzt aber sah man ein , daß hier die körperlichste Abwehr wohl die beste sein dürfte .
Man beschloß daher , auf allen Straßen , die zum Turnierplatz führten , tüchtige Schlagbäume errichten zu lassen , und deren Bewachung sicheren Männern mit gemessener Unterweisung anzuvertrauen .
Eine augenblickliche Verlegenheit hatte sich erhoben , als Hermann die Liste der Eingeladenen durchging , und deren Zahl mit der Größe der Tribünen verglich , von denen die Standespersonen dem Feste zusehen sollten .
Es zeigte sich , daß sie viel zu groß angelegt worden waren ; kamen auch alle Gäste , kaum ein Drittteil der Sitze konnten sie anfüllen .
Der Gedanke , das Caroussel vor leeren Polstern stattfinden zu lassen , war nun gar zu unerträglich , man bestimmte sich daher zu einer freilich verzweifelten Auskunft .
Die Herzogin sandte nämlich , nachdem vergeblich alle übrigen Mittel und Wege erwogen worden waren , in größter Eile nachträgliche Einladungen an sämtliche Honoratioren des Städtchens , deren Ehehälften und Töchter ab , um durch ihre Gegenwart die dünnen Reihen des Adels zu verstärken .
Aber auch dies würde noch nicht genug verschlagen haben , wenn nicht glücklicherweise ein Regiment , welches sich auf dem Marsche befand , in der Stadt eingerückt wäre , um dort auf einige Tage haltzumachen .
Kaum wurde bei demselben die Mär von dem Feste fruchtbar , als das ganze Offizierskorps , den Chef an der Spitze , sich auf den Weg machte , und der Herzogin Visite abstattete , worauf es denn auch in corpore seine Einladung empfing .
Nun senkte sich die Nacht zur Erde nieder , aber im Schlosse und um dasselbe blieben gewiß gegen hundert Menschen wach .
Die Köche sotten und brieten an ihren Feuern , die Tafeldecker ordneten die Speisetische , die Bedienten rannten mit dem Silberzeuge treppauf und treppab , der Haushofmeister bereitete die Dislokation der Gäste vor , und schrieb Nummern an alle Stubentüren .
Bei Laternenschein behingen die Tapezierer die Brüstungen der Tribünen mit Teppichen , und vollendeten den Aufputz der Pavillon , in welchen die Kavaliere vor dem Beginne des Festspiels verweilen sollten .
Von weitem klang das Hämmern der Zimmerleute , welche die Schlagbäume fertigten , wodurch man die Feier des Tages vor roher Unbill zu schützen gedachte .
Auch die fürstlichen Personen genossen wenig Ruhe , insbesondere tat die Herzogin kein Auge zu .
Hermann war bei seinem Oheim , der noch vor Abend angekommen , und in der Stadt abgetreten war .
Den Inhalt ihrer Gespräche und die denkwürdigen Dinge des nächsten Tages werden wir in den folgenden Kapiteln berichten .
Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Der Oheim fuhr erschreckt zurück , als ihm Hermann seine Verlobung ankündigte und Zustimmung begehrte .
" Das geht nun und nimmer an ! " rief er .
" Jetzt also verstehe ich den Brief des armen Kindes , worin sie ängstlich bittet , sie um jeden Preis zurückzunehmen . "
Hermann bat vergebens um eine Erklärung dieses Versagens .
" Bin ich Ihnen denn so schlimm abgeschildert , lieber Oheim ? " fragte er .
" Auch Ihre Briefe waren immer so kalt , und die Tante empfing mich , wie einen Fremden .
Weshalb stoßen mich meine Verwandten zurück , da ich so herzlich wünsche , mich ihrem Kreise anzuschließen ? "
- " Du gehst deinen Weg , und wir gehen den unsrigen " , versetzte der Oheim .
" Ich bitte Sie , entziehen Sie mir die Hoffnung auf Cornelien nicht ganz ! " rief Hermann .
" Lassen Sie mich um sie dienen , prüfen Sie mich , lernen Sie mich kennen !
Diese Bitte dürften Sie auch dem Schlechtesten nicht abschlagen . "
" Wir wollen vermeiden , uns zu erhitzen " , sagte der Oheim .
" Cornelie ist mir von einem alten Freunde , dessen Fleiße ich einen großen Teil meines Vermögens zu danken habe , hinterlassen , sie ist meine Mündel , meine Pflegetochter , ich habe die Pflicht , für ihr Bestes zu sorgen .
Ist sie volljährig , so mag sie nach Gefallen über sich entscheiden . "
" Volljährig ! " sagte Hermann mit einigem Eifer .
" Sie ist jetzt gerade sechzehn geworden . "
" Oder seid ihr einig " , fuhr der Oheim kaltblütig fort , " so tut , was euch die Gesetze erlauben .
Es ist vernünftig , daß man das Glück junger Leute nicht einzig von dem Ja oder Nein der Väter und Vormünder abhängig gemacht hat , denn auch die Alten können sich irren .
Klagt also gegen mich , gebt der Behörde eure Gründe an , ich werde die meinigen beibringen , wir wollen es auf den Spruch des Richters ankommen lassen , und du sollst es dann an der Ausstattung nicht merken , daß meine Einwilligung ergänzt worden ist . "
Hermann verwarf mit Entrüstung diesen Vorschlag .
" Niemals " , rief er , " werde ich ein Mädchen , welches ich liebe , in Zwiespalt mit ihrer Dankbarkeit versetzen !
Cornelie weiß , was sie Ihnen schuldig ist , und ich bin der Sohn Ihres Bruders .
Können wir nicht in Geduld und Harren Ihre Weigerung auflösen , so wollen wir lieber unglücklich sein . "
" Das ist die Jugend " , sagte der Oheim .
" Ein wahres Trübsal , daß viele Menschen meinen , das Leben lasse sich auf Empfindungen , Zartsinn und Gefälligkeiten erbaun , denn aus dieser hohen Stimmung entspringen in der Regel gerade die gemeinsten Folgen .
Man muß mit Verstand zu rechnen wissen , und von sich und anderen nie eine andere Maxime erwarten , als die , daß erlaubt sei , was nicht verboten wurde .
Dann legt man zu seinem Geschicke einen tüchtigen Grundstein , und das Schöne und Gute findet sich wohl obendrein hinzu .
In entgegengesetzter Richtung handeln , heißt an Blütenzweige Zentnergewichte hängen .
Du siehst , ich kann auch in meinem Fache zum Dichter werden , wenigstens war dieses , wie mich dünkt , ein passendes Gleichnis . "
Hermann war an das Fenster getreten , um seine Aufregung zu verbergen .
Der Oheim stand eine Zeitlang schweigend am Tische , dann ging er zu ihm , legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mit dem gutmütigen Tone , der diesem Manne trotz seiner Kälte eigen sein konnte :
" Du dauerst mich , armer Narr .
Aber sieh ; über gewisse Dinge , Verhältnisse und Konjunkturen habe ich nun einmal meine ganz bestimmte Meinung , von der ich nicht ablassen kann , da meine sechzig Jahre sie mir immer bestätigten .
So wenig ich meinen Sohn Ferdinand Soldat werden lasse , so wenig ich Cornelien an einen Seefahrer verheiraten würde , so wenig bekommst du sie mit meinem Willen .
Die Sünden der Väter sind eine Last für die unschuldigen Kinder ; es ist schlimm , aber wer kann es ändern ? "
" Entdecken Sie mir denn , was Sie von mir , von meinen Eltern wissen ! " rief Hermann .
" Was für Gespenster der Vergangenheit schleichen um mich her ?
Was bedeuteten die Tränen meiner Mutter ? die Seufzer meines Vaters ?
Was sollen die Bilder , Inschriften und Erinnerungsdenkmale , die mich in den Zimmern des Herzogs wie gefährliche Zauberzeichen anstarrten ?
Reden Sie , ich will alles erfahren . "
" Frage deine Brieftasche " , versetzte der Oheim .
" Den Willen meines Bruders habe ich vollstreckt , etwas Weiteres fordre nicht von mir .
Den Inhalt fremder Geheimbücher verrät kein rechtlicher Kaufmann . "
Er brachte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand , und fragte Hermann , wann das Fest vorbei sein werde , da er gleich nachher den Herzog zu sprechen wünsche , indem seine Zeit gemessen sei .
Jener sagte ihm darauf das Nötige , und eröffnete ihm , daß er von der Herzogin den Auftrag empfangen habe , ihn ebenfalls einzuladen .
Er beschwor ihn , dieser freundlichen Frau mit Freundlichkeit zu begegnen .
" Wüßten Sie " , rief er , " was für Menschen diese , die Sie angreifen wollen , trotz aller ihrer Schwächen und Vorurteile sind .
Sie würden in Ihrem grausamen Beginnen wankend werden . "
" Grausam ! " versetzte der Oheim einigermaßen empfindlich .
" Du gehst mit den Worten nicht eben genau um .
Ich will ihnen ja einen Vergleich vorschlagen , und einen billigen .
Wir wollen miteinander teilen ; sie bleiben dann noch immer reich genug .
Ich er zeige ihnen die Ehre , selbst zu kommen , da sie meinen Sachwalter verführt haben .
Wie kann man nachgebender , gefälliger sein ? "
" Soviel ich von diesem Handel weiß " , sagte Hermann , " ist er der ungereimteste , der sich denken läßt .
Sie , der Bürgerliche , werfen dem Edelmann den Flecken seiner Abstammung vor , und wollen aus diesem Grunde , Sie , ihn von Haus und Hof treiben .
Ein solcher Erwerbe , den nur der Widersinn mir zuwerfen könnte , würde mir Grauen verursachen . "
" Gib mir die schönen Güter , das andere will ich tragen " , erwiderte der Oheim .
" Habe ich die Rechte gemacht ?
Bin ich schuld an den Verwicklungen der Zeit ?
Glaubst du , daß ich mich wie ein Geier auf die Beute stürze ?
Kommt es zum Prozeß , und verliere ich ihn , so werde ich an dem Tage , wo ich es erfahre , nicht um ein Haarbreit unzufriedener sein , denn ich weiß recht wohl , daß mit den Reichtümern auch die Sorgen wachsen , und daß man nur bis auf einen gewissen Punkt besitzt .
Darüber hinaus hat man eigentlich nichts mehr von dem Seinigen .
Aber eine günstige Gelegenheit von der Hand schlagen , zu einem Glücke , welches uns gleichsam zugeworfen wird , sagen : » Gehe , ich mag dich nicht « , das würde ich weder vor mir , noch vor meiner Familie , noch vor den vielen Menschen , die von mir leben , verantworten können .
Auch ist es endlich einmal Zeit , daß eine bessere Ordnung in der Welt gestiftet wird .
Das Herz blutet einem , wenn man sieht , wie sie mit dem Ihrigen wirtschaften .
So erfuhr ich im Vorüberfahren , daß der Herzog einen herrlichen Kalkbruch , der ihm jährlich die sicherste Rente abwerfen würde , aus bloßem Eigensinne nicht aufbrechen läßt .
Weil sie nie etwas zu erringen brauchten , so denken sie auch nicht an das Vermehren , kaum an das Bewahren .
Man spricht so viel von der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes , und wenn sie sich einmal an einem deutlichen Beispiele zeigt , so ist des Verwunderns kein Ende .
Du weißt es nicht , denn du bist noch zu jung , wie uns andere dieses bevorzugte Geschlecht drückte , peinigte , verdrängte , wie es sein Gift in das Innerste unserer Häuser spritzte !
Ja , mir kann groß zumute werden , wenn ich an manches , was vorgefallen ist , mich erinnere , und nun bedenke , daß ich es bin , der das Messer in der Hand hat , um ... "
Seine Augen blitzten , die hagre Gestalt wurde länger , seine Gebärde hatte etwas Erhabenes .
Doch besann er sich , vollendete den Satz nicht , und fuhr in gleichgültigem Tone fort : " Es ist noch nicht so gar lange her , daß wir nur mit dem Beisatz : Bürgercanaille , genannt wurden , wenngleich das jetzt schon wie veraltet klingt .
Wir Mittelleute haben ein unbeschreiblich kurzes Gedächtnis für unsere Kränkungen , und halten alle Gefahr der Wiederkehr für so entlegen , wie die Sündflut , oder den Untergang der Welt durch Feuer , obschon manche Zeichen dahin deuten , daß man an tausend Ecken und Orten mittelbarer- oder auch unmittelbarerweise versucht , die Zeit der Junker , ihrer gnädigen Öhme und Basen zurückzuführen .
Was mich betrifft , ich will mich wenigstens an meinem Platze bestreben , die alten Feudaltürme und Burgverliese zu sprengen . "
" Vergessen Sie nur nicht " , sagte Hermann , " daß man , wenn man die Hand an dergleichen altes Gemäuer legt , leicht Vipern und Nattern mit aufstört , oder giftige Schwaden entbinden hilft , die einem gefährlich , ja tödlich werden können . "
" Das ist mir zu hoch , und ich verstehe es nicht " , erwiderte der Oheim .
" Wir haben aber die Nacht zum Tage gemacht , laß uns wenigstens noch etwas schlafen .
Ich möchte sonst morgen bei eurer Lustbarkeit , die mir ohnehin Langeweile genug machen wird , die Augen nicht offenhalten können . "
Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Als der Oheim sich anderen Tages ankleidete , bemerkte Hermann , daß ein schwarzer Flor um den Arm lag .
" Wen betrauern Sie ? " fragte er bestürzt .
" Meine Frau " , versetzte der Oheim ruhig .
" Ihr altes Übel hat sie gleich nach deiner Abreise ergriffen und dieses Mal doch überwältiget .
Leider war ich zu entfernt , als ich die Nachricht bekam , um noch zur rechten Zeit zur Bestattung eintreffen zu können , ich habe diese Sorge anderen überlassen müssen . "
" Großer Gott ! " rief Hermann , " und davon sagen Sie mir erst jetzt etwas ? "
" Warum denn früher ?
Du hast sie nur wenige Wochen gekannt , wie kannst du ein Interesse an ihr haben ?
Leere Beileidsbezeugungen sind mir zuwider .
Sie ist schlafen gegangen ein paar Stunden eher , als ich , das ist alles .
Mein Platz an ihrer Seite wird mir nicht entstehen .
Nun gehe nur voran , ich will noch etwas in meinen Papieren lesen ; es möchte dir ohnehin bei deinen Gönnern und Beschützern schaden , wenn du in meiner Gesellschaft erschienest . "
Hermann ging , ganz verwirrt über diesen Mann , von dessen Fassung er nicht wußte , ob er sie für Wirkung der Gefühllosigkeit oder der Seelenstärke halten sollte .
Auf dem Platze vor dem Schlosse kam ihm Wilhelmi entgegen , und rief : " Wo bleibst du ?
Die Neidharte sind überwunden , unsere Wächter haben sich tapfer gehalten . "
Er erfuhr von dem Freunde , daß sich auf einem der Wege , die sowohl zum Schlosse als zum Turnierplatze führten , ein abenteuerlicher Zug gezeigt habe .
Große Schlittenkufen , auf Räder gesetzt , rollten , von schellenbehangenen Pferden gezogen und von Harlekinen gefahren , daher .
In diesen Gefahren saßen maskierte Gestalten , deren Aufputz eine Mischung aller möglichen Kostüme war .
Sie begehrten am Schlagbaume Einlaß , und hielten dazu eine Rede in Knittelversen , deren Sinn ungefähr dahin ging , daß , wo man Anno dann und dann Turnier spiele , Gäste , die im Sommer Schlittenfahrt hielten , gewiß willkommen seien .
Wilhelmi hatte in der Nähe gelauscht , alles verstanden , und auch leicht die Stimme eines der mißgünstigen Gutsbesitzer erkannt .
Der Wächter nahm sich bei diesem satirischen Anfalle ganz vortrefflich .
Er tat gar nicht , als ob er den Spruch höre , ließ den Balken des Schlagbaums im Schlosse , und drehte den Schlittenfahrern schweigend den Rücken zu .
Auf solche Weise wird die Wirkung jedes Hohns am sichersten vereitelt .
Nachdem die Schlittenfahrer noch einige Male ihre Xenie wiederholt hatten , ohne etwas auszurichten , kehrten sie , da sie doch nicht geradezu Gewalt brauchen wollten , um , und versuchten , einen weiten Umweg machend , auf einem anderen Punkte einzudringen .
Aber auch hier fanden sie einen Schlagbaum und einen Wächter , der dem ersten glich .
Es half nichts ; sie mußten abziehen und sich in ihrer lächerlichen Verkleidung , hin und wieder von mutwilligen Buben beschrien , durch die Feldmark zerstreun .
Wilhelmi zog Hermann nach dem großen Zimmer des Herzogs , welches im Schlosse nur der Audienzsaal hieß , weil der Fürst darin die vornehmeren Besuche zu empfangen pflegte .
Sie fanden ihn , umgeben von dem ganzen Hausstaate , beschäftigt , die Glückwünsche der Versammlung entgegenzunehmen .
Er trug seine goldbestickte Generalsuniform , war überaus freundlich , und sagte zu Hermann , als dieser sich ihm mit schicklichen Worten näherte , scherzend :
" Nun , heute werden wir wohl auch unsere Stallmeisterkünste genügsam zeigen ; nicht wahr ? "
Doch dann sich besinnend , und ehe noch Hermann sagen konnte , daß er dem Feste nur als bescheidener Zeuge beizuwohnen wünsche , Maß er unseren Freund von oben bis unten mit den Augen , und flüsterte dann : " Ah so ! "
- Hierauf gab er ihm huldvoll die Hand , und würde gewiß den Kuß darauf geduldet haben , wenn Hermann einen solchen beabsichtigt hätte .
Er rief ihn , Wilhelmi und den Arzt in einen Winkel , und sagte dort zu dem Hypochondristen vor diesen Zeugen :
" Ich gedenke auch Ihnen in den nächsten Tagen ein Beispiel zu geben , daß ich nicht an Vorurteilen hafte , und vernünftige Neuerungen geschehen lassen kann .
Nur muß alles im Wege der Reform vor sich gehen , und nicht auf tumultuarische Weise . "
- Wilhelmi nahm Hermann nach diesem Erlasse beiseite und sagte :
" Er ist doch durch die Entdeckung der alten Rüstungen rein toll geworden .
Wie wenig gehört dazu , um in beschränkten Köpfen das bißchen Vernunft gären zu so machen ! "
- " Ei laß ihn , Lieber ! " versetzte Hermann .
" Er sieht heute gar zu stattlich aus , und ist ein beneidenswerter Mann ! "
Unbeschreiblich reizend war nämlich die Herzogin anzuschaun .
Sie hatte mit feinem Sinne einen Putz gewählt , der , obgleich fremdartig und phantastisch , sich doch zu der modernen Kleidung ihres Gemahls harmonisch verhielt .
Denn sie wußte wohl , daß dieser nicht zu bewegen sein würde , anders als in seiner eigentlichen Kleidung zu erscheinen .
Als Hermann zu ihr trat , sagte sie ihm leise und angelegentlich :
" Wir werden Sie nach diesen unruhvollen Tagen noch einige Zeit in der Stille und Einsamkeit hier behalten ?
Nicht ? "
Man wiederholte in diesem vertrauten Kreise die Ordnung des Tages , wie sie beobachtet werden sollte .
Die Einladungen waren auf die Mittagsstunde gestellt worden .
Auf dem Georginenplatze , den aber jetzt Schneebälle , Lilien und Maierosen schmückten , hatte man ein geräumiges Gartenzelt errichtet , unter dem sich die Gesellschaft versammeln sollte .
Das Lesekabinett war mit seinen anstoßenden Räumen gleichfalls geöffnet worden , damit für jeden Platz und Freiheit bleibe .
Eine Seitenverwandte des Hauses , die man Gräfin Theophilie nannte , sollte die Honneurs machen , bis die fürstlichen Personen eintreten würden .
Man hatte sie zu diesem Zwecke ausdrücklich kommen lassen .
Herzog und Herzogin wollten erst sichtbar werden , wenn alles versammelt wäre .
Nach den Bewillkommnungen sollte ein Herold zu Pferde vor dem Zelte erscheinen und das ritterliche Spiel ankündigen .
Man hatte die ungefähre Dauer des letzteren berechnet und die Tafelstunde danach auf vier Uhr nachmittags festgesetzt .
Gespeist sollte im Ahnensaale werden , wo ein Hufeisen für vierhundert Personen gedeckt war .
Um sechs Uhr sollte das Mal zu Ende sein , und jeder nach Belieben sich umtun dürfen .
Als heitere Zwischenunterhaltung waren für diesen Zeitpunkt die Ergötzlichkeiten der Leute , das Scheibenschießen , der Hahnenschlag , das Klettern , und was sonst noch daran gereiht war , bestimmt .
Im Ahnensaale war unterdessen aufzuräumen , zu erleuchten und alles für den Ball herzurichten , der dort Schlag acht Uhr beginnen sollte .
Jeder der Anwesenden hatte seinen Auftrag ; was um so nötiger war , da man , um auch den Leuten möglichst viel Vergnügen zu gönnen , nur den unentbehrlichsten Teil der Hausdienerschaft zur Aufwartung beibehalten und den übrigen erlaubt hatte , an den Volkslustbarkeiten teilzunehmen .
Man hatte deshalb von den umliegenden Gütern sich eine Menge fremder Menschen erbitten müssen , deren Dienste immer nicht so zuverlässig erschienen , als die der eigenen , vollkommen regelrechten Livree .
Wilhelmi übernahm es , den Wagenzug vom Gartenzelte nach dem Turnierplatze zu ordnen , der Arzt wollte für Aufrechthaltung des Ballreglements Sorge tragen ; was Küche und Keller betraf , so konnte man sich in dieser Hinsicht auf den Haushofmeister verlassen , der ein sehr sicherer , gewandter Mann war .
Hermann endlich hatte sich das im stillen wirkende Amt des Ordners bei dem Festspiele selbst erbeten .
Unter diesen Besprechungen war es Mittag geworden , und man konnte die Gäste erwarten .
Verlangend sahen Herzog , Herzogin und die bei ihnen im Audienzsaal Verbliebenen nach der Allee vor den Toren des Schlosses , in welche sämtliche Wege , die zu demselben führten , einmündeten .
Nichts erschien , nur die Stäubchen wehten im Sonnenscheine .
Die roten und gelben Fahnen mit den Wappen des Herzogs , auf den Spitzen der Pavillon , flatterten über den Stauden des Parks , Trompeten und Pauken ließen sich von dort hin und wieder in ungeduldigen Fanfaren hören , am Gartenzelte harrten der Haushofmeister und die Dienerschaft mit den bereiteten Erfrischungen , aber kein Wagen , kein Reiter , kein Fußgänger wollte erscheinen , Straße , Hof und Park waren wie ausgestorben .
Nachdem man so länger als eine Stunde vergebens gewartet und alle Möglichkeiten in Vermutungen über den Grund dieses auffallenden Zögerns erschöpft hatte , sah man plötzlich einen bunten Jockei atemlos und bestürzt auf den Hof gelaufen kommen .
" Zu Hilfe ! " rief der Knabe , " wir können nicht hinein !
Auch ich habe mich nur mit genauer Not so durchgeschlichen . "
Auf der Stelle stieg Hermann zu Pferde , und ritt dem Knaben nach , der den Weg einschlug , auf welchem die meisten der Besuchenden kommen mußten .
Dieser Weg lief zwischen hohen Erdwänden hin , und war , etwa eine kleine halbe Stunde vom Schlosse , durch einen der Schlagbäume gesperrt worden .
An letzterem nahm nun Hermann das lächerlichste Schauspiel wahr .
Jenseits des Schlagbaums hielt eine unabsehliche Reihe von Wagen und Reitern , von denen die vordersten mit heftigen Reden die Erhebung des Balkens begehrten ; diesseits stand der Wächter , unbeweglich , ungerührt , und drehte der ganzen Gesellschaft den Rücken zu .
Bald hatte Hermann die Erklärung dieses Auftritts vernommen .
Der Wächter hielt sich streng an seine Instruktion , welche ihm verbot , Leute von fremdartigem Ansehn durchzulassen .
Er meinte , die Worte des Befehls auch auf den Zug der Eingeladenen anwenden zu müssen , von denen die meisten in ungewöhnlichem Anzuge erschienen .
Vergebens waren alle Deutungen und Bedeutungen gewesen , der Wächter schwieg und behielt den Schlüssel in der Tasche .
Da nun der Weg , wie wir ihn beschrieben haben , durchaus keine Umgehung gestattete , und der Wächter einigen Bedienten , die unter dem Balken durchkriechen wollten , um im Schlosse das Hindernis zu verkündigen , mit unzweideutiger Gebärde seinen Spieß vorhielt , so sah sich der ganze Reigen eine geraume Zeit lang in der seltsamsten Lage , und wie im Zustande des Banns vor einem verzauberten Kastell , bis es jenem gewandten Knaben glückte , vorbeizuschlüpfen .
Verdrießlich über die Dummheit des Wächters , entriß Hermann ihm den Schlüssel , machte am Schlage des vordersten Wagens den Damen schickliche Entschuldigungen und erbat sich einige berittene Diener , die er sofort nach den anderen Schlagbäumen abfertigte .
Wirklich war diese Vorsorge nötig gewesen , denn überall trafen die Boten auf die nämliche Szene .
Die Wächter hatten sämtlich in der Überzeugung gestanden , daß an solchen Tagen eine buchstäbliche Auslegung der Gesetze die sicherste sei , und nach diesem Grundsatze verfahrend , Ritter und Edelfrauen abgesperrt .
Überhaupt schien ein schalkhafter Kobold an diesem Morgen die Sinne der Menschen zu betören .
Der so kluge und einsichtsvolle Haushofmeister hatte im Strudel seiner Geschäfte gänzlich vergessen , daß der eine Flügel schon von den frühzeitig eingetroffenen Besuchern erfüllt war , und in der Absicht , verwahrt zu halten , was nicht auf der Stelle benutzt werden sollte , die große Türe desselben verschließen lassen .
Bei solchem Zudrang eine an sich löbliche Vorsicht !
Nun vernahm der Herzog , während Hermann bei dem Schlagbaume beschäftigt war , von der Seite jenes Flügels her , ein donnerartiges Getöse , schickte hin , und hörte , daß ein Teil der Gäste dort ebenfalls versperrt sei , welcher sich mit trommelnden Händen und Füßen abmühe , Erlösung aus dem Kerker zu gewinnen .
Der Haushofmeister war nicht gleich zu finden , und so mußten jene noch eine ganze Weile hinter Schloß und Riegel verharren .
Blitzschnell war Hermann vom Schlagbaume zurückgesprengt , und hatte dem Herzoge das dort Vorgefallene gemeldet .
Dieser ließ , um das Gedränge vor der Allee zu hindern , verschiedene Seitenwege durch Wiesen und Baumgärten öffnen .
Auf einmal verwandelte sich nun die bisherige Einsamkeit in das Getümmel des regesten und buntesten Lebens .
Durch die Allee , über Wiesen und Baumflecke von allen Richtungen her , rollten glänzende Equipagen , trabten geschmückte Reiter auf kräftigen oder zierlichen Tieren heran .
Barette , Henriquatres , Samtmäntel von allen Farben , Unterkleider von schneeweißer Seide , gelbe oder rote Stiefelchen , goldene Sporen hoben manche jugendliche Gestalt trefflich hervor .
In den Wagen klopften die schönsten Busen unter Gold , Atlas , Spitzen und Stickerei , blitzten die anmutigsten Augen unter wehenden Reiherfedern , während ehrwürdige ältere Herrn und Damen in Silbergrau , Braun und Schwarz , gewissermaßen den dunklen Grund bildeten , auf welchem die Blumen des Festes wuchsen .
Dazu die scharlachenen Hauptgestelle der Pferde , das weiße und rote Sielzeug , die galonierten Livreen der Kutscher und Diener !
Kurz , als auch die Flügeltüre ihre geputzten Gefangenen hervorgelassen hatte , als die Wege von den Herbeieilenden zurückgelegt worden waren , so gab es im Schloßhofe ein Gewimmel von Farben , Figuren , von Glanz und Schimmer , welches würdig zu beschreiben , eine geschicktere Feder , als die unsrige ist , kaum vermöchte .
Abstechend nahmen sich gegen die Gestalten des Mittelalters freilich die neuen Uniformen der Offiziere , und die schlichten Röcke der Bürgerlichen aus , aber auch diese Kontraste erhöhten nur den mannigfaltigen Reiz des Anblicks .
Da die Zeit über die Gebühr vorgerückt war , so säumten die fürstlichen Personen nicht , im Gartenzelte zu erscheinen , als sie meinten , daß dort alles sich zusammengefunden haben würde .
Bei ihrem Eintritte entstand ein fröhlicher Tumult ; man drängte sich um sie , verneigte sich , begrüßte sie .
Der Scharfblick der Herzogin hatte bald wahrgenommen , daß die Gattinnen und Töchter der Honoratioren aus der Stadt sich unter so vielem Samt und so glänzender Seide in ihren weißen Batistkleidern etwas verlegen fühlten , während die Männer und Väter eher trotzig und herausfordernd vor den gleißenden Rittern standen .
Mit bezaubernder Freundlichkeit wandte sie sich vorzugsweise an jene Frauenzimmer , und hatte wirklich in kaum fünf Minuten jeder eine Artigkeit gesagt , so daß alle , wie neugeboren , Luft schöpften .
Inzwischen bemerkte der Herzog den Oheim , der , grau gekleidet , mit Schnallenschuhen , wie er sich immer zu tragen pflegte , im Lesezimmer stand , und ein eifriges Gespräch mit einigen der prächtigsten Paladine führte , deren Geschäftsfreund er war .
Sobald er konnte , ging der Fürst dorthin .
Der Kaufmann trat ihm einige Schritte entgegen und sagte bescheiden :
" Es tut mir leid , daß ich von dieser Festlichkeit früher keine Kunde bekam , ich würde Euer .
Durchlaucht sonst meinen Anblick erspart haben , der gerade heute Denselben nicht angenehm sein kann . "
- " Warum das ! " versetzte der Herzog im besten Ton und reichte dem Kaufmann die Hand .
" Jedes Ding hat seine Stunde .
Heute das Vergnügen , morgen die Arbeit ; auf beides bin ich gefaßt . "
Trompeten schmetterten ; ein Herold kam geritten und sagte folgenden Spruch her :
Die Bahn ist abgesteckt , die Fahnen wehen ; Wohlauf ihr Kavaliere reinen Bluts !
Wer einen Degen läßt zur Seite sehen ; Der gebe Zeugnis auch des Rittermuts !
Hierauf wurden die Damen wieder zu den Wagen geführt , die Herrn sahen nach ihren Rossen .
Ein prächtiger Sechsspäner fuhr vor , in den der Herzog mit seiner Gemahlin sich setzte .
Wilhelmi ordnete die Reihenfolge des Zugs .
Die Bürgerlichen gingen zu Fuß voran .
An einem Kreuzwege schwenkten die Carousselreiter ab .
Alles war in der größten Erwartung der Dinge , die da kommen sollten .
Die kleinen Neckereien des Zufalls , welche vorangegangen waren , hatten die Stimmung erhöht und leidenschaftlicher gemacht .
Von den Wagen flogen zärtliche Blicke nach manchem der schmucken Reiter .
Das Fest begann .
Elftes Kapitel Elftes Kapitel Um den großen , mit Sand reinlich belegten Platz liefen auf zierlichen Bogenstellungen die Sitzreihen für die Zuschauer von Stande .
Man hatte dem Holzwerke eine muntere Färbung , gelb und braun , gegeben , Behänge von rotem Tuch , mit goldenen Fransen gesäumt , deckten die Brüstungen .
In der Mitte dieses Amphitheaters bezeichneten bessere Stoffe , ein Baldachin , und das große , im schwersten Zeuge gestickte Wappen des Herzogs den Ehrenplatz .
Zu demselben bis dicht unter die Brüstung führten vom Grunde aus tuchbelegte Stufen .
Hier sollte die Königin der Schönheit und Minne auf einem thronartigen Sessel Platz nehmen , auf etwas niedrigeren Lehnstühlen neben ihr zu beiden Seiten wollten Herzog und Herzogin sitzen .
Zierliche Pagen in Blau und Silber standen hinter Thron und Lehnstühlen , und hielten auf weißen goldgestickten Atlaskissen die Ehrengeschenke , welche die geschicktesten Ritter aus den Händen der Königin als Dank empfangen sollten .
In der Auswahl dieser schönen und kostbaren Sachen hatte die Herzogin ihren ganzen Geschmack bewiesen .
Auf ihre Veranlassung , durch Wilhelmis und anderer Vertrauten Bemühungen war bunte Reihe gestiftet worden , die verschiedenen Stände , Gäste in und ohne Kostüm , saßen gemischt untereinander , ja sie selbst hatte ein gutes blödes Kind , welches ängstlich nach einem freien Platze umherschaute , auf einen Sessel in ihrer Loge genötigt .
Neben dem Kaufmann saß der Enterbte , der an dem Caroussel keinen Anteil nehmen wollte , und mit allerhand spitzigen Bemerkungen halblaut um sich warf .
Dem herzoglichen Sitze gerade gegenüber leuchtete der große , geräumige Pavillon von roter und gelber Leinwand , unter welchem sich die Kavaliere zu Roß versammelt hielten .
Die Wappen des Herzogs und der Herzogin standen gepaart auf beiden Seiten der breiten Öffnung , behütet von kräftigen Schildhaltern .
Als alles sich gesetzt hatte , richtete sich jeder Blick nach dem Pavillon .
In diesem war ein kleiner Verzug entstanden .
Unterwegs hatte sich nämlich , Hermann wußte selbst nicht wie ? ein Ritter zu den übrigen gefunden , welcher eine halbe Larve vor dem Gesichte trug .
Sein Putz überstrahlte an wilder Pracht den der anderen weit , ebenso auffallend erschien sein Tier .
Als man ihn fragte , wer er sei , antwortete er , er nenne sich den Neffen des Enterbten .
Im Pavillon verlangte Hermann , daß jener sich demaskieren solle , welches höflich aber bestimmt verweigert wurde .
Hermann wußte nicht recht , wie er sich hierbei zu benehmen habe , während er aber noch zaudernd stand , ertönte der erste Trompetenstoß , und nun war keine Zeit zu verlieren .
Um kein Aufsehn zu erregen , und in der Meinung , daß hier ein artiger Scherz beabsichtigt werde , reihte er den Neffen des Enterbten eiligst bei dem letzten Gliede ein , während die Trompeter schon aus dem Pavillon ritten .
So breit war die Öffnung des letzteren , daß mit Bequemlichkeit sechs Mann hoch ausgeritten werden konnte .
Voran zogen zwölf Trompeter und Pauker , ihre Instrumente mit schwerem Silberzeug verziert .
Hinterdrein folgte der Herold , in der Rechten eine große Pergamentrolle haltend .
Nach ihm ritten in vier Zügen vierundzwanzig Kavaliere mit entblößten Schwertern .
Dieser herrliche und glanzvolle Aufzug bewegte sich unter den Tönen eines triumphierenden Marsches längs der Umschränkungen des Platzes hin .
Als er vor dem Balkone des fürstlichen Paars angelangt war , senkten die Kavaliere die Schwerter , schwieg die Musik , entfaltete der Herold die Pergamentrolle .
Er verlas die Namen der Edelleute , und erbat für sie von dem Burgherrn und der Burgfrau Vergunst , ritterlich Wesen sehen lassen zu dürfen .
Die Herrschaften neigten sich gewährend , der Zug setzte seine Runde fort .
Nach deren Vollendung zogen sich die Kavaliere wieder in den Pavillon zurück , Trompeter und Pauker aber schwenkten ab , und ritten unter dem Balkone der Herrschaften auf .
Nunmehr war es an der Zeit , zu der Wahl zu schreiten , welcher alle schönen Busen mit gerechter Bewegung entgegenschlugen .
Ein anderer Herold in Friedenskleidern , einen Kranz in den Haaren , kam geritten , hielt in der Mitte des Platzes , und rief mit lauter , verständlicher Stimme :
Wann wird der Dank zum lieblichen Gewinne ?
Wann ihn die Königin beute der Schönheit und der Minne !
Wem ziemt die Wahl ?
Den Schönheit setzt in Qual ; Wohlauf , ihr Herrn !
Erkiest sie allzumal !
Die Herzogin hatte nämlich , um Neid und Eifersucht möglichst zu entfernen , beschlossen , dem Zufall das Amt aufzutragen .
Jeder Herr sollte auf ein elfenbeinernes Täflein den Namen derjenigen schreiben , welcher er die Würde zudachte .
Aus diesen Täflein , in eine Urne geworfen , sollte dann Damenhand das beglückte Los ziehen .
Anfangs hatte sie sich hierbei ganz auf den Takt der Anwesenden verlassen zu dürfen geglaubt , bei der nunmehr doch sehr gemischten Natur der Gesellschaft waren aber den beiden Edelknaben , welche die Stimmen einsammeln sollten , geheime Anweisungen erteilt worden , und wir dürfen wohl verraten , daß bei dieser Gelegenheit der Unterschied der Stände scharf im Auge gehalten wurde .
" Was bedeutete der Spruch jenes Menschen ? " fragte der Kaufmann seinen Nachbarn .
" Nichts " , versetzte der Enterbte , " er drehte sich , wie das ganze Fest , um nichts . "
Die beiden Edelknaben , der eine mit den Täflein , der andere mit der Urne näherten sich ihnen .
" Ich wüßte keine , der ich die Palme gönnte " , sagte der Enterbte ; " geschwind , alter Herr , fällt Ihnen kein Mädchenname bei ? "
Der Kaufmann erwiderte :
" Meine Bekanntschaft unter dem jungen Frauenzimmer ist auch sehr schwach , ich kenne fast niemand außer meiner Tochter Cornelie . "
- " Bravo ! " rief der Enterbte , schrieb und warf sein Täflein in die Urne .
Nachdem die Knaben den Umgang gemacht hatten , erhob der Herold wieder seine Stimme und rief :
Die Lose ruhn verhüllt !
Von Frauenhand Wird nun in des Geschickes Dienst gezogen , Und glücklich , die der zarte Finger fand !
Die anderen doch sind auch nicht ganz betrogen .
Ob sie auch fern vom Thron des Festes blieben , Ein Herz beherrschen sie ; des , der sie aufgeschrieben !
Diese Wendung fand allgemeinen Beifall .
Man wiederholte sie lachend und scherzend ; die anmutigsten Gesichter mußten die meisten Neckereien anhören .
Ein alter lustiger Herr sagte : " Dies ist sonach die wahre Republik Polen , wo jeder , wenn er auch nicht zum Zepter gelangte , im stillen sich dazu berechtigt fühlte .
Ich fürchte nur " , setzte er lauter hinzu , " die Erwählte wird ein noch angefochteneres Regiment haben als jene Sarmatenkönige . "
Der Edelknabe mit der Urne bog sein Knie vor der Herzogin .
Sie wies ihn an die vornehmste Dame nach ihr , welche in ihrer Nähe saß .
Diese , eine hohe , majestätische Gestalt , erhob sich , gebot , die Lose in der Urne umzuschütten , griff hinein , zog ein Täfelchen hervor , las und verwunderte sich .
" Ich finde hier nur den Namen Cornelie aufgeschrieben " , sagte sie zur Herzogin .
" Wer ist diese Cornelie ?
Gebe Gott , daß nicht mehrere dieses Namens hier anwesend sind , sonst wird es eine schwierige Entscheidung geben . "
Der Herold , welcher aufmerksam nach dem Namen hingehorcht hatte , fiel mit dem auf das Stichwort vorbereiteten Spruche ein : " Cornelie ist zur Königin der Minne und Schönheit erwählt worden .
Ihr Edelfräulein , geleitet die Königin zum Throne ! "
Ein jauchzender Tusch der Trompeten und Pauken bekräftigte diesen Ruf .
Die vier jungen Mädchen , welche von der Herzogin zu Ehrendamen bestimmt worden waren , traten hinter ihr Tabouret , und sahen , der Anweisung bedürftig , auf sie .
Ein Murmeln lief rings um die Tribünen , man fragte nach der ausgerufenen Dame , man überzeugte sich bald , daß sie nicht zur Stelle sei .
Die Herzogin , das Täfelchen von der anderen empfangend , spielte verlegen damit und befand sich in grausamer Unschlüssigkeit .
Der Herzog nahm es ihr aus der Hand und sagte mit gehaltenem Tone , deutlich , daß seine Worte über den ganzen Platz hin vernommen wurden :
" Da die Königin des Festes , wie es scheint , abwesend ist , so ersuche ich meine Gemahlin , ihre Stelle zu versehn .
Vielleicht ist diese Gestalt der Wahl die richtigste , denn das Höchste soll uns ja eigentlich immer fern und unsichtbar bleiben .
Ich erkläre hiermit im Namen der unbekannten Schönheit den Thron für besetzt , und bitte , das Spiel zu ihrer Ehre anfangen zu lassen . "
Er legte das Täfelchen auf den Thron .
Die Ehrenfräulein setzten sich auf Sessel an den Stufen desselben .
Die Herzogin behielt ihren Platz , und blickte zerstreut vor sich hin .
Auch ihm sah man an , daß er eine kleine Bewegung niederzukämpfen hatte .
Was Hermann betrifft , der von dem Vorfalle durch einen aufmerksamen Zuschauer unterrichtet worden war , so möchte es schwer sein , seine Stimmung genügend zu schildern .
Es war ihm , als blicke er durch ein Kaleidoskop , worin sich unscheinbare Kleinigkeiten zu glänzenden Figuren verbinden .
Diese deuten auf Gestalten der Wirklichkeit hin , und sind sie doch nicht .
Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Schon bei den Quadrillen , die zuerst abgeritten wurden , hatte sich die Aufmerksamkeit bald vorzugsweise dem Verlarvten zugewendet .
So gut die übrigen , von tüchtigen Stallmeistern eingeübt , ihre Sachen in Schwenkungen und Volten machten ; dem Verlarvten kam keiner gleich oder nur nahe .
Das Staunen über seine Geschicklichkeit war um so größer , als er dieselbe durch den Gegensatz noch zu heben wußte .
Denn anfangs hatte er wie im Schlafe auf seinem Tiere gehangen und war nur so mitgezuckelt , hatte auch wohl zum Sattelknopf seine Zuflucht genommen , so daß schon mancher über den Ritter von der schneiderhaften Gestalt zu lachen begann .
Auf so einmal aber rückte er sich zurecht , alle Muskeln schwollen von kräftigem Fleische , er ritt nicht mehr , er schwebte auf dem Gaule , seine Hand spielte mit dem Zügel , er führte die seltensten Kunststücke so edel-nachlässig aus , als seien sie eigentlich noch unter seiner Würde .
Hierauf gefiel es ihm denn auch wohl wieder , zur großen Erlustigung besonders der Leute aus dem Volke , die unter den Bogen der Tribünen , hinter den Schranken zusehen , in den anfänglichen Schneidertrab zu verfallen , und so fesselte er die ganze Versammlung in Lachen und Bewunderung an sich .
Was das Merkwürdigste war , sein Tier , eine katzenartig gezeichnete , lange Schecke , die aus tückischen , leuchtenden Augen schaute , schien mit dem Herrn völlig eins zu sein .
Wurde er über ihr zum Schneider , so wurde das Tier unter ihm zur Mähre , ließ die Ohren hängen , senkte den Kopf , und tat , als ob es lahme .
Sobald dagegen der Reiter er selbst sein wollte , tanzte es wie ein Hirsch , flog es wie ein Vogel .
Besonders entzückt über diese Künste war ein alter Landedelmann , der einen Teil seiner Jugend in Großbritannien zugebracht hatte , und alles Pferdewesen leidenschaftlich liebte .
Dieser Mann hatte bis dahin seine Nachbarn mit der unaufhörlich wiederholten Erörterung der Frage , was doch wohl aus ihnen allen hätte werden sollen , wenn die Schlagbäume nicht gehoben worden wären ? gepeinigt , als die Freude über den Verlarvten jene Untersuchung niederschlug .
Er lehnte sich mit beiden Armen auf die Brüstung , klatschte unmäßig , rief einmal über das andere : " Bravo ! " und schwor , er müsse nach dem Caroussel mit jenem Brüderschaft trinken .
" Wenn ich nur wüßte , aus welcher Familie er ist " , sagte er .
" Aus unserer Provinz kann er nicht sein , denn hier sitzen sie doch im Grunde alle wie die Mehlsäcke zu Pferde , er muß von mecklenburgischem Adel sein , er macht wahrhaftig Sachen , wie ein englischer Bereiter . "
Nach den Quadrillen , welche die Musiker mit den ausgesuchtesten Märschen begleiteten , entstand eine kleine Pause .
Knappen in grün- und weißgestreiften Wämsern richteten die bewimpelten Pfähle mit den Ringen auf , nach welchen nun das Stechen beginnen sollte .
Eine große Walze wurde angewendet , den von den Huftritten der Pferde aufgewühlten Sandgrund wieder festzudrücken , unter dem Pavillon verschnauften die Kavaliere und ihre Rosse .
Der Enterbte war von der Tribüne herabgekommen , trat in den Pavillon , und Hermann sah , daß er mit dem verlarvten Neffen beiseite trat .
Eine gewisse Vermutung machte ihn auf den Inhalt des Gesprächs neugierig , er wußte sich scheinbar unbefangen den beiden zu nähern , und konnte wenigstens einige Worte von ihren Reden vernehmen .
" Macht es nicht so auffallend " , sagte der Enterbte zum Neffen , " es kommt sonst aus , und wir werden um unseren Spaß gebracht . "
" Herr Baron " , versetzte der Neffe in einem rauhen , holprigen Dialekte , " ich nehme mir es auch vor , aber wer kann wider die Natur ? "
Die Kavaliere begannen das Ringelstechen ; mancher Ring blieb auf den Degen sitzen , mancher flog auch , von ungeschicktem Stoße berührt , in den Sand .
Der Verlarvte schien anfangs die Warnung des Enterbten beachten zu wollen , er zeichnete sich nicht aus , fehlte , traf , wie es kam .
Auf einmal aber war es , als ob in ihn wieder ein übermütiger Geist führe .
Denn plötzlich ritt er bei dem Baume vorbei , und stach , diesem den Rücken zukehrend , mit einer sicheren Bewegung nach hinten zierlich den Ring ab .
Das war noch wenig .
Das nächste Mal warf er den Degen nach dem Ringe , traf ihn , und fing den Degen in der Luft auf .
Es war gut , daß hiermit dieser Teil des Festes zu Ende ging , denn wer weiß , welche Streiche noch sonst zur Gemütsergötzung der Zuschauer verübt worden wären .
Sobald der Zug wieder im Pavillon war , nahm Hermann den geschickten Reiter beiseite , und befahl ihm geradezu , sich zu entlarven .
Die bestimmte Mahnung setzte den Menschen aus der Fassung , er nahm die Maske ab und ein braunes , verbranntes Gesicht erschien unter dem Barett .
" Sie sind gedungen , unserem Feste zum Hohne zu gereichen ! " redete ihn Hermann hart an .
" Verfügen Sie sich zu Ihrer Gesellschaft , bei der die Künste , welche Sie üben , für Geld zu sehen sind .
Fort ! "
- " Mein Herr " , versetzte der Mensch , welcher zu ebener Erde so verlegen war , als er im Bügel sich keck erwiesen hatte , " ich wollte es nicht gern tun , denn ich fürchtete mich vor Rüge und Bestrafung , aber der Herr Baron setzten mir so lange zu , daß ich mich endlich bewegen ließ . "
- " Und was war die Absicht bei diesem Possenspiele ? " fragte Hermann .
" Ich sollte " , antwortete der andere , " nach dem Caroussel vor der Frau Herzogin hinknien , und die Geschenke empfangen , die der Herr Baron dann von mir haben wollte .
Was weiter im Werke war , kann ich nicht sagen , wir reisen schon morgen fort . "
Hermann nötigte den falschen Ritter auf sein Kunstpferd , und begleitete ihn noch einige hundert Schritte , um gewiß zu sein , daß er sich entferne .
Als er umkehrte , begegnete ihm der Enterbte auf halbem Wege .
Dieser sah dem abziehenden Kunstreiter nach , und sagte dann mit giftigem Blicke :
" Sie tun ja , als ob Sie hier Herr im Hause wären . "
" Mein Auftrag geht dahin , reine Bahn zu halten " , versetzte Hermann .
" Ich hätte nicht übel Lust , den Oheim dem Neffen folgen zu lassen .
Das ist auch etwas , worin wir die Wilden unleugbar übertreffen , daß wir uns an jemandes Tafel , Hohn und Schimpf im Herzen , niederlassen können . "
Er wandte ihm den Rücken und ließ ihn stehen .
Eine laute Fanfare von Trompeten und Pauken verkündete das Ende des dritten Teils , des Stechens nach dem Türkenkopfe , welches inzwischen vor sich gegangen war , und das Caroussel beschließen sollte .
Die Kavaliere waren abgestiegen und standen , des Danks gewärtig ; die Pferde wurden von der Bahn geführt .
Die Herzogin saß unruhig , eine Träne im Auge , da .
Sie fürchtete , jeden Augenblick den Verlarvten wieder hervortreten , und sich mit unter die Dankbegehrenden stellen zu sehen .
Sie wußte nicht , wer dieser Mensch sei , aber ihr weibliches Ahnungsvermögen sagte ihr , daß er ihr und ihrem Feste Schlimmes bedeute .
Hermann eilte , was er konnte , und trat atemlos hinter ihren Lehnstuhl .
Er flüsterte ihr zu , daß der Störer entfernt sei , und nannte ihr diejenigen Edelleute , welche nach seiner Meinung sich am besten gehalten hatten .
Die Geschenke , bestehend in goldenen Pokalen , damaszierten Ehrendegen , prachtvollen Schärpen und kostbaren Ringen , wurden verteilt .
Auch wer keinen Dank empfing , wurde doch mit einer zierlichen Schleife , welche die verschlungenen Namen des Herzogs und der Herzogin zeigte , geschmückt .
Alles dieses geschah bei Pauken- und Trompetenschall im Namen der abwesenden Königin .
Die Versammlung erhob sich .
Nach dem Verlarvten wurde einige Augenblicke lang gefragt , dann vergaß man ihn .
Nur der alte Landedelmann war untröstlich , als er erfuhr , daß dieser Paladin sich entfernt und dadurch seinen Umarmungen entzogen habe .
Er verfiel darauf wieder in das Gespräch von den Schlagbäumen , solange er einen Zuhörer finden konnte .
Man wollte nicht fahren , im Gehen meinte jeder sich mit denen , die er am liebsten mochte , besser zusammenzufinden .
Alles wanderte in buntem Gewimmel nach dem Speisesaale .
Sobald die Gesellschaft den Platz verlassen hatte , stürzte eine Menge Knaben aus dem Volke herbei und raffte auf , was an Federn , Schlangenköpfen und sonstigen Kleinigkeiten umherlag .
Hermann nahm eine Bandschleife , welche , von der Hand der Herzogin berührt , liegengeblieben war , und wollte sie als Erinnerungszeichen verwahren .
Da sah er die verschlungenen Namen und warf sie mit einer schneidenden Empfindung weg .
Die Knaben rauften sich um das leichte Zeichen ; bei dem Ziehen und Zerren zerriß es .
Was den Herzog betrifft , so hatte dieser nach Beendigung des Caroussels ganz freundlich seine Gemahlin gefragt , wann denn nun das Turnier beginne ?
In der Verwirrung der vorangegangnen Tage war man nämlich , wie dergleichen wohl vorzufallen pflegt , völlig vergessen gewesen , die Hauptperson von der Umänderung des ursprünglichen Festplans etwas wissen zu lassen .
Er verwunderte sich daher nicht wenig , als er hörte , daß die Sache schon vorbei sei , und dasjenige ausbleibe , worauf er sich eigentlich gefreut hatte .
Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Indessen rauschte das Fest unaufhaltsam weiter .
Ein kostbares Mittagsmahl war eingenommen worden , die Gesellschaft zerstreute sich in Sälen , Zimmern , Lauben , Gartengängen .
Während ein Teil der älteren Herrn ein frühzeitiges Spiel begann , andere da und dort ihr Nachmittagsschläfchen abhielten , die Matronen und die Frauen in gewissen Jahren , ernsthaft mit der Kritik des Vorfallenden beschäftigt , umhersaßen , verirrte sich so manches zärtliche Pärchen seitab in die entlegensten Teile des Parks .
Es gewährte einen bunten und fröhlichen Anblick , die vielen fremdartig geschmückten Gestalten wie Blumen aus dem Grün der Gebüsche und Baumgruppen hervordringen zu sehen .
Hermann hatte sich zu einer großen Gestalt von außerordentlicher , wenngleich verblühter Schönheit hingezogen gefühlt .
Es war die Theophilie , welche die Herzogin zu ihrem Beistande hatte kommen lassen , die Schwester jenes toten Vetters .
Ungeachtet des Streites , welcher die beiden Agnaten entzweit , stand sie mit dem Herzoge in einem freundschaftlichen Verhältnisse .
Sie waren einander an Höfen und in Bädern begegnet , und man hatte selbst einmal vorlängst von einer gegenseitigen Neigung gesprochen .
Hermann erfuhr von ihr , daß sie in dem Schlosse ihres Bruders , welches nun seinem Oheim gehörte , wohne .
" Wie kam es , daß ich Sie dort während meiner Anwesenheit nicht gesehen habe ? " fragte er .
" Es geziemt einer alten Hofdame , in ihrer Zelle zu verbleiben " , sagte sie .
" Mein Bruder machte sich bei dem Verkaufe einen Teil der Schloßzimmer aus , und nahm mich in den Vertrag mit auf .
Dort lebe ich für mich und hüte meine Erinnerungen .
Man muß der Welt den Korb geben , bevor sie ihn uns gibt .
Übrigens sind wir wie wohlgestellte Uhren .
Sobald man uns aufzieht , gehen wir wieder .
Ich war seit zehn Jahren nicht in großer Gesellschaft gewesen und meinte , alles vergessen zu haben , was zum guten Tone gehört , aber meine Cousine hat mich aufgezogen und siehe da , die stehengebliebene Uhr geht noch , denn ich machte , wie mich dünkt , nach allen Formen die Honneurs . "
Der Oheim kam ihnen entgegen , gedankenvoll vor sich hinsehend .
Sobald er Theophilien erblickte , verfärbte er sich , und wendete sich , ohne zu grüßen , kurz um .
" Verzeihen Sie ihm " , sagte Hermann betreten , " er ist so kurzsichtig . "
- " Nicht doch " , erwiderte sie lächelnd , " er hat mich recht wohl erkannt .
Wissen Sie , daß Ihr Oheim ein Geisterseher ist ? "
" Diese Eigenschaft hätte ich nicht an ihm vermutet " , erwiderte Hermann .
" Doch .
Er ist so ein Sonntagskind , d.h. in Beziehung auf mich .
Er sieht neben mir immer allerhand graue , schwarze , schalkhafte , tückische Geister .
Kennen Sie die Geschichte vom Müller bei Potsdam ? "
" Welches Kind kennt sie nicht ! " rief Hermann .
" Nun , ich bin der Müller bei Potsdam .
Tausende gäbe Ihr Oheim hin , wenn ich weichen wollte , aber ich bleibe in meinem Rechte wohnen .
Das ist alles nur Scherz " , fügte sie in einem schneidenden Tone hinzu .
" Ihr Oheim sollte meinen Blick vergessen , der ihn so erschreckte , als ihm mein Bruder aus freien Stücken die Zession gab , denn hin ist hin , und tot ist tot ! "
Ein Schwarm junger Mädchen näherte sich , lachend und schwatzend .
Sie ließ ihn stehen , und lachte und schwatzte mit den Mädchen .
Er versuchte noch einige Male , ihr nahe zu kommen , um die Erklärung ihrer spöttisch- geheimnisvollen Worte zu vernehmen , sie wich ihm aber aus , und er hatte über eine neue Verwicklung aus früherer Zeit nachzudenken .
Inzwischen waren die Lustbarkeiten der Bürger und Bauern begonnen worden .
Auf einer grünen geräumigen Wiese , unfern des Turnierplatzes erhoben sich Schaukeln und Kletterbäume ; zu beiden Seiten waren Schießstände abgesteckt , einer für das Armbrust- der andere für das Büchsenschießen .
In der Mitte des Plans stand eine große Bretterbude zum Tanzen , Würfeln und Spielen .
Die ganze Wiese war von fröhlichen Menschen bedeckt .
Knaben und Mädchen schwebten in den Schaukeln , junge Bursche fielen von den Kletterbäumen , ohne sich weh zu tun .
Auf der einen Seite schwirrten Pfeile nach dem Vogel , auf der anderen flogen Kugeln nach der Scheibe .
Besonders tat sich der alte Erich mit der Büchse hervor .
Er schoß fast jedesmal ins Schwarze , und hatte schon manchen schönen Preis erbeutet .
" Wenn Ihr so fortfahrt , wird für uns nicht viel übrigbleiben " , sagte ein Schütze zu ihm .
" Der Hauptschuß steckt noch im Laufe " , versetzte der Alte .
" Trinkt nur nicht so viel " , sagte der andere zu ihm .
" Bedenkt Euer Alter .
Ihr habt schon zweimal soviel zu Euch genommen , als wir . "
" Meine Seele dürstet nach Kraft wider die Ungerechten ! " rief Erich und leerte einen ganzen Krug des Getränks , welches an den Schießstätten in reichem Maße aufgefahren war .
Die Augen des Alten glühten , seine Finger bewegten sich unsicher ; gern hätte man ihm das Gewehr weggenommen , wenn dies in seinem Zustande nicht noch gefährlicher gewesen wäre .
" Es ist nur zu verwundern , daß er in der Beschaffenheit so gut trifft " , sagten einige der Umstehenden .
" Er muß es mit jemand haben " , sprachen andere , " denn er murmelt beständig von dem Fürsten der Finsternis , den er vertilgen wolle .
Ist er von einem beleidigt worden ? "
Der Herzog erschien mit seiner Gemahlin .
Eine Menge der reichgeputzten Gäste hatte sich schon vorher eingefunden und unter die Volksgruppen gemischt , deren Lust immer stürmischer emporloderte .
Junge Herrn setzten sich zu den schmucken Bauermädchen in die Schaukeln ; die Herzogin war , begleitet von einigen Edeldamen , nach der Bretterbude gegangen , und hatte dort mit älteren Leuten aus dem Dorfe ein herablassendes Gespräch angeknüpft .
Der Herzog stand bei den Büchsenschützen und besah ihre Gewehre , von denen mehrere sehr künstliche Stücke waren .
Auch der Oheim war gekommen und zu dem Schießstande herangetreten .
Der Amtmann machte sich um ihn zu tun , und bewies sich auch gegen ihn sehr demütig und vielgesprächig .
" Wenn hier viel Geld vertan wird " , sagte der Oheim mehr für sich , als zu seinem Begleiter , " so muß man gestehen , daß es wenigstens auf eine muntere Weise geschieht .
Ich werde mich hüten müssen , daß diese Lust nicht mich , wie meinen Advokaten ansteckt . "
" Wie schön werden diese Plätze sein " , versetzte der Amtmann , " wenn erst überall hier der Nutzen herrscht .
Schon sehe ich z.B. im Geiste auf jener Anhöhe das lange Trockengebäude mit Fachwerk errichtet , denn dicht daneben im Grunde steht das ergiebigste Torflager , welches Seine Durchlaucht nur nicht anbrechen lassen , weil Sie sich einbilden , der Gewinn ertrage die Kosten nicht . "
" Lassen wir das " , versetzte der Oheim .
" Noch gehört dieses alles ihm , und ich gebe mir heute Mühe , zu vergessen , weshalb ich eigentlich hier bin . "
- " Tun Sie das nicht , wertester Herr Kommerzienrat " , sagte der Amtmann .
" Betrachten Sie immerhin , was Sie vor sich sehen , als das liebe Ihrige .
Denn selbst wenn der alte Adelsbrief aufgefunden werden sollte , wozu kein Anschein , so würde es immer noch Mittel und Wege geben ... "
" Wie ? " fragte der Oheim und zog den Amtmann beiseite .
Gleich darauf gingen sie miteinander fort , einem Wege durch das Gebüsch zu .
" Ich möchte wohl durch jemand einen Schuß auch für mich tun lassen " , sagte der Herzog an der anderen Seite der Schießstätte .
" Dessen ist niemand würdig " , versetzte ein Schütze , " als der alte Erich .
Der wird einen Meisterschuß , einen Herzogsschuß für Ew. Durchlaucht tun . "
Man suchte nach dem Alten .
Er war nicht zu finden .
Man verwunderte sich ; noch ganz vor kurzem hatte ihn jedermann hier gesehen .
Ein Knabe sagte , er habe mit einem Fluche seine Büchse geladen und sei raschen Schritts unter die Menschen gegangen , wo er ihm aus dem Gesichte gekommen sei .
Ein Walzer ertönte aus der Bude ; die Herzogin ließ ihren Gemahl bitten , dorthin zu kommen .
Ein ehrenfester Bursche wurde der Gnade teilhaftig , mit der Fürstin den Tanz zu eröffnen .
Der Herzog machte mit einem hübschen flinken Mädchen die Runde .
Auch einige der vornehmen Herren griffen da und dort zu .
Demnächst nahm man mit guter Manier seinen Rückzug , um die Toilette für den Ball herzustellen , der nun sogleich im Schlosse beginnen sollte .
Unterwegs trat der Bürgermeister den Herzog an und fragte ihn , ob er wohl erlauben wolle , daß auch seine bürgerlichen Gäste verkleidet erschienen ?
" Ich bedachte " , sagte er , " als ich die geschmückten Herrn und Damen sah , wie kahl wir uns unter ihnen ausnehmen würden , und erinnerte mich , daß wir auf dem Rathause noch mehrere Kisten voll Maskenzeug von dem Redoutenunternehmer stehen haben , der uns die Saalmiete schuldig geblieben ist .
Diese habe ich holen lassen ; das Zeug wird für die Männer vollständig hinreichen , und auch unsere Frauenzimmer werden genug Bänder , Flor , Schmelz , Blumen und Borten finden , um sich ein fremdes Ansehn zu geben . "
Der Herzog erteilte mit Vergnügen seine Zustimmung .
" Aber freilich " , sagte der Bürgermeister , " sind es nicht lauter Ritterkleider ; es sind Schweizer , Türken , Polacken , Juden , Indianer , Gärtner und Zigeuner darunter . "
" Je bunter , desto besser ! " rief der Herzog .
" Dieser Tag gehört der Freiheit und Freude .
Eilen Sie , sich anzukleiden , wir wollen gleich anfangen , damit unsere jungen Damen und Herrn etwas vor sich bringen können . "
Hermann hatte einen Augenblick sich unter den Volkslustbarkeiten umgesehen , dann war er nach dem Schlosse zurückgeeilt , um die Erleuchtungsanstalten um dasselbe zu ordnen .
Er meinte hierauf , sich von dem Getöse etwas zurückziehn zu dürfen , und ging durch einen abgelegenen Teil des Parks , um seine Sinne zu beruhigen .
Auf einmal war es ihm , als höre er ein Geschrei , und als er noch horchte , um sich dessen zu vergewissern , kam schon etwas quer durch die Büsche , die einen Hügel dort bekleideten , herabgestürzt .
Es war der Amtmann .
Zitternd , entsetzt , rief er :
" Mord !
Mord ! " und rannte über den Weg durch das Strauchwerk weiter .
Mit der Schnelligkeit des Blitzes drang Hermann durch die Büsche die Anhöhe hinauf .
Oben wurde ihm ein schrecklicher Anblick .
Sein Oheim stand bebend , an einem Baume sich haltend , furchtsam weggekrümmt ; einige Schritte von ihm der alte Erich , die weißen Haare wie Borsten emporgesträubt , die Büchse im Anschlage haltend .
Mechanisch warf sich Hermann zwischen seinen Oheim und den wütenden Greis .
" Laß ab ! " rief er .
Der Alte schien durch Hermanns Entschlossenheit außer Fassung zu geraten , ließ die Büchse sinken und schlug sich vor die Stirn .
" Unglücklicher , was wolltest du tun ! " sagte Hermann , schritt beherzt auf den Alten zu und nahm ihm , ohne Widerstand zu finden , das tödliche Gewehr ab .
" Das Haus meines Herrn beschützen " , versetzte dumpf und kalt Erich .
" Sie sollen nicht sitzen , wo meine Herrn gesessen haben . "
Es kamen Menschen .
Der Amtmann war es und der Gerichtshalter mit seinen Dienern .
" Da steht der Mörder ! " rief der Amtmann überlaut .
" Assassinat ! " sagte der Gerichtshalter .
" Ergreift ihn und bringt ihn in das Gefängnis .
Einer aber gehe sofort und zeige es Seiner Durchlaucht an . "
- " Halt ! " rief Hermann .
" Tun Sie , was Ihres Amts ist , aber niemand soll heute abend von diesem Vorfalle etwas erfahren ; am wenigsten der Herzog .
Das Fest darf nicht gestört werden , und ich mache Sie dafür verantwortlich , daß Ihre Leute schweigen . "
" Mein Herr " , versetzte der Gerichtshalter , und warf sich in die Brust , " wer gibt Ihnen das Recht , mir Befehle zu erteilen ? "
" Sie gehorchen ! " sagte Hermann fest .
Der Alte sah ihn an , erhob die Stimme und rief : " Zanke nicht mit einem Gewaltigen , daß du ihm nicht in die Hände fallest .
Viele Tyrannen haben müssen herunter , und ist dem die Krone aufgesetzt worden , auf den man nicht gedacht hätte . "
Der Gerichtshalter , welcher von Natur verlegen und ängstlich war , bedachte sich einige Augenblicke , dann sagte er zu seinen Leuten :
" Es mag so geschehen .
Führt ihn auf Umwegen , wo niemand ihn sieht , nach dem Gefängnis , und keiner rede von der Sache . "
Als der Alte abgeführt worden war , wandte sich Hermann zu seinem Oheim , der sich kaum auf den Füßen halten konnte .
Er verlangte nach dem Gasthofe , schweigend führte ihn der Neffe dorthin .
Er erkundigte sich mit Schonung nach dem Hergange ; der Oheim wußte ihm aber weiter nichts zu sagen , als daß jener Unselige , der ihnen nachgeschlichen sein müsse , plötzlich hinter den Bäumen , das Mordgewehr auf ihn gerichtet , hervorgetreten sei , ihn mit furchtbaren Drohworten aus den Propheten anfahrend .
Der Amtmann habe gleich die Flucht ergriffen , und ihn dem Grimme des Alten überlassen .
Er ließ Postpferde bestellen .
Hermann suchte alles mögliche auf , ihn von dem Entschluss zu einer nächtlichen Reise nach solcher Alteration abzubringen , und führte ihm endlich den Plan , mit dem er hierher gekommen , in die Erinnerung zurück .
" Das ist vorbei " , sagte der Oheim .
" Fernerhin soll zwischen mir und dieser Mördergrube nur von Recht und Gerechtigkeit die Rede sein . "
Als Hermann bestürzt seinen Verwandten in den Wagen gehoben hatte , ging er nach der Wohnung des Gerichtshalters , bei welcher sich auch die Gefängnisse befanden .
Er erhielt Einlaß in den Kerker des alten Erich , konnte aber mit diesem nichts beginnen , denn der Alte war , als habe er nichts begangen , fest eingeschlafen .
Der Gerichtshalter erzählte aus einem kurzen Verhöre , welches er sogleich mit ihm angestellt , folgendes :
Er sei dem Amtmann und dem Kommerzienrat nachgegangen , ohne zu wissen , warum ? habe ein abscheuliches Gespräch zwischen beiden belauscht und dann gesehen , wie der Kommerzienrat sich auf den Hügel gestellt , die Arme ausstreckend , und andeutend , wie und wo er niederreißen , zerstören und bauen lassen wolle , wenn er hier Herr werde .
Da sei ihm jener wie der Teufel vorgekommen , der die Hand zum Verderben über eine ganze Gegend ausrecke , und er habe es für nichts Böses gehalten , den Teufel totzuschießen .
Hermann sagte zu dem Gerichtshalter , daß er es übernehme , den Herzog von diesen finsteren Dingen zu benachrichtigen , und gebot ihm , den Alten mit Schonung zu behandeln .
Er eilte nach dem Schlosse , sehr in Sorgen , daß doch eine Kunde bis dahin dringen werde .
Es war völlig Nacht geworden .
In den Alleen um das Schloß waren alle Lampen angezündet worden , welche , farbig , ein magisches Regenbogenlicht umherstreuten .
Vor dem Portale brannten mächtige Pechpfannen , alle Fenster waren hell erleuchtet , aus dem Inneren erscholl die rauschende Tanzmusik .
Er schritt , geblendet von dem Glanze , die Treppen hinauf , und stellte sich an den Eingang des Saals .
In dem Lichte der Lustres und Kronleuchter bewegten sich die glänzenden und bunten Gestalten , für deren Menge der große Ahnensaal doch fast zu klein war .
Es war das prachtvollste Gewimmel , welches seine Augen je gesehen hatten .
Auch der Herzog war , zum großen Erstaunen seiner Gemahlin , verwandelt , in dem geheim zubereiteten Schmucke unter die Gäste getreten .
Er strahlte , mit Diamanten bedeckt , in einem roten hermelinumfaßten Mantel .
Die Augen der Damen folgten , nicht zum Verdrusse der Fürstin , der hohen stattlichen Gestalt .
Als er Hermann an der Tür bemerkte , winkte er ihm , in den Saal zu treten .
Dieser aber verblieb , wo er war , jeden Hineingehenden sorglich anblickend , ob er auch nicht unvorsichtigerweise die Nachricht bringen werde , wie das Entsetzliche sich diesem schönen Scheine so nahe geschlichen habe .
So stand er in seinem schlichten Frack einen Teil der Nacht durch als treuer Wächter an der Schwelle .
Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Am folgenden Morgen wurde er von dem Gerichtshalter zu früher Stunde geweckt .
Der Mann trat mit erschrockenem Gesichte vor sein Bett , und brachte ihm stotternd die Nachricht , daß der alte Erich entflohen sei .
Der Gerichtshalter hatte ihm auf Hermanns Weisung keine Fesseln anlegen lassen ; so war es ihm möglich geworden , seine Wächter , die in der allgemeinen Freude wohl auch das Ihrige zu sich genommen haben mochten , zu täuschen .
Hermann ging mit dem Gerichtshalter nach dem Kerker .
Das nicht recht feste Schloß war von inwendig erbrochen worden .
Die Wächter , welche draußen im Vorraume gewesen waren , mußten geschlafen haben , während der Alte sein Befreiungswerk verrichtete .
An der Wand stand mit Kohle fast unleserlich geschrieben , daß , was einmal mißglückte , nicht immer fehlzuschlagen brauche .
Das erste war nun , den Herzog zu benachrichtigen , mit welchem unangenehmen Geschäfte sich Hermann belud , da der Gerichtshalter sich nicht vor den Herrn getraute .
Hier sah Hermann den Fürsten zum ersten Male fassungslos .
Er konnte kaum sprechen und seine Bewegung wurde noch größer , als er die Abreise des Oheims vernahm .
Hermann mußte sich auf eine Viertelstunde entfernen , nach deren Verlauf der Fürst einigermaßen wieder zu seinem Gleichgewichte gekommen war .
Er fragte nach dem Verbrecher , und befahl , als man ihm dessen Flucht meldete , daß die strengsten Maßregeln zu seiner Habhaftwerdung getroffen werden sollten .
Jedoch schien es Hermann , als ob dieser Eifer nicht ganz wahr , und das Verschwinden des Schuldigen ihm das einzige Tröstliche bei der Sache sei , er begnügte sich daher , dem Gerichtshalter die sogenannten Solita anzuempfehlen , welche bekanntlich selten zum Ziele führen .
Im Schlosse sah es wüst aus .
Der Ball hatte bis gegen Morgen gedauert .
Die Dienerschaft war erst bei Tageslicht aus den Federn gekommen .
Im Tanzsaale , in den Seitengemächern , besonders im Trinkzimmer , überall zeigten sich noch die Spuren des Festes .
Zum Beweise , wie weit die Zerrüttung dieses so wohlgeordneten Hauswesens gediehen sei , erzählte man sich die Neuigkeit , daß die Herzogin heute dreimal nach ihrem Frühstücke habe verlangen müssen .
Nur überwachte abgespannte Gesichter begegneten einander .
Dazu strömte der Regen herunter , in welchen sich das heitere Sonnenwetter umgesetzt hatte .
Unter ausgespannten Schirmen stiegen die Gäste , welche nicht schon in der Nacht das Schloß verlassen hatten , schweigend-verdrießlich in ihre Wagen , und fuhren hinter zugeknöpften Ledern ab .
Die Herzogin hatte sich alle Beurlaubungsvisiten verbeten ; sie entschuldigte sich mit körperlichem Unwohlsein .
Als Hermann auf den Turnierplatz ging , sah er die Tapezierer mit heftiger Eile bemüht , die schon durchnäßten und halb verdorbenen Behänge von den Gerüsten zu nehmen .
Die gießenden Fluten hatten die Bemalung von den Tribünen und Pfeilern abgewaschen ; sie standen mißfarbig und beschmutzt da .
Von dem Pavillon war nur noch das Gerippe zu sehen .
Die Herzogin war mehrere Tage hindurch für niemand , als für ihren Gemahl sichtbar .
Nur der Geistliche hatte Zutritt zu ihren Zimmern und hielt fortgesetzte Andachtsübungen mit ihr .
Unter den Vertrauten ging die Rede , sie mache sich über das Fest Gewissensskrupel .
Von diesem schwieg jeder ; man hatte vorher zu viel davon gesprochen .
Man suchte nach Gegenständen der Unterhaltung ; sie wollten sich nicht finden .
Man gähnte , war übelnehmerisch , ging einander aus dem Wege .
Der Arzt schrieb viel .
Am verstimmtesten bezeigte sich Wilhelmi .
" Ich gehe " , sagte er eines Tages zu Hermann , " meines Bleibens wird hier nicht lange mehr sein .
Man muß sich nur einmal versöhnt haben , um gewiß zu werden , daß man nicht mehr füreinander paßt . "
" Du wirst deine Gönner in der Krisis , welche vielleicht nahe bevorsteht , nicht verlassen " , erwiderte Hermann .
" Ich werde mich immer wie ein ehrlicher Mann betragen " , sagte Wilhelmi .
" Auch fällt es mir selbst schwer genug , aus diesen Wänden zu scheiden .
Aber der hiesige Zustand ist ein künstlicher , man tut am besten , ihn aufzuheben .
Sie haben wegen meiner Sammlungen von der Hauptstadt aus mit mir angeknüpft , wo sie jetzt alles zusammenscharren .
Ich bin Willens , darauf einzugehn . "
Den Herzog betraf nunmehr fast Tag für Tag etwas Unangenehmes .
Das Geschick schien , wie es wohl kommt , durch den Lärmen der Lustbarkeiten aus seinem Schlummer zu feindseliger Tätigkeit emporgestört worden zu sein .
Es währte nicht lange , so überbrachte ihm ein Freund und Gutsnachbar , anscheinend sehr entrüstet , die letzte Nummer des vielgelesenen Provinzialblatts , worin geschrieben stand , daß bei einem neuerlich stattgefundenen feudalistisch-ritterlichen Feste der bekannte Äquilibrist und gymnastisch-akrobatische Künstler * den Preis davongetragen , und den Dank aus hoher schöner Hand empfangen habe .
Namen und Ort waren zwar nicht genannt , die journalistische Halblüge enthielt aber so viele individuelle Andeutungen , daß die Beziehung sich mit Händen greifen ließ .
Auch sagte der Nachbar , daß schon die ganze Gegend davon spreche .
Tiefer verletzte ihn eine Entdeckung , welche den Geistlichen betraf .
Dieser Mann , dessen Absichten immer unumwundener hervortraten , hatte die Verwirrung , worin sich das Schloß seit einigen Wochen befand , genützt , um etwas auszuführen , wozu ihm sonst doch wohl bei der bekannten Sinnesart seines weltlichen Herrn der Mut gebrochen hätte .
Der Herzog empfing kurz nach dem Feste einen Brief angesehener protestantischer Eltern , worin diese sich bitter beklagten , daß man ihre beiden ältesten Söhne in seiner Schloßkapelle katholisch gemacht habe .
Er war , wie vom Donner gerührt .
Der Geistliche , sogleich zu ihm gerufen , leugnete gar nicht , und sagte mit Freimütigkeit , daß er es für die Pflicht eines Priesters halte , abtrünnige Kinder in den Schoß der allgemeinen Mutter zurückzuführen , sobald sie ein Verlangen danach empfänden .
Er gebe , fügte er , den Herzog entschieden anblickend , hinzu , dem Kaiser , was des Kaisers , und Gotte , was Gottes sei .
Der Herzog fühlte sich in einer zornigen Verlegenheit .
Er war ein ganz guter regelrechter Katholik , doch betrachtete er , wie die meisten vornehmen Männer seines Glaubens , diesen mehr als eine Sache für sich , von der nicht viel Wesens gemacht werden müsse , und alles , was von fern nach Fanatismus oder Verbreitungssucht schmeckte , war ihm im Grunde der Seele zuwider .
Nun aber durfte er den , der immer ein nach den Begriffen der Kirche gottgefälliges Werk getan hatte , doch nicht dieserhalb schelten , und so blieb ihm denn weiter nichts übrig , als dem geschäftigen Priester mit scharfer Freundlichkeit zu eröffnen , daß er für seine weitere Beförderung Sorge tragen werde .
Unter diesen Verdrießlichkeiten wurde ihm die Klage des Oheims behändigt , welche , lange vorbereitet , ihn vor den höchsten Gerichtshof der Provinz lud , über die Herrschaft , über seine Weiler und Vorwerke , Wiesen , Wälder , Teiche und Flüsse , Gemarkungen und Breiten zu Recht zu stehen .
Abermals begann nun das Suchen nach dem verschwundenen Adelsbriefe der Ureltermutter , von welchem er und Wilhelmi das Schicksal dieses Streits abhängig glaubten .
Kein Winkel der Bibliothek , des Archivs , der Registraturen blieb undurchforscht .
Indessen waren diese Mühen vergebens .
Er zog sich hierauf ebenfalls in die Einsamkeit seiner Zimmer zurück , und selbst die Hausoffizianten , welche zunächst mit ihm zu tun hatten , bekamen ihn nicht zu sehen .
Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel " Welche fremde Gewalt nimmt mich so ungestüm gefangen !
Man hat mir gesagt , es sei unsere Bestimmung , zu lieben und geliebt zu werden .
Warum denn nun diese Bangigkeit , diese Angst ?
Klopft der Blume auch so das Herz , wenn sie aus der schwachen , farblosen Knospe bricht ?
Mir ist immer , als stände ich auf der schwindelerregenden Spitze eines hohen Turms , und selbst seine Nähe beruhigt mich nicht . "
* " Ich bemühe mich oft , mir den Eindruck recht klar zu machen , den ich empfand , als ich dich zum ersten Male erblickte , Hermann !
Denn ich meine , wenn ich mir nur darüber Rechenschaft geben könnte , so müßte eine Rettung aus dieser Not sein .
Aber es ist vergebens ; je mehr ich darüber nachsinne , desto undeutlicher fließt alles ineinander , bis du mir begegnest , wo denn in Tränen und Lust alles Grübeln weit wegflieht . "
* " Warum hast du nicht Platz behalten , Gott , in dem Herzen , welches dir so ganz gehörte ?
Warum erlaubtest du deinem Geschöpfe aus Staub , sich neben dir einzudrängen , und die reine Weihrauchwolke , die dort sich dir erhob , zu zerstreun ? "
* " Dies ist die Sünde !
Nun weiß ich , was das schreckliche Wort bedeutet .
Ich tue nichts Unrechtes , und doch bin ich verstimmt ; meine Gedanken mischen sich und erquicken mich nicht mehr , meine Seele nimmt verschiedene Stellungen an , und in keiner ist ihr wohl .
Und doch ist , was ich erleide , nur ein gemeines Schicksal so vieler meines Geschlechts , warum werde ich denn nun dadurch so geplagt ? "
* " Ich habe mir vorgenommen , ihn zu meiden , aber was hülfe mir das ?
Bliebe nicht immer seine Schattengestalt in meiner Seele störend zurück ?
Nein , ich muß versuchen , dies Fremde in mir innerlich zu überwinden , es in den Frieden , der mich sonst durchsäuselte , aufzulösen .
Ich muß diese Liebe zur Tugend erheben . "
* " Es ist so süß , so lieblich , was ich oft empfinde , wenn ich neben Hermann sitze , daß ich mitunter denke , alle diese Ängstigungen laufen wohl am Ende auf leere Selbstquälerei hinaus .
Ich möchte ihn selbst gern zum Richter über unser Verhältnis machen , er sieht mir an , daß ich ihm etwas zu sagen habe , sein freundlicher Blick will mir Mut machen , das Wort schwebt mir auf der Lippe , dann riegelt mir eine unbezwingliche Gewalt den Mund zu . "
Über den Blättern , welche diese und ähnliche geheime Ergießungen eines zart liebenden , mit sich zwiespältigen Gemüts enthielten , saß Hermann und las sie , wir wissen nicht , zum wievielsten Male ?
Es waren diejenigen , welche der unbescheidene Vogel ihm in die Hände gespielt hatte .
Das war die Hand der Herzogin , und sein Name stand hier in so gefährlicher Verbindung geschrieben !
" So ist es denn wahr ! " rief er .
" So ist mir das Geheimnis ihres Betragens enthüllt !
So soll ich undankbar an meinem Gönner und Gastfreunde werden ! "
Er schrieb mit Heftigkeit an Cornelien , warf ihr vor , daß sie ihm auf seine früheren Briefe nicht geantwortet habe , versicherte ihr seine ewige Liebe , und daß er trotz des Widerspruchs von Seiten des Oheims die Verbindung mit ihr werde zu bewirken wissen .
In der Einsamkeit , welche nun zum Gegensatze der früheren Geschäftigkeit im Schlosse herrschte , war nichts , was ihn abzog .
Er fühlte sich müßig , gepeinigt ; er wußte nicht , an welcher Handhabe er seine Tage anfassen sollte .
Viele Stunden versaß er in den Zimmern des alten Herrn , zu denen er den Schlüssel behalten hatte .
Nach dessen letztem Willen sollten sie unberührt bleiben , weil sie die Erinnerungen seines Lebens enthielten .
Er selbst war dort in ganzer Figur gemalt , als Schäfer ; rings um dieses große Bildnis wimmelte es von kleineren in ovalem und vierecktem Format , aus welchen jugendlich schöne Gesichter als Nymphen , Diane , Jägerinnen , Armida und Griechinnen hervorsahen .
Alle Tische und Schränke waren mit Kleinigkeiten von Holz , Porzellan , Glas , Bernstein , Perlemutter bedeckt , von denen das meiste seinen Ursprung als Andenken genußvoller Stunden nicht verleugnen konnte .
Wilhelmi , der die Türe zu diesen Gemächern angelehnt gefunden hatte , trat ein , und fand seinen Freund gedankenvoll an einem Spiegeltische sitzen .
" Du scheinst dich mit uns allen in der Stimmung zu befinden , welche die Perser Bidamag Buden nennen .
Uns steckt ein Jammer gewisser Art in Kopf und Gliedern .
Was mich betrifft , so hoffe ich ihn bald abzuschütteln , ich reise wahrscheinlich in nächster Woche , und nehme einen Teil meiner Sachen mit .
Hast du etwas nach * zu bestellen ? "
" Du bist mir ganz unerklärlich " , versetzte Hermann .
" Willst du dort mit alten Vasen und Bildern die Rolle des vornehmen Antiquars spielen ?
Sie werden dich anfangs mit schönen Worten füttern , und am Ende wirst du nicht wissen , in welcher Ecke du dich herumdrücken sollst .
Was hast du vor ? "
Wilhelmi machte eine geheimnisvolle Miene , legte den Finger auf den Mund und sagte : " St !
Ich nenne dir ein einziges Wort : Staat .
Fassest du , was der Staat ist ?
Ich habe darüber während meiner Verbannung nachgedacht .
Du sollst weiter von mir hören . "
Er wollte gehen .
Hermann hielt ihn zurück , nahm eine Dose altfränkischen Ansehens vom Spiegeltische und sagte : " Weißt du , der du alle Antiquitäten kennst , was für eine Dose diese ist ? "
Wilhelmi besah sie , und versetzte :
" Es ist eine sogenannte Lorenzodose .
Diese Dosen gehören mit zur Geschichte der Sentimentalitätsperiode .
Du erinnerst dich , wie beredt-stumm der Franziskaner Lorenzo dem Yorick Sanftmut und Duldsamkeit Predigt , und wie sie darauf einen Dosentausch vornehmen .
Diese Geschichte rührte die beiden Jakobis so , daß sie einen Orden der Humanität zu stiften beschlossen , dessen Patron jener Lorenzo sein sollte .
Zum Ordenszeichen wurde die von Sterne beschriebene Horndose des Franziskaners erwählt .
Daran wollten sich die Brüder erkennen .
Hatte sich einer , wie man es damals nannte , inhuman betragen , so sollte die stumme Vorhaltung der Lorenzodose ihn an seine Pflichten erinnern .
Gleim und andere Befreundete des Pempelforter Kreises waren die ersten Glieder dieser Verbindung , welche bald , durch die damalige Empfindelei begünstigt , eine große Ausdehnung gewann .
Aber es währte nicht lange , so mußten sich die Begründer von ihr lossagen , die Lorenzodosen waren Gegenstand der Spekulation geworden ; ein Graf von Solms ließ sie , fabrikmäßig verfertigt , zu Tausenden in alle Welt ausgehen ; was denn zur Folge hatte , daß Müßiggänger , Landstreicher und Glücksjäger , die Dosen in der Hand und Tränen in den Augen , betteln , fechten , auch wohl prellen gingen . "
" Du glaubst nicht , wie mich diese Dose erschreckt hat " , sagte Hermann .
" Eben eine solche erinnre ich mich als Knabe unter den Sachen meines Vaters gesehen zu haben . "
" Da finde ich nichts zum Erschrecken " , versetzte Wilhelmi .
" Sie sind beide Lorenzobrüder gewesen .
Sie gehören ja auch jener Zeit an . "
Hermann klappte die Dose auf , zeigte seinem Freunde ein Bild , welches in das Inwendige des Deckels eingenietet war , und fragte , was er davon halte ?
" Ein schönes Schwabenmädchen ! " antwortete Wilhelmi , nachdem er das Medaillon lange aufmerksam durch seine Gläser betrachtet hatte .
" Es ist meine Mutter ! " rief Hermann .
" Ich hätte sie erkannt , wenn der Name auch nicht Darrunterstände .
Nun verstehe ich ihre Tränen , ihren geheimen Schmerz , des Grafen Heinrich Besuche bei meinen Eltern , seine Zärtlichkeit gegen mich .
Sie ist seine Neigung gewesen , er hat der Freundschaft das heldenmütigste Opfer gebracht , und meine Mutter mag wohl im stillen während eines unerfreulichen Ehestandes bereut haben , dem anderen strengen verdrießlichen Manne gefolgt zu sein . "
Sechzehntes Kapitel Sechzehntes Kapitel Im Garten traf mit ihm der Geistliche zusammen .
Dieser Mann , welcher während der geräuschvollen Tage sich ganz zurückgezogen , und im stillen sein Werk getrieben hatte , trat , sobald jene Wellen verströmt waren , wieder hervor und suchte eifrig seine Gesellschaft .
Er war Hermann seit der Szene auf der Anhöhe einigermaßen verdächtig , und dennoch konnte sich dieser von einem gewissen Anteil , den ihm das feine , schwärmerische Wesen des Priesters abnötigte , nicht ganz losmachen .
Heute führte der letztere mit ihm ein leises tastendes Gespräch , welches sehr zart um den Kummer und die Unruhe unseres Freundes strich .
Er wußte seine Teilnahme an dessen Verstimmung so freundlich zu äußeren , er vermaß sich so wenig der trockenen Redensarten , womit die Menschen in der Regel ein bedrücktes Herz nur noch schwerer machen , daß Hermann sich wirklich erleichtert fühlte .
Zugleich ließ der Geistliche auf eine geschickte Weise einfließen , indem er vor Hermann die Augen niederschlug , daß er auch an der Herzogin sehr zu trösten habe .
" Ja , ich bin unruhig und bedrängt " , versetzte Hermann .
" Ich tue nichts Unrechtes und doch mischen sich meine Gedanken und erquicken mich nicht mehr " ; fügte er hinzu und errötete , weil er sich erinnerte , nur Worte der Blätter wiederholt zu haben , die seine Aufregung zum Teil verschuldeten .
" Ich habe in meinem Amte oft Gelegenheit gehabt , wahrzunehmen , daß die Menschen in Beziehung auf das Böse sich in einem Grundirrtume befinden " ; sagte der Geistliche .
" Der wäre ? " fragte Hermann .
" Als sei es zu vermeiden , als müsse alle Kraft der Seele daran gesetzt werden , sich davor zu bewahren . "
Hermann trat bestürzt zurück .
" Sie werden " , fuhr der Geistliche ruhig fort , " nicht glauben , daß ein Diener Gottes sich zum Apologeten der Sünde aufwerfe .
Aber sie ist einmal da , durch die heilige unbegreifliche Zulassung des Höchsten .
Sie ist so wirklich , so ewig und ursprünglich , wie das Gute .
Jeder Mensch muß dieses Messer in seiner Seele fühlen , wodurch sie erschüttert , gelockert , und zum Brautbette der himmlischen Liebe bereitet wird .
Gott will nicht die Rechtfertigen , er will die Reuigen .
Dieses Finstere als etwas Zufälliges zu behandeln , zu meinen , daß man den Einzug des unwiderstehlichen Feindes durch Gegenwehr verhindern könne , ist ein bodenloser Wahn .
Es ist nicht wahr , daß er die Seele zerstört , nur das Irdische , Nichtige in ihr frißt der glühende Atem seines Mundes , dann ersteht , vom Regen der Bußetränen befeuchtet , in der warmen Asche die grüne Saat des Glaubens und der Hoffnung .
Sind aber die Kräfte in dem nichtigen Kampfe gegen das Übermächtige vergeudet , erfolgt dann doch der Fall , so möchte in einem so ausgesogenen Boden schwerlich wieder etwas keimen und reifen können , und es bliebe dann wohl nur die dumpfe Gleichgültigkeit übrig , woraus zuletzt die Fertigkeit im Laster entsteht .
Darum lehrt auch meine Kirche , welche in allen Stücken die von den Toren verspottete Königin der Weisheit ist , nicht :
Hüte dich vor dem Bösen ; sondern : Glaube an den allbarmherzigen Gott , an den Erlösungstod , an die Fürbitte der Heiligen , an die Unnachsichtlichkeit der Beichtpflicht , an die reinigenden Flammen des Fegfeuers .
Es gibt Neigungen , die verboten sind .
Süße Lippen und Augen locken ; in den Armen des versagten teuren Gegenstandes liegt eine Welt , außer der es für den Liebenden keine zweite gibt .
Ich habe nun immer gefunden , daß diejenigen sich gründlicher von einer Verirrung herstellten , welche gefallen waren und mit herzlicher Zerknirschung sich der strafenden und verzeihenden Mutter in den Schoß warfen , als die , welche sich in innerlichen Kämpfen und Krämpfen abarbeiteten , denen tantalische Schatten und die Stacheln nicht gebüßter Leidenschaften in der Seele zurückblieben .
O auch hier ist dem , der nur sehen will , der Weg gewiesen , auch hier wallt die sanfte Friedensfahne dem so milde entgegen , der nur nicht in eigensinniger Verstocktheit von der Dürre des Protestantismus saftige Frucht gewinnen , von den Dornen die Feigen lesen will !
Ja , mein Freund ... "
Ein Lakai der Herzogin kam und unterbrach diese Rede , nach Hermann fragend .
Er ging , im Innersten empört über die frevelhaften Reden des Priesters , und wurde nach dem Garten-Lesekabinette gewiesen .
Die Fürstin empfing ihn trauig und leidend .
" Das kleine Zimmer ist noch so lieblich , wie sonst " , sagte sie .
" Da liegen meine guten Bücher , draußen blühen die Staudenrosen , die Büsten der Dichter sehen von ihren Postamenten herab .
Und doch schwankt der Grund unter uns , und die Welt blickt mich verschwommen an , wie ein Traum .
Wenn man uns von Haus und Hof triebe !
Ich weiß alles ; der Herzog hat seinen Kummer nicht länger bemeistern können .
Wie ist das ?
Sagen Sie mir_es ; ich begreife die ganze Sache nicht .
Warum sollen wir nicht bleiben können , wo unsere Voreltern waren ? "
Hermann wollte einige beruhigende Worte reden ; sie unterbrach ihn aber und sagte mit erstickter Stimme :
" Gott sendet uns die Trübsale , er gebe uns die Kraft , sie zu ertragen .
Ich ließ Sie rufen , um Ihnen etwas zu sagen , was mir lange auf der Seele lastet , und nun fehlt mir wieder aller Mut .
Sie müssen es wissen , vielleicht ist es mir morgen möglich ; kommen Sie um diese Stunde wieder , aber dann reisen Sie gleich , gleich ! "
Ihre schönen Hände ergriffen die seinigen .
Halb zog sie ihn nach sich , halb drückte sie ihn zurück .
Es war ihm , als öffne sich der Boden unter seinen Füßen , ein wonnevoller Schauder flog ihm durch die Glieder .
Er war aus dem Kabinette , und wußte nicht wie ?
Auf dem Gange nach seinem Zimmer wollte ihm der Geistliche , der auf ihn gewartet zu haben schien , wieder seine Gesellschaft antragen , die Hermann aber ablehnte .
Er riegelte hinter sich zu , und ging mit großen Schritten auf und nieder .
" Ja , sie liebt mich ! " rief er einmal über das andere aus .
Er beklagte diese Verwicklung , er wünschte sich weit hinweg .
Keinen Blick wollte er wieder in die gefährlichen Tagebuchblätter werfen , und als er den Entschluß recht fest gefaßt zu haben meinte , nahm er sie doch wieder vor , und las sie noch einmal .
Unten am Fuße der letzten Seite bemerkte er heute zum ersten Male die gebräuchlichen Anfangsbuchstaben der Bitte , umzuschlagen .
Er tat es , und sah auf der Rückseite etwas von anderer Hand geschrieben , aber mit so blasser Tinte , daß er es bei dem Lichte seiner Abendkerze auf dem gefärbten Papiere nicht zu lesen vermochte .
Im Widerstreite seiner Empfindungen , zwischen Wollen und Nichtwollen hin und her geschleudert , ermannte sich seine Natur plötzlich wie durch einen Ruck zu einem moralischen Vorsatze , durch dessen Ausführung er sich und einer zweiten Person den rechten Weg zu weisen , die Pflicht empfand .
Er eilte nach dem Gartenkabinette , schlug sich dort Licht an , und schrieb bis spät in die Nacht , unter der Büste Schillers sitzend , welche schon einmal Zeugin einer edlen Entschließung geworden war , Stanzen nieder , von leeren Inhalte wir im folgenden Kapitel zu reden haben werden .
Siebenzehnte Kapitel Siebenzehnte Kapitel Anderen Tages ließ ihn der Herzog rufen .
Auch diesen fand er verwandelt , blaß und abgespannt .
" Ich habe Ihnen etwas zu eröffnen und Sie um eine Gefälligkeit zu bitten " , hob der Fürst an .
" Der Anspruch Ihres Oheims ist Ihnen bekannt , der entscheidende Adelsbrief meiner Urgroßmutter bleibt verborgen ; ich habe mit verschiedenen Rechtsfreunden wegen dieser Angelegenheit Rücksprache genommen ; sie meinen , der tollste , widersinnigste Ausgang des Streites sei bei der jetzigen Verwirrung der Begriffe nicht undenkbar .
Werde ich vom Schlosse meiner Väter getrieben , so bin ich vernichtet .
Andere verhärten sich dem Unglück gegenüber , und werfen stolz den Nacken empor .
Ich bin nicht so stark ; der schreckliche Gedanke hat mich gebeugt , ich habe ein Vorgefühl , wie das eines Sterbenden .
Empfangen Sie in diesen Geständnissen den Beweis meines vollen Zutrauens .
Ich wünsche das Unrecht , welches ich etwa zugefügt , gutzumachen , und für den Fall , daß ich aus Glanz und Macht abzuscheiden bestimmt bin , nur versöhnte Herzen hinter mir zurückzulassen .
Ich habe um eine Kleinigkeit , um eine Grille , wenn Sie wollen , die Entfernung eines treuen bewährten Dieners zugegeben , auch nach seiner Rückkehr merke ich wohl , daß sein Gemüt verletzt geblieben ist , ich sehe , daß er auf andere Lebenswege sinnt .
Er tue , was er will , ich werde ihn in seiner Laufbahn nicht hindern , aber er nehme , wenn er geht , das Gefühl mit , daß ich nicht schlimm war und nachzugeben verstanden habe .
Empfangen Sie hiermit den Hauptschlüssel , der auch die Türe des Archivs öffnet , lassen Sie den Schrank , welcher unseren Hader veranlaßte , aus dem Gewölbe irgendwohin bringen , wo er nicht im Wege steht , sagen Sie dann Wilhelmi , daß die Stelle frei geworden sei , und daß er dort die Umänderungen vornehmen möge , welche ihm belieben . "
Der Fürst hatte dieses alles so niedergeschlagen und doch so edel gesprochen , daß Hermann , trotz der Geringfügigkeit des Gegenstandes , um den es sich hier handelte , eine innige Rührung empfand .
Mehr um etwas zu sagen , als weil ihm daran gelegen gewesen wäre , es zu erfahren , fragte er den Herzog bescheiden , warum er überhaupt einen so großen Wert auf den unverrückten Stand jenes Schrankes gelegt habe .
" Ich hatte dazu einen allgemeinen und einen besonderen Grund " , versetzte der Fürst .
" Wilhelmi ist die eigenste Zusammensetzung von Pedanterie und unruhiger Neuerungssucht .
Wie er die Sachen stellt und legt , so müssen sie stehen und liegen bleiben , und wehe dem Sonnenstäubchen , welches sich unterfinge , störend dazwischen zu kräuseln !
Aber dann fällt ihm auf einmal selbst ein , alles umzukramen , und die neue Einrichtung wird nun , bis sich eine dritte Laune meldet , ebenso streng , wie die frühere gehalten .
Ich fürchte , wenn er den Schrank erst aus dem Archive weg hat , so wird ihm das Archiv selbst bald nicht mehr gerecht sein , er fordert dann von mir wohl einen anderen Raum , und ich habe wieder Verdruß mit ihm .
Darum bestand ich auf meinem Willen wegen dieses Schrankes , welcher mir aber auch insonderheit als ein altes schön ausgelegtes Stück lieb und wert war .
Nun weiß man wohl , wie es mit solchen vorzeitigen Dingen sich verhält .
Sie werden ihn schwerlich unzertrümmert aus dem Gewölbe bringen ; ich habe gesehen , daß die Würmer ihr Werk an ihm getan haben .
Mein Großvater ließ ihn , als die Franzosen in den neunziger Jahren heranrückten , in das Archiv schaffen .
Der Feind kam , es gab eine furchtbare widerwärtige Nacht , die dem Greise einen Schlagfluß zuzog .
Mein Vater war auf Reisen abwesend , mich hatte der Großvater um sich , ich tat ihm alles zu Sinne und war ihm besonders lieb .
Nun ist mir der Augenblick immer gegenwärtig geblieben , wie er sich mit gelähmter Zunge und starr gewordenen Händen von mir in das Archiv führen ließ .
Er deutete auf den Schrank ; er umfaßte ihn mit sonderbarer Gebärde , er wollte mir etwas vertrauen , was so gleichwohl sein Mund nicht mehr auszusprechen , seine Hand nicht mehr niederzuschreiben wußte .
Bald darauf starb er .
Mir aber hat die kindische Erinnerung nicht schwinden wollen , und sie mag denn wohl auch mitgewirkt haben , mich zu bestimmen , daß das altväterische Behältnis nicht von dem Platze gerückt werden sollte , welchen ihm der Großvater offenbar aus Sorge für seine Erhaltung vor der zerstörenden Hand des Feindes angewiesen hatte .
Sehr traurig , daß ihn der Tod damals überraschte ; viel bares Geld , welches notwendig bei seinem Absterben vorhanden sein mußte , war verschwunden ; er hat es wahrscheinlich irgendwo für immer den Augen entzogen .
So bin ich auch im stillen überzeugt , daß er die Urkunde , welche uns jetzt retten konnte , zum Unheil seiner Nachkommen damals versteckt hat .
Doch dies führt uns von der Sache ab , die Sie so bald als möglich ins Werk richten wollen . "
Hermann ging in den Marstall und ließ das Pferd satteln , welches ihm der Herzog zur Erkenntlichkeit für seine Bemühungen geschenkt hatte .
Heute wollte er aus dem Schlosse scheiden , wo ihm so manches begegnet war .
Die Stunde rückte heran , die ihm die Herzogin zur letzten Unterredung gönnen wollte .
Mit klopfendem Herzen überlegte er sein Verhalten .
Er hatte unter der Büste von Schiller einige Stanzen gedichtet , die aus der tugendhaftesten Regung hervorgegangen waren .
Mit großer Wärme schilderten sie eine leidenschaftliche Situation , gingen dann zu einer Apostrophe an die Heiligkeit der Pflicht über , und schlossen mit schwunghaften Zeilen , welche eine begeisterte Entsagung predigten .
Er hatte sie , reinlich abgeschrieben , auf das Postament der Büste gelegt , wollte nur kurze Worte des Abschieds zur Herzogin reden , jedem Gespräche mit ihr vorbeugen , und stumm auf die Verse deuten , in welchen sie seine Gesinnung , und was ihnen beiden Not tue , lesen sollte .
Es setzte ihn in nicht geringe Verlegenheit , und störte seinen ganzen Plan , daß er beim Eintreten die Herzogin schon beschäftigt sah , seine Stanzen zu lesen .
" Ich habe da zufällig etwas von Ihrer Hand gefunden , was ja auch wohl kein Geheimnis sein soll " , sagte sie unbefangen .
" Es sind recht hübsche Verse , aber so allgemein , daß ich vergebens nach irgendeinem Bezuge geforscht habe .
Das ist mir immer das Unbegreiflichste an der Poesie gewesen , daß sie , was wir anderen mit blutendem Herzen empfinden , wieder in ein leichtes Spiel auflöset , wobei der Dichter kaum etwas fühlt , wenigstens nicht in unserem Sinne .
Möchte ich doch auch mit schweren Dingen so leicht scherzen können .
Setzen Sie sich , mein Freund , so darf ich Sie nennen ; wir sind eine geraume Zeit vertraulich nebeneinander hergegangen .
Lassen Sie mich zum letzten Male Ihre Wirtin sein , und sehen Sie mich nicht an , ich bin auch gegen Sie in Schuld . "
Sie bereitete ihm hierauf in einer zierlichen silbernen Schale Erdbeeren mit Zucker .
Er sah zerstreut dem anmutigen Spiele der schönen Finger zu , und aß , um nur etwas vorzunehmen , denn er war in großer Verlegenheit .
" Als Sie in das Schloß kamen " , fuhr die Herzogin fort , " hätte ich Sie anfangs gern entfernt gesehen .
Da ich Sie aber näher kennenlernte , segnete ich mein Geschick , welches mir in Ihnen den Helfer gesendet zu haben schien .
Ich vertraue Ihnen ein Unglück unseres Hauses .
Ein Frevel an Sitte und Gebrauch ist hier geschehen .
Ich fühlte mich berufen , die verletzte Würde der Familie wiederherzustellen , und doch war ich zu schwach ; ich bedurfte eines männlichen Arms .
Diesen werden Sie mir leihen , wie ich hoffe . "
Sie erzählte ihm hierauf mit errötenden Wangen die Geschichte von Johanna und Medon , legte den Brief , dessen wir uns aus einem der vorigen Bücher erinnern , auf den Tisch , und sagte ihm den Inhalt desselben , daß er nämlich den Versuch enthalte , die Irregeführte auf die rechte Bahn zurückzuleiten .
Er wußte durchaus nicht zu erraten , wohin das alles zielte , hörte es jedoch nun sogleich .
" Wer sollte mein Bote an die Unglückliche sein ? " sagte die Herzogin .
" Nur ein zarter , feiner , kluger Mann war imstande , dieses Geschäft zu vollführen .
Der Arzt ist hier durch seinen Beruf gefesselt ; Wilhelmi hätte alles durch Laune und trübes Wesen verdorben .
In Ihnen sah ich die Eigenschaften , die den Freunden fehlten ; Sie erkor ich im stillen zu dem Dienste , welcher der wichtigste ist , der dem Herzoge und mir geleistet werden kann .
Ich hätte Ihnen nun offen mich und die Sache entdecken sollen .
Aber nach Frauenart tat ich das nicht , ich liebte es , mich auf Umwegen dem Ziele zu nahen .
Ich wollte Sie erst recht tief ergründen , prüfen , ausforschen .
Ich suchte jede Gelegenheit , mit Ihnen unter vier Augen zu sein .
Wissen Sie , Lieber , daß Walter Scott und das Englische für Lucie mir eigentlich wenig am Herzen lagen , als ich Sie zum Korrektor meiner Übersetzung und zum Lehrer des jungen Kindes ernannte .
Diese Dinge sollten nur den Faden spinnen , an dem ich Sie zu meinen Zwecken festhielt .
Jeden Tag wollte ich meine Lippen öffnen , und verschob es dann doch wieder .
Ich bin Ihnen gewiß oft mit meiner Verlegenheit und Unruhe rätselhaft erschienen .
Als Sie abreisten , empfand ich die größte Not .
Nun mußte gesprochen werden ; doch ich vernahm , daß Sie wiederkehren würden , und schwieg abermals .
Wie durch einen bösen Dämon wurde ich darauf in den Feststrudel getrieben .
Ich vergaß die so ernste Pflicht .
Ernüchtert , bin ich von meinem Gewissen hart gescholten worden über das Vergessen , über den Leichtsinn , auch über das heimliche und künstliche Betragen gegen Sie . "
Sie erhob sich .
" Wollen Sie nach dieser Beichte einer Sünderin vergeben ? " sagte sie , liebenswürdig , wie nie .
" Darf ich diesen Brief noch in Ihre Hände legen ?
Werden Sie ihn nach der Residenz tragen , sagen , was er nicht ausspricht , handeln , vermitteln , leise , schonend , wie ich es an Ihnen kenne ?
Ich bitte Sie darum , machen Sie es mir möglich , daß ich mich als die treue , die helfende Gattin des Herzogs erweise , bringen Sie uns seine verleitete Schwester heim . "
Er empfing den Brief , bejahte nicht , verneinte nicht .
" Was ist das ? " sagte er draußen .
" Nur eine Absicht war alles ?
Aber das Tagebuch !
Das Tagebuch ! "
Er nahm abermals die Blätter in die Hand .
Zum ersten Male fiel ihm auf , daß das Papier etwas ausgebleicht war , wie von langem Liegen .
Hastig blickte er nach der letzten Seite , wo das geschrieben stand , was er bis dahin immer übersehn hatte .
Es war eine so unleserlich kleine Hand , und so blasse Tinte , daß es auch jetzt am Tageslichte ihm schwer wurde , den Inhalt zu entziffern .
Doch gelang es ihm endlich .
Wer schildert seine Bestürzung , als er folgende Zeilen in französischer Sprache abgefaßt , lesen mußte :
" Ich bin , meine Ulrike in ihrem Zimmer erwartend , über ihr Tagebuch geraten .
Vergib mir , Geliebte !
Alles , was von Deiner Hand ausgeht , übt eine magnetische Gewalt über mich ; unwiderstehlich zog es mich ; ich mußte in den Bekenntnissen Deines unschuldigen Herzens blättern .
Mein Närrchen !
Was für seltsame Sorgen machst Du Dir über unser Verhältnis , auf welches der Segen der Eltern und die Gnade aller Heiligen , mit denen Du so vertraut umgehst , herniederträuft !
Also den lieben Gott habe ich bei Dir so etwas verdrängt ?
Nun sieh , das könnte einem bescheidenen Bräutigam fast den Kopf verrücken .
Laß es gut sein ; er ist groß , und größer , als wir denken .
Er kennt keine Eifersucht .
Weißt Du den Spruch nicht , daß der Künstler sich am meisten geehrt fühlt , wenn man seiner bei dem Werke vergißt ?
Teuerste , schaffe Dir besseres Schreibzeug an .
Diese Tinte ist unglaublich flüssig , und Deine Federchen sind viel zu zart für meine rauhe Hand .
Nun schiebe ich das Blättchen mit diesem Postskript wieder unter die übrigen .
Du wirst es finden , böse werden , ich werde reuig tun , Du wirst großmütig verzeihn , und zuletzt ... ? Hermann . "
Nach diesem wurde unserem Freunde alles zum Schrecken klar .
Er erinnerte sich aus dem genealogischen Kalender , was er zwar immer gewußt , aber seither nicht bedacht hatte , daß auch der Herzog Hermann hieß .
Nicht also eine in sich selbst entzweite Frau , sondern eine junge devote Braut hatte in den geraubten Blättern ihre Gewissensbedenken niedergeschrieben , an denen er völlig unschuldig war .
Die erhabenen Stanzen waren also auch ohne Not unter Schillers Büste abgefaßt worden .
Achtzehntes Kapitel Achtzehntes Kapitel Glühend vor Scham und Erbitterung ging er auf und nieder .
Es wollte ihn durchaus nicht trösten , daß die Herzogin sich kalt , getreu und fehlerfrei erwies .
" Also immer nur Berechnung ! " rief er schluchzend aus .
" Und ich das Werkzeug , zum Dienen , Lasttragen und Briefbestellen gut genug ! "
Er war eben dabei , das empfangene Schreiben in einem höflich das Geschäft ablehnenden Billetts einzusiegeln , als es an seiner Türe klopfte .
Es waren die Arbeitsleute , welche er bestellt hatte , um den Schrank aus dem Archive zu schaffen .
" Zum letzten Male denn getagelöhnert ! " murmelte er ingrimmig .
Er ging mit den Leuten nach dem Gewölbe , und befahl ihnen , hurtig zu sein , er müsse gleich fort .
Drinnen setzte er sich zwischen den bestäubten Urkunden nieder und sagte :
" Diese Bogen haben ihnen ein ledernes und papiernes Dasein geschaffen , in welchem kein Blut zirkuliert .
Man muß ihnen vergeben , denn sie sind selbst am unglücklichsten daran . "
Die Arbeiter hatten unterdessen ihr Werk mit Eifer angegriffen .
Ob es die Wirkung des letzteren war , oder ob das alte Holzgebäude wirklich das Ziel seiner Dauer erreicht hatte ; genug , die Worte des Herzogs gingen in Erfüllung .
Der Schrank knackte , sobald er gerückt wurde , krachte und fiel in sich zusammen .
Eine Wolke von Staub und Wurmmehl stieg aus den zerfreßenen Trümmern .
Die Arbeiter sahen Hermann bestürzt an .
" Ist es doch , als ob ein Feudalthron einstürzt " , sagte Hermann .
" Frisch , ihr Leute vom dritten Stande , die ihr gar nicht die Absicht hattet , ihn zu zertrümmern , sondern ihn nur so ein wenig beiseite bringen wolltet , tragt die Stücke hinaus ! "
Die Arbeiter beluden sich damit und gingen .
Einer sagte :
" Da ist eine Türe hinter dem Schranke . "
Hermann trat zu der Stätte und scharrte mit dem Fuße in dem liegengebliebenen Staube .
Dann fiel sein Blick auf die Türe , welche der alte Schrank verdeckt hatte .
Ohne etwas dabei zu denken , zog er an ihr , sie gab nach , und eine tiefe gemauerte Nische in der Wand wurde sichtbar .
Er sah , daß sich Gegenstände darin befanden , die er bei dem Dämmerlichte , welches im Archive herrschte , nicht unterscheiden konnte .
Er griff hinein und fühlte an große , gereiht aufgesetzte Geldbeutel , so schwer , daß er sie kaum zu heben vermochte .
Erschrocken zog er die Hand zurück .
Ihm flog durch den Sinn , was der Herzog von dem Fehlen des baren Geldes bei dem Tode des Ahnherrn gesagt hatte .
" Großer Gott !
Wo das gesteckt hat , kann mehr sein ! " rief er überlaut .
Er ging umher , und suchte sich zu sammeln , seine Brust keuchte vor Erwartung .
Er hauchte auf sein Tuch , und drückte es an die Augen , die doch nicht weinten .
Er bat Gott , daß ihm die allerhöchste Freude seines Lebens nicht wie ein Schatten vorüberschweben möge .
Hierauf streckte er den Arm , schaudernd , als sollte er die Hand zur Feuerprobe auf glühendes Eisen legen , über die Geldsäcke hinweg in die Tiefe der Nische , und zog eine Saffiankapsel hervor , ganz mit Schimmel bedeckt .
Er öffnete sie , ein kostbar eingebundenes Pergament lag darin , an welchem das große Reichswappen in goldener Umschließung , durch schwarze und gelbe Schnüre festgehalten , hing .
Sein Entzücken war grenzenlos .
Er las , so gut er in dieser Verfassung lesen konnte , daß der Kaiser der Maria Sibylla Freundsberg - nicht den Adel gebe , - sondern den in ihrer Familie längst bestandenen , nur in Abnahme gekommenen , lediglich erneuere .
Es war die vermißte , schmerzlich gesuchte Urkunde , der Adelsbrief der Ahnfrau , welcher bewies , daß das regierende Geschlecht mit gutem Fug hier waltete , daß kein Vetter ein besseres Recht als jenes gehabt , und ein solches daher auch nun und nimmermehr auf einen Dritten hatte übertragen können .
Fürsorglich hatte der Großvater das teuerste Besitztum nebst seinem Gelde hierher vor dem herandringenden Feinde geflüchtet , und den großen Schrank als verbergende Schutzwehr vor die Nische schieben lassen .
Stummheit und Tod des Alten hatten das Geheimnis leider auf dreißig Jahre hin bewahrt .
Jauchzend flog Hermann aus dem Archiv , dessen Türe weit offengelassen wurde , und stürmte , den Adelsbrief wie eine Fahne schwingend , durch die Gänge nach den Zimmern der Herzogin .
Unangemeldet trat er ein , und hielt ihr , die erschreckt zurückwich , die Urkunde entgegen .
" Die Not ist vorüber , Sie sind gerettet ! " rief er .
Der Herzog kam ; das laute Reden hatte ihn herbeigezogen .
Schweigend reichte ihm Hermann die Urkunde .
Der Herzog überblickte sie , wechselte die Farbe , drückte das Pergament an seine Brust , brach in Tränen aus , und sagte seiner Gemahlin mit stammelnden Worten den Zusammenhäng der Sache .
Ihr Antlitz verklärte sich , auch sie begann zu weinen .
Sie sank zwischen den Männern auf die Knie , faltete die Hände , und ihre lieblichen tränenleuchtenden Blicke erhoben sich bald zum Himmel , bald ruhten sie auf ihrem Gemahle , bald auf Hermann .
Dieser stand froh und stolz da , seine Gestalt schien größer geworden zu sein , ein süßes Vergnügen strömte durch seine Brust , er kam sich wie ein wiedergeborenes Kind vor .
Unbefangen legte er seine Hand auf das Haupt der Herzogin und sagte : " Der Zufall lauert unseren Torheiten auf und erniedrigt uns in ihnen .
Aber dann wird auch gleich wieder dafür ge sorgt , daß wir nicht zugrunde gehen , daß wir uns selbst finden und fühlen lernen .
Ich erfahre es heute .
Nun , nach dieser Wendung bin ich imstande , Ihren Auftrag zu besorgen meine verehrte Fürstin .
Ich will versuchen , auch von dieser Seite Ihre Kümmernisse zu zerstreun . "
Fünftes Buch .
Die Demagogen Erstes Kapitel Erstes Kapitel Dem Herausgeber dieser Geschichten ist es zuweilen begegnet , daß gute Freunde oder Bekannte , welche er in geraumer Zeit nicht gesehen hatte , und welche ihn nachmals mit einem unerwarteten Besuche überraschen wollten , diese Überraschung auf doppelte Weise bewerkstelligten , nämlich auch durch eine verwandelte Persönlichkeit .
Nicht selten geschah es , daß der Leichtsinnige ernst , der Muntere schwerfällig , der Rührige bequem geworden war .
Da wir aber dergleichen Änderungen uns nicht vorzustellen vermögen , vielmehr die Menschen in unseren Gedanken immer bleiben , was sie gewesen sind , so geht es bei derartigen plötzlichen Begegnungen nie ohne ein unangenehmes Gefühl ab .
Um dem Leser der vorliegenden Denkwürdigkeiten jenes unangenehme Gefühl zu ersparen , müssen wir jetzt ankündigen , daß eine Person , die im Beginne unserer Erzählung flüchtig vorüberstreifte , nunmehr den Boden derselben in verwandelter Gestalt wieder betritt .
Man wird sich noch des Freundes von Hermann erinnern , des Philhellenen , welcher ihn über seine unentschiedene Gesinnung einigermaßen mitnahm , und voll Tatendrang von ihm schied .
Dieser junge Mann kam wirklich mit dem Gelde Hermanns bis nach München , wo er noch Empfehlungsbriefe mitnehmen wollte , bereit , sein Blut für Hellas zu verspritzen .
Dort erkundigte er sich nach dem Mädchen , welche eine Zeitlang Hermanns Herz besessen hatte , um ihr die ihm vertrauten Liebespfänder einzuhändigen .
Sie empfing ihn als Freund ihres Freundes , und er ging vom ersten Tage an zu allen Stunden im Hause aus und ein .
Denn durch ein Zusammentreffen der Umstände mußte es sich fügen , daß er auch mit ihrem Vater gleich vertraut werden konnte .
Dieser , ein wohlhabender Mann , besaß ein großes Brauhaus .
Er war , sobald sich dort die Vereinigungen zugunsten der unglücklichen Griechen zu bilden begannen , einer derselben als eifriges Mitglied beigetreten .
Vielleicht handelte er hierin nicht ganz ohne Eigennutz ; man sagt , er habe in Erwägung gezogen , daß so viele an das landübliche Getränk Gewöhnte nach jenen fernen Gegenden auswanderten , und im stillen beabsichtigt , eine Niederlage seines Produktes nahe bei Athen anzulegen .
Zu diesem Manne hielt sich der Philhellene , der jenem durch sein entschiedenes , feuriges Wesen , und die Gabe ausdrucksvoller Rede ungemein gefiel .
Die Gönner , welche dem Wanderer behilflich sein sollten , waren verreiset ; der Münchner Aufenthalt zog sich in die Länge .
Unerwartet , aber sehr willkommen , tat sein neuer Freund ihm den Vorschlag , bei ihm Quartier zu empfangen ; welches dankbar angenommen wurde .
Sie unterhielten sich nun , sooft es die Geschäfte des Hausherrn erlaubten , von nichts als von ihren Planen für die Herstellung und Beglückung des den Türken abzunehmenden Landes .
Die Zwischenzeiten füllten Gespräche mit Fränzchen aus .
Dieses gute , muntere , hübsche Kind hatte doch im stillen einige Tränen vergossen , als Hermann aus Scherz Ernst machte , und ihr die Andenken zurücksandte .
In solchen Stimmungen sind die Frauenzimmer bekanntlich am geneigtesten , einer neuen Empfindung Gehör zu geben .
Sie bemerkte daher nicht so bald , daß die Blicke des Philhellenen ihr zu folgen anfingen , als die ihrigen die Gefälligkeit bezeigten , sich finden zu lassen .
Den Herzen , die zueinander strebten , folgten binnen kurzem die Hände und die Lippen , und mit dem feierlichen Schwure von Seiten des Liebhabers , daß sie sein zukünftiges Eigentum am Öta als Hausfrau schmücken solle , wurde der Bund geschlossen .
Nun begannen für den Philhellenen Tage , die , wie er zu Franzisken sagte , ihm eine neue Welt öffneten .
Er liebte nach seiner Versicherung jetzt die ganze Menschheit ; er schwärmte mit dem Vater und koste mit der Tochter .
In dieser Empfindung habe sich erst seine ganze Manneswürde entwickelt , rief er hundertmal des Tages aus .
Auch wenn der Vater schon zur Ruhe gegangen war , blieb er noch bei Fränzchen , wo sich denn ihre gegenseitigen Empfindungen nicht selten so steigerten , daß Worte denselben unmöglich mehr genügen konnten .
Aber aus den Freuden dieser Abende entsprang eine natürliche Folge , worüber der Philhellene so erschrak , daß er , als Fränzchen sie ihm mit trauriger Miene zuflüsterte , wie vom Donner gerührt , dastand .
Denn er , versenkt in seine großen Ideen von Menschenwohl und Volksbefreiung , hatte gewiß niemals an einen so alltäglichen Ausgang gedacht .
Er lief zwei Tage hindurch wie ein Verzweifelnder umher , dann fiel er dem Brauherrn zu Füßen und gestand seine Schuld .
Der Alte wurde braun vor Zorn , und drohte mit einer unanständigen Bezeichnung , beiden Arme und Beine entzweizuschlagen .
Da aber geschehene Dinge nicht zu ändern sind , der Übeltäter seine Neigung besaß , und der Jammer des Mädchens gar gewaltig zum Vaterherzen sprach , so konnte er die Vergebung nicht zurückhalten , die er denn unter der Bedingung erteilte , daß wer für den Balg gesorgt habe , nun auch für den Papp sorgen solle .
Dieses war gerade , wofür die Seele des Philhellenen seit der unglückseligen Entdeckung brannte .
Sein neuer Stand hatte in ihm das Bewußtsein neuer Pflichten erzeugt .
In allen braven heldenhaften Studenten , Kandidaten und Privatdozenten ist es eigentlich nur der Philister , der innerlich juckt , und hinauswill , was denn auch bald zu geschehen pflegt , während an Universitäten und Akademien so arme , kümmerliche übersehne Gesellen umherschleichen , aus denen nachher die Genies und Lichter der Welt werden .
Im Philhellenen hatte die Katastrophe den Philister mit Macht herausgeschlagen , der bei einem ruhigeren Gange der Dinge vielleicht längerer Zeit bedurft hätte , um sich zur vollständigen Blüte zu entfalten .
Er empfand sich als angehenden Vater und Gatten , verspürte eine wahre Begeisterung für den Broterwerb , zerriß die Bilder der Pallikaren und die neugriechischen Volkslieder , welche er bei sich führte , und dachte nur daran , wie er ein Ämtchen erringen solle , wovon er sich und Fränzchen nähren könne .
So war er durch die Natur dem Vaterlande und der Bürgerlichkeit gewonnen worden .
Sein zukünftiger Schwiegervater kannte den Legationssekretär einer auswärtigen Macht , welcher gern Bier trank .
Dieser empfahl ihn einem Legationsrate , der Legationsrat dem Gesandten .
Vom Gesandten schwang sich die Kette der Empfehlungen wieder abwärts bis zu einem Polizeichef in einer bedeutenden norddeutschen Stadt .
Wie von da die Kanäle weiter geflossen , ist unbekannt geblieben ; das Ende der Sache war aber , daß man dem Philhellenen erlaubte , im Polizeifache , welches immer frische , rüstige Leute erfordert , zu arbeiten .
Kaum waren einige Monate vergangen , als man ihn , der einen unglaublichen Diensteifer an den Tag legte , zum Polizeikommissarius in einem Ackerstädtchen zwischen Hessen und Westfalen ernannte .
Er führte Fränzchen , sobald er dieser besoldeten Würde sich erfreute , heim .
Sie genas kurz darauf von ihrer Bürde .
Nie hatte die Gegend einen tätigeren Beamten gesehen .
Die Kraft , welche sonst weit über Berge und Ströme hinausgeschweift war , lenkte sich jetzt ganz auf Vertilgung des Diebes- und Bettelgesindels , von welchem es dort , der schlechten bisherigen Aufsicht wegen , wimmelte .
Vor ihm war kein Gauner sicher , kein Vagabunde konnte mehr in Ruhe hinter der Hecke seinen Bissen verzehren ; er lebte fast mehr in verdächtigen Häusern , als in seinem eigenen .
Wirklich hatte er sich schon Verdienste um den Bezirk erworben und die Aufmerksamkeit der Oberen sich zugelenkt .
Gerade um die Zeit , von welcher wir jetzt reden , geschah die Entdeckung neuer demagogischer Umtriebe ; man war dem Bunde der Jungen hart auf die Spur gekommen .
Zugleich hatte man in Erfahrung gebracht , daß ein Schwarm junger Hochverräter nach dem Landstriche , in welchem unser verwandelter Schwärmer hantierte , ziehe , um da herum seinen Frevelsabbat zu halten .
Der Polizeikommissarius empfing einen geheimen Auftrag von höchster Stelle .
Er war gemessen , ehrenvoll , über die engen Amtsgrenzen hinausreichend .
Welch ein Sporn für seinen jetzigen Trieb !
Er wurde etwas tiefsinnig , man sah ihn viel durch Feld und Wald schweifen , seiner Gattin antwortete er kaum noch auf ihre Anreden .
Er brachte in größter Heimlichkeit Gefängnisse , Arm- und Beinschellen in Ordnung .
Den Gendarmen und niederen Agenten gab er Befehle und Winke , welche diese nicht immer verstanden .
Er aß nichts und trank wenig .
Seine Nächte waren unruhig .
Er flehte Gott an , daß er ihm die Demagogen in das Netz führen möge .
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Indessen näherte sich Hermann , auf seinem geschenkten Roßlein kleine Tagereisen mit Behaglichkeit machend , dem mittleren Deutschland .
Die letzte glückliche Entdeckung hatte ihn unglaublich erfreut ; er wollte nun so recht in Stille und Muße sich und die Welt genießen .
Er liebte es , in abgelegenen Höfen und Weilern einzukehren , die Städte vermied er , wo er konnte .
Zwei Pistolenhulfter , welche am Sattel befestigt waren , hatte er bald ihres kriegerischen Inhaltes entledigt , und sie dafür mit einer Korbflasche , sowie mit kalter Küche gefüllt .
Mittags hielt er gewöhnlich im Freien , unter einem schattenden Baume , hinter einem Felsen , oder in altem Gemäuer seine Rast .
Dann verspeiste er den mitgenommenen Tagesproviant und ließ sein Pferd , welches ein außerordentlich gutes und sicheres Tier war , frei umhergrasen .
Er hatte die Grille , wenn man es so nennen will , gefaßt , bis zu der großen Stadt , wohin ihn seine neuste Bestimmung wies , womöglich nur sich und der Natur zu leben .
In die Erinnerungen eines jungen und doch mannigfaltigen Lebens vertieft , war seine Seele frei von Furcht und Wunsch , und nur die Hoffnung schwebte mit jungfräulichen Zügen von weitem ihm voran .
Ganz heiter war er , wenn er auch des Abends bei einem wohlhabenden Hofschulzen freies Quartier fand .
Freilich pflegte er am anderen Morgen durch reichliche Geschenke an Kinder oder Mägde immer dafür zu sorgen , daß die Zeche gehörig bezahlt wurde .
Mitunter baten sich auch wohl die Wirte ein Andenken aus , so daß er fand , eine solche Reise auf Gastfreundschaft koste heutzutage fast mehr , als wenn man sich unterwegs lediglich an die zahlungbegehrenden Hotels halte .
Einige Male hatten ihn Gendarmen , die ihn an abgelegenen Orten gelagert fanden , scharf befragt ; da aber seine Papiere in Richtigkeit waren , so ließ man ihn jederzeit frei durch .
Eines Tages gesellte sich ein Fußwandrer zu ihm .
Der Mann trug einen Rock , wie ihn Jahn vorschreibt , hinten zu , vorn offen , ging im bloßen Halse , mit langen herabwallenden blonden Locken ; aus dem offenen , treuherzigen Gesichte strahlten die schönsten blauen Augen .
Anfangs war das Gespräch zwischen ihnen ziemlich unbedeutend , als aber Hermann bei dem Anblicke eines Zollpfahles sich in freien Scherzen erging , nahm es einen ernsthafteren Charakter an .
Bald wurden die Verhältnisse besprochen , an welche die Unzufriedenheit in unserem Vaterlande gleich einer Schmarotzerpflanze sich festgesogen hat .
Hermann , der noch nicht gelernt hatte , sich zurückzuhalten , gab seine Meinungen zu vernehmen , und man tauschte gegeneinander die gefährlichsten Dinge aus .
Plötzlich sah Hermann , daß der Fremde sich reckte , in die Ferne schaute , und zusammenfuhr .
Er bemerkte , daß ein Mensch ihnen entgegenkam , dessen Rock und Kragen den Polizeidiener verriet .
" Ich bin ein Landschaftszeichner ! " rief der Fremde eilfertig und ängstlich , " ich will doch von jenem Hügel die Gegend aufnehmen . "
Mit diesen Worten sprang er in ein hohes , wallendes Kornfeld , und arbeitete sich mit reißender Schnelligkeit quer durch nach einer buschigen Anhöhe , hinter welcher er verschwand .
Hermann hielt betroffen sein Pferd an .
Der Polizeidiener kam herzu und fragte :
" Wer war der Mensch , der ins Korn sprang ? "
Hermann versetzte : " Er sagte , er sei ein Landschaftszeichner , und wolle die Gegend aufnehmen . "
- " Der Teufel mag er sein , aber kein Landschaftszeichner ; ich glaube , daß ich den Kerl kenne " , murrte jener , und setzte , achtsam nach allen Seiten umherschauend , seinen Weg fort .
Hermann ritt weiter und gelangte nach einem Stündchen an einen Erdrand , von welchem der Boden senkrecht in eine beträchtliche Tiefe abwich .
Es war ihm , als höre er aus der Vertiefung pfeifen .
Er bog sich über , und nahm den Kopf seines Begleiters zwischen Gestrüpp und hohem Ginster wahr .
Dieser winkte ihm und Hermann folgte dem Zeichen .
Nicht ohne Mühe kam er mit seinem Pferde den Abhang hinunter , wobei der Fremde ihm behilflich war .
" Sie werden sich über mein Benehmen verwundert haben " , sagte dieser .
" Allerdings " , versetzte Hermann .
" Ich habe nie die Neigung zu den schönen Künsten so sprungartig hervortreten sehen . "
" Ich sagte die Unwahrheit ! " rief der Fremde mit einem tiefen Seufzer .
" Vergeben Sie mir " , fügte er hinzu , indem er Hermann sanft die Hand drückte .
" Sie sind ein edler Mensch , ich will mich Ihnen frei entdecken .
Aber vor allen Dingen : wo speisen wir ?
Ich verschmachte fast vor Hunger und Durst und darf mich heute wenigstens in keine menschliche Wohnung wagen . "
Hermann sagte hierauf , daß , wenn er mit Wegekost vorlieb nehmen wolle , der Not abzuhelfen sei .
Er holte Getränk und Speise aus den Pistolenhulftern , und legte die Flasche zur Abkühlung in eine Quelle , die an dem Orte hervorsprudelte .
Sie setzten sich beide am Fuße einer hohen Erdwand nieder und verzehrten ihr gemeinsames Mal , wobei der Fremde sich sehr bescheiden verhielt , denn nur auf Hermanns dringendes Nötigen war er zu bewegen , mit diesem gradedurch zu teilen .
Das Pferd graste lustig zwischen den Gesträuchen .
Nachdem der Fremde sich gesättigt , und den Mund säuberlich abgewischt hatte , fing er plötzlich an , zu weinen , umschlang Hermanns Nacken und rief : " O Freund , Sie sehen in mir eines der Schlachtopfer des Despotismus !
Was habe ich dir getan , mein Vaterland , daß du mich also verfolgst ?
Warum dürfen die Füße deines wärmsten Freundes den heiligen Boden nicht unverzagt betreten ?
Die Schelme sitzen an der Tafel und prassen , und die Kinder des Hauses irren in der Wüste umher . "
" Fassen Sie sich " , sagte Hermann , betroffen über diesen unerwarteten Auftritt , " und entdecken Sie mir , wer Sie sind . "
" Ich bin ein politischer Flüchtling " , versetzte der Fremde .
" Gequält , gehetzt von den Schergen der neununddreißig Tyrannen weiß ich oft nicht , wohin ich mein Haupt legen , wo ich den Bissen für meinen Mund gewinnen soll .
Jetzt ist mir Österreich vor allen auf der Spur , denn unter seinen Fäusten litt ich zuletzt .
Und was habe ich getan ?
Ich liebte Deutschland .
Was ist meine Schuld ?
Ich wollte die Enkel Hermanns , vor denen Roms Legionen zitterten , aus ihrer unseligen Zerrissenheit , aus dem jammervollen Schlafe der Schmach , in den sie versunken sind , emporrütteln helfen .
Das Mark unserer Brüder wird von seidenen Knechten ausgesogen , wer , der ein Herz hat , kann es mit ansehn , ohne sich zu rühren ? "
Hermann antwortete , nicht ohne Mitleid :
" Obgleich ich ungeachtet meiner vorigen Scherze die auflösenden Gesinnungen nicht Teile , welche diesen Reden zum Grunde liegen , so weiß ich doch die Stimmung sehr wohl zu würdigen , aus welcher sie entstehen mußten .
Kann es Sie erleichtern , so erzählen Sie mir Ihre Geschichte , und seien Sie versichert , daß ich nichts dagegen habe , wenn Sie das Meinige , wie das Ihrige betrachten . "
" Ist es so ? " rief der Fremde mit einem feurigen Blicke .
" Wohl mir , ich habe wieder einen Edlen gefunden !
Nein , Teuts Volk kann nicht untergehen , in dem so viel Milde und Kraft sich paart .
Sind wir nicht die einzigen , die in ihren uralten Sitzen unvermischt blieben ?
O , wenn ich daran denke , so wird mir groß zumute ! "
Da Hermann nach der Erzählung verlangte , so willfahrte ihm der Fremde , und berichtete ihm seine Schicksale , die aber fast nur in Wanderungen durch die Kerker verschiedener Länder bestanden .
Er streifte seinen Arm auf , und zeigte die Spuren der Fesselwunden , dann erhob er das Antlitz gen Himmel , und rief mit glänzendem Gesichte : " Ja , mein Ideal !
An meinem Ideale will ich halten , ob auch die Welt zerbricht .
So willst du treulos von mir scheiden ?
Wer steht mir tröstend noch zur Seite ?
Du meines Lebens goldene Zeit !
Beschäftigung , die nie ermattet !
Mit deinen hole den Phantasien ! "
Er schien von seinen Gefühlen und Erinnerungen ganz außer Fassung gesetzt worden zu sein , beugte sich auf Hermanns Hand , und schluchzte heftig .
Dieser suchte den Weinenden mit den freundlichsten Reden zu beruhigen .
" Trösten Sie sich " , sagte er , " es wird noch alles gut , diese Verwicklungen der Gegenwart können nicht immer dauern , wer weiß , wie bald Sie Ihrer jetzigen Not entkommen . "
- " Das hoffe ich auch " , versetzte der andere , noch immer weinend :
" Was ist des Deutschen Vaterland ?
Ist es Stierland , ist_es Bayerland ?
Ist es , wo des Marsen Rind sich streckt ?
Ist es , wo der Märker Eisen reckt ?
O nein , nein , nein , mein Vaterland muß größer sein .
Hätten Sie wohl die Güte , mich auf Ihrem Pferde etwas reiten zu lassen ? "
" Warum das , Lieber ? " fragte Hermann .
" Nichts stellt die Seele so sehr zum Gleichgewichte her , als die schüttelnde Bewegung des Rosses " , versetzte der unglückliche Mann .
" Da wird der Mensch wieder in sich selbst einig , und alle Sorgen bleiben unter seinen Füßen .
Von den entsetzlichsten Bedrängnissen hat mich oft ein rasches Tier befreit . "
Hermann gab ihm gern die Erlaubnis , sich auf diese Weise zu erholen , jener bestieg sein Pferd und ritt davon .
Hermann sagte , als er allein war , die Worte des Sallust her , welche die Catilinarische Verschwörung beginnen .
" Ja " , rief er , " gälte die Geisteskraft der Könige und Helden so viel im Frieden , als im Kriege , so würden die menschlichen Angelegenheiten einen gerechteren und festeren Bestand haben , es triebe nicht alles nach verschiedenen Richtungen , man würde nicht so viel Wandlung und Mischung sehen .
Denn leicht wird das Reich durch die Mittel bewahrt , durch welche es erobert wurde . -
Das aber ist eben der Fluch ungewöhnlicher Zeiten , daß sie , wie ein gärender Stoff , das Bessere , Flüchtige entstellt und widerlich umtreiben , während die tote Maße , als Bodensatz bald ihren unverrückten Stand erhält .
Dann heißt das , was doch eigentlich zum Leben sich entbinden will , das Nichtige , und jene trägen Hefen zaudern nicht , sich den Ruhm des Nützlichen und Bleibenden beizulegen .
Wer wird mit diesen Abenteurern , die jetzt zu Hunderten das Land durchstreifen , irgend gemeinschaftliche Sache machen , ja nur in ihren Träumereien einen haltbaren Zusammenhäng antreffen ?
Und gleichwohl , wer , der Dinge und Menschen mit menschlichem Blicke betrachtet , mag es sich verbergen , daß aus ihren Hirngespinsten doch ein viel zarteres Gefühl , ein höherer Schwung und ein entschiedenerer Charakter hervorsieht , als aus der Pflichtmäßigkeit der Leute , welche jetzt , nachdem die Tage der Gefahr vorüber sind , als die treusten und beehrtesten Söhne des Vaterlandes umhergehn ?
Wahrlich nicht durch diese ist es errettet worden , wahrlich nicht durch solche wird es je errettet werden .
Gar leicht ist es gegenwärtig , ein guter Patriot zu heißen , denn es kommt fast nur darauf an , in allerhand zeitgefälligen Bestrebungen sein Licht nicht unter den Scheffel zu setzen , bei Gelegenheit tapfer zu schmausen und eine schwülstige Rede zu halten .
Aber wenn das Verderben wieder hereinbricht von Osten oder Westen , dann werden wohl die Schmauser und Geburtstagsredner verschwunden sein , dann wird man sich wieder nach den verfolgten Vagabunden umsehn , welche dann auf eine Zeitlang zu Ehren kommen und späterhin abermals an ihren blutigen Sohlen erfahren werden , wie hart der Boden der Heimat ist .
O seltsamer und trauriger Widerspruch der irdischen Dinge !
Immer nur bringen hoher Mut und kühne Gesinnung die Sachen zum glücklichen Ausgange , von welchem der Held gleichwohl selten etwas zu genießen bekommt , sondern , wenn das Mal bereitet ist , setzt sich der Philister zu Tische , und läßt sich die Gerichte wohlschmecken . "
Nach diesen und anderen Reden saß er eine geraume Zeit schweigend , und harrte auf den politischen Flüchtling .
Da derselbe nicht sichtbar werden wollte , so stieg er aus der Vertiefung auf die Höhe des Erdrandes , erblickte aber weder den Mann noch das Pferd .
Betroffen horchte er , ob sich nicht Hufschlag vernehmen lasse , aber vergebens .
Er rief und pfiff , aber nur Echo gab ihm Antwort .
Ein Argwohn stieg in ihm auf , den er jedoch , als des edlen Geächteten unwürdig , sogleich aus seiner Seele verbannte .
Gleichwohl blieb dieser Sohn des Vaterlandes unsichtbar , obschon Hermann nach ihm in verschiedenen Richtungen die Gegend umher durchsuchte .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Dieses Wandern und Suchen dauerte bis gegen Abend .
Nun ließ er davon ab , noch immer bemüht , sich eine unbestreitbare Wahrheit zu verbergen .
Er lenkte in die Heerstraße ein , um nach einem bewohnten Orte zu gelangen .
Unmutig ging er auf derselben einher .
Nicht lange , so hörte er Menschentritt hinter sich .
Er wandte sich um und erblickte den Polizeidiener wieder .
Nachdem er dem Manne vorsichtig das Ereignis vertraut hatte , schlug dieser ein helles Gelächter auf , und rief : " Also sind Sie doch von dem Strolche angeführt worden ?
Nun , trösten Sie sich , es begegnet Ihnen nicht allein .
Der Vogel ist uns und der ganzen Welt zu schlau .
Wenn wir denken , wir haben ihn im Netz , so sitzt er ganz vergnügt auf dem Baume und lacht uns aus .
Was für Mühe hat sich der Herr Polizeikommissarius um ihn gegeben ! "
" Wer ist er denn eigentlich ? " fragte Hermann .
" Ein Jude aus Hameln " , sagte der Polizeidiener .
" Wir heißen ihn nur den Rattenfänger , weil er zuerst mit Mäusebutter handeln ging , was er aber nun aufgegeben hat . "
" Wie kann er ein Jude sein , da er lange blonde Haare hat ? " fragte Hermann .
" Falsch , falsch ! " rief der Polizeidiener .
" Der Kerl führt alle möglichen Perücken im Sack : Struppkopf , Bonvivant , Pastor , Zopf , Strohdach .
Aus dem Rocke macht er auch , was er will , Frack , Mantel , Uniform , es ist unglaublich , was für Streiche er ausführt . "
Sie setzten ihren Weg zusammen fort und der Polizeidiener erzählte Hermann von den Listen , womit der Rattenfänger die Leute betrogen habe .
Unser Freund mußte sich zu seiner Beschämung gestehen , daß jener bei den meisten anderen mehr Klugheit nötig gehabt hatte , um zum Ziele zu gelangen , als bei ihm .
Mißgestimmt trat er in das Wirtshaus ein , welches vor den Toren der nächsten Stadt angenehm zwischen Gärten lag .
Sie hatten es mit dem letzten Strahle des Tages erreicht .
Es bekümmerte ihn in seiner jetzigen Gemütsverfassung wenig , daß der Wirt ihn fast ebenso zweifelnd betrachtete , wie jener , welcher im Eingange dieser Denkwürdigkeiten auftrat .
In der Tat pflegt ein Fußgänger mit Sporen an den Stiefeln immer ein Gegenstand scherzhafter Verwunderung zu sein .
Mürrisch forderte er eine Stube , und ließ sich den Abgang der nächsten Schnellpost nach Osten anzeigen .
Denn er hatte beschlossen , nunmehr auf die gewöhnlichste Weise seine weitere Reise zu veranstalten .
Kaum hörte er auf den Polizeidiener hin , welcher sich hoch und teuer vermaß , ihm das gestohlene Pferd wieder zu verschaffen , es koste , was es wolle .
Indessen trieb ihn der Ärger , der in der Einsamkeit immer nagender wurde , bald wieder in das abendliche Wirtszimmer .
Dasselbe war von einem Dampfe erfüllt , welcher beinahe die Lichter auslöschte .
Um den Tisch saßen sechzehn junge Leute , Bier trinkend und Tabak rauchend .
Hermann erkannte bald an den polnischen Röcken , bloßen Hälsen , an den Samtbaretten und bunten Pfeifentroddeln die Studenten .
Er verwunderte sich über den tiefen Ernst , womit diese Jünglinge ihr stummes Geschäft verrichteten .
Niemand von ihnen sprach ein Wort , nur jezuweilen schlug einer oder der andere den Wirt zutraulich-derb auf die Schulter und sagte : " Bier ! "
Ihr Präses , der am oberen Ende des Tisches saß , ein starker , vierschrötiger Mensch , rief aber bei solchen Gelegenheiten : " Mehr Zerevis , eherner Roche ! "
Der wohlbeleibte glänzende Wirt bediente sie mit gelenkiger Schnelligkeit , warf ihnen allerhand Scherzreden ins Gesicht , ohne jedoch irgendeinen aus seiner Haltung zu bringen .
In der Ecke des Zimmers strickte ein Frauenzimmer , sah den Präses mit wehmütigen Blicken an , und stieß schwere Seufzer aus .
Hermann erwartete von Minute zu Minute den Beginn eines Kommersliedes , aber die ganze Studentengesellschaft blieb so stumm und ernst , wie sie bei seinem Eintritte gewesen war .
Er wandte sich endlich mit der höflichen Frage an den Präses , ob die Herrn auf einer Ferienwanderung begriffen seien ?
Der Präses erhob sich , warf ihm einen wilden Blick zu , und versetzte dann in rauhem Tone :
" Der deutsche Mann hat keine Ferien .
Es ist jetzt nicht an der Zeit , zu lottern , sondern zu wirken .
Ich bin aus Mecklenburg und heiße Brüggemann . "
" Diese Antwort finde ich etwas sonderbar " , sagte Hermann .
" Sonderbar ?
Tusch ! " riefen alle einhellig , und der Mecklenburger raunte seinem Nachbar etwas ins Ohr .
Das Frauenzimmer stand auf , nahm ein Licht , gab Hermann mit ängstlicher Miene einen Wink und ging hinaus .
Er folgte ihr .
In einem abgelegenen Zimmer erwartete sie ihn .
Zu seinem höchsten Erstaunen warf sie sich ihm hier zu Füßen , und rief : " Sie sind ein edler Mann , ich lese Menschlichkeit in Ihren Blicken .
Retten Sie die Armen , ich beschwöre Sie darum .
Ich liebe den Mecklenburger und kann sein Verderben nicht sehen . "
" Lassen Sie mich zuvörderst wissen , wovon hier die Rede ist " , sagte Hermann .
" Es sind Demagogen " , versetzte das Frauenzimmer .
" Der Herr weiß , worin die Anziehungskraft unseres Gasthofes für diese Jünglinge liegt .
Das ist nun schon der vierte Bundestag , welcher bei uns abgehalten wird , und immer sind bald darauf die Unglücklichen hier oder in der Nähe festgenommen worden , und werden doch nicht scheu , sich in den Rachen der Klapperschlange zu stürzen .
Endlich habe ich das furchtbare Geheimnis entdeckt .
Mein Vater , der Entsetzliche , schenkt ihnen das Bier ein , und verrät sie der Polizei . "
" Wenn die Sachen so stehen , so sollten Sie Ihren Geliebten warnen " , antwortete Hermann .
" Wer sind Sie , daß Sie mir dieses raten ? " rief das Frauenzimmer pathetisch .
" Kennen Sie Ziegenhainer , mein Herr ?
Die Wütenden würden den Greis mit Schlägen bedecken .
Nein , eine Tochter , welche den eigenen Vater seinen Feinden zu überantworten imstande ist , verdient diesen Namen nicht , den heiligsten in der ganzen weiten Natur .
Ich heiße Thusnelde , und bin ein deutsches Mädchen . "
" Eine Närrin bist du , und heißest Sophie Christine " , sagte der Wirt , der lachend in die Stube trat .
" Marsch fort !
Was steckst du hier mit dem fremden Herrn zusammen ? "
" Die Bücher haben ihr den Kopf verdreht " , sagte er zu Hermann .
Dieser versetzte :
" Sie sprach von Ihnen und von den jungen Leuten , und ich wollte wünschen , es wäre nicht wahr , was sie mir entdeckt hat . "
" Der liebe Gott segnet mein Haus mit Demagogen , wie er andere Häuser mit Kindern oder Schätzen segnet " , sagte der Gastwirt behaglich .
" Es gibt gar kein dümmeres Vieh , als Studenten .
Sie wissen , daß ihre Kameraden immer hier aufgehoben worden sind , und doch rennt es noch beständig hierher .
Es geht mit des Himmels Segen zu .
Ich bekomme gute Extrapräsente , und das Allgemeine Ehrenzeichen kann mir in ein vier , fünf Jahren durchaus nicht entgehen . "
" Wie mögen Sie ein so hinterlistiges Verfahren nur entschuldigen ? " rief Hermann zornig .
" Hinterlistig ? " sagte der Wirt , ohne sich aus seiner Laune bringen zu lassen .
" Es ist noch keinem der Kopf abgerissen worden .
Sie werden in bequeme Postchaisen gepackt , kommen auf ein Jährchen in Prison , haben dort Zeit zu studieren , schlagen in sich , dann erfolgt eine schwere Sentenz , dann die Begnadigung , dann die Beförderung , weit schneller , als bei anderen Landeskindern , denn im Himmel und in * ist mehr Freude über einen Sünder , der bereut , als über hundert Gerechte , die nie fielen . "
" Das Unglück von Menschen zu bespotten , verrät ein gefühlloses Herz ! " rief Hermann .
" Ein jeder denkt auf seinen Profit " , erwiderte der Wirt .
" Die Schnellposten haben den armen Wirten fast alles Brot entzogen .
Wenn ich keine Demagogen anzugeben hätte , müßte ich wohl betteln gehen .
Morgen ist also hier der vierte Bundestag und übermorgen früh , denke ich , hängen sechzehn Drosseln in den Dohnen .
Wollen aber Sie das verhindern , mein Herr , so nehmen Sie sich vor dem Polizeikommissarius in acht , denn ich denunziere Sie dann als den Mitschuldigen des Hochverrats , und da Sie kein Student mehr sind , so möchte man vielleicht mit Ihnen schärfer verfahren . "
Hermann war nicht einen Augenblick unschlüssig , was er tun sollte .
Das Schicksal , welches diesen armen jungen Leuten bevorstand , erschien ihm fast noch gelinder , als die rasende Verblendung , wodurch sie sich dasselbe zuzogen .
Er , selbst eingeweiht in diese Verirrungen , konnte jetzt kaum begreifen , wie es möglich gewesen sei , so frevelhaften Unsinn zu treiben .
Er beschloß , die jungen Toren ihrem Geschicke zu entziehen , indem er sie von ihrer Verblendung heilte .
Da man aber , um sich den Wölfen überhaupt zu nähern , mit ihnen heulen muß , so schien ihm ein besonders geschicktes Benehmen hier durchaus notwendig zu sein .
Er fand den Mecklenburger auf einem Vorplatze des Hauses , seine Pfeife ausklopfend .
Hermann legte die drei ersten Finger der rechten Hand an den Pfeiler und fragte :
" Wohin gehst du ? "
Betroffen sah ihn der Mecklenburger an , legte aber die letzten Finger seiner Rechten an den Pfeiler und versetzte :
" Nach Leipzig .
Sage mir die neun Grundartikel . "
Hermann trug hierauf , ohne zu stocken , die begehrten Sätze vor .
Der Mecklenburger drückte nach diesen unzweifelhaften Zeichen ihm kräftig die Hand , und rief : " Die Begegnung hätte ich nicht vermutet .
Ich wollte dich fordern lassen , denn sonderbar ist unter allen Umständen Tusch ; nun aber wird natürlich daran nicht mehr gedacht , auch hätte ich gleich erwägen sollen , daß du Philister bist , mithin von dir nichts zieht .
Bringst du uns Nachricht vom Männerbunde ? "
" Allerdings " , versetzte Hermann doppelsinnig .
" Es gibt einen Bund der Männer , dem Unrecht zu wehren , Schaden zu verhüten , den Frieden zu schützen . "
" Recht so " , versetzte der Mecklenburger , " so meinen wir es auch .
Die Zeit ist groß , wir müssen Großes leisten , um vor ihr groß zu bestehen .
Eingreifen müssen wir in ihre Räder , mit dem Strome schwimmen , und die Dämme und Klippen zerbrechen , welche die Hölle ihnen in den Weg türmt .
Jetzt sind wir daran , das Volk aufzuklären .
Frisch , frei , fromm , fröhlich , das ist immer die Hauptsache .
Auf einen Kopf oder ein paar krummgeschloßene Knochen kommt es dabei nicht an ; mehr als totmachen können sie uns nicht . "
" Wie weit seid ihr denn gediehen ? " fragte Hermann .
" Das Reich ist eingeteilt , es geht wieder in die zehn Kreise nach Homanns Karte " , erwiderte der Demagoge .
" Das war das sicherste .
Die Festungen sind unser , der Ölmüller hat einen geheimen Gang neben seinem Teiche , und der Major wird Großfeldherr .
Ich nehme Mecklenburg hin , ausgenommen Güstrow , was Schnee aus Greifswald nicht fahren lassen wollte .
Berlin wird niedergerissen und Jahn baut die neue Hauptstadt an der Elbe .
Er wird auch Obermeister der Zucht , aber das Turnen bleibt vorderhand abgestellt , denn wir wollen nichts übertreiben .
In der Bundeskasse haben wir an dreiundsechzig Taler ; es kann alle Tage losgehen . "
" Was führt euch aber eigentlich hier zusammen ? " fragte Hermann .
" Die letzte Frage , welche noch zu entscheiden ist " , erwiderte der Demagoge .
" Morgen wird bestimmt , was aus den Fürsten werden soll , ob wir sie alle erstechen müssen , oder ob man wenigstens in Betreff einiger Gnade vor Recht ergehen lassen kann .
In der Buschmühle Tagen wir , fehle ja nicht in der Versammlung . "
Dieses sinnreiche Gespräch würde noch länger fortgedauert haben , wenn nicht im Hofe ein plötzlicher Lärmen entstanden wäre .
Eine Menge Menschen mit Laternen und Windlichtern drang herein , in deren Mitte Hermann bei dem Näherkommen des Zuges den Polizeidiener , den Rattenfänger und sein Pferd wahrnahm .
Der Rattenfänger führte das Pferd , der Polizeidiener den Rattenfänger .
Er hielt ihn am Ohrläppchen gefaßt , und rief unaufhörlich :
" Haben wir dich endlich , du sauberer Kavallerist ?
Haben wir dich ? "
Wunderbar war es anzusehen , wie der Mensch nun als schwarzlockiger Pudelkopf erschien , und den abgelegten blonden Schopf wehmütig in der Hand hielt .
Hermann würdigte diesen politischen Flüchtling keines Blickes und empfing sein Pferd , welches von Schweiß triefte .
Der Polizeidiener erzählte ihm , wie er des Vagabunden habhaft geworden sei , und gab ihm den Rat , sobald als möglich fortzureiten , und sich den Schaden zur Lehre dienen zu lassen .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Am folgenden Morgen wanderte Hermann nach der Buschmühle , mit sich einig über den Plan , nach welchem er die verirrten Jünglinge in das rechte Gleis zurückführen wollte .
" Wie doch das Unangenehme meistens die besten Ausgänge hervorbringt ! " sagte er zu sich selbst .
" Ohne den gestrigen Vorfall würde ich meines Weges weitergezogen sein , und die Gelegenheit verabsäumt haben , etwas Gutes und Heilsames auszurichten . "
Als er am Orte der Zusammenkunft eintraf , fand er die Studenten schon auf einer Dachkammer versammelt .
Fahl schien das Licht durch beräucherte Fensterscheiben und gab den ohnehin mit frühen Runzeln gezeichneten blassen Gesichtern dieser jungen Leute ein noch trübseligeres Ansehen .
Sie saßen und standen umher , die Pfeife war , wie sich von selbst versteht , auch hier in voller Tätigkeit und der Qualm in dem engen Raume beinahe unerträglich .
Der Mecklenburger kam auf Hermann zu , faßte ihn bei der Hand und stellte ihn mit den Worten :
" Da seht ihr endlich einen vom Männerbunde " , den anderen vor .
Alle drängten sich um ihn und wollten vom Männerbunde wissen .
Hermann versetzte :
" Ich werde euch noch genug nachher zu sagen haben , jetzt tut ihr erst das Eurige . "
Die Studenten zogen Dolche aus ihren Röcken , zückten sie , und riefen mit dumpfer Stimme :
" Den Verräter treffe der Tod ! "
Darauf warfen sie dieselben zusammen auf einen Haufen .
Der Mecklenburger setzte sich an einen kleinen wackligen Tisch , in der Mitte der Kammer ; ein anderer , der den Sekretär vorstellte , ihm gegenüber .
Dieser zog ein Heft beschmutzter unordentlicher Papiere , welche Akten bedeuten sollten , hervor , und schlug seinen Kollegienstecher in die Tischplatte .
Die übrigen saßen oder lagerten sich umher .
Hermann nahm zu seiner Sicherheit einen Platz an der Türe .
Der Sekretär erhob die Stimme und fragte :
" Welche Kreise Deutschlands sind hier auf diesem vierten Tage des Bundes der Jungen versammelt ? "
" Obersachsen ! " antwortete einer mit unzweideutiger scharfer Kopfstimme ; " Franken ! " riefen vier .
Schwaben wurde durch fünf .
Niedersachsen und Westfalen jedes durch zwei vertreten , für Burgund meldeten sich drei schwarzhaarige einigermaßen heimtückisch aussehende Belgier .
Bayern , Oberrhein , Niederrhein , Österreich fehlten .
Der Sekretär stand auf und sagte : " Bruder Präses , sechs Kreise Deutschlands sind versammelt . "
Der Mecklenburger entblößte sein Haupt und sprach :
" Ich erkläre hiermit den Tag für beschickt und eröffnet .
Geliebte Brüder des Bundes für Freiheit und Recht , Vernunft und Wahrheit !
Frisch , frei , fromm , fröhlich , das ist immer die Hauptsache .
Schwer Werk liegt auf deutscher Jugend , wir sollen die alte , dumm und faul gewordene Zeit wieder einrenken , die Flicker und Stücker vertreiben , den Stall lüften , das Molch-und Otterngezüchte aus seinen Höhlen schwefeln , daß alles deutsch werde , christlich und gut .
Es ruht , wie gesagt , auf der Jugend , die Alten sind nichts nutze . "
" Davon habe ich eben ein Beispiel gehabt " , sagte einer aus Franken .
" Ich stehe mit meinem Alten in Rechnung , so viel für Hauspump , so viel für Bücher , Wäsche und so weiter .
Nun hatte ich ihm sechzig Gulden für Kollegia angesetzt .
Denkt euch , verlangt das Kamel , ich soll nachweisen , daß ich sie gehört habe . "
" Bruder , unterbrich mich nicht ! " rief der Mecklenburger .
" Laß deine eigenen Angelegenheiten hinweg , wo es die große Sache des Vaterlandes gilt .
Brüder !
Lange Reden zu halten ist nicht meine Sache , ich bin aus Mecklenburg und heiße Brüggemann .
Zuschlagen muß man , das ist das kürzeste , und jeder versteht , wie er dieses zu nehmen hat .
Lange genug hat das Wort die Welt verfitzt , gesunde Knochen und tüchtige Fäuste sollen ihr wieder zum Besinnen verhelfen .
Also Bruder Schreiber und Schriftwart , lies kurz und gut die Frage des Tages ab .
Dann stimmt , und hernach streife jeder den Arm auf , gürte seine Lenden , und tue , was der Beschluß ihm auflegt ! "
Der Sekretär las aus den sogenannten Akten :
" Der dritte Bundestag hat die Königs- und Fürstenfrage zur Entscheidung des vierten gestellt .
Die heute versammelten Kreise und Stände des Reichs , welches da kommen soll , haben folglich darüber abzustimmen : Sollen die Könige und Fürsten alle ohne Ausnahme niedergemacht werden , oder kann man in Betreff einiger und welcher ? mildere Entschließung eintreten lassen ? "
" La mort sans phrase ! " riefen die Belgier hastig .
" Burguntier " , versetzte der Präses , " es steht noch nicht einmal fest , ob wir euch zum Reiche nehmen , oder euch nicht lieber den Pariser Wölfen überlassen .
Wollt ihr aber mit uns Tagen , so redet die Sprache Teuts , und nicht die der Welschen und Franschen . "
" Ich lasse meinen König nicht umbringen " ; sagte der aus Obersachsen .
" Ich habe eine Freistelle auf der Fürstenschule gehabt , er heißt Friedrich August der Gerechte ; was kann er dafür , daß er ein König ist . "
" Alle ohne Ausnahme abgemuckt ! " riefen die Franken .
Niedersachsen stand zu Obersachsen ; die Debatte wurde stürmisch .
Einige Schwaben und einige Westfalen suchten vergeblich einander deutlich zu werden .
Ein Kreis verstand den anderen nicht .
Der Präses klopfte auf den Tisch , und redete , nach dem alles still geworden war , so : " Zankt euch nicht !
Durch Span und Zwist sind die Reiche verfallen , das hat Rom und Griechenland gestürzt , soll auch unsere Stärke dadurch schwach werden ?
Ich meinesteils bin für Mäßigung .
Furchtbar ist ein Volk , welches sich im Glücke zu fassen weiß .
Wir haben die Oberhand , laßt sie uns nicht mißbrauchen .
Ich schlage eine Sonderung vor .
Die bis zur Leipziger Schlacht deutscher Sache noch nicht beigetreten waren , sollen sterben , und denen , die vor diesem Zeitpunkte ihre Pflicht erfüllt haben , geben wir Pension , oder Leibzucht , vaterländischer zu reden .
Auf diese Weise sind wir zugleich gerecht und milde . "
Über diesen Vorschlag entstand ein hitziger Streit , bei welchem die äußerste Rechte und die äußerste Linke einander beinahe zu Kragen geraten wären .
Endlich siegte die gemäßigte Mitte , die Mehrheit nahm den Vorschlag an , und der Mecklenburger entwarf sogleich die Pensionssätze , wobei der für den größten Fürsten von Norddeutschland mit besonderer Rücksicht auf dessen Verdienste und Schicksale bis zu achthundert Talern jährlich anstieg , obgleich die gewöhnliche Pension eines Königs nicht mehr als fünfhundert betragen sollte .
Während man noch mit der Festsetzung dieser Angelegenheit beschäftigt war , sagte ein Franke :
" Ihr habt einen Hauptpunkt vergessen .
Was soll mit den dirigierenden Bürgermeistern der freien und Hansestädte werden ? "
Es entstand eine Pause allgemeinen Nachdenkens .
" Daß auch in den sogenannten freien Städten keine Freiheit weilt , daß dort die Gewalt oft noch verderbter ist , als in den Fürstentümern , kann niemand leugnen " , sagte endlich der Präses .
" Wo wird man mehr mit dem Paß geschoren , als in Frankfurt ?
Wo ist teurer leben , als in Hamburg ?
Aber dein Bedenken ist ganz richtig , Bruder .
Wenn wir auch die Bürgermeister hinwegräumen , so bleiben ja immer noch die Senate übrig , fünfzig Mann in jeder Stadt , die zur Zwingherrschaft berechtigt , ja auch daran beteiligt sind . "
Die Burguntier rieten zur Abschlachtung der gesamten Senate , welcher Gedanke jedoch als zu blutdürstig von den eigentlich deutschen Kreisen einstimmig verworfen wurde .
Man sprach von Kerker , eidlichem Verzicht und dergleichen , fand aber diese Mittel alle zu ungenügend .
Zuletzt rief ein Schwabe :
" Brüder !
Eine nach der anderen frißt der Bau 'r die Würste .
Laßt uns die Könige und Fürsten erst einmal auf_dem Kraut haben , unterweil fällt uns vielleicht wegen der Bürgermeister etwas ein . "
Alles lachte über den Schwaben , konnte aber gleichwohl keinen besseren Rat ersinnen , denn er .
Wer weiß , wie lange dieses Nachdenken noch fortgesetzt worden wäre , wenn nicht Hermann , der dem Wahnsinne nicht länger zuzuhören vermochte , eine Doppelpistole , welche er in der Stadt erhandelt , herausgezogen und sie vor den Studenten langsam scharf geladen hätte ?
" Was soll das ? " fragten einige .
" Der Männerbund führt nur Schießgewehr " , versetzte Hermann kalt .
Er spannte den Hahn und hielt die Pistole vor sich hin .
Dann sagte er : " Der erste , welcher mir zu nahe kommt , wird totgeschossen .
Ihr albernen Toren , ihr verblendeten Jünglinge !
Ein schlimmes Übel erfordert bittere Arzneien .
Indem ich euch zu heilen unternehme , sage ich daher , daß ich nicht weiß , ob ich über eure Schlechtigkeit zürnen , oder über eure Dummheit lachen soll .
Ihr beruft euch , irregeführt von euren Verleitern immer auf das Altertum ; ahmt demselben nach und erinnert euch zuerst daran , daß zu jenen Zeiten die Jungen nicht mitsprechen durften ; in Sparta mußte einer dreißig Jahre alt sein , wenn er den Mund über Staatsangelegenheiten auftun wollte .
Ihr Unsinnigen , die ihr euch herausnehmt , Könige und Fürsten absetzen , pensionieren , ja erdolchen zu wollen , weil sie , wie ihr wähnt , ihrer Würde nicht vorzustehen wissen , und die ihr selbst noch nicht den allerkleinsten und abgeleitetsten Teil dieser Würde zu bekleiden vermöchtet !
Geht in euch , lernt eure Hefte , singt Trink- und Burschenlieder , genießt die schöne Jugend , und überlaßt die Sorge um den Staat den Alten .
Eines sage ich euch noch .
Ich halte euch nicht für so unvernünftig , daß ihr auf eure eigene Faust , ohne Hilfe älterer gewichtigerer Männer zu revolutionieren die Tollkühnheit besitzen solltet .
Nun denn , so erfahrt , daß , wenn ihr aufsteht , kein Torschreiber und Supernumerarius euch beispringen wird ; alles , was den Burschenrock ausgezogen hat , sitzt ruhig , mit Tabagiegespräch zufrieden , im bürgerlichen Leben , der Männerbund ist eine Lüge , womit euch irgendein Bösewicht geködert hat ; ihr seid die Affen , welche für die Katze die Kastanien aus dem Feuer holen sollen . "
Schwer würde es sein , die Wirkung dieser Anrede auf die Studenten zu beschreiben .
Sie hatten sich in einem Winkel zusammengedrängt , zitterten vor Grimm , waren jedoch keineswegs lüstern , der Mündung des Pistole näher zu treten .
Vielmehr gaben sie ganz das Bild gemalter Wüteriche ab , wie Shakespeare sagt .
Hermann war eben im Begriff , seinen Spruch mit einer gesteigerten Nutzanwendung zu schließen , als von unten Stimmen ertönten und Pferdegetrappel hörbar wurde .
Diese Laute verwandelten auf einmal die Szene .
Hermann und die Studenten rannten einträchtig zu einer Bodenluke und sahen den ganzen Hof voll von Gendarmen , Häschern und bewaffneten Bauern .
Sogleich ergriffen die jungen Leute mit katzengleicher Geschwindigkeit die Flucht .
Einige ließen sich eine Falltüre hinunter , andere verkrochen sich in den dunkelsten Ecken des Gebälks , die Entschlossensten kletterten auf die den Häschern abgekehrte Seite des Dachs , sprangen in den Garten und eilten zu Walde .
In einem Augenblicke war der ganze Söller von den Demagogen leer , nur Hermann blieb im Gefühle seiner Unschuld auf demselben zurück .
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Nicht lange , so erschien ein Gendarm , blickte forschend in die Dachkammer , und rief seinen Kameraden mit den Worten :
" Komme , einer ist noch hier ! " herbei .
" Sieh nur die Wirtschaft ! " sagte der zweite , als er eintrat .
" Die Dolche !
Und da die Brandbriefe ! "
- " Gut , daß wir wenigstens den Oberdemagogen haben , schau , was für eine Pistole er führt ! "
- " Es ist ein Halbkarabiner " , versetzte der zweite Gendarm .
Sie schritten auf Hermann zu , und kündigten ihm in barschem Tone Arrest an .
" Gänzlich im Irrtum , meine Herrn ! " versetzte er .
" Ich wollte die verführte Jugend zum Besseren bekehren . "
Die beiden Männer schlugen ein helles Gelächter auf , und meinten , er sehe nicht nach einem Propheten aus .
Um sich nicht übler Behandlung auszusetzen , gab er sich gefangen .
Er fragte nach ihrem Befehlshaber und verlangte zu diesem geführt zu werden .
Sie versetzten , daß der Herr Polizeikommissarius nicht zu sprechen sei , indem er , bei Verfolgung eines Flüchtigen zu Boden gestürzt , sich das Bein aufgeschlagen habe .
Nachdem die Gendarmen ihm die Pistole abgenommen , die Dolche und Akten zusammengerafft hatten , führten sie ihn hinunter .
Mit genauer Not erhielt er es , daß man ihn nicht fesselte , doch war auch so schon seine Lage die unbehaglichste .
Hunderte von Menschen hatte die Neugier herbeigezogen , deren gaffende Blicke alle auf ihn gerichtet waren .
Unaufhörlich wurden die Gendarmen befragt , wer er sei ? worauf sie jederzeit kaltblütig erwiderten :
" Es ist der Oberdemagoge . "
Auf seine Bitten wurde eine verdeckte Kalesche angespannt .
Die Gendarmen , zu beiden Seiten des Wagens reitend , brachten ihn darin nach dem Städtchen , aus welchem er in so guter Absicht nach der Buschmühle gegangen war .
Dort lieferte man ihn in der Wachtstube des Orts ab .
Bei dem Eintritte in dieses Gelaß hätte er vor Scham und Verdruß sterben mögen .
Es war nämlich am gedachten Tage auch das sogenannte allgemeine Vagabundengreifen gewesen , und die Wachtstube wimmelte daher von übel aussehenden Leuten .
Heftig fragte er den einen Gendarmen , ob man für Verbrecher seinesgleichen hier nicht einsamen Kerker bereit halte ?
Die beiden Männer sahen einander kopfschüttelnd an , einer griff an seine Stirn , dann sprachen sie leise zusammen .
Man willfahrte ihm indessen und brachte ihn über einen finsteren schmutzigen Hof nach dem Hintergebäude der Fronfeste , wo sich denn hinter Schloß und Riegel , seinem Wünsche gemäß , einsames Gefängnis auftat .
Er war nun zwischen vier einst weiß gewesenen Wänden allein .
Beständig mußte er sich zurufen , daß dieses Ungemach ja lediglich aus einem lächerlichen Irrtume entspringe und von kurzer Dauer sein werde , um dem Mißmute nicht zu erliegen .
Endlich warf er sich auf die Strohschicht , welche der Kerkermeister frisch besorgt hatte , und schlief trotz seiner üblen Laune ein .
Die Gendarmen , ihrer scharfen Anweisungen eingedenk , nahmen indessen nach kurzer Abwesenheit vor der Kerkertüre Platz .
" Weißt du " , sagte der eine zum anderen , " woher alle die Teufelei rührt ?
Ich kann es dir sagen .
Die Juden stiften den ganzen Spektakel an . "
" Nicht möglich ! " rief der andere .
" Ich dachte , die Franzosen steckten dahinter . "
" Franzosen hin , Franzosen her ! " sagte der erste .
" Das ist ja eben die Sache .
Die Franzosen sind auch alle heimliche Juden .
Dazumal in Ägypten hat der Bonaparte seine ganze Armee dazu herumgekriegt , und die Soldaten haben dann nach ihrer Rückkehr das Judentum weiter gestiftet , und auch bei uns ausgebreitet , bis der Krieg kam , und davon rühren die Demagogen her . "
" Darum aßen auch die Kerle so viel Knoblauch " , sagte der zweite Gendarm .
" Richtig " , versetzte der erste .
" Der Knoblauch ist der erste Grad im Judentum .
Der Bart ist der zweite .
Merkst du was ?
Geht es dir auf ?
Alle tragen sie lange Bärte .
Ich muß nur lachen , wenn die Herrn sich so viele Mühe mit dem Volke geben , um ein Geständnis herauszubringen .
Am Leibe visitiert , da würden sie bald das untrügliche Zeichen finden . "
" So wäre man ja seiner Gliedmaßen nicht sicher , wenn das Zeug die Oberhand bekäme " , rief der zweite Gendarm mit so Entsetzen .
" Das wäre noch das wenigste " , sagte der erste , " aber alle Kinder würden sie totschlagen und das Blut trinken , und kein Krämer dürfte mehr ein Lot Salz verkaufen . "
Der zweite Gendarm erinnerte sich wieder an Ägypten und fragte , ob da nicht die Türken anstatt der Juden hausten ?
" Laß dir sagen " , antwortete der erste .
" Die Reichen sind mit Mose nicht ausgezogen , sondern im Lande sitzen geblieben , wo hast du je gehört , daß ein Jude sein Eigentum verlassen hätte ?
Nur das Schacherpack lief fort , und vierzig Jahre in der Wüste umher , das heißt , sie gingen hausieren : » nichts zu handeln drin ? « bei den Leuten , die da so in den Gegenden wohnten .
Die zurückgeblieben waren , kamen bei den Türken unter den Druck .
Bonaparte wollte sie befreien , um dem Engländer einen Tort zu tun .
Denn wo die Juden aufkommen , sind die Engländer verloren .
Aber die merkten den Schlich , und lieferten ihm die große Schlacht da oben bei Dings . "
" Daher kommt es denn auch , daß sie in Hannover so scharf sind mit den Demagogen " , sagte der zweite .
" Es ist wegen den englischen Handelsverbindungen . "
Dieses scharfsinnige Gespräch hörte Hermann zum Teil mit an , denn er war von Hitze und Unruhe bald wieder munter geworden .
Die Wachtmänner , welche nach den Gendarmen aufzogen , hielten sich in ihren Gesprächen mehr an seine Person , und machten eine schlimme Beschreibung von ihm , die sich denn von Ablösung zu Ablösung steigerte , so daß er gegen Morgen in den Reden dieser Leute wie ein Ungeheuer mit Klauen und Hörnern aussah .
Im Strahl der frischen Morgensonne fand er seine gute Laune wieder .
Er lachte über die Ungereimtheiten , die er von draußen vernahm , laut auf , so daß die wachenden Männer ein Grauen ergriff .
" Hoffentlich " , sagte er , " ist denn dieses doch der letzte dumme Streiche , den ich mache .
Oder nein ! " fügte er hinzu , " wer wollte die Torheit verschwören ?
Nur diejenigen Menschen irren sich nicht , deren Leben von Anfang bis zu Ende ein einziger trockener Irrtum ist . "
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Man führte ihn vor den Polizeikommissarius zum Verhör .
Der Beamte saß hinter einem Tische , auf welchem die Hermann abgenommenen Sachen lagen , Geld , die Doppelpistole und die Brieftasche .
Ein kleiner Schreiber saß dem Beamten zur Linken , mit steilrecht erhobener Schreibefeder .
Hinter dem Polizeikommissarius standen zwei Häscher , ernst und regungslos , ihre Blicke ruhten auf dem Haupte des Vorgesetzten .
Dieser hatte das verletzte und bewickelte Bein seitwärts auf einen Sessel gelegt , so daß er sein Gesicht bei Hermanns Eintreten von diesem abkehrte .
Der kleine Schreiber fuhr den Gefangenen herkömmlich grimmig an , und bedrohte ihn mit den schlimmsten Dingen , wenn er nicht die reine Wahrheit sage .
Jetzt wandte sich der Polizeikommissarius um , und wollte mit noch höherer Würde diese Gewissensschärfung vornehmen , kam jedoch nicht über das erste Wort hinaus , blieb vielmehr stocken und starrte seinen Inkulpaten geöffneten Mundes an .
Ein gleiches Erstaunen prägte sich in der Miene und Gebärde Hermanns aus ; sie standen einander gegenüber wie die Salzsäulen .
Zuerst fand der Polizeikommissarius einige Laute wieder .
" Abtreten ! " rief er , dem Schreiber und den Häschern winkend .
Betroffen verließ das Personal die Amtsstube .
" Hermann ! "
- " Ernst ! "
Mit diesem Rufe fielen die beiden Freunde einander in die Arme .
" Unglücklicher , so sehen wir uns wieder ? " sagte der Polizeikommissarius .
" Dasselbe möchte ich dir entgegnen " , erwiderte Hermann .
" Warum bist du denn nicht in Hellas , warum steckst du in dem Rocke da ? "
" Achtung vor dem Könige , dessen Farbe ich trage " , sagte der ehemalige Philhellene mit gebietender Haltung .
" Aber o ich Schwergeprüfter ! " rief er , außer Fassung geratend .
" Meinen besten Freund , meinen Herzbruder finde ich unter Hochverrätern , als ihr Haupt , als ihren Rädelsführer wieder .
Dahin führen verkehrte Grundsätze , das ist die Frucht einer unruhigen Sinnesart !
Wie oft habe ich dich gewarnt , wie oft sagte ich dir : über das Gewöhnliche sich erheben wollen , führt zum Allerschlechtesten ! "
- " Du vergeßlicher Mensch ! " rief Hermann , " dieses sind ja eben meine Worte an dich , als du den abenteuerlichen Zug nach Griechenland unternehmen wolltest . "
Aber sein Freund hörte ihn nicht .
Er war aufgestanden , hinkte feierlich mit steifem Knie auf und nieder und sagte : " Pflicht !
Du Polarstern des Beamten , du Ankergrund der Diensttreue , stärke mich jetzt !
Ein Mann , der mit blutendem Herzen tut , was ihm obliegt , ist ein Schauspiel für Götter .
In diesem Zimmer hört der Mensch auf ; es kennt nur den Diener des Staats . "
Hermann fing den ausgestreckten Arm des Freundes , rüttelte ihn und sagte heftig :
" Die erste deiner Pflichten ist , den Beschuldigten anzuhören .
Ich bin kein Demagoge , geschweige ihr Oberhaupt und Rädelsführer .
Ich bin ein so unschädlicher Mensch , wie nur einer Brot ißt .
Du hättest mich eher aus den Händen deiner dummen Gendarmen und Scharwächter befreien sollen . "
" Bist du nicht unter den Wütenden betroffen worden ? " fragte der Polizeikommissarius .
" Liegen da nicht die Dolche , die Schriften voll der Teilung Deutschlands und des Mordes der Könige ?
Liegt dort nicht dein eigenes Schießgewehr ? "
Hermann gab ihm mit der überzeugenden Kraft , welche der Wahrheit eigen zu sein pflegt , die Einsicht in den Hergang der Dinge .
Der Polizeikommissarius wurde wankend , nachdenklich , erholte sich aber wieder und sagte : " Und diese Brieftasche , hast du die auch in der Absicht , zu besseren , bei dir geführt ?
Blick hinein , was siehst du ?
Aufrührerische Traktätchen , » Freie Stimme frischer Jugend « , den » Bauernkatechismus « , kurz den ganzen Arsenal der liberalen Propaganda .
Wie willst du dieses unumstößliche Beweismittel entkräften ? "
" Mensch , hast du denn aus der Lethe getrunken ? " rief Hermann .
" Sieh doch die Brieftasche genauer an .
Es ist ja die deinige , dieselbe , welche damals aus Irrtum in meiner Tasche blieb , mit diesem deinem Freiheitsschwindel angefüllt , während du mit meiner und mit meinem Gelde von dannen zogst . "
Da nun die Brieftasche in einer Ecke des vordersten Blattes wirklich noch den Namen des ehemaligen Philhellenen führte , so konnte der Polizeikommissarius sie nicht verleugnen .
Diese Entdeckung hatte die Wirkung auf ihn , daß er den Pflichtbegriff fahren ließ und sich den freundschaftlichen Empfindungen ganz hingab .
Es verstand sich , daß er Hermann in seiner Häuslichkeit bewirten wollte , von deren Lobe er nun überströmte .
Beide schüttelten einander herzlich die Hand und genossen die Freude des unverhofften Wiedersehens .
" Was wird Fränzchen dazu sagen ! " rief er .
" Und mein Junge !
Zwar der kann noch nichts sagen . "
Er brachte ihn durch einen bedeckten Gang , welcher die Gefängnisse mit seiner Wohnung verband , nach dieser .
Unterwegs wurde er wieder still .
" Bei allem dem bleibt es doch ein eigenes Unglück " , sagte er niedergeschlagen , " daß ich mit der vielen Mühe , mit der Plage bei Tag und bei Nacht nichts anderes ausgerichtet habe , als mir das Knie zu zerfallen , meinen besten Freund gefangenzunehmen und meine eigene Brieftasche wiederzufinden . "
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Fränzchen schrie laut , als Hermann vor sie trat .
" Gebt euch nur einen Kuß " , sagte der Polizeikommissarius , " alte Liebe rostet nicht , daraus mache ich mir gar nichts , es bleibt in der Freundschaft . "
Noch hatte Hermann den Weg zu ihren Lippen nicht vergessen ; errötend duldete sie , was sie an vergangene Zeiten erinnerte .
Sie war still , und schien verlegen zu sein ; Hermann bemerkte , daß ihre Blicke vergleichend zwischen ihm und ihrem Manne hin und her wanderten .
Ein Kindergeschrei ließ sich vernehmen .
" Das ist Hermann , der Sassen Herzog " , sagte der Polizeikommissarius , " Mutter , bringe den Jungen herein . "
Sie brachte das Kind , einen starken , rotbäckigen Knaben , den Hermann ungeachtet des Zustandes , in welchem er sich eben befand , abküssen mußte .
Hermann verbrachte einige Tage in dieser Häuslichkeit , welche der spärlichen Umstände wegen , worin beide Gatten lebten , die beschränkteste war .
Der Diensteifer seines Freundes hatte eine eigene Verwicklung herbeigeführt .
Gleich nach seiner Gefangennehmung war nämlich von diesem eine Stafette mit der Meldung von dem Geschehenen gen * abgesendet worden , welcher er zwar , als er den Zusammenhäng der Dinge in Erfahrung gebracht hatte , einen zweiten reitenden Boten mit einer Berichtigung der früheren Anzeige nachschickte , jedoch ohne den gewünschten Erfolg .
Er empfing nämlich einen Verweis , daß er sich herausnehme , in dieser Angelegenheit selbst urteilen zu wollen ; man finde dies unangemessen und habe er den Gefangenen schleunigst abliefern zu lassen .
Diese Hiobspost kündigte er seinem Freunde mit bestürzter Miene an .
Fränzchen weinte .
Hermann tröstete sie beide , sprach von seinen Bekanntschaften in der Residenz , die ihm bald aus der Verlegenheit helfen würden , und sagte , daß wenn man auch in diesem Punkte dort strenge Grundsätze hege , die Unschuld doch etwas Siegreiches habe , was die Richter sofort zu seinen Gunsten stimmen werde .
Im Grunde war er froh , als der Wagen vorfuhr , die beiden bekannten Gendarmen zu den Seiten aufritten , und dergestalt einigen beklommen-langweiligen Tagen ein Ziel gesetzt wurde .
Die ersten Gespräche mit seinem Freunde hatten ihn überzeugt , daß alle Berührungspunkte zwischen ihnen verlorengegangen waren .
Der Polizeikommissarius bezog jetzt alles im strengsten Sinne auf den Dienst oder die Hausvaterschaft .
So hatte Hermann einmal lange mit Geist und Suada von den streitenden Bestandteilen des Staats gesprochen , aufmerksam , wie es ihm schien , angehört von dem Freunde .
Als er aber geschlossen hatte , rief die sehr aus :
" Du hast ganz recht ; es wird nicht eher besser bei uns , als bis wir wissen , wie weit die Polizei gehen darf und wie weit die Justiz . "
Die Pflichten des Hausvaters übte er wirklich in vollem Maße .
Nicht genug , daß er bei der Wartung des Kindes in den unangenehmsten Vorkommenheiden mit zur Hand ging , er grub im Garten und beschickte die Küche , wo es irgend Not tat ; ja Hermann hatte ihn eines Morgens im Ställchen die Ziege melken sehen , welche diesem Haushalte die tägliche Milch gab .
Oft geriet der Gast durch die Art und Weise in Verlegenheit , mit welcher der Wirt sein früheres Verhältnis zu Fränzchen zum Gegenstande der Unterhaltung machte .
Er war unerschöpflich in Anspielungen und Scherzreden , welche nicht immer die feinste Wendung nahmen .
Umsonst versuchte Hermann abzulenken ; endlich verbat er sich geradezu dergleichen .
Worauf der Polizeikommissarius entgegnete :
" Du bleibst , wie du warst , nicht für das Praktische , nicht für das wirkliche Leben . "
Am meisten hatte Hermann in der Seele der jungen Frau gelitten , welcher , ungeachtet ihres Fehltritts und ihrer jetzigen Dürftigkeit , immer noch die feine anständige Manier geblieben war , durch welche Hermann sich ehedem so sehr angezogen gefühlt hatte .
Er stieg , ohne Abschied von ihr zu nehmen , in den Wagen .
Was hätte er ihr sagen sollen ?
" Dahin wäre ich denn auch gediehen " , sprach er zu sich selber , " wenn ich den sogenannten vernünftigen Weg im Leben eingeschlagen hätte .
Vielleicht in größeren Zimmern wohnend , und die Ziege nicht melkend , wäre ich denn doch vielleicht im Grunde schon ebenso ein Philister geworden , Welt , Zeit und den Pulsschlag der Geschichte nicht mehr vernehmend , die Neigung unserer niederen Natur zu schläfriger Bequemlichkeit in das lügenhafte Gewand erhabener Pflicht kleidend .
Ehe ! -
wie rauschen die Redensarten , wenn das Wort ausgesprochen wird .
Das Sakrament der Ehe !
Die Heiligkeit der Ehe !
Der Segen des Ehestandes !
- Und was bringen denn nun diese schönen Dinge bei vielen hervor ?
Daß sie einen Stillstand in ihrem Leben machen , daß die edelsten Verhältnisse , die unschätzbarsten Verbindungen ihren Reiz verlieren , die zarte Berührung mit dem Leben und den Menschen aufhört , und am Ende jene dumpfe Erstarrung eintritt , welche für das Ziel des Daseins ausgegeben wird .
Man sollte daher auch über diesen Gegenstand natürlicher zu denken anfangen und sagen , daß der Staat der Sache bedürfe , um nicht selbst sich mit der Sorge für die Kinder befassen zu müssen , und folglich von Rechts wegen sie beschütze .
Oder wenn man von einem Sakramente der Ehe und des Hauses reden wollte , so sollte man den Leutchen zurufen : » Macht euren Bund durch ein erhöhtes Leben in Geist und Gemüt zum Sakramente , aber glaubt nicht , daß ihr den Stand der Gnade schon durch die Liebeleien des Brautstandes , durch das Wechseln der Ringe , und durch das Anschaffen von Linnen , Betten , Töpfen und Schüsseln erworben habt « . " Sechstes Buch .
Medon und Johanna Erstes Kapitel Erstes Kapitel Die Reise ging ohne weitere Vorfälle Tag und Nacht fort .
Eines Morgens rollte der Wagen durch breite , schnurgerade Straßen zwischen prächtigen Palästen hin und die Hauptstadt war erreicht .
Der Postillon hielt vor einem geräumigen Gebäude , welches man für eine stattliche Privatwohnung hätte ansehen können , wenn nicht durch die eisernen Gitter vor den Fenstern seine Bestimmung klargeworden wäre .
Hermann stieg aus und wurde eine breite Treppe hinaufgeführt .
Auf der Mitte derselben kam ihm ein wohlgekleideter Mann entgegen , begrüßte ihn äußerst höflich und sagte : " Haben Sie die Güte , mir zu folgen , ich hoffe , Sie auf der Stelle entlassen zu können . "
Oben im Verhörsaale öffnete sich eine Seitentüre und herein trat , von einem Schließer begleitet , der mecklenburgische Präses .
" Kennen Sie den Herrn ? " fragte der Beamte den Mecklenburger .
Dieser wälzte seine rollenden Augen nach Hermann und sagte :
" Er ist der Bösewicht , der , Deutschlands Sache abtrünnig , auch uns mit vorgehaltener Pistole zum Abfall verleiten wollte . "
- " Gut " , versetzte der Beamte sehr sanft , " bringen Sie , Schließer , den Mann wegen ungebührlicher Ausdrücke vor Gericht auf acht Tage in den einsamen Kerker bei Wasser und Brot ; und Sie , mein Herr , sind frei . "
Nach der Entfernung des Präses erzählte der Beamte unserem Freunde , daß ein Teil der Demagogen , welche dem Polizeikommissarius entgangen waren , sich in unbegreiflicher Verblendung nach der Hauptstadt gewendet habe , wo sie denn ihre unbedachte Einfalt gegenwärtig hinter Schloß und Riegel büßten .
" Unter diesen befindet sich " , sagte er , " auch jener freche Mensch , welcher seines Verbrechens kein Hehl hat , vielmehr sich dessen rühmt .
Er bekannte auf der Stelle die ganze Geschichte des sogenannten vierten Bundestags , und wie Sie , mein Freund , mehr wohl- als kluggesinnt , es unternommen hätten , die Versammlung zum Rücktritte von ihren Verirrungen zu bewegen .
Nun waren in den oberen Regionen allerhand Bedenken , ob man Sie nicht doch noch vorläufig festhalten müsse " , fügte der Beamte hinzu .
" Diese hat ein Mann , der vielen Einfluß besitzt , zu überwinden gewußt ; ihm haben Sie daher für Ihre Freiheit zu danken . "
" So bestände denn also das ganze Unglück darin , daß ich die Reise , die ich auf meine Kosten hätte ma chen müssen , auf die des Staats zurückgelegt habe ! " rief Hermann heiter .
" Aber wo ist mein unbekannter großmütiger Wohltäter ? "
Eine zweite Seitentüre öffnete sich , und ein großer , würdig , ja majestätisch aussehender Mann trat ein .
" Glücklich los ? " fragte er Hermann mit freundlichem Tone .
" Mein Herr " , erwiderte dieser , " niemals noch hatte ich das Glück , Sie zu sehen .
Wer sind Sie ?
Womit habe ich Ihre Güte verdient ? "
" Ich finde es so natürlich , anderen Ungelegenheiten zu ersparen , wenn man es kann , daß ich einen solchen Dienst nicht der Rede wert halte " , versetzte jener .
" Zufällig wußte ich von Ihrer Reise , zufällig erfuhr ich , welche Hemmung Sie unterwegs angetroffen hätten , und zufällig ließ man mein Wort zu Ihren Gunsten gelten .
Sie sind mir keinen Dank schuldig , denn in einem ähnlichen Falle erwarte ich dasselbe von Ihnen .
Übrigens heiße ich Medon . "
Wer beschreibt das Erstaunen Hermanns ?
Er ging mit ihm die Treppe hinunter , keines Wortes mächtig .
" Warum sind Sie doch so betroffen ? " fragte ihn Medon .
" Freuen Sie sich lieber , daß Sie jemand , der Ihnen vermutlich wie ein Ungeheuer beschrieben worden ist , in ganz menschlicher Art und Gestaltung finden .
Und nun entledigen Sie sich vor allen Dingen Ihrer Kommission und vertrauen Sie mir getrost den Brief an meine Frau , welchen ich nicht unterschlagen werde . "
Hermann suchte den Brief aus dem Portefeuille , welches ihm wiedergegeben worden war , hervor , und sagte zu Medon :
" Wie erfuhren Sie das , was meines Wissens niemand außer der Herzogin und mir bekannt war ? "
" Die Herzogin " , versetzte Medon lächelnd , " welche nach Art der Frauen ihrer Natur entweder etwas halb tut , oder zuviel des Guten gibt , hatte den ersten Grundsatz der Diplomatie vergessen , durch Überraschung zu wirken , wenn man nicht mit ganz zureichenden Mitteln versehen ist .
Sie vertraute ihren Plan einer hiesigen Bekannten und ersuchte sie , Johannen auf Ihren Empfang stimmend vorzubereiten .
Die Gute , welche durch diesen Auftrag in einige Verlegenheit geriet , weil wir leider hier in ganz erträglichem Ruf und Ansehen stehen , suchte an dem verschwiegenen Busen einer Freundin Rat , welche ihrerseits , und so weiter ; Sie kennen diesen Hergang der Dinge .
So kam es , daß wir Ihre Ankunft durch ein Stadtgespräch vorauswußten ; etwas verdrießlich für uns ; indessen läßt sich zu dergleichen nichts tun , man muß die abweichenden Ansichten der Menschen , besonders wo sich Stand und Befangenheit mit einmischen , schon in Geduld ertragen . "
Er empfing den Brief der Herzogin , lobte die Handschrift der Adresse , und steckte ihn gleichgültig ein .
" Ich würde Sie bitten , bei uns zu wohnen " , sagte er zu Hermann , " wenn wir nicht so beschränkt uns halten müßten , wie es überhaupt hier Ortssitte ist .
Doch habe ich Ihnen ein Quartier nicht gar zu weit von uns gemietet , wo Sie aus Ihrem Fenster alle die neu aufsteigenden Bauten überschaun . "
Er führte ihn nach einem großen Hause unter der Lindenallee der Stadt , in ein geräumiges heiteres Zimmer .
Wirklich überblickte Hermann von dort die großen , teils fertigen , teils der Vollendung entgegensteigend Architekturmassen , zu welchen der Friede nun wieder die Kräfte und den Mut gegeben hatte .
Medon verließ ihn , nachdem er ihn zu baldigstem Besuche eingeladen hatte .
In ein neues wundersames Verhältnis zu freundlichen Feinden geklemmt , konnte Hermann den Schlummer nicht finden , durch den er sich auf die erzwungenen Nachtfahrten zu erholen gedachte .
Er sprang von seinem Lager auf , und suchte in der Zerstreuung sich zu beschwichtigen .
Er durchstrich die wohlbekannten Straßen und Plätze , erneuerte einige Bekanntschaften , und wünschte , daß der Tag vorbei sein möchte .
An enghäusliche Zustände seit einiger Zeit gewöhnt , fühlte er sich ungeachtet der günstigen Wendung seines Schicksals in der weiten , breiten Stadt , unter den rasch und gleichgültig aneinander vorbeirennenden Menschenhaufen ziemlich unlustig .
Daß er nunmehr am Sitze der Intelligenz sich befinde , wurde ihm bald fühlbar .
Denn er war noch nicht zwei Stunden in der Hauptstadt , als er bereits von mehreren Leuten aus der niedrigsten Volksklasse , mit denen er sich in nachfragende Gespräche eingelassen , ein unzweideutiges Verhöhnen seiner provinziellen Einfalt hatte erfahren müssen .
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Einige Tage vergingen , bevor Hermann sich entschließen konnte , Medons Haus zu besuchen .
Wie peinlich war seine Stellung Johannen gegenüber geworden !
Das Gefühl der Unhöflichkeit , welche in seinem Meiden lag , schien ihm erträglicher als der Gedanke an das Zusammentreffen mit einer Frau , welcher er , er mochte es deuten , wie er wollte , das Verletzendste überbracht hatte .
Medon war einige Male gekommen , ohne ihn zu treffen , nachher hatte er diese Bemühungen eingestellt .
Die alten Bekannten zeigten sich unverändert gegen ihn .
Man wußte schon von seinem Abenteuer , die Männer lachten darüber , die Frauen , welche hier sämtlich sehr loyal waren , staunten seinen Heldenmut an , und beide Geschlechter vereinigten sich in dem Behagen , welches die Gesellschaft immer empfindet , wenn man ihr zu reden gibt .
Er konnte in weniger Zeit einen großen Kreis durchlaufen , weil jedermann äußerst beschäftigt war , seine Stunden genau eingeteilt hatte , und man ihn nach fünf oder zehn Minuten überall gern entließ , um zu einer neuen Tagesobliegenheit übergehen zu dürfen .
Freilich empfand er bald in diesem unruhigen Drängen , Treiben und Quirlen einen moralischen Schwindel .
Um sich einigermaßen zu fassen , forschte er nach einem gemeinsamen Mittelpunkte aller dieser kurzen geistigen Wogenschläge , und fand denselben freilich da , wo er ihn am wenigsten wünschen konnte .
Die Bewohner einer großen Stadt , von den auf sie einstürmenden Lebensreizen überdrängt , sind unfähig , wie die Pfahlbürger kleinerer Orte ihren stillen eigensinnigen Gang zu gehen .
Ein Heerführer tut ihnen Not , um ihr gefährdetes Inneres an ihn zu klammern .
Es wird daher immer von Zeit zu Zeit irgend jemand Mode , welcher nun fast als ein weltlicher Messias dem der Erlösung aus Unsicherheit und Langeweile bedürftigen Geschlecht dasteht .
Nicht selten entscheidet das Verdienst über die Wahl , mitunter freilich auch der Zufall , und im ganzen ist an diesem Vasallendienst auszusetzen , daß die Dauer dem Feuer , womit er begonnen wird , nicht gleichzukommen pflegt .
Eben war Medon Mode geworden .
In seinem Hause versammelten sich die bedeutendsten Gelehrten , Staatsmänner , Künstler und Dichter der Hauptstadt .
Wohin Hermann hörte , überall vernahm er ein fast andächtig zu nennendes Lob .
Die Männer wollten in ihm einen Charakter des Altertums finden .
Es sei schön , sagten mehrere , daß einmal wieder jemand sich zeige , der ohne Gehalt , ohne Dienstpatent und Ordensband an den Geschäften des Staats teilnehme , denn man hielt es für ausgemacht , daß sein Rat bei manchen weitgreifenden Einrichtungen im stillen benutzt werde .
Die Frauen schwärmten dagegen mehr über seine musterhafte Häuslichkeit .
Kurz vor ihm war ein geistreicher Kopf Mode gewesen , welcher sich in witzigen Schlagreden auszeichnete , die seine Anhänger umhertrugen und groß nannten .
An Medon fand man es dagegen groß , daß von ihm kein einziges Bonmot zu berichten sei , vielmehr das Anziehende der Erscheinung in ihrer ruhigen schlichten Kraft bestehe .
Doch muß , um die diplomatische Treue dieser Denkwürdigkeiten nicht zu verletzen , bemerkt werden , daß mehr von Großartigkeit als von Größe die Rede war , denn dieses Zwitterwort besaß damals schon den Ruf , in welchem es sich noch jetzt erhält .
Einem solchen Manne gegenüber , in diesem Ansehn gegründet , sollte also Hermann den Auftrag der Herzogin vollziehen .
Ein tiefes , sonderbares Gefühl sagte ihm , daß sie recht habe , hörte er auf seinen Verstand , traute er so vielen klugen Leuten nur einiges Urteil zu , so mußte er seine Botschaft für unnütz und lächerlich erachten .
Er konnte seinen Besuch nicht länger verschieben , und wählte dazu einen Abend , an welchem , wie er erfahren , bei Medon regelmäßig große Gesellschaft war .
Unter vielen glaubte er am besten über die Verlegenheit der ersten Begegnung hinauszukommen .
Wirklich waren die geräumigen , anständig verzierten Zimmer von den ausgezeichnetsten Personen mehr als gefüllt .
Diplomaten , höhere Offiziere , Geschichtsschreiber , Philologen , Länder- und Völkerkundige , Philosophen , Schriftsteller , Reisende und Maler standen in eifrig redenden Gruppen zusammen .
Hermann wurde am Sofa der Frau vom Hause vorgestellt , trat aber , sobald es schicklich war , von ihr zurück und mischte sich unter die Redenden .
Wie wohl fühlte er sich denn doch nach überwundener Beklemmung in diesem Kreise !
Politik , Geschichte , Sprache , die ganze Breite der Welt ging im Gespräche an ihm vorüber .
Eine Maße von Ideen wurde angeregt , mit Einsicht besprochen und doch nicht erschöpft , sondern unendlicher Betrachtung aufbewahrt .
Ein Strom des geistigen Lebens umwogte ihn , er fühlte sich engen kleinlichen Verhältnissen entrückt und wie nach einem stärkenden Bade auf heiterer Höhe .
Der Philosoph verstand den Empiriker , dieser bekannte der Spekulation gegenüber die Grenzen seiner Kunde , die Praktiker ließen die Gelehrten gelten , und so umschlang ein Band gegenseitiger Achtung diesen Tauschmarkt , zu welchem die köstlichsten Güter : Kenntnisse und Wahrheiten , gebracht wurden .
Eine ganz eigene Stellung nahm Medon zu seinen Freunden ein .
Er enthielt sich des lebhaften Gesprächs und hörte viel zu .
Waren aber die Meinungen zu ihrer letzten Divergenz gediehen , so wußte er auf die glänzendste Weise zu resümieren , wo dann jeder die seinige in so schöner Gestalt wieder erblickte , daß dem eifrigsten Streite ein allgemeines Wohlbehagen folgte , die Sache selbst freilich unerledigt blieb .
Empfand nun Hermann schon am ersten Abende über diesen ihm neu gewordenen Verkehr die größte Freude , so läßt sich wohl denken , daß sein Fuß bald öfter das Haus betrat .
Binnen kurzem genoß er den näheren Umgang der beiden Gatten , und erblickte ein Verhältnis , welches im Gegensatze zu der modernen Barbarei , klassisch genannt werden konnte .
Hier hatte man die Ehe und das Haus nicht zum Polster nachlässiger Sitten gemacht ; die engsten Bande dienten nur dazu , Glanz und Strenge der feinsten Formen als etwas Natürliches herauszustellen .
Selbst ein Anflug schmerzlicher Kälte , der ihm hin und wieder entgegenwehte , erhöhte den Ausdruck der Antike , welcher dieser Gruppe Angehörte .
Johanna trat wenig hervor , aber sie war eine der Frauen , hinter deren gemessenem Wesen man ein unendliches Lieben und Leiden vermutet .
Von dem Briefe der Herzogin war nicht die Rede .
Er schrieb an diese einige gefühlte Zeilen , worin er zwar die Ausrichtung seiner Kommission meldete , jedoch hinzusetzte , daß er die Umstände zu verschieden von seiner Erwartung gefunden habe , um ein ferneres persönliches Einwirken versprechen zu können .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel In Medons Hause hatte er eine Dame kennengelernt , deren lebhafte Gesprächigkeit ihn anzog .
Er folgte einer Einladung und war bald ihrem Kreise als willkommener Besucher einverleibt .
Madame Meyer war eine enthusiastische Verehrerin des Schönen , besonders der bildenden Künste , in deren Wesen ihre Freunde ihr tiefe Einsichten zutrauten .
Es machte auf Hermanns Augen einen sonderbaren Eindruck , als er zum ersten Male bei ihr vorgelassen wurde .
Man führte ihn durch eine Reihe von Zimmern , worin Dämmerung und blendender Lichtglanz abwechselten .
Denn , hatte er eins durchschritten , von welchem gemalte Fensterscheiben den Tag abhielten , so trat er in ein anderes , in welchem goldgrundierte , heftig-bunte Gemälde die Wände bedeckten , und die Sehnerven sich fast verwundet fühlten .
In diesem Hause war der eigentliche Sammelplatz der Künstler und Kunstfreunde , welche bei Medon mehr nur wie Zugvögel einsprachen , weil man ihm anmerken konnte , daß , so gefällig er auch auf artistische Gespräche einzugehn , und so verständig er sie zu führen wußte , sein Sinn und seine Neigung doch mehr anderen Gebieten zugewendet waren .
Zwei Abende in der Woche waren zu regelmäßigen Zusammenkünften bestimmt , in denen man sich über Gegenstände des Fachs unterhielt , Stein- und Handzeichnungen besah .
Blieb nach diesen Beschäftigungen noch Zeit übrig , so pflegte man im Konzertzimmer Musik zu machen , zu welcher meistenteils altkatholische Hymnen auserwählt wurden .
Madame Meyer hatte dieses Gemach wie eine kirchliche Kapelle ausschmücken lassen , und sich eine wohlklingende Haus- und Handorgel zu verschaffen gewußt .
Das Bild der heiligen Cäcilia , augenscheinlich der ältesten Kunstepoche angehörend , wenn hier nicht etwa eine geschickte moderne Nachahmung sich ins Mittel geschlagen hatte , sah von einem Pfeiler hernieder .
Da nun die Besitzerin , um die Illusion auf das Äußerste zu treiben , in diesen künstlichen Raum Altärchen und Meßbüchlein , ja sogar ein ewiges Lämpchen hatte stiften lassen , so befand man sich wirklich in der angenehmsten Täuschung , welche nur dadurch hin und wieder unterbrochen wurde , daß die Bedienten auch dort ohne Scheu mit dem Teebrette umhergingen , und die Gäste die geleerten Tassen nicht selten auf den Sockeln der Pfeiler , ja wohl gar auf dem Altare absetzten .
Ein junger Dichter erhöhte von Zeit zu Zeit die Mannigfaltigkeit dieser Abende .
Er hatte unternommen , das Leben der größten Maler in Terzinen zu beschreiben , war so gefällig , aus diesem Werke , wie es fortrückte , vorzulesen , und so durfte jeder , welcher an den Soireen der Madame Meyer teilnahm , hoffen , nach und nach die Kunstgeschichte in geglätteten Versen kennenzulernen .
Es war um die Zeit , als die " Herzensergießungen des Klosterbruders " das Volk zu entzünden begannen , nachdem sie viele Jahre hindurch nur in einem engen Kreise weniger Geweihter Einfluß bewiesen hatten .
Jetzt ist diese Zeit fast auch schon wieder verschollen .
Wer erinnert sich aber nicht noch jenes Sturms und Dranges nach Kirchenfenstern , Schnitzwerk in Holz und Elfenbein , nach unscheinbaren Tafeln , auf welchen man , wenn Schmutz und Moder weggenommen waren , endlich ein rundes altdeutsches Gesicht erblickte .
Madame Meyer teilte ganz diese Leidenschaft , ihr beträchtliches Vermögen gab ihr die Mittel , ein ansehnliches Besitztum jener Art um sich zu versammeln .
Jedoch hielt sie , besonders was Gemälde anging , streng auf die älteste Periode , welche ihr allein Andacht und Begeisterung widerzustrahlen schien .
Von Raphael hätte sie vielleicht noch etwas an- und aufgenommen ; wer ihr aber mit einem Guido , oder gar mit einem der Caraccis nahegekommen wäre , würde sie gewiß tief verletzt haben .
Ihr Kreis widersprach diesen Meinungen nicht , wiewohl man versucht sein konnte , manche Glieder desselben , namentlich die Bildhauer , anderes Sinnes zu vermuten .
Indessen mochte niemand es gern mit der angenehmen Wirtin verderben , welche die Güte und Gefälligkeit selbst war .
Hermann , der sich überall zu finden wußte , beschloß , diese Gelegenheit , seine Kenntnisse zu erweitern , treulich zu nützen .
Jene älteste Kunstregion war ihm , so gut , als fremd , jetzt suchte er sich nun auf alle Weise an den byzantinischen Tafeln aufzuklären .
Die liebenswürdige Witwe war seine gewissenhafte Führerin durch diese Schätze , und ein steigendes Wohlwollen ließ sich ihrerseits bald nicht mehr verkennen .
Die Gespräche der Künstler waren ihm immer lehrreich , besonders wenn sie die Empirie berührten .
Weniger fand er sich erbaut , sobald die Unterredung zum Allgemeineren emporstieg , oder gar einen philosophischen Charakter annahm .
Es war viel von der Auferweckung eines früheren , verlorengegangnen Stils die Rede , von der Wahl religiöser Momente , von dem Bunde der Kirche mit den Künsten , ohne daß ihm Gelegenheit gegeben wurde , bei diesen Worten etwas Bestimmtes zu denken , oder Hoffnungen auf das Gelingen eines Werks zu schöpfen .
Ja , er nahm sogar bald wahr , daß hier mehr ein berechneter Austausch gewisser übereinkömmlicher Redensarten , als das Bekenntnis eines festen Glaubens und Erwartens zu walten schien .
Wollte ihm jedoch diese Affektation Unbehagen verursachen , so stellte die Freundlichkeit der Wirtin immer bald seine Heiterkeit wieder her .
Sie fühlte sich im Besitze ihrer Altertümer , und in dem Umgange mit den ersten Talenten der Hauptstadt so wohl , daß das Vergnügen , welches sie empfand , zum Teil wenigstens auf jeden übergehen mußte , der sich ihr näherte .
Dabei tat es vielleicht auch etwas , daß die Augen an der noch immer sehr hübschen Frau , welche nur für ihre Fülle etwas zu klein war , ihre Rechnung fanden .
Unerwartet führte ihn diese neue Bekanntschaft Johannen näher .
Madame Meyer verehrte Medon und liebte seine Gattin zärtlich .
Diese schien sich bei der Freundin wohler als im eigenen Hause zu befinden , wo man ihr oft ein seltsam gespanntes Wesen ansah .
Unter den fremden Umgebungen ruhte sie von unbekannten Schmerzen aus .
Dort , in einem artigen , von mattlieblichem Lampenlichte erhellten Seitengemache , in welchem Madame Meyer die freundlichsten Madonnenköpfe versammelt hatte , pflegte sie zu sitzen , die großen , schönen Augen wie in eine weite Ferne richtend .
Ihre Züge , welche sonst etwas Strenges hatten , bekamen in dieser milden Dämmerung einen unendlich sanften Ausdruck , selbst ihre Stimme wurde weicher .
Hier fand sich Hermann , so oft er nur konnte , zu ihr , und manche Stunde verfloß ihnen beiden dort unter traulichen Gesprächen , während die an deren sich in den hellerleuchteten Sälen mit Dürer und Hemling beschäftigten , oder den Chorälen Leos in der Kapelle horchten .
In diesem Lichte , auf diesen Tönen schwebten ihre Worte am liebsten zu frühen Bildern zurück ; in der Nähe dieser Frau trat ihm seine erste Jugend wunderbar nahe , er wurde ganz Erinnerung , während sie die zarten Ranken aufblühender Hoffnungen an seine mutige Kraft zu knüpfen schien .
" Was machen Sie nur mit Johanna ? " fragte ihn Madame Meyer .
" Wir anderen haben gepredigt und gescholten , um sie aus ihrer Resignation , worin sie nur noch mit den abgeschiedenen Geistern der Vergangenheit zu leben schien , emporzurichten , aber alles war vergebens .
Nun kommen Sie , und schon spricht sie von Reisen , Festen , die sie geben will , Bekanntschaften , die sie anzuknüpfen vorhat , kurz von lauter zukünftigen , angenehmen und vergnüglichen Dingen . "
Die Gesellschaft unterhielt sich bereits von dem vertraulichen Verhältnisse beider .
Und doch hatte sie Unrecht .
Hier war keine Spur von Leidenschaftlichkeit , von trübem Verlangen .
Es war ihnen natürlich , zusammen zu sein ; sie folgten dieser Notwendigkeit , ohne selbst davon zu wissen .
Eines Abends sagte Johanna zu ihm :
" Wie preise ich meine Freundin glücklich , daß sie an diesen Zimmern , Gemälden und Putzsachen ihr Vergnügen haben kann !
Ich mag das alles auch , es ergötzt mich sogar , und doch wäre es mir nicht möglich , mich mit diesen oder anderen dergleichen Dingen zu beschäftigen .
Ach , die Natur ist oft recht grausam !
Man spricht von Mannweibern , man spottet ihrer , man glaubt von jeder Frau , welche sich nicht mit Kleidern , Zierat , oder , wie es jetzt Mode wird , mit Kunstsachen zu behaben weiß , oder keine Kinder , als eine andere Art von Spielwerk , um sich herstellen kann , sie gehe aus hochmütigem Gelüste über die Grenzen des Geschlechts hinaus , und doch ist es oft nur unser Eigenstes , des Weibes Kleinod und Perle , die tiefe Sehnsucht , das heiligste und hülfloseste Liebesbedürfnis , welches zu solcher Einsamkeit verdammt ! "
" Sind Sie so unglücklich ? " fragte Hermann , und faßte teilnehmend ihre Hand .
" Sehr ! " versetzte sie . -
Er wagte die schüchterne Bitte um volles Zutraun .
" Auch dazu wird die Stunde kommen " , antwortete sie , indem sie sich erhob .
" Mein Schicksal ist wohl entschieden , aber der Himmel zeigt sich wenigstens darin der Geknickten gnädig , daß er ihr eine Stütze sendet , an welcher sie dem Kloster oder sonst einer verborgenen Freistätte entgegenwanken kann . "
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Die Errichtung und Ausstattung des großen , den Kunstsammlungen des Staats gewidmeten Baues beschäftigte damals in hohem Grade die Gemüter .
Schon überdeckte die Wände das Dach , Maler und Vergolder waren im Inneren tätig , man mußte nun daran denken , wie der aufgespeicherte Vorrat einzuordnen sei .
Von allen Orten und Seiten her hatten diese Schätze sich zusammengefunden ; es war die Absicht der Herrschenden , daß die durch glorreiche Kriegstaten wiedererrungene Macht sich im mannigfaltigsten Besitze abspiegeln sollte .
Nur über das Wie ? herrschte einige Verlegenheit .
Nach der Weise früherer Zeiten auf das Geratewohl die vorhandenen Bilder aufhängen zu lassen , und nur dafür zu sorgen , daß jedes wertvolle Werk ein ziemliches Licht erhalte , war der Klarheit des Bewußtseins , womit in dieser großen Stadt alles betrieben wurde , durchaus zuwider .
Es sollte , wie man sich hier auszudrucken pflegte , eine Idee im neuen Nationalmuseum herrschen , die Geschichte der Kunst sollte aus der Sammlung hervorleuchten , und zwar nicht eine Kunstgeschichte , wie sie herkömmlich falsch bisher überliefert worden , sondern die gereinigte , welche die neusten archäologischen Forschungen geschaffen haben .
Hier zeigte sich nun aber , daß die Bestrebungen scharfsinniger Geister denn doch nur erst bis zum Zweifel geführt hatten .
Die Zeitfolge , das Verhältnis der Schulen war angefochten worden .
Ungewiß erschienen die Zeichen der Meister .
Warnend hatten die Kenner auf die ausgebildete Technik so mancher geschickten Kopisten aufmerksam gemacht .
Kurz diejenigen , welchen die Sorge des Geschäfts anvertraut worden war , trieben in einem Meere von Bedenken und Einwürfen um .
Man wollte sicher zu Werke gehen , und sein Gewissen vor der Schande bewahren , einen Cinquecentisten übersehen oder irrtümlich angenommen zu haben , und über diesem kritischen Bestreben gelangten die Werkleute nicht zum Einschlagen der Nägel .
Das Schlimmste war , daß , da Laien und Frauen eifrig mit einzureden begannen , und eine siegreich durchgeführte Meinung die Aussicht auf eine wohlausgestattete Pfründe bei der neuen Anstalt gab , die Leidenschaften sich mit in das Spiel mischten .
Bald stritten die Kenner persönlich und feindselig gegeneinander , und man beobachtete in dieser Angelegenheit nicht immer die Urbanität , wozu die schönen Künste führen sollen .
Eine andere Schwierigkeit entsprang aus der Beschaffenheit der vorhandenen Sachen .
Man hatte vieles , aber unter diesem Vielen , was zum größeren Teile ganz gut war , gab es keine eigentlichen Haupt- und Glanzbilder ; es fehlten die Fürsten der Säle , um welche sich das übrige gruppieren ließ , solche Werke , welche einer Sammlung erst die rechte Haltung geben .
Nimmt man nun dazu , daß eine bedeutende Partei , welche die Kunst vom ideellen Gesichtspunkte betrachtete , gegen die Aufnahme des Genres und der Landschaft sich erklärte , während andere , realistisch gesinnt , sich ebenso entschieden dafür aussprachen , so wird man einen Begriff von dem Chaos haben , in welches die beste und hochherzigste Gesinnung der Waltenden eine Menge verständiger Männer und Frauen gestürzt hatte .
Was Madame Meyer betraf , so versetzte sie dieser Streit , so oft er bei ihr anzuklingen begann , in die übelste Lage .
Sie hatte sich über die früheste Periode der Kunst so ziemlich unterrichtet , und da ihr hier und in Beziehung auf ihre Sammlungen keine unhöfliche Gegenrede der künstlerischen Freunde beschwerlich fiel , so wußte sie , wenn die Betrachtung sich in jenen Regionen verhielt , ein auslangendes Gespräch zu führen .
Aber sobald man die erwähnten Streitpunkte aufregte , fühlte sie sich ganz verlassen , und indem sie als Sachverständige doch mitzureden die Pflicht empfand , gleichwohl eigentlich nichts beizubringen imstande war , kam nichts ihrer Verlegenheit gleich .
Diese wurde ihr um so häufiger bereitet , als gerade die gelehrtesten und hartnäckigsten Kämpfe sich nicht selten auf den Teppichen ihrer Zimmer entspannen .
Welchen Stoff dieser Bilderstreit den lustigen Köpfen der Stadt , die allem ihre Einfälle anzuheften pflegen , gegeben , läßt sich denken .
Ein Spottvogel äußerte , die Gemälde würden nicht eher hängen , als bis die Gelehrten hingen ; und ein anderer versetzte auf die Frage , wann die große Galerie zustande kommen werde :
" Nach dem Dreißigjährigen Kriege . "
Plötzlich erschien inmitten dieser Bewegungen ein fremder Handelsmann , welcher durch Gunst des Geschicks in Italien , Flandern und Deutschland die seltensten Stücke zusammengebracht hatte .
Er kramte seine Sachen aus , und stellte sie in dem hellen Saale eines großen Gasthofs den Schaulustigen zur Betrachtung auf .
Nicht leicht hatte man einen bestimmten Abschnitt der Kunstgeschichte in so stetiger Folge überschaut , als hier .
Die Sammlung umfaßte den Zeitraum vom dunkelsten Altertume vor Cimabue bis auf Raffaels Jugend ; allem Späteren hatte der Besitzer Neigung und Geldbeutel versagt .
Hier taten einem unter allem dem Gold , Lack , und bunten Farbengetümmel im eigentlichen Sinne des Worts die Augen weh .
Niemand konnte einem so zusammenstimmenden Ganzen seine Achtung versagen , ohne daß gleichwohl der Gedanke entstand , diese Anhäufung von Inkunabeln werde einer in umfassenderem Sinne zu behandelnden Sammlung von erheblichem Nutzen sein .
Madame Meyer geriet bei dem Anblicke der glänzenden Tafeln fast außer sich und der junge Dichter teilte ihr Entzücken .
In seinen Produkten erschienen seitdem noch mehr Brunnen und Wonnen , Lichtstrahlen und Waldesnächte , Engelsköpfe und Tauben des Heiligen Geistes .
Sie aber vernachlässigte über diesen Genuß fast eine Zeitlang ihre Freunde und den musikalischen Gottesdienst in der künstlichen Kapelle .
Es war wunderbar anzuhören , auf welche Weise der Handelsmann in die enthusiastischen Reden dieser beiden Begeisterten einstimmte .
Er hatte , von klugen , mit dem Geiste der Zeit vertrauten Männern unterstützt , das ganze Sammelgeschäft aus Spekulation getrieben , und wußte , bei seinen Sachen stehend , anfangs durchaus nicht , wie er sich bei jenen Hymnen zu verhalten habe .
Endlich merkte er deren äußeren Schall sich zu eigenem Gebrauche ab , und gab , wenn darin eine Pause entstand , den hohen Ankaufspreis der Bilder , in dem nämlichen schwärmerisch-verzückten Tone fortfahrend , an .
Auf einmal , ohne daß man sich dessen versehen , wurde bekannt , daß die Sammlung für die Nationalgalerie angekauft sei .
Das Erstaunen über diesen Entschluß war sehr groß .
Die unterrichtendsten Prachtstücke jenes Besitztums hätte jeder gern in den neuen Hallen gesehen , das Ganze aber schien außer allem Verhältnisse zu dem Zwecke der Anstalt zu sein .
Die Köpfe mühten sich ab , den Grund jener befremdenden Entscheidung aufzufinden , und in Ermangelung der Wahrheit behalf man sich mit ziemlich unglaublich klingenden Gerüchten .
So hörte Hermann erzählen , Medon habe einen starken Einfluß auf die Sache ausgeübt .
Auf geschickte Weise sei von ihm Madame Meyers Enthusiasmus in das Spiel gezogen , und sie selbst bestimmt worden , einem angesehenen , ihr leidenschaftlich zugetanen Manne , der in dieser Angelegenheit das Votum besaß , sich gefälliger und geneigter zu erweisen , als früherhin .
Der Staatsmann , ganz beglückt über die ihm aufgehende Liebessonne , habe in einer schwachen zärtlichen Stunde dem Andringen seiner Freundin auf Erwerbung der alten Kunstschätze nicht widerstehen können , und so sei durch das Herz hier ein Ankauf vermittelt worden , gegen welchen der Verstand des Staatsmanns sich eigentlich gesträubt habe .
Hermann Maß diesen und ähnlichen Einflüsterungen keinen Glauben bei .
Zwar hatte er wirklich in der letzten Zeit lange vertrauliche Gespräche zwischen Medon und Madame Meyer bemerkt , und eine Annäherung ihrerseits an den sonst ziemlich kühl von ihr behandelten Staatsmann wahrgenommen , aber jenes intrigierende Benehmen widerstritt zu grell seiner Meinung von Medon , welche von Tage zu Tage günstiger wurde .
Auch hatte sich Medon einmal sehr kräftig gegen die Spielerei mit längst verschollenen Empfindungs- und Auffassungsweisen ausgesprochen , und die Liebhaberei der Madame Meyer geradezu eine Buhlschaft mit geputzten Leichen genannt .
Wie sollte er also darauf gekommen sein , jetzt wider seine eigene Überzeugung zu wirken ?
Etwas Gutes hatte der Ankauf der alten Bilder ; der Zank der Gelehrten war sofort geschlichtet .
Die Sammlung , als Ganzes erworben , sollte als ein solches zusammenbleiben .
Verfuhr man nun aber , wie man mußte , nach dieser Bestimmung , so nahm sie den bedeutendsten Teil des zugemeßenen Raumes hinweg , und das andere war , ohne daß mehr sonderlich auf die kritisch-archäologischen Streitigkeiten Rücksicht genommen werden konnte , unterzubringen , wie es sich eben schicken und fügen wollte .
Hermann , der von allem dem , was sich um ihn , und in ihm bewegte , schon nichts mehr gern unbesprochen mit Johannen ließ , hatte auch sie einstmals um ihre Meinung von diesen Dingen befragt .
Sie versetzte : " Wenn ich das Museum zu ordnen hätte , würde ich bald fertig werden .
Ich hinge die liebsten Bilder , die mir Tränen der Rührung oder des Lachens in die Augen treiben , in das hellste Licht , und es würde mir nicht darauf ankommen , ob eine Himmelskönigin sich neben einer Schenke voll Bauern befände . "
" Aber die Geschichte ! die Kunstgeschichte ! " rief Hermann .
Johanna lächelte und sagte : " Es muß wohl etwas daran sein , weil ich so viele kluge Männer davon reden höre .
Nur sehe ich sie auf ihrem Wege mitunter dahin geraten , daß sie über die Wiege und den Taufschein das Kind vergessen .
Wenn ich meine gute Meyer betrachte , und wahrnehme , wie sie ihr schönes Vermögen in lauter Dingen vergeudet , von denen das wenigste einem gesunden Sinne eigentlich Vergnügen machen kann , so möchte ich glauben , daß mindestens für uns Frauen die Kunst nur die Geschichte hat , welche sie in der Gegenwart erlebt , wenn auf ihre Wunder der Blick einer reinen Seele fällt .
Indessen lassen Sie uns von diesem Gegenstande abbrechen .
Das Schöne will nicht beredet , es soll gefühlt werden .
Ich kenne nur ein Gespräch , welches noch unnützer ist , als das über Bilder , und das ist das über Musik . "
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Medons Kreis verarbeitete währenddessen ein Thema von großer politischer Wichtigkeit ; das Verhältnis der neu erworbenen Provinzen zu dem Haupt- und Stammlande .
Man hatte nicht ungeschickt den Staat mit zwei auf dem festen Lande ausgesäten Inseln verglichen , und dieses Gleichnis war insofern von moralischer Bedeutung , als dessen beide durch weite Strecken auseinandergehaltene Teile nach ersiegter Ruhe sich gegenseitig schroff insularisch abzuschließen drohten .
Diesen Krieg im Frieden zu schlichten , und eine Verschmelzung des Gemeinwesens herbeizuführen , war nicht bloß das Geschäft der mit Lösung der Aufgabe unmittelbar beauftragten Staatsmänner , sondern die Sorge jedes einsichtigen Patrioten , und Medon schien sich hier in seinem eigentlichen Felde zu bewegen , während er anderen Gegenständen der menschlichen Betrachtung oft mehr nachgiebig und geschickt , als wahrhaft und aufmerksam folgte .
Die Meinungen , wie das Neue zum Alten zu stellen sei , waren sehr mannigfaltig , doch konnte man drei Hauptrichtungen unterscheiden .
" Wir haben erobert " , so ließ sich ein Mann von entschloßener Gesinnung zu öfterem vernehmen , " warum zögern wir also , nach dem unter allen Völkern und zu allen Zeiten üblich gewesenen Eroberungsrechte zu verfahren ?
Der Sieger gibt seine Einrichtungen , seine Gesetze , ja , wo Verschiedenheit der Sprache obwaltet , nicht selten auch diese dem Besiegten .
Der Sinn aller Kriege und Umwälzungen ist nur der , daß die den Völkern zugeteilten Fähigkeiten und Eigenschaften nach der Reihe im weiteren Kreise herrschend werden , und den Gang der Ereignisse bestimmen sollen .
Auf solche Weise wird die in der einen Richtung müde gewordene Welt durch eine andere erfrischt , und das ist der Grund , warum das Reich von den Römern zu den Germanen kam , darauf die spanische Herrschaft folgte , und den Franzosen demnächst auch ihre Rolle gegeben wurde .
Der Sieg soll den Zwang in seinem Gefolge haben , nur dadurch kann er sich als gerecht betätigen .
Wieviel mehr als andere sind wir aber in diesem Falle , da es hier nur gilt , den nunmehrigen westlichen Brüdern ein ihnen von fremder Hand vor kurzem aufgedrücktes Gepräge wieder abzunehmen , und ihnen dagegen eine stammverwandte Gestalt zu geben ?
Jetzt erst sind sie in die rechte Stellung zu Deutschland gekommen , sie sind Deutsche geworden , und es wäre wahrlich eine verdammende , ihnen selbst den größten Schaden bringende Schwäche , wenn man ihnen aus Furcht vor den Regungen einiger Egoisten die Segnungen der Nationalisierung vorenthielte . "
Indem er diese Ansichten weiter ausführte , vertrat er die Notwendigkeit einer schnellen und kräftigen Organisation .
Gesetze , Finanzen , Verwaltungs- und Kulturanstalten des alten Landes sollten so rasch als möglich jenen neu herantretenden Staatsgenossen nutgeteilt werden .
Ganz im entgegengesetzten Sinne sprach sich ein anderer Staatsmann aus .
" Diese Umbildung oder Organisation , wie man dergleichen Gewaltsamkeiten nennt , als wenn man in einer neuen Provinz nur eine tote Maße empfinge , welcher durch den Erwerber erst die Lebensorgane gegeben werden müßten , scheint mir gänzlich außer der Zeit zu sein .
Im Grunde rührt jenes System von den Römern her , welche freilich alle überwundene Völker mit der Geißel ihres Rechts und ihrer Verwaltung zu züchtigen pflegten .
Jeder spätere Versuch der Art ist nur eine Nachahmung der Maxime des einst weltbeherrschenden Staats gewesen .
Am reinsten wurde derselbe von den Spaniern in den Eroberungen der Neuen Welt durchgeführt , wie denn überhaupt die spanische Herrschaft die meiste Ähnlichkeit mit der römischen Tyrannie hatte .
Aber um sich zu einer so harten Zwangslehrmeisterstelle berufen zu fühlen , muß man sich für das erste Volk der Erde halten können .
Römer und Spanier taten dieses , erstere vom politischen , letztere vom religiösen Stolze getragen .
Ohne solchen Wahn , ohne diesen festen und unerschrockenen Fanatismus wird man in jener Bahn immer nur die Rolle des an sich selber zweifelnden Despoten spielen , die schlechteste , welche es gibt .
Nun wird doch wohl niemand im Ernste sagen , daß unser achtbarer , aber etwas schmächtiger Mittelstaat jene unermeßliche Befangenheit Teile .
Wir freuen uns des eingetretenen Umschwungs der Dinge , wir wissen , daß wir redlich und nach Kräften an dem Rade der Zeit haben schieben helfen , aber alle Vernünftigen sind von dem Rausche jener begeisterten Jahre ernüchtert , in denen wir freilich glaubten , daß Körners Lieder und die Freiwilligen den Usurpator verjagt hätten .
Eine kühlere , aber richtigere Betrachtungsweise ist an die Stelle jener Überspannung getreten .
Friedrichs Ehre glänzt bei den Sternen , dort leuchte sie uns fort und fort als heiliges Erinnerungszeichen , aber gefährlich wäre es , sie etwa als Kokarde an unseren Hüten zu tragen ; wir sind bescheidener geworden .
Noch weniger glauben wir im Ernste , daß unsere Einrichtungen wirklich die besten seien , im stillen weiß ja jeder Kundige , daß wir so manches nur noch des Herkommens und der Gewohnheit halber mitmachen .
Wie sollte es uns also einfallen dürfen , anderen mit Gewalt aufzudringen , was uns selbst zum Teil überlästig geworden ist ? "
Der erste Redner stellte hierauf mit Lebendigkeit alle die Nachteile dar , welche aus einer so verschiedenartigen Gestalt der öffentlichen Lebensform entspringen müßten .
" Wahrlich ! " rief er aus , " wie Öl und Wasser sich nicht mischen , so werden wir , wenn man jenen gelinden und zaudernden Weg verfolgt , das entfernte Besitztum mit uns niemals verbunden sehen , es wird nur unser Scheineigentum sein , welches der erste beste Sturm uns wieder zu entführen droht .
Und warum die großen Besorgnisse ? möchte ich doch fragen .
Sind wir nicht eines Stammes , muß daher nicht bei ihnen selbst eine Art von Verlangen nach unseren germanischen Einrichtungen bestehen ? "
" Das möchte ich doch leugnen " , nahm ein Dritter das Wort .
" Wie man über Westdeutschland denken möge , so viel ist gewiß , daß man einen merklichen Unterschied wahrnimmt , sobald man sich dem Stromgebiete der Weser nähert .
Bei uns ist alles häuslich , bürgerlich , familienhaft .
Arbeit und Erwerbe um der Frau und Kinder Willen zu unternehmen , nach des Tages Last und Hitze im Kreise der Seinigen auszuruhn , dem Sohne zu einer Stelle , der Tochter zu einer Heirat zu verhelfen , darauf bezieht sich alles Streben der Stände , welche hier , wie überall vorzugsweise das Volk ausmachen .
Blickt der Bürger aus seinen vier Pfählen in das Gemeinwesen , so sieht er dasselbe eigentlich nur in der aufsteigenden Beamtenhierarchie , die jedes selbsttätige Eingreifen seinerseits verbietet , und in dem Herrscher , der ihm fast nur wie der oberste Familienvater vorkommt .
Kein Adel , oder ein solcher , welcher verschuldet und machtlos , nur zu dienen weiß .
Über ein weites plattes Land derselbe Zustand , dieselbe Stimmung verbreitet , höchst achtbar , aber sehr einförmig und ein wenig tonlos .
Wie anders wird es , wenn wir durch die Westfälische Pforte gegangen sind !
Erinnerungen der verschiedensten Art beherrschen die Geister der Menschen .
Hier lag eine freie Reichsstadt , dicht daneben waltete der Krummstab des Bischofs , unfern gebot ein kleiner Dynast .
Nun dauert aber das Gedächtnis einer politischen Vergangenheit länger , als unsere Staatskünstler sich träumen lassen .
Weiterhin , in den rheinischen Kreisen , war bekanntlich die Landkarte noch bunter zu den Zeiten des Reichs , welches doch noch kein Menschenalter tot ist .
Betrachte man denn eine eigentümliche Folge , welche die Verhältnisse kleiner Staaten in den Menschen erzeugen !
Wenn in einem großen Reiche etwa ein Dutzend Personen zu dem Bewußtsein politischer Würde und Wichtigkeit gelangen , so entsteht auf einem viermal geringeren Raume , welcher von kleinen Staaten besetzt ist , wenigstens das Vierfache jenes Bewußtseins und des daraus entspringenden Sinns für das Öffentliche .
Auf Flächeninhalt und Einwohnerzahl kommt es hierbei nicht an .
Der Geheime Kammerrat des Beherrschers von wenigen Dörfern und Weilern trägt ein Selbstgefühl mit sich umher , welches dem des Ministers in dem Staate von dreizehn Millionen Einwohnern nichts nachgibt , vielleicht dasselbe noch übertrifft , weil jenen die großen Welthindernisse nicht so bedrängen , wie diesen .
Die kleinen Staaten sind untergegangen , aber die Menschen sind geblieben .
Die Söhne oder Enkel jener Geheimen Kammerräte , Bürgermeister , Schöffen und Patrizier leben , und wollen an ihrem Teile die Stelle der Väter und Ahnen einnehmen .
Im Dienste des großen Reichs , welcher ihnen nun offensteht , gelangen aber nur sehr wenige , ich wiederhole es , zu dem Gefühle eigener Wichtigkeit im ganzen Staatsbetriebe , der unendlich größeren Mehrheit bleibt die Last des passiven Gehorsams ohne Ruhm und Auszeichnung .
Was folgt also hieraus ?
In einer großen Zahl von Menschen entspringt dort die Neigung , sich neben dem Staate , allenfalls auch wider denselben stehend , geltend zu machen .
Nimmt man nun noch dazu einen hohen und reichen Adel , der jene Gegenden mit bevölkern hilft , und der keineswegs Willens ist , sich so ganz leidend in die uniforme Staatseinheit verschlingen zu lassen , vielmehr eher den Wunsch hegen möchte , sich zu einer neuen Art feudalistischer Zwischenmacht zu erheben , bedenkt man , daß bis zu den jüngsten Zeiten in den dortigen Gegenden auch unter Bauern und Kleinbürgern so manche Reste unabhängiger Selbstregierung fortdauerten , und bringt man schließlich in Anschlag , daß wir zum Teil von Slawen , Sarmaten , Wenden und Langobarden , jene aber von Sachsen und Franken abstammen , so wird man wohl fühlen , daß so bedeutende Gegensätze nicht wohl mit einem Federzuge ausgestrichen werden können . "
Mehrere , welche jene Gegenden kannten , stimmten dem Redner bei , und sagten , daß auch ihnen dort ein größerer Sinn für das Öffentliche , dagegen ein völliger Mangel eigentlichen Familienlebens bemerkbar gewesen sei .
" Gewiß " , versetzte jener , " und wenn uns dieser Mangel namentlich am Rheine , unangenehm berührt , so können wir dagegen dem höheren Gemeingefühle der dortigen Menschen Achtung nicht versagen .
Die Angelegenheiten der Stadt , des Kreises , der Provinz sind dort wirklich mehr zugleich auch Sache der Einzelnen , als bei uns .
Man kollektiert , petitioniert , stiftet Vereine aller Art , ein jeder sucht , wo irgend möglich , in das Ganze mit einzugreifen .
Darum hat auch das französische Wesen , wo es dort noch besteht , tiefere Wurzeln geschlagen , als mancher hier sich denkt .
Denn , man sage über dasselbe , was man will , es schmeichelt der Eitelkeit , der persönlichen Selbstschätzung , kurz jenen Eigenschaften , welche so nahe mit dem politischen Streben verwandt sind .
Unsere Einrichtungen sind dagegen alle auf eine gewisse Selbstentäußerung berechnet , sie sind patriarchalischer Natur und müssen uns ehrwürdig sein .
Für die Anwohner des großen Stroms sind sie aber keineswegs gemacht , sie würden ihnen schwach und lax , und dann doch auch wieder hart und quälend erscheinen .
Daß ich übrigens keineswegs jene Landgebiete auf Kosten unserer Provinzen loben will , muß ich ausdrücklich hinzufügen .
Mich verblendet kein Advokaten-und Rednergeschwätz , und mir ist , während ich mich dort aufhielt , das seichte , oberflächliche , unruhige Wesen , der Hang zum Verleumden und Verkleinern , die Geistesdürre und die Gemütskälte nicht entgangen , wodurch man sich dort , wie überall , wo eine politische Regung herrscht , angewidert fühlt .
Nur sage ich nochmals : Sie sind nicht , wie wir , warum sollen sie so scheinen ?
Saladins Wort , es sei nicht nötig :
Daß allen Bäumen eine Rinde wachse ! paßt auf die Völker noch in einem weit höheren Grade , als auf die einzelnen Menschen . "
Man versagte dieser ganzen Auseinandersetzung den Beifall nicht , doch vereinigten sich auch die bedeutendsten Stimmen in der Überzeugung , daß , wenn dem auch so sei , die Dinge nicht so bleiben könnten , da die neueren Regierungsgrundsätze durchaus eine gewisse innere Einheit der verschiedenen Bestandteile des Staats verlangten .
Ein Mann von gemäßigter Denkungsart schlug einen Mittelweg vor .
" Die Revolution " , sagte er , " hat eigentlich die jetzige Gestalt der dortigen Distrikte bestimmt , was uns entgegenzustehn scheint , sind doch nur ihre Erzeugnisse .
Ich sage scheint , denn in der Wirklichkeit möchten die Kontraste nicht so unvereinbar sein .
Wir haben während der schlimmen Jahre , wo es galt , jedermann auf seine Füße zu stellen , damit er , wenn der Tag der Entscheidung käme , Lust hätte , sich totschießen zu lassen , auch unsererseits revolutioniert , wenngleich auf eine stille gesetzliche Weise .
Wie nun bei jenen vielleicht ein Schritt zu weit getan ist , so könnten wir noch einige vorwärts tun .
Wir könnten den Besitz der neuen Provinzen zu einer Art von Tauschhandel benutzen , ihnen von uns , und uns von ihnen anzueignen , was jeder des Guten hat , auf diese Weise aber eine fortschreitende Reform des ganzen Reichs bewirken . "
Der Vorschlag hatte eine gefällige Außenseite , als man aber zu der Anwendbarkeit desselben im einzelnen überging , zeigten sich gerade die meisten Schwierigkeiten , wie dies bei allen Mittelwegen einzutreffen pflegt .
Diese und ähnliche Gespräche wurden an vielen Abenden im Hause Medons geführt .
Er selbst verhielt sich dabei kritisch oder referierend , vermehrte durch geschickte Einwürfe die Menge der Streitpunkte , oder faßte die Darstellungen der Redenden in lichtvollen , oft glänzenden Übersichten zusammen , wodurch denn freilich die Untersuchung nicht weiter gedieh .
Seine eigene Meinung , was zu tun sei ? verbarg er , denn er hatte eine solche , und eine sehr bestimmte , wie er nicht selten merken ließ .
Da man nun von seiner Einsicht groß dachte , und deshalb oft eifrig in ihn drang , sich auszusprechen , er aber immer den Fragenden gewandt zu entweichen wußte , so hatte ihm der heimliche Spott , der als Landesfrucht auch an dieser Tafel nicht fehlen durfte , den Spitznamen des Abbe Sieyes beigelegt .
Johanna nahm in der Regel ein Buch zur Hand , wenn die Herrn sich in ihre administrativ-politischen Gespräche vertieften .
Nur wenn Medon zu reden begann , schien sie ein Zwang zu ergreifen , welcher sie nach fruchtlosen Versuchen , fortzulassen , trieb , ihm zuzuhören .
Mit einer Mischung von Wohlgefallen und Schmerz tat sie dies , sie konnte lächeln , während ihr Mund vor Pein zuckte .
Hermann betrachtete sie mit inniger Teilnahme , obgleich er durchaus nicht wußte , wo er ihr Unglück finden solle .
Denn die Verhältnisse des Hauses waren glänzend , die angesehensten Personen suchten die schöne , merkwürdige Frau eifrigst auf , der Gatte behandelte sie mit einer Achtung , die an Ehrfurcht grenzte .
Daß sie gewissermaßen dem herzoglichen Hause entführt worden war , schadete ihrem Rufe in einer Welt nicht , welcher alles Gewürz zu den Lebensumständen lieb und angenehm war .
Der Verdacht der Herzogin endlich hatte keinen Grund ; Hermann überzeugte sich aus dem Kirchenbuche , daß beide wirklich ehelich verbunden und vom Priester eingesegnet worden waren .
Die Staats- und Regierungsfragen , welche er hier aufwerfen , wenn auch nicht beantworten hörte , beschäftigten ihn selbst angelegentlich .
Wurden auch keine Resultate erzielt , die Tatsache drängte sich ihm unwiderstehlich auf , daß er inmitten eines großen Verbandes sei , welcher sich von Rußland nach Frankreich erstreckte .
Es konnte nicht fehlen , daß das Gefühl solcher Umgebung auch in ihm lebendige Wirkungen hervorbringen und den Tätigkeitstrieb anfachen mußte , welcher allen jungen Männern eingeboren ist .
Eines Abends , als die Gesellschaft das Zimmer verlassen hatte , war er mit Medon und Johanna allein zurückgeblieben .
" Sie haben " , sagte er zu Medon , " auch heute uns Ihres Zutrauens in Betreff jener allgemeinen Angelegenheit nicht gewürdigt .
Sein Sie wenigstens offener , wenn ich für meine Person von Ihnen einen Rat begehre .
Ich sehe um mich her alles betriebsam , wirkend ; ich selbst aber verzehre mein Geld , verzettle doch im Grunde nur meine Tage und kann nicht leugnen , daß ich mich unbehaglich zu fühlen beginne .
Ich habe schon wieder an den von mir so rasch verlaßenen Staatsdienst gedacht . "
Medon schwieg einige Zeit , dann hob er an :
" Und doch würden Sie in einen zweiten , härteren Irrtum verfallen , wenn Sie diesem Gedanken die Ausführung gäben .
Wie ich Sie kenne , sind Sie nicht geschaffen , zu dienen , am wenigsten hier , wo , man mag sagen , was man will , doch meistens nur der Zufall , der Schlendrian , und die geschmeidige Charakterlosigkeit zu den Stellen emporführen , in welchen ein Mann von Geist und Talent ausdauern kann .
Indessen wüßte ich einen anderen Weg , Ihr Feuer , Ihre Kenntnisse und Rednergaben der Welt nützlich zu machen , Sie mit der Welt in eine werktätige Verbindung zu setzen . "
" Und der wäre ? " fragte Hermann gespannt .
Johanna rückte unruhig näher .
" Es ist mir ein schönes Gut im Badenschen zum Kauf angeboten , dessen Besitz die Landtagsfähigkeit gibt .
Ich kann von diesem Eigentume obgleich die Bedingungen äußerst billig sind , keinen Gebrauch machen .
Wollen Sie es erwerben ?
Ein Teil des Preises darf stehenbleiben .
Meine Verbindungen in dortiger Gegend sind ziemlich ausgebreitet .
Ich will Ihnen allenfalls dafür haften , daß Sie in die Kammer gewählt werden sollen .
Die nächsten Sitzungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach wichtig und erfolgreich sein , kurz die glänzendste Bahn liegt , wenn Sie auf diesen Vorschlag eingehen , Ihren Fähigkeiten offen . "
Johanna erhob sich .
" Laß das ! " rief sie Medon mit einem Tone zu , welchen Hermann noch nicht von ihr vernommen hatte .
" Er gehört hierher und in einen ordentlichen ehrlichen Beruf " , fuhr sie ruhiger fort .
Medon schien anfangs etwas bestürzt zu sein .
Bald aber faßte er sich , und sagte , als Johanna das Zimmer verlassen hatte :
" Meine Frau hat oft die seltsamsten Launen , und ist dann nicht imstande , sich zu gebieten .
Gleichwohl würde sie ohne dieselben nicht die schöne Empfindungsfähigkeit haben , um welche ich sie so unaussprechlich liebe und verehre . "
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Der Gedanke , Badensger Volksdeputierter zu werden , hatte , so unerwartet und seltsam er Hermann anfangs vorgekommen war , dennoch bald für ihn etwas Reizendes .
Er las die Papiere , welche ihm Medon mitgeteilt , achtsam durch , und konnte an manchen darin enthaltenen Winken abnehmen , daß eine rührige Partei ein geschicktes Werkzeug suche , welches man aus unbekannten Gründen am liebsten im Auslande finden zu wollen schien .
Dies machte ihm die Sache noch anziehender .
Man will behaupten , daß er aus der großen Bibliothek damals mehrere Bände englischer Parlamentsverhandlungen und französischer Journale erborgt , und wenigstens angefangen habe , in diesen Musterurkunden zu studieren .
Ein Blick auf die nächsten Verhältnisse überzeugte ihn wirklich , daß Medon wenigstens darin recht gehabt habe , ihm den Eintritt in diese zu widerraten .
So sehr man Persönlichkeit , Geist , Talent als gesellige Tugenden achtete , eine so verschiedene Gestalt nahmen die Dinge an , wenn die Rede vom Dienste des Landes war .
Dann trat behutsam und indirekt , aber ganz unzweideutig die alte Furcht vor dem Genie auf , mit welchem man in Amt und Stelle nichts zu schaffen haben mochte .
Auch nahm er binnen kurzem wahr , daß , wenn man nicht das Glück hatte , einer der Familien anzugehören , in welchen sich die Beförderung sozusagen erblehenartig machte , ein rasches Fortkommen zu den seltensten Zufälligkeiten gerechnet werden mußte .
Gern hätte er sich mit Johanna , die ihn seit jenem Auftritte mit zweifelnder Miene betrachtete , verständigt , sie wich aber allen Erklärungen aus , und sagte nur einmal in Selbstvergessenheit zu ihm :
" Wer sich das Netz über den Kopf werfen läßt und merkt es nicht , verdient kein Mitleid ! "
Es war noch so manches , was ihn jetzt in diesem Kreise befremdlich anstieß .
Zuerst , daß er sah , wie es Mode geworden war , auf eine jüngstvergangene Zeit voll Glut und Erhebung vornehm hinunterzublicken .
Man schämte sich fast der verübten Großtaten , wie wilder Studentenstreiche ; die Helden jener Epoche wurden von allen Seiten kritisch beleuchtet , sie waren unbequem geworden , und das berüchtigte Gleichnis , daß in dem denkwürdigen Jahre jeder zum Kampf geeilt sei , pflichtmäßig , wie der Bürger bei entstandenem Feuerlärmen zur Spritze , erfreute sich vieler eifriger Verehrer .
Einstmals traf er mit einem Bewohner der westlichen Gegenden zusammen , welcher gekommen war , ein persönliches Anliegen durchzusetzen .
Er merkte ihm bald ab , daß der Mann zu den Unzufriedenen gehörte .
Auf seine Fragen , worüber man sich denn dort zu beschweren habe ? versetzte der andere derb : " Zum Henker , über die Unredlichkeit !
Wir sind so oft umgemodelt worden , daß wir uns auch jetzt wieder eine Veränderung gefallen lassen würden .
Aber was macht man ?
Die Formen läßt man bestehen , und in der Sache tun sie hier denn doch , was den hiesigen Grundsätzen gemäß ist .
Dadurch sinkt die Achtung vor den Gesetzen und vor der Verfassung , denn man sieht , daß diese nur ein Spielzeug sein soll , welches man dummen und blöden Kindern in Händen läßt , damit sie nicht schrein .
Viele sind darüber verdrießlich und in manchem ist eine noch üblere Stimmung erzeugt worden . "
Als er sich nach dem Näheren erkundigte , hörte er von mehreren Fällen , welche die Klage des Unzufriedenen zu bestätigen schienen .
Besonders sollte dieses zweideutige System in einer Sphäre befolgt worden sein , mit deren Vorstande er zufällig näher bekannt geworden war , weil er zu den fleißigsten Besuchern des Medonschen Hauses gehörte .
Er nahm sich vor , von Medon , den er oft in tiefen vertraulichen Gesprächen mit jenem Staatsmanne bemerkt hatte , über die Angelegenheit Erkundigung einzuziehn .
Als er dies tat , Maß ihn Medon mit den Augen , und gab keine bestimmte Antwort , welche er überhaupt im Augenblicke irgendeiner bedeutenderen Frage immer zu vermeiden pflegte .
Allein nach einigen Tagen ließ er sich auf einem Spaziergange so gegen Hermann aus :
" Wir leben in der unumschränktesten Monarchie , welche vielleicht jetzt auf der Erde besteht , und selbst unsere östlichen Nachbarn können in dieser Hinsicht neben uns nicht genannt werden .
Ich heiße unseren Staat so , weil das Volk in ihm von jeher nicht viel bedeutet hat , wir vielmehr von den Erinnerungen an einige große Regenten zehren , die das wundersame Geschick gerade auf dieser dürftigen Erdscholle geboren wissen wollte .
An diesen Erinnerungen hängt unser Dasein , aus ihnen ist Sturz und Wiederherstellung des Reichs hervorgegangen .
Der Träger der obersten Macht ist alles bei uns , seiner Entscheidung und Beschlußnahme würde mit Erfolg weder ein Gemeingefühl der Beherrschten , noch die hemmende Kraft selbständiger Institutionen , auch wenn man die Absicht hätte , sie zu schaffen , entgegentreten können .
So ist es , und so muß es sein , wenn wir uns erhalten wollen .
Da wir nun aber gegenwärtig den sogenannten Geist der Zeit zu schonen haben , so scheint mir eine Verfahrungsweise , wie Sie mir sie schildern , nicht so übel zu sein ; daß man nämlich den jüngsten Kindern des Hauses die Formen läßt , welche sie liebgewonnen haben , in den Sachen aber autokratisch nach alten Prinzipien beschließt . "
Hermann widersprach diesen Ansichten lebhaft , welche er im Fortgange eines ziemlich eifrig werden den Gesprächs Machiavellismus nannte .
Worauf Medon versetzte , daß er den Machiavelli für einen der größten Staatsweisen halte , welche es je gegeben , und daß er der Zeit Glück wünschen wolle , wenn ihr wieder so ein Kopf beschert würde , welcher das eigentliche unter den politischen und administrativen Phraseologie versteckte Gewebe des jetzigen öffentlichen Seins aufzudecken tüchtig genug wäre .
" Übrigens weiß ich nicht " , fuhr er mit einer abbrechenden Wendung fort , " ob man so verfährt , wie Sie sagen , und so verabscheuungswürdig finden .
Den Unzufriedenen ist nirgends zu trauen . "
Dieses Gespräch flatterte sonach , gleich den meisten , die er mit Medon geführt , zuletzt in Luft ; das einzige , was ihm in seinem Umgange mit diesem bedeutenden Manne mißfiel .
Denn sonst zog ihn alles nun immer mächtiger zu ihm hin , Wissen , Beredsamkeit , Kraft , ja selbst der Blick des hellblauen Auges , welches , wenn Medon in Eifer geriet , im eigentlichen Sinne des Worts blitzte , so durchdringend wurde der Glanz desselben .
Hermann teilte hierin nur die Stimmung sämtlicher jüngeren Leute , welche in großer Anzahl bei Medon aus- und eingingen .
Er schien den Verkehr mit diesen besonders zu lieben .
Sie dagegen ahnten hinter seinen Andeutungen und Winken etwas Außerordentliches , welches um so reizender für sie war , als sie sich von der Gestalt desselben keine Rechenschaft zu geben wußten .
Da er nun in jedem das Selbstgefühl durch Lob und Ermunterung ungemein zu steigern wußte und ihren Talenten die schimmerndsten Kreise anwies , so hatte er um sich eine Art von Hofstaat versammelt , welcher sich in angenehmen Gedanken und schönen Erwartungen von Tag zu Tage gehenließ .
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Er hatte indessen immer tiefere Blicke in die badenschen Grund- und Erwerbspapiere geworfen , und da ihm um diese Zeit einige feurig aufmunternde Briefe ehemaliger Ordens- und Gesinnungsbrüder zukamen , des Inhalts , daß er aus der Untätigkeit hervortreten möchte , da Medon auch , ohne zuzureden , seinen Entschluß für gefaßt annahm , so war eines Morgens in einer leeren unmutigen Stunde die bindende Unterschrift unter dem ihm vorgelegten Dokumente geleistet und letzteres zur Post gefördert .
Er saß nachdenklich , die Feder noch in der Hand , und überlegte den wichtigen Schritt , welchen er soeben getan , als Medon eintrat .
Dieser umarmte ihn , da er das Geschehene vernommen , und rief : " So sehe ich Sie doch endlich in der rechten Straße , und dem zwecklosen Umherstreifen enthoben ! "
" Es ist sehr zu wünschen , daß dem so sei " , versetzte Hermann .
" Denn mein väterliches Vermögen reicht kaum zu , den Kaufpreis des Gutes zu decken , und ob ich bei der Bewirtschaftung desselben sonderliche Geschäfte machen werde , steht dahin , weil ich in diesen Dingen noch völlig unwissend bin . "
Wie groß war sein Schreck , als er die Verfassungsurkunde jenes Landes nachsah , was er bis jetzt unterlassen hatte , und bemerkte , daß er das wahlfähige Alter noch gar nicht erreicht habe !
Er konnte sich nicht enthalten , Medon einige Vorwürfe darüber zu machen , daß er von ihm auf diesen Umstand nicht aufmerksam gemacht worden sei .
Medon lehnte dieselben jedoch ganz sanft mit der Bemerkung ab , daß er ja nicht verordnet gewesen sei , seine Jahre zu zählen , und daß er ihn nach der Reife seines Urteils und nach seinem äußeren Ansehen schließend , für älter gehalten habe .
" Übrigens ist noch nichts verloren " , fügte er hinzu .
" Sie sind nur als Bürgerlicher zu jung ; wenn Sie geadelt werden , besitzen Sie die erforderliche Weisheit .
Wir wollen also auch diese Metamorphose versuchen , und ich werde Ihnen dazu die Mittel und Wege angeben . "
Diese neue Aussicht , für deren Verwirklichung gleich allerhand geschah , vermehrte die Unruhe , welche das Wesen unseres Freundes aufregte , seitdem er in den Zauberkreis der großen Stadt getreten war .
Nicht leicht ging ein Tag hin , an welchem nicht das , was ihm festzustehen schien , von anderen bezweifelt , und häufig auch widerlegt worden wäre .
Die Stadt war gewissermaßen eine Freistätte aller Gedanken und Meinungen , und wenn diese selbst friedlich nebeneinanderher gingen , so hatte der Anblick so vieler unvermittelter Gegensätze für den dritten Beschauer auf die Länge etwas Seelenzerstörendes .
Um nur ein Beispiel anzuführen :
Er hatte geglaubt , durch die Gespräche in Medons Hause über die Lage des Staats , und über das , was dessen vorzüglichste Männer hauptsächlich beschäftige , ziemlich in das Klare gesetzt worden zu sein .
Wie erstaunte er , da er an einem anderen Orte zufälliger Zeuge einer Unterredung wurde , aus welcher er abnahm , daß die Frage über das Verhältnis der neuen Provinzen von den eigentlichen Lenkern nur als eine untergeordnete betrachtet wurde , daß man sich vielmehr im höchsten Rate mit Dingen beschäftige , welche , weitgreifender Art , über ganz Deutschland ihre Folgen zu verbreiten bestimmt waren !
Diese ganze Welt , in welcher er sich seit einigen Monaten bewegte , kam ihm so doppeldeutig und unsicher , und trotz alles scheinbaren Lebens so tot vor , daß ihm oft übel zumute wurde .
Was ihn vor allem unangenehm berührte , war der Mangel jeglicher Poesie , der ihm bald anschaulich wurde .
Zwar arbeitete der junge Dichter rastlos an seinen Bildern aus der Kunstgeschichte fort , und hatte für den nach Weimar mitgeteilten florentinischen Zeitraum von dort ein aufmunterndes Schreiben empfangen , " in so löblichen Bestrebungen treufleißig fortzufahren " , zwar bestanden einige literarische Gesellschaften ; aber Hermann wollte durch alles , was er hier hörte und sah , wenig erbaut werden .
Was einem Fremden , wie er war , bald kein Geheimnis blieb :
Es hielt niemand etwas von dem anderen , und wenn sie sich auch gegenseitig besangen , so lachten sie sich im stillen doch nur untereinander aus .
Vom Theater zu reden , wurde beinahe für unanständig gehalten , es stand in einer Art von Verruf , warum ? ließ sich auch nicht wohl begreifen ; es war um nichts schlimmer , als manches andere , was in hohen Ehren gehalten wurde .
So zwischen Staatskunst , Gelehrsamkeit und dem Enthusiasmus für Malerei eingeklemmt , fühlte Hermann recht deutlich , daß ihm nur wohl werden könne , wo der frische Glaube an die fortzeugende Kraft der Dichtung wehe .
Hier aber wurde alles Neue mehr oder minder höflich verneint , man hatte sich und sein ästhetisches Gewissen in der schwärmerischen Verehrung des alternden großen Autors abgefunden .
Es ließ sich aber erkennen , daß mindestens ein Teil der Verehrer ihn auf gut Nicolaitisch wiederum gekreuzigt haben würde , wenn er unter ihnen neu mit dem " Werther " aufgetreten wäre .
Die Tage waren kurz geworden .
An einem Abende , an dem es draußen recht unheimlich stürmte , besuchte er Johannen .
Er hatte gewünscht , sie allein zu finden , und es wurde ihm so wohl .
Sie saß in einem kleinen Zimmerchen , und hatte Briefe , getrocknete Blumen , Schattenrisse vor sich auf dem Tische ausgebreitet .
An den Wänden dieses Zimmerchens hingen viele kleine Bildnisse , Freunde und Freundinnen einer glücklicheren Zeit .
Ihre Augen waren verweint , sie schien matt und abgespannt zu sein .
" So kommen Sie doch noch " , rief sie ihm sanft und freundlich entgegen , " das ist schön !
Der Abend wurde mir unter meinen lieben Schatten hier gar zu schwer , ich kam mir selbst schon ganz vergangen vor , und meinte , zum zweiten Male zu leben .
Wie es draußen stürmt , und hier die kleine friedliche Lampe !
So wütet es überall feindlich um das stille liebliche Feuer , was hin und wieder die Mächte des Himmels entzünden ! "
" Was hat Sie betrübt , Johanna ? " fragte Hermann , und setzte sich teilnehmend zu ihr .
" Nichts und alles ! " versetzte sie .
" Mein Herz ist eben zum Überlaufen voll , und da genügt ein Tröpfchen zum Ergusse .
Wir hatten zu Mittag Gesellschaft und die trostlosen Gespräche begannen wieder , welche mir schon oft den Busen zerspaltet haben .
Die armen , törichten Menschen !
Auf den Knien sollten sie Gott danken , daß er doch hin und wieder einen warmen Frühlingsatem über die Erde streifen läßt , unter welchem das kleinste Gräschen sich aufrichtet , und selbst verdorrte Keime neu zu sprießen beginnen . "
" Ich weiß , was Sie meinen " , sagte Hermann .
" Auch mich hat es schon oft verdrossen , daß man hier fast geflissentlich bemüht ist , der Erinnerungen an eine große Zeit sich zu entschlagen !
Und doch , was steht ihr gleich , was kann das gegenwärtige Geschlecht ihr Ähnliches hoffen ? "
" Sie war die hohe Brautwoche , der süße Honigmonat meines Lebens ! " rief Johanna und ihre Augen glänzten .
" Ich war zwanzig Jahre alt , auf meines Vaters Schlosse erwachsen , der , wie ihn die Leute auch beschälten mögen , mir ein guter Vater war , und mich aufstreben ließ , frei und ungezwängt , gleich den Tannen in unserem Park .
An seiner Seite zu Pferde , oder im leichten Jagdwagen , wenn der Hirsch verfolgt wurde , war es mir oft , als müßten Flügel mir an beiden Schultern wachsen , so leicht und rein rollte in mir das mutige Leben !
Daheim horchte ich den Erzählungen der Reisenden und klugen Männer , welche meinen Vater besuchten , und von fremden Ländern und Menschen sprachen , oder ich las Geschichte mit meiner alten , würdigen Erzieherin .
Denn , Dank sei es denen , welche über mein Geschick geboten ; nichts Gemeines und Eitles durfte mich berühren , und ich erinnre mich noch , daß in meinem Zimmer der Spiegel fehlte .
Welt und Vorzeit umgaben mich wie ein schönes , sinnvolles Märchen , in dessen Mitte ich , allen Helden und Weisen vertraulich nahe , liebe Tage hinspann .
Nun erschien jener große Winter mit seinen Eis-und Leichenfeldern , mit seinem Stadt- und Herzensbrande !
Meines Vaters Entschluß war sogleich gefaßt , als die ersten Zuckungen des wieder erwachenden Lebens sich verspüren ließen .
Obgleich , nach der Sitte seiner Jugend , gern die fremde Sprache redend , war er ein deutscher Mann und Edelmann geblieben ; sein Herz hatte bei dem Jammer des Vaterlandes oft geblutet .
Wir zogen , damit er tätiger eingreifen könnte , auf eine Zeitlang nach der großen Stadt , welche der Herd des heiligen Feuers war .
Was schwatze ich Ihnen vor ?
Sie waren ja selbst dabei , haben selbst die Waffen getragen .
Welche Tage !
Welche Gefühle !
Nun waren Rom und Griechenland und die Ritterzeit kein Märchen mehr für mich , alles Größte strahlte wiedergeboren im grünen , frischen Lichte , mich an .
Mein Mädchenherz wollte mir oft die Brust zersprengen , wenn ich bis Mitternacht , ja bis an den frühen Morgen die Binden zuschnitt , welche das Blut der Wunden hemmen sollten .
Ich weinte , daß mein Vater reich war , daß ich nicht auch mich genötigt sah , mein Haupthaar auf dem Altare der allgemeinen Begeisterung zu opfern .
Nie , nie kann ich das vergessen , und wenn die ganze Welt umher in Zweifel und Klügelei starr wird , so soll der Busen einer armen Frau wenigstens ewig das Fest der Erinnerung feiern ! "
Sie war aufgestanden und ging mit großen Schritten durch das Zimmer .
Ihre Züge hatten sich verklärt , sie glich einer Priesterin , einer Velleda .
Nach einer Pause , während welcher ihr Antlitz vom herrlichsten Angedenken wie durchsichtig zu werden schien , stand sie still und rief : " Ja , wenn es eine Liebe je auf Erden gegeben hat , so habe ich geliebt !
Und o des Glücks !
Die zärtlichste Empfindung war nur eins mit der heiligsten und größten !
Im Waffenschmuck trat er mir entgegen , dem Kampfe sich entgegensehnend , in den er nach wenigen Wochen zog .
Mild war er und edlen Zornes zugleich voll , nie hat ein reineres tugendhafteres Herz unter dem Rocke des Kriegers geklopft .
Er war wie ein Verschlagener von einer fernen seligen Insel unter uns anderen .
Die Augen pflegte er zu senken , als erliege seine Seele unter ihrer eigenen Größe .
Stumm war unsere Liebe und ohne Erklärung .
Nur , als ich ihm beim Abschiede die Feldbinde reichte , verstanden sich unsere Blicke .
Er zog dahin , und ich sah ihn nicht wieder .
Er trug , wie alle jugendliche Frühlingsherzen , die Todesahnung im Busen .
Sein einziger Wunsch war , in deutscher Erde zu ruhn , er schauderte vor dem Gedanken , fern unter den Fußtritten des feindlichen Volkes vermodern zu müssen .
Das Schicksal ist oft grausam , es kann uns nicht allein das Leben , wie wir es wünschen , sondern auch den Tod , wie wir ihn zu sterben würdig gewesen wären , versagen .
Nicht in einer der großen herrlichen Befreiungsschlachten fiel mein Freund , nein , vereinzelt , seiner Schar nachgeblieben , wurde er von umherstreifendem Gesindel auf dem fremden Boden erschlagen .
Ich erfuhr seinen Tod , noch ehe die Nachricht davon zu mir gelangte .
In der Nacht aus tiefem Schlummer ohne vorhergegangenen Traum emporschreckend , sah ich das blutige Haupt des Ermordeten am Fuße meines Lagers aufsteigen , und alsobald auch wieder verschwinden .
Augenblicklich wußte ich um meinen ungeheuren Verlust , aber zugleich durchdrang mein Herz ein unvergänglicher Trost , der es so ganz erfüllte , daß ich mich kaum erinnere , damals geweint oder sonst getrauert zu haben .
Nur jetzt , nach manchem Jahre fließen meine Tränen zuweilen .
Als die Ruhe hergestellt war , beschäftigte uns alle , die wir ihn geliebt hatten , sein Wunsch .
Ein treuer Gefährte seiner Tage machte sich endlich in der Stille auf , scheute nicht Mühe noch Gefahr unter dem noch immer schmerzlich empörten Volke , fand die Grube , in welcher man den Körper verscharrt hatte , kaufte die teuren Reste los , und brachte sie in die Heimat . "
Sie näherte sich einer schmalen , länglichen Kiste , welche in der Ecke des Gemachs stand , öffnete sie und warf sich mit Lauten des tiefsten Schmerzes über sie .
Hermann trat hinzu und fuhr zurück ; ein menschliches Gerippe starrte ihm aus der Kiste entgegen .
" Warum erschrickst du ?
Was macht dich zu fürchten ? " rief sie .
" Dies ist mein lieber , mein einziger Freund , den ich nun wiederhabe , und nicht von mir lasse .
Betrachte den holdseligen Mund , die guten , schönen Augen , die denkende Stirn !
Nun ruht er , umweht vom Hauche der Liebe , nun ist ihm wohl ! "
" Teure , warum gaben Sie der Erde nicht wieder , was der Erde gehört ? " fragte Hermann , als er sich einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte .
Sie versetzte nichts .
Mit den zärtlichsten Namen rief sie den Geschiedenen Freund , schmeichelnd strich sie über den kahlen Schädel , ihre Lippen küßten die leeren Augenhöhlen .
Dazwischen führte sie Reden , deren Sinn und Bedeutung Hermann nicht verstand .
Sie sprach von dem Vampir , der , auferstandene Leiche , umhergehe und den Lebenden das Blut aussauge , und beschwor die Gebeine des Toten , sie wie bisher , so auch ferner vor dem Schrecknis zu schützen .
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Es schien , als seien die nächsten Tage bestimmt , unseres Freundes Herz , welches schon in kalten , seltsamen Umgebungen zu frieren begann , wieder von neuem auszuwärmen .
Johannas Not regte mächtig sein Gefühl auf , und kurz nach jenem Abende sollte er auch einen alten Freund wiedersehen .
Er war in Madame Meyers Gesellschaft gewesen .
Als geborener Hansestädter an reichliche Mahlzeiten gewöhnt , empfand er nach den dort Landüblicherweise genossenen dünnen Butterschnittchen immer noch einen lebhaften Appetit , den er nun in einer Restauration stillen wollte .
Aber obgleich es erst elf Uhr war , so herrschte in diesem Teile der Stadt doch schon eine Totenstille , die Fenster waren dunkel , die Läden geschlossen und nur die Laternen warfen ihr mattes Licht über die menschenleeren Straßen .
Er kam endlich in die Nähe eines Gasthofs , vor dessen Türe sich jemand in ähnlicher Not befand , wie er .
Ein Reisender suchte mit Rufen , Schelten und Klopfen vergebens Einlaß durch die bereits fest verschloßene Pforte zu gewinnen .
Das Geräusch zog Hermann mechanisch näher , und er erkannte mit freudigem Schreck die Stimme seines Freundes Wilhelmi .
Dessen Freude war nicht geringer , beide begrüßten einander auf das herzlichste .
Nachdem sie durch vereinte Bemühungen die Öffnung des Wirtshauses erwirkt hatten , Wilhelmis Wagen und Gepäck untergebracht worden war , blieben sie noch einen Teil der Nacht in traulichen Gesprächen beisammen .
Hermanns erste Frage war , was Wilhelmi so unerwartet herführe ? worauf jener ihm erwiderte , daß sein Verhältnis zum herzoglichen Hause gelöst sei , und daß er komme , um seine Sammlung dem großen Museum zu verkaufen .
Man habe ihm die bestimmte Hoffnung gemacht , ihm als Preis eine feste Anstellung bei jenem Institute zu geben .
Hermann wußte , wie leicht man es mit solchen Versprechungen des Orts nehme , und erschrak über den unbedachten Entschluß des Freundes .
Er hütete sich indessen , seine Befürchtungen ihm mitzuteilen , um Wilhelmis Hypochondrie nicht rege zu machen .
Wahrhaft schmerzlich war ihm aber die Lösung der Bande , welche er in Achtung , Liebe und Bedürfnis fest gegründet erachtet hatte .
Auch der Arzt , so hörte er von Wilhelmi , sinne darauf , dem Schlosse Lebewohl zu sagen .
Am befremdlichsten klang , was er über die Herzogin vernahm .
Sie sei , erzählte Wilhelmi , nach Hermanns Abreise in eine düstre Melancholie verfallen , welche sich durch einen sonderbaren Widerwillen gegen die Gesellschaft ihres Gemahls ausgezeichnet habe .
In dieser Stimmung habe sich der Geistliche ihrer bemächtigt , mit welchem sie nun den größten Teil ihrer Zeit in Andachtsübungen , die zuweilen selbst in Kasteiungen ausarten sollten , verbringe .
Der Herzog sei über diesen Zustand um so bekümmerter , als ihm gerade jetzt der vom Kaufmann nun mit vollem Eifer betriebene Prozeß viel zu schaffen mache .
Alles dieses konnte Hermann wenig erfreuen .
Es tat ihm wehe , daß ein so treuer gefühlvoller Mann , wie Wilhelmi , sich seinen Gönnern in einem solchen Augenblicke hatte entziehen können .
" Ich will mich nicht rechtfertigen " , sagte dieser , als Hermann nach einigen Tagen eine leise Andeutung seiner Empfindung blicken ließ .
" Es gibt Dinge und Worte , die mit magischer Kraft das Gemüt unwiderstehlich nach sich reißen , und so muß ich dir gestehen , daß ich , in abgelegenen Winkelverhältnissen hingehalten , nicht zu widerstehn vermochte , als mir die Aussicht erschien , mich dem Öffentlichen angereiht zu sehen .
Wie einst das Heilige Grab und späterhin die Neue Welt jeden strebenden Geist siegreich lockte , so ist es jetzt mit dem Staate .
Nur das , was an ihn sich lehnt , nur das , was von ihm erkannt wird , hat Glauben an sich selbst , die Zeit der Privatdienstbarkeit ist durchaus vorüber . "
" Du sprichst da etwas aus , welches mir schon lange das Herz beschwert hat " , versetzte Hermann .
" Wenn ich die Dokumente jener verspotteten empfindsamen Zeiten betrachte , so muß ich sagen , daß diese schwärmerischen Freundschaften auf Leben und Tod , diese leidenschaftlich-platonischen Liebesverhältnisse , diese begnügten Familienglückseligkeiten , wie sie damals Gang und gäbe waren , jetzt fast aufgehört haben .
Das Gemüt hat die Fähigkeit verloren , sich in so traulicher Enge zu regen , alle Kräfte und Sinne der Menschen streben weiteren und höheren Zwecken zu .
Das wäre nun recht schön , wenn wir nur schon ein Vaterland , oder große öffentliche Einrichtungen hätten .
Aber alle diese erhabenen Tröstungen zeigen sich bei näherer Betrachtung denn doch meistens als Schein , höchstens als ziemlich schwache Versuche .
Und so darbt unser Herz über den Mangel eines Freundes , einer Geliebten , eines Hauses sich zu Tode , und wenn es sich auf einem anderen Altare opfern möchte , so fehlt eben dieser .
Wahrlich , es ließe sich ein Werther des neunzehnten Jahrhunderts schreiben , der an diesem Doppel- und Nichtzustande verginge , und dessen Klagen auch rührend und beweglich ertönen würden . "
" Ja , wir leben in einer Übergangsperiode " , sagte Wilhelmi .
" Das ist ein trivial gewordenes Wort , welches alle Schulknaben jetzt nachplappern .
Schwieriger ist es , die ganze Bedeutung desselben zu fühlen , sympathetisch mitzuempfinden , wie viele Menschen an einem solchen Übergange zugrunde gehen .
Wohl befinden sich in der Gegenwart eigentlich nur die oberflächlichen Naturen , welche von Schatten und Klängen genährt werden , während jede tiefer gehöhlte Brust ein heimliches Verzagen erfüllt .
Auf alle Weise sucht man sich zu helfen , man wechselt die Religion , oder ergibt sich dem Pietismus , kurz , die innere Unruhe will Halt und Bestand gewinnen , und löst in diesem leidenschaftlichen Streben gemeiniglich noch die letzten Stützen vom Boden . "
" Wunderbare Gedanken und Träume beherrschen die Menschen " , sagte Hermann .
" Trotz alles Redens von der praktischen Richtung des Zeitalters laufen die Vorstellungen und Dinge weit auseinander , und der Wahn hat eine furchtbare Macht gewonnen .
Es ließe sich der Fall denken , daß jemand unter der Last eines eingebildeten Schicksals sein Leben hinkeuchte , und stürbe , ohne das Antlitz der Wahrheit geschaut zu haben . "
" Wiederum aber sind auch die außerordentlichsten Glücksfälle gedenkbar " , versetzte Wilhelmi .
" Eigentum und Besitz haben ihre schwere , tellurische Natur aufgegeben , sie streichen , gasartig verflüchtigt , durch die Lüfte , und niemand von uns weiß , ob nicht auch er in den Bereich eines solchen ziehenden Schwadens kommen werde .
Kurz , Freund , es kann an deiner , und es kann an meiner Stirn mit unsichtbarer Schrift das Wort : Millionär , geschrieben stehen , so wenig Anschein die Sache auch jetzt für sich haben mag . "
" Nein , in der Tat , danach sieht es bei mir nicht aus " , sagte Hermann lächelnd .
" Ich will nur froh sein , wenn ich aus meinem badenschen Ankaufe mit einem blauen Auge davonkomme .
Übrigens wüßte ich auch nicht , was ich mit vielem Gut und Gelde beginnen sollte , es hat wenig Reiz für mich . "
" Um so geschickter bist du vielleicht , Vermögen zu bewahren " , antwortete Wilhelmi .
" Oft kommt mir alles Eigentum wie ein Depositum vor , welches bei uns für ein nachkommendes glücklicheres Geschlecht hinterlegt worden wäre , welches wir treulich den Enkeln aufzuheben , aber selbst nicht zu genießen hätten . "
Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Hermann führte den Freund in seinem Kreise umher , an welchem Wilhelmi aber viel auszusetzen fand .
Mit Johannen gelang es noch am besten ; nachdem eine leichte Verlegenheit von beiden Seiten überwunden war , kam ein erträglicher Umgang zustande , obgleich beide in ihrer Gereiztheit wenige Berührungspunkte füreinander hatten .
Dagegen nannte er Medon geradezu den Jugendverführer , ohne sich über den Sinn dieses Ausdrucks näher zu erklären .
Auch die übrigen Persönlichkeiten , Einrichtungen und Anstalten der Hauptstadt fanden keine Gnade vor ihm .
Er sah nur die Hast , womit hier alles sich zur Erscheinung drängen mußte , um bemerkt zu werden , und übersah den Kern , welcher von jener Hast hervorgestoßen wurde .
Bald nannte er den ganzen Zustand eine große Lüge , und die Stadt selbst ein Konglomerat von zwölf Krähwinkeln , welches Paris vorstellen wolle .
Dieses Thema führte er in unzähligen spitzigen und witzigen Variationen aus , worüber Hermann anfangs lachte , späterhin aber zuweilen verdrießlich wurde .
Die Spötter rächten ihrerseits wieder die Stadt an dem Hypochondristen , und einer derselben verfaßte eine parodistische Geschichte von Jona , dem neuen Propheten , welcher berufen worden sei , Ninive Buße und Zerstörung zu predigen , und welcher sich nun ärgre , daß die Stadt nicht untergehen wolle .
Das Schloß des Standesherrn wurde in dieser Travestie mit dem Bauche des Walfisches verglichen , in welchem der unzufriedene Seher drei zyklische Tage zugebracht habe .
Als Hermann das Produkt zu Gesichte bekam , trachtete er , es den Augen Wilhelmis verborgen zu halten , weil er von seiner Aufregung einen heftigen Ausbruch befürchtete .
Allein er hatte sich in ihm geirrt .
Wilhelmi erhielt die Blätter von einem Dienstfertigen zugesteckt , lachte herzlich darüber , suchte den Verfasser auf , und bat um seine Freundschaft .
Am übelsten stand er anfangs mit Madame Meyer .
Sie hatte nach Art der Weltfrauen darin ein ganz eigenes Talent , bisweilen jemand , der ihr mehr als andere hätte empfohlen sein sollen , zu übersehen , was denn bei ihr immer um so mehr wie eine Beleidigung erschien , weil sie sich sonst so zuvorkommend zu benehmen wußte .
An einem dieser dem Zerstreutsein verfallenen Tage wurde ihr Wilhelmi vorgestellt , welcher nach den Erzählungen Hermanns auf einen besonders freundlichen Empfang gerechnet hatte .
Er sah sich durch die über ihn hinschweifend Blicke der Wirtin , die seine Anrede mit einer Bemerkung über das Wetter erwiderte , bitter getäuscht , und machte seinem Freunde beim Nachhausegehen lebhafte Vorwürfe darüber , ihn dort eingeführt zu haben .
Hermann kannte ihn schon in solchen Stimmungen , und ließ schweigend die erregten Wellen ausschäumen .
" Sie kann ihren Stamm nicht verleugnen ! " rief Wilhelmi zum Schlusse einer heftigen Zornrede .
" Mir wurde unter allen diesen Porzellanen , Gläsern , Schnitz- und Kritzelwerken zumute , wie in einer Trödelbude .
Es ist der Schachergeist ihrer Väter , welcher in der Sammelwut der Tochter fortspukt .
Überhaupt haben die modernen Juden eine seltsame Stellung gegen Welt und Gesellschaft " , fuhr er ruhiger fort .
" Es ist noch kein Menschenalter her , daß dieses Volk an vielen Orten Leibzoll bezahlen , an anderen wie krankes Getier abgepfercht wohnen mußte .
Plötzlich ist ein Umschwung eingetreten , sie stehen jetzt in den bürgerlichen Rechten uns gleich , und wollen , besonders hier , in Geist , Geschmack und Ansehn den ehrlichen Christenseelen womöglich noch den Rang ablaufen .
Nun ist es aber ein eigen Ding um elegantes Dasein .
Das geht nämlich immer nur aus völlig gesicherten Notwendigkeiten des Lebens hervor .
Dieses Gefühl haben sie nicht , können es auch nicht haben , denn die Verbesserung ihres Zustandes ist weit mehr das Erzeugnis sentimentaler Schriftsteller und schlaffer Staatsmänner , als einer Umstimmung des Volksglaubens .
Im Volke hat sich vielmehr das alte Bei wußtsein unzerstört erhalten , daß der Jude nichts tauge .
Folglich denken alle diese unsere großen israelitischen Häuser im stillen immer noch an die Möglichkeit einer rückgängigen Bewegung , an den Leibzoll , und an die Judengassen .
Dadurch erhalten ihre Bestrebungen um Eleganz etwas Unsicheres und Hastiges ; ihre Gesellschaften haben durchaus mehr den Charakter einer Hypothese , als den eines Postulats .
Die produktiven Köpfe der Nation verfahren dagegen nach den Grundsätzen des Gewerbgeistes , welcher ihre Ahnen auszeichnete ; sie schachern und trödeln .
In Gedichten , Musiken , in Philosophie und Wissenschaften sind sie mit kleinem Profit , mit allerhand netten , charmanten , glänzenden Effekchen und Wahrhitchen zufrieden , bringen auf solche Weise auch wirklich manches zusammen , obwohl man schwerlich im Reiche des Geistes durch geschickt zubereitete Bagatellen großes Vermögen erwirbt . "
Als Hermann einiges zum Schutze der Geschmähten vorbringen wollte , fuhr ihn Wilhelmi beinahe an , und rief : " Du wirst auch noch durch Schaden klug werden .
Deine ägyptische Kavaliergarde wird dir Verdrusses die Fülle machen . "
Dies bezog sich darauf , daß sich um Hermann eine Menge junger Israeliten versammelt hatte , welche ihm mit großer Freundschaft begegneten .
Die Laune Wilhelmis schärfte sich von Tage zu Tage .
Zum Teil wurde dieser üble Humor durch sehr wesentliche Bedrängnisse erzeugt .
Er konnte nämlich bald merken , daß an einen Verkaufe seiner Sammlungen nicht zu denken sei , und daß er die leichte Zusage eines hohen Mannes viel zu schwer genommen habe .
Ein sicherndes Verhältnis hatte er aufgegeben , außer seinen Kunstsachen besaß er nichts , und jede Aussicht schwand , mit diesen dem Museum einverleibt zu werden .
Bald war er in Geldverlegenheit und sprach Hermann um Hilfe an .
Wie erschrak er , als dieser ihm eine gleiche Not offenbaren mußte !
Im Badenschen bestand man streng auf Innehaltung der Zahlungstermine , ein Kapital nach dem anderen war schon dorthin gewandert , einen Besitz zu bezahlen , den anzutreten der Eigentümer weder Lust , noch Geschick in sich verspürte .
So führten denn unsere beiden Glücksritter ein ziemlich gewagtes Leben .
Der eine war , wenn man so sagen darf , in böhmischen Dörfern angesessen , der andere stand mit Raritäten in teuren Mietzimmern aus .
Ihre Lage konnte übel genug werden , wenn der Himmel sich nicht ins Mittel schlug .
Indessen trugen sie ihre Lasten zu zwei , und das will viel sagen .
Da die Taler ausgingen , so teilten sie die Groschen miteinander .
Hermann zog sich aus vielen großen Gesellschaften zurück , und begann eine Art von genießendem Einsiedlerleben zu führen .
Mit der ägyptischen Kavaliergarde , mit den jungen Juden , hatte Wilhelmi nur zu sehr recht gehabt .
Einer derselben , ein angehender Künstler , war ihm besonders eifrig genaht , hatte einige Billetts an ihn sogar " mit Ehrfurcht " unterzeichnet .
Im Hause der reichen Eltern begegnete man unserem Freunde fast wie einem höheren Wesen .
Eines Tages ersuchte ihn der junge Künstler bescheiden um seine vortreffliche Kritik über dieses und jenes .
Bei der näheren Nachfrage erfuhr Hermann , daß ihn ein Gerücht zum Verfasser mehrerer anonymen Rezensionen in dem gelesensten Blatte der Stadt gemacht hatte , welche durch ihren geistreichen Gehalt allgemeines Aufsehn erregten .
Da er nun diese Vaterschaft ablehnen mußte , so bemerkte er an den Gesichtszügen und an dem Benehmen seines feurigen Anhängers bald eine merkliche Veränderung , welche sich demnächst auch dem Hause der Eltern mitteilte , und nach und nach eine gänzliche Erstarrung des Verhältnisses herbeiführte .
Noch früher hatten ihn die übrigen verlassen , sobald sie wahrnahmen , daß er nicht mehr viel mit vornehmen Leuten verkehrte .
Er klagte Wilhelmi sein Leid .
Dieser lachte und rief : " Sei froh , daß du von ihnen los bist !
Jude bleibt Jude , und der Christ muß sich mit ihnen vorsehn , am meisten , wenn sie sich liebevoll anstellen .
Sie sind allesamt freigelaßene Sklaven , kriechend , wenn sie etwas haben wollen , trotzig , wenn sie es erlangten , oder wenn sie merken , daß es nicht zu erlangen steht . "
Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Alle Übertreibungen sind von kurzer Dauer .
Madame Meyer hatte nicht sobald bemerkt , daß die beiden Freunde seltener in ihren Zirkeln zu erscheinen begannen , als sie ihrerseits alles tat , das traulich-gesellige Verhältnis zu erhalten .
Freundliche Einladungen drängten sich , und Wilhelmi wurde für die frühere Vernachlässigung durch das liebenswürdigste Benehmen entschädigt .
Bald war er völlig umgestimmt und ebenso freigebig in seinem Lobe , als er früher verschwenderisch im Tadel gewesen war .
Die Dame entdeckte ihrerseits an dem verwandelten Hypochondristen eine Eigenschaft , welche ihn ihr höchst schätzenswert machte .
Wilhelmi besaß eine Fülle von antiquarischen Kenntnissen , und setzte Madame Meyer über manches , was sie hatte , durch seine Erläuterungen erst in das Klare .
Was ihn aber einer Frau besonders empfehlen mußte , war seine Art , die Tatsachen vorzutragen .
Er teilte sie nämlich nicht nach der Weise deutscher Gelehrten weit ausholend mit , sondern gab seine Kunde in kurzen , aphoristischen , alles ausdruckenden Sätzen , welche sich dem Gedächtnisse leicht einprägten und ohne Mühe nachgesprochen werden konnten .
Auf diese Weise hatte er die Freundin bald mit einer Menge von Thesen bekanntgemacht , welche sie rüsteten , den Verlegenheiten schlagfertig zu begegnen , denen sie sonst in ihrem Gesprächskreise hin und wieder mit Leidwesen unterlegen war .
Denn obgleich manches der Wilhelmmischen Lehre nur für problematisch gelten konnte , so verfehlte es doch , mit angenehmer Keckheit von einem schönen weiblichen Munde axiomatisch vorgetragen , nie seine Wirkung auf den überraschten Gegner .
Es war , als wolle der Himmel selbst in diesem Falle durch Zeichen und Wunder wirken .
Eines Tages , als Wilhelmi mit ihr ein früher noch nicht besehenes Kabinett durchmusterte , stand er vor dem Altarbilde eines heiligen Stephanus still , von welchem die Hälfte fehlte .
Die Tafel war dicht an dem Körper des Märtyrers abgespalten worden , von den Peinigern ließ sich nichts erblicken .
Madame Meyer , welche Wilhelmi in den Anblick dieses Werks versunken sah , legte die Hand auf seine Schulter und sagte : " Wohl mögen Sie über dieses liebe , gemütliche Bild erstaunen , welches mir doch nur Schmerzen verursacht .
Ich achte es für die Krone meiner Sachen , aber ich entsage oft für Monate seinem Anblicke , weil mir der verstümmelte Zustand desselben durch die Seele geht .
Was habe ich nicht versucht , getan , aufgewendet , um die andere Hälfte herbeizuschaffen , welche durch die Ungebühr der Zeit oder eine rohe Faust vielleicht für immer vernichtet ist ! "
" Madame " , versetzte Wilhelmi , der ganz Erstaunen war , " mich ergreift weniger der Anblick dieses vortrefflichen Werks von seltener Innigkeit des Gefühls , als daß , wenn mich nicht alles trügt , ich den anderen Teil der Tafel besitze .
Ich verlangte nach dem Heiligen , wie Sie sich nach den Steinigern sehnten . "
Die Meyer stand sprachlos .
Auf einen Wink Wilhelmis entfernte sich der Bediente , und brachte aus dessen Quartiere das bezeichnete Fragment herbei .
Es blieb kein Zweifel ; sobald man nur das Stück angepaßt hatte , zeigte sich die Vermutung bestätigt .
Die Gruppe der Steiniger war vollständig , fast noch besser erhalten , als der gemarterte Jüngling .
Nie sind häßliche Frevelgesichter von hübschen Augen mit gerührteren Blicken betrachtet worden .
Es waltete unter den beiden Kunstfreunden ein langes Schweigen ob , während welches jeder seinen besonderen Gedanken nachhing .
Endlich brach Wilhelmi dasselbe und sagte , daß , solange er am Orte verweile , er sehr gern die beiden Hälften vereinigt lassen wolle .
Madame Meyer nahm dies dankbar an , und fragte schüchtern , ob ihm sein Fragment nicht feil sei , was Wilhelmi ernsthaft verneinte .
Man erzählte einander von der Erwerbung dieses Kunstwerks , und brachte bald heraus , daß beide Stücke an einem und demselben Orte von dem spekulierenden Verwalter aufgehobener Klostergüter eingehandelt worden waren .
Man untersuchte die Kanten der Fragmente und fand , daß der Riß keineswegs alt war .
Aus allerhand sonstigen Anzeichen schloß man zuletzt mit ziemlicher Gewißheit , daß jener klug berechnende Mann , der herrschenden Neigung vertrauend , welche derartige Altertümer auch im verstümmeltsten Zustande aufsuchte , selbst die Tafel zerspalten haben möge , und denn auch wirklich die beiden Teile teurer losgeschlagen hatte , als er vom ungetrennten Ganzen erwarten dürfen .
Er hatte also im kleinen mit dem Gute der Kirche vorgenommen , was der Staat im großen ; er hatte dismembriert .
Ein eifriges Gespräch , welches dieser fröhlichen Begebenheit folgte , wurde durch den Eintritt der gewöhnlichen Abendgesellschaft unterbrochen .
Bei dem Erscheinen der Fremden zeigten sich Madame Meyer und Wilhelmi sehr verlegen , wovon der Grund darin zu suchen , daß zum Schlusse jener andächtigen Kunstunterredung die Hände sich gefunden hatten , und die ersten Eintretenden von dieser Vereinigung Zeugen geworden waren .
Die Gäste nahmen nun gebührenden Anteil an dem hergestellten Stephanus und an der Freude der Wirtin , es ließ sich aber aus manchen Mienen und Flüsterworten abnehmen , daß man sich während dieses Abends doch mehr mit dem natürlichen , als mit dem Kunstereignisse beschäftige .
Wilhelmi sprach in den nächstfolgenden Tagen nichts als Gutes von der Stadt und ihren Bewohnern , kehrte alles zum Besten , und verwies Hermann seine finstere Laune , obgleich dieser sich ganz ruhig und gleichmütig verhielt .
Elftes Kapitel Elftes Kapitel Inzwischen hatten die Untersuchungen gegen die Demagogen ihren weiteren Verlauf genommen , lieferten jedoch nicht die Ergebnisse , nach welchen die Behörden hauptsächlich hinsteuerten .
Die Verschuldungen der Jünglinge lagen so ziemlich klar zutage , ihnen aber war im voraus verziehen ; sie sollten mit dem Schreck davonkommen .
Was man am eifrigsten suchte , war , das Dasein und die Glieder jenes Männerbundes zu ermitteln , welcher Staat und Thron allerdings ernstlicher mit dem Umsturze bedrohte .
In dieser Beziehung waltete noch ein undurchdringliches Dunkel ; die geheimen Störenfriede und Verderber waren mit solcher Klugheit zu Werke gegangen , daß trotz aller Korrespondenz nach den verschiedensten Gegenden Deutschlands hin , mehr nur Vermutungen als Tatsachen zum Vorschein kommen wollten .
Der Beamte , welcher jene Nachforschungen zu leiten hatte , ging in Medons Hause viel ein und aus .
Er erzählte dort im Vertraun manches von jenen Dingen , und so erfuhr Hermann , daß der grimmige Mecklenburger durch das ihm , wie wir wissen , in größter Sanftmut zuerkannte einsame Gefängnis gezähmt worden sei , und seine Bekenntnisse abzulegen beginne .
" Er gesteht " , sagte der Beamte , " daß ihm in Zürich ein Mann erschienen sei , welcher ihm von dem wirklichen Vorhandensein eines Männerbundes Kunde gegeben und ihn aufgefordert habe , einen Bund der Jungen zu stiften , welcher sich an jenen anlehnen solle .
Er hat von jenem Manne Zeichen und Symbole empfangen , und ist denn auch wirklich der Stimme der Verführung gefolgt . "
Medon hörte dieser Erzählung mit Gleichgültigkeit zu .
" Man sollte " , sagte er , " den jungen Leuten kurzen Prozeß machen , sie sind einmal für ihre Lebenszeit vergiftet , der Staat müßte , wenn er mehr klug als milde wäre , den schädlichen Stoff zerstören , welcher , wenn man ihn bestehen läßt , in wechselnder Gestalt sich immer wieder hervordrängen wird . "
" So sind Sie für strenge Maßregeln ? " fragte der Beamte .
" Durchaus " , versetzte Medon .
" Auch hierin könnte uns das Altertum zum Lehrmeister dienen .
Es vertrug sich nicht mit seinen Feinden , es vernichtete sie . "
" Nehmen Sie sich in acht , daß Sie nicht über sich das Verdammungsurteil aussprechen " , sagte der Beamte scherzend .
" Sie können leicht auch in diese Untersuchung verwickelt werden . "
" Wieso ? " fragte Medon .
" Sie müssen doppelt in der Welt umhergehn " , versetzte jener .
" Der Student beschreibt den Mann , welcher ihn so freventlich verlockt , Zug vor Zug , wie Sie aussehn ; selbst das Mal , welches Sie an der linken Handwurzel haben , hat er bei dem Hokuspokus , den der falsche Prophet mit ihm getrieben , bemerkt .
Zuletzt muß ich Sie mit ihm konfrontieren , und Sie können noch als Rädelsführer der politischen Verschwörungen unserer Zeit in meine Gefängnisse wandern . "
Man lachte hierüber , und der Sache wurde eine Zeitlang nicht weiter gedacht .
Doch fing der Beamte einmal später wieder an , von dem Gegenstande zu reden , und sagte zu Medon : " Wir Aktenleute sind eine Art von Fetischanbetern , die Dienstpflicht ist unser Götze , dessen Gebote wir erfüllen müssen , sie seien noch so unsinnig .
Wollen Sie mir glauben , daß ich bei meinem Mecklenburger Demagogen den Gedanken an Sie nicht mehr aus dem Kopfe loswerden kann ?
Ich rede mir tagtäglich das Ungereimte dieser Ideenverknüpfung vor , und dennoch , sobald der Mensch wieder anfängt , den Apostel des Männerbundes zu beschreiben , ist es mir , als müsse ich Sie ihm vorstellen , weil das Signalement nun einmal schwarz auf weiß in meinen Protokollen steht , und ich ein Individuum kenne , auf welches dasselbe zu passen scheint .
Es läßt mir keine Ruhe ; abgeschmackte Träume phantastisch-juristischer Art ängstigen mich .
Letzte Nacht träumte mir , ich stände am Jüngsten Tage vor den Schranken des Weltgerichts .
Der Engel mit der Posaune fragte donnernden Tons :
» Warum hast du die Konfrontation unterlassen ? « worauf ich keine Antwort geben konnte .
Ich wurde deshalb zur Höllenstrafe verurteilt , welche darin bestand , daß ich alle meine Corpora delicti aufessen sollte , obgleich sich darunter Sachen von Stahl und Eisen befanden . -
Etwas Auffallendes , um eines aberwitzigen Spiels des Zufalls Willen zu veranlassen , würde ich mir nie vergeben können ; allein ich wollte Sie schon ersuchen , doch einmal wie von ungefähr auf mein Verhörzimmer zu kommen , wo Ihnen denn ebenso von ungefähr der Demagoge vorgeführt werden sollte .
Dann wäre mein Gewissen beruhigt ; versagen Sie mir also diese Gefälligkeit nicht . "
" Ich will das recht gern tun " , versetzte Medon .
" Nur müßte ich Sie bitten , noch einige Zeit in Geduld zu stehen .
Ich habe eine Reise vor , und bis dahin jede Minute besetzt . "
" Liebe wäre es mir doch , wenn sich ein halbes Stündchen dazu vor der Reise finden wollte " , sagte der Beamte .
" Die Sache ist im übrigen zum Spruche reif , und wenn ich gesehen , daß Sie es nicht waren , welcher dem Demagogen in Zürich begegnete , so kann ich das Papier getrost den Herrn am grünen Tische zuschicken . "
" Es wird sich noch davon reden lassen " , versetzte Medon , und brach das Gespräch ab ; welchem Hermann , unbemerkt nahestehend , zugehört hatte .
Kurz danach wurde er zu Johanna berufen .
" Wollen Sie mir einen Dienst leisten ? " fragte sie ihn .
" Jeden " , versetzte er .
" Können Sie schweigen ? " fuhr sie fort .
" Ich hoffe es " , erwiderte er .
" Ich werde diesen Ort vielleicht auf einige Zeit verlassen müssen " , sagte sie mit leiser Stimme .
" Bis hierher hat mich ein schlimmes Geschick führen dürfen , weiter aber nicht .
Ich werde Sie vielleicht um Schutz und Begleitung ansprechen auf heimlicher Wanderung .
Vor allem suchen Sie ein einsames Haus , womöglich mitten im wildesten Walde zu entdecken , darin ich verborgen leben kann . "
Hermann , bestürzt über dieses Ansinnen , tat stammelnd einige Fragen nach dem Beweggrunde eines so leidenschaftlichen Entschlusses .
Sie legte den Finger auf seine Lippen und sagte : " Stille !
Wollen Sie mir nicht helfen , so wird Gott mir beistehn . "
- Verwirrt gelobte er ihr jeden Dienst , welcher sich mit Ehre und Pflicht vereinigen ließe .
Der Charakter Medons , das Verhältnis der beiden Gatten wurde ihm immer rätselhafter .
Hier schien kein einzelnes Verschulden , keine besondere Zwistigkeit vorzuliegen , sein und ihr Dasein schien eine große Unseligkeit zu sein .
Medon war gesprächig , belehrend , wie sonst , doch nahm Hermann an seinen Reden und Scherzen etwas Überreiztes wahr .
Er ließ fallen , daß er vielleicht den Winter in Italien zubringen werde , doch müsse ein solcher Entschluß , wenn man ihn überhaupt ausführen wolle , urplötzlich ausgeführt werden , denn Reisen gelängen nur , aus dem Stegreife unternommen .
Sein häuslicher Zirkel hatte den höchsten Glanz erreicht .
Ein Prinz , der für das Musterbild aller Geistreichen galt , war auf Johanna aufmerksam geworden , hatte sich ihr genähert , Zutritt zu ihren Abenden erbeten , und war seitdem beständig dort .
Dieser vornehme Stern zog andere Planeten und Monde nach sich , so daß der Glanz der Kerzen dort bald durch das Blinken aller der Ordenskreuze und Ehrenzeichen beinahe ausgelöscht wurde .
Man sprach davon , daß der Staat sich nicht länger so außerordentliche Kräfte , wie die Medons , entgehen lassen werde , daß ihm Anstellung in einem hohen Posten bestimmt sei , wobei man nur von seiner Liebe zur Ungebundenheit eine abschlägige Antwort befürchtete .
So viel ist gewiß , daß er noch längere vertrauliche Zusammenkünfte mit obersten Beamten hatte , als früherhin , und daß nach und nach dienstliche Papiere und Hefte von den Zentralstellen zur Begutachtung in sein Kabinett zu wandern begannen .
Der Prinz belebte die Gesellschaft durch Mitteilungen aus seinem Hof- und Reiseleben .
Er hatte ein großes Talent im Erzählen , und die gewöhnlichsten Vorfälle bekamen durch eine epigrammatische oder satirische Wendung in seinem Munde etwas Anziehendes .
Noch stärker war er im Vortrage von Märchen , zu welchen sich unser lockerer Lebensstoff ihm gern verflüchtigte .
Er gab deren mehrere an jenen Abenden , aus dem Stegreife beginnend , ohne Anmaßung von etwas Außerordentlichem , in so schlichter Einfalt nur noch stärker die Zuhörer fortziehend .
Eins derselben ist aufbewahrt worden , und mag dieses Buch beschließen .
Johannas Wangen wurden blasser und blasser .
Oft kam sie Hermann in ihrem samtenen Gewande , unter ihren Perlen und Juwelen , wie eine geschmückte Leiche vor , und nur ihre Worte , das tiefste Gefühl atmend , wenn er sich ihr nahte , bewiesen ihm , daß hier noch ein schönes Leben sich rege , aber freilich unter einer ungeheuren Last zuckend .
Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Mondscheinmärchen In jener grauen Urzeit , von welcher sich die Menschen die verworrensten Begriffe machen , war es , wie neuere Forschungen lehren , mit der Welt folgendermaßen beschaffen .
Die Erde war alles , und außer ihr gab es nichts , nur eine falsche Bescheidenheit späterer Zeiten hat vom Chaos oder Universum gefabelt , aus welchem unser guter Ball nebst vielen anderen Ballen und Bällchen hervorgesprungen sei .
Die Erde hatte aber dazumal die Form eines Nestes , nämlich in der Mitte war sie einige tausend Meilen vertieft , und die Seitenflächen bogen sich als schützende Ränder hoch und weit über .
Es gab weder Gras noch Baum , weder Tiere noch Menschen auf der Erde , auch schien keine Sonne , dennoch war es auf ihr , und in der Höhlung des großen Nestes weder unfein , noch still , noch dunkel .
Ihre Oberfläche war glatt und sanft anzufühlen wie der feinste Samt , sie sang sich selbst ein süßes Lied von jener frohen Ewigkeit vor , und phosphoreszierte dabei im buntesten Lichte .
Dieser selige Zustand hat ziemlich lange gedauert .
Endlich aber , wie denn nichts ungestört bleiben kann , regte sich ein gefährlicher Fürwitz in der Erde , und sie sprach so zu sich :
" Wozu ein Nest ohne Eier ?
Meine Bestimmung ist nur halb erreicht . "
Flugs empfand sie ihre Einsamkeit und die Sehnsucht nach Eiern , aus denen sich , wie sie meinte , die anmutigsten Gesellschafter und Gespielen für sie entwickeln würden .
Wie froh erstaunte sie , als sie eines Morgens beim Erwachen in ihrem Schoße eine Menge der schönsten Eier fand !
Auf welche Art sie dieselben gewonnen , auf welchem geheimnisvollen Wege der Zeugung ihr diese Bescherung geworden , darüber schweigt Geschichte und Märchen .
Genug , sie lagen , in Kreisen gereiht , im Grunde des großen Nestes , waren durchsichtig , wie die Edelsteine , herrliche Figuren schmückten die glänzenden Schalen , im Inneren pulsierte es , ein eigenes , wildkräftiges Leben .
Mutter Erde , vor Freude ganz wirblig , machte eine schräge Bewegung , woraus später die Schiefe der Ekliptik entstanden ist , erinnerte sich aber noch zur rechten Zeit ihrer neuen Pflichten , nahm sich zusammen und weinte nur einige Tränen in den unendlichen leeren Raum hinab .
Darauf begann sie liebevoll ihr vertrautes Gut zu wärmen und machte tausend Plane , wie sie mit den Vöglein , wenn sie aus den Eiern gekrochen wären , freundlich und herzlich verkehren wolle .
Unter diesen Sorgen , Gedanken und Träumereien war es in dem einen Ei rege geworden , es pickte , und eine leuchtende , beflügelte Gestalt brach durch die Schale .
Anfangs war sie noch einigermaßen in den Grenzen erträglicher Größe , aber mit Sturmseile wuchs sie , wahrscheinlich durch die einströmende atmosphärische Luft geschwellt , ins Ungeheure , so daß der Erde vor dieser Geburt Angst und bange wurde .
Doch faßte sie sich und sagte : " Gesell , du wirst nicht vergessen , wer deine Stärke also gepflegt ?
Komme , sei mein Freund . "
- " Was Freund ? " fuhr sie der feurige Recke an , " ich habe nicht Zeit zur Empfindsamkeit , meine Bahn geht selbständig durch die unermeßlichen Räume . "
Und damit schoß er fort , der Undankbare , und wurde der erste Fixstern . Seinem Beispiele folgten die anderen Geburten , die nun bald nacheinander kamen , sie wollten alle nichts von Häuslichkeit und gemütlichem Zusammenleben wissen , vielmehr eigene Fortüne droben im Blauen machen , was ihnen denn auch gelungen sein muß , wie der gestirnte Himmel besagt .
Nur ein Flüchtling , eine schöne üppige Person von lebhaftem Temperament , bereute den Undank , als sie ein paar Millionen Meilen weit fortgerannt war , hielt inne in ihrem wüssten Laufe , und wurde feuerrot vor Scham .
Sie sieht sich noch immer von Zeit zu Zeit nach dem verlaßenen Neste um , und das Erröten dauert auch noch fort , welches uns sehr zustatten kommt , denn wenn die Sonne sich nicht so schämte , und uns dadurch nicht mit einheizte , wären wir alle längst erfroren , weil die Dinge bald eine betrübte Gestalt annahmen , wie ich gleich erzählen werde .
Zuerst schüttete die Erde , in ihren Hoffnungen so schmerzlich getäuscht , einige noch nicht ausgekommene Eier zornig über Bord .
Sie fielen eine geraume Zeit unaufhaltsam in die Tiefe , endlich stießen sie doch irgendwo an eine scharfe Weltecke , die Schalen zerbrachen , und die unreifen Geburten taumelten heraus .
Diese haben nun ein Leben und haben keins , im halbwachen Traume schießen sie dahin und dorthin , ziehen einen feurigen Schweife von allerhand Eulenspiegeleien hinter sich her , und sind mit einem Worte unglückselige Kometen , auf die am ganzen Sternenhimmel kein Verlaß und Glaube ist .
Doch , was gehen uns die Kometen an ?
Auf der Erde entstanden ganz andere Folgen der mißlungenen freundlichen Absicht .
Zuvörderst zog sie sich aus der offenen Nestgestalt in die abgeplattete Kugelform zusammen , welcher nur bis auf eine geringe Tiefe etwas anzuhaben ist .
Sodann schlug sich in ihren Eingeweiden durch einen heftigen Gallenerguß Proteus , der Metallkönig , nieder , der also eigentlich der kristallisierte Verdruß der Erde ist , und bei allen nachfolgenden Händeln eine große Rolle spielt .
Darauf , um ihr einigen Ersatz zu geben , geschah die Schöpfung in sechs Tagen mit Kräutern und Bäumen , Fischen , Vögeln , vierfüßigem Getier und endlich dem Menschen .
Die Erde tröstete sich wohl , als sie das alles auf sich grünen und blühen , krabbeln und zappeln sah , aber dann war_es ihr doch wieder nicht recht , und sie sprach alle Tage unzählige Male zu sich selbst :
" Das tut es doch alles nicht . "
Und sooft sie das für sich sagt , stirbt oder verdorrt etwas .
Proteus aber , der Metallkönig , der alte Verdruß , drängt sich unaufhaltsam an das Tageslicht .
Denn es ist nicht wahr , daß die Menschen ihn suchen , und daß er gern in seinen dunklen Kammern bliebe ; nein , er blickt und lockt nach ihnen aus dem Finsteren , und wenn er ihnen nicht anders beizukommen vermag , so sucht er ihre Träume heim .
Dann müssen sie , von Unruhe gepeinigt , die Erde aufreißen und ihr Elend herauffördern .
Denn wenn er oben ist , so ergreifen den alten Griesgram kindische Launen ; er kann es nicht leiden , in zerstückten Gliedern sich durch die Welt zu breiten , er will immer beisammen sein .
Aus dieser Sehnsucht des Metalls nach sich entstehen dann alle Plagen , welche das unglückliche Menschengeschlecht heimsuchen : Krieg , Eigennutz , Dieberei , Raub .
Denn so strebt z.B. der aufgespeicherte Vorrat an Schwertern , Gewehren und Kanonen in den Zeughäusern des einen Landes nach seinesgleichen in dem anderen , das Eisen reizt durch geheime Einflüsse den Arm des Menschen so lange , bis dieser sich zu seinem Dienste darbietet , und es mit großem Getöse aus dem Verschluss hervorholt .
Dann heißt es , die und die Nation habe der anderen den Krieg erklärt .
Nun ziehen die Heere , oder vielmehr die verstreuten Glieder des Proteus einander entgegen .
Endlich treffen sie sich , und es gibt ein frohes Wiedersehen und Umarmen , bei welchem die dazwischen befindlichen Menschen übel wegkommen ; das nennen sie dann eine Schlacht , und meinen , sie wären es , die selbige geschlagen , während doch nur Eisen und Stahl sich lebhaft begrüßten , und die Schlünde des Erzes einander feurige Küsse zuwarfen .
Ebenso geht es mit Silber und Gold .
Wo dessen eine Menge vorhanden ist , da regt sich in ihm die Lust , mit einem Schatze , der anderswo liegt , verbunden zu sein .
Die bösen roten und weißen Zauberaugen schauen nach Händen um , welche den Gefallen ihnen täten , der Wucherer und Betrüger , den sie erblicken , wird von ihnen bestrickt , er muß daran , und mit allerhand schlimmen Künsten die getrennten Horte zusammenbringen .
Er meint , den Mammon zu haben , und der Mammon hat ihn .
Aber über den Redlichen ist diesem die Gewalt versagt , daher der auch für die Vereinigung der Metalle nichts tut , den Proteus , wenn dieser sich aus Irrtum einmal zwischen seine Finger verirrte , sogleich wieder aus denselben fallen läßt , mit anderen Worten zeitlebens arm bleibt .
Also geht es zu in der Welt ; das wissen wir alle .
Wie anders und schöner es aber geworden wäre , wenn die Erde die Vöglein aus den Eiern sich zur Gesellschaft hätte ausbrüten können , das deutet in gewissem Maße uns der Mondschein an .
Nämlich , als schon die Fixsterne die Flucht ergriffen hatten , und die Kometen zu früh zur Welt gekommen waren , tönte es aus einem Winkel gar lieblich und bat um milde Behandlung .
Die Erde sah nach , und bemerkte , daß eins der Eier zurückgeblieben war , dessen Inwendiges sich eben zum äußeren Leben hindurchrang .
Es war eine sanfte Mädchengestalt , viel sanfter und zarter , als die anderen , welche , sobald sie nur auf ihren kleinen Füßen stehen konnte , unaufgefordert der Erde den Eid der Treue leistete , und versprach , ihr immer hold und gewärtig zu sein .
Die Erde aber , welche der Undank der übrigen tief erbitterte , und in welcher sich schon Proteus , der Metallverdruß abgelagert hatte , ließ , wie es in solchen Fällen geht , die Unschuldige büßen , verstieß sie mit harten Worten , und rief , sie möchte sich ihre Kameraden am Sternenhimmel suchen , ihr solle sie nicht vor die Augen kommen .
Und damit schüttelte sie sich dermaßen , daß die arme kleine Luna eine weite Strecke weit weggeschleudert wurde .
Aber sie ließ sich in ihrer treuen Sinnigkeit nicht irremachen .
War ihr auch ein näheres Verhältnis untersagt , so konnte ihr doch niemand verbieten , der zornigen Mutter zu folgen , und sie in gemessener Entfernung zu umkreisen .
Das hat sie denn nun auch redlich die vielen tausend Jahre her getan und wird es tun bis an der Welt Ende , was aber wahrscheinlich noch lange ausbleibt .
Der Zorn der Erde ist längst vorüber , und sie lechzt eigentlich im stillen innigst nach der Vereinigung mit Lunen .
Allein diesem Umstande tritt die inzwischen entstandene Schöpfung entgegen , da sich voraussehn läßt , daß , wenn die beiden großen Mächte zusammenkämen , Wälder und Felder , Tiere und Menschen dazwischen zerquetscht werden würden .
Ein solches Verderben will nun die Erde als gute Haushälterin nicht , und so hat denn an ein Auskunftsmittel gedacht werden , und Luna hat sich entschließen müssen , nur zu scheinen .
Der Mondschein ist der schwärmerische Ersatz für den Kuß der Mutter und Tochter .
Er ist kein bloßer Schein ; Luna haucht in ihm ihre Liebe an den Busen der Mutter , welche davon bis in ihre Tiefen selig erschüttert wird .
Nicht Geheimes , oder Unbekanntes verkünde ich , was ich erzähle , ist jedem bewußt .
Wer hat nicht die Zauber der Mondnacht empfunden ?
Alle Geschöpfe fühlen , daß etwas Großes , Liebes vorgehe , und sind in einer Art von Verwandlung , die Läuber der Bäume zittern , die Blumen spenden süßen Duft , die Lilien schicken leichte Flämmchen aus ihren Kelchen , die Vögel singen im Schlafe , und in den Herzen der Menschen sprießt die Liebe .
Immer stärker wird das Verlangen Lunas nach der guten , gekränkten Mutter , sie wächst mit ihren Wünschen und wird aus der Sichel zur Halbscheibe , aus dieser zum Vollmonde .
Aber Proteus , dem alles sanfte Zerfließen ein Greuel , ärgert sich und ergrimmt zu wilden Gedanken , wenn die Sachen so weit gekommen sind .
Die Erze in den Schachten rauschen und glimmern , die Waffen in den Rüstsälen klirren , die Goldstücke und Taler in den Säckeln der Reichen klappern unheimlich .
Vor diesem bösen Wesen erschrickt Luna , nimmt ab bis zum Neumonde , und scheint für immer verschüchtert zu sein .
Aber wer kann das Herz zwingen ?
Kaum hat sich der grimme Proteus wieder etwas zur Ruhe begeben , so blinkt auch die liebe Sichel wieder am Saume des Horizonts hervor , und das trauliche Spiel beginnt aufs neue .
Den Tod hätten wir gewiß alle davon , wenn Luna das Verbot der Mutter überwände , und sich , anstatt des Scheins , an ihr Herz legte .
Aber gedenke ich , wie glücklich mich schon der Mondschein gemacht hat , in welchen süßen Frieden er mich einschlummernd gewiegt , so möchte ich mir oft einen so frohen Untergang wünschen , nach welchem wir vielleicht als leichte Wolkenträume in einer höheren Ordnung der Dinge wieder auferständen .
Siebentes Buch .
Byzantinische Händel Erstes Kapitel Erstes Kapitel Abermals sah Hermann das tiefe gewundene Tal vor sich liegen , aus welchem die weißen Fabrikgebäude des Oheims hervorleuchteten .
Die Maschinen klapperten , der Dampf der Steinkohlen stieg aus engen Schloten und verfinsterte die Luft , Lastwagen und Packenträger begegneten ihm , und verkündigten durch ihre Menge die Nähe des rührigsten Gewerbes .
Ein Teil des Grüns war durch bleichende Garne und Zeug dem Auge entzogen , das Flüßchen , welches mehrere Werke trieb , mußte sich zwischen einer Bretter-und Pfosteneinfassung fortzugleiten bequemen .
Zwischen diesen Zeichen bürgerlichen Fleißes erhoben sich auf dem höchsten Hügel der Gegend die Zinnen des Grafenschlosses , in der Tiefe die Türme des Klosters .
Beide Besitzungen nutzte der Oheim zu seinen Geschäftszwecken .
Auch die geistliche hatte er unter der Fremdherrschaft zu billigem Preise erworben .
Lange Gebäude , mit einförmigen Trockenfenstern versehen , unterbrachen die Linien der gotischen Architektur auf der Höhe und in der Tiefe ; der Wald , welcher die Hügel bedeckte , war fleißig gelichtet .
Gräfin Theophilie kam ihm entgegen , in einem Buche lesend .
" Was führt Sie her ? " fragte sie ihn .
Er gab eine allgemeine , ausweichende Antwort , und da er von ihr manches über den Oheim zu erfahren wünschte , so trug er sich ihr zum Begleiter an .
Sie gingen über angenehme Busch- und Wiesenplätze .
Die Bleichen und Betriebsamkeitsstätten vermied sie , nach anderen Gegenden strebte sie mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit hin .
Er sah an solchen Stellen Rasenbänke oder Überbleibsel ehemaliger Pavillons und Tempel .
Sie stiegen den Berg hinauf , und standen nach einer kurzen Wendung vor dem Seitenflügel des Schlosses .
" Wenn meine Gesellschaft Sie nicht langweilt , und die enge Wendeltreppe Sie nicht abschreckt , so kommen Sie immerhin noch ein wenig zu mir " , sagte sie .
Als er sich oben nach kurzem Gespräch von ihr beurlauben wollte , hielt sie ihn angelegentlich zurück und rief : " Sie sehen ein , wie wohl es mir tut , mit jemand mich zu unterhalten , auf dessen Stirn nicht der Wechselkurs geschrieben steht , oder dessen Kleider nicht vom Rauche der Maschinen duften !
Das Plaudern ist von alters her mein Element , ich finde es sehr begreiflich , daß jene Französin in den amerikanischen Wildnissen einige hundert Meilen weit wanderte , um mit einer Nachbarin zu schwatzen , und ich könnte es in gleichen Verhältnissen ihr wohl nachtun .
Da nun heute zum Glück ein Herr Nachbar mich besucht , so will ich diese Gunst des Zufalls auch recht ausbeuten . "
Er erwiderte ihr , der Oheim werde es übelnehmen , daß er in seiner Nähe verweile , ohne ihn zu begrüßen .
Sie erzählte ihm darauf , daß jener nicht mehr oben im Schlosse wohne , sondern mit dem ganzen Hausstande in das Kloster unten im Tale gezogen sei , um dem Arzte näher zu sein , da er seit dem Mordanfalle auf dem Feste des Herzogs beständig kränkle .
" Überhaupt " , fügte sie hinzu , " ist er jetzt mit einem Hausgeschicke so beschäftigt , daß ihm alles andere ziemlich gleichgültig sein wird .
Unsereiner , die von Haus und Hof weggekauft worden ist , tut es recht wohl , zu sehen , wie die Fügungen der Natur sich nicht abkaufen lassen , und dem größten Rechner eine unsichtbare Gestalt zur Seite geht , welche allerhand Ziffern dem Kalkül einmischt , auf die er nicht gezählt hatte . "
Da diese Anspielungen sein verwandtschaftliches Gefühl beleidigten , so suchte er dem Gespräche eine andere Wendung zu geben , und befragte sie über einige Verhältnisse des Hofes , an dem sie ihre Rosenzeit zugebracht hatte , worüber er denn auch gleich die genaueste und freigebigste Auskunft erhielt .
Sie ging hinaus , um einige Bestellungen für das Abendessen zu geben , welches er mit ihr einnehmen sollte , und er benutzte diese Pause , sich in ihrem Zimmer umzuschauen .
Eine Menge sehr sauber gezeichneter Geschlechtstafeln der ersten Familien des Landes hing an den Wänden umher , zwischen denselben sah man viele vornehme Gesichter in Miniaturporträts .
Als er den Inhalt eines kleinen Bücherschranks musterte , erblickte er sämtliche Jahrgänge des Gothaer historisch-genealogischen Kalenders in Reihe und Glied aufgestellt , damals einundsechzig an der Zahl , welche in solcher Vollständigkeit sich wohl schwerlich in der Bibliothek einer zweiten Dame versammelt haben mögen .
" Das ist mein Zirkel " , sagte sie lächelnd , als sie ihn in die Betrachtung dieser Dinge versenkt fand .
" Die Stammbäume habe ich selbst gezeichnet , und mich dabei im Gedächtnis der Personen erfreut , die ich gekannt , und wenn ich die Blätter der Kalender aufschlage , so blühen mir bei jeder Familie Geschichten entgegen .
Die Gegenwart kann mir nicht gefallen , Zukunft hat ein armes Fräulein bei Jahren nicht mehr , da suche ich denn an der Vergangenheit , in der das Leben etwas wert war , meine Tage zu fristen . "
Er fühlte , welcher Ton hier anzuschlagen sei , um sich behaglich zu empfinden .
In einem der Kalender blätternd , nannte er den Namen eines der darin verzeichneten gräflichen Häuser , und hörte sogleich aus dem Munde seiner Wirtin das anmutigste Reise- und Liebesabenteuer , welches den Stammherrn vor soundso vielen Jahren betroffen hatte .
Nun waren die Schleusen der Unterhaltung einmal aufgezogen .
Erzählungen entwickelten sich aus Erzählungen , eine Geschichte nach der anderen schachtelte sich ein , und wenn der ursprüngliche Faden schon ganz verlorengegangen zu sein schien , so sprang irgendwo wieder durch eine Hof- und Staatsfigur unvermutet der Zusammenhäng hervor .
Scheherezade schien aus ihrem Grabe erstanden zu sein , um einem andächtigen Zuhörer die Gesamtchronik des Lebens der höheren Stände zu offenbaren .
Hermann fühlte sich auf das angenehmste gefesselt , und berührte die Speisen kaum , welche inzwischen aufgetragen worden waren .
Alle diese Verwicklungen , Galanterien , Mißverständnisse , Entzweiungen und Versöhnungen , welche so vielen hohen Personen , von denen die meisten ihr Blatt in der Geschichte besaßen , einen bedeutenden Teil ihrer Zeit hinweggenommen hatten , drehten sich zwar eigentlich um nichts , aber es war das liebenswürdigste Nichts , was man sich denken konnte , und selbst der feine Duft zierlicher Sünde , welcher sich durch die Kapitel dieses weitschichtigen Romans hindurchzog , verlieh den Begebenheiten , wie sehr man sie auch hin und wieder tadeln mußte , einen besonderen Reiz mehr .
Was aber die Hauptsache war : eine lebende Person gab in diesen Historien ihr Leben , das was ihr das Leben bedeutet hatte , aus , und Lebendiges wirkt immer , es sei auch was es sei .
Als die erzählende Dame einmal Atem schöpfen mußte , und hierdurch eine Unterbrechung ihrer Mitteilungen entstand , nahm Hermann die Gelegenheit zu reden , wahr , und sagte : " Eins ist mir bei Ihren Geschichten höchst merkwürdig .
Ich sehe Fürsten , Heerführer und Staatsmänner , welche mit dem größten Ernste das Schicksal der Völker geleitet und entschieden haben , während der Zeiten ihrer würdigsten Tätigkeit in die leichtesten , ja leichtfertigsten Händel verstrickt .
Was uns andere leidenschaftlich abwärts getrieben haben würde , scheint sie , wie ein flüchtiges Aroma , nur zu noch energischerem Wirken zu begeistern , und das Bewußtsein , welches uns in derartigen Strudeln abhanden gekommen wäre , in ihnen zu steigern .
Es kommt mir daher fast so vor , als ob man , um die recht großen Dinge in der Welt zustande zu bringen , weniger arbeiten , als genießen müsse , und daß Mühe und Fleiß eigentlich doch nur Ameisenwerk schaffen . "
Theophilie versetzte :
" Das ist Philosophie , und auf diese habe ich mich nie verstanden .
Aber die Uhr schlug eins , und ich muß Sie entlassen , so gern ich auch die Nacht hindurch noch fortplauderte . "
- Ihre Wangen glühten von den lebhaften Gesprächen , ihre Augen glänzten von fröhlicher Aufregung .
Beim Abschiede gab sie ihm die Hand und sagte : " Ich ahne , weswegen Sie gekommen sind , glaube aber nicht , daß Ihr Vorhaben Ihnen gelingen werde .
In jedem Falle haben Sie an mir eine treue Freundin . "
Er tappte die Wendeltreppe , auf welcher das Licht der aufgehängten Lampe erloschen war , hinunter , und klinkte an der Pforte , um hinaus und nach dem Wirtshause zu gelangen .
Zu seinem großen Schreck war sie verschlossen .
Über einen Gang sich tastend , nicht ohne Furcht , irgendwo zu stürzen oder anzulaufen , fühlte er zwar mehrere Türen , aber kein Drücker wollte seiner Bemühung zu öffnen , weichen .
Er horchte , ob sich nicht ein Geräusch wollte vernehmen lassen , aber umsonst ; in dem ganzen Gebäude herrschte eine Totenstille .
Um nicht auf dem kalten Estrich schlafen zu müssen , suchte er die Wendeltreppe wieder und klemmte empor .
Er hoffte , Theophilien noch wach zu finden .
Oben stieß er an eine Türe , die gleich aufging .
In dem dunklen Gemache stand etwas , wie ein Bette ; wie es schien , mit Kissen versehen .
Kurz entschloß er sich , und um eine ihm doch eigentlich ganz fremde Dame nicht zu stören , warf er sich in seinen Kleidern auf die Lagerstätte , die , sonderbar schmal und kurz , ihm nach einer ermüdenden Reise doch einige Stunden Schlummer versprach .
Wirklich schlief er ein , erwachte aber bald wieder von einem lauten Reden in seiner Nähe .
Er rieb sich die Augen , und konnte , als er ganz munter geworden war , nicht zweifeln , daß er neben dem Schlafzimmer Theophiliens , und von ihr nur durch eine dünne Tapetentüre geschieden , sein Nachtquartier aufgeschlagen hatte .
Höchst bestürzt über diese Indiskretion des Zufalls zog er den Atem an sich , um seine Anwesenheit auch nicht durch das leiseste Geräusch zu verraten .
Aber er hörte in diesem gespannten , ängstlichen Zustande nur um so genauer , und verlor kein Wort von dem , was die Schläferin mit den vier Wänden laut verhandelte .
Sie redete nicht , wie dies sonst zu geschehen pflegt , in abgebrochenen Worten , sondern fließend , zusammenhängend , als setze sie die Erzählungen des Abends fort .
Plötzlich macht sie eine Pause ; es war Hermann , als ob sie sich im Bette aufrecht setze .
Sie brach in ein leises , inniges Lachen aus , daß es durch die Nacht unheimlich klang .
Nun begann sie französisch zu sprechen , und mit Erstaunen hörte er die Namen seines Oheims , der Tante und des Grafen Julius .
Dieses Erstaunen wurde Bestürzung , Scham , ja Entsetzen , als sich nach und nach eine Geschichte vernehmen ließ , in welcher jene Personen die handelnden Figuren waren , und welche am allerwenigsten für die Ohren des Neffen taugte .
So wurde er in tiefer grauenvoller Nacht durch eine Unbewußte , ihrer Sinne nicht Mächtige , Mitwisser eines schrecklichen Familiengeheimnisses .
Er wendete sich , um nichts weiter zu hören , aber immer zog ihn das Gelüste des Schrecks nach der verhängnisvollen Kunde , und erst als die Redende aufhörte , sank er erschöpft zurück .
Ein Schrei erweckte ihn .
Es war heller Tag .
Theophilie stand im Morgengewande vor ihm .
" Um des Himmels Willen ! " rief sie , " wie kommen Sie in dieses mein Zimmer ?
Ich hätte den Tod von Ihrem Anblicke haben können . "
- Er versuchte , seine Sinne zu sammeln , und stammelte die Geschichte seiner Einsperrung und seines Fehlgehens daher .
Noch hatte er nur auf sie geachtet .
Wie wurde ihm aber , als er seine Lagerstatt in Augenschein nahm !
Ein seltsames Bette !
In einem Sarge hatte er geschlafen , in einem Sarge , welchen Taburetts umstanden , auf denen die zu einem vollständigen Leichenanzuge gehörigen Stücke lagen .
Entsetzt sprang er von diesem furchtbaren Lager auf .
Theophilie lächelte .
" Tun Sie doch , als sähen Sie Gespenster , und doch ist es das Gewöhnlichste , Bekannteste , was Ihre Augen erblicken " , sagte sie .
Sie lud ihn zum Frühstücke ein .
Als er die ihm vorgesetzte Tasse unangerührt stehen ließ , und noch immer , wie abwesend , dasaß , stieß ihn Theophilie an , und rief : " Wie ist es möglich , daß ein Sarg und ein Sterbekleid einen beherzten Mann so außer Fassung bringen können ?
Ich bin allein , eine Fremde unter Fremden .
In Ihrer Tante starb die einzige Freundin , welche ich noch hatte .
Was ist natürlicher , als daß ich mir meine letzte Behausung und Hülle fürsorglich zubereiten ließ , da mir die Arme der Liebe nach meinem Hinscheiden diesen Dienst doch nicht leisten werden .
Man stirbt wegen dergleichen nicht eine Stunde früher . "
Sie hatte bald ihren fröhlichen Ton völlig wiedergefunden , neckte ihn mit seinem Tiefsinn , und meinte , das Abenteuer , einen jungen Mann so Wand an Wand zu beherbergen , sei allerliebst .
" Und ungefährlich für Tugend und Ruf " , sagte sie mit freiem Scherze , wie er nur ihr anstand , " denn dieser Jüngling war eine Leiche , und scheint , auch auferstanden , noch keine Kraft gesammelt zu haben . "
Er versuchte , in diese Scherze einzustimmen ; es wollte nicht gelingen .
Nachdenklich versetzte er :
" Das Schicksal gibt uns oft sonderbare Zeichen .
Es ist eigen , daß ich gerade jetzt , wo so manche Entscheidungen sich an mein Leben herandrängen , mich wider Willen in einem Gehäuse ausstrecken mußte , worin , wenigstens auf geraume Zeit , Sinn und Gefühl und Erinnerung erlöschen werden . "
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Er stieg den Berg zum Kloster hinunter .
Die mannigfaltigen Gewerbvorrichtungen , welche er nun im einzelnen musterte , berührten seine Auge noch unangenehmer , als Tages zuvor .
Diese anmutige Hügel- und Waldnatur schien ihm durch sie entstellt und zerfetzt zu sein .
Das freie Erdreich mit Bäumen und Wasser , welches die Seele sonst von jedem Drucke zu erlösen pflegt , lastete auf der seinigen mit stumpfem Gewichte , weil es doch auch nur als Sklave im Dienste eines künstlich gesuchten Vorteils sich zeigte .
Um alle Sinne aus der Fassung zu bringen , lagerte sich über der ganzen Gegend ein mit widerlichen Gerüchen geschwängerter Dunst , welcher von den vielen Färbereien und Bleichen herrührte .
Erst als er sich dem Kloster ganz nahe befand , wurde ihm wohler .
Rings um die wellenförmige Erhöhung , auf welcher die Gebäude standen , zogen sich die schönsten Blumenpartien .
Alle Umgebungen waren in einen wohlausgestatteten Garten verwandelt worden .
Orangerien und Gewächshäuser zeigten sich an mehreren Punkten .
Er fand den Oheim , zu dem er ohne weiteres geführt wurde , in seinem Comptoir , umgeben von vielen Geschäftsleuten und Kommis .
Sie saßen um einen großen grünen Tisch nach Art eines Kollegiums , der Oheim nahm in einem Lehnstuhle die Oberstelle ein .
Er begrüßte Hermann mit kurzen , freundlichen Worten , und bat ihn , zu verziehen , bis die Konferenz beendigt sei , welche darauf ihren Gang ungestört weiter nahm .
Hermann konnte bald an den Verhandlungen sehen , daß hier keine Geschäftsführung im gewöhnlichen Sinne stattfinde .
Nicht ein Herr mit verschiedenen , nur die Ausführung besorgenden Dienern war vorhanden , sondern ein jeder Geschäftszweig hatte seinen unabhängigen Vorstand , welcher innerhalb desselben frei nach eigenem Ermessen verwaltete .
So trat in der Versammlung ein Direktor der Glasfabrik , der Bergwerke , der Brau- und Brennerei , der Webstühle , der Porzellanmanufaktur hervor , und noch manche andere Fabrikstätten wären zu nennen .
Diese Vorstände berichteten dem Oheim die Resultate ihrer Tätigkeit in der verfloßenen Woche .
Wo mehrere oder alle Gewerbeszweige ineinandergriffen , wie bei dem Verkehr mit Amerika , wurde die Beratung ganz kollegialisch , die Stimmenmehrheit entschied streitige Punkte .
Jedes Departement schien auch seine abgesonderte Kasse zu haben , denn die Vorstände rechneten miteinander ab , und es kam vor , daß einer von dem anderen sich eine Anleihe erbat , die dann auch , wie die dabei gemachten Bemerkungen erwiesen , ihre kaufmännischen Zinsen tragen mußte .
Ein Sekretär , welcher am unteren Ende der Tafel saß , führte über den Einhergang Protokoll .
Die Autorität des Oheims bestand nur in der Präsidentschaft .
Er hörte die Berichte der einzelnen Direktoren an , äußerte darauf seine Meinung , die jedoch niemals wie ein Befehl klang , lächelte beifällig , wenn sie angenommen wurde , und ließ es geschehen , wenn der Referent sie verwarf .
Trat eine allgemeine Beratung ein , so beschränkte er sich darauf , die Debatte zu leiten , abschließlich den Inhalt der verschiedenen Meinungen zusammenzufassen , und bei Stimmengleichheit durch sein Votum zu entscheiden .
Hermann wohnte mit Verwunderung dieser Sitzung bei .
Die Größe der zirkulierenden Summen , die Mannigfaltigkeit der Geschäfte , die Unabhängigkeit der Verwaltungen , und dann doch wieder ihre innige Verzweigung , der Blick nach Rio und Vera Cruz , der sich von Zeit zu Zeit auftat , alles dieses zusammengenommen gab ihm das Bild des Welthandels und zugleich eines " königlichen Kaufmanns " der Gegenwart .
Wunderbar stach gegen die kolossale Gestalt dieses Betriebes die körperliche Erscheinung des Herrn und Meisters ab .
Hermann fand den Oheim sehr verändert .
Er saß gebeugt , und mit dem Kopfe zitternd in seinem Lehnstuhle , und nur die Augen , sowie seine Reden verrieten noch die ungeschwächte geistige Kraft .
Als die Geschäftsvorstände sich entfernt hatten , bewillkommte ihn der Oheim , sich mühsam im Sessel emporrichtend .
Hermann nötigte ihn zum Sitzen zurück , und wollte nach den ersten Reden die Absicht seines Kommens darlegen .
" Laß es " , sagte der Oheim , " du kennst meine Grundsätze darüber .
Oder wenn du dich durchaus getrieben fühlst , die Sache weiter zu verfolgen , so warte damit noch ein acht Tage , sieh dich indessen in der Gegend und in den Fabriken um , vielleicht kommst du dadurch selbst von deinem Vorsatze ab . "
" Wenigstens müssen Sie diesen vernehmen " , sagte Hermann .
" Ich kann die Ungewißheit , worin ich über Cornelien schwebe , nicht länger ertragen .
Was Sie mir damals auf dem Schlosse des Herzogs eröffneten , wurde in Eile und Zerstreuung gesprochen ; eine ruhige Überlegung verhinderte das unglückliche Ereignis , welches Sie zu schleuniger Abreise zwang .
Cornelie hat mir auf alle meine Briefe nicht geantwortet .
Eine Entscheidung will und muß ich haben , und deshalb bin ich hier . "
" Diese Entscheidung soll dir werden " , versetzte der Oheim , den der bewegte Ton , mit dem Hermann sprach , nicht ungerührt zu lassen schien .
" Warte die Zeit ab .
Ich will ja dir , ich will keinem mit Absicht Unrecht tun , gönne mir ein paar Tage , die Sache noch einmal für und wider zu überlegen , und unterdessen sei mein Gast . "
Mit dieser Erklärung mußte Hermann vorderhand zufrieden sein .
Bei Tische erwartete er vergebens Cornelien , nach deren Anblicke er sich sehnte und den er doch fürchtete .
Dagegen zeigte sich Ferdinand auf einen Augenblick .
Sowie der Knabe aber Hermanns ansichtig wurde , färbten sich seine Wangen hochrot , er warf entrüstet die Serviette auf den Teller und rannte hinaus .
Der Oheim schickte ihm einen zornigen und kummervollen Blick nach .
Nachdem die Verlegenheit , welche durch diesen unzweideutigen Auftritt entstanden war , sich verloren hatte , überblickte Hermann die Tischgesellschaft .
Sie war ziemlich zahlreich , und bestand wohl aus dreißig Personen .
Die Hausgenossen , die unverheirateten Geschäftsleute und Vorstände , und mehrere junge Engländer und Franzosen , welche , angezogen vom Rufe des Oheims , bei ihm in die Lehre gingen , bildeten sie .
Man setzte sich , sobald die Suppe erschien , ohne auf die Ausfüllung einiger leeren Plätze zu warten ; das Gespräch war ziemlich laut , und Hermann konnte bemerken , daß der Ton , welcher hier herrschte , sehr ungezwungen , ja derb war .
Der Oheim sprach halbleise nur mit seinem nächsten Nachbar , und sah meistenteils niedergeschlagen vor sich hin .
Von Frauenzimmern war , außer einigen Wirtschafterinnen , niemand zu erblicken .
Als man schon ziemlich weit in der Mahlzeit vorgeschritten war , erschienen die verspäteten Tischgenossen ; Hermann sah überrascht zwei alte Bekannte wieder , den Rektor und den Edukationsrat .
Letzterer begrüßte ihn freundlich , dagegen dankte der Rektor kaum der Bewillkommnung , und schien die ganze Tafel über mit einer heimlichen Entrüstung zu kämpfen .
Nach Tische suchte Hermann mit dem Oheim ins Gespräch zu kommen , und sich über so manches , was hier bereits seine Aufmerksamkeit gereizt hatte , Belehrung zu verschaffen .
" Ich bin heute morgen Zeuge einer Verhandlung gewesen " , sagte er , " nach der es den Anschein gewann , als hätten Sie sich bereits zur Ruhe gesetzt , und anderen Ihr ganzes Geschäft übertragen .
Und dennoch widerspricht dem alles , was ich von Ihnen sonst sehe und weiß . "
" Wenn ich nicht irre , sagte ich dir schon einmal , daß man nur bis auf einen gewissen Punkt besitze " , versetzte der Oheim .
" Erreicht das Vermögen eine Größe , welche das Maß der sogenannten Wohlhabenheit übersteigt , sind die Geschäfte zu einem hohen Grade der Ausdehnung gediehen , so muß man andere schalten und walten lassen .
Wer dann noch selbst in alles eingreifen , jedes einzelne in eigener Person ordnen zu können wähnt , macht über kurz oder lang die Erfahrung , daß nichts nach seinem Willen geschieht , und wird allerorten getäuscht und betrogen .
Ich sah diesen Wendepunkt meines Schicksals , als ich das Kloster und die Besitzungen des Grafen angekauft hatte , und meine Fabrikplane anfingen , in Erfüllung zu gehen .
Deshalb entschloß ich mich , aus meinen Dienern und Faktoren , welche zum Glück sich in meiner Schule tüchtig herangebildet hatten , selbständige Herrn zu machen , ihnen als Gesellschaftern die Kapitalien , welche ich für die verschiedenen Geschäftszweige bestimmt hatte , vorzustrecken , und einen jeden übrigens auf eigene Gefahr sein Departement verwalten zu lassen .
Bis jetzt habe ich mich bei dieser Einrichtung sehr wohl befunden .
Die Direktoren treiben das Geschäft zu eigener Ehre und Vorteil , und bringen deshalb einen weit lebhafteren Schwung hinein , als wenn sie nur meine Handlanger wären , die wöchentlichen Konferenzen erhalten mich mit dem Ganzen im Zusammenhänge , und da in den Hauptsachen doch immer auf meinen Rat gehört wird , so lenke ich im Grunde alles nach wie vor . "
" Eins fiel mir auf " , sagte Hermann .
" Warum lassen Sie von Anleihen , welche ein Institut von dem anderen macht , Zinsen geben , da doch das gesamte Betriebskapital Ihnen gehört ?
Sie scheinen solchergestalt sich selbst die Interessen zu entrichten . "
" Nicht so ganz " , versetzte der Oheim .
" Die Direktoren haben nur von den reinen Überschüssen ihren Anteil .
Sie müssen sich daher bestreben , die Zinsen durch vorteilhafte Spekulationen einzubringen ; und da dies in den meisten Fällen gelingt , so gewinnt die Anleihe ihre Interessen in der Tat und nicht bloß zum Schein . "
Jemand , der wie ein Metallarbeiter aussah , kam und brachte ein Päckchen Papiere in einem blauen Umschlage .
" Es sind die bestellten Kassenscheine " , sagte er , " sehen Sie zu , ob sie Ihnen recht sind . "
Der Oheim nahm die Papiere aus dem Umschlage , hielt sie gegen das Licht , prüfte die Stempel , und gab einige Stücke an Hermann .
Dieser sah , daß es Banknoten waren , über größere und kleinere Summen lautend , mit dem Geschäftssiegel und der Namensunterschrift des Oheims versehen .
" Es ist gut so " , sagte er zu dem Arbeiter , " die Proben gefallen mir , und ihr könnt nun die euch aufgegebene Anzahl verfertigen .
Ich habe es für vorteilhaft gehalten , dieses Papiergeld zu kreieren , dessen Honorierung mir von allen bedeutenden Handelshäusern in den benachbarten Städten zugesagt worden ist " ; mit diesen Worten wandte er sich gegen Hermann .
" Es ist ein leichtes Zahlungsmittel für alle meine Angehörigen und Arbeiter , und ich erspare damit ebensoviel bares Geld , welches nun wieder andrerorten tätig sein kann .
Ich sehe " , fuhr er fort , " in den so übel berüchtigten Anleihen der Staaten nichts Schlimmes .
Nicht in der vorhandenen Maße der edlen Metalle , sondern in den produktiven Kräften beruht der Reichtum einer Nation , und es ist gleichgültig , ob diese Kräfte durch Silber und Gold , oder ob sie durch Papier in Bewegung gesetzt werden , ja , es ist ein gutes Zeichen , wenn man zu letzterem greifen muß , um den Überschuß der Tätigkeit auszugleichen . "
Ein kleiner Rollwagen fuhr unter dem Fenster vor , von zwei rüstigen Burschen gezogen .
Der Oheim sah mit einem schwermütigen Lächeln seine schwachen und gebrechlichen Füße an , und sagte :
" Dagegen hilft nun freilich weder Spekulation , noch Papiergeld .
Willst du , neben diesem kindischen Fuhrwerke hergehend , mich durch die Anlagen begleiten ? "
Hermann half ihm in den Wagen , und das Gespann setzte sich in Bewegung .
Der Oheim ließ sich durch seinen Blumengarten fahren , welcher von der geschmackvollsten Auswahl und sorgfältigsten Pflege zeugte .
Bei den schönsten Exemplaren mußte der Wagen stillhalten , der Oheim hob die Kelche mit leiser Hand auf , und senkte seinen sehnsüchtigen Blick in ihre bunte Tiefe , oder sog den Wohlgeruch verlangend ein .
Zwischen dieser zarten Beschäftigung fuhr er fort , den Neffen über Handels- und Gewerbesverhältnisse zu unterrichten .
Auf einer Anhöhe , welche die eigentlich botanische Region bildete , stand ein Gartenhaus , worin die Bibliothek befindlich war , die zu solchem Platze sich eignete .
Der Oheim stieg aus , nahm ein Werk zur Hand und schlug darin etwas nach .
In einiger Entfernung , an der Abdachung des Hügels sah Hermann Leute beschäftigt , und ging , da der Oheim bei seiner Lektüre blieb , zu ihnen .
Man hatte eine Wand des Hügels mit künstlichem Fels umsetzt , zwischen dessen Spalten Rhododendren und andere Staudengewächse blühten .
In der Mitte öffnete sich dieser Felsen zu einem Gewölbe , dessen Ausmauerung die Arbeiter beschäftigte .
Hermann vernahm auf Befragen , daß das Gewölbe bestimmt sei , die Reste der Tante aufzunehmen , welche der Oheim nur vorläufig im Erbbegräbnisse des Schlosses habe niedersetzen lassen .
Dieser Platz aber sei zu ihrer Ruhestätte erwählt worden , weil sie denselben vorzugsweise geliebt habe .
Wirklich hatte man von dort die reizendste Aussicht .
Gerade aus der Tiefe , beinahe senkrecht ihr gegenüber , stieg ein mächtiger Fels auf , den eine schöne frische Wiese , von klaren Quellbächen befeuchtet , umgrünte , hinter demselben erhob sich die Waldhöhe , von welcher das Schloß stolz herabblickte .
Das Maschinenwesen war nach dieser Seite noch nicht vorgedrungen .
Man sah auf Berg und Tal , wie sie Gott geschaffen hatte .
Was Hermann von den Marmoren , die weither geschafft würden , von den prächtigen Gußeisenarbeiten , die der Oheim bestellt habe , vernahm , überzeugte ihn , daß Gattenliebe hier das kostbarste Mausoleum gründen wolle .
Sich selbst hatte der Oheim in dieser Gruft auch die letzte Rast bestimmt , wie die Arbeiter sagten .
Er saß noch bei sinkendem Abend , und lange nachdem die Leute den Platz verlassen hatten , an dieser ernsten Stätte .
Dachte er an die Erzählung aus Theophiliens Schlafreden , so mußte er wünschen , geträumt zu haben ; denn hatte sie wirklich gesprochen und die Wahrheit gesagt , so erschien der ganze Zustand der armen Menschen ihm unselig hohl und lügnerisch .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel In den folgenden Tagen durchstreifte er mit einem erfahrenen Führer , welchen der Oheim ihm beigegeben hatte , die Gegend , und besah die Fabriken .
Fast alle Zweige dieser Art menschlicher Tätigkeiten hatten sich hier im Umkreis weniger Stunden abgelagert .
Man mußte wirklich über den Geist des Mannes erstaunen , der in verhältnismäßig kurzer Zeit eine ganze Gegend umzuformen verstanden hatte .
Aus einfachen Landbauern waren Garnspinner , Weber , Bleicher , Messer- und Sägenschmiede , Glasbläser , Töpfer , Vergolder , ja sogar Zeichner und Maler gemacht worden .
Als er sich bei einigen Vorstehern nach den Mitteln erkundigte , welche diese Verwandlung bewerkstelligt hatten , sagten sie , daß nichts leichter gewesen sei .
Man habe von fernher geschickte Leute des Fachs kommen lassen , welche ihre Kunststücke anfangs wie zum Scherz auf Tanzböden und in Schenkstuben vorgewiesen hätten .
Alsobald sei der Nachahmungstrieb , besonders bei den jüngeren Leuten , rege geworden , da man denn hauptsächlich auf die zweiten und dritten Söhne der Hofsbesitzer Augenmerk genommen habe , welche , zum Dienen bestimmt , unzufriedenen Geistes , sehr froh gewesen wären , einen lohnenderen und ehrenvolleren Erwerbe zu finden .
" Auf diese Weise " , sagten die Vorsteher , " hatten wir in wenigen Jahren aus den Bewohnern der Gegend selbst unsere Pflanzschule herangebildet .
Nun sind von den damaligen Lehrlingen die Geschicktesten schon wieder als Lehrer in die Fremde gegangen .
Es ist zugleich hier ein neues Geschlecht entstanden , ein Mittelstand neben der bäuerlichen Aristokratie , ähnlich den englischen Verhältnissen .
Der Erstgeborene erbt den Hof , und wird nach dem Hofe benannt , setzt also auch eigentlich allein die Familie fort , die anderen Söhne und die Töchter gehen in die Fabriken , und legen sich in der Regel von ihrer Beschäftigung neue Namen bei , gegen das Zeugnis des Kirchenbuchs , und ohne daß die Verbote der Obrigkeit , welche daraus allerhand Verwirrungen befürchtet , etwas fruchten wollen . "
Mußte Hermann diesen Ausweg für eine Menge durch die Geburt hintangesetzter Menschen sehr ersprießlich finden , und sah er auf allen Maschinenstätten , in jedem Lager und Speicher die größte Ordnung und Nettigkeit , wurde es ihm hier recht klar , welch ein großes Ding das Geld , und ein diese Weltkraft bewegender verständiger Geist sei , so fehlte auf der anderen Seite viel , daß ihn alle die nützlichen und lehrreichen Anschauungen , welche er auf dieser Wanderung einsammelte , erfreut hätten .
Vielmehr empfand er einen tiefen Widerwillen gegen die mathematische Berechnung menschlicher Kraft und menschlichen Fleißes , gegen die Verdrängung lebendiger Mittel durch tote , und er konnte dieses Gefühls nicht Herr werden , so bedeutende Resultate er auch vor Augen sah , so große Achtung er vor dem Oheim und seinen Helfern haben mußte .
Abschreckend war die kränkliche Gesichtsfarbe der Arbeiter .
Jener zweite Stand , von welchem die Vorsteher geredet hatten , unterschied sich auch dadurch von den dem Ackerbau Treugebliebenen , daß seine Genossen bei Feuer und Erz oder hinter dem Webstuhle nicht nur sich selbst bereits den Keim des Todes eingeimpft , sondern denselben auch schon ihren Kindern vermacht hatten , welche , bleich und aufgedunsen , auf Wegen und Stegen umherkrochen .
Wie die beiden Beschäftigungen , die natürliche und die künstliche , dem Menschen zuschlagen , sah Hermann in diesem Gebirge oft im härtesten Gegensatze .
Während er hinter den Pflügen Gesichter erblickte , die von Wohlsein strotzten , nahm er bei den Maschinen andere mit eingefallenen Wangen und hohlen Augen wahr , deren Ähnlichkeit die Brüder oder Vettern jener Gesunden erkennen ließ .
Die Amtleute und Richter klagten sehr über die Vermehrung der Frevel , besonders gegen das Eigentum , seit die Gegend eine so veränderte Gestalt angenommen habe .
In den Schleifereien und Erzschmieden griff man jetzt bei der leichtesten Zänkerei gleich zum Messer .
Wenn er mit diesem Zustande das Leben auf dem Schlosse des Herzogs verglich , so fühlte er sich nur noch unbehaglicher erregt .
Es ist wahr , hier gehörte alles tätig der Gegenwart an , und dort zehrte man von Erinnerungen , bestrebte sich umsonst , der Vergangenheit neues Leben einzuhauchen , aber jene Örtlichkeiten und ihre Bewohner erzeugten doch in der Seele eine Stimmung , während er hier vergeblich danach rang , den Knäuel der dumpfen und niederdrückenden Wirklichkeit sich zum Gespinste zu entfalten .
Entschieden war es ihm : wenn diese Bestrebungen weiter um sich griffen , so war es in ihrem Umkreise um alles getan , weswegen ein Mensch , der nicht rechnet , leben mag .
Der Sinn für Schönheit fehlte hier ganz .
Die Stunde regierte und die Glocke ; nach deren Schlage füllten und leerten sich die Arbeitsplätze , traten die Träger ihre täglichen Wege immer in der nämlichen Richtung an , versammelten sich die Hausgenossen zu den gemeinschaftlichen Mahlzeiten .
Bei diesen griff ein jeder nach englischer Manier zu , wo es ihm beliebte ; der Reihenfolge der Speisen achtete man wenig , da sie fast sämtlich zu gleicher Zeit aufgesetzt wurden .
Keine aufwartenden Diener ; eine Magd , welche ziemlich ungeschickt war , nahm Teller und Schüsseln weg , oder ließ sie auch wohl stehen , wie es sich eben traf .
Auf niemand wurde gewartet ; verspätete Ankömmlinge setzten sich , kaum grüßend und begrüßt , nieder , und holten in Hast das Versäumte nach .
Alle diese Unsitten waren für jemand , der in den letzten zwei Jahren in der besten Gesellschaft gelebt hatte , sehr empfindlich .
Lästig fiel Hermann , welcher das Wasser nicht vertragen konnte , auch die Entbehrung jedes sonstigen Trinkbaren bei Tische .
Der Oheim hatte nämlich die Laune , seine Tafel nur mit eigenen Produkten besetzt sehen zu wollen .
Hinsichtlich der Speisen tat dies der Güte des Mahls keinen Abbruch .
Die Meiereien lieferten das saftigste Fleisch , die Gärten das zarteste Gemüse und die schönsten Früchte , die Weiher gaben schwere Karpfen und Hechte her .
Allein mit dem Getränke verhielt es sich anders .
Man braute hier ein sogenanntes Ale , und preßte aus Äpfeln und Birnen Cider .
Nur diese Getränke kamen in geräumigen Flaschen auf den Tisch , wurden aber selbst von den daran Gewöhnten nur mit Zurückhaltung genossen .
Hermann versuchte von beiden , bekam jedoch von dem Ale Kopfweh mit Schwindel verbunden , und wurde nach dem Genusse des Ciders von einem heftigen Erbrechen befallen , so daß er seitdem lieber Durst litt , als so schlimmen Einwirkungen abermals sich aussetzte .
In den Zimmern sah es verworren aus .
Meubles vom teuersten Holze mit schwerer Vergoldung standen neben tannenen Kommoden und Tischen , überall fehlte etwas , oder vielmehr der Widerspruch trat allerorten hervor ; ehemalige bürgerliche Einfachheit und neu erstrebte Pracht lagen miteinander in Streit .
Wertvolle Gemälde , welche der Oheim in den damals aufgekommenen Kunstverlosungen erworben hatte , hingen in dunklen Winkeln , meistens uneingerahmt , während geschmacklose kolorierte Kupferstiche in kostbarer Einfassung an den hellsten Stellen der Wände prunkten .
Zwischen diesem Ungeschick und verdrießlichen Wesen blickte nur ein rührender Zug durch , des Oheims Liebe zu den Pflanzen .
Für sie hatte er den feinsten Sinn , niemand verstand so , wie er , die Gruppen der Blumen , Stauden und Bäume zu ordnen ; die kundigsten Landschaftsgärtner hätten von ihm lernen können .
Unter seinen Gewächsen mußte man ihn sehen , wenn man sich überzeugen wollte , daß die Natur keinem Menschen irgendeine zum Ganzen der Seele notwendige Richtung versagt .
Diese Neigung und die Liebe zu seiner Familie waren die schönen menschlichen Eigenschaften des merkwürdigen Mannes .
Täglich sah ihn Hermann in seinem Wägenchen durch die Anlagen fahren , und stundenlang oben im Gartenhause , oder bei der Gruft der Tante verweilen , deren Schmückung ihm die liebste Beschäftigung geworden war .
Aus manchen Äußerungen ging hervor , daß seine Gedanken ebenso oft bei der schlafengegangenen Gattin , als bei den irdischen Dingen verweilten .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Von der Vergrößerung dieser gewaltigen Besitzungen durch die Standesherrschaft wurde unter den Geschäftsleuten des Oheims , wie von einer ausgemachten Sache gesprochen , obwohl Hermann nicht begreifen konnte , worauf sich , da der Adelsbrief der Ahnfrau aufgefunden worden war , diese Zuversicht stützte .
In den Gesprächen jener Männer , welche , wie wir wissen , bei der Ausdehnung und dem erhöhten Schwunge der Geschäfte selbst beteiligt waren , traten weitgreifende Plane hervor , wie jene Güter zum Fabriknutzen umgewandelt , oder zerstückelt werden sollten , so daß dem Gaste , dessen Erinnerungen sich noch mit Vorliebe dorthin wandten , übel zumute wurde .
Einmal traf er den verdächtigen Amtmann vom Falkenstein bei dem Oheim , der ihm wieder die höhnisch freundlichen Blicke zuwarf , über welche Hermann schon auf dem Schlosse des Herzogs verdrießlich geworden war .
Der Oheim ließ sich über diese Angelegenheit noch gleichgültiger als früher vernehmen .
Seinen Adelshaß verriet er zwar auch jetzt wieder , und wiederholte mit Lebhaftigkeit die Meinung , daß es an der Zeit sei , das Eigentum aus den Händen derer , welche es nicht zu benutzen verständen , in fleißigere übergehen zu lassen .
" Allein mir für meine Person " , fügte er hinzu , " liegt an dem Erwerbe der mir zedierten Besitzungen kaum noch etwas .
Die Sache ist mehr für meine Direktoren , welche noch vorwärts wollen .
Ich werde nur Last und Sorge von diesen Schollen haben . Zudem " , sagte er schwermütig , " für wen sammle ich ? "
Diese Worte bezogen sich auf eine Verlegenheit , welche dem Oheim in seinem eigenen Hause erwachsen war .
Sein einziger Sohn Ferdinand , von dem er natürlich nichts heißer wünschen konnte , als daß er der Erbe seines Sinnes werden möchte , zeigte , sobald er sich zu entwickeln begann , auch nicht die mindeste Neigung zu dem , was eine solche Hoffnung rechtfertigen durfte .
Alles Stillsitzen war ihm zuwider ; es kostete unendliche Mühe , ihm die Elemente der Rechenkunst beizubringen , die Maschinen , zu denen er früh geführt wurde , damit er Geschmack an ihnen bekomme , waren ihm lächerlich und widerwärtig .
Er schlich sich heimlich zu den Werken , verdarb manches schadenfroh , und hatte einmal durch ein geschickt eingeworfenes Hemmnis eine Dampfpresse gewaltsam zum Stehen gebracht , dadurch aber beinahe den Mechanismus zerstört .
Hingegen war es seine Leidenschaft , die gefährlichsten Orte zu erklettern .
Seine ersten Spiele waren Soldatenspiele ; er hatte bald eine Kompanie Knaben zusammengetrieben , welche er zum Erstaunen eines durchreisenden Offiziers völlig regelrecht einexerzierte , obgleich er die Handgriffe nie gesehen hatte .
Als er heranwuchs , war ein Pferd sein dringendstes Verlangen , und der Vater , der für dieses ihm nach langer kinderloser Ehe spätgeborene Kind die weichste Zärtlichkeit hegte , konnte sich nicht entbrechen , ihm eins anzuschaffen .
Nun entband sich erst die ganze Natur des Knaben .
Der Sattel war ihm lästig , er schied ihn von dem Geschöpfe , mit dem er in eins zusammenzuwachsen sich sehnte .
Den Bauchgurt zerschneidend , schwang er sich auf den nackten Rücken des Tiers , umfaßte dessen Hals zärtlich , und ließ sich von ihm über Stock und Stein tragen .
Das alles hatte er insgeheim vorbereitet , denn es zeigte sich in ihm eine merkwürdige Vermischung von Schlauheit und verwegenem Mute .
Dem Oheim sträubten sich vor Entsetzen die Haare , als er von dem tollkühnen Ritt hörte .
Er wollte dem Knaben das Pferd wieder wegnehmen lassen , aber da erfolgten so heftige Ausbrüche der Wildheit , daß man für seinen Körper besorgt wurde , und ihn lieber dem Geschick überließ , welches dem Unerschrockenen nicht selten günstig ist .
Späterhin verfiel er auf das Schießen , wogegen aber der Vater sich mit Festigkeit erklärte , so daß Ferdinand von dem ungestümen Verlangen nach Pistolen und Flinten wenigstens scheinbar abstand .
Gleichwohl sah der Oheim die Wiederholung eines alten Unglücks in seiner Familie voraus , sah voraus , daß der Sohn zerstreuen werde , was der Vater gesammelt ; und diese trübe Besorgnis wirkte dazu mit , die Fäden seines Daseins abzunutzen .
Um das Seinige zu tun , hatte er die beiden Schulmänner zu einer Beratung über das Erziehungssystem , welches in Betreff des Knaben zu verfolgen sein möchte , einladen lassen .
Man kann aber denken , daß deren Gutachten ihm wenig genügten , da ihre Meinungen nur beschränkt und einseitig waren , und seinem scharfen Verstande einleuchten mußte , daß die Mittel , welche sie vorschlugen , und welche einander noch dazu widersprachen , gegen eine entschiedene Richtung der Natur nichts verfangen würden .
Hermann hatte von dem Edukationsrate einen Teil der obigen Notizen eingezogen .
Sprache er mit Theophilien , die er oft des Abends besuchte , von dieser Angelegenheit , so machte sie ein zweideutiges Gesicht .
Sie war recht eigentlich zur Plage des Oheims im Schlosse zurückgeblieben .
Er empfand eine sonderbare Furcht vor ihr , wich ihr aus , wo er nur konnte , und hätte viel darum gegeben , wenn mit ihr die letzte Erinnerung an den ehemaligen Besitzer verschwunden wäre .
Zu dem Ende hatte er ihr bedeutende Summen anbieten lassen , wenn sie ihren Wohnsitz verändern wolle ; welches aber immer höflich von ihr abgelehnt worden war .
Eines Tages brachte Hermann die Sache gegen sie zur Sprache , und fragte in schonenden Wendungen , warum sie einen Ort nicht verlasse , der ihr unmöglich angenehme Gefühle erwecken könne ?
" Lieber " , versetzte Theophilie , " Sie kennen das Unglück nicht .
Wenn Sie wüßten , was es heißt , vom Erbe verdrängt worden zu sein , nicht mit Gewalt und Übermacht , das wäre leidlicher , nein ! auf stillem , rechtlichem Wege , mit erlaubtem Wucher , mit zulässiger Geschäftskunst , Sie würden mich nicht so fragen .
Ihr Oheim hat meinen Bruder zerstört , verführt , zerrüttet und ich bin die Schwester des Grafen Julius .
Er besitzt unsere Schlösser , gönne man uns nur noch , wie jene Frau sagt , ein Grab bei den Gräbern unserer Ahnen !
Hier sind meine Erinnerungen , dieser Schmerz füllt mein Leben aus , es hätte seinen Inhalt verloren , wiche ich von hinnen .
Nein , es bleibe bei der Übereinkunft , die mein Bruder bei dem Verkaufe der Güter machte , daß ich hier zeitlebens Wohnung , und nach dem Tode auch Unterkommen im Erbbegräbnis finden solle .
Ich bin die Hüterin der Rasensitze , der Pavillon , aller der Plätze , die unsere munteren Feste sahen , sie verwildern , verwittern , veralten , wie ich ; ein geheimes Band der Sympathie schlingt sich von ihnen zu mir , ich muß es ehren . "
Hermann wunderte sich über die Erhebung , womit Theophilie sprach .
Dieser Ton war ihr sonst nicht eigen , sie pflegte leicht , ja leichtfertig zu reden , aber sie geriet , wie er nunmehr öfter wahrnehmen konnte , jedesmal in jenen Schwung , wenn sie an das Unglück ihres Hauses dachte .
Aus hingeworfenen Reden ließ sich schließen , daß sie ein Geschick ahne , welches den Oheim ganz daniederwerfen werde , und leider schien sie sich darauf zu freuen , wenn sie sich dies auch nicht eingestehen mochte .
So bedroht , so innerlich gefährdet und untergraben war der Zustand des Oheims , während nach außen hin Vermögen und Ansehn ins Unermeßliche wuchsen .
Man konnte sagen , daß er eine Macht darstelle .
Denn nicht allein , daß seine Handelsverbindungen über die ganze Erde griffen , auch mit den Fürsten und Regierenden war er in Verhältnisse gediehen , bei welchen er , da er mehr zu gewähren , als zu erbitten hatte , sich ziemlich auf gleichem Fuße zu ihnen halten durfte .
Sie ehrten ihn denn auch auf mancherlei Weise , verliehen ihm Titel , die er nicht führte , weil sie ohne Ertrag waren , und noch in den Tagen von Hermanns Anwesenheit traf ein Orden hoher Klasse ein , von welchem aber der Neffe nur durch die dritte Hand etwas vernahm , weil das schimmernde Kreuz , nachdem der Empfänger es flüchtig beschaut hatte , still weggestellt worden war .
Vom Schlosse hatte der Oheim seine Wohnung , wenigstens zum Teil , deshalb hinabverlegt , weil ihm die Nähe Theophi-liens immer widerwärtiger geworden war .
Aber im Kloster erwartete ihn ein anderer Verdruß .
Bei der Säkularisierung hatte man für die katholische Umgegend den Gottesdienst in der Kirche erhalten , der Weg zu ihr führte quer durch das nunmehrige Wohnhaus , und sie selbst befand sich hart an den Geschäftszimmern des Besitzers . Seinem Sinne , welcher dem Kirchlichen durchaus abgeneigt war , wurde nun täglich die Pein , einen Zug Andächtiger durch das Haus wandern zu sehen , und das Klingeln der Messe vernehmen zu müssen .
Um so unangenehmer für ihn , als er den katholischen Kultus eigentlich geradezu haßte , da dieser die Menschen nach seiner Meinung zum Unfleiße verführe .
Schon mehrmals hatte er versucht , sein Eigentum von jener Last zu befreien , hatte sich selbst erboten , den Katholiken eine neue Kirche bauen zu lassen , allein die Geistlichkeit , wohl wissend , wie ersprießlich ihrer Sache ein traditionelles Altertum sei , war dagegen stets auf das Bestimmteste eingekommen , und die Behörden konnten wohlerhaltene Rechte nicht aufheben .
Mit allem Gelde vermochte er daher nicht , sich vor den Reminiszenzen des Adels und der Kirche zu schützen , über deren Eigentum der Zeitgeist ihn zum Herrn gemacht hatte .
Unter den protestantischen Arbeitern aber tat sich eine neue Wirkung umgestalteter Lebensverhältnisse auf , die dem Oheim fast noch unleidlicher war , als der unter seinen Augen sich rührende Katholizismus .
Die sitzende Lebensart , welche an die Stelle der Bewegung in freier Luft getreten war , hatte bei vielen den Boden für die pietistische Richtung zubereitet ; einige Werkmeister , welche von der Wupper kamen , brachten den Samen mit , und bald war eine zahlreiche stille Gemeine entstanden , in welcher die Erweckten predigten , und jedermann mit der Gnade des Herrn , dem Blute des Lamms , und wie die Schlagworte jener Herde sonst noch heißen mögen , gewandt umzuspringen wußte .
In Hermann , welcher alle diese Unannehmlichkeiten kennengelernt hatte , regte sich der alte Eifer , zu helfen .
Der Oheim bezeigte sich immer freundlicher gegen ihn , sein Widerwille schien verschwunden zu sein , er hatte die Gesellschaft unseres Abenteurers gern , und schenkte ihm über manche Dinge Vertraun .
Dieser bedachte nun schon dankbar im stillen , wie das Fräulein dennoch zur Verlegung ihres Wohnsitzes auf eine zarte Weise zu vermögen , das Naturell des wilden Knaben in die dem Oheim gefälligen Wege zu leiten , und die widerstrebende Geistlichkeit biegsamer zu machen sein möchte , hatte auch über alle diese Dinge bei sich einen Plan entworfen , in welchem jedes Hindernis beseitigt war , als ihn eine Mitteilung des Edukationsrats stutzig und an diesen wohlgemeinten Entwürfen irremachte .
Es war ihm aufgefallen , daß der Rektor ihn sichtlich vermied , und wenn er nicht ausweichen konnte , ihm nur mit Widerstreben Rede stand .
Da er sich nun durchaus keiner Verschuldung gegen den Schulmann bewußt war , so mußte er den Grund zu jenem Betragen in einer allgemeinen Verstimmung des Alten suchen .
Er fragte den Edukationsrat bei Gelegenheit danach , worauf dieser versetzte :
" Allerdings hat meinen Freund das schlimmste Schicksal betroffen .
Ein wundersam scheinendes Glück führte nur dazu , sein Hauswesen heftig zu erschüttern , wo nicht von Grund aus zu zerstören .
Jener totgeglaubte , aus Rußland zurückkehrende Sohn wurde von den Eltern , die ihn gleichsam aus dem Grabe wiederempfingen , mit einer Mischung von Liebe , Graun und Mitleid aufgenommen .
Der Vater , durch Ihren Brief benachrichtigt , kaum seiner mächtig , holte den Verlorenen aus der Hirtenhütte ab , welche der Unglückliche eben hatte verlassen wollen , um in die weite Welt zu schweifen .
Man erschrak über seine Gestalt , sein Wesen , hoffte aber durch Sorgfalt und Pflege ihn wieder zum Menschen zu machen .
Aber es zeigte sich bald , daß diese Hoffnungen eitel gewesen waren .
Der Elende hatte zu viel gelitten , sein Physisches und Moralisches war zerrüttet .
Bald mußten die Eltern zu ihrem Schmerze sich überzeugen , daß Eduard zwar alles Liebe und Gute , was ihm geboten wurde , sich gefallen ließ , daß aber kein dankbares Gefühl in seiner Seele dadurch geweckt wurde .
Nur die Not und das Elend schienen ihn noch aufrecht gehalten zu haben , sobald ihn das bequeme , gemächliche Leben im väterlichen Hause umfing , brachen jene herben Stützen zusammen , und er versank von Tage zu Tage mehr .
Ein unmäßiger Hang zu geistigen Getränken begann sich zu äußeren , den der Verwilderte auf alle Weise heimlich zu befriedigen wußte .
Bald nahm man Spuren des Irrsinns wahr , der endlich zur Tobsucht führte .
Die Paroxysmen dieses Zustandes zerstörten die letzten Kräfte der Seele ; es folgte eine stille Verrücktheit , in welcher er , unschädlich , willen- und gedankenlos , nur noch so fortbrütet .
Die Eltern haben ihn aus dem Hause und zu guten Leuten getan , welche ihn verpflegen und am Morgen bei hellem Wetter in die Sonne setzen , wo er dann , ohne sich zu bewegen , oder zu sprechen , den Tag über sitzen bleibt .
Der Gram über dieses Geschick warf die Mutter auf ein Krankenlager , von dem sie nur langsam , schwer , erstanden ist .
Der Unglückliche hatte den Stoff so mancher Ansteckung in die Familie gebracht , die Wirkung seines Aufenthalts ist die übelste auf die jüngeren Knaben gewesen .
Zwischen den Konrektor und Wilhelmminen trat er wie ein Gespenst ; sie gaben einander nach heftigen Zwistigkeiten ihr Wort zurück , und der Verlobtegewesene hat sich einen anderen Wohnort gesucht .
Kurz , diese Vorfälle bestätigen die Lehre , daß keiner heimkehren muß , wenn er nicht mehr vermißt wird . "
" Sie bestätigen noch eine andere Lehre ! " rief Hermann sehr traurig aus .
" Man soll die Hände in den Schoß legen , und nichts für andere sinnen und tun ; dann ist man sicher , daß man ihnen nicht schadet .
Was in der reinsten Absicht geschieht , bringt Tod und Verderben , und wer seinen Nebenmenschen aus dem Wasser zieht , kann ihn dabei erdrücken . "
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Er hatte gehört , daß Cornelie sich auf einer kleinen Meierei , unweit der Fabrikbesitzungen befinde , wo sie die Molkenwirtschaft lerne .
Dorthin war sie vom Oheim gesendet worden , um die täglichen Berührungen zwischen ihr und Ferdinand zu hindern , welche nach der Rückkehr des Mädchens bei dem Knaben einen immer leidenschaftlicheren Charakter angenommen hatten .
Ohne selbst recht zu wissen , was er beginnen wollte , und ungeachtet er dem Oheim das Wort gegeben hatte , nichts in dieser Sache eigenmächtig zu unternehmen , befand er sich eines Tages kurz nach den erzählten Vorfällen auf dem Wege zur Meierei .
Dieser führte ihn an schroffen Felsen und bebuschten Hügeln vorbei , bis endlich im anmutig grünsten Wiesentale sich das reinliche , rot und weiß angestrichene Gebäude zeigte .
Schönes , saubergehaltenes Vieh graste auf dem samtenen Rasen umher ; unter niedrigem Gesträuch , zwischen Gitterwerk eingehegt , scharrte und pickte allerhand Geflügel ; hübsche kräftige Mägde gingen mit ihrer Marktladung auf dem Haupte durch das Tal den umsäumenden Hügeln zu ; der blauste Himmel spannte sich über der friedlichen Szene aus .
Hermann betrat das Haus , in welchem ihm der frische Molkengeruch entgegenduftete , mit einiger Beklemmung , da er von der Zusammenkunft mit Cornelien einen heftigen und ängstlichen Auftritt besorgte .
Niemand begegnete ihm , und so ging er auf das Geratewohl nach einem Gemache , in welchem er ein Geräusch vernahm .
Die Türe öffnend , sah er Cornelien bei der ländlichen Arbeit in Gesellschaft der Schaffnerin und einiger Dienerinnen .
" Ich bin es , Cornelie , erschrecken Sie nicht ! " sagte er .
" Warum sollte ich erschrecken ? " versetzte sie unbefangen .
" Ich habe Sie längst erwartet , da ich wußte , daß Sie bei dem Oheim waren . "
Sie wies ihn nach ihrem Zimmer und bat ihn , dort allein zu verweilen , bis ihre Arbeit , welche sie nicht aufschieben könne , getan sei .
Er ging durch das Haus , welches von holländischer Reinlichkeit glänzte , betrat das Stübchen , und sah sich dort von dem lieblichsten Bilde der Ordnung angelächelt .
Nicht lange , so erschien Cornelie .
Sie reichte ihm von freien Stücken die Hand , begrüßte ihn mit dem traulichen Du , und da er , von ihrer Lieblichkeit bezwungen , seine Lippen den ihrigen näherte , duldete sie , ihm zum Erstaunen , seinen Kuß .
" Warum bist du so lange ausgeblieben ? " fragte sie .
" Du warst in meiner Nähe und ich erwartete dich täglich . "
Hatte er sich vor Zwang und peinlichem Wesen gefürchtet , so setzte ihn dieser unbefangene Empfang noch mehr außer Fassung .
Um sich zu sammeln , bat er sie , mit ihm einen Spaziergang zu machen , was sie gern gewährte .
Sie führte ihn auf einen Hügel , von welchem er den Überblick über das ganze Tal hatte .
Man sah nur dieses , und nirgends sonst menschliche Wohnplätze , weil die Turmspitzen der benachbarten Ortschaften sich alle hinter den vorspringenden Hügeln verbargen .
Hierdurch erhielt die Gegend etwas unglaublich Stilles und Einsames .
Dieser Eindruck wurde noch dadurch vermehrt , daß hier seit Menschengedenken nur das einfachste Geschäft , die Viehzucht betrieben worden war , das Geschäft , welches dem Boden die wenigsten Spuren menschlichen Verkehrs aufprägt .
Denn das Tier wandelt da und dort über den Anger , sein Schritt Furcht ihm keine Straße ein , und was sein Zahn abrupfte , ist in wenigen Wochen wieder nachgewachsen .
Hermann , der das heitere , lebenskräftige Mädchen neben sich in dieser Abgeschiedenheit ansah , fragte sie , ob ihr diese , und ihre einförmige Beschäftigung nicht doch bisweilen zuwider werde ?
" Niemals " , versetzte Cornelie .
" Bin ich nicht eine Waise ?
Ist mein Los ein anderes , als dienstbar zu sein ?
Ich muß dem Vater herzlich danken , daß er mir Gelegenheit bietet , die Hände zu rühren .
Und dann fällt unter den Kühen und Schafen auch so manches vor , was immer Abwechslung gibt .
Da entsteht Zank und Eifersucht , Versöhnung nebst allerhand Geschichten , wie unter den Menschen .
Es ist ein trauriges Schicksal , keine Eltern zu haben " , setzte sie ernster hinzu .
" Dein Oheim und deine Tante wollten mich es nie fühlen lassen , und doch konnte ich es wohl merken .
Ich kann nie vergelten , was sie an mir getan haben , und doch bin ich immer dessen mir bewußt gewesen , daß ich niemand Angehörte .
Wenn von der Zukunft , von ihren Planen die Rede war , da hörte ich immer nur Ferdinands Namen , und meinen nicht mit .
Das hat sich mir tief eingeprägt .
Aber man lernt unter solchen Umständen früh , sich selbst helfen , und so jung ich bin , so fühle ich doch , daß ich wohl allein durch die Welt kommen wollte .
Das Härteste erfuhr ich in dem Waldhause , wo du uns trafst .
Die Mutter begehrte in ihrer Fieberhitze zu trinken , Ferdinand und ich , wir kamen beide mit einem Glase zum Bette , mich wies sie zurück und nahm von Ferdinand das Getränk an .
Es war freilich nur Phantasie , aber es kränkte mich doch sehr ; ich setzte mich , bitterlich weinend , in eine Ecke .
Nicht lange danach tratest du ein . "
Unter solchen Gesprächen waren sie in das Tal hinuntergestiegen .
Hermann nahm wahr , daß die Hirten und Melkmädchen , Cornelien , wie sie an ihnen vorüberging , mit einem Ausdrucke grüßten , der an Ehrfurcht grenzte .
Ja , eine junge schwarzbraune Dirne , die aus feurigen Augen schaute , sank vor ihr , wie vom Gefühl überwältigt , in die Knie und legte die Hand Corneliens sich auf das Haupt .
Ein Lämmchen kam aus der Herde munter auf Cornelien zugesprungen , und gab durch schmeichelnde Gebärden ein Anliegen zu erkennen .
Sie beugte sich zu dem zarten Tiere hinab , nahm ein Milchfläschchen aus dem Busen , und tränkte das Geschöpf , welches sich vertraulich an die Kniende anschmiegte , aus der hohlen Hand .
Hermann betrachtete mit Vergnügen das reizende Bild .
Nachdem sie ihr mildes Geschäft vollbracht , erhob sie sich und sagte : " Das Närrchen hat seine Mutter verloren , und obgleich ein anderes mitleidiges Stück der Herde deren Stelle schon oft bei ihm vertreten hat , so sucht es doch immer mich und mein Milchfläschchen , wenn ich mich zeige . "
Alles , was Hermann hier sah und hörte , gab ihm das Gefühl eines süßen Friedens , und er malte sich mit Entzücken das Bild der Häuslichkeit aus , welche ihm Cornelie gewähren würde .
Denn daß sie nicht länger sich seinem treugemeinten Werben widersetzen werde , war ihm nach dem traulich-liebevollen Empfange , den er hier über alle Erwartung gefunden hatte , gewiß .
Bei der Mahlzeit , die aus den einfachsten Gerichten bestand , war nur noch eine dritte Person zugegen , die alte Schaffnerin .
Ihre Verneigung , tief und förmlich , verriet die ehemalige Klosterjungfrau , und wirklich war sie es .
Sie hatte den Oheim ersucht , ihr dieses Amt zu geben , und er , der jeder Tätigkeit hold war , hatte ihren Wunsch gern gewährt , ihr überdies die Pension gelassen , welche ihre übrigen Schwestern , die Hände im Schoß , verzehrten .
Obgleich auch durch den Oheim aus dem gewohnten Lebenskreise vertrieben , gehörte sie wenigstens nicht zu seiner Gegenpartei , und bildete durch ihre Reden einen anmutigen Kontrast mit Theophilien .
Sie verhehlte gar nicht , daß sie schon im Kloster sich zu den Freidenkerinnen geschlagen habe , und daß ihr die Erlösung aus der Klausur herzlich willkommen gewesen sei .
Sie wußte hundert lächerliche Geschichten von den kleinen Intrigen jenes Zwangszustandes zu erzählen , und wie die Nonnen sich die lange einförmige Zeit durch allerhand seltsame Spielereien verkürzt hätten .
" Einer dieser Zeitvertreibe " , sagte sie , " war das Spiel mit dem Jesulein .
Jede der Klosterschwestern hatte so ein Püppchen in der Zelle , welches sie auf das köstlichste aufputzte , alle Abende entkleidete , und mit zu Bette nahm .
Man nährte es , wartete es ab , behandelte es völlig wie ein lebendes Kindlein .
Wenn dann die Nonnen zusammenkamen , so erzählte eine jede , wie klug ihr Jesulein sei , der einen ihres konnte schon lesen , ein anderes lernte das Zimmerhandwerk , ein drittes hatte der Mutter die Brust wund gesogen , daß sie Umschläge auflegen müssen , und was der Possen mehr waren .
Die Äbtissin sah der Sache lange nach , endlich hielt sie sich doch in ihrem Gewissen verbunden , die fromme Tändelei dem Beichtvater zu entdecken , durch den es vor den Bischof kam .
Dieser traf plötzlich eines Tages im Kloster ein , hielt eine strenge Visitation und predigte scharf gegen Profanation der heiligen Dinge , worauf denn die Jesulein abgeschafft werden mußten , und wir nicht mehr die Mütter Gottes spielen durften .
Einige Schwestern behaupteten aber nach diesem Verbote ganz treuherzig , das Milchfieber zu haben . "
Cornelie hatte bei dieser und anderen derartigen Plaudereien still und schweigsam gesessen .
Höchst wohltuend war ihm die Sitte und Ordnung , welche , im Gegensatze zu des Oheims Tafel , an diesem kleinen Tische herrschten .
Servietten und Tücher waren zierlich gefältelt , Schüsseln und Teller symmetrisch gestellt , die Magd , welche aufwartete , und dies Geschäft flink und geschickt verrichtete , säuberte nach jedem Gerichte Messer und Gabeln .
" Wo hat sie das gelernt ? " fragte Hermann die Schaffnerin , als Cornelie sich nach Tische auf einige Augenblicke entfernte .
" Es muß ihr so angeboren sein " , versetzte die Alte .
" Bei dem Oheim hat sie alles das freilich nicht absehen können , und die selige Tante verstand auch nicht , diese Zierlichkeit in die alltäglichen Dinge des Hauswesens zu bringen .
Ich aber hatte hier mehrere Jahre lang einsam gehaust , und wenn man für sich allein ist , hat man auf dergleichen nicht acht .
Sobald sie herkam , fing sie an , es so einzurichten , und in kurzer Zeit hatte sie jeden an diese Akkuratesse gewöhnt .
Überhaupt ist mir das Kind ein rechter Segen in der Meierei .
Vorher ging es zwischen den Hirtenknaben und den Mägden wild und liederlich zu ; und seit sie hier ist , hat sich auch das gegeben , ist alles keusch und sittsam geworden .
Es scheint , daß in ihrer Nähe nichts Unreines den Mut hat , sich hervorzuwagen . "
Er machte sich von der Alten , die gern noch fortgeschwatzt hätte , los , und brachte einige Stunden des Nachmittags für sich zu , um seinen Entschluß in Ruhe vorzubereiten .
Aber ein solches Abwarten bringt den entgegengesetzten Erfolg hervor ; er wurde nur immer unruhiger und betrat gegen Abend mit starkem Herzklopfen das Blumengärtchen , welches sich Cornelie neben dem Hause angelegt hatte , und worin er sie ihre Pfleglinge begießen sah .
Doch nahm er sich zusammen , trat zu ihr , ergriff die Gießkanne , und tränkte die Pflanzen .
Nachdem dies geschehen war , wobei ihm Cornelie lächelnd zugesehen hatte , faßte er sanft ihre Hand , und sagte : " Du weißt , geliebte Cornelie , warum ich gekommen bin . "
" Ich kann es mir denken " , versetzte sie leicht errötend .
" Und da du nun hier bist , so wollen wir die Sache auch recht klar besprechen . "
Sie gingen zusammen nach einer Laube und setzten sich .
Noch hielt er ihre Hand , die sie ihm ohne Widerstreben ließ .
" Du hast mir nicht geschrieben ! " rief er .
" Aber alles ist vergeben .
Das Gedächtnis dieser lieblichen Stunden , die ich heute mit dir verleben durfte , löscht jede bittere Rückerinnerung aus .
Ich habe es durchgedacht und durchgefühlt , Cornelie , nur deine süße Unschuld , deine holde Stetigkeit kann mich dem Leben gewinnen , meinem Dasein die Grundlagen geben , ohne welche es doch sonst früh oder spät versinken wird .
Ich wiederhole die Frage und die Bitte , die ich an jenem stürmischen Morgen tat , ich wiederhole sie heute mit voller Ruhe und Sicherheit des Gemüts .
Willst du die Meine sein ? -
Der Oheim wird einwilligen , wenn er unseren Ernst sieht ; sein Sinn hat sich gewendet , er ist mir nicht mehr unfreundlich . "
" Ich habe dich angehört , nun höre auch du mich an " , versetzte Cornelie mit niedergeschlagenen Augen .
" Daß ich mich nicht gegen dich verstellen kann , weißt du , und mein Herz kennst du .
Ich denke an dich , wo ich bin und Weile , das war seit der Nacht im Walde so bei mir entschieden , und mit Freuden ginge ich für dich in den Tod .
Es wäre mir auch kein größeres Glück auf der Welt , als wenn ich dich so täglich einige Stunden sähe , oder wenn das nicht anginge , so wäre ich schon zufrieden , wenn du nur abends im letzten Strahle der Sonne auf die Spitze des Hügels dort trätest , der so grün in das Tal schaut , und ich dann dein Bild von fern in mir empfinge , und es still mit mir zur Ruhe nähme .
Sieh , so ist es mit mir. Deinen Wunsch erfülle ich nicht , das ist auch beschlossen . "
" Um Gottes Willen " , rief Hermann bestürzt , und sprang auf , " was ist das ? "
" Bleibe ruhig , Lieber " , sagte Cornelie .
" Wie übel wäre es , wenn wir jetzt uns nicht zu finden wüßten .
Du fragst mich , was das sei , was zwischen dir und mir so hindernd steht ?
ich weiß es selbst nicht .
Wie gern möchte ich , daß es anders wäre , aber kann ich dafür , daß es nun einmal so ist ?
Die Tage , welche deiner heftigen Erklärung im Hause des Rektors folgten , waren schrecklich , ich hatte nie geglaubt , daß ich solche Schmerzen je würde zu ertragen haben .
Ich war dumpf , und wie zerstückt in mir , wüstes Wunderliches bedeckte meine ganze Seele , ich hatte beinahe einen Haß gegen dich , und empfand Ekel vor mir selber .
Nachher klärte sich alles , ich wurde ruhig , mein Gefühl für dich schied sich recht lieblich aus diesem Wust , aber neben demselben stand auch ganz fest der Widerwille gegen eine Verbindung mit dir , und dieser ist durch nichts vermindert worden . "
" Sollte man nicht glauben , ein bleichsüchtiges , krankes Mädchen aus der Stadt zu vernehmen ? " murmelte Hermann dumpf vor sich hin .
" Eine von denen , die verzärtelt und überbildet , nur noch in Überspannungen und künstlichen Nöten einen gemachten Halt für ihr Wesen gewinnen ? "
" Wie du mich kränkst " , sagte Cornelie leise .
" Kaum verstehe ich , was du meinst , aber recht hart muß es sein . "
" Cornelie ! " rief er überlaut , indem der gewaltsamste Schmerz Ströme von Tränen aus seinen Augen trieb , " ändre dein Wort , sage mir etwas Gutes , Liebes ! "
" Ach , was hülfe es dir , wenn ich dich und mich betröge " , versetzte sie , auch weinend , und drückte seine Hand mit der zärtlichsten Gebärde gegen ihre Brust .
" Du beharrst bei deinem Entschluss ? "
" O , daß ich dein Herz quälen muß ! " rief sie , indem sie aufstand , und nach dem Hause ging .
Er machte eine Bewegung , ihr zu folgen , sie winkte , daß er es unterlassen solle .
Er schlug die Hände vor das Gesicht , und blieb eine Weile in dieser Stellung .
Als er wieder aufsah , war er allein .
Er riß eine Blume vom Stängel und warf sie wild weg .
Die Sonne schickte ihre letzten glühenden Lichter über die Hügel ; er blickte starr hinein , bis er es vor Schmerz nicht mehr ertragen konnte .
Geblendet , taumelnd machte er sich auf den Weg , der zu den Hügeln führte .
" So muß dieser Tag enden , so ! " rief er laut vor sich hin , und lachte und schluchzte , daß die Begegnenden ihm scheu auswichen .
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Zwischen den Felsen , an Steinbrüchen und Abgründen vorbei , irrte sein Fuß , und es war ihm gleichgültig , wohin er gelangen möchte .
Da er des Weges nicht achtete , so war er bald von dem gebahnten Pfade abgekommen , und mußte sich durch Dornen und Schlinggewächse auf steilen Klippenstegen weiterarbeiten .
Die Anstrengung , welche ihm dies verursachte , die Pein , welche seine Hände von den scharfen Dornen verspürten , brachte ihn wieder zum Gefühle seiner selbst , die wildflutenden Gedanken fingen an zu ebben , er war fähig , einen reinen Schmerz über Corneliens Verlust zu empfinden .
Auf einer Höhe angelangt , wo niedriges Brombeergebüsch den Überblick über einen beträchtlichen Raum gestattete , hörte er von weitem ein Geräusch , welches wie Pferdegalopp klang .
Obgleich es ihm unmöglich schien , daß jemand auf solchen Felsen reiten könne , so mußte er sich doch bald davon überzeugen , denn aus dem gegenüberliegenden Dickicht drang der Kopf eines Rosses hervor , welches der Reiter zu gefährlichen Sprüngen durch diese Einöde anspornte .
Wie erschrak Hermann , als er in dem tollkühnen Reiter Ferdinand erkannte .
Er rief ihm zu , zu halten ; der Knabe aber , als er Hermanns Stimme hörte und ihn sah , schien nur noch verwegener zu werden , denn er drückte dem Tiere beide Sporen in die Seiten , daß es in gewaltigem Satze vorwärts schoß , nach der Gegend zu , wo Hermann stand .
Es war grauenvoll anzusehen , wie die geängstigte Kreatur , schäumend vor Furcht , und doch grausam vorwärts genötigt , über die nach allen Seiten hin tief zerrissene Klippenhöhe setzte , stolperte , stürzte , und halb schon am Boden liegend , sich immer wieder emporraffte .
Endlich an einem senkrecht hinuntergehenden Abhange glitt das Pferd aus , und schoß in die Tiefe .
Hermann schloß entsetzt die Augen , und meinte , da er sie wieder auftat , Ferdinands Leiche unten zwischen dem spitzigen Gestein erblicken zu müssen ; zu seinem Erstaunen aber sah er diesen unversehrt aus der Tiefe heraufklimmen , während das Pferd unten lag und ächzte .
Wahrscheinlich hatten ihn , bügellos geworden , die Gesträuche im Falle aufgehalten , während das Roß , in seiner stärkeren Last von nichts gehemmt , unaufhaltsam hinabstürzte .
Ohne seines beschädigten Tiers zu achten , trat der Knabe mit funkelnden Augen auf Hermann zu .
" Du bist bei ihr gewesen ?
Nicht ?
Warst du nicht bei ihr ?
Ihr seid einig ! " rief er mit von Zorn erstickter Stimme .
" Beruhige dich " , versetzte Hermann , " keiner von uns wird sie haben , sie entzieht sich uns beiden . "
" Du lügst ! " rief Ferdinand .
" Habe ich je zu ihr gedurft ?
Schreckte sie mich nicht immer von den Hügeln mit einem Blicke zurück , vor dem keiner standhalten kann ?
Mit dem Blicke aus den großen , glänzenden Augen , die ich Blindküssen möchte , daß sie sich von mir leiten lassen müßte , wohin ich wollte .
Aber du sollst das nicht so ungestraft tun , du sollst sie nicht haben , und müßte ich dir es in deinem Blute verbieten . "
" Dazu kann Rat werden " , versetzte Hermann mit kaltem Spott .
" Ich habe ein Paar gezogener Lütticher Pistolen zu Hause .
Komme mit , wir wollen laden , das Maß nehmen , und wer den anderen totschießt , der nehme Cornelien hin . "
" Sacht ! " rief Ferdinand , indem er sich einige Schritte zurückzog .
" Mit dir mich zu schießen , ist mein einziger Wunsch , aber erst will ich es vom alten Kammerjäger lernen , den ich hier im Gebirge ausfindig machte , und wann ich ein Kartenblatt im Fallen treffe , dann sollst du mir schon Rede stehen . "
" Recht " , sagte Hermann , " du bist ein echter Kaufmannssohn , willst eine sichre Spekulation auch auf deines Gegners Tod machen .
Nun so lerne das Schießen von deinem alten Kammerjäger , und wenn du es kannst , wollen wir uns weitersprechen . "
Er ging .
Der Knabe blieb auf den Felsen zurück und überließ sich ganz der Raserei wütender Eifer sucht .
Mehrere Tage lang blieb er unsichtbar .
Hermann kam in später Nacht erst wieder heim .
Er warf sich auf sein Lager , drückte das Haupt in die Kissen , und versuchte zu schlafen , jedoch vergebens .
Welche traurige Tage er nach diesem verlebte , wird jeder mitzufühlen wissen , der die Gewalt reiner Empfindung kennt .
Kein wildes Verlangen zog ihn nach Cornelien , es war das lauterste Bewußtsein , daß er in ihr einen Halt für sein zerstreutes , zweckloses Leben finden werde , und darin war er nun so schmerzlich , und wie es schien , für immer gestört .
Was sie zu ihrem Verhalten bewege , war ihm unerklärlich .
Er suchte nach geheimen Gründen , und der offenbare , welcher vielleicht alles aufgehellt hätte , blieb ihm verhüllt .
Den Oheim sprach er nur noch einmal an der Hügelgruft der Tante .
Der alte Mann war über den eigenmächtigen Schritt Hermanns sehr verdrießlich , und seine Stimmung mochte durch die Besorgnis über das wilde Herumtreiben Ferdinands nur noch übler geworden sein .
Er barg dem Neffen seine Erbitterung nicht , und dieser hatte alle Selbstbeherrschung , welche ihm die Rücksicht auf Alter und Verhältnis zur Pflicht machte , nötig , um nicht einen schlimmen Auftritt herbeizuführen .
" Du hast das gute Kind erschreckt , das war nicht recht , nicht löblich ! " rief der Oheim .
" Vor meinem unsinnigen Knaben habe ich sie geborgen , nun kommt ein anderer Störenfried , der auf ihre Ruhe einstürmt !
Wie kannst du dich rechtfertigen , ja , wie willst du dich nur entschuldigen ? "
" Sie kennen meine Absichten " , versetzte Hermann gelassen , " und in ihnen liegt meine Rechtfertigung . "
" Und warst du der Mann , sie zu realisieren ? " fragte der Oheim .
" Weißt du , wer du bist , wem du angehörst ?
Hast du eine Familie ?
Es besteht alles in der Welt nur durch Ordnung , Häuslichkeit , Bürgertugend ; wer dagegen angeht , ist mir verhaßt , er sei , wer er wolle .
Mit Ehren habe ich mein Haus auferbaut , zu dem ich Cornelien rechne , unseren Kreis hat nie eine vornehme Sünde , nie die Leichtfertigkeit eines großen Herrn befleckt ; still und fleißig , mäßig und nüchtern haben wir unsere Tage hingearbeitet , das Unsrige vermehrt .
In diesem Lebensgange will ich , bis ich hier an der Seite meiner guten Frau Ruhe , verbleiben , und bin entschlossen , von dem , was mir lieb ist , alle Abenteurer , Müßiggänger und Blendlinge fernzuhalten , deren Nähe uns anderen doch nur Schaden , Auflösung und Elend aller Art bringt . "
" Ihre Vorwürfe sind zum Teil ungerecht , zum Teil verstehe ich sie nicht einmal " , erwiderte Hermann .
" Wohl dir , wenn du mich nicht verstehst ; lies die Brieftasche , da wirst du erfahren , was ich meine ! " rief der Oheim , und stieg in sein Wägenchen , welches die Burschen herangefahren hatten .
Das Wägenchen setzte sich in Bewegung , ohne daß der Oheim zu Hermann ein Wort des Abschieds gesprochen hätte .
Dieser blieb auf einem Steine sitzen , und sah in dumpfer Betäubung den Arbeitern zu , welche das Grabgewölbe austieften .
Sein Herz zerrissen tausend widrige Empfindungen , daß alles , was so freundlich sich anzulassen geschienen hatte , nun so hart sich löste .
Er fühlte seine Schulter angerührt und wendete sich .
Theophilie stand hinter ihm .
" Es ist sonst meine Art nicht , diese Region zu besuchen " , sagte sie , " aber da ich vom Tale aus Sie hier so traurig sitzen sah , und den Wortwechsel mit dem Oheim gehört hatte , so trieb mich die Neugierde her .
Was hat es mit ihm gegeben ? "
" Er beschalt mich ohne Grund , und hielt eine Lobrede der Bürgertugend , von der ich die Veranlassung bei dieser Gelegenheit , und an diesem Orte nicht einzusehen vermag " , sagte Hermann .
" Bürgertugend ! " rief Theophilie spöttisch .
" Und fühlt er sich denn so sicher , der ehrenfeste , tugendbelobte Bürgersmann ?
Es ist ein eigenes Gefühl , eine frohe Genugtuung , seinen Feind in der Gewalt zu haben .
Denn es kostet mich nur ein Wort , so fällt dieser aufgespreizte Bürgerstolz , dieses Prunken mit unbefleckter Häuslichkeit zusammen , wie ein Kartenhaus . "
Sie wollte sich rasch entfernen , und schien zu bereuen , was sie gesagt hatte .
Hermann hielt sie zurück .
" Abermals vernehme ich Reden aus Ihrem Munde , welche mir in Zusammenhänge mit Entdeckungen der Mitternacht zu stehen scheinen " , sagte er .
" Entweder lehren Sie mich diese vergessen , oder geben Sie mir das volle , wenn auch schreckliche Licht . "
Sie stutzte .
Er erzählte ihr , was er in tiefer Nacht von ihren unbewußt plaudernden Lippen erhorcht hatte .
Ihre leichtfertige Natur brach in ein herzliches Gelächter aus .
" Nun " , rief sie , " da sieht man , daß es sogar gefährlich ist , einen Mann im Sarge neben sich liegen zu haben !
Was für schönes Zeug hätten Sie da von mir erfahren können !
Also ich spreche im Schlafe , das ist etwas , was ich noch nicht wußte , und was mich bestimmen wird , in Zukunft beim Schlafengehen ein Papagenoschloß auf den Mund zu legen , denn nicht immer möchte man so diskrete Wandnachbarn haben . "
Er unterbrach diese Reden mit heftig eindringenden Erkundigungen .
" Lassen Sie es doch gut sein " , versetzte sie , " begnügen Sie sich mit dem , was Sie hörten . "
" Nein ! " rief er .
" Es ist unsere Natur , daß wir alles zu ergründen streben bis auf den letzten Schauer des Abgrunds .
Es betrifft meine Familie , Sie sind mir die Aufschlüsse , welche ich begehre , schuldig . "
" Ungestümer Mensch !
Hätten Sie meinen Schlaf nicht belauscht , so erführen Sie doch nichts .
- Hören Sie denn ; die Arbeiter haben Feierabend gemacht , wir sind allein .
Ihr Oheim tut nicht wohl , sich an dieser Stelle mit seiner Familienehre zu brüsten , und lächerlich ist es , daß er hier , hier oben ein Monument ehelicher Liebe und Treue mit so vielem Aufwande in Erz und Marmor prunken lassen will , denn hier , gerade hier war es , wo die zärtliche Gattin in linder lauer Mondnacht mit meinem Bruder die ersten leidenschaftlichen Schwüre wechselte , und deshalb hatte die Frau den Ort so lieb ; er erinnerte sie an die glühende Stunde , welche die verbotene Wonne ihres sonst armen und traurigen Lebens schuf . "
Hermann lag mit dem Gesichte auf der Lehne des Stuhls .
Theophilie fuhr fort : " Die Tante hatte in halber Kindheit den Oheim heiraten müssen .
Sie war ein lebhaftes Mädchen voll Feuer und Einbildungskraft gewesen .
Nun , was einem solchen Geschöpfe dieser Herr Gemahl bieten konnte , vermögen Sie so einzusehn .
Sie hat mir nachmals , als ich ihre und ihres Verhältnisses Vertraute geworden war , gestanden , daß sie unter den Comptoirbüchern und Zählbrettern des rechnenden Eheherrn oft dem Selbstmorde nahe gewesen sei .
Mein Bruder trat mit Ihrem Oheim in Verbindung , er bemerkte die junge , in ihrem Darben anziehende Frau , und von dem Augenblicke an war die Sache zwischen ihnen entschieden .
Ihm widerstand zu seiner Zeit kein weibliches Herz , er gab ihren Lippen freilich eine andere Speise als der gute Kommerzienrat , und rührend ist mir gewesen , wie sie mir noch auf ihrem Sterbebette , ungeachtet aller Gewissensskrupel , die ich ihr nicht ausreden konnte , klagte , sie werde , wenn sie noch einmal anfinge zu leben , dieser Liebe sich dennoch wieder ergeben müssen .
Mein Bruder widmete ihr die heftigste Leidenschaft ; es war das letzte Auflodern seiner Natur , die sich noch einmal in ihrer ganzen Flammenpracht zeigen wollte , bevor sie erlosch .
Er dachte auf Entführung , sie sollte sich scheiden lassen , und als diese Wünsche an den Bedenken der Tante , welche ihren Ruf über alles schätzte , scheiterten , stürmte er seinen Kummer und Verdruß in der unbändigsten Verschwendung aus .
Der Oheim mochte mit stiller Schadenfreude zusehen , wie mein Bruder sich ihm rücksichtslos in den gefährlichsten Verschreibungen hingab , er wußte nicht , welch eine Unruhe es war , die seinen Schuldner trieb , die unerschwinglichsten Zinsen zuzusagen , und wie der Graf sich denn doch anderweit im Hause des Bürgers entschädigte .
So gewann Ihr Oheim Geld und Land , und verlor die Frau .
Mir , die ich ihn seit dem Beginne dieser Dinge herzlich haßte , war es recht erquicklich , zu sehen , wie der Mann , welcher sonst das Gräschen wachsen hörte und die Sonnenstäubchen zählte , in Betreff der nächsten Angelegenheiten taub und blind war .
Seine Neigung zu der Tante wuchs , je weiter diese in ihrem Herzen von ihm hinwegtrat , wobei er , echt spießbürgerlich , auf alle die Zeichen der Entfremdung , welche einem kundigen Auge nur zu offenbar waren , durchaus nicht achtete , sondern vermutlich meinte , sie müsse ihn , weil sie sein angetrautes Weib sei , auch lieben .
Als nun endlich nach langem Hoffen und Harren ein Söhnlein erschien , da war des Familienglücks kein Maß und Ziel .
Es kommt alles zu seinem Gleichgewichte , und zu seiner Vergeltung ; diese Erfahrung tröstet einen , wenn man dem Verlaufe der Sachen in der Welt zusehen muß , ohne glücklich geworden zu sein .
Meinen Bruder richtete die Torheit für die schöne Kaufmannsfrau vollends zugrunde , und sein Verderber handelte sich von ihm die Schande ein .
Denn selbst die Zession , womit Ihr Oheim unsere Verwandten ängstiget , ist doch nur ein Denkmal der Unehre .
Julius wollte auf sein Kind , auf das Kind seiner heimlichen Entzückungen , die Ansprüche auf die Standesherrschaft übertragen , und deshalb stellte er jene Akte dem Titularvater aus . "
Hermann fuhr heftig auf .
" Das ist nicht wahr ! " rief er , sich selbst vergessend , aus .
" Ei , ei , mein Herr " , versetzte Theophilie , " eine Lügnerin nannte mich bis jetzt noch niemand .
Ich versichre Sie , Ihr Oheim hat so wenig Anteil an seinem sogenannten Sohne Ferdinand , als ich an den Bergwerken von Peru .
Wollen Sie mir nicht glauben , so lesen Sie die Liebesbriefe meines Bruders und Ihrer Tante , welche sich in meinem Gewahrsam befinden , und alles , was ich Ihnen erzählen mußte , mit vielen schwärmerischen Ausrufungen bestätigen .
Sind Sie noch so jung , zu glauben , daß ein Paar Verliebter sich auf die Länge damit begnügt , in den Mond zu sehen , oder Vergißmeinnicht am Bache zu pflücken ? "
" Die Briefe ! " rief Hermann .
" Das also waren die Briefe , wovon die unglückliche Frau im Försterhause auf ihrem Krankenlager so ängstlich phantasierte !
Ich bitte Sie um alles in der Welt , vernichten Sie diese Urkunden der sträflichsten Verirrung , lassen Sie sich von Ihrer Leidenschaftlichkeit gegen meinen Oheim nicht hinreißen , und schonen Sie das Andenken Ihres Bruders , einer Frau , welche Sie ja selbst Ihre Freundin nannten ! "
Sie wollte sich seinem Andringen entziehen , und meinte , es sei immer gut , die Waffen in der Hand zu behalten .
Allein er ließ nicht ab , er wußte so gutmütig zu flehen , und ihr Herz , welches im Grunde nicht schlecht war , so in Bewegung zu setzen , daß sie endlich mit dem Ausrufe :
" Sie sind ein Narr ! " nachgab .
Er durfte sie in ihre Wohnung begleiten , wo beide ein Kaminfeuer entzündeten , und mehrere Pakete Briefe und Billetts auf buntem oder goldgerändertem Papier , aus welchem Locken , getrocknete Blumen und Bandschleifen in nicht geringer Anzahl herausfielen , den Flammen opferten .
Als das erste Paket verbrannt war , hatte zwar Theophilie Reue verspürt , und die übrigen vor der Vernichtung bewahren wollen , allein sein Eifer siegte über sie , und da er von ihr zuletzt nach manchem weigernden Worte das feierliche Versprechen erhielt , nie ihre Kunde von diesen geheimen Sünden gegen den Oheim benutzen zu wollen , so schien dessen Ruhe wenigstens für diese Welt gesichert zu sein .
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Hermanns erster Gang nach der Rückkehr in die Stadt war zu Wilhelmi .
In seinem Quartiere hörte er , daß der Freund zur Meyer in das Haus gezogen sei .
Dort vernahm er von einem Bedienten einen abermals erfolgten Wechsel der Wohnung .
Bestürzt meinte er schon , daß sich auch hier unangenehme Dinge ereignet haben möchten , als er Madame Meyer im Gespräch mit einigen Handelsleuten die Treppe herabkommen sah .
Es wurden Bestellungen gegeben , und die Dame schien in diese Geschäfte so vertieft zu sein , daß sie selbst der Anwesenheit Hermanns eben keine Aufmerksamkeit widmete .
Sie rief ihm flüchtig die jetzige Wohnung Wilhelmis zu , und sagte bescheiden errötend , daß unter den eingetretenen Verhältnissen eine kurze Trennung schicklich gewesen wäre , und daß ihm der Freund viel zu erzählen haben würde .
Im neuen Quartiere fand er Wilhelmi ebenfalls nicht .
Um die Zeit hinzubringen , begab er sich nach einem öffentlichen Garten , wo er hoffen durfte , Bekannte zu treffen .
Einer derselben , ein Hausfreund der Madame Meyer , und einer der Spottvögel , nahm ihn sogleich beiseite , und fragte ihn , ob er die Neuigkeit des Tages schon kenne ?
Ohne seine Antwort zu erwarten , fuhr er fort : " Saturn und Pallas sind in Konjunktion getreten , Wilhelmi und die Meyer haben sich verlobt . "
Nichts hätte ihn mehr überraschen können , als diese Nachricht , die bei Wilhelmis krittelndem Sinne und der von Madame Meyer oft ausgesprochenen Ehescheue auch wirklich sehr auffallend war .
Er fragte den Spötter nach der Zeit und dem Einhergange dieses Vorfalls , worauf er eine Stadt- und Tagesgeschichte zu hören bekam , von welcher wir freilich nicht wissen , wieviel davon der Wahrheit und wieviel der Läst-rung Angehörte .
" Unsere Freunde " , berichtete der Spötter , " sind unter lauter Kunstbestrebungen auf den Weg der Natur geraten .
Schon lange hatten wir eine Annäherung zwischen beiden bemerkt ; die Vereinigung der Hälften des Sankt Stephansbildes mochte die der Herzen gewaltsam nach sich ziehen , aber den eigentlichen Ausschlag gab doch ein verfehltes Fest zu Ehren des byzantinischen Stils . "
" Wie soll ich das verstehen ? " fragte Hermann .
" Sie wissen " , versetzte der Spötter , " daß die Meyer mit fester Treue an jenen langen Spinnenbeinchen Gestalten , an den gebräunten Schwarten und glitzernden Goldgründen hanggeblieben ist , welche die übrige Welt nun auch schon wieder zu ermüden beginnen .
Das wissen Sie aber nicht , und wir wußten es auch nicht , daß sie im stillen beschlossen hatte , das Ihrige werktätig zur Auferweckung dieses kindlichen Stils beizutragen .
Eines Tages , kurz nach Ihrer Abreise , erhielten die nächsten Freunde des Hauses Einladungen zu einem Frühstücke .
Sie waren nicht förmlich , sondern der eine sollte dem anderen wissen lassen , daß , wenn man sich von ungefähr zu der und der Stunde einfände , man willkommen sein würde .
Wir schlossen aus diesen Anstalten zu einer Vereinigung durch Zufall , daß etwas Besonderes im Werke sein müsse , und verfehlten nicht , uns sämtlich einzustellen .
In einem Vorgemache trafen wir Wilhelmi , der uns unter allerhand Gesprächen dort zurückhielt , dann wie zufällig die Tür öffnete , und uns in die Kapelle führte , wo uns denn durch Zufall der Anblick eines lebenden Bildes wurde .
Die Meyer stand nämlich , durch Diadem , gescheiteltes Haar und altdeutsches Gewand der heiligen Elisabeth verähnlicht , in einer Blende , zu welcher Stufen emporführten , und reichte aus einem Korbe , den ein schöner Knabe ihr vorhielt , Semmeln und Wecken an arme Leute , welche von den Stufen oder von dem Fußboden der Kapelle in mannigfaltigen Stellungen zu ihr emporsahen .
Einige Dienstmägde in ansprechender Kleidung vollendeten die Gruppe , welche wirklich ein recht artiges Tableau bildete .
Die Zofen verrieten durch ihr Blinzeln , daß sie uns wohl bemerkten , während die Meyer mit niedergeschlagenen Wimpern tat , als habe sie unser leises Eintreten nicht wahrgenommen , und durch Wählen und Verwerfen der Eßwaren im Korbe die armen Leute in ihren Stellungen festzuhalten wußte .
Endlich mußte man uns aber doch sehen , und nun löste sich das lebende Bild schnell auf .
Die heilige Elisabeth kam , anscheinend überrascht , von den Stufen herab , bewillkommte uns höflichst , der Junge mit dem Brotkorbe lief davon , ihm folgten die armen Leute , und auch die Dienstmägde verloren sich still durch Seitentüren .
Man servierte uns hierauf in der Kapelle Schokolade und Likör , doch wußte die Meyer das Gespräch durchaus in einer religiös-gemütvollen Schwingung zu erhalten , wobei ihr Wilhelmi trefflich sekundierte .
Nur die Vertrautesten des Hauses waren eingeladen worden ; die Gesellschaft betrug nicht über zehn Personen .
Wie gewöhnlich , wurde nur von Kunst gesprochen .
Die Meyer äußerte fromm-seufzend den oft vorgetragenen Wunsch , daß die Maler sich doch nur alle erst zu jener ältesten kindlichsten Auffassung zurückwenden möchten , durch welche allein das Höchste und Tiefste darzustellen sei .
Das letztere wurde ihr zwar in diesem zu gefälliger Nachgiebigkeit eingewöhnten Kreise einstimmig zugestanden , dagegen erhoben sich bescheidene Zweifel , ob jene alte Kunst mit Glück wieder heraufzubeschwören sei .
» Man hat doch nun einmal Jahrhunderte hindurch seinen Blick für die menschliche Gestalt , wie sie ist , und für die übrigen Dinge , wie sie wirklich erscheinen , geöffnet « , sagten einige .
» Wie sollte man also die Augen wieder verschließen können , und den Menschen zumuten dürfen , anstatt der Muskel eine Linie , gewissermaßen eine Chiffre anstatt des verständlich ausgeschriebenen Worts anzunehmen « .
Da diese Sätze , welche in mannigfachen Nutzanwendungen erläutert wurden , den gesunden Menschenverstand für sich hatten , so trieben sie unsere gute Wirtin etwas in die Enge .
Sie warf einen ängstlichen Blick auf Wilhelmi , der denn auch die Stimme erhob und sich also vernehmen ließ :
» Die Kunst « , sagte er , » sieht wohl nie die Dinge , wie sie sind , hat sie nie so gesehen , und noch weniger in ihrer Reinheit jemals versucht , sie so nachzubilden .
Wollte man dies annehmen , so käme man auf jenes System von der Nachahmung der Natur zurück , welches denn wieder den Gemälden den höchsten Wert beilegen würde , in welchen sich die getreuste Abschrift der menschlichen Haut mit allen Haaren , Malern , Warzen und Schrunden zeigt .
Diese Wahnmeinungen sind aber abgetan , und man braucht sie kaum noch zu bestreiten . «
» Aber was sieht denn die Kunst , und was versucht sie darzustellen ? « fragte jemand .
» Den Geist in der Natur « , versetzte Wilhelmi , » oder vielmehr die Form , welche der jedesmaligen Evolution des Geistes draußen in der Welt der Erscheinungen entspricht .
Die Kunst ist geistiger Abkunft , sie erscheint immer im Gefolge irgendeiner großen religiösen , philosophischen oder poetischen Bewegung , selten mit ihr zugleich , meistenteils etwas nach ihr .
So schuf Phidias in seinem erhaben-strengen Stile gewissermaßen noch einmal die ernsten Betrachtungen des Tales und der Pythagoräer aus , welche dieser Kunstepoche vorangegangen waren , so waren die späteren schönen und anmutigen Werke Nachklänge der allgemeinen Geistesblüte der Griechen , in welcher die reichste Mannigfaltigkeit nur die einfachste Harmonie umkleidete .
Und um nun auf unsere byzantinischen Bilder zu kommen , so sehe ich in ihren steifen , schmalen , langen Gestalten , in ihrer symmetrischen Anordnung keineswegs eine so unschuldige Kindlichkeit , die nicht weiß , was sie will und erstreben möchte .
Vielmehr erscheint mir hier auf der Holztafel und in Farben dieselbe Richtung , welche sich kurz zuvor auf dem reingeistigen Felde der Scholastik offenbart hatte .
Das Christentum hatte die Welt von Grund aus umgekehrt , und der menschlichen Seele ein Gebiet eröffnet , auf welchem sie sich nur tappend bewegte .
Durch die Scholastik suchte sie sich zu orientieren , das schwankende Göttliche auf die Festigkeit des Begriffs zu bringen , das unerklärbar- Eine durch die Entgegensetzungen dem Dialektik dem Verstande anzunähern .
Die erste Kunstform , welche nach der Scholastik , und zum Teil noch gleichzeitig mit den späteren Entwicklungen derselben durch Occam , auftrat , zeigt nun alle diese Elemente vereinigt , und zugleich das Ehrwürdige , wie das Subtile und Dürftige jener Richtung .
Ganz bewußt , mathematisch-streng , nicht etwa schwachgemütlich bildet der Kirchenglaube die Grundlage der Werke , von diesem gehen sie aus ; in der Steifheit und Magerkeit der Formen erscheint der Begriff , und in der symmetrischen Anordnung die Dialektik , kurz jene Bilder sind nichts als gemalte Scholastik .
Diese verfiel , der Glaube verlor von seiner Strenge , der Geist suchte in Freiheit sein Ziel , und konnte auf diesem Wege der ganzen Fülle der Realitäten nicht entbehren .
Wieder treu diesem Vorgange schreitet die Kunst der Periode nach , von welcher Cimabue und Giotto die Anführer sind .
Das Strengkirchliche tritt mehr und mehr zurück , Maria wird ein schönes , wunderbares Weib , Christus ein begeisterter Lehrer , statt der symmetrischen bildet sich die dramatische Gruppe aus , und wenn die Maler nun allerdings Muskeln statt der parallelen und triangulären Linien malen , so sind es doch Muskeln in Handlung , mithin nur Träger einer geistigen Bewegung .
Auch hier ist es nicht die sinnliche Natur , welche gesucht wird , sondern der Geist spiegelt in ihr , welche alle Bilder wiedergibt , nur seine eigene Emanzipation ab .
Jene Periode erreicht ihren Gipfel und stirbt darauf in kranken Zuckungen nach und nach ab .
Die Symptome des Verfalls sind trockene Empirie , wollüstiger Materialismus , kokettierende Selbstsucht .
Alle diese Übel hat die Kunst mitgelitten .
Wir sind nun auf dem Punkte angelangt , wo wir uns von geistiger Schwelgerei übersättigt fühlen , das heftigste Bedürfnis nach einem Obersten , Leitenden empfinden , und uns selbst einen gewissen Schematismus gefallen lassen würden , wenn er nur dahin führte , in unsere Unordnung Ordnung zu bringen .
Ich frage : Liegen einer solchen Stimmung die freien , sinnlichglänzenden Kunstwerke nahe ?
Wird uns aus den fliegenden Gewändern , aus dem gefälligen Faltenwurfe , und den runden Gliedern und Formen nicht immer eine gewisse Leere und Kälte entgegenhauchen ?
Wird unser nach der Einheit der Regel schmachtender Geist nicht eine innigere Wahlverwandtschaft mit den alten strengen , symbolischen Bildern empfinden ?
- Und in diesem Sinne muß ich unserer Freundin vollkommen recht geben , und wenigstens meinesteils auch so viel behaupten , daß wenn in unserer Zeit eine eigentlich große Kunst entstände ( was ich aber aus vielen Gründen für mehr als zweifelhaft halte ) diese mit der sogenannten byzantinischen eine starke Ähnlichkeit haben müßte . «
Diese Rede , welche manchen Widerspruch fand , wurde von Wilhelmi mit so geschickten und glänzenden Wendungen verfochten , daß er endlich alle Opponenten zum Schweigen brachte .
Die Meyer genoß ihren Triumph , und holte leise ein paar uns noch unbekannte Täflein herbei , von welchen allerhand heilige Gestalten , so schmal , als man sie nur verlangen konnte , auf Goldgründen die Beschauer ansahen .
Eine allgemeine Erbauung griff um sich ; man fragte die Besitzerin , aus welchem Kloster diese Schätze herrührten , welche jeder anwesende Kenner unbedenklich dem dreizehnten Jahrhundert zuschrieb .
Unsere Wirtin lächelte und sagte : » Freund Wilhelmi zweifelt an dem Aufblühn einer großen Kunst unter uns , so viel ist aber gewiß , daß es Gemüter heutzutage gibt , in welchen die ganze Begeisterung jener alten Meister schlummert .
Ja , meine Freunde , diese Tafeln , von welchen Sie glauben , sie seien ein halbes Jahrtausend alt , sind vor noch nicht zwei Monaten , und hier in meinem Hause gemalt . «
Sie weidete sich an dem Erstaunen der Gesellschaft , und fuhr fort :
» Ich halte einen frommen Jüngling bei mir verborgen , welcher diese Bilder verfertigt hat .
Durch Zufall machte ich seine Bekanntschaft , und fühlte mich verpflichtet , ihm fortzuhelfen , da ich sah , daß der Geist der Väter auf ihm Ruhe .
Noch mehreres als dieses hat er bereits geliefert .
Ich sehe Ihr Erstaunen über das wundersame Talent , und da wir so freundlich beisammen sind , so erlauben Sie mir , ihn unter Ihnen einzuführen , Ihrer Huld und Gunst ihn zu vertrauen .
Gewiß , Sie werden ihn lieben und fördern , wie ich .
Gegenwärtig malt er an einem Heilande , mit mystisch geschlitzten Augen , welcher die Welt segnet , überaus ähnlich einem lieben Bilde , dessen ich mich aus einer böhmischen Kirche erinnre .
Wenn es Ihnen ebenso viele Freude macht , wie mir , das stille Weben des Genius zu belauschen , so folgen Sie mir zu jenem Schiebefensterchen , durch welches ich oft stundenlang , von ihm unbemerkt , in seine stille Werkstatt blicke , und meinem Angelo ( denn so nenne ich ihn wegen seines engelreinen Gemüts ) zusehe . «
Wir erhoben uns , und zufällig war ich in dem Zuge nach dem Schiebefenster der vorderste .
Ich schob sacht das Vorhängelchen von den Scheiben hinweg , und sah in die Werkstatt des jungen Byzantiners .
Hier bekam ich aber etwas zu schauen , worauf ich keineswegs gefaßt war , und welches mir zugleich bewies , daß unsere Zeit wenigstens noch zwischen der Sehnsucht nach dem Symbolischen und dem Verlangen nach sinnlicher Naturwahrheit sich schwankend mitteninne hält .
In der Werkstatt lag nämlich auf einem dunkelroten Teppich , der über ein Ruhebett gebreitet war , ein schönes Mädchen , in dem Zustande , wie sie Gott der Herr erschaffen , und in der Stellung der Danae oder Leda ; denn der Einzelheiten erinnre ich mich so genau nicht mehr .
Der Byzantiner stand neben ihr , mit Kohle und Malerstock bewaffnet , und rückte an ihren Gliedmaßen , um die Stellung noch natürlicher zu machen .
Ich hütete mich wohl , meine Überraschung laut werden zu lassen , sondern trat , nachdem ich einige Sekunden dieser keineswegs unerfreulichen Anschauung genossen , still zurück .
Nach mir gelangte ein Pietist zum Schiebefenster , welcher in ein Gebetbuch geschrieben hatte , er bezeuge mit seiner Hand , daß der Herr an ihm ein Zeichen gesetzt habe .
Dieser sagte auch kein Wort , sondern seufzte nur nachdrücklich , und zog dann den Kopf , scheinbar nicht ohne Widerstreben , hinweg .
Bis dahin war alles leidlich gegangen ; nun aber wollte eine alte Dame das Weben des Genius sehen , legte Augen und Nase dicht an das Glas , fuhr aber dann mit einem fürchterlich zu nennenden Geschrei zurück .
Dies hörten der Byzantiner und die Nackte ; sie sahen die fremden Zuschauer hinter den Glasscheiben .
Rot und sprachlos stand der junge Mann da , stampfte mit den Füßen , und hielt den Malerstock gleichsam drohend in die Luft ; das arme Geschöpf schlüpfte hinter die Staffelei , welche sie nicht ganz verdeckte .
Die Wirkung dieses so ganz unerwarteten Ereignisses war außerordentlich .
Wir jüngeren Leute sahen verlegen vor uns hin , und taten , als ob wir uns schämten , der Pietist faltete die Hände und blickte gen Himmel , die alte Dame eiferte gegen die Meyer , welche , durch einen flüchtigen Blick in die Werkstatt auch von dem Unheil in Kenntnis gesetzt , wie vernichtet dastand , und sich auf Wilhelmi lehnte .
Umsonst war dessen Trostspruch , daß es ja nur ein Modell sei , sie flüsterte ihm unter zornigen Tränen zu , er solle den sittenlosen Heuchler auf der Stelle aus dem Hause schaffen .
Einige junge Mädchen , welche sich im Zuge verspätet hatten , und nun neugierig herandringen wollten , wurden von der alten Dame mit der Eröffnung , daß eine Fledermaus dort umherschwirre , die sich ihnen leicht in die Haare setzen könne , zurückgehalten .
Nachdem Wilhelmi seinen strengen Auftrag in der Stille ausgeführt hatte , und wir wieder zu unseren Sesseln in der Kunstkapelle gelangt waren , fühlten wir wohl , daß fernere gesellschaftliche Freuden schwerlich geraten möchten , und wollten uns in schicklicher Weise entfernen .
Leider aber hatte die Meyer einen fremden durchreisenden berühmten Künstler auf ihren Byzantiner bitten lassen , zu dessen Veröffentlichung und Ruhm der Tag ausdrücklich von ihr bestimmt worden war .
Dies erfuhren wir durch einige Reden Wilhelmis , als wir der beim Abschiede empfangenen Einladung uns entziehen wollten .
Unter solchen Umständen wäre ein Außenbleiben unhöflich gewesen , und so stellten wir uns denn sämtlich , mit Ausnahme der alten Dame , am Abend wieder ein , obgleich mir von einem Tage , der so quer begonnen hatte , nichts Gutes ahnte , und die verstörten Augen der Wirtin zu erkennen gaben , daß ihr die härteste Strafe lieber gewesen sein würde , als eine zierliche , im heiligen Geiste der Kunst versammelte Gesellschaft .
Wir kamen in Zimmern zusammen , wo wir früher nie waren empfangen worden , weit von der Kapelle und von den Sammlungen der alten Periode .
Papiertapeten bekleideten die Wände , gleichgültige elegante Meubles standen umher .
Nur ein Gemälde war vorhanden , das Bildnis des seligen Meyer , im braunen Frack , von Weitsch gemalt .
Es hing über dem Sofa ; wie ich hörte , hatte der verstorbene Eheherr diese Gemächer bewohnt .
Das Gespräch lahmte , und wurde eigentlich nur von dem fremden Künstler im Gange erhalten , den ein Kreis andächtiger Verehrer umgab .
Er erzählte viel von seinen Reisen , von seinen Bekanntschaften mit Kaisern und Königen , wobei eine angenehme Selbstgefälligkeit zum Vorschein kam , die unter uns , wie Sie wissen , nie ihre Wirkung verfehlt .
Seine beiden Knaben , junge mutwillige Eulenspiegel , trieben sich umher und verübten allerhand Possen , welche die Zeit hinbringen halfen .
Zuletzt , und ziemlich spät , erschien unser Dichter , welcher sein neuerdings bedeutend angeschwollenes Manuskript mitbrachte und nach kurzer Weigerung sich bereitwillig finden ließ , daraus die zuletzt ausgearbeiteten Kapitel vorzutragen .
Nun war er aber leider an die Darstellung des fünfzehnten Jahrhunderts geraten und hatte diesem wegen seiner Wichtigkeit die gründlichste Durchführung gewidmet .
Besonders erschöpfend handelte er die Frage ab , ob die Kunst jener Zeiten noch eine religiöse zu nennen sei ? und hatte das Für und Wider nach allen Richtungen hin in seinen Versen versammelt .
Die Terzinen wälzten sich wie ein endlos flutender Strom daher , eine Stunde nach der anderen schlug , und noch war kein Ziel der Sache abzusehn .
Ich betrachtete zu meiner Unterhaltung die Gesellschaft ringsumher , und sah die verschiedenartigsten Versuche , sich durch tiefes Atemholen , Rücken auf dem Stuhle , Spielen mit den Uhrketten usw. munter zu erhalten .
Nur die Höllenstrafen sind ewig , jede Vorlesung aber hört denn doch endlich auf .
Der Kunstdichter schloß und trocknete sich den Schweiß ab , wir durften uns von unseren Stühlen erheben und die abwesenden Lebensgeister wieder herbeirufen ; die Meyer aber , welche vielleicht allein an dieser poetischen Leistung Behagen gefunden hatte , weil dieselbe sie über einen lästigen Abend hinwegbrachte , nötigte mit artiger Verbeugung in ein Nebenzimmer , wo uns eine kalte Kollation erwarten sollte .
Ich hatte die Knaben des fremden Künstlers nach der ersten Lesestunde in das Nebenzimmer schleichen sehen , und die Glücklichen beneidet , welche dort ruhig auf einem Sofa die Vorlesung verschlummern durften .
Nicht ahnte ich , daß sie weit verhängnisvollere Absichten im Schilde führten und wirklich durchsetzten .
Als wir nämlich das Nebenzimmer betraten , und die Wirtin uns mit dem verbindlichen :
» Wenn es Ihnen gefällig wäre ... « zu Tische nötigte , sahen wir zwar diesen , weißgedeckt , von Lampen beleuchtet , auch darauf verschiedene Schüsseln , Assietten und Fruchtkörbe , alle diese Eßgeschirre aber durchaus leer und ihres Inhalts beraubt .
Die Urheber des Raubes konnten nicht lange zweifelhaft bleiben , denn die beiden Knaben standen am Tische , beschäftigt , die letzten Reste der Konfekte und Früchte zu verzehren .
Von den Salaten , Fleischschnitten und Cremen war keine Spur mehr zu erblicken .
Sie hatten der Tat auch kein Hehl , denn auf die zornige Frage des Vaters , wie sie sich das hätten unterstehn können , versetzten sie unbefangen , daß nach ihrer Meinung diese Sachen zum Essen hingesetzt worden , und daß sie hungrig gewesen wären .
Unglaublich würde Ihnen diese Aufzehrung eines Abendessens für zwölf Personen durch zwei Knaben klingen , wenn Ihnen nicht die Frugalität unserer Genüsse bekannt wäre .
Die arme Meyer dauerte mich .
Es war viel zu spät , um noch einen Ersatz des verschwundenen Abendessens herbeischaffen zu können .
Sie wollte über den Vorfall scherzen , aber es gelang ihr übel .
Die Gesellschaft gab ihr die Versicherung , daß niemand Appetit verspüre , aber wer hätte dieser Behauptung nach so langwierigem Vorlesen Glauben geschenkt ?
Der Künstler , welcher die nächste Verpflichtung hatte , die Anwesenden für die durch die Gefräßigkeit seiner Knaben erlittene Einbuße zu entschädigen , fand sich am ersten zurecht und sagte : » Wir haben hier leider erlebt , wie die Natur , aller Ästhetik spottend , in roher Weise ihren Weg geht .
Angenehmer ist es , zu sehen , wie sie sich dem Zwange zum Trotz , den ihr Narren antun wollen , unaufhaltsam die Bahn bricht , und eine solche Erfahrung habe ich heute hier gemacht .
Ich fand ein junges Talent , welches man von seinem Ziele abzuleiten gedachte , und welches sich dennoch zu dem machen wird , was es ist .
Als ich in den Morgenstunden aus den Fenstern meines Gasthofs sah , hörte ich unten auf der Straße ein lautes Schluchzen .
Ein junger Mensch stand vor der Pforte des Hauses und ließ einem Kummer , der auch halb wie Zorn aussah , auf solche ungezähmte Weise freien Lauf , ohne der Umstehenden zu achten .
Die prächtige Gesichtsbildung des Jünglings , seine hohe Stirn , gebogene Nase , und das reich wallende Haupthaar zogen mich an , ich ging hinunter , und fragte nach der Ursache seiner Tränen .
Anfangs wollte er mir nicht Rede stehen ; ich ließ jedoch nicht ab , nahm ihn mit auf mein Zimmer und brachte ihn dort zum Geständnis .
Er sei ein armer Junge ohne Eltern und Beschützer , erzählte er .
Von Kindheit an habe er die größte Lust zum Zeichnen gehabt , und alles nachgeahmt , was ihm zu Gesicht gekommen , Bäume , Tiere , Soldaten .
Niemand aber sei ihm behilflich gewesen , daß er etwas lernen können .
Endlich habe sich eine reiche Dame seiner angenommen ; nun sei er in ihrem Hause untergekommen , wo er aber verborgen habe leben müssen .
Die Dame habe ihm gesagt , er werde ein großer Mann werden , wenn er sich ganz nach gewissen Bildern richte , die sie ihm denn auch gezeigt habe .
Der Jüngling nannte diese Bilder in seiner Natursprache Herrgötter mit Eidechsenleibern , und ich wußte bald , woran ich war .
Er beschrieb mir seine Pein , welche er empfunden , da er diese Mißgestalten nachbilden müssen , in so rührenden Wendungen , daß mein Anteil immer höher stieg .
Indessen , sagte er , habe er doch gemerkt , daß jene Herrgötter menschliche Körper vorstellen sollten , und da sei das brennendste Verlangen in ihm erregt , einen wirklichen natürlichen Leib in seiner wahren Gestalt zu erblicken .
Zufällig habe er gehört , daß es Personen beider Geschlechter gebe , die sich wohl zu solchem Zwecke den Malern darliehen , und nun habe er nicht eher geruht , bis er des ersehnten Anblicks teilhaftig geworden sei .
Da habe er denn etwas zu sehen bekommen , worüber nichts in der Welt gehe ; jegliches so ebenmäßig , fein , rund und doch Strafe .
All sein Taschengeld habe er nun auf Modelle verwendet , deren verschiedene Stellungen er in seinen heimlichsten Stunden , selig vor Vergnügen , abgezeichnet habe .
Heute sei er mit einer wahren Wollust bemüht gewesen , die Glieder und Formen eines wunderschönen Mädchens auf das Papier zu übertragen , als er wahrgenommen , daß man ihn belausche .
Es sei hierauf ein großer Lärmen im Hause entstanden , und die Dame habe ihm , als einem schlechten liederlichen Menschen die Türe weisen lassen .
Außer sich vor Ärger und Beschämung sei er nach dem Gasthofe gelaufen , um sein Brot anderweit zu verdienen , sei es auch durch Laufen und Packentragen für die Reisenden .
Ich wollte den Namen jener guten Törin wissen , welcher es unbekannt zu sein scheint , daß man , um Menschen zu malen , ihre Gestalt kennenlernen muß ; mein junger Exilierter weigerte sich aber , da er aus meinen Worten abnahm , wie ich über den Vorfall denke , sie zu nennen , die immer , so fügte er hinzu , seine Wohltäterin bleibe .
Durch diesen Beweis von Zartsinn wurde er mir noch lieber .
Ich ließ ihn seine Zeichnungen bringen , und hatte über ein urkräftiges Talent zu erstaunen , welches in Gefahr gewesen war , durch verrückte Modetorheit , wenn nicht erstickt , doch aufgehalten zu werden .
Roh und unfertig waren diese Sachen , das ist richtig , aber aus jedem Punkte , aus jeder Linie leuchtete ein so tiefer Sinn für die Natur , ein so reines Schönheitsgefühl hervor , daß ich wahrhaft in Erstaunen gesetzt wurde .
Es versteht sich , daß ich ihn nicht hierlasse , sondern mit mir nehme , obgleich ich voraussehe , daß er mich in kurzem überholen wird .
- Wissen Sie vielleicht mir die altertümelnde Beschützerin zu nennen ?
Denn ich muß ihr doch danken , daß ihre Kenntnis von dem Studiengange eines Malers mir zu dieser Bekanntschaft verholfen hat . "
Achtes Kapitel Achtes Kapitel " Die letzte Frage und Aufforderung hörte die Meyer nicht mehr .
Sie hatte sich schon während der Erzählung , sobald deren traurige Beziehung klar wurde , hochrot , eine Unpäßlichkeit vorschützend , still entfernt .
Unsere Gesichter können Sie sich denken .
Der gute Künstler war ganz verwundert , daß seiner Geschichte nichts als ein dumpfes Schweigen folgte .
Beim Nachhausegehen fragte er mich , ob er gegen jemand verstoßen habe , worauf ich ihm versetzte , der ganze Tag sei nur ein Verstoß gewesen .
Kurz nach diesem unglücklichen Ausgange byzantinischer Bestrebungen schickten die Meyer und Wilhelmi Verlobungskarten umher .
Wir erfuhren , daß Wilhelmi nach ihrem Rückzuge aus der Gesellschaft ihr gefolgt sei , und sie auf dem Sofa liegend , erschöpft und weinend , gefunden habe .
Sein Herz war gegen die Leidende übergegangen , aus sanften Tröstungen hatte sich bald eine zärtliche Erklärung entwickelt .
Da sie , zu beständigem Wittum entschlossen , dieser widerstanden hatte , soll er auf eine kluge Weise haben einfließen lassen , daß ein kunstkundiger Gemahl ihr gesagt haben würde , die Maler ständen nun einmal von nackten Mädchen nicht ab , und wer solches nicht ertragen könne , der müsse sie nicht in das Haus nehmen .
Da hat die Meyer auf einmal die ganze Mißlichkeit ihrer Stellung erkannt , hat eingesehen , daß eine gelehrte Frau , welche sich behaupten will , durchaus eines Gatten bedarf , der seine Schulen durchgemacht hat ; und aus diesen Gefühlen und Erwägungen ist das Bündnis erwachsen , worüber die Stadt beinahe eine ganze Woche zu reden hatte , welches aber jetzt über andere Dinge von Belang schon wieder vergessen worden ist . "
Nur ungern hörte Hermann diese Erzählung mit an , welche ihm zwei Personen , denen er zugetan war , in einem lächerlichen Lichte zeigte ; indessen konnte er der unermüdlichen Zunge des Spötters nicht entrinnen .
- " Wie sie bemüht sind , sich alles zu sprechen , damit nur gar nichts übrigbleibe , woran Liebe und Verehrung haften kann ! " rief er , als er allein war , aus .
" Dieser Mensch nennt sich einen Freund des Hauses und scheut sich nicht , mit der giftigsten Lästerung über die Herrin des Hauses herzufallen ! "
Er hatte vergessen , daß ein geheimer Hohn die Lebensluft der guten Gesellschaft ist , weil nur durch ihn das Gleichgewicht bewahrt wird , dessen sich jedes Mitglied bewußt sein muß , um zur Unterhaltung beizutragen .
Nach manchen vergeblichen Gängen traf er endlich seinen Freund Wilhelmi , und wünschte ihm herzlich Glück .
Mußte er auch über dessen Emphase lächeln , womit Wilhelmi lauter Eigenschaften an seiner Verlobten hervorhob , welche diese wirklich nicht in ausnehmendem Grade besaß , so war in dessen Äußerungen doch so viel Empfundenes , so fühlte der Freund doch so tief das Glück , einem einsamen Leben zu entrinnen , daß er sich wahrhaft über dessen Schicksal freuen konnte .
Selbst das Äußere Wilhelmis hatte der Bräutigamsstand verwandelt , seine Wangen waren röter geworden , seine Augen lebhafter , und er sah wieder wie ein stattlicher Mann in den besten Jahren aus .
Auch Madame Meyer fand er vorteilhaft verändert .
Sie war stiller und sinnender , trug sich nicht mehr so viel vor , redete auch mehr von den gewöhnlichen Dingen des Lebens , als von der Kunst .
Die Kapelle und die altertümlichen Sammlungen waren geschlossen .
Sie empfing ihre Freunde wirklich in den Zimmern , die der Spötter beschrieben hatte .
Der Kreis ihrer Gesellschaft hatte sich verengt , und sie bekannte unserem Freunde in einer traulichen Stunde , daß sie sich dabei wohler fühle .
Dagegen sagte Wilhelmi , daß er nur die Hochzeit abwarten wolle , um dann die Vereinigung seiner Sammlungen mit denen seiner Frau vorzunehmen , und in das ganze Besitztum eine systematische Ordnung zu bringen .
Er fügte triumphierend hinzu , daß diese verbundenen Schätze von der Art sein würden , um auch noch neben den Sammlungen des Staats die Aufmerksamkeit der Kenner und Liebhaber zu erregen .
" Dein gutes Geschick hat freundlich für dich gesorgt " , versetzte Hermann .
" Du wolltest Direktor des Nationalmuseums werden , worin du manchen Verdruß und Zwang würdest zu erdulden gehabt haben .
Anstatt dessen macht dich die Liebe zum Kustos eines Privatkabinetts , mit dem du wirst schalten können , wie du magst . "
War es ihm von Herzen lieb , das Los seiner Freunde auf so zuverlässige Art gesichert zu sehen , so konnte er sich doch eines stillen Neides nicht erwehren .
" Der Misanthrop , der Grillenhafte wird ohne sein Zutun , aller Wahrscheinlichkeit zuwider , in den Hafen geführt , während ich , der ich das Glück einfach und gerades Weges suche , plan- und bahnlos mich von meinem Ziele fortschleudern lassen muß ! " rief er .
" Wo ist da noch Zusammenhäng in der Welt , wenn Launen und Seltsamkeiten das Gute und Zweckmäßige gebären , dem wirklichsten Bedürfnisse aber sich grausam die Erfüllung versagt ? "
Er fühlte lauter Widersprüche in seinem Schicksale , und ein unbestimmtes Grauen vor der nächsten Zukunft überschlich ihn .
Um Schutz gegen sich und seine Gedanken zu finden , nahm er die Bibel zur Hand , welche aber hier , wie in jedem Falle einer aus dem Stegreife mit ihr gesuchten Bekanntschaft , dieselbe ablehnte und dem heftig Andringenden ein hartes , undeutsames Antlitz zeigte .
Von Johannen und Medon hörte er wenig .
Sie hatte sich seit einiger Zeit fast ganz zurückgezogen und selbst den Umgang mit Madame Meyer aufgegeben :
Er war , wie man sagte , von seinem Plane , zu reisen , abgegangen , und sollte sehr ernsthaft an einer staatswirtschaftlichen Schrift arbeiten .
Hermann schob seinen Besuch von Tage zu Tage auf , obgleich ihn eine tiefe Sympathie zu dem unglücklichen schönen Wesen hinschmeicheln wollte .
Das Museum war jetzt der Sammelpunkt der feinen Welt geworden .
Eines Tages traf Hermann dort den Prinzen , welchem er in Medons Hause vorgestellt worden war , den Erzähler des Mondscheinmärchens .
Er war so gefällig , sich seiner zu erinnern , und freute sich , ihn wiederzusehn .
" Man wollte hier wissen " , sagte der Prinz , " Sie würden nicht zurückkehren .
Sie wären der Associe Ihres Oheims in seinem Geschäfte geworden . "
- " Die Welt " , versetzte Hermann , " hat einen entschiedenen Hang , uns Dinge anzudichten , welche gewöhnlich dem , was wir eigentlich tun und begehren , schnurstracks entgegen sind . "
" Das ist wahr " , erwiderte der Prinz .
" Hierin zeigen sich die Menschen wahrhaft erfindungsreich , und aus den gewöhnlichsten Köpfen entspringen nicht selten die sinnreichsten Mythen .
So hat man mich zum Beispiel - und ich wüßte durchaus nicht zu sagen , wodurch ich die Veranlassung gegeben hätte - zu einem begeisterten Verehrer oder gar Protektor der bildenden Künste gemacht , während ich mir bewußt bin , für sie eigentlich kein Auge zu besitzen .
Das Lustigste bei solchen Gesellschaftsfabeln ist , daß man unversehens und unwillkürlich aus einem Objekte derselben , zu ihrem Subjekte und Helden wird .
Nach und nach versammelte sich um mich allerhand Gemaltes und Plastisches , ich übernahm das Patronat eines Vereins , und gehöre zu den fleißigsten Besuchern dieser Säle , obgleich ich , die Wahrheit zu gestehen , mehr der Menschen , welche sich hier einfinden , als der Gemälde wegen komme . "
" Gnädigster Prinz " , sagte Hermann höflich , " Sie werden heute auf Ihre eigenen Unkosten zum Märchendichter . "
" O nein " , erwiderte der Prinz , " und ich schätze mich deshalb nicht geringer , weil ich der Mode meine Neigung versage .
Ein lebendiges Interesse kann nur an einer Sache sich entzünden , welche in der Gegenwart kräftig wurzelt .
Nun aber sehe ich an den Handlungen der Zeitgenossen durchaus nichts für das Auge , mithin auch nichts für den Pinsel oder Meißel .
Wo die Kanonen und die taktischen Bewegungen das Schicksal der Reiche entscheiden , gibt es keine Heldengruppen , wo die Predigt im Gottesdienste das Wort führt , keine Erscheinungen , wo die Leute bis zu den Schustern und Schneidern hinunter den Frack tragen , kein Genre .
Was soll also entstehen ?
Entweder ein geschmackvoller Eklektizismus , welcher niemals eine Epoche macht , oder ein romantisches Unbestimmtes ; Versuche , der Poesie nachzutreten , die in wenigen Jahren schon , wenn gewisse momentane Stimmungen vorübergegangen sein werden , unverständlich sein müssen .
Man darf sich ja nicht durch die jetzige allgemeine Neigung zu diesen Dingen täuschen lassen .
Ein Unterschied der modernen Zeit von der griechischen besteht darin , daß unter uns Neueren das wahrhaft geniale Schöne fast immer im Gegensatze zu der herrschenden Stimmung erwächst , welche dagegen ihrerseits das als vorhanden zu präkonisieren pflegt , woran es ihr eben ganz gebricht .
Dagegen ging in jener glücklichen griechischen Periode das besondere Genie der Künstler aus dem allgemeinen Talente der Nation hervor .
Um an einem Beispiele meine Meinung klarzumachen , so glaubten wir an Klopstocks Oden , Bardieten und an den Nachahmungen derselben eine große vaterländische Poesie zu besitzen , und doch waren diese frostigen Exerzitien am allerfernsten von einer solchen .
Nur eine Entwicklung der Schönheit sehe ich noch vor uns , nämlich die poetische ; in der Dichtkunst hat , wie ich glaube , Deutschland den Gipfel noch nicht erreicht . "
" Diese Meinung ist für die Poeten der Gegenwart sehr tröstlich " , sagte Hermann , " um so tröstlicher , als viele Stimmen das dichterische Element der Zeit ganz leugnen wollen . "
" Ich rede nicht von einem einzelnen , nicht von Individuen " , erwiderte der Prinz .
" Urteile über Personen und Werke , deren Zeitgenosse man ist , sind meistens sehr mißlich .
Meine Hoffnung bezieht sich auf etwas Allgemeines .
Nun ist es wohl klar , daß eine Periode , in welcher alle Schätze des Geistes gewaltsam aufgeregt worden sind , so daß sie gleichsam in das Freie fielen , von selbst einen Fähigen hervorrufen muß , welcher sich dieses Reichtums bemächtigen wird .
Diesem wird gerade der Mangel an äußerem plastischen Leben höchst förderlich sein , da unserer Stimmung die deskriptive Poesie immer langweilig erscheint , und die Dichter dieser Jahrhunderte mit Glück nur das Innerliche , die bewegenden Ursachen der Dinge ergriffen haben . "
Hermann hatte nur aus schuldiger Rücksicht dem letzten Teile dieser Auseinandersetzung zugehört , denn eine unerwartete Erscheinung wendete seine Gedanken von den Reden des Prinzen ab .
Zu der Flügeltüre des Saals , in welchem sie standen , trat nämlich herein , abenteuerlich aufgeputzt , im bunten Gewande , eine Gestalt , in welcher er nach kurzem Besinnen Flämmchen erkannte .
Flatternde Bänder zierten Achseln und Schulter , Schmelzbesatz säumte Busen und Leib , das kurze Röckchen war zackig ausgeschnitten , darunter sahen rotflammige Strümpfe und goldene Schuhe hervor .
Die schönen nackten Arme umschlossen an den Gelenken Korallenschnüre , ein safrangelbes Bindentuch , welches sich durch ihre Locken zog , vollendete den fremdartigen Anblick .
Sie betrat den Saal mehr schwebend , als gehend , spielte mit einem Elfenbeinstäbchen , warf es empor , und fing es mit reizender Beugung des Arms wieder auf .
Ihr nach drang ein Schwarm verwunderlich-geschmückter junger Herrn ; eine ältliche korpulente Figur mit kahlem Haupte , die Brille vor den Augen , bewegte sich mühsam hinterher .
Flämmchen scherzte und schäkerte mit ihrer Begleitung , der ganze Zug rauschte an den Wänden umher , und auf die Gemälde wurde wenig geachtet .
Es war das Bild einer leichtfüßigen Nymphe , welche Satyren und Faunen umspringen , und der Silen mit Anstrengung folgt .
" Was ist Ihnen ? " fragte der Prinz Hermann , welcher starr nach Flämmchen hinsah .
Dieser versetzte , daß er ein Frauenzimmer bemerke , welches er früher sehr wohl gekannt habe .
" Ach , unsere herkulanische Tänzerin und junge gnädige Frau dort " , sagte der Prinz , der nun erst auf den Zug aufmerksam wurde .
" Ja , ich erinnre mich , von Ihrer Mentorschaft gehört und herzlich darüber gelacht zu haben .
Nun , Ihre Erziehungsplane sind nicht geglückt , anstatt eines Kunstprodukts hat Natur das wundersamste , entzückendste Geschöpf ausgebildet .
Ich behaupte , wer sie tanzen gesehen , kann nie wieder ganz unglücklich werden .
Wäre ich ein Freund von Paradoxen , so würde ich sagen : Sie tanzt Geschichte , Fabel , Religion , ihre begeisterten Wendungen und Stellungen weihen uns in die geheimsten Dinge ein .
Unter uns muß ich Ihnen gestehen , daß jenes Märchen , mit welchem ich in Medons Hause so viel Glück machte , nur der schwache Nachhall einer Pantomime war , durch die sie an einem unvergeßlichen Mondabende meine Sinne außer Fassung gesetzt hatte ! "
" Verzeihen Sie meinem Erstaunen , gnädigster Prinz " , rief Hermann , " wenn ich unbescheiden werde , und mir eine Frage erlaube !
Sie sprachen das Wort : Frau , aus .
In welcher Verbindung steht dasselbe hier ? "
Der Prinz lachte und versetzte :
" In der natürlichsten von der Welt .
Der närrische Domherr , mit dem wir manchen Scherz getrieben haben , entführte sie , um sie , es koste , was es wolle , zu seiner Frau zu machen , von der abgeschmacktesten Theorie beherrscht , die ihm ein Schalk in den Kopf gesetzt hatte .
Die Heirat kam wirklich in reißender Schnelligkeit zustande , und kurz darauf starb der Domherr , völlig beruhigt , wie man sagt , über seine Fortdauer nach dem Tode .
Das junge Witwenkind lebt nun , wenn sie nicht , wie jetzt , zu kurzem Besuche nach der Stadt kommt , auf der Villa ihres Eheherrn , wo sich die albernsten Verhältnisse angesponnen haben . "
Er verbeugte sich gegen Hermann , und ging zu Flämmchen , die ihn mit zierlicher Begrüßung empfing .
Der Prinz deutete nach Hermann hinüber , Flämmchen erblickte diesen , und die hellste Freude loderte über ihr Antlitz .
Er , etwas Auffallendes an diesem öffentlichen Orte besorgend , trat rasch durch eine Kommunikationstüre in einen Vorraum zurück .
Die Treppe hinuntergehend , flüchtete er sich zu den Antiken und Vasen , welche man in den Gemächern des Erdgeschosses aufgestellt hatte .
Hier war es menschenleer .
Er schritt hin und her und überlegte , wie und wo er seinen ehemaligen Schützling am besten sprechen möchte , als aus einem Seitenkabinette Flämmchen hereinflog .
Mit dem Rufe : " Liebster !
Bester !
Einziger ! " hing sie ihm am Halse und die leidenschaftlichsten Küsse brannten auf seinen Lippen .
" Habe ich dich endlich wieder ! " rief sie , indem sie ihm Augen und Stirn küßte .
" Nun aber werde ich dich nicht lassen , nun sollst du mein werden , sie mögen tun , was sie wollen . "
Hermann war in großer Verlegenheit , jeden Augenblick fürchtete er , Zeugen dieser befremdlichen Szene eintreten zu sehen .
Er suchte sich ihren Armen zu entwinden ; sie hielt ihn aber fest , und rief : " Sei doch nur auf diese wenigen Augenblicke mein Freund , mein Geliebter , nicht lange wird die Wonne dauern , das abgeschmackte Volk oben , dem ich davongelaufen bin , wird bald kommen , mich zu suchen .
Laß deine arme Flamme die kurze Zeit an dir glühen ; ach , du weißt es freilich nicht , wie einem Mädchen zumute ist , die nicht an Gott und Teufel , nicht an Himmel und Hölle , sondern nur an ihren Liebsten , an das süße Fleisch und Blut glaubt !
Siehst du , ich bin erwachsen , ich spreche im Zusammenhänge , das rührt daher , weil ich kein Kind mehr bin . "
" Beruhige dich , mein Flämmchen " , sagte Hermann , " erzähle mir ordentlich , wie es dir gegangen ist , ich hörte Dinge , die mir unglaublich vorkamen . "
" Etwa , daß ich Witwe bin ? " versetzte sie , überlaut lachend .
" Ja , ich bin eine , und müßte eigentlich Schwarz tragen , denn der Domherr ist erst seit sechs Wochen tot , aber ich traure in Rot und Gelb , wie die Bäume , wenn die Blätter abfallen .
Setze dich in den Großvaterstuhl , frage , und ich will Antwort geben . "
Sie drückte ihn in einen antiken Lehnsessel , hockte sich vor ihm nieder , und lehnte ihr Haupt an sein Knie .
" Wie hat sich deine Heirat so rasch gemacht ?
Wer sind deine Begleiter ?
Wer nimmt sich deiner an ? " fragte er .
" Der Domherr bat mich inständig darum , die Alte redete mir so lange zu , daß ich es ihm zu Gefallen tat , und dann tat ich es auch , um dich zu ärgern , weil du mich so ganz vergessen hattest .
Denn ich wußte doch , daß es dir leid sein würde , wenn du mich als Frau fändest .
Die Jungen mit den hohen Halsbinden und Backenbärten machen meinen Viehstall aus , sie haben sich alle in mich verliebt , und müssen sich gefallen lassen , was ich mit ihnen vornehme ; den Dicken nennen sie den Kurator .
Die Verwandten meines Mannes haben ihn angestellt , mich zu beaufsichtigen ; die Alte sagt , ich sei guter Hoffnung , ich wüßte zwar nicht , wie es zugegangen sein sollte , aber die Verwandten sind doch bange , daß ihnen die Erbschaft entgehen möchte , und darum muß er mich bewachen .
Nun ist es ein himmlischer Spaß , daß der dicke Sünder sich auch in mich vernarrt hat .
Er schleicht mir nach , seufzt und stöhnt ; ich könnte ihn weit führen , wenn ich nicht auf Tugend hielte .
Die Alte nimmt sich meiner in Treuen an , sie spricht oft dummes Zeug , ich glaube , das alte Weib ist zuweilen etwas verrückt , aber ich könnte doch ohne das gute Tier nicht leben .
Nun habe ich dir auf alles geantwortet , jetzt tue auch mir so auf meine Frage : Wirst du deine Flamme in ihrem Häuslein besuchen , und bald ? "
" Liebes Herz " , sagte Hermann , " das kann ich dir nicht gewiß versprechen .
Ich habe noch manches hier abzutun , auch führst du allem Anscheine nach eine sonderbare Wirtschaft , zu welcher ich eben nicht passen würde . "
" Nicht ?
Nicht ? " rief sie mit dem wilden Ausdrucke , welcher ihn erschreckt hatte , als er sie zum ersten Male in der Höhle traf .
Blitzschnell hatte sie einen Dolch aus dem Busen gerissen , und die Spitze würde in ihrer Brust gesessen haben , hätte er nicht ihren erhobenen Arm festgehalten .
" Was wolltest du tun , wahnsinniges Kind ? " fragte er entsetzt .
" Mich erstechen " , sagte sie gleichgültig .
" Du bist , wie du warst , Holz und Stein , was soll Flämmchen auf der Welt ? "
" Ich will ja zu dir kommen ! " rief er bestürzt .
- " Bald ? " -
Er bejahte .
" So schwöre mir es zu den Füßen dieser Liebesgöttin . "
Er tat , was sie begehrte , um sie nur zufriedenzustellen .
Ihr Schwarm drang herein , sie suchend .
Flämmchen trat ihnen mit komischer Würde entgegen und sagte :
" Dieser ist ein alter Bekannter von mir , und wenn der einmal zu mir kommt , habt ihr euch alle zum Hause hinauszuscheren , mit Ausnahme des Dicken , der ein vernünftiger Mann ist und eine anständige Gesellschaft für ihn . "
Sie ging , ohne nach Hermann sich weiter umzublicken , oder ihm Lebewohl zu sagen .
Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Was er in den folgenden Tagen von der Lebensweise Flämmchens hörte , war das Ausschweifendste von der Welt .
Sie hatte wirklich in ihrem einsamen Landhause eine Art von Hof oder Menagerie , wie man es nennen will , versammelt , bestehend aus den wildesten jungen Leuten der Residenz , die , durch den Ruf ihrer Schönheit angelockt , dorthin geströmt waren .
Mit ihnen wurden die tollsten Streiche verübt , zuweilen toste dieses wütende Heer bei Nacht auf schnellen Pferden unter entsetzlichem Geschrei durch die Gegend , so daß die Landleute in ihren stillen Hütten sich vor dem Unwesen segneten , oder man sprengte falsche Nachrichten von Räuberbanden und Unglücksfällen aus , welche Scharwachen und Beamte aufregten , so daß sich auch schon die Polizei hier in das Mittel hatte legen wollen , jedoch höheren Ortes bedeutet worden war , solches zu unterlassen , da sich denn doch alles außer dem Bereiche eigentlicher Vergehungen hielt .
Am brausendsten aber schäumte Flämmchens üppige Lebenskraft im Tanze aus .
Täglich war Ball bei ihr , wozu man freilich die Damen unter den Hausmädchen und den Bauerdirnen der Nachbarschaft suchen mußte , denn anständige Familien wollten ihre Töchter zu diesen Vergnügungen nicht abordnen .
Wer Flämmchen tanzen gesehen , sprach darüber , wie der Prinz ; einstimmig erklärte man , daß keine Beschreibung den Zauber dieser Anschauung wiedergeben könne .
Die Seitenverwandten des Domherrn , lüstern nach dem Besitze der beträchtlichen Erbschaft , und erschreckt durch die Angabe von Flämmchens Zustande , welcher , wenn er gegründet war , ihnen ihre Aussicht entzog , hatten in dieses Gewirre jenen ältlichen Mann als Aufseher gesendet .
War Flämmchens Angabe über ihn richtig , so konnte freilich sein Amt nicht wohl schlechter versehen sein .
Zum Teil hörte Hermann diese Dinge aus Flämmchens Munde selbst , welcher er eine Zusammenkunft in ihrem Gasthofe nicht hatte abschlagen können .
Dort , den Kopf an seine Brust gelehnt , ihn mit beiden Armen umklammernd , tat sie ihm Entdeckungen , welche man von einem so leichtfertig erscheinenden Wesen nicht hätte erwarten sollen .
Es waren abgebrochene Schmerzenstöne , nur der Ahnung verständlich , in geordneten Worten kaum auszusprechen , am wenigsten auf dem Papiere .
Der Naturgeist zuckte hier gleichsam in seiner ganzen neckischen Ungebundenheit unter seiner menschlichen Hülle , All und Individuum lagen miteinander im Streite , und aus ihrem Ringen entsprangen die Zuckungen , welche äußerlich wie Possen aussahen .
Merkwürdig waren ihm besonders ihre Geständnisse , wie sich die unbesiegliche Lust zum Tanze in ihr entwickelt habe .
" Als du mich in die grüne Einöde zu der Alten gebracht hattest , wurde ich von einer unsäglichen Angst befallen " , sagte sie .
" Die Berge und Felsen wuchsen mir in der Brust , die Zweige der Bäume wanden sich durch meinen Kopf und peitschten , vom Sturme geschüttelt , mir das arme Hirn wund , ich fühlte in mir die Kräuter und Moose stechend sprießen , und mir war , als flösse ich auseinander , dahin nach weiten kahlen Eisfeldern und dorthin nach blutroten Granatenbüschen .
Ich wollte mir Luft machen in Worten , aber die Zunge versagte mir den Dienst , ich wollte es abzeichnen , mein Elend , an hoher Steinwand , aber die Hand sank lahm herunter , da merkte ich , daß meine Füße sich zu regen begannen , daß meine Arme folgten , der Leib in sanften Drehungen sich schwang , Erlösung zu finden von dem Inneren , Großen , Entsetzlichen ; ach wie süß schlummerte ich nach dieser Anstrengung ein , Fels , Berg , Baum und Kraut standen wieder außer mir , der Mond wurde mein bester Freund !
Das ist nun der Tanz , den ich nicht lassen kann , der mich mir selbst wiedergibt , wenn der Weltgraus mich überwinden und in mir einziehen will .
Könntest du mich lieben , und immer bei mir sein , so wäre alles gut , dann hätte ich eine Stütze und würde auch aufhören zu tanzen ; leider wird es nicht so gut werden . "
Sie nahm ihm noch einmal das Versprechen ab , sie recht bald zu besuchen , was er ihr nun um so lieber gab , als er einsah , daß sie in ihrem wilden Treiben dem Verderben zueile , und hoffen durfte , durch seine Anwesenheit auf der Villa vielleicht manches ordnen und schlichten zu können .
Dies sollte den Abschluß der Verwicklungen bilden , welche sein Leben , wie er sich überzeugte , seit einigen Jahren unnütz aufgesponnen hatten .
Er hatte die Freiheit von bürgerlichen Verhältnissen gesucht , und nicht bedacht , daß eine solche eigentlich ganz in das Leere führe .
Er hatte überall auf die gutmütigste Weise geholfen , und die Welt war indessen unbekümmert um ihn ihren selbstischen Gang weitergeschritten .
Sein Vermögen erschöpfte der unüberlegte Ankauf im Badischen ; er konnte in Not geraten .
Alles drängte ihn zu einer vernünftigen Entsagung , zu einer bescheidenen Rückkehr .
Nach mancher Träne bitteren Unmuts , die er verweinte , beschloß er , die Verhältnisse wieder aufzunehmen , auf welche er so stolz herabgesehen hatte , und die Vorbereitung zu einem Staatsamte aufs neue zu beginnen , die ihm früher so unleidlich geworden war .
Wilhelmi , dem er seinen Vorsatz mitteilte , lobte ihn sehr , und bestärkte ihn darin .
Durch dessen eifrige Bemühung wurde er des fernen Grundeigentums entledigt , freilich mit großer Einbuße , indessen zog er so viel aus diesem Handel noch heraus , daß er sich eine Zeitlang allenfalls damit hinhalten konnte .
Wilhelmi tröstete ihn , wenn er ihn schwermütig sah , und seine Klagen über die verlorenen Jahre hörte .
" Was ist es weiter ? " rief er .
" Du hast eine Weile vagabundiert , das wird dir doch zugute kommen .
Viel besser ist es so , als wenn du dich , wie ich , zu früh gefesselt hättest .
Die Jugend soll verschwärmt werden , manches ist gewiß an dir hängen und kleben geblieben , wovon du jetzt selbst nichts ahnest . "
" Ich will es wünschen " , versetzte Hermann , " wenn ich es gleich nicht zu hoffen wage .
Der Reichtum eines sogenannten bewegten Lebens ist wohl nur täuschend .
Von einem Punkte aus soll der Mensch erwerben .
Wer , zerstreut , von der Mannigfaltigkeit Resultate begehrt , kommt mir wie einer vor , der mit verdecktem Teller in einer gemischten Gesellschaft sammeln geht ; die Summe pflegt nicht groß zu sein , wenn der Teller abgehoben wird . "
Er mietete ein stilles Quartier in der entlegensten Gegend der Stadt , schaffte sich juristische Bücher an und tat die nötigen Schritte , seine bürgerliche Laufbahn wieder zu betreten .
So gewann es den Anschein , als solle der Strom seines Daseins , wie der so vieler , nach kurzem mutigem Laufe im Sande der Gewöhnlichkeit auslöschen .
Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Die Sozietät pflegt sich für unangreifbar zu halten , schon die leiseste Verletzung des Persönlichen erscheint wie ein Attentat .
Dann bricht plötzlich etwas ganz Unerwartetes , Niebefürchtetes in diese Kreise ein , alle Bande sind auf einmal zersprengt , und eine Geisterfurcht ergreift die Menschen .
Von solchen Gefühlen wurde Hermann bestürmt , als Wilhelmi eines Abends atemlos auf seine Klause mit der Nachricht trat , daß Medon verhaftet worden sei .
Über den Grund dieses erschreckenden Vorfalls konnte er nichts Näheres angeben , nur so viel wußte er , daß derselbe mit den Untersuchungen gegen die Demagogen zusammenhänge .
Hermann eilte in der Hoffnung , daß ein falsches aberwitziges Gerücht den Freund betrogen habe , nach Medons Wohnung .
Leider fand er hier die Sache nur zu wahr .
Er hatte Mühe , in das Haus zu kommen , welches scharf bewacht war .
Auf dem Flur standen Koffer und allerhand Reisegepäck ; durch eine Glastüre blickte er in das Zimmer , worin er so manche lehrreiche Stunde erlebt hatte ; Medon , dem vorderhand nur Hausarrest gegeben worden war , saß darin auf dem Sofa , sah blaß und angegriffen aus .
Der Gerichtsbeamte stand neben ihm und schien ihn zu verhören .
In anderen Zimmern wurde versiegelt .
Von den Hausleuten , die sehr verwirrt und bestürzt waren , konnte er nichts Genaues herausbringen .
Nur so viel wußten sie , daß man Anstalten zu einer Reise gemacht habe , daß aber mitten in denselben der Gerichtsbeamte plötzlich mit einem jungen Menschen von wildem Ansehen erschienen sei , welcher auf Medon zuschreitend , und ihn scharf ins Auge fassend , gerufen :
" Dieser ist es , welcher in Zürich uns vom Männerbunde erzählte ! " worauf der Beamte Medon in Haft genommen habe .
Ängstlich fragte er nach Johannen .
Ihr Kammermädchen entdeckte ihm weinend , daß die gnädige Frau heimlich in großer Eile abgereist sei , noch ehe die Verhaftung stattgefunden habe .
Sie habe an verschiedenen Reden , die zwischen dem Herrn und der Frau vorgefallen seien , gemerkt , daß letztere mit dem Herrn verreisen sollen und sich dessen geweigert habe .
Mit Tränen in den Augen habe darauf ihre Gebieterin sie bei ihrer Treue beschworen , ihr einen Wagen nach entgegengesetzter Richtung zu verschaffen , was denn auch von ihr geschehen sei .
Die gnädige Frau habe den Wagen nach einem abgelegenen Sträßchen bestellen lassen , wo sie , kaum mit den nötigsten Sachen versehen , eingestiegen und in schnellster Eile fortgefahren sei .
Sie habe die arme gnädige Frau begleiten wollen , sei aber von ihr mit den Worten , daß sie fortan nur Gott zum Begleiter haben wolle , zurückgewiesen worden .
Schmerz und Wehmut zerrissen Hermanns Brust .
Aus dem Hin- und Herreden der Leute konnte er abnehmen , daß die leidenschaftlichen Vorfälle zwischen den Gatten die Veranlassung zu Medons Unglück mochten gegeben haben .
Das geängstigte Mädchen hatte davon überall geplaudert , um sich Luft zu machen , dadurch hatte aller Wahrscheinlichkeit nach der Beamte Kunde von diesen Dingen erhalten .
Denn gleich nach der Flucht Johannas war ein subalterner Agent der öffentlichen Macht unter einem Vorwande im Hause erschienen , hatte verschiedene Fragen getan , und das aufgeschichtete Reisegepäck achtsam betrachtet .
Unmittelbar nach seiner Entfernung aber erfolgte das , was alle in Schreck versetzte .
Der Beamte erschien , und bat Hermann höflich , sich zu entfernen .
Dringend verlangte dieser , zu Medon gelassen zu werden .
Nach einigem Zaudern wurde ihm eine kurze Unterredung zugestanden .
Mit einer furchtbaren Empfindung betrat er das Zimmer .
Medon hielt den Kopf in der Hand gestützt , und bemerkte den Eintretenden nicht .
Leise sagte Hermann , an der Türe stehenbleibend :
" Ich bin gekommen , Sie zu fragen , ob ich Ihnen in irgend etwas nützlich sein kann ? "
Medon sah empor , versetzte kein Wort , sondern winkte ihm schweigend , daß er ihn verlassen möge .
Hermann konnte den Blick seines Auges nicht ertragen , es lag darin der gläserne Ausdruck der Verzweiflung , einer völlig zerstörten Seele .
Draußen fragte er den Beamten , ob für Johannen etwas zu fürchten sei ?
was dieser mit Bestimmtheit verneinte .
Er wollte über Medons Schicksal einiges erfahren ; hier versagte jener aber alle Aufklärungen und rief :
" Glauben Sie mir , daß die Erfüllung meiner Pflicht mir schwer genug geworden ist , und daß ich viel darum gäbe , einen Irrtum , vielleicht mit strenger Rüge , büßen zu müssen , als leider die von mir nach und nach geahnte schlimme Wahrheit bestätigt zu sehen . "
Es war Nacht geworden .
Er begab sich zur Meyer , wo er Wilhelmi noch vermutete , um mit diesem zu beraten .
Eine Menge von Männern und Frauen war dort versammelt , welche die Bestürzung über diese Vorgänge zusammengeführt hatte .
Über den eigentlichen Zusammenhäng war der Schleier des Rätsels gebreitet , die wildesten Gerüchte kreuzten sich .
Wie sollte man es sich auch erklären , daß ein Mann , den Angesehensten des Staats nahestehend , ein Mann von den loyalsten Gesinnungen , ein ganz anderer , ein Feind des Staats gewesen , oder noch sein sollte ?
Man hoffte ein Mißverständnis , man glaubte , binnen kurzem diese Schatten , welche die geachtetste Persönlichkeit der Stadt jetzt verdunkelten , schwinden zu sehen .
Nur Wilhelmi rief :
" Ich wünsche es , aber es wird nicht so werden , er ist ein Catilina , und zwar ein gefährlicherer als der römische , weil er keine Laster hat . "
Die gute Seite der Menschen zeigte sich bei dieser Gelegenheit .
Alle sprachen ihr innigstes Bedauern über die unglückliche Johanna aus , welche man sich bei Nacht , umherirrend auf öden , bösen Wegen dachte ; die Spötter erklärten sich zu jeder Hilfe bereit , Madame Meyer war außer sich .
Man besprach , ob man einen Boten mit Briefen schicklichen Inhalts ihr nachsenden solle , oder ob es nicht besser sei , wenn ein Freund selbst dieses Geschäft übernehme .
Hermann erklärte sich zu letzterem bereit .
Er gedachte seiner Versprechungen , er fühlte , daß er nicht ohne Schuld der Vernachlässigung gegen die Geflüchtete sei , und gutzumachen habe ; stärker aber , als diese Erwägung der Pflicht trieb ihn das heißeste Mitleid der Armen nach .
Man freute sich über seinen Entschluß , die Meyer und Wilhelmi packten eilig verschiedene Reisenotwendigkeiten zusammen , und so fuhr unser Freund nach Mitternacht mit raschen Postpferden davon , begleitet von den besten Wünschen der ganzen Gesellschaft , welche bis zu seiner Abreise vereinigt geblieben war .
Elftes Kapitel Elftes Kapitel Von dem Kammermädchen war ihm die Richtung angegeben worden , welche Johanna genommen hatte ; es war zufälligerweise dieselbe Straße , an welcher in der Entfernung von zwei Tagereisen Flämmchens Landhaus lag .
Nur die Verzweiflung konnte Johannen auf diesen Weg getrieben haben , er führte , fortgesetzt , nach dem Schlosse des Herzogs , und vor der Rückkehr zu ihrem Bruder und seiner Gemahlin hatte sie stets den größten Widerwillen gezeigt .
Bei der Abreise war ausgemacht worden , daß Hermann ihr zwar in nichts hemmend entgegentreten , jedoch ihr die liebevollste und dringendste Einladung zu der Meyer überbringen solle .
Man meinte , daß sie in deren Hause , wohlberaten von aufrichtigen Freunden , am leichtesten die schwere Zeit überwinden werde , welche ihr bevorstand .
Die Meyer hatte in ihrem gutmütigen Eifer noch vor der Abreise Hermanns die Auswahl der Zimmer getroffen , welche die Freundin aufnehmen sollten .
Es waren die schönsten und stillsten des Hauses .
Hermann nahm sich vor , Johannen mit allen Gründen , die ihm zu Gebote standen , zur Wahl dieses Asyls zu vermögen , da er von einem Zusammentreffen mit der Herzogin bei dem so entgegengesetzten Charakter beider Frauen wenig Gutes hoffen durfte .
Er war mehrere Stationen gefahren , ohne eine Spur von ihr anzutreffen .
Schon glaubte er , daß sie ihren Entschluß geändert habe , und von dieser Straße abgewichen sei , als er in einem Landstädtchen , welches er um die Mitte des folgenden Tages erreichte , plötzlich die verlangten Nachrichten bekam .
Der Wirt erzählte ihm , daß die Dame , welche er zu suchen scheine , abends zuvor angekommen sei , sehr unruhig getan , und von ihrem Fuhrmanne verlangt habe , weitergefahren zu werden .
Dieser habe die Müdigkeit seiner Pferde als Weigerungsgrund angegeben , und sich , aller Versprechungen ungeachtet , nicht dazu verstehen wollen .
Die Dame , welche durchaus fort gewollt , sei in großer Bekümmernis gewesen , da sich keine Post am Orte befinde .
Sie sei schluchzend auf ihrem Zimmer hin und her gegangen , als plötzlich ein Wagen vor dem Hause gehalten habe , umgeben von einer Menge junger Herrn zu Pferde , die ein großes Geschrei vollführt und einem bildschönen Frauenzimmer in bunter Tracht herausgeholfen hätten .
Das Frauenzimmer habe durch Zufall von dem Leidwesen der Dame erfahren , sich gleich zu ihr führen lassen , und sie mit der zierlichsten Höflichkeit gebeten , einen Platz in ihrem Wagen anzunehmen , in dem sie , wenn sie befehle , bis an das Ende der Welt fahren könne .
Anfangs sei die Dame das nicht Willens gewesen , da aber das Frauenzimmer nicht abgelassen habe , endlich ihr zu Füßen gesunken sei , und ihr Knie umfaßt habe , so sei die Dame mit den Worten :
" Du arges Kind , wohin führtest du mich ? " in den Wagen gestiegen , auf dessen Rücksitze das Frauenzimmer Platz genommen habe , ungeachtet der wiederholten Bitten der Dame , sich doch neben sie zu setzen .
Der Wirt erzählte noch , daß beim Abfahren der Zug der jungen Herrn mit lautem Geräusche sich habe anschließen wollen , auf einen ängstlichen Blick der Dame nach diesem Schwarme hin , habe aber das Frauenzimmer sich emporgerichtet und ihren Begleitern in gebieterischer Stellung zugerufen :
" Zurück , ihr Tiere ! "
Hierauf seien die jungen Leute , Gehorsam diesem Befehle , geblieben , die Nacht sei von ihnen unter tausend Eulenspiegeleien hingebracht worden , und erst am Morgen habe sich das Rudel in Bewegung gesetzt .
Nicht ohne Unruhe hörte Hermann diese Erzählung .
Daß das junge Frauenzimmer Flämmchen gewesen sei , stand außer Zweifel , und daß Johannen in ihrer Gesellschaft so manches begegnen könne , was diese verletzen mußte , hatte er zu besorgen .
Alles das spornte ihn zur größten Eile an ; er gab doppelte Trinkgelder , der Wagen flog nur über die Tennengrade Chaussee , und so erreichte er noch vor Sonnenuntergang die Gegend , in welcher Flämmchens Haus , eine Viertelstunde von der Heerstraße hinter Birken- und Tannenwäldchen lag .
Sie kam ihm im Garten entgegen , durch welchen man zu dem Hause gelangte .
" Habe ich es nun recht gemacht " , rief sie , " die Schöne , Prächtige bei mir in Sicherheit zu bringen ?
Ich bin doch das gutherzigste Geschöpf von der Welt , euch beide bei mir zu beherbergen , denn daß du nachsetzen würdest , konnte ich mir wohl denken . "
" Wo ist Johanna ? " fragte er .
" Droben auf ihrem Zimmer , das deinige ist daneben " , versetzte Flämmchen und sprang fort , um sie von der Ankunft des Freundes zu benachrichtigen .
Nach einigen Gängen , die er durch den Garten machte , erschien Johanna , Flämmchen an der Hand , welche neben der vollen , schlanken , hohen Gestalt wie ein Kind aussah .
Er nahte sich der verehrten Frau , und beugte sich in tiefer Rührung über ihre Hand .
" Können Sie mir vergeben ? " fragte er leise .
" Es würde mir unaussprechlich wehe getan haben , wenn ich Sie nicht wiedergesehen hätte " , versetzte sie sanft .
" Doch nun ist es ja gut , Sie sind wieder da , und nehmen durch Ihre Ankunft einen Teil meiner Leiden mir vom Herzen . "
Sie standen , gegeneinander geneigt , die Hände vereinigt , Auge in Auge , und es würde schwer sein , von dem Zuge , der ihre Seelen jetzt bewegte , Rechenschaft zu geben .
Flämmchen hob sich auf die Füße , faßte ihr Gewand mit anmutiger Gebärde , und begann in lieblichen Kreisen die Gruppe zu umschweben .
Immer weiter wurden diese Kreise ; endlich berührten sie ein Gebüsch , hinter dem die Tänzerin verschwand .
Er fragte Johannen , wie es ihr hier gefalle , und wie lange sie an diesem Orte zu weilen gedenke ?
Sie versetzte , daß er ihren Entschluß am folgenden Tage vernehmen solle , und daß sie dabei auf seine Hilfe rechne .
" Das wundersame Kind , bei dem Sie mich finden " , sagte sie , " hat mich fast gezwungen , ihren Wagen und ihr Haus anzunehmen .
Sie scheint von der Gewalt plötzlicher Eindrücke abhängig zu sein , und der , welchen ich auf sie gemacht , muß mit großer Stärke gewirkt haben , denn sie klammerte sich so fest an mich , daß ich mich kaum ihr entwinden konnte .
Im Wagen setzte sie sich mir gegenüber , um mich immer betrachten zu können , wie sie sagte . "
Hermann , der unter diesen und anderen Gesprächen mit seiner Freundin durch den Garten ging , mußte sich im stillen bekennen , daß Flämmchen so Unrecht nicht habe .
Wenn Mißgeschicke gewöhnlichen Menschen leicht etwas Widerliches geben , so verschönen sie dagegen den Ausdruck höherer Naturen und breiten auch über die Gestalt einen Zauber der Verklärung .
Johanna schritt neben ihm wie eine tragische Königin ; selbst die Marmorblässe ihrer Wangen erhöhte den Reiz , der von ihr ausging .
Vor dem Hause entließ sie ihn , und wünschte ihm gute Nacht , da sie den Abend allein zuzubringen wünsche .
Flämmchen stand in der Türe , kniete vor ihr nieder , und fragte : " Darf ich dich bedienen ? "
- " Wenn es dir Freude macht , so tue es immerhin " , versetzte Johanna .
Nachdem er seine Sachen auf dem ihm angewiesenen Zimmer hatte ablegen lassen , trieb es ihn wieder in das Freie .
Nur durch eine Tür von Johannen geschieden , ohne bei ihr sein zu dürfen , war er von einer Unruhe überfallen worden , welche ihn zwischen den vier Wänden nicht litt .
Ein lauter fröhlicher Gesang zog ihn nach einem entlegeneren Teile des Gartens .
Das lustige Lied erscholl aus einem geräumigen Gewächshause , hinter dessen großen Glasfenstern er bei dem ungewissen Lichte des Abends noch eben die Sänger erkennen konnte .
Die jungen Leute waren es , Flämmchens Gefolge .
Sie hüpften zwischen den Palmen , Pisangs und Geranien wie verrückt umher , und mancher Topf fiel von seinem Brette .
Der beleibte Mann , welchen Flämmchen den Kurator genannt hatte , saß ärgerlich unter einem Kaktus , und schien sich dieser Gesellschaft zu schämen , besonders als er Hermanns ansichtig wurde .
Er machte seine jungen Genossen auf den Fremden aufmerksam , worauf der ganze Schwarm an die Scheiben sprang , und Hermann mit possierlichen Gebärden anstarrte .
Dieser hielt es der Höflichkeit angemessen , dem ältlichen Manne einige Worte zu sagen , konnte aber seine Absicht nicht erfüllen , weil er die Türe des Gewächshauses verschlossen fand .
Als er noch vergeblich klinkte , hörte er hinter sich gehen .
Er wandte sich um , und sah die Alte mit einem großen Korbe voll Eßwaren herbeikommen .
Ihre Züge waren noch schärfer geworden , ihre Farbe hatte sich tiefer gebräunt .
Ein buntes wollenes Tuch , welches sie um das Haupt trug , gab ihr ein ausländisches Ansehen .
" Seid mir gegrüßt " , sagte sie mit der rauhen Stimme , an welche er sich von dem westfälischen Walde her erinnerte .
" Ja , ja , was einmal sich getroffen hat , kommt immer wieder zusammen . "
" Was tust du hier ? " fragte Hermann .
" Ich will die Menagerie füttern " , erwiderte die Alte , öffnete die Türe des Gewächshauses und schob den Eßkorb hinein , über dessen Inhalt die jungen Leute gierig herfielen .
" Dürfen wir nicht heraus ? " fragte einer .
" Nein " , antwortete die Alte , " bis auf weiteren Befehl bleiben die Tiere eingesperrt .
Nur der Dicke soll in Freiheit gesetzt werden , und dem Herrn Gesellschaft leisten . "
Auf diese Worte kam der Kurator heraus , und sagte zu Hermann mit anständiger Verbeugung :
" Rechnen Sie mir es nicht zu , mein Herr , daß Sie mich unter so lächerlichen und fast unschicklichen Umständen kennenlernen .
Ich bin wirklich ein ganz geachteter Geschäftsmann , und werde von vielen angesehenen Familien mit ihrem Vertrauen beehrt .
Das junge eingesperrte Gesindel zwang mich , so sehr ich mich auch dagegen sträubte , mit in den Käfig zu gehen , worin ich denn bei ihren Possen , ohne Speise und Trank , diesen ganzen Tag habe versitzen müssen . "
Auf nähere Erkundigung vernahm Hermann , daß Flämmchen sehr in Zorn geraten sei , als der Schwarm ihrer unreifen Verehrer ungeachtet des Gebots , mehrere Tage lang fernzubleiben , sich dennoch bei dem Landhause wieder gezeigt habe .
Mit dem Rufe :
" Ich habe jetzt Besuch , der für euch zu gut ist ! "
sei darauf die Einsperrung im Gewächshause anbefohlen und auch sogleich vollzogen worden , denn die jungen Leute täten alles , was sie wolle .
Die Alte verschloß das Gewächshaus , und Hermann ging zwischen ihr und dem Kurator nach der Villa zurück .
" Ist es wahr " , fragte er den Kurator lateinisch , um von der Alten nicht verstanden zu werden , " daß Sie sich hier als Kurator ventris aufhalten ? "
" Leider " , versetzte der Kurator seufzend in derselben Sprache .
" Es ist die Torheit der jetzigen reichen und vornehmen Leute , alles delikat anfassen zu wollen .
Die junge Witwe hat sich für schwanger erklärt , oder vielmehr , das alte Weib hat dies ausgesprengt , möglicherweise in betrügerischer Absicht , weil , wenn ein Erbe erscheint , die Mutter desselben noch lange Jahre hindurch den Nießbrauch aller dieser Besitzungen behält .
Stadt nun schlichtweg eine Hebamme zur Untersuchung abzusenden , bin ich erwählt worden , den Lebenswandel des Flämmchens zu beobachten , weil man durchaus mit Zartheit in der Sache verfahren wollte .
Was diese aber bewirken soll , ist mir unbegreiflich .
Das Flämmchen lebt , wie es mag , und es fehlt mir an allen gesetzlichen Mitteln , dagegen hindernd einzuschreiten , so daß ungeachtet meiner Anwesenheit dennoch jeder Unterschleif geschehen kann .
Aber man ist abhängig und muß sich daher auch den Grillen seiner Klienten fügen .
Das Verzweifeltste bei der Sache ist , daß ich selbst von der Unwahrheit jener Angabe überzeugt bin , und nichtsdestoweniger glaube , die Spitzbübin , welche uns da begleitet , wird ihre Künste in das Werk zu richten wissen , wie sie es denn auch wahrscheinlich gewesen ist , welche den seligen Domherrn mit dem Mädchen zusammenkuppelte . "
Die Alte , welche bis jetzt still vor sich hin gegangen war , blieb stehen , warf auf beide einen höhnischen Blick und murmelte :
" Sprecht ihr nur lateinisch ; das Kind ist auf der Reise nach Deutschland , und wird zur rechten Zeit ankommen . "
Das Landhaus war hell erleuchtet , auf allen Gängen , in jedem Vorsaale und Zimmer brannten Lampen und Lichter .
" Diese Verschwendung findet hier beständig statt " , sagte der Kurator , " denn Flämmchen fürchtet sich vor dem Dunkel , und läßt daher , sobald der Abend einbricht , die Finsternis aus jedem Winkel jagen .
Besonders empfindet sie ein Grauen vor den Hinterzimmern des Gebäudes , in deren einem noch die Leiche des seligen Domherrn einbalsamiert und unbedeckt 10 steht .
Der Gute hatte im Testamente anbefohlen , ihn in Spiritus zu setzen , um sich physisch bis in die spätesten Zeiten erhalten zu wissen .
Da nun diese ungereimte Verfügung nicht wohl auszuführen war , so wählte man jene annähernde Art der Bewahrung , und wird die Leiche beisetzen , sobald in dem dazu bestimmten Gartentempel die nötigen Vorkehrungen getroffen sein werden . "
" In der Tat " , rief Hermann , " es kommt mir hier so vor , als ob ich mich in einem Irrenhause befände . "
" Ja " , versetzte der Kurator , " es weht in dieser Luft etwas Ansteckendes , ich bin oft für meinen Verstand hier besorgt , um so mehr , als ich das gefährliche Beispiel vor mir habe , daß Menschen auch ohne denselben fertig zu werden wissen . "
Flämmchen zog beide hüpfend nach einem strahlend hellen Zimmer , in welchem ein runder Tisch gedeckt stand .
Gute Speisen waren aufgetragen , feine Weine fehlten nicht .
" Nun eßt , was euch beliebt " , rief sie , " es ist mir nichts Langweiligeres , als die Reihenfolge der Gerichte zu halten , das kommt mir vor , als wenn man nach einer Karte spazierengehn wollte . "
Mit diesen Worten verzehrte sie einige Früchte und Konfekte , die zum Nachtische gehörten , und ließ diesem Genusse Fische und Fleischspeisen folgen .
Der Kurator , welcher keinen Blick von ihr verwandte , suchte sich dennoch im Gleichgewichte zu erhalten , und begann , allerhand Geschäftsverhältnisse zu erzählen , welche sämtlich seine rechtschaffene und edle Gesinnung bewahrheiten sollten .
Die Erinnerung an seine Tugend rührte ihn so , daß er häufige Tränen vergoß .
Flämmchen , welche ihn beständig auslachte , versicherte ihn zu öfterem , er sei dennoch ein abgefeimter Vogel , und flüsterte Hermann zu :
" Jetzt will ich den Hanswurst fortschaffen . "
Mit einem Sprunge war sie auf seinem Schoße , küßte ihn , und rief schmeichelnd :
" Sprich , mein Liebster , wie hast du es angefangen , so brav und gut zu werden ? "
- Der Kurator war unfähig , etwas zu erwidern , seine Augen starrten das schöne Kind an , sein Mund war durch die Küsse in den Zustand versetzt worden , welchen man die Sperre nennt ; so gewährte er einen überaus lächerlichen Anblick .
Flämmchen stieß , wie von ungefähr an das Glas , welches er , mit Burgunder gefüllt , in der Hand hielt ; es entsank ihm , und die rote Flut strömte über den Tisch .
" O weh ! " rief Flämmchen , " da verdirbt er mir das feine Gedeck , hurtig in die Küche , und Salz geholt ! "
- Verlegen , ohne aufzusehen , schlich der bestürzte Geschäftsmann fort , und Flämmchen schloß hinter ihm die Türe ab .
Hermann sagte , als er mit ihr allein war :
" Wie magst du nur dieses wilde , leichtfertige Treiben rechtfertigen ?
Gehe doch endlich in dich , und bedenke , daß du durch dein unschickliches Benehmen dich selbst aus den Kreisen vernünftiger Menschen bannst .
Ich nehme herzlichen Anteil an dir , aber wie soll ich ihn betätigen , wenn solche Streiche beständig allem Rate , jeder Warnung entgegentreten ?
Zu spät , wenn ein aufgegebener Ruf , ein siecher Körper dich elend gemacht haben werden , wirst du Reue empfinden , dann bin ich vielleicht dir fern , und niemand steht bei dir , der auf deine Seufzer hört .
Versprich mir , Flämmchen , deine Lebensweise zu ändern , entferne vor allen Dingen diese sittenlosen jungen Leute , welche sich wenig für deine Gesellschaft ziemen , und schicke die böse Alte fort , von der ich nichts Gutes glaube . "
Noch mehrere wohlgemeinte Ermahnungen fügte unser Freund hinzu , und hatte dessen nicht acht , daß Flämmchen während seiner Rede leise weg und hinter einen Ofenschirm geschlichen war .
Er schmeichelte sich , daß er Eindruck auf sie gemacht habe , daß sie ihre Beschämung hinter dem Schirme verbergen wolle , als dieser umgeworfen wurde , und Flämmchen , ihr Tagesgewand über den Arm gehängt , im leichtesten Nachtröckchen sich zeigte , welches den Glanz der Achseln und des Busens unverhüllt ließ , und kaum bis an die Knie hinabreichte .
" Ungezogenheit über Ungezogenheit ! " rief er .
" Es ist Schlafenszeit " , sagte sie gähnend , " und ich konnte deine Predigt nicht besser benutzen , als mich während derselben zu entkleiden .
Ihr müßt die Flamme flackern lassen , wie sie mag .
Gute Nacht . "
Sie wandte sich , und wies ihm , durch eine Tapetentüre entschlüpfend , den gewölbten Nacken und die runde , zierliche Wade .
Draußen sang sie folgendes Lied :
Wer mir sagte , wo das Mädchen Ihres Auges Blick gewonnen !
O verkündet , wo das Fädchen Ihres Leibes wurde gesponnen ?
Ach , zerginge ich in die Lüfte , In die leichten , in die warmen !
Durch die Wälder , durch die Klüfte Schwebt ' ich dann mit freien Armen !
Er hob den Ofenschirm auf .
Eine große tragische Maske war in demselben eingestickt .
Sein Traum im Försterhause , welcher ihm das umfallende Medusenhaupt , und Flämmchen dahinter hervorspringend gezeigt hatte , trat ihm wieder vor die Erinnerung .
Die Maske mit ihren starren , furchtbaren Zügen und toten Augenhöhlen konnte wenigstens für ein Analogon jenes erstarrten Antlitzes gelten .
Noch näher aber dem Traume kam seine Stimmung , in welcher üppige und grauenhafte Bilder durcheinanderschwankten .
Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Am folgenden Morgen wurde er zu Johannen berufen .
Sie machte ihm ihren Entschluß bekannt , das Verlangen der Herzogin erfüllen , und den einsamen Aufenthalt , welchen ihr diese in ihrem Briefe bezeichnet hatte , annehmen zu wollen .
Hermann wurde ersucht , dies dem Bruder und der Schwägerin zu melden .
" Also werden Sie doch noch Ihren Auftrag ausrichten " , sagte Johanna schmerzlich lächelnd .
" Sie vermitteln meine Rückkehr , nachdem jeder Gedanke daran Ihnen und mir verschwunden war .
So geht es oft im Leben .
Wir glauben uns von manchen Anforderungen , von diesem und jenem Verhältnisse weit , weit entfernt zu haben , und unerwartet fühlen wir uns in längst abgeschüttelten Banden gefesselt . "
Hermann erlaubte sich , manches gegen diesen Plan einzuwenden , der ihm durchaus unheilsam zu sein schien .
Er sprach den Wunsch der Meyer aus , und fügte hinzu , daß wenn sie auch diesem sich abgeneigt zeigen möchte , ein Leben und Wohnen unter gleichgültigen , fremden Menschen in ihrer Lage gewiß doch noch dem Drucke widerstrebender Umgebungen vorzuziehen sei .
Johanna versetzte :
" Zu meiner Freundin kann ich mich nicht begeben .
Bei manchen Schicksalen ist Entfernung , Veränderung von Luft und Boden unerläßlich .
Wie sollte ich es ertragen , da , wo ich unaussprechlich gelitten , noch einmal in der Erinnerung alle Qualen nachzuleben ?
Was mich bei dem Herzoge und seiner Gemahlin erwartet , weiß ich recht wohl .
Waren wir doch schon in jenen früheren Tagen einander unverständlich !
Er ist mehr ein Begriff , als ein Mensch , und sie hat , ungeachtet aller Güte , etwas unendlich Peinliches in ihrem Wesen .
Ich mochte tun , was ich wollte , für mich sein , oder in Gesellschaft , lesen oder frische Luft schöpfen , so hatte ich beziehungsvolle Reden über weibliche Genialität , Gelehrsamkeit und dergleichen anzuhören .
Daneben glaubte sie denn , und glaubt es noch in ihrem Briefe , mich zu lieben , während sie doch immer nur mit dem ganzen Dünkel solcher wohlwollenden Quälgeister eine anmaßliche Vormundschaft über mich hat ausüben wollen . "
" Und dennoch ?
... "
" Und dennoch .
- Ich sehe voraus , wie man mich beobachten , bemitleiden , und auf die beste Manier von der Welt nach und nach einzwängen wird , und dennoch wähle ich diesen Kerker .
Soll uns das Bittere süß schmecken ?
Ist eine Eigenschaft des Jochs nicht die Schwere ?
Ich habe gefehlt , nicht wie meine Verwandten meinen , aber ich irrte , indem ich wähnte , uns Frauen der neueren Zeit sei die Begeisterung erlaubt , sei es erlaubt , auf den Schwingen der Begeisterung dem Manne entgegenzuschweben , der unserer wert ist .
Wir sind Geschöpfe der Familie , auf sie sind wir gepflanzt , und so ist es nur ein gerechter Gang meines Lebens , wenn ich nun dem mich demütig ergebe , was mir die Familie bedeutet , wenn ich alles geruhig erdulde , was auf diesem Boden drückend und feindlich für mich emporsteigt . "
Da er sie fest bestimmt sah , so ließ er von weiterem Zureden ab und entwarf den Brief an die Herzogin .
Johanna überlas ihn und strich daraus alles weg , was ein Lob ihrer Person enthielt .
Nachdem die von ihr gebilligte Abfassung zustande gekommen war , wurde ein reitender Bote damit nach dem Schlosse des Herzogs gesendet , der die Antwort zurückbringen sollte .
Diese wollte Johanna auf dem Landhause erwarten .
In diesem wurde es nun sehr lebendig .
Johanna hatte ausdrücklich befohlen , daß um ihretwillen kein Zwang eintreten solle , indem sie sich schon zurückzuziehen wissen werde , wenn das Getöse ihr beschwerlich falle .
Es waren daher auch die jungen Leute in Freiheit gesetzt worden , die es nun an Lärmen und Unruhe nicht fehlen ließen .
Von den Beschäftigungen , womit sie ihren Tag hinbrachten , führen wir nur beispielsweise an , daß einer derselben auf nichts bedacht war , als vom Morgen bis zum Abend seinen Backenbart in Ordnung zu halten , und daß ein anderer in einem mitgebrachten blechernen Reisekomfort fort während Beefsteaks briet , welche er dann zum Fenster hinauswarf .
Hermann konnte daher Flämmchen eigentlich nicht Unrecht geben , als sie auf seine wiederholte Ermahnung , sich dieser Umgebung zu entäußern , versetzte :
" Warum schiltst du mich ?
Andere halten sich zur Gesellschaft Hündchen und Äffchen , wogegen ich einen Widerwillen habe ; ich halte mir diese , die aus guter Familie und nicht so unreinlich sind , wie jene Geschöpfe . "
Zu den possenhaften Bewohnern paßte die Örtlichkeit vollkommen .
Die Villa war der treue Abdruck des Sinns , wodurch der Domherr sein Leben zersplittert hatte .
Daß nichts an seiner Stelle stand , die Stühle fast überall in ungerader Zahl vorhanden waren , Schränke und Sofas häufig schief gerichtet mitten in den Zimmern angetroffen wurden , konnte auf Flämmchens Rechnung kommen , welche behauptete , das Geräte sei da , sich umherstoßen zu lassen .
Allein so manches andere bezeichnete das Gehäuse , welches der verstorbene Besitzer selbst um sich geschaffen hatte .
So war die Bibliothek , wenn man einen Haufen willkürlich zusammengeraffter Bücher mit diesem Namen belegen will , unmittelbar an der Küche , ja fast in derselben angebracht , weil der Domherr sich eine Zeitlang eingebildet hatte , der Dampf der Speise stärke , als eine Art leichter olympischer Nahrung den Geist beim Studieren .
Rosenkreuzerische Symbole fanden sich neben schlüpfrigen Bade- und Toilettenszenen , ein astronomisches Kabinett wies bei näherer Untersuchung nur pappen Fernröhre und Quadranten auf .
Der Verstorbene war nämlich , gerade als Maler und Schnitzler die entsprechende Verzierung des Raums vollendet hatten , seiner schnell entstandenen Liebhaberei zu den Sternen wieder überdrüssig geworden , und hatte sich nun begnügt , die Instrumente und Vorrichtungen selbst nur als theatralische Requisiten hinzuzufügen .
Einmal besah Hermann , der hier viel müßige Stunden hatte , um die Zeit hinzubringen , die Naturalien , welche in einem kleinen Kämmerchen aufbewahrt wurden .
Ausgestopfte Tiere , neuseeländische Waffen , Walfischrippen , Erze , Konchylien waren über- , unter- , nebeneinander gestopft ; man konnte sich zwischen dem Gerölle kaum durchwinden .
Große chinesische Figuren standen in den Ecken , und wiegten wie Denker , bedächtig die Porzellanhäupter .
Hermann öffnete eine Türe , und betrat ein angrenzendes dunkles Gemach , in dem seine Fußtritte widerhallten .
Hier die eigentlichen Schätze vermutend , ließ er sich Licht bringen , und erstaunte nicht wenig , als er sich in einem ganz leeren , blau angestrichenen , großen , saalartigen Zimmer sah , in welches kein Tagesstrahl dringen konnte , weil demselben die Fenster fehlten .
Er erkundigte sich bei dem Bedienten , wozu dieser leere Raum diene , und weshalb man nicht hier , wo Platz genug vorhanden sei , die Sammlung aufgestellt habe ?
Der Bediente versetzte , daß die beiden Gemächer eine Allegorie darstellen sollten , das kleine mit seinem Inhalte bedeute die Mannigfaltigkeit der Natur , und das große , leere , blaue , die Ewigkeit , zu welcher die Natur hinführe ; so habe es der selige Herr erfunden und ausgedacht .
Ein Vorhang an der Hinterwand reizte Hermanns Neugier .
" Dahinter " , sagte der Bediente auf seine Frage , " sollte der liebe Gott angebracht werden , aber der selige Herr ist darüber gestorben , und nun haben wir ihn selbst dort als Mumie vorderhand beigesetzt , weil kein anderes Gelaß dafür übrig war . "
- Er zog an einer Schnur , der Vorhang flog zurück , und Hermann erblickte auf einem Stufengerüste in der Nische einen Sarkophag in ägyptischem Geschmack .
Ohne sich durch seinen Ruf , daß er nach dem Anblicke nicht verlange , irremachen zu lassen , hob der Bediente in seinem Eifer , dem Fremden die größte Seltenheit des Hauses zu zeigen , den Deckel ab , und Hermann mußte mit Widerwillen eine eingetrocknete menschliche Gestalt , von weißem Faltengewande bekleidet , wahrnehmen , welcher die Kunst diesen kümmerlichen Scheinbestand gesichert hatte .
Er wandte sich nach kurzem Hinblick ab , zur Verwunderung des Bedienten , welcher diesen Abscheu nicht begreifen konnte , und seinerseits die größte Zufriedenheit über den so wohl erhaltenen seligen Herrn aussprach .
Der Gedanke , mit einem Leichname unter Dach zu sein , war nicht angenehm .
Die albernen Einrichtungen und Zusammenstellungen des Hauses verwundeten Sinn und Auge .
Das Getöse , welches die jungen Leute machten , war oft unleidlich .
Eine große Menge hinterlaßener Kanarienvögel , für welche Tierart der Domherr eine besondere Vorliebe gehabt hatte , warf in dieses Wirrsal die schmetternden , ohrzerreißenden Töne .
Wollte er dem Schwindel draußen entgehen , so schreckte ihn der vernachlässigte Garten , in welchem allerorten wilde Ranken und Sprossen überwucherten , wieder in das Haus zurück .
Flämmchen sah er wenig .
Sie fuhr in der Nachbarschaft umher , eine große Ballgesellschaft zusammenzubitten .
" Gebt acht " , hatte sie beim Einsteigen gesagt , " wenn ich nur selbst komme und ihnen das Wort gönne , so fliegen alle alten und jungen Gänse in meinen Stall . "
Die braune Zigeunerin umschlich ihn mit sonderbaren Blicken .
Noch immer sah er sie Kräuter sammeln , welche sie aber jetzt zu eigenen Heilzwecken verwendete .
Sie machte nun selbst den Arzt , täglich kamen Leute aus der Gegend zu ihr ; man hielt sie für eine Wundertäterin , und ihr Ruf stieg um so höher , als sie nie Bezahlung nahm .
Sie schien unserem Freunde etwas vertrauen zu wollen , denn sie machte sich oft ein Gewerbe bei ihm , und sah ihn dann so eigen an , daß ihm in ihrer Nähe wunderbar zumute wurde .
Er wünschte sehnlich die Rückkehr des Boten herbei , denn er wollte nur Johannen zum Wagen führen , um dann sogleich in die selbstgewählten Beschränkungen einzutreten , da er doch wohl einsah , daß er keinen Einfluß auf Flämmchen habe .
Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Nur wenn er sich bewußt wurde , daß er Johannas Wandnachbar sei , oder wenn er bei ihr verweilen durfte , empfand er eine Beruhigung in diesem Treiben .
Er war viel bei ihr , aber doch nicht so oft , als er wünschte .
Eine Zärtlichkeit ohne Leidenschaft trieb ihn gegen sie , er begriff nicht , wie er nach ihrer Abreise sich werde zu fassen imstande sein , und doch konnte er Corneliens zu gleicher Zeit gedenken , lebhaft und schmerzlich nach ihrem , ihm für immer entzogenen Besitze verlangen .
Er wollte sich Vorwürfe über diese Doppelempfindung machen , die seinem Verstande zweideutig erschien , aber es stellte sich keine Reue ein , sein Gefühl blieb unversehrt .
Er war ein Fremdling in seinem eigenen Herzen geworden .
Es gibt nicht Erquickenderes , als den Anblick einer großen vornehmen Seele , welche das Unglück als etwas ihr Gehöriges , als das heilige ihr von den oberen Mächten verliehene Eigentum nimmt und hinnimmt , während kleine Gemüter sich gegen dieses Erbteil unseres Lebens unter Winseln und Wehklagen fruchtlos sperren .
Johanna war ruhig , selbst heiter .
Sie verhehlte gegen Hermann nicht , daß ihr Los ihr für immer zerstört zu sein scheine , " aber " , setzte sie hinzu , " wie unendlich wohler ist mir jetzt , wo ich die Brandstätte überschaue , als damals , wo ich noch mit Rauch und Flammen unselig kämpfte ! "
Über die Geheimnisse ihrer unglücklichen Ehe , über Medons Charakter , und die plötzliche Wendung seines Schicksals beobachtete sie ein strenges Stillschweigen .
Einmal hatte Hermann versucht , von weitem und in der bescheidensten Weise ihre Lippen über diese Dinge aufzuschließen , war aber mit den Worten , daß man von unheilbaren Schäden nicht reden müsse , zurückgewiesen worden .
Alle diese sonderbaren Verwicklungen blieben ihm also tief zugehüllt , und er brachte von denselben nur in Erfahrung , was die Gerüchte aus der Hauptstadt meldeten , aus welcher ihm während dieser Tage mehrere Briefe zukamen .
Sie sprachen von einer großen Verschwörung , welche auf den Umsturz des Thrones und auf Fürstenmord berechnet gewesen sei .
Die bedeutendsten Männer seien in das Komplott verflochten , selbst Staatsminister bezeichne die öffentliche Stimme wenigstens als entfernte Teilnehmer .
Einen dieser Briefe , den ihm Madame Meyer geschrieben , mußte er Johannen , wiewohl er es ungern tat , zum Lesen geben , da er mehreres für sie insbesondere enthielt .
Nachdem sie ihn durchgelesen , sagte sie :
" Es steht besser und schlimmer , als diese Zeilen berichten . "
Sehr wohltuend war das Verhältnis , in welches sie sich zu den Umgebungen gesetzt hatte .
Zuvörderst war in den Zimmern , welche sie innehatte , unter ihren und Hermanns Händen Ordnung und Ebenmaß entstanden , alles Anstößige hatte sich aus denselben still verloren , manches würdige Kunstwerk , welches der Domherr denn doch auch mit vielem Tande zufällig hin und wieder erworben , war ihr von Flämmchen und der Dienerschaft , als müsse dieses so sein , zugebracht worden .
So hatten ihre Gemächer bald das Ansehen einer schönen Insel inmitten eines wüssten Meeres von Unsinn .
Von dem Getöse , welches unserem Freunde so beschwerlich fiel , schien sie nichts zu vernehmen .
Als ihr Hermann seine Bewunderung über dieses gleichmütige Erdulden aussprach , erwiderte sie :
" Ich habe mir vorgenommen , nicht danach hinzuhören , und so gelingt es mir auch .
Man sagt , daß die Bewohner einer Mühle sich an deren Klappern gewöhnen können , daß sie sogar aus dem Schlummer erwachen , wenn die lärmenden Räder gehemmt werden , und die hiesigen Töne sind doch noch nicht so laut und schlimm , als Mühlengeräusch . "
Trat sie aus ihren Zimmern , so verwandelte sich vor ihrer Erscheinung alles , was der Verwandlung fähig war .
Die jungen Leute ließen von den Albernheiten ab , nahten ihr bescheiden und waren auf eine Zeitlang anständig und gesittet .
Die Diener und Mägde , welche sich in dieser aufgelösten Wirtschaft ein gemeines lautes Wesen angenommen hatten , gingen , still , mit niedergeschlagenen Augen , ihre Wege , und widersprachen , wie sie sonst pflegten , den erteilten Befehlen nicht ; Flämmchen endlich trocknete Tränen , welche ein ihr ewig Versagtes beweinten .
Zum zweiten Male in kurzer Zeit erblickte Hermann die Wirkungen der Weiblichkeit über eine rohe Welt .
Wie Cornelie dort über die Hirten , so herrschte hier Johanna über die Barbaren , welche die Verfeinerung unserer Zeiten wieder erzeugt hat .
Auch sie wußte , wie Cornelie , nichts von ihrer Macht .
Sie ordnete selbst kleine gemeinschaftliche Vergnügungen an , nahm an Spazierfahrten und Wasserpartien Teil , und schien sich einfach und natürlich zu dieser Gesellschaft zu rechnen , von welcher sie ein unermeßlicher Abstand trennte .
Das ist die heilige Gewalt der Frauen , welche sie zu Priesterinnen , Heerführerinnen und Königinnen kraftvoll aufstrebender Völker macht , und der sich zu keiner Zeit jemand ohne seinen Schaden entzieht .
Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Flöten , Geigen und Bässe ertönten im Ballsaale , welchen Flämmchen so hell hatte beleuchten lassen , daß der Glanz den Augen fast empfindlich wurde .
Eine zahlreiche Gesellschaft war versammelt , deren Kommen die Vorhersagung des wilden Kindes bestätigte .
Man war nur stark genug gewesen , früheren geschriebenen Einladungen zu widerstehn , sobald die mutwillige Festgeberin sich in Person zeigte , und einige schmeichelnde Worte verwendete , schwanden die Bedenken ; alle Väter und Mütter sagten sich und ihre Töchter zu , vielleicht zum Teil auch aus Neugier , die berühmte unglückliche Frau kennenzulernen , deren Anwesenheit auf dem Landhause schnell in der Nachbarschaft kund geworden war .
Johanna hatte von Hermann ausdrücklich verlangt , daß er am Feste teilnehmen solle .
Auch sie erschien , geschmückt und strahlend , und versagte sich den ruhigeren Tänzen nicht .
Als Hermann sie in der Polonaise führte , flüsterte sie ihm zu :
" Alles in diesem Landhause ist zu ertragen , nur die empfindsame Zudringlichkeit des Kurators nicht .
Er hat mich mit seinen Anträgen , mir helfen und beistehn zu wollen , diese Tage her sehr gepeinigt , wenn er mir nur heute fernbleibt ! "
Wirklich hatte Hermann bemerkt , daß der Kurator Johannen , sobald sie sich öffentlich zeigte , nicht aus den Augen ließ , und allen ihren Schritten folgte .
Flämmchen schien bei ihm außer Gunst gekommen zu sein .
Auch an diesem Abende zeigte sich die Beeiferung des Verehrers .
Er nahm während einer Pause des Tanzes Hermann beiseite und sagte :
" Welche Erscheinung !
Wie wert , daß man sich der Frau annehme !
O Freund , lassen Sie uns für die Herrliche sorgen , stehen wir nicht ab , bis wir sie vermögen , in ihre Verhältnisse zurückzukehren !
Ganz gewiß beruht Medons Schicksal auf einem Irrtume , bald wird er seine Freiheit wiedererlangen , welche Schmach dann für die Gattin , den Gatten zur Zeit der Not verlassen zu haben !
Nein , helfen Sie mir , eine gestörte Ehe herzustellen , leiten wir die verirrte Frau in die Arme des Mannes zurück ! "
" Ich dächte , man überließe den Personen , gegen welche man Verehrung fühlt , selbst ihr Los zu bestimmen " , sagte Hermann mit Empfindlichkeit .
Der Gedanke , Johannen und Medon wieder beisammen zu wissen , den der Kurator in ihm angeregt hatte , war ihm äußerst unangenehm .
Dieser machte sich an Johannen , und es verdroß Hermann , daß sie ihm freundlicher , als er es wünschte , und wollte , zu begegnen schien .
Er trank mehr Wein , als er sonst pflegte , und suchte seine Aufregung in raschen Walzern mit munteren , schönen Mädchen zu vergessen .
Mitternacht war vorüber .
Er setzte sich in ein Nebenzimmer und sah in die Nacht hinaus .
Das ganze Gefühl seiner ersten Jugend , welches er immer gegen das Ende von Bällen gehabt , kam über ihn .
Wie die Töne des Tanzes gegen die große stille Nacht draußen in buntem Gewimmel ankämpften , und doch ihren Tod schon in sich trugen , so erschien ihm das ganze Dasein im kurzen schönen Kriege gegen das Unendliche , Farben- und Formlose befangen .
Johanna hatte sich zurückgezogen .
Er machte sich Vorwürfe , auch nur in Gedanken ihr gezürnt zu haben .
Morgen mußte der Bote vom Schlosse des Herzogs zurückkehren , wie nahe stand die traurige Trennung bevor !
Sehnsucht und tiefe unbezwingliche Liebe trieben ihn zur Türe ihres Zimmers .
" Kann ich Sie noch sprechen , Johanna ? " flüsterte er .
Sie öffnete und sagte : " Welch ein später Besuch !
Was führt Sie zu mir ? "
" Schmerz , Wehmut , Johanna .
Wir gehen morgen auseinander , und wann sehen wir uns wieder ?
Tief verbergen Sie Ihre Leiden , und gönnen dem Freunde nicht den Trost , sie mit Ihnen teilen zu dürfen . "
Sie reichte ihm die Hand und sagte :
" Keiner soll mir helfen , wenn ich der Hilfe bedarf , als Sie .
In aller Not und Trauer will ich ewig nach Ihnen schauen .
Wir sind verbunden ; was kann uns scheiden ?
Rollt die Liebe auf den Rädern des Wagens davon ? "
Er hielt ihre Hand fest und fragte leise :
" Lieben Sie mich , Johanna ? "
" Von Herzen " , versetzte sie .
" Soll denn nur das Blut , und immer nur das Blut Geschwister schaffen ?
Darf nie das Gemüt in freier schöner Wahl das reinste Band knüpfen ?
Nein , ich werde den Glauben nicht aufgeben , daß solche Neigungen möglich sind .
Vom ersten Augenblicke , da ich Sie sah , sind Sie mir wie ein Bruder erschienen ; lassen Sie mich Ihre Schwester bedeuten !
Und zum Angedenken dieser Stunde und meines Bekenntnisses empfangen Sie das beste , was eine Frau darbieten kann . "
Sie schlang ihren Arm um seinen Nacken und die schönen unentweihten Lippen berührten die seinigen .
Sanft sich emporrichtend , sagte sie : " Wer würde , das sehend , nicht rufen , es sei Leidenschaft , Frevel !
Und doch , wie fern bin ich von allem ungestümen Wesen !
Wie ruhig könnte ich Sie in den Armen einer anderen sehen !
So wenig reichen unsere Begriffe an die Geheimnisse des Herzens . "
Zitternd , sprachlos , ging er durch die erleuchteten Gänge .
Noch klang die Musik in rauschenden Weisen .
Wie hätte er zu schlummern vermocht !
Über alles Hoffen hinaus war ihm sein Leben erhöht !
An seiner Brust hatte die Königliche geruht ; er erlag fast unter der Bürde eines fremden , unbegreiflichen Glücks .
Ohne Absicht klinkte er an einer Türe .
Sie tat sich auf , und da er in dem dunklen Raume an eine Tapete rührte , so sah er sich , da dieselbe gewichen war , unverhofft in dem großen , blauen Zimmer , welches er schon kannte , und zu dem dieser zweite , verborgene Eingang führte .
Die Alte saß auf einem bunten Teppich am Fußboden und hatte zwei Flaschen neben sich stehen .
Aus einer füllte sie sich ein großes Kelchglas bei Hermanns Eintreten , und leerte es auf einen Zug aus .
" Das ist schön " , rief sie , " daß Ihr mich besucht !
Ich liebe den Lärmen nicht , und habe mich hierher in die blaue Ewigkeit zurückgezogen , um meinen Genuß in der Stille zu finden , aber die Gesellschaft eines Mannes , wir Ihr seid , soll mir ein köstliches Zugemüse zum Weine sein . "
In seiner Stimmung widerlich durch ihren Anblick gestört , wollte er das Zimmer verlassen .
Sie trat ihm aber rasch in den Weg , und sagte : " Nein , mein Herr , so kommt Ihr nicht fort .
Ist es recht , undankbar gegen gute Gesinnungen zu sein ?
Nicht wahr , Ihr habt Euch heute so hoch erhoben im Fluge mit dem Paradiesvogel , daß Ihr das , was unter Euch zappelt , gar nicht mehr wahrnehmt ?
Nun , nur Geduld , auch wir sinnen auf Euer Vergnügen , wir wissen nur noch nicht , wie es auszuführen . "
Ihre Augen funkelten , ihre Lippen lallten , sie glich einer Hexe .
Hermann , welcher den Zustand sah , in den sie der Genuß des Weins versetzt hatte , tat sich , um einen verdrießlichen Auftritt zu meiden , Zwang an , und sagte : " Ich kann recht gern bei dir verweilen , wenn dir das einen Gefallen erzeigt . "
" So sprecht Ihr vernünftig " , erwiderte die Alte , trug den Teppich zur Schwelle der Türe , und setzte sich dort nieder , ihm den Ausgang versperrend .
" Es gibt gar kein größeres Unglück " , sagte sie , indem sie fortfuhr , zu trinken , " als eine Wissenschaft mit sich umherzuschleppen , die dann im Grabe mit einem verfault .
Dem Arzte sagte ich sie , der wollte sie nicht glauben und lachte mich aus , danach verlor ich das Zutraun , und erst Ihr habt es wieder in mir erweckt .
Warum ? weiß ich selbst nicht ; Ihr scheltet mich aus , und macht Euch aus dem Flämmchen nichts , eigentlich müßte ich Euch hassen , aber ich tue es nicht , der Teufel muß mir die Freundschaft für Euch angetan haben . "
" Was soll das ?
Was hast du mir zu entdecken ? " fragte Hermann verwirrt .
" Die Heimlichkeiten der Bahre ! " kreischte die Alte , und leerte das Kelchglas .
" Genieße das Leben , junges Blut , stampfe die Erde im Tanze , schlürfe das Öl und Feuer der Traube , bette dich auf den Hüften des Mädchens , denn wenn du im Sarge dich streckst , so wird es anders , greulich und fürchterlich .
Die einen sagen , es sei aus mit dem letzten Hauche , das ist nicht wahr , die anderen glauben , frei und ledig fliege die Seele auf vom Kote zum Himmel , das ist auch nicht wahr , die einen lügen , wie die anderen , ich weiß es besser ; Leben und Tod sind nicht geschieden , wie Schwarz und Weiß ; ein entsetzliches Grau steht dazwischen , die Verwesung .
Da fühlt sich das modernde Fleisch noch als Fleisch , da möchte das Blut , das in Klumpen und Wasser auseinanderrannte , noch beisammenbleiben und vermag es nicht , da brennt in schaudervollem Schmerze das Auge , dem die Säfte vertrocknen .
O welches Wort nennte diese Pein !
Welcher Jammer reichte an solche Verwüstung !
Warum soll ich allein diese Furcht tragen , an welcher das Menschengeschlecht umkäme , wenn sie die Wahrheit erführen ?
Einer wenigstens muß mit mir zittern und beben , und der eine sei du ! "
" Wahnwitzige , schweige ! " rief Hermann , dem bei diesen Reden das Zimmer sich umdrehte .
" Wahnwitzig ? -
Ich bin die Prophetin , du höre mir zu !
Ich weiß es , denn ich habe es erfahren .
Schon hatten sie mich ins Leichentuch gelegt , die Kerzen brannten zu meinem Haupte , die schwarzen Männer wurden bestellt , und ich konnte mich nicht regen und rühren .
Alles begann in meinem Leibe vorzugehn , buchstäblich , wie ich es Euch gemeldet , und die Würmer rüsteten ihre Zähne zum Nagen .
Ich war nicht lebendig und ich war nicht tot , ich war zwischen beiden .
So wäre es dann fortgegangen , Schritt vor Schritt , bis dahin , wo die arme in eins gefügte Kreatur , zerrissen , zersplissen , in der Luft stürmet und weht , als Erde friert , klebt und starrt , auf den feurigen Zungen der Flammen hüpft und lodert , und immer noch von sich weiß , und wieder zu sich kommen möchte , aber nicht kann .
Hast du das klägliche Ächzen nicht gehört in der Natur ?
Es ist der Hilferuf der verwesten Seelen , die so umherflattern .
Und mit anderen Worten haben das die Priester schon gesagt , wenn sie vom Fegfeuer sprachen .
Mich aber gelüstete nicht nach diesem ; in der letzten Angst rief ich den Starken zum Beistande , und der erhörte mich .
Er fachte das Lebenslicht in mir an , daß es Herr wurde über das Elend und die faulen Düfte ; da konnte ich die Finger regen und bald darauf die Hand .
Die Leute sahen es , sprengten mir flüssige Geister in das Antlitz , und sagten danach :
» Diese ist von den Toten erstanden . " «
Sie strich ihre schwarzen Haare und hing sie sich wie Schlangen um das Haupt .
" Sage mir , wer bist du .
Unheimliche , und woher stammst du ? " fragte Hermann , dem die wilden Reden durch Mark und Bein dröhnten .
" Ich bin eine Nonne aus Spanien " , versetzte die Alte , gierig trinkend .
" Ich betete öfter als die anderen alle zur Jungfrau Maria und den Heiligen , war über die Maßen fromm .
Keine Übung konnte mir streng genug sein , die erste war ich auf und die letzte von dem Chore .
Sie nannten mich die Begnadigte , und ich stand in hohen Ehren weit und breit umher .
Da brach der Krieg herein , unser Kloster wurde von den fremden Scharen erstürmt .
Durch Rauch und Flammen , bei dem Zetergeschrei der Schwestern , welche mit zerrißenem Schleier die Gänge hinabirrten , drang der schöne Pole zu mir , ergriff mich und schleppte mich in die Kirche .
Dort auf dem Altare , unter dem Bilde derer , welche wir die Mutter Gottes hießen , bezwang er mich , ungerührt von meinem Weinen und Flehen .
Ich schickte die jammervollsten Bitten in den Schmerzen der Wollust empor zu dem Bilde , mir zu helfen , und meinen himmlischen Brautkranz zu schützen ; aber es war umsonst , und ich lag da , vernichtet und mir selbst ein Ekel .
Da erkannte ich , daß die Heiligen von Holz seien , und der Himmel ein Rauch und verfluchte Gott noch an der nämlichen Stätte .
Folgte nach diesem dem Polen , und lebte mit ihm in verschiedenen Landen in großer brünstiger Herrlichkeit .
Das Kind aber , so ich von ihm empfangen , trug ich aus in der Verachtung Gottes , immer in mich hineinsprechend :
» Wachse du Frucht meines Schoßes ohne ihn , der da ist das uralte Nichts . «
Und da es zur Welt kam , hatte es sich nicht , wie die anderen Kinder , welche weinen , wenn sie geboren werden , nein , es hat gelacht und der Wehmutter ein Gesicht geschnitten , als sie es in ihren Händen auffing .
Aber ich war unselig ohne Gott , denn der Mensch muß einen Herrn haben .
Wie ich diesen gefunden in den Ketten der Zerstörung , sagte ich schon ; Er , der Starke , Dunkle , ist mein König und Gebieter worden , der mich in alle Wege leitet .
Ihr seht mich zweifelnd an , und schüttelt das Haupt , weil ich im Walde vom Kreuz zu Euch gesprochen , und von Himmel und Hölle , weil ich mich nach wie vor eine gute Christin nenne .
Das ist eben seine Güte und Großmut ; er erlaubt es uns , damit uns die Menschen nicht steinigen , er rät uns selbst , die Larve zu tragen , und ist zufrieden mit unseres Herzens stillem verschwiegenem Dienste .
Und ich sage Euch , es gibt mehrere dieser Art außer mir .
Aber horch , ich höre das Flämmchen , sie soll uns den Tod und die Auferstehung tanzen . "
Die Alte richtete sich auf , wankte in eine Ecke , kniete dort nieder , stemmte die Arme in die Seite , und hob an , ein Lied zu singen , welches Hermann , der , sobald die Türe frei geworden war , hatte entfliehen wollen , mit magischer Gewalt zurückhielt .
Bei seinen Tönen trat Flämmchen ein , im vollen , üppigen Putze , schritt , ohne selbst Hermanns zu achten , wie gefesselt und bezwungen auf die Alte zu , senkte vor ihr das Haupt , und bewegte sich dann nach dem Takte der Melodie rund im Kreise um ihn .
Die Worte des Liedes waren wieder aus der fremden Sprache , welche Hermann nicht verstand , aber Melodie und Ausdruck gaben den klaren Sinn .
Tief und wehmutsvoll klangen die ersten Strophen , ein Schmerz , der keine Grenzen und keinen Namen hat , zitterte in ihnen , aber gehalten und bewußt .
Auf einmal fielen in einem ganz wunderbaren , raschen Tempo wirbelnde , schneidende Töne ein , und zuletzt sprudelte daraus ein Gewimmel von Lauten hervor , als wollten Rhythmus , Worte , Musik einander aufheben und vernichten , ohne daß gleichwohl die dämonische Harmonie in diesem Aufruhre aller Takt - und Tongesetze unterging .
Angemessen dem Liede waren die Tanzbewegungen Flämmchens .
Das Haupt gesenkt , die Arme schlaff am Leibe niederhangend , den Leib matt in den Hüften wiegend , setzte sie die kleinen , wie durch Starrsucht gefesselten Schritte , lieblich immer , aber träge in die Runde .
Es war mehr ein Schleichen , als ein Gehen , die Augen hielt sie halbgeschlossen , die Lippen waren wie von Erschöpfung geöffnet .
So gab sie das Bild einer sterbenden Magdalena , an deren süßen Fleische schon der grimmige Freudenhasser nagt .
Bald ging dieses Schleichen in ein völliges Stocken über , kaum merklich waren noch die Bewegungen , sie erstarrte endlich , sich auf die Knie niederlassend , zu einer Gestalt von Stein , durch deren Adern und Fibern es nur noch wie ein unseliges Rieseln und Wirbeln lief .
Der Anblick dieses schönen Mädchenkörpers , seiner leisen , zuckenden Regungen war unbeschreiblich rührend , die Augen tat sie auf , und warf auf Hermann einen erloschenen Blick , vor dem er gleichwohl die seinigen senken mußte .
Denn es rief aus demselben wie mit schluchzendem Munde :
" Erlöse mich , o du mein Geliebter , aus den Krallen der zerwühlenden Elemente ! "
So blieb sie einige Sekunden haften , dann aber warfen die raschen schneidenden Strophen der Alten den Aufruhr auch in ihre Glieder .
Sie erhob die Arme , sie richtete sich auf ihre Füße , vorwärts und rückwärts flog der Leib , von den geschwungenen Schenkeln bewegt ; immer wilder , zerbrochener wurde dieser rasende Tanz , die Glieder schienen sich voneinander zu lösen und dahin und dorthin zu zerflattern , endlich schwebte das lemurische Gebilde hauchartig in den Lüften , denn kaum den Fußboden noch berührten die Spitzen der Zehn .
Die Kreise hatte das tanzende Schattenähnliche aufgegeben , in einer geraden Linie schwebte es gegen den Sarkophag in der Nische , von welcher die Alte den Vorhang hinweggezogen hatte , und zitterte dann mit ängstlichem Wenden von seinem Mumieninhalte zurück .
Nachdem dieses Hinan - und Zurückschweben einige Male stattgefunden hatte , verklang das Lied der Alten .
Welches Ende das geisterhafte Schauspiel genommen , hat Hermann nie erzählen können .
Er hatte , als er das gespenstische Schweben eine Zeitlang angeschaut , vor dem verwirrenden Anblicke die Augen geschlossen , und sich mit abgekehrtem Gesichte wider die Wand gelehnt .
Da er sich umwendete , war er allein .
Noch immer rauschten die Weisen des Balls fort , noch immer hüpften unfern fröhliche Menschen , und hier waren ihm Offenbarungen des Grabes geworden !
Die Menschen , welche Zauberstätten betreten , deren Augen und Ohren in das Wesen und Weben solcher Orte verstrickt werden , büßen Sinn und Willen ein , die überwältigte Seele lebt Jahre in Augenblicken , das Fernste , Unglaublichste tritt ihr als Wahrheit nahe , die Wirklichkeit hat keine Macht mehr auf sie .
In solcher Verfassung war Hermann .
Seinen durch Tanz und Wein aufgeregten Geist hatten im Verlauf einer Stunde die fremdesten Gegensätze berührt .
Das edelste Menschliche hatte ihm in tiefster Brust mit Liebesarmen geschmeichelt , höllischer Spuk war dieser Seligkeit in aller Pracht des Abgrunds gefolgt .
In den Haushalt der Engel und in den der Teufel hatte sein erblindendes Auge schauen müssen , leider fehlte ihm die Festigkeit des Dante , welcher einst die Last solcher Gesichte unverzagt zu ertragen wußte .
Ohne zu wissen , was er tat , hob er jetzt selbst den Deckel des Sarkophages ab , und starrte gedankenlos die trockenen Züge der Mumie an .
Eine Weile hatte er so gestanden , als durch die Türe , die nach dem Naturalienkabinette führte , der Kurator eintrat .
" Ich bringe eine gute Neuigkeit " , sagte dieser .
" Johanna verlangt noch nach Ihnen , zu so später , oder so früher Stunde , denn es geht auf zwei Uhr , kann diese Bestellung nur das Beste bedeuten .
Gewiß ist in ihr der einzige richtige Entschluß , den sie fassen konnte , aufgekeimt , und Sie sollen ihr denselben ausführen helfen .
Gehen Sie schnell zu ihr . "
Hermann ging .
Draußen auf dem Gange verließ ihn jener .
Der Ball hatte aufgehört , unten fuhren die Wagen ab .
Die Alte sah er umhertaumeln und auf den Vorsälen die Lichter und Lampen auslöschen .
Als er bei ihr vorbeiging , lachte sie ihn an , und rief : " Ihr schleicht noch zu Eurem hohen Liebe ?
Nun , eine glückselige Nacht ! "
Er öffnete sacht Johannas Zimmer .
Es war dunkel , der Duft süßen Räucherwerks floß ihm entgegen .
Er meinte , sich geirrt zu haben , trat einen Augenblick auf den Gang zurück , und sah die Türe an .
Aber das war seine , das war Johannas Türe !
Er tastete im Zimmer nach einem Stuhle , setzt sich auf denselben , und wollte erwarten , daß seine Freundin mit Licht komme .
Da hörte er leise die Vorhänge des Betts rauschen .
Was er noch von Besinnung gehabt hatte , schwand .
Er wankte der Gegend zu , von welcher das Rauschen vernommen worden war .
" Johanna ? " fragte er glühend , bebend .
" Ja " , antwortete es kaum hörbar unter innigem Weinen .
Ein Busen und Leib , dessen Berührung die Glut des Fiebers in ihm entzündete , drängte sich aus den Kissen ihm entgegen .
Weiche Arme umschlangen ihn , er sank auf das Lager , welches ihn erwartete , und die Wogen des höchsten Genusses schlugen über ihm zusammen .
Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Man hat den Maler gelobt , welcher , die Grenzen seiner Kunst erwägend , auf dem " Opfer der Iphigenia " dem Vater Agamemnon das Haupt verhüllte .
Zu diesem oft angeführten Beispiele müssen auch wir unsere Zuflucht nehmen , wenn wir bekennen , daß unsere Feder die Empfindungen nicht schildern mag , welche Hermanns Brust zerrissen , als der Tag in sein Gemach schien .
Es gibt ein Bewußtsein , von welchem kein menschliches Wort das Genügende aussagen kann .
Ach , und dennoch sind die Dinge möglich , die so wütende Schmerzen in uns hervorrufen , und werden uns Armen auferlegt !
Im tiefsten Dunkel war er nach seinem Lager zurückgekehrt .
Aus unerquicklichem Schlummer mit dem Morgenrote emporfahrend , wollte er sich überreden , das Erlebte sei nur ein lasterhafter Traum gewesen .
Aber da brannten und schmerzten seine wunden Lippen noch von wilden Küssen , da fehlte seinem Finger der goldene Ring , den er zu tragen pflegte , und der ihm unter reizenden Liebesspielen entschmeichelt und abgestreift worden war .
Er war unglücklich , ganz unglücklich .
Ein Heiligtum war geschändet , ein Götterbild von seinem hohen Stande schmählich in den Kot gestürzt worden .
Er ging in den Garten , die Bäume schienen ihm falbe Asche statt des Laubes auf ihren Zweigen zu tragen , Luft und Sonne waren ihm zuwider .
In die Laube , worin er sich niedergesetzt , flog ein Vögelchen und sah ihn unschuldig - neugierig an .
" Willst du meiner spotten ? " rief er und schlug nach dem Tiere .
Im Garten , wie im Hause war alles still .
Die jungen Leute , die Diener verschliefen ihre Anstrengungen .
Flämmchen war nicht zu sehen .
Die Alte kam , ein dampfendes Getränk auf silbernem Teller tragend , und sagte feierlich - höhnisch : " Ich bringe Euch Stärkung , Ihr munterer Ritter .
Seht Ihr wohl ?
Nun habt Ihr doch getan , was der Starke , Dunkle mir versprochen hatte .
Ihr lagt so recht der Tugend im Schoße , nicht wahr ? "
" Fort , du Scheußliche ! " rief Hermann , und schleuderte heftig die Alte zurück , daß die Tasse auf den Boden fiel und das Getränk verschüttet wurde .
" Ei behüte und bewahre , laßt nur meine Knochen ganz ! " murrte sie und schlich davon .
Ein Reiter sprengte an das Gittertor , in welchem Hermann den nach dem Schlosse des Herzogs gesendeten Boten erkannte .
Er zog einen paketartigen Brief aus der Tasche und sagte : " Ich bringe Antwort . "
- " Gebt sie an die gnädige Frau ab " , versetzte Hermann .
Er zitterte , Johannen zu sehen .
Er schauderte vor dem Gedanken , ihr Zimmer zu betreten , auf dessen Schwelle sich die Erinnerungen der Nacht mit Furienantlitzen lagerten .
Die Vernichtung wäre ihm willkommen gewesen .
Ein Knabe kam und sagte :
" Sie werden im Birkenholze erwartet . "
Bewußtlos schwankte er hin ; Johanna trat ihm dort entgegen und rief :
" Ich selbst in schlimmer Lage , soll noch anderen helfen .
Medon , seiner Haft entwichen , ist hier in unserer Nähe , spricht mich um Rat an .
Sie ließ ich holen , um Schutz und Beistand bei diesem unseligen Wiedersehen zu haben , da ich doch schwächer bin , als ich meinte . "
Eine Gestalt im Mantel näherte sich , schlug die Verhüllung zurück und Medons bleiches , verwildertes Antlitz wurde sichtbar .
Er stürzte vor Johannen nieder .
" Vergeben Sie mir alles , was ich an Ihnen getan ! " war sein erstes Wort .
" Stehen Sie auf , Medon " , versetzte Johanna .
" Sie sind unglücklich ; wie vermöchte ich , Ihnen zu zürnen ?
Wir Frauen haben die Eigenheit , selbst unsere Irrtümer zu lieben , in diesem Worte werden Sie eine Beruhigung über mich und mein Gefühl für Sie jetzt und künftig finden .
Es war ein Irrtum , daß ich Sie liebte , aber ich habe Sie geliebt ; vor dieser Wahrheit zerschmilzt alles Bittere und Zürnende . "
Der Unglückliche brach in ein unendliches Weinen aus .
" Ist keine Hoffnung , daß wir uns je wiedersehen ? " fragte er leise .
" Keine " , versetzte sie .
" Ich habe abgeschlossen mit Ihnen und mir .
Ich könnte noch für Sie dulden und leiden , aber nicht mehr mit Ihnen leben . "
" So höre denn , daß in diesem Augenblicke , der mich auf ewig von dir scheidet , mein Herz sich für ewig an dich knüpft ! " rief Medon mit aller Glut der heftigsten Leidenschaft .
" Ja , nun , da ich dich einbüße , sehe ich , was ich verscherzt habe !
Diese Anmut und Hoheit konnte mein sein und ich Sinnloser warf sie hin um Nichtiges ! "
" Enden wir " , sagte Johanna , " auch mich verläßt die Kraft .
Gehen Sie aus Europa ; meine Briefe , welche ich Ihnen nach Ihrem verborgenen Aufenthalte senden werde , öffnen Ihnen durch Freunde die Mittel und die Wege .
Hier nehmen Sie die Hälfte dessen , was ich besitze .
Sie dürfen nicht Mangel leiden .
Und nun gehen Sie , daß Sie kein Späher ausforscht .
Fassen Sie sich .
Die Verzweiflung ist für schwache Seelen . "
Er bedeckte ihre Hand mit inbrünstigen Küssen , dann verschwand er zwischen den Bäumen .
Johanna wandte sich zu Hermann und sagte zu ihm mit der himmlischen Ruhe und Klarheit , welche ihre Worte an Medon durchleuchtet hatte :
" Auch wir scheiden .
Die Herzogin schreibt mir , daß sie bei ihrem Anerbieten , mich wieder aufnehmen zu wollen , beharre .
Mein Wagen ist bestellt .
Dieses Paket sendet sie für Sie .
Leben Sie wohl .
Ich fühle keine Reue , daß sich mein Wesen Ihnen in schrankenloser Zärtlichkeit ergab .
Vielleicht löset das Leben , gewiß der Tod dieses schöne Rätsel des Gemüts ; die selige Nacht , in der es aufblühte , gehört uns beiden zu unveräußerlichem Eigentume . "
Hermann war unvermögend , zu antworten .
Er sank auf eine Steinbank , als sie ging .
Die Welt wankte vor seinem Geiste in ihren Grundfesten .
" Erhalte mir das Licht im Haupte , du heilige Macht da droben ! " rief er , und rang die Hände .
" Diese war Johanna , die Reine , die Unbefleckte !
Sie lächelte und redete auch noch ganz so , wie mein lieber hoher Engel von ehedem . "
Er erbrach das Paket .
Die der Herzogin einst anvertraute Brieftasche , das geheimnisvolle Vermächtnis seines Vaters , war in demselben .
Folgende Zeilen hatte die Herzogin in französischer Sprache dazu geschrieben :
" Mir ist hinterbracht worden , welche Unsittlichkeit Sie auf unserem Schlosse sich erlauben zu dürfen meinten .
In dem durch Ihr Verhalten mir aufgeregten Gefühle bin ich außerstande , länger , was Ihnen gehört , zu bewahren , und entlaste mich durch die Rücksendung der bisher geübten Pflicht . "
" Recht so ! " rief Hermann und lachte ingrimmig .
" Unsere Sünden werden uns zu Tugenden , und um das Unschuldige verwerfen uns die Menschen .
Es ist nur eine kleine Zugabe zu großem Elend .
Venus Urania ist bei Nacht nichts als die Hetäre Kallipygos , aber wenn die Sonne wieder scheint , stellt sich die Göttin in Worten und Mienen unverletzt her .
Schein und Schaum die Welt und die Wahrheit , oder umgekehrt : Schein und Schaum das allein Wahre !
Nun wäre ich ja wohl auf dieser hohen Schule der Folterkünste , aus welchen böse Geister das Leben wirken , genügsam vorbereitet , zu erfahren , was die Lippen meines alten Vaters mit in das Grab genommen haben . "
Er öffnete das Portefeuille und las den Inhalt .
* Wenn es erlaubt ist , bei einem Werke des Orts und der Stunde , welche ihm das Dasein gaben , zu gedenken , so sei dem Verfasser gegönnt , ein solches Taufzeugnis hier niederzuschreiben .
Wunderbar übereinstimmend war der Boden aller Verhältnisse , auf welchem das gegenwärtige Buch dieser Denkwürdigkeiten wuchs , mit dem Inhalte desselben .
Denn seltsame Ereignisse mußten beschrieben , die unvereinbarsten Gegensätze in den Schicksalen der Personen , welche uns beschäftigen , dargelegt werden .
Und heimatlos war der Verfasser zu der Zeit , zwischen zwei Städten flüchtig hin und her geschleudert , in ein labyrinthisches Geschäft mit Menschen und Dingen verstrickt , an welchen selbst die Götter ihre Meister finden könnten .
Was Wunder , daß diese grause Harmonie der Äußerlichkeiten und Stimmungen mit seiner Aufgabe ihn oft fürchten machte , letztere werde ungelöst in jenen Knäuel der Umgebung sich verlieren .
Da tat ihm ein ehrwürdiger , geistlicher Freund die stille Arbeitszelle in dem aufgehobenen Kloster hinter ruhig - säuselnden Bäumen und friedlich - dunklen Bachwellen auf .
Für diese Freistatt sei dem guten Abte Beda der Dank auch hier bezeugt , dessen ihn mein Mund schon oft versichert hat .
Der Liebesdienst wurde zur rechten Zeit erwiesen , und war daher wie alles , was zur rechten Zeit kommt , ein unschätzbarer .
Achtes Buch .
Korrespondenz mit dem Arzte .
1835 1 .
Der Herausgeber an den Arzt I.
Der Herausgeber an den Arzt Sie erinnern sich vielleicht kaum noch unserer Zusammenkunft in * , wo ich Sie inmitten der damals Ihnen kurz zuvor untergebenen Anstalten und im Feuer einer frischen , mannigfaltig wirkenden Tätigkeit traf .
Der Umfang dieser Geschäfte , welche Ihnen neu waren , der Lebensatem , den die große Stadt dem wissenschaftlichen Manne zuhauchte , und dessen Macht sich noch nicht durch Gewöhnung abgeschwächt hatte , mochte in Ihnen eine erhöhte Stimmung hervorgerufen haben .
Unsere Unterhaltung war die inhaltreichste .
Mit schlagenden Worten gaben Sie mir in der Kürze den deutlichsten Begriff von dem Stande Ihrer Wissenschaft in der Gegenwart .
Ich würde mich , wie ich schon andeutete , vermutlich sehr irren , wenn ich glauben wollte , daß meine Person und Erscheinung in Ihnen einen Eindruck zurückgelassen hätte , nur von fern demjenigen gleichkommend , welchen ich mit mir fortnehmen durfte .
Es ist mir so angeboren , bedeutenden Menschen gegenüber mich still zu verhalten , da ich es für einen größeren Vorteil erachte , ihnen zuzuhören , als mich selbst vorzutragen .
Dennoch wage ich , als seien wir einander Freunde und Vertraute geworden , Sie um eine Gefälligkeit anzusprechen und zwar um eine große .
Es gibt Dienste , welche so sehr in einem allgemeinen Interesse erbeten werden dürfen , daß deren Leistung auch gegen den ganz Fremden vielleicht kaum mit Recht zu versagen ist .
Lassen Sie mich Ihnen bekennen , daß mich nicht der Anteil an Ihrem Institute , und nicht Ihr öffentlicher Ruf mich zu Ihnen trieb , sondern daß ich aus einem mehr persönlichen Beweggrunde kam .
Nahe hatten Sie einem Teile der Personen aus den höchsten Ständen und der mittleren Schicht der Gesellschaft gestanden , deren Schicksale sich eine Zeitlang auf eigene Weise berührten und durchkreuzten .
Sie waren in der Verkettung der Leidenschaften und Umstände durch Rat und Tat , in Liebe und Widerwillen selbst handelnd gewesen .
Durch Zufall auf die Betrachtung jener aristokratisch - bürgerlichen , politisch - sentimentalen Haus - und Herzensereignisse geführt , durch Neigung bei der Betrachtung festgehalten , wünschte ich den Mann kennenzulernen , welcher in diesen Dingen - verzeihen Sie mir den Ausdruck - hin und wieder den Mephistopheles gespielt hatte .
Nun war aber Ihre Erscheinung ganz verschieden von meinen Gedanken .
Ich bemerkte nach den ersten Reden , welche wir wechselten , daß Ihre Seele eine philosophisch - religiöse Färbung erhalten hatte , die zu meinem Bilde von Ihnen nicht paßte .
Überrascht durch diese Entdeckung vermochte ich daher auch nicht , das Gespräch auf jene Begebenheiten zu lenken , die mich so sehr beschäftigten , und es entspann sich die Unterredung allgemeinen Inhalts , welche , so anziehend sie auch für mich war , dennoch meinen Wünschen widerstritt .
Denn zwölf Jahre bin ich den Lebensvorfällen der Menschen , welche , wie wir alle , als duldende Epigonen den von einer früheren Zeit uns hinterlaßenen Kelch auskosten mußten , aufmerksam gefolgt , ich habe niedergeschrieben , was ich von ihnen erkundete , und mich bestrebt , die verborgenen Fäden nach den bekannten Tatsachen ergänzend darzulegen .
Wie weit mir dieses Werk gelungen , vermag ich zwar nicht zu entscheiden , gewiß aber ist es , daß die Bücher dieser Geschichten , teils im Plane bedacht , teils in der Anlage entworfen , und teils in der Ausführung vollendet , einen großen Abschnitt meines eigenen Lebens hindurch mir unausgesetzt - treue Begleiter waren .
Jetzt sind die Entwicklungen nach tiefem Dunkel tröstlich erfolgt .
Fröhliche Kinder umspielen die Knie derer , welche einst unrettbar verzweifeln zu müssen schienen , leidende Seelen haben sich in edler Tätigkeit erholt , nur die starren , eigentlich schon im Leben toten Naturen , nur einige lieblichwilde Auswürflinge geheimer Sünde oder gottschändender Vermischung umhüllt das Schweigen des Gewölbes , oder deckt die grüne Erde , welche alles zuletzt mütterlich verhüllt .
Aber eine düstre Zwischenzeit trat diesen heiteren Ausgängen vor .
Am Schlusse meines Werks fühle ich mich unfähig , jenen wesentlichen Teil desselben zu liefern .
Alles war damals verdeckt , entweder von den Vorhängen des Krankenbettes , oder von dem Siegel der Beichte , oder von der Scham der sich selbst zerwühlenden Brust .
Die Geretteten bewahren ihre Erinnerungen zu heilsamer Scheue vor den Ungeheuren , welche unser Dasein umlagern , aber sie reden nicht davon , sie entziehen sich der Mitteilung über diese Gemüts - und Geistesnächte , wenigstens gegen mich .
Das neunte und letzte Buch , das Buch der Entwicklungen , ist geschrieben , und ich würde allenfalls auch das achte zusammenphantasieren können .
Aber etwas Halbrichtiges würde mir selbst am wenigsten genügen .
Gerade für diese Zwischenzeit wäre mir diplomatische Treue höchst erwünscht .
Ich habe oft die Feder schon angesetzt , aber sie unwillig immer wieder weggelegt .
So müßten die " Epigonen " vielleicht ein im Wichtigsten verstümmeltes Bruchstück bleiben , wenn Sie , mein Herr , sich nicht helfend in das Mittel schlagen wollen .
Sie waren in jener Zeit den Leidenden nahe ; es ist unmöglich , daß Ihnen verborgen blieb , was mir zu entziffern nicht gelingen will .
Ich weiß nicht , ob ich recht tue , es gibt vielleicht eine Leidenschaft für die Wahrheit , die wir gleich den anderen bezwingen sollten .
Wenn dem so ist , so kann ich wenigstens ihrer nicht Meister werden , und ich bitte , ja ich beschwöre Sie , meinem Drange nachzugeben , mir Ihre Kunde von dem Verlaufe der beiden Jahre , welche ich meine , und die Sie kennen , nicht vorzuenthalten .
Schreiben Sie mir , was das Gewissen der Herzogin bedrückte ? welches Unglück auf der Ehe Johannes gelastet ?
was beide Frauen nervensiech machte ? welche Antriebe den Herzog so unvermutet dahin brachten , alle seine Güter dem Widersacher abzutreten ?
Mit einem Worte : Lösen Sie mich auf einige Zeit in der Autorschaft ab , und übernehmen Sie die Redaktion des vorletzten Buchs , es sei , in welcher Form Sie wollen .
2. Der Arzt an den Herausgeber II.
Der Arzt an den Herausgeber Drei Briefe , jeder spätere immer noch dringender , als sein Vorgänger , liegen auf meinem Pulte .
Daß mich Ihr Ansinnen überraschen mußte , haben Sie selbst wohl vorausgesehen , daß ich mir Zeit nehmen würde , Ihnen zu antworten , war natürlich .
Geschäfte und Pflichten mancher Art haben das Ihrige dazu beigetragen , diesen Brief länger zu verzögern , als ich wollte .
Ich soll zum Memoiristen werden , ich , der Arzt , der alle Hände voll zu tun hat , seine Patienten wahrzunehmen , die Aufsicht über die Anstalt zu üben , Ministerialberichte zu verfassen , Doktoranden und Pharmazeuten zu prüfen ?
Zum Memoiristen über Personen , die mir so nahestehn , ja zum Teil über mich selbst und über eine Zeit , an die ich nicht gern zurückdenke ?
Dilettieren soll ich in einem Fache , während ich allenfalls in dem anderen mein Zeichen aufweisen kann ?
Es müßte sonderbar zugehn , wenn Sie mich überredeten , aber verschwören will ich es nicht , denn der Anblick eines Feldes , welches uns versagt worden ist , wie Sie ihn mir öffnen , hat etwas Lockendes , und reizt uns , wie der Rachen der Klapperschlange den Vogel anzieht .
Vor allen Dingen , ehe ich mich entschließe , muß ich die Bücher in Händen haben , deren Sie erwähnen .
Mich verlangt , zu erfahren , wie Sie uns , die wir an keinen Beobachter dachten , abzuschildern vermochten , und danach will ich sehen , was zu tun ist .
3. Derselbe an Denselben III .
Derselbe an Denselben Ihre Hefte haben die sonderbarste Nachwirkung in mir zurückgelassen .
Soll ich mich eines Gleichnisses bedienen , so möchte ich sagen :
Die Bienen arbeiten in ihrem Stocke , tragen Honig ein , halten in den Zellen ihre kleinen Kriege ab , und meinen , das alles für sich in völligster Abgeschiedenheit zu tun .
Aber der Korb hat an der Rückseite ein Glasfenster und einen Schieber .
Diesen öffnet dann und wann der Lauscher und lugt in das stille Getreibe .
So haben Sie uns verstohlen betrachtet , freilich mit Vorsicht ; sonst würden wir die Scheiben zu verkleben gewußt haben .
Die Tatsachen sind ziemlich richtig , soweit dies bei einer Erzählung , welche Rücksichten zu nehmen hatte , überhaupt möglich war .
Die Psychologie ist so , so . Hin und wieder ging es wohl anders in uns zu , als Sie geahnt haben , wenigstens in mir .
Am wahrsten sind die Figuren , welche die Menge vermutlich für Erfindungen halten wird :
Die Alte , der Domherr , Flämmchen .
Es ist zu loben , daß Sie diesen Blasen der von Grund aus umgerüttelt Zeit nichts hinzugefügt , noch ihnen etwas abgenommen haben .
Sie klagen sich der Leidenschaft für die Wahrheit an .
Lassen Sie sich denn die Wahrheit gefallen , daß ich mich bei Empfang Ihres ersten Briefs wirklich Ihrer und unserer Unterredung nicht erinnerte .
In meinem Zimmer drängen sich der Menschen viele .
Auf mein Fach , und wenn ich sonst noch ein Buch zur Hand nehme , auf die Engländer mich beschränkend , kannte und kenne ich Ihre Schriften nicht .
Es ist besser , daß ich als Fremder Ihnen gegenübertrete , und daß unsere Bekanntschaft auf eine solide Art vermittelt wird , als daß ich mich gegen Sie mit faden Komplimenten abfinde , die in der Regel nachmals sich auf die eine oder andere Art bestrafen .
Der Zeitabschnitt , in welchen unsere Entwicklungskrankheiten fielen , denn so möchte ich die Geschicke , welche uns betrafen , nennen , war vor vielen geeignet , ein deutsches Sitten- und Charakterbild hervorzubringen .
Es war Friede im Lande geworden , die alten Verhältnisse schienen hergestellt , das Neue war auch in seinen Rechten anerkannt , alle Bestrebungen hatten eine feste , naive Färbung , während die neuesten Weltereignisse jegliche Richtung an sich selbst irre gemacht und in das Unsichere getrieben haben .
Die Gefühle und Stimmungen jener Periode - der letzten acht oder neun Jahre vor der Julirevolution - liegen fast schon als mythische Vergangenheit hinter uns .
Der Adel suchte sich mittelalterlich zu restaurieren , das Geld glaubte treuherzig , wenn es nur den privilegierten Ständen den Garaus machte , so werde die Welt den harten Talern gehören , der Demagogismus wollte studentenhaft die Festung stürmen , die Staatsmänner meinten nach Ideen regieren zu können , es gab Schriftsteller , welche mit großer Macht die Einbildungskraft beherrschten ; ein Denker stand unter seiner weit sich breitenden Schule und katastrierte den Geist .
Was ist von allem dem übriggeblieben ?
Die französische Thronveränderung hat abermals das Antlitz der Welt verändert , und sowenig ich in weichliche Klagen über dieses Ereignis und seine Folgen auszubrechen geneigt bin , so muß ich doch sagen , daß die Jahre , welche ihr vorangingen , an geistigem Gehalt und an einer gewissen Dichtigkeit des Daseins die Gegenwart übertrafen .
Man könnte Ihnen also Dank wissen , daß Sie es unternommen , ein Zeugnis jener verschwundenen Zeit aufzustellen .
Aber zwei Fragen möchte ich an Sie richten .
Wenn Sie die Neigung so unwiderstehlich zur Betrachtung der menschlichen Schicksale treibt , warum schreiben Sie nicht lieber Geschichte selbst ?
Da hätten Sie die volle Traube am Stocke vor sich , und könnten uns einen gesunden reinen Wein zubereiten , während Sie in der Sphäre , welche Sie wählten , notwendig mischen müssen , und also auch nur einen Zwittertrank hervorbringen .
Die zweite Frage ist : Was soll das Publikum mit diesen Büchern anfangen ?
Die Hauptperson wird die Menschen schwerlich interessieren , da sie keine " Tendenzen " hat .
Und was ist daran wichtig , daß ein Bürger mit einem Fürsten über dessen Güter prozessierte , daß wir ein Caroussel veranstalteten , daß es in den Häusern des Mittelstandes noch hin und wieder häuslich herging , daß an unserem Sitze der Intelligenz allerhand Liebhabereien und Theoriewirtschaften getrieben wurden ?
Meine Meinung über den Wert dieser Zustände habe ich oben angedeutet , aber sie ist nicht die Meinung der Menge .
Sie wird auf solche Geringfügigkeiten mißschätzend herabsehn. N.S .
Auf einige Fehler : ... quas aut incuria fudit , Aut humana parum cavit natura ... muß ich Sie doch aufmerksam machen .
Hermann will als Neunjähriger die Einverleibung seiner Vaterstadt Bremen in das französische Kaiserreich erlebt , und als Siebenzehnjähriger in den Donnern von Lützen gestanden haben .
Da aber jenes Ereignis im Jahre 1810 stattfand , und die Schlacht von Lützen nur drei Jahre später vorfiel , so widerspricht seine Rede aller Chronologie .
Der Jude aus Hameln , der falsche Demagoge , behauptet , von neununddreißig Tyrannen verfolgt zu werden , was nach der deutschen Verfassung völlig unmöglich ist .
Der Amtmann vom Falkenstein tritt schon im ersten Teile als Jagdgenosse Hermanns auf , und doch wird im zweiten so getan , als ob der Held erst bei dem Caroussel die Bekanntschaft dieses Mannes gemacht habe .
Die Interpunktion und Orthographie steht nicht recht fest .
Es sind mir sogar Grammatikalia aufgestoßen , die freilich wohl mehr dem Abschreiber zur Last fallen ; denn von Ihnen setze ich voraus , daß Sie ihren Schulkursus durchgemacht haben .
Ob aber alle Leser , und besonders diejenigen , welche sich Kritiker nennen , diesen guten Glauben teilen werden , steht dahin .
4.
Der Herausgeber an den Arzt IV .
Der Herausgeber an den Arzt Ich bin an der Elbe geboren , und erinnre mich aus meinen Kinderjahren einer großen Überschwemmung dieses Stroms .
Weit über die Ufer , ja über die niedrigeren Dämme hin , wogte die graugelbliche Wassermasse mit weißkräuselnden Wellenhäuptern , Landstraßen und Fluren waren verschwunden , nur in der Ferne deuteten Turmspitzen und Waldsäume das Feste noch an .
Man führte mich auf die Brücke , von welcher man in dieses wogende Getöse hinabsah , und meine Begleiter forderten mich auf , über das große Naturschauspiel zu erstaunen .
Ich aber konnte an dem wüssten Einerlei , an dem Unabsehlichen , Nichtzuunterscheidenden keine Größe entdecken , und blieb in meiner Seele ganz ungerührt .
Die anderen schalten mich verstockt , fanden aber gleichwohl auf meine Frage : ob Millionen Tonnen Wassers , zusammengegossen , eben mehr wären , als Wasser ? nichts zu erwidern .
Gleich danach reiste ich in unser Oberland , in den Harz , welcher einen Teil der Fluten aus seinen von Schnee und Regengüssen geschwellten Wässern dem Strome zugesendet hatte .
Wild und hastig stürzten die Flüsse , Flüßchen und Bäche dem ebnen Lande zu , aber jedes Bette hatte seine eigentümliche Gestalt , die Wände faßten noch das Gerinne , welches hier rasch und tosend fortschoß , dort sich um Baumstücke oder Felsblöcke brausend wirbelte , und jegliche dieser schäumenden Adern gewissermaßen zu einer lebendigen Person machte .
Hier wurde nun mein Entzücken laut , ich konnte mich nicht satt sehen an diesem Toben und Wesen , und sagte , das sei das wahre , große Naturschauspiel , wenn die Kräfte so besonders und für sich aufträten , und doch so innig zusammenhingen .
Denn Seitenspalten und Nebenkanäle verknüpften diese Söhne des Gebirges , die Elementargeister reichten einander die silberweißen Arme .
Die Knabenerinnerung soll eine parabolische Antwort sein auf die Frage , warum ich statt der Familiengeschichten nicht Welt- und Zeitgeschichte geschrieben habe , und warum ich sie vermutlich niemals schreiben werde .
Mir erscheint ihr Geist nur in großen Männern , nur die Anschauung eines solchen vermöchte mir den Sinn für irgendeine Periode aufzuschließen .
Wir besitzen aber keinen , haben seit Friedrich keinen besessen .
Napoleon schien sich eine Zeitlang dazu anzulassen , aber es fehlte ihm die letzte Weihe , das organisierende Genie .
Er hat nicht einmal vermocht , einen originalen französischen Staat zu schaffen , seine Institutionen sind schon jetzt veraltet .
Im Laufe der Jahrhunderte wird er nur wie ein Attila und Alarich , die Vorläufer Karls des Großen , dastehen , und diesen zweiten Karl , diesen Erneuer des mürbe gewordenen Weltstoffs werden unsere Augen leider nicht mehr erblicken .
Was ist also das politische Leben unserer Zeit ?
Eine große , weite , wüsste Überschwemmung , worin eine Welle sich zwar über die andere erhebt , aber gleich darauf von ihrer Nachfolgerin wieder umgestürzt und zerschlagen wird .
Ich kann daran nichts Schönes erblicken .
Leider haben die Beherrschten mehr Geist als die Herrscher , deshalb vermag nicht einer dieser feste Gestalt zu gewinnen , und jener sind viele , so daß sie sich gegenseitig aufheben .
Ich fühle mich daher immer versucht , von der Ebene , in welcher diese Wogen als Revolutionen , Thronstreitigkeiten , Kongresse und Interventionszüge sich brausend mischen , aufwärts nach dem Gebirge emporzusteigen , welches durch seine hinabgesendeten einzelnen Fluten jene allgemeine Wasserwüste erschafft .
Nie sind die Individuen bedeutender gewesen , als gerade in unseren Tagen , auch der Letzte fühlt das Flußbette seines Inneren von großen Einflüssen gespeist .
Dort also , auf entlegener Höhe , an grüner Waldsenkung , zwischen einsamen Felsen , im Rücken der politischen Ebene , wachsen und springen meine Geschichten .
Jeder Mensch ist in Haus und Hof , bei Frau und Kindern , am Busen der Geliebten , hinter dem Geschäftstische und im Studierstübchen eine historische Natur geworden , deren Begebenheiten , wenn wir nur das Ahnungsvermögen dafür besitzen , uns anziehen und fesseln müssen .
In diesem Sinne reicht die Gegenwart oder die jüngste Vergangenheit dem , welchem das besondere , gegliederte Leben mehr gilt , als der unentschiedene Strudel , in welchen die verschiedenen Strömungen der Lebenstätigkeiten endlich zusammenrinnen , wenn sie in den Konflikten des Öffentlichen einander begegnen , des Stoffes die Fülle dar , und es ist nicht nötig , in die Zeiten der Kreuzzüge , oder der Jesuitenherrschaft , oder des Dreißigjährigen Kriegs zurückgehen , um bedeutsame Anschauungen zu gewinnen .
Man hat unsere Tage mit denen der Völkerwanderung verglichen .
Das Römische Reich zerfiel in jenen , und die Germanen traten an dessen Stelle .
Auch wir hatten so ein Römisches Reich an der Autokratie der Fürsten oder gewisser allgemeiner Begriffe .
Beides neigt sich zu seinem Untergange , und die Individualitäten in ihrer schrankenlosen Entbindung stehen als die Germanen der Gegenwart da .
Noch haben sie nur zerstört , nicht das geringste Neue ist von ihnen bisher erfunden und gebildet worden .
Mein Sinn , in welchem etwas Dichterisches sich nicht austilgen lassen will , neigt sich mit Wehmut und Trauer dem Verfallenden zu , denn die Musen sind Töchter der Erinnerung ; aber eine Tatsache läßt sich nicht ableugnen , nicht verschweigen .
5. Derselbe an Denselben V .
Derselbe an Denselben Nachschrift um Nachschrift .
Dieser Brief soll nämlich eine sein .
Daß Hermann bei seiner Rede an die Herzogin im Feuer der Emphase sich an der Chronologie versündigt , und daß der falsche Demagoge behauptet hat , von neununddreißig Tyrannen verfolgt zu werden , ist historische Tatsache , welche mir der Held noch vor wenigen Wochen bestätigte .
Dagegen ließ sich also nichts machen .
In Betreff des Amtmanns vom Falkenstein bin ich unschuldig .
Sie haben die Bleistiftkorrektur an der Seite übersehen , nach welcher der Satz so lautet :
" Unter den Hausbeamten , welche bei diesen Zurüstungen mitwirkten , bemerkte er wieder seinen Jagdgenossen , den Amtmann vom Falkenstein , einen Mann von unangenehmen Manieren , dessen Wesen etwas Aufdringliches hatte .
Hermann erfuhr usw . "
Sollten Setzer und Korrektor gleichfalls den Bleistift übersehn , so diene dieser Brief zur dereinstigen Berichtigung .
Über Orthographie und Interpunktion hege ich meine Grillen .
Alles in der Welt hat sein individuelles Leben bis zu den Buchstaben , bis zum Kolon , bis zum Punkte hinunter .
Inkonsequenzen machen erst das Dasein aus ; warum mißgönnt man es den kleinen Schelmen , zuweilen außer der strengen Regel der Feder zu entschlüpfen , und sich auch wohl einmal in krauser Willkür zu emanzipieren .
Ein Komma will sich in der Spalte des Kiels bilden , plötzlich aber überkommt den Narren ein Stolz , und zum Semikolon avanciert , erscheint er auf dem Papiere .
Im Gegenteil :
Ein großer Buchstabe bekehrt sich , da es eben noch Zeit ist , vom Hochmut , und siehe , als demütigfrommer kleiner steht er da .
Zusammensetzungen geraten in Zank und Hader , häuslichen Zwist , flugs rücken sie auseinander , wie grollende Eheleute , um vielleicht auf der nächsten Seite schon wieder in der schönsten Eintracht verbunden zu sein .
Das spitzige , giftige ß stößt das gute , runde s über den Haufen , und was dergleichen Vorfälle mehr sind , von denen Adelung und Wolke nichts gewußt haben .
Eigentliche Grammatikalia begehe ich wohl nicht , da ich , wie Sie richtig vermuten , in meiner Jugend eine gelehrte Schule besucht habe , überdies aber auch nachmals mich immer mit Lesen und Schreiben beschäftigte .
Sollte der Kopist dergleichen gemacht haben , und der Korrektor sie stehenlassen , so wäre das freilich schlimm für den Stil , aber ich glaube nicht , daß es mir bei den Lesern schaden würde .
Die meisten Autoren tragen sich mit dem Gedanken , der Leser nehme das Buch zur Hand , um sich zu belehren , oder doch etwas Neues zu erfahren .
Grundfalsch !
Der wahre Leser greift danach mit dem Gefühle des Patronats ; der Schriftsteller ist sein Klient , und in je traurigeren Umständen dieser sich befindet , je kläglicher die Rede ist , die er an ihn hält oder schreibt , desto größeren Eindruck macht er auf den guten Patron .
Daher kommt das wunderbare Glück der ganz erbärmlichen Schriften .
Bei ihnen bleibt der Leser im steten , ihm so wohltuenden Genusse des Mitleids gegen das menschliche Elend .
6. Derselbe an Denselben VI .
Derselbe an Denselben Doch von den Minutien zum Ernste zurück .
Lassen wir das Publikum ! -
Es gibt kein Publikum mehr .
Dieses Wort setzt eine Anzahl empfänglicher Hörer voraus .
Wer hört nun noch , und wer will empfangen ?
Leicht ist es , hierüber verdrießlich zu werden und zu schelten , schwerer , das Phänomen in seinem Ursprunge zu begreifen , in seinen Folgen mit Gleichmut zu erdulden .
Und doch entspringt die scheinbare Gefühllosigkeit der jetzigen Menschen für Schönes , Geistiges nur aus der von mir in meinem vorletzten Briefe erwähnten Überfülle der Geister .
Jeder ist von einem unbekannten Etwas überschattet , welches die Seelen erhebt und gänzlich beschäftigt , alle haben eine große Aufgabe in sich zu verarbeiten , keiner ist müßig .
So sehe ich Zeit und Zeitgenossen , entgegenstehend manchen in den Büchern der " Epigonen " verlautbarten Stimmen , an .
Wie sollen sie fähig sein , zu nehmen , da sie schon mehr haben , als sie bewältigen können ?
Die Literatur ist eine Literatur der Einsamen geworden .
Der sinnende und bildende Geist wird von einer ewigen Notwendigkeit getrieben , sich zu offenbaren , und zur Vollständigkeit dieser Offenbarung gehört die äußere Erscheinung .
Man schreibt daher und läßt drucken , nach wie vor , ohne die Aussicht der Vorgänger zu haben , gelesen zu werden .
Anfangs und in der Jugend bereitet dieses Verhältnis bittere Schmerzen ; es ist so traurig , sich mit einer Welt von Anschauungen , Gedanken und Empfindungen in der Wüste zu sehen , allmählich beruhigt sich das Gemüt , und endlich kann in der durchgeprüften Seele das Bewußtsein einer glorreichen Dunkelheit entstehen , welches so unzerstörbar schön ist , daß man es mit nichts vertauschen möchte .
Oder ist es nicht besser , unter Reichen als Wohlhabender zu verschwinden , denn unter Bettlern mit seinem Etwas sich hervorzutun ?
Ich schrieb den " Merlin " und wußte sein Schicksal vorher , nämlich , daß man seiner nicht achten werde .
Glauben Sie , daß mich dieses Wissen niedergeschlagen hat ?
Keine der Entzückungen , aus welchen jenes Gedicht entsprang , hat es auch nur im mindesten getrübt .
So habe ich an den Büchern der " Epigonen " gearbeitet , ohne irgend etwas davon zu erwarten , was man Wirkung nennen könnte .
Und dennoch sind mir die Stunden , Tage und Wochen , welche ich ihnen widmete , unverfinsterte , liebe Erinnerungen .
Die Pfade zum Heldentum sind immer steil , die Pfade zu dem , welches ich meine , vielleicht die steilsten .
Zart und weich soll der sein , der sie wandelt , und doch auch wieder die Kraft des Ajax haben , um die himmelansteigenden Felsen zu bewältigen .
Den noch gelingt es wohl , emporzuklimmen , wenn wir nur verstehen , uns mit dem Blute unserer Sohlen auf den Absätzen der Klippen neben den furchtbaren Tiefen Festzuleimen .
Lassen wir also das Publikum und helfen Sie mir nur , wie ich gebeten , mein Werk vollenden .
7. Der Arzt an den Herausgeber VII.
Der Arzt an den Herausgeber Niemals bin ich in der Stärke Materialist gewesen , wie Sie angenommen haben .
Darin muß ich zuvörderst Ihre Geschichten berichtigen .
Religion wird einem jeden angeboren , und nach meiner Meinung ist der Vorwurf , daß man keine habe , womit die frommen Seelen sehr freigebig zu sein pflegen , der schwärzeste , welcher einem Menschen nur gemacht werden kann , denn er wirft ihn zu den Tieren hinab .
So hatte ich früh beim Abdämpfen und Präzipitieren , bei dem Öffnen und Zerschneiden der Leichen gefühlt , daß ein Etwas vorhanden sei , welches im Feuer des Schmelzofens sich nicht fangen lasse , vor keinem Agens niederfalle , dem Messer und der Sonde immerdar entfliehe .
Dieses Etwas trieb doch nun aber unleugbar Gestein und Metall , Blatt und Blume hervor , und figurierte " das kleine Königreich , Mensch genannt " .
Wer durfte mir verwehren , es Gott zu nennen ?
Aber dem Arzte wird es schwer , über dieses Eine und Einfache zur Wärme zu gelangen .
Er ist seiner ganzen Stellung nach auf Betrachtung der Mannigfaltigkeit verwiesen , er darf darin nicht nachlassen , wenn er nicht sehr bald zurückgehen will , und so pflegt es denn zu kommen , daß der Mehrzahl meiner Standesgenossen der den Erscheinungen untergebreitete Urgrund , das Heilige , das Imponderabelste , etwas Theoretisches wird , an dessen Vorhandensein zwar keiner zweifelt , mit welchem aber gleichwohl wenige eine Beziehung anzuknüpfen vermögen .
An dieser Beziehung mangelte es auch mir .
Mein Gott war der des Amsterdamer Philosophen , der mit einer intellektualen Liebe von Anfang an sich selbst , aber sonst nichts anderes Liebende .
Er ließ mich gehen , ich ließ ihn meinerseits wieder seine unendlichen Kreise in sich beschreiben .
Zuweilen stieg wohl eine Ahnung in mir auf , daß wir einander noch einmal begegnen würden , aber sie hatte weder Form noch Farbe , und war mir gleichgültig .
Gegen alle Vermittlung durch die Kirche verspürte ich aber den entschiedensten Widerwillen .
Was mich auf das Schloß des Herzogs brachte , mich dort einige Jahre festhielt , wird man aus Ihren Geschichten herauslesen können .
Es gibt Dinge , über welche der Mann , auch wenn sie abgetan sind , gegen den Mann sich auszusprechen , immer Scheu empfindet .
Der Gemahlin des Herzogs an einem fremden Orte , durch welchen sie reiste , in einer leichten Unpäßlichkeit genaht , entschied sich mein Lebensgang zur Nachfolge in die einsame Gegend , wobei ich mir vorsagte , daß Beweggründe des Interesses meinen Entschluß rechtfertigten .
Leidenschaften , besonders unerwidert - verzehrende , löschen immer auf eine Zeitlang Gott und Himmel in uns aus .
Der Ferne schwebte nur noch wie ein leichtes blasses Wölkchen an meinem Horizonte , und verbarg sich wohl auch ganz hinter den schwarzen Dunstschichten , welche die Luft oft genug trübten .
Byron wurde mein Prophet , mein Evangelium .
Ein glühendgeistiges Verlangen in mir blieb ungestillt , die Folge davon war , daß , wenn ich auch dem da droben nichts anhaben konnte , ich doch gegen seine irdischen Gefäße , die Seelen , eine Nichtachtung faßte .
Doch ich sehe , daß ich schon in das hineingeraten bin , wovor ich mich hüten wollte , nämlich in das Erzählen .
Noch zwar betrifft alles nur mich , nun aber verschlingen sich meine Begebenheiten in die anderer Personen , und die erste Bedingung wäre , deren Einwilligung zu weiteren Berichten zu erhalten .
Ich will Ihnen nur gestehen , daß ich schon an die Herzogin und an Johannen geschrieben , den Damen Ihr Werk übersandt , und die Entschließung auf die Bitte des Autors anheimgestellt habe .
Warten wir denn ab , wie weibliches Gefühl sich in diesem Falle benehmen wird .
Darauf müssen wir wohl beide submittieren .
8. Derselbe an Denselben Bekenntnisse der Herzogin Bekenntnisse der Herzogin Sind wir Frauen denn nur auf der Welt , um zu leiden ?
Im stillen , frommen Kreise meiner Zöglinge , durch den Sarg des Gemahls von einer früheren unruhigen Zeit geschieden , ausgesöhnt mit der Schwägerin , wird mein Auge in Regionen zurückgenötigt , worin alles schwankte , gärte und schien .
Mit Erschrecken sehe ich , daß ein Fremder , in welchem ich zuletzt diese Fähigkeit vermutet hätte , meinen Schritten unbemerkt folgte , meine Gesinnungen erriet , und Schwächen auffand , wo ich nur Tugenden zu haben glaubte .
Ich kann nicht umkehren auf einen anderen Ausgangspunkt , muß des Weges wandern , der mir allein gerecht ist .
Möglich , daß ich zu manchen Zielen auf demselben nicht gelange , aber soll ich das Erreichbare aus dem Auge verlieren , und mich abmühn , das , was mir doch versagt bleiben wird , mir scheinbar anzueignen ?
Die Orientalen halten es für Sünde , das Bild einer Person zu malen .
Es ist gewiß auch Unrecht , das geheime Leben anderer so schwarz auf weiß zu töten , denn was bleibt davon auf dem Wege vom Kopfe durch den Arm in die Feder übrig ?
Nur in einem liebevollen Geiste können die Buchstaben wieder Leben gewinnen , und das Beste wird immer sein , was er zwischen den Zeilen liest .
Eins tröstet mich : meine Grundempfindung , daß wir nicht oft genug an uns erinnert werden können .
Und eine solche Erinnerung war mir das Buch .
Zugleich lehrte es mich , wie seltsam unerwartet oft das im Leben eintritt , was kurz zuvor als eine Täuschung sich hingestellt hatte .
Ich verzeihe dem Verfasser .
Er ist offenbar zu dieser Arbeit genötigt worden , nicht leichtsinnig , nicht willkürlich hat er sie unternommen .
Wenn er von seiner Leidenschaft für die Wahrheit gegen Sie redet , so hat er gewiß recht .
Dieser Affekt bemächtigte sich vieler Menschen , leider , daß er mit Schonung und Rücksichtnehmen selten zu vereinigen ist .
Lassen Sie mir nur einige Tage Zeit .
Ich muß den unerwarteten Fall erst überdenken .
Als der Autor an mich schrieb , war sein Begehren so dunkel und unbestimmt gefaßt , daß ich nicht wußte , was er meinte , und am allerwenigsten auf eine Produktion vorbereitet war , wie die ist , welche ich nun kenne .
Daß jemand ein Werk , woran er jahrelang geschrieben , dem Feuer preisgeben werde , weil andere sich dadurch unangenehm berührt fühlen , wäre grausam , nur zu denken .
Die " Epigonen " werden also unvernichtet bleiben , sie werden ihren Gang über Straße und Markt nehmen .
Sollen nun die Zeiten , welche freilich nur wir allein kennen , durch Erdichtungen entstellt werden ?
Soll unser Bild gerade in der wichtigsten Krisis unseres Lebens undeutlich und verworren der Menge entgegenschwanken , deren Bekanntschaft wir jetzt notgedrungen machen müssen ?
Ich sehe schon , ich werde dem Zwange unterliegen , der meine stockende Feder bedrängt .
Nun ja , auch ich habe gefehlt , auch mich bewahrte eine klösterliche Erziehung und das innigste Grausen vor dem Schlimmen , nicht ganz unverletzt .
Eine Täuschung war es von Hermann , daß ich anders , als mit freundlichen Gedanken bei ihm geweilt , solange er unter uns auf dem Schlosse war , aber in den Dünsten solcher Einbildungen schreitet schon das Böse heran .
Großer Gott , wie soll es eine arme Frau anfangen , ihr Inneres vor anderen zu enthüllen ?
Aber ich sehe diese gezwungene Konfession als die letzte mir vom Himmel auferlegte Buße an , dafür , daß ein Hauch sich über den Spiegel meiner Seele breiten durfte , und deshalb will ich mich ihr auch nicht entziehen .
Als Hermann uns verlassen hatte , glaubte ich , die frohsten Tage im Nachgenusse der letzten schönen Stunde erleben zu dürfen .
Das Dokument , welches uns in unserem Eigentume schirmen sollte , war gefunden und durch ihn , der mir so manchen Beistand geleistet hatte .
Immer stand er vor mir , wie er freudeleuchtend das Pergament emporhielt , meine Gedanken ruhten an ihm , wie an einer festen Säule .
Aber es war kaum eine Woche vergangen , als mich dieser Trost nicht mehr befriedigte .
Eine Unruhe ergriff mich , von der ich mir keine Rechenschaft geben konnte , es fehlte mir , was ich nicht zu nennen wußte , mein Sinnen schweifte über Buch und Stickerei hinaus , wenn ich sie , um mich auf etwas zu heften , zur Hand nahm .
Dem Gemahle , welchem ich doch vor allem Zutraun über jedes Begegne meiner Seele schuldig war , verbarg ich diese peinigende Zerstreutheit , und zwang mich , in seiner Gegenwart so zu erscheinen , wie sonst .
Wie tief wucherte schon das Unkraut in mir !
Am bedrücktesten fühlte ich mich des Abends - sonst meine liebste Tageszeit !
Die Nacht , welche früher die Ruhe Gottes über mich gebracht hatte , schien mich nun in ein Unendliches , Wüstes zu führen , vor dessen hohlbrausenden Wogen meine Seele erzitterte .
Ich schlummerte zwar auch jetzt nie ohne Gebet ein , aber die Worte desselben regten mich zu wehmütigen Tränen auf .
Es gemahnte mich , als könne ich mir selbst während des Dunkels abhandenkommen , als könne der Mensch verwandelt , schlimm aufstehen , der sich gut und unschuldig niedergelegt habe .
Eines Tages sagte ich plötzlich unversehens laut für mich hin :
" Es ist ja natürlich , daß ich ihn vermisse , war er doch beständig um uns !
Warum soll man sich nicht an einen Freund gewöhnen können . "
Ich erschrak heftig , da ich diese Worte gesprochen hatte .
Mein Zustand war sehr schlimm .
Nach und nach hatte sich aus dem Gefühle des Zwangs , welches mir die Gegenwart des Herzogs einflößte , eine stille Furcht , aus der Furcht eine Abneigung entwickelt .
Ich rechtete , ich haderte mit ihm , ich meinte , er vernachlässige mich , und wenn er mich aufsuchte , so bestrebte ich mich eher , ihn zu vermeiden .
Der Herzog war unglücklich , ohne daß es mich schmerzte , seine stillen Blicke fragten mich , was er mir getan habe ?
Ich schlug die meinigen nieder , um nur nicht aus der Verschanzung des Trotzes und der Hartnäckigkeit , in welcher ich nun schon eingewohnt war , gelockt zu werden .
Von Franklin hatte ich gelesen , daß er die ihm obliegenden Pflichten nicht auf das Geratewohl hin erfüllt , sondern über seine Sittlichkeit förmlich Buch gehalten habe .
Ich beschloß , etwas Ähnliches bei mir einzurichten .
Vielfach war ich angesprochen , als Hausfrau , als Erzieherin , als Armenpflegerin .
Ich legte mir ein Heft mit verschiedenen Rubriken an , in welchem ich abends vor dem Schlafengehen die Werke des folgenden Tages einzeln verzeichnete .
Auf der Gegenseite sollten die Unterlassungen als Debet diesem Kredit gegenüber eingeschrieben werden .
Eine Kolumne war den allgemeinen menschlichen und christlichen Tugenden , der Sanftmut , Bescheidenheit , Verträglichkeit usw. gewidmet .
Gewissenhaft besorgte ich eine Zeitlang diese moralische Rechnungsführung .
Da es mir Ernst war , der Öde meines Zustandes zu entrinnen , da ich nicht feierte , und lieber zuviel als zuwenig mir auferlegte , auch seit meiner Jugend die höchste Achtung vor allen ausdrücklichen Verpflichtungen hegte , so füllten sich die Spalten meines Buchs ziemlich an ; immer geringer wurden die Rückstände , je weiter ich in der Übung der guten Werke vorrückte , und nach Verlauf eines Monats war ein beträchtlicher Überschuß aus der Bilanz ersichtlich .
Diese Beschäftigungen und die damit nicht selten verknüpfte körperliche Bewegung machten mich ruhiger .
Mein Schlaf wurde wieder erquickend und ich hielt mich für hergestellt .
Meine Gedanken an den Abwesenden waren , oder schienen in den Hintergrund gedrängt , das Behagen der Häuslichkeit war mir zwar noch nicht zurückgekehrt , die Stunden , welche ich mit dem Herzoge zubrachte , behielten etwas Formelles , indessen setzte mich dies nicht in Erstaunen .
Schon früh hatte ich mich mit der Vorstellung vertraut gemacht , daß der eigentliche Atem des Lebens doch nur die Pflicht sei , welche man mit Überwindung übe , und daß der Mensch gegen nichts vorsichtiger sein müsse , als gegen das Glück .
Hatte ich nun früher mir oft im stillen gesagt , daß mir das Dasein ohne den Gemahl zur Einöde werden , daß ich seinen Verlust nicht überstehn , daß ein Ersatz für ihn mir undenkbar sein würde , so mußte die jetzige etwas kältere Empfindung mir als offenbarer Gewinn erscheinen .
Nun fühlte ich , daß ein stilles Zurückziehn mich nicht zerstöre , daß er , eingeordnet in den ganzen Zusammenhäng meines Lebens , zwar darin eine hohe , vorzügliche Stelle einnehme , aber doch nicht Grundfläche und Spitze der Pyramide ausmache .
Über diese Entdeckung jauchzte ich , und glaubte , durch sie eine Bürgschaft unantastbaren Seelenfriedens erhalten zu haben .
Wie täuschte ich mich , wie fern war ich vom Ziele , da ich es schon mit den Händen zu fassen meinte !
Ich litt , obgleich ich sonst gesund war , seit einiger Zeit an einer erhöhten Reizbarkeit der Nerven , welche sich besonders dadurch äußerte , daß mir unwillkürlich Phantasmen vor die Augen traten .
Diese blieben zwar nur einen Moment sichtbar , während der kurzen Dauer desselben hatten sie aber die ganze sinnliche Deutlichkeit wirklicher Gegenstände .
So sah ich nicht selten ferne Gegenden , in welchen ich einst gewesen war ; abwesende Personen , besonders Verstorbene zeigten sich mir in schnell vorüberschwebenden Schattenbildern .
Ein eigentümlicher Zug dieser Wahngesichte war , daß keine Neigung sie hervorrief .
Nur Gleichgültiges erschien , oft das , woran ich seit Jahren nicht gedacht hatte .
Der Arzt verordnete mir allerhand Mittel , welche aber nichts halfen , im Gegenteil meine Konstitution noch mehr aufregten .
Ach , leider wird es nur zu sehr verkannt , daß die Krankheiten , wenigstens ein Teil derselben , weit mehr sittlicher als sinnlicher Natur sind , und daß daher in vielen Fällen Tränke und Pulver wenig nützen können !
Eines Abends kam ich aus einem benachbarten Dorfe zurück , wohin ich zu Fuß gegangen war , um Kranke zu besuchen .
Ich wollte das Schloß noch bei guter Zeit erreichen , in welches andere Hülfsbedürftige bestellt worden waren .
Nur ein Bedienter folgte mir .
Ich ging etwas rasch , und wählte , um früher nach Hause zu kommen , den Weg über den dem Schlosse gegenüberliegenden Hügel , obgleich derselbe an der einen Seite durch Dornen und Steilheit etwas beschwerlich war .
Vom frühen Morgen an war ich tätig gewesen , es hatten sich gerade recht viele Pflichten und Geschäfte an diesem Tage zusammengedrängt , und ich dachte nicht ohne Selbstzufriedenheit daran , wie mancherlei ich werde zu Buche tragen können .
Auf einmal war es mir oben auf dem Hügel , als wenn sich um meine Füße unsichtbare Schlingen legten , oder als ob ich an einen Stein stieße , der zugleich meine Schritte gewaltsam hemmte .
Ich kann diese Empfindung durchaus nicht genauer beschreiben ; sie war zwischen Schmerz und Lähmung , und am nächsten komme ich ihr in Worten , wenn ich sage : Sie hatte Ähnlichkeit mit dem Gefühle des sogenannten Einschlafens der Gliedmaßen .
Ich war unfähig , weiterzugehn , meinte zu fallen , und wußte doch , daß ich mich werde aufrecht halten können .
In dem nämlichen Augenblicke erhob sich die Gestalt des Abwesenden aus dem Boden , deutlich , daß mir die Knöpfe an seinem Kleide erkennbar wurden , neigte sich gegen mich , legte - mit welcher Scham schreibe ich dieses nieder ! - seinen Arm um meinen Leib , und zog mich an seine Brust .
Mich verließen die Sinne , und als ich von einem ohnmachtähnlichen Zustande erwachte , fand ich mich auf einer Rasenbank sitzend wieder , von dem zitternden Bedienten gestützt , der mir stotternd und totenbleich erzählte , daß ich plötzlich wie vor einem entsetzlichen Schrecknisse gestarrt , dann gewankt und einen angstvollen Schrei ausgestoßen habe .
Meine Verfassung war fürchterlich .
Messer durchschnitten mir die Brust .
Die Sünde hatte sich mir unversehens in nackter Abscheulichkeit gezeigt .
Da war nun keine Zeit zu verlieren , um zu retten , was sich noch retten ließ .
Ich blickte umher , und sah , daß mich nichts vor dem Gedankenfrevel geschirmt hatte , weder die Ehe , noch die guten Werke .
Die Kirche allein war der Felsen , an welchen ich mein irrschwankendes Schifflein noch knüpfen konnte .
Nach einer qualenvollen Nacht , nach einem durchweinten Tage entdeckte ich mich in später Abendstunde unserem Geistlichen , und soll ich es gestehen ? das verzweifelnde Herz trug sich mit der verstohlenen Erwartung , er werde mich nicht so strafbar finden , als ich mich selbst .
Aber ich hatte mich getäuscht .
Ein strenges Gericht ließ er über mich ergehen .
In schrecklichen Zügen , in drohenden Beispielen machte er mir anschaulich , daß die Kluft von der Tugend zu der ersten Abweichung von ihr sehr groß , der Raum zwischen dieser und den letzten Tiefen des Lasters aber unendlich klein sei .
Er führte mir die Wahrheit , daß der Körper nie , sondern immer nur die Seele sündige , in ihrer ganzen Strenge vor das Gemüt , und nannte zur Bezeichnung meines Zustandes ein Wort , welches meine Ohren nie zu hören geglaubt hatten .
Düstre , aber heilsame Tage folgten .
Ich ergab mich ganz seiner Führung .
Der Arzt , so mancher Freund , der Herzog selbst wollten hemmend dazwischentreten ; Gott schenkte mir die Standhaftigkeit , ihre Angriffe zurückzuweisen .
Hier galt es das Ewige , da durfte keine Menschenfurcht zu Rate gezogen werden .
Das erste , was der Geistliche vornahm , war , daß er meine moralischen Rechenbücher zerriß .
Er untersagte mir die guten Werke , mit denen ich mich gegen Gott auszulösen gewähnt hatte .
Dergleichen , erklärte er mir , sei völlig unnütz , und führe immer nur zu verkapptem Hochmute .
Dagegen legte er mir die strengsten Andachtsübungen und eine völlige Versenkung in Gott und die göttlichen Dinge auf .
Oft meinte ich , daß ich in diesem Ringen nach dem Unsichtbaren erlahmen werde , aber wundersam stärken die Leiden der Heiligung ; wenn unsere Wangen auch darüber bleich werden , so wächst doch freudige Gesundheit durch sie um das Herz .
Nach und nach erwarb ich , sagen darf ich es , Fertigkeit im Büßen .
Man wollte mich zerstreun , ich versetzte , daß mir die Sammlung notwendiger zu sein scheine .
Erheiterungen sollten mir bereitet werden , mir , die ich von meiner immer wachsenden Heiterkeit schon anderen hätte mitteilen können .
Diese konnten keine Anfechtungen zerstören .
Der Herzog begann , gewiß in guter Absicht , mir unmutig zu begegnen , ich opferte gern den Frieden des Hauses auf dem Altare meines Gottes .
Nachmals gab es noch einen gewaltsamen Krampf in dem schwachen Geschöpfe , der zuletzt in eine Krankheit sich auflöste .
Von dieser erstanden , war ich geheilt in jedem Sinne des Worts .
Der Weg war mir jetzt ganz gebahnt , von welchem mich auch die schwersten Unglücksfälle nicht haben abbringen können .
Wem kein so reicher Geist gegeben worden ist , daß ihm nur das verworrene Mancherlei des Lebens Beschäftigung gewährt , wer an einfachen Wahrheiten und Grundsätzen die Nahrung seines Inneren findet , der soll erziehen .
Denn dieses Geschäft besteht nur darin , daß man den jungen Seelen eine Ausstattung schlichter Begriffe mitgibt , mit denen sie durch das Irrgewinde des Markts sich helfen sollen , so gut es gelingen mag .
Diese in geduldiger Treue immer zu wiederholen und einzuprägen , habe ich meine jungen Mädchen um mich versammelt .
Ich unterrichte und bilde sie , nicht als ob ich damit etwas Verdienstliches zu vollbringen meinte , sondern weil ich eben dazu passe , und an den Ort gestellt worden bin , wo diese Pflicht geleistet werden sollte .
Johannas Bekenntnis Johannas Bekenntnis Von dem kriegerischen Schauspiele , welches die Menge der Fürsten und Prinzen unglaublich glänzend machte , mit dem Generale zurückgekehrt , fand ich Ihren Brief und die Bücher , welche die Herzogin inzwischen gelesen , und mir übersendet hatte .
Also so haben wir ausgesehen ?
Sonderbar , daß man von seinem inneren Antlitze keinen Begriff hat , wie oft man sich dies auch einbilden mag .
Oder vielmehr die Sache steht so :
Wir wissen um unsere Verhältnisse , Stimmungen , Irrtümer und Schwächen recht wohl , aber sie im Spiegel zu erblicken , ist schauderhaft .
Anfangs war ich auf den Autor bitterböse , und keineswegs gemeint , mich , wie die Herzogin , der durch ihn von Gott mir verhängten Buße zu unterwerfen .
Auch der General wollte nichts von Nachgiebigkeit gegen den im stillen an uns herangeschlichenen Memoiristen wissen .
Als wir aber die Sache näher bedachten , sahen wir ein , daß meine Geschichte Frauen und Mädchen , in deren Hände unsere Denkwürdigkeiten doch auch wohl gelangen mögen , zur Lehre dienen kann , und daß , wenn auch alle Beispiele die Wiederholung der Irrtümer nie verhüten , die Irrenden doch an meinem Falle zu ihrem Troste erkennen werden , wie das Gemüt uns in großes Leid bringt , die Arme unseres Schutzgeistes aber stark genug sind , uns aus demselben emporzuziehn .
Da käme ich nun in das Fach der Herzogin und wollte auch erziehen .
Aber freilich beruht mein Unterricht auf anderen Voraussetzungen .
Die Stille , Liebe meint , so sehr die Demut ihr auch gebietet , ihre ganze Wirksamkeit vor der Welt als zweifelhaft darzustellen , insgeheim denn doch , daß ihre moralischreligiösen Vorschriften die jungen Seelen vor dem Strudel bewahren werden .
Ich habe dagegen die Überzeugung , daß gerade die edelsten Naturen unseres Geschlechts unbedingt tiefen Verwicklungen dahingegeben sind , welche keine Regel der Klugheit , kein Präservativ der Sitte , und keine Andachtsübung aufhält .
Viele gehen in denselben unter , wenige werden gerettet .
Zu diesen gehöre ich , und wenn auch die Art meiner Herstellung sich nicht bei jeder Unglücklichen wiederholen wird , so lehrt sie wenigstens , daß das Leben selbst aus seiner Fülle den Stab wachsen macht , welchen die Dressur der Pensionsanstalt nicht darreicht .
Dies will ich erzählen , schlicht , einfach , kurz ; zu ausgeführter , oder gar kunstreicher Behandlung habe ich weder die Lust , noch das Geschick , noch die Zeit .
Die Stellung der Frauen in der Gegenwart ist sonderbar .
Was hat unsere Mütter beschäftigt , ihren Geist und ihr Gemüt ausgefüllt ?
Das Haus oder die Gesellschaft .
Die Ruhigen wandten sich jenem , die Lebhafteren dieser zu .
Nun gibt es aber keine Häuslichkeit mehr im alten Sinne , und aus der Gesellschaft ist der feine Zauber längst verschwunden , durch dessen Verwaltung wir die Priesterinnen und Fürstinnen der Salons wurden .
Unser Platz in der Welt ist also leer oder anderweitig besetzt , wie man dieses Mißverhältnis ausdrücken will .
Wenn wir uns auch vor der durch die Saint - Simonisten uns zugedachten Emanzipation schönstens bedanken wollen , so läßt sich doch ahnen , daß unser Zustand bedeutenden Veränderungen entgegengeht .
Der Autor hat der Wahrheit gemäß erzählt , daß mich schon als Mädchen auf dem Schlosse meines Vaters das Gefühl eines Vaterlandes mächtig bewegte .
Die Natur mußte vielleicht so bei mir verfahren , mir Ersatz durch eine allgemeine Empfindung geben , weil mir der Segen einer gesetzlichen Geburt , mir eine Mutter vorenthalten worden war .
Madame de Staël - wenn ich nicht irre - hat einmal gesagt , daß in Zeiten , wo man auch den Frauen die Köpfe abschlage , ihnen notwendig erlaubt sein müsse , sich um die Politik zu bekümmern .
So schlimm steht es nun bei uns nicht .
Aber da wir durch die Staatsumwälzungen unser Vermögen einbüßen , uns mit den Männern versetzen lassen müssen und Söhne für den Krieg gebären , so scheint uns weder das Recht noch die Veranlassung zu fehlen , an allen den öffentlichen Dingen teilzunehmen , durch welche auch uns Freude und Entsagung , das Lachen und die Träne bereitet wird .
Diese Vorstellungen bewohnten wie in der Knospe den Kopf des jungen Mädchens , es sprach sich und anderen dieselben nicht aus .
Die Frau , welche Schritte in die Dreißig getan hat , wird wohl davon reden , und eingestehen dürfen , daß sie von jeher sie gehabt .
Nun aber ist es eine eigene Sache um dieses Vaterland .
Wir sind und bleiben denn doch arme Gefühlswesen , bei welchen der Weg zum Haupte immer und ewig durch das Herz geht .
Wenn die Trommel gerührt wird , wenn sie dahinziehen in langen Reihen , und die Fahnen den Tüchern , und die Tücher den Fahnen Abschied zuwinken , und nun der Busen um Reich und Thron , und zugleich um das Schicksal der Lieben bangt , dann die herrlichen , freudigen Kampfes- und Siegesnachrichten erschallen , jeder in diesem Sturme sich zum Außerordentlichen gehoben fühlt , ach und endlich bei dem Friedensheimzuge die Freunde uns die teuersten Güter erobert dahergetragen bringen - dann weiß eine Frau , daß auch sie in ihrer schwachen , furchtsamen Seele eine Empfindung beherbergt , welche über die Spindel und das Nähzeug hinausreicht , dann dürfen wir uns eines Geschlechts mit der Mutter der Gracchen , und den Weibern der Numantiner rühmen .
Oder auch dann kann unser Geist bewegt und erregt sein , wenn kluge , weltgestaltende Männer im Schweigen des Kabinetts mit der stillen Feder , oder der feinen gewinnenden Rede Bündnisse stiften , Provinzen erwerben , die Entschlüsse so leise vorbereiten , welche nachher den Erdkreis erschüttern und die Menschen in Staunen und Verwunderung setzen .
Da wissen wir wohl bei uns die Gegner zu friedlicher Annäherung zu versammeln , Geheimnisse zu empfangen und zu bewahren .
Aber wie wird es im Frieden , im gleichgültigen Gange des Alltags ?
Stadt der Heldentaten Manoeuvres , statt des regsamen Spiels seltener Kräfte ein stockendes Schleichen im Geleise trockener herkömmlicher Tätigkeit .
Was soll denn nun die Frau beginnen , welcher die Kleinigkeiten nicht genügen , auf die wir dann einzig und allein angewiesen sind ?
Da müßte sie etwa Dichterin , Schriftstellerin , Kunstkennerin werden .
Aber wenn die arme Seele zu der Einsicht gelangt ist , daß die Lieder ihrer Schwestern am Parnaß nüchtern und dünn erklingen , daß die Bücher der Weiber aus den abgetragenen Gedanken der Männer bestehen , daß sie vor den Bildern und Statuen doch auch nur diesen bevorzugten Geschöpfen nachsprechen , wenn sie also zu allen derartigen Zeitvertreiben weder Lust noch Belieben trägt , womit wird sie dann ihre verlangende , glühende Brust ausfüllen ?
Ich hatte nach dem Tode meines Vaters schlimme Tage auf dem Schlosse .
Gute Menschen walteten dort , aber unsere Seelen waren zu verschieden .
Der Herzog war früh gewissen Personen in die Hände gefallen , welche ihm die größten Vorstellungen von der Würde des Adels beigebracht und ihm die Heiligkeit der Pflicht , alles an die Herstellung dieses Standes zu setzen , eingeschärft hatten .
Diese Begriffe regierten ihn mit unumschränkter Macht , er hatte für nichts anderes Raum in sich .
In den Militärdienst eines kleineren Staates eingetreten , war er rasch von Stufe zu Stufe gestiegen , hatte auch an einigen Vorfällen des großen Kampfs auf der deutschen Seite teilgenommen , aber ohne Liebe und Wärme für die Sache , welche ihn nur insofern interessierte , als er von ihrem Siege den Triumph der Aristokratie hoffte .
Meine gute Schwägerin war in Paris erzogen worden , und hatte Deutschland erst nach dem Untergange unseres großen Feindes kennengelernt .
Ich , voll von den Eindrücken einer unbeschreiblichen Zeit , mochte meinen nächsten Umgebungen wohl wie eine Närrin vorkommen , welche sich abmühte , Schattenbilder der Wirklichkeit unterzuschieben .
Der ganze Enthusiasmus eines zwanzigjährigen Mädchens war eins geworden mit dem Enthusiasmus eines Volks , diesen Gewinn festzuhalten , das herrliche Gedächtnis mir nicht zu einem Traume verdämmern zu lassen , war die Aufgabe meines Lebens .
Ich baute mir ein kleines Museum aus Erinnerungszeichen und Bildnissen der Feldherrn zusammen , sang meine lieben Schlacht - und Kampflieder am Fortepiano , steuerte von meinen schmalen Mitteln , soviel ich nur entbehren konnte , an die Vereine , welche sich überall zur Unterstützung der Invaliden gebildet hatten .
Man stutzte , verstand mich nicht , lächelte über mich .
Ich ließ mich das nicht anfechten .
Aber freilich fühlte ich nur zu bald , daß ich mit dem , was mir das liebste war , mich in einer völligen Einsamkeit befinde , und dieses Bewußtsein fiel mit um so größerer Schwere auf mich , als es die nächsten waren , die es mir bereiteten , und als ich voraussah , daß bald mein ganzer Zustand in dem Hause , welches doch auch als mein Vaterhaus gelten sollte , unterhöhlt sein würde .
Ich versank in eine Schwermut , die mich auch wohl zuweilen ungerecht gegen das Gute machte , welches mich umgab .
Wenigstens muß ich jetzt über manches lächeln , was mich damals gegen die liebenswürdige Frau einnahm , mit der ich nun so verträglich leben kann .
Sie hatte z.B. eine ängstliche Sorgfalt für ihre Gesundheit , scheute den Zug , den Tau , und was dergleichen mehr ist .
Als ich mich einst hierüber im entgegengesetzten Sinne vernehmen ließ , stellte sie mir sehr beredt die Pflicht dar , welche jeder habe , auf solche Weise über sich zu wachen .
Ich fand diese bewußte Ansicht von der Sache nur noch egoistischer und schwächlicher , und hatte doch Unrecht .
Denn wie verderben wir uns und anderen durch üble Laune die Tage , und wie selten entspringt sie aus geistigen Ursachen , wie viel öfter aus kleinen Indispositionen , welche meistens durch Regime zu meiden wären !
Wie hindern oder zerstören Krankheiten das Glück ganzer Familien !
Was begünstigt überhaupt mehr die Entwicklung eines harmonischen Lebensgangs , als das leichte , reine Gefühl , welches nur die Blüte vollkommener körperlicher Wohlfahrt sein kann ?
In jenen Stimmungen und Verstimmungen lernte ich nun Medon kennen , welcher auf das Schloß kam , mir die erste Nachricht von dem Auffinden der teuren Reste des erschlagenen Freundes zu überbringen .
Es wird nicht von mir erwartet werden , daß ich die Geschichte unserer Herzen , oder vielmehr des meinigen , denn das seine hatte leider keinen Anteil daran , novellistisch erzähle .
Nur das muß ich sagen , daß die Herzogin Unrecht hatte , wenn sie in ihrem Briefe behauptete , die Sympathie des Mißvergnügens habe uns zusammengeführt .
Nein , es war etwas anderes , etwas Höheres von meiner Seite .
Medon gehörte zu den geistigen Ruinen , aber zu den mit aller Pracht üppiger Vegetation bewachsenen .
Soll es denn einer arglosen Frau ewig verdacht werden , wenn sie der Duft und Glanz solcher Stauden und Blumen anzieht , wenn sie in ihrer Gutmütigkeit nicht zu ahnen vermag , daß unter diesen Reichtümern und Schönheiten der Abgrund laure ?
Sein Name war mit Auszeichnung im Kriege genannt worden , das mußte ihm wohl zur Empfehlung bei mir gereichen , er brachte mir eine Nachricht , worin für mich ein trüber Trost über einen ungeheuren Verlust lag , wie konnte mein Herz noch einen Rückhalt gegen ihn haben ?
Endlich , ich fand nach langem Darben jemand wieder , mit dem ich meine Sprache reden durfte .
Ich habe beinahe zwei Jahre hindurch den Namen dieses Mannes getragen , und wer wird mir daher glauben , daß ich über seine frühere Geschichte , über seinen Charakter und seine Grundsätze nur Vermutungen zu geben weiß ?
Das allein ist mir bekannt , daß ich durch ihn eine Zeitlang sehr elend geworden bin .
Er war aus Franken gebürtig und von einem ehemaligen Jesuiten erzogen worden .
Dieser Lehrer hatte ihm die ganze verschlagene Festigkeit seines Ordens zu eigen gemacht , und ihm in jungen Jahren schon den Grundsatz eingeimpft , daß der Zweck die Mittel heilige .
Als Jüngling muß ihm etwas Schreckliches begegnet sein ; ich ahne , daß er eine Geliebte aus Unvorsichtigkeit getötet hat .
Ein solches Mißgeschick mag auf den Menschen die zerstörendste Wirkung äußeren .
Denn ein Verbrechen läßt sich durch Reue und Buße sühnen , aber wo findet der Beruhigung , welcher als blindes Werkzeug geheimer , gräßlicher Mächte sein Teuerstes vernichtete ?
Die Sonne geht einer so belasteten Seele unter , und Frostnacht breitet über sie erstarrende Schatten aus .
Er hat mehrere Monate in Wäldern und Felsklüften , dem Wilde gleich , verlebt , wie er mir selbst gestand .
Welche Gedanken da sich seiner bemächtigt , weiß nur der finstere Geist des Felsens und des Waldes .
Als der große Ruf der Freiheit durch Deutschland erscholl , klammerte er sich an die Hoffnung eines einigen Vaterlandes an , und diese wurde nun der Gott seines Busens .
Seine tollkühne Tapferkeit im Kriege entsprang wohl aus dem Wünsche , zu sterben .
Der Tod wurde ihm nicht und auch das einige Vaterland blieb nach dem Frieden aus .
Ein tiefer Haß gegen alles Bestehende , worin er nur das Hemmnis einer besseren Ordnung der Dinge erblickte , bemächtigte sich seiner , um so gefährlicher und hartnäckiger , als dieser Gesinnung jede Leidenschaftlichkeit abging .
Viele sind in jenen Tagen gegen Fürsten und Machthaber stürmisch und drangvoll zu Felde gezogen , sie trugen das Panier ihrer Vorsätze im Antlitz ; Medon schien dagegen mit allen Einrichtungen der Gewalt zufrieden zu sein .
Er gehörte zu den kalten Fanatikern .
Diese vermögen , wenn die Umstände sie begünstigen , etwas auszurichten .
Denn die Dinge , welche auf solchen Gefilden erstrebt werden , entstehen nicht durch die Begeisterung , sondern durch den Kalkül .
Eine kurze Zeit hat er sich in dem damals aufkommenden geheimen Bundeswesen versucht .
Wie diese unzulänglichen Intrigen nach Jahren entdeckt wurden und zum Schreck vieler , dem im öffentlichen Ansehen fest wurzelnden Manne das Gebäude seines künstlich - errungenen Zustandes zertrümmerten , ist in den Büchern unserer Geschichten erzählt .
Lange wirkte dieser Sturz im gesellschaftlichen Leben der großen Stadt nach ; niemand hielt sich im Verkehr mit anderen mehr sicher .
Ein Geist , wie Medon , mußte aber sehr bald einsehen , daß sich mit Studenten nichts durchsetzen läßt , und daß überhaupt Verschwörungen nie die Beschaffenheit der Dinge , sondern immer nur ihre Oberfläche , und auch diese meistens nur vorübergehend ändern .
Er gab daher alles derartige Tun und Treiben auf , sagte sich von den Häuptern und Gliedern los , und folgte dem Strome , mit welchem zu schiffen jeder gute ruhige Bürger verpflichtet ist .
Sein Name , seine Kenntnisse , seine Persönlichkeit führten ihn in vorteilhafter Art bei den Machthabern ein ; es dauerte nicht lange , so war der Grund zu der glänzenden Existenz gelegt , welche unser Autor beschrieben hat .
Indem ich nun darangehen soll , die Fäden , welche das Gewebe seiner Handlungsweise zusammensetzen halfen , aufzudrehen , fehlen mir fast die Worte , um das Verhältnis von Kette und Einschlag richtig darzustellen .
Ein Wahn , ein Irrstreben der schlimmsten Art entbehrt vielleicht schon seiner Natur nach der eigentlichen Gestalt , des dichten Zusammenhangs , welchen ihm die schildernde Feder gibt .
Nur in Träumen und abgerissen - flatternden Momenten mag der so arg Fehlende sich seines Systems bewußt werden .
Ich bitte daher den Schatten des Dahingegangenen zum voraus um Verzeihung , wenn die Armut der Sprache mich zu bestimmteren Ausdrücken zwingt , als wie sie der Sache eigentlich gemäß sind .
In den Geschichten der Revolutionen , namentlich in denen der französischen wird zuweilen das Wort : Pessimismus , gebraucht .
Es bedeutet das Streben der Faktionen , durch künstliche Hervorbringung eines allerschlechtesten Zustandes die Menschen in eine Wut zu stürzen , welche sie blindlings den Planen der Bösen zutreibt .
Die Mittel , deren man sich bei diesem furchtbaren Verfahren bedient , sind mannigfaltig , jedoch laufen die meisten darauf hinaus , daß man entweder die Gegner zu unbedachten Schritten zu bringen weiß , oder selbst den Schein feindlicher Operationen erzeugt , oder durch gemachten Mangel der ersten Lebensbedürfnisse Kummer und Not unter die Menschen wirft .
Ich weiß nicht anders mich auszudrücken , als :
Medon hatte sich vorgesetzt , ein Pessimist in deutschem Sinne zu sein .
Voll von dem ätzenden Gefühle , daß die öffentlichen Einrichtungen Deutschlands im Widerspruche mit einer schönen , freien , großen Entwicklung seien , hielt er dafür , daß der Weg zu einer Erneuung unseres Lebens durch das Labyrinth einer vollkommenen Anarchie gehe , und daß dahin nur eine Zersetzung aller moralischen Bande , welche uns zusammenhalten , die er aber für morsch ansah , führen könne .
Ob er allein , von jeder Verbindung mit anderen gesondert , in dieser entsetzlichen Täuschung einen abenteuerlichen Plan ausgesonnen hat , ob mehrere Teilnehmer einer solchen Verkehrtheit gewesen sind , ich weiß es nicht .
So viel ist mir aber klar geworden , daß seine Ratschläge , seine Einwirkungen auf hochstehende Personen verwendet wurden , um unheilvolle Maßregeln hervorzubringen , welche unsere allerdings zweideutigen Verhältnisse in eine nur noch tiefere Zweideutigkeit und Halbheit senken sollten , Maßregeln , welche er mit großem Geschicke und vielem Scheine als nützliche , kluge , billige , darzustellen wußte .
Und in dieser Absicht regte er auch besonders junge Leute auf , sich zu überheben , die ihnen gezogenen Schranken zu verkennen , natürliche , ihnen gemäße Lebenslose mißzuschätzen , so sich innerlich zugrunde zu richten , und sich zu einem gärenden Stoffe der Zeit zuzubereiten .
Das war endlich der Grund , warum er Hermann in so törichte Pfade verlockte .
Auch er sollte ein Opfer dieser Künste werden , die Herde der Mißvergnügten , Zerstörten mehren .
Ach , mir entsinkt die Feder !
Ich habe das dunkle Bild entworfen , erlaßt mir , es auszumalen !
Nur so viel noch .
Seine eigenen Andeutungen und einige Blätter , welche er mir in ausforschender Absicht , wie ein Spiel des Witzes , übergab , liehen mir die Züge dar .
Die Schrift war nach Art und in der Form des " Fürsten " abgefaßt , und hieß : " Das Volk " .
Er hatte , wie Machiavelli , darin eine finstere Theorie nach allen Richtungen kapitelweise behandelt .
Genug !
Genug ! -
O , und doch ist das Schlimmste noch zurück !
- Wirst du es denn glauben , junge arglose Seele , die du diese Bekenntnisse liest , daß wir unsere Brust , heißer Liebe voll , an die Brust eines Mannes legen , und daß er , kalt berechnend , während der Umarmung uns zu einem Hebel in dem Getriebe seiner Entwürfe , zu einem Werkzeuge ausersehen kann ?
Es ist fürchterlich , sich an dem Gefühle einer Frau zu versündigen , denn der Frevler tötet darin ihren Gott ! -
Tausendmal ist es gesagt worden :
Wir haben nichts als die Liebe , aber es geht damit , wie mit allen uralten Wahrheiten ; niemand achtet ihrer .
Zwar merkte ich an Medon , als es ihm gelungen war , mein Herz zu überwältigen , oft eine gewisse Unruhe , ein Zerstreutsein , was wie Kälte aussah , aber ich schob diese Dinge auf Verwicklungen , aus früherer Zeit herrührend , auf das Unbehagen , welches auch ihm das Haus des Herzogs erregte , auf momentane Stimmungen , auf das Gefühl des Nichtbefriedigtseins endlich , wovon ausgezeichnete Menschen immer von Zeit zu Zeit heimgesucht werden .
Wie hätte ich in meiner Hingebung und bräutlichen Trunkenheit die Wahrheit ahnen können ?
Aber als wir die Ringe gewechselt hatten , als ich sein Haus teilte , und nun Einrichtungen getroffen wurden , welche auf die Absicht einer Sonderung aller Lebensverhältnisse schließen machten , als er sein Zutraun still und höflich zurückzog , die Zeichen und Beweise freundlicher Neigung immer sparsamer und erzwungener wurden , überhaupt unsere Ehe nach und nach die Gestalt eines gewöhnlichen Konvenienzbündnisses unter abgeflachten Personen der höchsten Stände annahm , ohne daß von meiner Seite diese Wandlung durch etwas anderes verschuldet war , als durch wachsende Innigkeit , und steigende Sehnsucht , im Hause mein Alles zu finden , da befiel mich ein Grauen , ich fing an zu argwöhnen , daß ich schwer hintergangen sei , und fühlte die Notwendigkeit , einem schlimmen Geheimnisse auf die Spur zu kommen .
Was mich am meisten erschreckte , war die Art , wie Medon sich gegen mich vor anderen benahm .
Unsere Zimmer hatten sich nach und nach mit den bekanntesten Personen der Hauptstadt gefüllt , ein glänzender Kreis umgab uns , der mir wohlwollend und achtungsvoll begegnete .
Medon erschöpfte sich vor diesen Zeugen in Aufmerksamkeiten gegen mich .
Aber sobald die Menschen uns verließen , sobald die Kerzen ausgelöscht wurden , verschwand auch er , und barg sich in seinen Gemächern .
Ich hatte mir anfangs vorgenommen , ihn zu beobachten , insgeheim zu forschen und den Falten seiner Seele nachzuspüren .
Bald aber verwarf ich diese kleinlichen Mittel als meiner unwürdig , und erkannte , auf welche Weise es sich einzig und allein für mich zieme , in dieser Sache zu verfahren .
Eines Tages , da ich mich ruhig genug glaubte , erklärte ich Medon zwar mit zitternder Stimme , aber durchaus fest und gesammelt in mir , daß mich sein Wesen befremde , daß es nicht das eines Gatten sei , und daß er mir die Wahrheit zu sagen habe , welche ich sofort , ganz , im unumwundensten Geständnisse von ihm verlange .
Die Kraft der Unschuld und des Rechts muß wohl sehr groß sein , da sie selbst das schwache Weib zur Meisterin des starken Mannes macht .
Medon , der sonst jeglichem standhalten konnte , wurde durch meine Anrede überwunden .
Zwar versuchte er , mir in ausweichenden Antworten zu entgehen , als ich ihm aber erklärte , daß ich diese verwerfe , vielmehr fordre , er solle seine Pflicht erfüllen , und als meine Augen , welchen die himmlischen Helfer in dieser schweren Stunde weichliche Tränen fernhielten , nicht abließen , ihm , der unruhig hin und her ging , zu folgen , so brach seine Fassung zusammen .
Er stürzte mir zu Füßen , barg die errötenden Wangen in meinen Händen , und stammelte , so demütig niedergebeugt , seine Bekenntnisse .
Er gestand mir , daß er mich nie geliebt habe , daß er überhaupt keine Frau werde lieben können , weil sein Haupt gänzlich von dem öffentlichen Interesse eingenommen sei , daß er allerhand Plane mit den Menschen verfolge , daß er aber eingesehen habe , wie niemand selbständig auf viele wirken könne , der nicht ein Haus mache , weil jeder ledige Mann über kurz oder lang aus dem Mittelpunkte der Beziehungen an die Peripherie gerate , zum Anhing fremder Verhältnisse werde .
" Unglücklicher ! " rief ich vorahnend aus , " und deshalb bedurftest du einer Frau , um deren Sofa sich die Gäste versammeln sollten , die ihnen den Tee einzuschenken bestimmt war , du mußtest eine Wirtin für dein Intrigenstück haben .
Und so hast du kalt und lauernd mit meinem Herzen gespielt , betrügerischen Glimmer für mein reines Gold gezahlt , welches ich dir aus überströmender Fülle verschwenderisch hinschüttete !
Hast mich mir selbst entfremdet , nicht aus Leidenschaft , nein , wie der Vogelsteller mit süßgiftigem Tone die Nachtigall aus ihrer grünen Laubzelle in seine Netze lockt ! "
Er konnte nichts erwidern und nickte nur seine schweigende Bejahung , dann ging er still und gebückt , ohne die Augen vor mir aufzuschlagen .
Bald erhielt ich einige Zeilen von ihm , worin er mir sagte , daß , nach dem , was ich nun wisse , er keine Macht mehr über mich haben wolle , und daß es von mir abhange , unser Verhältnis aufzulösen .
Ich antwortete ihm darauf , daß man die Frauen in Europa nicht so von Tag zu Tage nehme und entlasse , daß ich überlegen und zu seiner Zeit das Nötige beschließen werde , daß aber vorderhand unsere Scheinehe fortdauern müsse .
Diese Entdeckungen waren kurz vor Hermanns Ankunft geschehen .
Es hatte sich eine dunkle Nacht über mich und mein Leben ausgebreitet .
Seine Erscheinung war der erste Lichtstrahl in dieser Finsternis , sie gab mir wieder die Möglichkeit einer Hoffnung , einer Zukunft .
Ich glaube , daß ich nur durch ihn die Stärke zu dem Entschluss gewonnen habe , den ich nachmals ausführte , als Medon bei der herannahenden Gefahr mich in seine Irrbahn wieder mit fortreißen wollte ; mein Geschick nämlich von dem seinigen durch rasche Flucht für immer abzusondern .
Hier schließe ich .
So kann eine Frau für die edelsten Regungen büßen .
Und von solchem Falle kann sie wieder erstehn .
In der freudigen Rührung , die mich immer ergreift , wenn ich meines gewendeten Schicksals denke , werde auch dem Verirrten ein entschuldigendes Wort nachgerufen .
Er schläft fern in dem fremden Lande , jenseits des Weltmeeres .
Klima und Kummer zehrten ihn dort auf , nachdem seine phantastischen Verbrechen hier gescheitert waren .
Er hat schwer gefehlt , es ist wahr .
So übel stehen unsere Angelegenheiten nicht , wie er sich einbildete , und seine Denkungsweise war übler , als das Übelste .
Aber man erwäge , daß vieles bei uns zusammentrifft , gerade die lebendigen , strebsamen Geister in unheilbaren Trübsinn zu versenken , aus welchem denn auch wohl Frevel der seltensten Art hervorgehen können .
9.
Der Herausgeber an den Arzt IX .
Der Herausgeber an den Arzt Sie haben mir durch die Mitteilung der beiden Bekenntnisse große Freude bereitet .
Diese Frauen stellen gewissermaßen die Pole der weiblichen Natur dar .
Die eine zieht sich keusch in ihr Innerliches zurück und steigert sich bis zu einer krankhaften Zartheit , welche freilich die nächsten Verhältnisse zerstört , ihre Umgebungen unglücklich macht .
Die andere , mit heiteren Sinnen gegen die Welt gewendet , wird Patriotin aus Lebhaftigkeit .
Besonders anmutig erscheint mir Johanna , und es ist gar lieb und schön , wie sie das scheinbar der Frau ganz Widerstrebende in ihrer weichen Brust verarbeitet .
Amor , mit den Waffen des Mars spielend , ist ein reizendes Bild , und ähnlich dem Eindrucke , den diese Zusammenstellung erregt , ist die Empfindung , die man hat , wenn man ihre weißen , feinen , schmalen Hände ( bekanntlich die schönsten , welche Gott je in seiner besten Laune einer Frau gegeben ) mit den strengen , geschichtlichen , politischen Begriffen gebaren sieht .
Daß sie eine Zeitlang ein Opfer ihrer geistigen Weite und Freiheit werden konnte , ist ebenso tragisch , als anziehend .
Der Briefwechsel , wenn er ein wahrer ist , vertritt die Stelle des Gesprächs , und dieses besteht aus Rede und Gegenrede .
Lassen Sie mich Ihnen also erzählen , was Sie , damals von * entfernt , nicht so genau wissen können ; wie nämlich Johanna sich herstellte .
Der Krieg ist nicht so schlimm , als seine Folgen es sind .
Man könnte , wenn man Lust an auffallenden Reden hat , sagen : der Krieg mordet erst im Frieden .
Außerordentliche Kräfte ruft er hervor , und in denen , welche die Kugel des Feindes nicht trifft , regt er unendliche Erwartungen an .
Wie sollten diese auch geringer sein , da jeder ein Unendliches , das Leben , auf das Spiel zu setzen gewohnt war ?
Nun können aber jene Erwartungen auch nicht im entferntesten befriedigt werden ; der schleppende Gang der wieder eintretenden Gewöhnlichkeit hemmt die Seelen und ist doch nicht imstande , sie zu fesseln , dadurch entsteht in feurigen Geistern eine Art von Verzweiflung ohne Gegenstand , welche manchen hinrafft , ohne daß sich eine äußere Ursache entdecken läßt .
So viel ist gewiß , die eigentlichen Helden einer denkwürdigen Periode überleben sie selten lange .
Zu den Opfern des Krieges im Frieden gehörte unser alter würdiger Freund , der General .
Auf seinem Rosse , kühner Reiter , verwegener Reiterführer , war ihm das Leben in jenen unruhigen Zeiten ein tägliches Glücksspiel gewesen .
Wo sich ein Widerstand gegen den Unterdrücker auftat , hatte sein Degen geblitzt , so gingen ihm zehn Jahre in der beständigen Abwechslung der Schlachten und Belagerungen , der Nachtuend Tagemärsche hin .
Seine Locken waren sparsam geworden und erbleicht , aber seine Augen scharf geblieben , als die letzten Donner des großen Völkergewitters in Paris verhallten .
Nun kehrte er zurück , Lorbeeren auf dem Haupte , Orden auf der Brust , im Munde des Volks als einer der unermüdlichsten Streiter hoch emporgetragen .
Aber wie es zu gehen pflegt , die Menge vergißt sehr bald ihre Begeisterung und erinnert sich derselben erst wieder bei dem Leichenbegängnisse , und die Machthaber werden von großen Verdiensten , die nicht ganz in der Stille geblieben sind , immer nur belästigt .
Man lobte ihn , ließ es an leeren Auszeichnungen nicht fehlen , in den wesentlichen Dingen aber fing man binnen kurzem an , ihn zu vernachlässigen .
Er wurde so umhergestoßen , wo es eigentlich nichts zu tun gab , endlich schob man ihn sacht beiseite .
Der alte feurige Mann wurde nicht sobald dieser gesetzlichen Unbilden inne , als ihn ein tiefer Verdruß ergriff .
Zu stolz , sich zu beschweren , schlang er den Ingrimm hinunter , und zehrte dadurch nur noch mehr an seiner Seele .
Von Stufe zu Stufe im Mißmute versinkend , hatte er zuletzt weder Hoffnung , noch Aussicht vor sich , und fühlte diesen trostlosen Zustand um so herber , als ein beschäftigtes , zerstreutes Leben ihm die allgemeinen Hilfsmittel , wodurch sich sonst der geschlagene Mensch aufrichtet , nicht zugänglich gemacht hatte .
Er verzagte an sich und an dem Vaterlande , und war in dieser trüben Stimmung im Begriff , seinen Abschied zu fordern , und die reinerhaltene , tapfere Kraft als Mietling irgendwo zu vergeuden .
Damals kamen Johanna und die Herzogin nach der Hauptstadt , von Ihnen zur Heilung bedenklicher Nervenleiden dorthin gesendet .
Nur mit Widerstreben hatte Johanna Ihrem Befehle gehorcht , sie scheute sich , den Ort aufs neue zu betreten , der so manche traurige Erinnerung in ihr weckte .
Sie mied Gesellschaften , und konnte selbst von dem Anblicke ehemaliger Freunde schmerzlich berührt werden .
Die Herzogin hielt sich ebenso zurückgezogen , man sah beide Frauen nur auf einsamen Spaziergängen , doch auch dort von dem Auge der Neugier beobachtet .
Eines Tages konnte ihnen der General , der auch fern von den Menschen zu wandern liebte , einen Dienst leisten .
Er empfing den artigen Dank der Damen und versetzte , Johanna scharf ins Auge fassend , daß , wenn ihm Dank für die unbedeutende Gefälligkeit werden solle , er ihn nur darin zu finden wünsche , daß er sie nicht zum letzten Male gesehen habe .
Er sprach dies mit der Galanterie eines alten Manns , aber kurz , trocken , soldatisch .
Sie , der alle solche Töne zum Herzen dringen , antwortete ebenso entschieden , er möge nur kommen , sie werde sich nicht vor ihm verleugnen lassen .
Dem ersten Besuche folgte der zweite , diesem der dritte usw .
Aus kurzen Zusammenkünften wurden lange , aus Gesprächen allgemeinen Inhalts vertrauliche Unterredungen .
Sie kam dem feurigen Greise mit der Unbefangenheit einer Tochter entgegen , er lebte in ihr , in ihrem adligen , glänzenden Wesen ein neues Leben .
Dennoch blieb er seinem Vorsatze getreu , und entdeckte ihr in einer hingebungsvollen Stunde , daß er entschlossen sei , dem Vaterlande den Rücken zu wenden .
Als sie das Nähere von ihm erfahren , und gehört hat , wie dieser edle Charakter mit sich , seiner Jugend und seinen Erinnerungen uneins zu werden im Begriff stehe , ist sie in eine große Bestürzung verfallen , und weder Bitten , noch Tränen sind gespart worden , den verehrten Helden von seinem Vorsatze abzubringen .
Er bleibt indessen fest , und fragt bitter , was ihn denn eigentlich in diesem Staate halten solle , wo man seiner nicht mehr bedürfe ?
- " Ihre Taten , Ihre Ehre , Sie selbst " , versetzte Johanna .
" Die Taten sind getan , meine Ehre nehme ich überall mit hin , und was mich selbst betrifft , so weiß ich kaum , wenn ich die jetzigen Emporkömmlinge betrachte , ob ich der nämliche noch bin , von dem man einmal geredet hat . "
- Er geht bis zur Türe , dann wendet er sich , und sagt mit niedergeschlagenen Augen , aber festem Tone :
" Es gibt ein einziges , was mich an diesen undankbaren Boden fesseln könnte , und das wäre , wenn Sie , Johanna , sich entschließen möchten , die Tage eines alten Soldaten zu teilen .
Meine Seele würde dann eine Beruhigung finden , und die Ungerechtigkeiten zu ertragen vermögen , unter welchen sie jetzt daniedersinkt . "
- Ohne eine Antwort abzuwarten , verläßt er rasch das Zimmer .
Am anderen Morgen empfängt er einen Brief von ihr , worin sie ihm sagt , daß sie keine Leidenschaft für ihn empfinde , aber ihm herzlich ergeben sei , daß sie überhaupt vielleicht nicht mehr in dem Sinne zu lieben imstande sei , wie die Welt dieses Wort nehme , am wenigsten einen Jüngling , daß ihr ganzes Wesen vielmehr seine Erfüllung nur in einem zweiten , reichen , gehaltvollen , durchgeprüften Leben finden könne .
Wenn ihm diese Geständnisse genügten , so sei sie die Seine , sobald eine natürliche Lösung ihres früheren Verhältnisses eintrete , denn zu öffentlichen Schritten gegen Medon könne sie sich nicht verstehen .
Vor allen Dingen aber habe er zu bleiben und zu haften am Herde seiner Väter und Fürsten .
Der alte Held war überglücklich durch diese Zeilen .
Er eilte zu ihr , versicherte ihr , daß sie ihm sein Dasein zurückgegeben habe , und daß er nicht mehr an seinen Vagabunden - Einfall denke .
Sie habe über die Gestaltung der Zukunft allein zu bestimmen .
Hierauf haben beide die Entwicklung der Dinge ruhig abgewartet .
Medons Tod machte endlich Johannen frei , und nachdem die Erschütterung , welche dieses Begebnis in ihr erregen mußte , überstanden war , reichte sie dem Generale ihre Hand .
Ihre Seele wurde dadurch völlig hergestellt , ihr Schicksal gesichert .
Kein schönerer Anblick , als die beiden hohen Gestalten , die eine unter dem Schnee des Alters blühend , die andere in reifer Fülle prangend , nebeneinander zu sehen .
Die liebenswürdige Patriotin hat als Frau ihre Lebensaufgabe gelöst ; indem sie einem verdienten Feldherrn häusliches Behagen gab , erhielt sie ihn bei seiner Pflicht , und leistete dadurch dem Gemeinwesen selbst einen Dienst .
Er , sobald er nur wieder fröhlicher und mitteilender wurde , auch von neuem bemerkt , erlebte es , daß man ihn bei einigen Gelegenheiten , die dem Kriege ähnlich sahen , und wo " die hohlen Namen und die Figuranten " es nicht tun wollten , hervorsuchen mußte .
Die Scham , welche zuweilen die Menschen ergreift , wenn sie ihrer Verschuldungen sich bewußt werden , brachte es hierauf dahin , daß seine Stellung in der ehrenvollsten Weise geordnet wurde .
An seiner Gemahlin hängt er mit der eifersüchtigen Zärtlichkeit eines Liebhabers , und daß an der Seite einer schönen vielumworbenen Frau seine Empfindung etwas von der des Danville hat gibt dem Bündnisse nur noch einen Reiz mehr .
Nun aber möchte ich von Ihnen wieder allerhand wissen .
Ich müßte mich sehr täuschen , oder Sie denken über den Geistlichen und dessen Verfahren etwas anders , als die gute , fromme Herzogin .
Wie erklären Sie ihre Phantasmen , besonders das auf dem Hügel ?
Was vermochte sie , an Hermann den harten Brief zu schreiben ?
Ließen Sie sich zugleich bewegen , in die Geschichte des Herzogs und Hermanns einzugehen , auch über sich das Nötige beizubringen , so rundeten sich diese Mitteilungen allgemach aus .
Die Flut der Offenherzigkeit ist einmal hereingebrochen , das Dämmen hilft doch nichts mehr , lassen Sie sie ungehindert und ganz strömen .
10. Der Arzt an den Herausgeber X .
Der Arzt an den Herausgeber Ja freilich habe ich eine von der Verehrung unserer lieben Kränklichen verschiedene Meinung über den sauberen Heiligen und Priester , der die arme Frau beinahe in das Erbbegräbnis geliefert hätte .
Zuvörderst muß ich über ihn anführen , daß der lose Vogel keineswegs so frisch , wie ein neugeborenes Kind nach Rom gelangte , was man aus seiner Erzählung von dem hölzernen Herrgottswunder , erlebt im Kloster , man weiß selbst nicht recht , wo ? heraushören soll .
Vielmehr hatte derselbe zu seiner Zeit , wie man zu sagen pflegt , nichts verbrennen lassen , und die Ehemänner wußten von ihm zu erzählen .
Dazwischen war denn allerhand Ästhetik getrieben worden , so daß der ganze Kerl nicht viel über fünfundsiebenzig Pfund wog , als er durch die Porta del Popolo seinen Einzug hielt .
Dort über den Sieben Hügeln vollendete der Katholizismus , was die Liederlichkeit angefangen hatte , und brachte ihn einer Nervenschwindsucht nahe , vor welcher ihn ein wackerer deutscher Arzt nur mit Mühe durch die sorgfältigste Kur bewahrte .
Sein Geist aber ging unrettbar unter in leistenartigen und sozusagen klebrigen Begriffen .
Ob er ein elfenbeinernes Christusbild in einem groben hölzernen Futterale entdeckt , oder dies dem Hermann nur vorgelogen hat , um seine sogenannte Bekehrung nazarenisch aufzustutzen , weiß ich nicht ; ich würde mich aber jedenfalls schämen , von einer solchen groben Handgreiflichkeit meine Wiedergeburt zu datieren .
Mir ist alle bewußte und sich vortragende Religiosität in der Gegenwart ein Greuel , denn sie tritt , wo sie sich zeigt , aus dem Rahmen der Kirche , welcher sie angehören will .
Sie entbehrt sonach des einzigen Zusammenhangs , durch welchen sie sich als echt beglaubigen könnte .
Es gab oder es gibt wenigstens jetzt durchaus keine andere aufrichtig - fromme Menschen , als die es unwillkürlich , und ohne viel Wesen davon zu machen , sind .
Wie mich der Anblick des Siechlings , der sich denn auch , um die Sache bis zur Spitze zu treiben , die Tonsur hatte scheren lassen , anwiderte , da ich das Schloß betrat ! -
Ich erwartete gleich wenig Gutes von ihm .
Dieser unglückselige Mensch hatte sich nach und nach gewöhnt , alles in der Welt unter der Verknüpfung von Schuld und Buße anzusehen , und sich so die große , grenzenlose Mannigfaltigkeit , welche durchaus verlangt , daß man vieles mit leichtem Blicke als gleichgültig und läßlich betrachte , in einen grauen , ekelhaften Brei zusammengerührt , von dem zu dieser Stunde eine Kelle voll als Schuld , und zu der nächsten eine zweite als Buße einzunehmen sei .
Die natürlichen Folgen , die zufälligen Ereignisse waren für ihn nicht mehr vorhanden , in jedem Zahn- und Kopfschmerz sah er ein göttliches Strafgericht .
Daß ein solcher devoter Taugenichts bei Gelegenheit , wenn es eben an Sünde gebricht , auch wohl darauf ausgehen kann , selbige künstlich zu verfertigen , um wieder Stoff für die Pönitenzmühle zu liefern , haben Sie in seinem Verhalten gegen Hermann , was ziemlich nach Kuppelei schmeckt , richtig geschildert , obgleich Sie sonst den Patron viel zu milde behandeln .
Ihm fiel die arme Schwache in die Krallen , als sie sich mit ihren erträumten Gewissenslasten im stillen plagte .
Bei Durchlesung und Vergleichung der beiden Bekenntnisse habe ich gefühlt , daß eine , um mich des Ausdrucks zu bedienen , robuste Sittlichkeit diejenige ist , welche uns zu unserer und anderer Freude durch das Leben geleitet .
Auch die Tugend kann kränkeln , scheinbar in ihrer höchsten Blüte vorhanden sein , gleichwohl aber das Geschöpf von einem Irrtume in den anderen jagen .
Was ist es mehr , daß eine junge verheiratete Frau einige Augenblicke an einen jungen Mann mit größerem Interesse denkt , als an den Gemahl , und wie bald heilen Entfernung , Pflicht und Verhältnisse solche leichte Seelenwunden aus !
Sie zu einem Gegenstande ängstlicher Betrachtung machen , heißt aber , nach und nach dahin arbeiten , unter lauter Pflichterfüllungen , guten Werken und Andachtsübungen Gatten und Haus aufzugeben .
Doch trägt die Hauptschuld an der ganzen Wendung der Dinge der Neophyttische Priester .
Wäre er , wie ein unschuldiger Mann und Diener Gottes es getan hätte , tröstend und beruhigend zu der schönen Selbstquälerin getreten , so würde sie sich in seinem Zuspruch bald ausgeheilt haben .
So aber stürzte er sich auf ihr wundes Gemüt , wie der Geier auf die Beute , und es ist nicht zu beschreiben , mit welcher kasuistischen Grausamkeit er ihr Inneres zerlegt , der fiebernden Einbildungskraft Schrecknisse aus dem ganzen Gebiete der Möglichkeit vorgeführt , und sie so völlig mit sich uneins , verworren und elend gemacht hat .
Unsere Bestürzung können Sie sich denken .
Ohne daß irgend etwas vorgefallen war , floh uns , verbarg sich vor uns die geliebte Herrin , welche als belebende Sonne unseren Kreis erwärmt hatte .
Das ganze Hauswesen des Schlosses neigte sich einer Auflösung entgegen , denn die Frau bleibt ja immer und ewig die innerste Seele aller der gemütlich - traulichen Beziehungen , welche verschiedene Menschen zwischen vier Mauern zusammenhalten .
Der Jammer des Herzogs war groß .
Die Liebe zu seiner Gemahlin war vielleicht der einzige recht menschliche Punkt an ihm , da er sonst freilich wohl nur aus Aristokratie und Repräsentation bestand .
Nun behandelte ihn diese angebetete Frau mit Kälte , die zuletzt in einen unverhüllten finsteren Widerwillen ausging .
Nach und nach konnte ich mir aus einzelnen Symptomen wohl zusammensetzen , daß der junge Fremde an den Gewissensskrupeln der Herzogin schuld sein möge , und in einer unvorsichtigen Stunde , in der guten Absicht , mit dem Gemahle einen vernünftigen Heilplan festzusetzen , entdeckte ich ihm meine Vermutung , welcher ich jedoch die Beteuerung hinzufügte , daß ich fest , wie von meinem Leben , von der völligen Vorwurfslosigkeit der Büßenden überzeugt sei , und das Ganze nur für eine Folge überstrenger Begriffe halte .
Ich hatte aber diese Mitteilung zu bereuen .
Denn er , nach seiner Sinnesweise vermutlich unfähig , eine Pein um nichts zu begreifen , ließ mich durch seine schwermütigen Blicke , seine verfallenden Züge , seine gebeugte Haltung schließen , daß er mehr , daß er wahre Fehltritte argwöhnte .
Alle Versuche , die Schmarotzerpflanze von dem schönen , schlanken Stamme , an welchem sie sich festgesogen , abzureißen , wurden mit konvulsivischer Heftigkeit zurückgewiesen .
Meine Mittel nahm die Kranke , aber was konnten die helfen ?
Das beste wäre gewesen , dem geschäftigen Seelsorger eine Dosis Bilsenkraut einzugeben , wozu ich nicht selten , Gott verzeihe mir die Sünde ! bei mir die stille Anwandlung verspürte .
Denn wer mir an das Heiligste und Wunderbarste , an den menschlichen Leib , die frevelnde Hand legt , der greift als Feind in des Arztes Gebiet , den hasse ich bis in den Tod .
Da nun aber eine Vergiftung sich doch für mich nicht wohl schickte , so ersann ich ein anderes , nämlich ein Abführungsmittel .
Es war mir bekannt , daß der Oberhirt der Diözese , seine und seiner Kirche Stellung mit Klarheit überschauend , und wohl wissend , daß dem Katholizismus nur noch durch eine heitere Verständigkeit zu helfen ist , trübliche Fanatiker durchaus nicht liebte , und alle Versuche , eine gemachte Devotion und Rigorosität früherer Zeiten wieder hervorzubringen , bei jeder Gelegenheit streng zurückgewiesen hatte .
Hierauf mich verlassend , und mit raschem Entschluß meinen Polacken besteigend , war ich nach einem tollen schweißtriefenden Ritt in der Metropole .
Im Offizialate angelangt , ließ ich mich zu einem der ehrwürdigen Herrn führen , von dessen derbem naturfrischem Wesen ich viel gehört hatte .
Ich fand ihn , seltsam genug , in einer kahlen Arbeitszelle , die kurze Pfeife im Munde , hinter der Flasche und dem grünen Weinrömer , Akten lesend .
" Wundern Sie sich nicht " , rief er mir mit heiserem Lachen entgegen , indem er eine dicke Rauchwolke von sich blies , und den Römer füllte , " mich unter solchem Rüstzeuge zu finden !
Den Arbeitern im Weinberge des Herrn wird oft schwach zumute , und sie bedürfen dann leiblicher Erstarkung . "
Ich versetzte , daß gerade diese Umgebung mir Mut mache , mein Anliegen vorzutragen , weil ich ihn für einen von denen halte , welche den Herrn in Freudigkeit suchten ; eröffnete ihm darauf , ich sei Doktor und der Leibarzt der Herzogin von * .
Die Dame kranke , meine Kur könne aber nicht anschlagen , weil ein anderer , ein Seelendoktor entgegenoperiere .
Wie es nun ein Gesetz der Stereometrie sei , daß , wo ein Körper , sich kein zweiter befinden könne , so gelte ein Ähnliches auch in der Medizin , und deshalb wolle ich ihn , als Beisitzer der höchsten geistlichen Behörde , um abhilfliche Maßnahmen angehen .
Das Sokratesgesicht verzog sich wieder zu einem faunischen Lachen , er schürzte seine Nasenflügel empor und fragte ungefähr mit den Worten des Patriarchen im " Nathan " ( obgleich diesem im Gemüte ganz unähnlich ) :
" Ist solches ein Problema , oder ein wirklicher Kasus ? "
Ich erzählte ihm darauf , was ich wußte , und wie ich nun aus dem Memoire ersehe , die Sache bis auf Nebenumstände ziemlich richtig und vollständig .
Der alte rechtschaffene Mann , dessen treuer Wandel nach den Geboten Gottes und nach dem Beispiele der Heiligen allgemein bekannt war , ließ mich kaum zu Ende reden , warf seine kurze Pfeife auf den Boden , daß der Kopf zerbrach , und rief in Selbstvergessenheit :
" Den soll ja der Teufel holen ! "
Darauf sich kreuzigend und den verpönten Fluch mit üblichem Spruche bereuend , fügte er hinzu :
" Zu solcher Sünde hat mich der Zorneifer fortgerissen .
Doch nur Geduld , es ist gerade eine Stelle in der wilden Eifel offen , wo er unter den Haferbauern seine Künste versuchen mag .
Ihr Herzog hat ihn zwar zu seinem Hauskaplane gemacht , da er aber zugleich die Pfarrei des Orts versieht , so ist er unserer Gewalt unterworfen .
Er soll in Bälde versetzt werden . "
Nach einigen Gesprächen wurde ich mit dem derben Alten ganz vertraut .
" Diese neumodischen , aufgespreizten Überläufer geben uns viel zu tun " , sagte er .
" Sie wollen uns Alten vorbeirennen , es immer besser machen , als gut , damit nur ja niemand an der Aufrichtigkeit ihrer Gesinnung zweifle , und bringen solchergestalt manche Unruhe zuwege .
Sie laufen umher , stänkern , rühren den Dreck , mengen allerhand Subtilitäten in das Dogma , verfälschen dadurch selbiges , und verführen eine Quälerei und Deutelei , davon unsere Kirche gar nichts weiß , noch wissen will .
Wir müssen jetzt dahin streben .
Geistliche zu bekommen , die alert , aufgeweckt , sich helfen können , und nicht , wie leider Gottes bis jetzt der Fall war , als Dummerjane neben den protestantischen Predigern stehen . "
Ich konnte mein Erstaunen über diese Freimütigkeit nicht bergen und er fuhr fort : " Das ist auch so ein alter abgenutzter geistlicher Kniff , über alles hinter dem Berge zu halten , was vor jedermanns Augen offen daliegt .
Ich für meine Person habe ihn in den Winkel geworfen , weil ich fest an den ewigen Bestand meiner Kirche glaube , ohne diese Gaukeleien . "
Schon nach acht Tagen kam der Versetzungsbefehl aus dem Offizialate , der zwar große Bestürzung erregte , dem aber nach dem Grundsatze der Obedienz nicht widerstrebt werden mochte .
Die Herzogin konnte dem Gewissensschärfer doch nicht auf sein Dörflein folgen , er mußte sich also damit begnügen , eine ausgearbeitete Heilsordnung zu hinterlassen , und wir sahen dem abziehenden Sykophanten mit stillem Jubel nach .
Bei diesem Siege hätte ich mich beruhigen , ich hätte der Kraft der Zeit vertrauen und erwarten sollen , daß , wenn auch unsere Freundin nach der Entfernung des Priesters fortfuhr , zu beten und sich zu kasteien , diese Exaltation ohne einen immer gegenwärtigen Schürer und Anblaser allgemach erlöschen würde , zumal da der Nachfolger des Geistlichen ein durchaus mäßiger heiter denkender Mann war .
Allein auch mich riß die Ungeduld , die uns allen jetzt so eigen ist , fort .
Ich wollte das Übel mit Stumpf und Stiel ausrotten , und muß mich nun leider selbst eines recht törichten Streichs anklagen .
Wie man Sturzbäder anwendet , um durch Erschütterung des ganzen Organismus eine Hauptkrisis zu bewirken , so wollte ich in diesem Falle von einem moralischen Sturzbade Gebrauch machen , durch welches ich zugleich das Luftbild , welches die Phantasie meiner Herrin quälte , auszulöschen , und der entnervenden Irrwirkung des Priesters entgegenzutreten hoffte .
Ich ließ also - um kurz zu sein , denn warum soll ich etwas Schlimmes weitläufig hin und her wenden ? - die Herzogin durch dritte glaubwürdige Hand wissen , daß der junge Mann , den wir auf dem Schlosse beherbergt , eigentlich ein ziemlich lockerer Gesell gewesen sei , der ein verkleidetes Mädchen , mit welchem er schon eine Zeitlang gelebt , hier unter uns bei sich gehabt habe .
So weit kann man , in Mißstimmungen und Willkürlichkeiten verloren , von der geraden Bahn abkommen .
Der Erfolg meiner Torheit war keineswegs der beabsichtigte , sondern ein sehr trauriger .
Ich wurde zur Herzogin berufen , welche , ausgestreckt auf dem Sofa , im furchtbarsten Krampfe lag .
Nachdem die verzweifeltsten Mittel diesen gebrochen , entwickelten sich intermittierende Zufälle , welche monatelang anhielten , und das zarte Gebilde zu vernichten drohten .
Mein Zustand war schrecklich .
Ich rannte wie rasend durch Felder und Wälder , verweinte meine Nächte , verfluchte mich und meinen Unsinn .
Die Schlaflosigkeiten , woran ich noch jetzt periodenweise leide , sind Nachwehen jener trauervollen Zeit .
In einem freien Zwischenraume schrieb die Herzogin den Brief an Hermann und sandte ihm die Brieftasche zurück .
Über das Phantasma auf dem Hügel habe ich selbst meine eigenen Gedanken gehabt .
Soviel ist gewiß , es war der Hügel und die Stelle auf demselben , wo der Pfaff sich bestrebt hatte , in Hermann den Gedanken an einen Übertritt zur katholischen Kirche mit listigen Entzückungen zu erregen , und wo nachmals der Mordanfall auf den Oheim geschehen war .
Empfängt die Erde einen Eindruck vom Frevel , daß der Ort , wo ein solcher geschah , vergiftet wird , und in einem dazu disponierten Gemüte Gedanken , die vom Rechten abirren , hervorzurufen vermag ?
Seelisches und Körperliches stehen im engsten ununterscheidbarsten Zusammenhänge , Körper und Außenwelt wirken auf die Seele , trübe Luft , Steinkohlendämpfe erzeugen Niedergeschlagenheit und Mißmut , Sonnenschein , Gebirgsatmosphäre , Heiterkeit und Energie des Geistes .
Ist es nun so ungereimt , anzunehmen , daß jene Wirkung , wie jede vollkommene , eine Wechselwirkung sei , daß auch die Seele ihrerseits , als höchst durchdringendes Fluidum , auf die Außenwelt Einfluß übe , und in ihren stärksten Äußerungen den Boden , diesen analog , zu imprägnieren vermöge ?
Ja , wenn man konsequent denken , nicht bei Halbheiten stehenbleiben will , so kann man eigentlich nichts anderes annehmen .
Freilich dürfte man jetzt nur erst als Hypothese hinwerfen , daß der gute Mensch die Luft und den Boden gesund mache , der böse und die böse Tat dagegen die Stelle verpeste , so daß den Tugendhaften dort ein Schauder , den Schwachen ein Gelüst zum Unerlaubten anwandle .
Noch klingt dies barock und aberwitzig , nach hundert Jahren gehört es vielleicht zu den trivial gewordenen Sätzen .
Sie haben schon im zweiten Buche des Volksglaubens erwähnt , welcher diese Dinge für wahr hält .
Er spricht überall etwas Ähnliches aus .
Wo ein Mord geschah , hat niemand sich gern angesiedelt , ist leicht wieder etwas Übles vorgefallen .
Hebel singt vom dem Platze , wo der Michel , der vom bösen Jäger den Karfunkel empfing , sich den Hals abschnitt : es isch e Plätzli Neumen , es Gott nicht Ege no Pflug druf , Hurst an Hurst scho hundert Jahr und giftige Chrüter , es singt kei Trostle drin , kei Summervögeli bsuecht sie , breite Dusche hüte dort e zeichnete Chörper .
Der Volksglaube ist aber für die Erkenntnis der natürlichen Dinge eine sehr wichtige Quelle , denn er ist das Unisono derjenigen Menschen , welche Augen und Ohren für sie haben , und nicht mit Reflexionen ihnen beikommen wollen .
Es tut mir leid , daß ich bei einem Manne , der außer den fünf Sinnen noch einen sechsten hatte , den alten Heim meine ich , unterlassen habe , nachzufragen , ob er in den Zimmern der verschiedenen Menschen , welche er behandelte , nicht schon durch den Geruch ihre Individualitäten und Charaktere gewittert hat ?
In den Tagen , da die Herzogin noch immer heftig , wenngleich mit der Aussicht der Herstellung , an ihren Krämpfen litt , kam Johanna auf das Schloß .
Sie hatte , da sie von dem Siechtum der Schwägerin vernommen , es sich als eine besondere Gunst erbeten , ihr zur Pflege dienen zu dürfen , und deshalb das einsame , ihr vorläufig zur Wohnung angewiesene Landhaus verlassen .
Die Herzogin nahm das Anerbieten an , vielleicht mit von der religiösen Vorstellung bestimmt , daß es eine gottgefällige Schickung sei , so wider Willen und Gemüt eine ihr eigentlich unangenehme Frau täglich um sich zu sehen .
Indessen wurde aus dieser künstlichen Empfindung bald eine wahre .
Johanna , durch das Unglück um vieles sanfter geworden , schien wirklich zu fühlen , daß es nicht heilsam gewesen sei , sich so eigene Wege gesucht zu haben ; auch sie büßte , aber auf ihre Weise , stolz und herrlich auch in der Demut .
Ihr Benehmen gegen die kranke Schwägerin war musterhaft , nichts Feineres , Edleres , Leiseres konnte man sehen .
Diese dagegen wurde hier zum ersten Male wieder von etwas schönem Menschlichen berührt , und unbewußt mag sie empfunden haben , daß die Segnungen des Gemüts doch tiefer und gründlicher heilen , als die Rezepte eines Priesters .
Aus der Pflicht , Johannen bei sich zu haben , wurde nach und nach eine Freude , und da sie erfuhr , jene sei wirklich verheiratet gewesen , so fiel die letzte Scheidewand zwischen den beiden Frauen nieder .
Ich aber sah , daß innerlich gute Menschen sich von dem Boden des Hauses und der Familie nie für immer entfernen , sondern nach den schwersten Irrungen auf demselben wieder zusammentreffen .
Leider hatte ich an Johannen bald eine zweite Kranke .
Kräftige Naturen täuschen sich über sich selbst ; die ersten Zeiten nach einem großen Schlage können selbst den Schein erhöhter Gesundheit tragen , aber die Wirkungen bleiben dennoch nicht aus .
Sobald das Übel der Herzogin gelinder wurde und die Tätigkeit der Pflegerin nicht mehr unausgesetzt in Anspruch nahm , sank diese zusammen , ihre Gestalt verfiel , nur ihre Augen bekamen ein noch durchsichtigeres Feuer , was mich aber freilich um so ängstlicher machte .
Ein tiefer Harm zehrte an ihr , daß sie um ihre Jugendblüte , um die Krone und das Herz ihrer heiligsten Empfindungen nichtswürdig hatte betrogen werden können .
Die folgenden Geschichten will ich Ihnen ohne Vorrede und Kommentar übersenden .
11. Geschichte des Herzogs XI. Geschichte des Herzogs Der deutsche Adel war , seitdem die mittleren Stände einen Drang verspürten , sich durch Geist und Tüchtigkeit hervorzutun , in eine gefährliche Stellung geraten .
Der Entwicklung männlicher Energie sind Hindernisse förderlich ; das Verdienst kann nur auf rauhen Bahnen sich seine Pfade suchen .
In dieser Hinsicht steht nun der Bürger , wenn er nur einigermaßen erträgliche Verhältnisse für sich hat , bevorzugt da , während es in den höchsten Ständen schon einer außerordentlichen Kraft bedarf , um nicht in dem schwächenden Elemente gar zu leichter und geebneter Tage unterzugehen .
Der deutsche Adel empfand weit mehr , als daß er sich dessen bewußt geworden wäre , die Schwierigkeit seiner Lage , geraume Zeit vor der Revolution , welche zuletzt die tiefe Verderbnis aller gesellschaftlichen Einrichtungen an den Tag legte .
Es entstand daher in denjenigen seiner Glieder , welche nicht fähig waren , durch Talent und hervorstechende Begabung die verhängnisvolle Last einer privilegierten Geburt gründlich auszugleichen , ein Streben , durch allerhand Scheinmittel die gefährdete Existenz für sich und die Nachkommen zu retten .
Hier boten sich nun zunächst die von den Ahnen ererbten Besitztümer nach einer Seite , und die Illusionen eines vornehm gleißenden Lebens nach der anderen dar .
So fest , wie in diesem Stande , hatte sich nirgendwo der Begriff unveräußerlichen Eigentums ausgebildet , gleich eisernen Klammern hielten es fideikommissarische Bestimmungen , Familienstatut , Lebensnexus umwunden ; die Scholle um jeden Preis zu erhalten , wo möglich zu mehren , war also das Dichten und Trachten vieler Edelleute , was nun freilich in seinem Gefolge Geiz , Habsucht , selbst Unredlichkeit haben konnte .
Die Leichteren und Lebhafteren gingen dagegen einen entgegengesetzten Weg .
Sie wußten oder fühlten , daß der Bürger ihnen noch lange nicht zu den Spieltischen der Fürsten , in das Boudoir hochgeborener Schönheiten , in alle Konvenienzen eines dem Vergnügen und dem persönlichen Selbstgenusse gewidmeten Lebens werde folgen können , daß auch solche flitternde , schimmernde Bestandteile ihnen ein eigentümliches , und wie es ihnen schien , den Plebejern unantastbares Dasein zu erschaffen vermöchten .
Sie schritten daher von ihren Gütern zu den Hoflagern , Bädern , Sammelpunkten der eleganten Welt , schwebten wie beflügelte Götter oder Halbgötter durch die Reihen der niederen Menschen , traten auch wohl auf deren Köpfe .
Beide irrten , denn weder kann der Schein ein Leben erbauen , noch soll derjenige sparen und geizen , der ohne sein Zutun schon mehr überkommen hat , als andere .
Oft wechselten jene krankhaften Richtungen in den Geschlechtsfolgen ab ; nach dem harten , ängstlichen Vater kam wohl der weiche , alles durchkostende Sohn .
Gegenwärtig hat der Adel eigentlich gar kein Prinzip .
Die Standesvorrechte in Maße wirklich noch einmal aufbieten zu wollen , ist eine Hoffnung , die kaum dem Kühnsten schmeicheln möchte , das Eigentum geht von Hand zu Hand ; die Flatterien des hohen Tons sind aber meistens auch verwischt .
In manchen Edelleuten , deren Sinne diese Prosa nicht genügen will , hat sich daher ein mythisch - poetisches Gefühl abgelagert , welches , über die nächste Vergangenheit zurückgreifend , entlegene Zeiten mit ihrer Treue , Frömmigkeit , mit ihrem Rittermute wiedergebären möchte , der Seele eine gewisse Erhebung gibt , freilich aber ohne allen Gegenstand ist .
In der Familie des Herzogs hatten sich während eines Zeitraums von fünfzig Jahren alle drei Stimmungen und Gesinnungen erzeugt .
Der Großvater war ein Mann gewesen , welcher im Notfall auf Feldern und Wiesen selbst mit Hand anlegte , wenn es eben fehlte ; er trug das gröbste Tuch , und saß am liebsten mit Verwaltern und Bauern in Wirtschaftsgesprächen zusammen .
Die Grundstücke zu verbessern , durch Ankäufe abzurunden , und außer dem Liegenden noch ein beträchtliches Geldkapital zu hinterlassen , dies waren seine einzigen Lebenszwecke .
Um sie zu erreichen , speiste er von Zinn , und versagte sich jeden Genuß .
Noch zeigte man im Schlosse den Hut , den er dreißig Jahre lang getragen hatte .
Er war zwar nicht , wie der in der Fabel , siebenmal verändert worden , aber durch Stutzen und Beschneiden von der ansehnlichen Größe eines dreieckigen bis zu der winzigen Gestalt einer sogenannten Lampe zusammengeschrumpft .
Der Sohn vereinigte nun das gerade Gegenteil aller dieser Eigenschaften in sich .
Prachtliebend , empfindsam , phantasievoll , gereichte er seinem Vater , sobald diese Seiten sich zu entwickeln begannen , auch nicht einen Augenblick zur Freude .
Gern hätte er ihn enterbt , wenn er nur gedurft , allein er mußte ihn sogar seines eigenen Weges gehen lassen , da Graf Heinrich mit der erlangten Mündigkeit Herr eines ansehnlichen mütterlichen Erbteils wurde .
Er vermählte sich früh mit einem reizenden Fräulein , welcher aber der Gatte wenig zustatten kam , denn dieser reiste auch nach seiner Heirat viel allein , und hielt sich durch die Bande der Ehe in seinen Freuden nicht gehemmt .
Zärtliche , an Schwärmerei grenzende Freundschaften schmückten sein Leben , bei den Weibern hatte er ein fabelhaftes Glück , eine zahlreiche Nachkommenschaft war die Frucht so mannigfacher Begegnungen .
Um diese kümmerte er sich nicht .
Was ihn bewogen , Johannen nach dem Tode seiner Gemahlin ausnahmsweise auf das Schloß bringen zu lassen , und sie halb und halb anzuerkennen , hat man nie erfahren .
In dem Ernste des Enkels glaubte der Großvater eine Spur seines Charakters zu entdecken , und tröstete sich daran über den Leichtsinn des Sohns .
Er hatte ihn beständig um sich , und man vermutete , daß er ihn besonders bedacht haben würde , wäre er nicht vom Tode überrascht worden .
Wie dieser Enkel sich ausgebildet , erzählen Ihre Bücher .
Das aber konnten sie nicht erzählen , und würden sie auch nie erzählen können , wie er ein Opfer der Schuld seiner Altvordern wurde .
Nur ich weiß es .
Ich habe keine Verpflichtung , ein Geheimnis daraus zu machen , und die Frauen , um Deernwillen ich vielleicht schweigen müßte , werden , wenn ich mich irgendein wenig auf die weibliche Natur verstehe , keinen Blick in die gedruckten Memoiren werfen , nachdem sie schreibend dazu beigesteuert haben .
Was aber über alles : Ich glaube , daß ich von Ihrer Leidenschaft für die Wahrheit durch Sie etwas angesteckt worden bin .
In den Tagen , wo ich zwischen zwei Krankenbetten , dem der Herzogin und Johannas meine Sorgen zu teilen hatte , nahm der Prozeß über die Standesherrschaft eine besonders lebhafte Wendung .
Es sollte zur Vorlegung des Adelsbriefs geschritten werden , und ich saß im Archiv , davon eine Kopie für den Herzog zu fertigen , welche er zurückbehalten wollte .
Nach Wilhelmis Abgang und bei noch fortdauerndem Mangel eines tüchtigen Stellvertreters verrichtete ich manche Geschäfte , die ein Nichtjurist allenfalls besorgen konnte .
Da hörte ich einen lebhaften Wortwechsel in einem Seitenkabinette , und sah nach einigen Sekunden den Herzog mit dem Amtmann vom Falkenstein heraustreten .
Letzterer sah sehr erhitzt aus , und rief :
" So wollen mich der gnädige Herr wirklich fortjagen ? "
" Bedienen Sie sich anständigerer Ausdrücke , solange Sie noch in meinen Diensten sind " , versetzte der Herzog , welcher seine Fassung ziemlich beibehielt .
" Übrigens sehen Sie selbst wohl ein , daß in einer wohlgeordneten Wirtschaft der Herr zu befehlen und der Untergeordnete zu gehorchen hat , und daß , wo sich die Sache umdrehen will , man schleunig Einhalt tun muß . "
Der Amtmann warf einen höhnischen Blick auf meine Arbeit , murmelte :
" Ich werde dazu gezwungen " - und verließ das Gewölbe .
Ich fragte den Herzog , was vorgefallen sei , und erfuhr , daß er den Trotz und die Willkür dieses bösen Alten nicht länger dulden könne .
Er scheine es darauf anzulegen , die Autorität der Herrschaft zu untergraben , und habe neuerdings in der Administration des Falkensteins Anordnungen getroffen , die im geraden Widerspruche mit den Verfügungen des Herzogs ständen .
Darüber zur Rede gestellt , sei nicht einmal eine Entschuldigung erfolgt , vielmehr das freche Erwidern , daß es so besser sei , worauf der Herzog ihm den Dienst gekündigt habe .
Auch mir war das gemeine Wesen dieses Menschen , welches sich in der letzteren Zeit , und besonders , seitdem der Rechtsstreit über die Herrschaft anhängig war , immer mehr gesteigert hatte , sehr auffallend gewesen .
Er tadelte laut seine Gebieter , hielt sich über sie auf , klatschte und verklatschte , benahm sich überhaupt so , als könne er hier schalten und walten , wie er wolle .
" Das ist die Frucht davon , wenn die Leute zu sehr sich einnisten " , sagte der Herzog .
- " Dieser Reinhard war schon bei meinem Großvater , und dessen rechte Hand .
Nun muß ich zu einem Schritte gegen ihn übergehen , der mir leid tut , aber nicht abzuwenden ist .
Der alte Erich wurde in seiner Heftigkeit beinahe zum Mörder und irrt vielleicht unter Räubern umher , und was soll der Amtmann beginnen , wenn ich ihn , wie ich muß , forttreibe ?
Man wechsle auch mit den Menschen , wie mit den Kleidern , es wird viele Unbequemlichkeit dadurch erspart . "
Er sah das Diplom an und fuhr mit einem trüben Lächeln fort :
" Auf welchem schwachen Grunde die Pfeiler unseres Daseins stehen !
Dieses schlechte und dünne Pergament wäre denn nun die letzte Bürgschaft eines erträglichen Lebens , nachdem so manches sich in meiner Häuslichkeit verändert hat , und dieses Schloß zum Siechenhofe geworden ist . "
Einige Wochen vergingen , und des Vorfalls , der uns unbedeutend schien , wurde nicht weiter gedacht .
Mein Schreck war groß , als eines Abends spät der Herzog auf mein Zimmer geeilt kam , blaß , mit verwandeltem Antlitz , bebenden Gliedern .
Sprachlos reichte er mir einen geöffneten Brief hin , und sank , sich in seinen Mantel hüllend , auf einen Sessel .
Der Brief war von Hermanns Oheim und enthielt eine Nachricht , die allerdings den Festesten erschüttern konnte .
Der Gegner schrieb , der Amtmann sei bei ihm gewesen , und habe ihm in Betreff der Adelsurkunde , von welcher das Schicksal der zwischen ihnen schwebenden Sache abhange , eine unerwartete Nachricht gegeben .
Jene Urkunde sei nämlich verfälscht und vom Amtmann selbst auf unablässiges Bitten , Dringen und Befehlen des Großvaters , welcher sich den Prätendenten der jüngeren Linie gegenüber in großer Verlegenheit gefühlt , unter genauer Beobachtung der Kurialien und mit treuer Nachmalung der Kanzleischrift angefertigt worden .
Künstlich vergilbte Tinte sei von einem Chemiker leicht zu beschaffen gewesen , auch habe es nicht schwergehalten , dem Pergamente selbst die Farbe des Alters zu leihen .
Man habe einen geschickten Stempelschneider für eine große Summe gewonnen , das kaiserliche Insiegel vorhandenen Mustern in Metall nachzustechen .
Zu solchem Frevel habe der Amtmann sich nur erst dann verstehen wollen , als ihm vom Großvater ein eigenhändiges untersiegeltes Bekenntnis über den ganzen Einhergang ausgestellt und überliefert worden sei .
Mit diesem Reverse sei ihm das Schicksal des Hauses in die Hände gegeben worden , und er habe in der Stunde , da er dem Herrn zuliebe so schwer sein Gewissen belastet , geschworen , dies nicht umsonst tun , vielmehr , wenn man ihm einmal nur im entferntesten Sinne schnöde begegne , alsobald das Amt der Rache ausüben zu wollen .
Der Oheim schrieb , daß der Amtmann alle diese Entdeckungen ihm in einem äußerst gereizten Zustande getan habe , und daß von ihm keine Rücksicht auf diese Aussage eines entlaufenen Dieners genommen worden wäre , wenn nicht der ihm gleichfalls überreichte Revers des Großvaters den schlagenden Beweis der Wahrheit geliefert hätte .
Dieser Revers lag in beglaubigter Abschrift bei , und enthielt leider die Bestätigung des schmachvollen Ereignisses .
Wer hätte dies ahnen können ?
Ich starrte den Herzog an , er mich , wir fanden beide keinen Rat in uns .
Der Oheim hatte seinem Schreiben die Bemerkung hinzugefügt , daß er aus Schonung diese Mitteilung zuvor privatim gemacht habe , und vor Gericht dieselbe nur dann benutzen werde , wenn der Herzog auch jetzt einen gütlichen Ausweg in der Sache verschmähe .
Der Herzog lag stumm und wie ein Toter im Sessel .
Da mich sein Schweigen ängstigte , fragte ich ihn , was er auf die letzte Andeutung beschließen wolle ?
Er erwiderte mit tonloser Stimme :
" Nichts !
Wir sind verloren und haben keine Beschlüsse mehr zu fassen .
Nur für die Herzogin muß gesorgt werden , das ist das einzige , was noch geschehen kann . "
Da ich ihn in den folgenden Tagen ganz zerschmettert und fassungslos sah , ( von der Echtheit des Reverses hatten wir uns inzwischen durch die Vorlegung des Originals notgedrungen überzeugen müssen ) suchte ich ihn mit allerhand Trostgründen aufzurichten , und stellte ihm vor , daß , wenn auch aus den zutage gekommenen Umständen der nicht adlige Stand der Ahnin beinahe zur Gewißheit erhelle , doch es noch immer sehr zweifelhaft bleibe , ob der Richter die Rechtsbeständigkeit des Übertrags reiner Familienanrechte auf einen Fremden , Bürgerlichen aussprechen werde .
Er versetzte , daß mein Zuspruch den Punkt nicht treffe .
Scheinbar habe das Schicksal die Lösung des Knotens vorbereitet , um unter der Hülle dieser Anstalten einen viel festeren und härteren zu schürzen .
Ich merkte , daß die Gefahr , seine Besitzungen einzubüßen , ihn weniger drücke , als ein anderes , nagendes Gefühl .
Er war im innersten Mittelpunkte seiner Empfindungen geknickt , zerbrochen .
Das Falsum des Vorfahren hatte den Begriff , den er von sich hatte , vernichtet .
Die reine Abstammung , auf welche er , wie das Hermelin auf die unbefleckte Weiße seines Pelzes , gehalten , war besudelt durch den Fehltritt , wozu die Angst zu verlieren , einen geizigen Alten fortgerissen hatte .
Seine Tage schienen ihm an ihrer Quelle vergiftet zu sein , und seine Vorstellungen nahmen die krankhafte Verderbnis an , zu welcher es in der körperlichen Sphäre ein Gegenbild in dem scheußlichen Übel gibt , welches ich nicht nennen mag .
Ich versuchte , den irregehenden Gedanken die natürlichen Wege zu eröffnen , und sagte , daß ja ein jeder der Sohn seiner Taten sei , nur sein Bündel zu tragen , nur seine Schuld zu verantworten habe .
Allein diese geistige Krankheitsform , welche man Aristokratismus nennt , nimmt solche Mittel nicht an , man kann sie nur aus sich selbst durch Illusionen heilen , welche mir nicht zur Hand waren .
Nach und nach rang sich der Herzog zu einer kalten Fassung empor .
Er verlangte von mir die Entfernung der Frauen , wenn deren Umstände diese tunlich machten , da er allein zu sein wünsche , und die geschäftlichen Anordnungen , welche nun bevorständen , auch nur in der Einsamkeit treffen könne .
Sein Wunsch stimmte mit meinen Ansichten überein .
Welche üble Wirkung mußte die Verwicklung der Hausgeschicke auf die langsam genesende Herzogin machen , wenn sie davon , wie doch bei ihrer Anwesenheit kaum zu vermeiden war , Kunde bekam !
Ich brauchte daher den Vorwand , daß zu ihrer völligen Herstellung nichts kräftiger wirken werde , als eine magnetische Behandlung , und sandte beide Damen , diese scheinbar einzuleiten , nach der Hauptstadt .
Mancher Widerstand war zu besiegen gewesen , insbesondere bei Johanna , welche ich zuletzt nur dadurch zur Abreise bestimmte , daß sie einsehen mußte , wie die Schwägerin ohne sie in der großen Stadt ganz verlassen sein werde .
Mein Ernst war es nicht mit dem Magnetismus , gegen welchen ich vielmehr von jeher gewesen bin , da er den Organismus nur noch tiefer zerrüttet .
Ich empfahl die beiden Leidenden in die Obhut eines dortigen Freundes , auf welchen ich mich , wie auf mein zweites ärztliches Ich verlassen konnte .
Diesem band ich ein , daß er meine Heilmethode , als Vorbereitung zu jener mystischen , verfolgen , und so ohne Streichen und Manipulieren den Zweck zu erreichen sich bestreben solle .
Nun waren wir Männer allein , verkümmert , auf dem Schlosse , welches sonst von freundlicher Geselligkeit eine so angenehme Belebung empfangen hatte .
Der Herzog schien ruhig zu sein , er erklärte verschiedentlich , daß ich recht gehabt , daß jeder nur für sich und seine Handlungen einzustehen verpflichtet sei , daß die Vergehungen dritter Personen in den Augen der Vernünftigen unserer Ehre nicht schaden könnten , und was dergleichen mehr war .
Allein mir wurde nicht wohl bei diesem Gleichmute , der offenbar sich als erkünstelt zeigte .
Der Kaufmann hatte seine Anträge gemacht , welche dahin gingen , daß der Herzog die Güter auf den Todesfall abtreten , bei seinen Lebzeiten aber den Nießbrauch behalten solle .
Letzteres und ein bedeutendes Wittum für die Herzogin sollten den Kaufpreis bilden .
Unter diesen Bedingungen war die Zurücknahme der Klage , die Ausantwortung des Reverses und die Geheimhaltung der ganzen Sache andererseits versprochen worden .
Der Herzog hatte sich nicht einen Augenblick bedacht , den entscheidenden Federzug unter die ihm vorgelegte Abtretungsurkunde , welche die gedachten Punkte enthielt , zu setzen .
Als ich ihm über diesen eiligen Schritt Vorstellungen machte , sagte er :
" Wollten Sie , daß der Krämer den Namen derer von * an den Pranger schlage ?
Wäre ich nicht gebrandmarkt ?
Besteht die Welt aus Vernünftigen ?
Zudem , ich habe keine Leibeserben , und so möge denn unser altes Geschlecht in diesen gepriesenen jüngsten Tagen erlöschen . "
Ich sah ihn ernst und nachdenklich , oft in später Nachtstunde , durch die Gänge des Schlosses wandern .
Er stand vor den Türen , den Geräten , den Wappenschildern still , und musterte sie mit zerstörten Blicken .
Am längsten pflegte er im Ahnensaale zu verweilen , wo er manches an den Familienbildern ausbessern , die durch Staub und Alter verdunkelten reinigen ließ .
Das Bild des Großvaters wurde herabgenommen und beiseite geschafft , das seinige an die leer gewordene Stelle befördert .
Wo es nur irgend geschehen konnte , brachte er das Gespräch auf den Selbstmord , gegen den er sich mit der größten Lebhaftigkeit erklärte .
Alles , was über diesen Gegenstand Verwerfendes von jeher gesagt worden ist , trug er in den mannigfaltigsten Wendungen vor , und hob bei diesen Gelegenheiten besonders das Unanständige eines solchen Lebensabschlusses heraus , welcher in den meisten Fällen eine Menge von verletzenden Nachforschungen und das widerwärtigste Getümmel errege .
Er sprach leider zu oft davon , als daß ich nicht die Absicht hätte durchschimmern sehen , und nicht um so besorgter werden sollen .
Das Leben mußte ihm , wie er nun einmal war , unter den jetzigen Umständen eine Last sein , das erkannte ich wohl .
Dennoch sträubt sich unser modernes Gefühl hartnäckig gegen den Entschluß , sie freiwillig abzulegen .
In meinen trüben Ahnungen wurde ich nur noch mehr befestigt , als ich eines Tages bei einem Gange durch die Bibliothek ein toxikologisches Werk aufgeschlagen fand .
Der Leser hatte gerade bei der Seite innegehalten , welche von jenem mit grauenvoller Raschheit spurlos wirkenden Gifte , von der Blausäure , handelte .
Da der Herzog nun fast gleichzeitig über plötzliche Anwandlungen von Schwindel zu klagen begann , und seine Ahnung aussprach , daß er vielleicht einmal plötzlich am Schlagfluß sterben werde , ( zu dem seine Konstitution sich durchaus nicht hinneigte ) ; so wußte ich , daß er zu enden entschlossen sei , wie er gelebt hatte , nämlich ohne Verstoß gegen die äußere Sitte , in der Weise , die ihm für einen vornehmen Mann die schickliche bedünkte .
Mich erschreckte , mich bekümmerte diese finstere Absicht , und dennoch war bei seinem Charakter keine Hoffnung vorhanden , sie zu wenden .
12. Auch eine Bekehrungsgeschichte XII .
Auch eine Bekehrungsgeschichte Mich machten alle diese Vorfälle , Mißgeschicke , Krankheiten sehr unglücklich .
Das Feuer einer verbotenen Leidenschaft hatte mich unter Menschen getrieben , die sich nun allgemach von mir und voneinander ablösten .
Alles Behagen um mich her war dahin .
Meine Zeit schien in dieser Einöde ohne Frucht vergangen zu sein und die Beziehungen des Lebens kamen mir wie kurze Fäden vor , die man mit Mühe von einem verworrenen Knäuel abwickelt .
Meinen Kranken widmete ich zwar eine pflichtgemäße Sorgfalt , aber ohne Freude am Berufe zu haben .
Das eigentliche Leiden der Welt schien mir dem Arzte so unerreichbar zu sein , daß seine ganze Beschäftigung mir kleinlich und nutzlos vorkam .
Wie sich das Leben vor meinen Augen zersetzte , so bröckelte mir auch die Wissenschaft auseinander und wurde ein lockeres Aggregat problematischer Einzelheiten , welchen der eigentliche Mittelpunkt fehlte .
Auch mich warfen die Anstrengungen und Gemütsbewegungen , verbunden mit einer starken Erkältung , die ich mir bei einem nächtlichen Ritt zuzog , auf das Lager .
Ein starkes Fieber hielt mich drei Wochen lang zwischen glühenden Phantasien gefangen , und möchte leicht einen gefährlichen , nervösen Charakter angenommen haben , wären meine Eingeweide nicht frei von jeder Indigestion gewesen .
Als ich erstand , war ich wie neugeboren , ich hatte das Gefühl eines Kindes , dem jeder Gegenstand tausend frische unabgenutzte Seiten zeigt , in den unbedeutendsten Dingen erkannte ich ein Glück , der Gruß eines Bekannten , seine Frage , wie es mir gehe ? konnte mir auf einen ganzen Tag Freude machen .
So lebte ich einige Wochen für mich hin , mit Eifer meine Berufsgeschäfte treibend , und mich um die Wirrsale der Welt wenig kümmernd .
Da wurde mir eines Tages , es war gerade um zwölf Uhr mittags , die wunderbarste innere Erfahrung .
Sie kam ungesucht , unvorbereitet , wohl recht , wie das Höchste erscheinen muß .
Ich will mich nicht besser machen , als ich bin , will gestehen , daß auch nachmals mein Inneres voll Schlacken geblieben ist , aber ich kann , wie Cromwell , von mir behaupten , daß ich einmal im Stande der Gnade gewesen bin , und deshalb nicht verlorengehn werde .
Ich wanderte für mich eine gerade , keineswegs zur Erhebung stimmende Landstraße hin , ruhig , ohne Bewegung des Gemüts , nur an eine ganz gewöhnliche Tagesobliegenheit denkend .
Da , auf einmal , fühlte ich in mir die Existenz Gottes , und seine unmittelbarste Gegenwart in mir , so daß ich nun ganz bestimmt wußte :
Er ist .
Und zwar nicht als Begriff , Idee , sondern sein Dasein ist ein reelles .
Der Sitz dieser Empfindung war der ganze Mensch zwar , jedoch hauptsächlich und vorzugsweise das Herz , in welchem sich dieselbe wie ein sanftes Wirbeln gestaltete , welches das Herz zugleich in den Mittelpunkt des Weltalls rückte , und es auf einen Zug begreifen lehrte , in welchen Gesetzen der Unschuld , Schönheit und Güte dieses ungeheure Ganze erbaut worden sei .
Damals wußte ich auch sofort , daß wir nie Gott anschauen werden , daß vielmehr die Seligkeit darin bestehen soll einen solchen Moment für immer zu haben , und daß dann Gott , wie ein ewiges Pulsieren der Heiligkeit , in uns die Stelle des fleischlichen Herzens einnehmen wird .
Alles dieses war keine Phantasie , keine Spekulation , sondern eine fast sinnliche Gewißheit .
Es dauerte nur wenige Sekunden , auch kann ich den Moment nicht näher beschreiben , denn es würde doch nur auf schmückende Armseligkeiten hinauslaufen .
Dantes Worte kommen ihm noch am nächsten , wenn er singt : All ' alta fantasia qui manco Posse ; Ma gia volgeva il mio disiro , el velle , Siccome ruota , che igualmente e mossa , L'amor , che muove » l Sole e l'altre stelle .
Doch klingen auch sie nur wie Lallen von hoher Musik .
Das Ganze aber war ein Gemütswunder , welches sich nachmals nicht hat wiederholen wollen , mir jedoch auch in seiner einzelnen und einzigen Erscheinung zur Beruhigung über einen höheren Zusammenhäng der Dinge vollkommen genügt .
Bin ich Ihnen in meinem Wesen umgestimmt erschienen , so ist es die Nachwirkung dieses Augenblicks gewesen .
Als ich nach Hause kam , fand ich den Ruf zur Vorsteherschaft über die großen Anstalten in der Hauptstadt , mir höchst unerwartet und überraschend , da ich nicht geglaubt hatte , daß meinem Wirken anderwärts Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre .
Mein Entschluß konnte nicht zweifelhaft sein .
Hier traf eine äußere Gunst genau mit einem inneren Glücke zusammen .
Meine Verhältnisse hatten sich ausgelebt , und ich erkannte , daß es für mich an der Zeit sei , in neue , bedeutendere Kreise überzugehn .
Man hatte mir den Auftrag erteilt , nach England und Frankreich zu reisen , dort verschiedene Beobachtungen zugunsten des Instituts anzustellen .
So kam es , daß ich erst nach geraumer Zeit in * anlangte , wo ich denn die Frauen geheilt antraf , Johannen durch den alten , würdigen Kriegshelden , die Herzogin durch ihre jungen Mädchen .
Daß auch bei dieser das Herz , freilich in sehr zarter Weise , die Herstellung vermittelt hat , ist Ihnen vielleicht nicht so bemerkbar geworden .
Der junge Lehrer , welcher nach dem Tode der Vorsteherin für die hut- und mutterlose Pension , welche er nicht gern untergehen lassen wollte , ihren Schutz anflehte , wirkte durch seine Persönlichkeit wohl bedeutend auf ihren Entschluß , sich der Mädchen anzunehmen , die den Stamm aller nachherigen Zöglinge bildeten .
Er gehört zu den jungfräulichen Männern , ist schamhaft , verschwiegen , bescheiden wie keiner .
Nun wohnt er schon seit längerer Zeit im Hause der Herzogin , und man kann diese Neigung , obschon sie ganz unschuldig ist , und nur die Farbe des Dienstverhältnisses trägt , worin er zu ihr steht , kaum noch Freundschaft nennen .
Ich hatte meine törichte Leidenschaft längst besiegt , und mochte daher dieses Wirken der Natur unbefangenen Sinnes anschaun .
Freilich wurde mir dabei ihre Ironie klar , welche nirgends ausbleibt , und hier durch ein eheähnliches Verhältnis für Übertreibungen der Sitte und Sittlichkeit das Gleichgewicht herzustellen gesucht hat .
Denn jenes Verhältnis war nach so vielen Gewissenszweifeln , Büßungen und Gebeten dennoch schon bei Lebzeiten des Herzogs eingeschritten .
Der Arzt hat eine große Aufgabe in der Gegenwart zu lösen .
Krankheiten , besonders die Nervenübel , wozu seit einer Reihe von Jahren das Menschengeschlecht vorzugsweise disponiert ist , sind das moderne Fatum .
Was in frischeren , kürzer angebundenen Zeiten sich mit einem Dolchstoße , mit anderen raschen Taten der Leidenschaft Luft machte , oder hinter die Mauern des Klosters flüchtete , das nagt jetzt inmitten scheinbar - erträglicher Zustände langsam an sich , untergräbt sich von innen aus , zehrt unbemerkt an seinen edelsten Lebenskräften , bis denn jene Leiden fertig und ausgebildet dastehen .
Zwischen diese verlarvten Schicksale ist nun der Arzt gestellt .
Er muß , will er seinen Beruf mit Weisheit erfüllen , ein Eingeweihter sein , Gott und die Welt im Busen tragen , er muß gewissermaßen das Amt eines Priesters und Hierophanten üben .
Mittel und Wege hat er aufzufinden , wozu ihm die materia medica keine Anleitung gibt .
Unserer Wissenschaft steht überhaupt eine Umbildung bevor , und wenn es erlaubt ist , der Entwicklung der Dinge vorzugreifen , so möchte ich sagen : Wir werden uns der antiken Richtung wieder näher anschließen .
Lange genug haben wir mit Pulvern und Pillen die Natur zu zwingen gewähnt , oder den lebendigen Leib an das Kreuz des Systems geschlagen , in Zukunft werden wir mehr beobachten .
Selbst der Auswuchs der jetzigen Heilkunde , die Homöopathie , deutet schon diesen richtigeren Weg an , wenn sie verschmäht , die sogenannten inneren Ursachen analysierend sich zur Anschauung zu bringen , in welcher isolierten Analysis auch eigentlich nichts mehr vorhanden ist , was dem Arzte einen Fingerzeig geben könnte .
13. Hermann XIII. Hermann So bewegte sich die Welt , worin unser Freund eine Zeitlang einheimisch und tätig gewesen war , gänzlich umgestaltet , in Erbaun und Verfall , Trost und Verzweiflung auf und ab , ohne daß er selbst von diesen Ereignissen etwas verstanden , oder an ihnen teilgenommen hätte .
Mit schwerem Finger hatte ihn das Schicksal berührt , an ihm ein Zeichen gesetzt , welche Gefahren unsere Zeit den Jünglingen bereitet , die mit Empfindung und Geist ausgerüstet , ungebunden dahinleben zu können meinen .
Nach der Rückkehr von meiner Reise war mein erster Gang zu Wilhelmi , den ich , durchaus verwandelt , das zweite Kind auf dem Schoße haltend , neben seiner munteren , artigen Frau antraf .
Von den Gemälden und sonstigen Seltenheiten , als deren eifrige Sammlerin die nunmehrige Madame Wilhelmi bekannt gewesen war , erblickte ich nichts , vielmehr sah ich nur eine gewöhnliche elegante Einrichtung .
Da meine Augen die verschwundenen Schätze suchten , erriet mich Wilhelmi , und ich wurde als alter Freund gleich in einen Ehekrieg eingeweiht .
Die Kunstkennerin hatte seit ihrer Vermählung allen Geschmack an den Antiquitäten verloren , sie , Wilhelmis Einreden ungeachtet , nach entlegenen Kammern verwiesen , und wollte dieses ganze Besitztum gern losschlagen , wozu aber der Gatte seine Zustimmung beharrlich versagte .
Seine Neigung war die nämliche geblieben .
Er suchte die verwiesenen Lieblinge in den engen Räumen so gut als möglich unterzubringen .
Alles dieses erfuhr ich in der ersten halben Stunde durch halb ernste , halb scherzhafte Gespräche , welche jedoch von vollkommener gegenseitiger Zufriedenheit zeugten .
Bald wurde aber die häusliche Szene durch eine Figur gestört , bei deren Erscheinung die Gatten mitleidig und betrübt ihre Blicke niederschlugen .
Der Eintretende wollte sich , da er einen Fremden sah , alsobald entfernen , Wilhelmi hielt ihn indessen zurück , führte ihn mir entgegen , und sagte : " Erkenne ihn nur , Hermann , es ist unser alter Freund , der Doktor . "
Hermann gab mir die Hand , lächelte mich wie ein Kind an , und sagte : " Hippokrates war der berühmteste griechische Arzt , von der Insel Kos gebürtig , und brachte zuerst die Lehre von den kritischen Tagen auf . "
- Dann setzte er sich neben Wilhelmis Frau , und warf von Zeit zu Zeit historische oder philosophische Bemerkungen hin , welche alle richtig waren , nur freilich nicht die mindeste Beziehung zu der Umgebung hatten .
Es ist schrecklich , unvorbereitet den Tod eines Bekannten zu erfahren , aber es erschüttert Mark und Bein , ihn plötzlich lebendig , so wiederzusehn .
Niemand hatte mir noch etwas von dieser traurigen Veränderung gesagt .
Ich war meiner ganzen ärztlichen Fassung benötigt , um nicht in Tränen bei dem Anblicke des Unglücklichen auszubrechen , der mit blassem Antlitze , erloschenen Augen und einem steten Lächeln , sonst aber unentstellt , dasaß .
Unter einem Vorwande nahm ich Wilhelmi beiseite und begehrte draußen Aufschluß von ihm .
Ich hörte darauf die Begebenheiten , welche nun , da ich Ihre Bücher gelesen , mir nicht mehr dunkel sind , damals aber mir völlig rätselhaft vorkommen mußten .
Wilhelmi erzählte mir , daß Hermann mit den Gebärden eines Verzweifelnden von Flämmchens Landhause fortgestürmt sei .
Die Landleute hätten ihn in der Gegend mit zerrißenen Kleidern , scheu wie das Wild ihnen ausweichend , umherirren gesehen .
" Wir Zurückgebliebenen " , sagte er , " die wir erfuhren , daß Johanna nach dem Schlosse abgereist war , wurden über das Ausbleiben Hermanns sehr bestürzt .
Ich schrieb an ihn , und da der Brief unbestellt wieder in meine Hände gelangte , so reiste ich selbst nach der Gegend , wo ich denn jene Vorfälle hörte .
Er war verschwunden , trat jedoch nach mehreren Monaten , während welcher Korrespondenz , Nachfrage , öffentliche Bekanntmachungen vergeblich angewendet worden waren , seinen Aufenthaltsort zu ermitteln , eines Abends , da es dämmerte , in mein Zimmer , fiel mir weinend um den Hals , sagte , daß er da und dort gewesen sei , aber nirgends Ruhe finde , daß ich ihm ein Plätzchen bei mir gönnen möge , wo er sterben könne .
Meinen Schreck werden Sie ermessen .
Ich sprach mit meiner Frau , die sich kaum zusammennehmen konnte , da sie ihn so außer sich sah , und verstört .
Wir brachten ihn darauf in einem stillen Gartenzimmer bei uns unter , baten ihn , sich zu schonen , seine Sinne zu sammeln , dann werde sich ja alles finden , was auch vorgefallen sein möge .
Er ließ sich diese Obsorge gefallen , und saß einige Tage vor sich hin .
Als ich glaubte , er sei so weit beruhigt , daß man mit ihm reden könne , suchte ich zu erforschen , was sein Inneres so gewaltsam aufgeregt hatte .
Ich bekam jedoch keine anderen Antworten von ihm , als , daß er der verworfenste aller Menschen sei , daß nichts auf Erden sich mit seinem Elende vergleichen lasse ; ob ich den Ödipus kenne ? -
Da ich sah , daß ihn mein Andringen schwer leiden machte , so gab ich es auf und habe auch nachmals nicht versucht , sein Geheimnis zu entdecken .
Nur so viel ist mir aus unwillkürlichen Äußerungen klargeworden , daß das Bewußtsein einer Schuld , die furchtbar gewesen sein muß , seine Brust zerfrißt , daß sich auf dem Landhause Flämmchens das Schlimme begeben haben mag , und daß dieses wahrscheinlich einen Zusammenhäng mit dem Inhalte der Brieftasche hat , welche ihm von seinem Vater vererbt worden ist .
Ich glaubte , Beschäftigung werde ihn am ersten wieder zum Gefühle seiner selbst bringen , und äußerte ihm diese Meinung .
Er ergriff sie mit Leidenschaft und rief : » Du hast das Wahre getroffen .
Beschäftigung mangelt mir .
Gibt es nicht manches , was einem die bösen Träume verscheuchen mag :
Philosophie , Religion , Kunst , Staatswissenschaft ?
Versuchen wir es mit diesen erhabenen Mächten und Geistern der Zeit , deren einer uns gewiß hülfreich sein wird ! «
Ich hatte leider mit meinem wohlgemeinten Worte nur den Punkt berührt , der die Krisis zum Ausbruch bringen mußte .
Es begann eine Zeit , an welche ich mich nicht gern erinnre , denn ich mußte in ihr wahrnehmen , ohne helfen zu können , wie die Seele eines Freundes sich jammervoll auflöste .
Er eilte in die Kirchen , schrieb Predigten nach , saß zu den Füßen des Philosophen und las in dessen Büchern bis spät in die Nacht .
Er durchstrich die Säle der Galerie ; studierte Kunstgeschichte , ging die Staatsmänner seiner Bekanntschaft um praktische Arbeiten an , die sie ihm auch , seinen Zustand bemitleidend , wenigstens zum Schein gewährten .
Aber alle diese religiösen , philosophischen , ästhetischen und praktischen Aufspannungen , welche mit einer stürmischen Hast , ja mit Wut betrieben wurden , konnten dem Geängstigten , Versinkenden keinen Anhalt geben .
Noch sind Zettel von ihm aus jener Periode übrig , worin er die rührendsten und zerreißendsten Klagen dem Papiere vertraut .
» Ach « , ruft er in einer dieser Ergießungen aus , » dem befleckten Gemüte steht alles fern !
Gott und die Natur , Schönheit und Wahrheit , Staat und Menschenwohl schweben dem ausgeleerten , öden Geiste , wie dünne Schatten vorbei , welche er nicht zu fassen , an denen er sich nicht anzuklammern vermag ! «
So sich abarbeitend , die Kräfte gegeneinander treibend , verfiel er nach und nach in den Zustand , wo nun alles ruht und tot ist , den wir trauernd anschaun , worin wir ihn duldend unter uns wandern lassen , und von dem wohl keine Heilung zu erwarten ist . "
Nachdem Wilhelmi mir diese Eröffnungen gemacht hatte , beobachtete ich den Unglücklichen in allen Stunden , welche meine öffentlichen Geschäfte mir frei ließen .
Hier wurde mir die seltenste und bedauernswerteste Geisteskrankheit sichtbar , die ich je wahrgenommen habe .
Hermann war körperlich gesund .
Die Blässe seines Antlitzes , die Mattigkeit seiner Augen hinderte nicht , daß alle Lebensfunktionen bei ihm den natürlichen , regelrechten Gang nahmen .
Er aß und trank hinreichend , seine Füße trugen ihn auf meilenlangen Wandrungen , die er in der Umgegend anzustellen pflegte , ohne daß bei der Heimkehr eine Erschöpfung an ihm zu verspüren gewesen wäre ; er schlummerte tief und ruhig .
Auch war er keineswegs Wahn - oder blödsinnig ; er las viel , hörte Gesprächen von allgemeinerem Interesse gern zu , und ließ seine Bemerkungen vernehmen , die immer verständig , zuweilen scharfsinnig , hin und wieder selbst tief waren .
So gab er einst , da wir viel über Schicksal und Selbstbestimmung geredet hatten , den Begriff der Freiheit dahin an , daß sie die Form der Notwendigkeit sei , und führte diesen Satz auf eine Weise durch , welche uns alle in Erstaunen setzte .
Dennoch war er im Kerne des Seins gestört , ja getötet .
Das Leben , welches in Freude und Leid , in Begehren und Verabscheuen , in Liebe und Haß , in den Wechselbeziehungen zu unseren Nebenmenschen besteht , war in ihm durch eine schreckliche Erinnerung ausgelöscht .
Er weinte und lachte über nichts , ein stehendes gleichgültiges Lächeln machte seine Züge zur Maske .
Er wollte nichts , und wendete sich von nichts hinweg , er hatte keinen Freund und keinen Feind , die besonderen Verhältnisse anderer waren für ihn so wenig vorhanden , als seine eigenen , mit einem Worte :
Das Individuum schien in ihm völlig untergegangen zu sein .
Nur allgemeine Gedanken und Vorstellungen nahm diese Seele , wie ein leeres Gefäß noch auf , ohne die Federkraft zu besitzen , sie in ihr Eigentum zu verarbeiten , und daraus die Nahrung zu Entschlüssen zu saugen .
So lebte er , scheinbar ein Mensch , aber ohne Anteil , und in der Tat den Kreisen , welche unser Dasein umschließen , entrückt , seine Tage hin .
Die Zeit war für ihn keine Zeit , denn er empfand den Wechsel der Begebenheiten nicht , der Ort kein Ort , denn keine Sympathie fesselte ihn mehr an eine Stätte .
Es war der Zustand der Pflanze , er vegetierte .
Daß in einer so vernichteten Seele dennoch richtige Anschauungen , ja Ideen einkehren konnten , bestätigte meine alte Überzeugung von der Natur der menschlichen Seele überhaupt .
Wir sind weit mehr Depots des geistigen Fluidums , welches durch das Universum streicht , als daß wir es selbsttätig erzeugten .
Auch hier sind die Volksredensarten von den Gedanken , die einem Gott , und denen , die einem der Teufel eingegeben , wohl zu beachten und tiefen Sinnes .
Nie hätte ich freilich gewünscht , den Beweis für meine Hypothese durch einen Menschen zu erhalten , dessen Los mir naheging .
Meine Abneigung gegen ihn war schon früher verschwunden gewesen , ich hatte mir seine guten Seiten klargemacht , und seine jetzige Krankheit schnitt mir durch das Herz .
Ich sah ein , daß in diesem Falle am allerwenigsten positiv zu verfahren sein werde , daß man treu aufmerkend neben dem Leidenden stehen und irgendein günstiges Ereignis abwarten müsse , was zur Heilung benutzt werden könne .
Am erwünschtesten wäre mir gewesen , wenn ich der verborgenen Quelle des Kummers hätte auf die Spur kommen können , allein in dieser Beziehung scheiterten alle meine Versuche .
Der Unglückliche verschloß die Ursache seiner Schmerzen in tiefster Brust , und auch die Brieftasche war verschwunden .
Wir durchsuchten in seiner Abwesenheit alle Winkel des Zimmers , ließen Schränke und Kommoden öffnen ; umsonst !
sie war nicht zu finden .
Eine Geschäftsreise führte mich in die Nähe von Flämmchens Landhause .
Ich machte einen Abstecher dorthin , weil ich glaubte , ich würde vielleicht da einige Aufklärungen über diese dunkle Geschichte erhalten .
Das Haus war unter Sequestration , welche die Verwandten des Domherrn ausgebracht hatten .
Das Witwenkind hatte man mit der Alten ausgetrieben , da binnen der gesetzlichen Zeit kein Leibeserbe hatte erscheinen wollen .
Neue Leute befanden sich im Hause , welche mir nichts , was mir diente , sagen konnten .
Als ich nach * zurückkehrte , war Johanna an der Hand des Generals soeben aus ihrer Dunkelheit hervorgegangen .
Wie sie sich bis dahin fast menschenscheu abgeschlossen hatte , so verspürte sie nun das Bedürfnis , mit ihren alten Freunden aufs neue anzuknüpfen .
So besuchte sie denn auch Wilhelmis Haus , und erfuhr dort Hermanns Schicksal .
Ihr Mitleid war grenzenlos .
Mir machte sie die bittersten Vorwürfe , daß ich ihr die Sache verborgen , wozu ich meine guten Gründe gehabt hatte .
Sie verlangte von mir die Erlaubnis , den Kranken zu sehen , zu sprechen , ich weigerte mich auf das bestimmteste , dieselbe zu erteilen , da alle Aufregungen mir in seinem Zustande bedenklich zu sein schienen .
Indessen , wie die Frauen sind , die zuweilen hartnäckig auf ihrem Sinne bestehen , sie gibt das Vorhaben nicht auf , dessen Ausführung die mächtigsten Gefühle ihrer Brust heischen .
Im stillen erforscht sie , daß zu dem Gartenzimmer , worin er wohnt , ein besonderer Zugang über den Hof führt , und macht sich eines Morgens allein und heimlich auf , ihn zu besuchen .
Der Kranke saß , da sie eintrat , mit dem Rücken gegen die Türe gekehrt .
Liebreich begrüßt sie ihn , er wendet sich , und starrt , regungslos wie eine Bildsäule , sie an .
Sie will ihm die Hand reichen , er aber zieht mit den Worten :
" Wir sind nicht in Griechenland , wo die Greuel erlaubt waren ! " einen Dolch aus dem Busen , und zückt ihn mit schrecklicher Gebärde auf sie , die vor Entsetzen in die Knie zu sinken meint .
Dann läßt er das Mordgewehr fallen , wirft auf sie einen Blick des Abscheus , der sich tiefer in sie einbohrt , als dem Dolche möglich gewesen wäre , schlägt die Hände vor das Gesicht , stößt ein Jammergeschrei aus , daß Wilhelmi es im Vorderhause hört , und springt an ihr vorbei aus dem Zimmer .
Wilhelmi kam , außer sich vor Bestürzung , zu mir .
Wir fanden Johannen ohnmächtig , die uns nur langsam , von der fürchterlichen Szene bis zum Sterben erschüttert , das Vorgefallene entdecken konnte .
Wir suchten nach dem Unglücklichen ; er war verschwunden .
Durch Gärten , an unbewohnten Hintergebäuden vorbei , mußte er seine Flucht genommen haben .
Alle Erkundigungen nach ihm an den Toren , in den Umgebungen der Stadt waren fruchtlos .
14. Der Herausgeber an den Arzt XIV .
Der Herausgeber an den Arzt So sehen wir die Männer der Nichtigkeit oder dem Tode entgegengehen , denn auch der Oheim seufzt unter der Last seiner Besitztümer die letzten Hauche eines ersterbenden Lebens .
Nur die Frauen , die Schwächsten , und die am verlorensten zu sein schienen , sind beschwichtigt .
Eine sentimentale , genußsüchtige Vergangenheit hat heimliche Irrungen aufgehäuft , an welchen die schuldlosen Enkel sich zu plagen haben .
Die Verhältnisse sind verschoben , die Menschen voneinander entfernt , sich halb fremd geworden , der Held ist kindisch , und nur die Maschinen des Oheims arbeiten , wie von je , in toter , dumpfer Tätigkeit fort .
Aber die Gegenwart ist im Besitze unendlicher Heilungs- und Herstellungskräfte , und ich wüßte diese unsere brieflichen Unterhaltungen , welche etwas chaotisch sind , wie ihr Gegenstand , die Zeitfolge aufheben , und zuweilen in spätere Tage vorausgreifen , nicht besser abzuschließen , als mit den Worten Lamartines , wenn er sagt : " Ich sehe kein Zeichen des Verfalls im menschlichen Geiste , kein Symptom der Ermüdung oder Veraltung .
Zwar sehe ich morsch gewordene Einrichtungen , die dahinstürzen , aber ich erblicke ein verjüngtes Geschlecht , welches der Atem des Lebens beunruhigt und in jedem Sinne vorwärts stößt .
Dieses wird nach einem unbekannten Plane das unendliche Werk wieder aufbaun , dessen stete Erschaffung und Herstellung Gott dem Menschen anvertraut hat : sein eigenes Geschick . "
Neuntes Buch .
Cornelie . 1828-1829 Erstes Kapitel Erstes Kapitel Cornelie stützte das Haupt des Oheims .
" Ist dir diese Lage recht ? " fragte sie ihn mit sanfter Stimme .
" Ja , mein liebes Kind " , versetzte der Alte .
" Wie wohl tut mir der Atem deiner Sorgfalt !
Es ist recht schön von dir , daß du von der grünen Wiese hereingekommen bist , einen hinsterbenden Greis zu pflegen . "
" Du wirst dich erholen , Vater " , sagte Cornelie .
" Nein , meine Tochter " , antwortete der Oheim , " wir werden bald voneinandergehn .
Ein arbeitsames Leben zehrt auf ; es ist ein sonderbares Gefühl , deutlich das Kapital seiner Kräfte überschlagen zu können , aus deren nicht zu berechnendem Reichtume man in der Jugend mit so verschwenderischen Händen schöpfte .
Ich habe diese Empfindung jetzt oft . "
Der Dirigent einer Abteilung des Gewerbebetriebs trat ein , um die Meinung des Prinzipals über eine neue Anlage einzuholen .
" Verfahren Sie hierin ganz nach eigener Einsicht " , erwiderte der Oheim , nachdem er sich die Sache hatte vortragen lassen .
" Sie müssen sich nach und nach gewöhnen , selbständig zu handeln . "
" Welche Besorgnisse Ihnen auch Ihre Gesundheitsumstände einflößen " , sagte der Mann nicht ohne Rührung , " Besorgnisse , die , will es Gott , sich als ungegründet ausweisen werden , so seien Sie überzeugt , daß Ihre Weisheit unsere unverbrüchliche Richtschnur immerdar bleibt , daß keiner von uns an eine Zukunft nach Ihnen denkt . "
Eine andere Türe wurde gewaltsam aufgerissen , Ferdinand stürmte herein , die Jagdtasche an der Seite , die Flinte über den Rücken geworfen .
Er warf ein paar Feldhühner Cornelien zu Füßen , und rief : " Da hast du einen Braten in die Küche ! " -
Dann entfernte er sich ebenso laut , wie er gekommen war , ohne von dem Kranken Notiz zu nehmen .
Dieser schickte ihm einen kummervollen Blick nach ; der Geschäftsmann sah seufzend vor sich nieder , Cornelie weinte still in einer Ecke des Zimmers .
" Fürchten Sie nichts " , sagte der Kommerzienrat zu seinem Freunde .
" Ich werde Verfügungen treffen , daß die Schöpfungen unserer redlichen Mühe , die Anstalten , zu deren Begründung sich Kenntnisse , Fleiß und gegenseitiges Zutraun so vieler Männer verbinden mußten , nicht zusammenstürzen , wenn zwei Augen sich schließen , daß sie wenigstens nie von den Launen eines unbändigen Jungen abhangen sollen . "
Als jener das Zimmer verlassen hatte , sagte Cornelie : " Er wird gewiß noch anders und besser , Vater . "
" Nein " , erwiderte der Kranke , " ich täusche mich nicht mehr mit leerer Hoffnung .
Die wilden , verderbten Neigungen sind zu tief bei ihm eingewurzelt , ich muß ihn aufgeben und seinen Weg ziehen lassen , denn es ist fruchtlos , gegen des Menschen Natur anzugehen .
Liederlich wird der Bube nun auch , ich habe das leider erfahren .
Großer Gott , wie war es möglich , daß zwei stille , einfache Menschen , wie meine Frau und ich , ein solches unstetes Wesen erzeugen konnten ? "
Cornelie suchte den Leidenden zu beruhigen , und der Abend ging in Gesprächen mit dem Prediger , der sich , als es dunkel geworden war , wie gewöhnlich einfand , friedlich hin .
Der Oheim hatte , als er die Abnahme seiner Kräfte merklicher werden sah , von manchen seiner Eigenheiten abgelassen ; sein Wesen war von Tage zu Tage gütiger und milder geworden .
Die Geschäfte ruhten schon seit einiger Zeit fast ganz in den Händen der Untergebenen , und wenn ihm auch die Erhaltung des Ganzen am Herzen lag , so nahm er doch an dem Einzelbetriebe und an dem merkantilischen Resultate wenig Anteil mehr .
Dagegen hatte sich seine Neigung für die Pflanzen zu einer wahren Zärtlichkeit gesteigert , und eine andere Jugendrichtung , die Liebe zur Chemie , stellte sich ebenfalls wieder ein .
Dieser verdankte er die erste glückliche Wendung seines Schicksals .
Er hatte als junger Mensch eine große Schiffslast für völlig verdorben gehaltener Ware an sich gebracht , und sie durch eine geschickte Behandlung in verkäuflichen Zustand gesetzt , dadurch aber in wenigen Wochen einen Gewinn von vielen Tausenden gemacht .
Nun , in seinen letzten Lebenstagen , saß er wieder , wie damals , sooft es seine Umstände erlaubten , im Laboratorio vor dem Ofen , glühte und schied , ohne einen weiteren Zweck , als die Vermehrung seiner Kenntnisse dabei zu verfolgen .
Besonders eifrig untersuchte er die Mischungen der Bodenfläche seiner Besitzungen , da er , wie er scherzend sagte , doch zu wissen wünsche , welchen Elementen sein Staub sich dermaleinst verbinden werde .
Eines Tages ließ er den Prediger , diesem sehr unerwartet , rufen .
Nach einigen vorbereitenden Reden eröffnete er demselben , daß er seinen Umgang und Zuspruch wünsche , da er das Herannahen des Todes fühle .
Der Prediger , ein verständiger Mann , welcher einen Rückkehrenden von der konsequentesten Denkungsart , welcher sich von jeher allem Kirchlichen so ferngehalten , vor sich sah , begriff wohl , daß er auf die gewöhnliche Weise hier nicht einwirken dürfe , daß er vielmehr vor allen Dingen den eigentlichen Zustand des Kranken zu erforschen habe .
Er tat daher einige geschickte Fragen , welche den Oheim auch wirklich dahin brachten , sich über sein Inneres ohne Rückhalt auszusprechen .
" Zuvörderst muß ich Ihnen versichern " , sagte er , " daß ich mich vor dem Tode durchaus nicht fürchte .
Nur für den Müßiggänger kann dieser Rechnungsabschluß beschwerlich sein ; wer es sich immerdar hat sauer werden lassen , empfindet gewiß endlich ein Bedürfnis , auszuruhn .
Weder Gewissensbisse , noch Angst vor dem Unbekannten da drüben treiben mich zu Ihnen .
Aber es ist so natürlich , daß , wenn die eine Art der Beziehungen zu verschwinden anfängt , und eine andere beginnt , man sich über diese aufzuklären wünscht .
Diese Aufklärung suche ich nicht unter Heulen und Zähnklappern , sondern mit einem stillen Verlangen , dessen Befriedigung mir so das Liebste wäre , was mir hier noch begegnen könnte . "
Der Prediger sah wohl ein , daß eine solche Stimmung mit der eigentlichen christlichen Sehnsucht nichts gemein habe .
Gleichwohl durfte er , in seinem Amte angesprochen , sich dem Suchenden nicht versagen .
Er wählte daher den Weg der historischen Belehrung , und schlug dem Oheim vor , sich zuvörderst davon zu unterrichten , wie Lehre und Dogma seit ihrem Entstehen von den Menschen aufgefaßt worden seien , und unter ihnen gewirkt haben .
Dem Oheim war dies ganz genehm , und so brachte denn der Prediger von da an in jeder Woche mehrere Abendstunden bei seinem Patrone zu , ihm aus einem Handbuche der Kirchengeschichte vorlesend und seine Erläuterungen hinzufügend .
Mit großem Interesse verfolgte der alte Mann die Entwicklungen der christlichen Kirche , und wies oft mit vielem Scharfsinne die Verwandtschaft unter den verschiedenen Lehrmeinungen und Sekten nach .
Sehr bald hatte er herausgefunden , daß das eigentümliche Leben des christlichen Geistes sich in den drei ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung erschöpft , und daß alles Spätere doch nur mehr in Wiederholung und Modifikation einer schon früher dagewesenen Entfaltung bestanden habe .
Bei den Gesprächen über diesen Gegenstand erwähnte der Prediger einst des Umstandes , daß sich auch die Versuche der frühesten Häretiker , den göttlichen Geheimnissen auf magische oder sinnliche Weise beizukommen , bis in die jüngsten Zeiten erneuert hätten .
" So befand sich hier ganz in der Nähe " , sagte er , " vor etwa hundert Jahren eine Gemeinde , welche alle Schwärmereien der Gnostiker und Manichäer in sich vereint wieder aufleben ließ , und ziemlich lange ihr Wesen trieb , bis die herrschende Kirche sie mit solcher Strenge unterdrückte , daß nicht einmal ihr Gedächtnis in den Nachkommen geblieben ist , und auch ich von ihrem Dasein nichts wissen würde , hätte ich nicht ihre Geschichte , von einem Märtyrer der Sekte aufgeschrieben , ganz zufällig unter vergeßenen Papieren gefunden .
Woher sie ihre Irrtümer genommen , ist mir dunkel geblieben ; aus den Papieren ging so viel hervor , daß die Bekenner jenes Wahns geringe Leute gewesen waren , von denen sich nicht vermuten ließ , daß sie die Sache aus gelehrter Kunde geschöpft haben sollten .
Ich bin daher schon auf den Gedanken gekommen , daß sich gewisse Einbildungen immer von Zeit zu Zeit wie Krankheiten von selbst aus dem Leben der Kirche erzeugen , und daß namentlich die böse Täuschung , dem Göttlichen durch geheime Zeichen und eine willkürliche Allegorie beikommen zu können , fortwuchern wird , solange es ein Christentum gibt .
Auch ihre Begräbnisstätte habe ich vor kurzem entdeckt " , fuhr der Prediger fort .
" Sie liegt in einer einsamen wüssten Gegend , und wie durch Instinkt getrieben , haben sie sich ihren Ruheplatz um Trümmer bereitet , die wohl ohne Zweifel dem Heidentum angehören .
An den vermorschten hölzernen Kreuzen und Denktafeln , sowie an einigen roh und dürftig zugehauenen Steinen lassen sich noch sonderbare Embleme erkennen , die ohne Zweifel eine mystische Bedeutung hatten .
Wenn es Ihnen gelegen ist , so kann ich Sie einmal dorthin begleiten .
Die Sache ist immer merkwürdig genug , um eine Spazierfahrt bei schönem Wetter zu verlohnen . "
Der Oheim erklärte sich mit Vergnügen dazu bereit , und man beschloß , den ersten heiteren Tag zum Besuche dieses Altertums anzuwenden .
Einmal um jene Zeit sagte der Oheim zum Prediger :
" Ich fühle , daß auch das religiöse Organ von Jugend auf geübt sein will , und daß im Alter die Fasern zu zähe werden , um in dieser Hinsicht noch mit Erfolg sich etwas anzueignen .
Aber so viel begreife ich , daß etwas , was die Menschen neunzehn Jahrhunderte hindurch beschäftigt hat , kein Possenspiel sein kann , und Sie mögen daher , wenn wir auseinandergehn , von mir die Hoffnung schöpfen , daß ich vielleicht anderwärts nachholen werde , was ich hier versäumt habe . "
Auch gegen die Katholiken war der Oheim nachgiebiger und freundlicher geworden .
Er sah jetzt gelassen zu , wenn sie durch das Haus zur Messe gingen , ja er schenkte dem Altare ihrer Kirche eine neue prächtige Bekleidung , und ließ an die Stelle der messingnen , kostbare silberne Leuchter setzen .
Hierüber mußte er selbst lächeln .
Scherzend rief er aus :
" Im Grunde bleibe ich mir doch treu , ich mache den Schaffner jetzt bei dem lieben Gotte , wie ich ihn lange auf irdische Weise gemacht habe . "
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Nicht lange nachher fuhr der Oheim mit dem Prediger nach dem Kirchhofe der verschollenen Sektierer .
Der Weg ging bald von der Landstraße ab , und wurde für die Pferde beschwerlich , da er , ohne in das eigentliche Gebirge zu führen , sich über lauter welliges , zerbröckeltes und zerfurchtes Erdreich schwang .
Endlich verlief er sich zwischen hohen Lettenwänden , wo allenfalls mit einer schmalen Karre durchzukommen gewesen wäre , der breitspurige Wagen aber bald festsaß .
Der Kutscher hielt , und erklärte , nicht weiterfahren zu können .
Der Prediger , welcher bei seinen Fußwandrungen nach dem entlegenen Orte auf diesen Umstand nicht geachtet hatte , machte sich laute Vorwürfe über seine Unbedachtsamkeit , der Oheim tröstete ihn indessen , ließ aus Baumzweigen und Wagenkissen eine Tragbahre bereiten , und nahm die Kräfte zweier jungen Bauern , welche in einiger Entfernung vorübergingen , für dieses Transportmittel aus dem Stegreif in Anspruch .
So gelangte man denn doch , wenn auch später , als man gewollt , an das Ziel .
Der Ort , auf einer Höhe zwischen heidekrautbewachsenen Hügeln gelegen , war außerordentlich einsam und mußte durch sich selbst schon Gedanken der Melancholie erwecken .
Eine niedrige Mauer , die aber an den meisten Stellen zu Trümmern zerfallen war , umschloß einen runden Platz von mäßigem Umfange .
Was der Prediger für die Überbleibsel eines Heidentempels angesehen hatte , war die Substruktion eines kleinen achteckigen Gebäudes , von welcher nur hin und wieder noch einige Steinzacken über der Erdoberfläche emporragten .
In der Mitte des inneren Raums nahmen sie eine tiefe Versenkung wahr , in welche ein Bächlein , welches von den Höhen herabkam , und sich unter der Mauer durch Bahn gemacht hatte , sein Wasser ergoß .
Um diese Trümmer - der Hünenboren , wie der Prediger sagte , von den Landleuten geheißen - hatte die Sekte ihre Toten rings im Kreise bestattet .
Aber die Gräber waren zum größten Teil schon wieder eingesunken , die Kreuze verfault , die Steine lagen umgefallen in aufgerißenen Erdrinnen , oder neigten sich gegeneinander .
Über eine ganze Reihe tiefer Höhlungen , durch das Einstürzen mehrerer Gräber entstanden , hatten die Landleute , welche ihren Fußweg nach einem nahen Walddorfe über die Höhe nahmen , eine Notbrücke von Baumstämmen , Leichensteinen und Kreuzen gemacht , deren sie sich bedienten , wenn Regenwasser diese Senkungen ausfüllte .
Alles war an dem verlaßenen Platze eigen , traurig ; die Bilder der Vergänglichkeit hatte schon wieder die Hand der Vergangenheit berührt .
Der Boden schien nicht die Fruchtbarkeit anderer Orte , wo menschliche Leiber verwesen , zu haben ; ein kümmerliches Gras bedeckte spärlich den weißgelblichen Grund , hohe fahle dürre Halmen stachen lang und spitzig aus demselben hervor , sonst zeigte sich weder Baum noch Staude ; nur über den sogenannten Hünenboren neigte eine große Trauerweide , deren Stamm aber auch schon im Absterben war , ihre mattgrünlichen Zweige .
Nachdem der Oheim am Arme des Predigers einen Gang zwischen den Gräbern hindurch gemacht und sich an den noch erhaltenen Kreuzen , sowie an einigen Steinen rohe Schlangenzeichen hatte vorzeigen lassen , ruhten beide in dem alten Gemäuer unter der Trauerweide .
Der Prediger sprach seine Meinung aus , und behauptete , daß jene Bildwerke genau mit denjenigen übereinstimmten , deren sich in den ältesten Zeiten die Ophiten bedient hätten .
" Was mich Wunder nimmt " , sagte der Oheim , " sind die Steine .
Sie haben mir erzählt , daß die Sekte nur aus armen Leuten bestanden habe ; woher nahmen diese das Geld zu so kostbaren Denkzeichen ? "
- " Auch mir fiel dieser Umstand auf " , versetzte der Prediger , " bis ich entdeckte , daß in * noch vor hundert Jahren eine Steinmetzzunft bestanden hat , ähnlich den mittelalterlichen Gilden dieser Art .
Wahrscheinlich hat das Geheimnis , welches jene Zunft in ihre Verhandlungen wob , sich mit dem Geheimnisvollen der Sekte , als etwas Wahlverwandtem berührt , Mitglieder des Gewerks mögen zu ihr gehört , oder sich wenigstens zu ihnen hingeneigt , Steine und Arbeit ihren Bestattungen umsonst , oder für die billigsten Preise geliefert haben . "
Der Oheim warf aufmerksame Blicke umher , scharrte mit seinem Stabe in dem harten , steinigten Boden und sagte : " Ich müßte mich sehr trügen , oder das Erdreich hat hier eine eigentümliche alkalisch-ätzende Beschaffenheit .
Die geringe Vegetation und jene gelben Halmen , welche sich immer an Orten derartiger Bodenmischung finden , bringen mich auf diese Vermutung .
Ich hätte große Lust , etwas Erde von hier mitzunehmen , und sie zu Hause auszulaugen . "
Einer der jungen Bauern , welcher achtsam zugehört hatte , und endlich begriff , wovon die Rede war , mischte sich in das Gespräch und sagte : " Der Herr hat ganz recht , unser Gerber braucht , um seine Felle gar zu machen , nichts , als diese Erde ; sie tut dieselben Dienste , wie Lohe . "
" Es ist schade " , sagte der Oheim , " daß nicht in neuerer Zeit hier jemand bestattet worden ist .
Bei der Aufgrabung würden sich gewiß nach dem , was ich höre , merkwürdige Resultate finden . "
" O " , rief der junge Bauer , " davon könnte man die Probe auch zu Gesichte bekommen !
Es ist kaum etwas über ein Jahr her , daß hier ein neugeborenes Kind verscharrt wurde , und ich weiß noch genau die Stelle , wo dies geschah . "
Ein Verbrechen befürchtend , fuhren beide Männer zusammen ; jener aber lachte und sagte : " So schlimm , wie die Herrn glauben mögen , verhält sich die Sache nicht .
Ich hatte nahebei im Felde etwas zu tun , da sah ich ein junges Weibsbild mit einer Alten , die im Gesichte ganz gelbbraun war , vorübergehen .
Mich konnten sie nicht erblicken , weil ich hinter einem Busche stand , ich aber bemerkte durch die Spalten der Zweige alles sehr wohl .
Die Junge , welche bleich , aber bildschön war , ächzte und stöhnte , man konnte ihr anmerken , in welchem Zustande sie war , und daß ihre Stunde sie überfallen hatte .
Die Alte führte sie und sprach ihr zu , und beide gingen nach dem Hünenborne .
Ich folgte ihnen , und versteckte mich draußen hinter einem Mauerstücke , das Gesicht abgekehrt , da es doch für mich nicht anständig war , in diesen Nöten den Weibern nahezukommen .
Nun hörte ich da , wo Sie jetzt sitzen , kläglich stöhnen und wimmern , und nach einer Weile den lauten Schrei ausstoßen :
» Es ist tot ! «
Ich meinte , jetzt sei es an der Zeit , mich auf ziemliche Weise zu nähern , kroch eine Strecke zurück , richtete mich dann auf , und ging wie von ungefähr auf den Hünenboren zu .
Sowie mich die Alte erblickte , winkte sie mir .
Sie kniete unter der Trauerweide , und hielt die Junge in den Armen , die matt und kraftlos ausgestreckt lag .
Zwischen ihnen lag das neugeborene Kind auf Zweigen des Baums .
Die Mutter weinte bitterlich , und blickte zuweilen so nach dem Kinde , daß es mir durch Mark und Bein ging .
Die Alte sagte , ich solle es begraben , und wollte es in ihr buntes Kopftuch einwickeln , was aber die andere verbot .
Sie sagte , so wie es sei , solle es in die Erde kommen ; die sei gut und sanft , alles andere tauge nichts .
Ich höhlte hierauf an der Mauer mit meinem Werkzeug eine Grube in der Erde aus , und baute darüber ein kleines Gewölbe von Steinen .
Das Frauenzimmer nahm das Kind auf , herzte es , dann gab sie es mir .
Sie wollte auch einen goldenen Ring dem Kinde mitgeben , besann sich aber , und sagte seufzend :
» Den will ich doch noch behalten . «
Hierauf brachte ich das Neugeborene in die kleine Gruft , bedeckte dieselbe mit Schieferplatten und schaufelte Erde darumher , daß alles eine Festigkeit bekam , und die Tiere den Leichnam nicht herauszerren , oder die Regenwässer mein Gebäude nicht zerstören möchten . "
Nach dieser Erzählung , die der junge Mensch mit einfachem Wesen , in guten schicklichen Worten vorgetragen hatte , schwiegen der Oheim und der Prediger eine geraume Weile .
Endlich sagte letzterer :
" Ihr habt Unrecht getan , Eurem Pfarrer die Sache nicht sogleich anzuzeigen .
Wer weiß , welcher Frevel hier dennoch in die Erde versenkt worden ist ! "
" Und wo blieben jene Personen ? " fragte der Oheim .
" Ich mußte sie nach unserem Dorfe bringen " , versetzte der junge Bauer .
" Dort verweilten sie einige Tage , bis die Junge soweit gestärkt war , fahren zu können .
Darauf besorgte ich ihnen eine Fuhre , und sie zogen von dannen , ohne zu sagen , wohin .
Von ihren Gesprächen habe ich auch nicht viel verstanden .
Sie redeten Deutsch , aber es waren lauter Sachen , die mir unbekannt waren . "
" Wüßtet Ihr wohl die Gruft des Kindes noch zu finden ? " fragte der Oheim .
" Ei warum denn nicht ! " rief der junge Mensch .
" Dort in der Ecke ist sie . "
Wirklich sah man in einem Winkel der zertrümmerten Mauer eine rundliche Erhöhung von Erde , welche frischer war , als der Boden umher , denn kein Grashalm hatte noch in ihr Wurzel geschlagen .
Da der Oheim seine verlangenden Blicke nach dem Erdhügel warf , und dem jungen Bauer etwas sagen zu wollen schien , woran ihn die Gegenwart seines Freundes hinderte , so rief dieser : " Tun Sie , was Sie nicht lassen können , nur erlauben Sie mir , daß ich mich solange entferne , denn meine Priesterpflicht ist , die Ruhe der Gräber zu schützen , nicht , sie zu stören . "
Er ging .
Sobald er den Rücken gewandt hatte , sagte der Oheim zu dem Bauer :
" Tue mir den Gefallen und öffne die Gruft , denn ich bin äußerst neugierig , die Einwirkungen dieses Bodens auf den Leichnam zu er fahren . "
Jener hatte Bedenken , die der Oheim indessen zu überwinden wußte .
Er trennte mit seinem Grabscheit vorsichtig die Erde von den Steinen , nahm , nachdem sie bloßgelegt worden waren , den obersten ab , und rief , in die Höhlung blickend , verwundert aus :
" Wie das glänzt ! "
Der Oheim ließ sich zu dem Platze geleiten .
Die Abendsonne warf glühende Strahlen in die kleine Gruft , und bei diesem Scheine nahm er ein wunderbares Schauspiel wahr , in dessen Anblick er lange mit stummem Ergötzen versunken stand .
Auf allen Punkten der Wände , welche das Grab umschlossen , war der vom nahen Wasser angegriffene Kalk des Bodens in Kugeln , Zacken , Büscheln und Spitzen hervorgequollen , und bildete mit seinen mannigfaltigen kristallinischen Gestalten , welche , tropfenbehangen , im Sonnenlichte farbenreich glänzten , eine funkelnde Zaubergrotte , in deren Mitte die Überbleibsel des Neugeborenen lagen , zum reinlichsten , weißesten Skelette verzehrt , derart , wie man kleine Tierkörper verwandelt wiederfindet , welche die Hand des Naturforschers in einem wimmelnden Ameisenhaufen beisetzte .
Alles Fleisch und alle Weichgebilde hatten die Einflüsse dieses Bodens in so kurzer Zeit völlig aufgesogen , nur die zarten Knöchlein waren bisher nicht zu überwinden gewesen .
Auch sie besetzten und umzogen zarte Kristalle , ähnlich dem Flitter und Schmelz , womit die Andacht an heiligen Orten die Gebeine der Märtyrer zu zieren liebt , und so lag das Leuchtende zwischen den leuchtenden Wänden .
Der Oheim wollte die Hand nach den von der Natur geweihten Resten ausstrecken , zog sie aber zurück und sagte : " Nein ! dies ist zu schön , als daß man es nicht , so wie es ist , lassen müßte . "
Er befahl , den Deckstein wieder aufzulegen , und gebot dem Bauer , noch sorgfältiger , als zuvor geschehen , die Erde umherzuschütten , damit das schöne Phänomen so lange als möglich bewahrt bleibe .
Den Prediger befremdete die Schweigsamkeit des alten Manns auf dem Heimwege .
Er war ernst und schien eigenen Gedanken nachzuhangen .
Endlich sagte er :
" Wenn uns die Kirchengeschichte lehrt , daß der Mensch auf dem Wege zum Göttlichen sich fast immer in das Gebiet des Absurden verirrt , so hält die Natur in ihrer regelrechten Tätigkeit zu jeder Zeit die frischesten Wunder in Bereitschaft .
Sie haben mich an einen Ort geführt , wo eine aberwitzige Schlangenbrüderschaft ihre Toten begrub , und an demselben Orte entdeckte ich etwas , was meiner Sinnesart die ihr gemäße religiöse Erhebung gab . "
Er hatte in seiner Bewegung selbst verabsäumt , Erde von jenem Platze mitzunehmen , wie er doch behufs einer chemischen Behandlung zuvor Willens gewesen war .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Es war ihnen aufgefallen , daß Cornelie sich nicht unter der Pforte des Hauses zeigte , dem Oheim töchterlich aus dem Wagen zu helfen , wie sie sonst pflegte , wenn er von seinen kleinen Spazierfahrten zurückkehrte .
Unerwartet fand sie der Prediger in seiner Wohnung , und trat erschreckt zurück , da er an ihrem Gesichte Spuren der äußersten Bestürzung wahrnahm .
Sie warf sich ihm mit einem Tone des tiefsten Schmerzes an die Brust , und sagte unter Weinen und Schluchzen , daß sie bei einem Gange nach der Meierei im Holze jemand angetroffen habe , den sie so wiederzusehn nie vermutend gewesen sei .
Auf freundliches Eindringen des Geistlichen erfuhr er , daß dieser Wiedergefundene Hermann sei , der sich ganz anders , wie ehemals , benehme , und auch verändert aussehe .
Das arme Mädchen hatte in ihrer Not nirgendhin mit ihm gewußt , und ihn vorläufig im Hause des Predigers untergebracht .
Sie öffnete ein Seitenzimmer , deutete mit abgewandtem Antlitz hinein , der Prediger betrat dasselbe , und erkannte in einem Manne , der früh gealtert war , den Unglücklichen , dessen er sich von seinen früheren Besuchen bei dem Oheim noch wohl erinnerte .
Jener las in einer Bibel , die er dort aufgeschlagen gefunden hatte , und begann , sobald er den Prediger wahrnahm , eine Geschichte des Alten Testaments zu erzählen .
Der Prediger , den dieser sonderbare Empfang ganz verwirrt machte , ließ ihn dennoch ausreden , und sagte dann :
" Dem mag so sein , aber nun entdecken Sie mir , was Sie uns unerwartet wieder zuführt ? "
Hermann strich sich über die Stirn , als müsse er sich erst besinnen , dann versetzte er gleichgültig :
" Ich muß doch irgendwo bleiben .
Ich bin an vielen Orten , hier und da gewesen , meine Kleider fangen an , abzureißen , ich habe auch wenig Geld mehr .
Nun erinnerte ich mich , daß hier herum Verwandte von mir wohnen , deren Verbindlichkeit es nach römischem und deutschem Rechte ist , für einen dürftigen Angehörigen zu sorgen . "
Er setzte hierauf , ohne zu stocken , die ganze Lehre von der Alimentationspflicht der Verwandten auseinander , und führte die betreffenden Gesetzstellen mit der größten Sicherheit an .
Der Prediger , welcher gar nicht wußte , was er aus diesem Benehmen machen sollte , musterte ihn mit erstaunten Blicken .
Der Anzug des Unglücklichen war äußerst sauber , die Wäsche sehr weiß , aber alles bis auf den Faden abgetragen .
Die Verwunderung des anderen schien ihn wenig zu kümmern ; er setzte sich , da der Prediger in seinem Schweigen verharrte , wieder zur Bibel und las darin ruhig weiter .
Cornelie weinte im Nebenzimmer heiße Tränen .
" Wie mager seine Hände sind , wie bleich das Gesicht ist , und an den Schläfen hat er graue Haare ! " sagte sie zum Prediger .
" Ist es wirklich so , wie ich denke " , fragte sie mit leiser , von innigen Schaudern unterbrochener Stimme ; " hat er den Verstand verloren ? "
" Ich kann mich noch nicht in seinen Zustand finden " , versetzte der Prediger .
" Seine Worte zeugen von keiner Verwirrung der Geisteskräfte , aber es ist , als ob ein totes Buch , und nicht ein lebendiger Mensch rede .
Machte es denn auf ihn keinen Eindruck , als er dir unvermutet begegnete ? "
" Nein " , erwiderte Cornelie .
" Ich war , wie vom Schreck gelähmt , als er unter den Bäumen in dieser Gestalt mir entgegentrat .
Er aber reichte mir , als sei er täglich mit mir zusammen , freundlich die Hand und bot mir den gewöhnlichen Gruß .
So ließ er sich auch von mir willenlos hierherführen . "
" Wir müssen nun überlegen , wohin wir ihn bringen , da er doch hier unmöglich bleiben kann " , sagte der Prediger .
Cornelie wurde blaß , ihre Lippen zuckten , die Tränen , welche schon in den guten treuen Augen versiegt waren , überströmten wieder ihre Wangen .
So stand sie eine Weile schweigend da .
Endlich fiel sie dem Prediger zu Füßen , drückte seine Hände flehentlich gegen die zarte Brust und rief : " Stoßen wir ihn nicht hinaus in die Fremde !
Ist seine Wanderung zu uns nicht ein Zeichen , daß wir ihn behalten sollen ? "
Der Prediger wußte von den Hausgeschichten so viel , daß er das Bedenkliche dieser Entschließung einsah .
Er stellte Cornelien vor , wie unangenehm es dem Oheim sein müsse , wenn er erfahre , daß jemand , der ihm zuwider sei , von seinen nächsten Umgebungen beherbergt werde , und wie jede Gemütsbewegung den dünnen Lebensfaden des Greises zerreißen könne .
" Das fasse ich wohl " , versetzte Cornelie ruhig , " und dennoch müssen wir unsere Pflicht tun .
Er scheint still und sanft zu sein , wir werden ihn hier in der Verborgenheit hüten können , alle Sorgfalt will ich anwenden , daß dem Oheim seine Anwesenheit nicht bekannt werde . "
Der Prediger wollte noch immer nicht nachgeben .
Da rief Cornelie plötzlich mit einer Lebhaftigkeit , die ihn von dem schüchternen , bescheidenen Kinde in Erstaunen setzte :
" Wohlan , treiben Sie ihn von Ihrer Schwelle , so nehme ich ihn auf , so soll er in meinem Stübchen wohnen , und ich will mich auf dem Söller betten .
Auf die Landstraße lasse ich ihn nicht jagen . "
Der Prediger sann nach , und erklärte sich zuletzt bereit , den Armen wenigstens vorläufig bei sich zu behalten .
Dagegen mußte ihm Cornelie die tiefste Verschwiegenheit geloben .
Hermann nahm die Nachricht , daß er bei dem Prediger bleiben solle , wie alles , gleichgültig auf .
Sein Wirt beobachtete ihn in den nächsten Tagen sorgfältig , und fand , was wir schon aus der Feder des Arztes über ihn berichtet gelesen haben .
Er suchte ihn auf verschiedene Weise anzuregen , ließ sich von ihm im Garten helfen , strebte , durch Gespräche über naturgeschichtliche Gegenstände , in welchem Fache er sich viel versucht hatte , auf seinen Kranken zu wirken , jedoch vergebens .
Jener ging auf alles ein , las die Bücher , die ihm der Prediger hinlegte , und sprach im Zusammenhänge über ihren Inhalt , blieb aber in die Lethargie versunken , welche alle seine Seelenkräfte umsponnen hielt .
Vor dem Oheim wurde die Gegenwart des Unglücklichen sorgfältig verborgen .
Cornelie war , wenn sie sich allein befand , sehr ernst .
Ihr Versprechen , welches sie dem Prediger hatte geben müssen , den Kranken nicht zu besuchen , hielt sie gewissenhaft , nur konnte der Prediger , sooft er abends zum Besuche kam , an ihren ängstlich-fragenden Augen abnehmen , mit welcher Sehnsucht sie den Nachrichten von seinem Hausgenossen entgegenharrte .
Diese lauteten freilich nicht tröstlich , und meldeten nur ein trauriges Einerlei .
Um den Oheim vor einer plötzlichen Begegnung zu schützen , waren dem Kranken , der noch immer gern weite Spaziergänge machte , seine Wege vorgeschrieben worden .
Er mußte , wenn er frische Luft schöpfen wollte , von den Fabriken abwärts , auf einsamen , wenig betretenen Wiesen sich ergehen , die am Fuße waldiger Hügel lagen .
Diese Vorschrift ließ er sich auch geduldig gefallen , wie er denn überhaupt alles ohne Widerstreben tat , was seine Pfeger ihm geboten .
Nur einmal , als man auch jene Erlaubnis noch für gefährlich hielt , und ihn auf das Haus und allenfalls den Garten beschränken wollte , kündigten sich Zeichen einer geheimen innerlichen Wut an , welche die Besorgnis vor einer verhängnisvollen Szene erwecken mußten , und zu einer raschen Aufhebung des Verbots nötigten .
Am folgsamsten war er gegen die Frau des Predigers , welche , eine gute schlichte Matrone , ihn auch sehr zweckmäßig zu behandeln wußte .
Während die anderen ihn doch mehr oder minder merken ließen , wofür sie ihn hielten , tat diese , als sei sein Zustand nichts Abweichendes , als müsse alles so sein , wie es war .
Es war ihr aufgefallen , daß er von seinem Rocke , welcher , obgleich völlig rein gehalten , doch kaum noch in den Nähten hing , durchaus nicht lassen , ja nicht einmal die Säuberung dieses Kleidungsstücks einem anderen übertragen wollte .
Jeden Morgen klopfte und bürstete er selbst ihn aus .
Irgend etwas Besonderes hierunter ahnend , schlich sie eines Abends spät , da Hermann schon fest schlummerte , in sein Zimmer , nahm den Rock hinweg , und untersuchte ihn .
Plötzlich fühlte sie etwas Hartes vorn in der Gegend der Brustteile , trennte an der Stelle das Futter vorsichtig vom Tuche , und zog jene Brieftasche hervor , nach deren Eröffnung eine so unglückliche Wendung in den Schicksalen unseres Freundes eingetreten war .
Sie war verschlossen .
Der Prediger , welcher herbeigerufen und mit dem Fand bekanntgemacht wurde , wollte sie gewaltsam öffnen , seine Frau war aber dagegen und sagte : " Dies möchte , wenn unser Pflegling es entdeckte , ihn aufbringen ; seien wir zufrieden , zu wissen , wo aller Wahrscheinlichkeit nach das Wort des Rätsels steckt , und stellen wir der Zeit die Lösung anheim . "
Sie nähte hierauf die Brieftasche wieder ein und tat den Rock an seinen Ort .
Am anderen Morgen trat Hermann , den Rock über den Arm gehängt , in ihr Zimmer und erklärte , er werde sich einen neuen machen lassen , dieser sei nachgerade gar zu schlecht und dünn geworden .
" Ich will dir es nur gestehen , Mutter " , fügte er hinzu , " der Rock war mir lieb , weil er so viel mit mir ausgehalten hat , aber es ist etwas damit vorgegangen , und nun mache ich mir auch aus ihm nichts mehr .
Hebe ihn wohl auf , meine Geheimnisse sind darin . "
" Wenn dem so ist , mein Freund " , versetzte sie , " so laß uns die Geheimnisse zusammen erwägen .
Dergleichen Dinge werden oft besser , wenn vier Augen dar über kommen . "
" Das ist unmöglich " , erwiderte er , entblößte seine Brust , und ließ sie ein Schlüsselchen sehen , welches er am schwarzen Bande um den Hals trug .
" Sieh , dieser Schlüssel ist eigen zu der Brieftasche gemacht , von meinen Vätern - denn du mußt wissen , daß ich deren zwei habe - mir vererbt und doch schließt er nicht mehr dazu .
Ich habe es oft versucht , und es wollte immer nicht gehen , auch bin ich überzeugt , daß keine Menschenhand einen dazu verfertigen kann .
Also laß du diese Dinge immerhin unter dem Schlosse . "
Er zog sie an sich und flüsterte ihr zu :
" Es ist mir recht lieb , daß du mich nicht für verrückt hältst .
In meinen guten Tagen traf ich einmal einen Menschen an , den sie in Rußland in die Bergwerke gesetzt hatten , und dem nun Mutter , Vater , Brüder und Braut gleichgültig geworden waren .
So ist es mir auch ergangen ; muß man deshalb blödsinnig sein ? "
Sie erzählte ihrem Manne den Inhalt dieses Gesprächs .
Ihm wurde die Sache immer unheimlicher , da sein geordneter einfacher Lebensgang einen so fremdartigen Bestandteil nicht wohl vertragen mochte .
Er schrieb unter der Hand an den Arzt und Wilhelmi , von deren früheren Verbindung mit Hermann er allerhand erkundet hatte .
Der Arzt antwortete nicht ; er war wieder auf einer gelehrten Reise begriffen .
Von Wilhelmi liefen dagegen umgehend einige Zeilen voll des regesten Eifers für den kranken , so lange verschollen gewesenen , Freund ein .
Er versprach seinen Besuch , sobald ihm nur ein abermaliges Kindbette seiner Frau die Reise gestatten möchte .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Das Familiengrabgewölbe war vollendet .
Säulen von grauem Marmor stützten ein ernstes Portal , von dessen Stirnfläche ein freundliches : Willkommen ! in großen goldenen Buchstaben leuchtete .
Am inneren Eingange lehnten zwei Genien sich als träumerische Hüter auf die umgestürzte Fackel , das Gewölbe selbst war einfach aber würdig mit großen Werkstücken ausgesetzt , und empfing durch eine Kuppelöffnung , deren Seitenluken das stärkste Kristallglas verschloß , ein dämmerndes Licht .
Diese Begräbnisstätte hatte der Oheim mit großen Kosten und vieler Mühe in dem Berge , den seine verstorbene Gattin geliebt , austiefen und schmücken lassen .
Je näher er sich selbst so dem Ziele seiner Tage fühlte , desto eifriger wurde sein Bestreben , das Werk noch vollendet , die Asche der ihm so teuren Frau dorthin gebracht zu sehen .
Nach seinem Willen sollte der Ort und dessen Umgebung zwar etwas Feierliches , aber nichts Düsteres haben .
Er ließ den Platz vor dem Gewölbe mit klarem Kies belegen ; Zypressen , Taxus und anderes dunkelfarbiges Gesträuch mußte die Umsäumung desselben bilden , Mauerwerk , welches in die Runde geführt wurde , war bestimmt , den Vorplatz vor dem Verwaschen und Abschießen durch Regenfluten zu schützen , an dasselbe lehnten sich schönblühende Rankengewächse , damit das Auge nirgends durch tote Massen ermüdet werden möchte .
In der Tat bekam die Anlage durch den Kontrast der gediegenen Architektur mit der umgebenden Baum-Pflanzen- und Blumenwelt einen eigenen Reiz , so daß jeder sich gern auf den zu beiden Seiten des Portals zum Verweilen einladenden Steinsitzen niederließ .
Noch ganz zuletzt hatte sich ein bedeutendes Hindernis aufgetan .
Der Architekt sah nämlich , als das Gewölbe schon völlig ausgemauert war , daß eine reichliche Flüssigkeit durch den Kalk und Mörtel der Fugen hindurchsinterte und den Raum mit verderblicher Nässe zu erfüllen drohte .
Bald hatte er auch die Ursache dieses unwillkommenen Einflusses entdeckt .
Oberhalb dem Grabesberge lag nämlich ein beträchtlicher Weiher , der vermutlich durch geheime , erst durch die Arbeit im Berge eröffnete Kanäle jene Wässer der Gruft zusendete .
Wurde diese Gefahr nicht abgewendet , so stand , davon mußte man sich überzeugen , dem Mausoleum eine rasche Zerstörung bevor .
Er machte sogleich dem Oheim die Anzeige , welcher sich auf den Berggipfel tragen ließ , die Gefahr , aber auch die Schwierigkeit , entgegenzuwirken , begriff .
Die Wände jenes Weihers bestanden nämlich aus Felsen ; zwischen denselben blinkte und rauschte das Wasser , wie in einer großen natürlichen Schale .
Ein Durchbruch der Felsen , und eine dadurch zu bildende Abzugsrinne würden so viel Zeit hinweggenommen haben , daß inzwischen wahrscheinlich schon geschehen wäre , was man verhindern wollte .
Davon mußte man also abstehn ; auf andere Weise war die Trockenlegung des Weihers zu versuchen .
Rasch hatte der Oheim , der in dieser ganzen Angelegenheit mit der schnellen Kühnheit seiner Jugend verfuhr , das entsprechende Mittel gefunden , und zur Ausführung gebracht .
Große Züge von Pferden schleppten auf notdürftig gebahnten Wegen eine gewaltige Dampfmaschine den Berg hinan , rüstige Maurer arbeiteten Tag und Nacht , den Ofen zu errichten , dessen Gluten die ungeheuren Kräfte der Dämpfe entwickeln sollten ; sobald er stand , stand auch binnen kurzem die Maschine , ein kräftig wirkendes Pumpen-Saug- und Schöpfwerk , welches in jeder Sekunde mehrere Tonnen Wassers zu entheben vermochte , wurde an den Spiegel des Weihers geführt und mit den Armen der Dampfmaschine in Verbindung gesetzt .
Nun glühten die Kohlen des Ofens , nun hoben sich die langen eisernen Arme der Maschine , griffen in die Öhre der Pumpenstengel , trieben die Schöpfräder um .
Die abgezogenen Fluten bildeten den Berg hinunter einen Gießbach , und über den wirkenden Kräften ruhte die dichte , schwarze Wolke , welche dergleichen Stätten zyklopischer Feuertätigkeit bezeichnet .
Sobald der Grund sichtbar werden würde , sollten Sachverständige prüfen , ob die Quellen zu verstopfen sein möchten .
Jedenfalls war vorauszusehn , daß man nach der Seite des Mausoleums zu durch Letten- und Sandsäcke jede Verbindung mit dessen Wölbung werde aufzuheben vermögen .
Dies wurde für so gewiß gehalten , daß der Oheim , der überhaupt mit krankhafter Ungeduld nach der Beendigung des Werks verlangte , das Austrocknen des Weihers nicht abwarten wollte , um die Beisetzung des Leichnams zu veranstalten .
Was ihn in seiner Zuversicht bestärkte , war der Umstand , daß , wie die Wassermasse sich verringerte , auch das Durchsintern bedeutend abnahm , so daß man mit Hilfe einer bleiernen Rinne schon jetzt das Gewölbe entnässen konnte .
Er entwarf daher den Plan zu der Feierlichkeit , die übrigens höchst einfach und schmucklos sein sollte .
Seine Geschäftsfreunde und Vorstände hatten sich erboten , den Sarg auf ihren Schultern aus dem Erbbegräbnis der Grafen herabzutragen .
Der Prediger sollte mit der Schuljugend folgen , jedoch wegen Länge des Weges auf diesem kein Lied anstimmen .
Oben , bei dem Mausoleum wollte der Oheim mit Cornelien und einigen anderen jungen Mädchen , deren sich die Verstorbene angenommen hatte , den Zug erwarten .
Die Mädchen hatten einen schönen Psalm eingeübt , mit welchem sie die sterblichen Überreste ihrer Wohltäterin begrüßen wollten ; unter diesen ernsten Tönen sollte der Sarg in der Gruft niedergesetzt werden , und ein kurzes Gebet des Predigers den Schluß der Bestattung machen .
Am Vorabende unterhielt sich der Oheim mit dem Prediger lange über Dinge , auf welche die Umstände wohl führen mußten .
" Ich kann ganz genau meine Lebenskraft berechnen " , sagte er , " und sehe voraus , daß ich noch den Winter hindurch vorhalten , und erst im Frühjahre , wo alles Mürbgewordene sich sacht von dannen begibt , abscheiden werde .
Es ist mir lieb , daß die Natur sich gegen die Eigentümlichkeit meines Wesens gefällig bezeugt , mich nicht unvermutet aus der Mitte ungeordneter Geschäfte hinwegreißt , sondern mir Zeit läßt , mein Haus als ein ordentlicher Wirt zu bestellen .
Dieser Winter ist zur Anfertigung meines Testaments bestimmt , und ich darf Ihnen von dessen Inhalte so viel voraussagen , daß ich damit umgehe , eine Art von Fideikommiss zu errichten , um meinem Sohne die Zerstörung des Werks , welches ich mit meinen Freunden gegründet habe , für immer unmöglich zu machen .
Es ist sonderbar , daß man noch in seinen letzten Tagen zu Schritten kommen kann , die man bei anderen früher nie billigte .
Ich war von jeher der entschiedenste Gegner solcher Tötungen des freien Eigentums , und sehe nun doch ein , daß es Fälle und Verhältnisse gibt , welche dazu gebieterisch nötigen . "
Der Prediger wollte ihm die Todesgedanken ausreden ; jener versetzte aber :
" Lassen Sie mir doch meinen Kalkül , in dem für mich etwas Angenehmes liegt .
Wenn ich sterbe , so wird es sein , wie ein kaufmännischer Jahresabschluß , wie eine gewöhnlich Comptoirhandlung .
Alles wird danach im hergebrachten Geleise bleiben , kein Stuhl braucht deshalb verrückt zu werden .
Wir können uns in Beziehung auf den sonderbaren Akt , der mit nichts , was wir sonst erfahren , Ähnlichkeit hat , von einmal gangbar gewordenen Vorstellungsweisen nicht losreißen , so wenig sie auch auf die Sache passen " , fuhr er fort .
" Was heißt das : An der Seite seiner Gattin im Grabe ruhn ?
Ist es nur denkbar , ja wäre es nicht die größte Ungereimtheit , anzunehmen , daß mit der Gemeinschaft der Gruft irgendeine Empfindung für die Individuen verbunden sein sollte ?
Und dennoch muß ich Ihnen gestehen , daß ich voll wahren Entzückens an diese Vereinigung mit meiner Frau denke , und daß ich dann das Bild des süßesten , seligsten Schlummers nicht aus dem Sinne verbannen kann , so sehr mir sonst jede Schwärmerei auch widersteht . "
" Lassen wir , was wir nicht begreifen , auf sich beruhn , es hat wohl immer seinen Wert " , erwiderte der Prediger .
" Gewiß ist es menschlicher und natürlicher , fügt sich in den ganzen Zusammenhäng unserer Vorstellungen leichter ein , den Tod nicht so für sich , sondern gewissermaßen als Fortsetzung gewöhnlicher menschlicher Zustände zu betrachten .
Und auf diesen Zusammenhäng der Vorstellungen kommt doch alles an .
Es gibt kein Volk , welches nicht die letzte Rast in Verbindung mit dem menschlichen Geselligkeitstriebe , oder mit den Zuneigungen des Verstorbenen für bestimmte Plätze , da er noch lebte , brächte , und jenem Triebe und diesen Neigungen eine Schattendauer über das Grab hinaus beilegte .
Nur die abgeschwächte Grübelei , das erkältete Gemüt wird gleichgültig gegen die letzte Wohnung ; in den Zeiten der Stärke beherrscht jener freundliche Wahn , wenn man ihn so nennen will , das Volk und jeden einzelnen .
Ich halte nun sehr viel von dem Spruche :
» An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen « , und meine , daß das , was die Menschen im Zustande der physischen und moralischen Gesundheit denken oder auch nur träumen , das uns eigentlich Gemäße sei , womit wir uns zu begnügen haben . "
Ein Geräusch im Nebenzimmer unterbrach diese friedlichtraurigen Gespräche .
Die Vorstände der Fabriken traten herein , und an ihren Mienen ließ sich abnehmen , daß etwas Bedeutendes vorgefallen sein mußte .
Der Oheim , verwundert über den späten Besuch , fragte nach der Ursache , worauf ihm einer ein großes Schreiben , ohne zu reden , mit bedeutenden Blicken hinreichte .
Der Prediger sollte es lesen ; er besah Siegel und Aufschrift und sagte :
" Nach dem Postzeichen kommt es aus der Standesherrschaft . "
" Ich will nicht hoffen " , rief der Oheim ahnend aus , " daß dort sich etwas begeben hat ! "
" Allerdings " , versetzte einer , " wir haben , was wir haben wollten . "
Der Prediger hatte das Schreiben eröffnet und sagte : " Man meldet Ihnen das Ableben des Herzogs , und jene großen Besitzungen sind nun ebenfalls die Ihrigen . "
Die Geschäftsleute konnten ihre freudige Bewegung nicht unterdrücken ; der Oheim entließ sie mit einem stummen Winke , und saß , die Hände im Schoße gefaltet , das Haupt gesenkt , lange Zeit schweigend da .
Der Prediger hatte einen zweiten Brief erbrochen , der von jemand herrührte , welcher sich im Interesse des Oheims auf die erhaltene Todesnachricht sogleich nach dem Schlosse begeben hatte , um etwaige Veruntreuungen der Offizianten und Diener zu hindern .
Er berichtete die näheren Umstände über das Ende des Standesherrn .
Mit Weglassung des Unwesentlichen schalten wir folgende Stelle seines Briefs unserer Geschichte ein :
" So versank der Herzog von Tage zu Tage in eine immer tiefere Schwermut .
Er hatte seine Geschäfte dergestalt vereinfacht , daß er sie fast allein besorgen konnte .
Nur die notwendigste Bedienung litt er um sich , seine Mittags- und Abendmahlzeiten waren einsam , aller Gesellschaft hatte er entsagt .
Wenn ihm jemand leise Vorstellungen über diese Absonderung zu machen wagte , so versetzte er , daß ihn seine wankende Gesundheit zu einer so regelmäßigen Lebensweise nötige ; jeden Gedanken an einen Schmerz der Seele suchte er durch seine Erklärungen bei anderen sorgfältig zu entfernen .
Über die Abtretung der Herrschaft an Sie auf den Todesfall sprach er sich mit völliger Ruhe und Fassung aus .
Wer ihn aufmerksamer betrachtete , mußte die Angabe über seine körperlichen Umstände bezweifeln , denn das äußere Ansehen deutete durchaus nicht auf etwas Krankhaftes .
Aber oft kam er nach Hause , am Arme eines Landmanns , hinfällig , wie es schien , und sagte dann , daß ihn ein Schwindel unterwegs betroffen habe , und daß er zu Boden gestürzt sein würde , wenn ihn der Führer nicht aufgefangen hätte .
Gestern hat man ihn denn tot , auf dem Fußboden seines Zimmers ausgestreckt , gefunden .
Noch zwei Tage vorher war an ihm eine merkliche Erheiterung sichtbar geworden .
Er hatte sich geäußert , daß er ein größeres Wohlsein verspüre , von Besuchen , die er wieder abstatten , ja von einer Reise , die er unternehmen wolle , gesprochen .
Der Landphysikus ist sogleich berufen worden , hat den Körper untersucht und den Ausspruch gefällt , daß ein Schlagfluß den Tagen des Herzogs ein Ende gemacht habe .
Diesem ärztlichen Gutachten spricht nun jedermann nach ; ich aber habe meine besonderen Vermutungen .
Ich brachte in Erfahrung , daß er seine Angelegenheiten in einer Ordnung hinterlassen habe , die beispiellos sei .
Selbst die gewöhnlichen Rechnungen , welche sonst in jedem großen Hauswesen das Jahr hindurch unbezahlt stehenbleiben , sind bis auf die kleinsten Posten quittiert vorgefunden worden .
Nun meine ich , daß der natürliche Tod niemand so in Bereitschaft antreffen kann .
Ist mein Argwohn richtig , so hat er verstanden , die Repräsentation , welche seine Schritte von jeher bestimmte , bis an das Ende zu führen .
Es ist ihm möglich geworden , dem Überdrusse am Dasein die beabsichtigte Folge zu geben , dennoch alle zu täuschen , und anständig , wie er gelebt , zu sterben .
Ich selbst , der ich mich unter einem Vorwande in sein Zimmer geschlichen und mich überall umgesehen habe , konnte nichts Verdächtiges entdecken .
Die Herzogin , welche sich unfern im Bade * befand , eilte auf die erste Nachricht mit Kurierpferden herbei .
Ihr Schmerz ist grenzenlos und exzentrisch ; vielleicht schärft ihn das geheime Bewußtsein begangner Vernachlässigungen , zu denen eine überfeinerte Seelenstimmung sie verleitet hat .
Man ließ ein Wort vom Begräbnisse fallen , worauf sie , wie außer sich , ausgerufen hat , daß davon keine Rede sein dürfe , daß der Leichnam über der Erde bleiben solle , von ihr gepflegt und behütet .
Wie man diese Laune des Kummers überwinden werde , steht dahin .
Was die übrigen hiesigen Verhältnisse betrifft , so werden Sie selbst das Richtige erraten , da Sie die Menschen genügsam kennen .
Sie sind nun allhier der Herr und Meister , und Ihnen wendet sich ein jeglicher bereits in seinen Gedanken zu .
Man hat mich verschiedentlich um günstiges Vorwort bei Ihnen angesprochen ; ich denke , Sie werden in eigener Person prüfen , und die Spreu vom Weizen zu sondern wissen . "
Da der Oheim in seinem Schweigen beharrte , und durch die Nachricht ungewöhnlich erschüttert zu sein schien , sagte der Prediger :
" Ich kann es wohl fassen , wie ein großes Glück unsere Natur zu ängstigen vermag .
Wir sind doch alle eigentlich nur auf die Gewohnheit eingerichtet , und wollen , wenn sich etwas Außerordentliches ereignen soll , dieses uns lieber durch Dulden und Schmerz , als durch Genuß und Freude aneignen . "
" Sie erraten den Grund meiner Stimmung nicht " , versetzte der Oheim .
" Jene Todespost verrückt mir mein Konzept , darum setzt sie mich so in Unruhe .
Nie habe ich geglaubt , den Herzog überleben zu müssen .
Ich war eingerichtet auf Abreise , ich zählte die Stunden bis dahin , nun kommt ein Ereignis , welches auf längeres Verweilensollen deutet .
Denn wenn eine vernünftige Macht unsere Schicksale beherrscht , so wird sie mir nicht eine Vermehrung meiner Besitztümer um das Doppelte zuwerfen , in dem Augenblicke , wo sie mich zum Scheiden reif erklärt .
Ich werde also fortvegetieren , vielleicht noch lange , bis ich dieses neuen Geschäftes Herr geworden bin . "
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel In der Nacht , welche diesem Abende folgte , lag Ferdinand in der Hütte des alten Kammerjägers , mit dem er seit längerer Zeit geheimen , vertrauten Umgang pflog .
Spät war er zu ihm gekommen , hatte hastig mehrere Gläser des geistigen Getränks , an welches er sich in dieser wilden Gesellschaft gewöhnen mußte , hinuntergestürzt , und war dann nach heftigen und unbändigen Reden eingeschlafen .
Der Alte , welcher auf der einsamen Klippenhöhe - derselben , wo einst die leidenschaftliche Begegnung zwischen Hermann und Ferdinand sich ereignet hatte - abgesondert von aller menschlichen Gemeinschaft hauste , trieb schon eine geraume Zeit in der Gegend sein Wesen .
Er bot allerhand Kräuteröle und Essenzen feil , vertilgte die Ratten und Mäuse , und da er zu seinen Mitteln und Hilfsleistungen immer noch einen biblischen Spruch obenein in den Kauf gab , so hielten ihn die Landleute für einen Vertriebenen Priester , und erzählten sich die wildesten Geschichten von ihm .
Woher er gekommen war , wußte niemand ; da er indessen einen Erlaubnisschein zu seinem Gewerbe hatte , keinen belästigte und nichts Übles tat , so mußte man ihn unangefochten gehen lassen .
Zuweilen hielt er sich in der Nähe der Fabriken auf , sah starr nach dem Herrenhause und murmelte unverständliche Worte für sich hin .
Da aber hier ein jeder mit seinem eigenen Tagewerke genug zu schaffen hatte , so achtete niemand dessen , was außer dem Arbeitswege lag , und der murmelnde Alte war ihnen schon zur gewöhnlichen Erscheinung geworden , aus der keiner ein Arg hatte .
Er leuchtete dem Schlummernden , dessen Züge von stürmischer Leidenschaft zuckten , mit der Lampe scharf ins Gesicht , blickte nach einem auf dem Tische liegenden blanken Messer , und sagte : " Jetzt könnte ich es tun , und den Samen der Feinde vertilgen !
Sie sind hinter sich getrieben worden , sie sind gefallen und umgekommen vor dir .
Denn du führest mein Recht und meine Sache aus , du sitzest auf dem Stuhl , ein rechter Richter .
Du schiltst die Heiden und bringest die Gottlosen um , ihren Namen vertilgest du immer und ewiglich . "
Er griff nach dem Messer , legte es aber wieder hin , und rief : " Steht nicht geschrieben ?
Wer einen Menschen schlägt , daß er stirbt , der soll des Todes sterben .
Ein jegliches hat seine Zeit , und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde .
Anschläge bestehen , wenn man sie mit Rat führt , und Krieg soll man mit Vernunft führen .
Wie man einen Knaben gewöhnet , so läßt er nicht davon , wenn er alt wird . "
Er setzte sich zu seinen Wurzeln , Ölen und Schmalzen , und begann , in diesen unsauberen Dingen zu wühlen .
Ein widerlicher , für nicht ganz abgestumpfte Geruchsnerven unerträglicher Dunst begann sich zu verbreiten , von dem auch wohl der Schläfer erwachen mochte .
Er rieb die Augen , riß sie dann weit auf , sprang von seinem Strohlager empor , stellte sich vor den Alten und rief : " Laß deine albernen Schmierereien und hilf mir ! "
" Was fehlt Euch denn , und wo sitzt es , Junker ? " fragte der Alte .
" Hier " , rief Ferdinand , und schlug mit der geballten Faust auf die Brust .
" Sprecht und sagt an , daß man Euch verstehe " , erwiderte der Alte .
" Vorhin , als Ihr zu mir gestolpert kamt , wart Ihr so außer Euch , daß ich meinte , Ihr hättet vom Bilsenkraut genossen , welches der Menschen Gehirn verstört .
Nichts habe ich von allem dem begriffen , was Euren Lippen da entsprudelte . "
Der verwilderte Jüngling setzte sich dem Alten gegenüber , stemmte den Kopf auf , und aus seinen Augen brach ein Tränenstrom mit einer Gewalt , wie wenn Quellen sich durch Felsen die Bahn erzwingen .
Dieser Regen des Schmerzes erweichte seine Züge , welche , ungeachtet aller Entstellung durch Ausschweifungen , noch immer viel von ihrem ursprünglichen Adel und von der unschuldigen Schönheit der Kinderjahre hatten , so daß sein Anblick jeden Empfindenden mit Rührung erfüllt haben würde .
Der Alte aber ließ ihn weinen , rieb gleichgültig seine ekelhaften Spezies ferner ab , und sagte nach einer Weile :
" Vom Trauern kommt der Tod , und des Herzens Kummer schwächt die Kräfte .
Redet endlich , denn am Lachen und Flennen soll man den Narren erkennen . "
" Er ist wieder da ; bei dem Pfaffen versteckt er sich , der Leidige , das Ungeheuer , dem ich das Herz aus dem Leibe reißen möchte , und es in die Tiefe werfen , da , wo es die Füchse fressen ! " rief Ferdinand .
" Wie lange wird es dauern , so heiraten sie einander !
Ich glaubte , es sei vorbei , dein Branntwein schmeckte mir , und der Spaß mit dem Mädchen , zu dem du mich führtest , tat mir wohl , aber nun er wieder da ist , hat sich alles umgekehrt .
Ich will nur gleich zwischen des Vaters Maschinen geraten , und von ihren Rädern zerquetscht werden , wenn ich Cornelien lassen soll , die mein Leib , meine Seele , mein alles ist , um die ich durch die brennende Hölle ginge ! "
" Da wäre nun kein anderer Rat " , sagte der Alte , " als , Ihr müßtet Euch des Kerls zu entledigen suchen .
Lauert ihm auf , wenn er allein geht , und stoßt ihn von hinten nieder , so ist der Weg zum Mädchen frei . "
" Wie dumm du bist ! " rief Ferdinand .
" Mord kommt an den Tag , das habe ich in allen Geschichten gelesen .
Sie schlügen mir den Kopf ab , und ich hätte nichts davon .
Nein , wozu ich noch immer Verlangen trüge , das wäre ein Duell auf Leben und Tod .
Wenn man darin seinen Gegner niederschießt , so kommt man zwar auch auf die Festung , aber sie lassen einen bald wieder frei .
Das erzählte neulich einer über Tisch . "
" Ihr habt ja Pistolen , fordert ihn also " , sagte der Alte .
" Und wer versichert mich , daß ich ihn treffe ? " fragte Ferdinand .
Er sann eine Weile stumm vor sich nieder , dann riß er das Haupt des Alten , der immer in seiner Beschäftigung fortfuhr , gewaltsam beim Schopfe empor , sah ihm mit einem seltsamen Blicke in das Antlitz , und sagte leise : " Höre du ; weißt du , ob es Treffkugeln gibt ? "
Der Alte legte seine Sachen weg , und versetzte :
" Oho ! Wollt Ihr da hinaus ?
In der Stadt haben sie , wie ich mir sagen lassen , einen großen Spektakel und Gesang darüber gemacht .
Sie ziehen einen rot an , den nennen sie den Simon oder Samuel , ich weiß nicht recht , wie er heißt , und dann geht ein aberwitziger Lärmen in der sogenannten Wolfsschlucht vor sich .
Nichtsnutzige Possen das !
Auf solche Lappalien horcht nichts in dem Abgrunde der Kräfte , die muß man an einem anderen Zipfel zu fassen wissen .
Ob es wahr ist , weiß ich nicht , gesprochen wird davon unter uns Leuten vom Fache .
Es steht geschrieben im zweiten Buche Mose am einundzwanzigsten :
Auge um Auge , Zahn um Zahn , Hand um Hand , Fuß um Fuß , Seele um Seele .
Davon machen sie die Nutzanwendung ; wer seines Lebens nicht achtet , um das Schießblei zu gewinnen , dem wird das Blei auch alles Leben in die Hände geben , an welches er will .
Sie sagen , wer ein Stück Blei , aber es muß nicht von einer Kirche sein , mit Todesgefahr erobert , der kann daraus Kugeln gießen , vor denen kein Kraut gewachsen ist .
Wißt Ihr ein solches Stück Blei , so tut , was Ihr nicht lassen könnt , und plagt mich nicht weiter , denn es ist hoch Mitternacht , und ich bin schläfrig . "
Die Lampe war über diesem Gespräche erloschen .
Ferdinand tappte im Dunklen fort , und der Alte streckte sich mit den Worten :
" Wenn ihm nun ein Unglück begegnet , so ist die Brut der Ungerechten zertreten , ohne daß ich schuld daran habe " , auf sein Lager .
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Am folgenden Morgen bat Hermann die Frau des Predigers um die Erlaubnis , dem Begräbnisse zusehen zu dürfen .
Sie wollte davon nichts wissen , weil ihn der Oheim zu Gesichte bekommen könne .
Er versprach , auf dem obersten Teile der Anhöhe hinter Büschen verborgen bleiben zu wollen .
Um ihren Mann über das Anliegen zu befragen , ging sie in dessen Studierzimmer .
Dieser hatte es sich nicht nehmen lassen wollen , außer dem Gebete eine kurze Rede am Sarge zu halten , und schritt , Inhalt und Ausdruck in Gedanken erwägend , auf und ab .
Er war im Zustande der Meditation von allen anderen Dingen immer gänzlich abgekehrt , antwortete daher seiner Frau , ohne recht zu wissen , wovon sie redete , auf ihre Frage zerstreut :
" In Gottes Namen , störe mich nur nicht ferner ! "
Der Kranke rief , als er die Einwilligung vernahm :
" Das ist mir recht lieb !
Ich muß mehr Zerstreuung haben .
Seitdem mit meinem Rocke etwas vorgegangen ist , bin ich so unruhig ! "
Nach einigen Stunden hörte der Prediger erst , wozu er seine Beistimmung gegeben hatte .
Er war darüber sehr erschrocken , und wollte durchaus , daß der Kranke von seinem Vorhaben abgebracht würde .
Indessen mußte man es gehen lassen , denn Hermann verriet in Farbe und Mienen wieder einen heimlichen Zorn , sobald seine Pflegemutter versuchte , ihm jenen Gang auszureden .
Im Hause des Oheims herrschten sehr verschiedenartige Beschäftigungen .
Cornelie übte mit den jungen Mädchen den Psalm ein , welcher an der Gruft gesungen werden sollte , und wand mit ihnen die Kränze , zum Schmuck des Eingangs bestimmt .
Der Oheim war dagegen mit seinen Geschäftsleuten in die weltlichsten Beratungen versenkt .
Der Vorteil , welcher dem ganzen Fabrikbetriebe und also nach der gestifteten Einrichtung auch ihnen teilweise durch den Anfall der Standesherrschaft zuwuchs , war unermeßlich .
Kaum hatten sie das Erwachen ihres Herrn und Meisters abwarten mögen , ihm alles das , was die Nacht hindurch in ihren Köpfen gegärt , vorzutragen ; um seinen Frühstückstisch versammelte sich schnell eine zahlreiche Gruppe von Ratschlagenden , Entwürfeverkündenden , welche ihre Gedanken auch sogleich dem Auge durch Listen , Rechnungen , und schnell gefertigte Risse anschaulich zu machen sich bestrebten .
Einer der Rührigsten wurde noch an demselben Vormittage nach jenen Gütern abgefertigt , um namens des nunmehrigen Eigentümers Besitz zu ergreifen .
Nutzte man die Kräfte , welche durch den neuen Erwerbe gewonnen worden waren , in bisheriger schwunghafter Weise , so ließen sich einem solchen Geschäfte kaum noch Grenzen ziehen , nur in England waren die Ähnlichkeiten für derartige Gewerbesgröße aufzufinden .
Diese Betrachtungen rührten zu dem Vorsatze , eine bedeutende überseeische Abzweigung des Kapitals zu bewirken .
Der Oheim nahm an der Unterredung lebhaft Teil .
Jedem Menschen ist eine Signatur in die Seele eingeschrieben , und die Entfernung von diesem Urzeichen der Lebensentfaltung bleibt immer nur eine scheinbare .
Auch er hatte eine unruhige Nacht gehabt .
Mit siegender Gewalt nahmen ihn die Bilder der neuen Tätigkeiten gefangen , und drängten die stillen entsagenden Vorstellungen zurück , mit welchen er bis zum Ende seiner Tage auszureichen gemeint hatte .
Besonders war ihm der Blick verlangend über das Meer gerückt ; er wünschte sehnlich eine Herstellung von seinen Gebrechen , um sich noch die Anschauung jener fernen erzeugnisreichen Gegenden gewinnen zu können .
Zwischen diesen Verhandlungen langte eine Botschaft Theophiliens an .
Sie hatte den Schlüssel zu dem Erbbegräbnisse der Grafen in Verwahrung , und diesen heute den Männern herausgeben müssen , welche den Sarg der Tante von seiner vorläufigen Ruhestätte zu erheben bestimmt waren .
Nun bat sie den Oheim schriftlich , allen ferneren Ansprüchen auf die Gruft ihrer Ahnen zu entsagen , welche ihm von keinem Nutzen mehr sein könne , da er für sich und die Seinigen ein eigenes Gewölbe errichtet habe .
Der Oheim sagte , nachdem er den Brief gelesen hatte :
" Da uns das Schicksal gewaltsam in das Leben zurückdrängt , so wollen wir immerhin den Toten die Toten überlassen .
Es ist mir lieb , den Grillen dieser untergegangenen Frau eine Nachgiebigkeit erzeigen zu können .
Vielleicht versöhne ich sie dadurch mit mir . "
Er setzte sich nieder , stellte eine verzichtende Erklärung , wie sie dieselbe begehrt hatte , aus , und überließ die Gruft der erloschenen Familie dem letzten Sprößlinge zur uneingeschränkten freien Verfügung .
Nach dem Mittagsessen , welches man noch mehr , als gewöhnlich , abgekürzt hatte , begaben sich die Männer , welche den Sarg tragen wollten , eilig den Schloßberg hinauf .
Der Oheim verweilte eine kurze Zeit bei Cornelien , deren Augen über das zerstreute und der Feier des Tages abgekehrte Wesen trübe geworden waren .
Man sah es allen nur zu deutlich an , daß sie das Totenfest abgetan wünschten , um sich den so mächtig andringenden irdischen Hoffnungen mit ganzer Seele hingeben zu können .
In ihrer reinen Trauer über diesen grellen Widerspruch der Menschen und Dinge nahm sie den Oheim , als sie mit ihm allein war , beiseite , und sagte zu ihm :
" Nicht wahr , Vater , wir fahren nach der Bestattung mit dem Prediger spazieren , und bleiben auch den Abend für uns ? "
" In deiner sanften Frage liegt für mich ein schwerer Vorwurf " , versetzte der Oheim .
" Wenn es wahr wäre , daß zwischen den Seelen der Menschen ein wesentlicher Unterschied bestände , wie manche haben lehren wollen !
Wenn nur einige zur Erhebung , zum Leben des Geistes bestimmt wären , andere dagegen unwiderruflich in den Schlamm und Tod versinken müßten , und alle Mühe , von diesem eingebrannten Male der Nichtigkeit sich zu reinigen , umsonst aufwendeten ! "
" Welche Gedanken ! " rief Cornelie .
" Ich will wenigstens hienieden nützen , wie ich kann " , fuhr der Oheim fort .
" Zu meinen Beschickungen gehörst auch du , Cornelie , du bist die süßeste derselben .
Sollte ich aus der Welt gehen , ehe ich dich an der Seite eines Gatten versorgt weiß , so wird dein Los von mir genügend festgestellt worden sein . "
Cornelie sank ihm zu Füßen , und sprach mit leuchtenden Blicken :
" Sorge du nicht um mich , und nicht für mich , mein Vater .
So gewiß dies meine Hand , und jenes meine Füße sind , so gewiß weiß ich , daß , wo ich stehe , oder mich niederlege , wohin ich gehe und trete , ich behütet und geschirmt bin .
Wenn das nicht wäre , so hätte ich ja so früh meine Eltern nicht verlieren können .
Glaube mir , mein Vater , mir wird es immer wohl gehen , recht wohl .
An meinem Herde wird sich der Dürftige wärmen , und unter meiner Pforte werden die Müden sitzen .
Darum entziehe du deinem Sohne und den Freunden , die mit dir gearbeitet haben , nichts von dem Deinigen ; Cornelien schenke du nur , wenn es denn einmal so weit ist , deinen letzten Blick und Hauch , das soll meine Erbschaft sein . "
Er fragte einen Eintretenden , welcher meldete , daß der Leichenzug vom Schloßberge herabzusteigen beginne , nach Ferdinand .
Jener versetzte , daß er den Knaben aufgefordert habe , ihm zu folgen , daß dieser aber , ohne ihm Antwort zu geben , den Berg nach der Gegend des Weihers zu hinaufgestürmt sei .
Seufzend machte sich der Oheim in seinem kleinen Fuhrwerke , neben welchem Cornelie herging , auf den Weg .
Den Vorplatz des Mausoleums bedeckte eine zahlreiche Menschenmenge , welche nicht die Neugier allein , sondern auch so ein dankbares Erinnern herbeigezogen hatte , denn die Verstorbene war die Wohltäterin vieler Bedürftigen gewesen .
Die Pforten des Gewölbes waren aufgetan , zu beiden Seiten standen die festlichgeschmückten Jungfrauen im Halbkreise .
Cornelie gesellte sich , sobald sie mit dem Oheim auf der Höhe anlangte , zu ihnen .
Er ließ seinen Sessel der Pforte gegenüberstellen , und erwartete den Zug , dessen Nahen die in immer dichteren Haufen den Berg heraufdringenden Menschen verkündeten .
In der Mitte des Platzes war mit leichten Stäben ein freier Raum für den Sarg , seine Träger , den Prediger und die Schulkinder abgesteckt worden .
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Sobald der Sarg niedergesetzt war , und die wogenden Menschenwellen , welche nun nicht allein den Platz oben , sondern auch alle Abhänge des Berges überfluteten , sich beruhigt hatten , erhoben die Jungfrauen ihre Stimme , und sangen den Psalm ab , dessen gehaltene , ernste Melodie die Herzen noch tiefer angerührt haben würde , wenn nicht das vom Weiher herklingend Geräusch der heftigarbeitenden Dampfmaschine den sonderbarsten Gegensatz zu jenen frommen Tönen hervorgebracht hätte .
Nach beendigtem Gesange trat der Prediger zum Sarge , verrichtete das Gebet , und knüpfte an dasselbe folgende Worte :
" Ihr seid es von mir schon längst gewohnt , meine Zuhörer , daß ich euch in meinen Vorträgen nicht zwischen die Dornenhecken dunkler Glaubenslehren , nicht auf die kalten leeren Höhen spitzfindiger Grübelei zu führen pflege , weil ich der Meinung bin , daß das Christentum , ist es echter Art , dem Blute gleichen müsse , welches , mit den Werkzeugen des Lebens verbunden , sie in ungetrennter Gemeinschaft durchdringend , ihnen eben gerade das Leben schafft , während dasselbe , von jenen Werkzeugen getrennt , für sich allein nicht bestehen kann , vielmehr dann bald sich scheidet , gerinnt und verdirbt .
Ich liebe es daher , euch aus noch so geringfügig scheinenden Gelegenheiten , aus eurer Arbeit und aus eurem Gewerbe , aus den kleinsten Vorfällen eurer Hauswesen , die Quellen der Erbauung zu öffnen , und bestrebte mich , den Gott , welcher jedem erscheinen muß , wenn er das Samenkorn in die Erde legt , oder sein Tagewerk am Webstuhle vollendet hat , vor aller Augen zu enthüllen .
Laßt mich also auch an dieser Bahre meines Brauche_es pflegen , laßt uns nicht in allgemeinen Todesbetrachtungen , welche ohne Frucht und unnütz sein würden , sondern in dem besonderen Hinblicke auf den Fall , welcher uns hier zusammengeführt hat , unsere Gedanken vereinigen !
Es ist ein Gerede unter den Menschen , daß Mäßigkeit , Nüchternheit , Vorsicht , die heilsame Kälte , welche die Schritte erwägt und den Fuß nicht eher zum Weitergehn aufheben mag , bis man habe , wo man ihn niedersetze , daß diese Dinge , sage ich , zwar gute und einträgliche Eigenschaften seien , daß sie aber zu höheren und selteneren Gewinnen nicht hinzuführen vermögen , und daß sie namentlich den Menschen , welcher mit ihnen begabt ist , unfähig zu den sanften und warmen Empfindungen machen , auf welchen die Liebe ihr schönes Gebäude gründet .
Man nennt die Verbindungen , welche nicht im Rausche der Leidenschaft geschlossen werden , Scheinbündnisse , man glaubt , daß bei ihrer Eingehung nur der Trieb der Gewohnheit oder eine herzlose Berechnung obgewaltet haben könne .
Sehet hier ein Beispiel von der Nichtigkeit dieses Redens und Meinens !
Über die Jünglingsjahre längst hinaus , ohne stürmische Aufwallung , bedächtig das Wichtige überlegend , knüpfte der verehrte Mann , um den uns eine fromme Feier versammelt hat , das Band , dessen Unzerreißbarkeit eben diese Feier aussprechen soll .
Wohl allen denen , welche einander im Augenblicke der ersten , oft so oberflächlichen Bekanntschaft die Ewigkeit ihrer leichtentstandenen Aufregung versichern , wenn sie mit der Innigkeit verbunden blieben , welche hier dem ruhig gegebenen und empfangenen Worte folgten !
Sämtlich sind wir Zeugen gewesen der Zucht und Einigkeit , des Vertrauens und des Glücks , aller der Gnaden und Segnungen , welche diese wahrhaft gottgefällige Ehe schmückten .
Aber nicht genug , daß sie auf Erden die Bestimmung der göttlichen Einrichtung - das Bild der vollkommenen Menschheit durch zwei darzustellen - im genügendsten Maße erfüllte ; auch über das Grab hinaus reichten ihre Einflüsse und Wirkungen .
Die Gattin scheidet , und der Zurückbleibende richtet seine Blicke beharrlich der Entschwundenen nach .
Fest die Zügel der ihm überwiesenen irdischen Angelegenheiten haltend , blüht ihm doch nur noch Genuß in der Sehnsucht nach ihr , welche seine Augen nicht mehr schauen ; sein Gemüt entbrennt zu dem schönen Werke in Erz und Marmor , welches nun vollendet vor uns steht , die sterbliche Hülle der teuren Schlafengegangnen aufzunehmen , an deren Seite er selbst dereinst ruhen will .
Sanften Trost empfindet er in diesen Beschwichtigungen , womit unser von Wolken überdecktes Auge sich die Ewigkeit und ihre Geheimnisse anzunähern versucht .
Wenn andere Menschen von dem Weine und Brote leben , dessen sie genießen , so läßt sich von unserem Freunde behaupten , daß ihn die Erinnerung speiste und die Hoffnung tränkte .
Nehmet denn , ihr Ehelich-verbundenen , oder die ihr in diesen Stand treten wollt , von solchem Vorgange ein Muster der Nachahmung !
Jenes stille Heiligtum , welches heute seine Weihe erhält , der Sarg und der lebende Freund - sie mögen in eurem Herzen Gelübde erzeugen , würdig des Wortes , welches der Apostel sprach :
» Wer sein Weib liebet , der liebet sich selbst . «
In dieser allesumfassenden Liebe zu einem zweiten Wesen ist der Inbegriff jeglicher sittlichen Veredlung gesetzt , der Mensch löset sich von der Selbstsucht ab , und empfängt dadurch sein Inneres erhöht und gereinigt zurück .
Ja , meine Freunde ... "
Ein dumpfes Geräusch , wie von dem verworrenen Durcheinanderreden vieler Menschen , ließ sich in der Ferne vernehmen .
Es kam aus der Gegend , wo der Weiher lag .
Der Prediger hielt betroffen inne .
Die Menschen wendeten sich nach dem Schalle .
" Es muß etwas an der Maschine zerbrochen sein , man hört sie nicht mehr " , sagte der Oheim .
" Gehe einer hin und sehe zu .
Welche widrige Unterbrechung ! "
Einige Arbeiter schwangen sich den steilen Pfad hinauf , der nach dem oberen Teile des Berges und nach dem Weiher führte .
Doch nur wenige Augenblicke vergingen , so kamen sie wieder herabgestürzt , totenbleich , mit entsetzten Gesichtern .
Der Maschinenmeister folgte ihnen , und fiel mit einem Jammergeschrei am Wägenchen seines Herrn nieder .
" Was ist geschehen ? " fragte der Oheim erschreckt .
" Hat das Werk Schaden genommen ? "
" Ihr Sohn liegt zerschmettert oben auf dem Berge ! " rief der Mann , seiner nicht mächtig .
Entsetzt drang die Menge herzu .
Man bestürmte ihn mit Fragen , wie dieses furchtbare Ereignis sich begeben habe ; er war unfähig , zu antworten .
Sprachlos starrte ihn der Oheim an , seine Augen standen ohne Bewegung in ihren Höhlen , seine Lippen verloren die Farbe , sein Haupt ruhte an Corneliens Brust .
" Den Sarg in die Gruft , unseren Vater nach Hause ! " rief das Mädchen , welches inmitten dieser Schrecknisse die Besinnung noch hatte , deren die anderen beraubt waren .
Indem man sich anschickte , ihrem Befehle zu gehorchen , rief von den Klippen über dem Mausoleum eine laute Stimme : " Halt ! " und Hermann trat auf ein vorragendes Felsenstück .
Die Bauerburschen , welche den Wagen des Oheims zogen , hatten mit demselben eine Wendung nach vorwärts gemacht , so daß Hermann dem Alten gerade gegenüberstand .
" Tröste dich , Onkel ! " rief der Unselige hinunter .
" Ferdinand ist dein Sohn nicht , die Tante hatte ihn vom Grafen , darum verschrieb dir der die Standesherrschaft , damit die Güter dereinst an sein Blut kämen ; frage nur Theophilien , sie weiß alles , aber die Liebesbriefe haben wir verbrannt . "
Cornelie fiel nun selbst ohnmächtig in die Arme ihrer Freundinnen .
Auch bedurfte das Haupt des Oheims keiner Stütze mehr ; nur die ersten Worte hatte er aus Hermanns Munde vernommen , dann sank er mit einem tiefen Atemzuge in sich zusammen , erdrückt von diesen Schlägen , und der Ruf der Umstehenden :
" Er stirbt ! " wurde Wahrheit .
Langsam zogen die Burschen den Wagen hinunter nach dem Hause .
Schweigend , unter der Last dessen , was sich begeben hatte , schaudernd , ging die Menge von dem Berge .
Es war etwas Grauenvolles , diese vielen hundert Menschen zu sehen , deren Lippen das ungeheure Schicksal versiegelt , deren Herzen es versteinert hatte .
Auf einen stummen Wink des Predigers , welcher mit dem Unglücksboten auf dem Berge geblieben war , wurde der Sarg hastig in das Mausoleum geschafft .
Er stieg mit dem Maschinenmeister den Klippenweg hinauf .
Sie näherten sich dem Weiher .
Die Maschine stand .
Zu ihren Füßen lagen die blutenden Gebeine eines , der ein Mensch gewesen war .
Ein unseliger Anblick !
Nachdem der Prediger sein Entsetzen bewältigt hatte , fragte er den anderen :
" Wie ist dies zugegangen ?
Reden Sie jetzt , daß wir alle Tatumstände feststellen , und nicht noch Unschuldige zur Verantwortung gezogen werden mögen . "
" Gott weiß es , ich nicht " , erwiderte der bewegte Mann .
" Schon vor einigen Stunden hatte er sich bei uns hier eingefunden , und war spähend um die Maschine hergegangen .
Er machte uns auf den gelockerten und halb zersprungenen bleiernen Ring dort aufmerksam , welcher an jenem das Pumpenwerk in Bewegung setzenden Arme hängt , in seinem unverletzten Zustande bestimmt , die Widerstandsmittel gegen etwaige Explosionen der Dämpfe zu verstärken .
Seine Frage , ob es wohl möglich sei , dieses Blei dem Balken , wenn er eben niedersteige , mit raschem Griffe zu entreißen , hielten wir für Scherz .
Wir antworteten , daß es ja auch Menschen gegeben habe , die zwischen den sausenden Flügeln einer Windmühle hindurchgegangen , oder wohl gar geritten seien , und ebenso möge es gelingen , das Blei zu erobern , aber freilich könne der Kopf mit in den Kauf kommen .
Er verhielt sich nach diesen Gesprächen still , und wir vergaßen bald die ganze Sache .
Nun erschien plötzlich der junge Mann , der bei Ihnen wohnt , und sobald er den sah , wurde er wie von einer rasenden Wut befallen .
Er blickte bald ihn , bald die Maschine mit grimmig funkelnden Augen an , und schoß pfeilschnell auf den Arm zu , da er und der bleierne Ring im Niedersteigen waren .
Das taube Eisen faßte ihn , seine Kleider mußten sich in das Gestänge verwickelt haben , denn dreimal wurde er im wilden fürchterlichen Umschwunge gegen die Balken , und von diesen wieder in die Lüfte geschleudert .
Augenblicklich ließ ich hemmen , aber schon war es geschehen , und wir hatten , als die Maschine stillstand , nur die zerbrochenen Gebeine aus ihren Klammern und Fugen zu nehmen . "
" Eilen wir hinwegzutun , was die Blicke der Menschen beleidigt ! " sagte der Prediger , ließ die jammervollen Überbleibsel erheben , und in eine Kiste legen .
Auch diese wurde im Mausoleum , neben dem Sarge der Mutter beigesetzt .
Unten im Dorfe fand er alles wie ausgestorben .
Niemand ließ sich blicken , jeder fühlte eine dunkle Furcht vor herandrohenden Schreckgerichten .
Im Herrenhause war Bestürzung , Weinen und Wehklagen .
Cornelie lag danieder und fieberte .
Die Leiche des Oheims hatte man auf einem Bette ausgestreckt .
Als der Prediger ihm in das Gesicht blickte , fuhr er zurück , und gebot , es mit einem Tuche zuzudecken ; die Miene des Toten sei von einer eigenen , den Lebendigen nicht heilsamen Beschaffenheit .
Er trat in sein Haus .
Dort saß Hermann , wie gewöhnlich , ruhig über den Büchern .
" Sie haben Ihren Oheim getötet ! " rief er ihm mit strengem Tone zu .
Gelassen versetzte Hermann :
" Warum schelten Sie mich ?
Ich meinte es gut ; konnte er sich nicht zufriedengeben , da er hörte , daß der wilde Knabe ihn nichts angehe ? "
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Eine solche Wendung war den Mächten , welchen das menschliche Dasein nur zu leicht verfällt , gelungen .
Voraussicht , Klugheit , Berechnung waren zuschanden gemacht worden , ein furchtbarer Blitz hatte sein grelles Licht auf die Nichtigkeit frommer Zuneigung geworfen , den fürsorglichsten Mann riß das Schicksal mitten aus ungeordneten Verhältnissen in Verzweiflung hinweg .
In einem Hause , worin nur der Verstand galt und anerkannt wurde , hatte der widersinnigste Aberglaube seine Flügel , bis zum Wahnwitz treibend , schwingen dürfen , und über Lippen , die nicht wußten , was sie sprachen , war das Geheimnis der Familiensünde elementarisch gesprungen .
Diesen Ausgängen war hier niemand gewachsen .
Die Arbeit stockte , mutlos schlichen die Geschäftsleute umher .
Man mußte an die Bestattung der Leiche denken , und auch da zeigte es sich , daß der Zorn jener dunklen Gesetze , welche in ihr volles Recht hier eingesetzt zu werden forderten , noch nicht vorüber sei .
Theophilie , von welcher man den Schlüssel zum Erbbegräbnisse wiederverlangte , weigerte sich , ihn zu geben , und berief sich auf die Entsagungsurkunde , welche der Oheim an seinem letzten Lebenstage ausgestellt hatte .
Man bewog den Prediger , zu ihr zu gehen , der denn auch alle Beweggründe der Milde und Versöhnlichkeit anwendete , ihren Willen zu beugen .
Sie ließ ihn ruhig ausreden und sagte dann :
" Ich ehre diese Grundsätze des Friedens , aber man kann verschiedene Wege gehen , die alle recht und gut sind .
Auch die Vergeltung hat ihre Ehren .
Ich bin die Rächerin meiner Familie .
Er hat uns im Leben aus unserem Eigentume getrieben , dafür versage ich ihm die Ruhe bei meinen Toten .
Immer noch eine sehr glimpfliche Rache , sollte ich meinen .
Das Geheimnis , welches ich wußte , wäre mit mir zu Grabe gegangen , der Schlaf verriet es einem fremden Ohr ; nun wurden Versprechungen gewechselt , und Briefe den Flammen übergeben , um es ja recht sicher zu bewahren .
Aber ein kindischgewordener Geist plaudert es wider Willen und Absicht dem Sterbenden aus , und stößt ihm damit das Herz ab .
Ich finde etwas Großes und Göttliches in diesem Hergange ; er erinnert an alte Märchen , worin Bachwellen und rauschende Baumzweige das Tiefverborgene an den Tag bringen . "
Da er sah , daß sie nicht zu überreden war , so stand er ab ; man beschloß , kein Aufsehn zu erregen , indem man Zwang gegen sie versuchte .
Die Menschen hatten durch die stattgehabten Ereignisse alle Besinnung verloren .
Einer schlug vor , den Oheim im Mausoleum zu bestatten , wie er ja selbst verfügt habe , und die anderen billigten seinen Rat , zu dessen Ausführung alles in Bereitschaft gesetzt wurde .
Aber die Natur hat zuweilen in ihrem tiefen Busen ein Gefühl für Wahrheit , und will nicht dulden , daß das ganz Unschickliche geschehe .
In der Nacht wurden die Bewohner des Dorfs von einem Getöse erweckt , in welchem sie bald das Rauschen stürzender Fluten erkannten .
Man machte sich mit Fackeln und Windlichtern hinzu , und sah bei deren Scheine den Bergweg zum schäumenden Wasserfalle verwandelt .
Unten im Dorfe flossen die Wogen zu einem Bache ab , der an manchen Stellen gürteltief war .
Als es tagte , nahm man ein grauses Schauspiel wahr .
Durch die Eingangspforte des Mausoleums , wie durch einen Brückenbogen , schoß der weißschäumende Strom bergab , und hatte Mauerstücke , Bäume , ja auch die Behältnisse , welche die Gebeine der Mutter und des Sohns bargen , mit sich fortgerissen .
Diese lagen , kläglich umgeworfen , von Schlamm und Graswust widerlich umsäumt , am Abhange des Berges .
Ein Teil des Gruftgewölbes war eingestürzt , und dem Ganzen drohte dasselbe Schicksal , wenn die Gewalt der immer weiter wühlenden Fluten nicht bald gebrochen wurde .
Die Ursache dieser Zerstörung war nur zu bald entdeckt .
Der Weiher , von der Maschine , an deren Wiederbelebung niemand in der allgemeinen Bestürzung gedacht hatte , nicht mehr ausgeschöpft , und überdies durch Regengüsse in den Bergen über seinen gewöhnlichen Inhalt angeschwollen , hatte mit der ganzen Wassermasse durch die verborgenen Rinnen auf die Auswölbung der Gruft gedrückt , und wahrscheinlich in kurzer Zeit den Widerstand des Gemäuers überwunden .
Es geschah , was geschehen konnte , um die Gefahr einer Überschwemmung von den Talbewohnern abzuhalten .
Die Maschine arbeitete wieder unausgesetzt , so daß der Zufluß zum Gewölbe bald vermindert wurde , und man auch von dort dem Elemente entgegenwirken konnte .
Das einzige Mittel kräftiger Begegnung war , die Gruft auszuschütten , und den Berg in seiner dichten Rundung herzustellen .
Dies geschah mit rastloser Tätigkeit .
Felsblöcke , Buhnengeflecht , Lehm- und Schuttlagen mußten die Höhlung füllen , und nach vierundzwanzig Stunden war von dem schönen Werke der Baukunst nichts mehr zu erblicken , als der Marmor der Pforte , welcher unnütz und wehmuterregend aus jenen niederen Stein- und Erdumgebungen hervorblickte .
Bei der gewaltsamen Arbeit hatte man natürlich der Wege und Anlagen nicht schonen können , so daß , als die Sache getan war , zertretener Rasen , abgebrochene Stauden , verwüstete Blumenflecke , Sumpf und Nässe den Rahmen um jenes ausgetilgte Denkmal ehelicher Liebe bildeten .
Inzwischen wartete der Prediger seines Amtes , ließ im Dunkel des späten Abends Mutter und Sohn erheben , und unbemerkt ohne Geleit auf dem Kirchhofe des Dorfs einsenken .
Auch war nach diesen letzten trüben Dingen von ihm sogleich ein reitender Bote an den Rechtsfreund des Oheims in der Standesherrschaft abgesendet worden , dort das Gewölbe für die Leiche auftun zu lassen , und sie so dem Hasse und den wütenden Naturkräften zu entrücken , welche sich hier gegen ihre letzte Rast verschworen zu haben schienen .
Traurig und langsam rückte der schwarzbehangene Wagen in kleinen Tagereisen gegen die Grenze jenes adlig gewesenen Gebietes vor , welches nun die eingefallenen und geschloßenen Augen des bürgerlichen Erwerbers nicht schauten , wo keiner dem neuen Herrn mit verehrendem Gruße entgegenkam .
Aber in der Nähe des Schlosses erhielt der Verblichene Gesellschaft ; auch der Herzog befand sich auf dem letzten Wege zur Gruft seiner Ahnen .
Man hatte , die Bestattung möglich zu machen , die Herzogin unter einem Vorwande zu entfernen gewußt , und jene , sobald man erfuhr , daß auch der Oheim dort ruhen solle , beeilen wollen , um fertig zu sein , wenn diese zweite Leiche einträfe .
Allerhand Zufälligkeiten verzögerten indessen die Ausführung der Anstalten , und so kam es , daß die beiden Züge in dem breiten Wege , welcher nach dem Erbbegräbnisse führte , zusammentrafen .
Der Prediger trat mit dem herzoglichen Kaplane in kurze Beratung , und beide Männer , von einer religiösen Empfindung erschüttert , ordneten an , daß der Tod keinen Vortritt gewähren , sondern seine stillen Untertanen mit gleichen Rechten empfangen solle .
Weg und Pforte waren geräumig genug , zwei Särge nebeneinander aufzunehmen , und so gingen die Gegner einträchtig zusammen in die dunkle Wohnung ein .
Nach diesen Entscheidungen des Todes und der Nacht wandten sich die Hinterbliebenen in das Leben zurück .
In den Fabriken trat aus den Vorstehern eine Kommission zusammen , welche die Geschäfte in der bisherigen Weise und im Geiste des Verblichenen fortzusetzen sich bemühte .
Auf dem Schlosse des Standesherrn wurde von ihren Bevollmächtigten inventarisiert , auf Feldern und Waldgründen vermessen .
Die Maschinen begannen wieder zu klappern , die Arbeiter ihre Packen auf den gewohnten Wegen zu tragen , in den Comptoirs schrieb und rechnete man wie früher .
Wenn sie sich nun aber fragten , wer der Herr der unermeßlich angewachsenen Güter sei , und für wen alle diese Arbeit geschehe , so war die Antwort von der Art , daß sie , selbst nach allen den wunderbaren und erschreckenden Fügungen des Zufalls , noch staunen machen mußte .
Wie man sich wenden mochte , die Lage der Sache ließ sich nicht bestreiten .
Der Oheim war ohne Testament , kinder- und geschwisterlos gestorben , und Hermann als Neffe daher ohne allen Zweifel sein nächster , gesetzlicher und rechtmäßiger Erbe .
An Verderben und Untergang mag niemand , der seine Hände rüstig bewegt , denken ; wie jedoch unter einem solchen Eigentümer ein fast unübersehlicher Besitz , das weitverzweigteste Geschäft sich steigern , ja nur sich notdürftig erhalten lassen sollte , mußte dem klügsten menschlichen Auge verborgen bleiben .
Wilhelmi war angekommen .
Auch ihn bewegten die Ereignisse tief , als er ihren Gang und Zusammenhäng vernahm .
Er meinte einen Augenblick , Hermanns Abspannung durch die plötzliche Nachricht von dem märchenhaften Glücke , welches ihn betroffen , aufzurütteln , aber vergebens .
Hermann empfing die Meldung , daß er nun ein Millionär sei , wie etwas Bekanntes , woran er , wie er sagte , gleich bei dem Absterben des Oheims gedacht habe .
Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Der Oheim war kaum einige Monate tot , als die Folgen einer Verwaltung durch mehrere bereits sichtbar zu werden begannen .
Obgleich der Verstorbene in den letzten Tagen seines Lebens nur wenig persönlich eingegriffen hatte , so war er doch der Mittelpunkt alles Wirkens und Schaffens gewesen , in ihm bestand eine Autorität , durch welche das Zweifelhafte entschieden , jedes Wagnis gerechtfertigt wurde .
An einer solchen obersten Gewalt fehlte es nunmehr gänzlich , es zeigte sich hier , was in den Welt- und Staatsverhältnissen immer eintritt , wenn ein großer König oder ein Held von hinnen geht , und sein Werk von den Stellvertretern weitergeführt werden soll .
Unendlich ist der Abstand tüchtiger Ausführung von dem Blitze der Erfindung .
Man zagte oder hazardierte , und verlor durch beides .
Die Verluste erzeugten Mißmut und Anklage , aus solchen üblen Stimmungen entsprangen Sonderungen und Parteien , jeder glaubte am besten zu tun , wenn er nur in seiner Sphäre isoliert-tätig sei , und darüber kam bald der Zusammenhäng des Ganzen abhanden , welcher doch allein den Gedanken des Oheims erhalten konnte .
Schon erklärte einer und der andere , daß er sein Schicksal weiter zu suchen gedenke , und alle fühlten sich von einer Gemeinschaft bedrückt , die noch vor kurzem ihr Stolz gewesen war .
Inmitten dieser Einbußen und Spaltungen lebte der Herr der Reichtümer sein dämmerndes Pflanzenleben fort .
Man war übereingekommen , so lange als nur möglich ihn für geistig gesund gelten zu lassen , um die Einmischung des Staats , die alle als das größte Übel fürchteten , abzuhalten .
Seine Unterschrift mußte daher jedes wichtigere Geschäft bekräftigen ; er gab sie , ohne zu fragen , was er unterschreibe ?
Nur die große Rechtlichkeit aller dieser Leute verhinderte , daß sich schlimmes Unheil an ein so seltsames Verfahren heftete .
Aus der Predigerwohnung war er wenige Tage nach dem Tode des Oheims in das Haus gezogen , welches ja nun das seinige war .
Dort lebte er in stillen Hinterzimmern , den ganzen Tag über lesend , schreibend oder mit sich selbst redend .
Vor dem Verkehr mit unbekannten Menschen hegte er eine große Scheu , und mied deshalb die Gemächer nach der Straße , während er dagegen mit den Hausgenossen sich leicht und zutraulich zu benehmen wußte .
Diese wichen ihm aber aus , wo sie konnten ; seine Erscheinung war ihnen zuwider , und sie vergaben ihm den Tod ihres Herrn nicht .
Nur Cornelie ging leise und mild neben ihm her , sorgte für seine Bedürfnisse , ohne gleichwohl irgendeine tiefere Bewegung blicken zu lassen .
Unvermutet kam eines Tages der Arzt angefahren .
Er hatte , auf der Heimkehr begriffen , den Brief des Predigers erhalten , und den Umweg mehrerer Meilen nicht gescheut , den wiedergefundenen Kranken zu besuchen , und zu ergründen , ob vielleicht jetzt zu helfen sei .
Mehrere Tage verweilend , sprach er nach genauer Beobachtung Hermanns gegen einige Vertraute die Unheilbarkeit des Übels aus , da sich keine Reizbarkeit zeige , und folglich kein Mittel eine Erregung oder Krisis hervorbringen werde .
Auf diese Nachricht nahmen mehrere Vorsteher ihre Entlassung , und die noch zurückblieben , wurden mehr von einer Notwendigkeit gefesselt , als durch einen Wunsch bestimmt .
Wilhelmi reiste ab und zu , wie seine Häuslichkeit es ihm nur gestatten mochte .
Dieser treue Freund litt unendlich bei der Betrachtung des Unglücklichen .
Über Cornelien , zu deren Vormunde der Prediger bestellt worden war , sprach er mit diesem einen Plan ab , welcher wenigstens ihre nächsten Jahre sicherstellte .
Seine Frau wünschte , bei erweiterter Familie , eine Gesellschafterin , der sie Kinder und Haus mit Zutraun übergeben konnte , wenn Zirkel , Theater oder Reisen sie selbst abberiefen .
Wer war zu einer solchen Stelle geeigneter , als das schöne , sanfte , feste Mädchen ?
Als beide Männer ihr diese Kondition vorschlugen , willigte sie ohne Zaudern ein .
Wilhelmi bestimmte den Tag der Abreise , Cornelie ordnete ihre kleine Habe , und schien ganz ruhig und gefaßt zu sein .
Nur fiel es denen , die sie näher kannten , auf , daß sie jede Stunde , welche ihre häuslichen Geschäfte ihr frei ließen , zu einsamen , oft weit wegführenden Wandrungen durch die Gegend benutzte .
Ging sie , so schwand auch der letzte frische Ton aus dem blassen Nebelbilde stumpfer aussichtsloser Tage .
Der Zustand der Menschen hier und in der Standesherrschaft war ein kaum zu beschreibender .
Man spricht von einem Schattenreiche ; hier hatten die Toten eins auf Erden hinter sich zurückgelassen .
Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Der Wagen stand gepackt , Wilhelmi , bereit zum Einsteigen , wartete im Mantel , die Reisemütze auf dem Haupte .
" Wo bleibt sie ? " fragte er etwas ungeduldig .
" Sie pflegt sonst , die erste , fertig zu sein , was hat sie drinnen noch zu schaffen ? "
" Geben Sie acht .
Sie reisen allein ! " rief die Frau des Predigers , welche mit ihrem Manne , Lebewohl zu sagen , gekommen war .
" Wie ? " riefen voll Erstaunen der Prediger und Wilhelmi .
" Ihr Männer seid so daran gewöhnt , eure Absichten durchgesetzt zu sehen , daß ihr zuweilen die nächsten und größten Hindernisse nicht wahrnehmt " , erwiderte die Frau .
Wilhelmi schickte jemand in das Haus ab , und ließ Cornelien bitten , sich zu beeilen .
Der Bote kam sogleich mit der Meldung zurück , daß Mademoiselle ihren Koffer wieder begehre , da sie hier bleiben werde .
Unwillig eilte Wilhelmi nach ihrem Zimmer .
Der Prediger und seine Frau folgten .
Sie fanden Cornelien beschäftigt , Reisehut , Umschlagetuch und andere Dinge , die sie noch hatte mitnehmen wollen , in den Schrank zu tun , wobei ihr Hermann half .
" Sie geht nicht ! " rief er den Eintretenden entgegen , und sein blasses , unteilnehmendes Gesicht hatte einen Ausdruck , wie wenn in tiefster Nacht der Höhle oder des Schachtes aus dem entlegensten Gange der Strahl des kleinen Lämpchens aufdämmert .
Es war nicht Freude , aber dieser Blick sagte , daß das Wesen , welchem er Angehörte , einst Freude gefühlt habe , und sie vielleicht dereinst wieder fühlen werde .
" Was soll das bedeuten ? " fragte Wilhelmi unmutig .
" Haben Sie mich zum besten ? "
" Gehe auf dein Zimmer , Hermann " , sagte Cornelie ruhig .
Er ging .
" Hören Sie mich an , ehe Sie mich schelten " , fuhr sie fort .
" Ich war Willens , mit Ihnen zu reisen , den Dienst in Ihrem Hause anzunehmen ; ich freute mich auf die große Stadt und alle die neuen Dinge , welche ich da sehen würde .
Den Abschied von Hermann hatte ich bis zuletzt aufgeschoben .
Nun aber konnte ich doch ohne den nicht von ihm gehen , da ich allen Leuten im Hause Lebewohl gesagt hatte .
Als ich zu ihm trat , und er mir still glückliche Reise wünschte , seine Hand den Druck der meinigen nicht erwiderte , da war es mir auf einmal , als ob eine Decke von meinen Augen hinweggetan würde .
Ist es Ihnen nicht auch begegnet , daß Sie , in träumerischer Vergessenheit vom Wege abgekommen , plötzlich bei dem Anblicke eines Baums , eines Felsens stutzen mußten , und Ihren Irrtum einsahen .
Und sollen denn solche Male nur immer unserem Geiste , unserem Herzen fehlen ? "
" Dies ist in der Tat die außerordentlichste Leidenschaft , welche ich jemals gesehen habe ! " fuhr Wilhelmi heraus .
" Dem Gesunden versagten Sie sich , als ein gewährendes Wort ihn vielleicht gerettet , vor den Verwicklungen bewahrt haben würde , die seinen Zustand herbeigeführt haben mögen .
Nun wollen Sie dem Kranken erstatten , was dieser nicht entbehrt , denn Sie sind ihm so gleichgültig , wie wir anderen alle .
Bedenken Sie , welche Unschicklichkeit Sie zu begehen Willens sind .
Wollen Sie etwa , wie Flämmchen einst , verkleidet , als sein Diener bei ihm bleiben ? "
Eine Purpurröte überzog Corneliens Antlitz , ihre zarte Brust wurde von heftigen Atemzügen bewegt , sie hob die Augen gegen Wilhelmi auf , und sagte mit zitternder Stimme , aus welcher aber der tiefste Ernst hervorklang :
" Wenn es sein müßte , so würde ich allerdings das tun , was Sie , mich zu verspotten , da gesagt haben .
Warum ich hier meine Frauenkleider ablegen sollte , weiß ich nicht .
Da Sie einmal so unbarmherzig mit Geheimnissen umgehen , zu deren Vertrauten ich Sie nicht gemacht habe , so will ich auch ohne Rückhalt aussprechen , was ich fühle , und dessen ich mich nicht zu schämen habe .
Nun denn , ich habe dem Gesunden mein Ja nicht geben wollen , weil es nicht reif war , und die Liebe ihre Zeitigung noch nicht er langt hatte .
Man erzählt mir hin und wieder von Büchern , worin geschrieben stehen soll , daß jenes Gefühl im ersten Augenblicke des Sehen_es und Treffens entstehe .
Wenn es sich dergestalt verhält , so mag das eine Liebe sein , die auch in einem Augenblicke wieder vergeht .
Ich aber denke , daß die Ergebung der Seele an eine zweite auf Leben und Tod etwas so Schweres und Wichtiges ist , um wohl einen innerlichen Schauder , eine tiefe Bangigkeit und ein langes scheues Bedenken vor so strenger Gefangenschaft hervorbringen zu können .
Ich habe alle diese Kämpfe durchmachen müssen ; nun sind sie überwunden , und ich bin sein , wie er auch anderen erscheinen möge .
Gott hat ihn gemacht und wird ihn wiederherstellen , wenigstens soll meine Hoffnung darauf nicht untergehen , so lange ich atme .
Niemand hat er jetzt als mich , sie fliehen ihn alle , verabscheuen ihn auch wohl , ich aber liebe ihn und will ihm Diener und Freund und Schwester sein , Vergangenheit , Gegenwart und Zukunft , die der Arme eingebüßt hat .
Das verspreche und gelobe ich hier , und werde mich fürwahr nicht zwingen und mißhandeln lassen , so hülflos ich auch bin ! "
Ein Tränenstrom hatte die letzten Worte begleitet ; schluchzend verließ sie das Zimmer .
Alle waren sehr betreten und Wilhelmi gereute von Herzen seine hypochondrische Heftigkeit , welche er seit der Wandlung seiner Verhältnisse ganz überwunden hatte , und die doch nun auf einmal wieder zu so ungelegener Zeit ausgebrochen war .
Er ließ abspannen und beschloß mit den Freunden , einige Tage auf Corneliens fernere Entschließungen zu warten .
Sie hofften , daß das schöne gute Kind , zu ruhiger Überlegung gediehen , von selbst in die gebahnte Straße des Herkömmlichen wieder einlenken werde .
Man erfuhr , daß sie nach der Meierei gegangen sei , wie sie öfters tat , um ihre alte Schaffnerin zu besuchen .
Es wurde daher auch noch nichts Schlimmes geargwöhnt , als sie zu Mittage ausblieb , weil sie oft bis gegen Abend dort zu verweilen pflegte .
Indessen begann es zu dämmern , ohne daß sie zurückkehrte .
Zugleich war das Wetter schlecht geworden .
Nun entstand doch einige Unruhe .
Ein nach der Meierei gesandter Bote überbrachte , daß sie dort nicht gewesen sei .
Wilhelmi war äußerst bestürzt .
Augenblicklich mußten nach allen Richtungen hin Leute mit Fackeln und Laternen sich auf den Weg machen .
Er selbst begleitete einige , welche in die gefährlichsten Gegenden des Forstes und Gebirges spähend zu dringen befehligt waren .
Cornelie war in ihrem Kummer dem Walde zugeeilt , unter dem Schirme der grünen Bäume die Ruhe wiederzufinden , aus welcher die rücksichtslosen Menschen sie so unbarmherzig gescheucht hatten .
Ihr Inneres war wider ihren Willen an das grelle Tageslicht herausgekehrt worden , sie empfand eine innige Scham über die Entweihung des Heimlichsten , und einen tugendhaften Zorn gegen die Roheit , welche sie dazu genötigt hatte .
Jedoch machten sich diese widrigen Gefühle in keinen Worten und Ausrufungen Luft , sie seufzte und weinte nur still für sich hin .
Sie wollte wirklich nach der Meierei gehen , und dort so lange bleiben , bis ihr das bündigste Versprechen gegeben würde , sie in ihrer Freiheit nicht zu beschränken .
Indem sie mit schnellen Schritten vorwärts eilte , wurde sie plötzlich von einem kläglichen Stöhnen gehemmt , welches in geringer Entfernung abseits vom Wege erklang .
Dem Schalle folgend , fand sie eine Alte auf dem abgehauenen Stumpfe einer Rüster sitzen , der ein junges totenbleiches Frauenzimmer im Schoße lag .
Die Finger , das Gesicht , die ganze Gestalt der Jungen waren abgezehrt , ihre arme Brust keuchte von schneidenden Schmerzen .
Ein dünnes und spärliches Gewand bedeckte die entkräfteten Glieder , auch der Anzug der braunen Alten zeugte von großer Dürftigkeit .
" Wir bekommen Hilfe , mein armes Kind " , sagte diese zu der Kranken , " siehe da , es bewegt sich durch das Gebüsch eine liebe , schöne Jungfrau her , welche uns beistehn wird . "
Die Kranke öffnete die Augen und warf einen geisterhaftscharfen Blick auf Cornelien , wie er den Schwindsüchtigen eigen zu sein pflegt , wenn ihre Leiden sich dem Ende nahen .
Cornelie hatte bei diesem Anblicke vergessen , was sie selbst bedrückte , trat mitleidig näher , und sagte : " Steht auf , ihr armen Weiber , und folgt mir ; ganz in der Nähe sind Menschenwohnungen . "
Die Junge machte eine ablehnende Bewegung , und die Alte rief : " Nein , nicht zu Menschen will mein Kind , zu dem Kleinen will sie , welches oben am Hünenboren schlummert ; weißt du den Weg dahin , schöne Jungfrau , so hilf mir die Schwache stützen und führen . "
Cornelie wandte ein , daß die Kräfte der Kranken nicht hinreichen würden , den beschwerlichen Gang bergauf zu machen , diese aber richtete sich empor , sah ihr durchdringend in die Augen und flüsterte kaum hörbar , aber mit melodischem Tonfall in der Stimme : " Ja , führt mich zum kleinen Grabe , es liegt geschützt vom Mauerstein ; der Mutter winkt im Schlaf der Knabe , sie soll nun immer bei ihm sein ! "
Sie schlugen den Pfad quer durch den Wald ein .
Cornelie kannte die Anhöhen recht wohl , zwischen denen der Hünenboren lag , und nahm mit genauer Aufmerksamkeit auf jedes Wegzeichen die Richtung dorthin .
Während dieser Wanderung , welche wegen der Schwäche , womit die Kranke bei jedem Schritte zu kämpfen hatte , langsam vonstatten ging , fragte die Alte Cornelien leise über die Schulter der Jungen hinweg :
" Ist es wahr , was die Leute mir sagten , daß einer , namens Hermann , jetzt hier wohnt ? "
Cornelie versetzte unbefangen , laut : " Allerdings , Hermann wohnt in dem Kloster , eine halbe Stunde von hier . "
Bei diesen Worten zuckte die Kranke , und ihre Brust flog in heftigen Schlägen .
Sie brachten sie kaum noch tausend Schritte weit , auf eine hochgelegene Wiese , als sie vor Ermattung umsank .
" Sie stirbt ! " schrie die Alte mit herzzerschneidendem Tone .
" Es ist am Ende ! " sang Flämmchen , denn warum sollen wir verschweigen , daß sie es war ?
" Die Sonne geht zur stillen Rast , und Nacht empfängt den müden Gast ...
Es ist am Ende ... "
Ausgestreckt lag sie am Boden , die Alte vergaß vor unbändigem Kummer sogar , die Leidende zu unterstützen .
Flämmchen richtete sich mit Anstrengung empor , streifte einen goldenen Ring vom Finger und sang : " Gib ihm den Ring ! zum Angedenken nahm ich ihn jener süßen Stunde , als unterging mein Sinn und Denken , im holden lasterhaften Bunde !
Er wurde getäuscht , verführt , betrogen , ich aber schmeckt ein einzig Glück ... und unserer Leiber sanft Verschränken ... "
Sie sank , ihre Augen verwandelten sich , die Atemzüge wurden langsamer , bald stand der Hauch still .
Über ihr Antlitz hatte sich eine kindliche , schwärmende Freundlichkeit gebreitet , sie sah schön aus .
Die Alte rührte die erkaltenden Lippen an , warf sich nieder , raufte eine Hand voll Gras und Blumen aus dem Boden und sprach :
" Sie ist tot .
Diese Halme und bunten Kelche erhebe ich zum Zeichen , daß ich sie aus meiner Hand der Erde und den vier Winden zurückgebe , aus welchen alles Menschengebilde entsteht .
Fluch soll mich treffen , wenn ein Priester ihr nahe kommt , oder ein Kirchhof den schönen Leib aufnimmt , oder ein Sarg und Leichtuch sie von dem kühlen guten Rasengrunde scheidet !
Auf dieser frischen , blühenden Wiese sei ihr Grab gehöhlt von meinen Händen , und da die Augen der Mutter von Mangel und Elend trocken sind , so beweinet ihr sie , ihr Oberen , Fremden , Unbekannten , denn nicht unbetrauert soll mein Kind von dannen gehen ! "
Der Himmel hatte sich verfinstert , und eine tröpfelnde Wolke erfüllte den Wunsch der Alten .
Diese setzte sich , in ihr Kopftuch eingehüllt , zu der Toten , die Knie zum Haupte emporgezogen , das Haupt in den aufgeschlagenen Armen und im Schoße verborgen , nun ganz einer erstarrenden Niobe ähnlich .
Cornelie sprach ihr zu , da jene aber schweigend sitzen blieb , so entfernte sie sich in Verlegenheit , Angst , Schrecken über diese abermaligen unerwarteten Vorfälle .
Ein heftiger Wind hatte sich erhoben , der Regen strömte stärker nieder und machte die Gegend ihr unkenntlich .
Sie wollte nach einem Bauernhause , dessen Lage ihr ungefähr bekannt war , gehen , um die Bewohner zur Hülfeleistung bei der Alten zu vermögen , nahm jedoch bald wahr , daß sie , vom Wege abgekommen , zwischen Strauchwerk , Äckern und Angern umherirrte .
Vergeblich suchte sie , wandernd und zurückwandernd , eine gebahnte Straße zu entdecken .
Zuweilen stand sie still , um sich zu besinnen , oder ein Geräusch zu vernehmen , welches ihr die Nähe des Dorfs anzeigen möchte , umsonst ! nur der Regen rauschte hernieder , nur der Sturm pfiff über die grauen Felder .
Sie betete still , daß keine Verzweiflung sie überkommen möge .
Wirklich behielt sie ihre Ruhe , obgleich es dunkel geworden war , die Nässe ihre Kleider längst durchdrungen hatte , und wiewohl sie vor Erschöpfung kaum noch gehen konnte .
Bereit , die Nacht über draußen , in der wüssten Gegend , unter den herabströmenden Fluten zuzubringen , suchte sie nur noch nach einem Baume , einem Steine , oder einer Erdhöhle zum Schutze gegen die grimmigsten Launen des Wetters .
Unaufhaltsam und unwillkürlich quoll in ihrer Seele eine Geschichte nach der anderen empor , die sie gelesen , von Menschen , die aus den übelsten Lagen gerettet worden waren .
Diese Bilder des Trostes umgaben sie mit einer Fülle erquickender Sicherheit .
Auf einmal hörte sie in der Ferne Tritte und eine Stimme , die etwas rief , was wie ihr Name klang .
Entzückt sprang sie von dem harten nassen Lager , welches sie bereits erwählt hatte , und antwortete .
Der Ruf und Menschentritt kam näher , eine Gestalt arbeitete sich über Sturzacker und durch Dorngebüsch .
Mit den Worten :
" Bist du hier , Cornelie ? " faßte Hermann ihre Hand .
" Du , du findest mich ? " war alles , was sie vorbringen konnte .
" Die anderen suchen dich auf den Wegen , welche du sonst zu gehen pflegst " , sagte er .
" Ich meinte aber , daß , wenn du da wärst , du dich wohl selbst heimgefunden haben würdest , und schlug mich lieber hierher in die Wüstenei . "
Der Regen hörte auf , hinter einer Wolke trat der Mond hervor , und beleuchtete den Ort , wo sie standen .
Im Augenblicke der äußersten Gefahr war ihr die Hilfe geworden .
Dicht neben einem verlaßenen , tiefen , mit Wasser ausgefüllten Steinbruche hatte sie ihre Rast genommen , ein Schritt , ja nur eine Bewegung würde sie hinabgestürzt und ihrem Leben ein Ende gemacht haben .
" Du bist mein Retter ! " rief sie mit einer Empfindung , welche alles ausgestandene Leid vergütete .
" Komme nur , arme Cornelie " , sagte er , " du bist ja ganz naß , und wir haben eine gute Stunde nach dem Kloster . "
Sie hing an seinem Arme , zuweilen mußte er sie auch tragen , wo angeschwollene Bäche den Weg durchschnitten .
Ein stilles Entzücken rieselte durch ihre Adern , sie verspürte nichts von Feuchtigkeit und Frost .
Nach angestrengter Wanderung öffnete sich ihren Blicken das Tal , und die Lichter des Dorfs schimmerten ihnen entgegen .
Im Kloster war alles dunkel .
Sie tasteten sich nach dem gemeinschaftlichen Familienzimmer , wo Hermann seine Gefundene , die vor Mattigkeit kaum noch stehen konnte , sanft auf das Sofa legte .
Elftes Kapitel Elftes Kapitel Niemand war in dem weitläufigen Gebäude zurückgeblieben ; alle suchten noch auf verschiedenen Orten und Flecken Cornelien .
Hermann zündete Licht an , eilte nach ihrem Zimmer , holte Kleider und Wäsche , ging dann in die Küche , entflammte dort ein mächtiges Feuer , und bereitete ein stärkendes Getränk aus Wein und wärmenden Gewürzen .
Erst nachdem er Cornelien umgekleidet und durch eine Tasse Glühwein erfrischt sah , dachte er an sich , und wechselte auch seinen triefenden Anzug .
Corneliens Jugend und Gesundheit überwand solche Anstrengungen leicht .
Sie versicherte Hermann , als er nach kurzer Weile in trockenen Kleidern erschien , daß ihr vollkommen wohl sei , und bat ihn , nun auch für sich zu sorgen .
Sein Antlitz , von Mühe , Luft und Regen erhitzt , kam ihr gesundet vor , sie schlürfte schmerzlich-froh die süße Täuschung ein .
Er zog den Tisch mit dem Getränke vor das Sofa , und setzte sich zu ihr .
Einige Kerzen , welche sie angezündet hatte , verbreiteten durch den Raum ein liebliches Licht .
Sie mußte ihm einschenken und bemerkte , daß er ihre Hand , wenn sie ihm die Tasse reichte , scheu und flüchtig , als solle es nur Zufall sein , berührte .
Draußen kam jemand zur Haustüre herein , öffnete das Zimmer , und rief : " Gottlob , da sind Sie ja ! "
Es war einer der Ausgeschickten , der nach lange fortgesetzter Mühe verzweifelt war , seinen Zweck zu erreichen .
" Geht , guter Mann " , rief Cornelie , " versucht , die anderen , welche sich um mich bemühn , zu finden , und sagt ihnen , daß ich hier geborgen sei ! "
" Nun wird bald das Getöse entstehen " , sagte Hermann , " und ich wäre so gern mit dir noch allein geblieben . "
Sie nahm ihn bei der Hand und blickte ihn liebevoll an .
" Ich will dir wohl etwas entdecken " , fuhr er fort .
" Seit ich erfuhr , daß du bei mir bleiben wolltest , und darum so viele Drangsale von den anderen ausstehn mußtest , ist es mir , als werde ich vielleicht einmal wieder lachen oder weinen können .
Vermutlich irre ich mich darin , aber eine Veränderung spüre ich an mir , denn es ist auch wahrhaftig keine Kleinigkeit , daß ein so liebes schönes Mädchen es mit einem armen dummen Menschen , der zu nichts mehr nütze ist , aushalten will .
Was hast du davon ? "
Ihre Arme umschlangen seinen Nacken , er legte sich wie ein Kind an ihren Hals .
" Wenn du recht offen gegen mich wärst , mein Hermann " , flüsterte sie , " vielleicht könnte dir geholfen werden . "
" Das ist nicht möglich " , seufzte er , " mir steht nicht zu helfen .
Kannst du aus Sünde Tugend , aus Ekel Lieblichkeit , aus Unrat Gold und Perlen machen ?
Nein , nein , ich bin ein ganz zerstörtes , um und um gekehrtes Bild , da ist auch kein Zug mehr ohne Schrammen , Brandmale und Flecken .
Toll bin ich nicht , habe meinen Verstand und ach ! ein nur zu gutes Gedächtnis .
Aber wenn ich denke , das möchte ich wohl , oder jenes , oder den würde ich liebhaben können und den hassen , so liegt immer etwas dazwischen , worüber ich nicht hinwegkann , was mich in die Kälte und in das Nichts absperrt .
Beschreiben läßt sich der Zustand nicht , schweigen wir davon !
Mir wird schwindlig , wenn ich da hineinblicke . "
" Du mußt sonderbare Schicksale erlebt haben " , sagte Cornelie .
- Sie erschrak , und rief :
" Mein Gott , wie konnte ich das vergessen ?
Draußen auf der Wiese liegt ja ... "
" Was liegt draußen auf der Wiese ? " fragte Hermann .
" Nichts " , versetzte sie , innehaltend , weil sie befürchtete , ihn mit der Erzählung aufzuregen .
" Aber eine Bekannte traf ich von dir heute ; sie gab mir den Ring für dich . "
Sie reichte ihm den Ring .
Hermann sah ihn an , stutzte , hielt ihn gegen das Licht , rieb sich die Stirn , ging sinnend im Zimmer auf und nieder , und fragte dann , wie in einem wachen Traume : " Wer , sagst du , hat dir den Ring gegeben ? "
" Ein junges , krankes Frauenzimmer .
Ihre alte Begleiterin nannte sie Flämmchen .
Sie sagte , sie habe ihn einst von dir bekommen . "
" Wie ? " fragte er , in einen Abgrund von Gedanken versenkt .
Er nahm ein Licht , und ging auf sein Zimmer , den Ring immer vor sich hinhaltend , und der wirklichen Welt , so schien es , entrückt .
Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Geräusch , fröhliches Rufen , Leuchten und Fackeln verkündigten das Nahen der zurückkehrenden Hausgenossen .
Cornelie trat ihnen im Flur entgegen , und wurde von allen auf das herzlichste bewillkommt .
Der Prediger schloß sie in seine Arme , Wilhelmi nahte sich ihr schüchtern und bat sie um Vergebung .
Sie gelobten ihr , daß ihr künftiges Schicksal nur von ihr abhangen solle .
Alle waren naß und der Erquickung bedürftig .
Man versammelte sich , nachdem die feuchten Röcke , Westen und Fußbekleidungen mit trockenen vertauscht worden waren , im großen Zimmer , wo denn bei einer guten Mahlzeit und einem Glase Punsch die Besorgnisse des Tages und die Mühseligkeiten des Abends vergessen wurden .
Cornelie nahm , sobald es sich tun ließ , den Prediger beiseite , und erzählte ihm von dem Finden der Alten und ihrer sterbenden Tochter .
Dieser teilte die Sache Wilhelmi mit , und sie entschlossen sich , am folgenden Morgen nach der Wiese zu gehen , welche Cornelie ihnen beschrieben hatte .
Auch von dem Ringe , und welchen Eindruck derselbe auf Hermann gemacht , war ihnen etwas gesagt worden .
Wilhelmi klopfte daher , als die übrigen sich zur Ruhe begeben hatten , an Hermanns Zimmer , worin noch Licht zu sehen war , und wollte öffnen , fand aber die Türe von innen verriegelt , und bekam auf sein Rufen keine Antwort .
Den Prediger hielten am folgenden Tage Amtsgeschäfte zurück ; Wilhelmi machte sich daher , nur von einigen Arbeitsleuten begleitet , auf den Weg nach der Wiese .
Dort hatten sie einen Anblick , welcher sie in Erstaunen setzte .
Die Alte saß noch , wie Cornelie sie ihm geschildert hatte , ohne Regung , mit aufgezogenen Knien , das Haupt im Schoße und in den umfassenden Armen ; ein Bild des versteinernden Schmerzes , und neben ihr lag der schöne , blasse Leichnam , vom Regen und Winde tief in wilde Blumen hineingewühlt , welche ihre bunten Glocken über dem erstarrten Antlitze wie leidtragend hin und her wiegten .
Wilhelmi erkannte die Züge des Knaben , der ihm auf dem Schlosse lieb gewesen war , wieder , und fühlte sich ohne Faden in diesem Labyrinthe rätselhafter Begegnungen .
Er wollte die Alte erwecken lassen , diese fiel aber bei der ersten Berührung zusammen .
Sie war nicht tot , denn ihr Atem ging , wenn auch kaum hörbar , aber in einem bewußtlosen , schlafartigen Zustande .
Ein rüstiger Arbeiter mußte sich mit ihr beladen und sie nach dem Kloster tragen ; den anderen gab Wilhelmi die nötige Anweisung , wie der Leichnam zu bestatten sei .
Überwältigt von so vielen außerordentlichen Dingen , befahl er , daß ganz nach den Worten der Alten hierbei verfahren werden solle , die ihm Cornelie hinterbracht hatte .
Schweigend machten die Männer eine tiefe Gruft auf der Wiese , schweigend senkten sie den zarten Leichnam , um den nur ein feines Musselintuch geschlagen wurde , ein .
So wurde das wilde , ausgelaßene , unglückliche Flämmchen unter Gräsern und Blumen zur Ruhe gebracht .
Zwischen ihr und der Erde bildeten keine Sargwände eine Scheidung .
Nicht unpassend erschien diese Art des Begräbnisses .
Den Elementen hatte sie im Leben näher angehört , als der menschlich-geselligen Ordnung , den Elementen wurde sie nun im Tode zu unmittelbarer Gemeinschaft zurückgegeben .
Die Alte hatte man in ein bequemes Bette gelegt .
Ihr Starrkrampf , Schlaf , oder was es sonst war , dauerte fort .
Der herbeigerufene Hausarzt erklärte , man müsse die Natur walten lassen , welche die inneren Organe wohl wieder so weit beleben könne , um an die Stelle dieses Scheintodes ein wirkliches Bewußtsein zu setzen .
Wilhelmi , Cornelie , der Prediger , ja selbst die kalten Geschäftsmänner wandelten umher , halbkrank , von schwärmenden Einbildungen erfüllt .
Denn auch Hermann war für sie unsichtbar geworden .
Seit jenem Abende hatte er den Verschluß seines Zimmers noch nicht aufgehoben , nur die notwendigsten Speisen ließ er sich einmal des Tages hineinreichen , und schob dann sogleich wieder den Riegel vor .
Wilhelmi beobachtete ihn vom Fenster eines gegenüberliegenden Hauses , und sah , daß er unaufhörlich den Ring anstarrte , dann emsig schrieb , und von dieser Beschäftigung nur wieder zu jener Gebärde überging .
" Was wird aus allem diesem werden ? " sagte Wilhelmi eines Tages zum Prediger , mit dem er viel zusammen war .
" Wo liegen die Knoten , durch deren Lösung ein verworrenes Gewebe zu ordnen sein möchte ? "
" Ich bin auf alles gefaßt " , versetzte der Prediger .
" Es sollte mich nicht wundern , wenn hier in unserer friedlichen Gegend plötzlich ein Vulkan den feurigen Schlund auftäte , oder ein Erdbeben unsere Häuser in ihren Grundfesten erschütterte , so wilde Begebenheiten haben einander gedrängt und überstürzt . "
" Große Besitzungen ohne Herrn , ein guter , zu allen Freuden des Daseins berechtigter Mensch in Nacht und Kindheit des Geistes gestürzt ! " rief Wilhelmi .
" Verborgene Schuld abgelaufener Zeiten grausam an das Tageslicht gerissen , und keine Sonne der Hoffnung aufgehend über den Gräbern des Herzogs , des Oheims , der Tante , Ferdinands , Flämmchens !
Wir sehen gleichsam in einer Gruppe und abgekürzten Figur um uns her das ganze trostlose Chaos der Gegenwart . "
" Wäre in unserer Brust nicht der Glaube an ein Gleichgewicht der Dinge unvertilglich , so müßte uns das Leben wie ein gewisses Spiel vorkommen , welches die Schulknaben zu treiben pflegen " , erwiderte der Prediger .
" Sie schreiben auf die erste Seite ihrer Grammatik : » Wer meinen Namen wissen will , schlage Pagina da und da auf . «
Dort wird wieder nach einer anderen Seite hinverwiesen , und so weiter .
Endlich , wenn der Suchende sich nach und nach durch das ganze Buch vor und zurück hindurchgearbeitet hat , bleibt der Name mit einem albernen Scherze aus . "
Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Beide Männer machten häufige Spaziergänge in der Gegend , um die trüben Gedanken , von denen jeder bedrängt war , zu verscheuchen .
Wilhelmi hätte wohl reisen können und sollen , denn seine Frau ermahnte ihn in rasch einander folgenden Briefen zur Heimkehr , aber das anhängliche Gemüt des sonderbaren Manns litt nicht , daß er gerade jetzt das Kloster verließ .
Er wollte wenigstens warten , bis Hermann aus seiner selbstgewählten Einsamkeit hervorginge , und dann , wenn der Unglückliche derselbe geblieben war , mit weinenden Augen von dem verlorenen Freunde scheiden .
Auf diesen Gängen kamen sie auch einmal in die Nähe des Hünenborns , und der Prediger , welcher seinem Begleiter von dem dort befindlichen Naturspiele erzählt hatte , mußte sich dazu verstehen , ihm auf die Höhe zu folgen .
Wilhelmi nahm vorsichtig den Stein von der kleinen Kindesgruft , schüttelte aber , da er hineingeblickt hatte , unmutig das Haupt , denn er sah nur ein gewöhnliches Skelett und einige unscheinbare Tropfsteingebilde umher .
" Ich bin durch Ihre Erzählung so neugierig gemacht worden " , rief er , " und nun werde ich nichts gewahr , was nur von fern dem mir so sehr gerühmten Wunder ähnlich sieht . "
" Die Feuchtigkeit wird vertrocknet sein , deren Tropfen in allen Farben des Regenbogens geglänzt haben mögen , wenn die Sonne ihre Strahlen in die Höhlung warf " , antwortete der Prediger .
" Über uns spannt sich heute ein trüber Himmel aus , der nichts beleuchten kann .
Tag und Stunde machen viel , und eigentlich ist dieses um so mehr ein Wunder zu nennen , wenn die Schönheit nur einmal und nur einem sichtbar wird . "
Wilhelmi deckte verdrießlich den Stein über , und war auf dem Rückwege ziemlich schweigsam , so daß der Prediger , der kein stummes Zusammensein ertragen mochte , mehr redete , als gewöhnlich .
" Erinnre ich mich des Entzückens meines verewigten , keineswegs zur Schwärmerei geneigten Freundes , so werde ich mir mancher Gedanken noch bewußter , die mich auch sonst wohl bei dem Hinblicke auf die sogenannte leblose Natur verfolgt haben .
Sie stellt gleichsam in sich ein zweites Evangelium auf , welches neben dem geoffenbarten freundlich hergeht , und sich von diesem nur dadurch unterscheidet , daß in ihm alles sichtbar und äußerlich wird , während in jenem die Entfaltung des göttlichen Lebens , soll sie nicht auf kindische Täuschung oder katholisierende Bilderei hinauslaufen , nur innerlich und unsichtbar geschieht .
Auf solche Weise mag die Natur uns die wahre Ergänzung der Offenbarung darbieten sollen ; mir wenigstens hat sie in dieser Art oft Trost für mein Bedürfnis gegeben .
In dem Schauspiele , welches der Oheim mir schilderte , sprach sie gleichsam das Geheimnis der Erlösung aus .
Wie diese nicht dem Gerechten , sondern dem Gnadenbedürftigen zuteil wird , so hatte sie jenes , aller Wahrscheinlichkeit nach in großer Sünde empfangene Kind erwählt , um es mit himmlischer Pracht im Tode zu verklären . "
" Das sind Meinungen , welche das Konsistorium doch ja nicht hören darf " , sagte Wilhelmi .
" Die Zeit der Konsistorien ist wohl auch vorbei " , versetzte der Prediger .
" Ich glaube , daß die Herrn , wenn sie versammelt sind , das Gefühl der Auguren haben , und sich große Mühe geben müssen , einander mit ernsthaften Gesichtern gegenüberzusitzen . "
Man hatte unter diesen Gesprächen das Kloster erreicht , und der Prediger trennte sich an der Pforte von Wilhelmi .
Dieser ging , über die Reden des Geistlichen nachdenkend , in sein Zimmer , wo eine Überraschung auf ihn wartete , die ihn für das vermißte Wunder reichlich entschädigte .
Am Fenster stand Hermann mit frischen , gesunden Wangen , hellen Augen und rief dem Eintretenden entgegen :
" Wo bleibst du so lange ?
Ich habe dich viel zu fragen , du sollst mir auf vieles Antwort geben . "
Zweifelnd , zwischen Furcht und Freude , nahte sich ihm Wilhelmi , und betrachtete prüfend den Verwandelten .
" Was ist mit dir vorgegangen ?
Du siehst anders aus , als ehedem " , sagte er endlich .
" Ich glaube , es wird noch alles gut " , erwiderte Hermann mit dem alten zuversichtlichen Tone seiner Jugend .
" Lies , was ich in diesen Tagen aufschreiben mußte , um mir meine Geschichte deutlich zu machen . "
Er reichte ihm die Blätter , an welchen ihn Wilhelmi im verschloßenen Zimmer so emsig hatte schreiben sehen .
Sie enthielten die Erzählung jener abenteuerlichen Nacht auf Flämmchens Landhause , deren Rest er mit Johannen zugebracht zu haben meinte .
Wilhelmi wechselte die Farbe bei der Lesung .
" Schauderst du schon jetzt ? " sagte Hermann .
" Lies erst diese Papiere .
Ich habe mir den Rock von der Predigersfrau wiedergeben lassen , und die Brieftasche aus dem Futter genommen .
Hier ist der Schlüssel dazu . "
Jener öffnete , und durchlief die Papiere , welche das Portefeuille enthielt .
" Barmherziger Gott ! " rief er , und ließ einen der Briefe vor Schrecken fallen , " und dieses Bewußtsein hast du mit dir umherschleppen müssen , o du Armer , du Ärmster ! "
" Ja " , versetzte Hermann .
" Nun begreifst du wohl , daß einem dabei übler zumute werden kann , als ihr übrigen Menschen euch vorzustellen vermögt .
Aber den Ring , den mir die Wilde , in deren Schoße ich schwelgte , geraubt , sendet mir nicht Johanna , sondern das Flämmchen durch Cornelien , welche die Wahrheit ist und ein herabgestiegener Engel des Lichts .
Es haben also , wie ich vermute , die Mächte des Himmels nicht zulassen wollen , daß greuliche Fabeln des Altertums auf meinem jüngsten Haupte wirklich werden sollten . "
Jemand kam und sagte : " Die Alte ist erwacht , nimmt Speise und Trank , wollen Sie nicht mit ihr reden ? "
" Komme ! " rief Wilhelmi begeistert .
" Aus diesem verruchten Munde wird uns , die Ahnung sagt es mir , die volle Klarheit quellen . "
Er nahm ihn mit zu dem Gemache , worin die Alte lag , doch mußte Hermann auf dem Gange vor der Türe bleiben , welche halb offengelassen wurde .
" Ach ! " rief die Alte und richtete sich von ihrem Lager empor , " sind Sie der Hausherr , so tun Sie mir nichts zuleide , das Flämmchen ist , wie ich höre , gestorben , damit ist mein Leben eigentlich auch hinweggetan , ich bilde mir nicht mehr ein , mit dem Teufel Bekanntschaft gehabt zu haben , oder vom Grabe etwas Besonderes zu wissen , bin nur noch ein altes , müdes Bettelweib .
Bringen Sie mich in einem Spitale oder sonstwo unter , und lassen Sie mir notdürftige Kost reichen , ich bin dann schon zufrieden und werde nie mehr Böses tun . "
" Alles soll dir vergeben sein , und wir werden für dich sorgen , wie du wünschest " , sagte Wilhelmi , " wenn du mir auf meine Fragen die Wahrheit bekennst . "
" Was Sie wollen ! " rief die Alte und legte bekräftigend ihre Hand auf die Brust .
" Nun denn , was ist in der Nacht , worin der Ball bei Flämmchen war , vorgefallen ? "
" O Elend !
Elend !
Muß ich darüber beichten ? -
Und gerade die Niederkunft war es , welche mein zartes , heftiges Kind so angriff , daß sie seitdem den Keim des Todes in sich trug .
Freilich taten die Not und der Mangel , in dem wir umherziehn mußten , als uns die hartherzigen Verwandten aus dem Hause gestoßen hatten , auch das ihrige .
Wir besaßen zuletzt nur noch die Fetzen , welche unsere Blöße verhüllten , alles andere mußten wir auf unseren Wandrungen losschlagen , um den Bissen für unseren Mund zu haben .
Aber den eigentlichen Stoß hatte ihr leichter , feiner Leib doch nur von der Geburt empfangen , und ich war die Anstifterin von allem und habe mein Kind schlachten helfen ! "
Sie krümmte sich , von der furchtbarsten Pein gefaßt , konvulsivisch auf dem Lager .
Wilhelmi ließ diesen Anstoß vorübergehen , und redete ihr dann zu , sich durch ein offenes Geständnis zu erleichtern .
" Ja so , von der Nacht wollen Sie wissen .
Nun , ich bin in Ihrer Hand .
Der Herr war in die fremde vornehme Dame verliebt , und das Flämmchen in den Herrn .
Sie lachte , schäkerte und tanzte , aber ich wußte wohl , daß es nur ihr blutendes Herz war , welches in diesen Scherzen abstarb .
Ich war ergrimmt auf den Herrn , und ein Kind brauchten wir , um die Erbschaft uns zu erhalten , die , wehe mir Unglückseligen !
doch nachmals verlorenging , da das Flämmchen zu spät guter Hoffnung wurde .
In jener Nacht ging alles über- und untereinander .
Der Ball und der Wein , den ich genossen , und meine eigenen Einbildungen hatten mich ganz verrückt gemacht , so daß ich einen Plan ausbrütete , verwunderlich wie die Nacht .
Der Zufall half denn auch .
Die fremde Dame wollte der Ruhe genießen und bat um ein anderes Zimmer , was entfernter vom Tanzsale läge , worin die Musik noch immer fortlärmte .
Als das besorgt und sie umquartiert war , kam mir der alberne Kurator in den Weg , und in der Frechheit meines Hohns band ich ihm auf , die Dame verlange noch nach dem Herrn .
Diese Botschaft hat er auch treulich ausgerichtet .
Unterdessen wartete das Flämmchen , welches ganz in meinen Stricken und Fesseln gebunden war , zitternd vor Angst , Scham und Sehnsucht schon an der Stelle der Dame .
Er kam zum Flämmchen , nicht zu der Dame ; Rausch und Lust haben die Sache vollendet und ihn die Verwechselung nicht merken lassen . "
Ein tiefer Atemzug , ein Ruf der Wonne ließ sich draußen vernehmen .
Wilhelmi eilte vor die Türe und fand seinen Freund auf den Knien liegen , die Arme betend emporgehoben , die von den seligsten Tränen überströmenden Augen gen Himmel gerichtet .
Bewegt von der freudigsten Rührung beugte sich der alte Getreue nieder , und drückte schweigend einen Kuß auf Hermanns Stirn .
Dann riß er ihn stürmisch an sein Herz , und die Zähren der Freunde mischten sich .
" Wo ist Cornelie , daß ich vor ihr niedersinke , sie im Staube verehre und anbete ? " fragte Hermann leise .
Wilhelmi führte ihn zu ihr .
Als sie die beiden eintreten sah , in deren Gesichtern der Himmel spielte , trat sie , erschreckt von der Ahnung eines überschwänglichen Glücks , einen Schritt zurück .
Hermann fiel vor ihr nieder , umfaßte ihre Füße und küßte sie inbrünstig .
" Was soll das ! " rief sie erstaunt .
" Er ist hergestellt ! " jauchzte Wilhelmi .
" Gott !
Gott ! " jubelte Cornelie mit brechender Stimme .
" Hergestellt ! " wiederholte Wilhelmi .
" Durch dich , du heiliges Kind .
Aus den Händen der Unschuld hat er die Entlastung seiner Seele empfangen . "
" Durch mich ?
Ich weiß ja von nichts " , sagte Cornelie , und ihre Hand streichelte wie trunken das Haar des Geliebten .
" Nein , du weißt von nichts , mußt auch von nichts wissen " , erwiderte Wilhelmi .
" Die ewige Gnade erwählte das reine Gefäß , und dieses vollbrachte in Einfalt und Liebe das Werk der Entsühnung . "
Und nun erst hält sich der Herausgeber befugt , die Papiere der Brieftasche einzuschalten .
Aus ihnen wird erhellen , welche Last auf der Brust unseres Freundes drückte , aus welchen Nächten er zum Lichte wieder emporgeführt wurde .
Vierzehntes Kapitel 1. Graf Heinrich an Hermann , den Vater I. Graf Heinrich an Hermann , den Vater Hamburg , den 10. April 1795 Hermann , noch klingt und zittert unser Abschied in allen Fibern meiner Seele nach !
Als ich die Räder Deines Wagens rollen hörte , barg ich mein feuchtes Antlitz im Tuche , warf mich über den Tisch , und fraß meinen Schmerz hinunter . -
Nun bist Du fort , ich suche Dich überall , und umarme nur ein ödes Luftbild .
Du fehlst mir überall ; " das würde ich ihm sagen , diese Empfindung in seinen Busen ausschütten ! " spreche ich hundertmal des Tages vor mich hin , ach , Du weißt es nicht , Du Kalter , welches Gefühl für Dich in diesen Adern siedet !
Nur die Freundschaft konnte mein Herz ganz ausfüllen , ich zweifle , ob es die Liebe je wird vermögend sein .
Ach , daß Du mir fehlst !
Hamburg und Bremen , und Bremen und Hamburg ! wirst Du sagen .
Fünfzehn Meilen , ist das eine Entfernung ?
Wie bald können wir wieder zueinander kommen !
Und dennoch , wie fern liegt die Aussicht dazu !
Dieses Wiedersehen nach unseren glücklichen akademischen Jahren war das letzte Auflodern der Jugend , Dich werden Deine Verhältnisse , in denen Du schon so ziemlich eingesponnen bist , nach und nach immer mehr wie mit eisernen Zangen fassen , und ich muß ja nun auch wohl zu Hause hocken , wenn ich meinen Vater nicht ganz aufbringen , und ihn dazu treiben will , daß er mich auf den Pflichtteil setzt .
Hier bleibe ich noch ein paar Wochen , um dem Meere nahe zu sein , welches mit wunderbarer Gewalt in mir Windstille und Sturmwogen schafft , und dieses eigensinnige , kranke Herz zum Genusse seiner selbst mächtig aufwühlt .
Freilich , unter den Krämern wird mir nicht wohl .
Gestern wollte mich einer auf ein Schiff mitnehmen , um mir eine Vorlesung über Befrachtung , Segel- und Steuermannskunde zu halten .
Ach " , versetzte ich , " lassen Sie das ; mir wäre nötiger zu wissen , wie wir unseren Lebensnachen an Klippen und Untiefen vorbeibringen , welche Winde ihn weiterführen , vor welchen Strömungen wir ihn zu hüten haben ! "
Hermann , unser Schwor , unser heiliger Schwor !
Daß sich keiner dem anderen in der höchsten Not seiner Seele versagen soll , und gälte es das Opfer des eigenen Lebens und Glücks .
Wir haben es uns gelobt , als wir das Blut unserer Adern zusammen in die silberne Schale rinnen ließen , und die Flut dann mischten zu dem Weine , den wir genossen , als Kelch eines weltlichen Abendmahls .
So schließen die Wilden ihre Todesbrüderschaften , und wir haben es ihnen nachgemacht , und wollen immerhin gar gern außerhalb der sogenannten Kultur mit unseren Gefühlen stehen .
Wie dürste ich , meinen Eid durch eine Tat für Dich auszulösen !
Ich habe Klopstock besucht , der sich ganz verjüngte , als ich ihm von unserer Freundschaft erzählte .
So meinte er , habe er nur seinen Schmidt , seinen Ebert , seinen Giseke geliebt , und sei diese Liebe , wie er geglaubt , aus der Welt verschwunden gewesen .
Er sprach viel von seiner Jugend , von Halberstadt und Gleim , von Fanny und Meta , und sagte , er könne sich in die jetzige Welt nicht mehr recht finden .
Die jungen Meister wähnten , die Kunst treiben zu können , während sie , die Alten , von der Kunst getrieben worden wären .
Ich bat um seinen Segen , den er mir auch als Hohepriester in Thuiskons Heiligtume feierlich-gerührt erteilte .
Dieser schönen Stunde Anteil fliege Dir , mein Geliebter , auf den Schwingen Idunens zu !
Sei mein , wie ich bin Dein ewiger H. 2 .
Derselbe an Denselben II .
Derselbe an Denselben Hamburg , den 15. April 1795 Hermann , ich reise .
Der Frühling will vor den Seestürmen , die von Cuxhaven herüberwehn , nicht zum Durchbruch kommen , ich gehe also , ihn an seiner Wiege , im Süden aufzusuchen .
In Schwaben oder in der Pfalz will ich mich unter Mandelbäume und Kastanien lagern , alte Burgen erklimmen und mich in schönere Zeiten träumen .
Und wenn ich erwache und sehe , daß das Geschlecht der Edleren von der Erde verschwunden ist , so soll mir die jüngste Blüte die ganze Weltgeschichte ersetzen .
Zudem sei Dir vertraut , daß ich von hier fort muß .
" Kein Mensch muß müssen " , sagt Lessing , aber ich muß doch fort .
Die schöne Frau , mit der Du mich oft zusammen sahst , bezeigte sich gefälliger gegen mich , als ich anfangs selbst erwarten durfte , das hat nun Folgen gehabt , und so weiter .
Die Tränen des armen Weibes fallen wie glühende Tropfen auf meine Seele , aber kann ich ihr helfen ?
Was geschehen konnte , ist geschehen , und so muß denn dieses Kapitel meiner Lebensgeschichte vorderhand abgeschlossen sein .
Ich sehe Dich saure Mienen machen , und höre Dich über Freigeisterei schelten , alter treuer Moralist .
Höre mein Credo in Betreff der Weiber .
Sie sind so einseitig und eng , daß es eine Umkehrung aller Gesetze der Natur wäre , den Mann zum Sklaven einer einzigen Neigung machen zu wollen .
Vielmehr hat sie , die ewigwahre , hier schon das richtige Verhältnis angedeutet , indem sie dem Weibe die Frucht gab , die ihr verbleibt , während der Mann von allen glücklichen Stunden nur ein bald erblassendes Andenken sich erhält .
Bequemen wir uns , die wir Erde und Himmel mit unserem Geiste umfassen , eine Zeitlang zu den Füßen einer Frau zu girren , so dächte ich , daß ihr das genügen könnte , und mehr begehren , heißt das Unmögliche verlangen .
Daß ich verheiratet bin , daß ein Junge von mir bereits das Abc lernt , was ist_es nun weiter ?
Mein Vater wollte es gern , daß ich , fast noch Student , unterducken sollte , weil er davon , was weiß ich ? welche Mirakel der Besserung erwartete , und mir war es angenehm , daß ich , der ich in so vielem ihm hatte entgegen sein müssen , in diesem Punkte ihm einen Gefallen tun konnte .
Hierauf traten wir vor den Altar , das kalte Fräulein Celeste sagte Ja , der warme Graf Heinrich sagte Ja , ein bezahlter Pfaffe sagte Amen , und ich war ein Ehemann worden .
Wir haben einen Sohn gezeugt , pflichtmäßig , wie die Herrnhuter , und es müßte ganz verkehrt zugehn , wenn der Bube nicht ein Ausbund von Tugend und Ordnungsliebe wird , da bei seiner Erschaffung alles im regelrechtesten Gange verblieben ist .
Und damit sollte das Leben eines Menschen beschlossen sein ? -
Verdammt sollte er sein , den Feuerstrom seines Inneren in rostigen Formen erstarren zu lassen ?
Du wirst mich davon nicht überreden .
Du nicht , keiner wird es .
Du denkst es auch nicht .
Um eines bitte ich Dich .
Halte mich in dieser Materie für keinen Don Juan , der tierisch umherwütet .
Immer ist mein Herz bei der Sache , nie wende ich Verführerkünste an , die ich hasse , wie den Abgrund der Hölle .
Wir sind schwach , das ist das ganze Geheimnis .
Das Himmelsfünkchen : Seele ist in einem Ballen Fleisch und Blut verpackt , haben wir das zu verantworten ?
Der Gott , welcher uns so hinfällig schuf , wird mit unserer Hinfälligkeit Mitleid haben , wird von tönernen Gefäßen nicht die Härte des Marmors erwarten .
Auch die Lolo habe ich wahrhaft geliebt , und der unglückliche Ausgang wird eine Narbe in mir zurücklassen , die gewiß so bald noch nicht verharscht .
Bleibe Du mir nur , der Du mir bist , dann steht alles gut .
3. Derselbe an Denselben III .
Derselbe an Denselben Heidelberg , den 1. Mai 1795 O Hermann , wie grünt und blüht es hier !
Diese Pracht ist nicht zu beschreiben , man muß in ihr mit allen Sinnen wühlen .
Ich wohne dicht unter dem Schlosse .
Nur wenige Schritte , und ich bin mitten unter dem Schnee der Mandelbäume , Kastanien und Apfelstämme .
Siehst Du , wieviel besser die Erde auch hierin ist , als der Himmel !
Er sendet ihr kalte Flocken zu , und sie wirft ihm von ihrer Brust die warmen duftenden entgegen .
Obgleich kein Liebhaber von Werther , da ich aller Sentimentalität abhold bin , und glaube , daß das Vaterland Männer nötig habe , nicht solche schwärmende Siechlinge , so kann ich doch hier nur seine Worte nachsprechen :
" Man möchte zum Maikäfer werden , um in dem Meere von Wohlgerüchen herumschweben , und alle seine Nahrung darin finden zu können . " Deinem Briefe läßt sich leider anmerken , daß Du in der freien Reichsstadt Bremen stark eingepfercht bist .
Was soll nur das Geschwätz von Graf und Bürger , und daß die Verhältnisse doch einmal zerstörend zwischen uns treten würden ?
Wenn das geschieht , wenn in mir je eine Empfindung von den sogenannten Schranken des Standes Dir gegenüber entsteht , so möge mich der Donner des Allmächtigen im nämlichen Augenblicke vertilgen !
Herzbruder , wir haben einer des anderen Blut getrunken , unsere Seelen sind nicht mehr zwei , es sind Saiten derselben Harfe , auf welcher die Akkorde des hohen Liedes von ewiger Freundschaft dröhnen .
Säßest Du nur hier bei mir unter den Mandeln , und der Baum bewürfe uns beide mit Blüten , da würden Dir schon die Grillen vergehen .
Von Klopstock habe ich ein paar Zeilen , die mich ganz glücklich machen .
Da sie Dich mit angehen , so sende ich sie Dir , und Du magst sie behalten , so schwer es mir fällt , mich von diesen teuren Schriftzügen zu trennen .
Aber was teilte ich nicht gern mit Dir !
Zwei Worte Dir ins Ohr , aber sprich davon nicht weiter : Ich liebe !
- Du lachst und rufst : Nichts Neues ! -
Sachte , Kind , Kind , das ist etwas ganz anderes .
Lange behilft sich der Laie mit den äußeren Bildern des Altarschreins und meint , die Schönheit an ihnen zu besitzen , und nun werden die Flügel aufgetan , und da sieht er erst , welche Herrlichkeit sich auf Erden begeben kann .
Worte sind Worte , und Phrasen geben kein Gefühl von den Dingen .
Also nichts dergleichen .
Nur so viel sei Dir gesagt , daß hier ein Markstein meines Lebens gesetzt ist , und daß Dein Freund viel anders werden wird .
Sah doch Petrus auch ein Tuch voll reiner und unreiner Tiere , und war eines so gut , als das andere .
In dem Tuche sind wir nun auch aufbehalten , von einem Engel berührt und geheiligt .
O pfui , das ist Gewäsche , nichtssagendes Gewäsche !
Kurz und trocken also referiere ich Dir , daß ich hier in einem Weinhügelwinkel am Neckar , hart an der Grenze von Schwaben sitze , und einem Mägdlein helfe Blumen pflanzen und junge Schoten lesen .
Gott gebe der Seligkeit Bestand , lasse mich die übrige Welt vergessen und von ihr vergessen sein !
Sie ist die Tochter eines Landpredigers , der mich unter seinen Obstbäumen empfing , wie ein Patriarch des alten Bundes .
Ich entdeckte das Kleinod auf einer meiner Streifereien den Fluß hinaufwärts .
Auf ihren Wangen blüht die Unschuld , und süße Unschuld blüht ihr im Herzen , und um sie weht guter Friede und aller holdseligen Dinge die Fülle .
Nun habe ich doch einmal einen Busen , der ganz erfüllt ist von mir , und nichts fassen und halten will außer mir .
Den ersten Mai habe ich diesen Brief begonnen , nun so erhalte ich Deinen vom zehnten Juli , der mich über mein Schweigen ausschilt , und da sehe ich mit Erschrecken nach , und finde meine paar Sätze , die ich diese Monate her auf das Papier gestrudelt , noch unabgesendet vor .
So mögen sie Dir denn zukommen , als ein Beweis , daß es Deinem Freunde wohlgeht , denn , wenn man nicht schreibt , und nichts zuschreiben hat , so ist man glücklich .
Denke Dir eine Knospe , frisch und herb aus dem Grün der umhüllenden Blätter brechend , und die ganze Pracht der Blüte im jungen Rot andeutend , und Du hast das Bild von Babetten , weißt , wodurch sie mich so unwiderstehlich fesselt .
Fern von städtischer Weichlichkeit ist sie aufgewachsen , kräftig unter den Nußbäumen und Weinranken .
Ach , wie wohl tut es , nach so manchem Mischgebräu , was wir haben verschlucken müssen , unseren Gaumen einmal an dem kühlen , klaren Trunke der Quelle laben zu dürfen !
Ich lebe hier unter dem Namen eines Herrn von Müller , der Alte sieht unserem Umgange nach , ich bin mit ihr vom Morgen bis zum Abend , und der Tag ist um , ehe wir uns dessen versehen haben . Deinen Namen muß sie mir hundertmal des Tages nennen , ich empfange ihn von ihren Lippen wie ein heiliges Geschenk des Himmels .
Unser ganzes Verhältnis habe ich ihr erzählt , sie liebt Dich , ohne Dich gesehen zu haben , und wenn sie mich küßt , so spricht sie :
" Dieser da ist für Dich , und der für Deinen Freund , da Ihr ein Herz und eine Seele seid , so darfst Du nicht eifersüchtig werden . "
- Neulich sagte sie mir mit ihrer himmlischen Naivetät :
" Du bist ein Edelmann und wirst mich armes Schwabenmädel nur verführen ; wenn das ist , so möchte ich Deinen Freund am liebsten heiraten , bitte , rede mir beizeiten das Wort bei ihm ! "
4. Derselbe an Denselben IV .
Derselbe an Denselben * den 4. September 1795 Was daraus werden soll ? fragst Du , und hast den Arsenal der Pflichtenlehre geplündert , mich hier in meinem Versteck mit allerhand Tugendermahnungen zu beschießen .
Freund , wenn ich in ihren Armen Ruhe , möchte ich die ganze Welt beglücken , ich bin so froh , wie Jupiter , wenn er von Liebe geschmeichelt .
Regen und Sonnenschein den harrenden Geschlechtern der Menschen sendet .
Ich könnte dann alles tun , opfern , hingeben , ein weinendes Auge zu trockenen , einer guten Seele eine freudige Minute zu schaffen .
Ist das nun Laster ?
Sind wir nicht schon unglücklich genug durch unsere Verhältnisse , ist dem wundgedrückten Sklaven auch das versagt , auf eine kurze Stunde die Kette zu lockern , die sein Fleisch schmerzlich preßt ?
Hat mich mein Geschick gefragt , ob ich dieses reizende Mädchen lieben wolle ?
Sind wir dafür verantwortlich , was ein geheimnisvoller Zug in uns ohne unser Zutun schafft ?
Da ich ihre Augen sah , mußte ich in sie mit den Pfeilen meiner Blicke eindringen , da ihre Lippen mir winkten , wie konnten die meinigen widerstehen ?
Da an ihrem Busen die süßeste Ruhestätte mir bereitet wurde , hätte ich ein Tier sein müssen , mich nicht dort zu betten .
Ich wälze abenteuerliche Plane um .
Meine Frau macht sich nichts aus mir , mein Vater hat mich nie geliebt , was bin ich ihnen also ?
Mein Dasein ist ihnen völlig unnütz , und ich bedarf wieder der Flittern des Standes nicht .
Wenn ich mich mit der , die meine Seele liebt , verberge , weit , weit hinter großen Strömen und undurchdringlichen Wildnissen , und löschte aus im Angedenken der Menschen , außer in Deinem , in dem unterzugehen , für mich der moralische Tod wäre , härter als der physische .
5. Derselbe an Denselben V .
Derselbe an Denselben * den 8. September 1795 Daß mich meine Narrheit zwingt , alles Dir zu vertraun , obgleich ich weiß , daß Du schmälst ; aber ich besitze und genieße etwas nur , wenn ich es mit Dir Teile .
Ich merke es Deinen Briefen an , besonders dem letzten , daß Du mit mir zürnest , Du sprichst keine Vorwürfe mehr aus , aber alle Zeilen sind ein Vorwurf .
Da wäre es nun an der Zeit , sich auch zurückzuziehen , bis der böse Freund dem anderen seine Wonne mit gutem Herzen gönnte .
Aber ich kann das nicht , zu meinem Glück oder Unglück ist mir die überströmende Seele gegeben , die nur in schrankenlosem Vertrauen , in unendlicher Hingebung sich befriedigt fühlt .
Ich lebe jetzt mit Babetten auf diesem alten Bergschlosse , tief im wildesten Gebirge .
Der Vater , nachdem er unsere Liebe lange toleriert , wollte auf einmal den Strengen spielen , untersagte mir das Haus , sperrte mein Mädchen ein .
Gegen Zwang hat sich seit Adams Zeit noch immer die freie Liebe empört ; in einer Nacht , welcher Venus den funkelndsten Schein spendete , folgte mir die Getreue , die Holdselige .
Nun führen wir , von Waldkronen umrauscht , zwischen Trümmern und Klippen hausend , ein Leben wie die Ritter und ihre Trauten in den alten Märchen .
Es ist , außer einem alten Pachter mit seiner tauben Magd und einem halb blödsinnigen Knechte keine Menschenseele in diesem Steinklumpen , auch wohnen auf eine Stunde Weges hin keine Leute .
Diese Einsamkeit hat etwas Großes , wundersam Süßes .
Wenn die Sonne den Wald in einen grüngoldenen Zauberpalast verwandelt , oder der Sturm , wie der Atem des Geistes , durch die Zweige der Buchen geht , und ich mein Mädchen in den Arm fasse , da dünkt uns oft , wir seien dieser Zeit entrückt , und lebten in den Tagen der Fabel .
Die Liebe lebt ihre eigene Geschichte , und braucht der Außendinge nicht .
Babette besorgt die Küche , ich spalte ihr das Holz , oder suche mit der Jagdflinte ihr einen Braten zu erlegen , und wenn ein Gericht wohl geraten ist , oder mein Weidwerk gute Beute gab , so sind das große Ereignisse , an welchen wir lange nachzuzehren haben .
Sie hat mir eines nicht versagen dürfen , was ich Dir zitternd , leise und scheu , wie ein Kind , das vor der Mutter sich fürchtet , vertraue .
Wenn Dunkel sich über Berge und Täler goß , und auch die Abendlampe erlosch , dann Ruhe ich selig und froh an ihrer Seite .
Wehe Dir , wenn Du etwas Übles davon denkst !
Nein , heilig und unsträflich teilen wir das liebliche Lager , und tiefe Ehrfurcht vor der Unschuld liegt zwischen uns , wie ein geschliffenes Schwert .
Es war nur so eine Laune und Grille von mir ; zu proben , ob man nicht lieben kann , wie die Engel sich lieben .
Und siehe da , die Probe ist gelungen .
Ach , wie süß sie zitterte , da ich zum ersten Male von meiner erstürmten Befugnis Gebrauch machte , und wie ruhig sie nun mir am Busen entschläft !
6. Derselbe an Denselben VI .
Derselbe an Denselben * den 20. Oktober 1795 Lieber , man ist oft nicht in der Stimmung , anderen zu antworten .
Nimm es mir also nicht übel , wenn ich auf Deine Fragen nichts erwidre , als die Bitte , mir mit guter Art meinen Taufschein zu verschaffen , dessen ich zur Ausführung eines notwendigen Vorhabens bedarf .
Ich habe Babetten meinen Stand und Namen entdecken müssen , Du kannst mir also das Verlangte nur unter meiner wahren Adresse hierher senden .
Der alte Kaplan ist mir ergeben , er wird reinen Mund halten , wenn Du den Schein unter dem Siegel der Verschwiegenheit von ihm forderst .
Ich mag nicht an ihn schreiben , denn aus allerhand Anzeigen schließe ich , daß mein Vater und meine Frau mir auf der Spur sind , und ein Brief von mir könnte leicht durch eine schadenfrohe Zufälligkeit ihnen bekannt werden .
7. Babette an Hermann VII. Babette an Hermann * den 24. Oktober 1795 Ein unglückliches Mädchen , elender als Worte es zu nennen vermögen , beschwört Sie bei der Pflicht der Wahrheit , und Sie erinnernd an die letzte Stunde , welche alles uns vorhält , Gutes und Schlimmes , ihr zu sagen , ob ein Edelmann , namens von Müller , der auch Graf * heißen soll , bereits vermählt , und Vater eines Sohns sei ?
8. Graf Heinrich an Hermann VIII. Graf Heinrich an Hermann * den 6. November 1795 Es bedarf keiner Antwort auf die Zeilen Babettens , welche Du mir überschicktest .
Sie weiß alles , und wir mögen uns nur die Haare ausraufen , mit den Nägeln unser Antlitz zerfleischen , und dem Kitzel unseres Vaters , der warmen Stunde unserer Mutter fluchen , welche ein Tier mehr : Mensch genannt , in die Marterkammer , Leben , trieben .
November sollte das ganze Jahr hindurch sein , so schwarz , stürmisch und regnerisch , wie dieser !
Der Mai ist eine Lüge , und jeder Sonnenblick ist eine !
Da sitzen wir nun ; Babette in ihrer Stube , die sie vor mir verschlossen hält , und ich in meiner , und der Vater geht unter dem Burgwalle auf und nieder , und zerstampft das Gras mit seinem Stocke .
Unsinn der Welt , Chaos , weites , wüstes Narrenhaus !
Die Natur erbaut auf Gefühlen den ganzen großen Tempel des Seins , und wenn wir ihnen folgen , lohnt sie uns mit Verzweiflung ab .
Ich will versuchen , Dir zu erzählen , wenn meine von Weinen geschwollenen Augen , meine zitternden Finger mir erlauben , den Brief zu Ende zu bringen .
Der Zustand Babettens war unzweideutig geworden , ich entschloß mich , in ferne Länder mit ihr zu fliehen , dort mich mit ihr zu verbinden , und für meine deutschen Verhältnisse fortan tot zu sein .
Was an diesem Vorsatze unerlaubt war , erschien mir leicht und verzeihlich gegen die Sünde , das Mädchen meines Herzens dem Jammer preiszugeben .
Ich sprach mit ihr davon , arglos willigte sie in alles , schöpfte auch keinen Verdacht , als ich ihr meinen Grafenstand entdeckte , ließ meine Vorwände gelten .
Den Taufschein erbat ich mir von Dir , damit kein Priester der Trauung Hindernisse in den Weg legen könnte .
Da muß mein böser Stern unseren Freund Miller in die Nähe des Neckars führen .
Du weißt , wie er mich mit seiner Freundschaft verfolgte , wie mir seine übertriebene Empfindsamkeit zuwider war .
Er hört durch Zufall von mir , und beim wildesten Wetter steht er auf einmal in meiner Burgzelle vor mir .
Ich empfange ihn kalt , verlegen , er macht mir Vorwürfe , aber bleibt , ich rede von einer Reise , die ich sogleich in einem Geschäfte anstellen müsse , er erbietet sich , mich einige Meilen zu begleiten .
Ehe ich noch einen Entschluß fassen , ein unglückliches Zusammentreffen verhindern kann , hat er Babetten gesehen , gesprochen , und mich in ihrer Gegenwart nach meiner Frau , meinem Kinde befragt .
Wenn auch alle Güter , alle Zauber des Lebens sich vereinigten , mich so hoch zu heben , als ich jetzt tief gestürzt bin , den Blick , das Antlitz Babettens werde ich nicht vergessen , womit sie diese Entdeckung anhörte .
Die Stunde wird wie ein schwarzer Schatten über meinem Dasein lasten bleiben , und stiegen die Engel mit Schalen voll himmlischer Fluten herunter , meine Seele rein zu waschen .
Es war nicht Zorn , nicht Schreck , nicht Bestürzung , was in ihrem Gesichte sich malte , es war , ach , wer kann , wer mag das Furchtbare schildern , wenn treue heiße Liebe auf einen Ruck sich in ihr Gegenteil umsetzt ?
Die Donner des Schicksals waren durch den Unberufenen nur beschleunigt , abzuwenden wären sie dennoch nicht gewesen .
Nach einem grauenvollen Tage , den ich vergeblich flehend vor Babettens verschloßener Türe zernichtet zubrachte , drang durch Sturm und Regen ihr Vater hierher , der uns durch seine Späher endlich doch ausgekundschaftet hatte .
Briefe von den sogenannten Meinigen hatten sich in seine Pfarrwohnung verirrt , und waren von dem argwöhnischen Alten erbrochen worden .
Er kannte also alle meine Verhältnisse .
Anfangs wollte Babette auch ihn nicht einlassen , die Gewalt der väterlichen Autorität siegte aber endlich , und es gab eine erschütternde Szene .
Ich erklärte mich zu allem bereit , was nur im Umfange menschlicher Kräfte stehe ; man nahm meine Versprechungen nicht an , und der Alte bediente sich harter Ausdrücke gegen mich , die ich seinem Kummer zu vergeben hatte .
So ist denn diese Ruine zur Hölle geworden , die im engen Raume drei unselig Leidende vereinigt .
Ich bin keiner Entschließungen fähig , mein ganzes Wesen ist eine blutende Wunde , in welcher die scharfen Messer der grimmigsten Reue wühlen .
Hast Du ein Wort , ein Zeichen für mich , was mir Rat oder Linderung geben kann , so laß es mir werden !
9. Derselbe an Denselben IX .
Derselbe an Denselben * den 8. November 1795 Lies den anliegenden Brief Babettens , und schaffe Hilfe !
Die Verzweiflung überspringt alle Schranken , wer das Mittel bei sich trüge , uns aus der greulichen Not zu retten , dem könnte ich den Degen auf die Brust setzen , und ihn um das Mittel ermorden .
Hermann , unser Schwor , geleistet über den vereinigt-rinnenden Blutwellen der Freunde !
Nun ist die Gelegenheit da , nun beweise , daß Du ihr Dasein fühlst !
Ich sage nicht mehr ; Du mußt mich verstehen , oder der Bund zweier Männer war eine Posse , eine gemeine Lüge .
Beilage .
Babette an den Grafen Heinrich Beilage - Babette an den Grafen Heinrich Sie stürmen und dringen an der Türe meines Zimmers , um mit mir zu reden ; ich wiederhole , was ich Ihnen schon durch meinen Vater sagen ließ , daß ich nimmer mit Ihnen mehr spreche .
Was Sie von mir zu erfahren haben , sei diesen Zeilen anvertraut .
Ich habe gestern die Absicht gehegt , mir das Leben zu nehmen , welches mir völlig gleichgültig ist , seit ich weiß , daß Sie ein unehrlicher Mann sind .
Ich stieg auf die Spitze des Felsens hinter der Burg , und wollte mich von seiner jähen Höhe hinunterstürzen in die schwarze Tiefe , daß da drunten mein zerbrochenes , blutiges Gebein von den Wogen des Waldstroms fortgeschwemmt werden möchte .
Mein alter unglücklicher Vater war mir nachgegangen , und hat mich zurückgehalten .
Was er mir über die Sünde dieses Schrittes , soweit es nur mich allein betrifft , gesagt , habe ich nicht verstanden , denn mein Leben ist so ganz unnütz geworden , daß ich nur glauben kann , ein so verwelktes und zerknicktes Blütenblatt werde am besten dahin getan , wo der Kehricht ist .
Allein das zweite Leben , welches mein verfluchter Schoß empfangen , darüber darf ich allerdings nicht verfügen , ohne zur Mörderin zu werden .
Hiervon haben mich die Reden meines Vaters überzeugt .
Ich soll also nicht sterben und kann nicht leben .
Ihren Antrag , sich scheiden zu lassen , und mich zu heiraten , verabscheue ich .
Dadurch würde ich mir einen neuen Frevel aufladen , und mich an Ihrem Ehebruche beteiligen .
Meine Ehre will ich gleichwohl von Ihnen wiederhaben , und diese mir zu schaffen , gebiete ich Ihnen .
Wie es geschieht , gilt mir gleich , ich bin völlig willenlos , alle Dinge sind mir recht , die geschehen , den einzigen Wunsch , den ich noch habe , zu erfüllen .
Was man mir vorschlagen wird , es sei noch so fremd und widerwärtig , ich genehmige es schon jetzt , ohne es zu kennen .
Wenn Sie in dieser Beziehung etwas ausfindig machen , so haben Sie mir es zu melden , ohne Beisatz und Redensart , die mich von Ihnen anwidern , da ich Ihnen nichts mehr glaube , nicht einmal Reue und Scham .
10. Hermann an den Grafen Heinrich X. Hermann an den Grafen Heinrich Abschrift Bremen , den 16. November 1795 Es gibt Dinge , die nichts weiter zulassen , als die Handlung , alles Reden darüber ist unnütz .
Was hülfe es mir , Dir meine Betrachtungen über die trostlose Geschichte mitzuteilen ?
Es ist nun dahin gekommen , - was ich immer vorausgesehen , und Dir vorhergesagt habe , - daß Dein Sinn Dich vor einen Punkt führen würde , wo Dir Blick und Aussicht , ja Bewußtsein verschwinden müßte .
Aber wie gesagt , hier gilt es die Tat , die Worte sind leere Spreu .
Aus den Briefen des Mädchens sehe ich , daß sie keine Metze , keine Närrin ist , die mit Phrasen umgeht ; der Lapidarstil , in dem sie an Dich schreibt , zeugt von einer starken Seele .
Und ein solches Wesen hat mein Freund entwürdigt , und sein Kind soll ein Bankert heißen ?
Dem soll nicht so sein .
Du nennst mich kalt , der Kalte wird Dir seine Kälte beweisen .
Wenn Du diese Zeilen empfängst , bin ich schon unterwegs .
Ich werde vor Babetten hintreten und sie fragen , ob sie meine Hand annehmen will , und ob ich ihre Schande mit meinem ehrlichen Namen zudecken soll ? Dich wünsche ich nicht zu treffen ; diese Sache ist nur zwischen dem Mädchen und mir ; Dein Anblick würde mir nur unnütze Schmerzen machen .
Antworte mir nicht , danke mir nicht , laß uns überhaupt eine Zeitlang , bis die Gemüter sich einigermaßen beruhigt haben werden , für einander nicht vorhanden sein .
Ich weiß , was ich tue , opfre mich für Dich , gebe ein Leben und seine Freuden dahin , Dir zu helfen .
Ein solches Gefühl will geschont sein , und wird durch jedes Anrühren , auch durch das wohlgemeinte , nur noch quälender aufgeregt .
In seinen Tiefen werde ich mit der Zeit , wo nicht Trost , doch Beschwichtigung schöpfen .
Was mir schon jetzt Halt und Stärke gibt , ist die Empfindung , daß ich ja gewußt habe , wie alles sich fügen würde .
Graf und Bürger sollen die Hand einander nie zu so engem Bunde reichen , sollen bleiben , wohin der Stand einen jeden gestellt hat .
Den einen treibt sein Geschick in das Weite und Freie , den anderen weiset es in ziemlich enge Schranken .
Überspringen sie die gezogenen Grenzen , so hat sich der , welcher den Fehltritt erkannte , da er ihn beging , über die schlimmen Folgen nicht zu beklagen , die früh oder spät eintreffen müssen .
Nachschrift des Senators Hermann Nachschrift des Senators Hermann 1816 Du empfängst in diesen Briefen , mein Pflegesohn , ein verhängnisvolles Geschenk .
Ich darf es Dir nicht vorenthalten , denn wenn Du nicht wüßtest , wer Du bist , und von wem Du abstammst , so könnten sich ja entsetzliche Dinge ereignen , unbewußt könntest Du Frevel begehen , vor denen die Natur zurückschaudert .
Daß eine Schwester von Dir lebt , weiß ich mit Bestimmtheit , sie heißt Johanna , und wird auf dem Schlosse ihres Vaters erzogen .
Gern hätte ich Dir sonst diese Entdeckungen erspart , welche Dein Herz zerreißen , und Dich vielleicht auf lange Zeit unglücklich machen werden .
Nach meinem Willen sollst Du die Briefe , welche wir damals wechselten , erst lesen , wenn Du Dein männliches Alter erreicht haben wirst .
Du wirst dann die Stärke haben , der Eltern Schuld zu wissen , und doch an diesem Wissen nicht unterzugehen .
Vor allem suche das Bild Deiner Mutter in Dir rein zu erhalten .
Wir haben ein unglückliches Leben zusammen geführt , aber ich muß ihr das Zeugnis geben , daß sie die edelste und bravste Seele war , welche ich je gekannt .
Was mich betrifft , so wird Dir hoffentlich Deine Erinnerung sagen , daß ich Dir ein treuer Pfleger gewesen bin .
Ich habe mein Gelübde gehalten , und dieser Gedanke gibt mir eine gewisse Heiterkeit .
Meine Tage sind gezählt , ich fühle das ; Melancholie hat meine Lebenskräfte verzehrt , und mich vor der Zeit zum Greise gemacht .
Suche auch nach dieser Entdeckung ein freundliches Verhältnis mit meinem Bruder zu erhalten , der das Legat Deines Vaters Dir ausantworten wird .
Er ist eigen und schroff , aber zuverlässig und wacker .
Ich glaube , Du Armer , daß Dir verschlungene Lebensschicksale bevorstehn .
Sobald Deine Eigenschaften sich zu entwickeln begannen , sah ich an Dir ein Gemisch von Deines Vaters Leichtsinn und Deiner Mutter Schmerzen .
Mögen denn gute Geister sich Deiner annehmen , wenn die Sorge in das Grab sank , welche Deine Kinderjahre behütete !
Mit diesem Segenswunsche sei in das Leben entlassen .
Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Rasch war Hermanns Besserung vorwärtsgegangen .
Neu war ihm die Welt geworden , er nahm von ihr zum zweiten Male Besitz , ausgerüstet mit allen Erfahrungen der früheren Zustände .
Unglück und Glück hatten ihre , bis zum Überlaufen vollen Schalen auf seinem Haupte ausgeleert ; Stimmungen , wie sie durch solche Wechselfälle erzeugt werden , entziehen sich der Schilderung .
Er fühlte , daß sein Geschick ihn jeder selbstsüchtigen Tätigkeit für immer entrückt habe , und daß er dennoch nur um so fester mit allen Fasern der Erde verwachsen sei .
" Wir würden nicht glauben , daß dergleichen erlebt werden könnte , hätte es uns nicht selbst betroffen " , sagte er nach diesen Tagen einmal zu Wilhelmi .
" Wie hat mich der Wahn in wechselnden Gestalten , lächerlichen und schrecklichen , verfolgt !
Als Zwanziger meinte ich fertig zu sein , und muß mich nun in den Dreißigen als Anfänger und jungen Schüler bekennen . "
" Du bist hierin nur der Sohn deiner Zeit " , versetzte Wilhelm ! .
" Sie duldet kein langsames , unmittelbar zur Frucht führendes Reifen , sondern wilde , unnütze Schößlinge werden anfangs von der Treibhaushitze , welche jetzt herrscht , hervorgedrängt , und diese müssen erst wieder verdorrt sein , um einem zweiten gesünderen Nachwuchs aus Wurzel und Schaft Platz zu machen .
Wohl dem , der hierzu noch Kraft und Mark genug besitzt !
Ich sage dir , blicke fröhlich vor dich hin , denn du kannst es . "
" Das tue ich auch " , erwiderte Hermann .
" Mir ist fromm zu Sinne , obgleich ich nicht bete und den Kopf nicht hänge . "
Auch er machte einen einsamen Gang nach dem Hünenborne .
Dort nahm er die Decke von der Gruft des Kindes - seines Kindes - und stand lange in die Betrachtung dieser Überbleibsel eines Lebens versenkt , welches , ihm unbewußt , von ihm entsprungen , und , ihm unbewußt , auch schon wieder in die dunkle Nacht zurückgesunken war , aus welcher die Geburten der Erde auftauchen .
Er legte den Ring zu dem Skelette , und ließ dann ein fest umschließendes Gewölbe aufmauern , die Hand und den Blick der Neugier für immer von diesen Gebeinen abzuwehren .
- " Das ist gut " , sagte Wilhelmi , der davon hörte ; " nun sind die bösen Geister der Vergangenheit unter Salomos Siegel gelegt .
Der Mensch bedarf solcher symbolischer Handlungen , um sich von einer Last gänzlich zu befreien . "
Er selbst hatte die Alte zu guten Leuten an einen einsamen Ort geschickt , wo sie in gehöriger Kost und Pflege ihre noch übrigen Tage zubringen sollte .
Unter den Angehörigen und Bekannten des Hauses herrschte die größte Freude .
Alle nahmen den herzlichsten Anteil .
Der gute Prediger und seine Frau , die Geschäftsleute , welche noch da waren , empfanden ein reines Behagen .
Wilhelmi erhielt von seiner Frau unbeschränkten Urlaub , bei Hermann zu bleiben , bis dessen sämtliche Angelegenheiten geordnet wären .
Der Arzt schickte einen Brief , der ein Dithyrambus war auf die Trüglichkeit medizinischer Prognose .
Selbst die alte Nonne kam von ihrer Meierei herbeigewankt , dem Genesenen die Hand zu schütteln .
Auch Theophilie hatte sich glückwünschend genaht .
Ihr schien leicht und frei um das Herz zu sein , daß Hermann nun hier waltete .
Sie sah verjüngt aus .
Mit einem ihrer kecken Scherze stellte sie an ihn den Schlüssel zum Erbbegräbnis zurück .
Neben solchem Lichte begann freilich auch der Schatten sich schon wieder einzufinden , welcher keinem Gemälde des Menschlichen fehlen darf .
Hermann mußte , sobald er mit ruhigem Blicke seine wunderbare Lage übersehen hatte , über die ihm angefallenen Reichtümer sehr nachdenklich werden .
Das alles gehörte ihm vor der Welt und von Rechts wegen , und doch war dieses Recht nur ein Schein , denn - er war nicht der Neffe seines Oheims .
Durfte er gleichwohl der Wahrheit in diesem Falle die Ehre geben , das Verborgene enthüllen , und die Asche auch seiner Mutter noch im Grabe beunruhigen ?
Sein Innerstes empörte sich dagegen 2 .
Im Widerstreite der Pflichten wollte er wenigstens tun , was möglich war .
Er ließ daher der Herzogin den Rückkauf der Standesherrschaft unter Bedingungen anbieten , welche das Geschäft einer Schenkung so ziemlich nahe brachten .
Wilhelmi , welcher die Unterhandlung leitete , hatte ihm aber bald die ablehnende Antwort der Dame zu eröffnen , da sie sich mit der ausgeworfenen Apanage begnügen könne , und jede Verwicklung in die Dinge der Erde scheue .
Auch einem Besuche , zu dem er um die Erlaubnis gebeten hatte , versagte sie sich .
" Schwerlich wird sie dich jemals wiedersehen mögen " , äußerte Wilhelmi bei dieser Gelegenheit ; " Frauen ihrer Art haben eine Unwiderruflichkeit der Stimmungen , ähnlich der Gnadenwahl .
Wer ihnen einmal unangenehm geworden ist , bleibt es , auch wenn sie sich von der Nichtigkeit ihrer üblen Meinung überzeugt haben .
Sie wird es dir nie vergeben , daß du Flämmchen auf ihrem Schlosse bei dir gehabt hast , obgleich sie durch den Arzt nun wohl wissen mag , daß die Sache damals die schuldloseste von der Welt war . "
Cornelie zog sich , je mehr Hermann der Welt und den Menschen anzugehören begann , wieder sichtlich von ihm und in ihr Inneres zurück .
Sie mied die Gesellschaft und ihn , wo sie konnte .
Eine stille Verlegenheit war an ihr bemerkbar ; es schien ihr an dem Orte , wo ihr Herz , durch gewaltsame Angriffe erschüttert , sich verraten hatte , unwohl zu sein .
Hermann blickte zu ihr , wie zu einem höheren Wesen auf , er wagte keinen Wunsch , er erlaubte sich keine vertrauliche Benennung , er gestattete sich nicht , ihre Hand zu ergreifen .
Eines Tages sagte sie zu Wilhelmi , daß sie bereit sei , mit ihm abzureisen .
Er stutzte .
" Nun wollen Sie von hier fort ?
Nun ? " fragte er .
" Veränderliches Kind ! "
" Und warum nicht ?
Ich bin hier nicht mehr nötig .
Er ist gesund .
Also lassen Sie mich in die Dienstbarkeit wandern , der ich von jetzt an doch verfallen bin . "
Wilhelmi sann nach .
" Wir wollen der Standesherrschaft einen Besuch abstatten " , sagte er , " mein Freund und ich .
Von dort kehre ich über diesen Ort nach * zurück , und dann können Sie mich begleiten , wenn Sie noch bei Ihrem Vorsatze beharren . "
Er ging zu dem Prediger und hielt mit diesem und mit dessen Gattin Beratung .
Darauf schrieb er einen langen Brief an Johannen .
Hermann hatte diese erst sehen wollen , wenn noch einige Zeit verflossen wäre .
Er sehnte sich , und scheute sich doch , mit der Schwester wieder zusammenzutreffen .
Letztes Kapitel Letztes Kapitel Wieder glänzte der klare Herbsthimmel über Park , Schloß und Hügeln , wieder blühten die Georginenbeete der Fürstin , und die Abendsonne verklärte abermals die gelbroten Kronen der Bäume .
In großem Ernste hatten die beiden Freunde den Tag über alle die Zimmer , Säle , Stätten und Plätze durchwandert , welche sie nun unter so gänzlich veränderten Umständen wiedersahen .
Jetzt saßen sie ausruhend in dem bekannten Gartenkabinette .
Dort lag noch ein von der Herzogin vergeßenes Buch aufgeschlagen .
Hermann nahm es , und drückte sein tränenfeuchtes Auge auf die Blätter , welche ihre zarte Hand berührt hatte .
Wie wurde ihm , als er einen Blick hineinwarf !
Es war wieder ein Band von Novalis und das Märchen von Hyazinth und Rosenblütchen , welches ihm einst im Försterhause so prophetisch begegnet war .
Er seufzte und legte das Buch weg .
Wilhelmi hatte nachgesehen und sagte : " Im Bilde stellen oft die unsichtbaren Lenker unsere Geschicke an beiden Seiten des Lebensweges auf .
Erinnerst du dich noch unserer Gespräche über den Wahn , ferner über die Verflüchtigung des Eigentums ?
Das alles ist an dir nun eingetroffen .
Und wie viele andere Vorzeichen wurden uns gegeben !
Schon vor Jahren , bei unserem Ritterspiele machtest du hier den Herrn , und Cornelie wurde zur Königin des Festes ausgerufen .
In unseren Geschichten " , fuhr er mit Erhebung fort , " spielt gleichsam der ganze Kampf alter und neuer Zeit , welcher noch nicht geschlichtet ist .
Fürchterlich hatte der Adel an seiner eigenen Wurzel gerüttelt , seine Laster brachten trostlose Zerrüttung in die Häuser der Bürger .
Der dritte Stand , bewehrt mit seiner Waffe , dem Gelde , rächt sich durch einen kaltblütig geführten Vertilgungskrieg .
Aber auch er erreicht sein Ziel nicht ; aus all dem Streite , aus den Entladungen der unterirdischen Minen , welche aristokratische Lüste und plebejische Habsucht gegeneinander getrieben , aus dem Konflikte des Geheimen und Bekannten , aus der Verwirrung der Gesetze und Rechte entspringen dritte , fremdartige Kombinationen , an welche niemand unter den handelnden Personen dachte .
Das Erbe des Feudalismus und der Industrie fällt endlich einem zu , der beiden Ständen angehört und keinem . "
" Und der diesen rechtmäßig-unrechtmäßigen Erwerbe nimmer mit Ruhe um sich gelagert sehen würde , hätte er sich mit seinem Gewissen nicht wenigstens abzufinden vermocht " , sagte Hermann .
" Dir , meinem Getreusten will ich hierüber meine Entschließungen eröffnen , damit dir das Bild des Freundes rein und unentstellt bleibe .
Ich fühle die ganze Zweideutigkeit meiner Doppelstellung .
Laß dir also sagen , daß ich Willens bin , das , was sie mein nennen , und was mir doch eigentlich nicht gehört , nur in dem Sinne , von dem du einst redetest , nämlich als Depositar , zu besitzen , immer mit dem Gedanken , daß der Tag der Abtretung kommen könne , wo denn die Rechnungslegung leicht sein wird , wenn der Verwalter für sich nichts beiseite geschafft hat . "
" Es klingt gut " , versetzte Wilhelmi , " schwer wird es mir aber , dabei an etwas Bestimmtes zu denken . "
" Vor allen Dingen sollen die Fabriken eingehen und die Ländereien dem Ackerbau zurückgegeben werden .
Jene Anstalten , künstliche Bedürfnisse künstlich zu befriedigen , erscheinen mir geradezu verderblich und schlecht .
Die Erde gehört dem Pfluge , dem Sonnenscheine und Regen , welcher das Samenkorn entfaltet , der fleißigen , einfach-arbeitenden Hand .
Mit Sturmsschnelligkeit eilt die Gegenwart einem trockenen Mechanismus zu ; wir können ihren Lauf nicht hemmen , sind aber nicht zu schelten , wenn wir für uns und die Unsrigen ein grünes Plätzchen abzäunen , und diese Insel so lange als möglich gegen den Sturz der vorbeirauschenden industriellen Wogen befestigen .
Ich habe bemerkt , daß die Männer , welche unter dem Oheim so tätig waren , jetzt im stillen alle sich nach Selbständigkeit sehnen , was ja auch ganz natürlich ist .
Sie haben ihre Lehrjahre unter diesem Meister vollendet , und sind durch seinen Tod losgesprochen .
Mögen sie also ihre Prozente nach reichlichster Berechnung aus meiner Bank ziehen , und dann den vorangegangnen Genossen in alle Welt folgen ! "
" Diese Handlungen dürften doch die Befugnisse eines Depositars übersteigen " , sagte lächelnd Wilhelmi .
" Ich bitte dich " , versetzte Hermann , " streite mit mir nicht über Worte .
Jener Ausdruck konnte nur etwas sehr Beschränktes andeuten , und mein Gefühl ist ein unendliches .
Sei zufrieden , wenn du in meinem ferneren Leben wenigstens ein Streben erblickst , die Gegensätze , welche auf meine Schultern geladen sind , würdig zu schlichten . "
" Sei denn auch du nur zufrieden , mein Geliebter " , sprach Wilhelmi .
" Schon in den letzten Tagen unseres Tortseins , und dann auf der Herreise bemerkte ich an dir eine schwermütige Trauer , welche zu der jetzigen heiteren Wendung der Dinge nicht paßt . "
" O mein Freund , diese Trauer werde ich wohl ewig fühlen ! " rief Hermann mit ausbrechendem Schmerze .
" Ich danke Gott , daß ich das alles wiedererlangen durfte , was ich entbehrte , und doch ist mir in vielen Stunden , als besäße ich nichts .
Ist denn die Staude etwas ohne ihre Blüte ?
Vollendet den Baum nicht erst seine Krone ?
Zuletzt , nach allen Irrfahrten , Abenteuern , Widersprüchen des Denkens und Handelns ist dem Menschen , welcher sich nicht selbst verlorenging , gegeben , mit dem Einfachsten sich zu begnügen , und alle Fieber der Weltgeschichte werden endlich wenigstens in dem einzelnen Gemüte von zwei treuen Armen und Augen ausgeheilt .
Mir aber soll diese uralte , ewigneue Lösung und Schlichtung immerdar fehlen !
Die Heilige hat ihren Beruf erfüllt , indem sie mir wieder zu einem guten Gewissen verhalf , nun zieht sie sich in Regionen zurück , dahin ich ihr nicht folgen kann , und doch wird sie mir das wahrste , steteste Bedürfnis sein und bleiben . "
Ein Bedienter kam und überbrachte Wilhelmi ein Billet .
Dieser las das Blatt mit funkelnden Augen und sagte : " Fühlst du dich stark genug , eine unsägliche Freude zu erleben ? "
" Was meinst du ? "
" Sehr selten treffen die Erfüllungen mit unseren Wünschen zusammen .
Alles pflegt entweder zu früh oder zu spät zu kommen .
Hier wäre denn einmal das beglückende Gegenteil .
Ich habe früher viel durch Hitze und Schärfe verdorben , nun , als alter , beruhigter Knabe , wollte ich versuchen , ob es mir nicht auch gelingen möchte , zu vermitteln .
Was sich in der Not gefunden , drohte , in guten Zeiten wieder auseinander zu geraten .
Das durfte nicht sein , aber nur Frauenhände wissen dergleichen zarte Händel zu entwirren .
Ich schrieb deiner Schwester , die schon vor Verlangen nach dir brannte .
Sie ist über das Kloster gereist , hat das jungfräuliche Herz Corneliens in Pflege genommen und ihren Lippen Mut gegeben .
Sie meldet mir ihre Ankunft ; bist du bereit , sie zu sehen ? "
Hermann wankte und Wilhelmi mußte ihn führen .
So traten sie aus der Türe des Kabinetts in die grünen Anlagen .
Zwei Frauengestalten kamen ihnen den Gang herauf entgegen .
Ein schöner Greis in Uniform folgte .
" Ich bin es , mein Bruder , und bringe dir die Braut ! " rief Johanna , in Seligkeit blühend .
Sprachlos fiel er in die geöffneten Arme Corneliens und dann an die Brust der hohen Schwester .
So ruhte er zwischen den beiden , die seine Seele liebte .
Zärtlich hielten sie ihn umschlungen .
Wilhelmi blickte mit gefalteten Händen nach den Vereinigten hin .
Der General stand , auf sein Schwert gestützt , und sah , eine Rührung bekämpfend , vor sich nieder .
In dieser Gruppe , über welche das Abendrot sein Licht goß , wollen wir von unseren Freunden Abschied nehmen .
Fußnoten 1 Ein solches Säckchen schützt nach dem Glauben des Volkes als Amulett gegen die sogenannte böse Stelle .
Orte nämlich , wo ein Frevel verübt worden ist , wo ein Mord geschah , wo ein ruchloser Mensch einen Meineid schwor , oder den Namen Gottes schändete , sind ungesund .
Dort gedeihen nur Würmer unter Nesseln und Quecken , und wer , nichts ahnend , salbt viele Jahre später über die vom Unheil verpestete Stelle hinweggeht , der empfängt davon den Schaden an seinem Leibe .
2 Sonderbare Zufälligkeiten , eine Folge der mit dem Jahre 1830 eingetretenen Umwälzungen , brachten den Herausgeber in den Besitz dieser Hausgeheimnisse , und machten die Veröffentlichung derselben ohne Nennung von Namen und Ort nach seiner Meinung wenigstens verzeihlich .
- Holder of rights
- Bildungsroman Projekt
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Die Epigonen. Die Epigonen. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0pt.0