Ein paar Worte über das Folgende Es gibt eine Zeit in unserem Leben , wo unser Gefühl in seiner ersten vollen Blüte steht , wo das trunkene Herz , selbst in seinen Verirrungen noch unschuldig , nach jedem Schattenbilde der Phantasie hascht , wo wir in holden Träumen schwelgen , an Erfahrung Kinder , an Genuß Götter sind , wo selbst der Kummer noch süß ist .
Wir denken , wir fühlen da wohl manches , was eine größere Reife des Geistes uns späterhin in ganz anderem Lichte erscheinen läßt ; aber auch der Irrtum ist Übung unserer Kräfte , und wuchert für das künftige Erkenntnis der Wahrheit .
Diese Zeit , die die verschiedenen Verhältnisse der Dinge außer uns bei dem Einem verlängern und bei dem Anderen abkürzen , nennen wir den Frühling unseres Lebens , und selbst der weisere Mensch schaut oft , wenn sie verschwunden , mit dem Blicke der Sehnsucht auf sie zurück .
- Doch sie verschwindet bald ! - Der helle Strahl der Vernunft weckt uns aus dem lieblichen Schlummer , wir fühlen , daß uns ein höheres Gesetz vonnöten ist , und das Bedürfnis , nach deutlichbestimmten Gründen zu handeln , regt sich immer lauter und lauter in uns .
Ob es mir gelungen ist , die Äußerungen eines reinen Gefühls , unter gewissen äußeren Verhältnissen , befriedigend darzustellen , dies bleibt dem Urteil jedes Einzelnen überlassen .
Die höheren Forderungen einer reiferen Vernunft zu entwickeln , das lag nicht in meinem Plane .
Übrigens soll das eben Gesagte die Aufmerksamkeit weder von dem folgenden ab- noch auf dasselbe hinziehen , ziehen , sondern bloß ganz einfach den Gesichtspunkt andeuten , woraus dieser erste kleine Versuch betrachtet zu sein wünscht .
Die Verfasserin .
Das Blütenalter der Empfindung Das Blütenalter der Empfindung Seit vier Wochen war ich in Genua .
Hier erst verschwand der Unmut , der wie ein Nebel die schönen Erscheinungen der Geister und Sinnenwelt für mich bis jetzt verschleiert hatte .
Ich war in meiner Heimat glücklich gewesen , und hatte mich mit genügsamer Empfänglichkeit innigst an die stillen Freuden eines eingeschränkten Wirkungskreises , wo unsere Kräfte nur geübt , nicht angespannt werden , gewöhnt .
Ohne beim Genuß sehr lebhaft ihren Reiz zu fühlen , tut uns ihre Entbehrung doppelt weh .
Mein Vater wünschte mich vor Einseitigkeit gesichert zu wissen , er wollte meine Kenntnisse vervielfältigen , meine Begriffe berichtigen , und meiner Urteilskraft eine freiere und festere Richtung geben .
Deshalb ließ er mich reisen , und ich befolgte seinen Willen gern .
Aber die lieblichen Bilder der Kindheit und des ersten Jünglingsalters schwebten noch so lebhaft vor meinen Blicken , daß ich mitten im Gewühl der neuen Gegenstände nur die väterlichen Fluren meiner Heimat sah , und unter allen fremden Tönen , die mein Ohr umsummten , nur die Stimmen meiner Gespielen vernahm .
Nach und nach wurden diese Bilder verdunkelt .
Im Vollgenuß der Gesundheit , in keine Verhältnisse verwickelt , von keinen Vorurteilen gefesselt , stand ich da - ein freier Mensch ! - Gleich einem rein gestimmten Instrument , das nur auf den Künstler wartet , welche Harmonien er darauf hervorrufen will , war mein Herz für jeden Eindruck empfänglich , von süßen Ahnungen beflügelt , und mit heiteren Bildern erfüllt .
Ich drückte die ganze Welt an meinen Busen , und dürstete nach dem Genuß aller der Herrlichkeiten , die ich in süßer Trunkenheit verworren vor mir verbreitet sah .
Die ganze Natur schien in mein Schicksal verwebt zu sein .
Das frohe Aufstreben ihrer Kräfte , das lebendige Spiel ihrer Erzeugnisse , der jugendliche Reiz ihrer Formen , alles trug so sichtbar die Farbe meiner inneren Erscheinungen .
Im frohen Taumel gab ich mich allem hin , und fand mich in allem wieder .
Ich kannte keinen anderen Führer , keinen anderen Richter , als mein inneres Gefühl ; es rein zu erhalten , war meine einzige Sorge , und mit glücklicher Selbstzufriedenheit lachte ich der kühnen Geister , die durch kalte Grübeleien sorgfältig den Menschen in sich ersticken wollen , und zuletzt alle ihr erkünsteltes totes Wissen gern für einen Funken lebendiges Gefühl hingeben möchten .
Damals war es , als ich mit sanfter Entzückung in dem glücklichen Klima , wo ich jetzt lebte , alle Erzeugnisse der Natur in fröhlichem Überfluß neben einander aufquellen und gedeihen sah , wo ich mit dem Bild eines glücklichen Menschenvolks meine seligsten Stunden ausfüllte .
Sorgfältig entließ ich alle Vorurteile auf ewig aus ihren verjährten Diensten .
Ich sah nur einen fruchtbaren Boden , wo alles in üppiger Fülle neben einander aufwächst und gedeiht - ein fröhliches Gewühl von aufstrebenden geistigen und körperlichen Kräften .
Daß ich meinen Traum noch in der Wirklichkeit wiederzufinden , dies große Geschenk vielleicht selbst dem Menschengeschlecht zu bringen hoffte - dies war das Kriterium meines jugendlichen Wahnsinns , das glückliche Vorrecht meiner gutherzigen Unerfahrenheit .
Es schien mir so leicht , glücklich zu sein , daß ich mein Geheimnis allen anderen mitzuteilen hoffte .
Fand ich die Menschen für meine Empfindungen kalt , so vergaß ich bei dem innigen Einklang der Natur bald meinen mißlungenen Versuch .
Die Kehle des Vogels hatte willkürlichen Ausdruck ; das Wehen des Blütenbaums war Zeichen innerer Gefühle .
Beides wirkte innig auf mich ; mit beiden fühlte ich mich verwandt , und es schien mir , als verstünde ich ihre stille Sprache , ohne sie in Worte übersetzen zu können .
Ging ich dann aus meinen Blütenwäldern hervor , und trat auf die Höhen hin , wo ich in die unermeßliche Sphäre von Gewässer hinaussah - ha ! wie ergriff mich da der Anblick dieser ungeheuren Wasserwelt , die , wie die Phantasie keine Grenzen hat ! -
Es drohte mir die Brust zu zersprengen ; verschlungen in die Unermeßlichkeit des Weltalls , verschmolzen in die allgemeine Harmonie der Wesen , fühlte ich mich selbst in dieser Größe untergehen .
Ich kannte keinen entzückenderen Gedanken als den , mit allen Geistern ein Ganzes auszumachen , und fühlte mich durch diese Einigung von allen Menschen aufs innigste angezogen .
- Was für ein ganz anderes Wesen ist der Mensch , wenn er allein ist ! -
wie Eins mit der Natur , wie mit sich selbst verstanden !
- Ein magischer Flor umzieht die Wirklichkeit , und nur veredelte Gestalten haben das Recht hier aufzutreten .
- In seiner idealischen Schöpfung hindert , drängt , verzehrt sich nichts .
Der seligste unter seinen Göttern , steht er da in seinem Himmel , und schaut mit unbeschreiblicher Zufriedenheit auf sein gelungenes Werk . -
Ganz andere Vorstellungen warten seiner , wenn er in die Gesellschaft tritt .
Hier legen ihm die Verhältnisse , die Ansprüche seiner Mitbürger , ganz andere Verbindlichkeiten auf .
Überall umgeben ihn die Ringmauern des Gebrauchs , die Manen des verfloßenen Zeitalters ; überall ragt ihm das stolze Selbst eines Anderen hochmütig entgegen ; überall läuft er Gefahr , daß eine fremde Vernunft ihr Siegel auf seine Eigentümlichkeit drücke .
Er kämpft um die natürlichsten Rechte - quält sich mit erkünstelten Bedürfnissen - und übt Gerechtigkeit auf Kosten seiner Ruhe .
Und doch bildete die Natur ihren Menschen für ein geselliges Leben .
Sie verlieh ihm nicht allein Sprachorgane ; auch auf seine Stirn , in seine Augen legte sie den zarten Ausdruck seiner inneren Gefühle .
Kaum ist das zarte Gebilde seiner Empfindungen vollendet , so erscheint es auch auf seinem Gesicht .
Warum trachteten die Menschen diese göttliche Schrift zu verwischen ? -
Warum fanden so wenig Nationen das Geheimnis , das Glück des Einzeln im Wohl des Ganzen zu begründen ? -
Diese und ähnliche Betrachtungen waren mir ein unerschöpflicher Stoff zu Gemälden , die ein schuldloses Herz entwarf , und wozu eine lachende Imagination die Farben mischte .
Einst hatte ich mich , von meinem Herumlaufen ermüdet , unter die Zweige eines Limonienbaums niedergeworfen .
Ich hatte gelesen bis mein Lesen in Empfinden übergegangen war , und ich mich in meine gewöhnlichen süßen Träumereien verloren hatte .
Der Ort war wenig besucht ; ein kleines Rosengebüsch versteckte mich den Vorübergehenden .
So wohl mir war , so sehnte ich mich doch aufs herzlichste nach einem Wesen , dem es ein gleiches Bedürfnis wäre , die Menschen glücklich zu wissen , vor dem ich meine geheimen Seligkeiten aufschließen , und in dessen Umgang ich neue Schätze finden könnte .
- Ich weiß nicht , warum mir meine Phantasie , so oft ich daran dachte , immer ein weibliches Bild vorhielt , aber ich konnte mich nicht davon trennen , und ich wollte es auch nicht .
Ich schloß die schöne Erscheinung mit Inbrunst in meine Arme , und schwelgte unersättlich in dieser lachenden Vorstellung .
Ganz nahe Schritte störten mich endlich .
Ja , Undankbare , hörte ich sagen , ehe ich mich noch aufrichten konnte , ich will nicht länger einer Neigung frönen , die mich entehrt ! -
Ich will diese Fesseln zerreißen , ohne große Anstrengung , hoffe ich .
Du selbst warst meiner Liebe nicht wert , nur die Liebe lieh dir Reize , die du nicht wirklich hast .
Signor , erwiderte eine melodische weibliche Stimme , ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit .
Aber , wenn die Liebe Reize leiht , warum entlehnten Sie keine von ihr ? -
War_es der reine Wohllaut einer unverdorbenen Jugend , war_es diese edle Haltung bei beleidigter Selbstliebe , oder die leichte Wendung , mit der sie die Spitze auf ihren Gegner wandte , - genug , ich fand in dieser Antwort Etwas , was mir unbeschreiblich , was mir über alles wohlgefiel - die glücklichste Mischung von ruhiger Feinheit und treffendem Wizze .
Ich raffte mich auf , denn ich brannte vor Begierde , den Mund zu sehen , der noch unsichtbar so sehr zu bezaubern verstand .
Durch einen Umweg kam ich ihnen entgegen .
Sie begegneten mir . -
Der Künstler , der aus bescheidenem Mißtrauen gegen seine Kunst , den Amor zuerst mit verbundenen Augen malte , nicht um dadurch die Blindheit dieses Gottes anzudeuten , sondern weil er die Augen verbergen wollte , die er nicht malen konnte , nötigt mir Achtung für sein feines Gefühl ab .
In welche Farben taucht der seinen Pinsel , der die Augen der Liebe malen will ? -
Dieses lebendige Spiel der inneren Erzeugnisse , dieser wechselnde Ausdruck , dieses Meer von Gefühlen , worin man sich so gern verliert - wer faßt , wer hält dies ? -
Was ich hier sah , war mehr als Amor .
Der ruhige , sanfte Ausdruck ihres Gesichts , der geistvolle Zug der um Mund und Auge schwebte , die zarte Frische ihrer Formen , die gefällige Anmut , die alle ihre Umrisse überfloß : alles dies vollendete die Schöpfung ihrer Augen . -
Als sie sich um eine Ecke bogen , sah sie sich noch einmal nach mir um .
Ich weiß nicht was es war , aber das unbedeutende Rückblicken der Neugierde war es nicht ; noch weniger das ängstliche Forschen geschmeichelter Eitelkeit , oder das zuversichtliche Tributfordern einer sieggewohnten Herzenbezwingerin .
Die holde Gestalt war in meine Seele übergegangen , ich sah sie noch , als sie schon längst nicht mehr da war .
Das innige Wohlgefallen , mit dem ich mich an ihr weidete , ließ einen Himmel von Glückseligkeit über mir aufgehen , in dessen Lichtmeer sich alle anderen Gefühle verklärten , oder untergiengen .
Ich wußte von keiner Leere , keinen Wünschen mehr .
Meine Seele hatte sich mit der Vorstellung des schönen Geschöpfs vereinigt , und genoß in dieser Vereinigung auch Augenblicke des höchsten Entzückens .
Ach ! dieser Zustand dauerte nicht lange ! -
Bald suchten die Sinne ihre Ansprüche geltend zu machen .
Ich wollte sie sehen , hören , umfassen .
- Jetzt fühlte ich , daß ich liebte ; denn nur dann heißt Liebe Liebe , wenn sie Pfeile hat und fliegen kann ; das heißt , peinlich und unruhig ist .
Ich rief meinen vorigen Lieblingsbildern , aber keines wollte erscheinen .
Wie auf einem verheerten Paradies schwebte das Bild der schönen Fremden einsam über den Trümmern meiner vollendetsten Schöpfungen .
Zum erstenmal war mir das Gefühl meiner Selbst zur Last .
Ich versuchte es , meinen Zustand zu zergliedern , aber weiß der Trunkene im Augenblick des Rauschs , was mit ihm vorgeht ? -
Die treffendste wahrste Schilderung der Liebe ist , daß sie nicht geschildert werden kann .
Sie , die jeden Augenblick Gestalt und Farbe wechselt , kann kein Maler festhalten und darstellen .
Alle haben sie empfunden , aber noch keiner hat sie erkannt .
Die Liebe der Philosophen ist so blind , wie die Liebe der Dichter , und mit welcher Anstrengung wir auch in nüchternen Augenblicken über ihren Ursprung nachdenken , so sind wir doch alle zu dem Geständnis genötigt , daß ein heiliges Dunkel ihn einhüllt , und hier Etwas göttliches im Spiel ist , das unser Verstand vergebens zu erkennen trachtet .
Einige Tage vergingen , und ich fühlte mich ruhiger .
Meine Einbildungskraft hielt das Bild der schönen Unbekannten fest , aber die Sinne waren noch zu wenig dabei im Spiel , um durch ihre ungestümen Forderungen meine Ruhe auf lange zu zerrütten .
Einem elektrischen Funken ähnlich , hatte jedoch diese neue Erfahrung alle jene zärtlichen Gefühle , die die Natur gleich einem gefährlichen Zunder für das Blütenalter unseres Lebens bereitet , in mir angezündet .
Jedes weibliche Wesen erregte einen höheren Grad von Interesse als vorher bei mir , schien ein doppeltes Recht auf meine Aufmerksamkeit zu haben , ich freute mich der holden Geschöpfe - doch war das Bild , das ich im Busen trug , unvermerkt mein Ideal von Liebenswürdigkeit geworden , woran ich alle andere weiblichen Geschöpfe hielt - und das keines erreichte .
- Seit ich in Genua war , wohnte mir eine alte einsame Witwe gegenüber .
Daß sie dies sei , schloß ich , weil ich nie ein männliches Wesen bei ihr sah , und weil ich jedoch in ihrem Gesichte gewisse Spuren fand , die nur durch die Leiden und Freuden des häuslichen Lebens eingegraben sein konnten .
In meiner glücklichen Stimmung , wo mir alles gefiel , was ich hörte und sah , war auch sie mir interessant geworden .
Täglich sah ich sie am Fenster , und mein Gruß wurde immer mit einer Freundlichkeit erwidert , die von Herzen zu gehen schien .
Einst war ich von einem frühen Spaziergange zurückgekehrt .
Die ganze Natur schwamm in einem Meere von Liebe und Entzücken .
Überall Emporstreben und entwickeln jugendlicher Kräfte ; überall Genuß und Freude .
Ein Strom von Düften durchflutete die Luft , und drängte sich mit unsichtbarem Reize an die Herzen der Jugend .
Der allgemeine Taumel ergriff auch mich , mächtiger , allgewaltiger als je .
Süße Schauer durchzuckten meine Nerven , und mein Geist schwelgte ahnungsvoll in den Blütenhainen einer regellosen Phantasie .
Ich fühlte zu lebhaft , um denken zu können .
Keine Beschäftigung wollte mir schmecken - mein Zimmer schien mir auf einmal zu klein geworden zu sein .
Mechanisch trat ich ans Fenster .
Die Alte war da , aber sie sah mich nicht .
Ihre Augen , die unverwandt die Straße hinabschauten , zogen meine Blicke unwillkürlich mit sich dahin .
Eine weibliche Gestalt war es , worauf sie hafteten , und mit namenlosem Entzücken sah ich in ihr meine Unbekannte wieder . -
Sie kam ganz nahe , gab ein kleines Zeichen mit der Hand , und ging schnell vorüber .
Die Alte winkte ihr verstohlen .
Ich warf mich die Treppe hinab , und sah sie noch von fern durch eine Kirchtür schlüpfen .
Als ich atemlos hinkam , kniete sie schon .
Die nächste Minute fand mich an ihrer Seite .
In vollkommener Betäubung brachte ich die ersten Augenblicke zu .
Eine neue Glut durchflog meine Seele ; die Schönheit der ganzen Welt schien mir hier in eins zusammengedrängt zu sein , und in dieser sonderbaren Mischung von Bewunderung und Freude berauschte und verlor ich mich selbst .
Hundert verschiedene Wünsche und Pläne entstanden und starben ; Hoffnung und Verzweiflung , Verwegenheit und Furcht , Freude und Schmerz erschienen und flohen ; alle Leidenschaften begegneten sich ; jeder Augenblick ging mit neuen Empfindungen schwanger .
- Endlich gelang es mir , dies liebliche Angesicht mit mehr Fassung betrachten zu können .
Ihr Blick war ernst ; Etwas wichtiges schien sie ausschließend zu beschäftigen und für alles andere fühllos zu machen .
Andacht war es nicht .
Irgend ein Entschluß arbeitete sichtbarlich in ihrer Seele .
Der Zufall - denn so nennen wir alles , dessen Grund und Zweck uns verborgen ist - der Zufall wollte , daß ihr Blick zuletzt dem meinigen begegnete , und eine leichte Erinnerung schien bei meinem Anblick dunkel vor ihrer Phantasie zu schweben .
Auf ihren Wangen begann ein sanfter Rosenschimmer aufzublühen , und ein unschuldiges Wohlgefallen verklärte ihren Blick .
Die Natur bedarf keines künstlichen Behelfs , um verständlich zu werden ; ihrer Wirkung gewiß , wählt sie immer die sichersten Mittel für ihren Zweck .
Was bei künstlichen Menschen halbe Jahrhunderte kaum bewerkstelligen können , vermag bei Kindern der Natur oft ein einziger Augenblick .
Wir kannten und verstanden uns .
Meine Seele war in meinen Augen , und genoß der höchsten Wollust menschlicher Geister - der süßen Ahnung , hier sich selbst verschönert wiederzufinden .
Ich sah nur sie - und wären alle Heilige des Himmels in voller Glorie sichtbar an mir vorübergerauscht , ich hätte nicht den Kopf gewandt , sie anzusehen .
Der holde Laut ihrer Stimme weckte mich zuletzt mit süßem Schrecken aus meinem Taumel auf .
Wer sind Sie ? fragte sie mit liebenswürdiger Unbefangenheit , mir ist als sollte ich Sie kennen .
- Ich bin ein Schweizer , Signora , und Sie ? -
Der Zauber ihrer schwarzen Augen verschlang meine Rede , und ließ mich nicht auf Worte denken .
Ich heiße Nannette , erwiderte sie mir , mit dem heiteren Lächeln eines Alpenmädchens .
In dem nämlichen Augenblick sah ich sie erblassen und aufstehen .
Ein ältlicher Mann , der sie zu erwarten schien , stand an der Kirchtüre .
Sie sah sich besorglich nach mir um ; meine Gegenwart schien ihr drückend zu werden .
Ihre Ängstlichkeit vermehrte sich , als sie sah , daß ich ihr noch immer folgte .
Endlich wandte sie sich schnell .
Ich muß dort mein Portefeuille verloren haben , sagte sie verlegen , wenn ich hoffen dürfte - Ich flog zurück es zu suchen , und suchte lange , aber vergebens .
Auf einmal fiel_es wie Nebel von meinen Augen ; die Angst goß siedende Glut über meinen Körper und beflügelte meine Schritte .
Atemlos stürzte ich nach der Kirchtüre , atemlos schaute ich mich um ; -
mein Blut wurde Eis - ich sah niemanden ! -
Sinnlos stand ich einige Minuten lang im Boden eingewurzelt .
- Sie kann nicht weit sein , flüsterte zuletzt die Hoffnung - " Sie wird dich erwarten , " die Eigenliebe .
Tausend Vielleicht drängten sich vor meine Phantasie ; die Lebensgeister stürzten sich von neuem in die äußeren Teile , die tote Bildsäule wandelte sich schnell in lauter Auge , Ohr und Fuß .
Ich ereilte einen Trupp der andächtigen Beter , die ich noch in der Ferne wallfahrten sah ; unter ihnen hoffte ich sie zu finden .
Ich fand sie nicht , ich fand sie nirgends .
Rastlos hatte ich die ganze Gegend durchsucht , nach allen Fenstern gespäht , alle Vorübergehende gefragt , mich hundertmal il pazzo ! schelten lassen - und alles war fruchtlos gewesen .
Ermüdet kam ich zurück , und warf mich auf den Sofa .
Meine Unruhe ließ mich nicht ruhen .
Zur Alten , zur Alten ! stürmte es in mir , und in zwei Augenblicken war ich an der Tür .
Ich flog hinüber .
Unter dem Vorwand einer dringenden Angelegenheit begehrte ich bei ihr eingelassen zu werden .
Sie war fort . -
Man wußte nicht , wer sie wäre , woher sie gekommen , und wohin sie gegangen sei .
Gleich dem , der nie wiederzukehren gedenkt , hatte sie alles in Richtigkeit gebracht .
Sie war ganz fort .
Wie einer , der sein Liebstes vor seinen Augen in eine schwindelnde Tiefe sinken sieht , stand ich da .
Ein weiter Abgrund hatte sich zwischen mich und Nonetten gedrängt .
Es war mir , wie man zuweilen im Traume , an allen Kräften gelähmt , nicht gehen , nicht fliehen , nicht schreien kann .
Das Schicksal hatte allen meinen Wünschen die nackte felsenharte Unmöglichkeit entgegen gestellt .
Wer war sie ? - warum fragte , warum verschwand sie ? -
wo ist sie , wo ist sie ? -
Dieser Wunsch verschlang alle übrigen .
Ängstlich strengte ich meine ganze Erfindsamkeit an , mir einen Ausweg zu suchen ; mühsam bot ich alle Seelenkräfte auf , hier meiner Leidenschaft zu Hilfe zu kommen .
Meine Kraft versiegte - der Mensch , der mit seiner Stirn einen Felsen fortbewegen will - was ist er anders als ein Tor ? -
Zwecklos seine Kräfte verschwenden ist Sünde , und die Natur läßt keine derselben ungerochen .
Eine finstere Schwermut überfiel mich .
Zu spät wollte ich mit meinem Gram vernünfteln ; ich geriet mit mir selbst und mit der ganzen Welt in Streit .
Alle meine Bilder von Glückseligkeit hatten die schimmernde Folie , die ihnen unterlag , verloren , und weil ich auf einen Mißton stieß , so war ich eben so bereitwillig , dem Leben alle die entzückenden Harmonien abzusprechen , die ich im süßen Taumel froher Empfindungen ihm so überschwenglich zugeteilt hatte .
Meine gesunde Vernunft und eine glückliche Organisation retteten mich endlich aus einem Zustande , der bei so glühender Einbildungskraft und so auflodernden Gefühlen leicht hätte gefährlich werden können .
Ich verließ den Ort , der so entscheidend auf mich gewirkt hatte .
Mit jedem Tage lernte ich die wirkliche Welt näher kennen , wurde vertrauter mit den Spielen des gesellschaftlichen Lebens .
Unvermerkt wurde ich aus dem Beobachtenden zum Mithandelnden und die neuen Erfahrungen , die ich machte , zerstreuten mich täglich mehr .
Ich fühlte es - der Mensch muß handeln . Die wirkliche Übung seiner Kräfte ist für sein Wohlbefinden unentbehrlich .
Wir gehören der Sinnenwelt eben sowohl an , als dem Gebiete der Geister .
- Ein beschädigtes Organ - kann es nicht die Göttlichkeit des hellsten Verstandes besiegen , und mit einem Stückchen Gehirn - einem Menschen der ganze gesammelte Vorrat einer Wissenschaft verloren gehen ?
Unsere Begriffe schöpfen den Stoff aus der Sinnenwelt , den unser Geist verarbeitet , und den wir in unserem Lebensplan mitzuberechnen nicht vergessen dürfen ; und nur der darf hoffen , den Zweck der Natur erfüllt und sich für einen besseren Zustand erzogen zu haben , der alles erfüllt , was ihm der jetzige auflegt , alle Kräfte übt , und ganz das ist , was er sein kann .
Das Gewebe der wirklichen Welt umschlang mich unvermerkt immer fester , und die mannigfaltigen Bilder , die sich vor meine Seele drängten , gewannen mit jedem Tage der Schwermut einen neuen Sieg ab .
Mein Herz erwärmte sich von neuem an dem Feuer einer allgemeinen tätigen Menschenliebe ; meine Kräfte versuchten und stärkten sich im Umgange mit Menschen , und das Morgenlicht der Jugend überzog von neuem alle Gegenstände mit seinem rosenfarbenen Schimmer .
Damals geriet ich in einen Umgang , welcher mir eine neue Quelle von Seligkeiten auftat .
Ich kenne die Natur des Zaubers nicht , der mich zuerst so unwiderstehlich an Lorenzo fesselte , aber ich habe seine Wirkung empfunden .
Oft wies er mich unfreundlich zurück , oft verachtete er meine zudringliche Freundschaft , aber immer wuchs mein unerschütterlicher Vorsatz , den Stolzen durch Liebe zur Gegenliebe zu zwingen .
Lorenzo war ein seltener Mensch .
Schon auf seinem Gesichte las man die fürchterlichen Kämpfe , die er überstanden , die verheerende Gewalt , die er sich angetan hatte .
Sein lebhafter Geist hatte allzusichtbar auf seinen Körper gewirkt , und ihm für den bloß sinnlichen Menschen alle Schönheit benommen .
Nie habe ich einen Menschen gesehen , dessen edleres Selbst so sehr die Sinnlichkeit zu beherrschen verstanden hätte - und von ihr so oft besiegt worden wäre .
Er hätte seine letzte Stütze freiwillig für das anerkannte Recht eines Anderen zerbrochen , - und er konnte kleinmütig zagen , wenn ihm die Umstände den Genuß einer Lieblingsspeise verwehrten .
Diese Schwäche machte ihn liebenswürdig für die , die seine Größe sonst in Verzweiflung gestürzt hätte , aber ihn machte sie unglücklich .
Der ewige Kampf mit sich selbst rieb seine Kräfte auf , und bewirkte eine Erschlaffung der Lebensgeister , die ihn immer_mehr zur Schwermut stimmte .
Sein Schicksal hatte ihn die Menschen von ihren schlimmsten Seiten kennen gelehrt .
Er war oft verkannt , oft hintergangen , oft zurückgestoßen worden , und dies hatte ein Mißtrauen in ihm hervorgebracht , das nicht selten bis zur Ungerechtigkeit ging .
Er liebte die Menschheit , aber die Menschen verachtete er .
Klugheit kannte er nicht .
Sein Eifer für Wahrheit war so rein und so gleichförmig , daß er ihr selbst dann treu blieb , wenn sie mehr Nachteil als Nutzen von sich erwarten ließ .
Er hatte wenig gelesen , und war eben darum auch mehr Er selbst geblieben .
Was er dachte , war scharf , und seine Bemerkungen trafen immer nah ans Ziel .
Ob sein Name unbemerkt mit großer Flut hinunter walle oder nicht , das kümmerte ihn wenig :
er wollte wirken , aber unsichtbar wie ein Gott .
Ein Gedanke zur rechten Zeit entwickelt eine des edlen Menschen würdige Tat , die in die Seelen drang , dies war ihm alles , und erfüllte ihn mit himmlischer Ahnung seines Fortwirkens ins Unendliche .
Nur die Größe , nach welcher er selber rang , schätzte er auch an anderen .
Nie vermochte der Glanz eines gefeierten Namens seine Urteilskraft zu blenden , aber sein Scharfsinn wußte den verborgenen Edelstein zu finden , und oft an einem Menschen das einzige selbst erworbene Gut zu entdecken , und mit stiller Wollust zu genießen .
So war der Mensch , dessen Liebe das unverrückte Ziel meiner Bemühungen war .
Wohl ein Jahr lang hatte ich mich vergebens darum beworben , und während dieser Zeit für wenig anderes Sinn gehabt .
Zuletzt gelang es mir seinen Widerstand zu besiegen .
Albert , rief er in der ersten schönen Stunde , wo er mich in seine Arme schloß , du hast mir ein Herz gegeben , ich bin nicht mehr allein in der Welt .
Von nun an waren wir unzertrennlich .
Welche Begeisterung fühlte ich in seinem Umgange ! - Welche Seligkeit , wenn es mir gelang , seine schwarzen Phantasien durch eine hellere Beleuchtung zu milderen , und zu seinen schon für Tod beweinten Schöpfungen noch eine Wirklichkeit aufzufinden ! -
Sein schaffender Geist ließ neue Ideen in mir hervorgehen , und ergötzte sich an dem Eifer , mit dem ich sie verarbeitete und mir zueignete , und mein fröhlicher Jugendsinn erhielt und nährte die versiegende Flamme seiner Heiterkeit .
So waren wir uns unentbehrlich geworden .
Zwar hatte er mir noch wenig oder nichts von seinem vorigen Leben mitgeteilt , aber niemand verstand so wie er die Kunst , Geheimnisse zu haben , ohne zu beleidigen .
Sein Schweigen war mir ehrwürdig ; sein volles Vertrauen , hoffte ich , werde einst der schönste Lohn meines Strebens nach Vervollkommnung und meiner Treue sein .
Er war_es zufrieden , mich auf meiner Reise zu begleiten , und der allenthalben durch dieselben Gesetze geleitete Gang , in den scheinbar regellosen Verschiedenheiten der menschlichen Leidenschaften unter allen Himmelsstrichen , gab mir unter Lorenzos Leitung , Stoff zu unerschöpflichen Betrachtungen .
Er verachtete die kalte Buchgelehrsamkeit , die sich nur mit toten Zeichen ins Gehirn drückt ; unmittelbar aus der Natur zu schöpfen , dünkte ihm der nächste Schritt zur Selbsterziehung .
Damals fesselten die neuen Szenen , die in Galliens Hauptstadt spielten , die Aufmerksamkeit von ganz Europa .
Ich schwelgte in dem entzückenden Traume , meine kühnen Ahnungen hier schon erfüllt zu finden , und staunte mit süßer Überraschung den ersten Schritt zur neuen Völkerbildung an .
Der kältere Lorenzo spottete meiner allzuhochgespannten Erwartung , und fand da nur erst Samen , wo meine rasche Ungeduld schon die goldene Ernte winken sah .
Gleichwohl blieb es bei meinem Entschluß , in seiner Gesellschaft nach Paris zu reisen , und mit hochschlagendem Herzen kam ich daselbst an .
Wenig Tage nach meiner Ankunft feierte die Nation ihr großes Freiheitsfest .
An diesem Tage , der für die Menschheit ewiges Interesse behalten wird , sah auch ich die Freude des trunkenen Franken , und um ganz den Genuß dieses Tags zu fühlen , zog ich meine Blicke von Vergangenheit und Zukunft ab , und heftete sie bloß auf die Gegenwart .
Es war mir leicht , den hohen Enthusiasmus des Franken zu erreichen ; und das göttliche Bild eines freigewordenen glücklichen Volks drückte sich rein und unauslöschbar in meine Seele .
So stand ich auf dem Marsfelde , verloren in dies einzige große Gefühl .
Heilige Freiheit ! so hörte ich mit einemmal einen Flötenton hinter mir lispeln .
Ich sah mich um .
Ein großes schwarzes Auge , von Freiheitssinn und Enthusiasmus verklärt , begegnete mir .
Es war Nanettens Auge ; sie war es selbst .
O !
Nannette ! rief ich , und preßte ihre Hand an meine Lippen .
Ein sanfter Druck antwortete mir ; ihr Auge glänzte ; ein ätherischer Schimmer schien über ihrer ganzen Gestalt zu schweben .
Alles um mich her hatte kein Interesse mehr für mich .
Ich vergaß die Welt , die außer mir war , vergaß die Welt von Gefühlen in meinem Busen ; sie allein war meine Welt .
Keine Vergangenheit ; keine Zukunft .
Meine ganze Existenz war in diese Augenblicke zusammengedrängt .
Welch ein Gefühl , worin sich alle Kräfte vereinten ! eine Ewigkeit lag in diesem Augenblicke .
O !
Entzücken der Liebe ! du süße Trunkenheit der Seele ! wollustatmend schmachten alle Wesen nach einigen Tropfen aus deinem Zauberkelche ! - in Augenblicke zusammengedrängt fühlt dich der eine und wird zum Gott , indes ein dumpfer Trübsinn sein übriges Leben beschleicht ; mit kälteren Lippen schlürft der andere den verdünnten Trank , der für sein ganzes Leben ausreicht .
- Ist der nüchterne Trinker der von dir begünstigtere , oder ist_es der glühende Schwelger ?
Allmählich löste mein Taumel sich in Worte auf .
Ich fühlte weniger , da ich sagen konnte , wie viel ich fühle .
Die Sprache ist nur Folge der Empfindung .
Der wahre Augenblick der Empfindung duldet keine Sprache .
Meine Gedanken knüpften sich wieder an vorige Ideen an , und die Bilder der Vergangenheit drängten sich aus der Dämmerung hervor .
Bald wurde es hell ; mein Bewußtsein kehrte wieder .
Jenes erste Begegnen , die kurze Unterredung , alles , die kleinsten Umstände standen wieder so lebhaft vor mir da .
Mit diesen Erinnerungen wachte plötzlich ein Gefühl in mir auf , das wie ein Sturm auf einen Augenblick alle andere übertäubte ; es war - das mächtigste im männlichen Herzen - das Gefühl gekränkten Stolzes . Hierüber Erklärung - dachte ich , und redete schon .
Warum jene Erdichtung mit dem Portefeuille ? - warum so grausam mit mir spielen ? so wollte ich klagen , aber die Liebe verwandelte meine Klagen in zärtliche Bitten .
Sie errötete nicht . Es war Pflicht , mein Freund , sagte sie mit festem , liebevollen Tone - und schon schwieg der Sturm in meinem Busen .
Sie sprechen hier von einem Portefeuille , sagte ein Offizier von der Bürgerwache , und drängte sich zwischen uns , eben ist eins von großer Wichtigkeit verloren gegangen ; wissen Sie etwas davon ? -
wir lächelten Heide ; er wiederholte seine Frage , wir verneinten sie .
Mißtrauisch gegen uns , gab er den Befehl , uns wegzuführen .
Nanettens Begleiter , - jetzt erst sah ich , daß sie einen hatte - sagte dem Offizier ein paar Worte , und er ließ sie gehen .
Mich führte man fort .
Wer ist sie ?
Wer ist sie ? fragte ich , und niemand antwortete mir .
Man durchsuchte mich , fragte mich , führte mich hierhin und dorthin , fand mich unschuldig , und ließ mich gehen .
Als ich in meine Wohnung zurückkam , fand ich keinen Lorenzo mehr .
Die wichtigste Angelegenheit , schrieb er mir , nötige ihn , Paris und mich zu verlassen .
Beträfe es nur ihn selbst , so würde er mich , auch mit Gefahr seines Lebens , von dem Orte seines künftigen Aufenthalts unterrichten ; hier aber sei mehr als er - und er müsse schweigen .
- Ich erstaunte ; doch machte sein Verschwinden jetzt nicht den Eindruck , den es sonst hätte machen können .
Freund und Geliebte - wer weiß nicht , wohin die Schale sinkt ? -
Ich hatte Sie aufs Neue gefunden und verloren , die mir mehr als Tageslicht , mehr - als Freiheit war .
Ein schwacher Hoffnungsstrahl dämmerte durch das Dunkel .
Sie in dieser kleinen Welt aufzusuchen , das war_es , was ich wollte .
Tage lang stand ich im Palais royal , durchspähte jedes weibliche Wesen , guckte unter jeden Hut , durchblickte jeden Schleier , und - fand sie nicht .
Mein eigensinniges Herz verschmähte jeden anderen Liebreiz .
- Ich durchstrich die Gärten , besuchte alle Theater , war auf allen Versammlungspläzzen , und tat es vergebens .
Meine Wangen bleichten , mein Auge verlosch .
Der Dämon fehlgeschlagener Hoffnung zehrte sichtbarlich an meiner Lebenskraft .
Wie aus einem tiefen Schlaf erwachte ich endlich .
Was ist aus dir geworden ? fragte ich mich selbst .
Du mordest die unnachläßlichen Forderungen , die die Welt an dich zu tun hat .
Unter der Last bloß eigennütziger Sorgen , worin die Seele gefangen liegt , erlischt und stirbt die göttliche Flamme , die den Geist zum Himmel emporhebt , jene edle Kraft , die ihn zu schönen Handlungen beflügelt , und seine Blüte welkt ungenutzt im Sonnenbrand der Leidenschaft .
Ich raffte alle Energie , die noch in mir lag , zusammen , um mich zu ermannen .
Ich nahm an allem Teil .
Ich ging in die Nationalversammlung , mischte mich unter das Volk , hörte die Feuerrede Mirabeaus , und vergaß mich selbst über dem Anteil , den ich an anderen nahm .
Aber wenn ich nun am Abend in mein einsames Zimmer zurückkehrte , alle die am Tage über aufgefaßten Ideen in immer tieferes Dunkel sanken , das Herz von seinen Bedürfnissen nun lauter zu sprechen begann - dann schwebte ihr Bild vor meinen Blicken wie die strahlende Erscheinung einer besseren Welt .
Voll Sehnsucht streckte ich meine Arme aus , die holde Gestalt zu umfassen ; geistig wallte sie vorüber , und Augenblicke des tiefsten Unmuts folgten dem kurzen Schattengenuß von Freude .
Noch konnte ich mich nicht von Paris entfernen .
Ein magischer Strahl der Hoffnung hielt mich in seiner Atmosphäre fest ; noch immer hoffte ich sie hier zu finden - und immer hoffte ich vergebens .
Mein Vater schrieb mir endlich zurückzukommen , und wie elektrisch Feuer fuhr mir das durchs Herz .
In diesem Augenblicke vergaß ich den Zwischenraum , der mich von der Vergangenheit trennte , und schloß mich wieder mit Innigkeit an meine vorigen Ideen an .
Die heitere Magie der Erinnerung beflügelte die Sehnsucht nach einem gleichen Genuß , und die Fülle ihrer Darstellungen gab meinem trägen Herzen neue Spannkraft und meinen halb verloschenen Augen neues Feuer wieder .
Im Nachhall meines süßen Taumels reiste ich ab , und neue Lebensluft schien mir mit jedem Schritte balsamischer entgegen zu wehen .
Ach !
nur zu bald empfand ich , daß wir nie das wieder werden können , was wir einmal aufgehört haben zu sein .
Die Erfahrungen die wir machen , die Gefühle , die in uns entwickelt werden , ändern unaufhörlich an unserem Wesen - und kein Gott kann ihre Wirkung aufhalten ! -
Jetzt stand ich wieder da auf mütterlicher Erde , sah ihre hohe Natur , ihre blühenden Erzeugnisse wieder , die mir auch in der Ferne oft so freundlich gewinkt hatten .
O ! einziges himmlisches Gefühl !
Mein Herz schwoll auf , fand in der ganzen Welt nichts seiner Sehnsucht wert , wie diesen kleinen Raum , und fand in diesem Raume eine Welt .
Ich schaute hin in die Ferne , die grau und ungewiß vor meinen Blicken lag , und ein Schwarm von strebenden Gefühlen wallte in mir auf .
O !
Nannette , Nannette , dachte ich .
Nur einen Pulsschlag lang hatte ich sie vergessen .
Der erste Eindruck , wieder im Vaterlande zu sein , hatte mich überwältigt ; doch unauslöschbar stand ihr Bild vor meiner Seele .
Sie war mein vollendetster Gedanke , der sich innigst mit jedem meiner Genüsse verwebte .
Mein Vater und meine Verwandten empfingen mich mit tausend Freuden .
Ich war ihr Liebling gewesen , als ich von ihnen schied , und ich war es noch .
Tausend Beweggründe regten mich nun zu neuer Tätigkeit an .
Dieser allmächtige Trieb , der , unter welchen schönen , tausendfachen Modifikationen ! auf dem ganzen Erdboden sichtbar wird , der Trieb zu wirken , ergriff auch mich .
Ich arbeitete für das Wohl , für die Ruhe anderer , aber meine eigene Ruhe schien mir unwiederbringlich verloren zu sein .
Die ahnungsvolle Seligkeit , die mein Gefühl aus dem Zauberkelche der Liebe gekostet , die geistige Wollust , die ich in Lorenzos Umgange genossen , was konnte mir sie ersetzen , was sie zurückbringen ? -
Ich widerstand dem Schmerz über ihren Verlust nicht länger , und die Ungewißheit über ihr Schicksal verstärkte ihn täglich mehr .
Zu schwach , den zwecklosen Gram mit Vernunftgründen besiegen zu können - zu stark , um mich von seiner Rechtmäßigkeit zu überreden , war ich doppelt unglücklich , weil es mir an innerer Harmonie gebrach .
Wie mit einer lichtscheuen , menschenfeindlichen Krankheit behaftet , suchte ich nur Dunkel und Einöde ; Schweigen und Einsamkeit war das Einzige , was mir in der Welt noch erträglich dünkte .
Alles , was mir sonst so begehrungswert geschienen , war mir gleichgültig .
Ein paar Jahre hatten meine Jugendgespielen größtenteils von mir getrennt , oder sie wiegten sich noch in den Träumen einer glücklichen Unerfahrenheit , oder unser Schicksal hatte Welten zwischen unsere Denkart gedrängt .
Die Wirklichkeit war Tod für mich , und die Erinnerung einer hier taumelten , einst glücklichen Jugendzeit konnte mir nur Stoff zu schmerzlichen Vergleichungen geben .
Vergebens nahm ich zu den einfachsten Mitteln meine Zuflucht ; erwartete von der Natur , was keine Kunst zu geben vermochte ; vergebens lauschte ich mit kindlichem Herzen ihren leisesten Tröstungen - selbst ihr allmächtiger Zauber konnte mein gelähmtes Gefühl nicht aus seiner Versunkenheit retten .
Wie nach einem verlorenen Paradies sah ich zurück nach den Freuden , die ich genossen , die ich hätte genießen können , - und eine fürchterliche Ermattung folgte stets jedem gewaltigen Auflodern meiner kranken Imagination .
Ich wollte nicht vergessen - um diesen Preis verlangte ich kein Glück .
Mein Schicksal schien mir Einzig zu sein , das Wunderbare desselben webte einen geheimen Reiz in meine Leiden und machte meine Genesung immer unmöglicher .
So versank ich rettungslos in die unseligen Träumereien einer gespannten Phantasie ; zu sehr gewöhnt den Eingebungen des Gefühls zu folgen , verhallte die Stimme der Vernunft ungehört in seinen allgewaltigen Akkorden , und mein Zustand wurde gefährlicher , je minder ich den Wunsch empfand , ihn zu verbessern .
Nur ein gewaltsam erschütternder Schlag konnte mich aus diesem Seelenschlafe wecken - und das Schicksal gönnte mir ihn .
Es faßte mein Herz an der einzigen noch fühlbaren Seite .
Mein Vater starb . In ihm hatte ich das höchste Ideal menschlicher Güte angebetet , ihn hatte ich unaussprechlich geliebt .
Er war kein großer Mensch , aber er war ein guter Mensch , bis in seine entschiedensten Vorurteile ehrwürdig und menschlich .
Was andere lehren , übte er .
Ein göttlicher Instinkt schien seinen Geist immer an das Wahre und Gute zu fesseln , und sein Leben war der redendste Beweis für Moralität und Sittengesetz .
Nur mit langsamen Schritten folgte er im Denken dem Geist seines Zeitalters ; aber sein Herz wäre die Ehre jedes Jahrhunderts gewesen .
Er hasste die Menschen nicht , die anders dachten wie er ; aber er hielt sich nicht für verpflichtet zu denken wie sie .
Oft schien er ohne zureichende Gründe seiner Meinung getreu bleiben zu wollen , doch nicht selten zeigte ein unerwarteter Ausbruch , wie er im Stillen seinen Gang verfolgt , und dann der besseren Überzeugung beigetreten war .
Ein unversiegbarer Quell von Rechtschaffenheit und Wohlwollen trieb unablässig die schönsten Blüten der Humanität aus seinem Inneren hervor , und ergoß sich wie ein seegensreicher Strom über alles was ihn umgab .
Viele liebten ihn - keiner war sein Feind .
Selbst seine Schwächen machten ihn liebenswürdig und vollendeten das edle Bild des Menschenfreundes in ihm .
Das war der Mann , dem mich das Schicksal so nahe gebracht , von dem es mich jetzt auf immer getrennt hatte .
Es war eine Erschütterung , die mein ganzes Wesen aufreiben zu wollen schien .
Doch die unabweislichen Forderungen Anderer ließen mir nicht Zeit meinem Schmerz nachzuhängen , und rissen mich gewaltsam wieder ins tätige Leben hinein .
Hier gelang es mir zuerst , wieder über mich selbst nachdenken zu können , und es war beschlossen - wären diese Pflichten gegen Andere erst erfüllt , unablässig an meiner eigenen Heilung zu arbeiten .
Ich wollte reisen .
- Den eigentlichen Zweck verschwieg ich mir - desto tiefer war er in das Innerste meines Wesens eingesenkt .
Es war Frühling .
Ein neues Leben durchflog die Natur , aber mein Herz lieh ihren Schöpfungen nicht mehr die magische Beleuchtung einer lachenden Phantasie .
Zertrümmert waren meine Träume ; schmerzhaft tönte mein Gefühl in die frohen Harmonien der Schöpfung ; vergebens wünschte ich in diesem Meer von Liebe und Freude mich versenken , mich auflösen zu können - mein Herz sog nur neue Nahrung , neue Wünsche und keine Befriedigung in sich .
Unstät irrte ich in den Bergen umher , warf mich mit hochschlagendem Herzen in das sprossende Gras , fühlte nicht Ruhe , nicht Ermüdung .
Ein einziges Plätzchen nur schien mir Frieden ahnden zu lassen .
Es war ein reizendes Tal , das heimlich zwischen Bergen versteckt lag , wo kleine bebuschte Hügel sich sanft über die Ebene streckten .
Zauberisch an den Berg gelehnt stand hier eine kleine einsame Hütte , in grüne liebliche Dämmerung gehüllt , und von kleinen Bächen umschlungen .
Eine Hirtin bewohnte sie ganz allein mit ihren Kindern .
O ! so ein liebes Weib allein war_es wert , diesen Himmel zu bewohnen ! -
Innigst verwebt mit dem Schmelz ihrer Wiese , den Schicksalen ihrer Herde , dem goldenen Schimmer an den Bergspizzen waren alle ihre Gedanken , ihre Träume ; aber o ! wie schön , wie rein , wie heilig !
Tätigkeit und Ruhe , Menschenliebe und Treue und Wahrheit , alles hatte sie in diesem kleinen Zirkel gelernt und geübt .
Gastfreiheit war bei ihr nicht Tugend - nur Natur .
Zürnend daß sie das Vergnügen zu geben erst durch nehmen kaufen sollte , wollte sie die ihr gebotene Kleinigkeit nie annehmen .
Oft stand ich staunend vor ihr , hier als angeboren zu finden , was mancher oft so schwer sich anzubilden strebt , den reinen Trieb Gerechtigkeit zu üben , die warme Tätigkeit für sich und andere , den tief aus der Seele atmenden Frieden .
Was dem Denker die Vernunft lehrt , übte hier das Gefühl in jeder ungekünstelten Äußerung , jeder anspruchlosen Handlung .
Hier entzündete sich die Fackel meiner Menschenliebe aufs neue , wenn das egoistische Gewebe der Welt sie zu ersticken drohte ; hier huldigte ich mit inniger Empfindung der Göttlichen , die in der kunstlosen Wiesenblume , und in den schuldlosen Sitten einer Hirtin so schön sich verherrlicht .
Ein lieblicher Zauber schien diese Hütte zu beleben .
Mit pochenden Pulsen trat ich ein : beruhigt verließ ich sie .
Es war als wenn durch das leise Auf- und Niederwehen des Blütenbaums vor dem kleinen Fenster , alle Sorgen unwiderstehlich von mir verscheucht würden .
Einst war ich in kochender Hitze unter den Bergen herumgeirrt .
Die Lüfte brannten , kein Blättchen zitterte ; kein Gräschen wankte ; es schien der verglühten Natur der Atem zu fernerem Leben zu fehlen .
Mit einemmal wälzte der starke Fittich des Sturms die Wolken zusammen .
Wasserfluten strömten , Blitze verschlangen die Lüfte , der Donner erschütterte die Berge , die Eichen bebten .
Mühsam erreichte ich die kleine Hütte .
Atemlos stürzte sich hinter mir ein anderes Wesen herein .
Ich sah mich um , es war , und alle Pulse stockten - es war Nannette !
Wo hat noch je ein glücklicher Maler den hohen Augenblick des Wiedersehens in seiner ganzen Fülle gefaßt und dargestellt ? - - Schwelgerisch feiert ihn das Gefühl , armselig erkältet ihn der Ausdruck .
Ein inneres , innigeres Leben glüht in den Herzen der Liebenden .
Ohne Worte verstehen sie sich im süßen idealischen Einklange aller ihrer Empfindungen .
Wir traten heraus aus der Hütte .
Ein neues , tausendfaches Leben war über mich ausgegossen .
Unbemerkt von uns hatte der Sturm fortgerast ; unbemerkt hatte er geschwiegen .
Der Himmel strahlte wieder in seiner vorigen Klarheit .
Rings umher schwammen die Berge im Flammengold der untergehenden Sonne .
Sprachlos , im süßen Einklang mit der hohen Feier dieser Szene , stand die Liebenswürdige da , und in ihren Augen fand ich eine noch weit herrlichere Schöpfung als selbst die , die vor uns lag .
Wie glücklich war ich !
Ich fühlte es tief , es war der erste , heilige Moment eines neuen seligen Daseins .
Die Riesenschatten der Berge dehnten sich tiefer über das Tal hin ; in blaßgraue Dämmerung verlosch allmählich die Rosenglut des Abends .
Wir müssen scheiden , sagte mir Nannette , mit dem süßen Händedruck eines unschuldigen Wohlwollens , meine Mutter wird längst auf mich warten .
Ich wagte es nicht ihr zu widersprechen , so heilig war mir ihr kleinster Wille .
Auch begleiten durfte ich sie nicht .
Morgen sehen wir uns hier wieder , fuhr sie fort , und der stille Ernst ihrer Züge ging mit einemmal in die süßeste unbefangenste Freude über .
Welches Leben in diesen Zügen ! welche feine Mischung von glücklichem Scharfsinn und warmer Empfindung ! welche zarte Verwebung von ungekünstelter Natur und feinerer Bildung , von jugendlichem Frohsinn und ruhiger Vernunft ! meine Phantasie wußte nichts hinzuzusezzen , und fand hier ihr kühnstes Ideal erreicht .
Leicht betrat sie einen Felsenpfad , der sich heimlich durch die Klippen hinauf wand .
Unbeweglich sah ich die schlanke liebliche Gestalt durch die Felsen empor klimmen , sah , wie sie mir noch einmal liebevoll winkte , und zuletzt hinter Gebüschen verschwand .
Mit ihrem Bilde im Busen ging auch ich , ein neuer Mensch , nach meiner Wohnung zurück .
Wie sonderbar !
Einst überflog meine brennende Sehnsucht die stillen Grenzen meines Vaterlands ; mit jugendlicher Stärke umschlang ich die Welt ; mein unersättliches Herz wollte mit unbesiegbarem Drange alle Schätze des Lebens aufsuchen und genießen - jetzt war eine kleine Hütte das einzige Ziel meiner Gedanken , Nanettens Auge meine Welt , ihr Kuß mein höchstes Ideal von Glückseligkeit .
Mein Erwachen am anderen Morgen - ich werde es nie vergessen ! -
Das erste Gefühl der Überraschung war mehr Trunkenheit als Glück , ein quälendes Übermaß von überirdischem Entzücken - was ich jetzt empfand , war ein reines , namenloses süßes Bewußtsein meines Glücks .
Dies lebendige Gefühl der Wirklichkeit , deren Möglichkeit ich zuvor beinahe bezweifelte ; der freudige Glaube an eine selige Zukunft , verbunden mit der Gewißheit einer glücklichen Gegenwart ; das unaussprechliche Wohlgefallen , mit dem ich an Nonetten gedachte - dies alles wirkte so harmonienvoll , schmolz so entzückend in eins zusammen , daß alle meine Gefühle sich allgewaltig zu Einem freudigen Akkord zusammenfügten .
Ich eilte ins Freie .
Die Sonne strahlte über den Bergen , die sich dunkel erhoben .
Rund um mich her ruhten die freundlichen Dörfer im Kranze rötlich blühender Obstbäume .
Ein frisches Lebenslüftchen säuselte , und küßte die Regentropfen auf , die noch auf den Blättern standen .
Tausend Kehlen sangen aus den Gebüschen , tausend Blumen sendeten mir ihre süßen Gerüche zu .
Es war die Welt nicht mehr , worin ich noch gestern so unglücklich gewesen war .
Eine neue Sonne war über mir heraufgegangen .
Leicht wie das Atmen der Morgenluft durchflog mein Geist die Schöpfung , und verlor sich in ihrem unermeßlichen Lebensmeere .
Das , was dem natürlichen Menschen so süßes Bedürfnis ist , wenn er sich glücklich fühlt , das innigste Dankgefühl durchdrang mich jetzt .
Wie hätte ich in dieser lebendigen Schöpfung den toten Zufall ertragen können ? -
Mein Geist verlangte ein Wesen , dem er sein Entzücken zurechnen , dem er durch seine Seligkeit seinen Dank weihen konnte .
Dieses Wesen - unerweislich und unableugbar - kein Gegenstand der Erkenntnis , sondern des Gefühls - ich fand es in der ganzen Natur .
Für mich gab es keine toten Formen mehr ; mit heiliger Ahnung sah ich aus allen Wesen geheime Deutung hervorsprossen , und vernahm im Innersten meines Seins ihren göttlichen Sinn .
Ungeteilt überließ ich mich meinen Entzückungen .
Sind Empfindungen nicht heilig ? - sind sie nicht die reine göttliche Sprache , durch welche die Natur zu uns redet ? -
Vernunft soll sie leiten , nicht verdrängen - und die dunklen Ahnungen des Gefühls zu verdeutlichen , bedarf es ihrer höheren Kraft .
Ich berauschte mich von neuem in der entzückenden Vorstellung meines Glücks .
So überraschend , so alles übertreffend hatte ich es nie erwartet , nie geträumt !
Mit der Erfindsamkeit eines Schwelgers rief ich mir gewissenhaft alle Szenen des Kummers zurück , suchte alle Wunden wieder aufzureißen - um sie nun alle , alle in diesem Jubel der Empfindung vergessen zu können .
Ich sollte Nonetten sehen !
Nannette haßte mich nicht ! - dies wußte ich , was brauchte es zur vollkommensten Glückseligkeit mehr ? -
Ich sah sie wieder ; ich sah sie täglich .
Welche Entzückungen fühlte ich in ihrem Umgange !
Nein , nie habe ich , selbst wo ich mit der strengsten Unparteilichkeit zu prüfen strebte , ein ihr gleiches Geschöpf finden können ! -
Diese tief aus dem Herzen hervorquellende Heiterkeit , dies unerreichbare Talent Freude zu fühlen und fühlen zu lassen , die holde Malerei ihrer Phantasie , die hohe Wahrheit ihres Geistes , bei so viel feiner Bildung , dieser rein durchdachte Widerwille gegen alle Ungerechtigkeit , verbunden mit einer so himmlischen Gestalt !
- alle Gefühle vereinigten sich , mich auf den höchsten Gipfel menschlicher Glückseligkeit empor zu heben .
Als ich sie zum zweitenmal wieder sah , fragte sie mich mit ungeduldiger Eile , ob ich vielleicht das Geheimnis ihres Aufenthalts schon an einen dritten verraten hätte ? -
ich hatte es nicht - meine Empfindung war mir zu heilig , zu einzig - ich fürchtete sie durch eine mißlungene Schilderung zu entweihen , und die selbstsüchtige Gefälligkeit eines Vertrauten , der im ähnlichen Fall auf gleiche Nachsicht rechnet , dünkte mir unerträglich .
Nannette empfahl mir die strengste Verschwiegenheit - Versicherungen verlangte sie nicht ; sie selbst war ja die Seele meiner Handlungen ; - die leiseste Ahnung ihres Willens war mir Gesetz ; es konnte ihrem Scharfsinn nicht entgehen , daß auch ohne Schwor ihr Verlangen mir heilig bleiben würde .
Sie führte mich den steilen Pfad hinauf , den ich sie Tags zuvor hatte betreten sehen ; der Weg drängte sich immer heimlicher durch ein dicht verwachsenes Gebüsch , und endete nach einer kurzen Wallfahrt vor der Tür eines kleinen Hauses , das sein Äußre in nichts von gewöhnlichen Bauerhütten unterschied .
Desto lieblicher war der Eindruck , welchen sein gefälliges , aber kunstloses Innere auf die Sinnlichkeit machte .
- Hier Mutter , sagte Nannette mit der süßesten Anmut , und stellte mich vor eine schon etwas bejahrte Frau hin , hier bringe ich dir ihn selbst .
Mein erster Blick überzeugte mich , daß ich hier nur eine alte Bekannte wiederfand .
Es war eben die Alte , die ich in Genua , ohne zu ahnden , wie interessant sie mir einst werden würde , so gern gesehen hatte .
Sie nahm mich freundlich auf .
Der Ruf hatte ihr Fragmente von mir geliefert , aus denen sie , wie ich bald fühlte , kein ungünstiges Resultat gezogen haben mußte .
Auch sie verlangte Verschwiegenheit ; aber , mit mehr Klugheit vielleicht , doch gewiß mit weniger Scharfsinn , forderte sie da ein feierliches Versprechen , wo Nannette auch ohne dasselbe sich weit sicherer geachtet hatte .
Ich durfte sie nun täglich sehen .
Die Tante - denn das war sie Nonetten - vermehrte mit jedem Tage meine Ehrfurcht für ihr stilles und doch so tiefwirkendes Verdienst .
Sie war ein ungewöhnliches Weib .
Von den wenigen Menschen eine , die die eine Hälfte ihres Lebens durch stillen Fleiß zu ihrer Selbsterziehung verwenden , und in der zweiten ihre gesammelten Schätze zur Beglückung eines anderen nützen ; keinen weiteren Genuß kennen als diesen ; ihm ihr ganzes Leben aufopfern , und mit wuchernder Sparsamkeit , in Hinsicht auf einen künftigen überschwänglichen Ersatz , gern allen Freuden der Gegenwart entsagen .
Aber die Schöpfung , die sie hier hatte aufblühen sehen - o sie war_es wohl wert , ein ganzes Menschenalter dafür hinzugeben ! -
Wochen vergingen und reihten sich zu Monaten , ohne daß ich Nonetten nur durch eine Frage , einen Wunsch um Aufschluß über ihre sonstige Handlungsweise , den schnellen Wechsel ihres Aufenthalts , die tiefe Heimlichkeit , worin sie jetzt lebten , gebeten hätte .
Ganz in ihren immer neuen , immer holden Liebreiz verschlungen , fesselte eine glückliche Gegenwart alle meine Gedanken , meine Wünsche .
Ihre Achtung war die erste Bedingung meines Glücks - ihr Wohlwollen der Preis , um den ich alles wagte .
Was kümmerten mich äußere Verhältnisse ? was die Vergangenheit ? -
Es genügte mir , von ihr die Art des Eindrucks zu erfahren , den mein erster Anblick auf sie gemacht hatte .
Damals , sagte sie mir , tat es mir wohl , unter Gesichtern , die teils durch unnatürliche Begierden widrig gespannt , oder unter dem Druck eines unmäßigen Genusses erschlafft waren , endlich Eins zu sehen , das noch das heilige Gepräge von Unverdorbenheit unverkennbar an sich trug .
Ich folgte einem instinktartigen Gefühl , welches ein unbedingtes Vertrauen auf solche Züge von mir forderte .
Der erste Eindruck , wenn noch keine vorgefaßte Idee unser Urteil leitet , kann uns immer wichtig sein ; das zarte Gefühl unterscheidet auch hier , was der Verstand noch auf keine deutlichen Grundsätze zu bringen vermag .
Aber als ich nun den Grund dieses günstigen Eindrucks erforschen wollte , und mir keine Rechenschaft darüber zu geben vermochte , da glaubte ich zuletzt , vielleicht einen meiner vorigen Freunde in Ihnen wiedergesehn zu haben . -
Unter dieser Gestalt - wie war mir Ihr Andenken so lieb !
wie sehnte ich mich nach einem zweiten Begegnen ! -
Ich sah Sie in der Kirche - meine vorigen Ideen kamen wieder , die Augenblicke waren kostbar , und ich widerstand meinem Herzen nicht .
Die Nation die Sie mir nannten - der süße Ausdruck Ihres offenen Blickes - beides weckte eine ganze Reihe freudiger Erinnerungen in mir auf ; beides öffnete mir einen Himmel seliger Schwärmerei ! - und Ihr Bild schien von diesem Augenblick an sich ein Recht auf mein Andenken erworben zu haben .
Wie dankte ich Nonetten für dies süße Geständnis ! wie allgenugthuend , allbelohnend war es mir ! -
das wichtigste , glaubte ich , wisse ich nun ; alles übrige müsse dagegen nur von geringer Bedeutung sein .
Wie sonderbar fühlt ein liebendes Herz ! so genügsam und so unersättlich ! so die Welt umfassend und nur für eins lebend ! so mit Freude und Schmerz sich quälend ! -
Verweht waren alle die trüben Phantome , mit denen ich mich geängstet hatte ; mein entwölkter Sinn sah nur reine , himmlische Formen , fühlte nur das Allbeseeligende des Lebens .
Eben das Gefühl , das alle Hoffnung auf Freudengenuß auf ewig zu ersticken drohte , war jetzt die Quelle meines unnennbaren Glücks .
So ist Liebe die Wärme der moralischen Welt , sie erzeugt und zerstört wie diese , bringt hier Blüten und dort Vulkane hervor .
Jeder Tag brachte mich Nonetten näher .
Das ewig Blühende unserer Phantasien , das frohe jugendliche Aufwallen unserer Herzen , der süße Einklang unserer Seelen webte ein zartes , unsichtbares , unauflösliches Band zwischen uns .
Wir lebten - im eigentlichsten Sinne des Worts .
Die zarten Blüten des Gefühls , diese reinen Quellen menschlicher Glückseligkeit , wurden von uns sorgfältig geschont und vor Schaden gehütet .
Sättigung ohne Überdruß - Sehnsucht ohne Qual .
Natur und Vernunft unsere Götter .
Wir waren frei von allen lästigen , gesellschaftlichen Verhältnissen , die in dem Menschen Wünsche nähren , ohne sie zu erfüllen , ihm Bedürfnisse aufzwingen , die sein Herz nicht kennt , und deren Befriedigung nicht glücklich macht .
Aber wir waren nicht gleichgültig gegen die Erscheinungen , die nicht unmittelbar auf unsere Eigentümlichkeit Bezug hatten .
Alles , was der Menschheit im Allgemeinen wichtig sein , Vorurteile bekämpfen , Irrtümer ans Licht ziehen , Wahrheiten entwickeln konnte , hatte für uns unbeschreibliches Interesse .
So genossen wir unsere Existenz tausendfältig .
Nannette war fern von allem erkünstelten Wissen ; ihr ganzes Studium schränkte sich bloß auf die Kenntnis des Menschen ein , aber von natürlichem Scharfsinn unterstützt , hatte sie sich in Beurteilung und Schäzzung der Menschen eine Fertigkeit erworben , die ich nie habe fehlen sehen .
Dieser tief eindringende , geübte Blick , machte ihren Umgang zu einer unerschöpflichen Nahrung für den Geist .
Ihre Urteile waren immer voll Eigentümlichkeit und Tiefe , nie nachgebetet und seicht .
Die Wahrheit ihrer Begriffe von dem reinsten Gefühl begleitet , machte sie gerecht gegen andere , gab ihr Frieden mit sich selbst , Selbstständigkeit im Gedränge der Umstände .
Ein freundlicher Genius schien unablässig den Eingang ihres Herzens zu bewachen , und keiner üblen Laune den Zutritt zu verstatten .
Für zweifelhafte Übel hatte sie Erfindsamkeit , ihnen auszuweichen , für gewisse , Mut , sie zu ertragen .
Die glückliche Mischung ihrer Säfte verlieh ihr eine unzerstörbare Heiterkeit , die beneidenswerteste Fertigkeit , an allem die genießbare Seite aufzufinden und zu benutzen .
Sie war reizbar ohne Schwäche , heiter ohne Unempfindlichkeit ; gefühlvoll , ohne sich selbst zu quälen , vernünftig ohne Anmassung .
In ihrem Umgange fühlte auch ich mich täglich besser .
Der unbeschreibliche Zauber ihres Wesens schien mein ganzes Sein zu verändern , und mich ihr selbst ähnlicher zu machen .
Alles was im Dunkel das Labyrinth des Herzens durchwandelt , konnte ich ihr vertrauen , ohne Mißdeutung und Rüge zu befürchten - denn sie liebte den Menschen - kein überirdisches Wesen einer erhitzten Einbildungskraft - in mir .
Unser Wirkungskreis war klein - nichts Außerordentliches drängte sich in die süße Einfachheit unseres Lebens - aber Nanettens sinnreiche Wohltätigkeit vermehrte im Stillen die Summe menschlicher Glückseligkeit rund um uns her , und ihr reiner Sinn wußte mit edler Sorgfalt auch die kleinsten Blüten der Humanität aus allen Herzen , die sie erreichen konnte , hervorzulocken und zu pflegen .
- In diesen reinen Akkorden des Gefühls , diesem schönen , erquickenden Zusammenklang aller Forderungen der Vernunft und des Herzens , ist , ich fühlte es , allein das einzige wahre Glück des Lebens enthalten .
Einfachheit ist die Bedingung desselben .
Der gemeine Menschenverstand muß es fassen , begreifen können , es muß für alle erreichbar , für alle hinreichend , für alle genießbar sein .
Wir stiehen es oft , indem wir es suchen .
Damals besaß ich es , und ich besaß es doppelt - denn ich liebte . In süße Träumereien eingewiegt , schwand mein Leben , einem schönen Maitage gleich , dahin .
Ein sanfter Sonnenblick , der sich auf den Zweigen wiegte , der liebliche Eindruck einer lebendigen Gegend , das romantische Stürzen des Waldbachs , der bedeutende Schlag eines Vogels konnte mein Gefühl in seine innersten Saiten erschüttern , und alle Ideen in eine neue lieblichere Schwingung versetzen .
Oft wenn wir gearbeitet hatten , ruhten wir in den freundlichen Schatten der Bäume , und die erschlafften Nerven erholten sich mit sanftem Nachhall in der erquickenden Abendluft .
Oder wenn das Mondlicht freundlich auf den Wellen des Sees tanzte , winkte mir Nannette in den schwankenden Kahn .
Sie selbst faßte das Ruder und wir schwammen dahin .
Dann setzte sie sich still an meine Seite , süße Schwärmerei in ihrem Blicke , und mir war es vergönnt dies gefühlvolle Schweigen zu deuten .
Oder sie sang , wenn eine fröhliche Laune ihre Nerven höher spannte , mit reizender , biegsamer Stimme in das melodische Flüstern der Bäume am Gestade , die ein lauer Nachtwind durchirrte .
Oft war die Tante mit uns ; ihre Gegenwart erhöhte nicht selten unsere Lust , verminderte sie nie .
Ich war so glücklich , so über alle Hoffnung glücklich , daß ich lange vor jedem neuen Wünsche wie vor einem Verbrechen zurückschrak , und mich dadurch meines Himmels unwert zu machen glaubte .
Aber wir müssen wünschen . Es ist die Feder , die das ganze Kunstwerk unserer Tätigkeit in Bewegung erhält , unsere Kräfte entwickelt , und am Baum des Zieles unaufhörlich Blüten des Vergnügens für uns hervorsprossen läßt .
Was die Natur selbst in unser Wesen eingeflochten , was sie zur Bedingung unserer Erdenseligkeit gemacht - dürfen wir uns dessen schämen ? -
Ich sah Nonetten oft , aber ich wünschte sie unaufhörlich zu sehen , ich besaß ihr Vertrauen , aber ich rang nach dem höchsten innigsten Grad desselben , ich fühlte es mit jedem Augenblicke , daß sie mich liebte , aber ich verlangte aufloderndes Gefühl , Leidenschaft .
Meine Sehnsucht nach ihr wurde Qual , ihre Abwesenheit Tod .
Ihr Bild verwebte sich in meine Träume ; war ich fern von ihr , so beschäftigte sie mich unaufhörlich , und sah ich sie , so stürzte mich das oft in Verzweiflung , daß ich ihr nicht so ausdrücken konnte , was ich fühlte .
Endlich unternahm ich es , ihr meine Leiden , meine Sehnsucht und meine Wünsche zu schildern .
Es tat mir weh , ihr bekennen zu müssen , daß der freundliche Zauber ihrer Gegenwart allein nicht mehr alle andere Wünsche auszuschließen , nicht mehr mein höchstes Glück auszumachen vermöchte ; aber es war nun einmal so - sollte ich sie hintergehen ? -
Ich bat sie , ihr Schicksal ganz an das meinige zu ketten , und durch Befolgung der gesetzlichen Formen hierbei allen lästigen Folgen auszuweichen .
Diese Erklärung machte sie nachdenkend ; die Tante noch mehr .
Beide hielten jetzt eine Erzählung für notwendig , die uns allen so lange entbehrlich geschienen hatte .
Was sie mir in Fragmenten , bald mehr , bald minder weitläufig mitteilten , war ungefähr folgendes .
Nannette war in Genua geboren , und hatte ihre Eltern so früh verloren , daß ihr Gehirn kaum ein bleibendes Bild von ihnen aufzufassen vermochte .
Zwei Brüder , der eine fast in gleichem Alter mit ihr , der andere beiden weit in Jahren überlegen , teilten dies traurige Schicksal .
Indessen war der persönliche Verlust ihrer Eltern damals das einzige , worüber sie sich zu beklagen hatten .
Durch die hinterlassenen Reichtümer derselben war für alle ihre Bedürfnisse überflüssig gesorgt , und noch lebend hatten sie ihren älteren Sohn zum Beschützer der Rechte seiner beiden jüngern Geschwister ernannt .
So starben sie mit der frohen Überzeugung , alles für ihre Sicherheit getan zu haben .
Damals erfuhr die Tante , die in der Schweiz verheiratet gewesen war , und jetzt bei einem mäßigen Einkommen ohne Kinder lebte , die bedenkliche Lage ihrer jungen Verwandten , und sofort stand der Entschluß in ihr fest , selbst für ihre Erziehung zu sorgen .
Sie reiste nach Genua und verlangte sie von ihrem brüderlichen Beschützer .
Dieser , mit allen Genüssen seines Alters und seiner Lage bekannt , voll unbezähmbarer Lüsternheit nach allen Befriedigungen der Sinne , hatte schon längst jede Sorge , die nicht unmittelbar ihn selbst anging , höchst überlästig gefunden , und überließ sie ihr mit tausend Freuden .
Weit höheren Entzückens voll über den edleren Gewinn , den sie sich für die Zukunft versprach , reiste auch die Tante wieder nach ihrem Wohnort zurück .
Hier war die Bildung dieser Kinder ihr einziges Geschäft .
Sie künstelte nicht an ihnen .
Die Natur , glaubte sie , sei immer gut .
Nur daß Beispiel und Menschen nichts an den zarten Herzen verdürben , dafür sorgte sie .
Wenn sie das Böse verhinderte , glaubte sie alles getan zu haben , das Gute , meinte sie , käme von selbst .
Sie lehrte ihnen Begriffe , nicht Worte , entwickelte ihr Gefühl für Recht und Unrecht , und suchte nur das aus zubilden was sie in ihnen fand ; anbilden wollte sie ihnen nichts .
- Ihre Hoffnung , ganz ihr Werk vollendet zu sehen , wurde nur zur Hälfte erfüllt .
Der Knabe wurde ihr zu bald entrissen , aber durch Nonetten genoß sie der Wollust , ein edles Weib in seiner hohen angestammten Würde rein und unentweiht ihren Zeitgenossen dargestellt zu haben .
Indessen hatte der ältere Bruder unaufhörlich in Vergnügungen aller Art geschwelgt .
Natürlich , daß es ihm zuletzt an Mitteln zur Befriedigung seiner immer wachsenden Bedürfnisse gebrach , natürlich daß er nun mit der Kraft zu genießen auch die Kraft zu entbehren verloren hatte , und nun auf unrechtmäßige Behelfe sann , da keine rechtmäßigen mehr in seiner Gewalt waren .
Was konnte ihm näher liegen , als das ihm anvertraute Vermögen seiner Geschwister ; was konnte bei der Verfassung seines Landes leichter sein , als sich selbst einen Teil desselben zuzueignen , wenn er sie zum klösterlichen Leben überreden könnte ? -
Offenbare Gewalttätigkeiten erschreckten seinen entnervten Geist , aber kein heimlicher Kunstgriff konnte ihm zu schwarz und unedel sein .
An seinem Bruder wollte er den ersten Versuch wagen , und als einen vierzehnjährigen Jüngling ließ er ihn zu sich kommen .
Er fand in ihm ein Wesen von unbiegsamer Rechtschaffenheit , trozziger Anhänglichkeit an seine Pflichten , alle Leidenschaften noch in tiefem Schlafe , durch hohe Schwärmerei zu jeder Resignation bereit - und sein Plan war gemacht .
Der Scharfsinn , den er besaß , wenn es darauf ankam , seinen eigenen Vorteil zu finden , half ihm bald einen Plan entwerfen , der ihm nur glücklich gelang .
Er wußte dem Jünglinge , was er für ihn getan , so ans Herz zu legen , wußte ihm seine eigenen Verhältnisse so unzerreißbar , seine Lage so verwickelt , seine Bedürfnisse so dringend darzustellen , daß jener es kaum des Dankes wert hielt , wenn er ihm mit allen seinen Rechten , allen Aussichten auf Lebensgenuß ein unwiederbringliches Opfer brächte , und nur beweinte , daß es ihm nicht mehr Überwindung kostete .
Mit der größten Freudigkeit ließ er sich einkleiden .
Aber bald entfaltete sich sein Geist mit Riesenschritten .
Seine aufwachende helle Vernunft stellte ihm das Unzweckmäßige , Naturwidrige seines jetzigen Lebens im fürchterlichsten Lichte vor Augen .
Er schauderte zurück vor den Fesseln , mit denen verjährte , geheiligte Vorurteile seine Denkkraft zu entnerven drohten .
Sein Orden war nicht streng genug , um ihn ganz von der Welt zu entfernen ; er lernte sie genug kennen , um zu wissen was er in ihr verloren , sah seinen Bruder im Überflusse schwelgen , während er seiner vermeinten Rettung das höchste Gut des Menschen , seine Freiheit , aufgeopfert hatte .
Seine Zweifel wurden Gewißheit , sein Wanken , Entschluß .
Er entfloh , und entzog sich der Rache seines unversöhnlichen Bruders und des beleidigten Ordens .
Dieser mißlungene Versuch konnte den Unersättlichen nicht von einem zweiten abschrecken .
Und was hatte auch er eigentlich dabei verloren ? -
Sein unglücklicher Bruder hatte sich ja auf ewig des Vermögens beraubt , auf seine eigentümlichen Rechte Anspruch zu machen , wenn er nicht seine Freiheit , sein Leben selbst bei diesem mißlichen Versuche aufs Spiel setzen wollte .
Aber es lag in seinem Wesen , vor jeder kündbar werdenden Übeltat zurückzubeben ; er fürchtete die Meinung der Menge , und das schon über ihn gefällte , ungünstige Urteil derselben war ihm nicht fremd .
Doch seine Bedürfnisse sprachen lauter als seine Furcht .
Ein argloses Weib zu berücken , glaubte er , sei überdem ein weit belohnenderes und sicheres Geschäft .
Mit allen Überredungen der Liebe führte er nun die unbefangene Nannette in sein Haus ; nur die Begleitung ihrer Tante , deren scharfen , geübten Blick er scheute , verbat er sich unter mancherlei Vorwand .
Aber wie ein schüzzender Seraph schwor sich diese ihren Zögling nicht zu verlassen , und unsichtbar über seine Sicherheit zu wachen .
Heimlich reiste sie zu gleicher Zeit mit Nonetten nach Genua , wo sie in tiefster Verborgenheit lebte , und unentdeckt , mit Argus Augen alle Schritte ihres Neffen bewachte .
Der selbstsüchtige , abgestumpfte Weltmann glaubte , durch die reinen glühenden Äußerungen eines gefühlvollen Herzens , die er nicht verstand , irre geführt , es bloß mit einer gutherzigen Schwärmerin zu tun zu haben , und er hielt seinen Zweck für erreicht , sobald es ihm nur gelungen sein würde , ihr das klösterliche Leben von seiner romantischen , heiteren Seite dargestellt zu haben .
Selbst der Wahn , daß ihr geliebter jüngerer Bruder freiwillig diese Lebensart gewählt , und sein Glück in ihr gefunden , den er bei ihr so lang als möglich zu unterhalten suchte , sollte ihm , hoffte er , von großem Nutzen sein .
Aber er fand gar bald , daß er sich hier sehr verrechnet hatte .
Die kalten , unwiderlegbaren Gründe , die Nannette seinen hochgespannten , absichtlich verschönerten Schilderungen entgegen zu setzen wußte ; die sanften , vernünftigen , nur für ihn nicht ausführbaren Ratschläge , die sie ihm mit herzlicher Teilnahme gab , wenn er mit ihr von seiner mißlichen Lage sprach - dies alles war ihm unbegreiflich und stürzte ihn in Verzweiflung .
Keine Überredungen , keine Bitten , keine Gründe , keine noch so blühende Malereien konnten ihr das leiseste Wohlgefallen an einem Stande abgewinnen , von dem kalte , ruhige Vernunft und warmes inniges Gefühl sie gleich weit entfernt hielten .
Mit Erstaunen sah ihr Bruder hier alle seine für unfehlbar gehaltenen Kunstgriffe scheitern , und schon dachte er mit heimlichem Widerwillen auf Gewalt , als ihm ein gefälliger Zufall von einer anderen Seite zu Hilfe kam .
Der Kardinal ** sah Nonetten , und fand ihr ganzes Wesen so unaussprechlich reizend , daß er ihrem Bruder unermeßliche Vorteile versprach , wenn er sie bewegen könnte , mit ihm als Gesellschafterin zu leben .
Ihr Bruder hoffte alles ; die Proben , die er von Nanettens heller Denkart hatte , schienen ihm dafür zu bürgen , daß er hier wenig Vorurteile zu bekämpfen haben würde .
Aber er vergaß auch jetzt auf die innige Harmonie , die zwischen Nanettens Denk- und Empfindungsweise herrschte , Rücksicht zu nehmen , und ihm , der es verlernt hatte an menschliche Vollkommenheit zu glauben , kam das Natürlichste unbegreiflich vor .
Eben das Mädchen , welches die entehrende Einschränkung des Klosters mit ruhiger Würde von sich gewiesen hatte , schlug jetzt , eben so entscheidend , den Antrag einer nicht selbstgewählten Abhängigkeit von einem ihr gleichen Wesen , die sie in die traurige Notwendigkeit versetzt haben würde , entweder beherrscht zu sein , oder durch Kunstgriffe zu herrschen - und beides verabscheute sie - aus .
Sie verlangte gleiche Rechte mit dem Manne , den sie lieben wollte , und die Persönlichkeit des Kardinals war ihr noch weit mehr als alle übrigen Verhältnisse , ein unabänderlicher Grund ihrer Weigerung .
Ohne Achtung wollte sie nicht lieben , und diese verdiente er nicht .
So war ihre Antwort bestimmt , durchdacht , und alle Hoffnung auf immer ausschließend .
Im vollen Vertrauen auf sich selbst , sich immer gleich , fiel es ihr jedoch nicht ein , den Umgang ihres Liebhabers fliehen zu wollen .
Er war es , in dessen Gesellschaft ich sie zuerst gesehen , und dessen damaliger Zorn sehr bald verraucht war .
Nur ihr Bruder war nicht so leicht zu versöhnen .
unablässig sann er im Stillen auf neue Entwürfe , die bald in Handlungen überzugehn drohten .
Der wachsamen Tante entgingen seine dunklen Schöpfungen nicht ; es schien ihr Zeit , ihren Liebling nicht länger allein zu lassen , und durch geheime Wege erhielt Nannette Nachricht von ihrer Nähe , und von dem Plane mit ihr zu entfliehen .
Alles war verabredet , und die Stunde der Ausführung nahte herbei .
Damals war es , wo ich sie in der Kirche zum zweitenmal sah , wo der Gedanke an das strenge Verbot ihrer Tante , schlechterdings keinen Mitwisser ihres Geheimnisses zu haben , und die Furcht , durch mich vielleicht unschuldigerweise verraten zu werden , ihr meine Gegenwart so drückend machte , und sie zwang , ihre Zuflucht zu einer List zu nehmen , die mir so unendlichen Kummer verursacht hatte .
Meine glühende Ungeduld verhinderte sie hier an der Vollendung ihrer Geschichte .
Die Äußerung , daß diese Flucht der vornehmste Grund sei , warum Nannette einen Schritt nicht tun könne , der die neugierige Aufmerksamkeit des Haufens zu sehr an sie fesseln würde , war mir zu wichtig , als daß ich in diesem Augenblicke noch für etwas anders hätte Sinn haben sollen .
Ich schwor ihnen , sie gegen alle Beleidigung zu verteidigen ; ich verwies sie auf den Schutz der Gesetze , aber ich überzeugte sie nicht .
Die Rechte , die Nanettens Bruder auf seine Schwester hatte , waren in den bürgerlichen Gesetzen gegründet , wer konnte sie ihm nehmen ? -
sie fürchteten für ihre Freiheit - und ich durfte es ihnen nicht verdenken .
Wo haben wohl Weiber das Recht , sich unmittelbar des Schutzes der Gesetze freuen zu dürfen ? - sind sie nicht fast allenthalben mehr der Willkür des Mannes unterworfen ?
wie wenig wird noch jetzt auf ihre natürlichen Rechte , auf den ungestörten Genuß ihrer Freiheit und ihrer Kräfte Rücksicht genommen ! werden sie nicht vielmehr bloß geduldet als beschützt ? - Nannette , rief ich mit glühenden Wangen , und preßte ihre beiden Hände an mein Herz , so laß denn diese äußerlichen Vorkehrungen , die für arglose Herzen , wie die unsrigen , nicht gemacht sind .
Gibt es eine Form , die der Inhalt nicht heiligt ? - kann etwas ehrwürdiger sein als unsere Verbindung ? -
Zwei freie Wesen schließen den Bund , gemeinschaftlich zu wirken , gemeinschaftlich Gutes zu tun , gemeinschaftlich zu leiden . - Unser Bund besteht durch eigene Kraft . Nicht die zerbrechlichen stützen von priesterlichem Segen , von bürgerlicher Ehre , von kränkelnder Gewissenhaftigkeit halten ihn .
Wir selbst sind uns Bürge für uns selbst . - Weder Natur noch Vernunft lehrten die Menschen diese Vorkehrungen zu gebrauchen .
Klugheit tat es , eine Tugend , die erst aus den Trümmern menschlicher Unschuld und Reinheit hervorwuchs , und durch Verdorbenheit nötig wurde . -
Ob wir sie bedürfen ? -
Liebe ! kennen wir uns nicht ? -
Wir werden ewig so sein , weil wir es jetzt sind ! -
Die Tante nahm das Wort .
Nannette schwieg ; aber ein Strahl von unbeschreiblicher Liebe und Hoheit drang aus ihrem Auge in meine Seele .
Ich sah in ihrem Blicke die höchste Stufe menschlicher Veredlung , das reinste Ideal menschlicher Schönheit , die zarteste Verhüllung großer himmlischer Gefühle .
Sie vergessen junger Mensch , sagte die Tante mit ruhiger Fassung , daß die Gesellschaft , worin Sie leben , allerdings Gehorsam für ihre Verordnungen von Ihnen verlangen kann , daß Sie ihr für die Bildung , für die Vorteile , die sie Ihnen verliehen , auch Achtung für ihre Forderungen schuldig sind , und daß es nicht so leicht ist , als Sie jetzt glauben , die ruhigen sicheren Vorteile bürgerlicher Verhältnisse dem Genuß eines Gutes aufzuopfern , das Leidenschaft Ihnen jetzt als das höchste Einzige vor Augen stellt .
O Mutter , unterbrach ich sie mit aller Fülle des überströmenden Herzens , was hat der Staat , was haben die Gesetze mit unseren Empfindungen gemein ?
- Hat er uns diese heiligen Gefühle angebildet ? - können sie uns dieses ehrenvolle gegenseitige Vertrauen , unter dessen Himmel die zarte Blume ehelicher Liebe allein gedeihen kann , anbefehlen ? - ist beides nicht nach allem Rechte bloß unser Eigentum ? - wer darf sich zwischen uns stellen ? -
War unser Vertrag auf Wahrhaftigkeit gegründet , so ist seine Dauer ewig , und war er es nicht , so ist er nie gewesen .
Niemand kann hier rechten , als sie und ich . -
Die Tante unterbrach mich von neuem .
Meine Gründe , die mir so unwiderstehlich schienen , taten hier die gehoffte Wirkung nicht .
Mit ihrer kalten ruhigen Fassung war es ihr leicht , sich über meine leidenschaftliche Ungeduld Lorbeern zu erringen .
Unverrückt verfolgte sie ihren Plan bei ihrer Widerlegung , nur auf die Wirklichkeit Rücksicht zu nehmen , und die gegenwärtige Verfassung der Welt mit keiner idealischen verwechseln zu lassen .
Ich war außer mir , und ich weiß nicht , wie mir das ins Herz kam .
O hätte ich nur jetzt , rief ich halb in Verzweiflung , hätte ich nur jetzt Lorenzo's Seelenzwingende Beredsamkeit ! - Lorenzo ! rief Nannette mit dem scharfen Akzent des Erstaunens .
Lorenzo ! wiederholte die Tante mit Bedeutung . -
Ich sah , daß ich mit diesem Namen das Bild eines bekannten Wesens in ihnen aufgeweckt hatte , und Na nette ließ mich nicht lange in Zweifel .
Mit überströmender Freude fiel sie mir um den Hals .
Für sie gab es nur einen Lorenzo in der Welt .
O ! weist du vielleicht wo er jetzt ist , rief sie mit zärtlichem Ungestüm - verbirg mir nichts , ich bin seine Schwester ! -
Ich drückte sie glühend an mein Herz - und - was mir unmöglich geschienen hatte - ich liebte Lorenzo's Schwester mehr als Nonetten , Nanettens Bruder mehr als Lorenzo .
Mein Entzücken war grenzenlos .
- Was unsere glühende Ahnung uns bereits für Gewißheit gegeben hatte , bestätigte sich nun durch Tatsachen .
Lorenzo , mein Freund Lorenzo , war ihr jüngerer Bruder .
Sie erzählte mir nun so gedrängt als möglich , wie sie aus Genua glücklich entkommen , und Paris zu ihrem Aufenthalte gewählt , weil sie hier am unbekanntesten zu leben gehofft hätten , wie aber , aller Vorsicht zum Trotz , ihr älterer Bruder sie entdeckt , und unvermutet vor ihnen erschienen sei .
Unter der Maske der innigsten Bruderliebe hatte er von neuem Nanettens Herz für sich zu gewinnen , alle gegebene Veranlassungen zum Argwohn von Irrungen herzuleiten , alle seine Handlungen in ein reines uneigennüzziges Licht zu setzen gesucht .
Aber bald wurde es sichtbar , daß er noch immer für den Kardinal warb .
Sein Anliegen wurde mit jedem Tage dringender , und die besorgliche Tante fürchtete neue Gefahren .
Damals sah sie Lorenzo in einem der seltenen , glücklichen Augenblicke , wo sie einer scheinbaren Freiheit genossen , - denn ein heimlicher Mietling ihres argwöhnischen Bruders mußte ihm für jeden gefährlichen ihrer Schritte Bürgschaft leisten .
Die Vollendung , welche reifere Jahre Nanettens und Lorenzo's ganzem Ansehn gegeben hatten , mußte sie notwendig verändert haben , aber sie erkannten sich bald .
Der erste Augenblick war Zweifel , der zweite Glaube , der dritte schon Überzeugung .
Das dringende der Umstände kürzte alle strenge Untersuchung ab .
Einige geflügelte Worte benachrichtigten Lorenzo von ihrer jetzigen Lage .
Sein Entschluß war halb gefaßt .
Was er auch zu wagen hatte , er kannte keine Furcht , wenn es darauf ankam , für einen Anderen zu handeln , - und dieser Andere war Nannette ! - was ihm sonst nur Pflicht geschienen , war ihm hier Belohnung .
Das Glück begünstigte seine gewagten Unternehmungen , und Nanettens Scharfsinn wußte die Arglist ihres Bruders mit so gutem Erfolge zu hintergehen , daß er ihre Abreise erst dann erfuhr , als es für ihn zu spät war .
glücklich erreichten sie das kleine einsame Landhaus , ein Eigentum der Tante , welches sie jedoch jetzt zum erstenmal bewohnte .
Desto sicherer konnten sie hoffen hier unentdeckt zu bleiben .
Doch nun verließ sie Lorenzo . Der Teil der Schweiz , worin das Landhaus lag , bekannte sich zu der Religion , die er so höchlich beleidigt hatte , und er fürchtete die stille , aber weitumfassende Verkettung der Glieder seines verlassenen Ordens .
Seine Gegenwart , glaubte der Uneigennüzzige , könne ihrer eigenen Sicherheit gefährlich werden , und so edel wie er war , konnte er den Gedanken nicht ertragen , durch seine Schuld Andere auch nur der Möglichkeit ausgesetzt zu haben , mit in das Gewebe seines feindseligen Schicksals verwickelt zu werden .
So trennte er sich freiwillig von allem was ihm lieb war , aber diese Trennung erschütterte sein Wesen bis in seine geheimsten Tiefen .
Das Schicksal selbst schien ihn von allen Verhältnissen loszureißen , von allen Verbindlichkeiten zu entbinden , und der erschütternde Gedanke , auf der ganzen Welt kein trautes Wesen mit sich verbunden zu wissen , der ihn schon ehemals verfolgt hatte , sank jetzt in seiner ganzen fürchterlichen Stärke wieder auf ihn ein .
Sein Abschied erfüllte Nonetten mit schrecklichen Ahnungen .
Sie sah ihn , wie er zwischen Leben und Tod wankte , wie alle Fäden , die ihn an die Menschen banden , zu zerreißen drohten , wie er in Gefahr war , den Glauben an sich selbst zu verlieren .
Ihre Bitten , daß er bleiben sollte , waren erschütternd - aber sie blieben ohne Erfolg .
Lorenzo hatte sich einmal überzeugt , daß es Pflicht für ihn sei - und er schied , wenn auch sein Herz darüber verbluten sollte .
Einige Talente im Zeichnen , die ihn zum Stolz seines Zeitalters hätten machen können , wenn nicht sein unglückliches Schicksal jede Laufbahn für ihn verschlossen hätte , würden ihn , hoffte er , vor gänzlichem Mangel sicheren .
Nur wenn er glücklich wäre , versprach er ihnen Nachricht von sich zu geben - bis jetzt hatten sie noch keine erhalten .
Oft war die Erinnerung an ihn der Grund jener rührenden Schwermut gewesen , die ich in Nanettens Blicken hatte schwimmen sehen , und deren Ursache sie mir immer verschwiegen hatte .
Mit der edelsten Offenherzigkeit hatte sie mir alles anvertraut , was sie selbst betraf - für fremde Geheimnisse hielt sie mich noch nicht für genug geprüft ; über das erste glaubte sie allein ein ausschließendes Recht zu besitzen - das zweite war ihr heilig wie das anvertraute Eigentum eines dritten .
Die überströmende Freude , die in Nanettens Augen loderte , als sie glaubte , ich könne vielleicht ihre quälende Sehnsucht nach Nachrichten von Lorenzo stillen , schilderte mir , mehr als Worte , die Größe ihrer Liebe zu ihm .
Ach !
es war mir nicht vergönnt , ihre süße Erwartung befriedigen zu können , und ihre stille Kränkung darüber schärfte das Gefühl meines Schmerzes .
Nur die Hoffnung , durch meine Hilfe bald glücklicher zu sein , konnte sie trösten .
Vielleicht war er nicht fern , vielleicht entdeckte mir ein günstiger Zufall seinen Aufenthalt , vielleicht konnte ihn meine Gegenwart , meine Teilnahme aus seiner Versunkenheit retten .
Der Erfolg war ungewiß .
- Denn wo sollte ich ihn suchen ? -
aber schon die Hoffnung war_es wert , alles um sie zu wagen .
Sein Künstlerruf war der einzige Strahl , dem ich in dieser Dunkelheit folgen konnte , aber auch dieser , wie unsicher ! -
Nannette hoffte freudiger .
Die Lebhaftigkeit ihrer Wünsche überredete die Liebende , sie für geheime Ahnungen zu nehmen .
Ein neues Interesse kettete sie an mich ; aber der erhöhte Reiz ihrer Zärtlichkeit vermehrte nur das Bittere meiner Resignation .
Mich jetzt von ihr trennen zu müssen - ach ! es dünkte mir unerträglich ! -
Nur der Gedanke , für Sie zu handeln , und Lorenzo's Bild , konnten mich in diesem Kampf empor halten .
Ich riß mich los , und suchte sofort alle katholischen Lände : zu meiden , weil ihn hier zu finden , mir am unwahrscheinlichsten dünkte .
Dennoch tat mir zuletzt , nach mancher getäuschten Hoffnung , manchem fehlgeschlagenen Versuch , in einem kleinen katholischen Städtchen ein leises Gerücht die Existenz eines jungen interessanten Künstlers kund , - und diesmal betrog mich das ungeduldige Pochen meines Herzens nicht . -
Er war_es , den ich suchte , ach !
aber es war der Lorenzo nicht mehr , den ich in Paris zuletzt gesehen hatte .
Eine schreckliche Veränderung war mit ihm vorgegangen ; fürchterliche Stürme hatten in seinem Inneren gewütet und alle Blüten des Lenzes unwiederbringlich zerstört .
Er kämpfte nicht mehr , er unterlag ; eine gräßliche Bestimmtheit und Stille lag in seinem Blicke .
Unter dem trüben Einfluß eines kränkelnden , allzureizbaren Körpers konnte keine heitere gesunde Vorstellung mehr in seiner Seele gedeihen , und das matte zweifelhafte Licht , worin ihm alles erschien , gab auch den heitersten Bildern ein bleiches melancholisches Farbenspiel .
Selbst bei meinem Wiedersehen ließ die dumpfe Schwermut , die ihn niederdrückte , kaum einen sterbenden Strahl von Freude in seinem Auge flimmern , ließ kaum ein Lächeln über seine Wangen schleichen .
Vergebens suchte ich nach Berührungspunkten , wo ich sein erstorbenes Gefühl zu fassen hoffte ; die Vergangenheit war für ihn auf ewig untergegangen - und für ihn gab es keine Zukunft mehr .
Ein kurzes schmerzhaftes Zurücksehnen war alles , was die Erinnerung an Nonetten in seinem toten Herzen zu erkünsteln vermochte - der kurze Sonnenblick eines Wintertags !
- Es war sichtbar , es mußte etwas mit ihm vorgegangen sein , was wir nicht wußten , und was er mir verschwieg , und sehnlich erwartete ich den Augenblick , der mir das enträtseln würde .
Als ich ihn bat , mich mit der umliegenden Gegend bekannt zu machen , tat er es so mechanisch , als wäre die Gewährung einer Bitte die unausbleibliche , notwendige Folge derselben .
Aber ein geheimer Instinkt schien ihn unwillkürlich an die schauderhaftesten Stellen zu leiten , und mir graute vor dem finsteren Geiste der Schwermut , der hier sichtbarlich ruhte .
Jetzt standen wir auf einem Felsenhange still , und schauten der untergehenden Sonne nach .
Eine tiefe Stille herrschte um und neben uns im Himmel und auf der Erde .
Lorenzo sah in die untergehende Sonne mit einer so feierlichen Rührung , dann blickte er nach einer Gegend der Stadt mit so schmerzhafter Entsagung - es lag etwas in seinen Blicken - etwas so schreckliches - daß ich es nicht zu deuten wagte .
Er schien in Gedanken zu versinken , aus denen ihn nichts herauszureißen vermochte - für ihn gab es kein lebendiges Wesen mehr in der Welt - er war allein - und ich wagte es nicht ihn zu stören , bis er endlich wie aus einem schweren Traum erwachte .
Sterben ?
- wiederholte er sich , als wäre diese Frage bis jetzt der Inhalt seiner Gedanken gewesen - und liegt denn so viel Fürchterliches in diesem einzigen Worte ? - ist es wert , um dieser einzigen zu entgehen , alle Qualen des Lebens zu ertragen ? - Wiegt nicht so manches Leiden des Daseins tausendfältig diese einzige durchseufzte Stunde auf ? -
Darf ich für noch ungewisse Übel nicht die gewissen hingeben ? -
Aber eben diese Ungewißheit ist es , die dem Menschen fürchterlicher als die schrecklichste Gewißheit dünkt .
- Doch was ist_es , daß er ihr zu entfliehen strebt ? -
Notwendigkeit schleppt ihn langsam dahin , wohin ein einziger rascher Schritt der Willkür ihn bringen kann , und es wird ihm nicht heller , wenn er von verzehrender Krankheit zerrüttet , den letzten entscheidenden Augenblick herannahen sieht .
Und hat der freie Mensch nicht vor unedleren Wesen , die ein drückendes Dasein langsam dahin schleppen , bis es ein Zufall zerstört , das voraus , daß er freiwillig ein aufgezwungenes Dasein vernichten kann ? -
Welcher kühne Gedanke , das Schicksal selbst zu beherrschen , und mit stolzer Entbehrung die zu leben vergönnten Tage als überflüssig zurück zu geben ! -
Hier schwieg er , und ein bedeutendes Lächeln , als freute er sich eines neuen Siegs über einen schwer zu bekämpfenden Feind , durchflog seine Züge .
- Mir schauderte , eine fürchterliche Hellung hatte sich auf einen Augenblick über meine Zweifel verbreitet .
Sterben ! -
dem jugendlichen , mit hundert süßen Zauberbildern ringenden , in aller Fülle der Gesundheit schlagenden Herzen war dieser Gedanke so fremd ! -
Ich wußte es selbst nicht , daß ich dies Wort so laut und so bedeutend ausgesprochen hatte , aber Lorenzo sah mich mit Befremdung an . -
In einem Augenblicke hatte er seine kalte , verschloßene Fassung , seine stille Besonnenheit wieder .
Vergebens suchte ich mich in seine Selbstgespräche einzudrängen , vergebens durch neue Zweifel Verwirrung in sein System zu bringen , vergebens alle Saiten seines Gefühls gewaltsam zu spannen - ein Lächeln vor dem ich erschrak , und ein halb unwilliges Schweigen war alles , was ich erhielt .
- Es war eine schreckliche Nacht ; kein Schlummer kam in meine Augen .
unablässig quälte ich mich mit Entwürfen , die mir bald unfehlbar , bald ganz zwecklos schienen .
Was ihn auch dahin gebracht haben konnte - nur ein erschütternder Schlag , das war gewiß , vermochte ihn aus diesem gräßlichen Zustande zu retten .
Ihm einen solchen zu bereiten , das war_es , was die ganze Nacht durch alle meine Seelenkräfte höchst angreifend beschäftigte .
In aller Frühe eilte ich zu ihm .
Ich fand ihn nicht , er war ausgegangen , niemand wußte wohin .
Eine erschütternde Ahnung durchfuhr mein Herz , und das Blut stockte mir einige Momente lang .
Natürlich , daß ich kein Mittel , Nachricht von ihm zu erhalten , unversucht ließ .
Man sagte mir von einem Kaufmanne , wo er sonst einen großen Teil seiner Zeit zuzubringen pflegte , und ich eilte dahin .
Die erschrockene Verlegenheit dieses Mannes , noch mehr die ängstliche Erschütterung seiner Tochter , die mit totenblassen Wangen das Zimmer verließ , als ich sie von Lorenzo's Verschwinden benachrichtigte , überzeugten mich , daß er ihnen kein bloßer Bekannter sein mußte .
Hier glaubte ich den Grund seiner Schwermut suchen zu müssen , und je reizender das Mädchen war , die ich hier gesehen , desto mehr zitterte ich für meinen Freund .
Einige Tage vergingen in der fürchterlichsten Spannung , selten von schwacher Hoffnung erheitert - mit einer Wahrscheinlichkeit kämpfend , die in jedem Augenblicke in schreckliche Gewißheit überzugehen drohte .
Endlich verbreitete sich ein Gerücht , daß man in einer der verödetsten Gegenden einen jungen Mann mit zerschmettertem Gehirn gefunden habe . -
Es war Lorenzo .
Ein Pistolenschuß hatte ihn getötet .
Jetzt , zum zweitenmal , fühlte ich mich mit namenlosem Jammer in den endlosen Labirinthen eines tiefverwundeten Gefühls verschlungen .
Alle meine Träume von künftigem Glücke verblichen im Nebel der Gegenwart , und selbst das Andenken an die Vergangenheit vermochte es nicht , mich aufzuheitern .
- Die Phantasie wuchert mit verlorenen Gütern , und jeder Verlust erhöht in unseren Augen den Wert des genoßenen Glücks .
Lorenzo war mir teuer gewesen - jetzt betete ich ihn an ; ich hatte mich an seiner Vortrefflichkeit geweidet , - jetzt beweinte ich den Ersten aller Menschen in ihm .
Natürlich , daß mein Schmerz hierdurch zwiefache Stärke erhielt .
Auch der Gedanke an Nonetten vermehrte seine Bitterkeit .
Von meinen eigenen Leiden glaubte ich auf die Größe der ihrigen schließen zu können .
Wie sollte ich mit dieser fürchterlichen Nachricht vor ihr erscheinen ? - und konnte ich sie ihr verbergen ? - wollte ich es ? -
Das , was zuerst meine Aufmerksamkeit wieder auf mehrere Gegenstände zog , und mich von jenem starren Verweilen bei Einem , wo alle Kräfte zuletzt in Stockung geraten , zurück brachte , war der Wunsch , Lorenzo's ganzes Schicksal zu erfahren , es im Zusammenhänge zu wissen , was ihn so unabänderlich aus dem Gebiet aller menschlichen Aussichten und Hoffnungen hinausgewiesen hatte .
Ich erfuhr es teils aus den wenigen Papieren , die er zurückgelassen , teils aus den mündlichen Berichten jenes Kaufmanns und Luisen , seiner Tochter , mit denen ich in nähere Bekanntschaft geriet .
Mit wundem Gefühl , gespannter Imagination , in halber Verzweiflung kam Lorenzo hier an .
Sein Herz schlug der Umarmung eines trauten Wesens mit heißer Sehnsucht entgegen - und er fühlte sich allein in der Welt .
Er sah Luisen; er mußte sie malen , und er studierte sich unbesorgt immer tiefer in diese lieblichen Züge ein .
Die Schönheit ihrer Umrisse lockte seinem Künstlergefühl zuerst Bewunderung ab , und Bewunderung ist das Morgenrot der Liebe .
Luise war ein holdes , Zutrauen erweckendes Geschöpf .
Er liebte zum erstenmal ; seine Leidenschaft mußte bei so hoher Schwärmerei , so reizbarer Organisation , unter diesen Umständen , bald eine Höhe erreichen , wo wir nur zwischen Befriedigung und Tod wählen können .
Luise fühlte für ihn - sie gestand , daß sie ihn liebte - und die freundliche Magie eines heiteren Sonnenblicks sendete vorübergehend eine frohe Beleuchtung auf die dunklen Labirinthe seines Lebens .
Aber bald vernahm der Vater das Verständnis seiner Tochter .
Dieser Mann war kein böser Mensch ; er war weniger .
Ohne Charakter , furchtsam und schwach hielt sich seine kränkelnde Vernunft ängstlich an die seelenlosen Formen des vergangenen Jahrhunderts , deren Geist er nicht einmal verstand .
Er forderte Lorenzo zu einer Erklärung auf , und dieser , so innig er immer fühlte was es hier galt , kannte keine Rücksicht , die ihn zu einer Untreue an der Wahrheit hätte verleiten können .
Er erzählte ihm die ganze Geschichte seines Lebens , - ach ! und sein Gegner verstand den hohen Wert dieses Zutrauens nicht ! -
Als eifriger Katholik war zwischen Lorenzo und seiner Tochter an keine Verbindung zu denken .
Die Liebe für sein Kind schützte er als Bewegungsgrund vor . -
Aber das dünkte ihm noch nicht genug .
Er stellte ihm die Hilflosigkeit seiner Lage mit einer Schärfe vor Augen , die den Unglücklichen auf die Folter spannte , und auch den ferneren Umgang mit Luisen untersagte er ihm .
Lorenzo erlag unter der Last dieser Vorstellung .
Eine fürchterliche Mutlosigkeit lähmte alle Kräfte seines Geistes .
Er wollte an seine Rettung keinen Versuch mehr wagen .
Alle Ansprüche anderer auf ihn schienen ihm erlassen , so wie seine eigenen Rechte auf Glück unwiederbringlich vernichtet .
Für ihn gab es keinen Beschützer in den Wolken , er hielt es für einen kindischen Stolz der Menschen , einen Gott zu glauben , der jeden ihrer Tage bewachte und mit eigenen Händen die kleinsten Begegnungen ihres Lebens bildete und lenkte .
Er sah nur den einsamen unabänderlichen Gang eines unbezwinglichen Schicksals , das über Menschenleben und Menschenglück , wie über zerschlagene Fluren und erdrückte Würmchen zu unerforschten Planen , die kein menschliches Auge zu erreichen vermag , - dahinschreitet , und die Natur mit allen ihren Erscheinungen und den Menschen mit allem seinen Willen , darin aufnimmt und berechnet .
Aufopferung einzelner Teile zu höheren Zwecken fürs Ganze , glaubte er , sei ein allenthalben befolgtes Gesetz .
Er haßte jene eigennüzzige Tugend , die den Himmel um seine Kronen zu betrügen strebt , und für die Aussicht eines überschwänglichen Lohnes geduldig mitten im Jammer der Erde weilt .
Der edlere Mensch findet seinen Lohn schon hier , einen gegenwärtigen , selbstgemessenen , selbsterworbenen Lohn .
So hatte Leidenschaft sich in das ehrwürdige Gewand eines Systems gehüllt , und bei dem schrecklichen Zusammenklang seiner Neigung und seiner Grundsätze wuchs und gedieh der blutige Entschluß bis zur Ausführung .
Was ich jetzt empfand , als ich Lorenzo's Ideen Gang , alles was er erlitten , nun so ganz im Zusammenhänge übersah , das ist vielleicht das größte Unglück eines fühlenden Wesens .
Die fürchterlichsten Zweifel an allem , was den Menschen wichtig ist , zerrütteten meine Ruhe .
Ich hatte bis jetzt mein Gefühl gebildet - meine Denkkraft hingegen weniger geübt ; und doch ist das richtige Verhältnis zwischen beiden allein die Bedingung unseres Glücks .
Ich verzweifelte an allem Vortrefflichen , an allem Glück in der Welt .
Was war der Zweck des Daseins ?
- eine trostlose Notwendigkeit schien allenthalben den freien Blick der Untersuchung zu hemmen .
Was sollte mir eine Welt , wo Rechtschaffenheit foltert und inniges Gefühl zum Mörder macht , wo zwischen Pflicht und Neigung ein quälender Widerspruch waltet ? - und wenn mir nur dies ein Recht gegeben hätte , auf eine bessere Welt zu hoffen ! -
aber so wenig wie der giftige Bis einer Natter , oder das verheerende Wüten des glühenden Vulkans .
Alle Kraft entwickelt sich und wirkt , wo und wie sie kann .
Aus der unendlichen Maße des Urseins fließt alles ; zu ihr kehret alles wieder zurück .
Alles Gute findet seinen Lohn ; es findet ihn in sich , darf ihn nicht außer sich suchen .
Wo ist das Rätsel , das zur Auflösung einer anderen Welt bedürfte ?
Das einmal gewesene Sein mischt sich , wenn es nun schwindet , wieder mit der unerschöpflichen , schaffenden Urkraft , ohne Spur , daß es war ; es ist nun immer und ewig nicht mehr , und mein eigenes Dasein ist bloß an Erinnerung geknüpft .
Wenn diese schwindet , so bin ich selbst nicht mehr , so ist ein anderes Wesen an meine Stelle getreten .
Der Staub vermischt sich mit dem Staube ; der Lebensfunke mit der ewigen Urkraft .
Er verlischt nicht ; in anderen Körpern wird er flammen ; aber mein Ich ist dann auf ewig untergegangen .
Wenig fehlte , - und auch ich erlag der erdrückenden Anstrengung eines Zustandes , wo wir bald vor eigener Größe schwindeln , bald in Staub zerstieben , jetzt mit Zweifeln ringen , und jetzt einer fürchterlichen Gewißheit zu entrinnen streben , bald dem Schicksal trotzen , und jetzt der Notwendigkeit erliegen .
Ich fühlte - was ich noch nie in so unbezwinglicher Stärke gefühlt hatte - das Bedürfnis , ein System zu haben , das in seiner göttlichen Erhabenheit alle Zweifel aufnehmen und entscheiden , das den sinkenden Geist aufrecht halten und ihn vor Verzweiflung bewahren könnte .
Es ist nicht schwer , in unserem Zeitalter das Eine zu finden , dem ein göttlicher Geist das Siegel der Vollendung aufdrückte , die heilige Fackel , die das sinkende Jahrhundert beleuchtet .
Der Grund , warum ich es jetzt noch nicht in seiner ganzen Kraft zu erkennen , der ganzen Fülle von Befriedigung mich teilhaftig zu machen strebte , lag in den neuen Verhältnissen , in denen sich mein Herz unvermerkt immer fester und fester verwickelt fand .
Weniger beklagt und mehr beklagenswert als Lorenzo war Luise .
Ihre Äußerungen zwar waren sanft und gemäßigt , aber die sichtbare Veränderung ihres Körpers schilderte die Größe ihrer Leiden weit rührender als Worte .
Dieser nagende Schmerz bei so viel stiller Ergebung forderte mich zur glühendsten Teilnahme auf , und das tiefe Gefühl des hier begangnen Unrechts schärfte meine Bitterkeit gegen die verschrobenen Verhältnisse der Gesellschaft .
Hier sah ich zwei unglückliche Opfer derselben vor meinen Augen untergehen .
Und was war ihre Schuld ?
- Ist Liebe , wenn sie nicht wählt , etwas anders als ein blinder Trieb des Bedürfnisses ?
Und kann sie bei ihrer Wahl die Verhältnisse mit in Anschlag bringen , von denen nicht sie die Stifterin war , die weit eher Werke des menschlichen Mißtrauens und ihres Hasses zu nennen sind , und die sie alle vergessen und entbehren lehrt ?
Was Liebe fordert , kann Liebe nur gewähren ; was sie verdient , nur durch sie belohnt werden ; was sie leidet , kann Liebe nur würdigen .
- Bedarf es , um zu lieben , erst der Erlaubnis eines Dritten ?
- Der hohe Grad meines Unwillens und der lebendige Gedanke , vielleicht etwas Gutes bewirken zu können , machten mir eine Erklärung gegen Luisens Vater notwendig .
Vielleicht hatte ihm noch niemand gesagt , was ich ihm zu sagen gedachte ; vielleicht gelang es mir , an der Fackel meiner lodernden Empfindung sein erstorbenes Herz zu erwärmen , einen wuchernden Gedanken in seine unfruchtbare Seele zu werfen .
Aber ich betrog mich .
Die Macht der Gewohnheit hatte sein Herz mit einer dreifachen Rinde umzogen , und keine Vorstellung war mächtig genug , ihn aus dem eingezogenen Kreis seiner Ideen herauszulocken .
Seine Tugend war Eigennutz , seine Redlichkeit ein ausgeliehenes Kapital , seine Andacht Worte , seine Liebe tierisches Bedürfnis .
Alles andere war ihm Schwärmerei , und unter diesem Namen hatte keine lebendige , edle Empfindung Zutritt in seinem Ideenreiche .
Er lebte nicht ; er vegetierte .
In drückender Einförmigkeit der Begriffe , ewigem Wiederkäuen der Ideen verödete sein Kopf und erstarb sein Herz .
Unbesorgt verbarg er seine Geistesarmut in das allumfassende bequeme Gewand der Religion , zu der er sich bekannte , und indem er sich getrost ein fremdes Verdienst zueignete , glaubte er von der beschwerlichen Pflicht , aus eigener Kraft gut zu handeln , entbunden zu sein .
Ich verzweifelte an diesem Automaten , und zürnte mit der wunderbaren Laune des Zufalls , der das heilige Gefühl einer Luise neben diesem Herzlosen aufblühen ließ , und in eine Einöde achtlos die Düfte einer Rose verschwendete .
So teuer mir Luise war , so innig das zarte Band des Mitleidens und der Teilnahme mein Herz an sie fesselte , so unwiderstehlich wurde es doch von jenem allgewaltigen , unauslöschlichen Gefühl , das mich zu Nonetten hinzog , verschlungen .
Ich wollte für Luisen handeln , ihr , wo möglich , in ihrem Vater einen Freund erwerben , aber das Schicksal spottete meiner Bemühungen .
Wenn ich ihr nicht fortdauernd nützen konnte - was konnte ihrem wunden Herzen der Verband eines Tages helfen ?
Was ist überdem einer zarten Seele in diesem gespannten Zustande leichter , als sich mit kindlichem Vertrauen an den einzigen Gegenstand , der mit ihr sympathisiert , anzuschließen , fester , inniger als das zarte Gebäude ihrer wiederkehrenden Ruhe es ertragen mag ? -
und ein zweites losreißen ist für so weiche Herzen , die nur durch Empfindungen , nicht durch Grundsätze geleitet werden , fast immer tödlich oder entehrend .
Sie lernen sich an Verwechslung gewöhnen , und verlieren mit ihrem glühenden zarten Gefühl ihren schönsten Vorzug .
Ich fühlte dies , und was vorhin nur Wunsch gewesen war , dünkte mir nun Pflicht .
Ich reiste ab ; aber der überströmende Erguß meines Herzens , diese eigene , so vielen befremdliche Sprache , und der ausgezeichnete sonderbare Anteil , den ich an Lorenzo's Schicksal genommen , hatte die Neugierde dieses kleinen Publikums unabweislich auf mich gerichtet .
Eine rastlos gespannte Aufmerksamkeit belauerte mit Argus Augen jeden meiner Schritte , und meine Arglosigkeit erleichterte den Erfolg ihrer Bemühungen .
Man erfuhr sofort den Ort meines Aufenthalts und meine übrigen Verhältnisse , und - was entgeht der geschärften fortgesetzten Aufmerksamkeit mehrerer auf einen Zweck ?
- auch Nanettens stille Verborgenheit blieb kein Geheimnis mehr ! -
Lorenzo hatte Interesse erregt , seine Geschichte hatte Aufsehen gemacht , ich schien darein verwickelt , die Lebhaftigkeit meiner Äußerungen schien zur Erwartung eines wunderbaren Anteils zu berechtigen - und so war es kein Wunder , daß bei näherer Beleuchtung auch mein Umgang mit Nonetten und unser Geheimnis eine willkommene Beute für die unersättliche Neugierde des Haufens wurde .
Je näher ich Nonetten kam , desto unbändiger schlug mein Herz ! -
Ich dachte mir ihre sehnliche Erwartung , sah , wie sie mir mit sehnlicher Ungeduld entgegen flog , und verzweifelte , daß ich nun mit eigener Hand die schönen Blüten ihrer Hoffnungen zerstören sollte .
unablässig schuf ich mir Plane , wie ich ihre Teilnahme sobald wie möglich auf andere Gegenstände ziehen könnte , und keiner schien mir unfehlbarer als der , mich selbst ihr als unglücklich , als ihres Trostes höchst bedürftig zu zeigen , und so ihr Herz zur Teilnahme zu bereden .
Die Konsequenz ihrer Denkungsart würde sie , hoffte ich , dahin bringen , ihre Kräfte keinem zwecklosen Harm aufzuopfern , sondern lieber zu retten was noch zu retten war .
Ich betrog mich nicht - meine allzuängstliche Besorglichkeit zeigte vielmehr , daß ich Nanettens Wert noch nicht in seiner ganzen Größe kannte .
Ihr Geist hatte eine Reife , die der meinige erst noch unter Kämpfen zu erringen strebte , und sie hatte in ihrer Selbstbildung viele Schritte vor mir voraus getan .
Hier lernte ich fühlen und verstehen , was wahre Größe und Selbstständigkeit ist , und was sie vermag .
Nannette hatte ihren Lorenzo mit voller Seele geliebt ; die Nachricht die ich ihr brachte , erschütterte ihr Gefühl in seinen innersten Tiefen .
Sie verließ mich mit dem lebendigsten Ausdruck ihres Schmerzes .
Nach einigen Stunden kehrte sie zurück , - als Kämpfende hatte sie mich verlassen , als Siegerin sah ich sie wieder .
Mit den Waffen der Vernunft hatte sie mit ihrem Schmerz gerungen , und ihn nicht verdrängt , aber gebändigt .
Von Vorurteilen frei , beweinte sie nur Lorenzo's Verlust , nicht die Art seines Todes ; nur die bitteren bang durchkämpften Stunden , die ihm vorausgegangen sein mußten .
Oft , wenn sie mich in der Folge in laute Klagen über das schreckliche seines Todes ausbrechen hörte , ergriff sie ihre Laute , und sang mit einem Ausdrucke , der - tief eingreifend in die innersten Akkorde des Herzens - der unmittelbare innigste Ausdruck der Empfindung zu sein schien , zu einigen höchst einfachen , rührenden Tönen , mit einem unbeschreiblichen Zauber mir Trost ins Herz .
Bald bedurfte ich seiner weniger - denn alles wandelt - und kein Schmerz vermag dem stillen unbemerkten Einfluß schwindender Minuten zu widerstehen .
Aber schneller und allumfassender tröstet Liebe , lehrt Liebe alles vergessen .
Jede andere Leidenschaft wird von ihr besiegt , - und die Forderungen der engsten übrigen Verhältnisse verhallen in diesem allgewaltigen Gesange der Empfindungen .
Wir lebten wieder auf .
Eine liebliche Beleuchtung umfloß von neuem die zarten Umrisse unserer Lebensfreuden .
Näher und mit jedem Tage näher und inniger vereinigte diese glückliche Zusammenstimmung unsere Empfindungen und unsere Grundsätze .
Welch ein unerschöpflicher und unermüdender Genuß liegt in dem innigen Umgange zweier so vertrauten , so nahe verwandten Menschen ! - Damals verlangte ein Freund , mit dem mich gegenseitige Achtung mehr als Neigung verband , meine Gegenwart wegen einer dringenden Angelegenheit .
Das , was er mir zu sagen hatte , war wirklich für mich von der äußersten Wichtigkeit :
Er entdeckte mir , daß Nanettens Bruder ihren Aufenthalt erfahren , daß er von Mächtigen unterstützt , seine Rechte auf sie gerichtlich geltend zu machen gesucht , daß man daran arbeite , sich ihrer Person zu versichern , und daß auch unser Umgang wegen der Verschiedenheit unserer Religionen uns bald gänzlich untersagt werden würde .
Die Gefahr war dringend ; das Ungewitter schwebte über unseren Häuptern , - noch ein Windstoß - und es verschlang uns .
Ein unwiderstehliches Mißbehagen an meiner bürgerlichen Lage übermannte mich .
Mir graute vor den gesetzlichen Formen , die so vieler Ungerechtigkeit den Weg offen lassen , - ich dürstete nach einem Freiern lebendigeren Genuß meiner Existenz .
Auf einmal durchblitzte ein Gedanke meinen Kopf - ein Gedanke , vor dessen Kühnheit ich zuerst zurückschrak .
Doch bald wurde ich mit ihm vertrauter .
Ich wog die Möglichkeit - die Schale sank .
Es glühte mir durch alle Adern , und mein Entschluß stand fest .
Mit einer Eile , die sich selbst überflog , mit einer Herzensfülle , die den einzigen Weg , sich Luft zu schaffen , die Sprache , beinahe unmöglich machte , eilte ich zu Nonetten .
Das Ungewöhnliche meines Ansehens befremdete sie , und ich erwartete nicht erst die Äußerung des Wunsches , den ich in ihrer Seele werden sah .
Kürzlichst unterrichtete ich sie von allem .
Dann schloß ich sie glühend in meine Arme .
Nannette , Geliebte , rief ich mit dem vollen Tone der Liebe , wir sind uns Vaterland und Welt .
Was hält uns hier unter Menschen , die uns nicht verstehen , nicht lieben ?
Ohne Haß laß uns sie fliehen .
In Amerika leuchtet eine eben so freundliche Sonne , strahlt ein eben so reiner Himmel .
Dort wohnt ein freies Volk , dort freut der Genius der Menschheit sich wieder seiner Rechte , dort lassen die neuen glücklichen Verhältnisse eines jugendlichen Staates noch lange keine widrige Reform befürchten .
Laß uns dahin ! -
Alles , was du vielleicht bei dem Tausche zu verlieren glaubst , soll dir die Liebe ersetzen , die dir aus diesem Herzen so frisch , so erquickend entgegen wallt .
Ich finde meinen Himmel , wo Nannette lebt . -
Ich sah ihr süßes Auge sich mit Tränen füllen .
Überraschung und Liebe kämpften in ihrem Herzen .
Eine Träne floß dem Andenken hier genossener Jugendfreuden - die andere schon weihte sich ganz dem Gefühl unserer Liebe .
Eine feierliche Rührung umfloß ihre Stirn ; bald rötete das Hochgefühl des Entschlusses , ihre Wangen , und ihr Blick wurde Schwor .
Ich wußte , daß einmal gefaßte Entschließung auf ewig alle Reue bei ihr ausschloß .
Bei starken Seelen wagt man nichts , wenn man Alles wagt .
Sie drückte mir die Einwilligung auf meine Lippen .
Es war der reinste , süßeste Triumph der glücklichsten Liebe .

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Mereau, Sophie. Das Blüthenalter der Empfindung. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0nx.0