Erstes Buch Erstes Kapitel " So sind wir denn endlich aus den Toren der Stadt " , sagte Sebastian , indem er stille stand und sich freier umsah .
" Endlich ? " antwortete seufzend Franz Sternbald sein Freund .
- " Endlich ?
Ach nur zu früh , allzu früh . "
Die beiden Menschen sahen sich bei diesen Worten lange an , und Sebastian legte seinem Freunde zärtlich die Hand an die Stirn und fühlte , daß sie heiß sei .
- " Dich schmerzt der Kopf " , sagte er besorgt , und Franz antwortete :
" Nein , das ist es nicht , aber daß wir uns nun bald trennen müssen . "
" Noch nicht ! " rief Sebastian mit einem wehmütigen Erzürnen aus , " so weit sind wir noch lange nicht , ich will dich wenigstens eine Meile begleiten . "
Sie gaben sich die Hände und gingen stillschweigend auf einem schmalen Wege nebeneinander .
Jetzt schlug es in Nürnberg vier Uhr und sie zählten aufmerksam die Schläge , obgleich beide recht gut wußten , daß es keine andere Stunde sein konnte : indem warf das Morgenrot seine Flammen immer höher , und es gingen schon undeutliche Schatten neben ihnen , und die Gegend trat rundumher aus der ungewissen Dämmerung heraus ; da glänzten die goldenen Knöpfe auf den Türmen des heiligen Sebald und Laurentius , und rötlich färbte sich der Duft , der ihnen aus den Kornfeldern entgegenstieg .
" Wie alles noch so still und feierlich ist " , sagte Franz , " und bald werden sich diese guten Stunden in Saus und Braus , in Getümmel und tausend Abwechselungen verlieren .
Unser Meister schläft wohl noch und arbeitet an seinen Träumen , seine Gemälde stehen aber auf der Staffelei und warten schon auf ihn .
Es tut mir doch leid , daß ich ihm den Petrus nicht habe können ausmalen helfen . "
" Gefällt er dir ? " fragte Sebastian .
" Über die Maßen " , rief Franz aus , " es sollte mir fast bedünken , als könnte der gute Apostel , der es so ehrlich meinte , der mit seinem Degen so rasch bei der Hand war und nachher doch aus Lebensfurcht das Verleugnen nicht lassen konnte , und sich von einem Hahn mußte eine Buß- und Gedächtnispredigt halten lassen ; als wenn ein solcher beherzter und furchtsamer , starrer und gutmütiger Apostel nicht anders habe aussehen können , als ihn Meister Dürer so vor uns hingestellt hat .
Wenn er dich zu dem Bilde läßt , lieber Sebastian , so wende ja allen deinen Fleiß darauf und denke nicht , daß es für ein schlechtes Gemälde gut genug sei .
Willst du mir das versprechen ? "
Er nahm ohne eine Antwort zu erwarten seines Freundes Hand und drückte sie stark , Sebastian sagte :
" Deinen Johannes will ich recht aufheben und ihn behalten , wenn man mir auch viel Geld dafür böte . "
Mit diesen Reden waren sie an einen Fußsteig gekommen , der einen nähern Weg durch das Korn führte .
Rote Lichter zitterten an den Spitzen der Halme und der Morgenwind rührte sich darin und machte Wellen .
Die beiden jungen Maler unterhielten sich noch von ihren Werken und von ihren Planen für die Zukunft :
Franz verließ jetzt Nürnberg , die herrliche Stadt , in der er seit zwölf Jahren gelebt hatte und in ihr zum Jüngling erwachsen war , aus diesem befreundeten Wohnort ging er heute , um in der Ferne seine Kenntnis zu erweitern und nach einer mühseligen Wanderschaft dann als ein Meister in der Kunst der Malerei zurückzukehren ; Sebastian aber blieb noch bei dem wohlverdienten Albrecht Dürer , dessen Name im ganzen Lande ausgebreitet war .
Jetzt ging die Sonne in aller Majestät hervor und Sebastian und Franz sahen abwechselnd nach den Türmen von Nürnberg zurück , deren Kuppeln und Fenster blendend im Schein der Sonne glänzten .
Die jungen Freunde fühlten stillschweigend den Druck des Abschieds , der ihrer wartete , sie sahen jedem kommenden Augenblick mit Furcht entgegen , sie wußten , daß sie sich trennen mußten und konnten es doch immer noch nicht glauben .
" Das Korn steht schön " , sagte Franz , um nur das ängstigende Schweigen zu unterbrechen , " wir werden eine schöne Ernte haben . "
" Diesmal " , antwortete Sebastian , " werden wir nicht miteinander das Erntefest besuchen , wie seither geschah ; ich werde gar nicht hingehen , denn du fehlst mir und all das lustige Pfeifen- und Schalmeigetöne würde nur ein bitterer Vorwurf für mich sein , daß ich ohne dich käme . "
Dem jungen Franz standen bei diesen Worten die Tränen in den Augen , denn alle Szenen , die sie miteinander gesehen , alles , was sie in brüderlicher Gesellschaft erlebt hatten , ging schnell durch sein Gedächtnis ; als nun Sebastian noch hinzusetzte :
" Wirst du mich auch in der Ferne noch immer lieb behalten ? " konnte er sich nicht mehr fassen , sondern fiel dem Fragenden mit lautem Schluchzen um den Hals und ergoß sich in tausend Tränen , er zitterte , es war , als wenn ihm das Herz zerspringen wollte .
Sebastian hielt ihn fest in seinen Armen , und mußte mit ihm weinen , ob er gleich älter und von einer härteren Konstitution war .
" Komme wieder zu dir ! " sagte er endlich zu seinem Freunde , " wir müssen uns fassen , wir sehen uns ja wohl wieder . "
Franz antwortete nicht , sondern trocknete seine Tränen ab , ohne sein Gesicht zu zeigen .
Es liegt im Schmerze etwas , dessen sich der Mensch schämt , er mag seine Tränen auch vor seinem Busenfreunde , auch wenn sie diesem gehören , gern verbergen .
Sie erinnerten sich nun daran , wie sie schon oft von dieser Reise gesprochen hätten , wie sie ihnen also nichts weniger als unerwartet käme , wie sehr sie Franz gewünscht und sie immer als sein höchstes Glück angesehen habe .
Sebastian konnte nicht begreifen , warum sie jetzt so traurig wären , da im Grunde nichts vorgefallen sei , als daß nun endlich der langgewünschte Augenblick wirklich herbeigekommen sei .
Aber so ist das Glück des Menschen , er kann sich dessen nur freuen , wenn es aus der Ferne auf ihn zuwandelt ; kommt es ihm nahe und ergreift seine Hand , so schaudert er oft zusammen , als wenn er die Hand des Todes faßte .
" Soll ich dir die Wahrheit gestehen ? " fuhr Franz fort ; " du glaubst nicht , wie seltsam mir gestern abend zu Sinne war .
Ich hatte meinen Gedanken so oft die Pracht Roms , den Glanz Italiens vorgemalt , ich konnte mich bei der Arbeit ganz darin verlieren , daß ich mir vorstellte , wie ich auf unbekannten Fußsteigen , durch schattige Wälder wanderte , und dann fremde Städte und nie_gesehene Menschen meinem Blicke begegneten ; ach , die bunte , ewig wechselnde Welt mit ihren noch unbekannten Begebenheiten , die Künstler , die ich sehen würde , das hohe gelobte Land der Römer , wo einst die Helden wirklich und wahrhaftig gewandelt , deren Bilder mir schon Tränen entlockt hatten ; sieh , alles dies zusammen hatte oft so meine Gedanken gefangengenommen , daß ich zuweilen nicht wußte , wo ich war , wenn ich wieder aufsah .
» Und das alles soll wirklich werden ! « rief ich dann manchmal aus , » es soll eine Zeit geben können , sie tritt schon näher und näher , in der du nicht mehr vor der alten , so wohlbekannten Staffelei sitzest , eine Zeit , wo du in alle die Herrlichkeit hineinleben darfst und immer mehr sehen , mehr erfahren , nie aufwachen , wie es dir jetzt wohl geschieht , wenn du so zuzeiten von Italien träumst ; - ach , wo , wo bekommst du Sinne , Gefühle genug her , um alles treu und wahr , lebendig und urkräftig aufzufassen ? «
- Und dann war es , als wenn sich Herz und Geist innerlich ausdehnten und wie mit Armen jene zukünftige Zeit erhaschen , an sich reißen wollten ; und nun - "
" Und nun , Franz ? "
" Kann ich es dir sagen ? " antwortete jener - " kann ich es selber ergründen ?
Als wir gestern abend um den runden Tisch unseres Dürers saßen und er mir noch Lehren zur Reise gab , als die Hausfrau indes den Braten schnitt und sich nach dem Kuchen erkundigte , den sie zu meiner Abreise gebacken hatte , als du nicht essen konntest , und mich immer von der Seite betrachtetest ; o Sebastian , es wollte mir ganz mein armes ehrliches Herz zerreißen .
Die Hausfrau kam mir so gut vor , so oft sie auch mit mir gescholten , so oft sie auch unseren braven Meister betrübt hatte ; hatte sie mir doch selbst meine Wäsche eingepackt , war sie doch gerührt , daß ich abreisen wollte .
Nun war unsere Mahlzeit geendigt , und wir alle waren nicht fröhlich gewesen , sosehr wir es auch uns erst in vielen Worten vorgesetzt hatten .
Jetzt nahm ich Abschied von Meister Albrecht , ich wollte so hart sein und konnte vor Tränen nicht reden ; ach mir fiel es zu sehr ein , wie viel ich ihm zu danken hatte , was er ein vortrefflicher Mann ist , wie herrlich er malt , und ich so nichts gegen ihn bin und er doch in den letzten Wochen immer tat , als wenn ich seinesgleichen wäre ; ich hatte das alles noch nie so zusammen empfunden , und nun warf es mich dafür auch gänzlich zu Boden .
Ich ging fort und du gingst stillschweigend in deine Schlafkammer : nun war ich auf meiner Stube allein .
» Keinen Abend werde ich mehr hier hereintreten , « sagte ich zu mir selber , indem ich das Licht auf den Boden stellte ; » für dich , Franz , ist nun dieses Bette zum letzten Male in Ordnung gelegt , du wirfst dich noch einmal hinein und siehst diese Kissen , denen du so oft deine Sorgen klagtest , auf denen du noch öfter so süß schlummertest , nie siehst du sie wieder . « - Sebastian , geht es allen Menschen so , oder bin ich nur ein solches Kind ?
Es war mir fast , als stünde mir das größte Unglück bevor , das dem Menschen begegnen könnte , ich nahm sogar die alte Lichtschere mit Zärtlichkeit , mit einem wehmütigen Gefühl in die Hand und putzte damit den langen Docht des Lichtes .
Ich war überzeugt , daß ich vom guten Dürer nicht zärtlich genug Abschied genommen , ich machte mir heftige Vorwürfe darüber , daß ich ihm nicht alles gesagt hatte , wie ich von ihm denke , welch ein vortrefflicher Mann er in meinen Augen sei , daß er nun von mir so entfernt werde , ohne daß er wisse , welche kindliche Liebe , welche brennende Verehrung , welche Bewunderung ich mit mir nähme .
Als ich so über die alten Giebel hinübersah , und über den engen dunklen Hof , als ich dich nebenan gehen hörte und die schwarzen Wolken so unordentlich durch den Himmel zogen , ach !
Sebastian ! wie wenn ihr mich aus dem Hause würfet , als wenn ich nicht mehr euer Freund und Gesellschafter sein dürfte , als wenn ich allein als ein Unwürdiger verstoßen sei , verschmäht und verachtet - so regte es sich in meinem Busen .
Ich hatte keine Ruhe , ich ging noch einmal vor Dürers Gemach und hörte ihn drinnen schlafen , o ich hätte ihn gern noch einmal umarmt , alles genügte mir nicht , ich hätte mögen dableiben , an kein Verreisen hätte müssen gedacht werden und ich wäre vergnügt gewesen .
- Und noch jetzt ! sieh , wie die fröhlichen Lichter des Morgens um uns spielen , und ich trage noch alle Empfindungen der dunklen Nacht in mir .
Warum müssen wir immer früheres Glück vergessen , um von neuem glücklich sein zu können ? -
Ach ! laß uns hier einen Augenblick stille stehen , horch , wie schön die Gebüsche flüstern ; wenn du mir gut bist , so singe mir hier noch einmal das alte Lied vom Reisen . "
Sebastian stand sogleich still und sang , ohne alle Vorbereitung , folgende Verse : " Willst du dich zur Reis bequemen Über Feld , Berg und Tal , Durch die Welt , Fremde Städte allzumal , Mußt Gesundheit mit dir nehmen .
Neue Freunde aufzufinden Läßt die alten du dahinten , Früh am Morgen bist du wach , Mancher sieht dem Wanderer nach Weint dahinten , Kann die Freude nicht wiederfinden .
Eltern , Schwester , Bruder , Freund , Auch vielleicht das Liebchen weint , Laß sie weinen , traurig und froh Wechselt das Leben bald so bald so , Nimmer ohne Ach ! und Oh !
Heimat bleibt dir treu und bieder , Kehrst du nur als Treuer wieder , Reisen und Scheiden Bringt des Wiedersehens Freuden . "
Franz hatte sich ins hohe Gras gesetzt und sang die letzten Verse inbrünstig mit , er stand auf und sie kamen an die Stelle , wo Sebastian hatte umkehren wollen .
" Grüße noch einmal ! " rief Franz aus , " alle , die mich kennen , und lebe du recht wohl . "
" Und du gehst nun ? " fragte Sebastian ; " muß ich denn nun ohne dich umkehren ? "
Sie hielten sich beide fest umschlossen .
" Ach nur eins noch ! " rief Sebastian aus , " es quält mich gar zu sehr und ich kann dich nicht lassen . "
Franz wünschte den Abschied im Herzen vorüber , es war , als wenn sein Herz von diesen gegenwärtigen Minuten erdrückt würde , er sehnte sich nach der Einsamkeit , nach dem Walde , um dann von seinem Freunde entfernt seinen Schmerz ausweinen zu können .
Aber Sebastian verlängerte die Augenblicke des Abschieds , weil er sich durch kein neues Leben , durch keine neue Gegend konnte trösten lassen , er kannte alles genau , wozu er zurückkehrte .
" Willst du mir versprechen ? " rief er aus .
" Alles ! alles ! "
" Ach Franz ! " fuhr jener klagend fort , " ich lasse dich nun los und du bist nicht mehr mein , ich weiß nicht , was dir begegnet , ich kann dir nicht ins Gesicht sehen , und so setze ich deine Liebe , ja dich selbst auf ein ungewisses Spiel .
Wirst du auch noch in der weiten Ferne an deinen einfältigen Freund Sebastian denken ?
Ach , wenn du nun unter klugen und vornehmen Leuten bist , wenn es nun schon lange her ist , daß wir hier Abschied genommen haben , willst du mich auch dann nie verachten ? "
" O mein liebster Sebastian ! " rief Franz schluchzend .
" Wirst du immer noch Nürnberg so lieben " , fuhr jener fort , " und deinen Meister , den wackeren Albrecht ?
Wirst du dich nie klüger fühlen ?
O versprich mir , daß du derselbe Mensch bleiben willst , daß du dich nicht vom Glanz des Fremden willst verführen lassen , daß alles dir noch ebenso teuer ist , daß ich dich noch ebenso angehe . "
" O Sebastian " , sagte Franz , " mag die ganze Welt klug und überklug werden , ich will immer ein Kind bleiben . "
Sebastian sagte : " O wenn du einst mit fremden abgebettelten Sitten wiederkämst , alles besser wüßtest und dir das Herz nicht mehr so warm schlüge , wenn du dann mit kaltem Blute nach Dürers Grabstein hinsehen könntest und du höchstens über die Arbeit und Inschrift sprächest - o so möchte ich dich gar nicht wiedersehen , dich gar nicht für meinen Bruder erkennen . "
" Sebastian ! bin ich denn so ? " rief Franz heftig aus ; " ich kenne ja dich , ich liebe ja dich und mein Vaterland , und die Stube worin unser Meister wohnt , und die Natur und Gott .
Immer werde ich daran hängen , immer , immer !
Sieh , hier , an diesem alten Eichenbaum verspreche ich es dir , hier hast du meine Hand darauf . "
Sie umarmten sich und gingen stumm auseinander , nach einer Weile stand Franz still , dann lief er dem Sebastian nach und umarmte ihn wieder .
" Ach , Bruder " , sagte er , " und wenn Dürer den Ecce homo fertig hat , so schreibe mir doch recht umständlich wie der geworden ist und glaube ja an die Göttlichkeit der Bibel , ich weiß , daß du manchmal übel davon dachtest . "
" Ich will es tun " , sagte Sebastian und sie trennten sich wieder , aber nun kehrte keiner um , oft wandten sie das Gesicht , ein Wald trat zwischen beide .
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Als Sebastian nach der Stadt zurückkehrte und Franz sich nun allein sah , ließ er seinen Tränen ihren Lauf .
" Lebe wohl , tausendmal wohl " , sagte er immer still vor sich hin , " wenn ich dich nur erst wiedersähe ! "
Die Arbeiter auf den Feldern waren nun in Bewegung , alles war tätig und rührte sich ; Bauern fuhren ihm vorüber , in den Dörfern war Getümmel , hochbeladene Wagen mit Heu wurden in die Scheuern gefahren , Knechte und Mägde sangen und schäkerten laut .
" Wie viele Menschen sind mir heute schon begegnet " , dachte Franz bei sich , " und unter allen diesen weiß vielleicht kein einziger von dem großen Albrecht Dürer , der mit seinen Werken meinen ganzen Kopf einnimmt , den zu erreichen mein einziges Trachten ist !
Sie wissen vielleicht kaum , daß es eine Malerei gibt und doch fühlen sie sich nicht unglücklich .
Ich kann es nicht einsehn , wie man so fortleben könnte , so einsam und verlassen : und doch treibt jeder emsig sein Geschäft , und es ist gut , daß es so ist und so sein muß . "
Die Sonne war indes hoch gestiegen und brannte heiß herunter , die Schatten der Bäume wurden kurz , die Arbeiter gingen zum Mittagsessen nach ihren Häusern .
Franz dachte daran , wie sich nun Sebastian dem Albrecht Dürer gegenüber zu Tische setze und wie man von ihm sprechen würde .
Er beschloß , auch im nächsten Gehölze still zu liegen , und seinen mitgenommenen Vorrat zu genießen .
Wie erquickend war der kühle Duft , der ihm aus den grünen Blättern entgegenwehte , als er in das Wäldchen eintrat !
Alles war still , und nur das Rauschen der Bäume schallte und säuselte in abwechselnden Gängen über ihm weg durch die liebliche Einsamkeit , in dem Getöne und Murmeln eines Baches , der entfernt durch das Gehölz hinfloß .
Franz setzte sich auf den weichen Rasen und zog seine Schreibtafel heraus , um den Tag seiner Auswanderung anzumerken , dann holte er frischen Atem , und ihm war leicht und wohl ; er war jetzt über die Abwesenheit seines Freundes getröstet , er fand alles gut , so wie es war .
Er breitete seine Tafel aus , und aß mit Wohlbehagen von seinem mitgenommenen Vorrate , er fühlte jetzt nur die schöne Gegenwart , die ihn umgab .
Indem kam ein Wandersmann die Straße gegangen und grüßte Fransen sehr freundlich , es war ein junger rotbackiger Bursche , er schien müde und Franz bat ihn daher , sich neben ihn niederzusetzen und mit ihm vorliebzunehmen .
Der junge Reisende nahm sogleich diesen Vorschlag an , und beide verzehrten gutes Muts ihre Mittagsmahlzeit und tranken den Wein , den Franz aus Nürnberg mitgenommen hatte .
Der Fremde erzählte hierauf unserem Freunde , daß er ein Schmiedegeselle sei und eben auf der Wanderschaft begriffen , er gehe nun , die hochberühmte Stadt Nürnberg in Augenschein zu nehmen und da etwas Rechtes für sein Handwerk bei den kunstreichen Meistern zu lernen .
" Und was treibt Ihr für ein Gewerbe ? " fragte er , indem er seine Erzählung geendigt hatte .
" Ich bin ein Maler " , sagte Franz , " und bin heute morgen aus Nürnberg ausgewandert . "
" Ein Maler ? " rief jener aus , " einer von denen , die für die Kirchen und Klöster die Bilder verfertigen ? "
" Recht " , antwortete Franz , " mein Meister hat deren schon genug ausgearbeitet . "
" Oh " , sagte der Schmied , " was ich mir schon oft gewünscht habe , einem solchen Mann bei seiner Arbeit zuzusehn !
denn ich kann es mir gar nicht vorstellen .
Ich habe immer geglaubt , daß die Gemälde in den Kirchen schon sehr alt wären , und daß jetzt gar keine Leute lebten , die dergleichen zu machen verstünden . "
" Gerade umgekehrt " , sagte Franz , " die Kunst ist jetzt höher gestiegen , als sie nur jemals war , ich darf Euch sagen , daß man jetzt so malt , wie es die früheren Meister nie vermocht haben , die Manier ist jetzt edler , die Zeichnung richtiger und die Ausarbeitung bei weitem fleißiger , so daß die jetzigen Bilder den wirklichen Menschen ungleich ähnlicher sehen , als die vormaligen . "
" Und könnt Ihr Euch denn davon ernähren ? " fragte der Schmied .
" Ich hoffe es " , antwortete Franz , " daß mich die Kunst durch die Welt bringen wird . "
" Aber im Grunde nützt doch das zu nichts " , fuhr jener fort .
" Wie man es nimmt " , sagte Franz , und war innerlich über diese Rede böse .
" Das menschliche Auge und Herz findet ein Wohlgefallen daran , die Bibel wird durch Gemälde verherrliche , die Religion unterstützt , was will man von dieser edlen Kunst mehr verlangen ? "
" Ich meine " , sagte der Gesell , ohne sehr darauf zu achten , " es könnte doch zur Not entbehrt werden , es würde doch kein Unglück daraus entstehen , kein Krieg , keine Teuerung , kein Mißwachs , Handel und Wandel bliebe in gehöriger Ordnung ; das alles ist nicht so mit dem Schmiedehandwerk der Fall , als worauf ich reise , und darum dünkt mich , müßt Ihr mit einiger Besorgnis so in die Welt hineingehen , denn Ihr seid immer doch ungewiß , ob Ihr Arbeit finden werdet . "
Franz wußte darauf nichts zu antworten und schwieg still , er hatte noch nie darüber nachgedacht , ob seine Beschäftigung den Menschen nützlich wäre , sondern sich nur seinem Triebe überlassen .
Er wurde betrübt , daß nur irgend jemand an dem hohen Werte der Kunst zweifeln könne , und doch wußte er jetzt jenen nicht zu widerlegen .
" Ist doch der heilige Apostel Lukas selbst ein Maler gewesen ! " fuhr er endlich auf .
" Wirklich ? " sagte der Schmied und verwunderte sich , " das hätte ich nicht gedacht , daß das Handwerk schon so alt wäre . "
" Möchtet Ihr denn nicht " , fuhr Franz mit einem hochroten Gesichte fort , " wenn Ihr einen Freund oder Vater hättet , den Ihr so recht von Herzen liebtet , und Ihr müßtet nun auf viele Jahre auf die Wanderschaft gehen , und könntet sie in der langen langen Zeit nicht sehen , möchtet Ihr denn da nicht ein Bild wenigstens haben , das Euch vor den Augen stände , und jede Miene , jedes Wort zurückriefe , das sie sonst gesprochen haben ?
Ist es denn nicht schön und herrlich , wenigstens so im gefärbten Schatten das zu besitzen , was wir für teuer achten ? "
Der Schmied wurde nachdenkend und Franz öffnete schnell seinen Mantelsack und wickelte einige kleine Bilder aus , die er selbst vor seiner Abreise gemalt hatte .
" Seht hierher " , fuhr er fort , " seht , vor einigen Stunden habe ich mich von meinem liebsten Freunde getrennt und hier trage ich seine Gestalt mit mir herum ; der da ist mein teurer Lehrer , Albrecht Dürer genannt , geradeso sieht er aus , wenn er recht freundlich ist , hier habe ich ihn noch einmal , wie er in seiner Jugend gestaltet war . "
Der Schmied betrachtete die Gemälde sehr aufmerksam und bewunderte die Arbeit , daß die Köpfe so natürlich vor den Augen ständen , daß man beinahe glauben könnte , lebendige Menschen vor sich zu sehen .
" Ist es denn nun nicht schön " , sprach der junge Maler weiter , " daß sich männiglich bemüht , die Kunst immer höher zu treiben und immer wahrer das natürliche Menschenangesicht darzustellen ?
War es denn nicht für die übrigen Apostel und für alle damaligen Christen herrlich und eine liebliche Erquickung , wenn Lukas ihnen den Erlöser , der nicht mehr unter ihnen wandelte , wenn er ihnen Maria und Magdalena und die übrigen Heiligen hinmalen konnte , daß sie sie glaubten mit Augen zu sehen und mit den Händen zu erfassen ?
Und ist es denn nicht auch in unserem Zeitalter überaus schön , für alle Freunde des großen Mannes , des kühnen Streiters , den wackeren Doktor Luther trefflich zu konterfeien , und dadurch die Liebe der Menschen und ihre Bewunderung zu erhöhen ?
Und wenn wir alle längst tot sind , müssen es uns nicht Enkel und späte Urenkel Dank wissen , wenn sie dann die jetzigen Helden und großen Männer von uns gemalt antreffen ?
O wahrlich , sie werden dann Albrecht segnen und mich auch vielleicht loben , daß wir uns ihnen zum Besten diese Mühe gaben , und keiner wird dann die Frage aufwerfen : wozu kann diese Kunst nützen ? "
" Wenn Ihr es so betrachtet " , sagte der Schmied , " so habt Ihr ganz recht , und wahrlich , das ist dann ganz etwas anders , als Eisen zu hämmern .
Schon oft habe ich es mir auch gewünscht , so irgend etwas zu tun , das bliebe , und wobei die künftigen Menschen meiner gedenken könnten , so eine recht überaus künstliche Schmiedearbeit , aber ich weiß immer noch nicht , was es wohl sein könnte , und ich kann mich auch oft darin nicht finden , warum ich das gerade will , da keiner meiner Handwerksgenossen darauf gekommen ist .
Bei Euch ist das auf die Art freilich etwas Leichtes , und Ihr habt dabei nicht einmal so saure Arbeit , wie unsereins .
Doch warum , lieber Maler , sieht man nur immer Kreuze und Leidensgeschichten und Heiligen ?
Warum findet Ihr es denn nicht auch der Mühe wert , Menschen , wie wir sie in ihrem gewöhnlichen Wandel vor uns sehen , selbst mit ihren Possierlichkeiten und wunderlichen Gebärden abzuschildern ?
Aber freilich wird dergleichen wohl nicht gekauft ; auch malt Ihr ja meistens für Kirchen und heilige Örter .
Doch darin denkt Ihr gerade wie ich , ja , mein Freund , Tag und Nacht wollt ich arbeiten und mich keinen Schweiß verdrießen lassen , wenn ich etwas zustande bringen könnte , das länger dauerte wie ich , das der Mühe wert wäre , daß man sich meiner dabei erinnerte , und darum möchte ich gern etwas ganz Neues und Unerhörtes erfinden oder entdecken , und ich halte die für sehr glückliche Menschen , denen so etwas gelungen ist . "
Bei diesen Worten verlor sich der Zorn des Malers völlig , er wurde dem Schmiedegesellen darüber sehr gewogen und erzählte ihm noch mancherlei von sich und Nürnberg ; er erfuhr , daß der junge Schmied aus Flandern komme .
" Wollt Ihr mir einen großen Gefallen tun ? " fragte der Fremde .
" Gern " , sagte Franz .
" So schreibt mir einige Worte auf und gebt sie mir an Euren Meister und Euren jungen Freund mit , ich will sie dann besuchen und sie müssen mich bei ihrer Arbeit zusehen lassen , weil ich es mir gar nicht vorstellen kann , wie sich die Farben so künstlich übereinanderlegen :
dann will ich auch nachsehen , ob Eure Bilder da ähnlich sind . "
" Das ist nicht nötig " , sagte Franz , " Ihr dürft nur so zu ihnen gehen , von mir erzählen und einen Gruß bringen , so sind sie gewiß so gut und lassen Euch einen ganzen Tag nach Herzenslust zuschauen .
Sagt ihnen dann , daß wir viel von ihnen gesprochen haben , daß mir noch die Tränen in den Augen stehen . "
Sie schieden hierauf und ein jeder ging seine Straße .
Indem es gegen Abend kam , fielen dem jungen Sternbald viele Gegenstände zu Gemälden ein , die er in seinen Gedanken ordnete und mit Liebe bei diesen Vorstellungen verweilte ; je röter der Abend wurde , je schwermütiger wurden seine Träumereien , er fühlte sich wieder einsam in der weiten Welt , ohne Kraft , ohne Hilfe in sich selber .
Die dunkel_gewordenen Bäume , die Schatten die sich auf dem Felde ausstreckten , die rauchenden Dächer eines kleinen Dorfes und die Sterne , die nach und nach am Himmel hervortraten , alles rührte ihn innig , alles bewegte ihn zu einem wehmütigen Mitleiden mit sich selber .
Er kehrte in die kleine Schenke des Dorfes ein , begehrte ein Abendessen und eine Ruhestelle .
Als er allein war und schon die Lampe ausgelöscht hatte , stellte er sich an das Fenster und sah nach der Gegend hin , wo Nürnberg lag .
" Dich sollt ich vergessen ? " rief er aus , " dich sollt ich weniger lieben ?
O mein liebster Sebastian , was wäre dann aus meinem Herzen geworden ?
Wie glücklich fühle ich mich darin , daß ich ein Deutscher , daß ich dein und Albrechts Freund bin ! ach ! wenn ihr mich nur nicht verstoßt , weil ich eurer unwert bin . "
Er legte sich nieder , verrichtete sein Abendgebet und schlief dann beruhigter ein .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Am Morgen weckte ihn das muntere Girren der Tauben vor seinem Fenster , die manchmal in seine Stube hineinsahen und mit den Flügeln schlugen , dann wieder wegflogen und bald wiederkamen , um mit dem Halse nickend vor ihm auf und nieder zu gehen .
Durch einige Lindenbäume warf die Sonne schräge Strahlen in sein Gemach und Franz stand auf und kleidete sich hurtig an ; er sah mit festen Augen durch den reinen blauen Himmel und alle seine Plane wurden lebendiger in ihm , sein Herz schlug höher , alle Gefühle seiner Brust erklangen geläuterter .
Er hätte jetzt mit der Farbenpalette vor einer großen Tafel stehen mögen und er hätte dreist die kühnen Figuren hingezeichnet , die sich in seiner Brust bewegten .
Der frische Morgen gibt dem Künstler Stärkung und in den Strahlen des Frührots regnet Begeisterung auf ihn herab : der Abend löst und schmelzt seine Gefühle , er weckt Ahnungen und unerklärliche Wünsche in ihm auf , der Gerührte fühlt dann näher , daß jenseits dieses Lebens ein anderes kunstreicheres liege , und sein inwendiger Genius schlägt oft vor Sehnsucht mit den Flügeln , um sich frei zu machen und hineinzuschwärmen in das Land , das hinter den goldenen Abendwolken liegt .
Franz sang ein Morgenlied und fühlte keine Müdigkeit vom gestrigen Wege mehr , er setzte mit frischen Kräften seine Reise fort .
Das rege Geflügel sang aus allen Gebüschen , das betaute Gras duftete und alle Blätter funkelten wie Kristall .
Er ging mit schnellen Schritten über eine schöne Wiese , und das Geschmetter der Lerchen zog über ihn hinweg , ihm war fast noch nie so wohl gewesen .
" Das Reisen " , sagte er zu sich selber , " ist ein herrlicher Zustand , diese Freiheit der Natur , diese Regsamkeit aller Kreaturen , der reine weite Himmel und der Menschengeist , der alles dies zusammenfassen und in einen Gedanken zusammenstellen kann : - o glücklich ist der , der bald die enge Heimat verläßt , um wie der Vogel seinen Fittich zu prüfen und sich auf unbekannten , schöneren Zweigen zu schaukeln .
Welche Welten entwickeln sich im Gemüte , wenn die freie Natur umher mit kühner Sprache in uns hineinredet , wenn jeder ihrer Töne unser Herz trifft und alle Empfindungen zugleich anrührt .
Ja , ich glaube , daß ich einst ein guter Maler sein werde , da mein ganzer Sinn sich so der Kunst zuwendet , da ich keinen anderen Wunsch habe , da ich gern alles übrige in dieser Welt aufgeben mag .
Ich will nicht so zaghaft sein , wie Sebastian , ich will mir selber vertrauen . "
Am Mittage ruhte er in einem Dorfe aus , das eine sehr schöne Lage hatte ; hier traf er einen Bauer , der mit einem Wagen noch denselben Tag vier Meilen nach seinem Wohnort zu fahren gedachte .
Der alte Mann erzählte unterwegs unserem Freunde viel von seiner Haushaltung , von seiner Frau und seinen Kindern .
Er war schon siebzig Jahr und hatte im Laufe seines Lebens mancherlei erfahren , er wünschte jetzt nichts so sehnlich , als vor seinem Tode nur noch die berühmte Stadt Nürnberg sehen zu können , wohin er nie gekommen war .
Franz wurde durch die Reden des alten Mannes sehr gerührt , es war ihm sonderbar , daß er erst am gestrigen Morgen Nürnberg verlassen hatte , und dieser alte Bauer davon sprach , als wenn es ein fremder wunderweit entlegener Ort sei , so daß er die als Auserwählte betrachtete , denen es gelinge , dorthin zu kommen .
Mit dem Untergange der Sonne kamen sie vor die Behausung des Bauers an ; kleine Kinder sprangen ihnen entgegen , die Erwachsenen arbeiteten noch auf dem Felde , die alte Mutter erkundigte sich eifrig nach den Verwandten , die ihr Mann besucht hatte , sie wurde nicht müde zu fragen und er beantwortete alles überaus treuherzig .
Dann wurde das Abendessen zubereitet und alle im Hause waren sehr geschäftig .
Franz bekam den bequemsten Stuhl um auszuruhen , ob er gleich nicht ermüdet war .
Das Abendrot glänzte noch im Grase vor der Tür und die Kinder spielten darin , wie niedergeregnetes Gold funkelte es durch die Scheiben , und lieblich rot waren die Angesichter der Knaben und Mädchen ; knurrend setzte sich die Hauskatze neben Franz und schmeichelte sich vertraulich an ihn , und Franz fühlte sich so wohl und glücklich , in der kleinen beengten Stube so selig und frei , daß er sich kaum seiner vorigen trüben Stunden erinnern konnte , daß er glaubte , er könne in seinem Leben nie wieder betrübt werden .
Als nun die Dämmerung einbrach , fingen vom Herde der Küche die Heimchen ihren friedlichen Gesang an , am Wasserbach sang aus Birken eine Nachtigall heraus , und noch nie hatte Franz das Glück einer stillen Häuslichkeit , einer beschränkten Ruhe sich so nahe empfunden .
Die großen Söhne kamen aus dem Felde zurück und alle nahmen fröhlich und gutes Muts die Abendmahlzeit ein , man sprach von der bevorstehenden Ernte , vom Zustande der Wiesen .
Franz lernte nach und nach das Befinden und die Eigenschaften jedes Haustiers , aller Pferde und Ochsen kennen .
Die Kinder waren gegen die Alten ehrerbietig , man fühlte es , wie der Geist einer schönen Eintracht sie alle beherrschte .
Als es finster geworden war , vermehrte ein eisgrauer Nachbar die Gesellschaft , um den sich besonders die Kinder drängten und verlangten , daß er ihnen wieder eine Geschichte erzählen solle ; die Alten mischten sich auch darunter und baten , daß er ihnen wieder von heiligen Märtyrern vorsagen möchte , nichts Neues , sondern was er ihnen schon oft erzählt habe , je öfter sie es hörten , je lieber würde es ihnen .
Der Nachbar war auch willig und trug die Geschichte der heiligen Genoveva vor , dann des heiligen Laurentius , und alle waren in tiefer Andacht verloren .
Franz war überaus gerührt .
Noch in derselben Nacht fing er einen Brief für seinen Freund Sebastian an , am Morgen nahm er herzlich von seinen Wirten Abschied , und kam am folgenden Tage in eine kleine Stadt , wo er den Brief an seinen Freund beschloß .
Wir teilen unseren Lesern diesen Brief mit .
Liebster Bruder !
Ich bin erst seit so kurzer Zeit von Dir und doch dünkt es mir schon so lange zu sein .
Ich habe Dir eigentlich nichts zu schreiben und kann es doch nicht unterlassen , denn Dein eigenes Herz kann Dir alles sagen , was Du in meinem Briefe finden solltest , wie ich immer an Dich denke , wie unaufhörlich das Bild meines teuren Meisters und Lehrers vor mir steht .
Ein Schmiedegeselle wird Euch besucht haben , den ich am ersten Tage traf , ich denke Ihr habt ihn freundlich aufgenommen um meinetwillen .
Ich schreibe diesen Brief in der Nacht , beim Schein des Vollmonds , indem meine Seele überaus beruhigt ist ; ich bin hier auf einem Dorfe bei einem Bauer , mit dem ich vier Meilen hiehergefahren bin .
Alle im Hause schlafen , und ich fühle mich noch so munter , darum will ich noch einige Zeit wach bleiben .
Lieber Sebastian , es ist um das Treiben und Leben der Menschen eine eigene Sache .
Wie die meisten so gänzlich ihres Zwecks verfehlen , wie sie nur immer suchen und nie finden , und wie sie selbst das Gefundene nicht achten mögen , wenn sie ja so glücklich sind .
Ich kann mich immer nicht darin finden , warum es nicht besser ist , warum sie nicht zu ihrem eigenen Glücke mit sich einiger werden .
Wie lebt mein Bauer hier für sich und ist zufrieden , und ist wahrhaft glücklich .
Er ist nicht bloß glücklich , weil er sich an diesen Zustand gewöhnt hat , weil er nichts Besseres kennt , weil er sich findet , sondern alles ist ihm recht , weil er innerlich von Herzen vergnügt ist , und weil ihm Unzufriedenheit mit sich etwas Fremdes ist .
Nur Nürnberg wünscht er vor seinem Tode noch zu sehen und lebt doch so nahe dabei ; wie mich das gerührt hat !
Wir sprechen immer von einer goldenen Zeit , und denken sie uns so weit weg , und malen sie uns mit so sonderbaren und buntgrellen Farben aus .
O teurer Sebastian , oft dicht vor unseren Füßen liegt dieses wundervolle Land , nach dem wir jenseits des Ozeans und jenseits der Sündflut mit sehnsüchtigen Augen suchen .
Es ist nur das , daß wir nicht redlich mit uns selber umgehen .
Warum ängstigen wir uns in unseren Verhältnissen so ab , um nur das bißchen Brot zu haben , das wir darüber selber nicht einmal in Ruhe verzehren können ?
Warum treten wir denn nicht manchmal aus uns heraus und schütteln alles das ab , was uns quält und drückt , und holen darüber frischen Atem , und fühlen die himmlische Freiheit , die uns eigentlich angeboren ist ?
Dann müssen wir der Kriege und Schlachten , der Zänkereien und Verleumdungen auf einige Zeit vergessen , alles hinter uns lassen und die Augen davor zudrücken , daß es in dieser Welt so wild hergeht und sich alles toll und verworren durcheinanderschiebt , damit irgendeinmal der himmlische Friede eine Gelegenheit fände , sich auf uns herabzusenken und mit seinen süßen lieblichen Flügeln zu umarmen .
Aber wir wollen uns gern immer mehr in dem Wirrwarr der gewöhnlichen Welthandel verstricken , wir ziehen selber einen Flor über den Spiegel , der aus den Wolken herunterhängt , und in welchem Gottheit und Natur uns ihre himmlischen Angesichter zeigen , damit wir nur die Eitelkeiten der Welt desto wichtiger finden dürfen .
So kann der Menschengeist sich nicht aus dem Staube aufrichten und getrost zu den Sternen hinblicken und seine Verwandtschaft zu ihnen empfinden .
Er kann die Kunst nicht lieben , da er das nicht liebt , was ihn von der Verworrenheit erlöst , denn mit diesem seligen Frieden ist die Kunst verwandt .
Du glaubst nicht , wie gern ich jetzt etwas malen möchte , was so ganz den Zustand meiner Seele ausdrückte , und ihn auch bei anderen wecken könnte .
Ruhige fromme Herden , alte Hirten im Glanz der Abendsonne , und Engel die in der Ferne durch , Kornfelder gehen , um ihnen die Geburt des Herrn , des Erlösers , des Friedfürsten zu verkündigen .
Kein wildes Erstarren , keine erschreckten durcheinandergeworfenen Figuren , sondern mit freudiger Sehnsucht müßten sie nach den Himmlischen hinschauen , die Kindlein müßten mit ihren zarten Händlein nach den goldenen Strahlen hindeuten , die von den Botschaftern ausströmten .
Jeder Anschauer müßte sich in das Bild hineinwünschen und seine Prozesse und Plane , seine Weisheit und seine politischen Konnexionen auf ein Viertelstündchen vergessen , und ihm würde dann vielleicht so sein , wie mir jetzt ist , indem ich dieses schreibe und denke .
Laß Dich manchmal , lieber Sebastian , von der guten freundlichen Natur anwehen , wenn es Dir in Deiner Brust zu enge wird , schau auf die Menschen je zuweilen hin , die im Strudel des Lebens am wenigsten bemerkt werden , und heiße die süße Frömmigkeit willkommen , die unter alten Eichen beim Schein der Abendsonne , wenn Heimchen zwitschern und Feldtauben girren , auf Dich niederkommt .
Nenne mich nicht zu weich und vielleicht phantastisch , wenn ich Dir dieses rate , ich weiß , daß Du in manchen Sachen anders denkst , und vernünftiger und eben darum auch härter bist .
Ein Nachbar besuchte uns noch nach dem Abendessen und erzählte in seiner einfältigen Art einige Legenden von Märtyrern .
Der Künstler sollte nach meinem Urteil bei Bauern oder Kindern manchmal in die Schule gehen , um sich von seiner kalten Gelehrsamkeit oder zu großen Künstlichkeit zu erholen , damit sein Herz sich wieder einmal der Einfalt auftäte , die doch nur einzig und allein die wahre Kunst ist .
Ich wenigstens habe aus diesen Erzählungen vieles gelernt ; die Gegenstände , die der Maler daraus darstellen müßte , sind mir in einem ganz neuen Lichte erschienen .
Ich weiß Kunstgemälde , wo der rührendste Gegenstand von unnützen schönen Figuren , von Gemäldegelehrsamkeit und trefflich ausgedachten Stellungen so eingebaut war , daß das Auge lernte , das Herz aber nichts dabei empfand , als worauf es doch vorzüglich abgesehen sein müßte .
So aber wollen einige Meister größer werden als die Größe , sie wollen ihren Gegenstand nicht darstellen , sondern verschönern , und darüber verlieren sie sich in Nebendingen .
Ich denke jetzt an alles das , was uns der vielgeliebte Albrecht so oft vorgesagt hat , und fühle wie er immer recht und wahr spricht .
- Grüße ihn ; ich muß hier aufhören , weil ich müde bin .
Morgen komme ich nach einer Stadt , da will ich den Brief schließen und abschicken . - - - Ich bin angekommen und habe Dir , Sebastian , nur noch wenige Worte zu sagen und auch diese dürften vielleicht überflüssig sein .
Wenn nur das ewige Auf- und Abtreiben meiner Gedanken nicht wäre !
Wenn die Ruhe doch , die mich manchmal wie im Vorbeifliegen küßt , bei mir einheimisch würde , dann könnt ich von Glück sagen , und es würde vielleicht mit der Zeit ein Künstler aus mir , den die Welt zu den angesehenen zählte , dessen Namen sie mit Achtung und Liebe spräche .
Aber ich sehe es ein , noch mehr fühle ich es , das wird mir ewig nicht gegönnt sein .
Ich kann nicht dafür , ich kann mich nicht im Zaume halten , und alle meine Entwürfe , Hoffnungen , mein Zutrauen zu mir geht vor neuen Empfindungen unter , und es wird leer und wüst in meiner Seele , wie in einer rauhen Landschaft , wo die Brücken von einem wilden Waldstrome zusammengerissen sind .
Ich hatte auf dem Wege so vielen Mut , ich konnte mich ordentlich gegen die großen herrlichen Gestalten nicht schützen und mich ihrer nicht erwehren , die in meiner Phantasie aufstiegen , sie überschütteten mich mit ihrem Glanze , überdrängten mich mit ihrer Kraft und eroberten und beherrschten so sehr meinen Geist , daß ich mich freute und mir ein recht langes Leben wünschte , um der Welt , den Kunstfreunden , und Dir , geliebter Sebastian , so recht ausführlich hinzumalen , was mich innerlich mit unwiderstehlicher Gewalt beherrschte .
Aber kaum habe ich nun die Stadt , diese Mauern , und die Emsigkeit der Menschen gesehen , so ist alles in meinem Gemüte wieder wie zugeschüttet , ich kann die Plätze meiner Freude nicht wiederfinden , keine Erscheinung steigt auf .
Ich weiß nicht mehr , was ich bin ; mein Sinn ist gänzlich verwirrt .
Mein Zutrauen zu mir scheint mir Raserei , meine inwendigen Bilder sind mir abgeschmackt , sie werden mir so unmöglich , als wenn sie sich nie wirklich fügen würden , als wenn kein Auge Wohlgefallen daran finden könnte .
Mein Brief verdrießt mich ; mein Stolz ist beschämt .
- Was ist es , Sebastian , warum kann ich nicht mit mir einig werden ?
Ich meine es doch so gut und ehrlich . -
Lebe wohl und bleibe immer mein Freund und grüße unseren Meister Albrecht .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Franz hatte in dieser Stadt einen Brief an einen Mann abzugeben , der der Vorsteher einer ansehnlichen Fabrik war .
Er ging zu ihm und traf ihn gerade in Geschäften , so daß Herr Zeuner den Brief nur sehr flüchtig las und mit dem jungen Sternbald nur wenig sprechen konnte , ihn aber bat , zum Mittagsessen wiederzukommen .
Franz ging betrübt durch die Gassen der Stadt , und fühlte sich ganz fremd .
Zeuner hatte für ihn etwas Zurückstoßendes und Kaltes , und er hatte gerade eine sehr freundliche Aufnahme erwartet , da er einen Brief von seinem ihm so teuren Lehrer überbrachte .
Als es Zeit zum Mittagsessen schien , ging er nach Zeuners Hause zurück , das eins der größten in der Stadt war ; mit Bangigkeit schritt er die großen Treppen hinauf und durch den prächtig verzierten Vorsaal : im ganzen Hause merkte man , daß man sich bei einem reichen Manne befinde .
Er wurde in einen Saal geführt , wo eine stattliche Versammlung von Herren und Damen , alle mit schönen Kleidern angetan , nur auf den Augenblick des Essens zu warten schienen .
Nur wenige bemerkten ihn , und die zufälligerweise ein Gespräch mit ihm anfingen , brachen bald wieder ab , als sie hörten , daß er ein Maler sei .
Jetzt trat der Herr des Hauses herein , und alle drängten sich mit höflichen und freundlichen Glückwünschen um ihn her ; jeder wurde freundlich von ihm bewillkommt , auch Franz im Vorbeigehen .
Dieser hatte sich in eine Ecke des Fensters zurückgezogen , und sah mit Bangigkeit und schlagendem Herzen auf die Gasse hinunter , denn es war zum ersten Male , daß er sich in einer solchen großen Gesellschaft befand .
Wie anders kam ihm hier die Welt vor , die er von anständigen , wohlgekleideten und unterrichteten Leuten über tausend nichtswürdige Gegenstände , nur nicht über die Malerei reden hörte , ob er gleich geglaubt hatte , daß sie jedem Menschen am Herzen liegen müsse , und daß man auf ihn , als einen vertrauten Freund Albrecht Dürers , besonders aufmerksam sein würde .
Man setzte sich zu Tische , er saß fast unten .
Durch den Wein belebt wurde das Gespräch der Gesellschaft bald munterer , die Frauen erzählten von ihrem Putze , die Männer von ihren mannigfaltigen Geschäften , der Hausherr ließ sich weitläufig darüber aus , wie sehr er nun nach und nach seine Fabrik verbessert habe und wie der Gewinn also um so einträglicher sei .
Was den guten Franz besonders ängstigte , war , daß von allen abwesenden reichen Leuten mit einer vorzüglichen Ehrfurcht gesprochen wurde ; er fühlte , wie hier das Geld das einzige sei , was man achte und schätze :
er konnte fast kein Wort mitsprechen .
Auch die jungen Frauenzimmer waren ihm zuwider , da sie nicht so züchtig und still waren , wie er sie sich vorgestellt hatte , alle setzten ihn in Verlegenheit , er fühlte seine Armut , seinen Mangel an Umgang zum erstenmal in seinem Leben auf eine bittere Art .
In der Angst trank er vielen Wein und wurde dadurch und von den sich durchkreuzenden Gesprächen ungemein erhitzt .
Er hörte endlich kaum mehr darauf hin , was gesprochen wurde , die groteskesten Figuren beschäftigten seine Phantasie , und als die Tafel aufgehoben wurde , stand er mechanisch mit auf , fast ohne es zu wissen .
Die Gesellschaft verfügte sich nun in einen angenehmen Garten , und Franz setzte sich etwas abseits auf eine Rasenbank nieder , es war ihm , als wenn die Gesträuche und Bäume umher ihn über die Menschen trösteten , die ihm so zuwider waren .
Seine Brust wurde freier , er wiederholte in Gedanken einige Lieder , die er in seiner Jugend gelernt hatte , und die ihm seit lange nicht eingefallen waren .
Der Hausherr kam auf ihn zu , er stand auf und sie gingen sprechend in einem schattigen Gange auf und nieder .
" Ihr seid jetzt auf der Reise ? " fragte ihn Zeuner .
" Ja " , antwortete Franz , " Vorjetzt will ich nach Flandern und dann nach Italien . "
" Wie seid Ihr gerade auf die Malerkunst geraten ? "
" Das kann ich Euch selber nicht sagen , ich war plötzlich dabei , ohne zu wissen , wie es kam ; einen Trieb , etwas zu bilden , fühlte ich immer in mir . "
" Ich meine es gut mit Euch " , sagte Zeuner , " Ihr seid jung und darum laßt Euch von mir raten .
In meiner Jugend gab ich mich auch wohl zuweilen mit Zeichnen ab , als ich aber älter wurde , sah ich ein , daß mich das zu nichts führen könne .
Ich legte mich daher eifrig auf ernsthafte Geschäfte und widmete ihnen alle meine Zeit , und seht , dadurch bin ich nun das geworden , was ich bin .
Eine große Fabrik und viele Arbeiter stehen unter mir , zu deren Aufsicht , so wie zum Führen meiner Rechnungen ich immer treue Leute brauche .
Wenn Ihr wollt , so könnt Ihr mit einem sehr guten Gehalte bei mir eintreten , weil mir gerade mein erster Aufseher gestorben ist .
Ihr habt ein sicheres Brot und ein gutes Auskommen , Ihr könnt Euch hier verheiraten und sogleich antreffen , was Ihr in einer ungewissen zukünftigen Ferne sucht . -
Wollt Ihr also Eure Reise einstellen und bei mir bleiben ? "
Franz antwortete nicht .
" Ihr mögt vielleicht viel Geschick zur Kunst haben " , fuhr jener fort , " aber was habt Ihr mit alledem gewonnen ?
Wenn Ihr auch ein großer Meister werdet , so führt Ihr doch immer ein kümmerliches und höchst armseliges Leben .
Ihr habt ja das Beispiel an Eurem Lehrer .
Wer erkennt ihn , wer belohnt ihn ?
Mit allem seinem Fleiße muß er sich doch von einem Tage zum anderen hinübergrämen , er hat keine frohe Stunde , er kann sich nie recht ergötzen , niemand achtet ihn , da er ohne Vermögen ist , statt daß er reich , angesehen und von Einfluß sein könnte , wenn er sich den bürgerlichen Geschäften gewidmet hätte . "
" Ich kann Euren Vorschlag durchaus nicht annehmen " , rief Franz aus .
" Und warum nicht ? ist denn nicht alles wahr , was ich Euch gesagt habe ? "
" Und wenn es auch wahr ist " , antwortete Franz , " so kann ich es doch so unmöglich glauben .
Wenn Ihr das Zeichnen und Bilden sogleich habt unterlassen können , als Ihr es wolltet , so ist das gut für Euch , aber so habt Ihr auch unmöglich einen recht kräftigen Trieb dazu verspürt .
Ich wüßte nicht , wie ich es anfinge , daß ich es unterließe , ich würde Eure Rechnungen und alles verderben , denn immer würden meine Gedanken darauf gerichtet bleiben , wie ich diese Stellung und jene Miene gut ausdrücken wollte , alle Eure Arbeiter würden mir nur ebenso viele Modelle sein : Ihr wärt ein schlechter Künstler geworden , so wie ich zu allen ernsthaften Geschäften verdorben bin , denn ich achte sie zu wenig , ich habe keine Ehrfurcht vor dem Reichtum , ich könnte mich nimmer zu diesem kunstlosen Leben bequemen .
Und was Ihr mir von meinem Albrecht Dürer sagt , gereicht den Menschen , nicht aber ihm zum Vorwurf .
Er ist arm , aber doch in seiner Armut glückseliger als Ihr .
Oder haltet Ihr es denn für so gar nichts , daß er sich hinstellen darf und sagen : nun will ich einen Christuskopf malen ! und das Haupt des Erlösers mit seinen göttlichen Mienen in kurzem wirklich vor Euch steht und Euch ansieht , und Euch zur Andacht und Ehrfurcht zwingt , selbst wenn Ihr gar nicht dazu aufgelegt seid ?
Seht , ein solcher Mann ist der verachtete Dürer . "
Franz hatte nicht bemerkt , daß während seiner Rede sich das Gesicht seines Wirts zum Unwillen verzogen hatte ; er nahm kurz Abschied und ging mit weinenden Augen nach seiner Herberge .
Hier hatte er auf seinem Fenster das Bildnis Albrecht Dürers aufgestellt , und als er in die Stube trat , fiel er laut weinend und klagend davor nieder und schloß es in seine Arme , drückte es an die Brust und bedeckte es mit Küssen .
" Ja , mein guter , lieber , ehrlicher Meister ! " rief er aus , " nun lerne ich erst die Welt und ihre Gesinnungen kennen !
Das ist das , was ich dir nicht glauben wollte , sooft du es mir auch sagtest .
Ach wohl , wohl sind die Menschen undankbar gegen dich und deine Herrlichkeit und gegen die Freuden , die du ihnen zu genießen gibst .
Freilich haben Sorgen und stete Arbeit diese Furchen in deine Stirn gezogen , ach !
ich kenne diese Falten ja nur zu gut .
Welcher unglückselige Geist hat mir diese Liebe und Verehrung zu dir eingeblasen , daß ich wie ein lächerliches Wunder unter den übrigen Menschen herumstehn muß , daß ich auf ihre Reden nichts zu antworten weiß , daß sie meine Fragen nicht verstehen ?
Aber ich will dir und meinem Triebe getreu bleiben ; was tut's , wenn ich arm und verachtet bin , was weiter , wenn ich auch am Ende aus Mangel umkommen sollte !
Du und Sebastian , ihr beide werdet mich wenigstens deshalb lieben ! "
Er hatte noch einen Brief von Dürers Freund Pirckheimer an einen angesehenen Mann der Stadt abzugeben .
Er war unentschlossen , ob er ihn selber hintragen sollte .
Endlich nahm er sich vor , ihn eilig abzugeben und noch an diesem Abend die Stadt , die ihm so sehr zuwider war , zu verlassen .
Man wies ihn auf seine Fragen nach einem abgelegenen kleinen Hause , in welchem die größte Ruhe und Stille herrschte .
Ein Diener führte ihn in ein schön verziertes Gemach , in welchem ein ehrwürdiger alter Mann saß ; er war derselbe , an welchen der Brief gerichtet war .
" Ich freue mich " , sagte der Greis , " wieder einmal Nachrichten von meinem lieben Freunde Pirckheimer zu erhalten ; aber verzeiht , junger Mann , meine Augen sind so schwach , daß Ihr so gut sein müßt , mir selber das Schreiben vorzulesen . "
Franz schlug den Brief auseinander und las unter Herzklopfen , wie Pirckheimer ihn als einen edlen und sehr hoffnungsvollen jungen Maler rühmte , und ihn den besten Schüler Albrecht Dürers nannte .
Bei diesen Worten konnte er kaum seine Tränen zurückdrängen .
" So seid Ihr ein Schüler des großen Mannes , meines teuren Albrechts ? " rief der Alte wie entzückt aus , "o so seid mir von Herzen willkommen ! "
Er umarmte mit diesen Worten den jungen Mann , der nun seine schmerzliche Freude nicht mehr mäßigen konnte , laut schluchzte und ihm alles erzählte .
Der Greis tröstete ihn mit liebevollen und verständigen Worten und beide setzten sich freundlich und vertraut nahe zueinander .
" O wie oft " , sagte der alte Mann , " habe ich mich an den überaus köstlichen Werken dieses wahrhaft einzigen Malers ergötzt , als meine Augen noch in ihrer Kraft waren !
Wie oft hat nur er mich über alles Unglück dieser Erde getröstet !
O wenn ich ihn doch einmal wiedersehen könnte ! "
Franz vergaß , daß er noch vor Sonnenuntergang die Stadt hatte verlassen wollen ; er blieb gern , als ihn der Alte zum Abendessen bat .
Bis spät in die Nacht mußte er ihm von Albrechts Werken , von ihm erzählen , dann von Pirckheimer und von seinen eigenen Entwürfen .
Franz ergötzte sich an diesem Gespräch und konnte nicht müde werden , dies und jenes zu fragen und zu erzählen , er freute sich , daß der Greis die Kunst so schätzte , daß er von seinem Lehrer mit gleicher Wärme sprach .
Sehr spät gingen sie auseinander und Franz fühlte sich so getröstet und so glücklich , daß er noch lange in seinem Zimmer auf und ab ging , den Mond betrachtete , und an großen Gemälden in Gedanken arbeitete .
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Wir treffen unseren jungen Freund vor einem Dorfe an der Tauber wieder an .
Er hatte einen Umweg durch das blühende Frankenland gemacht , um einige Meilen von Mergentheim seine Eltern zu besuchen .
Er war als ein Knabe von zwölf Jahren zufälligerweise nach Nürnberg gekommen und auf sein inständiges Bitten bei Meister Albrecht in die Lehre gebracht ; wenige Bekannte und wohlhabende weitläufige Verwandte ließen ihm einige Unterstützung zufließen , die er aber kaum bei seinem großmütigen Meister bedurfte .
Es war schon lange gewesen , daß er von seinen Eltern , schlichten Bauersleuten , keine Nachricht bekommen hatte .
Es war noch am Morgen , als er vor dem Wäldchen stand , das sich vor dem Dorfe ausbreitete .
Hier war sein Spielplatz gewesen , hier hatte er oft in der stillen Einsamkeit des Abends voll Nachdenken gewandelt , indem die Schatten dichter zusammenwuchsen und das Rot der sinkenden Sonne tief unten durch die Baumstämme äugelte , und mit zuckenden Strahlen um ihn spielte .
Hier hatte sich zuerst sein Trieb zur Kunst entzündet , und er trat in den Wald mit einer Empfindung , wie man einen heiligen Tempel betritt .
Er hatte vor allen einen Lieblingsbaum gehabt , von dem er sich oft kaum hatte trennen können ; diesen suchte er jetzt eifrig mit zunehmender Rührung auf .
Es war eine dicke Eiche mit vielen weit ausgebreiteten Zweigen , welche Kühlung und Schatten gaben .
Er fand den Baum , er war in seiner alten Schönheit , und der Rasen am Fuße desselben noch ebenso weich und frisch als ehemals .
Wie vieler Gefühle aus seiner Kindheit erinnerte er sich an dieser Stelle ! wie er gewünscht hatte , oben in dem krausen Wipfel zu sitzen und von da in das weite Land hineinzuschauen , mit welcher Sehnsucht er den Vögeln nachgesehn hatte , die von Zweig zu Zweig sprangen und mit den dunkelgrünen Blättern scherzten , die nicht wie er nach einem Hause rückkehrten , sondern im ewig frohen Leben , von glänzenden Stunden angeschienen , die frische Luft einatmeten und Gesang zurückgaben , die das Abend- und Morgenrot sahen , die keine Schule hatten und keinen strengen Lehrer .
Ihm fiel alles ein , was er vormals gedacht hatte , alle kindischen Begriffe und Empfindungen gingen an ihm vorüber , reichten ihm die kleinen Hände und hießen ihn so herzlich willkommen , daß er heftig im Innersten erschrak , daß er nun wieder unter dem alten Baume stehe und wieder dasselbe denke und empfinde , er noch derselbe Mensch sei .
Alle zwischenliegenden Jahre , und alles , was sie an ihm vermocht hatten , fiel in einem Augenblicke von ihm ab , und er stand wieder als Knabe da , die Zeit seiner Kindheit lag ihm so nahe , daß er alles übrige nur für einen vorüberfliegenden Traum halten wollte .
Ein Wind rauschte herüber und ging durch die großen Äste des Baums , und alle Gefühle , die fernsten und dunkelsten Erinnerungen wurden mit herübergeweht , und wie Vorhänge fiel es immer mehr von seiner Seele zurück , und er sah nur sich und die liebe Vergangenheit .
Alle frommen Empfindungen gegen seine Eltern , der Unterricht , den ihm seine ersten Bücher gaben , sein Spielzeug fiel ihm wieder bei und seine Zärtlichkeit gegen leblose Gestalten .
" Wer bin ich ? " sagte er zu sich selber und schaute langsam um sich her .
" Was ist es , daß die Vergangenheit so lebendig in meinem Inneren aufsteigt ?
Wie konnte ich alles , wie konnte ich meine Eltern so lange , fast , wenn ich wahr sein soll , vergessen ?
Wäre es möglich , daß uns die Kunst gegen die besten und teuersten Gefühle verhärten könnte ?
Und doch kann es nur das sein , daß dieser Trieb mich zu sehr beschäftigte , sich mir vorbaute und die Aussicht des übrigen Lebens verdeckte . "
Er stand in Gedanken , und die Malerstube , und Albrecht , und seine Kopien kamen ihm wieder in die Gedanken , er setzte seinen Freund Sebastian sich gegenüber und hörte schnell wieder durch , was sie nur je miteinander gesprochen hatten ; dann sah er wieder um sich , und die Natur selbst , der Himmel , der rauschende Wald und sein Lieblingsbaum schienen Atem und Leben zu seinen Gemälden herzugeben , Vergangenheit und Zukunft bekräftigten seinen Trieb , und alles was er gedacht und empfunden , war ihm nur deswegen wert , weil es ihn dieser Liebe zugeführt hatte .
Er ging mit schnellen Schritten weiter und alle Bäume schienen ihm nachzurufen , aus jedem Busche traten Erscheinungen hervor und wollten ihn zurückhalten , er taumelte aus einer Erinnerung in die andere , und verlor sich in ein Labyrinth von seltsamen Empfindungen .
Er kam auf einen freien Platz im Walde , und plötzlich stand er still .
Er wußte selbst nicht , warum er innehielt , er verweilte , um darüber nachzudenken .
Ihm war , als habe er sich hier auf etwas zu besinnen , das ihm so lieb , so unaussprechlich teuer gewesen sei ; jede Blume im Grase nickte so freundlich , als wenn sie ihm auf seine Erinnerungen helfen wollte .
" Es ist hier , gewißlich hier ! " sagte er zu sich selber und suchte emsig nach dem glänzenden Bilde , das wie von schwarzen Wolken in seiner innersten Seele zurückgehalten wurde .
Mit einem Male brachen ihm die Tränen aus den Augen , er hörte vom Felde herüber eine einsame Schalmei eines Schäfers , und nun wußte er alles .
Als Knabe von sechs Jahren war er hier im Walde gegangen , auf diesem Platze hatte er Blumen gesucht , ein Wagen kam dahergefahren und hielt still , eine Frau stieg ab und hob ein Kind herunter , und beide gingen auf dem grünen Plane hin und her , dem kleinen Franz vorüber .
Das Kind , ein liebliches blondes Mädchen , kam zu ihm und bat um seine Blumen , er schenkte sie ihr alle , ohne selbst seine Lieblinge zurückzubehalten , indes ein alter Diener auf einem Waldhorne blies , und Töne hervorbrachte , die dem jungen Franz damals äußerst wunderbar in das Ohr erklangen .
So verging eine geraume Zeit , indem er das volle Antlitz des Kindes betrachtete , das ihn wie ein voller Mond anschaute und anlächelte :
dann fuhren die Fremden wieder fort , und er erwachte wie aus einem Entzücken zu sich und den gewöhnlichen Empfindungen , den gewöhnlichen Spielen , dem gewöhnlichen Leben von einem Tage zum anderen hinüber .
Dazwischen klangen immer die holden Waldhornstöne in seine Existenz hinein und vor ihm stand glühend und blühend das holde Angesicht des Kindes , dem er seine Blumen geschenkt hatte , nach denen er im Schlummer oft die Hände ausstreckte , weil ihn dünkte , das Mädchen neige sich über ihn , sie ihm zurückzugeben .
Er wußte und begriff nicht , warum ihm dieser Augenblick seines Lebens so wichtig und glänzend war , aber alles Liebe und Holde entlehnte er von dieser Kindergestalt , alles Schöne was er sah , trug er in des Mädchens Bild hinüber :
wenn er von Engeln hörte , glaubte er einen zu kennen und sich von ihm gekannt , er war es überzeugt , daß die Feldblumen einst ein Erkennungszeichen zwischen ihnen beiden sein würden .
Als er so deutlich wieder an alles dieses dachte , als ihm einfiel , daß er es in so langer Zeit gänzlich vergessen hatte , setzte er sich in das grüne Gras nieder und weinte ; er drückte sein heißes Gesicht an den Boden und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen .
Er hörte in der Trunkenheit wieder die Melodie eines Waldhorns , und konnte sich vor Wehmut , vor Schmerzen der Erinnerung und süßen ungewissen Hoffnungen nicht fassen .
" Bin ich wahnsinnig , oder was ist es mit diesem törichten Herzen ? " rief er aus .
" Welche unsichtbare Hand fährt so zärtlich und grausam zugleich über alle Saiten in meinem Inneren hinweg , und scheucht alle Träume und Wundergestalten , Seufzer und Tränen und verklungene Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor ?
O mein Geist , ich fühle es , strebt nach etwas Überirdischem , das keinem Menschen gegönnt ist .
Mit magnetischer Gewalt zieht der unsichtbare Himmel mein Herz an sich und bewegt alle Ahnungen durcheinander , die längst ausgeweinten Freuden , die unmöglichen Wonnen , die Hoffnungen , die keine Erfüllungen zulassen .
Und ich kann es keinem Menschen , keinem Bruder einmal klagen , wie mein Gemüt zugerichtet ist , denn keiner würde meine Worte verstehen .
Daher aber gebricht mir die Kraft , die den übrigen Menschen verliehen ist , und die uns zum Leben notwendig bleibt , ich matte mich ab in mir selber und keiner hat dessen Gewinn , mein Mut verzehrt sich , ich wünsche was ich selbst nicht kenne .
Wie Jakob sehe ich im Traum die Himmelsleiter mit ihren Engeln , aber ich kann nicht selbst hinaufsteigen , um oben in das glänzende Paradies zu schauen , denn der Schlaf hat meine Glieder bezwungen , und was ich sehe und höre , ahne und hoffe und lieben möchte , ist nur Traumgestalt in mir . "
Jetzt schlug die Glocke im Dorfe .
Er stand auf und trocknete sich die Augen , indem er weiterging , und nun schon die Hütten und die kleine Kirche durch das grüne Laub schimmern sah .
Er ging an einem Garten vorbei , über dessen Zaun ein Zweig voll schöner roter Kirschen hing .
Er konnte es nicht unterlassen , einige abzubrechen und sie zu kosten , weil die Frucht dieses Baumes ihn in der Kindheit oft erfreut hatte ; es waren dieselben Zweige , die sich ihm auch jetzt freundlich entgegenstreckten , aber die Frucht schmeckte ihm nicht wie damals .
" In der Kindheit " , sagte er zu sich selber , " wird der Mensch von den blanken , glänzenden , und vielfarbigen Früchten und ihrem süßen lieblichen Geschmacke angelockt , das Leben liebzugewinnen , wie es die Schulmeister in den Schulen machen , die im Anbeginn mit Süßigkeiten dem Kinde Lust zum Lernen beibringen wollen ; nachher verliert sich im Menschen dieses frohe Vorgefühl des Lebens , der Lehrer wird streng , die Arbeit fängt an , und die Lockung selbst verliert ihren Wohlgeschmack . "
Franz ging über den Kirchhof und las die Kreuze im Vorbeigehen schnell , aber an keinem stand der Name seines Vaters oder seiner Mutter geschrieben , und er fühlte sich zuversichtlicher .
Die Mauer des Turms kam ihm nicht so hoch vor , alles war ihm beengter , das Haus seiner Eltern kannte er kaum wieder .
Er zitterte , als er die Tür anfaßte , und doch war es ihm schon wieder wie gewöhnlich , diese Tür zu öffnen .
In der Stube saß die Mutter mit verbundenem Kopf und weinte ; als sie ihn erkannte , weinte sie noch heftiger ; der Vater lag im Bette und war krank .
Er umarmte sie beide mit gepreßtem Herzen , er erzählte ihnen , sie ihm , sie sprachen durcheinander und fragten sich , und wußten doch nicht recht , was sie reden sollten .
Der Vater war matt und bleich .
Franz hatte ihn sich ganz anders vorgestellt , und darum war er nun so gerührt , und konnte sich gar nicht wieder zufriedengeben .
Der alte Mann sprach viel vom Sterben , von der Hoffnung der Seligkeit , er fragte den jungen Franz , ob er auch Gott noch so treu anhing , wie er ihm immer gelehrt habe .
Franz drückte ihm die Hand und sagte :
" Haben wir in diesem irdischen Leben etwas anders zu suchen , als die Ewigkeit ?
Ihr liegt nun da an der Grenze , Ihr werdet nun bald in Eurer Andacht nicht mehr gestört werden , und ich will mir gewiß auch alle Mühe geben , mich von den Eitelkeiten zu entfernen . "
" Liebster Sohn " , sagte der Vater , " ich sehe mein Lehren ist an dir nicht verlorengegangen .
Wir müssen arbeiten , sinnen und denken , weil wir einmal in dieses Leben , in dieses Joch eingespannt sind , aber darum müssen wir doch nie das Höhere aus den Augen verlieren .
Sei redlich in deinem Gewerbe , damit es dich ernährt , aber laß nicht deine Nahrung , deine Bekleidung den letzten Gedanken deines Lebens sein ; trachte auch nicht nach dem irdischen Ruhme , denn alles ist doch nur eitel , alles bleibt hinter uns , wenn der Tod uns fordert .
Male , wenn es sein kann , die heiligen Geschichten recht oft , um auch in weltlichen Gemütern die Andacht zu erwecken . "
Franz aß wenig zu Mittage , der Alte schien sich gegen Abend zu erholen .
Die Mutter war nun schon daran gewöhnt , daß Franz wieder da sei ; sie machte sich seinetwegen viel zu tun , und vernachlässigte den Vater beinahe .
Franz war unzufrieden mit sich , er hätte dem Kranken gern alle glühende Liebe eines guten Sohnes gezeigt , auf seine letzten Stunden gern alles gehäuft , was ihn durch ein langes Leben hätte begleiten sollen , aber er fühlte sich so verworren und sein Herz so matt , daß er über sich selber erschrak .
Er dachte an tausend Gegenstände die ihn zerstreuten , vorzüglich an Gemälde von Kranken , von trauernden Söhnen und wehklagenden Müttern , und darüber machte er sich dann die bittersten Vorwürfe .
Als sich die Sonne zum Untergange neigte , ging die Mutter hinaus , einige Gemüse aus ihrem kleinen Garten , der in einiger Entfernung lag , zur Abendmahlzeit zu holen .
Der Alte ließ sich im Sessel von seinem Sohne vor die Haustüre tragen , um sich von den roten Abendstrahlen bescheinen zu lassen .
Es stand ein Regenbogen am Himmel , und im Westen regnete der Abend in goldenen Strömen nieder .
Schafe weideten gegenüber und Birken säuselten , der Vater schien stärker zu sein .
" Nun sterbe ich gerne " , rief er aus , " da ich dich noch vor meinem Tode gesehen habe . "
Franz konnte nicht viel antworten , die Sonne sank tiefer und schien dem Alten feurig ins Gesicht , der sich wegwendete und seufzte :
" Wie Gottes Auge blickt es mich noch zu guter Letzt an und straft mich Lügen ; ach !
wenn doch erst alles vorüber wäre ! "
Franz verstand diese Worte nicht , aber er glaubte zu bemerken , daß sein Vater von Gedanken beunruhigt würde .
" Ach wenn man so mit hinuntersinken könnte ! " rief der Alte aus , " mit hinunter mit der lieben Gottes-Sonne !
O wie schön und herrlich ist die Erde , und jenseits muß es noch schöner sein ; dafür ist uns Gottes Allmacht Bürge .
Bleibe immer fromm und gut , lieber Franz , und höre mir aufmerksam zu , was ich dir jetzt noch zu entdecken habe . "
Franz trat ihm näher , und der Alte sagte : " Du bist mein Sohn nicht , liebes Kind . " -
Indem kam die Mutter zurück ; man konnte sie aus der Ferne hören , weil sie mit lauter Stimme ein geistliches Lied sang , der Alte brach sehr schnell ab und sprach von gleichgültigen Dingen .
" Morgen " , sagte er heimlich zu Franz , " morgen ! "
Die Herden kamen vom Felde mit den Schnittern , alles war fröhlich , aber Franz war sehr in Gedanken versunken , er betrachtete die beiden Alten in einem ganz neuen Verhältnisse zu sich selber , er konnte kein Gespräch anfangen , die letzten Worte seines vermeintlichen Vaters schallten ihm noch immer in den Ohren , und er erwartete mit Ungeduld den Morgen .
Es wurde finster , der Alte wurde hineingetragen und legte sich schlafen ; Franz aß mit der Mutter .
Plötzlich hörten sie nicht mehr den Atemzug des Vaters , sie eilten hinzu und er war verschieden .
Sie sahen sich stumm an , und nur Brigitte konnte weinen .
" Ach ! so ist er denn gestorben ohne von mir Abschied zu nehmen ? " sagte sie seufzend ; " ohne Priester und Einsegnung ist er entschlafen ! -
Ach ! wer auf der weiten Erde wird nun noch mit mir sprechen , da sein Mund stumm geworden ist ?
Wem soll ich mein Leid klagen , wer wird mit mir davon reden , daß die Bäume blühen und ob wir die Früchte abnehmen sollen ? -
Oh !
der gute alte Vater !
Nun ist es also vorbei mit unserem Umgang , mit unseren Abendgesprächen , und ich kann gar nichts dazu tun , sondern ich muß mich nur so eben darin finden .
Unser aller Ende sei ebenso sanft ! "
Die Tränen machten sie stumm und Franz tröstete sie .
Er sah in Gedanken betende Einsiedler , die verehrungswürdigen Märtyrer , und alle Leiden der armen Menschheit gingen in mannigfaltigen Bildern seinem Geiste vorüber .
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Die Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet , und Franz stand sinnend vor der Tür .
Die Nachbarn traten herzu und trösteten ihn ; Brigitte weinte von neuem , sooft darüber gesprochen wurde , sein Herz war zu , seine Augen waren wie vertrocknet , tausend neue Bilder zogen durch seine Sinne , er konnte sich selber nicht verstehen , er hätte gern mit jemand sprechen mögen , er wünschte Sebastian herbei , um ihm alles klagen zu können .
Am dritten Tage war das Begräbnis , und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe , als sie den nun mit Erde zudeckten , den sie seit zwanzig Jahren so genau gekannt hatte , den sie fast einzig liebte .
Sie wünschte auch bald zu sterben , um wieder in seiner Gesellschaft zu sein , um mit ihm die Gespräche fortzusetzen , die sie hier hatte abbrechen müssen .
Franz schweifte im Felde umher , und betrachtete die Bäume , die sich in einem benachbarten Teiche spiegelten .
Er hatte noch nie eine Landschaft mit diesem Vergnügen beschaut , es war ihm noch nie vergönnt gewesen , die mannigfaltigen Farben mit ihren Schattierungen , das Süße der Ruhe , die Wirkung des Baumschlages in der Natur zu entdecken , wie er es jetzt im klaren Wasser gewahr wurde .
Über alles ergötzte ihn aber die wunderbare Perspektive , die sich bildete , und der Himmel dazwischen mit seinen Wolkenbildern , das zarte Blau , das zwischen den krausen Figuren und dem zitternden Laube schwamm .
Franz zog seine Schreibtafel hervor , und wollte anfangen , die Landschaft zu zeichnen ; aber schon die wirkliche Natur erschien ihm trocken gegen die Abbildung im Wasser , noch weniger aber wollten ihm die Striche auf dem Papiere genügen , die durchaus nicht das nachbildeten , was er vor sich sah .
Er war bisher noch nie darauf gekommen , eine Landschaft zu zeichnen , er hatte sie immer nur als eine notwendige Zugabe zu manchen historischen Bildern angesehen , aber noch nie empfunden , daß die leblose Natur etwas für sich Ganzes und Vollendetes ausmachen könne , und so der Darstellung würdig sei .
Unbefriedigt ging er nach der Hütte seines Pflegevaters zurück .
Seine Mutter kam ihm entgegen , die sich in der ungewohnten Einsamkeit nicht zu lassen wußte .
Sie setzten sich beide auf eine Bank , die vor dem Hause stand , und unterredeten sich von mancherlei Dingen .
Franz wurde durch jeden Gegenstand den er sah , durch jedes Wort das er hörte , niedergeschlagen , die weidenden Herden , die ziehenden Töne des Windes durch die Bäume , das frische Gras und die sanften Hügel weckten keine Poesie in seiner Seele auf .
Er hatte Vater und Mutter verloren , seine Freunde verlassen , er kam sich so verwaist und verachtet vor , besonders hier auf dem Lande , wo er mit niemand über die Kunst sprechen konnte , daß ihn fast aller Mut zum Leben verließ .
Seine Mutter nahm seine Hand und sagte : " Lieber Sohn , du willst jetzt in die weite Welt hineingehen , wenn ich dir raten soll , tu es nicht , denn es bringt dir doch keinen Gewinn .
Die Fremde tut keinem Menschen gut , wo er zu Hause gehört , da blüht auch seine Wohlfahrt ; fremde Menschen werden es nie ehrlich mit dir meinen , das Vaterland ist gut , und warum willst du so weit weg und Deutschland verlassen , und was soll ich indessen anfangen ?
Dein Malen ist auch ein unsicheres Brot , wie du mir schon selber gesagt hast , du wirst darüber alt und grau ; deine Jugend vergeht , und mußt noch obenein wie ein Flüchtling aus deinem Lande wandern .
Bleibe hier bei mir , mein Sohn , sieh , die Felder sind alle im besten Zustande , die Gärten sind gut eingerichtet , wenn du dich des Hauswesens und des Ackerbaues annehmen willst , so ist uns beiden geholfen , und du führst doch ein sicheres und ruhiges Leben , du weißt doch dann , wo du deinen Unterhalt hernimmst .
Du kannst hier heiraten , es findet sich wohl eine Gelegenheit ; du lernst dich bald ein , und die Arbeit des Vaters wird dann von dir fortgesetzt .
Was sagst du zu dem allen , mein Sohn ? "
Franz schwieg eine Weile still , nicht weil er den Vorschlag bei sich überlegte , sondern weil an diesem Tage alle Vorstellungen so schwer in seine Seele fielen , daß sie lange hafteten .
Ihm lag Herr Zeuner von neuem in den Gedanken , er sah die ganze Gesellschaft noch einmal , und fühlte alle Beängstigungen wieder , die er dort erlitten hatte .
" Es kann nicht sein , liebe Mutter " , sagte er endlich .
" Seht , ich habe so lange auf die Gelegenheit zum Reisen gewartet , jetzt ist sie gekommen , und ich kann sie nicht wieder aus den Händen gehen lassen .
Ich habe mir ängstlich und sorgsam all mein Geld , dessen ich habhaft werden konnte , dazu gesammelt ; was würde Dürer sagen , wenn ich jetzt alles aufgäbe ? "
Die Mutter wurde über diese Antwort sehr betrübt , sie sagte sehr weichherzig :
" Was aber suchst du in der Welt , lieber Sohn ?
Was kann dich so heftig antreiben , ein ungewisses Glück zu erproben ?
Ist denn der Feldbau nicht auch etwas Schönes , und immer in Gottes freier Welt zu hantieren und stark und gesund zu sein ?
Mir zuliebe könntest du auch etwas tun , und wenn du noch so glücklich bist , kommst du doch nicht weiter , als daß du dich satt essen kannst , und eine Frau ernährst und Kinder großziehst , die dich lieben und ehren .
Alles dies zeitliche Wesen kannst du nun hier schon haben , hier hast du es gewiß , und deine Zukunft ist noch ungewiß .
Ach lieber Franz , und es ist denn doch auch eine herzliche Freude , das Brot zu essen , das man selber gezogen hat , seinen eigenen Wein zu trinken , mit den Pferden und Kühen im Hause bekannt zu sein , in der Woche zu arbeiten und des Sonntags zu rasten .
Aber dein Sinn steht dir nach der Ferne , du liebst deine Eltern nicht , du gehst in dein Unglück , und verlierst gewiß deine Zeit , vielleicht noch deine Gesundheit . "
" Es ist nicht das , liebe Mutter ! " rief Franz aus , " und Ihr werdet mich auch gar nicht verstehen , wenn ich es Euch sage .
Es ist mir gar nicht darum zu tun , Leinwand zu nehmen und die Farben mit mehr oder minder Geschicklichkeit aufzutragen , um damit meinen täglichen Unterhalt zu erwerben , denn seht , in manchen Stunden kommt es mir sogar sündhaft vor , wenn ich es so beginnen wollte .
Ich denke an meinen Erwerbe niemals , wenn ich an die Kunst denke , ja ich kann mich selber hassen , wenn ich zuweilen darauf verfalle .
Ihr seid so gut , Ihr seid so zärtlich gegen mich , aber noch weit mehr als Ihr mich liebt , liebe ich meine Hantierung .
Nun ist es mir vergönnt , alle die Meister wirklich zu sehen , die ich bisher nur in der Ferne verehrt habe .
Wenn ich dies erleben kann , und beständig neue Bilder sehen , und lernen , und die Meister hören ; wenn ich durch ungekannte Gegenden mit frischem Herzen streifen kann , so mag ich keines ruhigen Lebens genießen .
Tausend Stimmen rufen mir herzstärkend aus der Ferne zu , die ziehenden Vögel , die über meinem Haupte wegfliegen , scheinen mir Boten aus der Ferne , alle Wolken erinnern mich an meine Reise , jeder Gedanke , jeder Pulsschlag treibt mich vorwärts , wie könnt ich da wohl in meinen jungen Jahren ruhig hier sitzen und den Wachstum des Getreides abwarten , die Einzäunung des Gartens besorgen und Rüben pflanzen !
Nein , laßt mir meinen Sinn , ich bitte Euch darum , und redet mir nicht weiter zu , denn Ihr quält mich nur damit . "
" Nun so magst du es haben " , sagte Brigitte in halbem Unwillen , " aber ich weiß , daß es dich noch einmal gereut , daß du dich wieder hieherwünschest , und dann ist_es zu spät , daß du dann das hoch und teuer schätzest , was du jetzt schmähst und verachtest . "
" Ich habe Euch etwas zu fragen , liebe Mutter " , fuhr Franz fort .
" Der Vater ist gestorben , ohne mir Rechenschaft davon zu geben ; er sagte mir , ich sei sein Sohn nicht , und brach dann ab .
Was wißt Ihr von meiner Herkunft ? "
" Nichts weiter , lieber Franz " , sagte die Mutter , " und dein Vater hat mir darüber nie etwas anvertraut .
Als ich ihn kennenlernte und heiratete , warst du schon bei ihm , und damals zwei Jahr alt ; er sagte mir , daß du sein einziges Kind seist von seiner verstorbenen Frau .
Ich verwundere mich , warum der Mann nun zu dir anders gesprochen hat . "
Franz blieb also über seine Herkunft in Ungewißheit ; diese Gedanken beschäftigten ihn sehr , und er wurde in manchen Stunden darüber verdrießlich und traurig .
Das Erntefest war indes herangekommen , und alle Leute im Dorfe waren fröhlich ; jedermann war nur darauf bedacht , sich zu vergnügen ; die Kinder hüpften umher und konnten den Tag nicht erwarten .
Franz hatte sich vorgenommen , diesen Tag in der Einsamkeit zuzubringen , sich nur mit seinen Gedanken zu beschäftigen und sich nicht um die Fröhlichkeit der übrigen Menschen zu bekümmern .
Er war in der Woche , die er hier bei seinen Pflegeeltern zugebracht hatte , überhaupt ganz in sich versunken , nichts konnte ihm rechte Freude machen , denn er selbst war hier anders , und alles ereignete sich so ganz anders , als er es vorher vermutet hatte .
Am Tage vor dem Erntefest erhielt er einen Brief von seinem Sebastian , denn es war vorher ausgemacht , daß dieser ihm schreiben solle , während er sich hier auf dem Dorfe befinde .
Wie wenn nach langen Winternächten und trüben Wochen der erste Frühlingstag über die starre Erde geht , so erheiterte sich Franzens Gemüt , als er diesen Brief in der Hand hielt ; es war , als wenn ihn plötzlich sein Freund Sebastian selber anrühre , und ihm in die Arme fliege ; er hatte seinen Mut wieder , er fühlte sich nicht mehr so verlassen , er erbrach das Siegel .
Wie erstaunte und freute er sich zu gleicher Zeit , als er drinnen noch ein anderes Schreiben von seinem Albrecht Dürer fand , welches er nie erwartet hatte .
Er war ungewiß , welchen Brief er zuerst lesen sollte ; doch schlug er Sebastians Brief auseinander , welcher folgendermaßen lautete : Liebster Franz .
Wir gedenken Deiner in allen unseren Gesprächen , und so kurze Zeit Du auch entfernt bist , so dünkt es mich doch schon recht lange .
Ich kann mich immer noch nicht in dem Hause ohne Dich schicken und fügen , alles ist mir zu leer und doch zu enge , ich kann nicht sagen , ob sich das wieder ändern wird .
Als ich von Dir an jenem schönen und traurigen Morgen durch die Kornfelder zurückging , als ich alle die Stellen wieder betrat wo ich mit Dir gegangen war , und der Stadt mich nun immer mehr näherte ; o Franz ! ich kann es Dir nicht sagen , was da mein Herz empfand .
Es war mir alles im Leben taub und ohne Reiz , und ich hätte vorher niemals geglaubt , daß ich Dich so liebhaben könnte .
Wie wollte ich jetzt mit den Stunden geizen , die ich sonst unbesehen und ungenossen verschwendete , wenn ich nur mit Dir wieder sein könnte !
Alles was ich in die Hände nehme erinnert mich an Dich , und meine Palette , meine Pinsel , alles macht mich wehmütig .
Als ich wieder in die Stadt hineinkam , als ich die gewohnten Treppen unseres Hauses hinauf stieg , und da wieder alles liegen und stehen sah , wie ich es am frühen Morgen verlassen hatte , konnte ich mich der Tränen nicht enthalten , ob ich gleich sonst nie so weich gewesen bin .
Halte mich nicht für härter oder vernünftiger , lieber Franz , wie Du es nennen magst , denn ich bin es nicht , wenn sich auch bei mir mein Gefühl anders äußert als bei Dir .
Ich war den ganzen Tag verdrießlich , ich maulte mit jedermann ; was ich tat war mir nicht recht , ich wünschte Staffelei , und das Porträt , das ich vor mir hatte , weit von mir weg , denn mir gelang kein Zug , und ich spürte auch nicht die mindeste Lust zum Malen .
Meister Dürer war selbst an diesem Tage ernster als gewöhnlich , alles war im Hause still , und wir fühlten es , daß mit Deiner Abreise eine andere Epoche unseres Lebens anfing .
Dein Schmied hat uns besucht ; er ist ein lieber Bursche , wir haben viel über ihn gelacht , uns aber auch recht an ihm erfreut .
Unermüdet hat er uns einen ganzen Tag lang zugesehn , er wunderte sich darüber , daß das Malen so langsam von der Stelle gehe .
Er setzte sich nachher selber nieder und zeichnete ein paar Verzierungen nach , die ihm ziemlich gut gerieten ; es gereut ihn jetzt , daß er das Schmiedehandwerk erlernt , und sich nicht lieber so wie wir auf die Malerei gelegt hat .
Meister Dürer meint , daß viel aus ihm werden könnte , wenn er noch anfinge ; und er selber ist halb und halb dazu entschlossen .
Er hat Nürnberg schon wieder verlassen ; von Dir hat er viel gesprochen und Dich recht gelobt .
Daß Du Dich von Deinen Empfindungen so regieren und zernichten lässt , tut mir sehr weh , Deine Überspannungen rauben Dir Kräfte und Entschluß , und wenn ich es Dir sagen darf , Du suchst sie gewissermaßen .
Doch mußt Du darüber nicht zornig werden , jeder Mensch ist einmal anders eingerichtet als der andere .
Aber strebe danach , etwas härter zu sein , und Du wirst ein viel ruhigeres Leben führen , wenigstens ein Leben , in welchem Du weit mehr arbeiten kannst , als in dem Strom dieser wechselnden Empfindungen , die Dich notwendig stören und von allem abhalten müssen .
Lebe recht wohl , und schreibe mir ja recht fleißig , damit wir uns einander nicht fremde werden , wie es sonst gar zu leicht geschieht .
Teile mir alles mit was Du denkst und fühlst , und sei überzeugt , daß in mir beständig ein mitempfindendes Herz schlägt , das jeden Ton des Deinigen beantwortet .
Ach !
wie lange wird es währen , bis wir uns wiedersehen !
Wie traurig wird mir jedesmal die Stunde vorkommen , in welcher ich mit Lebhaftigkeit an Dich denke , und die schreckliche leere Nichtigkeit der Trennung so recht im Innersten fühle .
Es ist um unser menschliches Leben eine dürftige Sache , so wenig Glanz und so viele Schatten , so viele Erdfarben , die durchaus keinen Firnis vertragen wollen .
Lebe wohl .
Gott sei mit Dir .
- Der Brief des wackeren Albert Dürer lautete also : Mein lieber Schüler und Freund !
Es hat Gott gefallen , daß wir nun nicht mehr nebeneinander leben sollen , ob mich gleich kein Zwischenraum gänzlich von Dir wird trennen können .
So wie die Abwechselungen des Lebens gehen , so ist es nun unter uns dahin gekommen , daß wir nur aneinander denken , aneinander schreiben können .
Ich habe Dir alle meine Liebe , alle meine herzlichsten Wünsche mit auf den Weg gegeben , und der allmächtige Gott leite jeden Deiner Schritte .
Bleibe ihm und der Redlichkeit treu , und Du wirst mit Freuden dieses Leben überstehn können , in welchem uns mancherlei Leiden suchen irrezumachen .
Es freut mich , daß Du der Kunst so fleißig gedenkst , und zwar Vertrauen , aber kein übermütiges zu Dir selber hast .
Das Zagen , das Dich oft überfällt , kommt einem in der Jugend wohl , und ist viel eher ein gutes als ein schlimmes Zeichen .
Es ist immer etwas Wunderbares darinnen , daß wir Maler nicht so recht unter die übrigen Menschen hineingehören , daß unser Treiben und unsere Geschäftigkeit die Welthandel und ihre Ereignisse so um gar nichts aus der Stelle rückt , wie es doch bei den übrigen Handwerken der Fall ist ; das befällt uns sehr oft in der Einsamkeit oder unter kunstlosen Menschen , und dann möchte uns schier aller Mut verlassen .
Ein einziges gutes Wort , das wir plötzlich hören , ist aber auch wieder imstande , alle schaffende und wirkende Kraft in uns zurückzuliefern , und Gottes Segen obendrein , so daß wir dann mit Großherzigkeit wieder an unsere Arbeit gehen mögen .
Ach Lieber !
die ganze menschliche Geschäftigkeit läuft im Grunde so auf gar nichts hinaus , daß wir nicht einmal sagen können : dieser Mensch ist unnütz , jener aber nützlich .
Es ist die Erde zum Glück so eingerichtet , daß wir alle darauf Platz finden mögen , groß und klein , Vornehme und Geringe .
Mir ist es in meinen jüngeren Jahren oft ebenso wie Dir ergangen , aber die guten Stunden kommen doch immer wieder .
Wärst Du ohne Anlage und Talent , so würdest Du diese Leere in Deinem Herzen niemals empfinden .
Mein Weib läßt Dich grüßen .
Bleibe nur immer der Wahrheit treu , das ist die Hauptsache .
Deine fromme Empfindung , so schön sie ist , kann Dich zu weit leiten , wenn Du Dich nicht von der Vernunft regieren lässt .
Nicht eigentlich zu weit ; denn man kann gewiß und wahrlich nicht zu fromm und andächtig sein , sondern ich meine nur , Du dürftest endlich etwas Falsches in Dein Herz aufnehmen , das Dich selber hinterginge , und so unvermerkt ein Mangel an wahrer Frömmigkeit entstehen .
Doch sage ich dieses gar nicht , um Dich zu tadeln , sondern es geschieht nur , weil ich an manchen sonst guten Menschen dergleichen bemerkt habe , wenn sie an Gott und die Unsterblichkeit mit zu großer Rührung , und nicht mit froher Erhebung der Seele gedacht haben , mit weichherziger Zerknirschung und nicht mit erhabener Mutigkeit , so sind sie am Ende in einen Zustand von Weichlichkeit verfallen , in welchem sie die tröstende wahre Andacht verlassen hat , und sie sich und ihrem Kleinsinn überlassen blieben .
Doch wie ich sage , es gilt nicht Dir , denn Du bist zu gut , zu herzlich , als daß Du je darin verfallen könntest , und weil Du große Gedanken hegst , und mit warmer brünstiger Seele die Bibel liest und die heiligen Geschichten , so wirst Du auch gewißlich ein guter Maler werden , und ich werde noch einst stolz auf Dich sein .
Suche recht viel zu sehen , und betrachte alle Kunstsachen genau und wohl , dadurch wirst Du Dich endlich gewöhnen mit Sicherheit selbst zu arbeiten und zu erfinden , wenn Du an allen das Vortreffliche erkennst , und auch dasjenige , was einen Tadel zulassen dürfte .
Dein Freund Sebastian ist ein ganz melancholischer Mensch geworden , seit Du von uns gereist bist ; ich denke , es soll sich wohl wieder geben , wenn erst einige Wochen verstrichen sind .
Gehabe Dich wohl , und denke unserer fleißig . - -
Durch Franzens Geist ergoß sich Heiterkeit und Stärke , er fühlte wieder seinen Mut und seine Kraft .
Albrechts Stimme berührte ihn wie die Hand einer stärkenden Gottheit , und er spürte in allen Adern seinen Gehalt und sein künftiges arbeitreiches Leben .
Wie wenn man oft alte längst vergessene Bücher wieder aufschlägt , und in ihnen Belehrungen oder unerwarteten Trost im Leiden antrifft , so kamen vergangene Zeiten mit ihren Gedanken in seine Seele zurück , alte Entwürfe , die ihm von neuem gefielen .
" Ja " , sagte er , indem er die Briefe zusammenfaltete , und sorgfältig in seine Schreibtafel legte , " es soll schon mit mir werden , weiß ich doch , daß mein Meister was von mir hält ; warum will ich denn verzagen ? "
Es war am folgenden Tage , an welchem das Erntefest gefeiert werden sollte .
Franz hatte nun keinen Widerwillen mehr gegen das frohe aufgeregte Menschengetümmel , er suchte die Freude auf , und war darum auch bei dem Feste zugegen .
Er erinnerte sich einiger guten Kupferstiche von Albrecht Dürer , auf denen tanzende Bauern dargestellt waren , und die ihm sonst überaus gefallen hatten ; er suchte nun beim Klange der Flöten diese possierlichen Gestalten wieder , und fand sie auch wirklich ; er hatte hier Gelegenheit , zu bemerken , welche Natur Albrecht auch in diese Zeichnungen zu legen gewußt hatte .
Der Tag des Festes war ein schöner warmer Tag , an dem alle Stürme und rauhen Winde von freundlichen Engeln zurückgehalten wurden .
Die Töne der Flöten und Hörner gingen wie eine liebliche Schar ruhig und ungestört durch die sanfte Luft hin .
Die Freude auf der Wiese war allgemein , hier sah man tanzende Paare , dort scherzte und neckte sich ein junger Bauer mit seiner Liebsten , dort schwatzten die Alten und erinnerten sich ihrer Jugend .
Die Gebüsche standen still und waren frisch grün und überaus anmutig , in der Ferne lagen krause Hügel mit Obstbäumen bekränzt .
" Wie " , sagte Franz zu sich , " sucht ihr Schüler und Meister immer nach Gemälden , und wißt niemals recht , wo ihr sie suchen müßt ?
Warum fällt es keinem ein , sich mit seiner Staffelei unter einen solchen unbefangenen Haufen niederzusetzen , und uns auch einmal diese Natur ganz wie sie ist darzustellen ?
Keine abgerissene Fragmente aus der alten Historie und Göttergeschichte , die so oft weder Schmerz noch Freude in uns erregen , keine kalte Figuren aus der Legende , die uns oft gar nicht ansprechen , weil der Maler die heiligen Männer nicht selber vor sich sah , und er ohne Begeisterung arbeitete .
Diese Gestalten , wörtlich so und ohne Abänderung niedergeschrieben , damit wir lernen , welche Schöne , welche Erquickung in der einfachen Natürlichkeit verborgen liegt .
Warum schweift ihr immer in der weiten Ferne , und in einer staubbedeckten unkenntlichen Vorzeit herum , uns zu ergötzen ?
Ist die Erde , wie sie jetzt ist , keiner Darstellung mehr wert , und könnt ihr die Vorwelt malen , wenn ihr gleich noch so sehr wollt ?
Und wenn ihr größere Geister nun auch hohe Ehrfurcht in unser Herz hineinbannt , wenn eure Werke uns mit ernster feierlicher Stimme anreden : warum sollen nicht auch einmal die Strahlen einer weltlichen Freude aus einem Gemälde herausbrechen ?
Warum soll ich in einer freien herzlichen Stunde nicht auch einmal Bäuerlein , und ihre Spiele und Ergötzungen lieben ?
Dort werden wir beim Anblick der Bilder älter und klüger , hier kindischer und fröhlicher . "
So stritt Franz mit sich selber , und unterhielt seinen Geist mit seiner Kunst , wenn er gleich nicht arbeitete .
Es konnte ihm überhaupt nicht leicht etwas begegnen , wobei er nicht an Malereien gedacht hätte , denn es war schon frühe Gewohnheit , seine Beschäftigung in allem was er in der Natur oder unter Menschen sah und hörte , wiederzufinden .
Alles gab ihm Antworten zurück , nirgend traf er eine Lücke , in der Einsamkeit sah ihm die Kunst zu , und in der Gesellschaft saß sie neben ihm , und er führte mit ihr stille Gespräche ; darüber kam es aber auch , daß er so manches in der Welt gar nicht bemerkte , was weit einfältigeren Gemütern ganz geläufig war , weshalb es auch geschah , daß ihn die beschränkten Leute leicht für unverständig oder albern hielten .
Dafür bemerkte er aber manches , das jedem anderen entging , und die Wahrheit und Feinheit seines Witzes setzte dann die Menschen oft in Erstaunen .
So war Franz Sternbald um diese Zeit , ich weiß nicht ob ich sagen soll ein erwachsenes Kind , oder ein kindischer Erwachsener .
O wohl dir , daß dir das Auge noch verhüllt ist über die Torheit und Armseligkeit der Menschen , daß du dir und deiner Liebe dich mit aller Unbefangenheit ergeben kannst !
Seliges Leben , wenn der Mensch nur noch in sich lebt , und die übrigen umher nicht in sein Inneres einzudringen vermögen und ihn dadurch beherrschen .
Es kommt bei den meisten eine Zeit , wo der Winter beständig in ihren Sommer hineinscheint , wo sie sich selbst vergessen , um es nur den anderen Menschen recht zu machen , wo sie ihrem Geiste keine Opfer mehr bringen , sondern ihr eigenes Herz als Opfer auf den Altar der weltlichen Eitelkeiten niederlegen .
Als es Abend geworden war und der rote Schimmer bebend an den Gebüschen hing , war seine Empfindung sanfter und schöner geworden .
Er wiederholte den Brief Dürers in seinen Gedanken , und zeichnete sich dabei die schönen Abendwolken in seinem Gedächtnisse ab .
Er hatte sich im Garten in eine Laube zu einem frischen Bauermädchen gesetzt , das schon seit lange viel und lebhaft mit ihm gesprochen hatte .
Jetzt lag das Abendrot auf ihren Wangen , er sah sie an , sie ihn , und er hätte sie gern geküßt , so schön kam sie ihm vor .
Sie fragte ihn , wann er zu reisen gedächte , und es war das erstemal , daß er ungern von seiner Reise sprach .
" Ist Italien weit von hier ? " fragte die unwissende Gertrud .
" O ja " , sagte Franz , " manche Stadt , manches Dorf , mancher Berg liegt zwischen uns und Italien .
Es wird noch lange währen , bis ich dort bin "
" Und Ihr müßt dahin ? " fragte Gertrud .
" Ich will und muß " , antwortete er ; " ich denke dort viel zu lernen für meine Malerkunst .
Manches alte Gebäude , manchen vortrefflichen Mann habe ich zu besuchen , manches zu tun und zu erfahren , ehe ich mich für einen Meister halten darf . "
" Aber Ihr kommt doch wieder ? "
" Ich denke " , sagte Franz , " aber es kann lange währen , und dann ist hier vielleicht alles anders , dann bin ich hier längst vergessen , meine Freunde und Verwandten sind vielleicht gestorben , die Burschen und Mädchen , die eben so fröhlich singen , sind dann wohl alt und haben Kinder .
Daß das Menschenleben so kurz ist , und daß in der Kürze dieses Lebens so viele und betrübte Verwandlungen mit uns vorgehen ! "
Gertrud wurde von ihren Eltern abgerufen und sie ging nach Hause , Franz blieb allein in der Laube .
" Freilich " , sagte er zu sich , " ist es etwas Schönes , ruhig nur sich zu leben , und recht früh das stille Land aufzusuchen , wo wir einheimisch sein wollen .
Wem die Ruhe gegönnt ist , der tut wohl daran ; mir ist es nicht so .
Ich muß erst älter werden , denn jetzt weiß ich selber noch nicht was ich will . "
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Franz hatte sich gleich bei seiner Ausreise vorgenommen , seinem Geburtsorte ein Gemälde von sich zum Angedenken zu hinterlassen .
Der Gedanke der Verkündigung der Geburt Christi lag ihm noch im Sinn , und er bildete ihn weiter aus und malte fleißig .
Aber bei der Arbeit fehlte ihm diese Seelenruhe , die er damals in seinem Briefe geschildert hatte , alles hatte ihn betäubt und die bildende Kraft erlag oft den Umständen .
Er fühlte es lebhaft wieder , wie es ganz etwas anders sei , in einer glücklichen Minute ein kühnes und edles Kunstwerk zu entwerfen , und es nachher mit unermüdeter Emsigkeit und dem nie ermattenden Reiz der Neuheit durchzuführen .
Mitten in der Arbeit verzweifelte er oft an ihrer Vollendung , er wollte es schon unbeendigt stehen lassen , als ihm Dürers Brief zur rechten Zeit Kraft und Erquickung schenkte .
Jetzt endigte er schneller , als er erwartet hatte .
Wir wollen hier dem Leser dieses Bild kürzlich beschreiben .
Ein dunkles Abendrot dämmerte auf den fernen Bergen , denn die Sonne war schon seit lange untergegangen , in dem bleichroten Scheine lagen alte und junge Hirten mit ihren Herden , dazwischen Frauen und Mädchen ; die Kinder spielten mit Lämmern .
In der Ferne gingen zwei Engel durch das hohe Korn , und erleuchteten mit ihrem Glanze die Landschaft .
Die Hirten sahen mit stiller Sehnsucht nach ihnen , die Kinder streckten die Hände nach den Engeln aus , das Angesicht des einen Mädchens stand völlig im rosenroten Schimmer , vom fernen Strahl der Himmlischen erleuchtet .
Ein junger Hirte hatte sich umgewendet , und sah mit verschränkten Armen und tiefsinnigem Gesichte der untergegangenen Sonne nach , als wenn mit ihr die Freude der Welt , der Glanz des Tages , die anmutigen und erquickenden Strahlen verschwunden wären ; ein alter Hirte faßte ihn beim Arm , um ihn umzudrehen und ihm die Freudigkeit zu zeigen , die von Morgenwerts herschritt .
Dadurch hatte Franz der untergegangenen Sonne gegenüber gleichsam eine neuaufgehende darstellen wollen , der alte Hirte sollte den jungen beruhigen und zu ihm sagen : " Selig sind die nunmehr sterben , denn sie werden in dem Herrn sterben ! "
Einen solchen zarten , trostreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Beschauer in das Gemälde zu bringen gesucht .
Er hatte es nun vollendet , und stand lange nachdenkend und still vor seinem Werke .
Er empfand eine wunderbare Beklemmung , die er an sich nicht gewohnt war , es ängstete ihn , von dem teuren Werke , an dem er mehrere Wochen mit so vieler Liebe gearbeitet hatte , Abschied zu nehmen .
Das glänzende Bild der ersten Begeisterung war während der Arbeit aus seiner Seele gänzlich hinweggelöscht , und er fühlte darüber eine trübe Leere in seinem Inneren , die er mit keinem neuen Entwurfe , mit keinem Bilde wieder ausfüllen konnte .
" Ist es nicht genug " , sagte er zu sich selber , " daß wir von unseren lebenden Freunden scheiden müssen ?
Müssen auch noch jene befreundeten Lichter in unserer Seele Abschied von uns nehmen ?
So gleicht unser Lebenslauf einem Spiele , in dem wir unaufhörlich verlieren , wo wir halb verrückt stets etwas Neues einsetzen , das uns kostbar ist , und niemals keinen Gewinn dafür austauschen .
Es ist seltsam , daß unser Geist uns treibt , die innere Entzückung durch das Werk unserer Hände zu offenbaren , und daß wir , wenn wir vollendet haben , in unserem Fleiß uns selbst nicht wiedererkennen . "
Das Malergeräte stand unordentlich um das Bild her , die Sonne schien glänzend auf den frisch aufgetragenen Firnis , er hörte das taktmäßige Klappen der Drescher in den Scheuern , in der Ferne das Vieh auf dem Anger brüllen , und die kleine Dorfglocke gab mit bescheidenen Schlägen die Zeit des Tages an ; alle Tätigkeit , alle menschliche Arbeit kam ihm in diesen Augenblicken so seltsam vor , daß er lächelnd die Hütte verließ , und wieder seinem geliebten Walde zueilte , um sich von der inneren Verwirrung zu erholen .
Im Walde legte er sich in das Gras nieder und sah über sich in den weiten Himmel , er überblickte seinen Lebenslauf und schämte sich , daß er noch so wenig getan habe .
Er betrachtete jedes Werk eines Künstlers als ein Monument , das er den schönsten Stunden seiner Existenz gewidmet habe ; um jedes wehen die himmlischen Geister , die dem bildenden Sinn die Entzückungen brachten , aus jeder Farbe , aus jedem Schatten sprechen sie hervor .
" Ich bin nun schon dreiundzwanzig Jahr alt " , rief er aus , " und noch ist von mir nichts geschehen , das der Rede würdig wäre ; ich fühle nur den Trieb in mir und meine Mutlosigkeit , der frische tätige Geist meines Lehrers ist mir nicht verliehen , mein Beginnen ist zaghaft , und alle meine Bildungen werden die Spur dieses zagenden Geistes tragen . "
Er kehrte zurück als es Abend war , und las seiner Pflegemutter einige fromme Gesänge aus einem alten Buche vor , das er in seiner Kindheit sehr geliebt hatte .
Die frommen Gedanken und Ahnungen redeten ihn wieder an wie damals , er betrachtete sinnend den runden Tisch mit allen seinen Furchen und Narben , die ihm so wohlbekannt waren , er fand die Figuren wieder , die er manchmal am Abend heimlich mit seinem Messer eingeritzt hatte , und er mußte über die ersten Versuche seiner Zeichenkunst lächeln .
" Mutter " , sagte er zu der alten Brigitte , " am künftigen Sonntage wird nun mein Gemälde in unserer Kirche aufgestellt , da müßt Ihr den Gottesdienst nicht versäumen . "
" Gewiß nicht , mein Sohn " , antwortete die Alte , " das neue Bild wird mir zu einer sonderlichen Erbauung dienen ; unser Altargemälde ist kaum mehr zu erkennen , das erweckt keine Rührung , wenn man es ansieht .
Aber sage mir , was wird am Ende aus solchen alten Bildern ? "
" Sie vergehen , liebe Mutter " , antwortete Franz seufzend , " wie alles übrige in der Welt .
Es wird eine Zeit kommen , wo man keine Spur mehr von den jetzigen großen Meistern antrifft , wo die unerbittliche , unkünstliche Hand der Zeit alle Denkmale ausgelöscht hat . "
" Das ist aber schlimm " , sagte Brigitte , " daß alle diese mühselige Arbeit so vergeblich ist ; so unterscheidet sich ja deine Kunst , wie du es nennst , von keinem anderen Gewerbe auf der Erde .
Der Mann , dessen Altarblatt nun abgenommen werden soll , hat sich gewiß auch recht gefreut , als seine Arbeit fertig war , er hat es auch gut damit gemeint ; und doch ist das alles umsonst , denn nun wird das vergessen , und er hat vergeblich gearbeitet . "
" So geht es mit aller unserer irdischen Tätigkeit " , antwortete Franz , " nichts als unsere Seele ist für die Unsterblichkeit geschaffen , unsere Gedanken an Gott sind das Höchste in uns , denn sie lernen sich schon in diesem Leben für die Ewigkeit ein , und folgen uns nach .
Sie sind das schönste Kunstwerk , das wir her vorbringen können , und sie sind unvergänglich . "
Am Sonntage ging Franz mit einigen Arbeitsleuten früh in die Kirche .
Das alte Bild wurde losgemacht ; Franz wischte den Staub davon ab und betrachtete es mit vieler Rührung .
Es stellte die Kreuzigung vor , und manche Figuren waren ganz verloschen , es war eins von denen Gemälden , die noch ohne Öl gearbeitet waren , die Köpfe zeigten sich hart , die Gewänder steif , und Zettel mit Sprüchen verbreiteten sich aus dem Munde der Personen .
Sternbald bemühte sich sehr , den Namen des Meisters zu entdecken , aber vergebens ; er sorgte dann dafür , daß das Bild nicht weggeworfen wurde , sondern er verschloß es selbst in einen Schrank der Kirche , damit auch künftig ein Kunstfreund dies alte Überbleibsel wiederfinden könne .
Jetzt war sein Gemälde befestigt , die Glocke fing zum ersten Male an , durch das ruhige Dorf zu läuten , Bauern und Bäuerinnen waren in ihren Stuben , und besorgten emsig ihren festlichen Anzug .
Man hörte keinen Arbeiter , ein schöner heiterer Tag glänzte über die Dächer , die alten Weiden standen ruhig am kleinen See , denn kein Wind rührte sich .
Franz ging auf der Wiese , die hinter dem Kirchhofe lag , hin und her , er zog die ruhige heitere Luft in sich , und stillentzückende Gedanken regierten seinen Geist .
Wenn er nach dem Walde sah , empfand er eine seltsame Beklemmung ; in manchen Augenblicken glaubte er , daß dieser Tag sehr merkwürdig für ihn sein würde ; dann verflog es aus seiner Seele wie eine ungewisse Ahnung , die zuweilen nächtlich um den Menschen wandelt , und beim Schein des Morgens schnell entflieht .
Es war jetzt nicht mehr sein Gemälde , was ihn beschäftigte , sondern etwas Fremdes , das er selbst nicht kannte .
So ist die Seele des Künstlers oft von wunderlichen Träumereien befangen , denn jeder Gegenstand der Natur , jede bewegte Blume , jede ziehende Wolke ist ihm eine Erinnerung , oder ein Wink in die Zukunft .
Heereszüge von Luftgestalten wandeln durch seinen Sinn hin und zurück , die bei den übrigen Menschen keinen Eingang antreffen : besonders ist der Geist des Dichters ein ewig bewegter Strom , dessen murmelnde Melodie in keinem Augenblicke schweigt , jeder Hauch rührt ihn an und läßt eine Spur zurück , jeder Lichtstrahl spiegelt sich ab , er bedarf der lästigen Materie am wenigsten , und hängt am meisten von sich selber ab , er darf in Mondschimmer und Abendröte seine Bilder kleiden , und aus unsichtbaren Harfen nie_gehörte Töne locken , auf denen Engel und zarte Geister herniedergleiten , und jeden Hörer als Bruder grüßen , ohne daß sich dieser oft aus dem himmlischen Gruße vernimmt und nach irdischen Geschäften greift , um nur wieder zu sich selber zu kommen .
In jenen beklemmten Zuständen des Künstlers liegt oft der Wink auf eine neue nie betretene Bahn , wenn er mit seinem Geiste dem Liede folgt , das aus ungekannter Ferne herübertönt .
Oft ist jene Ängstlichkeit ein Vorgefühl der unendlichen Mannigfaltigkeit der Kunst , wenn der Künstler glaubt , Leiden , Unglück oder Freuden zu ahnden .
Jetzt hatte die Glocke zum letzten Male geläutet , die Kirche war schon angefüllt , Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnlichen Platz eingenommen .
Franz stellte sich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelspiel und der Gesang hob an ; die Kirchtür ihm gegenüber war offen , und das Gesäusel der Bäume tönte herein .
Franz war in Andacht verloren , der Gesang zog wie mit Wogen durch die Kirche , die ernsten Töne der Orgel schwollen majestätisch herauf , und sprachen wie ein melodischer Sturmwind auf die Hörer herab ; aller Augen waren während des Gesanges nach dem neuen Bilde gerichtet .
Franz sah auch hin und erstaunte über die Schönheit und rührende Bedeutsamkeit seiner Figuren , sie waren nicht mehr die seinigen , sondern er empfand eine Ehrfurcht , einen andächtigen Schauer vor dem Gemälde .
Es schien , als wenn sich unter den Orgeltönen die Farbengebilde bewegten und sprächen und mitsängen , als wenn die fernen Engel näher kämen , und jeden Zweifel , jede Bangigkeit mit ihren Strahlen aus dem Gemüte hinwegleuchteten , er empfand eine unaussprechliche Wonne in dem Gedanken ein Christ zu sein .
Von dem Bilde glitt dann sein Blick nach dem grünen Kirchhofe vor der Türe hin , und es war ihm , als wenn Baum und Gesträuch außerhalb auch mit Frömmigkeit beteten , und unter der umarmenden Andacht ruhten .
Aus den Gräbern schienen leise Stimmen der Abgeschiedenen herauszusingen , und mit Geistersprache den ernsten Orgeltönen nachzueilen ; die Bäume jenseits des Kirchhofs standen betrübt und einsam da , und hoben ihre Zweige wie gefaltete Hände empor , und freundlich legten sich durch die Fenster die Sonnenstrahlen weit in die Kirche hinein .
Die unförmlichen steinernen Bilder an der Mauer waren nicht mehr stumm , die fliegenden Kinder , mit denen die Orgel verziert war , schienen in lieber Unschuld auf ihrer Leier zu spielen , um den Herrn , den Schöpfer der Welt zu loben .
Sternbalds Gemüt wurde mit unaussprechlicher Seligkeit angefüllt , er empfand zum ersten Male den harmonischen Einklang aller seiner Kräfte und Gefühle , ihn ergriff und beschirmte der Geist , der die Welt regiert und in Ordnung hält , er gestand es sich deutlich , wie die Andacht der höchste und reinste Kunstgenuß sei , dessen unsere menschliche Seele nur in ihren schönsten und erhabensten Stunden fähig ist .
Die ganze Welt , die mannigfaltigsten Begebenheiten , Unglück und Glück , das Niedere und Hohe , alles schien ihm in diesen Augenblicken zusammenzufließen , und sich selbst nach einem kunstmäßigen Ebenmaße zu ordnen .
Tränen flossen ihm aus den Augen , und er war mit sich , mit der Welt , mit allem zufrieden .
Schon in Nürnberg war es oft für ihn eine Erquickung gewesen , sich aus dem Getümmel des Marktes und des verworrenen geräuschvollen Lebens in eine stille Kirche zu retten :
da hatte er oft gestanden , die Pfeiler und das erhabene Gewölbe betrachtet , und das Gewühl vergessen , er hatte es immer empfunden , wie diese heilige Einsamkeit auf jedes Gemüt gut wirken müsse , aber noch nie hatte er diese reine , erhabene Entzückung genossen .
Die Orgel schwieg , und man vernahm aus der Ferne über die Wiese her das Schnauben von Pferden und einen schnellrollenden Wagen .
Franz hob seine Augen auf ; in demselben Augenblick eilte das Fuhrwerk der Kirche vorüber , ein Rad fuhr ab , der Wagen stürzte , und zwei junge Mädchen und ein alter Mann waren im Begriff zu fallen , als Franz schon hinzugeeilt war und den Wagen hielt , indem der Fuhrmann die Pferde hemmte .
Die Schönste und , wie es schien , die Herrin der übrigen , lag in seinen Armen , ihr Kopf ruhte an seinem Gesicht , geringelte blonde Haare , die durch den plötzlichen Sturz sich unter einer reichen Goldhaube losgemacht hatten , waren wie ein glänzendes Netz um beide gespreitet , aus dem grünen Atlasmantel wogte nahe an ihm ein blendend weißer Busen in heftiger Bewegung des Erschreckens .
Endlich erhob sie das durchdringlich blaue Auge und dankte ihm lächelnd .
Alle stiegen ab , und Franz war geschäftig , die Fremden zu bedienen , indessen der Fuhrmann seinen Wagen wieder einrichtete .
Die schöne Fremde betrachtete unseren Freund aufmerksam , er schien mehr erschrocken als sie , er bat sie mir gerührtem Ton , sich zu erholen .
Er wußte nicht , was er sagen sollte ; die blauen Augen des Mädchens begegneten ihm und er errötete , der alte Mann sprach mit der Dienerin .
Die Fremde lehnte sich auf seinen Arm , wie ermüdet , und so traten sie in die Kirche ein ; sie ließ sich auf ein Knie nieder und bekreuzte sich , nach dem Altar gewendet , sehr andächtig , was der Gemeine auffiel , dann erhob sie sich und sagte : " Welch ein herrliches , rührendes Altarbild ! "
" Ja wohl " , sagte Franz , außer sich vor Entzücken , und sie fuhr fort : " Gewiß von Dürer , oder einem seiner Schüler , herrliche Werke haben die Deutschen hervorgebracht . "
Franz verstummte und zitterte .
Indes war der Wagen wieder instand gesetzt , sie schritten wieder aus der Kirche , und Franz ängstete sich , daß sie nun wieder abreisen würde ; noch gingen sie unter den duftenden Bäumen auf und ab , und der Gesang scholl ihnen aus der Kirche entgegen .
Nun stiegen die Fremden wieder auf , der junge Maler fühlte sein Herz heftig schlagen , die holde Gestalt dankte ihm noch einmal , und nun flog der Wagen fort .
Er sah ihnen nach , so weit er konnte ; jetzt nahten sie einem fernen Gebüsche , der Wagen verschwand , er war wie betäubt .
Als er wieder zu sich erwachte , sah er im Grase , wo er gestanden hatte , eine kleine zierliche Brieftasche liegen .
Er nahm sie schnell auf und entfernte sich damit ; es war kein Zweifel , daß sie der Fremden gehören müsse .
Es war unmöglich , dem Wagen nachzueilen , er hatte auch nicht gefragt , wohin sie sich wenden wolle , und ebensowenig wußte er den Namen der Reisenden .
Alles dies beunruhigte ihn erst jetzt , als er die Brieftasche in seinen Händen hielt .
Er mußte sie behalten , und wie teuer war sie ihm !
Er wagte es nicht , sie zu eröffnen , sondern eilte mit ihr seinem geliebten Walde zu ; hier setzte er sich auf dem Platze nieder , der ihm so heilig war , hier machte er sie mit zitternden Händen auf , und das erste , was ihm in die Augen fiel , war ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen .
Er blickte um sich her , er besann sich , ob es ein Traum sein könne , er konnte sich nicht zurückhalten , er küßte die Blumen und weinte heftig : innerlich ertönte der Gesang des Waldhorns , den er in der Kindheit gehört hatte .
Auf einem Blättchen stand geschrieben :
" Diese Blümchen erhielt ich von dem schönsten und freundlichsten Knaben , als ich sechs Jahr alt , meine erste Reise über Mergentheim machte . "
" So bist du es gewesen , mein Genius , mein schützender Engel ! " rief er aus .
" Du bist mir wieder vorüber gegangen , und ich kann mich nicht finden , ich kann mich nicht zufriedengeben .
Auf diesem Platze hier sind diese Blumen gewachsen , schon vierzehn Sommer sind indessen über die Erde gegangen , und auf diesem Platze halte ich nach so langer Zeit das teure Geschenk wieder in meinen Händen .
Du warst es , Botin des Himmels , für die ich mein erstes Bild aufgestellt habe , dein Auge mußte es erleuchten , deinen Wohlgefallen hat es erregt , und du hast dein Knie in frommer Herzensdemut davor geneigt .
O wann werde ich dich wiedersehen ?
Kann es Zufall sein , daß du mir wieder begegnet bist ? "
Es gibt Stunden , in denen das Leben einen gewaltsamen , schnellen Anlauf nimmt , wo die Blüten plötzlich aufbrechen und alles sich in und um den Menschen verändert .
Dieser Tag war für Sternbald ein solcher ; er konnte sich gar nicht wieder erholen , er wünschte nichts und dürstete doch nach den wunderbarsten Begebenheiten , er sah über seine Zukunft wie über ein glänzendes Blumenfeld hin , und doch genügte ihm keine Freude , er war unzufrieden mit allem , was da kommen konnte , und doch fühlte er sich so überselig .
Außerdem enthielt das Taschenbuch nichts , woraus er den Namen oder den Aufenthalt der wunderbaren Fremden , mit der er doch so vertraut zu sein wähnte , hätte erfahren können .
Auf der einen Seite stand : " zu Antwerpen ein schönes Bild von Lukas von Leiden gesehen . " und dicht darunter :
" ebendaselbst , ein unbeschreibliches schönes Kruzifix vom großen Albert Dürer .
" Er küßte das Blatt zu wiederholten Malen , er konnte heute seine Empfindungen durchaus nicht bemeistern .
Es war ihm zu seltsam und zu erfreulich , daß die Engelsgestalt , die er so fernab im Traume seiner Kindheit gesehen hatte , seinen Dürer verehrte , den er so genau kannte , dessen Freund er war , daß sie ihn durch ihr Lob seines ersten Gemäldes zum Künstler geweiht hatte .
Sein Schicksal schien ein wunderbarer Einklang von Gesängen , er konnte nicht genug darüber sinnen , ja er konnte an diesem Tage vor Entzücken nicht müde werden .
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Franz hatte seinem Sebastian diese Begebenheiten geschrieben , die ihm so merkwürdig waren ; es war nun die Zeit verflossen , die er seinem Aufenthalte in seinem Geburtsorte gewidmet hatte , und er besuchte nur noch einmal die Plätze , die ihm in seiner Kindheit so bekannt geworden waren :
dann nahm er Abschied von seiner Mutter .
Er war wieder auf dem Wege , und nach einiger Zeit schrieb er seinem Freunde noch einen zweiten Brief :
Liebster Bruder !
Manchmal frage ich mich selbst mit der größten Ungewißheit , was aus mir werden soll .
Bin ich nicht plötzlich ohne mein Zutun in ein recht seltsames Labyrinth verwickelt ?
Meine Eltern sind mir genommen und ich weiß nicht , wem ich angehöre , meine Freunde habe ich verlassen , jenen glänzenden Engel habe ich nur wie ein vorbeifliegendes Schimmerbild wahrgenommen .
Warum treten mir diese Verwicklungen in den Weg , und warum darf ich nicht wie die übrigen Menschen einen ganz einfachen Lebenswandel fortsetzen ? -
Ich glaube manchmal , und schäme mich dieses Gedankens , daß mir meine Kunst zu meinem Glücke nicht genügen dürfte , auch wenn ich endlich weiter und auf eine höhere Stufe gekommen sein sollte .
Ich sage nur Dir dieses im Vertrauen , mein liebster Sebastian , denn jeder andere würde mir antworten :
" Nun , warum legst Du nicht Palette und Pinsel weg , und suchst durch gewöhnliche Tätigkeit den Menschen nützlich zu werden und dein Brot zu erwerben ? "
Es kann sein , daß ich besser täte , aber alle dergleichen Gedanken fallen mir jetzt sehr zur Last .
Es ist etwas Trübseliges darin , daß das ganze große menschliche Leben mit allen seinen unendlich scheinenden Verwicklungen durch den armseligsten Mechanismus umgetrieben wird ; die kümmerliche Sorge für morgen setzt sie alle in Bewegung , und die meisten dünken sich noch was Rechts , wenn sie dieser Beweggrund in recht heftige Tätigkeit ängstigt .
Ich weiß nicht , wie Du diese Äußerungen ansehen wirst , ich fühle es selbst , wie notwendig der Fleiß dem Menschen ist , ebenso , wie man ihn mit Recht edel nennen kann .
Aber wenn alle Menschen Künstler wären , oder Kunst verständen , wenn sie das reine Gemüt nicht beflecken und im Gewühl des Lebens zerquälen dürften , so wären doch gewiß alle um vieles glücklicher .
Dann hätten sie die Freiheit und die Ruhe , die wahrhaftig die größte Seligkeit sind .
Wie beglückt müßte sich dann der Künstler fühlen , der die reinsten Empfindungen dieser Wesen darzustellen unternähme !
Dann würde es erst möglich sein , das Erhabene zu wagen , dann würde jener falsche Enthusiasmus , der sich an Kleinigkeiten und Spielwerk schließt , erst eine Bahn finden , auf der er eine herrliche Erscheinung wandeln dürfte .
Aber alle Menschen sind so gemartert , so von Mühseligkeiten , Neid , Eigennutz , Planen , Sorgen verfolgt , daß sie gar nicht das Herz haben , die Kunst und Poesie , den Himmel und die Natur als etwas Göttliches anzusehen .
In ihre Brust kommt selbst die Andacht nur mit Erdensorgen vermischt , und indem sie glauben klüger und besser zu werden , vertauschen sie nur eine Jämmerlichkeit mit der anderen .
Du siehst , ich führe noch immer meine alten Klagen , und ich habe vielleicht sehr Unrecht .
Ich sehe wohl alles anders an , wenn ich älter werde , aber ich wünsche es nicht .
Ach Sebastian , ich habe manchmal eine unaussprechliche Furcht vor mir selber ; ich empfinde meine Beschränktheit , und doch kann ich es nicht wünschen , diese Gefühle zu verlieren , die so mit meiner Seele verwebt scheinen , daß sie vielleicht mein eigentliches Selbst ausmachen .
Wenn ich daran denke , daß ich mich ändern könnte , so ist mir ebenso als wenn Du sterben solltest .
- Wenn ich nur wenigstens mehr Stolz und Festigkeit hätte !
Denn ich muß doch vorwärts , und kann nicht immer ein weichherziges Kind bleiben , wenn ich auch wollte .
Ich glaube fast , daß der Geist am leichtesten untersinkt und verlorengeht , der sich zu blöde und bescheiden betrachtet :
man muß mit kaltem Vertrauen zum Altar der Göttin treten , und dreist eine von ihren Gaben fordern , sonst drängt sich der Unwürdige vor , und trägt über den Besseren den Sieg davon .
Ich möchte manchmal darüber lachen , daß ich alles in der Welt so ernsthaft betrachte , daß ich so viel sinne , wenn es doch nicht anders sein kann , und mit Schwingen der Seele das zu ereilen trachte , wonach andere nur die Hand ausstrecken .
Denn wohin führt mich meine Liebe , meine Verehrung der Künstler und ihrer Werke ?
Viele große Meister haben sich gewiß recht kaltblütig vor die Staffelei gesetzt , so wie auch gewöhnlich unser Albrecht arbeitet , und dann dem Werke seinen Lauf gelassen , überzeugt , daß es so werden müsse , wie es ihnen gut dünkt .
Meine Wanderung bringt oft sonderbare Stimmungen in mir hervor .
Jetzt bin ich in einem Dorfe und sehe den Nebel auf den fernen Bergen liegen , matte Schimmer bewegen sich im Dunste und Wald und Berg tritt aus dem Schleier oft plötzlich hervor .
Ich sehe Wanderer zu Fuß und zu Pferde ihre Straße forteilen , und ferne Türme und Städte sind das Ziel , wonach sie in mannigfaltiger Richtung streben .
Ich befinde mich mit unter diesem Haufen , und die übrigen wissen nichts von mir , sie gehen mir vorüber und ich kenne sie nicht , jeder unsichtbare Geist wird von einem anderen Interesse beherrscht , und jeder beneidet und bemitleidet auf Geratewohl den anderen .
Ich denke mir alle die mannigfaltigen Wege , durch Wälder , über Berge , an Strömen vorüber : wie jeder Reisende sich umsieht und in des anderen Heimat sich in der Fremde fühlt , wie jeder umherschaut und nach dem Bruder seiner Seele sucht , und so wenige ihn finden , und immer wieder durch Wälder und Städte , bergüber , an Strömen vorbei , weiterreisen , und ihn immer nicht finden .
Viele suchen schon gar nicht mehr , und diese sind die Unglücklichsten , denn sie haben die Kunst zu leben verlernt , da das Leben nur darin besteht , immer wieder zu hoffen , immer zu suchen ; der Augenblick , wenn wir dies aufgeben , sollte der Augenblick unseres Todes sein .
So ist es auch vielleicht , und jene wahrhaft Elenden müssen dann an der Zeit hinsterben , und wissen und empfinden nicht , woran sie das Leben verlieren .
Ich will daher immer suchen und erwarten , ich will meine Entzückung und Verehrung der Herrlichkeit in meinem Busen aufbewahren , weil dieser schöne Wahnsinn das schönste Leben ist .
Der Vernünftige wird mich immer als einen Berauschten betrachten , und mancher wird mir vielleicht furchtsam oder auch verachtend aus dem Wege gehen . - Welche Gegend ihr Blick wohl jetzt durchwandert !
Ich schaue nach Osten und Westen , um sie zu entdecken , und ängstige mich ab , daß sie vielleicht in meiner Nähe ist , ohne daß ich es erfahren kann .
Nur einmal sehen , nur einmal sprechen möchte ich sie noch , ich kann mein Verlangen danach nicht mit Worten ausdrücken , und doch wüßte ich nicht was ich ihr sagen sollte , wenn ich sie plötzlich wiederfände .
Ich kann es nicht sagen , was meine Empfindung ist , und ich weiß nicht , ob Du nicht Deinen Freund belächelst .
Aber Du bist zu gut , um über mich zu spotten ; auch bin ich zu ehrlich gegen Dich .
Wenn ich an die reizenden Züge denke , an diese heilige Unschuld ihrer Augen , diese zarten Wangen - wenigstens möchte ich ein Gemälde , ein treues , einfaches der jetzigen Gestalt besitzen .
Tod und Trennung sind es nicht allein , die wir zu bejammern haben ; sollte man nicht jeden dieser süßen Züge , jede dieser sanften Linien beweinen , die die Zeit nach und nach vertilgt ?
Der ungeschickte Künstler , der durch beständiges Nachmalen sein Bild verdirbt , das er erst so schön ausgearbeitet hatte .
Ich sehe sie vielleicht nach vielen , vielen Jahren wieder , vielleicht auch nie .
Es gibt ein Lied eines alten Sängers , ich schreibe Dir es auf : Wohlauf und gehe in den vielgrünen Wald , Da steht der rote frische Morgen , Entlade dich der bangen Sorgen , Und singe ein Lied , das fröhlich durch die Zweige schallt !
Es blitzt und funkelt Sonnenschein Wohl in das grüne Gebüsch hinein , Und munter zwitschern die Vögelein . - -
Ach nein !
ich gehe nimmer zum vielgrünen Wald , Das Lied der süßen Nachtigall schallt , Und Tränen , Und Sehnen Bewegen die bange , die strebende Brust , Im Walde , im Walde wohnt mir keine Lust , Denn Sonnenschein , Und hüpfende Vögelein , Sind mir Marter und Pein !
Einst fand ich den Frühling im grünenden Tal , Da blühten und dufteten Rosen zumal , Durch Waldesgrüne Erschiene Im Eichenforst wild Ein süßes Gebilde :
Da blitzte Sonnenschein , Es sangen Vögelein Und riefen die Geliebte mein .
Sie ging mit Frühling Hand in Hand , Die Weste küßten ihr Gewand , Zu Füßen Die süßen Viol und Primeln hingekniet Indem sie still vorüberzieht , Da gingen ihr die Töne nach , Da wurden alle Stimmen wach , Da girrte Nachtigall noch zärtlicher ihr Ach !
Mich traf ihr wundersüßer Blick :
Woher ?
Wohin du goldenes Glück ?
Die Schöne , Die Töne , Die rauschenden Bäume , Wie goldene Träume !
Ist dies noch der Eichengrund ?
Grüßt mich dieser rote Mund ?
Bin ich tot , bin ich gesund ?
Da schwanden mir die alten Sorgen , Und neue kehrten bei mir ein , Ich traf die Maid an jedem Morgen Und schöner grünte stets der Hain :
Liebe , wie süße Deine Küsse !
Glänzend schönste Zier , Wohne stets bei mir , Im vielgrünen Walde hier ! -
Ich ging hinaus im Morgenlicht , Da kam die süße Liebe nicht ; Vom Baume hernieder Schrie Rabe seine heiseren Lieder :
Da weint und klagt ich laut , Doch nimmer kam die Braut - Und Morgenschein , Und Vögelein Nur Angst und Pein !
Ich suchte sie auf und ab , über Berge , tälerwärts , Ich sah manche fremde Ströme fließen , Aber ach !
mein liebend banges Herz Nimmer fand es die Gegenwart der Süßen :
Einsam blieb der Wald , Da kam der Winter kalt ; Vöglein , Sonnenschein Flohen aus dem Walde mein . -
Ach ! schon viele Sommer stiegen nieder , Oftmals kam der Zug der Vögel wieder , Oft hat sich der Wald in Grün gekleidet , Niemals kam zurück die süße Maid .
Zeit !
Zeit !
Warum trägst du so grausamen Neid ?
Ach !
sie kommt vielleicht auf fremden Wegen Ungekannter Weiß mir bald entgegen , Aber Jugend ist von mir gewichen , Ihre schönen Wangen sind erblichen , Kommt sie auch hinab zum Eichengrund Kenne ich sie nicht mehr am roten Mund :
O Leide !
Fremde sind wir uns beide !
Keiner kennt den anderen Im Wandern !
Wer Jüngling ist der wandle munter Den Wald hinunter , Wohl mag_es , daß ihm Treulieb entgegenziehet , Dann blühet Aus allen Knospen Frühling auf ihn ein :
- Doch niemals treffe ich die verlorene Jugend mein , Darum ist mir Sonnenschein , Die Nachtigall im Hain Nur Qual und Pein !
Ach !
Vielleicht ist für mich auch einst der vielgrüne Wald so abgestorben !
Oft möchte ich alles in Gedichten niederschreiben , und ich fühle es jetzt , wie die Dichter entstanden sind .
Du vermagst das Wesen , was Dein innerstes Herz bewegt nicht anders auszusprechen .
Ich habe endlich einen neuen Kupferstich von unserem Albert gesehen , den er seit meiner Abwesenheit gemacht hat .
Du wirst ihn kennen , es ist der lesende Einsiedler .
Wie ich da wieder unter euch war !
Denn ich kannte die Stube , den Tisch und die runden Scheiben gleich wieder , die Dürer auf diesem Bilde von seiner eigenen Wohnung abgeschrieben hat .
Wie oft habe ich die runden Scheiben betrachtet , die der Sonnenschein an der Täfelung oder an der Decke zeichnete ; der teure Hieronymus sitzt an Dürers Tisch .
Es ist schön , daß unser Meister in seiner frommen Vorliebe für das , was ihn so nahe umgibt , der Nachwelt ein Konterfei von seinem Zimmer gegeben hat , wo alles so bedeutend ist , und jeder Zug Andacht und Einsamkeit ausdrückt .
Ich gehe auf meinem Wege oft in die kleinen Kapellen hinein , und verweile mich dabei , die Gemälde und Zeichnungen zu betrachten .
Ob es meine Unerfahrenheit , oder meine Vorliebe für das Altertum macht , ich sehe selten ein ganz schlechtes Bild ; ehe ich die Fehler entdecke , sehe ich immer die Vorzüge an jedem .
Ich habe gemeiniglich bei jungen Künstlern die entgegengesetzte Gemütsart gefunden , und sie wissen sich immer recht viel mit ihrem Tadel .
Ich habe oft eine fromme Ehrfurcht vor unseren treuherzigen Vorfahren , die zuweilen recht schöne und erhabene Gedanken mit so wenigen Umständen ausgedrückt haben .
Ich will meinen Brief schließen .
Möge der Himmel Dich und meinen teuren Albert gesund erhalten !
Dieser Brief dürfte seinem ernsten Sinne schwerlich gefallen .
Laß mich bald Nachrichten von Dir und von allen Bekannten hören .
In die Ferne geht die Liebe Ungekannt durch Nacht und Schatten ; Ach ! wozu daß ich hier bliebe Auf den vaterländischen Matten ?
Wie mit süßen Flötenstimmen Rufen alle goldenen Sterne :
" Weit muß manche Woge schwimmen , Deine Liebe ist in der Ferne , Jenes Bild vor dem du knietest , Dich ihm ganz zu eigen gabst , Ihm mit allen Sinnen glühtest , An dem Schatten dich erlabst -
Was dein Geist als Zukunft dachte , Dein Entzücken Kunst genannt , Was als Morgenrot dir lachte , Oft sich wieder abgewandt , Sie nur ist es !
Dein Verzagen Hat sie fort von dir gescheucht , Willst du es nur männlich wagen , Wird das Ziel noch einst erreicht , Alle Ketten sind gesprungen Und befreit ist dann dein Geist , Jeder Knechtschaft kühn entschwungen Fühlst du dich nicht mehr verwaist , Rückwärts flieht das zage Bangen , Muse reicht dir dann die Hand , Und führt sicher dein Verlangen In der Götter Himmelsland ! "
- -
Ja , wer darf mit Kunst und Liebe Von den Sterblichen sich messen ?
In dem schönvermählten Triebe Wird der Himmel selbst besessen !
Diese ungeschickten Zeilen habe ich gestern in einem angenehmen Walde gedichtet ; meine ganze Seele war darauf hinge wandte , und ich bin nicht errötet , sie Dir , Sebastian , niederzuschreiben :
denn warum sollte ich Dir einen Gedanken meiner Seele verheimlichen ? -
Lebe wohl . -
Zweites Buch Erstes Kapitel Erstes Kapitel Franz Sternbald war über Aschaffenburg und dem alten Mainz den schönen Rhein hinunter nach den Niederlanden gereist .
Allenthalben hatte er die Denkmale deutscher und niederländischer Kunst aufgesucht und mit Teilnahme und Bewunderung betrachtet .
Vor allen war er erstaunt über die alten Werke des Johann van Eyck , der schon vor langer Zeit die Kunst in Öl zu malen erfunden und verbreitet hatte , dann zogen ihn die gleichzeitigen Meister an , wie die Werke des Lukas von Leiden , Engelbrecht und Johann von Mabuse .
Er fühlte in allen die Verwandtschaft zu Dürers Kunstweise , obgleich sich ihm viele Betrachtungen über die Art aufdrängten , wie jeder Künstler den Gegenstand , den menschlichen Körper oder die Natur betrachtete .
Es war gegen Mittag , als er auf dem freien Felde unter einem mächtigen Baume saß , und die große Stadt Leiden betrachtete die vor ihm lag .
Er war an diesem Tage schon sehr früh ausgewandert , um sie noch zeitig zu erreichen ; jetzt ruhte er aus , die Sonne des Spätherbstes schien warm , er betrachtete das Bild der Stadt nachsinnend , die sich mit ihren Türmen vor ihm verbreitete .
Er hielt seine Schreibtafel in der Hand , und neben ihm im Grase lag die fremde gefundene .
Er hatte den Umriß eines Kopfes entworfen , den er eben wieder ausstrich , weil er keine Ähnlichkeit hervorbringen konnte ; es sollte das Gesicht der Fremden vorstellen , welche wachend und träumend seine Phantasie beschäftigte .
Er rief sich jeden Umstand , jedes Wort , das sie gesprochen hatte , in die Gedanken zurück , er sah alle die lieblichen Mienen , den süßlächelnden Mund , die unaussprechliche Anmut jeder Bewegung , alles zog wieder durch sein Gedächtnis , und er fühlte sich darüber so entfremdet , so entfernt von ihr , so auf ewig geschieden , daß ihm der helle Tag , das funkelnde Gras , die klaren Wasser trübselig und melancholisch wurden , ihm blühten und dufteten nur die wenigen verwelkten Blumen , die er mit süßer Zärtlichkeit betrachtete ; dann lehnte er sich an den Stamm des Baums , der mit seinen Zweigen und Blättern über ihm lispelte , als wenn er ihm Trost zusprechen möchte , als wenn er ihm dunkle Prophezeiungen von der Zukunft sagen wollte .
Franz hörte aufmerksam hin , als wenn er die Töne verstände ; denn die Natur scheint uns mit ihren Klängen zwar in einer fremden Sprache anzureden , aber wir ahnden doch die Bedeutsamkeit ihrer Worte , und merken gern auf ihre wunderbaren Akzente .
Er hörte auf zu zeichnen , da ihm keiner seiner Striche Ausdruck und Würde genug hatte , er betrachtete wieder die Türme der Stadt , auf deren Schieferdächern die Sonne hell glänzte .
" So werde ich jetzt deine Straßen betreten " , sagte er zu sich selber , " so werde ich den berühmten Lukas sehen dürfen , von dem mir Albrecht Dürer mit so vieler Liebe gesprochen hat , der schon als Kind ein Künstler war , dessen Namen man schon in seinem sechzehnten Jahre kannte .
Ich werde ihn sprechen hören und von ihm lernen , ich werde seine neuesten Werke sehen , ich werde ihm sagen können , wie ich ihn bewundre ! "
Bald über das Bildnis der Fremden , bald über Gemälde sinnend , indes in der feierlichen Stille des Mittags die Bäume nur zuweilen rauschten , überraschte ihn in der Ermüdung der heutigen starken Tagereise ein süßer Schlummer .
Ein ferner Bach murmelte ihm mit einförmig wiederkehrendem Plätschern ein Schlaflied .
Er hörte alles noch leise in seinen Schlummer hinein , und ihm dünkte , als wenn er über eine Wiese ginge , auf welcher fremde Blumen standen , die er bis dahin noch niemals gesehen hatte .
Unter den Blumen waren auch die Feldblumen gewachsen , die er bei sich trug , aber sie waren nun wieder frisch geworden , und verdunkelten an Farbe und Glanz alle übrigen .
Franz betrachtete sie mit Gram , so schön sie auch waren , er wollte sie wieder pflücken , als er am Ende der Wiese , in einer Laube sitzend , seinen Lehrer Albert Dürer wahrnahm , der nach ihm hinsah und ihm zu winken schien .
Er ging schnell hinzu , und als er näher kam , bemerkte er deutlich , daß Albrecht emsig an einem Gemälde arbeitete : es war der Kopf der Fremden , das Gesicht war zum Sprechen ähnlich .
Franz wußte nicht , was er dem Meister sagen sollte , seine Augen waren auf das Gemälde hingeheftet , und es war ihm , als wenn es über seine Verlegenheit und Aufmerksamkeit mit süßer Schalkheit zu lächeln anfinge .
Indem er noch darüber sann , war er in einem dunklen Walde und alles übrige verschwunden ; liebliche Stimmen riefen seinen Namen , aber er konnte sich aus dem Gebüsche nicht herausfinden , der Wald wurde immer grüner und dunkler , doch Sebastians Stimme und der Ton der Fremden wurden immer deutlicher , sie riefen ihn ängstlich , als wenn irgendeine Gefahr ihm bevorstände .
Da überfiel ihn Grauen , und die dichten Bäume und Gebüsche umher erschienen ihm entsetzlich , er zagte weiterzugehn , er wünschte , das helle freie Feld wieder anzutreffen .
Plötzlich war es Mondschein .
Wie vom holden Schimmer erregt , klang von allen silbernen Wipfeln ein süßes Getöne nieder ; da war alle Furcht verschwunden : der Wald brannte sanft im schönsten Glanze , und Nachtigallen wurden wach und flogen dicht an ihm vorüber , dann sangen sie mit süßer Kehle , und blieben immer im Takte mit der Musik des Mondscheins .
Franz fühlte sein Herz geöffnet , als er in einer Klause im Felsen einen Waldbruder wahrnahm , der andächtig die Augen zum Himmel aufhob und die Hände faltete .
Franz trat näher :
" Hörst du nicht die liebliche Orgel der Natur spielen ? " sagte der Einsiedel , " bete , so wie ich . "
Franz war von dem Anblicke hingerissen , aber er sah nun Tafel und Palette vor sich und malte unbemerkt den Eremiten , seine Andacht , den Wald mit seinem Mondschimmer , ja es gelang ihm sogar , und er konnte nicht begreifen wie , die Töne der Nachtigall in sein Gemälde hineinzubringen .
Er hatte noch nie eine solche Freude empfunden , und er nahm sich vor , wenn das Bild fertig sei , sogleich damit zu Dürer zurückzureisen , damit dieser es sehen und beurteilen möge .
Aber im Augenblicke verließ ihn die Lust , weiterzumalen , die Farben erloschen unter seinen Fingern , ein Frost überfiel ihn , und er wünschte den Wald zu verlassen .
Franz erwachte mit einer unangenehmen Empfindung ; es war einer der letzten warmen Tage im Herbst gewesen , jetzt ging die Sonne in dunkelroten Wolken hinter der Stadt unter , und ein kalter Herbstwind strich über die Wiese .
Er schüttelte sich in fieberhafter Stimmung , und sah mit einer gewissen Bangigkeit zum Himmel auf , denn ungeheure , kupferrote Wolken , von Violett und dunklem Blau durchzogen , glänzten hinter der untergegangenen Sonne .
Im blutigen Widerschein wollte ihm die Stadt selbst , die im Mittagsglanze so anlockend vor ihm lag , wie eine furchtbare klippenvolle Einöde bedünken .
Er schritt vorwärts und hatte das Gefühl , als ob ein großes Unglück seiner wartete .
Plötzlich stand er mit einem lauten Ausruf erschreckend still .
Er vermißte die fremde Brieftasche und erinnerte sich deutlich , daß er sie im Grase zurückgelassen haben müsse .
Zitternd eilte er zurück .
Konnte er sie auch wiederentdecken ?
Mochte nicht ein fremder Wanderer , ein Arbeiter auf dem Felde den glänzenden Fund indessen schon aufgerafft haben ?
Er kam dem großen Baume näher , vor Anstrengung zu sehen war er geblendet , wie ein wilder Zauberwald erschien ihm das demütige Gras , das neidisch seinen Schatz verborgen hielt .
Da leuchtete ihm die goldene Einfassung wie mit Lächeln entgegen , er bückte sich und kniete nieder , und drückte das liebe Büchelchen an Mund , Herz und Augen .
War es ihm doch , als hätte er die holdselige unbekannte Gestalt selbst wieder getroffen , der Wunderglaube seiner Liebe hielt dieses Wiederfinden für eine glückliche Vorbedeutung , daß auch die schöne Besitzerin ihm nicht auf immer verborgen bleiben werde .
Er ging nach der Stadt .
Das Gedränge am Tore war groß , denn jedermann eilte nun aus den Feldern und von den benachbarten Dörfern zur Stadt zurück , er beobachtete die mannigfaltigen Gesichter : der Mond stand am hellen Himmel , und schien auf die Dächer der Kirchen und auf die freien Plätze ; endlich kehrte er in eine Herberge ein .
Franz fühlte sich müde und ging bald zur Ruhe , aber er konnte lange nicht einschlafen .
Die Scheibe des Mondes stand seinem Kammerfenster gerade gegenüber , er betrachtete ihn mit sehnsüchtigen Augen , er suchte auf dem glänzenden Runde und in den Flecken Berge und Wälder , wunderbare Schlösser und zauberische Gärten voll fremder Blumen und duftender Bäume ; er glaubte Seen mit glänzenden Schwänen und ziehenden Schiffen wahrzunehmen , einen Kahn , der ihn und die Geliebte trug , und umher reizende Meerweiber , die auf krummen Muscheln Lieder bliesen und Wasserblumen in die Barke hineinreichten .
" Ach ! dort ! dort ! " rief er aus , " ist vielleicht die Heimat aller Sehnsucht , aller Wünsche :
darum fällt auch wohl so süße Schwermut , so sanftes Entzücken auf uns herab , wenn das stille Licht voll und golden den Himmel heraufschwebt , und seinen silbernen Glanz auf uns herniedergießt .
Ja , er erwartet uns , er bereitet uns unser Glück , und darum sein wehmütiges Herunterblicken , daß wir noch in dieser Dämmerung der Erde verharren müssen . "
Er verschloß sein Auge , um zu träumen ; da erschien ihm die Fremde mit allen ihren Reizen , sie winkte ihm , und vor ihm lag ein schöner dunkler Lindengang , welcher blühte und den süßesten Duft verbreitete .
Sie ging hinein , er folgte ihr schüchtern , er gab ihr die Blumen zurück , und erzählte ihr wer er sei .
Da umfing sie ihn mit ihren zarten Armen , da kam der Mond mit seinem Glanze näher , und schien ihnen beiden hell ins Angesicht , sie gestanden sich ihre Liebe , sie waren unaussprechlich glücklich .
- Diesen Traum setzte Franz fort , die frühsten Erinnerungen aus seinen Kinderjahren kamen zurück , alle schönen Empfindungen , die er einst gekannt hatte , zogen wieder an ihm vorüber und begrüßten ihn .
So ist der Schlaf oft ein Ausruhen in einer schöneren Welt ; wenn die Seele sich von diesem Schauplatz hinwegwendet , so eilt sie nach jenem unbekannten magischen , auf welchem liebliche Lichter spielen und kein Leiden erscheinen darf : dann dehnt der Geist seine großen Flügel auseinander , und fühlt seine himmlische Freiheit , die Unbegrenztheit , die ihn nirgend beengt und quält .
Beim Erwachen sehen wir oft zu voreilig mit Verachtung auf dieses schönere Dasein hin , weil wir unsere Träume nicht in unser Tagesleben hineinweben können , weil sie nicht da fortfahren , wo unsere Menschentätigkeit am Abend aufhörte , sondern ihre eigene Bahn wandelten .
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Am Morgen erkundigte sich Franz nach der Wohnung des berühmten Lukas von Leiden .
Man bezeichnete ihm die Straße und das Haus , und er ging mit hochschlagendem Herzen hin .
Er wurde in eine ansehnliche Wohnung geführt , eine Magd sagte ihm , daß der Herr sich schon in seiner Malerstube befinde und arbeite .
Franz bat , daß man ihn hineinführen möchte .
Die Tür öffnete sich , und Franz sah einen kleinen , freundlichen , ziemlich jungen Mann vor einem Gemälde sitzen , an dem er fleißig arbeitete , um ihn her standen und hingen vielerlei Schildereien , einige Farbenkasten , Zeichnungen und Anatomien , aber alles in der besten Ordnung .
Der Maler stand auf und ging Fransen entgegen , der Schüler war jetzt mit seinen Augen dem Gesicht des berühmten Meisters gegenüber , und vermochte in der ersten Verwirrung kein Wort hervorzubringen .
Endlich faßte er sich , nannte seinen Namen und den Namen seines Lehrers .
Lukas hieß ihn von Herzen willkommen , und beide setzten sich nun in der Werkstatt nieder , und Franz erzählte ganz kurz seine Reise , und sprach von einigen merkwürdigen Gemälden , die er unterwegs angetroffen hatte .
Er beschaute während dem Sprechen aufmerksam das Bild , an welchem Lukas eben arbeitete ; es war eine Heilige Familie , er traf darinnen vieles von einigen Dürerschen Arbeiten an , denselben Fleiß , dieselbe Genauigkeit im Ausmalen , nur schien ihm an Lukas' Bildern Dürers strenge Zeichnung zu fehlen , ihm dünkte , als wären die Umrisse weniger dreist und sicher gezogen ; dagegen hatte Lukas etwas Liebliches und Anmutiges in den Wendungen seiner Gestalten , ja auch in seiner Färbung , das dem Dürer mangelte .
Dem Geiste nach , glaubte er , müßten diese beiden großen Künstler sehr nahe verwandt sein , er sah hier dieselbe Einfalt in der Zusammensetzung , dieselbe Verschmähung unnützer Nebenwerke , die rührende und echt deutsche Behandlung der Gesichter und Leidenschaften , dasselbe Streben nach Wahrheit .
Lukas war in seinem Gespräche ein munterer , fröhlicher Mann , seine Augen waren sehr lebhaft , und seine schnell veränderlichen Mienen begleiteten und erklärten jedes seiner Worte .
Franz konnte ihn noch immer nicht genug betrachten , denn in seiner Einbildung hatte er ihn sich ganz anders gedacht , er hatte einen großen , starken , ernsthaften Mann erwartet , und nun sah er eine kleine , sehr behende , aber fast kränkliche Figur vor sich , und die Gebärden und Reden des Meisters trugen alle das Gepräge eines lustigen freien Gemütes .
" Es freut mich ungemein , Euch kennenzulernen " , rief Lukas mit seiner Lebhaftigkeit aus , " aber vor allen Dingen wünschte ich einmal Euren Meister zu sehen , ich wüßte nichts Erfreulicheres , das mir begegnen könnte , als wenn er so , wie Ihr heute tatet , in meine Werkstatt hereinträte ; ich bin auf keinen anderen Menschen in der Welt so neugierig , als auf ihn , denn ich halte ihn für den größten Künstler , den die Zeiten hervorgebracht haben .
Er ist wohl sehr fleißig ? "
" Er arbeitet fast immer " , antwortete Franz , " und er kennt auch kein größeres Vergnügen als seine Arbeit .
Seine Emsigkeit geht so weit , daß er dadurch sogar manchmal seiner Gesundheit Schaden tut . "
" Ich will es gern glauben " , antwortete Lukas , " es zeugen seine Kupferstiche von einer fast unbegreiflichen Sorgfalt , und doch hat er deren schon so viele ausgehen lassen !
Man kann nichts Sauberes sehen , als seine Arbeit , und doch leidet unter diesem Fleiße die Wahrheit und der Ausdruck seiner Darstellungen niemals , so daß seine Emsigkeit nicht bloß zufällige Zier , sondern Wesen und Sache selbst ist .
Und dann begreife ich kaum die mannigfaltigen Arten seiner Arbeiten , von den kleinsten und feinsten Gemälden bis zu den lebensgroßen Bildern , dann seine Kupferarbeiten , seine sauberen Figuren , die er auf Holz in erhabener Arbeit geschnitten , und die so leicht , so zierlich sind , daß man trotz ihrer Vollendung die Arbeit ganz daran vergißt , und gar nicht an die vielen mühseligen Stunden denkt , die der Künstler darüber zugebracht haben muß .
Wahrlich , Albert ist ein äußerst wunderbarer Mann , und ich halte den Schüler für sehr glücklich , dem es vergönnt ist , unter seinen Augen seine erste Laufbahn zu eröffnen . "
Franz war immer gerührt , wenn von seinem Lehrer die Rede war ; aber dies Lob , diese Verehrung seines Meisters aus dem Munde eines anderen großen Künstlers setzte sein Herz in die gewaltsamste Bewegung .
Er drückte Lukas' Hand und sagte mit Tränen : " Glaubt mir , Meister , ich habe mich vom ersten Tage glücklich geschätzt , da ich Dürers Haus betrat . "
" Es ist eine seltsame Sache mit dem Fleiße " , fuhr Lukas fort , " so treibt es auch mich Tag und Nacht zur Arbeit , so daß mich manchmal jede Stunde , ja jede Minute gereut , die ich nicht in dieser Stube zubringen darf .
Von Jugend auf ist es so mit mir gewesen , und ich habe auch nie an Spielen , Erzählungen , oder dergleichen zeitvertreibenden Dingen Gefallen gefunden .
Ein neues Bild liegt mir manchmal so sehr im Sinne , daß ich davor nicht schlafen kann .
Ich weiß mir auch keine größere Freude , als wenn ich nun endlich ein Gemälde , an dem ich lange arbeitete , zustande gebracht habe ; wenn nun alles fertig ist , was mir bis dahin nur in den Gedanken ruhte :
wenn man nun zugleich mit jedem Bilde merkt , wie die Hand geübter und dreister wird , wie nach und nach alles das von selbst sich einstellt , was man anfangs mit Mühe erringen und erkämpfen mußte , seht , das ist eine Lust , die andere Menschen vielleicht nur an Kindern , die wohlgeraten , oder gar an gelungenen Eroberungen genießen können .
O mein lieber Sternbald , ich könnte manchmal stundenlang davon schwatzen , wie ich nach und nach ein Maler geworden bin , und wie ich noch hoffe , mit jedem Tage weiterzukommen . "
" Ihr seid ein sehr glücklicher Mann " , antwortete Franz .
" Wohl dem Künstler , der sich seines Wertes bewußt ist , der mit Zuversicht an sein Werk gehen darf , und es schon gewohnt ist , daß ihm die Elemente gehorchen .
Ach , mein lieber Meister , ich kann es Euch nicht sagen , Ihr könnt es vielleicht kaum fassen , welchen Drang ich zu unserer edlen Kunst empfinde , wie es meinen Geist unaufhörlich antreibt , wie alles in der Welt , die seltsamsten und fremdesten Gegenstände sogar , nur von der Malerei zu mir sprechen ; aber je höher meine Begeisterung steigt , je tiefer sinkt auch mein Mut , wenn ich irgendeinmal an die Ausführung gehen will .
Es ist nicht , daß ich die Übung und den wiederholten Fleiß scheue , daß es ein Stolz in mir wäre , gleich das Vortrefflichste hervorzubringen , das keinen Tadel mehr zulassen dürfte , sondern es ist eine Angst , eine Scheu , ja ich möchte es wohl eine Anbetung nennen , beides der Kunst , wie des Gegenstandes , den ich darzustellen unternehme . "
" Ihr erlaubt mir wohl " , sagte Lukas , " indem wir sprechen , an meinem Bilde weiterzumalen . "
Und wirklich zog er auch die Staffelei herbei , und vermischte auf der Palette die Farben , die er auftragen wollte .
- " Wenn ich Euch mit meinem Geschwätze nur nicht störe " , sagte Franz , " denn diese Arbeit da ist äußerst kunstreich . "
- " Gar nicht " , sagte Lukas , " tut mir den Gefallen und fahrt fort . "
" Wenn ich mir also " , sagte Franz , " eine der Taten unseres Erlösers in ihrer ganzen Herrlichkeit denke , wenn ich die Apostel . die Verehrungswürdigen , die ihn umgaben , vor mir sehe , wenn ich mir die göttliche Milde vorstelle , mit der er lehrte und sprach ; wenn ich mir einen der heiligen Männer aus der ersten christlichen Kirche denke , die mit so kühnem Mute das Leben und seine Freuden verachteten , und alles hingaben , was den übrigen Menschen so viele Sehnsucht , so manche Wünsche ablockt , um nur das innerste Bekenntnis ihres Herzens , das Bewußtsein der großen Wahrheit sich zu behaupten und anderen mitzuteilen ; - wenn ich diese erhabenen Gestalten in ihrer himmlischen Glorie vor mir sehe , und nun noch bedenke , daß es einzelnen Auserwählten gegönnt ist , daß sich ihnen das volle Gefühl , daß sich ihnen jene Helden und der Sohn Gottes in eigentümlicheren Gestalten und Farben als den übrigen Menschen offenbaren , und daß sie durch das Werk ihrer Hände schwächeren Geistern diese Offenbarungen wieder mitteilen dürfen :
wenn ich mich dazu meiner Entzückungen vor herrlichen Gemälden erinnere , seht , so entschwindet mir meist aller Mut , so wage ich es nicht , mich jenen auserwählten Geistern zuzurechnen , und statt zu arbeiten , statt fleißig zu sein , verliere ich mich in ein leeres untätiges Staunen . "
" Ihr seid brav " , sagte Meister Lukas , ohne von seinem Bilde aufzusehen , " aber das wird sich fügen , daß Ihr auch Mut bekommt . "
" Schon mein Lehrer " , fuhr Franz fort , " hat mich deshalb getadelt , aber ich habe mir niemals helfen können , ich bin von Kindheit auf so gewesen .
Doch solange ich in Nürnberg lebte , in der Gegenwart des teuren Albrecht , bei meinem Freunde , und von alle dem bekannten Geräte umgeben , konnte ich mich doch immer noch etwas aufrecht erhalten .
Ich lernte mich aus Gewohnheit ein , den Pinsel zu führen , ich fühlte , wie ich nach und nach weiterkam , weil es immer derselbe Ort war , den ich wieder betrat , weil dieselben Menschen mich aufmunterten , und weil ich nun auf einer gebahnten Straße geradeaus ging , ohne mich weiter rechts oder links umzusehen .
Freilich durfte ich keine neue Erzählung hören , keinen neuen verständigen Mann kennenlernen , ohne etwas irre zu werden ; doch fand ich mich bald wieder zurecht .
Aber seit meiner Abreise aus Nürnberg hat sich alles das geändert .
Meine innerlichen Bilder vermehren sich bei jedem Schritte , jeder Baum , jede Landschaft , jeder Wandersmann , Aufgang der Sonne und Untergang , die Kirchen die ich besuche , jeder Gesang den ich höre , alles wirkt mit quälender und schöner Geschäftigkeit in meinem Busen , und bald möchte ich Begebenheiten in Landschaften , bald heilige Geschichten , bald einzelne Gestalten darstellen ; die Farben genügen mir nun nicht , die Abwechslung ist mir nicht mannigfaltig genug , ich fühle das Edle in den Werken anderer Meister , aber mein Gemüt ist nunmehr so verwirrt , daß ich mich durchaus nicht unterstehen darf , selber an die Arbeit zu gehen . "
Lukas hielt eine Weile mit Malen inne und betrachtete Sternbald sehr aufmerksam , der sich durch Reden erhitzt hatte , dann sagte er :
" Lieber Freund , ich glaube , daß Ihr so auf einem ganz unrechten Wege seid .
Ich kann mir Eure Verfassung wohl so ziemlich vorstellen , aber ich bin niemals in solcher Gemütsstimmung gewesen .
Von der frühsten Jugend habe ich einen heftigen Trieb in mir empfunden , zu bilden und ein Künstler zu sein ; aber von je an lag mir die Nachahmung klar im Sinne , daß ich nie zweifelhaft war oder zögerte , was aus einer Zeichnung werden sollte .
Schon während der Arbeit kam mir dann ein anderer Entwurf ganz deutlich in die Vorstellung , den ich ebenso schnell und ebenso unverzagt als den vorigen ausführte , und so sind meine zahlreichen Werke entstanden , ob ich gleich noch nicht alt bin . Euer Zagen , Eure zu große Verehrung des Gegenstandes ist , will mich dünken , etwas Unkünstlerisches ; denn wenn man ein Maler sein will , so muß man doch malen , man muß beginnen und endigen .
Eure Entzückungen könnt Ihr ja doch nicht auf die Tafel tragen .
Nach dem , was Ihr mir gesagt habt , müßt Ihr viele Anlagen zu einem Poeten haben , nur muß ein Dichter auch mit Ruhe arbeiten .
Ein Reisender hat mir kürzlich etwas Ähnliches von dem großen Meister Leonard von Vinci erzählt , dieser , obgleich ihm alle die geheimsten Tiefen und Hilfsmittel der Kunst zu Gebote standen , war auch oft unentschlossen und zaghaft , grübelte , verwarf und studierte von neuem : und ist es nicht zu beklagen , daß er , ungeachtet seiner Meisterschaft , ungeachtet seines langen Lebens , nur so wenige Werke zustande gebracht hat ?
Das wenige , was ich von ihm gesehen habe , hat mir den Wunsch abgelockt , daß er doch immer möchte gemalt haben .
- Erlaubt mir , daß ich Euch noch etwas sage :
Ich habe mich von jeher über die Künstler gewundert , die Wallfahrten nach Italien , wie nach einem gelobten Lande der Kunst anstellen , aber nach dem , was Ihr mir von Eurem Gemüt erzählt habt , muß ich mich billig über Euch noch mehr verwundern .
Warum wollt Ihr Eure Zeit also verderben ?
Mit Eurer Reizbarkeit wird Euch jeder neue Gegenstand , den Ihr erblickt , zerstreuen , die größere Mannigfaltigkeit wird Eure Kräfte noch mehr niederschlagen , sie werden alle verschiedene Richtungen suchen , und alle diese Richtungen werden für Euch nicht genügend sein .
Nicht , als ob ich die großen Künstler Italiens nicht schätzte und liebte , aber man mag sagen was man will , so hat doch jedes Land seine eigene Kunst , und es ist gut , daß es sie hat .
Ein Meister tritt dann in die Fußstapfen des anderen , und verbessert was bei ihm etwa noch mangelhaft war ; was dem ersten schwer war , wird dem zweiten und dritten leicht , und so wird die vaterländische Kunst endlich zur höchsten Vortrefflichkeit hingeführt .
Wir sind einmal keine Italiener und ein Italiener wird nimmermehr deutsch empfinden .
Darum soll man jedem Bilde gleich auf den ersten Blick ansehn können , wo es gewachsen ist ; man wird nur etwas , wenn man es ganz und nichts halb wird , und so haben die echten italischen Meister auch gedacht .
Wenn ich Euch also raten soll , so stellt lieber Eure Reise nach Italien ganz ein und bleibt im Vaterlande , denn was wollt Ihr dort ?
Meint Ihr , Ihr werdet die italischen Bilder mit einem anderen als einem deutschen Auge sehen können ? so wie auch kein Italiener die Kraft und Vortrefflichkeit Eures Albert Dürer jemals erkennen wird ; es sind widerstrebende Naturen , die sich niemals in denselben Mittelpunkt vereinigen können .
Wenn Ihr hingeht , so wird jedes neue Gemälde , jede neue Manier eine neue Lust in Euch erwecken , Ihr werdet in ewiger Abwechslung vielleicht arbeiten , aber Euch niemals üben , Ihr werdet kein Italiener werden und könnt doch kein Deutscher bleiben , Ihr werdet zwischen beiden streben , und die Mutlosigkeit und Verzagtheit wird Euch am Ende nur noch viel stärker als jetzt ergreifen .
Ihr findet meinen Ausspruch vielleicht hart , aber Ihr seid mir wert , und darum wünsche ich Euer Bestes .
Glaubt mir , jeder Künstler wird , was er werden kann , wenn er ruhig sich seinem eigenen Geiste überläßt , und dabei unermüdet fleißig ist .
Seht nur Euren Albert Dürer an ; ist er denn nicht ohne Italien geworden , was er ist ?
denn sein kurzer Aufenthalt in Venedig kann nicht in Rechnung gebracht werden : und denkt Ihr denn mehr zu leisten als er ?
Auch unsere besten Meister in den Niederlanden haben Italien nicht gesehen , sondern einheimische Natur und Kunst hat sie großgezogen ; manche mittelmäßige , die dort gewesen sind , haben eine fremde Manier nachahmen wollen , die ihnen nimmermehr gelingt , und als etwas Erzwungenes herauskommt , das ihnen nicht steht , und sich in unserer Gegend nicht ausnimmt .
Mein lieber Sternbald , wir sind gewiß nicht für die Bildsäulen , die man jetzt entdeckt hat und immer mehr entdeckt , und aus denen viele , die sich klug dünken , was Sonderliches machen wollen , diese Antiken verstehen wir nicht mehr , unser Fach ist die wahre nordische Natur ; je mehr wir diese erreichen , je wahrer und lieblicher wir diese ausdrücken , je mehr sind wir Künstler .
Und das Ziel , wonach wir streben , ist gewiß ebenso groß als der poetische Zweck , den sich die anderen vorgestellt haben . "
Franz war noch in seinem Leben nicht so niedergeschlagen gewesen .
Er glaubte es zu empfinden , wie er noch keine Verdienste habe : diese Verehrung der Kunst , diese Begier , Italien mit seinen Werken zu sehen , hatte er immer für sein einziges Verdienst gehalten , und nun vernichtete ein verehrungswürdiger Meister ihm auch dieses gänzlich .
Zum ersten Male erschien ihm sein ganzes Beginnen töricht und unnütz .
" Ihr mögt recht haben , Meister ! " rief er aus , " ich bin nun auch beinahe davon überzeugt , daß ich zum Künstler verdorben bin ; je mehr ich Eure Vortrefflichkeit fühle , um so stärker empfinde ich auch meinen Unwert , ich führe ein verlorenes Leben in mir , das sich an keine vernünftige Tätigkeit hinaufranken wird , ein unglückseliger Trieb ist mir eingehaucht , der nur dazu dient , mir alle Freuden zu verbittern , und mir aus den köstlichsten Gerichten dieses Lebens etwas Albernes und Nüchternes zuzubereiten . "
" Es ist nicht so gemeint " , sagte Lukas mit einem Lächeln , das seinem freundlichen Gesichte sehr gut stand ; " ich merke , daß alles bei Euch aus einem zu heftigen Charakter entspringt , und freilich , in so etwas kann sich der Mensch nicht ändern , wenn er es auch noch so sehr wollte .
Gebt Euch zufrieden , meine Worte sind immer nur die Worte eines einzelnen Mannes , und ich kann mich ebenso leicht irren als jeder andere . "
" Ihr seid nicht wie jeder andere " , sagte Franz mit der größten Lebhaftigkeit , " das fühle ich zu lebendig in meinem Herzen , Ihr solltet es nur einmal hören , mit welcher Verehrung mein Meister von Euch spricht ; Ihr solltet es nur wissen können , wie vortrefflich Ihr mir vorkommt , welch Gewicht bei mir jedes Eurer Worte hat .
Wie viele Künstler dürfen sich denn mit Euch messen ?
Wer auf solche Stimmen nicht hörte , verdiente gar nicht , Euch so gegenüberzusitzen , mit Euch zu sprechen , und diese Freundschaft und Güte zu erfahren . "
" Ihr seid jung " , sagte Lukas , " und Euer Wesen ist mir ungemein lieb , es gibt wenige solcher Menschen , die meisten betrachten die Kunst nur als ein Spielwerk , und uns als große Kinder , die albern genug bleiben , um sich mit derlei Possen zu beschäftigen . -
Aber laßt uns auf etwas anderes kommen , ich bin jetzt überdies müde zu malen .
Ich habe einen Kupferstich von Eurem Albert erhalten , der mir bisher noch unbekannt war .
Es ist der heilige Hubertus , der auf der Jagd einem Hirsche mit einem Kruzifixe zwischen dem Geweih begegnet , und sich bei diesem Anblicke bekehrt und seine Lebensweise ändert .
Seht hierher , es ist für mich ein merkwürdiges Blatt , nicht bloß der schönen Ausführung , sondern vorzüglich der Gedanken halber , die für mich darin liegen .
Die Gegend ist Wald , und Dürer hat einen hohen Standpunkt angenommen , weshalb ihn nur ein Unverständiger tadeln könnte , denn wenn auch ein dichter Wald , wo wir nur wenige große Bäume wahrnähmen , etwas natürlicher beim ersten Anblicke in die Augen fallen dürfte , so könnte doch das nimmermehr das Gefühl der völligen Einsamkeit so ausdrücken und darstellen , wie es hier geschieht , wo das Auge weit und breit alles übersieht , einzelne Hügel und lichte Waldgegenden , und oben in der Ferne die sonderbare Burg , mit ihrer auffallenden Bauart .
Es ist , als wenn die tote Natur hier das ganze menschliche Leben überschaute .
Ich glaube auch , daß manche Leute , die mehr guten Willen vernünftig zu sein als Verstand haben , den gewählten Gegenstand selbst als etwas Albernes tadeln dürften : ein Rittersmann , der vor einer unvernünftigen Bestie kniet .
Aber das ist es gerade , was mir so sehr daran gefällt .
Es ist etwas so Unschuldiges , Frommes und Liebliches darin , wie der Jagdmann hier kniet , und das Hirschlein mit seiner kindischen Physiognomie so unbefangen dreinsieht , im Kontrast mit der heiligen Ehrfurcht des Mannes ; dies erweckt ganz eigene Gedanken von Gottes Barmherzigkeit , von dem grausamen Vergnügen der Jagd , und dergleichen mehr .
Nun beobachtet einmal die Art , wie der Ritter niederkniet ; es ist die wahrste , frommste und rührendste : mancher hätte hier wohl seine Zierlichkeit gezeigt , wie er Beine und Arme verschiedentlich zu stellen wüßte , so daß er durch Annehmlichkeit der Figur sich gleichsam vor jedem entschuldige hätte , daß er ein so törichtes Bild zu seinem Gegenstande gemacht .
Denn manche zierliche Maler sind mir so vorgekommen , daß sie nicht sowohl verschiedentliche Bilder ausführen , als vielmehr nur die Gegenstände brauchen , um immer wieder ihre Verschränkungen und Niedlichkeiten zu zeigen ; diese putzen sich mit der edlen Malerkunst , statt daß sie ihr freies Spiel und eine eigene Bahn gönnen sollten .
So ist es nicht mit diesem Hubertus beschaffen .
Seine zusammengelegten Beine , auf denen er so ganz natürlich hinkniet , seine gleichförmig aufgehobenen Hände sind das Wahrste , was man sehen kann ; aber sie haben nicht die spielende Anmut , die manche der heutigen Welt über alles schätzen . "
Lukas wurde durch den Besuch von einigen Freunden unterbrochen , mit denen er und Franz sich zu Tische setzten .
Man lachte und erzählte viel , von der Malerei wurde nur wenig gesprochen .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Franz hielt sich längere Zeit in Leiden auf , als er sich vorgenommen hatte , denn Meister Lukas hatte ihm einige Konterfeie zu malen übergeben , die Franz zu dessen Zufriedenheit beendigte .
Beide hatten sich oft von der Kunst unterhalten , Franz liebte den Niederländer ungemein , aber doch konnte er in keiner Stunde das Vertrauen zu ihm fassen , das er zu seinem Lehrer hatte , er fühlte sich in seiner Gegenwart gedemütigt , seine freisten Gedanken waren gefesselt , selbst Lukas ' fröhliche Laune konnte ihn ängstigen , weil sie von der Art , wie er sich zu freuen pflegte , so gänzlich verschieden war .
Er kämpfte oft mit der Verehrung , die er vor dem niederländischen Meister empfand , denn er schien ihm in manchen Augenblicken nur ein Handwerker zu sein ; wenn er dann wieder den hurtigen erfinderischen Geist betrachtete , den nie rastenden Eifer , die Liebe zu allem Vortrefflichen , so schämte er sich dieses Gedankens .
Er hatte eine Reisegesellschaft gefunden , mit welcher er um ein Billiges nach Antwerpen kommen konnte , der folgende Tag war zur Abreise bestimmt , er ging jetzt zu Meister Lukas , um ihm zu danken und Abschied von ihm zu nehmen , und wie erstaunte er , als er die Tür der Malerstube öffnete , und seinen Lehrer , seinen über alles geliebten Dürer neben dem niederländischen Maler sitzen sah !
Erst schien es ihm nur ein Blendwerk seiner Augen zu sein , aber Dürer stand auf und schloß ihn herzlich in seine Arme .
Die drei Maler waren überaus fröhlich , sich zu sehen , Fragen und Antworten durchkreuzten sich , besonders hinderte der lebhafte Lukas auf alle Weise , daß das Gespräch nicht zu einer stillen Ruhe kam , denn er fing immer wieder von neuem an sich zu verwundern und zu freuen .
Er rieb die Hände und lief mit großer Geschäftigkeit hin und wider ; bald zeigte er dem Albert ein Bild , bald hatte er wieder eine Frage , worauf er die Antwort wissen wollte .
Franz bemerkte , wie gegen diese lebhafte Unruhe die Gelassenheit Alberts und seine stille Art sich zu freuen , schön kontrastierte .
Auch wenn sie nebeneinander standen , ergötzte sich Franz an der gänzlichen Verschiedenheit der beiden Künstler , die sich doch in ihren Werken so oft zu berühren schienen .
Dürer war groß und schlank , lieblich und majestätisch fielen seine lockige Haare um seine Schläfe und Schultern , sein Gesicht war ehrwürdig und doch freundlich , seine Mienen veränderten den Ausdruck nur langsam , und seine schönen braunen Augen sahen feurig aber sanft unter seiner edlen Stirn hervor .
Franz bemerkte deutlich , wie die Umrisse von Alberts Gesichte denen auffallend glichen , mit denen man oft den Erlöser der Welt zu malen pflegt .
Lukas erschien neben Albert noch kleiner , als er wirklich war , sein Gesicht veränderte sich in jedem Augenblicke , seine Augen waren mehr lebhaft als ausdrucksvoll , sein hellbraunes Haar lag schlicht und kurz um seinen Kopf .
Albert erzählte , wie er sich schon seit lange unpäßlich gefühlt und die weite Reise nach den Niederlanden nicht gescheut habe , um seine Gesundheit wiederherzustellen , vorzüglich hätten ihn seine Freunde , am meisten Pirckheimer , dazu gedrängt , weil sie alle , vielleicht übertrieben , um ihn besorgt gewesen : von Sebastian gab er unserem Franz einen Brief , der selber zwar nicht gefährlich aber doch so krank sei , daß er die Reise nicht habe unternehmen können , weil er sonst in dessen Begleitung würde gekommen sein .
" Euch , Meister Lukas " , so beschloß er , " zu sehen , war der vornehmste Bewegungsgrund meiner Reise , denn das habe ich mir schon lange gewünscht , ich weiß auch noch nicht , ob ich einen anderen Maler besuche , wenn der Wohnort mir aus dem Wege liegt , denn soviel ich sie kenne , ist mir nach dem berühmten Meister Lukas keiner merkwürdig . "
Lukas dankte ihm , und sprang wieder durch die Stube , voller Freude , den großen Maler Dürer bei sich zu haben .
Dann zeigte er ihm einige seiner neuesten Bilder und Albert lobte sie sehr verständig .
Dieser hatte einige neue Kupferstiche bei sich , die er dem Niederländer schenkte , und Lukas suchte zur Vergeltung auch ein Blatt hervor , das er dem Albrecht in die Hände gab .
" Seht " , sagte er , " dieses Blatt wird von einigen für meinen besten Kupferstich erklärt , es hat sich schon auch selten gemacht , es ist nämlich die Familie des Till Eulenspiegel , er als Knabe , die Eltern mit ihm , reitend und gehend :
ich habe das Werk mit besonderem Fleiße und Genauigkeit zu arbeiten gesucht .
Es wollen einige jetzt , die sich mit der Gelehrsamkeit befassen , das Buch von seinen Schwänken verachten , und es als den Sitten und der Zucht zuwider verdammen ; vielleicht möchte einiges darin besser mangeln können , aber ich muß gestehen , daß es mich im ganzen immer sehr ergötzt hat .
Die Schalkheit des Knechtes ist so eigen , viele seiner Streiche geben zu so manchen kuriosen Gedanken Veranlassung , daß ich mich ordentlich dazu angetrieben fühlte , seine erste Jugend in Kupfer zu bringen . "
" Ihr habt es auch wacker ausgerichtet " , sagte Albert Dürer lachend , " und ich danke Euch höchlich für Euer Geschenk . "
" Es verstehen wohl wenige Menschen " , fuhr Lukas fort , " sich an Tills Narrenstreichen so zu freuen , wie ich , weil sie es sogar mit dem Lachen ernsthaft nehmen ; anderen gefällt sein Buch wohl , aber es kommt ihnen als etwas Unedles vor , dies Bekenntnis abzulegen ; anderen fehlt es wieder an Übung , das Possierliche zu verstehen und zu fassen , weil man sich vielleicht ebenso daran gewöhnen muß , wie es nötig ist , viele Gemälde zu sehen , ehe man über eins ein richtiges Urteil fällen kann . "
" Ihr mögt sehr recht haben , Meister " , antwortete Dürer , " die meisten Leute sind wahrlich mit dem Ernsthaften und Lächerlichen gleich fremd .
Sie glauben immer , das Verständnis von beiden müsse ihnen von selbst , ohne ihr weiteres Zutun kommen .
Sie überlassen sich daher mit Roheit dem Augenblicke und ihrem damaligen Gefühl , und so tadeln und loben sie ohne Einsicht .
Ja sie gehen mit der Malerkunst so um , daß sie davon kosten , wie man wohl ein Gemüse oder eine Suppe zu kosten pflegt , ob die Magd zu viel oder zu wenig Salz darangetan habe , und dann sprechen sie das Urteil , ohne um die Kenntnisse , die dazu gehören , besorgt zu sein .
Ich muß immer noch lachen , sooft ich daran denke , daß es mir doch auch einmal auf ähnliche Weise erging .
Ohne etwas davon zu verstehen , und ohne die Anlagen von der Natur zu haben , fiel ich einmal darauf , ein Poet zu sein .
Ich dachte in meinem einfältigen Sinne , Verse müsse ja wohl jedermann machen können , und ich wunderte mich über mich selber , daß ich nicht schon früher auf die Dichtkunst verfallen sei .
Ich machte also ein zierlich großes Kupferblatt , und stach mühsam rundherum meine Verse mit Buchstaben ein :
sie sollten ein moralisches Gedicht vorstellen , und ich unterstand mich , der ganzen Welt darin gute Lehren zu geben .
Wie nun aber alles fertig war , siehe da , so war es erbärmlich geraten .
Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirckheimer habe ausstehen müssen , der mir lange nicht meine Verwegenheit vergessen konnte !
Er sagte immer zu mir :
» Schuster , bleibe bei deinen Leisten !
Albert , wenn du den Pinsel in der Hand hast , so kommst du mir als ein verständiger Mann vor , aber mit der Feder gebärdest du dich als ein Tor . « "
- " Ihr müßt Euch doch einige Zeit in Leiden aufhalten " , sagte Lukas , " denn ich möchte gar zu gern recht viel mit Euch sprechen , und über so viele Dinge Euer Urteil vernehmen , denn ich wüßte keinen Menschen auf der Welt , mit dem ich mich lieber unterredete , als mit Euch . "
" Ich bleibe gewiß wenigstens einige Tage " , antwortete Dürer ; " seit Franz von mir fortgezogen ist , habe ich mir diese Reise vorgesetzt , und alles Geld , was ich erübrigen konnte , dazu aufgespart . "
Unter diesen Gesprächen war die Mittagsstunde herangekommen ; eine junge hübsche Frau , die Gattin des Niederländers , trat herein , sie erinnerte ihren Mann mit freundlichem Gesichte , daß es Zeit sei zu essen , er möchte mit seinen Gästen in die Speisestube treten .
Man setzte sich zu Tisch .
Lukas hatte einen Freund aus der Stadt und dessen Frau eingeladen .
Der kleine behende Mann schien nun bei Tische erst recht an seinem Platze zu sein ; er wußte so gutmütig zum Essen und Trinken zu nötigen , daß keiner seine Einladung auszuschlagen imstande war ; dabei erwies er sich überaus artig gegen die Frauen .
Dürer war viel ernster und unbeholfener , die schöne junge Frau des Lukas setzte ihn eher in Verlegenheit , als daß sie ihn unterhalten hätte , seine Sitten waren ernst und deutsch , und wenn sich ihm nicht ein Scherz von selber darbot , so hielt er es für eine unnütze Mühe ihn aufzusuchen .
Franz war in einer heiligen Stimmung , es war ihm nicht möglich , seine Augen von seinem geliebten Lehrer abzuwenden , da es ihm beständig im Sinne lag , daß er morgen früh abreisen müsse .
" Ihr müßt mir erlauben " , rief Lukas fröhlich aus , " Meister Albrecht , ( verzeiht mir , daß ich so vertraut tue , Euch bei Eurem Taufnamen zu nennen ) daß ich Euer Konterfei abnehme , ehe Ihr von hier reiset , denn es liegt mir gar zu viel daran es zu besitzen , und ich will mir alle Mühe geben , es recht treu und fleißig zu malen . "
" Und ich will Euch malen " , sagte Albrecht , " mir ist gewiß Euer Gesicht ebenso lieb , damit ich es mit mir nach Nürnberg nehmen kann . "
" Wißt Ihr , wie wir es einrichten können ? " antwortete Lukas :
" Ihr malt Euer eigenes Bildnis und ich das meinige , und wir tauschen sie nachher gegeneinander aus , so besitzt noch jeder etwas von des anderen Arbeit . "
" Es mag sein " , sagte Dürer , " ich weiß mit meinem Kopfe ziemlich Bescheid , denn ich habe ihn schon etlichemal gemalt und gestochen , und man hat die Kopie immer ähnlich gefunden .
Worüber ich mich aber billig wundern muß " , fuhr er fort , " ist , daß Ihr , Meister Lukas , noch so jung seid , und daß Ihr doch schon so viele Kunstsachen in die Welt habt ausgehen lassen , und mit Recht einen so großen Namen habt ; denn noch scheint Ihr keine dreißig Jahr alt zu sein . "
Lukas sagte : " Ich bin auch noch nicht dreißig Jahr alt , sondern kaum neunundzwanzig .
Es ist wahr , ich habe fleißig gemalt , und fast ebensoviel in Kupfer gestochen als Ihr ; aber , mein lieber Albrecht , ich habe auch schon sehr früh angefangen ; Ihr wißt es vielleicht nicht , daß ich schon im neunten Jahre ein Kupferstecher war . "
" Im neunten Jahre ? " rief Franz Sternbald voll Verwunderung aus ; " ich glaubte immer , im sechzehnten hättet Ihr Euer erstes Werk begonnen , und das hat schon immer mein Erstaunen erregt . "
" Ich zeichnete schon Bilder und allerhand natürliche Sachen nach " , erzählte Lukas weiter , " als ich kaum sprechen konnte .
Die Sprache und der Ausdruck durch die Reißkohle schien mir natürlicher als die wirkliche .
Ich war unglaublich fleißig , und interessierte mich für gar nichts anders in der Welt , denn die übrigen Wissenschaften , so wie die Sprachen und dergleichen , waren mir völlig gleichgültig , ja es war mir verhaßt , meine Zeit mit solchem Unterrichte zuzubringen .
Wenn ich auch nicht zeichnete , so gab ich genau auf alle die Dinge acht , die mir vor die Augen kamen , um sie nachher nachahmen zu können .
Die größte Freude machte es mir , wenn meine Eltern oder andere Menschen die Personen wiedererkannten , die ich kopiert hatte .
Kein Spiel machte mir Vergnügen , andere Knaben waren mir zur Last und ich verachtete sie und ging ihnen aus dem Wege , weil mir ihr Beginnen zu kindisch vorkam ; sie verspotteten mich auch deshalb , und nannten mich den kleinen alten Mann .
Ich erkundigte mich , wie die Kupferstiche entständen , und einige eben nicht geschickte Leute machten mich mit der Kunst bekannt , soviel sie selbst begriffen hatten .
So machte ich im neunten Jahre mein erstes Bild , das ich öffentlich herausgab , und das vielen Leuten nicht mißfiel ; bald darauf taten mich meine Eltern auf mein inständiges Bitten zum Meister Engelbrecht in die Lehre , ich fuhr fort zu arbeiten , und im sechzehnten Jahre war ich schon einigermaßen bekannt , so daß meine Werke gesucht wurden . "
" Ihr seid ein wahres Wunderkind gewesen , Meister Lukas " , sagte Albert Dürer , " und auf die Art muß man freilich nicht erstaunen , wenn die Welt so viele Arbeiten von Euch gesehen hat . "
" Wenn ich jetzt vielleicht etwas bin " , sagte Lukas sehr lebhaft , " so habe ich es nur Euch zu verdanken .
Ihr wart mein Vorbild , Ihr gabt mir immer neues Feuer , wenn ich manchmal den Mut verlieren wollte , denn ich glaube , es gibt auch beim eifrigsten Künstler Stunden , in denen er durchaus nichts hervorbringen mag , wo er sich in sich selber ausruht , und ihm die Arbeit mit den Händen ordentlich widersteht ; dann hörte ich wieder von Euch , ich sah eins Eurer Kupferblätter , und der Fleiß kam mir mit frischer Anmut zurück .
Ich muß es gestehen , daß ich Euch meine meisten Erfindungen zu danken habe , denn ich weiß nicht wie es zugeht : einzelne Figuren oder Sachen stehen mir immer sehr klar vor den Augen , aber das Zusammenfügen , der wahre historische Zusammenhäng , der ein Bild erst fertig macht , will sich nie deutlich vor den Sinn hinstellen , bis ich dann ein anderes Blatt in die Hand nehme ; da fällt es mir dann ein , daß ich das auch darstellen , und hie und da wohl noch verbessern könnte ; aus dem Bilde , das ich vor mir sehe , entwickelt sich ein neues in meiner Seele , das mir dann nicht eher Ruhe läßt , als bis ich es fertig gemacht habe .
Am liebsten habe ich Eure Bilder nachgemacht , Albrecht ; weil sie alle einen ganz eigenen Sinn haben , den ich in anderen nicht antreffe .
Ihr habt mich am meisten auf Gedanken geführt , und Ihr werdet es wissen , daß ich viele Bilder , die Ihr ausgearbeitet habt , auch darzustellen versucht habe .
Manchmal habe ich die Eitelkeit gehabt , ( Ihr verzeiht mir meinen freimütigen Stolz , auch seid Ihr selbst ein gerader , guter Mann ) Eure Vorstellung zu verbessern und dem Auge angenehmer zu machen . "
" Ich weiß es recht wohl " , sagte Albert mit der gutmütigsten Freundlichkeit , " und ich versichere Euch , ich habe viel von Euch gelernt .
Wie Ihr mit Eurem Körper behende und gewandter seid , so seid Ihr es auch mit dem Pinsel und Grabstichel .
Ihr wißt eine gewisse Anmut mir Wendungen und Stellungen der Körper in Eure Bilder zu bringen , die mir oft fehlt , so daß meine Zeichnungen gegen die Eurigen hart und rauh aussehen ; aber Ihr erlaubt mir auch zu sagen , daß es mir geschienen hat , als wärt Ihr ein paarmal unnötigerweise von der wahren Einfalt des Gegenstandes abgewichen .
So gedenke ich an ein paar Kupferstiche , wo vorne Leute mit großen Mänteln stehen , die dem Zuschauer den Rücken zuwenden , da sie uns wohl natürlicher das Angesicht hätten zukehren dürfen .
Hier habt Ihr nach meinem einfältigen Urteil nur etwas Neues anbringen und durch die großen Mantelfiguren die Kontrastierung mit den übrigen Personen im Bilde verstärken wollen ; aber es kommt doch etwas gezwungen heraus . "
" Ihr habt recht , Albert " , sagte Lukas , " ich sehe , Ihr seid ein schlauer Kopf , der mir meine Münzen wiederzugeben weiß .
Ich habe mich öfter darauf ertappt , daß ich ein Bild verdorben habe , wenn ich es habe besser machen wollen , als ich es auf Euren Platten gesehen hatte .
Denn man verliert gar zu leicht den ersten Gedanken aus den Augen , der doch sehr oft der wahrste und beste ist ; nun putzt man am Bilde herum und über lang oder kurz wird es ein Ding , das einen mit fremden Augen ansieht , und sich auf dem Papiere oder der Tafel selber nicht zu finden weiß .
Da seid Ihr glücklicher und besser daran , daß Euch die Erfindung immer zu Gebote steht ; denn so ist es Euch fast unmöglich , in einen solchen Fehler zu fallen . -
Wie macht Ihr es aber , Albrecht , daß Ihr so viele Gedanken , so viele Erfindungen in Eurem Kopfe habt ? "
" Ihr irrt Euch an mir " , sagte Albrecht , " wenn Ihr mich für so erfindungsreich haltet .
Nur wenige meiner Bilder sind aus dem bloßen Vorsatz entstanden , sondern es war immer eine zufällige Gelegenheit , die sie veranlaßte .
Wenn ich irgendein Gemälde loben , oder eine der heiligen Geschichten wieder erzählen höre , so regt sich es plötzlich in mir , daß ich ein ganz neues Gelüst empfinde , gerade das und nichts anderes darzustellen .
Das eigentliche Erfinden ist gewiß sehr selten , es ist eine eigene und wunderbare Gabe , etwas bis dahin Unerhörtes hervorzubringen .
Was uns erfunden scheint , ist gewöhnlich nur aus älteren schon vorhandenen Dingen zusammengesetzt , und dadurch wird es gewissermaßen neu ; ja der eigentliche erste Erfinder setzt seine Geschichte oder sein Gemälde doch auch nur zusammen , indem er teils seine Erfahrungen , teils was ihm dabei eingefallen , oder was er sich erinnert , gelesen , oder gehört hat , in eins faßt . "
" Ihr habt sehr recht " , sagte Lukas , " etwas im eigentlichsten Verstande aus der Luft zu greifen , wäre gewiß das Seltsamste , das dem Menschen begegnen könnte .
Es wäre eine ganz neue Art von Verrückung , denn selbst der Wahnsinnige erfindet seine Fieberträume nicht .
Die Natur ist also die einzige Erfinderin , sie leiht allen Künsten von ihrem großen Schatze ; wir ahmen immer nur die Natur nach , unsere Begeisterung , unser Ersinnen , unser Trachten nach dem Neuen und Vortrefflichen ist nur wie das Achtgeben eines Säuglings , der keine Bewegung seiner Mutter aus den Augen läßt . -
Wißt Ihr aber wohl , Albrecht , welchen Schluß man aus dieser Bemerkung ziehen könnte ?
Daß es also in den Sachen selbst , die der Poet oder Maler , oder irgendein Künstler darstellen wollte , durchaus nichts Unnatürliches geben könne , denn indem ich als Mensch auf den allertollsten Gedanken verfalle , ist er doch an sich natürlich und der Darstellung und Mitteilung fähig .
Von dem Felde des wahrhaft Unnatürlichen sind wir durch eine hohe Mauer geschieden , über die kein Blick von uns drin gen kann .
Wo wir also in irgendeinem Kunstwerk Unnatürlichkeiten , Albernheit , oder Unsinn wahrzunehmen glauben , die unsere gesunde Vernunft und unser Gefühl empören , da müßte dies immer nur daher rühren , daß die Sachen auf eine ungehörige und unvernünftige Art zusammengesetzt wären , daß Teile daruntergemengt sind , die nicht hineingehören , und die übrigen so verbunden , wie es nicht sein sollte .
So müßte also ein höherer Geist , als derjenige war , der es fehlerhaft gemacht hatte , aus allem Möglichen etwas Vortreffliches und Würdiges hervorbilden können . "
Dürer nickte mit dem Kopfe Beifall , und wollte eben das Gespräch fortsetzen , als Lukas' Frau ausrief : " Aber , lieben Leute , hört endlich mit euren gelehrten Gesprächen auf , von denen wir Weiber hier kein Wort verstehen .
Wir sitzen hier so ernsthaft wie in der Kirche , verspart alle eure Wissenschaften bis das Mittagsessen vorüber ist . "
- Sie schenkte hierauf einem jeden ein großes Glas Wein ein , und erkundigte sich bei Dürer , was er auf der Reise Neues gesehen und gehört habe .
Albrecht erzählte , und Franz Sternbald saß in tiefen Gedanken .
In den letzten Worten des Lukas schien ihm der Schlüssel , die Auflösung zu allen seinen Zweifeln zu liegen , nur konnte er den Gedanken nicht deutlich fassen ; er hatte von seinem Lehrmeister noch nie eine ähnliche Äußerung über die Kunst gehört , es schien ihm sogar , als wenn Dürer auf diesen Gedanken nicht so viel gebe , als er wert sei , daß er die Folgen nicht alle bemerke , die in ihm lägen .
Er konnte auf das jetzige Gespräch nicht achtgeben , vorzüglich da die Niederländerin anfing , sich nach allen Nürnberger Trachten der verschiedenen Stände zu erkundigen , und ihre Bemerkungen darüber zu machen .
Plötzlich sprang Lukas mit seiner Behendigkeit vom Tische auf , fiel seiner Frau um den Hals und rief aus :
" Mein liebstes Kind , du mußt es mir jetzt doch schon vergönnen , daß ich mit Meister Albrecht wieder etwas über die Malerei anfange , denn mir ist da eine Frage eingefallen .
Es wäre ja Sünde , wenn ich den Mann hier in meinem Hause hätte , und nicht alles vom Herzen lossprechen sollte . "
" Meinetwegen magst du es halten , wie du willst " , antwortete sie ; " aber was werden deine Gäste dazu sagen ? "
" Darüber seid ohne Sorgen " , sagte die fremde schöne Frau , " können wir beide doch miteinander sprechen , denn mein Mann ist heute bloß des berühmten Deutschen wegen hergekommen , da er eigentlich dringende Geschäfte hat , und er ist auch einer von denen , die nie von Kunst und Büchern genug können reden hören , er bekümmert sich nie , was in der Welt vorfällt , außer es müßte sich etwa wieder mit Martin Luther etwas zugetragen haben . "
" Daß wir den Mann vergessen konnten ! " rief Dürer aus , indem er sein volles Glas in die Höhe hob : " Er soll leben !
Noch lange soll der große Doktor Martin Luther leben !
Der Kirche , und uns allen zu Heil und Frommen ! "
Der Fremde stieß gerührt und mit leuchtenden Blicken an , auch Lukas , welcher lächelte .
" Es ist zwar eine ketzerische Gesundheit " , sagte er , " aber Euch zu Gefallen will ich sie doch trinken .
Ich fürchte nur , die Welt wird viele Trübsale zu überstehen haben , ehe die neue Lehre durchdringen kann . "
Albrecht antwortete : " Wann wir im Schweiß unseres Angesichts unser Brot essen müssen , so verlohnt es ja wohl die Wahrheit , daß wir Qual und Trübsal ihretwegen aushalten . "
" Nun , das sind alles Meinungen " , antwortete Lukas , " die eigentlich vor den Theologen und Doktor gehören , ich verstehe davon nichts .
- Ich wollte vorher , Meister Albrecht , eine andere Frage an Euch tun .
- Es hat mir immer sehr an Euren Bildern gefallen , daß Ihr manchmal die neueren Trachten auch in alten Geschichten abkopiert , oder daß Ihr Euch ganz neue wunderliche Kleidungen ersinnt .
Ich habe es ebenfalls nachgeahmt , weil es mir sehr artlich dünkte . "
Albrecht antwortete :
" Ich habe dergleichen immer mit überlegtem Vorsatze getan , weil mir dieser Weg kürzer und besser schien , als die antikischen Trachten eines jeden Landes und eines jeden Zeitalters zu studieren .
Ich will ja den , der meine Bilder ansieht , nicht mit längst vergessenen Kleidungsstücken bekannt machen , sondern er soll die dargestellte Geschichte empfinden .
Ich rücke also die biblische oder heidnische Geschichte manchmal meinen Zuschauern dadurch recht dicht vor die Augen , daß ich die Figuren in den Gewändern auftreten lasse , in denen sie sich selber wahrnehmen .
Dadurch verliert ein Gegenstand das Fremde , besonders da unsere Tracht , wenn man sie gehörig auswählt , auch malerisch ist .
Und denken wir denn wohl an die alte Kleidungsart , wenn wir eine Geschichte lesen , die uns rührt und entzückt ?
Würden wir es nicht gerne sehen , wenn Christus unter uns wandelte , ganz wie wir selber sind ?
Man darf also die Menschen nur nicht an das sogenannte Kostüm erinnern , so vergessen sie es gerne .
Die Darstellung der fremden Gewänder wird überdies in unseren Gemälden leicht tot und fremd , denn der Künstler mag sich gebärden wie er will , die Tracht setzt ihn in Verlegenheit , er sieht niemand so gehen , er ist nicht in der Übung , diese Falten und Massen zu werfen , sein Auge kann nicht mitarbeiten , die Imagination muß alles tun , die sich dabei doch nicht sonderlich interessiert .
Ein Modell , auf dem man die Gewänder ausspannt , wird nimmermehr das tun , was dem Künstler die Wirklichkeit leistet .
Außerdem scheint es mir gut , wie ich auch immer gesucht habe , die Tracht der Menschen physiognomisch zu brauchen , so daß sie den Ausdruck und die Bedeutung der Figuren erhöht .
Daher mache ich oft aus meiner Einbildung Gewand und Kleidung , die vielleicht niemals getragen sind .
Ich muß gestehen , ich setze gern einem wilden bösen Kerl eine Mütze von seltsamer Figur aufs Haupt , und gebe ihm sonst im Äußeren noch ein Abzeichen ; denn unser höchster Zweck ist ja doch , daß die Figuren mit Hand und Fuß und dem ganzen Körper sprechen sollen . "
" Ich bin darin völlig Eurer Meinung " , sagte Lukas , " Ihr werdet gefunden haben , daß ich diese Sitte auch von Euch angenommen habe ; nur habt Ihr wohl mehr als ich darüber nachgedacht .
Auch in manchen Sachen , die ich von Raffael Sanzius gesehen habe , habe ich etwas Ähnliches bemerkt . "
" Wozu " , rief Albrecht aus , " die gelehrte Umständlichkeit , das genaue Studium jener alten vergessenen Tracht , die doch immer nur Nebensache bleiben kann und muß ?
Wahrlich , ich habe einen zu großen Respekt vor der Malerei selbst , um auf derlei Erkundigungen großen Fleiß und viel Zeit zu verwenden , vollends , da wir es doch nie recht akkurat erreichen mögen . "
" Trinkt , trinkt " , sagte Lukas , indem er die leeren Gläser wieder füllte , " und sagt mir dann , wie es kommt , daß Ihr Euch mit so gar mancherlei Dingen abgebt , von denen man glauben sollte , daß manche Eures hohen Sinnes unwürdig sind .
Warum wendet Ihr so viele Mühseligkeit an , Geschichten fein und zierlich in Holz zu schneiden , und dergleichen ? "
" Ich weiß es selbst nicht recht , wie_es zugeht " , antwortete ihm Albrecht .
" Seht , Freund Lukas , der Mensch ist ein wunderliches Wesen ; wenn ich darüber zuweilen gedacht habe , so ist mir immer zu Sinne gewesen , als wenn der wunderbarliche Menschengeist aus dem Menschen herausstrebte , und sich auf tausend mannigfaltigen Wegen offenbaren wollte .
Da sucht er nun herum , und trifft beim Dichter nur die Sprache , beim Spielmann eine Anzahl Instrumente mit ihren Saiten , und beim Künstler die fünf Finger und Farben an .
Er probiert nun wie es gelingt , wenn er mit diesen unbeholfenen Werkzeugen zu hantieren anfängt , und keinmal ist es ihm recht , und doch hat er immer nichts Besseres .
Mir hat der Himmel ein gelassenes Blut geschenkt , und darum werde ich niemals ungeduldig .
Ich fange immer wieder etwas Neues an , und kehre immer wieder zum Alten zurück .
Wenn ich etwas Großes Male , so befällt mich gewöhnlich nachher das Gelüst , etwas recht Kleines und Zierliches in Holz zu schnitzeln , und ich kann nachher tagelang sitzen , um die kleine Arbeit aus der Stelle zu fördern .
Ebenso geht es mir mit meinen Kupferstichen .
Je mehr Mühe ich darauf verwende , je lieber sind sie mir .
Dann suche ich wieder freier und schneller zu arbeiten , und so wechsele ich in allerhand Manieren ab , und jede bleibt mir etwas Neues .
Die Liebe zum Fleiß und zur Mühseligkeit scheint mir überdies etwas zu sein , was uns Deutschen angeboren ist ; es ist gleichsam unser Element , in dem wir uns immer Wohlbefinden .
Alle Kunstwerke , die Nürnberg aufzuweisen hat , tragen die Spuren an sich , daß sie der Meister mit sonderbarer Liebe zu Ende führte , daß er keinen Nebenzweig vernachlässigte und gering schätzte ; und ich mag dasselbe wohl von dem übrigen Deutschland und auch von den Niederlanden sagen . "
" Aber warum " , fragte Lukas , " habt Ihr nun Eurem Schüler Sternbald da nicht abgeraten , nach Italien zu gehen , da er doch gewiß bei Euch seine Kunst so hoch bringen kann , als es ihm nur möglich ist ? "
Franz war begierig , was Dürer antworten würde .
Dieser sagte : " Eben weil ich an dem zweifle , was Ihr da behauptet , Meister Lukas .
Ich weiß es wohl , daß ich in meiner Wissenschaft nicht der Letzte bin ; aber es würde töricht sein , wenn ich dafürhalten wollte , daß ich alles geleistet und entdeckt hätte , was man in der Kunst vollbringen kann .
Glaubt Ihr nicht , daß es den künftigen Zeiten möglich sein wird , Sachen darzustellen , und Geschichten und Empfindungen auszudrücken , auf eine Art , von der wir jetzt nicht einmal eine Vorstellung haben ? "
Lukas schüttelte zweifelhaft mit dem Kopfe .
" Ich bin sogar davon überzeugt " , fuhr Albrecht fort , " denn jeder Mensch leistet doch nur das , was er vermag ; ebenso ist es auch mit dem ganzen Zeitalter .
Erinnert Euch nur dessen , was wir vorher über die Erfindung gesprochen haben .
Dem alten Wohlgemut würde das Ketzerei geschienen haben , was ich jetzt Male , so würde Euer Lehrer Engelbrecht schwerlich wohl auf die Erfindungen und Manieren verfallen sein , die Euch so geläufig sind .
Warum sollen unsere Schüler uns nun nicht wieder übertreffen ? "
" Was hätten wir aber dann mit unserer Arbeit gewonnen ? " rief Lukas aus .
" Daß sie ihre Zeit ausfüllt " , sagte Dürer gelassen , " und daß wir sie gemacht haben .
Weiter wird es niemals einer bringen .
Jedes gute Bild steht da an seinem eigenen Platze , und kann eigentlich nicht entbehrt werden , wenn auch viele andere in anderen Rücksichten besser sind , wenn sie auch Sachen ausdrücken , die man auf jenem Bilde nicht antrifft .
Ja oft geht man rückwärts , indem man vorschreitet , vor einiger Zeit sah ich ein altes Bild Wohlgemutes wieder , und eine solche Lieblichkeit und zarte Rührung glänzten mich daraus an , wie ich mir nie getraue , hervorzubringen , weil meine Weise wohl stärker und härter ist . "
" Ja , ja " , sagte Lukas still vor sich hin , " da mag was dran sein , hat doch einer sogar einmal behauptet , meine Bilder dürften sich mit denen des alten Johann von Eyck nicht messen .
Wer weiß , welche sonderbare Werke und kunterbunte Meinungen nach uns in der Welt entstehen ! "
" Ich habe mich immer darin gefunden " , fuhr Dürer fort , " daß vielleicht mancher zukünftige Maler von meinen Gemälden verächtlich sprechen mag , daß man meinen Fleiß , und auch wohl mein Gutes daran verkennt .
Viele machen es schon jetzt mit denen Meistern nicht besser , die vor uns gewesen sind , sie sprechen von ihren Fehlern , die jedem in die Augen fallen , und sehen ihr Gutes nicht ; ja es ist ihnen unmöglich , das Gute daran zu sehen .
Aber auch dieses Lästern rührt bloß vom besseren Zustande unserer Kunst her , und darum müssen wir uns darüber nicht erzürnen .
Und deshalb sehe ich es gerne , daß mein lieber Franz Italien besucht , und alle seine denkwürdige Kunstsachen recht genau betrachtet , eben weil ich viel Anlage zur Malerei bei ihm bemerkt habe .
Aus wem ein guter Maler werden soll , der wird es gewiß , er mag in Deutschland bleiben oder nicht .
Aber ich glaube , daß es Kunstgeister gibt , denen der Anblick des Mannigfaltigen ungemein zustatten kommt , in denen selbst neue Bildungen entstehen , wenn sie das Neue sehen , die eben dadurch vielleicht ganz neue Wege auffinden , die wir noch nicht betreten haben , und es ist möglich , daß Sternbald zu diesen gehört .
Laßt ihn also immer reisen , denn so viel älter ich bin , wirkt doch jede Veränderung , jede Neuheit noch immer auf mich .
Glaubt nur , daß ich selbst auf dieser Reise zu Euch viel für meine Kunst gelernt habe .
Wenn Franz auch eine Zeitlang in Verwirrung lebt , und durch sein Lernen in der eigentlichen Arbeit gestört wird , ( und ich glaube wohl , daß sein sanftes Gemüt dem ausgesetzt ist ) so wird er doch gewiß dergleichen überstehn , und nachher aus diesem Zeitpunkte einen desto größeren Nutzen ziehen . " - Dürer erzählte , daß er über das Dorf gereist sei , in welchem Sternbalds Pflegemutter wohnte , er hatte das neue Altarblatt betrachtet , und lobte , bis auf einige Verzeichnungen , alles , vorzüglich den Gedanken der doppelten Beleuchtung , der ihm selber neu und unerwartet gewesen , er erinnerte sich die fromme Rührung , die aus der stillen Lieblichkeit des Bildes hervorgehe .
" Wahrlich " , so beschloß er , " mein lieber Franz , du hast schon jetzt übertroffen , was ich von dir erwarten konnte , und ich freue mich inniglich , daß ich einen solchen Schüler gezogen habe . "
So große Worte waren über den armen Franz noch niemals ausgesprochen , darum wurde er schamrot ; aber innerlich war er so erfreut , so überglücklich , daß sich gleichsam alle geistigen Kräfte in ihm auf einmal bewegten und nach Tätigkeit riefen .
Er empfand die Fülle in seinem Busen , und wurde von den mannigfaltigsten Gedanken übermeistert .
Lukas , nachdem er eine Weile geschwiegen hatte , brach eine neue Weinflasche an , und ging selber mit lustigen Gebärden um den Tisch , um allen einzuschenken .
Fröhlich rief er aus : " Laßt uns munter sein , solange dies irdische Leben dauert , wir wissen ja so nicht , wie lange es währt ! "
Albrecht trank und lachte .
" Ihr habt ein leichtes Gemüt , Meister " , sagte er scherzend , " Euch wird der Gram niemals etwas anhaben können . "
" Wahrlich nicht ! " sagte Lukas , " solange ich meine Gesundheit und mein Leben fühle , will ich guter Dinge sein , mag es hernach werden wie es will .
Mein Weib , Essen und Trinken und meine Arbeit , seht , das sind die Dinge , die mich beständig vergnügen werden , und nach etwas Höherem strebe ich gar nicht . "
" Doch " , sagte Meister Albrecht ernsthaft , " die geläuterte wahre Religion , der Glaube an Gott und Seligkeit . "
" Davon spreche ich bei Tische niemals " , sagte Lukas .
- " Aber so seid Ihr ein größerer Ketzer als ich . "
- " Mag sein " , rief Lukas , " aber laßt die Dinge fahren , von denen wir ohnehin so wenig wissen können .
Oft mag ich gern arbeiten , wenn ich so recht fröhlich gewesen bin .
Wenn der Wein noch in den Adern und im Kopfe lebendig ist , so gelingt der Hand oft ein kühner Zug , eine wilde Gebärde weit besser , als in der nüchternen Überlegung .
Ihr erlaubt mir wohl , daß ich nach Tische eine kleine Zeichnung entwerfe , die ich schon seit lange habe ausarbeiten wollen ; nämlich den Saul , wie er seinen Spieß nach David wirft .
Mich dünkt , ich sehe den wilden Menschen jetzt ganz deutlich vor mir , den erschrocken David , die Umstehenden und alles . "
" Wenn Ihr wollt " , sagte Dürer , " so mögt Ihr jetzt gleich an die Arbeit gehen , da Ihr den kühnen Entschluß einmal gefaßt habt .
Mir vergönnt im Gegenteil einen kleinen Schlaf , denn ich bin noch müde von der Reise . "
Jetzt wurde der Tisch aufgehoben .
- Lukas führte den Albrecht zu einem Ruhebette ; die beiden Frauen gingen in ein anderes Zimmer , um sich nun ungestört allerhand zu erzählen , der fremde Gast eilte in die Stadt an sein Geschäft , und Lukas begab sich nach seiner Werkstätte .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Franz wünschte einsam zu sein , und stieg mit Sebastians Briefe nach einem kleinen Garten hinab , der sich hinter dem Hause des Meister Lukas ausbreitete .
Hier standen alle Sträucher und Gewächse in der besten Ordnung ; einige hatte der Herbst schon entblättert , andere waren noch frisch grün , als wären sie eben aufgebrochen : die Gänge waren reinlich gehalten , die letzten Herbstblumen standen im schönsten Flor .
Franzens Gemüt war völlig erheitert , er fühlte eine holdselige Gegenwart um sich scherzen , und die Zukunft sah ihn mit freundlichen Gebärden an .
Er öffnete den Brief und las : Trauter Bruder .
Wie weh tut es mir , daß ich unseren Dürer nicht habe begleiten können , um Dich in den Niederlanden vielleicht noch anzutreffen .
Meine Krankheit ist nicht gefährlich , aber doch hält sie mich von dieser Reise ab .
Meine Sehnsucht nach Dir wird auf meinem einsamen Lager in jeder Stunde lebendiger ; ich weiß nicht , ob Du an mich mit denselben Empfindungen denkst .
Wann die Blumen des Frühlings wiederkommen , bist Du vielleicht noch weiter von mir entfernt , und dabei weiß ich nicht einmal zuverlässig , ob ich Dich auch jemals wiedersehe .
Wie mühevoll und wie leer ist unser menschliches Leben !
ich lese jetzt Deine Briefe zu wiederholten Malen , und mich dünkt , als wenn ich sie nun besser verstünde ; wenigstens bin ich jetzt noch mehr als sonst Deiner Meinung .
Ich kann nicht malen , und darum lese ich auch wohl jetzt in Büchern fleißiger als ich sonst tat , und ich lerne manches Neue , und manches , das ich schon wußte , erscheint mir wiederum neu .
Übel ist es , daß es dem Menschen oft so schwer ankommt , selbst das Einfältigste recht ordentlich zu verstehen , wie es gemeint sein mochte , denn seine jedesmalige Lebensart , seine augenblicklichen Gedanken hindern ihn daran ; wo er diese nicht wiederfindet , da dünkt ihm nichts recht zu sein .
Ich möchte Dich jetzt mündlich sprechen , um recht viel von Dir zu hören , um Dir recht viel zu sagen ; denn je länger Du fort bist , je mehr empfinde ich Deine Abwesenheit , und daß ich mit niemand , selbst mit Dürer nicht das reden kann , was ich Dir gern sagen würde .
Die Helden des römischen Altertums wandeln jetzt mit ihrer Größe durch mein Gemüt ; sowie ich genese , will ich den Versuch anstellen , aus ihren Geschichten etwas zu malen .
Ich kann es Dir nicht beschreiben , wie sich seit einiger Zeit das Heldenalter so lebendig vor mir regt ; bis dahin sah ich die Geschichte als eine Sache an , die nur unsere Neugier angehe , aber es ist mir daraus eine große und neue Welt im Gemüt und Herzen aufgequollen .
Vorzüglich gern möchte ich aus Cäsars Geschichte etwas bilden ; man nennt diesen Mann so oft , und nie mit der Ehrfurcht , die er verdient .
Wenn er auf dem Nachen ausruft :
" Du trägst den Cäsar und sein Glück ! " oder sinnend am Rubikon steht , und nun noch einmal kurz sein Vorhaben erwägt , wenn er dann fortschreitet , und die bedeutenden Worte sagt : " Der Würfel ist geworfen !
" so bewegt sich mein ganzes Herz vor Entzücken , alle meine Gedanken versammeln sich um den einen großen Mann , und ich möchte ihn auf alle Weise verherrlichen .
Am liebsten sehe ich ihn vor mir , wenn er durch die kleine Stadt in den Alpen zieht , sein Gesellschafter ihn fragt : ob denn hier auch wohl Neid und Verfolgung und Plane zu Hause wären , und er mit seiner höchsten Größe die tiefsinnigen Worte ausspricht : " Glaube mir , ich möchte lieber hier der Erste , als in Rom der Zweite sein . "
Dies ist nicht bloßer Ehrgeiz , oder wenn man es so nennen will , so ist es das Erhabenste , wozu sich ein Mensch emporschwingen kann .
Denn freilich , war Rom , das damals die ganze Welt beherrschte , im Grunde etwas anders , als jene kleine unbedeutende Stadt ?
Der höchste Ruhm , die größte Verehrung des Helden , auch wenn ihm der ganze Erdkreis huldigt , was ist es denn nun mehr ?
Wird er niemals wieder vergessen ?
Ist vor ihm nicht etwas Ähnliches dagewesen ?
Es ist eine große Seele in Cäsars Worten , die hier so kühn das anscheinend Höchste mit dem scheinbar Niedrigsten zusammenstellt .
Es ist ein solcher Ehrgeiz , der diesen Ehrgeiz wieder als etwas Gemeines und Verächtliches empfindet , der sein Leben , das er führt , nicht höher anschlägt , als das des unbedeutenden Bürgers , der das ganze Leben gleichsam nur so mitmacht , weil es eine hergebrachte Gewohnheit ist , und der nun in der Fülle seiner Herrlichkeit , wie als Zugabe , als einen angeworfenen Zierat , seinen Ruhm , seine glorwürdigen Taten , sein erhabenes Streben hineinlegt .
Wo die Wünsche der übrigen Menschen über ihre eigene Kühnheit erstaunen , da sieht er noch Alltäglichkeit und Beschränktheit ; wo andere sich vor Wonne und Entzücken nicht mehr fassen können , ist er kaltblütig , und nimmt mit zurückhaltender Verachtung an , was sich ihm aufdrängt .
Mir fallen diese Gedanken bei , weil viele jetzt von den wahrhaft großen Männern mit engherziger Kleinmütigkeit sprechen , weil diese es sich einkommen lassen , Riesen und Kolosse auf einer Goldwaage abzuwägen .
Eben diese können es auch nicht begreifen , warum ein Sylla in seinem höchsten Glanze das Regiment plötzlich niederlegt , und wieder Privatmann wird , und so stirbt .
Sie können es sich nicht vorstellen , daß der menschliche Geist , der hohe nämlich , sich endlich an allen Freuden dieser Welt ersättige , und nichts mehr suche , nichts mehr wünsche .
Ihnen genügt schon das bloße Dasein , und jeder Wunsch zerspaltet sich in tausend kleine ; sie würden ohne Stolz , in schlechter Eitelkeit Jahrhunderte durchleben , und immer weiterträumen , und keinen Lebenslauf hinter sich lassen .
Jetzt ist es mir sehr deutlich , warum Cato und Brutus gerne starben ; ihr Geist hatte den Glanz verlöschen sehen , der sie an dieses Leben fesselte .
- Ich lese viel , wozu Du mich sonst oft ermahntest , in der Heiligen Schrift , und je mehr ich darin lese , je teurer wird mir alles darin .
Unbeschreiblich hat mich der Prediger Salomo erquickt , der alle diese Gedanken meiner Seele so einfältig und so erhaben ausdrückt , der die Eitelkeit des ganzen menschlichen Treibens durchschaut hat ; der alles erlebt hat , und in allem das Vergängliche , das Nichtige entdeckt , daß nichts unserem Herzen genüget , und daß alles Streben nach Ruhm , nach Größe und Weisheit Eitelkeit sei ; der immer wieder damit schließt :
" Darum sage ich , daß nichts besser sei , denn daß ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit , denn das ist sein Teil . "
" Was hat der Mensch von aller seiner Mühe , die er hat unter der Sonnen ?
Ein Geschlecht vergehet , das andere kommt , die Erde aber bleibt ewiglich .
Die Sonne geht auf und geht unter , und läuft an ihren Ort , daß sie daselbst wieder aufgehe .
Der Wind geht gegen Mittag , und kommt herum zu Mitternacht , und wiederum an den Ort da er anfing .
Alle Wasser laufen ins Meer , noch wird das Meer nicht voller ; an den Ort wo sie herfließen , fließen sie wieder hin .
Es ist alles Tun so voll Mühe , daß niemand ausreden kann .
Das Auge sieht sich nimmer satt , und das Ohr höret sich nimmer satt .
Was ist es das geschehen ist ?
Eben das hernach geschehen wird .
Was ist_es , das man getan hat ?
Eben das man hernach wieder tun wird , und geschieht nichts Neues unter der Sonnen . "
- Und nachher sagt er :
" Ist_es nun nicht besser dem Menschen , essen und trinken , und seine Seele guter Dinge sein in seiner Arbeit ? "
" Wie es dem Guten geht , so geht es auch dem Sünder .
Das ist ein böses Ding , unter allem , das unter der Sonnen geschieht , daß es einem geht wie dem anderen , daher auch das Herz des Menschen voll Arges wird , und Torheit in ihrem Herzen , dieweil sie leben , danach müssen sie sterben .
- Denn die Lebendigen wissen , daß sie sterben werden , aber die Toten wissen nichts , sie verdienen auch nichts mehr , denn ihr Gedächtnis ist vergessen ; daß man sie nicht mehr liebet , noch hasset , noch neidet , und haben kein Teil mehr auf der Welt , in allem was unter der Sonnen geschieht .
So gehe hin , und esse dein Brot mit Freuden , trinke deinen Wein mit gutem Mut , denn dein Werk gefällt Gott .
Laß deine Kleider immer weiß sein , und deinem Haupte Salbe nicht mangeln .
Brauche des Lebens mit deinem Weibe das du liebhast , solange du das eitel Leben hast , das dir Gott unter der Sonnen gegeben hat , solange dein eitel Leben währet , denn das ist dein Teil im Leben , und in deiner Arbeit , die du tust unter der Sonnen .
Alles was dir vorhanden kommt zu tun , das tue frisch , denn in dem Tode , da du hinfährst , ist weder Werk , Kunst , Vernunft noch Weisheit . "
- Liebster Franz , höher bringt es der Mensch gewiß niemals , dies ist die Weisheit .
Ich habe einen Nürnberger Hans Sachs kennengelernt , einen wackeren Mann , er hat sich auf die Kunst der Meistersänger gelegt , dabei ist er ein großer Freund der Reformation , er ist Bürger und Schuhmacher allhier .
Doch muß nach meinem Dafürhalten die Dichtkunst anders aussehn , als sie in seinen Versen erscheint .
Wo finde ich einmal in deutscher oder fremder Zunge , was meine lechzende durstige Brust so recht durch und durch erquickt und sättigt ?
Lebe wohl , und gib mir bald Nachrichten von Dir ; Deine Briefe können mir niemals zu weitläufig sein .
- Sebastian .
Dieser Brief versetzte den jungen Maler in ein tiefes Nachsinnen :
er wollte seinem Gemüte nicht recht eindringen , und er fühlte fast etwas Fremdes in der Schreibart , das sich seinem Geiste widersetzte .
Es quälte ihn , daß alles Neue mit einem zu gewaltsamen Eindrucke auf seine Seele fiel , und ihr dadurch die freie Bewegung raubte .
So lag ihm auch wieder die Gesinnung und das Betragen des Meister Lukas in den Gedanken , manches in Sebastians Briefe schien ihm damit übereinzustimmen , und in solchen Augenblicken des Gefühls kam er sich oft in der Welt ganz einsam vor :
er mochte sich es mit Gedanken nicht deutlich sagen , aber von Lukas' Fröhlichkeit und Sebastians Weisheit und Trost wandte sich sein Herz weg , weil sie dessen Sehnsucht als Verzweiflung erschienen .
Wunderlich seltsam ist das Leben der Jugend , die sich selbst nicht kennt .
Sie verlangt , daß die ganze übrige Welt , wie ein einziges Instrument , mit ihren Empfindungen eines jeden Tages zusammenstimmen soll , sie mißt sich mit der fremdartigsten Natur , und ist nur zu oft unzufrieden , weil sie allenthalben Disharmonie zu hören glaubt .
Sich selbst genug , sucht sie doch Außenwerts einen freundlichen Widerhall , der antworten soll , und ängstigt sich , wenn er ausbleibt .
Er ging nach einiger Zeit in das Haus zurück .
Dürer war schon wieder munter , und beide suchten den Meister Lukas in seiner Malerstube auf .
Er saß bei seiner Zeichnung .
Franz verwunderte sich sehr über den kunstreichen Mann , der in so kurzer Zeit so viel hatte arbeiten können : die Zeichnung war beinahe fertig und mit großem Feuer entworfen .
Dürer betrachtete sie und sagte : " Ihr scheint recht zu haben , Meister Lukas , daß sich nach einem guten Trunke besser arbeiten läßt , ob ich es gleich noch nie versucht habe ; denn mir steigt der Wein in den Kopf und verdunkelt mir den Gedanken . "
" Man muß sich nur nicht stören lassen " , sagte Lukas , " wenn einem auch anfangs etwas wunderlich dabei wird , sondern dreist fortfahren , so findet man sich bald in die Arbeit hinein , und alsdann gerät sie gewißlich besser . "
Die drei Künstler blieben mit den Frauen auch am Abend zusammen , und setzten ihre Gespräche fort .
Franz war gedrückt von dem Gedanken , daß er morgen abreisen müsse : so wie er unvermuteterweise seinen Dürer gefunden hatte , sollte er ihn jetzt ebenso plötzlich zum zweiten Male verlassen :
er sprach daher wenig mit , auch aus dem Grunde , weil er zu bescheiden war .
Es war spät , der Mond war eben aufgegangen als man sich trennte .
Franz nahm von Lukas Abschied , dann begleitete er seinen Lehrer nach seiner Herberge .
Dürer kehrte vor dem Hause wieder um , sie durchstrichen einige Straßen und kamen dann auf einen Spaziergang der Stadt .
Der Mond schien schräge durch die Bäume , die beinahe schon ganz entblättert waren ; sie standen still , und Franz fiel seinem Meister mit Tränen an die Brust .
" Was ist dir ? " fragte Dürer , indem er ihn in seine Arme schloß .
" O liebster , liebster Albrecht " , schluchzte Franz , " ich kann mich nicht darüber zufriedengeben , ich kann es nicht aussprechen , wie sehr ich Euch verehre und liebe .
Ich habe es mir immer gewünscht , Euch noch einmal zu sehen , um es Euch zu sagen , aber nun habe ich doch keine Gewalt dazu .
O liebster Meister , glaubt es mir nur auf mein Wort , glaubt es meinen Tränen . "
Franz war indem zurückgetreten , und Dürer gab ihm die Hand und sagte : " Ich glaube es dir . "
" Ach ! " rief Franz aus , " was seid Ihr doch für ein ganz anderer Mann , als die übrigen Menschen !
Das fühle ich immer mehr , ich werde keinen Euresgleichen wieder antreffen .
An Euch hängt mein ganzes Herz , und wie ich Euch vertraue , werde ich keinem wieder vertrauen . "
Dürer lehnte sich nachdenkend an den Stamm eines Baumes , sein Gesicht war ganz beschattet .
" Franz " , sagte er langsam , " du machst , daß mir deine Abwesenheit immer trauriger sein wird , denn auch ich werde niemals solchen Schüler , solchen Freund wie der antreffen .
Denn du bist mein Freund ; der einzige , der mich aus recht voller Seele liebt , der einzige , den ich ganz so wieder lieben kann . "
" Sagt das nicht , Albrecht " , rief Franz , " ich vergehe vor Euch . "
Dürer fuhr fort : " Es ist nur die Wahrheit , mein Sohn , denn als solchen liebe ich dich .
Meinst du , deine getreue Anhänglichkeit von deiner Kindheit auf habe mein Herz nicht gerührt ?
O du weißt nicht , wie mir an jenem Abend in Nürnberg war , und wie mir jetzt wieder ist : wie ich damals den Abschied von dir abkürzte , und es jetzt gern wieder täte ; aber ich kann nicht . "
Er umarmte ihn freiwillig , und Franz fühlte , daß sein teurer Lehrer weinte .
Sein Herz wollte brechen .
" Die übrigen Menschen " , sagte Dürer , " lieben mich nicht wie du ; es ist zu viel Irdisches in ihren Gedanken .
Ich stelle mich oft wohl äußerlich hart , und tue wie die übrigen ; aber mein Herz weiß nichts davon .
Pirckheimer ist ein Patrizier , ein reicher Mann , er ist brav , aber er schätzt mich nur der Kunst wegen , und weil ich fleißig und aufgeräumt bin .
Mein Weib kennt mich wenig , und weil ich ihr im stillen nachgebe , so meint sie , sie mache mir alles recht .
Sebastian ist gut , aber sein Herz ist dem meinigen nicht so verwandt als das deine .
Von den übrigen laß mich gar schweigen .
Ja wahrlich , du bist mir der Einzige auf der Erde . "
Franz sagte begeistert : " O was könnte mir für ein größeres Glück begegnen , als daß Ihr die Liebe erkennt , die ich so inniglich zu Euch trage . "
" Sei immer wacker " , sagte Dürer , " und laß dein frommes Herz allerwege so bleiben , als es jetzt ist .
Komme dann nach Deutschland und Nürnberg zurück , wenn es dir gut dünkt ; ich wüßte mir keine größere Freude , als künftig immer mit dir zu leben . "
" Ich bin eine verlassene Waise , ohne Eltern , ohne Angehörigen " , sagte Franz , " Ihr seid mir alles . "
" Ich wünsche " , sagte Albrecht , " daß du mich wiederfindest , aber ich glaube es nicht ; es ist etwas in meiner Seele , was mir sagt , daß ich es nicht lange mehr treiben werde .
Ich bin in manchen Stunden so ernsthaft und so betrübt , daß ich zu sterben wünsche , wenn ich nachher auch oft wieder scherze und lustig scheine .
Ich weiß auch recht gut , daß ich zu fleißig bin , und mir dadurch Schaden tue , daß ich die Kraft der Seele abstumpfe , und es gewiß büßen muß ; aber es ist nicht zu ändern .
Ich brauche dir , liebster Franz , wohl die Ursache nicht zu sagen .
Meine Frau ist zu weltlich gesinnt , sie quält sich ewig mit Sorgen für die Zukunft und mich mit ; sie glaubt , daß ich niemals genug arbeiten kann , um nur Geld zu sammeln , und ich arbeite , um in Ruhe zu sein , oft mit unlustiger Seele ; aber die Lust stellt sich während der Arbeit ein .
Meine Frau empfindet nicht die Wahrheit der himmlischen Worte , die Christus ausgesprochen hat :
» Sorget nicht für euer Leben , was ihr essen und trinken werdet , auch nicht für euren Leib , was ihr anziehen werdet .
Ist nicht das Leben mehr denn die Speise ?
Und der Leib mehr denn die Kleidung ?
So denn Gott das Gras auf dem Felde kleidet , das doch heute steht , und morgen in den Ofen geworfen wird , sollte er das nicht vielmehr euch tun ?
O ihr Kleingläubigen !
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen :
» Was werden wir essen ?
Was werden wir trinken ?
Womit werden wir uns kleiden ? « -
Nun lebe wohl , mein liebster Freund ; ich will zurück , und du sollst mich nicht begleiten , denn an einer Stelle müssen wir uns ja doch trennen . "
Franz hielt noch immer seine Hand .
" Ich sollte Euch nicht wiedersehen ? " sagte er , " warum sollte ich dann wohl nach Deutschland zurückkommen ?
Nein , Ihr müßt leben , noch lange , lange , Euch , mir und dem Vaterlande ! "
" Wie wir uns heute trennen müssen " , sagte Dürer , " so muß ich doch irgendeinmal sterben , es sei wenn es sei .
Je früher , je weniger Lebensmühe ; je später , je mehr Sorgen .
Aber komme bald zurück , wenn du kannst . "
Er segnete hierauf seinen jungen Freund , und betete inbrünstig zum Himmel .
Franz sprach in Gedanken seine Worte nach , und war in einer frommen Entzückung ; dann umarmten sich beide , und Dürer ging wie ein großer Schatten von ihm weg .
Franz sah ihm nach , und der Mondschimmer und die Bäume dämmerten ungewiß um ihn .
Plötzlich stand der Schatten still , und bewegte sich wieder rückwärts .
Dürer stand neben Franz , nahm seine Hand und sagte : " Und wenn du mir künftig schreibst , so nenne mich in deinen Briefen du und deinen Freund , denn du bist mein Schüler nicht mehr . "
- Mit diesen Worten ging er nun wirklich fort , und Franz verlor ihn gänzlich aus den Augen .
Die Nacht war kalt , die Wächter der Stadt zogen vorüber und sangen , die Glocken schlugen feierlich .
Franz irrte noch eine Zeitlang umher , dann begab er sich nach seiner Herberge , aber er konnte nicht schlafen .
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Der Morgen kam .
Franz hatte eine Gesellschaft gefunden , die auf dem Kanal mit einem Schiffe nach Rotterdam fahren wollte , dort wollten sie dann ein größeres nehmen , um vollends nach Antwerpen zu kommen .
Es war helles Wetter , als sie in das Boot stiegen ; die Gesellschaft schien bei guter Laune .
Franz betrachtete sie nach der Reihe , und keiner darunter fiel ihm besonders auf , außer ein junger Mensch , der einige zwanzig Jahr alt zu sein schien , und ungemein schön von Gesicht und sehr anmutig in seinen Gebärden war .
Franz fühlte sich immer mehr zu den jüngern als zu den älteren Leuten hingezogen ; er sprach mit den letzteren ungern , weil er nur selten in ihre Empfindungen einstimmen konnte .
Bei alten Leuten empfand er seine Beschränkung noch quälender , und er merkte es immer , daß er ihnen zu lebhaft , zu jugendlich war , daß er sich gemeiniglich an Dingen entzückte , die jenen immer fremd geblieben , und daß sie doch zuweilen mit einem gewissen Mitleiden , mit einer hoffärtigen Duldung auf ihn hinabblickten , als wenn er endlich allen diesen Gefühlen und Stürmen vorüberschiffen würde , um in ihr ruhiges kaltes Land festen Fuß zu fassen .
Vollends demütigte es ihn oft , wenn sie dieselben Gegenstände liebten , die er verehrte ; Lob und Tadel , Anpreisung und Nachsicht aber mit so scheinbarer Gerechtigkeit austeilten , daß von ihrer Liebe fast nichts übrigblieb .
Er dagegen war gewohnt aus vollem Herzen zu zahlen , seine Liebe nicht zu messen und einzuschränken , sondern es zu dulden , daß sie sich in vollen Strömen durch das Land der Kunst , sein Land der Verheißung ergoß ; je mehr er liebte , je wohler wurde ihm . -
Er konnte sein Auge von dem Jünglinge nicht zurückziehn , die lustigen hellen braunen Augen und das gelockte Haar , eine freie Stirn , und dazu eine bunte , fremdartige Tracht machten ihn zum Gegenstand seiner Neugier .
Das Schiff fuhr fort , und man sah links weit in das ebene Land hinein .
Die Gesellschaft schien nachdenkend , oder vielleicht müde , weil sie alle früh aufgestanden waren ; nur der Jüngling schaute unbefangen mit seinen großen Augen umher .
Ein ältlicher Mann zog ein Buch hervor und fing an zu lesen ; doch es währte nicht lange , so schlummerte er .
Die übrigen schienen ein Gespräch zu wünschen .
" Der Herr Vansen schläft " , sagte der eine zu seinem Nachbar , " das Lesen ist ihm nicht bekommen . "
" Er schläft nicht so , Nachbar Peters , daß er Euch nicht hören sollte " , sagte Vansen , indem er sich ermunterte .
" Ihr solltet nur etwas erzählen , oder ein lustiges Lied singen . "
" Ich bin heiser " , sagte jener , " Ihr wißt es selber ; auch habe ich eigentlich seit Jahr und Tag das Singen schon aufgegeben . "
Der fremde Jüngling sagte :
" Ich will mich wohl anbieten , ein Lied zu singen , wenn ich nur wüßte , daß die Herren es mit der Poesie nicht so genau nehmen wollen . "
Sie versicherten ihn alle , daß es nicht geschehen würde , und jener sprach weiter :
" Es ist auch nur , daß man sich das bißchen Freude verbittert ; alle Lieder , die ich gern singe , müssen sich hübsch geradezu , und ohne Umschweife ausdrücken .
Ich will also mit eurer Erlaubnis anfangen .
Über Reisen kein Vergnügen , Wenn Gesundheit mit uns geht :
Hinter uns die Städte liegen , Berg und Waldung vor mir steht .
Jenseits , jenseits , ist der Himmel heiter , Treibt mich rege Sehnsucht weiter .
Schau dich um , und laß die trüben Blicke , Sieh , da liegt die große weite Welt , In der Stadt blieb alles Graun zurück , Das den Sinn gefangenhält .
Endlich wieder Himmel , grüne Flur , Groß und lieblich die Natur .
Auch ein Mädchen muß dich nimmer quälen , Kommst ja doch zu Menschen wieder hin , Nirgend wird es dir an Liebe fehlen , Ist dir Lieben ein Gewinn :
Darum laß die trüben Blicke , Allenthalben blüht dein Glücke .
Immer munter , Freunde , munter , Denn mein Mädchen wartet schon ; Treibt den Fluß nur rasch hinunter , Denn mich dünkt , mich lockt ihr Ton .
Günstig sind uns alle Winde , Stürme schweigen , Lüfte säuseln linde .
Siehst du die Sonne nicht Glänzen im Bach ?
Wo du bist , spielt das Licht Freundlich dir nach .
Durch den Wald Funkelschein , Sieht in den Quell ; Kuckt in die Flut hinein , Lacht darum so hell .
So auch der Liebe Licht Wandelt mit dir , Löschet wohl nimmer nicht .
Ist dorten bald hier .
Liebst du die Morgenpracht , Wenn nach der schwarzen Nacht Auf diamantener Bahn Die Sonne ihren Weg begann ?
Wenn alle Vögel jubeln laut , Begrüßen fröhlich des Tages Braut , Wenn Wolken sich zu Füßen schmiegen , In Brand und goldenem Feuer fliegen ?
Auch wenn die Sonne nun den Wagen lenkt , Und hinter ihr das Morgenrot erbleicht , Lust , Heiterkeit durch alle Welt hin fliegt , Bis sich zum Meer die Göttin senkt .
Und dann funkeln neue Schimmer Über See und über Land , Erde und Himmel im Geflimmer Sich zu einem Glanz verband .
Prächtig mit Rubinen und Saphiren , Siehst du dann den Abendhimmel prangen , Goldenes Geschmeide um ihn hängen , Edelsteine Hals und Nacken zieren , Und in holder Glut die schönen Wangen .
Drängt sich nicht mit stillem Licht der Chor Aller Sterne , ihn zu sehen , vor ?
Jubeln nicht die Lerchen ihre Lieder , Tönt nicht Fels und Meer Gesänge wider ? -
Also wenn die erste Liebe dir entschwunden , Mußt du weibisch nicht verzagen , Sondern dreist dein Glücke wagen , Bald hast du die zweite aufgefunden , Und kannst du im Rausche dann noch klagen :
» Nie empfand ich was ich vor empfunden ? «
Nie vergißt der Frühling wiederzukommen , Wenn Störche ziehen , wenn Schwalben auf der Wiese sind .
Kaum ist dem Winter die Herrschaft genommen , So erwacht und lächelt das goldene Kind .
Dann sucht er sein Spielzeug wieder zusammen , Das der alte Winter verlegt und verstört , Er putzt den Wald mit grünen Flammen , Der Nachtigall er die Lieder lehrt .
Er rührt den Obstbaum mit rötlicher Hand , Er klettert hinauf die Aprikosen-Wand , Wie Schnee die Blüte rot unter die Blätter dringt , Er schüttelt froh das Köpfchen , daß ihm die Arbeit gelingt .
Dann geht er und schläft im waldigen Grund , Und haucht den Atem aus , den süßen , Um seinen zarten roten Mund Im Grase Viole und Erdbeere sprießen :
Wie rötlich und bläulich lacht Das Tal , wann er erwacht !
In den verschloßenen Garten Steigt er übers Gitter in Eile , Mag auf den Schlüssel nicht warten , Ihm ist keine Wand zu steil .
Er räumt den Schnee aus dem Wege , Er schneidet das Buchsbaumgehege , Und friert auch am Abend nicht , Er schaufelt und arbeitet im Mondlicht .
Dann ruft er :
» Wo säumen die Spielkameraden Daß sie so lange in der Erde bleiben ?
Ich habe sie alle eingeladen , Mit ihnen die fröhliche Zeit zu vertreiben . «
Die Lilie kommt und reicht die weißen Finger , Die Tulpe steht mit dickem Kopfputz da , Die Rose tritt bescheiden nah , Aurikelchen und alle Blumen , vornehm und geringer .
Der bunte Teppich ist nun gestickt , Die Liebe tritt aus Jasminlauben hervor .
Da danken die Menschen , da jauchzet der Vögel ganzes Chor , Denn alle fühlen sich beglückt .
Dann küßt der Frühling die zarten Blumenwangen , Und scheidet und spricht :
» Ich muß nun gehen . «
Da sterben sie alle am süßen Verlangen , Daß sie mit welken Häuptern stehen .
Der Frühling spricht :
» Vollendet ist mein Tun , Ich habe schon die Schwalben herbestellt .
Sie tragen mich in eine andere Welt , Ich will in Indiens duftenden Gefilden ruhn .
Ich bin zu klein , das Obst zu pflücken , Den Stock der schweren Traube zu entkleiden , Mit der Sense das goldene Korn zu schneiden , Dazu will ich den Herbst euch schicken .
Ich liebe das Spielen , bin nur ein Kind , Und nicht zur ernsten Arbeit gesinnt .
Doch seid ihr satt der Winterleiden , Komme ich zurück zu anderen Freuden , Die Blumen , die Vögel nehme ich mit mir , Wenn ihr erntet und keltert , was sollen sie hier ?
Ade !
Ade ! ist die Liebe nur da , So bleibt euch der Frühling ewiglich nah ! « "
" Ihr habt das Lied sehr schön gesungen " , sagte Vansen , " aber es ist wahr , daß man es mit dem Texte nicht so genau nehmen muß , denn das letzte hängt gar nicht mit dem ersten zusammen . "
" Ihr habt sehr recht " , sagte der Fremde , " indessen Ihr kennt das Sprichwort :
Ein Schelm gibt es besser , als er es hat . "
" Ich habe einen guten und schönen Zusammenhäng darin gefunden " , sagte Franz .
" Der Hauptgedanke ist der fröhliche Anblick der Welt , das Lied will uns von trüben Gedanken und Melancholie abziehen , und so kommt es von einer Vorstellung auf die andere .
Zwar ist nicht der Zusammenhäng einer Rede darin , aber es wandelt gerade so fort , wie sich unsere Gedanken in einer schönen heiteren Stunde bilden . "
" Ihr seid wohl selber ein Poet ? " rief der Fremde aus .
Franz errötete und sagte , daß er ein Maler sei , der vor jetzt nach Antwerpen , und dann nach Italien zu gehen gesonnen sei .
" Ein Maler ? " schrie Vansen auf , indem er Sternbald genau betrachtete .
" O so gebt mir Eure Hand !
dann müssen wir näher miteinander bekannt werden ! "
Franz war in Verlegenheit , er wußte nichts zu erwidern ; der Niederländer fuhr fort :
" Vor allen Künsten in der Welt ergötzt mich immer die Kunst der Malerei am meisten , und ich begreife nicht , wie viele Menschen so kalt dagegen sein können .
Denn was ist Poesie und Musik , die so flüchtig vorüberrauschen , und uns kaum anrühren ?
Jetzt vernehme ich die Töne , und dann sind sie vergessen - sie waren und waren auch nicht ; Klänge , Worte , von denen ich niemals recht weiß , was sie mir sollen ; sie sind nur Spielwerk , das ein jeder anders handhabt .
Dagegen verstehen es die edlen Malerkünstler , mir Sachen und Personen unmittelbar vor die Augen zu stellen , mit ihren freundlichen Farben , mit aller Wirklichkeit und Lebendigkeit , so daß das Auge , der klügste und edelste Sinn des Menschen , gleich ohne Verzögern alles auffaßt und versteht .
Je öfter ich die Figuren wiedersehe , je bekannter sind sie mir , ja ich kann sagen , daß sie meine Freunde werden , daß sie für mich ebensogut leben und da sind , als die übrigen Menschen .
Darum liebe ich die Maler so ungemein , denn sie sind gleichsam Schöpfer , und können schaffen und darstellen , was ihnen gelüstet . "
Von diesem Augenblicke bemühte sich Vansen sehr um Sternbald ; dieser nannte ihm seinen Namen , und wurde von jenem dringend gebeten , ihn in Antwerpen in seinem Hause zu besuchen und etwas für ihn zu malen .
Auf der fortgesetzten Reise geriet Franz mit dem unbekannten Jünglinge in ein näheres Gespräch , und erfuhr von ihm , daß er sich Rudolph Florestan nenne , daß er aus Italien sei , jetzt England besucht habe , und nach seiner Heimat zurückzukehren denke .
Die Jünglinge beschlossen , die Reise in Gesellschaft zu machen , denn sie fühlten beide einen Zug der Freundschaft zueinander , der sie schnell vereinigte .
" Wir wollen recht vergnügt mitsammen sein " , sagte Rudolph ; " ich bin schon mehr als einmal in Deutschland gewesen , und habe lange unter Euren Landsleuten gelebt , ich bin selbst ein halber Deutscher und liebe Eure Nation . "
Franz war erfreut , diese Bekanntschaft gemacht zu haben .
Er äußerte seine Verwunderung , daß Rudolph in so früher Jugend schon von der Welt so viel gesehen habe .
" Das muß Euch nicht erstaunen " , sagte jener , " mein unruhiger Geist treibt mich immer umher , und wenn ich eine Weile still in meiner Heimat gesessen habe , muß ich wieder reisen , wenn ich nicht krank werden will .
Wenn ich auf der Reise bin , geschieht es mir wohl , daß ich mich nach meinem Hause sehne , und mir vornehme , nie wieder in der Ferne herumzustreifen ; indessen dauern dergleichen Vorsätze nie Mals lange , ich darf nur von fremden Ländern hören oder lesen , gleich ist die alte Lust in mir wieder aufgewacht .
So bin ich auch schon Spanien durchstreift , ich habe Valencia und das wundersame Granada gesehen , mit seinem herrlichen Schlosse , den fremden , seltsamen Sitten und Trachten , ich habe die Luft der elysischen Gefilde von Malaga eingeatmet , und kenne den Manserrate mit seinen Klöstern und grünbewachsenen Klippen . "
Ein großer Teil der Gesellschaft kam jetzt darauf , man solle , um die Zeit der Fahrt zu verkürzen , Geschichten oder Märchen erzählen .
Alle trauten dem Rudolph zu , daß er am besten imstande sei , ihr Begehren zu erfüllen ; sie ersuchten ihn daher alle und auch Franz vereinigte sich mit ihren Bitten .
" Ich will es gern tun " , antwortete Rudolph , " allein es geht mir mit meiner Geschichte , wie mit meinem Liede , sie wird keinem recht gefallen . "
Alle behaupteten , daß er sie gewiß unterhalten werde , er solle nur getrost anfangen .
Rudolph sagte : " Ich liebe keine Geschichte , und mag sie gar nicht erzählen , in der nicht von Liebe die Rede ist .
Die alten Herren aber kümmern sich um dergleichen Neuigkeiten nicht viel . "
" O doch " , sagte Vansen ; " nur finde ich es in vielen Geschichten der Art unnatürlich , wie die ganze Erzählung vorgetragen wird ; gewöhnlich macht man doch zu viel Aufhebens davon , und das ist , was mir mißfällt .
Wenn es aber alles so recht natürlich und wahr fortgeht , so kann ich mich sehr daran ergötzen . "
" Das ist es gerade " , rief Rudolph aus , " was ich sagte !
Die meisten Menschen wollen alles gar zu natürlich haben , und wissen doch eigentlich nicht , was sie sich darunter vorstellen ; sie fühlen den Hang zum Seltsamen und Wunderbaren , aber doch soll das alles wieder alltäglich werden :
sie wollen wohl von Liebe und Entzücken reden hören , aber alles soll sich in den Schranken der Billigkeit halten .
Doch , ich will nur meine Geschichte anfangen , weil ich sonst selber die Schuld trage , wenn ihr zu viel erwartet . - -
Die Sonne ging eben auf , als ein junger Edelmann , den ich Ferdinand nennen will , auf dem freien Felde spazierte .
Er war damit beschäftigt , die Pracht des Morgens zu beschauen , wie sich nach und nach das Morgenrot und das lichte Gold des Himmels immer brennender zusammendrängten und immer höher leuchteten .
Er verließ gewöhnlich an jedem Morgen sein Schloß , auf dem er unverheiratet und einsam lebte , seine Eltern waren vor einiger Zeit gestorben .
Dann setzte er sich gewöhnlich in dem benachbarten Wäldchen nieder , und las einen der italienischen Dichter , die er sehr liebte .
Jetzt war die Sonne heraufgestiegen , und er wollte sich eben nach dem einsamen Waldplatze begeben , als er aus der Ferne einen Reuter heransprengen sah .
Auf dem Hute und Kleide des Reitenden glänzten Gold und Edelgesteine im Schein des Morgens , und als er näher kam , glaubte Ferdinand einen vornehmen Ritter vor sich zu sehen .
Der Fremde ritt eiligst vorüber und verschwand im Walde ; kein Diener folgte ihm .
Ferdinand wunderte sich noch über diese Eile , als er zu seinen Füßen im Grase etwas Glänzendes wahrnahm .
Er ging hinzu und hob das Bildnis einer Dame auf , das mit kostbaren Diamanten eingefaßt war .
Er ging damit nach dem Walde , indem er es aufmerksam betrachtete ; er setzte sich an der gewohnten Stelle nieder , und vergaß sein Buch herauszuziehen , so sehr war er mit dem Bilde beschäftigt . "
" Wie ich gesagt habe " , fiel Vansen ein , " die Malerei hat eine wunderbare Kraft über uns : das Bild wird gewiß trefflich gemalt gewesen sein .
Aber sagt mir doch :
was war dieser Edelmann für ein Landsmann ? "
" Je nun , ich denke " , antwortete Rudolph , " er wird wohl ein Deutscher gewesen sein , und jetzt erinnere ich mich deutlich , er war aus Franken . "
" Nun so seid so gut , und fahrt fort . "
" Er kam nach Hause und aß nicht .
Leopold , sein vertrautester Freund , besuchte ihn , aber er sprach nur wenig mit diesem .
» Warum bist du so in Gedanken ? « fragte Leopold .
» Mir ist nicht wohl « , antwortete jener , und mit dieser Antwort mußte der Freund zufrieden sein .
So verstrichen einige Wochen und Ferdinand wurde mit seinen Worten immer sparsamer .
Sein Freund wurde besorgt , denn er bemerkte , daß Ferdinand alle Gesellschaften vermied , daß er fast beständig im Walde oder auf der Wiese lebte , daß er jedem Gespräche aus dem Wege ging .
An einem Abende hörte Leopold folgendes Lied singen .
Ihr habt wohl nichts dagegen , daß ich es gleich selbst absinge , es nimmt sich dadurch besser aus .
Soll ich harren ?
Soll mein Herz Endlich brechen ?
Soll ich niemals von dem Schmerz Meines Busens sprechen ?
Warum Zittern ?
Warum Zagen ?
Träges Weilen ?
Auf , dein höchstes Glück zu wagen !
Flügle deine Eile !
Suchen werde ich : werde ich finden ?
Nach der Ferne Treibt das Herz ; durch blühende Linden Lächeln dir die Sterne .
Leopold hörte aufmerksam dem rätselhaften Liede zu ; dann ging er in den Wald hinein , und traf seinen Freund in Tränen .
Er wurde bei diesem Anblick erschüttert und redete ihn so an :
» Liebster , warum willst du mich so bekümmern , daß du mir kein Wort von deinem Leiden anvertraust ?
Ich sehe es täglich , wie dein Leben sich aufzehrt , und unwissend muß ich mit dir leiden , ohne daß ich raten und trösten könnte .
Warum nennst du mich deinen Freund ?
Ich bin es nicht , wenn du mich nicht deines Vertrauens würdig achtest .
Jetzt gilt es , daß ich deine Liebe zu mir auf die Probe stelle , und was fürchtest du , dich mir zu entdecken ?
Wenn du unglücklich bist , wo findest du sicheren Trost , als im Busen eines Freundes ?
Bist du dich einer Schuld bewußt , wer verzeiht dir williger , als die Liebe ? «
Ferdinand sah ihn eine Weile an , dann sagte er :
» Keines von beiden , mein lieber Freund , ist bei mir der Fall ; sondern eine wunderseltsame Sache belastet mein Herz so gewaltsam , die ich dir noch nicht habe anvertrauen wollen , weil ich mich vor dir schäme .
Ich fürchte deine Vernunft , ich fürchte , daß du mir das sagst , was ich mir selber täglich und stündlich sage ; ich fürchte , daß du zwar deinen Freund , aber nicht seine unbegreifliche Torheit liebst .
Doch will ich dir alles gestehen , und nun erfahren , welchen Rat , welchen Trost du mir geben kannst .
Sieh dieses Gemälde , das ich vor einigen Wochen fand , und das seitdem meinen Sinn so gänzlich umgewandelt hat .
Mit ihm habe ich mein höchstes Glück , ja mich selber gefunden , denn ich lebte vorher ohne Seele , ich kannte mich und die Seligkeit der Welt nicht , denn ich wurde ohne alles Glück in der Welt fertig .
Seitdem ist mir , als wenn ein unbekanntes Wesen mir aus den Morgenwolken die Hand gereicht , und mich mit süßer Stimme bei meinem Namen genannt hätte .
Aber zugleich habe ich in diesem Bilde meinen größten Feind gefunden , der mir keine Minute Ruhe läßt , der mich auf jeden Schritt verfolgt , der mir alle übrigen Freuden dieser Erde als etwas Armseliges und Verächtliches darstellt .
Ich darf mein Auge nicht davon hinwegwenden , so befällt mich eine marternde Sehnsucht , und wenn ich nun daraufblicke , und diesen süßen Mund , und diese schönen Augen antreffe , so ergreift eine schreckliche Beklemmung mein Herz , so daß ich in unnützen Kämpfen , in Streben und Wünschen vergehe , und mein Leben sich verzehrt , wie du richtig gesagt hast .
Aber es muß sich nun endigen ; mit dem kommenden Morgen will ich mich aufmachen und das Land durchziehen , um diejenige wirklich aufzufinden , von der ich bis jetzt nur den Schatten besitze .
Sie muß irgendwo sein , sie muß meine Liebe kennenlernen , und ich sterbe dann entweder in öder Einsamkeit , oder sie erwidert diese Liebe . «
Leopold stand lange staunend und betrachtete sei einen Freund , endlich rief er aus : » Unglücklicher !
Wohin hast du dich verirrt ?
An diesen Schmerzen hat sich vielleicht bisher noch keiner der Sterblichen verblutet .
Was soll ich dir sagen ?
Wie soll ich dir raten ?
Der Wahnsinn hat sich deiner schon bemeistert und alle Hilfe kommt zu spät .
Wenn nun das Original dieses Bildes auf der ganzen Erde nicht zu finden ist ! und wie leicht kann es bloß die Imagination eines Malers sein , die dieses zierliche Köpfchen hervorgebracht hat !
Oder sie kann auch gelebt haben , und ist nun schon gestorben , oder sie ist die Gattin eines anderen , und Mutter vieler Kinder und Enkel , so daß du sie , vom Alter entstellt , nicht einmal kennst , wenn du sie auch wirklich finden solltest .
Glaubst du , daß sich dir zu Gefallen das Wunder des Pygmalion erneuern werde ?
Ist es nicht ebenso gut , als wenn du die Helena von Griechenland , oder die ägyptische Kleopatra lieben wolltest ?
Bedenke dein Wohl , und laß dich nicht von einer Leidenschaft unterjochen , die offenbar aberwitzig ist .
Deine Empfindung ist so widersinnig , daß hier oder nirgend deine Vernunft auftreten und dich aus dem Labyrinthe erretten muß , und mich wundert nur , wie du sie schon so hast unterdrücken können , daß es so weit mit dir gekommen ist . « "
" Nun , der Mann hat doch wahrlich völlig recht " , rief Vansen aus , " und ich bin neugierig , was der verliebte Schwärmer wohl darauf wird antworten können . "
" Gewiß gar nichts " , sagte Herr Peters , " er wird einsehen , wie gut es sein Freund mit ihm meint , und das wunderliche Abenteuer fahrenlassen . "
" Einiges getraute ich mir wohl zu sagen " , versetzte Sternbald , " wenn ich nicht die Geschichte zu unterbrechen fürchtete . "
Rudolph sah ihn lächelnd an , und fuhr fort :
" Ferdinand schwieg eine Weile still , dann sagte er :
» Liebster Freund , deine Worte können mich auf keine Weise beruhigen , und wenn du mich und mein Herz kenntest , so würdest du auch darauf gar nicht ausgehen wollen .
Ich gebe dir recht , du hast vollkommen vernünftig gesprochen ; allein was ist mir damit geholfen ?
Ich kann dir nichts antworten , ich fühle nur , daß ich elend bin , wenn ich nicht gehe und jenes Bild aufsuche , das meine Seele ganz regiert .
Denn könnte ich vernünftig sein , so würde ich gewiß nicht einen Traum lieben ; könnt ich auf deinen Rat hören , so würde ich mich nicht in der Nacht schlaflos auf meinem Lager wälzen .
Denn wenn ich nun auch wirklich die Helena , oder die ägyptische Kleopatra liebte , mit dieser heißen brennenden Liebe des Herzens , wenn ich nun auch ginge , und sie in der weiten Welt aufsuchte , so wie ich jetzt ein Bild suche , daß vielleicht nirgendwo ist :
was könnte mir auch dann all dein Reden nützen ?
Doch nein , sie lebt , mein Herz sagt es mir , daß sie für mich lebt , und daß sie mich mit stiller Ahnung erwartet .
Und wenn ich sie nun gefunden habe , wenn die Sterne günstig auf mein Tun herunterscheinen , wenn ich sie in meinen Armen zurückbringe , dann wirst du mein Glück preisen , und mein jetziges Beginnen nicht mehr unvernünftig schelten .
So hängt es also bloß von Glück und Zufall ab , ob ich vernünftig oder unvernünftig handle , ob die Menschen mich schelten oder loben ; wie kann also dein Rat gut sein ?
Wie könnte ich vernünftig handeln , wenn ich ihm folgte ?
Wer nie wagt , kann nie gewinnen , wer nie den ersten Schritt tut , kann keine Reise vollbringen , wer das Glück nicht auf die Probe stellt , kann nicht erfahren , ob es ihm günstig ist .
Ich will also getrost diesen Weg einschlagen , und sehen , wohin er mich führt .
Ich komme entweder vergnügt , oder nicht zurück .
- Hast du nie die wunderbare Geschichte von Gottfried Rudel gehört ? «
» Nein , « sagte Leopold verwirrt .
» So will ich sie dir erzählen « , sprach der Liebende , » denn sie bestätigt mein Gefühl , das dir so einzig und widersinnig erscheint . « "
" Halt ! " rief Vansen , " die Sache neigt sich zum Verwirrten , daß hier eine neue Erzählung in die vorige eingeflochten wird . "
" Und was schadet es " , sagte Florestan , " wenn es Euch nur unterhält und die Zeit vergeht ? "
" Es steht nur zu besorgen " , sagte Peters bedächtig , " daß es uns nicht unterhalten werde , denn man wird gar leicht konfuse , und da die Sache an sich selbst schon nicht sehr interessiert , so wird diese Episode das Übel nur ärger machen . "
" Was kann ich denn aber dafür " , erwiderte Rudolph , " daß der verliebte Schwärmer seinem Freunde damals diese Historie wirklich erzählt hat ?
Ich muß doch der Wahrheit getreu bleiben . "
" Nun so erzählt wie Ihr wollt " , sagte Vansen , " tragt die neue Geschichte vor , aber nur unter der Bedingung , daß in dieser Historie sich nicht wieder eine neue entspinnt , denn das könnte sonst bis ins Unendliche fortgesetzt werden . "
" Also denn " , nahm Florestan wieder das Wort , " fing der schwärmende Ferdinand seinem vernünftigen Freunde Leopold mit diesen Worten die Geschichte des Gottfried Rudel zu erzählen an :
» Dieser Rudel , mein teurer Freund , war einer von den Dichtern in der Provence , in jener schönen Zeit , als die Welt durch Lieder und süße Sprache , die Menschen durch Sehnsucht , die Länder durch Ritterschaft und der Orient mit Europa durch die heiligen Kriege verbunden waren .
Dieser Sänger Gottfried , aus adeligem Geschlecht , machte sich durch seine lieblichen Weisen so berühmt , daß ihm Herren und Grafen gewogen waren und ein großer Fürst sich um seine Freundschaft bewarb , und ihn niemals von seiner Seite lassen wollte .
Da fügte es sich , daß Pilger , die aus dem Heiligen Lande zurückkehrten , ihm unter den Wundern der fremden Länder auch die Gräfin von Tripolis nannten , und ihm ihre hohe Tugend , ihre Schönheit und ihren Reiz beschrieben .
Er sah andere Reisende , die aus der Gegend zurückwanderten , und wieder fragte er , und wieder rühmten sie entzückt die überirdische Schönheit des Frauenbildes .
Seine Imagination wurde von diesen Schilderungen so ergriffen , daß er begeistert das Lob der Dame in die Töne seiner Laute sang .
Ein Freund sagte einmal scherzend , indem er seinen Gesang bewunderte :
» Du bist entzückt , Dichter , kannst du denn so über Meere hinüber vielleicht lieben , ohne den Gegenstand deiner Leidenschaft zu kennen , oder je mit irdischen Augen gesehen zu haben ? «
» Wie , wenn sie mir nun selbst im Gemüte , in meinem Inneren wohnt , besitze ich sie dann nicht näher , als jeder andere Sterbliche ? « antwortete der Sänger mit einer anderen Scherzrede : » glaubt mir , Freunde « , fuhr er fort , » von ähnlichen seltsamen Erscheinungen könnte ich euch Wunder erzählen . « " Vansen räusperte sich , Sternbald nickte dem Erzähler lächelnd zu , der , ohne sich stören zu lassen , so fortfuhr :
" Nur zu bald wurde ernste Wahrheit aus diesen Reden .
Eine unbegreifliche Sehnsucht nach dem fernen niegesehenen Wesen faßte und durchströmte die Brust des Dichters ; wie alle Quellen zu den Strömen , wie alle Ströme zum Meere unaufhaltsam fluten , so zogen alle Kräfte seiner Seele nur ihr , der Einzigen , Ungekannten zu .
Er konnte nicht mehr zurückbleiben , er mußte die weite Reise unternehmen .
Seine Freunde baten , der Fürst , sein Beschützer , beschwor ihn , aber umsonst ; wollten sie ihn nicht sterben sehen , so müssen sie ihn gewähren lassen .
Er stieg zu Schiffe .
Die Winde waren ihm zu langsam , mit den Liedern seiner Sehnsucht wollte er die Segel füllen , und den Lauf des Fahrzeuges mit Gedankenschnelle beflügeln .
Unendlich schöne Lieder sang er von ihr , er verglich und pries ihre Schönheit gegen alles was Himmel und Erde , Meer und Luft Reizendes und Lieblichst .
Aber sein Herz brach ; er sank schwerkrank danieder , als die Schiffer vom Mast schon fern , ganz fern das ersehnte Ufer wie eine Nebelwolke erspähten .
Er raffte sich auf , er spannte sein Auge an , seine Seele flog schon an das Gestade .
Das Schiff lief in den Hafen ein , das fremde Volk strömte herzu , um Nachrichten aus der Christenheit zu erfahren .
Auch die Prinzessin wandelte in der Nähe der Kühlung der Palmen .
Sie hörte von dem Sterbenden , sie stieg zum Schiff hernieder .
Da saß er , an die Schultern eines Freundes gelehnt und sah nun den Glanz der Augen , die Schönheit der Wangen , die Frische der Lippe , die Fülle des Busens , die er so oft in seinen Liedern gepriesen hatte .
» O wie beglückt bin ich ! « rief er aus , » daß doch mein brechendes Auge noch wahrhaft sieht , was ich ahndete , und daß die Wahrheit meine Ahnung übertrifft .
Ja , so wird es mit aller Schönheit sein , wenn sie sich einst schleierlos unserem entkörperten Auge zeigt . «
Der weinende Freund sagte ihr , wer sich anbetend zu ihren Füßen niedergeworfen hatte , sie kannte seinen Namen und manche seiner geflügelten Töne waren schon über das Meer zu ihrem Ohr gekommen ; sie beugte sich nieder und hob ihn auf , er lag in ihren Armen , das süßeste Lächeln schwebte im Andenken seiner Wonne auf seinem bleichen Antlitz , denn er war schon verschieden .
» So liebt mich niemand mehr , so liebt auf Erden niemand « , seufzte die Fürstin , küßte zum ersten- und letztenmal den stummen , sonst so gesangreichen Mund , und nahm den Nonnenschleier . «
- » Glaubst du denn eine Silbe von diesem alten Märchen ? « fuhr Leopold auf .
» Dergleichen ist nicht möglich und gegen alle Natur , es ist nur Dichtung und Lüge eines Müßiggängers . « "
" Der trifft den Nagel auf den Kopf " , sagte Vansen , " dergleichen hat sich nie wirklich begeben . "
" Es ist unbegreiflich " , merkte Peters an , " wie der menschliche Geist nur auf dergleichen Torheiten verfallen kann : noch seltsamer aber , daß sich ein anderer Aberwitziger mit solchem Wahnsinn trösten will . "
" Und ist es denn nicht dasselbe " , sagte Sternbald nicht ohne Rührung , " diese Geschichte mag wahr oder ersonnen sein ?
Wer erfand sie denn wohl ?
Niemand als die Liebe selbst , und diese ist ja doch wundervoller , als alle Dichtungen und Lieder sie darstellen können ? "
" Wenn Ihr in der Malerei " , sagte Vansen , " ebensosehr für das Unnatürliche eingenommen seid , wo dann Farben und Figuren hernehmen , junger Freund ? "
" Nach dieser Erzählung " , so fing Florestan von neuem an , " nahm Ferdinand seinen Freund herzlich in die Arme .
» Laß mich gehen « , sagte er , » sei nicht traurig , denn du siehst mich gewiß wieder , ich bleibe gewiß nicht aus .
Vielleicht ändert sich auch unterwegs mein Gemüt , wenn ich die mannigfaltige Welt mit ihren wechselnden Gestalten erblicke ; wie sich dieses Gefühl wunderbarlich meines Herzens bemeistert hat , so kann es mich ja auch plötzlich wieder loslassen . «
Sie gingen nach Hause , und am folgenden Morgen trat Ferdinand wirklich seine seltsame Wanderschaft an .
Leopold sah ihm mit Tränen nach , denn er hielt die Leidenschaft seines Freundes für Wahnsinn , er hätte ihn gern begleitet , aber jener wollte durchaus nur allein das Ziel seiner Pilgerfahrt suchen .
Er wußte natürlich nicht , wohin er seinen Weg richten sollte , er ging daher auf der ersten Straße fort , auf welche er traf .
Seine Seele war unaufhörlich mit dem geliebten Bilde angefüllt , in der reizendsten Gestalt sah er es vor sich hinschweben und folgte ihm wie unwillkürlich nach .
In den Wäldern saß er oft still und dichtete ein Lied auf seine wunderbare Leidenschaft ; dann hörte er dem Gesange der Nachtigallen zu , und vertiefte und verlor sich so sehr in sich selber , daß er die Nacht im Walde bleiben mußte .
Zuweilen erwachte er wie aus einem tiefen Schlafe , und überdachte dann seinen Vorsatz mit kälterem Blute , alles , was er wollte und wünschte , kam ihm dann wie eine Traumgestalt vor ; er bestrebte sich oft , sich des Zustandes seiner Seele zu erinnern , ehe er das Bildnis im Grase gefunden hatte , aber es war ihm unmöglich .
So wandelte er fort , und verirrte sich endlich von der Straße , indem er in einen dicken Wald geriet , der gar kein Ende zu haben schien .
Er ging weiter und traf immer noch keinen Ausweg , das Gehölz wurde immer dichter , Vögel schrien und lärmten mit seltsamen Tönen durch die stille Einsamkeit .
Jetzt dachte er an seinen Freund , ihm schien selber sein Unternehmen wahnsinnig , und er nahm sich vor , am folgenden Tage nach seinem Schlosse zurückzukehren .
Es wurde Nacht , und wie wenn eine Verblendung , eine Krankheit , eine träumende Betäubung plötzlich von ihm genommen sei , so verschwand seine Leidenschaft , es war wie ein Erwachen aus einem schweren Traume .
Er wanderte durch die Nacht weiter , denn der Mond warf seinen Schimmer durch die Zweige , er sah schon seinen Freund vergnügt und versöhnt vor sich stehen , er dachte sich sein künftiges ruhiges Leben .
Unter diesen Betrachtungen brach der Morgen an , die Sonne senkte ihre frühen Strahlen durch das grüne Gebüsch , und neuer Mut und neue Heiterkeit wurde in ihm wach .
Er betrachtete das Gemälde wieder , und wußte nicht , was er tun sollte .
Alle seine Entschlüsse fingen an zu wanken , jedes andere Leben erschien ihm leer und nüchtern , er wünschte und dachte nur sie .
Denn aus der Farbe , aus dem Schmuck blühte wie ein voller knospenschwerer Frühling die Sehnsucht wieder auf ihn zu und umfing ihn mit duftenden blümenden Zweigen .
Da war keine Rettung , er mußte sie wieder glauben , sie von neuem wünschen und suchen .
» Wohin soll ich mich wenden ? « rief er aus .
» O Morgenrot ! zeige mir den Weg ! ruft mir , ihr Lerchen , und zieht auf meiner Bahn voran , damit ich wissen möge , wohin ich den irren Fuß setzen soll .
Meine Seele schwankt in Leid und Freude , kein Entschluß kann Wurzel fassen , ich weiß nicht , was ich bin , ich weiß nicht , was ich suche . «
Indem er so mit sich selber sprach , trat er aus dem Walde , und eine schöne Ebene mit angenehmen Hügeln lag vor ihm .
In der Ferne standen Kruzifixe und kleine Kapellen im Glanz der Morgensonne .
Der Trieb weiterzuwandern , und den Inhalt seiner Gedanken aufzusuchen , ergriff den Jüngling mit neuer Gewalt .
Da sah er in der Entfernung eine Gestalt sich auf der Wiese bewegen , und als er weiterging , unterschied er , daß es eine Pilgerin sei .
Die Gegenwart eines Menschen zog ihn nach der langen Einsamkeit an , er verdoppelte seine Schritte .
Jetzt war er näher gekommen , als die Pilgerin vor einem Kruzifix am Wege niederkniete , die Hände in die Höhe hob , und andächtig betete .
Indem kam ein Reuter vom nächsten Hügel heruntergesprengt ; als er näher kam , sah Ferdinand , daß es derselbe sei , der ihm an jenem Morgen vorüberflog , als er sein geliebtes Bildnis fand .
Der Reuter stieg schnell ab und näherte sich der Betenden ; als er sie mit einem genauen Blicke geprüft , ergriff er sie mit einer ungestümen Bewegung .
Sie streckte die Hände aus und rief um Hilfe .
Zwei Diener kamen mit ihren Pferden , und wollten sich auf Befehl ihres Herrn der Pilgerin bemächtigen .
Ferdinands Herz wurde bewegt , er zog den Degen und stürzte auf die Räuber ein , die sich zur Wehre setzten .
Nach einem kurzen Gefechte verwundete er den Ritter ; dieser sank nieder , und die Diener nahmen sich erschreckt seiner an .
Da er in Ohnmacht lag , so trugen sie ihn zu seinem Pferde , um im nächsten Orte Hilfe zu suchen .
Die Pilgerin hatte die Zeit des Kampfes benutzt , und war indessen feldeinwärts geflohen , Ferdinand erblickte sie in einer ziemlichen Entfernung .
Er eilte ihr nach und sagte : » Ihr seid gerettet , Pilgerin , Ihr mögt nun ungehindert Eures Weges fortziehen , die Räuber haben sich entfernt . «
Sie konnte vor Angst noch nicht antworten , sie dankte ihm mit einem scheuen Blicke .
Er glaubte sie zu kennen , doch konnte er sich nicht erinnern , sie sonst schon gesehen zu haben .
» Ich bin Euch meinen herzlichsten Dank schuldig , « sagte sie endlich , » ich wollte nach einem wundertätigen Bilde der Muttergottes wallfahrten , als jener Räuber mich überfiel . «
» Ich will Euch begleiten , « sagte Ferdinand , » bis Ihr völlig in Sicherheit seid ; aber fürchtet nichts , er ist schwer verwundet , vielleicht tot .
Doch kehrt zur Straße zurück , denn auf diesem Wege gehen wir nur in der Irre . «
Indem kam ein Gewitter heraufgezogen , und ein Hagelschauer fiel nieder .
Die beiden Wanderer retteten sich vor dem Platzregen in einer kleinen Kapelle , die dicht vor einem Walde stand .
Die Pilgerin war ängstlich , indem die Donnerschläge in den Bergen widerhallten , und Ferdinand suchte sie zu beruhigen ; die Furcht drückte sie an seine Brust , seine Wange trank ihren Atem .
Endlich hörte das Gewitter auf , und ein lieblicher Regenbogen stand am Himmel , der Wald war frisch und grün und alle Blätter funkelten von Tropfen , die Schwüle des Tages war vorüber , die ganze Natur durchwehte ein kühler Lufthauch , alle Bäume , alle Blumen waren fröhlich .
Sie standen beide und sahen in die erfrischte Welt hinaus , die Pilgerin lehnte sich an Ferdinands Schulter .
Da war es ihm , als wenn sich ihm alle Sinne auftäten , als wenn auch aus seinem Gemüte die drückende Schwüle fortzöge , denn er erkannte nun das liebliche Gesicht , das ihm vertraulich so nahe war ; es war das Original jenes Gemäldes , das er mit so heftiger Sehnsucht gesucht hatte .
So freut sich der Durstende , wenn er lange schmachtend in der heißen Wüste umherirrte , und nun den Quell in seiner Nähe rieseln hört ; so der verirrte Wandersmann , der nun endlich am späten Abend die Glocken der Herden vernimmt , das abendliche Getöse des nahen Dorfes , und dem nun vor allen Menschen ein alter Herzensfreund zuerst entgegentritt .
Ferdinand zog das Gemälde hervor , die Pilgerin erkannte es .
Sie erzählte , daß derselbe junge Ritter , von dem Ferdinand sie heute befreite , und der in ihrer Nachbarschaft lebe , sie habe malen lassen ; sie sei elternlos und von armen Leuten auferzogen , aber sie habe sich entschließen müssen , von dort der Liebe des Ritters zu entfliehen , weil seine Leidenschaft , sein Lobpreisen ihrer Schönheit nur ihren tiefsten Unwillen erweckte .
» Darum habe ich , « so beschloß sie , » nach dem heiligen wundertätigen Marienbilde eine Wallfahrt tun wollen , und bin dabei unter Euren Schutz geraten , den ich Euch nie genug danken kann . «
Ferdinand konnte erst vor Entzücken nicht sprechen , er traute seiner eigenen Überzeugung nicht , daß er den gesuchten Schatz wirklich erbeutet habe ; er erzählte der Fremden , die sich Leonore nannte , wie er das Bildnis gefunden und wie es ihn bewegt habe , wie er endlich den Entschluß gefaßt , sie in weiter Welt aufzusuchen , um zu sterben , oder sein Gemüt zu beruhigen .
Sie hörte ihm geduldig und mit Lächeln zu , und als er geendigt hatte , nahm sie seine Hand und sagte : » Wahrlich , Ritter , ich bin Euch mein Leben schuldig , und noch gegen niemand habe ich die Freundschaft empfunden , die ich zu Euch trage .
Aber kommt , und laßt uns irgendeine Herberge suchen , denn der Abend bricht herein . «
Die untergehende Sonne färbte die Wolken schon mit Gold und Purpur , der Weg führte sie durch den Wald , in welchem ein kühler Abendwind sich in den nassen Blättern bewegte .
Ferdinand führte die Pilgerin und drückte ihre Hand an sein klopfendes Herz ; sie war stumm .
Die Nacht näherte sich mehr und mehr , und noch trafen sie kein Dorf und keine Hütte ; der Jungfrau wurde bange , der Wald wurde dichter , und einzelne Sterne traten schon aus dem blauen Himmel hervor .
Da hörten sie plötzlich von abseits her ein geistliches Lied ertönen , sie gingen dem Schalle nach , und sahen in einiger Entfernung die Klause eines Einsiedelse vor sich , ein kleines Licht brannte in der Zelle , und er kniete vor einem Kreuze , indem er mit lauter Stimme sang .
Sie hörten eine Weile dem Liede zu , die Nacht war hereingebrochen , die ganze übrige Welt war still ; dann gingen sie Hand in Hand näher .
Als sie vor der Zelle standen , fragte Ferdinand das Mädchen leise : » Liebst du mich ? «
Sie schlug die Augen nieder und drückte ihm die Hand ; er wagte es und heftete einen Kuß auf ihren schönen Mund , sie widersetzte sich nicht .
Zitternd traten sie zum Eremiten hinein , und baten um ein Nachtlager als verirrte Wanderer .
Der alte Einsiedel hieß sie willkommen und ließ sie niedersitzen ; dann trug er ihnen ein kleines Mal von Milch und Früchten auf , an dem sie sich erquickten .
Ferdinand war sich vor Glückseligkeit kaum seiner selbst bewußt , er fühlte sich wie in einer neuen Welt , alles , was vor heute geschehen war , gehörte gleichsam nicht in seinen Lebenslauf ; von diesem entzückenden Kusse , der ihm alle Sinnen geraubt hatte , begann ihm ein neues Gestirn , eine neue Sonne emporzuleuchten , alles vorige Licht war nur Dämmerung und Finsternis gewesen .
Der Einsiedel wies Leonore ein Lager an , und Ferdinand mußte sich gegenüber in eine kleine leere Hütte begeben .
Er konnte in der Nacht nicht schlafen , seine glückliche Zukunft trat vor sein Lager und erhielt seine Augen wach , er wurde nicht müde hinunterzusehn und in dem glücklichen Reiche seiner Liebe auf und ab zu wandeln .
Leonorens Stimme schien ihm beständig wiederzutönen , er glaubte sie nahe und streckte die Arme nach ihr aus , er rief sie laut und weinte , indem er sich allein sah .
Als der Mondschimmer erblaßte , und die Morgenröte nach und nach am Himmel heraufspielte , da verließ er die Hütte , setzte sich unter einen Baum und träumte von seinem Glücke .
Da sah er plötzlich den Ritter wieder aus dem Dickicht kommen , den er gestern auf dem Felde verwundet hatte ; zwei Diener folgten ihm .
Eben sollte der Zweikampf von neuem beginnen , als der Eremit aus seiner Klause trat .
Dieser hörte den Verwundeten Bertram nennen , und erkundigte sich nach dem Orte seines Aufenthaltes und nach seinen Verwandten .
Der Fremde nannte beides und der Einsiedel fiel ihm weinend um den Hals , indem er ihn seinen Sohn nannte .
Er war es wirklich ; als der Vater sich aus der Welt zurückzog , übergab er diesen Sohn seinem Bruder , der nach einiger Zeit von den Unruhen des Krieges vertrieben seinen Wohnort änderte , und so den Sohn dem Einsiedler näher brachte , als er es ahnden konnte .
» Wenn ich jetzt nur noch Nachrichten von meiner Tochter überkäme , « rief der Einsiedler aus , » so wäre ich unaussprechlich glücklich ! «
Leonore trat aus der Tür , weil sie das Geräusch vernommen hatte .
Ferdinand ging auf sie zu , und Bertram stürzte sogleich herbei , als er die Pilgerin gewahr wurde .
Der Einsiedler betrachtete sie aufmerksam ; » woher , schönes Kind , « fragte er zagend , » habt Ihr diesen kunstreich gefaßten Stein , der Euer Ohr schmückt ? «
Leonore sagte : » Meine Pflegeeltern haben mir schon früh dies Geschmeide eingehängt , und mich beschworen , es wie einen Talisman zu bewahren , indem es das Andenken von einem höchst würdigen Manne sei . «
» Du bist meine Tochter ! « sagte der alte Eremit , » ich übergab dich jenen Leuten , als ich von meinem Wohnsitze durch der Feinde siegreiches Heer vertrieben wurde .
O wie glücklich macht mich dieser Tag ! « "
" Was kann das für ein Krieg gewesen sein ? " rief Vansen aus .
" O irgendeiner " , antwortete Rudolph hastig .
" Ihr müßt die Sachen nie so genau nehmen , es ist mir in der Geschichte um einen Krieg zu tun , und da müßt Ihr gar nicht fragen : Wie ?
Wo ?
Wann geschah das ?
Denn solche Erzählungen sind immer nur aus der Luft gegriffen , und man muß sich für die Geschichte aber , für nichts anders außer ihr interessieren . "
" Erlaubt " , sagte Franz bescheiden , " daß ich Euch widerspreche , denn ich bin hierin ganz anderer Meinung .
Wenn mir eine Erzählung , sei sie auch nur ein Märchen , Zeit und Ort bestimmt , so macht sie dadurch alles um so lebendiger , die ganze Erde wird da durch mit befreundeten Geistern bevölkert , und wenn ich nachher den Boden betrete , von dem mir eine liebe Fabel sagte , so ist er dadurch gleichsam eingeweiht , jeder Stein , jeder Baum hat dann eine poetische Bedeutung für mich .
Ebenso ist es mit der Zeit .
Höre ich von einer Begebenheit , werden Namen aus der Geschichte genannt , so fallen mir zugleich jene poetischen Schatten dabei ins Gedächtnis , und machen mir den ganzen Zeitraum lieber . "
" Nun das kann alles gut sein " , sagte Rudolph , " das andere ist aber auch nicht minder gut und vernünftig , daß man sich weder um Zeit noch Ort bekümmert .
So mag es also wohl der Hussitenkrieg gewesen sein , der alle diese Verwirrungen in unserer Familie angerichtet hat .
Der Schluß der Geschichte findet sich von selbst .
Alle waren voller Freude , Leonore und Ferdinand fühlten sich durch gegenseitige Liebe glücklich , und der Eremit blieb im Walde , sosehr ihm auch alle zuredeten , zur Welt zurückzukehren .
Es vermehrte noch eine Person die Gesellschaft , und niemand anders als Leopold , der ausgereist war , seinen Freund aufzusuchen .
Ferdinand erzählte ihm sein Glück und stellte ihm Leonore als seine Braut vor .
Leopold freute sich mit ihm und sagte : » Aber , liebster Freund , danke dem Himmel , denn du hast bei weitem mehr Glück als Verstand gehabt . «
- » Das bei gegnet jedem Sterblichen , « erwiderte Ferdinand , » und wie elend müßte der Mensch sein , wenn es irgendeinmal einen solchen geben sollte , der mehr Verstand als Glück hätte ? « "
Hier schwieg Rudolph .
Einige von den Herren waren während der Erzählung eingeschlafen ; Franz war sehr nachdenkend geworden .
Fast alles , was er hörte und sah , bezog er auf sich , und so traf er in dieser Erzählung auch seine eigene Geschichte an .
Sonderbar war es , daß ihn der Schluß beruhigte , daß er dem Glücke vertraute , daß es ihn seine Geliebte und seine Eltern würde finden lassen .
Franz und Rudolph wurden im Verfolg der Reise vertrauter , sie beschlossen miteinander nach Italien zu gehen .
Rudolph war immer vergnügt , sein Mut verließ ihn nie , und das war für Franz in vielen Stunden sehr erquicklich , der fast beständig ein Mißtrauen gegen sich selber hatte .
Es fügte sich , daß einige Meilen vor Antwerpen das Schiff eine Zeitlang stilliegen mußte , ein Boot wurde ausgesetzt , und Franz und Rudolph nahmen sich vor , den kleinen Rest der Reise zu Lande zu machen .
Es war ein schöner Tag .
Die Sonne breitete sich hell über die Ebene aus , Rudolph war Willens , nach einem Dorfe zu gehen , um ein Mädchen dort zu besuchen , das er vor sechs Monaten hatte kennen lernen .
" Du mußt nicht glauben , Franz " , sagte er , " daß ich meiner Geliebten in Italien wahrhaft untreu bin , oder daß ich sie vergesse , denn das ist unmöglich , aber ich lernte diese Niederländerin auf eine wunderliche Weise kennen , wir wurden so schnell miteinander bekannt , daß mir das Andenken jener Stunden immer teuer sein wird . "
" Dein frohes Gemüt ist eine glückliche Gabe des Himmels " , antwortete Franz , " dir bleibt alles neu , keine Freude veraltet dir , und du bist mit der ganzen Welt zufrieden . "
" Warum sollte man es nicht sein ? " rief Rudolph aus ; " ist denn die Welt nicht schön , so wie sie ist ?
Mir ist das ernsthafte Klagen zuwider , weil die wenigsten Menschen wissen , was sie wollen , oder was sie wünschen .
Sie sind blind und wollen sehen , sie sehen , und sie wollen blind sein . "
" Bist du aber nie traurig oder verdrießlich ? "
" O ja , warum das nicht ?
Es kehren bei jedem Menschen Stunden ein , in denen er nicht weiß , was er mit sich selber anfangen soll , wo er herumgreift , und nach allen seinen Talenten , oder Kenntnissen , oder Narrheiten sucht , um sich zu trösten , und nichts will ihm helfen .
Oft ist unser eigenes närrisches Herz die Quelle dieser Übel .
Aber bei mir dauert ein solcher Zustand nie lange .
So könnt ich mich grämen , wenn ich an Bianca denke , sie kann krank sein , sie kann sterben , sie kann mich vergessen , und dann mache ich mir Vorwürfe darüber , daß ich mich zu dieser Reise drängte , die auch jeder andere hätte unternehmen können .
Doch , was hilft alles Sorgen ? "
Sie hatten sich unter einen Baum niedergesetzt , jetzt stand Rudolph auf .
" Lebe wohl " , sagte er schnell , " es ist zu kalt zum Sitzen ; ich muß noch weit gehen , das Mädchen wird auf mich warten , ich sprach sie , als ich nach England hinüberging .
In Antwerpen sehen wir uns wieder . "
Er eilte schnell davon und Franz setzte seinen Weg nach der Stadt fort , da aber die Tage schon kurz waren , mußte er in einem Dorfe vor Antwerpen übernachten .
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Die große Handelstätigkeit in Antwerpen war für Franz ein ganz neues Schauspiel .
Es kam ihm wunderbar vor , wie sich hier die Menschen untereinander verliefen , wie sie ein bewegtes Meer darstellten , und jeglicher nur seinen Vorteil vor Augen hatte .
Hier fiel ihm kein Kunstgedanke ein , ja wenn er die Menge der großen Schiffe sah , die Betriebsamkeit Geld zu gewinnen , die Spannungen aller Gemüter auf den Handel , die Versammlungen auf der Börse , so kam es ihm als etwas Unmögliches vor , daß irgendein Mensch aus diesem verwirrten Haufen sich der stillen Kunst ergeben könne .
Er hörte nichts anders , als welche Schiffe gekommen und abgegangen waren , so wie die Namen der vornehmsten Kaufleute , die jedem Knaben geläufig waren , es entging ihm nicht , wie selbst auf den Spaziergängen die Handelsleute ihre kaufmännischen Gespräche und Spekulationen fortsetzten , und er wurde von diesem neuen Anblicke des Lebens zu sehr betrübt , als daß er ihn hätte niederschlagen können .
Vansen lebte hier als Kaufmann vom zweiten oder dritten Range , der nicht sehr bedeutende Geschäfte machte , und daher nicht zu den bekannteren gehörte , der sich aber durch Aufmerksamkeit und gute Haushaltung ein ansehnliches Vermögen erworben hatte .
Sternbald suchte ihn nach einigen Tagen auf , und das Haus seines neuen Freundes war ihm wie ein Schutzort , wie ein stilles Asyl gegen das tobende Gewühl der Stadt .
Vansen wohnte in einer entlegenen Gegend , ein kleiner Garten war hinter seinem Hause ; er sprach nur selten von seinen kaufmännischen Geschäften , und hatte nicht die Eitelkeit , anderen , die nichts davon begriffen , seine Spekulationen mitzuteilen :
er liebte es im Gegenteil , sich von der Kunst zu unterhalten , und er suchte eine Ehre darin , für einen Kenner zu gelten .
Sternbalds kindliches Gemüt schloß sich nach kurzer Zeit diesem Manne an , er hielt ihn in seiner Unbefangenheit für mehr , als er wirklich war ; denn Vansens Liebe zur Malerei war nichts als ein blinder Trieb , der sich zufälligerweise auf diese Kunst geworfen hatte .
Er hatte angefangen , Gemälde zu kaufen , und nachdem er sich einige Kenntnisse erworben hatte , war es nur Eitelkeit und Sucht zu sammeln und aufzuhäufen , daß er es nicht müde wurde , sich um Gemälde und ihre Meister zu bekümmern .
So treiben viele Menschen irgendeine Wissenschaft oder Beschäftigung , und der wahre Künstler irrt sehr , wenn er unter diesen die verwandten Geister und die Verehrer der Kunst sucht .
Vansen hatte nur eine einzige Tochter , die er ungemein liebte .
Sie galt in der Nachbarschaft für schön , und wirklich war ihr üppiger Wuchs , ihr heiteres , strahlendes Gesicht in seiner kindlichen Rundung , und ihre klare weiße und rote Farbe neben den sprechenden Augen reizend zu nennen .
Der Kaufmann bat unseren jungen Maler , sich mit dem Bildnis seiner Tochter zu versuchen , und Franz machte sich hurtig an die Arbeit .
Seine Phantasie war nicht gespannt , er forderte nicht zu viel von sich , und das Bild rückte schnell fort und gelang ihm ungemein .
Auch gefiel ihm das Antlitz und der volle blendende Busen um so mehr , je länger er daran malte .
Er bemerkte , daß das Mädchen fast immer traurig war ; er suchte sie zu erheitern und ließ oft , wenn er malte , auf einem Instrumente lustige Lieder spielen , aber es hatte gewöhnlich die verkehrte Wirkung , sie wurde noch trübseliger , oder weinte gar : vor dem Vater suchte sie ihre Melancholie geflissentlich zu verbergen .
Franz war zu gut , um sich in das Vertrauen eines Leidenden einzudrängen , er kannte auch die Künste nicht , oder verschmähte sie , sich zum Teilnehmer eines Geheimnisses zu machen , daher war er in ihrer Gegenwart nur in Verlegenheit .
In Vansens Hause versammelten sich oft viele Menschen , und zwar von den verschiedensten Charaktern , von denen der Wirt manche Redensart lernte , mit welchen er nachher wieder gegen andere glänzte .
Franz hörte diesen Gesprächen mit großer Aufmerksamkeit zu , denn bis dahin hatte er noch nie so verschiedene Meinungen gehört , wie er hier , oft schnell hintereinander , vernahm .
Vorzüglich zog ihn ein alter Mann an , dem er besonders gern zuhörte , weil jedes seiner Worte das Gepräge eines eigenen festen Sinnes trug .
An einem Abend fing der Wirt , wie er oft tat , an , über die Kunst zu reden , und den herrlichen Genuß zu preisen , den er vor guten Gemälden empfände .
Alle stimmten ihm bei , nur der Alte schwieg still , und als man ihn endlich um seine Meinung fragte , sagte er :
" Ich mag ungern so sprechen , wie ich darüber denke , weil niemand meiner Meinung sein wird ; aber es tut mir immer innerlich wehe , ja ich spüre ein gewisses Mitleiden gegen die Menschen , wenn ich sie mit einer so ernsthaften Verehrung von der sogenannten Kunst reden höre .
Was ist es denn alles weiter , als eine unnütze Spielerei , wo nicht gar ein schädlicher Zeitverderb ?
Wenn ich bedenke , was die Menschen in einer versammelten Gesellschaft sein könnten , wie sie durch die Vereinigung stark und unüberwindlich sein müßten , wie jeder dem Ganzen dienen sollte , und nichts da sein , nichts ausgeübt werden dürfte , was nicht den allgemeinen Nutzen beförderte : und ich betrachte dann die menschliche Gesellschaft , wie sie wirklich ist , so möchte ich fast sagen , es scheint , daß die Vereinigung nicht entstanden ist , um allgemein besser zu werden , sondern um sich gegenseitig zu verschlimmern .
Da ist keine Aufmunterung zur Tugend , keine Abhärtung zum Kriege , keine Liebe des Vaterlands und der Religion , ja es ist keine Religion und kein Vaterland da , sondern jeder glaubt sich selbst der nächste zu sein , und häuft , ohne auf den gemeinen Nutzen zu sehen , die Güter auf erlaubte und unerlaubte Art zusammen , und vertändelt übrigens seine Zeit mit der ersten besten Torheit .
Die Kunst vorzüglich scheint ordentlich dazu erfunden , die besseren Kräfte im Menschen zu erlahmen , und nach und nach abzutöten .
Ihre gaukelnde Nachäffung , diese armselige Nachahmung der Wirklichkeit , worauf doch alles hinausläuft , zieht den Menschen von allen ernsten Betrachtungen ab , und verleitet ihn , seine angeborene Würde zu vergessen .
Wenn unser innerer Geist uns zur Tugend antreibt , so lehren uns die mannigfaltigen Künstler sie verspotten ; wenn die Erhabenheit mich in ihrer göttlichen Sprache anredet , so unterlassen es die Reimer oder Poeten nicht , sie mit Nichtswürdigkeiten zu überschreien .
Und daß ich namentlich von der gepriesenen Malerei rede . -
Ich habe den Maler , der mir Figuren , oder Bäume und Tiere auf Flächen hinzeichnet , nie höher angeschlagen , als den Menschen , der mit seinem Munde Vögel- und Tiergeschrei nachzuahmen versteht .
Es ist eine Künstelei , die keinem frommt , und die dabei doch die Wirklichkeit nicht erreicht .
Jeder Maler erlernt von seinem Meister eine gewisse Fertigkeit , einige Handgriffe , die er immer wieder anbringt , und wir sind dann gutmütige Kinder genug , uns vor sein Machwerk hinzustellen , und uns darüber zu verwundern .
Wie da von Genuß der Kunst die Rede sein kann , oder von Schönheit , begreife ich nicht , da diese Menschen die Begeisterung nicht kennen , da ihre Schöpfungen nicht aus schönen Stunden hervorgehen , sondern sie sich des Gewinstes wegen niedersetzen und Farben über Farben streichen , bis sie nach und nach ihre Figuren zusammengebettelt haben , und nun den Lohn an Geld dafür empfangen .
Wie sollen diese knechtischen Arbeiter auf edle Seelen wirken können , da sie es selber nicht einmal wollen ?
Sie dienen höchstens der Sinnlichkeit , und trachten vielleicht , elende Begierden zu erwecken , oder uns ein Lächeln über ihre verzerrten Gestalten abzuzwingen , damit sie doch irgendwas hervorbringen .
Ich meine also , daß man auf jeden Fall seine Zeit besser anwenden könne , als wenn man sich mit der Kunst beschäftiget . "
Franz konnte sich im Unwillen nicht länger halten , sondern rief aus :
" Ihr habt nur von unwürdigen Menschen gesprochen , die keine Künstler sind , die die Göttlichkeit ihres Berufs selber nicht kennen , und weil Ihr Euer Auge nur auf diese wendet , so wagt Ihr es , alle übrigen zu verkennen .
O Albert Dürer ! wie könnte ich es dulden , daß man so von deinem schönsten Lebenslaufe sprechen darf ?
Ihr habt entweder noch keine guten Bilder gesehen , oder die Augen sind Euch für ihre Göttlichkeit verschlossen geblieben , daß Ihr Euch erkühnt , sie so zu lästern .
Es mag gut sein , wenn in einem Staate alles zu einem Zwecke dient , es mag in gewissen Zeiträumen nötig sein , für das Wohl der Bürger , für die Unabhängigkeit , daß sie nur ihr Vaterland , nur die Waffen , die bürgerliche Freiheit , und nichts weiter lieben ; aber Ihr bedenkt nicht , daß in solchen Staaten jedes eigene Gemüt zugrunde geht , um nur das allgemeine Bild des Ganzen aufrecht zu erhalten .
Die Güter , um derentwillen dem Menschen die Freiheit teuer sein muß , die Regung aller seiner Kräfte , die Entwicklung aller Schätze seines Geistes , diese kostbarsten Kleinodien müssen wieder aufgeopfert werden , um nur jene Freiheit zu bewahren .
Über die Mittel geht der Zweck verloren , nach welchem jene Mittel streben sollten .
Ist es nicht die herrlichste Erscheinung , den Menschengeist kühn in tausend Richtungen , in tausend mannigfaltigen Strömen , wie die Röhren eines künstlichen Springbrunnens , der Sonne entgegenspielen zu sehen ?
Eben daß nicht alle Geister ein und dasselbe wollen ist erfreulich .
Darum laßt der unschuldigen kindischen Kunst ihren Gang , denn sie ist es doch , in der sich am reinsten , am lieblichsten , und auf die unbefangenste Weise die Hoheit der Menschenseele offenbart , sie ist nicht ernst , wie die Weisheit , sondern ein frommes Kind , dessen unschuldige Spiele jedes reine Herz rühren und erfreuen müssen .
Sie drückt den Menschen am deutlichsten aus , sie ist Spiel mit Ernst gemischt , und Ernst durch Lieblichkeit gemildert .
Wozu soll sie dem Staate , der versammelten Gesellschaft nützen ?
Wann hat sich je das Große und Schöne so tief erniedrigt , um zu nützen ?
Ein neues Feuer facht der große Mann , die edle Tat in einem einzelnen Busen an ; der Haufen staunt dumm , und begreift nicht und fühlt nicht , er betrachtet ebenso ein noch nie gesehenes Tier , er belächelt die Erhabenheit , und hält sie für Fabel .
Wen verehrt die Welt , und welchem Geiste wird gehuldigt ?
Nur das Niedrige versteht der Pöbel , nur das Verächtliche wird von ihm geachtet .
Zufälle und Nichtswürdigkeiten sind die Wohltäter des Menschengeschlechts gewesen , wenn du den häuslichen Nutzen dieser armen Welt so hoch anschlägst .
Und was drückst du mit dem Worte Nutzen aus ?
Muß denn alles auf Essen , Trinken und Kleidung hinauslaufen ? oder daß ich besser ein Schiff regiere , bequemere Maschinen erfinde , wieder nur um besser zu essen ?
Ich sage es noch einmal , das wahrhaft Hohe kann und darf nicht nützen ; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd , und es fordern , heißt , die Erhabenheit entadeln und zu den gemeinen Bedürfnissen der Menschheit herabwürdigen .
Denn freilich bedarf der Mensch vieles , aber er muß seinen Geist nicht zum Knecht seines Knechtes , des Körpers , erniedrigen :
er muß wie ein guter Hausherr sorgen , aber diese Sorge für den Unterhalt muß nicht sein Lebenslauf sein .
So halte ich die Kunst für ein Unterpfand unserer Unsterblichkeit , für ein geheimes Zeichen , an dem die ewigen Geister sich wunderbarlich erkennen .
Der Engel in uns strebt , sich zu offenbaren , und trifft nur Menschenkräfte an , er kann von seinem Dasein nicht überzeugen , und wirkt und regiert nun auf die lieblichste Weise , um uns , wie in einem schönen Traum , den süßen Glauben beizubringen .
So entsteht in der Ordnung , in wirkender Harmonie die Kunst .
Was der Weise durch Weisheit erhärtet , was der Held durch Aufopferung bewährt , ja , ich bin kühn genug es auszusprechen , was der Märtyrer durch seinen Tod besiegelt , das kann der große Maler durch seine Farben auswirken und bekräftigen .
Es ist der himmlische Strahl , der diesen Geistern nicht die müßige Ruhe erlaubt , sondern sie zu einer glänzenden Tätigkeit weckt .
Und daher sind es wohl die schönsten , die erhabensten Stunden , die ein Meister vor seinem Werke zubringt ; er legt bildlich die Liebe hinein , mit der er die ganze Welt an sein Herz drücken möchte , die Urschönheit , die Hoheit , vor der er niederkniet .
Alles dies trifft der verwandte Geist in den lieblichen Zügen wieder , die dem Barbaren unverständlich sind , er wird von diesen Winken entzückt , er fühlt seinen Geist in seiner Brust emporsteigen , er gedenkt alles Schönen , alles Großen , das ihn schon einst bewegte , und es ist nun nicht mehr das irdische Bild , das ihn rührt , liebliche Schatten vom Himmel herab fallen in sein Gemüt , und erregen eine bunte Welt von Wohllaut und süßer Harmonie in ihm. O wenn uns die holde Natur lieb ist , wenn wir gern die Pracht des Morgens , die Schimmer des Abends sehen , wenn die Schönheit in Menschengestalten uns anspricht , wie könnten wir uns dann gegen die süßvertrauliche Kunst so unfreundlich bezeigen ?
Gegen die Kunst , die sich bestrebt , uns alles das noch werter und teurer zu machen , uns mit uns selbst zu befreunden , die äußere Welt , die oft so hart um uns steht , mit unserem weichen Herzen zu versöhnen ?
Nein , es ist unmöglich , daß sich der Sinn irgendeines Menschen freiwillig abwende , es sind nur Mißverständnisse , die ihn vom himmlischen Genusse zurückhalten dürfen .
Zweifelt nicht , daß der Künstler in seinem schönen Wahne die ganze Welt , und jede Empfindung seines Herzens in seine Kunst verflicht ; er führt sein Leben nur für die Kunst , und wenn die Kunst ihm abstürbe , würde er nicht wissen , was er mit seinem übrigen Leben beginnen sollte .
Ihr erwähnt es als etwas Schändliches , daß der arme Künstler sich genötigt sieht , um Lohn zu arbeiten , daß er das Werk seines Geistes fortgeben muß , um seinem Körper dadurch fortzuhelfen ; er ist aber deshalb eher zu beklagen , als zu verachten .
Ihr kennt die Empfindung nicht , wenn ein Mann sein liebstes Werk , mit dem er so innig vertraut geworden ist , aus dem ihn sein Fleiß , und so viele mühevolle Stunden anlächeln , wenn er es nun aufopfern muß , es verstoßen und von sich entfremden , daß er es vielleicht niemals wiedersieht , bloß des schnöden Gewinstes wegen , und weil eine Familie ihn umgibt , die Nahrung fordert .
Es ist zu bejammern , daß in unserem irdischen Leben der Geist so von der Materie abhängig ist .
O wahrlich , kein größeres Glück könnte ich mir wünschen , als wenn mir der Himmel vergönnte , daß ich arbeiten dürfte , ohne an den Lohn zu denken , daß ich so viel Vermögen besäße , um ganz ohne weitere Rücksicht meiner Kunst zu leben , denn schon oft hat es mir Tränen ausgepreßt , daß sich der Künstler muß bezahlen lassen , daß er mit den Ergießungen seines Herzens Handel treibt , und oft von kalten Seelen in seiner Not die Begegnung eines Sklaven erfahren muß . "
Franz hielt eine kleine Weile ein , weil er sich wirklich die Tränen abtrocknete , dann fuhr er fort : " Auch kann es der Kunst zu keinem Vorwurfe gereichen , daß ihr unwürdige Menschen zu nahe treten , und sich ihr als Priester aufdrängen .
Daß es in ihr Abwege und Irrtümer geben kann , beweist eben ihre Erhabenheit .
Der Handwerker kann nur auf eine Art vortrefflich sein , in den mechanischen Künsten ist eine Erfindung die beste ; nicht also mit der göttlichen Malerei .
Je tiefer einige sinken , um so höher steigen andere ; wenn es jenen möglich ist , den Weg zu verfehlen , so ist es diesen dafür vergönnt , das Göttliche zu erreichen , und uns wie durch himmlische Offenbarung mitzuteilen . "
" Ihr habt Eure Sache recht wacker verteidigt " , sagte der Alte , " ob ich gleich noch manches dagegen einwenden könnte . "
Hier wurde das Gespräch durch die Nachricht unterbrochen , daß Vansens Tochter plötzlich krank geworden sei .
Der Vater war in der größten Unruhe , er schickte sogleich nach einem Arzte , und besuchte seine geliebte Sara .
Der Arzt kam und versicherte , daß keine Gefahr zu besorgen sei ; es war spät und die Gesellschaft ging auseinander .
Franz ging nicht nach seiner Wohnung , sondern begleitete die übrigen .
Alle hatten sich entfernt , und er war mit dem alten Manne allein .
" Ihr vergebt mir wohl " , fing er an , " meine Hitze , da ich Euch heute als ein junger Mensch so auffahrend widersprochen habe ; es kam , ohne daß ich sagen könnte , wie es geschah . "
" Wenn Ihr es so nehmt " , sagte der Alte , " so müßte ich Euch auch um Vergebung bitten , ich habe Euch nichts zu vergeben , Ihr seid ein wackerer Mensch und das freut mich . "
" Ihr glaubt recht zu haben " , sagte Franz .
" Laßt das " , fiel ihm der Alte ein ; " haben nicht alle Zungen recht und alle Unrecht ?
Jeder trachte danach , daß er es wahr und redlich mit sich meine , das ist die Hauptsache . "
Franz sagte :
" Wenn Ihr mir also nicht böse seid , so reicht mir zum Zeichen Eure Hand , denn mich gereut meine Heftigkeit . "
Der Alte drückte ihm die Hand herzlich , dann umarmte er ihn und sagte : " Sei immer glücklich , mein Sohn , und bewahre diese Herzensliebe zu allem Guten . "
Franz ging zufrieden nach seiner Herberge .
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Rudolph war indessen nach Antwerpen gekommen , und da der Winter fast verflossen war , hatten sie ihre baldige Abreise beschlossen .
Franz war damit beschäftiget , noch einige Bilder zu endigen , die er übernommen hatte , und unter diesen auch das von Vansens Tochter , die zwar wiederhergestellt , aber doch nicht zufriedener und heiterer war , als er sie seit lange gesehen hatte .
Als man sich das nächstemal wieder bei Vansen versammelte rief dieser den jungen Maler , als er in das Haus trat , beiseite und sagte zu ihm : " Entfernt Euch heute nicht mit den übrigen , denn ich habe etwas Wichtiges mit Euch zu sprechen . "
Als sie in den Saal traten , war die Rede wieder von der Kunst , und der neulich so strenge Alte schien sich heute gern belehren zu lassen .
Ein angesehener Mann , der auch ein Sammler war , sagte :
" Nicht ohne Rührung habe ich an den neulichen Streit gedacht , und mir ist ein alter Brief , oder vielmehr die Erzählung eines auswärtigen Freundes in die Hände gefallen , den ich euch heute mitteilen will , weil er sich besonders über den Gedanken verbreitet , der neulich auch erörtert wurde , wie schmerzlich es nämlich dem Künstler oft fallen müsse , sich von den geliebten Werken seines Fleißes auf immer zu trennen .
Mein Freund ist ebenfalls ein Enthusiast für die Kunst , er sammelt viel , und sandte mir diese Erzählung , weil wir uns oft unsere Gedanken über dergleichen Gegenstände mitteilen , schon vor mehreren Jahren , und ich kann freilich nicht wissen , inwiefern sie Wahrheit enthält , oder ob sie zum Teil eine Erfindung ist , um eine Vorstellung klarer ins Licht zu stellen . "
Der Alte , so wie die übrigen , baten , sie mitzuteilen , Sternbald besonders war begierig , und jener zog einige Blätter hervor , und las folgendes :
" Ich war auf dem gewohnten Gange nach dem Walde begriffen , und freute mich schon im voraus , daß nun das Gemälde von der Heiligen Familie vollendet sein würde .
Es war mir verdrießlich , daß der Maler so lange zögerte , daß er immer noch nicht meinen dringenden Bitten nachgab , zu endigen .
Alle Gestalten , die mir begegneten , einzelne Gespräche , die ich unterwegs hörte , nichts ging mich an , denn nichts davon hatte Bezug auf mein Gemälde ; die ganze außenliegende Welt war mir jetzt nur ein Anhang , höchstens eine Erklärung zur Kunst , meiner liebsten Beschäftigung .
Einige alte arme Leute gingen vorbei , aber es war keiner darunter , der zu einem Joseph getaugt hätte , kein Mädchen hatte Spuren vom Antlitz der göttlichen Jungfrau , zwei Alte sahen mich an , als ob sie sich nicht unterständen , ein Almosen zu begehren ; aber erst lange nachher fiel es mir ein , daß ich sie mit einer Kleinigkeit hätte fröhlich machen können .
Es war ein heiterer Tag , die Sonne schien in die Dunkelheit sparsam hinein , nur an einzelnen Stellen sah ich die lichte Bläue des Himmels .
Ich dachte : » O wie beglückt ist dieser Maler , der hier in der Einsamkeit , zwischen schönen Felsen , zwischen hohen Bäumen seinen Genius erwarten darf , dem keine andere der kleinlichen menschlichen Beschäftigungen nahetritt , der nur seiner Kunst lebt , nur für sie Auge und Seele hat .
Er ist der glücklichste unter den Menschen , denn die Entzückungen , die uns nur auf Augenblicke besuchen , sind in seinem kleinen Hause einheimisch die hohen Götter sitzen neben ihm , geheimnisreiche Ahnung , zärtliche Erinnerung spielen unsichtbar um ihn , Zauberkräfte lenken seine Hand , und unter ihr entsteht die wundervolle Schöpfung , die er schon vorher kennt , befreundet tritt sie aus dem Schatten , der sie dem Auge zurückhält . «
Unter diesen Gedanken hatte ich mich der Wohnung genähert , die abseits im Holze lag .
Auf einem freien weiten Platze stand das Haus , hohe Felsen erhoben sich hinter seinem Rücken , von denen Tannen rauschten und krauses Gebüsch sich im Winde oben rührte .
Ich klopfte an die Hütte .
Die beiden Kinder des Malers waren zu Hause , er selbst war nach der Stadt gegangen , um einzukaufen .
Ich setzte mich nieder , das Gemälde stand auf der Staffelei , aber es war ganz vollendet .
Es übertraf meine Erwartung , meine Augen wurden auf den schönen Gestalten festgehalten : die Kinder spielten um mich her , aber ich gab nicht sonderlich acht darauf , sie erzählten mir dann von ihrer kürzlich gestorbenen Mutter , sie wiesen auf die Jungfrau , ihr sei sie ähnlich gewesen , sie glaubten sie noch vor sich zu sehen .
» Wie herrlich ist diese Wendung des Kopfs ! « rief ich aus , » wie überdacht ! wie neu !
Wie wohl ist alles angeordnet !
Nichts Überflüssiges , und doch , welche herrliche Fülle ! «
Das Gemälde wurde mir immer lieber , ich sah es in Gedanken schon in meinem Zimmer hängen , meine entzückten Freunde davor versammelt .
Alle übrigen Bilder , die in der Malerstube umherstanden , waren in meinen Augen gegen dieses unscheinbar , keine Gestalt war so innig beseelt , so durch und durch mit Leben und Geist angefüllt , wie auf der Tafel , die ich schon als die meinige betrachtete .
Die Kinder beschauten indessen den fremden Mann , sie verwunderten sich über jede meiner Bewegungen .
Ihnen waren die Gemälde , die Farben alltäglich , sie wußten sich davon nichts Sonderliches , aber mein Kleid , mein Hut , diese Gegenstände waren ihnen dafür desto merkwürdiger .
Nun kam der Alte mit einem Korbe voll Eßwaren aus der Stadt , er war böse , daß er die alte Frau aus dem benachbarten Dorfe noch nicht antraf , die für ihn und seine Kinder kochen mußte .
Er teilte den Kindern einige Früchte aus , er schnitt ihnen etwas Brot , und sie sprangen damit vor die Tür hinaus , lärmten und verloren sich bald in das Gebüsch .
» Ich freue mich , « fing ich an , » daß Ihr das Bild fertig gemacht habt .
Es ist über die Maßen wohl geraten , ich will es noch heute abholen lassen . «
Der alte Mann betrachtete es aufmerksam , er sagte mit einem Seufzer : » Ja , es ist nun fertig , ich weiß nicht , wann ich wieder ein solches werde malen können ; laßt es aber bis morgen stehen , wenn Ihr mir gefällig sein wollt , daß ich es bis dahin noch betrachten kann . «
Ich war zu eifrig , ich wollte es durchaus noch abholen lassen , der Maler mußte sich endlich darin finden .
Ich fing nun an , das Geld aufzuzählen , als der Maler plötzlich sagte :
» Ich habe es mir seitdem überlegt , ich kann es Euch unmöglich für denselben geringen Preis lassen , für den Ihr das letzte bekommen habt . «
Ich verwunderte mich darüber , ich fragte ihn , warum er bei mir gerade anfangen wolle , seine Sachen teurer zu halten , aber er ließ sich dadurch nicht irremachen .
Ich sagte , daß ihm das Gemälde wahrscheinlich stehenbleiben würde , wenn er seinem Eigensinne folgte , da ich es bestellt habe , und es kein anderer nachher kaufen würde , wie es ihm schon mit so manchen gegangen .
Er antwortete aber ganz kurz : die Summe sei klein , ich möchte sie verdoppeln , es sei nicht zu viel , übrigens möchte ich ihn nicht weiter quälen .
Es verdroß mich , daß der Maler gar keine Rücksichten auf meine Einwendungen nahm , ich verließ ihn stillschweigend , und er blieb nachdenkend auf seinem Sessel vor dem Bilde sitzen .
Ich begriff es nicht , wie ein Mensch , der von der Armut gedrückt sei , so hartnäckig sein könne , wie er in seinem Starrsinne so weit gehe , daß er von seiner Arbeit keinen Nutzen ziehen wolle .
Ich strich im Felde umher , um meinen Verdruß über diesen Vorfall zu zerstreuen .
Als ich so herumging , stieß ich auf eine Herde Schafe , die friedlich im stillen Tale weidete .
Ein alter Schäfer saß auf einem kleinen Hügel , in sich vertieft , und ich bemerkte , daß er sorgsam an einem Stocke schnitzelte .
Als ich näher trat und ihn grüßte , sah er auf , wobei er mir sehr freundlich dankte .
Ich fragte ihn nach seiner Arbeit , und er antwortete lächelnd .
» Seht , mein Herr , jetzt bin ich mit einem kleinen Kunststücke fertig , woran ich beinahe ein halbes Jahr ununterbrochen geschnitzt habe .
Es fügt sich wohl , daß reiche und vornehme Herren sich meine unbedeutenden Sachen gefallen lassen und sie mir abkaufen , um mir mein Leben zu erleichtern , und deshalb bin ich auf solche Erfindungen geraten . «
Ich besah den Stock , als Knopf war ein Delphin ausgearbeitet , mit recht guter Proportion , auf dem ein Mann saß , welcher eine Zither spielte .
Ich merkte , daß er den Arian vorstellen solle .
Am künstlichsten war es , daß der Fisch unten , wo er sich an den Stock schloß , ganz fein abgesondert war , es war zu bewundern , wie ein Finger die Geduld und Geschicklichkeit zugleich haben konnte , die Figuren und alle Biegungen so genau auszuhöhlen , und doch so frei dabei zu arbeiten ; es rührte mich , daß das mühselige Kunststück nur einen Knopf auf einem gewöhnlichen Stocke bedeuten solle .
Der alte Mann fuhr fort zu erzählen , daß er unvermutet ein Lied von diesem Delphin und Arian angetroffen , das ihm seither so im Sinne gelegen , daß er die Geschichte fast wider seinen Willen habe schnitzen müssen .
» Es ist recht wunderbar und schön , « sagte er , » wie der Mann auf den unruhigen Wogen sitzt , und ihn der Fisch durch seinen Gesang so liebgewinnt , daß er ihn sicher an das Ufer trägt .
Lange habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen , auf welche Weise ich wohl das Meer machen könnte , so daß man auch die Not und das Elend des Mannes gewahr würde , aber dergleichen war pur unmöglich , wenn ich auch die See mit Strichen und Schnitzen hätte daran machen wollen , so wäre es doch nachher nicht so künstlich gewesen , wie jetzt der Stock durch den feinen Schwanz des Fisches mit dem oberen Bilde verbunden ist . «
Er rief einen jungen Burschen , seinen Enkel , der mit dem Hunde spielte , und befahl ihm das Lied abzusingen , worauf jener in einer einfachen Weise diese Worte sang : Arian schifft auf Meereswogen Nach seiner teuren Heimat zu , Er wird von Winden fortgezogen , Die See in stiller , sanfter Ruhe .
Die Schiffer stehen von fern und flüstern , Der Dichter sieht ins Morgenrot Nach seinen goldenen Schätzen lüstern Beschließen sie des Sängers Tod .
Arian merkt die stille Tücke , Er bietet ihnen all sein Gold , Er klagt und seufzt , daß seinem Glücke Das Schicksal nicht wie vordem hold .
Sie aber haben es beschlossen Nur Tod gibt ihnen Sicherheit , Hinab ins Meer wird er gestoßen ; Schon sind sie mit dem Schiffe weit .
Er hat die Leier nur gerettet , Sie schwebt in seiner schönen Hand ; In Meeresfluten hingebettet Ist Freude von ihm abgewandt .
Doch greift er in die goldenen Saiten , Daß laut die Wölbung widerklingt , Stadt mit den Wogen wild zu streiten , Er sanft die zarten Töne singt : » Klinge Saitenspiel !
In der Flut Wächst mein Mut , Sterbe ich gleich , verfehl ich nicht mein Ziel .
Unverdrossen Komme ich , Tod , Dein Gebot Schreckt mich nicht , mein Leben wurde genossen .
Welle hebt Mich im Schimmer , Bald den Schwimmer Sie in tiefer , nasser Flut begräbt . «
So klang das Lied durch alle Tiefen , Die Wogen wurden sanft bewegt , In Abgrunds Schluchten , wo sie schliefen , Die Seegetier aufgeregt .
Aus allen Tiefen blaue Wunder , Die hüpfend um den Sänger ziehen , Die Meeresfläche weit hinunter Beschwemmen die Tritonen grün .
Die Wellen tanzen , Fische springen , Seit Venus aus den Fluten kam Man dieses Jauchzen , Wonneklingen In Meeresvesten nicht vernahm .
Arian sieht mit trunkenen Blicken Lautsingend in das Seegewühl , Er fährt auf eines Delphins Rücken , Schlägt lächelnd in sein Saitenspiel .
Des Fisches Sinn zum Dienst gezwungen Naht schon mir ihm der Felsenbank , Er landet , hat den Fels errungen , Und singt dem Fährmann seinen Dank .
Am Ufer kniet er , dankt den Göttern , Daß er entrann dem nassen Tod .
Der Sänger triumphiert in Wettern , Ihn rührt Gefahr nicht an und Tod .
Der Knabe sang das Lied mit einem sehr einfachen Ausdrucke , indem er stets die kunstreiche Arbeit seines Großvaters betrachtete .
Ich fragte den Hirten , wieviel er für sein Kunstwerk verlange , und der geringe Preis , den er forderte , setzte mich in Erstaunen .
Ich gab ihm mehr als er wollte , und er war außer sich vor Freuden , aber noch einmal nahm er mir den Stock aus der Hand , und betrachtete ihn genau .
Er weinte fast , indem er sagte : » Ich habe so lange an dieser Figur geschnitzt , und muß sie nun in fremde Hände geben , es ist vielleicht meine letzte Arbeit , denn ich bin alt , und die Finger fangen mir an zu zittern , ich kann nichts so Künstliches wieder zustande bringen .
Seit ich mich darauf geübt habe , sind viele Sachen von mir geschnitten , aber noch nichts habe ich bisher mit diesem Eifer getrieben ; es ist mein bestes Werk . «
Es rührte mich , ich nahm Abschied und begab mich auf den Weg zur Stadt .
Je näher ich dem Tore kam , je mehr fiel es mir auf , je wunderlicher kam ich mir vor , daß ich mit einem so langen Stabe näher schritt .
Ich dachte daran , wie es allen Einwohnern der Stadt , allen meinen Bekannten auffallen müsse , wenn ich mit dem langen Holze durch die Gassen zöge , an dem oben ein großes Bild sich zeigte .
» Dem ist leicht vorzubeugen , « dachte ich bei mir selber , und schon hatte ich meine Faust angelegt , den bunten Knopf herunterzubrechen , um ihn in die Tasche zu stecken , und den übrigen Teil des Stocks dann im Felde fortzuwerfen .
Ich hielt wieder ein .
» Wie viele mühevolle Stunden , « sagte ich , » hast du , Alter , darauf verwandt , um den künstlichen Fisch mit dem Stocke zusammenzuhängen , dir wäre es leichter gewesen , ihn für sich zu schneiden , und wie grausam müßte es dir dünken , daß ich jetzt aus falscher Scham die schwerste Aufgabe deines mühseligen Werks durchaus vernichten will . «
Ich warf mir meine Barbarei vor , und war mit diesen Gedanken schon in das Tor gekommen , ohne es zu bemerken .
Es ängstete mich gar nicht , daß die Leute mich aufmerksam betrachteten ; wohlbehalten und unverletzt setzte ich in meinem Zimmer den Stock unter anderen Kunstsachen nieder .
Die Arbeit nahm sich zwar nun nicht mehr so gut aus , als im freien Felde , aber innigst rührte mich immer noch der unermüdliche Fleiß , diese Liebe , die sich dem lieblosen Holze , der undankbaren Materie so viele Tage hindurch angeschlossen hatte .
Indem ich das Werk noch betrachtete , fiel mir der Maler wieder in die Gedanken .
Es gereute mich nun recht herzlich , daß ich so unfreundlich von ihm gegangen war .
Ihm war die Bildung seiner Hand und seiner Phantasie auch so befreundet , die er nur für eine Nichtswürdigkeit einem Fremden auf immer überlassen sollte .
Ich schämte mich , zu ihm zu gehen und meine Reue zu bekennen , aber da standen die Gestalten der armen Kinder vor meinen Augen , ich sah die dürftige Wohnung , den bekümmerten Künstler , der , von der ganzen Welt verlassen , die Bäume und benachbarten Felsen als seine Freunde anredete .
» Wie einsam ist der Künstler « , seufzte ich laut , » den man nur wie eine schätzbare Maschine behandelt , die die Kunstwerke hervorgibt , die wir lieben , den Urheber selbst aber vernachlässigen :
es ist ein gemeiner , verdammender Eigennutz . «
Ich schalt meine Scham , die mich an dem Tage fast zweimal grausam gemacht hatte ; noch vor Sonnenuntergang ging ich nach dem Walde hinaus .
Als ich vor dem Hause stand , hörte ich den Alten drinnen musizieren ; es war eine wehmütige Melodie , die er spielte , er sang dazu :
» Von aller Welt verlassen Bist du , Maria , nah , Wenn Mensch und Welt mich hassen Stehst du mir freundlich da , So bin ich nicht verlassen Wenn ich dein Auge sah . «
Mein Herz klopfte , ich riß die Tür auf , und fand ihn vor seinem Gemälde sitzen .
Ich fiel ihm weinend um den Hals , und er wußte erst nicht , was er aus mir machen sollte .
» Mein steinernes Herz , « rief ich aus , » hat sich erweicht , verzeiht mir das Unrecht , das ich Euch heute morgen tat . «
Ich gab ihm für sein Bild weit mehr , als er gefordert , als er erwartet hatte , er dankte mir mit wenigen Worten .
» Ihr seid , « fuhr ich fort , » mein Wohltäter , nicht ich der Eurige , ich gebe , was Ihr von jedem erhalten könnt , Ihr schenkt mir die kostbarsten , innersten Schätze Eures Herzens . «
Der Maler sagte : » Wenn Ihr das Bild abholen laßt , so erlaubt mir nur , daß ich manchmal , wenn es Euch nicht stört , oder Ihr nicht zu Hause seid , in Eure Wohnung kommen darf , um es zu betrachten .
Eine unbezwingbare Wehmut nagt an meinem Herzen , alle meine Kräfte erliegen , und das Bild ist vielleicht das letzte , das meine Hände erschaffen haben .
Dazu so trägt die Muttergottes die Bildung meiner gestorbenen Gattin , des einzigen Wesens , das mich auf Erden jemals wahrhaftig geliebt hat :
ich habe lange daran gearbeitet , meine beste Kunst , mein herzlichster Fleiß ist in diesem Gemälde aufbewahrt . «
Ich umarmte ihn wieder :
wie herzensarm , wie verlassen , wie gekränkt und einsam schien mir nun derselbe Mann , den ich am Morgen noch glaubte beneiden zu können ! -
Er wurde von diesem Tage mein Freund , wir ergötzten uns oft , indem wir vor seinem Bilde Hand in Hand saßen .
Aber er hatte recht .
Nach einem halben Jahre war er gestorben , er hatte mancherlei angefangen , aber nichts vollendet .
Seine übrigen Arbeiten wurden in einer Versteigerung ausgeboten , ich habe vieles an mich gehandelt .
Mitleidige Menschen nahmen die Kinder zu sich : auch ich unterstütze sie .
Ein Tagelöhner wohnt mit seiner Familie nun in der Hütte , wo sonst die Kunst einheimisch war , wo sonst freundliche Gesichter von der Leinwand blickten .
Oft gehe ich vorüber und höre einzelne Reden der Einwohner , oft sehe ich auch den alten Hirten noch .
- Niemals kann ich an diesen Vorfall ohne heftige Rührung denken . "
- Sternbald weinte und Vansen sagte :
" Ja wohl ist dergleichen zu bejammern , und ich habe immer gern Künstlern geholfen und von ihnen arbeiten lassen ; was der Frühling der Welt , ist die Kunst dem übrigen Menschenleben . "
" Neben jenem Punkte " , sagte der Alte , " den die Erzählung , mag sie nun offen da sein , oder nicht , erörtern soll , lehrt sie auch , wie selbstsüchtig diese scheinbar zartesten Gefühle den Menschen machen können , und so könnte ich , wenn ich streiten wollte , sie als eine Bestätigung meiner natürlichen Behauptungen ansehn , da sie doch gegen diese hauptsächlich zu kämpfen scheint .
So ist das meiste im Leben doppelt und vielfach , und es ist gut , sich zu gewöhnen , die Dinge von verschiedenen , oft entgegengesetzten Seiten anzusehen . "
Als sich nach dem heiteren Abendessen die übrigen Gäste entfernten , blieb Sternbald zurück und folgte dem Vansen auf dessen Wink in ein abgelegenes Zimmer .
" Lange schon " , fing der Alte an , " habe ich über eine Sache mit Euch sprechen wollen , aber noch immer nicht die gelegene Zeit dazu treffen können . "
Sie setzten sich und Vansen fuhr in einem vertraulichen Tone fort : " Je mehr ich Euch kennenlerne , lieber Sternbald , je mehr muß ich Euch hochschätzen , denn die jugendliche Schwärmerei , die Euch zuzeiten mit sich fortreißt , wird sich gewiß mit den Jahren verlieren .
Seht , das ist das einzige , was ich allenfalls gegen Euch hätte , aber sonst lieb ich Euch so sehr , wie ich bis jetzt noch keinen Menschen wertgehalten habe .
Dazu bekennt Ihr Euch zu einer Kunst , die ich von Jugend auf vorzüglich verehrt habe .
Ich will Euch näherkommen .
Ich weiß nicht , ob Ihr das sonderbare Betragen meiner Tochter bemerkt habt , seit Ihr in unserem Hause bekannt geworden seid ; meine Sara war sonst nie so melancholisch , sondern die Lustigkeit selbst ; seit sie Euch gesehen hat , ist ihr ganzer Sinn umgewandt .
Sagt mir aufrichtig , wie gefällt sie Euch ? " Franz versicherte , daß er sie sehr liebenswürdig finde , und der Vater fuhr fort :
" Seit vielen Jahren habe ich es mir fest vorgenommen , und es ist ein Vorsatz , von dem ich gewiß nicht weiche , daß niemand als ein geschickter Maler mein Eidam werden soll .
Es kommt nun bloß auf Euch an , ob ich in Euch meinen Mann gefunden habe .
Ich weiß alles , was Ihr mir antworten könnt , aber laßt mich ausreden .
Ich will Euch damit keineswegs von Eurer Reise zurückhalten , sondern ich muntere Euch vielmehr selber auf , Italien zu besuchen und dort zu studieren .
Meine Tochter liebt Euch , Ihr versprecht Euch mit ihr , und mein Vermögen macht Euch die Reise bequemer und nützlicher .
Ihr kommt dann zurück , und was ich besitze sichert Euch vor dem Mangel .
Ihr könnt dann Eurer Kunst , wie Ihr Euch immer gewünscht habt , mit allen Kräften obliegen .
Ihr braucht nicht des Gewinstes wegen zu arbeiten , was Ihr uns neulich mit so vieler Rührung als das größte Unglück des Künstlers vorstelltet , und wodurch ich selber bewegt wurde ; Ihr werdet bekannt und berühmt , meine Tochter ist mit Euch glücklich , und alle meine Wünsche sind erfüllt . "
Franz war heftig bewegt , er dankte in den wärmsten Ausdrücken dem Kaufmann für sein Wohlwollen , er bat ihn , noch jetzt keine entscheidende Antwort zu verlangen und sein Zögern nicht übel zu deuten .
Er verließ ihn , und schweifte mit tausend Vorstellungen durch die Straßen umher .
So nahe auf ihn zu war das wirkliche Leben noch nie getreten , um sein inneres poetisches zu verdrängen , und doch war es ein weit höheres , als seine Pflegemutter oder Zeuner ihm anbieten konnten ; er fühlte sich angezogen und zurückgestoßen , das schöne Bild seiner Phantasie stand bald ganz hell vor ihm , bald rückte es tief in den Hintergrund hinab .
Hier bot sich ihm ganz unverhofft eine sichere Zukunft an , eine Lebensweise , wie sie immer sein Wunsch gewesen war , und man forderte nichts weiter von ihm , als einen Schatten , ein Traumbild aufzuopfern , das nicht sein war .
Doch fürchtete er sich wieder , so seinen Lebenslauf zu bestimmen und sich selber Grenzen zu setzen ; die Sehnsucht rief ihn wieder in die Ferne hinein , seltsame Töne lockten ihn und versprachen ihm ein goldenes Glück , das weit ab seiner warte .
" Mein Leben fängt an ein Leben zu werden " , rief er aus , " sich so zu gestalten , wie ich es seit früher Kindheit nur mit Sehnsucht wünschen konnte , Liebe und Wohlwollen kommen mir entgegen und tragen das Füllhorn , das mich gegen Unglück und Demütigungen beschützen soll , in reichen Händen .
Und was ist es denn , was sich in mir dagegen auflehnt ?
Ein Nachtgebilde , ein Traumgespenst , das mit phantastischen fremden Wundern gekränzt ist .
Kann mich das Schicksal auf gelindere Weise aus meinem Traume voll Unmöglichkeiten wecken ?
Wäre ich nicht wahnsinnig , das gewisseste , edelste Gut gegen jenen Schatten eines Schattens auf das Spiel zu setzen ? "
Er dachte , wie sehnlich Sara seiner Antwort warten möchte , und mit welchen Leiden sie sich ihm so lange verborgen habe :
es schien ihm , daß er es diesem lieben Wesen schuldig sei , ihr alle diese um ihn erduldeten Schmerzen zu vergüten , und in dieser Stimmung besuchte er am anderen Morgen seinen Freund Rudolph .
So vertraut er mit diesem war , so konnte er ihm doch nie seine Geschichte , so wie seine wunderbare Liebe entdecken , es war nur Sebastian , dem er dergleichen vertrauen durfte .
Aber er erzählte ihm jetzt Vansens Vorschlag , und bat um seinen Rat .
" Wie soll ich dir hierin raten ? " rief Rudolph lachend aus ; " das Ratgeben ist überall eine unnütze Sache , aber vollends bei der Ehe ; jeder Mensch muß sein eigenes Glück machen : und dann kommt auch deine Frage viel zu früh , denn du weißt ja nicht einmal , ob dich das Mädchen auch wirklich haben will . "
Franz stutzte .
Das Wort Ehe erweckte überdem mancherlei Vorstellungen bei ihm .
Er sah alle die Szenen einer ruhigen Häuslichkeit vor sich , Kinder , die ihn umgaben , er hörte die Gespräche seines Schwiegervaters und der Freunde , er fühlte seine frische Jugend verschwunden und sich eingelernt in die ernsteren Verhältnisse des Lebens ; seine wunderbaren Gefühle und Wünsche , das zauberische Bild seiner Geliebten , alles hatte Abschied genommen und sein Herz hing an nichts mehr glühend .
Es war wie ein klarer geschäftiger Tag , der nach der Pracht des Morgenrots erwacht ; wie eine Rede nach einem ausgeklungenen Liede .
Seine Brust war beängstigt , er wußte sich nicht zu fassen und verließ unmutig den lachenden Florestan .
" Wie ist es mit dem Leben ? " dachte er bei sich selber , " irgendeinmal ist dieser Taumel der Jugend doch verflogen , endlich einmal nimmt mich doch jenes Leben in Empfang , dem ich jetzt so scheu aus dem Wege trete .
Wie wird mir sein , wenn meine schönen Träume hinter mir liegen ? "
Er nahm sich vor , sich durch ein offenes Gespräch mit der Tochter selbst bestimmen zu lassen .
Mit schwerem Herzen lenkte er in die Gasse ein und zitterte , als er das Haus erblickte und betrat , doch schritt er mutiger die Treppe hinan , als wenn ihm eine frohe Ahnung entgegenkäme .
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Als Franz in das Zimmer trat , fand er die Tochter allein , die die Zither spielte ; sie dünkte ihm liebenswürdiger als je .
Sie lehnte sich , wie in Sehnsucht aufgelöst , auf dem Ruhebette zurück , und sang eben die letzten Verse eines schmachtenden Liebesgedichtes .
Er nahte verlegen , sie bemerkte ihn endlich , aber auch zugleich seine Ängstlichkeit , sie stand auf , faßte ihn zärtlich bei der Hand und fragte : ob er krank sei ?
" O meine teure , schöne , mir so freundlich liebe Sara " , fing Franz an , " in meinem Herzen ist ein Sturm , eine Verwirrung , die Ihr vielleicht lösen und beruhigen könnt , wenn ich Euch recht aufrichtig meine sonderbaren Leiden vertraue , und zugleich alles , was mir begegnet ist . "
" Setzt Euch , mein lieber Freund " , sagte Sara , als die Magd hereintrat , auf welche Sara sogleich errötend zulief , sie bei der Hand nahm , und sich mit ihr in den Bogen eines Fensters stellte , um ein eifriges heimliches Gespräch mit ihr zu führen .
Sara schien zu erschrecken und die Magd entfernte sich wieder .
" Gott im Himmel ! " rief das Mädchen unter Tränen aus , indem sie sich auf das Ruhebett warf ; " also ist es nun gewiß ?
Ich kann mich nicht mehr täuschen ?
Alles wird Wahrheit , schreckliche Wahrheit , was immer nur noch als düstre Ahnung mich umschwebte . "
Tränen und Schluchzen erstickten ihre Sprache , und Franz trat freundlich zu ihr , ihr einige tröstende Worte zu sagen , und sich nach der Ursache ihrer Wehklage zu erkundigen .
Sie ließ ihn neben sich niedersitzen und richtete einen zärtlichen Blick auf ihn .
" Nein , mein liebster Freund " , rief sie , " ich habe mich nicht mehr in meiner Gewalt , ich muß Euch mein Leiden klagen , Euch vertraue ich allein , und Ihr werdet mein Vertrauen nicht mißbrauchen .
Seit acht Wochen leide ich unaussprechlich .
Ihr seid gut , Ihr habt Mitleid mit mir getragen , ich habe es wohl bemerkt .
Was soll ich Euch sagen ?
Ich liebe , ich bin unglücklich , ohne Hoffnung .
Ein junger Mann in unserer Nachbarschaft , ohne Vermögen , ohne Stand , aber das liebevollste Herz , die biederste Treue - ach ! weiß ich es , wie mein Auge , und bald darauf meine ganze Seele immer nach ihm gerichtet wurde ?
Begreife ich es , wie es kam , daß wir uns sprachen , uns alles sagten ?
Nun ist er krank geworden , krank aus Liebe , jetzt ohne Trost , und seit gestern ist sein Zustand gefährlich , da ihm jemand erzählt hat , daß mein Vater mich verheiraten wolle .
Mein Vater kann es nicht wollen , er kann meinen Tod nicht wünschen .
Geht zu ihm , Ihr mein liebster , mein einziger Freund , beruhigt ihn , tröstet ihn .
Ach ! wollt Ihr Euch mir so gütig erzeigen ?
Gewiß , es glänzt eine himmlische Güte aus Euren Augen .
Er wird Euch rühren , Ihr werdet ihn auch lieben müssen , gewiß , wenn auch nicht so , wie ich . "
Franz ließ sich das Haus bezeichnen und eilte atemlos dahin .
Er kam in eine armselige Stube , in welcher der Kranke in einem Bette lag , und vor sich Papiere hatte , auf denen er zeichnete .
Als Sternbald näher kam , erstaunte er , den Schmied vor sich zu sehen , mit dem er vor Nürnberg am Tage seiner Auswanderung gesprochen hatte .
" O mein lieber Freund ! " rief er aus , " wie ist es möglich , daß ich Euch nicht früher irgendwo gesehen habe ?
Jetzt führt mich das sonderbarste Verhältnis , der schönste Befehl zu Euch .
Längst hätte ich Euch aufgesucht , wenn ich nur ahnden konnte , daß Ihr wieder in Antwerpen wärt . "
Der junge Schmied erkannte den Maler auch sogleich wieder und hüllte sich weinend in die Kissen , als Franz von Sara sprach , und er hörte , welche zärtliche Botschaft sie ihm sende .
" O Maler ! " rief er aus , " Ihr glaubt nicht , was ich ausgestanden habe , seitdem ich Euch damals gesprochen hatte .
Aber über Euch muß ich klagen , denn Ihr seid eigentlich schuld an allem : ist es doch nicht anders , als wäre damals von Eurer Zunge Gift durch meine Ohren in meinen Körper geflossen , daß sich seitdem alle meine Sinne verdreht und verschoben haben , und ich darüber ein ganz anderer Mensch geworden bin .
Seit ich Euren Dürer sah , hatte ich keine Ruhe mehr in mir selber , es war , als wenn es an allen meinen Sinnen zöge und arbeitete , daß ich immer an Malereien und Zeichnungen denken mußte ; an nichts in der Welt fand ich mehr Gefallen , die Schmiedearbeit war mir zur Last .
Ich zeichnete täglich etwas , und selbst in der Krankheit kann ich es nicht lassen ; seht , da habe ich eine herrliche Figur von Lukas von Leiden . "
Franz betrachtete sie ; der junge Mensch hatte sie sehr gut kopiert , und Franz verwunderte sich darüber , daß er es ohne allen Unterricht so weit habe bringen können .
Der Schmied fuhr fort :
" So kam ich nach Antwerpen zurück und nichts war mir hier recht .
Ich hatte immer noch den Dürer und seine Werkstätte im Kopf , es kam so weit , daß ich mich meines Hammers schämte , ich verdarb die Arbeit , ich konnte nicht mehr fort .
Es lebt hier der alte Messys , der Maler , der auch ein Schmied gewesen ist .
Ich wollte auch nicht mehr arbeiten , denn jeder Schlag auf dem Amboß ging mir durch Herz und Gehirn , weil ich glaubte , daß ich mit jedem meine Hand schwerer und unbehilflicher machte , und darüber noch weniger würde zeichnen können .
Ich warf den Hammer weg , wie meinen ärgsten Feind .
Nun kamen und gingen mir Bilder hin und her , und auf und ab ; alles wollte ich in Gedanken malen , ich träumte von großen Sälen , die alle dicht voll Schildereien hingen , die ich gemacht hatte .
Das war aber noch nicht das größte Unglück , daß ich mich schon unter den übrigen Menschen wie ein Halbverrückter umtrieb .
Bis dahin hatte es auf mir nur noch wie auf kaltem Eisen gehämmert , aber nun kam ich in die Glut , und da wurde vollends mein altes Wesen aus mir herausgebrannt und - geschlagen als wenn viele tausend Funken bei jedem Hiebe aus Brust und Herzen flogen .
O Maler , ich habe viel ausgestanden .
Seht , Freund , ich habe wohl sonst auch die Menschen , und Weiber und Mädchen mit einem scharfen , guten Auge angesehen , aber seit ich mich geübt hatte , daß ich in allen schönen Linien mit meiner Seele mitging , seit ich gefühlt hatte , was die wundersame Farbe bedeuten könne , und wie gleichsam ein ganzes Paradies von Wangen und Lippen und ein ewiges Firmament aus den Augen leuchten könne , da war ich ein verlorener Mensch , denn gerade um die Zeit , als dies Gefühl mich , möchte ich doch sagen wie ein heißes Fieber befiel , sah ich sie , Sara , bei schönem Sommerwetter in der Türe stehen .
Ich hatte sie früher auch schon gesehen und immer gedacht :
» Ein schönes , reiches Mädchen ! « aber sie blieb die Fremde , die mich nichts anging :
- aber von jener Stunde an , Maler- doch Ihr begreift es nicht , wenn ich es auch sagen wollte ; - von jenem Augenblick , als ich sie so im Vorbeigehen ansah und grüßte , wie oft geschehen war , und sie mich grüßte - seht , da flog aus ihrem Auge in meins , und in meine Seele eine Angst , eine Lust , ein ganzer Himmel hinein , so daß mir mein ganzes Wesen zu enge wurde , daß es wie tausend und aber tausend Frühlingsbäume und Blumenbeete in mir aufging , knospte , und mit allen Prachtfarben losbrach , und mein Herz von den unzähligen Blüten , wie vom dichtesten Regen überschüttet wurde , und meine Seele vor Duft , Farben und Glanz in süße matte Betäubung sank .
Und nun stand sie ganz aufrecht in meinem Herzen , und dehnte und dehnte sich , und stellte sich auf die Zehn , und die goldenen Haare fielen herunter , und so war ich darin wie eingewickelt in meinem Fieberwahn , und sie war noch größer als Himmel und alle Bäume und Blumen .
Ich konnte nichts mehr zeichnen , sie und immer nur sie saß mir im Blut , und quoll aus den Fingerspitzen , und sah ich dann , wie plump die knechtische grobe Hand sie hingestellt hatte , so warf ich das Blatt gegen die Wand , dann riß ich es wieder vom Boden auf , und küßte die Züge mit meinen Lippen weg .
Nicht wahr , Maler , der Mensch kann ein rechter Narr sein , wenn es erst in ihm so recht reif dazu wird .
Wunderbar !
ich wußte es , daß auch in ihr was vorging , denn der blaue ewige Strahl war doch aus ihrer Seele in mich gegangen , und sie mußte fühlen , wie viel vom eigenen Herzen sie in mich gegossen hatte .
So dachte ich , und so war es auch .
Ich ging wieder vorüber :
sie stand wie im Glanz , der sie rings umfloß , und es zog mich , daß ich mich auch in die Röte hinein zu ihr stellte .
Wir sprachen , wir verstanden uns .
Bin ich doch kein einzigesmal verwundert gewesen über das , was sie mir sagte :
ich erschrak vor Wonnegefühl , daß sie mich so liebte , aber es war mir nur , als wenn ich es selbst gesagt hätte .
Seht , Wandersmann , ich spreche etwas im Fieber , die vernünftigen Leute , wie Ihr , verstehen das nicht recht .
Ihr Vater hatte in Leiden Geschäfte und reiste dorthin ; nun sah ich sie öfter :
wir gingen heimlich miteinander spazieren .
Des Abends , wenn ich sie nicht sprechen konnte , zeichnete ich ihr Bild , oder stellte mich dem Hause gegenüber , und ließ so die Nacht heranrücken .
Ehe wir es uns versahen , kam der Vater zurück .
Nun war es mit unseren Zusammenkünften aus ; ich konnte sie nur manchmal im Vorbeigehen grüßen .
Wie eine Decke fiel es mir von den Augen , und mein Herz wollte springen .
Ich sah nun wieder den Unterschied unter uns beiden , wie mich der reiche Vater verachten müsse , wie ich so nichts gegen ihn sei .
Nun hörte ich noch dazu , Sara würde bald verheiratet werden ; ach ! und es geschieht auch gewiß .
Was soll ich anfangen ?
Mein Handwerk ist mir ein Abscheu , alles , worauf ich mich sonst wohl freuen konnte , Meister zu werden , und bei Gelegenheit eine künstliche Arbeit , einen Springbrunnen , Gitterwerk , oder dergleichen zu unternehmen , kommt mir nun kläglich vor .
Ein Maler zu werden , dazu bin ich nun zu alt , Sara darf ich nicht sehen , nichts hoffen , so gehe ich zugrunde , alles das zusammen hat mich so krank und schwach gemacht , daß ich bald zu sterben hoffe .
Warum begegnen nur dem Menschen so sonderbare Gefühle ?
Aber das sage ich Euch , wer sie heiratet , den bringe ich um ; und bin ich schon vorher tot , so reißt mich die Verzweiflung gewiß noch als Gespenst hervor , um dem Bösewicht zu schaden .
Damit kann man sich doch noch trösten .
O Maler , helft mir doch zum Verstande , oder zu Sara , oder macht , daß mir Verstand und Leben gänzlich entweichen . "
Franz sagte mit Wehmut :
" Nein , Ihr dürft nicht sterben ; glaubt mir , daß Ihr gewiß noch Zeit genug habt , ein guter Maler zu werden , wenn Ihr diese Liebe zur Kunst behaltet .
Ihr zeichnet schon so gut , als wenn Ihr lange in der Lehre gewesen wäret , und es kommt also nur auf Euch an , ein Maler zu werden .
Dann dürft Ihr auch auf Eure Geliebte hoffen , denn der Vater achtet die Malerei und will nur einen Malerkünstler zum Eidam haben ; darum hat er mir noch heute , so arm ich auch bin , seine Tochter angetragen .
Deshalb tröstet Euch , sammelt wieder Lust zum Leben und Kräfte , denn Ihr könnt noch recht glücklich werden . "
Der Kranke schüttelte mit dem Kopfe , als wenn er nicht daran glauben könne , doch Franz fuhr so lange fort , ihn zu trösten , bis jener etwas beruhigt war .
" Nun " , sagte er endlich , " Ihr habt mir versprochen , sie nicht zu nehmen , und es könnte Euch auch nicht zum Gedeihen ausschlagen .
O Freund , wenn ich mir das hätte einbilden können , als wir im Busch miteinander frühstückten , so wärt Ihr mir nicht so mit heiler Haut davongekommen .
Gebt mir noch einmal die Hand darauf , daß Ihr sie nicht wollt . "
Franz reichte sie ihm , und jener drückte sie so stark , daß dem Maler ein Ausruf des Schmerzes entfuhr .
Er eilte sogleich zu Vansen , den er bei einer Flasche Wein und bei guter Laune antraf .
" Jetzt will ich Euch meine Antwort bringen , aber Ihr müßt mir mit Geduld zuhören . "
Er erzählte hierauf die Geschichte seines Freundes , und sprach von der gegenseitigen Liebe der beiden jungen Leute .
" Ihr wolltet mir " , schloß er , " als einem armen Menschen , der nicht mehr , als dieser Schmied besitzt , Eure Tochter geben , Ihr wolltet auf meine Zurückkunft warten : nun so tut es mit diesem , um das Glück Eurer einzigen Tochter zu begründen :
sie ist jung , ich versichre Euch , der Kranke ist in wenigen Jahren ein guter Maler , der Euch Ehre macht , und so sind alle Eure Wünsche erfüllt . "
" Und Ihr seid überzeugt , daß er mit der Zeit gut malt ? " fragte Vansen .
" Gewiß " , sagte Sternbald , " seht nur diese Zeichnungen , die wahrlich einen guten Schüler verraten . "
Er zeigte ihm einige Bilder , die er von Horstens Hand ( so hieß der Jüngling ) mitgebracht hatte , und Vansen betrachtete sie lange mit prüfenden Blicken ; doch schien er endlich mit ihnen zufrieden zu sein .
" Ihr seid ein braver junger Mensch " , rief er aus , " Ihr könntet mich zu allem bewegen .
So geht also zu dem armen Teufel und grüßt ihn von mir , sagt , er soll nur gesund werden und wir wollen dann weiter miteinander sprechen . "
Franz sprang auf .
Im Vorsaal begegnete ihm Sara , der er mit wenigen Worten alles erzählte ; dann eilte er zum Kranken .
" Seid getrost " , rief er aus , " alles ist gut , der Vater bewilligt Euch die Tochter , wenn Ihr Euch auf die Malerei legt .
Darum werdet gesund , damit Ihr ihn selber besuchen könnt . "
Der Kranke wußte nicht , ob er recht höre und sehe .
Franz mußte ihm die Versicherung öfters wiederholen .
Als er sich endlich überzeugte , sprang er auf und kleidete sich schnell an .
Dann tanzte er in der Stube herum , wobei er alte niederländische Bauernlieder sang , bald umarmte und küßte er Sternbald , dann weinte er wieder , und trieb ein seltsames Spiel mit seiner Freude , das den jungen Maler innig bewegte .
" Ist es so gekommen ? " rief er dann ; " so ?
Ei so gibt es ja da draußen auch noch was , was ebenso gut , wie die Trauer drinnen ist .
Aber das soll auch dem langen breitschultrigen Burschen , meinem Schwiegervater , von Gott und von mir vergolten werden !
Ich schwöre , Maler , sowie ich nur erst mit den Farben umzugehen weiß , daß ich ihn Euch hinstelle , wie er leibt und lebt , mit seiner Erbse auf der Mitte der Nase , wie er sein Geld zählt , wie er die Stücke prüfend betrachtet , und die linke Hand den Geldhaufen vorsorglich und tastend deckt , alles , wie er in seiner Schreibestube herumhantiert .
Die ganze Schreibestube Male ich ab , auch seinen Handelsdiener , mit seinem krummen , spitzigen Rücken , und dem verfluchten Gesicht , das man durch eine Nadel fädeln könnte .
Auch seine rote , gelbe Federmütze soll zu Ehren kommen .
Gott verzeih mir die Bosheit , wie oft , wenn ich ihn über die Straße gehen sah , und ich fühlte so recht im Herzen seinen Hochmut , trieb mich der Teufel an , daß ich ihm die Mütze abreißen , und einen recht derben Schlag mit dem Hammer auf den Kopf geben wollte .
Aber nein , nun wird er gemalt , ganz , alles an ihm , nun ist er mein Schwiegervater , und ich beweise ihm Liebe und Ehrfurcht .
Kommt , lieber Franz , glaubt nicht , daß ich so böse bin , ich bin nur zu glücklich , und dumme Gedanken hat auch der beste Mensch .
Ihr kriegt dergleichen wohl auch noch einmal .
Kommt nun ! "
Sie machten sich auf den Weg nach Vansens Hause .
Auf der Straße taumelte der Kranke , als ihn die ungewohnte freie Luft umfing ; Franz unterstützte ihn und so kamen sie hin .
Das erste was sie im Hause sahen , war Sara , und Horst gebärdete sich wie ein Verrückter ; sie schrie laut auf , da er plötzlich so unvermutet und blaß vor ihr stand .
Sie kamen in das Zimmer des Vaters , der sehr freundlich war , Horst war verlegen und blöde .
" Ihr liebt meine Tochter " , sagte der Kaufmann , " und Ihr versprecht , Euch auf die Malerei zu legen , so daß Ihr Euch in einigen Jahren als ein geschickter Mann zeigen könnt : unter dieser Bedingung verlobe ich sie Euch ; aber dazu müßt Ihr reisen , und trefflich studieren , ich will Euch zu diesem Endzweck auf alle Weise unterstützen .
Vor allen Dingen müßt Ihr suchen , gesund zu werden . "
Die beiden Liebenden kamen hierauf in Gegenwart ihres Vaters zusammen und fühlten sich unaussprechlich glücklich .
Horst mußte eine bessere Wohnung beziehen , und nach einigen Tagen war er fast ganz hergestellt .
Er wußte nicht , wie er unserem Freunde genug danken sollte .
Es waren jetzt die letzten Tage des Februars , und die erste Sonnenwärme brach durch die neblige Luft .
Franz und Rudolph machten sich auf die Reise .
Ehe sie Antwerpen verließen , erhielt Franz von Vansen ein ansehnliches Geschenk ; der Kaufmann liebte den jungen Maler zärtlich .
Sternbald und Florestan hatten jetzt schon die Tore der Stadt weit hinter sich , sie hörten die Glocken aus der Ferne schlagen , und Rudolph sang mit lauter Stimme :
" Wohlauf ! es ruft der Sonnenschein Hinaus in Gottes freie Welt !
Geht munter in das Land hinein Und wandelt über Berg und Feld !
Es bleibt der Strom nicht ruhig stehen , Gar lustig rauscht er fort ; Hörst du des Windes munteres Wehen ?
Er braust von Ort zu Ort .
Es reist der Mond wohl hin und her , Die Sonne ab und auf , Guckt übern Berg und geht ins Meer , Nie matt in ihrem Lauf .
Und , Mensch , du sitzest stets daheim , Und sehnst dich nach der Fern :
Sei frisch und wandle durch den Hain , Und sieh die Fremde gern .
Wer weiß , wo dir dein Glücke blüht , So gehe und such es nur , Der Abend kommt , der Morgen flieht , Betrete bald die Spur .
Laß Sorgen sein und Bangigkeit , Ist doch der Himmel blau , Es wechselt Freude stets mit Leid , Dem Glücke nur vertraue .
So weit dich schließt der Himmel ein , Gerät der Liebe Frucht , Und jedes Herz wird glücklich sein , Und finden was es sucht . "
Drittes Buch Erstes Kapitel Erstes Kapitel O Jugend !
du lieber Frühling , der du so sonnenbeschienen vorn im Anfange des Lebens liegst !
wo mit zarten Äugelein die Blumen umher , des Waldes neugrüne Blätter , wie mit fröhlicher Stimme dir winken , dir zujauchzen !
Du bist das Paradies , das jeder der spätgeborenen Menschen betritt , und das für jeden immer wieder von neuem verlorengeht .
Gefilde voll Seligkeit ! überhangend von Blüten , durchirrt von Tönen !
Sehnsucht weht und spielt in deinen süßen Hainen .
Vergangenheit so golden , Zukunft so wunderbar : wie mit dem Sirenengesange der Nachtigall lockt es von dorther ; mondliche Schimmer breiten sich auf dem Wege aus , liebliche Düfte ziehen aus dem Tale herauf , vom Berge nieder der Silberquell .
O Jüngling , in dir glänzt Morgenröte , sie rückt mit ihren Strahlen und wunderglänzenden Wolkenbildern herauf : dann folgt der Tag , bis auf die Spur sogar verfließt die himmlische Sehnsucht ; alle Liebesengel ziehen fort , und du bist mit dir allein .
War alles nur Dunst und bunter Schatten , wonach du brünstig die Arme strecktest ?
- Aus Wolken winken Hände , An jedem Finger rote Rosen , Sie winken dir mit schmeichlerischem Kosen , Du stehst und fragst : wohin der Weg sich wende ?
Da singen alle Frühlingslüfte , Da duften und klingen die Blumendüfte , Lieblich Rauschen geht das Tal entlang :
" Sei mutig , nicht bang !
Siehst du des Mondes Schimmer ?
Der Quellen hüpfendes Geflimmer ?
In Wolken hoch die goldenen Hügel ?
Der Morgenröte himmelbreite Flügel ? Dir entgegen ziehen so Glück als Liebe , Dich als Beute mit goldenen Netzen zu Van , So leise lieblich , daß keine Ausflucht bliebe Umstellen sie dich , bald ist es um dich getan . "
- Was will das Glück mit mir beginnen ?
O Frühlingsnachtigall ! singst du drein ?
Schon dringt die sehnende Liebe auf mich ein ; Wie Mondglanz webt es um meine Sinnen .
Wie bang ist mir_es , gefangen mich zu geben , Sie nahen , die Scharen der Wonne , mit Heeresmacht !
Verloren , verträumt ist das fliehende Leben , Schon rüstet sich Liebe und Glück zur Schlacht .
Der Kampf ist begonnen , Ich fühle die Wonnen Durchströmen die Brust :
O selige Gefilde , Ich komme , wie milde Erquickt und ermattet des Lebens Lust !
Es sinket vom Himmel Der Freuden Gewimmel Und lagert sich hier :
Im Boden , ich fühle Der Freuden Gewühle , Sie streben und drängen entgegen mir .
Der Quellen Getöne , Der Blümchen Schöne , Ihr lieblicher Blick , Sie winken so eigen , Ich deute das Schweigen , Sie wünschen mir alle zum Leben Glück . - -
Nun wandelt das Kind auf grünen Wegen Den goldglänzenden Strahlen entgegen , Im bangen Harren geht es weit , Es klopft das Herz , es flieht die Zeit .
Da ist_es , als wenn die Quellen schwiegen , Ihm dünkt , als dunkle Schatten stiegen , Und löschten des Waldes grüne Flammen , Es falten die Blumen den Putz zusammen .
Die freundlichen Blüten sind nun fort Und Früchte stehen an selbigem Ort ; Die Nachtigall versteckt die Gesänge im Wald , Nur Echo durch Still und Einsamkeit schallt .
- " Morgenröte ! bist du nach Haus gegangen ? "
Ruft das Kind , und streckt die Hände und weint ; " O komme !
ich bin erlöst vom Bangen , Du wolltest mich mit goldenen Netzen fangen , Du hast es gewiß nicht böse gemeint .
Ich will mich gerne drein ergeben , Es kann und soll nicht anders sein :
Ich opfre dir mein junges Leben , O komme zurück , du Himmelsschein ! " -
Aber hoch und höher steigt das Licht , Und bescheint das tränende Gesicht ; Die Nachtigall flieht waldwärts weiter , Quell wird zum Fluß und immer breiter .
" Ach ! und ich kann nicht hinüberfliegen , Was mich erst lockte , ist nun so weit , Der Morgenglanz , die Töne müssen jenseits liegen , Ich stehe hier , und fühle nur mein Leid ! " - -
Die Nachtigall singet aus weiter Fern : " Wir locken , damit du lebest gern , Daß du dich nach uns sehnst , und immer matter sehnst , Ist , was du töricht dein Leben wähnst . "
- - Franz Sternbald und sein Freund Rudolph Florestan durchwanderten jetzt den Elsaß .
Es war die Zeit im Jahre , wenn der Frühling in den Baumknospen schläft , und die Vögel ihn in den unbelaubten Zweigen aufwecken wollen .
Die Sonne schien blaß und gleichsam blöde auf die warme , dampfende Erde hernieder , die das erste neue Gras aus ihrem Schoße gebar .
Sternbald erinnerte sich der Zeit , als er zuerst seine Pflegeeltern verließ , um bei Albrecht Dürer in Nürnberg zu lernen , gerade in solchem Wetter hatte er sein friedliches Dorf verlassen .
Er gedachte der kindischen Verwunderung , mit der er von Hügeln und Waldhöhen die schäumenden , Schnee wälzenden Bäche im Glanze der ersten Wärme hatte rollen sehen , welch wundersamer Duft , wie Lebenshauch , ihm aus der locker gewordenen Erde aufgestiegen , und wie im ernsten Braun hie und da die grünen Streifen ihn wie ein Lächeln angesehen , und ihm schon vom Sommer und seinem Obst erzählt hatten :
wie nach der Wanderung vieler Tage sich endlich dieses Märchen durch das Wunder der großen Stadt im brennenden Abendgolde , und beim Schein des Lichtes mit Dürers edlem Antlitz beschlossen habe .
Sie gingen , indem Rudolph fröhliche Geschichten erzählte , durch die schöne Gegend .
Straßburg lag hinter ihnen , noch sahen sie den erhabenen Münster ; in der nächsten Stadt wollten sie einen Mann erwarten , der auf der Rückreise von Italien begriffen war .
In Straßburg hatte Franz seinem Sebastian folgenden Brief geschrieben :
Jetzt , lieber Sebastian , ist mir sehr wohl , und Du wirst Dich darüber freuen .
Meine Seele ergreift das Ferne und Nahe , die Gegenwart und Vergangenheit mit gleicher Liebe , und alle Empfindung trage ich sorglich zu meiner Kunst hinüber .
Warum quäle ich mich ab , da ich mich doch am Ende überzeugen muß , daß jeder nur das leisten wird , was er leisten kann ?
Wie kurz ist das Leben ; und warum wollen wir es mit unseren Beängstigungen noch mehr verkürzen ?
Jeder Künstlergeist muß sich ohne Druck und äußeren Zwang , wie ein edler Baum mit seinen mancherlei Zweigen und Ästen ausbreiten ; er strebt von selbst durch eigene Kraft nach den Wolken zu , und so erzeugt sich die erhabene oder sinnige Pflanze , sei es Eiche , Buche oder Zypresse , Myrte oder Rosengesträuch , je nachdem der Keim beschaffen war , aus dem sie zuerst in die Höhe sproßte .
So musiziert jedes Vögelein seine eigentümlichen Lieder .
Freilich will es unter ihnen auch jezuweilen einer dem anderen nach- und zuvortun ; aber sie verfehlen doch nie so sehr ihren Weg , wie es dem Menschen nur gar zu oft geschieht .
So will ich mich denn der Zeit und mir selber überlassen .
Mein Freund Rudolph lacht täglich über meine unschlüssige Ängstlichkeit , die sich auch nach und nach verliert .
Im reinen Sinne spiegeln sich alle Empfindungen , und lassen nachher eine Spur zurück , und selbst das , was das Gemüt nicht aufbewahrt , nährt heimlicherweise den Sinn der Kunst und ist nicht verloren .
Das tröstet mich und hemmt die Beklemmungen , die mich sonst nur gar zu oft überwältigten .
Auf eine magische Weise , ( zauberisch oder himmlisch , denn ich weiß nicht , wie ich es nennen soll ) ist meine Phantasie mit dem Engelsbilde angefüllt , von dem ich Dir schon so oft gesprochen habe .
Es ist wunderbar .
Die Gestalt , die Blicke , der Zug des Mundes , alles steht deutlich vor mir , und doch wieder nicht deutlich , denn es dämmert dann wie eine ungewisse , vorüberschwebende Erscheinung vor meiner Seele , daß ich es festhalten möchte , und Sinnen und Erinnerung brünstig ausstrecke , um es wirklich und wahrlich zu gewahren und zu meinem Eigentum zu machen .
So ist es mir oft seitdem ergangen , wenn ich die Schönheit einer Landschaft so recht innigst empfinden wollte , oder die Größe eines Gedankens mir festhalten , oder eine wundersame Empfindung oder Blicke in das Überirdisch-Schöne , oder den Glauben an Gott .
Es kommt und geht ; bald Dämmerung , bald Mondschein , nur auf Augenblicke wie helles Tageslicht .
Der Geist ist in Arbeit , im rastlosen Streben , sich aus den Ketten aufzurichten , die ihn im Körper zu Boden halten .
Oh , mein Sebastian !
wie wohl ist mir , und wie lieblich fühle ich in mir die Regung der Lebenskraft und die heitere Jugend !
Es ist herrlich , was mir die Rheinufer , die Berge um Bonn , und die wunderbaren Krümmungen des Gewässers verkündigt haben .
Von dem großen Münster in Straßburg , von Köln und seinen Herrlichkeiten will ich Dir ein andermal reden , ich bin zu voll davon .
In Straßburg habe ich für einen reichen Mann eine Heilige Familie gemalt .
Es war das erstemal , daß ich meinen Kräften in allen Stunden vertraute , und mich begeistert , und doch ruhig fühlte .
In der Muttergottes habe ich gesucht die Gestalt hinzuzeichnen , die mein Inneres erleuchtet , die geistige Flamme , bei der ich mich selber sehe und alles , was in mir ist , und durch die alles vom lieblichsten Widerscheine verschönt und strahlend lebt .
Es war beim Malen derselbe Kampf zwischen Deutlichkeit und Ungewißheit in mir , und darüber ist es mir vielleicht nur gelungen .
Die Gestalten , die wir wahrhaft anschauen , sind eben dadurch in uns schon zu irdisch und wirklich , sie tragen zu viele Merkmale an sich , und vergegenwärtigen sich darum zu körperlich .
Geht man aber im Gegenteil aufs Erfinden aus , so bleiben die Gebilde gewöhnlich luftig und allgemein , und wagen sich nicht aus ihrer ungewissen Ferne heraus .
Aus dem Mittel zwischen beiden habe ich wie etwas Übermenschliches gesucht , und eine Gestalt hervorgebracht , die mich zauberisch von der Tafel anblickte .
Sollte die Kunst vielleicht immer so verfahren , um Überirdisch-Unsichtbares sichtbar zu machen ?
Und , sonderbarer Gedanke , kann ich vielleicht nur dichtend malen , bis ich sie wiederfinde ? und dann sollte wohl in ihrer Gegenwart mein Talent erlöschen , weil mein Geist sie nicht mehr zu suchen brauchte ?
Nein , ich will es nicht glauben , festen Mutes will ich in das Gebiet der Kunst vorrücken ; ich fühle es ja , wie mein Herz für das Edle und Schöne entzückt ist , es ist also mein Gebiet , mein Eigentum , ich darf darin schalten und mich einheimisch fühlen .
Wirf mir nicht Stolz vor , Sebastian ; denn Du tätest mir Unrecht .
Ich bin und bleibe , wie ich war .
Der Himmel schenke Dir Gesundheit . -
Nach einigen Tagen waren die Wälder , Felder und Berge grün geworden , und die Obstbäume blühten , der Himmel war heiter und blau , sanfte Frühlingslüfte spielten zum erstenmal durch den Sonnenschein und über die fröhliche Natur hin .
Sternbald und Rudolph waren entzückt , als sie von einem Hügel hinab in die überschwengliche Pracht hineinschauten .
Das Herz wurde ihnen groß , und sie fühlten sich beide neugeboren , von Himmel und Erde mit Liebe magnetisch angezogen .
" Oh , mein Freund ! " rief Sternbald aus , " wie liebreizend hat sich der Frühling so plötzlich aufgeschlossen !
Wie ein melodischer Gesang , wie angeschlagene Harfensaiten sind diese Blüten , diese Blätter herausgequollen , und strecken sich nun der liebkosenden , warmen Luft entgegen .
Der Winter ist fort , wie eine Verfinsterung , die ein Sonnenblick von der Natur hinweggehoben .
Sieh , alles keimt und sproßt und blüht , die kleinsten Blumen , unbemerkte Kräuter drängen sich hinzu ; alle Vögel singen und jauchzen und flattern umher , in fröhlicher Ungeduld ist die ganze Schöpfung in Bewegung , und wir sitzen hier als Kein der , und fühlen uns dem großen Herzen der mütterlichen Natur am nächsten . "
Rudolph nahm seine Flöte und blies ein lustiges Lied .
Es schallte fröhlich den Berg hinunter , und Lämmer im Tal fingen an zu tanzen .
" Wenn nur der Frühling nicht so schnell vorüberginge ! " sagte Rudolph ; " er ist eine Morgenbegeisterung , die die Natur selbst nicht lange aushält . "
" Oder daß es uns nur gegeben wäre " , sagte Sternbald , " diese Fülle , diese Allmacht der Lieblichkeit in uns zu saugen , und im hellsten Bewußtsein diese Schätze aufzubewahren .
Ich wünsche nichts mehr , als daß ich in Tönen und Gesängen den übrigen Menschen diese Gefühle geben könnte ; daß ich unter Musik und Frühlingswehen dichtete , und die höchsten Lieder sänge , die der Geist des Menschen bisher noch ausgeströmt hat .
Ich fühle es jedesmal , wie Musik die Seele erhebt , und die jauchzenden Klänge wie Engel mit himmlischer Unschuld alle irdischen Begierden und Wünsche fern abhalten .
Wenn man ein Fegefeuer glauben will , wo die Seele durch Schmerzen geläutert und gereinigt wird , so ist im Gegenteil die Musik ein Vorhimmel , wo diese Läuterung durch wehmütige Wonne geschieht . "
" Das ist " , sagte Rudolph , " wie du die Musik empfindest ; aber gewiß werden wenige Menschen mir dir darin übereinstimmen . "
" Davon kann ich mich nicht überzeugen " , rief Franz aus .
" Nein , Rudolph , sieh alle lebendige Wesen , wie die Töne der Harfe , der Flöte , und jedes angeschlagenen Instrumentes sie ernst machen :
selbst die Gesänge , die den Fuß mit lebendiger Kraft zum Tanz ermuntern , gießen eine schmachtende Sehnsucht , eine unbekannte Wehmut in das Gemüt .
Der Jüngling und das Mädchen mischen sich dann in den Reigen , aber sie suchen mit den Gedanken jenseits dem Tanze einen anderen , geistigeren Genuß . "
" Oh , über die Einbildungen ! " sagte Rudolph lachend ; " eine augenblickliche Stimmung in dir trägst du in die übrigen Menschen hinüber .
Wer denkt beim Tanze etwas anders , als daß er den Reigen durchführt , daß er sich im hüpfenden Schwarm auf eine lebendige Art ergötzt , und in diesen fröhlichen Augenblicken Vergangenheit und Zukunft durchaus vergißt .
Der Tänzer sieht nach dem blühenden Mädchen , sie nach ihm ; ihre Augen begegnen sich glänzend , und wenn sie eine Sehnsucht empfinden , so ist es gewiß eine ganz andere , als du sie geschildert hast . "
" Du bist zu leichtsinnig " , antwortete Franz , " es ist nicht das erstemal , daß ich es bemerke , wie du dir vorsätzlich das schönere Gefühl ableugnest , um einer sinnlichen Schwärmerei nachzuhängen . "
" Nur nicht wieder diese grellen Unterschiede ! " rief Rudolph aus ; " denn das ist der ewige Punkt unseres Streites . "
" Aber ich verstehe dich nicht . "
" Mag sein ! " schloß Florestan , " das Gespräch darüber ist mir jetzt zu umständlich ; wir reden wohl ein andermal davon . "
Franz war ein wenig auf seinen Freund erzürnt ; denn es war nicht das erstemal , daß sie so miteinander stritten .
Florestan betrachtete alle Gegenstände leichter und sinnlicher , es war oft dieselbe Empfindung , die Franz nur mit anderen Worten ausdrückte ; es fügte sich wohl , daß Sternbald nach einiger Zeit denselben Gedanken äußerte , oft kam auch Rudolph später zu dem Gefühl , dem er kurz vorher an seinem Freunde widersprochen hatte .
Wenn die Menschen Meinungen wechseln , so entsteht nur gar zu oft ein blindes Spiel des Zufalls daraus , aus dem Wünsche sich mitzuteilen erwacht die Sucht zu streiten , und wir widersprechen oft , statt uns zu bemühn , die Worte des anderen zu verstehen .
Nachdem Franz eine Weile geschwiegen hatte , fuhr er fort : " Oh , mein Florestan , was ich mir wünsche , in meinem eigentümlichen Handwerke das auszudrücken , was mir jetzt Geist und Herz bewegt , diese Fülle der Anmut , diese ruhige , scherzende Heiterkeit , die mich umgibt .
Malen möchte ich es , wie in dem Luftraume sich edle Geister bewegen , und durch den Frühling schreiten , so daß aus dem Bilde ein ewiger Frühling mit unverwelklichen Blüten prangte , der jedem Auge auch nach meinem Tode neu aufginge und den freundlichen Willkommen entgegenbrächte .
Meinst du nicht , daß es dem großen Künstler möglich sei , in einem Historiengemälde , oder auch auf andere Weise , einem fremden Herzen das deutlich hinzugeben , was wir jetzt empfinden ? "
" Ich glaube es wohl " , antwortete Florestan , " und vielleicht gelingt es manchem , ohne daß er es sich gerade vorsetzt .
Gehe nach Rom , mein Freund , und dieser ewige Frühling , nach dem du dich sehnst , blüht dort im Gartensaale meines Beschützers und Freundes , des reichen Augustin Chigi .
Der göttliche Raffael hat ihn dort hingezaubert , und man nennt diese Bilder gewöhnlich die Geschichte des Amor und der Psyche .
Diese Luftgestalten schweben dort , vom blauen Äther umgeben , und bedeutungsvoll von großen frischen Blumenkränzen und Früchten umschlungen .
Da ist alle Herrlichkeit der Erde und des Himmels , die Leiden und die Lust der Liebe , und scherzend und wandelnd durch die Ätherbläue Amor und seine Geliebte , trauernd und froh , alle Götter im hohen Rat , und aller Ernst in milder Lieblichkeit und alle Lieblichkeit groß und göttlich , ja die ewige Jugend , der nie verblühende Frühling , das paradiesische Entzücken ist von dem Jünglingsgeiste , dem prophetischen Raffael , in seiner schönsten Begeisterung hingezaubert , die Verkündigung der Liebe und der Blumenschönheit , daß alle Herzen der Liebe und der Sehnsucht dienen sollen : das Göttlichste , der Zauber , der den Himmel umflicht , und die Erde mit ewiger Jugend umgürtet , ist dem Menschenherzen vertraulich nahe gerückt , und den sterblichen Augen enthüllen sich die Seligkeiten des Olympus .
Und dann im Nebenzimmer der verkörperte Traum süßester Wollust , Galatea im Meere , auf ihrem Muschelwagen fahrend !
O mein Franz , gedulde dich , bis du in Rom bist , dann tu Augen und Herz auf , und du darfst nachher sterben . "
" Ach , Raffael ! " sagte Franz Sternbald , " wie viel habe ich nun schon von dir reden hören ; wenn ich dich nur noch im Leben anträfe ! "
" Ich will dir noch ein Lied vom Frühlinge singen " , sagte Rudolph .
Sie standen beide auf , und Florestan sang .
Er präludierte auf seiner Flöte , und zwischen jeder Strophe spielte er einige Töne , die artig zum Liede paßten .
" Vöglein kommen hergezogen , Setzen sich auf dürre Äste :
- » Weit , ach weit sind wir geflogen , Angelockt vom Frühlingsweste . «
Also klagen sie , die Kleinen :
» Schmetterlinge schwärmen schon , Bienen sumsen ihren Ton , Suchen Honig , finden keinen .
Frühling !
Frühling ! komme hervor !
Höre doch auf unsere Lieder , Gib uns unsere Blätter wieder , Horch , wir singen dir ins Ohr !
Kommt noch nicht das grüne Laub ?
Laß die kleinen Blättlein spielen , Daß sie warme Sonne fühlen , Keines wird dem Frost zu Raub . «
- » Was singt so lieblich leise ? «
Spricht drauf die Frühlingswelt :
» Es ist die alte Weise , Sie kommen von der Reise , Keine Furcht mich rückwärts hält . «
Auf tun sich grüne Äugelein , Die Knospen sich erschließen Die Vögelein zu grüßen , Zu kosten den Sonnenschein .
Durch alle Bäume geht der Waldgeist Und sumst : » Auf , Kinder ! der Frühling ist da !
Storch , Schwalbe , die ich schon oftmals sah , Auch Lerch und Grasmücke ist hergereist .
Streckt ihnen die grünen Armen entgegen , Laßt sie wohnen wie immer im schattigen Zelt , Daß sie von Zweig zu Zweig sich regen , Und jubeln und singen in frischer Welt . «
- Nun regt sich es und quellt in allen Zweigen , Alle Quellen mit neuem Leben spielen , In den Ästen Lust und Kraft und Wühlen , Jeder Baum will sich vor dem anderen zeigen .
Nun rauscht es , und alle stehen in grüner Pracht , Die Abendwolken über Wäldern ziehen , Und schöner durch die Wipfel glühn , Der grüne Hain vom goldenen Feuer angefacht .
Gebiert das Tal die Blumen an das Licht , Die die holde Liebe der Welt verkünden , Es lächelt und winkt in stillen Gründen Des sanften Veilchens Angesicht , Das sinnige Vergißmeinnicht .
Sie sind die Winke , die süßen Blicke , Die dem Geliebten das Mädchen reicht , Vorboten vom zukünftigen Glücke , Ein Auge , das schmachtend entgegenneigt .
Sie bücken sich mit schalkhaftem Sinn Und grüßen , wer vorübergeht , Wer ihren sanften Blick verschmäht Dem reichen sie neckend die Finger hin .
Doch nun erscheint des Frühlings Frühlingszeit , Wenn Liebe Gegenliebe findet Und sich zu einer Liebe entzündet , Dann glänzt die Pracht der Blumen hell und weit .
Die Rosen nun am Stock ins Leben kommen , Und brechen hervor mit liebreizendem Prangen , Die süße Röte ist angeglommen , Daß sie , vereinter Schmuck , dicht aneinander hängen .
Dann ist des Frühlings Frühlingszeit , Mit Küssen , mit Liebesküssen der Busch bestreut .
Rose , süße Blüte , der Blumen Blum , Der Kuß ist auf deinen Lippen gemalt , O Ros , auf deinem Munde strahlt Der küssenden Liebe Andacht und Heiligtum .
Höher kann das Jahr sich nicht erschwingen , Schöner als Rose der Frühling nichts bringen , Nun läßt Nachtigall Sehnsuchtslieder klingen .
Bei Tage singt das ganze Vögelchor , Bei Nacht schwillt ihr Gesang hervor .
Und wenn Rose , süß Rose die Blätter neigt , Dem Sommer wohl das Vögelchor weicht , Nachtigall mit allen Tönen schweigt .
Die Küsse sind im Tal verblüht , Dichtkunst nicht mehr durch Zweige zieht . "
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Franz hatte einen Brief aus Straßburg mitgenommen , um ihn einem Manne in einer nicht entfernten Stadt abzugeben , dessen Bekanntschaft er zu machen wünschte .
Sie waren im Begriff einen Seitenweg einzuschlagen , um auf einem Umwege jene Stadt zu besuchen , als sie , auf einem anmutigen Hügel ausruhend , zwei Gestalten auf jenem Wege auf sich zuschreiten sahen .
Der eine von diesen trug einen schwarzen Mönchshabit , der andere hatte fast das Ansehn eines Soldaten , denn ihm wankten Federn vom Hut , er trug ein kurzes enges Kleid ohne Mantel , und war mit einem großen Schwert umgürtet , sein Gang wie sein Ansehen waren fest und trotzig .
Die Fremden ließen sich auch auf den Hügel nieder .
Nach den gewöhnlichen Begrüßungen fragte derjenige , welcher ein Geistlicher zu sein schien , mit freundlichem Wesen , ob die Wanderer vielleicht von Straßburg gekommen wären .
Franz sagte :
" Wir sind vor kurzem von dort aufgebrochen , und jetzt im Begriff , einen Umweg über jenes Städtchen jenseits des Waldes zu machen , um einen deutschen Bildhauer aufzusuchen , für welchen ich einen Brief mit mir führe . "
" So ? " sagte der Trotzige , " und sollte dieser Mann nicht vielleicht aus Nürnberg sein und Bolz heißen ? "
" Allerdings " , sagte Franz , " und ich verwundre mich nur , woher Ihr es wissen könnt . "
" Weil ich es selber bin " , sagte jener , " man hat mir schon darüber geschrieben , wie gut , daß wir uns zufällig treffen , denn ich konnte dort nicht mehr verweilen , und hätte mir den Brief müssen nachsenden lassen . "
" Ihr kommt seit kurzem aus Italien ? " fragte Franz .
" Ja " , sagte Bolz , " ich gehe nun über Straßburg , und von da nach Nürnberg , meiner Vaterstadt , zurück . "
" O wie glücklich seid Ihr " , rief Sternbald aus , " Ihr seht die geliebte Heimat , den hochverehrten Dürer , den edlen Mann in wenigen Wochen !
O bringt ihm und meinem Freunde Sebastian meine herzlichsten Grüße . "
" Kann vielleicht geschehen " , sagte der Bildhauer mit einer wegwerfenden Art .
" Aber wer seid Ihr denn ?
Denn noch weiß ich nichts von Euch , nicht einmal Euren Namen . "
Franz nannte sich ihm und seinen Beruf und fragte dann begierig :
" Was macht der edle Raffael von Urbin ?
Habt Ihr ihn gesehen ? "
Der Mönch nahm das Wort : " Nein " , sagte er , " leider hat diese schönste Zier der edlen Malerkunst die Erde verlassen ; er ist im vorigen Jahre gestorben .
Mit ihm ist die höchste Blüte der Kunst in Italien gewelkt . "
" Wie Ihr da sprecht ! " rief der Bildhauer Bolz , " und was wäre dann der unsterbliche Michel Angelo , der die höchste Höhe der Kunst erreichte , die Raffael niemals gekannt hat ?
Der uns gezeigt hat , was Erhabenheit sei ?
Dieser lebt noch , mein junger Freund , und er steht als Sieger am Ziel der Skulptur , Malerei und Baukunst , als ein hoher Genius , der jedem Schüler sein Streben andeutet und erleichtert . "
" So ist mir dieser Wunsch meines Herzens versagt ? " klagte Franz , " den Mann zu sehen , der ein Freund meines Dürer war , den Dürer so bewunderte , und zu dem seit Jahren ein unnennbares Sehnen mich hinzog ? "
" Nun freilich " , rief Bolz aus , " der altfränkische gutherzige Dürer hat ihn auch wohl bewundern dürfen , und für ihn steht freilich Raffael auf einer Höhe , zu der er mit Schwindeln hinaufblicken muß .
Er ist aber auch nicht imstande , etwas von Angelos Größe zu verstehen , wenn er ein Werk von diesem erblicken sollte .
Dagegen müssen ihm die kleinen Bilder , die mühsam und künstlich ausgeführten Spielwerke Raffaels höchst willkommen , und im ganzen verständlich sein . "
" Erlaubt " , sagte Florestan , " ich bin kein Kenner der Kunst ; aber doch habe ich von Tausenden gehört , daß Raffael das Kleinod dieser Erde zu nennen sei , und wahrlich ! wenn ich meinen Augen und meinem Gefühle trauen darf , so leuchtet eine erhabene Göttlichkeit aus seinen Werken . "
" Und wie Ihr von Dürer sprecht ! " sagte Franz , " dieser weiß wohl das Eigene und Große an fremden Werken zu schätzen ; wie könnte er sonst selber ein so großer Künstler sein ?
Ihr liebt Euer deutsches Vaterland wenig , wenn Ihr von seinem ersten Künstler geringe denkt . "
" Erzürnt Euch nicht " , sagte der Mönch , " denn es ist seine rauhe , wilde Art , daß er alles übertreibt .
Ihm dünkt nur das Riesenhafte und Ungeheure schön , und der Sinn für alles übrige scheint ihm versagt . "
" Nun , was ist es denn auch mit Deutschland und mit unserer einheimischen Kunst ? " rief Bolz ergrimmt aus .
" Wie armselig und handwerksmäßig wird sie ausgeübt und geschätzt !
Noch kein wahrer Künstlergeist hat diesen unfruchtbaren deutschen Boden , diesen trüben Himmel besucht .
Was soll auch die Kunst hier ?
Unter diesen kalten gefühllosen Menschen , die sie in dürftiger Häuslichkeit kaum als Zierat achten ?
Darum strebt auch keiner von den sogenannten Künstlern das Höchste und Vollkommenste zu erreichen , sondern sie begnügen sich , der kalten dürftigen Natur nahezukommen , ihr hin und wieder einen Zug außer dem Zusammenhänge abzulauschen , und glauben dann , wenn sie ihr Machwerk in kahler Unbedeutsamkeit stehen lassen , was Rechtes getan zu haben .
So ist Euer gepriesener Albrecht Dürer , Euer Lukas von Leiden , Euer Schoorel , ob er gleich in Italien gewesen ist , der Schweizer Holbein , und keiner von ihnen verdient zu den Malern gezählt zu werden . "
" Ihr kennt sie nicht " , rief Franz unwillig aus , " oder Ihr wollt sie mit Vorsatz verkennen .
Soll denn ein Mann allein die Kunst und alle Trefflichkeit völlig bis zum letzten Grunde erschöpft haben , so daß mit ihm , nach ihm kein anderer nach dem Kranze greifen darf ?
Wie beengt und klein müßte dann das himmlische Gebiet sein , wenn es ein einziger Geist durchschwärmte , und wie ein Herkules an den Grenzen seine Säulen setzte , um der Nachwelt zu sagen , wie weit sie gehen könne .
Mir scheint es Barbarei und Hartherzigkeit , Entwürdigung des Künstlers selbst , den ich vergöttern möchte , wenn ich ihm ausschließlich alle Kunst beilegen will .
Bisher scheint mir Dürer der erste Maler der Welt ; aber ich kann es mir vorstellen , und er hat es selbst oft genug gesagt , wie viele Herrlichkeiten in anderen Gebieten glänzen .
Ich bin entzückt , wenn ich daran zurückdenke , welchen reichen Bilderschatz , welche Sammlung edler und lieblicher Werke der Kunst ich allein auf meiner Reise in meinem geliebten Vaterlande gesehen habe .
Von Nürnberg aus hat sich durch Franken bis zum Rhein Liebe und Tätigkeit verbreitet , es ist fast kein Ort , der nicht etwas Denkwürdiges aufzuweisen hätte : und denke ich der Fülle des niederländischen Fleißes , der großen und alten Werke , die allein das ehrwürdige Köln in seinen Mauern bewahrt , Malereien , die wohl weit über den Johann von Eyck hinaufzusteigen scheinen , und Größe , Kraft und tiefen Sinn aussprechen : erinnre ich mich , welche Meisterwerke in Gewand-Figuren , in hohem Ausdruck , in Färbung und unbeschreiblicher Lieblichkeit ich von diesem alten Johann gesehen habe ; und gedenke ich der unzähligen reizenden und mühevollen Werke den Rhein hinunter in allen Städten ; gehe von der früheren Zeit die Manieren in meiner Vorstellung durch , und treffe dann meinen hochverehrten Dürer am Schluß dieser deutschen Jahrhunderte mit der Palme des Verdienstes in der Hand , der gleichsam alle diese einzelnen Bestrebungen in sich vereint , oder geahndet , und für die Zukunft noch vielfache neue Erfindungen angedeutet hat , so freue ich mich meiner Zeit und meines Vaterlandes , am meisten aber jenes edlen Mannes , der mich ihn Freund zu nennen vergönnt : und wenn ich auch gerne glauben und zugeben will , daß das südliche Land und der hohe Michel Angelo noch ungekannte Herrlichkeiten bewahrt , so werde ich doch niemals , wie Ihr , dem deutschen Sinne ungetreu werden können . "
" Kommt nur nach Italien " , sagte Bolz , " und Ihr werdet anders sprechen . "
" Nein , Augustin " , fiel ihm der Mönch ein .
" So reich die Kunstwelt dort sein mag , so wird doch dieser junge Mann , nachdem er sie kennengelernt hat , schwerlich anders sprechen .
Ihr gefallt Euch in Euren Übertreibungen , in Eurer erzwungenen Einseitigkeit , und glaubt , daß es keinen Enthusiasmus ohne Verfolgungsgeist geben könne .
Sternbald wird gewiß auch in Rom und Florenz seinem Dürer getreu bleiben , und er wird gewiß Angelos Erhabenheit und Raffaels Größe und Schöne mit gleicher Liebe umfassen können . "
" Und das soll er , das muß er ! " rief Rudolph hier mit einem Ungestüm aus , den man sonst nicht an ihm bemerkte .
" Ihr mein ungestümer Herr Polz oder Stolz , oder wie Ihr Euch nennt , habt wenig Ehre davon , daß Ihr solche Gesinnungen und Redensarten aus dem lieblichen Italien mit Euch bringt ; nach Norden , nach den Eisländern hättet Ihr reisen müssen .
Ihr sprecht von deutscher Barbarei , und fühlt nicht , daß Ihr selber der größte Barbar seid .
Was habt Ihr in Italien gemacht , oder wo hat Euch das Herz gesessen , als Ihr im Vatikanischen Palaste vor Raffaels Unsterblichkeit standet ? "
Alle mußten über den Ungestüm des Jünglings lachen , und er selbst lachte von Herzen mit , obgleich ihm eine Träne im Auge stand .
" Ich bin ein Römer " , sagte er dann , " und ich gestehe , daß ich Rom unaussprechlich liebe ; Raffael ist es besonders , der Rom ausgeschmückt hat , und seine hauptsächlichsten Gemälde befinden sich dort .
Sagt nun , was Ihr wollt , ich werde Euch gewiß nicht noch einmal so heftig widersprechen . "
" So ist denn dieser Raffael gestorben ? " fing Franz von neuem an ; " wie alt ist er denn geworden ? "
" Gerade neununddreißig Jahre " , sagte der Mönch .
" Am Karfreitage , an diesem heiligen Tage ist er geboren , und in diesen merkwürdigen Tag ist auch wieder die Geburtsstunde seines neuen Lebens im Tode gefallen .
Er war und blieb sein lebelang ein Jüngling , und aus allen seinen Werken spricht ein milder , kindlich hoher Geist .
Sein letztes großes Gemälde war Christi Verklärung , worin er seine eigene Vergötterung gemalt hat , denn vielleicht ist dieses Werk das Höchste und Vollkommenste , das seine Hand nur hervorbringen konnte .
Oben schwebt der Erlöser in himmlischer Glorie , neben ihm Elias und Moses , vom Boden erhoben , er in verklärter Gestalt , vom Glanz sind seine Lieblinge geblendet zu Boden gesunken , und unten am Berge sieht man die Apostel , in ihnen den Glauben und die Kraft , welche die Erde noch verwandeln und erleuchten sollen , aber noch ist um sie das Menschenleben dunkel , und sie können der entsetzlichen Not nicht abhelfen , die in Gestalt eines besessenen Knaben , der ihnen zur Heilung herbeigeführt wird , wild und gräßlich vor sie tritt .
In diesem Bilde ist auf die wundersamste Weise alles vereinigt , was heilig , menschlich und furchtbar ist , die Wonne der Seligen mit dem Jammer der Welt , und Schatten und Licht , Körper und Geist , Glaube , Hoffnung und Verzweiflung bildet auf tiefsinnige , rührende und erhabene Weise die schönste und vollendetste Dichtung .
Raffaels Sarg stand in der Malerstube , und dieses sein letztes vollendetes Gemälde daneben , seine eigene Verklärung .
Der Finger ruhte nun auf immer , der diese Bilder in Leben und Bewegung gezaubert hatte ; die bunte freundliche Welt , die aus dem Gestorbenen hervorgegangen war , stand nun neben der blassen Leiche .
Ganz Rom war in Bewegung , und keiner von denen , die es sahen , konnte sich der Tränen enthalten . "
" Wessen Tränen " , rief Franz aus , " sollten wohl bei solchem Anblicke nicht fließen ?
Was können wir denn den großen Kunstgeistern zum Dank anders widmen , als unser volles , entzücktes Herz , unsere andächtige Verehrung ?
Für diese unbefangene , kindliche Rührung , für diese völlige Hingebung unseres eigentümlichen Selbst , für diesen vollen Glauben an ihre edle Trefflichkeit haben sie gearbeitet ; dies ist ihr größter und ihr einziger Lohn .
Kommen mir doch jetzt die Tränen in die Augen , wenn ich mir den Abgeschiedenen da liegen denke , unter seinen Gemälden , seine letzte Schöpfung neben ihm , die noch vor wenigen Tagen sein Kunstgeist bewegte und belebte .
Oh , man sollte meinen , alle jene lebendigen Gestalten hätten sich verändern , und nur Schmerz und Verzweifelung über den entflohenen Raffael ausdrücken müssen . "
Der Bildhauer sagte :
" Nun gewiß , Ihr habt eine lebhafte Imagination ; am Ende meint Ihr gar , sein gemalter Christus hätte ihn wieder vom Tode erwecken können . "
" Und ist denn Raffael gestorben ? " rief Sternbald in seiner Begeisterung aus .
" Wird Albrecht Dürer jemals sterben ?
Nein , kein großer Künstler verläßt uns ganz ; er kann es nicht , sein Geist , seine Kunst bleibt freundlich unter uns wohnen .
Der Name des Feldherrn wird auch vom späten Enkel noch genannt : aber größeren Triumph genießt der Künstler , Raffael ruht neben seinen Werken glänzender , als der Sieger in seinem ehernen Grabmal :
denn er läßt die Bewegungen seines edlen Herzens , die großen Gedanken , die ihn begeisterten , in sichtbaren Bildungen , in lieblichen Klängen unter uns zurück , und jede Gestalt bietet schon jetzt dem noch ungeborenen Enkel die Hand , um ihn zu bewillkommnen ; jedes Gemälde drückt den entzückten Beschauer an das Herz Raffaels , und er fühlt , wie ihn der Geist des Malers liebevoll umfängt und erwärmt , er glaubt das Wehen des Atems zu fühlen , die Stimme des Grußes zu vernehmen , und ist durch diese Stunde für seine ganze Lebenszeit gestärkt .
Und aus diesen Entzückungen strömen neue Triebe und Bildungen , die wieder wie Blüten , oft ihres ersten Stammes unbewußt , späterhin als Frühling , als Kunst , als Unsterblichkeit und himmlische Liebe vom großen Lebensbaum schwankend herniederleuchten und - duften . "
Bolz sagte : " Ihr werdet Euer lebelang kein großer Maler werden ; Ihr erhitzt Euch über alles ohne Not , und das wird Euch gerade von der Kunst abführen . "
" Darin mögt Ihr nicht ganz Unrecht haben " , sagte der Mönch .
" Mit welcher Freude erinnre ich mich so mancher sinnvollen Gespräche mit jenem trefflichen Manne , den ich in den florentinischen Gebirgen kennenlernte .
Wahrlich , nichts hat mir seitdem noch so gemangelt , als der Umgang mit diesem Geiste , dessen Gesinnungen wie seine Geschichte zu den lehrreichsten und sonderbarsten gehören , von denen ich noch vernommen habe , und dieser wiederholte auch oft jene Behauptung unseres stürmischen Freundes , daß die Kunst einen ruhigen Geist fordre . "
" Das ist wohl ausgemacht " , sagte Rudolph ; " aber warum muß Euch ein alter Herr , den wir alle nicht kennen , erst auf diesen Gedanken bringen , der doch so natürlich ist ? "
" Ihr habt recht " , sagte der höfliche Mönch , " und ich verwundre mich selbst , daß ich an diesen so einleuchtenden Satz meine Erinnerung so gewaltsam anknüpfte ; sein ungewöhnlicher Lebenslauf ist es , der mir so oft im Sinne liegt , und ich mußte an ihn denken , seit ich Euren Freund Sternbald vor mir sah , denn so sehr , als sich Jugend und Alter nur ähnlich sein können , gleicht er in Antlitz und Gebärde jenem meinen teuren Freunde . "
" Könnt Ihr uns nicht etwas von seiner Geschichte erzählen ? " fragte Franz .
Der Mönch wollte eben anfangen , als sie Jagdhörner und Hundegebell hörten .
Ein Trupp Reuter jagte bei ihnen vorüber und in den benachbarten Wald hinein .
Die Berge gaben die Töne zurück , und ein schönes musikalisches Gewirr lärmte durch die einsame Gegend .
Bolz stand auf und sagte : " Laßt um des Himmels Willen Eure langweiligen Erzählungen ; freut Euch doch an diesem Konzerte , das , nach meinem Gefühle , jede Brust erregen müßte .
Ich kenne nichts Schöneres , als Jagdmusik , den Hörnerklang , den Widerhall im Walde , das wiederholte Gebell der Hunde und das hetzende Hallo der Jäger .
Als ich auf meiner Rückreise über Palästina ging , und nicht weit davon in abgelegener Gegend einen Bekannten besuchen wollte , war ich so glücklich , dort im dichten Walde dem schönsten Mädchen , die ich noch gesehen habe , eine Jungfrau , wie sie uns sonst unsere Phantasie nur edel und reizend malt , bei einer Jagd das Leben zu retten , große Hirtenhunde hatten sich , aufgescheucht vom Getümmel , an sie gemacht , und ich kam eben hinzu , als die wilden Tiere , die dort sehr gefährlich sind , sie anfallen wollten , und sie , fast ohnmächtig , den Versuch machte , einen Baum hinaufzuklimmen .
Das , Herr Maler , war eine Szene , der Darstellung würdig .
Der grüne , dunkelschattige Wald , das Getümmel der Jagd , ein aufgescheuchtes Weib , mit langem fliegenden Goldhaar , das Gewand in Unordnung , der Busen fast frei , Fuß und schönes Bein von der Stellung entblößt .
Seht , so habe ich Euch auch aus meiner Erinnerung eine Geschichte erzählt , denn dieses hohe himmlische Bild schwebt mir so vor , daß sie allein mich bewegen könnte , nach Italien zurückzugehen . "
Franz dachte unwillkürlich an seine Unbekannte , und der Mönch sagte :
" Ich kann den Gegenstand so besonders malerisch nicht finden , er ist alltäglich und bedeutungslos . "
" Nachdem ihn der Maler nehmen dürfte " , fiel Franz ein .
Sie waren einen Berg hinangestiegen und standen nun ermüdet still .
Indem sie sich an der Aussicht ergötzten , und den Krümmungen des Rheins durch die grünen Gefilde folgten , der sich glänzend um Hügel schmiegte , wieder erschien , und dann von Schatten und Wald verschlungen , plötzlich in entfernteren Biegungen von neuem hervorleuchtete , rief Franz aus :
" Mich dünkt , ich sehe noch ganz in der Ferne den Münster ! "
Sie sahen alle hin , und ein jeglicher glaubte ihn zu entdecken .
" Der Münster " , sagte Bolz , " ist noch ein Werk , das den Deutschen Ehre macht ! "
" Das aber doch gar nicht zu Euren Begriffen vom Idealischen und Erhabenen paßt " , antwortete Franz .
" Was gehen mich meine Begriffe an ? " sagte der Bildhauer ; " ich knie in Gedanken vor dem Geiste nieder , der diesen allmächtigen Bau entwarf und ausführte .
Wahrlich , es war ein seltener Geist , der es wagte , diesen Baum mit Ästen , Zweigen und Blättern so hinzustellen , immer höher den Wolken mit seinen Felsmassen entgegenzugehn , und ein Werk hinzuzaubern , das gleichsam ein Bild der Unendlichkeit ist . "
Sternbald sagte : " Wie freue ich mich , daß es mir so wohl geworden ist , dieses Denkmal deutscher Kunst und Seelenhoheit gesehen zu haben .
Mit welcher lauten Stimme wird der Name Erwins durch die Welt gerufen , und wie fühlen wir im Anschauen dieses Monumentes die Unsterblichkeit des Menschengeistes .
Hier ist eine Erhabenheit ausgesprochen , für die kein anderes Zeichen , keine andere Kunst , ja selbst der unendliche Gedanke nicht genügte ; die Vollendung der Symmetrie , die kühnste allegorische Dichtung des menschlichen Geistes , diese Ausdehnung nach allen Seiten , und über sich in den Himmel hinein ; das Endlose und in sich selbst Geordnete ; die Notwendigkeit des Gegenüberstehenden , welches die andere Hälfte erläutert und vollendet , so daß eins um des anderen Willen , und alles um die deutsche Größe und Herrlichkeit auszudrücken , da ist .
Es ist ein Baum , ein Wald , aber diese allmächtigen , unendlich wiederholten Steinmassen drücken auch , wenn man will , noch viel anderes im Bilde aus .
Es ist der Geist des Menschen selbst , seine unendliche Mannigfaltigkeit zur sichtbaren Einheit verbunden , sein kühnes Riesenstreben nach dem Himmel , seine Dauer und Unbegreiflichkeit ; den Geist Erwins selbst sehe ich in einer furchtbar sinnlichen Anschauung vor mir stehen .
Es ist zum Entsetzen , daß der Mensch aus den Felsen und Abgründen sich einzeln die Steine hervorholt , und nicht rastet und ruht , bis er diesen ungeheuren Springbrunnen von lauter Felsenmassen hingestellt hat , der sich ewig , ewig ergießt , und wie mit der Stimme des Donners Anbetung vor uns selbst in unsere sterblichen Gebeine hineinpredigt .
Und nun klimmt unbemerkt und unkenntlich ein Wesen , gleich dem Baumeister , oben wie ein Wurm , an den Zinnen umher , und immer höher und höher , bis ihn der letzte Schwindel wieder zur flachen , sicheren Erde hinunternötigt - wer hier nichts fühlt und entzückt ist , o wahrhaftig , der begeht , ein armer Sünder , die Verleugnung Petri an der Herrlichkeit des göttlichen Ebenbildes . "
Hier gab der Bildhauer dem Maler die Hand und sagte : " So höre ich Euch gerne . "
" Und ist es denn nun etwa " , fuhr Sternbald fort , " daß diese ungeheure Maße uns Entsetzen oder Schauer erregt , wie vielleicht die Pyramiden Ägyptens verursachen mögen ?
O vergönnt und verzeiht mir , daß ich vielleicht ein zu kühnes Gleichnis brauche .
Wie der Ewige , Unendliche , sich in die Liebe kleidete , um uns nicht zu schrecken und sich verständlich zu machen , wie er als Kind und Freund unter uns wandelte , und der gläubige Christ so Trost und Zuflucht bei ihm , selbst vor jenem ungeheuren unermeßlichen Bilde des Vaters findet , so ist hier auf ähnliche Art die Liebe in das Mittel getreten , nun diese Erhabenheit wieder in Blume , in Pflanze , in Licht und heiteres süßes Spiel aufzulösen .
Wohin das Auge sieht und wohin es schweift begegnet ihm dieser zarte Scherz , und schaukelt sich in Wellen , Rosen , Knospen , Bildern , Bögen , um den harten Stein und Felsen wie in Musik und Wohllaut aufzulösen .
Daher das Unerklärliche , daß wir ganz so wie vor einem Wunder , vor einem Traume stehen , wenn dieses höchste Riesenwerk zugleich wie ein zarter himmlischer Luftscherz vor uns schwebt .
In Steinen sehen wir die geahndete Glorie des Himmels , und auch der Fels hat seine starre Natur brechen müssen , um Hosianna ! und Heilig !
Heilig ! zu singen . "
" Phantasiert nur " , sagte Bolz ; " aber wahr ist es , daß diese Gebäude , die vielleicht allein den Deutschen angehören , den Namen des Volkes unsterblich machen müssen .
Der Dom zu Wien , der unvollendete mächtige Bau in Köln , und jener in Straßburg sind die hellsten Sterne ; und wie lieblich ist der kleine Dom drüben im breisgauschen Freiburg , mancher anderen in Eßlingen , oder Meißen , und an anderen Orten nicht zu erwähnen .
Vielleicht erfahren wir auch noch einmal , daß alles , was England , Spanien und Frankreich von dieser Art Herrliches besitzt , von deutschen Meistern ist gegründet worden .
Dergleichen findet Ihr nun freilich in Italien nicht , denn der Italiener , der alles verwirft , was nicht sein ist , kennt nur als gotisch oder deutsch die unreifen rohen Steinmassen zu Mailand und Pisa , oder gar das unzusammenhängende Gebäude des Domes zu Lucca . -
Aber wir müssen uns trennen .
Ihr kommt jetzt , junger Mann , nach Italien , indem es vielleicht seine glänzendste Epoche gefeiert hat .
Ihr werdet viele große und verdiente Männer antreffen , und was an ihnen das Schönste ist , erkennen .
Die meisten arbeiten in der Stille .
Vielleicht kommt aber bald die Zeit , wo es mit der wahren , hohen Kunst zu Ende ist , denn man fängt schon an zu schwatzen statt zu handeln , von manchen großen Meistern vererbt sich statt des Tiefsinns ein unnützer Hang zum Grübeln , der die Kraft erlahmt , oder ein seichtes , leeres Spiel mit Gedanken und ein Tändeln mit der Kunst ; oder es entsteht wohl der Afterenthusiasmus , die Lüge , die das wahrhaft Edle herabwürdigen . "
Sie gingen auseinander , und Franz überdachte die letzten Worte , die ihm nicht ganz verständlich waren .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Indem Rudolph und Franz ihren Weg fortsetzten , sprachen sie über ihre Begleiter , die sie verlassen hatten .
Franz sagte :
" Ich kann es mir nicht erklären , warum ich vom ersten Augenblicke einen unbeschreiblichen Widerwillen gegen diesen Bildhauer empfunden habe , der sich mit jedem Worte , das er sprach , vermehrte ; selbst die freundliche Art , mit der er am Ende Abschied nahm , war mir recht im Herzen zuwider . "
" Der Geistliche " , antwortete Rudolph , " hatte im Gegenteil etwas Anlockendes , das gleich mein Zutrauen gewann ; er schien ein sanfter , freundlicher Mensch , der jedem wohlwollte .
Nur möchte ich glauben , daß er dem Stande nicht angehört , dessen Kleidung er trägt , denn sein Gang war zu frei und männlich . "
" Er hätte uns " , fuhr Sternbald fort , " die Geschichte des alten Mannes erzählen sollen , von dem er sprach ; eine sonderbare Neugier bemächtigte sich meiner , und es schmerzt mich , so von ihm geschieden zu sein , denn es gibt Begebenheiten , aus deren Erzählung man für sein ganzes Leben lernen kann . "
" Und ich begreife nicht " , sagte Rudolph , " was in jeder Geschichte anders noch als Geschichte sein kann , mir war es lieb , daß es nicht zur Erzählung kam , denn schon in den Büchern ist es mir immer sehr verhaßt gewesen , wenn auf eine ähnliche Frage und unnötige Veranlassung eine Novelle oder Historie vorgetragen wird , und in dem Augenblick , als er sich zum Vortrage anschickte , gemahnte es mir gerade so , als wenn ich ein solches Buch läse . "
Ein Fußsteig führte sie in einen dichten kühlen Wald hinein , und sie bedachten sich nicht lange , ihm nachzugehen .
Eine erquickende Luft zog durch die Zweige , und der mannigfaltigste , anmutigste Gesang von unzähligen Vögeln erschallte .
Es war ein lebendiges Gewimmel in den Gebüschen ; die buntgefiederten Sänger sprangen hier- und dorthin : die Sonne flimmerte nur an einzelnen Stellen durch das dichte Grün .
Beide Freunde gingen schweigend nebeneinander , indem sie des schönen Anblicks genossen .
Endlich stand Rudolph still und sagte :
" Wenn ich ein Maler wäre , Freund Sternbald , so würde ich vorzüglich Waldgegenstände studieren und darstellen .
Schon der Gedanke eines solchen Gemäldes kann mich entzücken .
Wenn ich mir unter diesen dämmernden Schatten die Göttin Diana vorübereilend denke , den Bogen gespannt , das Gewand aufgeschürzt und die schönen Glieder leicht umhüllt , hinter ihr die Nymphen in Eile und die Jagdhunde springend , so wird mir dies von selbst zum Bilde .
Oder stelle dir vor , daß dieser Fuß weg sich immer dichter in das Gebüsch hineinwindet , die Bäume werden immer höher und wunderbarer , plötzlich steht eine Grotte , ein kühles Bad vor uns , und in ihm die Göttin , mir ihren Begleiterinnen , entkleidet .
Da ist die Einsamkeit , Grün , Felsen und Baum und die nackte Schönheit majestätischer , hoher und jungfräulicher Leiber vereinigt : füge vielleicht den Aktäon hinzu , so tritt jener wundersame Schreck und die seltsame Freude noch in das Gemälde , in seinen Hunden kannst du schon die tierische Wut und den Blutdurst darstellen , so ist hier das Widersprechendste in ein poetisches Bild notwendig und schön verknüpft . "
" Oder " , sagte Franz , " hier im tiefen Walde die Leiche eines schönen Jünglings , und über ihm ein Freund und die Geliebte im tiefsten Schmerz , vielleicht Venus und Adonis , oder ein lieblicher Knabe , von wilden Räubern erschlagen : die dunkelgrünen Schatten , unter ihnen die blendenden Jugendgestalten , der frische Rasen , die einzelnen , zerspaltenen Sonnenstrahlen von oben , die nur das Gesicht und einzelne kleine Teile hell erleuchteten , der Eber , oder die Räuber in der Ferne , wie von Gewitterschatten eingehüllt , alles dies zusammen müßte ein vortreffliches Gemälde der Schwermut und Schönheit ausbilden . "
" Fühlst du nicht oft " , fuhr Rudolph fort , " einen wunderbaren Zug deines Herzens dem Wunderbaren und Seltsamen entgegen ?
Man kann sich der Traumbilder dann nicht erwehren , man erwartet eine höchst sonderbare Fortsetzung unseres gewöhnlichen Lebenslaufs .
Oft ist es , als wenn der Geist von Ariosts Dichtungen über uns hinwegfliegt , und uns in seinen kristallenen Wirbel mit fassen wird ; nun horchen wir auf und sind auf die neue Zukunft begierig , auf alle die Erscheinungen , die an uns mit bunten Zaubergewändern vorübergehen sollen :
dann ist es , als wollte der Waldstrom seine Melodie deutlicher aussprechen , als würde den Bäumen die Zunge gelöst , damit ihr Rauschen in verständlicheren Gesang dahinrinne .
Nun fängt die Liebe an , auf fernen Flötentönen heranzuschreiten , das klopfende Herz will ihr entgegenfliegen , die Gegenwart ist wie durch einen mächtigen Bannspruch festgezaubert , und die glänzenden Minuten wagen es nicht zu entfliehen .
Ein Zirkel von Wohllaut hält uns mit magischen Kräften eingeschlossen , und ein neues verklärtes Dasein schimmert wie rätselhaftes Mondlicht in unser wirkliches Leben hinein . "
" O du Dichter ! " rief Franz aus , " wenn du nicht so leichtsinnig wärst , solltest du ein großes Wundergedicht erschaffen , voll von gaukelndem Glanz und wandelnden Klängen , voll Irrlichter und Mondschimmer ; ich höre dir mit Freuden zu , und mein Herz ist schon wunderbar von diesen Worten ergriffen . "
Nun hörten sie eine rührende Waldmusik von durcheinanderspielenden Hörnern aus der Ferne ; sie standen still und horchten , ob es Einbildung oder Wirklichkeit sei : aber ein melodischer Gesang quoll durch die Bäume ihnen wie ein rieselnder Bach entgegen , und Franz glaubte , die Geisterwelt habe sich wohl plötzlich aufgeschlossen , weil sie vielleicht , ohne es zu wissen , das große zaubernde Wort gefunden hätten ; als habe nun der geheimnisvolle unsichtbare Strom den Weg nach ihnen gelenkt , und sie in seine Fluten aufgenommen .
Sie gingen näher , die Waldhörner schwiegen , aber eine süße Stimme sang nun folgendes Lied :
" Waldnacht !
Jagdlust !
Leis und ferner Klingen Hörner , Hebt sich , jauchzt die freie Brust !
Töne , töne nieder zum Tal , Freuen sich , freuen sich allzumal Baum und Strauch beim munteren Schall .
Kling nur Bergquell !
Efeuranken Dich umschwanken , Riesle durch die Klüfte schnell !
Fliehet , flieht das Leben so fort , Wandelt hier , dann ist es dort - Hallt , zerschmilzt , ein luftig Wort .
Waldnacht !
Jagdlust !
Daß die Liebe Bei uns bliebe , Wohnen blieb ' in treuer Brust !
Wandelt , wandelt sich allzumal , Fliehet gleich dem Hörnerschall :
- Einsam , einsam grünes Tal .
Kling nur Bergquell !
Ach betrogen - Wasserwogen Rauschen abwärts nicht so schnell !
Liebe , Leben , sie eilen hin , Keins von beiden trägt Gewinn :
- Ach , daß ich geboren bin ! "
Die Stimme schwieg , und die Hörner fielen nun wieder mit schmelzenden Akkorden darein ; dann verhallten sie , und eine männliche volle Stimme sang von einem entfernteren Orte :
" Treulieb ist nimmer weit , Nach Kummer und nach Leid Kehrt wieder Liebe und Freude :
Dann kehrt der holde Gruß , Händedrücken , Zärtlich Blicken , Liebeskuß .
Treulieb ist nimmer weit !
Ihr Gang durch Einsamkeit Ist dir , nur dir geweiht .
Bald kommt der Morgen schön , Ihn begrüßet Wie er küsset Freudenträne ' . "
Die Hörner schlossen auch diesen Gesang mit einigen überaus zärtlichen Tönen .
Franz und Rudolph waren indes näher geschritten und standen jetzt still , an einen alten Baum gelehnt , der sie fast ganz beschattete .
Sie sahen eine Gesellschaft von Jägern auf einem grünen Hügel gelagert , einige darunter waren diejenigen , die vorher an ihnen vorübergeritten waren .
Auf der mittleren Erhöhung des Hügels saß ein wundersam schöner Jüngling , in einer Jagdkleidung von grünem Samt , von einem violetten Hute schwankten bunte Federn , in einem reichen Bandelier , das über der erhabenen Brust hing , trug er ein kurzes Schwert ; er hatte das erste Lied gesungen ; aus dem Anstande , der Schönheit und dem Wuchs des Jünglings sah Franz , daß er ein Mädchen sei : sie glich , indem sich die schlanke Gestalt erhob , und die Hitze der Jagd in ihrem Gesichte glühte , der Göttin der Wälder .
Alle Jäger sprangen auf , die verschiedenen ruhenden Gruppen wurden plötzlich lebendig , und versammelten sich um sie her , die Hunde kamen herbei , die bisher teils zu ihren Füßen schnaufend , teils unter den kühlen Bäumen gelegen hatten .
Ein Jagdruf der Hörner erklang , und alles machte sich zur Rückkehr fertig .
Die wiehernden Rosse wurden von Dienern aus dem Schatten des Waldes herbeigeführt .
Jetzt wurde sie die beiden Reisenden gewahr und ging freundlich auf sie zu , indem sie sich erkundigte , auf welche Weise sie dorthin gekommen wären .
Rudolph merkte nun erst , daß sie sich verirrt haben müßten , denn sie sahen keinen Weg , keinen Fußsteig vor sich .
Auf den Befehl der Jägerin reichte man ihnen Wein in Bechern zur Erfrischung ; dann erzählten sie von ihrer Wanderschaft .
Da die schöne Jägerin hörte , daß Sternbald ein Maler sei , bat sie beide Freunde , dem Zuge auf ihr nahe gelegenes Schloß zu folgen , Sternbald solle ausruhen , und nachher etwas für sie arbeiten .
Franz war begeistert , er wünschte nichts so sehr , als in der Nähe dieser herrlichen Erscheinung zu bleiben , und ihr auf irgendeine Weise gefällig oder nützlich sein zu können .
Die Jäger bestiegen ihre Pferde , und zwei von ihnen boten Franz und Rudolph ihre Hengste an .
Sie stiegen auf , und Rudolph war immer der vorderste im Zuge , wobei sich seine ausländische Tracht , seine vom Hute flatternden Bänder gut ausnahmen :
Sternbald aber , dem diese Übung noch neu war , schien ängstlich und blieb hinten , er wünschte , daß man ihn zu Fuß hätte folgen lassen .
Jetzt eröffnete sich der Wald .
Eine schöne Ebene mit Gebüschen und krausen Hügeln in der Ferne lag vor ihnen .
Die Pferde wieherten laut und fröhlich , als sie die Rückkehr zur Heimat merkten ; das Schloß der Gräfin lag mit glänzenden Fenstern und Zinnen zur Rechten auf einer lieblichen Anhöhe .
Ein Jäger , der mit Rudolph den Zug angeführt hatte , bot diesem an , einen Wettlauf bis zum Schlosse anzustellen : Rudolph war willig , beide spornten ihre Rosse und flogen mit gleicher Eile über die Ebene , Rudolph jauchzte , als er seinem Mitkämpfenden Vorsprung abgewann ; die übrigen folgten langsam unter einer fröhlichen Musik der Hörner .
Es war um die Mittagszeit , als der Zug im Schlosse ankam , und die ganze Gesellschaft setzte sich bald darauf zur Tafel ; die schöne Jägerin war aber nicht zugegen .
Die Tischgesellschaft war desto lustiger , Rudolph , vom Reiten erhitzt , und da er überdies noch vielen Wein trank , war er beinahe ausgelassen , um so mehr aber belustigte er die Gesellschaft , die es nicht müde wurde , seine Einfälle zu belachen .
Franz fühlte sich gegen seine Leichtigkeit unbeholfen und ohne alle Fähigkeit Scherz und Lachen zu vernehmen .
Ein ältlicher Mann , der im Hause aufbewahrt wurde , galt für einen Dichter :
er sagte Verse her , die ungemein gefielen , und noch mehr deswegen , weil er sie ohne Vorbereitung singen oder sprechen konnte .
Unter dem lautesten Beifall der Gesellschaft sang er folgendes Trinklied :
" Die Gläser sind nun angefüllt , Auf , Freunde , stoßet an , Der edle Traubensaft entquillt Für jeden braven Mann .
Es geht von Mund zu Mund Das volle Glas in die Rund , Wer krank ist trinke sich gesund .
Es kommt vom Himmel Sonnenschein Und schenkt uns Freude und Trost , Dann wächst der liebe süße Wein , Es rauschet uns der Most .
Es geht von Mund zu Mund Das volle Glas in die Rund , Wer krank ist trinke sich gesund . "
Da alle das Talent des Mannes bewunderten , sagte Rudolph im Unwillen :
" Es geschieht dem Wein keine sonderliche Ehre , daß Ihr ihn auf solche Art lobt , denn es klingt beinahe , als wenn Ihr aus Not ein Dichter wäret , der den lieben Wein nur besingt , weil er sich diesen Gegenstand einmal vorgesetzt hat ; es ist wie ein Gelübde , das jemand mit Widerwillen bezahlt .
Warum quält Ihr Euch damit , Verse zu machen ?
Ihr könnt den Wein so durch fünfzig Strophen verfolgen , von seiner Herkunft anfangen und seine ganze Erziehung durchgehen .
Ich will Euch auf diese Art auch ein Gedicht über den Flachsbau durchsingen , und über jedes Manufakturprodukt . "
" Das hören wir sehr ungern ! " rief einer von den Jägern .
" Wir haben den Mann immer für einen großen Dichter gehalten " , sagte ein anderer , " warum macht Ihr uns in unserem Glauben irre ? "
" Es ist leichter tadeln , als besser machen ! " rief ein dritter .
Der Poet selbst war sehr aufgebracht , daß ihm ein fremder Ankömmling seinen Lorbeer streitig machen wollte .
Er bot dem berauschten Florestan einen dichterischen Zweikampf an , den die Gesellschaft nachher entscheiden sollte .
Florestan gab seine Zustimmung , und der alte Sänger begann sogleich ein schönes Lied auf den Wein , das alle Gemüter so entzückte , daß Franz für seinen Freund wegen des Ausganges des Krieges in billige Besorgnis geriet .
Während dem Liede war die Tafel aufgehoben , und Florestan bestieg nun den Tisch , indem er seinen Hut aufsetzte , der mit grünem Laube geputzt war ; vorher trank er noch ein großes Glas Wein , dann nahm er eine Zither in die Hand , auf welcher er artig spielte und dazu sang : " Erwacht ihr Melodien , Und tanzt auf den Saiten dahin !
Ha ! meine Augen glühen , Alle Sorgen erdwärts fliehen , Himmelwärts entflattert der jauchzende Sinn .
In goldenen Pokalen Verbirgt die Freude sich gern , Es funkeln in den Schalen Ha ! des Weines liebe Strahlen , Es regt sich die Welle ein schimmernder Stern .
In tiefen Bergesklüften , Wo Gold und der Edelstein keimt , In Meeres fernen Schluchten , In Adlers hohen Lüften , Nirgend Wein wie auf glücklicher Erde schäumt .
Gern mancher suchte in Schlünden , Wo selber dem Bergmann graut , In felsigen Gewinden , Könnt er die Wonne finden , Die so freundlich uns aus dem Becher beschaut . "
- Rudolph hielt inne .
" Ist es mir , Herr Poet " , fragte er bescheiden , " nun wohl vergönnt , das Silbenmaß ein wenig zu verändern ? "
Der Dichter besann sich ein Weilchen , dann nickte er mit dem Kopfe , um ihm diese Freiheit zuzugestehen .
Rudolph fuhr mit erhöhter Stimme fort :
" Als das Glück von der Erde sich wandte , Das Geschick alle Götter verbannte , Da standen die Felsen so kahl , Es verstummten der Liebenden Lieder , Sah der Mond auf Betrübte hernieder , Vergingen die Blumen im Tal .
Sorge und Angst und Gram ohne Ende , Nur zur Arbeit bewegten sich Hände , Trüb und tränend der feurige Blick , Sehnsucht selber war nun entschwunden , Keiner dachte der vorigen Stunden , Keiner wünschte sie heimlich zurück .
Nicht wahr " , unterbrach sich Rudolph selber , " das war für die arme Menschheit eine traurige Lage , die so plötzlich das goldene Zeitalter verloren hatte ?
Aber hört nur weiter :
Alle Götter ohne Erbarmen Sahen hinunter auf die Armen , Ihr Verderben ihr Entschluß .
Oh , wer wäre Mensch verblieben , Ohne Götter , ohne Lieben , Ohne Sehnsucht , ohne Kuß ? -
Bacchus sieht , ein junger Gott , Lächelnder Wange , mit Blicken munter Zur verlaßenen Erde hinunter , Ihn bewegt der Menschheit Not .
Und es spricht die Silberstimme :
» Meine Freunde sind zu wild , Ihrem eigensinnigen Grimme Unterliegt das Menschenbild .
Dürfen sie die Welt verhöhnen Weil kein Tod uns Göttern dräut ?
Sollen denn nur Angst und Stöhnen Leben sein und bitteres Leid ? «
Aber , meine Freunde , ich bin des Singens und Trinkens überdrüssig . "
Und mit diesen Worten sprang er vom Tische herunter .
Unter der berauschten Gesellschaft entstand ein Gemurmel , weil sie stritten , welcher von den beiden Poeten den Preis verdiene .
Die meisten Stimmen schienen für den alten Sänger , einige aber , die durch ihre Vorliebe für das Neue einen besseren Verstand anzudeuten glaubten , nahmen sich des Florestan mit vielem Eifer an .
Auch Sternbald mischte sich scherzend in den Streit , um seinem Freunde beizustehen .
" Man weiß nicht recht , was der junge Mensch mit seinem Gesange oder Liede will " , sagte einer von den ältesten .
" Ein gutes Weinlied muß seinen stillen Gang für sich fortgehen , damit man brav Lust bekommt , mitzusingen , weshalb auch oft blinkt , klingt und singt darin angebracht sein muß , wie ich es auch noch allenthalben gefunden habe .
Allein was sollen mir dergleichen Geschichten ? "
" Freilich " , sagte Florestan , " kann es nichts sollen ; aber , lieben Freunde , was soll euch denn der Wein selber ?
Wenn ihr Wasser trinkt , bleibt ihr auch um vieles mäßiger und verständiger . "
" Nein " , schrie ein anderer , " auch im Weine kann und muß man mäßig sein ; der Genuß ist dazu da , daß man ihn genießt , aber nicht so gänzlich ohne Verstand . "
Rudolph lachte und gab ihm recht , wodurch viele ausgesöhnt wurden und zu seiner Partei übergingen .
" Ich habe nur den Tadel " , sagte Sternbald , " daß dein Gedicht durchaus keinen Schluß hat . "
" Und warum muß denn alles eben einen Schluß haben ? " rief Florestan , " und nun gar in der scherzenden fröhlichen Poesie !
Fangt ihr nur an , zu spielen , um aufzuhören ?
Denkt ihr euch bei jedem Spaziergange gleich das Zurückgehen ?
Es ist ja schöner , wenn ein Ton leise nach und nach verhallt , wenn ein Wasserfall immer fortbraust , wenn die Nachtigall nicht verstummt .
Müßt ihr denn Winter haben , um den Frühling zu genießen ? "
" Es kann sein , daß Ihr recht habt " , antworteten einige , " ein Weinlied nun gar , das nichts als die reinste Fröhlichkeit atmen soll , kann eines Schlusses am ersten entbehren . "
" Aber wie ihr nun wieder sprecht ! " rief Florestan im tollen Mute , indem er sich hastig rundherum drehte .
" Ohne Schluß , ohne Endschaft ist kein Genuß , kein Ergötzen durchaus nicht möglich .
Wenn ich einen Baumgang hinuntergehe , sei er noch so schön , so muß ich doch an den letzten Baum kommen können , um stillzustehn und zu denken :
» Dort bin ich gegangen . «
Im Leben wären Liebe , Freude und Entzücken nur Qualen , wenn sie unaufhörlich wären , daß sie Vergangenheit sein können , macht das zukünftige Glück wieder möglich , ja , zu jedem großen Manne mit allen seinen bewundernswerten Taten gehört der Tod als unentbehrlich zu seiner Größe , damit ich nur imstande bin , die wahre Summe seiner Vortrefflichkeit zu ziehen , und ihn mit Ruhe zu bewundern .
In der Kunst gar ist der Schluß ja nichts weiter , als eine Ergänzung des Anfangs . "
" Ihr seid ein wunderlicher Mensch " , sagte der alte Poet , " so singt uns also Euren Schluß , wenn er denn so unentbehrlich ist . "
" Ihr werdet aber damit noch viel weniger zufrieden sein " , sagte Florestan , " doch es soll Euch ein Genüge geschehen . "
Er nahm die Zither wieder in die Hand , spielte und sang :
" Bacchus läßt die Rebe sprießen , Saft durch ihre Blätter fließen , Läßt sie weiche Lüfte fächeln , Sonett sie mit seinem Lächeln .
Um die Ulme hingeschlungen Steht die neue Pflanze im Licht , Heimlich ist es ihm gelungen , Denn die Götter merken_es nicht .
Läßt die Blüten rötlich schwellen Und die Beeren saftig quellen , Fürchtend die Götter und das Geschick Kommt er in Trauben verkleidet zur Welt zurück .
Nun kommen die Menschlein hergegangen Und kosten mit süßem Verlangen Die neue Frucht , den glühenden Most , und finden den Gott , den himmlischen Trost .
In der Kelter springt der mutwillige Götterknabe , Der Menschen allerliebste Habe , Sie trinken den Wein , sie kosten das Glück , Es schleicht sich die goldene Zeit zurück .
Der schöne Rausch erheitert ihr Gesicht , Sie genießen froh das neue Sonnenlicht , Sie spüren selber Götter- und Zauberkraft , Die ihnen die neue Gabe schafft .
Die Blicke feurig angeglommen Zwingen sie die Venus zurückzukommen , Die Göttin ist da und darf nicht fliehen , Weil sie sie mächtig rückwärts ziehen .
Da schauen die Götter herab mit staunendem Blick , Es kommt beschämt die ganze Schar zurück :
- » Wir wollen wieder bei euch wohnen , Ihr Menschen bauet unsere Thronen . «
» Was brauchen wir euch und euer Geschick ? «
So tönt von der Erde die Antwort zurück , » Wir können euch ohne Gram entbehren , Wenn Wein und Liebe bei uns gewähren . « "
Nun schwieg er still und legte mit einer anständigen Verbeugung die Zither weg .
" Das ist nun gar gottlos ! " riefen viele von den Zuhörern , " Euer Schluß ist das Unerlaubteste von allem , was Ihr uns vorgesungen habt . "
Der Streit über den Wert der beiden Dichter fing von neuem an .
Sternbald wurde hitzig für seinen Freund , und da er ihn einigemal bei seinem Namen Florestan nannte , so wurde der andere Poet dadurch aufmerksam gemacht ; er fragte , er erkundigte sich , das Gespräch nahm eine andere Wendung .
Man sprach von Vettern , Oheimen , Basen , in Deutschland , Italien und Frankreich , tausend Namen wurden genannt , viele Stammbäume entwickelt , und endlich fand es sich , daß die beiden Streitenden Verwandte waren :
sie umarmten sich , freuten sich , einander so unverhofft anzutreffen , und es wurde nun weiter an keine Vergleichung ihrer Talente gedacht .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Die Gesellschaft zerstreute sich hierauf , und Franz verließ nach dem Getümmel gern das Haus , um sich in den Schloßgarten zu begeben .
Hier gesellte sich der Jäger zu ihm , der im Walde die Antwort des Liedes mit einer schönen vollen Stimme gesungen hatte , er war ein junger Edelmann , der einen der vornehmeren Dienste bei der Herrschaft versah , Arnold war sein Name .
Seine Miene hatte etwas Schwermütiges und Leidendes , auch hatte er an den Scherzen und Streitigkeiten bei der Tafel keinen Anteil genommen .
Er ging mit Franz in den schattigen Gängen auf und nieder , indem sie sich vertraulich von der heutigen Jagd , von Sternbalds Reise , und von der Schönheit der Gräfin unterhielten .
" Da kommt sie den Lindengang heruntergeschritten ! " rief plötzlich der Jüngling mit einer lebhaften Empfindung aus , " seht , wie sich das reiche Gewand um den edlen Leib schmiegt , und der Purpur des Kleides mit den goldenen Spangen in der grünen Dämmerung schimmert , schon fliegt der Strahl der himmlischen Augen , um mich festzuhalten , aber heute wenigstens will ich einmal einer traurigen Freiheit genießen . "
Mit diesen seltsamen Worten verließ er schnell den staunenden Maler .
Die geschmückte Dame , die er anfangs nicht wiedererkannt hatte , schritt ihm im Gange freundlich entgegen , sie sah dem Jäger-Jünglinge vom Morgen nur wenig ähnlich .
Sie begrüßte ihn freundlich , ihr Blick und ihre Rede waren holdselig , nach einem kurzen Gespräche entfernte sie sich wieder .
Franz lehnte sich sinnend an einen künstlichen Springbrunnen , der mit seinen kristallenen Strahlen die Luft lieblich abkühlte , und ein sanftes Geräusch ertönen ließ , zu dem die nahen Vögel williger und angenehmer sangen .
Er hörte auf den mannigfaltigen Wohllaut , auf den Wechselgesang , den der spielende Quell gleichsam mit den Waldbewohnern führte , und sein Geist entfernte sich dann wieder in eine entfernte wunderbare Zaubergegend .
" Bin ich getäuscht , oder ist es wirklich ? " sagte er zu sich selber ; " ich werde ungewiß , ob mir allenthalben ihr süßes Bild begegnet , oder sie meine Phantasie nur in allen Gestalten wiedererkennt .
Diese Gräfin gleicht ihr , die ich nicht zu nennen weiß , die ich suche und doch zögre , für die ich nur lebe und sie doch gewiß verliere . "
Eine Flöte ertönte aus dem Gebüsch , und Franz setzte sich auf eine schattige Rasenbank , um den Tönen ruhiger zuzuhören .
Als der Spielende eine Weile musiziert hatte , sang eine wohlbekannte Stimme folgendes Lied :
" Holdes , holdes Sehnsuchtrufen Aus dem Wald , vom Tal herauf :
Klimm herab die Felsenstufen , Folge diesem Locken , Rufen , Hoffnung tut sich , Glück dir auf .
Wohl sehe ich Gestalten wanken Durch des Waldes grüne Nacht , Die bewegten Zweige schwanken , Sie entschimmern wie Gedanken , Die der Schlaf hinweggefacht .
Komme Erinnerung , liebe Treue , Die mir oft im Arm geruht , Singe mir dein Lied , erfreue Dieses matte Herz , der Scheue Fühlt dann Kraft und Lebensmut .
Kinder lieben ja die Scherze , Und ich bin ein töricht Kind , Treue verblieb dir doch mein Herze , Leichtsinn nur im frohen Scherze , Bin noch so wie sonst gesinnt .
Wald und Tal , ihr grüne Hügel Kennt die Wünsche meiner Brust , Wie ich gern mit goldenem Flügel Von der Abendröte Hügel Möchte ziehen zu meiner Lust .
Erde und Himmel nun in Küssen Wie mit Liebesscham entbrennt ; - Ach !
ich muß den Frevel büßen , Lange noch die Holde missen Die mein Herz mir ewig nennt .
Morgenröte kommt gegangen , Macht den Tag von Banden frei , Erde und Himmel bräutlich prangen :
Aber ach ! ich bin gefangen , Einsam hier im süßen Mai .
Liebe und Mailust ist verschwunden , Ist nur Mai in ihrem Blick , Keine Rose wird erfunden ; - Flieht und eilt ihr trägen Stunden , Bringt die Braut mir bald zurück ! "
Es war Rudolph , der nun hervortrat , und sich zu Sternbald an den Rand des Springbrunnens niedersetzte .
" Ich erkannte dich wohl " , sagte Franz , " aber ich wollte dich in deinem zärtlichen Gesange nicht stören ; doch siehst du munterer aus , als ich dich erwartet hätte . "
" Ich bin recht vergnügt " , sagte Florestan , " der heutige Tag ist einer meiner heitersten , denn ich kenne nichts Schöneres , als so recht viel und mancherlei durcheinander zu empfinden , und deutlich zu fühlen , wie durch Kopf und Herz gleichsam goldene Sterne ziehen , und den schweren Menschen wie mit einer lieben wohltätigen Flamme durchschimmern .
Wir sollten täglich recht viele Stimmungen und frische Anklänge zu erleben suchen , statt uns aus Trägheit in uns selbst und die alltägliche Gewöhnlichkeit zu verlieren . "
" Gewiß " , sagte Sternbald , " nur muß es nicht geschehen , bloß um mit uns selbst ein Spiel zu treiben , denn das Schöne und Ersprießliche ist , daß diese Stimmungen und Anregungen mit goldenem Schlüssel die Kammern unseres Geistes eröffnen , und uns die Schätze zeigen , die wir selber noch nicht kannten .
So entsteht ein reiches und vielseitiges Leben , ein vertrauter und wohltuender Umgang mit uns selbst , und wir entfliehen jener abgeschlossenen Geistesarmut , die anfangs alles eigensinnig und spröde von sich weiset , und endlich durch nichts mehr gerührt und entzückt wird , denn der Mensch soll nicht sagen :
» Dieses will und werde ich niemals denken und fühlen ! « aber er soll auch die Entzückungen seines Herzens nicht vergeuden , bloß um die Zeit auszufüllen , sonst verarmt er ebenfalls , und vielleicht noch schneller , auf diesem Wege .
Darum hat mir auch der Schluß deines heutigen Trinkliedes nicht gefallen wollen ; vielleicht ist mir überhaupt der Scherz und Leichtsinn unverständlich , der nicht zugleich Tiefsinn und Ernst sein könnte . "
" Nun so suche den Schlüssel zu bekommen " , rief Rudolph , " der dir auch diese Geisteskammer noch einmal eröffnet .
Wie bist du denn heute so gar schwerfällig geworden , daß du es mit einer augenblicklichen Begeisterung so ernst und strenge nimmst ?
Laß doch der unschuldigen Poesie ihren Gang , wenn der klare Bach sich einmal ergießt .
Liebster , sollen wir denn nicht auch unsere Gedanken , Fühlungen , Wünsche , Tränen und Lachen zuzeiten in die spielende Natur der Töne auflösen dürfen ?
Ich kann der Flöte , jedem Klange , der Nachtigall , dem Wasserfall , dem Baumgeräusch so innig zuhören , daß mein Seele ganz Ton wird .
Man könnte sich , wenn man sonst Lust hätte , ein ganzes Gesprächstück von mancherlei Tönen aussinnen . "
" Es kann sein " , antwortete Franz , " von Blumen kann ich es mir gewissermaßen vorstellen .
Es ist freilich immer nur ein Charakter in allen diesen Dingen , wie wir ihn als Menschen wahrzunehmen vermögen . "
" So geschieht alle Kunst " , antwortete Florestan ; " die Tiere können wir schon richtiger fühlen , weil sie uns etwas näher stehen .
Ich hatte einmal Lust , aus Lämmern , einigen Vögeln und anderen Tieren eine Komödie zu formieren , aus Blumen ein Liebesstück , und aus den Tönen der Instrumente ein Trauer- , oder , wie ich es lieber nennen möchte , ein Geisterspiel . "
" Die meisten Leute würden es zu phantastisch finden " , sagte Sternbald .
" Das würde gerade meine Absicht sein " , antwortete Rudolph , " wenn ich mir Mühe geben wollte , es niederzuschreiben .
Sieh , es ist indes schon Abend geworden .
Kennst du Dantes großes Gedicht ? "
" Nein " , sagte Franz .
" Auf eine ähnliche ganz allegorische Weise ließe sich vielleicht eine Offenbarung über die Natur schreiben , wenn es dem Dichter verliehen wäre , so wie der große Florentiner von Begeisterung und prophetischem Geiste durchdrungen zu sein .
Aber laß das ; versuchen wir einmal einen Wechselgesang , ob er uns heute so ohne Vorbereitung gelingt , da wir neulich unterbrochen wurden . "
" Wir können es wenigstens wagen " , sagte Franz ; " aber du mußt das Silbenmaß setzen . "
Rudolph fing an :
Wer hat den lieben Frühling aufgeschlagen Gleich wie ein Zelt In blühender Welt ?
Wer konnte Wolkennacht verjagen ?
Das Tal voll Sonne , Der Wald mit Wonne Und Lied durchklangen :
- Der Liebe ist nur so schönes Werk gelungen .
Der Liebe ist nur so schönes Werk gelungen Daß Winter kalt Entflohen bald , Die holde Macht hat ihn bezwungen :
Die Blumen süße , Der Quell , die Flüsse , Befreit von Banden Sind aus des Winters hartem Schlaf erstanden .
Sind aus des Winters hartem Schlaf erstanden Der Wechselsang , Der Echoklang , Daß sie im heiteren Raum sich fanden .
Die Nachtigallen - Gesänge schallen , Die Lindendüfte Umspielen liebekosend Frühlingslüfte .
Umspielen liebekosend Frühlingslüfte Gras , Blume , Baum , Wie Liebestraum Hängt Rosenblut um Felsenklüfte .
Um Grotten schwanken Die Geißblattranken , Des Himmels Ferne Erhellen tausend goldene kleine Sterne .
Erhellen tausend goldene kleine Sterne Die Nacht so hold , Der Brunnen Gold Gießt strahlend sich zur Erde gerne :
Mit Liebesblicken Uns zu beglücken Schaut hoch hernieder Die Liebe , gibt uns unsere Grüße wieder .
Die Liebe gibt uns unsere Grüße wieder , Darum Blumenwelt Uns zugesellt , Gesandte von ihr des Waldes Lieder : Sie schickt die Rose Daß sie uns kose , Wie uns zu danken Glänzt sie daher und lacht aus Efeuranken .
Glänzt sie daher und lacht aus Efeuranken ?
Ja , Lilienpracht Scheint hell mit Macht , Ihr Glanz belebt den Liebeskranken , Und leise drücken Wie Kuß , Entzücken Auf Lilien-Wange , Daß hold die Liebe Dank von uns empfange .
Daß hold die Liebe Dank von uns empfange Wird Mädchenmund In trauter Stunde Geküßt bei Nachtigallgesange :
Die Liebe höret Was jeder schwöret , Sie wacht den Eiden , Sie straft den Frevelnden mit bitteren Leiden .
Sie straft den Frevelnden mit bitteren Leiden , Wann er erglüht Das Mädchen flieht , Und selbst die Häßlichen ihn meiden ; In Händen welken Ihm Ros und Nelken , Die Himmelslichter Erblassen ihm , er singt als schlechter Dichter .
" Und darum wollen wir lieber aufhören " , sagte Rudolph , indem er aufstand , " denn ich gehöre selbst nicht zu den unbescholtensten . "
Die beiden Freunde gingen zurück .
Der Abend hatte sich schon mit seinen dichtesten Schatten über den Garten ausgestreckt , und der Mond ging eben auf .
Franz stand sinnend am Fenster seines Zimmers , und sah nach dem gegenüberliegenden Berge , der mit Tannen und Eichen bewachsen war , zu ihm hinauf schwebte der Mond , als wenn er ihn erklimmen wollte , das Tal glänzte im ersten funkelnd gelben Lichte , der Strom ging brausend dem Berge und dem Schlosse vorüber , eine Mühle klapperte und sauste in der Ferne , und nun aus einem entlegenen Fenster wieder die nächtlichen Hörnertöne , die dem Monde entgegengrüßten , und drüben in der Einsamkeit des Bergwaldes verhallten .
" Müssen mich diese Töne durch mein ganzes Leben verfolgen ? " seufzte Franz ; " wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur Ruhe bin , dann dringen sie wie eine feindliche Schar in mein innerstes Gemüt , und wecken die kranken Kinder , Erinnerung und unbekannte Sehnsucht wieder auf .
Dann drängt es mir im Herzen , als wenn ich wie auf Flügeln hinüberfliegen sollte , höher über die Wolken hinaus , und von oben herab meine Brust mit neuem , schöneren Klange anfüllen , und meinen schmachtenden Geist mit dem höchsten , letzten Wohllaut ersättigen .
Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgesang durchströmen , den Mondschimmer und die Morgenröte anrühren , daß sie mein Leid und Glück widerklingen , daß die Melodie Bäume , Zweige , Blätter und Gräser ergreife , damit alle spielend mein Lied wie mit Millionen Zungen wiederholen müßten . "
- In der Einsamkeit spielte und sang er in leisen Tönen folgendes Lied , in welchem er die heitere Beklemmung , die süße Müdigkeit , die Träume , die schon die Stunde der Nacht im voraus besuchen , aussprechen wollte .
Mondscheinlied Träuft vom Himmel der kühle Tau , Tun die Blumen die Kelche zu , Spätrot sieht scheidend nach der Au , Flüstern die Pappeln , sinkt nieder die nächtige Ruhe .
Kommen und gehen die Schatten , Wolken bleiben noch spät auf , Und ziehen mit schwerem , unbeholfenem Lauf Über die erfrischten Matten .
Schimmern die Sterne und schwinden wieder , Blicken winkend und flüchtig nieder , Wohnt im Wald die Dunkelheit , Dehnt sich Finster weit und breit .
Hinterm Wasser wie flimmende Flammen , Berggipfel oben mit Gold beschienen , Neigen rauschend und ernst die grünen Gebüsche die blinkenden Häupter zusammen .
Welle , rollst du herauf den Schein , Des Mondes rund freundlich Angesicht ?
Es merkt_es und freudig bewegt sich der Hain , Streckt die Zweig entgegen dem Zauberlicht .
Fangen die Geister auf den Fluten zu springen , Tun sich die Nachtblumen auf mit Klingen , Wacht die Nachtigall im dicksten Baum , Verkündet dichterisch ihren Traum , Wie helle , blendende Strahlen die Töne niederfließen , Am Bergeshang den Widerhall zu grüßen .
Flimmern die Wellen , Funkeln die wandernden Quellen , Streifen durchs Gesträuch Die Feuerwürmchen bleich .
- Wie die Wolken wandelt mein Sehnen , Mein Gedanke , bald dunkel , bald hell , Hüpfen Wünsche um mich wie der Quell , Kenne nicht die brennenden Tränen .
Bist du nah , bist du weit , Glück , das nur für mich erblühte ?
Ach ! daß es die Hände biete In des Mondes Einsamkeit .
Kommt_es aus dem Walde ? schleicht_es vom Tal ?
Steigt es den Berg vielleicht hernieder ?
Kommen alte Schmerzen wieder ?
Aus Wolken ab die entflohene Qual ?
Und Zukunft wird Vergangenheit !
Bleibt der Strom nie ruhig stehen .
Ach ! ist dein Glück auch noch so weit , Magst du entgegengehen ; Auch Liebesglück wird einst Vergangenheit .
Wolken schwinden , Den Morgen finden Die Blumen wieder :
Doch ist die Jugend einst entschwunden , Ach ! der Frühlingsliebe Stunden Steigen keiner Sehnsucht nieder .
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Am folgenden Morgen stand der junge Maler früh auf und durchstreifte die Säle des Schlosses .
Er stand vor dem Bilde eines Mannes still , das ihm bekannt schien , der Abgebildete war in Rittertracht und das Gesicht desselben hatte einen anmutigen Ausdruck .
Indem er noch sann , kam Rudolph zu ihm , welcher ihn aufsuchte , um auf einige Tage Abschied von ihm zu nehmen , weil er mit seinem dichterischen Vetter eine Reise in das Land tun wollte , um andere , noch entferntere Anverwandte zu besuchen .
Franz machte ihn auf das Bild aufmerksam , und glaubte nach längerer Betrachtung jenen Mönch wiederzuerkennen , welcher ihn so angezogen hatte , doch Rudolph eilte nach seiner leichtsinnigen Art über diese scheinbare Entdeckung weg , und zog ihn zum Frühstück , nach welchem er sogleich abreisen wollte .
Franz trennte sich ungern von ihm , weil er sich im weitläufigen Hause unter so vielen Menschen ohne ihn einsam fühlte .
Die Gräfin ließ ihn rufen , um ihr Bild anzufangen .
Sie war in einem leichten , reizenden Morgenkleide und kam ihm mit der lieblichsten Freundlichkeit entgegen .
" Ich habe Euch darum so früh rufen lassen " , fing sie an , " weil ich wünsche , daß Ihr mein Bild , welches Ihr für mich malen wollt , mit der größten Lust ausführtet ; ich habe aber immer geglaubt , daß auf die Kleidung , ihre Form und Farbe vieles ankomme , und darum will ich mit Euch wählen , welche Ihr mir am zuträglichsten haltet .
Ihr , als Maler , müßt das am besten verstehen , und die Weiber , welche gefallen wollen , sollten die Künstler öfter zu Rate ziehen . "
Sie ging mit ihm in ein anstoßendes Zimmer , dessen Fenster von außen mit grünen verschränkten Zweigen bekleidet waren , und ein dämmerndes Licht , wie in einer traulichen Kapelle bildeten ; hier erschien die Gräfin in ihren leichten und anmutigen Bewegungen noch reizender .
Es waren Kleider von verschiedenen Farben ausgebreitet , Franz wählte ein grünes von Samt dessen Ausschnitte mit Gold reich und prachtvoll geschmückt waren ; er entfernte sich wieder in den Saal , und nach wenigen Minuten stand sie vor ihm , das grüne Gewand weit und anmutig um sie fließend , Ärmel , Saum und Busen von Golde glänzend , und auf den schweren niederhängenden Locken ein goldenes Netz , das halb das Haupt von einer Seite nur bedeckte , mit grünem Bande , wie mit Laub durchzogen .
Sie nahte ihm lächelnd , und Franz fühlte in diesem Augenblicke , welche wunderbare Macht die Schönheit über das Herz ausüben könne , denn eine plötzliche Entzückung traf ihn wie ein Blitz , und er fühlte sich wie ohnmächtig .
Noch bestimmter glaubte er die Unbekannte in diesem Schmucke vor sich zu sehen .
Er mußte sich mit ihr vor einen großen Spiegel stellen , und er meinte in ein Zauberreich hineinzuschauen , als ihn im Spiegel die edle Gestalt mit den leuchtenden Augen und frischen Lippen schalkhaft und vertraulich anlächelte .
" Nun " , sagte sie , indem sie sich in einen Sessel warf , und den entblößten runden Arm mit seinem weißen Glanze auf seiner Schulter ruhen ließ - " wie findet Ihr mich so ? "
Sternbald konnte erst keine Antwort auf diese Frage finden , endlich sagte er :
" Glaubt mir nur , schönste Frau , daß ich noch nie geschmeichelt habe , aber wie der , der plötzlich zum erstenmal die schönste Musik in seinem Leben hörte , nicht gleich würde sagen können , wie und warum sie ihn entzückte , und welche Töne ihn am meisten hinrissen , so ist es mir bei Eurem Anblick : ich bin zu sehr von diesem Glanz überschüttet und geblendet , um wissen zu können , wann Ihr am schönsten seid . "
Die Gräfin wurde still und nachdenkend , sie ließ den reizenden Arm herunterfallen und sah vor sich hin , so daß die langen finsteren Augenwimpern die feinen Wangen beschatteten .
" Warum nur " , sagte sie endlich , " immer wieder diese Freude an solchem Worte , und warum erschüttert es fast die Seele , wenn es so ernst und eindringlich gesprochen wird ?
Ich muß und will Euch glauben , daß Ihr nicht lügt - und doch - auch die Schönheit ist Lüge , Täuschung , Traum ; sie flieht wie der Frühling , wie der Gesang , wie die Liebe , und nichts ist beständig , als diese unglückselige Unbeständigkeit . "
Mit einem tiefen Seufzer entfernte sie sich , sie sang drinnen einige wehmütige Töne , und kam in einem schwarzen Atlaskleide zurück , indem noch ein Tränchen , wie eine Perle , in den langen Wimpern hing .
Goldene Spangen umschlossen den Arm , Perlen glänzten auf dem weißen Halse , und goldene Ketten wiegten sich auf dem Busen .
" Ich bin sehr ernst " , sagte sie , " und will nicht Euer Lob und Eure Bewunderung ; zeichnet jetzt , bei der ersten Anlage des Bildes kommt es auch nicht so sehr darauf an , wie ich gekleidet bin . "
Der Maler machte sich an die Arbeit .
Der Ausdruck ihres schönen Angesichtes war jetzt ein sehnsüchtig schwermütiger .
Indem er zeichnete , sah sie ihn oft lange stumm und bedeutend an , als wenn sie mit der Seele verlorenen Erinnerungen nachginge .
Ihm wurde ängstlich zu Sinne , seine Hand irrte oft , und er war endlich froh , als die Sitzung geendigt war .
" Morgen " , sagte die Gräfin , " wollen wir heiterer sein " , indem sie ihm die Hand zum Kusse reichte .
Am anderen Morgen fand er die Gräfin auf einem Ruhebette in Tränen aufgelöst , ein dunkler Purpur umhüllte den schönen Leib , die reichen und lockigen Haare schwellten in lieblicher Verwirrung auf Nacken , Brust und Schultern : der junge Maler glaubte sie noch nie so schön gesehen zu haben , er war von dem Anblicke entzückt , aber doch von ihren Schmerzen innigst bewegt .
Ein junges Mädchen saß neben ihr , die eine Laute in Händen hatte , worauf sie eben gespielt zu haben schien .
Die Gräfin setzte sich aufrecht , strich ihr schweres Haar etwas zurück , und ließ das holdste Lächeln durch die weinenden Mienen scheinen .
" Vergebt mir " , sagte sie , " meine Trauer , wodurch ich Eure Arbeit erschweren werde ; es ist überhaupt wohl kindisch , daß ich dieses Bild wünsche , um mich daran zu erfreuen , mich sollte gar nichts mehr freuen , denn mein Leben ist verloren , und doch geben wir auch im höchsten Leid unser Herz immer wieder dem törichten Spiel der Lust , dem lügenden Trost , der gaukelnden Hoffnung hin , und vergessen , daß nur in des Schmerzes tiefster Innigkeit für uns die wehmütige Freude , der Himmel der ewigen Tränen wohnt . "
" Wie in Euch das Leid erscheint " , sagte Sternbald , " ist es etwas so Herrliches , daß ich mir wohl vorstellen kann , viele möchten wünschen , Euch diesen Zauber nachspielen zu können , und ich erlebe jetzt , was ich keinem Dichter geglaubt haben würde , daß die Schönheit alles in Schönheit verwandelt , und daß aus Tränen und Weh der Reiz so süß hervorblicken kann , als aus dem schalkhaften Glanze der Augen . "
" Ihr malt ! " rief die Gräfin scherzhaft auffahrend , " ich fürchte , meine Gegenwart verdirbt Euch , da Ihr mit jedem Tage schlimmer schmeicheln lernt . "
Indem Sternbald arbeitete , sagte sie nach einer Pause : " Singe jetzt , Kind , eins von den Liedern , die du kennst . "
" Welches ? " fragte das junge Mädchen .
" Was dir zuerst einfällt " , sagte die Gräfin , " nur nichts Schweres , etwas Leichtes , Schwebendes , das nur in Tönen lebt . "
Das Mädchen sang mit zarter Stimme :
" Laue Lüfte Spielen lind , Blumendüfte Trägt der Wind , Rötlich sich die Bäume kräuseln , Lieblich Wähnen Zärtlich Sehnen In den Wipfeln , abwärts durch die Blätter säuseln .
Rufst du mich , Süßes Klingen ?
Ach ! geheimnisvolles Singen , Bist nicht fremd , ich kenne dich !
Wie die Tauben Zärtlich lachen , girren , kosen , Also mir im bangen Herzen Schlagen Fettige Lust und Schmerzen ; Zu den dunklen Dämmerlauben , Zu den Blumenbeeten , Rosen Wandle ich , Ruf ich , schau umher - Und die ganze Welt ist leer .
In die dichte Einsamkeit Trage ich meiner Tränen Brand ; Ach ! kein Baum tut mir bekannt , Setze mich an des Bronnen Rand :
Vogel wild die Töne schreit , Echo hallt , Hirschlein springt im dunklen Wald .
Und es braust herauf , herunter , Waldstrom klingt durch seine Klüfte , Seine jungen Wellen springen Auf den Felsenstufen munter , Adler schwingt sich durch die Lüfte :
- Tränen , Rufen , Klagen , Singen , Könnt ihn nicht zurück mir zwingen ?
Garten , Berge , Wälder weit Sind mir Grab und Einsamkeit . "
Während des Liedes schien es dem Maler , als wenn eine Verklärung mit süßem Glanz durch alle Adern des Angesichtes sich verbreite und wie ein Licht aus der schönen Stirn hervordringe ; alle Züge wurden noch sanfter und sinniger , er fühlte sich von dieser ausströmenden Klarheit wie geblendet .
Aber die Töne gaben ihm Ruhe und Heiterkeit , er konnte mit Sicherheit arbeiten , indem die Schöne das Lied noch einigemal wiederholen ließ .
" Nun laßt des Malens für heute genug sein " , rief die Gräfin plötzlich , " es ermüdet nichts so sehr , als dieses starre Vor- sich-Hinblicken , ohne Gedanken und Unterhaltung .
Kommt , mein junger Freund , und erzählt mir etwas von Euch , von Eurem Leben , von Euren Reisen , und daß es ja nur recht wichtig und lustig ist . "
Sternbalds Verlegenheit wurde erneuert , er fing an von Dürer , Sebastian und Nürnberg zu sprechen , dann von Florestan und ihrer Reise , und mühte sich ab , so erheiternde Gegenstände aufzufinden , als ihm seine Phantasie nur darbieten wollte .
Die Gräfin hörte ihm freundlich zu , und nach einiger Zeit sandte sie die Sängerin mit einem Auftrage fort .
" Wenn es Euch gefällt " , sagte sie , " wieder an die Arbeit zu gehen , werdet Ihr mich erfreuen , denn ich bin heute in der Stimmung , recht geduldig zu sitzen . "
Franz fing wieder an zu malen , und bald ließen sich vom Garten herauf Waldhörner mit munteren und sehnsüchtigen Melodien abwechselnd vernehmen .
Sie wurde sehr nachdenkend , und verfiel nach einiger Zeit wieder in ihre erste Trauer .
" Wie glücklich " , dachte Franz bei sich selbst , " sind doch die Reichen , daß Kunst und edler Genuß sie immerdar umgeben kann , daß ihr Leben sich in ein anmutiges Spiel verwandelt , daß sie das Antlitz der Not und die strenge drohende Miene des Lebens nur von Hörensagen und aus Erzählungen kennen : immer umduftet und umlacht sie ein heiterer Frühling ; und das ist es auch wohl , warum die Sterblichen nach Schätzen geizen , und atemlos aber unermüdet der blinden Glücksgöttin nachrennen , um diese irdische Seligkeit zu erschaffen , obgleich die meisten nachher zu vergessen scheinen , weshalb sie ausgegangen waren . "
Indem er wieder von der Arbeit aufsah , fand er die schöne Gestalt in Schmerzen aufgelöst ; sie winkte ihm , zu endigen , er stand auf und verbeugte sich , aber als er in der Türe war , rief sie ihn zurück :
" Kommt morgen um diese Zeit wieder " , sprach sie und reichte ihm freundlich die Hand , " aber das Bild wird nicht gelingen , denn niemals kann ich wieder fröhlich sein , in diesen Tränen und Klagen werdet Ihr mich immer finden . "
Franz hatte geäußert , daß er sie noch einmal in der Jägertracht als Jüngling zu sehen wünsche , und daß diese Kleidung sich vielleicht auf dem Bilde am anmutigsten ausnehmen würde , aber dennoch war er verwundert , sie am folgenden Tage so im Saale stehen zu sehen , den Jagdspieß in der Hand , das goldene Hifthorn um die Schultern geworfen , den Hut mutig in das Auge gedrückt und von der Seite geschoben , unter welchem sich quellend die braunen Locken von allen Seiten hervordrängten .
" Gefalle ich Euch denn nun so ? " fragte sie ihn mit einem kecken Ausdruck .
" So sehr , daß ich die Worte dazu nicht finden kann " , sagte Franz lächelnd ; " wer fühlte sich nicht im voraus besiegt , wenn Ihr so kriegerisch auf ihn zuschreitet ? "
Das Gemälde des Ritters war aufgestellt , und die Gräfin fuhr fort :
" Diesen Mann müßt Ihr neben mich malen , aber so viel als möglich aus Eurer Phantasie und nach meiner Beschreibung , denn dieses Bild rührt von einem wahren Stümper in der edlen Kunst her , der es noch niemals gefühlt hatte , welche Holdseligkeit , welcher Liebreiz und Ausdruck der Seele sich im menschlichen Antlitze abspiegeln kann , aber noch viel weniger diesen Zauber in den Farben nachzuschaffen wußte , darum sieht dieser Kopf freilich jenem Ritter immer noch ähnlicher , als mir oder Euch , aber von des Entfernten Wesen selbst ist auch kein Schatten dargestellt .
Könnt Ihr Euch nun vielleicht eine Klarheit des Auges denken , das ebensoviel Treue als Schalkheit auf Euch blitzt , einen Mund , der mit Witz und Scherz und Liebesrede wie eine junge Morgenrose aufblüht , eine ernste Stirn , durch die es wie ein Geist hervorleuchtet , welcher allen gebietet , Wangen und Kinn so unschuldig und klug , so zärtlich und wohlwollend , und wieder wie ein Spielplatz der feinen List und des harmlosen Spottes , die wie junge Liebesgötter in Blumen hüpfen , und sich und andere verhöhnen im lieblichen Kriege ?
Seht , wie kalt ist dagegen dieses Bild !
O freilich darin ihm jetzt ähnlich , denn so kalt , so tot , mir und meiner Liebe abgewandt ist er selbst . "
" Ihr verlangt aber auch etwas Unmögliches vom Maler " , sagte Franz .
" O hättet Ihr ihn nur gekannt ! " rief sie aus , " dies bewegliche und doch so ruhige Gesicht , das so fein und ausdrucksvoll war , daß jede Gemütsbewegung leuchtend hindurchging , wie ein ferner Blitz durch Wolken fährt .
Wenn ich nur den Pinsel führen könnte , so solltet Ihr sehen , welch ein Gebilde sich auf der Tafel ausbreiten sollte .
Malt ihn an meiner Seite , oder kniend , oder mir zum Abschied die Hand reichend .
Ach ! welche selige , welche schmerzhafte Erinnerung !
Ich glaube , kein Mädchen hat noch so geliebt , wie ich , keine ist noch mit so schnödem Undank betrogen worden . -
Aber , nicht wahr , Maler , so ganz darf ich nicht als Jüngling erscheinen , wenn in dem Bilde ein Sinn sein soll ?
Man muß es doch fühlen und sehen , daß er mein Geliebter ist , darum malt ihn im Walde kniend zu meinen Füßen ; auch muß in meiner Tracht einiges geändert werden . "
Mit diesen Worten warf sie den Hut vom Kopfe , und die Fülle der schwarzen Locken ringelte sich auf Brust und Schultern hinab , sie lüftete den feinen Spitzenkragen und das grünseidene Wams , und machte den glänzenden Hals und Busen etwas frei .
" Kommt ! " rief sie , indem sie sich niedersetzte , " Ihr habt mir noch niemals die Haare geordnet , um zu sehen , welche Art sie zu tragen am besten zu meinem Gesichte paßt , und Ihr als Künstler müßt damit vorzüglich gut Bescheid wissen , ringelt Sie jetzt , wie es Euch gut dünkt , oder steckt sie auf , oder laßt einzelne Locken schweben , bedeckt die Stirn , oder macht sie frei , ganz nach Eurem Gefallen . " Franz , dem dergleichen Übungen bei seinem Dürer nicht vorgekommen waren , näherte sich schüchtern und verlegen .
Die seidenen Haare wogen schwer in seiner Hand , er zitterte , indem er den weißen Nacken berührte , und von hinten stehend , sein Blick in den blendenden Glanz der Busenhügel fiel .
Sie hatte einen kleinen Spiegel in der Hand , und da sie sein Zaudern bemerkte , sagte sie :
" Nun , warum könnt Ihr Euch nicht entschließen ? "
Er ließ die langen dunklen Haare von allen Seiten schweben und stellte sich dann vor sie hin , um sie zu betrachten ; dann ringelte er sie in einzelnen Flechten , und endlich hob er das Gelock über die Stirn empor , sie sah ihn freundlich und schalkhaft an und rief :
" Nicht wahr , so bin ich ein ganz anderes Wesen ? "
Die reine Stirn glänzte , die Augen funkelten , sie war bezaubernd schön in dieser Stellung .
" Wißt Ihr aber auch " , fuhr sie fort , " daß Ihr , wenn man Euch so nahe ansieht , recht schöne und treuherzige Augen habt ? "
Sie stand auf , legte ihm die Hand auf die Schulter , betrachtete ihn ganz nahe und sagte : " Wirklich , man muß Euch gut werden , wenn man Euch recht anschaut , ich denke mir , daß ein Mädchen Euch einmal recht muß lieben können . "
Mit diesen Worten drückte sie ihm einen Kuß auf die Stirn und entfernte sich .
Franz ging unruhig auf und ab und sagte zu sich :
" Wahrlich , ich hätte nie geglaubt , daß das Malen ein so beschwerliches Handwerk sei !
Auch habe ich nie etwas von diesen Gefahren vernommen ; auf diesem Wege dürfte ich das wenige , was ich von der Kunst gefaßt habe , ganz wieder verlernen . "
Die Gräfin kam zurück und hatte ein buntes seidenes Tuch nachlässig umgeschlagen , ein Barett auf das schöne Haupt gesetzt , und sagte , indem sie des Malers Hand nahm : " Kommt , Ihr sollt mich auf einen Spaziergang begleiten , Ihr seid es wert , daß ich Euch meine Geschichte vertraue . "
Er folgte ihr , und sie gingen durch den Garten jenem anmutigen Walde zu , wo Sternbald sie zuerst gesehen hatte .
Der junge Arnold kam ihnen nach , um sich zu ihnen zu gesellen , aber die Gräfin wies ihn mit einem Winke zurück .
Als sie zu dem Hügel gekommen war , wo die Jagd damals um sie versammelt gewesen , ließ sie sich nieder und Sternbald mußte sich neben sie setzen .
" Schon früh " , so fing sie ihre Erzählung an , " verlor ich meine Eltern .
Weil mir dadurch eine große Erbschaft und der Besitz schöner Güter zugefallen war , so wurde ich aus der Nachbarschaft wie aus der Ferne von vielen Menschen aufgesucht , die mir schmeichelten , und allen meinen schnell wechselnden Launen entgegenkommen wollten .
Jung wie ich war , hielt ich mich wirklich bald für eine seltene Erscheinung an Geist und Witz , das übertriebene Lob meiner Bewunderer überredete mich in kurzem , daß meine Schönheit ganz außerordentlich sei .
Die jungen wie die älteren Männer bewachten meine Schritte und jeder suchte mich auf seine Art zu gewinnen .
Sie hatten mich erst stolz und übermütig gemacht , und nicht dabei überlegt , daß eben dieser Stolz ihre kriechenden aber anmaßenden Bewerbungen , ihre plumpe Heuchelei , ihre Vergötterung meiner Gestalt und Vorzüge , hinter welcher ich nicht nur eine Geringschätzung meiner selbst , sondern des ganzen weiblichen Geschlechtes sah , aus dem Felde schlagen würde .
Ich verachtete bald alle diese eigennützigen Wesen ohne Herz und Empfindung , und meine Lust war es , sie diese Verachtung fühlen zu lassen , mein Triumph und Hohn wurde endlich so deutlich , daß sich einer nach dem anderen zurückzog , und ich in den Ruf kam , eine Feindin der Männer zu sein .
Seitdem näherten sich mir andere und bessere , und ich bemerkte an manchem Reize und Gaben des Geistes , welche mich anzogen , doch konnte ich sie ebenso ruhig abreisen sehen , wie ich sie froh und freundlich aufgenommen hatte .
Diese Ruhe meines Herzens war mein größter Stolz , ich meinte , was ich von Liebe gehört , sei nur eine Erfindung begeisterter Dichter .
Ja , ich kann es nicht leugnen , ich spielte wohl mit der besseren Empfindung manches Jünglings , und freute mich , ihn von meinen Blicken abhängig zu machen , ohne dann seine Unruhe , seine Heftigkeit und Trauer zu bemerken oder zu erwidern .
Aber schon nahte derjenige , den das Schicksal zu meiner Bestrafung abgesahnt : hatte .
Ein junger Ritter kam hierher , der , wie er sagte , aus Franken gebürtig war .
Ich hatte noch nie die Würde und die Liebenswürdigkeit des Mannes gesehen : sein stiller , ernster und feuriger Blick , sein holdseliges Lächeln , seine tönende Sprache , und die Wahl seiner Worte , sein Gang , die Stellung , die Art sich zu kleiden , alles , alles an ihm versetzte mich außer mir selbst ; meine Unruhe , wenn er nicht zugegen , meine süße Angst , meine peinigende Wonne , wenn er mir gegenüber stand und saß , waren unbeschreiblich , meine ganze Seele gehörte ihm schon , noch ehe ich darauf fiel , diese Empfindung , die alle meine Kräfte abwechselnd erhöhte und vernichtete , Liebe zu nennen .
Ich erschrak und zitterte doch vor Freude , als ich mir dieses Wort der Wunder und des Zaubers in meinem Herzen ausgesprochen hatte .
Wie man an heißen Tagen , schmachtend und ermüdet auf weitem Gefilde , sich des Haines liebliche Kühlung und seine rauschenden Schatten wünscht , um sich tief in der dunklen Grüne zu ergehen und immer weiter in das dicht verflochtene Labyrinth zu dringen , wie im Durst wir die Felsenquelle ersehnen , und uns den Born lieblich springend und tönend vorstellen , und meinen , nicht voll genug könnten wir das Labsal schöpfen : so war es meiner heißen Seele , die sich bei ihm in die liebliche Kühle seines Inneren , in den Reichtum seiner himmlischen Gedanken und Gefühle tief hineinzuretten suchte , um aus dem Born des frischesten Herzens den Durst zu stillen , der mich bis dahin in leerer Welt gequält hatte , ohne gewußt zu haben , daß ich an dieser Sehnsucht erstarb .
Wie holde Lauben mit Vogelgesang und Blumenranken , wie Felsentäler mit klingenden Wasserfällen , wie die Wunder ferner Welt , die oft meine Phantasie geahndet hatte , wie die reine Entzückung , die uns aus Liedern , von Gemälden herabstrahlend umspielt : so allgenügend , so vielfach , so ganz erfüllend war mir seine Gegenwart .
» Habe ich denn bisher nicht gelebt ? « sprach ich zu mir selber .
War es denn nicht dieselbe Sigismunde , die dachte und träumte und sang ?
Ich habe ja doch nun erst meine Seele , mich selbst gefunden , und hinter mir liegt mein voriges Leben wie eine wüsste Steppe , oder verbrannte Heide , und jetzt erst hat mich der holdseligste Garten mit Blumen , Bäumen , rauschenden Brunnen , Frühlingsschein und Stern- und Mondglanz in Empfang genommen .
O wie süß war mein Traumspiel , das jetzt mein Leben geworden war !
die ganze Welt war in rührende Zärtlichkeit aufgelöst .
Welch Entzücken durchströmte meine Seele , als ich es fühlte , wie unsere Sehnsucht sich begegnete , als er mir in einsamer Stunde seine Liebe gestand , als er beschämt erzählte , wie sehr er gestrebt habe mir auszuweichen und sich mir zu entfremden , weil er arm und ohne Güter sei : welch seliges Gefühl , mich und alles was ich besaß vor ihn als sein Eigentum hinzuwerfen !
Aber wie gefährlich ist das Wort der Lippe , wie unverstanden und rätselhaft der Ton » Liebe « , und wie seltsam zauberisch in seinen Wirkungen , daß es schien , als rinne der Quell der Wonne schwächer in uns , seit wir jenen Laut gesprochen , als falle ein langsamer Tod auf alle Blüten unseres reichen Inneren .
Ich sah es , wie er sich verzehrte , eine trostlose Bangigkeit wühlte in meinem Herzen .
Oft blitzte noch wieder die alte Sehnsucht , der Götterrausch auf , aber nur dunkler schien nachher der Kerker des Inneren .
Wir sprachen Worte , die wir nicht verstanden , wir waren uns fern in der nächsten Nähe : der Engel , der uns wie girrende junge Täubchen unter seine Flügel genommen hatte , war wieder hinweggeflogen , und wir fühlten die kalte Trübsal der Welt , die tote Einsamkeit selbst in Blick und Händedruck .
Hier an dieser Stelle sah ich ihn zum letztenmal , hier schien noch einmal sein kindliches , holdseliges Lächeln mich an ; einen Freund wollte er besuchen , so sprach sein Mund , und ich habe ihn nicht wiedergesehn .
O ihr neidischen Mächte ! seitdem war er mir zurückgegeben .
Die Kluft meiner Seele fiel zu , die Ströme der Liebe brachen den starren Fels , und Wunderblumen schauten wieder in die klaren Wellen , ganz , ganz war er wieder mein , der volle Frühling wieder hereingewachsen , aber zugleich schritt nun der herbe Schmerz und die Verzweiflung auf mich zu , daß er mir verloren sei , daß ich ihn vertrieben , daß er wohl mir , ich aber nicht ihm gehöre , weil sein inneres Licht vielleicht noch von jener finsteren Decke verhüllt werde , die unsere Liebe zum Gespenst gemacht hatte .
Nun rief ich dem Echo , den Felsen und Wasserquellen ; die ziehenden Vögel und Wolken und meine schnelleren Liebesgedanken sandte ich ihm nach .
Ach ! in seltenen lieben Augenblicken war es , als kehrten seine Wünsche aus der Ferne gastlich bei mir ein , dann ist eine Seligkeit in meinen fließenden Tränen , wie ich sie eben jetzt empfinde . "
Sternbald war hingerissen , erstaunt und gerührt , er suchte die einschmeichelndsten , lindesten Worte , und sie wie Blumen um das Herz der schönen Traurigkeit zu legen , und erzählte von jenem verkleideten Mönche , den er neulich diesem Gebiete ganz nahe gesehen habe , und der dem Ritter des Bildes so auffallend ähnlich sehe .
" Er muß es sein " , so schloß er ; " und was anders sollte ihn wohl hierhergetrieben haben , als die nämliche Sehnsucht , die neue Kraft der Liebe , die auch in ihm durch die Schrecken der Ferne wieder aufgegangen ist ?
Ja , jenes Lied hat Euch prophetisch geantwortet : Treulieb ist nimmer weit , Ihr Gang durch Einsamkeit Ist dir , nur dir geweiht . "
" Es sei , ich glaube daran " , rief sie aus , " ich nehme das liebe Kind Hoffnung von neuem in meine Arme .
O welchen Trost habt Ihr mir aus der Ferne herübergebracht !
So sandte der Himmel frommen Einsiedlern Brot in die Wüste durch das Geflügel der Luft .
Ja , wie ein Engel seid Ihr mit dieser Friedensbotschaft in mein verwaistes Haus getreten .
O Waldrevier !
O grüner Rasenplatz !
O Felsenbach ! hört ihr es wohl ?
Er ist wieder in eurer Nähe !
Singt nun , Nachtigallen , mit Doppler Macht , schlage du Herz nun freudiger fort ! "
Sie lehnte sich , in sich hineinlächelnd , an den Baumstamm , und sang dann mit lauter Stimme :
" Was halte ich hier in meinem Arm ?
Was lächelt mich an so hold und warm ?
Es ist der Knabe , die Liebe !
Ich wieg ihn und schaukle ihn auf Knie und Schoß , Wie hat er die Augen so hell und groß !
O himmlische , himmlische Liebe !
Der Junge hat schön krausgoldenes Haar , Den Mund wie Rosen hell und klar , Wie Blumen die liebliche Wange ; Sein Blick ist Wonne und Himmel sein Kuß , Rede und Gelache Paradiesesfluß , Wie Engel die Stimme im Gesange .
Und liebst du mich denn ? -
Da küßt er ein Ja !
Und wie ich ihm tief in die Augen nun sah , Da schlägt er mir grimmige Schmerzen ; O böses Kind ! ei wie tückisch du !
Wo ist deine Milde , die liebliche Ruhe ?
Wo deine Sanftmut , dein Scherzen ?
Da geht ein süß Lächeln ihm übers Gesicht :
Ich liebe dich nicht !
ich liebe dich nicht !
Da setze ich ihn nieder zu Füßen .
O weh mir !
so ruft nun und weinet das Kind , Du Böse , o nimm mich auf geschwind , Ich will , ich muß dich küssen .
Ich hebe ihn empor , er schreiet nur fort , Er hört auf kein liebkosendes Wort , Er spreitelt mit Beinen und Händen :
Mich ängstiget und betäubt sein Geschrei , Mich rühren die rollenden Tränen dabei , Er will die Unart nicht enden .
Und größer die Angst , und größer die Not , Ich wünsche mir selbst und dem Kleinen den Tod , Ich nehme ihn und wieg ihn zum Schlafe :
Und wie er nur schweigt , und wie er nur still , Vergaß ich , daß ich ihn züchtigen will , Meine Liebe seine ganze Strafe .
Da schlummert er süß , es hebt sich die Brust Vom lieben Atem , ich sättige die Lust Und kann genug nicht schauen :
Wie ist er so still ?
Wie ist er so stumm ?
Er schlägt nicht , und wirft sich nicht wild herum , Er tobt nicht !
es befällt mich ein Grauen .
O könnte der Schlaf nicht Tod auch sein ?
Ich weck ihn mit Küssen ; nun höre ich ihn schrein , Nun schlägt er , nun kost er , meine Wonne , mein Sorgen , Dann drückt er mich an die liebliche Brust , Nun bin ich sein Feind , dann Freund ihm und Lust :
- So geht es bis zum Abend vom Morgen . "
Der Ausdruck war unbeschreiblich , mit welchem sie diese Verse sang , die sie im Augenblicke zu erfinden schien .
Franz war in ihrem Anblick verloren .
Sie stand auf und lehnte sich ermüdet an ihn , er mußte sie durch die Baumgänge bis nach dem Garten des Schlosses zurückführen .
" Noch einmal dank ich Euch für die tröstliche Nachricht " , sagte sie mit einem Händedrucke , verließ ihn und ging hüpfend in das Haus .
Franz sah ihr lange nach , dann setzte er sich in einer abgelegenen Laube nieder , und dachte über die wundersamen Gefühle , die ihm ihr wechselndes Betragen , ihr Liebreiz und ihre Erzählung erregt hatten .
Der junge Arnold gesellte sich zu ihm , und da dieser ihn so tiefsinnig sah , sagte er :
" Wie nun , mein junger Maler , wie steht es um Euch ?
Fühlt Ihr auch schon die zauberischen Netze , die sich um Euch her ziehen , und denen Ihr bald nicht mehr werdet entrinnen können , wenn Ihr nicht kühn sie früh genug zerreißt ?
Ich sah Euch heute mit einem Gefühl von Eifersucht und Mitleid nach ; gesteht es nur , daß Ihr Euch an einem gefährlichen Abhange befindet . "
Franz erzählte ihm treuherzig , was vorgefallen war , und verschwieg ihm den Eindruck nicht , den die Schönheit und die reizende Beweglichkeit der Gräfin auf ihn gemacht hatten .
" Ja " , rief Arnold aus , " es ist etwas Furchtbares in dieser Schönheit , wenn sie ohne Schonung so grausam mit ihrer Macht spielen will .
Ich bin seit meiner frühen Jugend in diesem Hause , und sah dieses sonderbare und reizende Wesen sich bilden .
Sie ist die Freundlichkeit und Liebe selbst , mit Wohlwollen , ja Zärtlichkeit kommt sie jedem entgegen , sie weiß Vertrauen zu erregen , und bald meint der Getäuschte , daß er ihr unentbehrlich sei .
Doch wie ihm das lose Spiel sich in Ernst verwandelt , wie sie es fühlt , daß jener sie sucht und wünscht , daß das leichte Verhältnis sich fest und fester knüpfen soll , so zieht sie sich zurück , doch ohne den Faden zu zerschneiden , an welchem der Gefangene flattert .
So hatten sich ihr viele Männer mancherlei Gemütes aus der Nachbarschaft und Ferne genähert , und alle waren in diese seltsame Jagd befangen worden .
So gewöhnt , aus dem Leben , der Liebe , der Rührung und dem süßen Wechsel zarter Empfindungen ein Spiel zu machen , und jeden neuen Gegenstand als Spiegel zu gebrauchen , in welchem sie sich selbst nur mit Wohlgefallen betrachtete , erschien ihr endlich jener Ritter aus Franken , von dem sie Euch erzählt hat .
Er war ein feingebildeter , ja schöner Mann , weich und poetisch wie sie selbst , ebenso in Träumen lebend und süßen Gefühlen schwelgend .
Sie wurden sich bald unentbehrlich , einer schien des anderen nur bedurft zu haben , um den ganzen Reichtum seines inneren Lebens zu erkennen und zu genießen .
Endlich war gefunden , was sie umsonst bisher gesucht hatte , und sie erklärten laut ihre bevorstehende Verbindung .
Das ernste Wort war ausgesprochen , welches den Liebenden seines unwandelbaren Glückes versichert , beide aber schienen vor diesem Ernst des Lebens zurückzuzittern , der alle ihre Träume und ihr buntes Spielwerk zu zerbrechen drohte .
Und gewiß , hat die Leidenschaft nicht so alle Kräfte ergriffen , die tiefste Sehnsucht das ganze Herz so durchdrungen , daß beide sich wie zum Tode gern und willig opfern , und keine Jugend mehr leben , und keine neuen Wünsche und Rührungen mehr finden wollen , so darf die Seele , die in den Wogen des Wohllauts schwimmt und mit Träumen der Entzückungen gaukelt , davor erzittern , daß nun das Höchste , das letzte Ziel errungen werden soll , hinter welchem Wahrheit , Ruhe , stille Befriedigung , wie ebenso viele graue Gespenster hervorzudrohen scheinen .
So denke ich mir ihren Zustand , um mir einigermaßen zu erklären , was geschah .
Er mochte in sich , noch mehr aber im Gegenstande seiner Liebe fühlen , wie das Herz noch etwas anderes als dieser Liebe bedürfe , wie sie nicht ihn selbst , sondern nur die Schimmer der Phantasie vergötterte , die aus ihr zu ihm hinüberleuchteten , und darum erweckte er sich freiwillig aus seinem Traume , und entfloh .
Sie war tief gekränkt , gestört , aber wie ich sie kenne , nicht wahrhaft unglücklich .
Die Trauer und der Schmerz waren noch nie in ihre Seele gekommen , nun konnte sie sich an diesen üben , und sie zu ihren Spielgefährten machen .
Sie schmückte sie auch so reizend auf , sie machte sie so schön , daß man zugeben mußte , daß sich neue wundersame Gaben und Bezauberungen an diesem verführerischen Weibe durch sie enthüllten , und ich machte die Erfahrung , daß ich sie anbetete , indem ich ihr zu zürnen glaubte , daß alle jene Mängel , die ich zu kennen wähnte und in stolzer Sicherheit schalt , sich plötzlich gegen mich selbst umwandten , und mir so holde Engelsangesichter zeigten , daß ich verehrend , geblendet niederfiel , und freudig meinem Verderben entgegeneilte .
Jetzt wurde ich ihr Vertrauter und tröstender Freund .
Entfliehe der Mann doch diesen Klagen und Tränen eines schönen Weibes , diese Flut der geschmolzenen Perlen nimmt ihn unwiderstehlich mit , er tritt in die Vorhalle zum Herzen seiner Freundin und will bald selbst der Gegenstand ihrer Trauer und Tränen werden .
Sie mochte sich nicht an dem gewöhnlichen Trost , an Musik , an Zerstreuung begnügen , ihr Leben selbst wollte sie zu einem Gedichte erhöhen , und ich war derjenige , der ihr zum Dichter und Maler ihrer Szenen dienen mußte .
Sie liest die herrlichen Liebesgedichte unserer Vorfahren , sie kennt sie alle und ich trug sie ihr von neuem vor , und jeder rührende Vers , jede Schilderung , in der sie Beziehung entdeckte , wurde wiederholt , hergesagt , auswendig gelernt und gesungen .
Aber sie befriedigt sich damit nicht , ich muß ihr eigene neue Lieder dichten , die wir abwechselnd singen , wie Ihr denn neulich eins dergleichen bei Eurer Ankunft gehört habt , diese müssen einfach in wenigen Akzenten das Gefühl gleichsam mehr anklingen , als aussprechen .
So schweifen wir durch die Wälder , jagen , singen , und erfreuen uns der Natur und der Einsamkeit , die Waldhörner müssen den Schmerz mit ihren Tönen verherrlichen , sie selbst ist schön geschmückt in vielen abwechselnden Trachten , bald als Frau , bald als Jäger und Jüngling , als Amazone oder als Fürstin .
Zuweilen fällt es ihr ein , als Isalde , Sigune oder Enite aufzutreten , von denen sie in ihren Büchern liest , in phantastischer Kleidung schweift sie dann mit ihrer Gesellschaft durch die Täler und Haine , und mir Unglücklichen fällt es dann anheim , den sehnlich erwarteten Tristan oder Iwein darzustellen , sie täuscht sich dann selbst mit ihrer Zärtlichkeit und ist glücklich , aber mir Armen , ihr so nahe , vor ihr kniend , ihre Hände und Arme fassend , in ihren schönen Locken tändelnd , leuchtet dann ein Paradies entgegen , und blitzend davor der Engel mit dem Feuerschwerte .
Nicht ist die Gefahr für die schuldlose Jungfrau so groß , wenn sie auf solche Weise mit dem Feuer scherzt , das die Welt durchglüht und erhellt , denn nur Wohlwollen , Vertrauen , Freundschaft , höchstens Zärtlichkeit erregen sich in ihrem Gemüte , und nur diese verlangt sie von dem Manne , mit dem sie den Tanz zwischen den bloßen Schwertern übt .
Aber wehe dem Manne !
Erst entzündet sich ein süßes Wohlgefallen , eine klare Heiterkeit in seiner Seele , er schwebt leicht durch die glänzenden Stunden , wie der Schmetterling durch den Frühlingsschein , dann faßt ihn der stärkere Strom , und im frischeren Leben fühlt er sich gebadet und erquickt , er triumphiert und jauchzt auf den Wogen , die ihn heben und tragen , den blühenden Ufern , den Traubenhügeln vorüber .
Bald aber genügt ihm nicht diese Ruhe , an sich und in sich will er reißen , was ihn aus der Ferne entzückt , die Freude an der Schönheit wird im innigsten Verständnis Anbetung , Aufopferung seiner selbst : nun blitzt das Erkennen in der tiefsten Seele auf , nicht mehr daß dieses Wesen schön und liebreizend sei , sondern nur daß es dieses einzelne bestimmte , in Ewigkeiten nicht zum zweitenmal erscheinende Wesen ist , und die flammende Liebe erwacht mit den heiligen Glutaugen , und sieht und fühlt und denkt und weiß nichts anders als sie , nur sie .
O Verzweiflung !
sie wendet sich ab , und will nur Schönheit und Lockung , nicht diese Einzige sein :
da mischt die Anbetung und Heiligkeit des Himmels sich mit den Greueln der Hölle , die liebliche Lockung wird heiße Begier , im Genuß möchte der Unglückliche die Verehrte entweihen und vernichten , da sie ihm Liebe , Unschuld und Himmel versagt , und wieder kämpft mit diesen schwefelgelben Gewittern das sanfte Licht der Kindereinfalt , die ehemalige Heiterkeit , der Blumenfriede der glücklichen Tage , die man aber doch selbst um diese Qualen nicht zurückkaufen möchte .
Ihr seht mich staunend an , indem ich Euch diese Abgründe Male , ich fühle , Ihr versteht mich nicht ; und wohl Euch in diesem Seelenfrieden ! "
Er verließ ungestüm den sinnenden Jüngling , der ihm lange nachsah , und die sonderbaren Erscheinungen , die an diesem Tage in ihm aufgestiegen waren , nicht genug mit Verwundern betrachten konnte , die ihm in ihrer Seltsamkeit bekannt , und doch in ihrer Nähe so fremd und fern erschienen .
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Schon seit lange hatte Franz viel von einem wunderbaren Manne sprechen hören , der sich in den benachbarten Bergen aufhielt , der halb wahnsinnig in der Einsamkeit lebte und seinen öden Aufenthalt niemals verließ .
Was Franz besonders anzog , war , daß dieser abenteuerliche Eremit ein Maler sein sollte , der gewöhnlich denen , die ihn besuchten , Bildnisse um einen billigen Preis verkaufte .
Sternbald konnte der Begier nicht länger widerstehn , ihn aufzusuchen , und da Florestan immer noch nicht zurückkam , und die Gräfin wieder eine Jagd , ihre Lieblingsergötzung angeordnet hatte , so machte er sich an einem schönen Morgen auf den Weg , um den bezeichneten Aufenthalt zu suchen .
Er stand bald oben auf dem Hügel und sah im Tale die versammelte Jagd , die vom Schlosse ausritt , und sich durch die Ebene verbreitete .
Es klangen wieder die musikalischen Töne zu ihm hinauf , die durch den frischen Morgen in den Bergen widerschallten .
Bald verlor er die Jagd aus dem Gesicht , die Musik der Hörner verschollte , und er wandte sich tiefer in das Gebirge hinein , wo die Gegend plötzlich ihren anmutigen Charakter verließ , und wilder und verworrener wurde ; die Aussicht in das ebene Land schloß sich , man verlor den vollen herrlichen Strom aus dem Gesichte , und die Berge und Felsen wurden kahl und unfreundlich .
Der Weg wand sich enge und schmal zwischen Felsen hindurch , Tannengebüsch wechselte auf dem nackten Boden , und nach einer Stunde stand Franz auf dem höheren Gipfel des Gebirges .
Nun war es wieder wie ein Vorhang niedergefallen , seinen Blicken öffnete sich die Ebene von neuem , die kahlen Felsen unter ihm verloren sich lieblich in dem grünen Gemisch der Wälder und Wiesen , die unfreundliche Natur war verschwunden , sie war mit der lieblichen Aussicht eins , von dem übrigen verschönert diente sie selbst die anderen Gegenstände zu verschönern .
Da lag die Herrlichkeit der Ströme , der Berge , der Wälder vor ihm ausgebreitet , er glaubte vor dem plötzlichen Anblick der weiten , unendlichen , mannigfaltigen Natur zu vergehen , denn es war , als wenn sie mit herzdurchdringender Stimme zu ihm hinaufsprach , als wenn sie mit feurigen Augen vom Himmel und aus dem glänzenden Strom heraus nach ihm blickte , und mit ihren Riesengliedern nach ihm hindeutete .
Franz streckte die Arme aus , als wenn er etwas Unsichtbares an sein ungeduldiges Herz drücken wollte , als möchte er nun erfassen und festhalten , wonach ihn die Sehnsucht so lange gedrängt .
Die Wolken zogen unten am Horizont durch den blauen Himmel , die Widerscheine und die Schatten streckten sich auf den Wiesen aus und wechselten mit ihren Farben , fremde Wundertöne gingen den Berg hinab , und Franz fühlte sich wie ein Gebannter festgehalten , den die zaubernde Gewalt stehen heißt , und der sich dem unsichtbaren Kreise , trotz allen Bestrebens , nicht entreißen kann .
" O unmächtige Kunst ! " rief er aus und setzte sich auf eine grüne Felsenbank nieder : " wie lallend und kindisch sind deine Töne gegen den vollen harmonischen Orgelgesang , der aus den innersten Tiefen , aus Berg und Tal und Wald und Stromesglanz in schwellenden , steigenden Akkorden heraufquillt !
Ich höre , ich vernehme , wie der ewige Weltgeist mit meisterndem Finger die furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen greift , wie die mannigfaltigsten Gebilde sich seinem Spiel erzeugen , und über die ganze Natur mit geistigen Flügeln ausbreiten .
Die Begeisterung meines kleinen Menschenherzens will hineingreifen , und ringt sich müde und matt im Kampfe mit dem Hohen , der die Natur leise lieblich regiert , und mein Händeringen nach ihm , mein Winken nach Hilfe in dieser Allmacht der Schönheit still belächelt .
Die unsterbliche Melodie jauchzt , jubelt und stürmt über mich hinweg , zu Boden geworfen schwindelt mein Blick und starren meine Sinnen .
O ihr Törichten ! die ihr der Meinung seid , die allgewaltige Natur lasse sich verschönen , wenn ihr mit Kunstgriffen und kleinlicher Hinterlist eurer Ohnmacht zu Hilfe eilt !
Was könnt ihr anders , als uns die Natur nur ahnden lassen , wenn uns die Natur die Ahnung der Gottheit gibt ?
Nicht Ahnung , nicht Vorgefühl , urkräftige Empfindung selbst , sichtbar wandelt hier auf Höhen und Tiefen die Religion , empfängt und trägt mir gütigem Erbarmen auch meine Anbetung .
Die Hieroglyphe , die das Höchste , die Gott bezeichnet , liegt da vor mir in tätiger Wirksamkeit , in Arbeit , sich selber aufzulösen und auszusprechen , ich fühle die Bewegung , das Rätsel im Begriff zu schwinden - und fühle meine Menschheit . -
Die höchste Kunst kann sich nur selbst erklären , sie ist ein Gesang , deren Inhalt nur sie selbst zu sein vermag . "
Ungern verließ Sternbald seine Begeisterung , und die Gegend , die ihn entzückt hatte , ja er trauerte über diese Worte , über diese Gedanken , die er ausgesprochen , daß er sie nicht immer in frischer Kraft aufbewahren könne , daß neue Eindrücke und neue Gedanken diese Empfindungen vertilgen oder überschütten würden .
Ein dichter Wald empfing ihn auf der Höhe , er warf oft den Blick zurück und schied ungern , als wenn er das Leben verließe .
Der einsame Schatten erregte ihm gegen die freie Landschaft eine beklemmende Empfindung .
Als er kaum eine halbe Stunde gegangen war , stand er vor einer kleinen Hütte , die offen war , in der er aber niemand traf .
Ermüdet warf er sich unter einen Baum , und betrachtete die beschränkte Wohnung , das dürftige Gerät , mit vieler Rührung eine alte Laute , die an der Wand hing , und auf der eine Saite fehlte .
Paletten und Farben lagen und standen umher , so wie einige Kleidungsstücke ; Sternbald war wie in die uralte Zeit versetzt , von der wir so gern erzählen hören , wo die Tür noch keinen Riegel kennt , wo noch kein Frevler des anderen Gut betastet hat .
Nach einiger Zeit kam der alte Maler zurück ; er wunderte sich gar nicht , einen Fremdling vor seiner Schwelle anzutreffen , sondern ging in seine Hütte , räumte auf , und spielte dann auf der Zither , als wenn niemand zugegen wäre .
Franz betrachtete den Alten mit Verwunderung , der indessen wie ein Kind in seinem Hause saß , und zu erkennen gab , wie wohl ihm in seiner kleinen Heimat sei , unter den befreundeten , wohlbekannten Tönen seines Instrumentes .
Als er sein Spiel geendigt , packte er Kräuter , Moos und Steine aus seinen Taschen , und legte sie sorgfältig in kleine Schachteln zurecht , indem er jedes aufmerksam betrachtete .
Über manches lächelte er , anderes schien er mit einiger Verwunderung anzuschauen , indem er die Hände zusammenschlug , oder ernsthaft den Kopf schüttelte .
Immer noch sah er nach Sternbald nicht hin , bis dieser endlich in das kleine Haus trat , und ihm seinen Gruß anbot .
Der alte Mann gab ihm die Hand , und nötigte ihn schweigend , sich niederzusetzen , indem er sich weder verwunderte , noch ihn als einen Fremden genauer beachtete .
Die Hütte war mit mannigfaltigen Steinen aufgeputzt , Muscheln standen umher , durchmengt von seltsamen Kräutern , ausgestopften Tieren und Fischen , so daß das Ganze ein höchst abenteuerliches Ansehn erhielt .
Stillschweigend holte der Alte unserem Freunde einige Früchte , die er ihm ebenfalls mit stummer Gebärde vorsetzte .
Als Franz einige davon gegessen hatte , indem er immer den sonderbaren Menschen beobachtete , fing er mit diesen Worten das Gespräch an :
" Ich habe mich schon seit lange darauf gefreut , Euch zu sehen , ich hoffe , Ihr zeigt mir auch einige von Euren Malereien , denn auf diese bin ich vorzüglich begierig , da ich mich selbst zur edlen Kunst bekenne . "
" Seid Ihr ein Maler ? " rief der Alte aus , " nun wahrlich , so freut es mich , Euch hier zu sehen , seit lange ist mir keiner begegnet .
Aber Ihr seid noch sehr jung , Ihr habt wohl schwerlich schon den rechten Sinn für die große Kunst . "
" Ich tue mein Mögliches " , antwortete Franz , " und will immer das Beste , aber ich fühle freilich wohl , daß das nicht zureicht . "
" Es ist immer schon genug " , rief jener aus ; " freilich ist es nur wenigen gegeben , das Wahrste und Höchste auszudrücken , eigentlich können wir alle uns ihm nur nähern , aber wir haben unseren Zweck gewißlich schon erreicht , wenn wir das wollen und erkennen , was der Allmächtige in uns hineingelegt hat .
Wir können in dieser Welt nur wollen , nur in Vorsätzen leben , das eigentliche Handeln liegt jenseits , und besteht gewiß aus den eigentlichsten , wirklichsten Gedanken , da in dieser bunten Welt alles in allem liegt .
So hat sich der großmächtige Schöpfer heimlicher- und kindlicherweise durch seine Natur unseren schwachen Sinnen offenbart , er ist es nicht selbst , der zu uns spricht weil wir dermalen zu schwach sind , ihn zu verstehen ; aber er winkt uns zu sich , und in jedem Moose , in jeglichem Gestein ist eine geheime Ziffer verborgen , die sich nie hinschreiben , nie völlig erraten läßt , die wir aber beständig wahrzunehmen glauben .
Fast ebenso macht es der Künstler : wunderliche , fremde , unbekannte Lichter scheinen aus ihm heraus , und er läßt die zauberischen Strahlen durch die Kristalle der Kunst den übrigen Menschen entgegenspielen , damit sie nicht vor ihm erschrecken , sondern ihn auf ihre Weise verstehen und begreifen .
Nun vollendet sich das Werk , und dem es offenbart ist liegt ein weites Land , eine unabsehliche Aussicht da , mit allem Menschenleben , mit himmlischem Glanz überleuchtet , und heimlich sind Blumen hineingewachsen , von denen der Künstler selber nicht weiß , die Gottes Finger hineinwirkte , und die uns mit ätherischem Zauber anduften und uns still den Künstler als einen Liebling Gottes verkündigen .
Seht , so denke ich über die Natur und über die Kunst . "
Franz erschrak vor sich selber , daß er aus dem Munde eines Mannes , den die übrigen Leute wahnsinnig nannten , seine eigensten Gedanken deutlich ausgesprochen hörte , so daß seine Ahnungen in anschaulichen Bildern vor ihm schwebten .
" Wie willkommen ist mir dieser Ton ! " rief er aus , " so habe ich mich denn nicht geirrt , wenn ich mit dem stillen Glauben hier anlangte , daß Ihr mir behilflich sein würdet , mich aus der Irre zurechtzufinden . "
" Wir irren alle " , sagte der Alte , " wir müssen irren , und jenseits dem Irrtume liegt auch gewiß keine Wahrheit , beide stehen sich auch gewiß nicht entgegen , sondern sind nur Worte , die der Mensch in seiner Unbehilflichkeit dichtete , um etwas zu bezeichnen , was er gar nicht meinte .
Versteht Ihr mich ? "
" Nicht so ganz " , sagte Sternbald .
Der Alte fuhr fort :
" Wenn ich nur malen , singen oder sprechen könnte , was mein eigentlichstes Selbst bewegt , dann wäre mir und auch den übrigen geholfen ; aber mein Geist verschmäht die Worte und Zeichen , die sich ihm aufdrängen , und da er mit ihnen nicht hantieren kann , gebraucht er sie nur zum Spiel .
So entsteht die Kunst , so ist das eigentliche Denken beschaffen . "
Franz erinnerte sich , daß Dürer einst diesen Gedanken mit fast den nämlichen Worten ausgedrückt habe .
Er fragte :
" Was haltet Ihr denn nun für das Höchste , wohin der Mensch gelangen könne ? "
" Mit sich zufrieden sein " , rief der Alte , " mit allen Dingen zufrieden sein , denn alsdann verwandelt er sich und alles um sich her in ein himmlisches Kunstwerk , er läutert sich selbst mit dem Feuer der Gottheit . "
" Können wir es dahin bringen ? " fragte Franz .
" Wir sollen es wollen " , fuhr jener fort , " und wir wollen es auch alle , nur daß vielen , ja den meisten , ihr eigener Geist auf dieser seltsamen Welt zu sehr verkümmert wird .
Daraus entsteht , daß man so selten den anderen , noch seltener sich selber innewird . "
" Ich suche nach Euren Gemälden " , sagte Sternbald , " aber ich finde sie nicht ; nach Euren Gesprächen über die Kunst darf ich etwas Großes erwarten . "
" Das dürft Ihr nicht " , sagte der Alte mit einigem Verdruß , " denn ich bin nicht für die Kunst geboren , ich bin ein verunglückter Künstler , der seinen eigentlichen Beruf nicht angetroffen hat .
Es ergreift manchen das Gelüste , und er macht sein Leben elend .
Von Kindheit auf war es mein Bestreben , nur für die Kunst zu leben , aber sie hat sich unwillig von mir abgewendet , sie hat mich niemals für ihren Sohn erkannt , und wenn ich dennoch arbeitete , so geschah es gleichsam hinter ihrem Rücken . "
Er öffnete eine Tür , und führte den Maler in eine andere kleine Stube , die voller Gemälde hing .
Die meisten waren Köpfe , einige Landschaften , die wenigsten Historien .
Franz betrachtete sie mit vieler Aufmerksamkeit , indes der alte Mann schweigend einen alten Vogelbauer ausbesserte .
In allen Bildern spiegelte sich ein ernstes , strenges Gemüt , die Züge waren bestimmt , die Zeichnung scharf , auf Nebendinge gar kein Fleiß gewendet , aber auf den Gesichtern schwebte ein Etwas , das den Blick zugleich anzog und zurückstieß , bei vielen sprach aus den Augen eine Heiterkeit , die man wohl grausam hätte nennen können , andere waren seltsam entzückt , und erschreckten durch ihre furchtbare Miene ; Franz fühlte sich unbeschreiblich einsam , vollends wenn er aus dem kleinen Fenster über die Berge und Wälder hinübersah , wo er auf der fernen Ebene keinen Menschen , kein Haus unterscheiden konnte .
Als Franz seine Betrachtung geendigt hatte , sagte der Alte :
" Ich glaube , daß Ihr etwas Besonderes an meinen Bildern finden mögt , denn ich habe sie alle in einer seltsamen Stimmung verfertigt .
Ich mag nicht malen , wenn ich nicht deutlich und bestimmt vor mir sehe , was ich darstellen will .
Wenn ich nun manchmal im Schein der Abendsonne vor meiner Hütte sitze , oder im frischen Morgen , der die Berge hinab , über die Fluren geht , dann rauschen oft die Bildnisse der Apostel , der heiligen Märtyrer hoch oben in den Bäumen , sie sehen mich mit allen ihren Mienen an , wenn ich zu ihnen bete , und fordern mich auf , sie abzuzeichnen .
Dann greife ich nach den Farben , und mein bewegtes Gemüt , von der Inbrunst zu den hohen Männern , von der Liebe zur verflossenen Zeit ergriffen , schattet die Trefflichkeiten mit irdischen Farben hin , die in meinem Sinn , vor meinen Augen erglänzen . "
" So seid Ihr ein glücklicher Mann " , sagte Franz , der über diese Rede erstaunte .
" Der Künstler " , sagte der Alte , " sollte nach meinem Urteile niemals anders arbeiten ; und was ist seine Begeisterung denn anders ?
Dem Maler muß alles wirklich sein ; denn was ist es sonst , das er darstellen will ?
Sein Gemüt muß wie ein Strom bewegt sein , so daß sich seine innere Welt bis auf den tiefsten Grund erschüttert , dann ordnen sich aus der bunten Verwirrung die großen Gestalten , die er seinen Brüdern offenbart .
Glaube mir , noch nie ist ein Künstler auf eine andere Art begeistert gewesen ; man spricht von dieser Begeisterung so oft , als von einem natürlichen Dinge , aber sie ist durchaus unerklärlich , sie kommt , sie geht , gleich dem ersten Frühlingslichte , das unvermutet aus den Wolken niederkommt , und oft , ehe du es genießest , zurückgeflohen ist . "
Franz sah den Alten verlegen an , er war ungewiß , ob Wahnsinn oder die Sprache der Begeisterung aus ihm rede .
" Zuweilen " , fuhr der Alte fort , " erregt mich auch die umgebende Natur , daß ich mich in der Kunst üben muß .
Es ist mir aber bei allen meinen Versuchen niemals um die Natur zu tun , sondern ich suche den Charakter oder die Physiognomie herauszufühlen , und irgendeinen frommen Gedanken hineinzulegen , der das Bild dadurch in eine schöne Historie verwandelt . "
Er machte hierauf den jungen Maler auf eine Landschaft aufmerksam , die etwas abseits hing .
Es war eine Nachtszene , Wald , Berg und Tal lag in fast unkenntlichen Massen durcheinander , schwarze Wolken tief vom Himmel herunter .
Ein Pilgrim ging durch die Nacht , an seinem Stabe , an seinen Muscheln am Hute kennbar : um ihn zog sich das dichteste Dunkel , er selber nur von verstohlenen Mondstrahlen erschimmert ; ein finsterer Hohlweg deutete sich an , oben auf einem Hügel von fernher glänzte ein Kruzifix , um das sich die Wolken teilten ; ein Strahlenregen vom Monde ergoß sich , und spielte um das heilige Zeichen .
" Seht " , rief der Alte , " hier habe ich das zeitliche Leben , und die überirdische , himmlische Hoffnung malen wollen ; seht den Fingerzeig , der uns aus dem finsteren Tal herauf zur mondglänzenden Anhöhe ruft .
Sind wir etwas weiter , als wandernde , verirrte Pilgrime ?
Kann etwas unseren Weg erhellen , als das Licht von oben ?
Vom Kreuze her dringt mit lieblicher Gewalt der Strahl in die Welt hinein , der uns belebt , der unsere Kräfte aufrechthält .
Hier habe ich gesucht , die Natur wieder zu verwandeln , und das auf meine menschliche künstlerische Weise zu sagen , was die Natur selber zu uns redet ; ich habe hier ein sanftes Rätsel niedergelegt , das sich nicht jedem entfesselt , das aber doch leichter zu erraten steht , als jenes erhabene , das die Natur als Bedeckung um sich schlägt . "
" Man könnte " , antwortete Franz , " dieses Gemälde ein allegorisches nennen . "
" Alle Kunst ist allegorisch " , sagte der Maler .
" Was kann der Mensch darstellen , einzig und für sich bestehend , abgesondert und ewig geschieden von der übrigen Welt , wie wir die Gegenstände vor uns sehen ?
Die Kunst soll es auch nicht :
wir fügen zusammen , wir suchen dem einzelnen einen allgemeinen Sinn aufzuheften , und so entsteht die Allegorie .
Das Wort bezeichnet nichts anders als die wahrhafte Poesie , die das Hohe und Edle sucht , und es nur auf diesem Wege finden kann . "
Unter diesen Gesprächen war ein Hänfling unvermerkt aus seinem Käfige entwischt , denn der Alte hatte die Tür in der Zerstreuung offen gelassen .
Er schrie erschreckend auf , als er seinen Verlust bemerkte , er suchte umher , er öffnete das Fenster , und lockte pfeifend und liebkosend den Flüchtigen , der nicht wiederkam .
Er konnte sich auf keine Weise zufriedengeben , und hörte auf Sternbalds Worte nicht , der ihn zu trösten suchte .
Sternbald sagte , um ihn zu zerstreuen :
" Ich glaube es einzusehn , wie Ihr über diese Landschaft denkt , und mir scheint , Ihr habt recht .
Ich will nicht Bäume und Berge abschreiben , sondern mein Gemüt , meine Stimmung , die mich in dieser Stunde regiert , diese will ich mir selber festhalten , und den übrigen Verständigen mitteilen . "
" Ganz gut " , rief der Alte aus , " aber was kümmert mich das jetzt , da mein Hänfling auf und davon ist ? "
" War er Euch denn so lieb ? " fragte Franz .
Der Alte sagte verdrießlich :
" So lieb , wie mir alles ist , was ich liebe ; ich mache da eben nicht sonderliche Unterschiede .
Ich denke an seinen schönen Gesang , an seine Freundschaft , die er mir immer bewies , warum ich mir auch diese Treulosigkeit um so weniger vermutete .
Nun ist sein Gesang nicht mehr für mich , sondern er durchfliegt den Wald , und dieser einzelne , mir so bekannte Vogel vermischt sich mit den übrigen seines Geschlechts .
Ich gehe vielleicht einmal aus und höre ihn , und sehe ihn , und kenne ihn doch nicht wieder , sondern halte ihn für eine ganz fremde Person .
So haben mich schon so viele Freunde verlassen .
Ein Freund , der stirbt , tut auch nichts weiter , als daß er sich wieder mit der großen allmächtigen Erde vermischt , und mir unkenntlich wird .
So sind sie auch in den Wald hineingeflogen , die ich sonst wohl kannte , so daß ich sie nun nicht wieder herausfinden kann .
Wir sind Toren , wenn wir sie verloren wähnen , Kinder , die schreien und jammern , wenn die Eltern mit ihnen Versteckens spielen , denn das tun die Gestorbenen nur mit uns , der kurze Augenblick zwischen Jetzt und dem Wiederfinden ist nicht zu rechnen .
Und daß ich das Gleichnis vollende : so ist Freundschaft auch wohl einem Käfige gleich , ich trenne den Vogel von den übrigen , um ihn zu kennen und zu lieben , ich umgebe ihn mit einem Gefängnisse , um ihn mir so recht eigentlich abzusondern .
Der Freund sondert den Freund von der ganzen übrigen Welt , und hält ihn in seinen ängstlichen Armen eingeschlossen ; er läßt ihn nicht zurück , er soll nur für ihn so gut , so zärtlich , so liebevoll sein , die Eifersucht bewacht ihn vor jeder fremden Liebe , verlöre jener sich im Strudel der allgemeinen Welt , so wäre er auch dem Freunde verloren und abgestorben . -
Sieh her , mein Sohn , er hat sein Futter nicht einmal verzehrt , so lieb ist es ihm gewesen , mich zu verlassen .
Ich habe ihn so sorgfältig gepflegt , und doch ist ihm die Freiheit lieber . "
" Ihr habt die Menschen gewißlich recht von Herzen geliebt ! " rief Sternbald aus .
" Nicht immer " , sagte jener , " die Tiere stehen uns näher , denn sie sind wie kindische Kinder , deren Liebe unterhalten sein will , weil sie ungewiß und unbegreiflich ist , mit den Menschen rechnen wir gern , und wenn wir Bezahlung wahrnehmen , vermissen wir schon die Liebe ; gegen Tiere sind wir duldend , weil sie unsere Trefflichkeiten nicht bemerken können , und wir ihnen dadurch immer wieder gleichstehn ; indem wir aber ihre dumpfe Existenz fühlen und einsehen , entsteht eine magische Freundschaft , aus Mitleiden , Zuneigung , ja , ich möchte sagen , aus Furcht gemischt , die sich durchaus nicht erklären läßt .
Wollt Ihr mir folgen , junger Mensch , so will ich Euch kürzlich etwas von mir erzählen , damit Ihr begreift , wie ich hiehergeraten bin . "
Sie verließen die Hütte und setzten sich in den Schatten eines alten Baumes , und der Maler fing darauf mit folgenden Worten an :
" Ich bin in Italien geboren und heiße Anselm .
Weiter kann ich Euch eben von meiner Jugend nichts sagen .
Meine Eltern starben früh , und hinterließen mir ein kleines Vermögen , das mir zufiel , als ich mündig war .
Meine Jugend war wie ein leichter Traum verflogen , keine Erinnerung war in meinem Gedächtnisse gehaftet , ich hatte nicht eine Erfahrung gemacht .
Aber ich hatte die entflohene Zeit auf meine Art genossen , ich war immer zufrieden und vergnügt gewesen .
Jetzt nahm ich mir vor , in das Leben einzutreten , und auch , wie andere , einen Platz auszufüllen , damit von mir die Rede sei , daß ich geachtet würde .
Schon von meiner Kindheit hatte ich in mir einen großen Trieb zur Kunst gespürt , die Malerei war es , die meine Seele angezogen hatte , der Ruhm der damaligen Künstler begeisterte mich .
Ich ging nach Perugia , weil dort Pietro in besonderem Rufe stand , und seine Bilder in ganz Italien gesucht wurden , ihm wollte ich mich in die Lehre geben .
Aber bald ermüdete meine Geduld , ich lernte junge Leute kennen , deren ähnliche Gemütsart mich zu ihrem vertrauten Freunde machte .
Wir waren lustig miteinander , wir sangen , wir tanzten und scherzten , an die Kunst wurde wenig gedacht . "
Franz fiel ihm in die Rede , indem er fragte :
" Könnt Ihr Euch vielleicht erinnern , ob damals bei diesem Meister Pietro auch Raffael in der Lehre stand ?
Raffael Sanzio ? "
" Mir dünkt " , sagte der Alte , " es kam in der letzten Zeit , als ich dort war , ein unbedeutender Knabe dieses Namens zu ihm , und ich verwundre mich , daß Ihr den Namen so eigentlich wißt . "
" Und ich erstaune über Eure Worte " , rief Sternbald aus .
" So wißt Ihr es denn gar nicht , daß dieser Knabe seitdem der erste von allen Malern geworden ist ? daß jedermann seinen Namen im Munde führt ?
Er ist seit einem Jahre gestorben , und alle Künstler in Europa trauern über seinen Verlust ; wo Menschen wohnen , die die Kunst kennen , da ist auch er gekannt , denn noch keiner hat die Göttlichkeit der Malerei so tief ergründet . "
Anselm war eine Weile in sich gekehrt , dann brach er aus : " O wunderbare Vergangenheit !
Wo ist all mein Bestreben geblieben , wie ist es gekommen , daß dieser mir Unbekannte meine innigsten Wünsche ergriffen und zu seinem Eigentume gemacht hat ?
Ja , ich habe wahrlich umsonst gelebt .
Doch , es sei , weil es ist , ich will fortfahren , von mir zu sprechen .
Damals schien die ganze Welt glänzend in mein junges Leben hinein , ich erblickte auf allen Wegen Freundschaft und Liebe .
Unter den Mädchen , die ich kennenlernte , zog eine besonders meine ganze Aufmerksamkeit an sich , ich liebte sie innig , nach einigen Wochen war sie meine Gattin .
Ich hemmte meine Freude und Entzückungen durch nichts , ein blendender , ungestörter Strom war mein Lebenslauf .
In der Gesellschaft der Freunde und der Liebe , vom Wein erhitzt , war es mir oft , als wenn sich wunderbare Kräfte in meinem Innersten entwickelten , als beginne mit mir die Welt eine neue Epoche .
In den Stunden , die mir die Freude übrigließ , legte ich mich wieder auf die Kunst , und es war zuweilen , als wenn vom Himmel herab goldene Strahlen in mein Herz hineinschienen , und alle meine Lebensgeister erläuterten und erfrischten .
Dann drohte ich mir gleichsam mit ungeborenen und unsterblichen Werken , die meine Hand noch ausführen sollte , ich sah auf die übrige Kunst , wie auf etwas Gemeines und Alltägliches hinab , ich wartete selber mit Sehnsucht auf die Malereien , durch die sich mein hoher Genius ankündigen würde .
Diese Zeit war die glücklichste meines Lebens .
Sie war die meines wildesten Wahnsinns .
Indessen war mein kleines Vermögen aufgegangen .
Meine Freunde wurden kälter , meine Freude erlosch , meine Gattin war krank und ihrer Entbindung nahe , und ich fing an , an meinem Kunsttalent zu zweifeln .
Wie ein dürrer Herbstwind wehte es durch alle meine Empfindungen , wie ein Traum wurde mein frischer Geist von mir entrückt .
Meine Not wurde größer , ich suchte Hilfe bei meinen Freunden , die mich verließen , die sich bald ganz von mir entfremdeten .
Ich hatte geglaubt , ihr Enthusiasmus würde nie erlöschen , es könne mir an Glück niemals mangeln , und nun sah ich mich plötzlich einsam .
Ich erschrak , daß mir mein Streben als etwas Törichtes erschien , ja daß ich in meinem Innersten ahndete , ich hätte die Kunst niemals geliebt .
Ach , wenn ich an jene drückenden Monate zurückdenke !
Wie sich nun in meinem Herzen alles entwickelte , wie grausam sich die Wirklichkeit von meinen Phantasien losarbeitete und trennte !
Ich versuchte die schmählichsten Mittel , mir zu helfen , und fristete mich dadurch kaum von einem Tage zum anderen hin .
Nun fühlte ich das Treiben der Welt , nun lernte ich die Not kennen , die meine armen Brüder mit mir teilten .
Vorher hatte ich die menschliche Tätigkeit , diese mitleidswürdige Arbeitseligkeit verachtet , mit Tränen in den Augen verehrte ich sie jetzt , ich schämte mich vor dem zerlumpten Tagelöhner , der im Schweiße seines Angesichtes sein tägliches Brot erwirbt , und nicht höher hinaus denkt , als wie er morgen von neuem beginnen will .
Vorher hatte ich in der Welt die schönen Formen mit lachenden Augen aufgesucht und mir eingeprägt , jetzt sah ich im angespannten Pferde und Stiere nur die Sklaverei , die Dienstbarkeit , die den Landmann ernährte ; ich sah neidisch in die kleinen schmutzigen Fenster der Hütten hinein , nicht mehr um seltsame poetische Ideen anzutreffen , sondern um den Hausstand und das Glück dieser Familien zu berechnen .
Oh , ich errötete , wenn man das Wort Kunst aussprach , ich fühlte mich selbst unwürdig , und dasjenige , was mir vorher als das Göttlichste erschien , kam mir nun als ein müßiges , zeitverderbendes Spielwerk vor , als eine Anmaßung über die leidende und arbeitende Menschheit .
Ich war meines Daseins überdrüssig .
Einer meiner Freunde , der mir vielleicht geholfen hätte , war in ferne Lande weit weg verreist .
Ich überließ mich der Verzweiflung .
Meine Gattin starb im Wochenbette , das Kind war tot .
Ich lag in der Kammer nebenan , und alles erlosch vor meinen Augen .
Alles , was mich geliebt hatte , trat in einer fürchterlichen Gleichgültigkeit auf mich zu : alles , was ich für mein gehalten hatte , nahm wie Fremdling von mir auf immer Abschied .
Die Gestalten der Welt , alles , was sich je in meinem Inneren bewegt hatte , verwirrte sich verwildert durcheinander .
Es war , als wenn ich mich verlor , und das Fremdeste , mir bis dahin Verhaßteste mein Selbst würde .
So rang ich im Kampfe , und konnte nicht sterben , sondern verlor nur meine Vernunft .
Ich wurde wahnsinnig , wie ich nachher gehört habe .
Ich weiß nicht , wo ich mich herumtrieb , was mir damals begegnet ist .
In einer kleinen Kapelle einige Meilen von hier fand ich zuerst mich und meine Besinnung wieder .
Wie man aus einem Traume erwacht , und einen längst vergessenen Freund vor sich stehen sieht , so seltsam überrascht , so durch mich erschreckt , war ich selber .
Seitdem wohne ich hier .
Mein Gemüt ist dem Himmel gewidmet .
Ich habe alles vergessen .
Ich brauche wenig , und dies wenige besitze ich durch die Gutheit einiger Menschen .
Jetzt , im ruhigen Alter " , fuhr er nach einigem Stillschweigen fort , " ist die Natur mein vorzüglichstes Studium .
Ich finde allenthalben wunderbare Bedeutsamkeit und rätselhafte Winke .
Jede Blume , jede Muschel erzählt mir eine Geschichte , so wie ich Euch eine erzählt habe .
Seht diese wunderbaren Moose .
Ich weiß nicht , was alles dergleichen in der Welt soll , und doch besteht daraus die Welt .
So tröste ich mich über mich und die übrigen Menschen .
Die unendliche Mannigfaltigkeit der Gestalten , die sich bewegen , die gleichsam mehr ein Leben erstreben und andeuten , als wirklich leben , beruhigt mich , daß auch ich vielleicht so sein mußte , und mich von meiner Bahn niemals so sehr verirrt habe , als ich wohl ehemals wähnte . "
- Es war indessen spät geworden .
Franz wollte gehen , ihm aber gern vorher etwas abkaufen , damit er ihm auf eine leichtere Art ein Geschenk machen könne .
Er sah noch einmal umher , und begriff es selber nicht , wie ihm ein kleines Bild habe entgehen können , das er nun jetzt erst bemerkte .
Es war das genaue Bildnis seiner Unbekannten , jeder Zug , jede Miene , soviel er sich nur erinnern konnte .
Er nahm es hastig herab und verschlang es mit den Augen , sein Herz klopfte ungestüm .
Als er danach fragte , erzählte der Alte , daß es eine junge Dame vorstelle , die er vor einem Jahre gemalt habe ; sie habe ihn besucht , und ihr holdseliges Gesicht habe sich seinem Gedächtnisse dermaßen eingeprägt , daß er es nachher mit Leichtigkeit habe zeichnen können .
Weitere Nachrichten konnte er von der Unbekannten nicht geben .
Franz bat um das Bild , das ihm der Alte gern bewilligte .
Franz drückte ihm hierauf ein größeres Geschenk in die Hand , als er ihm anfangs zugedacht hatte .
Der Alte steckte es ein , ohne die Goldstücke nur zu besehen , dann umarmte er ihn und sagte :
" Bleibe immer herzlich und treu gesinnt , mein Sohn , liebe deine Kunst und dich , dann wird es dir immer wohl gehen .
Der Künstler muß sich selber lieben , ja verehren , er darf keiner nachteiligen Verachtung den Zugang zu sich verstatten .
Sei in allen Dingen glücklich ! "
Franz drückte ihn an seine Brust und ging dann den Berg hinunter .
Er war durch die Erzählung des alten Mannes wehmütig geworden , es leuchtete ihm ein , daß es ihm möglich sei , sich auch über seine Bestimmung zu irren , dabei war mit frischer Kraft das Andenken und das Bild seiner Geliebten in seine Seele zurückgekommen .
Er langte im Schlosse an , indem er den Weg kaum bemerkt hatte , von der Gräfin war er schon vermißt , sie war auf ihr Bildnis begierig , und er mußte gleich am folgenden Morgen weitermalen .
Franz fand sie an diesem Tage mutwilliger als je , sie scherzte und lachte , und auch Franz fühlte sich so vertraulich zu ihr , daß er ihr von seiner Wallfahrt zum alten Maler erzählte , dessen Geschichte er ihr kürzlich wiederholte .
Die Gräfin sagte :
" Nun wahrlich , der alte Einsiedler muß Euch auf eine ungemeine Art liebgewonnen haben , da er so viel mit Euch gesprochen hat , denn es ist sonst schon eine große Gefälligkeit , wenn er dem Fragenden nur ein einziges Wort erwidert , soviel ich aber weiß , hat er bisher noch keinem seine Geschichte erzählt . "
Franz zeigte ihr hierauf mir Zittern das Gemälde , das er gekauft harte .
Die Gräfin sagte erstaunt :
" Wie ?
Mein eigenes Bild bringt Ihr mit herunter , junger Mann ?
Die Aufmerksamkeit ist schmeichelhaft für mich . "
" Das Eurige ? " rief Franz bestürzt und sich vergessend , und jetzt wurde ihm die Ähnlichkeit noch deutlicher , und auf einen Augenblick ließ er sich durch den Gedanken entsetzen , daß es möglich sei .
" Ach ! " sagte die Gräfin plötzlich , und seufzte tief :
" Nein , sie ist es , meine arme , unglückliche Schwester ! "
" Eure Schwester ? " sagte Franz erschrocken , " und Ihr nennt sie unglücklich ? "
" Und mit Recht " , antwortete die Gräfin , " sie hat viel gelitten , jetzt ist sie seit neun Monaten tot . "
Franz verlor die Sprache , seine Hand zitterte , es war ihm unmöglich , weiterzumalen .
Jene fuhr fort :
" Sie trug und quälte sich mit einer unglücklichen Liebe , die ihr Leben wegzehrte ; vor einem Jahre machte sie eine Reise durch Deutschland , um sich zu zerstreuen und gesunder zu werden , aber sie reiste in ihre Heimat zurück und starb .
Der Alte hat sie damals gesehen , und wie ich jetzt erfahre , nachher gemalt . "
Franz war durch und durch erschüttert .
Er stand auf und verließ den Saal .
Er irrte umher , und warf sich endlich weinend an der dichtesten Stelle des Gehölzes nieder : die Worte , die ihn betäubt hatten , schallten noch immer in sein Ohr .
- " So ist sie denn auf ewig mir verloren , die niemals mein war ! " rief er aus .
" O wie hart ist die Weise , mit der mich das Schicksal von meinem Wahnsinn heilen will !
O ihr Blumen , ihr süßen Worte , die ihr mir so erfreulich wart !
Du holdselige Schreibtafel , ihr Erinnerungen , ach ! nun ist alles vorüber !
Von diesem Tage , von heute ist meine Jugend beschlossen , alle jungen Wünsche , alle liebreizenden Hoffnungen verlassen mich nun , alles ruht tief im Grabe .
Nun ist mein Leben kein Leben , mein Ziel , nach dem ich strebte , ist hinweggenommen , ich bin einsam .
Das Haupt , das meine Sonne war , nach dem ich mich wie die Blume wandte , liegt nun unkenntlich im Grabe .
Ja , Anselm , sie ist nun auch in den großen weiten Wald wieder hineingeflogen , meine liebste Sängerin , die ich so gern an diesem Herzen beherbergt hätte , aller Gesang erinnert mich nur an sie , die fließenden Waldbäche hier ermuntern mich , immerfort zu weinen , so wie sie selber tun .
Was soll mir Kunst , was Ruhm , wenn sie nicht mehr ist , der ich alles zu Füßen legen wollte ? "
Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Am folgenden Tage kam Rudolph zurück , vor dem Franz sein Geheimnis nun noch geflissentlicher verbarg ; er fürchtete den heiteren Mutwillen seines Freundes , und mochte diese Schmerzen nicht seinen Spöttereien preisgeben .
Rudolph erzählte ihm mit kurzen Worten die Geschichte seiner Wanderschaft , wo er sich herumgetrieben , was er in diesen Tagen erlebt .
Franz hörte kaum darauf hin , weil er mit seinem Verluste zu innig beschäftigt war .
" Du hast ja hier einen Verwandten gefunden " , sagte Sternbald endlich , " aber mich dünkt , du freust dich darüber nicht sonderlich . "
" Meine Familie " , sagte jener , " ist ziemlich ausgebreitet , ich bin noch niemals lange an einem Orte geblieben , ohne einen Vetter oder eine Muhme anzutreffen .
Darum ist mir dergleichen nichts Ungewöhnliches .
Dieser da ist ein guter langweiliger Mann , mit dem ich nun schon alles gesprochen habe , was er zu sagen weiß .
Ihr führt aber übrigens hier ein recht langweiliges Leben , und du , mein lieber Sternbald , wirst darüber ganz traurig und verdrießlich , so wie es sich auch ziemt .
Ich habe also dafür gesorgt , daß wir einige Beschäftigung haben , womit wir uns die Zeit vertreiben können . "
Er hatte alle Diener des Schlosses auf seine Seite gebracht und beredet , auch einige andere , besonders Mädchen aus der Nachbarschaft eingeladen , um am folgenden Tage ein lustiges Fest im Walde zu begehen .
Franz entschuldigte sich , daß er ihm nicht Gesellschaft leisten könne , aber Florestan hörte nicht darauf .
" Ich werde nie wieder vergnügt sein " , sagte Franz , als er sich allein sah , " meine Jugend ist vorüber , ich kann auch nicht mehr arbeiten , wenn ich in der Zukunft vielleicht auch geschäftig bin . "
Der folgende Tag erschien .
Florestan hatte alles angeordnet .
Man versammelte sich nachmittags im Walde , die Gräfin hatte allen die Erlaubnis erteilt , der kühlste , schattigste Platz wurde ausgesucht , wo die dicksten Eichen standen , wo der Rasen am grünsten war .
Rudolph empfing jeden Ankömmling mit einem fröhlichen Schalmeiliede , die Mädchen waren zierlich geputzt , die Jäger und Diener mit Bändern und bunten Zieraten geschmückt .
Nun kamen auch die Spielleute , die lustig aufspielten , wobei Wein und verschiedene Kuchen in die Runde gingen .
Die Hitze des Tages konnte an diesen Ort nicht dringen , die Bäche und fernen Gewässer spielten wie eine liebliche Waldorgel dazu , alle Gemüter waren fröhlich .
Im grünen Grase gelagert , wurden Lieder gesungen , die alle Fröhlichkeit atmeten :
da war von Liebe und Kuß die Rede , da wurde des schönen Busens er wähnt , und die Mädchen lachten fröhlich dazu .
Franz wehrte sich anfangs gegen die Freude , die alle beseelte , er suchte seine Traurigkeit , aber der helle , liebliche Strom ergriff auch ihn mit seinen kristallenen plätschernden Wellen , er genoß die Gegenwart und vergaß , was er verloren hatte .
Er saß neben einem blonden Mädchen , mit der er bald ein freundliches Gespräch begann , und den runden frischen Mund , die lieblichen Augen , den hebenden Busen heiter betrachtete .
Als es noch kühler wurde , ordnete man auf dem runden Rasenplatze einen lustigen Tanz an .
Rudolph hatte sich auf seine Art phantastisch geschmückt , und glich einer schönen idealischen Figur auf einem Gemälde .
Er war der Ausgelassenste , aber in ihm spiegelte sich die Fröhlichkeit am lieblichsten .
Franz tanzte mit seiner blonden Emma , die manchen Händedruck erwiderte , wenn sie den Reigen herunter ihm entgegenkam .
Da aber der Platz für den Tanz fast ein wenig zu eng war , so sonderten sich einige ab , um auszuruhen ; unter diesen waren Florestan , Sternbald und die Blonde .
Abseits befestigten Franz und Rudolph ein Seil zwischen zwei dicken , nahestehenden Eichen , ein Brett war bald gefunden und die Schaukel fertig .
Emma setzte sich furchtsam hinein , und flog nun nach dem Takte und Schwunge der Musik im Waldschatten auf und ab .
Es war lieblich , wie sie bald hinauf in den Wipfel schwankte , bald wieder wie eine Göttin herabkam , und mit leichter Bewegung einen schönen Zirkel beschrieb .
" Nun , mein Freund " , rief Rudolph öfter , " bist du nun nicht vergnügt ?
Laß alle Grillen schwinden ! "
Franz sah nur die reizende Gestalt , die sich in der Luft bewegte .
Als man des Tanzes überdrüssig war , setzte man sich wieder nieder , und ergötzte sich an Liedern und aufgegebenen Rätseln .
Jetzt ertrug Sternbald den Mutwillen der Poesie , die in alten Reimen die Reize der Liebsten lobpries :
er stimmte mit ein , und verließ die blonde Emma niemals , wenigstens mit den Augen .
Der Abend brach ein , in gespaltenen Schimmern floß das Abendrot durch den Wald , die lieblichste , stillste Luft umgab die Natur , und bewegte auch nicht die Blätter am Baume .
Rudolph , dessen Phantasie immer geschäftig war , ließ nun eine lange Tafel bereiten , auf die ebenso viele Blumen als Speisen gesetzt wurden , dazwischen die Lichter , die kein Wind erlosch , sondern die ruhig fortbrannten , und einen zauberischen , berauschenden Anblick gewährten .
Man aß unter schallender Musik , dann wurden die Tische auseinandergeschoben , und umher zwischen den Bäumen verteilt , die Wachskerzen brannten auch hier .
Nun kam ein mutwilliges Pfänderspiel in den Gang , bei dem Sternbald manchen herzlichen Kuß von seiner Blonden empfing , wobei ihm jedesmal das Blut in die Wangen stieg .
Jetzt war es Nacht , man mußte sich trennen .
Die Leute aus dem Dorfe und der kleinen Stadt gingen zurück , Rudolph und Sternbald begleiteten den Zug , Laternen gingen voran , dann folgten die Spielleute , die fast beständig ihre Musik erschallen ließen , und dadurch den Zug im Takte erhielten . -
Jetzt standen sie vor dem Dorfe , er nahm mit einem herzlichen Kusse Abschied ; Emma war stumm , er konnte kein Wort hervorbringen .
Schweigend ging er mit Rudolph durch den Wald zurück : als sie heraustraten , glänzte ihnen über die Ebene herüber der aufgehende Mond entgegen : das Schloß brannte in sanften goldenen Flammen .
Achtes Kapitel Achtes Kapitel Das Bildnis der Gräfin und des fremden Ritters war beendigt , sie war sehr zufrieden , und belohnte den Maler reichlicher , als es beide Freunde erwartet hatten .
Franz erstaunte oft in einsamen Stunden über sich selber , über die Ungenügsamkeit , die ihn peinigte .
Er betrachtete dann mit wehmütiger Ungeduld das Bild seiner ehemaligen Geliebten , er wollte sie seiner Phantasie in aller vorigen Klarheit zurückzaubern , aber sein Geist und seine Sinne waren wie mit ehernen Banden in der Gegenwart festgehalten .
" Bravo ! " sagte an einem Morgen Rudolph zu seinem Freunde , " du gefällst mir , denn ich sehe , du lernst von mir .
Du ahmst mir nach , daß du auch eine Liebschaft hast , die deine Lebensgeister in Tätigkeit erhält , glaube mir , man kann im Leben durchaus nicht anders zurechtkommen .
So aber verschönert sich uns jede Gegend , der Name der Dörfer und Städte wird uns teuer und bedeutend , unsere Einbildung wird mit lieblichen Bildern angefüllt , so daß wir uns allenthalben wie in einer ersehnten Heimat fühlen . "
" Aber wohin führt uns dieser Leichtsinn ? " fragte Franz .
" Wohin ? " rief Rudolph aus , "o mein Freund , verbittere dir nicht mit dergleichen Fragen deinen schönsten Lebensgenuß , denn wohin führt dich das Leben endlich ? "
" Aber die Sinnlichkeit " , sagte Franz , " hörst du nicht jeden rechtlichen Menschen schlecht davon sprechen ? "
" Oh , über die rechtlichen Menschen ! " sagte Florestan lachend , " sie wissen selbst nicht , was sie wollen .
Der Himmel gibt sich die Mühe , uns die Sinnen anzuschaffen , nun , so wollen wir uns deren auch nicht schämen , nach unserem löblichen Tode wollen wir uns dann mit des Himmels Beistand zur Freude besser gebärden . "
" Was war das für ein Mädchen " , fragte Franz , " das du in der Gegend von Antwerpen besuchtest ? "
" Oh , das ist eine Geschichte " , antwortete jener , " die ich dir schon lange einmal habe erzählen wollen .
Ich war vor einem Jahre auf der Reise , und ritt übers Feld , um schneller fortzukommen .
Ich war müde , mein Pferd fing an zu hinken , die Meile kam uns unendlich lang vor .
Ich sang ein Liedchen , ich besann mich auf hundert Schwänke , die mich in vielen anderen Stunden erquickt hätten , aber alles war vergebens .
Indem ich mich noch abquäle , sehe ich eine hübsche niederländische Bäuerin am Wege sitzen , die sich die Augen abtrocknet .
Ich frage , was ihr fehlt , und sie erzählt mir mit der liebenswürdigsten Unbefangenheit , daß sie schon so weit gegangen sei , sich nun zu müde fühle , noch zu ihren Eltern nach Hause zu kommen , und darum weine sie , wie billig .
Die Dämmerung war indes schon eingebrochen , mein Entschluß war bald gefaßt :
ohne weiter um Rat zu fragen , bot ich ihr das müde Pferd an , um bequemer fortzukommen .
Sie ließ sich eine Weile zureden , dann stieg sie hinauf , und setzte sich vor mich :
ich hielt sie mit den Armen fest .
Nun fing ich an , die Meile noch länger zu wünschen , der niedlichste Fuß schwebte vor mir , von der Bewegung entblößt , die frische rote Wange dicht an der meinigen , die freundlichen Augen mir nahe gegenüber .
So zogen wir über das Feld , indem sie mir ihre Herkunft und Erziehung erzählte :
wir wurden bald vertrauter , und sie sträubte sich gegen meine Küsse nicht mehr .
Nun wurde es Nacht , und die Bangigkeit , die sie erfüllte , erlaubte mir , dreister zu sein .
Endlich kamen wir in der Nähe ihrer Behausung , sie stieg behende herunter , wir hatten schon unsere Abrede genommen .
Sie eilte voraus , ich blieb eine Weile zurück , dann zwang ich mein Pferd , in einer Art von Galopp mit mir vor das Haus zu sprengen .
Es war ein altes weitläufiges Gebäude , das abseits vom übrigen Dorfe lag ; das Mädchen kam mir entgegen , ich trat als ein verirrter Fremdling ein , und bat demütig um ein Nachtlager .
Die Eltern bewilligten es mir gern , die Kleine spielte ihre Aufgabe gut durch , sie zeigte mir verstohlen , daß sie neben der Kammer schlafen würde , die man mir einräumte ; sie wollte die Tür offen lassen .
Das Abendessen , die umständlichen Gespräche wurden mir sehr lang , endlich ging alles schlafen , meine Freundin aber hatte in der Wirtschaft noch allerhand zu besorgen .
Ich betrachtete indessen meine Kammer , sie führte auf der einen Seite nach dem Schlafzimmer des Mädchens , auf der anderen in einen langen Gang , dessen äußerste Tür geöffnet war .
Freundlich schien durch diese die runde Scheibe des Mondes , das schöne Licht lockt mich hinaus , ein Garten empfängt mich .
Ich durchwandere auch diesen , gehe durch ein Gattertor , und verliere mich voller Erwartungen im Felde .
Man ist indessen sorgsam gewesen , alle Türen zu verschließen , es war das letzte Geschäft des Vaters , nach allen Riegeln im Hause zu sehen .
Bestürzt komme ich zurück , die Gartentür ist verschlossen ; ich rufe , ich klopfe , niemand hört mich , ich versuche überzusteigen , aber meine Mühe war vergebens .
Ich verwünsche den Mond und die Schönheiten der Natur , ich sehe die Freundliche vor mir , die mich erwartet und mein Zögern nicht begreifen kann .
Unter Verwünschungen und unnützen Bemühungen sah ich mich genötigt , den Morgen auf dem freien Felde abzuwarten : alle Hunde wurden wach , aber kein Mensch hörte mich , der mich eingelassen hätte .
Oh , wie segnete ich die ersten Strahlen des Frührots !
Die Alten bedauerten mein Unglück , das Mädchen war so verdrießlich , daß sie anfangs nicht mit mir sprechen wollte , ich versöhnte sie aber endlich , ich mußte fort , und versprach ihr , auf meiner Rückreise von England sie gewiß wieder zu besuchen .
Und du sahst damals , daß ich ihr auch Wort hielt .
Ich kam an : schon sah ich mit Verdruß und klopfendem Herzen den Garten mit der mir so wohlbekannten Mauer , schon suchte mein Auge das Mädchen , aber die Sachen hatten sich indessen sehr verändert .
Sie war verheiratet , sie wohnte in einem anderen Hause , und was das Schlimmste war , sie liebte sogar ihren Mann ; als ich sie besuchte , bat sie mich mit der höchsten Angst , doch ja je eher je lieber wieder fortzugehen .
Ich gehorchte ihr , um ihr Glück nicht zu stören .
- Siehst du , mein Freund , das ist die unbedeutende Geschichte einer Bekanntschaft , die sich ganz anders endigte , als ich erwartet hatte . "
" Dir geschieht schon recht " , sagte Franz , " wenn du manchmal für deinen übertriebenen Mutwillen bestraft wirst . "
" Oh , daß ihr allenthalben Übertreibungen findet ! " rief Florestan aus , " ihr seid immer besorgt , euch in allen Gedanken und Gefühlen zu mäßigen .
Aber es gelingt niemals und ist unmöglich , in einem Gebiete zu messen und zu wägen , wo kein Maß und Gewicht anerkannt wird .
Es freut mich , dich auch einmal verliebt zu sehen . "
Franz sagte :
" Ich weiß nicht , ob ich verliebt bin , aber du ängstigest mich mit deinen Reden ; wozu wäre es auch , da wir so bald abreisen müssen ? "
Florestan lachte , und gab ihm gar keine Antwort .
- " Nun , wie haben dir die neulichen Lieder gefallen ? " sagte er , " und die Lichter , der Wald ?
Nicht wahr , es war der Mühe wert , fröhlich zu sein ? "
" Du marterst mich nur " , sagte Sternbald , als Rudolph geendigt hatte , " sprich wie du willst , ich werde niemals deiner Meinung sein .
Man kann sich in einem leichtsinnigen Augenblicke vergessen , aber wenn man freiwillig den Sinnen den Sieg über sich selbst einräumt , so erniedrigt man sich dadurch unter sich selbst . "
" Du willst ein Maler sein , und sprichst so ? " rief Rudolph aus , " Oh , laß ja die Kunst fahren , wenn dir deine Sinnen nicht lieber sind , denn durch diese allein vermagst du die Rührungen hervorzubringen .
Was wollt ihr mit allen euren Farben darstellen und ausrichten , als die Sinnen auf die schönste Weise ergötzen ?
Durch nichts kann der Künstler unsere Phantasie so gefangennehmen , als durch den Reiz der vollendeten Schönheit , das ist es , was wir in allen Formen entdecken wollen , wonach unser gieriges Auge allenthalben sucht .
Wenn wir sie finden , so sind es auch nicht die Sinne allein , die in Bewegung sind , sondern alle unsere Entzückungen erschüttern uns auf einmal auf die lieblichste Weise .
Der freie unverhüllte Körper ist der höchste Triumph der Kunst , denn was sollen mir jene beschleierten Gestalten ?
Warum treten sie nicht aus ihren Gewändern heraus , die sie ängstigen und sind sie selbst ?
Gewand ist höchstens nur Zugabe , Nebenschönheit .
Das griechische Altertum verkündigt sich in seinen nackten Figuren am göttlichsten und menschlichsten .
Die Dezenz unseres gemeinen prosaischen Lebens ist in der Kunst unerlaubt , dort in den heiteren , reinen Regionen ist sie ungeziemlich , sie ist unter uns selbst das Dokument unserer Gemeinheit und Unsittlichkeit .
Der Künstler darf seine Bekanntschaft mit ihr nicht verraten , oder er gibt zu erkennen , daß ihm die Kunst nicht das Liebste und Beste ist , er gesteht , daß er sich nicht ganz aussprechen darf , und doch ist sein verschlossenes Innerstes gerade das , was wir von ihm begehren . "
In einigen Tagen war ihre Abreise beschlossen ; die Gräfin hatte den versprochenen Brief an die italienische Familie geschrieben , den Sternbald mit großer Gleichgültigkeit in seine Brieftasche legte ; er zeigte ihn auch seinem Freunde nicht , sondern war sogar ungewiß , ob er ihn abgeben solle .
Als sie das Schloß verlassen hatten , als beide Freunde sich auf der weiten Heerstraße befanden , war Rudolph nachdenklich , weniger fröhlich und leichtsinnig , als man ihn sonst sah , er schien Erinnerungen zu bekämpfen , die ihn beinahe schwermütig machten .
" Kein Mensch " , rief er endlich aus , " kann seine frohe Laune verbürgen , es kommen Augenblicke und Empfindungen , die ihn wie in einem Kerker verschließen , und ihn nicht wieder freigeben wollen .
Ich denke eben daran , wie ohne Not und ohne Zweck ich mich hier herumtreibe , und indessen das vernachlässige , was doch das einzige Glück in der Welt ist .
Wahrlich , ich könnte in manchen Augenblicken so schwermütig sein , daß ich weinte , oder tiefsinnige Elegien niederschriebe , daß ich auf meinen Instrumenten Töne hervorsuchte , die in Steine und Felsen Mitleiden hineinzwängen .
Oh , mein Freund , wir wollen uns nicht mit unnützem Gram den gegenwärtigen Augenblick verkümmern , diese Gegenwart , in der wir jetzt sind , kommt nicht zum zweiten Male wieder , mag doch ein jeder Tag für das Seine sorgen . "
Es wurde Abend , ein schöner Himmel erglänzte mit seinen wunderbaren , buntgefärbten Wolkenbildern über ihnen .
" Sieh " , fuhr Rudolph fort , " wenn ihr Maler mir dergleichen darstellen könntet , so wollte ich euch oft eure beweglichen Historien , eure leidenschaftlichen und verwirrten Darstellungen mit allen unzähligen Figuren erlassen .
Meine Seele sollte sich an diesen grellen Farben ohne Zusammenhäng , an diesen mit Gold ausgelegten Luftbildern ergötzen und genügen , ich würde da Handlung , Leidenschaft , Komposition und alles gern vermissen , wenn ihr mir , wie die gütige Natur heute tut , so mit rosenrotem Schlüssel die Heimat aufschließen könntet , wo die Ahnungen der Kindheit wohnen , das glänzende Land , wo in dem grünen , azurnen Meere die goldensten Träume schwimmen , wo Lichtgestalten zwischen feurigen Blumen gehen und uns die Hände reichen , die wir an unser Herz drücken möchten .
Oh , mein Freund , wenn ihr doch diese wunderliche Musik , die der Himmel heute dichtet , in eure Malerei hineinlocken könntet !
Aber euch fehlen Farben , und Bedeutung im gewöhnlichen Sinne ist leider eine Bedingung eurer Kunst . "
" Ich verstehe , wie du es meinst " , sagte Sternbald , " und die freundlichen Himmelslichter entwanken und entfliehen , indem wir sprechen .
Wenn du auf der Harfe musizierst , und mit den Fingern die Töne suchst , die mit deinen Phantasien verbrüdert sind , so daß beide sich gegenseitig erkennen , und nun Töne und Phantasie in der Umarmung gleichsam entzückt immer höher , immer mehr himmelwärts jauchzen , so hast du mir schon oft gesagt , daß die Musik die erste , die unmittelbarste , die kühnste von allen Künsten sei , daß sie einzig das Herz habe , das auszusprechen , was man ihr anvertraut , da die übrigen ihren Auftrag immer nur halb ausrichten , und das Beste verschweigen :
ich habe dir so oft recht geben müssen , aber , mein Freund , ich glaube darum doch , daß sich Musik , Poesie und Malerei oft die Hand bieten , ja daß sie oft ein und dasselbe auf ihren Wegen ausrichten können .
Freilich ist es nicht nötig , daß immer nur Handlung , Begebenheit mein Gemüt entzücke , ja es scheint mir sogar schwer zu bestimmen , ob in diesem Gebiete unsere Kunst ihre schönsten Lorbeern antreffe : allein erinnere dich nur selbst der schönen , stillen , heiligen Familien , die wir angetroffen haben ; liegt nicht in einigen unendlich viele Musik , wie du es nennen willst .
Ist in ihnen die Religion , das Heil der Welt , die Anbetung des Höchsten nicht wie in einem Kindergespräche offenbart und ausgedrückt ?
Ich habe bei den Figuren nicht bloß an die Figuren gedacht , die Gruppierung war mir nur Nebensache , ja auch der Ausdruck der Mienen , insofern ich ihn auf die gegenwärtige Geschichte , auf den wirklichen Zusammenhäng bezog .
Der Maler hat hier Gelegenheit , die Einbildung in sich selbst zu erregen , ohne sie durch Geschichte , durch Beziehung vorzubereiten . "
" Am meisten ist mir das , was ich so oft von der Malerei wünsche , bei allegorischen Gemälden einleuchtend " , sagte Rudolph .
" Gut , daß du mich daran erinnerst ! " rief Franz aus , " hier ist recht der Ort , wo der Maler seine große Imagination , seinen Sinn für die Magie der Kunst offenbaren kann :
hier kann er gleichsam über die Grenzen seiner Kunst hinausschreiten , und mit dem Dichter wetteifern .
Die Begebenheit , die Figuren sind ihm nur Nebensache , und doch machen sie das Bild , es ist Ruhe und Lebendigkeit , Fülle und Leere , und die Kühnheit der Gedanken , der Zusammensetzung findet erst hier ihren rechten Platz .
Ich habe es ungern gehört , daß man diesen Gedichten so oft den Mangel an Zierlichkeit vorrückt , daß man hier tätige Bewegung und schnellen Reiz einer Handlung fordert , wenn sie statt eines einzelnen Menschen die Menschheit ausdrücken , statt eines Vorfalls eine erhabene Ruhe .
Gerade diese anscheinende Kälte , die Unbiegsamkeit im Stoffe ist das , was mir so oft einen wehmütigen Schauder bei der Betrachtung erregte : daß hier allgemeine Begriffe in sinnlichen Gestalten mit so ernster Bedeutung aufgestellt sind , Kind und Greis in ihren Empfindungen vereinigt , daß das Ganze unzusammenhängend erscheint , wie das menschliche Leben , und doch eins um des anderen notwendig ist , wie man auch im Leben nichts aus seiner Verkettung reißen darf , alles dies ist mir immer ungemein erhaben erschienen . "
" Ich erinnere mich " , antwortete Rudolph , " eines alten Bildes in Pisa , das dir auch vielleicht gefallen wird ; wenn ich nicht irre , ist es von Andrea Orgagna gemalt .
Dieser Künstler hat den Dante mit besonderer Vorliebe studiert , und in seiner Kunst auch etwas Ähnliches dichten wollen .
Auf seinem großen Bilde ist in der Tat das ganze menschliche Leben auf eine recht wehmütige Art abgebildet .
Ein Feld prangt mit schönen Blumen von frischen und glänzenden Farben , geschmückte Herren und Damen gehen umher , und ergötzen sich an der Pracht .
Tanzende Mädchen ziehen mit ihrer munteren Bewegung den Blick auf sich , in den Bäumen , die von Orangen glühn , erblickt man Liebesgötter , die schalkhaft mit ihren Geschossen herunterzielen , über den Mädchen schweben andere Amorinen , die nach den geschmückten Spaziergängern zur Vergeltung zielen .
Spielleute blasen auf Instrumenten zum Tanz , eine bedeckte Tafel steht in der Ferne . -
Gegenüber sieht man steile Felsen , auf denen Einsiedler Buße tun und in andächtiger Stellung beten , einige lesen , einer melkt eine Ziege .
Hier ist die Dürftigkeit des armutseligen Lebens dem üppigen glückseligen recht herzhaft gegenübergestellt . -
Unten sieht man drei Könige auf die Jagd reiten , denen ein heiliger Mann eröffnete Gräber zeigt , in denen man von Königen verweste Leichname sieht . -
Durch die Luft fliegt der Tod , mit schwarzem Gewand , die Sense in der Hand , unter ihm Leichen aus allen Ständen , auf die er hindeutet . - Dieses Gemälde hat immer in mir das Bild des großen menschlichen Lebens hervorgebracht , in welchem keiner vom anderen weiß , und sich alle blind und taub durcheinander bewegen . "
Unter diesen Gesprächen waren sie an eine dichte Stelle im Walde gekommen , abseits an einer Eiche gelehnt lag ein Rittersmann , mit dem sich ein Pilgrim beschäftigte , und ihm eine Wunde zu verbinden suchte .
Die beiden Wanderer eilten sogleich hinzu , sie erkannten den Ritter , Franz zuerst , es war derselbe , den sie vor einiger Zeit als Mönch gesehen hatten , und den Sternbald im Schlosse gemalt hatte .
Der Ritter war in Ohnmacht gesunken , er hatte viel Blut verloren , aber durch die vereinigte Hilfe kam er bald wieder zu sich .
Der Pilgrim dankte den beiden Freunden herzlich , daß sie ihm geholfen , den armen Verwundeten zu pflegen , sie machten in der Eile eine Trage von Zweigen und Blättern , worauf sie ihn legten und so abwechselnd trugen .
Der Ritter erholte sich bald , so daß er bat , sie möchten diese Mühe unterlassen ; er versuchte es , auf die Füße zu kommen , und es gelang ihm , daß er sich mit einiger Beschwerlichkeit und langsam fortbewegen konnte , die übrigen führten und unterstützten ihn .
Der Ritter erkannte Franz und Rudolph ebenfalls , er gestand , daß er derselbe sei , den sie neulich in einer Verkleidung getroffen .
Der Pilgrim erzählte , daß er nach Loreto wallfahrte , um ein Gelübde zu bezahlen , das er in einem Sturm auf der See getan .
Es wurde dunkel , als sie immer tiefer in den Wald hineingerieten und kaum noch den Weg bemerken konnten .
Franz und Rudolph riefen laut , um jemand herbeizulocken , der ihnen raten , der sie aus der Irre führen könne , aber vergebens , sie hörten nichts als das Echo ihrer eigenen Stimme .
Endlich war es , als wenn sie durch die Verworrenheit der Gebüsche ein fernes Glöcklein vernähmen , und sogleich richteten sie nach diesem Schalle ihre Schritte .
Der Pilger insonderheit war sehr ermüdet , und wünschte einen Ruheplatz anzutreffen , er gestand es ungern , daß ihn sein übereiltes Gelübde schon oft gereut habe , daß er es aber nun schuldig sei zu bezahlen , um Gott nicht zu irren .
Er seufzte fast bei jedem Schritte , und der Ritter konnte es nicht unterlassen , so ermüdet er selber war , bisweilen über ihn zu spotten .
Franz und Rudolph sangen Lieder , um die Ermüdeten zu trösten und anzufrischen , sehnten sich aber auch herzlich nach einer ruhigen Herberge .
Jetzt sahen sie ein Licht ungewiß durch die Zweige schimmern , und die Hoffnung von allen wurde gestärkt , das Glöcklein ließ sich von Zeit zu Zeit wieder hören , und viel vernehmlicher .
Sie glaubten sich in der Nähe eines Dorfs zu befinden , als sie aber noch eine Weile gegangen waren , standen sie vor einer kleinen Hütte , in der ein Licht brannte , das ihnen entgegenglänzte , ein Mann saß darin , und las mit vieler Aufmerksamkeit in einem Buche , ein großer Rosenkranz hing an seiner Seite , über der Hütte war eine Glocke angebracht , die er abwechselnd anzog , und die den Schall verursacht hatte .
Er erstaunte , als er von der Gesellschaft in seinen Betrachtungen gestört wurde , doch nahm er alle sehr freundlich auf .
Er bereitete schnell aus Kräutern einen Saft , mit dem er die Wunde des Ritters verband , wonach dieser sogleich Linderung spürte , und zum Schlafe geneigt war .
Auch Franz war müde , der Pilgrim war schon in einem Winkel des Hauses eingeschlafen , nur Rudolph blieb munter , und verzehrte einiges von den Früchten , Brot und Honig , das der Einsiedler aufgetragen hatte .
" Ihr seid in meiner Einsamkeit willkommen " , sagte dieser zu Florestan , " und es ist mein tägliches Gebet zu Gott , daß er mir Gelegenheit geben möge , zuweilen einiges Gute zu tun , und so ist sie mir denn heute wider Erwarten gekommen .
Sonst bringe ich meine Zeit mit Andacht und Beten zu , auch lasse ich nach gewissen Gebeten immer mein Glöcklein erschallen , damit die Hirten und Bauern im Walde , oder die Leute im nächsten Dorfe wissen mögen , daß ich munter bin und für sie dem Herrn danke , das einzige , was ich zur Vergeltung für ihre Wohltaten zu tun imstande bin . "
Rudolph blieb mit dem Einsiedler noch lange munter , sie sprachen allerhand , doch ließ sich der Alte nicht zu lange von seinen vorgesetzten Gebeten abwendig machen , sondern wiederholte sie während ihrer Erzählung :
Franz hörte im Schlummer die beiden miteinander sprechen , dann zuweilen das Glöcklein klingen , den Gesang des Alten , und es dünkte ihm unter seinen Träumen alles höchst wunderbar .
Gegen Morgen schlief Rudolph auch ein , so viele Mühe er sich auch gab , wach zu bleiben .
Das Morgenrot brach liebreich herauf , und schimmerte erst an den Baumwipfeln , an den hellen Wolken , dann sah man die ersten Strahlen der Sonne durch den Wald leuchten .
Die Vögel wurden rege , die Lerchen jubelten aus den Wolken herab , der Morgenwind schüttelte die Zweige .
Die Schläfer wurden nach und nach wieder wach : der Ritter fühlte sich gestärkt und munter , der Einsiedler versicherte , daß seine Wunde nichts zu bedeuten habe .
Franz und Rudolph machten einen Spaziergang durch den Wald , wo sie eine Anhöhe erstiegen und sich niedersetzten .
" Sind die Menschen nicht wunderlich ? " fing Florestan an , " dieser Pilgrim kreuzt durch die Welt , verläßt sein geliebtes Weib , wie er uns selber erzählt hat , um Gott zu Gefallen die Kapelle zu Loreto zu besuchen .
Der Einsiedler hat mir in der Nacht seine ganze Geschichte erzählt :
er hat die Welt auf immer verlassen , weil er unglücklich geliebt hat , das Mädchen , das ihn entzückte , hat sich einem anderen ergeben , und darum will er nun sein Leben in der Einsamkeit beschließen , mit seinem Rosenkranze , Buche und Glocke beschäftigt . "
Franz dachte an das Bildnis , an den Tod seiner Geliebten , und sagte seufzend :
" Oh , laß ihn , denn ihm ist wohl , tadle nicht zu strenge die Glückseligkeit anderer Menschen , weil sie nicht die deinige ist .
Wenn er wirklich geliebt hat , was kann er nun noch in der Welt wollen ?
In seiner Geliebten ist ihm die ganze Welt abgestorben , nun ist sein ganzes Leben ein ununterbrochenes Andenken an sie , ein immerwährendes Opfer , das er der Schönsten bringt .
Ja , seine Andacht vermischt sich mit seiner Liebe , seine Liebe ist seine Religion , und sein Herz bleibt rein und geläutert .
Sie strahlt ihm wie Morgensonne in sein Gedächtnis - kein gewöhnliches Leben hat ihr Bild entweiht , und so ist sie ihm Madonna , Gefährtin und Lehrerin im Gebet .
Oh , mein Freund , in manchen Stunden möchte ich mich so , wie er , der Einsamkeit ergeben , und von Vergangenheit und Zukunft Abschied nehmen .
Wie wohl würde mir das Rauschen des Waldes tun , die Wiederkehr der gleichförmigen Tage , der ununterbrochene leise Fluß der Zeit , der mich so unvermerkt ins Alter hineintrüge , jedes Rauschen ein andächtiger Gedanke , ein Lobgesang .
Müssen wir uns denn nicht doch einst von allem irdischen Glücke trennen ?
Was ist dann Reichtum und Liebe und Kunst ?
Die edelsten Geister haben müssen Abschied nehmen , warum sollen es die schwächeren nicht schon früher tun , um sich einzulernen ? "
Florestan verwunderte sich über seinen Freund , doch bezwang er diesmal seinen Mutwillen , und antwortete mit keinem Scherze , weil Franz zu ernstlich gesprochen hatte .
Er vermutete im Herzen Sternbalds einen geheimen Kummer , er gab ihm daher schweigend die Hand , und Arm in Arm gingen sie herzlich zur Hütte des armen Klausners zurück .
Der Ritter stand angekleidet vor der Tür .
Die Röte war auf seine Wangen zurückgekommen und sein Gesicht glänzte im Sonnenschein , seine Augen funkelten freundlich , er war ein schöner Mann .
Der Pilgrim und der Einsiedler hatten sich zu einer Andachtsübung vereinigt , und saßen in tiefsinnigen Gebeten im kleinen Hause .
Die drei setzten sich im Grase nieder , und Rudolph faßte die Hand des Fremden und sagte mit lachendem Gesicht .
" Herr Ritter , Ihr dürft es mir wahrlich nicht verargen , wenn ich nun meine Neugier nicht mehr bezähmen kann , Ihr seid überdies auch ziemlich wiederhergestellt , so daß Ihr wohl die Mühe des Erzählens über Euch nehmen könnt .
Ich und mein Freund haben Euer Bildnis in dem Schlosse einer schönen Dame angetroffen , sie hat uns vertraut , wie sie mit Euch verbunden ist , Ihr könnt kein anderer sein , Ihr dürft also gegen uns nicht weiter rückhalten . "
" Ich will es auch nicht " , sagte der junge Ritter , " schon neulich , als ich Euch sah , faßte ich ein recht herzliches Vertrauen zu Euch und Eurem Freunde Sternbald , daher will ich Euch recht gern erzählen , was ich selber von mir weiß , denn noch nie habe ich mich in solcher Verwirrung befunden .
Ich bedinge es mir aber aus , daß Ihr niemand von dem etwas sagt , was ich jetzt erzählen werde ; Ihr dürft darum keine seltsamen Geheimnisse erwarten , sondern ich bitte Euch bloß darum , weil ich nicht weiß , in welche Verlegenheiten mich etwa künftig Euer Mangel an Verschwiegenheit setzen dürfte .
Wißt also , daß ich kein Deutscher bin , sondern ich bin aus einer edlen italienischen Familie entsprossen , mein Name ist Roderigo .
Meine Eltern gaben mir eine sehr freie Erziehung , mein Vater , der mich übermäßig liebte , sah mir in allen Wildheiten nach , und als ich daher älter wurde und er mit seinem guten Rate nachkommen wollte , war es natürlich , daß ich auf seine Worte gar nicht achtete .
Seine Liebe zu mir erlaubte ihm aber nicht , zu strengeren Mitteln als gelinden Verweisen seine Zuflucht zu nehmen , und darüber wurde ich mit jedem Tage wilder und ausgelassener .
Er konnte es nicht verbergen , daß er über meine unbesonnenen Streiche mehr Vergnügen und Zufriedenheit als Kummer empfand , und das machte mich in meinem seltsamen Lebenslaufe nur desto sicherer .
Er war selbst in seiner Jugend ein wilder Bursche gewesen , und dadurch hatte er eine Vorliebe für solche Lebensweise behalten , ja er sah in mir nur seine Jugend glänzend wieder aufleben .
Was mich aber mehr als alles übrige bestimmte und begeisterte , war ein junger Mensch von meinem Alter , der sich Ludovico nannte , und bald mein vertrautester Freund wurde .
Wir waren unzertrennlich , wir streiften in Romanien , Kalabrien und Oberitalien umher , denn die Reisesucht , das Verlangen , fremde Gegenden zu sehen , das in uns beiden fast gleich stark war , hatte uns zuerst aneinandergeknüpft .
Ich habe nie wieder einen so wunderbaren Menschen gesehen , als diesen Ludovico , ja ich kann wohl sagen , daß mir ein solcher Charakter auch vorher in der Imagination nicht als möglich vorgekommen war .
Immer ebenso heiter als unbesonnen , auch in der verdrießlichsten Lage fröhlich und voll Mut : jede Gelegenheit ergriff er , die ihn in Verwirrung bringen konnte , und seine größte Freude bestand darin , mich in Not oder Gefahr zu verwickeln , und mich nachher steckenzulassen .
Dabei war er so unbeschreiblich gutmütig , daß ich niemals auf ihn zürnen konnte .
So vertraut wir miteinander waren , hat er mir doch niemals entdeckt , wer er eigentlich sei , welcher Familie er angehöre , sooft ich ihn darum fragte , wies er mich mit der Antwort zurück : daß mir dergleichen völlig gleichgültig bleiben müsse , wenn ich sein wirklicher Freund sei .
Oft verließ er mich wieder auf einige Wochen , und schwärmte für sich allein umher , dann erzählten wir uns unsere Abenteuer , wenn wir uns wiederfanden . "
" So gibt es doch noch so vernünftige Menschen in der Welt ! " fiel Rudolph heftig aus , " wahrlich , das macht mir ganz neue Lust , in meinem Leben auf meine Art weiterzuleben !
Oh , wie freut es mich , daß ich Euch habe kennen lernen , fahrt um Gottes Willen in Eurer vortrefflichen Erzählung fort ! "
Der Ritter lächelte über diese Unterbrechung , und fuhr mit folgenden Worten fort :
" Es war fast kein Stand , keine Verkleidung zu erdenken , in der wir nicht das Land durchstreift hätten , als Bauern , als Bettler , als Künstler , oder wieder als Grafen zogen wir umher , als Spielleute musizierten wir auf Hochzeiten und Jahrmärkten , ja der mutwillige Ludovico verschmähte es nicht , zuweilen als eine artige Zigeunerin herumzuwandern , und den Leuten , besonders den hübschen Mädchen , ihr Glück zu verkündigen .
Von den lächerlichen Drangsalen , die wir oft überstehen mußten , so wie von den verliebten Abenteuern , die uns ergötzten , laßt mich schweigen , denn ich würde euch in der Tat ermüden . "
" Gewiß nicht " , sagte Rudolph , " aber macht es , wie es Euch gefällt , denn ich glaube selbst , Ihr würdet über die Mannigfaltigkeit Eurer Erzählungen müde werden . "
" Vielleicht " , sagte der Ritter .
" Von meinem Freunde glaubte ich heimlich , daß er seinen Eltern entlaufen sei , und sich nun auf gut Glück in der Welt herumtreibe .
Aber dann konnte ich wieder nicht begreifen , daß es ihm fast niemals an Gelde fehle , mit dem er verschwenderisch und unbeschreiblich großmütig umging .
Fast so oft er mich verließ , kam er mit einer reichen Börse zurück .
Unsere größte Aufmerksamkeit war auf die schönen Mädchen aus allen Ständen gerichtet ; in kurzer Zeit war unsere Bekanntschaft unter diesen außerordentlich ausgebreitet , wo wir uns aufhielten , wurden wir von den Eltern ungern gesehen , nicht selten wurden wir verfolgt , oft entgingen wir nur mit genauer Not der Rache der beleidigten Liebhaber , den Nachstellungen der Mädchen , wenn wir sie einer neuen Schönheit aufopferten .
Aber diese Gefährlichkeiten waren eben die Würze unseres Lebens , wir vermieden mit gutem Willen keine .
Die Reiselust ergriff meinen Freund oft auf eine so gewaltsame Weise , daß er weder auf die Vernunft , noch selber auf meine Einwürfe hörte , der ich doch Tor gern genug war .
Nachdem wir Italien genug zu kennen glaubten , wollte er plötzlich nach Afrika übersetzen .
Die See war von den Korsaren so beunruhigt , daß kein Schiff gern überfuhr , aber er lachte , als ich ihm davon erzählte , er zwang mich beinahe , sein Begleiter zu sein , und wir schifften mit glücklichem Winde fort .
Er stand auf dem Verdecke und sang verliebte Lieder , alle Matrosen waren ihm gut , jedermann drängte sich zu ihm , die afrikanische Küste lag schon vor uns .
Plötzlich entdeckten wir ein Schiff , das auf uns zusegelte , es waren Seeräuber .
Nach einem hartnäckigen Gefechte , in welchem mein Freund Wunder der Tapferkeit tat , wurden wir erobert und gefangen fortgeführt .
Ludovico verlor seine Munterkeit nicht , er verspottete meinen Kleinmut , und die Korsaren beteuerten , daß sie noch nie einen so tollkühnen Wagehals gesehen hätten .
» Was soll mir das Leben ? « sagte er dagegen in ihrer Sprache , die wir beide gelernt hatten , » heute ist es da , morgen wieder fort ; jedermann sei froh , so hat er seine Pflicht getan , keiner weiß , was morgen ist , keiner hat das Angesicht der zukünftigen Stunde gesehen .
Spotte über die Falten , über das Zürnen , das uns Saturn oft im Vorüberfliegen vorhält , der Alte wird schon wieder gut , er ist wacker , und lächelt endlich über seine eigene Verspottung , er bittet euch , wie Alte Kindern tun , nachher seine Unfreundlichkeit ab .
Heute mir , morgen dir : wer Glück liebt , muß auch sein Unglück willkommen heißen .
Das ganze Leben ist nicht der Sorge wert . «
So stand er mit seinen Ketten unter ihnen , und wahrlich !
ich vergaß über seinen Heldenmut mein eigenes Elend .
- Wir wurden ans Land gesetzt und als Sklaven verkauft : noch als wir getrennt wurden , nickte Ludovico mir ein freundliches Lebewohl zu .
Wir arbeiteten in zwei benachbarten Gärten , ich verlor in meiner Dürftigkeit , in dieser Unterjochung allen Mut , aber ich hörte ihn aus der Ferne seine gewöhnlichen Lieder singen , und wenn ich ihn einmal sah , war er so freundlich und vergnügt , wie immer .
Er tat gar nicht , als wäre etwas Besonderes vorgefallen .
Ich konnte innerlich über seinen Leichtsinn recht von Herzen böse sein , und wenn ich dann wieder sein lächelndes Gesicht vor mir sah , war aller Zorn verschwunden , alles vergessen .
Nach acht Wochen steckte er mir ein Briefchen zu , er hatte andere Christensklaven auf seine Seite gebracht , sie wollten sich eines Fahrzeugs bemächtigen und darauf entfliehen :
er meldete mir , daß er mich mitnehmen wolle , wenn dieser Vorsatz gleich seine Flucht um vieles erschwere ; ich solle den Mut nicht verlieren .
Ich verließ mich auf sein gutes Glück , daß uns der Vorsatz gelingen werde .
Wir kamen in einer Nacht am Ufer der See zusammen , wir bemächtigten uns des kleinen Schiffs , der Wind war uns anfangs günstig .
Wir waren schon tief ins Meer hinein , wir glaubten uns bald der italienischen Küste zu nähern , als sich mit dem Anbruche des Morgens ein Sturm erhob , der immer stärker wurde .
Ich riet , ans nächste Land zurückzufahren , um uns dort zu verbergen , bis sich der Sturm gelegt hätte , aber mein Freund war anderer Meinung , er glaubte , wir könnten dann von unseren Feinden entdeckt werden , er schlug vor , daß wir auf der See bleiben , und uns lieber der Gnade des Sturms überlassen sollten .
Seine Überredung drang durch , wir zogen alle Segel ein , und suchten uns so viel als möglich zu erhalten , denn wir konnten überzeugt sein , daß bei diesem Ungewitter uns niemand verfolgen würde .
Der Wind drehte sich , Sturm und Donner nahmen zu , das empörte Meer warf uns bald bis in die Wolken , bald verschlang uns der Abgrund .
Alle verließ der Mut , ich brach in Klagen aus , in Vorwürfe gegen meinen Freund .
Ludovico , der bis dahin unablässig gearbeitet und mit allen Elementen gerungen hatte , wurde nun zum ersten Male in seinem Leben zornig , er ergriff mich und warf mich im Schiffe zu Boden .
» Bist du , Elender « , rief er aus , » mein Freund , und unterstehst dich zu klagen , wie die Sklaven dort ?
Roderigo , sei munter und fröhlich , das Rat ich dir , wenn ich dir gewogen bleiben soll , denn wir können ins Teufels Namen nicht mehr als sterben ! «
Und unter diesen Worten setzte er mir mit derben Faustschlägen dermaßen zu , daß ich bald alle Besinnung verlor , und den Donner , die See und den Sturm nicht mehr vernahm .
Als ich wieder zu mir kam , sah ich Land vor mir , der Sturm hatte sich gelegt , ich lag in den Armen meines Freundes .
» Vergib mir « , sagte er leutselig , » wir sind gerettet , dort ist Italien , du hättest den Mut nicht verlieren sollen . «
- Ich gab ihm die Hand , und nahm mir im Herzen vor , den Menschen künftig zu vermeiden , der meinem Glücke und Leben gleichsam auf alle Weise nachstellte ; aber ich hatte meinen Vorsatz schon vergessen , noch ehe wir ans Land gestiegen waren , denn ich sah ein , daß er mein eigentliches Glück sei . "
Rudolph , der mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört hatte , konnte sich nun nicht länger halten , er sprang heftig auf , und rief : " Nun , bei allen Heiligen , Euer Freund ist ein wahrer Teufelskerl !
Wie lumpig ist alles , was ich erlebt habe , und worauf ich mir wohl manchmal etwas zugute tat , gegen diesen Menschen !
Ich muß ihn kennenlernen , wahrhaftig , und sollte ich nach dieser Seltenheit bis ans Ende der Welt laufen ! "
" Wenn er nur noch lebt " , antwortete Roderigo , " denn nun ist es schon länger als ein Jahr , daß ich ihn nicht gesehen habe .
Ich habe euch diesen Vorfall nur darum weitläufiger erzählt , um euch einigermaßen einen Begriff von seinem Charakter zu geben .
Meine Eltern priesen sich glücklich , als sie mich wiedersahen , aber Ludovico hatte mich bald wieder in neue Abenteuer verwickelt .
Ich wollte die Schweiz und Deutschland besuchen , er wollte ohne meine Gesellschaft eine andere Reise unternehmen , es war nichts Geringeres , als daß er nach Ägypten gehen wollte , die seltsamen uralten Pyramiden , das wunderbare Rote Meer , die Sandwüsten mit ihren Sphinxen , der fruchtbare Nil , diese Gegenstände , von denen man schon in der Kindheit so viel hört , waren es , die ihn dorthin riefen .
Unser Abschied war überaus zärtlich , er versprach mir , in einem Jahre nach Italien zurückzukommen ; ich nahm auf ebenso lange von meinen Eltern Urlaub , und trat meine Reise nach Deutschland an .
Ich fühlte mich ohne meinen Gefährten recht einsam und verlassen , der Mut wollte sich anfangs gar nicht einstellen , der mich sonst aufrecht gehalten hatte .
Die hohen Gebirge der Schweiz und in Tirol , die furchtbare Majestät der Natur , alles stimmte mich auf lange Zeit traurig , ich bereute es oft , ihm nicht wider seinen Willen gefolgt zu sein und an seinem Wahnsinne teilzunehmen .
Einigemal war ich im Begriff , zu meiner Familie zurückzukehren , aber die Sucht , ein fernes Land , fremde Menschen zu sehen , trieb mich wieder vorwärts , auch die Scham , einer Lebensart untreu zu werden , die bis dahin mein höchstes Glück ausgemacht hatte .
Ich will euch die einzelnen Vorfälle verschweigen , und mich zu der Begebenheit wenden , die Ursache ist , daß ihr mich hier angetroffen .
Nach manchen lustigen Abenteuern , nach manchen angenehmen Bekanntschaften langte ich in der Gegend des Schlosses an , wo ihr gekannt seid .
Ich saß auf einer Anhöhe und überdachte die Mannigfaltigkeiten meines Lebenslaufs , als eine fröhliche Jagdmusik mich aufmerksam machte .
Ein Zug von Jägern kam näher , in ihrer Mitte eine schöne Dame , die einen Falken auf der Hand trug ; die Einsamkeit , ihr schimmernder Anzug , alles trug dazu bei , sie ungemein reizend darzustellen .
Meine Sinne waren gefangengenommen , ich konnte die Augen nicht von ihr abwenden : alle Schönheiten , die ich sonst gesehen hatte , schienen mir gegen diese alltäglich , es war nicht dieser und jener Zug , der mich an ihr entzückte , nicht der Wuchs , nicht die Farbe der Wangen oder der Blick der Augen , sondern auf geheimnisvolle Weise alles dies zusammen .
Es war ein Gefühl in meinem Busen , das ich bis dahin noch nicht empfunden hatte , es durchdrang mich ganz , nur sie allein sah ich in der weiten Welt , jenseits ihres Besitzes lag kein Wunsch mehr in der Welt .
Ich suchte ihre Bekanntschaft , ich verschwieg ihr meinen Namen .
Ich fand sie meinen Wünschen geneigt , ich war auf dem höchsten Gipfel meiner Seligkeit .
Wie arm kam mir mein Leben bis dahin vor , wie entsagte ich allen meinen Schwärmereien !
Der Tag unserer Hochzeit war festgesetzt .
Oh , meine Freunde , ich kann euch nicht beschreiben , ich kann sie selber nicht begreifen , die wunderbare Veränderung , die nun mit mir vorging !
Ich sah ein bestimmtes Glück vor mir liegen , aber ich war an diesem Glücke festgeschmiedet :
wie wenn ich in Meeresstille vor Anker läge , und nun sähe , wie Mast und Segel vom Schiffe heruntergeschlagen würden , um mich hier , nur hier ewig festzuhalten .
» Oh , süße Reiselust ! « sagte ich zu mir selber , » geheimnisreiche Ferne , ich werde nun von euch Abschied nehmen und eine Heimat dafür besitzen !
Lockt mich nicht mehr weit weg , denn alle eure Töne sind vergeblich , ihr ziehenden Vögel , du Schwalbe mit deinen lieblichen Gesängen , du Lerche mit deinen Reiseliedern !
Keine Städte , keine Dörfer werden mir mehr mit ihren glänzenden Fenstern entgegenblicken , und ich werde nun nicht mehr denken :
Welche weibliche Gestalt steht dort hinter den Vorhängen , und sieht mir den Berg herauf entgegen ?
Bei keinem fremden liebreizenden Gesichte darf mir nun mehr einfallen :
Wir werden bekannter miteinander werden , dieser Busen wird vielleicht am meinigen ruhn , diese Lippen werden vielleicht mit meinen Küssen vertraut sein . «
Mein Gemüt wurde hin- und zurückgezogen , häusliche Heimat , rätselhafte Fremde ; ich stand in der Mitte , und wußte nicht , wohin .
Ich wünschte , die Gräfin möchte mich weniger lieben , ein anderer möchte mich aus ihrer Gunst verdrängen , dann hätte ich sie zürnend und verzweifelt verlassen , um wieder umherzustreifen , und in den Bergen , im Talschatten , den frischen , lebendigen Geist wiederzusuchen , der mich verlassen hatte .
Aber sie hing an mir mit allem Feuer der ersten Liebe , sie zählte die Minuten , die ich nicht bei ihr zugebracht :
sie haderte mit meiner Kälte .
Noch nie war ich so geliebt , und die Fülle meines Glücks übertäubte mich .
Sehnsüchtig sah ich jedem Wandersmann nach , der auf der Landstraße vorüberzog ; » wie wohl ist dir « , sagte ich , » daß du dein ungewisses Glück noch suchst !
ich habe es gefunden ! «
Ich ritt aus , um mich zu sammeln .
Ich hielt mir in der Einsamkeit meinen Undank vor .
» Was willst du in der Welt als Liebe ? « so redete ich mich selber an ; » siehe , sie ist dir geworden , sei zufrieden , begnüge dich , du kannst nicht mehr erobern : was du in einsamen Abenden mit aller Sehnsucht des Herzens erwünschtest , wonach du in Wäldern jagtest , was die Bergströme dir entgegensangen , dies unnennbare Glück ist dir geworden , ist wirklich dein , die Seele , die du weit umher gesucht , ist dir entgegengekommen . «
Wie kam es , daß die Dörfer mit ihren kleinen Häusern so seltsam vor mir lagen ? daß mir jede Heimat zu enge und beschränkt dünkte ?
Das Abendrot schien in die Welt hinein , da ritt ich vor einem niedrigen Bauernhause vorbei , auf dem Hofe stand ein Brunnen , davor war ein Mägdlein , das sich bückte , den schweren gefüllten Eimer heraufzuziehen .
Sie sah zu mir herauf , indem ich stillhielt , der Abendschein lag auf ihren Wangen , ein knappes Mieder schloß sich traulich um den schönen vollen Busen , dessen genaue Umrisse sich nicht verbergen ließen .
» Wer ist sie ? « sagte ich zu mir , » warum hat sie dich betrachtet ? «
Ich grüßte , sie dankte und lächelte .
Ich ritt fort , und rettete mich in die Dämmerung des Waldes hinein :
mein Herz klopfte , als wenn ich dem Tode entgegenginge , als mir die Lichter aus dem Schlosse entgegenglänzten .
» Sie wartet auf dich « , sagte ich zu mir , » freundlich hat sie das Abendessen bereitet , sie sorgt , daß du müde bist , sie trocknet dir die Stirn .
Nein , ich liebe sie « , rief ich aus , » wie sie mich liebt . «
In der Nacht tönte der Lauf der Bergquellen in mein Ohr , die Winde rauschten durch die Bäume , der Mond stieg herauf und ging wieder unter : alles , die ganze Natur in freier , willkürlicher Bewegung , nur ich war gefesselt .
Die Sonne war noch nicht aufgegangen , als ich wieder durch das Dorf ritt , es traf sich , daß das Mädchen wieder am Brunnen stand :
ich war meiner nicht mehr mächtig .
Ich stieg vom Pferde , sie war ganz allein , sie antwortete so freundlich auf alle meine Fragen , ich war in meinem Leben zum erstenmal mit einem Weibe verlegen , ich machte mir Vorwürfe , ich wußte nicht , was ich sprach .
Neben der Tür des Hauses war eine dichte Laube , wir setzten uns nieder ; die schönsten blauen Augen sahen mich an , ich konnte den frischen Lippen nicht widerstehen , die zum Kuß einluden , sie war nicht strenge gegen mich , ich vergaß die Stunde .
Nachdenkend ritt ich zurück , ich wußte nun bestimmt , daß ich in dieser Einschränkung , in der Ehe mit der schönen Gräfin nicht glücklich sein würde .
Ich hatte es sonst oft belacht , daß man mit dem gewechselten Ringe die Freiheit fortschenkte , jetzt erst verstand ich den Sinn dieser Redensart .
Ich vermied die Gräfin , ihre Schönheit lockte mich wieder an , ich verachtete mich , daß ich zu keinem Entschluss kommen konnte .
Der Hochzeitstag war indes ganz nahe herangerückt , meine Braut machte alle Anstalten , ich hörte immer schon von den künftigen Einrichtungen sprechen ; mein Herz schlug mir bei jedem Worte .
Man erzählt , daß man vor dem letzten Unglück des Markus Antonius wunderbare Töne wie von Instrumenten gehört habe , wodurch sein Schutzgott Herkules von ihm Abschied genommen :
so hört ich in jedem Lerchengesange , in jedem Klang einer Trompete , jeglichen Instruments das Glück , das mir seinen Abschied wehmütig zurief .
Immer lag mir die gründämmernde Laube im Sinne , das blaue Auge , der volle Busen .
Ich war entschlossen .
» Nein , Ludovico « , rief ich aus , » ich will dir nicht untreu werden , du sollst mich nicht als Sklave wiederfinden , nachdem du mich von der ersten Kette losgemacht hast .
Soll ich ein Ehemann werden , weil ich liebte ?
Seltsame Folge ! «
Ich nahm Abschied von ihr , ich versteckte mich in die Kleidung eines Mönchs , so streifte ich umher , und so traf ich auf jenen Bildhauer Bolz , der eben aus Italien zurückkam .
Ich glaubte in ihm einige Züge von meinem Freunde anzutreffen , und entdeckte ihm meine seltsame Leidenschaft .
Er wurde mein Begleiter .
Wie genau lernte ich nun Laube , Haus und Garten meiner Geliebten kennen !
Wie oft saßen wir da in den Nachtstunden Arm in Arm geschlungen , indem uns der Vollmond ins Gesicht schien !
In der Kleidung eines gemeinen Bauern machte ich auch mit den Eltern Bekanntschaft , und schmeckte nun nach langer Zeit wieder die Süßigkeiten meiner sonstigen Lebensweise .
Dann brach ich plötzlich wieder auf ; nicht weit von hier wohnt ein schönes Mädchen , die die Eltern dem Kloster bestimmt haben , sie beweint ihr Schicksal .
Ich war bereit , sie in dieser Nacht zu entführen ; ich vertraute dem Gefährten meinen Plan , dieser Tückische , der sie anbetet , lockt mich hierher in den dichten Wald , und versetzt mir heimlich diese Wunde .
Darauf verließ er mich schnell .
Seht , das ist meine Geschichte .
Unaufhörlich schwebt das Bild der Gräfin nun vor meinen Augen .
Soll ich sie lassen ? kann ich sie wiederfinden ? soll ich einem Wesen mein ganzes Leben opfern ? " Franz sagte :
" Eure Geschichte ist seltsam , die Liebe heilt Euch vielleicht einmal , daß Ihr Euch in der Beschränkung durchaus glücklich fühlt , denn noch habt Ihr die Liebe nicht gekannt . "
" Du bist zu voreilig , mein Freund " , sagte Florestan , " nicht alle Menschen sind wie du , und genau genommen , weißt du auch noch nicht einmal , wie du beschaffen bist . "
Der Einsiedler kam , um nach der Wunde des Ritters zu sehen , die sich sehr gebessert hatte .
Franz Sternbald suchte den Ritter wieder auf , nachdem Florestan ihn verlassen hatte , und sagte : " Ihr seid vorher gegen meinen Freund so willfährig gewesen , daß Ihr mich dreist gemacht habt , Euch um die Geschichte jenes alten Mannes zu bitten , dessen Ihr an dem Morgen erwähntet , als wir uns hinter Straßburg trafen . "
" So viel ich mich erinnern kann " , sagte der Ritter , " will ich Euch erzählen .
- Auf einer meiner einsamen Wanderungen kam ich in ein Gehölz , das mich bald zu zwei einsamen Felsen führte , die sich wie zwei Tore gegenüberstanden .
Ich bewunderte die seltsame Symmetrie der Natur , als ich auf einen schönen Baumgang aufmerksam wurde , der sich hinter den Felsen eröffnete .
Ich ging hindurch , und fand einen weiten Platz , durch den die Allee von Bäumen gezogen war , ein schöner heller Bach floß auf der Seite , Nachtigallen sangen , und eine schöne Ruhe lud mich ein , mich niederzusetzen und auf das Plätschern einer Fontäne zu hören , die aus dichtem Gebüsche herausplauderte .
Ich saß eine Weile , als mich der liebliche Ton einer Harfe aufmerksam machte , und als ich mich umsah , wurde ich die Büste Ariosts gewahr , die über einem kleinen Altar erhaben stand , unter dieser spielte ein schöner Jüngling auf dem Instrumente . "
- Hier wurde die Erzählung des Ritters durch einen sonderbaren Vorfall unterbrochen .
Viertes Buch Erstes Kapitel Erstes Kapitel In der Klause entstand ein Geräusch und Gezänk , gleich darauf sah man den Eremiten und Pilgrim beide erhitzt heraustreten , aus dem Walde kam ein großer ansehnlicher Mann , auf den Roderigo sogleich hinzueilte , und ihn in seine Arme schloß .
" Oh , mein Ludovico ! " rief er aus , " bist du wieder da ?
Wie kommst du hierher ? geht es dir wohl ? bist du noch wie sonst mein Freund ? "
Jener konnte vor dem Entzücken Roderigos immer noch nicht zu Worte kommen , indessen die heiligen Männer in ihrem eifrigen Gezänk fortfuhren .
Da Florestan den Namen Ludovico nennen hörte , verließ er auch Sternbald , und eilte zu den beiden , indem er aufrief : " Gott sei gedankt , wenn Ihr Ludovico seid !
Ihr seid uns hier in der Einsamkeit unaussprechlich willkommen ! "
Ludovico umarmte seinen Freund , indem Sternbald voller Erstaunen verlassen dastand , dann sagte er lustig :
" Mich freut es , dich zu sehen , aber wir müssen doch dort die streitenden Parteien auseinanderbringen . "
Als sie den fremden schönen Mann auf sich zukommen sahen , der ganz so tat , als wenn es seine Sache sein müßte , ihren Zwist zu schlichten , ließen sie freiwillig voneinander ab .
Sie waren von der edlen Gestalt wie bezaubert , Roderigo war vor Freude trunken , seinen Freund wieder zu besitzen , und Florestan konnte kein Auge von ihm verwenden .
" Was haben die beiden heiligen Männer gehabt ? " fragte Ludovico .
Der Eremit fing an , seinen Unstern zu erzählen .
Der Pilger sei derselbe , der seine Geliebte geheiratet habe , diese Entdeckung habe sich unvermutet während ihrer Gebete hervorgetan , er sei darüber erbittert worden , daß er nun noch zum Überfluß seinem ärgsten Feinde Herberge geben müßte .
Der Pilgrim verantwortete sich dagegen : daß es seine Schuld nicht sei , daß jener gegen die Gastfreiheit gehandelt und ihn mit Schimpfreden überhäuft habe .
Ludovico sagte : " Mein lieber Pilger , wenn dir die Großmut recht an die Seele geheftet ist , so überlaße jenem eifrigen Liebhaber deine bisherige Frau , und bewohne du seine Klause .
Vielleicht , daß er sich bald hierher zurücksehnt , und du dann gewiß nicht zum zweiten Male den Tausche eingehen wirst . "
Rudolph lachte laut über den wunderlichen Zank und über diese lustige Entscheidung .
Franz aber erstaunte , daß Einsiedler , heilige Männer so unheiligen und gemeinen Leidenschaften , als dem Zorne , Raum verstatten könnten .
Der Pilgrim war gar nicht Willens , seine Frau zu verlassen , um ein Waldbruder zu wer den , der Eremit schämte sich seiner Heftigkeit .
Alle Parteien waren ausgesöhnt , und sie setzten sich mit friedlichen Gemütern an das kleine Mittagsmahl .
" Du hast dich gar nicht verändert " , sagte Roderigo .
" Und muß man sich denn immer verändern ? " rief Ludovico aus ; " nein , auch Ägypten mit seinen Pyramiden und seiner heißen Sonne kann mir nichts anhaben .
Nichts ist lächerlicher , als die Menschen , die mit ernsthafteren Gesichtern zurückkommen , weil sie etwa entfernte Gegenden gesehen haben , alte Gebäude und wunderliche Sitten .
Was ist es denn nun mehr ?
Nein , mein Roderigo , hüte dich vor dem Anderswerden , denn an den meisten Menschen ist die Jugend noch das Beste , und was ich habe , ist mir auf jeden Fall lieber , als was ich erst bekommen soll .
Eine Wahrheit , die nur bei einer Frau eine Ausnahme leidet .
Nicht wahr , mein lieber Pilgrim ?
Du selbst kommst mir aber etwas anders vor . "
" Und wie steht es denn in Ägypten ? " fragte Florestan , der gern mit dem seltsamen Fremden bekannter werden wollte .
" Die alten Sachen stehen noch immer am alten Fleck " , sagte jener , " und wenn man dort ist , vergißt man , daß man sich vorher darüber verwundert hat .
Man ist dann so eben und gewöhnlich mit sich und allem außer sich , wie mir hier im Walde ist .
Der Mensch weiß nicht , was er will , wenn er Sehnsucht nach der Fremde fühlt , und wenn er dort ist , hat er nichts .
Das Lächerlichste an mir ist , daß ich nicht immer an demselben Orte bleibe . "
" Habt Ihr die seltsamen Kunstsachen in Augenschein genommen ? " fragte Franz bescheiden .
" Was mir vor die Augen getreten ist " , sagte Ludovico , " habe ich ziemlich genau betrachtet .
Die Sphinxen sehen unsereins mit gar wunderlichen Auen an , sie stehen aus dem fernen Altertum gleichsam spöttisch da , und fragen :
» Wo bist du her ? was willst du hier ? «
Ich habe in ihrer Gegenwart meiner Tollkühnheit mich mehr geschämt , als wenn vernünftige Leute mich tadelten , oder andere mittleren Alters mich lobten . "
" Oh , wie gern möchte ich Euer Gefährte gewesen sein ! " rief Franz aus , " die Gegenden wirklich und wahrhaftig zu sehen , die schon in der Imagination unserer Kindheit vor uns stehen , die Örter zu besuchen , die gleichsam die Wiege der Menschheit sind .
Nun dem wunderbaren Laufe des alten Nils zu folgen , von Ruinen in fremder , schauerlicher , halbverständlicher Sprache angeredet zu werden , Sphinxen im Sande , die hohen Pyramiden , Memnons wundersame Bildsäule , und immer das Gefühl der alten Geschichten mit sich herumzutragen , noch einzelne lebende Laute aus der längst entflohenen Heldenzeit zu vernehmen , übers Meer nach Griechenland hinüberzublicken , zu träumen , wie die Vorwelt aus dem Staube sich wieder emporgearbeitet , wie wieder griechische Flotten landen - Oh , alles das in unbegreiflicher Gegenwart nun vor sich zu haben , könnt Ihr gegen Euer Glück wirklich so undankbar sein ? "
- " Ich bin es nicht " , sagte Ludovico , " und mir sind diese Empfindungen auch oft auf den Bergen , an der Seeküste durch die Brust gegangen .
Oft faßte ich aber auch eine Handvoll Sand , und dachte : » Warum bist du nun so mühsam , mit so mancher Gefahr , so weit gereist , um dies Teilchen Erde zu sehen , das Sage und Geschichte dir nun so lange nennt ?
Ist denn die übrige Erde jünger ?
Darfst du dich in deiner Heimat nicht verwundern ?
Sieh die ewigen Felsen dort an , den Ätna in Sizilien , den alten Schlund der Charybdis .
Und mußt du dich verwundern , um glücklich zu sein ? «
- Ich sagte dann zu mir selber :
» Tor !
Tor ! « und wahrlich , ich verachtete in eben dem Augenblicke den Menschen , der diese Torheit nicht mit mir hätte begehen können . "
Unter mancherlei Erzählungen verstrich auch dieser Tag , der Einsiedel sagte oft : " Ich begreife nicht , wie ich in eurer Gesellschaft bin , ich bin wohl und sogar lustig , ja meine Lebensweise ist mir weniger angenehm , als bisher .
Ihr steckt uns alle mit der Reisesucht an ; ich glaubte über alle Torheiten des Lebens hinüber zu sein , und ihr weckt eine neue Lust dazu in mir auf . "
Am folgenden Morgen nahmen sie Abschied ; der Pilgrim hatte sich mit dem Einsiedel völlig versöhnt , sie schieden als gute Freunde .
Ludovico führte den Zug an , die übrigen folgten ihm .
Auf dem Wege erkundigte sich Ludovico nach Sternbald und seinem Gefährten Florestan , er lachte über diesen oft , der sich alle Mühe gab , von ihm bemerkt zu werden , Sternbald war still , und begleitete sie in tiefen Gedanken .
Ludovico sagte zu Franz , als er hörte , dieser sei ein Maler :
" Nun , mein Freund , wie treibt Ihr es mit Eurer Kunst ?
Ich bin gern in der Gesellschaft von Künstlern , denn gewöhnlich sind es die wunderlichsten Menschen , auch fallen wegen ihrer seltsamen Beschäftigung alle ihre Launen mehr in die Augen , als bei anderen Leuten .
Ihr Stolz macht einen wunderlichen Kontrast mit ihrem übrigen Verhältnis im Leben , ihre poetischen Begeisterungen tragen sie nur zu oft in alle Stunden über , auch unterlassen sie es selten , die Gemeinheit ihres Lebens in ihre Kunstbeschäftigungen hineinzunehmen .
Sie sind schmeichelnde Sklaven gegen die Großen , und doch verachten sie alles in ihrem Stolze , was nicht Künstler ist .
Aus allen diesen Mißhelligkeiten entstehen gewöhnlich Charaktere , die lustig genug ins Auge fallen . "
Franz sagte beschämt :
" Ihr seid ein sehr strenger Richter , Herr Ritter . "
Ludovico fuhr fort :
" Ich habe noch wenige Künstler gesehen , bei denen man es nicht in den ersten Augenblicken bemerkt hätte , daß man mit keinen gewöhnlichen Menschen zu tun habe .
Fast alle sind unnötig verschlossen und zudringlich offenherzig .
Ich habe mich selbst zuweilen geübt , dergleichen Leute darzustellen , und es niemals unterlassen , diese Seltsamkeiten in das hellste Licht zu stellen .
Es fällt gewiß schwer , Mensch wie die übrigen zu bleiben , wenn man sein Leben damit zubringt , etwas zu tun und zu treiben , wovon ein jeder glaubt , daß es übermenschlich sei :
in jedem Augenblicke zu fühlen , daß man mit dem übrigen Menschengeschlechte eben nicht weiter zusammenhänge .
Diese Sterblichen leben nur in Tönen , in Zeichen , gleichsam in einem Luftreviere wie Feen und Kobolde , es ist nur scheinbar , wenn man sie glaubt die Erde betreten zu sehen . "
" Ihr mögt in einiger Hinsicht nicht Unrecht haben " , sagte Franz .
" Wer sich der Kunst ergibt " , sagte jener weiter , " muß das , was er als Mensch ist und sein könnte , aufopfern .
Was aber das schlimmste ist , so suchen jene Leute , die sich für Künstler wollen halten lassen , noch allerhand Seltsamkeiten und auffallende Torheiten zusammen , um sie recht eigentlich zur Schau zu tragen , als Orden oder Ordenskreuz , in Ermangelung dessen , damit man sie in der Ferne gleich erkennen soll , ja sie halten darauf mehr , als auf ihre wirkliche Kunst .
Hütet Euch davor , Herr Maler . "
" Man erzählt doch von manchem großen Manne " , sagte Franz , " der von dergleichen Torheiten frei geblieben ist . "
" Nennt mir einige " , rief Ludovico .
Sternbald sagte : " Zum Beispiel der edle Malergeist Raffael Sanzio von Urbin . "
" Ihr habt recht " , sagte der heftige Ritter , " und überhaupt " , fuhr er nach einem kleinen Nachdenken fort , " laßt Euch meine Rede nicht so sehr auffallen , denn sie braucht gar nicht so ganz wahr zu sein .
Ihr habt mich mit dem einzigen Namen beschämt und in die Flucht geschlagen , und alle meine Worte erscheinen mir nun wie eine Lästerung auf die menschliche Größe .
Ich bin selbst ein Tor , das wollen wir für ausgemacht gelten lassen . "
Roderigo sagte : " Du hast manche Seiten von dir selbst geschildert . "
" Mag sein " , sagte sein Freund , " man kann nichts Besseres und nichts Schlächters tun .
Laßt uns lieber von der Kunst selber sprechen .
Ich habe mir in vielen Stunden gewünscht , ein Maler zu sein . "
Sternbald fragte :
" Wie seid Ihr darauf gekommen ? "
" Erstlich " , antwortete der junge Ritter , " weil es mir ein großes Vergnügen sein würde , manche von den Mädchen so mit Farben vor mich hinzustellen , die ich wohl ehemals gekannt habe , dann mir andere noch schönere abzuzeichnen , die ich manchmal in glücklichen Stunden in meinem Gemüte gewahr werde .
Dann erleide ich auch zuweilen recht sonderbare Begeisterung , so daß mein Geist sehr heftig bewegt ist , dann glaube ich , wenn mir die Geschicklichkeit zu Gebote stände , ich würde recht wunderbare und merkwürdige Sachen ausarbeiten können .
Seht , mein Freund , dann würde ich einsame , schauerliche Gegenden abschildern , morsche zerbrochene Brücken über zwei schroffen Felsen , einem Abgrunde hinüber , durch den sich ein Waldstrom schäumend drängt : verirrte Wanderleute , deren Gewänder im feuchten Winde flattern , furchtbare Räubergestalten aus dem Hohlwege heraus , angefallene und geplünderte Wägen , Kampf mit den Reisenden . -
Dann wieder eine Gemsenjagd in einsamen , furchtbaren Felsenklippen , die kletternden Jäger , die springenden , gejagten Tiere von oben herab , die schwindelnden Abstürze .
Figuren , die oben auf schmalen überragenden Steinen Schwindel ausdrücken , und sich eben in ihren Fall ergeben wollen , der Freund , der jenen zu Hilfe eilt , in der Ferne das ruhige Tal .
Einzelne Bäume und Gesträuche , die die Einsamkeit nur noch besser ausdrücken , auf die Verlassenheit noch aufmerksamer ma chen . -
Oder dann wieder den Bach und Wassersturz , mit dem Fischer , der angelt , mit der Mühle , die sich dreht , vom Monde beschienen .
Ein Kahn auf dem Wasser , ausgeworfene Netze .
- Zuweilen kämpft meine Imagination , und ruht nicht und gibt sich nicht zufrieden , um etwas durchaus Unerhörtes zu ersinnen und zustande zu bringen .
Äußerst seltsame Gestalten würde ich dann hinmalen , in einer verworrenen , fast unverständlichen Verbindung , Figuren , die sich aus allen Tierarten zusammenfänden und unten wieder in Pflanzen endigten : Insekten und Gewürme , denen ich eine wundersame Ähnlichkeit mit menschlichen Charaktern aufdrücken wollte , so daß sie Gesinnungen und Leidenschaften possierlich und doch furchtbar äußerten ; ich würde die ganze sichtbare Welt aufbieten , aus jedem das Seltsamste wählen , um ein Gemälde zu machen , das Herz und Sinnen ergriffe , das Erstaunen und Schauder erregte , und wovon man noch nie etwas Ähnliches gesehen und gehört hätte .
Denn ich finde das an unserer Kunst zu tadeln , daß alle Meister ungefähr nach einem Ziele hinarbeiten , es ist alles gut und löblich , aber es ist immer mit wenigen Abänderungen das Alte . "
Franz war einen Augenblick stumm , dann sagte er :
" Ihr würdet auf eine eigene Weise das Gebiet unserer Kunst erweitern , mit wunderbaren Mitteln das Wunderbarste erringen , oder in Euren Bemühungen erliegen .
Eure Einbildung ist so lebhaft und lebendig , so zahlreich an Gestalt und Erfindung , daß ihr das Unmöglichste nur ein leichtes Spiel dünkt .
Oh , wie viel billigere Forderungen muß der Künstler aufgeben , wenn er zur wirklichen Arbeit schreitet ! "
Hier stimmte der Pilgrim plötzlich ein geistliches Lied an , denn es war nun die Tageszeit gekommen , an welcher er es nach seinem Gelübde absingen mußte .
Das Gespräch wurde unterbrochen , weil alle aufmerksam zuhörten , ohne daß eigentlich einer von ihnen wußte , warum er es tat .
Mit dem Schlusse des Gesanges traten sie in ein anmutiges Tal , in dem eine Herde weidete , eine Schalmei tönte herüber , und Sternbalds Gemüt wurde so heiter und mutig gestimmt , daß er von freien Stücken Florestans Schalmeilied zum Ergötzen der übrigen wiederholte ; als er geendigt hatte , stieg der mutwillige Ludovico auf einen Baum , und sang von oben in den Tönen einer Wachtel , eines Kuckucks und einer Nachtigall herunter .
" Nun haben wir alle unsere Pflicht getan , " sagte er , " jetzt haben wir es wohl verdient , daß wir uns ausruhen dürfen , wobei uns der junge Florestan mit einem Liede erquicken soll . "
Sie setzten sich auf den Rasen nieder , und Florestan fragte :
" Welcher Inhalt soll denn in meinem Liede sein ? "
" Welcher du willst " , antwortete Ludovico , " wenn es dir recht ist , gar keiner ; wir sind mit allem zufrieden , wenn es dir nur gemütlich ist , warum soll eben Inhalt den Inhalt eines Gedichts ausmachen ? "
Rudolph sang : " Durch den Himmel zieht der Vögel Zug , Sie sind auf Wanderschaft begriffen , Da hört man gezwitschert und gepfiffen Von Groß und Klein der Melodien genug .
Der Kleine singt mir feiner Stimme , Der Große krächzt gleich wie im Grimm Und einige stottern , andere schnarren , Und Drossel , Gimpel , Schwalbe , Staren .
Sie wissen alle nicht , was sie meinen , Sie wissen_es wohl und sagen es nicht , Und wenn sie auch zu reden scheinen , Ist ihr Gerede nicht von Gewicht .
- » Holla ! warum seid ihr auf der Reise ? «
- » Das ist nun einmal unsere Weise . «
- » Warum bleibt ihr nicht zu jeglicher Stunde ? «-- » Die Erde ist allenthalben rund . «
Auf die armen Lerchen wird Jagd gemacht , Die Schnepfen gar in Dohnen gefangen , Dort sind die Vöglein aufgehangen , An keine Rückfahrt mehr gedacht .
- » Ist das die Art mit uns zu sprechen ?
Uns armen Vögeln den Hals zu brechen ? «
- » Verständlich ist doch diese Sprache « , So ruft der Mensch , » sie dient zur Sache , In allen Natur die Sprache regiert , Daß eins mit dem anderen Kriege führt , Man dann am besten räsoniert und beweist , Wenn eins vom anderen wird aufgespeist :
Die Ströme sind im Meere verschlungen , Vom Schicksal wieder der Mensch bezwungen , Den tapfersten Magen hat die Zeit , Ihr nimmermehr ein Essen gereut , Doch wie von der Zeit eine alte Fabel besagt Macht auf sie das Jüngste Gericht einst Jagd .
Eine andere Speise gibt es nachher nicht , Heißt wohl mit Recht das letzte Gericht . « " Rudolph sang diese tollen Verse mit so lächerlichen Bewegungen , daß sich keiner des Lachens enthalten konnte .
Als der Pilgrim wieder ernsthaft war , sagte er sehr feierlich :
" Verzeiht mir , man wird unter euch wie ein Trunkener , wenn ihr mich noch lange begleitet , so wird aus meiner Pilgerschaft gleichsam eine Narrenreise . "
Man verzehrte auf der Wiese ein Mittagsmahl , das sie mitgenommen hatten , und Ludovico wurde nicht müde , sich bei Roderigo nach allerhand Neuigkeiten zu erkundigen .
Roderigo verschwieg , ob aus einer Art von Scham , oder weil er vor den beiden die Erzählung nicht wiederholen mochte , seine eigene Geschichte .
Er kam durch einen Zufall auf Luthern und die Reformation zu sprechen .
" Oh , schweige mir davon " , rief Ludovico aus , " denn es ist mir ein Verdruß zu hören .
Jedweder , der sich für klug hält , nimmt in unseren Tagen die Partei dieses Mannes , der es gewiß gut und redlich meint , der aber doch immer mit seinen Ideen nicht recht weiß , wo er hinaus will . "
" Ihr erstaunt mich ! " sagte Franz .
" Ihr seid ein Deutscher " , fuhr Ludovico fort , " ein Nürnberger , es nimmt mich nicht Wunder , wenn Ihr Euch der guten Sache annehmt , wie sie Euch wohl erscheinen muß .
Ich glaube auch , daß Luther einen wahrhaft großen Geist hat , aber ich bin ihm darum doch nicht gewogen .
Es ist schlimm , daß die Menschen nichts einreißen können , nicht die Wand eines Hofs , ohne gleich darauf Lust zu kriegen , ein neues Gebäude aufzuführen .
Wir haben eingesehn , daß Irren möglich sei , nun irren wir lieber noch jenseits , als in der geraden lieblichen Straße zu bleiben .
Ich sehe schon im voraus die Zeit kommen , die die gegenwärtige Zeit fast notwendig hervorbringen muß , wo ein Mann sich schon für ein Wunder seines Jahrhunderts hält , wenn er eigentlich nichts ist .
Ihr fangt an zu untersuchen , wo nichts zu untersuchen ist , ihr tastet die Göttlichkeit unserer Religion an , die wie ein wunderbares Gedicht vor uns daliegt , und nun einmal keinem anderen verständlich ist , als der sie versteht : hier wollt ihr ergrübeln und widerlegen , und könnt mit allem Trachten nicht weiter vorwärts dringen , als es dem Blödsinne auch gelingen würde , da im Gegenteil die höhere Vernunft sich in der Untersuchung wie in Netzen würde gefangen fühlen , und lieber die edle Poesie glauben , als sie den Unmündigen erklären wollen . "
" Oh , Martin Luther ! " seufzte Franz , " Ihr habt da ein kühnes Wort über ihn gesprochen . "
Ludovico sagte : " Es geht eigentlich nicht ihn an , auch will ich die Mißbräuche des Zeitalters nicht in Schutz nehmen , gegen die er vornehmlich eifert , aber mich dünkt doch , daß diese ihn zu weit führen , daß er nun zu ängstlich strebt , das Gemeine zu sondern , und darüber das Edelste mit ergreift .
Wie es den Menschen geht , seine Nachfolger mögen leicht ihn selber nicht verstehen , und so erzeugt sich statt der Fülle einer göttlichen Religion eine dürre vernünftige Leerheit , die alle Herzen schmachtend zurückläßt , der ewige Strom voll großer Bilder und kolossaler Lichtgestalten trocknet aus , die dürre gleichgültige Welt bleibt zurück und einzeln , zerstückt , und mit ohnmächtigen Kämpfen muß das wiedererobert werden , was verloren ist , das Reich der Geister ist entflohen , und nur einzelne Engel kehren zurück . "
" Du bist ein Prophet geworden " , sagte Roderigo , " seht , meine Freunde , er hat die ägyptische Weisheit heimgebracht . "
" Wie könnt Ihr nur " , sagte der Pilgrim , " so weise und so törichte Dinge in einem Atem sprechen und verrichten ?
Sollte man Euch diese frommen Gemütsbewegungen zutrauen ? "
- Rudolph stand auf und gab dem Ludovico die Hand , und sagte :
" Wollt Ihr mein Freund sein , oder mich fürs erste nur um Euch dulden , so will ich Euch begleiten , wohin Ihr auch geht , seid Ihr mein Meister , ich will Euer Schüler werden .
Ich opfere Euch jetzt alles auf , Braut und Vater und Geschwister . "
" Habt Ihr Geschwister ? " fragte Ludovico .
" Zwei Brüder " , antwortete Rudolph , " wir lieben uns von Kindesbeinen , aber seitdem ich Euch gesehen habe , fühle ich gar keine Sehnsucht mehr , Italien wiederzusehn . "
Ludovico sagte : " Wenn ich über irgend etwas in der Welt traurig werden könnte , so wäre es darüber , daß ich nie eine Schwester , einen Bruder gekannt habe .
Mir ist das Glück versagt , in die Welt zu treten , und Geschwister anzutreffen , die gleich dem Herzen am nächsten zugehören .
Wie wollte ich einen Bruder lieben , wie hätte ich ihm mit voller Freude begegnen , meine Seele in die seinige fest hineinwachsen wollen , wenn er schon meine Kinderspiele geteilt hätte !
Aber ich habe mich immer einsam gefunden , mein tolles Glück , mein wunderliches Landschwärmen sind mir nur ein geringer Ersatz für die Bruderliebe , die ich immer gesucht habe .
Zürne mir nicht , Roderigo , denn du bist mein bester Freund .
Aber wenn ich ein Wesen fände , in dem ich den Vater , sein Temperament , seine Launen wahrnähme , mit welchem Erschrecken der Freude und des Entzückens würde ich darauf zueilen und es in meine brüderlichen Arme schließen !
Mich selbst , im wahrsten Sinn , fände ich in einem solchen wieder .
- Aber ich habe eine einsame Kindheit verlebt , ich habe niemand weiter gekannt , der sich um mein Herz beworben hätte , und darum kann es wohl sein , daß ich keinen Menschen auf die wahre Art zu lieben verstehe , denn durch Geschwister lernen wir die Liebe , und in der Kindheit liebt das Herz am schönsten . -
So bin ich hartherzig geworden und muß mich nun selber dem Zufalle verspielen , um die Zeit nur hinzubringen .
Die schönste Sehnsucht ist mir unbekannt geblieben , kein brüderliches Herz weiß von mir und schmachtet nach mir , ich darf meine Arme nicht in die weite Welt hineinstrecken , denn es kommt doch keiner meinem schlagenden Herzen entgegen . "
Franz trocknete sich die Tränen ab , er unterdrückte sein Schluchzen .
Es war ihm , als drängte ihn eine unsichtbare Gewalt aufzustehn , die Hand des Unbekannten zu fassen , ihm in die Arme zu stürzen und auszurufen : " Nimm mich zu deinem Bruder an ! "
Er fühlte die Einsamkeit , die Leere in seinem eigenen Herzen , Ludovico sprach die Wünsche aus , die ihn so oft in stillen Stunden geängstigt hatten , er wollte seinen Klagen , seinem Jammer den freien Lauf lassen , als er wieder innerlich fühlte : Nein , alle diese Menschen sind mir doch fremd , er kann ja doch nicht mein Bruder werden , und vielleicht würde er nur meine Liebe verspotten .
Unter allerhand Liedern , gegen die der andächtige Gesang des Pilgers wunderlich abstach , gingen sie weiter .
Roderigo sagte : " Mein Freund , du hast nun ein paarmal deines Vaters erwähnt , willst du mir nicht endlich einmal seinen Namen sagen ? "
" Und wißt Ihr denn nicht " , fiel Rudolph hastig ein , " daß Euer Freund dergleichen Fragen nicht liebt ?
Wie könnt Ihr ihn nur damit quälen ? "
" Du kennst mich schon besser , als jener " , sagte Ludovico , " ich denke , wir sollen gute Kameraden werden .
Aber warum ist dein Freund Sternbald so betrübt ? "
Sternbald sagte : " Soll ich darüber nicht trauern , daß der Mensch mich nun verläßt , mit dem ich so lange gelebt habe ?
Denn ich muß nun doch meine Reise fortsetzen , ich habe mich nur zu lange aufhalten lassen .
Ich weiß selbst nicht , wie es kommt , daß ich meinen Zweck fast ganz und gar vergesse . "
" Man kann seinen Zweck nicht vergessen " , fiel Ludovico ein , " weil der vernünftige Mensch sich schon so einrichtet , daß er gar keinen Zweck hat .
Ich muß nur lachen , wenn ich Leute so große Anstalten machen sehe , um ein Leben zu führen , das Leben ist dahin , noch ehe sie mit den Vorbereitungen fertig sind . "
Unter solchen Gesprächen zogen sie wie auf einem Marsche über Feld , Rudolph ging voran , indem er auf seiner Pfeife ein munteres Lied blies , seine Bänder flogen vom Hute in der spielenden Luft , in seiner Schärpe trug er einen kleinen Säbel .
Ludovico war noch seltsamer gekleidet ; sein Gewand war hellblau , ein schönes Schwert hing an einem zierlich gewirkten Bandelier über seine Schulter , eine goldene Kette trug er um den Hals , sein braunes Haar war lockig .
Roderigo folgte in Rittertracht , neben dem der Pilgrim mit seinem Stabe und einfachen Anzuge gut kontrastierte .
Sternbald glaubte oft einen seltsamen Zug auf einem alten Gemälde anzusehen .
Es war gegen Abend , als sie alle sehr ermüdet waren , und noch ließ sich keine Stadt , kein Dorf antreffen .
Sie wünschten wieder einen gutmütigen stillen Einsiedel zu finden , der sie bewirtete , sie horchten , ob sie nicht Glockenschall vernähmen , aber ihre Bemühung war ohne Erfolg .
Ludovico schlug vor , im Walde das Nachtlager aufzuschlagen , aber alle , außer Florestan , waren dagegen , der die größte Lust bezeigte , sein Handwerk als Abenteurer recht sonderbar und auffallend anzufangen .
Der Pilgrim glaubte , daß sie sich verirrt hätten , und daß alles vergebens sein würde , bis sie den rechten Weg wieder angetroffen hätten .
Rudolph wollte den längeren Streit nicht mit anhören , sondern blies mit seiner Pfeife dazwischen :
alle waren in Verwirrung , und sprachen durcheinander , jeder tat Vorschläge , und keiner wurde gehört .
Während des Streites zogen sie in der größten Eile fort , als wenn sie vor jemand flöhen , so daß sie in weniger Zeit eine große Strecke Weges zurücklegten .
Der Pilgrim sank endlich fast atemlos nieder , und nötigte sie auf diese Weise , stillzuhalten .
Als sie sich ein wenig erholt hatten , glänzten die Wolken schon vom Abendrot ; sie gingen langsam weiter .
- Sie zogen durch ein kleines , angenehmes Gehölz , und fanden sich auf einem runden , grünen Rasenplatz , vor ihnen lag ein Garten , mit einem Stakete umgeben , durch dessen Stäbe und Verzierungen man hindurchblicken konnte .
Alles war artig eingerichtet , das Geländer war allenthalben durchbrochen gearbeitet , eiserne Türen zeigten sich an etlichen Stellen , kein Palast war sichtbar .
Dichte Baumgänge lagen vor ihnen , kühle Felsengrotten , Springbrunnen hörte man aus der Ferne plätschern .
Alle standen still , in dem zauberischen Anblicke verloren , den niemand erwartet hatte : späte Rosen glühten ihnen von schlanken , erhabenen Stämmen entgegen , weiter ab standen dunkelrote Malven , die wie krause gewundene Säulen die dämmergrünen Gänge zu stützen schienen .
Alles umher war still , keine Menschenstimme war zu vernehmen .
" Ist dieser Feengarten " , rief Roderigo aus , " nicht wie durch Zauberei hierhergekommen ?
Wenn wir mit dem Besitzer des Hauses bekannt wären , wie erquicklich müßte es sein , in diesen anmutigen Grotten auszuruhen , in diesen dunklen Gängen zu spazieren , und sich mit süßen Früchten abzukühlen ?
Wenn wir nur einen Menschen wahrnähmen , der uns die Erlaubnis erteilen könnte ! "
Indem wurde Ludovico einige Bäume mit sehr schönen Früchten gewahr , die im Garten standen , große saftige Birnen und hochrote Pflaumen .
Er hatte einen schnellen Entschluß gefaßt .
" Laßt uns , meine guten Freunde " , rief er aus , " ohne Zeremonien über das Spalier dieses Gartens steigen , uns in jener Grotte ausruhen , mit Früchten sättigen , und dann den Mondschein abwarten , um unsere Reise fortzusetzen . "
Alle waren über seine Verwegenheit in Verwunderung gesetzt , aber Rudolph ging sogleich zu seiner Meinung über .
Sternbald und der Pilgrim widersetzten sich am längsten , aber indem sie noch sprachen , war Ludovico , ohne danach hinzuhören , schon in den Garten geklettert und gesprungen , er half Florestan nach , Roderigo rief den Rückbleibenden ebenfalls zu , Sternbald bequemte sich , und der Pilgrim , den auch nach dem Obste gelüstete , fand es bedenklich , ganz ohne Gesellschaft seine Reise fortzusetzen .
Er machte nachher noch viele Einwendungen , auf die niemand hörte , denn Ludovico fing an aus allen Kräften die Bäume zu schütteln , die auch reichlich Obst hergaben , das die übrigen mit vieler Emsigkeit aufsammelten .
Dann setzten sie sich in der kühlen Grotte zum Essen nieder und Ludovico sagte :
" Wenn uns nun auch jemand antrifft , was ist es denn mehr ?
Er müßte sehr ungesittet sein , wenn er auf unsere Bitte um Verzeihung nicht hören wollte , und sehr stark , wenn wir ihm nicht vereinigt widerstehen sollten . "
Als der Pilger eine Weile gegessen hatte , fing er an , große Reue zu fühlen , aber Florestan sagte im lustigen Mute :
" Seht , Freunde , so leben wir im eigentlichen Stande der Unschuld , im goldenen Zeitalter , das wir so oft zurückwünschen , und das wir uns eigenmächtig , wenigstens auf einige Stunden erschaffen haben .
O wahrlich , das freie Leben , das ein Räuber führt , der jeden Tag erobert , ist nicht so gänzlich zu verachten :
wir verwöhnen uns in unserer Sicherheit und Ruhe zu sehr .
Was kann es geben , als höchstens einen kleinen Kampf ?
Wir sind gut bewaffnet , wir fürchten uns nicht , wir sind durch uns selbst gesichert . "
Sie horchten auf , es war , als wenn sie ganz in der Ferne Töne von Waldhörnern vernähmen , aber der Klang verstummte wieder .
" Seid unverzagt " , rief Ludovico aus , " und tut , als wenn ihr hier zu Hause wäret , ich stehe euch für alles . "
Der Pilgrim mußte nach dem Springbrunnen , um seine Flasche mit Wasser zu füllen , sie tranken alle nach der Reihe mit großem Wohlbehagen .
Der Abend wurde immer kühler , die Blumen dufteten süßer , alle Erinnerungen wurden im Herzen geweckt .
" Du weißt nicht , mein lieber Roderigo " , fing Ludovico von neuem an , " daß ich jetzt in Italien , in Rom wieder eine Liebe habe , die mir mehr ist , als mir je eine gewesen war .
Ich verließ das schöne Land mit einem gewissen Widerstreben , ich sah mit unaussprechlicher Sehnsucht nach der Stadt zurück , weil Marie dort zurückblieb .
Ich habe sie erst seit kurzem kennengelernt , und ich möchte dir fast vorschlagen , gleich mit mir zurückzureisen , dann blieben wir alle , so wie wir hier sind , in einer Gesellschaft .
O Roderigo , du hast die Vollendung des Weibes noch nicht gesehen , denn du hast sie nicht gesehen ! all der süße , geheime Zauber , der die Gestalt umschwebt , das Heilige , das dir aus blauen verklärten Augen entgegenblickt : die Unschuld , der lockende Mutwille , der sich auf Wange , in den liebreizenden Lippen abbildet ; - ich kann es dir nicht schildern .
In ihrer Gegenwart empfand ich die ersten Jugendgefühle wieder , es war mir wieder , als wenn ich mit dem ersten Mädchen spräche , da mir die anderen alle als meinesgleichen vorkommen .
Es ist ein Zug zwischen den glatten schönen Augenbraunen , der die Phantasie in Ehrfurcht hält , und doch stehen die Braunen , die langen Wimpern wie goldene Netze des Liebesgottes da , um alle Seele , alle Wünsche , alle fremde Augen wegzufangen .
Hat man sie einmal gesehen , so sieht man keinem anderen Mädchen mehr nach , kein Blick , kein verstohlenes Lächeln lockt dich mehr , sie wohnt mir aller ihrer Holdseligkeit in deiner Brust , dein Herz ist wie eine treibende Feder , die dich ihr , nur ihr durch alle Gassen , durch alle Gärten nachdrängt ; und wenn dann ihr himmelsüßer Blick dich nur im Vorübergehen streift , so zittert die Seele in dir , so schwindelt dein Auge von dem Blick in das rote Lächeln der Lippen hinunter , in die Lieblichkeit der Wangen verirrt , gern und ungern auf dem schönsten Busen festgehalten , den du nur erraten darfst .
O Himmel , gib mir nur dies Mädchen in meine Arme , und ich will deine ganze übrige Welt , mir allem , allem was sie Köstliches hat , ohne Neid jedem anderen überlassen ! "
" Du schwärmst " , sagte Roderigo , " in dieser Sprache habe ich dich noch niemals sprechen hören . "
" Ich habe die Sprache noch nicht gekannt " , fuhr Ludovico fort , " ich habe noch nichts gekannt , ich bin bis dahin taub und blind gewesen .
Was fehlt uns hier , als daß Rudolph nur noch ein Lied sänge ?
Eins von jenen leichten , scherzenden Liedern , die die Erde nicht berühren , die mit luftigem Schritt über den goldenen Fußboden des Abendrots gehen , und von dort in die Welt hineingrüßen .
Laß einmal alle Liebe , die du je empfandest , in deinem Herzen aufzittern , und dann sprich die Rätselsprache , die nur der Eingeweihte versteht . "
" So gut ich kann , will ich Euch dienen " , sagte Rudolph , " mir fällt soeben ein Lied von der Sehnsucht ein , das Euch vielleicht gefallen wird .
Warum die Blume das Köpfchen senkt , Warum die Rosen so blaß ?
Ach !
die Träne am Blatt der Lilie hängt , Vergangen das schön frische Gras .
Die Blumen erbleichen , Die Farben entweichen , Denn sie , denn sie ist weit Die allerholdseligste Maid .
Keine Anmut auf dem Feld , Keine süße Blüte am Baume mehr , Die Farben , die Töne durchstreifen die Welt Und suchen die Schönste weit umher .
Unser Tal ist leer Bis zur Wiederkehr , Ach ! bringt sie gefesselt in Schöne Zurück ihr Farben , ihr Töne .
Regenbogen leuchtet voran Und Blumen folgen ihm nach , Nachtigall singt auf der Bahn , Rieselt der silberne Bach : Tun als wäre der Frühling vergangen , Doch bringen sie sie nur gefangen , Wird Frühling aus dem Herbst alsbald , Herrscht über uns kein Winter kalt .
Ach !
ihr findet sie nicht , ihr findet sie nicht , Habt kein Auge , die Schönste zu suchen , Euch mangelt der Liebe Augenlicht , Ihr ermüdet über dem Suchen .
Treibt wie Blumen die Sache als fröhlichen Scherz , Ach ! nehmet mein Herz , Damit nach dem holden Engelskinde Der Frühling den Weg gewißlich finde .
Und habt ihr Kinder entdeckt die Spur , Oh , so hört , Oh , so hört mein ängstlich Flehn , Müßt nicht zu tief in die Augen ihr sehen , Ihre Blicke bezaubern , verblenden euch nur .
Kein Wesen vor ihr besteht , All es in Liebe vergeht , Mag nichts anders mehr sein Als ihre Liebe allein .
Bedenkt , daß Frühling und Blumenglanz Wo ihr Fuß wandelt , immer schon ist , Kommt zu mir zurück mit leichtem Tanz , Daß Frühling und Nachtigall doch um mich ist ; Muß dann spät und früh Mich behelfen ohne sie , Mit bittersüßen Liebestränen Mich einsam nach der Schönsten sehnen .
Aber bleibt , aber bleibt nur wo ihr seid , Mag euch auch ohne sie nicht wiedersehen , Blumen und Frühlingston wird Herzeleid , Will indes hier im bittersten Tode vergehen .
Mich selber zu strafen , Im Grabe tief schlafen , Fern von Lied , fern von Sonnenschein Lieber gar ein Toter sein .
Ach !
es bricht in der Sehnsucht schon Heimlich mein Herz in der treusten Brust , Hat die Treue so schwer bitteren Lohn ?
Bin keiner Sünde mir innig bewußt .
Muß die Liebste alles erfreuen , Mir nur die quälendste Pein ?
Treulose Hoffnung , du lächelst mich an : Nein , ich bin ein verlorener Mann ! "
Es war lieblich , wie die Gebüsche umher von diesen Tönen gleichsam erregt wurden , einige verspäteten Vögel erinnerten sich ihrer Frühlingslieder , und wiederholten sie jetzt wie in einer schönen Schläfrigkeit .
Roderigo war durch seinen Freund beherzt geworden , er erzählte nun auch sein Abenteuer mit der schönen Gräfin , und seine Freunde hörten ihn die Geschichte gern noch einmal erzählen .
" Und nun , was soll ich euch sagen ? " so schloß Roderigo , " ich habe sie verlassen , und denke jetzt nichts , als sie ; immer sehe ich sie vor meinen Augen schweben , und ich weiß mich in mancher Stunde vor peinigender Angst nicht zu lassen .
Ihr edler Anstand , ihr munteres Auge , ihr braunes Haar , alles , alle ihre Züge sah ich in meiner Einbildung .
So oft bin ich in den Nächten unter dem hellgestirnten Himmel gewandelt , von meinem Glücke voll , zauberte ich mir dann ihre Gestalt vor meine Augen , und es war mir dann , als wenn die Sterne noch heller funkelten , als wenn das Dach des Himmels nur mit Freude ausgelegt sei .
Ich sage dir , Freund Ludovico , alle Sinne werden ihr wie dienstbare Sklaven nachgezogen , wenn das Auge sie nur erblickt hat : jede ihrer sanften , reizenden Bewegungen beschreibt in Linien eine schöne Musik , wenn sie durch den Wald geht , und das leichte Gewand sich dem Fuße , der Lende geschmeidig anlegt , wenn sie zu Pferde steigt und im Galopp die Kleider auf- und niederwogen , oder wenn sie im Tanz wie eine Göttin schwebt , alles ist Wohllaut in ihr , wie man sie sieht , mag man sie nie anders sehen , und doch vergißt man in jeder neuen Bewegung die vorige .
Es ist mehr Wollust , sie mit den Augen zu verfolgen , als in den Armen einer anderen zu ruhn . "
" Nur Wein fehlt uns " , rief Florestan aus , " die Liebe ist wenigstens im Bilde zugegen . "
" Wenn ich mir denke " , sprach Roderigo erhitzt weiter , " daß sich ein anderer jetzt um ihre Liebe bewirbt , daß sie ihn mit freundlichen Augen anblickt , ich könnte unsinnig werden .
Ich bin auf jedermann böse , der ihr nur vorübergeht :
ich beneide das Gewand , das ihren zarten Körper berührt und umschließt .
Ich bin lauter Eifersucht , und dennoch habe ich sie verlassen können . "
Ludovico sagte : " Du darfst dich darüber nicht verwundern .
Ich bin nicht nur bei jedem Mädchen , das ich liebte , eifersüchtig gewesen , sondern auch bei jeder anderen , wenn sie nur hübsch war .
Hatte ich ein artiges Mädchen bemerkt , das ich weiter gar nicht kannte , das von mir gar nichts wußte , so stand meine Begier vor ihrem Bilde gleichsam Wache , ich war auf jedermann neidisch und böse , der nur durch den Zufall zu ihr ins Haus ging , der sie grüßte und dem sie höflich dankte .
- Sprache einer freundlich mit ihr , so konnte ich mir diesen Unbekannten auf mehrere Tage auszeichnen und merken , um ihn zu hassen .
Oh , diese Eifersucht ist noch viel unbegreiflicher als unsere Liebe , denn wir können doch nicht alle Weiber und Mädchen zu unserem Eigentum machen ; aber das lüsterne Auge läßt sich keine Schranken setzen , unsere Phantasie ist wie das Fass der Danaiden , unser Sehnen umfängt und umarmt jeglichen Busen . "
Indem war es ganz finster geworden , der müde Pilgrim war eingeschlafen , einige Hörnertöne erschallten , aber fast ganz nahe an den Sprechenden , dann sang eine angenehme Stimme :
" Treulieb ist nimmer weit , Nach Kummer und nach Leid Kehrt wieder Liebe und Freude , Dann kehrt der holde Gruß , Händedrücken , Zärtlich Blicken , Liebeskuß . "
" Nun werden die Obstdiebe ertappt werden " , rief Ludovico aus .
" Ich kenne diese Melodie , ich kenne diese Worte " , sagte Sternbald , " und wenn ich mich recht erinnere - - "
Wieder einige Töne , dann fuhr die Stimme fort zu singen :
" Treulieb ist nimmer weit , Ihr Gang durch Einsamkeit Ist dir , nur dir geweiht .
Bald kommt der Morgen schön , Ihn begrüßet Wie er küsset Freudenträne ' . "
Jetzt kamen durchs Gebüsch Gestalten , zwei Damen gingen voran , mehrere Diener folgten .
Die fremde Gesellschaft war indes aufgestanden , Roderigo trat vor , und mit einem Ausruf des Entzückens lag er in den Armen der Unbekannten .
Die Gräfin war es , die vor Freude erst nicht die Sprache wiederfinden konnte .
" Ich habe dich wieder ! " rief sie dann aus , " o gütiges Schicksal , sei gedankt ! "
Man konnte sich anfangs wenig erzählen .
Sie hatte , um sich zu zerstreuen , eine Freundin ihrer Jugend besucht , dieser gehörte Schloß und Garten .
Von dem Unerlaubten des Übersteigens war gar die Rede nicht .
Die Abendmahlzeit stand bereit , der Pilgrim ließ sich nach seiner mühseligen Wanderschaft sehr wohl sein , Franz wurde von der Freundin Adelheids ( dies war der Name der Gräfin ) sehr vorgezogen , da sie die Kunst vorzüglich liebte .
Auch ihr Gemahl sprach viel über Malerei , und lobte den Albrecht Dürer vorzüglich , von dem er selbst einige schöne Stücke besaß .
Alle waren wie berauscht , sie legten sich früh schlafen , nur Roderigo und die Gräfin blieben länger munter .
Franz konnte nicht bemerken , ob Roderigo und die Gräfin sich so völlig ausgesöhnt hatten , um sich zu vermählen , er wollte nicht länger als noch einen Tag zögern , um seine Reise fortzusetzen , er machte sich Vorwürfe , daß er schon zu lange gesäumt habe .
Er härte gern von Roderigo sich die Erzählung fortsetzen lassen , die beim Eremiten in ihrem Anfange abgebrochen wurde , aber es fand sich keine Gelegenheit dazu .
Der Herr des Schlosses nötigte ihn zu bleiben , aber Franz fürchtete , daß das Jahr zu Ende laufen , und er noch immer nicht in Italien sein möchte .
Nach zwei Tagen nahm er von allen Abschied , Ludovico wollte bei seinem Freunde bleiben , auch Florestan blieb bei den beiden zurück .
Jetzt fühlte Sternbald erst , wie lieb ihm Rudolph sei , auch ergriff ihn eine unerklärliche Wehmut , als er dem Ludovico die Hand zum Abschiede reichte .
Florestan war auf seine Weise recht gerührt , er versprach unserem Freunde , ihm bald nach Italien zu folgen , ihn binnen kurzem gewiß in Rom anzutreffen .
Sternbald konnte seine Tränen nicht zurückhalten , als er zur Tür hinausging , den Garten noch einmal mit einem flüchtigen Blicke durchirrte .
Der Pilgrim war sein Gefährte .
Draußen in der freien Landschaft , als er nach und nach das Schloß verschwinden sah , fühlte er sich erst recht einsam .
Der Morgen war frisch , er ging stumm neben dem Pilger hin , erinnerte sich aller Gespräche , die sie miteinander geführt , aller kleinen Begebenheiten , die er in Rudolphs Gesellschaft erlebt hatte .
Sein Kopf wurde wüst , ihm war , als habe er die Freude seines Lebens verloren .
Der Pilgrim verrichtete seine Gebete , ohne sich sonderlich um Sternbald zu kümmern .
Nachher gerieten sie in ein Gespräch , worin der Pilger ihm den genauen Zustand seiner Haushaltung erzählte .
Sternbald erfuhr alle die Armseligkeiten des gewöhnlichen Lebens , wie jener ein Kaufmann von mittelmäßigen Glücksumständen sei , wie er danach trachte , mehr zu gewinnen und seine Lage zu verbessern .
Franz , dem die Empfindung drückend war , aus seinem leichten poetischen Leben so in das wirkliche zurückgeführt zu werden , antwortete nicht , und gab sich Mühe , gar nicht danach hinzuhören .
Jeder Schritt seines Weges wurde ihm sauer , er kam sich ganz einsam vor , es war ihm wieder , als wenn ihn seine Freunde verlassen hätten und sich nicht um ihn kümmerten .
Sie kamen in eine Stadt , wo Franz einen Brief von seinem Sebastian zu finden hoffte , von dem er seit lange nichts gehört hatte .
Er trennte sich hier von dem Pilgrim und eilte nach dem bezeichneten Mann .
Es war wirklich ein Brief für ihn da , er erbrach ihn begierig , und las : Liebster Franz !
Wie Du glücklich bist , daß Du in freier , schöner Welt herumwanderst , daß Dir nun das alles in Erfüllung geht , was Du sonst nur in Entfernung dachtest , dieses Dein großes Glück sehe ich nun erst vollkommen ein .
Ach , lieber Bruder , es will mir manchmal vorkommen , als sei mein Lebenslauf durchaus verloren : aller Mut entgeht mir , so in der Kunst , als im Leben fortzufahren .
Jetzt ist es dahin gekommen , daß Du mich trösten könntest , wie ich Dir sonst wohl oft getan habe .
Unser Meister fängt an , oft zu kränkeln , er kam damals so gesund von seiner Reise zurück , aber diese schöne Zeit hat sich nun schon verloren .
Er ist in manchen Stunden recht melancholisch :
dann wird er es nicht müde , von Dir zu sprechen , und Dir das beste Schicksal zu wünschen .
Ich bin fleißig , aber meine Arbeit will nicht auf die wahre Art aus der Stelle rücken , mir fehlt der Mut , der die Hand beleben muß , ein wehmütiges Gefühl zieht mich von der Staffelei zurück .
- Du schreibst mir von Deiner seltsamen Liebe , von Deiner fröhlichen Gesellschaft : ach , Franz , ich bin hier verlassen , arm , vergessen oder verachtet , ich habe die Kühnheit nicht , Liebe in mein trauriges Leben hineinzuwünschen .
Ich spreche zur Freude :
was machst du ? und zum Lachen :
du bist toll ! -
Ich kann es mir nicht vorstellen , daß mich einst ein Wesen liebte , daß ich es lieben dürfte .
Ich gehe oft im trüben Wetter durch die Stadt , und betrachte Gebäude und Türme , die mühselige Arbeit , das künstliche Schnitzwerk , die gemalten Wände , und frage dann :
Wozu soll es ?
Der Anblick eines Armen kann mich so betrübt machen , daß ich die Augen nicht wieder aufheben mag .
Meine Mutter ist gestorben , mein Vater liegt in der Vorstadt krank .
Sein Handwerk kann ihn jetzt nicht nähren , ich kann nur wenig für ihn tun .
Meister Dürer ist gut , er hilft ihm und auf die beste Art , so daß er mich nichts davon fühlen läßt , ich werde es ihm zeitlebens nicht vergessen .
Aber warum kann ich nicht mehr für ihn tun ?
Warum fiel es mir noch im sechzehnten Jahre ein , ein Maler zu werden ?
Wenn ich ein ordentliches Handwerk ergriffen hätte , so könnte ich vielleicht jetzt selber meinen Vater ernähren .
Es dünkt mir töricht , daß ich an der Ausarbeitung einer Geschichte arbeite , und indessen alles wirkliche Leben um mich her vergesse .
Lebe wohl , bleibe gesund .
Sei in allen Dingen glücklich .
Liebe immer noch Deinen Sebastian .
Franz ließ das Blatt sinken und sah den Himmel an .
Sein Freund , Dürer , Nürnberg und alle ehemaligen bekannten Gegenstände kamen mit frischer Kraft in sein Gedächtnis .
" Ja , ich bin glücklich " , rief er aus , " ich fühle es jetzt , wie glücklich ich bin !
Mein Leben spinnt sich wie ein goldener Faden auseinander :
ich bin auf der Reise , ich finde Freunde , die sich meiner annehmen , die mich lieben , meine Kunst hat mich wider Erwarten fortgeholfen , was will ich denn mehr ?
Und vielleicht lebt sie doch noch , vielleicht hat sich die Gräfin geirrt . -
Leben nicht Rudolph und Sebastian noch ?
Wer weiß , wo ich meine Eltern finde .
O Sebastian , wärst du zugegen , daß ich dir die Hälfte meines Mutes geben könnte ! "
Zweites Kapitel Zweites Kapitel Als Sternbald durch die Stadt streifte , glaubte er einmal in der Ferne den Bildhauer Bolz zu bemerken , aber die Person , die er dafür hielt , verlor sich wieder aus den Augen .
Franz ergötzte sich , wieder in einem Gewühl von unbekannten Menschen herumzuirren .
Es war Jahrmarkt , und aus den benachbarten kleinen Städten und Dörfern hatten sich Menschen aller Art versammelt , um hier zu verkaufen und einzukaufen .
Sternbald freute sich an der allgemeinen Fröhlichkeit , die alle Gesichter beherrschte , die so viele verworrene Töne laut durcheinander erregte .
Er stellte sich etwas abseits , und sah nun die Ankommenden , oder die schon mit ihren eingekauften Waren zurückgingen .
Alle Fenster am Markte waren mit Menschen angefüllt , die auf das verworrene Getümmel heruntersahen .
Franz sagte zu sich selbst : " Welch ein schönes Gemälde ! und wie wäre es möglich , es darzustellen ?
Welche angenehme Unordnung , die sich aber auf keinem Bilde nachahmen läßt !
Dieser ewige Wechsel der Gestalten , dies mannigfaltige , sich durchkreuzende Interesse , daß diese Figuren nie auch nur auf einen Augenblick in Stillstand geraten , ist es gerade , was es so wunderbar schön macht .
Alle Arten von Kleidungen und Farben verirren sich durcheinander , alle Geschlechter und Alter , Menschen , dicht zusammengedrängt , von denen keiner am Nächststehenden Teil nimmt , sondern nur für sich selber sorgt .
Jeder sucht und holt das Gut , das er sich wünscht , mit lachendem Mute , als wenn die Götter plötzlich ein großes Füllhorn auf den Boden ausgeschüttet hätten , und emsig nun diese Tausende herausraffen , was ein jeder bedarf . "
Leute zogen mit Bildern umher , die sie erklärten , und zu denen sich eine Menge Volks versammelte .
Es waren schlechte , grobe Figuren auf Leinwand gemalt .
Das eine war die Geschichte eines Handwerkers , der auf seiner Wanderschaft den Seeräubern in die Hände geraten war , und in Algier schmähliche Sklavendienste hatte tun müssen .
Er war dargestellt , wie er mit anderen Christen im Garten den Pflug ziehen mußte , und sein Aufseher ihn mit einer fürchterlichen Geißel dazu antrieb .
Eine zweite Vorstellung war das Bild eines seltsamen Ungeheures , von dem der Erklärer behauptete , daß es jüngst in der mittelländischen See gefangen sei .
Es hatte einen Menschenkopf und einen Panzer auf der Brust , seine Füße waren wie Hände gebildet und große Floßfedern hingen herunter , hinten war es Pferd .
Alles Volk war erstaunt .
" Dies ist es " , sagte Franz zu sich , " was die Menge will , was einem jeden gefällt .
Ein wunderbares Schicksal , wovon ein jeder glaubt , es hätte auch ihn ergreifen können , weil es einen Menschen trifft , dessen Stand der seinige ist .
Oder eine lächerliche Unmöglichkeit .
Seht , dies muß der Künstler erfüllen , diese abgeschmackten Neigungen muß er befriedigen , wenn er gefallen will . "
Ein Arzt hatte auf der anderen Seite des Marktes sein Gerüst aufgeschlagen , und bot mit kreischender Stimme seine Arzneien aus .
Er erzählte die ungeheuersten Wunder , die er vermittels seiner Medikamente verrichtet hatte .
Auch er hatte großen Zulauf , die Leute verwunderten sich und kauften .
Er verließ das Gewühl , und ging vors Tor , um recht lebhaft die ruhige Einsamkeit gegen das lärmende Geräusch zu empfinden .
Als er unter den Bäumen auf und ab ging , begegnete ihm wirklich Bolz , der Bildhauer .
Jener erkannte ihn sogleich , sie gingen miteinander und erzählten sich ihre Begebenheiten .
Franz sagte :
" Ich hätte niemals geglaubt , daß Ihr imstande wäret , einen Mann zu verletzen , der Euch für seinen Freund hielt .
Wie könnt Ihr die Tat entschuldigen ? "
" Oh , junger Mann " , rief Augustin aus , " Ihr seid entweder noch niemals beleidigt , oder habt sehr wenig Galle in Euch .
Roderigo ruhte mit seinen Schmähworten nicht eher , bis ich ihm den Stoß versetzt hatte , es war seine eigene Schuld .
Er reizte mich so lange , bis ich mich nicht mehr zurückhalten konnte . "
Franz , der keinen Streit anfangen wollte , ließ die Entschuldigung gelten , und Bolz fragte ihn :
wie lange er sich in der Stadt aufzuhalten gedächte ?
" Ich will morgen abreisen " , antwortete Sternbald .
" Ich rate Euch , etwas zu bleiben " , sagte der Bildhauer , " und wenn Ihr denn geneigt seid , kann ich Euch eine einträgliche Arbeit nachweisen .
Hier vor der Stadt liegt ein Nonnenkloster , in dem Ihr , wenn Ihr wollt , ein Gemälde mit Öl auf der Wand erneuern könnt .
Man hat schon nach einem ungeschickten Maler senden wollen , ich will Euch lieber dazu vorschlagen . "
Franz nahm den Antrag an , er hatte schon lange gewünscht , seinen Pinsel einmal an größeren Figuren zu üben .
Bolz verließ ihn mit dem Versprechen , ihn noch am Abend wiederzusehn .
Bolz kam zurück , als die Sonne schon untergegangen war .
Er hatte den Vertrag mit der Äbtissin des Klosters gemacht , Sternbald war damit zufrieden .
Sie gingen wieder vor die Stadt hinaus , Bolz schien unruhig , und etwas zu haben , das er dem jungen Maler gern mitteilen möchte ; er brach aber immer wieder ab , und Sternbald , der im Geiste schon mit seiner Malerei beschäftigt war , achtete nicht darauf .
Es wurde finster .
Sie hatten sich in die benachbarten Berge hineingewendet , ihr Gespräch fiel auf die Kunst .
" Ihr habe mich " , sagte Sternbald , " auf die unsterblichen Werke des großen Michael Angelo sehr begierig gemacht , Ihr haltet sie für das Höchste , was die Kunst bisher hervorgebracht hat . "
" Und hervorbringen kann ! " rief Bolz aus , " es ist bei ihnen nicht von der oder der Vortrefflichkeit , von dieser oder jener Schönheit die Rede , sondern sie sind durchaus schön , durchaus vortrefflich .
Alle übrigen Künstler sind gleichsam als die Vorbereitung , als die Ahnung zu diesem einzig großen Manne anzusehen : vor ihm hat noch keiner die Kunst verstanden , noch gewußt , was er mit ihr ausrichten soll . "
" Aber wie kommt es denn " , sagte Sternbald , " daß auch noch andere außer ihm verehrt werden , und daß noch niemand nach dieser Vollkommenheit gestrebt hat ? "
" Das ist leicht einzusehn " , sagte der Bildhauer .
" Die Menge will nicht die Kunst , sie will nicht das Ideal , sie will unterhalten und gereizt sein , und es versteht sich , daß die niedrigeren Geister dies weit besser ins Werk zu richten wissen , weil sie selber mit den Geistesbedürfnissen der Menge , der Liebhaber und Unkenner vertraut sind .
Sie erblicken wohl gar beim echten Künstler Mangel , und glauben über seine Fehler und Schwächen urteilen zu können , weil er vorsätzlich das verschmäht hat , was ihnen an ihren Lieblingen gefällt .
Warum kein Künstler noch diese Größe erstrebt hat ?
Wer hat denn richtigen Begriff von seiner Kunst , um das Beste zu wollen ?
Ja , wer von den Künstlern will denn überhaupt irgendwas ?
Sie können sich ja nie von ihrem Talente Rechenschaft geben , das sie blindlings ausüben , sie sind ja zufrieden , wenn sie den leichtesten Wohlgefallen erregen , auf welchem Wege es auch sei .
Sie wissen ja gar nicht , daß es eine Kunst gibt , woher sollen sie denn erfahren , daß diese Kunst eine höchste , letzte Spitze habe .
Mit Michael Angelo ist die Kunst erst geboren worden , und von ihm wird eine Schule ausgehen , die die erste ist und bald die einzige sein wird . "
" Und wie meint Ihr " , fragte Franz , " daß dann die Kunst beschaffen sein wird ? "
" Man wird " , sagte Bolz , " die unnützen Bestrebungen , die schlechten Manieren ganz niederlegen , und nur dem allmächtigen Buonarotti folgen .
Es ist in jeder ausgeübten Kunst natürlich , daß sie sich vollendet , wenn nur ein erhabener Geist aufgestanden ist , der den Irrenden hat zurufen können : dorthin meine Freunde , geht der Weg !
Das hat Buonarotti getan , und man wird nachher nicht mehr zweifeln und fragen , was Kunst sei .
In jeglicher Darstellung wird dann ein großer Sinn liegen , und man wird die gewöhnlichen Mittel verschmähen , um zu gefallen .
Jetzt nehmen fast alle Künstler die Sinnen in Anspruch , um nur ein Interesse zu erregen , dann wird das Ideal verstanden werden . "
Indem war es ganz dunkel geworden .
Der Mond stieg eben unten am Horizont herauf , sie hatten schon fernher Hammerschläge gehört , jetzt standen sie vor einer Eisenhütte , in der gearbeitet wurde .
Der Anblick war schön ; die Felsen standen schwarz umher , Schlacken lagen aufgehäuft , dazwischen einzelne grüne Gesträuche , fast unkenntlich in der Finsternis .
Vom Feuer und dem funkenden Eisen war die offene Hütte erhellt , die hämmernden Arbeiter , ihre Bewegungen , alles glich bewegten Schatten , die von dem hellglühenden Erzklumpen angeschienen wurden .
Hinten war der wildbewachsene Berg so eben sichtbar , auf dem alte Ruinen auf der Spitze vom aufgehenden Monde schon beschimmert waren : gegenüber waren noch einige leichte Streifen des Abendrots am Himmel .
Bolz rief aus :
" Seht den schönen , bezaubernden Anblick ! "
Auch Sternbald war überrascht , er stand eine Weile in Gedanken und schwieg , dann rief er aus :
" Nun , mein Freund , was könntet Ihr sagen , wenn Euch ein Künstler auf einem Gemälde diese wunderbare Szene darstellte ?
Hier ist keine Handlung , kein Ideal , nur Schimmer und verworrene Gestalten , die sich wie fast unkenntliche Schatten bewegen .
Aber wenn Ihr dies Gemälde sähet , würdet Ihr Euch nicht mit mächtiger Empfindung in den Gegenstand hineinsehnen ?
Würde er die übrige Kunst und Natur nicht auf eine Zeitlang aus Eurem Gedächtnisse hinwegrücken , und was wollt Ihr mehr ?
Diese Stimmung würde dann so wie jetzt Euer ganzes Inneres durchaus ausfüllen , Euch bliebe nichts zu wünschen übrig , und doch wäre es nichts weiter , als ein künstliches , fast tändelndes Spiel der Farben .
Und doch ist es Handlung , Ideal , Vollendung , weil es das im höchsten Sinne ist , was es sein kann , und so kann jeder Künstler an sich der Trefflichste sein , wenn er sich kennt und nichts Fremdartiges in sich hineinnimmt .
Wahrlich ! es ist , als hätte die alte Welt sich mit ihren Wundern aufgetan , als ständen dort die fabelhaften Zyklopen vor uns , die für Mars oder Achilles die Waffen schmieden .
Die ganze Götterwelt kommt dabei in mein Gedächtnis zurück :
ich sehe nicht nur , was vor mir ist , sondern die schönsten Erinnerungen entwickeln sich im Inneren meiner Seele , alles wird lebendig und wach , was seit lange schlief .
Nein , mein Freund , ich bin innigst überzeugt , die Kunst ist wie die Natur , sie hat mehr als eine Schönheit . "
Bolz war still , beide Künstler ergötzten sich lange an dem Anblick , dann suchten sie den Rückweg nach der Stadt .
Der Mond war indes heraufgekommen und glänzte ihnen im vollen Lichte entgegen , durch die Hohlwege , die sie durchkreuzten , über die feuchte Wiese herüber , von den Bergen in zauberischen Widerscheinen .
Die ganze Gegend war in eine Maße verschmolzen , und doch waren die verschiedenen Gründe leicht gesondert , mehr angedeutet , als ausgezeichnet ; keine Wolke war am Himmel , es war , als wenn sich ein Meer mit unendlichen goldenen Glanzwogen sanft über Wiese und Wald ausströmte und herüber nach den Felsen bewegte .
" Könnten wir nur die Natur genau nachahmen " , sagte Sternbald , " oder begleitete uns diese Stimmung nur so lange , als wir an einem Werke arbeiten , um in frischer Kraft , in voller Neuheit das hinzustellen , was wir jetzt empfinden , damit auch andere so davon ergriffen würden , wahrlich , wir könnten oft Handlung und Komposition entbehren , und doch eine große , herrliche Wirkung hervorbringen ! "
Bolz wußte nicht recht , was er antworten sollte , er mochte nicht gern nachgeben , und doch konnte er Franz jetzt nicht widerlegen , sie stritten hin und her , und verwunderten sich endlich , daß sie die Stadt nicht erscheinen sahen .
Bolz suchte nach dem Wege , und wurde endlich inne , daß er sich verirrt habe .
Beide Wanderer wurden verdrießlich , denn sie waren müde und sehnten sich nach dem Abendessen , aber es schoben sich immer mehr Gebüsche zwischen sie , immer neue Hügel , und der blendende Schimmer des Mondes erlaubte ihnen keine Aussicht .
Der Streit über die Kunst hörte auf , sie dachten nur darauf , wie sie sich wieder zurechtfinden wollten .
Bolz sagte : " Seht , mein Freund , über die Kunst haben wir die Natur vernachlässigt ; wollt Ihr Euch noch so in eine Gegend hineinsehnen , aus der wir uns so gern wieder herauswickeln möchten ?
Jetzt gäbt Ihr alle Ideale und Kunstwörter für eine gute Ruhestelle hin . "
" Wie Ihr auch sprecht ! " sagte Sternbald , " davon kann ja gar nicht die Rede sein .
Wir haben uns durch Eure Schuld verirrt , und es steht Euch nicht zu , nun noch zu spotten . "
Sie setzten sich ermüdet auf den Stumpf eines abgehauenen Baumes nieder .
Franz sagte :
" Wir werden hier wohl übernachten müssen , denn ich sehe noch keinen möglichen Ausweg " " Gut denn ! " rief Bolz aus , " wenn es die Not so haben will , so wollen wir uns auch in die Not finden .
Wir wollen sprechen , Lieder singen , und schlafen , so gut es sich tun läßt .
Mit dem Aufgange der Sonne sind wir dann wieder munter , und kehren zur Stadt zurück .
Fanget Ihr an zu singen . "
Sternbald sagte : " Da wir nichts Besseres zu tun wissen , will ich Euch ein Lied von der Einsamkeit singen , es schickt sich gut zu unserem Zustande .
Über mir das hellgestirnte Himmelsdach , Alle Menschen dem Schlaf ergeben , Ruhend von dem mühevollen Leben , Ich allein , allein im Hause wach .
Trübe brennt das Licht herunter ; Soll ich aus dem Fenster schauen , ' nüber nach den fernen Auen ?
Meine Augen bleiben munter .
Soll ich mich im Strahl ergehen Und des Mondes Aufgang suchen ?
Sieh , er flimmert durch die Buchen , Weiden am Bach im Golde stehen .
Ist es nicht , als käme aus den Weiden Ach ein Freund , den ich lange nicht gesehen , Ach , wie viel ist schon seither geschehen , Seit dem qualenvollen , bitteren Scheiden !
An den Busen will ich ihn mächtig drücken , Sagen , was so ofte mir gebangt , Wie mich inniglich nach ihm verlangt , Und ihm in die süßen Augen blicken .
Aber der Schatten bleibt dort unter den Zweigen , Ist nur Mondenschein , Kommt nicht zu mir herein , Sich als Freund zu zeigen .
Ist auch schon gestorben und begraben , Und vergeße es jeden Tag , Weil ich_es so übergerne vergessen mag ; wie kann ich mich an seinem Anblick laben ?
Geht der Fluß murmelnd durch die Klüfte , Sucht die Ferne nach eigener Melodie , Unermüdet sprechend spat und früh : Wehen vom Berge schon Septemberlüfte .
Töne fallen von oben in die Welt , Lustige Pfeifen , fröhliche Schalmeien , Ach , sollten es Bekannte sein ?
Sie wandern zu mir übers Feld .
Fernab erklingt es , keiner weiß von mir , Alle meine Freunde mich verlassen , Die mich liebten , jetzt mich hassen , Kümmert sich keiner , daß ich wohne hier .
Ziehen mit Netzen oft lustig zum See , Höre oft das ferne Gelache ; Seufze mein kümmerlich Ach !
Tut mir der Busen so weh .
Ach !
wo bist du Bild geblieben , Engelsbild vom schönsten Kind ?
Keine Freuden übrig sind , Unterstund mich , dich zu lieben .
Hast den Gatten längst gefunden ; - Wie der fernste Schimmerschein , Fällt mein Name dir wohl ein , Nie in deinen guten Stunden .
Und das Licht ist ausgegangen , Sitze in der Dunkelheit , Denke , was mich sonst erfreut , Als noch Nachtigallen sangen .
Ach !
und warst nicht einsam immer ?
Keiner , der dein Herz verstand , Keiner sich zu dir verband . -
Gehe auch unter Mondesschimmer !
Lösche , lösche letztes Licht !
Auch wenn Freunde mich umgeben , Führe ich doch einsames Leben : Lösche , lösche letztes Licht !
Der Unglückliche braucht dich nicht ! "
Indem hörten sie nicht weit von sich eine Stimme singen :
" Wer lustigen Mut zur Arbeit trägt Und rasch die Arme stets bewegt , Sich durch die Welt noch immer schlägt .
Der Träge sitzt , weiß nicht wo aus Und über ihm stürzt ein das Haus , Mit vollen Segeln munter Fährt der Frohe das Leben hinunter . "
Der Singende war ein Kohlenbrenner , der jetzt näher kam .
Bolz und Sternbald gingen auf ihn zu , sie standen seiner Hütte ganz nahe , ohne daß sie es bemerkt hatten .
Er war freundlich und bot ihnen von freien Stücken sein kleines Haus zum Nachtlager an .
Die beiden Ermüdeten folgten ihm gern .
Drinnen war ein kleines Abendessen zurechtgemacht , kein Licht brannte , aber einige Späne , die auf dem Herde unterhalten wurden , erleuchteten die Hütte .
Eine junge Frau war geschäftig , den Fremden einen Sitz auf einer Bank zu bereiten , die sie an den Tisch schob .
Alle setzten sich nieder , und aßen aus derselben Schüssel ; Franz saß neben der Frau des Köhlers , die ihn mit lustigen Augen zum Essen nötigte .
Er fand sie artig , und bewunderte die Wirkung des Lichtes auf die Figuren .
Der Köhler erzählte viel vom nahen Eisenhammer , für den er die meisten Kohlen lieferte , er hatte noch so spät einen Weiler besucht .
Ein kleiner Hund gesellte sich zu ihnen und war äußerst freundlich , die Frau , die lebhaft war , spielte und sprach mit ihm , wie mit einem Kinde .
Sternbald fühlte in der Hütte wieder die ruhigen , frommen Empfindungen , die ihn schon so oft beglückt hatten :
er prägte sich die Figuren und Erleuchtung seinem Gedächtnisse ein , um einmal ein solches Gemälde darzustellen .
Als sie mit dem Essen beinahe fertig waren , klopfte noch jemand an die Tür , und eine klägliche Stimme flehte um nächtliche Herberge .
Alle verwunderten sich , der Köhler öffnete die Hütte , und Sternbald erstaunte , als er den Pilgrim hereintreten sah .
Der Köhler war gegen den Wallfahrer sehr ehrerbietig , es wurde Speise herbeigeschafft , die Stube heller gemacht .
Der Pilgrim erschrak , als er hörte , daß er der Stadt so nahe sei , er hatte sie schon seit zwei Tagen verlassen , sich auf eine unbegreifliche Art verirrt , und bei allen Zurechtweisungen immer den unrechten Weg ergriffen , so daß er jetzt kaum eine halbe Meile von dem Orte entfernt war , von dem er ausging .
Der Wirt erzählte noch allerhand , die junge Frau war geschäftig , der Hund war gegen Sternbald sehr zutunlich .
Nach der Mahlzeit wurde für die Fremden eine Streue zubereitet , auf der sich der Wallfahrer und Bolz sogleich ausstreckten .
Franz war gegen sein Erwarten munter .
Der Köhler und seine Frau gingen nun auch zu Bette , der Hund wurde nach seiner Behausung auf den kleinen Hof gebracht , Sternbald blieb bei den Schlafenden allein .
Der Mond sah durch das Fenster , in der Einsamkeit fiel des Bildhauers Gesicht dem Wachenden auf , es war eine Physiognomie , die Heftigkeit und Ungestüm ausdrückte .
Franz begriff es nicht , wie er seinen anfänglichen Widerwillen gegen diesen Menschen so habe überwinden können , daß er jetzt mit ihm umgehe , daß er sich ihm sogar vertraue .
Bolz schien unruhig zu schlafen , er warf sich oft umher , ein Traum ängstigte ihn .
Franz vergaß beinahe , wo er war , denn alles umher erhielt eine sonderbare Bedeutung .
Seine Phantasie wurde erhitzt , und es währte nicht lange , so glaubte er sich unter Räubern zu befinden , die es auf sein Leben angesehen hätten , jedes Wort des Kohlenbrenners , dessen er sich nur erinnerte , war ihm verdächtig , er erwartete es ängstlich , wie er mit seinen Spießgesellen wieder aus der Tür herauskommen würde , um sie im Schlafe umzubringen und zu plündern .
Über diese Betrachtungen schlief er ein , aber ein fürchterlicher Traum ängstigte ihn noch mehr , er sah die entsetzlichsten Gestalten , die seltsamsten Wunder , er erwachte unter drückenden Beklemmungen .
Am Himmel sammelten sich Wolken , auf die die Strahlen des Mondes fielen , die Bäume vor der Hütte bewegten sich .
Um sich zu zerstreuen , schrieb er folgendes in seiner Schreibtafel nieder :
Die Phantasie Wer ist dort der alte Mann , In einer Ecke festgebunden , Daß er sich nicht rührt und regt ?
Vernunft hält über ihn Wache , Sieht und erkundet jede Miene .
Der Alte ist verdrießlich , Um ihn in tausend Falten Ein weiter Mantel geschlagen .
Es ist der launige Phantasus , Ein wunderlicher Alter , Folgt stets seiner närrischen Laune , Sie haben ihn jetzt festgebunden , Daß er nur seine Possen läßt , Vernunft im Denken nicht stört , Den armen Menschen nicht irrt , Daß er sein Tagsgeschäft In Ruhe vollbringe , Mit dem Nachbar verständig spreche Und nicht wie ein Tor erscheine .
Denn der Alte hat nie was Kluges im Sinn , Immer tändelt er mit dem Spielzeug Und kramt es aus , und lärmt damit Sowie nur keiner auf ihn sieht und achtet .
Der alte Mann schweigt und runzelt die Stirn , Als wenn er die Rede ungern vernähme , Schilt gern alles langweilig , Was in seinen Kram nicht taugt .
Der Mensch handelt , denkt , die Pflicht Wird indes treu von ihm getan ; Fällt in die Augen das Abendrot hinein , Stehen Schlummer und Schlaf aus ihrem Winkel auf Da sie den Schimmer merken .
Vernunft muß ruhn und wird zu Bett gebracht , Schlummer singt ihr ein Wiegenlied : Schlaf ruhig , mein Kind , morgen ist auch noch ein Tag !
Mußt nicht alles auf einmal denken , Bist unermüdet und das ist schön , Wirst auch immer weiter kommen , Wirst deinem lieben Menschen Ehre bringen , Er schätzt dich auch über alles , Schlaf ruhig , Schlaf ein .
- " Wo ist meine Vernunft geblieben ? " sagt der Mensch , " Gehe Erinnerung , und such sie auf . "
Erinnerung geht und trifft sie schlafend , Gefällt ihr die Ruhe auch , Nicht über der Gefährtin ein .
" Nun werden sie gewiß dem Alten die Hände frei machen " , Denkt der Mensch , und fürchtet sich schon .
Da kommt der Schlaf zum Alten geschlichen , Und sagt :
" Mein Bester , du mußt erlahmen , Wenn dir die Glieder nicht aufgelöst werden , Pflicht , Vernunft und Verstand bringen dich ganz herunter , Und du bist gutwillig , wie ein Kind . " -
Indem macht der Schlaf ihm schon die Hände los , Und der Alte schmunzelt :
" Sie haben mir viel zu danken , Mühsam habe ich sie erzogen , Aber nun verachten sie mich alten Mann , Meinen ich würde kindisch , Sei zu gar nichts zu gebrauchen .
Du , mein Liebster , nimmst dich mein noch an , Wir beide bleiben immer gute Kameraden . "
Der Alte steht auf und ist der Banden frei , Er schüttelt sich vor Freude :
Er breitet den weiten Mantel aus , Und aus allen Falten stürzen wunderbare Sachen Die er mit Wohlgefallen ansieht .
Er kehrt den Mantel um und spreitet ihn weit umher , Eine bunte Tapete ist die untere Seite .
Nun hantiert Phantasus in seinem Zelte Und weiß sich vor Freuden nicht zu lassen .
Aus Glas und Kristallen baut er Schlösser , Läßt oben aus den Zinnen Zwerge kucken , Die mit dem großen Kopfe wackeln .
Unten gehen Fontänen im Garten spazieren , Aus Röhren sprudeln Blumen in die Luft , Dazu singt der Alte ein seltsam Lied Und klimpert mit aller Gewalt auf der Harfe .
Der Mensch sieht seinen Spielen zu Und freut sich , vergißt , daß Vernunft Ihn vor allen Wesen herrlich macht .
Spricht : " Fahre fort , mein lieber Alter . "
Und der Alte läßt sich nicht lange bitten , Schreiten Geistergestalten heran , Zieht die kleinen Marionetten an Fäden Und läßt sie aus der Ferne größer scheinen .
Tummeln sich Reiter und Fußvolk , Hängen Engel in Wolken oben , Abendröten und Mondschein gehen durcheinander .
Verschämte Schönen sitzen in Lauben , Die Wangen rot , der Busen weiß , Das Gewand aus blinkenden Strahlen gewebt .
Ein Heer von Kobolden lärmt und tanzt , Alte Helden kommen von Troja wieder , Achilles , der weise Nestor , versammeln sich zum Spiel Und entzweien sich wie die Knaben . -
Ja , der Alte hat daran noch nicht genug , Er spricht und singt : " Laß deine Taten fahren , Dein Streben , Mensch , deine Grübeleien , Sieh , ich will dir goldene Kegel schenken , Ein ganzes Spiel , und silberne Kugeln dazu , Männchen , die von selbst immer auf den Beinen stehen , Warum willst du dich des Lebens nicht freuen ?
Dann bleiben wir beisammen , Vertreiben mit Gespräch die Zeit , Ich Lehre dich tausend Dinge , Von denen du noch nichts weißt . "
- Das blinkende Spielwerk sticht dem Menschen in die Augen , Er reckt die Hände gierig aus !
Indem erwacht mit dem Morgen die Vernunft , Reibt die Augen und gähnt und dehnt sich :
" Wo ist mein lieber Mensch ?
Ist er zu neuen Taten gestärkt ? " so ruft sie .
Der Alte hört die Stimme und fängt an zu zittern , Der Mensch schämt sich , läßt Kegel und Kugel fallen , Vernunft tritt ins Gemach .
" Ist der alte Wirrwarr schon wieder los geworden ? "
Ruft Vernunft aus , " lässt du dich immer wieder locken Von dem kindschen Greise , der selber nicht weiß Was er beginnt ? "
- Der Alte fängt an zu weinen , Der Mantel wieder umgekehrt Ihm um die Schultern gehängt , Armen und Beine festgebunden , Sitzt wieder grämlich da .
Sein Spielzeug eingepackt , Ihm alles wieder ins Kleid gesteckt Und Vernunft macht ' ne drohende Miene .
Der Mensch muß an die Geschäfte gehen , Sieht den Alten nur von der Seite an Und zuckt die Schultern über ihn .
" Warum verführt ihr mir den lieben Menschen ! "
Grämelt der alte Phantasus , " Ihr werdet ihn matt und tot noch machen , Wird vor der Zeit kindisch werden , Sein Leben nicht genießen .
Sein bester Freund sitzt hier gebunden , Der es gut mit ihm meint .
Er verzehrt sich und möchte es gern mit mir halten , Aber ihr Überklugen Habt ihm meinen Umgang verleidet Und wißt nicht , was ihr mit ihm wollt .
Schlaf ist weg und keiner steht mir bei . "
Der Morgen brach indessen an , die übrigen im Hause wurden munter , und Franz las dem Bildhauer seine Verse vor , der darüber lachte und sagte : " Auch dies Gedicht , mein Freund , rührt vom Phantasus her , man sieht es ihm wohl an , daß es in der Nacht geschrieben ist ; dieser Mann hat , wie es scheint , Spott und Ernst gleich lieb . "
Das dunkle Gemach wurde erhellt , der Köhler trat mit seiner Frau herein .
Franz lächelte über seine nächtliche Einbildung , er sah nun die Tür , die er immer gefürchtet hatte , deutlich vor sich stehen , nichts Furchtbares war an ihr sichtbar .
Die Gesellschaft frühstückte , wobei der muntere Köhler noch allerhand erzählte .
Er sagte , daß in einigen Tagen eine Nonne im benachbarten Kloster ihr Gelübde ablegen würde , und daß sich dann zu dieser Feierlichkeit alle Leute aus der umliegenden Gegend versammelten .
Er beschrieb die Zeremonien , die dabei vorfielen , er freute sich auf das Fest , Sternbald schied von ihm und dem Pilgrim , und ging mit dem Bildhauer zur Stadt zurück .
Sternbald ließ sich im Kloster melden , er wurde der Äbtissin vorgestellt , er betrachtete das alte Gemälde , das er auffrischen sollte .
Es war die Geschichte der heiligen Genoveva , wie sie mit ihrem Sohne unter einsamen Felsen in der Wildnis sitzt , und von freundlichen , liebkosenden Tieren umgeben ist .
Das Bild schien alt , er konnte nicht das Zeichen eines ihm bekannten Künstlers entdecken .
Denksprüche gingen aus dem Munde der Heiligen , ihres Sohnes und der Tiere , die Komposition war einfach und ohne Künstlichkeit , das Gemälde sollte nichts als den Gegenstand auf die einfältigste Weise ausdrücken .
Sternbald war Willens , die Buchstaben zu verlöschen und den Ausdruck der Figur zu erhöhen , aber die Äbtissin sagte :
" Nein , Herr Maler , Ihr müßt das Bild im ganzen so lassen , wie es ist , und um alles ja die Worte stehenlassen .
Ich mag es durchaus nicht , wenn ein Gemälde zu zierlich ist . "
Franz machte ihr deutlich , wie diese weißen Zettel alle Täuschung aufhöben und unnatürlich wären , ja wie sie gewissermaßen das ganze Gemälde vernichteten , aber die Äbtissin antwortete :
" Dies alles ist mir sehr gleich , aber eine geistliche , bewegliche Historie muß durchaus nicht auf eine ganz weltliche Art ausgedrückt werden , Reiz , und was ihr Maler Schönheit nennt , gehört gar nicht in ein Bild , das zur Erbauung dienen und heilige Gedanken erwecken soll .
Mir ist hier das Steife , Altfränkische viel erwünschter , dies schon trägt zu einer gewissen Erhebung bei .
Die Worte sind aber eigentlich die Erklärung des Gemäldes , und diese gottseligen Betrachtungen könnt Ihr nimmermehr durch den Ausdruck der Mienen ersetzen .
An der sogenannten Wahrheit und Täuschung liegt mir sehr wenig :
wenn ich mich einmal davon überzeugen kann , daß ich hier in der Kirche diese Wildnis mit Tieren und Felsen antreffe , so ist es mir ein kleines , auch anzunehmen , daß diese Tiere sprechen , und daß ihre Worte hingeschrieben sind , wie sie selbst nur gemalt sind .
Es entsteht dadurch etwas Geheimnisvolles , wovon ich nicht gut sagen kann , worin es liegt .
Die übertriebenen Mienen und Gebärden aber sind mir zuwider .
Wenn die Maler immer bei dieser alten Methode bleiben , so werden sie sich auch stets in den Schranken der guten Sitten halten , denn dieser Ausdruck mit Worten führt gleichsam eine Aufsicht über ihr Werk .
Ein Gemälde ist und bleibt eine gutgemeinte Spielerei , und darum muß man sie auch niemals zu ernsthaft treiben . "
Franz ging betrübt hinweg , er wollte am folgenden Morgen anfangen .
Das Gerüst wurde eingerichtet , die Farben waren zubereitet ; als er in der Kirche oben allein stand , und in die trüben Gitter hineinsah , fühlte er sich unbeschreiblich einsam , er lächelte über sich selber , daß er den Pinsel in der Hand führe .
Er fühlte , daß er nur als Handwerker gedungen sei , etwas zu machen , wobei ihm seine Kunstliebe , ja sein Talent völlig überflüssig war .
" Was ist bis jetzt von mir geschehen ? " sagte er zu sich selber , " in Antwerpen habe ich einige Konterfeie ohne sonderliche Liebe gemacht , die Gräfin und Roderigo nachher gemalt , weil sie in ihn verliebt war , und nun stehe ich hier , um Denksprüche , schlecht geworfene Gewänder , Hirsche und Wölfe neu anzustreichen . "
Indem hatten sich die Nonnen zur Hora versammelt , und ihr feiner , wohlklingender Gesang schwang sich wundersam hinüber , die erloschene Genoveva schien danach hinzuhören , die gemalten Kirchenfenster ertönten .
Eine neue Lust erwachte in Franz , er nahm Palette und Pinsel mit frischem Mut und färbte Genovevens dunkles Gewand .
" Warum sollte ein Maler " , sagte er zu sich , " nicht allenthalben , auch am unwürdigen Orte , Spuren seines Daseins lassen ?
Er kann allenthalben ein Monument seiner schönen Existenz schaffen , vielleicht daß doch ein seltener zarter Geist ergriffen und gerührt wird , ihm dankt , und aus den Trübseligkeiten sich eine schöne Stunde hervorsucht . "
Er nahm sich nämlich vor , in dem Gesichte der Genoveva das Bildnis seiner teuren Unbekannten abzuschildern , so viel es ihm möglich war .
Die Figuren wurden ihm durch diesen Gedanken teurer , die Arbeit lieber .
Er suchte in seiner Wohnung das Bildnis hervor , das ihm der alte Maler gegeben hatte , er sah es an , und Emma stand unwillkürlich vor seinen Augen .
Sein Gemüt war wunderbar beängstigt , er wußte nicht , wofür er sich entscheiden solle .
Dieser Liebreiz , diese Heiterkeit seiner Phantasie bei Emmas Angedenken , die lüsternen Bilder und Erinnerungen , die sich ihm offenbarten , und dann das Zauberlicht , das ihm aus dem Bildnisse des teuren Angesichts aus herrlicher Ferne entgegenleuchtete , die Gesänge von Engeln , die ihn dorthin riefen , die schuldlose Kindheit , die wehmütige Sehnsucht , das Goldenste , Fernste und Schönste , was er erwünschen und erlangen konnte , daneben Sebastians Freude und Erstaunen , dazwischen das Grab .
Die Verworrenheit aller dieser Vorstellungen bemächtigte sich seiner so sehr , daß er zu weinen anfing , und keinen Gedanken erhaschte , der ihn trösten konnte .
Ihm war , als wenn seine innerste Seele in den brennenden Tränen sich aus seinen Augen hinausweinte , als wenn er nachher nichts wünschen und hoffen dürfte , und nur ungewisse , irrende Reue ihn verfolgen könne .
Seine Kunst , sein Streben , ein edler Künstler zu werden , sein Wirken und Werden auf der Erde erschien ihm als etwas Armseliges , Kaltes und jämmerlich Dürftiges .
In Dämmerung gingen die Gestalten der großen Meister an ihm vorüber , er mochte nach keinem mehr die Arme ausstrecken ; alles war schon vorüber und geendigt , wovon er noch erst den Anfang erwartete .
Er schweifte durch die Stadt , und die bunten Häuser , die Brücken , die Kirchen mit ihrer künstlichen Steinarbeit , nichts reizte ihn , es genau zu betrachten , es sich einzuprägen , wie er sonst so gern tat , in jedem Werke schaute ihn Vergänglichkeit und zweckloses Spiel mit trüben Augen , mit spöttischer Miene an .
Die Mühseligkeit des Handwerkers , die Emsigkeit des Kaufmanns , das trostlose Leben des Bettlers daneben schien ihm nun nicht mehr , wie immer , durch große Klüfte getrennt :
sie waren Figuren und Verzierungen von einem großen Gemälde , Wald , Bergstrom , Gebirge , Sonnenaufgang waren Anhang zur trüben , dunklen Historie , die Dichtkunst , die Musik machten die Worte und Denksprüche , die mit ungeschickter Hand hineingeschrieben wurden .
" Jetzt weiß ich " , rief er im Unmute aus , " wie dir zumute ist , mein vielgeliebter Sebastian , erst jetzt lese ich aus mir selber deinen Brief , erst jetzt entsetze ich mich darüber , daß du recht hast .
So kann keiner dem anderen sagen und sprechen , was er denkt ; wenn wir selbst wie tote Instrumente , die sich nicht beherrschen können , so angeschlagen werden , daß wir dieselben Töne angeben , dann glauben wir den anderen zu vernehmen . "
Die Melodie des Liedes von der Einsamkeit kam ihm ins Gedächtnis , er konnte es nicht unterlassen , das Gedicht leise vor sich hinzusingen , wobei er immer durch die Straßen lief , und sich endlich in das Getümmel des Marktes verlor .
Er stand im Gedränge still , und ihm fiel bei , daß vielleicht keiner von den hier bewegten unzähligen Menschen seine Gedanken und seine Empfindungen kenne , daß er schon oft selbst ohne Arg herumgewandert sei , daß er auch vielleicht in wenigen Tagen alles vergessen habe , was ihn jetzt erschüttre , und er sich dann wohl wieder klüger und besser als jetzt vorkomme .
Wenn er so in sein bewegtes Gemüt sah , so war es , als wenn er in einen unergründlichen Strudel hinabschaute , wo Woge Woge drängt und schäumt , und man doch keine Welle sondern kann , wo alle Fluten sich verwirren und trennen , und immer wieder durcheinanderwirbeln , ohne Stillstand , ohne Ruhe , wo dieselbe Melodie sich immer wiederholt , und doch immer neue Abwechslung ertönt : kein Stillstand , keine Bewegung , ein rauschendes , tosendes Rätsel , eine endlose , endlose Wut des erzürnten , stürzenden Elements .
Käufer und Verkäufer schrien und lärmten durcheinander , Fremde , die sich zurechtfragten , Wagen , die sich gewaltsam Platz machten .
Alle Arten von Eßwaren umher gelagert , Kinder und Greise im Gewühl , alle Stimmen und Zungen zum verwirrten Unisono vereinigt .
Nach der anderen Seite drängte sich das Volk voll Neugier , und Franz wurde von dem ungestümen Strome mit ergriffen und fortgezogen , er bemerkte es kaum , daß er von der Stelle kam .
Als er näher stand , hörte er durch das Geräusch der Stimmen , durch die öftere Unterbrechung , Fragen , Antworten und Verwunderung folgendes Lied singen :
" Wie über Matten Die Wolke zieht , So auch der Schatten Vom Leben flieht .
Die Jahre eilen Kein Stillestand , Und kein Verweilen , Sie hält kein Band .
Nur Freude kettet Das Leben hier , Der Frohe rettet Die Zeiten schier .
Ihm sind die Stunden Was Jahre sind , Sind nicht verschwunden Wer so gesinnt .
Ihm sind die Küsse Der goldene Wein Noch Mal so süße Im Sonnenschein .
Ihm naht kein Schatten Vergänglichkeit , Für ihn begatten Sich Freude und Zeit .
Darum nehmt die Freude Und sperrt sie ein , Dann müßt ihr beide Unsterblich sein . "
Es war ein Mädchen , die dieses Lied absang , indem kam Franz durch eine unvermutete Wendung dicht an die Sängerin zu stehen , das Gedränge preßte ihn an sie , und indem er sie genau betrachtete , glaubte er Ludovico zu erkennen .
Jetzt hatte ihn der Strom von Menschen wieder entfernt , und er konnte daher seiner Sache nicht gewiß sein , ein Leierkasten fiel ihm mit seinen schwerfälligen Tönen in die Ohren , und eine andere Stimme sang :
" Aus Wolken kommt die frohe Stunde , O Mensch gesunde , Laß Leiden sein und Bangigkeit Wenn Liebchens Kuß dein Herz erfreut .
In Küssen webt ein Zaubersegen , Darum sei verwegen , Was schadet_es , wenn der Donner rollt , Wenn nur der rote Mund nicht schmollt . "
Franz war erstaunt , denn er glaubte in diesem begleitenden Sänger Florestan zu erkennen .
Er war wie ein alter Mann gestaltet , und verstellte , wie Sternbald glaubte , auch seine Stimme ; doch war er noch zweifelhaft . -
In kurzer Zeit hatte er beide aus den Augen verloren , sosehr er sich auch bemühte , sich durch die Menschen hindurchzudrängen .
Die beiden Gestalten lagen ihm immer im Sinne , er ging zum Kloster zurück , aber er konnte sie nicht vergessen , er wollte sie wieder aufsuchen , aber es war vergebens .
Indem er malte , kam die Äbtissin mit einigen Nonnen hinzu , um ihm bei der Arbeit zuzusehn , die größte von ihnen schlug den Schleier zurück , und Franz erschrak über die Schönheit , über die Majestät eines Angesichts , die ihm plötzlich in die Augen fielen .
Diese reine Stirn , diese großen dunklen Augen , das schwermütige , unaussprechlich süße Lächeln der Lippen nahm sein Auge gleichsam mit Gewalt gefangen , sein Gemälde , jede andere Gestalt kam ihm gegen diese Herrlichkeit trübe und unscheinbar vor .
Er glaubte auch noch nie einen so schlanken Wuchs gesehen zu haben , ihm fielen ein paar Stellen aus alten Gedichten ein , wo der Dichter von der siegenden Gewalt der Allerholdseligsten sprach , von der unüberwindlichen Waffenrüstung ihrer Schöne .
- Ein altes Lied sagte : Laß mich los , um Gottes Willen Gib mich armen Sklaven frei , Laß die Augen dir verhüllen , Daß ihr Glanz nicht tödlich sei .
Mußt du mich in Ketten schleifen Stärker als von Diamantstein ?
Muß das Schicksal mich ergreifen , Ich ihr Kriegsgefangener sein ?
- " Wie " , dachte Sternbald , " muß dem Manne sein , dem sich diese Arme freundlich öffnen ? dem dieser heilige Mund den Kuß entgegenbringt ?
Die Grazie dieser übermenschlichen Engelsgestalt ganz sein Eigentum ! "
Die Nonne betrachtete das Gemälde und den Maler in einer nachdenklichen Stellung , keine ihrer Bewegungen war lebhaft , aber wider Willen wurde das Auge nachgezogen , wenn sie ging , wenn sie die Hand erhob , das Auge war entzückt , in den Linien mitzugehn , die sie beschrieb .
Franz gedachte an Roderigos Worte , der von der Gräfin gesagt hatte , daß sie in Bewegungen Musik schriebe , daß jede Biegung der Gelenke ein Wohllaut sei .
Sie gingen fort , der Gesang der Nonnen erklang wieder .
Franz fühlte sich verlassen , daß er nicht neben der schönen Heiligen knien konnte , ganz in An dachte hingegossen , die Augen dahin gerichtet , wohin die ihrigen blickten , er glaubte , daß das allein schon ein höchst seliges Gefühl sein müsse , nur mit ihr dieselben Worte zu singen , zu denken .
Wie widerlich waren ihm die Farben , die er auftragen , die Figuren , die er neu beleben sollte !
Auf den Abend sprach er den Bildhauer .
Er schilderte ihm die Schönheit , die er gesehen hatte , Augustin schien beinahe eifersüchtig .
Er erzählte , wie es dasselbe Mädchen sei , das in kurzem das Gelübde ablegen werde , von der der Köhler gesprochen habe , sie sei mit ihrem Stande unzufrieden , müsse sich aber dem Willen der Eltern fügen .
" Ihr habt recht " , fuhr er gegen Franz fort , " wenn Ihr sie eine Heilige nennt , ich habe noch nie eine Gestalt gesehen , die etwas so Hohes , so Überirdisches ausgedrückt hätte .
Und nun denkt Euch diesen züchtigen Busen entfesselt , diese Wangen mit Scham und Liebe kämpfend , diese Lippen in Küssen entbrannt , das große Auge der Trunkenheit dahingegeben , dies Himmlische des Weibes im Widerspruch mit sich selbst und doch ihre schönste Bestimmung erfüllend - Oh , wer auf weiter Erde ist denn glückseliger und gebenedeiter , als dieser ihr Geliebter ?
Höhere Wonne wird auf dieser mageren Erde nicht reif , und wem diese beschert ist , vergißt die Erde und sich , und alles ! "
Er schien noch weitersprechen zu wollen , aber plötzlich brach er ab , und verließ Sternbald , der im unnützen Nachsinnen verloren war .
Franz hatte noch keine seiner Arbeiten mit dieser Unentschlossenheit und Beklemmung gemacht , er schämte sich eigentlich seines Malens an diesem Orte , besonders in Gegenwart der majestätischen Gestalt .
Sie besuchte ihn regelmäßig und betrachtete ihn genau .
Ihre Gestalt prägte sich jedesmal tiefer in seine Phantasie , er schied immer weniger gern .
Die Malerei ging rascher fort , als er sich gedacht hatte .
Die Genoveva machte er seiner teuren Unbekannten ähnlich , er suchte den Ausdruck ihrer Physiognomie zu erhöhen , und den geistreichen Schmerz gut gegen die unschuldigen Gesichter der Tiergestalten abstechen zu lassen .
Wenn die Orgel zuweilen ertönte , fühlte er sich wohl selbst in schauerliche Einsamkeit entrückt , dann fühlte er Mitleid mit der Geschichte , die er darstellte , ihn erschreckte dann der wehmütige Blick , den die Unbekannte von der Wand herab auf ihn warf , die Tiere mit ihren Denksprüchen rührten ihn innerlich .
Aber fast immer sehnte er sich zu einer anderen Arbeit hin .
Manchmal glaubte er , daß die schöne Nonne ihn mit Teilnahme und Rührung betrachte , denn es schien zuweilen , als wenn sie jeden seiner Blicke aufzuhaschen suchte , sooft er die Augen auf sie wandte , begegnete er ihrem bedeutenden Blicke .
Er wurde rot , der Glanz ihrer Augen traf ihn wie ein Blitz .
Die Äbtissin hatte sich an einem Morgen auf eine Weile entfernt , die übrigen Nonnen waren nicht zugegen , und Sternbald war gerade unten am Gemälde beschäftigt , als das schöne Mädchen ihm plötzlich ein Papier in die Hand drückte .
Er wußte nicht , wie ihm geschah , er verbarg es schnell .
Die wunderbarste Zeit des Altertums mit allen ihren ungeheuren Märchen , dünkte ihm , wäre ihm nahegetreten , hätte ihn berührt , und sein gewöhnliches Leben sei auf ewig völlig entschwunden .
Seine Hand zitterte , sein Gesicht glühte , seine Augen irrten umher , und scheuten sich , den ihrigen zu begegnen .
Er schwor ihr im Herzen Treue und feste Kühnheit , er unternahm jegliche Gefahr , ihm schien es Kleinigkeit , das Gräßlichste um ihretwillen zu unternehmen .
Er sah im Geiste Entführung und Verfolgung vor sich , er flüchtete sich schon in Gedanken zu seiner Genoveva in die unzugängliche Wüste .
" Wer hätte das gedacht " , sagte er zu sich , " als ich zuerst den steinernen Fußboden dieses Klosters betrat , daß hier mein Leben einen neuen Anfang nehmen würde ? daß mir das gelingen könne , was ich für das Unmöglichste hielt ? "
Indem versammelten sich die Nonnen auf dem Chor , die Glocke schlug ihre Töne , die ihm ins Herz redeten , man ließ ihn allein , und der herzdurchdringende , einfache Gesang hob wieder an .
Er konnte kaum atmen , so schienen ihn die Töne wie mit mächtigen Armen zu umfassen und sich dicht an seine entzückte Brust zu drücken .
Als alles wieder ruhig war , als er sich allein befand , nahm er den Brief wieder hervor , seine Hand zitterte , als er ihn erbrechen wollte , aber wie erstaunte er , als er die Aufschrift : An Ludovico , las ! -
Er schämte sich vor sich selber , er stand eine Weile tief nachsinnend , dann arbeitete er mit neuer Inbrunst am Antlitz seiner Heiligen weiter , er konnte den Zusammenhäng nicht begreifen , alle seine Sinne verwirrten sich .
Das Gemälde schien ihn mit seinen alten Versen anzureden , Genoveva ihm seine Untreue , seinen Wankelmut vorzuwerfen .
Es war Abend geworden , als er das Kloster verließ .
Er ging über den Kirchhof nach dem Felde zu , als ihm wieder die dumpfen Leiertöne auffielen .
Der Alte kam auf ihn zu und nannte ihn bei Namen .
Es war niemand anders als Florestan .
Sternbald konnte sich vor Erstaunen nicht finden , aber jener sagte :
" Sieh , mein Freund , dies ist das menschliche Leben , wir nahmen vor kurzem so wehmütig Abschied voneinander , und nun triffst du mich so unerwartet und bald wieder , und zwar als alten Mann .
Sei künftig niemals traurig , wenn du einen Freund verläsest .
Aber hast du nichts an Ludovico abzugeben ? "
Sternbald ahndete nun den Zusammenhäng , mit zitternder Hand gab er ihm den Brief , den er von der Nonne empfangen hatte .
Florestan empfing ihn freudig .
Als Franz ihn weiter befragte , antwortete er lustig :
" Sieh , mein Freund , wir sind jetzt auf Abenteuer , Ludovico liebt sie , sie ihn , in wenigen Tagen will er sie entführen , alle Anstalten dazu sind getroffen , ich führe bei ihm ein Leben wie im Himmel , alle Tage neue Gefahren , die wir glücklich überstehn , neue Gegenden , neue Lieder und neue Gesinnungen . "
Franz wurde empfindlich .
" Wie ? " sagte er im Eifer , " soll auch sie ein Schlachtopfer seiner Verführungskunst , seiner Treulosigkeit werden ?
Nimmermehr ! "
Rudolph hörte darauf nicht , sondern bat ihn , nur einen Augenblick zu verweilen , er müsse Ludovico sprechen , würde aber sogleich zurückkommen .
Vor allen Dingen aber solle er dem Bildhauer Bolz nicht ein Wort davon entdecken .
Franz blieb allein und konnte sich über sich selbst nicht zufriedengeben , er wußte nicht , was er zu allem sagen solle .
Er setzte sich unter einem Baume nieder , und Rudolph kam nach kurzer Zeit zurück .
" Hier , mein liebster Freund " , sagte dieser , " diesen Zettel mußt du morgen deiner schönen Heiligen übergeben , er entscheidet ihr Schicksal . "
" Wie ? " rief Franz bewegt aus , " soll ich mich dazu erniedrigen , das herrlichste Geschöpf vernichten zu helfen ?
Und du Rudolph kannst mit diesem Gleichmute ein solches Unternehmen beginnen ?
Nein , mein Freund , ich werde sie vor dem Verführer warnen , ich werde ihr raten , ihn zu vergessen wenn sie ihn liebt , ich werde ihr erzählen , wie er gesinnt ist . "
" Sei nicht unbesonnen " , sagte Florestan , " denn du schadest dadurch dir und allen .
Sie liebt ihn , sie zittert vor dem Tage ihrer Einkleidung , die Flucht ist ihr freier Entschluß , was geht dich das übrige an ?
Und Ludovico wird und kann ihr nicht niedrig begegnen .
- Seit er sie kennt , ist er , möchte ich sagen , durchaus verändert .
Er betet sie an , wie ein himmlisches , überirdisches Wesen , er will sie zu seiner Gattin machen , und ihr die Treue seines Lebens widmen .
Aber lebe wohl , ich habe keine Zeit zu verlieren , sprich zum Bildhauer kein Wort , ich lasse dir den Brief , denn du bist mein und Ludovicos Freund , und wir trauen dir beide keine Schändlichkeit zu . "
Mit diesen Worten eilte Florestan fort , und Sternbald ging zur Stadt zurück .
Er wich dem Bildhauer aus , um sich nicht zu verraten .
Am folgenden Morgen erwartete er mit Herzklopfen die Gelegenheit , mit der er der schönen Nonne das Billet zustecken könne .
Sie nahm es mit Erröten , und verbarg es im Busen .
Über ihr lilienweißes Gesicht legte sich ein so holdes Schamrot , ihre gesenkten Augen glänzten so hell , daß Franz ein vom Himmel verklärtes Wesen vor sich zu sehen glaubte .
Sie schien nun ein Vertrauen zu Franz zu haben und doch seine Augen zu fürchten , ihre Majestät war sanfter und um so lieblicher .
Franz war im innersten Herzen bewegt .
Die Zeit verging , die Arbeit am Gemälde nahte sich ihrer Vollendung .
Bolz schien mit einem großen Unternehmen schwanger zu gehen , seinem Freunde Sternbald sich aber nicht ganz vertrauen zu wollen .
An einem Morgen , als er wieder zum Malen ging , es war der letzte Tag seiner Arbeit , fand er das ganze Kloster in der größten Bewegung .
Alle liefen unruhig durcheinander , man suchte , man fragte , man erkundigte sich , die schöne Novize wurde vermißt , der Tag ihrer Einkleidung war ganz nahe .
Sternbald ging schnell an seine Arbeit , sein Herz war unruhig , er war ungewiß , ob er sich etwas vorzuwerfen habe .
Wie freute er sich , als er nun das Gemälde vollendet hatte , als er wußte , daß er das Kloster nicht mehr zu besuchen brauche , in welchem die Schönheit nicht mehr war , die seine Augen nur zu gern aufgesucht hatten .
Er erhielt von der Äbtissin seine Bezahlung , betrachtete das Gemälde noch einmal , und ging dann übers Feld nach der Stadt zurück .
Er zitterte für seine Freunde , für die schöne Nonne ; er suchte den Bildhauer auf , der aber nirgends anzutreffen war .
Er verließ schon am folgenden Morgen die Stadt , um sich endlich Italien zu nähern , und Rom den erwünschten Ort zu sehen .
Gegen Mittag fand er am Wege den Bildhauer Bolz liegen , der ganz entkräftet war .
Franz erstaunte nicht wenig , ihn dort zu finden .
Mit Hilfe einiger Vorüberwandernden brachte er ihn ins nahe Städtchen , er war verwundet , entkräftet und verblutet , aber ohne Gefahr .
Franz sorgte für ihn , und als sie allein waren , sagte Augustin :
" Ihr trefft mich hier , mein Freund , gewiß gegen Eure Erwartung an , ich härte Euch mehr vertrauen , und mich früher Eurer Hilfe bedienen sollen , so wäre mir dies Unglück nicht begegnet .
Ich wollte die Nonne , die man in wenigen Tagen einkleiden wollte , entführen , ich beredete Euch deshalb , Euch im Kloster dort zu verdingen .
Aber man ist mir zuvorgekommen .
In der verwichenen Nacht traf ich sie in Gesellschaft von zwei unbekannten Männern , ich fiel sie an und wurde überwältigt .
Ich zweifle nicht , daß es ein Streiche von Roderigo ist , der sie kannte , und sie schon vor einiger Zeit rauben wollte . "
Franz blieb einige Tage bei ihm , bis er sich gebessert hatte , dann nahm er Abschied , und ließ ihm einen Teil seines Geldes zur Pflege des Bildhauers zurück .
Drittes Kapitel Drittes Kapitel Aus Florenz antwortete Franz seinem Freunde Sebastian folgendermaßen :
Liebster Sebastian !
Ich möchte zu Dir sagen : sei gutes Muts ! wenn Du jetzt imstande wärest , auf meine Worte zu hören .
Aber leider ist es so beschaffen , daß wenn der andere uns zu trösten vermöchte , wir uns auch selber ohne weiteres trösten könnten .
Darum will ich lieber schweigen , liebster Freund , weil überdies wohl bei Dir die trüben Tage vorübergegangen sein mögen .
In jedem Falle , lieber Bruder , verliere nicht den Mut zum Leben , bedenke , daß die traurigen Tage ebenso gewiß als die fröhlichen vorübergehen , daß auf dieser veränderlichen Welt nichts eine dauernde Stelle hat .
Das sollte uns im Unglück trösten und unsere übermütige Fröhlichkeit dämpfen .
Wenn ich Dich doch , mein Liebster , auf meiner Reise bei mir hätte !
Wie ich da alles mehr und inniger genießen würde !
Wenn ich Dir nur alles sagen könnte , was ich lerne und erfahre , und wie viel Neues ich sehe und schon gesehen habe !
Es überschüttet und überwältigt mich oft so , daß ich mich ängstige , wie ich alles im Gedächtnis , in meinen Sinnen aufbewahren will .
Die Welt und die Kunst ist viel reicher , als ich vorher glauben konnte .
Fahre nur eifrig fort zu malen , Sebastian , damit Dein Name auch einmal unter den würdigen Künstlern genannt werde , Dir gelingt es gewiß eher und besser als mir .
Mein Geist ist zu unstet , zu wankelmütig , zu schnell von jeder Neuheit ergriffen ; ich möchte gern alles leisten , und darüber werde ich am Ende gar nichts tun können .
So ist mein Gemüt aufs heftigste von zwei neuen großen Meistern bewegt , vom venezianischen Tizian und von dem allerlieblichsten Antonio Allegri von Correggio .
Ich habe , möchte ich sagen , alle übrige Kunst vergessen , indem diese edlen Künstler mein Gemüt erfüllen , doch hat der letztere auch beinahe den ersteren verdrängt .
Ich weiß mir in meinen Gedanken nichts Holdseligeres vorzustellen , als er uns vor die Augen bringt , die Welt hat keine so liebliche , so vollreizende Gestalten , als er zu malen versteht .
Es ist , als hätte der Gott der Liebe selber in seiner Behausung gearbeitet und ihm die Hand geführt .
Wenigstens sollte sich nach ihm keiner unterfangen , Liebe und Wollust darzustellen , denn keinem anderen Geiste hat sich so das Glorreiche der Sinnenwelt offenbart .
Es ist etwas Köstliches , Unbezahlbares , Göttliches , daß ein Maler , was er in der Natur nur Reizendes findet , was seine Imagination nur veredeln und vollen den kann , uns nicht in Gleichnissen , in Tönen , in Erinnerungen oder Nachahmungen aufbewahrt , sondern es auf die kräftigste und fertigste Weise selber hinstellt und gibt .
Darum ist auch in dieser Hinsicht die Malerei die erste und vollendetste Kunst , das Geheimnis der Farben ist anbetungswürdig .
Der Reiche , der Correggios Gemälde , seine Leda , seine badenden schönsten Nymphen besitzt , hat sie wirklich , sie blühen in seinem Palaste in ewiger Jugend , der allerhöchste Reiz ist bei ihm einheimisch , wonach andere mit glühender Phantasie suchen , was Stumpfere mit ihren Sinnen sich nicht vorstellen können , lebt und webt bei ihm wirklich , ist seine Göttin , seine Geliebte , sie lächelt ihn an , sie ist gern in seiner Gegenwart .
Wie ist es möglich , wenn man diese Bilder gesehen hat , daß man noch vom Kolorit geringschätzend sprechen kann ?
Wer würde nicht von der Allmacht der Schönheit besiegt werden , wenn sie sich ihm nackt und unverhüllt , ganz in Liebe hingegeben , zu zeigen wagte ? -
Das Studium dieser himmlischen Jugendgeister hat die große Zauberei erfunden , dies und noch mehr unseren Augen möglich zu machen .
Was die Gesänge des liebenden Petrarca wie aus der Ferne herüberwehen , Schattenbilder im Wasser , die mit den Wogen wieder wegfließen , was Ariosts feuriger Genius nur lüstern und in der Ferne zeigen kann , wonach wir sehen und es doch nicht entdecken können , im Walde fernab die ungewissesten Spuren , die dunklen Gebüsche verhüllen es , sosehr wir danach irren und suchen ; alles das steht in der allerholdseligsten Gegenwart dicht vor uns .
Es ist mehr , als wenn Venus uns mit ihrem Knaben selber besuchte , der Genuß an diesen Bildern ist die hohe Schule der Liebe , die Einweihung in die höchsten Mysterien , wer diese Gemälde nicht verehrt , versteht und sich an ihnen ergötzt , der kann auch nicht lieben , der muß nur gleich sein Leben an irgendeine unnütze , mühselige Beschäftigung wegwerfen , denn ihm ist es verborgen , was er damit anfangen kann .
Eine Zeichnung mag noch so edel sein , die Farbe bringe erst die Lebenswärme , und ist mehr und inniger , als der körperliche Umfang der Bildsäule .
Auch in seinen geistlichen Kompositionen spiegelt sich eine liebende Seele , der Gürtel der Venus ist auch hier verborgen , und man weiß immer nicht , welche seiner Figuren ihn heimlich trägt .
Auge und Herz bleiben gern verweilend zurückgezogen ; der Mensch fühlt sich bei ihm in der Heimat der glücklichsten Poesie , er denkt : ja , das war es , was ich suchte , was ich wollte und es immer zu finden verzweifelte .
Vulkans künstliches Netz zieht sich unzerreißbar um uns her , und schließt uns eng und enger an Venus , die vollendete Schönheit an .
Es herrscht in seinen Bildern nicht halbe Lüsternheit , die sich verstohlen und ungern zu erkennen gibt , die der Maler erraten läßt , der sich gleich darauf gern wieder zurückzöge , um viel zu verantworten zu haben , sich aber auch wirklich zu verantworten ; es ist auch nicht gemeine Sinnlichkeit , die sich gegen den edleren Geist empört , um sich nur bloßzustellen , um in frecher Schande zu triumphieren , sondern die reinste und hellste Menschheit , die sich nicht schämt , weil sie sich nicht zu schämen braucht , die in sich selbst durchaus glückselig ist .
Es ist , so möchte ich sagen , der Frühling , die Blüte der Menschheit : alles im vollen , schwelgenden Genuß , alle Schönheit emporgehoben in vollster Herrlichkeit , alle Kräfte spielend und sich übend im neuen Leben , im frischen Dasein .
Herbst ist weitab , Winter ist vergessen , und unter den Blumen , unter den Düften und grünglänzenden Blättern wie ein Märchen , von Kindern erfunden .
Es ist , als wenn ich mit der weichen , ermattenden und doch erfrischenden Luft Italiens eine andere Seele einzöge , als wenn mein inneres Gemüt auch einen ewigen Frühling hervortriebe , wie er von außen um mich glänzt und schwillt und sich treibend blüht .
Der Himmel hier ist fast immer heiter , alle Wolken ziehen nach Norden , so auch die Sorgen , die Unzufriedenheit .
Oh , liebster Bruder , Du solltest hiersein , die Harfenstimmen der Geister , die Blumenhände der unsichtbaren Engel würden auch Dich berühren und heilen .
In wenigen Tagen reise ich nach Rom .
Ein verständiger Mann , der die Kunst über alles liebt , ist mein Begleiter , er und seine junge schöne Frau reisen ebenfalls nach Rom .
Er heißt Castellani .
Ich habe mancherlei unterdessen gearbeitet , womit ich aber nicht sonderlich zufrieden bin :
doch erleichtert mir mein Verdienst die Reise .
Laß es mir doch niemals an Nachrichten von Dir mangeln .
Lebe wohl , liebe immer wie sonst Deinen Franz Sternbald .
Viertes Kapitel Viertes Kapitel Franz blieb länger in Florenz , als er sich vorgenommen hatte , sein neuer Freund Castellani wurde krank , und Sternbald war gutherzig genug , ihm Gesellschaft zu leisten , da jener zu Florenz fast ganz fremde war .
Er konnte den Bitten seiner jungen Frau , der freundlichen Lenore , sich nicht widersetzen , und da er in Florenz für seine Kunst noch genug zu lernen fand , so gereute ihn auch dieser Abschub nicht .
Es ereignete sich außerdem noch ein sonderbarer Vorfall .
Es fügte sich oft , daß er bei seinen Besuchen seinen Freund nicht sprechen konnte , Lenore war dann allein , und noch ehe er es bemerken konnte , war er an sie gefesselt .
Er kam bald nur , um sie zu sehen .
Lenore schien gegen Franz sehr gefällig , ihre schalkhaften Augen sahen ihn immer lustig an , ihr mutwilliges Gespräch war immer belebt .
An einem Morgen entdeckte sie ihm unverhohlen , daß Castellani nicht mit ihr verheiratet sei , sie reise , sie lebe nur mit ihm , in Turin habe sie ihn kennengelernt , und er sei ihr damals liebenswürdig vorgekommen .
Franz war sehr verlegen , was er antworten solle ; ihn entzückte der leichte , flatterhafte Sinn dieses Weibes , obgleich er ihn verdammen mußte , ihre Gestalt , ihre Freundlichkeit gegen ihn .
Sie sahen sich öfter und waren bald einverstanden ; Franz machte sich Vorwürfe , aber er war zu schwach , dies Band wieder zu zerreißen .
Es gelang ihm , mit einem Maler in Florenz in Bekanntschaft zu geraten , der niemand anders war , als Franz Rustici , der damals in dieser Stadt und Italien in großem Ansehn stand .
Dieser verschaffte ihm ein Bild zu malen , und schien an Sternbald Anteil zu nehmen .
Sie sahen sich öfter , und Franz wurde in Rusticis Freundschaft aufgenommen .
Dieser Maler war ein lustiger , offener Mann , der ernst sein konnte , wenn er wollte , aber immer für leichten Scherz Zeit genug übrigbehielt .
Franz besuchte ihn oft , um von ihm zu lernen und sich an seinen sinnreichen Gesprächen zu ergötzen .
Rustici war ein angesehener Mann in Florenz , aus einer guten Familie , der bei Andrea Verocchio und dem berühmten Leonard da Vinci seine Kunst erlernt hatte .
Franz bewunderte den großen Ausdruck an seinen Bildern , die wohlüberdachte Komposition .
Nachdem sich beide oft gesehen hatten , sagte Rustici an einem Tage zu Sternbald :
" Mein lieber deutscher Freund , besucht mich am künftigen Sonnabend in meinem Garten vor dem Tore , wir wollen dort lustig miteinander sein , wie es sich für Künstler ziemt .
Wir machen oft eine fröhliche Gesellschaft zusammen , zu der der Maler Andrea gehört , den Ihr kennt , und den man immer del Sarto von seinem Vater her zu nennen pflegt ; dieser wird auch dort sein .
Die Reihe , einen Schmaus zu geben , ist nun an mich gekommen , Ihr mögt auch Eure Geliebte mitbringen , denn wir wollen tanzen , lachen und scherzen . "
" Wenn ich nun keine habe , die ich mitbringen kann " , antwortete Franz .
" Oh , mein Freund " , sagte der Florentiner , " ich würde Euch für keinen guten Künstler halten , wenn es Euch daran fehlen sollte .
Die Liebe ist die halbe Malerei , sie gehört mit zu den Lehrmeistern in der Kunst .
Vergeßt mich nicht , und seid in meiner Gesellschaft recht fröhlich . "
Franz verließ ihn .
Castellani war nach Genua gereist , um dort einen Arzt , seinen Freund , zu sehen , seine Geliebte war in Florenz zurückgeblieben .
Franz bat um ihre Gesellschaft auf den kommenden Schmaus , die sie ihm auch zusagte , da sie sich wenig um die Reden der Leute kümmerte .
Der Tag des Festes war gekommen .
Lenore hatte ihren schönsten Putz angelegt , und war liebenswürdiger , als gewöhnlich .
Franz war zufrieden , daß sie Aufmerksamkeit und Flüstern erregte , als er sie durch die Straßen der Stadt führte .
Sie schien sich auch an seiner Seite zu gefallen , denn Franz war jetzt in der blühendsten Periode seines Lebens , sein Ansehn war munter , sein Auge feurig , seine Wangen rot , sein Schritt und Gang edel , beinahe stolz .
Er hatte die Demut und Schüchternheit fast ganz abgelegt , die ihn bis dahin immer noch als einen Fremden kennbar machte .
Er geriet nun nicht mehr so , wie sonst , in Verlegenheit , wenn ein Maler seine Arbeiten lobte , weil er sich auch daran mehr gewöhnt hatte .
Sternbald fand schon einen Teil der Gesellschaft versammelt , die ganz aus jungen Männern und Mädchen oder schönen Weibern bestand .
Er grüßte den Meister Andrea freundlich , der ihn schon kannte , und der ihm mit seiner gewöhnlichen leichtsinnigen und doch blöden Art dankte .
Man erwartete den Wirt , von dem sein Schüler Bandinelli erzählte , daß er nur noch ein fertiges Gemälde in der Stadt nach dem Eigentümer gebracht habe , und eine ansehnliche Summe dafür empfangen werde .
Der Garten war anmutig mit Blumengängen geschmückt , mit schönen grünen Rasenplätzen dazwischen und dunklen , schattigen Gängen .
Das Wetter war schön , ein erfrischender Wind spielte durch die laue Luft , und erregte ein stetes Flüstern in den bewegten Bäumen .
Die großen Blumen dufteten , alle Gesichter waren fröhlich .
Francesco Rustici kam endlich , nachdem man ihn lange erwartet hatte , er näherte sich der Gesellschaft freundlich , und hatte das kleine Körbchen in der Hand , in dem er immer seine Barschaft zu tragen pflegte .
Er grüßte alle höflich , und bewillkommte Franz vorzüglich freundschaftlich .
Andrea ging aufgeräumt auf ihn zu , und sagte : " Nun , Freund , du hast noch vorher ein ansehnliches Geschäft abgemacht , lege deinen Schatz ab , der dir zur Last fällt , vergiß deine Malereien , und sei nun ganz mit uns fröhlich . "
Francesco warf lachend den leeren Korb ins Gebüsch , und rief aus : " Oh , mein Freund , heute fallen mir keine Geldsummen zur Last , ich habe nichts mehr . "
" Du bist nicht bezahlt worden ? " rief Andrea aus , " ja , ich kenne die vornehmen und reichen Leute , die es gar nicht wissen und nicht zu begreifen scheinen , in welche Not ein armer Künstler geraten kann , der ihnen nun endlich seine fertige Arbeit bringt , und doch mit leeren Händen wieder zurückgehen muß .
Ich bin manchmal schon so böse geworden , daß ich Pinsel und Palette nachher in den Winkel warf und die ganze Malereikunst verfluchte .
Sei nicht böse darüber , Francesco , du mußt dich ein paar unnütze Gänge nicht verdrießen lassen . "
" Er ist bezahlt " , sagte ein junger Mann , der mit dem Maler gekommen war .
" Und wo hat er denn sein Geld gelassen ? " fragte Andrea verwundert .
" Ihr kennt ja seine Art " , fuhr jener fort , " wie er keinen Armen vor sich sehen kann , ohne ihn zu beschenken , wenn er Geld bei sich hat .
Kaum sahen sie ihn daher heute aus dem Palast kommen und seinen bekannten Korb an seinem Arm , als ihm auch alle Bettler folgen , die mit seiner Gutherzigkeit bekannt sind .
Er gab jedem reichlich , und nahm es nicht übel , daß einige darunter waren , denen er erst gestern gegeben hatte ; als ich es ihm heimlich sagte , antwortete er lachend :
» Mein Freund , sie wollen aber heute wieder essen . «
Ein alter Mann stand von der Seite und sah dem Austeilen zu , er heftete die Augen aufmerksam auf den Korb , und seufzte für sich : » Ach Gott , wenn ich doch nur das Geld hätte , das in diesem Korbe ist ! «
Francesco hatte es unvermuteterweise gehört .
Er geht auf den Alten zu , und fragt , ob es ihn glücklich machen würde ?
» Oh , mich und meine Familie « , ruft jener , » aber seid nicht böse , ich dachte nicht , daß Ihr es hören würdet . «
- Sogleich kehrt mein launiger Francesco den ganzen Korb um , und schüttet ihn dem alten Bettler in seine lederne Mütze , geht davon , ohne auch nur den Dank abzuwarten . "
" Ihr seid ein edler Mann ! " rief Sternbald aus .
" Oh , Ihr irrt " , sagte der Maler , " es ist gar nichts Besonderes , ich kann den Armen nicht sehen , es jammert mich , und so gebe ich ihm wenigstens , da ich nicht mehr tun kann .
Bei diesem Alten fiel mir ein , wie manche unnütze Ausgaben ich in meinem Leben schon gemacht hätte , wie wenig ich aufopfre , wenn ich mir eine Tapete oder ein kostbares Hausgerät versage .
Ich dachte : » Wenn du nun kein Geld bekommen , wenn du das Gemälde gar nicht gemalt hättest ? «
Ich sah Kinder und seine alte zerlumpte Gattin in Gedanken vor mir , die mit so heißer Sehnsucht seine Rückkehr erwarteten . "
" Aber wenn du so handeln willst " , sagte Andrea , " so kannst du deinem Geben gar keinen Einhalt tun . "
" Das ist es eben , was mich betrübt " , fuhr Rustici fort , " daß ich meine Gutherzigkeit einschränken muß , daß alles , was wir an Wohltaten tun können , nichts ist , weil wir nicht immer , weil wir nicht alles geben können .
Es ist eine sonderbare Fügung des Schicksals , daß Überfluß und Pracht und drückender Mangel dicht nebeneinander bestehen müssen , die Armut auf Erden kann niemals aufgehoben werden , und wenn alle Menschen gleich wären , müßten sie alle betteln , und keiner könnte geben .
Das allein tröstet mich auch oft darüber , wenn mir einfällt , daß ich mich bei meiner Kunst wohl befinde , indessen andere , die weit härtere Arbeiten tun , die weit fleißiger sind , Mangel leiden müssen .
Hier ist auf Erden See und Weltmeer , hier strömen große Flüsse , dort leiden die heißen Ebenen , die wenigen Pflanzen ersterben aus Mangel am nötigen Wasser .
Einer soll gar nicht dem anderen nützen , jedes Wesen in der Natur ist um sein selbst Willen da . -
Doch , wir müssen über das Gespräch nicht unseres Gastmahls vergessen . "
Er versammelte hierauf die Gesellschaft .
Ein schöner Knabe ging mit einem Korbe voll großer Blumenkränze herum , jeder mußte einen davon nehmen und ihn sich auf die Stirn drücken .
Nun setzte man sich um einen runden Tisch , der auf einem schattigen kühlen Platze im Garten gedeckt war , an allen Orten standen schöne Blumen , die Speisen wurden aufgetragen .
Die Gesellschaft nahm sich sehr malerisch aus , mit den großen , vollen , bunten Kränzen , jeder saß bei seiner Geliebten , Wein wurde herumgegeben , aus den Gebüschen erschallten Instrumente von unsichtbaren Musikanten .
Rustici stand auf , und nahm ein volles Glas :
" Nun zuerst " , rief er aus , " dem Stolze von Toskana , dem größten Manne , den das florentinische Vaterland hervorgebracht hat , dem großen Michael Agnolo Buonarotti ! " -
Alle stießen an , alle ließen ihr " Er lebe ! " ertönen .
" Schade " , sagte Andrea , " daß unser wahnsinniger Camillo uns verlassen hat , und jetzt in Rom herumwandert , er würde uns eine Rede halten , die sich gut zu dieser Gelegenheit schickt . "
Muntere Trompeten ertönten zu den Gesundheiten , und Flöten mit Waldhörnern gemischt klangen , wenn sie schwiegen , vom entfernten Ende des Gartens .
Die Schönen wurden erheitert , sie legten nun auch den Schleier ab , sie lösten die Locken aus ihren Fesseln , der Busen war bloß .
Franz sagte :
" Nur ein Künstler kann die Welt und ihre Freuden auf die wahre und edelste Art genießen , er hat das große Geheimnis erfunden , alles in Gold zu verwandeln .
In Italien ist es , wo die Wollust die Vögel zum Singen antreibt , wo jeder kühle Baumschatten Liebe duftet , wo es dem Bache in den Mund gelegt ist , von Wonne zu rieseln und zu scherzen .
In der Fremde , im Norden ist die Freude selbst eine Klage , man wagt dort nicht , den vorüberschwebenden Engel bei seinem großen goldenen Flügel herunterzuziehen . "
Ein Mädchen gegenüber nahm den Blumenstrauß von der weißen Brust , und warf ihn Fransen nach den Augen , indem sie ausrief :
" Ihr solltet ein Dichter sein , Freund , und kein Maler , dann solltet Ihr lieben , und Euch täglich in einem neuen Sonette hören lassen . "
" Nehmt mich zu Eurem Geliebten an " , rief Sternbald aus , " so mögt Ihr mich vielleicht begeistern .
Diese Blumen will ich als ein Andenken an Eure Schönheit aufbewahren . "
" Sie welken " , sagte jene , " der liebliche Brunnquell , aus dem ihr Duft emporsteigt , versiegt , sie fallen zusammen , sie lassen die Häupter sinken , und freilich vergeht alles so , was schön genannt wird . "
Franz war von der wundervollen Versammlung , von den Blumen , den schönen Mädchen , Musik und Wein begeistert , er stand auf und sang : " Warum Klagen , daß die Blume sinkt Und in Asche bald zerfällt :
Daß mir heute ein lüstern Auge winkt Und das Alter diesen Glanz entstellt .
Ihm mit allen Kräften nachzuringen , Fest zu halten unserer Schönen Hand -
Ja , die Liebe leiht die mächtigen Schwingen Von Vergänglichkeit , sie knüpft das Band .
Sagt , was wäre Glück , was Liebe ?
Keiner betete zu ihr Wenn sie ewig bei uns bliebe , Schönheit angefesselt hier .
Aber wenn auch keine Trennung droht , Eifersucht und Ungetreue schweigen , Alle sich der Liebe neigen , Fürchten gleich Geliebte keinen Tod - Ach !
Vergänglichkeit knüpft schon die Ketten , Denen kein Entrinnen möglich bleibt , Liebe und Treue können hier nicht retten , Wenn die harte Zeit Gesetze schreibt .
Darum geizen wir nach Küssen , Beugen Schönen unser Knie , Winke , Lippen , Lächeln grüßen Allzuoft zur Freude nie . "
Als er geendigt hatte , schämte er sich seines Rauschs , und Rustici rief aus :
" Seht , meine Landsleute , da einen Deutschen , der uns Italiener beschämt !
Er wird uns alle unsere Schönen abtrünnig machen . "
Andrea sagte : " Ein Glück , daß ich noch Bräutigam bin , für meine Frau würde ich sehr besorgt sein .
Aber seht ihn nur an , jetzt sitzt er so ernsthaft da , als wenn er auf eine Leichenrede dächte .
Mir fällt dabei mein Lehrer Piero di Cosimo ein , der immer von so vielen recht trübseligen Gedanken beunruhigt wurde , der sich vor dem Tode über alle Maßen fürchtete , der sich unter sonderbaren Phantomen abängstigte , und sich doch wieder an recht reizenden , ja ich möchte beinahe sagen , leichtfertigen Phantasien ergötzte . "
Rustici sagte : " Er war gewiß eins der seltsamsten Gemüter , die noch auf Erden gelebt haben , seine Bilder sind zart und vom Geiste der Wollust und Lieblichkeit beseelt , und er saß , gleich einem Gefangenen , in sich selber eingeschlossen , seine Hand nur ragte aus dem Kerker hervor , und hatte keinen Teil an seinem übrigen Menschen .
Seine Kunst lustwandelte auf grüner Wiese , indem seine Phantasie den Tod herbeirief , und tolle , schwermütige Maskeraden erfand . "
Das Gespräch der Maler wurde hier unterbrochen , denn die Mädchen und jungen Leute sprachen von allerhand lustigen Neuigkeiten aus der Stadt , wodurch die Sprechenden überstimmt wurden .
Das lebhafte Mädchen , das Laura hieß , erzählte von einigen Nachbarinnen aus der Stadt überaus fröhliche Geschichten , die keiner als Franz anstößig fand .
Er saß ihren schwarzen Augen gegenüber , die ihn unablässig verfolgten , bei jeder lebhaften Bewegung , wenn sie sich vorüberbog , machte sie den schönsten Busen sichtbarer , ihre Arme wurden ganz frei , und zeigten die weißeste Rundung .
- Lenore wurde etwas eifersüchtig , und entblößte ihre Arme , um sie mit denen ihrer Gegnerin zu vergleichen , die übrigen Mädchen lachten .
Andrea und Francesco hatten sich abseits unter einen Baum gesetzt , und führten ein ernsthaftes Gespräch ; beide waren von Wein begeistert .
" Du verstehst mich nicht " , sagte Rustici mit vielem Eifer , " der Sinn dafür ist dir verschlossen , ich gebe aber darum doch meine Bemühungen nicht auf .
Glaube nur , mein Bester , daß zu allen großen Dingen eine Offenbarung gehört , wenn sie sich unseren Sinnen mitteilen sollen , ein Gast muß plötzlich herabsteigen , der unseren Geist mit seinem fremden Einfluß durchdringt .
So ist es auch mit der erhabenen Kunst der Alchimie beschaffen . "
" Es ist und bleibt immer unbegreiflich " , sagte der langsamere Andrea , " daß du durch Zeichen und wunderbare , unverständliche Verbindungen so viel ausrichten willst . "
" Laß mich nur erst zum Ende kommen " , eiferte Francesco , " so sind diese Verbindungen nicht mehr wunderbar , so erscheint alles einfach und klar vor unseren Augen .
Die anscheinende Verwirrung muß uns nur nicht abschrecken , es ist die Ordnung selbst , die in diesen Buchstaben , in diesen unverständlichen Hieroglyphen uns gleichsam stammelnd oder wie aus der Ferne anredet .
Treten wir nur dreist näher hinzu , so wird jede Silbe deutlicher , und wir verwundern uns denn nur darüber , daß wir uns vorher verwundern konnten .
Ein guter Geist hat dem Sternbald eingegeben , zu sagen , daß sich alles unter der Hand des Künstlers in Gold verwandle .
Wie schwierig ist der Anfang zu jeglicher Kunst !
Und wird nicht alles in dieser Welt verwandelt und aus unkenntlichen Massen zu fremdartigen Massen erzogen ?
Warum soll es mit den Metallen anders sein ?
Schweben nicht über die ganze Natur wohltätige Geister , die nur Seltsamkeiten aushauchen , nur in einer Atmosphäre von Unbegreiflichkeiten leben , und so wie der Mensch alles sich gleich oder ähnlich macht , sie ebenso alle Elemente umher , wenn sie noch so feindselig sind , noch so träge in der Alltäglichkeit sich herumbewegen , anrühren und in Wunder umschaffen .
An diese Geister müssen wir glauben , um auf sie zu wirken ; du mußt der Begeisterung beim Malen vertrauen , und du weißt nicht , was sie ist , woher sie kommt , die Geisteratmosphäre umweht dich und es geschieht : - mit unserem innerlichen Seelenothem müssen wir jene Geisterwelt herbeisaugen , unser Herz muß sie magnetisch an sich reißen , und siehe , sie muß ihrer Natur nach , durch ihre bloße Gegenwart das unbegreifliche Wunder wirken . "
Andrea wollte etwas antworten , als die Trompeten laut ertönten , und ihr sonderbares Gespräch unterbrachen .
" Ihr seid " , sagte die schalkhafte Laura , " sehr ernsthaft geworden . "
" Verzeiht " , antwortete der freundliche Rustici , " ich kann meine Natur nicht immer ganz beherrschen , und alle süßen Töne der Instrumente und der Sängerin ziehen sie zur Melancholie .
Ich habe mich oft gefragt : woher ? warum ? aber ich kann mir selber keine Rechenschaft geben . "
" Ihr werdet vielleicht dadurch an trübselige Gegenstände erinnert " , sagte Laura .
" Nein , das ist es nicht " , fuhr der Maler fort , " sondern mir ist im Gegenteil innerlich dann sehr wohl , meine Freude , die wie ein gefangener Adler in Ketten gesessen hat , schlägt nun mit einem Male die munteren , tapferen Schwingen auseinander .
Ich fühle , wie die Kette zerreißt , die mich noch an der Erde hielt , über die Wolken hinaus , über die Bergspitzen hinüber , der Sonne entgegen mein Flug gewendet .
Aber nun verlieren sich unter mir die Farben , und die Abwechselungen und Absonderungen der bunten Welt .
Ich bin frei , aber die Freiheit genügt mir nicht , ich kehre zurück und reiße mich von neuem empor .
Es ist , als wenn Stimmen mich erinnerten , daß ich schon einst viel glücklicher gewesen sei , und daß ich auf dieses Glück von neuem hoffen müsse .
Die Musik ist es nicht selbst , die so zu mir spricht , aber ich höre sie wie abgebrochene Laute aus einer ehemaligen verlorenen Welt , die ganz und durchaus nur Musik war , die nicht Teile , Abgesondertheit hatte , sondern wie ein einziger Wohllaut , lauter Biegsamkeit und Glück dahinschwebte , und meinen Geist auf ihren weichen Schwanenfedern trug , statt daß er auch jetzt noch auf den süßesten Tönen wie auf Steinen liegt , und sein Unglück fühlt und beklagt . "
" So ist Euch nicht zu helfen , phantastischer lieber Maler und Freund " , sagte Laura lachend , indem sie ihm die weiße Hand reichte , die er ehrerbietig küßte .
Dann drehte sie sich von ihm , und sprach im Getümmel der übrigen Mädchen umher , sie hatten beschlossen , daß sie nun , da es kühl geworden war , einen munteren Tanz aufführen wollten , wie ihn die fröhlichen Landleute in Italien zu tanzen pflegen .
Der Tanz ging vor sich , aber Sternbald und Lenore blieben zurück , weil er es nicht wagen mochte , diese leichten , schnellen und ihm ungewöhnlichen Bewegungen mitzumachen , um die übrigen nicht durch seine Ungeschicklichkeit zu verwirren .
Laura tanzte von allen am zierlichsten , ohne alle Bemühung gelangen ihr die schwierigsten Stellungen und die schnellsten Veränderungen .
Franz ergötzte sich an den leichten , flatternden Gewändern , an den schön verschlungenen Figuren .
Die zierlichsten Füße schwebten , trippelten und sprangen auf und ab , im Schwunge des Rocks wurde das leichte , wohlgeformte Bein sichtbar , weiße Arme und Busen , üppige Hüften , die das Gewand deckte und verriet , zogen das Auge nach sich , und verwirrten es in dem fröhlichen Tumult .
Laura und einige andere junge Mädchen waren ausgelassen , wenn sie im Sprunge in den Arm ihres Tänzers flogen , hob dieser sie im Schwunge hoch , und in der Luft schwebend sangen sie Stellen aus Liebesliedern in die Musik hinein .
Der wilde , bacchantische Taumel war beschlossen , ein anderer Tanz , der Zärtlichkeit ausdrückte , wurde angeordnet , auch Lenore und Sternbald schlossen sich dem Reihen an .
- Eine sanfte Musik erklang , die Paare umschlangen sich und schwebten hinauf und hinab , die Hände und Arme begegneten sich wieder , und Busen an Busen geschmiegt , begann eine neue Wendung .
Da sah man die verführerischsten Stellungen knüpfen , alle Gelenke wurden biegsamer , Franz war wie in Trunkenheit verloren .
Die Luft duftete ihnen Wonne und Freude entgegen , wie auf den Wellen der Musik schwebte er an Lauras oder Lenores Arm einher , in jedem tanzenden Gesicht kam ihm ein schalkhafter Engel entgegen , der ihm Entzücken predigte .
Er drückte Lauras Hand , die seine Zärtlichkeit erwiderte .
Man ruhte im Schatten der Bäume aus .
Knaben gaben kühlende , wohlschmeckende Früchte herum , die Schönen lagerten sich im Grase .
Andrea war vom Tanz erhitzt und sagte : " Seht , mein Freund Sternbald , so müßt ihr Deutsche erst nach Italien kommen , um zu lernen , was schön sei , hier erst offenbart sich euch Natur und Kunst .
In eurem trüben Norden ist es der Imagination unmöglich , ihre Flügel auszudehnen und das Edle zu empfinden . "
" Mein Lehrmeister , Albrecht Dürer " , sagte Franz , " den Ihr doch für einen großen Mann erkennen müßt , ist nicht hier gewesen . "
Andrea sagte : " Wie sehr wünschen aber auch alle Kunstfreunde , daß er sich möchte hierherbemüht haben , um erst einzusehn , wie viel er ist , und dann zu lernen , was er mit seinem großen Talente ausrichten könne .
So aber , wie er ist , ist er merkwürdig genug , doch ohne Bedeutung für die Kunst , der Italiener mit weit geringerem Talente wird doch immer den Sieg über ihn davontragen . "
" Ihr seid unbillig " , fuhr Sternbald auf , " ja undankbar , denn ohne ihn , ohne seine Erfindungen würden sich manche Eurer Gemälde ohne Figuren behelfen müssen . "
" Ihr müßt nicht heftig werden " , sagte der lindernde Francesco , " wahr ist es , Dürer ist Andreas hülfreicher Freund , und vielleicht verlästert er ihn eben darum , weil er sich der Dienste zu gut bewußt ist , die jener ihm geleistet hat .
Aber wir wollen lieber ein Gespräch abbrechen , das Euch nur erhitzt . "
Die Musik lärmte dazwischen , Andrea , der wenig streitsüchtig war , gab seine Meinung auf , die Tänze fingen von neuem an .
Es wurde Abend : manche von der Gesellschaft gingen nach Hause , einigen wurden von ihren Dienern Pferde gebracht .
Rustici ließ eins der schönsten Pferde in den Garten kommen , und setzte sich hinauf , indem er durch die Baumgänge ritt , die mutwillige Laura ließ sich zu ihm hinaufheben , und in einem leichten Galopp ritt sie hin und her , indem sie vor dem Maler saß , der sie mit seinen Armen festhielt .
Franz bewunderte das schöne Gemälde , er glaubte den Raub der Dejanire vor sich zu sehen , der Kranz in ihren Haaren schwankte und drohte herabzufallen , leicht saß sie oben , und doch von einer kleinen Ängstlichkeit beunruhigt , die sie noch schöner machte : das Pferd hob sich majestätisch , auf seine Beute stolz .
Zwei Trompeten bliesen einen mutigen Marsch , die prächtigen Töne begleiteten die Bewegungen des Rosses ; und der gewandte und starke Rustici saß wie ein Gott oben .
Die zurückgebliebenen Freunde führte Francesco nun nach einem anderen Teile seines Gartens .
Hier war ein runder Zirkel von Bäumen , und Festons und Girlanden von allerhand Blumen hingen in den Zweigen und schaukelten im Abendwinde , farbige Lampen brannten dazwischen , dämmernde Lauben waren in den Baumnisschen angelegt .
Wein und Früchte wurden genossen : die zärtlichen Paare saßen nebeneinander , Musik ermunterte sie , ihr Liebesgespräch zu führen .
Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Castellani war zurückgekommen , Franz hatte in seiner und Lenores Gesellschaft Florenz verlassen .
Jetzt waren sie vor Rom , die Sonne ging unter , alle stiegen aus dem Wagen , um den erhabenen Anblick zu genießen .
Eine mächtige Glut hing über der Stadt , das Riesengebäude , die Peterskirche , ragte über allen Häusern hervor , alle Gebäude sahen dagegen nur wie Hütten aus . -
Sternbalds Herz klopfte , er hatte nun das , was er von Jugend auf immer mit so vieler Inbrunst gewünscht hatte , er stand nun an der Stelle , die ihm so oft ahnungsvoll vorgeschwebt war , die er schon in seinen Träumen gesehen hatte .
Sie fuhren durchs Tor , sie stiegen in ihrem Quartiere ab .
Sternbald fühlte sich immer begeistert , die Straßen , die Häuser , alles redete ihn an .
Castellani war ein großer Freund der Kunst , er studierte sie unablässig , und schrieb darüber , sprach auch viel mit seinen Freunden .
Sternbald war sein Liebling , dem er gern alle seine Gedanken mitteilte , dem er nichts verbarg .
Er hatte in Rom viele Bekannte , meistens junge Leute , die sich an ihn schlossen , ihn oft besuchten und gewissermaßen eine Schule oder Akademie um ihn bildeten .
Auch ein gewisser Camillo , dessen Andrea del Sarto schon erwähnt hatte , besuchte ihn .
Dieser Camillo war ein Greis , lang und stark , der Ausdruck seiner Mienen hatte etwas Seltsames , seine großen feurigen Augen konnten erschrecken , wenn er sie plötzlich herumrollte .
Seine Art zu sprechen war ebenso auffallend , er galt bei allen seinen Bekannten für wahnsinnig , sie behandelten ihn als einen Unverständigen , den man schonen müsse , weil er der Schwächere sei .
Er sprach wenig , und hörte nur zu , Castellani war freundlich gegen ihn , nahm aber sonst mit ihm wenige Rücksicht .
Sternbald besuchte die Kirchen , die Gemäldesammlungen , die Maler .
Er konnte nicht zur Ruhe kommen , er sah und erfuhr so viel , daß er nicht Zeit hatte , seine Vorstellungen zu ordnen .
Dabei gab er sich Mühe , mit jedem Tage in seinen Begriffen weiterzukommen , und in das eigentliche Wesen und die Natur der Kunst einzudringen .
Er fühlte sich zu Castellani freundschaftlich hingezogen , weil er durch diesen am meisten in seiner Ausbildung , in der Erkenntnis gewann ; er besuchte die Gesellschaften fleißig , und bestrebte sich , kein Wort , nichts , was er dort lernte , wieder zu verlieren .
Castellanis Begriffe von der Kunst waren so erhaben , daß er keinen der lebenden oder gestorbenen Künstler für ein Musterbild , für vollendet wollte gelten lassen .
Er belächelte oft Sternbalds Heftigkeit , der ihm Raffael , Buonarotti , oder gar Albrecht Dürer nannte , der sich ungern in Vergleichungen einließ , und meinte , jeder sei für sich der Höchste und Trefflichste .
" Ihr seid noch jung " , sagte dann sein älterer Freund , " wenn Ihr weiterkommt , werdet Ihr statt der Künstler die Kunst verehren , und einsehn , wie viel noch einem jeden gebricht . "
Sternald gewöhnte sich mit einiger Überwindung an seine Art zu denken , er zwang sich , nicht heftig zu sein , nicht seine Gefühle sprechen zu lassen , wenn sein Verstand und Urteil in Anspruch genommen wurden .
Er sah jetzt mehr als jemals ein , wie weit er in der Kunst zurück sei , ja wie wenig die Künstler selbst von ihrer Beschäftigung Rechenschaft geben könnten .
Es wurde so eingerichtet , daß sich die Gesellschaft zweimal in der Woche versammelte , und jedesmal wurde über die Kunst disputiert , wobei sich Castellani besonders mit seinen Reden hervortat .
Sie waren an einem Nachmittage wieder versammelt , auch Camillo war zugegen , der abseits in einer Ecke stand und kaum hinzuhören schien .
" Wenn man " , sprach Castellani , " erst mehr die Frage untersuchen wird : Was soll Kunst sein ?
was kann sie sein ?
so werden wir auf diesem Wege weiterkommen .
Ich bin gar nicht in Abrede , und es wäre töricht von mir , dergleichen zu leugnen , daß Michael Angelo ein ausgezeichneter Geist ist , nur ist es wohl Übereilung des Zeitalters , ihn und Raffael über alle übrigen Sterblichen hinüberzuheben , und zu sagen : seht , sie haben die Kunst erfüllt !
Jegliche Kunst hat ihr eigentümliches Gebiet , ihre Grenzen , über die sie nicht hinausschreiten darf , ohne sich zu versündigen .
So die Poesie , Musik , Skulptur und Malerei .
Keiner muß in das Gebiet des anderen streifen , jeder Künstler muß seine Heimat kennen .
Dann muß jeglicher die Frage genau untersuchen :
was er mit seinen Mitteln für vernünftige Menschen zu leisten imstande ist .
Er wird seine Historie wählen , er wird den Gegenstand überdenken , um sich keine Unwahrscheinlichkeiten zuschulden kommen zu lassen , um nicht durch Einwürfe des kalten , richtenden Verstandes seinen Zauber der Komposition wieder zu zerstören .
Den Gegenstand gut zu wählen ist aber nicht genug , auch den Augenblick seiner Handlung muß er fleißig überdenken , damit er den größten , interessantesten heraushebe , und nicht am Ende Male , was sich nicht darstellen läßt .
Dazu muß er die Menschen kennen , er muß sein Gemüt und fremde Gesinnungen beobachtet haben , um den Eindruck hervorzubringen , dann wird er mit gereinigtem Geschmacke das Bizarre vermeiden , er wird nur täuschen und hinreißen , rühren aber nicht erstaunen wollen .
Nach meinem wohlüberdachten Urteil hat noch keiner unserer Maler alle diese Forderungen erfüllt , und wie könnte es irgendeiner , da sich noch keiner der erstgenannten Studien beflissen hat ?
Diese müssen erst in einem hohen Grade ausgebildet sein , ehe die Künstler nur diese Forderungen anerkennen werden .
Um namentlich von Buonarotti zu sprechen , so glaube ich , daß er durch sein Beispiel die Kunst um viele wichtige Schritte wieder zurückgebracht hat , statt ihr weiterzuhelfen , denn er hat gegen alle Erfordernisse eines guten Kunstwerks gesündigt .
Was will die richtige Zeichnung seiner einzelnen Figuren , seine Gelehrsamkeit im Bau des menschlichen Körpers , wenn seine Gemälde selbst so gar nichts sind ?
Was soll ich aber genießen und fühlen , wenn die Ausführung auch gar keinen Tadel verdiente ? "
" Nichts ! " rief Camillo aus , indem er mit dem höchsten Unwillen hervortrat .
" Glaubt Ihr , daß der große , der übergroße Buonarotti daran gedacht hat , Euch zu entzücken , als er seine mächtigen Werke entwarf ?
Oh , ihr Kurzsichtigen , die ihr das Meer in Bechern erschöpfen wollt , die ihr dem Strome der Herrlichkeit seine Ufer macht , welcher unselige Geist ist über euch gekommen , daß ihr also verwegen sein dürft ?
Ihr glaubt die Kunst zu ergründen , und ergründet nur eure Engherzigkeit , nach dieser soll sich der Geist Gottes richten , der jene erhabene Ebenbilder des Schöpfers beseelt .
Ihr lästert die Kunst , wenn ihr sie erhebt , sie ist nur ein Spiel eurer nichtigen Eitelkeit .
Wie der Allmächtige den Sünder duldet , so erlaubt auch Ange los Größe , seine unsterblichen Werke , seine Riesengestalten dulden es , daß ihr so von ihnen sprechen dürft , und beides ist wunderbar . "
Er verließ im Zorne den Saal , und alle erhoben ein lautes Lachen .
" Was er nicht versteht " , sagte Sternbalds Nachbar , " hält er für Unsinn . "
Sternbald aber war von den Worten und den Gebärden des Greises tief ergriffen , dieser enthusiastische Unwille hatte ihn mit angefaßt , er verließ schnell die Gesellschaft , ohne sich zu entschuldigen , ohne Abschied zu nehmen .
Er ging dem Alten durch die Straßen nach , und traf ihn in der Nähe des Vatikans .
" Verzeiht " , sagte Sternbald , " daß ich Euch anrede , ich gehöre nicht zu jenen , meine Meinung ist nicht die ihrige , immer hat sich mein Herz dagegen empört , so mit dem Ehrwürdigsten der Welt umzugehen . "
" Ich war ein Tor " , sagte der Greis , " daß ich mich wieder , wie mir oft geschieht , von meiner Hitze übereilen ließ .
Wozu Worte ?
Wer versteht die Rede des anderen ? "
Er nahm Franz bei der Hand , sie gingen durch das große Vatikan , der Alte eilte nach der Kapelle des Sixtus .
Schon fiel der Abend und seine Dämmerung herein , die großen Säle waren nur ungewiß erleuchtet .
Er stellte ihn vor die Propheten und Sibyllen , und ging schweigend wieder fort .
In der ruhigen Einsamkeit schaute Sternbald das erhabene Gedicht mit demütigen Augen an .
Die großen Gestalten schienen sich von oben herabzubewegen .
Er stand da , und bat den Figuren , dem Geiste Michael Angelos seine Verirrung ab .
Die großen Apostel an der Decke sahen ihn ernst mit ihren ewigen Zügen und Mienen an , die Schöpfungsgeschichte lag wunderbar da , der Allmächtige auf dem Sturmwinde herfahrend .
Er fühlte sich innerlich neu verändert , neu geschaffen , noch nie war die Kunst so mit Heeresmacht auf ihn zugekommen .
" Hier hast du dich verklärt , Buonarotti , großer Eingeweihter " , sagte Franz , " hier schweben deine furchtbaren Rätsel , du kümmerst dich nicht darum , wer sie versteht . "
Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Franz fand den bisherigen Leichtsinn seiner Lebensweise nüchtern und ungenügend , er bereute manche Stunde , er nahm sich vor , sich inniger der Kunst zu widmen .
Er brach den Umgang mit der schönen Lenore ab , er fühlte es innig , daß er sie nicht liebe .
Sein Freund Castellani verspottete ihn , und bedauerte seine Anlagen , die nun notwendig verderben müßten , aber Franz empfand die Leerheit dieses Menschen , und achtete jetzt nicht darauf .
Eine neue Liebe zur Kunst erwachte in ihm , sein Jugendleben in Nürnberg , sein Freund Sebastian traten mit frischer Lieblichkeit vor seine Seele .
Er machte sich Vorwürfe , daß er bisher so oft Dürer und Sebastian aus seinem Gedächtnisse verloren .
Er nahm seine geliebte Schreibtafel hervor , und küßte sie , die verwelkten Blumen rührten ihn zu Tränen : " Ach , du bist nun auch verwelkt und dahin ! " seufzte er .
Auch das Bildnis , das er vom Berge mitgenommen hatte , stellte er vor sich . -
Ihm fiel der Brief der Gräfin in die Hände , den er bis dahin ganz vergessen hatte .
Er beschloß , die Familie noch an diesem Tage aufzusuchen , er fühlte ein Bedürfnis nach neuen Freunden .
Franz nahm den Brief und erkundigte sich nach der Wohnung , sie wurde ihm bezeichnet .
Die Leute , die er suchte , lebten vor der Stadt in einem Garten .
Ein Diener empfing ihn , und leitete ihn durch angenehme Baumgänge , der Garten war nicht groß , aber voller Obst und Gemüse .
In einem kleinen niedlichen Gartenhause , sagte der Diener , würde er die Tochter finden , die Mutter sei ausgegangen , der Vater schon seit sechzehn Jahren tot .
Franz bemerkte durch das Fenster einen weißen runden Arm , eine schöne Hand , die auf einer Zither spielte .
Indem begegnete ihm ein alter Mann , der fast achtzig Jahre alt zu sein schien , er verließ das Gartenhaus , und ging durch den Garten nach dem Wohnhause zurück .
Franz trat in das Zimmer .
Das Mädchen legte die Zither weg , als sie ihn bemerkte , sie ging ihm entgegen .
Beide standen sich gegenüber und erstaunen , beide erkannten sich im Augenblicke .
Franz zitterte , er konnte die Sprache nicht wiederfinden , die Stunde , die er so oft als die seligste seines Lebens herbeigewünscht hatte , überraschte ihn zu unerwartet .
Es war das Wesen , dem er nachgeeilt war , die er in seinem Geburtsdorfe gesprochen , die er mit aller Seele liebte , die er verloren glaubte .
Sie schien fast ebenso bewegt , er gab ihr den Brief der Gräfin , sie durchflog ihn schnell , sie sprach nur von dem Orte , wo sie ihn vor anderthalb Jahren gesehen und gesprochen .
Er nahm die teure Brieftasche , er reichte sie ihr hin , und indem hörte man durch den Garten ein Waldhorn spielen .
Nun konnte sich Franz nicht länger aufrecht halten , er sank vor der schönen bewegten Gestalt in die Knie , weinend küßte er ihre Hände .
Die wunderbare Stimmung hatte auch sie ergriffen , sie hielt die vertrockneten Blumen schweigend und staunend in Händen , sie beugte sich zu ihm hinab .
- " Oh , daß ich Euch wiedersehe ! " sagte sie stammelnd ; " allenthalben ist mir Euer Bild gefolgt . "
- " Und diese Blumen " , rief Sternbald aus , " erinnert Ihr Euch des Knaben , der sie Euch gab ?
Ich war es ; ich weiß mich nicht zu fassen . "
- Er sank mit dem Kopfe in ihren Schoß , ihr holdes Gesicht war auf ihn herabgebeugt , das Waldhorn phantasierte mit herzdurchdringenden Tönen , er drückte sie an sich und küßte sie , sie schloß sich fester an ihn , beide verloren sich im staunenden Entzücken .
Franz wußte immer noch nicht , ob er träume , ob alles nicht Einbildung sei .
Das Waldhorn verstummte , er sammelte sich wieder .
Ohne daß sie es gewollt hatten , fast ohne daß sie es wußten , hatten beide sich ihre Liebe gestanden .
- " Was denkt Ihr von mir ? " sagte Marie mit einem holdseligen Erröten .
" Ich begreife es ewig nicht , aber Ihr seid mir wie ein längstgekannter Freund , Ihr seid mir nicht fremde . "
" Ist unsere eigene Seele , ist unser Herz uns fremd ? " rief Sternbald aus .
" Nein , von diesem Augenblicke an erst beginnt mein Leben , Oh , es ist so wunderbar und doch so wahr .
Warum wollen wir es begreifen ?
- Seid Ihr glücklich ? -
Bist du meine süße Geliebte ?
Bin ich der , den du suchtest ?
Findest du mich gern wieder ? "
Sie gab ihm beschämt die Hand und drückte sie .
Der alte Mann kam zurück , und meldete , daß er ausgehen müsse , Franz betrachtete ihn mit Erstaunen , er erriet , daß es derselbe sein müsse , der musiziert habe , den er schon in der Kindheit auf dem grünen Rasenplatze gesehen .
Die Bäume rauschten draußen so wunderbar , er hörte aus der Ferne das Geräusch auf der Landstraße , jedes andere Leben erschien ihm traurig , nur sein Dasein war das freudigste und glorreichste .
Er ging , weil er die Rückkehr der Mutter nicht erwarten wollte , er versprach , seine Geliebte am folgenden Tage zu besuchen .
Durchs Feld schweifte er umher , er sah noch immer sie , den Garten , ihr Zimmer vor sich .
Er war in der Stadt , und konnte sich nicht besinnen , welchen Weg er gekommen war .
In seiner Stube nahm er seine Zither und küßte sie , er griff in die Töne hinein , und Liebe und Entzücken antwortete ihm in der Sprache der Musik .
In der ganzen Natur vernahm er Gruß und Glückwunsch .
Er wollte seinem Sebastian schreiben , aber er konnte nicht zur Ruhe kommen .
Er fing an , aber seine Gedanken verließen ihn , er schrieb folgendes nieder :
Sanft umfangen Vom Verlangen , Abendwolken ziehen , Oh , gegrüßt sei holdes Glücke , Endlich , endlich meinem Blicke , Längst gepflanzte Blumen blühn .
Abendröte winkt herunter :
Hoffe auf den Morgen munter ; Winde eilen , verkünden_es der Ferne , Blicken auf mich nieder die freundlichen Sterne .
Keiner , der nicht grüßend niederschaute :
Ist es , singen sie , dir gelungen ?
Welche Töne rühren sich in der Laute , Von unsichtbarer Geisterhand durchklangen ?
Von selbst erregt sie sich zum Spiele , Will ihre Worte gern verkünden , Kennst du , Vertraute , die Gefühle , Die quälend , beglückend mein Herz entzünden ?
O töne , ich kann das Lied nicht finden , Das Leid , das Glück , das mich bewegt , Und Klang und Lust in mir erregt .
Will ich von Glück , von Freude singen , Von alten , wonnevollen Stunden ?
Es ist nicht da und fern verschwunden , Mein Geist von Entzücken festgebunden , Beengt , beschränkt die goldenen Schwingen .
Geht die Liebe wohl auf deinem Klange Ist sie_es , die deine Töne rührt ?
Und dieses Herz mit strebendem Drange Auf deinen Melodien entführt ?
Mit Zitherklang kam sie mir entgegen , Mein Geist in Netzen von Tönen gefangen , Ich fühlte schon dies Beben , dies Bangen , Entzücken überströmte , ein goldener Regen .
Sie saß im Zimmer , wartete mein , Die Liebe führte mich hinein , Erklang das alte Waldhorn drein .
Dein voller Klang Mein Herz schon oft durchdrang , Meiner Liebe vertraut , Von deinem Ton mein Herz durchschaut .
Nun verstummen nie die Töne , Lautenklang mein ganzes Leben , Herz verklärt in schönster Schöne , Wundervollem Glanz und Weben Hingegeben .
Nachrede Nachrede So weit hatte ich vor sechsundvierzig Jahren dies Jugendwerk geführt .
Es sollte nun nach einigen Monden die Bestürmung und Eroberung von Rom erfolgen .
Der Bildhauer Bolz , der auch nach Rom gekommen , sollte beim Sturm die Geliebte des Sternbald entführen , dieser aber trifft sie im Gebirge , und entreißt sie dem Bildhauer nach einem hartnäckigen Kampfe .
Sie retten sich in die Einsamkeit von Olevani .
Nachher , auf einer Reise durch das florentinische Gebiet trifft in Bergen , auf einem reichen Landhause Franz seinen Vater : Ludovico ist sein Bruder , den er als Gemahl der schönen Nonne wiederfindet .
Alle sind glücklich : in Nürnberg , auf dem Kirchhofe , wo Dürer begraben liegt , sollte in Gesellschaft Sebastians die Geschichte endigen .
Oft hatte ich , in dieser langen Reihe von Jahren , die Feder wieder angesetzt , um das Buch fortzusetzen und zu beendigen , ich konnte aber immer jene Stimmung , die notwendig war , nicht wiederfinden .
Aus der kurzen Nachrede , die ich in meiner Jugend dem ersten Teile des Buchs hinzufügte , haben viele Leser entnehmen wollen , als wenn mein Freund Wackenroder wirklich teilweise daran geschrieben hätte .
Dem ist aber nicht also .
Es rührt ganz , wie es da ist , von mir her , obgleich der Klosterbruder hie und da anklingt .
Mein Freund wurde schon tödlich krank , als ich daran arbeitete .
Berlin , im Julius 1843. L. Tieck .
- Rechtsinhaber*in
- Bildungsroman Projekt
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Franz Sternbalds Wanderungen. Franz Sternbalds Wanderungen. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0nq.0