An Bystram Seit fünf Monaten schmachte ich im zwiefachen Kerker der Blindheit und der Krankheit ; seit fünf Monaten hast Du , unermüdlich über mir wachend , mich gepflegt und getröstet , mir Mut und Beruhigung zugesprochen , mir die Träne aus dem Auge und den Angstschweiß von der Stirn getrocknet , mir Dein Auge und Deine Hand geliehen .
Daß ich nicht ganz in Verzweiflung , Stumpfsinn , Apathie untergegangen bin , danke ich Dir .
Darum soll dies Buch - das freilich schon vor einem halben Jahr , bis auf die letzte Durchsicht , fertig war , dessen Herausgabe aber doch einen aufglimmenden Funken geistiger Regsamkeit mir verkündet : - darum soll es Deinen Namen wie ein Diadem an der Stirn tragen .
Vielleicht ist er das Beste an dem ganzen Buche .
Tharand , 14. August 1840 .
In Norddeutschland gibt es wohl wenig lieblichere Punkte , als die Brühlsche Terrasse in Dresden zur Frühlingszeit .
An einem Juniustage , frisch , grün und strahlend wie ein Smaragd , saßen mehrere junge Männer vor dem Baldinischen Pavillon , rauchten Zigarren , nahmen Gefrorenes oder Kaffee , musterten die Vorübergehenden und schwatzten eine Musterkarte von Unsinn durcheinander , wozu , wie sich von selbst versteht , Pferde , Theater und Frauen das Thema lieferten , - ein Thema , so lange und so oft gebrandschatzt , daß man schwer begreift , wie es noch immer zu neuen Variationen dienen könne .
Es war drei Uhr Nachmittags , und daher keine elegante Frau auf der Terrasse zu sehen .
Sie speisten oder wollten speisen , und fürchteten die Hitze , die Sonne , obgleich sich kühler , grüner , wehender Schatten über die Terrasse legte .
Desto mehr mußte es auffallen , daß eine augenscheinlich dem höheren Stande angehörende Frau allein auf einer Bank saß , den Rücken dem Pavillon zugewendet , ungestört von dem Geschwätz der Männer , und von dem unruhigen , jauchzenden Treiben der Kinder , welche mit und ohne Wärterinnen die Terrasse gleich Ameisen überdeckten .
Aber es fiel Keinem auf .
Sie mußte also eine Erscheinung sein , die Jedermann kannte , und für die sich Niemand interessierte .
Sie zeichnete emsig .
Ein Bedienter stand wie eine Statue seitwärts hinter ihr und hielt einen Sonnenschirm so , daß weder ein blendender Lichtstrahl noch ein zitternder Schatten des Laubes Auge , Hand und Papier der Gebieterin treffen konnte .
Ihr großes , dunkles Auge flog mit einem schnellen , scharfen Aufschlag hin und her zwischen Gegend und Zeichnung , und die feine Hand , ohne Scheu vor der Luft , der größeren Festigkeit wegen des Handschuhs entledigt , folgte gewandt dem Blick .
Sie war ganz in ihre Arbeit vertieft .
" Lady Geraldin ist heute nach Teplitz abgefahren - das ist meine letzte Neuigkeit , " sagte ein junger Mann aus jener Gruppe .
" Ist gar keine Neuigkeit ! " rief ein Anderer , " es war längst bestimmt . "
" Aber auf morgen . "
" Nein , auf heute . "
" Wahrhaftig , auf morgen ! "
" Kurz und gut , sie ist fort , " sagte ein Dritter , " und bald wird Dresden ganz ausgestorben sein .
Man muß sich auch davon machen .
Es ist unerträglich , nichts als gemeine unbekannte Gesichter zu sehen . "
" Ich liebe gerade die fremden Gesichter , welche wie Wandervögel jetzt hindurch und in die Bäder ziehen . "
" Ah , fremde Gesichter ! das ist etwas ganz Anderes !
die lieb ' ich auch , und die kennt man sehr schnell .
Ich meinte die unbekannten , die Nobody's , den Bodensatz der Gesellschaft , Namen , die man sich hundertmal wiederholen läßt , ohne im Stande zu sein , sie zu behalten , Gestalten , die Anspruch darauf machen , gegrüßt zu werden , weil man sie in irgend einem Salon coudoyirt hat - und von solchen wimmelt Dresden plötzlich , wie die Nacht von Gespenstern . "
" Ich bedaure jeden , der gezwungen ist den Sommer hier zuzubringen . "
" Und gestern Abend ist Graf Mengen angekommen .
Der Gesandte hat nur darauf gewartet , um seine Badereise anzutreten - so bleibt er denn solo soletti ! - Freilich .... reiten kann man überall , und auch allein ist es amüsant . "
" Beneidenswerth ! -
Und wo werden Sie hingehen ? "
" Unbestimmt noch ! hie und da aufs Land , zu Freunden - später nach Teplitz .
Wenn Fürst Clary Wettrennen veranstalten wollte , wie sie doch jetzt in jedem zivilisierten Lande Europa's , und ziemlich an jedem Ort , wo fashionable Gesellschaft sich zusammenfindet , Mode sind :
so würde der dortige Aufenthalt bedeutend gewinnen .
Das Terrain wäre vortrefflich ; die Wiener würden auch ihre Pferde schicken .
Unbegreiflich , daß der Clary den Vorteil nicht einsieht . "
" Kennen Sie den Graf Mengen ? "
- wurde gefragt .
" Ich sah ihn heute früh bei Feldern , seinem Universitätsfreunde , aber nur einen Augenblick .
Wir wurden einander genannt - dann ging er zu seinem Gesandten . "
" Wie sieht er aus ? hat er gute Manieren ? "
" Ich denke , er muß pompös zu Pferd sitzen . "
" Aber , lieber Kentaur , " rief Einer , " im Zimmer , im Salon kann man nicht zu Pferd sitzen , und muß sich doch präsentieren . "
Der Kentaur , der nichts Schmeichelhafteres kannte , als diesen Beinamen , sagte : " Wer gut reitet , präsentiert sich überall und immer gut , hat Gewandtheit , Kraft , Haltung , Ungezwungenheit - kurz Alles , was ein Kavalier bedarf . "
" Auch Verstand ? "
" Auch Verstand ! die Pferde sind kluge , schlaue , pfiffige , tückische Bestien , haben viel Ähnlichkeit mit den Weibern , müssen gehorchen lernen , auf den Wink , der geringsten Bewegung .
Es gehört viel Verstand dazu , ein tiefes Studium und ernste Beharrlichkeit , ihnen Gehorsam einzuimpfen . "
" Den Weibern oder den Pferden ? "
" Beiden !
Der Umgang mit diesen ist gleichsam die Elementarschule zum Verkehr mit jenen . "
" Ich gratuliere Deiner künftigen Gemahlin , lieber Kentaur . "
" Hat noch Zeit ! bin noch nicht firm genug " - war die Antwort .
" Da kommt Feldern mit einem Fremden , wahrscheinlich Graf Mengen , " unterbrach Jemand das geistreiche Gespräch .
" Richtig , er ist_es ! " rief der Kentaur ; " ich pariere , er ist ein exzellenter Reiter . "
Neben dem kleinen , blonden , schmächtigen , zierlichen Feldern , der Hände hatte , weiß und zart wie ein Frauenzimmer , und ein Gesicht freundlich lächelnd , wie ein vierzehnjähriges Mädchen - ging ein großer Mann , schlank und dunkel wie eine Tanne , vom Scheitel bis zur Sohle ernst und fest wie aus Erz gegossen ; aber die ganze Erscheinung wunderbar gelichtet , erleuchtet fast , durch seine Augen , welche Lichtstreifen auf den Gegenstand zu werfen schienen , den sie anblickten ; übrigens aber vornehm gleichgültig , zerstreut selbstbewußt in Haltung und Manieren - kalt übersehend , spöttisch abwehrend in Wort und Ausdruck für die Maße , jedoch dem Einzelnen nie Huldigung oder Bewunderung versagend - so trat Graf Mario Mengen auf .
Feldern machte ihn mit all den jungen Männern bekannt .
Einige empfingen ihn neugierig zudringlich , Andere taten gleichgültig gegen den Fremden , den Uneingeweihten in das Geschwätz und die Interessen ihrer Coterie .
Mario ließ Alle schwatzen , gähnen , rauchen , setzte sich mit untergeschlagenen Armen , und blickte in die lachende Gegend hinein .
" Da zeichnet ja die Gräfin Faustine " - sagte Feldern plötzlich .
" Aber wo ist denn Andlau ? " fragte Einer ; " fast eine Stunde ist sie allein hier , mich wundert , daß er das zugibt . "
" Daß er es erträgt ! " rief ein Anderer .
" Nun , nun ! " sagte der immer begütigende Feldern , " sie sind ja nicht Beide aneinander geschmiedet . "
" Glauben Sie nicht , Feldern , daß sie heimlich verheiratet sind ? "
" Nein , denn sie könnten es ja wohl öffentlich sein , wenn sie wollten . "
" Wer kann_es wissen ! das Ding hat gewiß seinen Haken . "
" O ganz gewiß ! " rief ein Dritter ; " z.B. den eigenwilligen Kopf der Gräfin Faustine selbst , die , um etwas ganz Apartes zu haben , in der Stille bestimmt tausend Martern ertrüge - natürlich ohne sich selbst oder Anderen zu gestehen , daß es in der Tat Martern sind . "
" Es ist wahr , sie hat ihre eigenen und eigentümlichen Allüren " - sagte Feldern .
" Ein Beispiel hat mich ungeheuer frappiert , entgegnete der Andere .
" Sie trug den ganzen Winter hindurch in allen großen Soireen ein und dasselbe Kleid . "
" In allen Soireen !
sie geht doch wenig in die Welt . "
" Kann sein !
aber wenn sie ging , so trug sie ihr himmelblaues Atlaskleid .
Zuerst war das ganz gut ; aber es ist doch wunderlich , öfter als drei- bis viermal genau im nämlichen Anzug zu erscheinen .
In Italien herrscht die Sitte , daß Mütter ihre Kinder unter den besonderen Schutz der Madonna stellen und sie deshalb in deren Farbe , hellblau , kleiden - ein Jahr , eine Reihe von Jahren , immer , je nachdem sie es gelobt haben .
Ich fragte die Gräfin Faustine , ob sie ein solches Gelübde getan .
Nein , sagte sie , aber das der Bequemlichkeit .
- Ist dies natürlich bei einer Frau - ich frage ! "
Indem erhob sich Faustine , gab dem Bedienten das Zeichenbuch und nahm den Sonnenschirm .
Dann stand sie ungefähr eine Minute lang an der Balustrade der Terrasse .
Sie trug ein ganz schlichtes weißes Percale-Kleid , den Hals umschließend , auf die Füße herabfallend .
Kein buntes Band , keine Schleife , kein Schal zerschnitt die Gestalt und störte den harmonischen Eindruck ihrer statuenmäßigen Proportionen .
Ein tiefer weißer Taffthut verbarg ihr Haar , fast ihr Gesicht .
Sie wandte sich langsam .
Es sah aus , als bildeten die grünen Bäume ein Laubdach für Andere , einen Tempel für sie .
Sie ging mit dem Anstand einer Königin an den Männern vorüber , die sie freundlich grüßte , als sie Bekannte unter ihnen wahrnahm .
" Wer war die Dame ? " fragte Graf Mengen lebhaft .
" Eben die Gräfin Faustine , von der wir sprachen . "
" Eine Fremde ? "
" Ja ; doch seit einigen Jahren hier etabliert . "
" Verheiratet ? "
" Gewesen .
- Vielleicht .
- Man weiß nicht .
- Witwe .
- Unverheirathet . "
- Erscholl es von allen Seiten .
Mengen warf den Kopf herum : " Die Herrn sind guter Laune . "
" Auf Ehre ! reine Wahrheit was wir sagen ! "
" Das Wahrste und Einfachste , " sprach Feldern , " ist indessen doch , wenn man sagt , daß Gräfin Faustine Obernau Witwe ist . "
" Kennst Du sie ? " fragte Mengen .
" Recht gut . "
" Ist sie liebenswürdig ? kann ich sie auch kennen lernen ? -
Nimm nicht übel , daß ich die insipideste aller Konversationen , eine fragende , mache !
Dem Fremden muß man das verzeihen . "
" Über diese Frau , " nahm ein Anderer das Wort , " könnte man noch ein Paar hundert Fragen tun , wenn es der Mühe lohnte , und Jeder würde eine andere Antwort geben , weil ein Feld von allerlei Möglichkeiten bei solchem Verhältnis aufgetan ist .
Aber eben weil ein solches Verhältnis statt findet , kann man ja alle Fragen von Hause aus sparen . "
" Wann werden Sie dem König vorgestellt , Graf Mengen ? " fragte Einer .
" Ich denke , Sonntag , wenn er von Pillnitz herein kommt . "
" Ist der Wiener Hof von großer Ressource für die Gesellschaft ? "
" Von gar keiner ! mit einer Cour hat die Gesellschaft , mit ein Paar Kammerbällen hat der Hof seine Pflicht abgetan . "
" War das diesjährige Pferderennen glänzend , und wessen Pferd siegte ? " fragte der Kentaur .
" Ich meine , es war ein Lichtensteinsches . "
" Das wissen Sie nicht einmal gewiß !
ich hoffe , Graf Mengen , daß Sie ein Liebhaber der Pferde sind . "
" O ja , " sagte Mengen gelangweilt , " nur nicht der Gespräche über sie .
Sobald ich meine Pferde hier habe , will ich die Gegend weidlich durchstreifen . "
" Graf Mengen ! " rief der Kentaur mit überquellendem Herzen ; " gleich vom ersten Augenblick an habe ich das in Ihnen vorausgesetzt .
Ich habe eine horrende Freude , daß mich mein erster Blick in diesem Punkte nie trügt . "
Er packte seine Hand und schüttelte sie .
Die Übrigen lachten und neckten den Kentauren mit seinem untrüglichen Urteil .
Kein Demosthenes wäre im Stande gewesen , dem Gespräch über Pferde eine andere Wendung zu geben .
Mengen stand auf .
" Die Speisestunde meines Ministers " - sprach er grüßend , und ging .
" Nun , Feldern , " riefen Alle durcheinander , " heraus damit ! erzählt , erzählt ! von seinen Verhältnissen , seinen Umständen , seiner Karriere !
" Mein Gott , " sagte Feldern , " davon gibt es nichts Besonderes zu erzählen !
Er macht die diplomatische Karriere wie jeder Andere und wie er auch seine Studien machte - auf ganz gewöhnlichen Wegen , ohne besondere Protektion .
Und ob er Vermögen hat , weiß ich nicht !
In Göttingen hatte er bald vollauf Geld und bald nichts ; aber immer war er , als befehle er über Goldminen und verachte sie nur .
Einmal kam ein Prinz dahin und brachte die Mode der kostbaren und eleganten Stöcke mit .
Wir schafften uns Alle dergleichen an .
Mengens Fonds mochten niedrig stehen , er hatte keinen .
Da sagte er einmal bei Tisch :
Bah ! wer mag denn den Tambour-Major spielen und einen Stock mit blankem Knopf tragen ! -
Es kam uns vor , als habe er uns zu Tambour-Majors dadurch ernannt . -
Die prächtigen Stöcke verschwanden . "
" Solch ein stupendes Übergewicht kann auf der Universität jeder Raufbold haben . "
" Das war er nicht .
Er schlug sich , wenn er mußte und dann tüchtig ; aber nie suchte er Händel . "
" Wir wollen doch sehen , ob der Legationssekretär die Suprematie des Studenten hier wird geltend machen wollen und können . "
" Er scheint Lust dazu zu haben . "
" Ich glaube nicht , " sagte Feldern , " er hat Lust aus der untergeordneten in eine unabhängige Stellung zu kommen , freie Hand zu haben .
Seinen alten Minister wird er wohl etwas tyrannisieren , allein die Fanfaronaden der Burschenzeit liegen zu weit ab , um sie in die gegenwärtigen Zustände zu verflechten . "
" Wenn er sich poussieren will , muß er eine Ministertochter heiraten - anders geht es heutzutage nicht . "
" Oder nicht heiraten , das hilft bisweilen auch . "
" Wie das ?
wie so ?
- Das ist bequemer noch ! -
Wem ist das passiert ? "
" Einem meiner Vettern !
er war verlobt mit der Tochter eines Allmächtigen , und die Vermählung schon festgesetzt .
Da kommt ein immens reicher , dummer Russe ; die Braut faßt die heftigste Leidenschaft für ihn , die er , so gut er kann , erwidert .
Erklärungen , tragische Szenen zwischen Braut und Bräutigam !
Letzterer tritt natürlich zurück , denn er ist der ärmere , folglich der Ungeliebte .
Aber er hat eminenten Kopf , Schlauheit , Talent , Scharfsinn ; der Ex-Schwiegerpapa will all diese guten Gaben nicht gegen sich im Felde wissen , so wird mein Vetter bei siebenundzwanzig Jahren Gesandter in Stockholm und einer eitlen Närrin los und ledig . "
" Verdammtes Glück !
- Und das letzte größer als das erste ! "
" Rücksichten regieren die Welt " - sagte Feldern bedachtsam .
" Aber sie genieren teufelmäßig ! "
- rief ein Anderer .
" Ich habe das nie finden können , " entgegnete Feldern ; " Rücksichten sind die Geleise , in welchen der Wagen der Gesellschaft ruhig und sicher fährt , ohne mit anderen zusammen zu stoßen , zu zertrümmern und zertrümmert zu werden . "
" Aber es gibt breitspurige Wagen . "
" Nun , die halten halbe Spur , und sind nach einer Seite wenigstens geschützt . "
Die Zigarren waren geraucht , die Tassen und Becher geleert , die Gespräche erschöpft .
Jeder schlenderte seiner Wege ; die Meisten zur Sieste .
In Faustinens Wohnung herrschte tiefe Stille .
Sie lag an der Promenade ; da gab es kein Wagengerassel , kein Pferdegestampf , kein Marktweibergeschrei , nichts , was an den Tumult und das Bedürfnis erinnert .
Die Fenster des Salons - lange Glastüren , welche auf den Balcon führten - waren geöffnet und die Jalousien geschlossen , damit nur das scharfe Licht , nicht die Luft verbannt sei .
Auf einer Ottomane saß der Baron Andlau und blätterte ziemlich unaufmerksam in einem Buch - denn er wartete .
Nichts auf der Welt ist störender als die Erwartung , sogar von den geringfügigsten Dingen .
Von dem Moment an , wo man wartet , ist man trotz aller Fähigkeiten , Kräfte und Sinne nichts als ein Schütze , der von der ganzen Erde nichts sieht und weiß außer dem schwarzen Punkt in der Scheibe .
Andlau wartete auf Faustine .
Warum kommt sie nicht ? sprach er zu sich selbst ; sollte ihr irgend etwas zugestoßen sein ?
Warum ging ich nicht mit ihr -
mein Kopfweh wäre nicht ärger worden !
Warum ließ ich sie überhaupt gehen in dieser heißen Tageszeit ! -
Er nahm den Hut und wollte ihr entgegen ; da hörte er ihren Schritt auf der Treppe , und er sprang auf und öffnete ihr die Tür .
Es wurde ganz hell in dem verfinsterten Gemach , als sie eintrat .
Faustine warf ihren Hut auf den einen Tisch , ihr Zeichenbuch auf den anderen , sich selbst auf ein Sofa und sagte : " Lieber Anastas , das wird ein hübsches Bild werden ! aber müde bin ich - totmüde ! "
" Warum strengst Du Dich so an ? muß das Bild denn notwendig eine so heiße Sonnenschein-Beleuchtung haben ? "
" Ganz notwendig ! "
- sagte sie und stand auf ; " ich bin auch schon ausgeruht , und heute Abend mußt Du mit mir nach der Neustadt hinüber !
ich will mir recht einprägen , wie der Fluß und die Kirchen im Mondlicht aussehen .
Das wird ein Gegenstück dazu . "
" Hier ist ein Brief an Dich , " sagte Andlau und nahm ihn vom Schreibtisch ; " nach dem Wappen zu urteilen , von Deinem Schwager . "
" Richtig ! " rief Faustine und las : " Geehrteste Frau Schwägerin !
Ihrem erfreulichen Schreiben vom 24. huj. zu Folge , entnehmen wir aus demselben Ihre gütige Absicht , uns im Lauf des Monat Junis mit Ihrem schmeichelhaften Besuch zu erfreuen .
Da mein jüngstgeborenes Söhnchen am 10. desselben Monats die Taufe empfangen soll , so vereinigen meine liebe Frau und ich unsere Bitte und Wunsch dahin , daß es Ihnen gefallen möge , eine Patenstelle bei selbigem Knabchen zu übernehmen , und es am 10. Junis , Mittags um 2 Uhr , in meiner Kirche zu Oberwalldorf über die Taufe zu halten .
Ihre Mitgevattern werden sein : die Frau Baronin von Feldkirch , geborene Gräfin Hagen auf Mühlhof , und mein Bruder Clemens von Walldorf , welcher sich , nachdem er seine Studien zu Würzburg und Jena seit Ostern vollendet hat , bei mir aufhält , um die Landwirtschaft praktisch zu studieren , was ein ganz ander und viel wichtiger Ding ist , als es theoretisch zu tun .
Meine Kinder befinden sich sämtlich wohl und munter , was unter allen Umständen mit Dankbarkeit anzuerkennen ist , aber dann ganz besonders , wenn man sieben hat und auf dem Lande , fern von ärztlicher Hilfe , wohnt .
Auch meine liebe Frau ist , Gottlob !
so wohl wie man es nur wünschen kann , denn die Wochenbetten sind ihr bereits zur Gewohnheit wor den , wie Tag und Nacht .
Sie trägt mir die herzlichsten Grüße für die liebe Schwester auf .
Ich aber , verehrte Frau Schwägerin , unterzeichne mich als Ihren treuergebenen Schwager und Bruder und ganz gehorsamen Diener , Maximilian von Walldorf . "
" Nun gut ! " sagte Faustine , " auf ein Paar Tage früher oder später kommt es Dir wohl nicht an .
Laß uns übermorgen reisen !
Bis Coburg zusammen , dann Du nach Kissingen , ich nach Oberwalldorf , und in der ersten Hälfte des Julius hole ich dich ab , und fort nach Belgien . "
Andlau machte keine Einwendung .
Er war mit Allem zufrieden , was ihr genehm war , und da sie meistenteils auf nichts und Niemand in der Welt Rücksicht nahm , als auf ihn allein , so muß man ihm diese Zufriedenheit als ein außerordentliches Verdienst anrechnen ; denn die Maße der Menschen ist am verdrießlichsten , wenn man die größte Rücksicht auf sie nimmt .
Faustine sagte : " Es ist nur eine Trennung von vier bis fünf Wochen , die uns bevorsteht ; aber dennoch , Anastas , bin ich traurig , als wären es eben so viel Jahre .
Trennung ist Trennung ! auf die Länge der Zeit , auf die Weite des Raums kommt es gar nicht dabei an .
In drei Tagen , wo ich dich nicht sehe , nicht höre , nichts von Dir weiß , kannst Du und kann ich eben so gut zu Grunde gehen , als wenn wir auf immer getrennt wären .
Ist denn das Wiedersehenwollen eine Bürgschaft des Wiedersehens ? "
" Gewiß , Faustine ! meinst Du , daß etwas Anderes uns trennen könne , als unser Wille ? "
" O ja ! " sagte sie melancholisch .
" Ja ? " rief er heftig ; " ja ? nun , wenn Du das glaubst , so sind wir schon getrennt . "
" Der Tod , " sprach sie , " nimmt auf keinen menschlichen Willen Rücksicht ; er hat seinen eigenen Gang . "
" O der Tod , Faustine !
... .
Du wirst nicht sterben , und wenn ich sterbe .... "
- " So sinke ich Dir nach !
Du hast Recht , Anastas , das ist kein Tod und keine Trennung . "
Sie hatte sich zu ihm auf die Ottomane gesetzt , und legte nun ihr weiches , frisches , blühendes Haupt auf seine Schulter und ihre gefalteten Hände in seine Linke , während er sie mit dem rechten Arm umschlang .
Er berührte leise mit den Lippen ihre Stirn und sah auf sie herab mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Zärtlichkeit , Andacht und Freude .
Er hatte ein Gesicht mit scharfgezeichneten Zügen , mit Spuren von starker Leidenschaft , von ernsten Gedanken ; aber wenn der Blick seines großen blauen Auges auf Faustine fiel , so verklärte sich dies strenge Auge und die schneeweiße Stirn , welche es überwölbte , auf eine Weise , die Keiner ahnte , der ihn nicht mit ihr gesehen ; denn seine breiten , dunklen Augenbraunen und sein glänzend schwarzes , feines Haar , das sich schlicht um seine Stirn legte , verbunden mit einem durchdringenden , klaren Blick , gaben ihm einen Ausdruck von ungewöhnlicher Strenge .
Nur Faustine hatte ihn aus innerer Freudigkeit lächeln gesehen ; denn für sie war er Alles , was sie bedurfte , und in jedem Augenblick , wo sie es bedurfte :
Vater oder Freund , Lehrer oder Geliebter , lächelnd oder warnend , ermahnend oder scherzend , sorgend oder liebend , und wie an ihre sichtbare Vorsehung lehnte sie sich an ihn .
Ihre fliegende Phantasie wurde in Schranken gehalten durch seine Klarheit , ihre reizbare Beweglichkeit durch seine Ruhe .
Bisweilen fühlte sie sich beängstigt durch das Übergewicht , welches besonnene Charaktere immer über phantastische haben , und sagte scherzhaft :
" Wie jene Sklavinnen des Orients als Zeichen ihrer Knechtschaft nur eine kleine goldene Fessel in der Hand tragen , die wie ein Schmuck aussieht , so ist auch Deine Liebe wohl ein Schmuck , aber doch eine Fessel . "
" Die du notwendig brauchst , um nicht in alle vier Winde zu flattern " - entgegnete Andlau .
" Und dann verdiene ich es auch nicht besser , " sagte sie , " habe eine echte Sklavennatur , und liebe da am meisten , wo ich am meisten tyrannisiert werde ; und zwar so sehr , daß ich die Menschen gar nicht begreife , welche extraordinär genug lieben , um sich gar nicht um das Liebste zu kümmern , ihm sein Glück gönnen , ohne es teilen , seine Freude ohne sie genießen , seine Wege ohne sie verfolgen zu wollen .
Aus lauter Liebe lassen sie das Liebste laufen ; was bleibt da der Gleichgültigkeit übrig ?
Ich halte es mit der exklusiven Liebe ! "
Da ihr Geist immer Nahrung und Anregung bei Andlau fand , und seine Seele für sie der Inbegriff aller Vollkommenheit war , so drückte seine Überlegenheit sie auch nur in den seltenen Fällen , wo ihr Wille sich durch den seinen beeinträchtigt glaubte .
Aber wenn sie sich die Mühe nahm zu überlegen , so sagte sie immer : " Du hast wirklich Recht . "
Indessen kam es selten bei ihr zur Überlegung .
Sie tat wie und was Andlau wünschte , sobald seine Meinung die ihre überwog .
Außerdem handelte sie nach Laune , aus Leidenschaft , aus Eingebung , was immer eine mißliche Sache ist , und wenn die Natur auch die allerreinste .
Faustine hatte eine solche ; Grundsätze jedoch hatte sie nicht .
" Wenn ich die Grundsätze nur begreifen könnte , " sagte sie oft , " so wollte ich sie mir ja sehr gern zu eigen machen .
Allein Jeder hat seine ganz besonderen und ganz possirlichen .
Der Eine spricht :
ich stehe alle Morgen um sechs Uhr auf , das ist mein Grundsatz .
Der Andere :
ich erziehe meine Kinder durch Prügel , das ist mein Grundsatz .
Der Dritte :
ich lasse die Leute schwatzen , was sie mögen , bekümmere mich um nichts und tue , was ich will - das ist mein Grundsatz .
Mit Letzterem bin ich gewiß ganz einverstanden ; nur sehe ich nicht ein , weshalb eine so natürliche Denk- und Handlungsweise mit dem pomphaften Wort Grundsatz belegt werden solle . "
" Die Grundsätze sollen uns ja keineswegs eine unnatürliche , sondern eine edle , unserem Wesen entsprechende Richtung geben , " sagte Andlau , " und uns helfen diese Richtung zu verfolgen , soviel es in menschlicher Kraft steht , wenn es uns auch schwer wird - eben weil wir sie als die erforderliche und notwendige zu unserer Entwicklung erkannt haben . "
" Sie machen starr und unbeugsam ! " rief Faustine .
" Wo sie fehlen , gibt's Leichtsinn und Flatterhaftigkeit " - sagte Andlau lächelnd .
" Wenn ich mir nun auch vorgenommen habe , auf der Chaussee zu gehen , warum soll ich nicht aus dem dicken Staube oder von den harten Steinen auf die Wiese nebenbei , und zu meinem Ziel spazieren ?
ich komme ja angenehmer hin . "
" Aber Du kannst Dir im Tau nasse Füße und den Schnupfen holen ; oder ein breiter Graben sperrt Deinen Pfad und Du mußt umkehren ; oder ein Schmetterling lockt Dich seitab ; oder Du kommst eine Minute später an , und diese eine ist zu spät . "
" Ich habe auch einen Grundsatz , " sprach Faustine ernsthaft .
" Und der wäre ? "
" Nie mit Dir zu disputieren , weil ich immer den Kürzeren ziehe , was gewiß sehr demütigend ist . "
Doch auch dieser war nur ein momentaner Einfall .
In ihrem Charakter waren viele Anomalien und manche Schatten ; doch der vorherrschende Zug ihres ganzen Wesens war eine Liebenswürdigkeit , die jene ausglich und diese überstrahlte .
Worin ihre Liebenswürdigkeit bestand , konnte man nicht definieren - vielleicht bloß darin , daß sie natürlich und ohne Ansprüche war , und von Niemand weder Lob , noch Beifall , noch Huldigung verlangte .
Die tiefe Sorglosigkeit über den Erfolg ihrer Erscheinung oder ihres Gesprächs gab ihr eine solche Frische , daß um alltägliche Handlungen , um gewöhnliche Worte ein reizender Schmelz gehaucht war , wie er auf frischgepflückten Früchten liegt .
Es ist ein Hauch , ein Duft , eben Nichts ! -
doch wenn die Früchte zwölf Stunden im Zimmer gestanden , so ist dies liebliche Nichts verschwunden , und dann , wenn man es vermißt , wird es erst erkannt .
Trotz ernster Lebenserfahrung , die oft mutlos - trotz herben Kummers , der oft trübe macht - trotz der Verhältnisse , die sie beengten - war Faustine an Körper und Geist , an Sinn und Seele jung und frisch , als hätte sie nichts erfahren , nichts gelitten ; und fremd in den Verhältnissen des Lebens , als bewohne sie den Regenbogen etwa , oder den Orion , und komme nur zufällig bisweilen auf die Erde herab .
Sie war ganz und ungeteilt Eins , nicht zerstückelt , nicht zersplittert ; das gab ihr Klarheit .
Sie blickte weder rechts noch links auf Wege , wo Andere gingen ; sie wandelte unbekümmert auf dem ihren : das gab ihr Sicherheit .
Sie griff nicht hier und dort nach Haltung umher , nach Liebe und Freundschaft suchend :
sie war begnügt im tiefsten Wesen ; doch wenn man ihr entgegentrat und ihr die Hand bot , oder wenn sie erkannte , daß sie die Hand bieten durfte , so tat sie es gern , nahm und gab dem fremden wie dem eigenen Bedürfnis und Wunsch .
Aber wer nicht mit ihr Schritt hielt , wer ihr kein Stab war , woran sie sich heraufranken konnte ans Licht , kein Fels , woran sie empor klettern konnte zur Luft - den ließ sie los , gleichgültig , unbefangen , wie man eine welke Blume nicht wegwirft , aber fallen läßt .
Menschen , Zustände , Welterscheinungen , eigene Fehltritte - Alles war ihr Mittel , um sich daran fort- und auszubilden .
Sie sagte oft : " Helden , Künstler , große Herrscher , was tun sie Anderes , als daß sie in ihrem Wirkungskreise , der freilich nicht kleiner als die Welt ist , sich selbst zur Vollkommenheit durchzuarbeiten suchen .
Das ungemessene Streben , Dursten und Ringen nach Vollendung kennt Jeder , aber nicht Jeder kann zu seiner Bildung in die Zeit hineingreifen und sich einen Thron in ihr errichten , oder in den Stein hauen und sich ein Monument daraus bauen .
Es ist eine große Erleichterung für den Menschen , ein Genie in irgend einer Kunst , d.h. in irgend einem Zweige des geistigen Lebens zu sein : er hat , woran er sich üben kann .
In seine Schöpfungen legt er den Überfluß des Daseins nieder und taucht frischgewaschen aus diesem Bade hervor , wie die großen Bergströme erst dann klares Wasser bekommen , wenn sie durch einen See geflossen sind .
Wir Nicht-Genies müssen uns helfen , wie wir eben können , und ich bilde mir ein : Alles kann uns dienen , ohne daß wir deshalb geistige Blutsauger werden müßten . "
Aber unter dienen verstand sie eine Behilflichkeit zur Erlangung kleiner Absichten und Zwecke .
Niemand besaß weniger Geschick als sie , die Menschen zu gewinnen und zu lenken für ihre Plane ; schon deshalb , weil sie schwerlich je einen anderen Plan als den einer Reise oder einer Spazierfahrt gehabt .
Die Menschen dienten ihr wie anatomische Präparate oder wie seltene Pflanzen - als Studien , nicht einer Wissenschaft oder einer Kunst , sondern des Lebens , das sie nach allen Richtungen , in allen Äußerungen verfolgen und verstehen wollte .
" Ein Vogel singt , der andere fängt Mücken , jedes Ding hat seine Art , " sagte sie , und jede Art war ihr interessant : mitunter freilich nur auf zwei Minuten .
" Ist das meine Schuld ? " fragte sie unbefangen , wenn Andlau oder andere Freunde ihr vorwarfen , daß sie leicht der Dinge überdrüssig werde , und heute gähne , wo sie gestern Beifall geklatscht :
- " ich habe wirklich noch nie Überdruß an meinem Gott und meiner Liebe empfunden . "
Fast alle Frauen ohne Ausnahme hatten Faustine lieb , denn in keinem Stück rivalisierte sie mit ihnen .
Sie gönnte ihnen ihre Triumphe , ihre schönen Kleider , ihre Anbeter , ihre Verdienste , und begnügte sich - das Alles nicht zu haben .
Zwar stellte sie die schönsten und glänzendsten Frauen in Schatten , doch so , daß beide Teile keine Ahnung davon hatten .
Die schönen sagten :
" Sie hat sehr viel Verstand , aber schön ist sie durchaus nicht . "
Die klugen : " Verstand hat sie nicht viel , aber sie ist allerliebst . "
Keine verglich sich mit ihr , so wie prächtige Gartenblumen sich vielleicht nicht mit einer Alpenpflanze vergleichen möchten .
Ein Wilder sagte einst , als er das Gemälde eines Engels sah .
" Er ist meines Geschlechts . "
Zivilisierte Leute haben nicht mehr diesen sublimen Instinct .
Männer interessierten sich im Allgemeinen weniger für Faustine , sie war zu unduldsam gegen Fadaisen , und , Gott sei es geklagt !
sie machen den Lichtpunkt in der Unterhaltung der Männer aus .
Damit hatte sie gar keine Nachsicht , d.h. die Langeweile malte sich unwillkürlich , aber so deutlich auf ihr durchsichtiges Antlitz , daß mehr als Verwegenheit dazu gehört hätte , eine Unterhaltung fortzusetzen , die solche Wirkung hervorbrachte .
Folglich hatte die Maße der Männer ihr nichts zu sagen , und nichts drückt einen Mann mehr , als sich einer Frau gegenüber unwichtig zu fühlen .
Daher kommt es , daß das eigene Geschlecht ziemlich willig einer eminenten Frau geistige Bedeutung und Übergewicht verzeiht ; das fremde hingegen nur dann , wenn sie von den Grazien in höchst eigener Person zur Gefährtin geweiht ist - was natürlich nie der Fall .
- Eltern Leuten gefiel sie besser , als jungen ; vermutlich deshalb , weil sie freundlicher gegen jene war , teils aus Achtung für das Alter , teils weil sie behauptete , man liefe bei ihnen keine Gefahr , nicht - sich zu verlieben , sondern - in diesen Verdacht zu kommen :
was sehr unbequem und störend sei .
- Ohne Vermögen , ohne Ansehen , ohne Verbindungen , ohne Intrigen , nur durch die Macht ihrer Persönlichkeit hatte sie es dahin gebracht , daß die Welt ihr Verhältnis zum Baron Andlau stillschweigend als ein legales anerkannte und , um sich gleichsam für diese Nachsicht zu entschuldigen , eine heimliche Ehe voraussetzte .
Faustine und ihre Schwester Adele , als Kinder schon verwaist und ganz arm , wurden von einer Schwester ihres verstorbenen Vaters erzogen , d.h. diese bezahlte die Pension beider Mädchen für ihre Erziehung in einer großen Kostschule , und bekümmerte sich nicht eher um sie , als bis sie erwachsen waren .
Da nahm sie sie in ihr Haus , und hatte keinen sehnlicheren Wunsch , als sie so bald wie möglich zu verheiraten - nicht aus Interesse für die hülflose Lage der Mädchen , sondern weil sie selbst noch sehr gern Huldigungen entgegennahm , und ihrer vierzigjährigen Schönheit nicht mehr die Kraft zutraute , siegreich neben siebzehnjähriger zu bestehen .
Zwei junge Männer , die öfters ihr Haus besuchten , schienen ihr so wünschenswerte Neffen , daß sie beschloß :
sie müßten es werden .
Und sie wurden es .
Graf Obernau , ein wilder , brutaler Militär , dem nichts über sein Pferd , seinen Schoppen Wein und seine Pfeife ging , war der eine ; Maximilian von Walldorf , Gutsbesitzer , derb und vierschrötig , ohne Manieren , aber brav und ehrlich , war der andere ; dieser von geringem , jener von bedeutendem Vermögen , was aber ziemlich auf eins herauskam , da Walldorf sehr guter Wirt " ein äußerst solider Mensch " war , - wie die Tante zu Adele sagte , und Obernau ein Tollkopf und Verschwender " den Du zum schönen und nützlichen Gebrauch seines Vermögens anleiten wirst " - wie sie zu Faustine sprach .
Adele , emsig und tätig , von Kindheit auf mit hausmütterlichen Neigungen , froh der Kostschule entronnen zu sein , dachte sich keine lieblichere Zukunft , als ein eigenes Haus zu haben , und darin vom Morgen bis in die Nacht wirtschaftliche Geschäfte zu treiben .
Ein Mann mußte sie freilich in dies Eldorado führen , denn auf dem Schloß der Tante hatte sie nicht so freie Hand , wie sie es wünschte , weil die Tante der Meinung war , Wirtschaftlichkeit und Fleiß sei ein Netz wie jedes andere , um den Mann darin zu fangen , welcher diese Eigenschaften suche ; übrigens aber brauche man sie nicht gründlich zu treiben , nicht die Hände am Feuer zu verderben , und nicht die Haut in der Sonnenhitze auf dem Bleichplatz , oder an der Ofenglut beim Plätten .
Adele aber kannte kein größeres Vergnügen , als die schöne , reinliche , weiße , feine Wäsche durch das Plätten zu ihrer Vollkommenheit zu bringen ; und kein Blick auf ein Gemälde von Raffael oder auf eine italienische Gegend hätte sie so innerlich befriedigt , als der in einen großen , weitgeöffneten Schrank voll glatter , silberweißer Leinwand .
" Das Mädchen ist wirklich gar nicht im Salon zu brauchen , " sagte die Tante einst verdrießlich zu Walldorf , als Adele Abends dunkelrot im Gesicht und ganz schläfrig erschien .
" Wenn ich sie wollte gewähren lassen , könnte ich zwei Mägde abschaffen und sie ersetzte deren Stelle .
Heute früh um vier Uhr ist sie aufgestanden und hat Käse gemacht .... - essen Sie gern Käse ? "
" Wenn er gut ist - mein Leibessen ! aber die Butter muß auch gut sein . "
" O die Butter ! das versteht Adele gründlich ! -
Dann hat sie beim Buttern die Oberaufsicht geführt .... - "
" Bei mir wird früher gebuttert , als Käse gemacht . "
" Das ist ja einerlei , wenn es nur tüchtig gemacht wird . "
" Nicht so ganz , freilich ! doch Fräulein Adele ist noch so jung , kann lernen . "
" Ach , mein guter Walldorf , Sie müssen es nicht so genau mit mir nehmen ; ich erzähle nur , was Adele heute Alles getan hat : die Reihenfolge weiß ich nicht ; aber gelungen ist Alles - das weiß ich . "
" Nun , was hat sie noch weiter getan ? "
" Sie hat Kirschen mit Zucker eingekocht ; sie hat sich ein Kleid zugeschnitten , und zuletzt hat sie geplättet - darum ist sie so erhitzt . "
" Ein kapitales Mädchen , das ! wenn ich mir erlauben darf , es zu sagen . "
" Und so anspruchlos , so einfach , so genügsam , so freundlich - das wäre eine Frau für jeden verständigen Mann . "
" Gnädige Frau - auf Ehre , das habe ich auch eben gedacht . "
Und mit großen Schritten ging er durch den Saal zu Adele , die im letzten Fenster bei ihrer Arbeit saß , während Faustine und einige andere Personen um den Flügel versammelt waren .
" Was nähen Sie so emsig , gnädiges Fräulein ? " fragte er , um die Unterhaltung anzuknüpfen , was ihm stets sehr schwierig vorkam .
" Taschentücher , " - entgegnete sie ohne aufzusehen .
Daran ließ sich nicht Fortweben .
Er nahm einen neuen Anlauf :
" Essen Sie gern Kirschen , gnädiges Fräulein ? "
" Außerordentlich gern " - antwortete sie und sah ihn freundlich an .
" In Oberwalldorf sind herrliche Kirschen , alle mögliche Arten . "
" Das hat mir meine Tante erzählt . "
" Hat sie das ?
das freut mich .
Sagen Sie - möchten Sie die Kirschen essen ? "
" Hier sind auch recht gute Sorten " - sprach sie ausweichend nach Mädchenart .
Er dachte im Stillen :
Blitz und Donner ! das Mädchen hat gute Qualitäten , ist aber etwas schwer von Begriff .
Mit den verblümten Redensarten kommt man nicht vom Fleck bei ihr .
Ich muß nur von der Leber weg reden .
" Gnädiges Fräulein , wenn Sie die Kirschen von Oberwalldorf essen oder einkochen oder was weiß ich ! wollten , so würde es mir eine große Freude sein , vorausgesetzt , daß Sie mir gut genug sein könnten , um mich zu heiraten . "
Adele bückte sich tief auf ihre Arbeit und sagte :
" Wenn die Tante erlaubt . "
" O , die erlaubt es sehr gern ! " rief Walldorf herzensfroh und überlaut .
" Nicht wahr , gnädige Frau , Sie haben nichts dawider , daß Fräulein Adele mich heiratet ? "
Alles geriet in tumultuarische Bewegung .
Adele lief verlegen aus dem Saal , Faustine lief ihrer Schwester nach , Walldorf machte Miene , ihnen zu folgen ; doch ein befehlender Blick der Tante hielt ihn fest .
Man machte einen Spaziergang , man verständigte sich , man machte Alles sicher und fest , und beim Souper stellte die Tante Walldorf und Adele als Verlobte ihren Gästen vor , und lud sie in sechs Wochen zur Vermählung ein .
" Bist Du denn recht glücklich , Adelchen ? " fragte Faustine zärtlich , als sie ihr am Hochzeitstage den Myrtenkranz aufgesetzt .
" O , so sehr ! " rief Adele und faltete die Hände .
" Und worüber wohl am meisten ? "
" Eigentlich über Alles - so im Ganzen - daß ich ein Haus und eine Wirtschaft bekomme .... "
- " Aber das wird Dir viel Plage machen . "
" Doch viel mehr Vergnügen noch ! - daß ich die Tante verlasse ... "
- " Das ist freilich ein großes Glück . "
" Daß ich Frau werde und in Gesellschaften sitze , wenn die Mädchen haufenweise zusammen stehen . "
" Es mag sein Angenehmes haben . "
" Am meisten aber doch , daß Walldorf mein Mann wird .
Keinem Anderen würde ' ich so gut sein können !
Er spricht zwar etwas laut und macht nicht viel Komplimente - doch Niemand kann es ehrlicher meinen , als er , und warum soll er das nicht so laut und offen wie möglich sagen , liebe Ini ? - "
" Nun , sobald es Dir nicht unbehaglich ist , daß die Wände dröhnen , wenn er lacht , und daß es einen roten Fleck gibt , wo er küßt .... "
- " Einen roten Fleck ?! " rief Adele erschrocken und sah in den Spiegel .
Als sie aber ihr hübsches blühendes Gesichtchen makellos fand , setzte sie tröstend hinzu :
" Der vergeht wieder , Ini . "
Walldorf und Adele wurden und blieben ein glückliches Paar , d.h. glücklich auf ihre Weise ; denn Jeder hat seine eigene .
Und zu ihnen wollte Faustine jetzt .
Andlau sagte : " Wie seltsam , daß Dein unzeremoniöser Schwager solche steife , förmliche Briefe schreibt , die doch gar nicht in seiner Natur liegen . "
" Er hat so wenig Form , daß er gleich gezwungen wird , sobald er artig sein will , und was diesen Brief betrifft , so mag er ihn wohl aus einem uralten Briefsteller aus der Bibliothek von Oberwalldorf abgeschrieben haben , denn das Briefschreiben und Bücherlesen ist seine Sache nicht .
Nur die Bücher studiert er mit wahrer Wonne , die er selbst schreibt , und wovon er schon eine recht hübsche Sammlung besitzt . "
" Also schreibt er seine landwirtschaftlichen Beobachtungen nieder ? "
" Keineswegs ! seine Gutsrechnungen schreibt er nieder , aber auf eine Weise , die seine Zeit und sein Interesse gleich sehr in Anspruch nimmt .
Erst wird mit der ausgesuchtesten Pünktlichkeit , bei Batzen und Kreuzer , die Rechnung geführt : das ist aber nur der Brouillon .
Dann macht er eigenhändig Abschriften dieses wichtigen Werkes , in Sedez , in Duodez , in Oktav , in Quart , in Folio und in Royal-Folio , auf dem schönsten Papier , elegant gebunden , das Royal-Folio gar prächtig in Maroquin mit goldenem Schnitt , und dann ordnet er die verschiedenen Ausgaben dieses Werkes nach ihrer Größe in den Bücherschränken seines Arbeitszimmers , worin schwerlich ein anderes Buch Zutritt findet .
Das ist sein unschuldiges Steckenpferd . "
" Ich wundere mich nur , daß dies Steckenpferd gleichsam in einem Gespann mit seinem Arbeitspferde läuft ; daß etwas , das am Morgen seine Arbeit war , am Abend seine Erholung wird ; daß er nicht lieber etwas Anderes abschreibt , meinetwegen gewisse Zeitungsannoncen oder Wetterbeobachtungen , kurz , daß er in nützlicher und angenehmer Beschäftigung so gar keines Wechsels bedarf .
Seine Einseitigkeit muß ihn für Jeden , der nicht Landwirt ist , erdrückend langweilig machen . "
" Gehört nicht eine gewisse Einseitigkeit dazu , um etwas Großes in irgend einem Fache zu leisten oder zu werden ?
Kann man zugleich tüchtig als König und Dichter und Minister und Kunstkenner und Baumeister sein ? mehr liefern als mittelmäßige Proben von mittelmäßigen Fähigkeiten in diesen verschiedenen Richtungen ? "
" Das Genie ist seiner Essenz , seinem innersten Wesen nach vielseitig ; denn was ist es anders , als die göttliche Kraft des Geistes , das Homogene aufzufassen , zu entdecken , zu schaffen , zu wirken , zu bilden , je nach dem Material , das man gerade unter der Hand hat .
Das Genie findet es immer unter der Hand , es sucht nie .
Es fragt nicht : soll ich lieber ein Held werden oder ein Künstler ? sondern es greift nach Schwert oder Pinsel , und hat , ohne sich zu besinnen , die Welt erobert oder entzückt .
Daß das Genie zuweilen mehrere Talente hat , verschiedene Materiale behandelt , gleichsam in drei oder vier Sprachen spricht , daß da Vinci Maler , Baumeister und Dichter war , daß Peter der Große ein Reich aus der Versunkenheit emporzog und Schiffe baute , daß Julius Cäsar der erste der Imperatoren war , und nach ein Paar tausend Jahren noch der Schriftsteller der Jugend ist - : das blendet und verführt die Leute .
Sie meinen , mit der Vielseitigkeit sei auch das Genie da , und vergessen nur , daß man viel Fähigkeiten in sich ausbilden , viel Fertigkeiten sich aneignen , aber nimmermehr ein Genie werden könne .
Man muß es von Natur sein . Es liegt in einer dem Menschenwitz unerreichbaren Region .
Der liebe Gott hat es sich vorbehalten , seinen Lieblingen damit ein Geschenk zu machen , das , gleich allen bedeutenden Geschenken , schwere Verbindlichkeiten auf den Empfänger wälzt , obgleich es ihn beglückt . - -
Aber weil der Mensch doch einen bewegbaren Kopf hat , der sich rechts und links , vor- und rückwärts wenden kann , so meine ich , er solle nicht mutwillig Stupidität , Vorurteile , Launen und Eigensinn als Scheuklappen sich vorbinden , die ihn hindern , irgend etwas zu sehen , das nicht in seinen Kram passen könnte .
Selbst ausgezeichnete Talente werden , zwischen Scheuklappen ausgebildet , zur Manie .
Ich hörte einen berühmten Pianisten ; er übte täglich vierzehn Stunden ; er dachte , er wußte , er kannte , er sprach nichts , als seine Kunst - nun , er spielte wie eine vom Dämon der Musik gefertigte und besessene Maschine .
Stelle ich mir nun Deinen Schwager als einen vom Dämon der Erdscholle Besessenen , aber ohne in sein Fach einschlagende besondere Talente vor , so wünsch ich ihm der Abwechslung wegen doch Liebhabereien aus einem anderen Gebiet - etwa Mongolefieren oder dergl. - "
" Ich mache es , so wie Du meinst , daß man es machen müsse , " sagte Faustine ; " ich sehe mir die Dinge an , und assimiliere davon , was ich brauchbar finde , mit meiner Eigentümlichkeit .
So bleibe ich doch Eins und werde nicht allzu sehr einseitig . -
Aber nun höre weiter !
Die Liebhaberei meiner Schwester ist auch aus ihrem Fach :
es ist das Anschaffen und der Besitz von Leinwand .
Spinnen , weben , bleichen zu lassen , ist ihr Element .
Nach jeder Niederkunft erhält sie von ihrem Manne als Wochengeschenk ein Stück Land - bei der Geburt eines Knaben noch einmal so groß als bei der eines Mädchens - womit sie machen kann , was sie will .
Sie läßt darauf Lein säen , und ihn dann verarbeiten zur Aussteuer für ihre Töchter , von denen die älteste sieben , die jüngste ein Jahr alt ist .
Da sie außerdem noch fünf Söhne hat , so ist ihr Leinwandschatz und ihr Grundbesitz schon ziemlich bedeutend , und wir können es vielleicht erleben , daß mein Schwager nur noch Oberlehnsherr seines Gutes sein wird . "
" Aber sie sammelt für ihre Töchter ; das ist doch ein würdiger Zweck . "
" Und mein Schwager gedenkt seine Werke den Söhnen zu hinterlassen .
Der älteste bekommt die Ausgabe in Royal-Folio und so abwärts der Reihe nach .
Für die Zukunft arbeiten wir Alle - außer uns , in uns . "
" Kennst Du den Bruder Deines Schwagers ? "
" Den kleinen Clemens ?
ja .
Vor vier Jahren fand ich ihn einmal in Oberwalldorf .
Ein Mensch , damals schon wie ein Riese , aber so kindisch , daß ich ihn immer den kleinen Clemens nannte .
Gut , daß er da ist !
er wird doch ein wenig menschlicher und dann vielleicht recht angenehm geworden sein , und so etwas ist immer brauchbar - dort am meisten . "
" Sprich nicht so leichtsinnig , Ini ! " sagte Andlau ernst .
" O Gott , gar nicht ! " rief sie ; " ich freue mich wirklich , den Clemens dort zu sehen .
Tue mir den Gefallen , " setzte sie scherzend hinzu , " und werde ein wenig eifersüchtig ; Du hast jetzt die beste Gelegenheit .
Ich möchte gern wissen , wie Du Dich in eifersüchtiger Stimmung , und ich mich ihr gegenüber benehmen würde . "
" Du weißt , Faustine , bei mir kann darum nie von Eifersucht die Rede sein , weil ich keinen Rivale anerkenne .
Ein Gut , wonach ein Anderer die Hand ausstreckt , überlasse ich ihm gern . "
" Ich weiß , daß Du ein schroffer Mann bist . "
" Aber nicht für Dich . "
" O doch ! auch für mich !
Du bist wie ein Felsen ; daran rank ich mich als Efeu mit geschmeidigen Armen empor und schmücke ihn so gut ich kann .
Aber der Felsen bleibt ernst und unbewegt , und ich weiß nicht einmal , ob es ihm eine Freude ist . "
- Ihre Augen standen voll Tränen .
" Du kränkst mich , Ini , " sagte Andlau mit tiefer Zärtlichkeit ; " Du weißt recht wohl , daß Du meine einzige Freude , mein ganzes Glück auf der Welt bist .
Es wäre eben so kindisch , wenn Du daran zweifeln könntest , als wenn ich es Dir alle zehn Minuten wiederholen wollte . "
" Ich verstehe nur nicht zu zweifeln , wenn ich liebe ; sonst , Anastas , würde ich mir wohl bisweilen Gedanken machen . "
" Und was für Gedanken ? böse oder gute ? "
" Ich würde mir vorkommen wie die Eidergans . "
" Das ist nicht sehr schmeichelhaft " - sagte er lachend .
" Nein , gewiß nicht für die Menschen !
denn die schieben dem armen Vogel Kreideeier statt der wirklichen ins Nest , weil er die Gewohnheit hat , sich die Federn auszurupfen , um die Eier damit zu erwärmen .
Unermüdlich rauben die Menschen den weichen Flaum und machen sich bequeme Kissen daraus , und unermüdlich rupft sich der Vogel kahl für die unerwärmbaren Kreideeier . "
" Und die Nutzanwendung ? " fragte Andlau etwas erstaunt .
" Was ich an Liebe und Zärtlichkeit im Herzen habe , streue ich , ohne mich zu besinnen , vor Dir aus , und bin gewiß glücklich genug , daß Du es mir gestattest , denn wo sollte ich sonst damit bleiben ?
Aber Du , Du nimmst absichtlich den weichen Flaum fort , damit ich mir immer etwas Neues und Frisches , immer eine andere Weise aufdecken möge , um Dir zu sagen , wie ich Dich liebe . "
" Wenn Du das von mir glaubst , so bestrafe mich und denke Dir nichts Neues auf . "
" Das würde mir aber ein großer Zwang sein . "
" Du siehst , liebe Faustine , unsere Natur ändern wir nicht .
Du mußt die Fülle , die Glut , die Pracht der Deinigen aushauchen durch Wort und Bild und Ausdruck .
Ich , der ich ohnehin nicht Deinen Reichtum habe , muß stumm und anbetend zu Dir emporsehen .
Nennst Du das Mangel an Teilnahme und Liebe ? "
" Nein , nein , Anastas !
ich sagte Dir ja , daß ich die Gedanken nicht dazu kommen lasse , sich wirklich auszubilden . "
" Es wäre auch schade um Dich , wenn in Deine lichte reine Seele Zweifel und Zwiespalt verfinsternd fielen .
Du bist ein Kind des Lichts , meine Ini . "
" Die Kinder der Welt sind klüger als die Kinder des Lichts - steht in der Bibel . "
" Ich dachte auch so eben nicht daran , Deine Klugheit zu preisen " - sagte Andlau lachend .
" Du bist mein Verstand , ich brauche keinen besonderen ; " antwortete sie , und drückte die Stirn an seine Wange .
Die Locken fielen graziös über ihr Gesicht herab ; die schlanke weiße Gestalt ruhte friedlich in seinem Arm .
Sie sah aus wie eine junge Birke mit frühlingsgrünem , wehendem Gezweig an einen Felsen gelehnt .
Diese beiden Menschen lebten in und mit der Welt , wie auf einer goldenen Klippe , die mitten im Meer für sie emporgestiegen .
Sie liebten sich so , daß sie zwar den Stürmen ausgesetzt , doch nicht vor ihnen zu beugen sich glaubten .
Denn mochte Faustine auch zuweilen klagen über Andlau's immer gehaltenes Wesen , so war das doch nur so wie die Nachtigall Töne in ihrem Gesang hat , die gleich herzzerschmelzender Klage klingen , weil übermächtige Sehnsucht in ihnen widerhallt .
Faustine war eine von den flammendurstigen Seelen , die in jedem Moment des Lebens die Nektarschale des Glücks verlangen und leeren , ohne Rausch , ohne Taumel , ohne Übermut ; mit dem Bewußtsein , daß sie ihnen zukomme , und darum nicht trunken wie die Sterblichen , sondern wie die Überirdischen , beseligt !
Aber nur an großen Jubelfesten und nicht an Wochentagen wird sie den Menschen gereicht , und Trost und Beschwichtigung dafür fand Faustine immer bei Andlau .
War er nicht von der Glut , so war er doch stets von der Höhe ihrer Empfindungen und wie ein Fixstern von unwandelbarem Licht .
An diesem Abend , als sie mit Andlau von dem Spaziergang nach der Neustadt heimkehrte , wo sie künstlerische Beobachtungen über Mondscheinbeleuchtung angestellt , verweilte sie auf der Brücke und sprach :
" Anastas ! ich muß mir einen Zaubergesang aufdecken , womit ich , wie die alten thessalischen Zauberinnen , den Mond vom Himmel herabziehe .
Er hat Geheimnisse , die ich ergründen möchte .
Sein Strahl berührt mich so kalt , daß ich schaudere , wie von einem Leichenfinger berührt , und sein Glanz ist doch so magisch , wie der eines geliebten Auges , in das man immer hineinblicken möchte . "
" Laß den Mond in seiner Sphäre , und nimm Deinen Schal zusammen , Ini . "
" Und ich denke , wenn ich ihn ganz nahe bei mir hätte , ihm gleichsam Auge in Auge schaute , so würde er nicht so leichenkalt sein .
Um seiner Schönheit Willen tut mir seine Kälte leid , die gewiß ein großer Fehler ist . "
" Besonders hier auf der Brücke .
Nimm Deinen Schal zusammen ; die Luft weht kalt über die Elbe . "
" Ich tue es , lieber Anastas ! -
Aber ich möchte wissen , ob die Gestirne nicht einen wesentlichen und rätselhaften Einfluß auf den Menschen und seine Schicksale haben ; ob der Stern , welcher in dem Augenblick unserer Geburt uns begrüßt , für immer unser Freund und mit uns in Verbindung bleibt . "
" Dies zu beweisen und zu berechnen , mühten sich in früheren Zeiten die Astrologen ab .
Unsere Tage der scharfen Analyse und der materiellen Industrie sind dieser nebulösen Wissenschaft abhold , und ich meine , die Überzeugung sei uns heilsamer und förderlicher , daß wir selbst mehr Einfluß auf unser Schicksal haben , als Sonne , Mond und der ganze gestirnte Himmel . "
" Es kann wohl Irrtum sein - dennoch Bild ich mir ein , daß die Sonne mich lieb hat , weil ich an ihrem Herrschertage geboren bin , am 22. Junis .
Das ist der längste Tag des Jahres , da steht sie am höchsten über unserem Haupt , da tritt sie das mächtige Reich des Sommers an .
Und nur wenn die Sonne hoch über mir steht , ist mir das Leben eine Lust , weil ich dann nicht abgesperrt von Erde , Licht und Luft bin , sondern ihr frisches , schaffendes Regen teile und genieße .
Im Sommer , meine ich , könne mir kein Unglück , nichts Böses widerfahren : die Sonne lächelt mich an ! ist sie nicht das Auge Gottes ? -
O Anastas , ich habe wohl Recht , die himmlische Sonne zu lieben , die mir Freuden bereitet , wie eine gute Mutter . "
" Ich sagte Dir schon heute , Du wärst ein Kind des Lichts . "
" Und der Stürme , Anastas !
denn auch im Gewitter , unter Donner und Blitz , bin ich geboren .
Darum tun mir die Stürme nichts ! sie brausen über mein Haupt dahin , sie zerwühlen mein Haar und mein Kleid , ich drücke beide Arme kreuzweise über meine Brust , und senke den Kopf und lasse sie sausen - ich horche auf die Stimme des Ewigen in ihnen .
Und auch der Donner schreckt mich nicht ! nicht die leiseste Bangigkeit , die unwillkürlich , körperlich fast , sein soll - beschleicht mich im Gewitter .
Wenn der Donner pomphaft über den Himmel , um hohe Berge und in tiefe Täler rollt , so meine ich , daß große Geister , aus ihren ewigen Wohnungen herabsteigend , die arme kleine Erde mit dröhnendem Fußtritt berühren , wie ein alter in Eisen gewaffneter Ritter das Hüttchen des Landmanns .
Und die Blitze gar ! die gelten alle , alle mir ! die greifen und züngeln nach mir , die möchten mein Gürtel sein , meine Krone , meine Lanze - und ich Schwache , ich Bewußtlose verstehe nur nicht , sie zu brauchen .
O die Blitze haben große Dinge mit mir vor ! töten will mich keiner , auch nicht blenden ! als ich zuerst das Auge auftat , habe ich sie ja gesehen , und starb nicht und erblindete nicht .
Aber versengen und aufzehren wollen sie alles Irdische - auch bei mir , glaube ich .
Darum sehe ich immer empor und breite die Arme aus zum Himmel , wenn es blitzt .
Siehst Du , das Alles verstehe ich , aber den Mond verstehe ich nicht . "
" Aber ich , Ini , denn er spricht eine unpoetische Sprache , die mir sehr geläufig .
Sein kühler Strahl ist ein Wegweiser , daß man spät Abends nach Hause , und nicht auf der Elbbrücke gehen soll , wo böse Kobolde sich tummeln und uns mit eisigem Atem anhauchen .
Sie suchen Dir zu schaden , und Du ahnst sie nicht - da muß ich dann Wache halten . "
" O Du bist gut ! " sagte sie und drückte innig seine Hand .
Er führte sie in ihre Wohnung und suchte dann die seine auf .
Zwei Tage später sagte Mengen auf der Terrasse zu Feldern :
" Du wolltest mich ja der schönen weißen Statue vorstellen , die vorgestern hier zeichnete , Gräfin ... wie heißt sie ? "
" Obernau ; eine Statue ist sie nicht ; dafür aber heute früh auf mehrere Monate verreist ; " - entgegnete Feldern .
" Schade ! " sagte Graf Mengen ; " aber sie wird wiederkommen , und dann ! -
Manche Menschen sehen so wunderbar aus , daß ich übers Gebirge klimmen würde oder auf die Turmspitze steigen , um ihnen wenigstens Einmal gründlich ins Antlitz zu sehen , und habe ich das getan , so vergesse ich sie nie . "
" Dein Gesandter wird ja von der Badereise Tochter und Enkelin hierher bringen .
Ob die junge Person hübsch ist ? "
" Sehr hübsch , nach einem Porträt zu urteilen , doch zu jung , um Eindruck zu machen . "
" Und die Mutter ? "
" Nicht mehr jung genug . "
" Die diplomatische Laufbahn ist doch äußerst angenehm !
Nicht nur , daß Ihr wie die Windrose für alle Weltgegenden und alle Klassen der Gesellschaft eingerichtet seid : Ihr findet auch , wohin Ihr entsendet werdet , überall ein Haus , in dem Ihr zu Hause seid wie in dem eigenen , ohne die Unbequemlichkeit , welche häufig mit letzterem verbunden ist . "
" Der Soldat hat seine Kameraden , der Beamte seine Kollegen , was - beiläufig gesagt - unbeschreiblich philisterhaft klingt ; und beide haben ihre Chefs ; ich sehe keinen besonderen Vorteil in unseren Verhältnissen , als höchstens den , daß unser Chef seinem einsamen Sekretär ganz genau auf die Finger sehen kann .
Ich bin zuweilen dieser Stellung überdrüssig zum Totschießen !
Wäre Cäsar nicht groß durch sein Leben und seinen Tod , so wäre er es durch sein berühmtes Wort vom Ersten und Zweiten . "
" Wir arbeiten rottenweise in einem weit ärgern Joch , als das ist , worin Ihr einzeln arbeitet ; also habt Ihr doch immer die größere Chance für Euch , bald der Erste zu werden , und nicht in einem armseligen Dorf , sondern in irgend einer Weltstadt .
Ich hätte mich auch gern der Diplomatie gewidmet , aber Rücksichten wiesen mich in eine andere Karriere , in der das Leben und die Gesellschaft geringere Ansprüche an uns machen . "
" Du bist verlobt , hörte ich sagen .... "
- " Seit vier Jahren . "
" Welche Geduld , mein lieber Feldern ! - und Deine Braut lebt hier ? "
" In der Nachbarschaft , auf dem Lande - Du wirst sie kennen lernen . "
" Ich würde mich auch gern verheiraten . "
" Ah , das freut mich !
Auch schon verlobt ? "
" Nein , " sagte Mario lächelnd , " und am wenigsten vier Jahr .
Ein weibliches Wesen hat mir noch nicht den Wunsch eingeflößt , mich zu verheiraten , sondern aus der öden Oberflächlichkeit des Lebens möchte ich mir in dessen Tiefe eine Zuflucht bereiten , wo ich dem Gewirr unerreichbar bliebe , wo andere Geister walteten , als die , welche für und in unserem Beruf uns zur Seite stehen .
Ich möchte erfahren , ob es denn kein anderes Glück gibt , als das , welches unser unruhiges Bemühen , unseren Ehrgeiz , unsere Eitelkeit belohnt , d.h. aufreizt , indem es sie momentan befriedigt .
Ich möchte ein stilles , dauerndes , unerschütterliches , schützendes Glück , das wie ein schattiger Fußpfad neben der breiten , sterilen Lebensheerstraße dahinliefe .
Das Alles , meine ich , müsse eine Frau mir geben und mir sein !
Doch die , zu der ich dies Vertrauen haben könnte , habe ich noch nicht gefunden . "
" Du machst wahrscheinlich große Ansprüche , lieber Mario .... - "
" Ganz und gar keine !
ich verlange nur , daß wir so zu einander passen , wie zwei Mal zwei vier ist . "
" Das ist freilich eine sehr bescheidene Forderung " - sprach Feldern lächelnd .
Oberwalldorf war in lebhafter Aufregung .
Eine festliche Taufe und ein wochenlanger Besuch galten in dem häuslichen , geregelten Leben für merkwürdige Begebenheiten .
Heute sollte Faustine eintreffen , morgen die Taufe sein .
Adele , eine sehr hübsche , aber kugelrunde Frau , rollte sich mit unglaublicher Behendigkeit und unermüdlicher Geschäftigkeit durch das Haus , um ihre sämtlichen Anstalten und Einrichtungen zum neunundneunzigsten Mal zu überschauen und zu besprechen , obgleich alle Dienstboten , gleich Kanonieren mit brennender Lunte bei ihren Kanonen , schußfertig und des Winkes gewärtig bei ihren Geschäften waren .
Hinter Adele her zog , wie eine wilde Jagd , ihre Kinderschaar , bei der man die gute Mannszucht , welche im Domestiken-Corps herrschte , sehr vermißte .
Ihre Kinder zum Gehorsam zu gewöhnen , dahin hatte die gute Adele es noch nicht gebracht .
Sie waren ihr von Hause aus über den Kopf gewachsen , und diese Frau , ein Muster von Ordnung und Pünktlichkeit , duldete , daß ihre Kinder , wenn es ihnen gefiel , ihre Einrichtungen in die kläglichste Unordnung brachten .
Wurde es einmal so arg , daß sie eine Züchtigung für unumgänglich hielt , so trat ihr Mann dazwischen und sagte , er könne nicht leiden , daß seine Kinder mißhandelt würden .
Er selbst verlor die Geduld mit ihnen nur dann , wenn sie an seine Heiligtümer , Schreibtisch und Bücherschrank , unheilige Hand legten .
Vielleicht den größten Zorn seines Lebens hatte er empfunden , als seine älteste Tochter in ihrem vierten Jahr seine Abwesenheit aus dem Zimmer benutzt hatte , um auf einen Stuhl vor dem Bücherschrank zu klettern , und seine sämtlichen Werke , so weit sie ihren Händen erreichbar , auf den Fußboden zu schleudern .
Damals hielt er ein Strafgericht , dessen Schrecknisse sich traditionell bei den Kindern fortpflanzten , so daß sie dreister eine Löwenmähne , als die Schriften des Papa berührt haben würden .
" Kommt nun herunter , Kinder " - sagte Adele , in das für Faustine bestimmte Zimmer tretend , wo die Kleinen verweilt waren , während sie die Runde durch die übrigen Gastzimmer gemacht .
Aber die Kinder hörten und sahen nicht ; denn drei rollten sich in der vom Bett herabgerissenen grünseidenen Decke kopfüber , kopfunter auf der Erde herum ; und die beiden älteren voltigierten mit der höchsten Behendigkeit vom Bett auf den Fußboden und so wieder hinauf .
Alle fünf kreischten , glühten , schwitzten , zappelten , balgten sich nebenher - kurz , es war ein außerordentlicher Spaß , den nur die Mutter nicht goutierte .
Es gab ihr einen Stich durchs Herz , die derben Lederschuhe auf dem feinen Bettbezug umhertrampeln zu sehen .
Sie rief zur Ordnung !
doch leichter hätte sie eine Herde junger Füllen als ihre Kinder zusammentreiben können .
Da nahm sie ihre Zuflucht zu einer Kriegslist und :
" Ein Wagen ! die Tante kommt ! " rufend , verließ sie schnell das Zimmer .
Die Kinder stürmten augenblicks ihr nach und die Treppe hinab , und Adele hatte das Schlachtfeld gewonnen , auf welchem nach zehn Minuten wieder die frühere Zierlichkeit herrschte .
Endlich kam Faustine .
Sie hatte sich heute von Andlau getrennt , und das Gefühl , wie einsam sie ohne ihn auf der Welt stehe , beängstigte sie .
In der Familie unserer Geschwister wird es uns selten heimisch .
Mag uns der Bruder oder die Schwester noch so lieb und wert und vertraut sein - die Schwägerin , der Schwager , deren Eltern , deren Vetter und Muhmen , sind eben fremdartige Elemente , die uns häufiger abstoßen , als anziehen , vielleicht darum , weil man von uns begehrt , daß wir für Personen , die unserem Blute fremd und unserer Neigung fern sind , Liebe und Freundschaft hegen sollen , welche Gefühle man doch gern nach eigener Wahl verteilt .
Seit zwei Jahren war Faustine nicht hier gewesen .
Als sie sich Oberwalldorf näherte , vergaß sie etwas ihre Traurigkeit .
Es lag äußerst freundlich am Eingang eines Tals , durch welches ein rascher Waldbach strömte , der weiter hinab sich in den Main ergoß und höher hinauf Schneide- und Sägemühlen trieb .
Die Wohnungen der Landleute lagen zwischen blühenden Gärten ; Wiesen und Felder grünten üppig ; die Berge , welche das Tal zwischen sich nahmen , waren mit gemischtem Laub- und Nadelholz bedeckt : es war keine großartige , aber eine wohltuende , liebliche Natur .
Das Wohnhaus , das man aus Artigkeit das Schloß nannte , lag mitten im Besitztum , von Ulmen umgeben , altertümlich ohne Pracht , wodurch es ein etwas vernachlässigtes Ansehen hatte , was indessen nur Nebendinge betraf .
Das Wappen über der Eingangstür war beschädigt , künstliche Steinmetzarbeit an einem Erker war ganz herabgefallen und die Urne versiegt , welche ein verstümmelter Triton im Hof über einem Wasserbecken hielt .
Alles Wesentliche war solid .
Die ganze Familie umringte lärmend Faustinens Wagen , und es gab ein Gejubel beim Empfang , daß Niemand sein eigen Wort hören konnte .
Ein Paar Kinder stiegen in denselben und befahlen dem Postillon , sie im Hof umher zu fahren , wozu er durchaus nicht geneigt war .
Für seine abschlägige Antwort trösteten sie sich damit , daß sie abpacken halfen .
" Erinnern Sie sich noch meiner ? " fragte endlich eine sanfte , wohlklingende Stimme hinter Faustine .
" Recht gut ! "
- wollte sie sagen , und blickte sich nach dem Sprechenden um , doch erschrocken fuhr sie zurück , denn ein baumlanger , schwarzer Mann , mit einem Bart wie ein Jupiter , sah auf sie herab .
" Ich bin ja der kleine Clemens , " sagte der Riese , und ein mitleidiges Lächeln über Faustinens Schreck legte sich in seine freundlichen Augen .
" Finde ' es begreiflich , daß Sie das Bürschchen nicht erkannt haben , " sagte Walldorf mit schallendem Gelächter ; " sieht ja aus wie der wilde Mann auf den Harzgulden , nur anständiger , versteht sich !
war immer von tüchtigem Schrot und Korn .
Was ein Haken werden will , krümmt sich bei Zeiten - obgleich der Clemens nichts weniger als gekrümmt ist , sondern gerade und unverbogen an Leib und Seele . "
" Das freut mich " - sprach Faustine mit einem Lächeln , so lieblich , wie Clemens schon vor vier Jahren gemeint hatte , es gleiche dem Sonnenstrahl .
" Sie sehen aber ganz aus wie damals ! " rief Clemens .
" Das freut mich auch , " entgegnete sie .
" Willst Du nicht irgend etwas genießen , liebe Ini ? " fragte Adele ; " Du mußt recht Hunger haben ; den ganzen Tag im Wagen gesessen - das macht müde - gelt ? "
" Weder hungrig noch müde , Adelchen !
ich habe ja nichts dabei zu tun . "
" Aber das Nachtessen will ich denn doch früher anordnen . "
" Nicht meinetwegen !
ich danke Dir tausendmal , und werde Dir zehntausendmal danken , wenn Du nicht die geringsten Umstände für mich machst .
Ich bin nicht blöde und werde fordern , was ich brauche - wenn Du es erlaubst . "
" Sehr verständig ! " sagte Walldorf .
" Ungeniert müssen Wirt und Gäste sein .
Ehe ich es vergesse ! welchen Namen wollen Sie denn Ihrem Patchen geben ? "
" Welchen Sie wollen , bester Walldorf . "
" O nein ! die Gevattern legen dem Patchen einen ihrer Namen bei - so schickt es sich . "
" Ich glaubte , das sei altmodisch . "
" Kann wohl sein ; drum habe ich es gern . "
" Gefällt Ihnen denn Faustus oder Faustin für Ihren Sohn ? "
" Nein , ganz und gar nicht ! liebe nicht das Romantische , Abenteuerliche , wobei einem Räuber- und Gespenstergeschichten einfallen .
Möchte Ihnen aber doch gern eine Ehre antun .
Haben Sie keinen Lieblingsnamen ? "
" O ja , Anastasius . "
" Gut ! so soll der kleine Mann Anastasius genannt werden .
Wird aber schlecht fahren - das arme Bübchen ! "
" Wobei ? warum ? " riefen Alle .
" Bekommt die Duodez-Ausgabe meiner beobachtenden Berechnungen von Oberwalldorf .
Ein garstiges Format , das ! nicht Fisch , nicht Fleisch , weder imponierend noch zierlich .
Sollte der Himmel keinen Sohn mehr bescheren , so bin im Stande , die Duodez-Ausgabe ganz und gar zu streichen ; dann bekäme er den Sedez , der ein allerliebstes Spielzeug ist , mit Krähenfedern geschrieben ... - "
" Faustine kennt es , lieber Max " - sagte Adele .
" So ?
Ei ! " sprach er , ungemein erstaunt , daß seine Frau ihn in dieser Unterhaltung störte , denn sie war so daran gewöhnt , daß sie für ihre Person nicht mehr darauf achtete , als auf fallende Regentropfen ; doch jetzt hörte sie mit dem Ohr ihrer Schwester .
Die Kinder stürmten herein und drängten sich dann , Faustine gewahrend , scheu und bewildert in einem Winkel des Zimmers zusammen , wo sie mäuschenstill die Tante angafften , einige mit den Fingern im Munde , andere an den Knöpfen drehend .
" Wollt Ihr nicht schlafen gehen , Kinderchen ? " fragte Adele .
Da erhob sich ein Lärm , wie die Hühner machen , wenn sie Abends zum Schlafen auffliegen , und unter endlosen Gutenacht-Wünschen und -Küssen zogen sie ab , denn die Tante war ihnen noch zu fremd , um nicht störend zu sein .
Der Tauftag ging vorüber mit vielem Geräusch und vieler Langeweile , wenigstens für Faustine , die keine Feste liebte , welche wochenlang vorbereitet waren .
" Sie haben immer einen sauersüßen Beigeschmack , " sagte sie , " von all den Verdrießlichkeiten , Umständlichkeiten , Plagen und Qualen , welche die Festgeber während der Vorkehrungen ausgestanden haben . "
Hernach lebte sie in ihrer Weise , störte Keinen , und ließ sich nicht stören , las , zeichnete , ging spazieren .
Adele fand nichts unbegreiflicher , als daß man zum Vergnügen spazieren gehen könne .
Sie ging in den Garten , um zu sehen , ob die Kirschen reiften oder ob die Kartoffeln blühten , zuweilen aufs Feld , um ihren Flachs zu inspizieren ; aber nur für diese Zwecke trugen ihre Füße sie über die Schwelle des Hauses .
Walldorf , wie die meisten Männer , deren Geschäfte sie viel im Freien und auf den Beinen erhalten , nannte den Spaziergang einen Zeitverderb .
Männer hingegen , welche eine Lebensweise führen , welche sie viel über den Arbeitstisch bückt , betrachten ihn als eine Arznei , die sie täglich in einer gewissen , nach Stunden gemessenen Dosis einnehmen müssen .
Alles sehr erniedrigend für den lieblichen , freien , zwecklosen , vornehmen Spaziergang , der seinen verborgenen Reiz nur dem enthüllt , der ihn ohne Nebenabsicht auf Dienst und Nutzen genießt .
Ein Rezept ist nicht über das zu geben , was zu einem angenehmen Spaziergang gehört , denn nach Regeln wird er nicht konstruiert .
Hingegen ist sehr leicht zu sagen , was notwendig nicht zu ihm gehört : Gesellschaft .
Man muß allein sein oder mit einem geliebten Menschen gehen ; denn Letzteres ist keine Gesellschaft : man ist nur zu Zwei allein .
Clemens begleitete zuweilen Faustine , um ihr irgend eine hübsche Aussicht , oder einen prächtigen Baum oder einen versteckten Fußpfad in den Bergen zu zeigen .
Nach und nach geschah es täglich .
Wenn Adele sich arbeitsam mit ihrer Näherei Abends vor die Tür in den Garten setzte , und Walldorf mit der Pfeife langsam vor dem Hause auf und nieder ging , machte Faustine gewöhnlich eine Viertelstunde lang diese ermüdende Promenade mit ihrem Schwager , und trat dann eine größere mit Clemens an .
Er war ein ganz liebenswürdiger Mensch , sanft und weich an Gemüt , wie die kolossalen Gestalten gewöhnlich sind .
Zu ihren riesigen Körperkräften gab ihnen die ausgleichende Natur eine milde , wohlwollende Seele , welche sie unfähig macht , ihre Kraft auf brutale Weise zu gebrauchen .
Nur ausnahmsweise sind sie Raufbolde und Händelmacher .
Die Kleinen , die sich auf die Fußspitzen recken müssen , damit man sie erblicke - das sind die Krakeeler , die Zanksüchtigen ; die tun patzig , damit kein fremder Ellbogen um ihre Nasenspitze spiele .
Doch , zum Ersatz , weil sie oft so lächerlich sind - versteckte die ausgleichende Natur in die kleinen Figürchen die großen Genies .
Clemens hatte schon vor vier Jahren eine besondere Zuneigung für Faustine gehabt .
Er war etwas schläfriger Natur damals ; Bruder und Schwägerin trugen , ihrer Eigentümlichkeit nach , nicht dazu bei , ihn zu ermuntern , wohl aber Faustine , die mit dem unbeholfenen blöden Menschen sprach und scherzte , bis er etwas seine eckige Scheu verlor .
Dafür blieb er ihr innig dankbar .
Weil er ihr in dem Zeitpunkt begegnet , wo er anfing , das Leben mit anderen als kindischen Augen zu betrachten , glaubte er , daß sie diese Wendung und Lichtung seines innersten Wesens veranlaßt habe , und so knüpfte er seine lieblichernste Erkenntnis an ihre lieblichernste Erscheinung .
Jedes Mal , wenn er seinen Bruder besuchte , hoffte er heimlich Faustine in Oberwalldorf zu finden - immer umsonst ! aber er bewahrte eine stille Sehnsucht nach ihr , wie man sie im Winter nach dem lang ausbleibenden Frühling empfindet .
Handlung , Tätigkeit , welcher Art sie seien , sind den Einbildungen entgegen , wie Wasser dem Feuer , und ein Paar Studien- oder Arbeitsjahre , was sage ich !
Monate , bisweilen Wochen , bringen einen jungen Kopf sehr schnell ins rechte Gleis .
Aber da Clemens sich keineswegs einbildete , Faustine zu lieben , sondern sie nur als das Holdseligste betrachtete , was ihm auf der Erde begegnet , so bewahrte er ihre Erinnerung in immer gleicher Frische .
Und auch jetzt war sie ganz , ganz wie damals ; denn sie tat nicht gern einen Schritt vorwärts , den sie später hätte zurücktun müssen .
Sie tat sehr oft Schritte , die gewagt , regellos , nicht zur Nachfolge einladend waren , doch war es einmal geschehen , so stellte sie sich fest und sagte heimlich : " nur nicht zaghaft !
nur immer vorwärts ! wer gelenkige Glieder hat , muß springen und klettern , darf sie nicht einrosten lassen . "
Das , in Beziehung auf sich selbst .
Für Andere hatte sie einen Takt in der Seele , der ihre Schritte so abmaß , daß kein fremder Gang dadurch beeinträchtigt wurde - so glaubte sie wenigstens .
Einst fand sie Clemens unter den Ulmen des Hofes , als sie am Morgen einen Spaziergang machen wollte .
" Darf ich Sie begleiten ? " fragte er .
" Ich danke Ihnen ! Morgens brauche ich Sie nicht , " sprach sie freundlich .
" Brauchen Sie mich nicht ! " wiederholte er .
" Nein , " sagte sie unbefangen , " am Morgen gehe ich nicht so weit , daß ich mich verirren könnte , es wird zu heiß ! und dann ist es ja heller Tag !
Abends fürchte ich , daß die Dunkelheit über mich einbrechen könnte - dann brauche ich einen Beschützer . "
Sie nickte ihm freundlich zu , und ging fort .
Dies war ganz wahr .
Nebenbei dachte sie , es könne ihn in seinen gewohnten Beschäftigungen stören - " und ich mag Niemand stören , " fügte sie hinzu .
" Anastas ! den stör ich nie , der lebt für mich , meinetwegen , der kann mit mir spazieren gehen vom Morgen zum Abend ; Clemens nicht !
Clemens nur , wenn er nichts Anderes , nichts Besseres versäumt . "
Aber Clemens war mit dieser Rücksicht keineswegs zufrieden und sagte ihr am Abend :
" Gönnen Sie mir doch einige liebliche Stunden mehr in Ihrer Nähe für die Paar elenden Tage , die Sie noch hier sein werden . "
" Sie dürfen keinen zu lebhaften Geschmack an meinem nichtstuereschen Leben finden , entgegnete sie , es ist unglaublich ansteckend . "
" Ja , so lange Sie da sind .
Wenn Sie uns verlassen haben , gewinnt die alte Tätigkeit ihr altes Recht - und ein neues dazu :
sie muß zerstreuen helfen . "
" Die Verständigkeit der Männer ist außerordentlich groß , " rief Faustine scherzend ; " sie werden durch sie geschützt und nie um ein Haar breit weiter fortgezogen , als sie es sich vorgenommen haben . "
" Billigen Sie es nicht ? " fragte er ernsthaft .
" Ich billige Alles , was Anderen gut tut , wenn es mich nicht verletzt , " antwortete sie lachend .
" Und wenn es Sie verletzt ? "
" So mag ich nicht mehr Richter sein .
Wie Brutus über meine Söhne zu Gericht sitzen und ihnen das Leben absprechen - könnte ich nicht .
In Ermangelung der Söhne habe ich an meinen Neigungen und Meinungen Lieblinge und Schoßkinder , denen ich es gern gönne , daß sie ihr und mein Glück im Leben machen .
Durch solche Schoßkinder sind wir Alle verletzbar . "
" Sollte wirklich großer Kraftaufwand nötig sein , um sie , wenn sie Verräter waren , hinrichten zu lassen ? "
" Vielleicht nicht ! -
aber um sie als Verräter zu erkennen - ein großer .
Unser ganzes Wesen liegt in der Deutung , die wir den Dingen geben ; die Deutung ist der Keim , woraus unsere Meinung als Stamm entspringt , der sich dann wieder in das zahlreiche Gezweig der Ansichten teilt und verbreitet .
Gebe ich meine Meinung auf , so gestehe ich ein , daß ich statt eines geraden Baumes einen verkrüppelten gezogen habe , der umgehauen werden muß .
Wo ich lieblichen Schatten fand , finde ich eine Wüste ; wo Blattgesäusel und Vogelsang - einen öden , toten Fleck .
O ich kann_es begreifen , daß es der Tod sein könne , eine Meinung aufgeben zu müssen . "
" Sollte nicht das Bewußtsein der besseren Erkenntnis uns vor der Verzweiflung über den Irrtum schützen ? "
" Aber auf der Grenze zwischen jenem Bewußtsein und der Verzweiflung - stirbt man einstweilen .
Georg Forster starb aus Gram , am gebrochenen Herzen , als die französische Revolution eine Wendung nahm , die seiner Meinung nicht entsprach . "
" Georg Forster war ein enthusiastischer Mensch , dessen Feuereifer ihn aufgerieben haben würde , wenn auch die Revolution all seine Hoffnungen realisiert hätte . "
" Ja , Freund ! mehr als Fischblut gehört allerdings dazu , um an etwas Anderem , als am Alter zu sterben .
- Aber ein anderer Georg , gewiß kein Enthusiast in der Bedeutung , welche Sie dem Worte beilegen , nämlich der von Frundsberg , wurde vom Schlag gerührt , als bei der Eroberung Roms die verwilderten Kriegsknechte seinem Befehl nicht mehr gehorchten . "
" Er würde viel besser daran getan haben , auf irgend eine Weise seinen Einfluß wieder zu gewinnen , als sich tot darüber zu ärgern , daß er ihn verloren . "
" Er sah ein , daß seine Zeit aus war , darum starb er !
Als Carl V. sah , daß seine Zeit aus war , d.h. daß er sie nicht mehr beherrschen könne , legte er die Krone nieder .
Er mochte nicht zum Schein Kaiser sein und Frundsberg nicht zum Schein Feldherr , weil beide eine hohe Meinung von ihren Würden hegten . "
" Sie sind erschrecklich gelehrt mit all Ihren geschichtlichen Beispielen . "
" Die geben mehr Nachdruck , als wenn ich nur von unser eins rede . "
Clemens hatte während des Gehens einen großen Strauß von Wald- und Wiesenblumen gepflückt .
" Er ist prächtig , " sagte Faustine , " aber ich kann unmöglich mit dieser Garbe mich befrachten . "
So trug er ihn denn geduldig , und sie nahm ihn nur dann und wann , und drückte ihr Gesicht hinein , als wollte sie es in Duft und Frische baden .
Nach einer Stunde waren die Blumen welk , matt und zerknickt .
Nichts ist so schnell verwelkt , als eine Waldblume .
" Tragen Sie doch nicht mehr die Blumen , " sagte Faustine .
Clemens reichte sie ihr .
Sie warf sie fort .
" O Gott ! " rief er bestürzt , und blieb stehen .
" Bester , ich brauche meine Hände notwendig zum Sprechen , das wissen Sie ja längst . "
" Aber ich hätte sie ja gern getragen . "
" Sie taugten nicht mehr .
Blumen sind nur schön , so lange sie im Zusammenhäng mit der Erde sind .
Fehlt ihnen der , so haben sie nach fünf Minuten Leichenansehen und Totengeruch .
Ich pflücke nie Blumen . "
" Aber diese waren nun einmal gepflückt ! "
" So wollen wir sie dem Elemente geben , das ihnen angenehm sein wird für ihren gegenwärtigen Zustand " - sprach Faustine scherzend , kehrte um , hob den Strauß auf , und warf ihn in den Bach , der äußerst lebendig mit ihm talab über Stock und Stein sprang .
" Den Tanz hätten sich die stillen Blumen wohl nicht träumen lassen !
Ob er sie amüsiert ? "
" Sie sind recht grausam , Gräfin . "
" Und Sie wohl gar sentimental ? "
" Warum gönnten Sie mir die Blumen nicht ? "
" Also Ihretwegen lamentieren Sie ? " rief Faustine und lachte herzlich .
" Ich meinte , das Schicksal der Blumen errege Ihr Mitleid , aber Sie bejammern ein verlorenes Kräuterkissen , gut gegen Zahnweh oder dgl .
Denn daß Sie sie etwa als Andenken an diesen Spaziergang aufheben wollten , kann ich nicht glauben . "
" Warum nicht , wenn ich fragen darf ? " sagte Clemens etwas verstimmt .
" Weil er dazu nicht wichtig genug war !
wir haben gar nicht über besonders interessante Gegenstände geredet . "
" Das tut mir leid - für Sie .
Mir ist Alles interessant , was und worüber Sie reden . "
" Das ist brav , an Allem Interesse zu finden . "
" Keineswegs ist das mein Fall ! nur an Allem , was Sie sagen . "
" Da Socrates zu den Füßen einer Diotima lauschend und lernend gesessen hat , so ist es wohl keine Schmach , wenn ein Mann glaubt von einer Frau profitieren zu können .
Nur bin ich leider nicht gescheut und weise genug dazu . "
" O " - sagte Clemens ; aber Faustine unterbrach ihn schnell :
" Nur keinen Gemeinplatz !
für mich bin ich klug genug - vielleicht !
doch für Andere ganz gewiß nicht .
Bei mir darf Niemand in die Schule gehen ; die Praxis des Lebens , das Eingreifen , das Handanlegen , sind mir unerträglich , und die Männer sind dafür , wenn nicht geboren , doch erzogen .
Wer nicht arbeitet wie eine Dampfmaschine , gilt nicht .
Wer am Längsten am Schreibtisch sitzt , ohne leberkrank - und am Längsten : " Rechts um ! links um ! " kommandiert , ohne brustkrank zu werden - wem die Augen nicht übergehen und die Geduld nicht ausgeht - der kann was werden , kann es zu etwas bringen , wie man sagt .
Aber da ich glaube , daß man es leichter auf seine eigene Hand , als in Reihe und Glied zu etwas bringt : so würbe ich gern Deserteurs , Überläufer , und sie wissen - das ist schimpflich . "
" Ach , Gräfin , " sagte Clemens aus voller Brust , " Sie sind unbeschreiblich liebenswürdig . "
" Die echte Liebenswürdigkeit ist immer unbeschreiblich , " entgegnete sie , " denn sie besteht aus den Elementen , die nicht mit Worten wiederzugeben sind . "
" Ja , das fühlt man Ihnen gegenüber !
Nehmen Sie es nicht übel !
ich weiß wohl , man sagt nicht so geradezu Komplimente , aber ich denke , Sie wissen recht gut , daß ich Ihnen keine sagen will , - sondern mehr , weit mehr ! oder weniger - wie Sie es betrachten wollen . "
Faustine ließ die Unterhaltung fallen .
Nächsten Tags schrieb sie an Andlau :
" Anastas , ich bin traurig ! die Tage laufen mir wie Wasser zwischen den Fingern durch :
es bleibt nichts davon zurück , und wovon nichts zurückbleibt , das lebt man ja nicht , man träumt es höchstens , und ach !
ich lebe so gern !
Wie ich mich fürchte , sterben zu müssen , ohne gesehen , gekannt , erkannt zu haben !
Was ? wirst Du fragen .
Alles , Lieber !
Vergangenheit , Gegenwart , Zukunft !
ja , die Zukunft sogar .
Müßte man sie nicht eben so gut aus ihren beiden Gefährtinnen beurteilen können , wie der Arzt die Diagnose einer Krankheit stellt .
Freilich gehört dazu tiefe Wissenschaft und ernster Scharfblick , und nicht alle Leute sind Ärzte , und nicht alle Ärzte sind geschickt und glücklich .
So tröste ich mich selbst .
Doch die Sehnsucht bleibt .
Dann sehe ich mit unaussprechlichem Erstaunen Menschen an , die so gar nichts davon empfinden .
Zuweilen beneide ich sie , und denke , eine unendliche Fülle von Glück mache sie unempfindlich für das , was außerhalb ihrer Sphäre liegt .
Aber wenn ich mich besinne , so sehe ich wohl ein , daß ein enger Gesichtskreis nur für den taugt , dessen Auge darauf eingerichtet ist , und dann erstaune und beneide ich nicht mehr .
Wollte ich zu meinem Schwager sagen : " ich möchte gern die Zukunft wissen " - so würde er mir antworten : oben im Dorfe wohnt eine Kartenschlägerin ; aber glauben sie denn das dumme Zeug ? -
Er ist sehr brav , mein Schwager , tüchtig , redlich , rechtschaffen , kränkt und betrügt niemand , und meine Schwester ganz eben so , beide wie nach einem Muster zugeschnitten , was zwei Menschen wohl sein müssen , um glücklich mit einander zu leben .
Wir sind uns auch Alle recht gut ; allein , müßte ich mein Leben hier beschließen , so glaube ich , es würde sehr bald beschlossen sein :
ich langweilte mich tot .
Mein Gott , was habe ich denn bei Dir für Unterhaltung von außen ? da lebe ich ja auch zuweilen Tage und Wochen ganz einsam , ganz still - aber nie beschleicht mich diese seelenabspannende Mattigkeit .
Immer gibt es etwas zu denken für uns .
Hier gibt es immer nur etwas zu tun .
Du weißt , es gibt eine Krankheit , den Veitstanz , so ansteckend , daß wer die Verrenkungen sieht , Lust bekommt sie nachzumachen .
Sehe ich hier das Treiben und Arbeiten vom Morgen bis zum Abend , so ist mir bisweilen zu Mut , als müsse ich in der allgemeinen Tätigkeit und zum allgemeinen Besten meine Hände und Füße schwenken , so gut wie alle Übrigen - aber die wunderlichen Glieder wollen sich bei mir nicht anders brauchen lassen als zu nichtsnutzigen Dingen .
O Anastas , wie danke ich Dir , daß Du nicht auf meine Schultern die Last eines solchen betriebsamen , sorglichen , schaffenden Lebens gewälzt hast .
Ich würde gar nicht wissen , wie ich mich dabei benehmen sollte .
Adele sagt zwar :
das lernt sich ! -
aber ich kann nur die Dinge lernen , die ich schon weiß .
Adele interessiert sich für nichts , als für ihre Wirtschaft und für ihre Kinder , was gewiß sehr achtungswert ist ; wenigstens scheint mir , es gehöre die größte Selbstverleugnung dazu , für diese kleinen unbändigen Geschöpfe in steter Aufmerksamkeit zu sein und nichts zu beachten , als was mit ihnen in Verbindung zu bringen ist .
Daher rede ' ich auch nur über ihre Kinder mit ihr .
Kinder sind etwas allgemein Menschliches , für die Jedermann sich interessiert ; aber um für diese eine besondere Zärtlichkeit zu hegen , muß man eben Vater und Mutter sein .
Ich gebe zuweilen Erziehungsansichten zum Besten , nicht weil ich glaube , daß sie Nutzen stiften könnten , sondern lediglich , um aus den persönlichen Beziehungen heraus zu kommen ; Einmischung in Erziehung seiner Kinder verträgt Niemand , und hat Recht zu glauben , daß kein Dritter diesen Punkt so überdacht hat .
Ansichten über die Ökonomie habe ich aber gar nicht , und muß mich bei solchen Gesprächen schweigend und hörend verhalten , was auf die Dauer nicht amüsant ist .
Dafür räche ich mich an Clemens Walldorf ; mit dem rede ich und er hört mir zu ; von Antworten ist nicht viel die Rede .
Antworten nach meinem Sinn gibt mir niemand , als Du .
Ich sehne mich sie zu hören .
Sie zu lesen - bin ich überdrüssig .
Der fatale Überdruß ! muß er sich überall einschleichen ?
Nun , ich hoffe , Du nimmst es nicht übel , daß Deine Gegenwart mir lieber ist , als Deine Briefe . "
Clemens war halb gekränkt in seiner Eitelkeit und halb betrübt in seinem Herzen , daß Faustine ihn ganz in früherer Weise behandele .
Was ihn anfänglich erfreute , genügte ihm nicht mehr .
Bin ich denn noch immer ein knabenhafter Schüler in ihren Augen ? fragte er zuweilen leise ; und gern hätte er laut an sie selbst diese Frage gerichtet .
Aber wenn sie Ja sagte !
Er fürchtete sich vor diesem Ja .
Was könnte ich ihr auch sonst sein ? setzte er seufzend hinzu ; braucht sie überhaupt einen Menschen zu ihrem Dienst und kann ein Mensch ihr genügen ?
Ach , ich wollte sie ja nur auf der Hand tragen , wie einen Schmetterling .
Faustine hatte keine Ahnung , daß Clemens oder irgend ein anderer Mann ein Interesse für sie hegen könne , welches die gewöhnlichen Grenzen der Teilnahme und des Wohlwollens überstiege .
Eine tiefe Neigung einzuflößen , schien ihr unmöglich , weil sie keine erwidern zu können glaubte , und sie hatte die feste Überzeugung , dies stehe ihr , so zu sagen , auf der Stirn geschrieben .
Die Männer wüßten es auf ein Haar , behauptete sie , wo ihre Liebenswürdigkeit Eindruck mache und wo nicht , und " verlorene Liebesmüh " spielten sie nie .
Clemens war für alle Menschen , mit denen er lebte , so freundlich , hatte stets ein so gutes Lächeln , ein so sanftes Wort , daß sie sich verwundert haben würde , sie , die Verwöhnte , wenn er es nicht doppelt für sie gehabt .
Als er einmal unermüdlich Ball mit den Kindern gespielt , sagte sie :
" Sie sind ein herziger Mensch , der eine recht liebe Frau verdient . "
Clemens sah sie groß an .
Sein Bruder sagte :
" Denkst Du denn schon an eine Frau , Clemens ? "
Clemens wandte sich zu seinem Bruder , sah den an und schwieg .
" Warum sollte er nicht ? " fragte Adele statt seiner .
" Er ist so jung , so unerfahren in der Landwirthschaft. .... "
- " Ach , Guter ! " rief Faustine , " auf tiefe Wissenschaft wartet die Liebe nicht . "
" Und du warst ja auch nicht viel älter , als wir uns verheirateten , " setzte Adele hinzu .
" Die Weiber mögen doch nichts lieber als selbst heiraten oder wenigstens Heiraten stiften " - sagte Walldorf und lachte donnernd über seine Bemerkung , die ihm eben so neu als geistreich vorkam .
Adele sagte empfindlich :
" Ich dächte , das wäre sehr schmeichelhaft für Euch . "
Faustine rief : " Immer besser , sie stiften , als sie stören ! -
aber was meint denn Clemens dazu ? "
" Daß es Zeit hat , " sprach er lakonisch .
" Seht ihr , wie gut ich meinen Bruder kenne ! " rief Walldorf triumphierend .
" Er macht erst eine tüchtige Schule gründlich durch , kauft dann ein Gut in meiner Nachbarschaft und läßt sich nieder .
Während der Zeit ist die Josephine heran gewachsen .... gelt , Clemens ? "
" Da muß er lange in die Schule gehen , " sagte Faustine , " wenn er auf Ihre Josephine warten soll .
Wie lange rechnen sie denn die Lehrzeit ? "
" Nun , sieben Jahr gewiß !
ich fing bei vierzehn an , und verdarb dazwischen nicht meine Zeit mit Studien auf Gymnasien , Universitäten und was weiß ich !
doch darf ich nicht sagen , daß ich vor dem einundzwanzigsten Jahre meine Lehrzeit vollendet habe .
Er fängt in dem Alter an , als ich aufhörte .
Ist nicht meine Schuld ! habe ermahnt und gepredigt . "
" Jeder hat seine Weise , guter Max " - sprach Clemens gelassen .
" Und nicht wahr , auch seine Weise eine Frau zu nehmen ? " fragte Faustine .
" Gewiß ! " entgegnete er ; " ich würde nie eine heiraten , die unter meinen Augen erwachsen wäre . "
" Warum denn nicht ? " fragte Adele , wieder ganz empfindlich .
" Weil ich gern von meiner Frau glauben möchte , daß sie für mich vom Himmel herabgefallen wäre . "
" Überspannte Ansichten ! " brummte Walldorf .
" Das gefällt mir ! " rief Faustine , und klatschte vergnügt in die Hände ; " ich habe es gern , wenn der Mann etwas mehr von seiner Frau wünscht und erwartet , als daß sie ihm die Suppe nicht versalze . "
" Bei den hochgespannten Forderungen kommt selten ein sonderliches Glück zum Vorschein ! "
- bemerkte Adele ; " dafür kann ich einstehen , daß meine Töchter ihren Männern nie die Suppe , noch irgend eine andere Speise versalzen werden ; aber wenn die begehren , daß meine Töchter sich wie überirdische Genien benehmen sollen , so muß ich antworten : versucht in Gottes Namen !
ich habe nie etwas Überirdisches weder an ihnen bemerkt , noch für sie gewünscht . "
" Das ist nun so verschieden ! "
- sagte Faustine .
" Hätte ich eine Tochter , und ein Mann bewürbe sich um sie , weil er doch eben eine Köchin oder , wenn es hoch kommt , eine Wirtschafterin braucht :
so würde es mich sehr kränken . "
" Mit Unrecht ! " rief Adele , " gemeinsame Sorgen verbinden so herzlich . "
" Ich glaube selbst , daß es thörig ist , " entgegnete Faustine gelassen , " und der Himmel hat mir diese Torheit erspart , indem ich keine Tochter habe .
Allein daran habe ich nie gezweifelt , daß Sorge und Mühe , zusammen durchkämpft , zusammen getragen , die Herzen aneinander binden .
Ich will ja auch sehr gern Haushälterin sein und Magd und Alles - aber ich will nur , daß der Mann mich als Faustine begehre mit all meinen Fähigkeiten , und nicht als Magd . "
" Ich erstaune ! " sagte Walldorf , und ließ die Hand mit der Pfeife sinken .
" Über meine verständigen Ansichten ? " fragte sie .
" Nein ; daß Sie nicht gerade heiratslustig , aber doch heiratsfähig sprechen , - das überrascht mich unaussprechlich . "
Faustine war äußerst belustigt durch ihren Schwager .
Sie lachte sehr und fragte :
" Warum sollte ich nicht heiratsfähig sein ? finden Sie mich zu alt ? "
" O , " sagte er mit einer verbindlich sein sollenden Verbeugung , " eine so schöne Frau wird nie alt . "
" Bravo !
Sie üben sich in der Galanterie .
Also jung und schön genug wäre ich ! -
doch nicht reich genug etwa ? "
" Nebensache , das ! aber .... nehmen Sie es nicht übel , ich dachte , Sie wollten ganz auf gleichem Fuß mit dem Mann leben - und das geht doch nicht an .
Darum mein freudiges Erstaunen bei Ihrer demütigen Äußerung , die vom Gegenteil zeugt .
Ja gewiß ! der Mann muß herrschen und die Frau gehorchen - dazu ist sie geboren . "
" Gott , " rief Faustine , " wie komisch sind die Männer !
ganz ernsthaft bilden sie sich ein , der liebe Gott habe unser Geschlecht geschaffen , um das ihre zu bedienen ! "
" Zu beglücken ! " verbesserte Walldorf .
" Das kommt Euch gegenüber auf Eins heraus !
Der gute Gott schuf nicht das Lamm , damit der Wolf es fresse ; und nicht die Fliege , damit der Vogel sie erschnappe - sondern Lamm und Fliege , weil sie in seine Schöpfung gehören und auch ihre Lust am Leben haben sollen .
Und die eine Hälfte des Menschengeschlechts wäre geschaffen , damit die andere sie brutalisiere ?! "
" Welch ein Ausdruck .... "
- " Ihr wollt winken , und wir sollen kommen - ein Wort sagen , und wir sollen anbeten - lächeln , und wir sollen auf die Knie fallen - zürnen , und wir sollen verzweifeln - Alles auf allerhöchsten Befehl , den ihr von Gottes Gnaden dekretiert .
Was ist das anders als uns brutalisieren ? -
ich frage .
Das ist Euch schon zur Natur worden ! in diesem Sinn richtet Ihr die bürgerlichen Verhältnisse ein , erzieht Ihr die Kinder , schreibt Ihr Bücher .
Himmel ! wenn ich neuere Romane aufschlage , besonders französische , was erdulde ich für Ärger !
In ewiger Anbetung , wie der Pater Seraphicus im Faust , schweben die Frauen vor ihren Geliebten , und die lassen es sich gnädig , zuweilen auch ungnädig , gefallen .
Könnte ich nur Bücher schreiben - ich kehrte das Ding um , und brächte den guten alten Sprachgebrauch , der jetzt ganz widersinnig ist :
" Er ist ihr Anbeter " - wieder zu Ehren .
Ich werde es auch gewiß noch tun , nur um meiner Empörung Luft zu machen , und vielleicht gibt mir der Ärger liebliche Inspirationen . "
" Willst Du denn , daß die Frauen das Regiment führen ? " fragte Adele .
" Nein , ich will nur , daß die Männer mit ihnen umgehen wie mit ihres Gleichen , und nicht wie mit erkauften Sklavinnen , denen man in übler Laune den Fuß auf den Nacken stellt , und in guter Laune ein Halsband oder ähnlichen Plunder hinwirft .
Das demoralisiert die Frauen , es stumpft ihr Zartgefühl ab .
Heute lassen sie sich eine Brutalität gefallen , um dafür morgen einen neuen Hut zu bekommen .
Ich war einmal bei einer Freundin , ihr Mann kam von der Jagd heim , sehr verdrießlich , weil die Schnepfen sich nicht hatten wollen schießen lassen .
Er warf sich aufs Sofa und kommandierte :
" Charlotte ! " -
sie stellte sich .
" Knöpfe die Gamaschen ab ! " große , schwere , plumpe , beschmutzte , lederne Gamaschen !
Sie tat es .
Hernach sagte ich ihr :
" Ich war recht verwundert , daß Du nicht den Bedienten riefst . "
- Sie antwortete :
" Das hätte meinen Mann noch verdrießlicher gemacht , und er würde mir nicht den Gefallen tun , meine Rechnung bei dem Juwelier zu bezahlen , was ganz notwendig ist . "
- Ich rief :
" Du bist ja wie Esau , verkaufst Dein Erstgeburtrecht für ein Linsengericht ! "
- Diesen Vergleich mit Esau hat sie mir , beiläufig gesagt , nie vergeben .
Aber diese Behandlung verdirbt die Frauen so , daß , wenn der Mann spricht :
" Ich habe Kopfweh , bleibe doch heute Abend zu Hause " - so entgegnet sie :
" Sehr gern , allein dafür bekomme ich doch dies oder das ? "
- Clemens - wandte sie sich plötzlich an diesen - wenn Sie dereinst nicht Ihre Frau als ein Wesen Ihrer Art behandeln , so sage ich Ihnen die Freundschaft auf . "
" Als ein Wesen höherer Art wird er sie betrachten , das hat er uns ja vorhin gesagt " - warf Walldorf spöttisch hin .
" Ich wollte Ihnen gönnen , wenn Sie ein Wesen fänden , welches das verdiente und rechtfertigte " - sagte sie freundlich zu Clemens .
Jedes ihrer Worte grub sich in sein Herz .
Nur war es ihm unbegreiflich , wie sie ihm eine Frau wünschen konnte .
Ahnet sie denn gar nicht , daß es für mich nur eine Faustine und gar keine Frauen gibt ? fragte er sich heimlich .
Er war zerstreut und blieb es auch , als er mit ihr spazieren ging .
Er sprach wenig , doch das fiel Faustine nicht auf , sie wußte , wie gern er ihr zuhörte .
Er achtete auch nicht auf den Weg , und das fiel ihr auch nicht auf , weil sie sich immer unbekümmert von ihm führen ließ , und die ungebahnten Stege sehr liebte .
" Wo sind wir denn eigentlich ? " fragte sie endlich , als sie aus einem dichten Gehölz auf eine Wiese heraustraten , die rings von Wald umgeben war und durch die ein sumpfiger Bach langsam floß .
" Es ist recht schauerlich hier ! -
muß ich über den Bach ? "
" Freilich ! " sagte Clemens , und ohne weiter zu fragen , nahm er sie zierlich auf den Arm und trug sie hindurch .
Als Faustine drüben wieder festen Fuß gewonnen , sagte sie verdrießlich :
" Das verbitte ich mir !
ich kann meine Füße gebrauchen ! -
Wohin nun ? "
Sie schüttelte ihr Kleid ab , als wollte sie seine Berührung abstreifen .
Sie tat es ganz unwillkürlich und das eben kränkte ihn tief .
Er antwortete auf ihre Frage :
" Das weiß ich wirklich nicht . "
" Warum trugen Sie mich denn durch den Bach , wenn es unnütz ist ? "
" Das weiß ich auch nicht . "
" Nun so gehen Sie , bitte , den Weg suchen . "
Sie setzte sich auf einen Stein .
Clemens blieb unbeweglich neben ihr stehen .
" Sind Sie zu ermüdet ? " fragte sie .
" Nein , ich möchte Sie nur um etwas fragen . "
" Was zaudern Sie denn ?
es ist so unbehaglich hier ! -
Also ? "
" Weshalb schüttelten Sie vorhin Ihr Kleid ab , als krieche garstiges Gewürm darauf ? "
" Ich mag nicht , daß man mich anfaßt , " sagte sie und lachte .
" Nehmen Sie es nicht übel , es ist eine Eigenheit .
Und da Sie mich sans rime et sans raison durch den Bach getragen , so sehe ich wirklich nicht ein , weshalb ich Ihnen dankbar sein soll . "
" Ich bin recht unglücklich ! " reif er .
" Weil Sie den Weg verloren haben ? "
" Nein , den Kopf . "
" Das ist freilich übel , " sprach sie ernst .
" Suchen Sie erst jenen , dann finden Sie auch wohl diesen wieder .
Es wird regnen , glaube ich . "
Clemens sprang über den Bach zurück und verschwand im Gehölz .
Faustine wartete ; die Zeit wurde ihr lang .
Es dunkelte zwar noch nicht , allein finstere Wolken zogen sich herauf .
Ihr graute auf dem öden Fleck .
Sie beschloß , mit dem Bach zu gehen , ohne die Rückkehr ihres Gefährten abzuwarten .
Einige Regentropfen fielen .
Sie stand auf und ging durch die Wiese , durch das Gehölz , und stand nach einer tüchtigen Viertelstunde auf der Landstraße .
Der Clemens hat wirklich den Kopf verloren , dachte sie ; dies ist ja das Tal von Oberwalldorf , und der kleine sumpfige Bach , der mir ein treuerer Führer gewesen ist , als er , fällt dort in unseren großen , wohlbekannten Waldbach .
Nur nie auf Menschen sich verlassen , immer auf die Natur ! -
Es regnete stark .
So kam sie tüchtig durchnäßt , aber wohlbehalten nach Hause , wo sie ihr Abenteuer der staunenden Schwester erzählte und sich sehr über Clemens Ungeschick lustig machte .
Adele sagte : " Er wird Dich jetzt suchen und in Todesangst sein . "
" Freilich wird er das ! "
" Du hättest ihn doch lieber erwarten sollen ? "
" Dort auf der unheimlichen Wiese sitzen und mich naß regnen lassen ?
Nein , seine Unachtsamkeit verdient die kleine Strafe . "
" Solche Widerwärtigkeiten hat man von den Promenaden !
Du wirst den Schnupfen bekommen und er .... "
- " Vielleicht den Husten ! " sagte Faustine lustig .
" Das ist ja kein Unglück !
aber ich werde nicht mehr mit ihm spazieren gehen . "
Clemens hatte den Weg wieder zurückmachen wollen , den sie gekommen .
Da er ihn aber nicht beachtet , so kam er seitab zu einem Köhler , dessen Buben er mitnahm , um den Heimweg sich zeigen zu lassen .
Auf die Waldwiese zurückgekehrt , fand er zu seinem Entsetzen Faustine nicht mehr .
Stadt geradeswegs nach Oberwalldorf zu gehen , fing er an umher zu irren und zu suchen , er rechts , der Bube links .
Es regnete , es dunkelte ; er begegnete keiner Seele , kein Hirte , kein Kohlenbrenner , der sie gesehen hatte !
Daß ihr ein Unglück zugestoßen , glaubte er zwar nicht ; es gab hier keine Räuber , keine gefahrvollen Abgründe ; aber verirrt konnte sie sein , geängstigt .
Er raufte sich das Haar aus vor Verzweiflung .
Endlich tat er , was er gleich hätte tun sollen , und getan haben würde , wenn er eben nicht den Kopf verloren :
er ging nach Oberwalldorf , um die Schloßbewohner , und sollte es Not tun , auch die Dorfbewohner nach Faustine auszusenden - dachte er .
Die Turmuhr schlug elf .
Sonst war um diese Stunde das ganze Schloß dunkel .
Heute Licht in einigen Zimmern !
Sie ist nicht da , sonst wären sie wohl schlafen gegangen - dachte er .
Er trat in den Saal .
Sie war da .
Er flog auf sie zu , ergriff ihre Hände , küßte sie mit stürmischem Entzücken und sank dann halb ohnmächtig auf einen Stuhl , keines Wortes mächtig .
Walldorf besprengte sein Gesicht mit Wasser , Adele hielt ihm Äther vor .
Faustine sah zu .
" Was dachten Sie denn eigentlich ? " fragte sie , nachdem er sich erholt .
" Nichts ! " sagte er .
" Sonst würde ich wohl das Richtige gedacht haben .
Meine Angst war zu groß . "
Als er am anderen Tage eine Promenade vorschlug , antwortete sie :
" Das haben Sie verscherzt !
ich habe das Vertrauen zu Ihnen verloren .
Sie lassen mich einsam auf der sumpfigen Wiese . "
Er gelobte und flehte .
Aber Faustine ging nicht mehr .
Ihre Abreise rückte ganz nah heran , und sie verbarg nicht , wie sehr sie sich darüber freute .
Clemens war wie vernichtet .
Am letzten Abend , als sie zufällig allein waren , faßte er Mut und fragte :
" Wüßte ich nur , ob Sie ohne Verdruß an mich denken ! "
Auf Faustinens Lippe schwebte ein Lächeln , das soviel bedeutete , als :
ich denke ja gar nicht an Dich .
Sie sagte gleichgültig :
" Sie haben mir gar nichts Leides getan . "
" Doch ! jenen Abend auf der Waldwiese .... "
- " Das sollt ' ich übel genommen haben ? nein , guter Clemens , beruhigen Sie sich .
Wir scheiden wie wir uns fanden - als gute Freunde . "
" Und tun die nichts für einander ? "
" Schwerlich ! " rief sie heiter .
" Freunde tun schon wenig genug für einander - aber gute Freunde wünschen sich glückliche Reise , und damit Basta ! "
" Würden Sie mir nicht erlauben Ihnen zu schreiben ? "
" Da ich schwerlich Zeit haben würde , Ihnen zu antworten , so meine ich , daß Sie von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch machen möchten . "
" Sie sind von einer eisigen , übermenschlichen Kälte !
Fünf Wochen haben Sie hier gelebt , so freundlich , so liebenswürdig , daß es eine Wonne war , mit Ihnen zu verkehren , Sie zu sehen , sich von Ihnen anstrahlen zu lassen - und nun gehen Sie , als wäre Alles Spaß oder gar nicht gewesen . "
" Ich gehe mit derselben freundlichen , teilnehmenden Gesinnung , die ich beim Kommen hatte .
Kummer über meine Abreise zu affektieren würde gewiß lächerlich sein .
Ich bin sehr gern hier gewesen , zwischen guten Menschen , aber ich gehe auch gern ; denn heimisch bin und werde ich hier nicht . "
" Und wann werde ich Sie wiedersehen ? "
" Müssen Sie mich denn durchaus wiedersehen ? "
" Durchaus ! " sagte er fest .
" O Gott , nur sehen ! das können Sie mir doch gönnen ? "
" Wenn es Ihnen zu etwas hilft , Sie fördert - gern ! wenn nicht - ungern !
überlegen Sie sich das . "
" Sie sind schauerlich , Faustine ! "
" Habe ich denn Unrecht ? - Kommen Sie , wir wollen Schach spielen . "
Sie spielten ; doch Clemens so unaufmerksam , daß Faustine ihm seine Königin nehmen konnte .
" Die Königin ist fort , das Spiel ist aus , " sagte er und verließ das Zimmer .
Der allgemeine Abschied am nächsten Morgen war herzlich und kurz .
Einen besonderen nahm Clemens nicht .
Faustine kam zu Andlau mit jubelvoller Freudigkeit .
" Nun will ich wieder leben , " sagte sie .
" Ich muß zum Leben einen weiten Horizont , einen hohen Standpunkt , eine schöne Aussicht , eine reine Atmosphäre haben - Alles haben , was ich auf hohen Bergen finde , und was Deine Nähe , Dein Umgang , Dein Wesen mir geben .
Ohne Dich wandle ich im Tal umher , immer den Ausgang suchend , immer auf die Berge verlangend , durstend nach Luft , nach Freiheit , nach Dir , Anastas ! "
Strahlendes Glück lag auf ihrem schönen Antlitz , aber sie weinte .
Sie schloß Andlau mit jener Kraft in die Arme , welche den Mann schauern macht , weil er darin die Herrschaft der Seele über den Körper wahrnimmt .
Er ist von Kindheit auf gewöhnt , dessen Kräfte zu üben , er führt die Waffen , er teilt die Wellen , er bändigt die Pferde ; Ernst und Scherz , eiserne Notwendigkeit und fröhliche Erholung machen ihn stark .
Neigung , Gewohnheit , Erziehung machen heutzutage aus der Frau ein gebrechliches Wesen ; aber man stelle sie mit einer Leidenschaft dem Manne gegenüber , und er wird zittern - so wie man beim Erdbeben zittert .
Andlau suchte immer Faustinens wetterleuchtendes Wesen zu beruhigen .
Sie war zauberhaft schön mitten in den Stürmen der Empfindung , so wie im Grunde alle Menschen nur dann schön sind , wenn sie sich in ihrem eigentümlichen Element bewegen ; allein er liebte sie so sehr , daß er weniger Freude darüber hatte , sie in ihrer Herrlichkeit zu sehen , als er Furcht empfand , daß die häufige Wiederkehr oder die Dauer solcher Momente das irdische Leben aufzehren könnten .
Die Liebe sorgt stets um das Geliebte , obgleich ihre Sorge fast immer so überflüssig wie Andlaus Furcht ist .
Kein Fisch ist gestorben , weil man ihn ins Wasser gelassen hat .
Der Himmel und ich - pflegte Faustine zu sagen - wir müssen uns aufdonnern ; das ist unsere Natur , und ihr Leute mit euren Blitzableitern langweilt uns sehr .
" Warum weinst Du denn jetzt , Ini ? " fragte Andlau ; " ehe Du bei mir warst , hattest Du doch einen Grund - aber jetzt ?
.... "
- " Pedant ! " rief sie ; " soll ich mich etwa nach Regeln freuen ?
Wenn Jubel , Küsse , Liebkosungen nicht ausreichen , so kommen Tränen und Klagen an die Reihe .
Jenes ist Glück im Sonnenlichte , dieses im Mondschein .
Auf die Beleuchtung kommt es ja nicht an , wenn es nur überhaupt etwas zu beleuchten gibt . "
" Aber Tränen erinnern doch an Schmerz , und ich möchte gern , daß Du bei mir ohne Schmerz glücklich wärest , befriedigt , ruhig . - "
" O , ich bin außerordentlich ruhig . "
" Nun so setze Dich zu mir und erzähle mir von Deinem Leben . "
" Erzählen - ja ! sitzen - nein !
Das Sitzen , lieber Anastas , ist eine entsetzliche Erfindung .
Zum Gehen , Stehen und Liegen ist der Mensch geschaffen , das zeigt seine schöne , lange , gestreckte Gestalt , die vom krummen , geknickten , verbogenen Sitzen ganz krüppelhaft wird .
Meine Gedanken verrosten , wenn ich sitze , und das macht nicht ruhig , sondern nur schläfrig .
Ruhig bin ich , wenn alle Kräfte in Bewegung sind und wie die Strahlen einer Fontäne springen .
Ruhig bin ich , wenn meine Seele eine große Landschaft ist , wo im Westen die Sonne purpurgolden glüht , und unter ihr Blitze gleich Silberschlangen aus dem Gewölk auftauchen , wo im Osten der Mond friedlich hervorkommt , wie ein unschuldiges Kind , das von fern einer Schlacht zusieht , wo der Donner wie ein geschlagener , grollender Feind scheu entflieht , indessen die Vögel ihre Siegeshymnen anheben , wo die ganze Erde Opferrauch und glänzt wie ein geschmückter Altar - o mein Anastas , dann bin ich himmlisch ruhig ! und nur dann . "
Sie warf sich auf das Sofa , ganz erschöpft .
Andlau kniete neben ihr nieder und wollte ihren Kopf an seine Brust legen ; aber sie sagte : " Laß mich !
da steht ein Piano , es wird schlecht genug sein , aber spiele ! ich habe Dich so lange nicht gehört ! und nie sprichst Du lieblicher zu mir als in Tönen . "
Andlau küßte ihre wunderschönen Füße , und setzte sich ans Piano .
Er spielte vortrefflich ; am liebsten und am schönsten phantasierte er .
Er fing zuweilen an nach Noten zu spielen , aber wenn ein Akkord oder eine Melodie oder irgend etwas kam , was ihn frappierte , so verließ er den Komponisten , und löste in eigener Weise jenen Akkord auf .
Er überdachte in Tönen den Tongedanken des Komponisten , so wie man Randbemerkungen auf ein Buch schreibt .
Musik ! das ist eine Kunst ! alle andere Künste sind keine , sie haben immer ihr Vorbild in der Natur , und wollen die nachahmen , wenn es hoch kommt - sie verklären .
Menschenform und Menschenwesen zu idealisieren , oder den Raum zu verherrlichen , worin der Mensch sein Treiben hat - ist ihr Ziel , lieblich wie jedes Ziel , das über die Befriedigung des materiellen Bedürfnisses hinausgeht .
Aber der Marmorgott und die gemalte Heilige werden unsersgleichen , gehen mit uns Hand in Hand ! aber die Poesie , welche die natürliche Sprache des unbefangenen Mengen ist , gibt unsere eigenen Gedanken mit unseren eigenen Worten uns wieder !
Die Musik hingegen verschönt nicht diese Welt und ihre Erscheinungen , sondern überwölbt sie mit einer zweiten , in der wir schweben gleich körperlosen Engeln , die Flügel haben unter einem strahlenden , liebenden , gläubigen Angesicht .
Und das bewirkt sie durch Klänge , welche auf Zahlen sich gründen , durch Zahlen bezeichnet werden können , und aus der Zusammenstellung von Holz und Metall zauberisch , fabelhaft , hervorgelockt werden . nach klugen , tiefsinnigen , regelrechten Berechnungen , entdeckt die Musik über der Erde eine neue Welt , wie Columbus auf der Erde es getan - eine Welt voll primitiver Kraft und Herrlichkeit , eine Welt , in der jeder sein Eldorado sucht , und zwar ohne Klugheit und Tiefsinn zu haben , und ohne die Regel zu verstehen ! ein Paradies , worin jeder Zutritt hat , der eine Seele empfing .
Kinder , Wilde , Greise , zu unentwickelt oder zu stumpf für die Schönheiten des Meißels und Pinsels , nehmen Teil an dem Zauber der Musik , und Wiegenlied und Grabgesang geleiten unsere ersten und unsere letzten Schritte im Leben .
Die Poesie hieß in ihrer Frühlingszeit " die heitere Kunst , " und damals mit Recht , denn sie mußte aus der harmlosen Sprache , der noch die Eierschalen der Rohheit und Unbeholfenheit anklebten , den buntgefiederten , tirilierenden Vogel herausschälen , den man Minnelied nannte , und der unter Musikbegleitung , als Improvisation , oft nach selbsterfundener Melodie , bei glänzenden Festen und frohen Gelagen zur Erhöhung der Lust über die Lippen des Dichters schwirrte .
Seitdem sind aber lange Jahrhunderte vergangen , und die Poesie hat sich im Laufe derselben mißlaunig wie eine alte Jungfer in die Einsamkeit zurückgezogen , und sich auf Gelahrtheit und Schulmeistereien geworfen , weil sie doch gern , wie alle alten Jungfern , ein Wörtchen mitredet , und weil ein dozierender Ton , bald spöttisch lächerlich machend , bald superklug ermahnend , am meisten Effekt macht bei den spöttischen , superklugen Leuten unserer Zeit .
Sie ist nun ein Stubenhocker , ein Bücherwurm , die Poesie ! hat die Beine unter dem Schreibtisch und Tintenflecke an den Fingern , treibt finanzielle und administrative Spekulationen , schreibt Hymnen über Dampfmaschinen und Oden über Trottoirs von Asphalt , und wenn Jemand sie sich anders vorstellen kann , als mit einer blauen Brille über einer impertinenten Nase , den beneide ich um seine frische Phantasie .
Das bisschen Heiterkeit , das noch in der Welt , hat sich in die Musik geflüchtet , und wo es nur ein Fest gibt , für vornehm oder gering , in freskogemalten Sälen oder unter grünen Bäumen , Musik muß dabei sein .
Nie wird munterer geplaudert , als wenn es Musik gibt :
in jeder Soiree , bei jeder Tafel kann man sich davon überzeugen .
Und das Volk nun gar !
Wie schmaust der Wiener so behaglich seine gebackenen Hähnel , mit welchem Wohlgefallen trinkt der Dresdner seinen miserablen Kaffee , wenn es nur Musik dabei gibt .
Wie es in Berlin zugeht , weiß ich nicht .
Ich habe gehört , daß das Volk viel Weißbier trinken soll , kann mich aber nicht davon überzeugen , weil ich gar keine Menschen erblicke , die wie " das Volk " aussehen .
Geputzt und geziert , geschniegelt und gebügelt wie unser einer , habe ich wohl im Tiergarten große Scharen gehen und sitzen sehen ; aber sie kamen mir Alle vor , als sprächen sie : " wir sind viel zu gebildet , um uns mit etwas so Gemeinem wie essen und trinken abzugeben . "
Wenn wirklich " Volk " in Berlin existiert , so muß es ausgeschieden wie Parias leben .
Man dringt nicht zu ihm . -
Dies Alles nur so beiläufig .
Eigentlich wollte ich sagen : da die Musik von Orpheus an bis zum Rattenfänger immer Wunder getan , so ist es kein Wunder , daß sie auch Faustinens rasches , heißes Herz zur Ruhe brachte .
Ohne sich länger in Kissingen aufzuhalten , ging sie mit Andlau nach Belgien , dessen alte Geschichte und alte Künste sie mehr interessierten , als dessen moderne industrielle Betriebsamkeit .
Graf Mengen lebte ziemlich einsam in Dresden .
Die Häuser einiger Minister gaben dann und wann den Überresten der zerstreuten Gesellschaft Gelegenheit sich zu sehen ; jedoch war kein Nerv und kein Magnet darin , am wenigsten für ihn .
Die Oberfläche des Lebens mußte sehr schillernd sein , sollte sein Auge an ihr haften bleiben , und um in die Tiefen hinabzusteigen , muß man einen anderen Impuls haben , als Neugier und momentane Teilnahme .
Stolz , kalt und rein ging er durch die Welt , nichts fürchtend , als aus seinem inneren Gleichgewicht zu kommen , in Schwankungen zu geraten und die Herrschaft über sich zu verlieren .
Das geschieht aber leicht , wenn man sich in die Tiefen des Lebens hineinwagt .
Dante zagte in der Hölle und war geblendet im Himmel ; aber er ging , weil Beatrice es gebot und ihm den Führer schickte .
Nicht Alle haben eine Beatrice und einen von ihr gesendeten Virgil .
Mengen hatte keine .
Er liebte den Umgang mit Frauen - als Unterhaltung und weil die Eitelkeit eines schönen und gescheuten Mannes immer ihre Rechnung dabei findet .
Doch wurde er besser von Männern verstanden , als von Frauen .
Er lachte viel ; darum hielten ihn die Frauen für sehr lustig ; die Männer wissen aus Erfahrung , daß der Mann oft lacht , weil es sich für ihn nicht schickt zu weinen .
Mario lachte über seine eigenen kolossalen Wünsche und ihre winzige Erfüllung ; er lachte über das Maskenspiel , welches Kopf und Herz treiben , wenn dem einen Teil daran liegt , sich auf drei Minuten von dem anderen hintergehen zu lassen ; er lachte über den Sieger , wenn Verstand und Gefühl ihre kleinen Händel zusammen ausfochten , und sprach zu ihm : morgen wirst du der Geschlagene sein ; er lachte über sich selbst , wenn er sich gegen die Macht der Empfindung durch Spott und Scherz wie hinter Wall und Mauer verschanzte ; er lachte , weil er sehr ernst war , ein fester Pilot , der seinen Nachen ungefährdet durch die Strömung zu bringen sucht , indessen die Brandung des konfusen , strudelnden Lebens ihn die wunderlichsten Sprünge , welleauf , welleab , machen läßt .
Und weil er lachte , so behielt er den frischen Mut , welcher nie die Arme schlaff sinken läßt .
Jeder Zustand , jedes Verhältnis war ihm ein neuer Sporn , eine höhere Stufe .
" Sei dir selbst getreu - hatte sein Vater zu ihm gesagt , als der fünfzehnjährige Mario das elterliche Haus verließ - sei bereit für das , was Du als recht erkannt , nicht bloß zu sterben , das ist bisweilen dem Jünglinge sehr leicht , sondern zu leben , und das ist fast immer sehr schwer .
Aber es lohnt nicht der Mühe des Lebens , wenn Du nur das Leichte tun willst . "
Dies war der Segen , den der Vater dem Sohne gab , und als der Sohn ihn zu seiner Richtschnur machte , wurde der Vater sein Freund ; denn nach denselben Grundsätzen leben und handeln - das stiftet Freundschaft zwischen Männern ; Mario betete seinen Vater an .
Trotz der großen Selbstständigkeit , zu welcher dieser ihn früh gewöhnt , brachte er Alles vor des Vaters Forum , was - nicht der Entscheidung , die traf er selbst - der Billigung bedurfte .
" Das war recht , " sagte dann der alte Mengen , und Mario erwiderte :
" Ich wußte es . "
Bei großen und kleinen Dingen , bei ernsten und unwichtigen Gelegenheiten , erklang oft die Stimme des Vaters , ohne daß Mario daran dachte , vor seinem Ohr .
Er liebte einst eine Frau , ein schönes , liebliches , verlockendes Wesen .
Es mußte zu irgend einer Entscheidung kommen .
" Nun , Mario ? " fragte ihn der alte Mengen , obgleich er fünfzig Meilen von dem Sohn entfernt war , und Mario zerbrach die Fessel .
Ein anderes Mal hatte er die tollkühne Wette gemacht , auf der Balustrade eines hohen Kirchturms frei umherzugehen .
Er begann die gefahrvolle Promenade und war fast am Ziel , als der Schwindel ihn so gewaltig packte , daß Blei in seinen Füßen und ein Flor auf seinen Augen lag .
Da hörte er seinen Vater :
" Aber Mario ! " sagen ; der Schwindel wich , er ging um den Turm . -
In jeder Krisis , auf jedem Wendepunkt des Schicksals gab ihm sein Vater hülfreich die Hand .
Mit Feldern verkehrte Mario ziemlich viel , obgleich kein tieferes Interesse Beide verband , als Erinnerung an die lustigen Studentenjahre .
Feldern , in Vermögensumständen beschränkt , mit trockenen Arbeiten überladen , von gewöhnlichen Fähigkeiten , nur dem Wunsch nachgehend , sobald wie möglich die Geliebte in das bescheidene eigene Hüttchen zu führen - war ziem lich gleichgültig gegen allgemeine Verhältnisse , sobald sie nicht auf irgend eine Weise ihn berührten .
Er tat das Nächste , das ihm Vorliegende , pünktlich und treu , aber nur , weil es eben sein Geschäft war , und ohne Faden daraus zu ziehen , die er zu eigenen We Breien hätte verbrauchen können .
Von Marios rast losem Vorwärtsstreben , von dessen glühender Teilnahme an jeder Erscheinung der Zeit , von dessen regem Ehrgeiz , durch selbstständiges Handeln und Wirken mehr zu sein , als eine Null , welche die Zeit in ihrem großen Rechenexempel gebraucht , um die Zahl voll zu machen - hatte Feldern keine Vorstellung .
" Minister werde ' ich doch nicht , " sagte er einst zu Mario , als dieser ihn gefragt , warum er nicht eine Stelle annehme , die man ihm , zwar mit überhäufter Arbeit und ohne pekuniäre Verbesserung , aber in einem höheren Kollegium , vorgeschlagen .
" Wie kannst Du so genügsam sein ! " rief Mario ungeduldig ; " warum Du nicht so gut Minister wie ein Anderer ?
Als man den nachmaligen Papst Johann XXIII. fragte , weshalb er nach Rom gehe , antwortete er : um Papst zu werden ! und wurde es .
Man muß nur Hand anlegen , und vor allen Dingen die Zuversicht haben , daß in der Sphäre , die wir durchwandern , das Höchste uns erreichbar sei . "
" Aber ich bin genügsam , das liegt in meinem Charakter ! ein kleines Glück , nur recht rund , nur recht ruhig , das befriedigt mich .
Ein großes würde mich betäuben , verwirren , trunken machen , und in dem Rausch würde ich es nicht festhalten können .
Und dann der Neid ! und dann die Scheelsucht ! und dann die feindlichen Blicke und Worte , die den Glücklichen treffen : Basiliskenaugen bei Katzenbuckeln ! und dann die Launen der Gönner , welche immer sultansmäßig mit den Lieblingen verfahren - die Glücksgöttin selbst nicht ausgenommen - und dann die inneren Anfechtungen .... "
- " Bester Feldern , nimm es nicht übel , Du sprichst wie ein zaghaftes Frauenzimmer .
Ist denn die ganze , große , reiche , prächtige Welt nicht für uns Alle da ? und nicht bloß als ein Tafelaufsatz von Glas und Porzellan , den wir , die Hände unterm Tischtuch , bewundern - sondern als eine Arena olympischer Spiele , wo es zwar Staub gibt , Getöse und Geschrei , Pferdegestampf und Wagengedränge - aber Triumph am Ziel . "
" Und was wird uns für den mühsam errungenen Triumph ? "
" Ein grüner Kranz . "
" Nun wahrlich , Freund , Du bist genügsam , ich erwartete doch wenigstens , mit einem goldenen Diadem oder einer Rosenkrone Dich geschmückt zu sehen ! aber ein schlichter , grüner Kranz !
.... "
- " Ja , ein schlichter , grüner Kranz ! " rief Mario und seine Augen flammten von tiefem Feuer , " Gold- und Purpur- und Blumenkränze wären ja Lohn , und wer mag denn dafür belohnt werden , daß er sein Ziel erreicht hat ?
das Bewußtsein will er ! und der schlichte , grüne Kranz ist ein Symbol des Bewußtseins . "
" Und das genügt Dir wirklich vollkommen ? nach keinem anderen Glück verlangst Du ? kein heiterer Genuß des Errungenen würde Dich freuen ? "
" O , " sprach Mario lachend , " was das Verlangen betrifft , so verlange ich ein ganz foudroyantes Glück - wenigstens ! sonst aber nichts ! nichts Halbes , nichts Mittelmäßiges , nichts Teilbares , sondern eben - Alles .
Und wie es dann mit dem Genuß beschaffen sein mag - das mögen die Götter wissen , die allein solch Glück verleihen können .
Bis jetzt war streben mein Leben , und der Genuß des Erstrebten war ein kurzer , Rosenrot verträumter Schlaf , aus dem ich noch immer erwacht bin , begierig nach fernerem Leben . "
" Und bist Du glücklich mit diesen Gesinnungen ? ich meine , abgeschlossen in Dir , sicher , ruhig , befriedigt ? "
" Glücklich nenne ich nur den , welcher Spielraum findet , all seine Kräfte zu entwickeln und dadurch sein Wesen zu höchstmöglicher Vollendung zu bringen .
Selten wird es dem Menschen so gut , daß alle seine Knospenanlagen Blüten - noch seltener , daß sie Früchte werden - es kommen zu viel Stürme !
Wenn Du nur fertige Menschen glücklich nennst , so bin ich nicht glücklich , und werde es dann auch vielleicht nie werden .
Mir scheint , wer in der Jugend abgeschlossen , ist im Alter verdorrt , oft vor dem Alter - ein versteinter , bemooster Säulenheiliger .
Ich mag keiner sein .
Ich will auf der Erde stehen und mit allen Sinnen ihrer Lieblichkeit mich freuen . "
" Und Du denkst ernsthaft daran , Dich zu verheiraten ? "
" Zuweilen - für die Zukunft .
Ich denke , es muß angenehmer sein , eine Sonne zu werden , um welche ein ganzes Planetensystem sich bewegt , als ein Planet zu bleiben , der die Familiensonne umkreist .
Der Fixstern gefällt mir zwar am Besten durch seine grandiose Unabhängigkeit ; aber die unruhige , bewegliche Seele verträgt sich nicht mit der Fixstern-Natur . "
" Doch gehört sie einigermaßen zur Ehe . "
" Ich meine , die Ehe gibt sie . "
" Wenn man die Fähigkeit dafür mitbringt . "
" Diese zu entwickeln , werde ich meiner künftigen Frau überlassen .
Aber wann werde ich die Bekanntschaft Deiner Braut machen ? "
" Willst Du morgen mit mir hinaus ? "
" Gern . "
Sie ritten am anderen Tage das heitere Elbufer gen Meißen hinab .
Der Landsitz von Fräulein Cunigundens Eltern lag auf halbem Wege dorthin .
Mario forderte seinen Freund auf , ihm eine Beschreibung der Geliebten zu machen . "
" Sie würde parteiisch ausfallen , " entgegnete Feldern ; " Cunigunde ist nicht eigentlich schön , wenigstens glaube ich , daß ihre Schwestern schöner sind .... "
- " Diable ! sie hat Schwestern ? warum sagtest Du mir das nicht früher ?
Du mußt wissen , ich hüte mich sehr , in ein Haus eingeführt zu werden , wo unverheiratete Töchter sind .
Man steht oft mit dem linken Fuß noch auf der Schwelle , und soll schon mit dem rechten vor den Altar treten . "
" Cunigundens Schwestern sind allerliebst . "
" Und sie selbst ? "
" Allerliebst wäre keine Bezeichnung für sie . "
Es wird eine häßliche , verständige , grundgute Person sein - dachte Mario , und wandte das Gespräch .
Bald war das Ziel erreicht .
Durch ein Gittertor , an dem zwei prächtige Linden Wache hielten , ritten sie in einen zierlichen , gartenmäßigen Hof , vor das nette Landhaus , unter dessen um einige Stufen erhöhten Vorhalle Damen arbeitend saßen .
Feldern wurde freundlich empfangen , und stellte der Frau von Stein und ihren beiden jüngsten Töchtern Graf Mengen vor .
Dann fragte er nach Cunigunden .
Sie war mit dem Vater in den Weinberg gestiegen , um zu sehen , ob die Trauben noch nicht reifen wollten - was seine einzige , aber ihm durchaus genügende Beschäftigung war .
Eben als Feldern sie aufsuchen wollte , kam sie mit dem Vater zurück .
Mario stand versteinert bei ihrer Erscheinung .
Ist Feldern toll geworden , dachte er , oder will er mich necken ! diese Person soll nicht schön sein ? nicht einmal so schön , wie die beiden kleinen albernen Schwestern ?
er ist blind - er ist rasend ! -
Feldern näherte sich äußerst zärtlich der Braut ; aber - war es die Gegenwart des Fremden oder lag es überhaupt in ihrer Weise - sie empfing ihn kühl .
Sie machte eine so graziös ausweichende Bewegung , daß es ihm nicht möglich war , sie zu umarmen , und als sie Hand in Hand neben ihm stand , da sah sie ihn zwar recht freundlich an , aber , o weh ! sie sah auf ihn herab , sie war größer als er - vielleicht nur einen halben Zoll , jedoch größer ! -
Nun , das wird nimmermehr gehen , dachte Mario .
Frau von Stein sprach gescheut , und das ist immer angenehm ; Herr von Stein nur , wenn er gefragt wurde , und das ist bei bornierten Leuten auch angenehm ; Cunigunde fast gar nicht ; ihre Schwestern plapperten so viel wie möglich .
Die Conversation stockte nie .
Dennoch wurde es Mengen nicht behaglich , und er verstand es doch sonst so gut , in jedem Kreise heimisch zu werden !
Eine verstimmte Saite verdirbt das ganze Konzert für ein feines Ohr .
Cunigunde war diese verstimmte Saite .
Ihre Befangenheit , ihre Zerstreutheit wirkte ansteckend auf ihn , den einzigen Unbefangenen des Zirkels .
Die Übrigen mußten wohl daran gewöhnt sein .
Aber wie konnte der Verlobte es sein !
Wenn das Mädchen meine Braut und immer so zerstreut bei mir wäre , dachte Mario , so würde ich um alle Schätze der Welt nicht sie heiraten .
Wäre er so verliebt wie Feldern gewesen , er würde sie doch geheiratet haben !
Cunigunde trug einen großen runden Strohhut , dessen breiter Rand Gesicht , Schultern und Nacken fast ganz verschattete .
Feldern bat sie , den Hut abzunehmen .
" Die Sonne ! " sagte sie ablehnend .
Da aber die Vorhalle gegen Osten lag , so fiel kein Sonnenstrahl hinein , und sie setzte hinzu :
" Die Mücken ! "
" Wie unfreundlich ! " sagte Frau von Stein halblaut .
Cunigunde nahm schweigend ihren Hut ab .
Sie hatte wunderschönes dunkelbraunes Haar , das sich in schweren Zöpfen um ihre Schläfen legte und sich dann im Nacken zu einem griechischen Knoten verband .
Feldern nahm eine Weinrebe , die ihren Hut wie ein Kranz umschlang , und drückte sie auf ihr Haar .
Sie sah aus wie Ariadne - aber ohne Verzweiflung über den treulosen Theseus , und ohne Triumph über die Liebe des Bacchus .
Sie freute sich nicht darüber , daß der Bräutigam sie reizend fand , sie duldete es ; und nur es dulden heißt : es erdulden .
Heißes Rot überflog momentan ihr feines , edles Antlitz und sie warf einen dunklen melancholischen Blick auf Feldern .
Später , als sie und ihr Schmuck unbemerkt waren , machte sie eine rasche Wendung des Kopfs , wodurch die locker hängende Rebe herab fiel .
Feldern konnte sich keines Lächelns , keiner Aufmerksamkeit von ihrer Seite erfreuen , aber Mengen konnte es noch weniger .
Nicht nur , daß sie nicht sprach - sie sah auch Niemand an .
Manche Menschen brauchen gar nicht zu reden , nur zu blicken , und man wähnt eine tiefsinnige Musik zu hören , ein Gemälde des innersten Wesens sich aufrollen zu sehen - solche Magie hat das Auge .
Menschen , die reden , ohne aufzublicken , müssen ein hinreißendes Organ oder einen außerordentlichen geistigen Reichtum haben , wenn ihre Rede jenen Eindruck machen soll .
Ein unsichtbar Sprechender überzeugt nur halb , und reißt nie hin .
Das Antlitz ist wahrer als die Worte .
Worte lügen so oft ; eine Miene , ein Lächeln , ein Zucken der Augenwimper oder der Lippe sagen oft das Gegenteil von dem , was das Wort sagt , und offenbaren dadurch die eigentliche Meinung .
Das Wort ist ein kluger , berechneter , feiner Zögling des Geistes ; aber der Ausdruck der Bewegung , das Mienenspiel , ist ein Kind der Seele , und die Seele durchschimmert es , wie der Körper ein Musselinkleid durchschimmert .
Cunigunde mochte die Absicht haben , ihre Seele zu verhüllen ; dies Spiel gelingt zuweilen denen gegenüber , welchen daran liegt , daß es gelinge ; wer aber nicht dabei beteiligt ist , erkennt das Spiel .
Sie sah Niemand an - man hätte glauben dürfen , daß sie in sich selbst versunken sei ; allein sie hob doch bisweilen ihr Auge und dann war es leicht zu erkennen , daß sie in die Zukunft versunken war , solch ein heißer Durst lag in diesem Auge .
Aber nicht nach Liebe , nicht nach Glück ! nichts Sehnsuchtsvolles , nichts Träumerisches !
Ein Schiffer , der das Land erreichen möchte , und den die Brandung nicht landen läßt , mag diesen Ausdruck haben .
Es wurde Musik gemacht und mit gutem Geschmack solche , welche sich für einen häuslichen Kreis schickt .
Cunigundens Schwestern sangen zweistimmig , mit jungen frischen Stimmen heitere und launige Volkslieder und neckten Cunigunde mit ihrer Abneigung gegen mehrstimmigen Gesang .
Sie sei so einsiedlerisch , sagte die Eine ; und die Andere :
sie möge nicht Takt halten mit einem Zweiten .
" Ich kann es nicht , " sagte Cunigunde , " ich würde es ja gern tun . "
" Nun , so singen Sie allein " - bat Feldern , und sie sang mit einer schönen , aber eiskalten Stimme und ohne Leben im Vortrag , so viel und was er wünschte .
Beim Abschied entließ sie ihn gerade so , wie sie ihn empfangen hatte .
Kein inniger Blick , geschweige ein inniges Wort , war zwischen ihnen gewechselt .
Kaum saßen die Freunde zu Pferde , als Mario ausbrach :
" Du hattest ganz Recht : allerliebst ist keine Bezeichnung für Deine Braut ! sie ist ja wirklich bildschön , ohne alle figürliche Redensart ! ich meine , schön wie ein Bild . "
" Ich glaubte , die Schwestern würden Dir besser gefallen . "
" Bester ! ich verbitte mir diese Beleidigung meines Geschmacks .
Zwei weiße schnatternde Gänschen und ein Schwan !
Wann wirst Du Dich verheiraten ? "
" Im November , denke ich . "
" Das ist ein Monat , in welchem ich regelmäßig das Leben im Norden verwünsche .
Du tust sehr Recht , ihn Dir zum Rosenmonat umzuwandeln ! -
Aber sie ist äußerst schweigsam - Deine Braut . "
" Ihre Art so ! "
" Gott , was sind die Frauen schön , wenn sie schön sind . "
" Du bist ja ganz in Extase " - sagte Feldern mißtrauisch .
" Wie kann Dich das befremden , Dich , der Du vier Jahr lang unter ihrem Zauber stehst und sogar die Qual der langen Sehnsucht ertragen kannst . "
" Was mir gewiß ist , nur in die Ferne geschoben , macht mir keine Qual . "
" Und wartest Du nicht ? erzeugt Erwartung nicht Ungeduld , und nennst Du Ungeduld nicht Qual ?
O laß das nicht Fräulein Cunigunde hören , sie würde nicht mit Deiner stoischen Kälte zufrieden sein . "
" Jeder muß am Besten wissen , wie er mit der Geliebten umzugehen hat " - sagte Feldern übellaunig .
Er sollte es wenigstens - schwebte schon auf Marios Lippen ; aber er hielt die kränkende Bemerkung zurück und sagte : " Schade , daß die Eisenbahn noch nicht fertig - Du würdest dann manche schöne Stunde mehr genießen können .
Es ist doch hübsch , daß die Liebe , auf die von den administrativen und industriellen Köpfen keine andere Rücksicht genommen wird als die , welche die Propagation des Menschengeschlechts betrifft , auch von Dampfmaschinen und Eisenbahnen ihren Vorteil zieht .
Es gibt keine Pyrenäen mehr , sagte Ludwig XIV. großsprecherisch , und log obenein bis auf diese Stunde , wo die Pyrenäen sich dadurch sehr bemerkbar machen , daß sie Frankreichs Influenza nur teilweise nach Spanien hineinschlüpfen lassen .
Aber wir können mit voller Wahrheit sagen : für Liebende gibt es keine Trennung mehr .
In vier Wochen bin ich mit dem Dampfschiff , vom Rhein ausgehend , auf der anderen Hemisphäre .
Wie Untreue und Pflichtvergessenheit vorfallen sollten , ist gar nicht zu begreifen , denn in jedem Moment muß man gewärtig sein , von einem lieben Besuch überrascht zu werden , und wenn man seiner Liebsten nur keine Zeit läßt zum Vergessen : so wird man es auch nicht .
Es ist bewundernswürdig , welchen guten Einfluß die Dampfmaschinen auf die Moralität haben .
Und dann wagen verstockte Finsterlinge zu behaupten : deren Verfall und der Fortschritt der Industrie gehen Hand in Hand . "
Feldern antwortete einsilbig .
Er forderte nie mehr in Zukunft Mario auf , ihn zu seiner Braut zu begleiten , und da er es nicht tat , so sprach auch Mario den Wunsch nicht aus .
Wirklich interessierte ihn Cunigunde nicht genug , um ihn zu veranlassen , Feldern Eifersucht zu reizen .
Und Feldern war allerdings eifersüchtig , nicht auf einen bestimmten Gegenstand , sondern im Allgemeinen , weil er , trotz des vierjährigen Brautstandes , so unbekannt in dem Herzen seiner Braut war , wie die Alten im Ozean .
Manche beschränkte und selbstzufriedene Leute macht solche Unbekanntschaft erst recht ruhig .
Sie denken :
da existiert nichts weiter , als was sie sehen und verstehen .
Andere aber , die weniger beschränkt und selbstzufrieden sind , macht es unruhig , weil sie fühlen , daß ihr Auge und ihr Verstand nicht ausreicht , daß da viel vorgehen mag , was sie nicht ergründen können , und daß es doch eigentlich eine große Demütigung ist , ein geliebtes Wesen nicht zu verstehen .
Das gibt der Liebe ihre Göttlichkeit , daß sie , wie Gott , das Verständnis der Seelen hat .
Der Verstand zweifelt , die Forschung grübelt , die Vernunft prüft - die Liebe weiß .
Aber das ängstigende , lose , unzusammenhängende , verliebte Wesen , das die Leute Liebe nennen , kann freilich nicht viel wissen . Das rät so herum , auf gut Glück , auf Geratewohl , irret , trifft , trifft aber nie den Mittelpunkt des Seins , nie den Moment , wo die Knospe der Aloe aufspringt , welche alle hundert Jahr nur Einmal blüht .
Ist ein Märchen ! ist eine Fabel ! sprechen die Klugen ; die Naturforscher wissen nichts von solcher Aloe ! -
Aber die Dichter wissen von ihr , meine Herren und Damen ; wer hat nun Recht ?
Die Dichter sind ein uraltes , mystisches Volk , das ganz andere Dinge geschaffen hat , als eine Aloe , die nur alle hundert Jahre Einmal blüht .
Bei den chaldäischen Schäfern ist es in die Schule gegangen , und die Priester von Memphis und von Dodona sind seine Zöglinge gewesen .
Schlagt nach den Homer ! die Götter hat er geschaffen .
Was wüßte man denn von dem ganzen Olymp , wenn der alte Homer ihn nicht so genau beschrieben ?
Schlagt nach den Moses .
Die ganze Welt hat er geschaffen .
Die weisesten Hypothesen späterer Jahrhunderte taugen nur dann etwas , wenn sie mit seiner übermenschlichen und doch so ganz menschlichen Poesie übereinstimmen .
Was die Geschichts- und Naturforscher auch entdeckt haben mögen - Homer und Moses sind noch nie dabei zu kurz gekommen .
Verlaßt euch auf die Dichter , meine lieben Menschen , selbst wenn sie euch von der fabelhaften Aloe erzählen , die nur alle hundert Jahr Einmal blüht .
In der dürren , heißen Wüste des Lebens , wo die Bäche versiegt sind und die Bäume versandet , wo kein Lüftchen weht und kein Vogel singt , unter dem brennenden Äquator des Herzens - da steht sie doch und blüht allen Naturforschern zum Trotz - aber freilich - nur alle hundert Jahr Einmal .
Wer kann aber wissen , ob die hundert Jahr nicht gerade um sind , wenn er vor sie hin tritt ?
Wenn Jemand mein Büchlein ungeduldig fortwirft , so kann ich es ihm kaum verargen .
Er hat sich darauf präpariert , eine kleine Geschichte zu lesen , und ich erzähle ihm Märchen !
Er verlangt , daß ich ihn - nicht , daß ich mich selbst amüsiere .
Es ist recht schwer , Autor- und Leserkopf unter einen Hut zu bringen .
Die Zeit vergeht mit derselben Schnelligkeit , wenn man in beständigem Wechsel und in ruhigster Einförmigkeit lebt .
Wieder ein Tag vorbei ! spricht der , welcher zwölf Stunden friedlich bei seiner Arbeit verbracht hat , und der , welcher die Sehenswürdigkeiten eines fremden Ortes wie ein Irrwisch durchrannt ist .
Dann gehen Beide zu Bett : der Ruhige dankt Gott für seinen Frieden , und bittet ihn um ein wenig amüsante Abwechslung ; der Unruhige dankt ihm für seine amüsanten Drangsale und bittet ihn um ein wenig Erholung .
Zuweilen denkt auch Keiner an Dank und Bitte , und dieser streckt nur ermüdet seine Füße aus , und Jener eben so ermüdet seine Arme .
Es ist erstaunlich , wie im Grunde die Menschenschicksale sich gleichen .
" Wieder ein Sommer dahin ! " sagte Faustine , als sie mit Andlau Ende Oktober bei kurzen Tagen und nebeligem Wetter in Mainz auf der Heimkehr begriffen , eintraf .
" Wie soll ich es prästieren , die ganze Welt zu sehen ?
bald reicht das Geld nicht aus , bald die Zeit nicht ! heute wollen die Verhältnisse es nicht dulden , und morgen gibt es Umstände , die es unmöglich machen .
Am liebsten schnürte ich mein Bündelchen , zöge Männerkleider an , und streifte umher .
Es sieht nur etwas vagabundenmäßig aus , ich könnte in keinen Salon gelangen , und eine Gräfin Obernau , der die Salons verschlossen sind , ist eine verlorene Person .
Dafür zu gelten , kann ich mich nicht entschließen , und so muß ich mir denn den Hauptspaß des Lebens versagen . "
" Du bist im Mittelpunkt Deines Wesens so fest , Ini ; wie können die Radien , welche davon auslaufen , in solcher ewig zitternden Bewegung sein ?
Wäre meine Seele nicht der Deinen gewiß , so würdest Du mir große Sorge machen . "
" Ist unnütz ! " sagte sie ; " mein Herz ist fest ; darauf kannst Du Felsen bauen .
Gibt es etwas Zuverlässigeres in der Natur , als die Magnetnadel ? nun , sie zittert immer hin und her , und weist doch unverrückt gen Norden .
Nur in der Polnähe weicht sie ab .
Dahin komme ich aber nicht .
Ich bleibe im Tropenklima .
Wollen wir nicht in den Dom gehen ?
Es regnet nur ein ganz klein Bisschen . "
" Du bist eine unermüdliche Kirchengängerin ! wir haben gewiß über hundert Kirchen in diesen drei Monaten besehen , und wie wenige darunter gefunden , die in reiner Vollkommenheit den Gedanken des Baumeisters auf die Nachwelt gebracht .
Zerstört , geflickt , überpinselt , ausgebaut , angebaut , ruiniert durch barbarische Vernachlässigung und barbarische Geschmacklosigkeit , standen sie da , wie wunderschöne Menschen mit Kröpfen am Halse und Warzen auf der Nase . "
" Leider wahr ! aber mein Auge ist ein geschickter Operateur und trennt die Auswüchse vom Körper .
Und dann ist diese Stadt mit ihrem Dom noch eine von den alten entstandenen , keine moderne gemachte , die plötzlich aufschießt , weil der Monarch eine hübsche Avenue zu seinem Schloß haben will , oder weil die Leute reich werden wollen , und darum Häuser auf Aktien bauen .
Wie ich sie hasse , diese charakterlosen , flachen , öden Häuser mit ihren hundert tausend blanken Fenstern !
Kann da Häuslichkeit drin gedeihen , kann da Treue drin wohnen ?
Wenn ein Wagen vorbeifährt , zittern Tür und Fenster ; wenn der Wind weht , bebt das ganze feige Ding , als bäte es ihn untertänigst um Verzeihung , daß es wagt noch auf den Füßen zu stehen !
O ihr lieben , stillen , alten Häuser , die ihr bescheiden mit der schmalsten Seite auf der Gasse steht , um eure Nachbarn nicht zu beeinträchtigen , um euch nicht in die Breite zu verflachen , wie gut bin ich euch ! hinter euren starken Mauern und sparsamen , aber weiten Fenstern , in eurer verschwiegenen Tiefe , in euren traulichen , geräumigen , gewölbten Zimmern , da ist es doch noch möglich , Gedanken zu haben , welche sich auf Häuslichkeit beziehen .
Wäre ich ein Mann , so holte ich mir nur aus solchem Hause eine Frau .
Mädchen , in einem modernen Hause erzogen , sind es für fremde Augen ! alle Welt guckt da hinein und fragt neugierig :
was tust du ?
was treibst du ?
Die Sonne scheint in all die Fenster wie in einen Glaskasten hinein , wo die Blumen vor der Zeit blühen müssen , und für die Mädchen ist Schatten gut , stiller , kühler , grüner Schatten - da bleiben sie frisch , frisch von Wangen , frisch von Seele .
Es existieren aber gar keine Mirakelmädchen mit frischen , apfelblütnen Wangen mehr !
sie müssen so viel lernen , so viel schöne Künste treiben - das fatiguirt , und glaube mir , es hängt Alles mit den modernen Häusern zusammen .
Wäre ich ein Mann , ich schlenderte durch die altertümlichen Gassen , und schaute rechts und schaute links .
Da auf einmal , in jenem dunklen Hause , wo über der gewölbten Tür drei Eicheln ausgehauen sind , im Erdgeschoß , am offenen Fenster , das mit Gitterstäben geschützt ist , die aber so weit geschweift sind , daß die Katze in dem ausbuk Raum hat , und der große Blumentopf , aus welchem sich die Kapuzinerkresse emporrankt - verstehst Du , lustige Kapuzinerkresse , kein sentimentaler Efeu - da sitzt ein herziges Mädchen und arbeitet fleißig .
Sie arbeitet nicht hastig , nicht gebückt wie eine Magd , wie um es liebe Brot - sondern aus anmutiger Gewohnheit an Beschäftigung .
Gute Gedanken steigen mit der Nadel hinauf und herab , vom Kopf zum Herzchen , und die schelmischen Lippen summen ein Lied .
Das Haar hängt ihr leicht und lose , wie Gott will , an den Wangen herab , die Augen - wenn sie sie aufschlägt - blicken ernst und verweisen gleichsam dem Munde seinen Mutwillen - das Mädchen müßte meine Liebste werden !
Alle Tage ginge ich zweimal vorüber , einmal am Morgen , einmal am Abend ; grüßen täte ich nicht , das wäre befremdlich ; aber ohne Gruß würden wir nach und nach ganz bekannt .
Dann legte ich mir einmal Morgens den Zwang auf , nicht vorbeizugehn , damit Abends ihre Augen fragten :
aber wo warst du denn heute früh ? -
O Anastas , komme , wir wollen das Haus suchen und das Mädchen .
Heiraten kann ich es zwar nicht .... "
- " Aber ich kann es " - sagte Andlau neckend .
" Eben so wenig ! " rief Faustine , und warf mutwillig und stolz den schönen Kopf zurück , als brauche sie sich nicht einmal die Mühe zu geben , ihn anzusehen , um ihn zu fesseln .
" Und welchen Ersatz willst Du denn dem armen Mädchen dafür bieten , daß es nicht geheiratet wird ? "
" Ich will es malen . "
" Brav ! das wird ein hübsches Bildchen werden , " sagte Andlau , und machte trotz Nebel und Wind einen Spaziergang mit ihr .
Er freute sich ihres schönen Talents - nicht bloß weil es ihm Wonne war sie zu bewundern - sondern weil er es betrachtete als einen Kanal , in welchen der übervolle Strom ihres Wesens wohltätig , ohne die Ufer zu zerstören , sich ergoß .
Ihren Phantasien lieh er immer Gehör .
Ihren Gedankensprüngen setzte oft sein Urteil , seine Meinung , Schranken ; niemals seine Laune .
Darum war Faustine außerordentlich durch seinen Umgang verwöhnt ; sie fand jeden anderen langweilig und steril , wo sie nicht dieser Teilnahme , dieser Ermunterung , diesem Verständnis begegnete .
Er hatte sie daran gewöhnt , sich rücksichtlos , absichtlos , in unbefangener keuscher Freiheit vor ihm zu offenbaren ; darum wurde es ihr schwer , in die zurückhaltenden , abwehrenden Formen der Gesellschaft sich zu fügen , und sie tat es auch nur innerhalb selbstgewählter Grenzen , die angeborener Takt und kein Herkommen ihr bestimmten ; aber eben deshalb fühlte sie sich nur bei Andlau glücklich .
" Mon aller n' est pas naturel , s' il n' est à pleines Voiles , spreche ich mit Montaigne - sagte sie - wenn ich in der kleinen Nußschale oberflächlicher Gespräche und nichtsbedeutenden Verkehrs balancieren muß , so legt sich dieses Unbehagen gleich einer eisernen Schlafmütze auf meine Stirn , und lieber rede ich in dreimal vierundzwanzig Stunden keine Silbe , als in einer Stunde unaufhörlich von den Fliegen , die brummen , und den Mücken , die stechen . "
Andlaus Liebe war ihr die Frühlingsluft , in welcher sie , wie die Lerche , ihre Flügel ausbreitete , sich hob , und steigend und singend hängen blieb .
In Frankfurt fand Andlau einen Brief vor , der ihm den Tod seiner Mutter meldete , und den Wunsch seiner beiden Brüder , ihn bei der Regulierung der Geschäfte zu sehen .
" Sie brauchen mich , " sagte Andlau ; " sie wollen einen Zeugen haben , daß Keiner von ihnen mit dem Pistole in der Hand dem Anderen einen Napoleon mehr , als ihm zukommt , abgefordert hat . "
" Du willst in den Elsaß ? " fragte Faustine ungläubig ; " willst mich verlassen ; Anastas , tue es nicht !
Ich in Dresden , Du jenseits des Rheins - das liegt zu weit auseinander ! "
Sie schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn , ängstlich und fest wie ein junger Vogel unter den Flügel der Mutter .
Sie hatte die großen diamantenen Augen einer Gazelle , und mit diesen Augen sah sie ihn so zärtlich und traurig an , daß er sie mit seinen Küssen schloß , denn er fühlte , wie sein Herz an diesen Strahlen zerschmolz .
" Ich kann meinen Brüdern nützlich sein , " sagte er , " vielleicht dazu beitragen , daß Alles in Liebe und Güte abgetan wird .
Meine Mutter mag ihren Liebling , meinen jüngsten Bruder , bevorzugt haben , und ich fürchte sehr , Aloys wird es sich nicht wollen gefallen lassen .
Jeder handelt für seine Familie , jeder behauptet , das Recht seiner unmündigen Kinder vertreten zu müssen .... "
- " Himmel ! " unterbrach ihn Faustine , " wie hasse ich all diese Verhältnisse , welche unter der Firma : Familie ! den Menschen in gefühlempörende Zustände bringen .
Kaum hat ein Wesen die Augen zugetan , welches für uns das Ehrwürdigste unter der Sonne war , so stürzen wir heißhungrig über den Nachlaß her , und zanken uns im Angesichte der geliebten Leiche um die klägliche Erbschaft .
Alle Andacht und Trauer geht unter in Berechnungen und Auseinandersetzungen .
Und dann heißt es : meinetwegen führe ich nicht diesen Prozeß und werfe ich nicht dies Testament um , aber meine Kinder ! -
Muß man denn seiner Kinder wegen Skandal treiben , so gehe man doch lieber auf die Landstraße und plündere den ersten besten englischen Reisewagen aus , als mit dem Bruder um drei Batzen zu hadern . "
" Liebe Ini , ich will ja versuchen , ob ich meine Brüder daran verhindern kann . "
" Ja , das schmerzt mich eben , Anastas !
Wenn sie Dich ruhig an das Grab Deiner Mutter treten ließen , wenn Ihr Euch an diesem Grabe freundlich und ernst die Hände drücken wolltet , so spräche ich zuerst : gehe hin ! -
aber um zu verhindern , daß sie sich bei dieser unglückseligen Erbschaft totschlagen oder bestehlen , dazu bist Du viel zu gut !
dazu ist die Polizei da , ich meine die Juristen , die Grenzwächter auf dem Mein- und Tein-Gebiete , die Flurschützen , welche aufpassen , daß keiner eine Traube vom Weinberg nasche - aber sie selbst dürfen naschen für ihre Mühe . "
Doch was Faustine auch vorbringen mochte , Andlau blieb bei seinem Entschluß .
" Einige Wochen vergehen schnell ; das hast Du ja im Lauf des Sommers erfahren , " sprach er ; " und welche Freude , wenn wir uns nach der Trennung wiederhaben ! "
" Weil ich es bereits erfahren habe , " entgegnete Faustine weinend , " so bin ich ja mit dieser Erfahrung gleichsam abgefunden ; ich brauche sie nicht mehr .
Und wie kannst Du wissen , ob nach einigen Wochen Alles abgetan sein wird !
Nimm mich wenigstens mit , als Dein Page verkleidet etwa . "
" Ich werde Dich erst nach Dresden bringen , " sagte Andlau , ohne den letzten Vorschlag sonderlich zu beachten , " und dann zurückreisen . "
" Du bist ein eiskalter Mensch ! " rief sie und warf unwillig seine Hand aus der ihrigen .
" Das kann wohl sein , " entgegnete er sanft .
" Und ich sehe durchaus nicht ein , warum ich Dich liebe . "
" Das habe ich nie eingesehen , und es Dir auch oftmals gesagt . "
" Aber da ich Dich nun einmal liebe - rief sie , wieder mit süßer , schmeichlerischer Stimme - so schmerzt mich tödlich die lange , dumpfe Trennung ! Dich nicht ? "
" Faustine , Du kennst mich , Du weißt , daß mein Leben in Dir ist , daß Du nicht bloß mein Glück , nicht bloß meine Liebe , nein ! mein Glaube und meine Hoffnung bist , daß Deine Kristallseele mich gleichgültig gemacht hat gegen alle staubigen , buntgefärbten , flitterhaften Erscheinungen , daß neben Dir nichts , unter Dir eine Welt steht , daß ich von der Ewigkeit nichts wünsche , als Dich , weil ich in der Ewigkeit nur Dich , den schönsten Gottesgedanken , sehe ; - das weißt Du , und fragst , als ob Du nichts wüßtest !
Mache mir nicht das Herz schwer , und glaube nur , ich vermisse Dich durch die Trennung weit mehr , als Du mich .
Du setzest Dich an Deine Staffelei und malst und erschaffst , und vergißt bei Deinen Schöpfungen alle Schmerzen , vielleicht alles Glück .
Die Phantasie pflanzt goldene Stäbe rings um Dich her , und Deine Trauer rankt sich an ihnen empor und Du stehst schnell in einer duftenden , blühenden Laube , die Du selbst gezogen hast .
Der Mensch deutet die Dinge , wie er sie versteht , nach seinen Fähigkeiten ; Du bist so reich , daß Dir die Welt ein Golkonda ist .
Ein vorübergehendes Leid wird für Dich ein Brunnen tiefer Freuden werden - das solltest Du doch wissen ! "
" Ja , " sagte sie , " ich mag aber doch kein Leid ! mag nicht aus dem tiefen Brunnen mühsam das helle , reine Freudenwasser emporziehen !
Ich tue es nur , wenn ich eben muß , weil ich meine , es sei doch besser , als die Arme schlaff herabhängen zu lassen ; aber lieb habe ich solche Arbeit nicht . "
" Hernach , Engel , ruhst Du doppelt süß bei mir . "
" Aber einstweilen trägt mich Niemand auf Händen ..... muß ich ganz allein auf der harten Erde stehen .... "
- " Wünschest Du einen Stellvertreten ? "
" Nein . "
" Sonst könntest Du ja Clemens Walldorf kommen lassen , " sagte Andlau lächelnd , " der , nach Allem was Du mir von ihm erzählt hast , überglücklich sein würde , Dich auf Händen tragen zu dürfen . "
" O ja , " erwiderte Faustine gelassen , " das glaube ' ich recht gern !
ich habe nur nicht die heilige Zuversicht , daß wir nicht Beide der Sache überdrüssig werden könnten .
Ich würde fürchten , er ließe mich fallen oder ich spränge herunter . "
" Aber bei mir hast Du es nie gefürchtet ? "
" Nie ! " sagte sie sorglos .
Ein solches " nie " - ist die größte Ehre , welche eine Frau einem Manne erzeigen kann .
Andlau hatte so oft schon Ähnliches von ihr gehört und gesehen , daß er nicht überrascht davon sein konnte ; allein hingerissen und bezaubert war er immer von Neuem durch die anmutige Nachlässigkeit , die gedankenlose Grazie , mit der sie stets das zu treffen wußte , was sie instinktmäßig als das Schönste erkannte .
" So lange ich noch bei Dir bin , will ich mein schönes Vorrecht nicht bloß figürlich gebrauchen " - sagte er , hob Faustine empor , und hielt sie in beiden Armen an seine Brust gedrückt ; - " Sonnenstrahl , Rosenduft , meine Ini , bist Du für mich Weib geworden ? wirst Du mir nicht verschweben in den beweglichen , unfaßbaren Elementen , woraus Du durch ein Wunder geschaffen bist , wie die Venus aus dem Schaum des Meeres ? oder hast du selbst das Wunder getan , und wie eine Fee Dich sichtbar in der Welt gemacht ? "
Faustine lag graziös auf seinen Armen , ihr Haar hing aufgelöst herab , ihre Augen waren halb geschlossen , nach ihrer Art .
Wenn es nichts zu sehen gab , sparte sie sich gern die Mühe sie zu öffnen , und blickte nach innen .
Sie sprach : " Rede nur weiter , es klingt gar lieblich !
ich freue mich , wenn Du einmal mit meinen Worten sprichst und aus Deiner kühlen Weise heraustrittst . "
" Aber ich verweichliche Dich zu sehr ! " sagte er , wie sich besinnend , und stellte sie auf den Fußboden zurück und küßte ihr lockiges Haar , als sei es der Schleier einer Heiligen .
Er trieb Abgötterei mit seinem lieblichen Idol .
Seiner Absicht treu , um ihr die Langweiligkeit der einsamen , herbstlich trüben Fahrt zu sparen , brachte er sie nach Dresden , und Faustine , die , wenn sie glücklich war , wohl in die Ewigkeit hinüber sah , jedoch nicht über das irdische Heute hinweg - dachte nicht daran , daß am erreichten Ziel der Abschied ihr bevorstehe , und war während der Reise so liebenswürdig , daß Andlau selbst zu glauben anfing :
er bringe den Wünschen seiner Brüder ein unermeßliches Opfer .
Manche Menschen werden immer liebenswürdiger , je mehr Augen sich auf sie richten ; nicht aus Eitelkeit , sondern weil ihnen der allgemeine Beifall Zuversicht gibt und sie anregt .
Andere sind am liebenswürdigsten einer einzigen Person gegenüber , wenn diese ihrer Eigentümlichkeit zusagt ; viel Augen , viel Fragen , viel Einwürfe stören sie .
Es kommt dabei sehr auf die jedesmaligen Gaben an , sogar auf physische .
Wer witzig ist , wer schlagende Antworten gibt , wer eine elegante Form des Ausdrucks , ja , gar ein wohltönendes Organ besitzt , fühlt sich behaglich in dem größeren Zirkel .
Wo Ernst und Sinnigkeit vorherrschen , wo die Rede nicht schimmert , wo der Ton der Stimme leise ist , da sind weniger Zuhörer willkommen .
Faustine , wie fast alle einsam , d.h. ohne großen Familienkreis , lebenden Personen , hatte eine leise Stimme .
Wo eine bedeutende Schar von Geschwistern ist , mit denen man doch auf gleichem Fuß stehen - oder von Kindern , denen man befehlen muß - da wird die Stimme von selbst laut und tönend ; sie soll gehört werden und bisweilen dominieren ; aus dem Hause bringt man diese Gewohnheit in die Gesellschaft hinüber .
Wer allein lebt , ohne Kinder , ohne Hauswesen , nur mit einem oder zwei Menschen in vertrautem Umgang , der ist nicht im Stande , in einem übervollen Salon zu sprechen , es müßte denn sein , daß Alles schwiege , wenn er redete .
Faustine hatte eine leise Stimme , die immer leiser wurde , je inniger und eindringlicher sie sprach .
Es wurde zuletzt wie ein Klingen der Seele , aber ganz verständlich , so wie man die Äolsharfe und das Murmeln des Baches ganz genau versteht .
Daher sprach sie in der Gesellschaft nur mit ihren Nachbarn rechts und links , sie machte kein allgemeines Aufsehen , aber der jeweilige Nachbar war kaptiviert , wenn sie sprach , - was auch nicht immer geschah .
Den Wecker an der Uhr stellt man auf eine bestimmte Stunde :
dann schnurrt er sein Stückchen ab ; der Mensch ist keine Sprechmaschine , die ihr gegebenes Thema abhaspelt .
Von innen muß er angeregt werden , nicht von außen , wenn er etwas Gescheutes hervorbringen soll .
In Faustine war Alles vereinigt , um sie Andlau gegenüber am liebenswürdigsten zu machen ; ein Hauptgrund aber war der , daß er sie liebte .
Es ist die schwierigste Aufgabe für eine Frau , auf die Dauer und durch lange Jahre hindurch , liebenswürdig wie keine Andere für den Mann zu bleiben , mit dem sie verbunden ist .
Die entnervende Gewohnheit weht über ihn hin , wie feuchte Luft über eine Harfe , und die Saiten erschlaffen .
Ihre Liebe reicht nicht aus .
Aber die Sache wird ihr sehr leicht gemacht , sobald er sie liebt ; und dies seltene Glück hatte Faustine .
Vierundzwanzig Stunden nach ihrer Ankunft in Dresden fuhr Andlau seiner Heimat zu .
Beim Abschied sprach er zu Faustine , nachdem er alle Ausdrücke der Liebe und Zärtlichkeit erschöpft hatte :
" Nun zum Schluß das Wichtigste :
Ini , vergiß mich nicht . "
" Das ist ein abgebrauchter Scherz , Anastas ! "
" Kein Scherz , Ini !
Du weißt ja noch gar nicht , was Du Alles vergessen kannst . "
" O Alles , Herz , Alles , nur aber Dich nicht ! " sie umfaßte ihn mit stürmischem Schmerz , und als er gegangen , und die Tür hinter ihm zugefallen war , da meinte sie , ihr Schutzgeist habe sie verlassen , da sank sie auf die Knie und rief :
" Er ist fort !
er ist fort ! o mein Gott , bleibe du nun bei mir ! "
Sie fühlte sich unaussprechlich einsam , obgleich ihre Freunde und Bekannten sie sogleich aufsuchten , sie einluden , auf jede Weise suchten sie zu zerstreuen .
" Andlau ist fort , ich langweile mich überall " - sagte sie ebenso aufrichtig als unverbindlich zu Frau von Eilau , mit der sie sehr liiert war .
" Eben darum werden Sie sich nicht mehr bei mir langweilen , als hier in Ihrer Einsamkeit ; " entgegnete diese liebreich .
" Sie werden ganz Hypochonder zwischen Ihren vier Wänden , unter Menschen müssen Sie sich ein wenig Gewalt antun , und Selbstüberwindung ist für uns Alle eine gute Schule . "
" Meinen Sie ? nun , so will ich heute Abend zu Ihnen kommen - wenn ich es über mich gewinne .
Es werden doch nicht viel Leute bei Ihnen sein ? "
" Das weiß ich nicht !
Da ich nie Jemand einlade , können eben so gut zwanzig Personen mich am Abend besuchen , als zwei .
Aber seit wann sind Sie denn menschenscheu ? " fügte sie lächelnd hinzu .
" Seit Andlau fort ist " - sagte Faustine melancholisch .
Sie hatte keinen anderen Gedanken .
Mitten im Salon der Frau von Eilau stand ein großer runder Tisch und Fauteuils rings umher , worauf die Damen saßen , Tapisserie nähten , plauderten .
Die Herren schoben Stühle und Taburetts dazwischen - Worte weniger .
Rechts daneben stand Frau von Eilaus Teetisch , woran sie so saß , daß sie zugleich das Theegeschäft besorgen und an den Gesprächen des runden Tisches Teil nehmen konnte .
Links war eine Schachpartie etabliert .
Dies Alles in der Mitte des Zimmers , damit jede einzelne Person zugänglich und uneingesperrt sei .
Hinten an der Sofawand wurde eine solide Bostonpartie gemacht , und die Spielenden bekümmerten sich nicht um das Vordertreffen .
Frau von Eilau sagte zu Feldern :
" Es ist über neun Uhr ; die Obernau kommt schwerlich mehr .
Gehen Sie doch morgen früh gleich zu ihr und machen Sie ihr in meinem Namen ernste Vorwürfe . "
" Aber sie mag krank sein " - sagte Feldern .
" Keineswegs ! nur verdrießlich , nur eigensinnig . "
" Auf jeden Fall gehe ich morgen früh zu ihr , und hätte nicht so lange gezögert , wenn ich nicht diese letzten acht Tage draußen gewesen und erst vor einigen Stunden heimgekehrt wäre . "
" Und wie geht es Cunigunden jetzt ? "
" Besser ! sie erholt sich langsam . "
" Bleibt es bei dem festgesetzten Vermählungstage ? "
" Ich darf es nicht hoffen , kaum wünschen !
sie ist von einer ängstigenden Nervenschwäche . "
" Das schöne , kräftige Mädchen ! welch ein Jammer ! wie kann denn eine armselige Erkältung solche Umwandlung bewerkstelligen ? "
" Die Ärzte wissen keinen anderen Grund , als Erkältung bei der Weinlese . "
" Die Schröder-Devrient verliert ganz ihre Stimme , " hieß es am runden Tisch , " sie wurde auch eiskalt als Norma aufgenommen . "
" Schade um sie , sie war eine pompöse Norma . "
" Diese Gleichgültigkeit wird ihr sehr wehe tun ! wer auf den Triumph des Augenblicks angewiesen ist , will in jedem Augenblick Triumphe . "
" Natürlich ! wie sollen diese Künstler denn wissen , ob ihnen Auffassung und Darstellung gelungen , wenn das Publikum kein Zeichen des Beifalls gibt ?
Die Malibran , von der man doch hätte glauben können , daß sie zum Voraus des tobendsten Beifalls gewiß sei , hörte und sah nichts vor Befangenheit , bis jubelnder Applaus ihre erste Szene belohnt hatte .
Dann war sie sicher . "
" Gott , welche traurige Existenz , trotz eines weltberühmten Talents so abhängig von der Laune des Publikums zu sein !
Jeder andere Künstler darf an die Nachwelt appellieren ; der Schauspieler hat es nur mit seinen Zeitgenossen zu tun .
Wer ihn nicht sah , nicht hörte , weiß nichts von ihm . "
Die Tür öffnete sich .
Faustine trat ein .
Frau von Eilau rief : " Je später der Abend , je schöner die Leute ! " ging ihr entgegen und umarmte sie herzlich .
Faustine legte beide Hände auf ihre Schultern , und sagte eben so herzlich :
" Liebe , Sie sind eine so kluge Frau ! sprechen Sie doch , bitte , mit Ihren eigenen Gedanken und nicht mit denen eines ganzen Volks . -
Bon soir ! wie geht_es ? charmiert Sie wiederzusehen ! "
- wurde mit den Übrigen gewechselt .
Als Faustine eintrat , schlug der Mann , welcher ganz mit der Schachpartie und mit einer schönen Gegnerin beschäftigt war , die Augen auf und erkannte sie .
Es war Graf Mengen .
Sie sieht aber doch aus wie eine schöne Statue , dachte er , den ersten Eindruck festhaltend .
Faustine war wieder ganz weiß gekleidet , und dann stand sie so graziös !
Schön tanzen können manche Frauen , schön gehen - wenige , schön stehen - die allerwenigsten .
Woran es liegt , weiß ich nicht , vielleicht an der Angewohnheit , vielleicht an zu engen Schuhen , vielleicht an einem Mangel an Selbständigkeit .
Die meisten wackeln .
Ruhig zu stehen , ist die Hauptsache beim Stehen ; aber darum darf es doch nicht schwerfällig , nicht bewegungslos , nicht plump , nicht niet- und nagelfest aussehen .
Es muß eine Ruhepause zwischen der vergangenen und der kommenden Bewegung , es muß verschwebend , nicht wurzelfassend im Erdboden , sein .
Eine Frau , die schön steht , gleicht einer Königin , um die sich Dienerinnen - der Sonne , um die sich Planeten bewegen .
So stand Faustine .
Sie hatte sich spät und schwer entschlossen zu gehen , da sie aber einmal in der Gesellschaft war , so war sie nach ihrer Art munter und triumphierend ; nur so zeigte sie sich den Gleichgültigen .
Konnte sie das nicht über sich gewinnen , so blieb sie daheim .
Feldern sagte : " Wie freue ich mich , daß Sie wieder bei uns sind , anbetungswürdige Gräfin . "
" Grüß ' Sie Gott , Herr von Feldern ! " antwortete Faustine .
" Sie hätten aber doch wohl sagen können : angebetete Gräfin !
da sogar Junker Tobias sagt :
" Ich bin auch einmal angebetet worden . " " Mengen horchte hoch auf .
Aber sie scherzt ja ! sprach er zu sich selbst ; so schön und so munter - das ist recht selten .
Schönheiten begnügen sich gewöhnlich damit , schön zu sein .
Sie wollen sich nicht selbst - Andere sollen sie amüsieren !
das macht sie kläglich langweilig .
- Zu diesen hochverräterischen Gesinnungen gegen die Schönheit veranlaßte ihn seine Gegnerin im Schach : Lady Geraldin , die das non plus ultra von Liebenswürdigkeit getan zu haben wähnte , dadurch , daß sie sich zeigte und sich anblicken ließ .
Faustine setzte sich zu Frau von Eilau .
Die Herren und Damen der Tafelrunde verbargen sie fast ganz vor Mengens Blick , der nur dann und wann ihren Kopf wahrnahm , wenn ein Anderer sich rechts oder links bog .
Er hätte für sein Leben gern diesen Kopf ununterbrochen betrachtet , studiert - man konnte ihn studieren wegen der interessanten Mischungen des Ausdrucks - er schob seinen Stuhl bald so , bald anders , aber es half ihm zu nichts , als daß Lady Geraldin fragend ihn ansah und einen seiner Springer nahm .
Er mußte sich gedulden .
Dieser Kopf , der über einer mit Schwan besetzten Mantille schwebte , wie der Mond über lichtem Gewölk , und der bald auftauchte , bald hinter Wolken verschwand , hatte etwas seltsam Reizendes : er kam immer mit einem neuen Ausdruck zum Vorschein .
Faustinens Augen faßten ihren Gegenstand fest an , wie mit einer sicheren Hand ; sie forschten nicht , sie fragten kaum , sie wußten ; sie verhehlten und überschlierten auch nichts , sie waren wolkenlos und vertrauenerweckend , wie der Himmel ; unbekümmert , als gäbe es nichts Häßliches auf der Welt zu sehen , und rein , als wären sie nie der Gemeinheit begegnet .
Die Augen eines Engels ! dachte Mengen .
Um ihren Mund gaukelten Mutwille , Schalkheit , Stolz , Bewußtsein der Überlegenheit , Spott .
Und der Mund eines Menschen ! fügte er hinzu .
Aber das warme Kolorit , das bewegliche Mienenspiel , die weichen Umrisse verschmolzen den Engel und den Menschen zu einem äußerst lieblichen Weibe .
Und gerade diese Mischung ist so anziehend !
Das allgemein Menschliche macht , daß solch Gesicht uns gleich ganz vertraut anblickt und uns gewinnt , indem es uns glauben macht , wir hätten einen lieben Freund , der so aus sieht .
Und wenn wir es genauer beobachten , so wird es durch das Charakteristische dermaßen individualisiert , daß wir nach zehn Minuten die Überzeugung gewinnen , es sei lediglich für diese Person geschaffen , vielleicht gar , sie selbst habe es sich geschaffen - was im Grunde jeder Mensch tut , der zum Bewußtsein gekommen .
Die Richtung der Seele drückt dem Körper ihren Stempel auf .
Lady Geraldin hatte das Spiel gewonnen ; Mario stand auf ; da sagte sie gleichmütig :
" Sie haben mich absichtlich gewinnen lassen ; das mag ich nicht .
Noch eine Partie ! "
Mit freundlichem Grimm gehorchte er , und beschloß , so gut zu spielen , daß sie in fünf Minuten matt sein sollte .
Allein sie war ihm gewachsen :
es ging nicht so rasch .
Am runden Tische wurde lebhaft geredet .
" So heiratet der junge , reiche , gescheute Mann , der eine der ersten Partien in Europa hätte machen können , diese intriguante Person , die wenigstens zehn Jahre älter ist , als er " - beschloß Jemand eine Tagesgeschichte .
" Desto früher wird er ihrer überdrüssig werden . "
" Und auf ein zärtliches Glück ist es wohl nicht von ihrer Seite abgesehen !
sie will einen glänzenden Namen , Vermögen , welches selbst im Fall einer Scheidung ihr ausgemacht ist .... "
- " Bravo ! im Ehecontract die Scheidung zu bedenken - das gefällt mir !
das ist eine Vorsicht im grandiosen Stil . "
" Ich nenne das gemein " - sprach Faustine ruhig .
" Eltern können aber wirklich kaum mehr ohne jede mögliche hypothekarische Sicherheit ihre Töchter einem Manne anvertrauen .
Nach zwei , drei Jahren ist die Sache zu Ende , wie ein Schauspiel , und die ganze Zukunft eines Mädchens zerstört . "
" Ich weiß wohl ! " entgegnete sie ; " aber ich finde es entadelnd für ein Mädchen , wie ein Ballen Waren assekuriert , hin und her spediert zu werden .
Kaufmännisch gemein , gehört diese Institution ganz einer Zeit an , die gleich der Schlange , nach der Edda , an den Wurzeln des Baumes nagt , der den Himmel und die Götter trägt .
Das Gefühl wird an der Wurzel untergraben .
Ein Mädchen soll die Zuversicht haben , daß weder Himmel noch Hölle sie von ihrem künftigen Gatten trennen können .
Hat sie die nicht , so heirate sie ihn nicht . "
" Aber sie hatte sie oft , und verliert sie nur später . "
" Ich meine bloß , daß ich einen Kaufmann nicht achte , der auf seinen Bankrott spekuliert , um reicher zu werden , als er vor demselben war . "
" verteidigen Sie denn gar nicht Ihre arme Cousine ? " wurde ein junger Mann gefragt .
" Nach zehn Jahren werde ich es tun !
so lange Zeit brauche ich , um die Wendung der Dinge zu beobachten ! in zehn Jahren müssen sie sich auf eine oder die andere Seite geneigt haben , und dann kann man etwas Anderes vorbringen , als Mutmaßungen und Voraussetzungen . "
" Ich finde auch wirklich die Zumutung etwas stark , " sagte Faustine lachend , " daß wir alle Dumm- und Torheiten unserer Verwandten vertreten und verteidigen sollen .
Ich danke Gott , wenn es mir bei meinen eigenen gelingt . "
" Wie können Sie sich selbst so verleumden ! " rief Feldern .
" Keine Verleumdung ! " antwortete sie ; " aber das Wort Dummheiten ist Ihnen zu kräftig , nicht wahr ?
also will ich lieber sprechen : meine allerliebsten kleinen Torheiten machen mir so viel zu schaffen , daß ich nicht Zeit habe , die anderer Menschen wahrzunehmen .
Allerliebste kleine Torheiten , bester Feldern , können Sie nun doch einmal Ihrem Schützling , dem Menschengeschlechte , nicht wegleugnen , so viel Mühe sich auch Ihr gutes Herz deshalb gibt . "
" Es ist wirklich wahr , der Herzog von *** hat auf einem Maskenball in Pilgertracht dem Herrn *** ein bairisches Adelsdiplom überreicht - selbst überreicht , en masque ! ist das nicht himmlisch ? " sagte einer der Herren .
" Ein Skandal ist es ! eine Entwürdigung ! - Nicht himmlisch , sondern himmelschreiend ! -
Eine verbesserte Auflage von der altmodischen Form : besser Ritter , als Knecht ! " -
rief man durcheinander .
" Warum denken die Fürsten nicht Belohnungen aus , welche auf ihre Kosten gehen ? "
" Weil es ihnen bequemer ist , auf die unseren zu geben . "
" Und weil der Belohnte so sehr viel lieber " von " vor seinen Namen schreibt , als " Ritter des und des Ordens neunundneunzigster Klasse " - hinter denselben der Kürze wegen ! "
" Der Adel sollte beim Bundestage einkommen gegen diesen Mißbrauch . "
" Den die Fürsten treiben ! wir sind keine Reichsritterschaft mehr und müssen uns Alles gefallen lassen , vom Plebs des Volks und der Fürsten . "
" Und dann , " sagte Faustine , " klingt Herr von Fischer von Schmerlenbach und Herr von Schwarz von Mohrenland so durch und durch plebejisch , daß es keiner Seele einfallen wird , sie in einer alten Chronik oder einem Turnierbuch zu suchen ; und das ist ja der alleinige Spaß , den wir noch von unseren Namen haben . "
" Ich verlange keinen Spaß von meinem Namen , gnädigste Gräfin , sondern Ehre . "
" Daß weiß ich , Graf Kirchberg , " antwortete sie freundlich ; " weil Letzteres lediglich von unserer Persönlichkeit abhängt , so hat es ja gar keinen Einfluß auf Sie , ob der Herr Peter - Baron von Petershausen wird .
Dalberg und Berlichingen klingen doch anders , nicht bloß für unser Ohr , auch für das unserer Gegner und Rivale , und das eben , daß etwas Unfaßbares darin liegt , etwas Idealisches , tönender als der Geldbeutel , gewichtiger als Berge von Akten , zauberhafter als die schwarze Kunst der Industrie - das ist mein Gaudium !
Ich bitte um Verzeihung wegen dieses Studentenausdrucks , aber ich bleibe beim Gaudium ! -
Die Leute zucken die Achsel über den leeren Schall des Wortes : er ist von Adel ; sie machen sich lustig über den Adel , sie suchen bald ihn mit Füßen zu treten , bald ihn zu überflügeln , sie coudoyiren ihn - hier mit der sterilen Aufgeblasenheit des Reichtums , dort mit dem würdigeren Bewußtsein des Verdienstes , und wenn ihnen die Möglichkeit eröffnet wird , in die Reihen der gehöhnten Kaste einzutreten , so wischen sie den plebejen Schweiß von der Stirn , holen Atem , lassen sich nieder , kurz , sie zeigen , daß sie am Ziel sind .
Meine lieben Freunde , ist denn das kein Gaudium für uns ? "
" Man kann sich freilich über Alles lustig machen , " sagte Kirchberg , " aber diese Sache hat doch auch ihre sehr traurige Seite .
Freilich lassen diese Leute , eingedrängt und eingeschoben - gleichviel ! sich zwischen uns nieder , und dafür drängen sie uns , wie der Kuckuck den Hänfling , aus dem Neste .
Sie bekommen den Grundbesitz in die Hände .
Viehhändler , Fabrikanten , Banquiers kaufen uraltadlige Herrschaften .
Der Erdboden wird unterminiert für die Aristokratie ; sie steht nur noch auf einer dünnen Erdschicht - überall ! sogar in Österreich , wo der Bankier Sina jährlich für mehrere Millionen ungarische Besitzungen kauft , und wo überhaupt die ganze Finanz mit unbeschreiblich bitterem Haß dem Bestehen der Aristokratie zusieht .
Sie können ihr ihren frivolen Übermut nicht vergeben ! als ob ein schwerfälliger besser wäre !
Wenn diese Leute oben sein werden , so werden sie mit Fäusten schlagen , wo wir mit dem Schwert . "
" O der Übermut , der uns immer zum Mißbrauch der herrlichsten Gaben und Kräfte verlockt , " rief Faustine , " ist für Völker und Individuen das , was ich die Erbsünde nenne . "
" Ach wie gut , " sagte eine Dame , " daß ich endlich einmal eine verständliche Erklärung von der Erbsünde bekomme !
Bitte , gute Gräfin , können Sie mir nicht eben so kurz und faßlich erklären , was Sie unter der Sünde gegen den heiligen Geist verstehen ? "
" Die Dummheit , " - sagte Faustine .
" Oh ! " rief die Dame bestürzt .
" Ja , die Dummheit , die sich gegen die bessere Erkenntnis sträubt . "
" Weil ihr die Einsicht fehlt . "
" Nein , weil es nicht in ihren Kram paßt .
Die dümmsten Leute sind pfiffig und schlau , wenn es ihren Vorteil gilt , und nur dumm , wenn ihnen die Sache gleichgültig , aber stockdumm , wenn sie zu ihrem Nachteil ist .
Was der Mensch nur ernstlich verstehen will , das versteht er auch . "
Nach diesen Worten wickelte Faustine sich in ihre Mantille und glitt aus dem Salon .
Als Mario endlich mit einem erlösungsfrohen :
" Matt ! " die Augen aufschlug , war sie verschwunden .
Er tat innerlich das Gelübde , in drei Monaten kein Schachbrett anzusehen - so ärgerlich war er .
Lady Geraldins Versicherung :
sie habe sich gut unterhalten - was eine große Auszeichnung für ihn sein sollte - dünkte ihn gar kein Ersatz .
Er hatte zwar kein Wort von dem verstanden , was Faustine gesagt , allein es schien ihm , als habe ihr allerliebster Mund das Brevet empfangen , nichts Alltägliches vorzubringen .
Er war im höchsten Grade verstimmt .
Faustine schrieb an Andlau :
" Anastas , mein Viellieber , komme bald zurück , ich beschwöre Dich .
Zehn Tage sind es erst , seit Du gegangen , aber jeder Minute in diesen zehn Tagen habe ich ihre Länge angefühlt , habe empfunden , daß sie sechzig Sekunden hat .
Du wirst mir Vorwürfe darüber machen , wirst mir sagen , ich sei nicht einfältig genug , um mir selbst einen solchen Dämmerungszustand zu erlauben , und dies und das ! aber wie soll ich ihn denn vermeiden ?
Bin ich allein , so denke ich : Allons , meine Hände und Gedanken , tummelt euch , zerstreut mich .
Bin ich unter Menschen , so möchte ich ihnen dasselbe zurufen .
Aber eine Zerstreuung auf Kommando ist ein Handwerk , welches nur in der untergeordneten Sphäre unserer Tätigkeit getrieben wird .
Rede ich , so tut es mir leid , daß Du mir nicht zuhörst ; schweige ich , so tut es mir leid , daß meine Gedanken so in der Stille umkommen .
Es ist ein Nichtgenügen in dieser Existenz , welches mich aufreibt , weil doch immer der brennende Wunsch da ist , es auszufüllen .
Menschen , welche große Heilige geworden sind , müssen durchaus auf diesem Punkt gestanden haben , als sie sprachen :
Ich will mich aufmachen und zum Vater gehen ! -
Aber es gehört ein gewaltiges Genie dazu , um ein Heiliger zu werden ; ich meine , ein gewaltiges , beflügeltes , weltüberwindendes , Glück und Schmerz geringachtendes Herz ; und was ich von diesen Eigenschaften besitze , reicht nur gerade aus , mich an das Deine zu legen .
- Du wirst sagen : ich sei im vergangenen Sommer und auch früher schon auf einige Wochen von Dir getrennt gewesen , und hätte mich darein geschickt .
Ja , Herz ! im Sommer !
da ist es ganz anders , weil die Natur mir zugänglich ist .
Die Sonne ist mein Plafond , der Himmel repräsentiert meine vier Wände , da gibt's Freiheit und Schönheit , Lust und Leben .
Jetzt bin ich eingemauert wie eine verbrecherische Nonne , bedrückt , geängstigt .
Der Sturm heult , es regnet und schneit durcheinander , die Wolken wissen nicht , wohin sie sollen , die Paar armen dürren Blätter , welche noch am Baum festhielten und welche jeder Windstoß abwirbelt , wissen nicht , was mit ihnen geschehen wird , und flattern gepeinigt umher , die Bäume ringen in Verzweiflung ihre Äste , wie dürre abgemagerte Hände , und es geht ein Ächzen und Heulen und Wimmern durch die Natur .
Wie sollte ich diese Desolation nicht empfinden !
ich fürchte mich - und es kann mir doch Niemand ein Leid tun !
mich friert - und es ist doch ganz warm und behaglich in meinem Zimmerlein !
Furchtsam und zitternd möchte ich mich verbergen und erwärmen an Deiner Brust , mein Freund !
mein Engel ! -
Wenn nur kein Unglück einbricht ! auf diese unbestimmte Angst sollte ich gar nichts geben , weil sie mich immer fern von Dir überfällt ; aber doch sehe ich mich um in der Welt nach der Wolke , die über meinem Haupte hängt , und wage nicht einen Schritt vorwärts zu tun , aus Besorgnis vor einem verborgenen Abgrund . - - - So weit schrieb ich gestern Abend .
Weil lauter Gespenster um mich tanzten , mochte ich nicht unter ihrem Einfluß den Brief beenden ; ich ging schlafen , und heute , wo die Sonne am Himmel steht , habe ich meine Bangigkeit ziemlich verloren .
Beachte sie nicht , d.h. halte mir keine Strafpredigt deshalb .
Ich weiß selbst , wie wenig es sich für einen verständigen Menschen schickt , gleich einer Wetterfahne abhängig von Wind und Wetter zu sein .
Aber bedenke die geringen Anlagen , welche ich zu einem verständigen Menschen habe , und Du wirst Nachsicht üben - gelt ? -
Überdies bin ich selbst meiner Gespensterscheu müde , - ich will arbeiten ! das bannet böse Geister .
Und wer kann mir denn etwas anhaben ?
Draußen scheint die Sonne , freilich nur ein mattes , schwächliches Novembersonnchen , weil die Erde an ihrem Gängelband so weitab gelaufen ist , als sie nur kann ; aber drinnen wohnt die Liebe , und gar nicht novemberlich , glaube mir !
Darum werde ich gut malen !
Der Genius der Kunst hat einen so starken Flügelschlag , daß er meine Atmosphäre mit dem reinsten , feinsten Äther erfüllt .
A tout prendre , Anastas , bin ich doch eins der glücklichsten Geschöpfe auf der wunderschönen Gotteswelt .
Das muß Dich unaussprechlich glücklich machen ; denn was ich von Glück weiß , weiß ich durch Dich .
Gott mit Dir , wie ich es bin ! "
Sie führte ihren Vorsatz aus und widmete sich mit dem regesten Eifer der Malerei .
Sie malte den ganzen Tag ; sie speiste in später Stunde , um keine Zeit zu verlieren .
Dann , um etwas frische Luft zu atmen , fuhr sie spazieren , weil sie im Finsteren nicht gehen konnte .
Endlich beschloß sie ihren Tag damit , daß sie die Abendstunden mit ernster Lektüre von geschichtlichen Werken hinbrachte .
Für die Gesellschaft war sie unsichtbar .
Frau von Eilau , Feldern , Graf Kirchberg besuchten sie zuweilen am Abend .
Letzterer fragte einmal :
" Wie lange denken Sie dies einsiedlerische Leben fortzuführen , Gräfin ? "
" Ich weiß nicht , " sagte sie , " aber es ist mir so angenehm , daß ich es gern immer führte .
Man muß nur den Kopf sehr voll und die Phantasie sehr beschäftigt haben , um es zu ertragen und Vergnügen daran zu finden .
Ich vermisse nichts , denn meine guten Freunde suchen mich auf . "
" Aber wir vermissen Sie in größeren Zirkeln . "
" In Gottes Namen ! " sagte Faustine lachend .
" Sie glauben es nicht ? " rief er eifrig .
" Ja , ja ! ich glaube es sehr gern ! die Leute unterhalten sich gut mit mir , weil ich immer sage , was ich denke , immer von innen heraus rede , und das ist ihnen neu .
Aber was habe ich davon , für gleichgültige Menschen eine Amüsements-Maschine zu sein ? "
" Allgemeines Interesse zu wecken und zu gewähren , ist ein Vorzug , um den Tausende Sie beneiden würden , und den Sie nicht so spöttisch wegwerfen sollten .
Jeder reichbegabte Mensch hat eben durch seine Gaben die Verpflichtung übernommen , sie im weitmöglichsten Kreise wirksam werden zu lassen .
Tut er es nicht , speichert er seine Schätze auf , sei es des Goldes , sei es der Wesenheit .... "
- " So ist er ein Geiziger ! " unterbrach Faustine .
" Ach , guter Graf , der Vorwurf trifft mich nicht .
Gibt es ein Geschöpf , das immer und ewig zu geben bereit ist , so bin ich es - nur nicht für alle Welt !
Und wenn ich es bedenke - ja selbst für alle Welt !
ich lüge nicht , ich heuchle nicht , ich verstecke nicht meine Herzensempfindung , ich gebe immer Wahrheit - wer tut mir ein Gleiches ? "
" Aber Sie weisen doch zuweilen Menschen von sich ab . "
" Wenn ich fühle , daß wir nicht zusammenpassen . "
" Nein , von Hause aus . "
" Ich bitte um ein Beispiel . "
" Nun , als Feldern Sie vorgestern gebeten hat , Ihnen seinen Freund Graf Mengen vorstellen zu dürfen , haben Sie es ganz verdrießlich abgelehnt . "
" Verdrießlich ? o das ist ein Feldernscher Einfall !
er ist ein wenig empfindlich , der gute Feldern , und wenn ich nicht gleich auf der Stelle mit offenen Armen seinem Freund entgegen eile , so spricht er : ich sei verdrießlich .
Ich habe ihn nur gebeten , noch ein wenig zu warten .
Wenn ich in besserer geselliger Laune sein werde , will ich Graf Mengen herzlich gern empfangen . "
" Ist es Ihnen nicht sehr auffallend , daß der sonst allerdings höchst empfindliche Feldern das Verhältnis zu Fräulein Stein erträgt ? "
" Wie so ?
was ist vorgefallen ? "
" O gar nichts !
sie zeigt nur eine äußerst geringe Sehnsucht , seine Frau zu werden . "
" Es schickt sich nicht anders . "
" A la bonne heure ! aber sie zeigt dezidiert das Gegenteil ! "
" Herr des Himmels ! " rief Faustine , " er wird sie alsdann doch nicht heiraten ? "
Kirchberg zuckte die Achseln .
Sie fuhr fort : " Lieber Graf , gehen Sie auf der Stelle zu Feldern und bitten Sie ihn , zu mir zu kommen . "
" Wollen Sie ihm verbieten , sie zu heiraten ? können Sie es ? -
Sonst aber .... was haben Sie ihm über diesen Punkt zu sagen ? "
" Nichts , als ihn zu beschwören , sie nicht zu heiraten . "
" Das ist mißlich , teure Gräfin .
Vielleicht wird er es von selbst nicht tun , denn die Hochzeit ist ins Ungewisse verschoben , bis zur gänzlichen Herstellung von Fräulein Stein ; und ich glaube - die erfolgt nie .
Was wollen Sie sich in unbehagliche Verhältnisse mischen , da beide Personen Ihrem Herzen nicht nah genug stehen , um Ihnen über das Verdrießliche einer solchen Einmischung hinweg zu helfen - für die man ohnehin selten Dank findet ? "
" O ihr Weltmenschen ! " rief Faustine .
" Oberflächliches Herumtreiben in der Gesellschaft begehrt Ihr von mir ! schwatzen und tanzen , witzeln und kokettieren soll ich !
Wenn ich sage : das langweilt mich - so antwortet Ihr ganz ernsthaft :
Es ist Pflicht , mit den Nebenmenschen umzugehen !
Und wenn ich es dann auf meine Weise tun will , so heißt es : Halt ! halte !
nur nicht mit der Tür ins Haus gefallen ! nur nicht gleich treuherzig die Hand geschüttelt ! nur kein ehrliches , wohlmeinendes Wort gesprochen !
nur immer geflittert und geflattert - das ist ganz genug ! -
O Kirchberg , ich mag Euch Menschen nicht leiden . "
" Ich verdenke es Ihnen nicht , holde Gräfin , ich mag sie auch nicht leiden , und eben darum ist es eine solche Erquickung , einem Wesen wie Ihnen zu begegnen , daß Sie vor Keinem Ihr Dasein verhüllen sollten . "
" Sie sind en train mir Liebenswürdigkeiten auszukramen , " sagte Faustine lachend ; " ich kann sie nur leider gar nicht brauchen .
Ein Paar Notizen über Feldern wären mir lieber . "
" Die kann ich leider nicht geben ! " antwortete Kirchberg in demselben Ton , und ging .
Schon zwei Monat waren vergangen ; Andlau kam nicht wieder .
Die Geschäfte seiner verstorbenen Mutter waren in großer Unordnung .
Seine Brüder hatten lebhafte Neigung , ihren Nachlaß zu teilen , gar keine - ihn zu entwirren .
Er stand mit seiner grandiosen Uneigennützigkeit so frei zwischen ihnen beiden , daß sie gleiches Vertrauen zu ihm hegten und ihn beschworen , das Ganze in seine Hand zu nehmen , um es zu schlichten .
" Das Gut meiner verstorbenen Mutter muß erst verkauft werden - schrieb er an Faustine - das mag sich bis zum Frühling hinziehen :
so lange müssen wir Geduld haben , meine Ini !
dann bin ich frei , und doppelt meiner Freiheit froh , weil ich sie durch ein Opfer mir erkauft habe .
Meine Geschäfte sind langweiliger Art !
ich muß hier und dorthin fahren , muß mit diesen und jenen Leuten unterhandeln - nun , das ist nichts für Dich ! Dir soll ich von anderen Dingen erzählen !
Süße und Liebe , wer kann auch anders , als von süßen und lieblichen Dingen zu Dir sprechen ? wer kann anders , als zu Deinen Füßen niedersinken und Dich anbeten , nicht weil Du schön , nicht weil Du anmutig bist , nicht weil Du diesen oder jenen Vorzug hast , sondern nur weil es eine Wonne ist , ein Geschöpf anzubeten , das , wie von silbernen Flügeln getragen , über die staubige Erde hingeht .
Der Gedanke an Dich ruhet mich aus , wenn ich müde bin von dem künstlichen Treiben der Menschen ; erfrischt mich , wenn mir die Seele welk wird von ihrem Lügenhauch ; erhebt mich , wenn Zweifel an Treue und Wahrheit mich beschleicht .
Du bist für mich das Kompendium der Schönheit .
In Dir habe ich Alles vereint , und ein Atom Deines Wesens beseelt mir jede Erscheinung des Lebens .
Die Frauen haben größeren Einfluß auf die Männer , als umgekehrt .
Sie sind so subtil , daß sie in das gesamte Lebensgeäder des Mannes wie Balsam oder wie Gift eindringen .
Obgleich es ihrer Eitelkeit schmeichelt , wollen die Frauen doch nichts von diesem immensen Einfluß wissen , weil sie sich vor der Verantwortung fürchten , welche er nach sich zieht .
Aber er ist unleugbar .
Hier stirbt ein Mensch , weil ihm seine Liebste untreu gewesen ist , ein gemeiner Mensch - höre an die Geschichte :
Es war ein wunderhübsches Bauermädchen auf dem Gut meines jüngsten Bruders , das einzige Kind ihrer Eltern , der Stolz des Dorfes , Braut von einem jungen Knecht , der nicht reich war , nicht hübsch , kurz keine anderen Vorzüge hatte , als den , daß er sie und sie ihn liebte .
Ein reicher Bauersohn aus der Nachbarschaft , so wie ein Jäger meines Bruders , hatten um das Mädchen geworben und waren spöttisch abgewiesen worden ; sie hatte ihren Schatz !
Diesen Herbst sollte die Hochzeit sein .
Ehe es so weit kam , schien wohl eine Veränderung mit dem Mädchen vorgegangen , aber wie das gewöhnlich geht : das fiel Allen erst ein , nachdem die Sache sich aufgelöst hatte .
Drei Tage vor der Hochzeit geht sie mit ihrem Bräutigam zum Jahrmarkt in die Stadt .
Da tritt bei einer Bude ein junger Soldat , etwas betrunken , zu ihr heran , und sagt ein Paar Worte , die das Mädchen und ihren Bräutigam zittern und erbleichen machen .
Letzterer ruft dem Soldaten zu :
» Du lügst ! « und der erwidert lachend :
» Es steht ja der Verena auf die Stirn geschrieben . «
Da , ohne sich einen Augenblick zu besinnen , ohne ein Wort zu sprechen , nimmt der Knecht das Messer , welches er eben gekauft , und stößt es dem Mädchen bis ans Heft in den Busen .
Sie starb binnen vier und zwanzig Stunden , unaufhörlich wiederholend , daß ihr Liebster ganz recht daran getan , sie zu töten , denn sie sei ihm falsch gewesen und habe auch keinen ruhigen Tag mehr gehabt , seit sie sich mit dem Soldaten zu weit eingelassen .
Der Soldat , schnell ernüchtert , beschwor die Ärzte , das Mädchen zu retten , und beteuerte immer bei Seele und Seligkeit , er habe nur in trunkenem Mute gesprochen , er wisse nichts von dem Mädchen .
Der unglückliche Mörder , in Kerker und Banden , sagt nichts als :
» Ich will sterben , denn das Verenli ist falsch gewesen und die Welt taugt nichts . «
Weiß der Himmel , welch Urteil man ihm sprechen wird .
Ist das nicht eine hübsche Geschichte ?
Du meinst , nur in höheren Ständen , unzerstreut durch Arbeiten und geringe Bedürftigkeiten der Existenz , könne sich die Liebe bis zur intensesten Leidenschaft ausbilden , und nichts halte ihr besser das Gleichgewicht , als wenn man sich um das tägliche Brot bemühen müsse .
Hier hast Du einen Beweis vom Gegenteil .
Vielleicht ist es eine Ausnahme ; wie ich denn überhaupt eine gewaltige , dauernde Liebe zu den Ausnahmen rechne , beim Volk und bei den Vornehmen .
Jene kommen nicht dazu , weil ihre Seelenkräfte unentwickelt bleiben beim sterilen Handwerk ; diese , weil das hohle , entnervende Treiben der Gesellschaft auf sie wirkt , wie Regenschauer auf Vogelflügel :
sie verlieren ihre frische Elastizität .
Und selbst wenn bei allen Klassen die Energie sich vollkommen entfaltet hätte , so würde man deshalb kaum häufiger die Liebe finden , denn sie ist wie das Genie etwas , was man empfängt , nicht erstrebt ; und man könnte sie in ihrer Unwillkürlichkeit kapriziös nennen , wenn man sie nicht lieber göttlich nennen mag .
Lebe wohl , Du - meine Göttin mag ich nicht sagen :
sie steht kläglich außer dem Bereich des Lebens , als habe sie Schiffbruch gelitten !
Mein Engel - ist so abgebraucht wie die Rosenwangen und Lilienhände der Dichter , welche nach gerade ganz welk sein müssen !
Was bleibt da übrig als : meine Ini , lebe wohl . "
Als Faustine diesen Brief empfing , war sie fertig mit ihren Gemälden , fertig mit ihren Büchern , fertig mit Phantasie , Beschäftigung und Geduld .
Sie hielt es für eine Unmöglichkeit , wenigstens drei Monat noch diese Lebensweise fortzuführen , denn nicht ihr Körper allein , auch ihr Geist wurde abgemattet durch die wechsellose , spannende , schaffende Richtung ihrer Gedanken .
Wenn mir der Himmel doch irgend etwas recht Schönes bescheren wollte , dachte sie , so eine echte Weihnachtsfreude , ich könnte sie brauchen .
Es war ganz dunkel in ihrem Zimmer , sie lag auf dem Sofa von wachen Träumen so umschwirrt , daß sie fast dem Einschlafen nahe war , denn sie hatte angestrengt gemalt , um keine unvollendete Arbeit ins nahende neue Jahr hinüber zu nehmen .
Sie hörte die äußere Tür des Vorzimmers aufgehen , hörte darin flüstern und leise auftreten ; aber sie mochte nicht klingeln und fragen , was es da gebe .
Plötzlich fiel ihr ein , Andlau könne sie mit seinem Besuch überraschen wollen , und sie sprang auf .
Doch eben so schnell nahm sie ihre vorige Stellung wieder ein , der Scherz sollte ihm ganz gelingen , sie wollte ihn erst erkennen , wenn er vor ihr stand .
Sie blieb unbeweglich ; nur ihr Herz schlug atemraubend in jubelnder Erwartung .
Die Tür ging auf .
Kaum aber war eine Männergestalt eingetreten , von der Faustine nicht einmal die äußeren Umrisse erkennen konnte , so wußte sie auch , daß dies nicht Andlau war .
Sie richtete sich auf , schellte , und fragte zu gleicher Zeit mit eiskaltem Tone :
" Wer ist so gütig , mir diesen seltsamen Besuch zu machen ? "
" Ich ! nehmen Sie es nicht übel " - war die Antwort .
" Clemens Walldorf ? willkommen tausendmal ! -
Aber , Bester , man läßt sich melden bei einer Dame . "
" Ich fragte Ihre Kammerfrau , ob Sie zu Hause , allein , und wohl wären .... "
- " Da wußten Sie freilich Bescheid , aber ich nicht ! -
Und was wollen Sie denn nun eigentlich hier in Dresden ? "
Es war eine Lampe hereingebracht und vor ihr auf den Tisch gestellt ; sie war zufällig wundervoll beleuchtet .
Glänzende Lichtstreifen fielen auf ihr schwarzes Atlaskleid und verrieten ihre liebliche Gestalt .
Der weiche Nacken , die zarten Hände tauchten aus den dunklen Falten auf , und die Farben , welche dem Anzug fehlten , lagen alle auf ihrem holden Antlitz .
Clemens war bewundernd in ihren Anblick versunken , und vergaß zu antworten .
" Bitte , geben Sie mir meinen Arbeitskorb von jenem Tische , " sagte Faustine ; " ich finde es zwar nicht sehr verbindlich , Tapisserie neben der Unterhaltung zu machen , aber Sie scheinen kein Freund der Conversation zu sein und deshalb auch wohl kein Feind der Tapisserie . "
Clemens ermannte sich , holte den Korb ; statt ihn aber ihr zu geben , behielt er ihn und sagte : " Sie fragten , was ich hier wolle ? nun , zum Beispiel den Inhalt dieses Körbchens besehen .
Darf ich ? "
" Bürden Sie sich doch nicht mutwillig die Plage des Besehens auf , hier , wo wirklich Augen und Seele zum Genuß mannigfacher Schönheit aufgespart werden sollten . "
Clemens untersuchte genau die kleinen Arbeitsgerätschaften des Körbchens : " Fingerhut und Schere von Kokosnuß ? das ist sauber gemacht und dauerhaft nebenbei , zu dauerhaft für eine vorübergehende Mode .
Ein Flacon von Hyalit , ein Bleistift in Schildkröte :
Etui mit Silber eingelegt - niedlich !
Aber welche abscheulich plumpe Nadelbüchse von Porzellan ! "
" Abscheulich ?
Unglücklicher !
sie ist anbetungswürdig , denn sie ist Rokoko . "
" Ein Erbstück Ihrer Urgroßmutter vielleicht , und respektabel als solches .... "
- " Nichts von respektabel !
das ist ein unmodisches Wort , und Rokoko ist modisch par excellence . "
" Wie Sie befehlen ! wenn es nur nicht schön sein soll .
Dies Täschchen von russischem Leder mit Ihren Visitenbillets gefällt mir besser .
Ah ! ein Brief . -
( Es war Andlaus letzter Brief . ) -
Es muß angenehm sein , Ihnen schreiben zu dürfen . "
" Viel angenehmer , mit mir zu plaudern . "
" Sind Sie mit mir zufrieden , daß ich Ihnen nicht geschrieben habe ? "
" Ich bin ganz damit zufrieden . -
Jetzt legen Sie die Sächelchen wieder hübsch ordentlich in den Korb .
So .
Das grüne Gewölbe wäre exploitiert ! "
Sie lachte so munter , daß Clemens auch ganz heiter wurde .
Er rief : " Dresden gefällt mir herrlich .
Morgen besehe ich die Bildergalerie - die Ihre . "
Feldern Eintritt störte seine Heiterkeit , und noch mehr störte es ihn , daß Faustine sagte :
" Meine anachoretische Laune ist vorüber !
ich werde viel ausgehen und mich sehr freuen , wenn man mich häufig besucht .
Graf Mengen , mein bester Feldern , soll mir sehr willkommen sein .
Ich schmachte förmlich nach Gesellschaft , nach Mitteilung , nach Anregung . "
" Und warum haben Sie es zu diesem Punkt kommen lassen , gnädige Gräfin ? "
" Künstlerlaune , lieber Feldern !
ich bin zwar nur eine armselige kleine Dilettantin , aber ich habe große Anlagen zu einer echten Künstlerin , nämlich immense Launen .
Ich treibe Alles by fits and Starts . "
" Dadurch wird die tiefe Einheit Ihres Inneren doppelt interessant . "
" Alle Welt sagt , ich sei interessant !
ich wüßte gern , was sich alle Welt unter diesem Worte denkt - und ob überhaupt etwas . "
" Ein Gemisch von Eigenschaften , die sich scheinbar widersprechen : tiefer Ernst und Kindesheiterkeit , z.B. eine sanfte Seele und ein starkes , mutiges Herz , Laune und Gemütlichkeit , männliche Entschiedenheit und jungfräuliche Grazie - "
" Habe ich denn das Alles ? " fragte Faustine verwundert .
" Nein , weit mehr , " sagte Clemens trocken .
Feldern sah ihn überrascht an , er glaubte bereits den höchsten Grad der Bewunderung an den Tag gelegt zu haben .
Faustine sagte : " Lieber Feldern , ich empfehle Ihnen diesen meinen jungen Freund hier , Herr von Walldorf , Bruder meines Schwagers , der hergekommen ist , um recht gründlich Dresden kennen zu lernen . "
" Ganz und gar nicht , " sagte Clemens , wieder sehr trocken .
" So geben Sie selbst Ihre Gründe an , " entgegnete Faustine .
" Ich bin gekommen , um Sie zu sehen , und nun da diese Absicht erreicht ist - "
" Fahren Sie nach Oberwalldorf zurück ? " rief sie lachend .
" Will ich schlafen gehen . "
" Um morgen in besserer Stimmung wiederzukommen - hoffe ich . "
Feldern sah dem Abgehenden nach und sagte : " Der junge Mann scheint keine besonders gute Erziehung genossen zu haben . "
" Keine gute , das ist wahr ! aber zum Glück auch keine schlechte , sondern gar keine .
Daher fehlt ihm Manches , aber verdorben ist nichts .
Nehmen Sie sich freundlich seiner an . "
" Sobald Sie ein Gleiches für meinen Freund Mengen tun . "
" O der hat es nicht nötig , ist seit sechs Monaten hier , hat festen Fuß gefaßt in der Gesellschaft und überall - "
" Wenn Sie wüßten , wie er Ihre Bekanntschaft wünscht ! "
" Sonderbar ! was weiß er denn von mir ? "
" Er hat Sie zweimal gesehen , in der Ferne zwar nur - "
" Ach , " rief Faustine , " er hat mich gesehen !
Ja , dann begreif ich . "
- Feldern lächelte .
" Warum lächeln Sie ? " fuhr sie fort ; " muß ich Ihnen denn auseinandersetzen , was doch sehr einfach , daß der frische , unvorbereitete Eindruck einer Persönlichkeit genügend ist , um uns ihre Bekanntschaft wünschen oder meiden zu lassen .
Dann haben wir keine Vorurteile für oder gegen , und die unbefangene Seele weiß , was sie brauchen kann und was nicht . -
Es ist wirklich ein Jammer , daß man gar nicht mehr unbefangen sprechen darf !
Alles wird uns als Eitelkeit gedeutet . "
" Wenn die Deutung Sie nicht trifft , so werden Sie mir deshalb nicht zürnen . "
" Nein ! nur bedauern , daß Sie sich selbst um das Vergnügen bringen , an die Unbefangenheit zu glauben . "
" O Gräfin , man muß sehr jung , sehr unerfahren , oder sehr verliebt sein , um das zu glauben - nicht den Frauen gegenüber : das ist unmöglich !
Nur einer einzigen Frau gegenüber !
Es liegt ein Abgrund von Lügenhaftigkeit in ihnen ! "
Faustine entsetzte sich fast , den sonst so gemessenen , vorsichtigen Feldern so heftig sich äußeren zu hören .
Welche Erfahrung , welche Kränkung mußte ihn getroffen haben , um einen so ungewöhnlichen Ausbruch zu veranlassen ! -
Ehe sie noch eine Erwiderung gefunden , wendete aber Feldern das Gespräch , indem er sagte : " Also morgen darf ich Mengen herführen , und Sie entschuldigen , daß es früh geschehen wird , denn ich muß hinausreiten , und die Geschäfte wälzen sich erdrückend auf mich . "
Er ging bald .
Was sind das alles für confuse Zustände ! dachte Faustine ; darf man sich gar nicht mit den Menschen einlassen , ohne im Sturm umgewirbelt zu werden , wie jene Verdammten in Dantes Hölle ?
Darf man Keinem die Hand reichen , ohne befleckt oder verwundet zu werden ?
Und warum stehe ich denn so friedlich-glücklich zwischen all dem Wirrsal ?
O mein Anastas !
- " Endlich ! " sagte Mario , als er am nächsten Tage vor Faustine stand .
" Grade zu rechter Zeit ! " sagte Faustine .
Beider Blicke begegneten sich und sanken in einander wie zwei gefaltete Hände .
Er fühlte , daß die ungekannte Königin seiner Seele ihm nahe war .
Er sprach ungewöhnlich wenig ; er ließ Feldern reden , und Kirchberg , den er schon vorfand , und Clemens , der später kam , und sie , die allein für ihn mit süßer Melodie und nicht mit Schellengeklingel redete .
Und wenn sie es tat , so sah er sie an mit einer Befriedigung , als habe er durch ein glückseliges Ungefähr die Lösung eines seltsamen Problems gefunden .
Clemens sah sie an mit gespannter Unruhe , mit leidenschaftlicher Angst , ob ihr Auge länger , lieber auf einem anderen Gegenstande Ruhe ; Mario - als wolle er seinen Blick zu einem Teppich machen , der ihr zartes , traumähnliches Wesen ungefährdet und unverletzt tragen dürfe .
Heute , bei hellem Tageslicht und in der Nähe , kam sie ihm nicht so blendend vor wie im Salon von Frau von Eilau , nicht so majestätisch wie auf der Terrasse ; das eigene Zimmer gab ihr einen Anstrich von traulicher Häuslichkeit .
Sie selbst und Alles um sie her war so friedlich , so bequem .
Kein Fußtritt war auf dem starken Teppich zu hören ; tiefdunkelrote Vorhänge fielen lang über die Fenster herab , verhüllten die Aussicht auf Schnee und Reif , fingen den matten Strahl der Wintersonne auf und gaben ihm eine glühendere Färbung .
Die Tür nach einem zweiten Zimmer war geöffnet ; auch dort dieselbe blaßgraue Tapete , derselbe Teppich , dieselben dunkelroten Vorhänge .
Diese gleichmäßige Farbentemperatur tat dem Auge , und dadurch auch der Seele wohl .
Es war nur Alles so schnurgerade verschieden von dem , was man sonst zu erblicken pflegt !
Ein Gemälde hing in dem ersten Zimmer , auch eins von denen , welche man nicht häufig sieht : es war eine sehr gelungene Kopie vom Titianischen Christus mit dem Zinsgroschen , von der Dresdner Galerie .
Clemens fragte , ob sie es gemalt .
" Nein , " sagte sie , " ich kann nicht kopieren .
Ich tue vorschnell stets etwas von dem Meinigen hinzu , und das wäre doch Jammerschade um dies himmlische Bild gewesen . "
" Keins von allen auf der ganzen Galerie hat mich so angezogen , wie dieses Bild , " sagte Mario , " und überhaupt niemals habe ich einen Christus gesehen , der mit seinem feinen , durchschmerzten , edlen , und so überaus geistreichen Gesicht , mehr der Idee entsprochen hätte , mit welcher ich ihn verkörpere . "
" Das freut mich ! " rief Faustine ; " es teilen gar Wenige meine Vorliebe .
Im Allgemeinen finden die Christausbilder von Guido Reni , Carlo Dolce und Bellini mehr Beifall .
Es kommt immer auf die Idee an , welche wir selbst davon mitbringen .
Mir scheint , Himmel und Erde sind wohl nie in einem so engen Raum , mit so geringen Mitteln , in so grandioser Simplizität zusammengestellt worden . "
" Aber können Himmel und Erde sich je so nah kommen , wie in diesem Gemälde ? " fragte Mengen .
" O sie sind es ja immer ! immer ! " rief Faustine lebhaft ; " immer und ganz untrennbar !
aber dennoch so weit geschieden wie Christus und der Pharisäer , wie Himmel und Erde bleiben , wenn sie auch in unserem Horizont sich vereinigen .
Denn die Sinne vereinen nur , und die Seele trennt . "
" Und vereint ! "
" Aber einzig und allein das Gleichartige - und das nenne ich Liebe . "
Leichenblässe legte sich bei diesen Worten über Feldern Züge .
Er stand auf und ging .
Faustine sah Kirchberg fragend an ; der machte ein diplomatisch ablehnendes , lächelndes Gesicht , und sie erschrak wie Jemand , der zu viel gefragt hat .
Mengen sah das und sagte ruhig : " Die Partie geht wahrscheinlich zurück , weil die beiden Leute sich durchaus nicht konvenieren .
Mir war das auf den ersten Blick klar . "
" Man sagt - " sprach Kirchberg .
" Das ist nicht wahr ! " rief Faustine .
" Was denn , gnädige Gräfin ? " fragte er befremdet .
" Ein : man sagt ! ist von Hause aus nicht wahr , " wiederholte sie .
" Wohl möglich und ich will es wünschen ! indessen sagt man doch , daß eine Liaison de bas Etage die Heirat unmöglich mache . "
" Kirchberg ! " sprach Faustine mit ganz leiser , gedämpfter Stimme und ihre Augen sprühten Funken ; - sagen Sie von einer Frau , was Sie wollen ! es wird schlecht von Ihnen sein , aber es tut nichts .
Doch von einem Mädchen , einem schönen jungen Mädchen - wie wagen Ihre Lippen das ! -
Vor den Frauen habt ihr Männer keinen Respekt mehr , et elles vous le rendent bien ! aber vor den Mädchen habt doch um Gottes Willen noch Achtung , denn aus deren Reihen wollt ihr ja eure künftigen Gattinnen , die Mütter eurer Kinder wählen !
ich begreife wirklich nicht , daß ihr vor diesen Geschöpfen nicht das Knie beugt .
Es rührt wohl daher , daß kein Mann sich vorstellen kann , was es eigentlich ist : ein Mädchen .
Er sieht immer das Unvollendete , das Unentwickelte darin ; ich sehe das Unangetastete .
Ach , ich wollte , alle Mädchen stürben in ihrem achtzehnten Jahr . "
" Dieser Wunsch würde wohl keinen Anklang bei den jungen Damen finden , " entgegnete Kirchberg lachend .
" Ich meinte nicht die jungen Damen - die können meinetwegen leben , bis sie alte Damen werden , " sagte Faustine , - " sondern die Mädchen . "
" Ich finde da in der Tat keinen Unterschied . "
" Keinen Unterschied ! " rief Faustine , in höchster Verwunderung die Hände zusammenschlagend ; - bester Walldorf - Graf Mengen - weiß wirklich keiner der Herren den Unterschied zwischen einem Mädchen und einer jungen Dame ? "
Clemens starrte unverwandt und stumm Faustine an ; ihm waren alle Frauen der Welt so gleichgültig , daß er nur zwischen ihnen und ihr einen Unterschied machte .
Auch war er gar nicht gewöhnt an diese Art der Unterhaltung .
Er verhielt sich passiv .
Er verstand nicht , in Faustinens zwischen Ernst und Scherz schwebendes Wesen einzugehen , er wollte ihr immer in allem Ernst sein Herz sagen , sonst aber nichts .
Mengen hingegen war hierbei recht in seinem Elemente .
Als Faustine sich zu ihm wandte , sagte er :
" Das Mädchen ist ein frisch vom Himmel herabgeflattert Engel : der wird gern zur Heimat wieder auffliegen .
Die junge Dame ist bereits auf der Erde etwas in die Schule gegangen , hat gelernt ihre schneeweißen Schwingen im Salon zusammenfalten , damit sie niemand genieren , und wird wünschen , die ganze Schulzeit durchzumachen . "
" Nun , das ist doch Etwas ! " entgegnete Faustine ; " die Herren mögen sich bei Graf Mengen bedanken , daß er sie von dem Verdacht der Blindheit frei spricht . "
" Wir sind gar nicht blind , " sagte Clemens , " wir mögen nur nichts sehen , was uns nicht interessiert . "
" Wirklich ? " fragte Faustine ; " ich meinte , nur Frauen wären so einseitig !
Männer aber betrachteten und bedächten Alles , was ihnen vorkommt , um über Alles ein Urteil zu haben .
Darum sind sie ja eben so unerhört langweilig . "
" Darum ? " sagte Mario lachend .
" Freilich ! -
so unfrisch , so gleichgültig , so ohne Meinungen , die ihnen wie Blut in den Adern pulsieren !
denn was gibt es zu sagen über Dinge , die dem innersten Wesen fremd bleiben ?
Gemeinplätze , Hypothesen , vage Theorien , Sophismen : die ganze Bagage des exerzierenden Soldaten - Verstand .
Wir aber ziehen als echte Krieger ohne alle Bagage in die Schlacht und kämpfen begeistert . "
" O gnädige Gräfin , " rief Mario , " die Begeisterung ist dem Manne doch viel eigentümlicher , als dem Weibe !
Ich nenne nicht die augenblickliche Exaltation , welche Leib und Leben , Seele und Seligkeit wagen und opfern läßt , allein Begeisterung , sondern auch festes Beharren , unverbrüchliche Richtung , ausdauerndes Handeln in einem und demselben Sinne , für eine und dieselbe Idee , mit einer und derselben Wärme und Kraft . "
" Das ist Charakter " - sagte Faustine .
" Aber was alimentiert den Charakter , wenn nicht Begeisterung ? welch ein dürres , unerquickliches , unwirksames Wesen wird daraus , wenn der Charakter nur wie ein Maultier immer vorwärts trabt , und seine Last über das Gebirge fortschafft .
Ohne Freudigkeit an dem einmal Erfaßten , ohne Andacht zu ihm , ohne Befriedigung in ihm , ohne Triumph mit ihm - wurde nie etwas Großes geleistet , und was ist die Quintessenz dieser Empfindungen , wenn nicht Begeisterung ?
was ist der Pulsschlag , der ihnen Leben zuströmt , wenn nicht Begeisterung ?
Begeisterung ist der elektrische Schlag , der die Kette der Existenz durchströmt , und die Geschichte beweist , daß nur Männer ihn empfingen . "
" Nur Männer ? " unterbrach Faustine ; " und die Prophetinnen der Hebräer ! und die todverlachenden Römerinnen ! und die Priesterinnen der Germanen ! und die Heldinnen von Saragossa ! "
" Die Richtung nehme ich aus .
Wo das Herz des Weibes getroffen wird , wo die Liebe es berührt , sei es ausschließlich für einen Menschen , oder für das Vaterland , oder für Gott - da schlägt der elektrische Funke ein , da lodert die Begeisterung auf .
Aber selbst dann begnügt sich das Weib damit , für das Geliebte zu leiden und zu sterben .
Zum Schaffen , zum Handeln , zum die Welt aus ihren Fugen Heben , wird das Weib nie angeregt , nie ! wohl verstanden , nie durch Begeisterung .
Durch Intrigen , durch Laune - ja , damit amüsiert sie sich zuweilen .
Noch keiner Frau ist es eingefallen , den Geliebten unsterblich zu machen , wie Petrark die Laura und Dante die Beatrice ; sie beherrschen nicht einmal die Kunst ! viel weniger die Wissenschaft ! die Frau soll noch geboren werden , welche im Stande ist , für eine abstrakte Idee sich zu begeistern bis zum gelassenen Erdulden von Kerker und Verfolgung , wie z.B. Galilei mit seinem " e pur si muove ! "
Ein weiblicher Socrates läßt sich nun volles gar nicht denken ! "
" Doch war die schöne und weise Hypatia , welche unter Kaiser Theodosius II. einen Lehrstuhl zu Alexandria einnahm , wie Socrates Lehrer der Jugend ; und gleich ihm fand sie den Märtyrertod , welchen ihres Ruhms und ihrer Wissenschaften neidische Feinde über sie verhängten .
Übrigens - da Männer die Geschichte schreiben , und da die Geschichte sich überhaupt mehr mit Darstellung der Tatsachen , als mit Entwicklung der Motive beschäftigt - kann niemand wissen , ob nicht , während ein Dutzend Männer auf der Lebensbühne agiert und tragiert , eine Frau im Souffleurkasten ihnen ihre Rolle vorspricht . "
" Davon bin ich überzeugt , " entgegnete Mario , " die Frauen haben grenzenlosen Einfluß auf uns .
Wo ein Mann ruiniert wurde , trug gewiß eine Frau die erste Schuld . "
" O Graf Mengen ! " rief Faustine , " Sie sind unerhört parteiisch für Ihr Geschlecht !
Ganz der nämliche Vorwurf läßt sich umkehren und bleibt eben so wahr . "
" Aber der ruinierte und gesunkene Mann kann durch eine Frau erhoben und gebessert werden .
Läßt sich diese Behauptung auch umkehren ? "
" Ich glaube kaum .
Die gesunkene Frau steht nicht wieder auf .
Ein böser Mann ruiniert so gründlich , daß ein guter nicht mehr retten kann .
Unser Einfluß aber ist stärker im Guten , als im Bösen . "
Clemens , der immer ruhig zugehört , hob jetzt an :
" Keineswegs ! wenn Sie mir befehlen , den Einen aus dem Wasser zu holen , und den Anderen ins Wasser zu werfen , so tue ich beides mit gleichem Vergnügen . "
" Gott behüte mich vor einem so blind ergebenen Freund ! " rief Faustine .
" Auf Menschen Einfluß zu haben , ist Genuß ; dabei kommt es doch auf meine Eigentümlichkeit an !
aber eine willen- und gedankenlose Maschine kann Jeder regieren .
Ich sage mich Ihnen gegenüber von allem Einfluß los und ledig . "
" Sie üben ihn unwillkürlich . "
" Ich will aber nicht ! " sagte sie , und kreuzte ihre Arme über der Brust , als wickele sie sich in sich selbst zusammen , um niemand zu berühren , wie man wohl tut , wenn man im Gedränge von Menschen steht oder geht .
Mario fühlte , daß es Zeit sei zu gehen ; es kam ihm zudringlich vor , den ersten Besuch über die Gebühr auszudehnen .
Er dachte heimlich : wenn sie nur schwiege , wenn sie nur sich nicht bewegte , wenn sie nur überhaupt gar nicht sie wäre , so würde ich ja sehr gern gehen . - Kirchberg war längst fort .
Nun ging auch Clemens .
Da überwand sich Mengen und stand auf .
Er sagte nur noch :
" Feldern sagte mir vor längerer Zeit , Sie wären zu beschäftigt mit Ihrer Kunst , um Freude am geselligen Umgang zu finden , und als ich fragte , was Sie malten , entgegnete er : Bäume .
Würden Sie die Gnade haben , mich einmal diese Bäume sehen zu lassen , welche Sie so lange verschattet haben ? "
Faustine lachte .
" Bäume , sagt Feldern , hätte ich gemalt ?
das ist doch possierlich , nur Bäume auf meinen beiden Bildern zu sehen !
Wenn Sie Morgens kommen wollen , werde ich sie Ihnen zeigen . "
" Morgen ? " verwandelte Mario ihr Wort .
" O ja , morgen . "
Er schied eben so beglückt , wie Clemens verdrießlich , und Faustine dachte : ein angenehmer Mann ! warum lernte ich ihn nicht früher kennen ?
ich habe es meinem Absperrungssystem zu danken .
Das taugt nie etwas ! die Cholera schließt es nicht aus , wohl aber interessante Bekanntschaften . "
Feldern ritt auf der öden , beschneiten Chaussee den wohlbekannten Weg zu der Braut .
Im Hause begegnete er zuerst dem Vater und fragte hastig nach Cunigunden .
" Es geht nicht besser , " sagte der alte Mann wehmütig und eine zerdrückte Träne machte sein sonst nichtssagendes Auge beinahe schön .
" Kommen Sie zu ihr . "
Er brachte ihn vor ihr kleines enges , schmuckloses , nonnenhaftes Zimmer .
Da saß Cunigunde vor einem Tischchen und las in der Bibel .
Er ging voran .
" Wie geht es Dir , mein Kind ? " fragte Herr von Stein , und legte zärtlich seine Hand unter ihr Kinn .
" Gut , mein lieber Vater , " antwortete sie , diese Hand küssend .
" Nicht wahr , Du stirbst mir nicht , mein frommes , mein bestes Kind ? "
Er streichelte ihre Wangen , ihre Stirn , ihr Haar .
" Nein , mein lieber Vater , " sagte sie mit melancholischer Zärtlichkeit zu ihm aufblickend .
Als er aber sprach :
" Feldern ist auch da ; darf er kommen ? " da glitt ein Schauer über ihr mildes Gesicht , ein Krampf , ein Grauen .
" Ja , " sprach sie .
Der Vater ließ das Paar allein .
" Nun , Cunigunde ! " sagte Feldern , und setzte sich ihr gegenüber .
" Guten Abend , mein lieber Feldern ! " war Alles , was sie vorbrachte .
Ihre Brust hob sich in unbeschreiblicher Beängstigung .
" Haben Sie mir weiter nichts zu sagen ? können Sie kein Vertrauen zu mir fassen ?
Reden Sie doch nur , aber mit einem einzigen Grund . "
" Ich habe mich müde geredet ! und einen Grund habe ich nicht . "
" So beharren Sie also darin aus Eigensinn , aus Laune , mich fortzuweisen , mich - Ihren treuen , erprobten und bewährten Freund , den Sie jahrelang als Ihren künftigen Gatten betrachtet haben ? "
" Keine Laune , o Gott ! " seufzte Cunigunde und rang die Hände .
" Nun , liebe Cunigunde , so sprechen Sie nur das Warum aus !
Sobald ich weiß , was zwischen uns liegt , will ich es ändern , vermeiden , oder auch ganz Sie aufgeben .
Nur aber so kommt es mir wie eine Geistesbefangenheit , wie eine Krankheit vor , die über kurz oder lang weichen wird , und der ich unmöglich mein Glück , meine Zukunft , und vielleicht die Ihre - opfern kann . "
" Sie sprechen so gut , so verständig , daß ich Sie ganz und gar begreife ! besser Sie begreife , als mich selbst - denn ein Warum kann ich Ihnen nicht sagen , aber heiraten kann ich Sie auch nicht . "
" Dann ist es nicht anders möglich , als daß Sie einen Anderen lieben . "
" Ihre fixe Idee , die ich schon hundertmal verneint habe ! "
" Einen Anderen , dessen Sie sich schämen , der Ihrer unwürdig ist .... "
- " Ist es denn eine solche Schmach zu lieben , daß ich den Mann , den ich liebte , nicht einmal meiner würdig achten sollte ? "
" Weshalb nennen Sie ihn denn nicht ? "
" Weil ich keinen liebe . "
Feldern stand mit heftiger Ungeduld auf und ging in dem Zimmerchen hin und her .
Endlich blieb er vor Cunigunden stehen und fragte scharf : " Wen wollen Sie heiraten ? "
" Niemand " - sagte Cunigunde und sah ihn befremdet an ; " das wissen Sie ja .
Wollte ich heiraten , so könnte ich gewiß am leichtesten Sie heiraten , den ich achte , den ich kenne , der brav , treu und rechtschaffen ist , der mich herzlich lieb hat .... "
- " Cunigunde ! " rief Feldern zärtlich , legte den Arm um ihre Schulter und bog sich zu ihr herab .
Doch sein Kuß streifte nur ihre Wange , denn sie wendete den Kopf , schloß die Augen und sagte mit zitternder Angst :
" Erbarmen ! "
Tief gekränkt ließ Feldern den Arm sinken .
Er sagte verletzt und hart : " In Ihrem Benehmen liegt Lüge oder Wahnsinn . "
" Keine Lüge !
jedes Wort ist reine Wahrheit .
Ich heuchle keine Achtung , kein Vertrauen zu Ihnen - ich hege es wirklich .
Darum habe ich den Mut gefaßt , Sie zu bitten , mein Wort zu lösen . "
" Das ist aber - wenn nicht Wahnsinn , doch Verschrobenheit , Überspannung , Sentimentalität !
Was wollen Sie denn ? etwa katholisch und Nonne werden ? die religiöse Schwärmerei verrückt zuweilen die klarsten Köpfe . "
" Ich mag nicht Nonne werden - niemals ! " rief Cunigunde , und ein frischer , rosiger Hauch des Lebens überstreifte ihr Antlitz und machte es so schön , daß Feldern trotz seines Unmutes bewundernd und lächelnd sagte :
" Es wäre auch schade , wenn Sie den Klosterberuf hätten ! -
Aber was soll denn eigentlich aus Ihnen werden , Cunigunde ? "
" Was Gott will ! " -
sie faltete die Hände , legte sie auf die Bibel und neigte das Haupt .
" Aber wie soll sein Wille sich Ihnen offenbaren , wenn Sie verstockt sind , und auf Wunsch , Rat , Bitte Ihrer besten Freunde nicht hören ? "
" Meiner besten Freunde ?
ja , das ist es eben - ich habe gar keine Freunde ! "
" Ihre Eltern - mich .... "
- " Ja , Sie , mein lieber Feldern , Sie sind wirklich mein Freund , und es ist nur gar zu traurig , daß diese Angelegenheit Sie selbst zu nah betrifft , um ganz unbefangen zu sein .
Und meine Eltern ? ach mein armer , harmloser Vater , der grämt sich um mich , der möchte alle Welt fröhlich wissen , seine Lieben zuerst ; darum tut er ja Alles , was die Mutter will .
Und meine Mutter ist eine kluge Frau , und auch eine gute Frau !
sie meint es gewiß gut mit uns Allen , auch mit mir .
Sie spricht : ich sei arm und was ich denn weiter wolle , als einen braven Mann ; und so lange ich im Elternhause , hindere ich die Versorgung meiner Schwestern , da ich die schönste von ihnen , und deshalb die begehrteste sei . -
Sonst aber habe ich keine Freunde und weiß auch Niemand , den ich mir zum Freunde wünschte , als .... "
- " Nun , als ? " fragte Feldern gespannt .
Und da sie schwieg :
" Graf Mengen etwa ? "
" Wen ? " sagte Cunigunde zerstreut .
" Graf Mengen , der im Spätsommer mit mir einmal hier war . "
" Ach nein ! keinen Mann .
Eine Frau , eine himmlische , wunderbare Frau , der Sie mich im vorigen Winter auf dem Maskenball vorgestellt haben : die Gräfin Obernau .
Ich habe sie nur das einzige Mal gesehen , aber ich kann sie gar nicht vergessen ! wie sie ansah und aussah , wie sie ging und stand , wie sie sprach und lächelte , immer fiel mir " das Mädchen aus der Fremde " ein , und ob ich nicht auch eine arme Hirtin sein könne , der sie eine Gabe brächte . "
" Liebe Cunigunde , Sie sind wirklich ein wenig sentimental !
Das Liebesgefühl lebt in Ihrem Herzen , aber es scheint Ihnen zarter , überirdischer , engelhafter , eine Freundin zu lieben , als einen Freund , und so quälen Sie sich und mich .
Die Gräfin Obernau ist zwar eine äußerst anmutige Person , aber da nicht Jeder die Kraft und die Selbständigkeit hat , so frei das Leben zu beherrschen , so dürfte sie nicht als Richtschnur für allgemeine Verhältnisse dienen . "
" Das begehre ich nicht ; ich wünschte nur , daß sie mich liebte .
Wünschen Sie das nicht auch für sich ? "
" Ganz und gar nicht - obschon es sehr angenehm ist , mit ihr zu leben .
Möchten Sie bisweilen sie besuchen , so will ich sie darum bitten ; sie erlaubt es gern .
Die Monotonie und Einsamkeit Ihres Lebens hier mag auch Ihre Nerven abspannen ; vielleicht tut sanfte Zerstreuung , ohne Tumult , ohne Geräusch , Ihnen gut .
Teure Cunigunde , ich würde Sie so gern genesen und glücklich sehen . "
Cunigunde gab ihm dankbar die Hand , froh der Aussicht , welche er vor ihr eröffnete .
Sie wußte nichts Bestimmtes davon zu hoffen ; deshalb war ihr , als ginge sie dadurch ihrem Glück entgegen , ihrer Befreiung , ihrer Erlösung .
Ihr schönes Gesicht , welches durch lange , reine Schmerzen unaussprechlichen Adel hatte , lichtete sich an der Hoffnung auf , wie eine frierende Blume am Sonnenstrahl .
Freundlicher , als seit Monaten , schieden die Verlobten .
Feldern dachte : Faustine hat zwar wunderliche und etwas unpraktische Ansichten von den geselligen und bürgerlichen Verhältnissen , aber Niemand ist weniger sentimental , als sie .
Cunigundens Überspannung wird in ihrer klaren Atmosphäre weichen , und ist sie nur erst gewichen , so bin ich ja des Mädchens gewiß , das für keinen Anderen Neigung gefaßt hat , sondern nur überhaupt ruhigen , kühlen Temperaments ist .
Das werden die besten Frauen - Frauen , auf die man sich verlassen kann , ohne Schwankungen , ohne besorgniserregende Allüren - Frauen , die den Mann nie hinreißen und ihm stets gefallen .
Solche Faustine entzückt , aber wer hat den Mut , sie zu heiraten ? nicht einmal Andlau .
Weibern gegenüber , die immer wie in einem Regen von Brillantfeuer stehen , kommt man sich so dunkel , so inferior , so dumm vor , daß enorme Selbstverleugnung dazu gehört , um sie zu lieben .
Vielleicht liegt aber in ihrer Liebe Lohn für diese Demütigung .
Der starke Mann fürchtet nicht zu der Geliebten emporzublicken ; er fühlt die Kraft in sich , mit einem Schwung ihr zur Seite zu stehen .
Der eitle und schwache Mann hält sie gern in seinem Niveau ; er fürchtet die Überstrahlung , und fühlt nicht die Kraft , ein Gegengewicht in die Schale zu werfen .
Mengen fehlte nicht am nächsten Morgen bei Faustine .
Der Bediente öffnete ihm den Salon .
Er war leer .
Mario ging hindurch und betrat das zweite Zimmer , welches er gestern nur durch die Tür gesehen .
Heute sah er sich darin um ; denn dies war augenscheinlich das Gemach , worin Faustine sich am meisten aufhielt .
An dem einen Fenster stand ihr Schreibtisch , nichts frappierte ihn auf demselben , als Andlaus Porträt in Aquarell sehr schön und sehr ähnlich gemalt ; ein denkender , ernster , melancholischer Kopf .
Sieht man ihr gegenüber nicht heiterer aus ? dachte Mario .
Am anderen Fenster stand ein Tisch mit Lesepult und verschiedenen Büchern , und ein tiefer Lehnstuhl davor .
An der einen Wand eine breite , niedrige , aus einzelnen Polstern zusammengesetzte Ottomane .
Ihr gegenüber ein großer Toilettenspiegel , an dem nachlässig eine Echarpe und eine kleine Taffschürze hingen .
An der Hinterwand schlossen dunkelrote Vorhänge den Alkoven .
- Ein Zimmer ist das weitere Überkleid eines Menschen :
es verrät dessen Formen und etwas von dem Wesen bleibt darin zurück .
Darum sieht man so gern das Zimmer eines berühmten oder eines geliebten Menschen ; man wird darin die Seele gewahr .
Mario hatte sich friedlich auf die Armlehne des großen Fauteuils gesetzt , und sah sich um .
Er wartete nicht auf Faustine ; sie schien ihm gegenwärtig .
" Tappt nicht Jemand da herum ? " rief ihre goldene Stimme durch eine Tür , die nur angelehnt war .
" Ich harre Ihres Befehls , " sagte Mario , öffnete die Tür und stand in einem kleinen Cabinet , das man Atelier nennen konnte , denn es war ganz für die Malerei eingerichtet : nur ein Fenster , bis zur Mitte von unten auf zugesetzt ; Bilder , Zeichnungen , Kupferstiche , Skizzen von oben bis unten an den nackten Wänden , kein Ameublement als einige Staffeleien , ein paar Tische , worauf Mappen , Zeichengerät , ein Totenkopf , Gipsabgüsse von Armen und Beinen - und zwei Strohstühle , worauf auch allerlei Utensilien lagen .
" Setzen Sie sich , " sagte Faustine .
Sie saß vor einer Staffelei und arbeitete .
" Das hat hier seine Schwierigkeiten , " sagte Mario und sah sich lachend um .
" Ist es Ihnen unbehaglich hier , so erwarten Sie mich im Salon .
In zehn Minuten bin ich mit dieser Anlage fertig . "
" Ich muß mich nur arrangieren dürfen " - sagte Mario und kniete neben ihr nieder .
" Das geht auch " - antwortete sie und malte gelassen weiter .
Er betrachtete sie .
Ihr Anzug war der unvorteilhafteste von der Welt : ein weißes Linonhäubchen , welches so dicht ihr Gesicht umschloß , daß kein Haar zu sehen war , eine große graue Schürze und graue Vorärmel .
Für jede andere Frau würde es eine völlige Abwesenheit aller Eitelkeit verraten haben , in diesem Anzug Besuch zu empfangen .
Bei Faustine aber bedeutete es nichts , als daß sie mehr an ihr Bild , als an ihre graue Schürze dachte .
Sie saß stumm da , die Lippen ein wenig geöffnet , als lausche sie auf etwas ; mit den breiten Augenlidern zuweilen ganz rasch die Augen zudeckend , wie um sie auszuruhen : die Lachtauben haben diese Bewegung .
Endlich wendete Mario seinen Blick ihrer Arbeit zu .
" Warum den finsteren Totenkopf malen ? " fragte er ; " was wissen denn Sie vom Tode , Sie , bei der Licht und Wärme - und das ist Leben ! -
zu Hause sind ? "
" Ich wollte auch das Leben malen , " antwortete sie , " aber dazu fiel mir eben nichts Anderes ein , als eine Fülle von Blumen und der Totenkopf dazwischen , halb versteckt , und doch Alles überragend .
Sie haben ganz Recht ! mit dem Tode habe ich nichts zu schaffen , so gar nichts , daß ich ihn nicht einmal verstehe .
Aus einer Form der Existenz zu einer anderen übergehen , heißt bei mir nicht Tod , sondern eine neue Lebensentwickelung .
Leben muß man , wie man liebt : durch Ewigkeiten hindurch .
Wer nicht diese Überzeugung hegt , weiß nichts vom Leben , nichts von der Liebe .
Wer nicht das Weltall zu einem Quell macht , aus dem er Leben und Liebe stets neu und frisch schöpft , sollte nur gar nicht dazu Miene machen .
Sie sehen , ich bin eine entschiedene Gegnerin des Todes ; aber dem Körper gönne ich gern sein Ausruhen im Grabe , obgleich er dabei so garstig wird , wie mein alter Totenkopf hier . "
" Warum verdient der Leib dies Ausruhen , der sich doch nicht halb so viel anstrengt , als der Geist ? einen körperlichen Schmerz haben wir nach vierundzwanzig Stunden total vergessen ; von dem geistigen bleibt immer eine Narbe , oft eine Wunde zurück .
Körperliche Ermüdung - was ist denn das ?
man hat ein paar Nächte durchschwärmt - dann schläft man aus !
ein sehr angenehmes Mittel gegen Ermüdung ! -
Aber gegen geistige Müdigkeit , die auf Überanstrengung folgt , und Flug und Schwung lähmt , gibt es keine angenehme Mittel , sondern Sturzbäder von Widerwärtigkeiten etwa , und Moxa der Leidenschaft , und ähnliche Kuren , welche der geschickte Arzt Schicksal zu verhängen weiß . "
" Daher hat aber auch der Geist seine Freude , seinen Spaß , sein Glück , sein Fortkommen - und der arme , arme Leib nichts von dem Allen !
Wie muß das Blut rennen , die Nerve hüpfen , die Muskel ringen , wie müssen die Sinne , diese faulen Knechte und stummen Diener der Seele , sich abarbeiten , danaidenmäßig !
denn wenn nun der Leib meint , er habe sich ein Vergnügen arrangiert , so tritt plötzlich sein Tyrann auf , Geist , Seele , wie er heißen mag ! und spricht :
» Mit nichten , mein Guter , der Abhub der Tafel kommt dir zu ! « -
Dann schmaust der Tyrann die besten Bissen , und trinkt vom Champagner nur den Schaum , und der arme Leib steht demütig hinterm Stuhl und freut sich , daß es seinem Herrn so gut schmeckt .
Man kann sich gar nicht wundern , wenn er manchmal zur Unzeit verdrießlich wird , sich lang ausstreckt und sagt : » Suche Dir einen anderen Knecht !
ich habe_es satt . « "
" Die Emanzipation des Fleisches , wie das Modewort heißt , welches jetzt gepredigt wird - entspricht also wohl ganz Ihren Wünschen ? "
" Unsinn , lieber Graf , kläglicher Unsinn , wie er von Leuten mit fixen Ideen nicht anders zu erwarten ist .
All diese Prediger sind mit der Monomanie der Gleichheit behaftet , die sich durch eine Art von Berserkerwut gegen Alles , was bisher dominiert und primirt hat , äußert .
Die aristokratische Institution , daß Vernunft , Verstand , Wille den Plebs der Sinne beherrsche , soll nicht mehr gelten , nicht - weil sie nicht gut und nützlich wäre ; sondern tout bonnement , weil etwas Hochadliges darin liegt , rohes , ungebildetes Volk - gehorchen zu lassen .
Im Mittelalter verliehen die Städte an Ritter und Herren das Bürgerrecht , und das war eine große Ehre , denn sie traten dadurch in eine ehrenwerte Verbindung .
Jetzt , wo alles Zünftige , als der Gleichheit und Freiheit widersprechend - abgeschafft wird , taucht plötzlich eine Zunft von Literaten auf , welche das Bestialitätsrecht verleihen möchte .
Aber ich denke , sie werden es wohl für sich behalten dürfen .
- So .
Nun bin ich mit der Anlage fertig .
Jetzt sollen Sie die bewußten Bäume sehen . "
Sie erhob sich , stellte ein Gemälde auf die Staffelei , und sprach zu Mario :
" Setzen Sie sich davor hin . "
Es war ein schroffer Felsenabhang über dem Meer .
Eine Tanne und eine Birke , mit seltsam verschlungenen Zweigen , standen am äußersten Rande dieses Abhangs und bildeten den Vorgrund .
Die Birke war ganz unbelaubt ; ihr weißer Stamm , die schlanken Zweige schienen zu zittern und zu frieren im Sturm .
Die Tanne breitete ihre Äste , worauf einzelne Schneeflocken gestreut waren , schützend aus , gleich starken Armen .
Der Himmel war winterlich hart , eisgrau , im Westen Kupferrot .
Tief unten dämmerte das Meer .
Nach einiger Zeit stellte Faustine ein zweites Gemälde auf die Staffelei : ganz derselbe Gegenstand , aber im Frühling und im Morgenlicht .
Die Birke , frisch und sonnenglänzend , schmückte die Tanne mit ihrem wehenden , schwebenden Laube , wie mit festlichen Girlanden .
" Gefallen Ihnen die Bäume ? " unterbrach Faustine endlich das Schweigen .
" Sie verstehen zu malen ! " entgegnete Mario .
" Sie verstehen die Dinge aufzufassen , und ihnen mit dem Pinsel ein poetischwahres Gewand umzuhängen .
Aber wundern dürfen Sie sich nicht , daß Feldern , und vielleicht hundert Andere , nur eine schöne Landschaft in diesem Bilde sehen .
Bilderschrift ist ein tiefsinniges Studium , wozu mehr gehört als des Kunstkenners Geschmack und Urteil .
Sie ist ein Sanskrit , nur von Wenigen verstanden . "
In demselben Augenblick trat Clemens ein und sagte :
" Verzeihung ! ich bin vom Diener hergewiesen . "
Dann rasch hinter Mario tretend und das Gemälde betrachtend , rief er hocherfreut :
" Die Tanne kenne ich !
Sie haben sie einmal auf einem Spaziergang in Oberwalldorf flüchtig gezeichnet : dabei habe ich sie mir eingeprägt .
Es freut mich , daß Sie an etwas aus jener Zeit gedacht , wenn nicht an Menschen , doch an den Baum ! "
" Ich denke an Alles , was der Erinnerung wert ist , " sagte Faustine .
" Oder der Hoffnung ! " rief Clemens .
" Ja ; und lieber noch ! " entgegnete sie , und machte eine Bewegung , welche die Herren einlud , mit ihr das Atelier zu verlassen .
Schürze und Häubchen blieben darin zurück .
Mario und Clemens mißfielen sich ungemein - gegenseitig , wie das gewöhnlich der Fall ist .
Seltsam , daß nichts auf der Welt zwei Menschen , die sich einander völlig fremd sind , herzlicher verbindet oder feindlicher entzweit , als die Liebe für eine dritte Person - je nach der Beschaffenheit , dem Kolorit , der Temperatur dieser Liebe .
Der Freund , der Bruder der Geliebten wird unser Bruder , unser Freund ; wer aber Miene macht , sie auf unsere Weise anzubeten , ist unser Erzfeind .
Clemens haßte Mario , weil er eifersüchtig auf ihn war .
Er fühlte , daß Mario Faustine besser als er gefallen könne , denn er war unbeholfen und sie hatte die gewandten Menschen so gern : " die Menschen , welche ihr zartes Händchen nur mit einem weißen Glace- Handschuh anfassen - murmelte Clemens - und davon bin ich kein Liebhaber , obgleich ich , ihr zu Gefallen , auch recht gern weiße oder himmelblaue oder maigrüne Handschuhe anziehen würde . "
- Mario hatte Clemens einen Augenblick mit dem unverhohlenen Erstaunen betrachtet , welches durch dessen brüskes Auftreten überall , wo man an bessere Manieren gewöhnt war , hervorgerufen werden mußte .
Dann aber beachtete er ihn gar nicht mehr als ein selbständiges Wesen , sondern nur dann , wenn Jener auf irgend eine Weise gegen Faustine anstieß .
Sie selbst litt gar nicht durch das unvorteilhafte Licht , worin Clemens sich zeigte .
" Es ist den jungen Leuten sehr heilsam , wenn sie merken , was und wie viel ihnen fehlt , um in der Gesellschaft angenehm zu sein " - sagte sie einst .
" Wenn sie von der Universität kommen , sind sie so aufgeblasen wie eine Mongolfiere , und gleich dieser , ihrer Himmelfahrt und des bewundernden Staunens des versammelten Volks gewiß .
Warum so aufgeblasen ? entweder haben sie sich brav herumgehauen , oder sie haben enorm getrunken , oder der Himmel hat sie mit einem pompösen Bart erfreut , oder sie haben in irgend einem Examen sich nicht verblüffen lassen - " Clemens , der anspruchloseste Mensch unter der Sonne , war nur auf seinen Bart eitel ; deshalb unterbrach er gereizt Faustine und rief , weil er doch nicht die Bart-Stolzen verteidigen konnte :
" Sie haben gut reden , spöttisch und klug ! sollten Sie sich examinieren lassen , würden Sie auch vielleicht nicht bestehen . "
" Das käme noch darauf an " - entgegnete sie unverzagt .
" Und " - sagte Mario - " sich nicht verblüffen zu lassen ist gewiß eine eben so wichtige als richtige Regel darüber .
Wenigstens einmal habe ich mich bei deren Befolgung mit Ruhm bedeckt .
Ich wurde mit drei Gefährten examiniert .
Alles ging charmant , bis der Examinator nach der Tages- und Jahreszahl irgend eines obskuren Edikts fragte .
Nur zufällig hätte man dies behalten und beantworten können .
Meine Gefährten schwiegen .
Es ist aber doch allzu verdrießlich , wenn ein Mensch viermal fragt ohne eine Antwort zu bekommen :
also nannte ich tapfer ein Datum , als ich gefragt wurde .
Da sagte der Examinator sehr bedächtig :
» Es ist zwar nicht dieser Monatstag , sondern jener , und auch nicht diese Jahreszahl , sondern jene , welche das Edikt bezeichnen ; aber man sieht doch ! « "
" Aber man sieht doch , " rief Faustine und klatschte fröhlich in die Hände , " wie leicht es ist , mit einiger Geistesgegenwart gut zu bestehen . "
" Aber man sieht doch , " sagte Clemens , " wie leicht es ist , den Leuten Sand in die Augen zu streuen . "
" Ja , " antwortete sie , " auf die Manier und die Manieren kommt freilich sehr viel an . "
" Das sollten oberflächliche Menschen sagen dürfen , aber Sie nicht !
Sie müssen auf das Wesen sehen . "
" Sehr gern ! sobald das Wesen ein goldener Apfel in silbernen Schalen ist - wie es in der Bibel heißt .
Ist aber der goldene Apfel in ein Igelfell gewickelt , so bin ich verwundet und abgeschreckt beim Anfassen , und tröste mich nur allmählich durch den Gedanken an den köstlichen Inhalt .
Was soll mich aber trösten , wenn ein gemeiner , rotbäckiger , saurer Apfel im Igelfell liegt ? nehme er ein Silberflor-Mäntelchen von guten Manieren um , so wird er zwar nicht sonderlich genießbar , allein doch recht gut anzuschauen sein .
Gute Manieren sind meine geborenen Freunde ; wo ich sie finde , werde ich mich - nicht immer heimisch , das liegt in einer anderen Sphäre - jedoch nie unheimlich fühlen .
Schlechte Manieren sind meine geborenen Tyrannen , machen mich zaghaft , machen mich bald übertrieben höflich , um auf meiner Seite doppelte Schranken zu haben , und bald so ungeduldig , daß ich rufen möchte :
Geht zu Gevatter Schneider und Handschuhmacher , mit denen ihr zu verwechseln seid . "
" Und was nennen Sie schlechte Manieren haben ? "
" Eben verwechselbar mit Gevatter Schneider und Handschuhmacher sein " - sagte Faustine gelangweilt , und Clemens beruhigte sich ; denn das paßte nicht auf ihn .
Feldern wollte sein Cunigunden gegebenes Wort erfüllen .
Er bat Faustine um die Gnade , seiner Braut zuweilen ihre Gesellschaft zu gönnen .
Er sagte : " Ich bin des günstigsten Einflusses Ihres lichten Wesens auf das krankhaft sentimentale meiner Braut gewiß . "
Faustine sah ihn scharf an und erwiderte :
" Sie scheinen mir bestimmte Grenzen setzen zu wollen ; aber Sie sollten wissen , daß ich mich denen nicht füge , ohne sie wenigstens im vollen Umfang zu kennen .
Erwarten Sie etwas Bestimmtes von mir , wie z.B. daß ich Fräulein Stein einige Anleitung in der Malerei gebe , oder dergl. , so sagen Sie es nur gerade heraus ; ich werde es gern tun . "
" Cunigunde malt nicht , " entgegnete Feldern , " und überhaupt ist es nicht ein Lehrmeister , den sie in Ihnen finden möchte , sondern eine Freundin . "
" Wer das in mir sucht , dem komme ich entgegen mit vollem , offenem Herzen , und ich bin Fräulein Stein im Voraus dankbar für ihr Zutrauen .
Aber , mein bester Feldern , vergessen Sie nicht , daß ich nicht die Person bin , welche je ihre Meinung zurückhält , und daß , wenn man mich um Rat fragt , keine Rücksichten mich hindern , ihn nach meiner Überzeugung zu erteilen . "
Hätte Feldern den Mut gehabt , Faustine sein gespanntes Verhältnis zu Cunigunden offen darzulegen , so hätte sie ihn beschworen , die widerstrebende Braut fahren zu lassen , und auf keinen Fall sie selbst mit einer Person in Verbindung zu setzen , deren Ansichten sie teilte .
Aber Feldern beharrte in seinem Eigensinn , Cunigundens Benehmen als eine nervöse Sentimentalität zu betrachten , welche der Zerstreuung , der freundlichen Teilnahme , der rückkehrenden Jugendkraft weichen würde .
Wich sie - warum sollte er vorschnell Fremde von der obwaltenden Spannung unterrichten ?
Wich sie nicht - und diesen Fall mochte er kaum sich selbst heimlich gestehen - so erfuhr das Publikum ja immer früh genug den eclatirenden Bruch . -
Jetzt setzte er ihr aber nur auseinander , wie anmutig und belebend ihr Umgang für ein junges kränkelndes Mädchen sein müsse , dem in einer beschränkten Häuslichkeit , bei einer strengherrschenden Mutter und einem schwachen , geistlosen Vater , solcher Verkehr durchaus entzogen sei .
Faustinens Sympathie wurde rege .
Cunigunde kam ihr wie ein Echo ihres eigenen Wesens vor .
Ungeduldig , wie sie war , rief sie endlich :
" Nun , ich sehe ihr mit derselben Teilnahme entgegen , die sie für mich geäußert hat ! bringen Sie nur recht bald sie zu mir . "
Cunigunde war entzückt durch diese Botschaft , welche Feldern am Nachmittag ihr hinaustrug , Frau von Stein zufrieden , daß doch irgend etwas im Stande sei , die Tochter aus der unnatürlichen Gleichgültigkeit aufzurütteln , und Herr von Stein sehr gern bereit , mit ihr nach Dresden zu fahren und ihr ein kleines Amüsement zu verschaffen .
Faustine dankte in ihrer Seele dem Himmel , der ihr so gnädig von allen Seiten Menschen zusandte , mit denen sie sich gut unterhielt .
Mario war da , täglich , ja , wenn sie es gewünscht hätte , stündlich ; Mario , der sie so gut verstand , auf Ernst und Munterkeit einging , stets das zu sagen wußte , was , wenn es ihr auch nicht gefiel , doch sie zum Widersprechen anregte , woraus hervorgeht , daß es keine flache Äußerungen waren ; Mario , um den allmählich eine hohe Leidenschaft starke Wellen schlug , die sein Herz umdrängten und ihn zu dem schönen " Stern der Meere " hintrugen , welcher alle Wogen zu einem Element des unermeßlichsten Glanzes verwandelte ; Mario , an den sie so oft , so gern , mehr als sie wollte , dachte - nicht um ihn zu lieben , aber um sich an diesem Dasein voll seltener Kraft und seltener Gaben zu freuen und zu erquicken - so wähnte sie .
Dann war auch Clemens da ; doch weder erfreulich noch erquickend für sie - wie sie es früher wohl gewähnt .
Die letzten Tage in Oberwalldorf hatten ihr die Überzeugung aufgedrängt , daß er eine lebhafte Neigung für sie hege ; aber sie glaubte sich auf eine Weise gegen ihn benommen zu haben , die auf immer jede Hoffnung in ihm töten und ihm das Unstatthafte seiner Empfindung dargetan haben mußte .
Als er in Dresden erschien , hielt sie ihn für erwacht aus seinem Traum , denn es war ihr unmöglich , an eine dauernde Liebe ohne Erwiderung zu glauben , und sie hoffte ihm vielleicht von einigem Nutzen bei seinem Eintritt in die Gesellschaft zu sein , und seine frische , unverdorbene Seele vor bösen Einflüssen zu bewahren .
Doch das gestaltete sich sehr bald ganz anders .
Clemens hatte keineswegs ein Gefühl aus seiner Brust verbannt , das ihn einst berührte , wie der Sonnenstrahl die eingewickelte Raupe .
Faustine war ihm nun einmal zur Hieroglyphe für Schönheit und Glück geworden : bei ihr verstand er jene , durch sie verstand er dieses .
Aber das Wesen , das uns in den zwiefachen Himmel der Schönheit und des Glücks erhebt - lieben wir es nicht ? ist Liebe etwas Anderes , als Offenbarung unendlicher Schönheit und unendlichen Glücks ? -
So dachte Clemens in den langen öden Tagen , die auf Faustinens Abreise von Oberwalldorf folgten , und daß sie ihn nicht liebe , dachte er auch wohl zuweilen , aber nie ohne den demütigen Zusatz : wie hätte ich auch das verdient ? ist es nicht meine Seligkeit , ihr mein Herz zu geben ?
das ihre will ich ja gar nicht .
Wird nicht der Bettler von der Fürstenkrone erdrückt ?
aber nehmen soll sie mein Herz ; nehmen muß sie es - wenn sie es in den Staub träte .... nein , das kann sie nicht !
sie muß den Wert eines Herzens erkannt haben , so wie die Gottheit ihn erkennt .
Mit diesen Gedanken kam er aus dem Einerlei seines beschränkten tätigen Lebens nach Dresden .
Hier sah er Faustine in ganz anderen Verhältnissen als zu Oberwalldorf .
Sie war umringt , bewundert , gefeiert , Männer und Frauen wünschten sehnlichst ihren Umgang , ihre Bekanntschaft ; wer ihr nahte , huldigte ihr , und was mehr ist - huldigte ihr gern .
Ihm kam es vor , als ob alle Männer sie liebten , das Herz vor ihr niederlegten ; als sei das seinige dadurch im Wert nicht , aber im Preise gesunken .
Wodurch sollte er denn ihre Augen , die verwöhnten , auf sich ziehen ?
Er verlief sich unter der Menge .
Er wurde eifersüchtig , wie ein Kind , ohne Gegenstand , ohne Grund .
Dies Aufpassen , dies Haschen , dies Lauern machte ihn unzufrieden mit sich selbst , und deshalb wurde er verdrießlich und Faustine zur Last , die gar nicht wußte , was mit diesem Menschen anfangen , als - ihn wegzuschicken , und dazu hatte sie kein Recht .
Bisweilen , wenn er allein mit ihr war , rührte seine Andacht sie , und sie war freundlich und herzlich nach ihrer Weise ; wie sie selbst sie bezeichnete :
" Ich bin freundlich gegen alle Menschen - die mir gefallen , " - aber sobald sie freundlich war , geriet Clemens in Entzücken , und sie mußte spotten und lachen , um dadurch seine Freudenflammen ein wenig zu dämpfen .
Kamen nun gar andere Menschen hinzu , gegen welche sie gleichmäßig freundlich war , weil sie ihr keine Veranlassung gaben , ihr Benehmen zu ändern ; kam volles der gehaßte Mario , von dem Clemens sehr schnell erkannte , daß er für Faustine in einer anderen Reihe , als ihre gewöhnlichen guten Freunde stehe , nämlich in gar keiner und ganz abgeschieden - so tobten Wogen von Groll und Bitterkeit durch seinen sonst so sanften Sinn , und sein Mangel an Erziehung veranlaßte ihn zu einem Benehmen , welches ihn bald lächerlich , bald unerträglich machte .
Faustine hatte gehofft , die Furcht , lächerlich zu erscheinen , würde ihn , der nicht ohne Schüchternheit war , in seinen Grenzen halten , aber die Leidenschaft übersprang und überwog jede Rücksicht .
Jetzt war Faustine ganz gleichmäßig ernst gegen ihn und er kam seltener .
Sie fragte ihn einmal , wo und mit wem er seine Zeit hinbringe , und er antwortete :
" Mit jungen Künstlern ! ich will auch Maler wer den . "
Sie lachte , aber sie freute sich , daß er doch irgend eine Beschäftigung habe , da das nichtsthuerische Leben ihm , dem Arbeitgewohnten , leicht gefährlich werden konnte .
Cunigunde kam .
Faustine empfing sie mit der ganzen Holdseligkeit , die sie bezaubernd machte , und die immer , wenn ihr Herz berührt wurde , wie eine Glorie sie umfloß .
Sie waren lieblich anzusehen , die beiden schönen Gestalten !
Cunigunde glich der Nacht mit ihrem dunklen Haar , das sich in schweren Locken um ihr vornehm feines , regelmäßig edles , mehr schmerzens- als krankheitsblasses Gesicht ringelte ; die schmalen Lippen waren fest geschlossen , sie hatten selten gelächelt , nie geküßt ; die länglichen Augen fast immer gesenkt , doch wenn die Wimpern sich hoben , so brach hinter ihrem schwarzen Gitter ein geheimnisvoller Strahl an , der gleich einem feuchten , zitternden Mondlichtstreif zum Himmel stieg , oder vom Himmel kam .
Faustine dagegen war wie der Tag hell , durchsichtig , ein Kristall , worin Purpur , Gold , Azur und Rosenrot sich schmolzen .
Ihren Kopf konnte nur ein Dichter erfinden , Cunigundens - ein Bildhauer .
Sie war die in Frauenform verhüllte Essenz einer halbromantischen , halborientalischen Poesie - Leidenschaft und Phantasie vorherrschend , zwei Dinge , die sich gewöhnlich einander ausschließen , und in ihr sich vereinigten , wie der Luzifer ins Morgenrot hineinstrahlt .
Aber nicht die Nacht allein - auch der Tag hat seine Geheimnisse .
Wer kann am hohen Sommermittag den Blick aufwärts kehren und in den Himmel hinein sehen , der wie polierter Stahl leuchtet und funkelt ? es wird stets ein zitternder Schleier , wie von durchsichtigen Goldflittern , vor den Augen hängen ; und diese Atmosphäre umgab Faustine , diese Atmosphäre war es , welche sie schied von der Maße der nüchternen Menschen und sie für Einzelne unwiderstehlich machte .
Sie stand darin , wie die Palme in der tropisch blühenden Oase , wie die Peri in ihrem feenhaften Reich .
Und diese Atmosphäre zerschmolz alle Fesseln an Cunigundens eingekerkerter Seele eben so plötzlich , wie sie die Schwingen von Marios freier Seele versengt hatte .
Sie erzählte Faustine ihre einfache , kurze , traurige Geschichte : wie sie vor vier Jahren mit Feldern sich willig und gern verlobt habe , wie es ihr aber trotz dessen jetzt eine Unmöglichkeit sei , seine Gattin zu werden , und wie sie als eine Kranke behandelt werde , weil sie keinen Grund für diese Umwandlung anzugeben wisse .
Sie sagte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Melancholie : " Hypochonder und nervenschwach nennt man mich !
Ach , nicht die Nerven - die Seele ist schwach ! die fürchtet eine Last auf sich zu laden , der sie nicht gewachsen ist . "
" Nennen Sie Ihre Seele nicht schwach , sondern klar ! " rief Faustine .
" Allen Zügeln , allen Lenkungen zum Trotz , läßt sie sich nicht durch die Verhältnisse bestechen , sondern erkennt den Weg , auf welchen ihr Heil nicht liegt .
Haben Sie je so verständig , so überlegt mit Herrn von Feldern gesprochen ? "
" Wie oft !
aber er versteht mich nicht .
Ich denke , daß Männer nicht gleich uns Fühlfäden an ihren Seelen haben . "
" In gewöhnlichen Zuständen mögen wir ihnen an Takt und Feinheit überlegen sein , " sagte Faustine , Andlaus eingedenk , mit tiefer Innigkeit ; " aber wenn ein Mann liebt - und das geschieht öfter , als die Frauen es eingestehen wollen - so umfängt er wie eine Sensitive das Geliebte , und fühlt früher , stärker jede dämmernde Regung , jede Wolke der Empfindung , jeden keimenden Dorn der Mißstimmung , jede schwellende Knospe des Glücks .
Aber freilich - lieben muß er .
Liebe ist ewig der Ring des Djemschid , welcher das Verständnis der Dinge verleiht . "
" Feldern liebt mich .... sagt er "
- " Ja ja , " sprach Faustine und ein Schatten von Cunigundens Melancholie legte sich auf ihre blütenweiße Stirn , Erinnerungen zogen wie finstere Träume ihrem inneren Auge vorüber - " die Männer lieben auf allerlei Weise , und es gibt freilich eine , die uns elender macht , als je ihr Haß uns machen könnte .
Von der rede ich nicht ; denn wenn ich von ihr redete - fügte sie mit dem leisesten , bebenden Ton hinzu , aber ihr Auge flammte und ihre Wange glühte - so könnte ich nicht anders als sie verfluchen . "
Sie preßte krampfig beide Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf , daß ihre Locken wie Bäche die Hände überrieselten .
Dann warf sie Kopf und Haar zurück , ihr Anblick tauchte beruhigt aus der Flut der Erinnerungen auf und sie strich lächelnd , träumerisch über die Stirn , als hätten Gespenster sie geneckt .
" Erschrecken Sie nur nicht über mein rasches , heftiges Wesen , " bat sie lieblich .
" Ich habe nun einmal eine Seele , deren Normalzustand ein fiebernder ist .
Damit hat man goldenselige Phantasien oder grausige Phantasmagorien ; aber letztere kommen mir selten und immer seltener .
Von Ihnen wollen wir sprechen .
Sagen Sie mir , wie sich Ihr Schicksal in Ihrer Familie gestalten würde , wenn sie entschieden mit Herrn von Feldern brächen ? "
" Ich glaube fast , daß ich zu gleicher Zeit mit meiner Familie brechen würde , denn meine Mutter ist nicht daran gewöhnt , daß wir ihren Wünschen entgegen handeln und sie wünscht meine Verheiratung . "
" Nun ? " fragte Faustine gespannt , als Cunigunde nach diesen Worten schwieg .
" Ich habe keine Aussichten , keinen Trost , keine Hoffnung .
Meine Zukunft ist eine undurchdringliche Nacht .
Was ich auch tun möge - Schmerz und Kampf sind mir auf jedem Wege gewiß !
doch Elend nur in der Verbindung mit Feldern . "
" Gott ! " sagte Faustine , " welch unglaubliches Leid verzweigt sich durch anscheinend friedliche , einfach glückliche , harmlose Verhältnisse .
Überall nagt und schleicht und brennt ein Gift , und Keiner kann den Anderen retten , nicht einmal den Geliebtesten .
Jeder muß seinen Kampf selbst durchfechten , und mit seinem Blut bezahlen , und für Jeden ist er immer so , als wäre noch nie etwas Ähnliches dagewesen ; denn immer sind die Umstände so verschieden , daß Niemand sein eigenes Beispiel als einen Rat darbieten darf . "
Sie sprachen viel miteinander , wie alte Freundinnen , und das erleichterte Cunigundens zusammengepreßtes Herz wenigstens von der beschämenden Qual , mit ihren tiefsten , heiligsten Empfindungen als eine beklagenswerte Kranke dazustehn .
Sie blieb den ganzen Tag bei Faustine .
Sie sang ihr vor - und nicht mit der kalten , seelenlosen Stimme , wie sie einst in Mengens Gegenwart auf Feldern Wunsch gesungen , sondern wie man eben singt , wenn das Herz überfließt .
Faustine hörte ihr mit wahrer Andacht zu , denn sie war immer andächtig , sobald sie einen Herzschlag vernahm , und sann nach , ob sie nichts für Cunigunde tun könne , ihr einen Zufluchtsort schaffen , ihr Mittel zu einer selbständigen Existenz an die Hand geben ; und dazwischen fiel ihr ein , ob Andlau nicht unzufrieden sein würde über ihre Einmischung in so zarte Verhältnisse , und ob sie kein Unrecht gegen Feldern beginge , der ihre Vermittlung zur Vereinigung , nicht zur Trennung gesucht .
Sie hatte ihn zwar gleich auf ihre Handlungsweise vorbereitet - - da kam Feldern .
" Ich werde ihm gleich reinen Wein einschenken , " sagte sich Faustine heimlich .
So wie er gemeldet war , veränderte Cunigunde sich augenscheinlich , wurde gezwungen , scheu und befangen .
Sie verließ das Piano , die Kehle hatte keinen Ton , die Brust keinen Atem mehr , und als er eben in den Salon getreten war , sagte sie ängstlich :
" Ich begreife nicht , warum mein Vater nicht kommt mich abzuholen ; es muß schon recht spät sein . "
Zum Glück langte Herr von Stein bald darauf an , und hätte er auch recht gern Faustinens Einladung , den Abend bei ihr zuzubringen , angenommen , so kam ihm doch Cunigunde ablehnend zuvor .
Sie bat Faustine um Erlaubnis , sie in ihren einsamen Stunden einmal wieder besuchen zu dürfen , erhielt sie gern , und schied dankbar .
" Wie finden Sie Cunigunde , gnädige Gräfin ? " fragte Feldern erwartungsvoll .
" Eben so schön als liebenswürdig - und verständig . "
" Und verständig ? -
dann hat sie nicht ehrlich zu Ihnen gesprochen . "
" Sie hat ! warum sollte sie nicht ? "
" Weil sie sich ihrer Torheit schämt . "
" Feldern ! " rief Faustine heftig , " die Torheit dieses Mädchens ist tiefsinnige Weisheit . "
" Hüten Sie sich , in der nebulösen Schwärmerei , in der vagen Exaltation wahren und kräftigen Schwung des Gefühls wahrnehmen zu wollen . "
" Cunigunde ist ruhig und klar in sich , so weit es ein zwanzigjähriges Mädchen sein kann :
sie will nicht einen Mann heiraten , den sie nicht liebt , und das nenne ich vernünftig . "
" Aber während vier langer Jahre hat sie ihn heiraten wollen . "
" Sagen Sie lieber , daß während dieser Jahre die Einsicht ihres Irrtums sich in ihr entwickelt hat . "
" Wie oft soll es den Frauen erlaubt sein , solchen Irrtum zu begehen ? " fragte Feldern gereizt und bitter .
" Erlaubt - nie ; zu vergeben - immer ; " sprach sie sehr sanft .
Feldern schwieg eine Weile ; dann fragte er wieder :
" Und was wird das Schicksal Cunigundens sein , wenn sie bei ihrem Willen beharrt ?
Wird sie einen Mann finden , der ihren exaltierten Ansprüchen genügt ? wird sie ihr herrliches Wesen an einen Unwürdigen verschleudern ? "
" Cunigunde sieht so ernst und fest aus , als brauche sie nicht die Stütze , welche ein Mann geben kann , um ihren Weg durch das Leben zu machen .
Gewiß ist_es , daß sie keine solche wünscht , da ist die Gefahr nicht groß , an einen Unwürdigen zu geraten . "
So begann Feldern allmählich die Möglichkeit einer Trennung zu fassen , und er war mit Faustine in ernste Überlegung dieses wichtigen Gegenstandes vertieft , als Clemens höchst unwillkommen Beide störte .
Eintretend warf Clemens einen zornfunkelnden Blick auf Feldern und einen vorwurfsvollen auf Faustine , zog einen Lehnstuhl , setzte sich bequem zurecht und fragte hämisch :
" Störe ich etwa ? "
" Ja , " sagte Faustine sehr unmutig .
" Behüte der Himmel ! " rief der rücksichtvolle Feldern , " dies Gespräch kann ja in jeder Minute unterbrochen und wieder angeknüpft werden . "
" Das ist schön ! " sagte Clemens .
" Ich war heute zweimal vergeblich vor Ihrer Tür , Gräfin Faustine , Mittags um zwölf , Nachmittags um vier Uhr : beide Mal sagte mir der Diener , Sie wären nicht zu Hause .
Jetzt ging ich wieder vorbei , und da ich Licht in Ihrem Salon sah , kam ich herauf , in der festen Überzeugung , dieselbe Antwort zu bekommen "
- " Aber Sie täuschten sich , wie Ihnen das schon Millionen Mal passiert ist " , sagte Faustine kaltblütig , ohne seine Impertinenz zu beachten , für welche Feldern ihn sprachlos mit strafenden Augen ansah .
Dann wendete sie ihm den Rücken und unterhielt sich mit Feldern über Vorfälle in der Gesellschaft und Erscheinungen in der Kunst und Literatur .
Eine momentane Pause benutzte Clemens , um im veränderten , demütigen Ton die Frage zu tun : " Sie waren doch nicht etwa krank heute , Gräfin Faustine ? "
" Nein , ich war sehr wohl , " antwortete sie kühl und kehrte sich wieder zu Feldern mit einer gleichgültigen Bemerkung über die bodenlose Gesprächigkeit irgend einer Dame .
" Es tut mir immer leid um alle die schönen Worte , die sie so kreuz und quer und mit vollen Händen ausstreut .
Man kann viel durch ein Wort ausrichten , wenn man nur nicht sich und andere daran gewöhnt hat , daß man die Worte mißbraucht .
In ihrer Zusammenstellung kann eben sowohl als in ihrer Betonung eine deutliche Nüancirung veränderter Zustände liegen .
Wenn Jemand an mich schreibt : " meine teure Faustine ! " -
der sonst schrieb : " liebe Ini , " oder kurzweg : " Ini " - denn in der bloßen Nennung des Namens ohne verherrlichende Adjektive liegt die tiefste , konzentrierteste Innigkeit - so weiß ich , daß seine Zärtlichkeit eine retrogade Bewegung gemacht , wel che sich im nächsten Brief , den ich vielleicht nach einem halben Jahr erhalten werde , in Hochachtung umgesetzt hat , was mir die : " verehrte Gräfin ! " ankündigt . "
" Ist Ihnen das wirklich schon begegnet ? " fragte Clemens neugierig .
Er suchte an der Conversation Teil zu nehmen , von der Faustine ihn so absichtlich ausschloß .
Aber wenn sie auch erwiderte :
" Ich spreche nur beispielsweise von mir " - so würdigte sie ihn doch keines Blicks , und Clemens verzweifelte innerlich , daß er sich von seiner kindischen Eifersucht hatte hinreißen lassen , die ihm jetzt so thörig und unpassend wie möglich erschien .
Nachdem Feldern gegangen , sagte Faustine zu Clemens , der noch immer ganz unbeweglich in seinem Lehnstuhl verharrte : " Gute Nacht , Herr von Walldorf . "
Er fuhr zusammen .
" Herr von Walldorf ? " fragte er verwirrt .
" Ja , ich meine Sie . "
" Und was habe ich Ihnen getan , daß Sie mich plötzlich so fremd behandeln , mich fortschicken , obgleich ich Sie heute den ganzen Tag nicht gesehen ? "
- " Mir haben Sie nichts getan ! merken Sie sich das ein für alle Mal : eine Unart trifft nicht mich , sondern den , der sie begeht .
Ihr schlechter Ton verletzt mich noch mehr in Ihrer , als in meiner Seele , weil er von einer außerordentlich starken Eindelicatesse zeugt .
Ich müßte Sie wie ein Kind behandeln und Ihnen jedes unpassende Wort verweisen , wenn es mir nicht zu langweilig wäre als Bonne aufzutreten , einem vernünftigen Menschen gegenüber .
Da ich das nicht mag , werde ich Sie fremd und förmlich behandeln , um Sie auf diese Weise an die Schranken zu erinnern , welche Sie stets geneigt sind zu überspringen .
Aber ein Mann , der mich dazu zwingt , wird mir über kurz oder lang unausstehlich .
Die Männer sind von Natur täppische Gesellen ! wurde das nicht durch Erziehung und Sitte gesänftigt , so behüte mich der Himmel vor ihrem Umgang . "
Clemens rang die Hände .
" Wie kann ein scherzhaftes Wort - "
" Niemand versteht besser den Scherz als ich , " unterbrach Faustine ; " darum habe ich auch sehr gut verstanden , daß Sie nicht scherzen , sondern sehr ernsthaft sein wollten , was wirklich bei dieser Gelegenheit nicht bloß ins Gebiet des Scherzes , sondern in das der Lächerlichkeit fällt . "
Sie lachte , und Clemens rief erleichtert " Gottlob ! "
Faustine sagte mit ihrem gewöhnlichen sanften Ton und hellen Blick :
" Ich bin ja so gern die Freundin meiner Freunde ! zwingen Sie mich doch nicht , Ihr Zuchtmeister zu sein .
Dazu sind ja die Feinde gut . "
" O , Sie sind eine Himmlische ! " rief Clemens beseligt und ergriff ihre Hand ; setzte aber langsam hinzu , als Faustine die Hand losmachte :
" Nur aber grausam . "
" Sehen Sie je , daß ein anderer Mann alle Augenblicke meine Hand anpackt ? " fragte sie ein wenig gelangweilt .
" Nein ; aber es liebt Sie auch Keiner wie ich . "
" Irrtum !
Alle haben mich lieber , als Sie .
Alle vermeiden mir lästig zu werden und mir zu mißfallen . "
" Aber für Einen könnten Sie doch eine Ausnahme machen ? "
" Und warum das ? "
" Eben weil er Sie liebt . "
" Das genügt nicht !
ich muß ihn wieder lieben . "
Er sah sie an .
Sie saß auf dem Sofa , in die Ecke zurückgelehnt , das feine goldene Kettchen , woran ihre Lorgnette hing , nach ihrer Gewohnheit um die Finger schlingend und wieder ablösend , der Kopf seitwärts gesenkt , der Blick zerstreut , so zerstreut , daß Clemens , der auf dem Punkt gewesen war , ihr zu Füßen zu fallen und um ihre Liebe zu bitten und zu flehen , selbst ganz zerstreut wurde , und gleichsam beruhigend halblaut zu sich selbst sprach :
" Sie kann wohl nicht lieben . "
- Und damit ging er .
Mengen klagte auch am nächsten Tage über Faustinens Unsichtbarkeit , aber es geschah in einem anderen Ton .
Für ihn war es wirklich , als habe die Sonne nicht geschienen .
Eine Stunde , oft nur eine halbe Stunde , bei ihr zugebracht gab ihm eine Freudigkeit , die dreiundzwanzig Stunden lang anhielt .
Er konnte sie nicht so oft sehen , als er wünschte ; denn wenn auch eine einzige Minute schon ihm ein Glück war , so sehnte er sich doch immer nach ihrer Allgegenwart , und wenn er auch arbeitend und beschäftigt am Schreibtisch saß , so war es ihm doch oft , als beuge ihr Kopf sich lieblich über seine Schulter , als sehe sie mit ihrem magnetisch anziehenden Auge in das seine .
Diese geträumte Allgegenwart verriet genügsam seine Wünsche .
Aber er besorgte allein die Geschäfte .
Während der Abwesenheit des Gesandten , im Sommer , hatte er sie übernommen , und gern ; ihm war Arbeit eine Lust ; sie waren ihm geblieben .
Der alte kränkelnde Chef hatte ihn lieb und nahm oft seine Gesellschaft in Anspruch .
Die Welt desgleichen , mit der er sich eingelassen , ehe er Faustine gekannt .
Jetzt waren ihm alle diese Verhältnisse höchst lästig .
Er mußte zwischen ihnen und ihr die Zeit teilen , die Zeit , welche bei ihr unschätzbar wurde ; denn in jeder Sekunde gewahrte er einen neuen Reiz , eine neue Gabe bei ihr , und bei Anderen nichts , als das tausendfältig abgehaspelte Einerlei der nach außen gerichteten Oberflächlichkeit .
Ihr Wesen war so tief , daß er oft ihre Anmut darüber vergaß ; aber die Form , worin sie sich hüllte , war so verschwebend leicht , so heiter , so süß und lieblich , daß es Torheit schien , bei dieser Grazie den Ernst zu suchen .
Gerade dies seltene Gemisch vom Höchsten und Einfachsten - da die meisten Menschen weder das Eine noch das Andere , und nur ausgezeichnete das Eine oder das Andere sind - war ihm anfänglich so überraschend und später so fesselnd entgegengetreten , wie er nie geglaubt , daß ein Weib es könne .
Wenn er in ihr Zimmer trat und die Tür hinter ihm zufiel , wenn er sie immer ernst beschäftigt , lesend , malend , schreibend , nachdenklich wie eine Muse fand , und wenn sie dann so fröhlich , wie ein der Schule entronnenes Kind , Bücher und Pinsel fortwarf und ausrief :
" Ein gesprochenes Wort ist mir lieber , als zehntausend gedachte !
jetzt wollen wir plaudern ! "
- oder ein ähnlicher Ausruf , der immer einen Gedanken verriet oder enthielt , und auf den , als Begrüßung , Niemand rechnen konnte : - so war er in eine Region entrückt , die sein Fuß noch nie betreten , und in der er sich doch heimisch fühlte , wie in seinem angestammten Eigentum .
Bisweilen fielen ihm die ersten Äußerungen ein , welche er über Faustine gehört ; aber er schenkte ihnen keinen festen Glauben .
Es wird so viel Wunderliches in der Welt geschwatzt !
Doch hatte er nicht den Mut , Faustine zu fragen .
Es war , als fürchte er sich , etwas zu hören , was ihm weh tun müsse .
Allein diese Furcht nahm eine Maske vor und sprach : " warum dies offene Wesen nach etwas fragen , was sie mir unfehlbar ungefragt sagen wird . "
Doch von ihrem Verhältnis zu Andlau sprach Faustine nie .
Sie hielt es nicht für nötig , das Warum und Weshalb ihres Tuns darzulegen .
Sie tat .
Mißfiel das , so ertrug sie es .
Sich zu rechtfertigen , zu entschuldigen nur , war ihr nie eingefallen .
" Andere müssen uns entschuldigen , " pflegte sie zu sagen ; " wer für sich selbst Entschuldigungen aussinnt , könnte ja lieber das Mittel aussinnen , ihrer nicht zu bedürfen . "
- Auch von Andlau selbst sprach sie wenig , und nie anders als zufällig zu Personen , die ihn nicht kannten .
Einmal kam Mengen zu ihr und fand sie umringt von Charten des Orients .
Er fragte , was sie studiere .
" Meine Reise in den Orient , " entgegnete sie und entwickelte ihm den Plan , dem sie die Frage anhing , ob er nicht von der Partie sein wolle .
Er willigte mit Jubel ein , und Faustine rief alle historische und poetische Erinnerungen auf , welche gerade über diese Reise einen so mächtigen Zauber verbreiten .
Auf einmal sagte sie :
" Einer von Andlaus Freunden ist Konsul in Alexandria geworden .
Das schrieb er mir heute , und dieser Freund nun ist der Grundstein zu meiner ägyptischen Hoffnungs-Pyramide . "
" Sobald Herr von Andlau Sie begleitet , bin ich überflüssig " - sagte Mengen sehr kalt , " und ich denke , Sie dispensieren mich dann gern . "
" Weshalb wollten Sie sich um die Freude bringen ? " fragte sie lieblich ; " und kann ich denn je von zu vielen Freunden umringt sein ? "
" Ach , Sie machen mich zu Ihrem Sklaven - nicht zu Ihrem Freund . "
" Wenn ich das tue - so haben Sie Recht , sich von mir loszumachen ; aber ich tue es unbewußt . "
" Es ist schöner , in der Sklaverei bei Ihnen , als in schwer erkämpfter Unabhängigkeit fern von Ihnen zu leben . "
" Bilden Sie sich nur nicht ein , daß ich Ihnen für dies Kompliment danken werde ; " rief Faustine lachend ; " denn erstens ist es eine Fadaise , und zweitens hasse ich die Sklaverei zu sehr für mich , als daß ich sie Anderen auflegen möchte .
Wer nicht aus freiem Willen bei mir ist , bei mir bleibt - der kann lieber heute als morgen gehen ; Rücksichten und Pflichten dürfen ihn nicht halten .
Ich stürbe lieber vor Hunger , als daß ich ein Stück Brot von der Hand annähme , welche ohne überquellendes Erbarmen , ohne antreibende Liebe , nur aus dürrer Verpflichtung es mir darböte . -
Gehen Sie doch , Graf Mengen , gehen Sie , wenn Ihre Freiheit durch mich beeinträchtigt wird - ich halte Sie nicht . "
" Unbewußt - wie Sie selbst sagten . "
" Nun , wenn Sie nicht gehen können , so müssen Sie auch nicht klagen .
Man muß Fesseln brechen , nicht gegen sie rebellieren . "
" Sind Sie wirklich im Besitz dieser seltenen Stärke in jedem Augenblick , zu jeder Epoche Ihres Lebens ? "
" Mein Leben ist so unaussprechlich einfach und einfarbig gewesen , daß ich nur ein einziges Mal Gelegenheit hatte , einen unbesieglichen Entschluß zu fassen .
Da revoltierte ich freilich , aber es war eine Revolution , aus der eine neue Aera für mich hervorging : deshalb hatte ich ein Recht dazu .
Seitdem habe ich , Gottlob ! weder Kraft , noch Kämpfe , noch Entschlüsse nötig gehabt , was alles sehr unbequeme Dinge sind .
Aber der Mann sollte doch immer unter den Waffen stehen !
er ist von so verschiedenen Seiten anzugreifen .
Leidenschaften , die wir kaum ahnen , beherrschen ihn oder versuchen es wenigstens ; er muß nach allen Seiten auf der Hut sein .
Wir haben es immer nur mit der des Herzens zu tun , was aber freilich auch die Sturm- und Wetterseite ist . "
" Charakter haben - Wort und Tat , Meinung und Handlung in die genaueste Übereinstimmung , und beide dahin bringen , daß sie Eins , daß sie unsere Wesenheit , daß wir selbst Charakter werden : darin liegt die ganze menschliche Würde , und um sie stets zu behaupten , ist oft eine übermenschliche Kraft erforderlich . "
" Mag sein übermenschlich ! " rief Faustine mit strahlendem Blick , " doch zweifle ich nicht , daß sie im entscheidenden Moment Ihnen zu Gebot stehen würde .
O , Mengen , wenn Ihr klares , herrliches , entschiedenes Antlitz im Widerspruch mit Ihrem Wesen wäre , so wäre es mir ein Schmerz .
Sie dürfen nicht lügen ! nicht von der gemeinen Wortlüge rede ich , sondern von der feinen , welche im Sein nicht hält , was die Erscheinung verspricht .
Nicht wahr , Sie werden immer ganz Sie , und so sein , wie ich Sie erkannt habe ? "
Sie bog sich vor , und sah ihm fest ins Auge , und ihr Blick berührte den seinen wie der Strahl der aufgehenden Sonne das Meer .
Am liebsten wäre er vor ihr niedergekniet und hätte ihr ewige Huldigung gelobt .
Aber er begnügte sich , ganz leise mit den Lippen ihre feine Hand zu berühren , die erst gegen ihn ausgestreckt , nun vor ihm auf dem Tische lag .
Darauf sprach sie :
" Ich habe das Gelübde verstanden und nehme es an . "
" Doch nun , " rief Mengen , sich zusammennehmend , um nicht das Gefühl ausbrechen zu lassen , " nun müssen Sie mir irgend etwas geben , was mich stets daran erinnert , was mich nie verlassen wird . "
" Das ist billig ! " sagte sie .
" Herzog Christian von Braunschweig trug stets einen Handschuh von Elisabeth von der Pfalz am Barett .
Ich denke , mein gelber Handschuh würde von sehr gutem Effekt auf Ihrem schwarzen Hut sein . "
Mario war aufgestanden und ging aus dem Salon in Faustinens Zimmer , an ihren Schreibtisch .
Da stand eine kleine , sehr schöne , flache etruskische Schale und in derselben lagen Ringe und Petschafte .
Mario nahm diese Schale und brachte sie Faustine .
Sie ließ den Inhalt durch ihre Finger gleiten und wählte endlich einen einfachen , starken Ring mit einer großen Perle und der Devise :
" Qui me cherche , me trouve . " - Sie fragte :
" Ist Ihnen der Ring recht ? "
Stadt der Antwort hielt Mengen seine Hand hin und bat sie , den Ring ihm anzustecken und zwar an den sogenannten Ringfinger .
Sie wollte es schon tun , da besann sie sich plötzlich und sagte langsam :
" Nein , der Finger wird dereinst einen anderen Ring tragen , welchem der meinige weichen müßte .
Gönnen Sie ihm einen Platz , von dem er nicht verdrängt werden kann . -
Keine Einwendungen ! " rief sie lebhaft ; " ich bin eigensinnig !
ich will meinen eigenen Platz ! sei er so klein wie möglich - ich will meinen eigenen , unantastbaren Platz - oder gar keinen .
Sie haben die Wahl . "
" Sie haben zu befehlen , " erwiderte Mario .
" Ich meine nur , daß Sie jeden Platz zu einem unantastbaren machen . "
" O ja , wenn ich mich gleich auf einen solchen stelle , der nicht mit den Ansprüchen der Welt in Kollision kommt . -
Sehen Sie , an Ihrem kleinen Finger nimmt sich der Ring ganz hübsch aus , " setzte sie hinzu und schob ihn an .
" Nun erzählen Sie mir auch seine Geschichte , " bat er .
" Leider hat er keine " , entgegnete sie lachend .
" Vor Jahren habe ich ihn mir ausgedacht , ihn machen lassen , ihn drei Tage getragen - dann bei Seite gelegt .
Er bezeichnet nur meine damalige Seelenstimmung .
Die Menschenherzen kamen mir vor wie versenkte Perlen , nach denen niemand fragt .
Das war ein Irrtum - Taucher fragen wohl nach ihnen ! darum gehören ihnen auch die Perlen . "
Am Schluß des Gesprächs war Mario so glücklich , daß er ganz vergessen hatte , wie niedergeschlagen er am Anfang gewesen .
Faustine aber fiel , nachdem er gegangen , die Frage aufs Herz : ob Andlau sehr mit diesem verschenkten Ringe zufrieden sein würde .
In seiner Gegenwart hätte sie ihn gewiß verschenkt und seiner Einwilligung sicher sein können ; allein in seiner Abwesenheit !
....
Der Vorsatz , es ihm morgen zu schreiben , beruhigte sie .
" Es kam ja ganz einfach " - sprach sie zu sich selbst , " ich bin nur so sehr daran gewöhnt , auch das Alltäglicheste mit Anastas zu teilen , daß mir das Ungeteilte wie eine Last auf der Brust liegt .
Ich kann es wirklich nicht ertragen , so einsam für mich zu existieren , und wenn Mengen nicht hier wäre !
.... Gottlob , daß er es ist . "
Ob diese Freude an seiner Gegenwart Andlaus Rückkehr überdauern würde , ob sie kein Unrecht an Mario tue , wenn das nicht der Fall - das kam ihr nicht in den Sinn .
Sie glaubte das Recht zu haben , sich aus voller Seele dieser ansprechenden Erscheinung freuen und ihr hingeben zu dürfen ; sie sah darin keine Gefahr .
Wenn man dies nur Leichtsinn nennen wollte , so würde man dennoch Faustine Unrecht tun , obgleich wohl in ihrem Wesen jene leichtblütige Mischung war , welche den Leichtsinn erzeugt .
Aber das Leben war ihr eine Aufgabe , sich zur möglichsten Vollendung durchzuarbeiten , und jede Begegnung sollte ein neuer Hammerschlag sein , um das Götterbild aus der rohen Felsmasse befreien zu helfen .
Sie war von einer tiefen Herzensreinheit ; nicht von der des Kindes , welches überhaupt von keiner Schuld weiß .
Ihr heißes Herz verstand jede Schuld , jede Schwäche - nur nicht für sich selbst .
Sie Maß sich nie bei , die Absicht des Schöpfers mit den Geschöpfen erkannt zu haben :
nur für sich hatte sie dieselbe erkannt und sie lag in dem kleinen Wort : aufwärtsstreben .
Jede Gemeinheit der Lüge , der Heuchelei , der Gefallsucht war ihr fremd - eben ihrer reinen Natur nach , welche jeden Schein verachtete , und zu der hatte sie eine Zuversicht , die auf nichts begründet und durch nichts gerechtfertigt war .
Was ihr begegnete , nahm sie von höherer Hand gesendet an , um es zu ihrem Besten zu verarbeiten , ohne Jemand dadurch zu beeinträchtigen .
Aber wo zieht sich der Faden einer Existenz so einsam hin , daß kein fremder sich mit ihm verschlinge und verwebe ? daß dieser nicht breche , wenn der Knoten in jenem zerrissen wird ?
Indessen kam der Brief für Andlau am nächsten Tage nicht zu Stande , wenigstens nicht so , wie es Faustinens Absicht gewesen .
Sie wurde im Schreiben überraschend gestört , indem Frau von Stein sich bei ihr melden ließ .
Faustine empfing sie äußerst artig , aber jene nahm nicht sonderlich Rücksicht darauf , und begann sogleich damit , ihr zwar in zierlichen Phrasen , allein ganz unverhohlen Vorwürfe über den ungünstigen Einfluß zu machen , den sie auf Cunigunden geübt .
Das Mädchen sie nun erst recht in seinem Eigensinn bestärkt , und sowohl Feldern , als sie selbst hätten ganz das Gegenteil erwartet .
Faustine antwortete mit einiger Befremdung , daß sie Cunigunden gar keinen Rat gegeben , weil er nicht von ihr verlangt sei , und daß sie das Mädchen schon allzu entschieden gefunden habe , um glauben zu können , daß ihr oder irgend ein anderer Rat von bestimmender Wirkung sein könnte .
" Aber nur eine Kranke konnte ich nicht in dem schönen , edlen Geschöpf erblicken , " fügte sie hinzu , " und das mag allerdings sie erkräftigt haben . "
" Jede Überspannung ist Krankheit der Seele , " fiel Frau von Stein ihr ins Wort ; " und Überspannung ist Alles , was uns durch überfeinerte Ansprüche an Glück unserer Bestimmung entfremdet , wohl gar entzieht .
Cunigunde ist unbemittelt und ihre Zukunft durch nichts , als durch eine Heirat zu sicheren .
Für jedes Madchen ist es wünschenswert und ehrenvoll , die Gattin eines so wackeren Menschen zu werden , wie Feldern .
Ich aber wünsche nicht bloß Cunigundens , sondern auch ihrer Schwestern wegen , meine älteste , schönste Tochter zu verheiraten ; denn die beiden jüngern werden stets durch sie in Schatten gestellt sein , wenn sie im elterlichen Hause bleibt .
Mir muß das Glück all meiner Kinder am Herzen liegen , und ist die Eine thörig , so dürfen die Anderen nicht darunter leiden . "
" O Gott , " seufzte Faustine , " Cunigunde leidet aber . "
" Ja , gegenwärtig , weil unser Aller Mißvergnügen sie drückt .
Hat sie sich nur erst überwunden und den Schritt getan , welcher ihr jetzt unmöglich scheint , so wird ihr reines Herz in dem Bewußtsein erfüllter Pflicht die nötige Stärke und Erhebung finden , um sie mit ihrem Schicksal auszusöhnen .
Und überdies geht sie ja keinem entsetzlichen Schicksal entgegen .
Feldern ist ein Mann , den eine verständige Frau lenken kann , wie sie will - "
" Führe uns nicht in Versuchung ! " sagte Faustine mit einem Ton , vor dem Frau von Stein unwillkürlich verstummte .
Nach einer Pause , in welcher Beide sich scharf fixierten , sagte Faustine :
" Den geliebten Mann zu beherrschen , ist ein momentaner Triumph unseres Herzens , das mit seiner Glut zuweilen den fremden Widerstand schmilzt und doch schon heimlich bereit ist , den errungenen Zepter niederzulegen .
Den ungeliebten Mann zu beherrschen , ist eine Entwürdigung , weil nur zwei niedrige Mittel diese Herrschaft geben können : die Heuchelei der Frau , die Sinnlichkeit des Mannes ; - und sie anwenden zu müssen wäre kein entsetzliches Schicksal ?
Wenn alle Welt sagt , der Mann ist glücklich dadurch ! und wenn er selbst sich vollkommen glücklich fühlt ! und wenn es die höchste Ehre einer Frau ausmacht , den Gatten zu beglücken - so sage ich dennoch , durch diese Mittel ist die Frau entwürdigt - nicht vor der Welt , denn was weiß die Welt von einem reinen Herzen ? und das allein gibt Adel und Würde ; - aber vor sich selbst .
Haben Sie doch Mitleid mit Ihrer Tochter , führen Sie nicht sie in Versuchung . "
Aber Faustinens Ansichten konnten keinen Eindruck auf Frau von Stein machen , welche ihr Leben lang nach den entgegengesetzten gehandelt hatte .
Sie sagte daher : " Bei der schneidenden Verschiedenheit unserer Meinungen werden Sie sich gewiß nicht wundern , Frau Gräfin , wenn ich wünsche , daß meine Tochter keinen ferneren Gebrauch von Ihrer Erlaubnis macht , Ihren Umgang fortzusetzen . "
Faustine sagte traurig :
" Also nicht einmal mich sehen soll die arme Cunigunde ?
....
Wenn es ihr nun aber eine Freude wäre ? " setzte sie bittend hinzu .
" Ich begreife nicht , " entgegnete Frau von Stein scharf , " welch seltsames Interesse Sie an meiner Tochter nehmen . "
" Ich liebe das Liebenswürdige " - sprach Faustine sanft .
" Doch hat es einen gehässigen Anstrich , störende Verhältnisse zu begünstigen . "
" Der Vorwurf trifft mich nicht " - sprach sie noch sanfter , und sogar Frau von Stein wurde entwaffnet durch ihre Anmut , und schied freundlicher , als sie gekommen , aber unerschütterlich in Betreff Cunigundens .
Kaum war Faustine allein , als sie einen Brief erhielt .
Die Aufschrift von unbekannter Hand machte ihr Herz ängstlich schlagen .
Das Fremde ist so selten etwas Gutes .
Sie erbrach atemlos den Umschlag und fühlte sich wahrhaft erleichtert , als sie die Unterschrift : Cunigunde - las .
Diese schrieb :
" Meine Mutter wird Ihnen so eben sagen , daß ich Sie nicht mehr sehen soll , Holdselige !
Das betrübt mich tief ; denn nicht nur , daß ich Sie immer sehen möchte :
ich habe auch eine dringende Bitte , die ich jetzt schriftlich an Ihr Herz legen muß .
Mein guter Vater ist mit mir einverstanden , er billigt meinen Schritt , er unterstützt meine Bitte .
- Unter den gegenwärtigen Verhältnissen bin ich Arme leider dem elterlichen Hause eine Last geworden .
Es ist bitter für ein Kind , das zu erkennen ; doppelt bitter mir , weil ich selbst daran schuld bin und es doch nicht auf die Weise ändern kann , welche man von mir wünscht .
Aber das Haus verlassen , wo ich Allen , nur nicht meinem armen lieben Vater , im Wege bin - das kann ich allerdings und das will ich .
Dazu müssen Sie , Sie wahrhaft Gnädige , mir behilflich sein .
Sie haben Verwandte und Freunde in der Ferne , die Ihrem Wort , Ihrer Bitte gern Gehör geben werden .
Ach , für sich selbst haben Sie wohl nie gebeten , Ihrem unausgesprochenen Wunsch sind gewiß Alle zuvorgekommen .
Nun denn , so bitten Sie für mich , daß man mich aus Menschenliebe aufnehme , eine Freistatt mir gönne , einen Wirkungskreis mir anweise , den meine geringen Fähigkeiten ausfüllen können .
Einen anderen Anspruch an diese große Barmherzigkeit , als den , daß ich sie bedarf , habe ich freilich nicht , denn ich bin ein unbedeutendes , unentwickeltes Wesen , das denen , die sich meiner annehmen wollen , nichts verheißen kann , als Dankbarkeit .
Aber wenn Sie das Gewicht Ihrer Bitte für mich in die Schale legen , so sinkt sie gewiß herab .
Zürnen Sie mir , weil ich diese Zuversicht zu Ihnen habe ? -
Mein letztes Wort ist : möchte ich so bald wie möglich so fern wie möglich sein . "
Nachdem Faustine mit tiefer Rührung diesen Brief gelesen , schrieb sie ihn ab , erzählte Andlau ausführlich Cunigundens Geschichte und auf welche Weise sie darin verflochten sei , beschwor ihn , bei seinen Schwägerinnen und wo man Vertrauen zu ihm habe , nach einer Freistatt für Cunigunden zu suchen , schloß die Kopie in ihren Brief , und dachte erst , nachdem er gesiegelt , daß kein Wort von der gestrigen Begebenheit darin stehe .
Aber dies ist auch wichtiger - fügte sie hinzu und schickte den Brief augenblicklich zur Post .
- Daß sie dem armen Clemens versprochen hatte , sich heute auf dem Bassin des großen Gartens im kleinen Eisschlitten von ihm fahren zu lassen - war ebenfalls gänzlich ihrem Gedächtnis entschwunden , und fiel ihr erst dann ein , als er in später Abendstunde sich bei ihr anmelden ließ .
Sie war eben an ihre Toilette gegangen , um sich auf einen glänzenden Ball zu begeben , wo sie mit Mengen über die Vorfälle des heutigen Tages plaudern wollte , also konnte sie Clemens nicht annehmen .
Eine halbe Stunde später trat sie in den geschmückten Saal .
Mengen stand mit Feldern so , daß er den Eingang im Auge hatte , und obgleich er lebhaft mit dem Freunde sprach , so flog doch sein zerstreuter Blick unablässig dorthin .
Feldern war sehr niedergeschlagen , weil der Bruch mit Cunigunden unwiderruflich , und seine Achtung vor ihrem festen Willen seine Neigung nicht verminderte .
" A revoir ! " sprach Mengen plötzlich ; " hernach reden wir weiter darüber . "
" Heute nicht mehr , " sagte Feldern lächelnd , denn er folgte Marios Augen und sah Faustine .
Sie stand an der Tür , die Unmöglichkeit einsehend , durch den Kreis der Tänzer und das Gedränge der Zuschauer zu brechen .
Sie lehnte an dem Pfeiler mit übereinander geschlagenen Armen - eine Stellung , die den meisten Frauen wegen zu enger Kleidung unmöglich sein dürfte - und die Rechte tändelte mit dem Fächer , den sie sinnend an den Lippen hielt , nachdem ihre Gedanken nicht mehr durch die Umgebungen beschäftigt waren .
Das meergrüne Kleid , die leichten , lang herabfallenden Locken , die stille Traurigkeit , welche sich wie ein silberner Schleier auf ihre weichen Züge legte , gaben ihr etwas so ätherisches , daß Mario , während er sich Bahn zu ihr machte , unablässig sie im Auge behielt , um sich zu vergewissern , daß sie kein Traumgebilde sei , oder um , wenn sie ein solches sei , doch wenigstens wahrzunehmen , wie sie sich in Duft auflöse .
" Welch ein allerliebst verdrießliches Gesichtchen bringen Sie auf unseren munteren Ball , Gräfin Faustine " - sagte er , als er sie endlich erreicht .
" Es ist übel , daß jede Trauer einen verdrießlichen Beigeschmack hat , " antwortete sie gelassen .
" O keine Trauer heute ! " bat er , " ich bin glücklich - noch von gestern , glaube ich ! und dann habe ich die Nachricht bekommen , daß meine zweite Schwester dem Ziel ihrer Wünsche , der Verbindung mit einem längst Geliebten , durch unvorhergesehene günstige Umstände ganz nahe ist .
Die beiden Menschen haben sich abgequält und abgezehrt , und nun ist plötzlich das Glück da . "
" Sagen Sie lieber , die Qual ist aus ! ob das Glück nun kommt , ist fraglich . "
" Sie hoffen es doch ! -
Wollen Sie mit mir walzen , Gräfin Faustine ? "
" Ich kann heute keine lustigen Leute leiden , Graf Mengen . "
" Ich bin nicht lustig , nur heiter . "
" Wenn die Heiterkeit sich auf äußere Dinge und Zeichen legt , wird sie lustig . "
" Nun , wie soll ich sein , um Ihnen zu gefallen ? "
" Teilnehmend " - sagte sie und eine Träne trat in ihr Auge .
Mengen erbleichte .
Sie weinte und er hatte sie geneckt , in guter Absicht zwar , um sie von der Traurigkeit zu steuern , die er beim ersten Blick in ihrem Gesicht entdeckt ; aber sie weinte .
Er nahm ihren Arm unter den seinen und führte sie zu einem ruhigeren Platz in einer Fensternische .
Da sagte er erst : " Was ist Ihnen widerfahren ? "
- Und Faustine erzählte .
Zum Schluß bat sie ihn , seinerseits sich zu bemühen , damit Cunigundens Wunsch erfüllt werden möge .
" Feldern selbst muß uns dafür dankbar sein , " fügte sie hinzu , " wenn er nur das geringste echte Gefühl für dies edle Geschöpf hat . "
Mengen hatte gespannt zugehört .
Er war beglückt , weil nicht Faustine persönlich von einem Leiden heimgesucht ; und zwiefach beglückt , weil er im Stande war , das fremde , welches ihr so zu Herzen ging , zu heben .
Er sagte :
" Tun Sie mir den Gefallen , sich recht innig über die Verlobung meiner Schwester Matilde zu freuen . "
" Recht gern , mein lieber Mengen , besonders darüber , daß Sie ein so zärtlicher Bruder sind , denn ich habe Sie nun doch einmal lieber , als Ihre mir unbekannte Schwester Matilde . "
" Aber diese Verlobung macht ja , daß meine jüngste Schwester , eine allerliebste Person , nun ganz allein bei den Eltern sein wird , weshalb ich den Auftrag habe , eine junge und liebenswürdige Gesellschafterin für sie ausfindig zu machen . "
" Mengen ! lieber Bester ! ist es wahr ? " fragte Faustine mit innerem Jubel .
" Und da könnte ich wohl keine liebenswürdigere finden , als Fräulein Stein . "
Die Tränen rollten rasch und heiß aus Faustinens Augen .
" Dank ! " sagte sie , " o tausend , tausend Dank ! "
Sie drückte seine Hände , sie sah ganz verklärt aus .
" Sie sind ein Engel ! " sagte Mario rasch und leise .
" Ich nicht , " sprach sie und trocknete die Augen ; " aber Sie !
Sie bringen ja eine himmlische , eine rettende , trostreiche Botschaft . "
" Wer sich so freuen kann , ist ein Engel ! der gewöhnliche harte , kalte , engherzige Mensch hat kein solches Mitgefühl . "
" Wenn Sie wüßten , wie froh Sie mich machen ! dies ist der erste gute Augenblick , den ich heute gehabt .
Ich konnte gar nichts für Cunigunden tun ! solch Wesen paßt nicht überall hin .
Unter meinen nähern Bekannten konnte ich niemand ausfindig machen , mit meiner Schwester würde sie nicht harmoniert haben - und nun nehmen Sie mir die schwere Sorge vom Herzen .
Nicht wahr , Sie schreiben gleich morgen früh an Ihre Eltern ? ich werde Ihnen Cunigundens Brief senden , damit die Ihrigen sich überzeugen mögen , wie anspruchlos sie auftritt .
Nicht wahr , Sie zweifeln nicht , daß es uns glücken wird , sie aus ihren trüben Verhältnissen zu erlösen ?
Machen Ihre Eltern , macht Ihre Schwester besondere Ansprüche an die Gesellschafterin ? "
" Gar keine , als daß sie musikalisch sei . "
" Das ist Cunigunde !
sie singt lieblich . "
" Sie hat freilich eine glockenreine Stimme , aber ihr Gesang ließ mich eiskalt . "
" Kurz , sie singt und spielt das Piano - das ist die Hauptsache . -
O ich bin froh über die Verlobung Ihrer Schwester Matilde !
....
Wollen wir walzen ? "
Sie tanzte selten , weil sie es übernatürlich langweilig fand , den Tanz , diesen jubelnden Ausdruck des Frohsinns , bis zur Ermüdung und Erschlaffung durch lange Stunden , gleich einer aufgegebenen Arbeit , auszudehnen .
Es würde ihr eben so unmöglich gewesen sein , einen ganzen Abend hindurch zu tanzen , als zu lachen .
Was sie auch tat - es geschah nie ohne eine innere Notwendigkeit .
Darum tanzte sie auch wie Niemand sonst , obschon ihre Bewegungen so regelrecht waren , wie vom Tanzmeister eingeübt .
Faustine wollte Mario eine Freude machen , darum tanzte sie mit ihm .
Als mehrere andere Herren sie um gleiche Gunst baten , sagte sie lachend :
" Sie kommen zu spät ! " -
und war zu keinem Schritt zu bewegen ; was man denn freilich wunderlich genug fand .
" Ich mußte heute doch einen Spaß haben , " sagte Faustine zu Mengen , " nachdem ich einen sehr hübschen versäumt - eine Fahrt auf dem Eise im großen Garten mit Walldorf ; Alles wegen der bewußten Angelegenheit .
Auch mein Diener habe ich darüber versäumt ! um vier Uhr war ich in Schreiberei vertieft , und hernach , als meine gewohnte Speisestunde vorüber - hatte ich keinen Hunger mehr . "
" Es muß immer Jemand Ihnen zur Seite stehen , der für Sie sorgt : sonst begreife ich nicht , wie Sie durch das Leben kommen sollen , Gräfin Faustine . "
" Es ist mir auch unbehaglich genug . "
" Für das verlorene Diener kann ich Ihnen freilich keinen Ersatz bieten .
Wollen Sie sich aber morgen von mir im Eisschlitten fahren lassen , so sind Sie wohl sicher , daß Sie mich erfreuen . "
" Ich bin heute in gnädiger Stimmung für Sie - dann tue ich Alles , was man wünscht , und sage gewiß nicht Nein . "
" Tun Sie das je , wenn ein Anderer Ja sagt ? "
" Wenn ich nicht diesem Anderen gegenüber meine Selbständigkeit dadurch verloren , daß ich ihn liebe - so muß ich allerdings für mich selbst denken und handeln , und dann kann es kommen , daß ein sehr dezidiertes Nein seinem Ja begegnet .
Übrigens hasse ich Nein und Ja , und all diese trockenen , scharfen Worte , die plötzlich den sanften Lauf der Dinge hemmen , wie die Schleuse den Bach .
Bei Menschen , die überhaupt sich verstehen , folgt die ganze Entwicklung des Charakters , des Verhältnisses so unumgänglich klar aus dem ersten Verständnis - welches nichts ist , als die erste Begegnung in ihrer primitiven Frische - daß eine Frage , auf welche Ja oder Nein folgt , mir ganz possierlich vorkommen würde .
Fragte mich Jemand : lieben Sie mich ?
so könnte ich doch gewiß nichts Besseres tun , als dem Tropf den Rücken zukehren , der das Ja oder Nein nicht längst gemerkt hat . "
" Die Frauen lassen uns so häufig in Zweifel über ihre eigentlichen Gefühle , und treiben so häufig allerliebste Koketterie mit fremden , daß solche unschuldige Frage uns armen , schlichten Männern erlaubt sein dürfte . "
" O die Männer sind rührend in ihrer Einfachheit ! " rief Faustine höchst belustigt .
" Wesen , die immer sich arrangieren , berechnen , auf ihrer Hut sind , sollen sich plötzlich zu einer Simplizität erheben , welche die Gefährtin der Kindesunschuld ist oder - der weltgroßen Leidenschaft , denn diese wirft allen den Flitterkram der Eitelkeit und der Mode von der brennenden Stirn und dem mächtig schlagenden Herzen . "
" Gräfin Faustine , " sagte Mario ganz ernst , " Sie werden mich von Vorurteil für mein Geschlecht befangen nennen - dennoch ist es meine tiefste Überzeugung , daß ein Mann leichter als das Weib eine weltgroße Leidenschaft faßt . "
" Für das Spiel , zum Exempel , für's Gold , für den Ruhm - ja , das glaube ich . "
" Nein , gerade die Leidenschaft , welche Sie im Sinn hatten . "
" Gut ! auch für die Frauen . "
" Nicht für die Frauen , Gräfin Faustine , für eine Frau . "
" Richtig ! ich besinne mich , daß Sie auch nur den Mann der Begeisterung fähig halten .
Sie sind consequent , lieber Mengen , consequent in der Verblendung und Parteilichkeit .
Nicht wahr , nur die Männer sind consequent ? "
" Der Ausgleichung wegen sind die Frauen eigensinnig . "
" Das kommt auf eins heraus . "
" Nicht ganz ; der Eigensinn beharrt bei Grillen und Launen .
Zur Konsequenz gehört das Fundament einer bestimmten Ansicht , welche zur Richtschnur wird beim Aufbau des Gebäudes . "
" Aber diese Richtschnur kann eben so falsch wie eine Grille sein . "
" Falsch allerdings - dann muß der Baumeister sein Gebäude niederreißen .
Aber es ist doch kein solcher Wirrwarr in seinem , als in demjenigen Kopf , der ohne Plan baut , der heute für eine korinthische Säulenhalle schwärmt , morgen eine gotische Tür dahinter wölbt , und übermorgen das Ganze mit einem chinesischen Dach krönt . "
" So geschmacklos sind die Frauen nicht ! " rief Faustine entsetzt .
" Ihr Künstlerauge stößt sich an den falschen Proportionen - "
" Und sollte das nicht auch die Seele tun ? "
" Ja , wenn sie unverwirrt ist , wenn sie sich nicht von ihrem ersten Plan abbringen läßt , sobald sie den Grundstein dazu gelegt .
Aber sagen Sie selbst , sagen Sie die Hand auf dem Herzen : kann man zu einer Frau diese Zuversicht haben ?
Sind sie nicht immer schwankend , weil sie schwebend - zerbrechlich , weil sie zart - lenksam , weil sie beweglich sind ?
Gräfin Faustine , sind Sie sicher , daß diese Cunigunde , welche jetzt vor unser Aller Augen einen dorischen Tempel aufführt , in dem nur ernste Götter wohnen können - in diesem strengen Stil beharren werde ? "
" Nein ! " rief sie fast ängstlich ; " aber schön wird er immer bleiben .
Und überhaupt - wo ist denn der Mann , der so endet , wie er begonnen hat ? erfüllt er alle Erwartungen , entspricht er allen Wünschen , überwindet er alle Versuchungen ? reißt nie der Faden , aus welchem er das Gewebe seines Lebens bildet ? "
" Er reißt , allein einen andersfarbigen knüpft er nicht an . "
" So denken wenig Männer ! daß Sie zu den Ausnahmen gehören , glaube ich gern . "
" Die Frauen klagen über den Wankelmut der Männer , die Dichter singen davon , dicke Bücher sind damit voll geschrieben - und wer mag ergründen , ob der erste Zweifel an Treue , und somit der erste Schritt zum Wankelmut , nicht zuerst durch die erste Geliebte in die Brust des Mannes gehaucht wurde ! "
" Was ist Ihnen denn begegnet , daß Sie die Frauen so sehr hassen oder gering achten ? " fragte Faustine mild und traurig .
" Welch eines Frevels beschuldigen Sie mich , weil ich zu äußeren wage , daß mit der unsäglichen Grazie des Weibes selten jene Kraft sich paart , welche unser Erbteil worden ist , und welche notwendig dazu gehört , nicht um eine weltgroße Leidenschaft zu fassen - wohl aber um sie festzuhalten .
Mich hat nie eine Frau verletzt , vielleicht deshalb - sagte er lächelnd - weil ich Keiner mein ganzes Herz hingegeben ; und wenn ich sage , daß sie schwach sei , so hindert mich das keineswegs , sie zu lieben , ja , die am innigsten zu lieben , deren fliegende Seele ewig eines Schutzes , einer Zuflucht , eines unwandelbaren Haltpunktes bedürfte . "
" So muß es auch sein , " sagte Faustine .
Beide schwiegen , ernst , in tiefen Gedanken .
Unbegreiflich , daß ein Mann auf der Welt außer Anastas so gesinnt ist - sprach Faustine heimlich zu sich selbst .
Unbegreiflich ! wiederholte sie und sah Mengen tief und forschend an .
Aber das letzte : Unbegreiflich ! hatte sie , ohne es zu wollen , laut ausgesprochen .
" Mir scheint es sehr natürlich " - antwortete er , und nach einer Weile , da sie schwieg , rief er :
" Wollen Sie mich beurlauben , Gräfin ? ich habe nicht umhin können , der Lady Geraldin eine ihrer ewigen Schachpartien zu versprechen . "
" Tun Sie , was Sie tun müssen , " sagte Faustine boshaft .
" Nur wenn Sie mir Urlaub geben . "
" Sie sind nicht in meinem Dienst , wie in dem der Lady Geraldin :
wie könnte ich Ihnen Urlaub geben . "
" Wünschen Sie wirklich , daß ich nicht zur Schachpartie gehe ? "
" Warum soll ich es nicht wünschen ? " fragte sie unbefangen , und sah ihn groß an .
" Dann bleibe ich gewiß auf diesem Platze an Ihrer Seite . "
" Das habe ich ja nur gewollt ! erzählen Sie mir von Ihrer jüngsten Schwester , deren Gefährtin Cunigunde nun bald sein wird . "
" Meine Schwester Marie ist achtzehn Jahr alt , ziemlich gescheut und sehr hübsch mit blondem Haar und braunen Augen . "
" Das ist eine äußerst trockene Beschreibung , " sagte Faustine belustigt .
" Ach , " rief Mario , " was kann ich Ihnen von Anderen erzählen !
Immer und ewig möchte ich Sie reden hören und , wenn ich sprechen müßte , von Ihnen selbst zu Ihnen sprechen . "
" Himmel , das wäre langweilig für mich ! "
" Das glaube ich nicht !
Gibt es ein Wesen , für das Sie sich lebhafter interessieren , als für Sich selbst ? "
" Schlimm genug , wenn das der Fall - und ich kann es nicht leugnen .
Denn wie soll ich Respekt haben vor irgend einer Wesenheit , wenn ich nicht bei meiner eigenen anfange ? und habe ich überhaupt erst diese Achtung für menschliche Entwicklung und menschliches Streben gefaßt , wie sollte ich nicht suchen , zuerst mich selbst durchzuarbeiten ?
Das ist unser Ziel , das ist unsere Seligkeit .
Muß der Mensch nicht stets diesen letzten Zweck alles Seins im Auge behalten ? "
" Und nebenbei den unerschütterlichen Stützpunkt der ewigen Moral : daß diese Seligkeit durch kein Unrecht zu erringen ist !
Wer sich mit seinem raffinierten Egoismus im Weltall isoliert , indem er alles Leben nur als den Born betrachtet , welcher ihm frische Nahrung zuströmt , der wird bald genug vogelfrei zwischen seines Gleichen sein , aber nicht frei - nicht geschützt in seiner Eigentümlichkeit und durch sie , weil er keinen Respekt vor der fremden hat . "
" O , ich mag nicht vogelfrei sein !
Ich will ja nur das Bächlein sein , welches in das große Meer des Alls zurückströmt und spurlos verschwindet - wie gern ! wenn nur mein Lauf klar und meine Welle rein gewesen . "
Marios Blick hing unverwandt an ihr ; aber der Strahl ihres Auges glitt bei diesen Worten an ihm vorbei und stieg leuchtend wie eine Girandola gen Himmel .
In diesem leuchtenden Strahl zerschmolz ihr Herz und wallte empor , wie das Opfer von der Altarflamme verzehrt als Weihrauch aufsteigt .
Es war etwas in dieser Frau , was sie befähigt hätte , eine große Heilige zu werden : der schmachtende , unauslöschliche Durst nach dem Ewigen .
Mario dachte heimlich wie einst Clemens : und kann sie denn überhaupt lieben ? länger lieben , als den Augenblick , wo die Sonne der Liebe ihre jungen Strahlen in die Welt hineinwirft ? fester lieben , als das Lüftchen , welches süß und schmeichelnd meine Stirn umweht und säuselt ? tiefer lieben , als eine Fee , welche drei Minuten lang den Geliebten beseligt und dann ihn verläßt ? - -
So war es zwei Uhr Nachts geworden .
Faustine wollte fahren .
Ihr Bediente war nicht da ; Mario ließ ihn umsonst durch den seinigen suchen .
" Der Mensch muß krank geworden sein , " sagte sie , " das ist ihm nie begegnet .... oder was kann ihm sonst widerfahren sein ? "
Sie beunruhigte sich heftig ; sie wollte nach Hause und fürchtete sich .
" Könnte er nicht auch meinen Schrank erbrochen , Geld genommen und entflohen sein ?
es war freilich nicht sehr viel da - " Mengen lachte , aber er sagte :
" Mein Wagen ist zu Ihrem Befehl ; ich werde Sie begleiten und dann sogleich nach dem Abtrünnigen forschen . "
" Ach , guter Mengen , wie freundlich von Ihnen ! " seufzte Faustine .
Er gab ihr seinen Mantel um , führte sie herab und fuhr mit ihr fort .
Sie sagte : " Nun kann ich Ihnen Cunigundens Brief gleich mitgeben ! und morgen schreiben Sie Ihren Eltern und fügen ihn bei .
Wann können wir Antwort haben ? "
" Spätestens in acht Tagen . "
" Wenn sie günstig lautet , aber erst dann , teil ich sie Cunigunden mit . "
Faustinens Wohnung war bald erreicht .
Im Vorzimmer kam ihre Kammerjungfer ihr wie gewöhnlich entgegen .
Faustine fragte :
" Wo ist Ernst ? "
" Vor einer Stunde ist er gegangen , die gnädige Gräfin abzuholen .
Aber Herr von Walldorf ist noch hier . "
" Welcher Einfall , Jeannette , um diese Stunde Besuch anzunehmen ! " rief Faustine heftig .
" Ernst hat es getan , gnädige Gräfin , ich nicht . "
Faustine öffnete rasch die Tür des Salons und trat ein ; Mengen mit ihr .
Eine Lampe brannte ziemlich dunkel in dem großen Gemach , in dessen entferntestem Winkel Clemens saß , im Lehnstuhl vergraben , die Arme auf den Knien , das Gesicht mit beiden Händen bedeckt .
" Herr von Walldorf ! " sagte Faustine zürnend .
Er fuhr auf und sah sie bestürzt an .
" Ich glaube , er hat geschlafen ! " sprach sie halb unmutig , halb lachend zu Mario .
" Ich glaube , das tut ihm Not " - antwortete Mario , schüttelte Walldorfs Arm und sagte :
" Wollen Sie mich begleiten ? die Gräfin kommt ermüdet vom Ball und ist unser ganz überdrüssig . "
" Ihrer vielleicht " - warf Clemens über die Schulter ihm zu und sprach dann zu Faustine :
" Sie kommen zu dieser Stunde , in dieser Verkleidung - was soll das bedeuten ? "
War Faustine erstaunt gewesen über die Ruhe , womit Mengen Walldorfs Antwort hingenommen , so wuchs dies Staunen , als er ihr jetzt gelassen seinen Mantel abnahm , der noch um ihre Schultern hing , und ihr das Wort abschnitt , das auf ihren Lippen schwebte , indem er sagte : " Die Gräfin gibt Ihnen sicher morgen die interessantesten Notizen über den Ball , doch heute ist es wirklich zu spät .
Kommen Sie mit mir , bester Walldorf . "
" Aber Mengen , ich begreife Sie gar nicht ! lassen Sie sich doch nicht mit dem Unbescheidenen ein ! " rief sie .
" Sie müssen Nachsicht mit ihm haben - er hat stark getrunken . "
Faustine unterdrückte nur halb einen ängstlichen Ausruf und ergriff Marios Hand .
Das erregte Walldorfs Zorn .
Er nahte ihr , leichenblaß , und fragte mit starker Stimme :
" Warum fürchten Sie mich ? "
" Gar nicht , " sprach sie hastig .
Aber ihr Arm lehnte auf Marios , und der fühlte , wie ihre ganze Gestalt zitterte .
Er wollte diese peinliche Szene für sie beenden und sprach :
" Wenn Sie mir den Brief geben könnten ? und dann , gute Nacht ! "
Faustine ging rasch in ihr Zimmer , er folgte ihr bis zur Tür .
Auf der Schwelle empfing er den Brief , ihren dankbaren Händedruck , den freundlichsten Blick - dann schloß sich diese Tür .... auch vor ihm .
Er empfand das , wie einen leisen Schmerz , ganz heimlich und ganz tief in der Seele ; doch er hatte nicht Zeit , dieser Empfindung nachzuhängen .
Clemens hatte sich auf ein Sofa gesetzt , die Beine über ein Tabouret gelegt , ein kleines Polster unter den Kopf geschoben , sich so bequem wie möglich etabliert .
Mario nahm seinen Mantel um , setzte den Hut auf und fragte :
" Ist_es Ihnen gefällig , Herr von Walldorf ? "
" Nein , ich warte auf die Gräfin Faustine ! sie soll mir Rede stehen , weshalb sie mir heute Mittag ihr Wort gebrochen , und heute Abend mich fortgeschickt hat . "
" Aber sie hat sich in ihr Zimmer begeben : ein Zeichen , daß wir gehen können . "
" Oder , daß ich ihr folgen darf . "
Er stand auf , doch etwas schwankend .
Mario kochte innerlich vor Wut , dennoch wollte er glimpflich mit Clemens umgehen , um Faustine nicht noch mehr zu ängstigen .
Darum entgegnete er :
" Dann müssen Sie doch auf ihren Befehl warten . "
" Richtig ! " sagte Clemens , und ganz vergnügt über dies Argument , welches ihm erlaubte sich zu setzen , nahm er seine bequeme Stellung wieder ein .
Mengen warf Hut und Mantel ab , und etablierte sich neben Clemens ganz auf die nämliche Weise .
Als der Anstalten sah , welche ein dezidiertes Postofassen verkündeten , fragte er verdrießlich :
" Mit welchem Recht lassen denn Sie sich hier nieder ? "
" Da Sie vor dem Zimmer der Gräfin Wache halten , so darf ich mir wohl auch dies Vergnügen machen . "
" Die ganze Nacht hindurch ? "
" Die ganze Nacht . "
" Es wird hier aber recht kalt werden . "
" Ich habe meinen Mantel . "
" Zwei Wachen stehen doch nie auf einem Posten .
Zwei sind überall zu viel und Einer ist genug . "
" Diesmal ist auch Einer überflüssig . "
Clemens gab allmählich dem Einfluß nach , den die behagliche Stellung auf ihn übte :
er wurde immer schläfriger .
Nach fünf Minuten murmelte er :
" Ich wollte , es wäre Schlafenszeit und Alles stände wohl . "
" Oho , alter Falstaff ! " rief Mario lachend und klopfte ihn auf die Achsel , " dazu kann Rat werden , komme nur mit mir . "
" Du bist ein braver Junge , Heinz , nur etwas leichtfertig , " stammelte Clemens .
Und bald hatte Mengen ihn den Händen seines Dieners übergeben .
Dann fuhr er auf den Ball zurück - im Grunde nur , um von dem verschollenen Ernst Nachricht einzuziehn ; denn als ihm sein Jäger nach einer halben Stunde meldete , Ernst sei da , fürchterlich betrunken , so befahl er jenem , ihn mit sich zu führen und begab sich dann selbst nach Hause .
Dort ließ er Ernst hereinkommen , der weinselig , Faustinens Mantel über dem Arm , erschien , und mächtig erschrak , als statt der Gebieterin ein ernster Mann vor ihm stand , der drohend fragte :
" Wer hat Dich dazu verführt , Dich so schmählich zu betrinken ? "
" Der Herr von Walldorf , " stammelte Ernst , halb ernüchtert .
" Lüge nicht ! " sagte Mengen streng .
" Der Herr von Walldorf , auf meine Ehre ! wenn der Herr Graf mir erlauben wollen , mich so vornehm auszudrücken .
Er kam und sprach :
er habe den Befehl von meiner gnädigen Gräfin , sie zu erwarten , und er könne es mir durch einen Doppel-Friedrichsdor beweisen .
Das war klar .
Ich ging .
Auf dem Ball hieß es , der würde noch lange dauern .
Es war kalt , eine Weinstube nah - ich trank ein Paar Gläser Champagner - vielleicht sind es auch Flaschen gewesen - man berechnet das nicht ! die Zeit vergeht so schnell - "
" Die Frau Gräfin will heute nichts von Dir wissen .
Gehe mit meinem Jäger und Schlaf Deinen Rausch aus .... aber den Mantel sollst Du nicht mit Dir herum schleppen . "
Ernst hing den Mantel über einen Stuhl und ging niedergeschlagen ab .
Mario nahm den Mantel und betrachtete ihn so aufmerksam , als ob er ihn hätte taxieren sollen , und so erfreut , als ob ihm ein Wunder der Welt in die Hände gefallen .
Er war von dunkelrotem Atlas , mit weißem Taft gefüttert , warm und leicht , um die Toilette nicht zu Chiffonnieren ; weich , um sich dennoch fest darein wickeln zu können .
Vor Marios Phantasie schwebte Faustinens lieblicher Kopf über dem Purpurstoff , wie ein Stern über der Abendröte , und ihre graziöse Gestalt hüllte sich in die reichen Falten , und ihre schneeweißen Hände blitzten draus hervor .
Er drückte sein glühendes Antlitz fest in den Mantel , der weiche schmiegsame Atlas legte sich sanft wie ein Kuß an seine Wangen , an seine Lippen - mit einer heftigen Bewegung schleuderte Mario den armen Mantel weit von sich , holte tief Atem , strich ganz erschöpft die Locken aus der Stirn und schellte .
Der Jäger kam .
Er ließ sich entkleiden , doch unfähig schlafen zu gehen , setzte er sich an den Schreibtisch , um einen Brief an den Vater zu beginnen .
Kaum saß er , so fiel sein Blick auf den Mantel , der an der Erde lag .
Das ist aber kein Platz für etwas , was sie trägt - dachte Mario , stand auf , nahm den Mantel , küßte ihn , als wolle er ihn wegen der schlechten Behandlung um Verzeihung bitten , setzte sich zum Schreiben , behielt ihn dabei auf seinen Knien , und schrieb nun wirklich so eindringlich und herzlich über Cunigunde , daß er der günstigsten Antwort gewiß sein durfte .
" Das war ein guter Tag ! " sprach er halblaut nach Beendigung des Briefes ; ich habe den Engel in seiner Glorie gesehen , und ich habe ihm dienen dürfen .
Er suchte die Ruhe , indem er sein Haupt auf den geliebten Mantel betete , und durch seine Träume gaukelte , weinte und lächelte Faustine .
Clemens erwachte früh , unbehaglich , wüst im Kopf , öde in der Seele .
Der ganze gestrige Abend war ihm wie Geld unter den Händen weggekommen .
Er konnte sich auf nichts besinnen .
Er rief seinen Diener , einen stämmigen , untersetzten Burschen , den er aus Oberwalldorf mitgebracht .
" Johann , " sagte er , " wer hat mich über Nacht hierher begleitet ? "
" Das weiß ich nicht , gnädiger Herr . "
" Kam ich allein ? "
" Nein , gnädiger Herr ! ein sehr großer , blasser Herr , gewiß so groß wie Ew. Gnaden , aber viel dünner - und ein Jäger , kamen mit herauf . "
" War ich denn krank , Johann ? "
" Eine , gnädiger Herr , das eben nicht , " sagte Johann mit stupidem Lachen .
" Jesus Maria ! " rief Clemens entsetzt , " und ich war bei ihr gewesen ! unmöglich ! bin ich denn an Körper und Seele umgewandelt ? kann ich nicht mehr einen erbärmlichen Tropfen Weins vertragen ! "
" Na , gnädiger Herr , " sagte Johann begütigend , " ich sollte meinen , es wäre wohl mehr als ein Tropfen gewesen . "
" Ich will mich ankleiden ! " rief Clemens .
Er tat es im Fluge und stürmte eben so zu Mengen .
Er haßte Mengen ; aber er wollte doch wissen , ob er Faustine auf irgend eine Weise gekränkt , und ob der Gehaßte ihn zum Dank verpflichtet habe .
Mengen war noch nicht aufgestanden , doch Clemens ließ sich nicht abweisen .
Jener befahl die Vorhänge aufzumachen , Clemens setzte sich vor sein Bett - und starrte ihn sprachlos an , denn der ihm wohlbekannte Mantel Faustinens lag auf Marios Bett .
Dieser hatte , plötzlich erweckt , den unseligen Mantel vergessen , er wußte nicht Walldorfs ungemessenes Staunen zu deuten , und wartete ruhig auf eine Erklärung desselben und des frühen Besuchs .
Als aber Walldorfs Zähne hörbar zusammenschlugen , wähnte er , Clemens werde durch die Erinnerung an sein gestriges Betragen gedrückt , und deshalb sprach er freundlich :
" Das kann wohl einmal passieren , lieber Walldorf , und - "
" O zum Teufel ! " rief Clemens außer sich , " der Mantel gehört - "
" Der Gräfin Faustine ! " sagte Mario eiskalt , aber innerlich durchzuckte ihn ein gewaltiger Schreck über seine Unbesonnenheit .
" Und das leugnen Sie nicht einmal ? " stammelte Clemens .
" Warum sollte ich ? " fragte Mario unbewegt .
" O , Faustine !
Faustine ! in welche Hände bist Du gefallen ! " jammerte Clemens und rannte durch das Zimmer .
" Herr von Walldorf , Ihr gestriges Benehmen war zu begreifen und daher zu entschuldigen , Ihr gegenwärtiges ist aber weder das eine noch das andere .
Haben Sie die Güte , mir Ihr Anliegen so kurz wie möglich vorzutragen , damit ich es so bald wie möglich erfüllen könne . "
" Graf Mengen , wie kommt dieser Mantel hierher ? "
" Auf diese Frage bin ich nicht Ihnen , sondern der Gräfin Faustine die Antwort schuldig ; daß ich ihr diese Rechenschaft nicht schuldig bleiben werde , davon mögen Sie später Zeuge sein .
Übrigens , Herr von Walldorf , bitte ich Sie , meine Verehrung für diese liebenswürdige , schutzlose Frau niemals nach der Ihren zu beurteilen , welche für diese letzte Eigenschaft einen empörenden Mangel an Rücksicht an den Tag gelegt . "
Clemens wußte genug - für seine Person .
Und das , was er weiter wissen wollte , erfuhr er jetzt doch nicht .
Also lief er fort , auf die Promenade , hin und her vor Faustinens Fenster .
Vielleicht würde sie ihn sehen , ihn rufen - allein durch Faustinens purpurrote Vorhänge schimmerte der Tag so dämmernd , daß er ihre Augenlider überstreifte , ohne sie zu heben .
Sie schlief nicht mehr , sie träumte nur noch halb und halb , es war ihr lieblich zu Sinn - sie wußte selbst kaum warum .
Cunigundens freundliche Zukunft wird es sein ! meinte sie .
Nachdem Clemens vergeblich einige Zeit auf und ab gerannt , entschloß er sich nach einigen Stunden , Faustine seinen Besuch zu machen , unbefangen , gleichmütig , als sei nichts vorgefallen , und es darauf ankommen zu lassen , wie sie ihn empfangen würde .
" Gott , " dachte er , " wenn sie nur diesen Mengen nicht liebte !
der macht sie gleichgültig gegen mich ! in Oberwalldorf war sie anders .... nicht anders gegen mich , nicht freundlicher .... aber dort konnte ich nicht glauben , daß sie für irgend einen Mann - Andlau etwa ausgenommen - lieblicher sein könne ; ja sogar ihre Empfindungsweise für Andlau kränkte mich nicht so - nicht so tief , nicht so bitter .
Zeit , Treue , Gewohnheit , gaben ihm Rechte - ich weiß ja Alles , ich mache mir ja keine Schimären !
ich verlange ja nichts , als daß sie mir erlaube mein Herz vor ihr niederzulegen , als daß sie freundlich meine Liebe anlächle , sie dulde ! statt dessen weist sie sie ab , drängt mir das Wort in den Busen zurück oder verdreht es mir auf der Lippe , während sie an diesen Mengen ihre Liebe verschwendet .
- Der Teufel mag wissen , in welchem Grad !
Durch solche und ähnliche Vorstellungen regte er seinen Zorn und seine Leidenschaft dermaßen auf , daß er halb vernichtet bei Faustine eintrat und keines Wortes mächtig neben ihr auf das Sofa sank .
Sie wähnte , wie Mario vorhin , die Erinnerung an seine Ungezogenheit quäle ihn , und dadurch wurde sie in ihrem Vorsatz , den gestrigen Vorfall gänzlich zu ignorieren , noch mehr bestärkt .
Sie frühstückte , denn Clemens , dem die Sekunden zu Ewigkeiten wurden , hatte sich in den Stunden verirrt .
" Brav , daß Sie so früh kommen !
ich fürchtete schon , Sie würden mir meine gestrige Abtrünnigkeit nicht ganz verziehen haben .
Das kam aber so . "
Sie erzählte ihm , wodurch sie gestört worden sei , und dann vom Ball , der elegant und amüsant gewesen , und dann , daß Mengen sie heute im Eisschlitten fahren wolle - Alles so schlicht , so natürlich , wie die Unbefangenheit , und freundlich , wie die Güte tut , die einen Anderen aus peinlicher Lage befreien möchte .
Doch Clemens in seinem aufgeregten Zustand war nicht dafür empfänglich .
Er sah nur eine geschickte Heuchelei .
Das überwältigte ihn , er schlug verzweiflungsvoll beide Hände vors Gesicht .
Die erste Bewegung Faustinens war , mißtrauisch von ihm wegzurücken .
Doch sie besann sich , daß er unmöglich Morgens um zehn Uhr im Rausch sein könne , und seine Desperation auf Rechnung seiner Beschämung schreibend , faßte sie sich , blieb neben ihm sitzen , zog seine Rechte von seinem Gesicht herab , und sagte : " Guter Clemens , beruhigen Sie sich . "
Da blickte er sie an , schüttelte den Kopf und rief : " Aber Sie strafen ja den lieben Gott Lügen !
....
Ja ja ! " fuhr er fort , als Faustine tödlich erschreckt ihn sprachlos ansah - " jetzt fällt die Maske ! doch , wenn man nichts ahnt , nichts weiß , und nur Ihr Gesicht sieht , so würde Jeder meinen , der liebe Gott habe seinen Lieblingsengel auf die Welt geschickt , um die Menschen von ihm zu grüßen , und vielleicht ist das auch seine Absicht mit Ihnen gewesen .
Aber dies himmlische Antlitz lügt !
es wohnt nichts dahinter - als ein lügenhaftes Weib . "
Faustine erhob sich .
Sie stand vor Clemens so hoch , so groß , als sei sie plötzlich um einen Fuß gewachsen .
Kalt und befehlend zeigte sie mit der ausgestreckten Rechten nach der Eingangstür , und ohne Clemens eines Blickes zu würdigen , ging sie königlich stolz aus dem Salon in ihr Zimmer und verschmähte es die Tür hinter sich zu schließen .
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch , legte den Kopf in beide Hände , um sich zu besinnen , ob Clemens verrückt oder betrunken , krank oder unverschämt sein möge , brachte es nicht heraus , und schrieb , um sich zu zerstreuen , ein Paar herzliche Zeilen an Cunigunde , als Antwort auf ihren gestrigen Brief .
So war eine Viertelstunde verflossen .
Clemens saß noch immer regungslos auf dem Sofa .
Er bereute sein Benehmen - besonders deshalb , weil er , mit der Tür ins Haus fallend , Faustine Waffen in die Hand gegeben .
Darum hob er ganz demütig an :
" Ich bin noch hier , Gräfin Faustine . "
" Wider meinen Willen , Herr von Walldorf , " sprach sie eisig von ihrem Schreibtisch herüber .
Er stand auf , ging bis zur Schwelle ihres Zimmers und bat : " Wenn ich ein Verbrecher bin , so geben Sie mir durch die Beantwortung einiger Fragen dreist den Todesstoß . "
" Sie sind ein Wahnsinniger , " sagte sie gelassen und legte die Feder hin .
" Kamen Sie nicht heute Nacht in Graf Mengens Begleitung nach Hause ? "
" Ja . "
" In seinen Mantel gehüllt ? "
" Ja . "
" Warum das ? "
" Weil der meine samt meinem Bedienten verschwunden war und noch ist . "
" Ich bitte um Vergebung ! der Mantel ist da , ich habe ihn vor zwei Stunden gesehen . "
" Wo denn ? "
" Wo ?
Sie fragen ?
.... Gräfin , haben Sie in der Tat den Mut , zu fragen ? "
" Himmel ! " rief sie sehr ungeduldig , " hing er als Wetterfahne an der katholischen Kirche , oder fuhr ein neuer Faust auf ihm durch die Luft , oder was sonst ! "
" Er lag in Graf Mengens Zimmer - auf dessen Bett . "
" Nun das ist mir lieb !
der gute Mengen ! so hat er den Ernst aufgefunden - ich war schon ganz verzagt .
- Weiter im Examen , Herr von Walldorf !
Sie sehen , ich bleibe keine Antwort schuldig . "
" Ich bin zu Ende . "
" Das tut mir leid . "
" Warum ? "
" Weil es mir nicht geglückt ist , Ihnen den Todesstreich zu geben , d.h. Ihren wahnsinnigen Hirngespinsten , denn Sie sehen zwar ganz petrifiziert aus , aber gar nicht klar und verständig . "
" Faustine ! " rief Clemens und warf sich ihr zu Füßen , " haben Sie Mitleid mit mir .
Wie kann ich klar sein , wenn die rasendste Leidenschaft , Eifersucht , meine Besinnung , mein Urteil verstümmelt , und wenn alle äußeren Zeichen mich gräßlich in dem Verdacht bestärken , daß - Mengen glücklicher ist als ich . "
" Das wünsch ich ihm aus tiefster Seele , " sprach Faustine finster .
Clemens fuhr auf und sagte mit hämischer Bitterkeit :
" Daran habe ich nie gezweifelt !
ich wußte es - als ich den Mantel bei ihm sah . "
" Verschonen Sie mich mit diesem ewigen Mantel ! " rief sie ungeduldig .
" Er muß doch sein , wo die Besitzerin ist - oder war . "
Der tiefe Unmut in Faustinens Zügen ging plötzlich in eine so tiefe Trauer über , daß Clemens wie niedergedonnert abermals zu ihren Füßen hinsank .
Sie sagte nur :
" Clemens ! " -
aber es lag ein herzzerschneidender Vorwurf in ihrem leisen , zitternden , melancholischen Ton .
" Vergebung ! " stammelte er mit gerungenen Händen .
" O , " sagte sie , " nicht mich haben Sie am tödlichsten gekränkt :
Sich selbst - die reine Blüte Ihres Gefühls !
....
Stehen Sie auf , Herr von Walldorf , gehen Sie !
Sie können doch künftig nicht mehr den Mut haben , mir fest ins Auge zu sehen , unwillkürlich würden Sie es niederschlagen , und einen solchen Menschen kann ich nicht in meiner Nähe dulden - gehen Sie ! "
" Sei gnädig , Faustine ! " seufzte Clemens , und drückte seine Stirn auf ihre Füße .
Doch mit unsäglichem Widerwillen machte Sie mit dem Fuß eine abwehrende Bewegung und wiederholte :
" Gehen Sie . "
- Und er ging . -
Große Tränen quollen aus ihren Augen .
Sie blickte mit tiefer Sehnsucht Andlaus Bild an und sagte : " Anastas , mein Freund ! kommst Du denn nie wieder mit Schutz und Schirm für Deine Ini ? "
Da hörte sie im Vorzimmer Marios Schritt .
Schnell trocknete sie die Augen .
Es war vielleicht ihr größter Schmerz , daß sie ihm den Grund ihrer Betrübnis nicht sagen durfte .
Das machte sie verdrießlich .
Sie empfing ihn nicht eben freundlich , als er mit den Worten eintrat :
" Darf ich für den Sünder Ernst um Gnade bitten ? "
" Der ist an Allem schuld ! " rief sie unmutig .
" Ist Ihnen Unangenehmes widerfahren ? " fragte Mario sehr besorgt .
" Nein , gar nichts , " sagte sie verlegen - " ich meinte nur gestern .... und dann , wo ist mein Mantel ? "
Aha , dachte Mario , Clemens hat bereits geplaudert .
Laut sagte er ruhig : " Ich nahm ihn gestern Abend dem weinseligen Ernst ab , um ihn vor den Rauchwolken der Bedientenstube zu schützen ; jetzt hängt er wieder auf dessen Arm . "
Dann erzählte er ihr , daß und wie Ernst zu dem Rausch gekommen , und sie rief : " Mit Trunkenen habe ich nichts zu schaffen ! den einen habe ich so eben fortgeschickt , und der andere mag auch gehen . "
" Teure Gräfin , möchten Sie nicht ignorieren ? "
" Nein !
Clemens beharrt in einem fortwährenden Rausch , der mir ganz lästig ist , und was ich jetzt von ihm erfahren , Bestechung meines Bedienten , trägt nicht dazu bei , ihn in meiner guten Meinung herzustellen . "
" Aber Ernst , der zum ersten Mal diesen Fehltritt begangen und ihn mit Tränen bereut hat .... "
" Nun , so ermahnen Sie ihn , reden Sie ihm ins Gewissen , nehmen Sie ihm Schwor und Eid ab , liebster Mengen !
ich verstehe mich nicht auf Strafpredigten , und behalte ganz gern einen , seit Jahren treu ergebenen Diener . "
So vermittelte Mario den Frieden ; und bald war es ihm auch gelungen , die Unmutswölkchen aus Faustinens Seele zu verscheuchen , denn sie hatte die reizbare Beweglichkeit eines Kindes , und jeder goldene Apfel eines Gedankens , den man auf ihren Weg warf , hemmte ihren flüchtigen Atalantenlauf .
Mario erzählte ihr von einer Heirat , welche als eine schauerliche Mesalliance , nicht sowohl des Standes , als auch des Alters und aller äußeren Verhältnisse , die Gemüter in Bewegung setze .
" Der Mann ist ein Künstler , " sagte Faustine .
" Aber hoch in Jahren aber ohne die geringste Spur von Schönheit !
was hilft es der Frau , ihn alle Abend drei Stunden lang glänzend und gefeiert zu sehen , wenn vor ihren Augen der Nimbus schwindet ? "
" O wir sind kapriziös ! drei Stunden täglich den Liebsten bewundert zu sehen , alle Seelen beherrschend , alle Blicke fixierend - das mag eine große Befriedigung sein . "
" Dann kommt er matt , unschön , abgespannt heim , ein in die Raupenhülle zurückgekrochener Schmetterling .... "
" Ach , Bester ! die Frau bekommt den Mann sehr häufig in unschöner Gestalt zu sehen , ohne daß er zuvor die Welt entzückt !
Und dann glaube ich , daß es fast unmöglich ist , den Zauber zu ergründen , welcher über den intimen Umgang aller Kunstmenschen ausgebreitet ist , und daher auch schwer , ihm zu widerstehen , wenn man dafür empfänglich .
Launen mögen sie haben , heftig , zerstreut , wild mögen sie sein - dennoch besitzen sie eine Magie , die mit dem allen versöhnt - und das ist vielleicht der höchste Triumph der Kunst . "
" Es fragt sich doch , ob diese Magie fürs Leben ausreicht .
Welcher junge Mann ist nicht einmal in eine Schauspielerin , Sängerin bis zum Wahnsinn verliebt gewesen , und wie selten entspringt daraus ein dauerndes Verhältnis . "
" Weil überhaupt ein solches nicht aus jugendlichen Aufwallungen hervorgeht . "
" Nein , weil jene Erscheinungen nur im Besitz der Magie sind , welche für einen Moment blendet , ohne zu fesseln . "
" Sie haben freilich die eigene Erfahrung für sich " - sagte Faustine launig - " dagegen kann ich nicht streiten .
Künstler aller Art sind und bleiben aber doch meine geborenen Freunde , für die ich mich vorzugsweise interessiere - nur müssen es wahre Künstler sein , schaffende , begeisterte , keine Nachahmer , keine Handwerker . "
" Das Genie hat das nämliche Schicksal wie die Tugend :
sie sind beide in der Minorität auf unserer mittelmäßigen Erde .
Ein großer Künstler ist eben so selten , als ein großer Mensch . "
" Hört er Ihrer Meinung nach auf ein Mensch zu sein ? "
" Halb und halb !
es kommen Inspirationen über ihn - er weiß nicht woher !
es steigen Bilder vor ihm auf - er weiß nicht von wannen ! streitende und ringende Gewalten werden in ihm rege , die kein äußerer Anlaß , keine innere Leidenschaft geweckt !
er sagt Dinge , die er noch nie gedacht !
er schafft Gebilde , deren Gleichen er nicht geschaut !
Allein er kann nicht der Kraft gebieten , welche sie aus dem Nichts hervorruft .
Er muß warten , bis ein Gott , ein Dämon , ein Genius sie ihm einhaucht .
Er besitzt höhere Gewalt , als die gewöhnlich menschlichen , sogar die glänzendsten Fähigkeiten ; aber er wird von einer noch höheren Gewalt besessen .
Er schreibt Gesetze vor , er stürzt Gebräuche und Meinungen , er beginnt und endet Epochen , wie ein Gott ; aber er ist zugleich ein blinder , Gehorsam dienender Priester im Tempel des Gottes .
Und diese wundersamen Mischungen , welche essentiell seine Wesenheit ausmachen , stellen ihn gewissermaßen seitab von den selbstbewußten Menschen .
Ich gestehe , daß ich immer eine Art von Scheu vor ihnen habe , die sonst meiner Natur fremd .
Man ist nie sicher bei ihnen , ob sie bergan oder bergab steigen - ob sie Himmelslichter in die Tiefe leuchten , oder unterirdische Flammen am Himmel strahlen lassen wollen - ob sie ihre immensen Gaben wie der Reiter bändigen , oder wie das Roß ihnen gehorchen .
Ich liebe sie nur par distance - in ihren Werken . "
" Das ist recht weltmenschlich kalt gesprochen !
Sie fürchten nur , in eine Sphäre fortgewirbelt zu werden , der Sie nicht gewachsen sind .
Bedenken Sie nur , welche unermeßliche Wohltat ein einziger Künstler für lange Zeiten und kommende Geschlechter werden kann , und Ihr Herz muß schlagen für ein Wesen , das von Gott zu einem Segen der Menschheit auserlesen wurde , und das diese hohe Ehre vielleicht mit ungekannten und ungemessenen Schmerzen bezahlt hat . "
" Aber durch welche Wonnen werden diese Wehen des ringenden und schaffenden Genius kompensiert !
ich denke mir , daß wenig Menschen eine Empfindung hatten , derjenigen gleich , womit Raffael vor seiner vollendeten Sixtinischen Madonna gestanden . "
" Vor der vollendeten ? kaum ! - der Genius ist eminemment strebend , findet weder Genuß noch Befriedigung in dem Überwundenen , dem Geleisteten .
Wenn die Konzeption in ihm aufgeht , dann glaube ich , feiert er seine seligen Mysterien , gegen deren tiefsinnige , glühende , unirdische Trunkenheit unsere kleinen mäßigen Freuden freilich sehr grau aussehen mögen .
Doch jener Rausch ist ein Moment , und dann steht er plötzlich in dem nüchternen Leben . "
" Wir Alle stehen in dem nüchternen Leben und ohne jenen kompensierenden Rausch - "
" Es muß demjenigen schwer werden , einen Schoppen aus der Hand der schwarzaugigen Kellnerin zu nehmen , dem Hebe die Schale kredenzt hat .
Er wird unwillkürlich vergleichen , den Wein mit dem Nektar , das Mädchen mit der Göttin , und Vergleiche stören die Genußfähigkeit .
Wir aber begnügen uns tout bonnement mit dem Wein und der Sterblichen , denn wir wurden nicht aus dem Olymp auf die Erde geschleudert .
So wird er auch immer das , was er gewollt , mit dem vergleichen , was er geschaffen hat , und gewiß in der Erscheinung nur einen Schatten seiner ursprünglichen Idee finden .
Ich habe einen Freund - er ist aber nicht Maler , sondern Dichter - der spricht :
All meine Schöpfungen kommen mir vor wie gefallene Engel !
sie haben wohl noch etwas , was an ihren Ursprung mahnt , doch die Glorie ist verschwunden , seit sie die sinnliche Form annahmen .
Mich grämt aber wenig !
ich verkehre mit den ungefallenen Geistern , und schneide ihnen nach besten Kräften ein Mäntelchen von Staub zurecht , worin sie sich den Menschen offenbaren . "
" Sehen Sie , Ihr Freund fühlt sich glücklich !
das spricht für meine Ansicht .
Wie heißt er denn ? kennt man ihn als Dichter ? " fragte Mario neugierig .
" Man kennt ihn wohl .... freilich nicht als Dichter , sondern - "
" Nun ? sondern ?
Sie sagten ja eben - "
" Sondern als Dichterin . "
" Also eine Frau ? " sagte Mengen gedehnt .
" Ja , zum Unglück nur eine Frau , die Ihre Ansicht teilt , " sagte Faustine neckend .
" Und warum nannten Sie diese Frau Ihren Freund ? "
" Weil für mich das Genie geschlechtslos ist .
Mag ein Fledermäuschen oder ein Titane schaffen - sein Genie ist mein Freund . "
" Und trauen Sie mir nicht dieselbe Unbefangenheit zu ? "
Faustine lachte herzlich .
" Excellent ! haben Sie mir je Anlaß zu diesem Vertrauen gegeben ?
Sie halten die Frau nicht der Begeisterung fähig und nicht der Leidenschaft : ist es möglich , ohne dieses zweischneidige Schwert sich Bahn zu brechen auf dem Pfade der Kunst ?
Nein ! -
Sie glauben gar nicht , daß das Genie mit einer Frau Mißheirat schließen , sich gleichsam an sie verplempern könnte .
Es braucht eine Hülle sechs Fuß lang , tiefe Baßstimme , Collier grec , - darin hat es Raum .
Ein Genie , ihr wunderlichen Herren , muß genau so aussehen wie ihr selbst !
Trüge es ein Musselinkleidchen , und das Haar aufgeflochten , ihr würdet ihm für euer Leben gern einen stattlichen schwarzen Bart malen , damit es doch ein klein wenig für seine Würde befähigt wäre ! -
Nein , guter Mengen , wenn Ihnen das Genie eine Hand reicht , die halb so schmal ist als die Ihre , so machen Sie sicher nicht Ihren Freund daraus ! "
" Möglich ! weil ich , wie gesagt , diese Leute am liebsten in gehöriger Entfernung beobachte und bewundere .
In der Nähe findet man schwer den richtigen Gesichtspunkt , von wo sie betrachtet und beurteilt sein wollen .
Das macht und gibt Verwirrung .
Ich liebe die Klarheit . "
" Dann lassen Sie uns in den großen Garten gehen :
da ist jetzt Alles von einer gespenstischen Klarheit .
Der Himmel so blau , die Erde so weiß , das Eis so hell , die Bäume so nackt - o diese Klarheit , wie ist sie kalt ! "
Sie schüttelte sich vor Graus und ging sich zum Spaziergang und zur Eisfahrt anzukleiden .
Mengen sah ihr nach .
Es war ihm , als ziehe ein Glanzstreif hinter ihren Schritten , wie Nachts im Mondschein auf dem Wasser hinter dem Schwan .
Ich liebe die Klarheit , wiederholte er halblaut und setzte sich in tiefen Gedanken aufs Sofa .
Was hält mich ab , bei ihr dahin zu gelangen ?
Eine einzige Frage und Alles ist entschieden !
... aber sie lacht mich aus , sprach sie gestern , wenn ich die Frage tue .
Die Sonne ist auch nicht klar , doch Licht , himmlisch Licht , wie sie . - -
Faustine war längst wieder eingetreten und in der Tür stehen geblieben , als sie seine sinnende Stellung wahrnahm .
Er bemerkte sie nicht eher , bis sie fast schüchtern seinen Namen aussprach .
Dann fügte sie hinzu : " Ich unterbreche ungern Jemand in seinen Gedanken , weil ich nicht weiß , aus welchem Eden ich ihn Heimrufe . "
" Fürchten Sie nichts !
Sie bringen es " - sagte Mario mit tiefer Innigkeit , sehr verschieden von dem scherzenden Ton , mit welchem er sonst wohl ein huldigendes Wort zu sagen pflegte .
Und so blieb er auch in den Stunden , die er mit ihr verbrachte .
Beim Scheiden rief er :
" Und nun vergehen fast vierundzwanzig Stunden , bis ich Sie wiedersehe ? "
" Warum ? kommen Sie heute Abend zu Frau von Eilau - da werde ich sein . "
" Ich kann nicht - ich habe notwendig - "
" So jammern Sie nicht ! " rief Faustine ungeduldig .
" Ich werde kommen , " sagte Mario froh , denn er sah wohl , daß seine Weigerung , nicht seine Klage sie verdroß , und Faustine lächelte eben so froh als er .
Am Abend jedoch verging eine Viertelstunde nach der anderen und Mario kam nicht zu Frau von Eilau .
Anfangs war Faustine unmutig , dann unruhig , endlich geängstigt .
Zuerst schob sie dies unbebegreifliche Ausbleiben den Geschäften zu , darauf unvorhergesehenen Störungen , zuletzt irgend einem Unglücksfall .
Sie dachte an Clemens , ob der sich nicht zu weiß Gott welcher Torheit Mario gegenüber habe hinreißen lassen .
Schauerliche Möglichkeiten tauchten vor ihr auf und umflorten ihren Blick .
Sie sank im Sofa , und ihr Kopf auf die Lehne zurück .
Seit einer Stunde wurde Musik gemacht , und zwar so gute , daß Niemand daran dachte , Conversation zu machen , welche durch mittelmäßige hervorgelockt wird , wie die Maus aus ihrem Versteck .
So blieb Faustine ungestört und kaum beachtet .
Aber die Musik schwirrte wie Mückengesumm in ihr Ohr .
Sie war auf dem Punkte , die Gesellschaft zu verlassen , um wenigstens der Qual des Wartens in ihrem einsamen Zimmer überhoben zu sein .
Da , ganz leise , um nicht zu stören , ging die Tür auf .
Es war Mengen ; Faustine hatte aber schon so oft umsonst nach dieser Tür geschaut , daß sie entmutigt nicht mehr die Augen aufschlagen mochte , und so saß sie ihm gegenüber , ganz blaß , die Wimpern so tief gesenkt , als wären sie geschlossen , um den Mund mühsam verhaltene Trauer - er konnte nicht anders als glauben , ein großer Unfall habe sie betroffen , und um ihr ein Zeichen zu geben , daß eine Freundesseele gegenwärtig , fiel ihm nichts Anderes ein , um die Störung unbekümmert , als seinen Stock fallen zu lassen .
Alle Blicke kehrten sich vorwurfsvoll gegen ihn , doch er beachtete sie nicht , denn die seinen waren auf Faustine gerichtet , und sie sah jetzt auf , sah und erkannte ihn , und augenblicklich war sie verwandelt , strahlend , heiter , glücklich .
Mengen verging vor Ungeduld über den Virtuosen .
Mit dessen Schlußakkord stand er neben Faustine und fragte :
" Was war denn das - vorhin ? "
" Ich fürchtete , Sie würden nicht kommen .
Da langweilte ich mich . "
" Sonst nichts ist Ihnen geschehen ? "
" Ist_es nicht genug , anderthalb oder zwei Stunden zu warten ? und gar für mich , die ich nie Jemand warten lasse ?
Ich mag über keinen Menschen diese Folter verhängen . "
" Wir hatten keine Stunde verabredet ! konnte ich ahnen ? - "
" O nein , nein !
Sie konnten nicht ahnen ! aber nun wissen Sie ein für alle Mal . "
Feldern kam täglich zu Faustine .
Sie hatte ihm die Schritte mitgeteilt , welche sie für Cunigunde getan .
Auch er fand es am Besten für sie und für sich , sie aus dem Elternhause zu entfernen .
" Wenn mir die Möglichkeit abgeschnitten ist , sie wiederzusehen , " sprach er , " so werde ' ich leichter an die Unmöglichkeit unserer Verbindung glauben .
Kann ich zu ihr , so will ich sie sehen , und sehe ich sie , so will ich sie besitzen . "
" Sie sind recht aufrichtig , mein bester Feldern , " entgegnete Faustine überrascht , " ich habe Sie niemals so offen reden hören . "
" Wenn man nichts zu hoffen noch zu verlieren hat , entweder weil man Alles oder weil man Nichts besitzt , so wird man höchst aufrichtig .
Der Bräutigam beim Hochzeitsschmaus sagt unbefangen :
ich bin sehr glücklich ! und der Bettler an der Straßenecke sagt eben so unbefangen :
ich bin sehr elend .
Lust und Leid haben Kinder , die sich frappant ähnlich sehen - sie müssen also wohl aus derselben Familie stammen . "
Faustine erkannte in diesen und ähnlichen Äußerungen Feldern Marios Einfluß , der sich treu bemühte , ihm eine Unabhängigkeit von den überraschenden Schicksalswendungen zu geben , wie er selbst sie bisher bewahrt , und sehnlichst wünschte sie , es möchte doch auch für Clemens ein solcher Nothelfer sich finden , denn sie - das fühlte sie lebhaft - konnte keinen Einfluß mehr auf ihn wünschen , und deshalb ihn auch nicht haben .
Er war für sie wie von der Erde vertilgt , spurlos verschwunden , ließ sich weder bei ihr noch irgendwo bei ihren Bekannten sehen , und sie hätte glauben dürfen , er sei abgereist , wenn nicht eine bange Ahnung ihr zugeflüstert , daß er sich schwerlich ohne Abschied , ohne Versöhnung von ihr trennen würde .
Wo war er also ? umkreiste er ihre Wohnung ? bewachte er ihre Schritte ? ließ sich von seiner rasen den Leidenschaft nicht das Wahnsinnigste fürchten ? -
Die Bestechung ihres Bedienten fiel ihr zuweilen ein , wenn sie allein war .
Sie geriet in eine höchst unbehagliche Spannung , und fuhr zusammen , wenn sie Stimmen und Tritte im Vorzimmer nicht sogleich unterscheiden konnte .
War Mengen bei ihr , so erschien diese Angst ihr so kindisch , daß sie sich nicht entschließen konnte , sie ihm anzuvertrauen .
Auch war es ihr peinlich , Mario auf Walldorfs Spur auszusenden .
Sie wußte zu gut , wie rücksichtslos Clemens war , wie leicht er gerade diesen Gehaßten absichtlich kränken und verletzen mochte .
Als aber die Woche ohne irgend ein Lebenszeichen von ihm verstrichen , da beschwor sie Feldern , Erkundigungen über ihn einzuziehen .
Sie sagte ihm offen Alles , was zwischen ihm und ihr statt gefunden , und schloß damit :
" Ich kann mich nicht direkt nach ihm umtun , weil er aus dem geringsten Beweis von Teilnahme gleich ganz unerhörte Folgerungen zieht , die ihm Schaden tun , weil sie sich nie realisieren , aber mich in die widerlichste Verlegenheit setzen . "
Feldern versprach sein Bestes zu tun und ihr im Lauf des Tages Bericht , wenigstens über seine Anwesenheit in Dresden , abzustatten .
Ein Brief von Andlau trug nicht dazu bei , Faustine zu erheitern .
Er schrieb ihr über Cunigundens Angelegenheiten in dem kühlen Ton der Überlegung , der ihr ganz unerträglich war , wenn sie bereits für oder wider Partie genommen .
Man sollte doch nur nie in einer solchen Entfernung Dinge besprechen , die heute anders aussehen als morgen , murmelte sie , sondern nur solche , die nie wechseln und nie altern !
Freilich kenne ich Cunigunden sehr wenig - freilich ist es eine mißliche Sache , eine passende Stellung für sie ausfindig zu machen - freilich erntet man fast immer Verdruß und Undank aus Einmischung in Familienverhältnisse - aber ich habe mich nicht dazu gedrängt , und die Art , wie ich da hinein verflochten bin , kann gewiß keinen Schatten auf mich werfen .
Und sogar wenn es ein Schatten wäre - es sollte mich nicht kränken , denn ich habe etwas Gutes gewollt ; und ein Fleck ist es sicher nicht .
- Andlaus Antwort war da - und nicht eben trostreich .
Wenn Mario keine bessere bekam , was sollte mit Cunigunden werden ?
Sie grübelte sich matt und müde .
Da flog die Tür auf und Mengen freudestrahlend ins Zimmer , einen offenen Brief in der Hand .
" Cunigunde ist willkommen ! " rief er , " und zwar gleich auf der Stelle .
Meine Mutter hat ihren alten Kammerdiener hergeschickt , um sie auf der Reise zu begleiten - daher die etwas verzögerte Antwort :
er brachte mir den Brief .
Sind Sie zufrieden ? " -
Er kniete neben ihr nieder und blickte glückselig in ihr Auge , aus welchem wieder der himmlische Strahl aufleuchtete .
" O Mengen ! " sagte sie nur , und legte die Hand auf die Brust ; die andere gab sie ihm , und er behielt sie in der seinen ohne sie zu küssen , lange , friedlich , andächtig , immer wie verzaubert in ihr Antlitz schauend .
Spät drückte er heftig seine Lippen in die schmale zarte Hand - da stand Faustine auf und sagte : " Lieber Mengen , sagen Sie , bitte , dem Ernst , er möge einen Boten besorgen , ich will sogleich Cunigunden schreiben , damit sie sich bereit mache ; vielleicht kann sie dann schon morgen reisen .
O wie wird sie sich freuen ! wie dankbar Ihnen sein - "
" Das wäre ganz hors de Saison ! ich habe in Ihrem Dienst gehandelt , da mußte ich wohl des Gelingens sicher sein . "
Feldern war geradeswegs zu Clemens gegangen .
Der breite Johann schien zweifelhaft , ob er ihn bei seinem Herrn einlassen solle oder nicht ; da er aber bereits gesagt , er sei daheim , so mußte er ihm die Tür öffnen .
Der zierliche , ordnungliebende Feldern erschrak vor der Verwüstung , die in diesem großen , vielleicht ursprünglich eleganten Zimmer herrschte .
Kleidungsstücke an der Erde , Teller auf den Stühlen , Flaschen , Karten , Überbleibsel vom Frühstück und von Zigarren auf den Tischen , Schläger und Pistolen auf dem Bett , Gläser überall , zwei Feldbettstellen neben einander aufgeschlagen , und Clemens im Schlafrock , mit verwildertem Bart , geisterbleich , krankhaft , mitten im Zimmer stehend , den einen Arm um den Kopf geschlungen , der andere schlaff herabhängend .
" Hier sieht es ja aus wie in einem Lager , " sprach Feldern eintretend ; doch der scherzhafte Ton kam ihm nicht von Herzen .
" Ja , " sagte Clemens gleichgültig , " wir sind zwei Tage und zwei Nächte beisammen gewesen , da muß man seine Anstalten treffen , so gut es gehen will .
Wir waren unserer sieben ; ein Paar schliefen zur Zeit .
Wir wechselten uns ab .
Es ging recht gut : Nur aber heute , am dritten Tage , da wurden die dummen Jungen stöckisch und gingen - der eine rechts , der andere links ; zum Essen , zum Schlafen - was geht es mich an . "
" Sie sind also wohl recht lustig gewesen ? "
" Lustig ? nun ja , wie man_es nehmen will .
Lärm gab es genug , Wein auch , Karten auch , und ich hoffe , Sie sind nicht der Meinung , daß Weiber dabei sein müssen , um die Sache ganz lustig zu machen . "
" Gott bewahre ! " sagte Feldern , Clemens war ihm beängstigend , schien halb im Rausch , halb geistes-halb körperkrank .
" Würden Sie aber nicht auch gut tun , ein wenig frische Luft einzuatmen ? die dicke , heiße Atmosphäre des Zimmers stimmt die Nerven herab , beklemmt die Brust .
Sie sehen recht fatiguirt aus . "
" Ich bin es , " sprach Clemens und setzte sich auf einen Tisch , von dem er die Karten herabschleuderte .
" Ich glaubte Sie krank , weil ich Sie so lange nicht bei der Gräfin Faustine getroffen . "
" Umgekehrt ! weil ich nicht mehr zu der Gräfin Faustine gehe , bin ich krank , d.h. ich würde krank werden , wenn ich nicht vorzöge , lustig zu leben . "
" Es ist ganz hübsch , lustig zu leben , so zwei , drei Tage - doch dann , Bester , wird man des Spaßes überdrüssig - "
" Wie aller Dinge auf dieser sublunarischen Welt und des Lebens zuerst . "
" Sie sind noch sehr jung , Herr von Walldorf - "
" Ich werde morgen zweiundzwanzig Jahr , und das nennt man jung .
Allein ich bin zu meinem Unglück in diesen letzten Monaten alt geworden , uralt , wie die Steine - "
" Indessen sind Sie doch noch auf Vergnügungen bedacht - "
" Nein ! auf Zeittötung . "
" Wollen Sie einen Spaziergang mit mir machen ? "
" Da müßte ich mich erst ankleiden . "
" Freilich ! von Kopf bis zu Fuß .
" Und das ist doch nicht der Mühe wert !
Sagen Sie mir , Herr von Feldern , ist denn etwas der Mühe wert , daß ich darum meinen kleinen Finger rege ? "
" Ja , die Pflichterfüllung . "
" Aber wenn man gegen Niemand auf der Welt Pflichten hat ? "
" Sie fragen wunderlich ! haben wir nicht die ganze Menschheit ? "
" Bah ! " rief Clemens , ließ den Kopf auf die Brust sinken , und hob nach einer Pause an , ohne ihn zu erheben :
" Kommen Sie aus eigenem Antriebe zu mir ? "
Feldern mochte keine Unwahrheit sagen ; überdies war etwas so Trostloses in Walldorfs Zustand , daß er ihm die kleine Freude gönnte und die Frage verneinte .
" Sie schickt Sie also ?
sie denkt an mich ? " rief Clemens mit schwermütiger Freude .
" Aber wie könnte es auch anders sein , da ich stets an sie - nicht doch !
nur sie denke !
Solche Gedanken müssen zu einem Netz werden , das allmählich ihre Seele umspinnt und zu mir hinüber zieht . "
Feldern dachte an das , was ihm Faustine über Walldorfs übertriebene Folgerungen gesagt ; deshalb sprach er halb scherzend , doch mit einem Anflug von Bitterkeit :
" Darauf sollten wir es nie anlegen .
Frauenseelen sind so subtil , daß unsere plumpen Gedanken sie nicht fangen , und so kapriziös , daß sie sich oft ohne unser Zutun fangen lassen . "
" Meinen Sie ? ohne unser Zutun ?
Also auch Ihnen haben die Frauen weh getan !
O das Leid , welches dies Geschlecht über die ganze herrliche Schöpfung verbreitet , ist namenlos , und der Mann verloren , der von einem Weibe Heil begehrt !
Und gerade , daß die engelhaften so dämonisch sind !
Die Menge ? o die schaut man an , ohne daß die Brust sich hebt , das Herz klopft , das Blut siedet , die Arme sich ausbreiten ! das Alles ist für Eine , die zwischen den Übrigen sich ausnimmt wie ein Märchen zwischen Tagesgeschichten .... sagen Sie mir , fallen Ihnen nicht immer Märchen ein , wenn Sie - diese Frau sehen , z.B. das von der Prinzessin , von deren Lippen Rosen fallen , wenn sie lächelt , und von deren Wimpern Perlen , wenn sie weint .
Diese Frau hat Augen ! - "
" Alle Frauen haben Augen ! " unterbrach Feldern , etwas überdrüssig der Rhapsodie - und es ist gut , daß man sich dessen zuweilen erinnert , um nicht in Monomanie zu verfallen , denn die Frau , die kein Auge für uns hat , sollte für uns auch keine Augen haben . "
" Sehr richtig ! sehr philosophisch !
O wie bedaure ich , auf der Universität das Studium der Philosophie so gänzlich verabsäumt zu haben .
Die Weisheit in eine Wissenschaft gebracht , kam mir so spaßhaft zugestutzt vor , wie der Baum , dem der Gärtner eine Tierform gibt , damit man doch wisse , was so ein dummer Baum bedeute .
Aber es ist wirklich so übel nicht erfunden !
Bei einem Löwen , einem Adler , weiß Jeder genau , was er zu denken hat , die ganze Geographie , die ganze Naturgeschichte , Millionen Reisebeschreibungen - kurz , die vernünftigsten und zweckmäßigsten Gedanken knüpfen sich daran .
Aber bei einem simpeln Baum schweifen sie ins Blaue .
Man kann denken an den Baum im Paradiese , von dem Eva den famosen Apfel speiste - oder an den Upasbaum auf Java , der wie die Regierungen zur Pestzeit in dem falschen Verdacht einer allgemeinen Landesvergiftung steht - oder an die Linde auf dem Schloßhof von Nürnberg , welche die Kaiserin Cunigunde pflanzte , Zweige nach unten , Wurzel nach oben , um ihrem Gemahl ihre schneeweiße Unschuld zu beweisen .
Kaiser Heinrich II. , zubeamt der Heilige , war ihr Gemahl , und es muß doch ein prekäres Ding mit der Unschuld der Weiber sein , da sogar ein Heiliger ihr mißtraut .
Ferner an den Lorbeerbaum auf Isola bella , worin Napoleon vor der Schlacht von Marengo das Wort bataille schnitt - oder an die Eiche bei Pleischwitz in der Nähe von Breslau , in deren hohlem Stamm ein Schuster und ein Schneider ein Paar Hosen und ein Paar Schuh machten , welche noch gezeigt werden - vielleicht hatten sie eine Wette gemacht , sonst begreife ich nicht , weshalb sie diese Werkstatt sich wählten - oder an die " sieben Schwestern " hier im großen Garten - oder an die Tanne von Oberwalldorf , welche Gräfin Faustine in ein schönes Bild gebracht .... da bin ich wieder bei ihr , und fing doch an bei der Philosophie . "
Er stand auf , schlang wieder den Arm um den Kopf und schwieg .
Feldern sprach besorgt :
" Sie sind wirklich krank , lieber Walldorf ; das wüsste Treiben dieser Tage hat Ihre Nerven fürchterlich aufgeregt und Ihr Blut verbrannt .
Sie müssen hier heraus , die Unordnung um Sie her macht Sie konfus .
Kleiden Sie sich an .
Ich warte gern .
Dann gehen wir , und während der Zeit wird hier Ordnung gemacht . "
" Meinetwegen ! " sagte Clemens , und rief Johann .
Unter Johanns löblichen Eigenschaften glänzte nicht die eines gewandten Kammerdieners hervor , und da sein Herr nicht in der Stimmung war , diesem Mangel durch eigene Teilnahme abzuhelfen , so dauerte die Toilette ziemlich lange , und Feldern hatte Muße , zwischen den Trümmern dieses Schiffsbruchs der Ausgelassenheit sich auf allerlei Histörchen zu besinnen , die er Clemens erzählte , um ihn aus seinem Hinbrüten aufzurütteln .
Doch das war verlorene Mühe .
Clemens blieb unempfänglich für Alles , was nicht Faustine war , und hätte Feldern ihn gefragt , was er von dem Mann im Monde denke , so würde er geantwortet haben :
" Ich sterbe aber , wenn ich sie nicht wiedersehe . "
" Und wenn Sie sie wiedersehen , betragen Sie sich so - seltsam , daß eine Frau , die leicht mit aller Welt zu leben versteht , nicht mit Ihnen fertig werden kann . "
" Das ist es eben !
sie muß nicht mit mir umgehen , wie mit aller Welt . "
" Wenn Sie bei diesem Verlangen beharren , kann ich Ihnen freilich nicht meine Vermittlung anbieten . "
" O Gott , machen Sie , daß ich sie wiedersehen darf , und sie soll mich behandeln wie sie wolle , ich lasse mir Alles gefallen , Alles ! nur keine Verachtung und auch keinen Widerwillen , aber auch keine Kälte und hauptsächlich keine Gleichgültigkeit .
Und dann soll sie mich nennen " lieber Clemens , " nicht " Herr von Walldorf . "
Es hat Niemand außer ihr mich " lieber Clemens " genannt , vielleicht meine Eltern , das weiß ich nicht mehr , sie starben früh !
Mein Bruder hat eine andere Art sich auszudrücken , und für die übrigen Leute bin ich " Walldorf . "
Sie sagt bisweilen " lieber Clemens ! " das ist , wie wenn die Nachtigall im Winter schlüge , und wollte sich Jemand unterfangen , mich nach ihr so zu nennen , ich würde ihm den verwegenen Mund mit einer Kugel stopfen .
Endlich soll sie mir die Hand geben .
Das tut sie nie !
Ich habe gesehen , daß sie Mengens großen Windhund auf den spitzigen Schlangenkopf gestreichelt - aber mir gibt sie die Hand nicht !
Und welche Grazie liegt in ihren Handbewegungen ! nur sie zu sehen , ist , als regne es Blüten .
Also die Hand - "
" Ich erstaune , daß Sie Bedingungen machen , und noch dazu solche , welche kaum die Liebe erfüllen würde .
Was soll Gräfin Faustine veranlassen , sie anzunehmen ? "
" Die Barmherzigkeit . "
Sie waren ein Paar Stunden umhergegangen .
Feldern fühlte sich erdrückt von dieser dem Wahnsinn ähnlichen Leidenschaft , deren Hoffnung auf nichts basierte und deren Verlangen Alles umschloß .
Er sagte , er wolle Faustine erzählen , wie unglücklich Clemens sich fühle , ihr mißfallen zu haben , und dann müsse er das Weitere ruhig erwarten und vor allen Dingen keine schlechte Gesellschaft an sich heranziehen , die ihn für jeden Verkehr mit der guten unfähig mache .
" Tut nur nicht preziös mit eurer guten Gesellschaft ! " rief Clemens ärgerlich ; " in ihr fallen Dinge vor , deren keine schlechte sich schämen dürfte .
Ist die Gesellschaft schlecht , d.h. gemein und roh , nun , so ist auch das rohe Wort und der gemeine Scherz am rechten Platz , und Niemand wird dadurch beleidigt .
Aber in der guten , der feinen , der gebildeten , der eleganten , was wird da geredet ! zierlich immer und mit pikanten Wendungen - die gröbsten Unanständigkeiten :
Asa foetida aux confitures . Besonders die alten Männer haben recht ihr höllisches Behagen dran , und das macht auch den jüngern Courage .
Was man untereinander schwatzt - nun , das hat nicht viel zu bedeuten , aber mit Frauen sollte man doch das lose Maul beherrschen .
Wäre ich eine Frau , mir würden bei solchen Gesprächen die Finger jucken , um rechts und links eine Ohrfeige zu geben .
Das schickt sich aber beileibe nicht !
Sie sitzen da und tun , als hörten sie nicht recht hin .
Aber sie hören doch - mögen sie ärgerlich , mögen sie verlegen sein - hören müssen sie .
Manche mögen sich auch wohl sehr amüsieren ; dahin kommt_es !
Und dazwischen wachsen Mädchen auf , stehen einsam junge Frauen , jung und schön , wie Faustine .
Wenn ein gewisser alter Mann , dessen Namen ich vergessen habe , bei ihr eintritt , so möchte ich ihn gleich wieder zum Fenster hinaus spedieren .
Da legt er sich auf einen Lehnstuhl hintenüber , damit der Bauch Raum habe , der Stock steht zwischen seinen Knien und die Hände ruhen auf dessen Knopf .
Von dem roten , fetten Gesicht ist nichts zu sehen , als ein gallertartiges Unterkinn , Hängebacken und Wurstlippen .
Die Nase zählt nicht , die Augen sind von den Runzeln der Augenlider verschüttet , wie ruinierte Teiche vom zusammenfallenden Erdreich - und diese Maschine hebt an zu erzählen .... weiß der Teufel was .
Und man mag dazwischen reden - er wartet auf eine Pause ! man mag ihm geradezu Schweigen gebieten - er schweigt und hängt an die nächste Bemerkung eine Anekdote im verbotenen Stil !
Wo solche Menschen reden dürfen , sieht man nicht den Nutzen der Zensur ein .
Nein , mit eurer guten Gesellschaft bleibt mir nur vom Halse .
Wer ein Paar Jahr darin gelebt , ist hieb- und schußfest und weiß Bescheid !
Hinge es von mir ab , nicht drei Tage ließe ich Faustine dazwischen .
Wenn sie dem alten Molch gegenüber sitzt und das Goldkettchen immer hastiger , immer heftiger um die Finger wickelt , ist sie anbetungswürdig .
Einmal lachte sie , aber im Zorn , das war prächtig - "
Und wieder ging er auf Faustine über , und wie ein Monomane vertiefte er sich in Extravaganzen bei seiner fixen Idee , indessen er über andere Gegenstände klar und verständig urteilte .
Trotz seines Mißfallens an der guten Gesellschaft versprach er denn doch , seine gar so lustigen Kumpane etwas fern zu halten und Feldern kam ganz abgespannt bei Faustine an , die in heiterster Laune sehr gern auf seinen Wunsch einging , Clemens wieder zu Gnaden aufzunehmen .
Dessen Bedingungen teilte er ihr aber nicht mit , auch nicht ganz genau den Zustand , in welchem er ihn gefunden ; er fürchtete , Faustine möchte dadurch etwas aus ihrer versöhnlichen Stimmung gebracht werden , und er hielt es für ganz notwendig , daß sie nicht ihre Hand von Clemens abziehe , wenn aus ihm etwas Tüchtiges werden solle .
Aber daß morgen sein Geburtstag sei , sagte er Faustine .
Als Clemens in der Frühe des nächsten Tages zu ihr kam , rief sie freundlich :
" Nun , mein verlorener Sohn , dies Kränzchen soll zugleich Ihre Heimkehr und Ihr Wiegenfest feiern " - und warf ihm einen Kranz der ersten Frühlingsblumen entgegen .
" Schönere Sinnbilder der Hoffnung , als diese unter Schnee und Eis gekeimten Blumen , weiß ich nicht Ihnen zu geben , und die Hoffnung ist doch das , womit wir uns am liebsten beschäftigen . "
" Ich halte nicht viel von der Hoffnung , " entgegnete Clemens .
" Genügen Ihnen die Realitäten so ganz ? "
" Sie genügen mir so wenig , daß es mir nicht der Mühe wert vorkommt , Träume von ihnen in die Zukunft hineinzuschieben - und das tut die Hoffnung . "
" Aber unwillkürlich blickt der Mensch in die Zukunft , wie er , wenn er am Fenster steht , zum Himmel blickt , und wie an dem Wölkchen oder Gestirne auftauchen und dahin ziehen , so dämmern in ihr Bilder der Hoffnung auf .
Haben Sie schon Ihre Abreise nach Oberwalldorf festgesetzt ? "
" Ich habe noch nicht daran gedacht . "
" Und was sagt Ihr Bruder dazu ? "
" Nichts - vermute ich .
Er sagt überhaupt so wenig , wenn er auch ziemlich viel spricht .
Da wir aber nicht korrespondieren , so weiß ich gar nichts von ihm . "
" Ich wundre mich , daß Ihr Aufenthalt hier Ihnen so zusagt . "
" Sie sind ja hier ! - ich meine ... .
Sie leben ja auch in Dresden . "
" Ich habe nirgends eine andere Bestimmung . "
" Weshalb wollen Sie mich ins Exil des Landlebens schicken , das doch in der Tat erdrückend ist , wenn nicht Interessen und Pflichten des Herzens dies Kleben an der Scholle und Sorgen um die Scholle adeln . "
" Und was hält Sie ab diesen höheren Interessen nachzugehen ?
In schöner , kräftiger Jugend stehen Sie brav und unabhängig da , nicht eben reich - das ist sehr gut , da wird man zur Tätigkeit angespornt .
Also kaufen Sie ein Landgut Ihrem Vermögen angemessen , suchen Sie eine liebenswürdige Lebensgefährtin und werden Sie recht , recht glücklich , lieber Clemens - das ist mein Wunsch zu Ihrem Geburtstage . "
" Wünschen Sie aufrichtig , mich glücklich zu sehen ? "
" Wenn ich Nein sagte , würden Sie es glauben ? -
Ich lüge nicht , weil ich die Wahrheit bequemer finde , als die Lüge .
Das sollten Sie doch wissen . "
" In der Welt macht man aus Gewohnheit , nicht um zu lügen , viel schöne Worte . "
" Ich auch ! wenn mir nichts Besseres einfällt ! -
Doch Freunden gegenüber nenne ich leere schöne Worte Lüge , weil sie etwas Anderes dahinter erwarten ; die Welt aber nicht : die empfängt die Münze , womit sie zahlt - ein redlicher Handel . "
" Gut denn ! so müssen Sie mein Glück nicht bloß wünschen , sondern auch etwas dafür tun . "
" Tun ? ach , meine gebrechliche Hand webt leichter die fliegenden Sommerfädchen der Theorie , als das derbe Schiffstau der Praxis .
Was kann ich für Sie tun ?
.... ein hübsches Bild für Sie malen - "
" Ihr eigenes ? "
" Nein , daran mögen Andere ihre Kunstfertigkeit üben !
ich habe zu viel mit mir selbst zu schaffen , um mich auch noch zu malen ! -
Und Sie besuchen kann ich - "
" Wann ? wo ? "
" Nun , wenn Sie verheiratet sind und ein hübsches Haus haben . "
" Das liegt Alles zu fern . "
" So will ich mich besinnen ! mit der Zeit fällt mir vielleicht noch etwas ein . "
Aber Faustine war so gelangweilt durch die ungewohnte Anstrengung , jedes Wort so einzurichten , daß es eine Barriere vor Clemens schob : daß sie nicht zu ihrer gewöhnlichen Freiheit gelangte und herzlich froh war , als die Ankunft Cunigundens und ihres Vaters das Zwiegespräch unterbrach .
Frau von Stein hatte ihre Tochter kalt entlassen mit der Weisung , die große Selbständigkeit , welche sie in so jungen Jahren ihren Eltern gegenüber behauptet , auch nun für ihr ganzes Leben und unter allen Verhältnissen zu bewahren , damit sie nicht in den Verdacht kindischen Trotzes gerate .
Da indessen Jeder , der überhaupt einen Willen habe , berechtigt sei ihn geltend zu machen , so billige sie , daß die Tochter auf eigenem , wenn auch überraschendem Wege , zum Glück zu gelangen suche .
Cunigundens Schwestern weinten - und trösteten sich .
Nur der Vater war sehr betrübt und Cunigunde voll tiefen Schmerzes , ihn verlassen zu müssen .
Sie liebte den beschränkten , lenksamen , geduldigen Mann , nicht mit kindlicher Zärtlichkeit , nicht mit Verehrung , aber mit jenem tiefen Mitleid , das vielleicht Antigone für den blinden Vater empfand .
Ach , auch der ihre war ja blind , konnte nicht allein stehen in dem verwirrten Leben , weil er nicht fähig war , es zu überschauen , und bedurfte einer Führerin , einer milderen , als die despotische Gattin war .
Das war sein frommes Kind - wie er Cunigunde nannte - ihm stets gewesen und er bedauerte ihren unersetzlichen Verlust , aber vollkommen resigniert .
" Sie ist jung , ich bin alte , " sagte er , " da muß man an ihre Zukunft denken .
Alte Leute haben keine !
Und verloren hätte ich sie ja doch , sobald sie sich verheiratet hätte .
Und dann wäre sie unglücklich geworden , sagt sie ; das würde mir das Herz abstoßen .
Nun kann ja der liebe Gott es so fügen , daß sie noch einmal sehr glücklich wird , sogar , daß ich es noch erlebe . "
Cunigunde saß immer neben ihm und hielt seine Hand in der ihren .
Ihre Lippen zitterten , aber sie weinte nicht und sprach fast gar nicht .
Es war eine herbe Wehmut in ihr , über die Art , wie sie aus dem Vaterhause einsam in die Fremde ging .
Ehedem hatte sie sich dies Scheiden wohl anders gedacht , an der Hand des Gatten , einer schönen Bestimmung zu - doch das war lange her , war noch ein Bild aus ihrer ersten Jugendzeit , wo sie noch nicht ihre eigenen Ansprüche an den künftigen Gatten kannte .
Seitdem war es anders in ihr worden ; wie und wodurch - wußte sie nicht .
Es kam ihr eben nur vor , als habe sie ausgeschlafen .
Doch der Tag , zu welchem sie erwacht war , lag kühl und farblos da , und sie fröstelte bei dem Gedanken , da hinein zu müssen .
Mengen kam , erneuerte die früher gemachte Bekanntschaft mit Herrn von Stein und Cunigunden , und erzählte so viel und so herzlich von seiner Familie , besonders von seinem Vater , daß Allen ganz traulich und heimisch dabei zu Sinn wurde .
Matildens Hochzeit sollte nächstens sein .
Faustine sagte : " Das freut mich für die Liebenden und noch mehr für Sie , teure Cunigunde .
Es bringt uns den Menschen näher , wenn wir ein Familienfest mit ihnen gefeiert haben .
Wir sind nicht fremd in dem Kreise , wo wir einmal teilnehmend gelächelt oder geweint . "
" Und ich werde Ihnen bald folgen , mein Fräulein , und Ihnen Briefe und Nachricht von den Ihren bringen , " sagte Mario ; " denn ich bin sehr entschlossen , etwas so Frohes , wie eine Hochzeit , nicht bei den Meinen ohne mich vorübergehen zu lassen . "
" Etwas so Frohes ? " fragte Faustine ; aber Mario hörte es nicht , weil Herr von Stein ganz vergnügt sprach :
" Es freut mich recht , Herr Graf , daß Ihnen eine Hochzeit wie eine Fröhlichkeit vorkommt .
Sonst war es Mode , daß es lustig und hoch dabei herging .
Es gab Feste und Schmausereien Tage , ja Wochen lang .
Zum Hochzeitstage selbst gebrauchte man einen ganzen Tag , wie sich das gehört , damit aller Putz , alle Ehren , alle Lustbarkeit , aller Scherz sein Recht bekomme , und nicht ein Ehrentag mit zwei oder drei kümmerlichen Stunden abgefertigt werde , wie es jetzt wohl geschieht , wo man sich am Morgen oder am Abend trauen läßt , einen Bonbon ißt , in den Wagen steigt und in die weite Welt fährt . "
" Das gefällt mir doch sehr gut , lieber Herr von Stein , " sagte Faustine .
" Ja , meine gnädige Gräfin , das glaube ich gern !
die schöne junge Frau ist wohl am liebsten mit dem Gemahl allein .
Aber du grundgütiger Gott !
sie werden beide noch so lange beisammen sein , daß es sehr gut ist , wenn sie in der ersten Zeit ein wenig gestört werden , damit sie nicht nach drei Monaten einander überdrüssig sind .
Und dann die Übrigen ! warum sollen die leer dabei ausgehen ? an einer Hochzeit nimmt die ganze Welt Teil , mit Fug und Recht , denn zwei Menschen , die losbändig in ihr umherirrten , erbauen sich plötzlich ein Hüttchen und schmücken die Welt mit Menschen und mit Glück .
Das ist für jedermann wichtig .
Darum erhielten sonst alle Hochzeitsgäste ein Stückchen vom Strumpfband der Braut zum Andenken .
Freilich jetzt sind die Leute gewaltig steif geworden .
Der harmlose Scherz macht ihnen keinen Spaß mehr , und sie zucken die Achseln über den veralteten , plumpen Gebrauch , worin doch wahrhaftig Andacht war .
So unterstützt denn jetzt die Gleichgültigkeit der Übrigen den Wunsch des Liebespaars , und die wichtigste Angelegenheit des Lebens wird mit einer ganz unstatthaften Heimlichkeit vollzogen , als ob man sich ihrer schäme .
Hätte meine Cunigunde geheiratet " -
Der Blick der Tochter begegnete bittend dem seinigen , darum fügte er hinzu :
" Aber sie will nicht !
Es ist kurios , daß heutzutage , wo ein Bräutigam rarer ist als ein Nordlicht , gerade mein Mädchen keinen will .
Nun , wir wollen nicht weiter davon reden .
Es wird ja wohl Alles am Besten sein , wie der liebe Gott es fügt . "
Der Tag ging recht gut hin .
Mengen war fast immer da .
Cunigunde schöpfte Zuversicht aus seinen Worten .
Feldern kam in der Absicht , ihr Lebewohl zu sagen ; doch er kehrte im Vorzimmer wieder um .
Ihm war , als spiele er in der Szene nur eine Nebenrolle .
Am nächsten Morgen wollte Cunigunde reisen , es war Alles für sie in Bereitschaft gesetzt .
Sie nahm einen kurzen , heftigen Abschied von Faustine ; sie wollte nicht weich werden , vielleicht ihres Vaters wegen .
Der alte Mann erbat sich Faustinens Erlaubnis , sie zuweilen besuchen und mit ihr von Cunigunden reden zu dürfen .
Diese sagte zu Mario auf Faustine deutend :
" Sie bringen mir also bald Nachricht von meinem Liebesengel ! " -
dann ging sie mit Herrn von Stein in einen Gasthof , und am anderen Morgen , als die Sonne aufging , waren Vater und Tochter schon getrennt , und Cunigunde ging gefaßt ihrer Bestimmung entgegen .
" Und Sie gehen nun auch ? " fragte Faustine niedergeschlagen Mengen ; " ich werde recht einsam sein .
Wenn doch Clemens lieber ginge statt Ihrer . "
" Ich komme bald wieder , " sagte Mario ; " meine Eltern wünschen es , wollen mich sehen - "
" Das begreife ich ! wenn wir uns aber nur wiedersehen . "
" Warum sollten wir nicht ?
wir sind jung . "
" O , das ist kein Grund ! im Gegenteil , junge Menschen werden häufiger getrennt , als alte . " - Faustine blieb so niedergeschlagen , daß auch Mario davon angesteckt wurde , und wenigstens an dem Abend in keine leichtere Stimmung kam .
Doch gerade dieser mächtige , unleugbare Einfluß Faustinens bestimmte ihn , eine Entscheidung herbeizuführen .
Gehöre ich ihr so ganz an , sprach er zu sich selbst , so werde sie denn auch mein eigen ! und was fürchte ich denn ?
sie ist ja frei , ich bin es !
aber wird sie wollen ?
sie muß wollen , wenn sie mich liebt .... Wenn ! - o verdammter Zweifel , den nur der Kopf ausbrütet , und das Herz nicht hegt ! " -
Acht Tage vergingen bis zu Mengens Abreise , und Faustine blieb in einer Nebelwolke von Traurigkeit .
In der Region der Gefühle ist dieser Zustand der unbehaglichste , weil er keinen Kampf zuläßt , weil man warten muß , bis Sonne oder Wind den Nebel zerstreuen ; und oft der gefährlichste , weil man mit umdämmerten Blicken häufig bis an den Rand des Abgrunds tappt , zuweilen in ihn hinabstürzt .
" Wie kann er gehen ! " dachte Faustine ; " sieht er , fühlt er nicht , wie notwendig er mir ist ? notwendig , wie die frische Luft , wie der Frühling ! -
Ach , der Frühling kommt und er geht ! "
- Bisweilen machte sie sich selbst Vorwürfe , wiederholte sich , daß einige Wochen schnell verstrichen , daß er heimkehren würde , daß auch Andlau , nach seinem letzten Brief zu schließen , bald kommen müsse , und daß alsdann für sie Alle eine Erhöhung des Reizes im lebendigen Verkehr eintreten könne .
Aber das lag so fern , gleichsam hinter den Nebelwolken ihrer Traurigkeit .
Sie sah es nicht klar .
Der Schmerz der Entbehrung lag ihr näher , als der Trost des Genusses einer zweifelhaften Zukunft .
Sie wußte nicht , ob Mengen und Andlau an einander Behagen finden würden :
Beide waren schroff und scharf , dieser eisig , wenn er unangenehm berührt sich fühlte , und jener in demselben Maß schneidend - zwei Naturen , die mit gezogenem Schwert sich gegenüberstehen mußten , sobald sie nicht Hand in Hand gingen .
Faustine war in ihrer tiefsten Seele beklemmt und unheimlich .
Hätte sie den Mut , die Stärke und die Besonnenheit gehabt , den Verhältnissen fest ins Auge zu sehen , so wäre ihr bald genug klar geworden , daß in Marios Entfernung ihrer Aller Heil liege , und sie hätte durch ein gefaßtes : " Fahre hin , " dem Schicksal vorbeugen können , das sie zerbrach , als es in seiner vollen Macht über sie herbrauste ; sie hätte durch eine ruhige Darlegung ihrer innersten Seelenverbindung mit Andlau Mengen auf einmal , ehe er ein Wort gesagt , durch einen einzigen kurzen Schmerz , in sein altes Gleichgewicht , wenigstens äußerlich , zurückgestellt , und in dem seinen das ihre gefunden ; sie hätte Alles das tun können , was sie nicht tat , eben weil ihr Mut , Stärke und Besonnenheit fehlten .
Gegen Clemens war sie während dieser Zeit viel freundlicher , oder eigentlich sanfter als sonst , wo sie ihm nicht leicht irgend ein Wort hingehen ließ , ohne es zu rügen , sobald es über seine Grenze sprang .
Jetzt hörte sie nicht so scharf hin , oder sie hatte Mitleid mit seiner Torheit .
Was den Frauen ihr Mitleid für Schaden tut - das ist nicht zu beschreiben und nicht zu begreifen ! wenigstens nicht von den Männern zu begreifen , welche für die Frauen alle mögliche Empfindungen , nur kein Mitleid hegen .
Im Haß und in der Liebe als Überwinder , vernichtend , grausam , vor den Frauen zu stehen , ist ihre Wonne , ihre Lust , ihr Triumph , - ihre Natur ! und die Frau , die darüber klagt , ist falsch : es hat noch jeder Simson seine Delila gefunden ! -
Aber daran tut der Mann Unrecht , in jeder Mitleidsäußerung ein Liebeszeichen zu sehen .
So weit müßte er aus seiner Natur heraustreten und die fremde Eigentümlichkeit erkennen .
Mitleid ist eine Tochter des allgemeinen Wohlwollens , und die Frau hat viel mehr Wohlwollen für den Mann , in welchem sie von Hause aus eine Stütze und den Begründer ihres Glückes sieht , als er für sie hat , die er doch nur à tout prendre , als eine sichre Beute betrachtet .
Daher wird die Frau durch eines Mannes Neigung zwar nicht immer zur Erwiderung , doch gewiß immer zum Mitleid gestimmt - vorausgesetzt , daß ihr keine Verbindung mit ihm droht , wie es bei Cunigunden und Feldern war - und sie wird Dinge tun und sagen , die ihm ja nur den Mangel an Liebe freundlich verbergen sollen .
In solchem Verhältnis ist es nur seine , niemals ihre Schuld , wenn er ein Lächeln , einen holden Blick , ein süßes Wort als ein Versprechen künftiger größerer Gaben betrachtet .
Die Frau ist gleich dem Kinde , heftig , glühend , leichtgerührt ; hernach vergißt sie das , und das macht ihr der Mann zum Verbrechen .
Es ist aber ihre Natur , so wie die seine Barbarei ist .
Nur nie Mitleid mit dem Manne geäußert !
er mißbraucht es alle Mal .
Clemens jubelte heimlich : " ich wußte wohl , daß ich sie rühren würde ! "
Anfänglich war sein brennendster Wunsch nicht weiter gegangen , als seine Liebe geduldet - nun wünschte er schon , sie erwidert zu wissen .
Er gestand es sich freilich nicht ein , aber im Herzen rechnete er schon darauf ; denn was wäre es für eine wunderliche Liebe , die keine Erwiderung begehrt ?
ich denke , es wäre gar keine Liebe . -
Mengen geht - so lautete Walldorfs Rechnung - sie wird ihn vermissen , weil er ihr eine angenehme Gesellschaft ist , doch von einer Neigung kann nicht zwischen ihnen die Rede sein , da diese Trennung statt findet .
Hingegen wird Andlau kommen - aber ist denn da noch die alte Liebe ? fast sechs Monat hat er sie verlassen , und sie lebte während der Zeit ruhig und heiter .
Wo ist der Mensch , der , wie ich , ohne ihren Blick in Verzweiflung untergeht ?
Nein , mir , meinem lodernden Herzen gehört sie einzig an . -
Bisweilen saß er ihr viertelstundenlang schweigend gegenüber und sie schwieg auch .
Sie malte oder zeichnete .
Clemens kam gern in den frühen Morgenstunden , wo er gewiß war , sie allein zu treffen ; späteren Besuchen räumte er das Feld , und war am glücklichsten , wenn er sie ungeniert bei ihren gewohnten Beschäftigungen , die sie seinetwegen nicht unterbrach , häuslich und traulich fand .
Darum begehrte er auch keine Conversation von ihr .
Sie durfte sich in ihre Arbeit , ihre Gedanken vertiefen .
Das tat sie auch .
Fiel es ihr dazwischen ein , es sei doch sehr unfreundlich , sich gar nicht um des armen Clemens Anwesenheit zu kümmern , so sah sie lieblich zu ihm auf , oder nickte ihm einen holden Gruß , gleichsam seine Nachsicht erbittend , zu .
Er aber meinte dann , sie freue sich über seine Anwesenheit ; und sagte sie , um doch einigermaßen für seine Unterhaltung zu sorgen :
" Da liegt ein hübsches Buch , lieber Clemens , lesen Sie doch ein oder das andere Kapitel ; " - so war er glückselig , weil er dachte :
sie wünscht , daß ich bleibe - sonst könnte sie mich ja gehen heißen .
- Faustine wünschte aber hinsichtlich seiner gar nichts , als ihn vor Ausartung der Torheit in Verwilderung geschützt zu wissen .
Am Vorabend von Mengens Abreise waren mehrere Personen bei ihr .
Er selbst kam spät .
Sie hatte sich in eine große Lebhaftigkeit hinein gesprochen , um damit ihre Trauer zu umschlieren .
Gleichgültige werden stets dadurch getäuscht .
Jemand fragte : wie sie zu ihrem seltsamen Namen gekommen , und sie sagte :
" Mein Vater hatte eine solche Liebe zu dem Geotheschen Faust , daß er , um in jedem Augenblick seines Lebens an dies Meisterwerk erinnert zu werden , seinen beiden ersten Kindern den Namen Faust und Faustine beizulegen beschloß .
Meine Mutter bebte vor diesen barbarischen Namen , sie hatte ganz andere Lieblinge .
Als der Zeitpunkt kam , wo ein Kindlein geboren werden sollte , gab es manche kleine Debatte , und unsäglich war die Freude der Eltern , als nicht Eines , sondern zwei zugleich das Licht dieser Welt erblickten , und nun Jeder einen Lieblingsnamen auf der Stelle anbringen konnte .
So wurde ich Faustine , meine Schwester Adele getauft .
Meine arme Mutter starb im Wochenbett , und mein Vater hatte auch nicht lange die Freude , durch mich an sein geliebtes Gedicht erinnert zu werden :
er blieb im Felde .
Für mich hat aber mein Taufpate , Faust , stets ein ganz besonderes Interesse gehabt , unabhängig von dem Zauber seiner Poesie und seiner grandiosen Weltanschauung .
Ich wollte immer mein eigenes Schicksal in diesem rastlosen Fortstreben , in diesem Dursten und Schmachten nach Befriedigung finden - aber der zweite Teil hat mir das unmöglich gemacht .
Ich denke , es schreibt wohl jeder von uns seinen eigenen zweiten Teil zum Faust , der Göthesche ist allzu individuell . "
Graf Kirchberg sagte :
" Das finde ich nicht !
es ist das treue Bild aller Menschen , die wie die alten Titanen mit großer Kraft den Ossa auf den Pilion türmen , Studien , Forschungen , Leistungen auf ihre Gaben , um damit dem Himmel abzutrotzen und abzuringen , was er diesem Streben nicht gewähren kann : Befriedigung .
Der Strom der Sinnenlust hat im Entstehen noch Nerv , weil der Quellpunkt , die Liebe , ihm Nahrung gibt , aber breit , und dürftig dennoch , zerfließt er in der Steppe des Überdrusses und des unbestimmten , auf kein hohes , festes Ziel gerichteten Verlangens .
Dann versucht Faust dem Ehrgeiz , dem Weltglanz , der Welteitelkeit einiges Vergnügen abzugewinnen ; aber es bleibt ein schaler Spaß für ihn , ohne Saft und Kraft , und dasselbe bleibt ihm die Kunst , der er sich darauf in die Arme wirft .
Das in ihr und mit ihr Erzeugte , Euphorion , verschwindet , weil es nicht aus der Begeisterung geboren ist , und somit hat auch die Kunst ihren Reiz für ihn verloren .
Endlich probiert er es gar mit der Wohltätigkeit , mit der allgemeinen Menschenliebe , doch die Lauheit , das vage Mißvergnügen bleiben ihm zur Seite , und dieser ununterbrochene Seelenregen macht ihn so matt , daß er ganz froh ist , endlich mit guter Manier in die elysäischen Gefilde des Himmels einpassieren zu dürfen . "
" Gut , das ist eben eine Richtung ! " rief Faustine ; " ich sehe aber nicht ein , warum der Faust seelenmatt werden muß .
Hat die Liebe ihm keine Befriedigung gegeben , so werfe er sich lodernd , wie in ihren Schoß , in die Arme des Ehrgeizes , der Weltherrlichkeit , der Kunst !
so ringe er nach ihnen und um sie , statt mit ihnen zu spielen ! so strenge er alle seine Kräfte und sporne alle seine Gaben an , damit er doch Etwas zu Tage fördere - und sei es nur gerade Etwas , woran Mephistopheles seine Weltironie üben könne , der jetzt in dieser beängstigenden Atmosphäre nur noch zu armseligen Späßen Gelegenheit findet , mit Gauklerkunststücken sich helfen muß , und aus seiner grandiosen Lucifer-Region in die Kategorie der kläglichen , dummen Teufel fällt .
Die Kräfte eines Faust dürfen brechen - nicht erlahmen .
Sind sie gebrochen im rastlosen Kampf :
so gehe er heim nach Gretchens öder Hütte , und suche dort im Tode , was er im Leben umsonst gesucht : ein Haus für die Ewigkeit .
Der göttlichen Barmherzigkeit und der reinen Liebe sind keine Grenzen gesetzt ; heben sie die matte Seele in den Himmel - warum nicht die ringende Feuerseele ? "
" Schreiben Sie doch einen zweiten Teil zum Faust " - sprach Feldern scherzend .
" Nein , ich lebe ihn lieber , " entgegnete sie .
" Schreiben ist nur ein Surrogat für leben . "
" Oder ein Widerhall des Lebens , der an jedem Busen sich bricht und zu einem neuen , klingenden Ton wird " - sagte Feldern .
" Ach ! " rief Faustine , " unsere Brust ist gar nicht mehr im Stande , die Millionen von Widerhallen aufzufangen , die wie Bienenschwärme gegen sie losgelassen werden .
Seit das Bombardement der Menschheit durch Kugeln so ziemlich aus der Mode gekommen , ist dafür das durch Bücher eingetreten , welches , wie eine Influenza , seine Zeit durchgrassieren muß .
Ich regrettire im Grunde das Kanonen-Bombardement !
man riskierte zwar in einem solchen den Geist aufzugeben , allein der Kopf wurde dann doch mit fortgeschossen .
Die Bücher hingegen lassen die physischen Köpfe friedlich zwischen den Schultern sitzen , und nur der geistige wird von ihrem Bombardement betäubt und verdummt .
Ich hoffe , noch vor Ende dieses Jahrhunderts wird jeder auftauchende Schriftsteller nach irgend einem Botany-Bay gesendet . "
" Welch ' ein vandalischer Haß gegen die armen , liebenswürdigen Schriftsteller , die Ihnen doch gewiß von Robinson an bis zur heutigen Stunde unsägliches Vergnügen gemacht haben . "
" So so !
Sie leben mir vor , sie denken mir vor - ich lebe und denke aber lieber auf meine eigene Hand , schlecht und recht , wie ich es eben verstehe , als einem Anderen nach . "
Als Mengen kam , bemerkte er sogleich Faustinens innere Aufregung .
Sie sprach ; aber dann und wann hielt sie mitten im Satz inne , weil sie keinen Atem mehr hatte .
Ihre Augen glänzten ; aber dann und wann sanken die Augenlider tief und müde herab .
" Sie sind fatiguirt , Gräfin , " sagte Mario sanft , und setzte sich zu ihr .
" O , zum Sterben ! " entgegnete sie , sich im Fauteuil zurücklehnend .
" Man muß nicht so viel reden , wenn einem nicht danach ums Herz ist . "
" Dann schweigen Sie nur , Mengen !
Sie tun ja nie danach , wie es Ihnen ums Herz ist . "
- Er sah sie fragend an .
- " Nun ja , " fuhr sie fort , " Sie reisen und würden doch viel lieber , trotz Hochzeit und Freudenfesten , hier bleiben . "
Er antwortete ihr nicht , aber er verwickelte die Anwesenden in Gespräche , womit die Zeit hinging ohne Faustinens Bemühen .
Als man aufbrach , wünschte man ihm eine glückliche Reise , und alle die freundlich banalen Phrasen erklangen , welche denen so weh tun , über die der Schmerz des Abschieds einbrechen wird .
Faustine saß regungslos auf ihrem Platz .
Sie grüßte mit den Augen die Scheidenden .
Nun war sie mit Mario allein .
Schweigend , mit untergeschlagenen Armen , stand er eine Weile vor ihr , denn die Gefühle wogten in seiner Brust und erstickten die Worte .
Da stand sie auf , legte beide Hände gefaltet auf seinen Arm und sagte bebend :
" Auf Wiedersehen , Freund ! "
" Kann ich denn so von Ihnen scheiden ? " fragte er eben so leise und faßte ihre Hände in die seine ; - " o Faustine , ich kann nicht ! " rief er dann mit überströmender Heftigkeit und drückte sie an sein Herz , als wolle er dies brausende Herz oder die geliebte Gestalt zerbrechen .
- " O , das ist nicht recht ! " sagte sie , immer mit demselben Ausdruck von Trauer im Blick und Ton .
" Vergebung , Faustine , " sprach Mario sanfter und seine Hand glitt leise über ihr Haar , ihre Wange hinab - " siehst Du , ich liebe Dich - "
Da stand sie auf einmal frei , seinem Arm entwunden , vor ihm .
Sie bog den Kopf zurück , der plötzlich in einer Verklärung stand , welche nur überirdischer Triumph verschmolzen mit bacchantischem Jubel auf das Menschenantlitz gießen ; sie breitete die Arme aus , doch nicht zu ihm , sondern empor zum Himmel , und mit der nämlichen Extase im Ton sagte sie : " Er liebt mich ! "
- " Wohin denn mit dieser wehenden Glut , Faustine , wenn nicht zu mir ? " rief Mario entzückt und schlang den Arm um sie , als wolle er sie an seine Seite fesseln .
" Er liebt mich ! " wiederholte sie mit derselben schwärmerischen Innigkeit .
Sie umfaßte seinen Kopf mit ihren beiden Händen , sah ihn an , schüttelte dann langsam den ihren und sagte träumerisch :
" Das ist aber doch wohl nicht wahr . "
" Nicht wahr ! o Faustine , hast Du nicht gefühlt , wie mein Wesen allmählich mit dem Deinen verschmolzen ist , wie mein Herz gelernt hat in Deiner Brust zu schlagen , mein Geist in Deiner Richtung zu fliegen , mein ganzes Sein mit Dir Schritt zu halten .
Ist das nicht Liebe , Faustine ? "
Wie die Rosenroten Gletscher immer blasser und blasser werden , wenn die Nacht heraufsteigt und zuletzt in schattengleichem Grau dastehen , so erbleichte sie ; sie hing zerbrochen in Marios Armen und sagte tonlos : " O , das ist aber entsetzlich ! "
" Warum , Faustine ?
Engel , Du liebst mich - "
" Ich ! " rief sie und fuhr mit der flachen Hand über die Stirn ; - " ich .... Sie ? -
Sie irren sich seltsam , Graf Mengen . "
Entsetzen , als habe der Blitz zu seinen Füßen die Geliebte erschlagen , zerwühlte plötzlich Marios glückstrahlendes Antlitz .
Er stieß Faustine von sich und sagte mit einer vernichtenden Drohung im Ton :
" Faustine ! "
Sie sank in den Lehnstuhl wie eine welke Blume , die das Haupt unter dem rollenden Donner beugt .
Dicke Tränen quollen langsam unter den Wimpern vor , die Locken hingen aufgelöst an den entfärbten zarten Wangen herab .
Sie war jetzt bezaubernd durch den unaussprechlichen Gram ihres ganzen Wesens , wie sie es drei Minuten vorher durch dessen unaussprechliche Glut gewesen war .
Mario hatte nicht die Kraft sie zu verlassen , obgleich er im ersten Augenblick schon eine Bewegung nach der Tür gemacht .
Er kniete vor ihr nieder und sprach :
" Faustine , wie können Sie lügen ? "
" Ich lüge nicht ! " flüsterte sie ohne aufzublicken .
Er legte seine Hände gefaltet auf ihre Knie und sprach :
" Sehen Sie mich an , fest und ruhig , und nun antworten Sie mir : " liebst Du mich nicht , Faustine ? "
" Nein ! " sagte sie fast unhörbar , aber unwillkürlich ruhte ihr Auge mit so himmlischer Zärtlichkeit auf ihm , daß er entzückt ausrief :
" Deine falschen , lieblichen Lippen lügen !
Dein Auge spricht Ja !
ich glaube ihm . "
" Nein , nein ! " rief sie in heftiger Angst und hielt beide Hände vor den Augen ; " kehren Sie sich nicht an die verräterischen Augen , der Mund spricht die Wahrheit . "
" Faustine , " sagte Mengen und stand auf , und seine zürnende Stimme wurde noch schauerlicher durch die Bebungen , welche die gewaltigste Aufregung ihr gab - " wenn Du mich wirklich nicht liebst , wenn Alles nur ein Spiel , die Belustigung für einen leeren Augenblick gewesen , wenn Du die ganze Grazie Deiner Wesenheit nur als eine gemeine Koketterie verschwendet , wenn Du solche Nichtachtung fremder Gefühle hegst , daß Du lebende , schlagende , blutende Herzen anatomierst zu Deiner Belehrung oder Deinem grausamen Vergnügen :
so habe ich keinen Ausdruck für meine Verachtung . "
" Mario ! " schrie Faustine und glitt auf ihre Knie zur Erde herab - " ich liebe Dich . "
Er hob sie auf , zog sie stürmisch an seine hochschlagende Brust und drängte in einem Kuß die Seligkeit und die Sehnsucht zusammen , welche dies Wort in ihm auflodern ließ .
Aber Faustine begegnete nur scheu dieser Glut .
Sie machte eine ganz kleine Bewegung , so leise , jedoch so unwiderstehlich , daß die Liebe ihr gehorchen muß , und daß doch nur die Liebe sie erraten kann ; - und seine Arme umstrickten nicht mehr wie ein Netz ihre Gestalt , und er fragte gepreßt :
" Warum drängst Du mir das übervolle Herz in den Busen zurück , Faustine ?
O laß es an dem Deinen ruhen , mein geliebter Engel ! jetzt weiß ich ja die Wahrheit . "
" Noch nicht ganz , Mario , " antwortete sie dumpf .
" Aber das Wesentliche : Du liebst mich .
Und morgen fährst Du mit mir zu meinen Eltern , als meine Braut , als mein Weib - wie du willst ! aber mit mir , denn Du liebst mich , Faustine ! "
Er schlang ihre Locken um seine Finger .
Sie sagte melancholisch :
" Laß mich los !
es hilft doch nichts !
wir müssen scheiden . "
Da schrie er plötzlich heftig auf :
" Andlau ? " -
Faustine neigte bejahend das Haupt und Mengen sank wie zerschmettert in einen Stuhl .
" Siehst Du wohl , wie viel schwerer Dir jetzt als vor fünf Minuten die Trennung wird ? " sagte sie gelassen ; " O hätte ich das Liebeswort verschwiegen ! "
" Rede , Unglückselige , rede ! " rief Mengen ; " warum denn Trennung ?
wer hat ein heiligeres Recht an Dir , als ich ? und wenn ein Anderer es gehabt hat , geht es nicht auf mich über von dem Moment an , wo Du mich liebst ?
Ich will Dich haben , Faustine , ohne Teilung , ganz und gar " - " Das begreif ich , " unterbrach sie ihn .
" Aber kann ich denn einen Tag glücklich sein , wenn ich das ganze Schicksal eines Anderen , eines geliebten Menschen , zertrümmere ?
Kannst du es dann noch durch mich , bei mir , sein ? unmöglich , Mario , unmöglich , wie die Sonne unmöglich zur Mitternacht über unserem Haupt stehen kann !
Und das sollst Du selbst entscheiden ! "
" O Faustine !
Du liebst mich , nur mich :
das wird entscheiden . "
" Nein , Mario , ich liebe Andlau , den Mann , dem ich mein ganzes Geschick aus freiem , vollem Herzen in die Hand gegeben , und der es wie ein Gott unwandelbar liebend und treu gelenkt hat . "
" Und nicht mich , Faustine ? besinne Dich , Herz ! wirklich nicht mich ? "
Sie sank zu seinen Füßen nieder , umschlang seine Knie und legte ihren Kopf darauf .
Er wollte sie auf heben , doch sie bat : " Laß mich hier liegen , Mario , und frage mich nicht so , Du - Mensch gewordener , lichter Sonnenstrahl !
wie sollt ' ich Dich nicht lieben ? "
Sie weinte heftig .
Er richtete zärtlich ihr glühendes Antlitz in seiner Hand empor und sprach :
" Mein Engel , erzähle mir nun Alles , was Dich betrifft .
Es ist so dunkel um mich her !
wenn ich Alles weiß , wird es mir hell werden , damit ich entscheiden könne , entscheiden , wie der Mario es muß , den Du liebst .
Darum die Wahrheit , Herz , die reine Wahrheit , wie vor Gott . "
" Wie vor Gott ! " wiederholte sie feierlich , und stand auf .
Sie waren schön die beiden Gestalten einander gegenüber .
Mario saß in seiner gewöhnlichen Stellung mit untergeschlagenen Armen seitwärts am Tisch , und die Kerzen warfen nur ein Streiflicht über ihn .
Aber sein marmorbleicher Kopf mit den vornehm stolzen , aber durch die Macht der Empfindung für den Augenblick melancholischen Zügen , mit dem tiefen , geistreichen , glühenden Auge und dem dunklen Gelock , hob sich , gleich einem Gemälde von Velásquez oder Murillo , lebhaft von der dunkelroten Lehne des Fauteuils ab , welche ihn hoch überragte .
Faustine stand vor ihm , im vollen Kerzenlicht , Blaßrot gekleidet , blühend , weich , schwebend , halb sinnlich , halb seelisch , hingehaucht wie von Guido Renis Pinsel , etwas vom Johannes , etwas von der Magdalena im Ausdruck , der in jeder Sekunde wechselte , so wie sie die Scala der Gefühle durchflog .
- Er - ruhig , fest , entschlossen , nicht unerschütterlich , aber kampfbereit und unermüdlich , die Siegesfahne tragend , vielleicht in den Tod , doch gewiß nicht in den Untergang .
Sie - schwankend , und immer ungewiß lassend , ob sie fallen , ob sie in den Himmel auffliegen werde .
Er - ganz Mann .
Sie - ganz Weib .
" Rede , mein Engel , " sagte Mario sanft ; " keine Frage , keine Einwendung , kein Blick sollen Dich stören . "
" Was habe ich denn eigentlich zu sagen ? " fragte Faustine sich selbst , träumerisch die Hand an die Stirn legend .
" Alltägliche Schicksale , ein Leben ohne gewaltige Ereignisse , eine Persönlichkeit ohne überwiegende Vorzüge - das wurde mir , das bin ich .
Und innere Zustände , Skizzen der Seele , kann man die einem Anderen vors Auge führen und hindern , daß ihm der Glanz zu grell , und der Schatten zu schwarz erscheine ? die Wahrheit wird durch das Wort so hart , daß sie , wenn nicht lügenhaft , doch unglaublich , doch übertrieben erscheint .
Ich aber habe von nichts , als von inneren Zuständen zu sprechen ; Begebenheiten darfst Du nicht erwarten .
- Aus der Pension in Mannheim , wo meine Schwester und ich , die armen Waisen , erzogen waren , kamen wir im siebzehnten Jahr zu unserer Tante , welche ein schönes Landgut in der Nähe von Bamberg bewohnte .
Ich war ein junges Mädchen , wie alle übrigen - glaube ich .
Ich kann mich im Grunde gar nicht darauf besinnen , wie und was ich war , so lange mein Wesen in seiner kühlen , grünen Knospe bewußtlos wie ein Kind in der Wiege schlummerte .
Ernst war ich wohl , doch auch heiter ; still , aber innerlich lebhaft .
Bilder wogten in mir , Gestalten tauchten auf , Erscheinungen zogen vorüber mit einer Fülle , in einer Lebendigkeit , welche mich schon zwischen meinen Pensionsgefährtinnen zu ihrer Scheherazade machten , zu einer kleinen Improvisatorin , die aber gewiß sich selbst weit mehr , als den Kreis ihrer Zuhörer amüsierte .
Später gab ich diesen Phantasien keine Worte mehr , sondern Bilder ; ich zeichnete .
Das macht sehr still , weil die Hand bedächtig und das Auge vergleichend verfahren muß , wenn der Kopf auch braust .
Dies Talent , gerade für mich , mag wohl eine besondere Gnade des Himmels gewesen sein : die bestimmte Form gab mir Haltung .
Mit der Poesie hingegen , deren Schützlinge zwang- und mühelos von der Form nicht mehr brauchen , als was sie in ihren Fingerspitzen zusammenfassen , hätte ich gewiß den Phaetons-Gang und Sturz erlitten .
- Von Liebe wußte ich nichts weiter , als was in den Dichtern steht , und das ist , so lange man es nicht auf einen bestimmten Gegenstand überträgt , etwas so Farbloses wie das Prisma , ehe man es zwischen Auge und Sonne hält .
Ich liebte meine Bilder , meine Bücher , die Blumen , die Vögel , die ganze Natur , die ganze Menschheit , den guten Gott , der dies samt und besonders geschaffen hat , - Alles en bloc . Meine Tante am wenigsten ; denn sie war intriguant , und solche Charaktere stoßen mich von Grund aus ab , weil ich ohne Waffen gegen sie bin , mögen sie mich gewinnen oder mir schaden wollen .
Ich fühle mich bei ihnen beklemmt wie irgend ein scheues Tierlein des Waldes , das die fangende Schlinge ahnt .
Ich hatte Scheu vor meiner Tante .
Die Männer waren mir am liebsten , welche am besten tanzten und dabei nicht allzu fade plauderten .
Huldigungen verlangte ich nicht - vielleicht darum wurden sie mir oft zu Teil in der oberflächlichen Manier , die zwischen ganz jungen Leuten statt findet .
Nur Graf Obernau behandelte die Sache ernster .
Er war Rittmeister , sieben und zwanzig Jahr alt , aus vornehmem Geschlecht , sehr reich und sehr schön - wenn man dies Prädikat den regelmäßigen Zügen , der stolzen Gestalt und guten Haltung beilegen will , welche in manchen Familien selbst dann noch erblich sind , wenn schon der Adel der Gesinnung und die Kräftigkeit des Blutes erloschen , die zuerst diesen Stempel ausprägten .
Ich gefiel diesem Manne auf eine mir ewig unerklärbare Weise , d.h. er verliebte sich am ersten Abend , wo er mich bei der Tante sah , dermaßen in mich , daß er auf dem Heimritt zu einigen Kameraden sagte :
" Der Teufel soll mich holen , wenn das nicht meine Frau wird . "
Seine Kameraden zweifelten durchaus nicht daran , da eine so glänzende Partie wie Obernau schwerlich abgewiesen wird , und er überdies ein sogenannt guter Mensch war , Jedem Geld borgte , Jedem im Duell sekundierte , keinen Spaß verdarb , und nebenbei von solcher Schwäche war , daß Jeder , der in seine Launen einzugehen und ihm ein wenig zu schmeicheln verstand , ihn lenken konnte , wie ein Kind .
Solch ein Kamerad , der vornehm und reich ist , außer den guten Konnexionen auch noch den stets gefüllten Beutel hat , und obenein das gute Herz , welches mit beiden aushelfen läßt - wird von allen jungen Männern zärtlichst geliebt .
Kaum hatte Obernau mir sultanisch das Schnupftuch zugeworfen , so würde kein junger Mann , zehn Meilen in der Runde , sich zwischen ihn und mich gestellt haben .
Es war gleichsam ein allgemeines schweigendes Übereinkommen , daß er und ich für einander paßten und gehörten .
Obernau und immer Obernau war vor meinen Augen und an meiner Seite , oder schwirrte vor meinem Ohr ; denn der Tante konnte nichts Erwünschteres kommen , als seine passionierte Neigung , und sie trug Sorge , mir von ihm stets in einem Ton zu reden , der Eindruck auf mich machen mußte .
Nämlich zuerst lobte sie seine guten Eigenschaften , dann beklagte sie den bösen Einfluß , welchen schlechte Ratgeber und eigennützige Freunde in seinem wohlwollenden , vertrauenden Herzen gewonnen , und schloß endlich damit , eine gute , edle Frau könne ihn leicht zu sich emporheben und ihn zu einem neuen , besseren Menschen umwandeln - und das sei der herrlichste Beruf des Weibes .
Ich hatte zwar kein Vertrauen zu dem Herzen meiner Tante , aber großes zu ihrer Klugheit .
Was sie da sagte , kam mir verständig und gut vor , und ist es auch , wenn nur das Weib , welches sich diesem heroischen Beruf widmet , in sich klar , fest und abgeschlossen genug ist , um nicht selbst dabei herabgezogen zu werden .
Ich armes , unerfahrenes Geschöpf , ohne Leidenschaft , ohne Schmerz - diesen zwei Binde- und Löseschlüsseln des Wesens - konnte das damals nicht in Überlegung ziehen .
Ich dachte , was die ganze Welt gut und zweckmäßig finde und was einen Menschen glücklich mache , daß müsse ich tun , und ich verlobte mich mit Obernau .
Wollte ich sagen , er sei mir gleichgültig oder gar zuwider gewesen , und ich sei zu dieser Partie beredet oder gezwungen :
so würde ich lügen .
Nein , ich war ihm recht gut , und gab ohne Widerstreben seiner Werbung Gehör .
Ich wollte ja auch meine herrliche Bestimmung erfüllen und recht etwas Gott und den Menschen Wohlgefälliges vollführen .
Überdies sah ich meine seit drei Monaten verheiratete Schwester äußerst glücklich mit einem Manne , der mir unerträglich schien ; daraus zog ich den Schluß , der gerade umgekehrt richtig ist : der Mann sei am liebenswürdigsten in der Ehe - und die Anstalten zur Hochzeit wurden gemacht .
" Je näher aber der Zeitpunkt kam , desto beklommener wurde mir .
Ich , die nie träume , die nie eine bange Vorempfindung des Gewitters spüre , wandelte umher , als solle ein quälender Traum in Erfüllung gehen oder ein Unwetter losbrechen .
Wenigstens bilde ich mir ein , daß diese Schwüle , diese Schwere , diese Angst ohne Grund und ohne Namen , denjenigen heimsuchen müsse , welcher Traum und Ahnung kennt .
Zu wem sollte ich reden ? die Tante liebte nicht Erörterungen der Gefühle , wenn sie Entscheidungen herbeiführen konnten , welche ihren Absichten widersprachen ; sie wies sie nie ab , doch mit schlauer Geschicklichkeit wußte sie stets sie zu vermeiden .
Meine Schwester , wie gesagt , war verheiratet : das war eine unübersteigliche Scheidewand zwischen uns .
Sie war jetzt die Frau eines Mannes , nicht meines Gleichen , kein Mädchen mehr ! kaum daß sie mir noch wie meine Schwester vorkam .
Es gibt eine Jungfräulichkeit des inneren Seins , rührender und reizender als die , welche der Myrtenkranz repräsentiert , weil sie unendlich seltener ist .
Aber leider ! leider ! geht sie oft vor dieser und fast immer mit dieser verloren !
sie widersteht nicht der materiellen Genußsucht .
Meine Schwester war in kurzer Zeit ganz fraulich worden , verloren in ihren Familien- und Haus-Interessen , und mit unendlichem Behagen sich darin zurecht setzend , wie der Vogel auf seinem Nest .
Sie gehörte zu den weiblichen Wesen , die von der Geburt an , möchte ich sagen , Frauen sind und im Hause Wurzel fassen und Blüten treiben .
Sie ist glücklich dabei geworden , weil Temperament , Sinnesart , Charakter mit ihrem Schicksal Hand in Hand gingen , und weil man von ihr sagen darf - was ich jedoch nie ohne einen leisen Schauder auszusprechen wage : - sie würde jeden Mann glücklich gemacht haben ; - und dies wird doch zuweilen als Lob von einem Mädchen gesagt !
Nun , ich habe es nie verdient .
- " Aber an wen sollte ich mich wenden in meiner Herzensangst ?
Sehr verständig , wie mir scheint , wendete ich mich an Obernau , und sagte ihm an einem schönen Abend , wo wir allein im Garten waren und die melancholische Herbstnatur mit heimziehenden Wandervögeln und herabrieselnden Blättern mich noch trauriger stimmte , daß ich ihn lieber nicht heiraten wolle .
" Ein romanhafter Mädchengedanke ! " antwortete er spöttisch wegwerfend .
Ich verstummte blöde , und sann acht Tage lang darüber nach , ob er nicht wirklich Recht habe .
Bisweilen kam es mir auch so vor , aber als über diesem Besinnen der Hochzeitstag mir bis auf vierzehn Tage nah gerückt war , so fand ich , Obernau habe Unrecht , und abermals verkündigte ich ihm meinen Entschluß und bat ihn dringend , mir mein Wort zurückzugeben .
Stadt der Antwort sprach er : " Ini , Du siehst zum Küssen lieblich aus , wenn Du bittest !
ich wäre ein großer Narr , wollte ich Deinen Willen tun . "
Indessen da er sah , daß ich weinte , fragte er , ob ich etwa einen Anderen , etwa den und jenen , den er nannte , heiraten wolle .
Zufällig waren das närrische , fade , dimmerliche Leute , und Obernaus Frage kam mir possierlich vor - oder war es nervöse Aufregung - kurz , ich brach in lautes Lachen aus , und Obernau sagte beruhigt und beruhigend :
" Wenn Du keinen Anderen lieber hast , so kannst Du mich mit gutem Gewissen heiraten . "
Trotz dieser Versicherung war aber immer eine Stimme in mir wach , die mir zurief : tue es nicht ! und zum dritten Mal , doch nun unter tausend heißen Tränen und mit bangem Flehen , bat ich um meine Freiheit .
Da wurde er endlich anders , er gab das spöttelnde , scherzende Wesen auf , womit er bisher meine Einwendungen zunichte gemacht , er beschwor mich , ihn nicht grenzenlos unglücklich zu machen , er liebe mich zu sehr , um von mir lassen zu können , er wolle Alles tun , Alles sein , was ich gut und recht fände , er lag zu meinen Füßen , er weinte - ich hatte in meinem Leben weder ihn noch irgend einen Mann in solcher Bewegung gesehen , es machte einen schauerlichen , gewaltigen Eindruck auf mich , ich dachte kindisch : wohlan , lieber unglücklich sein , als unglücklich machen !
- nicht wissend , daß in der Ehe eins aus dem Anderen folgt - ich bat ihn tausendmal um Vergebung , und wünschte nun selbst den Hochzeitstag mit einer fieberhaften Ungeduld herbei , in der Hoffnung , mein Schicksal müsse sich lieblicher in der Entschiedenheit , als in der Erwartung stellen .
Ich wurde seine Frau .
Der Stab war über mich gebrochen ! - so kam ich mir vor , so komme ich mir noch jetzt vor , wenn ich an den Moment denke , von welchem doch schon manches Jahr mich trennet . "
Faustine senkte ihr Haupt wie gebrochen , und legte das Gesicht in beide Hände ; ihr Busen flog krampfhaft , sie bebte vom Scheitel zur Sohle , und als sie nach einer Pause die Hände sinken ließ , war ihr sonst so blumenzartes , holdseliges Antlitz starr , marmorbleich , tragisch .
" Ja , " sagte sie mit herzzerschneidender Wehmut , " von der Faustine , die damals unterging , mag jetzt wohl keine Spur übrig sein , denn sie fiel der Schmach anheim !
Ja ja ! auf meine unschuldige , reine Stirn wurde der Stempel der Schmach gedrückt , und ich - ich habe es gelitten und es überlebt ! "
Sie ging im Salon auf und ab , mit heftigen , ungleichen Schritten .
Sie rang die Hände .
Sie dachte nicht an Marios Gegenwart , nicht an seine Liebe - nur an ihre Vergangenheit ; und mehr zu sich selbst , als zu ihm , sprach sie mit tiefer Bitterkeit :
" Gibt es denn auf der ganzen weiten Gotteswelt eine Schmach , welche der gleich kommt : einem Manne zu gehören , ohne ihn zu lieben ?
O ich glaube , ein ganzes Leben von Verworfenheit wird mit diesem Begriff bezeichnet .
Doch nein ! nein !
ich irre mich !
ich war ja seine Frau , am Altar ihm angetraut - dann hat es nichts zu sagen - für die Menschen . "
Sie lachte in sich hinein .
" Ruhig , Faustine , aus Barmherzigkeit mit Dir , sei ruhig ! "
bat Mario erschüttert .
" Schweigen Sie , Graf Mengen !
Sie haben mein Leben wissen wollen - da dürfen Sie mich nicht stören , wenn wir bei einem so wichtigen Punkt angelangt sind .
Kennen Sie nicht die Sage von jenem Nixenbrunnen , dessen Wasser , hat man den schweren Steindeckel einmal abgewälzt , immer höher , immer höher steigt , den Rand überquillt und das Land rings umher in eine brausende Wogenflut verwandelt ?
O , diese unermeßliche Flut von ungekanntem , von mißkanntem Weh in der Brust eines Weibes erschüttert sogar eine Männerbrust , wenn es sich einmal nicht als Klage , nur als Schrei , äußert !
dann muß es gewiß etwas welterschütterndes sein !
Aber ach ! als Abnormität wird es betrachtet !
Krankhaft an Leib oder Seele , verschroben , überspannt nennt man eine Frau , nachdem man sie ohne Barmherzigkeit in die Arme des Ersten Besten , der sie nach ihr ausstreckt , geliefert hat , und sie nun mit unüberwindlichem Entsetzen wahrnimmt , was von ihr gefordert wird , was sie gewähren soll .
Von einer Million Ehen wird eine aus Liebe geschlossen .
Die Beweggründe der übrigen kommen in keinen Betracht ; weil sie immer auf hausbackene Nützlichkeit zielen , sind die einen gerade so gemein oder gerade so würdig als die anderen .
Aber neunmal hundert neun und neunzig tausend neun hundert Frauen verlangen es eben nicht anders ; achtundneunzig verlangten es wohl anders , einst , vor langen Zeiten , auf die sie sich selbst nicht mehr recht besinnen können , so untergewirbelt sind sie ; nun haben sie sich gefügt , aus Kälte , aus Verständigkeit .
Und eine , nur eine , aber doch eine , eine Einzige unter der Million , die verlangt es anders und , feiner oder schwächer organisiert , kann sie nicht zahm sich fügen , und fühlt doppelt die Demütigung , weil sie zu schwach ist sie abzuwehren .
O diese Eine ! sie kommt nicht in Betracht vor euren Gesetzen , es kann kein eigenes Recht für sie geschaffen werden , Gott und Menschen ziehen die Hand von ihr ab - denn im Namen Gottes ist ihr Segen verheißen worden , wo sie Unheil gefunden , und die Menschen hohnlächeln ob der Phantasterei , welche da einen Tempel erbauen möchte , wo ein ekler Sumpf liegt .
O diese Eine ! -
es gibt Schmerzen , vor denen die Welt das Knie beugt , strahlende Schmerzen , geputzte Schmerzen , rosenrote Schmerzen , Triumphbogenschmerzen !
aber mit diesem Schmerz kokettiert man nicht , den vergräbt man scheu im Busen , wie man das Krebsgeschwür am Busen mit unsäglicher Beschämung verbirgt .
Doch das Gift des Geschwürs durchschleicht allmählich das Geäder des Körpers und dringt in Mark und Blut , und dieser Schmerz wird zu einem Gift , zu einer Quintessenz von Haß , Bitterkeit , Verzweiflung , Empörung , Verachtung und Groll , wovon die Seele krank werden und verderben muß , und Keiner , Keiner hat einen Blick des Erbarmens dafür .
O diese Eine ! -
das ist nicht eine von den Schlechtesten gewesen ! nicht um den Glanz und den Genuß der Welt zu haben , ist sie in dies Jammerlabyrinth geraten ! nur kindisch , nur unerfahren , nur jugendlich selbstvertrauend sprang sie , ein sorgloser Schwimmer , von dem stillen Felsen ins rauschende Meer , um einem Anderen die liebende , die hülfreiche Hand zu bieten ! aber der ist zu Hause in dem wilden Element , der zieht die Arme in den Strudel hinein , in die Tiefe hinab , sie sinkt - und Keiner rettet sie !
... Sind denn nicht Männer da ?
... ja doch !
... da stehen sie , faunisch , neugierig , lüstern vor dem trostlosen Geheimnis dieser Ehe , und raten und rätseln , und deuten und deuteln , und bringen es am Ende zur sonnenklaren Evidenz , daß diese Frau die begehrungswürdigste auf dem Erdboden ist .
Ja doch !
... wo es eine unglückliche Frau gibt , - jung und hübsch , comme de raison ! - da fehlt ein halbes Dutzend ritterlicher Männer nicht , welche sich die Ehre streitig machen , dieser holden Augen Tränen zu trockenen , dieser frischen Lippen schmerzliches Zucken in süßes Lächeln zu wandeln .
Sie sind ja die geborenen Beschützer der Schönheit - die edlen Männer ! -
O diese Eine ! ich will ja gar nicht weinen , weil ich gerade unter der Million es sein mußte ; ich weine nur , weil überhaupt solch Elend auf dieser schönen Welt statt findet .
" Aber damals weinte ich über mich .
Ich kam mir selbst unmenschlich entwürdigt vor durch die Leidenschaft , die ich erregte , ohne sie zu teilen , und das Geschöpf , welches der Mann mit dem Fuß vom Sofa auf die Straße schleudert , schien mir weniger erniedrigt , als ich mich fühlte ; -
denn es steht außer dem Gesetz , denn es macht keinen Anspruch auf Ehre ; aber ich , unter dem Schirm des Gesetzes , umringt von jeder Schutzwehr , welche der Ehre heilig , jung , unverdorben , sittlich rein , ich sah mich plötzlich in der Gewalt eines Menschen , dessen furchtbares Recht über mich dadurch geheiligt sein sollte , daß er in einer Kirche vor vielen Zeugen gelobt hatte , es immer zu üben .
Was ging das mich an ?
ich mußte ihm das Recht geben : nur so begriff ich es !
nur so konnte es nicht entadelt werden .
Ich sah bisweilen die Leute ganz erstaunt an , wenn sie mich mit Achtung behandelten - die übrigens der vornehmen , reichen Frau nie fehlt - ich hätte fragen mögen :
was fällt euch ein ! der willenlose , dumpf gehorchende Sclav , zählt der mit in der menschlichen Wesenreihe ? und steht mir es nicht wie ein Brandmal auf der Stirn , daß ich Sklavin bin ?
Ich hüllte mich in meinen Gram wie in ein Panzerhemd , und waffnete mich mit meiner Erbitterung wie mit einem scharfen Schwert , und behandelte die Männer mit einem Übermut , mit einer Verachtung , vor welcher sie in den Staub fielen und in Anbetung gerieten .
Aber ich , die weit sehnlicher wünschte , einen Gegenstand der Liebe und Verehrung zu finden , als es zu sein , zerfiel mit mir selbst immer unheimlicher , immer tiefer , je greller der Widerspruch zwischen der äußeren Erscheinung und dem inneren Sein sich gestaltete .
Ich wurde von meinem Mann geliebt , und empfand für ihn den unbesieglichsten Widerwillen .
Die Welt huldigte mir , indessen ich mir selbst verächtlich vorkam .
Man pries meine Verhältnisse glücklich und beneidenswert , und ich fühlte mich in ihnen unaussprechlich elend .
Hätte ich wenigstens den Trost gehabt , Obernau etwas über sein leeres , wüstes Treiben zu erheben , so würde mir das einigen Mut eingeflößt haben .
Doch die Sklavin dient dem Gebieter nur , wenn er es befiehlt ; außerdem ist sie ein Spielwerk , welches unbeachtet im Winkel steht .
Ich will gern glauben , daß es mir auf einem gewissen Wege sehr leicht geworden wäre , unumschränkte Herrschaft über ihn zu gewinnen ; allein , konnte ich meinen Gemahl nicht ehren , so mochte ich ihn doch wenigstens nicht beherrschen , nicht diese Flitterkrone für den Preis erkaufen , den er darauf gesetzt haben würde .
Ich ging meine Wege , er ging die seinen .
Er bekümmerte sich gar nicht um mich , sobald ich nur zu gewisser Stunde nicht fehlte .
Ich war ja seine Frau und er liebte mich ! folglich , welche Ehre für mich !
" Ich war immer mit Männern umgeben ; ich ritt mit ihnen , ich fuhr mit ihnen , ich schwatzte mit ihnen , nicht weil sie mir gefielen , sondern weil sie sich an mich drängten , und weil ich gegen sie impertinent sein oder sie ganz ignorieren durfte , kurz , weil sie nicht die Rücksichten heischten , welche zum Umgang mit Frauen erforderlich , und weil überdies Obernaus beide Schwestern mir das eigene Geschlecht noch mehr verleideten , als er selbst das männliche .
Die eine war in meinem Alter und verheiratet , eine dürftige , enge Natur , welche sich nicht darüber zufrieden geben konnte , daß mein Fuß kleiner und mein Auge größer als das ihre war .
Die andere , ein junges Mädchen von vierzig Jahren , hatte vor Zeiten ein Leben geführt , welches die Bewerber um ihre Hand notwendig , trotz ihres Vermögens , abschrecken mußte .
Jetzt reizlos , früh gealtert , kränklich , sprach sie von ihrem nie verstandenen Herzen , welches sie ganz dem lieben Gott zugewendet habe , weil kein Mensch dieses Kleinods wert sei .
Gewiß ist es , daß kein Mensch den lieben Gott um dies Kleinod beneidet hat , und daß die äußerlich werktätige , innerlich sterile Frömmigkeit meiner Schwägerin Crescenzie mich gemahnte wie eine Schale lauwarmen Wassers , worin man vorsichtig die Fingerspitzen wäscht und sie dann säuberlich mit einem Batisttüchlein abtrocknet , aber nicht wie ein frisches , kühles , stärkendes Bad , worein man sich begierig stürzt , um den Staub des Lebens abzuwaschen .
Meine Schwägerin Naudine ging umher , die Leute fragend , ob sie je eine Person gesehen , welche mir an Koketterie , Eitelkeit und Leichtsinn gleich käme , und meine Schwägerin Crescenzie erzählte den Leuten wehklagend , mit gen Himmel gehobenen Augen und Händen , wie unglücklich ich ihren Bruder mache .
" Freilich war er nicht glücklich , der arme Obernau , doch ich hätte ja ein ganz anderes Wesen sein müssen , als ich war , um ihn zu beglücken .
Das hatte ich dunkel geahnt , das hatte er , der mich nur mit den Augen der Sinne ansah , nicht glauben wollen .
Er kannte von der Liebe nichts , als was die Sinnlichkeit ihm zuflüsterte , die mich empört , wenn ihr nicht die Seele ihren himmelblauen Mantel umgeschlagen - und so lebten wir , mit einander schauerlich verbunden , in einan der schauerlich getrennt .
O , ich habe viel gelitten !
ich fühlte wohl das Drückende , das Pflichtlose unseres Verhältnisses .
Wenn Obernau nicht da war , stellte ich mir seine guten Eigenschaften vor , und schob alle seine Fehler auf Rechnung der vernachlässigten Erziehung .
Dann hing ich meine früheren Plane zu seiner Bildung und Erhebung daran , und nichts schien mir leichter , als mit einiger Kraft und einigem guten Willen ihn in eine andere Sphäre zu versetzen .
Aber dann kam er , und sein erstes Wort : " Komme her , Ini , küsse mich " - war ganz hinreichend , um mir die grausige Überzeugung wieder aufzudrängen , welche nur momentan unterdrückt war , daß kein Mittel in meiner Macht stehe , um günstig auf ihn einzuwirken , weil ich ihn ja leider ! leider ! nicht liebte .
Bisweilen kam er in tiefer Nacht heim , der Himmel mag wissen , aus was für Gesellschaft !
Hatte der Wein seinen Kopf montiert , so überstieg seine Brutalität alle Vorstellung .
Doch mitunter hatte er gespielt , und wie sich von selbst versteht , bedeutende Summen verloren - dann war er verdrießlich , müde und niedergeschlagen , dann verwünschte er seine Freunde , das wüsste Leben mit ihnen , seine eigene Schwäche ; - und dann war ich ihm wieder gut , so wie früher als Braut , und drang in ihn , den Abschied zu nehmen , mit mir zu reisen .
Er ging ganz auf diesen Vorschlag ein : das dienstliche Verhältnis drückte ihn ; die Kameradschaft langweilte ihn ; er wollte mit mir reisen , sich aufhalten , wo es mir gefiele ; ich sollte in Paris , in Rom malen , so viel ich Lust hätte - ich schlief ein mit der festen Zuversicht auf eine , wenigstens äußerliche Änderung meines Schicksals , wo ich im Genuß der Reiseabwechselung und der Kunstausübung Zerstreuung und Freude finden würde .
Aber ach ! wenn Obernau nicht mehr müde und abgespannt war , so kamen ihm meine Vorschläge " romantisch " vor - ein Lieblingswort , daß er fast gegen jede meiner Äußerungen anwendete - ihm gefiel nichts besser , als in Bamberg zwischen seinen Kameraden und guten Freunden fortzuleben , und ich mußte manchen plumpen Spott über meine Liebe zur Natur und Kunst anhören .
Äußerlich ertrug ich das mit kalter Verachtung ; aber es grämte mich , daß Obernau nicht die geringste Teilnahme für mich empfand , und es erbitterte mich , das er dennoch es wagen konnte , von seiner Liebe zu mir zu sprechen und Erwiderung zu fordern , als sei sie sein Recht .
Und ließen gar meine Schwägerinnen sich einfallen , denselben Ton anzustimmen , so wies ich sie herbe zurück , und sie rächten sich dafür , indem sie gegen ihren Bruder über meine Schroffheit wimmerten , und ihn endlos beklagten , an eine seelenlose Puppe sein schönes Herz zu verschwenden .
" Wie lange ich diese Existenz ertragen , welchen Akt der Verzweiflung ich am Ende begangen haben würde - das weiß ich nicht mehr ! wogende Nebelmassen liegen auf jenem Ehestandsjahr , und gern wende ich meinen Blick von ihnen ab , der lichten Erscheinung zu , welche meinem Schicksal eine versöhnende Wendung gab .
Ich lernte Andlau kennen , und ich liebte ihn .
Gott ! ich Arme , ich Bedürftige , ich Hartverletzte - mit welcher unaussprechlichen Wonne , mit welcher lautlosen Überraschung sah ich aus dem alltäglichen , langweiligen Schwarm eine Gestalt auftauchen , bei der es mir wohl wurde , bei der ich mich in meinem innersten Wesen geschützt und frei fühlte !
Ein armes , kleines Fischlein , das im Eismeer geschwommen und gefroren , und sich an Eisschollen blutig gestoßen hat , und nun plötzlich in die lauen , sonnigen Wellen der Südsee versetzt wird , muß diese friedliche Seligkeit genießen .
Es fiel mir gar nicht ein , daß meine Pflicht gegen Obernau im Geringsten verletzt werden könne durch dies Gefühl , für das ich keinen Namen wußte und wissen mochte .
Ich nannte es nicht Liebe , denn bei dem Wort fiel mir meines Mannes Liebe ein , und ich mochte mein Gefühl nicht einmal durch den Gleichklang des Namens entadeln lassen .
Aber ich liebte ihn ! meine Seele blühte auf vor seinem Lächeln , meine Träume wurden wach vor seinem Blick , die Welt schlug für mich das Auge auf , wenn ich in das seine schaute - in dies ernste , denkende Auge , das forschend , prüfend , wägend auf den Gegenständen ruhte , und ihnen Wert und Bedeutung zu geben schien , je nachdem es nach der Prüfung mehr oder minder befriedigt war ; und das bei mir allein die Forschung vergaß , um in heller Freude zu glänzen .
Und wohl mir , daß er es vergaß ! unentwickelt , kindisch , dumpf und befangen , wie ich damals war , hätte ich nimmermehr vor der Analyse des Verstandes bestehen können ; aber er liebte mich und vergaß daher mich zu analysieren .
Ich war ihm wie ein Meteor zwischen dem regelrechten Planetensystem der Gesellschaft .
Unter anderen Verhältnissen würde ich mich vielleicht in derselben akklimatisiert haben ; jetzt , aus Scheu ihr zu gleichen , blieb ich in meiner primitiven Natur , aufrichtig , stolz , sauvage , unabhängig , leidenschaftlich - eine Charaktermischung , die man wohl als eine Reaktion des allgemeinen Gesellschafts-Charakters betrachten darf , die aber nicht eben bestimmt sein mag , um einer Frau eine glückliche Zukunft in der Welt zu sicheren .
Ein gewöhnlicher Mann würde dies sehr bald zu seinem Vorteil benutzt haben :
Andlau wurde dadurch gerührt .
Er wollte meinem exotischen Wesen etwas von seiner phantastischen Glut nehmen , damit es besonnen in der kühlen Atmosphäre der Welt gedeihen könne - aber daran scheiterte seine Kraft , denn das tiefe Feuer , welches bis jetzt in meiner Brust geschlummert , weil kein Lufthauch es angefacht , brach nun mächtig hervor und verzehrte seinen Willen .
Die Liebe brannte wie zwei Altarflammen in unseren Herzen . - -
Was sagte die Welt dazu ?
O die Welt ! tausend gemeine Verhältnisse duldete sie , und abertausend noch gemeinere begünstigt sie ! aber wo eine starke Leidenschaft auftaucht , da schreit sie Zeter ! die keusche , sittsame Welt .
Herzen , die im Schlamm ersticken , sucht sie fein säuberlich abzuwaschen ; Herzen , die in Glut verlodern , streut sie in alle vier Winde .
Ich nahm keine Rücksicht darauf .
Mein Leben hatte einen anderen Polarstern , als das Urteil der Menge , und ich sagte höchst unbefangen , wie glücklich ich mich fühle , endlich einen Mann gefunden zu haben , den ich achten könne , weil Pferde und Hunde , Wein und Karten ihm nicht als die höchsten Güter und wichtigsten Interessen des Lebens erschienen .
Obernau spottete sehr oft über meine romantische Liebe zu Andlau , aber er suchte nicht sie zu stören , vielleicht weil er meiner überdrüssig war , vielleicht weil er mich nicht fähig hielt , eine mächtige Liebe zu erwidern ; wenigstens meinte er ganz ehrlich , ich müsse von Marmor und Erz sein , indem ich bei der seinigen ungerührt geblieben .
" In meinem jungen brausenden Kopf hatten schon Flucht und jede mögliche gewaltsame Trennung gegoren , da eine Scheidung bei uns Katholiken mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat .
Es gab Augenblicke , wo ich mir die Zuflucht eines Klosters wünschte , um nur dem Druck meiner unseligen Ehe zu entfliehen ; denn die Liebe geht ihren Entwickelungsgang , und da mußte es mir bald unerträglich werden , daß mein Äußeres und mein inneres Wesen schauerlich zerspalten war durch mein Verhältnis zu diesen beiden Männern .
Was Eins war - getrennt !
was ewig Zwei blieb - verbunden !
Das ist ein Rechenexempel , bei dessen Lösung das Gehirn wirbeln kann ! -
Nur frei sein ; danach schmachtete ich , wie nach Wasser in der Wüste .
Nur frei sein ; das war das Angstgebet , welches ich zum Himmel emporschrie .
Und Gott hörte mich .
Wie ein Gefangener durch Erdbeben - so gewaltsam , so schauerlich wurde ich frei .
" Andlau war eines Tags bei mir , und eben so traurig und niedergeschlagen als ich , mochten wir nicht sprechen und auch nicht unserer Melancholie uns hingeben .
Wir setzten uns an das Piano und spielten .
Die Musik machte mich weich , Tränen entstürzten meinen Augen und als er mich zärtlich umschlang , lehnte ich die Stirn an seine Wange und weinte zum Sterben !
Da trat plötzlich Obernau mit seiner Schwester Crescenzie ein und rief mit knirschender Wut :
" Du hast Recht , Schwester ! "
Dann stürzte er in sein Zimmer , holte zwei geladene Pistolen , welche stets im Schranke hingen , und begehrte , Andlau solle sich auf der Stelle mit ihm schießen .
Dieser verweigerte es kalt .
Obernau wurde immer rasender ; Andlau blieb ruhig , beschwor ihn mich zu schonen , kein Aufsehen zu machen , indessen ich wie eine Statue wort- , gedanken- , besinnungslos dastand , und nicht eher meine Fähigkeiten wiederfand , als bis ein Schuß fiel und Andlau zu meinen Füßen hinsank .
Nun wußte ich , was ich zu tun hatte !
ich ließ anspannen , ihn in seine Wohnung schaffen , Ärzte rufen , ich begleitete ihn .
Keinen Augenblick verlor ich in Unentschlossenheit , Verzweiflung , Zaghaftigkeit .
Keinen Augenblick wich ich von seiner Seite .
Obernau , die ganze Welt , waren nicht mehr für mich da .
Ich gehörte dem an , der für mich litt , unschuldig und qualvoll litt .
Ich weiß nichts aus jener Zeit , als daß ich ein Paar Wochen Tag und Nacht vor seinem Schmerzenslager saß und um sein Leben flehte .
Obernau begehrte , ich solle zu ihm kommen , bald bittend , bald drohend ; seine Verwandten forderten dasselbe .
Ich hatte nur eine Antwort :
" Nie kehre ich in das Haus eines Mannes zurück , der sich und mich im Angesicht der ganzen Welt erniedrigt hat . "
Unerschütterlich blieb ich dabei .
Obernau wollte sich nicht scheiden lassen , sei es aus Haß oder aus Rache .
Mir einerlei !
ich ging mit Andlau nach Nizza , seine verwundete Brust brauchte mildere Luft .
Zwei Jahr lang kämpften meine Liebe , Sorgfalt und Pflege ihn dem Tode ab .
Zwei Jahr lang war ich in steter zitternder Angst um ihn .
Doch mitten in dieser Angst war ich glückselig - bei ihm , für ihn lebend , nichts von der Welt wissend , wünschend , verlangend .
Meine Tante war kurz vor der Katastrophe gestorben , und hatte mir , der Frau eines reichen Mannes , nur das Pflichtteil , meiner Schwester das ganze Vermögen hinterlassen .
Von meinem kleinen Erbe lebte ich damals wie ich jetzt lebe , einfach , schlicht , unabhängig , aber damals unsäglich froh durch den mir so neuen Genuß der Freiheit .
Meine Liebe war nicht erkauft , wurde nicht bezahlt !
ich fühlte mich weder gekränkt , noch erniedrigt , noch gedemütigt ! in meiner Freiheit fühlte ich mich auf derselben Stufe stehend mit dem Mann , den ich so unaussprechlich verehrte , während ich mich durch meine Abhängigkeit tief unter dem Mann gefühlt hatte , den ich nicht achtete .
Als Andlau endlich genesen , machten wir eine Reise durch Italien .
Wie ging mir das Leben auf im Doppellicht der Liebe und der Kunst ! wie entwickelten sich meine Fähigkeiten ! welcher Strom von vielseitigem Glück umrauschte mich , und wie froh , wie sicher , wie bewußt meines Glücks und meines Rechts daran stand ich im Nachen , und ließ ihn durch Andlau lenken !
" Da starb Obernau , und ich war frei mit meiner Hand zu schalten .
Aber ein unermeßlicher Widerwille gegen die Ehe hatte sich zu fest in meine Brust genistet , als daß ich eine zweite hätte schließen mögen .
Die zwei Jahre meiner Verheiratung hatten mich übersättigt mit bitteren Empfindungen : der Gemahl war mir peinigend gewesen , seine Familie feindlich , die Welt gleisnerisch , ich mir selbst verächtlich ; keinen Schutz hatte ich gefunden gegen die bitterste Demütigung , keine Stütze für meine ratlose Unerfahrenheit , keinen Trost für meine innere Zerfallenheit ; zweifelnd an Gott , an den Menschen , an mir selbst , stand ich in grausiger Einsamkeit da , unbegnügt , unbefriedigt , tantalisch nach Hesperidenfrüchten schmachtend und , wenn mir eine in die Hand fiel , wenn meine Lippen sie berührten , augenblicklich den Sodomsapfel in ihnen erkennend .
Bei Andlau - wie anders ! stets war ich gehoben , nie herabgezogen ; stets fühlte ich ein Vorwärtsschreiten , eine Entwicklung , keinen Stillstand , kein Zurückgehen , kein Versinken .
Ich war glücklich , und fühlte mich durch dies Glück befähigt und stark gemacht , in dieser eigentümlichen Weise es festzuhalten .
Dies Glück und diese Weise ließen mich in meiner vollen Selbständigkeit und doch zugleich in der Sphäre des Weibes , welches seine Ausbildung und Befriedigung allein in der Liebe findet .
Es war eine unendliche Gewißheit in mir , welche keines endlichen Symbols bedurfte , und eine endliche Fessel verschmähte .
Vielleicht jedem anderen Mann gegenüber würde diese Zuversicht eine ungeheure Torheit sein : bei Andlau ist sie nur eine richtige Würdigung seines Charakters .
Aber mir selbst gegenüber ist es die größte Torheit gewesen , denn die unendliche Gewißheit wankt , und der Platz , der wie ein Fels unter meinen Füßen war , ist Triebsand geworden . "
" Darum , Faustine , mußt Du ihn verlassen , " sagte Mario ernst und ruhig , stand auf und nahm ihre Hand ; " da , wo Du bisher gestanden , ist es nicht mehr sicher für Dich .
Stütze Dich getrost auf meinen Arm , ich hebe Dich über alle Schwankungen hinweg .
Ich danke Dir , daß Du mir Dein Schicksal enthüllt hast , und doppelt danke ich Dir , weil ich darin nichts sehe , was uns trennt . "
Faustine blickte ihn sprachlos an und fuhr mit der Hand über die Augen , wie um sich zu überzeugen , daß sie wache .
" Nichts ! denn Du liebst mich , und Andlau - liebst Du nicht mehr ; denn wenn Du ihn noch liebtest , so wäre Dein Auge nie anders , als mit dem gleichgültig freundlichen Blick auf mich gefallen , den Du für alle Welt hast - "
" Ja , siehst Du - das ist unmöglich ! " rief sie .
" Nun , Faustine , ich liebe Dich : Du weißt es , ich habe es Dir gesagt und Du mußt es auch ohne Worte wissen ; aber da ich es Dir gesagt habe , so will ich auch nicht von Dir lassen , denn Dich bindet nichts an einen Anderen , sobald Dein Herz Dich nicht bindet , und Dich aufgeben , zurücktreten , von Notwendigkeit der Selbstopferung reden - das tut nur eine matte Liebe , die sich nicht stark genug fühlt , für die Geliebte eine alte Welt aus ihrer Achse zu heben und eine neue hineinzulegen .
Wer zu einer Frau spricht :
ich liebe Dich ! - und nach diesem Wort nicht bereit ist , mit ihr eines Weges zu gehen , und sollte der in die Hölle führen - freudig bereit ist , weil er die Zuversicht hat , die Hölle in Himmel verwandeln zu können durch Liebe - der ist feig , Faustine , und der Feigling ist keiner Liebe fähig .
Ich bin nicht feig !
ich habe den Mut , Dich mit Allem zu versöhnen , mit Vergangenheit und Zukunft , und mit jedem Verhältnis , das Dich bisher verwundet oder abgestoßen hat .
Du wirst mein Weib , Faustine ! "
" O dann bin ich aber von erbärmlicher Untreue ! " sagte sie dumpf .
" Und was wärest Du , wenn Du zwischen zwei Männern stehen bliebest , beide verzaubertest , jedem halb , keinem ganz gehörtest ? und was wärst Du , wenn Du mit einem gespaltenen Herzen zu demjenigen Dich zurückwendetest , den Du geliebt hast , und zu ihm sprächest :
ich liebe einen Anderen , aber Dir will ich treu sein ?
- Du liebst das Schöne , Gute und Hohe , wo Du es findest , Faustine : das macht Dich liebenswürdig ; und Du bist zu sehr von der Gegenwart beherrscht , um Dich dauernd an eine Persönlichkeit zu fesseln , sobald Dir diese nicht ganz überwältigend entgegentritt : das macht Dich schwach .
Ich will diese Schwäche nicht verteidigen , weil Du mir Sophisterei vorwerfen , oder mich beschuldigen könntest , ich spräche für meinen eigenen Vorteil ; aber glaube mir , wenn Du meine Schwester wärest , würde ich Dir nichts Anderes sagen als : Untreue ist ein zerrissenes , halbes , schwankendes Wesen , ist Widerspruch in der Seele ; mache ' den zunichte durch eine scharfe Entscheidung , durch einen unwiderruflichen Schritt , und Du hast Dich frei gemacht , Dich ins Gleichgewicht gestellt , hast das Störende fallen lassen und das Fördernde ergriffen ; wähle .
Wähle , Faustine ! " rief Mario , und die ruhige Gelassenheit , mit der er bisher gesprochen , ging in die bewegteste Leidenschaftlichkeit über ; " wähle ! jetzt , gleich , auf der Stelle ! in einer halben Stunde verlasse ich dies Zimmer , und es hängt von Dir ab , ob ich es je wieder betreten werde , oder nicht .
Denn so , wie es bisher zwischen uns gewesen , kann es jetzt , nachdem das Liebeswort gesprochen wurde , nicht mehr bleiben - "
" O warum nicht ? " unterbrach Faustine ; " Sie sind stark , Mengen , Sie können Alles ! "
" Alles Menschliche , Faustine , nichts Übermenschliches !
ich liebe Dich ! die Liebe will Eins sein mit dem geliebten Gegenstand .
In Deiner Nähe bleiben , unter dem Zauber Deiner Holdseligkeit , und diesen Wunsch nicht mit jedem Atemzug , wie die Luft die mich umgibt , begierig einzusaugen - dazu reicht meine Stärke nicht hin .
Hast Du aber die Überzeugung , daß Deine Verbindung mit Andlau Dir und ihm noch die frühere Befriedigung gewähren könne , so scheide ich jetzt auf immer von Dir ; das kann ich allerdings .
Doch meine Liebe zu Dir endet darum nicht !
so lange mein Herz schlägt , schlägt es für Dich ! so lange meine Augen offen stehen , wachen sie über Dich ! so lange ein Blutstropfen in meinen Adern fließt , gehört er Dir !
so lange ich auf dem Wege fortgehe , den ich seit meiner Kindheit gewählt , durch meine Jugend fortgeführt habe , und mit dem ich als Mann gleichsam verschmolzen bin - folge ich Dir !
Du gehörst zu meiner innersten Wesenheit , Faustine , denn durch Dich ist mir das Verständnis der Liebe geworden .
Und Du solltest mich nicht genug lieben , um nicht ganz mir gehören zu wollen ? o das werde ich nimmer glauben .
Und wenn Du Nein sprichst mit Worten und Nein durch die Tat - dennoch werde ich Dir nicht glauben ! "
" Da hast Du Recht , Mario ! " rief sie .
" Jetzt hast Du entschieden , Faustine : Du willst mir gehören .
O Engel , habe Dank !
Du liebst mich ! "
- Marios Stimme zitterte und sein Auge war feucht , als er so sprach ; von seinen Zügen war jede Spur des Selbstbewußtseins weggeschmolzen , welches ihm sonst etwas so Kühles , so Verpanzertes gab , daß man leicht glauben durfte , sein Herz bleibe unangefochten hinter der eisernen Brustwehr .
Faustine sah ihn an ; Freude und Wehmut , Wonne und Schmerz wogten in ihrem Busen ; sie erkannte , daß sein Glück in ihrer Hand lag : der Augenblick beherrschte sie , die Gegenwart siegte ; sie vergaß die Vergangenheit und dachte nicht an die Zukunft .
Sie sagte nichts , aber sie nahm seine Hände , faltete sie und legte sie um ihren Hals , wie ein Joch .
Dann fragte sie :
" Hast Du verstanden , Mario ? "
Aber Mario antwortete nicht , und Faustine sah sich zum ersten Mal dem Ausbruch einer Leidenschaft gegenüber , neben welcher die eigene Glut ihr blaß und kalt erschien .
" Kann Dich denn wirklich die Liebe beseligen ? " fragte sie .
" Die Deine kann es , Faustine ! " entgegnete Mario , " und jetzt begehr ich den Beweis dieser Liebe . "
Sie schlug die erstaunten Augen groß zu ihm auf , als er sie bei der Hand nahm und aus dem Salon nach ihrem Zimmer führte .
Da , vor ihrem Schreibtisch , ließ er sie los und sagte bittend :
" Jetzt schreibe , Faustine . "
" O Gott , " ächzte sie und sank in den Lehnstuhl , " ich kann nicht ! "
" So muß ich es tun ! " sagte Mario gelassen .
" Bist Du wahnsinnig ? " rief sie außer sich ; " nein ! keine andere Hand , als die meine , soll ihm den Dolch ins Herz stoßen ; denn das tue ich , das weiß ich ! "
" Ja , " sagte Mario , " ihm oder mir . "
Faustinens Zähne schlugen krampfhaft zusammen und ihre Hände waren eiskalt .
Mario fuhr fort :
" Die halbe Stunde ist sogleich verronnen , Faustine ! schreibe !
Du mußt Dich entschließen .
Nach dem Entschluß hört die Qual auf .
Das Unwiderrufliche überströmt die Schwankungen so beruhigend , wie Öl die tobenden Wellen .
Ich will ja nicht Deinen Willen beherrschen ; ich will ja nur , daß Du ihn aussprechen sollst .
Schreibe , Faustine . "
Sie war ganz von ihm beherrscht .
Seine Bestimmtheit , die sich um seine Leidenschaft legte , wie ein Schild vor eine nackte Brust , beschämte sie , die Schwankende .
" Ja , " sagte sie , " Du bist zuversichtlich , weil Du ganz göttlich-zuverlässig bist .
Aber ich - darf ich mich auf mich selbst verlassen ? "
" So verlasse Dich auf mich , Faustine , und schreibe !
Sieh , Du kannst ja nichts Anderes tun .
Gesetzt , Du stießest mir den Dolch ins Herz - was wolltest Du hinterher beginnen ? gegen Andlau schweigen ? das ist Dir unmöglich ! überdies würde er erraten , daß Du nicht die Alte bist , und fragt er , wie willst Du leugnen , lügen können ! -
Oder Du sagst ihm , was Dir begegnet ist : glaubst Du , daß er im Stande sein wird , es zu verschmerzen ?
Wenn_es eine Laune von Deiner Seite gewesen wäre - wenn Du in einem müßigen Augenblick Gefallen an mir gefunden und Dich neckend und lieblich mit mir amüsiert hättest - ja , darüber könnte er lächeln und sich trösten .
Kann er das jetzt , Faustine ? "
" Nimmermehr , " sagte sie , und nahm entschlossen die Feder .
Sie schrieb : " Anastas , Dein letztes Wort beim Abschied ist Wahrheit worden :
ich habe Dich vergessen .
Nein ! nicht Dich , aber mich .
Ich meine , ich habe vergessen , daß ich nur in Dir leben konnte oder wollte .
Wir dürfen uns nie wiedersehen , Anastas .
Mit dieser Entscheidung ruiniere ich Dein Leben ! darum wage ich auch nicht , Dich um Vergebung zu bitten .
Du wirst am Besten wissen , wie Du zu denken hast an Faustine . "
Ihre Schrift war unkenntlich , keine Spur der sonst so sicheren , leichten Hand .
Mario kuvertierte das Blatt .
Dann sagte er :
" Nun die Adresse , Faustine . "
" Jetzt mache ich ein Todesurteil fertig " - murmelte sie , und adressierte nach Nürnberg ; denn so hatte Andlau es in seinem letzten Brief bestimmt .
Mario siegelte den Brief mit Faustinens Siegel und steckte ihn zu sich , indem er sagte :
" Morgen früh werde ich , bei der Post vorbeifahrend , ihn selbst abgeben . "
Dies Alles hatte er gelassen und leidenschaftlos gesagt und getan .
In seinen Augen war eine andere Handlungsweise unmöglich für Faustine ; sie hatte ihren Willen erkannt und ausgesprochen , sie mußte ihn tun .
Nun aber überstürzte ihn die Fülle des seligsten Bewußtseins wie eine Jubel-Symphonie .
Er sank vor Faustine nieder , umschlang sie mit beiden Armen und wiederholte immer , als ob er sich mit dem Wort vertraut machen müsse :
" Du liebst mich , Faustine ! o , Du liebst mich . "
" Das muß wohl wahr sein , " sagte sie finster , und ließ die Hände sinken , mit denen sie bisher das Antlitz bedeckt hielt .
Kaum sah sie aber in Marios Augen , so entzündete sich auch in den ihren ein helles Freudenlicht , sie war wieder die glühende , funkelnde Schönheit , wieder das liebedurstige Weib .
Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände und fragte mit jenem Übermut , den die Liebe so graziös auszusprechen weiß :
" Du bist aber wohl nicht glücklich , Mario ? "
" Nicht ganz , Faustine ! "
" O , Sie sind nicht glücklich ? " sagte sie traurig , und ihre Hände sanken wie gelähmt herab ; " dann habe ich gewiß Unrecht getan . "
Mario stand auf und sah sich im Zimmer um , indem er sagte : " Als ich Dich in jener Ballnacht heimführte und den tollen Clemens hier fand - als ich dort auf der Schwelle stehen blieb und nicht dies Gemach betreten durfte - ja , damals ahnte ich kaum , welch Glück mir heute beschieden werden sollte !
Aber ganz glücklich kann ich erst dann sein , wenn Du ganz mir angehörst , und darum flehe ich Dich an , Faustine , reise morgen mit mir zu meinen Eltern und laß den Vermählungstag meiner Schwester auch den unseren sein . "
" Ach , ich soll Dich heiraten ? " rief sie ängstlich .
" Wie dann nicht ? " fragte er stolz .
" Meinst Du , ich würde es mir gefallen lassen , daß die Frau , der ich mein Leben weihe , meinen Namen zu tragen verschmähte ? meinst Du , ich könnte mich zufrieden geben in einem schiefen , aller Mißdeutung fähigen Verhältnis , wenn dieses durch nichts motiviert wird , als durch die Laune der Frau ? -
Wie soll ich sie schützen , wenn sie nicht öffentlich freiwillig unter meinen Schutz getreten ist ?
wie sie ehren , wenn sie mir nicht die Auszeichnung schenkt , die mich dazu befähigt , indem sie mich von der Menge trennt ? -
Tausende können Dir huldigen , Einzelne können Dich lieben , Dein Gatte kann Dich schützen und ehren - er allein so , wie es Dir gebührt . "
Vor einer Stunde ungefähr hatte Faustine ihren vollen Widerwillen gegen die Ehe ausgesprochen ; allein Mario dominierte sie dermaßen und rüttelte mit so kräftiger Hand an ihren bisherigen Überzeugungen , indem er seine entgegengesetzten leidenschaftlos aussprach , daß sie sich unfähig zum Widerstand fühlte .
Sie sagte nur :
" Und er soll dein Herr sein - steht in der Bibel .
Wohlan , Mario , ich werde Dich heiraten . "
Er hob sie auf und an sein Herz .
" Komme ! " rief er .
Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen und sagte : " Nein ! gehe zu Deinen Eltern , sie wissen ja nichts von mir , nichts von uns , Mario ! erzähle ihnen doch erst , daß wir uns lieben ! frag sie doch erst , ob ich ihnen willkommen bin !
In acht oder vierzehn Tagen bringst Du mir einen Gruß von ihnen - der wird mir Mut und Zuversicht geben .
Jetzt gehe , Mario ! "
" Aber in diesen acht oder vierzehn Tagen wirst Du gewaltige Erschütterungen und wilde Aufregungen zu bestehen haben - fürchte ich - "
" Du meinst , ich könnte wohl auch von Dir abfallen ? " fragte sie mit trübem Lächeln .
" Nein ! aber in Gram Dich versenken - "
" Ich werde denken , daß Du glücklich bist , " unterbrach sie ihn , " und dann muß der Gram weichen ; denn in meiner Seele ist nichts so stark , als der Gedanke an Dich . "
Sie war aufs äußerste erschöpft und kaum im Stande , sich aufrecht zu halten ; ihre Wangen brannten und ihre Hände waren eisig .
Mario sah es , doch konnte er sich schwer zum Abschied entschließen .
Er rief : " Was kann nicht Alles geschehen in vierzehn Tagen !
ich lasse die Hochzeit fahren und bleibe hier ! "
Aber Faustine beharrte darauf , daß er ihr von den Eltern ein Liebeszeichen bringe .
Als der Morgen graute , ging Mario .
Faustine sank in einen eisernen Schlaf .
Er hatte die Pferde mit Sonnenaufgang bestellt ; aber längst war die Sonne aufgegangen und der Wagen gepackt und angespannt - er konnte sich nicht zur Abfahrt entschließen ; ihm war , als drohe Faustine Gefahr .
Wer kann ihr ein Leid zufügen oder ihr weh tun ? fragte er sich unaufhörlich ; Andlau etwa ? aber der tut es nicht ! -
Endlich sprang er in den Wagen und ließ bei Faustine vorfahren .
Es war acht Uhr , sie konnte aufgestanden sein .
Er eilte hinauf und fragte .
Die Kammerjungfer antwortete , die Gräfin schlafe wohl noch , denn sie sei erst um fünf Uhr zu Bett gegangen .
Mario bat sie zuzusehen , ob die Gräfin nicht vielleicht schon wach sei , und als das Mädchen etwas befremdet seinen Wunsch erfüllte , und in Faustinens Zimmer ging , folgte er ihr auf dem Fuße nach .
Das ganze Zimmer glänzte in blutrotem Licht ; die Vorhänge von Fenster , Alkoven und Bett fingen den feurigen Strahl der Aprilsonne auf , ihr Widerschein überrieselte alle Gegenstände und stach grell in Marios Augen .
Unheimlich berührte ihn diese brennende Farbe in dem stillen Zimmer , noch unheimlicher Faustinens leichenhafte Blässe .
Sie schlief .
Er trat an ihr Lager und betrachtete einen Augenblick mit ängstlicher Sorgfalt dies schöne , zarte Gesicht , welches , wie eine Blume , noch die Spuren des nächtlichen Sturmes verriet - so abgespannt waren ihre Züge .
Dann bog er sich zu ihr nieder und küßte ihre Stirn .
" Anastas ? " fragte sie halberwacht und lächelte .
" Du träumst also nicht von mir ? " fragte Mario traurig .
" Ich träume nie , " rief sie und richtete sich rasch auf ; " oder Traum ' ich jetzt ? weshalb bist Du noch hier ? "
" Weil ich Sorge um Deine Einsamkeit habe , mein Engel !
Komme mit mir !
mein Wagen steht unten bereit .
Ich bin furchtsam für Dich .... um Dich . "
Er war neben ihr niedergekniet .
Sie legte den Arm um seinen Hals , den Kopf an seine Brust und sagte : " O laß mich , Herz , ich bin totmüde , ich muß schlafen .... so schlafen . "
Lange hielt er sie in seinen Armen ; sie schlief nicht , aber sie schien betäubt , sprach nicht , und drückte ihn nur zuweilen ganz leise an sich .
Er schwieg auch und sann nach , ob diese Ermattung körperlich oder seelisch sei .
Sind die Nerven schwach oder ist_es das Herz ? schwach bist Du , mein armer Engel ! -
Der Wunsch sie mitzunehmen , sogar gegen ihren Willen , stieg immer mächtiger in ihm auf ; da ließ er sie zurück aufs Lager sinken , nahm mit inbrünstiger Zärtlichkeit von ihr Abschied , und eilte hinab .
Als er fort war , murmelte Faustine : " Wäre ' ich doch mit ihm gegangen . "
Ein Chaos wogte in ihr .
Die Elemente , aus denen ihre neue Erde sich gestalten sollte , hatten sich noch nicht aus der Gehrung ausgeschieden .
Andlau empfing Faustinens Fries in Nürnberg .
Er las ihn , ohne ihn zu verstehen , einige Male .
Endlich verstand er das :
" Wir können uns nie wiedersehen . "
- Ihm war , als würde es Nacht am hellen Mittag .
" Pferde ! geschwind ! fort nach Böhmen ! " rief er .
Er wollte nur fort ; wohin , war ihm ganz gleichgültig ; fort ! fort !
was die Pferde laufen konnten .
Beim Pferdewechsel sagte er gewöhnlich nur :
" Vorwärts ! immer die große Straße . "
Zuweilen trat ein Postbeamter an den Wagen und nannte fragend die nächste Station ; dann bejahte er schweigend .
So fuhr er wie ein Toter durch den lieblichen leuchtenden Frühling , durch Prag , durch Breslau .
Er wußte nicht , wo er war .
Da kam er in eine alte , große , düstere Stadt ; Finsternis schien auf ihr zu brüten , eine große Vergangenheit , eine trübe Gegenwart .
Die mächtigen Häuser mit starken Böschungen glichen Grabmälern oder Festungen des Todes .
" Halt ! " rief Andlau .
Die Stadt gefiel ihm : es war Krakau .
Er ging in die Kathedrale und stieg hinab zu den Gräbern der alten polnischen Könige .
Er lehnte sich an einen Sarg ; die Geierkralle wahnsinnigen Schmerzes , welche bis dahin seinen Busen krampfig umspannte , löste sich in der Nähe des ewigen Friedens ; zwei große Tränen fielen schwer aus seinen Augen auf den Staub der Toten , auf den Staub seines Glücks .
Sein Führer , ein eisgrauer Pole , fragte ihn auf polnisch um die Ursache seiner Trauer .
Andlau verstand ihn nicht , schüttelte das Haupt und blickte zum Himmel .
Da ergriff der Greis Andlaus Hand , folgte jenem Blick , und sprach mit einer Träne im erloschenen Auge :
" Finis Poloniae ! " -
So standen sie bei einander , der Mann und der Greis , das Leben und der Tod , Jeder von fremdem Volk , Jeder der Sprache des Anderen unkundig , Jeder mit seinem eigenen einsamen Schmerz in der Brust ; und doch Beide verbunden durch das eine allgemeine , albeherrschende Gefühl : tiefe , unsägliche , untröstbare Trauer .
Andlau schrieb aus Krakau an Faustine :
" Kein Wort Dir von Frage , Vorwurf oder Klage !
Werde glücklich , wenn es Dir möglich ist ; vergiß mich , denn das ist die Hauptbedingung zu Deinem künftigen Glück .
Vergiß Deine ganze Vergangenheit ! Deinem Leichtsinn wird das nicht schwer fallen - und lebe wohl . "
Er blieb vor der Hand in Krakau ; ohne Faustine war ihm jeder Ort in der Welt gleichgültig ; bei ihr - gehörte ihm die Welt mit ihrer Herrlichkeit , die Kunst mit ihren Wundern , die Natur mit ihren Schätzen .
Sie sah die Steine an und erzählte ihm deren Geschichte ! die Jahrhunderte standen vor ihr auf wie vor einer Magierin und sie ließ in einer Kette von Ereignissen den goldenen Faden an ihm vorbeilaufen , an welchem die Vorsehung die Menschengeschlechter lenkt ! die Ruinen erhoben sich vor ihr aus dem Schutt und sie stellte ihm den Gedanken der Erbauer hin ! die stummen Bilder regten die Lippen vor ihr und vertrauten ihr die Bedeutung , welche der Maler seinen Heiligen , der Bildhauer seinen Göttern gegeben ! die Natur redete zu ihr mit Stimmen der Elemente ! wäre sie allein in der toten Schöpfung gewesen , sie würde dem Felsen Seele eingehaucht haben ; solch ein überquellendes Leben war in ihr , so wußte sie es auf Alles zu übertragen , was sie umgab .
Andlau kam sich vor wie ein Eingekerkerter zwischen schwarzen , stummen , kalten Mauern .
Zuweilen überfiel ihn nagende Angst um Faustinens ihm so ganz unbekanntes Schicksal .
Er las ihre Briefe nach ; sie waren in der letzten Zeit unruhig , hastig geworden .
Er suchte einen Namen , der ihm Aufschluß geben möge , aber sie nannte nur obenhin einige fremde Namen , unter denen auch Marios war .
Wie elend kann sie werden ! sprach Andlau zu sich selbst .
Die Qual um ihre Zukunft zernagte ihn mehr , als der Blick auf die seine .
Er gehörte zu den Männern , von denen Mario einst zu Faustine sagte : wenn der Faden ihres Geschickes reißt , so knüpfen sie keinen neuen an .
Andlaus alte Welt war untergegangen - er suchte keine neue ; er blieb auf den Trümmern wie ein Priester auf denen seines zerstörten Tempels .
Der Palast seines Glückes war in Schutt zerfallen ; nach einer Hütte sah er sich nicht um .
Zuweilen auch packte ihn der Ingrimm über Faustinens Schwäche , die sie unfähig machte , einem lebhaften Eindruck mit Besonnenheit entgegenzutreten .
Wird sie ewig Kind bleiben ? rief er zornig ; will ihr Wesen denn immer Blüten und nimmer Frucht tragen ? -
Dann , mitten in der Trostlosigkeit , kam ihm der Gedanke : weil unzuverlässig , sei sie auch unberechenbar , und vielleicht noch zu herrlicher Entwicklung bestimmt .
Nur wollte dieser Gedanke nicht in ihm haften .
Faustine hatte seine Existenz zerbrochen : das Natürliche schien ihm , sie müsse auch die ihre zu Grunde gerichtet haben .
Nachdem Faustine seinen Brief empfangen , wurde sie ruhiger .
Bis dahin lebte sie in unaussprechlicher Bangigkeit .
Nun wußte sie , daß sie für immer unwiderruflich von dem Mann getrennt war , den sie ihre irdische Vorsehung genannt , und der Throne und Triumphe ausgeschlagen haben würde , hätte er sie nicht mit ihr teilen dürfen .
Und nicht etwa im brausenden Rausch der ersten Seligkeit hätte er das getan .
Nein ! noch jetzt , nach sieben Jahren , kniete er vor ihr mit derselben Andacht , Huldigung und Freude , die er ihr bei der ersten Begegnung dargebracht .
Die volle Frische der Empfindung lag noch wie Morgentau auf seiner Liebe ; als ein Kleinod trug er sie im Herzen .
Nicht aus Pflichtgefühl , nicht als Mann von Ehre betrachtete er Faustine , als ein Wesen , daß ihm für die ganze Zukunft anvertraut sei ; nicht aus Rücksicht für ihre Verlassenheit und Hilflosigkeit hielt er sich untrennbar an sie gefesselt ; was ihn tiefer rührte und inniger band , war ihre großartige , einfache Natur , die , Alles wegwerfend oder verschmähend oder nicht bedürfend , was nicht Liebe war , sich in die als in ihr alleinzigstes Gewand hüllte .
Er liebte sie , mirakelmäßig , nicht mitleidig , sondern bewundernd .
Ach , die meisten Frauen preisen ihr Schicksal , wenn nach so vielen Jahren , in denen die frische Schönheit , der Reiz des Besitzes , die Neuheit des Glücks entflohen sind - die Männer noch aus alter Gewohnheit , aus Dankbarkeit für süße Erinnerungen , zuweilen mitleidig einen Strahl der alten erlöschenden Liebessonne aufleuchten lassen ; und Faustine , für die , wie durch ein Wunder , diese Sonne im Zenit steht , Faustine schaut nach einem anderen Gestirn .
Aber sie tat es .
Alles dies sagte sie sich tausend Mal , wiederholte und prägte fest sich ein , was Alles sie mit Andlau aufgab , aber - sie gab ihn auf .
Es gibt keinen Stillstand für mich , dachte sie , rastlos muß ich vorwärts - und ist das nicht eins und dasselbe mit aufwärts ?
- Sie kehrte zu ihren alten Gewohnheiten , zur Malerei , zur Gesellschaft zurück .
Ihre Freunde fanden sie nicht so frei , leicht und heiter wie sonst .
Man war gespannt , ob sie sich wieder ins alte Geleise zurückfinden werde .
Clemens ging häufiger denn je bei ihr aus und ein , und nahm immer mehr die Allüren eines unentbehrlichen Freundes an .
Sie wehrte ihm nicht , denn bei hundert Dingen war er ihr bequem und bei tausend - gleichgültig .
Er wünschte glühend , ihr Alles zu ersetzen , jede Lücke auszufüllen , dann - wähnte er - bliebe ihr nichts übrig , als seine Liebe zu erwidern .
Faustine sprach weder von Andlau noch von Mengen : daraus folgerte Clemens , sie sei auf gutem Wege , Beide zu vergessen .
Wenn man meint , Clemens sei verrückt , so meine ich , eine Liebe ohne Erwiderung sei allerdings eine Verrückung : nur auf der Gegenseitigkeit beruht ihre Wahrheit .
Mario schrieb fast täglich .
Seine hohe Sicherheit erquickte Faustine .
Hätte er ihr gesagt , er müsse ihr den Weg zum Orion bereiten , so würde sie sich darauf verlassen haben .
Die hülflose Einsamkeit , in der sie auf der Welt stand , machte ihr diese Zuversicht zum Bedürfnis .
Der edle Mann schützt so gern , dachte sie , und wer bedarf mehr des Schutzes als ich ? -
Marios Eltern waren nicht erfreut über den Entschluß des Sohnes .
" Das ärmste Mädchen , nur unbescholten , wäre mir eine liebere Tochter , " sagte Gräfin Mengen ; und der Vater sprach :
" Nach Deiner Beschreibung muß sie eine Circe sein !
Hast Du Dich fangen lassen , mein armer Mario ? "
Mario lächelte .
Der absichtlosen , nachlässigen Faustine wäre ' eine planmäßige Eroberung unmöglich gewesen .
Seine Schwestern warfen sich entzückt in seine Arme , als sie seine Verlobung erfuhren .
" Welch ein unbegreifliches Glück für Dich , Mario ! " rief Matilde , und Marie flog zu Cunigunden , um ihr diese Jubelbotschaft mitzuteilen .
Dann mußte Cunigunde kommen , und den Eltern all das Gute und Schöne von Faustine erzählen , was sie den beiden Schwestern erzählt hatte , und Mario war gerührt von der tiefen Freudigkeit , mit der sie es tat .
" Sie hat mich getröstet , gestärkt und erhoben , als Alle mich niederbeugten ; sie hat mir zugelächelt , als Niemand von mir wissen mochte , und in dem entscheidenden Moment , wo tätige Hilfe mir Not tat , habe ich sie bei ihr gefunden . "
Weit mehr noch erzählte Cunigunde von Faustinens Schönheit , Anmut und Talenten , und sagte zuletzt :
" Ich bin einmal darüber ausgelacht worden , dennoch muß ich sie stets mit dem " Mädchen aus der Fremde " vergleichen ; ich kenne sonst Niemand , der ihr ähnlich wäre , oder der mich an sie erinnerte . "
" Ach Gott , " seufzte Gräfin Mengen , " wie soll ein so extraordinäres Geschöpf in den Familienkreis passen ? "
" Wie die Sonne in die Welt , gute Mutter , " sagte Mario .
" Mario ist aber einmal verliebt !
.... ganz erschrecklich verliebt ! " flüsterte Marie heimlich Matilden zu .
" Liebt Dich Faustine in demselben Maße , wie Du sie liebst ? " fragte ihn der Vater .
" Die Liebe läßt sich nicht messen und wägen , " antwortete Mario lächelnd , " und bei Niemand weniger , als bei Faustine .
Ihre Liebe fliegt . "
" Und fliegt davon , mein Sohn ! " warf die Mutter ein ; " solche Frauen - genial , ungewöhnlich , über dem Alltäglichen , und wie man sie nennen mag ! haben so selten die Klarheit , Ruhe , Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue , mit denen man einzig und allein glücklich sein und machen kann . "
" Vor drei Monaten , liebe Mutter , habe ich mir und Faustine selbst das Alles gesagt .
Aber ich liebe sie - und wie sie nun einmal ist , so beglückt sie mich . "
" Und so soll sie uns willkommen sein ! " sagte der alte Mengen , und gab dem Sohn die Hand .
Mario küßte sie und rief : " Ich wusste es , Vater ! "
Faustine saß vor der Staffelei und tat die letzten Pinselstriche an einem meisterhaften Gemälde .
Es war dasjenige , welches sie sich einst in Mainz ausgedacht hatte : ein junger Mann ging an einem Fenster vorüber , hinter dessen Gitter ein Mädchen saß , die Katze , die Kapuzinerkresse , die Arbeit - nichts fehlte .
Mario sollte kommen ; sie wollte ihn mit diesem Bilde erfreuen , denn eifrige Arbeit - das wußte er - war stets ein krampfstillendes Mittel für sie .
Clemens trat ins Cabinet und hinter ihren Stuhl .
" Das Bild würde mir außerordentlich gefallen , " sprach er , " wenn der Mann nicht dem Graf Mengen ähnlich wäre . "
" Graf Mengen hat ein so frappantes Gesicht , daß ein Malerauge es gern auffaßt und darstellt . "
" Ich will es nicht leugnen !
nur paßt es nicht in diese gotische Umgebung ; - er sieht ganz tatarisch aus . "
" Tatarisch !
Clemens !
Sie haben wirklich kein Urteil . "
" Und Sie ein Vorurteil . "
Faustine zuckte schweigend die Achseln .
Nach einer Pause fragte sie :
" Werden Sie denn nie nach Oberwalldorf heimkehren , Clemens ? "
" Bin ich Ihnen lästig ? " fragte er bitter .
" Zuweilen - durch Ihre bizarren Launen - ja . "
" Sie waren in Prag , nicht wahr , da oben auf dem Wisserad über der Moldau , wo man das Badezimmer der Libussa zeigt ? "
" Ja , ja !
aber ich sprach von Oberwalldorf . "
" Wissen Sie , was in jenem Badezimmer geschah ? "
" O ja ! die Königin Libussa , stolz auf ihre Unabhängigkeit , wollte keinen Mann Einfluß über sich gewinnen lassen , und , wenn auch aller Schwäche des Weibes unterliegend , nie schwach erscheinen und immer frei bleiben .
Deshalb ließ sie die Männer , denen sie eine momentane Gunst geschenkt , aus jenem Gemach in die Moldau stürzen . "
" Sie sind die Königin Libussa im modernen Gewande , ohne die wilde Sinnlichkeit , ohne die blutige Grausamkeit .
Hört eine Persönlichkeit irgendwie auf Ihnen homogen zu sein , und hätte sie Ihnen das Innerste des Lebens dargebracht - Sie lassen sie in die Moldau stürzen . "
Bitterer Schmerz durchbebte Faustine ; sie gedachte Andlaus und rief : " Das ist wirklich nicht ganz unwahr . "
" Aber ich lasse mich weder in die Moldau noch nach Oberwalldorf schleudern , " fuhr Clemens aufgeregt fort .
" O , Sie ! " sagte Faustine und sah ihn verwundert an , " für Sie bin ich nicht die Königin Libussa gewesen .
Ihnen habe ich keine Liebesverheißung gegeben - "
" Vielleicht auch Anderen , " unterbrach Clemens sie gereizt , " aber mir gewiß !
Sie haben mich in Ihr Leben aufgenommen ! wenn eine Frau wie Sie das tut , so ist es eine Liebesverheißung , denn Sie müssen fühlen , daß dem , der in Ihrer Nähe lebt , Ihre Liebe eine Bedingung der Existenz wird , oder haben Sie das etwa nicht gewußt bei mir ? "
" Ich habe Sie um mich geduldet , weil ich keinen anderen Weg offen sah , um Sie zur Erkenntnis über mich zu bringen .
Ich hatte Wohlwollen für Sie , ich habe Mitleid mit Ihnen - "
" Ah , Du hast Mitleid mit mir ! " rief Clemens , warf sich vor ihr nieder , und umschlang stürmisch ihre Knie .
" Ich hatte Mitleid mit Ihnen , muß ich sagen , " rief Faustine ungeduldig , und stand lebhaft auf ; " allmählich geht es über in Widerwillen , und nicht durch meine Schuld !
Ich begreife Sie nicht , Clemens !
wenn mir ein einziges Mal gesagt oder gezeigt würde , daß man mich nicht liebt , so würde ich eher sterben , als mich einer zweiten Abweisung aussetzen . "
" Es ist hart zu sterben , wenn man liebt ! " sagte er finster .
" Aber wer spricht denn vom Sterben ?
Sie sollen ja leben , froher , glücklicher als bisher .
Nur ein klein wenig Vernunft , guter Clemens - "
" Bravissimo , Gräfin Faustine ! wenn Sie die Vernunft predigen , so mag ich es wohl noch zu einer recht freudenreichen Existenz bringen ! " rief Clemens und lachte grimmig .
" Doch einstweilen , bis es so weit kommt , schwimme ich auf dem Meere des Lebens an das dünne Brettchen der einzigen Hoffnung geklammert , Du werdest mir , wie Leukothea dem Geliebten , dem gefährlich Schiffenden , die rettende Binde zuwerfen - dereinst , Faustine , nicht wahr , dereinst ?
ich will warten , warten .... o bis in die Ewigkeit hinein , aber ich will und muß darauf hoffen dürfen - sonst .... lasse ich mich sterben . "
" Tun Sie , was Sie wollen - nur hoffen Sie nichts von mir , Clemens " - sprach sie sehr bestimmt .
" Weder für Gegenwart noch Zukunft ? "
" Weder für Gegenwart noch Zukunft - so wahr ich Faustine bin . "
" Gut , gut ! " sagte Clemens ; eine fürchterliche Zerstörung glitt über sein Gesicht .
Sie sah es nicht , denn sie hatte sich wieder an die Staffelei gesetzt .
" Eine Gnade ! " fuhr er fort ; " sagen Sie mir , wem gehört Ihre Zukunft ? "
" Mir - und Gott ! " antwortete sie fest .
" Sie zwingen mich , die Frage anders zu stellen , " sagte er gelassen ; " wem gehören Sie in Zukunft ? "
" Sie nehmen sich das dreiste Recht einer Frage , die ich nicht Lust habe zu beantworten , " entgegnete sie kalt .
" Mein Gott , einem Freunde , der für immer scheidet , kann man doch wohl diesen Beweis von Zutrauen geben , " sprach er sanft .
" Ah , Sie gehen ? " rief Faustine freudig .
" Ja , ich gehe , Faustine ! "
" Und wann ? und wohin ? "
" Wohin ?
das weiß ich nicht ; aber wann ? morgen .... gewiß morgen . "
Faustine atmete erleichtert auf ; morgen sollte Mario kommen , also traf Clemens nicht mehr mit ihm zusammen .
" Sind Sie mit mir zufrieden ? " fragte er .
Sie gab ihm schweigend die Hand .
Zwischen Vorwurf und Trauer sprach er :
" Sie geben mir die Hand zum ersten Mal , seit wir uns kennen ! "
" Es soll nicht zum letzten Mal sein " - erwiderte sie freundlich .
" Wer weiß , Gräfin !
es kommt immer anders als man meint ! darum sein Sie gnädig und beantworten Sie mir die Frage , die ich vorhin wagte - wenn sie auch allzudreist ist .
Bedenken Sie - es ist die letzte .... ich gehe ja morgen !
und ist_es für Andere ein Geheimnis , so verlassen Sie sich auf mein ewiges Schweigen . "
Sein feierlicher Ernst in Blick und Ton stimmte auch Faustine ernst .
Sie sagte nichts ; aber sie legte den Finger auf Marios Porträt im Gemälde .
Clemens verstand sie .
Er stützte sich auf ihren Stuhl und die Lehne blieb in seiner Hand .
Entsetzt blickte sie ihn an und rief angstvoll :
" Gehen Sie , Clemens ! um Gottes Barmherzigkeit Willen verlassen Sie mich - ich fürchte mich vor Ihnen , Sie sehen aus , als bebrüteten Sie eine Untat . "
Er fuhr mit der Hand übers Gesicht :
" Eine Untat ? o nein , Gräfin ! nur eine Tat ! " -
Dann nahm er den Hut und sagte : " Ich werde noch Abschied von Ihnen nehmen . "
Damit ging er .
In Faustine hatte sich die Angst festgesetzt , Clemens könne Marios Leben wollen ; das ihre oder sein eigenes - daran dachte sie nicht ; nur an Mario .
In namenloser Unruhe ging sie in den Zimmern umher , denn sie konnte nicht mehr den Pinsel halten , alle Nerven zitterten .
Bald griff sie im Vorüberstreifen ein paar Akkorde auf dem Flügel , bald trat sie an den Bücherschrank , um Lektüre zu suchen , die sie nicht fand , bald setzte sie sich erschöpft nieder und summte halblaut eine Melodie ohne Worte , bald legte sie sich ins Fenster und blickte rechts und links mit jener seltsamen Stupidität , die den ersten besten Gegenstand ergreift , um von quälenden Gedanken und Vorstellungen loszukommen , so daß man sich z.B. auf der heimlichen Frage ertappt :
" Wird jenes Vögelchen sich auf einen Ast oder auf ein Dach setzen ? " und man sieht dem Vogel nach , so lange man ihn gewahr werden kann .
Während der Zeit hat das Herz gleichsam still gestanden und nach Luft geschnappt , nun geht_es wieder weiter in atemlosem Lauf .
Endlich ging sie zu Frau von Eilau , fand aber dort so viel Menschen , daß ihr nicht die gehoffte Zerstreuung wurde .
Nur in der Conversation mit zwei oder drei Personen amüsierte sie sich , weil sie Aufforderung zur Mitteilung fand .
In größeren Kreisen , wo man Lärm machen muß mit seinen Worten , um gehört zu werden - nur gehört , nicht verstanden !
da verstummte sie und war fast immer zerstreut .
Heute mehr denn je .
Aber man kannte das ; es fiel nicht auf .
Graf Kirchberg setzte sich zu ihr und versuchte Töne anzuschlagen , die in ihr den Widerhall weckten .
Es gelang nicht .
" Ich habe nicht verstanden , " erwiderte sie auf eine seiner Bemerkungen .
" Dann muß ich mich sehr konfus ausgedrückt haben , " sagte er lächelnd , " denn Sie pflegen Salomos Ring bei sich zu tragen , vermittels dessen man die Sprache auch der unvernünftigen Kreatur versteht . "
" O ! " rief sie , ohne den Scherz zu beachten , " wenn man sich unbehaglich fühlt , wie konfus und windschief erscheinen alle Worte , Zustände , Menschen ! man ist nicht im Stande , das ABC herzusagen !
man starrt einen Freund zerstreut wie einen Fremden an ! man meint , man werde in den nächsten vierundzwanzig Stunden stecken bleiben wie in einem Sumpf .
Kennen Sie solche Momente ? " -
Ohne seine Antwort zu erwarten , fuhr sie im veränderten Ton fort :
" Wo der Pflug über ein Menschenherz geht , ist die Hand Gottes da , um Samen für die Ewigkeit hineinzustreuen : das glauben Sie doch auch , Graf ?
denn wenn man es nicht glaubt , wie soll man sich trösten , den Pflug mit eigener Hand über ein Herz gelenkt zu haben ? "
" Ich würde mich auch nur in dem Fall trösten , daß dies Herz - das meine wäre , " entgegnete Kirchberg .
" Es hieße dem Egoismus zu leichtes Spiel machen , wenn der nichtsachtende Leichtsinn oder die rücksichtlose Leidenschaftlichkeit sich einbilden dürften , der liebe Gott werde die Wunden , die sie schlagen , mit Balsam heilen . "
Faustine schauerte zusammen und wurde leichenblaß .
Graf Kirchberg fragte , ob sie krank sei .
" Mir ist bange , " sagte sie und verließ die Gesellschaft .
Bei ihrem Diener erkundigte sie sich besorgt , ob Niemand in ihrer Abwesenheit sie habe besuchen wollen .
Er verneinte es .
Dasselbe tat ihre Kammerjungfer , die sie , zu Hause angelangt , gleichfalls befragte .
Dennoch sah sie sich gespannt im Zimmer um ; fürchtete sie Clemens - hoffte sie Marios Nähe ? sie wußte es nicht ! immer traten Beide zusammen vor sie hin .
" Jeannette , ich freue mich heute recht zu Bett zu gehen ! " sagte sie zu der Jungfer .
" Ach ! " rief die ganz erfreut , " das habe ich noch nie von der gnädigen Gräfin gehört ! und es gibt doch gewiß nichts Angenehmeres und Bequemeres auf der Welt , als solch weißes , frisches , stilles Bett .
Ich würde es noch Mal so gern machen , wenn gnädige Gräfin sich immer dazu freuen wollten . "
" Behüte der Himmel , Jeannette !
ich darf nicht immer so träge sein . "
Jeannette sah das durchaus nicht ein und verrichtete schweigend ihren Dienst .
Faustine schlief bald ; und ohne Träume , ohne Unruhe , wie einem Kinde , ging ihr die Nacht hin .
Es gibt einzelne glückliche Organisationen , die zugleich stark und biegsam genug sind , um dem Körper zu gestatten , daß er im Schlaf sein Recht behaupte und nicht zu leiden habe von den Kämpfen und Mühen der Seele .
Wachend ist er ihr getreuer , dienstwilliger Sclav , schlafend ihr Herr :
sie liegt in Fesseln , denn er borgt ihr nicht die Organe , durch welche sie ihre Herrschaft betätigen kann .
Wie im Lethe gebadet war Faustine jeden Morgen ; es währte immer eine Zeit lang , bis der grelle Tag mit seinen Beschwerden sich Platz machte in der dämmernden Kühle , womit die Nacht sie umhüllt hatte .
Morgens war sie auch am schönsten .
Das ist nur ausnahmsweise der Fall bei Personen , die über 16 Jahr alt sind .
Je älter man wird , um desto mehr bedarf man der Exzitation , der Bewegung , des Putzes , der Lichter , um schön zu sein ; es wird eine factice Schönheit .
Die meisten Menschen stehen fatiguirt auf ; der Traum hat sie mehr geplagt als der Schlaf erquickt .
Faustine stand heiter auf , denn : " heute kommt Mario ! " dachte sie .
Sie ging auf den Balkon ; die grünenden Bäume , der wolkenlose Himmel , die zwitschernden Vögel kamen ihr vor wie freundliche Verheißungen .
" Mario ! " sagte sie halblaut , mit stillem Jubel .
Da , wie ein Schiffer , der am Horizont das kleine Wölkchen , den unfehlbaren Boten des Ungewitters , entdeckt - da sagte sie dumpf :
" Wo ist jetzt wohl Anastas ? was wird aus Clemens .... mein Gott ! "
Der Tag kam über sie .
Indem meldete Ernst den Herrn von Walldorf , der so früh sich empfehlen wolle .
Sie ließ ihn eintreten .
Clemens sah verwildert aus ; ihr fiel ein , ob er nicht berauscht sein könne , und die Angst , welche sie schon mehrmals in seiner Nähe empfunden , befiel sie von Neuem .
Aber er sagte ruhig : " Im nächsten Monat wird es ein Jahr , daß Sie nach Oberwalldorf kamen .
Wissen Sie wohl noch , was Sie mir dort Alles bei unseren Spaziergängen erzählt haben ? "
" Nicht eine Silbe , bester Clemens . "
" Das vermutete ich schon !
ich will Sie auch nur an ein einziges Wort erinnern .
Sie sagten von Georg von Frundsberg und von mehren Anderen :
Er sah ein , daß seine Zeit aus war , darum starb er . "
" Ja , das habe ich gesagt . "
" Und Sie freuten sich darüber . "
" Ich fand es natürlich für jene energischen Menschen . "
" Meine Zeit ist auch aus , Faustine , " sagte er fest .
" Sie haben noch keine Zeit gehabt , " entgegnete sie ebenso fest .
" Doch ! doch !
die der Hoffnung ! "
" Die Hoffnung , von der Sie sprechen , war ein Irrtum ; kein tüchtiger Mensch lebt für einen solchen . "
" Ferner sagten Sie damals , Faustine :
Auf der Grenze zwischen dem Bewußtsein der neuen Erkenntnis und der Verzweiflung über den Irrtum - stirbt man .
Ich stehe auf jener Grenze und ich sterbe . "
" Warum foltern Sie mich , Clemens ? " sagte sie traurig .
" Das ist nicht mehr als billig , schöne Königin Libussa ! für die Martern , die Du seit einem Jahr über mich verhängt hast , sollst Du wenigstens einen Moment mit mir und durch mich leiden . "
Clemens murmelte dies zwischen den Zähnen , und hatte Faustinens Hände über dem Gelenk in seiner Linken zusammengefaßt .
Sie konnte nicht von der Stelle , und versuchte es auch nicht , denn sie sah , er hatte einen Entschluß gefaßt , dem sie mit ihrer geringen Kraft nicht würde wehren können .
" Nun ? wie wollen Sie mich foltern ? " fragte sie mutig ; " Sie sehen , ich warte darauf . "
" Du bist recht tapfer , wie sich das schickt für eine Königin !
... .
Und Du fürchtest Dich wirklich gar nicht vor mir ? "
" Ich fürchte nur den Mann , den ich achte und liebe , " sprach sie kalt .
Da zog Clemens ein Pistole aus der Brusttasche , setzte es in den Mund und drückte ab .
Seine Hand packte im Todeskrampf noch fester die ihren ; sie fiel neben seiner Leiche ohnmächtig hin .
Die entsetzten Dienstboten und die übrigen Hausbewohner eilten herbei mit Geschrei und Gejammer .
Durch alle den Tumult machte ein Mann sich stürmisch Platz , drang ins Zimmer , das blutrot im Morgenlicht glänzte , sah neben einer entstellten Gestalt die leichenähnliche Faustine , und rief : " O ! warum ließ ich sie hier zurück ? " -
Mario trug Faustine zum Wagen , der noch vor der Tür hielt , ließ umkehren , und reiste sogleich mit ihr zu seinen Eltern .
" Auch der Genius hat seine Bürden ! " sagte ich am Grabe von Leopold Robert in Venedig .
Bei diesen Worten hob ein Mann das Haupt und sah mich an , so scharf , so forschend , und zugleich so überzeugt , daß sein Blick mich frappierte , denn in der halb neugierigen , halb gleichgültigen Welt tragen die meisten Blicke ihr nüchternes Gepräge , und die Neptune der Fontänen schauen nicht viel bedeutender drein , als das Menschenauge .
Dieser Mann hatte schon am Grabe gestanden , als wir herzukamen .
Unbeweglich , die Arme untergeschlagen , den Kopf gesenkt , so tief gesenkt , daß der auf die Stirn gedrückte Hut das Gesicht verbarg , dunkel gekleidet , glich er einer Statue von Basalt .
Ohne Rücksicht auf ihn hatten wir geplaudert .
Reisen sind nicht die Schule , wo man das Rücksichtnehmen lernt .
Gleichgültig wie an einer Mauer streift man an alle den Unbekannten hin .
Um so mehr überraschte mich dieser Blick .
Der Mann mußte uns verstanden , unserem Gespräch zugehört haben , war vielleicht Bruder , Verwandter , Freund Roberts , vielleicht auf irgend eine Weise in dessen Schicksal verflochten .
Sei es Furcht , ihn verletzt zu haben , oder Interesse für den Toten , ich fragte :
" Sie kannten wohl Leopold Robert , mein Herr ? "
" Nur aus seinen Bildern , " entgegnete er .
Gegen meine Gewohnheit beharrte ich wie ein Inquisitor bei dem fragenden Stil :
" Sind sie selbst Künstler ? "
" O nein ! die Bürde des Genius wurde mir nicht auferlegt , " sagte er und lächelte traurig .
Ich errötete vor Ärger ; ich kann_es nicht leiden , wenn man mir meine Worte nachspricht .
Er fuhr lebhaft fort : " Darum ist es eine schwere Bürde , weil die Welt sie nicht anerkennen will !
Der Begabte soll ein Vollkommener sein .
Weil er Mensch bleibt , wird er gelästert .
Man denke nur an Byron und tutti quanti . "
Mein Begleiter sagte :
" Extravaganzen sind indessen nicht als die Glorie - sondern nur als die Ausgeburt des Genies zu betrachten . "
" Es ist nur übel , " rief ich , " daß viele Leute die natürlichen Allüren des Genies extravagant nennen .
Columbus wurde wie ein Narr behandelt , Galilei wie ein Verbrecher ! freilich - nicht alle Genies haben sich so glorreich gerechtfertigt , und Leopold Roberts Manen müssen sich vielleicht untertänigst bedanken , wenn man achselzuckend spricht :
Er war Hypochonder , der Arme ! "
" Ja ja ! " sagte der Fremde , " denn Wahnsinn und Sünde klingen härter . "
Er hatte während des Sprechens die Haltung wenig verändert , nur den Kopf gehoben , aus dem dunkle Augen ungewöhnlich ernst und strahlend hervorblickten .
Sie warfen einen wundervollen , ich möchte sagen , versöhnenden Glanz über seine scharf ausgeprägten Züge , und als er nach jenen Worten das Haupt wieder senkte , so daß die Augen verdeckt wurden - da trat mit ihnen das ganze Gesicht in Schatten zurück .
Wir gingen fort .
Nachmittags begegneten wir ihm in der Markuskirche ; er grüßte , und es entspann sich eine Unterhaltung , die mir gefiel , denn er war ein sehr angenehmer Mann , von lebhaftem Verstande und von ruhigen Manieren , weltvertraut und weltverachtend , aber nicht blasiert , nicht abgestumpft , sondern nur durch das Beste gleichgültig gegen das Geringe .
Wir waren acht Tage zusammen in Venedig .
Er hatte ein Kind bei sich , einen prächtigen , sechsjährigen Knaben mit funkelnden Augen , voll Lust und Mutwillen , unbändig wild , verwegen - ganz wie ich Knaben liebe .
Sie werden früh genug zahm werden !
Daraus , daß Beide in Trauer waren , und an der inbrünstigen Zärtlichkeit , die Beide für einander hatten , erkannte man Vater und Sohn .
Keine Spur von Ähnlichkeit war zwischen ihnen !
Sonst , wenn auch die Züge sich nicht gleichen , sind es Mienen , Ausdruck , Bewegungen ; hier - nichts !
Ich fragte auch ganz überrascht , als ich den Kleinen zuerst sah :
" Ist es Ihr Sohn ? "
" Sie wundern sich , daß ich ein so schönes Kind habe , nicht wahr ? " sagte er , und sein Blick wickelte den Knaben gleichsam in Liebe ein .
" Ja , es ist mein Sohn , nur sieht er aus wie seine Mutter , durch und durch wie sie .... und so ist er auch . "
Er schwieg plötzlich .
Wir frühstückten im Café Florian , und der Knabe sprang auf dem Markusplatz umher , streute den Tauben , die sich dort in Scharen aufhalten , Brotkrumen hin , unterhielt sich mit den Gondoliere italienisch , mit den Wasserträgerinnen deutsch , und amüsierte sich über alle Maßen , so daß man förmlich neidisch werden konnte .
Zuweilen trat der Vater , wenn er lange nicht seiner ansichtig geworden war , vor die Arkaden und rief mit seiner tönenden Stimme :
" Bonaventura ! " - dann kam der Kleine gelaufen , atemlos , glühend , warf sich in die Arme des Vaters und sah ihm in die Augen auf eine unbeschreiblich graziöse Weise , neckend und lieblich , wie ein Amor - oder wie eine Frau .
Mein Aufenthalt in Venedig ging zu Ende .
Am Vorabend der Abreise bat ich den Fremden um seinen Namen .
" Graf Mengen , " sagte er .
" Mario Mengen ? " rief ich erfreut .
" Mario Mengen . "
" Glücklicher ! " rief ich ; dann fiel mir ein , wie unpassend dieser Ausruf sei ; aber ich konnte doch nichts Anderes sagen als :
" Armer Glücklicher ! "
" Sie kannten also Faustine ? " fragte er .
" So wie Sie Leopold Robert " antwortete ich .
Ich war nach Dresden gekommen , damals , vor Jahren , gleich nach jener tragischen Katastrophe mit Clemens , hatte viel darüber gehört , und bald darauf auch von ihrer Heirat mit Mengen .
Hernach wurde sie in der Kunstwelt so gefeiert , daß wohl Niemand ist , der nicht von ihr gehört hätte .
Dies sagte ich ihm .
Er fragte , ob ich mich genug für sie interessiere , um ihrem Leben folgen zu mögen ohne Ungeduld , und ohne vorschnellen Unwillen - dann wolle er von ihr erzählen .
Mein Herz schlug vor Freude , denn ich liebte sie , graziös und genial wie sie war .
Solche Personen werden so viel getadelt und - ich will es nicht streiten - verdienen auch so viel Tadel , daß der Gedanke , ich würde liebend und bewundernd von ihr reden hören , mich erquickte .
Wir gingen die Riva der Slavonier entlang nach dem öffentlichen Garten .
Da ist es am einsamsten in ganz Venedig ; denn die Italiener gehen lieber in den Straßen spazieren als unter grünen Bäumen .
Der Garten ist auf einer Landspitze angelegt : große Rasenplätze und breite Alleen von weißen Akazien , die , eben in voller Blüte , mit ihrem feinen Arom die Abendluft durchströmten .
Wir setzten uns so , daß wir vor uns in die Lagunen hinaus sahen , rechts auf die Stadt , die zauberhaft zwischen Himmel und Wasser im Golde der sinkenden Sonne schwebte , und links , in weiter Ferne , auf die schneeweiße Alpenkette .
O !
Venedig ist gar so schön ! - -
Ich hatte in der Hand einen Strauß von dunkelroten Nelken - meine Lieblingsblume .
Mario sah sie unverwandt an ; endlich sagte er :
" Ich werde zwar nicht ohnmächtig wie die Prinzessin Lamballe , wenn sie Veilchen sah , und nicht tiefsinnig , wie Ritter Parzival , als er drei Blutstropfen im Schnee sah - doch erinnert mich die dunkelrote Nelke jedesmal an Faustine .
Diese Blume kommt selten zur Vollendung , entzückt uns selten in ihrer reinen Form als glühende Liebesfackel , oder als Köcher voll zartgefiederter Liebespfeile .
Ist der Kelch sehr gefüllt , so platzt er , die Blätter fallen traurig heraus , zerflattern , verwelken ; ist er dürftig gefüllt , so platzt er zwar nicht , aber die Blume bleibt auch dürftig .
Fast eben so selten wie eine Nelke bringt der Mensch sich zur Herrlichkeit :
er verwildert oder ermattet .
An Faustine war das Wunder geschehen , sie hatte die Glut , die Fülle , die Pracht ihres Wesens unzersplittert beisammen .
Sie wollte nicht immer Eins und dasselbe - wenigstens wollte sie es nicht in unveränderter Gestalt - aber was sie jedesmal wollte , das wollte sie ganz .
Sie war ein leidenschaftlicher Charakter , und daher nur schwankend , ehe ein energischer Entschluß in ihr Wurzel gefaßt .
Um ein großartiger Charakter zu sein , fehlte ihr nichts - als Strenge gegen sich selbst .
" Nach dem Tode des unglückseligen Clemens brachte ich sie sogleich zu meinen Eltern , und nach drei Wochen , als sie meine Frau wurde , war sie auch schon deren geliebtestes Kind , denn diese pompöse Frau , die sich nur zu zeigen brauchte , um für ihre Erscheinung allein jeder Huldigung gewiß zu sein - diese Sibylle mit dem Seherblick und den Prophetenlippen , heimisch in der Kunst , vertraut mit der Wissenschaft - war heiter wie ein harmloses Kind und anspruchlos wie ein junges Mädchen , das die eigene Anmut nicht ahnt .
Auf der einen Seite hätte eine Matrone nicht mehr imponiert , und dem verwegensten Mann nicht strenger ein leichtes Wort auf den Lippen getötet durch ihren unbefangenen Ernst ; auf der anderen Seite lagen die Jugend , die Neuheit , die Unkenntnis und die Verheißungen , die so reizend um Neulinge in der Welt schweben .
Das war sie .
Bis dahin hatte sie außerhalb der Welt gelebt , und sich ihr nicht wie ein Feind - dazu war sie ihr zu gleichgültig - aber wie ein Fremdling gegenüber gestellt .
Bis dahin mochte sie nicht in die hergebrachten Verhältnisse eingehen ; sie verstand nicht das Familienglück , denn sie war ein verwaistes Kind - nicht die Ehe , denn sie war ein gequältes Weib gewesen - vielleicht nicht einmal die Liebe , obgleich sie Andlau mächtig geliebt hatte , denn sie wollte sich durch die Liebe außerhalb aller Schranken frei fühlen ; und nur innerhalb Schranken kann Freiheit bestehen , außerhalb liegen Willkür und Auflösung .
Das erkannte sie ; jede Erkenntnis war ihr eine Wonne , sie liebte mich glühend , weil sie mir sie verdankte .
" Ein Jahr früher hatte ich zu meinem Freund Feldern gesagt : " ich begehrte kein anderes Glück , als ein foudroyantes , das mich gerade im Mittelpunkt meines Wesens träfe .
Es war mir geworden !
Faustine strahlte in meine Seele hinein wie ein tausendfarbiger Diamant , wie ein indisches Gedicht , Stern und Rose , Glanz und Duft .
Das unbedeutendste Weib , der stupideste Mann werden belebt und verschönt durch die Liebe , so daß sie uns erfreuen und interessieren können .
Und nun Faustine ! bald entzückte sie mich , bald machte sie mich zittern , bald bewunderte ich sie !
Herz , Sinne , Geist - Alles fand bei ihr Nahrung , Befriedigung , Anregung .
Ich wurde nie müde sie zu betrachten ; wie in Rafaels Arabesken Genien aus Blumen keimen , so schwebte ihre Seele in und über ihrer holdseligen Gestalt , die zart und durchsichtig genug war , um jeder Regung leicht zu folgen .
Ihre Augen waren von jener unbestimmten grauen Farbe , die man bei Augen blau zu nennen pflegt , und die darum so schön ist , weil sie alle Schattierungen annimmt - vom lichtesten Azur in der Freude , vom tiefsten Schwarz in der Leidenschaft .
Ebenso wechselnd war auch ihr Teint , transparent , kräftig ; an ihrem Kolorit erriet ich ihre Stimmung .
Mit dieser Frische kontrastierte seltsam dunkles Geäder ums Auge , das , wenn es nicht von Krankheit herrührt , einem blühenden Kopf wundervollen Reiz von Melancholie und Leidenschaft gibt , wie z.B. bei der sogenannten Fornarina in der Tribüne zu Florenz .
Ich wurde auch nie müde sie zu beobachten .
Es war etwas Unergründliches , Geheimnisreiches , Einfaches in ihr , etwas von der primitiven Frische des Naturlebens , durch welches alle Elemente spielen und blitzen ; in ihr stand das Gewitter neben der Sonne , und das Mondlicht neben der Aurora .
Sie war von einer Leidenschaftlichkeit , die man hätte fiebernd nennen dürfen , wenn Körper und Seele ihrer nicht gewachsen gewesen wäre .
O , wie sie mir entgegenflog , wenn ich nach kurzer Abwesenheit wiederkehrte !
sie erkannte meinen Schritt im Vorzimmer , fast ohne ihn zu hören , sie lief mir entgegen , sie hing sich um meinen Hals - so trug ich sie fort !
Goldfunken lagen auf ihrem Haar , unter dem Samt ihrer Wange rieselte das Blut , silberne Streifen schlangen sich durch das schwarzblaue Auge .
Und ihre Stimme ! o der goldene Klang , der Lerchenjubel , wenn sie dann sagte : " Mario ! "
- In den Modulationen dieser Stimme lagen wieder Analogien mit Naturzuständen ; erzählte sie von ihrer gleichgültigen , halbvergessenen Kindheit , so war es , als fließe ein schmaler , seichter Bach durch eine grüne Ebene : ihr Ton war gleichmäßig sanft , vibrierte nicht , weil damals das Herz nicht vibriert hatte .
Aber er zitterte traurig wie das Rauschen fallender Blätter , sobald sie mit dumpfem Trübsinn von ihrer Ehe sprach .
Bemerkten Sie je am hohen Mittag , im heißen Sommer , das leise , schwere , atemlose Flüstern , das durch die Natur weht ? zittern die Blätter , oder die Flügel der Insekten , oder die Wellen im See , oder Schilf , Gras und Blume in der brennenden Berührung des magnetischen Sonnenstrahles ?
Nun , so war es , wenn Faustine in meinem Arm ruhte , mit ihren weißen Zähnen oder brennenden Lippen meine Wange berührte , ohne sie zu küssen , und Worte flüsterte , die nur die Liebe hören darf , weil die Liebe nur sie erfindet .
Beachteten Sie je den wilden , jauchzenden Schrei der Schwalbe , wenn sie Abends durch das Wollustbad der Luft , gleich einem dunklen Blitz , schießt ?
Dieser Ton des höchsten Jubels rang sich bisweilen in einem abgebrochenen Laut aus ihrem Busen ; und dann girrte sie wie eine verblutende Taube , wenn die Melancholie schwerer Erinnerungen über sie kam .
Alle Temperamente waren in ihr vereint zur Quintessenz .
Heftig , eifersüchtig , würde sie wie eine echte Andalusierin den kleinen Dolch im Strumpfband getragen haben , um den Geliebten zu verteidigen oder - zu strafen .
Aber bei allen Angelegenheiten des Lebens hatte sie eine .
Fügsamkeit in den fremden Willen , die sich nie verleugnete , und die ich tausendmal auf harte Probe stellte ; denn ich wollte , daß sie sich fügen lernen sollte - nicht mir ! ach , daß sie mich liebte , war mein Triumph , nicht , daß ich sie dominierte ! -
aber dem anerkannten festen Gesetz .
Ich glaubte , die allmähliche Gewöhnung würde auch ihre innerste Wesenheit nach und nach zügeln können .
Zeitenlang war sie weichlich , üppig wie eine Orientalin , lag halbe Tage auf dem Diwan mit halbgeschlossenen Augen , träumend , denkend , dichtend , und langweilte sich nicht - während sie dann plötzlich von vernichtender Langweil sprach , wenn ich am wenigsten es vermutete , und sich , um ihr zu entgehen , lernend oder schaffend in die Region des Gedankens oder der Begeisterung warf .
Hatte sie sich dann in irgend einem Werk als den Genius gezeigt , den die Welt anerkannt hat , so trieb sie kleine unbedeutende Kunstfertigkeiten , um ihre Geschicklichkeit auch in diesem Fach zu prüfen ; doch sie amüsierte sich nur so lange damit , bis sie es zur Fertigkeit gebracht ; dann sah sie sich nach etwas Neuem um .
Jede vollendete Arbeit war ihr gleichgültig - gleichgültig haben , besitzen , genießen !
Streben war ihr alleinziges Glück , und der Moment , wo sie das Erstrebte mit der Fingerspitze berührte - ihre Seligkeit .
Sollte sie aber festhalten , so ermattete ihre Hand .
Gleich nach unserer Verheiratung gingen wir nach Florenz , wohin ich als Geschäftsträger gesendet wurde .
Faustine verließ gern Deutschland .
Völlig veränderte Umgebungen schickten sich für ihre veränderten Verhältnisse .
Anfangs fürchtete sie , irgendwo in Italien Andlau zu begegnen , denn sie war gewiß , daß er dorthin gegangen , und sie meinte , er könne nichts tun , um sie zu vermeiden , da er ja gar nicht wisse , wie sie heiße , noch lebe .
Diese Unkenntnis quälte sie .
" Es würde ihm ein Trost sein , mich glücklich zu wissen , " rief sie , " und die Furcht , daß ich mich selbst so elend gemacht haben könnte als ihn , ist gewiß ein Gift in seiner Wunde . "
Sie trauerte um ihn , zuweilen bis zum tiefsten Gram ; aber sie wünschte nie anders gehandelt zu haben ; darum suchte ich nicht ihr die Trauer zu nehmen .
Wenn sie bereut hätte , würde ich trostlos gewesen sein .
Die Erinnerung an Clemens trat zuweilen wie ein Gespenst oder ein Fiebertraum vor sie hin .
Sie rang die Hände und Totenfarbe überzog ihr Antlitz :
sie marterte sich ab mit Kombinationen , wie sie dieser Katastrophe hätte vorbeugen können .
" O Gott , " sagte sie oft , " ich hätte ja aber eine ganz andere Faustine sein müssen , wenn ich Alles ganz anders hätte machen sollen ! die furchtbarsten Erschütterungen , die gewaltsamsten Zustände habe ich überdauert ; ich liebe und hoffe so wie einst ; keine Gabe , keine Fähigkeit ist in mir untergegangen ; nichts Heiliges ist mir zum Märchen worden ; ich glaube an die unberechenbare Gotteskraft im Menschen , die ihn auf immer neue , unvorhergesehene Bahnen , aber nie zum Untergang führt ; - erfülle ich nicht auf diese Weise meine Bestimmung ? "
So sprach sie sich ruhig , und immer seltener kamen die Beängstigungen .
Ihr Malertalent entfaltete sich wunderbar ; der Glanz der italienischen Färbungen schwebte um ihren Pinsel , der mit Allen in Glut und Kräftigkeit rivalisieren durfte , und von Keinem an Phantasie übertroffen wurde .
Bonaventura wurde im ersten Jahr geboren .
Mario ist der Name , den der Erstgeborene in meiner Familie seit langen Zeiten zu führen pflegt ; aber Faustine bat und flehte :
" Es gibt nur einen Mario für mich !
ich kann Niemand außer Dir so nennen , von keinem zweiten Mario Glück erwarten ! gib ihm einen anderen Namen ! "
Sie sprach diese Laune so zärtlich für mich aus , daß ich sie hingehen ließ , und warnte ich sie halb im Ernst , halb im Scherz vor ihrem unlöschbaren Durst nach " etwas Anderem " - wie sie selbst es nannte , dann rief sie : " O fürchte Dich nicht !
ich liebe Dich , Mario ! "
Sie liebte auch Bonaventura , aber meinetwegen ; für ihn sollte ich arbeiten und sorgen , mit seiner Erziehung mich angenehm beschäftigen , in ihm ihre Seele , ihr Wesen wiederfinden - " wenn ich einst tot sein werde , " sagte sie .
Sie knüpfte nicht ihre Zukunft an das Kind .
Wenn sie meine leidenschaftliche Zärtlichkeit für den Knaben bemerkte , war es ihr stets wie ein Trost für mich .
Sonst dachte sie nicht häufiger an den Tod , als ich oder jeder Andere es tun würde , der den ernsten Gedanken vertragen kann und den Tod weder wünscht noch scheut .
Vier goldene Jahre verlebten wir in Florenz .
O , sie war glücklich ! die selige Überzeugung habe ich ! strahlend glücklich - zuweilen , in Momenten der Liebe , der Begeisterung , wenn ein neues Bild vor ihr auftauchte , ein neuer Gedanke in ihr erwachte , wenn sie die Lava ihres Herzens vor mir ausströmen ließ , des innigsten Verständnisses gewiß ; dann rief sie : " O wäre doch das Leben eine ununterbrochene Kette solcher Momente !
Träte doch nie eine Abspannung , Nüchternheit , Öde an die Stelle des Enthusiasmus , der Tatkraft , der Fülle !
Folgte doch nur nicht auf den höchsten Schwung die tiefste Ermattung ! "
" Wären wir doch Götter und nicht Menschen ! " entgegnete ich lächelnd .
" Oder gäbe Gott uns etwas so Dauerndes , so Wechselloses , daß , trotz aller Schwankungen der Sinne und des Geistes zwischen Verlangen und Befriedigung , die Seele in einem permanenten Bewußtsein tiefster , unwandelbarster Befriedigung bliebe . "
" Mir hat Gott dies Wechsellose gegeben , Faustine ! " sagte ich : " die Liebe zu Dir !
Tausendmal kann ich geirrt - hundertmal gefehlt haben : allein die Liebe zu Dir hat mich nie anders als stark und gut gemacht .
Dies Bewußtsein ist etwas Ewiges . "
" O Mario ! " rief sie , und warf sich in meine Arme mit der intensen Leidenschaft in Blick , Stimme und Gebärde , die stets mein ganzes Wesen vibrieren machte ; - " Mario , diese Liebe zu mir ist mein Triumph , meine Rechtfertigung , meine Glorie !
aber siehst Du denn nicht ein , daß sie heute in den Himmel hebt und morgen in die Hölle schleudert ?
Mario ! auf Augenblicke der Extase , wo Seele an Seele ruht , wo ich kein Wort brauche , um Dir mein Innerstes zu offenbaren , wo wir sind wie das Himmelblau , das alle andere Farben in sich auflöst - folgen andere .... da habe ich Dir nichts zu sagen , wenigstens nichts , was ich nicht ebenso gut allen Menschen sagen könnte ; da sind wir in Kleinigkeiten verschiedener Meinung , und eben weil es Kleinigkeiten sind , denkt Jeder , der Andere könne wohl nachgeben ; da hast Du ein dringendes Geschäft , wenn ich mit Dir umherstreifen möchte , oder ich sitze tief in Farben vergraben , wenn Du kommst mit mir zu plaudern ; da ist Dein Blick kälter , Dein Gespräch unbelebter , Dein Kuß ruhiger , Dein ganzes Wesen gleichgültiger ; da fühle ich , daß Du durchaus das Nämliche bei mir findest ; da betrüb ich mich denn unsäglich , und weder Dein glänzendes Lächeln noch Deine sonore Stimme , bei denen mir doch sonst zu Mut wird , als bräche der Tag an , haben genug Gewalt über mich , um Niedergeschlagenheit und Trübsinn zu verjagen , die mich erschlaffend anwehen , wie der Scirocco .
Dann denke ich : wäre die Liebe rechter Art , so könnte nie ein solcher Moment eintreten .
Die Seligen sind gewiß niemals niedergeschlagen - die Seligen jenseits des Grabes .
O wie gut verstehe ich den alten Montaigne , der da sagt : Il n'y a de satisfaction ca-bas que pour les ames ou brutales , ou divines . Geschöpfe vom Mittelschlag wie ich , haben es auch nur mittelmäßig . "
" Nun Faustine , " entgegnete ich , " auch ich kann mit fremden Worten reden !
Novalis sagt : Und da kein Sterblicher den Schleier der Isis heben kann , so wollen wir suchen Unsterbliche zu werden . "
" Ja , das wollen wir ! und Du bist ein Engel ! " rief sie .
Dies Gespräch fand statt , als wir einst bei Sonnenuntergang nach San Miniato heraufstiegen , und unter den Zypressen bei dem Kloster von San Francesco rasteten .
Ich lehnte an einer Cypresse und blickte auf sie herab ; sie saß auf einer Stufe der Treppe , und hatte ihre Hände gefaltet um ihre Knie gelegt ; ihr Hut war zurückgefallen , der Abendwind wehte ihre Locken hin und her , ihr Gesicht war von innerer Glut , ihr blaßrotes Kleid von der sinkenden Sonne in Feuer getaucht .
Plötzlich hob sie die Hände zu mir empor und rief : " Mario ! ewig anbeten - das würde mich beseligen . "
" Das verdient kein Mensch ! " sagte ich .
" Nein ! aber Gott , " antwortete sie .
Sie hatte Recht - immer Recht ; darum fiel mir auch damals dies Wort nicht weiter auf , um so weniger , da sie plötzlich zu künstlerischen Betrachtungen übersprang , und behauptete :
in meiner gegenwärtigen Stellung hätte ich große Ähnlichkeit mit dem Antinous des Palastes Braschi in Rom .
Ich lachte über dies allzu schmeichelhafte Kompliment ; doch sie sagte ernsthaft :
" Sträube Dich und lache immerhin ! die Ähnlichkeit bleibt .
Antinous denkt nach über seinen Kaiser Hadrian , für den er sich freiwillig den Tod im Nil gegeben , damit die Priester in seinen Eingeweiden das künftige Schicksal des Kaisers lesen möchten - denn so hatte das Orakel geboten ; darauf ließ der Kaiser ihm göttliche Ehren erweisen , und ihn als ägyptische Gottheit , mit der Lotosblume über dem Haupt , darstellen .
Was half das dem Antinous ?
er hat doch vor der Zeit sterben müssen !
Mario !
Mario ! wirst Du auch sterben müssen ?
Meinetwegen sterben ?
ich bringe auch den Untergang denen , die mich lieben ! "
" Aber nicht denen , die Du liebst , Faustine , " sagte ich , und nahm ihre Hand .
" O doch ! doch ! " antwortete sie mit jener himmlischen Melancholie , die ihren Blick , sonst so rein , klar und schwer wie Gold , in ein dunkles nächtliches Meer verwandelte , das unter dem Mondstrahl zittert .
Sie stand auf , und wir gingen schweigend nach S. Miniato , denn ich störte sie nicht in solchen Momenten der Erinnerung ; Zerstreuung wäre ungeschickt gewesen und Aufforderung sich mitzuteilen würde sie noch mehr in den Gegenstand versenkt haben .
Zuweilen wandelte es mich an wie Eifersucht , daß Schatten Macht über sie haben konnten - Schatten nenne ich , was für sie tot und unfähig war ihr neuen Schwung zu geben .
Sie brauchte ihre und die fremde Wesenheit immer ganz voll , ganz beisammen : darum war die Gegenwart ihre Tyrannin und darum auch meine Eifersucht nie von Dauer .
Sie war seltsam anders als ihr Geschlecht !
Wir sprachen einmal über die Corinna , worin uns alles Andere besser gefiel als die eigentliche Liebesgeschichte ; und ich sprach meine Verwunderung aus , wie ein so glanzvolles Geschöpf diesen trübseligen Oswald lieben könne .
" Mitleid !
Mitleid ! liebes Herz ! " rief sie ; " aber davon habt ihr Männer gar keinen Begriff , und ich auch nur einen halben ; denn ich bringe es mit dem Mitleid nicht weiter , als mich lieben zu lassen , nicht so weit , um wieder zu lieben .
Der Gegenstand meines Mitleids wird kleiner als ich , und ich bedarf eines größeren , der mich ganz umfängt , hebt und trägt .
Aber die meisten Frauen sind gutmütiger und rührbarer als ich .
Stirbt doch gar Corinna wegen dieses trübseligen Oswalds !
Das ist mir nun vollkommen unbegreiflich !
Für die Liebe leben , für den Geliebten leben oder sterben , wie es kommt , das ist einerlei ! -
Aber nur nicht sterben , weil ein Mann mich nicht mehr liebt !
Die Männer müssen um die Frauen sterben , so schickt sich es ; das habe ich von jeher behauptet . "
" Ja , " sagte ich , " Du hast darüber wundersam despotische Ansichten . "
" Despotisch ? möglich !
doch nicht wundersam .
Die Liebe ist unser Element , unser Königreich ; Ihr nehmt nur dann und wann eine Stelle darin ein , bringt_es auch wohl zu einem Ehrenposten oder dergleichen .
Wir sind heimisch , wo Ihr fremd - Herrin , wo Ihr Einwanderer seid ; dies Bewußtsein macht despotisch :
wir wollen lieben über Alles , und lieben , nichts als lieben , Königin sein , von allen Gaben strahlend , im Reich der Liebe !
Darum , Mario , begreife ich , daß eine Frau sterben kann , wenn sie nicht mehr liebt ! macht ihr Herz seine Pendelschwingungen nicht mehr , so steht das Uhrwerk ihres Lebens still .
Lieben ist : sich einem Gegenstand weihen ; aber muß der Gegenstand durchaus derselbe bleiben ? sind in uns keine Fortschritte , keine Umwälzungen , die einen anderen bedingen ? können wir bei zwanzig Jahren reif genug sein , um unsere Entwicklung bei dreißig und deren Ansprüche vorherzuwissen und uns gleich von Hause aus dafür einzurichten ?
Ich meines Teils hatte vor zehn Jahren kaum eine Ahnung von Allem , was ich geworden bin .
Es mag ein hohes Glück sein , beim Eintritt ins Leben der Seele zu begegnen , mit der wir , bis zum Austritt aus demselben , verbunden bleiben ; aber es ist ein seltener Glücksfall , daß zwei Menschen durchaus gleichen Schritt halten in ihrer Entwicklung , und daß keiner den anderen überflügelt .
Darum sollte man nicht eine Ausnahme zur Richtschnur machen wollen ; nicht sagen : nur das Festhalten an einem Gegenstande ist Liebe . "
" Vielleicht hat man zuweilen darin Unrecht , Faustine ! " entgegnete ich ; " nur bleibt es gewiß , daß häufig in dem Wechseln mehr Selbstliebe als Liebe liegt .
Glaubst Du nicht , daß ein Mensch in Opfer und Entsagung bis zum Tode ebenso sehr der Vollendung entgegenreifen könne , als indem er Anderen das Opfern überläßt ?
Denke an Vinzenze Sonsky ! "
" Ach , Vinzenze ! " rief Faustine ; " ich beuge mich gern vor ihr , denn mehr als sie kann der Mensch nicht tun .
Aber das ist ein trauriges Beispiel !
sie hat sich geopfert , und doch ist Niemand beglückt , sie selbst tot , ihr Mann einsam im Alter , ollen einsam in der Jugend .
O sage mir , daß Du glücklich bist , Mario . "
Wenn sie in den Ausdruck der Liebe überging , war sie unwiderstehlich ; darin war sie ein Genie wie in ihrer Kunst ; dadurch beherrschte sie mich so maßlos , daß ich oft mit Erstaunen wahrnahm , wie sie meine Besonnenheit schwanken machte , meine Besonnenheit , die ich mit so eisernem Willen mir angearbeitet hatte !
Vom ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an war meine Seele ihr untertan .
Faustine veränderte nicht meine Richtung , aber indem ich dabei beharrte , sah ich nach ihr , wie nach der Bussole hin , und in den Außendingen des Lebens behielt ich deshalb unumschränkte Gewalt , weil sie zu träg und zu gleichgültig gegen deren Handhabung war .
Oft in diesen vier Jahren hatte sie mich gebeten , eine Reise in den Orient mit ihr zu machen ; oder wenigstens nach der Schweiz , die sie noch nicht kannte .
Meinen Erziehungsprojekten zufolge sollte sie sich aber an den geregelten , einförmigen Gang der Existenz , im Verkehr mit Anderen , wie in der bürgerlichen Stellung gewöhnen .
Ich schlug es ihr unerbittlich ab , und sagte , ich hätte kein Geld dazu .
Das glaubte sie leicht , und deshalb sagte sie ganz ruhig :
" Ich werde suchen etwas zu verdienen . "
Sie schickte ein eben vollendetes Gemälde zur Kunstausstellung nach Mailand , wie sie pflegte .
Nach zwei Monaten händigte sie mir eine Anweisung an meinen Bankier in Florenz auf 8000 Franken ein .
Ich fragte , ob sie eine plötzliche Erbschaft gemacht .
" Nein ! " antwortete sie ; " ich hatte nach Mailand geschrieben , man solle den Ezzelino verkaufen , wenn sich Liebhaber fänden : das ist geschehen .
Können wir nun in den Orient ? "
Ich war ganz verdrießlich ; das wunderschöne Gemälde ging nach Rußland !
ich sagte , wenn sie mir genau ein ähnliches Male , dann wollten wir reisen . ich wußte wohl , daß sie es nicht tun würde .
" Dieselbe Gedankenfrucht zweimal reifen lassen - kann sogar der liebe Gott nicht " - sagte sie .
Aber sie malte Neues , und immer Schöneres .
Dazwischen dichtete sie viel , meistens Lieder , tiefsinnig und lieblich wie sie selbst war , denen nichts zur Vollendung fehlte , als daß sie sich ein wenig Mühe gegeben hätte , um sie zu korrigieren .
Wenn ich sie dazu ermahnte , so entgegnete sie , damit wolle sie sich beschäftigen , sobald die Zeit des Produzierens für sie vorüber sei .
" Vor meinem Tode will ich es tun , damit die Welt wisse , was sie eigentlich an mir gehabt hat ; vorher lohnt es der Mühe nicht !
die beste Berühmtheit hebt nach dem Tode an ! wer populär war , wird selten unsterblich , " sagte sie .
Ich neckte sie bisweilen mit ihrem Ruhmdurst .
" O , " rief sie , " Bedürfnis des Ruhms ist nur Bei wußtsein der Zukunft !
wer nicht an seine eigene Zukunft glaubt , verdient auch keine Gegenwart ; und man sagt mir doch - und ich meine mit Recht - ich sei ein großes Talent .
Daß meine Gemälde nur in der Mode und deshalb zukunftlos sein könnten - fällt mir oft schwer aufs Herz .
Ich weiß wohl , daß ich einen köstlichen Schatz besitze ; jedoch , ob ich ihn zu Kleinodien oder zu Münzen oder zu was weiß ich ! verarbeite :
das weiß ich nicht , wenigstens nicht genau .
Wir irren uns über den Wert unserer Schöpfungen , wie Mütter über die Schönheit ihrer Kinder .
Von seinem Gedicht " Afrika " erwartete Petrark die Unsterblichkeit , und fand sie durch seine Sonette .
Es wäre doch traurig , wenn ich nur Afrikas hinterließe ! "
Endlich ging ich auf die orientalische Reise ein ; ich gönnte Faustine und mir diesen Genuß .
Überdies halte ich eine solche Anfrischung der Lebenselemente nicht bloß dem Künstler notwendig , sondern Allen , die sich jahrelang nur mit ihrem Geschäft und Beruf abgegeben haben .
Man wird allzu einseitig , sobald man sich ihm ausschließlich widmet .
Die Einseitigkeit hat auch ihr Gutes :
sie macht zufrieden , sie lehrt das Geringe schätzen , sie erhält sogar einen gewissen Grad von Unschuld , indem sie manche Illusionen läßt - aber nicht alle Seelen sind für diese friedliche Beschränkung geboren .
Der Eine fliegt lieber , der Andere geht lieber - Jeder nach seiner Eigentümlichkeit !
Die Schattenseiten seiner Vorzüge hat jeder Charakter , jede Lage ; aber man bemerkt sie nur bei ausgezeichneten Charaktern und in ungewöhnlichen Lagen , weil bei den alltäglichen Mischungen kaum der Unterschied zwischen Licht und Schatten wahrgenommen wird .
Das ist in der Ordnung !
man sieht nicht hin , wenn Jemand im Gehen stolpert ; will aber Jemand fliegen und die Schwingen brechen , so sieht es das stumpfste Auge .
Wir reisten zuerst nach Deutschland , um meine Eltern zu besuchen und ihnen Bonaventura zu präsentieren .
Meine Schwestern waren jetzt alle drei verheiratet und mäßig glücklich mit kleinen Sorgen und manchen Freuden .
Cunigunde war Braut .
Nichts glich unserer Überraschung , als sie uns den Verlobten vorstellte , einen benachbarten Landpfarrer von der Sorte , die man jetzt die fromme zu nennen pflegt , mit gescheiteltem Haar und niedergeschlagenen Augen , aus denen zuweilen hastige , stechende , inquisitorische Blicke schossen , die unbehaglich mit dem salbungsvollen Ton kontrastierten , und der ganzen Erscheinung etwas Falsches gaben .
Faustine wünschte ihm Glück zu der Braut ; bei Cunigunden erstarb ihr das Wort auf den Lippen .
Hernach sagte sie zu mir : " O Gott , welch ein matter , trister Gesell ! gegen den war ja Feldern ein Heros !
Und diese klare , bestimmte Cunigunde kommt mir ganz verwirrt vor , denn sie spricht von diesem Menschen , als sei er wenigstens ein Apostel . "
" Lieber Engel , " entgegnete ich , " Du kannst Dir gar nicht vorstellen , zu welchen Schritten die Furcht treibt - eine alte Jungfer zu werden ! die liebenswürdigsten , ausgezeichnetsten Mädchen , zu denen Cunigunde gewiß zu zählen ist - verfallen bei dieser Lebenskrisis fast immer in ein Fieber , das ihnen die Besonnenheit raubt .
So ist_es Cunigunden gegangen ! und da sie diesen Mann unmöglich lieben kann , so hat sie sich für ihn fanatisiert .
Wahrscheinlich wird sie später aus Stolz und Beschämung nie eingestehen , daß sie nicht vollkommen glücklich ist ; aber sie wird es gewiß nicht ! eine Ehe dauert etwas zu lange für den Fanatismus . "
" Und Feldern ist doch ein schlichter , unverschrobener Mensch , " sagte Faustine niedergeschlagen , " trotz seiner Vorliebe für die konventionellen Formen .
Sie sind ihm das , was ihm die Kleidung ist : ein Gesetz , das der Anstand gegeben hat .
Aber dieser Mann , so gezwungen einfach , so manieriert schlicht - kann dessen Seele wahr sein ? "
Meine Eltern freuten sich meines Glücks in Weib und Kind .
Faustine war Aller Liebling , Aller Stolz .
Die geistige Überlegenheit , welche mittelmäßige Frauen so unerträglich macht , daß man sie wie eine lästige Apanage betrachtet , etwa wie einen vornehmen Namen bei großer Armut - schien Faustine gegeben , um zu beweisen , daß die Superioreste Frau die liebenswürdigste sei .
Sie faltete still ihre Flügel zusammen , damit Niemand bemerken dürfe , daß er keine habe ; aber sie schüttelte sie und flog auf , bei der geringsten Anregung , und ließ in unseren Kreis den Glanz der Äther , die Blüten ihrer Region hineinspielen .
Dann fuhren wir die Donau hinab nach Konstantinopel , Griechenland und Palästina .
Erwarten Sie keine Beschreibung der Reise , Gräfin ! gedenke ich jener Tage , so wühlt die Erinnerung wie eine himmlische Harpyie in meinem Herzen .
Faustine war selig , war von einem Reichtum , einer Vollendung , einer Süßigkeit , wie noch nie .
Berauscht von den Quellen der Urgeschichte und der Urpoesie , die jenem Boden entquollen , sagte sie :
" Ich bin allzu glücklich ! hier muß ich sterben - wäre der Tod nicht allzu grausig .
Ich will leben ohne zu altern , schaffen ohne zu ermüden , genießen ohne mich abzustumpfen , forschen ohne zu zweifeln , ruhen ohne mich zu langweilen ! glaubst Du nicht , Mario , daß dies Alles hier , in diesen primitiveren Zuständen , leichter zu erreichen sei , als da draußen , in der verschrobenen , abhetzenden okzidentalischen Zivilisation ? "
" Vor allen Dingen glaube ich , daß Du Dich binnen Jahresfrist glühend zur europäischen Zivilisation zurücksehnen würdest , gegen die Du freilich oft genug zu Felde ziehst , wenn Du ihr bequem im Schoß sitzest , " sprach ich .
" Und Bonaventuras Erziehung ruft uns zurück !
er ist nun bald vier Jahr alt , da muß er denn in irgend eine gelehrte Schule gesteckt werden , und seine schöne , frische , jauchzende Kindheit mit Studien von Dingen hinbringen , deren eine Hälfte er nicht braucht , und deren andere er vergißt .
Armer Bonaventura ! wärst Du mein Sohn allein , so erzöge ich Dich hier , fern von der demoralisierten Gesellschaft , fern von dem Wust pedantischer Gelahrtheit , mit der Bibel , der Geschichte , der Poesie und der Natur ; und wärst Du zum Jüngling herangereift , so ließe ich Dich nach Europa in alle Länder , zu allen Nationen , auf alle Universitäten ziehen , um die Gegenwart durch unmittelbare Anschauung kennen zu lernen .
Die Männer-Erziehung ist heutzutage unausstehlich einseitig !
die armen Jünglinge werden mit Studien gepfropft , für das Prokrustesbett des Staatsdienstes gepreßt , der von Allen dasselbe Maß verlangt , das Genie herunter - den Dummkopf herauf zerrt .
Lernen müssen sie !
ob sie das Gelernte verarbeiten und wissen - darum kümmert man sich nicht .
Die Meisten verkommen in dem Sumpf des Lernens , ohne sich zur Entwicklung geistiger Selbstständigkeit zu erheben .
Bonaventura ! rief sie und hielt den erstaunten Knaben auf ihrem Schoß fest ; wenn Du in zwanzig Jahren eine Brille auf der Nase hast , Runzeln auf der Stirn , Falten um Mund und Augenwinkel , wenn Du pedantisch bist , mein Bonaventura , langweilig , unbeholfen , dürr an Leib und Seele , unerquicklich wie die personifizierte Vernünftigkeit , gehörig eitel auf Deine negative Entwicklung , - so verklage ich den Staat beim lieben Gott , weil dessen Geschöpf und mein Sohn so kläglich mißhandelt wurde von dem Alles verschlingenden Moloch , dem wir unsere lieben Kinder auf die versengenden Arme legen müssen . "
Ich bin aber der Meinung , daß Kinder in dem Lande und in den Verhältnissen zu erziehen sind , für welche die Geburt sie bestimmte .
Exotische Erziehungen sind fast immer unverträglich mit der späteren Bestimmung , und die Gewöhnungen der Kindheit so stark , daß oft ein trauriger Zwiespalt entsteht , wenn man nicht gesucht hat , sie , wenigstens approximativ , jener anzupassen .
Auf diese Einwendung entgegnete Faustine :
" Ich habe auch nur gesagt : wenn Bonaventura mein Sohn allein wäre ! -
jetzt bist Du mein Herr und der seine . "
Der Orient war der Kulminationspunkt meines Glücks .
Nach Florenz zurückgekehrt , nahm Faustinens Wesen eine andere Richtung .
Ein Hauch von Melancholie hatte immer um sie geschwebt , wie ein leichter Duft um Gebirge :
jetzt verdichtete er sich oft zu Wolken , die ihre Heiterkeit überschatteten und ihre Beweglichkeit lähmten .
Es geschah ohne äußere Veranlassung ; sie war nicht kränklich , sie hatte keine der Verdrießlichkeiten , der winzigen Sorgen , welche reizbaren phantastischen Personen unerträglich sind , keinen Unfall - es kam wie eine Schickung über sie :
es war da .
Ist es eine traurige Mitgift des Genies , daß er im Geben ein Krösus und im Genießen ein Übersättigter ist - oder wähnt er leicht , das vorgesteckte Ziel nicht erreicht zu haben und nie erreichen zu können - oder läßt alles Erreichbare eine Lücke in ihm , und alles Sichtbare eine Öde - oder fühlt er vorahnend seinen Flug erlahmen - oder haben diese glühenden , dürstenden , strebenden Kreaturen unaufgelöste Geheimnisse zwischen sich und dem Schöpfer , die sie auf alle Weise zu enträtseln suchen - genug , Faustine war verändert .
Viele , ich weiß es , werden sagen : das Schicksal hatte sie verwöhnt , sie war übersättigt von Glück , sie machte sich Schimären , weil die Wirklichkeit sich für sie erschöpft hatte , man muß in sich das Genügen finden , und wer das nicht tut , ist ohne inneren Gehalt , und Alles , was die Klugheit der Welt und die schnöde Mittelmäßigkeit zu ihrem eigenen Vorteil vorzubringen wissen .
Aber Faustine war nicht das Kind , das in Tränen ausbricht , weil es nicht den Mond haschen kann , und ihr Schicksal ist darum so traurig , weil es der Mittelmäßigkeit gleichsam gewonnenes Spiel gibt , indem sie Fehler beging , die jener nie einfallen würden .
Es ist auch traurig lehrreich , indem es zeigt , wie der glorioseste Mensch untergeht , sobald er sein Ich in der Welt isoliert , sei es auf die feinste , die geistigste Weise .
Aber das wird die Menge schwerlich bemerken !
sie versteht nur die Bestrebungen für das Ich , insofern sie sich auf Vermögen , Ansehen , schöne Kleider und ähnliche Äußerlichkeiten beziehen .
" Jetzt mag ich nicht mehr reisen ! " sagte Faustine ; " ich weiß nun , daß die Erde überall dieselbe ist , und der Mensch ist es auch .
Nur die Oberfläche wird bei jener durch das Klima , bei diesem durch das Temperament verändert .
Das Neue ist immer etwas Altes , und etwas Anderes ist immer dasselbe ; nur das äußere Kleid wurde gewechselt .
Das kann uns keine volle Befriedigung geben . "
" Volle Befriedigung ist mir undenkbar für den menschlichen Zustand auf der Erde , " sagte ich , " der Moment , wo ich inne würde , am Ziel alles Strebens zu sein , und keine Arena der Wünsche und Kämpfe mehr fände , würde mich trostlos machen , statt mich zu befriedigen .
Fertig sein und doch nicht vollkommen - ist wie das Leben in harter Gefangenschaft . "
" Das äußere Leben kann fertig und das innere strebend sein , " sagte sie , " z.B. im Kloster . "
" Oder in jedem anderen Verhältnis , " setzte ich hinzu , " z.B. in der Ehe . "
Sie war nicht trübe , nicht unzufrieden , nicht erkaltet gegen mich , nur von einer unbesieglichen Schwermut .
Ich bat , ich beschwor sie zu malen , zu dichten .
" Wozu ? " antwortete sie .
" Was nicht erster Ordnung ist , braucht gar nicht zu sein , und erster Ordnung sind etwa zwei oder drei Bücher und ebenso viel Kunstwerke :
sie bestimmten eine Zeit , sie brachen eine Bahn , sie gaben eine Richtung .
Dies hängt nicht sowohl von dem ab , der sie schrieb , malte oder baute , sondern davon , daß Gott ihn im rechten Moment , als er ein tüchtiges Werkzeug brauchte , auf die Welt schickte .
Ein solcher Genius ist für alle Zeiten groß ; nur für eine Epoche es zu sein , ist demütigend ! denke doch :
Gluck wird unsterblich genannt , aber von 1000 Menschen gähnen 999 bei seiner Musik . "
" Nach dem Urteil der Menge darfst Du nicht hören , denn zuweilen beherrscht falscher Geschmack , durch irgend welche Laune einer Sommität sanktioniert , lange Epochen .
Während des Baustiels der Renaissance war der gotische verachtet ; erst jetzt lernt man allmählich ihn bewundern . "
" Freilich , er ist erster Ordnung ! " sagte sie traurig .
Wie diese Mutlosigkeit mich grämte ! wie ich sie anflehte , mir deren Grund zu sagen !
ich warf ihr Mangel an Vertrauen vor .
" Nein ! " rief sie , " meine Seele liegt offen vor der deinen ! aber Du , Mario , Du willst nicht sehen , was ich doch ganz klar und deutlich sehe , daß meine Zeit aus ist .
Schweige ! schweige ! " rief sie , als ich antworten wollte ; " weshalb sollte ich das nicht sehen ? weiß doch die Wasserlilie ihre Zeit , steigt zum Blühen auf die Wellen empor , und sinkt dann in die Tiefe zurück , befriedigt , still , mit dem Schatze seliger Erinnerungen .
Die Blume weiß , wann ihre Zeit vorüber ist , und der Mensch bemüht sich , es nicht zu wissen !
Diese Jahre mit Dir , Mario , waren meine höchste Blütezeit ! "
" Du liebst mich nicht mehr ! " rief ich mit bitterem Schmerz .
" Tor ! " sagte sie ruhig , mit jenem extasischen Lächeln , das ich nur auf ihrem Antlitz gesehen habe ; " Tor ! hast Du nicht das Tabernakel meines Herzens berührt ? ist nicht Bonaventura Dein Sohn ?
Nein , Mario , ich liebe Dich , ich habe nichts so wie Dich geliebt , ich werde nach Dir nichts lieben , aber über Dir - Gott !
O Engel , meine Seele hat mit der deinen in solchen Extasen der Liebe und Begeisterung geschwelgt , daß Alles , was ihr in dieser Region widerfahren kann , nur Wiederholung , und vielleicht .... eine matte sein dürfte .
Wir haben mein Herz so nach seinen Schätzen durchgraben , daß die Goldminen .... vielleicht erschöpft sind .
Ehe die trostlose Gewißheit uns kommt - "
" Faustine ! " sagte ich - ich weiß nicht , mit welchem Ton ; denn sie fiel mir zitternd in die Arme und sprach ganz , ganz leise : " Ah , wenn Du mir zürnst , habe ich keinen Mut Dir meine Seele zu entfalten . "
Ich erkannte wohl , daß ich sie nicht einschüchtern durfte , umarmte sie und fragte gelassen , was sie denn zu tun gesonnen sei .
Sie erwiderte : " Ich will die Minen verschütten ! ist noch edles Metall darin , so möge es in der Tiefe ruhn !
oben darauf will ich Blumen pflanzen . "
" Aber was möchtest .... was willst Du tun ? " rief ich in Todesangst .
" Ganz Gott angehören und in ein Kloster gehen , " sagte sie ; ich aber sprach bestimmt : " Nie , Faustine !
nie , niemals . "
Ich bemühte mich , die Sache für eine momentane Aufregung zu halten , zu glauben , daß irgend ein Buch , irgend ein Gespräch mit ihrem Beichtvater sie lebhaft erschüttert habe ; doch ihre Lektüre bestand gerade jetzt aus den alten römischen Geschichtsschreibern , und ihr Beichtvater , der zugleich der der halben Florentiner Welt war , Pater Gerolamo , war mir sehr wohl bekannt als ein ruhiger , milder , kluger Mann , ohne alle asketische Anforderungen .
Wir waren dazumal in Pisa , teils weil der Hof sich für einige Monate dort aufhielt , teils weil Faustine eine besondere Vorliebe für diese melancholische Stadt hatte .
Wir bewohnten den Palast Lanfranchi am Lunge Arno , wo Lord Byron während seines Aufenthalts in Pisa wohnte , und bei uns lebte Graf Kirchberg , ein alter Freund Faustinens , der so eben nach Italien gekommen war .
Zufällig oder absichtlich - ich weiß es nicht - äußerte er einmal im Gespräch mit mir , Andlau sei von den Ärzten seiner Gesundheit wegen nach Italien geschickt , er glaube nach Rom .
Ich bat Kirchberg , nichts davon gegen Faustine zu erwähnen , sie sei ohnehin in einem krankhaft erregten Zustand .
Er fand das auch , denn er hatte sie wirklich lieb .
Nur Gleichgültige sahen uns mit immer gleichem Auge an .
Wir machten täglich weite Spazierritte mit ihr , daran fand sie viel Vergnügen ; und fast täglich auch ging sie in das Campo Santo , " um Studien zu machen , " wie sie sagte .
Doch umsonst begehrte ich , daß sie dort Zeichnungen und Skizzen entwerfe .
" Ich sehe und denke - ist denn das nicht genug ? sehen nicht die meisten Leute , ohne zu denken ? " fragte sie .
" Für Dich ist es nicht genug , Du mußt schaffen ! " rief ich , und wie aus einem Munde mit mir sprach Kirchberg , der gegenwärtig war :
" Sie müssen produzieren . "
" Immer soll ich mich ganz extraordinär benehmen , Ihr wunderlichen Leute , " sagte sie mit ihrer alten Heiterkeit ; " aber doch nur gerade so weit , wie Euch das Ungewöhnliche nicht extravagant erscheint .
Ach , wie seid Ihr so schwerfällig , Ihr Subtilen ! -
Aber heute habe ich wirklich Lust , das Innere des Campo Santo zu zeichnen ; Ihr könnt allein spazieren reiten ! "
Dieser Entschluß wurde dahin abgeändert , daß sie erst mit uns einen Spazierritt machte , worauf wir sie zum Campo Santo begleitetet und ihr Pferd mitnahmen .
Sie blieb allein unter der Obhut der Kustoden .
In zwei Stunden sollte ich ihr den Wagen schicken .
- Ich war höchst befremdet , als der Wagen leer zurück kam und der Diener meldete , der Kustode habe gesagt , die Signora sei schon vor einer Stunde fortgefahren .
Ihr Zeichnenbuch brachte er ; der Kustode hatte es im Campo Santo auf der Erde gefunden .
Ich glaubte , Bekannte hätten Faustine zu einer Spazierfahrt entführt ; doch war mir bänglich zu Mut , weil sie niemals bestimmte Stunden versäumte .
Jetzt war es halb 5 ; um 5 speisten wir , aber sie war um halb 6 noch nicht da .
Dies überschritt alle ihre Gewohnheiten !
mich befiel unsägliche Angst , Kirchberg konnte mich nicht beruhigen ; ich ließ aufs Geratewohl anspannen .
Da kam sie auf einmal , zu Fuß , im Reitanzug , leichenblaß , verstört , atemlos .
Wie zerbrochen fiel sie in meine Arme , und ächzte :
" Er ist da !
er ist da !
er stirbt und will mich nicht sehen . "
Andlau war in Pisa , todkrank an seinen alten Brustwunden .
Der milde Tag hatte ihm große Sehnsucht gegeben , das Campo Santo zu sehen , und er war in Begleitung seines Arztes hingefahren .
So wie Faustine ihn gewahrte , erkannte sie ihn , trotz der Verwüstung der Krankheit , und flog ihm mit einem Weheruf entgegen .
Andlau aber streckte die Hand abwehrend aus , und sank ohnmächtig in die Arme des Arztes .
So wurde er in den Wagen und in seine Behausung gebracht ; Faustine begleitete ihn verzweiflungsvoll .
Der Arzt beschwor sie , den Kranken zu verlassen , als er wieder zur Besinnung gekommen , da ihr Anblick ihn tödlich erschüttere .
" Er soll mich auch nicht sehen , " sagte sie und rang die Hände ; " aber lassen Sie mich nur hier im Vorzimmer , damit ich ihn sehen kann . "
So blieb sie zwei Stunden .
Andlau erholte sich momentan .
" Er fragte nicht den Arzt nach mir , und wo ich geblieben sei , " sagte Faustine traurig ; " da fiel mir ein , wie Du besorgt sein müßtest , Mario , und ich kam heim . " -
Dies erzählte sie Alles so hastig , so abgebrochen , daß wir sie kaum verstehen konnten .
Kirchberg ging sogleich zu Andlau ; er kannte ihn aus früherer Zeit .
Sie gab ihm einen Diener mit , der ihr jede Stunde Nachricht bringen sollte .
Anfangs lautete sie immer gleichförmig .
Faustine ging den ganzen Abend auf und ab im Zimmer und sagte zuweilen :
" Mario !
Mario !
Mario ! ich töte ihn ! dem Clemens habe ich Leib und Seele getötet ; ... .
Ihm , das Herz .... und jetzt auch den Leib . "
Gegen Mitternacht kam Kirchberg und fragte Faustine , ob sie noch einmal Andlau sehen wolle ?
er werde den Morgen nicht erleben .
Sie stürzte sich in den Wagen ; Kirchberg begleitete sie .
Er sagte mir hernach , sie habe sogleich neben Andlau niedergekniet , der mit geschlossenen Augen und schon über den Todeskampf hinaus auf dem Bett gelegen .
Sie sagte fast unhörbar :
" Anastas ! " -
und er , der nichts mehr beachtete , hörte auf ihre Stimme , öffnete die Augen , lächelte , versuchte die Hand ihr zu reichen , sagte " Ini ! " und verschied .
Ihr gehörte jeder Hauch seines Lebens , auch der letzte .
In der folgenden Nacht , bei Fackelschein , fuhren wir in einer Barke mit seiner Leiche den Arno hinab nach Livorno , wo sie auf dem protestantischen Gottesacker ihre Ruhestatt fand .
Faustine war dabei .
Sie schien absichtlich all diese Emotionen zu suchen , vielleicht in der Hoffnung , ihrem Schmerz dadurch einen Ausweg zu bahnen .
So macht man Wunden größer , damit die Kugel oder der Splitter herausgenommen werden können .
Aber bei ihr blieb der Splitter .
Sie verfiel in herzzerreißende Trauer .
Zuweilen sagte sie mit heißer Sehnsucht : " O , wenn Gott mir doch einen großen Gedanken in die Seele hauchen wollte , so wie sonst , daß ich ihn ausbilden , ihn auch Anderen verständlich machen , und mich daran erfreuen könnte ! aber nichts ! nichts ! meine Seele ist dürr und öde , keines Aufschwungs mächtig , ausgesperrt aus ihrem alten Himmel der Begeisterung , der Phantasie , der Kunst .
Laß mich einen neuen suchen , Mario ! den , welchen die Religion uns verheißt .
Laß mich den Rest meines Lebens einzig Gott weihen , und in ein Kloster gehen . "
" Du tötest Dich ! " sagte ich mit dumpfer Verzweiflung .
" Nein , " antwortete sie , " dort werde ' ich still werden .
Mario , dies Fieber in mir , das durch nichts auf der Welt gestillt werden konnte , nicht durch die Liebe , nicht durch den Schmerz , nicht durch das Glück , nicht durch den Genuß , durch nichts , nichts , was sonst der Menschen Lust und Wonne oder ihre Vernichtung ausmacht - dies Fieber , das mich rastlos umhertreibt , obgleich ich wohl weiß , daß es nur genährt , nicht beschwichtigt wird durch die Aufregungen - o , laß mich versuchen , ob die Entsagung alles dessen , was ich bisher so glühend geliebt und gesucht , mir Befriedigung gibt .
Die Unmöglichkeit ealmirt die wildesten Wünsche .
An Klostermauern scheitert der äußere Reiz .
Anfangs werde ich selig darüber sein ; dann wird eine Epoche der Verzweiflung kommen , wo meine unbändige Natur sich gegen den Zwang auflehnt ; endlich aber legen sich Kämpfe und Stürme , der Friede kommt , die Ruhe in Gott - "
" Die Ruhe im Grabe ! " rief ich .
" Mein geliebter Mario , " flehte sie , " gönne mir ein wenig , nur ein ganz wenig Ruhe diesseits des Grabes ! wenn Du wüßtest , Herz , wie müde ich bin - nicht des Lebens , nicht der Liebe - aber vom Leben und Lieben , so würdest Du mich selbst auf anderen Weg führen . "
" Du schlägst einen falschen ein , " sagte ich ; " denn Du willst all Deinen Pflichten treulos werden .
Hast Du nicht vor Gott gelobt , in Not und Tod bei mir auszuharren ? hast Du nicht die Kindheit Deines Sohnes zu bewachen und seine Jugend zu leiten ? hast Du nicht den Genius zu pflegen ? diese Gabe , himmlisch wie keine , - weil sie für Andere eine Stimme des Trostes , der Wahrheit , der Kraft wird . "
" Ach , " unterbrach sie mich , " Du glaubst noch an meinen Genius , mein armer Mario ! und ich erreiche , was ich auch schaffen möge , nie das , was ich gewollt .
Am letzten Schöpfungstage sah Gott , " daß es gut war " ; die Menschen sprechen : der Genius mache gottähnlich , denn aus dem Nichts bilde er Wunder und Welten ; so müßte ich denn doch auch sehen , " daß es gut ist " , und mich ruhen in diesem Bewußtsein . "
" Faustine ! " rief ich , " vergiß nicht , daß der Dornenkranz untrennbar vom Strahlenkranz ist ; die tiefsten Schmerzen haben den höchsten Genius geboren ! wer auferstehen will , muß sich ans Kreuz schlagen lassen !
wer gen Himmel fahren will , muß die Höllenfahrt nicht scheuen .
Mit welchem Recht willst Du bequem nur die Glanzseiten genießen ? "
Diese und ähnliche Vorstellungen hatten den Erfolg , daß sie sich mit gewaltiger Kraft emporriß , und in einem Moment der sublimsten Inspiration den " Moses " schrieb , dies Gedicht , welches die brennende Farbenpracht und die mystische Tiefe des Orients gleichsam abkühlt und aufklärt in den Kristallfluten ihrer Andacht , Sehnsucht und Begeisterung .
Über die Erhabenheit der Gedanken , über die Weltumfassung der Anschauungen , über den lyrischen Schwung der Darstellung - breitet die Melancholie ihrer Seele einen duftigen , bläulich dämmernden Hauch , wie er in Kirchen schwebt , halb Weihraucharom , halb gedämpftes Sonnenlicht .
O sie hat mit einem glorreichen Schwanengesang von der Welt Abschied genommen !
So lange sie daran arbeitete , und bis sie das Manuskript zum Druck nach Deutschland schickte , war sie fast so lebendig , so angeregt , so frisch wie in ihrer besten Zeit .
Nachdem es fort war , sank sie zusammen : der Erfolg war ihr gleichgültig .
" Ich habe mich erschöpft , " sprach sie ; " Höheres kann ich nicht - Geringeres mag ich nicht leisten .
Ich habe das Meine getan !
nun ist_es genug für die Welt !
nun muß ich gehen , mein geliebter Mario , und wie die alten Anachoreten einzig mit Gott verkehren .
Ich scheide nicht gleich einer büßenden Magdalene , ich glaube nicht , im Staub und in der Asche mit blutigen Kasteiungen das gutmachen zu müssen , was ich gefehlt habe .
Ich will nur Auge und Seele unmittelbar in Anschauung Gottes versenken , statt , wie bisher , in seinen Werken und Geschöpfen ihn zu lieben und zu verherrlichen , und statt mich durch das Sichtbare an das Unsichtbare - durch das Vergängliche an das Ewige erinnern zu lassen . "
Ich erinnerte sie an Bonaventura und an das Glück , worauf sie verzichte durch die Trennung von ihm .
Mit einer Glut und Innigkeit , die mich vor dem Gedanken zittern machten , daß all diese Flammen unter dem Schleier lodern sollten , verlodern - oder verzehrend sich nach innen wenden ; rief sie :
" Die Trennung von Dir überwiegt jede andere ! Dich nicht zu sehen , nicht mit Dir die Gedanken auszutauschen , nicht vor Dir die Seele hinzubreiten , nicht für Dich Sonnen , Sterne und Flammen funkeln zu lassen , nicht in dem Liebesglanz Deiner Augen das Herz zu baden - Mario !
Mario ! das ist ein wahnsinniger Schmerz , den ich nicht überwinden könnte , wenn ich nicht glaubte , ein Opfer bringen zu müssen . "
" Aber Du opferst mich ! " rief ich .
" Nicht Dich , nicht mich !
.... sondern uns , " sagte sie .
Sie hielt nach ihrer anmutigen Art meinen Kopf zwischen ihren Händen , und sah mich an mit ihrem seltsam zauberhaften Blick , dem kein Mann widerstehen konnte .
Er glitt in die Seele wie ein langsamer Blitz , so intensiv zerschmelzend und versengend .
Ich hatte ihr oft gesagt , sie brauche nicht für einen dereinstigen Platz im Himmel zu sorgen , sondern nur den heiligen Petrus mit diesem Blick anzuschauen , er werde ihr alsbald die Pforte öffnen .
Mich überfiel die unermeßliche Größe des drohenden Verlustes , und ich sprach mit harter Bitterkeit :
" Und was willst Du denn eigentlich werden ?
Soeur grise etwa ? und Deine Nerven beben beim Anblick einer Verstümmelung , und die Luft eines Krankenzimmers macht Dich ohnmächtig !
- Oder Ursulinerin , die kleinen Kindern das Buchstabieren und das Einmaleins beibringt ?
.... und Du wirst ungeduldig , wenn Deine raschen Worte und Gedanken nicht schnell genug Verständnis und Antwort finden ! "
Sanft und demütig antwortete sie :
" Nein , Herz , die irdische Geschäftigkeit war nie mein Gebiet .
Du hast ganz Recht : darin bin ich ungeschickt .
Ich bedarf eines ganz abgeschiedenen und beschaulichen Lebens , heilige Bücher lesen , Psalmen dichten , die Orgel spielen , viel , viel beten !
ich finde , was ich brauche .... bei den Vive sepolte . " - Die Vive sepolte ! schon der Name macht schaudern ! -
Ich besuchte den Pater Gerolamo , und tat ihm einen Eid , daß er die Beichte nicht verletze , indem er mit mir von Faustinens innerstem Seelenzustande spreche .
Ich sagte ihm genau Alles , wie sie sich über ihr Vorhaben gegen mich äußerte , und er versicherte , daß sie gerade so auch zu ihm rede , und sich durch die Einwürfe nicht stören lasse , welche er ihr anfangs gemacht .
" Es ist eine Vokation , Signor , " sprach er gelassen und überzeugt .
Faustine war in ihrem Entschluß so fest und sicher , daß ihre Ruhe zuweilen auf mich überging , und mich ihr Glück , wie sie es nun einmal begriff , hoffen ließ , ganz fern , ganz leise .
Daß das meine in Trümmer ging , bekümmerte mich am wenigsten , und ich zürnte ihr nicht , weil sie nicht darauf Rücksicht nahm .
Ich sagte mir , ich hätte auf wundersame Schicksale gefaßt sein müssen von dem Augenblicke an , wo ich Faustine in mein Leben verwebt ; denn unbeseligt und unverwundet bleibe Keiner in dem Verkehr mit solchem Wesen ; - Gott habe für außerordentliche Geschöpfe außerordentliche Prüfungen und Entwicklungen aufgespart , und Faustine , die sich nie in vaporöser Religionsschwärmerei verloren , möge wirklich im Gefühl der Unzulänglichkeit menschlichen Glückes , prophetisch eine bessere Zukunft für sich wahrnehmen .
In Augenblicken der Exaltation wiederholte ich mir , ein Herz wie das ihre könne an keinem Menschenherzen Genüge haben , und nur von Gott , dem Herzen des Alls , verstanden , gewürdigt , erfüllt werden .
O ich sann mir erhabene Tröstungen auf und - gab meine Einwilligung .
Der Papst lös' te unsere Ehe , und erteilte Faustine die Dispensation , ohne Noviziat den Schleier bei den Vive sepolte in Rom nehmen zu dürfen .
Sie schritt der Erfüllung ihres Schicksals entgegen , zuversichtlich , hoffnungsreich .
Sie ging , wie Moses , einsam auf die Höhe des Nebo , um hinüber zu sehen in das ersehnte Kanaan .
Kein Wort , keine Silbe von den Verzweiflungen des Abschieds und der letzten Trennung !
Es gibt Geister , die dem Magus überlegen sind und ihn töten , wenn er sie hervorruft ! - -
Ich war Zeuge ihrer Einkleidung .
Bis zum letzten Moment wollte ich sie sehen ! kein profanes Auge sollte länger als das meine auf ihr ruhen ! -
die schönen Locken fielen - der Schleier sank über die holde Gestalt , das begeisterte Antlitz , die glühende Brust - die Sonne meines Lebens versank in Wolken ! - - - Und wenn nur ihr eine neue Aurora gedämmert hätte ! aber nein , nein , und tausendmal nein !
....
Denn sie ist tot , Gräfin , Sie wissen es ja , vor fünf Monaten ist sie gestorben , kaum anderthalb Jahr nach ihrer Einkleidung .
Der Beichtvater ihres Klosters schrieb mir , sie sei an kurzer Krankheit gottselig verschieden , und der Bischof des Klosters , ein Kardinal in Rom , den ich wohl kannte , schrieb dasselbe , und viel Lobpreisungen ihrer Demut , ihrer Milde , ihrer Frömmigkeit dazu .
Das sollte mich trösten , meinten sie ; mich trösten dafür , daß sie - o nicht an jener kurzen Krankheit , - sondern am langen Gram , an der bitteren Enttäuschung , vielleicht an der zernagenden Reue gestorben ist .
Denn die Überzeugung ist unerschütterlich in mir : zum dritten Stadium des Klosterlebens , das sie einst mir beschrieb , ist sie nicht gelangt ; das zweite hat sie aufgerieben .
Sie hat sich die Flügel im Käfig wund geschlagen , und ist daran verblutet .
Sie hat zu spät eingesehen , daß unser Leben , wie das des Moses , nichts ist , als der Hinblick nach dem verheißenen Kanaan ; sie hat ihre gloriose Natur in dumpfer Trostlosigkeit zu Ende gehen lassen , und ihren Irrtum mit dem Tode gebüßt ! -
Ruhe Dir , Du ruheloses Herz !
Von mir habe ich nichts zu sagen .
Sie werden fühlen , daß seit meiner Trennung von ihr die Sonne mir kälter ist , die Nacht länger , mein Auge trüber , meine Bewegung schwerer , mein Gedanke langsamer ; daß mir die jubelnde Freude am Leben , an der Natur , an der Kunst erstorben ist , weil sie es nicht mehr durchgeistet ; daß mir zu Mut ist , als könne mein Herz seine bei ihr gelernten Pendelschwingungen nicht ausschwingen .
Jetzt ruft mich der kürzlich erfolgte Tod meines herrlichen Vaters nach Deutschland .
Ja , tot ist der Mann , den ich am meisten verehrt habe , tot das Weib , das ich einzig geliebt habe ! aber der Gegenstand meiner süßesten Hoffnungen lebt , blickt mit Faustinens Auge , spricht mit ihrer Stimme , liebt mit ihrer Glut , ist ihr Vermächtnis .... und mein einziges Kind . "
Mario schwieg , und faltete die Hände um Bonaventuras Haupt , der längst auf seinem Schoß eingeschlafen war .
Zwei Tränen rollten langsam über sein stolzes , undurchdringliches Antlitz , das jetzt , im Mondlicht , noch bleicher als gewöhnlich war .
Ich liebe Männer , denen nicht der Gram , nicht der Schmerz , sondern Freude und Rührung eine Träne erpreßt .
Wir schüttelten die Hände .
Dann stand Mario auf , nahm Bonaventura auf den Arm und ging ans Ufer zu einer der Gondeln , die dort immer stationieren .
Leises Plätschern im Wasser verkündete , daß er fortfuhr .
Ich habe ihn nicht wiedergesehen , denn in derselben Nacht verließen wir Venedig - aber gehört , daß ihm im Herbst sein Posten in Neapel angewiesen worden sei .
Damals sagte ich zu meinem Gefährten : " Frauen wie Faustine sind der Racheengel unseres Geschlechtes , welche die Vorsehung zuweilen , aber selten auf die Erde schickt , und denen die Allerbesten unter Euch verfallen ; denn nur die Allerbesten unter Euch sind zu dem bereit , wozu die meisten Frauen bereit sind : ein Herz für ein Herz , ein Leben für ein Leben , eine ganze Existenz für eine ganze Existenz zu geben , und sie wähnen , diesen Tausche bei solchen Frauen zu finden , deren glutvolle Unersättlichkeit eine Bürgschaft unerschöpflichen Gefühls zu geben scheint .
Ein so strahlendes Wesen , meinen sie , müsse ein verklärtes sein ; aber mit nichten ! eine solche feingeistige Vampirnatur verbrennt und verbraucht - zuerst den Anderen , dann sich selbst .
Die mittelmäßigen Männer hüten sich vor ihnen ; sie , die ewig Bedürftigen , wollen immer haben ; die Besseren unter Euch wollen auch geben .
Nehmt Euch vor den Faustine in Acht !
Es ist nicht mit ihnen auf gleichem Fuß zu leben !
Es ist immer die Geschichte vom Gott und der Semele - Nein ! nicht vom Gott - vom Dämon .

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TextGrid Repository (2025). Hahn-Hahn, Ida von. Gräfin Faustine. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0mf.0