Die Erlöserin .
Dritter Band .
Erstes Kapitel .
Der Brief Gabrielens , in welchem sie ihrem alten Bekannten , dem Theater-Direktor Holm , die Anzeige machte , daß das schöne junge Mädchen , welches er vor einem Jahre an jenem Wintermorgen bei ihr angetroffen habe , Schauspielerin zu werden beabsichtige , kam demselben recht gelegen .
Er erinnerte sich des Vorganges und des Mädchens sehr genau , und er lächelte über die flüchtige Auskunft , welche die gefeierte Künstlerin neben den dringenden Empfehlungen , ihm über die Herkunft ihres Schützlings zu geben für genügend gefunden hatte .
Er war erster Heldenspieler gewesen , bevor er die Direktion des Theaters übernommen , und hatte auf der Bühne und bei den Frauen Erfolge gehabt , deren er nicht vergessen hatte .
Er kannte auf seine Weise , wie die Welt und die Menschen , so die Frauen im Besonderen ; und er war der Ansicht , daß es unter Verhältnissen geraten und geboten sei , zwischen den Zeilen dasjenige zu lesen und schweigend zu verstehen , was schriftlich auszusprechen man für nicht angemessen erachtet hatte .
Er kannte daneben auch sein Publikum und wußte , wie er dasselbe zu nehmen habe .
Er zögerte also nicht , Gabriele der Bereitwilligkeit zu versichern , mit welcher er ihr zu dienen geneigt sei .
Die Teilnahme an dem Theater war in der alten großen See- und Handelsstadt in jenen stillen Friedenszeiten eine ganz allgemeine .
Die Holm'sche Direktion stand in gutem Ansehen .
Der Direktor galt dafür , manchem Talent zu schöner Entfaltung verholfen zu haben , und die geselligen Verhältnisse der Stadt waren den Künstlern günstig .
Der Adel der Provinz und des angrenzenden Landes , welcher während des Winters von seinen Gütern in die Stadt kam , hatte ebenso wie die reichen Kaufherren und diplomatischen Konsuln und Agenten seine festen Logen im Theater .
Die Offiziere der Garnison , die jungen Beamten der verschiedenen Kollegien und Behörden bildeten ein sehr belebtes und dankbares Publikum .
Es nahm schnell und lebhaft Partei für den und jenen Künstler , aber es war eben deshalb auch nicht leicht zufriedenzustellen , wenn es darauf ankam , für einen ihm wert gewordenen Schauspieler , den es entbehren sollte , den passenden Ersatz zu finden ; und einen solchen schaffen zu müssen , war der Direktor gerade in dem Falle .
Die erste Liebhaberin für das ernste Fach wollte in einigen Monaten für immer von der Bühne scheiden .
Sie war durch mehrere Jahre der unbedingte Liebling des Publikums gewesen , hatte aber schon seit längerer Zeit ein Liebesverhältnis mit einem reichen Kaufmannssohn gehabt , der sie jetzt , nach dem Tode seiner Eltern , heimzuführen beabsichtigte .
Ihr Kontrakt ging bald nach dem neuen Jahr zu Ende , gerade in dem Zeitpunkte , in welchem die länger werdenden Tage und das bessere Wetter die regelmäßigen Besucher des Theaters von demselben fortzulocken beginnen .
Der Direktor hatte deshalb schon seit Monaten darauf gedacht , wie er durch Gastspiele und neue Darbietungen den eigentlichen Stamm der Theaterfreunde auch über diesen Zeitpunkt hinaus in dem Interesse für das Theater festhalten könnte .
Eine junge Anfängerin vorzuführen , welche Gabriele ihm als sehr talentvoll schilderte , die von ihr empfohlen , die nebenher ihr ähnlich und sehr schön war -- etwas Anziehenderes konnte er sich gar nicht wünschen .
Er entschloß sich also , gegen seine sonstige Geschäftspraxis , das Anerbieten , welches man ihm machte , ohne Vorbehaltung anzunehmen .
Er schrieb noch in derselben Stunde , in welcher er Gabrielens Brief empfangen hatte , um Hulda zu benachrichtigen , daß sie sich auf die Reise machen möge , da er in Folge der Fürsprache ihrer Beschützerin , nicht abgeneigt sei , sich ihrer Ausbildung zu unterziehen , falls ihr Talent sich ausreichend erweisen und ihr Fleiß seine Bemühungen zu lohnen versprechen sollte .
Er gab ihr dabei an , wie sie ihre Reise einzurichten habe , meldete , daß er zu ihrer Ankunft eine Wohnung für sie vorbereiten wolle und sagte ihr Alles , was sie sonst noch wissen mußte .
Wie er dann aber ihren Namen auf die Adresse schreiben wollte , welche Gabriele ihm angegeben hatte , fiel ihm der prosaische Klang desselben auf , und er bedeutete ihr noch sofort , daß sie ihren bisherigen Namen auf der Bühne abzulegen , und einen wohllautenderen dafür zu führen haben werde .
Bei der Probe am Vormittag zeigte er sich sehr wohl aufgelegt .
Er sprach mit dem Regisseur von dem bevorstehenden Eintreffen einer sehr viel versprechenden Aspirantin , von deren Erwerbung er bisher geflissentlich geschwiegen habe , obschon seit Jahr und Tag sein Augenmerk auf sie gerichtet gewesen sei .
Er scherzte mit der ersten Liebhaberin , in welcher er jetzt bereits die künftige Frau des reichen Kaufherrn zu verehren anfing , darüber , daß sie nur noch die Zeit nützen solle , sich in dem Gedächtnisse ihrer Bewunderer festzusetzen , denn er habe eine Nachfolgerin für sie in Aussicht , die zunächst durch ihre jugendliche Schönheit dem Andenken an sie gefährlich werden könne .
Er ließ sich aber nicht bewegen , weder dem Regisseur noch Feodoren den Namen der Erwarteten , oder irgend etwas Näheres über ihre Verhältnisse mitzuteilen ; und eben weil er die Angelegenheit mit kluger Berechnung als ein Geheimnis behandelte , sprach man davon am Abende in den Garderoben wie in den Kulissen , und gleich an dem nächsten Tage war unter den täglichen Besuchern des Theaters schon davon die Rede , daß der Direktor irgend etwas mit der Einführung einer neuen jungen Schauspielerin im Sinne habe , das er sonderbarerweise geheimnisvoll behandle .
Als der Direktor in das Kaffeehaus an der Promenade kam , in welchem man die Zeitungen zu lesen pflegte , fand er zwei der eifrigsten Verehrer Feodoren's an einem der Tische sitzend .
Der Eine war ein reicher Land-Edelmann , der den Winter immer in der Stadt zubrachte , der Andere einer der beliebtesten Ärzte der Stadt , der in seiner Jugend Theater-Arzt gewesen und auch später mit dem Theater , für das er eine große Vorliebe besaß , noch immer im Zusammenhäng geblieben war .
Sie waren Beide unverheiratete Lebemänner , Beide noch in dem Alter , das sie bei den Frauen wohlgelitten machte , und da sie neben ihren Fachkenntnissen ästhetische Bildung und künstlerischen Geschmack besaßen , zählten sie in Allem , was sich auf die Künste , besonders aber in demjenigen , was sich auf das Theaters bezog , zu den Autoritäten , auf die man sich berief .
Ihr Schweigen oder ihr Beifallspenden war von Einfluß auf das Schicksal eines Stückes , wie auf den Erfolg eines neuen oder eines gastierenden fremden Schauspielers .
Auch hatte man kaum die ersten Grüße und Worte mit einander gewechselt , als Herr von Hochbrecht die Frage aufwarf , was es denn mit dem Gerüchte auf sich habe , von dem ihm Feodore heute gesprochen , als er ihr nach der Probe aufgewartet habe .
" Wollen Sie damit den Eifer der Eifrigen anspornen , so haben Sie das nicht nötig , " sagte er , " denn Feodoren es Ehrgeiz war nie reger , als eben jetzt , weil es sie danach verlangt , als der fortdauernd gefeierte Günstling des Publikums von der Bühne zu scheiden . "
" Wäre es auch nur , " setzte der Doktor mit seinem sarkastischen Lächeln hinzu , " um ihren Gatten lebenslang daran erinnern zu können , welchen Triumphen sie um seinetwillen entsagt , und welche Huldigungen er ihr dafür als Ersatz zu gewähren habe . "
Der Direktor aber versicherte , daß hier weder von einer Kriegslist noch sonstigem heimlichem Antreiben die Rede sei .
Er habe natürlich seit lange auf eine künftige Stellvertreterin für Feodore denken müssen , und da die unselige deklamatorische Schule , welche die Bühnen mehr und mehr zu beherrschen anfange , kaum ein Subjekt finden lasse , das Feodoren in ihrer natürlichen Grazie zu vergleichen sei , in welcher doch gerade der Reiz bestanden habe , den sie namentlich in ihrer ersten Zeit für den gebildeten Theaterfreund gehabt , so habe er sich unter der Hand fortdauernd nach einer jungen Person umgetan , die er sich heranbilden und allmählich in die Rollen einführen könne , welche durch Feodoren's Abgang neu zu besetzen sein würden .
" Und dieses Mädchen glauben Sie nun aufgefunden zu haben ? " fragte Hochbrecht .
" Ich kann kaum sagen , daß ich es gefunden habe , " entgegnete der Direktor .
" Es ist mir ohne alle mein Bemühen zugekommen wie ein Vogel , der uns in das Fenster fliegt . "
Als darauf die beiden Anderen wissen wollten , was damit gemeint sei , erzählte er ihnen , wie er die junge Person vor einem Jahre bei Gabriele angetroffen habe , und daß schon damals für sie die Rede von einer theatralischen Laufbahn gewesen sei .
Man fragte , wo sie her stamme .
Der Direktor sagte , sie sei in einem Pfarrhause auf dem Lande herangewachsen und erzogen .
" Und ist es ein hübsches Mädchen ? " erkundigte sich Hochbrecht .
" Eine Schönheit ! " versicherte der Direktor , während er , um seiner Versicherung Ausdruck zu geben , seine Finger küßte und in die Luft warf .
" Eine Schönheit ersten Ranges , für die Bühne wie geschaffen .
Groß , stolzer Nacken , schöne Büste , hellblond , mächtige Augen -- die ganze Mutter . "
" Sie kannten die Eltern also ? " fragte Hochbrecht .
" Nein !
Das Mädchen ist verwaist . "
" Aber Sie erwähnten doch eben erst der auffallenden Ähnlichkeit zwischen der Tochter und der Mutter ! " erinnerte der Doktor .
" Bewahre ! " rief der Direktor .
" Ich habe die Eltern nie gesehen ! "
Und da nun die Freunde , deren Neugierde rege geworden war , in ihn zu dringen anfingen , versicherte er mit dem Tone eines Mannes , der sich über eine von ihm begangene Ungeschicklichkeit ärgert , er begreife nicht , wie er zu dem Worte gekommen sei , es müsse ihm wie eine landläufige Redensart über die Lippen geschlüpft sein .
Er habe gar keine Kenntnis von des Mädchens Herkommen , als diejenige , welche er von Gabriele erhalten habe , die dessen Beschützerin mache .
" Wem aber sieht sie denn ähnlich ? " erkundigte sich Hochbrecht , der nicht leicht von einer Sache abzubringen war , die er sich in den Sinn gesetzt hatte .
" Gabriele ! " sagte der Direktor , als habe er das vorher schon gesagt .
Die Freunde lächelten verständnisvoll .
Der Direktor indessen meinte , dabei sei wirklich Nichts zum Lachen .
Er könne auf seine Ehre beteuern , daß jene Redewendung gar Nichts habe sagen sollen oder können .
Er wisse nicht einmal , wie Gabriele selber mit dem Mädchen bekannt geworden sei .
Indes die Ähnlichkeit desselben mit seiner Beschützerin sei wirklich überraschend .
Er vermute also , Gabriele sei eben durch diese von ihr bemerkte Ähnlichkeit auf Hulda aufmerksam geworden , denn sie selber sei es gewesen , die ihn auf dieses eigentümliche Spiel des Zufalles hingewiesen habe .
" Klug und Voraussichtige von beiden Seiten ! " scherzte der Doktor mit jener leichten Überlegenheit , welche er die Anderen immer fühlen zu lassen wußte , ohne sie so stark zu betonen , daß sie ihnen lästig werden konnte .
Und dem Direktor auf die Schulter klopfend , fügte er hinzu : " So schlingt ein Mann , der in der Schule der Frauen das Schweigen lernte , wenn es sein muß , das eigene Wort hinunter , um seine Indiskretion zu verbergen .
Also seien Sie ganz unbesorgt .
Sie haben Nichts gesagt , wir haben Nichts gehört , und Ihre junge Schönheit debütiert für uns wie für das Publikum als die schöne Unschuld aus dem Pfarrhause . "
Man gefiel sich in dem scherzenden Gespräche und kam dabei auf die Art und Weise zu reden , in welcher früher die Heranbildung für die Bühne erfolgt sei .
Man verglich sie mit dem üblich gewordenen Einstudieren einzelner Paraderollen , und erst als man sich trennte , fragte Hochbrecht um den Namen der Erwarteten .
Das mahnte den Direktor an den Namenswechsel , zu dem er Hulda veranlassen wollte , und ohne sich zu fragen , ob sie mit dem Verfahren einverstanden , ob sie geneigt sein werde , ihren ehrlichen Vaternamen abzulegen , nannte er mit der dreisten Entschlossenheit , die ihn in seinem Leben schon über manche Bedenklichkeit mit Erfolg hinweggehoben hatte , den Namen einer alten Schauspieler-Familie , die , weit verzweigt , seit nahezu einem Jahrhunderte ihre Angehörigen auf vielen Theatern hatte , und mit der von Seiten ihrer Mutter auch Gabriele zusammenhing .
Der Name hatte für diesen Fall den Vorzug , kein ungewöhnlicher zu sein , so daß man auch zufällig darauf verfallen konnte , ihn anzunehmen , wenn man sich zu verbergen wünschte .
Er klang in der Zusammensetzung mit " Hulda " dem Ohr angenehm , erweckte , wenn eine Schauspielerin ihn führte , ein günstiges Vorurteil , und der Direktor meinte Hulda leichtlich davon überzeugen zu können , daß sie ihrer Beschützerin ein Zeichen ihrer Dankbarkeit gebe , wenn sie sich unter die Ägide ihres mütterlichen Familiennamens stelle .
Welche Schlüsse die Welt bei Hulda's Ähnlichkeit mit Gabriele etwa daraus ziehen könne , daß das Mädchen eben diesen Namen führte , das kam dabei für den Direktor gar nicht in Betracht .
Mochte man sich die Sache zurechtlegen wie man eben wollte .
Der Reiz eines vermuteten Geheimnisses konnte der Debütantin nach des Direktors Menschenkenntnis nur zugute kommen .
Er empfahl natürlich den Theaterfreunden , über die Sache vorläufig noch zu schweigen , da man erst sehen müsse , was sich aus dem Mädchen machen lasse .
Sie nannten das Beide selbstverständlich .
Aber das Theater war in jenen Tagen politischer Windstille in Deutschland die große Angelegenheit der gebildeten Gesellschaft , und noch ehe zwei Tage hingegangen waren , sprach man in allen Zirkeln der Stadt von der Ankunft einer schönen , jungen Debütantin , und knüpfte an sie und ihre Herkunft Vermutungen , die schnell in Gerüchte umgewandelt , und bald als Tatsachen erzählt und angenommen wurden .
Zweites Kapitel .
Hulda hatte bei der Ausführung ihres Planes weniger Schwierigkeiten gefunden , als sie erwartet hatte .
Sie war in der Familie des Kastellans freundlich aufgenommen worden , hatte ihr vertraut , daß sie genötigt und gewillt sei , fortan selber für ihren Lebensunterhalt zu sorgen ; und wie man dabei die Vorzüge und Nachteile erwogen hatte , welche mit der Stellung einer Erzieherin verbunden zu sein pflegen , hatte Hulda gestanden , daß ihr , seit sie Gabriele spielen gesehen habe , wohl bisweilen der Gedanke gekommen sei , auf die Bühne zu gehen , indes eine solche Absicht vor ihrem Vormunde auszusprechen , habe sie nie gewagt .
Ihre Gastfreunde fanden diesen Einfall aber keineswegs ungehörig oder überraschend .
Sie hatten Verwandte , die Schauspieler waren , und eben erst unter günstigen Bedingungen bei dem Theater in ihrer Vaterstadt eine Anstellung gefunden hatten .
Mit diesen war Hulda bald bekannt geworden , ihnen hatte sie sich anvertraut , und der Rat und Beistand dieser Beiden hatte ihr dazu geholfen , ihrem Vormunde und der Familie des Kastellans den Glauben beizubringen , daß sie an dem Orte , nach welchem sie sich begeben wollte , eine Stelle als Erzieherin gefunden habe .
Es war ein Spätabend , als sie in der alten Handelsstadt , die für das Erste ihre Heimat werden sollte , auf der Post von der Matrone in Empfang genommen wurde , bei welcher sie nach der von dem Direktor getroffenen Veranstaltung ihre Kost und ihre Wohnung finden sollte .
Frau Rosen war die Witwe eines Beamten , die sich nach ihres Mannes frühem Tode in der Notwendigkeit befunden hatte , sich mit ihren Kindern , wie sie konnte , durchzuhelfen ; und da ihr ganzes Erbe in einem kleinen Häuschen bestanden , welches ihr Mann einige Jahre vor seinem Tode erworben , hatte sie sich und die Ihren in die Dachstübchen desselben untergebracht , um die übrigen Räume mietweise an Fremde überlassen zu können .
Die Nähe des Theaters war ihr dabei zu statten gekommen .
Einer oder der andere fremde Bühnenkünstler , der sich zu längerem Gastspiel an dem Orte aufgehalten , hatte sich in ihrem Hause einquartiert , verschiedene junge Schauspielerinnen lange bei ihr gewohnt .
Jeder hatte sie dienstfertig und umsichtig gefunden , Jeder sie dafür gerühmt , bis endlich ihr Haus zu einem beliebten Absteigequartier für Schauspieler geworden war , als welches es sich eines guten und ausgebreiteten Rufes erfreute .
Als Hulda ihr von dem Direktor zugewiesen wurde , hatte Frau Rosen ihre eigenen Kinder bereits versorgt .
Nur die jüngste Tochter war noch bei ihr zurückgeblieben , und da sie geschickte Hände hatte und Kleider und Putzsachen mit besonderem Geschmacke zu fertigen verstand , war diese Geschicklichkeit zu einer neuen und vorteilhaften Erwerbsquelle für die Frauen geworden , so daß von Not und Sorgen für sie nicht mehr die Rede , und der Aufenthalt in ihrem Hause für die Gäste nur um so angenehmer geworden war .
Da Hulda genötigt war , sich in ihren Ausgaben auf das Unerläßliche zu beschränken , hatte man ihr ein kleines Stübchen zurechtgemacht ; aber es war behaglich und freundlich eingerichtet , wohl durchwärmt , die beiden Erkerfenster sahen in die jetzt nackten Wipfel der Bäume hinein , welche die Alleen der Promenade bildeten .
Sie gönnten dadurch der an Licht und Luft Gewöhnten , den Blick auf einen weiten Horizont , und die gutwillige , ihnen durch Gewohnheit zur Natur gewordene Freundlichkeit , mit welcher Mutter und Tochter dem fremden Ankömmlinge begegneten , machten Hulda einen Mut , dessen sie recht sehr bedurfte .
Alles , was ihr schwer , was ihr bedenklich dünkte , wovor sie sich scheute , das war den beiden Frauen altvertraut , schien ihnen einfach und das Natürliche zu sein .
Sie kannten den Direktor , den Regisseur , sie kannten das ganze Personal des Theaters und alle Beamten desselben , bis hinab zu dem Schneider und dem Friseur und deren Gehilfen .
Sie zählten mit sichtlicher Genugtuung alle die Berühmtheiten auf , welche zu beherbergen sie die Ehre gehabt hatten .
Die gefeierte Feodora , welche die Bühne nun bald verlassen sollte , fehlte unter ihnen nicht ; ja Feodora hatte in diesem Hause sogar einmal den Besuch der unvergleichlichen Gabriele empfangen , von deren Schönheit und von deren majestätischer Haltung Frau Rosen mit wahrhafter Begeisterung sprach .
Kaum aber hatte die Mutter Gabrielens Erwähnung getan , so wurde ihre Tochter , die bleiche , kränkliche Beate , die immer Putz und Schmuck für Andere verfertigte und sich selbst so unscheinbar als nur möglich trug , auf Hulda's Ähnlichkeit mit Gabriele achtsam , und die beiden Frauen versicherten lebhaft , schon dieser Umstand sei für dieselbe ein ungemeines Glück und werde ihr bei dem Publikum mehr nützen , als sie jetzt noch irgend zu ermessen fähig sei .
Hulda hatte es gar nicht besser treffen können , als es ihr hier geboten wurde .
Weder ihre Schüchternheit noch ihre geringe Ausstattung , deren sie selber sich fast schämte , überraschten ihre Wirtinnen .
Sie hatten schon mehr als einmal Anfänger in ihrem Hause aufgenommen , die dürftig und ungekannt unter ihrem Dache gelebt , und deren Name nachher im weitesten Kreise gefeiert , deren Talent eine Quelle der Ehren und des Reichtums für dieselben geworden war .
Beate ging ihr gefällig und geschickt zur Hand , als Hulda sich in ihrer kleinen Stube einzurichten anfing , und als sie sie danach verließ , blieb Hulda endlich mit einem Gefühl beginnenden Wohlbehagens in dem engen Raum zurück , das zu empfinden sie bei ihrer Ankunft weit entfernt gewesen war .
Es gefiel ihr in dem Stübchen , es tat ihr wohl , daß sie sich vor Mamsell Ulrikens hassendem Übelwollen nun geborgen wußte , daß sie dem jungen Pfarrer nicht mehr zu begegnen brauchte , dessen Liebe und Bewerbung sie geängstigt hatten , daß sie sich nicht mehr gegen das Übelwollen fremder Leute zu verwahren hatte , welches nicht verdient zu haben sie sich bewußt war .
Sie wollte und mußte jetzt vergessen , was unwiederbringlich für sie verloren war , und es war ihr eine Erleichterung , zu denken , daß jetzt Niemand von ihr wisse , daß sie selbst für Emanuel verschwunden sei , der sie verlassen und ihr die Treue gebrochen hatte .
Ihre Vergangenheit mußte nun für sie vergangen sein , es konnte sie hier kaum Etwas an dieselbe mahnen .
Nur die Sterne des Himmels , die ihr geleuchtet hatten am fernen Meeresstrande und denen sie zuerst ihr Lieben und ihr Leiden anvertraut , die waren als treue Gefährten mit ihr gegangen und leuchteten ihr auch hier , und sprachen ihr von der Kindheit und der Heimat , von Mutter und von Vater ; und sie gelobte sich und ihnen , sich selber treu zu bleiben und festzuhalten an dem Glauben und der Sitte , in denen die geliebten Eltern sie erzogen hatten .
Aber wie der Schlaf sich dann auf ihre müden Augen niedersenkte , tauchten andere Bilder vor ihr auf .
Sie stand wieder in dem großen Saale des gräflichen Schlosses wie an jenem Morgen , an welchem sie Emanuel's Bild zuerst gesehen hatte , und das goldene Sonnenlicht schien wieder so hell und blendend von der Seeseite in den Saal hinein , daß der blanke Fußboden davon in Flammen leuchtete , und sie es kaum gewahrte , wie aus seiner Mitte der König der kleinen Leute , mit der goldenen Krone auf dem Haupte , emporgestiegen war , gefolgt von seinem ganzen Troß .
In kostbaren Schreinen und Gefäßen trugen die Kleinen die Fülle von Herrlichkeiten heran : farbenprangende Gewänder aller Art , strahlende Diademe und grüne Lorbeerkränze .
Und der kleine König ließ sich die Herrlichkeiten reichen und bot sie Hulda dar ; und wenn sie emporgehoben wurden aus den kleinen Truhen , wuchsen sie und wurden stattlich , daß Hulda sah , sie waren ihr bestimmt und konnten ihr passen und wohl anstehen .
Und sie freute sich all des Schönen und all des Besitzes , und streckte die Hand aus nach des Diademes funkelnder Pracht .
Aber wie sie es ergriffen hatte und vor den Spiegel trat , der goldumrahmt zwischen den Fenstern hing , sah sie in demselben , hoch über ihrem Haupte , den schönen Kopf Emanuel's , und seine Augen blickten sie an , so traurig und so vorwurfsvoll , daß sie erschrocken die Hände sinken und das Diadem zu Boden fallen ließ .
Das gab einen lauten , schweren Schlag , und so festgeschmiedet und gefugt der Schmuck erschien , sprang er in tausend Stücke .
Die flogen wie schwirrende Sternschnuppen hierhin , dorthin , daß sie ihnen mit dem Auge kaum zu folgen vermochte .
Wie darauf der letzte dieser Lichtstrahlen in der Luft erlosch und Hulda sich in dem Zimmer umsah , war Alles , Alles fort : der König und die kleinen Leute , und die Kleider und die Geschmeide , die sie vor ihr ausgebreitet hatten .
Sie war wieder in dem großen Saale ganz allein .
Nur einen Ring mit blauem Steine hatten die Kleinen ihr zurückgelassen .
Sie bückte sich , ihn aufzuheben , und wie sie ihn an ihren Finger stecken wollte , war es der Ring , den sie Emanuel zurückgesendet hatte , und die unvergeßlichen Worte :
" Dich und mich trennt Niemand ! " glänzte ihr von dem goldenen Reifen zauberisch hell entgegen , Sie erwachte mit einem Freudenschrei und faßte nach der Hand , aber es saß kein Ring daran , sie hatte ihn ja selbst zurückgesendet .
Sie mußte um sich blicken , sich zu besinnen , wo sie sei und ob sie wache oder träume .
Sie fuhr sich über Stirn und Augen , als wolle sie die Truggebilde , oder als könne sie damit die Erinnerungen bannen , die wider ihren Willen vor ihr aufgestiegen waren , und sie bemerkte mit Erstaunen , daß das bleiche Licht des Wintermorgens schon durch ihre Fenster fiel .
Die Hausuhr schlug die achte Stunde , Frau Rosen klopfte an die Türe .
Sie kam sich nach dem Befinden ihrer neuen Hausgenossin und nach deren nächsten Bedürfnissen zu erkundigen .
Die waren nun freilich bescheiden genug !
Und doch lag für das Mädchen , welches bis dahin immer nur Anderen gedient und Anderer Verlangen zu befriedigen gehabt hatte , ein Reiz darin , daß jetzt Jemand seinen Befehlen und Wünschen nachzukommen genötigt und gewillt war .
Denn wie nahe Abhängigkeit und Freiheit , wie dicht das Gehorchenmüssen und das Gebietankönnen auch auf einander folgen , die Kluft , welche sie trennt , ist sehr bedeutend , und man überschreitet sie nicht , ohne in sich eine Wandlung dadurch zu erfahren .
Hulda erschien sich plötzlich in einem neuen Lichte , sie dünkte sich in aller ihrer Bescheidenheit vornehmer und wichtiger als bisher , und wie die Stunde dann herankam , in welcher sie sich in die hart am Theater gelegene Wohnung des Direktors zu begeben hatte , machte sie sich voll wachsender Hoffnung auf den Weg .
Die Probe war beendigt und gut von statten gegangen .
Der Direktor war in der besten Laune .
Er trat , von dem Regisseur begleitet , eben aus der Vorhalle des Schauspielhauses auf die Straße hinaus , und da er Hulda erwartete , erkannte er sie sofort , als sie herankam , und hieß sie mit freundlicher Anrede willkommen .
" Nun , " fragte er , " habe ich nicht Recht behalten mit meiner vorjährigen Bemerkung , daß zur Bühne alle Wege führten , wie nach Rom ?
Ihnen sah ich es gleich auf den ersten Blick an , noch ehe Ihre treffliche Beschützerin mich auf Sie hingewiesen hatte , daß Sie von den Unseren wären , und daß ich Sie früher oder später auf der Bühne wiederfinden würde . "
Er stellte sie darauf dem Regisseur als die erwartete Schülerin vor ; die anderen Schauspieler , welche inzwischen ebenfalls das Theater verlassen hatten und auf die Straße gekommen waren , gingen grüßend an dem Direktor vorüber , sahen Hulda neugierig und scharf in das Auge , und am Abende wußte das ganze Personal , daß die Tochter Gabrielens angekommen sei , daß sie wirklich schön und der Mutter ähnlich sei , daß sie aber dagestanden habe , als wäre sie vom Sirius niedergefallen in die ihr fremde Welt .
Und fremd , völlig fremd war die Welt für Hulda , in die sie sich versetzt fand .
Alles war ihr fremd , Alles verwirrte sie , Alles widersprach den Anschauungen , in denen sie erzogen worden war .
Mit klopfendem Herzen , mit flammenden Wangen stand sie in dem Arbeitszimmer des Direktors , diesem und dem Regisseur gegenüber , um vor den Beiden , wie der Direktor es nannte , Auskunft darüber zu geben , was sie könne und wolle , und feststellen zu lassen , was für sie zu tun , und wie sie zunächst zu fördern und zu verwerten sein möchte .
Der Direktor hieß sie irgend ein Gedicht sprechen , das sie auswendig kannte .
Er gab ihr eine Szene zu lesen , die ihr fremd war ; der Regisseur machte ihren Gegenpart dabei , und da sie auf Befragen erklärt hatte , ein wenig musikalisch zu sein , ersuchte sie der Direktor , ihm am Klaviere ein Lied zu singen .
Er wollte wissen , ob sie sich jemals im Komödienspiel versucht habe , und obschon die Blicke der beiden Männer , die das Auge nicht von ihr wendeten , sie beunruhigten und ängstigten , gab sie sich alle Mühe , tapfer ihr Möglichstes zu tun .
Denn neben der Schüchternheit und Scham , die ihr das Herz bedrückten und die sie nur mit Aufbietung ihres festen Willens über wand , wachte in ihr ein neues Empfinden auf : eine trotzige Freude darüber , daß sie an diesem Platze stand , daß sie aus eigener Wahl und eigener Machtvollkommenheit tat und unternahm , was Alle , die bis zu dieser Stunde an ihrem Schicksale teilgenommen hatten , mit Ausnahme von Gabriele , ihr zu tun widerraten und verboten haben würden , was -- und sie hatte eine Art von Wollust in dem Gedanken -- was vor Allem Emanuel sie beschworen haben würde , nicht zu tun .
Ohne daß sie ein Bewußtsein davon hatte , wirkte . diese Stimmung auf ihre Erscheinung und auf ihre Ausdrucksweise ein .
Sie hob sich stolzer , sie sprach lebhafter und freier , sie bemerkte es , daß sie den beiden Männern wohlgefiel , daß die prüfende Achtsamkeit , mit der sie sie zuerst betrachtet hatten , sich in Zufriedenheit verwandelte ; und die kleinen Beifallszeichen des Einen oder des Anderen , hoben ihren Mut und steigerten ihre junge Kraft .
Als er die Prüfung beendet hatte , ließ der Direktor sich zu der Äußerung herbei , daß sie gut beanlagt sei und daß er sich deshalb geneigt fühle , ihre Ausbildung zu übernehmen .
Der Vorteil des Versuches liege dabei zunächst allein auf ihrer Seite .
Es werde Monate unausgesetzter Arbeit und fortdauernden Unterrichtes bedürfen , ehe man daran denken könne , sie vor dem Publikum erscheinen zu lassen .
Gefalle sie diesem nicht -- und sein Publikum sei sehr wählerisch und schwer zu befriedigen -- so habe er Zeit und Mühe verloren , während sie eine gute Schulung gewinne , die ihr in allen Fällen von Nutzen sein werde .
Indes um Gabrielens Willen sei er bereit , sich auf das Unternehmen einzulassen .
Sie möge das ihrer Beschützerin und ihrem Vormund schreiben , und inzwischen an die Arbeit gehen .
Er sagte ihr das Alles mit einer würdevollen Freundlichkeit , die er sehr wohl an den Tag zu legen wußte .
Sie hörte ihm wie der Stimme ihres Schicksals zu .
Es ging Alles weit leichter , weit schneller , als sie es erwartet hatte .
Sie wollte danken , wollte versprechen , das Ihrige zu tun , und konnte vor Erregung das Wort nicht finden , konnte sich selbst nicht , sagen , ob Hoffnung oder Bangen , ob Freude oder welch ein anderes Empfinden , ihr Herz bewegten .
Der Direktor entließ sie mit einem Händedruck , der Regisseur nannte sie scherzend die künftige Kollegin .
Als sie sich schon abgewendet hatte und ihre Straßenkleidung anlegte , meinte der Direktor , da sie nun die Bretter zu betreten denke , welche die Welt bedeuten , werde sie gut tun , ihre etwas urwaldliche Kleidung der jetzigen Zeit und ihren künftigen Verhältnissen doch mehr anzupassen .
Mamsell Beaten geschickte Hände würden ihr dazu gewiß behilflich sein .
" Mit Ihrem Haare müssen Sie beginnen , " sagte er .
" Die schönen um den Kopf gewundenen Flechten , die , wie ich Ihnen vor einem Jahre sagte , wenn Sie sie niederhängen lassen , einem Käthchen von Heilbronn vortrefflich anstehen werden , sehen im Leben doch zu ländlich aus .
Ein schöner Apollo-Knoten , lange englische Locken , werden Sie vortrefflich kleiden .
Ziehen Sie noch heute unseren Friseur zu Rate , wenn Sie selbst damit nicht zu Stande kommen sollten .
Man muß schön aussehen , so schön als möglich ; das ist eine Pflicht für Sie , Mademoiselle , und Sie werden sie erfüllen können , wie mir scheint ! "
Er meinte ihr mit diesem Komplimente ein Vergnügen bereitet zu haben und sah mit Verwunderung , daß sie es nicht als solches aufnahm , sondern sich seiner Anordnung mit ernstem Schweigen unterwarf und still von dannen ging .
Er konnte sich das nicht erklären , denn was wußte er von ihr ? wie konnte er ahnen , daß seine Forderung , sie möge ihre Haartracht , ändern , sie mit einemmal weit zurückwarf von dem Ziele , das er ihr verlockend vorgehalten hatte .
Ihre Flechten sollte sie nicht mehr um ihren schlichten Scheitel winden ? und Emanuel hatte diese Haartracht so an ihr geliebt !
Sie erschrak , wie ihr das plötzlich bei den Worten des Direktors durch den Sinn schoß .
Es lag wie ein Zauber über ihr und in ihr .
Was sie auch dachte , was sie tat , es führte sie Alles , Alles auf ihn zurück , zurück zu ihm .
Sie hätte sich hassen und ihn hassen können , weil es ihr so ganz unmöglich war , ihn zu vergessen , der sie doch vergessen hatte ganz und gar .
Drittes Kapitel .
Der Direktor und der Regisseur sahen Hulda mit zufriedenem Lächeln nach , als sie über den Theaterplatz nach ihrer Wohnung ging .
" Königlicher Anstand !
Natürlich majestätische Haltung , trotz der elenden altmodischen Fähnchen , die sie an sich hat , " sagte der Direktor , und ihm beistimmend , meinte der Regisseur ; " In untergeordneten Rollen , und vollends für das kleine Lustspiel wird sie kaum verwendbar sein . "
" Ich habe den Gedanken , daß sie sich die Bühnenpraxis allmählich selber machen solle , nachdem ich sie heute hier in Ruhe gesehen und gehört habe , auch schon aufgegeben , " erklärte der Direktor .
" Das Profil ist ernst , der Ausdruck der Augen und die Stimme zum Tragischen geneigt .
Sie kam mir damals , als sie sich bei Gabriele so verlegen in die Ecke drückte , weit weniger bedeutend vor .
Das Talent ist unbestreitbar ; der rechte sichere Instinkt .
Aber eben weil sie schön ist , muß man sie erst auf die Bühne bringen , wenn man sie sehen lassen kann , und da sie ganz in unserer Hand ist , da sie Begeisterung hat , wird man ihr leicht einige Rollen einstudieren können .
Damit verpflichten wir uns Gabriele , und überreden dieselbe vielleicht , bei uns zu spielen , um sich zu überzeugen , wie wir den rohen Diamant , den sie uns anvertraut , geschliffen haben . "
Man verabredete darauf , was für Hulda zunächst zu tun sei , und als die beiden Praktiker sich trennten , warf der Direktor seinem Regisseur Leichtweg noch die Bemerkung hin , er möge darauf sehen , daß man sie gut behandle und ihr die Wege möglichst ebne .
" Ich meine die anderen Frauenzimmer , " setzte er hinzu , " wegen der Männer bin ich unbesorgt , die wird sie zu gewinnen bald verstehen .
Aber die Delmar wird je älter , um so intriganter , hat noch immer einen Anhang , und selbst Feodorens bin ich in diesem Falle nicht ganz sicher .
Die Weiber sind fast alle kleinlich , und wo ihre Eitelkeit in das Spiel kommt , fast alle unberechenbar .
Den Rosens , bei denen ich Hulda untergebracht habe , will ich es selber sagen , daß sie sich ihrer anzunehmen , sie gut zu halten haben .
Und da man ja jetzt Alles mit Dampf betreibt und Alles schnell von statten gehen soll , so wollen wir doch einmal zusehen , ob wir dasjenige nicht in einigen Wochen leisten können , wozu man sonst wohl ein paar Jahre zu gebrauchen pflegte .
Das Mädchen bringt eine gute Bildung , Kenntnis der Klassiker und eine gute Haltung mit ; das erspart ein gut Stück Arbeit und wird uns das Wundertun sehr erleichtern . "
Und wie ein Wunder erschien auch Hulda Alles , was vorgegangen war , seit sie die Schwelle des Theaters einmal überschritten hatte .
Wie ein Wunder betrachteten Frau Rosen und die Tochter die Dringlichkeit , mit welcher der Direktor ihnen die junge Mieterin besonders zu empfehlen kam .
Freilich , Hulda war sehr schön , sie hielt sich auch anders , als die Anfängerinnen es zu tun pflegen .
Sie war einfacher und vornehmer , zutraulicher und zurückhaltender , als die Anderen sich zu zeigen pflegten .
Sie nahm Rücksichten , ohne sie für sich zu fordern ; und die freundliche Schonung , mit welcher sie der kränklichen Beate dienstfertig begegnete , hatte diese und noch mehr die Mutter von der ersten Stunde an so sehr für Hulda eingenommen , daß es der Empfehlung des Direktors gar nicht erst bedurfte .
Indes eine besondere Bewandtnis , darüber waren Beide einig , mußte es trotzdem mit Hulda haben , und daß man dieses mit der Zeit erfahren würde , dessen waren sie gewiß .
Inzwischen taten sie , was nur in ihren Kräften stand , die nötige Metamorphose in des jungen Mädchens Tracht und Kleidung in ein paar Tagen so viel als möglich hervorzubereuen , und Hulda's Wangen färbten sich in hellem Rot , ihre Augen leuchteten , ihre Lippen konnten das zufriedene Lächeln nicht verbergen , als sie sich , modischer gekleidet und frisiert , zum erstenmal in ihrem Spiegel sah .
Wie eine Krone saß der Apollo-Knoten hoch auf ihrem Scheitel .
Die Fülle der langen Locken , die ihr fast bis zum Gürtel niederflossen , umrahmte die schöne Form der Wangen ; das volle Kinn sah rosig aus der breiten Halskrause hervor , die über dem knappen Spencer ihren Hals umschloß , während die engen Ärmel die Form der schönen Arme zeigten , und die weichen Falten ihres schlichten wollenen Kleides , die ganze Mächtigkeit ihrer Gestalt verrieten .
Wenn er mich so sähe ? dachte sie , und es schoß ein triumphierendes Gefühl durch ihre Brust , denn sie empfand es , wie sie schön sei , schöner , weit schöner und weit jünger als Konradine , die er ihr vorgezogen hatte -- so schön , daß es sie reizte , gesehen zu werden , um der Wirkung Willen , die hervorzubringen sie gewiß war .
Und mit der Arglist der plötzlich in ihr erwachten gefallsüchtigen Eitelkeit neigte sie sich zu Beaten nieder und fragte dann ganz verschämt , ob sie nicht häßlich sei in dieser neuen fremden Tracht .
Es war die erste geflissentliche Lüge ihres Lebens , die sie aussprach , das erstemal , daß sie absichtlich Komödie mit sich und vor den Anderen spielte .
Aber , als wäre sie in ihrem Inneren wie in ihrem Äußeren umgewandelt , freute sie es , daß sie es zu tun vermochte , und die Beteuerung der beiden Frauen , daß sie bezaubernd sei , erfüllte sie mit ungekannter Lust .
Sie konnte die Stunde kaum erwarten , in welcher sie sich zur Zeit der Probe in das Schauspielhaus begeben sollte .
Rastlos ging sie von dem Spiegel nach dem Fenster , um zu sehen , ob die Turmuhr drüben noch immer nicht die zehnte Stunde weise , und von dem Fenster nach dem Spiegel , um noch einmal und noch einmal sich zu überzeugen , daß sie es sei , deren Antlitz ihr entgegenleuchte -- Sie , die Ulrike so feindselig verfolgt , die es hatte als ihr höchstes Glück erachten sollen , ihr Leben hindurch in einem weltentlegenen Pfarrhause dem öden Wellenschlage des Strandes zu lauschen , und sehnsuchtsvollen Herzens dem Fluge der Vögel nachzuschauen .
Sie ahnte es nicht , wie reizend es sie kleidete , als sie fröhlich wie ein Kind die Hände zusammenschlug bei dem Klange der Musik , unter welcher festen Schrittes eine Abteilung Soldaten der Garnison zur Parade zog .
Alles gefiel ihr heute : die vorübergehenden Menschen , die dahinrollenden Equipagen , ja selbst die alte Brotverkäuferin an der Ecke , zu deren Zeitvertreib und Unterhaltung die wechselnden Bewohner des Rosen'schen Hauses wesentlich gehörten , und die von manchen derselben mehr zu sagen wußte , als sie selbst ihren besten Kunden zu erzählen nötig fand .
Sie hatte auch Hulda die Tage hindurch beobachtet und hatte ihre eigenen Gedanken darüber , als das schöne Mädchen zum dritten- viertenmal das Fenster öffnete und nach der Uhr und auf die Straße schaute .
Hulda mußte lachen , als die alte Hökerin sie so aufmerksam betrachtete , und erschrak heute nicht mehr so , wie noch am verwichenen Tage , als ein Vorübergehender ebenfalls aufmerksam auf sie wurde , und sich umwendete , um sie noch einmal anzusehen .
Sie war ja da , um angesehen zu werden ; sie mußte wie ihre altmodische Kleidung auch ihre ländliche , altväterische Schüchternheit abzulegen suchen .
Sie mußte es lernen , aufzutreten stolz und frei , wie Gabriele , wie die Fürstin und wie Konradine ; denn wie wollte sie sich auf der Bühne behaupten , wenn schon das Auge eines Vorübergehenden sie in Verwirrung setzte ?
Behaupten aber wollte , mußte sie sich von jetzt an um jeden Preis ; darin bestand die Rechtfertigung des Schrittes , den sie eigenmächtig unternommen hatte , damit allein vermochte sie es zu entschuldigen , daß sie entflohen war und auf die Bühne ging .
Das trockene , mild zum Froste neigende Wetter , der leicht bewölkte Himmel , der doch die Sonne durchschimmern ließ , standen den altersgrauen Häusern , den spitzen Giebeln , den mächtigen Rathaustürmen und dem weiten Theaterplatze sehr wohl an .
Es sah heute Alles klar und sauber aus .
Die Menschen bewegten sich leicht und schnell , die Wagen rollten lustig an ihr vorüber , sie merkte es deutlich , wie sie die Blicke manches Vorübergehenden auf sich zog , und es gefiel ihr Alles : die Stadt , die Menschen , ihre neue Freiheit , und sie sich selbst am Besten .
Mit einer Entschlossenheit , die weitab lag von der Bangigkeit , mit welcher sie vor wenigen Tagen an der gleichen Stelle gestanden hatte , trat sie in die Vorhalle des Theaters ein .
Es standen dort wieder verschiedene Männer beisammen , aber dieselben kannten sie bereits , denn Einer von ihnen , ein junger , schöner Mann , näherte sich ihr , nannte sie mit dem neuen Namen , welchen der Direktor für sie ausgewählt hatte , und erbot sich , sie nach der Bühne zu geleiten .
Sie folgte ihm durch lange Gänge , über Treppen und durch Korridore , in denen Dunkelheit und schwacher Lampenschimmer phantastisch mit einander wechselten , bis sie die ebenfalls nur sparsam erleuchtete Bühne erreichten , vor welcher die Weitung des Zuschauerraumes in geheimnisvollem Schweigen dunkel dalag , während rund um sie her sich für ihr ungewohntes Auge ein wüstes Durcheinander in lauter , hastiger Unruhe hin und her bewegte .
-- Hier schob man Wände hin , dort rückte man eine wackelnde Steinbalustrade auf ihre rechte Stelle .
Im Hintergrunde zog man eine im Windzuge flatternde breite Wand empor , die nach Nichts weniger aussah , als nach dem blauen Himmel , den sie zu bedeuten hatte .
Zur Rechten stellte man ein paar Hermen unter die vorgeschobenen Bäume , zur Linken trug man einen fahlen Rasensitz aus der Kulisse in den Vordergrund .
Da hingen Schnüre nieder , dort lagen noch Latten auf dem Boden , und dazwischen standen die Schauspieler und Schauspielerinnen in sorglosem Gespräche bei einander , schritten die Arbeiter in ihren schmutzigen Jacken mit geschäftsmäßiger Gleichgiltigkeit zwischen ihnen durch .
Man hatte den " Tasso " zu probieren , den alle Beteiligten wer weiß wie oft gespielt hatten .
Es zeigte Keiner ein besonderes Interesse , Keiner von Allen sprach von der am Abende bevorstehenden Aufführung ; Niemand konnte ahnen , was es für Hulda zu bedeuten hatte , daß man eben heute den " Tasso " spielen würde und welch ein glückverkündendes Omen es sie dünkte ; denn im " Tasso " hatte sie Gabriele zum erstenmal gesehen .
Der Regisseur befand sich auch schon auf der Bühne .
Als er Hulda mit dem jungen Manne aus dem Hintergrunde hervorkommen sah , trat er an sie heran .
" Ei , sieh da , " meinte er , " da haben Sie sich ja bereits mit Ihrem künftigen Partner zusammengefunden , und ich sehe mit Vergnügen , daß selbst Sie für unseren Lelio nicht zu groß sind .
Ja , wir können uns sehen lassen neben Groß und Klein , mein lieber Lelio ! " scherzte er , indem er dem Genannten die Hand zum Willkommen bot ; und auf Hulda hindeutend , setzte er hinzu , es werde darauf ankommen , wie Mademoiselle sich mache , und ob und wie bald sie für Feodorens jugendliche Partien zu brauchen sein werde .
Er glaube , wenn Lelio sie ein wenig unterstütze , könne man Mademoiselle in wenigen Monaten ihr Glück versuchen lassen ; und wenn man wieder eine neue junge Liebhaberin vorführe , so werde die Delmar sich erst recht in ihre seit mehr als zwei Lustren chronisch gewordenen neunundzwanzig Jahre festsetzen . "
" O ! sie wird wieder einmal außer sich geraten , aber doch hoffentlich den Gedanken aufgeben , sich eine oder die andere von Feodorens Rollen anzueignen .
Der bloße Gedanke , mit ihr spielen zu sollen , hat wie ein Alp auf mir gelegen ; wie ein Alp , den das sonnige Erscheinen von Mademoiselle mir von der Seele nimmt .
Ich meine " , und Lelio stellte sich stolz aufgerichtet und sehr selbstgefällig neben Hulda , " wir . werden besser zu einander passen , als -- "
" Als Potiphar und Josef ! " fiel der Regisseur ihm lachend ein , während Lelio ebenfalls lachend sich den Anschein gab , das böse Gleichnis aus Zartgefühl zurückzuweisen , und plötzlich abbrach , als eine kaum mittelgroße , schwarzgelockte Dame an sie herankam , die von ihnen als Mademoiselle Delmar begrüßt und angeredet wurde .
Die Delmar betrachtete Hulda , zog , als könne sie dieselbe nicht deutlich genug erkennen , die Augen leise zusammen , hielt sich endlich das Lorgnon vor und fragte :
" Vermutlich Mademoiselle Hulda , des Direktors neuer Schützling ? "
Dann wendete sie sich , noch ehe sie eine Antwort erhalten hatte , von den Drei ab , und Hulda hörte deutlich , daß sie gegen einen Anderen die Bemerkung machte , man sehe es an der plumpen Größe , daß diese junge Person vom Lande stamme .
Mit solcher Körpergestalt sei man für die Bühne nicht zu brauchen .
In dem Augenblicke aber trat der Direktor ein , und mit ihm eine schöne , noch jugendliche Frau .
Sie trug einen mit kostbarem Pelzwerk verbrämten eng anliegenden Oberrock von weißem Atlas , einen kleinen mit weißen Federn gezierten Hut von schwarzem Samt , und wie sie den Hut vom Kopfe nahm und achtlos auf die Seite legte , bemerkte Hulda , daß ein mit Edelsteinen reich besetzter Kamm ihr Haar zusammenhielt .
Nach Frau Rosens und Beaten Schilderung konnte das nur Feodora sein , die hier wie eine Herrin auftrat .
Aber es freute Hulda , weil es sie an Gabrielens edle schöne Art erinnerte .
Die Angekommene reichte Lelio die Hand , der ihr entgegenging und schritt mit flüchtigem Gruße an der Delmar rasch vorbei .
Das Zeichen wurde gegeben , die Nichtbeteiligten traten auf die Seite , die Arbeiter entfernten sich schnell , die Probe nahm ihren Anfang , und die feierlich ahnungsvolle Stimmung , mit welcher Hulda an jenem Abende , an welchem sie Gabriele zuerst gesehen , vor dem noch niedergelassenen Vorhange gesessen hatte , bemächtigte sich ihrer Seele wieder .
Der Zauber der wundervollen Dichtung ergriff sie auch heute mit seiner unwiderstehlichen Gewalt , als die beiden Leonore aus dem Hintergrunde hervortraten .
Sie sah den öden Raum nicht mehr , der sie umgab .
Die Latten und die Brettergerüste waren für sie plötzlich wie verschwunden .
Die tote Leinwand , das angestrichene Holz belebten sich .
Die Bäume hoben ihre immergrünen Äste zu dem blauen Himmel hell empor , die Rosenhecken blühten auf das Neue .
Es war wieder Italiens Himmel , das schöne Belriguardo in dem sie atmete , und es bewegte Hulda bis in das tiefste Herz , als wieder die beiden Leonore mit einander in den Vordergrund schritten und abermals die Worte : Du siehst mich lächelnd an , Eleonore , Und siehst dich selber an und lächelst wieder .
Was hast du ?
Lass es eine Freundin wissen ?
Du scheinst bedenklich , doch du scheinst vergnügt . " ihr Ohr berührten .
Ihre Freude , ihre Begeisterung , wuchsen mit jeder Szene .
Ihre Wangen glühten bei dem Gedanken wie es ihr sein würde , wenn sie an dieser Stelle diese Worte auszusprechen hätte , die ihr vertraut und eigen waren wie die Lieder ihrer Kindheit ; und der erste Akt war an ihr vorübergegangen , ohne allen Anstoß , schön und abgerundet .
Die herbe Delmar , deren Feindseligkeit gegen die bevorzugtere anmutsvolle .
Feodora selbst im Spiele immer leise durchklang , entsprach dem Charakter der Sanvitale wohl , Feodore war eine vollendete Prinzessin .
Der Direktor , der Gewicht darauf legte , sich gelegentlich auch noch als Schauspieler zu zeigen , war ein passender Darsteller für den Herzog .
Der Regisseur zeichnete den Antonio bestimmt und deutlich , und Lelio war mit der hohen , schlanken und vornehmen Gestalt , mit dem feinen Profil und der Fülle seines bräunlichen Gelockes ein Tasso , wie man ihn besser kaum verlangen konnte .
Sie erschienen Alle mit sich , und soweit als möglich , auch mit einander wohl zufrieden .
In der Pause , welche dem ersten Akte folgte , sah der Direktor sich nach Hulda um und sprach sie mit ein paar flüchtigen Worten an .
Während dessen hatte Lelio , der mit Feodoren auf dem besten Fuße stand , sich dieser zugesellt .
" Haben Sie gesehen , " fragte er , " da drüben steht die Tochter Gabrielens ? "
Und ist sie ihr denn wirklich so ähnlich , als man es sagt ? "
" Ungemein , nur noch viel schöner , als die Mutter je gewesen sein kann .
Wie geschaffen für eine Julia , Emilia , Melitta ! --
Die Delmar sah sie mit wahrem Grimme an . "
.
" Und der Grimm verschönt die Holde nicht und verjüngt sie jedenfalls auch nicht ! " meinte Feodora lachend , während sie , von Lelio begleitet , quer über die Bühne , und geradenwegs zu Hulda ging .
Das war gegenüber einem fremden , ihr ganz unbekannten jungen Frauenzimmer etwas so Auffallendes und so völlig gegen ihre Art , daß der Direktor es mit Verwunderung bemerkte , wie sie sich mit freundlicher Rede an die überraschte wendete .
" Hatte ich Unrecht , " sagte er zu seinem Vertrauten , dem Regisseur , " als ich Ihnen gestern aussprach , daß Feodora nicht zu berechnen sei ? "
" Eine vorübergehende Laune , eine Neugier und nichts weiter ! " meinte dieser .
Aber Feodora gab in diesem Augenblicke keiner Laune nach .
Sie wußte es sehr wohl , was sie wollte , und was sie mit ihrer Zuvorkommenheit bezweckte .
Sie bewunderte Gabriele , sie hatte sich nach derselben gebildet und liebte sie auf ihre Weise ; und da sie ebenso wenig als die Anderen daran zweifelte , daß Hulda Gabriele angehöre , beschloß sie sich zur Gönnerin des schönen Mädchens aufzuwerfen , besonders weil sie der ihr widerwärtigen und abgeneigten Delmar damit etwas Verdrießliches zu tun sicher war .
Sie konnte dies auch in voller Ruhe wagen .
Sie war noch schön genug , die Nebenbuhlerschaft selbst mit der ersten Jugend nicht scheuen zu dürfen , und die Zeit war für sie nahe , in welcher sie als eine der reichsten Frauen der Stadt , nur noch Beifall zu spenden , und ihn nicht mehr zu erringen haben sollte .
Gütig und herablassend zugleich fragte sie die freudig überraschte Hulda , wann sie von ihrer Beschützerin die letzten Nachrichten erhalten hätte .
Sie nannte es die schönste Bürgschaft für die Zukunft Hulda's , daß eine Gabriele sie ihres Anteils wert erachte , und sagte , sie sei sehr gern bereit , sich ihrer um Gabrielens Willen anzunehmen , soweit ihre Dienstverhältnisse und ihre Pflichten gegen ihren Bräutigam es tunlich machen würden .
Später aber , wenn sie ganz frei sein werde , könne sie wohl noch mehr für sie tun , und sie wolle das um so lieber , als sie , weil kein besseres da wäre , doch immer ein ganz erträgliches Vorbild für sie sein dürfte .
Sie hatte die letzten Worte absichtlich so laut gesprochen , daß sie der Delmar nicht entgehen konnten , die spöttisch mit den schmalen Lippen zuckte .
" Feodora thront heute wieder auf dem Golde des Hauses Van der Vlies ! " sagte sie zu dem neben ihr stehenden Schauspieler .
" Und doch wird sie sich manchmal hierher sehnen ! " meinte dieser .
" Manchmal ? " rief die Delmar , " sie wird vor Langeweile sterben in dem goldenen Käfig , in den sie nie hineingehen würde , wenn sie es nicht selber fühlte , daß ihre Zeit vorbei ist ; oder wenn Van der Vlies die Claque noch so , wie früher , durch seine Leute bezahlen und verstärken ließe .
Sie kann nicht leben ohne das Theater , ohne das Publikum , mit dem sie koquettirt . "
" Oh ! " fiel Lelio ein .
" Ich glaube , sie wird es gar nicht übel finden , behaglich aus ihrer Proszeniumsloge auf uns herabzusehen , und mir und Ihnen ihren Beifall oder ihr Mißfallen auszudrücken , je nach dem . "
" Nun !
Sie werden es ja wohl wissen , wie Sie sich Feodora's Gunst erhalten ! " entgegnete die Delmar , indem sie sich im Zorne von ihm wendete , als das Zeichen zum Beginn des zweiten Aktes gegeben wurde .
Die Probe ging danach ruhig ihren Weg .
Als sie zu Ende war , nahm der Direktor Hulda mit sich in das Büro , ihr die Rollen zuzuteilen , die man sie memorieren lassen wollte ; und ohne eine Ahnung davon zu haben , daß sich schon in dieser Stunde eine Meinung für und wider sie gebildet , daß sie ohne all ihr Zutun eine Partei für sich gewonnen und , ohne es zu wissen , sich eine Feindschaft zugezogen habe , kam sie froh und guten Mutes nach Hause .
Arglos wie ein Kind erzählte sie beim Mittagstische den beiden Frauen von den Erlebnissen des Morgens ; aber was sie überrascht hatte , was ihr sonderbar erschienen war , das Gute wie das Böse , Frau Rosen und Beate wußten es ihr zu deuten , ihr den Zusammenhäng der Dinge darzulegen .
Sie sprachen von Feodorens mehrjährigem Liebesverhältnisse mit ihrem jetzigen Verlobten , von der Leidenschaft der Delmar für den schönen Lelio , den seine Liebe zu einem begüterten jungen Mädchen , das man ihm versage , unempfänglich mache für die Fallstricke , welche die Delmar ihm lege , und für die rasende Eifersucht , mit der sie ihn verfolge , so daß sie zum Gespött darüber werde .
Daneben wurden in Betreff der übrigen Männer und Frauen des Theaterpersonals in größter Unbefangenheit noch Abenteuer aller Art berührt .
Es waren Erzählungen , Vorstellungen , Worte , Redewendungen , die so natürlich und so harmlos ausgesprochen wurden , als liefe das , was sie enthüllten , nicht fast durchweg gegen die Moral und Sitte , als herrsche die Freiheit , welche man sich in jenen Bereichen aus eigener Machtvollkommenheit vergönnte , auch durch die ganze andere Welt .
Eine widerwärtige Erinnerung tauchte dabei in Hulda's reiner Seele auf .
Nur einmal in ihrem Leben , nur Einen Menschen hatte sie in solcher Weise sich vor ihr äußeren hören .
Und doch schreckte sie heute vor den Mitteilungen der beiden Frauen nicht zurück , wie einst im Walde vor den Gedanken und vor den Worten Michaels .
Die schöne Feodora , der schöne Lelio , der reiche Kaufmann , die Eifersucht der Delmar , interessierten sie .
Es beschäftigte sie , es zog sie an , sie fühlte sich damit verbunden , es reizte sie und stieß sie doch auch wieder ab .
Sie blieb sich die Antwort schuldig , als die Frage sich in ihr erhob :
" Was würde Dein frommer Vater , was würden die Mutter , der Adjunkt , der Amtmann , was würde Emanuel empfinden säßen sie in diesem Augenblick an Deiner Seite , und hörten sie die Erzählungen , die man Dir eben macht ? "
Emanuel ?
Wer hatte es verschuldet , daß sie hier war , als nur er allein ! --
Es flog ein schmerzlich trotziger Gedanke durch ihren Sinn .
Er hatte sie immer mit der blonden Tochter der Ceres verglichen .
Jetzt hatte sie gekostet von des Granatbaumes unheilvoller Frucht und war der Welt verfallen , in der dieselbe reifte -- der Welt , die fortan auch die ihre sein sollte .
Sie konnte und sie wollte jetzt nicht mehr zurück .
Die beiden Rollen lagen vor ihr , das Lernen derselben war ihr ein Genuß .
Sie arbeitete , bis am Abend die Stunde herankam , die sie in das Theater rief , und der Eindruck , den die treffliche Vorstellung des " Tasso " wieder auf sie machte , vollendete den zauberischen Bann .
Früh am anderen Morgen trug sie selbst den Brief zur Post , in welchem sie dem Amtmanne von sich und ihrem Vorsatze , Schauspielerin zu werden , festen Herzens Nachricht sendete .
Viertes Kapitel .
Emanuel hatte gleich nach dem Tode seines Bruders die Reise nach dem Schlosse seiner Väter angetreten .
Nur ein paar Tage hatte er daran gewendet , Konradinen in ihrem Stifte aufzusuchen , aber auch dies flüchtige Beisammensein hatte die Verlobten wieder auf das Neue überzeugt , wie wohl sie einander verstanden und wie viel Gutes sie von ihrer gemeinsamen Zukunft zu erwarten berechtigt wären .
Man war der Trauer wegen übereingekommen , die Verlobung den Bekannten erst gegen das Neujahr zu melden und die Hochzeit nicht vor dem Beginne der guten Jahreszeit zu feiern .
Inzwischen wollte die Gräfin , um den Verkehr zwischen dem Brautpaare und zugleich die Einrichtungen zu erleichtern , welche für den neuen Haushalt von beiden Seiten beabsichtigt wurden , ihren Winteraufenthalt in der Residenz , in ihrem Hause nehmen , und Frau von Wildenau und die Tochter hatten verheißen , ihr bald dorthin zu folgen .
So war Alles auf das schicklichste und beste vorbereitet , und Emanuel setzte ruhigen Sinnes die Reise nach seinen Gütern fort .
Er hatte zum erstenmal in seinem Leben eine ernste , nicht aufzuschiebende Arbeit , er hatte notwendige Geschäfte , eine bestimmte Aufgabe vor sich , und er empfand darin eine ungewohnte Genugtuung .
Seine Verlobung mit Konradinen , der Tod des einzigen Bruders , die Erbschaft , welche ihm in dem großen Majorate zugefallen , waren einander rasch gefolgt , und bildeten eben deshalb einen neuen Abschnitt in seinem Leben .
Er hatte bis dahin in voller Freiheit nur sich und seinen Neigungen gelebt , jetzt hatte er für Andere zu sorgen .
Es traten Ansprüche aller Art an ihn heran , denen zu entsprechen er sich binden und bis zu einem gewissen Grade selbst auf jene persönliche Freiheit verzichten mußte , die er doch als sein höchstes Gut zu erachten gewohnt gewesen war .
Aber zu seinem eigenen Erstaunen sagte ihm diese neue Lage zu , und während er sonst immer mit einem geheimen Widerstreben gen Norden gefahren war , überfiel ihn diesmal , je mehr er sich dem Ziele seiner Reise nahte , ein Verlangen nach der Heimat , obschon er wußte , daß dort keiner seiner Angehörigen ihn erwarte , und daß er dort zunächst Nichts finden werde als verlassene Räume und wehmütige Erinnerungen aller Art .
An der letzten Poststation standen die eigenen Pferde für ihn bereit .
Der Kutscher , der Vorreiter waren ihm Beide fremd .
Er war seit Jahren nicht in der Heimat gewesen , auch der verstorbene Majoratsherr hatte sich schon lange nicht mehr dauernd auf dem Schlosse aufgehalten .
Die Güter waren verpachtet , die Pachtzeit ging zu Ende .
Es war auch in diesem Betrachte unerläßlich , daß er nach Hause kam , um , so gut er es vermochte , nach dem Seinigen , nach dem Besitze und Erbe der Familie zu sehen .
Es war nicht eben spät , aber die Sonne neigte sich schon , als er sich dem Flusse nahte , der nach dieser Seite die Grenze seiner Güter machte .
Der Prahm , mit dem man ihn zu überschreiten hatte , wartete seiner am Ufer ; die Klänge eines schwermütigen Liedes , mit dem die Leute sich die Zeit des Wartens kürzten , schlugen an sein Ohr , noch ehe er das Wasser sehen konnte .
Er kannte dieses Lied von Jugend an , aber er hatte es später auch gehört .
Er wußte Tag und Stunde , er wußte , wie es ihn gerührt , als Hulda es ihm zum erstenmal gesungen hatte .
Die Fährleute drängten sich mit freudiger Geschäftigkeit zu des Gutsherrn Dienst .
Der Alte , der sie führte , war seit seiner Jugend auf der Fähre .
Er hatte auf derselben Emanuel hinübergeführt , als er noch ein Kind gewesen war und auf der Mutter Schoß gesessen hatte .
Er sprach nur wenig deutsch , aber er ergriff des Herrn Rock und Hände , sie zu küssen , wie sehr es dieser ihm auch wehrte .
Obschon Emanuel des litauischen nicht eben mächtig war , verstand er es doch genügsam , um zu hören , daß der Alte und die Anderen sich jetzt guter Zeit getrösteten , da die Nachricht sich verbreitet hatte , daß der neue Erbe in dem Schlosse seiner Väter leben werde nach der Väter Brauch ; und Emanuel sagte sich dies stillschweigend selber zu .
Durch den sinkenden Abend , auf dem breiten , von dem beginnenden Froste getrockneten Wege , trugen die vier Rappen aus dem eigenen Gestüte ihn durch die mächtigen alten Kiefernwälder , die sich erst kurz vor dem Dorfe zu lichten begannen .
Er konnte den Turm der Kirche und die Zinnen seines Schlosses nicht mehr sehen , als er den Wald verließ , und es war völlig dunkel geworden , als der Hufschlag seiner Pferde auf dem Pflaster des Dorfes die Funken stieben machte , als er einfuhr in die Mauern seines Hofes , wo die Kienfackeln , die man vor demselben angezündet hatte , ihn mit ihrem flackernd wilden Lichte die schweren Massen seines alten Stammschlosses erblicken ließen .
Der Kastellan hatte sein Möglichstes getan .
Er war schon in des Vaters Diensten gewesen , hatte mit Emanuels Bruder die Feldzüge gegen die Franzosen mitgemacht , in denen dieser sich den Keim zu seinem Tode geholt , und war dann von dem Verstorbenen als Kastellan des Schlosses in den Ruhestand versetzt worden .
Er kannte des Hauses Sitte und Gebrauch , er wußte , welche Zimmer Emanuel bewohnt hatte , als er zuletzt im Schlosse geweilt , und was guter Wille leisten konnte , war getan worden , Alles freundlich und behaglich zu machen .
Aber die Halle war so groß und leer , die Schritte schallten von den schwarzen Steinfließen des Bodens so laut und so vereinzelt wider , das Licht in den schweren Laternen , die von der Decke niederhingen , warf so blassen Schimmer auf die eisernen Geländer der Galerien , daß Emanuel unwillkürlich an sein kleines schönes Heim am Genfer_See gedachte und sich eines bangen Schauers nicht erwehren konnte , als ihm der Gedanke durch den Kopf schoß , wie er nun als Letzter von dem Stamm der rechten alten Linie in dem Hause seiner Väter Weile .
Es war in dem Schlosse öde , kalt und feierlich wie in einem Grabgewölbe , und die erzwungene Freundlichkeit mit welcher der Pächter , die ehrlich geweinten Tränen , mit welchen seines Bruders Leute ihn empfingen , waren nicht dazu angetan , ihm ein Wohlbehagen zu bereiten .
Aber was kam es darauf an ? --
Er war nicht hier , um Wohlbehagen für sich allein zu suchen , er hatte nicht erwarten können , es zu finden .
Er war gekommen , es den Insassen seiner Güter , so weit dies möglich , zu bereiten ; er wollte für Konradinen , für seine künftige Frau , für sich und für die Familie , die , wie er hoffte , in dem alten Falkenhorste neu erstehen sollte , eine neue und freundliche Heimat hier eröffnen .
Und als ob der kräftige Geist der Männer , die lange vor ihm hier gewaltet hatten , sich auf ihn übertrüge , fühlte er in sich Lust und Mut zur Arbeit , wie er sie nie zuvor gekannt hatte .
Arbeit aber lag von allen Arten vor ihm .
Gleich der erste Blick aus seinen Fenstern , der erste Ritt durch das Dorf und die ersten Besprechungen mit seinem Pächter und mit seinem Pfarrer , mußten ihm die Überzeugung geben , daß sein Kommen notwendig gewesen sei , und daß hier ein Feld der Tätigkeit für ihn vorhanden sei , dem zu genügen er große Mühe haben werde .
Die vieljährige Kränklichkeit seines Bruders , die Kinderlosigkeit desselben , hatten , da Emanuel ehelos zu bleiben und der Hauptstamm dadurch dem Erlöschen entgegenzugehen schien , dem Verstorbenen die Freude an seinem Besitz geraubt , und ihm die eigene Verwaltung desselben zu einer Last gemacht .
Er war zufrieden gewesen , wenn der reichbemessene Pachtzins ihm regelmäßig einging , hatte , wo eine Klage der Leute persönlich an ihn herantrat , im einzelnen Falle freigebig ohne besondere Prüfung Hilfe geleistet ; aber es war seit Jahren für die Erhaltung und Verbesserung des Besitzes nicht das Nötige , und für das Wohlbefinden der Insassen so gut wie Nichts geschehen .
Der Pächter hatte , da seine Pachtzeit ihrem Ende nahte und man vermutet hatte , der künftige Besitzer werde die Bewirtschaftung ebenfalls nicht selbst besorgen , ein Interesse daran , die Ertragsfähigkeit der Güter nicht zu steigern , ehe ihm nicht ein neuer und dauernder Kontrakt in Aussicht stand , und die Insassen waren trotz der seit einem halben Menschenalter aufgehobenen Hörigkeit noch nicht selbständig genug , mehr für sich zu fordern und zu begehren als den notdürftigsten Schutz gegen des Wetters Unbill und eine dürftige Ernährung .
Der Abstand zwischen den Verhältnissen des Landvolkes , unter welchen Emanuel am Genfer_See zu leben gewohnt war , und zwischen der Lage seiner Insassen traf ihn wie ein schwerer Vorwurf .
Seine Menschenliebe , seine innere Gerechtigkeit klagten seinen Bruder und ihn selber an , bei Allem was er sah und von dem gutgesinnten und verständigen Pfarrer hörte .
Es war hohe Zeit , daß er gekommen war , und nicht eine Stunde durfte fortan mehr verloren werden .
Als er den Pächter und den Pfarrer gesprochen hatte , stieg er zu Pferde , sich auf dem Gute umzusehen , aber was er fand , bestärkte ihn nur in seiner Selbstanklage .
Die Wege waren schlecht gehalten , die niedrigen , den Boden wenig überragenden Hütten vielfach sehr verfallen , und er vermochte sich nicht mit jenem Glauben seiner Schwester zu beruhigen , die bei ähnlichem Anlasse gegen ihn geäußert hatte , daß Gewohnheit jede Lage sehr erträglich mache und daß die Natur des Menschen erst durch Verfeinerung , des Lebens Not und Mühsal schwer empfinden lerne .
Er kam voll Sorge , aber nicht entmutigt in das Schloß zurück , obschon er sich es eingestehen mußte , daß sein guter , fester Wille die ihm mangelnde Einsicht und das ihm fehlende Wissen nicht ersetzen könne .
Er hatte es Konradinen zugesagt , ihr gleich nach seinem Eintreffen in dem Schlosse Nachricht von sich zu geben , und er hielt Wort , ohne ihr jedoch die Eindrücke zu schildern , die er dabei empfangen hatte .
Er wollte sie nicht mit dem Einblicke in Notstände beunruhigen , ehe er ihr nicht die Hoffnung aussprechen konnte , ihnen angemessen zu begegnen ; und um schnellen , sicheren Rat verlegen , ritt er an einem der folgenden Tage über Land , seinen Nachbar , einen der erfahrensten und tüchtigsten Landwirte der Provinz , um denselben anzugehen .
Die Herzlichkeit , mit welcher der alte Herr von Barnefeld ihn aufnahm , gab ihm guten Mut .
Er war der Freund seines Vaters gewesen , hatte sich in jungen Jahren in der Welt behufs seiner landwirtschaftlichen Interessen umgesehen , und danach Haus und Hof nicht oft und immer nur auf kurze Zeit verlassen .
Dafür galt seine Wirtschaft für ein Muster in der Provinz und in dem ganzen Lande .
Sein Hauswesen war gastlich unter der klugen Obhut seiner Frau .
Seine Söhne und Töchter waren im Lande verheiratet und meist angesessen so wie er , und die Familie des Jüngsten , der in seinem Hause lebte und voraussichtlich nach freiem Übereinkommen mit den Anderen , eben dieses Gut -- denn die Barnefelds hatten kein Majorat begründet -- einmal übernehmen sollte , war in schönstem Aufblühen .
Er hieß es gut , daß Emanuel gekommen war , nach dem Besitze zu sehen , lobte es , als dieser erklärte , er habe nicht nur eine Inspektion , sondern ein dauerndes Verweilen auf den Gütern im Sinne , und er hielt dabei weder mit seiner Ansicht über den gegenwärtigen Stand der Güter , noch mit seinem Tadel gegen den Verstorbenen zurück , der sie also habe herunterkommen lassen .
" Ich bin kein Freund der Majorate , " sagte er , " aber ich bin ein Freund der Ordnung , und ich halte Etwas auf die Rücksicht , welche man der Familie schuldet , wenn man einer guten Familie angehört oder selber eine gründet .
Das Herumjunkern der Gutsherrschaft , das Verzehren des Gutsertrages fern vom Gute , das Aufgeben des Zusammenlebens der Besitzer und der Leute , sind für Beide ein Verderb .
Wenn Sie damit Ernst machen , hier zu leben , werden Sie hier so viel zu tun finden , daß Ihnen wenig Zeit verbleiben wird , sich nach den Dingen und Vergnügungen zu sehnen , die Ihnen anderweitig lieb gewesen sind . "
Offen und unumwunden , wie er seine Meinung aussprach , bot er auch , er nannte das Menschenpflicht , seinen Rat und seinen Beistand dar .
Er nahm es als selbstverständlich an , daß der gegenwärtige Pächter entlassen werden , und Emanuel selber die Verwaltung der Güter in die Hand nehmen müsse ; und als dieser erklärte , wie er bis jetzt dazu nicht fähig sei , zeigte Barnefeld sich gleich bereit , ihm einen seiner Wirtschafter zuzuweisen , der vollständig befähigt sei , die Leitung einer großen Verwaltung zu übernehmen , und wohlerzogen genug , dem Herrn derselben ohne Selbsterhebung ein Lehrer zu werden .
Die nötigen Vorkehrungen und Verabredungen wurden sofort und schnell getroffen .
Barnefeld versprach , so oft Emanuel es wünsche , ihm mit Rat und Tat zur Hand zu sein .
Er und die Seinen , vor Allen die Frauen des Hauses , lobten es höchlich , daß Emanuel sich zu verheiraten gedenke .
Die noch immer stattliche Hausfrau bot der künftigen Nachbarin im voraus ihre guten Dienste an , und da auch in dem Schlosse selbst viel herzustellen und Vieles zu beschaffen war , um es einer jungen Frau wie Konradine , angenehm zu machen , fing Emanuel gleich an dem Tage , an welchem er von Barnefeld nach Hause kam , sich auf die Lebensweise einzurichten an , wie er sie seine Nachbarn führen sah .
Er ordnete die Stunden seines Aufstehens und seiner Mahlzeiten ; er nahm den jungen Inspektor zum Tischgenossen und durchritt und durchwanderte mit ihm trotz der winterlichen Jahreszeit den ihm jetzt eigenen Besitz ; und wenn er vor Jahren hatte die Erfahrung machen können , wie er , gegen seine frühere Meinung , das nordische Klima seiner Heimat wohl ertragen könne , so gewahrte er jetzt mit wachsender Genugtuung , daß er auch einer Arbeit , die er sich nie zugemutet , vollauf gewachsen sei .
Er konnte , da der Pächter noch in seinem Rechte war , nicht daran denken , seinen jungen Inspektor schon jetzt die beabsichtigten wirtschaftlichen Umgestaltungen vornehmen zu lassen ; aber es war ihm unverwehrt , sich mit dem persönlichen Wohlergehen der Gutsinsassen zu beschäftigen , und je mehr dabei verabsäumt worden war , um so lebhafter stellte die kleinste Verbesserung , die er auszuführen vermochte , die Leute zufrieden , um so freundlicherem Gruß und Wort begegnete er , wo immer er sich zeigte .
Die Stunden entschwanden ihm , er wußte selbst nicht wie , und die Müdigkeit , die er am Abend fühlte . war ihm ein Genuß .
Mit jedem Tage , mit jeder Woche längeren Verweilens wurden ihm sein Aufenthalt und seine Aufgabe bedeutender und lieber .
" Ich habe , " schrieb er eines Abends an Konradine , als er nach getaner Arbeit in seinem stillen Zimmer saß , " in diesen letzten Tagen und Wochen Lehren erhalten und durch Selbstbeobachtung und fremdes Beispiel Erfahrungen gemacht , die eine vollständige Wandlung in mir erzeugen , eine der Wandlungen , wie man sie durch die Worte " in sich gehen " und " sich neu auferbauen " bezeichnet .
Ich fühle mich von Reue , von Beschämung durchdrungen , die ich nicht niederkämpfe , weil ich hoffe , daß sie uns Allen , Ihnen , mir und Denen , deren Leben und Dasein das Schicksal mit dem meinen verknüpft hat , zugute kommen soll ; und ich denke , Ihr Anteil an mir soll dadurch nicht geringer werden , daß ich hier , auf dem Erbe und in dem Besitze des Erbes meiner Väter , es mit einer mich erschütternden Klarheit empfinde , zu welchem Irrtume die Selbstsucht mich verleitet hatte , in der man mich von Jugend auf erzogen und der ich mich denn auch so bereitwillig überlassen habe .
" Ich habe bisher vielerlei getrieben , lediglich um mich zu unterhalten , und Nichts gelernt , das mir und Anderen nützen könnte .
Ich meinte , daß , wenn der Mensch , dem die Sorge um des Lebens Notdurft durch eines unverdienten Glückes Gunst genommen sei , sich selbst entwickle , wenn er aus sich selber Etwas zu machen strebe , damit auch für die Gesamtheit Etwas geleistet und geschaffen werde .
Weil meine Natur das Große , das Schöne und das Gute zu empfinden fähig ist , hielt ich mich berufen , es auch aus mir heraus hervorbringen zu können , und übersah es , wie mir der allein maßgebende und das Talent verkündende Antrieb für ein bestimmtes Schaffen fehlte .
So habe ich mich zu einem müßigen mich unterhaltenden Dilettantismus ausgebildet , und stehe hier mit der Feder und dem Pinsel in der Hand , wo es gilt , den Spaten und den Hammer zu gebrauchen -- habe den Kopf voll von Liedern , voll Poesie und voll von einem Wissen , das nicht Ersatz leistet für die praktischen Kenntnisse , die ich ebenso dringend nötig habe , wie die hiesigen Zustände eine Änderung und Hilfe ; und ich komme erst hier zu der richtigen Erkenntnis : daß kein Mensch sich in sich selbst und für sich selbst , sondern nur im Zusammenwirken mit Anderen und in der Hingabe an Andere voll und ganz entwickeln kann .
Die Bibel spricht wahr , wenn sie das Geben seliger als das Nehmen nennt .
Es liegen in dem Gewähren eines Guten , in dem Leisten eines Notwendigen , in dem Schaffen des Zweckmäßigen , eine Freude und eine Beruhigung , die ich an jedem Tage als einen Segen neu empfinde .
Ich erkenne es daher als ein großes Glück , daß mir mein Schicksal in demselben Zeitpunkt , in welchem es mir die Aussicht auf eine schöne Zukunft an Ihrer Seite eröffnet , auch neue ernste Pflichten gegen unsere Gutsinsassen , und zugleich auch Verantwortlichkeiten gegen das Haus und die Familie auferlegt hat , denen ich angehöre .
Es kommt dadurch ein Gleichgewicht in alle meine Plane .
In jener Selbstsucht , zu der man mich erzogen , und der ich mich nur allzulange überlassen , bei alle der Wichtigkeit , die ich mir beigelegt , war ich nie befriedigt , bin ich des Gefühls nie ledig geworden , unnütz und einsam in der Welt zu sein .
Ich war es ebenso müde , immer nur an mich und meine Befriedigung zu denken , als ich jetzt zufrieden bin , so viel Unerläßliches für Andere zu tun zu haben , daß ich mitunter davor nicht zu mir selber , und bisweilen nicht einmal dazu gekommen bin , Ihnen die nötige Rechenschaft von meinem Tun zu geben , wenn schon der Gedanke an Sie und die Hoffnung , Sie hier in einer angemessenen Weise schalten und walten zu sehen , mir in aller Arbeit stets wie ein freundlich Sternbild leuchtet . "
Konradine hatte es an sich selber erfahren , wie heilsam eine zwingende Beschäftigung ist ; sie freute sich derselben also auch für Emanuel , für den ihre Neigung an Herzlichkeit gewann , je mehr sie die Milde seines Sinnes und die Schönheit seiner Empfindungsweise kennen lernte .
Sie hatte immer gern mit ihm verkehrt und Zutrauen und Freundschaft für ihn gefaßt , als sie in jenem Winter in dem gräflichen Schlosse neben ihm verweilt ; und wie sie ihn nun unter den neuen Lebensbedingnissen und unter der neuen Aufgabe , die ihm gestellt worden war , sich in einer fast unerwarteten Hingebung an dieselben , mit einer Energie , die sie ihm nicht zugetraut , bewähren sah , da faßte sie einen Glauben und eine Zuversicht für seine und ihre gemeinsame Zukunft , welche sie an dem Tage , da sie sich ihm verlobte , in dem Grade nicht besessen hatte .
Es schien , als ob ihm in der Berührung mit dem väterlichen Boden neue Kraft erwachsen , als ob er aller der kleinen Übel und Kränklichkeiten , über welche er gelegentlich wohl noch zu klagen gepflegt , mit einemmal ledig geworden sei .
Der Ausspruch der Ärzte bewahrheitete sich , daß in den reifen Mannesjahren die letzten Spuren des Brustleidens und der Nervenleiden , von denen seine frühen Jahre bedroht worden waren , verschwunden sein würden .
Wie viel zu dem Eintreffen dieser günstigen Wendung in den veränderten Verhältnissen lag , brachte man dabei doch noch lange nicht genug in Anschlag .
Er hatte , bis er als Besitzer der Güter nach Schloß Falkenhorst gekommen war , sich zumeist in jener reichen und vornehmen Gesellschaft bewegt , deren ganzes Sinnen und Trachten auf den mehr oder weniger durchgeistigten Genuß ihres völlig arbeitslosen Lebens gestellt war .
Nun sah er sich plötzlich in einen Menschenkreis versetzt , der tüchtig arbeitete , um eine verhältnismäßige Lebensleichtigkeit durch den Ertrag der Arbeit für sich zu ermöglichen , und in welchem man eben in der Arbeit und in dem Beobachten ihres immer neuen wachsenden Ertrages , seine Befriedigung fand .
Die Männer und Frauen in seiner Nachbarschaft standen an Abgeschliffenheit der Umgangsformen , an Leichtigkeit des Tones jener ausschließlich vornehmen Gesellschaft nach , ohne deshalb einer guten Bildung , der Freude an einem guten Buche oder der Teilnahme für die Fortschritte zu entbehren , welche die Menschheit auf den verschiedenen Gebieten des Wissens und der allgemeinen Entwicklung machte ; und Emanuel hatte sich noch nicht lange unter ihnen aufgehalten , als er zu bemerken glaubte , daß ihr Sinn freier und unabhängiger , daß sie zu selbstständigem , eigenem Denken und Handeln geneigter und geschickter wären als die sogenannte große Gesellschaft .
Barnefeld und die Seinen waren verhältnismäßig wenig herumgekommen in der Welt , aber sie wußten in ihrer Heimat und in ihrer Provinz um so genauer und gründlicher Bescheid .
Sie machten von feinen Empfindungen kein besonderes Wesen , indes ihr Familienleben war musterhaft , sie hielten fest zu ihren alten Freundschaftsverbindungen , und ein Anruf an ihre Hilfsbereitschaft war immer sicher , einem geneigten Ohr , einer offenen Hand zu begegnen .
Sie verlangten nach keinen besonderen Zerstreuungen , da des Dichters Wort , von den " sauren Wochen , frohen Festen " unter ihnen von selbst zu einer Wahrheit wurde .
Man dachte nicht an besondere Erholungen , nahm eine gelegentliche Geschäftsreise nach der Residenz mit Freuden hin , erzählte monatelang , mitunter jahrelang von den dort gehabten Vergnügungen ; was aber Emanuel , dem seine langjährige Kränklichkeit das Leben viel verbittert hatte , eigentlich am meisten bewunderte , am höchsten schätzte : man war so arbeitslustig , so von Herzen zufrieden , weil man so gesund war , daß man es fast als eine Demütigung ansah , von irgend einer Krankheit oder einem Gebreste befallen zu werden .
Das Gesunde , das Tüchtige , die Pflicht , das als richtig Erkannte auch mit Opfern sofort zur Ausführung zu bringen , schien diesen Menschen förmlich im Blute zu liegen , und ihnen gegenüber sich über ein Unwohlsein , über eine körperliche oder geistige Verstimmung zu beklagen , würde Emanuel Scheu getragen haben .
Das Alles nun wirkte günstiger auf ihn zurück , als er es selber wußte , und Konradine sowohl als die Gräfin gewahrten es mit inniger Genugtuung .
Die Gräfin war , um die weite Reise nicht in der Zeit zurücklegen zu müssen , in welcher die schlechten Wege sie noch beschwerlicher machten , gleich nach der Hochzeit ihres Sohnes , in ihre heimische Provinz zurückgekehrt und hatte sich seit langen Jahren dort zum erstenmal wieder in ihrer städtischen Wohnung auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet .
Frau von Wildenau war ihr dahin gefolgt , und auch Konradine war gegen das Ende des Jahres , nach dem Austritt aus dem Stifte , bei ihr eingetroffen .
Der Kreis der gräflichen Verwandten , die befreundeten Adelsfamilien begrüßten die Gräfin mit Freuden .
Da sie Leid trug um ihres Bruders Tod , und Konradine als künftige Verwandte des Hauses sich der Trauer um denselben anschloß , konnte die Rede nicht davon sein , das Haus in der alten glänzenden Weise für die Gesellschaft zu eröffnen .
Aber es stand der Familie doch auch andererseits ein erfreuliches Ereignis durch die Heirat Emanuels bevor ; weder die Gräfin noch Frau von Wildenau waren auf Abgeschiedenheit gestellt , und daß man eine Braut , eine neue Angehörige des alten Geschlechtes im Hause hatte , der man es schuldete , sie in dem ihr fremden Kreise einzuführen und heimisch zu machen , das bot den erwünschten Anlaß zu einer Geselligkeit , die sich mehr und mehr belebte , je weiter der Winter vorschritt .
Wenn auch die Gräfin und Konradine die großen Feste nicht besuchten und sich hauptsächlich darauf beschränkten , die Gäste im Hause zu empfangen , so versagte sich die lebhafte Vergnügungslust von Konradinens Mutter auch nicht die außerhäusige Geselligkeit , und wenn jene Beiden dazwischen sich mit Behagen eines stilleren Beisammenseins erfreuten , so brachten die Nachrichten und kleinen Neuigkeiten , mit denen Frau von Wildenau dann in heiterster Stimmung heimzukehren und die sie meist gleich bei ihrem Eintritte mitzuteilen pflegte , noch einen Abglanz ihres genossenen Vergnügens in das einsamere Gemach der Gräfin mit zurück .
An einem solchen Abende saßen die künftigen Schwägerinnen , deren gutes Einvernehmen durch die jetzige Gemeinsamkeit ihrer Interessen sich nur gesteigert hatte , noch an dem Thetische beisammen , als Frau von Wildenau wider ihre Gewohnheit zeitig von einem Balle nach Hause kam , der in dem Hause des kommandierenden Generals stattgefunden hatte .
In der Befürchtung , daß ein Übelbefinden sie dazu veranlaßt habe , erhob sich Konradine und ging ihr rasch entgegen ; aber die Mutter versicherte , daß sie sich gut befinde und daß nur eine Nachricht , welche der General durch eine Estafette während des Balles erhalten und die sich durch die Unvorsichtigkeit seiner Frau auch in der Gesellschaft verbreitet , sie aufgeregt und bewogen habe , sich zurückzuziehen .
" In die Festlichkeiten und die Toilettenfreuden wird nun auch eine Umwälzung hineinkommen , denn der Hof legt Trauer an für die drei nächsten Wochen , " sagte sie und hielt dann in einer so absichtlichen Weise inne , daß die Anderen es herausfühlen mußten , wie in der Nachricht , die sie mitzuteilen denke , Etwas enthalten sei , das eine besondere Bedeutung für sie habe .
" Ist denn von dem Hause unserer Herrschaften Jemand mit Tode abgegangen ? " fragte die Gräfin .
" Leider ja !
Und wenn man sich nicht scheute , wenn man sich nicht ein Gewissen aus solchen Vorstellungen machte , " entgegnete Frau von Wildenau , " so möchte man sagen , das sei Gottes Finger .
Ich wenigstens , obschon ich die Gründe noch heute zugeben muß , mit denen man von Seiten der Familie des Prinzen Friedrich , und mit denen er selber seine Handlungsweise gegen Konradinen zu rechtfertigen bestrebt war , ich konnte mich des Gedankens dennoch nicht entschlagen : das ist das Walten der gerechten Nemesis ! "
" Der Prinz ist doch nicht tot ? " rief Konradine , mit einem Erschrecken , das sie nicht verbergen konnte .
" Nein , nicht der Prinz , aber die Prinzessin ist an ihrer Niederkunft gestorben und auch das Kind ist tot ! " sagte Frau von Wildenau .
" Die Generalin , welche die Prinzessin erzogen hat , war erschüttert , als wäre ihr das eigene Kind gestorben .
Sie konnte es zu keiner Fassung bringen , man sah , sie war nicht bei dem Feste .
Das wirkte natürlich auf die ganze Gesellschaft zurück , und erschüttert hat mich die Nachricht auch , eben weil ich das Walten der Nemesis darin zu erkennen glaubte . "
Ihre weitläufige Mitteilung hatte Konradinen Zeit gegeben , sich zu fassen .
Die Farbe war wieder in ihre Wangen zurückgekehrt , und die Lippen in stolzer Bitterkeit erhebend , sagte sie :
" Ich sehe darin kein Walten einer strafenden Gerechtigkeit .
Der Prinz hat die Vorteile erreicht , die er für sich und für sein Haus durch die Verbindung mit des mächtigen Landesherrn Nichte angestrebt hat , und der Verlust einer jungen , unbedeutenden und ungeliebten Frau wird ihn so wenig niederwerfen , als die getäuschte Hoffnung auf das Kind .
Er ist und bleibt der Neffe eines Königs , und diesen Vorzug für seine Zukunft zu benützen , ist er ganz der Mann . "
Sie stand auf und holte anscheinend mit Gleichmut ihren Arbeitskorb herbei .
Die Gräfin , die sich ihrem Charakter nach vollständig in die Empfindungs- . weise der Verlobten ihres Bruders zu versetzen wußte , freute sich der festen entschlossenen Haltung , der raschen Selbstbeherrschung , welche Konradine auch in diesem Falle wieder dargetan hatte .
Sie kam ihr mit der Frage gleich zu Hilfe , ob Frau von Wildenau für dieses Ereignis die nötige Kleidung bei sich habe , ob sie eine Trauer-Toilette mit sich führe ; und man hatte niemals großer Mühe nötig , die Leichtbewegliche von einem Gegenstande abzuziehen , auf dem man sie verweilen zu lassen nicht für angemessen fand .
Fünftes Kapitel .
Es regnete und hagelte bei scharfem Winde , daß man kaum das Fenster öffnen mochte und daß der Dampf in der Wirtschaftsküche , in welcher Mamsell Ulrike gerade eine der großen Herbstarbeiten abzumachen hakte , durch die offenen Türen dem Knechte schon bis weit in den Hof hinein entgegenqualmte , als er früh am Vormittage mit der Posttasche durch das große Tor hereinritt .
Als er vom Pferde stieg , schüttelte er unter dem Vordache das Wasser von der ledernen Tasche und wischte sie dann noch mit dem Ärmel ab , ehe er sie in der Stube dem Amtmanne reichte .
Der Amtmann sah nach der Uhr .
" Es ist neun Uhr vorbei , wo bist Du denn so lange geblieben ? " fragte er .
Der Knecht entgegnete , er habe für die Mamsell noch Ausrichtungen machen müssen und der Weg sei grundlos , nicht vom Fleck fort zu kommen .
Damit ging er ab und der Amtmann schloß die Tasche auf .
" Endlich ! " rief er , nachdem er die Zeitungen und die beiden Geschäftsbriefe , die er in der Tasche vorgefunden , auf ihren gewohnten Fleck gelegt hatte , und wollte rasch den dritten Brief erbrechen , den die heutige Sendung ihm brachte , er besann sich indessen eines Besseren .
Er machte erst die anderen Briefe auf , las sie bedächtig durch , nahm die Zeitungen zur Hand , um die Kornpreise des letzten Marktes einzusehen , die sich zu seiner Freude höher als in der verwichenen Woche stellten , und steckte sich dann erst die Pfeife an , um den Brief , den er sich aufgespart , in möglichster Behaglichkeit zu genießen .
Aber gleich die Überschrift desselben setzte ihn in Erstaunen , und er hatte die ersten Zeilen kaum gelesen , als er mit einem Fluche aufsprang und nach der Türe gehen wollte , um die Klingel zu ziehen .
Er hielt sich jedoch wie mit Gewalt davon zurück , setzte sich wieder in den alten Stuhl an seinem Schreibtisch nieder , und den Kopf schüttelnd wie Einer , der nicht verstehen kann , was er doch vor seinen Augen hat , ließ er von Zeit zu Zeit einen Ausruf zornigen Erstaunens über seine Lippen gleiten , bis er mit den Worten :
" Ist das Frauenzimmer denn ganz von Gott verlassen ? " sich abermals erhob , das Fenster aufriß und seinen bekannten Pfiff über den Hof so laut erschallen ließ , daß in den Scheunen und im Stalle und in der Werkstatt Alles an die Türen kam , und der Stallknecht , dem er ein Zeichen gab , sich sogleich in Trab zu setzen anfing .
" Den Fuchs satteln ! " rief er , sobald der Knecht nahe genug war , ihn verstehen zu können , " und Johann soll kommen ! "
Damit zog er das Fenster wieder zu , und wie er sich umwendete , stand Ulrike hinter ihm .
Er hatte eben nur noch Zeit , den Brief in die Brusttasche zu stecken , den er zuletzt gelesen hatte .
" Was ist denn passiert ? " fragte sie , während sie die Hände noch an der großen Küchenschürze trocknete .
" Was soll denn passiert sein ? " entgegnete er , und sich von ihr zu dem herbeigerufenen Kutscher wendend , befahl er ihm , die weite , lederne Reithose zu holen , die er sich über sein Beinkleid knöpfen ließ , wenn er einmal in besonders schlechtem Wetter draußen sein mußte .
Ulrike war so leicht nicht abzuweisen .
" Passiert muß Etwas sein , " meinte sie , " denn in dem Wetter reitet doch kein Mensch aus , wenn er nicht eben muß , und Du mit Deinen Gliederschmerzen ganz gewiß nicht ! "
" Ich will einmal probieren , wie das Wetter und die Gliederschmerzen sich vertragen ! " antwortete er in einem Tone und mit einem so bitteren Humor , daß er Ulrike nur in ihren Vermutungen bestärkte , und da sie es gesehen hatte , daß er einen Brief vor ihr verborgen , rief sie , sich mit ihrer gewohnten Entschlossenheit in dreistem Sprunge auf ihr Ziel losstürzend :
" Was ist denn vorgegangen mit der Hulda ? "
Der Amtmann fuhr auf .
Die scharfe Frage kam ihm in dem Beisein des Knechtes , der ihm das Reitkleid überknöpfte , doppelt ungelegen .
" Wie kommst Du denn mit einemmal darauf ? fragte er .
" Ich habe es wohl nicht gesehen , wie Du den Brief einstecktest ?
So laß ihn stecken , wo er steckt ! " gab er ihr zur Antwort , schloß den Schreibtisch zu , ließ sich den Flausrock überziehen , und im Vorbeigehen die Mütze mit dem großen Schirme und die Peitsche von dem Haken nehmend , schritt er der Türe zu .
Die Schwester trat ihm in den Weg .
" Du wirst doch sagen können , wo Du hingehst ? "
" In das Feld ! " versetzte er .
" Es liegt mir auf der Brust , Ihr habt ja überheizt , als ob das Holz gestohlen wäre .
Laß die Fenster aufmachen , alle beide . "
Das ging Ulriken über den Spaß , sie wußte nicht , was sie denken sollte , es kam etwas wie eine Besorgnis um den Bruder über sie .
" Aber Du kommst zum Essen doch zurück ? " fragte sie .
" Laß sie essen , wenn ich um die Zeit nicht da bin ! " gab er ihr zur Antwort , und war auf das Pferd gestiegen und davongeritten , ohne sich über irgend Etwas auszulassen .
Ulrike nahm die Schürze über den Kopf und ging vor die Türe hinaus .
" Dahinter steckt kein Anderer als die Hulda ! " sagte sie , wie sie den Bruder aus dem Hoftor sich zur Linken wenden und nach dem Dorfe hinunter reiten sah .
" Er reitet zum Pastor ! "
Und in der Tat , sie hatte sich in ihrer Voraussicht nicht getäuscht .
Der Amtmann konnte die erhaltene Nachricht nicht mit sich selber abmachen , er mußte einen Menschen haben , mit dem er sprechen , mit dem er überlegen konnte , und wenn es auch nur ein junget Mann war wie der Pastor .
Er ritt , als wäre er um zwanzig Jahre jünger .
Der Fuchs wußte nicht , was er von seinem Reiter denken sollte .
Sie waren in dem Dorf und vor der Pfarre schneller als in bester Zeit .
Der Amtmann fand den Pastor still bei seinen Büchern sitzen .
Es stand und lag in der Wohnung noch ziemlich so , wie zu der früheren Bewohner Zeiten .
Nur diejenigen Bücher und die anderen Gegenstände , auf welche Hulda Wert gelegt , hatte der Amtmann nach dem Schlosse genommen , um sie dort aufzuheben .
Das Übrige hatte der Pfarrer angekauft , und beide Teile hatten sich gut dabei gestanden , denn , von ihrer Stelle einmal fortgerückt , hatten die alten Möbel und Geräte kaum noch Wert , und sie zu einem billigen Preise an sich zu bringen , war für den jungen Pfarrer immerhin vorteilhaft gewesen bei der Kostspieligkeit des Mehrmilien Transportes von der Stadt .
Dazu liebte er die kleinen stillen Räume so wie er sie vorgefunden hatte , und wollte sie so behalten , bis ihn einmal eine andere Wendung seines Schicksals sie zu verlassen oder zu verändern zwingen würde .
Des Amtmanns Ankunft in dem bösen Wetter kam ihm höchlich überraschend .
Er war vor der Türe , hatte dem Knechte , den er sich jetzt , seit der besseren Besoldung seiner Stelle , halten konnte , das Pferd zum Herumführen gegeben und den geehrten Gast des schweren , nassen Reitanzuges entledigt , ehe er in seinem Erstaunen zu der Frage gekommen war , was den Amtmann in sein Haus gebracht habe .
Auch ließ es dieser dazu gar nicht kommen .
Er sah sich rasch in der kleinen Stube um , ob die Kammertüre nicht etwa offen stände , schritt dann nach dem wohlgeheizten Ofen hin , an dem er sich die Hände und den Rücken wärmte , und sagte rasch und mit gedämpfter Stimme :
" Ich bin herübergeritten , weil ich mit der Schwester nicht davon reden kann .
Sie darf es vielmehr nicht einmal wissen , und es ist mir selber noch unglaublich , obschon ich doch mein Teil erlebt habe in der Franzosenzeit und wie danach die Russen im Lande gewesen sind .
Es ist da genug und alles Mögliche vorgekommen mit den Frauenzimmern , aus den vornehmen Familien so gut wie unter Unseresgleichen und unter dem gemeinen Volke ; aber so Etwas ist noch gar nicht dagewesen -- guter Leute Kind ! "
Der Pfarrer , welcher Erziehung genug besaß , den älteren Mann ruhig anzuhören und ihm die Zeit zu lassen , sich nach seiner Ansicht zu erklären , hatte nicht verstehen können , wo hinaus der Amtmann wolle , indes die letzten Worte hatten etwas unheimlich Beunruhigendes für ihn .
" Von wem sprechen Sie Herr Amtmann ? " erkundigte er sich mit böser Ahnung .
" Habe ich es Ihnen nicht gesagt ? " fragte der Amtmann , dem das Herz von seiner zornigen Sorge so erfüllt war , daß er meinte , auch der Pfarrer müsse darum wissen .
" Ich dachte , ich hätte es Ihnen gleich gesagt .
Stellen Sie sich vor -- es ist gar nicht zu glauben -- die Hulda ist unter die Komödianten gegangen ! "
" Unmöglich ! da sei Gott vor ! " rief der Pfarrer , und sein Aussehen zeigte , was er dabei fühlte .
" Wie ich Ihnen sage , " wiederholte der Amtmann , " es ist , als ob sie ganz von Gott verlassen wäre !
Eines Pfarrers Tochter und solch braver Leute einzig Kind .
Ein Mädchen , auf das ich gehalten habe , mehr als auf mein eigen Fleisch und Blut .
Man mag es nicht über seine Lippen bringen , damit nicht auch Andere es hören ; aber es ist , wie ich es Ihnen sage : sie ist unter die Komödianten gegangen ! "
Die Aufregung , das ungewöhnlich lebhafte Sprechen des treuen Mannes verrieten dem jungen Geistlichen , wie nahe es dem Greise ging , und ihn selber hatte es sehr schwer getroffen .
Aber die ernste und strenge Schulung für sein Amt , hatte ihm trotz seiner jungen Jahre Selbstbeherrschung früh zur Pflicht gemacht ; und seine Bewegung , so gut er es vermochte , in Schranken haltend , fragte er den Amtmann , woher er diese Kunde habe .
" Geschrieben , selbst geschrieben hat sie es mir , ohne alle Scheu und Scham ! " rief der Amtmann .
" Da lesen Sie es selbst . "
Er reichte ihm den Brief hin , der Pfarrer trat damit ans Fenster .
Er kannte die feine , wohlgefügte Schrift , es war ein Buchstabe klar und deutlich wie der andere , die Zeilen folgten einander in schönster Gleichmäßigkeit , ihre Hand hatte nicht gezittert , sie hatte nicht geschwankt , als sie es niedergeschrieben : wie sie den Gedanken , die Bühne zu betreten , schon seit lange in der Seele gehegt , wie ihr Sinn darauf gestanden habe , sich in freierer Lebensbahn zu bilden und zu entwickeln , und wie gern sie das Alles dem Vormunde gestanden , wie sie ihn um seinen Rat gebeten haben würde , wäre sie nicht seines Widerstandes gewiß gewesen .
Sie schrieb dann noch , welche günstigen Ereignisse ihr zu Hilfe gekommen wären , wie gütig sich die berühmte Gabriele ihrer angenommen habe , und bat schließlich den Amtmann , ihr zu verzeihen , daß sie mit einer Unwahrheit von ihm geschieden sei .
Sie hoffe ihm dereinst Ehre zu machen , und er möge zu ihr das Zutrauen haben , daß sie , ihrer Eltern eingedenk , nie von dem rechten Pfade weichen werde .
Dem Pfarrer flirrten die Buchstaben vor den Augen , als er die letzten Worte las .
Er mußte die Augen schließen und mit der Hand verdecken .
" Die Unglückliche , die Ärmste ! " rief er schmerzlich aus .
" Ja , " bekräftigte der Amtmann , " aber was ist da zu machen ? "
" Man muß hin -- man muß sie sehen -- mit ihr sprechen , sie von dem unheilvollen Pfade zurückzuführen , sie hierher zurückzubringen suchen ! " meinte der Pfarrer .
" Und was nachher ? " fragte der Amtmann .
Soll ich sie wieder zu mir nehmen ?
Das fällt mir nicht ein .
Das geht auch mit meiner Schwester nun und nimmermehr , wenn die erst weiß , von wannen Hulda kommt und wessen Geistes Kind sie ist .
Ich habe auch selber keine Lust dazu , den Zuchtmeister zu machen , denn wer sagt mir gut dafür , daß sie nicht bald wieder heimlich so Etwas unternimmt und wieder auf und davon geht .
Der Oberförster kommt mir auch nicht in das Haus , wenn sie darin ist ; und Sie für Ihr Teil würden ebenfalls kein sonderliches Vergnügen davon haben . "
" Man darf sie aber nicht sich selber überlassen , " fiel der junge Pfarrer ein , " man muß versuchen , ihr klar zu machen , was sie tut .
Es müssen Einwirkungen , Einflüsse stattgefunden haben , die sich unserer Beobachtung entzogen haben -- "
" Was ist da zu beobachten ? " meinte der Amtmann ungeduldig .
" Das vornehme Leben im Schlosse , die feine Erziehung durch die Miß , der ich mit ihren fremden Redensarten nie getraut habe , und der unglückliche Liebeshandel mit dem verwünschten Baron Emanuel , die sind ihr in den Kopf gestiegen , und ich will Den sehen , der ihr das wieder austreibt .
Aber das wäre mir Alles einerlei , wenn ich nur erst wüßte , was man mit ihr macht .
Holen kann und werde ich sie nicht , denn ich kann sie hier nicht brauchen . "
" Sie ist so sanft , so unterrichtet , und obschon sie uns getäuscht hat -- ich habe sie stets so aufrichtig , so von Herzen wahrhaftig gefunden , " sagte der Pfarrer .
" Ich kann es mir nicht denken , daß sie auf einem solchen falschen Wege dauernd beharren sollte .
Ich habe das Zutrauen zu ihr noch nicht verloren . "
" Aber Sie würden sich doch hüten , Sie noch jetzt zu Ihrer Frau zu machen !
Sie würden doch nicht die Courage haben , einer Familie , die Jemand für ihre Kinder nötig hat , zu sagen :
" Nehmen Sie das Mädchen zu sich ! "
Der Pfarrer schwieg , weil er das nicht ausdrücklich eingestehen mochte , und der Amtmann fand dies völlig in der Ordnung .
" Sehen Sie , " rief er , " das ist es ja eben , das habe ich auf dem ganzen Wege in mir ruminiert .
Mit einem Frauenzimmer , das erst einmal derlei im Kopfe gehabt hat , ist in einem ordentlichen Hause gar Nichts mehr zu machen , und ich bin und bleibe doch ihr Vormund .
Hierher will ich sie nicht nehmen , unter den Komödianten will ich sie nicht lassen .
Wenn ich ihr befehle , zu ordentlichen Leuten in die Kost zu gehen -- bezahlen wollte ich es ja herzlich gerne -- so weiß ich nicht , ob sie es tun , und ob sie mir nicht wieder fortgehen wird , wie aus dem Hause des Kastellans ; und ihr einen Steckbrief nachschicken , kann ich doch auch nicht .
Ich muß sie eben laufen lassen , mag sie sehen , wie es nachher tut .
Es ist nur ein Glück , daß sie doch wenigstens ihres Vaters Namen nicht beschimpft und sich einen anderen gegeben hat .
Was die Leute sagen werden , daran denke ich noch gar nicht .
Und nun meine Schwester erst !
Es ist um gleich dreinzuschlagen . "
Er hatte sich in Zorn gesprochen und trommelte ärgerlich mit den Fingern auf dem Tische , an dem er sich niedergelassen hatte .
Der junge Geistliche saß ihm schweigend gegenüber .
Die Nachricht ging ihm sehr zu Herzen , dem Amtmanne war indessen mit seinem Schweigen nicht gedient .
Er wollte wissen , was er denke .
" Ich überlegte , " sagte der Pfarrer , " wie wunderbar die Wege Gottes sind und wie es uns oft nicht leicht fällt , seine Führung zu verstehen und ihr richtige Folge zu leisten .
Ich dachte an die Freude , welche die Eltern über die Schönheit der Tochter empfunden haben mögen , die für sie zu einer schweren Versuchung geworden ist ; und ich erinnerte mich , wie es uns geboten ist , dem Irrenden die Hand zu reichen , um ihn auf den rechten Pfad zu führen . "
" Das ist Alles recht gut und schön , " fiel der Amtmann ihm ungeduldig und zornig in das Wort .
" Aber einen Jagdhund , der den Appell verloren hat , den bringen Sie mit keinem Pfeifen mehr zurecht , der verlangt das Stachelhalsband ; und das Leben wird es ihr schon bringen .
Darüber bin ich unbesorgt . "
" Nicht weiter , nicht weiter , Herr Amtmann ! " rief der Pfarrer mit bewegter Abwehr .
" Wer will voraussehen , was ihr noch beschieden ist !
Aber Sie sind erzürnt und haben kein Vertrauen mehr zu Hulda .
Ich für meinen Teil gebe die Hoffnung für sie noch nicht auf .
Lassen Sie mich schreiben .
Ich werde es noch heute tun .
Vielleicht verleiht mir der Herr die Kraft , das Wort zu finden , das zu ihrem Herzen dringt .
Und bis wir darüber nicht Gewißheit haben , möchte ich Sie bitten , geheimzuhalten , was Sie mir anvertrauten .
Über meine Lippen kommt kein Wort davon . "
Der Amtmann sah ihn an , und es zuckte wunderlich um seinen Mund , als er dem jungen Manne über den Tisch hin seine Hand bot .
" Ich glaube , " sprach er , " es ist so etwas von des seligen Pastors Geist auf Sie gekommen .
Sie waren anders , als Sie hier bei uns anlangten , anders ganz und gar , und ich hätte Sie damals gerne wieder fortgehen sehen .
Aber Sie sind ein braver und ein guter Mensch .
Ich verstehe das Frauenzimmer nicht .
Fortzulaufen unter solch Gesindel , auf die Bretter zu gehen , wie der nichtsnutzige Bursche , der Michael , vor dem sie einen wahren Abscheu hatte !
Guter , braver Leute Kind , das es hier mit Ihnen sehr gut haben konnte !
Ich verstehe es nicht .
Ich verstehe_es partout . nicht ! "
Er stand dabei auf , zog die Uhr mit der großen Schildpattkapsel aus der Tasche , sah nach der Zeit und sagte : " Ich will doch lieber , noch ehe sie bei mir zum Mittagessen klingeln , wieder auf dem Hofe sein .
Ich muß fort . "
Der Pfarrer bat ihn , Etwas zu genießen , schon wegen der nassen , kalten Luft , indes der Amtmann wies es dankend ab .
Er habe von dem schweren Ärger alles Blut im Kopfe , sagte er , und dann sei Fasten ihm das Beste .
Der Knecht mußte das Pferd vorführen , der Amtmann legte den dicken Rock von Düffel wieder an , zog den Kragen hoch über die Ohren , drückte die Mütze in die Stirn , und schwang sich trotz seiner Schwere und seiner Jahre noch so rüstig auf das Pferd , daß es den Pfarrer , der ihm das Geleite gab , freute .
" Also Sie schreiben ihr , und recht eindringlich , lieber Herr Pastor ! und es bleibt Alles unter uns .
Ich verlasse mich darauf ! " rief der Amtmann , noch einmal , als er schon fest im Sattel saß , und dem Pferde das Zeichen gebend , ritt er in seinem kurzen Schaukeltrab von dannen .
Sechstes Kapitel .
Als Hulda dem Amtmanne von ihrem Vorhaben die erste Kunde gegeben , hatte sie mit Scheu daran gedacht , wie er die Nachricht aufnehmen und ob er versuchen und was er versuchen werde , sie von ihrem neuen Wege zurückzubringen .
Sie war daher betroffen , als statt der Antwort ihres Vormundes ein Brief des jungen Pastors in ihre Hände kam .
Aber seine bittenden Ermahnungen , seine nicht zu verbergende zärtliche Sorge für ihr Heil , wie er es nannte und verstand , taten ihr nur wehe , ohne einen bestimmenden Eindruck auf sie zu machen .
Sie hatte sich das Alles selber wohl gesagt , als der Reiz des neuen Lebens , das sich vor ihr auftat , sie noch nicht gefangengenommen hatte .
Jetzt war das überwunden .
Sie dachte mit flüchtiger Rührung des daheimgebliebenen Freundes , sie beklagte ihn , weil er sie ohne Hoffnung liebte , aber es freute sie , daß nur sein Brief sie noch erreichen konnte , daß sie ihm selber nicht mehr zu begegnen brauchte .
Sie mochte nicht mehr rückwärts blicken , rückwärts denken ; sie sah nur vorwärts auf das Ziel , das in verlockender Nähe immer deutlicher und bestimmter vor ihrem Auge aufzuleuchten anfing .
" Eine neue Weiberlaune , " hatte der Direktor es genannt , als Feodora sich gleich bei dem ersten Begegnen mit Hulda zu deren Beschützerin aufgeworfen hatte .
Indes zum Erstaunen aller Anderen war diese Laune nachhaltig geworden , und ohne daß man sich_es erklären konnte , wie sie darauf hatte verfallen mögen , hatte Feodora sich von dem Direktor die Zusage machen lassen , daß er es ihr ausschließlich anvertrauen wolle , Hulda für ihr erstes Auftreten zu schulen .
Auch die Wahl des Stückes hatte sie treffen zu dürfen verlangt , je nachdem sich Hulda's Anlagen entfalten würden , und er hatte ihr dies Alles endlich nachgegeben , denn er war sicher , daß ihre Klugheit wie ihre Eitelkeit sie davor bewahren würden , Etwas zu unternehmen , was die große Vorliebe und das Zutrauen beeinträchtigen konnte , mit denen sie von dem Publikum ausgezeichnet wurde .
Diese Klugheit bewährte sich denn auch in diesem Falle für ihre schöne Schülerin .
Feodora hatte es sowohl in ihrer Künstlerlaufbahn als im geselligen Leben stets erfahren , wie zu früh oder zu lebhaft gespendetes Lob die Erwartungen der Menschen überspannt , so daß danach das Beste und das Schönste ihren phantastischen Vorstellungen nicht genug tut ; und sie wußte ebenso , wie eifrig die Neugier wird , die zu befriedigen man zögert .
Sie wies deshalb ihre neue Schülerin , obschon es dessen kaum bedurfte , ausdrücklich an , sich ausschließlich an ihre Arbeit zu halten , den Verkehr mit ihren künftigen Kollegen für das Erste noch zu meiden und sich auch in der Theater-Loge nicht unnötig in Szene zu setzen .
Selbst Feodorens künftiger Gatte und ihre nächsten Freunde sahen und sprachen Hulda nur in flüchtigem Begegnen , und wo sie sich über deren Fähigkeiten äußerte , geschah es stets mit vorsichtiger Gemessenheit .
Aber gerade dadurch erreichte sie ihren Zweck .
Man wurde neugierig auf Hulda , man fragte sich in den Kulissen und bald auch unter den Theaterfreunden , was Feodora mit diesem geheimnisvollen Tun beabsichtige , und kam endlich zu dem Schlusse , daß sie irgend Etwas im Schilde führe , womit sie bei ihrem Abgang von der Bühne es noch auf einen besonderen Effekt anlege ; und darin täuschte man sich nicht .
Feodore war Schauspielerin mit Leib und Seele .
Komödie zu spielen , war ihr so sehr ein Bedürfnis , daß sie sogar sich selbst in ihren jeweiligen Stimmungen und Launen , wie in einer darzustellenden Rolle , künstlerisch zur Erscheinung zu bringen wußte , und ihr Freund , der Doktor , hatte nicht Unrecht , wenn er behauptete :
sie empfinde in Wahrheit nur die Leidenschaften , die sie spiele , und Ernst sei es ihr nur mit jenen Dingen , die sie im Scherze von sich aussage .
Niemand wußte , was es bedeuten solle , daß sie sich der jungen schönen Schauspielerin so eifrig annahm , daß sie geflissentlich die Alternde spielte ; denn man hatte sie niemals angeregter und reizender , frischer und jugendlicher , zufriedener und selbstgewisser gesehen als in diesem Winter ; niemals hatte sie mit so unausgesetztem Eifer sich ihren theatralischen Studien hingegeben als jetzt , da ihr letztes Erscheinen auf der Bühne nahe war .
Ihr Kontrakt ging mit dem Jahre zu Ende , und man wußte seit Monaten , daß sie in der Rolle der Thekla , mit welcher sie hier vor Jahren in Wallenstein's Tod ihr Gastspiel angetreten hatte , auch zum letztenmal vor dem Publikum erscheinen wolle , um es darzutun , wie sie an Jugendfrische noch dieselbe sei , während sie an künstlerischer Kraft gewonnen habe .
Der Tag dieses letzten Auftretens kam denn nun heran , alle Plätze waren im voraus bestellt , denn die Direktion hatte es für den Abend auf eine Abschiedsfeierlichkeit angelegt , wie Feodorens Hingebung an ihre Kunst und an das Institut sie vollauf verdiente .
Die Probe für den Abend hatte bereits begonnen , als sich , man konnte nicht einmal sagen durch wen , auf der Bühne die Nachricht verbreitete , Feodora habe für den heutigen Abend eine Überraschung für das Publikum im Sinne .
Anfangs lachte man darüber , denn es war Alles mit der nötigen Genauigkeit für die kleine Szene vorbereitet , in welcher nach Beendigung des Trauerspieles der Scheidenden von ihren Kollegen ein Lorbeerkranz und das Gedicht überreicht werden sollten , das der Doktor gemacht und das Lelio zu sprechen übernommen hatte , und es blieb innerhalb dieses festen Rahmens nicht wohl Raum für ein freiwilliges Unternehmen von Seite der Gefeierten .
Als es dann aber verlautete , daß der Direktor , Lelio und der Regisseur in den letzten Tagen mehrfach bei Feodoren gewesen wären , daß sie am verwichenen Abende mit Van der Vlies , mit Herrn von Hochbrecht und dem Doktor bei ihr gegessen hätten , daß sie danach Hulda habe spielen lassen , und daß die sämtlichen Anwesenden höchlich von der Leistung des jungen Mädchens befriedigt worden seien , da wurde man über Feodorens Vorhaben unruhig , und auf dasselbe neugierig gespannt .
Zuneigung und Abneigung machten sich in günstigen Erwartungen und übelwollenden Bemerkungen in aller Freiheit Luft .
Man erging sich darüber in Vermutungen , ob es auf eine Entgegnung von Seiten Feodorens , auf einen Dank für ihre Kollegen und für das Publikum , oder worauf sonst immer abgesehen sei .
Die Einen meinten spottend , sie werde wohl als Erato oder als Melpomene erscheinen , wenn die Szene vor sich gehe ; die Anderen , es werde eines der Schiffe des Hauses Van der Vlies im Hintergrunde herangeschwommen kommen , um ihr Potosis Schätze symbolisch zu Füßen zu legen und sie als Königin von Golkonda fortzuführen .
Man lachte , man scherzte , und während man unter allen diesen Scherzen von Lelio und den beiden Eingeweihten zu erfahren strebte , wer der künftigen Schauspielerin denn in ihren gestrigen Versuchen zur Seite gestanden habe , kam es heraus , daß Hulda nicht , wie es zuerst im Plane des Direktors gelegen hatte , als Käthchen von Heilbronn , sondern als Emilia Galotti , als Louise Miller und danach als Thekla debütieren werde .
" Und das erfahre ich erst jetzt !
Ich , die doch mit ihr zu spielen haben wird ! " rief die Delmar , zu deren Lieblingsrollen die Orsina und die Lady Milfort gehörten ; und in der Aufregung sich heftig an den Direktor wendend , erklärte sie , daß sie nicht gewillt sei , sich wie das Publikum Überraschungen gefallen zu lassen , deren Kosten sie zu tragen habe , wenn die Versuche der mit so beispielloser Wichtigkeit behandelten Anfängerin , eben wie Versuche von Anfängern kläglich ausfallen sollten .
Sich in ihren vorzüglichsten Leistungen durch fremde Unzulänglichkeit behindern zu lassen , dazu werde sie sich in keinem Falle hergeben .
" Nun denn !
So muß ich Rat schaffen und Jemanden finden , der sich dazu hergibt ! " entgegnete der Direktor mit der Ruhe und Gelassenheit , welche er gegenüber den Aufwallungen der Reizbaren meist zu bewahren pflegte , und vor denen die Heftigkeit der Delmar dann auch zur Besinnung kam .
Aber es lag heute ein Etwas in seinem Tone , es ging ein Lächeln durch sein Gesicht , die ihr unheimlich und unheilkündend dünkten , und die siegesgewisse Heiterkeit , mit welcher Feodore auftrat , steigerte ihre Sorgen , daß sie nicht wußte , was sie tun sollte .
Ein paarmal war sie nahe daran , Feodore zur Rede zu stellen , aber sie stand dann wieder davon ab , weil sie derselben die Ehre nicht gönnen wollte , sie irgendwie beunruhigt zu haben ; und wenn dann inzwischen die Erinnerung an die Feindschaft sie überwältigte , welche die beiden Frauen gegen einander hegten , seit Feodore den einzigen Mann von der Delmar entfernt , den sie wirklich geliebt hatte , so tröstete sie sich mit dem Gedanken , daß Feodore heute doch zum letztenmal neben ihr auf den Brettern stehe , und daß aller Reichtum dieselbe nicht werde schadlos halten können für die Entbehrung des Glückes , sich als die gefeierte Schauspielerin von dem Beifalle eines begeisterten Auditoriums getragen zu empfinden .
Die Probe verlief indessen mit gewohnter Regelmäßigkeit .
Die beiden Frauen gingen mit der alten erheuchelten Gleichgiltigkeit an einander vorüber .
Die Delmar verriet gegen Feodore nicht , wie sehr sie sich gekränkt fand , aber sie verlor ihre Feindin nicht eine Minute aus den Augen , und erst im Fortgehen , als sie unter der Halle auf Feodore und Lelio traf , trat sie in ihrer herrischen Weise rasch an sie heran und sagte : " Wenn Sie wieder einmal Plane entwerfen , ohne mich dabei zu Rat zu ziehen , so bitte ich Sie , wenigstens nicht darauf zu rechnen , daß ich mich für dieselben brauchen lasse .
Ich bin nicht gesonnen , mich zum Opfer zu bringen für die neue Göttin , die Sie dem Publikum vorzuführen denken .
In solchen Komödien spiele ich nicht mit . "
" Nicht ? " entgegnete Feodore mit einem Tone , als überrasche sie die Delmar sehr unangenehm .
" Wirklich nicht ?
Ach , das tut mir leid .
Aber was ist da zu machen ?
-- Sie wissen es , ich interessiere mich für das liebe Mädchen schon um Gabrielens Willen , die uns dasselbe hiehergesendet hat .
Rat geschafft muß also werden , und schlimmsten Falles , " sie besann sich einen Augenblick , dann sagte sie , als käme ihr soeben ein glücklicher Gedanke , " nun , schlimmsten Falles muß ich dann mit Hulda spielen . "
" Sie ? " rief die Delmar höhnisch , " meine Rollen ?
Und nach Ihrem feierlichen Abgang von der Bühne ?
Vielleicht als Madame Van der Blies ? "
Feodore sah sie mit dem sanften Ausdruck ruhiger Vornehmheit an , der sie in vielen ihrer Rollen so vortrefflich kleidete , und meinte :
" Sie scheinen das für so unmöglich zu halten , daß Sie mich dazu verführen könnten , den Versuch zu wagen .
Fordern Sie mich nicht so dreist heraus .
Sie wissen , ich bin ehrgeizig und eitel , und das Neue , das Originelle reizen mich ! " und sich anmutig mit leichtem Gruße verneigend , verließ sie in Lelio's Begleitung das Theater .
Die Delmar blickte ihnen sprachlos nach .
Sie kannte dieses Lächeln Feodorens , sie kannte die kalte Entschlossenheit , welche sich bei ihr hinter dieser Art von Freundlichkeit verbarg , und der Gedanke , daß sie es in ihrer Hand habe , das heutige letzte Auftreten und die feierliche Entlassung Feodorens unmöglich zu machen , zuckte in ihr auf .
Aber das Publikum erwartete etwas Besonderes für diesen Abend , es liebte Feodoren , und die Delmar , die bei der Bühne blieb , durfte die üble Laune Derjenigen nicht gegen sich erregen , auf deren Gunst und Beifall sie angewiesen war .
Sie mußte heute spielen , und weil sie es mußte , wollte sie es dartun , was sie vermöge und was sie für die Bühne wert sei .
Das Theater war am Abend bis in die letzten Plätze von dem gewähltesten Publikum der Stadt besetzt , die Darstellung eine der vollendetsten , der beigewohnt zu haben man sich erinnerte .
Man war einstimmig darüber , daß eine solche Vereinigung von frischen Kräften und ein so sicheres Zusammenspielen , selbst in den königlichen Theatern der Hauptstadt kaum mehr zu finden wäre .
Die Frauen beklagten es , daß Feodore von der Bühne scheide , wo sie doch ganz anders an ihrem Platze gewesen sei , als künftig in der Gesellschaft , die immerhin Zeit gebrauchen würde , ihre theatralische Vergangenheit und ihren freien Liebesverkehr mit Van der Vlies zu vergessen .
Die Männer hingegen fanden es sehr natürlich , daß derselbe für sich allein die Frau besitzen wolle , deren öffentliche Bewunderung er bisher mit Anderen teilen mußte , und die warme Sympathie , von welcher Feodore sich heute mehr als je getragen fühlte , gab ihrem Spiele eine Begeisterung und Kraft , die auf alle ihre Mitspieler zurückwirkte , so daß von Akt zu Akt der Beifall sich steigerte , und der Direktor wie die Schauspieler Feodorens Austritt aus ihrem Verbande in der Tat als einen schwer zu ersetzenden Verlust empfinden mußten .
Als der Vorhang gefallen war und sich dann nach längerer Pause wieder hob , eine Garten-Dekoration enthüllend , in welcher das ganze Personal des Theaters in bürgerlicher Kleidung aufgestellt war , führte der Direktor Feodore in den Kreis .
Die rhythmische Ansprache Lelio's , die Überreichung des Kranzes gingen in üblicher Weise vor sich .
Feodorens natürliches Gerührtsein und die schöne Weise , in welcher sie es kundgab , bewegten und entzückten die Zuschauer .
Lauter allseitiger Beifall umrauschte die Künstlerin .
Man warf ihr Kränze und Blumen von allen Seiten zu , daß sie Mühe hatte , sie zu sammeln und mit ihrem grüßenden Verneigen für die Gunst zu danken , die man ihr bezeigte .
Mit einemmal aber , als des Beifalls gar kein Ende wurde , trat sie , hoch emporgerichtet , mitten in die Szene , und die Hände bittend erhoben , um Gehör zu fordern , sprach sie es aus , wie schwer auch ihr das Scheiden von einem Zuschauerkreise falle , dessen Gunst sie über das Verdienst geehrt habe und dem ein Zeichen ihrer Dankbarkeit zu geben ihr ein Bedürfnis sei .
Sie habe also , in der Voraussetzung , daß es ihren geneigten Gönnern nicht mißfallen werde , von dem Direktor die Erlaubnis gefordert und erhalten , noch dreimal als Gast in diesem Hause aufzutreten .
Sie wünsche zugleich bei dieser Gelegenheit , dem ihr so wohlgesinnten Publikum die Schülerin vorführen zu dürfen , die bestimmt sei , sie zu ersetzen , und erbitte für dieselbe im Voraus einen Teil der Nachsicht und der Gunst , mit denen man sie geehrt und ihr in der Stadt , die künftig ihre Heimat sein und bleiben werde , die theatralische Laufbahn und die Erfüllung ihres Berufes in derselben , zu einem fortdauernden Genusse gemacht habe .
Das schlug wie eine Freudenbotschaft in alle .
Herzen ein ; selbst die in jenen Zeiten mit solchen Kundgebungen noch sehr zurückhaltenden Frauen klatschten in die Hände .
Man rief ihr immer neues Bravo zu , und während die Delmar sich mit einem von den Beifallzeichen übertönten Aufschrei an die Balustrade der Kulisse lehnte , fiel der Vorhang .
Draußen aber sagten die in der Halle angebrachten Theaterzettel es dem Publikum , daß in der Mitte des beginnenden Monats Feodore in den Rollen der Orsina , der Lady Milfort , der Gräfin Terzky , als Ehrengast auftreten , und Mademoiselle Hulda Vollmer , ihre Schülerin , dabei als Emilie , als Louise und als Thekla debütieren werde .
Siebentes Kapitel .
Die Proben für dieses Gastspiel und für das erste Auftreten von Hulda begannen an dem nächsten Tage , und schon am frühen Morgen waren die Meldungen für die Plätze bei der Theaterverwaltung eingegangen .
Der Direktor hatte seine Freude an Feodorens Klugheit , denn in der ganzen Stadt sprach man nur von ihr und ihrer schönen Schülerin , mit der man sie am Morgen hatte zur Probe fahren sehen .
Diese Probe nun hatte alle Erwartungen des Direktors übertroffen , hatte selbst bei den Schauspielern , namentlich bei den Jungen und Begabten unter ihnen , jenen belebenden Eindruck hinterlassen , den ein unerwartetes und glückliches Ereignis , ein vollkommenes Gelingen stets auf Denjenigen ausüben , der zu seinen Gunsten davon mitberührt wird .
Die Delmar hatte sich krank gemeldet , und der Direktor hatte in diesem Augenblicke keinen Anlaß , ihr die Ruhe zu mißgönnen , deren sie zur Überwindung ihrer eingebildeten oder wirklichen Leiden nötig zu haben behauptete .
Aber die Kunde , die ihr von ungeschickter Freundschaft und von feindseliger Dienstbeflissenheit in ihr Krankenzimmer zugetragen wurde , war nicht dazu geeignet , ihre gereizten Nerven zu beruhigen ; denn das ganze Personal war durch das ; was man den originellen Gedanken Feodorens nannte , wie elektrisiert , und man sah ihrem Gastspiele mit einer Erwartung und Heiterkeit entgegen , als wäre sie nicht sechs Jahre hindurch Mitglied und täglicher Genosse des Theaters gewesen .
Was man gelegentlich unter ihren bisherigen Kollegen an ihr auszusetzen gehabt , was man an ihr bemängelt und bekrittelt hatte : ihre Herrschsucht , ihre Eitelkeit , ihren Hochmut und das Ansehen , das sie sich als künftige Millionärin gebe , das war mit einemmal Alles ganz vergessen , da man sich durch ihren Einfall und in ihrer Gemeinschaft große Erfolge zu versprechen hatte .
Der Schauspieler , dessen Schaffen mit dem Augenblicke vergeht , in welchem er es als fertiges Gebilde vor dem Zuschauer entfaltet , ist eben deshalb auch ein Anbeter des Augenblicks , und mit innerer Notwendigkeit mehr als jeder andere Künstler auf den augenblicklichen Erfolg gestellt .
Wer ihm zu einem solchen hilft , dem hängt er an , dem folgt er , auf den schwört er .
Wie hätte man in diesem Augenblicke also nicht Feodoren folgen sollen , die es durch ihr beabsichtigtes Wiedererscheinen auf der Bühne jetzt unwiderleglich dartat , daß sie ihre Ehre in ihre Künstlerlaufbahn setze , daß ihr künftiger Reichtum ihr nicht höher dünke als die Kunst , und die nebenher es möglich gemacht hatte , in wenig Monaten ein junges , allerdings gebildetes und sehr begabtes , aber doch in aller Bühnenpraxis völlig unerfahrenes Mädchen , in einer Weise für die Bühne vorzubereiten , die ihm den sichersten Erfolg versprach .
Feodore war die Heldin des Tages , Alle und Jeder machten sich ihr mit Freuden dienstbar .
Man war einstimmig der Meinung , daß in diesen drei Vorstellungen das Mögliche geleistet , daß Feodore und Hulda nach besten Kräften unterstützt werden müßten , damit der Ersteren eine schöne und erhebende Erinnerung als letzter Eindruck von ihrer theatralischen Laufbahn in ihr künftiges Privatleben mitgegeben werde .
An die Delmar dachte Niemand , wenn man nicht über ihren Ärger scherzte .
Es waren eben Schauspieler und sie waren also wie die Kinder unter dem Bann jener naiven Selbstsucht , die da liebt und nicht liebt , nach dem Bedürfnis und nach der Befriedigung desselben im Moment .
Darüber kam der Tag heran , an welchem Hulda zum erstenmal als Emilia vor dem Publikum erscheinen sollte , denn Feodore hatte mit vorsichtiger Berechnung aller Umstände gerade diese Rolle für ihr erstes Auftreten gewählt .
Der erste Akt des Lessing'schen Meisterwerkes und die fünf ersten Szenen des zweiten Aktes waren in schöner glatter Abrundung vorübergegangen .
Lelio hatte als Hettore Gonzago , der Regisseur als Marinello ganz vortrefflich gespielt , und Claudia Galotti ihre zweifelnden Betrachtungen über des Gatten ihr unbehagliche strenge Tugend vor sich selber ausgesprochen , als die Türe des Hintergrundes hastig geöffnet wurde , und raschen Schrittes " in ängstlicher Verwirrung " , wie des Dichters Vorschrift es erheischt , Emilia in die Szene eilte .
Die Worte : " Wohl mir ! wohl mir ! --
Nun bin ich in Sicherheit .
Oder ist er mir gar gefolgt ? "
-- kamen in der Befangenheit und in der Erregung , welche der erste Anblick des gefüllten Zuschauerraumes , der erste vor demselben auszusprechende Laut in der Seele der Debütantin erregte , mit wundervoll der dichterischen Absicht begegnender Natürlichkeit von Hulda's Lippen .
Die Schüchternheit , die Verwirrung , die selbst der begabteste Anfänger in den ersten Augenblicken nicht zu überwinden vermag , das Schwanken in der Bewegung , die Unsicherheit des Blickes , das leichte Beben der Stimme , dienten in diesem Falle nur dazu , Emilia's leidenschaftliche Unruhe zu verdeutlichen .
Das Publikum war überrascht von dieser meisterlichen Naturwahrheit in dem Spiele einer Debütantin , und wie Emilia dann , sich umwendend , den Schleier , der sie bis dahin verborgen hatte , mit schneller Bewegung von ihrem Antlitze zurückschlug , und aus den leichten Falten des dunklen Gewebes das edle Gesicht des jugendschönen Mädchens sich den Blicken enthüllte , ging ein hörbarer Ausruf freudiger Überraschung durch das Haus , und machte Hulda's Herz in aufwallender Freude stärker und stärker klopfen .
Feodore hatte sich in ihrer Voraussicht nicht getäuscht .
Es wäre nicht möglich gewesen , eine Rolle aufzufinden , in welcher Hulda's Bildung , ihre Eigenart und Schönheit ungesuchter zu ihrer vollen Geltung gekommen wären .
Selbst daß sie von ihrer Begeisterung gehoben , von ihrer Rührung fortgerissen , erst allmählich freier und wärmer in dem Ausdruck ihrer Empfindung wurde , entsprach dem Charakter der Rolle .
Die Zuschauer erwärmten sich dadurch ebenfalls , und wie dann Feodore als Orsina erschien , anziehender wie jemals , und so geistreich im Erfassen ihrer Rolle , daß man meinte , erst jetzt vollständig einzusehen , welch bedeutende Künstlerin sie sei , da kannte das Publikum in seinen Beifallsbezeigungen kein Maß .
Lehrerin und Schülerin wurden nach dem Schlusse des Stückes vorgerufen und wieder hervorgerufen .
Man wollte die beiden schönen Frauengestalten noch einmal , und noch einmal neben einander sehen , und wie Feodore ihrer Schülerin zu einer ohne sie nicht zu erlangenden Teilnahme und Anerkennung verholfen hatte , so kamen doch auch Hulda's Schönheit und der Reiz , den sie als eine neue Erscheinung für die Theaterfreunde hatte , Feodoren wesentlich zugute .
Man hätte sagen können , es sei kein Unzufriedener in dem ganzen Theater zu finden gewesen , so wohl gelungen war die ganze Vorstellung .
Die Zuschauer wie der Direktor waren gewiß , an Hulda in kurzer Zeit die Schauspielerin zu besitzen , deren man an Stelle Feodorens bedurfte .
Daß die Delmar nach diesen Gastrollen ihrer Nebenbuhlerin ihr Möglichstes tun würde , die glänzenden Erfolge derselben womöglich vergessen zu machen , darauf durfte man zuversichtlich rechnen , und als Hulda sich dann in der Garderobe Feodoren zu Füßen warf , ihre Hände unter Freudentränen küssend , schloß dieselbe sie mit einer Zärtlichkeit , mit einer Mütterlichkeit in ihre Arme , die ihr so vortrefflich auszudrücken gelangen und anstanden , daß es ihr leid tat , nicht auch diese Szene vor dem Publikum gespielt zu haben .
Die Proben und die Aufführungen schlossen sich nun in rascher Folge aneinander , und beide Frauen leisteten im " Wallenstein " und in " Kabale und Liebe " , was von ihnen zu erwarten man nach der Aufführung der " Emilia Galotti " berechtigt gewesen war .
Sie und das Personal und die Theaterfreunde blieben in einer freudigen Erregung , wie eine schöne Festzeit sie hervorruft ; und mit einem Feste sollten diese Gastvorstellungen Feodoren's auch beschlossen werden .
Sie hatte von Van der Vlies die Zustimmung zu denselben und zu ihrem dadurch verlängerten Verweilen auf der Bühne , nur unter der Bedingung erlangt , daß an dem Tage unmittelbar nach ihrem letzten Auftreten , ihre Trauung im Beisein weniger Freunde in aller Stille erfolgen sollte .
Gleich nach derselben aber sollte die große Reise angetreten werden , die Herr Van der Vlies schon lange beabsichtigt hatte , und mittels deren er Feodore für Jahr und Tag von dem Kreise ihrer bisherigen Gesellschaft und von dem Schauplatze ihrer bisherigen Triumphe zu entfernen für passend und wünschenswert erachtete .
Feodore hatte das Alles selber als richtig anerkannt , und nach der mehrjährigen Verbindung , welche zwischen ihr und ihrem künftigen Manne bestanden , hatte sie von selbst nicht daran denken können , aus ihrer Trauung mit ihm einen besonderen öffentlichen Akt zu machen .
Aber ohne Lust und Freude , ohne Sang und Klang von ihrer Künstlerlaufbahn fortzugehen , das lag nicht in ihrem Sinne , das zu tun , erklärte sie als eine Undankbarkeit gegen die Vergangenheit , in welcher sie glücklich gewesen sei .
Ehe sie den entscheidenden Schritt aus der freien Selbstherrlichkeit des Künstlerlebens in die engen und festen Schranken der Ehe und der bürgerlichen Gesellschaft tat , wollte sie noch einmal mit Denen , die bei ihren letzten großen Erfolgen mitgewirkt hatten , nach alter Weise fröhlich in der Wohnung beisammen sein , welche Van der Vlies seinerzeit mit verschwenderischer Freigebigkeit für sie eingerichtet hatte , und die der Zeuge manches frohen Festes , manches ausgelassenen Tuns und Scherzes gewesen war .
Sie hatte für das von ihr geplante Fest , mit der sorglosen Großmut , zu welcher die Nachsicht ihres reichen Liebhabers sie verleitet , Hulda eigens mit einem schönen Gesellschaftsanzuge beschenkt , und sie gleich aus dem Theater mit sich in ihre Wohnung . genommen , wo die geschickte Kammerjungfer den beiden Schönen rasch zur Hand war , sich für das Nachtessen zu schmücken .
Der Direktor , der Regisseur , Lelio und die nächsten Freunde Feodoren's und ihres künftigen Gatten waren schon in dem hellerleuchteten Saale beisammen , als die Herrin des Hauses mit ihrer jüngeren Gefährtin aus dem Ankleidezimmer zu ihnen hereintrat .
Feodore reich geschmückt wie eine Fürstin , Hulda mit Rosen im Haare , in einem Anzuge von rosenfarbener Seide , der ihre schöne Brust , ihre edelgeformten Schultern und Arme dem Blicke freigab , sich selber immer noch ein Rätsel und ein Wunder in solcher Tracht und Pracht .
Die Kerzen flammten , als die Türen des Speisezimmers geöffnet wurden .
Die Tafel stand bereit , mit Blumen und Früchten geschmückt trotz des Winters , dessen Kälte die Fenster beeiste , dessen Sturm den Schnee durch die Straßen jagte .
Feodore hatte dem Direktor den Arm gegeben .
Sie wies ihren Geliebten an , ihre junge Freundin zur Tafel zu führen .
" Du sollst den neuen Frühling führen , " sagte sie , " zum Lohne dafür , daß Du mich morgen dem Norden entführst , um mich in des Südens Frühling zu verpflanzen . "
Herr von Hochbrecht nahm an Hulda's anderer Seite Platz , Lelio saß ihr gegenüber .
Sie hatte an dem Morgen dieses Tages den Kontrakt unterschrieben , mittels dessen der Direktor unter sehr günstigen Bedingungen sie für die beiden nächsten Jahre als Mitglied seiner Gesellschaft engagierte .
Sie war jetzt Schauspielerin , war frei , war unabhängig .
Sie befand sich zum erstenmal in Gesellschaft unter ihren Kollegen , der Direktor , der Regisseur und Lelio sahen sie als eine der Ihren an .
Es war überhaupt die erste Gesellschaft , welche sie als gleichberechtigter Gast derselben mitmachte , die erste , in welcher sie mit Männern frei verkehrte , und in der ihr von Fremden , wie hier , huldigend begegnet wurde .
Sie sah , wie man sie schön fand , und man sagte es ihr zu wiederholtenmalen .
Jeder der Anwesenden schien sich eines freien Anrechtes an sie bewußt zu sein , und wenn ihr die Blicke , die auf ihr hafteten , wenn ihr das Lob , das man ihr spendete , das Blut auch wallen machte , daß die Röte ihrer Wangen sich höher färbte -- sie wagte es nicht , die Augen niederzuschlagen .
Sie mußte trachten , dem an sie gewendeten Worte mit heiterer Freiheit zu begegnen , sie mußte es lernen mit ihren Blicken , ebenso wie Feodore , den ganzen Kreis der Männer zu beherrschen .
Sie sollte Feodore hier ersetzen , und Feodore hatte ihr gesagt , sie müsse , um ihres Erfolges auf der Bühne auch für die Zukunft gewiß zu sein , sich des Doktors und Hochbrecht Freundschaft zu versichern streben .
Sie müsse Lelio für sich haben , sich des Direktors Gunst , den guten Willen des Regisseurs gewinnen .
Sie müsse liebenswürdig sein , müsse gefallen lernen und sich fügen , um , ohne es zu fordern , erreichen zu können , was sie wünsche , durchsetzen . zu können , was sie wolle .
Es hatte in allen diesen Lehren etwas Unheimliches , etwas Beängstigendes für sie gelegen .
Hulda war davor zurückgeschreckt , so oft ihr Feodore ganz beiläufig einen dieser Ratschläge erteilte .
Aber die Lust , sich zu versuchen , zu sehen , was die Weisung Feodorens Früchte , das Verlangen , sich die Stütze zu bereiten , deren sie sich jetzt nach Feodoren's Abgang erst recht benötigt wußte , wirkten in ihr lebhaft nach .
Die Macht des Augenblickes tat das Übrige , als im Verlaufe des Males der feurige Wein die Rede belebte und das Wort befreite , als Scherz und Spott und Erinnerung an frühere Zeiten in dreistem , raschem Worte einander folgten , als man von Dritten und von vergangenen Tagen lachend wiederholte , was man von sich und von dieser Stunde auszusagen kalten Blutes wohl ein Bedenken getragen haben würde .
Der Direktor war unerschöpflich in komischen Anekdoten , die er mit großem mimischem Talente und mit ungewöhnlicher Meisterschaft im Nachahmen von Provinzial-Dialekten vorzutragen wußte .
Er hatte nebenher in den Zeiten , in welchen er als jugendlicher Heldenspieler an den meisten Hoftheatern gastiert , viele der Fürstlichkeiten aus nächster Nähe beobachten und kennen lernen dürfen , deren Arten und Unarten er mit überwältigendem Humor wiedergab .
Man kam aus dem Lachen nicht heraus .
Es schwirrte klingend durch die Luft , es wirkte förmlich ansteckend .
Es ergriff sogar den in der Regel sehr gemessenen Geliebten Feodorens , und selbst der Doktor , der seine Gehaltenheit sonst niemals daran gab , konnte sich der allgemeinen Stimmung nicht entziehen .
Wie hätte Hulda widerstehen können ?
Der mäßige Genuß des ihr ungewohnten schäumenden Champagners hatte ihr Blut erhitzt , das Sprechen und Lachen um sie her , das Lob , das man ihrer Leistung nicht minder wie ihrer Schönheit zollte , ja selbst der eigene Anblick derselben , wenn ihr Auge in den ihr gegenüberhängenden großen Spiegel fiel , hatten etwas Berauschendes für sie .
Sie fühlte sich wie in den Kreis der leichtlebenden Götter aufgenommen .
Die alte Existenz auf der heimatlichen Scholle , wo sie in dunkler Kammer , in Trauerkleidern so viel bittere Tränen geweint hatte , die Zeit , in welcher sie den Einen nicht vornehm genug , den Anderen nicht einfach und bürgerlich genug gewesen war , in welcher Jeder an ihr Etwas zu tadeln gefunden , und Jeder sie getadelt hatte , wie es ihm gefiel , lag nun hinter ihr , für immer .
Fremde und Bewunderer umgaben sie .
Eine schöne , freie , Glück versprechende Zukunft tat sich wie ein weites , lachendes Gefilde vor ihr auf , und sie fühlte sich dazu geschaffen , sie zu genießen und zu nützen .
Zu erzählen , wie die Anderen , hatte sie Nichts .
Sie hatte ja Nichts erlebt , was diesen Kreis erheitern konnte .
Die Nachahmung des Geringen , des Niedrigen , das Auffinden des Lächerlichen und Unschönen widerstrebten ihrem auf das Edle und Schöne gestellten Sinne .
Auf die Galanterien zu antworten , mit denen man ihr huldigte , fehlte ihr noch die sichere Gewandtheit .
So erschien sie schweigsam und nicht zu ihrem Vorteile , und das verdroß sie , denn sie fühlte ein Verlangen , zu gefallen und geistreich und belebt zu sein wie Feodore , deren Augen mit den Diamanten um die Wette leuchteten , die sie in ihrem Hals- und Ohrgeschmeide trug .
Auch Feodore wünschte ihre Schülerin weniger schweigsam zu sehen , denn ein Schweigender macht in einer erregten Gesellschaft immer den Eindruck eines Beobachters , und sich mit kaltem Blute beobachtet zu fühlen , wenn die Freude in uns übermütig aufwallt , schlägt die hellen hohen Wellen nieder und lähmt den neuen Aufschwung .
Wo aber der Ungeübte das eigene Wort nicht findet , kommt ihm des Dichters Wort zu Hilfe , und wo er sich nicht emporzuschwingen vermag , da tragen ihn die Macht und Kraft des Tones .
Es traf sich glücklich , daß eben einer der Gäste , Philibert , ein Freund von Van der Vlies , und reich und jung und angesehen wie dieser , ein Mann , der lange Jahre in Handelsgeschäften in den baltischen Provinzen von Rußland verweilt hatte , ein kleines Abenteuer zum Besten gab , das ihm auf einer Poststation in Estland begegnet war .
Er brachte dabei einige estländische Worte in das Spiel , man verlangte ihre Bedeutung zu kennen , Feodore fragte Hulda darum , sie sagte , daß sie das Estnische nicht verstehe , wohl . aber -- und Feodore wußte das -- das Litthauische ein wenig kenne .
Dadurch machte es sich ganz von selbst , daß Jene sie aufforderte , ein paar litthauische Lieder , die sie ihr einmal vorgesungen hatte , auch den Fremden hier zum Besten zu geben .
Hulda ließ sich dazu nicht lange bitten .
Sie erhob sich und setzte sich an das Instrument .
Aber wie sie die schönen Hände präludierend über die Tasten gleiten ließ , fühlte sie , daß jene schwermütigen Melodien , die zu singen sie sonst gewohnt gewesen war , hier nicht an ihrem Platze seien , sondern wie eine grelle Dissonanz in die laute Freude hineinklingen würden ; und eines der beiden kleinen Tanz- oder Liebeslieder vorzutragen , die sie nie gesungen , aber aus den Aufzeichnungen behalten hatte , welche sie nach ihres Vaters Übersetzungen für Emanuel hatte machen müssen , trug sie eine Art von Scheu .
Indes , sie hatte keine Wahl , da man mit lebhafter Bitte in sie drang , und dem fröhlich einladenden Tone der Melodie entsprechend , sang sie mit munterem Ausdrucke das kecke Tanzliedchen :
" Heutigen Tags , Heutigen Tags , Überall ist der Tanz los : Diese beschuht , Jene bestrumpft , Einige tanzen ganz bloß . "
Sie hatte es erst litthauisch gesungen , man wollte es danach deutsch hören , wollte es wieder hören und noch Anderes hören , so daß sie sich entschloß , auch noch die zärtliche Mahnung vorzutragen :
" Singt , o singt mit frohem Munde !
Oder harrt ihr eurer Stunde ?
Wenn ihr eurer Stunde harrt .
Leben euch und Lied erstarrt . "
Und da man jetzt einmal im Zuge war , Alles schön zu finden und zu bewundern , was Hulda tat , weil man sie selber schön fand und bewunderte , erregte sie Beifall über Beifall .
Man wollte sie auch künftig auf der Bühne singen hören .
Man verlangte , der Direktor solle Stücke finden , in denen ihr Spiel und ihr Gesang gleichmäßig zur Geltung kommen könnten .
Feodore meinte , sich im Singspiel zu versuchen , wozu allein die Stimme und musikalische Bildung Hulda's ausreichend sein würde , könne ihr nur zum Vorteile gereichen , weil es ihr zu jener leichteren Bewegung verhelfen würde , die der strenge Stil des Trauerspieles nicht gebe , und die doch in einer gewissen Grazie und Freiheit , wenn man sie einmal erworben habe , auch den Leistungen im Trauerspiele zu Nutzen komme .
Wäre sie selber gegenwärtig länger in Hulda's Nähe geblieben , so würde sie vielleicht dazu geraten haben , Hulda auch in Rollen , wie die Fanchon oder Preziosa auftreten zu lassen , ohne daß sie sich jedoch verpflichtet gehalten haben würde , dann aus Großmut und Kunsteifer neben ihr auch die Zigeunermutter zu spielen .
Man war mit diesem Scherze wieder von dem kleinen flüchtigen Kunstgespräche abgekommen , und man erging sich bis tief in die Nacht hinein in lauter Freude .
Hulda mußte noch deutsche Lieder und französische Romanzen singen , Feodoren's beide alte Freunde erklärten , daß sie jetzt zu Hulda's Fahne schwören würden , da Feodore sich ihnen entziehe und der Mensch doch wissen müsse , was er mit seinem Herzen machen und wo er mit seinem Enthusiasmus bleiben solle .
Feodore entließ sie lachend ihres Fahneneides , sie sollten ihrer Nachfolgerin im Reiche treu und gewärtig sein .
Lelio brachte den Toast in Vorschlag : " Ja reino s' en va !
Vive la reino ! "
Und wie dann endlich Philibert , der sich von Hulda's Schönheit und Liebereiz völlig überwältigt zeigte , sie lange nach Mitternacht in seinem Wagen nach ihrer Wohnung fuhr , drückte er , als er sie aus dem Wagen hob , einen Kuß auf ihren entblößten Arm , daß sie erschrocken davor bis in das Herz erbebte .
Sie konnte nicht schlafen , denn Freude und bewegtes Rückerinnern zauberten wechselnd phantastische Bilder vor ihr empor , die sie nicht festzuhalten vermochte .
Es schwamm vor ihren Augen Alles in goldig glänzendem Lichte , wie einst der Ahnensaal in dem gräflichen Schlosse an jenem Nachmittage , an welchem sie Emanuel's Bild zuerst gesehen hatte .
Wohin sie das Auge wendete , es wurde geblendet von der Helle .
Sie konnte Nichts klar , Nichts deutlich sehen und erkennen ; aber gerade das Ungewisse hatte einen magischen Reiz für sie und verlockte sie , vorwärts zu gehen auf dem Pfade ihres neuen märchenhaften Glückes .
Lelio es Schönheit , Philibert's weltmännische Haltung , die parodierte Huldigung von Feodoren's Freunden , es erfreute , es vergnügte sie , das Alles .
-- Hätte nur Philibert sie nicht nach Hause begleitet !
Hätte sie die Lieder nicht gesungen !
Sie hörte die beiden Melodien noch in ihrem Traume , aber sie war es nicht , die sie sang .
Sie tönten durch die Stille einer Sommernacht über die schweigenden Büsche und Rasenplätze des Parkes zu ihr in das Gärtnerhaus hinüber -- aus den Fenstern seines Zimmers , in denen das Licht schon lange erloschen war .
Achtes Kapitel .
Das Jahr hatte nur noch wenig Stunden bis zu seinem Ende , und in dem Hause der Gräfin war es trotz der frühen Abendstunde so still , daß man das Ticken der Uhren und den behutsamen Schritt der Diener hörte , die über die teppichbelegten Korridore hinschreitend ihrem Dienste nachgingen .
Frau von Wildenau lag auf einem Ruhebette und sah dem Spiel der Flammen zu , die im Kamine loderten .
In dem geöffneten Nebenzimmer saß Konradine der Türe gegenüber an ihrem Schreibtische .
Mit einemmal erhob die Mutter sich , und die Arme in die Höhe hebend , stieß sie einen Seufzer aus , der wie ein Aufschrei klang , so daß die Tochter erschreckt von ihrem Stuhle aufsprang und mit der Frage , was ihr fehle , bei der Mutter eintrat .
" Nichts !
Nichts ! " entgegnete diese , " bleibe bei Deinem Briefe , laß Dich durch mich nicht stören . "
" Aber Sie schrien auf , beste Mutter ! " wendete die Tochter ein .
" Ich probierte nur , ob ich noch lebe , " gab die Mutter ihr lachend zur Antwort , " ob ich noch ich selber und im Vollbesitze meiner Kräfte sei , denn die nicht menschliche , maschinenmäßige Ordnung dieses Hauses lähmt mich förmlich .
Ich verliere die Bewegung , ich verlerne das Denken durch sie .
Wie ich so da lag und Dich schreiben sah und mir dachte :
jetzt wird sie den Brief beenden , ihn siegeln , auf die Ecke des Kamines legen , auf welche auch die Gräfin ihre Briefe hinlegt , und morgen um neun Uhr wird , wie an jedem Posttage , der Diener ganz von selber kommen , die Briefe abzuholen und nach Vorschrift zu besorgen , da bemächtigte sich meiner ein solches Grauen vor aller dieser gewohnten Sicherheit , daß ich mich versucht fühlte , die ganze hier niedergelegte Korrespondenz in das Feuer zu werfen , nur damit doch einmal ein Abweichen von der Regel stattfände , damit einmal Etwas gesucht , Etwas versehen würde .
In der Tat , ich zähle die Stunden bis zu Deiner Hochzeit , denn Du wie ich , wir altern unter dem Einfluß dieser versteinerten Unfehlbarkeit . "
" Und doch liegt in der Ordnung eine Zeitersparnis , und also in gewissem Sinne eine Verlängerung des Lebens , " bemerkte die Tochter .
" Als ob diese Deine Bemerkung nicht schon ein Zeichen des Alterns wäre ! " rief die Mutter lebhaft .
" Du würdest sie nicht gemacht haben , ehe Du im Stifte , und ehe Du mit der Gräfin so lange zusammen warst .
Wann hätte wohl die Jugend , im Gefühle ihrer Unendlichkeit , je an das Hingehen der Zeit gedacht , als um das Heranrücken eines Festes zu berechnen ?
Wann hätte die Jugend Freude an der Regelmäßigkeit gehabt , da sie in jedem Augenblicke auf eine überraschende Gunst des Zufalles hofft ?
Mit der Zeit zu geizen , ist des Alters Sache , weil es arm an Zeit ist .
Wer aber will sich dieser Armut immerfort erinnern ?
Und nun vollends , wie die Gräfin , selbst den letzten Tag des Jahres mit lauter Pflichterfüllungen zu beladen , gewaltsam Rechnungen abzuschließen , seine Angelegenheiten abzutun , als wäre der nächste Morgen für uns kein Morgen mehr :
das heißt sich freiwillig an jedem Abende die Totenglocke läuten und mit jedem Tage auch sich selbst begraben . "
Sie ging lebhaft im Zimmer hin und her , Konradine antwortete ihr nicht .
Sie wußte , daß man die Mutter in solchen Stimmungen , deren Ursprung oft tiefer lag , als man es vermutete , gewähren lassen mußte , wenn sie sie überwinden sollte ; und sie hatte sich eben an dem Feuer niedergelassen , als die Mutter vor ihr stehen blieb .
" Während Du an Deinem Schreibtische saßest , " hob sie noch einmal an , " dachte ich unwillkürlich an den Sylvester-Abend , der uns in das Schloß der Gräfin und zu Emanuel geführt hat .
Wie heiter war das Wiedersehen in dem Schlosse , wie anmutig und vielversprechend der Empfang , den er uns dort bereitet hatte .
Und heute ? "
" Sie rechnen der Gräfin den Verlust nicht an , den sie in diesem Jahre eben erst erlitten hat ! " wendete Konradine ein .
Die Mutter wollte solche Entschuldigung nicht gelten lassen .
" Man hat mich oftmals der Selbstsucht angeklagt , " meinte sie , " weil ich das Leben heiter zu genießen wünsche .
Wann aber hätte ich um meiner persönlichen Betrübnis Willen je fremde Lebenslust gestört ?
Es ist wahr , der Gräfin kranker Bruder ist gestorben .
Aber ist Emanuel nicht da ?
Bist Du nicht da ?
Bist Du nicht seine Braut ?
Und wäre es nicht sein Recht wie seine Pflicht , Dir über die melancholische Einsamkeit dieses Sylvester-Abends fortzuhelfen ? bei Dir zu sein in der ersten Stunde des neuen Jahres , das Dich ihm verbinden soll ? "
" Er ist von Geschäften hingenommen und die Jahreszeit ist hart ! " sagte entschuldigend Konradine .
" Ich habe erst gestern seinen Brief erhalten . "
Die Mutter legte die Hand auf ihrer Tochter Schulter .
" Wie ernst das klingt !
Wie entsagungsvoll !
-- Deine Stimme hatte einen anderen Klang , als Du an jenem ersten Sylvester-Abend im Schlosse vor dem Spiegel standest und lachend Dein Haar zusammenfaßtest , das über Deine Schultern niederfloß .
Du warst in jenem Augenblicke heiterer als jetzt . "
" Heiterer vielleicht !
doch nicht in mir gesammelt , nicht so einig mit mir selbst und auf die Zukunft nicht vertrauend , so wie jetzt . "
Frau von Wildenau hatte sich der Tochter gegenüber an dem Kamine niedergelassen und schürte mit dem Eisen die zusammensinkenden Brände zu neuen Flammen an .
Sie schwiegen Beide .
Konradine sah nachdenklich in das Feuer , die Mutter hatte ihr Auge auf sie gerichtet .
" Du nennst Dich gesammelt , einig mit Dir selbst !
Das war genug für die Stiftsdame , die das Ordenskreuz auf ihrem Herzen trug .
Aber im Leben , in der Welt , verlangt man mehr , muß man mehr verlangen ; und glücklich , vollkommen glücklich bist Du nicht ! "
Konradine zuckte vor dem Worte zusammen , aber sich schnell beherrschend versetzte sie :
" Wie mögen Sie mich also fragen , Mutter ?
Wer glaubt denn an vollkommenes Glück , wenn er das Leben kennen lernte ? "
" Man glaubt nicht daran und kann es doch nicht entbehren und jagt ihm nach ohne ' Unterlaß ! " rief die Mutter .
" Und das gerade ist es , was mich ängstigt .
Wirst Du es ertragen , Dich Dein Lebenlang mit Freundschaft , mit Verehrung , mit der Anerkennung von Emanuel's guten Eigenschaften zu begnügen ?
Wird Dir es genug sein an dem Bewußtsein , geliebt zu werden und glücklich zu machen ? --
Ich sah Eure Verlobung gerne , denn Du schriebest mir in freudiger Gehobenheit .
Nun ich Dich vor mir sehe , nun ich mir sagen muß , mein Blut fließt auch in Deinen Adern , und nun das neue Jahr herankommt , das entscheidend und bindend für Dich werden soll , nun kommt , wie über die Gräfin , das Bewußtsein notwendiger Pflichterfüllung auch über mich , und ich frage Dich , da es noch Zeit ist : Liebst Du Emanuel ?
Wirst Du glücklich sein mit ihm ?
Wirst Du immer jenen Abend segnen , der uns zu ihm in das Schloß geführt hat ? "
Und wie an jenem Abende in dem weiten Hofe des Schlosses , tönte der Schall des Posthorns plötzlich durch die Stille .
Die beiden Frauen eilten an das Fenster .
Die Klingel an dem Portale der Mauer , die das Haus mit seinem Garten einschloß , schallte durch die Zimmer , der Kastellan ging hinaus zu öffnen , und unter dem hellen Scheine der Wagenlaternen brachten die dampfenden Pferde Emanuel's leichten Wagen vor das Haus .
Konradine eilte die Treppe hinunter und warf sich ihm mit einem Freudenrufe in die Arme .
Sie pries es als ein Glück , daß er gekommen sei ; sie nannte ihn mit den zärtlichsten Namen , sie führte ihn wie im Triumphe zu den Anderen hinauf .
In so zärtlicher Erregung hatte Emanuel sie nie zuvor gesehen , und er empfand dieselbe als ein großes Glück .
Das ganze Haus war in Bewegung gekommen .
Die Gräfin zeigte sich über des Bruders gutes Aussehen und Befinden sehr erfreut , Frau von Wildenau fühlte sich durch die Überraschung neu belebt und mit ihrem Schwiegersohne plötzlich ausgesöhnt .
Sie selber schilderte , als man am Abende beisammen war , es sehr ergötzlich : wie sie in Verzweiflung und übellaunig und schwermütig gewesen sei bei dem Gedanken , die letzten Stunden des alten und die ersten Stunden des neuen Jahres ohne irgend ein außergewöhnliches und freudiges Ereignis verleben zu müssen .
Sie erzählte , wie sie nahe daran gewesen sei , der Tochter melancholische Bilder der Zukunft vorzumalen , die ihrer warte , wenn sie und Emanuel bei dem Beschluß verharren sollten , ihr Leben auf den weitentlegenen Gütern zuzubringen ; ja sie gestand ganz unumwunden , daß sie ihr vorgehalten habe , noch einmal zu bedenken , ob sie die Kraft besitze , ein so wechselloses Dasein zu ertragen .
Sie erschien sehr geistreich , sehr liebenswürdig in der Selbstverspottung , in der sie sich erging , aber weder die Gräfin noch Emanuel legten , weil sie sie kannten , ein Gewicht auf ihre Selbstanklagen , denn sie hatte niemals irgend welchen Einfluß auf der Tochter Sinn gehabt ; und freudigen Gemütes umarmte Emanuel in des Jahreswechsels Stunde die Braut , die nicht müde wurde , ihm zu danken , daß er gekommen war , sie ihr durch seine Anwesenheit zu einem Feste zu gestalten .
Neuntes Kapitel .
" Ihr Bruder ist wie verwandelt , " sagte Frau von Wildenau zur Gräfin , als an einem der folgenden Tage das Brautpaar in den Wagen stieg , um einige Besuche in der Stadt zu machen .
" Man sollte behaupten , er sei jünger geworden und der Bann , der nach den alten Überlieferungen Ihres Hauses auf ihm gelegen , sei von ihm genommen , seit er sich entschlossen hat , auf dem Grund und Boden seiner Familie zu leben .
Er nennt sich einen Gesunden , fühlt sich als einen solchen und bietet sich die Anstrengungen eines solchen ; und da er stark geworden ist , bemerkt man die Blatternarben und die kleine Entstellung seiner Figur , die er in seiner Jugend so schwer empfand , weit weniger als vordem .
Konradine selber , obschon sie gleichgültig gegen äußere Vorzüge zu sein behauptet , ist doch Weib genug geblieben , mich heute mit Genugtuung zu fragen : ob ich nicht Emanuel jetzt weit besser aussehend fände als vordem , und ob er sich nicht in der Tat verschönert habe . "
Die Gräfin erwiderte ihr Nichts darauf .
Sie selber fand Emanuel in jedem Betrachte vorteilhaft verändert , und es war ihr von Anderen das Gleiche angedeutet worden .
Dennoch verletzte es sie , als die Baronin es vor ihr so unumwunden aussprach , und mehr noch mißfiel es ihr , daß Konradine vor der Mutter , deren Unzuverläßlichkeit sie kannte , sich zu jenen Äußerungen hatte verleiten lassen , da es gar nicht zu berechnen war , ob sie dieselben nicht auch gegen Emanuel , ebenso wie gegen die Gräfin wiederholen würde .
Hatte Konradine es denn gar so schwer gefunden , die Mängel in dem Äußeren ihres Verlobten zu verschmerzen ?
Waren sein seelenvolles Auge , der Adel seiner Züge , die Eigenschaften seines Herzens , seines Geistes nicht genügend , sie dafür zu entschädigen ?
Oder konnte sie des Prinzen heldische Gestalt noch immer nicht vergessen ?- Sie hatte von Emanuel's Braut mehr gehalten als von den meisten Frauen , und doch überkam sie in diesem Augenblicke der Gedanke , daß im Grunde das einfache Naturkind Hulda , des Pfarrers Tochter , in diesem Falle richtiger und größer empfunden und gedacht habe als Konradine , denn -- Miß Kenney hatte sich zum öfteren darüber ausgesprochen -- Hulda hatte ihn bedingungslos geliebt , und in voller Hingebung zu ihm emporgesehen .
Die Gräfin hatte an Hulda lange nicht gedacht , lange Nichts von ihr gehört .
Der Amtmann hatte , seit die Gräfin um ihretwillen die Pfarre besser dotiert , seiner Mündel in den geschäftlichen Briefen weiter nicht erwähnt .
Der Tod des ältesten Frettherrn , die Verlobung Emanuel's , des Sohnes Heirat , und ihre eigenen verschiedenen Reisen waren gleich nach jenen Maßnahmen rasch aufeinander gefolgt und hatten die Gräfin vollauf beschäftigt .
Nun fiel es ihr zum erstenmal auf , daß man ihr von des Pfarrers Heirat Nichts gemeldet habe , daß in dem Schreiben , welches sie beim Jahreswechsel von ihm erhalten hatte , mit keinem Worte von seiner Heirat und von seiner Frau die Rede gewesen war .
Sie wußte sich das nicht zu deuten und nahm sich vor , den Amtmann , den sie in die Stadt beschieden hatte , deshalb zu befragen .
Inzwischen dehnte sich der Aufenthalt Emanuel's in seiner Schwester Hause weiter aus , als er es zuerst im Sinne gehabt hatte , und die Gräfin erfreute sich dessen , denn es bewies ihr , daß es ihm wohl sei in der Nähe seiner Braut , Auch ließen Konradinens Herzlichkeit für ihren Verlobten , ihre Aufmerksamkeit auf seine Wünsche , selbst für die großen Ansprüche der Gräfin Nichts zu wünschen übrig , und da Konradine sich fortdauernd in gleichmäßiger Heiterkeit bewegte , da sie in jeder Weise Emanuel zu längerem Verweilen zu überreden strebte , und man auf ihren Antrieb die Hochzeit noch etwas früher zu feiern beabsichtigte , als es zuerst beschlossen worden war , schwanden die flüchtigen Zweifel , welche die Gräfin gegen Konradinens Neigung für Emanuel gehegt hatte , wieder aus ihrem Sinne .
Man war so in allseitiger Zufriedenheit bis nahe in die Mitte des Monates gelangt .
Emanuel wollte am nächstfolgenden Tage die Stadt verlassen , und man saß nach eingenommener Abendmahlzeit noch beisammen , als der Diener mit der Zeitung das Wochenblatt in das Zimmer brachte , welches sich fast ausschließlich mit den literarischen und artistischen Vorkommnissen beschäftigte .
Da die bildenden Künste in jenen Tagen in unserem Vaterlande noch ganz daniederlagen und von ihnen also nur wenig die Rede sein konnte , waren die Mitteilungen aus den Theatern und den Konzerten von um so größerem Interesse .
Während Emanuel sich der Zeitung bemächtigte , hatte daher Frau von Wildenau das Wochenblatt zur Hand genommen und die ersten Blätter flüchtig durchgesehen , als ein Artikel ihre Aufmerksamkeit mehr als die anderen auf sich zog .
" Da ist doch endlich wieder einmal eine Hoffnung , " rief sie , " und es ist nur zu wünschen , daß der goldene Morgen , den man uns verkündigt , nicht , wie das oft genug geschehen ist , einen sehr prosaischen und alltäglichen Tag heraufführt . "
Man fragte , was das sagen wolle .
" Oh ! " entgegnete sie , " ich finde da eben einen Theaterbericht , der sicherlich von Hochbrecht herstammt , der sich ja gelegentlich in solchen Mitteilungen zu ergehen pflegte .
Er war immer ein leidenschaftlicher Verehrer der Feodore , und es sind Äußerungen in dem Artikel enthalten , welche er , als ich ihm im vorigen Jahre im Seebade begegnete , fast wörtlich auch gegen mich getan hat , denn es stand schon damals fest , daß Feodore beim Jahresschlusse die Bühne verlassen würde . "
Die Gräfin bemerkte , da eben jetzt auch Gabriele auf den Wunsch ihres Gatten sich ganz in das Privatleben zurückgezogen habe , so seien dadurch dem Theater in der Tat die beiden bedeutendsten Darstellerinnen für das Fach der ersten tragischen Liebhaberinnen entzogen worden , und so weit sie darüber urteilen könne , habe sich nirgends ein neues hervorragendes Talent unter den jüngeren Schauspielerinnen gefunden .
" Das aber ist es gerade , " erklärte Frau von Wildenau , " was dieser Bericht verheißt .
Er erzählt nebenher von einem originellen Einfalle Feodorens .
Sie ist acht Tage , nachdem sie unter allen theatralischen Ehren von der Bühne , welcher sie bis dahin angehört hatte , geschieden war , auf derselben noch dreimal in älteren , leidenschaftlichen Rollen aufgetreten , um sich auch in diesem Fache bewundern zu lassen und zugleich eine Schülerin von sich und Gabriele , eine Mademoiselle Hulda Vollmer , einzuführen , die in ihr bisheriges Rollenfach eintreten soll .
Dieses Mädchen nun , das die Emilia , Thekla , Louise Miller gespielt hat , schildert der Artikel nicht nur als ein ungewöhnliches Talent , sondern als eine außerordentliche Schönheit . "
Sie griff dabei noch einmal nach dem Blatte , daß sie zur Seite gelegt hatte , suchte nach der Stelle , und las dann die Worte : " eine hohe , majestätische Gestalt , ein Kopf und Farben , welche an Tizian'sche Bilder gemahnen , und eine Beweglichkeit der Physiognomie , die sich mit dem seelenvollen Blicke der mächtigen , blauen Augen jedem Ausdrucke der Leidenschaft , von der weichen Rührung bis zum höchsten Schmerze fügsam anzupassen weiß , machen Mademoiselle Vollmer zu einer ungewöhnlich anziehenden Erscheinung .
Wir erinnern uns in der Tat nicht , jemals außer der unvergleichlichen Gabriele eine Emilia gesehen zu haben , deren Äußeres dem Ideale des Dichters besser entsprochen hätte , als diese in jedem Betrachte viel verheißende junge Künstlerin . "
Konradine machte eine scherzende Bemerkung über die leicht zu erregende Begeisterung des Theater-. Enthusiasten .
" Wie oft , " sagte sie , " hat er uns von irgend einer jungen Schauspielerin oder Sängerin als von einem Wesen gesprochen , das eine neue Aera für die Kunst heraufzuführen bestimmt sei .
Alle paar Jahre hat er eine neue theatralische Gottheit in dem Heiligenschreine seines Herzens aufgestellt , und wenn er nicht , gleich den Lazzaroni , sich der Heiligen entledigt , welche die von ihm erwarteten Wunder nicht zu leisten vermögen , so muß sein Herz allmählich zu einem wahren Pantheon werden . "
" Zu einem Pantheon , " fiel die Mutter ihr in das Wort , " in welchem , eben weil es wie das römische Pantheon nicht nur allen Göttern geweiht , sondern auch allen Einflüssen der Tages- und der Jahreszeiten offen ist , die Verwüstungen nicht fehlen können .
Als Hochbrecht noch jünger war , gehörte für ihn eine unglückliche Liebe zu den Vergnügungen und Abwechslungen , ohne welche er nicht leben zu können schien .
Nun hat er es überwunden , daß Feodore ihm den reicheren Bewerber vorgezogen hat , und getrösteten Sinnes tritt er offenbar schon wieder an die rosenbekränzte Schwelle eines neuen Abenteuers heran . "
Die Gräfin , die mit den Jahren immer strenger in den Anforderungen geworden war , welche sie an den Menschen und an sein vernünftiges Handeln stellte , wollte von Enthusiasmus gar nicht reden hören , weil das , was man so nenne , nur zu häufig eine bloße Aufwallung augenblicklicher Empfindung sei , die vor dem Verstande keine Berechtigung habe .
Sie nannte den Enthusiasmus eine gefährliche Sache .
" Einen Menschen , den wir enthusiastisch bewundert haben , sind wir immer in Gefahr zu hassen , " sagte sie , " denn er beleidigt uns in unserer Selbstschätzung , sobald er dem Bilde nicht entspricht , das wir uns von ihm gemacht hatten .
Ein Skeptiker kann ein treuer , ein unschätzbarer Freund für uns sein , ein Enthusiast ist es niemals ; und ich kenne nichts Nüchterneres , nichts Unzufriedeneres als einen Enthusiasten , der endlich einmal zur klaren Einsicht in die Wirklichkeit der Dinge gelangt . "
Sie brach damit ab und sagte dann , ohne daß für die Notwendigkeit dieses Nachsatzes in dem Augenblicke ein Anlaß erkennbar war :
" Sie wissen es ja , ich bin überhaupt keine Natur , die auf Gefühlsleben angelegt ist und ich bin auch nicht geneigt , der sogenannten großen Leidenschaft , dem unwiderstehlichen Zuge der Herzen , eine besondere Berechtigung zuzugestehen .
Wo mein Verstand mich hinweist , dahin richtet sich mein Herz .
Meine Augen , meine Sinne haben nie eine eigentliche Gewalt über mich ausgeübt , und wie man um der bloßen Schönheit Willen selbst da zu lieben vermag , Mo man nicht achtet , wie man sich enthusiasmieren kann für äußere Vorzüge oder für das zufällige Talente , dafür geht mir das Verständnis ab . "
Die Gräfin hatte diese letzten Behauptungen mit einer nicht zu verkennenden Ausschließlichkeit an Konradine gerichtet .
Konradine fühlte das und es verdroß sie , da sie sich nicht zu erklären wußte , womit sie diese herbe Erörterung verdient oder herausgefordert habe .
Weil sie aber der älteren Frau , zumal in ihrem besonderen Verhältnisse zu derselben , nicht gerne eine ihr mißfällige Entgegnung machen wollte , wendete sie sich an Emanuel , damit er seine Meinung sagen sollte .
Zu ihrem Erstaunen mußte sie jedoch bemerken , daß er der Unterhaltung nicht gefolgt war .
Denn er fuhr sich , ohne ihr zu antworten , ein paarmal , wie das in solchen Fällen seine Art war , mit der Hand rasch durch sein reiches Haar und , sie freundlich ansehend , fragte er :
" Meine Meinung ?
Worüber ?
Wovon sprach die Schwester ? "
" Und woran dachtest Du ? " entgegnete die Gräfin .
" O , ich war zerstreut , entschuldige mich ! --
Aber ich entsinne mich , " setzte er hinzu , indem er sich schnell zusammennahm , " es war von Enthusiasten die Rede und vom Enthusiasmus ; und den soll man ja nicht schelten .
Wer ist denn , um das Wort in seines Sinnes eigentlicher Bedeutung zu gebrauchen , des Gottes voller als Derjenige , dem es durch eine besondere Anlage seiner Natur gegeben ist , wo sich der Anlaß bietet , die schönsten Gefühle , deren wir fähig sind , in Einem Empfinden in sich zu vereinen ? der leicht fähig ist , zu glauben , zu lieben und zu hoffen , wie man es tut , wenn man etwas Großes , etwas Schönes gefunden und erkannt zu haben glaubt , auf dessen wachsende Vollendung und auf dessen Bedeutung für sich und Andere man mit liebevoller Freude hofft ? --
Frage ich mich , in welchen Zeiten meines Lebens ich das reinste Glück genossen habe , so waren es die Augenblicke , die Tage , die Wochen , in denen ein unbedingtes Glauben und zuversichtliches Hoffen mich beseelten , in denen ich von der Schönheit , von der Güte eines Menschen , von der Größe eines Gedankens so völlig hingenommen war , daß mir keine Hoffnung , keine Erwartung , welche ich darauf gründete , zu groß oder gar unwahrscheinlich dünkte , und -- -- "
" Und wenn dann die Enttäuschung eintrat ? " fragte die Gräfin .
" Nun , " versetzte Emanuel , " so hatte ich doch geglaubt , geliebt , gehofft ! so war ich doch glücklich gewesen in den Tagen , in welchen ich es tat ; und unser Leben setzt sich ja aus Tagen zusammen . "
Frau von Wildenau , die nur an demjenigen teilzunehmen vermochte , das sie in irgend einer Weise mit sich selber in Verbindung setzen konnte , und die in ihren Erlebnissen eine gute Anzahl von Belegen für die Behauptung zu finden glaubte , daß trotz aller Enttäuschungen in dem Glauben , Lieben , Hoffen schon das eigentliche Glück verborgen liege , sprach sich mit großer Wärme für die von Emanuel unternommene Verteidigung des Enthusiasmus aus .
Aber sei es , daß Konradine zu deutlich wußte , welchen Quellen und Erinnerungen die Zustimmung ihrer Mutter entsprang , oder daß sie selber das Unglück einer Enttäuschung zu bitter geschmerzt hatte -- genug , auch sie wollte , sowie die Gräfin , den Enthusiasmus nicht recht gelten lassen .
Sie meinte , er blende das Auge , mache den Blick und damit das Urteil unsicher , und verleite zu Trugschlüssen und zu falschen Maßnahmen , die man dann später oft zu bereuen habe .
Ja sie könne es Emanuel nicht verbergen , daß ihr der Zweifel weit notwendiger und heilbringender erscheine als der Glaube und das Hoffen , wenn sie natürlich die Kraft der Liebe auch als eine für sich bestehende und wirkungsreiche anerkenne .
In der abstrakten Wissenschaft , so fern von einer solchen bei dem Zusammenhänge derselben mit den Fortschritten auf allen Gebieten des Lebens überhaupt die Rede sein könne , sei es übrigens doch allein der Zweifel , der die Menschheit vorwärts bringe .
" Gewiß , " sagte Emanuel .
" Der Zweifel ist der Pionier , der die Urwälder der falschen , uns von Generationen übermachten Vorstellungen , mit starkem Arm und scharfer Axt zu lichten hat , der die Bäume ausrodet , das Schlingkraut wegbrennt , den Boden aufreißt : aber das seherische Glauben und Hoffen schafft die Saat der neuen Wahrheit , und das enthusiastische Wollen säet sie mit liebevoller Hand , und pflegt und hilft sie zeitigen mit stiller hoffnungsseliger Geduld .
Der Zweifel an sich ist unfruchtbar , die Liebe allein ist schöpferisch .
Und , " fügte er hinzu , " vollends auf dem Gebiete des Ethischen ist ohne Enthusiasmus gar Nichts auszurichten .
Wie wollte ich vorwärts kommen und durchdringen mit den versittlichenden Aufgaben , die ich mir auf meinen Gütern gestellt habe , ohne den enthusiastischen Glauben , daß ich mein Ziel erreichen werde , ohne den Hinblick auf die tüchtigen , wackeren Leute in meiner Nachbarschaft , die , alle Zweifel von sich weisend , mit denen man ihnen entgegengetreten ist , sich fest auf ihren Glauben stützten , daß das Zutrauen des durch Jahrhunderte in Hörigkeit verkommenen Arbeiters zu gewinnen sein müsse , und ohne jene starke Menschenliebe , die an sich Enthusiasmus ist , und die allein seit den Zeiten Jesu Christi die sittlichen Wunder verrichtet hat , welche die Menschheit bisher in ihren Annalen zu verzeichnen berechtigt gewesen ist ? "
Man hatte sich damit von dem ursprünglichen Anlaß des Gespräches weit genug entfernt , und es war spät geworden .
Die Baronin , für welche ohnehin die Behandlung des Themas durch Emanuel zu ernst geworden war , erhob sich , um sich in ihre Zimmer zurückzuziehen .
Emanuel , der mit der Schwester auf demselben Flügel wohnte , blieb noch mit ihr zurück , nachdem die beiden Gäste sie verlassen hatten .
Die Gräfin räumte mit gewohnter Ordnungsliebe noch ein paar Kleinigkeiten in ihren Arbeitskorb zusammen , Emanuel sah dem achtlos zu , bis er plötzlich die Frage aufwarf : ob die Gräfin Nachrichten von Hulda habe .
Die Frage überraschte seine Schwester nicht .
Es war ihr im Grunde auffällig gewesen , daß er sich weder brieflich , noch in diesem längeren Beisammensein jemals nach Hulda erkundigt hatte , denn sein weiches und tiefes Gemüt war treu in der Anhänglichkeit an Alles , was es einmal ergriffen und geliebt hatte .
Weil sie ihm aber nicht ohneweiters eingestehen wollte , daß sie sich um die Tochter eines Mannes , der so entschiedene Ansprüche an ihre Teilnahme besessen hatte , seither nicht gekümmert habe , begegnete sie seiner Frage mit der Gegenfrage , wie er eben jetzt darauf verfalle , sie um Hulda zu befragen .
" Mich dünkt , " versetzte er , " das sollte Dir nicht auffallen .
Es war der Name der Schauspielerin , der mich an sie erinnerte , und die sonderbar zutreffende Ähnlichkeit mit ihr , die sich aus der Schilderung der jungen Künstlerin ergab ; denn ich selber bin mitunter , wenn ich Hulda sah , lebhaft an Gabriele erinnert worden .
Aber wie geht es Hulda ?
Weißt Du Etwas darüber ?
Ist sie glücklich in der Ehe ?
Mich haben sehr begreifliche Gründe abgehalten , mich nach ihr zu erkundigen ; indes ihr Schicksal liegt mir sehr am Herzen , und ich will hoffen , daß ihr Gefühl sie nicht betrogen , daß sie die Wahl , zu der sie sich entschlossen , nicht zu bereuen hat .
Ich denke mit großer Teilnahme an sie . "
" Ich glaube , " entgegnete die Gräfin , " sie gehört auch ein wenig in die Zahl derjenigen Personen , die Du überschätzest , weil Du sie mit dem Glauben , Hoffen , Lieben Deines Enthusiasmus betrachtetest .
Aber ich bekenne Dir zu meiner Schande , daß ich seit lange nicht nach ihr gefragt und Nichts von ihr gehört habe .
Indes wird das Versäumte gleich morgen nachzuholen sein .
Ich habe den Amtmann in die Stadt beschieden .
Er wird heute Abend eingetroffen sein , und wir werden morgen das Nötige von ihm erfahren .
Ich bin übrigens im Voraus sicher , daß Alles auf das Beste steht , da er mich von dem Gegenteile wohl gelegentlich unterrichtet haben würde .
Emanuel nahm das hin , obschon ihn die wenig anteilvolle Weise verletzte , mit welcher die Gräfin sich über Hulda äußerte .
Er gab noch an dem Abende dem Diener den Befehl , ihn zu benachrichtigen , wenn der Amtmann kommen würde , und suchte ihn am anderen Morgen in dem Zimmer der Schwester auf , sobald derselbe sich bei der Gräfin eingefunden hatte .
Die Gräfin saß an ihrem Arbeitstische , der Amtmann hatte in einiger Entfernung von ihr , mit seinen Büchern und Papieren Platz genommen .
Er erhob sich , als Emanuel eintrat ; aber dieser sah sofort , daß die Papiere noch nicht aufgebunden waren , und noch während der Amtmann den Baron begrüßte , rief die Gräfin :
" Stelle Dir vor , was ich soeben zu meinem größten Erstaunen erfahre und was der Amtmann mir durchaus früher mitzuteilen verpflichtet gewesen wäre : die Heirat zwischen Hulda und dem Pfarrer ist gar nicht zu Stande gekommen . "
" Nicht zu Stande gekommen ? " fragte Emanuel mit einer Bewegung , die ihn die Farbe wechseln machte .
" Und weshalb nicht ?
Was ist denn geschehen ? "
" Ja , Herr Baron , weshalb nicht ? " wiederholte der Amtmann .
" Das ist es eben !
und ich sagte der gnädigsten Frau Gräfin gerade , ich hätte nicht ermangelt , es zu melden , wenn es nicht eben Das gewesen wäre .
Aber wer mag denn solche Dinge sagen , wenn man den Vater und die Mutter Freunde genannt , und das Mädchen selber bei sich gehabt hat , so wie wir . "
Die weitschweifige Vorsicht des Amtmannes steigerte Emanuel's Ungednld , und als er danach lebhafter seine Frage wiederholte , was geschehen sei , erzählte Jener mit nicht zu verbergender Entrüstung : wie Hulda die Bewerbung seines wackeren Freundes , des Oberförsters , und des trefflichen jungen Pfarrers ausgeschlagen , wie sie das Schloß unter dem Vorgeben verlassen habe , eine Gouvernantenstelle annehmen zu wollen , und wie sie dann hier , eben aus diesem Hause , heimlich davon und auf das Theater gegangen sei .
" Unmöglich ! " rief Emanuel , dem die Nachricht durch das Herz schnitt , obgleich ihm schon seit gestern eine heimliche , nicht zu überwindende Besorgnis um das einst geliebte Mädchen beunruhigend in dem Sinne gelegen hatte .
" Das also war es ! "
Und sich mit der Anmaßung an den Amtmann wendend , von welcher selbst gutgeartete Menschen nicht leicht frei zu sein pflegen , wenn sie schon in früher Jugend Untergebenen und Abhängigen zu befehlen gehabt haben , setzte er im Tone herben Vorwurfes hinzu :
" Und Sie ließen das geschehen ?
Sie meldeten es der Gräfin nicht sofort ?
Sie taten Nichts , das unberatene Mädchen von dem verhängnisvollen Schritte zurückzuhalten ? "
" Um Vergebung , Herr Baron ! " entgegnete mit festem Selbstgefühl der Amtmann , den langer Herrendienst die Eigenheiten Derjenigen hatte kennen lernen , mit denen er es zu tun hatte .
" Es war hier von Geschehenlassen keine Rede , denn ich kannte die Absicht nicht , mit der sie uns verließ .
Als sie mir dieselbe meldete , war der Schritt getan , und in mein Haus konnte sie von den Brettern doch nicht mehr zurück .
Trotzdem hat auf meine Bitte unser junger Herr Pastor , um den sie es wahrhaftig nicht verdient hat , ihr Alles redlich und mit Eifer vorgestellt . "
" Und was hat sie darauf erwidert ? " fiel ihm Emanuel lebhaft ein .
" Was konnte sie darauf erwidern ? " meinte der Amtmann .
" Sie hat einen langen Brief geschrieben voll Redensarten , wie sie sich in den Romanen finden : von höherem Beruf , von unwiderstehlicher Begeisterung , von reinem Lebenswandel und so mehr . "
Er machte eine kleine Unterbrechung und sagte dann :
" Die Herrschaften haben es ja gut gemeint , und Hulda hat von Miß Kenney auch wohl Mancherlei gelernt , womit sie ihr Brot in Ehren hätte verdienen mögen .
Das Beste aber wäre es schon gewesen , man hätte sie gelassen , wo sie war ; dann säße sie jetzt wohlgeborgen in der Pfarre , und ich brauchte mich vor den Herrschaften nicht zu rechtfertigen über Etwas , was zu vertreten nicht meines Amtes ist .
Denn das Mädchen gehörte uns nicht an , und was mir als seines Vaters Freund und als sein Vormund oblag , das habe ich an ihm getan , darüber bin ich in meinem Gewissen auch ganz ruhig . "
Emanuel aber war zu erregt , um sich mit dieser Antwort zu befriedigen .
" Daß wir Nichts , gar Nichts davon erfuhren ! " wiederholte er .
" Daß Sie der Gräfin es verschwiegen ! "
" Herr Baron , " versetzte der Amtmann , " weshalb sollte ich dasjenige der Frau Gräfin melden , dessen Hulda selber sich insoweit schämte , daß sie ihres ehrlichen Vaters Namen nicht mehr zu führen wagte .
Und Ihnen , Herr Baron ? --
Ich konnte ja nicht vermuten , daß Sie noch in irgend einer Weise an das Mädchen dächten .
Wie Hulda sich nun entlarvt hat und sich ausweist , ist es auch keinem Manne zu verargen , wenn er sie ihrer Wege gehen läßt .
Aber leugnen will ich es nicht , ich hatte besser von ihr gedacht , und Anderes von ihr erwartet . "
Hulda geringschätzig aburteilen zu hören , konnte Emanuel nicht ertragen , denn vor seinem Blicke legte sich jetzt plötzlich Alles , was ihm in des Mädchens Verhalten unklar und unverständlich geblieben war , hell und deutlich auseinander .
Er meinte es jetzt zu wissen , wie man Hulda überredet oder gezwungen habe , ihm den Ring zurückzusenden , und sich dem Pastor zu verloben ; und wie dann endlich die innere Unmöglichkeit , sich einem ungeliebten Manne zu verbinden , sie dahin gebracht habe , einen Lebensberuf zu wählen , zu welchem sie , wie es sich zeigte , bedeutende Anlagen besitzen , und für welchen ihre Schönheit ihr so sehr zu statten kommen mußte .
Aber nicht nur Hulda wünschte er zu rechtfertigen , er suchte diese Rechtfertigung auch für sich selbst , als er dem Amtmanne einwendete , wie Hulda vielleicht das Richtige und Beste für sich erwählt habe , wie große Begabungen zu unwiderstehlichen Antrieben würden , wie man diesen ihre Berechtigung unbedenklich zugestehen müsse , und wie schon jetzt bei dem ersten Beginne ihrer Laufbahn die theatralische Kritik der jungen Künstlerin eine glänzende Zukunft verspreche .
Der Amtmann nickte mit dem Kopfe .
" Ja , " sagte er , " die Herrschaften haben es also auch gelesen ?
Ich fand es hier im Wochenblatte heute früh , als ich auf meinem Wege hierher im Rathauskeller vorsprach .
Das Blatt lag auf dem Tische .
Der und Jener hatten Hulda's Namen im Munde .
Man sprach von ihr wie man von Komödianten und von solchen Leuten in Weinstuben zu sprechen pflegt .
Ich stand , so bald ich konnte , auf .
Wenn die Eltern das hätten erleben müssen ! dachte ich .
Berühmt ?
Nun ja , berühmt kann sie wohl werden , denn sie ist schön genug dazu .
Mit ihrer Ehre und Reputation ist es doch einmal vorbei .
Denn welcher honte Mann kann eine Komödiantin heiraten !
Und eine unverheiratete Komödiantin -- daran mag ich gar nicht denken . "
Die ganze Unterhaltung quälte Emanuel und wurde auch der Gräfin lästig , um des Bruders wie um des leisen Vorwurfs Willen , den der Amtmann gegen sie anzudeuten gewagt hatte .
Der Vorwurf erinnerte sie peinlich an ihres Bruders Warnung , als sie ihm zuerst ihre Absicht ausgesprochen hatte , die Pfarrerstochter ihrem Haushalte einzuverleiben .
Sie brach also plötzlich das Gespräch mit der Bemerkung ab , daß es notwendig sei , jede Natur ihre Selbstvollendung nach eigenem Bedürfen suchen zu lassen , und daß der Amtmann einen Fehler und ein Unrecht begehe , wenn er die engbeschränkten Maßstäbe des Kreises , in dem er sich bewege , auf Lebensverhältnisse übertrage , welche außer den Grenzen desselben lägen .
" Wenn Sie heute vor Hulda hinträten , " sagte sie mit der ihr eigenen Bestimmtheit , " und sie um ihre Meinung fragten , so würde sie sicherlich die Stunde segnen , in welcher mir der Gedanke gekommen ist , etwas für ihre Ausbildung zu tun .
Wer will es denn voraussagen , ob sie nicht wirklich zu einer Bedeutung gelangt , die uns stolz darauf macht , ihre ersten Schritte geleitet zu haben , und ob sie sich nicht einst eine Stellung in der Welt erringt , wie Gabriele und andere Bühnen-Künstlerinnen sie besessen haben , die wir mit Vergnügen und mit Auszeichnung in unserer Gesellschaft willkommen hießen ?
Solchen Ereignissen gegenüber erscheint man sich dann in späterer Zeit oft recht eigentlich wie ein Werkzeug in der Hand der Vorsehung ; und ich glaube in der Tat , daß uns dies bei Hulda wohl begegnen kann .
Talent sich darzustellen hatte sie entschieden . "
Sie sah dabei nach der Uhr , machte den Amtmann aufmerksam darauf , daß man viel Zeit verloren habe , und sie gingen an die Arbeit .
Emanuel blieb sich selber überlassen .
Auch er hatte Geschäfte von sich , die geordnet und abgetan sein mußten , ehe er wieder auf das Land hinausging .
Sie zogen ihn mit Notwendigkeit von dem Gedanken an Hulda abWenn er dann in den Zwischenzeiten wieder auf sie zurückkam , fing er an , die Angelegenheit mit ruhigerem Sinne und kühlerem Blute zu betrachten , bis er dahin gelangte , sie in die Reihe der eigenartigen Entwicklungs-Prozesse , der besonderen und langsamen Bildungswege einzufügen , zu welchen er auch seinen eigenen zählte .
Die sorgfältig verzeichneten Lebensläufe , welche Goethes Abbe im " Wilhelm Meister " von dem ihm nahestehenden Menschenkreise in dem geheimnisvollen Turme aufbewahrt , fielen ihm dabei ein , so daß er dieser Aufzeichnungen Erwähnung tat , als sich im Verlaufe des Tages zwischen ihm und den drei Frauen das Gespräch auf die Entdeckung richtete , die man über Hulda's theatralische Laufbahn gemacht hatte .
Man würde , meinte er , das Erdichten von Romanen sparen können , wenn es überall möglich wäre , den geheimen Einflüssen nachzukommen , welche die Menschen aufeinander ausübten , oftmals ohne es zu wissen , oft mit bewußter bester Absicht und in gar vielen Fällen eine durchaus andere Wirkung als die jenige erzeugend , die man zu macheu gewillt war .
Man hat eben deshalb einzelner , fast zufällig vor uns gesprochener Worte , bisweilen in sich als epochemachend in dem einen oder dem anderen Sinne , als Gutes oder Übles erzeugend , zu gedenken ; und welche Folge ein anscheinend alltägliches und kaum beachtetes Zusammentreffen von Personen für deren ganze Lebensrichtung haben kann , das zeigt sich einem Jeden , der einigermaßen befähigt ist , das Leben , das eigene oder fremde , im Großen und Ganzen zu betrachten .
Konradine nannte diese Ansicht auch die ihre .
" Und , " fügte sie hinzu , " Jean Paul muß , so weit es den Einfluß des Mannes auf das Weib betrifft , der gleichen Meinung gewesen sein , als er den Ausspruch tat :
" Das Schicksal macht den Mann zum Unterschicksal des Weibes . "
Ich habe daran oft gedacht , wenn ich die Ereignisse betrachtete , die mich in das Stift geführt und aus demselben entfernt haben .
Ich bin mir dabei jedesmal der inneren Umgestaltungen bewußt geworden , welche mir , der an rauschende Lebenslust Gewöhnten und nach derselben Verlangenden , nun die Aussicht so angenehm erscheinen machen , in fleißigem , gemeinsamen Schaffen und Wirken mit Ihnen , in umfriedeter Häuslichkeit , zu jener inneren Ruhe des Abschlusses zu gelangen , in welcher mir das eigentliche Glück zu liegen scheint und in der allein auch eine wirkliche Fortentwicklung des Menschen möglich wird . "
Frau von Wildenau lächelte .
Die Gräfin fragte , was sie bei ihrem Lächeln denke .
" Ich lächle über die Tiefsinnigkeit der jetzigen Generation , " sagte sie , " die alles dasjenige erklären , ergründen , in Zusammenhäng bringen will , was wir unsererzeit einfach hinnahmen wie gutes und schlechtes Wetter , und womit wir fertig zu werden , oder was wir zu vergessen suchten , je nachdem es nötig war .
Abschluß !
Fortentwicklung !
Das klingt Alles so prächtig , so gebildet und gelehrt .
Das klingt , als ob Verlobung und Hochzeit Zaubermittel wären , die Frieden bringen , Glück erschaffen ohneweiters .
Als ob Verlobungen nicht rückgängig , Ehen nie geschieden worden wären !
Als ob nicht in der Ehe erst das wahre Suchen , und das Versuchen anfinge , wie man am Besten mit einander fertig zu werden vermöge .
Alle unser Sein ist Tun und Erleiden , alle unser Tun ist nur ein beständiges Versuchen ; und einen wirklichen Abschluß habe ich im Menschenleben niemals noch gefunden .
Es würde hinter demselben auch die Unendlichkeit der Langenweile liegen .
Man ergeht sich in Versuchen von heute zu morgen bis an sein Lebensende , und darin besteht das Vergnügen , besteht der unterhaltende Reiz der Neugier , gegenüber dem Ungewissen .
Man schließt immer auf das Neue Übereinkünfte .
Das einzig absolut Wahre , das einzig Dauernde aber , das ich im Leben aufgefunden habe , ist der Glaube , mit welchem Jeder immer wieder das Zauberwort entdeckt zu haben meint , welches ihm den Stein der Weisen überantworten , die hesperischen Gärten erschließen , die wahre Seligkeit bereiten soll . --
Nicht nur " Kinder und Bettler sind , " wie Goethe sagt , " hoffnungsvolle Toren ! "
Wir sind es samt und besonders ; und je törichter und leichter wir hoffen , um so leichter und genußreicher wird das Leben .
Für die Enttäuschungen sorgen schon die Anderenl Diese Weltweisheit der Baronin war keinem ihrer Hörer fremd , doch mißfiel ihnen dieselbe heute noch mehr als sonst .
Die Gräfin meinte einlenkend , es sei sehr gut , daß jede Natur sich ihre eigene Philosophie erzeuge und daß nicht Allen als Glaubensartikel und Leitfaden vorgeschrieben werde , was für den Einzelnen sich bequem erweise .
Konradine aber lehnte sich mit ungewohnter Heftigkeit gegen die Theorie ihrer Mutter auf .
Nach den Fragen , welche die Baronin ihr am Sylvesterabende vorgelegt , nach den Zweifeln , welche sie in ihr leichtsinnig zu erregen versucht hatte , konnten die heutigen Aussprüche derselben ihr nur als Spott erscheinen , umsomehr , als an ihr ein Treubruch von dem Prinzen begangen und von Emanuel ein solcher gegen Hulda geschehen war .
Es beleidigte und quälte sie , daß die Mutter ihr gleichsam an der Schwelle ihrer Zukunft ein unheilverkündendes Zeichen aufzustecken strebe , und wie die Mutter dem Wechsel als einer natürlichen Berechtigung das Wort geredet hatte , so sprach sie sich mit großer Entschiedenheit für das Festhalten an dem als recht und gut Erkannten aus .
" Ich gebe zu , " sprach sie , " daß die Zeremonien einer Verlobung , einer Hochzeit nicht an sich die Kraft besitzen , Frieden zu bringen oder Glück zu spenden ; denn nicht der Akt ist es , sondern der Sinn und das Bewußtsein Derer , die ihn schließen , sind es , welche über die Zukunft entscheiden .
Wer will die Beweggründe mit raschem Worte zählen , aus denen von dem Einen oder dem Anderen der Beteiligten unüberlegte Verbindungen geplant , nicht erwogene Gelöbnisse getan werden ?
Wo immer aber sich zwei Menschen , die sich selber und einander innerlich geprüft , die einander durch Erfahrung achten , und aus Erkenntnis ihrer Eigenschaften lieben gelernt haben , einander für die Zukunft angeloben , da noch von Wechsel zu sprechen , scheint mir eine Beleidigung , ja eine Sünde zu sein .
Denn wohin kämen wir , wenn wir auf uns selber nicht von heute bis zu morgen rechnen könnten ? und was wäre alle unser Wollen wert , wenn der eine Tag das Streben des vergangenen als Kinderspiel und Seifenblase in das Nichts zerfließen machte ! "
Der Zwiespalt zwischen Mutter und Tochter tat sich wieder einmal deutlich auf .
Die Mutter meinte ironisch , es müsse eine köstliche Empfindung sein , sich so wie ihre Tochter über jedes Irren erhaben zu glauben .
" Irren ! " rief Konradine , " wer hat nicht geirrt , wer wird nicht einräumen , daß er wieder irren könne ?
Aber es ist doch sicherlich ein Unterschied , ob wir einen Irrtum als ein Unglück betrachten und beklagen , ob wir , was in unseren Kräften steht , dagegen aufbieten , uns vor demselben zu hüten , die Folgen unseres Irrtums für uns und Andere möglichst wenig nachteilig werden zu lassen , oder ob wir aus einem Irrtume nur auftauchen , um uns leichten Herzens in den nächsten zu versenken ; ob wir das ewige Irren als unseren schönsten Vorzug betrachten , oder das gelegentliche Irrenkönnen und Geirrthaben als eine der traurigen Möglichkeiten ansehen , vor denen uns zu hüten und nach Kräften zu wahren , die notwendigste unserer sittlichen Aufgaben ist . "
Die Mutter , die allein es wußte , woher Konradinens Heftigkeit entsprang , nahm sie , wie Alles , mit leichtem Sinne hin , und sich mit dem Lächeln , das ihr schon aus schwereren Verlegenheiten fortgeholfen hatte , an die Gräfin wendend , sagte sie :
" Man behauptet , jede Mutter sei eine Art von Madonna .
Ich für mein bescheiden Teil stehe vor Konradinen immer wie die Madonna da , die ihren Sohn im Tempel vor allem Volke die Weisheit des Herrn verkünden hörte -- staunend , daß solche Erhabenheit von mir armen Sünderin hat ausgehen können ; und im Augenblicke auch zu Buße und zu Besserung geneigt , falls meine Atome dazu nicht schon zu steif in einander gewachsen sind . "
Sie stand dabei auf , hob die Arme , sich dehnend , mit zierlicher Bewegung über den Kopf , so daß die immer noch schöne Schlankheit ihrer Gestalt sich anmutig darstellte , und rief lachend :
" Ach ! ich könnte die Enkel , die wir erhoffen , um die wundervolle Erziehung beneiden , welche sie von Dir erhalten werden , falls ich neidisch wäre , oder wenn man auf Enkel neidisch sein könnte ! "
Die Heiterkeit , mit welcher sie das sagte , war so unwiderstehlich , daß sie die Anderen mit sich fortriß und man der vorigen Mißstimmung vergaß .
Aber Konradine sprach es noch an demselben Abende gegen Emanuel unverhohlen aus , daß es sie danach verlange , ihr Beisammensein mit ihrer Mutter abzukürzen , und wie ihr also auch in diesem Betrachte die von ihm gewünschte Beschleunigung ihrer Heirat eine eigene Befriedigung sein werde .
Zehntes Kapitel .
Der Winter war wieder einmal vorüber , die Straßen der Stadt waren wieder trocken , nur noch in den entlegensten Ecken der eng verbauten Höfe , wo die Sonne niemals hinschien , war noch hie und da ein wenig Schnee zurückgeblieben .
Die Kinder spielten schon wieder vor den Türen , und die alte Brotverkäuferin , welche gegenüber von Hulda's Wohnung an der Ecke des Platzes ihre Bude hatte , ließ Mittags schon den Schirm von grauer Leinwand nieder , damit die Sonne ihr die Ware nicht ausdörre .
Der Schirm ging aber nicht so tief hinunter , daß er ihr das Betrachten und Beobachten ihrer Nachbarschaft unmöglich machte , und just an diesem Morgen gab es drüben in dem Hause bei der Witwe Rosen mehr noch als sonst zu sehen und zu bemerken .
" Das ist nun der vierte Rosenstock , der heute da drüben hineingetragen wird , " sagte sie zu dem jungen Mädchen , das , vor der Bude stehend , wie an jedem Tage , sich die Backware für den täglichen Bedarf der Herrschaft in ihr Körbchen zählen ließ .
" Vier Rosenstöcke und ein großer Pomeranzenbaum mit Blüten und mit Früchten wie für eine Königin :
Die Blumenbouquets nicht erst zu rechnen , die ihr die Herren selber in das Haus getragen haben .
Und das ist noch das Wenigste .
Früh Morgens , gleich als ich hier aufgemacht habe , kam ein Toilettentisch .
Der war von dem reichen Philibert , bei dem mein Sohn in Diensten ist , und Alles von schwerem Silber darauf .
Danach sind noch zweimal von den großen Schachteln in das Haus getragen worden , wie sie aus den vornehmen Putzhandlungen kommen .
Und das Alles für die Vollmer , die heute ihren Geburtstag hat .
Da !
da kommt sie eben an das Fenster ! "
Sie deutete mit den Worten nach den Mittelfenstern , des ersten Stockwerkes hinüber , an welchem Hulda flüchtig erschien und ebenso schnell wieder verschwunden war .
" Schön ist sie , " meinte das Mädchen , " und bei uns im Hause machen sie auch viel Aufhebens von ihr .
Ich höre das so im Vorübergehen . "
" Wenn ich es so denke , " nahm die Alte darauf wieder das Wort , " so schnell wie ihr ist es doch keiner Anderen noch geglückt .
Just fünf Monate wird es her sein , daß sie hier angekommen ist .
Es war kurz vor Martini .
Ich sehe sie noch wie heute , in dem engen Oberrocke und mit dem kleinen Koffer hinter sich , den ihr das Mädchen von drüben nachtrug , als die Rosen sie von der Post geholt hatte .
Oben in der einfenstrigen Erkerstube hat sie dazumal gewohnt und Morgens die Sperlinge gefüttert mit ihrem Frühstücksbrot .
Das war freilich nicht so vornehm wie jetzt der Papagei , den Herr Philibert ihr angeschafft , und den mein Sohn auch hingetragen hat . "
Das Brot war eingezählt , das Mädchen legte das Geldstück hin , die Alte suchte in ihrer Lade nach der kleinen Münze , die sie darauf herauszugeben hatte , während Jenes noch einmal nach den mit Blumen besetzten Fenstern der Schauspielerin hinaufsah und seufzend das erhaltene Geld in ihre Tasche steckte .
Die Alte fragte , was ihr fehle .
" Ach , Nichts , " entgegnete die junge Magd , " aber -- zu leiden ist Unsereins ja doch auch -- und wenn man sich es so überlegt , wie man sich zu quälen und was man Alles stillschweigend hinzunehmen , und wie man seine Kräfte zuzusetzen hat , und sieht daneben , wie so Eine es gut haben kann nur mit ihrer Schönheit ! "
" Der Vollmer ist Nichts nachzusagen ! " bedeutete die Alte warnend .
Die junge Magd warf den hübschen Kopf , den das Häubchen mit den breiten bunten Bändern zierlich einschloß , kokett in den Nacken und warf die roten Lippen spöttisch auf .
" Nichts nachzusagen ?
Dazu kennt man doch die Herren auch genug .
Meinen Sie , ich könnte es nicht auch ganz anders haben , wenn ich es wollte und mich darauf verlegte !
Aber freilich für Nichts gibt es Nichts , und sie sind ja Eine wie die Andere beim Theater ! " setzte sie hinzu , indem sie rasch von dannen ging , die verplauderten Minuten leichten Schrittes einzubringen .
" Sie sind Eine wie die Andere bei dem Theater , " hatte die junge Magd gesagt , und sie hatte damit nur ausgesprochen , was sie oftmals an dem Tische und von der Gesellschaft ihrer Gebieterin hatte behaupten hören .
Sie hatte , ohne sich dessen irgendwie bewußt zu sein , die landläufige Ansicht wiederholt , deren Wirkung Hulda sowohl in der zudringlichen Galanterie der Männer , als in der vorsichtigen Abwehr kränkend erschienen war , mit welcher die Frauen der bürgerlichen Gesellschaft sich gegen die Bühnenkünstlerinnen zurückhielten .
Und doch hatte das Glück Hulda seit der Stunde ihres ersten Auftretens auf der Bühne unausgesetzt gelächelt .
Es war in der Tat , wie die Alte es gesagt hatte .
Kaum einer anderen jungen Schauspielerin war es jemals so wie ihr gelungen , gleich bei dem ersten Schritte , den sie in die Öffentlichkeit tat , den Platz einzunehmen , den sonst jahrelanges Streben und Arbeiten nur mühsam erringen , so wie sie die Vorliebe des Publikums im Allgemeinen , und einen bestimmten persönlichen Anhang , gleichsam durch Erbschaft anzutreten .
Es hatten eben wieder einmal über dem Leben eines Menschen jene freundlichen Sterne am Horizonte gestanden , unter deren heilbringendem Einflusse er als der rechte Mensch auch zur rechten Stunde in die frei gewordene Stelle eintritt .
Fast ohne ihr Zutun hatte sie den Platz ausfüllen , in ihm Wurzel schlagen , wachsen und sich in einer Weise entfalten können , daß , sie sich oft fragen mußte , wie das Alles denn geschehen und möglich geworden sei ?
An ihrem Geburtstage mehr denn jemals hatte auch sie sich jenes grauen November-Abends erinnert , an dem sie , wie die alte Hökerin es sehr genau geschildert , in dem schlechten Oberrocke , das Köfferchen mit ihrer ärmlichen Habe als einziges Besitztum , unbefreundet und weltunkundig , oben in das Erkerstübchen eingezogen war , das manchen ihrer stillen Seufzer gehört und in welchem sie in sorgenvoller Ungewißheit über ihre Zukunft manche Stunde der langen Winternächte arbeitend und lernend zugebracht hatte .
Das Stübchen hatte sie , noch auf Feodoren's Rat , gleich an dem Tage aufgegeben , an welchem sie ihr zweijähriges Engagement bei dem Holm'schen Theater unterschrieben hatte , denn die Zeit der sorgenvollen Ungewißheit über ihre Zukunft war damit vorüber .
Sie war ihres Talents wie ihrer Schönheit sich sehr bewußt .
Ein Rückwärtsschreiten war für sie auf dem Pfade der Kunst nicht möglich , wenn sie sich in ihrem Arbeiten und in ihrem Streben gleichblieb .
Nur von ihr , das fühlte sie , hing es fortan ab , was sie aus ihrem Leben machen wollte .
Der Weg , auf welchem Gabriele und Feodore ihre Lorbeern gepflückt , ihre Triumphe errungen und Freude , Genuß , Erfolge aller Art geerntet hatten , lag vor ihr , wie er vor Jenen einst gelegen hatte .
Heute schon blühten trotz der frühen Jahreszeit die Rosen auf ihren Tischen und an ihrem Fenster , wie einst in Gabrielen's Zimmer .
Sie war jung , sie fühlte es als ein Glück , daß sie Künstlerin , daß sie berufen war , den Menschen die herrlichen Gebilde der Dichtkunst zu verkörpern . Ihres Vaters feines Verständnis hatte sie frühzeitig zu der Bewunderung derselben angeleitet , und ihre junge Seele hatte sich an diesen Dichtungen erhoben , wenn Frost und Schnee und Eis das einsame Pfarrhaus am Meeresstrande halbe Jahre lang umgeben hatten , und wenn in ihrem Gärtchen die langen , stillen Sommerabende sanft und wechsellos an ihr vorübergezogen waren .
Es war ihr immer noch feierlich zu Mute , so oft der Vorhang sich hob , so oft die Szene herankam , in welcher sie hervorzutreten hatte , feierlich und andächtig , wie in des Vaters Kirche , wenn der leichte Wind vom Meere her zur Sommerszeit die Vorhänge an der Eichentüre leicht bewegt hatte , und eine große , reine Freude erfüllte ihr Herz , wenn sie die Worte unserer Dichter vor dem lauschenden Ohr ihrer Hörer aussprechen und sich es sagen durfte , daß sie den rechten Ton getroffen habe , daß ihr Wort Anklang und Widerhall finde in den Herzen der Menschen .
Neues Leben , neue Kräfte und Empfindungen waren in ihr wach geworden , seit sie dieGedanken und Gefühle , welche der Dichter in seine Gestalten gelegt hat , sich angeeignet und in sich durchlebt , durchlitten hatte .
Alte Erinnerungen an unvergessene Tage hatten in ihrem Herzen ihre immer wiederholte Auferstehung gefeiert , und ihre erweiterte Einsicht und Erkenntnis hatten ihr Licht auch über ihre Vergangenheit geworfen , All das blöde Lieben und das stille Leiden ihrer ersten Jugend , wie blaß , wie ohnmächtig erschien es ihr , neben der gewaltigen Leidenschaft , die sie jetzt auszudrücken gelernt hatte .
Jetzt erst meinte sie die Kluft ermessen zu können , die sie damals von Emanuel getrennt hatte , und einsehen zu können , durch welche Eigenschaften ihrer Natur und ihrer Bildung , ihm Konradine mehr verwandt gewesen sei , als sie .
Sie hatte seiner nicht vergessen und konnte ihn nicht vergessen , denn die Liebe zu ihm und die Trennung von ihm waren die beiden Ereignisse gewesen , welche ihrem Leben die bestimmende Richtung gegeben hatten ; und an ihn und an ihren Vater dachte sie , wenn der freudig rauschende Beifall des Publikums sie über sich selbst hinaushob , oder wenn das Bewußtsein , daß ihre Aufgabe ihr gelang , ihre Brust mit stiller Befriedigung erfüllte .
Indes keinem wahren Künstler ist es gegeben , sich gleichmäßig genug zu tun ; keinem wird der Schmerz erspart , mit seinem Können hinter seinem Wollen weit zurück zu bleiben , und entmutigt an sich selber irre zu werden , wenn das Bild , das er im Inneren trug , sich nicht so wie er es in sich hegte , zur Erscheinung bringen lassen will ; denn Selbstgenügen ist das sicherste Zeichen der Mittelmäßigkeit und der Beschränktheit .
Mit der wachsenden Einsicht in die Kunst , wächst der Zweifel über das selbstgeschaffene Kunstwerk , und kein Künstler darf des Erfolges seiner Leistung im voraus weniger gewiß sein , als der Bühnenkünstler , dessen Wirksamkeit unabänderlich auf das Mitwirken Anderer , auf ihr Können , auf ihren guten Willen angewiesen und dem es nicht einmal vergönnt ist , das , was ihm im Augenblicke mißlang , im nächsten Augenblicke zu verbessern .
Seine beste Leistung ist das Werk des Augenblicks , an diesen gebunden , vergänglich wie er ; und nur als Schatten des Augenblickes , als Erinnerung fortlebend in dem Gedächtnis Derer , welche Zeugen der augenblicklichen Schöpfung , ihrer Vorzüge , ihrer Mängel gewesen sind .
Hulda aber hatte es nach Feodoren's Abgang peinlich zu erfahren gehabt , was der gute Wille eines Mitspielers für den Schauspieler bedeute .
Denn die Delmar konnte es nicht verschmerzen , sich von Feodoren in ihren besten Rollen verdunkelt , sich , wie sie es nannte , von ihr heimtückisch gekränkt zu sehen ; und da es ihr jetzt nicht mehr vergönnt war , sich an der Entfernten , von jedem Zusammenhänge mit dem Theater losgelösten Frau zu rächen , ließ sie ihr Übelwollen und ihre üble Laune gegen Hulda aus , sofern sie es tun konnte , ohne ihren eigenen Erfolg dadurch zu schädigen .
Hulda hatte das entgegenkommende Zusammenspiel , das andeutende Fordern des im nächsten Augenblicke zu Leistenden , an das die kluge und gefällige Berechnung Feodoren's sie im wohlverstandenen gemeinsamen Interesse bei ihren drei Probevorstellungen gewöhnt hatte , empfindlich zu vermissen , wenn sie mit der Delmar spielte , was bei der verhältnismäßigen Beschränktheit des Personals nur selten nicht der Fall war ; und die Delmar unterließ es nicht , dasjenige , was sie in solchen Fällen verschuldete , der mangelnden Achtsamkeit und dem mangelnden guten Willen ihrer jüngeren Kollegin zur Last zu legen .
Der Direktor , der Regisseur und Lelio sahen deutlich , wo der Fehler lag und weshalb manche Einzelheiten Hulda jetzt weniger als in ihren Antrittsrollen glückten .
Sie selber empfand es noch viel bitterer , und die Männer kamen ihr eben deshalb in den Szenen , welche sie mit Hulda spielten , wie es sich gebührte , bereitwillig entgegen .
Aber die sämtlichen Frauen , und namentlich die jüngeren , die sich , berechtigt oder unberechtigt , mit der Hoffnung geschmeichelt haben mochten , einmal Feodoren's Nachfolgerinnen zu werden , stellten sich auf die Seite der Delmar ; und so wie Hulda im Publikum die Erbschaft von Feodoren's Freunden angetreten hatte , fiel ihr auf der Bühne , ohne ihr Verschulden , auch die Feindschaft aller Gegner Feodoren's zu , deren Zahl nicht klein gewesen war .
Sie war kaum einige Wochen auf der Bühne gewesen , als es bei dem weiblichen Personale zu einer feststehenden Behauptung geworden war : daß Hulda noch weit eitler , noch mißgünstiger und noch berechnender als Feodore sei ; daß sie , um keine andere Schauspielerin an dem Beifalle des Publikums teilnehmen zu lassen , den sie etwa ernten könne , in den Szenen , welche sie mit den Frauen spiele , Alles mit geflissentlicher Gleichgültigkeit abtue , wie die italienischen Sängerinnen , die ihre Kräfte für die Bravourarie sparen .
Erst wenn sie die Männer sich gegenüber habe , wenn sie nicht nur das Publikum verblenden , sondern Lelio und auch den älteren Männern auf der Bühne den Kopf verdrehen wolle , dann wache sie auf aus ihrer kühlen Ruhe , dann werde sie Feuer und Flamme , dann reiße sie die Anderen und das Auditorium mit sich fort .
Die Zustimmung und das Beifallsklatschen aber würden dann von der leicht zu erkaufenden Galanterie ihrer Mitspieler , huldigend ihr allein , der unvergleichlichen Schönheit , zugewiesen und zugeschrieben .
Der Direktor und die anderen Männer traten all diesen kleinen Fallstricken , welche man dem begabten und für die Kunst begeisterten Mädchen in den Weg zu legen suchte , geschickt genug entgegen .
Sie traten auch mit offenem Worte und mit gewandter Abwehr für Hulda ein , wo es sich eben tun ließ .
Das machte jedoch das Übel nur noch ärger , denn es reizte den Groll der Delmar bei jedem Anlasse , es verstärkte den Neid der anderen Frauenzimmer gegen Hulda , es befestigte dieselben in dem Glauben , daß sie unter dem Anschein ruhigsten Betragens sehr wohl die Kunst verstehe , die Männer an sich zu ziehen und zu fesseln ; und da Hulda , so viel an ihr war , sich bemühte , mit den Frauen , namentlich mit den jüngeren Schauspielerinnen zu einem guten Einvernehmen zu gelangen , sah die Delmar darin nur den völligen Beweis dafür , daß Feodore ihre Nachfolgerin dazu angeleitet habe , ihr sogar die Anhänglichkeit ihrer bewährtesten Freundinnen mißgünstig und herrschsüchtig zu entziehen .
Sie war aus selbstsüchtiger Beschränktheit unfähig , etwas Anderes zu denken , als sich selbst , und eben deshalb auch genötigt , den Handlungen eines jeden Anderen Beweggründe unterzuschieben , welche sie auf sich zurückführen und als für oder gegen sie gerichtet , betrachten konnte .
Sie hatte gegen Feodore unablässig intriguirt , hatte sich von dieser endlich überlistet und besiegt gefunden , ihr Charakter hatte sich dadurch noch mehr verbittert und verschlechtert , und Hulda hatte die Wirkungen davon zu tragen .
Es gab der kleinen Zwischenträgereien , der mit Voreingenommenheit gehörten und gedeuteten Nachreden gar kein Ende .
Ein verdächtigendes Übelwollen wie dasjenige , welches sie in ihrer Heimat nach ihrem ersten Aufenthalte im Schlosse nur schattenhaft und doch so verletzend berührt hatte , trat jetzt in den Kulissen fest und deutlich gegen sie auf , und unfähig , ihm zu trotzen oder sich davor zu wahren , blieb ihr Nichts übrig , als sich von demselben abzuwenden und sich an Diejenigen zu halten , die sich ihr ergeben und zugetan erwiesen -- an die Männer .
Der Doktor lächelte , wenn Hulda sich darüber beschwerte , daß ihre Kolleginnen sich ihr abgeneigt bezeigen .
" Haben Sie geglaubt , " fragte er , " daß unbedeutende Menschen eine Bedeutung anzuerkennen vermögen ?
Oder haben Sie erwartet , daß Frauen von gewöhnlichem Äußeren sich an fremder weiblicher Schönheit erfreuen sollen ? --
Mißtrauen Sie allen mittelmäßigen Frauen !
Sie werden mit Naturnotwendigkeit immer Ihre Feindinnen sein . "
-- In gleicher Weise suchte Lelio ihr zuzusprechen .
" Man muß , wie Sie , aus der Einsamkeit des fernen Thule kommen , " sagte ihr der erfahrene Künstler , der Hulda lieb und wert hielt , weil sie ihm die erwünschteste Partnerin und weil er selbst gebildet und ehrenhaft genug war , ihr ehrliches Streben und ihren reinen Sinn zu schätzen , " man muß weltfremd sein wie Sie , um auf den Brettern die Verwirklichung seiner Ideale zu suchen .
Denken Sie des Morgens , da ich Sie zum erstenmal durch die dunklen Gänge auf die Bühne führte .
Es scheint kein helles Tageslicht auf diese Wege .
Wenn Sie nicht eine Sonne in sich tragen , die Ihnen leuchtet und vorleuchtet , wenn Sie sich nicht zum voraus mit einem guten Harnisch waffnen , der Sie gleichgültig macht gegen Alles , was um Sie her und wider Sie geschieht , wenn Sie sich nicht neben der Theaterwelt , in Ihrem Inneren eine eigene Welt erbauen , und es nicht lernen , auf sich selber zu beruhen , sich selber , Gesetzgeber zu sein und Richter , so gehen Sie noch heute in Ihr Dorf zurück .
Denn auf den Brettern heißt es wie im Feenmärchen :
" Vor mir Licht und hinter mir dunkel ! "
Man muß vorwärts sehen auf das Ziel , das man erreichen will , vorwärts , wo in dem Lichterglanze des Hauses der freudige Beifall der Menge uns entgegenkommt , und hinter sich im Dunkel der Kulissen liegen lassen " im wesenlosen Scheine das , was uns Alle bändigt -- das Gemeine ! "
Es lag in allen solchen Ratschlägen und tröstenden Bemerkungen neben einer Wahrheit , für welche Hulda selbst in der Beschränktheit ihres Erfahrungskreises die Belege gewonnen zu haben meinte , ein bestrickender und verlockender Zauber , dem sie sich nicht zu entziehen vermochte , und dem sie sich bald bereitwillig überließ .
Wer widerstände auch der Genugtuung , sich schon in früher Jugend als ein von der Gunst des Himmels bevorzugtes Wesen betrachten zu dürfen ?
Wer trüge den Kopf nicht unwillkürlich höher , wenn er sich mit Freuden beobachtet , wenn er sich bewundert , von der Bewunderung der Menge gehoben , von ihrem Beifalle umrauscht findet ? wenn unerwartetes Gelingen ihn mutig und selbstvertrauend macht , und wenn man ihm noch zu dem Allen die Prophezeiung gibt , daß dies nur schwache Anfänge seien , und daß er berufen sei , sich über seine Umgebung weit hinaus zu einer ganz ausnahmsweisen Stellung emporzuschwingen ?
Solche Voraussagungen aber machte man für Hulda , und ein stolzes , freudiges Etwas in ihrer Seele ermutigte sie an dieselben zu glauben Was focht sie daneben das kleinliche Gebaren ihrer Nebenbuhlerinnen an ?
Feodore hatte ihr es oftmals wiederholt , wie Neid und Übelwollen der Schauspielerinnen sie gepeinigt , wie die spießbürgerliche Scheelsucht der Frauen sie verkleinert und verleumdet , welche es ihr nicht gegönnt , wenn die Bewunderung und Huldigung ihrer Söhne und ihrer Männer sich ihr zugewendet hatten .
Sie hatte es ihr geschildert , wie der Starrsinn der Familie Van der Vlies , die sich ihrer Heirat mit dem Geliebten und Liebenden beharrlich widersetzt , sie endlich dahin gebracht habe , auf Herkommen und Ehre und sogenannten guten Ruf mit vollem Bewußtsein zu verzichten , um sich und dem Geliebten genug zu tun , und jenen beschränkten Hochmütigen mit offenem Visier zu trotzen .
Hatte denn Gabriele nicht ebenso gehandelt und anders handeln können , ehe sie dem Fürsten heimlich in morganatischer Ehe verbunden worden war ?
Was blieb denn auch den Bühnenkünstlerinnen übrig , an deren Leistungen die anderen Frauen sich erfreuen , die zu sehen und zu bewundern sie sich herandrängen , die gelegentlich als Merkwürdigkeiten in ihren Sälen vorzuführen , sie sich zum Vergnügen machen , und die sie dennoch weit entfernt sind , als ihresgleichen unter sich leben zu lassen -- was blieb denn den Künstlerinnen übrig , als es sich zunutze zu machen , daß man sie aus den engen bürgerlichen Schranken ausschloß ?
Was konnte sie Besseres tun , als die schöne Ungebundenheit und Freiheit nun auch wirklich zu genießen , zu welcher die oftmals nur erheuchelte Sittsamkeit der Anderen sie verdammen zu wollen schien ?
Konnte man denn leben wie Jene ?
Konnte man sich entfalten , eng eingekeilt in veraltete Begriffe , angekettet an Vater und an Mutter , gebunden an die Stunde und an des Hauses Schwelle ?
Konnte man in solchem Käfig die Flügel regen , wie man sie regen muß , um sich aufzuschwingen in höhere Regionen ?
Konnte man sich abfinden mit dem bescheiden winkenden Gruße eines blöden Schäfers , wenn man sich aus den Armen eines Max Piccolomini gerissen , oder das ganze Elend des menschlichen Daseins in Gretchen's Gefängniszelle schaudernd und erzitternd in sich durchlebt hatte ?
Nein !
Hulda sah es mit jedem Tage klarer , deutlicher , empfand es in sich selbst fortreißender und gewaltiger : wer große Leidenschaften darzustellen , sie also in sich zu durchleben hat , wer sich gewöhnt , sich immer wieder mit seinen Gedauken zu den Höhen des Daseins emporzuheben und sich in seine Tiefen zu versenken , wer wie ein Künstler vielfaches Empfinden , vielfach gestaltetes Leben in sich aufzunehmen , in sich und durch sich zu verkörpern hat , dem darf die Schranke nicht zu eng gezogen , dem muß die Freiheit zugestanden werden , deren er , sich benötigt fühlt .
Der schöpferische Mensch muß im Leben die Kraft ausleben dürfen , welche das künstlerische Gestalten in ihm erweckt und löst , und kann nur in sich selber die Grenze erkennen , an welcher für ihn , für seine Natur , für seine sittliche Erkenntnis das " Bis hierher und nicht weiter ! " aufzustecken und festzustellen ist .
Großes , freies , kühnes Schaffen und ängstliches Siechanklammern an Gesetze , die für andere Verhältnisse gegeben worden sind , können mit einander nicht bestehen .
Der Direktor , Lelio , Feodore -- sie hatten recht !
Hulda konnte als Bühnenkünstlerin nicht die Pfarrerstochter bleiben , durfte sie nicht spielen wollen .
Und weshalb sollte sie es auch , da sie nichts Böses dachte oder tat ?
Elftes Kapitel .
Der ganze Morgen ihres Geburtstages war Hulda in heller Freude hingegangen .
Sie hatte Besuche gehabt von all den Männern , die sich ihre Freunde nannten , und sie war es nun schon lange gewohnt , Männer bei sich zu sehen und mit ihnen sicher zu verkehren .
Es gehörte zu den Bedingungen ihres jetzigen Berufes .
Sie konnte es nicht verweigern , die Besuche der Rezensenten anzunehmen , auf deren guten Willen sie angewiesen war , und die Kollegen zu sehen , deren Mitwirken ihr eigenes Leisten unterstützte .
Es wäre eine Torheit gewesen , sich den fördernden und unterhaltenden Verkehr mit den beiden älteren , kunsterfahrenen Freunden Feodorens zu versagen , oder Lelio's Besuch zurückzuweisen , zu dem sie ein Vertrauen und eine Zuneigung gewonnen hatte , die er ihr ebenso ehrlich erwiderte .
Kaum ein Tag verging , ohne daß Lilio sie besuchte .
Er war von einer guten Familie , hatte eine gute Bildung genossen , war aus Liebe zur Kunst , trotz des Widerstrebens der Seinen , Schauspieler geworden , und seine ganze Erziehung und Vergangenheit machten ihn dazu geeignet , Hulda's eigentlichen Wert zu erkennen und zu schätzen .
Ihr auf das Edle gerichteter Sinn , ihre reine Gesittung machten sie ihm wert ; die Ordnung und Sauberkeit , die in ihrer Wohnung herrschten , muteten ihn heimisch an .
Er , mehr als alle Anderen , konnte ihr nachempfinden , was Alles sie bei ihrem Eintritt in die neue Laufbahn in sich zu überwinden gehabt hatte ; und er stand ihr deshalb gern zur Seite , wo ihr Mut einmal schwankend wurde , oder wo immer er ihr nützlich sein konnte .
Da sie fast regelmäßig ihre Partien mit ihm zu spielen hatte , las er mit ihr die Rollen , die sie allmählich einstudieren mußte , und die ihm lange geläufig waren , und sein Rat , seine Bühnenerfahrung halfen ihr aus .
Er nahm sich ihrer in jedem Betrachte an wie er nur immer konnte , und es währte denn auch nicht lange , bis man in den Kulissen der Ansicht war , Lelio könne und werde um seiner neuen Mitspielerin Willen die entfernte Geliebte wohl vergessen .
Aber gerade diese Liebe war es , die dem Verkehre zwischen Lelio und Hulda eine ruhige Sicherheit gab , weil sie es fühlte , daß er keine Art von Anspruch an sie mache .
Er war der Einzige von allen Männern , die ihr nahten , dessen Verhalten zu ihr , Nichts von jener begehrlichen Huldigung an sich trug , gegen die sie auf ihrer Hut zu sein gelernt hatte .
Er allein wußte es auch , wie sie dazu gekommen war , die Heimat zu verlassen und in die Öffentlichkeit zu treten .
Ihm konnte sie es sagen , wenn inmitten ihrer unerwarteten Erfolge es sie plötzlich wie ein Schmerz , wie ein Heimweh nach der arglosen Unerfahrenheit ihrer früheren Tage , wie eine Sehnsucht nach sich selber überfiel .
Sie hatte es ihm geschildert , wie liebevoll die Mutter und der Vater , trotz der Ärmlichkeit ihres Lebens , doch in jedem Jahre eine unerwartete Freude für sie ermöglicht hatten , wie herrlich ihr das schlichte , neue Kleid erschienen , wie unschätzbar das neue Buch ihr gewesen sei ; und er hatte sie eben erst verlassen , sie hatte eben erst die Tränen liebevoller Erinnerung unter seinem freundlichem Zuspruch hinweggelächelt , als Philibert bei ihr erschien .
Er war ein noch junger Mann von stattlicher Gestalt .
In seiner bleichen , feinen Farbe , in seinen dunklen Augen wie in seiner feurigen Lebendigkeit gab sich das spanische Blut der Mutter kund .
Aus seiner selbstgewissen Sicherheit sprach eben das Bewußtsein des reichgeborenen Kaufmannssohnes von patrizischem Geschlecht , auch die Leichtigkeit des lebenslustigen Weltmannes fehlte ihm nicht .
Aber er hatte Hulda an dem Abende , als er sie von Feodorens Polterabend heimgeleitet , durch den ungestümen Ausdruck seiner leidenschaftlichen Bewunderung beleidigt und erschreckt , und sie war ihm deshalb , so viel an ihr war , immer ausgewichen .
Darüber hatte er sich brieflich bei seiner Freundin Feodore schwer beklagt , und diese hatte ihm bei Hulda scherzend das Wort geredet .
Er war dann in des Doktors oder in Hochbrecht Gesellschaft bei ihr vorgesprochen , hatte sie , da er bei seiner Bekanntschaft mit dem Direktor freien Zutritt zu der Bühne hatte , in ihrer Garderobe gelegentlich besucht -- wie es in jenen Tagen in den Theatern Gang und gäbe war -- und Hulda hatte sich allmählich daran gewöhnt , ihn , so oft sie spielte , auf seinem Platze zunächst der Bühne zu erblicken , ihn seine Bewunderug lebhafter kundgeben zu hören , als es die Anderen taten , und den Blumenstrauß mit dankendem Blicke aufzunehmen , den er ihr zuzuwerfen nicht verfehlte , wenn irgend sich dazu der Anlaß bot .
Sie hatte sich endlich auch darein gefunden , ihn gelegentlich in ihrer Behausung zu empfangen .
Aber seiner Besuche wurden mehr und mehr .
Die kleinen Aufmerksamkeiten , welche er ihr durch mancherlei Überraschungen erwies , wiederholten sich häufig , und Hulda hatte sich nicht dagegen gesträubt , jene kleinen Nichtigkeiten von ihm anzunehmen , mit denen man einer Frau eine flüchtige Freude zu machen wohl berechtigt ist .
Indes , ihr Empfinden lehnte sich lebhaft dagegen auf , einem fremden Manne und gerade Philibert ein Geschenk zu verdanken , wie er es durch Mitwirkung ihrer Hauswirtin und ihrer Dienerin in ihrem Zimmer hatte aufstellen lassen , ehe sie am Morgen in dasselbe eingetreten war .
Sie hatte ihn den ganzen Vormittag mit innerem Mißgefühl erwartet , und seine Ankunft überraschte sie trotzdem .
" Ich komme spät , " rief er , noch ehe sie die Zeit gefunden hatte , ihm ein Wort zu sagen , " ich komme spät , weil ich wenigstens heute Sie einmal nicht mit Anderen teilen wollte .
Ich wußte , daß Sie heute keine Probe haben , ich wartete also , bis die Glocke für die Anderen geschlagen hatte , und ich komme nun , Holdeste !
Ihnen immer das alte Lied zu singen . . . "
" Das ich kenne ! " fiel sie ihm mit einem Lächeln in die Rede .
" Und das ich Ihnen so lange wiederholen werde , " fuhr er fort , ohne sich durch ihre Unterbrechung stören zu lassen , " bis Sie es mir glauben , daß Sie mich auf keine Weise dazu bringen können , Sie nicht anzubeten , und bis Sie sich darein ergeben , in mir einen Freund auf jede Probe zu besitzen , über den Sie unbeschränkt gebieten können . "
" Die Erfahrung habe ich eben heute nicht gemacht ! " entgegnete sie ihm .
Er fragte , was sie damit sagen wolle .
Hulda fühlte , daß sie ihm in diesem Augenblicke die beabsichtigte Erklärung geben mußte , und das machte sie ängstlich .
Aber sie überwand ihre Verlegenheit , so schwer ihr es wurde , und mit ruhiger Miene , bittend zu ihm emporsehend , sprach sie :
" Es liegt etwas sehr Kleinliches darin , sich gegen Güte zu verwahren , die man uns erweist .
Aber wenn ich , wie Sie es nennen , nur zu befehlen habe , weshalb geben Sie meiner Bitte nicht Gehör , die ich an Sie schon einmal gerichtet habe ? "
Sie machte eine kleine Pause , und da sie sah , wie seine unterdrückte Heftigkeit ihm das Blut zu Kopfe trieb , ging sie von ihm fort , zu dem Tische , auf welchem die Blumentöpfe standen , die er ihr gesendet , und von denen sie eine vollblühende Rose gepflückt und an die Brust gesteckt hatte .
" Sehen Sie , " fuhr sie fort , " wie ein Kind habe ich mich heute von Herzensgrund gefreut , die schönen Rosenstöcke zu besitzen .
Eine blühende Rose wie diese , war eine große Seltenheit für mich in meinem Vaterhause .
Warum mußten Sie mir diese harmlose Freude schmälern durch ein Geschenk , dessen Größe mich erschreckt und mich drückt ? "
" Eine solche Kleinigkeit ! " rief Philibert " Wie mögen Sie nur ein Wort darum verlieren .
Der trübe Spiegel in Ihrem Zimmer hat mich schon lange verdrossen .
Es dünkte mir eine Sünde , daß Sie allein nicht wissen sollten , wie schön Sie uns erscheinen !
Und welcher Spiegel wäre gut genug , Ihr Bild zurückzustrahlen , da er doch nur ein totes Metall , nicht wie das Auge , ein Herz zu seinem Hintergrunde hat ! "
Sie nahm die Schmeichelei , diese Spielmarke der Empfindung , mit dem ebenso konventionellen Anscheine des Vergnügens auf , ohne sich dadurch von ihrem Vorsatze abbringen zu lassen ; und auf seine letzte Wendung eingehend , versetzte sie :
" Und wenn ich nun heute eine Bitte wagte an das Herz , das hinter Ihren Augen lebt ? wenn ich eine ganz bestimmte Forderung an dasselbe stellte , würden Sie sie mir gewähren ? "
" Alles , was Sie wollen ! " entgegnete Philibert , dem das Mädchen , wie es sich ernst und bewegt an seiner Seite niederließ , noch schöner dünkte , als er es je im Lampenlicht vor sich gesehen hatte .
Sie zögerte indes zu sprechen , schien das Wort nicht finden zu können , und sagte endlich stockend und mit gepreßter Stimme :
" Ich stehe ganz allein , bin ohne Angehörige allein auf mich gewiesen , habe Niemanden , der für mich eintritt , als mich selbst , und Nichts , was ich mein Eigen nenne , als mein gutes Gewissen und meinen guten Namen . "
-- Sie hielt inne , versuchte zu lächeln , wie sie ihn ansah , aber es gelang ihr nicht , denn das Herz war ihr zu schwer .
" Ich möchte gerne , " fuhr sie fort , " daß Sie mir glaubten , daß Sie nicht dächten wie so Manche : eine Schauspielerin , welche die Predigerstochter auf der Bühne spielen will ! --
Alle mein Können , alle mein Talent , ja mein ganzes Streben würden für mich unmöglich werden , wenn ich mich von den Menschen verachtet denken müßte , wenn ich mir nicht selber sagen dürfte , daß ich vor den Menschen und vor mir selber bestehen kann . "
" Habe ich Sie beleidigt ?
Bin ich Ihnen je zu nahe getreten ?
Oder was habe ich getan , was an meiner Stelle nicht jeder Andere getan hätte ? " rief Philibert , dem diese Szene in dem Zimmer einer jungen , schönen Schauspielerin eine völlig neue Erfahrung war , und ihm als solche einen reizenden Ein druck machte .
" Ich danke Ihnen und Ihrem Talente immer wieder neue Freude -- ist es ein Unrecht , wenn ich Ihnen dieses zu vergelten suche ? "
" Ich spiele nicht für Sie allein , ich spiele für Alle , es ist mein Beruf zu spielen , und ich werde ja dafür belohnt ! " entgegnete sie fest .
" Sie werden von der Direktion belohnt für das , was Sie ihr und der großen Maße leisten ! " warf Philibert ihr lebhaft ein .
" Wenn aber Ihr Spiel , wenn Sie , wenn die Freude Sie zu sehen , mir mehr wert sind , als die große Menge , die sich durch den Kauf ihrer Billetts mit dem Direktor abgefunden , irgendwie ermessen kann , wenn ich einen Genuß empfinde , von dem jene Anderen vielleicht Nichts zu verstehen fähig sind -- soll ich Ihnen dies nicht zeigen , nicht anerkennen , nicht aussprechen und danken dürfen , wie zu tun mir es ein Glück ist ? --
Soll ich Ihnen für ein unvergleichliches Entzücken , das Sie mir bereiten , nicht bieten dürfen , was auch Sie erfreuen kann ? "
Sie schüttelte verneinend das Haupt .
" Ihr Beifall freut mich , ermutigt mich , " erwiderte sie .
" Aber ich bitte Sie darum " , und ihre Stimme bebte , als sie es ihm sagte , " machen Sie mir nicht Geschenke , die mich verdächtigen !
Bringen Sie mich nicht in die Lage , erröten und die Augen niederschlagen zu müssen , wenn man mich im Besitze von Herrlichkeiten findet , die ich nicht erworben haben kann .
Bewahren Sie mich davor , daß ich Sie erzürne , daß ich ein häß Leiches Aufsehen errege , wenn ich die Geschenke , die Sie mir machen , Ihnen zurücksenden muß . "
" Sonderbares Mädchen ! " sagte Philibert , den Hulda's Verhalten aus der gewohnten Stimmung brachte .
Sie bemerkte es und es gab ihr Mut .
" Ich glaube es , " rief sie , " ich weiß , Sie haben es gut mit mir gemeint .
Aber Sie haben Hochbrecht Befremdung nicht gesehen , als er diesen Ankleidetisch , dessen eine Fürstin sich zu freuen hätte , in meiner Stube fand .
Sie haben des Doktors Lächeln nicht empfunden wie ich , als er die Toilette in ihren reichen Einzelheiten mit Kennerblick betrachtete , und Sie haben meines Freundes Lelio Frage nicht gehört : wie kommt Philibert darauf , Ihnen ein solches Geschenk zu machen ? --
Ich habe es ihm sagen müssen , daß Ihr Geschenk mich nicht erfreue , daß ich keinen Anlaß dazu gegeben habe , von irgend Jemandem solche Großmut zu erfahren !
-- Und er hat es mir geglaubt ! "
Sie hatte , während sie zu ihm sprach , die volle Sicherheit ihres guten Bewußtseins wiedergewonnen , und ihr schönes Antlitz flammte vor Erregung , als sie ihr Haupt stolz vor Philibert erhob .
Er sah und hörte ihr zu , mit einem Vergnügen , als ob er sie auf der Bühne vor sich hätte .
Ihre Würde bei so viel Jugend , der sittliche Ernst , mit welchem sie sich auf sich selber stützte , der schöne Zorn , die tiefe Empfindung , mit welcher sie sich und ihren Ruf zu wahren trachtete , ergriffen und rührten ihn , wie sie ihn in einer von Hulda's Rollen ergriffen haben würden .
Er fühlte sich in einzelnen Augenblicken sogar nahe dazu bereit , sich überzeugen , sich überwältigen lassen .
Aber er war gewohnt , nur sich und seinen persönlichen Erfahrungen zu trauen , nach ihnen die Anderen zu beurteilen , und er gehörte daneben zu jener Zahl von sogenannten Weltklugen , welche sich eine Überlegenheit über alle Diejenigen zuerkennen , an Denen zu zweifeln sie sich erlauben .
Er wußte nicht , oder wollte es sich nicht eingestehen , daß der Zweifel an sich zerstörend wirkt , und daß er wie ein häßlicher Rost das Schöne entstellt , sobald er es berührt .
Seine Menschenkenntnis wie sein Urteil über die Frauen waren auf sehr wechselndem und auf manchem schlechten Boden aufgewachsen .
Eine Schauspielerin wie Hulda hatte er noch nicht gekannt , eine Szene wie diese in dem Zimmer einer Schauspielerin noch nicht erlebt .
Er würde also gering gedacht haben von sich und seiner Klugheit , hätte er nicht an die Möglichkeit geglaubt , daß hinter diesem Scheine der Unschuld sich trotz alledem Berechnung bergen könne , daß Hulda sich Susannen's Worte im " Figaro " gemerkt und es beherzigt habe , daß " gering geachtet wird , wer sich zu leicht ergibt " .
Indes sie verlor durch ihren Widerstand in seinen Augen nicht .
Er kleidete sie vortrefflich , er beschäftigte und reizte ihn , und es unterhielt ihn , sich einmal zur Abwechslung zu der Rolle brauchen zu lassen , die Hulda ihm zuzuteilen dachte , bis es an ihm sein werde , den Ton anzuschlagen , der seinen Wünschen , seiner Leidenschaft entsprach .
Und Hulda Zutrauen einzuflößen , sie zu täuschen , war nicht eben schwer .
Er versprach ihr , was sie wollte .
Er zeigte sich gerührt von ihrem reinen Sinn ; er lobte ihre Vorsicht und die Sorgfalt , mit welcher sie selbst den bösen Schein zu meiden suche , und klagte sich an , daß er nicht selber Bedacht darauf genommen habe .
Nur zu ängstlich , meinte er , dürfe sie nicht sein .
" Eine Schauspielerin ist kein schlichtes Bürgermädchen ! " sagte er .
" Sie steht da , sofern sie schön ist , vor den Augen alles Volkes sichtbar wie ein Kultusbild , und muß es sich gefallen lassen , wie ein solches , wenn die Anbetung ihr huldigend Gaben darbringt , die sie nicht begehrt : Gaben , durch welche man nur sich selbst genugtun will .
Wollen Sie denn strenger sein , " scherzte er , " und kälter als die heilige Jungfrau selber , die den Pilger nicht zurückweist , wenn er voll Bewunderung ihren Altar schmückt und das funkelnde Geschmeide ihr zu Füßen legt ?
Und , " fuhr er fort , " Sie erwähnten vorhin Lelio's , wie eines Ritters von der heiligen Tafelrunde .
Glauben Sie wirklich , daß er keinen anderen Gedanken hat , als für alle Zeiten mit Ihnen die erste Szene des " Romeo " zu spielen ?
Meinen Sie , er wird Ihrem schönen Munde gegenüber , Ihrer Versicherung , " Gebet ist die Bestimmung Aller ! " auf die Dauer Glauben schenken ? "
Sie wissen , " entgegnete Hulda , " Lelio ist gebunden ! " und sie wurde rot , als sie es ausgesprochen hatte , denn sie empfand , daß sie mit dieser Bemerkung eben diesem Manne lächerlich erscheinen mußte .
Auch lachte er hell auf .
" Ein moralisch Lied ! rief er spöttisch , Mephisto's Wort gebrauchend .
Aber er nahm sich sofort wieder zusammen , und sich erhebend , um sie zu verlassen , sagte er :
" Ich habe es heute erfahren , daß Sie mir mißtrauen , weil ich Ihnen nicht verhehle , was ich für Sie empfinde .
Fragen Sie Feodore , fragen Sie Ihre Mutter -- "
" Meine Mutter ? " fiel Hulda ein .
" Ich meine Gabriele , " sagte Philibert , ohne auf ihre Verwunderung zu achten und ohne daß sie in ihrer Arglosigkeit einen Anstoß daran nahm , " fragen Sie Gabriele , oder wem Sie sonst Vertrauen schenken , ob ein junges Mädchen in Ihrer Lage mit einem freimütigen Manne , wie mit mir , nicht weit sicherer daran ist , als mit den sogenannten älteren Bekannten , oder gar mit einem Lelio zum uneigennützigen Freunde und Berater .
Ich habe Ihnen versprochen , Ihnen zu gehorchen , Alles zu vermeiden , was Sie vor der Welt beeinträchtigen könnte .
Sie wissen es , wie leidenschaftlich ich Sie bewundere , und Sie sind vor mir auf Ihrer Hut .
Was können Sie also verlangen , das ich nicht täte , oder was können Sie bei der Herrschaft fürchten , die ich Ihnen über mich einräume ?
Klargelegte Verhältnisse sind nie gefährlich , und eine Gunst zu erschleichen wäre nicht nach meinem Sinne .
Dürfen Sie sich vertrauen , so können Sie auch mir und jedem Anderen vertrauen .
Sie sind Herrin über mich -- und sich . "
Er reichte ihr die Hand zum Abschiede und küßte ihr die Hand .
Dann , als er schon an der Türe stand , sagte er : " Der arme Spiegel aber -- nicht wahr , der darf in Ihrem Zimmer bleiben ?
Sie tun mir die Schmach nicht an , ihn zu entfernen .
Und zuletzt glauben Sie mir das , Hamlet's Wort ist furchtbar wahr :
" Sei so keusch wie Eis , so rein wie Schnee , du wirst der Verleumdung nicht entgehen ! "
Er küßte ihr noch einmal die Hand , schüttelte sie ihr treuherzig und ging von dannen .
Sie stand einen Augenblick regungslos an der Stelle , an der er sie verlassen hatte .
Die Worte Hamlet's klangen ihr wie ein Fluch aus seinem Munde .
Ihr schauderte vor seinem Freimute , und doch lag Wahrheit in dem , was er ihr gesagt : Sie hatte Nichts zu fürchten , wenn sie ihrer selbst gewiß war , sie war Herrin über sich und ihren Weg .
Daß ihr Weg kein dornenloser , daß er ein glatter , ein Weg sei , der seine Gefahren habe , das hatte auch Gabriele ihr nicht verborgen , ihr zu erwägen gegeben ; und sie hatte diesen Weg gewählt im festen Vertrauen auf sich selbst .
Sie durfte auch heute zufrieden mit sich sein .
Unter ihres Vaters stillem Dache hatte sie es nur nicht nötig gehabt , sich gegen die Begehrlichkeit der Männer zu verwahren so wie jetzt .
Sie mochte nicht weiter daran denken .
Sie fuhr sich mit den Händen über die Stirn und das Gesicht , als wolle sie die Bilder und die Erinnerungen von sich scheuchen , die vor ihr emporgestiegen waren .
Wie sie sich umwendete , fiel ihr Blick in den Spiegel , den ihr Philibert geschenkt hatte .
Es war ein Glas von großer Schönheit , Alles daran glänzte .
Philibert hatte Recht , sie hatte sich nie in solchem hellen Scheine gesehen .
Sie hätte indessen viel darum gegeben , hätte der Ankleidetisch nicht an diesem Platze gestanden , hätte sie vergessen können , zu welchem Gespräche , zu welchen Erörterungen er den Anlaß eben jetzt gegeben hatte , zu welcher Nachrede er noch Anlaß geben konnte .
Zwölftes Kapitel .
Emanuel war erst wenige Tage von seiner Braut entfernt , als sich in der Stadt die Nachricht verbreitete , der kommandierende General sei abberufen worden , um in der Nähe des Monarchen eine andere Stelle zu bekleiden .
Man hörte das mit Erstaunen und wollte es nicht glauben .
Der General führte seit einer Reihe von Jahren das Kommando in der Provinz .
Man war daran gewöhnt , ihn , der ein ansehnliches Vermögen besaß , und wie seine Frau dem hohen Adel der Provinz Angehörte , in dem stattlichen Amtsgebäude in würdiger Weise seine Stellung behaupten zu sehen , und man fragte sich , weshalb man ihn , da es auf seine Verabschiedung nicht abgesehen sei , von einem Posten entfernen möge , den er , selbst wenn ihm eine Rangerhöhung bevorstand , in seinem Alter nicht mehr gern verlassen konnte .
Er selber hatte sich darüber noch gegen Niemanden ausgesprochen , auch über seinen Nachfolger verlautete noch Nichts .
Neugier und wirkliche Teil Nahme führten also eben deshalb an dem wöchentlichen Empfangsabende fast den ganzen Kreis derjenigen Personen in seinen Sälen zusammen , denen der Zutritt zu diesen regelmäßig wiederkehrenden Gesellschaften gestattet war .
Die Gräfin , welche dem General verwandt war , hatte diese feststehenden Zusammenkünfte selbst während der Trauerzeit , so oft sich es tun ließ , besucht .
Ihre beiden Hausgenossinnen hatten sie dann begleitet , und es verstand sich ganz von selbst , daß man an dem nächsten Gesellschaftstage in der Kommandantur nicht fehlen , es nicht versäumen dürfe , dem General und seiner Gattin es auszudrücken , wie sehr man ihr Fortgehen bedauere , und wie schwer man die angenehme Geselligkeit entbehren werde , die man ihrer edlen Gastfreiheit zu verdanken gehabt hatte .
Die Säle waren schon von Gästen voll , als die Gräfin und ihre Begleiterinnen dort erschienen .
Man saß plaudernd auf den Polstern , man stand in Gruppen beisammen , und ohne daß man hätte sagen können , es gehe etwas Besonderes vor , fiel den Eintretenden doch eine Art von unruhiger Spannung auf , sobald sie die Schwelle überschritten hatten .
Die Gesellschaft war nicht so wie sonst in sich beruhigt .
Es schien ein gemeinsames Interesse ihre Aufmerksamkeit an sich zu ziehen .
Die Augen wendeten sich nach dem Mittelsaale .
Man sprach , indem man dorthin blickte .
Man hatte offenbar irgend Etwas erfahren , was alle Anwesenden beschäftigte , wofür der Anlaß oder die Lösung in jenem Zimmer zu finden sein mußte , und Frau von Wildenau war nahe daran , die Frage aufzuwerfen , was denn geschehen sei , oder was man denn erwarte , als Konradine plötzlich der Mutter Arm ergriff und wie im jähen Schrecken festhielt .
Sie wendete sich rasch zur Tochter hin .
Konradine war fassungslos .
" Der Prinz ! " stieß sie leise hervor , indem sie den Arm der Mutter losließ und sich an die Brüstung der Türe lehnte , um einen Halt zu haben , denn die Knie wankten ihr .
Mitten in dem Saale , so daß man ihn sehen mußte , sobald man in die Türe trat , stand er an der Seite des Generals , umgeben von den höheren Offizieren , in belebter Unterhaltung mit dem ersten nicht militärischen Würdenträger der Provinz , alle anderen Männer überragend durch seine hohe Gestalt .
Auch die Baronin erschreckte es , als sie ihn erblickte , und mehr noch erschreckte sie der Zustand ihrer Tochter .
" Du bist sehr unwohl , " sagte sie , " willst Du Dich entfernen ? "
" Ich mich entfernen ? " wiederholte die Tochter , und das Blut , das ihr im Herzen gestockt , schoß ihr heiß empor , daß es ihre bleichen Wangen dunkel färbte .
" Mich entfernen , und weshalb ? --
Ihm ausweichen unter der Gräfin Augen ? --
Nimmermehr ! "
Sie hatte die Worte leise und abgebrochen hingeworfen , wie die Gedanken und Gefühle ihr gekommen waren , aber die wenigen Sekunden hatten ihr dazu genügt , die verlorene Selbstbeherrschung wieder zu gewinnen .
Denn als die Gräfin , durch des Herzogs unerwartete Ankunft nicht minder betroffen als die beiden Anderen , sich nach Konradinen umwendete , trat diese an sie heran und sagte : " Das also ist der Nachfolger des Generals ?
Warum man es nur nicht eher verkündigt haben mag ? "
" Ich fragte mich das eben selbst , und hätte es für Sie gewünscht ! entgegnete die Gräfin .
" Solch ein Begegnen erschüttert immer . "
" Das habe ich empfunden .
Aber ich war sicher , daß es mir früher oder später doch einmal bevorstand ; und hat man es durchlebt , so ist es auch überwunden ! " versetzte Konradine mit einer Fassung , an welcher die Gräfin ihre Freude hatte .
Sie waren während dessen in den Saal gelangt , der General ging ihnen entgegen Das machte den Prinzen aufmerksam auf sie .
Er schien seinen Augen nicht zu trauen , sah noch einmal hin , und sich mit der .
Leichtigkeit , die seine Haltung auszeichnete , von den Personen freimachend , mit denen er verkehrt hatte , schritt er rasch auf die Gräfin zu .
" Sie hier , Frau Gräfin ! " rief er , indem er ihr die Hand bot .
" Ich glaubte Sie auf Ihren Gütern .
Und auch Sie ? " setzte er leiser hinzu , Konradine und ihre Mutter ebenso begrüßend .
" Welch eine Überraschung ist mir das !
Wir haben viel erlebt , seit wir uns nicht mehr sahen . "
" Durchlangt haben einen schweren Verlust erlitten ! " nahm die Gräfin das Wort , die ihm und Konradinen zu Hilfe zu kommen wünschte .
Denn wie ruhig die Beiden sich auch gaben , die vielerfahrene , in die Verhältnisse eingeweihte Frau mußte es sich doch sagen , daß dieses unerwartete Zusammentreffen für den Prinzen wie für Konradine nicht leicht zu überstehen sein konnte .
Es war von der Gräfin deshalb wohl berechnet , daß sie Beide gleich mit ihren ersten Worten daran mahnte , was zwischen ihnen gestanden hatte , und daß sie damit dem Prinzen die schicklichste Veranlassung gab , sich von dem Vorgange dieses Augenblickes abwenden zu können .
Auch benutzte er sie sofort .
" Ja , " sagte er , " es war ein schweres Leid , ein bitterer Verlust , den ich erlitten habe .
Es ist hart , eine so anmutige Jugend langsam sterben zu sehen .
Ich danke es der Gnade Sr. Majestät daher in jedem Sinne , daß sein Befehl mich hierher sendet , um mich von dem Orte zu entfernen , der mich an eine lange Reihe trüber , sorgenvoller Tage mahnt . "
Man hörte es seinen Worten an , daß sie ihm vom Herzen kamen , und Konradine , die jeden Zug und jede Miene seines Antlitzes kannte , bemerkte , daß sich ein trüber Schatten über seine sonst so helle Stirn gebreitet hatle , daß sein ganzer Ausdruck ernster , und wie seine majestätische Gestalt noch gefesteter und männlicher geworden war .
Es war ihr unerträglich , die Klage anzuhören , mit welcher er der Geschiedenen gedachte .
Sie mußte die Zähne zusammenbeißen , um den Aufschrei ihres zornigen Schmerzes zu unterdrücken , und sie blieb geflissentlich zurück , da der Prinz in ruhigem Gespräche ihre Mutter und die Gräfin nach dem oberen Ende des Saales zu der Herrin des Hauses hingeleitete .
Aber an diesem Abende hatte Konradine es darzutun , wie weit sie Meister sei in der schweren Kunst der Selbstbeherrschung , ohne welche keine vollständige Bildung möglich ist , und ohne die man sich in der Gesellschaft nicht mit Sicherheit behaupten kann .
Denn nur wer seiner selbst vollkommen und in allen Lebenslagen Herr ist , gewinnt jene ruhige Herrschaft über Andere , auf welche alle Bedeutung in der Gesellschaft zurückzuführen ist .
Sie konnte es nicht wissen , wer und wie viele der anwesenden Personen , von ihrem früheren Verhältnisse zu dem Prinzen Kenntnis hätten , oder wie weit sie von demselben unterrichtet wären .
Daß es aber in diesem Kreise nicht unbekannt sein könne , daß man sie beobachte , dessen war sie sicher , und sie war entschlossen , wie sie es sich und auch Emanuel schuldig war , womöglich gleich in diesen ersten Stunden die Neugier und den Zweifel der Fremden ein- für allemal zurückzuweisen .
Sie wollte es auch den Prinzen fühlen lassen , daß sie vergessen habe , so wie er , daß sie , ebenso wie er , in einer edlen , sanften Liebe Ersatz gefunden habe für die glühende Leidenschaft , welche sie Beide einst für kurze Zeit verbunden hatte .
Bei dem Prinzen mochten ähnliche Beweggründe sich geltend machen , als er im Verlaufe des Abends sich der einst Geliebten und von ihm Verlassenen näherte .
Der Adjutant des Prinzen , der neben ihr gesessen hatte , erhob sich , als sein Herr heran kam .
Der Prinz nahm an seiner Stelle neben Konradinen Platz .
" Ich möchte es einen Gutes verkündenden Zufall nennen , " sagte er , " daß gleich der erste Abend , den ich hier verweile , Sie mir entgegenführt .
Ihnen früher oder später zu begegnen , darauf hatte ich , als ich hierher gesendet wurde , mit Sicherheit gerechnet , da Sie ja künftig in dieser Provinz Ihre Heimat haben werden .
Ich mußte Sie auch einmal sprechen , und es verlangte mich danach , es bald zu tun . "
" Durchlaucht sind sehr gütig ! " versetzte sie , indem sie sich , Allen sichtbar , mit freundlichem Lächeln vor ihm neigte , " aber , " fügte sie leiser hinzu , " ich kann mir dieses Verlangen nicht erklären , und mehr noch , ich vermag nicht einzusehen , welche Bedeutung die Befriedigung desselben für Sie haben könnte . "
Der Prinz nahm das gelassen hin .
" Sie weisen mich zurück , " sagte er , ohne eine Miene zu verziehen , " und wenn Sie auch dazu berechtigt sind , hatte ich es doch nicht erwartet . "
Er schwieg dann einen Augenblick und sprach danach :
" Ich habe , ehe ich hierhergekommen bin , einen Tag bei meiner Schwester in dem Stifte zugebracht .
Am Thetische war zwischen der Gräfin , " er nannte den Namen der Äbtissin , " und mir und meiner Schwester auch die Rede von Ihnen .
Ich hatte um Sie gesorgt , als Sie in das Stift getreten waren .
Es paßte nicht für Sie .
Ich hörte es deshalb seinerzeit mit wahrhafter Beruhigung , daß Sie es verlassen würden , und freute mich der Aussage , daß Sie zuversichtlich und voll Hoffnung in die Zukunft blicken . "
" Ja , zuversichtlich ! " wiederholte Konradine mit einem Tone , der wider ihre Absicht sich wie ein Trotz anhörte .
Der Prinz aber , der , wie alle auf den Höhen des Lebens Geborenen und Erzogenen , immer nur dasjenige vernahm und verstand , was zu hören und zu verstehen er gewillt war , versetzte ruhig , es freue ihn von ganzem Herzen , dies von ihr selber zu erfahren , und er habe es erwartet .
" Ich kenne Sie genügsam , " sagte er , " um zu wissen , daß Sie immer nur nach den freien Eingebungen Ihres Herzens handeln , und , " setzte er hinzu , indem er sie ruhig anblickte , " selbst wo dies nicht der Fall gewesen ist , kann dem Menschen eine tiefe und herzliche Neigung erwachsen .
Es gibt eben eine Liebe , eine Beharrlichkeit in der Güte , die nicht anzuerkennen , man ohne Empfindung sein müßte , und die nicht schmerzlich zu vermissen , ganz unmöglich sein würde .
Es ist wunderbar genug , wie wenig man sich selbst im Grunde kennt , und wie oft wir im Leben Anlaß finden , uns über uns selber zu verwundern -- durch uns selbst mehr als durch Andere überrascht zu werden .
Aber , " setzte er hinzu , indem er sich erhob , " wir sprechen mehr davon !
Wo sind Sie etabliert ?
Ich vergaß , danach zu fragen . "
Konradine sagte , daß sie mit ihrer Mutter der Gast der Gräfin sei .
" Um so besser !
So treffe ich Sie bald , und das ist nötig , denn ich habe eine Mission für Sie , die zu erfüllen mir Pflicht und Herzenssache ist . "
" Für mich ? " fragte Konradine .
" Und von wem das ? "
" Ich sage Ihnen das vielleicht schon morgen , " sprach er und entfernte sich , um sich einer Gruppe von anderen Damen zuzuwenden .
Es war darüber spät geworden .
Einzelne der Gäste entfernten sich bereits , auch die Gräfin machte den wohlgemeinten Vorschlag , sich zurückzuziehen .
Die unerwartete Erscheinung des Prinzen , seine Ernennung zum Kommandierenden in der Provinz , das Fortgehen des Generals und seiner Frau , die möglichen Veränderungen , welche durch des Prinzen Anwesenheit in der Geselligkeit der Adelsgesellschaft hervorgerufen werden könnten , beschäftigten während der Heimfahrt die beiden älteren Damen ganz ausschließlich .
Konradine ging lebhaft auf die Vermutungen derselben ein .
Weder die Mutter noch die Gräfin machten eine Bemerkung , die sie persönlich anging .
Keine von Beiden richtete irgend eine besondere Frage an sie .
Man hielt sie auch nicht zurück , als man zu Hause angelangt war , ja selbst die Gräfin und die Baronin , die sonst gewöhnlich noch ein Viertelstündchen im Saale zu verplaudern pflegten , zogen sich zurück .
Der große Sinn der Gräfin , die Erfahrung der Baronin , trafen ohne besonderes Übereinkommen darin zusammen , daß man selbst den Schein vermeiden müsse , alskönne Konradine den Geaenstand einer besonderen Besprechung zwischen ihnen bilden .
Was sie an diesem Abende durchlebt hatte , was jetzt vor ihr , und was zu tun ihr oblag , das war , nach der beiden Frauen Meinung , die es nicht in der Art hatten , sich unberufen zu moralischen Hilfsleistungen und zu einem unbegehrten Mitleiden heranzudrängen , ausschließlich Konradinens Sache .
Sie in aller Freiheit gewähren zu lassen , war Alles , was man für sie tun konnte , war das Einzige , dessen sie bedurfte .
Es klang wie ein Schrei , das Aufatmen , mit welchem Konradine in ihr Zimmer trat ; und mit beiden Händen durch ihr Haar fahrend , schleuderte sie den Blumenkranz , den sie getragen , von sich , daß er zu Boden fiel .
Rastlos und in heftiger Bewegung auf und nieder gehend , nahm sie die Spangen von ihren Armen , die Perlen von ihrem Halse und warf sie achtlos hierhin , dorthin .
Es drückte , es quälte sie Alles -- Alles -- sie wußte nicht , was sie tat , nicht , was sie wollte .
" Im Hafen vom Wirbelwind ergriffen ! " stieß sie endlich hervor -- " zurückgeschleudert weit ! weit ! " --
die Worte versagten sich ihr und auch die Tränen .
Sie warf sich auf das Sofa , die Arme vor sich ausgebreitet , den Kopf auf die Arme gestützt .
So blieb sie liegen eine geraume Zeit .
Es regte sich Nichts in dem Zimmer , nur ihr eigenes schweres Seufzen hörte sie .
Sie konnte es nicht ertragen , sich so angstvoll seufzen zu hören .
Es war ihr ein Entsetzen , so , unglücklich zu sein .
Es ließ ihr keine Ruhe , sie fing wieder an umherzuwandern .
" Und er hat sie geliebt ! wirklich geliebt ! " sprach sie vor sich hin , ohne daß sie es wußte .
" Er trauert um sie .
Er bringt ihr sogar das Totenopfer , mir dies besonders noch zu sagen ! mir ! --
Unbegreiflich ! unbegreiflich ! "
Sie hatte Mühe , es für wahr zu halten .
Einem Anderen als dem Prinzen selber , würde sie es bestritten haben .
Aber es war unverkennbar , er hatte Schmerz und Sorgen kennen lernen .
Er hatte gelitten , er gestand das ein , ihr , Konradinen , gestand er es ein , und Nichts in seiner ganzen Haltung verriet es , daß irgend eine ihr gehörende Erinnerung sein Gemüt erschütterte .
Er fühlte sich ihr gegenüber also frei , fühlte sich in seinem Rechte .
Es schien ihm gar nicht beizukommen , daß es anders sein , daß sie es anders empfinden könne , als er es tat .
Wie konnte das geschehen ?
-- Besaß die Ehe wirklich die wunderbare Kraft zu binden und zu lösen ? --
Gab es aber eine beharrliche Güte , von der nicht gerührt und durch welche nicht beglückt und nicht gefesselt zu werden so unmöglich war , als der Prinz behauptete - nun , so durfte auch sie ja zuversichtlich vorwärts blicken , so durfte sie ja hoffen , vergessen zu können und glücklich werden zu können , so wie er es gewesen .
Sie konnte ihren Gedanken nicht folgen , ihnen nicht gebieten in der verworrenen Trübe , die über sie gekommen war , und angstvoll die Hände ineinander schlagend , rief sie noch einmal : " Untergehen !
Im Hafen stranden ! "
-- Sie konnte das Bild nicht aus ihrer Seele bannen .
Sie sah es , als stände sie da vor , sie durchlebte es , als brandeten die Wogen um sie her und zögen sie in ihrer rückströmenden Wasser wildem Schwalle mit sich fort , tief und immer tiefer hinunter in die bodenlose Nacht .
" Ruhen , nur ruhen ! " rief es in ihr .
Sie schellte , als könne ihr das helfen , ihrer Kammerjungfer , ließ sich entkleiden und legte sich nieder .
Aber als wäre der letzte Widerstand gebrochen , den sie aufrechten Hauptes zu leisten vermocht , so wild und überwältigend stürmte die Flut der Leidenschaft auf sie hernieder .
Sie fluchte der Stunde , da sie Friedrich zuerst gesehen , und weinte im nächsten Augenblicke im Entzücken über seine Schönheit .
Sie hörte den Klang seiner Stimme , als spräche er zu ihr , und stieß den Gedanken an ihn von sich , wenn sie sich dann erinnerte , was er zu ihr gesprochen hatte .
Sie wollte - ihm schreiben , daß sie ihn nicht wiedersehen möge und könne , und lachte im Grimme über die feige Schwäche , die sie zu solchem , sie entehrenden Eingeständnisse verleiten wollte .
Er hatte es ja gefordert , sie zu sprechen , sie mußte ihn also wiedersehen , vielleicht schon morgen .
Aber was war es mit der Mission , von der er ihr geredet hatte , was konnte er ihr zu sagen haben ?
War es nur ein Vorwand , unter dem er ihr zu nahen suchte ?
Und was bezweckte diese Annäherung an sie ?
Was konnte er im Sinne haben , was von ihr begehren ?
Er , der in liebender Erinnerung an dem Angedenken einer Toten hing !
Neue Fragen , neue Zweifel drängten damit auf sie ein .
Ihre Qual und ihre Angst wuchsen von Minute zu Minute , ihre Unruhe war unertragbar .
Das Lager litt sie nicht , sie mußte sich wieder erheben .
Wie sie sich aufrichtete , wieder auf ihren Füßen stand , den Kopf emporhob und sich wieder fühlte , traf ihr Auge auf das Bild Emanuel's .
Und wie das milde Licht , das vor dem weit entfernten Heiligenbilde angezündet , dem irrenden Schiffer trostreich leuchtend , ihm den Pfad durch das Dunkel weist , so fiel der stille ernste Blick Emanuel's in ihre Seele .
" Wie sanft er schlafen mag ! " dachte sie , und die heißen Tränen stürzten ihr aus den Augen und befreiten ihr das Herz .
Dreizehntes Kapitel .
Die Mutter und die Gräfin sahen es am Morgen , daß Konradine nicht geschlafen hatte , aber Keine von Beiden befragte sie darum .
Am Mittag ließ der Prinz sich bei der Gräfin melden .
Er erzählte ihr , wie plötzlich und ohne sein Zutun seine Ernennung zu der Stelle erfolgt sei , welche er hier angetreten habe .
Er sprach von den Verhältnissen der Provinz , in welcher er wenig persönliche Bekannte vorfinde , und ging dann zu Fragen nach den Angehörigen der Gräfin über .
Teilnehmend erkundigte er sich , wie ihre verwitwete Schwägerin sich in ihr Schicksal finde , wie sie in ihrer Vereinsamung , die nach seiner Erfahrung schwer genug zu tragen sei , über ihre Zukunft entschieden habe .
Die Gräfin entgegnete , Emanuel habe der Witwe seines Bruders die kleine Besitzung in der Schweiz überlassen , da er nach seiner Verheiratung auf den Familiengütern leben werde , und der Prinz ergriff die Gelegenheit , es der Gräfin auszusprechen , wie bei ruhigend es ihm sei , Fräulein von Wildenau's Schicksal einem Manne von Baron Emanuel's Charakter anvertraut zu wissen .
" Welch lebhaften Anteil ich an Konradinen's Zukunft nehme , brauche ich nicht zu versichern ! " setzte er hinzu .
Alle seine Äußerungen waren so würdig als gemessen .
Sein offener Freimut berührte die Gräfin angenehm und bestimmte sie , soweit es geboten schien , sich auch gegen ihn mit Aufrichtigkeit zu äußeren .
Sie sagte , daß sie in der Tat mit zuversichtlicher Hoffnung auf die Zukunft der Verlobten blicke , besonders weil ihre Verbindung nicht Folge einer Leidenschaft , sondern einer durch mehrere Jahre bewährten Freundschaft , und einer beständig wachsenden gegenseitigen Zuneigung gewesen sei .
Sie wären aneinander gewöhnt , einander durch Gewöhnung lieb geworden , kennten die Eigenheiten , die sie gegenseitig zu schonen hätten , und da bei Jedem von den Beiden der beste Wille für den Anderen vorhanden sei , so zweifle sie nicht , daß man die Stunde zu segnen haben werde , in welcher diese Ehe geschlossen werden würde .
" Und Frau von Wildenau ? denkt sie künftig sich bei ihrer Tochter aufzuhalten ? " fragte der Prinz .
Die Gräfin verneinte es einfach .
Der Prinz meinte , er habe dies auch nicht vermutet .
Sie verstanden sich ohne weitere Erklärung .
Er blickte dann nach der Uhr hinüber , die auf dem Kamine stand , meinte es bliebe ihm eben noch eine Viertelstunde Zeit , und so ersuche er die Gräfin , Fräulein von Wildenau zu fragen , ob sie geneigt sei , ihm die Unterredung zu gewähren , um welche er sie gestern schon gebeten habe .
Die Gräfin hatte dies Begehren nicht vorausgesehen , doch fiel es ihr nicht auf .
Nach ihren Ansichten war die seinerzeit beabsichtigte Verbindung des Prinzen mit Konradinen eine Ungehörigkeit , daß Aufgeben dieser Absicht also nur in der Ordnung gewesen .
Nicht den Prinzen hatte dabei ein Vorwurf treffen können , sondern Frau von Wildenau allein , welche die Tochter in das Abenteuer hineingehen lassen , ohne Würdigung der Hindernisse und möglichen Zwischenfälle , die sich ihr denn auch wirklich in den Weg gestellt hatten .
Die Gräfin zweifelte gar nicht daran , daß Konradine jetzt diese Angelegenheit in ihrem wahren Lichte sähe .
Trohdem war es , wie sie zugab , sehr begreiflich , daß dieselbe gestern Abends von dem unerwarteten Zusammentreffen mit dem Prinzen ergriffen worden war , und ebenso erklärlich , daß dieser sich ausgleichend gegen Konradine zu erklären wünschte , um für das ihnen jetzt bevorstehende öftere Begegnen die schickliche Weise festzustellen .
Daß er aber Konradine um diese Unterredung durch die Gräfin , durch die Schwester ihres Verlobten , ausdrücklich ersuchen ließ , das nahm die Gräfin nur noch mehr zu seinen Gunsten ein ; denn nur wahrer Seelenadel und das feinste Ehrgefühl konnten solcher rücksichtsvollen und zarten Vorsicht fähig sein .
Sie nahm es deshalb selber über sich , ihre künftige Schwägerin herbeizurufen .
Der Prinz erhob sich , ging durch das Zimmer und blieb in Betrachtung vor einem der alten Familienbilder stehen , die an den Wänden hingen .
Als Konradine eintrat , ging er ihr entgegen .
Er dankte ihr , daß sie gekommen sei , und sagte , er werde ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen .
Sie hatte sich auf dem Sofa niedergelassen , er nahm ihr gegenüber Platz .
" Ich komme , " sprach er , " mich eines Auftrages zu entledigen , der mir ein teures Vermächtnis ist , und Ihnen ein Andenken zu übergeben , welches ich , für den Fall , daß es mir möglich würde , selbst in Ihre Hände zu legen versprochen habe . "
Die sanfte , fast feierliche Weise , mit welcher er die Worte sprach , nahm Konradinen wider ihren Willen gefangen .
Nichts von alledem , was sie auf dem Herzen gehabt , was sie bei einem ersten Alleinsein mit dem Prinzen diesem zu sagen gedacht hatte , paßte zu seiner Ruhe , zu seiner Zuversicht und seinem Tone .
Das raubte ihr die gewohnte Sicherheit , und sich verneigend , sagte sie , daß sie zu seinen Diensten stehe .
" Der Auftrag , den ich habe , " sagte er , " kommt von der verstorbenen Prinzessin , von meiner Frau .
Ich darf also wohl darauf rechnen , daß Sie mir gestatten , Ihnen den Zusammenhäng mit wenig Worten zu erklären .
Liegen doch Jahre zwischen den Ereignissen , die uns trennten , und stehen Sie doch auf dem Punkte , ein Glück zu finden , das ich nicht mehr besitze .
Glück aber macht versöhnlich . "
Er hielt ein wenig inne , dann fuhr er fort : " Ich war in einer traurigen Verfassung , in einer inneren Zerrissenheit , als die Prinzessin meine Frau wurde , denn ihr Vertrauen , ihre Liebe demütigten mich , weil ich sie in jenem Zeitpunkte nicht verdienen konnte .
Wir waren unglücklich , sie wie ich .
Und müßige Dienstbeflissenheit , die ihr hinterbrachte , wie unfreiwillig ich mich ihr verbunden hatte , machte das Übel nicht geringer .
Aber weit entfernt , mich zu verdammen , fand ihre Liebe sich stark genug , mich -- und auch Sie -- mit einer so unschuldigen Wahrhaftigkeit zu beklagen , daß ich , von solcher Selbstlosigkeit gerührt , das holde Wesen bewundern mußte , bis seine immer gleiche Güte mein Herz gewann . "
Er unterbrach sich noch einmal und sagte danach :
" War ein Menschenwesen fähig , das Wort des Dichters :
" Das ewig Weibliche zieht uns hinan ! " zu einer Wahrheit zu machen , so war es die Prinzessin .
Ich scheue mich nicht , es Ihnen auszusprechen , denn ich schulde das der Prinzessin , es sind mir schöne , herzbefreiende Tage mit ihr zu Teil geworden und ich habe die beruhigende Zuversicht , daß auch sie glücklich gewesen ist .
Nur der Gedanke , daß dies Glück sich auf den zertrümmerten Hoffnungen einer Anderen auferbaute , hat sie stets geschmerzt .
Erst als sie erfuhr , daß Sie Ersatz gefunden , daß auch Ihnen die Befriedigung Ihres Herzens zu Teil geworden sei , hat sich ihre Seele ganz beruhigt , und doch ist sie auf jenen Vorwurf ihres zarten Gewissens in ihren letzten Lebenstagen noch einmal zurückgekommen . "
Er sprach das Alles mit ruhiger Festigkeit , wie ein ernster Mann Tatsachen zu berichten gewohnt ist .
Nur bei den letzten Worten bebte seine Stimme leise .
" Sie hatte das Abendmahl genommen , " fuhr er fort , " und fand sich trotz der unabweislichen Gewißheit , daß ihrer Stunden nicht mehr viel sein könnten , wundersam beruhigt .
Ich habe , sagte sie , mit meinem Wissen oder Willen keinem Menschen je ein Leid getan , und so denke ich , werdet Ihr Alle meiner auch in Liebe Euch erinnern .
Nur Einer habe ich , wenn auch unwissentlich , sehr weh getan . -- --
Der Prinz zog ein ganz kleines Etui aus seiner Brust hervor , öffnete es mit leisem Drucke , es lag ein unscheinbarer , kleiner Ring darin .
" Den Ring , " sagte er , " hat die Prinzessin stets getragen .
In jener Stunde zog sie ihn vom Finger .
Gib ihn Konradinen , sprach sie , wenn Du sie einmal wiedersiehst , und sage ihr , sie solle mir vergeben , daß ich auf ihre Kosten so glücklich mit Dir gewesen bin . "
Er preßte die Lippen zusammen , reichte Konradinen das Etui und trat von ihr fort an das Fenster , das in den stillen Garten auf die beschneiten Bäume niedersah .
Konradine hatte ihr Gesicht mit ihren Händen verhüllt , ihre Tränen flossen nieder .
Aber schon nach wenigen Augenblicken hatte der Prinz sich wieder gesammelt .
Wie er sich zu ihr zurückwendete , reichte Konradine ihm die Hand .
So standen sie einander eine Minute schweigend gegenüber , denn sich in solcher Weise wiederzusehen , hatten Beide nicht erwartet , als sie einst geschieden waren .
Konradine steckte den Ring an ihren Finger , der Prinz küßte ihr die Hand .
" Mein Auftrag ist aus gerichtet , " sagte er , " verzeihen Sie mir , daß ich Sie traurig machte . "
" Nennen Sie es mit solchem Worte nicht ! " rief Konradine , aufatmend wie in reiner hoher Luft .
Sie begleitete den Prinzen , der sich entfernte .
An der Türe des Nebensaales , als er sie abhalten wollte , ihm noch weiter zu folgen , wandte er sich noch einmal nach ihr zurück .
" Wollen Sie mich dem Baron empfehlen , wollen Sie mir erlauben , Sie wiederzusehen ? "
" Das Eine wie das Andere mit Freuden ! " versetzte sie .
" Also , auf Wiedersehen ! " sagte er , schüttelte ihr die Hand und ging von dannen .
Sie ging an das Fenster und schaute ihm nach .
Sie sah , wie der Diener , der ihm den Mantel umgeworfen hatte , ihm voraneilte , den Wagenschlag zu öffnen ; sie sah ihn mit seinem raschen , energischen Schritte über den Hof bis an den Torweg gehen , welcher die Gartenmauer gegen den Hof abschloß .
Es war ihr Alles so merkwürdig , so neu , als hätte sie es nie zuvor gesehen , als wäre er nicht -- wie vielmal -- ebenso nach seinem Wagen gegangen , wenn er in der fernen Kaiserstadt bei ihr gewesen war .
Er war noch ganz derselbe , ganz derselbe und doch völlig ein Anderer geworden .
Solcher Tiefe der Empfindung , solch weicher Liebe hatte sie ihn nie für fähig gehalten , er war es auch nicht gewesen in jener alten Zeit .
Große Liebe also besaß die Kraft , das fremde Herz zu wandeln .
Sie blieb an dem Fenster stehen , an dem auch er gestanden hatte .
Es war windig geworden , die leichteren Zweige der Bäume bewegten sich , der trockene Schnee fiel hie und da herab und zerstäubte glitzernd , daß man ihm mit dem Auge nicht folgen konnte , in der Luft , als wäre er nicht dagewesen .
Und doch hatten die kleinen Sterne gefunkelt hier und dort , wenn die Sonnenstrahlen sie getroffen hatten .
Auch ihre Gedanken flimmerten auf und verschwammen .
Sie konnte sie ebensowenig festhalten und verfolgen , sie kamen und gingen .
Bisweilen war es ihr , als habe sie das Alles nur geträumt , als werde sie erwachen und Alles nicht gewesen sein .
Aber es war in ihrem Herzen stille wie nie zuvor ; der kleine Ring saß fest an ihrer Hand , der Prinz war wirklich dagewesen , sie hatte ihn gesprochen , und war in Frieden und befreiten Sinnes von ihm geschieden .
War das denn möglich , und wie war es möglich geworden , und wodurch ?
Sie hatte Mühe , sich auf sich selber zu besinnen und auf das , was sie mit dem Prinzen eben erst durchlebt hatte .
Sie hatte geweint mit ihm , um die von ihm geliebte Frau .
Sie trug an ihrer Hand den Ring zum Andenken an die junge Fürstentochter , die einst zwischen sie und ihre Hoffnung getreten war .
Sie hatte eingewilligt , den Mann wiederzusehen , den sie geliebt und dann gehaßt hatte mit aller Kraft ihres starken Herzens , und dies Herz war jetzt voll tiefer , sanfter Rührung , voll innigster Teilnahme für den Prinzen ; war voll Sicherheit und Ruhe , als sie , an ihrem Schreibtische sitzend , es Emanuel meldete , daß sie den Prinzen gestern in dem Hause des Generals getroffen habe , und was seitdem geschehen war .
Sie enthielt ihm Nichts vor nicht ihr Erschrecken nicht die Qualen , welche das Rückerinnern ihr in der Nacht bereitet hatte .
Sie wiederholte ihm jedes Wort des Prinzen , obschon , wie sie ausdrücklich bemerkte die Art , in welcher er gesprochen , seinen Worte " eigentlich erst ihre wirkliche Bedeutung gegeben haben " Und , " fügte sie hinzu , " es kommt mir vor , mein geliebter Freund , als wäre ich Dir nie so vollkommen zu eigen , Deiner noch nie so würdig gewesen als heute , da die bittere Erinnerung an das Unrecht , das ich erlitten hatte , aus meiner Seele wie erloschen und ausgetilgt ist .
Neben der Liebe wohnte noch der Haß in mir , und entzog Dir einen Teil meines Herzens .
Das ist nun vorüber .
Wie dürfte ich noch rechten , wo die Hand des Schicksals so sichtbar gewaltet und gerichtet hat ?
Es hat den Mann , der sich an einem Frauenherzen schwer versündigt , durch das reinste aller Frauenherzen von seiner Nichtachtung der Frauen ganz und gar bekehrt .
Es hat ihn , der mit der Liebe leichtsinnig sein Spiel getrieben , die Heiligkeit der Liebe kennen lehren .
Es hat ihm gezeigt , welch ein Glück in einer geteilten Liebe , in einer liebevollen Ehe liege , und hat ihm allen diesen Segen nur kurze Zeit gegönnt , um ihn auch den Schmerz der Liebe empfinden zu lassen , den er Anderen einst zu tragen gab .
Darin liegt eine hohe poetische Gerechtigkeit , eine Befreiung der aufgeregten und gespannten Leidenschaft , wie sie uns in einem wohl angelegten und gut durchgeführten dichterischen Kunstwerke zu Teil werden soll .
Ich bin noch , während ich Dir schreibe , unter dem Eindrucke des Erlebten .
Ich erwäge in meinem Herzen , wie wahr es ist , wie wahr und schön , daß die rechte Liebe Wunder wirken kann noch über das Grab . hinaus ; und wenn ich heute in mein Inneres schaue , finde ich den gestrigen Ausspruch des Prinzen , daß wir im Leben Anlaß finden , uns über uns selbst zu verwundern , auch an mir bestätigt . "
Sie kam dann noch einmal darauf zurück , wie sehr sie Emanuel eben jetzt vermisse , wie wohltuend es ihr sein würde , sich gegen ihn von Grund des Herzens aussprechen , und sich mit ihm über eine Anschauung verständigen zu können , die sich ihr im Laufe des Tages , ja , während sie ihm geschrieben , zu verschiedenemal aufgedrängt habe .
" Ich besorge , " schrieb sie ihm , " auch wir sind nicht so tadellos , als wir uns vielleicht empfunden haben .
Man entdeckt an sich in hellem Lichte Flecken , über die man bis dahin achtlos fortgesehen hat , und das Beispiel der verstorbenen Prinzessin ist wie ein Sonnenlicht in meine Seele gefallen .
Als der Prinz mir sagte , wie sie voll Teilnahme um mich gesorgt , da habe ich beschämt die Augen niederschlagen müssen .
Ich hatte mich um Hulda's Schicksal nicht gekümmert , sondern getan , so viel an mir war , sie aus Deinem Gedächtnisse verschwinden zu machen ; und doch war sie vielleicht auf dem neuen Lebenspfade , den sie für sich erwählt hat , mehr als jede Andere , des stützenden Beistandes benötigt .
Können wir und müssen wir in unserem friedensvollen Glücke ihrer nicht gedenken , wie die Prinzessin meiner dachte ?
Sollen wir ihr nicht , da wir es noch lebend können , die Hand versöhnend bieten , wie die Prinzessin sie mir gereicht hat in der Stunde ihres Todes ? --
Ich möchte Frieden schließen mit den Menschen allen , da ich ihn in mir gefunden habe , und ich denke mir unsere Zukunft heute schöner , reiner , unwandelbar beglückter als je zuvor .
Möchte das glückselige Empfinden , das mich belebt , auch in Deine Seele übergehen , wenn Du diesen Brief Deiner Konradine erhalten wirst . "
Da man gerade ausfuhr , als sie ihren Brief beendet hatte , verlangte sie ihn auf der Post selber durch den Diener abreichen zu lassen .
Die Gräfin erinnerte sie , daß die Post erst am nächstfolgenden Tage befördert werde , daß sie ihn also ruhig im Hause behalten und , wenn es ihr Gutdünken , noch weiter daran schreiben könne .
Aber sie hatte den Brief gesiegelt , wollte ihn nicht , öffnen , wollte auch in den nächsten Tagen nicht wieder schreiben , und da sie die kleine Angelegenheit mit lebhafter Wichtigkeit betrieb , so tat man ihr den Willen .
Die beiden älteren Frauen waren einsichtig genug , Konradinen's Gemütsbewegung erklärlich zu finden , wenn schon sie die Handlungsweise der Verstorbenen weniger enthusiastisch beurteilten und weniger bewunderten .
Weil sie den kleinen Ring zu tragen dachte , war sie genötigt gewesen , von ihrer Unterredung mit dem Prinzen ihrer Mutter und der Gräfin mehr und Genaueres mitzuteilen , als sie ohne diese Absicht viel leicht getan haben würde .
Die Mutter wollte den Ring besehen .
Er bestand aus mehreren künstlich in einander verschlungenen Reifen , welche eine emaillierte Platte mit der Aufschrift : " Aime-moi toujours ! " zusammenhielt .
Nur die feine Arbeit hatte Wert daran .
Die Baronin betrachtete ihn um derselben Willen mit Kennerblick , und während sie damit beschäftigt war , die aufgelösten Reifen wieder ineinander zu fügen , sagte sie :
" Das ist wirklich ein kleines Kunstwerk und ein sehr rührender Gedanke .
Aber man sollte in den letzten Augenblicken eigentlich nicht mehr zurücksehen , denn wenn man den Sinn dem Irdischen abgewendet hat , vergißt man die Bedingungen desselben nur zu leicht .
Daß die Prinzessin Dir durch den Prinzen gerade einen Ring mit dieser Aufschrift sendete , daß er ihn wirklich selber in Deine Hände legte , das erscheint mir -- nun , wie soll ich_es nennen -- doch zu unirdisch , zu idealisch . "
" An die Möglichkeit solcher Deutung hat die arme Sterbende schwerlich denken können , und auch mir würde sie wohl ebensowenig jemals eingefallen sein ! " fuhr Konradine auf , während die Röte einer zornigen Scham ihr Antlitz übergoß .
" Es ist hier nicht von Deinen , oder von den Voraussetzungen der Prinzessin die Rede , " sagte die Baronin , " aber wir leben doch nicht in dem seligen Zwischenreiche , in welchem den Reinen Alles rein ist .
Und da es mir als eine Wunderlichkeit der Sterbenden aufgefallen ist , Dir diesen Ring mit seiner Bitte um Liebe durch den Prinzen zustellen zu lassen , so fürchte ich , daß es Anderen ebenso ergehen kann .
Ich würde deshalb in Deiner Stelle diesen Ring nicht tragen . "
" Den Ring lege ich nie wieder ab , der wird mit mir begraben ! " sagte Konradine mit großem Nachdruck , während ihre Augen flammten .
" Es würde auch kränkend für den Prinzen sein , wenn Sie es täten ! "
gab die Gräfin zu bedenken , die , jeder Aufregung und jeder Szene abhold , sofort einzulenken trachtete , obschon sie der Baronin innerlich nicht Unrecht gab und die ganze Sache nicht nach ihrem Sinne war .
" Man hat es ja nicht nötig , " setzte sie hinzu , " Rechenschaft abzulegen über jeden Ring , den man an seiner Hand trägt , und die Reifen sind so unscheinbar , daß sie die Neugier nicht erwecken .
Wahr aber ist es , " fügte sie halblaut gegen die Baronin gewendet noch hinzu , während Konradine sich entfernte , " die Herrschaften werden von Kindheit an so lange daran gewöhnt , selbst aus ihrem Denken und Empfinden eine Staatsaktion zu machen , bis sie schließlich Nichts mehr einfach , wie wir Anderen , abtun können -- nicht einmal das Sterben und das Trauern um die Toten .
Es müssen Andere in Mitleidenschaft gezogen werden , es muß Nachrede davon geben können ! "
-- Sie brach mit diesen Worten plötzlich ab und erhob sich , unzufrieden mit sich selbst .
Es begegnete ihr sonst nicht , am wenigsten im Beisein der Baronin , sich tadelnd über ein Mitglied des königlichen Hauses vernehmen zu lassen , in dessen Verehrung sie hergekommen , und die ihr ebenso Sache des Herzens , als Folge ihrer monarchischen Überzeugungen war .
Die Baronin aber ermaß mit richtigem Takte an dieser Unvorsichtigkeit die Stärke des Unmutes , welchen das Dazwischentreten des Prinzen in der Gräfin erregt hatte , und auch ihr selber , der alle Empfindsamkeit zuwider und bedenklich war , kam dasselbe in diesem Augenblicke keineswegs gelegen .
Vierzehntes Kapitel .
Emanuel war es gewohnt , an jedem der beiden wöchentlichen Posttage Nachricht von seiner Braut zu erhalten , und er hatte es in seiner Einsamkeit mit zärtlichem Hoffen ausgerechnet , wie viel dieser ersehnten Briefe er noch erwarten müsse , ehe das dauernde Beisammensein aller Sehnsucht ein erfreuliches Ende machen werde .
Weil er sich auf Konradinens Pünktlichkeit verlassen durfte , pflegte er an dem Posttage seine Geschäfte und Arbeiten immer so einzuteilen , daß die Ankunft des Briefes ihn völlig frei antraf , um dann , wenn das Wort der Entfernten sie ihm nahe gebracht hatte , ihr gleich unter dem ersten Eindrucke dieser Befriedigung , die ersten Zeilen der Antwort schreiben zu können .
Es überraschte ihn sehr angenehm , als er diesmal den Brief schwerer und wuchtiger als gewöhnlich fand .
Schon die schöne , immer gleiche Handschrift seiner Braut war ihm wieder ein Vergnügen .
Mit heiterem Behagen las er die ersten beiden Seiten des Briefes , in welchem sie ihm harmlos von den kleinen Vorgängen der letzten Tage Bericht erstattete .
Dann hatte sie einen Strich gemacht , um einen Abschnitt zu bezeichnen , und mit schlagendem Herzen ließ Emanuel plötzlich sein Auge rasch von Zeile zu Zeile Vorwärtsgleiten , denn die Erschütterung , welche Konradine erfahren hatte , ergriff auch ihn .
Und doch wollte er ruhig bleiben , um den Schrecken und die bösen Geister , welche dieser in seinem Gefolge mit sich führte , keine Gewalt über sich gewinnen zu lassen .
Mitten im Lesen des Briefes sprang er empor .
Er wollte Befehl geben , seinen Wagen bereit zu halten , Pferde für ihn nach der nächsten Station zu senden .
Er mußte hineilen , wo Gefahr herantrat an die Frau , die er schon jetzt die Seine nannte .
Er konnte in vierundzwanzig Stunden bei ihr sein .
Wenn sie es wollte , wenn sie darein willigte , konnte ihre Heirat bald , in wenig Tagen , vollzogen werden , und er konnte sie heimführen in sein Haus , in welchem ihrem und seinem Glücke keine Störung und keine Gefahr mehr drohte .
Wenn er morgen zeitig aufbrach , konnte er am nächstfolgenden Tage bei guter Stunde vor sie hintreten .
Aber sie erwartete ihn nicht , sie hatte nicht gefordert , daß er kommen solle , und womit sollte er es ihr erklären , was er jetzt empfand , was ihn vorwärts , hinwegtreiben wollte von dieser Stelle , hin zu ihr ?
Er schämte sich , es auszudenken .
Wie hätte er es aussprechen sollen gegen sie , daß jenes Gefühl , welches er immer als eines der niedrigsten bezeichnet hatte , daß eine wilde Eifersucht in ihm emporgelodert war , die ihm das Urteil fälschte und verwirrte .
Denn was war geschehen ?
Was hatte Konradine ihm geschrieben , das ihn berechtigte , ihr zu mißtrauen , die er seit Jahren offenherzig , wahrhaft und redlich gegen sich selbst wie gegen ihn gefunden hatte ?
Der Prinz war ohne sein Zutun , wie der Wille des Königs es für ihn entschieden hatte , nach dem Orte versetzt worden , an welchem Konradine sich ebenso zufällig befand .
Er war ihr begegnet , ohne daß er sie gesucht , und hatte sich eines Auftrages entledigt , den das zart empfindende Gemüt einer Gestorbenen ihm für sie gegeben hatte .
Eine glückliche Ehe hatte den Prinzen von dem stürmischen Übermut der Jugend geheilt .
Er hatte , weit entfernt , mit irgend einer zärtlichen Erinnerung Konradine an das Verlöbnis zu mahnen , welches zwischen ihnen einst beschlossen war , vor ihr mit traurigem Herzen den schweren Verlust beklagt , den er erlitten hatte , und sie war , weniger durch das Begegnen mit dem Prinzen und durch das Mitgefühl mit seinem Schmerz , als durch den Hinblick auf die geheimnisvollen Wege des Schicksals und die ausgleichende Kraft der Zeit ergriffen worden .
Das war so natürlich , so berechtigt !
Die Art , in welcher sie ihrem Verlobten ihr ganzes Empfinden bei diesen Ereignissen in seiner ganzen Stärke enthüllte , das rasche Vertrauen , mit welchem sie sich ihm in die Arme warf , sich an ihn lehnte , waren so schön und so beglückend , daß Emanuel , als er den Brief zum zweitenmal las , es kaum verstehen konnte , wie ihn derselbe in dem ersten Augenblicke habe erschrecken mögen .
Der Brief war ja in seinem Ausdrucke , in der Herzlichkeit der Anrede wärmer , zärtlicher als je ein anderer zuvor .
Niemals zuvor hatte ihn Konradine so vertraulich mit " Du " angesprochen , wie in diesem Briefe .
Es war also nur die ihr zur Gewohnheit gewordene Selbstbeherrschung gewesen , die sie bislang in diesem Punkte von ihm ferngehalten , und das Bedürfnis vertrauensvoller Mitteilung hatte die Schranke niedergeworfen .
Das hatte er nur zu segnen , hatte dem Prinzen es indirekt zu danken , und es freute ihn von Herzen .
Auch die Rückwirkung , welche das Beispiel der Prinzessin auf seine Verlobte ausgeübt hatte , war günstig , war veredelnd .
Die Geringschätzung , mit welcher sowohl Konradine als die Gräfin , bisher auf Hulda herabgeblickt , hatte Emanuel immer geschmerzt , denn er hatte es niemals dazu bringen können , sich ihr gegenüber weniger schuldig zu fühlen , weil sie keiner vornehmen Familie entstammte , und keine hochgeborenen Verwandten ihr zur Seite waren , sich ihrer anklagend und beschützend anzunehmen .
Daß selbst ihr eigener Vater sich gegen Hulda gewendet hatte , daß ihr dadurch sogar die Erinnerung an den Vater nicht rein und ungetrübt geblieben sein konnte , das hatte Emanuel immer als ein besonderes Mißgeschick für dieselbe angesehen .
Aber obschon ihr Andenken unvermindert in ihm fortlebte , und obschon er Konradinens Wunsch und Anerbieten höchlich anerkannte , lehnte sich seine Überzeugung da gegen auf , ohne einen ganz bestimmten und dazu verpflichtenden Anlaß jetzt an sie heranzutreten .
Er war von dem Briefe seiner Braut so mannigfach hingenommen worden , daß es spät geworden war , ehe er den Brief der Gräfin eröffnete .
Sie meldete ihm natürlich die Versetzung des Prinzen , berichtete auf ihre Weise rasch und tatsächlich , was er soeben durch seine Braut weitläufiger erfahren hatte , und kam dann zu dem Schlusse : das ganze Ereignis als einen recht lästigen Zwischenfall zu bezeichnen , als welchen auch Konradinen's Mutter , die sich darüber natürlich nicht auslassen könne , ihn anzusehen scheine .
Es sei keine Frage , daß man hier so gut wie anderwärts , die Vorgeschichte des Prinzen kenne .
Zudem sei jetzt wieder derselbe Adjutant bei ihm , der ihn schon damals nach Petersburg begleitet habe .
Sie selber dürfe , falls der Prinz es wünsche -- und er habe ihr diesen Wunsch gleich ausgesprochen -- sich nicht weigern , ihn bei sich zu empfangen .
Andererseits sei es vorauszusehen , daß die einst getrennten Liebenden sich , wie die Verhältnisse lägen , in der Gesellschaft fast täglich treffen , würden .
Zu welchem Beobachten , Urteilen und Aburteilen , dieses den unbeschäftigten Menschen Anlaß bieten , welche Unzuträglichkeiten daraus entstehen könnten , das sei freilich selbstverständlich .
Sie gebe Emanuel deshalb zu bedenken , ob man nicht wohl daran tun würde , die Hochzeit in kürzester Zeit zu feiern , und ob Konradine , um möglichen unbequemen Gerüchten mit gebührender Vorsicht auszuweichen , nicht bis dahin irgend einen Ausflug , irgend einen Besuch unternehmen sollte , was bei der rastlosen Wanderlust ihrer Mutter durchaus unverfänglich sein würde .
Emanuel kannte seine Schwester .
Er hatte den Inhalt ihres Schreibens vorausgesehen , noch ehe er es erbrochen hatte .
Trotzdem wünschte er , den Brief lieber nicht empfangen zu haben .
Er wußte es der Schwester wenig Dank , daß sie sich in diesem besonderen Falle , und schon im Voraus , zum Sprachrohr und Ausdruck jenes Teiles der sogenannten allgemeinen Meinung machte , welche möglichst von sich fern zu halten , er als die Aufgabe eines selbstgewissen Mannes ansah .
Was ihm gegenüber dieser Mahnung zu tun obliege , darüber war Emanuel in keinem Zweifel .
Er würde es nicht über sich vermocht haben , seine Braut in einem solchen Falle , um solcher Gründe Willen , zu Schritten und zu Vorsichtsmaßregeln zu veranlassen , die ihr als ein Zeichen seines Mißtrauens gegen sie erscheinen mußten ; und noch weniger durfte er bei dem Charakter der Gräfin dieser irgend einen Eingriff in sein Verhältnis zu seiner Braut , oder eine bestimmende Meinung über dasjenige gestatten , was dieser Letzteren zu tun oder zu lassen gebührte .
Er schrieb der Schwester deshalb , daß er in der Anwesenheit des Prinzen kein Ereignis sehe , welches auf seine oder auf die Entschließungen seiner Verlobten Einfluß haben müsse ; und da er sich in dem Briefe durchaus ruhig auszudrücken strebte , beruhigte er sich selbst damit noch immer mehr .
Das Gefühl der Sicherheit , in welchem er bis dahin gelebt hatte , war denn auch wieder voll und ganz in ihn zurückgekehrt , als er sich anschickte , seiner Braut zu antworten ; weil aber ihre Aufrichtigkeit ihm wohl getan hatte , so meinte auch er , ihr Nichts verhehlen zu dürfen , nicht einmal die Eifersucht , die nahe daran gewesen war , ihn in der Besorgnis seiner Liebe zu ihr zu führen .
Er erwiderte die Grüße , welche sie ihm von dem Prinzen ausgerichtet hatte , in gebührender Weise , ersuchte sie , wenn sie denselben wiedersähe , ihm sein Beileid auszudrücken , und nannte es immerhin möglich , daß ihnen noch einmal ein dauernder Zusammenhäng mit dem Prinzen bevorstehen könne .
" Dergleichen aber , " schrieb er , " soll man , wie ich glaube , weder von sich weisen , noch es suchen .
Es ist dem denkenden Menschen ein künstlerischer Genuß , das Dunkel sich lichten , die Verwirrung sich ordnen , das Getrübte sich klären zu sehen .
Unsere Freude an der Dichtung beruht darauf in vielen Fällen .
Aber wie in der Dichtung , so muß auch im Leben die Entwicklung aus der eigenen Natur der Beteiligten als etwas für sie Notwendiges hervorgehen ; und ob für den Prinzen , für Dich und mich erneutes Begegnen wünschenswert , ob es nötig sein wird , darüber wird die Zeit uns Aufschluß geben .
Es zu suchen , ist in seiner Hand ; es zu vermeiden in der unseren .
Und vollends wenn wir in wenig Wochen hier am eigenen Herde sein werden , wird uns Nichts nahen dürfen , was zu empfangen wir nicht wünschen könnten . "
" Eben meine Überzeugung , " fügte er dann noch hinzu , " daß man das eigene Bedürfnis des Menschen über seine Handlungen entscheiden lassen müsse , mahnt mich daran , auch der liebevollen Regung Deines Herzens in Bezug auf Hulda vorläufig nicht nachzugeben .
Es steht nicht immer in unserer Macht , zu vergüten und auszugleichen , wie unser Gewissen es fordert und zu seiner Beruhigung bedürfte .
Was sollten oder was könnten wir ihr sagen , was ihr bieten , da wir die Zustände nicht kennen , in denen sie sich jetzt bewegt ?
Was wir davon durch die Zeitungen erfahren , ist günstig .
Sie schreitet mit großer Anerkennung vorwärts in einem Lebensberufe , zu dem sie einen Antrieb in sich gefühlt haben muß ; und es würde gefährlich sein , sie rückwärts blicken zu machen , während in dem ungebrochenen Streben , vorwärts zu kommen , vielleicht ihre Stärke und Sicherheit beruhen .
Ich habe sie nicht vergessen und habe Dir es nie verborgen , daß ich sie nie vergessen werde .
Ich strebe nicht einmal danach , so wenig ich danach streben würde , einen sonnigen Frühlingsmorgen zu vergossen , in dessen hellem Lichte ich glückbeseligt einst geatmet habe .
Mein Gefühl für sie hat mit der festen Neigung , die ich für Dich hege , Nichts gemein .
Und doch -- nenne es eine fatalistische Idee , nenne es eine Erinnerung an Goethes unvergleichliche Dichtung -- ich würde Scheu tragen vor dem geflissentlich gesuchten Hereinziehen eines neuen Elementes in das enge Bündnis , das zu schließen wir im Begriffe stehen .
Laß auch darin die Zeit gewähren .
Käme ein Augenblick , der uns Hulda entgegenführte , wie jener , der den Prinzen zufällig in Deine Nähe brachte , und fänden wir sie dann geneigt , die Hand zu ergreifen , die ich ihr einst in anderem Sinne geboten habe , so würde es mir ein hoher Gewinn sein , sie ihr reichen zu können , und ich weiß es Dir von Herzen Dank , daß auch Deine Arme ihr in diesem Falle geöffnet sein würden . "
Er rechnete seiner Braut dann die Zahl der Tage vor , die sie Beide noch von ihrer Vereinigung trennten , gab ihr Auskunft über sein Schaffen und die für ihre Bequemlichkeit getroffenen Einrichtungen , schilderte ihr , wie schön es trotz des Winters an den Mittagen in den hohen Wäldern sei , wie eigenartig der Blick aus dem Schlosse selbst in dieser Jahreszeit ihn anmute , und wie er sich dagegen auch sträubte , konnte er am Ende des Briefes die Bitte nicht zurückhalten , sie möge , da Alles zu ihrem Empfange früher , als er es erwartet habe , fertig sein werde , ihm das Zugeständnis machen , auch früher , als es zuerst beschlossen gewesen wäre , als Herrin in das Stammschloß seiner Väter einzuziehen .
Er war guten Mutes , als er den Brief beendete , aber als er denselben abgesendet hatte und er den Boten schon auf dem Wege nach der Station wußte , kam eine Unruhe über ihn .
Er hatte sich sonst wohl auch gefragt , was Konradine eben in dieser Stunde tun , wo sie weilen , womit sie beschäftigt sein möge ; aber dies Denken an sie war ihm immer ein durchaus erfreuliches und sorgloses gewesen .
Heute regte es ihn peinlich auf .
Es war gegen Abend hin um die Stunde , in welcher die Gräfin an ihrem Thetische Besuche zu empfangen pflegte .
Emanuel kannte den Kreis der Freunde und Verwandten , welche sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit bei der Schwester einzufinden pflegten .
Daß der Prinz sich diesen Freunden zugesellen würde , war nicht anzunehmen , war wenigstens für das Erste nicht wahrscheinlich ; indes unmöglich war es nicht .
Er hatte die leichten Umgangsformen stets geliebt , die Etikette-Rücksichten gering geachtet .
Er konnte zudem in seiner jetzigen Stimmung unmöglich Freude an großer Repräsentation , an allgemeiner Geselligkeit empfinden .
Jemanden zu haben , mit dem er sich vertraulich unterhalten konnte , gegen den er sich zwanglos gehen lassen durfte , mußte ihm willkommen sein ; und er hatte Konradinen sein Herz erschlossen , er hatte sich auch gegen die Gräfin über seinen Kummer ausgesprochen .
Zwei solche Frauen öfter zu sehen , in dem Hause der Gräfin , in ruhigem Zwiegespräch Ersatz für die verlorene Häuslichkeit zu suchen , mußte ihm ein Bedürfnis , eine Wohltat sein .
Aber Emanuel war ja auch einsam , er entbehrte der ersehnten Nähe seiner Braut , der Abend war sehr lang in dieser Winterszeit , und dem Prinzen sollte eine Zerstreuung , eine Erheiterung geboten werden , die Emanuel noch vorenthalten wurde .
Es machte ihn ungeduldig und verdrießlich , wenn er daran dachte .
Der Abend wollte kein Ende nehmen , keine Arbeit freute ihn , keine Beschäftigung fesselte ihn .
Er mochte nicht schreiben , nicht lesen , noch viel weniger denken , und war schließlich froh , als die Stunde herankam , in welcher er sein Lager suchen konnte .
Der Schlaf jedoch , weit entfernt , ihm ein Befreier zu werden , verschlimmerte seinen Zustand ; denn was er im Wachen mit festem Willen von sich abzuwehren wußte , das trat , vom Traume heraufgeführt , ihm in unheilvollen Vorstellungen gegenüber und schreckte ihn in jähem Schmerze empor .
Draußen war es tiefe Nacht , es regte sich Nichts in der Natur .
Im Schlosse war es totenstill , die Lampe , die er angezündet hatte , warf ihren Schein durch das einsame Gemach .
Lautlos schritt er auf dem weichen Teppiche hin und her , daß er sich gespenstisch vorkam , wenn er sein Bild an dem Spiegel vorübergleiten sah .
Warum war er von sich selber abgefallen ?
Warum hatte er nicht beharrt auf dem Entschluss , in eheloser Einsamkeit zu leben ?
Freilich war er in seiner Ehelosigkeit nicht glücklich gewesen , denn er hatte von früher Jugend an die Liebe einer Frau ersehnt , nach dem Glücke der Ehe stets verlangt ; aber er hatte damals in richtiger Selbsterkenntnis daran gezweifelt , die Liebe einer Frau um seiner selber Willen gewinnen zu können , er war ehelos geblieben aus Überzeugung .
Und als ihm dann so unerwartet Liebe zu Teil geworden war , rein , fest , stark , uneigennützig , als ein gütiges Geschick sie ihm in die Hand geworfen , wie eine reife goldene Frucht -- da hatte er die Hand nicht geschlossen , um sich des kostbaren Kleinods zu versichern für immerdar .
Er hatte die Arme in Schlaffheit niedersinken , er hatte das Kleinod auf die Erde fallen lassen , und es war hinweggerollt auf einen Boden , auf dem es unter die Füße getreten werden konnte .
Hulda hatte ihn geliebt !
Er hatte nie ein Weib geliebt wie sie !
Das Bewußtsein tauchte bei jedem Anlaß wieder in ihm auf , und diese Erkenntnis , die er sich nicht eingestehen mögen , hatte ihm den Vorschlag unheimlich erscheinen lassen , den ihm Konradine in ihrem Briefe eben jetzt gemacht hatte .
Was ihn und Konradine zusammengeführt , war nur ein schönes , herzliches Vertrauen , sie hatten das einander auch offen eingestanden .
Es war ein Übereinkommen , das Beiden zum Vorteil gereichte , das ihm eine edle Hausfrau , eine geistvolle Gesellschaft , eine freundliche Gefährtin , ihr einen ergebenen Beschützer , einen großen Namen und volle Lebensfreiheit durch reichen Besitz verlieh .
Ob dieser Besitz bestimmend auf ihre Entschließung eingewirkt habe , diese Frage hatte er in sich geflissentlich zurückgedrängt .
Denn durfte er es ihr verargen , wenn sie in dem äußeren Besitz , den er ihr bieten konnte , einen Ausgleich suchte für die persönlichen Vorzüge , die ihm fehlten ?
Was die Nachricht von des Prinzen Ankunft begonnen , das hatte der wirre Traum der letzten Stunden in Emanuel's Seele vollendet .
Er konnte sich es nicht verbergen :
nur sein Ehrgefühl hielt ihn zurück , es kundzugeben , daß er aus Mißtrauen in sich selbst der Frau mißtraue , die bald seinen Namen tragen , seine Gattin werden sollte ; daß seine plötzlich rege gewordene Eifersucht , ihm keine Ruhe ließ . --
Eifersucht !
-- War sie je zu dämpfen , wo sie einmal empfunden worden war ?
Würde die Ehe sie zum Schweigen bringen ? --
Und wer als er selber trug die Schuld der Pein , die er empfand in dieser Stunde ?
Er war mit sich selbst zerfallen , er machte sich sein Mißtrauen gegen Konradine schwer zum Vorwurfe .
Bald klagte er sein Schicksal an und bald sich selbst .
Dann wieder rang sich ein ruhiges , gefaßtes Bewußtsein in ihm durch , und gerade der Wechsel dieser beiden Stimmungen flößte ihm ein Grauen vor sich selber ein .
Nichts war ihm stets eines Mannes unwürdiger erschienen , als eine Lage , die ihn zur Eifersucht verdammte , Nichts ihm widerwärtiger gewesen als ein Eifersüchtiger und die Schilderungen der Eifersucht in der Dichtung .
Und sie waren doch richtig gewesen bis auf das Haar ! --
Denn er erlebte , er erlitt , was sie gezeichnet hatten .
Er stand auf dem Punkte , auf welchem er Grund und Ungrund , Wahrheit und Einbildung nicht von einander zu unterscheiden vermochte , auf dem er Alles in einem wechselnden , die Dinge verschiebenden und verzerrenden Lichte sah , in einem Lichte , das schließlich auf ihn selbst zurückfiel , das ihn lächerlich , ja verächtlich erscheinen machen konnte .
Selbst der Morgen brachte ihm nicht Ruhe , der Tag nicht Klarheit .
Er blieb zerfallen mit sich selbst , es sah traurig in ihm aus .
Fünfzehntes Kapitel .
Inzwischen hatte man sich in dem Hause der Gräfin schon wieder zurechtgefunden , und Konradine war nahe daran , die Bekenntnisse , welche sie Emanuel gemacht hatte , zu bereuen , nachdem sie den Brief desselben gelesen und wieder gelesen hatte .
Sie kannte die geheime Wunde , an welcher das Gemüt ihres Verlobten krankte ; sie hatte darauf die nötige Rücksicht nicht genommen , und sie sah es jetzt zu spät ein , daß es ein Gemeinplatz sei , wenn man behaupte , die Liebe dürfe dem Geliebten Nichts verschweigen , Offenheit , unbedingte Offenheit sei die erste Bedingung zwischen Menschen , die sich durch die Ehe dauernd zu verbinden denken .
Ihre unbegrenzte Offenheit war das Werk selbstsüchtiger Fassungslosigkeit gewesen .
Sich im ersten Augenblicke zu befreien , hatte sie einem Anderen eine schwere Bürde aufgewälzt ; und weil sie dies Unrecht gutzumachen wünschte , stand sie nicht an , ohne Bedenken zu gewähren , was Emanuel von ihr erbat .
Sie schrieb ihm , daß ihre Wünsche mit den seinigen in diesem Falle , wie zum Glück fast immer , zusammenträfen , sie gebe es also ganz in seine Hand , den Tag für ihre Verheiratung festzusetzen .
Ihre Mutter sei mit dieser Änderung des ursprünglichen Planes einverstanden , weil sie dadurch zeitiger gen Süden reisen könne , und da die Fastenzeit , während welcher keine Trauungen vollzogen zu werden pflegen , in diesem Jahre mit dem Beginne des Frühlings zu Ende gehe , so hoffe sie in wenig Wochen , zusammen mit dem Frühling , bei ihm einzuziehen , um dauernder als der Frühling bei ihm zu verweilen .
Sie meldete ihm dann noch , daß der Prinz seinen Besuch bei der Gräfin wiederholt habe , daß sie ihn ihm Beisein anderer Personen , welche sie ihm nannte , wiedergesehen habe , daß sie ihn in jedem Betrachte zu seinem Vorteil verändert finde , und daß sie nie größer von der Ehe gedacht habe als eben jetzt , wo sie an dem Prinzen die versittlichende und veredelnde Macht dieser heiligen Verbindung beobachten können .
Es gewährte ihr eine große Genugtuung , Emanuel's Wunsch zu befriedigen ; die Gräfin nahm die Nachricht mit unverhohlenem Wohlgefallen auf , und Konradinen selber war es angenehm , dem Prinzen , als sie ihm in einem befreundeten Hause begegnete , die Mitteilung machen zu können , daß in Schloß Falkenhorst die Einrichtungen , die Baron Emanuel für nötig erachtet habe , beendet worden wären und daß sie in Folge dessen , sich schon in den ersten Frühlingstagen verheiraten werde .
Der Prinz wünschte ihr dazu mit jener Teilnahme Glück , welche zu zeigen Sache der Schicklichkeit ist .
Sein Betragen gegen sie war immer ruhig , stets gemessen , und Konradine hätte sehr eitel sein müssen , sich nicht zu sagen , daß die Ergriffenheit des Prinzen bei ihrem ersten Zwiegespräch wirklich nur der verstorbenen Prinzessin und nicht einer anderen Erinnerung gegolten habe .
Gefallsüchtig oder herausfordernd war sie überdies nie gewesen , über ihre Zukunft hatte sie jetzt nach besonnener Wahl entschieden .
Des Prinzen Schicksal hatte sie mit ihm und mit jener Gerechtigkeit ausgesöhnt , der wir zu begegnen verlangen , wo wir Unrecht erlitten haben , ohne uns Recht dafür schaffen zu können ; und da der Prinz jetzt noch mehr als früher sich überzeugt hielt , daß er nicht nur einer unabweisbaren äußeren Notwendigkeit , sondern der Fügung einer höheren Macht gefolgt sei , als er sich von Konradinen losgesagt habe , um sich mit der Prinzessin zu verbinden , so stellte sich in kürzester Zeit zwischen den Beiden ein freies Empfinden und ein so ruhiger Verkehr heraus , daß sowohl die Baronin als die Gräfin sich von dem Ungrund ihrer gehegten Besorgnisse überzeugten .
Zufällig waren sie Beide gegenwärtig , als Konradine dem Prinzen von ihrer jetzt nahe bevorstehenden Verheiratung erzählte .
Sie hörten es , wie der Prinz es verständig hieß , die Zeit des Brautstandes möglichst abzukürzen , besonders wenn es sich wie in diesem Falle um eine Verbindung zwischen reifen und fertigen Menschen handle .
" Wo zwischen solchen Menschen , " sagte er , " der Wunsch nach einem dauernden Beisammensein , das Verlangen nach völliger Vereinigung zu einem deutlichen Bewußtsein gekommen und dies Verhältnis feststellend ausgesprochen worden ist , da muß dem Worte auch die Tat schnell folgen .
In der halben Freiheit , welche der Brautstand gewährt , ist ein wirkliches Wachsen des gegenseitigen Verständnisses weit weniger wahrscheinlich als das Aufkommen von Mißverständnissen und das Dazwischentreten von störenden Hindernissen .
Was man aber aneinander hat und für einander sein und werden kann , das bewährt sich doch schließlich erst in der Ehe selbst , wenn die Mehrzahl der landläufigen Aussprüche über die Ehe in ihr Nichts zusammengefallen sind . "
Frau von Wildenau , zu deren Vergnügungen Gespräche über die Ehe gehörten , weil sie bei denselben sich in ihrer Geringschätzung der Ehe gehen lassen und zeigen konnte , nahm die hingeworfene Bemerkung des Prinzen augenblicklich mit der Entgegnung auf , daß die allgemeinen Aussprüche über die Ehe schon darum haltlos wären , weil jede Ehe ein Unikum sei , jede ihre eigenen Erfahrungen von Anfang an zu machen habe .
" Die Ehe ist ein Experiment , " sagte sie , " das meist auf bloße Vermutungen hin gewagt wird und dessen glücklicher Erfolg immer zu bewundern bleibt .
Wir sind angenehm überrascht , wenn wir nach bedächtigem Prüfen und Wählen einen Schuh oder Handschuh finden , der -- ohne eigens für uns gemacht zu sein -- uns paßt , der uns nicht drückt , nicht preßt ; und wir gehen doch zumeist Alle mit dem Glauben in die Ehe , ein Wesen gefunden zu haben , das uns noch ganz anders anpassen und sich uns noch ganz anders anschmiegen soll , als ein Handschuh oder unser Schuh .
Da ist denn , um diesen verwegenen Leichtsinn vor dem eigenen Gewissen zu entschuldigen , natürlich gar Nichts übrig geblieben , als sich mit dem Glauben an die höhere Fügung zu beruhigen , nach welcher eben dieses Menschenwesen eigens für uns gemacht und herangebildet worden sein soll .
Und die Menschheit will noch immer nicht begreifen , wie oft sie mit diesem Glauben die Vorsehung für einen Stümper erklärt , der für uns das Richtige zu schaffen und auszuwählen nicht verstanden hat . "
Der Prinz hatte sich in früheren Zeiten mit den Paradoxen der Baronin unterhalten ; sie waren aber jetzt , nicht mehr nach seinem Sinne .
Zudem glaubte er zu bemerken , daß sie auch Konradinen und der Gräfin nicht genehm waren .
Er wies sie deshalb mit der Bemerkung zurück , daß er bei seiner Äußerung nicht die traurigen Fälle im Sinne gehabt habe , in welchen die Ehe nicht den Erwartungen entspreche , mit denen man sie eingegangen sei .
" Und woran dachten , oder was meinten Hoheit denn sonst , mit den herkömmlichen und trotzdem unrichtigen Behauptungen über die Ehe ? " fragte die Gräfin .
" Alle unsere Vorstellungen von dem Glück der Ehe . " entgegnete der Prinz , " beruhen mehr oder weniger auf dem alten Bibelworte :
" Und er soll Dein Herr sein ! "
Das heißt schließlich auf der Anerkenntnis der Macht , welche der Starke über den Schwächeren auszuüben vermag . "
Die Gräfin lächelte .
" Es möchten auch nur wenig Fälle zu verzeichnen sein , " sagte sie , , in welchen wir Frauen zur gegebenen Stunde diese Macht des Stärkeren nicht zu erfahren gehabt hätten . "
" Gewiß nur wenig Fälle ! " rief der Prinz .
Wie sollte es auch anders sein , da man uns zu der Selbstbewunderung unserer Kraft und Stärke , und nach dem Grundsatze erzieht , daß uns den Frauen gegenüber das Regiment von rechtswegen gebühre ?
Ich habe auch lange genug mit einem solchen angelernten Selbstbewußtsein auf die Lehre von dem starken und dem schwachen Geschlecht geschworen , und mich nur darüber gelegentlich gewundert , wie es dem schwachen Geschlecht so gar häufig möglich wird , das starke Geschlecht zu beherrschen .
Aber auch dafür hat die alte Tradition ihre Erklärung für uns und zu unseren Gunsten vorbereitet : es ist die männliche Großmut , die sich freiwillig herbeiläßt , die goldene Kette zu tragen - wohlgemerkt , so lange sie weder drückt , noch ernstlich zu fesseln denkt . "
-- Er hatte die letzten Worte scherzend ausgesprochen , aber gleich wieder ernsthaft werdend , fügte er hinzu : " Ich glaube , und daran dachte ich eigentlich vorhin , daß wir uns , um den Frauen gerecht und damit auch den Bedingungen der Ehe gerecht zu werden , zunächst darüber klar zu werden suchen müssen , daß wir nicht mehr von männlicher Kraft und weiblicher Schwäche , sondern von zwei in . ihrer Art verschiedenen , aber , jede in ihrer Art , gleichbedeutenden Kräften zu reden haben .
Davon würden wir uns sehr bald überzeugen , wenn es möglich wäre , die beiden Kräfte , die wir gewohnt sind , in irgend welchen besonders dazu herausfordernden Augenblicken an einander zu messen , in ihrer ganzen allgemeinen und dauernden Kraftentfaltung vergleichend wägen zu können .
Ich wenigstens bin nicht sicher , zu wessen Gunsten die Schale sich senken würde : ob zu Gunsten unseres starken , energischen Kraftaufwandes im gegebenen Momente , oder ob zu Gunsten der im beständigen Gleichmaß ruhig beharrenden weiblichen Kraft .
Und zwar bin ich umsoweniger darüber sicher , als in der entscheidenden Stunde die willensstarke Entschlossenheit der Frauen uns Nichts nachzugeben pflegt .
Fassung in verwickelter Lage , bei plötzlich hereinbrechendem Unheil , besitzen die Frauen in gleichem Maße , ja vielleicht mehr , als wir -- "
" Weil wir es von Jugend an weit mehr nötig haben als der Mann , uns in der Selbstbeherrschung zu üben , ohne die wir gar nicht bestehen und uns nicht behaupten könnten ! " meinte die Gräfin .
" Nun , " warf die Baronin ein , " in dieser Kunst werden die Männer , freilich sehr ohne es zu beabsichtigen , unsere Lehrer , nur daß sie es dann obenein noch übel nehmen , wenn der Schüler sie zu übertreffen anfängt .
Darin , wie in jedem anderen Punkte , trifft der Ausspruch Iphigenies zu :
" Der Frauen Schicksal ist bekagenswerth ! "
-- Uns wird nur zu oft als Fehler angerechnet , was der Mann als Eigenschaft an sich zu schätzen weiß .
Seine Selbstbeherrschung -- wenn er sich die Mühe nimmt , sie sich aufzuerlegen -- ist in jedem Falle edle Fassung .
Die unsere wird , wer weiß wie oft , als eine Folge und Frucht der Verstellung bezeichnet .
Sucht der Mann mit Behutsamkeit seine Frau zu beeinflußen , so ist das eine weise Führung .
Tun wir aber das Gleiche , so ist das versteckte Herrschsucht .
Und wie Goethes Iphigenie sehr richtig das traurige Geschick der Frauen beklagt , so preist Klärchen mit ihrem :
" Oh wäre ' ich ein Mannsbild das Glück , ein Mann , das heißt ein Selbstbeherrscher und ein Tyrann zu sein , noch lange nicht nach Gebühr . "
Eine Meldung , welche man der Gräfin zu machen kam , unterbrach die Unterhaltung , die abermals durch der Baronin Schuld von ihrem Ursprung und von des Prinzen Gedanken in einer Weise abgekommen war , welche der Gräfin und Konradinen um des Prinzen Willen , und auch diesem selber peinlich gewesen war Da man sich erhoben hatte , trat der Prinz mit Konradinen einige Schritte zurück , und das Recht ihres früheren Zusammenhanges zum erstenmal vertraulich benutzend , sagte er :
" Es ist merkwürdig , wie Frau von Wildenau sich selber gleich geblieben ist , wie die Zeit gar keinen Einfluß auf sie gehabt hat .
Sie sieht heute noch ganz so aus wie in dem Winter , in welchem ich sie kennen lernte , jugendlich und frisch , und sie empfindet und denkt auch noch vollkommen so wie damals . "
" Hoheit wissen es , " bedeutete Konradine mit behutsamer Abwehr des versteckten Tadels , " daß meine Mutter in ihrer Ehe nicht glücklich gewesen ist . "
" Ich weiß !
ich weiß es ! " sagte der Prinz , der , wie Alle seinesgleichen , sich auch in dem Kleinsten nicht gerne widersprechen , und seine Meinung nicht leicht zurückweisen ließ .
" Wo es sich aber um allgemeine Grundsätze handelt , muß man doch von sich abzusehen vermögen .
" Und doch sind es eben Ihre eigenen wohltuenden Erfahrungen , die Sie gegen meine Mutter geltend machten ! " wendete Konradine ein .
" Gewiß ! gewiß ! " rief der Prinz ; " subjektiv sind wir ja bis zu einem bestimmten Grade in diesen Dingen immer .
Indes seiner üblen Erfahrungen , seiner unangenehmen Erinnerungen , muß man sich entschlagen .
Wie will man sonst durch das Leben kommen , das uns dergleichen nie erspart , uns dergleichen immer neu aufbürdet ?
-- Früher war die Baronin übrigens der gleichen Ansicht ; sie nannte es Weisheit , zu vergessen , was uns nicht erfreut . "
" Der Meinung ist sie auch noch immer .
Doch gibt es Dinge , die man nicht verschmerzen , nicht verzeihen , und darum nicht vergessen kann . "
Konradine hatte , als sie das sagte , in Wahrheit nur an die Erlebnisse der Mutter gedacht .
Wie sie die Worte aber aussprach , schoß ihr das Blut in die Wangen , denn sie fühlte die Bedeutung , welche sie für den Prinzen in ihrem Munde haben mußten ; und ihr plötzliches Erröten drängte ihm auch wirklich den Glauben auf , daß die Bemerkung ihr persönliches empfinden ausgesprochen und also ihm gegolten habe .
Denn mit eben solchem plötzlichen Erglühen , das sich von der Stirn bis hinab über den ganzen Hals ergoß , hatte sie vor ihm gestanden in ihrem zornigen Schmerz an jenem Morgen , an welchem sie geschieden waren .
Er war ihm schwerer zu überstehen gewesen , als sie es ihm glauben wollen -- und sie war noch immer stolz und schön , wie damals .
Sie vermochte ihn nicht anzusehen ; er fand das Wort nicht zur Entgegnung .
Sie waren Beide unangenehm betroffen , sie schwiegen Beide .
Der Prinz glaubte einen in diesem Augenblicke nicht geforderten , durch die neulich erfolgte Aussöhnung nicht mehr berechtigten Vorwurf von ihr erlitten zu haben , und er hatte es in seinem Leben nicht nötig gehabt , ein ihm zugefügtes Unrecht schweigend hinzunehmen .
Er wollte auffahren , aber sein Ehrgefühl hielt ihn zurück , und als er Konradinen ansah , bemerkte er , wie gewaltsam sie ihre Bewegung niederkämpfte .
Diese Bewegung ergriff auch ihn , er wußte selbst nicht wie .
" Ihnen gegenüber verteidige ich mich nicht ! " sagte er und wußte dabei , daß im Grunde diese Erklärung oder dieses Zugeständnis durch Konradinen's Äußerung keineswegs gefordert worden war .
" Ich dachte nicht an mich !
Verzeihen Sie mir !
Glauben Sie mir das ! " entgegnete sie mit weicher , bebender Stimme , und als täte die Bitte ihr noch nicht genug , reichte sie ihm ihre Hand hin .
Er behielt sie in der seinen .
" Wie gern , mit wie viel Freude will ich es glauben ! " rief er .
" Ist mir es doch ein solches Glück , mich Ihrer Teilnahme , Ihrer Freundschaft versichert zu halten !
Nur mißverstehen Sie mich nicht wieder , so wie heute . "
" Gewiß nicht ! beteuerte sie ihm .
" Ich meinte ja nichts Anderes , " fuhr er fort , " als daß man nicht in der Erinnerung bewahren dürfe , was unser Herz verbittert , unseren Geist verdüstert .
Wie könnte man denn vergessen wollen , was man einmal geliebt hat .
Wie sollte man jemals gleichgültig werden gegen Etwas , das man als schön bewundert , als gut erkannt hat ?
Das hieße ja sich selbst berauben ! "
Er hatte das Alles in rascher Aufregung gesprochen , ohne damit seiner oder ihrer Verwirrung völlig abzuhelfen , und nur um sich von derselben zu befreien , rief er :
" Also kein solch hartes Wort mehr zwischen uns , denn vor Ihnen stehe ich ganz waffenlos ! "
Er zog dabei ihre Hand an seine Lippen , ihre Augen begegneten einander .
Es war der alte , heiße , unvergessene Blick ; sie empfanden es alle Beide .
Sechzehntes Kapitel .
Der soeben erzählte flüchtige Vorgang hatte sowohl den Prinzen als Konradine achtsam gemacht und damit zur Vorsicht gemahnt .
Der Prinz mußte sich sagen , daß er in diesen ersten Wochen öfter als nötig in dem Hause der Gräfin erschienen sei , daß er seinem Verlangen nach einem Verkehr mit den ihm bekannten und zusagenden Frauen , zu viel nachgegeben habe .
Aber seine Dienstverhältnisse , die ihm namentlich zum Anfang mannigfache Rücksicht und Arbeit auferlegten , und sein persönliches Geschick boten ihm den besten Vorwand , sich , sobald ihm dieses nötig dünkte , mehr als bisher von der Gesellschaft zurückzuhalten , und es dadurch unauffällig zu machen , wenn er sich auch bei der Gräfin seltener zeigte .
Konradine wußte ihm für diese Rücksicht Dank . Seinem und ihrem Gewissen , ihrem beiderseitigen Schicklichkeitsgefühle geschah damit Genüge .
Die Gräfin machte nicht die kleinste Bemerkung über das Fortbleiben des Prinzen , sie empfand es jedoch wieder einmal , welch ein Glück es sei , wenn man es in schwierigen Lebenslagen mit Personen von Erziehung zu tun habe , die sich und die Verhältnisse zu achten wüßten .
Es war nach Außen Alles so ruhig und so glatt , als man es nur wünschen konnte ; im Inneren aber glimmte das Feuer still und heimlich fort . --
Das Vermeiden machte die Entbehrung deutlich , die Entbehrung fachte die Sehnsucht an .
Der Prinz hatte sich in den Tagen seiner Ehe daran gewöhnt , einen Teil seiner Abendstunden in den Gemächern seiner kränkelnden Gattin zuzubringen .
Jetzt , wo eine größere Arbeitslast und größere Verantwortlichkeit auf ihn gelegt worden waren , fehlte ihm die Möglichkeit jenes Ausruhens in traulich verständnisvoller Unterhaltung , und die einsamen Abendstunden kamen ihm lang und traurig vor .
An dem Thetische der Gräfin , in Konradinens Gesellschaft , hatte er die Lücke nicht empfunden , die Zeit war ihm leicht und schnell genug vergangen .
Die leeren Säle , das neue Arbeitszimmer des weiten Palastes , den er inne hatte , sprachen noch nicht zu ihm , sagten , bedeuteten ihm Nichts ; und Zerstreuung in Gesellschaft fremder Menschen aufzusuchen , fühlte er sich oftmals nicht geneigt .
Das Theater bot ihm also noch am leichtesten , was er nötig hatte .
Er war dort nicht allein , die Vorstellung zog ihn von sich selber ab , Niemand hatte Ansprüche an ihn zu machen , und in eine Loge zu Personen seiner Bekanntschaft einzutreten , war ihm unbenommen , wenn ihm die Laune kam , in den Zwischenakten einige Minuten zu verplaudern .
Kaum Einen Abend ließ er vorübergehen , ohne das Theater für kürzere oder längere Zeit zu besuchen , denn der Direktor , der vom Hofe unterstützt wurde , hatte eine Gesellschaft zusammengebracht , die sich für eine Provinzial-Hauptstadt wohl sehen lassen konnte .
Der Landadel hatte für den Winter einen Teil der Logen inne , und auch die der Gräfin war selten unbesetzt .
Die Zeit der Gesellschaften neigte sich gegen das Frühjahr ihrem Ende zu , die Tage wurden schon beträchtlich länger , den Abend allein zuzubringen war nicht nach dem Sinne der Baronin .
Es mußte immer Etwas vorgenommen werden , wenn sie sich zufrieden fühlen sollte , und da die Gräfin eine Freundin der dramatischen Kunst war , zeigte das Theater sich den beiden Frauen als das bequemste Auskunftsmittel .
Auch Konradine benutzte die Loge jetzt öfter als in des Winters Anfang .
Sie sagte sich mit Recht , daß ihr in Zukunft derartige Genüsse weniger erreichbar sein würden , und wenn sie sich es ehrlich eingestand , war es auch ihr jetzt lieb , über ein paar Stunden ohne Selbsttätigkeit hinwegzukommen .
" Die Tage , die mich noch von Dir und unserer Vereinigung trennen , " schrieb sie Emanuel , " fangen an , mir lang zu werden .
Was ich noch vorzubereiten , abzutun dachte , ehe ich die Stadt verlasse , das ist besorgt und fertig .
Neues zu unternehmen , hält eine geheime Ungeduld mich ab .
Es ist mir zu Mute , wie dem Reisenden am Ende seines Wanderns , wenn die Türme der Heimat ihm zu winken beginnen .
Ich möchte den Schritt , die Zeit beflügeln können , um an dem ersehnten Ziele zu rasten ; und wie des Reisenden in solchem Falle , bemächtigt sich meiner eine zweifelnde Ungewißheit , die ich eine abergläubische Furcht benennen würde , wenn ich mich nicht schämte , mir selbst und Dir eine solche Schwäche einzugestehen .
Meine Phantasie ist unruhig , meine Träume sind lebhafter als je , und ängstigen mich oft mit bösen Schreckensbildern .
Die schlechten Wege in der Provinz und die wilden Pferde , welche Du reitest und mit denen Du zu fahren liebst , spielen auch eine Rolle in meinen Besorgnissen , und mein Wunsch , Dich wiederzusehen , bei Dir zu sein , ist so lebhaft , daß ich es Dir danken würde , wenn Du bald von Hause aufbrechen und zu uns kommen könntest .
Einer bestimmten Sorge würde ich stehen und die Stirn bieten können .
Aber gegen die unbestimmte Unruhe weiß ich mir keinen Rat .
Da ich sie mit der Vernunft nicht erklären kann , kann ich sie auch nicht fassen und sie mit der Vernunft nicht niederkämpfen .
Ich zähle die Tage und zähle des Tages Stunden .
Ich frage mich bisweilen , worauf ich denn gerade an diesem Tage warte , und finde , daß ich nach der Uhr gesehen habe , um mich zu überzeugen , daß die Theaterstunde noch nicht da ist .
Und wenn wir Abends aus dem Theater nach Hause kommen , ist meine Unruhe keineswegs verschwunden , und die Erinnerung an eine flüchtige Unterhaltung mit dem Prinzen , der gelegentlich in unsere Loge eintritt , ist oft das Beste , was ich in dem Theater für mich gewonnen habe .
Ich glaube in der Tat , des Prinzen neuliche Behauptung war sehr richtig .
Man sollte sich die Zeit des Brautstandes ersparen , man sollte sich sofort verbinden , wenn man besonnenen Sinnes den Entschluß gefaßt hat , es zu tun .
Mir wenigstens nimmt dies Warten und dies Sehnen alle rechte Ruhe , und ich frage mich oftmals : ob wir nicht mehr im Sinne Deines verstorbenen Bruders gehandelt haben würden , hätte ich Dir gleich damals in der Schweiz die Hand gereicht , mit Dir gemeinsam Schloß Falkenhorst nach unserem Gefallen eingerichtet und uns so die Trennung erspart , die ja auch Dir schon allzu lange gewährt hat . "
Sie war immer ruhig und in sich befriedigt , so lange sie an Emanuel schrieb .
Sie sprach genau , wie sie es fühlte , sie sagte ihm , was sie sich selber sagte , Alles , womit sie sich selbst beruhigte , wenn die Angst zu mächtig in ihr wurde , wenn sie ihre Unruhe nicht bezähmen , die Stunde nicht erwarten konnte , in welcher der Wagen sie nach dem Theater bringen , in dem sie ihn sehen , den Prinzen sehen würde , wie er ihr gegenüber in der Seitenloge saß , hinträumend , in seine Gedanken versunken , bis ihre Blicke sich rasch begegneten , um sich noch rascher zu meiden , und bis er , getrieben von seinem Wünsche sie zu sprechen , wenn auch nur für wenige Minuten , in der Loge der Gräfin erschien .
Es war die gleichgiltigste Unterhaltung , welche in diesen kurzen Unterredungen gepflegt wurde .
Sie galt nicht einmal Konradinen im Besonderen , sie war zumeist an die Gräfin gerichtet , wenn der Prinz nicht , was er nie vergaß , sich ausdrücklich bei Konradinen nach Baron Emanuel erkundigte , oder sie scherzend fragte , wie lange der Baron ihm noch die Freude gönnen werde , sie hier zu treffen und ihr seine Huldigung darzubringen .
Wie lange noch ? --
Das fragte sich auch Konradine , wenn sie Abends die Tage zählte , welche bis zur Ankunft ihres Bräutigams , bis zu ihrem Hochzeitsmorgen , bis zu der Stunde noch zu verstreichen hatten , in welcher sie Emanuel nach Schloß Falkenhorst zu folgen hatte .
Ihr Verlangen , dort zu sein , in Ruhe , allein auf sich angewiesen und auf ihn , dessen sanfter Ernst sich immer gleich blieb , dessen Güte so verständnisvoll war , der mild war und nachsichtig , wie kaum ein Anderer , wuchs immer mehr und mehr .
Sie konnte es sich nicht versagen , ihm das täglich auszusprechen .
Der Ton ihrer Briefe wurde immer wärmer , die Ausdrücke , mit denen sie ihn ihren einzigen Freund , ihre Stütze , ihre Zuversicht nannte , hatten etwas Leidenschaftliches , das sie früher nicht gehabt hatten .
Emanuel's Freude darüber erhöhte auch die Wärme seiner Worte .
Er pries es als ein Glück , daß sie sich gefunden hatten , er erging sich frohen Herzens in dem Gedanken , wie zwischen ihnen die Liebe eine Frucht der Achtung und der Freundschaft sei , wie sie also mehr als Andere , ihrer Zukunft voll fester Glücksgewißheit entgegengehen dürften ; und er hatte es ihr auch nicht Hehl , daß er unentweihten Herzens leidenschaftlich danach verlange , sie nun bald völlig zu besitzen und sich in ihren Armen des Glückes der Liebe zu erfreuen .
Sonst hatten Emanuel's Briefe immer erquickend auf Konradinen eingewirkt .
Sie war heiter und ruhig gewesen , ihr innerer Friede hatte ihr an den Tagen immer besonders wohl getan , und sie hatte von Emanuel und von dem Inhalt seiner Briefe gern gesprochen , den beiden Frauen viel erzählt .
Jetzt war das anders .
Die Unruhe , welche sie peinigte , war nie schlimmer , als wenn ein neuer Brief ihres Verlobten in ihre Hände gelangte .
Sie schrieb und schrieb die ganzen Tage , man sah ihr die Aufregung an , in der sie sich befand .
Sie klagte , daß sie nicht schlafen könne , ihre blühende Farbe fing an sich zu verlieren , sie schreckte bei dem geringsten Geräusche , das sich hören ließ , empor , und als man sie , wie man es gewöhnt war , zum Musikmachen veranlassen wollte , erklärte sie , daß ihr dies unmöglich sei , daß sie nicht singen , nicht einmal spielen könne , und daß ihr selbst Musik zu hören nicht wohltue , so daß sie auch das Theater deshalb meide .
Es war unverkennbar , daß ihre Nerven angegriffen waren , und weil sie sich immer einer vorzüglichen Gesundheit zu erfreuen gehabt hatte , machte ihr übles Befinden die Gräfin ängstlich .
Die Baronin aber nahm es leicht .
" Um munter und fröhlich wie in einen Frühlingsmorgen in die Ehe hineinzugehen , muß man unter zwanzig Jahre sein , " meinte sie , " und womöglich direkt aus seiner Pension herkommen .
Konradine ist ein altes Mädchen , denn sie lebt seit fünfzehn Jahren in der Welt .
Sie hat ihr dreißigstes Jahr passiert , hat im Stifte die Selbstständigkeit einer Frau unter den günstigsten Bedingungen kennen gelernt ; wie wollen Sie , daß ihr in dem entscheidenden Momente nicht Anwandlungen von Bedenken kommen ?
Sie hat es an sich erfahren , daß eine Leidenschaft erkalten und überwunden werden kann , und sie sollte sich nicht bisweilen fragen :
Wird die Freundschaft dauernder sein als die Liebe ?
Wird eine Ehe , die aus Freundschaft , aus Achtung , aus den verständigsten Rücksichten geschlossen wird , mich schadlos halten für die Träume meiner Jugend , mich bewahren können vor allem neuen Anreiz , den mir das Leben in Zukunft noch entgegenführen dürfte ?
Vor dem Eintritte in die Ehe noch einmal stille zu stehen in ernstem Sinnen , scheint mir nur natürlich . "
Die Baronin hatte das mit der Leichtigkeit hingeworfen , mit welcher sie Alles abzutun liebte , indes die Gräfin war sehr ernst geworden .
" Es wäre ein Unglück , " sagte sie , " wenn solche Bedenken Konradinen noch in diesen Stunden kommen könnten . "
" Sie müßte nicht dreißig Jahre und nicht meine Tochter sein , " meinte die Baronin , " wenn es anders sein sollte , dessen bin ich gewiß .
Und , " setzte sie hinzu , " darin stimmen Sie mit mir gewiß zusammen , das Glück der Ehe ist nie wahrscheinlicher als in den Fällen , in welchen man in ihr nicht die Verwirklichung seiner Ideale zu finden erwartet .
Für Konradine bin ich unbesorgt ; für Emanuel kann man fürchten , da er ein Idealist ist und in Konradinen gegenwärtig das Urbild aller weiblichen Vollkommenheiten erblickt . "
" Aber sie ist krank , " wendete die Gräfin ein .
" Um so besser für den Baron ! " lachte die Mutter .
" Er hat sich in früheren Zeiten zu sehr nachgegeben und sich damit geschadet .
Eine nervenschwache Frau , die er zu pflegen hat , läßt ihm nicht Zeit , an sich zu denken .
Sorgen Sie sich nicht , Beste , es ist eine vortrefflich assortierte Ehe .
Lassen Sie sie gewähren .
Ich war keine ängstliche Mutter , Konradine ist daher gewöhnt , sich selbst zu beachten , und wenn sie keine Hilfe fordert , bedarf sie auch einer solchen nicht . "
Die Gräfin ließ es dabei bewenden .
Hinter dem Leichtsinne der Baronin verbargen sich jedoch in der Regel eine scharfe Beobachtung , eine nicht geringe Lebensklugheit , und wenn wirklich , wie die Gräfin es befürchtet hatte , die Begegnung mit dem Prinzen beunruhigend auf Konradine wirkte , so war es doppelt nötig und geraten , sie sich selber zu überlassen , sie nicht mit unvorsichtigem Anruf oder Rat von dem Pfade abzubringen , auf dem sie mit fester und würdiger Entschlossenheit zu gehen schien .
Da das Trauerjahr um den verstorbenen Bruder noch lange nicht verflossen war , hatte man es vom Anfange an nur auf eine Trauung im Beisein weniger Personen abgesehen , und seit des Prinzen Ankunft den Kreis derselben , ohne besondere Erörterungen allmählich noch enger gezogen , um seine Anwesenheit bei derselben vermeiden zu können .
Alle Vorbereitungen für die Hochzeit waren getroffen .
Emanuel hatte versprochen , mehrere Tage vor derselben einzutreffen , man erwartete seine Ankunft an dem nächsten Abende .
Der Tag war schön , die Gräfin war ausgefahren , die Baronin machte Abschiedsbesuche , denn wie die jungen Eheleute , wollte auch sie gleich nach der Hochzeit sich auf die Reise machen , und , wenn Emanuel mit seiner Frau nach Osten gezogen sein würde , sich gen Westen wenden .
Konradine hatte sich den Morgen über in ihren Zimmern aufgehalten , die Nacht war ihr wieder schlaflos vergangen , sie hatte den Mut verloren , ehrlich mit sich selber zu verkehren , ihr Zutrauen zu sich selbst verließ sie , und die Scham über ihre Schwäche besserte ihren Zustand nicht .
Manchmal brannte ein Zorn gegen den Prinzen in ihr auf .
" War es nicht genug , meine erste Liebe eigensüchtig zu zertreten ?
Muß er , der Glück gefunden ohne mich , das meine stören kommen , da ich es sanft und friedensvoll zu finden sicher war ? " klagte sie in ihrem Herzen .
Indes der Zorn hielt niemals lange an , ihre Vernunft wies ihn zurück ; und ohnmächtig , sich freizumachen , klagte sie den Zufall an , der Herr ist über Alle , weil ihr dies ein Recht gab , sich so unglücklich zu nennen , als sie sich fühlte .
Aber auch unglücklich zu sein , war ihr nicht mehr vergönnt , denn sie gehörte sich selbst nur noch für wenige Tage an .
Emanuel hatte das Recht , eine Gattin zu verlangen , welche zu schätzen wußte , was er ihr bot .
Er hoffte , mit der Gattin die Freude einziehen zu sehen in die Burg seiner Väter , sie durfte nicht als Trauernde , ohne Selbstachtung , ohne Lebensmut und ohne rechten Glauben an sich selbst , seines Hauses Schwelle überschreiten .
Er mußte zu Ende gekämpft sein der Kampf , unter welchem ihre Seele litt .
Sie mußte wieder Herr geworden sein über sich , ihr Haupt frei erheben können vor dem Prinzen und vor Emanuel .
Es mußte aus sein mit der Schwäche ihres Herzens , deren sie nicht gedenken konnte , ohne an sich selber irre zu werden -- zu Ende sein , ehe Emanuel vor ihr stand , ehe sein klares Auge in ihrer Seele las , ehe sie ihm am Altare die Hand zum ewigen Bunde reichte .
Aber wie sollte das geschehen ?
Wenige Tage trennten sie von der entscheidenden Stunde , wenige Stunden von der Ankunft ihres künftigen Gatten ; und wie sie sich es auch vorhalten mochte , ihr Herz lechzte nach der Liebe des Prinzen , der sie vergessen hatte um einer Hingegangenen Willen , dessen Gedanken einer Toten angehörten , während sie , die lebensvolle und noch immer schöne Konradine , sich in der alten Leidenschaft für ihn verzehrte .
Wie sie es auch anfing , ihre Gedanken kamen immer wieder auf dasselbe Ziel zurück -- und Emanuel sollte morgen kommen .
Ihre Unruhe zu dämpfen , ihrer Rastlosigkeit durch Bewegung ein Gegengewicht zu bieten , verließ sie das Haus .
In der kurzen estnischen Jacke , deren Pelzverbrämung den Hals einschloß , das violette , seidene Tuch , nach des Landvolkes Sitte , wie sie es immer gern getan , um den Kopf geknüpft , ging sie in den Garten hinunter , und die breiten , in einander greifenden Alleen mit raschem Schritte hin und wider .
Es war die Mittagsstunde , die Leute , welche bereits bei der Gartenarbeit beschäftigt waren , hatten sich entfernt , die Türe des Treibhauses stand offen .
Konradine war schon zu verschiedenemal an demselben vorbeigekommen und hatte mit zerstreutem Sinne auf die Blumen hingeblickt , die des Gärtners vorsichtige Hand , um ihnen Luft zu geben , an die geöffneten Fenster gestellt und vor die Türen hinausgetragen hatte .
Wie sie noch einmal an die gleiche Stelle kam , fiel es ihr ein , nach dem Myrtenstocke zu sehen , von welchem ihr der Brautkranz geschnitten werden sollte .
Die kleinen , festgeschlossenen Knospen hatten sich schon in den verwichenen Tagen an ihren Deckblättern dunkelrot zu färben begonnen , die Sonne der letzten Mittage war ihnen dienlich gewesen , sie platzten eben auf .
Sie betrachtete sie mit einer Rührung , die ihr im Herzen wehe tat .
" Es ist Zeit , daß er kommt ! " sagte sie .
" Ich wollte , er wäre da ! " setzte sie hinzu , als sie das Rollen eines Wagens hörte ; und von jenem Glauben an die Macht des Wünschens erfaßt , den in aufgeregten Seelenzuständen Jeder einmal an sich zu beobachten gehabt hat , eilte sie , ohne sich Rechenschaft über ihr Tun zu geben , raschen Schrittes durch die Haupt-Allee des Gartens dem Hofe zu , gewiß , es müsse Emanuel's Wagen sein , der in das Tor hinein gefahren kam .
Indes sie hatte noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt , als sie ihres Irrtums inne wurde .
Es war nicht der Baron , es war des Prinzen Wagen .
Der Diener war in das Haus gegangen , die Meldung zu machen , der Prinz blickte zum Wagenfenster hinaus , ersah Konradine , und ohne die Rückkehr des Dieners abzuwarten , stieg er aus , sie zu begrüßen .
Am Eingange des Gartens , wo eine Reihe von alten Sandstein-Figuren einen weiten Rasenplatz umgab , trafen sie auf einander .
Der Prinz war rasch gegangen , und wie er an sie herantrat , reichte er ihr , beide Hände entgegen .
" Wie lange habe ich Sie nicht gesehen , " rief er , " und wie freue ich mich , Sie hier zu treffen !
Ich fürchtete , Sie wären krank , weil ich Sie nirgends , auch im Theater nicht mehr traf .
Und in der Tat , Sie sehen nicht so wohl aus , als sie pflegen ! "
Er ließ dabei mit einem prüfenden Blicke sein Auge auf ihr ruhen , und sein Ausdruck war so freundlich und so heiter , wie sie ihn noch nicht gesehen hatte .
Sie sprach ihm ihren Dank für seine Teilnahme aus , und wollte ihn nach dem Hause geleiten .
Er fragte , ob es ihr zu kühl sei , und als sie das verneinte , sagte er :
" So lassen Sie uns draußen bleiben .
Der schönen Stunden sind noch immer wenige , die Luft ist so belebend und es plaudert sich im Gehen gut . "
" Wie Hoheit wünschen ! " entgegnete sie ihm , indem sie sich verneigte .
" Das Wort ist freundlich , aber Ihre Miene sagt mir : im Grunde würde es mir willkommener sein , wenn Sie mich verließen ! " rief der Prinz .
-- " Indes das Glück , Sie einmal allein zu treffen , wird mir so überaus selten zu Teil , daß ich mich nicht zurückschrecken lasse , und Sie mir nicht zürnen dürfen , wenn ich es benutze , da es sich mir heute bietet .
Sie verlassen uns ja ohnehin in wenig Tagen . "
Sie sagte , daß sie ihren Bräutigam am nächsten Abende erwarte .
" Ich hörte das von der Gräfin , als ich sie vor wenig Tagen sah ! " versetzte der Fürst , und sie gingen schweigend einige Schritte neben einander her .
-- " Im Grunde , " hob er dann mit einemmal an , als ob er nur den Schluß einer längeren Gedankenreihe ausspräche -- " im Grunde leben wir Alle doch unter dem Einfluß von Vorstellungen , die unser Wunsch und unsere Phantasie erzeugen , und wir bereiten uns immer schmerzliche Enttäuschungen , weil wir vergessen , daß der Andere , auf dessen Mitwirkung wir zur Erfüllung unserer Wünsche unwillkürlich gerechnet hatten , dieselben mit uns nicht geteilt hat .
Wir sind und bleiben , um es mit des Dichters Wort zu nennen :
" Kinder und hoffnungsvolle Toren . "
Konradine wollte wissen , was er damit meine .
Er zögerte einen Augenblick es zu erklären , dann sagte er , und die stolze Offenheit , welche sie dereinst bezaubert hatte , leuchtete wieder einmal auf seiner schönen Stirn :
" Ich bekenne Ihnen , ich hatte mir unser Wiederfinden anders vorgestellt .
Die Zeit , in welcher ich mich davor scheute , Ihrer zu gedenken oder gar Ihnen zu begegnen , ist lange vorüber .
Sind wir doch , wenn auch noch wir selbst , doch nicht mehr dieselben , die wir gewesen sind ; und mich dünkt , geringer , weniger geeignet als vordem , einander zu verstehen und zu schätzen sind wir nicht geworden .
Sie sind sehr oft der Gegenstand unserer Unterhaltungen gewesen , meine Freundin ! "
" Ich ? " fiel ihm Konradine ein , indem sie ihm mit Erstaunen in das Auge blickte .
" Zweifeln Sie daran ? " fragte er , " ja freilich , dann haben wir uns früher noch weniger verstanden , als in diesem Augenblicke , dann bleibt mir Nichts hinzuzufügen , und ich bin eben ein Phantast gewesen , wie ich_es vorhin sagte . "
Sie waren inzwischen an das Ende der Allee gekommen , und statt zur Rechten abzubiegen , wo die Seiten-Allee sich auftat , wendete Konradine um , und lenkte den Schritt dem Hause zu .
Der Prinz folgte dieser Weisung .
Als sie aber ein Stück gegangen waren , blieb er stehen .
Er war nachdenklich geworden , und mit einem Ernste , der gegen seine bisherige Heiterkeit sehr abstach , sprach er :
" In wenig Minuten werden wir uns trennen , wer weiß , ob nicht für immer !
Es könnte also vielleicht geraten sein , zu verschweigen , was Sie nicht hören zu wollen scheinen , Ihnen nicht die Hand zu bieten , deren versöhnenden Druck zu erwidern Sie nicht geneigt sind .
Aber auch das Herz hat sein Ehrgefühl , und ich möchte mich vor Ihnen rechtfertigen , ehe ich Sie heute verlasse .
Wollen Sie mir das zugestehen , Konradine ? "
Sie erklärte sich dazu bereit .
" So lassen Sie uns noch einmal durch den Garten gehen , " bat er , und führte sie wieder in denselben zurück .
" Sie haben daran gezweifelt , daß Sie oftmals der Gegenstand unserer Unterhaltung gewesen sind , " begann er auf das Neue , " und doch beruhte das tiefe Zutrauen , das mich und die Prinzessin nach den ersten melancholischen Monaten unserer Ehe verbunden hat , auf ihrer Kenntnis der Leidenschaft , die ich für Sie , Konradine , empfunden hatte , auf der Kenntnis des lange nachhaltenden Schmerzes , den Ihr Verlust mir erzeugte .
Sie haben mir Kälte und Eigennutz vorgeworfen , ich bin Ihnen hart und roh erschienen -- -- "
Sie wollte ihn unterbrechen , aber er litt es nicht .
" Nein ! " sagte er , " milderen Sie Nichts an meinen Worten .
Ich habe jener Tage , jener Stunden nicht vergessen , wie ich Ihrer nicht vergessen habe .
So nahe Sie aber den Verhältnissen auch gestanden haben , die mich damals zwangen , Ihnen mein Wort zu brechen , Ihnen zu entsagen , so haben Sie sie doch nicht genug in ihrer für mich völlig unabweislichen Verpflichtung zu würdigen vermocht .
Wir waren ja Beide keines gerechten Urteils fähig unter der Wucht des Leidens , das uns auferlegt wurde .
Sie konnten es nicht nachfühlen , wie alle Gründe der Vernunft mir nicht dazu verhalfen , mich zu dem Opfer willig zu machen , das ich bringen mußte .
Sie erkannten es nicht , wie mir Nichts übrig blieb , als mich gegen mich selber mit einer Härte und Grausamkeit zu bewaffnen , mit denen ich mich ertöten wollte , und mit denen ich doch Nichts erreichte , als Sie zu verwunden .
Glauben Sie mir es , Konradine , ich verdiente die Verachtung nicht , mit welcher Ihre zornige Liebe sich von mir wendete .
Sie waren nicht unglücklicher als ich , und -- "
" Nicht weiter ! nicht weiter !
ich Ertrag es nicht ! " stieß Konradine jäh hervor , und sich an eines der steinernen Postamente lehnend , schlug sie beide Hände vor das Gesicht , dem Prinzen den Anblick der leidenschaftlichen Bewegung zu entziehen , die in ihr kämpfte und sich in ihrem schmerzdurchbebten Antlitz aussprach .
Der Prinz fuhr auf bei diesem Ruf .
Diesen Ton ihrer Stimme hatte er von ihren Lippen nicht vernommen , seit er sie wiedergesehen hatte , der Klang weckte das Echo auf in seiner Brust .
Er legte seine Hände auf ihre Schultern .
" Sprich ! " rief er , " sprich ein Wort , Konradine !
Ich bin frei -- Du bist es auch .
-- Noch ist es Zeit ! und die holde Geschiedene selber hatte an diese Lösung oft gedacht , als sie die Hoffnung zu leben nicht mehr hegte .
Ich liebe Dich , Konradine ! und Du hast vergessen und vergeben .
Sprich es aus , das Wort ! ich beschwöre Dich ! Sprich es aus , daß Du die Meine werden willst ! "
" Nein ! " sagte sie bestimmt und fest , indem sie sich von ihm entfernte , " nein ! "
Er sah sie an , die Gewalt , die sie sich antat , machte ihre Züge starr und kalt .
Sie schritt langsam dem Hause zu , er ging schweigend an ihrer Seite .
" Noch vierundzwanzig Stunden , " sagte er nach einer Pause , " sind Dein und mein ! "
" Nein ! " wiederholte sie , als könne sie kein anderes Wort mehr sprechen . bis nach seinen Zimmern zu begleiten .
Er sollte sehen , daß sie dieselben mit den Blumen hatte schmücken lassen , die er vorzugsweise gerne hatte .
Es sah Alles froh und festlich aus , es lag ein Schimmer feierlicher Verklärung über der Natur , über dem Hause , vor Allem über Koradinen selbst .
Sie kam ihm jünger vor , als er sie wußte , weit jünger als in der Sylvesternacht , da er sie in dem Schlosse seiner Schwester gastlich aufgenommen hatte .
Damals hatte die schmerzliche Herbigkeit ihres Wesens ihn zuerst abgestoßen , auch später noch war ihre stolze Selbstgewißheit ihm bisweilen unweiblich erschienen und hatte ihn irre an ihr gemacht .
Jetzt war das Alles bis auf die letzte Spur verschwunden .
Ihre weiche Hingebung hatte etwas Bezauberndes , ihre Demut war überwältigender als ihr früherer Stolz .
Sie war wie verwandelt .
Aber was war denn geschehen ?
Woher kam ihr der sanfte , ruhig auf ihm verweilende Blick , der seine Seele in Glückshoffnung wiegte , woher der weiche schmelzende Ton der Stimme , der ihm das Herz bewegte ?
Der Abend entschwand ihm in reinem Glücksgefühle .
Trotz ihres häufigen Briefwechsels hatte er Konradinen viel zu melden .
Die Einsamkeit in seinem Schlosse hatte ihn zur Mitteilung geneigt gemacht , aber obschon er sehr erfüllt war von Unternehmungen und Verbesserungen , welche auf den Gütern eingeleitet und im Gange waren , und von denen er ihr sprach , fiel es ihm auf , daß sie bisweilen gar nicht gehört zu haben schien , was er ihr erzählt hatte , daß sie mit unter in ihre Gedanken versank und aufschreckte , wenn sie selbst dessen inne wurde .
Er fragte sie freundlich , ob sie Etwas habe , das sie beschäftige .
Sie verneinte das , klagte aber , daß sie schon seit einiger Zeit eine lästige Zerstreutheit an sich gewahr werde , gegen welche sie oft vergebens anzukämpfen suche .
Die Mutter und die Gräfin schoben es auf die Abspannung , die sie an ihr beobachtet hatten , und meinten , Ruhe und Behagen in dem eigenen Hause würden das unter Emanuel's liebevoller Pflege bald in das Gleiche bringen .
Konradine nahm das scherzend auf .
" Das hast Du nun davon , mein Freund ! " sprach sie , " daß Du Dir statt eines munteren jungen Mädchens die alte Stiftsdame zur Frau erwähltest .
Stadt Lachen und Frohsinn bringt sie Dir Nervenleiden in das Haus , und als Liebesgabe fordert sie Geduld und Pflege .
Indes sei unbesorgt , ich will das Alles allein abmachen und werde schon mit mir selber fertig werden , das verspreche ich Dir !
Ganz allein !
Du sollst durch mich nicht leiden . "
Er sah sie betroffen an .
Ihr Ton , ihre Miene waren ernsthafter geworden , als der Anlaß es erforderte , ihre Stimme selbst klang ihm verändert .
Besorgt erkundigte er sich , was denn geschehen , ob sie etwa unpäßlich gewesen sei ? ob man ihm irgend Etwas verschwiegen habe ?
Aber der Schatten , der über Konradinens Heiterkeit gefallen , war im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden .
Sie versicherte ihm , daß sie sich ganz wohl befände , daß sie Scherz getrieben habe , und da auch die beiden Frauen seine Besorgnis unbegründet nannten , war weiter die Rede nicht davon .
Es war inzwischen spät geworden , und man hatte sich bereits erhoben , um sich zu trennen , als die Gräfin die Frage tat , wann ihr Bruder dem Prinzen aufzuwarten beabsichtige .
Emanuel sagte , er habe nicht im Sinne gehabt , sich demselben vorzustellen .
Die Gräfin und Frau von Wildenau hielten dies für unerläßlich , er aber wollte das nicht einsehen .
Er meinte , seine Begegnungen mit dem Prinzen wären immer sehr vorübergehend gewesen , eine wirkliche Teilnahme für sich bei demselben vorauszusetzen , habe er keinen Grund , und da der Hochzeitstag so nahe sei , nach welchem er mit seiner Frau die Stadt verlassen werde , habe die Vorstellung keinen rechten Zweck .
" Ich würde es nicht vermeiden , mich nicht weigern , den Prinzen zu sehen , " sagte er , " ihn zu suchen habe ich keinen Anlaß .
Es sei denn , daß Konradine es von mir verlangte , um das Maß ihrer verzeihenden Großmut voll zu machen .
Sie darf vergeben -- was zu vergessen mir nicht ansteht . "
Die Gräfin entgegnete , sie begreife sein Empfinden , indes man müsse den Verhältnissen des Prinzen auch gerecht sein .
Man dürfe nicht außer Acht lassen , daß die Prinzessin des Landesherrn Nichte gewesen sei , daß der Prinz sich jetzt seit seiner Ankunft ebenso feinfühlend als würdig betragen habe , daß er im Osten der Monarchie gegenwärtig die höchste militärische Gewalt repräsentiere , daß Emanuel's Güter in diesen Provinzen gelegen und die Beziehungen nicht im voraus zu berechnen seien , in denen man zu einander geraten könne .
Auch Frau von Wildenau sprach sich zu Gunsten des Besuches aus , wenn schon nicht mit der Dringlichkeit der Gräfin .
Sie gab nur zu bedenken , daß man dem Angehörigen des Herrscherhauses Rücksichten schulde , daß sie und ihre Tochter am Hofe immer gütig aufgenommen worden wären , daß man sich gegen Konradine besonders gnädig bewiesen habe , als sie zur Stiftsdame ernannt worden und als sie aus dem Stifte ausgetreten sei , " und " , fügte sie hinzu , " am Ende müssen doch wir Alle uns an das barmherzige Wort erinnern :
Wer ohne Fehl ist , werfe den ersten Stein auf sie ! an jenen Ausspruch unseres Herrn und Heilands , den wir hier unter dem herrlichen Kupferstich nach Tizian's schönem Bilde alltäglich vor unseren Augen haben . "
Diese Mahnung , mit welcher seine künftige Schwiegermutter ihn unvorsichtig daran erinnern zu wollen schien , daß er , sowie der Prinz , ein gegebenes Wort nicht eingelöst habe , traf Emanuel an der Stelle , welche in seinem Gewissen wund war .
Weil er sich jedoch in diesem Augenblicke nicht nachgeben , sich nicht getroffen zeigen durfte und wollte , ließ er die letztere Bemerkung der Baronin fallen , und sich gegen den Teil ihrer Ratschläge wendend , in welchem die Gräfin mit ihr zusammentraf , sagte er :
" Ich fürchte vor Ihren Augen wenig Gnade zu finden , wenn ich gestehe , daß ich die Rücksichten für mich nicht zwingend erachte , welche Sie sowohl als meine Schwester , um unseres Hofes und der Gunst des Herrscherhauses Willen , von mir auf den Prinzen genommen zu sehen wünschen .
Sie wissen es , die Hofluft war nie die Atmosphäre , die ich suchte .
Sie paßte nicht für mich und meine Neigungen , und seit ich mich nun entschlossen habe , das Erbe unseres Hauses anzutreten , in dem Hause unserer Väter , unter den Menschen zu leben , die zu uns gehören seit vielen Generationen , ist der Sinn des Land-Edelmann es der auf seiner Scholle sitzt und , weil er Herr ist auf derselben , nach Niemandem zu fragen hat , sehr lebhaft in mir geworden .
Ich bin zufrieden mit meinem Falkenhorst , ich hoffe , Konradine , deren Neigungen auch nicht mehr auf die große Welt gerichtet sind , wird dort zufrieden sein , wie ich ; und wenn sie ihrerseits nicht irgend ein Bedürfnis hat , den Prinzen noch zu sprechen , so wüßte ich in der Tat nicht , was ich ihm darzubringen , oder von ihm zu erwarten hätte .
Sie aber sagt mir , daß sie ihn gestern erst gesehen und Abschied von ihm genommen habe . "
" Abschied für immer ! " fiel ihm Konradine in das Wort und sprach sich dann entschieden für die Ansicht ihres künftigen Gatten aus .
Emanuel hatte es anders nicht erwartet .
Die Frauen jedoch zeigten sich verletzt .
Ihre Mißstimmung fiel auf das Brautpaar unangenehm zurück , und Emanuel sehnte den Tag und die Stunde herbei , in welcher er , von dem Wollen und der Meinung Anderer ungestört , mit Konradinen sich selber überlassen sein würde .
Als Frau von Wildenau und Konradine sich zurückgezogen hatten und auch Emanuel sich entfernen wollte , nötigte die Schwester ihn , noch ein wenig bei ihr zu verweilen .
" Bei Deinem Vorsatze , in Falkenhorst zu leben , den ich in hohem Grade billige , werden wir uns voraussichtlich nicht häufig sehen , " sagte sie , " und das Leben ist so kurz . "
Er entgegnete ihr , er hoffe , sie werde geneigt sein , in der guten Jahreszeit sich häufig in ihrem Vaterhause aufzuhalten ; und wie er darauf mit Besitzesfreude ihr , die in dem alten Schlosse so von Herzen heimisch war , die Änderungen schilderte , welche er dort vorgenommen hatte , erwähnte er der freundlichen Hilfe , welche die Familie von Barenfeld ihm dabei geleistet habe .
Die Gräfin hörte das an , pries den Vorzug nachbarlicher Geselligkeit und meinte , er habe wohl getan , den Zusammenhäng mit diesen Nachbarn schon im Voraus recht zu pflegen , denn an Einsamkeit sei Konradine doch im Entferntesten nicht gewöhnt , und es stehe dahin , wie sie sich in dieselbe schicken werde .
Emanuel bemerkte , es habe ihr ja in dem Stifte wohl behagt ; die Schwester gab ihm jedoch zu bedenken , daß dort die müßige Geselligkeit mehr als sonst irgendwo zu Hause sei , und daß schon mit dem bloßen Eintritt in die Ehe ein großer Anreiz , eine bewegende Kraft , aus dem Leben des Einzelnen hinweggenommen werde .
So sehr man es ersehne , an ein festes Ziel zu gelangen , so höre , wenn man es erreicht habe , das Streben nach einem solchen auf , und es trete damit eine Lücke in das Leben ein , die selbst durch die Befriedigung , die man erfahre , nicht immer völlig ausgefüllt zu werden pflege .
Eine gänzliche Zurückgezogenheit sei eben deshalb in den ersten Zeiten der Ehe oft ein großer Prüfstein .
Emanuel , welcher eine derartige Besorgnis am wenigsten vorausgesehen hatte , fragte , ob Konradine denn Äußerungen getan habe , welche dieselbe in der Gräfin wachgerufen hätten .
Sie verneinte ihm das , und sie hatte auch wirklich nicht ausschließlich an Konradine gedacht , als sie jene Behauptung ausgesprochen hatte .
Es war ihr nur ein Bedürfnis und zu einer Gewohnheit geworden , Rat zu geben , ihren Scharfblick , ihre Erfahrung geltend zu machen , und wo irgend möglich , auf Jeden , der in ihre Nähe kam , einen mehr oder weniger bestimmenden Einfluß auszuüben .
Daß der Bruder ihr in dem Beisein der beiden anderen Frauen mit solcher Entschiedenheit entgegengetreten war , das lag ihr noch im Sinne und trieb sie unwillkürlich an , ihre einstige Überlegenheit gegen ihn , wenigstens noch auf dem Felde der allgemeinen Erfahrungen , versuchsweise aufrechtzuerhalten .
Indes zu solchen allgemeinen Erörterungen war ihr Bruder eben nicht aufgelegt .
Er hatte es mit einem bestimmten , seine ganze Seele erfüllenden Ereignisse zu tun .
Konradinens Zufriedenheit lag ihm sehr am Herzen , und weil es ihm selbst in seinem Schlosse so gar wohlgefiel , hatte er nie daran gezweifelt , daß der Geliebten gefallen müsse , was für sie mit so viel Sorgfalt vorbereitet worden war .
Er sprach das also auch vor seiner Schwester aus .
Sie lenkte augenblicklich ein :
" Mißverstehe mich nicht , " sagte sie , " denn es täte mir leid , wenn ich denken müßte , ich hätte Dir auch nur einen Augenblick Dein Glück getrübt .
Halte nur den Zweifel an allem ungetrübten Glück meinem Alter zugute .
Er ist der traurige Gefährte desselben , und ohne Schaden ist es immer , wenn man auch an dem sonnigsten Tage sich im voraus auf einen Wolkenschatten -- denn mehr ist es ja nicht -- gefaßt gemacht hat .
Konradine hat es heute , wie ich glaube , mit ihrem Scherze ernsthafter gemeint , als Du es aufgenommen hast .
Sie ist kein junges Mädchen mehr , sie hat geliebt , sie hat gelitten , hat Eindrücke empfangen , Erfahrungen gemacht , die sich nicht verwischen lassen ; und obschon sie sich in edelster Haltung zu bewähren verstanden hat , ist das Beisammensein mit dem Prinzen doch nicht leicht für sie gewesen .
Der Abschied , den sie , wie sie sagte , gestern von ihm genommen hat , erklärt mir ihre gestrige Erschöpfung , erklärt die Zerstreutheit , deren sie sich vorhin angeklagt hat , und Du bist ihr deshalb Nachsicht schuldig -- Nachsicht und ein Vertrauen , wie sie es Dir gewährt . "
Emanuel war aufgestanden und ging in dem Zimmer auf und nieder .
Die Gräfin war am Ende nicht gewiß , ob er ihren Worten auch gefolgt sei .
Plötzlich blieb er vor ihr stehen .
" Und mit dieser Ansicht von Konradinen , von unseren Zuständen , " sagte er , indem er die dunklen Augen fest und ruhig auf seine Schwester richtete , " wolltest Du mich überreden , den Prinzen noch besonders aufzusuchen !
Zu welchem Zweck ?
was sollte das ? "
" Es sollte dem Prinzen sowohl als Konradinen dartun , daß Du Dich ihrer Liebe sicher fühlst .
Es sollte Denen , die Kunde haben von jenen früheren Verhältnissen , beweisen , daß sie ausgeglichen , vergessen , daß sie nie dagewesen sind ! " bedeutete die Gräfin ernsthaft .
Emanuel zuckte verächtlich mit den Schultern .
" Komödie zu spielen vor Gleichgültigen , vor der Menge , bin ich nicht gemacht , " sagte er , " mir selber eine Komödie vorzuspielen , bin ich nicht gewohnt und habe ich in diesem Falle auch nicht nötig .
Aber -- ich wollte , Du hättest vergangen sein lassen , was vergangen ist .
Du hast es wohl gemeint , des bin ich sicher .
Wohlgetan hast Du mir nicht . "
Er bot ihr gute Nacht und verließ sie , ohne ihr wie sonst die Hand zu reichen .
Die Gräfin blieb noch lange in ihrem Wohngemache allein .
Sie war fest überzeugt , wie immer das Richtige getan zu haben .
Trotzdem war sie in Sorgen um den Bruder .
Zur rechten Stunde hatte er sie nicht hören , als der Prinz gekommen war , sich nicht warnen lassen wollen .
Jetzt konnte sie Nichts mehr für ihn tun , als ihn vor Enttäuschungen bewahren , die seinem weichen Herzen schwer zu tragen sein mußten .
Konradine und Emanuel schliefen Beide nicht in dieser Nacht .
Als sie am Morgen einander wiedersahen , war es ihnen , als bedürften sie einer Aussöhnung , und es hatte doch kein Streit , kein Zerwürfnis am verwichenen Tage zwischen ihnen stattgefunden .
Emannel war freundlich , aber weniger gesprächig als am letzten Abende , Konradine sanft und nachgiebig wie ein Kind , das Vorwürfen behutsam aus dem Wege gehen will .
Während man noch im Frühstückzimmer war , brachte man der Gräfin einen Brief .
" Von seiner Hoheit dem Prinzen ! " meldete der Diener .
Die Gräfin eröffnete ihn , die Blicke der Anderen waren unwillkürlich auf sie gerichtet .
" Das enthebt uns aller Schwierigkeiten ! " sprach sie , nachdem sie die wenigen Zeilen durchflogen hatte .
Der Prinz schreibt mir : eine Nachricht , die er gestern in der Frühe erhalten , nötige ihn , seine beabsichtigte Inspektionsreise schon heute anzutreten .
Er empfiehlt sich Ihnen und Ihrer Mutter , liebe Konradine , und bittet mich , Ihnen seine Wünsche für das Glück Ihrer Zukunft zu übermitteln ! "
Konradine verneigte sich , die beiden anderen Frauen äußerten sich wie immer zu des Prinzen Gunsten , es kam aber zu keiner rechten Unterhaltung .
Der Theaterzettel und die Zeitung mußten aushelfen .
Als danach die Baronin mit der Tochter das Zimmer verlassen hatte , fragte Emanuel , ob die Gräfin ihm erlauben wolle , den Brief des Prinzen einzusehen .
Sie stand an , es zu bewilligen .
" Nicht etwa , " sagte sie , " als ob Anderes darin enthalten wäre , als ich Euch vorhin mitgeteilt habe .
Indes bei der Voreingenommenheit , welche Du gegen den Prinzen hegst , und bei der Art , wie Du jetzt nachträglich die Verhältnisse zu nehmen scheinst , nachdem Du meine frühere , Dir geäußerte Vorsicht zurückgewiesen hast , fürchte ich , der Brief des Prinzen werde Dir mißfallen .
Und doch versichere ich Dich aus vollster Überzeugung , daß Du keinen Grund , auch nicht den geringsten hast , ihm oder Konradinen einen Vorwurf zu machen .
Ihr Verhalten gegen einander war ebenso tadellos als würdig ; und ich habe sie in der Tat mit Achtsamkeit begleitet . "
" Du denkst mir also den Inhalt des Briefes nicht mitzuteilen ? " fragte der Bruder , dessen feinem Ehrgefühle die Versicherungen der Gräfin weder beruhigend noch angemessen dünkten , und der es im Hinblicke auf dieselben und auf die Gräfin nötig fand , sich durch ihre Warnung nicht beeinflussen zu lassen .
Stadt der Antwort reichte die Gräfin ihm den Brief hin .
Er enthielt eben die Nachricht , welche sie den Anderen vorhin gegeben hatte , und schloß mit den Worten :
" Ich bitte Sie , mich der Baronin und Fräulein von Wildenau angelegentlichst zu empfehlen , und der Letzteren meine Wünsche für ihre Zukunft auszusprechen .
Möchte ihr ein Glück zu Teil werden , das nicht wiederzufinden ich jetzt gewiß bin . "
Die Worte sagten Nichts , was auszusprechen in des Prinzen Lage nicht durchaus natürlich war , und doch fuhren sie Emanuel wie ein Stich durch das Herz .
Er gab der Schwester , ohne eine besondere Bemerkung daran zu knüpfen , das Blatt zurück .
Der Tag und die folgenden Tage vergingen in einem ruhigen Gleichmaß , aber auf Emanuel lag ein dumpfer Druck , und die heiter gehobene Zuversicht , welche nach dem erneuten Wiedersehen seiner Braut sein Herz erfüllt hatte , war von ihm gewichen .
Konradine war nicht weniger rücksichtsvoll , nicht weniger achtsam als in jenen ersten Stunden , allein ihre warme Erregtheit , ihre frohe Hingebung waren verschwunden .
Sie zeigte sich herzlich , gutwillig und freundlich , nur die Braut , deren Umarmung ihn an jenem ersten Abende entzückt hatte , fand Emanuel nicht mehr in ihr wieder .
Der goldene Sonnenschein , in welchem seine Zukunft sich in jenen Stunden vor ihm ausgebreitet hatte , leuchtete nicht mehr an seinem Horizonte ; sie lag vor ihm wie eine schöne weite Ebene an einem überwölkten Tage -- ohne Licht , ohne Farbe und ohne frohen Klang .
Er war melancholisch und mochte sich nicht fragen , weshalb er es sei , weil er sich die Antwort darauf nicht geben wollte .
Und die Geflissenheit , mit welcher Konradine auf jeden seiner Wünsche lauschte , die völlige Gleichgiltigkeit gegen dasjenige , was sie selbst betraf , weit entfernt , ihn zu erfreuen , trugen nur noch dazu bei , seine Schwermut zu erhöhen und ihn mit einer Unruhe zu erfüllen , die sich steigerte , je näher sie dem Hochzeitstage kamen .
Sie gingen endlich neben einander her , wie zwei Kranke , die sich mit liebender Schonung behandeln .
All ihr redlicher Wille , alle ihr Pflichtgefühl bewahrten Konradine nicht davor , in Verzweiflung zu sein .
Alle sein Zutrauen zu ihr , half Emanuel nicht über seinen Schmerz hinaus , nicht über seine Kränkung hinweg .
Unglücklich waren sie alle Beide .
Emanuel gestand sich es ein , daß ein solcher Zustand auf die Länge unaushaltbar sei , und konnte doch nicht zu dem Entschluss kommen , ob und wie er ihm ein Ende machen solle .
Er setzte kein Mißtrauen in Konradine , sofern es ihre sogenannte Treue und seine Ehre anging , aber mit jedem Tage befestigte sich in ihm die Überzeugung , daß in dem Beisammensein mit dem Prinzen ihre Liebe für denselben neu erwacht sei , und des Prinzen Brief an seine Schwester bestärkte ihn in dieser Überzeugung .
Ohne eine Andeutung von Konradinen's Munde , ahnte er was geschehen , erriet er , daß es zu einer Erklärung zwischen ihr und ihrem früheren Verlobten gekommen sein mußte , und daß sie ihn abgewiesen hatte , um ihrem gegebenen Worte mit Selbstverleugnung treu zu bleiben .
Der Aufregung des Kampfes , der Freude über den Sieg , welchen sie über sich selbst gewonnen , hatte er die lebhafte und demütige Zärtlichkeit zu danken gehabt , mit der sie ihn zuerst empfangen hatte .
Nun kamen die Ermüdung , die Besinnung nach .
Nun folgte das Erwägen , das Vergleichen .
Und wenn nach diesem vergleichenden Erwägen Konradine es bereuen sollte , Emanuel's Braut geworden zu sein ? --
Was dann ?
Das unbestimmte wilde Auflodern der Eifersucht , das ihn gemartert , als er die Nachricht von des Prinzen Ankunft erhalten hatte , war vorüber .
Konradinens sittliche Würde machte eine solche Empfindung unmöglich .
Aber der alte Zweifel an sich selbst war in Emanuel dafür um so lebendiger emporgestiegen .
Konnte man ihn denn lieben , wenn man des Prinzen herrliche Gestalt im Sinne hatte ?
Konnte er daran denken , sich ein Weib anzueignen , das vielleicht ein Opfer zu bringen glaubte , indem es sich ihm verband ?
Durfte er Konradinen , die er hoch hielt in reiner , starker Liebe , dazu erniedrigen , sich einem Manne hinzugeben mit dem Bilde eines anderen mehr geliebten Mannes in ihrem Herzen ?
Und andererseits - wenn er sich in seinen Voraussetzungen täuschte ?
Wenn Konradine ihn wirklich freien Herzens liebte ?
Wenn ihr einst gekränktes Ehrgefühl , ihr schwer verwundetes Herz sie angetrieben hatten , den Prinzen von sich fern zu halten ?
Wenn es sie befriedigte , denjenigen jetzt verschmähen zu können , der sie einst verschmäht hatte ?
Wenn sie eine Genugtuung darin empfand , mit sich selber und in sich selber entschieden und abgeschlossen zu haben , was für sie zu Ende sein sollte an dem Tage , an welchem sie mit dem Wechsel ihres Namens sich von ihrer Vergangenheit lostrennte -- stand es ihm zu , ihm , der ihr vor allen Anderen Achtung schuldete , ihr mit Zweifeln und mit einem Mißtrauen zu begegnen , die eine nicht zu vergessende Beleidigung für sie enthielten ?
-- Durfte Er , berufen , der Schützer ihrer Ehre , wie der Wahrer seiner eigenen zu sein , sich es unterfangen , ihre beiderseitige Ehre anzutasten , indem er , ohne einen überzeugenden und zwingenden Anlaß , es seiner Verlobten , seiner künftigen Gattin zu erkennen gab , daß er sie unehrenhafter Gesinnung , unehrenhaften Handelns fähig halten konnte ?
Er nannte das selber eine Unmöglichkeit , denn Konradine war offen gegen ihn gewesen immerdar , und sie war nicht geartet , einen Zweifel an ihrer Redlichkeit zu vergeben , zu verschmerzen .
Sollte er sie durch Mißtrauen von sich stoßen , wenn sie aus freier Entschließung die Seine werden wollte ?
-- Und was hatte sie denn verschuldet ? --
Wie waren ihm alle diese trüben , schmerzlichen Gedanken gekommen ?
Wie hatten sie ihm kommen können ? --
Er nannte seine Bedenken , seine Sorgen , ein Unrecht , das er sich selber Andy , eine Sünde gegen Konradinen .
Er bemühte sich seine Befürchtungen zu vergessen , und gewann es über sich , seine trübe Stimmung zu verbergen ; indes seine heitere Zuversicht war einmal dahin .
So war man bis zu dem Tage vor der Hochzeit angelangt .
Auf eine besondere Vorfeier derselben hatte man es nicht abgesehen , doch stellten eben deshalb die Frauen und Mädchen , mit welchen Konradine während ihres Aufenthaltes bei der Gräfin bekannt geworden war , nach Landessitte sich am Vormittage noch einmal bei ihr ein , ihr Lebewohl zu sagen und ihr diese und jene kleine Liebesgabe als ein Andenken in den neuen Haushalt mitzugeben .
Das Zimmer war festlich geschmückt , die Angebinde zierlich aufgestellt , die Damen kamen und gingen , man stand und saß plaudernd bei einander , die Diener in großer Livree boten Erfrischungen umher .
Die ganze Szene hatte den Beifall der Gräfin .
Sie sah mit immer neuem Wohlgefallen , wie vortrefflich Konradine zu repräsentieren vermochte , wie schön sie aussah , wie gut Emanuel sich darein fand , sich bei diesem immerhin ermüdenden und einförmigen Vorgange mit gefälliger Würde zu behaupten .
Es war der Gräfin in den letzten Wochen ernstlich bange davor gewesen , daß des Prinzen Dazwischentreten oder Emanuel's scheue Empfindlichkeit das Zustandekommen der Heirat hindern könnten .
Sie war dadurch endlich selber unsicher über die Haltung geworden , welche sie unter diesen Verhältnissen den beteiligten Personen gegenüber anzunehmen habe .
Nun hatten alle drei sich so würdig , so edel und mit so vorsichtiger Gemessenheit in dem Konflikte behauptet , daß man Nichts mehr zu befürchten hatte , und die Gräfin atmete in Frieden wieder auf .
Denn daß ihr Bruder und Konradine sich in einander schicken und in beglückendem Frieden mit einander leben würden , wenn sie nur erst einmal verbunden wären , dessen hielt sie sich gewiß .
Die Besucherinnen hatten sich zum großen Teile schon entfernt , nur Konradinens Brautjungfrauen waren noch bei ihr geblieben und ein paar ältere Frauen , welche gekommen waren , Frau von Wildenau für ihre Abreise Glück zu wünschen .
Sie geleitete diese eben nach der Türe , als ein Wagen rasch in den Hof hineinfuhr und eine junge Verwandte der gräflichen Familie , deren Gemahl das Kürassier-Regiment kommandierte , in sichtlicher Aufregung in das Zimmer trat .
Sie zeigte sich betroffen darüber , daß die anderen Freundinnen die Braut bereits verlassen hätten , sagte , sie hätte gefürchtet , zu spät zu kommen , aber sie habe einen furchtbaren Schreck gehabt .
Ihr Mann hätte , gerade als sie in den Wagen steigen wollte , eine Nachricht bekommen , die ihn genötigt habe , augenblicklich fortzufahren .
Sie habe also warten müssen , bis er zurückgekommen sei , und damit möge man es entschuldigen , daß sie die verabredete Stunde nicht eingehalten habe .
Man beachtete dies Letztere kaum vor der Unruhe , von welcher die junge Frau sich ergriffen zeigte , und es war Frau von Wildenau , welche die Frage tat , ob man wissen dürfe , was geschehen sei .
" Ach ! " entgegnete die junge Generalsfrau , " man sollte so etwas an einem solchen Tage gar nicht mitteilen , und ich hatte mir eigentlich auch vorgenommen , es nicht zu tun , obschon wir ja Alle keinen Aberglauben haben und nicht an böse Vorzeichen glauben .
Aber erfahren würden Sie es ja doch in jedem Falle noch heute -- und besser heute als morgen durch die Zeitung .
Stellen Sie sich vor , bei der Revue , die gestern in " -- sie nannte den Ort -- " abgehalten worden , hat das Pferd des Prinzen Friedrich , man weiß nicht wovor , plötzlich gescheut .
Er hat es mit Gewalt parieren lassen wollen , es hat sich gebäumt , sich überschlagen , der Prinz ist gestürzt und , wie man meldet , am Kopfe lebensgefährlich beschädigt worden ! "
Aber noch ehe sie das letzte Wort gesprochen hatte , rang sich ein furchtbarer Schrei aus Konradinens Brust hervor , und die Hände über dem Haupte zusammengeschlagen , sank sie ohnmächtig zu Boden , bevor man ihr zu Hilfe eilen konnte .
Der Schrecken , die Bestürzung waren allgemein .
Die Mutter und Emanuel hoben sie auf , um sie auf eines der Kanapees zu legen , die Dienerschaft wurde herbeigerufen , die Gräfin entfernte die Gäste aus dem Saale und versuchte , den unangenehmen Vorfall mit der Nervenüberreizung zu erklären , welche die zahlreichen Besuche und der starke Blumenduft ihrer Schwägerin verursacht hätten , wonach dann der Schrecken eine so ungemeine Wirkung habe auf sie üben können .
Man sprach von dem Prinzen , von Konradinen , wünschte für Beide das Beste , hoffte , daß es für Keines von ihnen nachhaltige Folgen haben werde , daß die Hochzeit durch das Übelbefinden der Braut nicht Aufschub erleiden müsse .
Die Gräfin zeigte sich sehr ruhig und sehr zuversichtlich .
Sie war jedoch wie erlöst , als die letzten Personen sie verlassen hatten , als sie gehen konnte , sich selber von Konradinen's Zustand , von ihres Bruders Verfassung zu überzeugen .
Oben in dem Wohnzimmer ihrer Gäste fand sie Frau von Wildenau .
Sie sagte , ihre Tochter habe sich augenblicklich wieder erholt , sie habe sich nicht einmal entkleiden lassen .
Emanuel sei bei ihr , sie hätten gefordert , allein zu bleiben .
Die Gräfin meinte , das sei auch das Beste .
Frau von Wildenau sprach sich gar nicht aus .
Die Gräfin bat , man möge ihr melden , wenn Konradine wieder sichtbar sei , sie wolle inzwischen in der Kommandantur sich um genaue Nachrichten erkundigen lassen .
Damit zog sie sich zurück .
Es war beiden Frauen daran gelegen , sich nicht äußeren zu dürfen , denn die Entscheidung lag nicht in ihrer Hand , hing nicht von ihrem Wollen oder Wünschen ab .
Achtzehntes Kapitel .
Koradine lehnte matt in ihrem Sessel .
Emanuel saß schweigend vor ihr .
Sie hatte ihm die Hand gereicht , auf seiner edlen Stirn lagerte ein tiefer Ernst , die Stunde lastete schwer auf allen Beiden .
" Vergib mir , Emanuel ! " hob sie endlich an , denn sie konnte diese Stille länger nicht ertragen .
" Vergib mir !
Wende Dein Auge nicht so von mir !
Ich war meiner nicht Herr , es war stärker als ich ! "
" Ich weiß es ! " entgegnete er .
" Ich sah es .
Was ist da zu entschuldigen oder zu vergeben ?
Laß es ruhen .
Es ist vorbei !
Er tat sich Gewalt an , seine Stimme , seinen Ausdruck zu beherrschen , der Schmerz versteinerte seine Züge , aber der ganze ursprüngliche Adel seines Kopfes trat um so klarer dadurch hervor .
" Ich kann Dich so nicht sehen ! " nahm sie wieder das Wort .
" Verdamme mich nicht , ehe Du mich gehört hast .
Ich war Dein , und dachte es zu bleiben .
Ich hatte abgeschlossen mit mir selbst .
Erst an dem Tage vor Deiner Ankunft trat der Prinz mit bestimmter Werbung an mich heran .
Ich habe sie eben so entschieden abgelehnt .
Kein Wort von ihm hatte mich bis dahin begehrend an die Vergangenheit gemahnt , und ich war entschlossen , Dir fest und treu mein Wort zu halten -- "
" Wohl Dir und mir , daß es Dir unmöglich wurde , " fiel ihr Emanuel in die Rede , " daß das Schicksal Dich davor bewahrte , Dich zu erniedrigen und mich . "
Und wieder trat das schwere , finstere Schweigen zwischen sie , bis Konradine , die es nicht überwinden konnte , sein Leid mit anzusehen , ihre Hand auf die seine legte und mit Tränen im Auge sagte : " Ich war Dir so von Herzen eigen , ich war gewiß , ein schönes , friedliches Leben an Deiner Seite zu führen ; mein Glaube an Dich , mein Vertrauen zu Dir sind unbegrenzt -- "
" Und Du sollst Dich nicht in ihnen täuschen ! " warf er ein .
" Ich klage Dich nicht an .
Ich , ich allein bin anzuklagen für den Verstandesfehler , den mein Herz mich hat begehen lassen .
Man kann keine Ehe aus Freundschaft schließen , wenn man , wie Du , berechtigt ist , Liebe zu erwecken und zu empfangen .
Ich hätte mich nicht verblenden dürfen über mich , nicht glauben dürfen , daß ich dazu gemacht sei , Jugend und Schönheit in Liebe an mich zu fesseln .
Ich hätte mir genügen lassen sollen an der Freundschaft , die Du mir zu bieten hattest -- hätte einsam bleiben , mein Haus und mein Geschlecht mit mir zu Grabe tragen sollen , wie der Fluch es prophezeit hat , der auf uns ruht seit alter Zeit . "
" Emanuel , " rief sie , " sprich nicht so !
Wohin verirrt sich Dein so klarer Sinn ? "
" Zu Träumen ! " entgegnete er .
" Aber was ist Traum und was ist Wirklichkeit ?
Eine Einbildung , ein Traum haben mich glücklich gemacht durch diese ganze Zeit .
Er fällt in Nichts zusammen vor einem traurigen Erwachen .
Das ist nicht zu ändern .
Oder kannst Du es , kann ich es ungeschehen machen ?
Und wenn wir es vermöchten , dürften wir es wünschen , daß wir uns verbunden hätten zu der engsten , innigsten Vereinigung -- ich in einem falschen Glauben -- Du mit einer Liebe in der Brust , gegen welche die mitleidsvolle Neigung -- "
" Emanuel ! " rief Konradine mit bittender Abwehr -- Aber er wiederholte das Wort : " die mitleidsvolle Neigung und die freundschaftliche Achtung , die Du für mich hegtest , kalt und ungenügend scheinen mußten .
Das Schicksal hat es wohl mit uns gemeint .
Laß uns danach trachten , seinem Fingerzeig zu folgen . "
Er erhob sich und trat an das Fenster heran .
Er wünschte , Konradinen die Tränen nicht sehen zu lassen , die ihm in das Auge traten .
Während dessen klopfte es an die Türe .
Er rief , man solle eintreten .
Der Gräfin Kammerfrau fragte an , ob die Gräfin das Fräulein sehen könne .
Emanuel , ohne Konradinen's Entscheidung abzuwarten , sagte , die Schwester werde willkommen sein .
Die Gräfin folgte der Botin auf dem Fuße .
Sie zeigte sich ruhig teilnehmend , als wäre zwischen den Verlobten nichts Besonderes geschehen , als handle es sich einfach um ein flüchtiges Übelbefinden der Braut .
Und als könne nur von einer Besorgnis für den Prinzen die Rede sein , sagte sie :
es freue sie , bessere Nachrichten bringen zu können , als die hastige Lebhaftigkeit der Generalin zu hegen erlaubt habe .
Des Prinzen Verwundung sei nicht unbedeutend , von einer Lebensgefahr jedoch bei seiner gesunden Natur nicht die Rede .
Man hoffe , ihn in wenig Tagen in sein Palais bringen zu können , und ihn in nicht zu ferner Zeit ganz und völlig herzustellen .
Emanuel hörte dem Berichte ruhig zu .
Als die Gräfin ihn geendet hatte , wendete er sich gegen Konradine :
" Sie sehen , " sagte er , " der erste Schrecken hat , wie immer , übertrieben .
Sie dürfen also ohne Sorgen sein , und ich kann reisen . "
" Reisen ? " riefen die Frauen wie aus Einem Munde .
" Du willst fort ? " setzte die Gräfin hinzu .
" Konradine hat Ruhe nötig und sie wird auch mir gut tun ! " entgegnete Emanuel .
Die Gräfin stand noch in des Zimmers Mitte .
Sie sah Konradine , sah den Bruder an ; sie war sehr erschrocken .
Da sie nicht wußte , was an jenem Tage im Garten zwischen Konradinen und dem Prinzen vorgefallen war , hatte sie das Zusammenbrechen der Ersteren zwar als einen unangenehmen Vorfall , aber , da man doch einmal vor dem Hochzeitstage stand , nicht als den Grund zu einer völligen Trennung angesehen , auf welche Emanuel's und Konradinen's Haltung doch hinzudeuten schien .
Sie war zum erstenmal fassungslos .
Der Zorn gegen Konradine , des Bruders Schmerz , ihr verletztes Familiengefühl und der Widerwille gegen das Aufsehen , welches der in der letzten Stunde erfolgte Bruch dieser vielversprochenen Verbindung zu erregen nicht verfehlen konnte , bestürmten sie mit einemmal .
" Entscheide nicht in dieser Stunde ! " bat sie den Bruder .
" Sie dürfen ihn nicht gehen lassen ! " mahnte sie die in sich versunkene Konradine .
Aber Emanuel beachtete es nicht , und als wolle er einen Zeugen seines Scheidens von der ihm Verlobten haben , trat er rasch an sie heran , reichte ihr die Hand und sagte :
" Leben Sie wohl ! "
Da raffte Konradine sich empor , warf sich ihm zu Füßen und seine Knie umklammernd , rief sie : " Gehe ' nicht so von mir , Emanuel !
Du weißt es , wie teuer Du mir bist !
wie mir es das Herz zerreißt , Dir Schmerz zu machen ; sage mir . . .. "
Er hob sie sanft empor , und ihr die Hand gebend , sprach er :
" Was soll das , Konradine ?
Ihr Herz wird heilen in Ihrem Liebesglück ! "
" Und Du , und Du ? " rief Konradine .
" Ich werde mein Schicksal tragen , wie ich kann und muß .
Leben Sie wohl ! "
Sie hing sich weinend an ihn ; er machte sich sanft von ihr los , führte sie nach ihrem Sessel , und ihr noch einmal die Hand drückend , sprach er mit gepreßter Stimme :
" Werden Sie glücklich ! "
Dann verließ er das Gemach .
Der Nachmittag fand ihn schon auf dem Wege .
Im Hause der Gräfin ging die Dienerschaft flüsternd und verlegen umher .
Die Gräfin hatte den vertrauten Hausarzt kommen lassen und lange mit ihm beraten .
Vor ihm sich weinend das Herz zu erleichtern , hatte die stolze Frau sich nicht gescheut .
Er hatte auch Frau von Wildenau besucht und Konradinen gesprochen , die sich auf sein Zureden entschlossen hatte , sich niederzulegen .
Ihr Zustand machte Ruhe nötig , und sie ersehnte die Einsamkeit des Krankenzimmers .
Die Gräfin schrieb die Liste der Personen auf , denen zu melden war , daß ein Erkranken der Braut es nötig mache , die Hochzeit hinauszuschieben .
Frau von Wildenauverließ ihr Zimmer nicht , die Gräfin schrieb Briefe bis in die späte Nacht .
Am anderen Morgen wurde ihr Zimmer nicht von Besuchen leer .
Sie hielt ihnen mit großer Selbstbeherrschung Stand , indes in den Garderobezimmern der Damen fing man bereits zu packen an , und drei Tage später brach die Gräfin auf , um ihrer Tochter den lang versprochenen Besuch zu machen .
Die Baronin und Konradine folgten ihr , noch ehe die Woche zu Ende war .
Der Prinz war noch nicht in die Stadt gebracht worden , aber die Nachrichten , die man erhielt , waren günstig , seine Herstellung unzweifelhaft .
Neunzehntes Kapitel .
Die Gräfin hatte schon lange bei ihrer Tochter geweilt , Frau von Wildenau . und Konradine hatten sich für den Sommer absichtlich in einem der besuchtesten Badeorte niedergelassen , in welchem sie vielen Bekannten zu begegnen hoffen durften , um auf die Weise den etwa in Umlauf gesetzten Gerüchten persönlich entgegentreten zu können , und des Prinzen Kopfwunde war lange schon geheilt , als man sich in der Provinz , in welcher die gräfliche und die Familie der Freiherren von Falkenhorst zu Hause waren , noch immer mit dem plötzlichen Bruch von Baron Emanuels Heirat beschäftigte , über dessen Anlaß man allmählich das Richtige zu vermuten und zu erfahren angefangen hatte .
Aber was die Gesellschaft der Provinzial-Hauptstadt und die mit Emanuel oder mit Konradinen verwandten und bekannten Adelsfamilien in Erstaunen gesetzt , was für einige Zeit ihre Neugier erregt , ihr Urteil herausgefordert , davon hatte man in der Welt , in welcher Hulda lebte , Nichts erfahren .
Nur von dem Unglücksfalle , welcher den Prinzen betroffen , hatten die Zeitungen ausführlich berichtet .
Hulda hatte das gelesen , wie man derlei zu lesen gewohnt ist .
Sie wußte von dem Prinzen Nichts als seinen Namen und daß er mit einer Nichte des Herrscherhauses vermählt gewesen war , die ein früher Tod hinweggerafft hatte .
Von seinem Zusammenhäng mit Konradinen hatte sie nie etwas gehört ; und da bald nach der Stelle , in welcher sie jene Nachricht in der Zeitung gesehen , eine Theaterkritik begonnen hatte , die zum Teil auch ihr und ihrem ersten Auftreten in einer neuen Rolle gegolten , war der Unglücksfall des Prinzen um so unbeachteter von ihr geblieben .
Jahr und Tag waren danach vergangen , ohne daß irgend eine auf Emanuel bezügliche Kunde zu ihr gedrungen wäre .
Da erwähnte der Doktor , während er der Ordensverleihungen gedachte , mit welchen bei Anlaß eines glücklichen Ereignisses in der königlichen Familie ein paar geachtete Beamte der Provinz ausgezeichnet worden waren , ganz beiläufig , der König habe an dem nämlichen Tage auch eine ehemalige Stiftsdame , ein Fräulein Konradine von Wildenau , in den Grafenstand erhoben , um ihrer Vermählung mit dem verwitweten Gatten seiner Nichte , mit dem Prinzen Friedrich , eine schicklichere Form zu geben .
" Wen , " rief Hulda , ihrem Ohr nicht trauend , " wen hat der König in den Grafenstand erhoben ? "
" Eine Stiftsdame Konradine von Wildenau ! " wiederholte der Doktor gleichmütig .
" Unmöglich ! " rief Hulda , " Konradine von Wildenau ist ja die Gattin des Freiherrn von Falkenhorst . "
Der Doktor besann sich einen Augenblick .
" Wie ist mir denn ? " sagte er , " mich dünkt , ich habe von dem Abenteuer einmal reden hören .
Es handelte sich um eine rückgängig gewordene Verlobung , um eine Untreue oder so Etwas .
So viel jedoch weiß ich ganz bestimmt , der Besitzer der Falkenhorst'schen Güter , Emanuel Falkenhorst , der Majoratsherr , ist nicht verheiratet .
Jemand , der in jenen Gegenden zu Hause ist , sprach erst neulich bei einem Mittagbrot davon , daß das Geschlecht mit Baron Emanuel zu Ende gehen und die Güter an die weiblichen Erben fallen würden , falls Jener , der ein Mann von etwa vierzig Jahren sein muß , sich nicht verheiraten sollte .
Woher aber kennen Sie und was wissen Sie von der künftigen Prinzessin Friedrich ? " setzte er hinzu .
Hulda gab eine flüchtige Antwort , mit welcher der Doktor leicht befriedigt war , aber die Nachricht kam ihr lange nicht aus dem Sinne , und sie wußte nicht , ob sie sie schmerze , ob sie ihr willkommen sei .
Stand doch das Eine fest , Emanuel hatte auch nach der Lösung seiner Verlobung ihrer weiter nicht gedacht , er hatte sie aufgegeben , sie vergessen ; und was sie bei diesem Gedanken in sich auch durchzukämpfen hatte , in ihren äußeren Lebensverhältnissen brachte es keine Änderung hervor .
Sie hatte sich mit den Jahren in ihre neue Stellung eingewöhnt .
Ihre Aufgabe war ihr deutlich geworden , ihr wachsender Erfolg hatte ihr Selbstgefühl gehoben .
Das Publikum , vor dem sie spielte , wendete ihr seine volle Gunst zu , der Direktor und der Regisseur wußten , was sie einer Bühne wert war , und daß man auf ihr Fortschreiten mit Sicherheit zu rechnen habe , weil eine nicht gewöhnliche Bildung und edle Gesittung allen ihren Leistungen eine höhere Bedeutung , einen eigentümlichen Adel verlieh .
Sie kamen ihr also Beide mit großer Geflissenheit entgegen .
Es lag ihnen daran , das schöne , begabte Mädchen , auf welches man in Folge der ihm günstigen Kritiken bereits an anderen Orten aufmerksam geworden war , der Holm'schen Gesellschaft zu erhalten , und es waren Hulda schon von verschiedenen Seiten Anträge zu Gastvorstellungen zugegangen .
Selbst ein Auftreten auf dem Hoftheater der Residenz stand ihr in Aussicht , seit ein älterer Charakterspieler der königlichen Bühne sie bei seinem Gastspiele in der Hölm'schen Gesellschaft hatte kennen lernen .
Ihre Einsicht hatte sich erweitert , ihr Verstand entwickelte sich selbstständiger , ihr Verlangen , sich zu bilden , wuchs mit dem Bestreben , sich und Anderen in der jedesmaligen Aufgabe genug zu tun , die vor ihr lag .
Die redliche Pflichterfüllung , zu welcher sie in ihrem Vaterhause erzogen worden war , kam ihr als Künstlerin in hohem Grade zu statten , denn keine Kunst kann des stillen , geduldigen Fleißes entbehren , der sich von keinem Erfolge verblenden und in der beharrlichen Arbeit nicht irre machen läßt .
Der unbestimmte Idealismus , an welchem sich in dem weltabgeschiedenen engen Pfarrhause Hulda's Sinn erhoben hatte , war zu einer bewußten Begeisterung für ihre Kunst geworden .
Sie empfand es als ein Glück , wenn es ihr gegönnt war , die schönen Gestalten zu beleben , welche die großen Dichter , der Menschheit als ihr Erbe hinterlassen haben .
Sie hatte ihre Freude daran , wenn sie im Konversationsstücke die anmutige Sicherheit ihrer Haltung geltend machen konnte , wenn sie es darzutun vermochte , wie fein und scharfsichtig sie in die Seelenzustände der Personen einzudringen wußte , die sie vorzustellen hatte ; und sich in gewählter Kleidung vor dem Publikum sehen zu lassen , zu wissen , daß ihre Schönheit sich in vorteilhaftestem Lichte zeige , daß sie bewundert werde um dieser ihrer Schönheit Willen , das war ihr allmählich auch zu einem unentbehrlichen Genuß , der Beifall des Publikums zu einem Bedürfnisse geworden .
Ihr Ehrgeiz , ihre Eitelkeit waren groß und rege .
Das verhältnismäßige Wohlleben , dessen sie genoß , selbst die Art von Freiheit , welche ihre Stellung ihr gestattete , hatten Reiz für sie gewonnen , und weil ihr Sinn rein und allem Niederen abgewendet war , hatte sie es gelernt , die Teilnahme der Männer , mit denen sie verkehrte , an sich zu fesseln , ohne ihnen mehr zuzugestehen , als Frauen der gesitteten Stände , unter dem Schutze ihrer Väter und Gatten den Männern einzuräumen gewohnt sind .
Ihre Freunde ließen sie denn auch als eine besondere Erscheinung gelten .
Selbst Philibert , dessen begehrliche Leidenschaft sich nur schwer in ihren Schranken hielt , hatte sich allmählich darein gefunden , von ihr nicht mehr Begünstigung als Andere zu erfahren ; und Hulda hätte in den gegebenen Verhältnissen es besser nicht verlangen können , hätte sie es nur mit sich , mit der Kunst und mit ihrem Publikum zu tun gehabt .
Aber der Gunst , welche sie auf der Bühne schön und warm begrüßte , stand die Mißgunst schroff entgegen , mit welcher man sie hinter den Kulissen ansah .
Ihr rasches Emporkommen , ihr ungewöhnlicher Erfolg hatten alle jene Mittelmäßigen unter ihren Kollegen gegen sie eingenommen , welche jedes siegreiche Aufsteigen eines Lebensschicksales als eine ihnen zugefügte Beleidigung empfinden , alle diejenigen , denen es eine Genugtuung gewährt , an dem Emporkommenden zu zerren , um ihn dadurch womöglich zurückzuhalten , und die eine Befriedigung genießen , die sich gehoben fühlen , wenn es ihnen möglich wird , das Gute und das Bedeutende hinabzuziehen in den Staub , aus dem sie selber sich emporzuschwingen nie vermögen .
Die jugendlichen Liebhaberinnen zweiten und dritten Ranges , die es erwartet haben mochten , die Erbschaft Feodorens sowohl in ihrem Rollenfache als in der Gunst der Zuschauer wie der Kritik wenigstens teilweise und allmählich anzutreten , waren durch Hulda um ihre Hoffnungen betrogen worden .
Sie hatten sich also mit einer Art von Naturnotwendigkeit der Delmar zugesellt und mit ihr Partei ergriffen gegen Feodorens Schützling , gegen Hulda .
Denn die Delmar hatte es Hulda nicht vergessen , daß sie um ihretwillen bei Anlaß ihres ersten Auftretens , durch Feodore eine Kränkung in ihrer Künstlerehre hatte erleiden müssen .
Sie konnte es nicht verschmerzen , daß man sich , wenn immer sie die Gräfin Terzky , die Orsina , die Lady Milfort spielte , der verhaßten Nebenbuhlerin mit Bewunderung erinnerte , noch weniger verzieh sie es Hulda , daß Lelio ihr ein Freund geworden war .
Wo man aber auf der Anderen guten Willen so unabweislich angewiesen ist , wie bei dem Zusammenwirken auf der Bühne , fällt es der Mißgunst leicht , empfindlich zu behindern und zu kränken .
Heute war es eine anscheinende Achtlosigkeit , mit welcher man Hulda geflissentlich die Wirkung einer Szene , eines Abganges störte , und morgen machte die Delmar , mit welcher sie das Garderobezimmer teilte , es ihr durch irgend eine kleine Tücke fast unmöglich , im rechten Augenblicke auf der Szene zu erscheinen .
Bald ließ man es sie fühlen , wie man sie immer nur als eine Anfängerin geringschätze , bald wieder behandelte man sie mit einer so spöttischen Verehrung , daß Hulda sich es nicht verbergen konnte , wie man ihr damit Andeutungen mache , die sie nicht beachten durfte , wenn sie sich selber nicht zu nahe treten wolle .
Alles , was ihr redlicher Fleiß , was ihr braves , sittliches Verhalten ihr eingetragen hatte , des Direktors Zufriedenheit , die Rücksicht , welche der Regisseur auf sie nahm , die Gunst , welche das Publikum ihr gewährte , das Zutrauen , welches ihre Freunde ihr bewiesen , die kleinen und großen Aufmerksamkeiten , die Geschenke , welche die Galanterie ihr je bisweilen darzubringen liebte und die zurückzuweisen nicht in ihrer Macht stand , selbst die günstigen Beurteilungen , mit denen die Kritik ihrem Vorwärtskommen folgte , das Alles sollte nach den Andeutungen ihrer Gegnerinnen von ihr in einer Weise herausgefordert und belohnt sein , an welche nur zu denken ihr das Herz empörte .
Man blickte sich über die Schultern an , wenn ihr für die historischen Stücke neue Kostüme zugestanden wurden .
Man lächelte über die plötzliche Verschwendungslust des Direktors , der sich darin gefiel , seine neue Berühmtheit herauszuputzen , denn man wollte es nicht sehen , daß für Hulda's große und üppige Gestalt die Kostüme Feodoren's nicht wohl zu verwenden waren .
Man machte seine Bemerkungen darüber , wenn Lelio besondere Leseproben mit Hulda hielt , um sich zu versichern , daß sie in seine Absichten so sicher als früher Feodore einzugehen wisse ; und mancher hämische Blick , manch böses Wort , das zu hören sie nicht vermeiden konnte , traf Hulda bis in das Herz , wenn eben erst der Beifall es in freudiger Aufwallung erschlossen hatte .
Ihre Versuche , sich mit ihren Gegnerinnen zu verständigen , zu versöhnen , waren nicht geglückt .
Ihr guter Wille , durch Rücksicht und Gefälligkeit sich Wohlwollen zu erwerben , blieb unbeachtet , wenn man ihn irgend unbeachtet lassen konnte .
Man sah in ihrer Zuvorkommenheit das Eingeständnis ihrer Vereinsamung , welche sie recht empfinden zu lassen man sich angelegen sein ließ .
Und doch mußte jede ihrer Gegnerinnen es sich sagen , daß Hulda , als sie in die Gesellschaft eingetreten war , im entferntesten nicht daran gedacht hatte , die Stellung zu beanspruchen oder einzunehmen , auf welche ein Zusammenwirken der Verhältnisse sie sofort gehoben hatte .
So lange sie noch an eine Abhilfe dieser Mißstände geglaubt , hatte sich Hulda gegen ihre nächsten Bekannten über dieselben wohl , beklagt .
Der Doktor hatte sie dafür gescholten .
" Eine gütige Fee hat Ihnen die Gabe siegreicher Schönheit und noch dazu eine anerkennenswerte künstlerische Begabung als Pathengeschenk in die Wiege gelegt , " sagt er .
" Sie finden die Männer bereit , Ihnen zu huldigen , wo immer Sie erscheinen , und Sie verlangen nach der Freundschaft untergeordneter Frauenzimmer .
Das ist ein krankhaft unmäßiges Gelüsten !
Man muß genügsam sein , mein Kind ! "
Hochbrecht und Philibert nahmen die Sache aus einem anderen Tone .
" Sie schildern die Liebe , die Leidenschaft , daß Sie rühren und die Herzen überwältigen , " meinten sie , " und Sie wollen , daß talentlose Frauenzimmer Ihnen glauben : all dies Können und Erkennen sei ein Werk der Phantasie , sei nicht Folge des Erlebens und des Wissens .
Dazu müßten die Anderen ja Ihre Phantasie besitzen .
Sie haben sich nicht zu beschweren .
Wir allein sind dabei zu beklagen , denn man hält uns für glücklicher , als wir wirklich sind . "
Aber weder die Menschenkenntnis des Doktors , noch die galanten Scherze ihrer anderen Freunde konnten Hulda dahin bringen , sich mit dem eigentlichen Theaterleben , mit dem heimlichen Getriebe der gegenseitigen Ausforschung und überwachenden Neugier , mit den vielfach sich verschlingenden Wegen auszusöhnen , auf denen kleinliche Eitelkeit und beschränkte Selbstsucht ihre wechselnden Absichten und Zwecke zu erreichen suchten .
Es widerte sie an , sich Gesinnungen und Plane angedichtet zu sehen , von denen keine Spur in ihrer Seele war .
Sie dachte nicht daran , sich nach Feodorens Beispiel einem reichen Lebemanne wie Philibert zu verbinden , noch hatte sie es im Sinne , die Eroberung von Lelio zu machen .
Denn wie die immer neuen Aufgaben ihres gegenwärtigen Lebens ihre Zeit , ihre Kraft und ihr geistiges Vermögen auch in Anspruch nahmen , in dem Innersten ihres Herzens bewahrte sie Erinnerungen , die Nichts gemein hatten mit ihrer Gegenwart , und in die sie sich , ohne es zu wollen , flüchtete , wenn Tag und Stunde sie hart berührten und ihr zu tragen schmerzlich wurden .
Oftmals , wenn sie Sonntags in der Frühe die Fenster ihres Zimmers öffnete , und die Gipfel der Bäume von der Promenade sich im Winde wiegend hoben und senkten , wenn der Vogelsang durch die Stille zu ihr hinübertönte und das Geläute der Glocken die Gemeinde in die Kirche rief , kam eine Sehnsucht über sie , die ihr zugleich wohl und wehe tat .
Weitweg von der Rolle , welche sie durchging , um ihrer in der Probe sicher zu sein , wanderten dann ihre Gedanken in die Heimat und in ihre erste Jugend zurück .
Sie sah sich in dem engen Vaterhause , sie hörte den Sand im Flure knistern unter ihrem Fußtritte , wenn sie hinabkam aus ihrer kleinen Kammer , die Flechten ihres Haares schlicht um das Haupt gelegt , in dem knappen , jedes Schmuckes baren Anzuge , die Mutter zu erwarten und mit ihr dem Vater in die Kirche zu folgen , in der er in seines Herzens erhabener Einfalt das Wort Gottes an der Stelle verkündigen sollte , an welcher seine Väter es vor ihm verkündigt hatten .
Sie saß wieder in der Kirche , wie in jenen Tagen , an der Mutter Seite , sie fühlte wieder den frischen Hauch des Meeres hineinziehen durch den niedergelassenen Vorhang an der Eingangstür .
Sie sah sie wieder um sich , die harten , von der Arbeit gefurchten , von der scharfen Luft verwitterten Gesichter der Männer und der Frauen , die rotbackigen , weißblonden Knaben und Mädchen , und das junge Volk und die Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft , die Alle von ihr wußten , die Alle sie kannten und Gutes von ihr hielten , weil sie des Pastors Hulda war .
Wie ihre Brust nach frischer Luft in Gottes freier Natur , wie nach dem Hauche des Meeres , an dem sie aufgewachsen war , so sehnte sie sich dann zurück in jene Tage , und immer klangen ihr dann die Worte Goethes , sie bis zu Tränen rührend , in dem Herzen widert " In dieser Armut welche Fülle ! "
Anfangs hatte sie , wenn der Dienst sie frei ließ , wohl in die Kirche zu gehen versucht .
Aber in dem großen , weiten Raume , in welchem Alles ihr fremd war und Niemand sie kannte , hatte ihr Sinn sich nicht zu sammeln vermocht .
Ihr war bange zu Mute geworden , denn gerade in der Gemeinde , in welcher die Anderen ihre Verbindung hatten , war ihr Alleinsein , ihr Verlassensein , ihr mehr als in ihrer Häuslichkeit fühlbar und traurig bis zur Angst geworden .
Später , als man sie auf der Bühne kennen gelernt , hatten die neugierigen Blicke , welche sich auch in der Kirche auf sie richteten , sie unruhig gemacht und sie zerstreut .
Es war ihr unmöglich gewesen , der Predigt zu folgen , wie sie ihres Vaters Rede gefolgt war ; nicht einmal stille zu beten war sie im Stande gewesen .
So war sie endlich -- selbst wenn sich die Zeit zum Kirchenbesuche einmal gefunden hatte -- von der Kirche fortgeblieben , und Niemandem war das aufgefallen , denn ihre Wirtin und Beate hielten auch vom Kirchengehen nichts , und die Personen , mit denen sie verkehrte , waren alles andere , nur nicht kirchlich .
Sie vermißte auch nach Monaten die sonntägliche Andacht nicht mehr .
Hatte sie die Kirche doch auch manchmal versäumen müssen , während sie im Schlosse gewesen war , und der Vater selber hatte sie dann auf ihr Gebet im stillen Kämmerlein verwiesen .
Aber auch das Gebet versagte sich ihr nur zu oft , wenn sie Abends mit aufgeregten Sinnen , vom Erfolge berauscht , oder über irgend eine Störung zornig und erbittert , mit den Einzelheiten der Vorstellung , mit persönlichen Ereignissen und Begegnungen noch in der Erinnerung beschäftigt , von dem Gedanken an die nächste Vorstellung hingenommen , endlich mit bebenden Nerven , aufgeregt und müde ihr Lager suchte .
Sie faltete die Hände und -- die Schleppe fiel ihr ein , welche der Theaterschneider ihr anzuprobieren hatte .
Sie wollte sich und die Gedanken prüfen , die am Tage durch ihren Geist gegangen waren , aber sie mochte nicht zurückkommen auf das Unangenehme , das so mancher Tag ihr brachte , und wenn die Worte des Gebetes mechanisch über ihre Lippen glitten , ohne daß ihre Seele daran Anteil hatte , graute ihr vor diesem hohlen Gottesdienst .
Es war ihr , als kniete sie wie das arme Gretchen einsam an dem einsamen Altar , als hörte sie ihres Dämons Stimme die Worte rufen : " Wie anders , Gretchen , war dir_es , Als du noch voll Unschuld Hier zum Altar tratst , Aus dem vergriffenen Büchelchen Gebete lalltest , Halb Kinderspiele , Halb Gott im Herzen ! "
Dann schlang sie ihre Hände fest , ganz fest zusammen , dann dankte sie Gott , daß ihr Herz noch rein , ihre Seele noch schuldlos war , dann dachte sie mit tiefer Liebe des toten Vaters , der auf dem kleinen Kirchhof ihrer Heimat ruhte , und der treuen Mutter , die der Meeresgrund verschlungen hatte , und ihr ganzes Gebet drängte sich in das Flehen zusammen :
" Führe mich nicht in Versuchung und bewahre mich vor dem Übel ! "
Sie hatte außer diesem heiligen Verlangen sonst nicht viel zu wünschen .
Ihr ehrgeiziges Vorwärtsstreben -- und darin war neben der Liebe für die Kunst auch viel Eitelkeit verborgen -- gehörte nicht vor das Ohr des Herren .
Für wen aber hatte sie sonst zu wünschen und zu hoffen und zu beten , als für sich allein ?
Ihre Eltern hatte sie verloren , ihr Vormund hatte sich von ihr abgewendet .
Er schickte ihr halbjährig , ohne ihr ein Wort dabei zu schreiben , die wenigen Taler , die sie von dem kleinen Kapital , welches Miß Kenney ihr vererbt , als Zins bezog , und ließ ihre Dankesbriefe völlig unbeachtet .
Von dem Pfarrer , von der gräflichen Familie hörte und erfuhr sie Nichts .
Der Einzige , an den sie dachte bei allem ihrem Tun , der Mann , auf den sie des Himmels ganzen Segen herabzubeschwören wünschte , wie weh er ihr auch getan und wie hart er in ihr Schicksal eingegriffen hatte , Emanuel bedurfte ja ihrer Segenswünsche nicht und nicht ihres Gebetes , denn er mußte ja wohl glücklich sein !
glücklich ohne sie und fern von ihr . --
Und doch war er bei ihr , doch lebte sie im sein Gedenken .
Alle die Töne der beseligten Liebe , alle die Töne der Trauer , mit denen sie die Herzen ihrer Hörer erschütterte , ihm verdankte sie sie , er hatte sie in ihr erweckt .
An ihn dachte sie , wenn das Unedle an sie herantrat , sein sanfter Ernst , seines Wesens edle Gesittung , sein Glaube an ihrer Seele Reinheit , standen als Hüter an ihrer Seite und wachten über sie in jedem Augenblick .
Ob sie ihn wiedersehen würde , wer konnte ihr das sagen ?
Aber das Eine hatte sie sich gelobt :
wo immer und wie immer er vor sie hintreten würde , er sollte sehen und erkennen lernen , was sie wert gewesen war .
Er sollte die Künstlerin in ihr zu achten haben und eingestehen müssen , daß sie der Liebe würdig gewesen wäre , die er ihr entgegengebracht , die er ihr entzogen hatte .
Wie an den treuen Sternbildern , zu denen sie ihr Auge erhoben von früher Kindheit an , wie an diesen unseren stillen Begleitern und Gefährten , so hing sie auch an ihm , als an ihrem Sterne .
Sein Bild folgte ihr überall : ernst wie die Stimme in ihrer Brust und mahnend und unbestechlich , wie ihr anderes Gewissen .
Zwanzigstes Kapitel .
Hulda war schon über drei Jahre bei der Bühne , als die Zeitungen eine Nachricht verkündeten , welche nicht nur die eigentlichen Theaterfreunde , sondern die sämtlichen gebildeten Einwoher der Stadt lebhaft erfreute .
Es war dem Direktor Holm gelungen , den schnell berühmt gewordenen Charakterspieler Lippow für sechs Gastvorstellungen zu gewinnen , und gleich an dem Tage , an welchem der Theaterzettel den Rollen-Zyklus angegeben hatte , in welchem Lippow auftreten würde , waren alle Logen- und Estraden-Plätze und die ersten Plätze des Parterre für sämtliche Vorstellungen mit Beschlag belegt worden , so daß man es als eine Gunst betrachtete , noch eine Zusage für diese oder jene Aufführung zu erlangen .
Man wußte von Lippow's Vergangenheit nichts Bestimmtes , desto mehr fabelte man davon .
Nur so viel stand , wie man behauptete , entschieden fest , daß er von guter Familie sei , früher eine andere Stellung und einen anderen Lebensberuf gehabt , und daß kein Geringerer als der unvergleichliche Ludwig Devrient ihn in die Schule genommen habe und sein Vorbild gewesen sei .
Er war wenig über dreißig Jahre alt .
Man rühmte seine Sprachkenntnisse , seine ausgezeichnete Haltung , seine vornehmen Manieren und sein außerordentliches Talent , sein Äußeres für jede Rolle förmlich zu verwandeln .
Ihn als Mephisto wiederzuerkennen , wenn man ihn als Carlos im " Clavigo " gesehen hatte ; in seinem Nathan den Marinelli herauszufinden , sollte für den Nichtgeübten fast unmöglich sein ; und es sahen eben deshalb auch die Mitglieder des Theaters selber , vornehmlich diejenigen , welche mit ihm zu spielen hatten , seiner Ankunft mit großen Erwartungen entgegen .
Nach dem ausgegebenen Programme sollte er zuerst als Marinelli auftreten .
Clavigo und Nathan sollten folgen , ein paar Lustspiele und ein Schauspiel dazwischen fallen , und für den Schluß war die Aufführung des Goetheschen Faust angesetzt , in welchem zugleich Lelio zum erstenmal den Faust , Hulda zum erstenmal das Gretchen übernehmen sollten .
Für den Ehrgeiz der beiden schönen und begabten jungen Künstler war das ein ersehntes und außerordentliches Ereignis .
Schon seit Monaten hatte das Einstudieren der neuen Rollen sie beschäftigt , und seit es nun festgesetzt worden war , daß ihr erstes Auftreten im " Faust " mit Lippow's Gastspiel zusammenfallen würde , hatten ihr Eifer und ihr Fleiß sich verdoppelt .
Lippow war nach Ablauf seines gegenwärtigen Kontraktes für das Wiener Burgtheater engagiert .
Lelio es Kontrakt bei der Holm'schen Bühne lief im Spätherbst ab , das Engagement von Hulda ging mit dem Jahre zu Ende .
Wenn das Zusammenspiel mit Lippow leistete , was man davon zu hoffen berechtigt war -- wer wollte voraussagen , welche günstigen Folgen sich für Lelio und Hulda daran knüpfen konnten ?
An dem Wiener Theater bedurfte man neuer Kräfte , und dorthin , wenn auch nur zu Gastspielen , berufen zu werden , war eine höchlich verlockende Aussicht .
Es war in der heißesten Zeit des Jahres .
Lippow , der in Allem den großen Herrn zu spielen liebte , hatte dem Direktor gemeldet , daß er , da er mit eigenem Wagen und Extrapost-Pferden zu reisen gewohnt sei , die Nächte zu Hilfe nehmen und also mit Tagesanbruch in dem Gasthofe eintreffen werde , in welchem , er eine Wohnung für sich bestellt hatte .
Es bleibe ihm dann immer noch die Zeit , einige Stunden der Ruhe zu pflegen , er erwarte danach den Direktor , um mit ihm das Frühstück einzunehmen , und um die festgesetzte Stunde werde er zu der Probe auf der Bühne an seinem Platze sein .
Auch die Schauspieler hatten sich pünktlicher noch , als das Theatergesetz es forderte , auf der Bühne eingefunden , und keines der Frauenzimmer hatte es verschmäht , heute auf die Kleidung mehr als gewöhnliche Sorgfalt zu verwenden .
Sie waren Alle schon beisammen , nur Hulda , die bei all ihrer natürlichen Bescheidenheit doch auch allmählich die Arten und Unarten bevorzugter Bühnen-Künstlerinnen angenommen hatte , ließ sich , wie Lippow , noch erwarten .
Die Delmar , welche trotz der Morgenstunde sich schon in meergrüne Seide gekleidet , den Florentiner Strohhut mit dem Paradiesvogel aufgesetzt und es an reichem Goldschmuck nicht hatte fehlen lassen , hatte sich in einen Stuhl geworfen , und putzte mit dem spitzenbesetzten Taschentuche sorgfältig die Gläser ihres goldenen Lorgnons .
Der Regisseur neckte sie damit , daß sie ihr Augenmerk gleich so energisch auf den Erwarteten zu richten vorhabe .
" Auf Lippow ? " rief sie , " glauben Sie , daß ich mir für diesen mein Glas zurechtmache ?
Durchaus nicht .
Er ist ein geschulter Künstler , an einem solchen kann nie etwas Auffälliges zu sehen sein .
Ich warte nur auf unsere göttliche Erscheinung , auf unsere Venus Anadyomene , als welche Hochbrecht sie in seinen gedruckten und ungedruckten Sonetten mit wohlgezählten Versen ansingt .
Mich soll es wundern , was sie heute vor Lippow darzustellen und als was sie vor ihm zu erscheinen denkt .
Etwas ganz Besonderes wird es in jedem Falle sein . "
Sie hatte aber die Worte eben erst vollendet , als der Direktor mit Lippow in die Szene trat und fast in demselben Augenblicke auch Hulda aus der Kulisse herauskam .
Sie sah wie der Sommer selber aus , in dem leichten weißen Kleide mit dem runden Strohhute , den ein Kranz von Kornblumen und Ähren schlicht und anmutig umgab , während sie einen prachtvollen Strauß von Moosrosen in der Hand hielt , den ihr Philibert beim Eingange in das Theater noch in Eile überreicht hatte .
Unwillkürlich wendeten die Augen der Männer sich mit erheitertem Ausdrucke ihrer Schönheit zu , der Direktor deutete mit der Hand nach ihr hin .
Er wollte sie nötigen , heranzutreten , um so die Vorstellung des Gastes mit einemmal für das ganze Personal abgemacht zu haben ; indes , kaum hatten Lippow und Hulda einander wahrgenommen , als Beide mit unverkennbarer Überraschung wie im plötzlichen Erschrecken stehen blieben .
Ein Name , ein Anruf drängten sich auf Hulda's Lippen , ein Blick , ein warnender Blick von Lippow machte sie verstummen .
Die Delmar , der Direktor , der Regisseur und Lelio , sie Alle hatten das sonderbare Spiel bemerkt .
Man sah einander an , man wußte nicht , was es bedeuten sollte .
Lippow faßte sich jedoch schon in dem nächsten Augenblicke wieder .
Er trat mit der vornehmen Gewandtheit , zu welcher er jede Bewegung seiner an sich edlen Gestalt herausgebildet hatte , rasch auf Hulda zu , und ihr beide Hände entgegen reichend , rief er :
" Ist es denn möglich , sehe ich recht ?
Sie sind es , Fräulein Hulda ? "
Er hatte mit den Manieren der großen Gesellschaft auch die eben zur Sitte werdende Gewohnheit angenommen , alle jungen Mädchen , auch die nicht dem Adel angehörenden , mit dem Worte Fräulein anzureden , und die bis dahin für die Bürgerlichen übliche französische Ansprache , das Mademoiselle zu meiden .
" Ist es möglich , Fräulein Hulda ?
Sind Sie es wirklich ?
Wer hätte denken sollen , daß wir uns hier zusammenfinden würden , als wir uns auf dem Schlosse der Gräfin so plötzlich und so unerwartet trennten ?
In der Tat , ich würde Sie fragen , welch ein guter Stern führt Sie hierher ? hätten Sie mir die gleiche Frage nicht auch vorzulegen , und hätten wir Beide nicht allen Grund , dieses holden Sternes Gunst zu segnen ! "
Er hatte seine Anrede geflissentlich verlängert , um Hulda Zeit zu geben , und sie nahm sich auch zusammen , wie sie es vermochte .
Aber im Vergleich zu der Zufriedenheit , die er so wortreich an den Tag gelegt hatte , klangen ihre Worte sehr gezwungen .
Ihr Blick war kalt , sie suchte dem seinen auszuweichen .
Ihr war zu Mute , als tue sich ein Abgrund vor ihr auf , als tauchte die Gestalt dieses Mannes wie ein dämonischer Versucher vor ihr empor ; und der Gedanke , mit diesem Manne , gerade mit ihm , mit Michael alltäglich zusammen zu sein , mit ihm an jedem Abende spielen zu müssen , seine Nähe , seine Berührung zu ertragen , neben und mit ihm das Gretchen spielen zu müssen , das waren Aussichten , vor denen ihr ein Grauen ankam .
Daß zwischen diesen beiden Menschen bereits etwas geschehen sein müsse , daß sie ein Geheimnis mit einander teilten , dessen hielten Alle , die dem Vorgange beigewohnt hatten , Jeder nach seiner Natur und Sinnesart , sich durchaus versichert .
Das aber genügte , um Alle , selbst Lelio nicht ausgenommen , zu achtsamen Beobachtern jedes Wortes und jeder Miene zu machen , welche zwischen Lippow und Hulda gewechselt wurden .
Die Probe der " Emilia " hatte lang begonnen , Hulda hatte ihre erste Szene gespielt , Marinelli's erste Szene mit dem Prinzen war auch bereits vorüber , und noch immer war sie unter der Einwirkung des Schreckens , welchen das Zusammentreffen mit Michael in ihr hervorgerufen hatte .
Wie war es denn möglich , daß sie nie daran gedacht hatte , Michael Lippow , von dem sie oft genug hatte sprechen hören , könne des Fürsten Kammerdiener , könne jener Mann sein , der auf die Wendung ihres Schicksals seinerzeit einen so entscheidenden Einfluß ausgeübt hatte ?
Sie erinnerte sich jetzt sogar , daß der Amtmann in ihrem Beisein einmal erzählt hatte , Michael sei zum Theater gegangen , und für einen Menschen , wie dieser , sei das auch eben recht ; aber sie hatte Michael's Familiennamen , als er im Dienste des Fürsten auf dem Schlosse gewesen war , niemals nennen hören , und weil sie ihm nichts Gutes , nichts Schönes oder irgendwie Bedeutendes zugetraut , hatte sie , wenn sie von den theatralischen Leistungen und Erfolgen Michael Lippow's gehört , an Niemanden weniger gedacht , als an jenen Günstling von Mamsell Ulrike , durch dessen Zudringlichkeit und böswillige Nachrede Hulda die ersten bitteren Lebenserfahrungen zu machen gehabt hatte .
Jetzt hatte sie ihn gleich bei dem ersten Blicke erkannt , obschon er sich in hohem Grade verändert hatte .
Er trug sein schlichtes Haar auf der linken Seite des Kopfes in einem dicken Lockenbusch gekräuselt , das Schnurrbärtchen , welches er früher mit lächerlicher Ziererei beständig in die Höhe gedreht , war dem Schermesser zum Opfer gefallen .
Sein unruhiger Blick war durchdringend und fest geworden , die Notwendigkeit , starke Leidenschaften und wechselnde Gemütszustände auszudrücken , hatte seinem sonst noch jugendlichen Antlitz tiefe , mächtige Züge eingeprägt , und weil er seine Physiognomie mit Meisterschaft beherrschte , weil er seine Züge fast umzugestalten vermochte , hatte Hulda in dem Bilde , das sie von ihm einmal gesehen , und in welchem er sich in heldenhafter , stolzer Haltung darstellen lassen , den Kammerdiener des Fürsten , den geschmeidigen , ewig lächelnden sogenannten Herrn Sekretär nicht wiedergefunden , wenn schon eine Ähnlichkeit mit demselben ihr aufgefallen war .
Nun stand er vor ihr , und aller Widerwille , den sie gegen ihn fühlte , konnte sie nicht abhalten , ihn als Künstler zu bewundern .
Seine Auffassung der Rolle war tief und eigenartig , aber Hulda wurde den Gedanken nicht los , er habe in diesem Falle nur nötig , sich und seine Erinnerungen abzuschreiben ; und obschon er sich mit abgeschliffenster Höflichkeit in laut ausgesprochener Bewunderung ihrer raschen Fortschritte und ihres trefflichen Spieles erging , war sie von Herzen froh , als die Probe endlich ihr Ende erreicht hatte und sie das Theater verlassen konnte .
Sie hatte Ruhe nötig sich zu sammeln , und die Vergangenheit , die durch Michael's Erscheinen wie in einem Zauberspiegel vor ihr aufgestanden war , wieder in den stillen Grund ihrer Seele zurückzudrängen .
Michael's erstes Auftreten war , um ihm nach der anstrengenden Reise einen Rasttag zu vergönnen , erst für den nächsten Abend festgesetzt .
Die Theaterfreunde hatten das benutzt , dem Gaste gleich am ersten Tage eine freundliche Begrüßung zu bereiten .
Im Vereine mit dem Direktor und den ersten männlichen Schauspielern hatten sie ein Frühstück herrichten lassen , zu welchem man sich in seinem Gasthofe versammelte .
Es dehnte sich bis zum späten Nachmittage aus .
Die Mahlzeit war vortrefflich , die besten Weine waren im Überflusse vorhanden , und wie ihr flüssiges Feuer die Geister zu erregen und die Lippen zu lösen begann , war Michael nicht nur der Held , sondern die eigentliche Seele des Festes .
Er war in der Welt herumgekommen , wie es in jenen Tagen nur selten einmal einem Anderen zu Teil wurde .
Er kannte die großen Hauptstädte von Europa , hatte in London und in Paris Kemble und Talma studiert .
Er wußte von ihnen zu erzählen , war offenbar auch in der guten Gesellschaft nicht unbekannt , und sprach von den Personen , mit denen er in Berührung gekommen war , von den Erlebnissen , welche er mit ihnen gehabt haben wollte , mit einer so sorglosen Leichtigkeit , daß es seiner eigenen persönlichen Bedeutung zu einer Folie wurde .
Je mehr man ihn bewunderte , um so anspruchsloser zeigte er sich , um so offener und unbefangener sprach er von sich .
Aber während die Anderen warm und wärmer , und in ihren Berichten und in ihren Fragen freier und dreister wurden , blieb seine Stirn ruhig , sein Blick fest und sein Kopf klar und kalt wie das Herz in seiner Brust .
Er beherrschte die Gesellschaft buchstäblich mit seinem Willen , er erfuhr von Allen , was er von ihnen wissen wollte .
Er erhielt genaue Auskunft über Hulda , hörte mit Erstaunen , was man über ihre Herkunft fabelte , und Lelio hatte ihm von seiner uneigennützigen Freundschaft für die Schöne , Philibert von seinen Hoffnungen gesprochen , sie früher oder später doch noch zu besitzen , ohne daß es Einem von allen Denen , welche sich es herausgenommen hatten , ihn darum zu fragen , gelungen wäre , auch nur das Geringste über seine frühere Bekanntschaft mit Hulda von ihm zu erfahren .
Man gab , weil man den Mitgliedern des Theaters nach diesem Frühstück keine besonderen Anstrengungen zuzumuten wagte , an dem Abende eine oft gegebene Posse , und Hulda , die ohnehin das Theater nur besuchte , wenn an den Aufführungen Etwas ihre Teilnahme in Anspruch nahm , hatte beschlossen , zu Hause zu bleiben .
Es war sechs Uhr , die beschäftigten Schauspieler mußten nun auf ihrem Posten sein .
Diejenigen unter ihnen , welche nicht zu spielen hatten , schliefen das Frühstück aus ; das Theater blieb an dem Abende , wie man es vorausgesehen hatte , ziemlich leer .
Man machte gewohnheitsmäßig die oft getane Arbeit ab. Landleute , welche der Markttag in die Stadt geführt hatte , bildeten das leicht zufriedenzustellende Publikum und halfen die Tageskosten decken .
Draußen fing der Abend sich zu kühlen an .
Einzeln und in Gruppen zogen die Menschen in der Feierstunde vor die Tore , in die Gärten , in die benachbarten Ortschaften , in das Freie hinaus .
Böhmische Musikanten spielten auf dem Platze die Melodie des Liedes :
" Von der Alpe tönt das Horn ! "
Der junge Mann , der die Oberstimme blies , hatte einen seelenvollen Vortrag .
Hulda es Fenster standen offen , sie war allein .
Der leise Windhauch bewegte die Blätter des Myrtenstockes , der vor ihr auf ihrem Tische stand , die Rosen , welche ihr am Morgen Philibert gegeben , hatten sich entfaltet , ihr Geruch füllte das ganze Gemach , und von den Klängen der Musik wie von ihren eigenen Gedanken fortgezogen , sah sie sinnenden Auges dem Spiel des glänzenden Gewölks zu , das , von Osten herüberkommend , ihr mit dem erfrischten Luftzug Grüße von der Heimat , Grüße von dem fernen Strande zu bringen schien .
Wie eine Gefangene schmachtete sie nach frischer Luft , nach freier Bewegung in der freien Natur .
Es zog sie förmlich hinaus zu den langen Reihen der Felder , auf denen jetzt unter der Last der reifenden Frucht die kräftigen Ähren sich beugten ; hinaus in den Schatten des Parkes , an dessen Rande sie mit Miß Kenney einst gewohnt .
Ihr Verlangen wieder einmal am Meeresstrand zu sitzen , zu sehen , wie die Wellen kommen und gleitend wieder gehen , auf dem schimmernden Sande die langen Streifen des braunglänzenden Seegrases hinter sich zurücklassend , war lebhaft bis zum Wehtun .
Vater und Mutter hatte sie gehabt im Pfarrhause am fernen Meeresufer und der treuesten Liebe die Fülle ; und sie hatte sich trotzdem fortgesehnt in kindisch ungeduldiger Neugier .
Hingesehnt hatte sie sich nach den Mauern der Städte ; nach wechselndem Erleben , nach dem Verkehr mit Menschen , nach der Bewunderung der Leute .
Nach Schmuck , nach Genüssen und nach Interessen , wie sie ihr jetzt geworden waren , hatte ihr Sinn gestanden .
Nun hatte sie das Alles , und Aussicht , davon noch immer mehr zu erwerben , zu gewinnen .
Und sehnte sich ihr Herz jetzt nicht ebenso lebhaft in die altvertraute Vergangenheit zurück , als früher nach einer unbestimmten , unbekannten Zukunft ?
War sie glücklicher in ihrer jetzigen glänzenden Verlassenheit ?
Sie wagte es nicht , sich darauf die Antwort zu geben .
Was sie besessen und verloren hatte , das ermaß sie deutlich , was sie zu gewinnen hoffen durfte -- wer wollte ihr das sagen ?
Sie war in ihr träumendes Sinnen tief versunken , als es an ihre Türe klopfte und Frau Rosen mit hastiger Geflissenheit , als ob sie ein Glück und eine Ehre zu verkünden habe , die Meldung brachte , der Held des Tages , Herr Lippow , wünsche seine Aufwartung zu machen .
Hulda es erster Gedanke war , ihn nicht zu empfangen .
Aber die flüchtigste Überlegung sagte ihr , daß sie damit Nichts erreiche , daß sie ihn sehen , bei sich sehen müsse , früher oder später , wäre es auch nur , um die Schranken zwischen ihnen festzustellen , die sie nicht überschritten zu haben wünschte .
Sie ließ ihn deshalb bitten einzutreten , und befahl die Lichter anzuzünden .
Beate , die sich es nicht entgehen lassen wollte , den fremden Künstler in der Nähe zu sehen und ihn außerhalb der Bühne sprechen zu hören , nahm der Mutter in der Treppenflur die Kerzen ab , und von dem bleichen , unscheinbaren Mädchen gefolgt , trat Michael bei Hulda ein .
Beate sah es , wie er sich Hulda mit heiterer Gewandtheit nahte , ihr die Hand küßte und sie versicherte , daß er niemals eine angenehmere Überraschung erfahren habe als in dem Augenblick , in welchem er sie nach so langer Trennung unerwartet , und obendrein als eine Kollegin , als eine so vortreffliche Künstlerin wiedergefunden habe .
Sie hörte auch noch die zurückhaltende Antwort , welche er von Hulda darauf erhielt , und sie dachte in ihrem Herzen , daß Hulda recht vornehm tue , recht hochmütig geworden sei , und wohl anders geantwortet haben würde , hätte ein solcher Mann sie vor zwei Jahren also angesprochen , als sie in dem engen Oberrock mit dem kleinen Koffer bei ihnen in dem Erkerstübchen angekommen war .
Sie hatte ihren Ärger über dies Gebaren , denn sie wußte , was sich in diesem Falle schickte , und so ging sie still hinaus .
Kaum aber hatte sie die Türe hinter sich zugezogen , so warf sich Michael an Hulda's Seite auf das Sofa , ergriff noch einmal , aber mit zwanglosester Vertraulichkeit , ihre Hand , und sie zwischen den seinen festhaltend , während er sich zu ihr hinneigte , rief er :
" Wahrhaftig , schöne Freundin !
Ihre meisterhafte Haltung hat mich heute entzückt .
Wissen Sie Hulda , daß Sie eine excellente Künstlerin geworden sind ? "
Hulda hatte sich , obschon er ihre Hand noch in der seinen hielt , von ihm zurückgezogen , und ernst und gemessen , wie sie ihn empfangen hatte , entgegnete sie , es freue sie , wenn er ihr Talent zuspreche und sich mit ihrer Auffassung der Emilia einverstanden finde .
Michael lachte hell auf .
" Lassen wir es genug sein des grausamen Spieles ! " rief er .
" Wer denkt denn an Emilia ?
Was schiert uns das Komödienspiel , mit welchem wir , wie es eben glückt , den süßen Pöbel unterhalten , dessen Beifall wir haben müssen , weil wir sein Geld gebrauchen .
Nein , was mich entzückt hat , das war Ihre Haltung heute in der Probe , Ihre Haltung in diesem Augenblicke .
Durchlaucht Clarisse könnte sich nicht fürstlicher betragen .
Ganz vollendet , ganz vollendet !
Aber basta Signora , basta aesso ! "
" Ich hatte nicht gewußt , " sagte Hulda , der seine Vertraulichkeit sehr quälend war , " daß ich in Ihnen-- "
" Ich weiß , Oh , ich merkte es , " fiel er ihr in das Wort , " und Sie werden sich überzeugt haben , Gnädigste , daß ich zu verstehen , zu gehorchen und zu schweigen weiß . "
Er verneigte sich mit komischer Ehrerbietung , da aber Hulda's Gesicht sich nicht erheitern wollte , änderte auch er die Miene und den Ton .
Er gab ihre Hand frei , lehnte sich mit gekreuzten Armen in die Ecke zurück und sagte :
" Sie wollen die Sache ernsthaft nehmen ?
Gut denn , ich habe Nichts dagegen .
Es ist ohnehin mit wenig Worten abzumachen , denn wir haben von beiden Seiten einige Rücksichten zu nehmen .
Sie , Verehrteste , werden die Gnade haben , es zu vergessen und zu verschweigen , daß Sie mich im Schlosse der Gräfin , in der Gesellschaft des Fürsten Severin , nicht als freien Herrn meiner selbst und meines freien Beliebens angetroffen haben ; ich vergesse und verschweige dafür die kleinen Freiheiten und Zerstreuungen , die Sie sich damals im Hause der Gräfin , unter der Aufsicht der gar tugendsamen Kenney , mit dem schwärmerischen Freiherrn und dem leichtbeweglichen Fürsten zu gewähren für gut befunden haben .
Unser Leben fängt von gestern an .
Ich bin von vornehmer Familie , bin gegen den Willen derselben Schauspieler geworden aus Leidenschaft für das Theater .
Sie ?
-- Sie werden mir befehlen , als was ich Sie vor den Anderen zu verehren habe .
Nur mit mir , Teuerste , spielen Sie nicht Komödie im Tete-a-tete .
Denn kurz und gut , ich finde Sie noch viel schöner als zu jener Zeit -- zum Rasendwerden schön ! "
Er hatte versucht , sich ihr abermals zu nähern , sie war aufgestanden , in Schreck , in Scham , in Zorn erglühend , angstvoll nach dem Worte suchend , das ihm ausdrückte , was sie empfand .
" Ich dachte nicht mehr an Sie ! " stieß sie endlich hervor .
" Sie haben Nichts von mir zu fürchten .
Ihr Name kam nie über meine Lippen und soll nicht über meine Lippen kommen , wenn ich es vermeiden kann .
Tun , sagen Sie , was Sie vertreten können !
Ich habe Nichts zu scheuen , Nichts zu verbergen -- "
" Nichts ? " fragte Michael höhnisch , " aber Sie haben es in aller Ihrer Unschuld doch für gut befunden , Ihres Vaters Namen abzulegen und sich eine illustre Mutter anzudichten . "
" Ich ? " rief Hulda , die nicht verstand , was seine letzten Worte meinten .
" Oh , " fiel er rasch in ihre Rede , " ich tadle Sie dafür nicht .
Im Gegenteile , ich bewunderte Sie um Ihrer Klugheit Willen .
Es hat ja Jeder , der gesehen werden soll , es nötig , sich auf ein gutes Piedestal zu stellen , und da Gabriele jetzt in fürstlicher Zurückgezogenheit an ihres Gatten Seite all unserer holden Torheit längst entrückt ist , so gönnt sie Ihnen wohl den Abglanz ihres einstigen Ruhmes -- besonders da Sie ihrem Namen Ehre machen .
Nur vor mir , schöne Freundin , der ich Sie bewunderte , während Sie an Ihrer Mutter Seite die Wäsche von den Leinen nahmen , und an Mamsell Ulrikens Seite -- verliebten Angedenkens -- das Glück Ihrer Gesellschaft genossen habe , vor mir und für mich , Teuerste , steigen Sie von Ihrem fürstlichen Piedestal herab ; und ich hoffe , auf gleichem Boden verständigen wir uns dann . "
" Das ist unerhört ! " rief Hulda , der jetzt plötzlich die mannigfachen Andeutungen verständlich wurden , in denen man sich die Jahre hindurch über Gabriele geäußert hatte , wenn man mit ihr von derselben einmal gesprochen hatte .
" Das ist unerhört !
Wer hat das behauptet ?
Wer hat das erfunden ? "
" Weiß ich es , Beste ?
Jedenfalls nicht ich ! " entgegnete Michael mit kühlem Gleichmute .
" Aber darum lassen Sie Ihr goldenes Haar nicht grau werden .
Denn wie mitunter bei gerichtlichen Entscheidungen , kommt es hier auf die Frage an , ob man sich zu der Person der Tat versehen könne ?
Und die Wege , welche von der Bühne in die Fürstenschlösser führen , sind nicht klösterliche Büßstationen .
Es sind Wege , die sich zwischen Rosen- und Myrtenhecken freundlich ladend hinziehen .
Eine Tochter wie Sie ? --
Welche Mutter würde sich ihrer nicht erfreuen ? welcher Mann nicht stolz sein , sich Ihren Erzeuger zu nennen ? "
Hulda hatte sich auf einen Stuhl am anderen Ende des Zimmers sinken lassen ; und die Arme auf den Tisch gestützt , weinte sie unverhohlen .
Das Andenken ihres frommen Vaters , ihrer sanften Mutter , den Namen Gabrielens beleidigt zu sehen , es erleben zu müssen , daß man sie selber der Verbreitung eines Gerüchtes anschuldigte , das diesen ihr so teuren Menschen zu nahe trat , und das ihr eigenes Dasein mit dem Stempel der Schande brandmarkte , das war mehr als sie ertragen zu können für möglich gehalten hatte .
Und doch -- sie konnte es sich nicht verbergen -- das Gerücht war verbreitet .
Michael hatte es nicht erfunden , es war im Umlauf gewesen , seit sie bei der Bühne war .
Sie allein hatte es in der Sicherheit ihres guten Glaubens nicht beachtet , sie hatte sich durch ihre Arglosigkeit sogar zur Mitschuldigen an dem Aufkommen desselben gemacht .
Aber woher stammte es ?
Wer hatte es ersonnen ?
Zu welchem Zwecke und zu wessen Schaden hatte man es erdacht und verbreitet ?
Ihre Gedanken wendeten sich von dem Einen zu dem Anderen , und ein Grauen kam sie an vor Allem , vor der Gesellschaft und der Welt , in der sie lebte .
Michael saß noch immer auf dem Sofa und sah ihr ruhig zu .
Mit einemmal kam ihr der Gedanke , daß er ihre Tränen sähe und sie dünkten ihr dadurch entweiht .
Sie richtete sich rasch empor und trocknete die Augen .
" Vortrefflich ! " rief Michael .
" In jeder Bewegung bewundernswert .
Gerade so müssen Sie die Arme vor sich hinstrecken , wenn Sie als Gretchen in der Kirche vor dem Altar liegen , die Hände gerade so verschlingen und das Haupt auf dieselben legen .
Das ist schöner nicht zu machen ; und Ihre Kopfform ist ja wundervoll . "
" Abscheulich ! " rief Hulda und wendete sich von ihm ab .
Er ließ sich dadurch aber in seiner betrachtenden Gelassenheit nicht Storen , er schien vielmehr ein Wohlgefallen an dem Widerwillen zu finden , den sie ihm bezeigte .
" Man muß Sie gewähren lassen , " sagte er , und ich tue es deshalb .
Für die nächsten vierzehn Tage sind Sie mir ja ohnehin verfallen ; und da Sie offenbar zu jenen naturalistischen Künstlern gehören , die sich selber und ihr eigenes Empfinden darstellen müssen , um ihr Höchstes zu leisten , so bestärken Sie sich die nächsten vierzehn Tage hindurch nur noch vollauf in Ihrem Hasse gegen mich , und -- wir werden Furore machen mit dem " Faust " .
Er hatte sich inzwischen erhoben ; Hulda lagen die Worte :
" Für die nächsten vierzehn Tage sind Sie mir ja ohnehin verfallen ! " wie ein Fluch auf dem Herzen .
" Ja , " rief sie , ohne recht zu bedenken , was sie tat , " vierzehn Tage ! aber dann nie wieder ! "
Michael lächelte .
" Holde Unschuld ! " sprach er , " denken Sie denn nicht mehr daran , wie hoch und heilig Sie es an jenem Regenabende im Walde verschworen haben , mich nie mehr zu sehen ?
Und heute stehen wir hier beisammen , auf einander unabweislich angewiesen , zwei Bühnenkünstler , das Entzücken einer Welt !
Sie sind sehr jung geblieben , wie es scheint .
Haben Sie sich wirklich noch nicht gefragt :
wie werden wir Beide zu einander stehen heute ' in vierzehn Tagen , wenn wir es erfahren haben werden -- und die Erfahrung machen wir gewiß -- was wir für einander wert sind , und wie wir die Theater kommandieren können , die Theater und die Direktoren und das Publikum , wenn wir uns verständigen ? "
" Ich verlange nicht danach ! " sagte Hulda kalt , " Alles was ich forder -- " Endlich ! " rief Michael , " also scheint . es , ich kann zu meiner Freude doch Etwas für Sie tun ! "
" Ja ! " versetzte Hulda , " und ich forder es als mein Recht . "
-- Sie hielt inne , denn ihre Lippen bebten , und sich zusammennehmend , daß ihre Stimme dumpf und klanglos tönte , sprach sie :
" Sagen Sie es Allen , Allen , die von mir wissen , daß Sie mich gesehen haben in meiner guten Eltern unbescholtenem Hause , daß Sie mich kannten , als ich in Mamsell Ulrikens Diensten war " -- sie hatte das Wort absichtlich gewählt , ihrem Verlangen den stärksten Ausdruck zu geben -- " sagen Sie , daß ich ehrbarer , guter Leute Kind bin , und daß zwischen Gabriele und mir kein anderes Band Votanten ist , als dasjenige meiner Dankbarkeit für ihre Großmut gegen mich . "
Sie meinte , ihn damit entlassen zu haben , und hoffte , er werde sich entfernen .
Er blieb aber stehen , die Augen fest auf sie gerichtet , denn sie dünkte ihm immer schöner , je länger er sie betrachtete .
Sein Blick tat ihr förmlich wehe .
Das entging ihm nicht , er genoß ihre Verwirrung wie den Anfang seines Triumphes .
Er verneigte sich zustimmend .
Freundlich , als stände zwischen ihnen Alles auf das Beste , sagte er :
" Ihnen soll gehorsamt werden , schöne Freundin ! verlassen Sie sich darauf " -- und ein Zitat aus seiner Rolle nützend und parodierend , fügte er scherzend hinzu :
" Ich will mich hier zu Deinem Dienst verbinden , Auf Deinen Wink nicht rasten und nicht Ruhe 'n -- wenn wir uns aber wieder hier zusammen finden , so hoffe ich , meine schöne reizende Freundin , Sie nicht wieder so unnahbar , und so gar untraitable für mich armen Sterblichen zu treffen , den zu verachten Sie sich den Auschein geben , weil er es keinen Hehl hat , daß er ein Erdensohn und nicht ein Seraph ist . "
Er ergriff und küßte mit Leidenschaft ihre Hand , noch ehe sie es hindern konnte .
Dann ging er mit einem " A rivederci ! " rasch davon .
Hulda hörte , wie er die Treppe hinabstieg , wie die Haustür in das Schloß fiel .
Sie atmete auf , sie hätte schreien mögen , ihrem gepreßten Herzen Luft zu machen .
Sie zog heftig die Klingel , als drohe ihr noch immer die Gefahr .
Beate kam herbei , die Mutter folgte ihr auf dem Fuße .
Sie fragten Beide , was sie wünsche , was geschehen sei .
" Wenn Herr Lippow wieder kommt , " sagte Hulda , " so bin ich nicht für ihn zu Hause . "
Die beiden Frauenzimmer trauten ihren Ohren nicht .
Sie meinten es gut mit Hulda .
Frau Rosen versuchte ihr eingänglich zu machen , was sie damit tue und auf das Spiel setze .
Hulda war nicht in der Verfassung , auf solche Einwände zu achten .
Sie wiederholte ihre Weisung während sie sich an ihrem Arbeitstische zu tun machte .
Mutter und Tochter gingen unzufrieden von ihr .
" Wenn man nur wüßte , " meinte Beate , " was oder wen sie eigentlich im Sinne hat ?
Denn ein Spiel spielt sie doch am Ende auch !
Und sie ließ sich Anfangs wie ein Kind an ; daß man sie lieben mußte . "
" Freilich spielt sie ein Spiel ! " bedeutete die Mutter , " und sie wird_es gewinnen und ihr Glück machen mit dem reichen Philibert ; denn sie ist ebenso wie Feodore kalt und klug und vorsichtig . "
Einundzwanzigstes Kapitel .
Das Theater war an jedem Abende trotz der erhöhten Preise bis in die letzten Plätze voll von Zuschauern ; die Vorstellungen gelangen über alles Erwarten .
Michael's außerordentliches Talent , der Scharfsinn , mit welchem er in den Charakter der Rollen einzudringen , der Schwung und die Klarheit , mit welchen er sie zu verdeutlichen wußte , wirkten nicht nur auf das Publikum , sondern zunächst auf die Mitspielenden zurück , so daß Jeder sich selbst gehoben und fortgerissen fühlte , Jeder sich selbst und darum auch den Anderen wieder in vollem Maß Genüge tat .
Der Direktor hatte solche Einnahmen seit Feodorens Gastvorstellungen nicht wieder erzielt .
Er war stolz , der Leiter einer so befähigten Gesellschaft zu sein ; man war allseitig in der besten Stimmung , und wenn Hulda sich auch in ihrem Inneren nicht von dem Drucke frei zu machen im Stande war , welchen ihr der Verkehr mit Michael und seine zudringliche Vertraulichkeit in dem Zusammenspiel mit ihm auferlegten - daß er ein großer Künstler geworden sei , das konnte sie sich nicht verbergen .
Der Direktor , der Regisseur , Lelio , die Theaterfreunde , Philibert an ihrer Spitze , waren auf das Höchste von ihm eingenommen .
Er besaß gute Sprachkenntnisse , die er auf seinen früheren Reisen mit dem Fürsten fleißig ausgebildet hatte ; bei seinem Talente zur Nachahmung waren ihm die Manieren und die Ausdrucksweise der guten Gesellschaft ganz geläufig geworden , er hatte viel gesehen , mehr noch gehört , wußte gut zu erzählen und geschickt erraten zu lassen , was er zu verschweigen , für angemessen fand , wenn er in erregtem Männerkreise bis nahe an die Grenze des Erzählbaren gegangen , war .
Und wie er die Männer für sich zu gewinnen wußte , so hatte er bald auch diejenigen Frauen für sich eingenommen , deren Zartgefühl nicht eben fein , deren Hauptverlangen es war , sich gut unterhalten und über die Stunden , gleichviel wodurch und wie , fröhlich fortgetragen zu finden .
Bald nach seinem ersten Besuche hatte sich Michael abermals bei Hulda melden lassen , war abgewiesen worden , hatte sich noch einmal eingestellt und war wieder nicht angenommen worden .
Derlei war er nicht gewohnt und , besonders in diesem Falle , zu ertragen keineswegs gewillt .
Die Frauen , mit welchen er es im Allgemeinen bei der Bühne zu tun gehabt , hatten ihm manche Freiheit zugestanden , und die Zurückweisung , die er von Hulda zu erfahren hatte , beleidigte deshalb seine Eitelkeit in demselben Grade , in welchem ihre Schönheit sie ihm reizend machte .
Er versuchte es jedoch , die Sache scherzhaft zu behandeln , sie durch den Schein argloser Zutraulichkeit in Sicherheit zu wiegen , durch Gewöhnung ihren Stolz und ihre Kälte zu besiegen .
Als er sie am Abende auf der Bühne traf , machte er ihr im Beisein der Delmar , mit der er schnell vertraut geworden war , Vorwürfe darüber , daß sie gegen einen so alten Bekannten , gegen einen Kollegen die Unnahbare spiele .
Hulda schützte Übermüdung vor und sprach von der Notwendigkeit , die wenigen Stunden , welche der anstrengende Dienst ihr jetzt noch freiließ , zu dem Studium der neuen Rolle zu verwenden .
Die Delmar meinte , Hulda habe sich doch bisher eines Vortefflichen Gedächtnisses gerühmt .
" Und kann doch ihre Freunde so vergessen ! " fiel Michael rasch ein ; " hat doch die schönen Korridore und die Seitentreppen des alten Schlosses offenbar vergessen , auf denen wir junges Volk durch die Etagen eilten , auf denen man sich unangemeldet und ohne zu antichambrieren leste et joyeux zusammenfand , und in denen Lachen und Geplauder wie Sonnenstrahlen durch die alten Mauern glitzerten .
Aber Tempi passati ! --
Pfarrers schöne Hulda ist eine große Künstlerin geworden , und man hat nicht mehr das unschätzbare Glück , ihr Lebens- und Hausgenosse in einem Grafenschlosse zu sein . "
Der leichtfertige Ton , mit welchem Michael die Worte sprach , beleidigte Hulda noch mehr als die Unwahrheit der Aussage , und daß dies Alles in dem Beisein der Delmar ausgesprochen wurde , nahm ihr die Besonnenheit .
" Ich habe Nichts vergessen , " sagte sie , " Nichts !
Ich erinnere mich sehr deutlich der Verhältnisse im Schlosse .
Sie wecken aber keine angenehme Erinnerung in mir auf , und ich weiß nicht , wie eben Sie mich an dieselben mahnen mögen . "
Das Stichwort rief sie in die Szene .
Lippow schüttelte den Kopf und lächelte .
" Immer derselbe entzückende Eigensinn und Trotz , " sagte er , " immer das reizende Kammerkätzchen , reizend im eigentlichen Sinne des Wortes ; und mit Bewußtsein reizend und herausfordernd wie dazumal . "
Die Delmar machte große Augen .
" Kammerkätzchen ? " wiederholte sie .
" Kammerkätzchen oder -- Gesellschafterin bei einer ausgedienten Gesellschafterin ! " warf er Leichtweg hin .
" Nennen Sie es , wie Sie es wollen .
Die Mutter hatte im Schlosse gedient , war eine Hörige gewesen auf den Gütern der Gräfin , war schön gewesen wie die Tochter und hatte Wohlgefallen vor der Herrschaft Augen gefunden .
Man hatte sie schließlich dem Pastor nach Landesbrauch zur Frau gegeben , und die Tochter war im Schlosse dann ihrerseits bei Alt und Jung auch sehr wohl gelitten . "
" Aber wie ist es denn mit Gabriele ?
Wie hängt sie denn mit der zusammen ?
Wie kam sie denn zu Gabriele ? " fragte die Delmar , voll Erstaunen aufhorchend .
" Zu Gabriele ?
Sie hat vielleicht bei ihr gedient . "
" Gedient ?
Sie soll ja Gabrielens Tochter sein ! " sagte die Delmar , mehr und mehr von dem Gespräche angezogen .
" Welch ' ein Einfall !
Wer hat das erfunden ? " rief der Arglistige mit erheuchelter Entrüstung .
" Wie darf man Gabriele derlei nachsagen ohne allen Grund !
Und obenein einer Frau in ihrer jetzigen Stellung ! "
Die Delmar versicherte , das Gerücht sei Gang und gäbe , sei geglaubt und angenommen seit Hulda's Ankunft bei der Bühne .
Hulda habe es auch nie geleugnet , wenn man darauf hingedeutet ; sie habe sich des Schutzes von Gabriele vielmehr stets gerühmt .
" Und eine Kammerjungfer ist sie gewesen ? " rief die Delmar triumphierend .
" Sie haben sie gekannt als eine solche ? " setzte sie voll Entrüstung noch hinzu .
" Eine Kammerjungfer und sich solche Airs zu geben !
Das ist beispiellos ! "
Michael legte beruhigend seine feine Hand auf ihren entblößten Arm .
" Ruhig , meine Beste , und nicht zu ungerecht .
Ein schönes Kammerzöfchen gehört in die Weltordnung und in einen vornehmen Haushalt , so gut wie andere nützliche Geschöpfe , und ist durchaus nicht zu verachten , am wenigsten , wenn es eine Künstlerin wird , die sich , wie unsere schöne Hulda , vor Meister und Gesellen sehen lassen kann .
Beklage ich selber mich doch nicht über sie .
Und weiß der Himmel , ich hätte Grund dazu , denn ich hatte ihr und ihr allein , ein recht peinliches Zusammentreffen mit dem Fürsten Severin und dem Baron Emanuel zu danken dem Schwiegersohne und dem Bruder der Gräfin .
Sie hatte übrigens ihre Karten für eine Anfängerin geschickt genug gemischt , nur meine Hitze und Leidenschaft verdarb ihr die Partie .
Die Affäre brachte mich aus meiner eigentlichen Bahn , aus meiner Gesellschaft schließlich auf die Bühne , und Mademoiselle Hulda in ihr Vaterhaus zurück .
Nun , ich habe mich darüber nicht eben zu beklagen , wie mich dünkt , und der schönen Hulda hat vermutlich die Protektion der beiden Kavaliere den Weg eröffnet , auf dem ich sie hier zu meiner großen Überraschung wiedergefunden habe . "
Der zweite Akt des Stückes war in dem Augenblicke zu Ende , Hulda und Lelio , welche die letzte Szene gehabt hatten , wurden gerufen , traten , wähvend man die Kulissen bereits wechselte , in das Proszenium , gingen in ihre Garderoben und trafen erst wieder am Beginn des neuen Aktes zusammen .
Die ganze Vorstellung rollte , wie Perlen auf einem Schnürchen , glatt und schnell dahin .
Das Publikum war von den Künstlern sehr befriedigt , die Schauspieler lobten die Einsicht der Zuschauer , man hatte einen neuen Erfolg gehabt und ging mit fröhlichem Bewußtsein aus dem Theater fort .
Auch Hulda hatte sich während des Spieles beruhigt und zurecht gefunden , aber sie hätte viel darum gegeben , das herausfordernde Wort nicht ausgesprochen zu haben , denn sie kannte Michael und hatte sein Lächeln fürchten , vor seinem Scherze schaudern lernen .
Der Gedanke an ihn und seinen bösen Willen lag wie eine schwere Last auf ihr und machte sie beklommen ; das Alleinsein fiel ihr schwer .
Sie hätte Jemanden haben mögen , den sie fragen konnte :
" Was meinst Du , das er tun wird ?
was ich von ihm besorgen muß ? "
Es wäre ihr schon eine Erleichterung gewesen , sich schreibend das Herz entlasten zu können .
An wen aber sollte sie sich wenden ?
Gabriele war ihr ganz entrückt , sie hatte ihr ja auch vorhergesagt , daß die Künstlerlaufbahn ihre Dornen und ihre schweren Stunden habe , sie durfte sich also nicht gegen sie beklagen , wenn eine dieser Stunden jetzt an sie herantrat .
Feodore war mit ihrem reiselustigen Gemahl beständig unterwegs und hatte Alles immer leicht genommen -- und sonst hatte sie ja Niemand .
Niemand ! --
denn von den alten treuen Freunden in der Heimat hatte sie sich losgelöst .
Der Amtmann schrieb ihr nicht , und der Pfarrer , der es gut mit ihr gemeint , der sie wohl auch nicht vergessen hatte , was konnte der ihr helfen oder raten in der Welt , in der sie sich bewegte und vor der er sie gewarnt , aus der er sie zurückzuführen getrachtet hatte , in sein kleines Haus .
Sie dachte mit tiefer Rührung an das alte enge Haus .
Man lebte still in solchem Hause : ungekannt , unangefochten , in bescheidenem friedensvollem Tun und Schaffen .
Es war auch ihr einmal ein solches sanftes Los gefallen .
Es hatte nur an ihr gelegen , ihr Leben sorglos zu gestalten unter eines wackeren Mannes Schutz , in seiner Liebe sicherer Hut , und sie hatte ihn verschmäht . --
Aber konnte sie dafür , daß die Liebe für Emanuel in ihr aufgegangen war , fast mit ihrem ersten selbstbewußten Denken und Empfinden ?
Michael's Anwesenheit rief ihr die Vergangenheit beständig wieder wach .
Sie war sich ihrer Liebe , ihrer unglücklichen , verschmähten Liebe wieder einmal mit tiefem Schmerz bewußt .
-- Was war das Beifallsklatschen fremder Menschen gegen den freundlich dankbaren Blick , mit welchem Emanuel einst ihrem Lied gelauscht hatte ?
Wie glücklich war sie gewesen neben ihm .
Welch selige Hoffnungen hatten sie umschwebt auf ihrem Krankenlager , als er den goldenen Reif an ihre Hand gesteckt hatte .
Und jetzt ?
Wo war das Glück hin , das seine Liebe ihr verheißen hatte ?
Wo war das Alles hin ? --
Was hoffte sie denn noch ?
Was konnte ihr denn blühen , als der Erfolg , an dem ihr Ehrgeiz , ihr Künstlerbewußtsein sich berauschten , und der das Herz nicht füllte , nicht erquickte ?
War das denn Glück ?
Ein Glück , wie sie es sich ersehnt , erhofft ?
Sie durfte sich den Gedanken nicht überlassen .
Sie fruchteten ihr nicht , sie brachen ihre Spannkraft !
Sie mußte vor sich selber fliehen , und Frieden suchend in den Tönen , die ihr von der Heimat sprachen und von ihm , dem sie sie oft gesungen hatte , spielte sie die alten Weisen , die sie als Kind von ihrer Mutter Mund gelernt , bis die Nacht herankam .
Zweiundzwanzigstes Kapitel .
Am folgenden Abende sollte der " Faust " in Szene gehen .
Lelio , dem das erste Auftreten in demselben fast eben so sehr wie seiner Freundin Hulda eine Feierlichkeit war , hatte ihr zugesagt , sich am Vormittage noch bei ihr einzufinden .
Er blieb indessen aus .
Dagegen kam Philibert , sich , wie er sagte , ein wenig bei ihr auszuruhen .
Der vertrauliche Ausdruck fiel ihr auf .
Philibert war jedoch so voll von dem Vergnügen über das wohlgelungene Fest , welches er am verwichenen Abende , nach dem Theater in seiner am Strome gelegenen Villa für Michael veranstaltet hatte , er erzählte so viel von den ergötzlichen Geschichten , mit denen Jener sie unterhalten , daß Hulda darüber kaum zu Worte , kaum zu rechtem Nachdenken über all das Gehörte gelangen konnte .
Es war aber heute etwas Besonderes an Philibert .
Sie konnte sich nicht erklären , was mit ihm geschehen sei , was er im Sinne habe ; denn er und sein Betragen gegen sie erschienen wie umgewandelt .
Es kam ihr vor , als ahme er Geflissentlichdia Vertraulichkeit nach , in welcher Michael sich gegen Frauen wohlgefiel , als gäbe er sich wie dieser , den Anschein , an Hulda eine Art von Anrecht zu haben .
Er nannte sie unablässig bei ihrem Taufnamen , er ergriff ohne jeden Anlaß ihre Hand , und hatte sich zu ihr in das Sofa geworfen , als stände es ihm in der Tat frei , sich in ihrer Wohnung und neben ihr , nach Belieben auszuruhen .
Sie mochte ihn deshalb nicht zur Rede stellen , weil dies sich selber schon zu nahe treten hieß , und weil er ihr , seit sie sich einst an ihrem Geburtstage mit ihm verständigt , nie einen Anlaß gegeben hatte , gegen ihn auf ihrer Hut zu sein .
Heute jedoch fand sie sich gezwungen , ihm durch ihre Zurückhaltung anzudeuten , daß sein Betragen sie verletze ; indes sie erreichte ihre Absicht damit nicht .
Philibert lachte über ihren Ernst .
" Um aller Heiligen Willen , beste Hulda , " rief er , können Sie denn gar nicht mehr heraus aus Ihrer Rolle ?
Was haben Sie nur davon , sich und uns die Jugend zu verbittern ?
Muß man denn durchaus ein Fürst oder wenigstens ein Baron sein , um bei Ihnen Gnade und Gehör zu finden ? " .
Hulda tat einen Ausruf des Erschreckens , denn jetzt wußte sie , wie sie sich Philibert's Betragen auszulegen hatte , und woher die Veränderung in demselben stammte , aber er deutete den Ausruf sich auf seine Weise .
" Sie können sich nicht über mich beklagen , Hulda ! " sagte er .
" Ich habe nie von Ihnen zu erfahren getrachtet , was zu verschweigen Ihnen angemessener dünkte ; und ich bin gewiß der Letzte , der Sie verkennt , oder weniger zu Ihren Füßen liegt , weil Sie sich und Ihr Herz vor jenen Tagen , in denen ich Sie kennen lernte , vielleicht weniger streng als jetzt verwahrten .
Das Einzige -- "
Hulda hielt sich nicht länger , und mit glühenden Wangen rief sie , ihm in die Rede fallend , während Tränen des Zornes sich in ihre Augen drängten :
" Das Einzige , was ich Ihnen noch zu sagen habe , ist , daß ich es empörend finde , wie Sie dem Worte eines fremden Mannes , der von dem Fürsten Severin , in dessen Dienst er stand , entlassen wurde , weil er sich ungebührlich gegen mich betragen hatte , mehr Glauben schenken als mir ; mir , die Sie kennen , und die weder Ihnen noch sonst Jemandem Anlaß oder gar ein Recht gegeben hat , ihr in irgend einem Zeitpunkte ihres Lebens etwas Unehrbares zuzutrauen . "
Sie erhob sich und ging in ihr Nebenzimmer .
Er machte Miene , ihr zu folgen und blieb auf halbem Wege stehen .
Er hatte sich , wie er merkte , offenbar verrechnet , sich auf fremde Aussage hin , die vielleicht doch nicht ganz zuverlässig gewesen sein mochte , in eine falsche Unternehmung eingelassen , und sie war denn auch mißglückt .
Stadt des Gewinnes , den er von ihr erwartet hatte , war sie zu seinem Nachteil ausgeschlagen .
Das verdroß ihn .
Er hielt sehr viel von seiner Einsicht , von seiner Menschenkenntnis und von seiner umsichtigen Gewandtheit im Verkehre .
Eine Unüberlegtheit , eine Unvorsichtigkeit hatten ihn , wie er es sich sagte , um die treulich aufgewandte Mühe und um die Vorteile gebracht , die er in Hulda's Gunst allmählich doch errungen hatte .
Er wußte in seinem Ärger sich nicht gleich zu raten .
Es paßte ihm nicht , sich einzugestehen , daß er Hulda beleidigt habe .
Hatte er nach Art der Egoisten in dem Verkehre mit ihr doch immer nur an sich und nicht an sie gedacht !
Es paßte ihm auch nicht , ihre Vergebung zu erbitten , denn nach seiner Meinung hatte seine fügsame Huldigung sie über die Gebühr verwöhnt , und noch weniger lag es in seinem Plane , es mit ihr , von der bevorzugt zu werden er sich stets gerühmt hatte , zu einem offenkundigen Bruch zu bringen .
Es mußte ein anderes Mittel geben , es mußte ein Ausweg zu finden sein , auf welchem man mit ihr verhandeln , mit ihr fertig werden , und auf welchem man ihr begreiflich machen konnte , was die Gunst und Huldigung eines Mannes von seiner Stellung und von seinem Einflusse für eine Bühnenkünstlerin bedeuteten .
Er glaubte nach kurzem Überlegen auch zu wissen , was er zu tun und wie er sie zu zähmen habe , ohne daß man deshalb zu erfahren brauchte , was heute zwischen ihr und ihm geschehen war .
Er zog eine Karte aus seiner Brieftasche hervor , schrieb darauf Faust's Worte :
" Wie sie kurz angebunden war , Das war nun zum Entzücken gar " setzte noch ein " unwandelbar der Ihre " über seinen Namen hin , und entfernte sich darauf , nachdem er die Karte so hingelegt hatte , daß Hulda's erster Blick sie treffen mußte .
Sie trat in das Zimmer , sowie er es verlassen hatte .
Die Karte sehen , sie lesen , zerreißen und im Zorne von sich schleudern , das war Eins .
Denn das war es , was sie nicht verschmerzen konnte , was ihr die Sonderstellung , in welche sie sich freiwillig begeben hatte , oft so unerträglich machte .
Es gelüstete sie nicht nach der bedenklichen Freiheit , welche die allgemeine Meinung den Bühnenkünstlerinnen zuerkannte und von der eine große Anzahl der Schauspielerinnen einen noch bedenklicheren Gebrauch machten , eben weil das Vorurteil der anderen Frauen sie ganz ausschließlich auf den Verkehr mit Männern anwies .
Es half ihr nicht , daß sie ihre Seele und ihr Leben rein bewahrte .
Die Männer nahmen das als eine Grille auf , die sich wohl legen , die Einer oder der Andere früher oder später zu besiegen im Stande sein werde .
Man sah eine Schauspielerin wie ein Wild an , das auf die Länge dem geschickten Jäger sich nicht entziehen könne , man hielt gegen sie erlaubt , was neben einer anderen Frau zu denken , man als Beleidigung angesehen habe würde .
Und gelang es endlich einer Schauspielerin , sich emporzuschwingen , sich einen Namen zu machen , luden die Reichen und Vornehmen , die sich mächtig genug fühlten , sich über die gewöhnlichen Vorurteile hinwegsetzen zu dürfen , sie aus persönlicher Neugier oder um das neugierige Interesse Anderer zu befriedigen , in ihre Häuser ein , so war man deshalb doch weit davon entfernt , eine Gleichgestellte oder eine Gleichberechtigte in einer solchen Künstlerin zu erblicken .
Man stellte sie allenfalls über sich , um sie nur als Ausnahme gelten lassen zu können , und nicht zu dem Glauben Anlaß zu geben , daß eine Schauspielerin mit den anderen Frauen auf demselben wohlumfriedeten und wohlbeschützten Boden stehe .
Hulda hatte das erfahren , als Miß Kenney Gabrielen's Besuch in dem gräflichen Hause erwartet , sie hatte es später zu beobachten Gelegenheit gehabt , als Feodore die Gattin des Herrn van der Vlies geworden war .
Man hatte beiden Frauen die Freiheit nachgesehen , die sie sich genommen , weil sie Schauspielerinnen gewesen waren , man hatte ihnen aber deshalb die Auflehnung gegen die Sitte , die sie sich erlaubt hatten , weder vergessen noch vergeben , und Niemand hatte es ihnen angerechnet , wie man sie im voraus zurückgewiesen , ehe sie schuldig geworden waren , wie man sie sich selber und dem Begehren der Männer überlassen , wie man sich an ihrer Kunst und ihrer Leistung erfreut , erhoben und entzückt hatte , während man sie doch als Ausgestoßene geringgeschätzt und von sich ferngehalten hatte .
Was half ihr der Beifall der gesamten Zuschauer , dessen lebhafter Ausdruck sie mit freudigem Stolze erfüllte , wenn sie in der Zurückgezogenheit ihres Privatlebens vor Beleidigungen ihrer Würde und ihres sittlichen Empfindens nicht gesichert war ?
Was konnten die Blumen ihr bedeuten , mit welchen schöne Hände ihr im Theater die künstlerische Leistung lohnten , wenn dieselben Frauen , die sie ihr gespendet , sich von ihr wie der Brahmane von dem Paria geschieden fühlten ? --
Es war ein Widerspruch in diesen Verhältnissen , in den sich Hulda zu finden , den zu lösen sie nicht vermochte .
Ihr gutes Bewußtsein , ihr reines Gewissen waren ihr kein Trost dafür .
Die Bewunderung , welche man ihr als Künstlerin zu zollen gerne bereit war , hielt sie nicht schadlos dafür , daß man sie als Weib nicht ehrte , wie es ihr gebührte .
Sie fühlte sich nicht dazu gemacht , sich immer wieder angezweifelt , angegriffen zu finden ; es erniedrigte sie in ihren eigenen Augen , daß sie sich zu vertreten , zu verteidigen genötigt war , und gerade heute , an dein Tage der Faust-Aufführung , der sie frohbewegten Herzens entgegengesehen hatte , lag der Druck dieser Mißverhältnisse schwerer als je zuvor auf ihr .
Das Wetter war von einer herrlichen Klarheit , als sie sich am Abende nach dem Theater begab .
Die Sonne brannte zwar noch , aber es zog ein frischer Ostwind durch die Plätze der Stadt , der die Bänder von Hulda's großem runden Strohhut vor sie hinflattern machte , wie sie oft im lustigen Seewind geflattert hatten , wenn sie an solchen klaren Nachmittagen des Augustmonats hinausgegangen war mit Vater und Mutter , den Amtmann zu besuchen , wenn die Ernte sich auf den weiten gräflichen Roggenfeldern hingezogen hatte bis zum Pfarrdorf .
Sie meinte den Duft des Meeres zu fühlen , den Klang des Sensenschleifens zu vernehmen , die ganze unschuldig fröhliche Empfindung jener Tage war ihr deutlich im Gedächtnis , aber sie tat ihr nicht wohl , denn sie erhöhte das Bewußtsein des Abstandes , der sie von jener friedensvollen Ruhe trennte .
Die weite Vorhalle des Theaters war voll Menschen .
Man umdrängte die Kasse .
Diejenigen , welche sich schon im voraus Billetts verschafft , eilten sich der vorderen Plätze in den Logen zu versichern .
Im Vorübergehen erkannte Dieser und Jener Hulda , man zeigte sie einander :
es waren gerade viele Fremde des Wollmarktes wegen in der Stadt .
Sie hörte ihren Namen nennen , man trat geflissentlich in ihren Weg ; sie war froh , als sie aus dem Gewühl in den langen Korridor eintrat , der hinter die Kulissen führte , aber die drückende Schwüle in demselben beklemmte ihr die Brust , und unwillkürlich kam ihr Faust's klagender Ausruf :
" Weh ! steck ich in dem Kerker noch ? " auf die Lippen .
Es drückte sie heute Alles , Alles ; sie konnte nicht Herr werden über die Schwermut , die auf ihr lag .
Vor ihrer Garderobe traf sie Michael und Lelto , Beide schon angekleidet .
Sie hatte Lelio bisher nur in Trachten gesehen , die seine jugendliche Mannesschönheit zur Geltung brachten , er war ihr also in dem Faust-Kostüme des ersten Aktes wie ein Fremder , aber er betrug sich gegen sie auch wie ein solcher .
Er bot ihr nicht die Hand wie sonst , er hatte nicht die gewohnte herzliche Ansprache .
Sie konnte sich sein Betragen nicht erklären , und weil er auch am Morgen ausgeblieben war , fragte sie ihn :
" Ist Ihnen etwas Unangenehmes begegnet ?
Fehlt Ihnen Etwas , Lelio ? "
Er bejahte das .
Sie bat ihn , er möge ihr erklären , was ihm geschehen sei .
Er wich ihr aus , und sie meinte ein unheimliches Lächeln in Michael's Gesicht zu lesen .
Sie konnte aber sich nicht deutlich machen , ob dieses Lächeln in der Maske lag , die er sich selber meisterhaft gezeichnet hatte , oder ob es ihr und ihren Fragen galt , und Michael ließ ihr auch nicht Zeit dazu .
" Sehen Sie nun wohl , Allerholdseligste ! " sagte er , da Lelio sich entfernte , " daß nicht Jeder so geduldig ist , wie Ihr alleruntertänigster Diener ?
Daß nicht Jeder Ihre Launen so geduldig hinnimmt wie Ihr alter Freund , der Alles vergessen hatte , so wie er Sie nur wiedersah ? --
Alles , Hulda !
Alles !
-- Und heute noch werden wir eine gemeinsame Genugtuung empfinden , heute werden Sie noch mit mir ein " Io triomfo " singen ! "
" Ich verstehe Sie nicht ! " sagte Hulda mit jener Angst , von welcher sie in der Nähe dieses Mannes sich niemals frei zu machen wußte , denn daß er nicht nur von ihrem Erfolge als Künstler sprach , meinte sie herauszufühlen .
Haben Sie Geduld und Sie werden es erleben ! " sagte er , sich mit der gemachten Höflichkeit seiner Rolle verbeugend und hinkte von dannen .
Sie mußte gehen , sich anzukleiden ; die Ouvertüre hatte begonnen , sie wurde vortrefflich ausgeführt , der erste Akt ging mit glänzendem Erfolge vorüber .
Mephisto's feines , nirgends zur Übertreibung hinneigendes Spiel überwältigte nicht nur das Publikum , es ergriff die Mitspielenden , es übte auf Hulda's Phantasie eine Art von Bann aus .
Ihr kam es vor , als sehe sie Michael erst heute in seiner wirklichen Gestalt , als sei er ihr bis heute immer nur in beliebiger Verkleidung erschienen , und es schauerte ihr vor ihm in Wirklichkeit , wie sie es in der Darstellung des Gedichtes auszudrücken hatte .
Endlich war die Musik des Zwischenaktes vorüber , der Vorhang flog empor , Gretchen trat von der rechten Seite der Szene aus der Kirche in den Mittelgrund , das Haupt gesenkt , das Gebetbuch in den Händen .
Lelio-Faust nahte sich ihr mit raschem Schritte , sie hob das Auge bei seiner Ansprache , und wie sie in die Höhe sah , erblickte sie in der Proszeniums-Loge des ersten Ranges Clarisse und den Fürsten Severin .
Das also war es !
Das hatte Michael gewußt , gemeint ! --
Es flog ein Erbeben durch ihre Glieder , eine heiße Röte übergoß ihre Wangen und färbte ihren Nacken , sie konnte die Blicke nicht erheben , sie brachte die zwei Verse , die sie zu sprechen hatte , zaghaft und schüchtern wie ein Kind heraus und kam erst wieder zu sich selber , als sie sich hinter der Szene nicht mehr von dem Fürsten beobachtet , nicht mehr Clarissens Augenglas auf sich gerichtet fühlte .
-- Das Publikum hatte die flüchtige erste Begegnung Gretchen's mit Faust Bewunderungswert gefunden , man war einstimmig der Meinung , das mädchenhafte Erschrecken nie mit solcher Naturwahrheit ausgedrückt gesehen zu haben .
Man versprach sich im voraus das Beste von Hulda's neuer Rolle , und sie war auch für dieselbe durch ihr Äußeres wie geschaffen .
Wie sie durch ihre Rolle kam ? --
Sie wußte es selber nicht , denn das Herz war ihr zum Zerspringen voll und schwer .
Die Erinnerungen überfluteten sie , daß sie sich dagegen kaum zu behaupten wußte .
Ein grenzenloses Verlangen , nur einmal noch von Emanuel zu hören , ihn nur einmal noch wiederzusehen , kam über sie , wie sie Clarisse erblickte -- und sie hatte Clarisse selber so geliebt !
Clarisse war zu ihr gütig gewesen wie zu einer Schwester .
-- Was mochte sie denken , wenn sie sie jetzt vor sich sah , in Gemeinschaft mit jenem Michael ?
Wie mochte sie es auffassen , daß Hulda ihr Vaterhaus verlassen hatte , daß sie Schauspielerin geworden war ?
Sie brauchte sie nicht zu erkünsteln , die Sehnsucht und die Tränen , mit denen sie am Spinnrad sang .
Sie hatte nur Mühe , der Empfindung Zügel anzulegen , welche ihr , die Tränen in die Augen lockte , und nie hatte sie es so deutlich , so schmerzlich und so überwältigend empfunden , wie sehr sie Emanuel zu eigen , wie er allein ihr die Welt gewesen war , und wie leidenschaftlich sie ihn noch immer liebte -- ihn allein -- als in dem Augenblicke , da sie mit dem aufzuckenden Wahnsinn der Verzweiflung , alle Scheu der Zucht und Sittsamkeit von sich abtuend , die letzten beiden Strophen des Liedes mit aller Macht der verlangenden Liebe aus ihrer Brust heraussang :
" Mein Busen drängt Sich nach ihm hin .
Ach , dürfte ich fassen Und halten ihn !
Und küssen ihn , So wie ich wollte , An seinen Küssen Vergehen sollt ' ! "
Der rauschendste Beifall lohnte die Szene .
Der Fürst bog sich weit aus der Loge heraus und applaudierte lebhaft .
Er wollte offenbar Hulda's Aufmerksamkeit auf sich ziehen .
Clarisse trocknete sich die Augen , und wie Hulda zu ihr emporsah , meinte sie zu bemerken , daß sie ihr mit den schönen Augen -- sie hatte den seelenvollen Blick Emanuel's -- einen Gruß zuwinkte .
Hulda faltete , sich vor dem Publikum verneigend , ihre Hände vor der Brust -- ihre Gedanken waren bei Clarisse , ihre demütige Gebärde galt nur ihr .
Sie hätte allen Ruhm der Welt darum gegeben , sich einmal , nur einmal in die Arme der Fürstin werfen , und einmal wieder nur des Pfarrers Tochter , nur sie selber sein zu dürfen .
Die Gewohnheit des verständnisvollen Zusammenspieles mit Lelio half ihr über die nächste Szene im Garten fort , die gewaltige Kraft des Gedichtes nahm sie gefangen .
Sie vergaß alles Persönliche , die Erhabenheit der Dichtung hob sie über sich selbst hinaus , und nur als sie in der Kirche betend vor dem Altare lag , als die Stimme des bösen Geistes ihr :
" Wie anders , Gretchen , war dir_es , Als du noch voll Unschuld Hier zum Altar tratst , Aus dem vergriffenen Büchelchen Gebete lalltest , Halb Kinderspiele , Halb Gott im Herzen ! " an ihr Ohr tönte , da wachte das eigene sehnsuchtsvoll wehmütige Erinnern noch einmal in ihr auf , um dann zu verschwinden in dem großen Strome der Poesie , der sie umflutete , und sie auf seinen mächtigen Wogen an das Ende trug .
Als der Vorhang am Schlusse des Dramas gefallen war , verlangte man mit begeistertem Zurufe die Träger der Hauptrollen noch einmal zu sehen , und als dann , von Michael und Lelio geleitet , Hulda in den Vordergrund trat , rief der Fürst der Letzteren zu wiederholtenmalen sein " Brava ! "
" Brava ! " mit solcher Wärme zu , daß das Publikum , von seinem Beispiele hingerissen , sie mit Beifall überschüttete und ihr damit in gewissem Sinne den Siegerkranz des Abends zuerteilte .
Über Michael's Antlitz flog ein Ausdruck wilden Zornes , er kannte sich nicht in seinem Grimme .
Jahrelang hatte er den Tag herbeigewünscht , an welchem er seine Prophezeiung wahrzumachen dachte , daß sein ehemaliger Herr und Gebieter , der Mann , der ihn ungestraft mißhandeln durfte , mit Bewunderung und mit Scham zu ihm emporsehen sollte .
Heute hatte er sich an dieser Genugtuung zu erlaben gehofft , die goldene Frucht hatte vor seinen lechzenden Lippen geschwebt , denn Mephistopheles war die Rolle , in welcher er , wo immer er sie gespielt , die glänzendsten Erfolge errungen hatte ; und heute hatte er sich selber übertroffen .
Von Szene zu Seen war die wachsende und zustimmende Bewunderung der Menge ihm gefolgt , nur des Fürsten und Clarissens Mienen waren anteillos für ihn geblieben , und in dem letzten entscheidenden Augenblicke hatte des Fürsten Mißgunst , ihm den Triumph entrissen , dessen er sich versichert halten dürfen , um , wie Michael es in seinem Inneren nannte , diesen Triumph einem hübschen Larvchen zuzuwenden .
Er kannte sich nicht in seinem Grimme .
Er haßte Hulda mit dem bittersten Hasse .
Er hätte sie unter die Füße treten und sie vernichten mögen in dem Augenblicke , und , die schmalen Lippen kaum bewegend , flüsterte er laut genug , um von Hulda sowohl als von Lelio verstanden zu werden : " Der treue Seladon !
Eine kleine Nachzahlung aus guter , alter Zeit , eine Anzahlung für die nächste Zukunft ! "
" Abscheulich ! " stieß Hulda hervor , ihre Hand aus der seinen befreiend , während sie sich gemeinsam mit ihm und Lelio hinter den Vorhang zurückzog ; aber ihre Freude an dem Erfolg des Abends war dahin .
Michael hatte sie in der widerwärtigsten Weise herausgerissen aus der Erhebung , welche sie während ihres Spieles empfunden hatte .
Traurig , beleidigt , in sich selbst nicht einig , und an Leib und Seele müde , kehrte sie von dem großen Triumphe , den sie errungen hatte , in ihre Einsamkeit zurück , um mit Wehmut der Tage zu gedenken , in denen sie neben Komtesse Clarisse zuerst in lebenden Bildern figuriert , und sich so ungeduldig hinausgesehnt hatte in die Welt , in welcher sie jetzt lebte .
Sie sah anders aus , diese Welt , als sie es erwartet hatte .
Sie war kein Paradies , und Ruhe und Frieden wohnten nicht in ihr .
Dreiundzwanzigstes Kapitel .
Wäre es nach dem Sinne der Fürstin gegangen , so hätte sie Hulda noch an demselben Abende wiedergesehen .
Sie war von Hulda's Schönheit , von ihrem Spiele , völlig hingenommen .
Sie erinnerte den Fürsten mit Stolz daran , wie sie immer behauptet habe , daß Hulda ein ganz besonderes Wesen sei .
" Wäre der mir so widerwärtige Michael nicht neben Hulda gewesen , " sagte die Fürstin , " ich würde diesen Abend und diese Vorstellung zu dem Erfreulichsten rechnen , das erlebt zu haben ich mich entsinne .
Ich bin selten so viele Stunden hinter einander in einer angenehmeren Stimmung gewesen als heute in dem Theater , und habe es recht empfunden , wie wert mir Hulda doch gewesen ist . "
Auch der Fürst sprach mit Anteil und Vergnügen von der schönen Entwicklung des jungen Mädchens , während er , gerechter als Clarisse , auch die großartige und viel bedeutendere Leistung Michael's hervorhob .
" Es liegt aber , " bemerkte er , " in unserer Natur , daß die schöne , leidende Unschuld , selbst in der Dichtung und in deren Darstellung , unser Urteil leichter für sich gewinnt , als die größte Meisterschaft in Schilderung des Bösen ; und nach der Art , in welcher ich Michael seinerzeit entlassen habe und entlassen mußte , meinte ich sein Selbstgefühl zu schonen , wenn ich mich , so weit es ihn betraf , von jeder Kundgebung zurückhielt . "
Clarisse äußerte , es werde Hulda auch nicht leicht sein , wieder mit Michael zu verkehren und mit ihm zu spielen .
Der Fürst zuckte leicht mit den Schultern .
" Du siehst in Hulda immer noch das junge Mädchen , das Dir im Hause Deiner Mutter eine Weile diente , die kindliche Pfarrerstochter , " sagte er .
" Indes , sie ist inzwischen eine Künstlerin und damit auch wohl eine Andere geworden .
Wer will von der Loge aus entscheiden , ob die unschuldsvolle Miene , die Dich erfreute , nur noch ein Beweis von Kunstbegabung , oder ob sie noch Deines Schützlings wahres Antlitz ist ?
Sie ist zwei Jahre auf der Bühne , und das Podium eines Theaters ist ein glatter Boden für den Fuß der Jugend und der Schönheit .
Dazu verkehren Frauen in keinem Falle zu ihrem Vorteil mit Männern von Lippow's Art , und deren gibt es auf den Brettern und in den Vorzimmern der Theater nur zu Viele . "
Clarisse hörte die Bedenken ihres Gatten an , meinte aber trotzdem Hulda's sicher sein zu dürfen .
Der Fürst wollte das nicht unbedenklich gelten lassen .
" Es ist möglich , " versetzte er , " daß Dich Deine Zuversicht nicht trügt , aber Deine schöne Pfarrerstochter war von der Überspanntheit solcher Bürgermädchen keineswegs frei , und Überspanntheit ist ein Verführer schon an sich .
Das muß uns Hulda gegenüber zu großer Vorsicht mahnen , denn es wäre für beide Teile gleich peinlich und verletzend , Schritte zu tun , die man später nicht getan zu haben wünschen müßte , und Erwartungen zu erregen , die man nicht befriedigen könnte . "
Clarisse zog ihn mit scherzendem Schmollen wegen seiner Vorsicht auf .
Sie nannte dieselbe die Folge von Erfahrungen , auf welche sie eigentlich eifersüchtig sein müßte .
Er gab ihr das mit der Bemerkung zu , daß man sie sich trotzdem nutzbar zu machen habe , vor allen Dingen diesem Mädchen gegenüber ; aber die junge Fürstin wollte das nicht gelten lassen .
Sie bestand auf ihrem Wünsche , Hulda zu sich zu entbieten .
Daneben beschäftigte sie die Frage , ob Baron Emanuel Hulda auf der Bühne gesehen , was er dabei empfunden haben möge , und ob sie selber in ihrer Kunst Ersatz gefunden habe für die Liebe .
" Denn , " sagte sie , " Hulda's Leidenschaft für unseren Oheim war doch rein und schön . "
" Emanuel hat sie auch geliebt und sehr geliebt ; er hatte das nicht Hehl ! " warf der Fürst mit jenem Gleichmute hin , mit welchem man eines lange abgetanen Ereignisses gedenkt .
Um so unverantwortlicher , daß er sie aufgab ! " rief Clarisse .
" Wie ihr nur gleich als unverantwortlich bezeichnet , was in die Schablone eurer Romandichter nicht einzufügen ist .
Du verdientest in Wahrheit eine Pfarrerstochter aus der Provinz zu sein , " scherzte der Fürst , als eben der Kammerdiener die Meldung machte , daß das Nachtessen bereit sei .
In dem Saale , in welchem man die Mahlzeit aufgetragen hatte , erwartete der Besitzer des Gasthofes die Herrschaften .
Er wollte sich es nicht nehmen lassen , ihre Bedienung persönlich zu überwachen , und es kam dem Fürsten recht gelegen , daß der Wirt , während sie sich niederließen , sich die Frage erlaubte , ob die Herrschaften mit der Vorstellung im Theater zufrieden gewesen wären .
Der Fürst sprach sich über Hulda , Lelio und Lippow günstig aus ; der Wirt erwähnte , daß Herr Lippow auch in seinem Hause wohne .
Gestern bei Sr. Durchlaucht Ankunft habe er sich des Vorzuges gerühmt , Durchlaucht früher schon gesehen und gekannt zu haben .
Der Fürst sagte darauf Nichts , sondern sah nur mit feinem Lächeln nach seiner Frau hinüber , aber dem Wirte , der , wie fast alle seinesgleichen , sich Etwas damit wußte ein guter Beobachter zu sein , entging das nicht , obschon die Fürstin sich in dem Augenblicke mit der Frage an ihn wendete , ob er vielleicht auch Hulda kenne und Näheres von ihr wisse .
" Nicht mehr , Euer Durchlaucht , " entgegnete der Wirt , " als was am Ende ein Jeder von den Damen vom Theater weiß und hört .
Sie lebt sozusagen sehr für sich , und wird gewiß ihr Glück hier machen .
Sie ist schön und klug , sie hält , so viel man hört , auf Anstand , und damit wird sie bei einem unserer großen Kaufleute ihren Zweck wohl durchsetzen , so gut wie ihre Vorgängerin , die der reichste Mann in der Provinz zur Frau genommen hat . "
Der Fürst bemerkte , daß diese rühmende Aussage nicht nach dem Geschmacke der Fürstin war , und wie immer bemüht , ihr unangenehme Eindrücke fern zu halten , fiel er dem Gesprächigen mit der Frage in das Wort :
" Man sagt ihr also doch nichts Übles nach ?
Sie ist achtbar und unangefochten ? "
" Nicht das geringste Üble , seit sie hier ist ! " entgegnete der Wirt , die letzten Worte absichtlich betonend .
Der Fürst wurde achtsam .
" Was wollen Sie damit sagen ? " erkundigte er sich .
Der Wirt sah den Fürsten , dann die Fürstin an .
" Man weiß nicht recht , " erwiderte er , " wie die junge Dame auf die Bühne kam und wo sie herstammt .
Es gehen allerlei Gerüchte über die Vergangenheit -- Herr Lippow scheint sie auch genau gekannt zu haben . "
Das war dem Fürsten und seinem edlen Sinne doch zu viel .
" Herr Lippow , " sprach er sehr bestimmt , hat Mademoiselle gewiß nicht mehr gekannt , und besser nicht , als ich und die Frau Fürstin .
Wir nehmen mehr als gewöhnlichen Anteil an der jungen Künstlerin , weil sie die Tochter eines Geistlichen von den Familiengütern der Frau Fürstin , und eine Zeitlang in deren mütterlichem Haushalte gewesen ist .
Erinnern Sie Herrn Lippow doch daran , wenn er es vergessen haben sollte , und sagen Sie ihm unumwunden , Sie hätten das aus meinem Munde vernommen .
Richten Sie das aus , ich bitte ! "
Er brach damit die Unterhaltung ab .
Clarisse war verlegen und zeigte sich verstimmt .
Der Fürst jedoch hatte die Genugtuung , es ihr durch eigene Erfahrung dargetan zu wissen , welchen Angriffen und Verdächtigungen Bühnenkünstlerinnen ausgesetzt zu sein pflegen .
Das gerade machte ihn aber geneigter , dem Wünsche der Fürstin in Bezug auf Hulda zu willfahren , und ohne seine Gattin von seinem Vorhaben zu benachrichtigen , verließ er am Morgen zeitig den Gasthof , weit vor der Stunde , in welcher man den Frauen sonst aufzuwarten pflegte .
Unten in dem Vorsaale trat der Wirt beflissen aus seiner Schreibestube .
Er fragte nach den Befehlen Seiner Durchlaucht .
Der Fürst verlangte die Angabe von Hulda's Wohnung .
Der Wirt rief einen Diener herbei , ihn zu geleiten , aber der Fürst lehnte die Begleitung ab ; und Lelio , der ebenfalls früher als gewöhnlich ausgegangen war , um Michael zu einer Geschäftsbesprechung in seinem Gasthof aufzusuchen , sah es , wie der Fürst den Weg nach Hulda's Wohnung einschlug .
Michael hatte nämlich , gleich nach den ersten Vorstellungen , in welchen er mit Lelio und Hulda gespielt , den Plan zu einem Gastspiele entworfen , in dem er mit den Beiden gemeinsam zu wirken dachte , und er hatte Lelio aufgefordert , seine Freundin diesem Unternehmen geneigt zu machen .
Noch am Morgen des verwichenen Tages hatte er Lelio weitläufig die großen Vorteile auseinandergesetzt , welche man sich von diesem Zusammenspiel in der nordischen Kaiserstadt versprechen dürfe , und wie damit der sicherste Weg gebahnt werden könnte , Lelio und Hulda von dem Provinzial-Theater an eine der großen Bühnen zu versetzen .
Heute jedoch schien er völlig anderen Sinnes geworden zu sein .
Er gab vor , bei der Heimkehr aus der Faust-Darstellung , einen Brief vorgefunden zu haben , in welchem der Intendant jenes Hoftheaters die Mitwirkung von Hulda zurückweise , da er sie auf einer Durchreise spielen sehen , und ihre sentimentale Ziererei geschmacklos gefunden habe .
" Dazu , " sagte Michael , " ist sie für ein wirksames und eigentliches Zusammenspiel mit Anderen , auch viel zu eitel , und viel zu ausschließlich allein auf sich bedacht . "
Lelio , der doch seit Jahren mit ihr zusammengespielt und sich nicht über sie zu beklagen gehabt hatte , machte seine eigene Erfahrung zu ihren Gunsten geltend .
Michael hingegen behauptete , sie spiele mit dem Publikum und nicht mit ihrem Partner ; sie agiere solo auf augenblickliche Erfolge , stelle sich beständig in den ersten Plan , und koquettire mit den Männern in der Proseeniums-Loge .
" Sahen Sie denn nicht , " sagte er , " gestern , wo einer ihrer ersten Freunde und Gönner in derselben saß , waren ihre Manöver völlig unerträglich .
Ihre Augen gingen und hingen so unverwandt an dem Overnalase des Fürsten Severin , daß Sie in den Liebesscene mit ihr geradezu lächerlich erschienen , denn Sie deklamierten gegen Hulda's Kinn und Hals , während die Blicke der Holdseligen den Fürsten begnadigten .
Dafür standen Sie und ich denn gestern auch wie die schildhaltenden Statisten neben der Unvergleichlichen , als der Fürst es angemessen fand , ihr seine Bewunderung einmal vor aller Leute Augen kundzutun , selbst vor denen der schönen jungen Fürstin , die es längst gelernt hat , zum bösen Spiele eine gute Miene zu machen . "
Lelio war eine redliche Natur und nicht geneigt , leicht Übles zu glauben ; aber er war Schauspieler mit Leib und Seele , der tägliche Erfolg sein höchstes Ziel ; er hatte die Logik seiner Standesgenossen wie ihren leicht zu bestimmenden Glauben und Sinn .
Wer ihm zu einem Erfolge verhalf , auf den vertraute er ; wer ihm einen solchen schmälerte , dem meinte er mißtrauen zu müssen ; und Jeder der ihn überstrahlte , war sein Feind .
Er sagte sich nicht , wie er von dem Übeln allen , das Michael ihm vorhielt , gestern während seines Spielens Nichts wahrgenommen habe , wie er sich des reichen und warmen Beifalls gefreut , den man auch ihm gespendet hatte , und wie herzlich Hulda ihm in ihrer eigenen Ergriffenheit die Hand gedrückt , als sie noch einmal vorgerufen worden waren .
Er hörte nur die Worte Michael's , und jedes derselben bohrte ihm einen Stachel in das Herz .
Er konnte die Vorstellung nicht ertragen , wie ein bloßer Schildhalter neben einem Mädchen gestanden zu haben , dessen erste Anfänge er gutmütig und gefällig unterstützt , mit dem er eigens und gemeinsam sich für diese Aufführung des " Faust " vorbereitet hatte .
Er begriff nicht , wie er es nicht gestern gleich empfunden hatte , daß Hulda die Aufmerksamkeit ganz ungebührlich auf sich zu lenken getrachtet , wie ausschließlich der Fürst ihr seinen Beifall gespendet hatte ; und unfähig , in diesem Augenblicke seiner Kränkung Worte zu geben , sagte er wie zu sich selber : " Eben jetzt ist er auch wieder zu ihr gegangen . "
" Wer ? " fragte Michael .
" Der Fürst zu Hulda ! " erklärte Lelio .
" Er fragte den Wirt um ihre Wohnung , als ich an dem Büro vorüberging . "
" Um sich den Anschein zu geben , als ob er sie nicht wisse ! " fiel Michael schnell ein .
" Oder halten Sie es für zufällig , daß der Fürst eben an dem Morgen des Tages , an welchem die Schöne zum erstenmal das Gretchen zu spielen hatte , hierorts ankam , ihr den nötigen Sukkurs zu leisten ?
Die holde Unschuld war immer klüger , als man dachte , und wußte den schönen Nacken immer so geschickt aus der Schlinge zu ziehen , daß die Schlinge Anderen um den Hals fiel , die sich nicht vorgesehen hatten .
Davor wollen wir uns denn doch bewahren . "
Er sprach davon nicht mehr , Lelio ließ es ebenfalls auf sich beruhen .
Man verhandelte die Angelegenheit des Gastspieles .
Aber , in Lelio brannte ein Gefühl von Kränkung und von bitterer Scham .
Er hatte von Hulda viel gehalten , gut von ihr gedacht , sie gefördert , wie er konnte ; und sie war des Einen wie des Anderen nicht wert gewesen -- sie hatte ihn getäuscht in jeglichem Betracht .
Er war ein Werkzeug gewesen in ihrer Hand , zu ihren Zwecken von ihr angewendet .
Das war weit mehr , als eines Mannes und vollends eines Bühnenkünstlers Eitelkeit zu verzeihen vermochte . --
Er war mit Hulda fertig ; ja , er verachtete sie jetzt .
Während dessen war der Fürst in Hulda's Wohnung angelangt , ohne sie zu Hause anzutreffen .
Frau Rosen sagte , sie sei eben ausgegangen .
Er erklärte , ein paar Worte für sie hinterlassen zu wollen , die Wirtin öffnete ihm Hulda's Zimmer , er schrieb einige Zeilen , siegelte sie und ließ sie auf ihrem Schreibtische zurück .
Als er in den Gasthof kam , erwartete ihn bereits die Fürstin .
Das Frühstück wurde hereingetragen , und wie das junge Paar dann allein in seinem Zimmer war , gab der Fürst Clarissen es zu raten auf , weshalb und wohin er so früh ausgegangen sei .
Sie hatte keine Mühe , es zu finden und wußte es ihm Dank , als er ihr sagte , daß er Hulda aufgefordert habe , sich bei ihr einzustellen .
" Und wie sah es in ihrer Wohnung aus ? " erkundigte sich die Fürstin .
" So zierlich und so ängstlich sauber , daß ich mich immer nach Miß Kenney umsah ! " entgegnete der Fürst .
Clarisse nannte das ein gutes Zeichen , er widersprach dem nicht .
" Indes , " sagte er , fiel ein gewisser bedenklicher Luxus mir doch auf .
Der Schreibtisch war sehr gut ausgestattet ; in dem Nebenzimmer , dessen Türe offen war , stand im Fenster ein Ankleidetisch , wie man ihn auch mit der größten Gage eines Provinzial-Theaters nicht bezahlt , und daß der obligate Papagei nicht fehlte , versteht sich ganz von selbst .
Der ebenso unerläßliche Bologneser wird wohl auf der Promenade mitgenommen worden sein . "
Clarisse schalt ihn wegen seines Mißtrauens und seines Spottes , er rühmte sich im Gegenteil der vorurteilslosen Gefälligkeit und Nachsicht , mit welcher er ihr zu ihren ethischen Erfahrungen die Hand darbiete .
Sie waren wie immer mit einander sehr zufrieden , und da man die Abreise für den Nachmittag festgesetzt hatte , um die kühleren Stunden des Abends und der Nacht für die Reise zu benutzen , entfernte sich der Fürst , dem ein paar Regiments-Bekanntschaften in dem Orte lebten , welche er bei der Gelegenheit flüchtig zu begrüßen hoffte .
Er hatte Clarisse noch nicht lang verlassen , als ihr Diener ihr einen Kranz von Kornblumen mit dem Bemerken in das Zimmer brachte , daß die Dame , welche ihm denselben übergeben habe , um die Gunst ansuche , die Frau Fürstin sehen zu dürfen .
" Das ist Hulda ! " rief die Fürstin , denn solche Kränze hatte diese ihr oft genug gewunden .
Sie hieß dem Diener , die Dame einzuladen , und bei ihrem Anblicke von freundlichen Rückerinnerungen bewegt , reichte sie Hulda , sich rasch erhebend , ihre Hände dar Hulda neigte sich , ihr in zärtlicher Überraschtheit die Hand zu küssen , aber sie wehrte es ihr und berührte mit ihren Lippen Hulda's Stirn .
Die Fürstin hatte dabei dem Zuge ihrer Empfindung ohne weiteres überlegen nachgegeben , aber der nächste Blick auf die vornehme , stattliche Erscheinung machte sie betroffen .
Sie war es nicht gewohnt , Hulda in solcher Art gekleidet zu sehen .
Der wertvolle Schal , den sie am Arme trug , der kostbare italienische Strohhut fielen ihr auf .
Des Fürsten Bedenken gegen die Eleganz in Hulda's Wohnung kamen ihr wieder in den Sinn , und machten sie mit einemmal verlegen und zurückhaltend , so daß es Hulda nicht entgehen konnte .
" Ich habe von Durchlaucht wegen meiner Zudringlichkeit Verzeihung zu erbitten , " sagte sie .
" Aber als ich Sie gestern so unerwartet in der Loge sah , kam ein Heimweh über mich , das mir nicht Ruhe ließ .
So ging ich früh am Morgen aus , und dachte , die Kornblumen sollten für mich sprechen . "
" Als ob es dessen bedurfte ! " rief die Fürstin ; " glauben Sie mir , ich hatte Sie nicht vergessen .
Wir freuten uns gestern , Sie zu einer solchen Künstlerin herangereift zu sehen .
Der Fürst selber ist sogar heute in Ihrem Hause gewesen , sich nach Ihnen zu erkundigen und Ihnen zu sagen , daß ich mich freuen würde , Sie einmal zu sehen . "
Hulda wußte das noch nicht .
Sie war aus freiem Antriebe gekommen , und nun sie da war , nun sie die sonderbare Unsicherheit der Fürstin fühlte , dünkte es ihr ungehörig , unbegreiflich , daß sie überhaupt gekommen war .
Denn hier in Clarissen's Nähe drückte die Treue , mit welcher sie fast wider ihren Willen noch immer an dem Manne hing , der dieser Treue und ihrer Liebe lange nicht mehr begehrte , sie wie eine schwere Last und wie ein Unrecht , dessen sie sich schämte .
Sie konnte sich es nicht verhehlen , sie war nicht um Clarissen's Willen hier .
Die Hoffnung , von Emanuel zu hören , hatte sie hierhergeführt , und diese Einsicht nahm ihr mit der inneren Freiheit auch die äußere sichere Haltung , die ihr allmählich zur Natur geworden war .
Sie wünschte , sie wäre lieber nicht gekommen .
Ihre Befangenheit , ihre Gedrücktheit wirkten auf Clarisse zurück .
Beide saßen nach der ersten Begrüßung verlegen einander gegenüber .
Die Fürstin betrachtete Hulda mit prüfender Verwunderung .
" Wie die Bühne und die Kunst uns Andere doch täuschen ! " hob sie endlich an .
" Gestern sahen Sie mir völlig wie an dem Tage aus , an welchem der Fürst und ich Sie zu dem Erschrecken unserer guten Kenney in deren Wohnung einquartierten , und heute . . . "
" Damals nannten Sie mich Du ! " fiel Hulda ein , in deren Herzen mit der Erinnerung an jenen Morgen , ihr ganzer unschuldsvoller Liebestraum aus der Vergangenheit emportauchte .
" Damals waren Sie fast noch ein Kind und nicht Schauspielerin ! " entgegnete die Fürstin .
Aber so wie sie es ausgesprochen hatte , besorgte sie , ihre Worte möchten Hulda nicht angenehm gewesen sein , oder sie könne darin eine Zurückweisung erblicken .
Das machte sie ungeduldig und unzufrieden mit sich selbst .
Sie konnte nur leider den rechten Ton , das rechte Wort heute nicht wie sie wollte , finden .
Sie war es nicht gewohnt , ihre Worte erst besonders suchen zu müssen ; und mit der Schauspielerin , mit der Pfarrerstochter , die ihre Untergebene gewesen war , frei wie mit Ihresgleichen zu verkehren , das wollte ihr nicht gelingen , obschon sie gestern erst in ihr die Künstlerin bewundert hatte .
" Sie haben uns am verwichenen Abende in der Tat entzückt , " hob sie noch einmal an , " Sie haben gewiß eine bedeutende Zukunft vor sich , und ich hoffe , Sie fühlen sich glücklich in dem Berufe , den Sie erwählten . "
Hulda las deutlich in der Seele der fürstlichen Frau , deutlicher als diese selber .
" Ja ! " sagte sie , " ich denke groß von meinem Berufe , und der Beifall , den Sie , gnädigste Frau und Ihr Durchlauchtiger Gemahl mir gespendet haben , machte gestern mich sehr glücklich ! "
" Gestern ? nur gestern ?
Sie sind es also doch nicht immer ? " wendete die Fürstin ein .
" Wer könnte das wohl von sich rühmen ? " entgegnete ihr Hulda , mit gebotener Zurückhaltung .
" Freilich ! Freilich ! " seufzte herkömmlich die Fürstin .
" Aber " -- fügte sie hinzu , von jener fast kindlichen Neugier verleitet , welche die wohlversorgten und wohlbeschützten Frauen der Reichen und der Vornehmen gegenüber jenen Anderen zu empfinden pflegen , die für sich selber einzustehen haben -- " aber wie kamen Sie eigentlich nur darauf , Ihre Heimat zu verlassen ?
Ihre Verlobung mit dem Pfarrer aufzulösen , und sich dem Theater zuzuwenden ? "
Hulda überlief es wie ein kalter Strom .
Sie hatte in der jungen Fürstin Teilnahme für sich vorausgesetzt , und nicht einmal von ihrem äußeren Schicksale war dieselbe unterrichtet .
Indes sie hatte von ihr ja Nichts zu fordern , und sich bescheidend , sagte sie ,Durchlaucht befinden sich insofern in einem Irrtum , als ich dem Pfarrer nicht verlobt war . "
" Nicht ?
Mich dünkt , man hatte mir geschrieben , er habe Sie zu heiraten gewünscht , Sie hätten sich mit ihm verlobt . "
" Er hatte allerdings um mich geworben ! "
Und Sie haben ihn zurückgewiesen ? " fiel die Fürstin ein .
" Weshalb das ?
Meine Mutter hält ihn sehr in Ehren , rühmt ihn sehr ! "
" Er verdient das auch in jedem Sinne , und ich selber schätze ihn sehr hoch -- indes -- " Indes ? " wiederholte die Fürstin .
" Ich hatte ihm kein Herz zu bieten ! " sagte Hulda fest und ernst .
Der Ton , mit dem sie diese Worte sprach , die , Röte , die ihre Wangen überflog , brachten die Fürstin zur Erkenntnis ihrer Unvorsichtigkeit , und ihres Unrechts gegen Hulda .
Es entstand ein kleines Schweigen , Hulda machte Miene sich zu verabschieden , die Erwartung , welche sie von diesem Wiedersehen gehegt hatte , schien sich nicht erfüllen zu sollen .
Clarissen mochte wohl ein ähnlicher Gedanke kommen .
" Sie wollen gehen ? " rief sie , " schon wieder gehen ? "
-- Und die Zuneigung , welche sie für Hulda wirklich fühlte , wurde mächtig über alle ihre Vorurteile und Bedenken .
" Haben Sie denn nicht mehr Zeit für mich ?
Ich hatte mich darauf gefreut , Sie wiederzusehen , Ihnen auszusprechen , wie sehr ich Ihnen den großen Eindruck danke , den ich gestern durch Sie empfangen habe , " sagte sie .
" Und vor Allem hatte ich darauf gehofft , von Ihnen zu vernehmen , daß Sie glücklich wären und frohen Mutes in Ihre Zukunft blickten !
Indes mir scheint , Sie sind nicht so zufrieden , als meine Teilnahme es für Sie wünscht .
Ihre Miene ist nicht heiter .
Haben Sie Etwas , das Sie drückt ?
Sprechen Sie es doch aus !
Sie sagen es einer Freundin , liebe Hulda ! "
Sie hatte dabei ihre Hand ergriffen und sie neben sich auf dem Sofa noch einmal niedersitzen lassen .
Hulda konnte sich nicht gleich in der Fürstin Wandlung finden ; aber der plötzlich weich und frei gewordene Ton von Clarissens Stimme drang ihr rührend und vertraut in das Herz und riß sie hin .
Sie wollte ihr nicht undankbar erscheinen , nicht von ihr verkannt werden , und sich zusammennehmend , sprach sie :
" Ich darf mir nicht vergönnen , es Durchlaucht zu erklären , wie ich auf die Bühne kam , es würde mehr Zeit erheischen , als Sie mir zuzuwenden haben , und ich wiederhole es , ich übe meine Kunst mit Freuden aus .
Indes die Welt , in der ich leben muß , ist sehr verschieden von jener anderen , in welcher ich erwachsen bin .
Sie ist mir fremd , und ich muß wünschen , immer in ihr fremd zu bleiben . "
Die junge Fürstin war ernst und nachdenklich geworden , wie Hulda selbst .
" Das tut mir leid , zu hören , " sprach sie , recht sehr leid .
Ich hatte gedacht , mit einem Talente wie das Ihre , müsse man glücklich sein , wenn so viel Jugend und Anmut sich mit ihm vereinen .
Man täuscht uns also , wenn man von der Befriedigung spricht , die in jedem wahren Können und Vermögen liegen soll . "
" Das Schaffen ist freilich ein Genuß , eine geistige Befriedigung , aber glücklich macht es nicht .
Das Können hat mit unserem Herzen Nichts zu schaffen .
Man kann gewiß ein großer Künstler sein , ein größerer , als ich je zu werden hoffen darf , und doch sich einsam fühlen , einsam inmitten vieler Menschen -- und dadurch erst recht einsam , recht allein ! "
Sie brach ab , sie wußte kaum , wie sie dazu gekommen war , so viel von sich und eben das zu sagen .
Aber sie konnte es nicht bereuen , denn es erleichterte ihr das Herz .
Clarisse schüttelte sichtlich betrübt das schöne Haupt .
" Der Fürst hat also Recht , " sagte sie , " als er gegen mich behauptete , die Laufbahn einer Bühnenkünstlerin sei nicht so herrlich , als ich sie mir stets dachte , sei vielmehr hart , sei rauh und von Gefahr umringt .
Sie haben das empfunden , leiden vielleicht noch darunter -- und " -- Sie vollendete nicht , was sie hatte sagen wollen , sondern setzte rasch hinzu : " Nun ist mir es doppelt lieb , daß ich Sie sehe ! " --
Dann hielt sie wieder inne , und Hulda's Hand ergreifend , sprach sie :
" Man hat Ihnen nur in das Auge zu blicken , um sich zu überzeugen , daß Sie Ihr Auge vor Niemandem niederzuschlagen brauchen , daß Sie sich selber treu geblieben sind .
Aber werden Sie das immer können ?
Es würde mir ein Schmerz sein , Hulda , wenn ich Sie wiedersähe und Sie hätten den glänzenden Versuchungen nicht widerstanden , welche Sie verlockend wohl umringen mögen ! --
Ich habe von Ihnen immer gut gedacht , habe Sie lieb gehabt und sehr gewünscht , Ihnen in unserem Hause eine Heimat , in der Erziehung unserer Kinder einen sanften , friedlichen Beruf zu schaffen . "
-- Sie machte wieder eine kleine Pause , denn sie war klug genug , sich zu erinnern , wodurch diese ihre wohlgemeinten Absichten nicht hatten zur Ausführung gelangen können ; und der Abstand zwischen Hulda's gegenwärtiger Lage und dem Lose , welches sie ihr einst zu bereiten gedacht hatte , entging ihr ebensowenig .
Indes die Vorstellung , Hulda könne , wie die Fürstin es in ihrem Herzen nannte , verloren gehen , überwand jede andere Erwägung , und mit der ganzen Dringlichkeit ihrer reinen Seele sagte sie :
" Glauben Sie nicht , daß ich mich an dem Schönen , wie Sie es uns gestern dargeboten haben , nicht erfreute ; daß ich Sie nicht ganz so warm bewundert habe , als wir es Ihnen ausdrückten .
Halten Sie mich auch nicht für eine Frömmlerin , die unbefugt sich Ihnen aufdringt -- aber -- hat man es Ihnen denn nicht widerraten , Sie nicht zurückzuhalten versucht , als Sie zur Bühne gehen wollten ? "
" Was hätte mir das helfen können ? " entgegnete die Künstlerin .
" Ich fühlte das Bedürfnis , mich aus drückenden Verhältnissen zu befreien , in weiterem Kreise mich zu versuchen .
Ich handelte deshalb nach eigenem Ermessen , und mich dünkt , das muß ein Jeder , wo es sich um eine für sein Leben bestimmende Entscheidung handelt ! "
" Und haben Sie es nie bereut , daß Sie die Schranken Ihrer angeborenen Verhältnisse überschritten haben ? " fuhr Clarisse fort .
Hulda antwortete nicht gleich ; dann sagte sie :
" Mein Beruf hat mich genötigt , mich in mannigfache fremde Seelenzustände zu versetzen , und da ich viel allein gewesen bin , habe ich zum Nachdenken viel Zeit gehabt .
Ich glaube , mit einem freigewählten Berufe ist es wie mit einer Ehe . "
" Ich verstehe Sie nicht , erklären Sie mir Ihre Meinung ! " sagte Clarisse , die zu ahnen begann , daß Hulda's Entwicklung selbstständiger als die ihre geworden war , und daß sie nicht im Stande sei , ihr Rat zu geben oder sie zu stützen .
Hulda sah vor sich hin und sagte : " Man muß in seinem Berufe nicht auf eine unbedingte Zufriedenheit mit demselben rechnen , man muß das Gute genießen , das Schwere ertragen , das er uns bringt .
Ich mache mir es bisweilen auch wohl selbst zum Vorwurfe , daß ich das Erstere nicht genügsam anerkenne , und das Andere zu genau zergliedere .
Man muß eben Nachsicht haben mit seinem Berufe , denn man hat ihn ja gewählt , weil man ihn liebte .
Das ist nicht immer leicht -- doch geht es mit gutem Willen wohl .
Ich hoffe das zum wenigsten . "
Clarisse überraschte der Vergleich , sie verstand ihn aber völlig , und sann darüber nach .
Mit einemmal sagte sie :
" Wie aber , wenn man sich getäuscht hat ?
Und das kann doch bei der Wahl eines Berufes ebenso wie bei der Wahl eines Gatten , der Fall sein .
Wenn Sie es einmal erkennen würden , daß Sie nicht das Richtige für sich getroffen haben ?
Wenn Sie das Ihrige getan hätten und es fruchtete Ihnen nicht und Sie fühlten sich unglücklich in der Ehe mit Ihrem freigewählten Gatten , oder mit dem ebenso frei gewählten Berufe ?
Was aber dann ? "
" Dann , " versetzte Hulda , und ihr mächtiges Auge sah fest und klar in das Antlitz der Fürstin , " dann würde kein Vorteil der Welt mich dazu bringen , in dem Beruf zu bleiben , denn im Zwiespalt mit mir selbst , ginge ich zu Grunde .
Und wie ich einst über mich entschieden habe , in kindischem Selbstvertrauen auf eine Kraft , die noch unerprobt war , so würde ich handeln und entscheiden nach eigenstem Bedürfen , und mich verlassen auf die Kraft , die mir Gott zu meinem Glücke gegeben , und in welcher meiner teuren Eltern Beispiel mich befestigt hat .
Ich werde -- -- Sie brach in ihrer Rede plötzlich ab , denn sie war nahe daran gewesen , die Worte auszusprechen :
" Ich werde Emanuel's nie unwert werden ! " und sie erhob sich , um sicher vor sich selbst zu sein .
Clarisse war ebenfalls aufgestanden .
Sie empfand die Überlegenheit der jungen Schauspielerin ; das demütigte sie , und sich gedemütigt zu fühlen , war sie nicht gewohnt .
Aber auch jetzt wieder siegten ihr gutes Herz und ihre Zuneigung für Hulda über ihre kleine Schwäche .
Sie bedauerte nur , daß nicht auch der Fürst sich überzeugen könne , zu wieviel Kraft und Bildung ihr früherer Schützling sich emporgeschwungen habe .
Sie fragte , ob Hulda nicht bis zu des Fürsten Rückkehr bei ihr bleiben wolle ?
Hulda zog die Uhr aus ihrem Gürtel und entgegnete , sie müsse eilen , denn sie habe in der Probe eines Lustspiels mitzuwirken .
" Jetzt , nach unserer Unterhaltung eine Lustspielprobe ?
Das ist -- das muß recht schwer sein , " rief die Fürstin .
" Man wird es gewohnt , sich zu beherrschen und in der Arbeit von sich abzusehen ! " antwortete Hulda , und sie sah dahei so sanft und so geduldig aus , daß sie Clarissen unwiderstehlich dünkte .
Sie war nach dem kleinen Sofa hingegangen , auf welcher Hulda's Schal lag und trug ihn ihr selber zu ; denn sie hatte das Bedürfnis , ihr irgend Etwas zu leisten , und während sie ihr die Mousselin-Camail umhing , die Jene im Laufe der Unterhaltung abgeworfen hatte , sagte sie :
" Meine Mutter wird recht erfreut sein , Nachricht von Ihnen zu erhalten ; sie hatte wie wir Alle , für Ihre Familie so viel Teilnahme und Freundschaft . "
Hulda fragte nach dem Befinden der Frau Gräfin .
Clarisse entgegnete , es gehe ihrer Mutter wohl , sie sei bei dem jungen Grafen , dem der erste Sohn geboren worden , und sie hoffe , sie im Herbste wiederzusehen , wenn sie von dem Besuche , den sie jetzt mit dem Fürsten zu machen denke , heimgekehrt sein würde .
Sie sagte aber nicht , wohin sie gehe , und gerade deshalb meinte Hulda , es erraten zu können .
Sie empfahl sich der Fürstin , Clarisse gab ihr noch einmal die Hand , aber als Hulda schon in der Türe war , stieg mit einemmal ein großes Mitleid mit ihr in der jungen Fürstin auf .
Es war , als werde ihr plötzlich wie durch eine Offenbarung Alles deutlich , was Hulda erlebt , erlitten , was sie in dieser Stunde neben ihr empfunden hatte , und ihr nacheilend , schloß sie dieselbe in ihre Arme und drückte sie fest an das Herz .
" Lebe wohl , " rief sie , von ihrem Gefühle überwältigt , " und was Dir auch begegnen möge , denke , daß ich Dich heute recht von Herzen habe schätzen und lieben lernen , und daß Du eine treue Freundin an mir hast .
Lebe wohl und denke meiner ! "
Sie waren Beide sehr gerührt , sie umarmten und küßten einander , dann ging Hulda in die Probe , an die Arbeit .
Die Fürstin stand am Fenster und blickte ihr nach , soweit ihr Auge sie erreichen konnte .
" Das wäre die Frau gewesen für Emanuel ! dachte sie , und der Fürst , als er nach Hause kam , fand sie noch ganz hingenommen von der Begegnung mit der jungen Künstlerin , von der Unterredung , wie sie eine ähnliche noch nie zuvor mit einer Frau gehabt hatte .
Vierundzwanzigstes Kapitel .
Der Fürst und Clarisse waren niemals in Schloß Falkenhorst gewesen und hatten Baron Emanuel nicht wiedergesehen seit dem Abende , an welchem die Nachricht von des verstorbenen Fürsten schwerer Erkrankung in dem gräflichen Schlosse eingetroffen war .
Damals waren sie in möglichster Eile aufgebrochen und , von der Gräfin begleitet , an des Fürsten Sterbebett geeilt , während Emanuel um Hulda's Willen zurückgeblieben war , deren Mutter eben in jener Nacht ihr unheimliches Ende gefunden hatte .
Darüber waren nun die Jahre hingegangen .
Emanuel hatte sich in dem Schlosse seiner Väter völlig festgesetzt , und es nach seiner Trennung von Konradinen nur verlassen , wenn Geschäfte ihn für kurze Zeit in die Stadt zu gehen genötigt hatten .
Weder die Bitten der Gräfin , noch die Aufforderungen ihres Sohnes und des Fürsten , hatten ihn hinausgelockt ; und während die Seinen sich immer noch der Sorge nicht entschlugen , daß die rauhere Natur des Nordens auf die Länge seiner Gesundheit nachteilig werden , oder die Zurückgezogenheit , in welcher er lebte , ihm das Gemüt verdüstern könne , sprach sich in allen seinen Briefen eine ernste , ruhige Zufriedenheit mit seiner Lage aus , so daß man sich endlich zu der seltenen Einsicht bequemte , er werde besser wissen als die Anderen , was ihm fromme und genehm sei , und sich denn auch alles weiteren Dringens enthielt ; ihn gewähren lassend , wie er es für gut fand .
Damit aber war für ihn sehr viel gewonnen .
Denn da man aufhörte , sich unberufen um ihn und seine Angelegenheiten zu bekümmern , da er nicht immer auf das Neue genötigt wurde , mit unfruchtbaren Erörterungen dessen zu gedenken , wovon er seine Seele zu befreien wünschte , und sich in beständiger Abwehr gegen unnötige Besorgnisse und Ratschläge zu ermüden , so konnten die Tage ihr heilendes Werk an ihm vollziehen , zweckmäßige und erfolgreiche Arbeit sich zwischen die Gegenwart und die Vergangenheit stellen , und , während sie ihn in die Zukunft hineinwies , ihn vor vergeblichen Rückblicken bewahren .
Niemand hatte ein Wort von seinen Lippen über den Schmerz und die Kränkung vernommen , welche ihm durch Konradine zugefügt worden waren .
Nur seinem Freunde und Nachbarn , dem alten Herrn von Barnefeld , hatte er es mitgeteilt , daß und auf welche Weise seine Heirat rückgängig geworden sei .
Der treffliche Greis hatte die Nachricht ohne jede weitere Frage mit der einfachen Bemerkung aufgenommen , daß dergleichen ja im Leben nichts Unerhörtes sei , und es war dann von der Tatsache weiter keine Rede mehr gewesen .
Man hatte es weder darauf angelegt , Emanuel durch wärmere Freundschaftsbeweise einen heimlichen Trost zu bereiten , den er nicht gefordert , noch hatte man ihn geflissentlich gemieden , als ob er einer besonderen Schonung nötig hätte .
Man war mit ihm auf dem alten freundnachbarlichem Wege ruhig weiter fortgegangen , und hatte es seiner freien Selbstbestimmung überlassen , ob und wann er kommen , ob und wann er seine Freunde bei sich sehen wolle .
Dadurch war er äußerlich in dem gewohnten Lebensgeleise geblieben , hatte Ruhe zum überdenken seines Zustandes gehabt , und das fortschreitende Frühjahr , das die Tätigkeit und Achtsamkeit des Landbesitzers sehr in Anspruch nimmt , wenn er seine Güter selbst verwalten , seine Ländereien selber bewirtschaften will , hatte Emanuel zweckmäßig von einem Nachdenken und Brüten abgezogen , die nutzlos waren und Geschehenes nicht ungeschehen machen konnten .
Es waren der erste Frühling und der erste Sommer , die er als Landwirt auf seinen Gütern zubrachte , und er bemerkte es selber kaum , wie er im Laufe des Winters in ein neues und viel ernsteres Verhältnis zu der Natur und zu dem Boden getreten war , auf dem er lebte .
Früher hatte er die Natur nur als Liebhaber betrachtet , von ihr nur angenehme Stimmungen , Freude und Genuß begehrt .
Jetzt war er eine Ehe mit ihr eingegangen , und sie erschien ihm dadurch in einem neuen Lichte , wenn auch nicht weniger schön .
Er konnte nicht mehr , wenn er durch Wald und Flur und Feld ritt , sich wie früher seinen Träumen überlassen , er hatte für den Boden zu sorgen , von dem er Leistungen erwartete ; er hatte ihm neue Kräfte zugeführt , ihn pflegen und schonen lassen , um von ihm zu erlangen und zu ernten , was herzugeben seine Eigenart vermochte .
Es lag ihm am Herzen , zu sehen , wie die gestreute Saat emporkam , wie die Halme wuchsen , die Ähren sich füllten und reiften , und da die Frucht eines solchen weitlandigen Besitztums , weit über das Bedürfnis des Einzelnen und der zu ihm Gehörenden hinausging , hatte er es im Auge zu halten , wo der Ertrag seiner Felder , Wiesen und Wälder am einträglichsten verwertbar sei .
In den engumgrenzten ausschließlichen Kreisen , die man sehr unrichtig als die große Welt bezeichnet , wie bei seinem im Grunde planlosen Wandern durch die Welt , hatte er wenig Teilnahme gehabt für jenen großen Zusammenhäng , den das Bedürfnis zwischen den verschiedenen Ländern und ihren Bewohnern erzeugt .
Jetzt , da er in der entlegenen Grenzprovinz bei bestimmter Arbeit auf seiner Scholle lebte , weitete sein Blick sich auch in dieser Richtung aus ; und wie er die Natur in neuem Sinne hatte lieben lernen , so erwuchs ihm neue Freude auch in dem Anteile , den er an den Verzweigungen des Handels , und dem durch die Wissenschaft geförderten Aufkommen des Landbaues und der Industrie zu nehmen anfing .
Er war immer gern im Freien , immer gern zu Pferde gewesen ; das kam ihm jetzt bei seiner neuen Tätigkeit zu statten , und seinem eigenen körperlichen Wohlbefinden noch weit mehr .
Seine Nachbarn hatten ihre Freude daran , was für ein kräftiger , gesunder Mann er wurde , wie auf den Gütern Alles in den chreent Zug kam , und wie er sich , nach des alten Barnefeld Bezeichnung , nach Jahresfrist aus einem Kavalier allmählich in einen rechtschaffenen Landjunker zu verwandeln anfing .
Emanuel hatte es bald nach seiner Ankunft auf den Gütern , in einem seiner Briefe gegen Konradine ausgesprochen , daß er es nötig habe , sich völlig neu aufzuerbauen , seit er mit eigenen Augen auf eigenem Grund und Boden um sich schaue .
Er hatte aber damals selber es noch nicht ermessen können , wie tiefgehend diese Umgestaltung sein werde , und in welcher Weise die nicht vorherzusehende Trennung von seiner Verlobten , und die Erfahrungen dabei mitwirken würden , welche er durch die Bewirtschaftung seiner Güter zu machen haben sollte .
Man war nämlich eben um jene Zeit in den Ostprovinzen unseres Vaterlandes darauf gekommen , Ackerbauer aus dem nördlichen England und Schottland auf den großen Gütern anzusiedeln , um die englische Bodenkultur auf unsere Heimat zu übertragen , und die Landleute so allmählich an den Gebrauch der englischen , vielfach verbesserten Ackergerätschaften zu gewöhnen , und sie in demselben unterweisen zu lassen .
Da die Anlage der sogenannten Holländereien sich fünfzig Jahre früher heilsam gezeigt , und vorteilhaft bewährt hatte , hoffte man von den englischen Kolonien jetzt das Gleiche ; und wo , wie auf den Gütern der Barnefeld und auf den Falkenhorst'schen Besitzungen , der Boden dem englischen und schottischen nicht allzu ungleich war , trog auch diesmal die Erwartung nicht .
Aber nicht allein die englischen und schottischen Kolonisten forderten andere , bessere Lebensbedingungen als der heimische , nicht lange erst von der Hörigkeit befreite ländliche Arbeiter ; selbst die besser kultivierten Tiere , die man zur Veredlung der alten Landeszucht einführen ließ , verlangten eine weit größere Vorsorge , und man konnte mit den fremden Kolonisten nicht vorwärts gehen , man durfte ihnen nicht das ihnen Zukommende und Zugesagte gewähren , ohne zugleich den eigenen Leuten gerecht zu werden , indem man ihnen ein menschenwürdigeres Dasein bereitete , als sie es bisher geführt .
Der Arbeit aller Art gab es also in den nächsten Jahren so viel , daß man sie kaum zu bewältigen vermochte .
Dabei aber stellte sich der Nachteil der allzu großen Güter im Vergleiche zu den mäßig großen , unabweislich klar heraus ; denn abgesehen davon , daß der Kulturstand der Güter , welche Herr von Barnefeld besaß , und jener Anderen , welche seine Söhne erworben hatten , schon seit Jahren ein höherer als jener der Falkenhorst'schen Güter gewesen war , erzielte man auf den Ersteren mit verhältnismäßig geringerem Kapitalaufwande bei gleicher Arbeit größere und schnellere Erfolge , als Emanuel mit dem Aufgebote aller seiner Kraft und Mittel sie aufzuweisen hatte .
Das stachelte seinen wirtschaftlichen Ehrgeiz auf , und aus seiner betrachtenden unfruchtbaren Muße lang schon aufgeschreckt , lernte er nun auch den gesunden , auf das Richtige gestellten Ehrgeiz , als ein Glück und als eine Quelle immer neuer Kraft und immer neuer Genugtuungen empfinden .
Bis er zu dem Majorat gekommen war , hatte er den Besitz im Grunde doch nur als ein Mittel für die Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse betrachtet , in welche allerdings eine schöne Freigebigkeit mit eingeschlossen war .
Jetzt wurde ihm die Wechselwirkung einsichtig , in welcher der Besitz und die Arbeit des Einzelnen zu dem Bedürfnisse der Gesamtheit stehen .
Er begann das Erschaffen dessen , was Allen zugute kommt , als eine sittliche Pflicht zu erkennen .
Mit dieser Erkenntnis entwickelte sich gleichzeitig seine Freude an dem eigentlichen Erwerben ; und er war gebildet und gut genug , es sich zu sagen , wie großer ererbter Besitz , Demjenigen , welchem er , ohne eigenes Zutun ein bedeutendes Leistenkönnen möglich macht , auch die Verpflichtung auferlegt , Gemeinnützliches und der Gesamtheit Fördersame in das Werk zu setzen .
Die Gräfin konnte sich Anfangs in des Bruders jetzige Lebensrichtung gar nicht finden ; denn die Arbeit , welche er sich auferlegte , und die Ziele , welche er sich stellte , hatten nach ihrer Ansicht keinen direkten Zweck für ihn , wenn er nicht an seine anderweitige Vermählung dachte .
Davon war aber im Entferntesten nicht die Rede , und die Gräfin hatte auch aufgehört , deshalb in ihn zu dringen .
Seit ihrem Sohne der erste Knabe geboren worden war , hatte Emanuel einen Teil seiner Bedeutung für sie verloren .
Ihre ganze Liebe hatte sich dem Enkel zugewendet , und die Vorstellung , die Namen und die Majorate der beiden Geschlechter vereint , und als einen höchst bedeutenden Besitz , auf diesen Knaben vererben zu sehen , war ihr allmählich geläufig und wünschenswert geworden .
Sie lebte meist in der Familie ihres Sohnes , ihr Briefwechsel mit Emanuel und mit ihrer Tochter litt Abbruch durch die Ausschließlichkeit , mit welcher sie sich der Pflege und Beachtung jenes Knaben zuwendete ; und da Emanuel sein Lebenlang sich gegen die Herrschsucht der Schwester zu wehren gehabt hatte , vermißte er den Zusammenhäng mit ihr jetzt , da er nach allen Seiten auf seine freie Selbstbestimmung halten mußte , auch nicht eben schwer .
Ähnlich wie Emanuel war es aber auch dem Fürsten Severin und seiner jungen Gattin mit der Gräfin ergangen , seit der Fürst im Hinblicke auf seine Kinder angefangen hatte , ebenso wie der Baron , die Bewirtschaftung seiner großen Besitzungen selber in die Hand zu nehmen .
Er sowohl als Emanuel waren klug genug , es zu erkennen , daß die Tage vorüber wären , in welchen es dem reichen Grundbesitzer vergönnt war , Andere mit dem Grund und Boden nach Belieben schalten und walten zu lassen , und selber als große Herren an den Hofhaltungen der Fürsten sorglos genießend dasjenige zu verbrauchen , was der Boden bis dahin der fremden Arbeit mehr oder weniger reichlich und bereitwillig geliefert hatte .
Der Fürst war das einzige Kind seines Vaters , und obschon derselbe das Vermögen des Hauses stark benutzt hatte , war Fürst Severin immer noch reich genug geblieben , als sein Vater verschieden war .
Er selber war ebenso unbekümmert gewesen , so lange der Vater ihm freigebig hatte zukommen lassen , was er irgend als wünschenswert bezeichnet hatte .
Aber seines Vaters Tod , seine Verheiratung , und die rasch aufeinander folgende Geburt seiner Kinder , hatten ihn zum Nachdenken , zum Überlegen , und endlich zu einer Umgestaltung seiner bisherigen Lebensweise veranlaßt .
Er hatte noch zur rechten Zeit den kostspieligen Aufenthalt in der Hauptstadt und am Hofe aufgegeben , dem rastlosen Umherreisen zunächst entsagt , hatte wie Emanuel , und fast zu gleicher Zeit mit diesem , sich zum Landwirte heranzubilden unternommen , und Clarisse , der ihr Haus , ihr Gatte und ihre Kinder die Welt waren , in der sie ihre reinsten und höchsten Befriedigungen fand , hatte diese Entschlüsse des Fürsten aus voller Seele als ein Glück für sich begrüßt .
Auch waren es die landwirtschaftlichen Unternehmungen des Fürsten , welche ihn zunächst zu dem Besuche bei dem Oheim seiner Frau veranlaßt hatten .
Er wünschte sich persönlich davon zu überzeugen , wie die Übertragung englischer Saaten , englischer Zuchttiere , auf den heimischen Boden und die heimischen Tierrassen wirkten , wie der englische Pflug sich auf dem leichten und auf dem schweren Boden bewähre ; ob die großen zweirädrigen Arbeitswagen mit den massigen Pferden , welche die englischen Kolonisten aus ihrem Vaterlande mitgebracht hatten , auf den zum großen Teile unchaussierten Lehmwegen des Landes zweckmäßig zu benützen seien , und was dergleichen Dinge mehr noch waren .
Da aber sowohl der Fürst als Clarisse ebensoviel Freundschaft für den Oheim als historischen Familiensinn besaßen , wurde die Reise ihnen durch die Aussicht , Emanuel wiederzusehen und den alten Stammsitz des Hauses , den alten Falkenhorst , für ein paar Wochen zu bewohnen , zu einer wirklichen Freude .
Emanuel war ihnen mit seinen Pferden bis an den Fluß , der seine Grenze bildete , entgegengefahren .
Er machte sich ein Fest daraus , den Fürsten auf die mannigfachen Veränderungen und Verbesserungen hinzuweisen , welche er zur Ausführung hatte bringen lassen , seit er Herr der Güter geworden war .
Die Wege , die Brücken , die Zäune , die Häuser der Arbeiter , wie diese selber , hatten einen anderen Charakter gewonnen .
Liebevolle Beachtung hatte begonnen überall ein liebevolles Gedeihen zu erschaffen ; und während dem Fürsten , dessen Auge sich zu solchen Beobachtungen geübt hatte , dieser erfreuliche Zustand nirgends entging , machte Clarisse , als man sich dem Schlosse näherte , die Bemerkung , daß auch dieses ein viel freundlicheres Ansehen angenommen habe , als sie es nach den alten Bildern erwartet habe .
" Bei aller Liebe für den alten Sitz , " sagte sie , " ist er mir mit seinen nach Außen abgeschlossenen fensterlosen Mauern , in der Vorstellung immer unheimlich wie ein alter Donjon vorgekommen ; und wie junge Menschen fröhlich in solcher Zwingburg leben konnten , das habe ich zu der Mutter großer Unzufriedenheit mir nie denken können .
Ich habe es ihr nie geglaubt , daß man im Falkenhorst getanzt und musiziert hat .
Selbst die Strenge meiner Mutter habe ich unwillkürlich immer mit den finsteren Mauern dieses Schlosses in Verbindung gebracht .
Es ist also wirklich ein Segen , daß Du , lieber Onkel , Licht und Luft auch von Außen in das alte Haus hineingebracht hast . "
Emanuel freute sich des wohlverdienten Lobes , denn das Schloß sah in der Tat mit den schönen Bogenfenstern , welche er in die nach Osten gelegene Hauptwand hatte einbrechen lassen , viel freundlicher und viel wohnlicher aus .
Der alte , weit vorspringende Turm war ebenfalls mit Fenstern versehen worden , um neben dem Hauptsaal eine Art Erkerzimmerchen zu erlangen , das für Konradine bestimmt gewesen , und nun schon mit den unten gepflanzten Schlinggewächsen freundlich und dicht umrankt war .
Englische Einrichtungen hatten dem vielgereisten Besitzer dabei als Vorbilder gedient , und selbst die Flagge auf des Turmes Zinne war bereit gewesen , die junge Schloßherrin bei ihrer Ankunft zu begrüßen .
Diesem Zwecke hatte sie nun freilich nicht gedient , aber heute , da das junge , schöne Paar das Schloß betrat , flatterte sie lustig in der hellen Abendluft , den werten Gästen mit den bekannten Farben der Familie den fröhlichen Willkommen zuzuwinken .
Emanuel war in heiterster Stimmung .
Der Fürst sowohl als Clarisse versicherten , während sie sich seiner frischen Rüstigkeit erfreuten , ihn nie zuvor so munter gesehen zu haben ; und er selber wurde sich der Vorzüge und der Schönheit seines Besitzes mit besonderem Vergnügen bewußt , da er den Angehörigen dartun konnte , wie derselbe sich unter seiner sorgsamen Hand verwandelt hatte .
Unter gegenseitigem Behagen stellte sich zwischen Clarisse und dem Onkel das alte trauliche Verhältnis schon nach wenig Stunden wieder her .
Er hatte immer eine besondere Vorliebe für sie gehabt , und das Glück , dessen sie sich in ihrer Ehe zu rühmen hatte , wie die ruhige Sicherheit des Benehmens , die ihr das Bewußtsein verlieh , jetzt schon Mutter von zwei Kindern zu sein , gaben ihr in Emanuel's Augen einen neuen und höheren Reiz .
Es freute ihn , als sie am nächsten Morgen ihn und den Fürsten auf flüchtigem Rosse durch die weite Gemarkung begleitete , und es freute ihn , wie sie dann später mit dem Behagen der an reichen Besitz gewöhnten Hausfrau , durch die Zimmer und die Räume des mit allem Wünschenswerten wohl versehenen Hauses ging : musternd , lobend , hie und da eine Änderung vorschlagend , aber immer gefällig und immer belebend durch die Teilnahme , die sie empfand und erwies .
Der erste Morgen und der Mittag waren auf solche Weise in anmutiger Leichtigkeit dahingeschwunden .
Am Nachmittage , als Clarisse sich zurückgezogen hatte , um von dem starken Ritt auszuruhen , gingen die Männer plaudernd in dem kühlen Laubgange hin und wieder .
Es war während der Mahlzeit von den mancherlei Entbehrungen gesprochen worden , welche das Leben auf dem Lande auch unter den günstigsten Bedingungen mit sich bringe .
Diese Unterhaltung war zwischen den beiden Männern während ihres Lustwandelns noch weiter ausgesponnen worden , und hatte sich dann auf den kurzen Aufenthalt gerichtet , den der Fürst mit Clarissen , während ihrer Reise , eben jetzt in jener Handelsstadt genommen hatte , in welcher Hulda engagiert war .
Der Fürst fragte dabei , ob seine Frau dem Oheim vielleicht schon von ihrer neuerlichen theatralischen Begegnung gesprochen habe .
Emanuel , der es wußte , daß Hulda auf dem dortigen Theater spiele , verneinte es , und der Fürst versetzte darauf :
" Erinnern Sie sich meines Kammerdieners , des Menschen , dem ich aus dem Schlosse meiner Schwiegermutter seinen Laufpaß geben mußte , welchen er , beiläufig gesagt , schon längst vorher verdient hatte ?
Der Mensch ist Schauspieler geworden , und hat seit ein paar Jahren von sich reden gemacht .
Das Zeug dazu hatte er , denn er war ein geborener Komödiant , den seine nichtsnutzigen Streiche in beständiger Übung seiner Kunst erhielten .
Sie sind dem Namen Lippow wohl in den Zeitungen begegnet .
Ich hatte ihn aber nie auf der Bühne gesehen , und konnte mich des Lachens kaum erwehren , als mir , sobald wir in unsere Zimmer gekommen waren , der Wirt die wichtige Mitteilung machte , daß der berühmte Michael Lippow in seinem Hause wohne , und an diesem Abende als Mephisto auftrete .
Wir wollten uns natürlich den Spaß nicht versagen , den guten Freund agieren zu sehen , und fuhren hin . "
" Und wie haben Sie ihn gefunden ? " erkundigte sich Emanuel .
" Vortrefflich ! geradezu vortrefflich ! " entgegnete der Fürst , " so daß ich mich fortdauernd auf der Frage wiederfand , wie ein so charakterloses Subjekt zugleich ein wirklich bedeutender Künstler sein könne .
Meine Achtung vor dem künstlerischen Können ist , wie Sie denken mögen , dadurch nicht eben gesteigert worden .
Im Übrigen aber war es eine sehr gelungene Darstellung . "
Er brach damit ab .
Emanuel ließ unentschlossen eine kleine Weile hingehen .
Dann plötzlich sein inneres Widerstreben überwindend , sagte er :
" Ich vermute , daß Sie auf diese Weise auch Hulda gesehen haben werden .
Man lobt sie vielfach .
Ist sie eine gute Schauspielerin geworden ? "
" Mehr als das ! " entgegnete der Fürst .
" Sie hat Töne , Mienen , Gebärden , die unwiderstehlich zu nennen sind , und sie ist fast schöner noch als früher .
Clarisse war so sehr von ihrem Spiel gerührt , daß sie darauf bestand , sie bei sich zu sehen und zu sprechen .
Ich wundere mich , daß sie Ihnen davon noch Nichts gesagt hat .
Sie hatte ja immer eine durchaus berechtigte Vorliebe für Hulda -- wie wir Alle .
Sie ließ es sich also auch nicht nehmen , ihr noch ein Andenken zu schicken , als wir abreisten .
Sie müssen sich das von ihr selbst erzählen lassen . "
Ein Diener , der die Meldung brachte , daß einer der jungen Herren von Barnefeld gekommen sei , machte dem Gespräch ein Ende , und befreite Emanuel .
Er war es wieder einmal inne geworden , wie unmöglich es ihm fiel , von Hulda in gleichgiltigem Tone zu sprechen , oder sprechen zu hören , und wie wert , er hätte sagen mögen , wie heilig ihm ihr Angedenken sei .
Fünfundzwanzigstes Kapitel .
Die Anwesenheit der Gäste im Falkenhorst war von jenem herrlichen Wetter begünstigt worden , das unter dem Wehen eines warmen , frischen Ostwindes in jenen Landstrichen am Ende des August-Monates und im September , in denen das letzte Kernobst reif wird , zu herrschen , und von dem Landvolke deshalb als die Zeit des Aepfel-Ostes bezeichnet zu werden pflegt .
Die ersten acht Tage waren so schnell entschwunden , daß man darauf denken mußte , jene anderen , welche ihnen folgen sollten , so geschickt als möglich zu verwenden , da man doch auch der lebensfrohen , offenen Gastfreiheit der Gutsnachbarn mannigfach gerecht zu werden hatte .
Denn den Fuß auf Barnefeld'schen Grund zu setzen , ohne auch in dem Hause eines Jeden von ihnen eine Bewirtung angenommen zu haben , das würden die Eltern und die Kinder gemeinsam , wie jede der einzelnen Haushaltungen für sich im Besonderen , als eine Ehrenkränkung angesehen haben ; und die Herzlichkeit des Tones und Behabens , denen das junge fürstliche Paar bei ihnen überall begegnete , machte den Verkehr mit diesen wackeren Menschen angenehm und leicht , obschon Clarisse sich zum erstenmal in ihrem Leben außerhalb des Bereiches der hohen Aristokratie bewegte .
Die Barnefelds gehörten nicht dem alten hohen Adel an .
Sie hatten , seit der Erste von ihnen geadelt worden war , sich auch mehrfach mit Frauen aus reichen Kaufmannshäusern , und mit Töchtern von Gelehrten verheiratet .
Ihre Güter waren zusammengekauft , und nach Ermessen von denselben auch einzelne Teile und ganze Güter wieder verkauft worden , um Zweckmäßigeres zu erwerben , oder den Besitz besser abrunden zu können .
Barnefeld'sche Töchter hatten sich mit gebildeten bürgerlichen Beamten und Gutsbesitzern verbunden ; es waren Barnefelds in hohen Civil- und Militär-Ämtern angestellt , und wenn auch manchem der hier im Lande angesessenen Glieder der Familie , jener letzte Schliff abging , der den Hofmann auszeichnet , und wenn vielleicht keine von allen diesen Frauen die richtige bei der Cour gebotene Verbeugung zu machen fähig war , so hatte man doch bei ihnen in jedem Augenblicke die wohltuende Empfindung , mit Menschen zu verkehren , denen im Leben Nichts abging , die an allem Bedeutenden aus der Enge ihres Kreises heraus , lebhaften und klugen Anteil zu nehmen vermochten , die innerhalb dieses Kreises Meister in Allem waren , was in demselben erheischt werden konnte , und die , weil es ihnen wohl war , eine Genugtuung darin fanden , daß auch den Anderen , so weit als immer möglich , Wohlsein bereitet werden möchte .
Dazu waren es stattliche , frische Männer und Frauen , freimütig bereit , sich an der schönen Vornehmheit der fürstlichen Gäste unbefangen zu erfreuen , und nebenher Emanuel so herzlich zugetan , daß sowohl Clarisse als der Fürst schon deshalb Zuneigung zu ihnen faßten .
An dem letzten Nachmittage , welcher der festgesetzten Abreise des Fürsten vorherging , war er noch einmal hinübergeritten , dem alten Herrn von Barnefeld ein Lebewohl zu sagen .
Clarisse war , weil ein schweres Gewölk am Himmel stand , zurückgeblieben , und Emanuel hatte sich selbstverständlich erboten , ihr Gesellschaft zu leisten .
Wie es nun draußen heftiger zu wehen und auch bereits zu regnen anfing , so daß man selbst in dem Pavillon nicht mehr verweilen mochte und sich in das Zimmer zurückzog , saßen Clarisse und Emanuel schon eine geraume Zeit einander gegenüber , ohne daß sie mit einander gesprochen hätten .
Die rasch über die weite Ebene hinfliehend Wolken zogen ihre Gedanken an sich und mit sich , und verlockten sie weit hinaus in die Ferne und in die Zukunft , um sie dann wieder auf Einkehr in sich selbst zurückzuweisen .
Mit einemmal legte Clarisse ihre Hand auf die des Onkels und sagte :
" Wenn ich hier so hinaussehe in die Weite , und zurück in das große , schöne Schloß , und denke , daß Du hier allein bist , allein in Deinen Wäldern und auf Deinen Feldern , allein in diesem weiten Hause -- zur Winterszeit allein -- so kommt mir der große Besitz für Dich weit mehr wie eine schwere Last , denn als ein Glück vor .
Du hast herzustellen , was die Geschlechter vor Dir verabsäumt haben , und wenn Du hier allein bleibst , so arbeitest Du für die Familie , ohne selber die rechte Freude an der Vermehrung des Besitzes haben zu können .
Man will doch wissen , wofür und für wen man arbeitet und sich bemüht ? "
Emanuel sah sie freundlich an .
" Du bist die Erste , " sprach er , die sich die Frage vorlegt , ob ein so großer Besitz eben mir ein erwünschter sein konnte , und ich stehe deshalb nicht an , Dir zu bekennen , daß ich ihn in den Zeiten , in denen des Bruders Krankheit ihn mir in Aussicht stellte , keineswegs als einen solchen angesehen habe .
Als dann in dem Augenblicke , da der Bruder starb , sich mir die Hoffnung eröffnet hatte , für Konradinen und für eine mir gehörende Familie , hier eine schöne gesicherte Heimat bereiten zu können , faßte ich Liebe zu dem Besitz ; und , " setzte er nach kurzer Pause ruhigen Sinnes hinzu , " als jene Erwartung sich dann nicht erfüllte , war die Arbeit mir schon ein Bedürfnis und die Stütze geworden , mit der ich meinen Weg weiter vorwärtsgehen konnte .
Ich hatte sehen gelernt was fehlte , ich wünschte das Mangelnde zu schaffen , ich hatte den Trieb , das Begonnene zu vollenden .
An die Stelle der mir Angehörigen , für die ich hier zu sorgen gehofft hatte , traten allmählich jene Anderen ein , die hier geboren und durch ihre unbehilfliche Beschränktheit hier eingewurzelt und auf uns angewiesen waren -- "
" Und Du bist also zufrieden ? " fragte die junge Fürstin ; " das Bewußtsein , die Güter in die Höhe zu bringen , macht Dir an sich Freude ? "
" Es ist die Landwirtschaft an sich , die mir Freude macht , " berichtigte Emanuel , " nicht , wenn ich es offen gegen Dich bekennen soll , die Gewißheit , Deinem Bruder , für den ich , wie Du weißt , nicht eben eine lebhafte Sympathie besitze , ein reicheres Erbe in dem Majorate zu hinterlassen ; und dies umsoweniger als mir die Nützlichkeit der Majorate für das zweckmäßige Fortbestehen und die zweckmäßige Fortbildung der Geschlechter , hier in dem Hinblicke auf die Barnefeld's und ihresgleichen , mehr als früher zweifelhaft geworden ist .
Soviel steht bei mir fest , " setzte er hinzu , " ich würde , hätte ich mich verheiratet und Söhne gehabt , Alles dazu getan haben , neben dem Majorate für meine Kinder Allodial-Güter zu erwerben , über die sie nach freiem Belieben hätten schalten und walten mögen , ohne daß mit deren Vererbung , ihrer Neigung und ihrer freien Entschließung von den Altvordern Ketten angelegt werden , die man zu Zeiten als sehr drückend empfinden kann , und von denen man , eben aus eingesogenen Vorurteilen , sich doch mehr als billig und verantwortlich binden und bestimmen läßt . "
Clarisse schwieg eine Weile , nachdem er geendet hatte .
Sie blickte nachdenklich und liebevoll in sein edles , ernstes Antlitz , als wolle sie darin lesen , ob sie es wagen solle , ihm eine Frage vorzulegen .
Ihre Freundschaft und ihre Liebe für den Oheim hatten sich in diesem engen , vertraulichen Beisammensein nur noch gesteigert , ihr eigenes Glück ihr die Vereinsamung des Oheims noch trauriger erscheinen machen ; und wie ihr Auge also freundlich auf ihm weilte , bemerkte sie , daß in der Fülle des dunklen Haares , welches seine Stirn umwallte , einzelne weiße Fäden sichtbar wurden .
Das rührte sie , und von dieser Rührung fortgerissen , sagte sie :
" Du bist ja noch jung , Emanuel , wenig älter als Severin ; indessen wir bleiben doch nicht immer jung , und allein zu sein im Alter muß sehr schwer sein .
Denkst Du denn gar nicht mehr an eine Frau ? "
" Die Erfahrungen , die ich gemacht , " versetzte er , " sind nicht ermutigend gewesen . "
" O , " rief Clarisse , " ich will nicht in Dich dringen , wie es die Mutter wohl bisweilen tat -- gewiß nicht , Lieber ! --
Aber Du und Konradine , ihr gehörtet ja auch nicht zu einander , Du hast sie nie geliebt . "
" Und als ich liebte , " fiel er ihr in die Rede , " als ich einmal liebte , mit großer Wärme liebte , und mich geliebt wußte mit einer Liebe ohnegleichen , da -- ließ ich mich gefangen nehmen von den Ketten dieses Majorates ; da gab ich um seinetwillen ein Glück auf , das ich nicht wieder finden werde , und beschwor in törichter Verblendung gleichsam den alten Fluch herauf , von dem die Liebe mich erlösen wollte . "
Er stand auf , Clarisse war erschrocken .
Diese Erinnerung in ihm zu erwecken , dem Oheim einen Schmerz zu bereiten , hatte sie nicht erwartet .
Er ging mehrmals in dem Zimmer auf und ab .
Sie erhob sich und hing sich an seinen Arm .
" Vergib mir ! " bat sie freundlich .
" Was hast Du denn verschuldet ? " entgegnete er , und ihr die Hand drückend , sprach er :
" Laß das ruhen !
Aber ich höre von dem Fürsten , Du hast Hulda auf der Bühne gesehen , und bei Dir gesehen .
Erzähle mir davon Alles , so wie es war .
Von Deinem Munde werde ich es gerne hören , denn Dir war sie wert .
Erzähle , Beste !
Wie hast Du sie gefunden , wie geht es ihr ?
Und ist sie glücklich ?
Ist sie noch so schön , so sanft , so in sich Eines wie in jenen guten Tagen ? "
Er hatte sich auf das Sofa niedergesetzt , Clarisse war ihm dahin gefolgt und hatte ihren Arm wieder in den seinen gelegt .
So nahe an ihn gerückt , während der Tag sich senkte , sprach sie ihm von der Geliebten , wie er es begehrte , wie sie es in ihrer Seele trug .
Sie enthielt ihm Nichts vor : nicht die Überraschung , mit welcher sie Hulda auf der Bühne gesehen , nicht das Entzücken , welches sie ihr als Künstlerin verdankt , nicht den Beifall , mit welchem man sie überschüttet hatte .
Sie erzählte ihm , wie der Fürst sie vor der Begegnung mit Hulda vorsichtig gewarnt , wie er leichtfertig über ihre häusliche Einrichtung gescherzt , wie er sie selber damit unwillkürlich mißtrauisch gegen die Schauspielerin gemacht habe ; was danach zwischen ihr und Hulda vorgegangen war , bis sie mit Verehrung und Liebe , und mit einem wirklichen Trennungsschmerze , in ihren Armen gelegen habe , und von ihr geschieden sei .
Sie hatte sich , enthusiastisch wie sie war , in dieser Erzählung mehr und mehr erwärmt .
Emanuel hatte sie nicht ein einzigesmal unterbrochen .
Bisweilen kam es ihr vor , als zucke seine feine nervige Hand , die sie in der ihren hielt ; aber die Dunkelheit war hereingebrochen und sie konnte seine Züge nicht genau mehr sehen .
Als sie geendet hatte , stand er auf .
" Und ich wähnte sie ganz hingenommen von dem Berufe , der ihr als halbes Kind immer schon verlockend gedünkt ; ich stellte sie mir immer nur umringt von Bewunderung vor , berauscht von ihren Erfolgen , wenn ich das Lob las , das die Kritik ihr spendet .
Ich dachte sie mir gern zufrieden , dachte sie mir glücklich ! " sagte er .
Clarisse meinte , in ihrem Berufe fühle Hulda sich auch durchaus glücklich .
" Mit einem inneren Zwiespalt ist das Niemand , " wendete Emanuel ihr ein , " und Hulda noch weit weniger als jeder Andere . "
Clarisse kam dann noch einmal darauf zu sprechen , wie der Abschied von Hulda sie bewegt habe .
" Als sie mich verlassen hatte , " sagte sie , " kam es mir vor , als hätte ich ihr nicht genug gezeigt , wie hoch ich sie halte ; und weil ich nun doch Nichts mehr für sie tun konnte , und eben Nichts zur Hand hatte , womit ich ihr ein Zeichen der Zuneigung geben konnte , schrieb ich ihr ein paar Zeilen für ein Stammbuchblatt , und schickte ihr ein kleines Kreuzchen , das ich von Kindheit an getragen , und das sie , als sie bei uns im Schlosse war , immer sehr bewundert hatte . "
" Das kleine Goldkreuz mit dem Seraphköpfchen ? " fragte Emanuel .
" Ja ! " entgegnete Clarisse mit wirklicher Verlegenheit , " das Kreuzchen von der Baronin Erdmuthe .
-- Ich hätte es vielleicht nicht geben dürfen , und ich möchte nicht einmal , daß die Mutter es erführe .
Aber ich hatte in dem Augenblicke wirklich gar nichts Anderes zur Hand ; und da es nach der Familiensage vor Gefahr beschützen soll , so dachte ich , Hulda könne es mehr als ich gebrauchen , -- und gefreut hat es sie ganz gewiß .
Sprich nicht davon .
Es war ein rascher Impuls -- und verarge mir es nicht . "
" Ich ? " rief Emanuel .
" Glaube mir , das vergesse ich Dir nie . "
Er küßte ihr die Hand , sagte aber weiter Nichts .
Der Diener brachte gleich danach die Lampen in das Zimmer .
Wie man dann bei ihrem milden Scheine bereits eine Weile beisammen gewesen und die Erinnerung an das eben geführte Gespräch im Ausklingen begriffen war , sagte die Fürstin :
" Als wir vorhin von dem kleinen Kruzifix gesprochen haben , fiel mir ein , daß hier im Schlosse noch die alten Silbergeräte und mancherlei Erinnerungen an unsere Vorfahren vorhanden sind , deren die Mutter oft erwähnt hat .
Möchtest Du mich dieselben sehen lassen , ehe ich den Falkenhorst und Dich verlasse ? "
Emanuel erklärte sich sofort dazu bereit .
Er ließ den alten Kastellan benachrichtigen , der schon seit zwei Generationen diese Gegenstände in seinem besonderen Gewahrsam hatte , und es währte nicht lange , bis der Greis feierlich , als trage er die Reichskrone oder das heilige Sakrament , der Reihe nach die schweren , alten Humpen , den großen , kunstvoll gearbeiteten Suppennapf , den Tafelaufsatz , die wuchtigen Leuchter und endlich auch die alten , mit vielen silbernen Nägeln beschlagenen Schmuckkästchen herbeibrachte , und sie Stück für Stück in schöner Ordnung vor der jungen Fürstin niedersetzte .
Der Silberbesitz war von beträchtlichem Werte , aber dasjenige , was man in den kleinen Schreinen aufbewahrte , das waren keine eigentlichen Kostbarkeiten ; sondern Schmucksachen und Zieraten , an die sich irgend eine besondere Erinnerung knüpfte ; und Emanuel , der sich von jeher mit den Sagen der Familie gern beschäftigt hatte , wußte zu Clarissen's Freude fast von jedem Stücke eine Auskunft zu erteilen .
Ihre Neugier und ihr Familiensinn fanden eine gleiche Unterhaltung darin , jede dieser einzelnen Kleinigkeiten eigens herauszunehmen , zu betrachten , sie anzulegen , sofern es tunlich war , und sie hatte das letzte der Kästchen schon in der Hand , als der Alte aus dem Nebenraume noch eine Art von Tasche aus verblichenem rotem Samt , mit goldener Schnur umwunden , zum Vorscheine brachte .
" Laß das nur liegen ! " sagte Emanuel , als er es bemerkte ; doch gerade diese Weisung machte Clarisse aufmerksam darauf .
Sie fragte , was das Säckchen in sich schließe .
Emanuel entgegnete , es enthalte das alte handschriftliche Dokument , in welchem die Geschichte von dem König der kleinen Leute und von dem Fluche berichtet werde , den jener märchenhafte kleine König gegen das Geschlecht der Freiherren von Falkenhorst ausgestoßen haben solle .
Die Fürstin wollte das Dokument sehen .
Emanuel wehrte es ihr nicht .
Er löste die goldene Schnur , öffnete vorsichtig die Hafteln , welche die alte Tasche zusammenhielten , nahm aus derselben einen Umschlag von dickem Leder , und aus diesem einige Blätter vergilbten Pergamentes heraus , auf welchen jene Sage von dem Freiherrn von Falkenhorst selber , in breitester Ausführlichkeit niedergeschrieben war .
Obschon der Fürstin diese Erzählung aus mündlicher Wiederholung von früher Kindheit auf bekannt war , wünschte sie doch dieselbe zu lesen ; aber die krausen , wunderlichen Schriftzeichen und die ganz veraltete Sprache und Rechtschreibung machten ihr das unmöglich .
Emanuel unterzog sich also der Mühe , es ihr vorzulesen , und wie er dann am Schlusse der Erzählung langsam und gewichtig , Wort für Wort den schweren Fluch des kleinen Königs wiederholte , jenen Fluch , der sich in fast unbegreiflicher Weise durch die Jahrhunderte fortgesetzt , und das Geschlecht der Falkenhorst seinem Erlöschen in der Person Emanuel's nahe gebracht zu haben schien , konnte Clarisse sich eines Schauers nicht erwehren .
Das alte Schloß , der alte Kastellan , die alten Gerätschaften , ja selbst der Oheim und ihre eigene Anwesenheit in diesem Schlosse kamen ihr mit einemmal unheimlich und spukhaft vor ; und die Hand abwehrend gegen die alten Pergamente ausgestreckt , rief sie , absehend von aller ihr anerzogenen Verehrung des Althergebrachten :
" Aber das ist ja entsetzlich !
Wie hat man das nur aufbewahren , solch böse Vorstellung durch die Jahrhunderte an dem Geschlecht haften lassen mögen ? "
Und an ihre beiden schönen Knaben denkend , setzte sie , von ihrer warmen Mutterliebe fortgerissen , rasch hinzu : " Wenn solche Sage sich an das Schicksal unseres Hauses , an das Geschlecht des Fürsten knüpfte , ich würde sie vernichten , damit ihr trüber Schatten nicht auf die Seele meiner Kinder fiele . "
Emanuel lächelte .
" Vernichten ? " fragte er .
" Du wolltest vernichten , was im Märchen zierlich ausgestattet in den Besitz des ganzen Volkes übergegangen ist , dessen Kinder sich harmlos daran ergötzen ?
Nimmermehr ! und wenn es möglich wäre , möchte ich es nicht wollen .
Ist denn die Aussicht , durch Jugend und durch Liebe von einem Banne erlöst und neu belebt , und durch sie auferbaut zu werden , nicht beseligend und schön ? "
Er hatte die Blätter in die Hand genommen und legte sie sorgfältig zusammen , um sie wieder in ihre alte Umhüllung zu legen .
Clarisse sah ihm schweigend zu , wie er die Hafteln schloß , die goldene Schnur verknüpfte .
" Oheim , " versetzte sie plötzlich , " kannte Hulda diese alte Sage ? "
" Ja , " versetzte er , " sie kannte sie . "
Er legte mit diesen Worten die rote Tasche in den Schrein , Clarisse war ihm dabei behilflich .
Unten in der Ecke desselben stand ein kleines Kästchen von neuer Form .
Ohne Emanuel's Erlaubnis zu fordern , nahm sie es heraus .
Es lag ein Goldreif darin mit hellem , blauem Steine ; und wie sie ihn betrachtete , las sie in seinem Inneren die Worte :
" Dich und mich trennt Niemand ! "
Sie sah Emanuel an , sie wagte nicht zu fragen , wem der Ring bestimmt gewesen sei , wer ihn getragen hatte .
Sie setzte das Kästchen schweigend auf den Platz , an dem sie es gefunden hatte .
Darüber kam der Fürst von seinem Ritt heim .
Er besah die Gefäße , die Geräte , lobte ihre schönen Formen , und da er eben mit Emanuel's Nachbarn mannigfache Gespräche über den Wert des baren Geldes in der Landwirtschaft gepflegt hatte , verfiel er bald darauf , auch den ungefähren Wert dieses Silberbesitzes abzuschätzen , der , wie Emanuel es ihm angeben konnte , sehr beträchtlich war .
" Was würden die Barnefelds mit solcher Summe Alles unternehmen ! , sagte er , indem er noch einmal einen der riesigen Humpen in der Hand wog .
" Daran habe ich besonders oft gedacht , als ich vor Jahren hierher kam , und um verfügbare Kapitale bisweilen verlegen war ! "
gah Emanuel ihm zu .
" Es ist mit dem Aufstapeln solcher alten Besitzstücke in der Tat eine ebenso bedenkliche Sache , wie unter Verhältnissen mit der Unantastbarkeit der Majorate .
Hat man Freude daran , sich der massiven , wenig handlichen Geräte täglich mit dem Bewußtsein zu bedienen , daß schon seit Jahrhunderten Menschen , die zu uns gehörten , in Glück und Leid von diesen Gefäßen Gebrauch gemacht haben , so lasse ich das gelten .
Ist man reich und freigebig genug , sie einem Kunstkabinette einzuverleiben , und dort meinetwegen als Falkenhorstsges Legat aufbewahren zu lassen , so hat das einen gemeinnützigen und zugleich einen die Familien-Eitelkeit entschädigenden Sinn .
Aber sie hier in einem entlegenen einsamen Schlosse , nur um des Herkommens Willen , in verborgener Kammer durch die Jahrhunderte als totes Kapital unter Schloß und Riegel zu halten , während mit den Tausenden , welche sie wert sind , für den Familienbesitz und das Familien-Vermögen weit Vorteilhafteres geschaffen werden könnte , darin liegt eine Pietät , welche aufrecht zu erhalten mir mit meiner jetzigen Einsicht oftmals schwer gefallen ist . "
Der Fürst stimmte dieser Ansicht bei .
Barnefeld's Einfluß und seine Lehren hatten die beiden jüngeren Landwirte ganz für sich gewonnen .
Man sprach eine geraume Weile von den Verbesserungen , die auf den Gütern des Einen und des Anderen im Werke waren , die Notwendigkeit freier Verfügung über die Güter wie über das Kapital , stand dabei überall in erster Reihe .
Der Fürst ging endlich so weit , in der Majoratsbegründung einen Verstandesfehler , einen Mangel an Voraussicht und eine unzweckmäßige Tyrannei zu finden .
Clarisse lachte dazu .
" Laßt das die Mutter nicht hören ! " rief sie .
" Man ist jetzt zwischen Euch Beiden wie unter Revolutionären , denen Nichts mehr heilig ist . "
" Wir verbrennen aber doch noch keine Familien-Chroniken und keine Dokumente ! " scherzte Emanuel , sie an ihren früheren Gedanken mahnend .
" Übrigens kann die Mutter unbesorgt sein .
Dein Bruder soll , wenn er nach mir im Falkenhorste Herr sein wird , die alten Familienstücke mit all ihrem Zubehör , und wird hoffentlich auch noch den Alten , hier an seinem Platze finden . "
Clarisse und der Fürst wehrten Beide den Gedanken ab .
Emanuel entgegnete darauf Nichts .
Der Kastellan hatte inzwischen angefangen , die silbernen Gefäße und die sonstigen Herrlichkeiten wieder zu entfernen .
Als er endlich auch den kleinen Schrein verschließen wollte , in welchem der Ring mit dem blauen Steine und der Inschrift lag , bemerkte Clarisse , wie Emanuel den Ring aus seinem Kästchen nahm , und ihn an seinen Finger steckte .
Sechsundzwanzigstes Kapitel .
Die Freunde des Theaters hatten sich während Lippow's Gastspiel vollauf Genüge getan .
Man war alltäglich im Theater gewesen , die Künstler , welche mit Lippow zusammengespielt hatten , waren sehr in Anspruch genommen worden und hatten eine verhältnismäßige Ruhe nötig .
Das Publikum war ebenfalls müde .
Die Hitze war , wie in jenen Gegenden immer , gegen das Ende des Augustmonates sehr drückend geworden , und die heißen Sonnenstrahlen , welche in die langen Korridore des Schauspielhauses drangen und sich mit ihrem gelben Lichte durch die geöffneten Logentüren bis tief hinein in das bläuliche Halbdunkel des Zuschauerraumes stahlen , lockten in das Freie hinaus .
Man spielte vor ziemlich leeren Bänken oft gesehene Schauspiele , kleine Lustspiele , alte Possen , an denen die Gutsbesitzer , die zum Markte kamen , nichtsdestoweniger ihr Vergnügen fanden , und bei welchen Niemand wesentliche Mühe hatte ; nicht einmal der Souffleur , denn diese Stücke hatte man aus langer Übung wie am Schnürchen .
Auch Hulda hatte nicht eben viel zu tun , und nach der angestrengten Arbeit , der sie sich hingegeben , seit sie Schauspielerin geworden war , umfing die Art von Ruhe und von Muße , deren sie jetzt zum erstenmal genoß , sie wie eine ihr fremd gewordene Erquickung .
Sie konnte wieder bis zu einem bestimmten Grade , über ihre Zeit verfügen , sie konnte sich auf sich selbst besinnen , sich es hinträumend wiederholen , was zwischen ihr und der jungen Fürstin sich begeben , und mit welcher Zärtlichkeit und Wärme Clarisse sie am Ende ihrer Unterredung dann entlassen hatte .
Jede Miene der ihr so teuren Frau war ihr noch gegenwärtig , jedes Wort klang in ihrem Herzen nach .
War es doch seit Jahren das erstemal gewesen , daß ein reines , edles Frauenherz sich ihr gütig zugewendet hatte , daß sich Jemand um ihr inneres Leben , um den Frieden ihrer Zukunft besorgt gezeigt hatte , daß ihr eine Teilnahme erwiesen worden war , die ihr selber , ihrem Glück und Heil , und nicht allein der Künstlerin und ihren Erfolgen gegolten hatte .
Der ganze Tag , an welchem sie Clarisse gesehen , war ihr wie verklärt davon gewesen .
Abends , als sie nach dem Theater in ihre Wohnung gekommen war , hatte ein Brief auf ihrem Tische gelegen .
Frau Rosen sagte , der Diener des Fürsten Severin habe ihn gebracht , und gefordert , ihn nebst dem Kästchen , das dabei stand , selber in ihre Stube zu tragen ; weiter habe er nichts hinterlassen .
Clarisse erkannte gleich die Schrift .
Das Couvert enthielt aber nur ein einziges Blatt Papier .
Es standen auch nur vier Zeilen , nur die wenigen Worte darauf : " Bleibe Dir selber getreu !
Lass Gott für das Übrige walten .
Glücklich , wem man , wie Dir -- Besseres wünschen nicht kann . "
Die Schreiberin hatte ihren Taufnamen daruntergesetzt , und Hulda las mit überströmenden Augen den kurzen herzlichen Zuruf , drückte mit heißem Kusse das kleine Kreuz an ihre Lippen .
Noch an dem verwichenen Morgen hatte dasselbe sie wieder , wie ein Wahrzeichen aus alter ferner Zeit , vertraulich angemutet , als sie es an dem Halse der Fürstin hängen gesehen .
Clarisse hatte es stets getragen , nicht Tags , nicht Nachts hatte sie es von sich getan , weil es für eine Art von Amulett gegolten hatte ; und Hulda verstand deshalb den Sinn , verstand die treue Meinung , welche allein die Fürstin dazu bewogen haben konnten , sich des kleinen in der Familie wert gehaltenen Kruzifixes zu entäußern , um eine Fremde , nicht dem Hause Angehörige , gleichsam unter die Obhut seiner guten Genien zu stellen .
In den streng protestantischen Anschauungen ihres Vaterhauses auferzogen , hatte Hulda sich es früher nicht vorzustellen vermocht , was dem Herzen des Gläubigen der Schutzheilige und die von ihm stammende Reliquie bedeuten ; als sie aber an jenem Abende das Kreuzchen um ihren Hals hing , wurde es ihr wie durch eine poetische , das Gemüt erwärmende , den Sinn beruhigende Offenbarung plötzlich klar und deutlich .
Sie war nicht mehr allein , nicht mehr verlassen auf sich selbst gestellt .
Ihre Gedanken hatten jetzt wieder ein festes Ziel , zu dem sie sich wendeten , wenn sie sich selber nicht genügen konnte .
Sie hatte einen Namen , den sie in ihrem Herzen anrief , wenn es sie nach Teilnahme verlangte ; und das Wesen , welches diesen Namen trug , war rein und schuldlos , war eine Frau , an welche nie ein Zweifel sich herangewagt , an welcher kein Makel haftete , wie an Feodoren und wie selbst an Gabriele .
Was waren denn alle Triumphe , welche jene Frauen gefeiert hatten , jene Bewunderung , nach welcher Hulda diese Jahre hindurch so heiß gestrebt , und die zu erringen sie manchmal ihr besseres Empfinden hatte zum Opfer bringen müssen , was war alle Ehre und Anerkennung der Welt gegen den Frieden , der aus Clarissens Augen und von ihrer reinen Stirn leuchtete ?
Oder was war in diesen Jahren ihres Bühnenlebens Hulda zu Teil geworden , das sie so erfreut , so in sich selbst erhoben und gekräftigt hätte , als das Anerkenntnis , das die Fürstin ihr mit diesen wenigen Worten gegeben hatte ? als Clarissens Zuversicht , daß Hulda sich und ihre sittliche Würde zu wahren wissen werde in den Versuchungen , die sie umringten , auf dem Pfade , den sie sich erkoren hatte - erkoren freilich , ehe sie seine Dornen kannte .
Und an Dornen sollte es Hulda auch zunächst nicht fehlen .
Schon während Michael's Gastspiel hatte Hochbrecht , als er sie einmal besuchte , ganz beiläufig die Frage aufgeworfen , wie sie eigentlich mit Gabriele zusammenhänge ? und sie hatte der Wahrheit nach erzählt , in welcher Weise die berühmte Künstlerin auf sie achtsam geworden sei .
Hochbrecht hatte gemeint , das klinge freilich anders als die bisherige Angabe .
Hulda hatte natürlich sofort gewußt , wohin die Frage ziele , und eben deshalb ihn veranlassen wollen , sich deutlich auszusprechen .
Er war aber darüber mit der Bemerkung hinweggegangen , am Ende sei jeder bedeutende Mensch das , was er sei , und was er aus sich mache ; und eine junge Künstlerin wie sie , habe es am wenigsten vonnöten , sich an Traditionen anzulehnen , da sie auf eigenen Füßen stehe und sich durch eigene Kraft behaupten könne .
Damit aber war ihr jetzt nicht mehr gedient .
Sie verlangte , daß Hochbrecht sich bestimmt erklären solle , und er sprach dann unumwunden die Frage aus , wie sie darauf gekommen sei und was sie dazu bewogen habe , sich für Gabrielens Tochter auszugeben , für die man sie hier auch allgemein gehalten habe , bis Lippow es verraten , daß er sie in dem Schlosse der gräflichen Familie habe kennen lernen , und daß sie nicht die Tochter eines Herzogs und Gabrielens , sondern eines Pfarrers Tochter sei .
" Ja , Gottlob ! " rief Hulda .
" Ja , gottlob ! "
-- Und mit Schamroter Stirn fügte sie hinzu : " Aber noch heute kann ich es nicht begreifen , wer diese Lüge erfunden hat !
Wer Gabriele das angetan , und mir und meiner guten Eltern Angedenken ! --
Und daß Niemand , kein Einziger von allen Denen , die sich meine Freunde nannten , es auch nur einer Erwähnung wert gefunden hat !
Daß man mich hier hat leben lassen unter der Schmach eines solchen Makels -- ohne mir ein Wort davon zu sagen ! "
-- Ihre Mißempfindung , ihre Kränkung schnürten ihr den Hals zu und nahmen ihr das Wort .
Hochbrecht zeigte sich darüber ganz verwundert , ja er schien , ihrer Entrüstung mißtrauend , anzunehmen , es sei die Aufdeckung der Täuschung , die sie verdrieße und sie in zornige Verlegenheit versetze .
Er lächelte zu allen ihren Beteuerungen .
Er nannte es am Ende eine sehr zu verzeihende Kriegslist , daß sie , ihre auffallende Ähnlichkeit mit Gabriele benutzend , sich deren mütterlichen Familiennamen angeeignet habe , um sich auf solche Weise einer größeren Teilnahme im Voraus zu versichern ; und es half ihr nicht , daß sie beteuerte , wie der Direktor ihr diesen Namen ausgewählt , und wie sie nicht einmal gewußt habe , daß Gabrielen's Mutter ihn getragen habe .
Er glaubte ihr es nicht , glaubte es noch weniger , daß sie es bisher nicht innegeworden war , wie man über ihre Abkunft von Anfang an gesprochen hatte , sondern rühmte ihre Klugheit und ihre richtig berechnende Menschenkenntnis .
Sie nahm ihm das übel , verbarg ihm das nicht , und erklärte in ihrer Gereiztheit , ihn nicht mehr sehen zu wollen .
Er war es nicht gewöhnt , daß eine der Künstlerinnen , die auf seinen kritischen guten Willen vielfach angewiesen waren , und namentlich eine Schauspielerin , der er sich unausgesetzt ergeben bezeigt hatte , wie ihr , mit ihm rechtete und seine Besuche abwies .
Er scherzte gegen Philibert über die Ungnade , in welche er bei Hulda gefallen sei , weil er sich es habe beikommen lassen , ihr den Verstand und die Berechnung zuzutrauen , die zu verbergen sie für angemessen halte , und er fand bei diesem ein geneigtes Ohr .
" Man hat sie um ihrer Schönheit Willen sehr verwöhnt , " sagte Philibert .
" Sie hat mit ihren unschuldsvollen Mienen gar zu leichtes Spiel bei uns gehabt .
Das hat sie sicher werden lassen .
Aber Mittel gibt es ja wohl , die spröde Göttin etwas huldreicher zu machen .
Stellen wir die Opfer ein , und sie wird den Weihrauch bald vermissen , den wir ihr so freigebig gestreut haben .
Wenn wir ihr im Theater fehlen , wird sie schnell genug danach verlangen , uns in ihrem Zimmer zu begrüßen .
Denn ohne den fortreißenden Beistand ihres fürstlichen Gönners hätte sie schon bei der Faust-Aufführung -- obschon sie ganz vortrefflich spielte -- den Unterschied zwischen zurückhaltenden und beflissenen Freunden bemerken sollen . "
Hochbrecht war ganz seiner Meinung .
" Ein paar Szenen aus der " Bezähmten Widerspenstigen " können diesem Käthchen gar nicht schaden ! " scherzte er ; und sie hatten , der Eine wie der Andere , ihre Befriedigung in der Vorstellung , der spröden Hulda gegenüber den männlichen Benedikt zu spielen .
Es war nur schade , daß sie es nicht gleich bemerkte , weil eine andere Sorge sie bekümmerte :
Lelio war wie verwandelt gegen sie und hielt sich von ihr ferne .
Er hatte schon während der Tage , welche der Aufführung des " Faust vorangegangen waren , weniger zutraulich mit ihr verkehrt ; nach derselben wurde ihr das noch fühlbarer .
Freilich tat er ihr gegenüber in den Proben und im Zusammenspiel mit gewohnter Gewissenhaftigkeit , was seine Pflicht war ; indes es schien ihn nicht wie sonst zu freuen , wenn er mit ihr gemeinsam beschäftigt war , und als sie ihn endlich mit der Frage anging , was ihn drücke ?
was ihn verstimme ? behauptete er , in der besten Laune und nur durch den Gedanken an das in Rußland ihm bevorstehende Gastspiel mit Michael , ein wenig hingenommen zu sein .
Hulda kannte ihn genau und hatte ihn lieb ; sie war also nicht leicht zu täuschen , und er schien es auch kaum darauf abgesehen zu haben .
Das wurde ihr mit jedem Tage schmerzlicher .
Sie sagte ihm , sie habe ihm viel zu erzählen , habe viel erlebt , habe ihre alten Gönner wiedergesehen ; der Fürst sei bei ihr gewesen , sie habe auch die Fürstin aufgesucht und sei sehr gütig von ihr aufgenommen worden .
Er entgegnete darauf mit einer Verneigung , die ihr auffallen mußte : davon habe er gehört .
Wie sie sich dann bei ihm erkundigte , ob und wann er zu ihr kommen werde , beklagte er es , so beschäftigt zu sein , daß er dies für die nächsten Tage nicht bestimmen könne ; und sie wußte doch , daß er nach denselben seinen Urlaub anzutreten denke .
Dies ablehnende Verhalten hatte sie auf der Probe sehr gekränkt .
Als sie es zu Hause überdachte , fiel es ihr schwerer noch auf das Herz .
Das Bewußtsein , den treuen Freund , den einzigen Mann , zu welchem in den zwei Jahren ihr Verhältnis gleich frei und zutraulich und fördersam gewesen war , ihr abgeneigt zu wissen , war ihr unertragbar .
" Was habe ich Ihnen getan , mein Freund , " schrieb sie ihm , " daß Sie sich von mir wenden ?
Womit habe ich es verdient , daß Sie -- und Sie tun das offenbar -- ungünstig von mir denken , ohne mir auch nur die Möglichkeit einer Rechtfertigung gegen das Mißtrauen zu vergönnen , das man Ihnen gegen mich eingeflößt zu haben scheint ?
Zu wissen , wessen man ihn anklagt , hat am Ende Jeder das Recht ; der Freund dem Freunde gegenüber hat es doppelt .
Ich erwarte Sie noch heute .
Ich will nicht noch einmal die Nacht mit dem quälenden Gedanken hinbringen , daß der Freund , den ich mir so sicher verbunden glaubte , mir verloren gehen könnte .
Kommen Sie zu mir , ich rechne fest darauf . "
Hulda hatte erwartet , daß es nur der Aufforderung bedürfen , und daß Lelio sogleich bei ihr erscheinen würde .
Indes er ließ den Morgen , ließ den Mittag auch vergehen , als wolle er sie es ganz entschieden fühlen machen , daß ihr Verhältnis zu einander nicht mehr das bisherige sei ; und es war schon spät am Nachmittage , als er sich endlich bei ihr melden ließ .
" Ich habe angestanden , zu Ihnen zu kommen , " sagte er , " um mir und Ihnen eine Unterredung zu ersparen , die für Jeden von uns sein Trauriges hat .
Sie wissen , Hulda , wie wert Sie mir gewesen sind ; wie es mich gefreut hat , zu Ihnen ein Verhältnis zu haben , daß ohne den Schatten einer begehrlichen Herzensneigung doch so herzlich gewesen ist ; und wie ich Ihnen und Ihrer Wahrhaftigkeit in der Tat mehr als mir selbst vertraut habe . "
" Aber was ist denn geschehen ? " fiel ihm Hulda ein .
" Was ist denn anders geworden ?
Glauben Sie mir denn jetzt nicht mehr ?
Und was habe ich denn begangen , daß Sie mir nicht mehr glauben dürften ? "
Er gab ihr darauf keine bestimmte Antwort .
Er hatte sich zu ihr auf das Sofa gesetzt und das Haupt nachdenklich auf den Arm gestützt .
" Ich mache Ihnen keinen Vorwurf aus Ihrem Tun ! " hob er nach wenig Augenblicken an .
" Ich bin kein Moralist , habe selbst im Leben viel gefehlt , geirrt , die Leidenschaft in allen ihren Gestalten kennen gelernt und weiß genau , wie wenig es die Reichen , die Vornehmen , die Mächtigen und Welterfahrenen kostet , die Unerfahrenheit nach ihrem Belieben zu umstricken . "
" Aber wie kommen Sie darauf ? " rief Hulda noch einmal , " oder weshalb sagen Sie mir das Alles ?
Was soll die Vorrede , die mir doch Gutes nicht verkündet ? "
Sie hielt inne Er blickte ihr finster in das Gesicht .
" Sehen Sie , " rief er , " das ist es , was ich Ihnen nicht verzeihen , nicht vergeben kann , wodurch Sie mir geradezu unheimlich geworden sind : diese dreiste Unwahrheit mit dem Anscheine der reinsten Unschuld .
Das hat etwas so Dämonisches , etwas so -- "
" Lelio , " rief Hulda , " was soll das heißen ?
Wann habe ich Sie getäuscht ?
Wer wagt es , mich einer Lüge anzuklagen ?
Hat Lippow das getan , so ist er es , der Sie getäuscht , der Sie betrogen und sich an mir versündigt hat ; und Sie haben ein schweres Unrecht an mir begangen , wenn Sie dieses Mannes Worten glaubten . "
, Ich spreche nicht davon , " sagte er , " daß Sie auch mich in dem Glauben gelassen haben , daß Gabriele Ihre Mutter sei -- " Habe ich Ihnen , gerade Ihnen nicht oft , nicht immer von meinen Eltern gesprochen ? Habe ich Ihnen nicht erzählt , wie entsetzlich meine arme Mutter umgekommen ist ? "
Das haben Sie ; -- aber Sie haben jenem Gerüchte , das Sie in Umlauf setzten , seit Sie zu uns kamen , niemals , auch gegen mich nicht widersprochen -- "
" Weil ich es nicht kannte , weil ich noch heute nicht verstehe , woher es seinen Ursprung nehmen konnte -- "
" Und doch kann es Gabriele eben in ihren jetzigen Verhältnissen ein schweres Unrecht tun ! "
gab Lelio zu bedenken .
" Aber das ist es nicht allein . --
Was zwang Sie , mir von Ihrem Leben in dem gräflichen Schlosse , von Ihrer Verbindung mit Baron Emanuel , mit dem Fürsten Severin zu sprechen ?
Was zwang Sie , Verhältnisse zu berühren , die Sie in Ihrer Wahrheit nicht enthüllen konnten ?
Diese Freude an der Täuschung , diese Lust , sich auf so gefährlichem Pfade aus reinem Wohlgefallen an der Unwahrheit , und in der blinden Zuversicht zu bewegen , daß Niemand kommen werde , Ihnen das " Halt ! " zuzurufen und Sie aus Ihres Gleichgewichtes Sicherheit emporzuschrecken ; dieses Spielen mit der Wahrheit , mit der Gefahr , mit uns ! dies kecke , leichtsinnige Selbstvertrauen -- das ist es , was mich von Ihnen so entfernt hat , das mich Ihnen nicht mehr trauen läßt ; nicht etwa , daß sich jene Männer Ihre Jugend und Abhängigkeit zu nutze machen konnten .
Wir sind Alle keine Heiligen , keine Engel !
Gabriele war es nicht , Feodore noch weit weniger ; aber sie spielten nicht die Unnahbaren , sie waren frank und ehrlich .
Hulda war aufgestanden , ihre innere Aufregung hatte einer festen Ruhe Platz gemacht .
" Sie gehen zu weit , Lelio ! " sagte sie bestimmt .
" Es gibt Anklagen , die ein Freund nicht über seine Lippen bringen darf , ohne die Freundschaft zur Unmöglichkeit zu machen ; und gegen welche sich zu verteidigen , sich selber schänden hieße .
Sie haben Michael Lippow angehört -- Sie glauben seinen Worten und nicht mir .
Ich kann also Nichts tun , als eben schweigen ; und es bereuen , daß ich diese Unterredung suchte .
Lelio hatte sich ebenfalls erhoben , es war ihm auch nicht wohl zu Mute .
Er hatte Hulda wie wenig andere Menschen lieb gehabt , besser von ihr gedacht , sie höher gehalten als irgend eine der Frauen , mit welchen er in seinem Bühnenleben bekannt geworden war ; und ihre sittliche Entrüstung , ihre maßvolle Fassung , sowie der reine weibliche Ausdruck ihres ganzen Wesens , weckten sein Gewissen auf .
Er fing zu fürchten an , daß er zu weit gegangen sei , daß er ihr Unrecht getan , falscher Verdächtigung leichtsinnig nachgegeben haben könne .
Das beschämte ihn , und seine Seele war nicht freimütig genug , sich eines Irrtums offen anzuklagen , nicht groß genug , das Mißempfinden , welches ihn überkam , Derjenigen nicht zur Last zu legen , die es ihm , freilich ohne ihr Verschulden , hervorgerufen hatte .
Trotzdem wünschte er einzulenken , den Weg einer Versöhnung zu versuchen .
Indes statt ihn entschlossen geradeaus zu gehen , versuchte er es mit einem Seitenpfade , und meinte schmollend :
" Hätten Sie mir je auch nur mit Einem Worte davon gesprochen , daß Sie Lippow kannten ! "
" Wußte ich denn , daß dieser Lippow des Fürsten früherer Kammerdiener sei ?
Und wie sollte ich es wissen , da er selber lauter Märchen über seine Kindheit und Jugend in Umlauf setzt , da die Zeitungen , wenn sie von ihm sprachen , sich jenen Märchen anbequemten ?
Oder was hätte mich bewegen sollen , Ihnen von einem Menschen noch besonders zu erzählen , an den mich nicht mehr zu erinnern , mir ein Bedürfnis war ? "
. Lelio hatte ihr dagegen Nichts zu sagen , sie schwiegen Beide ; er hätte sie eigentlich verlassen müssen , und konnte sich nicht dazu entschließen .
Er sah die müde Gleichgiltigkeit in Ihren Mienen , in ihrer Haltung , und sie rührte ihn mehr als alle ihre Worte .
" So kann ich Sie doch nicht verlassen ? " rief er endlich aus .
Sie antwortete ihm nicht .
Er fing an , sich zu erklären , das Gewebe der Verleumdungen aufzudecken , welche Michael gegen Hulda in Umlauf gesetzt hatte ; und so widrig es ihr war , sie verteidigte sich dagegen unwillkürlich .
Sie kamen auf diese Weise einander wieder näher , sie meinten endlich , sich verständigt , sich mit einander ausgesöhnt zu haben .
Lelio schlug ihr vor , sie auf einen Spaziergang zu begleiten , und sie nahm es an , denn das war oft geschehen .
Sie sehnte sich , die heiße Stirn in der Abendkühle zu erfrischen .
Sie gingen neben einander wie sonst auch ; und Hulda fühlte sich doch wer weiß wie fern von ihm .
Sie sprachen mit einander und hatten sich nichts Rechtes mehr zu sagen .
Mißtrauen und peinliche Erinnerungen gingen zwischen ihnen , schwebten über Ihnen .
-- Es war vorbei !
Als sie heimkehrend , vor Hulda's Türe standen , gab ihr Lelio die Hand .
" Löschen Sie die letzten Tage und die letzten Stunden aus Ihrem Gedächtnisse aus , " bat er , und denken Sie nicht schlecht von mir .
Wir Männer taugen Alle nicht viel ; aber die Frauen tragen die Schuld daran , wenn wir nicht gut genug von ihnen denken . "
" Beim Theater mag das wohl sein ! "
gab Hulda zu .
Er meinte , die Welt sei ziemlich überall dieselbe ; sie sei nirgendwo ein Paradies .
" Es gibt doch Sphären , in denen man leichter lebt und in reinerer Luft atmet ! " wendete sie ein .
" Sie denken an die schöne Fürstin und an das Kruzifix , " entgegnete er , denn sie hatte ihm zu ihrer Rechtfertigung davon erzählt ; " aber kennen Sie die Erfahrungen , welche in jenen höchsten Regionen Männer und Frauen an einander machen ?
Man hat auch sie nicht zu beneiden . "
Sie schieden einsilbig und gedrückten Sinnes , mit Verabredungen für die nächste Probe .
Sie hatten nur noch ein paarmal mit einander zu spielen , dann ging Lelio auf seine Reise und zu seinem Gastspiele mit Michael .
Es war allen beiden lieb , daß die Reise und die Trennung nahe waren .
Siebenundzwanzigstes Kapitel .
Lelio es Urlaub war ihm für sechs Wochen zugesichert .
Das Repertoire wurde dadurch beschränkt , und der Direktor hatte beizeiten Sorge dafür getragen , seinem Publikum während dessen einen neuen Anreiz zum Besuch des Theaters zu bieten .
Die Vaudevilles waren durch die , an verschiedenen Orten entstandenen Sommertheater in Aufnahme gekommen , und auf einem dieser Sommertheater hatte ein junges Frauenzimmer , das die Soubretten spielte , durch ihren kecken , bis an die äußerste Grenze des Erlaubten gehenden Übermut , durch ihre gewagten Impromptus , besonders aber durch ihre Reize viel von sich sprechen machen ; und nicht eben wählerisch , wenn es den Gelderwerb betraf , hatte Direktor Holm die kleine schwarzköpfige Toska zum Gastspiel bei seiner Bühne eingeladen .
Man konnte sie nicht sehen , ohne zu lachen , denn sie sah wie das Mensch gewordene Lachen aus , und wenn sie selber lachte , war ihn nicht zu widerstehen .
Die Einen hielten sie für eine Jüdin , die Anderen behaupteten , sie sei die Tochter einer Zigeunerin und eines Franzosen .
Sie war sehr brünett , Nichts an ihr war eigentlich schön , nicht einmal ihr Gang ; selbst in diesen wußte sie jedoch eine Originalität zu legen , und Alles an ihr war verlockend .
Ebenso verhielt es sich mit ihrem Talente .
Man hätte sagen mögen , es sei keine Spur von Kunst in ihr , hätte sie nicht die Kunst besessen , sich und ihre natürlichen Reize beständig in das beste Licht zu setzen , jede Rolle diesem Zwecke dienstbar zu machen , und sozusagen jedem einzelnen Manne , der im Theater war , den Glauben einzuflößen , ihre Augen suchten ihn und sie spiele für ihn allein .
Sie war Komödiantin in jedem Augenblick , im Verkehr mit Anderen wie auf der Bühne , und eben dadurch immer nur sie selbst , immer nur bemüht die Männer zu gewinnen und Aufsehen zu erregen , gleichviel um welchen Preis .
Sie war noch keine drei bis vier Tage in der Stadt , als schon Anekdoten über Anekdoten von ihr im Umlauf waren .
Da sie nie anders als an der allgemeinen Tafel des Gasthofes speiste , hatte der Gastwirt großen Zuspruch ; und lachend und Champagner trinkend , und mit Jedem , der es wünschte , frei verkehrend , hatte sie nach wenig Tagen eine Menge von Bekanntschaften gemacht , eine Maße von Männern an sich gefesselt , die sich samt und besonders um ihre Gunst bemühten , und sich , wenn immer möglich , auch den Anschein gaben , nicht vergebens um dieselbe zu werben .
Der Gastwirt und die Kellner , die Schauspieler selber , der Direktor nicht zum mindesten , waren von ihrer rücksichtslosen und lebendigen Keckheit eingenommen und bezaubert .
Alles ging nach ihrem Willen , tanzte nach dem Takte , den sie anschlug .
Weil sie selber rastlos und im Vergnügen unermüdlich war , geriet die Männerwelt , so weit sie irgendwie mit dem Theater zusammenhing , durch sie in einen Taumel von Belustigungen .
Ohne ein lautes , lärmendes Nachtessen durfte fast kein Abend ihr vergehen , und wie sie nur erst einen festen Fuß in dem neuen Bereiche gefaßt , und die Verhältnisse des Ortes und der Menschen halbwegs hatte kennen lernen , war auch auf der Bühne der tollen Einfälle , in denen sie sich erging , kein Ende mehr , und das Lachen und der Beifall der Hörer immer neu .
Freilich wehrten sich die Besonneneren und die wirklichen Freunde der dramatischen Kunst , gegen Toska's ungewohnte und zügellose Willkür , und die Frauen tadelten die Dreistigkeit des jungen Frauenzimmers , dem der Ruf der Sittenlosigkeit vorangegangen war ; aber hinter welchen Verwahrungen sie sich auch verschanzten , sie fehlten trotzdem im Theater nicht , und selbst die ernstere Kritik fand Mittel und Wege , sich vor sich selber zu rechtfertigen , wo es ihr darauf ankam , sich wie die Anderen zu erlustigen .
Hulda es sittlicher und künstlerischer Idealismus fanden sich von diesem Treiben schwer beleidigt .
Sie hatte dessen gegen ihre alten Bekannten und Freunde keinen Hehl .
Sie verbarg es auch weder ihren Kollegen noch dem Direktor , daß ihr die Bühne wie entweiht erscheine , wenn dieselbe , wäre es auch in der Posse , sich den niedrigsten Neigungen des Publikums in solcher Weise dienstbar mache .
Der Doktor , der in seinen Jahren und bei seiner wirklichen Bildung an den Lazzi und an den Extempores , in denen Toska sich überbot , auch kein Wohlgefallen fand , stimmte ihr bei ; aber Hochbrecht gab ihr in einem der nächsten Artikel , die er schrieb , sehr unzweideutig zu verstehen , daß er ihre Ansicht keineswegs teile .
Er sagte , die Schauspieler hätten durch die Pedanterie der Hoftheater und durch die lebenslänglichen Anstellungen der Künstler , welche denselben die träge Sicherheit der Beamten verliehen , die Frische und das Leben eingebüßt .
Es sei an der Zeit , daß sie sich neu belebten , daß sie nicht zwanzig , dreißig Jahre lang immer nur die auswendig gelernten Phrasen und Verse mit dem einmal festgestellten Tone und der einstudierten Miene vor dem Publikum abhaspelten .
Es müsse Selbstständigkeit , es müsse Freiheit für den Künstler neu geschaffen werden .
Ja er verstieg sich sogar zu der Behauptung , der Schauspieler müsse gewissermaßen , wie auf dem altitalienischen Theater , und wie noch bis zu Lessing's Zeit in Deutschland , nach einem festgestellten Entwurfe in freier Gemeinsamkeit mit seinen Kollegen das Schauspiel jeden Abend neu erschaffen .
Wenn er dabei noch an jedem Abende das Ereignis des Tages in seine Improvisation hineinzuziehen wisse , so sei das die wahre und richtige Vermittlung des Lebens mit der dramatischen Kunst ; und die reizende , an jedem Abende neue Toska , sei der Genius , welcher dieser notwendigen Erneuerung der Schauspielkunst , in ihren Leistungen zuerst den Weg gewiesen und gebahnt habe .
Es half Nichts , daß Einzelne daran mahnten , in welchem Zustande der Verwilderung Lessing und die Neuberin das deutsche Theater angetroffen hätten , daß der Doktor es mündlich und schriftlich in Erinnerung brachte , welch großer Genüsse man eben erst durch die wohldurchgebildete Aufführung der klassischen Meisterwerke teilhaftig geworden sei .
Die Einwendung rief den Widerspruch nur lebhafter hervor .
Die Theorie , welche zum Besten der einen Person gepredigt wurde , fand Gläubige , wie jede solche Theorie .
Sie wurde von allen Denen schnell zur Doktrin erhoben , die unter dem Zauber dieser Einen standen ; denn Sinnlichkeit und Halbbildung müssen ihrer Natur nach immer neue , immer stärkere Reizmittel für ihre Unterhaltung haben , und Toska bot sie ihnen bald auf Hulda's eigene Kosten dar .
Sie fühlte sich in den ihr fremden Bühnenverhältnissen , mit raschem Scharfblicke , schon wenige Tage nach ihrem ersten Auftreten wie zu Hause .
Sie kannte , Dank den Männern , mit denen sie verkehrte , alle Privatverhältnisse der Schauspieler ; und die Delmar und ihr Anhang hatten nicht angestanden , der vielgesprächigen Soubrette Antwort auf alle die zahlreichen Fragen zu geben , die sie unter dem Anscheine kindischer Neugier , in zudringlicher Weise sehr geschickt zu stellen wußte .
Eine Künstlerin wie Hulda mußte ihr an und für sich ein Gegenstand des Spottes , wenn nicht des Neides sein ; denn eine reine Schönheit , wie diese sie besaß , war für Toska geradezu vernichtend und es gefiel ihr in der reichen , lebenslustigen Stadt .
Das geschlossene Schauspielhaus behagte ihr doch besser als das Spielen unter freiem Himmel , und die Galanterien des in solchen Fällen nicht kleinlich kargenden Direktors , die Freigebigkeiten der Männer von Hochbrecht und von Philibert's Art , waren sehr nach ihrem Sinne und Geschmacke .
Sie hatte sich Hulda , als sie Beide an einem Tage in der Probe , wenn auch in verschiedenen Stücken zu tun hatten , mit anscheinender Unterordnung genähert , und war kühl zurückgewiesen worden .
Sie erfuhr bald nachher , wie Hulda sich über sie und über das Genre geäußert hatte , das sie in gewissem Sinne ganz allein vertrat ; und sie nahm sich dann auch ihrerseits , wie sie sich scherzend ausdrückte , die demütige Freiheit , vor der Langweiligkeit der klassischen Dichtung , und vor der lähmenden Erhabenheit ihrer Darsteller , in schläfrige Bewunderung zu versinken .
Hulda trat eben in den Tagen wieder einmal in den " Geschwistern " von Goethe auf .
Die Marianne war eine ihrer ersten und eine ihrer Lieblingsrollen gewesen .
Der Regisseur spielte den Bruder , der Direktor den Fabrice .
Die Vorstellung war eine vollendete ; sie hatte jedesmal sich großen Beifalles erfreut , war immer sehr besucht gewesen .
Man gab die Geschwister , wie zumeist , nach einem anderen gerne gesehenen Lustspiele ; aber das Haus war beiweitem nicht so gefüllt als sonst , und wie liebevoll sich Hulda auch diesmal wieder an die unschuldsvolle kleine Rolle hingab , wollte die sanfte Poesie nicht die gewohnte Wirkung auf die Hörer machen .
Man war an schärfere , an erregendere Kost gewöhnt , man hörte ohne rechten Anteil , ohne ein Zeichen der Teilnahme zu .
Das machte den Direktor verdrießlich , auch der Regisseur wünschte das Ende herbei .
Er hastete sich in den Szenen mit Marianne ; die in sich versunkene , still begnügte Innigkeit derselben , die Hulda mit Vorliebe auszudrücken gewohnt war , bekam dieser Hast gegenüber etwas Langsames und Schleppendes .
Sie fühlte das , konnte aber doch den Ton nicht plötzlich ändern , und man war bis zu der vorletzten Szene des kleinen Schauspieles geangt , als plötzlich Toska in die Theater-Loge eintrat und mit möglichstem Geräusche den vorderen Eckplatz einnahm .
Aller Augen richteten sich auf sie , da sie sie förmlich dazu zwang .
Hulda hatte das unbewußte Geständnis ihrer Liebe für Wilhelm unter lauter Störungen zu machen , und wie sie voll tiefer Empfindung endlich die Worte aussprach :
" Es hat dich Niemand so lieb wie ich !
Es kann dich Niemand so lieb haben ! " gähnte Toska so laut auf , daß man es in dem ganzen Hause hörte .
Ein paar Stimmen zischten , die große Mehrzahl lachte .
Man blickte nach Toska hinauf , sie hielt sich wie ein Kind , das Strafe fürchtet , die Hände vor das Gesicht , das machte auf es Neue lachen .
Das Ende der Vorstellung wurde kaum beachtet , bis , da der Vorhang niederfiel , einige Hände sich in Bewegung setzten , um aus Achtung vor der Künstlerin das Beifallszeichen zu geben .
Es fiel karg aus , denn die Männer drängten sich schon nach dem Ausgange , um der Ruhestörerin noch zu begegnen .
Hulda wäre lieber gar nicht mehr hinausgetreten , ihre Partner bestanden jedoch darauf , daß man sich dies Almosen gefallen lassen müsse , und sie erschienen noch einmal .
Kaum aber war der Vorhang niedergefallen , als sie , noch zitternd vor Zorn über die ihr widerfahrene Beleidigung , dem Direktor , der an ihrer Seite stand , bestimmt erklärte :
sie werde den Fuß nicht auf die Bühne setzen , so lange Toska bei derselben tätig , und so lange sie also vor den Ungezogenheiten derselben nicht gesichert sei .
Der Direktor , der die Unschicklichkeit des Vorganges natürlich nicht wegleugnen konnte , nahm ihn dennoch leicht .
Er versuchte , die Bedeutung desselben abzuschwächen ; er sagte , es sei eben die Toska , der man viel nachzusehen gewohnt sei .
" Im Sommertheater ! " fuhr Hulda gegen ihre sonstige Weise heftig auf , " und vor dem Publikum der Schenke , das glücklicherweise nicht das meine ist . "
Der Direktor wollte ihre Heftigkeit nicht aufkommen lassen .
Er hoffte , sie mit Einem Schlage rasch zurückweisen zu können .
" Kann ich dafür , " sagte er , " daß Ihr Publikum in die Toska wie vernarrt ist ?
Es kann ja auch nicht allen Bäumen eine Rinde wachsen , und jedes Tiere hat sein Manierl ! "
" Das ist aber nicht Manier , " rief Hulda , welche dieser leichtfertige Ton des Direktors vollends kränkte , " das ist Unmanier und eine beleidigende Frechheit , gegen die ich mich zu schützen habe , und zu schützen wissen werde . "
Der Direktor zuckte die Schultern .
Er dachte aber doch einzulenken .
" Der alte Fehler der Heldenspielerinnen , " scherzte er , " das große Pathos bei geringem Anlasse !
Welch eine Verschwendung Ihrer Mittel , meine Beste !
Die Toska ist ein toller , kleiner Narr , den man ernsthaft gar nicht nehmen darf .
Sie macht uns volle Häuser -- und es kommt ja auch an Sie die Reihe wieder . "
Die Wangen glühten ihr noch vor Zorn , als sie in ihre Wohnung kam .
Sie warf den Hut und die seidene Mantille achtlos auf den ersten besten Stuhl , die langen Handschuhe und die Mousseline-Pellerine , die sie bei dem kurzärmligen und ausgeschnittenen Kleide getragen hatte , auf einen der Tische .
Sie mußte Luft schöpfen , sich abkühlen ; sie war aufgeregt bis zur Haltlosigkeit .
Beate brachte ihr den Tee und das Nachtessen , sie schob es gleichgültig zur Seite .
Auf die Frage der Dienstbeflissenen , ob Hulda sich nicht wohl befinde , erhielt sie eine kurze zurückweisende Antwort .
Sie werden doch Alle samt und besonders launenhaft , wenn sie emporgekommen sind ! " dachte Beate und ging ihres Weges .
Hulda war froh , als sie sich entfernt hatte , aber auch das Alleinsein war ihr unerträglich .
Sie hätte einen Menschen haben mögen , dem sie ihren Widerwillen gegen die Toska , ihren Zorn über die erfahrene Beleidigung , ihren Abscheu vor den niedrigen Possen aussprechen konnte , an denen das Publikum mit einemmal Gefallen fand ; und wie sie in ihrer Aufregung unruhig bald an das Fenster trat , die Luft der warmen Herbstnacht einzuatmen , bald durch das Zimmer ging , fielen beim Vorüberkommen an dem Spiegel , ihre Augen auf das Kreuz , das sie an ihrem Halse trug .
" Wenn Clarisse es wüßte , daß ich mit solcher Niedrigkeit zu kämpfen habe ! " rief sie aus , und es war ihr , als dürfe sie das kleine Kreuz nicht tragen , als werde es an ihrem Halse entweiht .
Ihre Gedanken wanderten hin und her .
Sie wollte den Augenblick überkommen , sich forthelfen über den bitteren Mißmut , der sie plagte , und geriet dadurch in weit entfernte Zeiten zu der Erinnerung an Zustände zurück , welche ihr die jetzige Lage noch widerwärtiger erscheinen machten .
Sie überlegte , was sie zu tun habe , wenn der Direktor in den nächsten Tagen ihr Auftreten verlange , und sah voraus , daß es zu einem Zusammenstoße führen würde , in welchem sie nicht nachzugeben dachte .
Aber es tat ihr leid , daß Lelio nicht da war , daß Niemand da war , der , erfahrener als sie selbst , ihr mit seinem Rate beistehen konnte ; und sie setzte sich eben nieder , dem Doktor zu schreiben , daß sie ihn am nächsten Morgen früh zu sprechen wünschte , als Frau Rosen ihr meldete , Philibert sei gekommen und bitte ihr noch aufwarten zu dürfen .
" Ich soll doch sagen , daß Sie nicht zu sprechen sind ? " setzte sie aus freiem Antriebe hinzu , denn Hulda hatte sonst nach dem Theater nie mehr den Besuch eines Mannes angenommen .
" Nein ! lassen Sie ihn eintreten .
Sagen Sie , er wäre mir willkommen ! " antwortete ihr Hulda ; denn es war ihr eine Wohltat , daß sie mit ihrem Zorne und Widerwillen nicht mehr allein zu bleiben brauchte , daß sie Jemanden fand , der mitangesehen hatte , was ihr geboten worden war , daß sie sich beklagen , daß sie zu Jemandem sprechen konnte .
Alles Andere trat vor dem Verlangen in den Hintergrund , konnte und mußte darüber vergessen werden .
Rasch , mit einer zuversichtlichen Lebhaftigkeit , die sie ihm nie gezeigt hatte , trat sie ihrem Gaste entgegen .
Er war , seit sie ihn vor Wochen abgewiesen hatte , nicht wieder bei ihr gewesen , und nie zuvor zu solcher Stunde .
Auch entschuldigte er sein Kommen mit der Sorge , die er um sie gefühlt habe .
Er betrug sich überhaupt gemessen und mit Zurückhaltung .
Er sei empört gewesen , sagte er , über die Ungezogenheit der Toska , empört gegen das Publikum , das sie nicht energischer zurechtgewiesen , Hulda nicht lebhafter dafür entschädigt habe .
Jedes seiner Worte war für Hulda ein Labsal .
Er kam ihr wirklich wie ein Befreier vor , wie eine Stütze in ihrer haltlosen Empörung .
Er hatte sie nie in solcher Erregung gesehen ; sie war wie umgewandelt , er kannte sie , ja selbst ihre Zimmer kannte er heute kaum wieder .
Die Sachen lagen noch umher , wie sie dieselben bei ihrem Eintritte von sich geworfen hatte .
Das Theegeräth und ihr Abendbrot , von dem sie im Umhergehen einige Bissen genossen hatte , standen ungeordnet auf dem Tische ; und während sie sonst in ihrer Kleidung äußerst streng und sorgsam war , schien sie es vergessen zu haben , daß sie mit entblößten Armen , die Schultern und den Busen frei und offen , dem Gaste gegenüber saß .
Er war froh , daß er gekommen war , und sehr befriedigt von seiner richtigen Berechnung , die ihn angetrieben hatte , eben heute und eben jetzt sie wieder einmal aufzusuchen .
Er ließ sie nicht nur sprechen , er forderte sie dazu auf , ihm ihr Herz ganz auszuschütten , sich über das Publikum , über den Direktor zu beklagen .
Sie sah sehr schön aus mit den heißen Wangen , die der Zorn gerötet hatte , mit den flammenden Augen , in denen die Tränen aufquellen wollten .
Er gab ihr Recht in Allem , auch in dem Vorhaben , dem Direktor Trotz zu bieten .
" Sie müssen eben in diesem Falle auf sich halten ! " sagte er .
" Eine Künstlerin wie Sie , hat dem Direktor ihre Bedingungen vorzuschreiben , denn sie darf gewiß sein , Alles durchzusetzen , was sie will . "
" Durchsetzen ! " rief Hulda , " und Sie haben es eben erst erfahren , wie mich das Publikum im Stich gelassen hat ! "
" Das Publikum !
Ja !
Teuerste , wenn Sie sich auf das Publikum , auf das große Publikum verlassen wollen , freilich , dann sind Sie verlassen .
Aber man muß wie Sie aus tiefer Einsamkeit zur Bühne kommen , um an das Publikum zu glauben ; an diese stumpfe , einsichtslose Maße , die müde von des Tages Arbeit in das Theater kommt , um sich von ihrer Gedankenlosigkeit erlösen , in den Verdauungsstunden vor dem ungesunden Einschlafen bewahren zu lassen , und das aus seiner Stumpfheit erst selbstzufrieden aufschreckt , wenn ein paar wirkliche Kenner und Freunde der Kunst ihm das Zeichen geben , daß es sich über etwas Wohlgelungenes , über eine außerordentliche Leistung jetzt einmal zu freuen , und sich für eine solche zu bedanken habe . "
" Das ist wahr und niederschlagend ! meinte Hulda , die in ihrer augenblicklichen Verstimmung sehr geneigt war , seinen Worten zu glauben und ihre eigenen besseren Erfahrungen daranzugeben .
" Niederschlagend keineswegs ! " entgegnete ihr Philibert .
" Ist es Ihnen denn , wie dieser Toska , etwa darum zu tun , die Bewunderung der Rohheit und der Unkultur , und diese sitzt auch vielfach in den höchstbezahlten Plätzen , einstimmig zu gewinnen ? --
Genügt es Ihnen nicht , wenn eine kleine ausgewählte Freundesschaar Ihnen ihre höchsten künstlerischen Eindrücke verdankt ?
Wenn die bewundernden Augen eines Freundes Ihnen in jeder Ihrer Bewegungen folgen , wenn jede Ihrer Mienen verstanden , wenn jeder leise Ton in Ihrer Stimme im Herzen nachempfunden wird ? "
" Oh ! " rief Hulda und die Erinnerung an manchen schönen Abend erwärmte ihr das Herz , " Sie wissen es ja selber , mit welcher Liebe und Begeisterung ich zum Theater kam ; wie stolz , wie glücklich ich mich fühlte , wenn ich mir sagen durfte , daß die Aufgabe sich mir fügte und mir wohl gelang ; wenn ich es sah , daß man mit mir zufrieden war . "
" Und hat unsere Teilnahme Ihnen denn gefehlt , solange Sie einen Wert darauf legten ? " fiel Philibert ein .
" Haben Ihre Freunde nicht immer das Publikum , wie es sich gebührt , geleitet ? "
" Ich habe das auch stets mit Dank erkannt ! " beteuerte ihm Hulda .
" Dank ! " wiederholte er , " Dank !
Wir danken einem Vorübergehenden , der uns aufmerksam macht , daß wir unser Taschentuch verlieren ; und danken dem Menschen , der uns im Versinken hilfreich seine treue , feste Hand reicht .
Ihr Dank , schöne Freundin " , er hatte sich auf dem Sofa , auf dem er neben ihr saß , zu ihr hinübergeneigt und ihren Arm ergriffen , den er in seiner heißen Hand hielt , wie an dem Tage , da sie sich , beleidigt durch seine Dreistigkeit , von ihm zurückgezogen hatte , " Ihr Dank , teuerste Freundin , war meist von erster Art und kalt genug .
Sie dürfen es uns aber wahrlich nicht verargen , wenn uns Ihnen gegenüber endlich auch nach wärmeren Ausdruck Ihres Dankes gelüstet .
Selbst die alten Ritter , die Jahr um Jahr in verschwiegener Liebe ihrer Herzenskönigin dienten , und über Land und Meere zogen auf ihrer Augen Wink , dienten doch auch nicht ohne Hoffnung auf den Minnesold .
Ohne Freunde , die zu ihr stehen , auf die sie rechnen kann , setzt keine Künstlerin sich bei der Bühne durch .
Warum verschmähen Sie unseren Beistand ?
Haben Sie es doch schon lange erfahren , wie wenig es Sie kosten würde , mich durch Feuer und Wasser für Sie gehen zu machen ! "
Er war so nahe an sie herangerückt , daß sie seinen Atem auf ihren Schultern spürte ; das Herz klopfte ihr , daß sie es in den Schläfen fühlte , und sie bereute es , ihn angenommen und zu solcher Stunde angenommen zu haben .
Aber sie wagte es nicht , ihm ihre Hand zu entziehen , denn er hatte Recht -- sie brauchte ihn .
Sie brauchte Freunde , die zu ihr standen in der Krisis , die ihr drohte ; Freunde von seinem Einflusse und von seinen Mitteln .
Sie durfte ihn nicht zum zweitenmal von sich weisen wie an jenem Morgen .
Er erriet offenbar , was in ihrer Seele vorging , und gab sie selber frei .
Sie atmete wieder auf und konnte mit ihm von ihrem Vorhaben sprechen , nicht wieder aufzutreten , wenn die Toska im Theater sei .
Er bestärkte sie darin und erbot sich , gleich am nächsten Morgen es zu veranlassen , daß man in der Zeitung der Ruhestörerin die verdiente Zurechtweisung erteile .
Sie dankte ihm dafür im Voraus .
Als sie sich dann erhob und er ihr folgte , bemerkte er , daß ihr Abendbrot noch auf dem Tische stand , und wunderte sich , daß sie so wenig davon genossen hatte .
" Aber , " scherzte er , " mir kommt das zu Gute , wenden Sie es mir zu ; ich kam geraden Weges vom Theater her , und daß ich es Ihnen gestehe , ich bin wirklich hungrig . "
Sie machte ihm ein paar Butterschnitten zurecht , er rückte den Stuhl heran , und wie sie neben ihm Platz nahm und er sich im Zimmer umsah , als suche er Etwas , bot sie ihm in natürlicher Gastfreiheit ein Glas Wein an , und holte es herbei .
Inzwischen war auch ihre Eßlust rege geworden , und da er sich fröhlich gab , wurde sie es allmählich auch , denn ihre Jugend machte sie noch leicht im Augenblick den Augenblick vergessen .
Sie brachte Früchte und Backwerk aus dem Nebenzimmer , er trug ihr das Licht dabei .
Sie fand ihn angenehmer als je zuvor , sie war nahe daran , zu glauben , daß sie ihm damals Unrecht getan haben könne , als sie für Sinnlichkeit genommen , was vielleicht nichts als spielende Galanterie gewesen sei .
Draußen schlug es Elf vom Turme .
Philibert entschuldigte sich , daß er sie so lange belästigt habe .
Sie sagte , sie wisse ihm den heutigen Abend recht von Herzen Dank , er habe ihr über ein paar schwere Stunden leicht hinweggeholfen .
" Sie wissen gar nicht , " entgegnete er , " wie glücklich mich es macht , endlich einmal mit Ihnen im Tete-a-tete soupiert zu haben .
Morgen sende ich Ihnen eine kleine Provision her , damit wir in einem ähnlichen glücklichen Falle uns nicht so karg behelfen müssen , denn Ihr Weinvorrat war sehr gering . "
Es schoß wie ein grelles Licht durch Hulda's Augen .
Sie fühlte die Unvorsichtigkeit , die sie begangen hatte , und dankte ihm für sein Anerbieten , das sie nicht benützen möge .
" Aber wozu denn Umstände mit mir ? " rief er , " jetzt , da wir auf so gutem Wege sind ? "
Er nahm Hut und Handschuhe , sie wußte nicht , was sie sagen solle ; zum erstenmal verließ sie ihre Geistesgegenwart .
Er reichte ihr die Hand sie verneigte sich wie gegen einen Fremden , und sich endlich zusammennehmend , sagte sie :
" Ich bitte Sie , lieber Freund ! kommen Sie zu mir nicht wieder um diese Stunde ! "
Er lachte hell und fröhlich auf .
" Ich bitte Sie wirklich darum ! " wiederholte sie " und ich rechne darauf , daß Sie mir diese Bitte erfülle " Komödie und kein Ende ! " rief er , " aber ich bin es auch so zufrieden .
Ich nehme diesen reizenden Abend als den ersten Minnesold , und spiele fortan mit Ihnen , welche Rolle Sie mir immer auferlegen -- vorausgesetzt , daß es zu einem guten Schlusse kommt .
Und damit gute Nacht , schöne Holde ! gute Nacht , lieber Engel ! "
Achtundzwanzigstes Kapitel .
Hulda hatte an dem Abende gegen den Direktor ihre Äußerungen über die Toska so laut ausgesprochen , daß auch Andere sie vernommen hatten .
Sie waren dem ungezogenen neuen Günstlinge des großen Publikums noch an dem nämlichen Abende wiederholt worden , und man hatte davon gesprochen , ob der Direktor sich von Hulda werde trotzen lassen , oder ob er sie zwingen werde , nach seiner Anordnung aufzutreten , wie der Kontrakt es ihr zur Pflicht machte .
Die Delmar meinte , sie verlange es gar nicht besser , als daß Hulda ihren Willen durchsetze .
Denn wenn es dieser Einen nachgesehen werde , daß sie nach Gefallen spiele , so könne man künftig den Übrigen das Gleiche nicht versagen .
Sie freilich habe man nicht gefragt , ob es ihr genehm gewesen sei , in ihren Rollen gleich wieder aufzutreten , nachdem Feodore dieselben eben erst gespielt hatte , und sie habe auch ohneweiters ihre Schuldigkeit getan .
Sie habe sich nicht dadurch anfechten lassen , daß die Anbeter von Feodore und von Hulda , sie um der Beiden Willen damals mit einer Kälte aufgenommen hätten , die von einem altvertrauten Publikum erdulden zu müssen , viel beleidigender gewesen sei , als das Intermezzo , welches der kleine Affe , die Toska , neulich herbeigeführt , und von dem Hulda gar keinen Nachteil gehabt habe , da sie gleich danach gerufen worden sei .
Das sprach sich Alles mit der Schnelligkeit herum , mit welcher Klatschereien , wie Motten flüchtig und Schaden anrichtend , durch die Gänge und Kulissen der Theater streifen ; und der Regisseur vor allen Anderen gab der Delmar Recht .
Sie waren gute Freunde geworden , seit sie angefangen hatte , sich allmählich auf das Altenteil zu setzen , und seit die Bequemlichkeit den alternden Junggesellen dahin gebracht hatte , an jedem Nachmittage mit ihr den Kaffee zu trinken und seine Partie Pikett mit ihr zu spielen , ehe man in das Theater ging .
Die Männer stellten sich überhaupt auf Toska's Seite , und der Direktor war nicht der Mann , eine Auflehnung gegen die Theatergesetze und den Kontrakt zu dulden .
Er setzte in dem Repertoire der folgenden Woche ein größeres Schauspiel und ein kleines Lustspiel an , in welchen Hulda mitzuwirken hatte , setzte die Proben fest und schickte ihr die Rollen zu .
Sie sendete sie ihm mit der schriftlich wiederholten Erklärung zurück , daß sie nicht spielen werde , wenn die Toska im Hause sei .
Der Direktor wollte und konnte ihr das nicht zugestehen .
Doch ließ er sich herbei , ihr in einem Briefe auseinanderzusetzen , daß sie Unmögliches verlange , da er einer bei dem Publikum beliebten Gastspielerin den Eintritt in das Theater nicht versagen könne .
Er machte sich aber verbindlich dafür , daß Toska keine Störung veranlassen und sich ruhig verhalten werde .
Der Doktor und Hochbrecht legten sich ebenfalls in das Mittel , und Philibert versicherte , daß sie Nichts zu besorgen habe , daß sie sich auf ihn verlassen dürfe .
Sie sah es denn auch bald selber ein , daß sie sich fügen müsse ; aber der Weg zur Probe wurde ihr sehr schwer , und das Lächeln , mit welchem Der und Jener sie dort begrüßte , machte es ihr nicht leichter .
Der Konflikt zwischen Hulda und der Direktion war im Publikum bekannt geworden .
Man kam an dem Tage , an welchem Hulda in dem Schauspiele aufzutreten hatte , in das Theater , sich zu überzeugen , wie die Sache verlaufen , und was Toska tun werde .
Das Haus war gut besetzt , alle Blicke waren auf die Theaterloge gerichtet , Toska war nicht da .
Philibert und die Anhänger von Hulda hatten die gewohnten Plätze eingenommen .
Er hatte versprochen , den Anfang zu machen , und da er klatschte , als sie auftrat , machte man ihr einen ermutigenden Empfang .
Indes derselbe erfreute sie nicht so wie sonst , und sie war weniger als sonst an ihre Rolle hingegeben , weil die Scheu vor Toska sie zerstreute .
Trotzdem ging der erste Akt sehr gut von statten , und beim Schlusse desselben taten Philibert und seine Freunde ihre Schuldigkeit .
Kaum aber war der Vorhang wieder aufgezogen worden und Hulda abermals in die Szene gekommen , als Toska in der Loge erschien , und ein kaum zu unterdrückendes Lachen durch das ganze Haus ging .
Denn sie hatte ihr Haar kindlich schlicht und glatt geordnet und saß da , die Hände über die Brust gefaltet , mit der Miene eines Schulmädchens , das eine Strafe zu verbüßen hat .
Die Aufmerksamkeit auf das Schauspiel war wie mit einem Schlage zerstört .
Es half nicht , daß der Direktor selber in die Loge ging und Toska nötigte , die Loge zu verlassen .
Das Publikum war und blieb zerstreut , Hulda spielte ohne Fassung , und der rauschende Beifall , welchen Philibert am Schlusse für sie zuwege brachte , war viel zu künstlich , um ihr eine Genugtuung bereiten zu können .
Philibert war alle Tage bei ihr gewesen und sie hatte sich es gefallen lassen , obschon seine dringliche Bewerbung und der Anschein von Berechtigung , welchen er jetzt in dieselbe legte , ihr mehr als lästig waren .
Er kam gegen die Abrede auch an diesem Abende gleich nach dem Theater zu ihr , und der Doktor und Hochbrecht , denen er es mit Geflissenheit erzählte , daß er noch zu Hulda gehen wolle , meinten , ihm nachkommen zu dürfen , weil man sie zu beruhigen , zu erheitern wünschte .
Was konnte sie tun , als ihre Besuche annehmen , da sie Philibert empfangen hatte .
Aber die Absicht , sie zu erheitern , schlug den Männern fehl .
Der Doktor , der es redlich mit ihr meinte , sagte , sie müsse sich ein Herz fassen , müsse das Leben leichter nehmen , mit solcher Schwerlebigkeit komme man auf der Bühne einmal nicht fort .
Sie müsse sich zerstreuen und aufheitern .
Philibert sagte , damit müsse man gleich den Anfang machen , sie solle erlauben , daß man heute bei ihr zu Nacht esse .
Sie lehnte es ab , die Männer redeten dringend zu und immer eifriger , je lebhafter sie sich dagegen sträubte .
Endlich gab sie nach , und Philibert eilte hinaus , durch Frau Rosen , der solche Aufträge nichts Ungewohntes waren , ein Abendessen und Champagner von dem nächsten Speisewirte herbeischaffen zu lassen .
Die Männer hatten ihre Freude daran , ihren Willen durchgesetzt zu haben , und Hulda überwand ihr Mißempfinden , um ihnen und ihrem guten Willen nicht undankbar zu scheinen .
Sie gewann es über sich , den wachsenden Frohsinn ihrer Gäste nicht zu stören , und sie waren nur zu bereit , sich täuschen zu lassen .
Als sie sich spät genug entfernten , war der Doktor selbst der Ansicht , daß man wohl getan habe , Hulda aus sich und ihrer pastorenhaften Sprödigkeit ein wenig herauszureißen .
Leben und leben lassen , ohne das gehe es doch einmal nicht .
" Freilich nicht ! " rief Hochbrecht .
" Sie macht sich Feinde und schafft sich keine Freunde .
Sie gehört zu Denen , die man zu ihrem Glücke zwingen muß .
Heute haben wir sie endlich auf den rechten Weg gebracht .
Es ist ja immer nur der erste Schritt , vor dem man zaudert . "
Philibert sagte Nichts .
Als die Anderen ihn aber verlassen hatten , ging er raschen Schrittes weiter , ein Liedchen vor sich hin pfeifend .
Das tat er immer nur , wenn er recht guten Mutes war .
Hulda hingegen legte sich den Abend sorgenvollen Herzens nieder .
Ihre theatralische Laufbahn fing ihr sehr schwer zu fallen an .
Sie mußte es sich mit jedem Tage mehr und mehr eingestehen , daß Philibert's Behauptung , eine Bühnenkünstlerin könne sich nicht allein auf sich verlassen , sie müsse sich eine Partei und Freunde schaffen , die bereit wären , für sie einzutreten , sie zu stützen und zu halten , nur allzu richtig sei .
Und wen durfte sie für uneigennützig halten von allen Denen , die sich geneig zeigten , ihr diesen Dienst zu leisten ?
Nicht nur auf der Bühne sollte sie der Unterhaltung dienen !
Jeder , der in ihre Nähe kam , wollte von ihr unterhalten sein , machte Ansprüche an sie -- und welche Ansprüche !
Mit ihrer Person , mit Aufopferung ihres Idealismus , ihrer Sittlichkeit und ihrer Ehre , sollte sie es bezahlen , daß man ihr den Beifall spendete , den redlich verdient zu haben , sie sich mit Sebstbewußtsein rühmen durfte .
Ihr graute vor diesem sogenannten Beifall , und sie mußte ihn doch haben , er war ihr unentbehrlich .
Vergangene Tage tauchten , während sie das bedachte , vor ihr auf .
Sie sah sich wieder an dem Thetische der guten alten Kenney , sie hörte wieder die Unterhaltung , die man dort vor der Ankunft von Gabriele gepflegt hatte , und die sanften Worte der Nachsicht , mit denen ihr Vater die Bühnenkünstlerinnen vertreten hatte .
Wie weit entfernt war er davon gewesen , vorauszusehen , daß er in jener Stunde das Wort für seiner Tochter Zukunft führte .
Jetzt befand sie sich in jener Ausnahmestellung , die ihr damals und aus der Ferne so verlockend erschienen war .
Jetzt huldigten ihr die Männer mit der dreisten Zuversicht , früher oder später doch einmal erhört zu werden , weil ihre Ausnahmestellung sie dieser Art von Bewerbung preiszugeben schien ; und weil man ihr verziehen haben würde , was man den Frauen in der wohlgeschützten Häuslichkeit des Familienlebens nicht nachzusehen gewohnt ist .
Alles , was damals halb erraten , halb verstanden , an ihr vorübergegangen war , das hatte sie jetzt erlebt , hatte sie an sich selbst erfahren .
Sie kannte die zitternde Erregung der Leidenschaft , welche das Nachfühlen und Durchleben einer großen Rolle in den überreizten Nerven zurückläßt .
Sie hatte erfahren , was es heißt , sich dem sinnlichen Begehren eines nicht geliebten Mannes gegenüber behaupten zu müssen ; und was war es , das ihr den Mut und die Kraft gab , sich selbst getreu zu bleiben , wie Clarisse es vertrauensvoll erwartet ?
Ein Traum , ein Schatten , die Erinnerung an ein erhofftes und verlorenes Glück .
Sie mußte endlich den Gedanken an Clarisse zu meiden trachten .
Der Hinblick auf das ungetrübte Dasein der Fürstin , machte sie traurig und verleidete ihr das eigene Schicksal , das Los , das sie sich frei , und gegen den Rat Derjenigen erwählt hatte , die es gut mit ihr gemeint , wie der Amtmann und wie der Pfarrer , dessen junge Gattin nun friedlich und unangefochten unter dem trauten , alten Dache lebte , unter dem wohnen zu dürfen , Hulda jetzt oftmals als ein Segen bedünken wollte .
Es war gut für sie , daß sie nicht zuviel Muße hatte , ihrem Sinnen nachzuhängen , daß der Tag den Tag verschlang , und mit den neu einzustudierenden Rollen neue Arbeit an sie herantrat .
Lelio fand sie , als er gegen den Herbst hin von seinem Gastspiele wiederkehrte , sehr gedrückt , und selbst ihre frische und kräftige Gesundheit war durch ihre trübe Stimmung angegriffen worden .
Sein freundlicher Zuspruch tat ihr gut .
Die neuen Stücke , in welchen sie mit ihm zusammen auftrat , sagten ihr zu ; sie und er errangen in denselben Beifall , und Philibert tat das Seine , ihn mit seinen Freunden auf jener Höhe zu erhalten , wie die Schauspieler ihn liehen .
Aber die Possen der Toska , ihre Koquetterien und Impromptus , hatten wie eine überreizende Kost die Empfänglichkeit der Theaterbesucher abgestumpft ; und Hulda und Lelio , deren Bedeutung in einem feinen Spiele bestand , hatten es zu ihrem Nachteile zu erfahren , mit welch ungeahnter Schnelligkeit der mühsam herangebildete Geschmack eines Publikums irre zu leiten , wie leicht er zu verwildern , und dem Schönen um des Gemeinen Willen , abwendig zu machen ist .
Man lobte die neuen Stücke , man erkannte an , daß Lelio und Hulda und alle Mitwirkenden in denselben vortrefflich spielten ; aber man hatte es kein Hehl , daß die Toska und die Possen , in denen sie aufgetreten war , nach des Tages ermüdender Arbeit eine viel erheiterndere Unterhaltung geboten hätten .
Man wollte lachen wie über die Toska , wollte lachend nach Hause gehen ; man wollte wieder Couplets hören , die man nachsingen konnte .
Es fand sich , daß die Soubrette des Theaters wohl im Stande war , die kleinen Manöver der Toska nachzuahmen , und der Direktor fing an , auf Kosten des Dramas und des feinen Lustspieles , der leichten Bühnenware ein breites Feld in seinem Repertoire einzuräumen .
Lelio sah das mit Gleichmut an .
Sein Kontrakt lief mit dem Jahre ab , und er hatte eine vorteilhafte Anstellung bei einem der deutschen Hoftheater gewonnen , welche ihm obenein die Verheiratung mit dem von ihm geliebten Mädchen in nahe Aussicht stellte .
Hulda es Kontrakt hielt sie bis zum Frühjahre fest , und auch sie hatte Schritte getan , an irgend ein Hoftheater zu kommen , weil sie sich der Hoffnung hingab , dort von jenen Seiten des Theaterlebens weniger unangenehm berührt zu werden , die ihr die gegenwärtige Stellung so bitter verleideten .
Lelio lachte über diese Zuversicht .
" Es ist überall dasselbe ! überall die gleichen Menschen und die gleiche Welt ! nur ein wenig anders , nur ein wenig heller oder dunkler gefärbt , sagte er .
Wer sich nicht damit abzufinden weiß , muß ferne davon bleiben .
Ohne Selbstgefühl und Menschenverachtung kann man es nicht ertragen ; aber Beides lernt sich , und dann ist man frei und mächtig , wie in keinem anderen Beruf , und glücklich , wie in keinem anderen , durch den täglich sich erneuernden Triumph . "
" Und wenn man ihn einmal nicht mehr erringt ? " fragte Hulda .
" Man muß ihn erringen ! " gab er ihr zur Antwort , " und man erringt ihn auch .
Nur muß man die Mittel wollen , wenn man den Zweck im Auge hat . "
Das klang wenig ermutigend in Hulda's Ohr und Sinn .
Sie konnte sich nicht darüber täuschen , daß sie augenblicklich nicht in dem Grade , wie noch vor kurzer Zeit , der Günstling des Publikums sei .
Die Männer waren der Ansicht , daß sie aus eigensinniger Opposition gegen die leichtere Weise der Toska und ihrer Nachfolgerin , auf der Bühne in Geziertheit und Steifheit verfalle , während sie im Leben doch ebensogut wie Andere , ihre Partie zu nehmen wisse , wenn es ihr angemessen scheine .
Denn Philibert sei nicht der Mann , sich jahrelang mit bloßen Hoffnungen an den Triumphwagen einer Schauspielerin fesseln , und mit Versprechungen ernähren zu lassen .
Die Frauen , welche immer viel von ihr gehalten und ihr die Sittsamkeit und Wohlanständigkeit ihres Betragens hoch angerechnet hatten , widersprachen anfangs den Gerüchten , daß Hulda die erklärte Geliebte Philibert's geworden sei ; aber abzuleugnen war es nicht , daß er sie viel besuchte , daß er die Abende zum öfteren bei ihr allein , bisweilen in Gesellschaft Anderer speiste , und daß sie ihre zurückhaltenden Gewohnheiten also geändert haben mußte .
Welche Überwindung es sie kostete , den Schein leichterer Lebensweise auf sich zu nehmen , wie hart ihr es ankam und wie unablässig sie sich es selber vorhielt , daß man sie falsch beurteilen , daß sie ihre guten Sitten , ihren Ruf anzweifeln lassen müsse , daran dachte keine der Frauen , welche ihr die frühere Gunst entzogen .
Niemand ermaß den Schmerz , mit dem sie sich dazu zwang , einem Beifallssturme im Theater mit freudigem Lächeln zu begegnen , den sie nicht mehr allein sich selbst , den sie der Mitwirkung von Männern , von einer Partei zu danken hatte , welche sie mit dem Opfer ihrer Selbstständigkeit und ihres wahren Empfindens , mit der Verleugnung ihres besseren Wesens , ihres eigentlichen Ich , alltäglich neu an sich zu fesseln hatte .
Darüber ging das Jahr zu Ende und Lelio verließ die Stadt .
Hulda vermißte ihn in jeder Hinsicht , denn der junge Schauspieler , der an seine Stelle trat , war noch in keiner Weise ein Ersatz für ihn .
Er besaß bei unleugbarem Talente , weder Lelio's Bildung noch seine Schönheit und herrliche Gestalt .
Neben Hulda erschien er vollends nicht zu seinem Vorteil .
Bei allem guten Willen hatten seine Bewegungen noch nicht die freie Gemessenheit , auf welcher die schöne Wirkung beruht .
Der Anfänger war überall zu spüren , es war nicht mehr das Zusammenspiel , das man gewohnt gewesen war .
Hulda tat , in der Erinnerung an all die Förderung , die ihr geworden war , was in ihren Kräften stand , ihrem neuen Partner fortzuhelfen ; er hatte aber den törichten Gedanken an eine naturwüchsige , originelle Entwicklung des Talentes .
Er war daher nicht sonderlich geneigt , sich irgendwie in die Lehre nehmen zu lassen , und das Publikum entbehrte , wie gewöhnlich , das , was ihm lieb geworden war , nicht leicht und nicht geduldig .
Indes Hulda's Anhänger , von Philibert zusammengehalten , standen ihr zur Seite ; und die Aussicht , im Frühjahre aus ihren bisherigen Verhältnissen ausscheiden zu können , und in eine ihr mehr zusagende Atmosphäre versetzt zu werden , half ihr über dasjenige fort , was ihr das Leben schwer machte .
Sie hatte hierhin und dorthin Verbindungen wegen eines neuen Engagements angeknüpft , und meinte die Tage zählen zu können , die sie noch an der Holm'schen Bühne zu verweilen hatte .
Da , mit einemmal verbreitete sich unter den Schauspielern und Theaterfreunden das Gerücht , Hulda habe plötzlich mit Philibert gebrochen .
Philibert selber sollte das , und zwar mit dem Zusatze erklärt haben , er sei es müde , sich noch länger zum Spielball einer berechnenden Heuchlerin , einer kalten Koquette brauchen zu lassen , es sei Alles zwischen ihnen aus .
Was geschehen war , was den Bruch herbeigeführt hatte , das erfuhr man nicht , denn Hulda hatte keine Vertraute unter ihren weiblichen Kollegen ; aber Jede derselben deutete es auf ihre Weise .
Es gab Vermutungen , Meinungen aller Art ; und weil man im Grunde sein Vergnügen daran hatte , daß man die Unnahbare doch auf der Bahn der allgemeinen Mangelhaftigkeit getroffen , und daß diese Bahn ihr kein Glück gebracht , wäre man gutherzig genug gewesen , sie zu beklagen und zu trösten , hätte sie selber es nur eingestehen wollen , daß sie sich hilfsbedürftig und der Tröstungen benötigt fühle .
Indes sie zeigte sich selbstgewiß und zuversichtlicher als man sie in der letzten Zeit gesehen hatte .
Sie erklärte dem Direktor aus freiem Antriebe , daß sie sich wohler , zum Spiele aufgelegter fühle als seit lange , und sie selbst veranlaßte es , daß man in rascher Folge ein paar der Stücke ansetzte , in denen man sie immer vorzugsweise gern gesehen hatte .
Der " Tasso " , der " Wallenstein " sollten gegeben werden , ehe die fortreißende Geselligkeit der Karnevalszeit die Gesellschaft von dem Theater ferne hielt , und Hulda hatte , was an ihr war , treu getan , den neuen Partner in seinen Rollen ihrem Spiele anzupassen .
Die Vorstellungen kamen heran und gelangen über das Erwarten .
Das Haus war gut besetzt , Hulda durfte mit sich und ihrer Leistung wohl zufrieden sein .
Man unterließ auch nicht , ihr Beifall zu zollen , derselbe fiel jedoch nicht eben warm , nicht so begeistert aus wie sonst ; und wenn die ihr geneigte Kritik ihr auch Gerechtigkeit widerfahren ließ , so fing in dem Wochenblatte sich eine entschieden feindselige Stimmung gegen sie geltend zu machen an , und der Tadel , den man gegen sie aussprach , war so vorsichtig , so berechnet , zeigte sich anscheinend so bemüht , ihr nicht zu nahe zu treten , daß alle die kleinen ungerechten Ausstellungen , die man gegen sie erhob , nur um so sicherer Eindruck machten .
Es währte nicht lange , bis man es vielfach hören konnte , daß Hulda eines der Talente sei , die , am Anfang viel versprechend , keiner vollkommenen Entwicklung fähig seien .
Man bemerkte , daß auch ihre Schönheit nicht von langer Dauer sein werde ; man glaubte einzusehen , daß es Lelio's sie tragende Kraft gewesen sei , der sie ihre frühzeitigen Erfolge zu verdanken gehabt habe , und daß seit dessen Fortgehen ihre Wirksamkeit nicht mehr dieselbe sei .
Man gab zu bedenken , daß der Direktor eines Provinz-Theaters vielleicht nicht weise daran tue , das Drama und das große Schauspiel mit unzureichenden Mitteln kultivieren zu wollen .
Man erinnerte an die heiteren Genüsse , welche man der reizenden Toska zu verdanken gehabt hatte , an den Eindruck , den sie gemacht , und der stark genug gewesen war , die sogenannten großen Künstler in krankhaftem Neide entbrennen zu lassen .
Es war in jeder Woche ein neues , behutsames , und darum nur um so mehr wirkendes Untergraben von Hulda's künstlerischem Ruf .
Sie empfand das unwiderleglich .
Sie legte das Blatt oftmals mit bebender Hand zur Seite , aber eines tröstete sie :
sie war jetzt doch wieder einsam in ihren vier Wänden , wenn der Abend kam ; sie erkaufte sich keinen Beifall mehr , sie war wieder ihr eigener Herr , sie hatte das Wort gehalten , das sie sich und der Fürstin gegeben hatte .
Sie durfte ihr Haupt noch frei erheben , wie sie es getan hatte in Clarissen's Zimmer , sie war sich selbst getreu geblieben und hatte sich wiedergefunden -- wenn schon sie darüber an äußerem Erfolg verloren hatte .
Neunundzwanzigstes Kapitel .
In der Hauptstadt war ein neues Theater von Privatleuten begründet worden , das dem königlichen Theater eine große und gefährliche Konkurrenz zu machen anfing .
Der Unternehmer und Vorstand dieses Theaters hatte auf Lelios Vermittlung sich an Hulda gewendet , die Unterhandlungen waren im Gange .
Mit einemmal zerschlugen sie sich , ohne daß Hulda ermitteln konnte , wodurch dieses Scheitern ihrer Hoffnungen veranlaßt worden war .
Lelio hatte ihr davon geschrieben , und sie hielt seinen Brief noch in ihren Händen , als die Delmar sich bei ihr melden ließ .
Das war ein äußerst ungewöhnliches Ereignis und Hulda erschrak davor , denn die Delmar gehörte zu den Menschen , deren Kommen ihr noch niemals Gutes bedeutet hatte .
Auch war dieselbe noch nicht lange bei ihr , als sie mit jener Gefühlsseligkeit , welche sie angenommen hatte , seit sie die unselbstische Freundschaft für den Regisseur auf ihr Panier gesetzt , Hulda zu beklagen anfing , daß sie so allein sei , daß ihr kein treuer Rat zur Seite stehe , daß Feodorens unersättliche Eitelkeit sich vor Jahren zwischen sie Beide gedrängt , und sie verhindert habe , sich mit einander zu befreunden .
Hulda antwortete ihr darauf das Schickliche ; die Delmar zeigte sich darüber sehr erfreut .
" Sie stehen ja ganz allein , und wie hart das sein kann , " sagte sie , " das habe ich in früheren Jahren wohl gefühlt , ehe ich mir die treue Freundschaft unseres guten alten Ehrenberg erworben hatte . "
Hulda bemerkte , ein treuer Freund sei allerdings ein großes Glück , aber , ihre Augen hingen ängstlich an dem verdächtigen Lächeln , das auf der Delmar schmalen Lippen schwebte , als diese Hulda's Hand ergreifend , mit mitleidsvollen Blicken hinzusetzte :
" Ich habe Sie wirklich aufrichtig beklagt , denn um hier Ihr Glück zu machen , fehlte Ihnen Feodorens berechnende Kälte , und Philibert ist eben kein Van der Vlies . "
" Wie kommen Sie zu der Bemerkung und was wollen Sie mit ihr ? " fragte Hulda hastig .
" So wissen Sie es nicht , " entgegnete die Delmar , " daß Philibert es ist , der Ihr Engagement bei dem neuen Theater allein verhindert hat ? "
Hulda fuhr zusammen .
Sie hatte mit Niemandem von ihrer Absicht , von ihren Verhandlungen gesprochen , und Andere wußten mehr davon als sie .
Ein unheimlicher Schauer überlief sie .
" Philibert , " fuhr die Delmar fort , " leugnet das nicht nur nicht , er erzählt es vielmehr einem Jeden , der es hören will .
Der Besitzer des neuen Theaters ist , Sie werden das wohl wissen , sein genauer Freund .
Er hat sich also an Philibert gewendet , um Auskunft über Sie zu fordern ; und dieser hat ihm sagen zu müssen geglaubt , es scheine ihm , daß Sie nicht fortgeschritten , daß sie eintönig , und Gott weiß was sonst noch Alles , geworden wären .
Fände er einen neuen Aufschwung , einen Fortschritt in Ihrer Entwicklung , so wolle er es melden .
Er wolle Sie genau beobachten , wolle auch mit Ihnen davon sprechen . "
Hulda war blaß geworden vor Erschrecken und Entrüstung .
" Mit mir darüber sprechen ?
Das soll ihm schwer werden , " rief sie alsdann , " da ich ihm die Türe gewiesen habe . "
Die Delmar sah sie fragend an .
" Sie haben ihm die Türe gewiesen ? " wiederholte sie , als glaube sie dem Worte nicht .
" Und zwar ein-- für allemal .
Sie brauchen das auch nicht zu verleugnen ; sagen Sie es gleichfalls einem Jeden , der es hören will . "
Sie war ihrer selbst nicht mächtig .
Die Delmar schüttelte schweigend den Kopf .
" Wie beklage ich Sie , wie sehr beklage ich Sie !
Ein Mann , der Sie anzubeten schien !
Aber wem werden solche Erfahrungen von den Männern denn erspart ? "
Sie wartete offenbar auf eine Antwort auf eine vertrauliche Mitteilung .
Da Hulda stumm blieb , stand sie auf , und legte ihr die Hand auf die Schulter .
" Das Beste ist , " sagte sie , " daß man es eben übersteht .
Sie dürfen es so schwer nicht nehmen .
Sie sind jung , Sie waren unerfahren -- wir waren das ja Alle , Alle ! --
Sie haben eben sich in ihm getäuscht . "
" Nein , " rief Hulda , " nein !
Ich habe mich nicht in ihm getäuscht ! nicht einen Augenblick seit dem ersten Abend , da ich ihn bei Feodorens Abschiedsfeste sah .
Nur er hat sich in mir betrogen ; und daß er es tun konnte , das bereue ich , das ist meine Schuld ; und das allein vergebe ich mir nie ! "
" Wie Sie reizbar , wie Sie heftig sind ! " sagte die Delmar , während sie ihre Pelzpalatine um die Schultern hing , und den Muff zur Hand nahm .
" Glauben Sie mir , solche Dinge wollen kühl , wollen mit vorsichtiger Gelassenheit behandelt sein , und auf die meine dürfen Sie vertrauen .
Denn wenn Sie es auch nicht sehen und anerkennen wollten , ich habe es von je gut mit Ihnen gemeint ; und kann ich Ihnen vielleicht einmal von Nutzen sein , so rechnen Sie auf mich . "
Hulda dankte ihr , begleitete sie , und wußte sich den Vorgang nicht zu deuten .
Daß der Boden unsicher geworden , auf dem sie lebte , daß die Menschen , welche sie umgaben , nicht verläßlich und von kleinlichen Interessen und Leidenschaften hingenommen waren , das hatte sie lange schon erkannt .
Jetzt aber tastete sie wie in Dunkelheit umher , und das Herz zog sich ihr bang zusammen .
Sie sehnte sich hinaus , hinweg aus dieser Welt , wie sie sich einst hinweg gesehnt hatte aus ihrer Heimat .
Sie fing es mit deutlichem Bewußtsein zu bereuen an Schauspielerin geworden zu sein .
In den nächsten Tagen hatte sie wieder aufzutreten .
Man hatte in den Zeitungen " Emilia Galotti " zu sehen verlangt , die lange nicht gegeben worden war .
Der Direktor hatte das Stück angesetzt und Hulda hatte sich dessen gefreut .
Weil es ihr Debüt und ihr erster Erfolg gewesen war , hatte sie eine Vorliebe für die Rolle bewahrt .
Sie freute sich , als sie vor dem Aufziehen des Vorhanges einmal hinaussah , das Haus so gut besetzt zu finden ; sie hoffte auch auf einen guten Erfolg , denn für des Prinzen Rolle war ihr jetziger Partner gewandt genug , und man zollte ihr auch bei ihrem ersten Auftreten und bei ihrem ersten Abgang Beifall .
Indes gleich als dieser sich aus den Logen , in denen sich viel Land-Adel befand , vernehmen ließ , fing man im Parterre zu zischen an .
Die Logen wollten ihren Willen durchsetzen , die Stimmen im Parterre gaben nicht nach , die oberen Galerien schlossen sich ihnen an ; es entstand ein ärgerlicher Spektakel im Hause , der sich nur langsam legte . --
Hulda war fassungslos .
" Das danken Sie Philibert ! " sagte die Delmar mit ihrem widerwärtigen Mitleiden .
Hulda hatte sich das augenblicklich selbst gesagt .
Wie sie es wieder vermocht hatte , auf die Szene hinauszutreten , wie das Stück zu Ende gebracht wurde , und wie sie es ertragen hatte , daß das Zischen , der Spektakel , der Kampf für und wider sie noch einmal ausbrachen , da man sie aus den Logen und Sperrsitzen mit nicht nachlassender beharrlicher Wärme rief , das wußte sie selber kaum , als sie sich zu Hause , erschöpft , und in allem ihrem Fühlen und Denken wie vernichtet , auf ihr Lager warf .
Es war ein Glück für sie , daß ein bleierner Schlaf auf sie herniedersank .
Sie hatte lange nicht so tief , so völlig traumlos geschlafen als in dieser Nacht .
Als sie spät am Tage die Augen aufschlug , und mit dem Blicke in das helle Sonnenlicht die Erinnerung dessen in ihr lebendig wurde , was sie gestern durchgemacht , lief ihr ein Schauer durch die Glieder .
Sie wunderte sich , wie sie vor ihren Spiegel trat , daß die Röte ihrer Scham , daß das Erbleichen des Schreckens nicht mehr auf ihrem Antlitze sichtbar waren -- und vor ihr auf dem Tische lag die Rolle der Marie in Goethes " Clavigo " .
Sie hatte sie stets zu spielen gewünscht , und jetzt endlich , seit vielen Jahren sollte " Clavigo " zum erstenmal hier gegeben werden .
Sie setzte sich hin und las die Rolle durch , aber ihre Gedanken waren nicht dabei .
Sie wußte nicht , was sie las , obschon sie jedes Wort des Stückes kannte .
Sie griff zur Zeitung und legte sie wieder aus der Hand .
Es fiel ihr ein , wie der Direktor ihr gestern im Vorübergehen gesagt hatte , sie habe sich das Alles selber zuzuschreiben ) und er müsse mit ihr sprechen .
Was hatte sie denn getan ?
Was hatte sie versehen ?
Was konnte er von ihr wollen ?
Sie dachte noch darüber nach , als er sich in der frühen Stunde bei ihr melden ließ .
Er war freundlich , er zeigte sich heiter , als er bei ihr eintrat .
Das war ihr überraschend , denn seit sie damals bei dem ungebührlichen Betragen der Toska mit ihm aneinander gekommen war , hatte er sich das Ansehen gegeben , ihr dies schmollend nachzutragen .
" Nun , mein bestes Fräulein , " rief er ihr entgegen , " ich mußte doch selber sehen kommen , wie Sie sich befinden .
Es ist eben einmal gestern ein bisschen lebhaft im Theater hergegangen , und Sie haben , wie ich schon zum öfteren bemerkt , reizbare Nerven .
Sie regen sich leicht auf ! "
" Ich glaube , " entgegnete Hulda , " der Anlaß war geeignet , auch starke Nerven zu erschüttern .
Ich wenigstens fühle das Erlebnis noch in mir nachklingen , weit mehr , als es mir lieb ist . "
" Sie nehmen die Sachen zu schwer , meine Teure , viel zu schwer !
Wissen Sie , daß Ihnen das kleine Scharmützel den größten Vorteil bringen wird ?
Jetzt begegnet Ihnen durch , ich möchte sagen , einen glücklichen Zufall , was Sie selber , sehr zu Ihrem Nachteile , sich zu schaffen versäumt haben .
Man nimmt jetzt mit Leidenschaft Partei für Sie , und wir werden bei Ihrem nächsten Auftreten das Haus voll aben bis in das Orchester hinein . "
" Ich wollte Sie heute eben bitten , mir die nächsten Tage freizugeben .
Ich muß mich in mir zu fassen , mich zu überwinden suchen ; denn ich bekenne Ihnen , übermorgen wieder vor demselben Publikum zu erscheinen , dessen Zischen mir noch in den Ohren gellt , dazu fühle ich mich außer Stande .
Ich muß es zu vergessen suchen .
Ich habe ein paar Tage der Ruhe , der Einsamkeit vonnöten . "
" Wo denken Sie hin , Beste ! " wendete der Direktor ein .
" Warum hören Sie das Zischen , und nicht lieber das Bravo , das Ihnen von den Stentorstimmen unserer Herren vom Lande zu Teil geworden ist , und das die paar nichtsbedeutenden Zischer deren Ursprung Sie ja kennen werden , sofort siegreich niederschmetterte .
Ich will Ihnen ein Geheimnis aus der Bühnenpraxis anvertrauen , das auch im Leben gute Dienste tut :
man muß nur hören , was man hören will , nur hören , was uns schmeichelt , und gar nicht merken , was uns etwa entgegen zu sein scheint . "
" Das erlerne ich nie ! " rief Hulda , " und was hilft es , wenn man sich selbst belügt , sich selber täuscht . "
Der Direktor lächelte .
" Was es hilft ?
Meine Teuerste , es belügt und täuscht die Anderen auch -- und darauf kommt ja Alles an ! "
Hulda antwortete ihm nicht darauf .
" Sehen Sie , " fuhr er deshalb fort , " wenn Sie sich heute den kleinen Doktor Berthold kommen lassen , der die Rezensionen für die hiesige Zeitung , und hier und dorthin Theater-Korrespondenzen schreibt , wenn Sie ihn kommen lassen , und sich über das gestrige Ereignis klagend äußeren , so wird er es Ihnen glauben , daß Sie ein Fiasco gemacht .
Lassen Sie ihn kommen und sprechen Sie ihm mit Genugtuung von der Freude , welche der Eifer Ihrer Anhänger Ihnen gewährt , und wie der Sieg über die elende bezahlte Clique , die gegen Sie gewesen ist , Ihnen das Herz exhoben hat , so wird er es Ihnen gleichfalls glauben , und es Ihnen nachsprechen und nachschreiben , wie Sie es begehren , natürlich nur Leistung gegen Leistung . "
" Ich denke weder das Eine zu tun noch das Andere ! " warf Hulda mit Verachtung ein .
" Ich habe ihn nie bei mir gesehen , und habe auch nicht vor , es jetzt zu tun . "
" Sehr mit Unrecht , Beste , sehr mit Unrecht !
Die edlen Enthusiasten , die reichen Dilettanten , wie Ihre Freunde , wie der Doktor und wie Hochbrecht , die tun es nicht !
Man achtet ihr Urteil , man liest ihre Sachen gern , aber sie sind nicht rührig , sie haben ihre Hände nicht in jedem Blatte , sie machen keine Reputation .
Der kleine Berthold hat Ihnen mehr genützt , als Sie zu glauben scheinen , so lange ihm Philibert die Tinte mit Silbersand bestreute .
Das müssen Sie jetzt selber tun , wenn Sie nicht , wozu ich Ihnen dringend rate , sich mit Philibert in das Gleiche setzen .
Er ist ein angesehener Mann , ein Mann . . .. "
Hulda erhob sich .
" Herr Direktor , " sagte sie , " ich muß Sie bitten , das auf sich beruhen zu lassen .
Was mir in meinem Privatleben zu tun obliegt , darüber , glaube ich , steht Niemandem ein Urteil zu als mir allein ; und ich bin nicht gesonnen , mir ein anderes aufnötigen zu lassen . "
Der Direktor stand ebenfalls auf .
Er war heftig von Natur , und sein Ton wurde beleidigend , wenn er sich zur Ruhe zwingen wollte .
" Oh ! ich bin weit davon entfernt , " sagte er , " mich in Ihre Privatverhältnisse zu mischen !
Nur , " setzte er hinzu , " nur müssen Sie Ihre Privatverhältnisse , meine Beste , mit Diskretion , und zwar derart behandeln , daß sie meinen Interessen nicht so rücksichtslos entgegenlaufen .
Man läutet nicht die große Glocke , wenn man eines immerhin sehr beachtenswerten Freundes und Verehrers müde wird .
Man weist Männern von Stand nicht ohneweiters die Türe ; oder man erzählt es wenigstens , wenn man die Unvorsichtigkeit begangen , hat , es zu tun , nicht den guten Freundinnen zu beliebigem Gebrauch !
Aber das ist freilich Ihre Sache , Ihre Privatangelegenheit -- das geht mich Nichts an . "
Sie wollte , weil ihr jetzt plötzlich Alles klar wurde , ihm in die Rede fallen .
Er ließ es nicht dazu kommen .
" Wir sind fertig , mein Fräulein ! " sagte er .
" Ich hielt es für meine Pflicht , Sie zu warnen ; Sie glauben es nicht beachten zu dürfen -- das ist Ihr Recht .
Aber Sie bürgen mir für den Erfolg der Mirandolina , die Sie übermorgen spielen , und ich glaube , Sie werden klug tun , wenigstens die jungen Herren von Brinken , welche heute Sie zu besuchen denken , gebührend freundlich zu empfangen ; denn mit Grundsätzen wie die Ihren hätten Sie nicht zur Bühne gehen müssen .
Wir Schauspieler sind und können keine Gemeinde der Heiligen bilden .
Die Bühne ist kein Kloster ! und mit Nonnen weiß das Publikum nicht umzugehen und Nichts anzufangen . "
Er hatte das Letztere leichthin , im Tone eines Scherzes ausgesprochen , denn er wollte Hulda , an deren gutem Willen ihm viel gelegen war , in keiner Weise beleidigen .
Aber gerade dieser Scherz verwundete sie auf das Tiefste .
Er drückte , ohne es zu wollen , schlagend aus , was Hulda sich schon selber vorgehalten hatte ; es schien ihr als gipfelte in ihm , wie in einem Schlußsteine , die Reihe der Kränkungen und Unwürdigkeiten , die sie erfahren und mit denen sie zu kämpfen gehabt hatte , er nahm ihr die Fassung und die Sprache .
Der Direktor bemerkte das und wollte einlenken .
Er sagte , sie dürfe einen Scherz nicht ernsthaft nehmen , sie solle nicht böse sein , er habe es gut gemeint mit seinem Rate ; sie solle ihm sagen , daß sie ihm nicht zürne .
" Wie könnte ich das ? " entgegnete sie , indem sie sich kalt verneigte .
" Sie haben Ihre Überzeugung , Ihre Ansicht von der Stellung einer Bühnenkünstlerin gegenüber dem Publikum ausgesprochen ; dazu waren Sie berechtigt , da ich vorläufig noch in Ihrem Solde bin -- und vielleicht ist es gut , daß sie es taten . "
Er bereute seinen Mißgriff , gab ihr gute Worte , indes , da sie nicht darauf hörte und ihm Nichts entgegnete , verabschiedete er sich endlich mit der Bemerkung , er hoffe , sie werde sich besinnen und ihren gegenwärtigen kleinen Trotz bereuen .
Als er die Türe hinter sich geschlossen hatte , hielt Hulda sich nicht länger .
" Das ertrage ich nicht , " rief sie , " an diesen , an solchen Verhältnissen gehe ich zu Grunde !
Sie ertöten in mir die Liebe zur Kunst .
Sie verleiden mir mich selbst . "
Sie weinte bitterlich .
Die Tränen befreiten ihr das Herz .
Als sie sich aus diesem Zustande der Niedergeschlagenheit emporrichtete , stieg der Vorsatz , das Theater zu verlassen , der in den letzten Zeiten zum öfteren in ihr rege geworden war , wieder in ihr auf .
Aber einen Entschluß zu fassen , kam ihr nicht leicht an , denn sie liebte ihren Beruf .
Sie hatte das Glück rein und voll empfunden , durch ihre Kraft den Widerhall der Begeisterung in den Herzen einer sie umgebenden Menge zu entzünden , und von ihr getragen , sich bisweilen weit hinausgehoben zu fühlen über die Grenzen und Schranken dessen , was sie erreichbar für ihr Können und ihr Talent gehalten hatte .
Sie hatte sich oft frohen Sinnes in großen Hoffnungen auf ihre Zukunft gehen lassen .
Und wenn sie die Bühne nun verließ , wo war für sie , die Mittellose , die Einsame , gleich eine neue Tätigkeit , gleich ein Beruf gefunden ?
Sie dachte an die Fürstin , an den Beistand , welchen diese ihr zugesagt hatte .
Sie meinte , annehmen zu dürfen , daß Clarisse Ehrvorhaben gutheißen und bereit sein würde , ihr fördernd ihre Hand zu bieten .
Indes Clarisse war Emanuels Nichte , und wie es ihr schon in erster Jugend unmöglich gedünkt , von der Gräfin irgend eine Hilfe anzunehmen , so fühlte sie jetzt ein noch weit entschiedeneres Widerstreben dem Kreise , welchem Emanuel Angehörte , freiwillig zu nahen , und vollends als eine Hilfesuchende zu nahen .
Der ganze Tag ging hin in Unentschlossenheit und Sorge .
Ihre Gedanken wanderten unruhig von einer Möglichkeit zur anderen , von der frühesten Kindheit bis weit hinein in jene Zukunft , die sie sich in mancher glückversprechenden Stunde so ruhmvoll und so glänzend ausgemalt hatte , und die sie selber nun für immer vor sich verschließen wollte .
In der Rastlosigkeit ihres Sinnes fing sie an , sich mit äußeren Dingen zu beschäftigen .
Sie suchte alte Erinnerungen hervor , und betrachtete dabei mit Rührung die wenigen Angedenken , die sie aus der Heimat mit sich genommen hatte , als sie , mit dem Vorsatz , dorthin nicht mehr zurückzukehren , aus dem Amtshause fortgegangen war .
Dabei fielen ihr ein paar Briefchen ihrer Eltern , die sie ihr aus der Pfarre in das Schloß gesendet hatten , und des Vaters alte Bibel in die Hand .
Es war lange her , daß sie nicht darin gelesen hatte .
Sie dachte daran , wie sie sonst wohl in besonderen Fällen die alten Blätter als ein Orakel aufgeschlagen , und wie sie manch gutesmal ihren Trost darin gefunden hatte .
Sie las die Stellen nach , welche ihres Vaters Hand mit feinen Strichen angezeichnet , die Verse , auf denen seine lieben Augen geweilt hatten , so lange sie noch Licht gewesen waren .
Eine sanfte Stille , eine unbeschreibliche Wehmut kamen damit über sie .
Als sie die nächsten Seiten umschlug , traf sie auf ein Blatt , das sie einst mit einem dünnen Schnürchen selber eingeheftet hatte .
Sie faltete es auseinander .
Es war ihres Vaters schöne , sichere Handschrift ; und fast ohne es zu wissen , las sie mit lauter Stimme die auf dem Blatte stehenden Worte :
" Meiner Tochter am Einsegnungstage als Wahlspruch für das Leben ausgewählt und mitgegeben :
" Was hülfe es dem Menschen , wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele ?
Oder was kann der Mensch geben , daß er seine Seele wieder erlöse ! "
Alles !
Alles ! nur unangefochten ! und wieder einig in mir selbst , und unangefochten mit mir selbst in Frieden ! " rief sie plötzlich , von einem Mute beseelt , von einer Zuversicht belebt , als käme die Kraft aller der Unzähligen ihr zu Hilfe , die sich in der Stunde der Not und der Gefahr , dem Untergange nahe , mit dieser aus fernster Vergangenheit herüberklingenden Mahnung erhoben , und auf den rechten Weg zurückgefunden hatten .
Und als leuchte ihres Vaters Auge noch über ihr , als stütze sie noch seine treue Hand , so fest hatte sie sich entschlossen , ihre Seele vor Schaden zu bewahren und sich frei zu machen aus den Schlingen , die sich in ihren gegenwärtigen Verhältnissen verwirrend und umstrickend vor jedem ihrer Schritte ausgebreitet hatten .
Darüber war die Dämmerung angebrochen .
Beate brachte ihr die Lampe und die hauptstädtische Zeitung in das Zimmer , die Abends mit der Post ankam .
Hulda glitt heute über die Theater-Nachrichten , die sie sonst zuerst zu lesen pflegte , rasch hinweg .
Sie hatten in dieser Stunde für sie nicht mehr die bisherige Bedeutung .
Aber gleich hinter diesen Notizen fielen ihr unter den Anzeigen , Angeboten und Gesuchen , einige mit hervorragender Schrift gedruckte Zeilen auf .
" Eine Familie , dem Adel angehörend , " hieß es , " und Sommer und Winter auf ihren Gütern lebend , sucht für ein Mädchen von vierzehn Jahren eine Erzieherin , die in der Musik bewandert , im Französischen und Englischen zu unterrichten im Stand ist , und geneigt sein würde , sich für drei Jahre zu verpflichten , wenn gegenseitiges Wohlgefallen stattfinden sollte . "
Das Jahrgeld , welches man anbot , war ungewöhnlich hoch zu nennen ; der Ort , an den man die Adressen senden sollte , war angegeben .
Die Anzeige kam ihr wie ein Wink vom Himmel , dem sie zu gehorchen hatte , ehe Zweifel und Bedenken , ehe neue weltliche Verlockung sie in ihrem Entschluss schwankend machen konnten .
Wie sie dereinst in banger Stunde , nur sich und dem eigenen Bedürfen nach Befreiung folgend , den Brief an Gabriele rasch geschrieben hatte , so setzte sie sich auch jetzt wieder , in demseben Augenblicke an den Schreibtisch , der unbekannten Familie ihre Dienste anzubieten .
Klar und bestimmt sprach sie aus , was sie zu lehren und zu leisten im Stande zu sein glaubte , indes sie verschwieg es vorsichtig , daß sie seit Jahren Schauspielerin gewesen war .
Sie nannte sich eine Pfarrerstochter , sie wollte die Wahrheit erst gestehen , wenn man zu ihr Vertrauen gefaßt haben , und mit ihren Leistungen zufrieden sein würde ; und es schlich ein sonderbares Empfinden durch ihr Herz , als sie seit so vielen Jahren zum erstenmal wieder sich mit ihres Vaters Namen unterschrieb .
Wie sie die Feder aus der Hand legte und den Brief durchlas , kam ein schmerzliches Schwanken über sie .
Der Abstand zwischen ihrer gegenwärtigen Freiheit und der Abhängigkeit , der sie entgegengehen wollte , zwischen dem Theater und der engen Stube , in der sie einsam auf dem Lande , dem Willen Fremder fortan untertan , ihr ganzes Leben einem Kinde opfern sollte , war sehr groß ; und ihr bangte vor der Weise , in welcher sie ihn empfinden würde .
Indes das mächtige Wort :
" Was hülfe es dem Menschen , wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele ! " stand leuchtend und beschützend über ihr .
Sie schloß den Brief , und sendete ihn noch in derselben Stunde fort .
Als sie die Haustür öffnen hörte , trat sie an das Fenster .
Bei dem Scheine der Laternen sah sie dem Mädchen , das den Brief besorgte , nach , soweit ihr Auge es verfolgen konnte .
Dann ging sie an den Tisch , die Papiere fortzuräumen , die treue alte Bibel wieder zu verschließen .
" Also einsam und vergessen ! " sagte sie zu sich selbst , vergessen und unbeachtet nun für immerdar !
Aber rein und mir selbst getreu ; der Eltern wert und seiner Liebe ! "
Sie hatte frei in sich entschieden .
Was dieser Entschluß ihr bringen und ihr fruchten würde , mußte erst die Zeit sie lehren .
Dreißigstes Kapitel .
Der Winter war Emanuel in seinem einsamen Schlosse länger geworden als alle diejenigen , welche ihm vorhergegangen waren .
Der Besuch des jungen fürstlichen Paares hatte es ihn wieder lebhaft empfinden lassen , welch eine Befriedigung das enge und tägliche Beisammensein mit Menschen gewährt , auf deren eingehendes Verständnis , auf deren liebevolle Teilnahme man sich verlassen darf ; und der kleine Ring , den er an dem Abende , an welchem man die alten Besitztümer des Hauses gemustert hatte , an seine Hand gesteckt , mahnte ihn jeden Tag an das schöne , geliebte Mädchen , dem er ihn einst als Liebespfand geboten .
Früher hatte er sich den Gedanken an Hulda meist fernzuhalten getrachtet .
Jetzt kam sie ihm seit der Unterhaltung mit seiner Nichte kaum mehr aus dem Sinne .
Er wollte , er mußte sehen , was sie geworden war .
Sie war eben erst der Kinheit entwachsen gewesen , als er sie kennen gelernt und ihre Liebe gewonnen hatte .
Damals hatten ihr gerader Sinn , die unbewußte Klarheit ihres Urteils , die Einfalt ihres ganzen Wesens , und ihre Empfänglichkeit für alles Gute , Große , Schöne , ihn fast ebenso an ihr entzückt als ihre Schönheit .
Was mußten die Jahre , die Erfahrung , das Studium aus ihr gemacht haben , da sie , wie Clarisse es mit warmer Anerkennung ausgesprochen hatte , an sittlicher Würde und Sinnesadel auf dem einsamen Lebenswege keine Einbuße erlitten , sondern sich in sich selbst vollendet hatte !
Mehr als einmal hatte er sich hingesetzt , um ihr zu schreiben , aber er hatte diese Versuche aufgegeben .
Was er ihr zu sagen hatte , mußte ein Buch an Umfang werden , wenn er ihr mitteilen wollte , was er seitdem erlebt , oder wenn er ihr klar machen wollte , wie es gekommen sei , daß er sie aufgegeben , daß er gehandelt habe , wie er es getan hatte .
Und was konnte diese lange Erklärung denn auch nützen ?
Hatte Hulda ihren Sinn geändert , ihre Neigung einem Anderen zugewendet , so war es töricht , ja sogar lächerlich , ihr begreiflich machen zu wollen , was in diesem Falle keine Bedeutung mehr für sie haben konnte ; und seine Scheu vor solchem Tun war bis zur Übertreibung groß .
Wenn sie hingegen , wie er es in seinem tiefsten Herzen hoffte , seiner noch gedachte , wenn sie vergessen , verzeihen konnte , wenn sie ihn noch liebte -- was bedurfte es dann ihrer Liebe gegenüber , des Erklärens , da Liebe nichts verlangt , als glauben und vertrauen zu dürfen .
Abends , wenn der Regen gegen die Scheiben prasselte , oder wenn der Schneesturm die Zimmer seines Schlosses wild umtoste , sah er sie im Geiste vor sich , in der voll entwickelten Reife ihrer Schönheit , in dem Kostüme ihrer verschiedenen Rollen , in dem lichterfüllten Hause von dem Beifalle eines großen Publikums getragen , wie sie , zufrieden mit sich selbst , immer erneuter Triumphe genoß -- und er hielt bedenkich inne vor der Frage :
" Wird sie jetzt noch die Einsamkeit zu ertragen vermögen ?
Wird sie in ihr noch glücklich sein können ? "
Es war ja nur zu denkbar , daß sie anstand , dem Reize eines rasch bewegten Lebens , der Huldigung der Männer , um seinetwillen zu entsagen ; daß es ihr zu schwer fiel , ihm ihre Aussichten auf eine glänzende theatralische Zukunft zum Opfer zu bringen .
Die Partie zwischen ihnen war nicht gleich .
Er war nicht jung , nicht schön wie sie ; er hatte um ihretwillen keine Aussichten zu opfern , die er mit seiner jetzigen Erfahrung und seiner jetzigen Einsicht , der Liebe gegenüber , noch hoch angeschlagen hätte .
Er hatte nur zu gewinnen , wenn sie ihn noch liebte und die Seine werden wollte ; denn er wußte , was sie wert war und was er sich von ihr versprechen durfte .
Ihr Fall war ganz ein anderer .
Er hatte sich ihr nicht bewährt und hatte kein Recht , Vertrauen von ihr zu erwarten .
Das machte ihn unentschlossen , machte ihn zögern ; aber in dem abwartenden Zögern steigerte sich seine Sehnsucht nach beglückender Entscheidung bis zur Leidenschaft . Bald wollte er reisen , um sie auf der Bühne zu sehen , bald widerstand ihm eben diese Möglichkeit .
Das Mißtrauen in sich selbst , das ihm die Jugend so schwer getrübt , und das durch die Erfahrungen , welche Konradine ihn hatte machen lassen , neue Nahrung empfangen , hemmte und lähmte ihn auch jetzt , obschon er sich_es zum Vorwurf machte .
Da kam eines Morgens , als er an dem Fenster seines Arbeitszimmers stand , ein Reiter in raschem Trabe auf das Schloß zu .
Emanuel kannte den Schimmel schon von weitem , und den Reiter , den er trug , den immer hochwillkommenen Gast , den alten Herrn von Barnefeld , der freilich in so früher Morgenstunde sonst nicht von seinem Hofe fortzugehen pflegte .
Da er ihn sehr verehrte , ging Emanuel dem Greise entgegen bis hinab zur Halle .
" Wo kommen Sie so früh her , mein teurer Freund ? " rief er ihm zu , während der stattliche schöne Greis mit frischer Rüstigkeit vom Pferde stieg .
" Ja ! wo komme ich so früh her ? " antwortete Barnefeld .
" Das fragen Sie nicht mich , sondern meine Frau , die mich hinausgeschickt hat .
Und zwar mit einer ganz besonderen Anfrage an Sie ! "
Sie waren währenddem in das Haus gegangen , und wie sie dann ruhig bei einander saßen , und der Diener ein Frühstück aufzutragen anfing , sagte Herr von Barnefeld :
" Die Frauen haben mich ausgeschickt , mich mit Ihnen über eine Angelegenheit zu besprechen , die Sie persönlich auf der Gottes Welt Nichts angeht . "
" Über die ich aber hoffentlich doch Auskunft geben kann ! " bemerkte Emanuel .
" Meine Frau setzt das zum wenigsten voraus ; denn kurz und gut , ich komme , mich bei Ihnen um ein junges Frauenzimmer zu erkundigen . "
" Will Einer der Ihren sich verheiraten ? " fragte Emanuel .
" Nicht das ich wüßte ! " entgegnete Barnefeld , " danach pflegten sie mich auch immer ganz zuletzt zu fragen .
Aber meine älteste Schwiegertochter denkt für das Mädchen , für Konstanze , eine Erzieherin in das Haus zu nehmen .
Sie hat also vor einigen Wochen eine darauf zielende Anzeige in die Zeitungen setzen lassen , und es sind , danach im Laufe der Zeit eine Menge Anerbietungen eingegangen .
Unter diesen befindet sich auch ein Brief von einer jungen Person , einer Pfarrerstochter , von den Gütern Ihres Neffen . "
" Von Hulda ? " rief Emanuel , während das Blut ihm in das Gesicht schoß , daß er sich mit der Hand schnell über die Stirn fuhr , als könne er es damit verscheuchen .
" Mich dünkt , so heißt sie , " versetzte Barnefeld , indem er den Brief hervorzog und nach der Unterschrift sah .
" Aber lieber Freund !
Sie sind ja rot geworden wie ein junges Mädchen !
was ist es mit dieser Pfarrerstochter ? "
" Nichts ! durchaus nichts ! --
Ich kannte die Eltern Beide .
Die Mutter war hier zu Hause .
Und auch das junge Mädchen kenne ich .
Es war eine Weile in meiner Schwester Hause !
Es ist wohl unterrichtet ! --
Sehr musikalisch und eben so gut als schön ! "
Herr von Barnefeld schüttelte den Kopf .
" Wenn ich Sie nicht kennte , " meinte er , " so würden Sie mich trotz des Guten , das Sie ausgesagt haben , an dem jungen Frauenzimmer irre machen ! "
Emanuel hatte sich indes bemeistert , und sprach sich nun gefaßten Sinnes lobend über Hulda aus .
Die Ruhe , die er zeigen wollte , fiel ihm aber schwer .
Barnefeld wurde dadurch um so vorsichtiger .
Er fragte mit seiner geschäftsmäßigen Genauigkeit , Emamanuel gab ihm darauf Bescheid .
" Sie meinen also , daß man das Fräulein kommen lassen soll ? " sagte Barnefeld am Ende , " Ich war auch der Ansicht , mir gefiel der Brief .
Die Frauen wollten indes gern sicher gehen , und so kam ich her .
Der Brief ist einfach und scheint mir Gutes zu versprechen . "
Emanuel fragte , ob er ihn lesen dürfe , sein Gast hatte Nichts dagegen ; aber Jener hatte sich mehr zugemutet , als er wußte .
Jedes Wort traf ihn wie ein mahnender Vorwurf , und doch beglückte , doch beseligte es ihn .
Er mußte sich Gewalt antun , die Bewegung seiner Seele nicht noch einmal zu verraten .
Es kostete ihn Überwindung , dem behaglichen Gespräche mit dem trefflichen Manne so wie sonst zu folgen , und er war froh , als dieser endlich mit der Versicherung , daß er nicht länger bleiben könne , sein Pferd vorgeführt zu haben wünschte .
Als sie danach schon vor der Türe standen , sagte Emanuel :
" Es freut mich doppelt , daß Sie heute gekommen sind , denn ich verreise in den nächsten Tagen . "
Barnefeld fragte , wohin er gehen werde .
Emanuel nannte ihm die Provinz , in welcher Hulda lebte , und die Stadt , in der sie engagiert war .
" Schade ! " sagte Barnefeld .
" Wenn Sie einige Wochen später gingen , könnten Sie uns die Gouvernante mitbringen .
Sie kann aber nach ihrem Briefe , erst zu Ostern in die Stelle eintreten . "
" Man müßte nachhören ! " meinte Emanuel , in dessen Geist plötzlich ein Plan auftauchte , der seinen Zwecken dienen konnte .
" Geben Sie mir den Brief zum Beglaubigungszeichen , oder geben Sie mir nur die Adresse der jungen Dame und eine Karte von sich mit , so will ich mich erkundigen , wie es steht . "
Das leuchtete dem Anderen ein .
Er schrieb stehenden Fußes in der Halle rasch noch ein paar Zeilen auf die Karte nieder , und Emanuel eine glückliche Reise wünschend , ritt er sehr zufrieden heim .
Wenige Stunden später war Emanuel schon unterwegs -- hin zu ihr !
Tag und Nacht war er gefahren , als er gegen den Abend des zweiten Tages an sein Ziel gelangte .
Die Stunde der allgemeinen Mittagsmahlzeit war lange vorüber .
Er ließ sich einen Imbiß in seinem Zimmer auftragen ; der Wirt selber , der ihn von früherem Aufenthalte in seinem Hause kannte , kam es zu entschuldigen , falls man den Herrn Baron in der Eile nicht zu seiner Zufriedenheit bedient haben sollte , und sich zu erkundigen , was sonst etwa in dessen Belieben stände ? wobei er nicht zu bemerken unterließ , daß er die Ehre gehabt habe , im Herbste auch die jungen fürstlichen Herrschaften bei sich aufzunehmen .
Die ganze Familie stieg seit Jahren stets in seinem Hause ab .
Emanuel zeigte sich durchaus zufrieden , der Wirt hatte in Beflissenheit die Zeitung und den Theaterzettel mitgebracht .
Emanuel griff nach dem Letzteren .
Man spielte " Faust " .
-- Hulda war also in diesem Augenblicke auf der Bühne .
" Wenn der Herr Baron vielleicht ein Freund des Theaters sind , " bemerkte der Wirt , " so wären Sie gerade noch zur rechten Zeit gekommen , ein paar Akte anzusehen .
Unsere erste Schauspielerin , die Vollmar , ist in dieser Rolle ausgezeichnet .
Die Frau Fürstin hat sie nach derselben sogar zu sich entbieten lassen .
Der " Faust " ist seitdem nur ein einzigesmal gegeben worden , kurz vorher , ehe Lelio von hier fortging ; und es ist sehr möglich , daß die Vollmar heute auch zum letztenmal als Gretchen bei uns auftritt . "
" Denkt Fräulein Vollmar die Bühne zu aßen ? " fragte Emanuel , während er unentschlossen mit sich zu Rate ging , ob er sie gleich heute spielen sehen solle oder nicht .
" Bewahre , " sagte der Wirt , " es ist im Gegenteile von ihrem Engagement für das große königliche Theater stark die Rede ; denn vor ein paar Tagen ist der Regisseur desselben hergekommen , sie zu sehen . "
Der Wirt mochte dabei bemerken , daß der Baron in halber Zerstreutheit das Verzeichnis der Personen durchsah , und um ihm die Sachlage klar zu machen , setzte er hinzu : " Die Vollmar hat hier vor einiger Zeit allerlei Verdrießlichkeiten und Schikanen durchzumachen gehabt .
Es hatte sich eine vollständige Clique gegen sie gebildet .
Der Herr Baron wissen ja , wie es in der Welt und auf den Brettern hergeht .
Sie hatte es mit einem unserer ersten Männer sozusagen geflissentlich verdorben , und der trug es ihr nach und ließ sie es fühlen ; allerdings ein wenig hart .
Damals hieß es denn , sie wolle vom Theater abgehen .
Aber gerade in der Zeit machte Herr Philibert von seinem Onkel eine große Erbschaft und ging nach England , sie zu regulieren , wo er nun auch bleiben will .
Seitdem hat sich für die Vollmar Alles wieder hübsch zu rechtgezogen ; und seit man denkt , sie werde an das königliche Theater berufen werden , macht der Direktor ihr hier alle möglichen Anerbietungen , denn das Publikum will sie nun durchaus nicht missen . "
Emanuel hörte das Alles Wort für Wort , und mußte sich in seinem Inneren fragen :
" Ist es denn möglich , daß es Hulda ist , von der man also spricht ?
Daß es das Mädchen ist , dem Du Dich einst verlobtest , das Du verlassen hast , und das heimzuführen als Dein Weib , Du jetzt gekommen bist ? "
Sein ganzes bisheriges Tun und Handeln , Alles , was er erlebt in diesen letzten Jahren , kam ihm unbegreiflich , fast unmöglich vor .
Aber sehen mußte er , sie , und auf der Bühne , und gleich in dieser Stunde !
Er verlangte einen Wagen und fuhr in das Theater .
Der Abend war schon vorgerückt , die größere Hälfte des Stückes war vorüber , man war mitten in der Aufführung .
Das Herz schlug ihm heftig , als der Schließer ihm leise die Türe der Orchester-Loge öffnete : die Hand bebte ihm , als er selber den schweren roten Vorhang zurückschlug , und hinaus sah auf die Szene .
Ja , das war sie !
Er setzte sich in der hintersten Ecke nieder , in der sie ihn nicht gewahren konnte .
Er hatte Mühe sich zurückzuhalten .
Es war ihm selber wie dem Faust , dem das Bildnis Helena's im Zauberspiegel aufersteht .
Gretchen saß in ihrer Stube am Spinnrocken .
Sie war ganz unverändert , ganz dieselbe , wie er sie zuerst gesehen , herrlich und hehr , wie der Ceres blonde Tochter in dem Gewoge der goldenen Ähren , den Kranz von Kornblumen in dem blonden Haare .
" Wo ich ihn nicht habe
Ist mir das Grab , Die ganze Welt Ist mir vergällt . "
Das waren die ersten Worte , die er von ihrer Stimme wieder hörte .
Wie oft , wie unzählig oft , mochte sie so gesessen , so geseufzt in Sehnsucht , so in verzagendem Hoffen gedacht haben an ihn , ehe sie sich entschlossen hatte , ihm den Ring zurückzugeben !
Den goldenen Reifen , der ihm jetzt brannte an der Hand .
Es war überwältigend , was er dachte und empfand .
Er konnte sich nicht helfen , die Tränen brachen ihm aus den Augen , er durchlebte lange Jahre in diesem Augenblick .
Ihr Leiden und das seine traten wie lebendige Gestalten vor ihn hin , und klagten ihn an , und forderten von ihm Ersatz für alle die verlorenen Tage und das in ihnen nicht genossene Glück .
Glück ? --
War denn der Beifall , den man Hulda zollte , als sie ihr Lied beendet hatte , nicht ein Glück ?
War das bezaubernde Lächeln , mit welchem sie dankte , als man sie nach der Szene wieder und wieder hervorrief , nicht ein Lächeln des Glückes ?
Wodurch konnte er dies beseligte Lächeln künftig in seiner Einsamkeit auf ihre Lippen zaubern ?
Man sah es , wie sie sich heute selbst genoß .
Emanuel gönnte ihr die Freude , den Triumph .
Was er dabei empfand ? --
wie konnte sie das ahnen und was konnte es für sie bedeuten ?
Szene um Szene griffen tiefer in seine Seele ein .
Die Aufführung schien ihm kein Ende nehmen zu wollen : aber er konnte nicht von ihr gehen , so lange alle diese Blicke noch an ihr hingen .
Er mißgönnte der Menge den Anblick der Geliebten , und doch entzückte Hulda ihn , doch genoß er mit einer stolzen Freude ihr Talent , und selbst den Beifall , mit welchem man ihr lohnte .
Vor ihm in der Loge saß ein älterer Mann .
Er hatte bei Emanuels Eintritt seinen Sessel auf die Seite gerückt , ihm Platz zu machen , und sich offenbar gewundert , daß Jener sich so geflissentlich im Schatten und von der Brüstung ferne hielt .
Während des Zwischenaktes hatte er Emanuel angeredet .
Der Fremde zeigte sich dabei als ein gebildeter Mann , und voll Anerkennung für die Leistung Hulda's .
Er hatte es kein Hehl , daß er ein Mann vom Fache sei ; Emanuel erriet in ihm natürlich den aus der Residenz gesendeten Regisseur .
Inzwischen war auch der Direktor in die Loge eingetreten .
" Nun , " meinte er , gegen den Regisseur gewendet , " begreifen Sie jetzt , weshalb ich vor Ihnen nicht so ohne weiteres die Segel streiche ? "
Der Regisseur klopfte ihm auf die Schultern .
" Ziehen Sie sie nur ein , denn was Sie noch aufsetzen , ich habe mehr in meiner Hand .
Sie ist wirklich adorabel und recht des Königs Genre !
Hoch , stolz , blond -- so Etwas wie die Hochselige ! --
Aber das ist wahr , Sie macht Ihnen und Ihrer Schule alle Ehre !
Der Vorhang ging wieder in die Höhe , die Kerkerscene begann .
Es war mehr , als Emanuel auszuhalten vermochte .
Dies Antlitz , dies heißgeliebte , schöne Antlitz blaß , entstellt , im wilden Wahnsinn , in Todesnot und Angst vor sich zu sehen , das ging über seine Kräfte .
Er verließ die Loge und das Theater .
Es war eine lange , schwere Nacht , die ihm in ernsten Zweifeln und in bangem Hoffen hinschwand , bis er am Morgen aus martervollem Traume erwachte .
Die nächsten Stunden mußten jetzt entscheiden .
Einunddreißigstes Kapitel .
Der hauptstädtische Regisseur hatte sich bei guter Zeit in Hulda's Wohnung verfügt , um ihr den Kontrakt vorzulegen , den er ermächtigt war , ihr anzubieten , falls sie den Erwartungen entsprochen haben würde , welche man nach Lelio's Aussagen von ihr gehegt .
Damit tat sich eine Zukunft vor Hulda auf , wie sie erwünschter einer Bühnenkünstlerin im Vaterlande nicht eröffnet werden konnte .
Sie sollte die Stelle der ersten tragischen Liebhaberin ersetzen , die in das Fach der älteren tragischen Rollen überging , und die Verhältnisse in der Residenz waren für bedeutende Bühnenkünstlerinnen , besonders , wenn sie sich selbst zu achten wußten , völlig anderer Art als bei den Theatern in den Provinzen .
In den gebildeten und künstlerischen Kreisen der hauptstädtischen Gesellschaft hatte man das Vorurteil längst überwunden , das die Schauspieler im Allgemeinen von der Geselligkeit und dem engeren Familienleben der auten Gesellschaft zurückwies .
Ein reger geistiger Verkehr , ein wenigstens nach Außen hin zufriedenstellendes Zusammenwirken mit den ersten Künstlern Deutschlands , unter der Leitung eines gebildeten Intendanten , unter dem Schutze und unter den Augen eines Königs , der einen Teil seiner Abendstunden regelmäßig in dem Theater zubrachte , das waren andere Lebensbedingungen als diejenigen , unter denen Hulda bisher gelebt hatte .
Das Gehalt , welches man ihr zahlen wollte , die Aussicht , fortan vor dem gebildetsten Publikum des Landes zu spielen , waren im höchsten Grade lockend .
Was Hulda in den frühen Träumen ihrer Kindheit in märchenhaftem Glanze vorgeschwebt hatte , das stand jetzt plötzlich nahe und erreichbar vor ihr .
Sie hatte es kaum erwarten dürfen , es kaum gehofft , solch ehrender Auszeichnung und einer so sicher festgestellten Zukunft schon so frühe teilhaftig werden zu können : und wer denkt denn in der Jugend , wenn die helle Frühlingssonne in das Freie und in das Licht hinausruft , an die trüben Nebel und an die Winterstürme , welche diesem Sonnenschein vorangegangen sind ?
Die letzten Wochen waren ohnehin für Hulda , wie der Wirt es Emanuel sehr richtig dargestellt hatte , ohne jene Kränkungen und Störungen vergangen , welche ihr das Leben so schwer gemacht , ihr die Ausübung der Kunst verbittert hatten , und auf das Angebot ihrer Dienste als Erzieherin war keine weitere Anfrage an sie erfolgt .
Die einfachste Überlegung mußte ihr also sagen , daß es ebenso unklug als vermessen von ihr sein würde , dem Antrage , welchen man von Seiten des hauptstädtischen Theaters machte , nicht Folge zu leisten .
Indes sie hatte weder all der Widerwärtigkeiten vergessen , welche sie erdulden müssen , noch des Abends , an welchem es ihr in sittlicher Empörung über ihre Lage , unerläßlich erschienen war , sich aus derselben für immer zu befreien , zurückzutreten aus der Öffentlichkeit , und " ihre Seele zu erlösen " , gleichviel um welchen Preis , gleichviel durch welches Opfer .
Und mit der Feder in der Hand , bat sie sich plötzlich noch eine Bedenkzeit bis zum Abend aus .
Der Abgesandte des Hoftheaters zeigte sich erstaunt darüber .
Er kannte jedoch die Künstlerlaunen , und mochte wohl auch glauben , es mit einer jener Berechnungen zu tun zu haben , welche durch zögerndes Bedenken den Wert der Zusage zu höheren wünschen .
Er gestand ihr also das Verlangte zu .
Unten in dem engen Hausflur traf er auf Emanuel .
Er hörte , wie dieser Beaten eine Karte mit der Bemerkung übergab , daß er einen mündlichen Auftrag an das Fräulein habe , und wie Beate ihn ersuchte , in dem kleinen Stübchen zu ebener Erde einzutreten .
" Sonderbar ! " rief Hulda , als das Mädchen ihr die Karte überreichte .
" Sonderbar , daß das eben heute kommen muß ! "
Beate hatte , da das Couvert , welches die Karte einschloß , offen war , der Neugier nicht widerstanden , sie herauszuziehen und zu lesen .
Sie enthielt nichts als den Namen : " Karl von Barnefeld auf Splittbergen " und darunter die Worte :
" Der mir befreundete Überbringer wird die Ehre haben , sich von Ihnen noch einige Auskunft in Folge Ihres Briefes vom * ** zu erbitten , und Ihnen jede Auskunft zu erteilen , welche Ihnen über uns und die hiesigen Verhältnisse etwa wünschenswert erscheinen könnte . "
Es lag für Hulda etwas sehr Beängstigendes darin , daß diese Aufforderung eben noch in dieser Stunde an sie herantrat .
Das Schicksal schien sie recht eigentlich zu einer freien Wahl zwingen zu wollen , damit sie die Folgen ihrer Entscheidung nur sich allein , und nicht den Umständen , zur Last zu legen habe , und sie fühlte sich versucht , den Fremden abzuweisen .
Indes ihre Redlichkeit gegen sich selbst hielt sie davon zurück , und nach flüchtigem Bedenken befahl sie Beaten , ihn heraufzuführen .
Emanuel waren die wenigen Minuten lang , sehr lang geworden .
Nun stand er endlich an ihrer Türe , im nächsten Augenblicke stand er vor ihr selbst , und den Aufschrei unterdrückend , der sich auf ihre Lippen drängte , trat sie rasch vor ihm zurück .
Sie mußte sich an die Lehne des Sessels halten , die Sinne drohten ihr zu schwinden .
Auch ihm krampfte sich das Herz zusammen .
Er sah in ihrem Antlitz keinen Strahl von Freude , und er hatte ja keinen , auch nicht den kleinsten Beweis dafür , daß Hulda ihn noch liebte .
Sein Wünschen , sein unberechtigtes Hoffen , wie leicht konnten sie ihn betrogen haben .
Ich hätte sie vorbereiten müssen ! sagte er zu sich selbst .
Ich hätte nicht so kommen dürfen .
Hulda bot vergebens alle ihre Kraft auf .
Es dünkte sie wie ein Hohn , daß Emanuel im Auftrage eines Dritten zu ihr kam , und sich endlich überwindend , versetzte sie :
" Sie zu sehen , Herr Baron , hatte ich freilich nicht erwartet ! "
Der Zwang , den sie sich antat , machte , daß ihre Stimme fremd und kalt sein Ohr berührte .
Starr und schweigend standen sie einander gegenüber .
Das hielt Emanuel nicht aus .
" Sie haben Recht ! " rief er mit einer Lebhaftigkeit , in welcher seine Unruhe , seine angstvolle Freude , sich hörbar machten .
" Zu alle den Sünden , die ich gegen Sie begangen habe , kommt meine heutige Vermessenheit hinzu .
Ich hätte nicht kommen sollen , und ich werde auch nicht lange bleiben . "
" Herr Baron ! " fiel ihm Hulda in die Rede , und sie faltete die Hände über ihre Brust , während ihr Auge sich besänftigend auf das seine richtete .
" Sie haben Clarisse wieder gesehen , " sagte er , " Clarisse war bei mir .
Sie hat mir wiederholt , was sich zwischen ihr und Ihnen an jenem Tage begeben hat .
Sie war voll Liebe , voll Bewunderung für Sie ; aber sie glaubte annehmen zu müssen , daß Ihre Laufbahn nicht ganz , nicht in jedem Betrachte , Ihren Neigungen entspräche .
Ich habe das beklagt , ich konnte nicht aufhören , daran zu denken . "
Er hielt plötzlich inne , seine heftige Bewegung ließ sich kaum bemeistern , seine ganze Seele wallte ihr entgegen .
Sie hatte sich niedergelassen , er saß ihr gegenüber .
" Vor wenig Tagen , " hob er wieder an , " vor wenig Tagen kam mein alter Freund , mein Gutsnachbar , Herr von Barnefeld zu mir .
Er gab mir den Brief zu lesen , den Sie der Zeitungs-Expedition gesendet hatten .
Er wollte wissen , ob ich Sie kenne , da Sie sich auf den Gütern meines Neffen heimisch genannt hatten .
Urteilen Sie selber , was ich dabei empfand ! "
-- Und wieder brach er in seiner Rede ab , bis er , als müsse er es vom Herzen haben , rasch hinzusetzte :
" Ich mußte glauben , daß Sie die Bühne verlassen wollten -- " Ich war in der Tat dazu entschlossen , ich hielt es für unerläßlich ! " sagte Hulda in gleicher Ergriffenheit wie er selbst .
" Aber Sie sind anderen Sinnes geworden .
Sie haben den Vorsatz aufgegeben ! " warf er ihr rasch ein .
" Wie sollten Sie auch nicht ?
Ich begreife das vollkommen .
Es war töricht , Sie noch erst zu fragen . "
Seine sonstige maßvolle Gemessenheit hatte ihn ganz verlassen .
Er sprach ohne rechten Zusammenhäng , abgebrochen , hastig , wie die ihn bestürmenden Gedanken ihm nach einander kamen .
" Ich erfuhr es schon gestern , was man Ihnen anträgt .
Wie könnte Ihnen auch neben den glänzenden Aussichten , die sich vor Ihnen auftun , noch annehmbar erscheinen , was Ihnen zu bieten , von Ihnen zu erbitten , ich gekommen war . "
- " Sie , von mir erbitten ? rief Hulda , und zum erstenmal hörte er in ihrer Stimme den alten , seelenvollen Klang .
" Ich habe Sie gestern Abend gesehen , bewundert ! " sagte er .
" Sie sind eine treffliche Künstlerin geworden .
Sie werden die große Welt dereinst zu Ihren Füßen sehen -- "
" Herr Baron ! " stieß sie mit bebender Lippe hervor .
" Ich , " fuhr er fort , " ich ? --
Was kann ich Ihnen dagegen bieten ?
Wie könnte , ja wie dürfte ich fordern -- da ich nicht zu halten wußte , was ich einst besaß ! " rief er , seiner selbst nicht länger Meister .
Sie schlug , sprachlos in ihrem Entzücken , ihrem Ohr , ihren Sinnen nicht vertrauend , die Hände zusammen und hob sie wie im Gebete gegen ihre Stirn .
" Ist es denn möglich , kann es denn sein ? " sagte sie kaum hörbar .
" Sieh , " fuhr er fort , indem er ihre Hände ergriff und fest und leidenschaftlich in die seinen preßte , " wenn Du vergessen könntest ! wenn Du verzeihen könntest , wenn Du mich noch liebtest ! "
" Und was habe ich denn getan , als Dich lieben all die lange Zeit ! " rief sie und hing an seinem Halse .
" Was ist denn mein Trost gewesen in mancher Stunde bitteren Kummers , als der Gedanke , daß Du mich doch einst geliebt hast ! "
Sie konnten Beide nicht mehr sprechen .
Sie hatten einander umschlungen , Freudentränen löschten die Erinnerung all der Leidensjahre aus .
Wie sie sich emporrichteten und die stürmische Erregung sich in ihnen zu sänftigen begann , fiel ein heller Sonnenstrahl durch das Fenster .
" Ich habe so lange keinen Frühling auf dem Lande mehr gesehen ! " sagte Hulda .
Sie standen am Fenster , er hatte seinen Arm um sie geschlungen .
" Er wird Dir in meiner Heimat keine Lorbeeren bringen , " sagte Emanuel .
" Aber Kornblumen habe ich , Kornblumen ohne Zahl ! und Du flichtst Dir wieder Kränze . "
Sie lächelte ihn mit verklärtem Antlitz an .
Dann standen sie noch einmal lange schweigend beieinander .
Sie mußten sich erst finden in ihr eigenes Glück , verstehen lernen und sich überzeugen , wie nun Alles so gewandelt war .
Sie waren noch dieselben , und waren doch Beide völlig Andere geworden .
Emanuel betrachtete mit liebevoller Neugier den Raum , den sie so lange bewohnt hatte .
Der Kontrakt lag noch auf ihrem Tische .
Er fragte , was es sei , sie reichte ihm das Blatt zum Lesen hin .
Die kleine Genugtuung mochte sie sich nicht versagen .
" Du bringst ein großes Opfer ! " sagte er .
" Wenn Du wüßtest , aus welcher Welt Du mich entführst , Du würdest es für eine Erlösung halten ! " entgegnete sie ihm .
" Und ich hatte einst in dem phantastischen Spiele meiner kindischen Einbildung gemeint , Deine Erlöserin werden zu können . "
" Bist Du mir es nicht gewesen ? bist Du mir es nicht in dieser Stunde wieder ? " sprach er .
Deine Treue , die ich nicht verdient habe , ist Deine Liebe mir nicht Erlösung von der Sünde , die ich gegen Dich begangen habe , von der Reue , die ich stets in mir gefühlt , so oft ich Deiner dachte ?
Und ich dachte Deiner immer ! selbst wenn ich Dich vergessen , mich betrügen wollte .
Es war vergebliches Bemühen .
Du warst in mir lebendig immerdar . "
Er streifte den kleinen Ring von seiner Hand .
" Willst Du ihn wieder tragen , Hulda , den armen kleinen Ring , den Du verstoßen hattest ?
Soll es nun Wahrheit werden , das schöne alte " Dich und mich trennt Niemand ? "
" Niemand ! " rief sie und steckte den kleinen Talisman an ihren Finger .
-- " Nein , Niemand mehr ! "
Zweiunddreißigstes Kapitel .
Beate klopfte an die Türe .
" Herr Direktor Holm ! " meldete sie und sah es noch mit Staunen , wie Emanuel die Geliebte aus seinem Arme frei ließ .
" Da trennt man uns ja schon ! " scherzte er .
" Nicht auf lange , " gab sie ihm ebenso zur Antwort , " und unser Direktor liebt die Stücke , die zufriedenstellend enden .
Er soll der Erste sein , dem ich mein Glück verkünde . "
" Er wird der Erste sein , der es mir mißgönnt ! " sagte Emanuel , als der Direktor schon vor ihnen stand ; und in der Tat hatte er sich nicht in der Voraussetzung geirrt .
Der Direktor mochte Hulda nicht gleich missen .
Er wollte nicht davon reden hören , sie sofort der Verpflichtung zu entheben , die sie noch für die beiden Monate an seine Bühne band .
Indes Emanuel zeigte sich nicht karg , und der Direktor war der Mann , sich in feststehende Tatsachen schnell und gewandt zu finden , und Aushilfe zu schaffen , wo sie gefordert war .
Alles in Allem genommen , sah er Hulda lieber die Bühne ganz verlassen , als zu einer anderen übergehen .
Nur Eine Bedingung stellte er , sie sollte noch einmal auftreten , nicht ohne Abschied von der Bühne und von dem Publikum scheiden ; und sie selber teilte diesen Wunsch .
Emanuel lehnte sich nicht dagegen auf , vorausgesetzt , daß es nicht auf irgend eine theatralische Abschieds-Scene hinauslaufen solle , wie sie Feodore vorbereitet worden war , und daß die Wahl des Stückes Hulda überlassen blieb .
Holm war damit gleich einverstanden , Hulda entschied sich für die Rolle der Iphigenie .
Mit dieser erhabenen Dichtung wollte sie von der Bühne Abschied nehmen , in der Verklärung dieser Rolle noch einmal vor den Augen ihres künftigen Gatten erscheinen , Iphigenies Scheideworte sollten auch die ihren werden .
Das Gerücht , daß Hulda das Theater verlasse , war schon am Abende unter den Schauspielern verbreitet .
Am nächsten Tage brachte die Zeitung die Kunde von ihrer bevorstehenden Heirat mit einem der reichsten Edelleute des Landes ; und die flüchtigen Mitteilungen , welche Hulda in ihrer Freude dem Direktor über ihre frühere Verlobung mit Emanuel gemacht hatte , waren in jener Nachricht schon zu einem kleinen Romane aufgeputzt , der von der Wahrheit nicht allzu ferne blieb .
Die Gräfin befand sich in dem Schlosse des Fürsten , als Emanuel ihr seine Verlobung mit Hulda meldete .
Clarisse zeigte sich über das Ereignis von Herzen froh .
Sie rief den Fürsten ausdrücklich zum Zeugen dafür an , daß sie es schon bei ihrem Besuch im Falkenhorst vorausgesehen , daß sie darauf eine Wette mit ihrem Manne habe eingehen wollen .
" Und , sagte sie , " nun kommt ja auch die alte unheilvolle Familiensage zu ihrem Rechte , und der böse Bann wird jetzt gebrochen sein ; denn nun kommt ein neues junges Blut in das alte Haus , des Zwergenkönigs Zorn zu sühnen . "
" Nur daß das junge Blut sich nicht zum Opfer bringt ! " wendete die Gräfin ein .
" Ein Opfer wird trotzdem gebracht , " bemerkte der Fürst , " und in der Tat kein kleines .
Emanuel verzichtet mit dieser Heirat für seine Descedenten auf das Majorat . "
" Das erwähnt er ganz ausdrücklich , " sagte die Gräfin , " obschon es sich von selbst versteht .
Die Güter , heißt es in einem Briefe , würden einst nach seinem Tode meinem Sohne oder meinem Enkel in einem anderen und besseren Zustande übergeben werden , als derjenige gewesen sei , in welchem er sie überkommen habe .
Er aber denke , falls ihm , wie er hoffe , eine eigene Familie erwachsen sollte , für seine Kinder in einem , von jeder aus der Vergangenheit stammenden Verpflichtung und Beschränkung freien Grundbesitz , eine neue und würdige Heimat zu begründen . --
Die Namen Graf Branden und Falkenhorst klingen übrigens sehr gut zusammen ! " sagte sie nach einer Weile , während sie mit dem Silberstift , den sie in Händen hielt , den Vornamen ihres Enkels mit dem Zusatze " Graf Branden-Falkenhorst " in schönen , klaren Lettern auf den vor ihr liegenden Brief des Bruders schrieb .
Der Vorteil , der ihren nächsten Angehörigen durch Emanuel's nicht ebenbürtige Heirat erwuchs , söhnte sie bis zu einem gewissen Grade mit derselben aus ; und weil Hulda den Wunsch geäußert hatte , in der Heimat , in ihres Vaters Kirche , mit Emanuel verbunden zu werden , erklärte auf Clarissens Zureden und auf das Anmahnen des Fürsten , der sich Emanuel noch näher angeschlossen hatte als vordem , die Gräfin sich bereit , Hulda in ihrem Schlosse zu empfangen , und mit dem fürstlichen Paare der Trauung beizuwohnen , die sofort erfolgen sollte .
Dreiunddreißigstes Kapitel .
Mamsell Ulrike war wie aus den Wolken gefallen , als der Amtmann eines Morgens aus der Posttasche den Brief herauszog , der die Nachricht von der Verlobung Emanuels mit der Pfarrerstochter brachte .
Sie konnte es gar nicht fassen , konnte sich nicht darein finden .
Es kam ihr Alles gar zu sehr auf einmal , gar zu schnell über ihren alten Kopf , obschon sie ihn noch immer auf dem rechten Fleck hatte .
So zeitig im Jahr , fast noch im Winter , waren die Herrschaften niemals in das Schloß gekommen ; und nun kamen sie mit Hulda , für welche die Zimmer neben den Gemächern der Fürstin eingerichtet werden sollten .
Sie kam vor lauter Nichtbegreifen und Verwundern mit der Arbeit nicht vom Fleck , und fand vor lauter Arbeit , wie sie sagte , nicht die Zeit , sich nach Gebühr darob zu wundern , daß Simonenens Tochter nun eine Baronin , und zwar eine Baronin Falkenhorst , und die Schwägerin der Frau Gräfin , und die Tante der Frau Fürstin werden sollte .
Sie nannte es unbegreiflich , daß der Bruder das Alles hinnahm , als müsse es so sein ; daß er einfach sagte , es sei im Grunde doch nur in der Ordnung , wenn ein Ehrenmann , der gehandelt , wie er nicht hätte handeln dürfen , endlich zu der rechten Einsicht komme und sein Wort wahr mache , wie es sich gehöre .
Er wolle weiter nun auch gar Nichts sagen ; auch von der Hulda und von ihrem Fortgehen weiter Nichts .
Wenn der Baron sie heirate , so sei das ja ein sicheres Zeichen , daß sie sich gut gehalten habe , und daß ihr Nichts zur Last zu legen sei .
Im Übrigen sei es auch nicht ihre Schuld allein gewesen , daß sie heimlich in die Welt und auf's Theater gegangen sei .
" Denn , unter uns gesagt , Schwester , " sprach er , indem er ihr gut gelaunt auf die Schulter klopfte , was sonst nicht seine Art war , " mit Dir , Schwester , ein ganzes langes Leben auszukommen , das ist kein Kinderspiel , dazu gehöre ich ! "
Sie tat , als nähme sie es übel , indes sie lachte doch dabei .
Es gab nun auch im Schlosse wieder etwas Ordentliches zu tun , und sie war neugierig , zu hören , wie das Alles so gekommen war .
Hulda hatte es dem Pfarrer zwar in einem langen Briefe ausführlich geschrieben , den die junge Pfarrerin selber in das Amt gebracht und vorgelesen hatte , und den sie edel und schön , und wer weiß was sonst noch Alles , geheißen hatte .
Indes Ulrike meinte , das , was sie eigentlich wissen , und das , was sie hören möchte : vom Theaterleben , von den Komödianten und auch sonst derlei , das stände nicht darin ; das müsse ihr die Hulda selbst erzählen , wenn sie nicht zu hochmütig dazu geworden sei .
Hulda aber hatte , als sie im Schutze ihrer neuen Anverwandten in das Schloß und in das alte kleine Pfarrhaus kam , die Herzen bald sich wieder zugewendet .
Wie im Märchen sich Alles schön gestaltet , wenn das rechte Zauberwort einmal gefunden und ausgesprochen worden ist , so hell und klar legte sich Alles nun für sie zurecht , wohin sie immer kam ; und der Tag des Frühlingsanfanges wurde für die Einsegnung ihrer Ehe mit Emanuel bestimmt .
Am Abende , welcher der Trauung voranging , schickte der Postmeister einen Brief per Estafette in das Schloß .
Er kam von Konradine und dem Prinzen .
Sie sendeten dem Brautpaare ihre Wünsche .
" Sie Beide glücklich zu wissen , " schrieb die Prinzessin , " hatten wir nötig , um unseres eigenen Glücks in ungetrübter Freude genießen zu können ; und so lassen Sie uns an einander freien Herzens mit treuen Segenswünschen denken , bis hoffentlich in nicht zu ferner Zeit , unsere Lebenswege sich wieder berühren , und gute gemeinsame Stunden uns an ihre mannigfachen Vorgänger anmutig erinnern . "
Es war ein heller , klarer Morgen , als die stattlichen Kutschen das Brautpaar und seine Angehörigen aus dem Schloß hinab in das Dorf zur Kirche führten .
Der Wind kam frisch vom Meere her , die Sonne entlockte mit ihrer Wärme der braunen , von Eis befreiten Erde ihren ersten Frühlingsduft .
" Den Weg sind wir schon einmal gefahren ! " sagte Hulda , der grausen Winternacht gedenkend , in welcher Emanuel sie aus dem Schlosse in ihr Vaterhaus zurückgeführt hatte und in welcher die Mutter ihr entrissen worden war .
" Der Nacht entsprang der Tag , der uns heute anbricht ! " entgegnete Emanuel , die trübe Erinnerung zu verscheuchen .
" Die Nacht gebar die Liebe , die uns jetzt durch ein schönes Leben leuchten soll . "
Die altvertrauten Klänge der Kirchenglocken sprachen schon von ferne ihren Segen zu dem Worte .
Des Pfarrers tief empfundene Rede gab dem Bunde die Weihe .
Schöner , glücklicher hatte nie eine Braut an des Altares Stufen gestanden .
Selbst die Gräfin konnte Clarissen nicht widersprechen , als diese die Auserwählte ihres Oheims eine königliche Erscheinung nannte .
Sie räumte ein , daß Hulda durchaus präsentabel sei .
" Und zu denken , daß sie eine Komödiantin gewesen ist ! " sagte Mamsell Ulrike heimlich zu dem Bruder .
" Und wie sie den Strauß von emaillierten Kornblumen und Brillanten vor der Brust trägt ! als hätte sie es von jeher so gehabt !
Wenn die Eltern das erlebt hätten !
Man traut seinen eigenen Augen nicht ! --
Und nun soll mir Einer sagen , ich hätte nicht recht getan , darauf zu halten , daß sie es in Küche und Kammer den kleinen Leuten niemals fehlen ließ .
Das bringt Glück und bringt zum Hochzeitstag gut Wetter . "
" Narrenspossen ! " brummte der Amtmann , als die neue junge Freifrau sich nach den Umarmungen und Glückwünschen der Ihren , zu ihm wendete .
Er neigte sich tief vor ihr , sie fiel ihm um den Hals und küßte ihn .
" Sie ist ein Juwel , Herr Baron ! " sagte er , als auch Emanuel herantrat , ihm die Hand zu drücken .
" Sie ist ein Juwel ! " wiederholte er , denn er konnte vor Rührung keine weiteren Worte finden .
" Mir ist sie mehr als das ! " sagte Emanuel ; -- " mir war und ist sie eine Erlöserin . "
CC-BY

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