1. Fernes Gewittergrollen verliert sich im lauten Treiben des Menschenstroms , der die schwülen Straßen füllt .
Über dem ganzen überspannten , überbürdeten Menschentum lastet die große Sonnenhitze und die Enge der Gassen , die Höhe der Häuser .
All diese Menschen sind so eingezwängt , wenn sie es auch nicht klar wissen .
Die Enge der Herzen , die Enge der Köpfe und Gesinnungen , der Höfe und Gänge , die Enge der Stuben , der ganze Brodel in dem sie leben , alles lastet und drückt und macht sie stöhnen und stimmt sie unbewußt sehnsuchtsvoll , unbewußt unzufrieden .
Da kam der erste große , freie Donnerschlag .
Oho !
Darauf ein verdächtiges Schauerlüftchen , das den fettigen , feuchten Straßengesichtern den Staub entgegenbläst .
Alles wirbelt .
Das , was einst lebte und nun als ekler Staub geduldig liegt , beginnt zu tanzen - tanzt und fährt den Lebenden widrig in die Augen und bedrängt sie .
Es kommt ein Hasten in die stumpfsinnige Menge , so ein gesundes natürliches Hasten , das der Herdentiere .
Wie sie laufen , als ob sie aus Zucker wären und die schweren frischen Regentropfen an ihnen lecken und auflösen würden .
Und wie wohl tun diese schweren Tropfen !
Auf den Glutheißen Steinen geben sie dunkle , talergroße Flecken und dem aufgehäuften Staub lassen sie lebendigen Erdgeruch aufsteigen .
Blitz und Donner und die schweren gesegneten Tropfen !
Wenn die in den Städtequalm hineinfahren , das ist etwas !
Ein Hochgefühl zum aufjauchzen !
Nur immer ärger ! immer toller !
Die braunen Güsse , die durch die Rinnen jagen , die braunen Teiche und Tümpel auf Schritt und Tritt , in denen die Tropfen aufspringen und hüpfen und spritzen !
Das ist lustig .
Und die staubkrustigen Bäume mit dem früh hinsterbenden Laub , wenn in sie die Regenflut rauscht , wenn die nicht wissen , wohin mit dem Überschwall von Frische - da lacht einem das Herz .
Nur immer ärger - immer toller , wenn auch ein paar Äste daran glauben müssen !
Und die Straßen so rein gefegt vom Gesindel !
Das tut wohl !
Da sind sie einmal verscheucht , die Alltagsgesichter !
Hei - wie das schön ist !
So sauber , so morgenfrisch !
Wenn sie sich doch so bald nicht wieder herauswagen wollten !
Aber die kommen wieder ; ganz gewiß , - das weiß man schon .
* Auf einem alten merkwürdigen Platz , hinter der griechischen Kirche , haben sie eine Fleischbank abgetragen , um eine große Markthalle zu bauen und sind dabei auf menschliche Gebeine gestoßen , - auf eine so große Anzahl von Gebeinen , daß es den Leuten Angst und bange wurde .
Auf so etwas waren sie jahraus , jahrein getreten , bei ihren Einkäufen , ihren Spaziergängen und bei manchem Stelldichein .
Gerade an der Straßenecke , in dem dunklen Winkel , der abends so ungestört , so einladend war , auf dem so viel Generationen heimliche Küsse getauscht haben , hat so ein Großer , Langer gelegen , kaum einen halben Meter unter den Pflastersteinen , so gut noch beisammen , so langgestreckt , und die hohlen Augen gen Himmel gerichtet .
Auf solch einem Grausen hatten die Pärchen also immer gestanden .
Hunderte hatten tagsüber den Platz umlagert und auf das Schauerhandwerk der Arbeiter geschaut .
Die Knochen wurden aus dem dunkelbraunen Sand herausgewühlt und in große Kisten gelegt .
Ein fideler Kapuziner , der zur Beaufsichtigung der Angelegenheit beigegeben war , hatte hin und wieder den Deckel einer Kiste gehoben und schmunzelnd Umschau über seine Schutzbefohlenen gehalten .
Es waren halte auch Kapuziner gewesen , diese braunen Knochen .
Der Kapuziner hatte daher etwas ganz Kollegialisches im Verkehr mit ihnen .
" Wir sind vom selben Orden .
Ich kenne eure Schliche , Fratres . "
Er wog einen Schädel in der Hand - und schmunzelte .
Er wog einen Schenkelknochen und schmunzelte , nahm es , Gott Lob , von der leichten Seite .
Und das alte Bahrtuch , das über jede der großen Kisten gebreitet war , deckte er allemal vorsorglich darüber , wenn wieder ein Schupp Knochen eingeschüttet war .
Ehre , wem Ehre gebührt .
Dabei schmunzelte er nicht , das nahm er ernst .
Die Schulbuben waren wie versessen auf das seltene Schauspiel , und auch die alten Weiber hatten gestanden und gestanden ohne Aufhören .
Was tut nicht so ein altes Weib , wenn_es was zu sehen gibt .
Da haben sie Kräfte wie Dämonen .
Die Schulbuben hatten sich um die uralten Sarghenkel gerauft , die hin und wieder zu Tage gefördert wurden , verrostet und wie in eine Schicht von Kies eingebacken .
Es waren Altertümer - wirkliche Altertümer , die Jahrhunderte bei den Toten gelegen - also ganz echt , wahre Schätze .
Über diesen Haufen neugieriger Lebewesen , die sich um die armen Knochen drängten , war das Hochgewitter hereingebrochen .
Der erste , große , freie Donnerschlag hatte auch sie überrumpelt , und der mächtige Regenguß sprühte die Menge an und vertrieb sie .
Sie waren wie weggewaschen , - auch der Kapuziner und der pflichtgetreue Schutzmann ; nur die Knochen unter den zerrissenen triefenden Bahrtüchern blieben über der aufgewühlten Erde , die im Nun zu einem braunen Tümpel umgestaltet war .
* Ein Schädel war vom Regenstrom aus dem Sande frei gespült .
Er lag mitten im Wassertümpel .
Seine Glatze schaute ein wenig darüber hinaus .
Die Wellchen spülten um die kleine beinerne Insel .
Aus dem Fenster eines großen Zinshauses schaute ein Mädchen auf den eirunden gelblich bräunlichen Fleck .
» Ein Stein « dachte sie - » oder ? «
Schon lange hatte sie sich am Fenster aufgehalten und hinausgesehen , bald halb kniend , auf dem Stuhl , bald im Stuhl lehnend , die jungen Hände um das Knie gefaltet ; bald hatte sie mit den Fingern am Fensterglas leise geklimpert oder eine Lockenspitze zwischen die Zähne genommen und daran geknabbert .
Der kleine feste Kopf mit dem dunklen Geschau , prächtig frei aus dem schlanken Hals sitzend , war unverwandt auf das geschäftige Wühlen der Arbeiter gerichtet .
Wenn sie da unten wieder einen Fund getan , ist sie immer mit ganzer Seele dabei gewesen .
» So etwas ! - so ein Glück , die grausliche Geschichte vor dem Fenster zu haben !
Wie gut , daß sie hier gemietet hatten ! «
Sie sah so befriedigt aus .
Über ihr , am weißen , verwaschenen Fenstervorhang , hängt ein fünffaches Kißchen , eins über dem anderen , aus gelbem Atlas , ein Riechkißchen mit Irispulver gefüllt , und dieser trockene Duft berührt mit jedem Atemzug ihre Geruchsnerven .
Das Zimmer , in dem sie sich aufhält , paßt nicht gerade gut zu der verwöhnten hingerekelt Gestalt des jungen Geschöpfes .
Es hat etwas Spießbürgerliches , etwas Verbrauchtes , etwas , aus dem sie herausgewachsen ist .
Es sind da auch zwei Seelen in dem einen Raum zu spüren .
Zwei grundverschiedene Seelen , mit grundverschiedenen Angewohnheiten .
Das eine schmale Bett mit einem roten , altertümlichen Stück Damastseide zugedeckt , das nach einer Altarverkleidung aussieht ; das andere Bett ganz unbedeckt und unsäglich sorgfältig hergerichtet , kein Fältchen , keine Unebenheit .
Über diesem Bett hängen Photographien von Familiengliedern , Freundinnen .
Ganze Regimenter Kotillonsträußchen sind zu Sternen und Rosetten geordnet , japanische Papierfächer und allerhand Krimskrams , alles wohl abgestäubt .
An der Wand des Bettes mit der geflickten Purpurdecke ist nichts dergleichen zu sehen ; nur ein paar unausgezogene Originalphotographien nach alten Meistern sind hier mit gelben Zeichenstiften fest gemacht .
Die tiefen , vornehmen Töne unterbrechen das Banale der Wand .
* Die Tür zum Nebenzimmer wird geöffnet und eine weinerliche Stimme sagt : " Hast du denn gar_nichts weiter zu tun ? "
Die Stimme gehört einer langen schlanken Frau mit kleinem Kopf und feiner Gestalt .
" Ach - das ist doch zu arg ! "
Jetzt wendete sich das Mädchen um .
Sie schien zuerst nicht gehört zu haben .
" Mama ? " antwortete sie .
" Tust du denn auch gar nichts ? "
- dieselbe weinerliche Stimme .
" Was soll ich denn tun ? "
" Siehst du denn nicht , wie ich mich plage ? "
" Ach Mama . "
Es lag so etwas in dieser gedehnten müden Antwort , als wollte sie sagen :
Laß doch !
Ich weiß wirklich nicht , was ich tun soll .
Du plagst dich doch auf alle Fälle !
" Nun , und Marie , weiß die es etwa nicht ? "
" Ja wohl , gescheiter wäre es aber , ihr liest das Mädel mehr arbeiten , ihr verderbt jedes Mädchen . "
" Werden etwa alle Tage Kapuziner hier ausgegraben ? "
" Das fehlte auch noch !
Wie kannst du da nur immer zusehen ?
Ich bin froh , wenn ich nichts davon gewahr werde . "
" Laß mich doch ! "
" Frau Doktor ! " rief dreimal hinter einander die ungebildete überlaute Stimme des Dienstmädchens vor der Tür .
Und , als hätte ihr Vorgesetzter gerufen , war Frau Doktor Frey hastig zum Zimmer hinausgeschlüpft .
Die junge Isolde seufzte , dehnte sich und hockte sich wieder am Fenster zurecht .
Der Regen hatte nachgelassen .
Der Tümpel auf dem Totenfeld war fast eingekrochen .
Schimmernde Wasserblasen saßen im Sande und platzten und ließen einen feinen schwarzen Ring zurück , aus winzigen Kohlen- und Holzteilchen gebildet .
Auch der ganze Tümpel hatte die verschiedenen Stadien seines Einkriechens mit schwarzen Linien bezeichnet - Trip , trapp , troll .
Hier hatte er ein wenig gezögert , hier wieder , hier wieder .
Es war wie eine feine Linienarbeit .
Die kleine beinerne Insel , um die die Wellchen des Tümpels gespült hatten , der Schädel , lag jetzt ganz frei ; auch um die Stirn saß das schwarze Linienwerk in perlmutterschimmernden Bläschen und leichtem Wasserschaum .
Das alles sah das junge Mädchen .
Sie hatte aus einem Schubfach ein Opernglas genommen und hielt es auf den Schädel gerichtet .
Dann ging sie im Zimmer auf und nieder , ganz nachdenklich und nahm dann wieder das Opernglas .
Die Dämmerung brach herein und am Himmel drohten schwarzblaue Wolken zu neuem Regenguß .
Es kam ein Nachtrab .
Vielleicht erst jetzt das Wahre !
Auch der Wind hatte sich wieder erhoben .
Die Leute rannten schon mit aufgespannten Regenschirmen .
Des Mädchens ganzes Benehmen wurde ein unruhiges ; etwas Unschlüssiges lag in ihren Bewegungen .
Sie wanderte weiter im Zimmer auf und ab .
Jetzt öffnete sie den Schrank , griff nach dem Hut , band ein Schleierchen vor , vorsichtig huschte sie aus dem Zimmer ; draußen nahm sie ihren Regenmantel um , ging dann zur Korridortür hinaus , und unter dem Regenschirm gerade über das aufgewühlte nasse Erdreich .
Mit einem leichten blitzschnellen Niedertauchen hatte sie etwas ergriffen und schüttelte sich vor innerem Ekel .
Sie schaute sich ängstlich um und vor der Haustür blieb sie wieder aufatmend stehen .
Wie ihr das Herz schlug !
Aber , was sie wollte , hatte sie .
Und etwas später wäre sie von den Arbeitern überrascht worden .
Sie hörte sie kommen , auch der Kapuziner war unter ihnen .
Sie murmelten und lachten ; der Kapuziner hatte etwas Drolliges gesagt , wie es schien .
Sie waren alle sehr guter Laune , denn sie hatten während des Regens im nächsten Gasthaus eins getrunken .
Durch die enge Jungfernturmgasse , die auf den Platz mündet , kam ein Leichenwagen gefahren , und stand bald vor dem kleinen Totenfeld .
Isolde hielt den Schädel unter dem Regenmantel verborgen .
Unausgesetzt dieses Ekelgefühl und das Grausen - auch ein Gefühl der Schuld , so geheimnisvoll anziehend , wie aus einer anderen Welt .
Die Kisten wurden von den Arbeitern gelupft und in den Wagen geschoben .
" Fahrt hin , ihr nassen Deiwel , " sagt einer .
" Herrschaft , seid es ihr schwer ! " ein anderer .
" Die haben sich zu guter Letzt noch tüchtig eins angedudelt . "
Isolde drückte sich voller Grauen eng an die Haustür an und erst als der gefüllte Leichenwagen dumpf davon rollte , trat sie ein .
" Du bleibst eben bei mir " , sagte sie warm und trug ihren sonderbaren Schatz die Treppe hinauf .
Oben angekommen , warf sie Hut und Mantel ab und ging mit dem Schädel in der Hand in die Küche .
Die Magd kreischte auf .
Sie kreischte , ohne aufzuhören .
Isolde kehrte sich nicht daran und hielt den Schädel unter den Strahl der Wasserleitung .
" Das erfrischt , " sagte sie gutmütig .
Frau Doktor Frey bügelte mit ihrer ältesten Tochter im Nebenraum .
Auf das Geschrei des Dienstmädchens kamen sie herbei .
" Isolde ! " schrie auch Frau Doktor Frey außer sich .
Isoldes Schwester verbarg das Gesicht in der Schürze , und wagte gar nicht aufzusehen .
" Schön ist er doch ! " meinte Isolde gemütsruhig .
Sie hob den Schädel mit beiden Händen hoch .
" Daß du mir jetzt mit dem Ekel gehst !
In der Küche so 'ne Schmutzerei ! -
Pfui Tausend ! "
" Wir haben ja doch alle so einen unter dem Gesicht - was ist da weiter ? "
Sie ließ sich nicht irre machen , besprühte den Schädel von neuem unter dem Wasserstrahl .
" Ide göh doch - ich bitte dich - mir wird ganz schlecht . "
Das war so eine weiche , weiche Stimme und diese Stimme kam aus einem Geschöpf , das wie von Samtschimmer umgeben war - dazu rötlich blonde Haare , eine ganze Symphonie von Weichheit .
" Sammtaff ' " hatte Isolde ihre Schwester Marie getauft und titulierte sie jetzt so .
Jetzt ging sie und nahm den Schädel mit sich .
" So was ! " sagte die Köchin und schüttete einen Eimer voll Schmutzwasser in den Ausguß .
" Mi beutelt ganz , der soll doch net etwa im Hause bleiben ?
Saftig .
- Das möchte feierlich werden . "
- * Isolde hatte ihre Türe geschlossen und war eifrig dabei , ein kleines hölzernes Postamentchen , ihrem Bett zu Füßen , an die Wand zu nageln .
Sie schlug den Nagel mit dem Absatz ihres Hausschuhs ein , so fest wie es mit diesem Werkzeug gehen mochte .
Zuerst hatte sie den Rücken ihrer Hausbürste benutzt , als sie aber die Nägelmale in dem polierten Holz merkwürdiger Weise wahrnahm , war sie bedächtig genug gewesen , nach etwas Anderem Umschau zu halten .
Auf das Postamentchen wurde der Schädel gesetzt .
Und wie er seinen Platz eingenommen hatte und mit seinen hohlen Augen geheimnisvoll grinsend über das purpurne Bett hinwegsah , geschah etwas ganz Wunderliches : des Schriftstellers Heinrich Ewald Frey's Tochter , Isolde , im glücklichen , zu allen Überschwenglichkeiten geneigten Alter von siebzehn Jahren , fiel auf die Knie , reckte die Hände zum Schädel aus und sagte mit heißen Tränen in den Augen : " Du Mensch aller Menschen ! "
Über ihr zartes Gesicht mit den tiefen dunklen Augen ging etwas Verzücktes , etwas Überirdisches , etwas Bräutliches , eine wundervolle Verliebtheit , wie sie in manchen siebzehnjährigen Naturen zu Tage tritt , die nicht wissen , wo ein und aus mit der Fülle ihres Wesens .
Und diese süße Liebeswonne schüttete sie über das braune , grinsende Knochengehäuse aus , wie eine Nonne über eine heilige Reliquie .
Sie sah aber einen eleganten jungen Mann vor sich , mit französisch zugestutztem Spitzbart , einer schönen Stirn , in die das kurzgeschorene Haar in scharfem Winkel hineingewachsen war ; einen jungen Mann , der sich im Hochsommer in weißen Flanell zu kleiden liebte .
Ja , es war da etwas , eine Ähnlichkeit in der Kopfform , die ihr verliebter Blick vom Fenster aus entdeckt hatte .
Wie sie das große Geheimnis bewegte !
Und dieser Schädel war so neutral .
Sie vergab sich nichts .
Ihm gegenüber gingen die Dinge in einer anderen Sphäre vor sich , in einer Sphäre , in der alles Eins geworden , alles zusammengeflossen ist .
Sie empfand etwas so Beruhigendes und konnte sich gehen lassen .
* Die verriegelte Tür wurde kräftig zu öffnen versucht .
" Deesse ! " rief eine heftige Stimme .
" Sappelot ! "
Wie aus tiefem Schlaf erwacht sagte sie " Papa ? "
" Seid ihr denn alle des Kuckucks !
Ihr wißt doch , daß ich in einer Stunde . . . . "
Da war schon die Tür aufgeriegelt und ein großer blonder Mann mit rötlichem Gesicht , vollem lockigen Haar , das aber auf dem Wirbel einem Glatzchen gewichen war , trat ein .
Eine markige Persönlichkeit .
" Weibergegacker ! -
Draußen laufen sie wie die Hühner umeinand' !
Und was machst du denn hier , Deesse ?
Mein Handkofel sollt doch gepackt sein ?
Ich werde euch Mal Beine machen !
Fertig sollt es sein und die Mutter bügelt noch an den Stärkhemden .
Zum Teufel , - ich will gar keine Stärkhemden !
- Touristenhemden will ich . "
Das kam alles herausgepoltert .
Das ganze Zimmer war voller Lärm und Spektakel , als wäre ein Bergstrom hereingebrochen .
Das war Doktor Heinrich Ewald Frey , Schriftsteller und Allerweltsmann , Vereinsmann , Redner , voraussichtlicher Reichstagsabgeordneter und so weiter .
" Na also , packen wir , " sagte das schöne rassige Geschöpf in aller Ruhe .
" Na also ? -
Großartig !
Was soll denn das » Na also « ?
Fertig hätte es sein sollen .
Tue net so großartig , Deesse ! "
Dabei kniff er sie in die zarte Wange " Götterköpfchen verdammtes ! "
" Wo hast du denn dein Kofel , Pa ? "
" Hab es denn ich ? "
Frau Doktor Frey trat herein und trug das Kofferchen in der Hand .
Auf ihrer Stirn glänzten feine Schweißtropfen .
" Hättest du mir_es nur gesagt , Heinrich !
Gestern abend sollte doch nichts daraus werden bei schlechtem Wetter ? "
" Schlechtem Wetter ?
Ist denn das schlechtes Wetter , wann das Barometer gestiegen ist wie noch nie ?
Schau doch erst nach , ehe du denkst .
Meine Stiefel ! "
" Na , ich meine , wenn es gießt , " sagte Frau Doktor Frey zaghaft .
" Ja , wenn du anfängst zu denken ! " donnerte er .
" Meine Stiefel und die beiden rohseidenen Hemden . "
" Heute machst du dich ja fein , " sagte Isolde .
" Paar Berliner Schriftsteller !
Solchen Gockeln muß man . . . . den Kofferschlüssel !
Herr Gott noch einmal !
Wo ist denn die Marie ? "
" Du hast ja dein ' Schlüssel an die Uhrkett ' gehängt für alle Fälle , " sagte Isolde .
" Vorlauter Schnabel ! "
Der Vater blinzelte ihr zu .
" Wo ist Marie ? "
" Marie bügelt die Stärkwäsche , " sagte die Mutter .
" Wenn der Vater abreist , hat sie dabei zu sein ; wäre ' net übel !
Wenn wir die Idee der Familie nicht aufrecht erhalten , wer soll es denn tun ?
Eins da , das andere dort , der Vater reist ab - kein Hahn kräht danach - das ist ja - weiß Gott - großstädtisch !
Meinen Rucksack !
Marie ! " donnerte er abermals .
Frau Doktor Frey war schon vordem aus dem Zimmer gegangen , um Marie zu holen .
Jetzt traten sie miteinander ein .
" Marie , dein Vater reist ab , " sagte er mächtig .
" Ja Papa .
Auf wie lang denn ? "
" Drei bis acht Tage ' denke ich ; wenn wir das Kaisergebirge mitnehmen , acht Tage . "
" Du Glücklicher ! " sagte Marie aufatmend .
" Hat sich was » Glücklicher « !
Wenn ich mich net zeige - Teufel auch - die tanzten mir bald auf der Nasen .
- Was ist denn das ? " rief er ganz perplex .
Seine Blicke hatten den Schädel gestreift .
Frau Doktor Frey und Marie bemerkten ihn auch erst jetzt .
" Jesses ! über das Mädchen ! " rief die Mutter .
"'nen Kapuziner , Deesse , dumme Gans , was bedeutet denn das ? "
Das Mädchen war errötet bis in die Stirnhaare .
" Zu allererst kommt es bei dem Weib darauf an , daß die Lebensfreudigkeit gewahrt wird , " predigte Doktor Heinrich Ewald Frey wieder mächtig .
" Das ist notwendig , daß das Weib lebensfreudig bleibt . "
Ein strafender Blick streifte Frau Doktor Frey .
" Das Weib soll auch religiös sein .
Ein Schädel hat immer etwas mit Religion zu tun . -
Wenn du dir den Schädel nicht aus Verschrobenheit , aus unverstandenem Pessimismus heraufgeholt hast , mag er bleiben . "
Marie war erblaßt .
" Ide ! " sagte sie zu ihrer Schwester leise , " der soll doch net bleiben ? "
" Papachen , " begann Frau Doktor Frey sanft und freundlich .
" Ehe ' du gehst , - - Karl kann sich nicht auf der Schule halten , - ich glaube Mal nicht .
Ich war auch heute beim Direktor .
Er kommt auch dies Jahr nicht fort . "
" Es muß sich eben ein Hilfslehrer finden , um ihn wieder flott zu machen .
Emil hat es auch geleistet .
Verpimple ihn nur recht ! -
Was nutzt es denn , wenn du bis in die Nacht hinein mit ihm über seinen Arbeiten hockst ?
Dazu gehört ' was mehr als so ein Hennenhirn . "
In das verarbeitete Gesicht mit den schönen Formen stieg eine flüchtige Röte auf .
" Darum eben müssen wir sorgen , daß sich jemand findet . "
" Ich werde am Kegelabend Mal mit dem Direktor reden . -
Weiber sollen die Hände aus dem Spiel lassen !
Möchte wissen , ob hinter mir immer ein Unterrock gestanden hat .
Du mit deinen paar lateinischen Brocken - daß i net lache !
Laß den Jungen in Ruhe ! "
" Hättest du mich gewähren lassen , " sagte die Frau klagend , " wäre Isolde jetzt wenigstens eine Person , die etwas leisten könnte .
Sie würde sich ihr Brot bald selbst verdienen , " - Frau Doktor Frey sprach weinerlich - " wäre ' jetzt schon bald staatlich angestellte Lehrerin . "
" Götterköpfchen , - verdammtes , " lachte Doktor Frey - " Deesse !
Lehrerin ! daß i net lache !
Die soll heiraten , Weib sein !
Gar noch , daß ich meine Bamsen zu so ' was auf die Welt gesetzt hätte .
Ja wohl , Lehrerin oder Gott weiß was noch !
Das Weib ist eben Weib .
Wenn_es net Weib genug ist , um nur Weib zu sein , soll man es tot schlagen ! "
" Aber was soll ich denn mit Karl machen ? " fragte Frau Doktor Frey wieder .
" Siehst du net , daß augenblicklich die unpassendste Zeit für dein Gegraunz ist ?
Willst du mir alle Bamsen gerade jetzt auf den Buckel hängen ?
Sappelot , höchste Eisenbahn ! "
Er fuhr mit den Armen in die Träger des Rucksackes , griff nach dem Köfferchen - und war mit viel Geräusch und Gepolter zur Tür hinaus .
Tiefe Stille , als hätte sich ein Sturm gelegt .
" Weißt du , wie wir vor drei Jahren in Kramsach waren ? "
Marie schaute sehnsüchtig zum Fenster hinaus , dem Vater nach .
" Alle von unseren Bekannten gehen aufs Land . "
" Ja , mein Gott , " sagte die Mutter , " daß trägt_es uns heuer nicht .
Daß die Buben auch gar so viel kosten . "
" Ja , wenn_es nur ein grünes Fleckchen wäre , auf das man schaute ! "
Das war wieder die weiche , weiche Stimme .
" Gehen wir heute wenigstens durch den englischen Garten ? "
" Ja , wenn ich nicht auf Karl warten müßt .
Wo bleibt der denn nur ? der hat ja noch die schwere Menge zu tun ! "
* Karl kam erst spät heim .
Sie hatten lange mit dem Abendessen auf ihn gewartet .
Er war bei Emil gewesen , der auswärts wohnte und Emil hatte gerade einige Kameraden auf der Bude gehabt .
Die Mutter seufzte , sie dachte sich ihr Teil .
" Das solltest du doch nicht , bevor du deine Arbeiten gemacht hast , zu Emil gehen .
Die setzen dir Gott weiß was in den Kopf , Karl .
Studenten sind kein Verkehr für dich . "
" Mama , " sagte der Bub , " rede doch net . "
Er sprach nachlässig , schläfrig .
Seine Backen sind außerordentlich ausgebildet und engen ihm die Mundwinkel ein , so daß der Mund etwas sonderbar Säuglinghaftes an sich hat , trotz einer gewissen bräunlichen Färbung , die ihn umgibt und die mit einigen Härchen bepflanzt ist .
" Mulier taceat in ecclesia , " sagt der Bursche und schiebt ein großes Stück Butterbrot mit Wurst zwischen die Lippen .
" Was hat er gesagt ? " fragt Isolde .
" Das Weib schweige . . . . und so weiter , " übersetzt der liebenswürdige Bruder patzig .
" Zur Mutter hast du das gesagt ? " fragt Isolde ganz bleich .
" Bäh ! " macht der Bruder .
Und im Nun hat er von Isoldes Hand eine so derbe Ohrfeige , daß seine etwas gelbe Wange stark gerötet ist .
" Mama , wie kannst du dir das von dem Flegel gefallen lassen ? "
Karl stürzt wutbleich auf Isolde , die weiß sich aber zu wehren .
" Laß ihn doch , " ruft Frau Doktor Frey , " erbittere ihn nicht .
Du weißt , er muß heute abend noch arbeiten . "
" Ja wohl , ich soll mich schließlich von dem Bengel wiederhauen lassen !
Jetzt müßte noch Emil kommen , der Großhirnmensch , der vor lauter Intelligenz nächstens durch das Examen purzeln wird . "
" Bst - bst ! " machte die Mutter , " Friede - Friede - Bedenke , daß du ein Mädchen bist . "
" Was soll man da bedenken ?
Daß i net lache ! " sagte sie ganz wie ihr Vater .
* Am Abend , beim Ausziehen , als sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatten und die Mutter noch neben Karl in der Wohnstube saß , um den schläfrigen Burschen beim Arbeiten zu überwachen , gab es eine sonderbare Szene zwischen den Schwestern .
" Ide göh " , sagte Marie , " tue ' mir die große Liebe - schaffe den da fort .
Ich kann net schlafen , glaube mir .
Ich mein , er lebt und wenn wir die Augen zumachen fliegt er im Zimmer ' rum und poltert an die Wand . . . Sie hatte ihren Kopf an Isoldes Wange gelehnt .
Da gewahrte sie , daß Isolde heiße Tränen weinte .
" Na , was denn ? "
" Sammtaff , lieber , " bat Isolde , " laß ihn mir !
Es geschieht dir ja nichts .
Er tut ja nichts - und mich freut es so . "
" Wie kann denn dich das freuen , " fragte Marie ganz betreten .
Isolde aber weinte so wild und schluchzend .
" Ich möchte nur wissen , was man vom Leben hat - so was Fad es !
Bei uns is man so wie so geschleckt .
Es könnte ganz anders sein .
- Weißt du was ich glaube ? -
Mama is dumm ! "
Isolde schluchzte herzzerreißend .
" Ide , Mama ist ein Engel ! - tue keine Sünde . "
" Ja , eben ein Engel .
Wer sagt dir denn , daß ein Engel net dumm ist !
Weißt du , es ist komisch , aber manchmal kommt es so :
da möchte ich den Leuten ins Gesicht schlagen .
Alle kriechen sie - alle - wenn man es auch gar nicht merkt .
Keins sagt und tut was es will !
Wir bilden uns nur ein , daß die Leute ' auf zwei Beinen gehen .
Auf vieren gehen sie , - sie kriechen alle .
Mama liegt glatt auf dem Leib - überhaupt fast alle Frauenzimmer - du auch - du erst recht !
Und die Männer erst !
O Gott ! -
und wie !
Und was sie im Grund genommen für philiströse , heuchlerische Institutsvorsteher sind , wenigstens uns gegenüber .
Dann möchte ich noch auf jeden blank gewichsten Zylinder spucken , mitten darauf , wenn unter den Fenstern so einer vorübergeht - mitten auf die kleine , blankgebürstete Sonne , die oben spiegelt .
So eine dumme , steife , kleinliche Sonne .
Ach , wie mich das alles aufbringt .
Und das Häßliche , mit dem man sich umgibt !
Und das nennt man Leben !
Schau her , so ein Gelump wie da herumsteht !
Alles zum Fenster hinaus !
Zum Kämmen ein widerlich riechender Kautschukkamm . -
Ah !
- die riechen alle und machen elektrische Funken !
Pfui ! -
Gold muß es sein oder Elfenbein - dann !
Aber was ist das hier - von allem das Geringste , das Schäbigste .
Talmi und unechte Spitzen !
So gemein ! - so gemein ! so gemein ! "
Sie schluchzte .
" Was ich anfasse , soll schön sein , eine Freude - ein Glück !
Ich will Hemden mit echten Spitzen - echte Spitzen - reines Gold !
Elfenbein !
- auch Perlmutter !
Das ist_es !
Das sind Dinge , die man in die Hand nehmen darf - nichts Anderes !
Ach , wie man lebt , wie ein Schwein ! "
Sie schluchzt und schluchzt .
" Nackt müßte man gehen dürfen und es müßte keine Schande sein .
Nackte , schöne Menschen .
Gold , Elfenbein und Perlmutter ! - das wäre eine Welt ! -
Und dann - immer Seelenräusche .
So , wie meine Seelenräusche !
So herrlich ! - und eine Liebe dazu .
Seelenräusche und ganz wenig Sachen ; aber alles schön zum anfassen , edel bis in den Kern .
Etwa keine japanische Holzpuderbüchse !
Aber wir leben im Schmutz .
Unter ekelhaften Lumpen kriecht das alles wie Gewürm , wie Mehlwürmer in der Kleie - Und alle riechen mufflich - und sind mufflich durch und durch !
Oder , wenn man all das Herrliche , das , was sein müßte , nicht haben kann - dann gar nichts - aber auch gar nichts !
Die Haare mit den Fingern kämmen , ein Strohsack - eine wollene Decke - ein grobes Hemd - einen Strick um den Leib - das ist auch eine Welt ! -
Aber nicht so wie wir !
Pfui der Plunder !
So ein Nähtischchen , so ein Ferkel von einem Nähtischchen !
So ein Tier von einer Bettvorlage !
Pfui !
Pfui !
Pfui !
Pfui ! "
Sie war vollkommen außer sich .
Marie hatte die größte Not die heftige jüngere Schwester zu beruhigen .
Sie kroch zu ihr ins Bett und hielt Isolde an sich gedrückt und vergaß ganz , daß der Schädel grinsend auf sie beide herab blickte .
Isolde schlief in den weichen , süßen Armen ein , ohne in ihr Nachtkleid geschlüpft zu sein , Hals und Arme entblößt .
- Und Marie schlich leise und scheu mit klopfendem Herzen und einem Grausen über den ganzen Leib nach ihrem schneeweißen Bettchen .
Sie fühlte wie der Schädel ihr spöttisch nachsah und sie wagte nicht sich umzuschauen .
Lange konnte sie keinen Schlaf finden und als sie endlich schlief , träumten ihr häßliche Dinge .
Der Schädel lebte wirklich und hatte es immer auf sie abgesehen , so schauerlich zudringlich .
Sie wachte ein paar Mal vor lauter Angst und Schrecken auf , hielt atemlos die Arme auf die Brust gepreßt , lag wie eine Statue so still und ließ alles Grauen , über sich hingehen , ohne sich zu wehren .
Für sie war mit dem Schädel ein nie gekannter böser , banger Geist ins Haus gekommen .
2. Acht Tage war der Vater schon auswärts .
Die Zurückgebliebenen hatten in dieser Zeit auch eine Art Sommerfrische durchgemacht , wenigstens eine Änderung ihrer Lebensweise .
Mit dem Vater zugleich schien allerhand verschwunden zu sein .
Der sogenannte Salon und des Vaters Arbeitszimmer waren sofort , nachdem beide Räume sich einer gründlichen unerbittlichen Reinigung hatten unterwerfen müssen , abgeschlossen worden , und machten jetzt den Eindruck von Kirchen , so still und fast feierlich war es darin , und man lebte in den Schlafstuben .
Das Mittag- und Abendessen hatten ihre Hauptbestandteile eingebüßt .
Gerichte , die wenig kosteten und sich leicht herstellen ließen , waren an der Tagesordnung , Kartoffeln und Hering oder Reisbrei .
Nur Karl erhielt seine Kotelette , die wurde aber der Einfachheit halber gleich fix und fertig aus dem Gasthaus gegenüber geholt , in dem Arbeiter und arme Studenten ihre billigen Mahlzeiten hielten .
Am Abend gab es Rettich und Butterbrot und Karl bekam seine Wurst .
Mama ging den ganzen Tag in der Nachtjacke .
Sie saß mit Marie und Isolde die meiste Zeit über einem Riesenkorb mit zerrissener Wäsche gebeugt .
Zwei Tage hatten sie auch die Schneiderin im Haus und holten zwei Koteletten .
Mama wollte in dieser Zeit helle Sommerkleider für ihre jungen Mädchen aus dem Wirtschaftsgeld herauspressen und war wie ein Jäger auf die Pirsch ausgezogen , um in allen erdenklichen Restegeschäften die Stoffe zu diesen Kleidern zu erlisten .
Und sie hatte auch etwas erbeutet ; hübsche Muhadjierstoffe , den Meter zu vierzig Pfennige .
Wie sie zu Hause damit ankam !
Aufgeregt wie ein Wilderer , der mit Lebensgefahr einen Rehbock erlegt hat und heimgeschleppt bringt .
Isolde hatte eine glänzende Idee , wie diese Kleider gemacht werden sollten .
Anders als andere Leute sie gemacht hätten , ganz etwas Apartes .
" Bleibe mir mit deinen glänzenden Ideen vom Leibe , " sagte die Mutter bei solchen Anlässen gewöhnlich .
Aber diesmal hatte Isolde durchgesetzt was sie wünschte .
Sie bekamen lange Gewänder vom Hals an herabfallend , nur um die Mitte mit einem Seidenband lose gehalten , die Ärmel leicht und duftig wie Blütenkelche .
Und die Mutter schaffte ihnen noch braunlederne feine Halbschuhe an , statt daß sie sich selbst ein Sommermäntelchen gekauft hätte .
Ihr altes ging immer noch ganz leidlich .
Die Kleider waren für beide Mädchen ein Ereignis , ein so viel versprechendes Ereignis .
Die duftigen weißen Wolken mit den rosigen Streifchen trugen wie Zauberwolken alles Glück der Welt in sich .
Wie Heiligtümer wurden sie in den Schrank geschlossen und die Mädchen warteten nun der Dinge , die da kommen sollten .
Ganz umsonst konnten doch solche Kleider nicht im Schranke hängen !
Wegen des Schädels hatte es in dieser Zeit noch manchen Strauß gesetzt ; aber er blieb auf seinem Postament .
Und im Grund war es nur Maries weicher Liebenswürdigkeit zu danken , daß Isolde ihn behalten hatte .
Marie hatte , so schwer es ihr geworden , klein beigegeben .
Ihre behagliche Stube , ihr schneeweißes Bettchen aber waren ihr durch diesen Gast fremd und untraulich geworden , ihre Nächte wurden von schweren Träumen geplagt .
In Maries weicher Seele hatten sich das Bild des Schädels und trübe Vorstellungen , die sein Anblick schuf , tief eingegraben .
Nie hatte sie noch an den Tod gedacht und jetzt war sie beim Dunkelwerden von bangen schreckhaften Todesahnungen ganz umgeben .
Es stand ihr zum ersten Mal greifbar vor der Seele , daß alle Menschen sterben müssen - das schauerliche Ende des wunderschönen Lebens - daß auch Mama sterben mußte !
Bei dem Anblick des Schädels konnte sie unmöglich ihre Phantasie auf das ewige Leben richten , trotzdem sie in der Schule gelernt hatte , daß es ein ewiges Leben gab .
Nein , der Schädel Predigt ihr nur von dem in die Erde kommen , von dem zu Erde werden lieber Menschen .
Arme - arme Mama !
Sie weinte oft nachts .
Hätte sie aber gewußt , weshalb Isolde den Schädel aufgestellt hatte , ihre weiche Seele wäre erschauert und sie hätte das große Opfer nicht gebracht .
Wenn der Schädel wirklich in irgend etwas an Henry Mengersen erinnerte , von dem Isolde ihr gesprochen hatte , nein , dann gewiß nicht .
Marie ahnte aber von Isoldes Geheimnis nichts .
* Es mußte gut zwei Uhr nachts sein .
Alle schliefen , die laue Sommerluft drang durch die offenen Fenster .
Da klang die Glocke kräftig und anhaltend .
Jemand mußte von der Straße aus auf das Läutwerk gedrückt haben .
" Da schellen sie schon wieder , die Studenten unten , " meinte Marie ganz schlaftrunken .
" Der Vater ! "
Isolde saß aufrecht , aus dem Schlaf gescheucht , im Bett .
Auf dem Gang hörten sie schlürfende Schritte und sahen einen Schein durch das Glasfenster ihrer Tür .
" Es ist doch der Vater " meinte Marie .
" Mama schließt die Tür auf . "
Mama wollte nicht , daß die Mädchen die Haustür öffneten , wenn der Vater spät heimkehrte .
Sie sollten ruhig in den Betten bleiben und schlafen .
So blieben sie ruhig liegen .
Ehe die Mutter die zwei Treppen herabgekommen war , klingelte es noch einmal schrill und anhaltend , als stände ein auf Leben und Tod Verfolgter unten , der sich retten wollte .
" So macht_es Pa nachts doch immer , " sagte Isolde .
* " Sappelot noch einmal !
Liegt ihr denn alle miteinander auf beiden Ohren ? "
Das war die Begrüßung , die Doktor Frey fürs erste seiner Frau zu Teil werden ließ , als diese die Tür geöffnet hatte .
" Da bist du ja " , sagte Mama .
" Weshalb hast du denn aber nicht geschrieben ? "
" Daß i net lache !
Liebesbriefe etwa ?
He Alte ? "
Ohne seine Antwort zu beachten , sagte sie :
" Du hättest dann auf den schwarzen Kaffee nicht zu warten brauchen . "
" Spute dich halte . "
Sie nahm ihm das Köfferchen ab und trug es ihm nach .
" Gehe in dein Zimmer , Heinrich ! "
- Da war sie schon dabei , die Küchenlampe anzuzünden .
" Natürlich , " rief Doktor Frey und rumorte mit aller Gewalt an der Tür , " den Schlüssel verschleppt ! "
" Bst ! " machte Mama .
" Du weckst sie ja !
Hier ist der Schlüssel , " flüsterte sie , reckte sich und langte auf den Schrank , der neben der Arbeitsstubentür stand .
" Hier . "
Doktor Frey hielt die Lampe , aber hielt sie bedenklich schief .
Die Frau streifte ihn mit einem einzigen langen Blick , wie ein Heizer etwa auf das Ventil seiner Dampfmaschine schaut , mit unendlicher Sachkenntnis .
Sie nahm Lampe und Schlüssel ihrem Mann aus den Händen und schloß die Tür auf .
" Der Kaffee kommt sofort . "
" Schlafen die Bamsen ? " fragte er ihr nach .
Sie hörte ihn nicht mehr .
Kaum aber brannte die Spiritusmaschine unter dem kleinen Schnellkocher , war er ihr auch schon nachgekommen und stand in der Küche .
Sie schaute erstaunt auf .
Seine Gewohnheit war das nicht .
" Na ? "
Er schaute blinzelnd auf sie .
" Ein zartes Negligé tut oft viel größere Wunder ! " deklamierte er mit mächtiger Stimme " Bst , " machte sie .
Sie stand in der Nachtjacke und in einem grauen Flanellrock vor ihm , die bloßen Füße in Bambuschen .
" Allerliebst , " meinte er .
Er blinzelte weiter .
" Wart ihr alle noch bei einander bis heute ? "
Sie schüttete den gemahlenen Kaffee in den Trichter .
" Unterschiedlich - aber sehr unterschiedlich . "
" Wie ? " fragte sie .
" Unterschiedlich ! " rief er mit donnernder Stimme .
" Was soll denn das heißen , Heinrich ? " mahnte sie mit sanftem Vorwurf .
" Schlafen die Bamsen ? "
" Natürlich . "
" Was sagst du es denn net früher .
Weißt du wo wir waren ? "
" Nein . "
" Heiliger Strohsack , " seufzte er tief auf .
" Ja - nein - nein - ja ! -
wie eine Maschine .
Ein Mann wie ich kommt nach Haus , - Gott sei_es geklagt , ein Mann , den sie die Tage her geradezu gefeiert haben , ein Mann , den sie auf Händen tragen , auf den sie , weiß Gott hören und sich nicht Watte in die Ohren stopfen , wenn er redet ; - ein Prophet - ein - ein - ein - - - und hier !
. . . . . Ich sage dir_es , " donnerte er -
denn er war in Begeisterung .
Er fühlte und sah und empfand sich und seine eigene Größe .
" Stelle dir einen in einem herrlichen Tempel vor , Licht , Glanz - Musik - schöne Weiber !
Er ist der Mittelpunkt .
Lebensfreudigkeit , - Lebenshöhe - und der Erdboden tut sich auf und er rutscht ganz sachte , ohne sich weh zu tun in ein schwarzes Loch .
Da sitzt er nun ! "
- Doktor Frey seufzte tief auf und rieb sich die Nase .
" So kommt einer nach Hause ! "
Mama Maß ihn wieder mit demselben sachkundigen Blick .
Frau Doktor Frey hatte sich angewöhnt , auf das , was ihr Mann zwischen zwei und drei und vier Uhr nachts aussprach , nicht besonders zu achten .
Sie goß jetzt den Kaffee über .
Es duftete anregend und appetitlich .
" So komme , trinke jetzt , " sagte sie , stellte Kännchen , Tasse und Zuckerdose auf ein Tablette und ging ihrem Gatten damit voraus .
Ihre Handlungsweise war die einer Person , die ihrer Natur und der Erfahrung nach durchaus so handeln muß , wie sie handelt .
Es gab da keinen Ausweg mehr .
Aber Doktor Frey mochte heute außerordentlich aufgebracht und unangenehm berührt sein .
Er schlug die Küchentür Mama vor der Nase zu , daß es durchs Haus dröhnte .
Sie beachtete es nicht , öffnete , als wäre nichts geschehen , die Türe wieder , trat gleich hinter ihm drein ins Arbeitszimmer und goß ihm den Kaffee ein .
" Trinke nun , " sagte sie noch einmal .
" Weißt du , laß dich wenden ! " schrie er , " an dem Muster hätte ich mich endlich satt gesehen ! "
Von zwei bis vier Uhr nachts aber war sie undurchdringlich , unbezwinglich , unverletzbar , zu seinem allergrößten Ärger .
Er wußte sich nichts Schlimmeres , denn in dieser Stunde war sie ihm über .
Was hatte er ihr in den letzten Jahren in diesen späten Stunden nicht alles angetan ! - nicht alles gesagt - und hatte doch die Fessel nicht abschütteln können .
Wie eine Zwangsjacke empfand er sie , eine elende verächtliche Jacke - aber er konnte sich doch nicht bewegen , wie er wollte .
Sie hatte sich selbst so ganz verloren , daß sie an sich nichts mehr zu schützen und zu wahren fand .
Es war da nichts Heiliges mehr .
Und darin lag ihre Kraft und ihre Macht .
Nur auf eins hielt sie .
Die Mädchen durften zu dieser Stunde dem Vater nicht vor die Augen kommen .
Aber heute war er auf die Bamsen ganz versessen .
" Sappelot , " rief er mit einem Mal mächtig , " wenn der Vater acht Tage ' net daheim war , wer hat das Recht ihm seine Bamsen vorzuenthalten ? "
Er trat zum Korridor hinaus und rief donnernd :
" Marie ! Isolde ! "
Hoch aufgerichtet stand er wie ein Streiter Gottes , die Brust geschwellt , die Augen mit Mannesmut auf seine Frau gerichtet .
Ein ganz klein wenig hielt er sich am Türpfosten .
Er hatte heute etwas mehr , als die gewöhnliche Bettschwere , mit heimgebracht - etwas mächtig Heiteres .
Unmöglich konnte er sich so zur Ruhe legen , denn er kam von seinem eigenen Triumphzug .
Es war ihm vortrefflich ergangen .
Marie und Isolde traten ein , trugen auch , wie die Mutter , Flanellröcke und Nachtjäckchen .
" Ah ! Spießbürger ! " rief Doktor Frey .
" Ist das 'ne Zucht !
So wie die Alten sangen , zwitschern die Jungen .
Deesse ! daß i net lache .
In a Nachtjacken und Flanellhansel !
Schämt euch net , Bamsen ? "
Die Mädchen sahen verdutzt und verlegen auf ihren Vater .
Sie waren trotz ihrer spießbürgerlichen Morgentoilette herrlich anzusehen in ihrer scheuen Jugendlichkeit , die kleinen rosigen Häupter mit den köstlichen lockigen Haarschöpfen , die eine dunkel , die andere goldig leuchtend , und die jungen vollen Glieder , in weicher Schläfrigkeit .
Mit ihnen schien ein süßer Jugendduft ins Zimmer gekommen zu sein , als wären sie aus einem wundervollen Sommergarten , in dem die Linden , Reseden , Levkojen und Lilien in voller Blüte stehen , hier eingetreten , und hätten einen Hauch dieser Wohlgerüche mitgebracht .
Der Anblick seiner prächtigen Mädchen wirkte auf den Vater unbedingt besänftigend .
" Bamsen ! " rief er , er hatte sich jetzt an das Fenster zurückgezogen und hielt sich ein wenig ans Fensterbrett gestützt .
" Bamsen , ich bringe euch was mit heim .
Freut euch , Mädels ! "
Noch nie hatten die Mädchen ihre Mutter gesehen wie eben jetzt - so alt - so müde - so gleichgültig .
Ihr war soeben ihr letztes Privilegium genommen .
Bisher hatte er noch nie gewagt die Mädchen wirklich zu rufen .
Ein Blick von ihr hatte immer in diesem einen Fall genügt , ein " Bst " .
» Ah so die schlafen , die Bamsen . «
Sie hatte die Mädchen vor diesen nächtlichen Eindrücken behüten wollen , für immer .
Nun war es geschehen .
Und was war denn geschehen ?
Er erzählte ihnen harmlos von einer schönen Frau , die am Starnbergersee wohnt , und deren Gast er jetzt drei Tage gewesen .
Einer der Berliner Schriftsteller hatte ihn dort eingeführt .
" Und euch hat sie eingeladen .
He ?
Was ?
Na , was sagt ihr ?
Übermorgen schon . "
" Wer ist sie denn ? " fragte Marie leise .
" Ja wohl , nur immer vorsichtig Philisterseelchen ! "
Doktor Frey lachte laut auf .
" Die Frau eines Gesandten ist sie .
Genügt das den gnädigsten Bamsen ?
Steinreich !
Ein Weib , sage ich ! "
Doktor Frey berührte seine Lippen mit den Fingerspitzen und schickte einen Kuß zur Decke .
" Ein Weib ! " -
Er war verzückt .
" Ein Götterbild !
Gott , noch einmal , was man sonst so » Weib « nennt ! daß i net lache !
Was für grundgütiges Gansvolk muß unsere edle Weiblichkeit doch sein , daß ich mein Lebtag nichts Ähnlichem begegnet bin !
Da scharren sie so einen armen Teufel ein , ohne daß er ein einziges Mal das gesehen hat , was der liebe Herr Gott doch für ihn bestimmte , das Weib in seiner Vollkommenheit , das vollkommene Weib !
Und durch eure Spießbürgerlichkeit kommt der Mann um sein bestes Teil , das ihm doch von Rechtswegen zukäme .
Nicht einmal rechte Weiber können diese Weiber sein !
Ja , was seid ihr denn eigentlich , wenn man fragen darf ? "
Er schwankte ein paar Schritte auf seine Frau zu .
" Nichtskönnerinnen ihr !
Kinder auf die Welt setzen , Gott seist geklagt und herum nörgeln und daddeln , vom Manne Kleider und Hüte erlisten , dem Manne auf dem Geldbeutel liegen , dem Manne auf die Finger passen .
Wehmutsspritzen , Geldausgeberinnen !
Hemmschuh für alles Große .
Blutige Tränen könnte einer weinen ! "
Er wischte sich über die Augen .
Es war da auch etwas zum Fortwischen .
Frau Doktor Frey hörte ihren Gatten ruhig poltern und verzog keine Miene .
" Aber das grüne Holz ! " donnerte er .
" Ist denn da gar nichts zu machen ?
Eben so verstockt ? kein Hauch von Schalkhaftigkeit ?
das trottet alles so schwer !
Herr Gott , so ein armer Teufel !
Was hat er denn eigentlich auf dieser Welt ! "
Doktor Frey war wieder bis zu Tränen gerührt .
" Also ihr seid eingeladen , Bamsen ! in ein Feenreich - sperrt Maul und Ohren auf - und lernt dort was !
Ich bringe euch übermorgen hin .
Basta !
Übrigens traf ich dort den faden Bengel , den Mengersen .
Der hatte sich natürlich herangemacht , so eine feine Nase !
Modelliert das Prachtweib .
Wird aber nichts draus . "
Isolde war zusammengezuckt .
Sie stand ganz bleich .
Das war ein Wunder , die Hand Gottes griff hier an !
Zuerst daß sie diesen Schädel finden mußte - und nun ! -
Marie fragte zaghaft :
" Und geht Mama nicht mit ? "
" Das ist nix für Mama . -
Nicht Alte ? "
Er wartete ihre Antwort gar nicht ab , sondern predigte weiter .
Die Morgendämmerung brach herein , fahl und kalt und beleuchtet das übernächtige müde Gesicht einer alternden Frau , das gerötete eines in jeder Fieber bebenden Mannes , der tagelang seine Nerven durch alle möglichen belebenden und anreizenden Einflüsse in Aufruhr gebracht hatte - und zwei süße junge Gesichter , die nicht recht wußten , wohin schauen .
Ihre Mutter war ihnen so unheimlich , wie der Vater .
Dies nächtliche Zusammensein berührte sie bang .
Sie hatten schon immer allerhand im Halbschlaf gehört .
Türen werfen , die laute Donnerstimme des Vaters ; aber es war sie nichts angegangen .
Isolde hatte bei dem Anblick der Mutter ein dumpfes , unklares Bild , als ertappte und belauschte sie ein Nachttier auf seinen Gängen , ein Tier , das Nachts sehen kann , das Nachts sein eigentliches Leben lebt , das Nachts kämpft und leidet , das , wenn alles schläft , geheimnisvoll lebt .
Sie fühlte ein so sonderbares , nebelhaftes Grauen vor Vater und Mutter !
Was für zwei fremde Menschen waren das eigentlich ?
Das war auch nicht das geschäftige Mamachen , das den ganzen Tag so eifrig unbedacht herum wirtschaftete , mit dem Dienstmädchen schalt , immer im Trab war , sparte und zankte und wegarbeitete was ihr unter die Hände kam .
Um diese Stunde schien alles Mütterliche von ihr abgefallen zu sein .
Da war nur das Weib geblieben , das eigentlich nicht mehr Weib war , etwas Aufgebrauchtes , Zurückgestoßenes , Geduldetes ; aber etwas , ohne das der Mann nicht mehr auskam .
Isoldes dumpfe Gefühle wurden ihr nicht zu Gedanken , nahmen die klare Form nicht an , aber beängstigten sie .
Es war da etwas Schreckliches .
Sie hätte sich an die Brust der Mutter werfen und weinen mögen - aber - das Geheimnisvolle , Nachttierhafte , das sie in der Mutter empfand , hielt sie davon ab .
Der aromatische Geruch des starken Moccakaffees lag in der Zimmerluft .
Was Mama nachts für vortrefflichen Kaffee macht !
Auch das beängstigte jetzt Isolde und Tränen rannen über ihre Wangen .
" Da haben wir die Bescherung ! " sagte der Vater , der sich von seiner Stütze , die er am Fensterbrett gefunden hatte , nicht recht fort traute .
" Die Bamsen sind , mit deiner Hilfe , Alte , die fertigen Zierpuppen geworden .
Ein nettes Heim , das so ein Mann doch hat !
Bringe euch das Beste , was ich bringen kann , ' was für die Jugend !
Lebensfreude !
Heiterkeit !
Die Gesellschaft einer schönen , vornehmen Frau , eines Weibes von Gottes Gnaden - und die Einladung in ihr Haus - ein Haus !
Ja , so was saht ihr noch nie , Bamsen !
- Und Heulerei , Spießbürgerei !
Daß i net lache !
Habt ihr denn ' was anzuziehen , Mädels ? " rief er mit heiterer Donnerstimme .
Sein Geist bewegte sich schon wieder in angenehmen Regionen .
Er hielt sich nie lange bei einem Ärger auf .
Der Dichter verstand es , einen Schwall von unwirschen Redensarten , Kränkungen , sehr bedenklichen Offenheiten über die Seinen zu ergießen - dann aber , » Schwamm drüber « !
War seine Lust am Kränken vorbei , mußte den Anderen die Lust , sich beleidigt zu fühlen , auch vergangen sein .
Das konnte er auf den Tod nicht leiden , das Nachbrummen .
" Na , also , wie steht_es ? " fragte er Mama , " sind Kleider da ? "
" Ich denke ' schon . "
" Natürlich !
Weibsen !
Kleider !
Dazu ist immer Geld da .
Und mir wird vorgejammert .
Zu nix ist Geld da , zu rein gar nichts ; nirgends schaut was 'raus - aber Kleider ! "
Er machte sich von seiner Stütze los und ging leicht schwankend durch die Stube nach dem Schlafzimmer .
Mama war mit ein paar Schritten voraus und öffnete ihm hilfreich die Tür .
* Die Mädchen suchten ihre Stube wieder auf .
Als Marie über die Schwelle trat , schrie sie laut auf .
Der erste Strahl der Morgensonne lag dem Schädel auf der Stirn .
Die leuchtete hell auf .
Es war , als erhellte es das ganze Zimmer .
" Ide , der Schädel lebt ! "
" Ja , er lebt ! " jubelte Isolde auf und bedeckte ihre Schwester mit heißen , leidenschaftlichen Küssen .
Marie war so erregt von allem , so überwacht , daß sie in Tränen ausbrach .
" Ich weiß net , Ide , " schluchzte sie , " wie es bei uns ist ! "
Sie weinte herzbrechend .
" Deck ' wenigstens dem Schädel ein Tüchel über ! "
3. Die beiden Mädchen sitzen ihrem Vater gegenüber in Mrs. Wendlands Landauer , Kutscher und Diener in vornehmer Livree .
Das leichte Gefährt rollt die Landstraße am Starnbergersee entlang .
" Bamsen , ich sage euch , daß ihr mir keine Schande macht .
Schaut net so , als wäre euch die Butter vom Brot gefallen . "
Der Dichter trägt einen hellgrauen Sommeranzug , graue Kniehosen und schwarze Strümpfe mit Halbschuhen .
Er ist vollkommen der elegante Tourist .
Seine mächtige blonde Persönlichkeit nimmt sich vortrefflich aus .
Die Kinder konnten sich nicht erinnern , jemals mit ihrem Vater einen Ausflug gemacht zu haben , und wußten sich jetzt nicht recht in ihre Lage zu schicken .
Er liebte Familiensimpelei nicht und war als Ehemann Junggeselle geblieben .
Als Schriftsteller brauchte er unendlich viel Anregung , auf die die Seinigen keinen Anspruch machen konnten .
So war es gekommen , daß er in gewisser Weise ein Leben für sich führte und zwar ein Leben , das sich um eine Kaste höher abspielte .
Die beiden Mädchen sitzen wortlos .
Aus der dumpfen Stadt in die schöne , reiche Sommernatur gekommen zu sein , tut ihnen weh und wohl , der weiche Seewind , die mächtigen Massen Tiefdunkeln Laubes , das die Luft einzuengen scheint und der Duft nach blühendem Gras - wie bedrängt sie das alles !
Das sollte man immer haben können !
Arme junge Menschen , denen die Natur fremd bleiben muß .
Sie biegen jetzt in einen vortrefflich gehaltenen Kiesweg ein , der durch dichten Buchenwald eine Anhöhe hinanführt und kommen bald an ein schönes weitgeöffnetes Gittertor aus kunstvoll geschmiedetem Eisen .
Da fährt der Wagen ein , im großen Bogen um einen köstlichen Rasenplatz , auf dessen saftigem Grün Centifolienrosenbüsche wuchern .
Sie stehen jetzt in voller Blüte .
Tausende von Rosenblüten , alle dasselbe zarte Rosa , und ein so süßer Duft , daß einem Stadtkinde die Tränen in die Augen kommen konnten .
So etwas heimlich Ländliches ; paradisisch Zartes liegt in den kunstlos , kunstvoll zerstreuten rosenbedeckten Büschen .
Ein Springbrunnen plätschert in einer stillen grünen Ecke , keine Paradefontaine im Zentrum des Zirkels - nein , abseits wie ein verträumter Geigenspieler , der sich selbst zu eigener Lust in einer verlorenen Ecke ein Ständchen bringt .
Den beiden Mädchen schlägt das Herz .
Wie eine breite laue Welle süß duftender Vornehmheit geht es über sie hin .
Der Wagen hält vor der Villa , der Diener öffnete den Schlag .
Alles , worauf ihr Auge auch fällt , ist wie in einer anderen Welt , alles sagt ihnen etwas von einem geheimnisvollen Leben , das sie nicht kennen .
Ihr Vater hilft ihnen aus dem Wagen - ja , war denn das ihr Vater ?
Er hat einen Ausdruck , den sie an ihm nicht für möglich gehalten hätten , so gentlemanlike , eine so ritterliche Bewegung des Arms , die ihnen gilt !
Sie wurden unbeschreiblich verlegen .
Der Diener führte sie eine breite , steinerne Treppe hinan .
Vorsaal und Treppenhaus ganz in Weiß und Gold gehalten .
Eine große Schale vor einem hohen Spiegel mit Centifolien und Reseda , die den Raum mit ihrem Sommerduft erfüllen .
Marie und Isolde wünschten sich weit fort .
Es war ihnen die Atmosphäre so kühl , als schlüge im Hause kein Herz !
Der Diener öffnete die Türflügel .
Isolde ist dieser Diener merkwürdiger als alles .
Er war , kam es ihr vor , da und zugleich nicht da .
So wesenlos ist ihr noch nie ein Mensch erschienen .
Alles Menschliche hatte er , Gott weiß wo , gelassen .
Auf seinem Gesicht lag die Vornehmheit des Hauses versteinert .
Sie gingen durch ein hohes helles Vorzimmer und schauten nicht recht um sich .
Die Tür nach einem anderen Raum stand geöffnet .
Sie traten ein und befanden sich einer Gesellschaft von verschiedenen Personen gegenüber .
Der Teetisch war gedeckt , Gäste waren um ihn versammelt .
Ein leichtes Aroma von Zigaretten und Rosen .
Es schienen den beiden Mädchen auf den ersten Blick viel mehr Personen gegenwärtig zu sein , als es in Wirklichkeit waren .
Eine Dame hob sich ein wenig aus ihrem Lehnsessel , beugte sich vor , streckte den Arm aus .
Gelblich indische Seide floß faltig schlank an ihr herab .
Ein liebenswürdiges Lächeln ging über das schmale , von glatt anliegendem schwarzen Haar eingerahmte Gesicht .
" Wie gut , daß Sie sind gekommen , lieber Dichter , " sagte die Dame .
" Nun , und Ihre jungen Mädchen - wir wollen sehen . "
Sie gab jedem der Mädchen die Hand .
Tiefe schwarze , feuchte Samtaugen fühlten sie auf sich gerichtet , kühl , vornehm , freundlich .
" Kommen Sie , nehmen Sie Platz , lieber Dichter . "
Isolde sah weltenweit von sich entfernt Henry Mengersen im weißen Flanellanzug .
Sie empfand , wie er hier heimisch war .
Ein tödlicher Schreck , ein banges Schamgefühl überwältigte sie , als sie an den Schädel daheim dachte .
Die süße mystische Liebeswonne , die bräutlich nonnenhafte Seligkeit , wie erschien ihr das alles jetzt !
Den Schädel hatte sie liebkost ja !
Die beiden Stirnen hatten dieselbe Form - gewiß .
Sie hatte vor ihm wie im Gebet versunken gelegen .
Es war ihr so natürlich erschienen .
So ein törichtes Geschöpf wie sie war ! -
Henry Mengersen wurde den beiden Mädchen vorgestellt .
Er erinnerte sich Isoldes .
Sie hatten sich in einer Gesellschaft bei Freieschen Freunden getroffen .
Er reichte ihr die Hand und begrüßte sie als alte Bekannte .
Außerdem war ein ältlicher , norddeutscher Baron da , ein jovialer Herr und eine noch junge schlanke Frau mit kleinem Kopf und kräftig voller Gestalt , einem etwas ernsten Kindergesicht , großen Augen , kleiner Nase , hübsch geformtem Mund .
Sie schien eine angenehme Person zu sein .
Ihr weiches , braunes Haar trug sie in einem nicht geschickt arrangierten Knoten .
Zuguterletzt rekelte sich ein , zweifelsohne , hochmoderner Schriftsteller in seinem Stuhl .
Er rekelte sich , weil das seiner Lebensanschauung wahrscheinlich entsprach .
" Grüß Gott , Übermensch ! " sagte er und schüttelte Doktor Frey kollegialisch , aber auf eine etwas schlottrige Weise die Hand .
Ein tadelloser , aber ein wenig zu weiter Salonanzug bedeckte seine gelenke , feingliederige , mit zartem Fett ausgepolsterte Gestalt .
Die breite , gestärkte Hemdenbrust stand in weitem Bogen aus der tief ausgeschnittenen Weste heraus .
Es war alles nicht so recht niet- und nagelfest an ihm .
Doktor Frey aber schien mit allen , die am Tisch saßen , bekannt und vertraut .
Er hatte etwas so leicht beweglich Mächtiges , wie eine gut geschmierte große Maschine .
Als er sich niedersetzte , sagte er , jovial und wie im Prophetenton , eine seiner Sentenzen :
" Wir müssen alle wahr sein , wahr bis zum Äußersten - wahr und lebensfreudig - dann wird die Welt bald ein anderes Gesicht bekommen . "
Jede seiner Bewegungen zeugte davon , daß er sich hier sicher und wohl fühlte , daß er sich seines Werts bewußt , daß er ein berühmter Mann war .
Als Marie und Isolde in den eigentümlichen englischen Stühlen Platz nahmen , empfanden sie ein lebendiges Behagen , wie sich das glatte zarte Holz an den Körper schmiegte .
Unwillkürlich strich Isolde wie liebkosend über die Armlehne auf der ihre Hand ruhte .
Sie fühlte sich so geborgen .
Wie robust lebte es sich daheim , wie häßlich und grob .
Ihren Vater ließ sie nicht aus den Augen .
Er war hier wie ein anderer Mensch .
Wie zu einem Heiligen neigte sich die schöne Frau zu ihm und fragte ihn , ob er Rum oder Zitrone in den Tee wünsche .
Eigenhändig reichte sie ihm das Gewünschte und er schaute wie ein Halbgott um sich .
Isolde war etwas wie Weinen und Lachen nah .
Ein erschrecklich verquicktes Ding von einem Gefühl .
Sie dachte an die Mutter daheim .
Der Tee war so duftend , die Tassen so zart , alles Gerät auf dem Tisch als stammte es aus einer vollkommeneren Welt .
Die Mädchen saßen ganz still in ihren hellgrauen Lodenkostümen , wie zwei graugefiederte Tauben .
Sie dachten beide an ihre Kleider , die sie im Köfferchen mitgebracht hatten und fühlten eine wahre Sehnsucht danach .
Mrs. Wendland fuhr im leichten Plaudern fort , in dem sie , durch das Eintreten der neuen Gäste , unterbrochen worden war .
" Lu , " wendete sie sich an die junge Frau , " man hat mich gefragt , was ich habe an dir ?
Was hast du an ihr ?
Ich habe gesagt : das , was du hast an mir , habe ich an ihr .
Ich bin wärmer als du , sie ist wärmer als ich .
Es ist immer die Wärme .
Und weißt du , wer hat gefragt ?
Dieser Öflich ! "
Mrs .
Wendland blickte auf den kleinen dicken Baron .
Die junge Frau sah groß auf und lachte .
" Ja , " sagte sie , " ich stehe nicht in Gnaden bei dem Baron . "
" Verehrteste ! " der kleine dicke Baron machte eine wahrhaft entsetzte Bewegung und steckte seinen goldenen Kneifer auf die Nase .
" Verzeihung , gnädigste Frau , da muß ich allerdings einen absolut anderen Zusammenhäng . . . . . "
" Mußt dich nicht bemühen , lieber Freund . "
Mrs .
Wendland stand vor dem Kamin , ihre hohe schlanke Gestalt nachlässig hingelehnt .
Sie schaute mit unergründlichen Augen auf die Gesellschaft .
Über ihr lag eine eigentümliche Ruhe , wie sie gewöhnlichen Menschen nicht eigen ist .
" Merkwürdigerweise , " fuhr sie fort , " sagte Lu dasselbe von dir , lieber Baron :
Wie kannst du verkehren mit diesen dummen Baron ? "
" Mary ! " rief die junge Frau ganz entsetzt .
Mrs. Wendland aber erzählte ruhig weiter :
" Ich habe gesagt :
Es ist ein alter Liebhaber von mich und ich frag ihn : Wo kaufst du das beste Kaiseröl und ob er seine Leute auch Werktags Wein gibt - solche Dinge - aber das ist das Gemütliche nicht wahr , Baron ? "
" Du bist heute ja wieder von fabelhafter Freimütigkeit ! "
Die junge Frau war tief errötet und etwas nervös geworden .
" Und schließlich , ist denn diese Freimütigkeit so notwendig ? "
" Meine liebe Lu , Freimütigkeit ist nie unnötig .
Denke , was für ein schönes Wort .
Frei ! -
Mutig ! -
Zum Beispiel .
Ich habe das Unglück , unter deutschen Frauen zu leben .
Ich weiß nicht , womit ich das verdient habe .
Die , mit denen ich muß leben , die werde ich nicht in ihrem Dunkel sitzen lassen .
Alle deutsche Frauen sind Kühen , " sagte sie aufseufzend .
" Das gehört eigentlich wieder unter vier Augen , " meinte Frau Lu .
" Mit deinen , » unter vier Augen « ! "
Mrs. Wendland lächelte .
" Was man unter vier Augen sagt , ist so gut , als ob man gar nichts sagt - außer in Liebesdingen - ja dann - natürlich .
Aber alles andere ist gut , wenn man aller Welt es sagt .
Es wird bekannt .
Ich sage alles , was ich denke . "
Der moderne Schriftsteller hatte eine zarte Applaudierbewegung mit den Spitzen seiner Finger gemacht , als Mrs. Wendland die eigentümliche Bemerkung über die deutschen Frauen vorbrachte .
Mrs. Wendland hatte dies bemerkt .
" Und was soll ich von den deutschen Männern sagen , wenn ich muß sehen so etwas ? "
Sie umgab den Schriftsteller wahrhaft mir der ruhigen Macht ihres Blickes .
" Wenn ich sage , die deutschen Frauen sind Kühen , so ist das etwas Trauriges und ein schlechtes Zeichen für den deutschen Mann .
Wenn ich bin freimütig und sage , was Frau Lu von meinem guten Baron gesagt hat , so will ich , daß sie nicht soll erschrecken .
Sie soll ganz ihr selbst bleiben - ganz ruhig in ihre Seele , nicht aus der Contenance kommen .
Eine Frau , die getan und gelebt hat , wie Frau Lu , die so gehandelt hat , muß souverän sein .
Lu hat nie zu die Kühen gehört - nie .
Lu nie . "
Das sagte Mrs. Wendland sehr bestimmt .
" Sie ist Ausnahme , first class .
Wenn ich denke an Lu , denke ich , daß sie genagelt ist an ein Kreuz mit tausend Rosen überdeckt , so ganz überdeckt von Rosen - ein Golgatha , ganz in Rosen .
Niemand sieht , daß sie genagelt ist - aber sie ist_es , mit Händen und Füßen , weil sie eine so glückliche Ehe hat , so ein Wunder von einer Ehe .
Eine wirklich glückliche Ehe ! -
Nicht , was man so nennt glückliche Ehe , das ist eine Futterehe , was man im allgemeinen nennt " glücklich " .
Aber Lus Ehe ist in Wahrheit glücklich - und das ist ein großes Unglück . "
Mrs .
Wendland ging auf ihre Freundin zu , strich ihr über das Haar .
" Arme Lu ! "
Frau Lu schlang die Arme um sie und sagte :
" Aber wie viel besser es ihm jetzt geht ! -
Und er arbeitet !
Wenn Gott nur einmal ein bissel neutral bleibt . "
" Übrigens , mir fällt ein , " sagte Mrs. Wendland - " etwas ganz anders : Gestern gehe ich meinen Spaziergang außerhalb meinem Park und begegne einer deutschen Familie - zwei Männern , Kindern und eine Frau .
Die Kinder liefen voraus und die Frau war zurückgeblieben .
Sie hatte ' was an die Füße und war so eine dicke Bürgerin .
» Schau , « sagt die eine Mann zu seinem Begleiter , » wie deine Alte nachhatscht . «
- » Na , alter Kachelofen , « ruft ihr der Ehemann zu , » mache voran ! «
Und die Frau schaut auf mich und lacht so gutmütig und sagt : » So san die Mannersleut ! «
So sind sie alle , da liegt das ganze " Deutsch " darin .
Lieber will ich ein Pferd sein , als eine deutsche Frau ! "
" Nun , ich dächte , eine schöne Frau darf doch auch in Deutschland reden , wie es ihr gefällt , " sagt der moderne Schriftsteller , und um seine Lippen spielte ein Lächeln , wie er es in der Gewohnheit hatte , wenn er eine Frau über irgend einen Gegenstand sprechen hörte , auch wenn dieser Gegenstand ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Geschlecht gewesen wäre , - ein so nachsichtiges , gnädiges Lächeln .
" O ja , eine schöne Frau kann auch in Deutschland manches tun ; aber das liegt auf einem ganz anderen Gebiet .
Ich bewundere die deutsche Frau , daß ihr nicht die Geduld ausging .
Ich würde eine Bombe nehmen und auf die Schlafrock von meinem Mann werfen und auf die Schlafrock von alle Männer , die schreiben und philosophieren und sprechen von die Frau .
Mitten in ihr Dunkel würde ich werfen . "
" Oho ! Hochverehrte , " rief Doktor Frey mächtig .
" Deutsche Liebe !
Deutsches Weib !
Minnesang !
Sie tun uns bitter Unrecht ! "
" Da kommen Sie mit die Mittelalter ! - Natürlich , das tun alle deutschen Männer , wenn sie von die Frau reden .
Ein deutscher Mann sieht die Frau immer im Mittelalter , auch in solch einem Kostüm .
Ich glaube , wenn er von die deutsche Frau spricht , denkt er an eine aus Holz geschnitzte , nie an die lebendige , so wie auf den Titeln von allen deutschen Familienzeitungen zu sehen ist , so kindlich .
Das Naivste , was es in dieser Beziehung gibt , ist der deutsche Mann .
Deutsche Liebe !
Ich mache zwei Kreuze davor , damit man sich in acht nimmt .
Ich will eine lange Geschichte erzählen . ich liebe sehr Geschichten zu erzählen , " sagte sie träumerisch .
" Es hat sich eine Ausländerin verheiratet .
Sie hat einen deutschen Baron geheiratet . "
Mrs .
Wendland sah mit ihren tiefen ruhigen Augen , geradeaus über die Gesellschaft hinweg .
Wie vornehm kühl stand sie da als wenn alles auf der Welt sie nichts anginge ; auch das Alter nichts .
Denn sie war nicht mehr jung .
Wie floß aber die gelbe indische Seide an ihrer schlanken Gestalt herab .
Diese Frau hatte sich in Nichts nachgegeben , das sah man .
Sie hatte ihr Leben mit sich selbst durchdrungen .
" Und dieser Baron ist so ein deutscher Lebemann , " fuhr sie fort .
" Er hatte gelebt und geliebt , wie man sagt .
Er war ein schöner Mann und hatte ein Schloß und Wald und Jagd und war ein große Jäger .
Er hatte genug von die Frauen und deshalb heiratete er .
Und wie ich sagte :
Er heiratete eine junge Ausländerin - schön - klug und sie hatte nicht gelebt und geliebt , wie man sagt , und liebte ihren Mann mit solch einer schönen jungen Liebe und solch einem Verlangen nach Liebe .
Und er hatte nicht ein Verlangen nach Liebe und kümmerte sich wenig um sie .
Sie aber war traurig darüber und er ging alle Morgen auf die Jagd .
Im Winter , vor Sonnenaufgang stand er leise auf und ließ sie in Tränen verliebt allein .
Da sann sie , wie sie ihn halten könne .
Und einmal war es auch , da wußte sie schon , daß er wieder gehen würde .
Draußen lag leichter Schnee über der Welt und der Mond schien helle .
Da war sie es , die aufstand , viel , viel leiser als er , so zart , wie eine Hauch und sie legte ihre Nachtkleider ab und schlüpfte nur in eine weiche Pelz - dann schlich sie fort - und zum Schloß hinaus .
Und unter einer einsamen Linde warf sie ihre Pelz ab und stand in ihre große Schönheit im Mondschein .
Da legte sie sich in den weißen , unberührten Schnee und der Schnee trug die Linien von ihre zarte Gestalt .
Dann hob sie sich wieder und schlüpfte in ihr Pelz und eilte schnell in das Schloß zurück in ihr Schlafzimmer - leise - wie ein Hauch .
Und als der Baron erwachte und sie wollte verlassen , um zur Jagd zu gehen - da sagte sie : » O denke , es ist ein edles Wild bis nah vors Schloß gewesen , ich habe seine Spur gesehen unter der Linde . «
Da lachte er und glaubte nicht .
» O gehe , sagte sie , du wirst es sehen , daß ich wahr sagte . «
Und er ging .
Und als er wiederkam ?
Da verließ er ihr , denke ich , nicht mehr .
Und meine Geschichte heißt .
Die Wildspur .
Das ist was ich nenne » Frau « und » Liebe « , so süß und klug .
O , es gehört mehr Weisheit und Seele - und Geist dazu , als zu eine Eisenbahn baun . "
" Eine Geschichte für junge Damen , " sagte der moderne Schriftsteller lächelnd und verbeugte sich leicht , zu Marie und Isolde gewendet .
" Gewiß für junge Damen , " sagte die schöne Frau .
" Oder meinen Sie für alte ? "
Die kleine Geschichte hatte sie mit solch einer freimütigen Schönheit erzählt , daß es über alle wie ein Hauch von Poesie ging .
Doktor Frey erhob sich , goß ein zierliches Kristallglas voll Wein , ließ sich vor Mrs. Wendland auf ein Knie nieder und sagte indem er das Glas an die Lippen führte :
" Dem wundervollsten Weib ! "
" O , Sie sind ein deutscher Dichter !
Sie sind ein Freiheitsmensch , ich weiß .
Es ist sehr nötig hier . "
Die beiden jungen Männer , der Schriftsteller und Henry Mengersen verhielten sich bisher passiv .
Der Schriftsteller hatte den Blick selten von Mrs. Wendland gekehrt .
" Kann so bleiben , " murmelte er ein paarmal vor sich hin , " kann so bleiben . "
Henry Mengersen war . wie es schien , ein wenig verstimmt .
Mrs. Wendland hatte Doktor Frey und seine beiden Mädchen veranlaßt , mit ihr auf den Balkon hinauszutreten .
" Alles angeweiblicht - für Weiber ! "- sagte Henry Mengersen zum Baron gewendet .
" Jawohl , Eisenbahnen bauen !
O teure Mistreß , versuchen Sie es Mal . "
" Na , " meinte der Baron , " Sie Tiger , das sagt man doch bloß .
Und übrigens , ich habe nichts gegen das Ewig-Weibliche hier um diesen Tisch .
Reizende Kerlchen - was ? "
Er zwinkerte und deutete mit diesem Zwinkern auf die verlassenen Plätze der beiden Mädchen .
" Nicht übel , die eine ist mir schon bekannt , ein sonderbares Huhn . "
* Zum Souper kleideten sich die beiden Mädchen in ihre duftigen langen Gewänder und es fiel ihnen wie ein Stein vom Herzen , als sie sich so schön sahen .
Die Vornehmheit bedrückte sie nun nicht mehr. * Spät am Abend sprach Mrs. Wendland den Wunsch aus , daß Henry Mengersen sie alle miteinander in sein Atelier führen möchte .
Auf eine kühle Art zeigte er sich bereit dazu .
Isolde schlug das Herz .
Und während die anderen im Salon noch eifrig plauderten , stand sie allein draußen auf der Terrasse und sah in die Sommernacht hinaus .
* Zwei Jahre mochten es her sein , da hatte sie in einer Münchener Kunstausstellung , kaum fünfzehnjährig , vor einer Reihe Radierungen gestanden - und das Kind hatte geschaut und geschaut , die Zeit war ihr vergangen , ohne daß sie es empfand .
Die Leute hatten über das kleine weltvergessene Mädchen gelächelt .
Sie aber hatte eine neue Welt gesehen und gefühlt .
Da war eine Landstraße gewesen , eine langgestreckte Landstraße , links und rechts mit jungen Obstbäumen besetzt und diese Straße führte geraden Wegs hinein in einen dunklen , drohenden schweren Gewitterhimmel .
Niemand ging diese Straße .
Sie aber ging sie .
Sie ging im Geist auf dieser Straße .
Eine große tote Stille - kein Blatt rührt sich - kein Laut - und auch die ungeheure Wolkenmasse stand unbeweglich , ein großes , düsteres Geheimnis .
Und diesem drohenden , düsteren Unbekannten lief sie entgegen .
Sie ging nicht , sie lief .
Sie war ganz entrückt .
Und dann ein anderes Blatt :
Auf hohen Gebirgsgipfeln mitten in der Gletscherwelt , im ewigen Schnee , kämpften zwei Titanen unter schwerem Himmel .
Der ewige Schnee stiebt um sie her .
Eisklötze fliegen .
Der Grund ist zerwühlt , zerstampft , zerklüftet und zerrissen von der Gewalt der Hufe .
Um was kämpfen sie ?
Um ein armes Häschen , das tot und winzig im Schnee liegt , das der eine erbeutet hat und der andere ihm nicht gönnt .
Da mußte das Kind lachen .
Und weiter :
Auf einem Bild sah sie ein Liebespaar .
Rosen und Nacht .
Es war alles so verstohlen .
Sie begriff .
Es war da ein Duft von Jasmin in der Luft - und das Geheimnis , das große Geheimnis .
In der Schule steckten sie die Köpfe immer zusammen , das Eine , nur das Eine ließ ihnen keine Ruhe ; es sprühte ihnen im Blute , es stieg ihnen zu Kopfe , es nahm ihnen den Atem .
Und dann war es so widerwärtig - die anderen konnte man darum hassen , daß sie davon tuschelten .
Und im Umsehen waren sie wieder dabei - sie mit .
Eine zeigte eine Stelle im Religionsbuche , ohne ein Wort zu sagen .
Eine errötete .
Und alle schauten und machten lange Hälse und wollten es sehen - lesen - genießen - davor erschauern - sie mit .
Wie unanständige Kobolde , ganz elementar , ganz naiv . -
Ja , und dieses Bild ! da war das Geheimnis .
Sie war aber wie reingespült davon .
Eine süße , ungeheure Melodie hörte sie .
Sie fühlte etwas so Großes , so Einziges , etwas zum Hinsterben .
Von dem Tuscheln , Schauern , dem naiv frechen Treiben der unanständigen Kobolde , die die Leute Backfische nennen , war sie von jener Stunde an getrennt .
Auf dem nächsten Bild dasselbe Liebespaar .
Ja , sie erkannte sie beide wieder .
Ein Kind war geboren .
Das Weib lag langgestreckt und tot .
Es stand da eine Wasserschale und Tücher lagen da .
Sie sah das Weib mit Schauern .
Es war eben geschehen .
Der Mann kniete und hielt den Kopf des toten Weibes in seinen Händen und seinen Kopf hatte er ganz vergraben .
Hinter beiden aber stand der Tod , riesig wie eine mächtige Wand , wie ein Fels und auf seinem Arm lag das eben geborene tote Kind , gleich einer welken Blüte , die zufällig ein Sturmstoß auf den Arm des Todes geweht hat , so hing es formlos zusammengefallen .
Das junge Ding vor dem Bild war erschüttert , wie vor nichts noch auf der Welt .
Ganz verschüchtert stand sie vor etwas Schrecklichem .
Und dazu das Geheimnisvolle , das Unenthüllte - das auch sie selbst anging .
Sie fühlte sich vor diesem Bilde bang dämmernd als Weib und fühlte dies mit tiefem leidenschaftlichen Erschauern .
Sie gehörte zu denen - zu denen , die so namenlos , geheimnisvoll leiden müssen , zu denen , neben deren Liebe der Tod steht , so , wie sie es eben gesehen : der riesige , ernste , feierliche Tod .
O , so lieben !
Welches Geheimnis !
Liebe und Tod !
O , so in den Untergang hinein lieben !
Sie fühlte sich stolz , mächtig - und freute sich , daß sie ein Weib war .
Es war als ob ihre Füße den Erdboden nicht berührten .
Ja , das ist das Größte auf Erden :
Weib sein !
Sich opfern !
Mit solchen Gefühlen ging sie damals nach Hause .
Von da an liebte sie Henry Mengersen , noch ehe sie ihn gesehen .
Sie liebte ihn , wie sie seine Kunst liebte .
Und als sie ihn gesehen von Angesicht zu Angesicht , liebte sie ihn kaum mehr als vordem .
Nein , durchaus nicht mehr .
Der Schädel , dessen Stirn die wunderliche Ähnlichkeit zeigte , war ihr vom Schicksal gegeben worden als ein Symbol , das sie anbeten durfte , leidenschaftlich , ahnungsvoll , wie eine Nonne eine Reliquie anbetet .
* Und nun sollte sie in das Heiligtum treten und seine Werke in dem Raum sehen , in dem sie geschaffen wurden .
4. Sie gingen alle mit einander .- Mondschein - Centifolienduft ; - der Springbrunnen spielt wie ein in sich selbst versunkener Spielmann in seiner grünen Ecke .
Vom See kam eine feuchtweiche Luft .
Das Mondlicht durchfloß die zarten Gewänder der Mädchen , löste sie wie zu einem leichten , weißlichen Nebel auf .
Isolde segnete ihre Mutter für diese Kleider. Mrs. Wendland wurde von Doktor Frey geführt .
Er führte sie so vorsichtig wie ein höheres Wesen , von dem er befürchtete , daß die bloße Berührung mit dem Erdboden es beschädigen könnte .
An jedem Schritt , jeder Bewegung sah man , daß er vor urwüchsiger , ganz naiver Wonne und Befriedigung nicht ein und aus wußte .
Marie sah im Geist daheim die Mutter sitzen , wie sie mit ihrem Bengel die Schularbeiten machte , und Marie erschrak , wenn sie daran dachte , daß auf die Mutter auch nur ein Tropfen jener Zartheit , Besorglichkeit fallen könnte , mit der der Vater Mrs. Wendland umgab .
Wie würde der Mutter bei so etwas wohl zu Mute sein ?
Würde sie darüber lachen oder weinen ?
Marie konnte sich das gar nicht vorstellen .
Vor ihrem Vater aber fürchtete sie sich , als wäre er sein eigenes Gespenst .
Sie mochte gar nicht hinsehen .
Sie schämte sich .
Wer war nun der Rechte , der zu Hause oder der hier ?
Gern wäre sie der Mutter um den Hals gefallen und hätte bitterlich um das geweint , um das , was sie lang und unklar empfand .
Sie gingen jetzt durch hohen Buchenwald .
Der Mondschein flimmerte durch die dichten Zweige .
Der Weg führte sanft abwärts .
Sie waren auch alle ganz schön im Sommerzauber drin .
Ein jeder spann und sann .
Wenigstens gingen sie ziemlich schweigsam durch diese laue , flimmernde Nacht .
Henry Mengersens Atelier lag unten am See .
Er hatte sich schon seit Jahren ein kleines Landhaus hier gemietet , das er in den Sommermonaten bewohnte .
Das Atelier groß und kahl ; die kleinen Abteilungen des Riesenfensters standen zum Teil offen .
Das Mondlicht strömte herein .
Es lag etwas Kühles , Klares in diesem Raum , als Henry Mengersen die Schraube zum elektrischen Licht aufgedreht hatte und alles bis in den letzten Winkel bestrahlt war .
Hier empfand man nichts Weiches , nichts Ungeordnetes , nichts Beengendes , eine peinliche Ordnung und Sauberkeit .
Wem die Augen über Henry Mengersens Toilette noch nicht aufgegangen waren , dem gingen sie hier auf .
Sie war von jener vornehmen , absoluten , eleganten Reinheit und Neuheit , die ein Deutscher schwer erreicht .
Auch Henry Mengersen war Mischling .
Seine Mutter stammte aus einer schwedischen Familie .
Die Art , sich zu kleiden , hob ihn über das Gewöhnliche , erleichterte ihm vieles im Verkehr mit den Menschen , wirkte auf gewisse Naturen immer verblüffend , ließ ihn über der Situation stehen und zwar , ohne daß er sich irgendwie dabei hätte anstrengen müssen .
Was ein armer tapferer Kerl mit schlecht sitzendem Rock und mit an den Knien ausgearbeiteten Beinkleidern mit Aufbietung aller Kräfte und allen Mutes nicht erreichte , das fiel ihm zu . -
Er gebrauchte , um das alles zu erreichen , nur etwas mehr Zeit zu seiner Toilette .
Für Frauen war er unwiderstehlich .
Diese jungen , naiven , deutschen Frauen - wie ennuyierten sie ihn seit Jahren schon !
Er verkehrte jetzt allerdings meist nur mit Ausländerinnen , oder wenigstens mit deutschen Damen aus den höchsten Kreisen .
Das war zu ertragen .
Eine Frau , wie Mrs. Wendland , schien ihm wirklich erträglich , und auch ein Haus , wie Mrs. Wendland es führte - die ganze Art von Mrs. Wendland stieß ihn nicht ab , trotzdem sie ihre großen Schwächen hatte .
Man konnte mit ihr reden und leben , ohne jemals von Naivitäten belästigt zu werden . -
Mrs. Wendlands Ansicht war :
" Wissen Sie , Henry , man kann tun was man wünscht bei uns .
Man muß nur immer in seine Rang bleiben . "
* Im Atelier hing keine Studie , nichts von seiner oder irgend eines anderen Hand .
Große , bequeme , helle Eichenholzschränke standen längs der einen Wand , ein breiter Arbeitstisch nahe dem mächtigen Fenster .
Mengersen ging in den Nebenraum , in das Bildhaueratelier , und bat seine Gäste , einen Augenblick auf ihn zu warten .
In dies zweite Atelier ließ er ungern jemanden eintreten .
Es währte nicht lange , da kam er mit einer kleinen Marmortafel wieder und stellte diese auf eine Staffelei , rückte sie behutsam , blickte prüfend zur Lichtkrone und trat dann zurück .
Ein Relief. Mrs. Wendlands Kopf , leicht gelblich getönt , ein Sphinxkopf .
" Also ein Raubtier , " sagte Mrs. Wendland eigentümlich lächelnd .
Sie hatte recht , ein Raubtierkopf , so schön er war .
Die Augen hatten etwas Packendes , Zugreifendes .
Um den Mund lag ein rätselhafter , urweltlicher Zug : " Das Tier . "
Hier war es geprägt , das Halbtier Weib .
" O , Henry Mengersen , " sagte Mrs .
Wendland ruhig , " weil ich bin ganz offen , offen , wie Sie sonst niemanden kennen , weil ich nichts verstecke , nichts Böses und nichts Gutes , machen Sie ein Rätseltier aus mich .
- Sonderbar ! "
Da lächelte Henry Mengersen überlegen wie ein Richter , vor dem sich einer so eben selbst überführt hat .
" O , ich verstehe , " sagte Mrs. Wendland gleichgültig , " so meine ich nicht .
Meine Offenheit ist nicht die Offenheit von ein Tier .
Sie irren .
Halten Sie mich für naiv ?
Dann verzeihen Sie , ich muß lachen .
Sie verstehen doch , was ein Kunstwerk ist ?
Raubtiere sind wir alle .
Aber Sie meinen damit nicht das :
Ich weiß , ich bin Herrn Mengersen ein Dorn , trotzdem er sehr liebenswürdig zu mir ist , weil ich ein wirklicher Mensch bin , lebe wie er lebt und bin so klug wie er ist .
Wenn sich Herr Mengersen auch als Raubtier ausmeißelt , bin ich zufrieden .
Ich bestelle mir noch ein Raubtier , es müssen zwei sein .
Und Henry Mengersen ist kein schlechtes Raubtier . "
" Eine sehr selbstbewußte Dame , die gute Mrs. Wendland ! "
Der moderne Schriftsteller wendete sich flüsternd an Doktor Frey .
Sie gingen mit einander im weiten Atelierraum auf und nieder .
Doktor Frey führte seine zusammengelegten Fingerspitzen zum Munde , machte eine Geste der Verzückung .
" Götterweib ! " kam es inbrünstig , unhörbar von seinen Lippen .
" Nee ! " dieser Meinung war der moderne Schriftsteller nicht , Hühner und Weiber nur ganz frisch .
" Hautgoaut !
Brr !
Künstliches Hautgoaut , Fin de siecle - Hautgoaut als Parfüm für die weibliche Jugend - famos !
Schreibe selbst solches Zeug .
Verdammt raffiniert so was !
Geist beim Weib höchst verdächtig !
Hat die gute Dame Kinder gehabt ?
Geist beim Weib einfach pathologisch .
Übermensch , was ist denn dir in die Krone gefahren ?
Warst doch sonst nicht so ?
Die Millionen etwa ?
Nee - nee - da laß ich mir nix vormachen . "
* Mengersen hatte eine Mappe auf den Tisch gelegt , neue Reproduktionen .
Er sprach mit dem Baron darüber , war mit irgend etwas zufrieden oder unzufrieden .
Sie sprachen kühl hin und her über Geschäftliches und so weiter .
Mengersen legte einige Blätter auf den Tisch und zufällig vor Isolde hin .
Und es waren jene Blätter . * Mrs. Wendland und Doktor Frey standen am geöffneten Fenster .
Der temperamentvolle Prophet und möglicher Weise baldige Reichstagsabgeordnete und so weiter , sprach auf die schöne Frau mächtig ein .
Mrs. Wendland schaute gelassen auf ihn hin .
Sie trug , wie stets , wenn sie ihr weißes Hauskleid abgelegt hatte , eine schwarze Toilette und machte einen äußerst vornehmen , in sich zusammengefaßten Eindruck .
Das Porträt , das ihr guter Freund , ohne ihr Wissen , von ihr vollendet hatte , mochte sie seltsam berührt und verletzt haben .
Sie hatte sich ihm offen gegeben .
Sie hatte ihm den Genuß geboten , das Weib auf seiner höchsten Stufe , wie sie meinte , das hochentwickelte Weib , ganz kennen zu lernen .
Sie war rückhaltlos zu ihm gewesen , vollkommen wahr , im Vertrauen , wie es ein großer freier Mensch zum anderen hat - und er hatte das Tier in ihr erkannt - nur das Tier - das brutale Tier .
Sie hatte im Verkehr mit ihm über das " Tier " Mengersen hinweggesehn und hatte in ihm den Gott gehätschelt , angebetet und geliebt .
Mit ihrer heiteren Weisheit und Welterfahrung hatte sie ihm etwas schenken wollen - und er ?
- " Man ist einsam , ungeheuer einsam ! " sagte sie wehmütig .
Doktor Frey wußte nicht , auf was sich dieser Ausspruch beziehen mochte und blickte etwas verblüfft auf sie .
" Bitte , fahren Sie fort , " sagte Mrs. Wendland leicht lächelnd .
Der berühmte Schriftsteller mochte ihr irgend etwas vorgetragen haben , was sie überhört hatte .
* Herr Goldschmitt , der moderne Schriftsteller , machte sich an das schöne blonde Mädchen , an Isoldes Schwester heran und unterhielt sich mit ihr einigermaßen von oben herab ; aber durchaus angenehm berührt .
Jung , rosig , blond , sanft und diese weiche , hilflose Stimme - köstlich !
Er fühlte sich wie eingelullt von ihrer ausgeprägten , gesunden , molligen Weiblichkeit .
Sie hatte aber trotzdem etwas Träumerisches , Verschlossenes , Kühles .
» Etwas hartmäulig noch « , dachte der Schriftsteller in seiner Pferdesprache , die er mit Vorliebe bei Beurteilung von Frauen anzuwenden liebte .
Übrigens wußte er weder von Frauen , noch von Pferden etwas Nennenswertes .
* Isolde aber stand im Bann von Henry Mengersens großer Begabung .
Sie sog das , was sie sah , in ihre Seele ein .
In seiner nächsten Nähe schlug ein kristallreines Herz zum Zerspringen vor Seligkeit und Anbetung .
Die junge Nonne lag wieder in Verzückung vor der schönen Erscheinung seiner Kunst .
Wie Gottes Sohn empfand sie ihn .
Und ob er schön und elegant , oder häßlich und schabt war , was ging das sie an .
Wie einen Teppich hätte sie sich vor seine Füße breiten mögen .
Sie war in diesem Augenblick eigenartig schön .
Die hingerissene junge Seele durchleuchtete sie .
Henry Mengersen kam zum Entschluß , sich mit dem kleinen verrückten Käfer etwas abzugeben .
Er war , wie gesagt , kein Freund der " höheren Tochter " , hie und da aber fand sich doch ein Exemplar , das man sich einmal betrachten konnte .
* Als sie wieder nach Mrs. Wendlands Villa zurückgingen , bot er ihr den Arm .
Der Mond war untergegangen und der Weg durch den Buchenwald dunkel .
Mrs. Wendland ging mit Frau Lu .
Sie schwiegen beide das längste Stück des Weges .
Endlich sagte sie : " Lu , was ist mit dir ?
Du bist so still .
Ich weiß nicht wie du mich heute vorkommst ?
Es ist mir , wie wenn man denkt , es ist warm und hat seine Wintermantel ausgezogen und es ist kalt .
Sage mir , ist was mit dir ? "
" Du weißt ja , ich kann nicht von ihm fort sein . "
Die junge Frau schien erregt und bedrückt .
" Wenn ich du wäre , ich würde auch nicht einen Schritt von ihm gehen .
Wenn man so etwas hat in seinem Leben wie du gefunden , muß man es halten mit den Armen , den Händen , den Zähnen .
Weißt du Lu , ich möchte mit deinem Mann in ein Kloster gehen . "
" Das ist ja lieb von dir , " meinte Frau Lu lachend .
" Nein , im Ernst .
Es würde eine wunderschöne Zeit , auch für ihn .
Bei ihm fühlt man sich nicht degradiert , wie bei die anderen Männer , kann mit ihm verkehren wie mit Gott Vater , so ganz sans gene . "
" Ja , wahrhaftig , " sagte Frau Lu , " das ist ja auch so .
Weißt du , es ist , als wenn ein guter , großer Geist neben mir herginge , in meinem Haus wohnte und mich liebte .
Wenn du wüßtest , wie gut er ist , wie reich unser Leben ist .
Wie schön es bei uns ist ! "
" Und " , sagte Mrs. Wendland lächelnd , " wie ich mir_es verderbe . "
" Ja , ja - aber wenn du an meiner Stelle wärst . "
" Ich ?
Nun , wenn ich mich in deinen Mann verliebte , würde er es besser haben als bei dir .
Glaubst du , ich würde ihn mit meiner Angst um ihn , immer wie mit Salz die Nerven bestreuen ?
Wie du ?
Bei mir könnte er alles tun , was ihm beliebt , krank sein , gesund sein , arbeiten , auch ruhig sterben , wenn es sein soll .
In nichts redete ich ihm drein . "
" Du bist kostbar , " lachte Frau Lu leicht .
" Und ich habe das Interesse für diese Alltagsmänner ganz verloren .
Mögen sie nun ein Genie sein wie Henry oder nicht .
In sich , in ihrem Charakter sind sie so schlecht gezogen , so nicht fertig geworden .
Für uns Frauen ist es immer eine Kränkung , gleich , ob sie sind brennend zu uns oder kalt .
Wir haben immer das Brutale .
Sie sind alle wie die ganz reichen Leute , die den Armen zu Weihnachten bescheren .
Sie selbst gehen in Kleidern von Worth , wo ist jede Naht ein Kunstwerk .
Für ihre Mitmenschen aber lassen sie aus grobem häßlichen Stoff Röcke nähen von plumper Fasson ohne Sinn und Verstand .
Sie geben so für das allergröbste Bedürfnis der Natur - und damit basta .
Und dieser schreckliche Jüngling , dieser Herr Goldschmitt !
Stadt eine Seele oder ein Herz hat er ein kleines Ferkel in sich , glaube ich . "
* Inzwischen ging Isolde an Mengersens Arm zaghaft und in höchster Erregung .
Sie wollte etwas sagen und fand kein Wort .
Er schwieg auch , um zu sehen , was die Kleine vor hätte .
Ihm schwante etwas , schon bei der ersten Bekanntschaft mit ihr .
" Sie sind so glücklich , " sagte Isolde nach langem leidenschaftlichem Kampf mit sich selbst .
" So ?
Bin ich ? -
Und weshalb mein Fräulein ? "
Das klang banal , so gar nicht als sagte es Henry Mengersen .
Aber das war ja kindisch von ihr , zu erwarten , daß er wie ein Gott sprechen würde .
Natürlich , er war so durch und durch Gentleman ; wenn sie daran dachte , wie er sich kleidete , wie er sich betrug , wie er verwöhnt war , konnte er ja gar nicht anders antworten .
Oder konnte er es ?
Sie wußte selbst nicht , was sie eigentlich verlangte .
Es war doch ganz das Richtige .
Man sprach so .
Und was sie gesagt hatte , war dumm und lächerlich .
Sie errötete tief .
" Nun und weshalb bin ich so glücklich ? " fragte er noch einmal zugänglicher .
Es war doch eine gewisse Neugier in ihm wie das Hühnchen mit ihm anzubinden gedachte .
Isolde sagte irgend etwas , stockend , abgebrochen , hastig .
Sie wußte kaum was . -
So etwas : » daß er könnte , was er wollte . «
» Oho « , dachte Mengersen , » die kapert so .
Was sind diese jüngsten weiblichen Raubtiere doch schon gerieben und schlau !
Einer " höheren Tochter " kommt darin nichts gleich .
Was für ein Larvchen hat das Ding und dahinter schon die volle Gier nach anständiger Versorgung .
Was ist gegen so ein Hühnchen der schlaueste Börsianer !
. . . Ja wohl , mein Fräulein , sie kommen ganz an den Rechten . «
Er lächelte .
" Also eine Kunstenthusiastin ; sehen Sie Mal an !
Malen wohl selbst , Porzellan - » Schmücke dein Heim ! « Natürlich ! "
" Nein , ich kann gar nichts , " sagte Isolde .
" Aber man hat Ihnen gesagt , daß es sich nett macht , wenn eine gebildete junge Dame über Kunst spricht , nicht wahr ? "
" Man hat mir gar nichts gesagt . "
" Nun , die Tochter eines berühmten Schriftstellers aus einem schöngeistigen Haus ist doch in dieser Beziehung mit allen Hunden gehetzt . "
" Wie denn ? " fragte Isolde .
" Der Herr Papa wird Sie doch in so manches eingeführt haben ? "
" Papa ? " wiederholte Isolde erstaunt .
" Na , oder Mama denn . "
" Mama ! " sie lachte etwas .
" Ach Mama " - ein Seufzer .
Allerlei Bilder gingen ihr durch den Kopf .
Henry Mengersen war ein wenig aus dem Konzept gebracht .
" Meine Sachen gefallen Ihnen also ? "
" Unaussprechlich " , sagte das Kind Isolde mit einer Inbrunst und Wärme , als antwortete sie ihrem Richter auf eine Frage um Leben und Tod .
* Zwei Tage später .
Der Vater hatte Marie nach Hause gebracht , kam aber selbst jeden Tag nach Starnberg hinausgefahren .
Der Familie Frey stand ein Todesfall bevor .
Die Mutter war zu einem schwer erkrankten Bruder nach Berlin gerufen worden , der mit der Familie seiner Schwester sein Lebtag kaum in Beziehung gestanden hatte .
Vor Jahresfrist ungefähr hatte Mama ihm eine Photographie ihrer beiden Mädels geschickt und darauf einen warmen verwandtschaftlichen Brief erhalten .
Der Onkel schrieb , daß er sich die beiden schönen Nichten nächstens einmal einladen würde .
Diese Einladung war nicht erfolgt .
Und die nächste Nachricht war eine Depesche , die Mama schleunigst an das Sterbebett ihres seit Jahren ihr fremd gewordenen Bruders rief .
Doktor Frey war gehobener Stimmung .
Er wußte zwar von seinem Schwager Apotheker nicht viel mehr , als daß dieser wie ein altbürgerlicher Junggeselle gelebt hatte , bescheiden , aber solid .
Angenehm war es auf jeden Fall , daß er seine Schwester bedenken würde .
Darauf war eigentlich mit Sicherheit zu schließen .
Doktor Frey hoffte , daß es etwas ausgeben würde .
* Henry Mengersen wandelte auf der Terrasse vor Mrs. Wendlands Speisezimmer , schaute den blauen Wölkchen seiner Zigarette nach und ließ die Blicke über den See hinschweifen , der bleich wie eine metallene Scheibe ausgebreitet lag und den weißgrauen Himmel wiederspiegelte .
Nahe dem Hause ging Isolde .
Sie hatte die Arme auf den Rücken zusammengelegt , stieß mit dem Fuß nach kleinen Steinen und glaubte sich unbeobachtet .
Henry Mengersen blieb jetzt stehen und sah auf das Mädchen .
Es freute ihn , zu sehen , wie harmlos das Ding sich bewegte .
Ihre junge Schönheit beschäftigte seine Sinne angenehm .
Welch verhaltene frische Kraft lag in den Gliedern .
- Und welche Vornehmheit in der ganzen kleinen Bestie ! -
In ihr war das Stilvolle ; das würde sich später erst recht entwickeln .
Wie selten traf man doch solch ein Weib !
Mrs. Wendland mußte in ihrer ersten Jugend ähnlich gewesen sein .
Mrs. Wendlands Sohn war gestern spät abends angekommen , ein achtzehnjähriges Bürschchen , junger Kosmopolit .
Sie hatte ihn aus irgend einem Grunde nach Wien gesteckt und er war eben auf dem Weg , in Paris seine Studien fortzusetzen .
" Köstlich , den über Weiber reden zu hören , diesen Fratz ! "
Henry Mengersen lächelte in der Erinnerung daran .
» Aber ich bitte Sie , Henry , man kommt doch nie über diesen lendemain hinaus , « hatte er zu ihm gesagt .
» Immer dieselbe Situation .
Ihren Kopf an meinem Busen und ich grinse über sie hinweg .
Die Psyche des Weibes gibt mir nichts Neues mehr , Henry , es hat mir noch keine " nein " gesagt .
Eine einzige - und ich wäre dieser Frau dankbar . «
- Teure Mistreß , da hast du dir ja etwas Famoses " ausgebrütet " .
Henry Mengersen amüsierte sich , seine Gedanken spazieren zu lassen .
Er entsann sich eines Ausspruchs Mrs. Wendlands :
" Mir geht es so wohl , Henry ; wenn ich wieder zur Erde komme , werde ich wieder als unabhänglige Witwe geboren .
Ich bin ein freier Mensch .
Leider mein einzigen Tyrannen habe ich mir selbst ausgebrütet . "
Damit meinte sie also dieses Söhnchen .
- Alle Achtung !
Und sie glaubt sich von diesem Söhnchen angebetet .
» Menschen untereinander ! «
- dachte Henry Mengersen .
» Jetzt sitzt er bei seiner Mama .
Was sie wohl miteinander reden ?
Natürlich durchschaut er sie .
Sie ihn ? -
No !
Mütter sehen nun einmal ihre Söhne immer wie in der zweiten Stunde nach der Geburt . «
Henry Mengersen warf seine Zigarette fort und drehte sich eine neue .
Es lag eine so köstliche Stimmung in der Luft .
Ein feuchtwarmer Wind wehte vom See .
Man war wie eingehüllt in solche Luft .
Es dachte sich so leicht und angenehm in dieser Atmosphäre , so kühl objektiv .
Isolde war inzwischen langsam dem Walde zugegangen .
" Weißt du , mein Schatz , weshalb nicht ?
Wenn ich ein weniger vorsichtiger Mann wäre - aber deine Basen , Väter , Onkels und Mütter - nee - weißt du ! " und Arthur Wendland trat auf die Terrasse .
Ein fabelhaftes Männchen .
Gegen ihn schien Mengersen fast philiströs in seiner ganzen Erscheinung .
Da war Rasse bis in das Taschentuch , übertriebene Rasse .
» Mein Mann und ich waren eine gute Mischung , « hatte Mistreß Wendland gesagt .
" Was Mama für eine sonderbare Frau ist ! "
Arthur warf sich in einen der indischen Lehnsessel .
" Ich soll offen zu ihr sein , sie will ein wenig » Mama « spielen .
Wozu man nicht alles herhalten muß !
Ich bin Mama übrigens dankbar ; in allem , was sie tut , ist sie check .
Ich hatte mir das früher als höchst ennuyant vorgestellt , Mamas Eingriffe in das Leben eines jungen Mannes .
Mama ist Gottlob aber eine Dame von Welt , man kann mit ihr reden ! "
" Ja , Sie werden von Ihrer Mutter nicht geniert , junger Mann , " sagte Mengersen .
" Wir sahen die kleine Person , die Isolde da unten gehen , Mama und ich .
Mama sagt : Sie ist First class .
Ich sagte : für ein » Nein « ruiniert man sich mit hundert » Ja « . "
Nach diesem Ausspruch dehnte sich der kleine Arthur Wendland in seinem Stuhl .
" Man sollte etwas Boot fahren , " sagte er , erhob sich und schickte sich an zu gehen .
" Würden Sie geneigt dazu sein , Henry ? "
" Augenblicklich nicht , ich fühle mich hier sehr angenehm . "
* Etwas später hatte Henry Mengersen ein Gespräch mit Mrs. Wendland .
" Nun , Henry , wie gefällt Ihnen mein einziger Sohn ? -
eine nette Karikatur ?
Vor der Hand Snob .
Aber er wird mir einmal danken , daß ich ihn habe par force über die schlimmsten Jahre gebracht .
Sie sind ein sehr kluger Mann , aber die Klugheit von einer Frau , wissen Sie , das ist etwas ganz anderes .
Ich habe ihn jetzt hier , weil er sich soll in Isold verlieben .
Sie ist ein sehr herbes Mädchen und es ist jetzt Zeit , daß er eine unglückliche Liebe bekommt .
Heiraten , mon Dieu , so einen Unsinn wird er in Ewigkeit nicht denken - und Isold wird ebenso wenig einen anderen Unsinn denken .
Sie verstehen ? "
" A la bonheur " sagte Henry Mengersen .
" O , liebe Mistreß Wendland . "
» Sonderbar , Frauen kennen einander nie « , denkt er , » haben nicht das geringste Urteil , wenn es sich um eine ihres Geschlechts handelt « .
" Also Fräulein Isolde ist so außerordentlich herb ? " fragt er belustigt .
" Und rein , wie eine junge Quelle , " sagt Mrs. Wendland .
" Wir können über das alles reden ; Sie werden sich in Isolde nicht verlieben .
Sie ist arm , Sie wissen und aus einem anständigen Haus .
Sie werden Sie so wenig heiraten , wie ich den Baron .
Was soll ich mit dem fremden Mann in mein Haus ?
Und so ist mit Isolde , was sollen Sie mit das kleine Mädchen ?
Sie wäre auf alle Fälle schade vor Sie .
Was werden Sie einmal Ihrer Frau geben ?
Vom ganzen Souper haben Sie nur noch den Dessert .
Bei Ihnen möchte ich nicht oft soupieren , Henry .
Und ob der Dessert gut geraten ist ?
Doch bei einem Halb-Deutschen - sehr fraglich .
Ich habe etwas von Ihr Dessert gekostet - damals war es ganz gut - aber kein Meisterwerk ; aber auch von Ihr Dessert haben seitdem viele gegessen . "
So sprach Mrs. Wendland zu Henry Mengersen , der einmal wie berauscht von ihr gewesen war , in einer Zeit , in der sie sich beide geliebt hatten .
Ja , sie war souverän .
Und das mochte es sein , was ihn noch immer an sie kettete ?
Sie war so überraschend .
Ein für ihn bequemerer Übergang von Liebe zu Freundschaft ließ sich nicht denken .
Sie hatte ihn geleitet , wie mit Feenhänden .
Ja , er mußte es sich selbst sagen : dieser Übergang gehörte zu seinen angenehmsten Erfahrungen .
Er wünschte allen Frauen , daß sie dies so vorzüglich verstehen möchten .
Und heute sagte er irgend etwas Derartiges zu Mrs. Wendland und führte ihre gepflegte zarte Hand an seine Lippen .
Sie lächelte gedankenvoll .
" Ja , es war Ihnen sehr bequem , Henry , und deshalb lassen Sie es gelten .
Aber daß ich eine große Künstlerin bin , verstehen Sie nicht .
Dazu sind Sie zu philiströs .
An eurer Kunst hängt ein großes Stück Philistertum .
Es muß alles gezahlt werden mit Gold und Diplomen und so weiter . - -
Doch , lassen wir das ! "
" Ewig schade , daß Sie ein Weib geworden sind , Mary ! "
Henry Mengersen schnippte die Asche von seiner Zigarette mit dem kleinen Finger über die Balustrade .
" Du weißt wohl nicht , mein Freund , wie grob du bist ? " entgegnete sie liebenswürdig .
" Jeder Geist an einem Weib ist Verschwendung !
Es ist was ich sage : Ihr habt die deutschen Frauen zu Kühen gemacht .
Eine Kuh bekommt ihr Junges ohne Geist und ist dazu ein sehr nützliches Tier .
Weshalb soll eine Frau dazu Geist haben , was ohne Geist zu tun ist ! "
" Ach !
Ach !
Ach !
Ach ! " rief Henry Mengersen und hielt scherzhaft beide Hände auf die Ohren , die eine nur andeutungsweise , denn seine Zigarette brannte noch .
" Verehrteste , teuerste , liebste Mary , verschonen Sie einen Armen , der das Unglück hat , »Mann « zu sein und etwas zu leisten ! "
" Lassen Sie Ihre Ironie , Henry , - gehen Sie ein wenig spazieren .
Zu Abend speisen wir auf der Veranda unten .
Sie kommen doch ? "
Henry Mengersen küßte ihr die Hand .
* » Ennuyant « , dachte er .
» Wenn sie das doch lassen wollte ! «
Dann schlenderte er dem Walde zu , denselben Weg , den Isolde gegangen war .
Über ihm rauschten die Buchenkronen im ersten Abendlüftchen .
Was war das ?
Er blieb stehen .
Eine junge Stimme schmetterte ungeschult und laut aus dem Walde heraus - so frisch - so falsch die Töne , so aus der ersten Jugendkraft heraus .
Henry Mengersen lächelte .
" Das junge Tier , das durch den Wald läuft in Liebessehnsucht .
O , gute Mistreß , hören Sie nur diese Stimme , meine sinnlich übersinnliche Mistreß !
Lehren Sie mich doch diese Stimme verstehen . "
Henry Mengersen stand noch immer und horchte .
Es war , als hielten die ungezügelten Laute ihn im Bann .
Isoldes Gestalt stand ihm vor Augen .
» So etwas will eben leben « , dachte er , » keine Ahnung von Wohllaut !
Daß ein Weib je solch lebendige Frische in sich haben kann !
Wie ein Bergstrom lärmt sie ! «
Er horchte - horchte .
- " Nein unerhört !
Eine nackte Stimme ! "
Es war ihm , als sähe er auch das Mädchen wie eine griechische Nixe nackt im Walde laufen und schreiend singen , Liebesklage und Wonne , ein wildes , ursprüngliches Durcheinander .
Da hatte er die geheimste Weiboffenbarung !
In seinen kühlen , beobachtenden Augen glimmte es .
Er war unbedingt erregt ; als Mann und als Künstler erregt .
Er empfand das wilde , verlangende Geschöpf so deutlich , diese jauchzende Naturkraft .
In ihm war ein neues Werk entstanden .
Nach einer matten , schaffensunlustigen Zeit , die erste lebendige Stunde .
Vorsichtig wie ein Jäger , schlich er näher .
Er wollte , mußte sie sehen , wie sie saß , stand oder was sie tat während dieses tollen , lärmenden Gesanges .
- Und da sah er sie vor sich in ihrem grauen Lodenkleid ; die Arme über dem Kopf gefaltet , stand sie an einen Buchenstamm gelehnt und wie hypnotisiert von ihren eigenen Tönen .
In nächster Nähe gellten sie ihm schrill in die Ohren .
Ja , das war etwas Urweltliches ; und so etwas lief in modernen Kleidern umher , ließ sich höhere Tochter nennen , benahm sich ganz ehrbar , wie andere auch . -
Wie sie dastand ! -
Die verkörperte Liebes- und Lebenssehnsucht .
So , in dieser Gefühlssituation hatte er das Weib noch nie gesehen .
Das war ihm neu .
* Er war selbst überrascht , als er ihren Namen rief , wie ihm der Name " Isolde " laut über die Lippen kam .
Da zerriß der Gesang wie mit einem Sprung .
Als hätte eine Kugel sie getroffen , zuckte sie zusammen .
Er sah in ein ganz erbleichtes , starres Angesicht .
Kein Wort kam von ihren Lippen , kein Lächeln .
- Sie schaute fassungslos .
Und er ?
Als wäre er mit einem leichtsinnigen Sprung mitten in einen Wasserstrudel hineingesprungen .
" Isolde ! "
Was war ihm eingefallen !
Dieser verhexte Name !
Einen anderen hätte er nie gerufen .
Aber : " Isolde ! - Isolde ! "
Wie einen Liebeswonneschrei , solch einen Namen zu tragen !
" Isolde ! " sagte er noch einmal ; aber tonlos .
Da kam Bewegung in sie .
Aus ihren Augen leuchtete ein ganz seliger Glanz - etwas so traumhaft Seliges .
Wie von etwas ganz Unfaßbarem aus dem Schlaf geweckt , stand sie vor ihm ; hilflos , rührend , wie vernichtet - und wieder wie eben erst zum Leben erwacht .
Nie hatte er solch eine träumerische Verwirrung auf einem Gesicht gesehen .
Ja , und er , der so vielfach Gelangweilte , Abgekühlte war selbst erregt und verwirrt .
Was hatte er da angerichtet !
Da stand sie und bot ihm ihre Liebe auf eine so süße , kinderhafte Art , so unverhüllt , so durchsichtig , so widerstandslos .
. . . Ja , da war etwas was ihn ergriff .
Er mußte den Arm um ihre Schulter legen , mußte sie an sich ziehen .
" Das ist doch nicht möglich ? " sagte sie bebend .
Und ein Tränenstrom brach aus ihren Augen , so heftig , - so glückselig wild .
Im Nun war der Regenschauer über ihr Gesicht hingegangen und sie sah ihn mit leuchtenden Augen fragend an .
Der große , forschende Blick irritierte ihn wie ein Sonnenstrahl .
Ihr Kopf ruhte jetzt an seiner Brust .
Da mußte er an Arthur Wendland denken :
» Ihren Kopf an meiner Brust und ich grinse über sie hinweg . «
Ihm war zu Mute wie einem reichen , satten Menschen , dem ein anderer mit fanatischer Wonne sein einziges Besitztum , nach dem er gar kein besonderes Verlangen trägt , zu Füßen legt .
Er fühlte sich unendlich belastet .
Dieses zitternde vor Seligkeit hinsterbende Geschöpf im Arme , das von ihm alles forderte , das ihm unbewußt alles bot , bedrängte ihn .
Was sollte er tun ?
Sie war sein , das fühlte er .
Sie hatte sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben .
Sie glaubte an ihn .
Jetzt sah sie zu ihm auf .
Diese Augen - diese fordernden , glaubenden Augen !
" Daß du mich liebst ! " sagte sie tief träumend wie von Glück übergossen .
Er drückte sie fester , inniger an sich .
» Armes Ding « , dachte er , » müßte ich jetzt nicht der Vorsichtige , Bedenkliche sein , wärst du - - was du bist - einfach ein verliebtes Mädel . . . «
Er schloß sie fest , fest an sich .
Sie erschauerte tief .
Er empfand es .
Er drückte einen Kuß auf ihre halb geöffneten Lippen .
Sie schloß die Augen .
" Du , Mensch aller Menschen ! " flüsterte sie wie damals als sie vor dem Schädel lag .
" Wie , mein Herz ? "
Sie antwortete nicht .
Sie war wie erstarrt .
Mit einem Mal kam Leben in sie .
Sie hob den Kopf , machte sich zaghaft und rührend sanft aus seinen Armen los und erzählte ihm von ihm selbst - von jenem Tag als sie zuerst seine Kunst verstanden hatte .
" Ja , " sagte sie , " es war als wäre das alles mein eigen , von mir selbst geschaffen , was du schaffst - mehr könnte ich es nicht lieben , mehr könnte es mir auch nicht sein :
So wie ich dich , versteht dich kein Mensch .
Weißt du , ich bin gar nichts .
Ich kann nichts , - ich weiß nichts - man hat mich nichts gelehrt .
Aber deine Kunst wohnt seit jenem Tag in mir .
Sie ist mein Bestes , mein Einziges , das Gute in mir .
Weißt du , ich sehe die Welt , wie du sie siehst .
Ich tue alles mit dir .
Und deshalb liebe ich dich auch so sehr , " sagte sie einfach .
Er hatte da ein wunderbares Abenteuer .
Wie sie sich selbst betrog !
Liebte seine Kunst !
Er lächelte , nahm ihr Köpfchen und strich mit der Hand über das lockige Haar .
" So ein krauses Köpfchen . "
Sie sah ihn ernst an .
" Was ich dir sage , ist was ich weiß . "
Ihre Augen hatten etwas unergründlich , leidenschaftlich Ernstes .
Da kam ihm ein Gedanke .
" Isolde , " - sagte er und wieder goß dieser Name seinen Zauber über ihn .
" Sage mir , willst du mir etwas zu Liebe tun ? "
" Ja , " sagte sie .
Er blickte sie forschend an .
" Du standest vorhin so an dem Baum , die Hände über dem Kopf und sangst .
Willst du mir so ein einziges Mal stehen , daß ich dich zeichnen kann ? "
" Ja , " sagte sie .
" Sogleich wenn du willst . "
Sie war ganz bereit .
Da schloß er sie wieder in die Arme , fest , innig , ganz gerührt .
- Und er flüsterte ihr ein paar Worte ins Ohr .
Sie lag einen Augenblick darauf matt , wie verwundet , schwer in seinem Arm .
Es war ihm , als sei sie nicht bei Bewußtsein .
" Isolde , " flüsterte er .
Sie hob sich , sah ihn ruhig ernst an und sagte : " Ja wenn ich dir wahrhaftig damit helfen kann . "
Jetzt reichte sie ihm die Hand .
Sie sagte nichts ; aber er fühlte , er sollte jetzt gehen .
Es war etwas Ermattetes in ihr .
Er war besorgt , sie könnte sich nicht auf den Füßen halten , aber sie stand ruhig und bleich und sah ihn an .
" Du kommst also zu mir , Isolde , in der ersten Stunde , in der es uns möglich ist . "
Ihre Augen sagten es ihm zu .
Sonst war sie ganz unbeweglich .
Er ging , und zwar in wunderlicher Erregung ; machte einen weiten Gang um ruhig zu werden .
Hier hieß es , Vernunft beieinander halten .
Das war ja eine ganz gefährliche Geschichte , die in den Rahmen seiner gewohnten Liebesabenteuer nicht passen wollte .
» Sie wird doch nicht ! « dachte er erschreckt , als er sich das erste Wiederbegegnen mit Isolde in der Gesellschaft ausmalte .
» Sie wird in ihrer Naivität sich doch nicht als Braut betrachten !
So eine höhere Tochter in ihrer Weltfremdheit weiß nichts als Verlobung und Heirat und Heirat und Verlobung .
Wie ihr das beibringen ? «
Zuerst meinte er , er wollte sich an diesem Abend zurückziehen , um sie nicht in Versuchung zu führen , ihn und sich zu kompromittieren .
Dann verwarf er diesen Plan .
Es war besser sie im Auge zu behalten .
Und so geschah es .
Er behielt sie im Auge und sah an diesem Abend ein stilles , rührend schönes Kind , das in seinem duftigen Kleid einer großen , weißen , träumerischen Blume glich .
Er sah , wie sich Arthur Wendland um sie bemühte - und wie sie nichts bemerkte , nichts sah und verstand , was um sie hervorging .
Schon bei seinem : " Guten Abend , Fräulein Isolde , " war er fürs erste wenigstens über ihr Betragen beruhigt .
An diesem Abend wurde verabredet , daß alle miteinander Frau Lu am nächsten Morgen nach Hause begleiten und erst am Abend zurückkehren sollten .
Als Henry Mengersen zu später Stunde seine ausführliche und sorgsame Nachttoilette machte , mochte seine Phantasie genug Beschäftigung haben .
Ob er wohl eine Ahnung davon hatte , welch süßes , reines , ganz entflammtes Herz heute an seiner Brust geschlagen ?
5.
Der Morgen , an dem Frau Lu nach Hause begleitet werden sollte , war unsäglich taufrisch und wollte ein Sommertag von Gottes Gnade werden .
Blaue , weite Schatten , breite Lichtflächen , kühle Nebel , über dem Wasser schimmerndes Aufleuchten .
Die stille Frau Lu mit dem ernsten Kindergesicht , den schönen Augen , dem kleinen Kopf und der vollen , schlanken Gestalt , schien allen in diesen Tagen nicht viel näher getreten zu sein .
Und doch empfanden sie die Anwesenheit dieser Frau , wie man etwa eine blühende Reseda im Zimmer empfindet .
Bei einer Gelegenheit sagte Mrs. Wendland zu ihr :
" Eine berühmte Frau und ist wie nicht da .
Wenn du dich nicht selbst in Szene setzt , -
Lu , wer wird dich in Szene setzen ? "
Mrs .
Wendland wurde oft ungeduldig über sie .
" Man darf sie nicht aus ihrem Haus nehmen , sie ist wie ein Fisch .
Sie schwimmt nur in der Liebe von ihre Leute . "
Doktor Frey dagegen hob gerade das zurückhaltende , sich selbst verschweigende Wesen seiner Kollegin lobend hervor .
" Sie ist wenigstens nicht aufdringlich , " sagte er .
" Mir sind schriftstellernde Frauen wie jedem zuwider ; aber sie behelligt einen Gottlob nicht , und ihre Leistungen - ausnahmsweise alle Achtung ! "
Mrs .
Wendland äußerte sich ein anderes Mal wieder über ihre Freundin :
" Sie ist eine Nachtigall .
Im Dunklen schlägt eine wehe selige Stimme , so wie das Herz der Nacht .
Und man lauscht , und wer versteht , legt die Hände auf seine Brust und sagt .
O du großes Leid .
Alle tragen dich und wissen nicht - leiden und verstehen nicht , wie sehr sie leiden - und dieser unscheinbare Vogel weiß .
Zwischen einem Mann und seinem Leid steht seine nützliche Kraft ; die läßt es nicht so nah zu ihm .
Zwischen einer Frau und dem Leid steht nichts .
Eine arme nackte Frauenseele wird nie so erstaunt fragen wie ein Mann :
Wie ist das Böse in die Welt gekommen ?
Sie sieht und fühlt die Welt ganz anders . "
Mrs .
Wendland hatte Lu Geber vor einem Jahre aufgesucht , nachdem sie ihr mit ein paar liebenswürdigen Zeilen gesagt hatte , wie sehr sie von ihr verstanden würde .
Und Mrs. Wendland hatte es nicht bereut , ihrem Impuls nachgegeben zu haben .
Sie hatte in Lu und deren Mann Freunde gewonnen und zwar so eigenartige Freunde , wie es ihr Trieb nach Eigenartigem nur wünschen konnte .
Beide waren Menschen , über die man sehr viel redete und die viel mißverstanden wurden .
Nachdem mit großen Schwierigkeiten Helwig Gebers erste Ehe getrennt worden war , hatte er die junge Schriftstellerin geheiratet , die er schon kannte , als sie fast noch Kind war .
In seinem Hause war sie jahrelang ein- und ausgegangen .
Er hatte das begabte , junge , wildaufgewachsene Ding arbeiten und denken , ungenutzte Kräfte brauchen gelehrt und hatte Verehrung und Unterwürfigkeit von dem ungezügelten Charakter des Mädchens dafür eingetauscht , hatte einen Kameraden in ihr gefunden , der wie ein treuer Hund zu ihm stand , immer bereit , ihn zu verteidigen , das Leben für ihn zu lassen .
Sie hatte einen Gott in ihm gefunden , von dem sie alles hoffte , an den sie glaubte , zu dem sie heranwuchs .
Sie wollte ihm ebenbürtig werden .
Ihre ganze Jugend war eine große Herzenserregung gewesen .
Jahrelang hatte es gewährt , bis sie wußte , daß sie ihn liebte .
Und wie ein Todesurteil war dies Bewußtsein über sie gekommen .
Sie waren einander unentbehrlich geworden - und mußten sich trennen - und wollten sich trennen .
Da , - wie ein Wunder trat ein fremder Wille dazwischen .
Sie war es , die eigene Frau , die in Trennung und Auflösung hinein das Wort vom Einanderangehören sprach .
Sie hatte dem Manne schon in den ersten Jahren ihrer Ehe Scheidung angetragen und jetzt bot sie ihm wieder ruhig Scheidung an - und Verbindung mit der , die er liebte .
Eine Wundermär in all die Todestraurigkeit hinein .
Zwei , die sich aufgaben , stehen schon bereit , den Tod im Herzen - und eine Stimme kommt und spricht .
" Bleibt beieinander .
- Ihr - ihr dürft es und ihr könnt es .
Ich wirke das Wunder . "
Sie glaubten nicht , konnten nicht glauben .
Wozu die Qual des Aufschubs ?
Und die Stimme kam wieder , ruhig , eindringlich , überzeugend , bis sie glaubten - und mit einer großen Lebenswonne glaubten .
- Alles , was niedergehalten war , erwachte - alle Sinne taten die Augen auf .
Die Liebe , die wie ein unaussprechliches Geheimnis geschwiegen hatte , jauchzte in beider Herzen - und die Dankbarkeit der Freigelassenen , der Sklaven die Herren wurden .
Und die Stimme kam wieder und wieder , festigte den Glauben , die Liebe und die Hoffnung .
Und es verging eine gute Zeit .
Die Stimme versprach und hielt die Hoffnung am Leben .
Aber die gottgesandte Stimme hatte etwas so Spielerisches , Gedankenloses bekommen .
Ja - ja - und _ Ja - ja - ja - und dabei blieb es .
Es geschah nichts .
Dann kam eine Zeit , da wurde die Stimme spöttisch , so von oben herab , spielte wie ein Raubtier mit seinem Opfer - und gellte von hartem Spott .
Ein Lachen kam in die Stimme , in der Machtbewußtsein und böses Gewissen wie mit scharfen , mißgestimmten , schrillen Glöckchen klangen - eine Stimme , die aus einem heiligen Gelübde einen tollen Scherz machen wollte .
Und so riß sie Jahr und Jahre zwei unglückliche Menschen an tausend gemarterten Nerven , tanzte wie mit scharfen Füßen über mattes , müdgearbeitetes Hirn .
Dann kam eine Zeit , in der die Stimme tödlich wurde , wie eine Peitsche sausend und zischend , auf das Höchste peinigend .
Da fand sich ein Ausweg . -
Unter anderen Gesetzen Scheidung und Ehe .
Rettung !
Rettung für alle , auch für die arme , peinigende , selbstgepeinigte Stimme .
Über die aber , die sich mit letzter Kraft gerettet hatten , fielen die Menschen her .
Der Lauf der Welt ist so .
Die Massen wollen nicht Zuschauer einer Rettung sein .
Sie wollen Untergang .
Rettung befriedigt sie nicht ; langweilt , enttäuscht und empört .
Und die Zuschauer rächen sich , fallen selbst über die Geretteten her , um , was noch am Leben blieb , ihrerseits zu zerreißen .
Eine Sturmflut böser Nachrede , Verleumdung , Haß , Vernichtung ging über die Geretteten hin und warf sie krank und matt gehetzt ans Ufer .
Sie waren auch jetzt nicht untergegangen .
Sie lebten .
Ihre Liebe lebte .
Mächtiger als alles waren sie gewesen .
Gebrochen an Leib und Seele - - aber ohne Reue !
Im tiefsten Herzen unsagbar glücklich !
Jubelnd vor Wonne , daß sie beieinander geblieben waren .
Lachen konnten sie über das was die Welt " Liebe " nennt , diese kleine zivilisierte Liebe !
Dies Hündchen mit der Steuermarke um den Hals .
Sie hatten die löwenstarke Liebe kennen gelernt , die königliche , über die nichts auf Erden Macht hat .
Die noch nie eine Kette litt !
Die noch immer entkam .
- Krank , sterbenskrank lagen sie einsam , arm im Krankenhaus einer großen Stadt , dem Tode nahe .
Kein Mensch kannte sie .
Niemand fragte nach ihnen .
Niemand half ihnen .
Und wer etwa von ihnen wußte , verachtete sie .
Sie hatte sich an sein Bett tragen lassen und er hielt ihre Hand in der seinen .
- Beide totkrank .
" Was sind wir doch für glückliche Menschen ! " sagte er .
Das war die feierliche Stunde der Erlösung , die Stunde des Triumphes .
Von da an gesundeten sie .
Aber ihr Leben bisher war wie ein Leben auf der Folter gewesen .
Die zertretenen Herzen mußten erst wieder heilen und heilten langsam .
Oft schien es , daß es nicht zur Heilung käme - aber sie heilten .
Und nun waren sie wie Menschen , die , schon einmal gestorben , wiedergekehrt sind .
Sie hatten sich immer an den Händen gehalten , und das hatte sie gerettet .
Jetzt gingen sie wieder unter den anderen und es war , als ahnten diese , das etwas Königliches in beiden lebte .
Sie fanden Freunde und man kam ihnen entgegen .
Und nun endlich , nach Jahren , lebten sie in einem kleinen Haus für sich , das in einem wunderschönen Garten stand .
Viele lebten auch wie sie und schöner und reicher .
Aber die beiden kamen doch aus einer anderen Welt , ihre Liebe war eine andere Liebe , ihr Verstehen ein anderes Verstehen .
Sie waren die Wiedergekehrten und sie hatten aus dem Jenseits etwas mit herübergebracht .
Sie waren die schon einmal Gestorbenen .
Und zu diesem ganz in Laub vergrabenen Heim begleitete Mrs. Wendland mit ihren Gästen , Frau Lu .
Eine köstliche Fahrt über den See .
Dann eine Wanderung , ein wundervoll sommerlicher Gang durch stille Buchenwälder .
In einem kleinen Nest wurde von Mrs. Wendlands Diener serviert , genau so erhaben und feierlich in dem Bauernwirtsgarten wie daheim .
Es machte den Eindruck als ignorierte der ausgezeichnete Mann einfach den Wechsel der Umgebung .
Unnahbar für alles , nur für die Würde des Hauses nicht , manövrierte er mit der ländlichen Suppenschüssel auf eine großartige Weise .
Von da fuhren sie am Nachmittag mit der Bahn bis zu einem Vorort Münchens , mitten im Wald gelegen , am steilen Ufer der Isar .
Das ferne München lag in einer leuchtenden Dunstwolke .
Und dieser Dunstwolke zu rauscht die Isar , einen lebendigen , starken Gebirgshauch mit sich führend .
So nah einer Großstadt war kein frischeres , ursprünglicheres Fleckchen Land zu finden , um ein stilles , in die Natur eingewachsenes Heim zu gründen .
Nur wenige , durch bequeme Wege abgeteilte Waldparzellen , hatten ihre Eigentümer schon gefunden .
Hier und da lugte aus dichtem Buchengrün ein rotes Dach .
Henry Mengersen kannte die Gegend noch nicht und war von der Eigenartigkeit der Landschaft ganz überrascht .
" Jetzt werden wir dem guten Philosophen über den Hals kommen , " sagte Mrs. Wendland .
" Ist ihm sehr recht , er lebt zu bequem . "
" Nein - nein , er weiß schon , " sagte Frau Lu .
" Natürlich diese beide sind immer unter einander einverstanden .
Wir wollten ihn doch überraschen . "
Mitten auf dem breiten Waldweg kam ein winziges , drei Spann hohes Bürschchen in einem roten , faltigen Kittel gewackelt .
" Brüderchen ! " rief Frau Lu .
Da waren sie beieinander .
In Frau Lus Kleid wühlte sich der runde , blonde Kopf des festen Bürschchens ein .
Hinter ihm drein kam ein nettes , freundliches Dienstmädchen gelaufen .
Das Bürschchen war ihr offenbar entwischt .
Es zappelte und wühlte mit dem Köpfchen und hing an seiner glücklichen Mutter .
" Brüderchen ! " in ihrer Stimme klang eine so unmittelbare Seligkeit , so etwas urkräftig Warmes , - Frohes .
" Wie geht_es dem Herrn ? " fragte sie das Mädchen .
" Ganz wohl , gnädige Frau haben schon Besuch bekommen .
Es sind mehrere Herrschaften da . "
" Natürlich , " sagte Mrs. Wendland , " man kann nie zu euch kommen , ohne so und so viele Zeugen .
Da wird wohl die Oriflamme sein mit ihrer Governeß ?
Ist die Komtesse gekommen ? "
" Ja , und das andere Fräulein ist auch dabei . "
" Dann ist der biologische Mensch auch nicht weit . "
Mrs .
Wendland war ärgerlich .
" Ist Herr Meyer auch gekommen ? " fragte Frau Lu lachend .
" Ja , auch , " das Mädchen lächelte bescheiden , wie es sich ein besserer Dienstbote erlauben darf .
" Dann , " sagte Mrs. Wendland , " sind auch die Adepten da ! "
Ja , die Adepten waren auch da : ein Professor mit Frau und Kindern , eben die Adepten .
" Lu , " sagte Mrs. Wendland , " ihr solltet nicht mit allen diesen Leuten verkehren !
Ich habe immer gesagt , ihr solltet nicht . "
Mrs .
Wendland ging mit Isolde und Frau Lu , die ihr Bübchen trug , voraus .
" Das sind Leute , die es nicht zu euch wohl meinen können .
Dein guter Mann sagt ihnen alles Beste und Höchste , was er weiß .
Sie verstehen nicht - und dann kommen die Geschichten . "
" Die Adepten sind ganz harmlose Leute , " meinte Frau Lu .
" Ja , aber was tut das , ich weiß , es ist nicht gut . "
" Ich sage dir , die Oriflamme wird so lang mit deinem guten Mann kokettieren , bis sie finden wird , daß sie sich kompromittiert hat , dann werden die beiden Vestalinnen , die Flamme und die Governeß , Lärm schlagen .
Du und dein Mann seid viel zu harmlos für solche Menschen .
So eine Jungfrau ist jeden Augenblick bei ihr » j'y pense « .
Spricht er von ein Stuhlbein - - sie versteht von ihr Bein und ist empört - O , diese älteren Jungfrauen mit ihr » ji pense « ! "
Jetzt traten sie durch eine grüne Gartentür mit grünüberwachsenem Bogen .
Frau Lu begrüßte hier als Wirtin ihre Begleiter , Doktor Frey , Henry Mengersen , auch Isolde , die während des ganzen Wegs sehr stille war und gern zurückgeblieben wäre , wenn sie es hätte möglich machen können .
Sie war den ganzen Weg nicht von Mrs. Wendlands Seite gegangen .
" Wie schön ! " sagte Isolde .
" Wie entzückend ! "
Es war das erste Mal , daß sie heute lebendig wurde .
Frau Lus Garten war wohl eigenartig genug .
Ein Stück Wald , kräftige kleine Tannen und hin und wieder ein schöner hoher Baum .
Der Waldboden : Heide , die sich schon zum Blühen anschickte .
Und mitten in diesem Heideboden Rosenstöcke , Levkojen , Feuerlilien .
Neben einer kleinen dichten runden Tanne ein blühender Mohnbusch , von dem großblumigen , mächtigen .
Um die hohen Tannenstämme schlangen sich Clematis mit tausend kleinen und großen violetten Blüten , Kresse , Reseda , Verbenen - es war ein entzückendes Durcheinander und wahre , wirkliche Waldluft , harzig und würzig .
Aus der Tür des dunklen , norwegischen Blockhauses tritt ein schlanker Mann im blauen Anzug .
Etwas Ruhig-Gutes liegt in seiner Haltung und seinem Blick .
Frau Lu eilt auf ihn zu .
Sie hält noch immer das Bübchen im Arm .
Er gibt ihr die Hand und sieht sie an und klopft dem Bübchen auf die Wange .
Sie haben kein Wort miteinander geredet - aber sie haben sich wieder .
Sie sind beruhigt .
- Es ist nun gut .
- Sie ist wieder da .
Das liegt in seinen Augen , noch als er die Fremden begrüßt .
Und sie , sie ist eine ganz andere Person geworden .
Die Augen strahlen .
Es ist etwas Leichtes , Heimisches in ihre Bewegungen gekommen .
Sie sieht viel jünger aus .
Es ist als wenn sie einen tiefen Atemzug getan hätte .
Da ist sie wieder in der Atmosphäre , in der es sich so tief , so rein atmen läßt .
" . . . Ich habe alles zum Tee mitgebracht , du brauchst dich gar nicht zu bemühen , Lu , " sagt Mrs. Wendland und gibt dem Diener einen Wink ; der schließt sich dem Mädchen an .
" Ja , " sagt Frau Lu , " wie lieb von dir . "
* Unter einer großen Buche im Garten wurde der Tee serviert .
Der Dichter , Reichstagsabgeordnete und Prophet Frey und Henry Mengersen kommen hier mit einer Reihe Leuten zusammen , die ihnen in ihrem Wesen und ihren Zielen vollkommen fremd waren .
Mit Helwig Geber war für sie ein Verständnis möglich , trotzdem er im Gespräch weder auf Kunst noch Politik besonders einging .
Er lebte in einer Welt , die andere kaum streiften .
Philosoph so durch und durch , so ganz und gar , daß es ihm schwer fiel , von etwas anderem zu reden .
Fand sich ein Mensch , von dem auch nur ein Funken Verständnis zu erhoffen war , so gab er sich dem offenherzig hin , war unermüdlich darin , zu überzeugen und grundehrlich wie ein Kind .
" Sehen Sie , wie wunderbar das ist , " sagte er dann und wollte , der andere sollte auch empfinden , was er empfand .
Er arbeitete an einem Werk , für das gewissermaßen dies kleine Haus , in dem die beiden lebten , der Tempel war .
Das Werk ihres Mannes , war Frau Lus Lebenshoffnung , auch ihre Lebensfreude . wie es die seine wohl sein mochte .
An Erfolg dachten sie beide nicht ; aber es sollte sich etwas gestalten , etwas Neues , Einfaches , Großes , und mochten noch Jahre hingehen , mit forschen , vergleichen , prüfen .
Das Werk wuchs .
Kamen wieder und immer wieder lange Krankheitszeiten , so mußten sie ertragen werden , bis er endlich wieder mit Hoffnung an die Arbeit gehen konnte .
Frau Lu wäre es lieber gewesen , er hätte nie mit einem Menschen über das gesprochen , was ihn unablässig beschäftigte ; trotzdem er Anhänger gefunden hatte , prächtige Menschen , fand sich auch viel sonderbares Volk , dessen Neugierde durch die Eigenartigkeit des sich geistig hingebenden , schönen Mannes , erregt wurde , die , Verständnis heuchelnd , eine Weile sich zu ihm hielten um dann , als sie alles gründlich mißverstanden und mißdeutet hatten , abzufallen mit Geschrei und Klatsch .
Das Paar hatte schon manches derartiges erlebt .
Frau Lu war es müde , diese Leute bei sich zu empfangen , von denen sie nichts hoffte und hinter denen sie auch nichts suchte .
Die Komtesse kam abends hin und wieder allein , ohne ihre Begleiterin , dann löste ein Zufall ihr das mächtige Haar , sie hörte kniend zu , was ihr philosophischer Freund sprach , grub seinen Namen mit einem feinen Messerchen in die Tische ein , tat unbeschreiblich hilfreich , war hingebend , fast demütig .
Sie hatte etwas so vestalisch , keusch Kokettes .
Eine ganz eigentümliche Mischung .
Jetzt , als sie alle um den großen Teetisch unter der Buche saßen , hörte sie überhaupt schmelzend , schmachtend auf alles , was gesprochen wurde .
Der Professor mit Frau und Kindern waren auch insgesamt komische Käuze .
Sie sprachen mit Vorliebe über das , was man essen sollte , um seine geistigen Fähigkeiten zu entwickeln .
Sie waren beide Theosophen und machten sich mit tausend Dingen das Leben sauer .
Frau Professor hatte heute zum Beispiel ganz auffallend zerstochene und geschwollene Hände , weil sie die Mücken nicht hatte verscheuchen wollen in dem Gedanken , keinem lebenden Wesen zu schaden .
Sie war eine liebliche , bleiche , dunkelhaarige Frau .
In ihren Augen lag viel Ernst und Aufrichtigkeit .
Sie hatten jetzt gerade eine Zeit , in der sie nur Früchte aßen und lobten diese Art sich zu ernähren ganz außerordentlich .
Der Frau jedoch schien sie miserabel zu bekommen .
Die größte Marter aber , die sie sich auferlegt hatten , das waren ihre beiden Buben , in denen sie mit klarer , sicherer Voraussicht schon jetzt künftige Adepten ahnten .
Aus welchem Grund das Ehepaar annahm , daß diese zwei allerliebsten , dicken Bürschchen , die augenblicklich in einem abgelegenen Teil des Gartens , unter Aufsicht des netten Dienstmädchens dem " Brüderchen " Gesellschaft leisteten , so außerordentliche Fähigkeiten in sich verschlossen hielten , ist nie bekannt geworden .
Sie hatten eben einfach innerlich geschaut , daß diese beiden Knaben wiedergeboren waren als Adepten , daß sie schon keimende Adepten seien .
Auch in " Brüderchen " ahnten sie so etwas und redeten jetzt wieder Frau Lu zu :
das wunderbar schauende Kind , " weihevoller " zu erziehen .
Das heißt , es schon jetzt als vollgiltigen Menschen zu behandeln .
Sie selbst taten das bei ihren Rangen und wären entsetzt gewesen , hätten sie gesehen , daß das nette Dienstmädchen beiden ein paar Tüchtige auswischte , als sie die Adepten dabei ertappte und wie sie darauf bestanden , dem Brüderchen Erde in sein kleines Maul zu stopfen .
Die Eltern hörten aus der Entfernung das Geschrei mit Beunruhigung .
Die Frau stand auf , um nachzusehen , was Atman und Mitra , so heißen beide , betroffen haben mochte .
Sie kamen tief erregt wie von einer Heiligtumsschändung zurück und sprachen einige ernste Worte mit Frau Lu , die ihrerseits meinte , ein paar wohlgemeinte Klapse schadeten selbst Adepten nichts .
Die Eltern von Atman und Mitra waren nicht angenehm berührt .
" Na , hören Sie Mal , " sagte Doktor Frey , " Ihre Bamsen tun sich aber leicht ! "
Mrs .
Wendlands Diener ging ab und zu mit Tee und köstlichen englischen Kuchen .
Es war , seinem Betragen nach , anzunehmen , daß er wiederum nicht wußte , wo er sich befand .
Der Wechsel der Umgebung hatte für ihn nicht das geringste zu bedeuten .
Er blieb überall der , der er war .
Den Adepten kam jetzt in den Sinn , sich an Frau Lus schönsten Clematis zu vergreifen .
Frau Lu sprang auf um zu retten was zu retten war .
" Lassen Sie ! lassen Sie ! " bat die zarte Frau , die Mutter der Adepten mit dem tiefen , treuherzigen Blick , " erschrecken Sie sie nicht . "
" Ja , um Himmels Willen ! "
Frau Lu schaute ganz entsetzt und ratlos .
" Wir sagen den Kindern alles zu einer bestimmten Stunde , meine Frau notiert sich ihre Versehen , " begann der Professor , " und dann teilen wir Atman und Mitra unser Urteil vollkommen leidenschaftslos mit , oder wir setzen uns in Rapport mit ihnen , wenn sie schlafen . "
" Na , dann vergessen Sie es nur auch mit den Clematis nicht und versuchen Sie Mal jetzt , zu einer Ausnahmsstunde , es ihnen begreiflich zu machen , daß sie die Blumen in Ruhe lassen sollen . "
Frau Lu war etwas ungeduldig ; aber doch sehr belustigt .
" Ja , das werde ich , " sagte der Professor ruhig .
" Lassen Sie mich , liebster Herr Professor , " bat die Komtesse flehend , " ich bitte Sie . "
" Nun , versuchen Sie es , Komtesse .
Ruhig sich konzentrieren .
Sie müssen sich ein " Blank " schaffen , eine absolut stille Fläche in der Seele .
Sie wissen ja . "
Die Komtesse saß schon und konzentrierte sich .
" Lassen wir jetzt unsere liebe Freundin , " sagte der Professor .
Die Komtesse versank buchstäblich in sich selbst , erhob sich dann in ihrer ganzen imposanten Länge , schritt mit starren Augen auf die Adepten zu , die sich um die abgerissenen Blüten und Ranken rauften , und wollte sie stumm beeinflussen .
Sie stand mit dem geradesten aristokratischen Rückgrat vor Atman und Mitra , die Augen unbeweglich , einen ungeheuren Frieden auf dem Gesicht .
Das erschreckte aber die Adepten ; sie starrten ihrerseits auf die merkwürdige Erscheinung und Atman fing zu heulen an .
Da machte sich ungeheißen noch eine Gestalt auf , Herr Meyer , der " biologische Mensch " , wie er hier genannt wurde , und ging eben so konzentriert , mit einem ebenso ungeheuren Frieden auf dem Gesicht auf die Adepten zu , um sie mit zu beeinflussen , und um seiner verehrten Freundin und Schwester im Geiste beizustehn .
Das begab sich alles gewissermaßen ganz unauffällig , hatte auch ganz wenig Erfolg .
Herr Meyer , die Komtesse und das Professorenpaar übten sich immer in solchen Dingen .
Sie waren ihnen ganz alltäglich .
Sie sprachen untereinander von schwarzer und weißer Magie , wie andere Leute von Konzert und Gott weiß von was und waren sich absolut nicht mehr bewußt , daß ihre Gespräche doch nicht ganz unauffällig waren .
Sie dilettierten in allen möglichen okkulten Dingen und befanden sich sehr wohl dabei .
Jetzt wollten sie ein vegetarisches Speisehaus ins Leben rufen und warben auf das eifrigste bei Mrs. Wendland dafür , die ihrerseits sehr kühl war und sagte : " Weshalb ?
Man kocht Gemüse sehr schlecht in Deutschland , weshalb wollen Sie die armen Leute krank machen ? "
Die Komtesse hatte sich seit geraumer Zeit damit beschäftigt , ein Armband aus Grashalmen zu flechten , jetzt bat sie um Gebers Hand und streifte es ihm über .
Sie sagte gar nichts dabei , tat es gewissermaßen mystisch , vestalisch , spielerisch und hielt seine Hand merkwürdig lang in der ihrigen .
" Was für eine eigentümliche Hand ; ich muß ihre Linien einmal prüfen . "
Er entzog ihr die Hand und führte das Armband im Scherz an seine Lippen .
" Unverschämt , " dachte die Governeß .
" Natürlich , jede Gelegenheit nimmt so ein Mann , so ein » brute « wahr . "
Alle Männer erschienen ihr gleichmäßig sehr verdächtig .
Das Weib hielt sie für unsäglich rein .
Aber jetzt hatte sie ihn einmal wieder , diesen Philosophen :
Auf den harmlosen Scherz der Komtesse diese Plumpheit !
Seinen Blick hatte sie dabei sehr wohl verstanden , - o , sie durchschaute !
* Die Theosophen verabschiedeten sich heute früher als sonst .
Sie wollten etwas miteinander bei der Komtesse lesen .
Frau Lu fiel ein Stein vom Herzen , als sie gingen .
Sie sagte auch etwas derartiges .
Ihr Mann verwies es ihr leicht .
" Es nimmt sich alles Menschliche sonderbar und lächerlich aus , wenn man nicht selbst darin steckt .
Das , was die wollen , ist besser als alles andere . "
" Sie wollen ja gar nichts , " sagte Frau Lu , " sie spielen . "
" Mögen sie spielen , wenn es sie freut , die kleine Frau hat sich doch ihre Pfoten zerstechen lassen .
Sie hat wirklich versucht , wie es tut , das " Siechselbstaufgeben " , das " Tat wam asi " der alten Inder , das " das bist du " !
Der kleine Zug ist rührend in unserer Welt , dies gut sein wollen . "
Mrs .
Wendland reichte ihrem Freund über den Tisch hinüber die Hand .
" Danke Ihnen , " sagte sie , " Sie haben recht . "
In diesem blumenreichen Garten , in dem sich Reseda- , Rosen- , Verbenenduft mit abendlichem Waldesodem mischten , war eine ganz eigentümliche Stimmung über die Gäste gekommen .
Frau Lus guter Philosoph hatte diese Stimmung gebracht .
Sie sprachen über Dinge , über die moderne Menschen selten nachdenken , und hörten auf einen Mann , der anders dachte als andere , tiefer , einfacher und sich nicht scheute , seine Gedanken auszusprechen .
Ja , er hatte den Mut , sich zu geben wie er war .
Henry Mengersen ließ diesen Abend auf sich wirken .
Er war zu sehr Künstler , als daß er den Eindruck einer in sich ausgeglichenen Persönlichkeit nicht empfunden hätte , trotzdem er , seiner Natur nach , weder Frau Lu , noch deren Mann je näher treten konnte .
Er sah auf Isolde .
Isolde hörte mit großen Augen zu .
Sie war bleich .
In der Abenddämmerung hatte die weiße , zarte Gestalt , etwas so Unbestimmtes , Weiches .
Henry Mengersen empfand etwas Scheues , Schuldbewußtes in ihr .
Und wie er so auf sie blickte , zieht ein leichtes Lächeln um seine Lippen , ein verächtliches Lächeln .
Ihm ist_es , als fühlte und sähe er die Gedanken unter der jungen Stirn ; ihm ist , als fühlte er die erregten , verlangenden Blutwellen in ihren Gliedern .
Sie muß wie im Fieber sein !
Ihre Nerven müssen zittern und beben - ein Schauer nach dem anderen muß sie durchfahren .
Er hat als Künstler und Mensch über das Problem " Weib " nachgesonnen , als Künstler hat er es auf seine Weise gelöst .
Er ist müde und gelangweilt vom Weib .
» Entsetzlich , « denkt Henry Mengersen und sieht wieder auf Isolde , » das Weibliche in der Natur !
Dies blinde Sich- ins-Elend-stürzen- wollen , dies Gedankenlose , Nie- die-Folgen- überschauende .
Egoistisch wie der Mann , aber so unsäglich dumpf , unbewußt , so instinktiv , so elementar .
Wie unangenehm großgezogen ist es in ihnen dies langweilige , aufdringliche Sich-opfern- wollen , die Bestimmung erfüllen wollen .
Wie sie sich hindrängen , wie eine dumpfe Herde - ekelhaft !
Das Weib hat die Natur überboten , sich selbst unterboten .
Die Natur hat es dem Unfreien , dem Dulden näher gestellt als den Mann - und es hat seinen Vorteil darin gefunden !
Es ist sich selbst zur Ware geworden .
Das was es leiden muß , ist ihm vorteilhaft .
Es schachert mit seinem Leiden !
Widerlich !
Ein Tier , das gejagt wurde wie das Weib gejagt wird , dem wüchse irgend etwas , ein Horn , ein Giftzahn - dem Weib wuchs nichts .
Es wurde zahm und zahmer , widerlich zahm , das Haustier im vollsten Sinne !
Wäre Fräulein Isolde Ladenmädel , würde ich sie zu meiner Geliebten machen .
Weshalb nicht ? - und sie davonjagen , wenn sie mir unbequem würde - vielleicht zu kunstsinnig - kunstsinnige Weiber ! - gräßlich ! -
Wie selten hat ein Künstler die Freude am schönen Weib .
Hier wäre sie , die Freude .
Schade ! «
Henry Mengersen blies gedankenvoll die blauen Wölkchen seiner Zigarette von sich .
Isolde hatte des geliebten Mannes Blicke wohl empfunden .
Ja , er hatte recht .
Sie erschauerte , im Gefühl ihm anzugehören .
Sie war ganz in sich verstummt .
Das große Geheimnis des Weibes , wie sie es damals verstanden hatte , als sie zum ersten Mal seine Kunst ganz in sich aufnahm , lag über ihr .
Ja , das ist das Größte auf Erden , ein Weib sein - sich opfern .
Henry Mengersen hatte ganz recht mit dem , was er vom Weib dachte .
Das aber wußte er nicht , daß unter den Frauen auch freie Geschöpfe leben , freier als je ein Mann frei ist , mächtige Seelen , Seelen , die dem großen Zug der Natur , die in ihre Geschöpfe nur den Trieb zum Fressen legt , entgegenstehen , die der Natur zum Trotz sind , wie sie sind , lieben , wie sie lieben - und sich grenzenlos opfern , als stammten sie aus einer Welt mit anderen Gesetzen .
6. Ein uraltes Märchen gibt es .
Eine reine Jungfrau wollte sich für ihren Herrn opfern , auf daß er von der Meiselsucht genesen sollte .
Lebend wollte sie sich für ihn das Herz aus der Brust schneiden lassen .
Und als er durch die Türspalte blickte , da ersah er sie bloß , wie sie zur Welt geboren war , nackt in ihrer großen Schönheit , wie sie geduldig dem Arzt die Brust bot , damit er schneiden sollte und ihren Herrn retten .
Da erbarmte sich seine Seele .
* In dem stillen , hohen Raum stand sie , wie die im uralten Märchen , die ihren Herrn retten und sich für ihn das Herz lebend aus der Brust schneiden lassen wollte , da stand sie nackt , wie sie zur Welt geboren war , in ihrer großen Schönheit .
Sie hatte ihrem Herrn versprochen , ihm einen Wunsch zu erfüllen .
Henry Mengersen saß ganz versunken und entrückt über seiner Zeichnung .
Große Stille im Raum .
Draußen Juliwärme , Julisonne , ungeheure Laubmassen , schneeweißleuchtende , ziehende Wolken auf tiefblauer Wolkenbahn .
Sommerliches Treiben , Sommerlaute , Sommerdüfte , Sommerblumen , der Glanz von einem weiten , ruhigen Wasserspiegel - heiliger , warmer Sommerzauber .
Drinnen , in dem stillen Raum , der ganz in seine Arbeit versunkene Mann . arbeitend wie an einer Offenbarung .
Etwas Ersehntes , etwas Notwendiges war es , was ihm da geschah .
Keine Minute , keine Sekunde verlieren !
Wie eine hellleuchtende Blume steht sie regungslos und totenbleich .
Er hat hin und wieder auf den Lippen zu sagen :
sie soll ruhen .
Er will sie aus ihrer Stellung erlösen - aber er wagt es nicht .
Was denn ? -
Was kann die nächste Minute bringen ?
War er seiner sicher ?
War er ihrer sicher ?
Er arbeitet ohne Zeitmaß - heftig , widerstandslos .
Ungespaltenen Willen für seine Arbeit !
Die wundervollen Formen ohne Nebeneindrücke !
Er stellt sich kühl vor , daß sie ein bezahltes Modell sei - und es gelingt ihm .
Jetzt erst kann er ganz in sich selbst versinken .
Wie einfach ist alles zugegangen !
Ihr leises Kommen , - ein so rührendes Anschmiegen .
Er hat sie auf die Stirn geküßt .
Vorsichtig war er gewesen vom ersten Augenblick an .
Dann hat sie still und ernst die Kleider abgelegt .
Ja , und da war ihm das aus dem Märchen vom armen Heinrich gekommen .
Märchenhaft , weltfremd , jede Bewegung von ihr wie tief träumend und der große reine Ernst wie bei einem heiligen Opfer .
Wundervolle Rosen standen in einem weiten Korbe , die hatte er vor ihr ausschütten wollen .
Er wagte es aber nicht .
Den Kopf nicht verlieren !
Von vollendeter , junger Schönheit war ihr Körper .
Ein Geschenk , eine herrliche Erfahrung .
» Dem Schöpfer Dank , daß das Mädchen so leichtsinnig war , daß sie ihrer großen Schönheit froh werden wollte , und daß sie ihn gewinnen wollte - alles beiseite werfend .
Unerhört raffiniert ist ein kluges Weib , das auf Beute ausgeht .
Diese rührende Gestalt , dieser Ausdruck des völlig bleichen Gesichts ! «
Als Künstler nahm er das Eigentümliche ihres Wesens bereitwillig auf , als Mensch fühlte er sich davon fast abgestoßen .
Er sah als Mensch tiefer .
Er empfand das Märchenhafte .
Aber welchen Wert hatte das ?
Kann ein Weib , das so rücksichtslos wirbt und auf sein Ziel losgeht , wahr sein ?
Wie steht das in Einklang mit solcher Reinheit der Bewegung , solcher Unantastbarkeit ?
. . . Lächerlich !
Nicht verblüffen lassen !
Du kluges , schlaues Weibchen .
Er blickte über alles Äußere hinweg , in die eitle , beutegierige Weibesseele hinein .
* Im alten Märchen heißt es :
" Da erbarmte sich seine Seele . "
* Henry Mengersen war ein kluger Mensch .
Was die Natur etwa versäumt hatte in seinem Charakter praktisch einzurichten , dem hatte er nachgeholfen .
Sein Empfinden als Mensch ist vortrefflich geschieden von seinem Künstlerempfinden .
Seine große Kühle und Vorsicht ist ganz etwas für sich .
Als Künstler kann er leidenschaftlich , warm , groß sein .
Er ist sich dessen auch vollkommen bewußt .
Er hat sehr viel über sich selbst nachgedacht , beurteilt und behandelt sich gewissermaßen wie ein Kunstwerk .
Er hat sich zur Kunst trainiert , wie andere es zu irgend einem Sport tun , genau so kühl und berechnend .
Er will sich seine Kunst intakt halten , seine Person , seine Toilette .
Alle diese Dinge behandelt er auf das Sorgfältigste .
- Und was im geringsten auf eins dieser Dinge störend einwirkt , den belehrt er .
Er hat gefunden , daß die kühle Belehrung eine ganz außerordentliche Waffe sei - eine verblüffende Waffe . -
Kühl , ganz kühl belehren .
Es gibt für den anderen in gewissen Momenten nichts Beschämenderes .
Ja und während der Arbeit , als er nicht wußte , wie jetzt enden , wie ein ruhiges Ausklingen des sonderbaren Abenteuers möglich sei , so daß er sich nicht den geringsten Vorwurf zu machen hätte , sonderte sich in ihm schon der Belehrungsstoff ab - wie das Gift in einem Giftzahn .
Der tödliche Bis aber erfolgte nicht .
Es war nicht nötig .
Unauffällig , still , ernst , wie sie gekommen . ging sie wieder .
Er wollte sprechen , war verwirrt , etwas verlegen , ja , er war dabei , aus Verlegenheit zärtlich zu werden .
Er sprach etwas ungeschickt von Dank .
Da sah er , wie sie den Finger flehend auf ihren Mund legte und ihn dabei anblickte .
Dann sah er die Gestalt in dem weißen Kleid durch den Garten gehen , ruhig und langsam , nicht scheu und eilig .
Nicht ein Wort hatte sie bei ihm gesprochen , stumm war sie gekommen , stumm gegangen .
* Als er an diesem Abend zu Mrs. Wendland kam , war Isolde nach München abgereist .
* Mama hielt sich noch bei dem schwer erkrankten Bruder in Berlin auf und Isolde fand die Schwester ganz allein daheim .
Der Vater hatte seinen Kegelabend .
" Wo kommst denn du her ? " sagte Marie ganz erstaunt , als sie ihrer Schwester öffnete .
In dem dunklen Korridor war es ganz beklommen .
Nach der herrlichen , weichen Seeluft drängt es sich hier wie erstickend in die Lungen .
" Ist was geschehen ? " fragte Marie , " was fällt dir denn ein ?
Jesus , statt froh zu sein , kommt die Suse hier an !
Willst du was ? "
" Ich will heim , " sagte Isolde .
" Bist du triste ? " fragte Marie weich .
Da schlang Isolde ihre Arme um die blonde Schwester und gab sich wie ein krankes , abgemattetes Kind .
Marie war so lieb zu ihr , goß ihr Tee auf , deckte den Tisch zum Abendessen .
Isolde ging bei allem , was Marie tat , ihr nach wie ein Kind seiner Mutter .
" Ist dir doch was ? " wiederholte Marie hin und wieder ihre Frage .
Zu ihrer Schwester samtener Weichheit war Isolde von Kindheit an geflüchtet , wenn sie seelisch fror , wie in einen Sonnenstrahl hinein .
Marie war es so gewöhnt , Isoldes unruhiges , flackerndes Gemüt in ihre stille Natur aufzunehmen .
Sie machten beide nicht viel Worte , aber das Zueinanderschlüpfen der jungen Geschöpfe , die gegenseitige Wärme das war so gut .
Marie wollte ihr Bettzeug holen , um bei Isolde zu schlafen .
Sie hatte ihr Lager in einem anderen Zimmer aufgeschlagen , des Schädels wegen .
Von seinem Postament hatte sie ihn nicht nehmen wollen und hätte auch nicht gewußt , wohin damit .
Und allein mit ihm im selben Zimmer - nicht um die Welt !
" Gehe , bleibe nur wo du bist , " sagte Isolde , dann ging sie schlafen .
Sie legte sich mit großen Augen nieder , ließ daß Licht brennen und starrte vor sich hin .
Was für ein Weh stieg in ihrer Brust auf - so fremd , so nagend .
Sie verstand es nicht .
War das Reue ?
War das entsetzlich , was sie getan ?
Es nagte - nagte - nagte .
Aber weshalb sie so fremd , so geheimnisvoll litt , verstand sie doch nicht .
Ein Erstarren ging durch ihre Glieder und durch ihre Seele - ein schreckliches , tödliches Erstarren .
War das Zweifel ?
War das . . . . . . Sie fand keine Worte , keine Gedanken - aber sie litt .
Sie fühlt , als grübe ein Messer in ihrer Brust und suchte nach ihrem Herzen .
" Du Mensch aller Menschen hast es verlangt ! " und wie damals legte sie die Hände wie im Gebet zusammen und blickte auf den Schädel .
" Du hast es verlangt , weil ich dein bin , weil du mein bist und weil ich dir helfen soll . "
Sie flüsterte wie in großer Schmerzensnot .
" Du wirst kommen - und du wirst mich nicht wieder verlassen ! "
» Also doch ein wohlberechneter Heiratsplan , sehr - sehr schlau , « würde der Schädel denken , hätte er das Glück , Henry Mengersens Hirn in seiner Höhle zu haben .
Eine ungeheure Sehnsucht erfüllte sie .
" Hätte er mich doch geküßt - geküßt ! " ein tiefer Seufzer wie ein Schrei .
Sie erzitterte durch alle Nerven .
Dann ein Aufschluchzen .
" Nun weiß ich , wie ich bin !
Er ist besser .
Alles hat er - alles kann er .
Was für ein Mensch ist er ! -
und auch besser als ich ! "
Ein zorniges empörtes Gefühl .
Stundenlang tobte es in ihr auf und nieder .
Ruhelos , friedlos - und so unsagbar weh !
Dann kam ein dumpfer Schlaf , und dumpfe , tiefe Träume .
Sie stand auf einer Bühne und sollte singen und wußte nichts von dem , was sie singen sollte und hatte nie ein Wort davon gehört .
Im Hemd stand sie vor allen Leuten , als müßte es so sein - und doch war etwas versteckt , dumpf Schmachvolles dabei - als müßte es doch wieder nicht so sein .
Und Heinrich Mengersen ging an ihr vorüber in seinem weißen Flanellanzug . so unantastbar vollendet gekleidet - und lächelte nachsichtig - da wachte sie auf .
Ihr Herz schlug - und es war ihr , als hätte das Lächeln sie gebrandmarkt .
Ja , als hätte er in Wirklichkeit so gelächelt .
Sie hob die Hände zum Schädel auf .
" Du liebst mich - ich bin dir das Liebste auf der Welt - wie du mir .
Dann ist alles gut .
Du hättest ja sonst auch nicht bitten können . "
Das fremde , geheimnisvolle Weh lag dennoch auf ihrer Seele und über ihrem Körper , wie etwas , was sie ersticken wollte .
* Am Morgen trat Marie ein mit einem Korb voll der herrlichsten Rosen .
Das war genau so ein Korb , wie er bei ihm gestanden hatte .
" Du , das ist für dich gekommen , " sagte Marie .
" Von wem wohl ? "
Isolde saß auf ihrem Bettrand , bleich , mit selig gespannten Zügen .
Und ihr war , als flöge ein mächtiger , grauer , weicher Vogel , der sich mit ausgebreiteten Flügeln an sie angedrängt hatte , von ihr ab .
Sie konnte nicht sprechen .
Sie blickte nur mit großen , weitgeöffneten Augen .
" Ein Brief ist nicht dabei , gar_nichts ; - ich habe schon geschaut .
Der Dienstmann hat es für Fräulein » Isolde Frey « gebracht .
» Isolde « hat er gesagt .
- Für dich . -
Von wem nur ? "
Jetzt hatte Isolde den Korb auf dem Schoß , ihre beiden Hände lagen wie zitternd liebkosend über den Rosen .
Sie saß regungslos .
" Rosen , " sagte sie langsam .
" Rosen ! "
" Das sind mindestens für fünfzig Mark welche , " meinte Marie , " so ein Haufen !
Herr Gott , Isolde , von wem nur ?
Du weißt_es ! "
Isolde schüttelte wie geistesabwesend den Kopf .
Wie ein weicher , warmer Wind zog Frieden über sie hin .
" Nun ist alles gut . "
Aus den taufrischen Rosen stieg Seligkeit auf und Hoffnung und ihr eigenes Selbst ganz reingebadet , schön , und ohne jede Schmach - - und gut .
Den ganzen Vormittag machte Isolde sich mit den Rosen zu tun .
Gläser und Vasen füllte sie damit und stellte sie so und so , und schaute sie an und nahm diese und steckte sie zu jener und sagte :
" Wenn sie doch nicht welken würden .
Weißt du , Marie , wenn die immer blieben , Winter und Sommer , dann sähe unser Zimmer wie ein Garten aus . "
Die Rosen hatten alle Qual von ihr genommen .
* Dieser Morgen , der Isolde die Rosen gab , brachte der Familie Frey einen höchst merkwürdigen Tag .
Kein Familienglied vergaß ihn je .
Um halb zwei Uhr saßen Doktor Frey , Karl , Marie und Isolde bei Tisch .
Das Mädchen brachte die Zweiuhrpost :
Die Probenummer einer neuen Zeitschrift , einen Geschäftsbrief , eine Rechnung , die Ankündigung eines neuen Tabakladens in der Nachbarschaft und einen Brief von Frau Doktor Frey .
Dieser Brief war es , den der Doktor vor allem zuerst ergriff .
Marie hatte in diesen Tagen im stillen die Bemerkung gemacht , daß kein Bräutigam auf die Briefe seiner Braut so erpicht sein konnte , wie der Vater auf Mamas Briefe .
Zu jeder Tageszeit , wenn er heim kam , das erste : " Ist Nachricht von Mama da ? "
- » Das , wenn die Mutter wüsste , « dachte Marie manchmal .
Und wenn er einen solchen Brief öffnete , mit welcher Hast !
Und heute ?
Was war denn das ?
Kaum , daß er in den Brief gesehen , lief Doktor Frey ganz blaurot an .
Ein Stöhnen folgte .
Isolde bemerkte es zuerst und fuhr entsetzt auf .
" Vater ! "
Die Augen waren ihm aus den Höhlen getreten .
Er sah mit einem Mal erdrückend groß und schwer aus .
Die drei Kinder hatten mit den Suppenlöffeln innegehalten und starrten auf ihn .
Er stöhnte wieder und wieder , als könne er keine Luft bekommen .
Seine Farbe wurde beängstigend .
Mit einemmal erhob er sich und ging schwerfällig im Zimmer auf und nieder , griff nach seinem Taschentuch und fuhr sich über die Stirn .
" Vater ? " fragte Marie ängstlich .
Da stellte er sich vor sie hin .
Sein Blick war immer noch starr .
" Schwär reich ! " kam es undeutlich , fremd , heiser heraus .
Seine Kehle war ihm wie zugeschnürt .
So sieht das Glück aus !
Die Kinder starrten .
Sie wußten nicht mehr , was sie sagen und denken sollten .
Seine Seele und sein Körper waren wie von einem Krampf gepackt .
Er war wie ein Tier , das in ein Riesenfaß Wein oder Sirup gestürzt ist .
Es muß im Überfluß mit dem Erstickungstod kämpfen .
" Ist denn der Onkel tot ? " fragte Isolde .
" Mausetot , " sagte Doktor Frey .
Da kam es wie ein Luftstrom über ihn und er konnte wieder atmen .
Er wurde wieder er selbst .
Der tödliche Geldblutdurst , der wie ein häßlicher Krampf ihn überfallen hatte , ließ einen freien Augenblick jetzt wieder in ihm aufkommen .
" Ja , da bin ich nun ein schwerreicher Mann ! " sagte er mit der bekannten und berühmten Doktor Freieschen Prophetenstimme .
" Mama hat geerbt . "
* " Na , Alte , nun hast du einen reichen Mann ! "
So empfing Doktor Frey scherzend seine Gattin , als sie nach dem Begräbnis ihres Bruders nach München zurückkehrte .
Er trug eine Trauerbinde .
Die Mädchen hatte er ins allererste Konfektionsgeschäft geschickt und ihnen Trauerkleider machen lassen , aus dem " ff " wie er sagte .
Und wie die beiden im Zimmer geschäftig hin- und wiedergingen , um für Mama den Kaffeetisch zu richten , war in dem einfachen Raum mit seinen altmodischen , verbrauchten Möbeln ein zartes Rauschen und Knistern , so eine intime flüsternde Harmonie zu spüren , die die Bewegungen der beiden jungen Geschöpfe umgab .
Doktor Frey wanderte im Zimmer auf und ab und lauschte andächtig auf das süße , seidige , zarte Schürfen , das von den beiden Bamsen ausging .
" Froufrou , " sagte er .
Wie geschmeidig sahen die jungen Körper in den stumpfen seidenunterfütterten schwarzen Kleidern aus .
Donnerstag ! das war ' was anderes , als was die Alte mit der " Störminna " fertig bekam !
Er fühlte sich gehoben und war stolz auf seine Vaterschaft .
Zwei gute Partien im Haus !
" Ja , Bamsen , " sagte er , " heute seid ihr eigentlich erst geboren .
Ein guter Schneider ist halte doch mehr wert als die beste Mutter . "
Er sprach im Prophetenton und schien großartiger Laune zu sein , dampfte und schnaubte Lebensfreudigkeit von sich , wie eine Lokomotive .
Etwas Mächtiges war in ihm ; der Raum , in dem er sich befand , schien unbedingt zu eng für ihn und seine kraftvolle Freudigkeit zu sein .
" Na , Alte , nun hat die Sache ein anderes Gesicht bekommen ! "
Triumphierend , wie ein Eroberer , schaute er auf seine Frau , die , ermüdet von der Reise , still auf ihrem gewohnten Platz saß .
Ihr Trauerkleid war in keinem ersten Geschäft gemacht .
Es war ihr etwas hergerichtetes , altes schwarzes Sonntagskleid , und ein geschmackloser Trauerhut , mit steifem , grauschwarzem Schleier , der sicher aus einem Ausverkauf stammte , lag neben ihr auf dem Sofa .
" Hennenhirn ! " sagte Doktor Frey und befühlte den starkgeleimten schwarzen Krepp .
" Daß i net lache ! " sagte er .
Zum Begräbnis seines Schwagers war der Dichter nicht nach Berlin gereist .
Darin hatte er etwas Goethesches .
Durch und durch Optimist , ließ er , wenn es irgend anging , nichts , was diesen Optimismus unangenehm berühren oder in Frage stellen konnte , an ihn heran , denn nichts auf der Welt muß so vorsichtig behandelt werden wie ein guter Optimismus .
Mama sprach im wehleidigen Ton vom Hinscheiden ihres Bruders .
" Die Sterbesakramente hat er empfangen , Gott sei gelobt , mehrmals sogar . "
Sie sprach in dem Leierchen Ton , den manche Weiber annehmen , sobald von einem Sterbefall die Rede ist .
" Sonst ist er recht ergeben hingegangen .
Ganz dem seligen Vater glich er im Tod - du mein Gott , wie die Zeit vergeht !
Und ausgestanden hat er ganz erschrecklich . "
" Verschon ' uns , Alte , " sagte Doktor Frey und klopfte sie auf die Schulter .
Er war sehr gnädiger Stimmung und schenkte seiner Frau eigenhändig , zum größten Erstaunen der Kinder , die zweite Tasse Kaffee ein , stellte sich aber so ungeschickt an , daß er den meisten Kaffee auf das Tischtuch brachte .
Marie wollte etwas des großen Fleckes halber tun .
Die Mutter wehrte ihr aber .
Es war , als ob ihr dieser Fleck wohltäte , als ob sie ihn gern sähe , als sollte alles so bleiben , wie es war , wie er es zu tun für gut befunden hatte .
In Mamas Benehmen lag etwas verschämt Verlegenes .
Tausendmal getreten und einmal dann in die Wangen gekniffen - ihr war das Weinen nah .
" Ja , - so viel Geld ! " sagte sie gedankenlos " - so viel Geld ! -
Und was in den Häusern steckt ! " da kam sie wieder zu sich .
Später , als sie mit ihrem Mann allein im Zimmer war , nahm sie ihn beiseite und faßte ihn zaghaft am Ärmel seines Flauschrocks , um ihm etwas zu sagen .
Es wurde ihr , so schien es , nicht leicht sich zusammenzufassen .
" Ein komischer Mensch , " sagte sie .
" Wer denn ? "
" Der selige Bruder .
- Weißt du , was er sagte , daß er Marie und Isolde extra bedacht hat ?
» Deine Mädel sollen gute Partien werden , die sind viel zu schön , um arm zu sein « .
Na ja , das ist ja zu verstehen .
Dann aber sagte er , was ich sehr sonderbar fand bei einem so ordentlichen Menschen , wie mein seliger Bruder war .
Ich habe das Weib so oft in seiner Erniedrigung gesehen , daß mir es wohl tut , wenn ich zwei schöne Mädel sicher auf die Füße stellen kann . "
" Na , da wird er wohl so arg ordentlich net gewesen sein , " sagte Doktor Frey ungeduldig .
" So ein Ausdruck von einem ordentlichen Menschen ! " meinte Mama .
" Wieso denn erniedrigt ?
Was wird er denn getan haben , anderes als andere Männer ? -
Da müßten ja alle . . . . . . " Mama hatte sich unbedingt in ihrem Gedankengang verwirrt .
" Ich meine , " sagte sie , " es ist doch alles ganz gesetzlich und in Ordnung , wie es ist .
Gott verzeih mir , - ein Verbrecher wird er doch nicht gewesen sein ? "
" I bewahre , mache dir deshalb keine Sorge . "
" Ich habe es eben nicht verstanden .
Ich weiß schon , es gibt etwas wie liederliche Mädchen , " sie errötete ; " aber das ist gesetzlich , nicht wahr , das muß doch so sein ?
Weißt du , dir kann ich es ja sagen , daß ich davon überhaupt etwas weiß . "
" Ungeniert , " sagte Doktor Frey lachend .
" Meint er denn die ? " fragte Mama .
" Wie gesagt , mache dir deshalb keine Gedanken .
In seinen alten Tagen wird er etwas bedenklicher Natur geworden sein - ein Schwärmer , so etwas .
Sancta Simplicitas .
So eine Henne lebt doch wie mit ausgeschnittenem Hirn .
Daß i net lache !
Sucht das Weib in seiner Erniedrigung und kann es net finden !
Na , hochentwickelte deutsche Hausfrau , mache dir halte keine Sorgen . "
" Der selige Bruder wird sich eben reichlich seine Gedanken gemacht haben , als es zu Ende ging .
Ein reputierlicher Mensch ist er ja sicher gewesen , wie sie es von jeher in der Familie waren und was soll er denn groß anderes getan haben als andere anständige Männer ?
Wenn es auf den Tod hinausgeht , werden die Leute halte ängstlich ! "
7. Doktor Frey reiste Tags darauf mit Isolde , seinem Liebling , nach Berlin ab , um in Mamas Namen manches zu erledigen .
Isolde war schweren Herzens gegangen .
Ihre Rosen blühten noch in den Gläsern .
Mittlerweile geschahen Wunder und Zeichen in der Freieschen Wohnung .
Mama hatte im Coupe wahrhaft kühne Pläne geschmiedet ; auch Mama waren die Flügel gewachsen .
Mama , die in ihrer langen Ehe nie aus der Bedrängnis gekommen war , aus Bedrängnissen , die von Kind zu Kind , von Jahr zu Jahr gewachsen waren , Mama wollte jetzt ihres Glückes froh werden .
Es war ihr Geld - ja - das war es doch ?
Der Bruder hatte es ihr vermacht - doch ihr ?
Nun konnte sie einmal alles nach eigenem Gutdünken tun .
Wie gut , daß er jetzt nicht daheim war .
In ihrem Hirn hatten sich , so lang sie dachte , die schwierigsten Probleme gewälzt : » Fett oder Schmalz ?
Was gibt mehr aus ?
Wie dehn ich es am besten ?
Heute nehme ich um ein Bröckel weniger , dann reicht der Rest morgen noch halbwegs - und übermorgen - da schöpf ich es von der Suppe . «
Und die unheimlichen Kunststücke mit Fleisch und Butter , daß alles ausreiche .
- Und das Hängen und Bangen in den letzten Tagen des Monats , wenn das Geld trotz alles Quälens und Marterns nirgends mehr langte ; - und die ewige Unzufriedenheit , daß nichts gut genug war - und das Schuldbewußtsein , die Angst , wenn sie antreten mußte , um das Wirtschaftsgeld zu erbitten - auch wenn es pünktlich um die vorgesetzte Stunde war - er war doch immer entrüstet .
Wie eine Verbrecherin , eine Geldfortschlepperin hatte sie vor ihm stehen müssen - ein Mal wie das andere Mal .
Da konnte sie sich bis aufs Blut gepeinigt haben und wie ein Raubtier hinter allem drein gewesen sein .
Das war alles gleich - immer dieselbe Operation .
Ach , wie sie alles dessen müde geworden war - schon längst - längst müde , wie ausgesogen .
Als junges Mädchen hatte sie recht gern gelesen , hatte sich Gedichte abgeschrieben und schöne Aussprüche .
Davon war nie mehr die Rede gewesen .
Nach jeder Wäsche Gebirge morschen Leinenzeugs und von früh morgens an das Sinnen und Kämpfen , daß es zum Mittagessen lange , und daß mit den lächerlichsten Mitteln etwas Anständiges auf den Tisch komme .
Kaum war gegessen , hieß es :
" Und was zum Abendessen für alle die Leute ? "
Und wie das Geld unter den Fingern fortglitt ! -
Immer derselbe Schreck - immer dieselbe Aufregung .
Plötzlich waren von allen Seiten die Rechnungen wie losgelassen .
Das Mädchen brachte sie kühl mit heim , vom Bäcker , vom Metzger , von Gott weiß wem !
Der Mama gab eine jede solche Rechnung einen Stoß in die Nerven .
Woher nehmen ? -
Wie kann denn das wieder zusammenkommen !
Diese Hetz bis aufs Blut , bis ins innerste Mark .
Und dann die Jahre , als die Kinder kamen .
Welche Sorgen !
Und immer so hilflos und trostlos , wie ein bis zu Todesmattigkeit getriebenes Tier .
Das ohne Kraft und Mut sein .
Das Überbürdete !
Und die ganze entsetzliche Qual immer wieder gleichmäßig von Anfang bis zu Ende .
Nach jeder Geburt die ungeheure Arbeitsanhäufung , der sie widerstandslos matt in größter Schwäche gegenüberstand !
Wie oft hatte sie sich gewunden vor aufgeregter , entsetzlicher Übermüdung , in Verzweiflung sich in die Finger gebissen , vor Ratlosigkeit geweint !
- Und das alles Tag für Tag - nie ein Aufatmen , nie , daß die Seele sich ihrer selbst einmal bewußt geworden wäre - nie eine Erholung - nie eine Anerkennung .
Geistig wie tot und körperlich zerschunden .
Und so Jahre lang , Jahre lang . . . .
Ein Tier ! ein armes , armes Tier !
Drei Kinder waren ihr gestorben nach langer Krankheit .
Alle Qual umsonst .
Für den Tod hatte sie sie geboren .
Wie gut war es ihr , als sich so eine schwere Dumpfheit über sie gelegt hatte - wie gut war das , als fast nichts mehr weh tat !
Die ersten Jahre hatte sie nach Anerkennung gedürstet wie verschmachtet ; dann war es ihr gleichgültig geworden .
Um aber diese Gleichgültigkeit zu kaufen , hatte sie alles hergeben müssen was Leben heißt , was Denken heißt , was Menschsein heißt .
* Jetzt aber gedachte sie es sich wohl sein zu lassen .
Ja und sie begann mit Trotz , der halb mit bösem Gewissen versetzt war , dieses Siechwohlseinlassen zu genießen .
" Und ich tue es eben ! -
Ich tue es ! "
Sie tat es .
Ihre Speisekammer ließ sie weißen und ging in den Konsumverein mit ihrem alten , etwas fettigen Büchlein , um sich Vorräte zu kaufen . -
Vorräte !
Ihr Herz , ihre Nerven erzitterten vor Erregung .
Sie wählte und wählte , von diesem und jenem - vom Besten - und sann wie ein Kind :
" Was noch ?
Was noch ? "
Und dann kam eine ganze Ladung ins Haus , als wollte sie ein Wirtshaus eröffnen .
Ganz allein saß sie lange Zeit mitten unter ihren Schätzen und ein Friede kam über sie , wie aus einer anderen Welt ; oder als wäre sie nach schwerer langer Wanderung endlich in ein Obdach gekommen .
Ganz erschöpft so im Gefühl der Sicherheit sitzt sie und hört den schweren , stechenden , klatschenden Regen , dem sie so lang ausgesetzt war .
Sie hört ihn - und hört ihn - und denkt wie es gewesen und fühlt ihre schwere Mattigkeit und daß sie nun . . . . . . Und jetzt nimmt das müde , arme kindliche Weib ihr Büchel vom Konsumverein und berechnet , wie viel das , was sie geholt hat , zu Neujahr an Zinsen - Steuern nennt sie es - geben wird .
Und da ergibt es fast zwanzig Mark .
" Das hat einmal ausgegeben ! "
Da lächelt sie - lächelt - lächelt .
Ja , und die Geschichte mit dem Konsumverein macht ihr mehr Eindruck , als die ganze Erbschaft und das ganze Erträgnis der fabelhaften Berliner Häuser .
Hier ist es ihr nah getreten , hier ist ihr Glück ihr begreiflich geworden .
Und sie sitzt und träumt sich in ihre eigenen Gefühle hinein und wundert sich .
Ja , da hat sie doch eigentlich recht schwer und unglücklich gelebt - recht unglücklich !
War ihr denn das nie recht ins Bewußtsein gekommen ?
Sehr deutlich nie .
Alles dumpf , ganz dumpf .
Aber eben das Dumpfe , das ist das Schreckliche , das Menschabgewandte .
So einsam wie in ihrer seelenertötenden langen Ehe , so ohne jedes Verständnis , ohne jeden mitempfindenden Blick aus ihre große Weibesqual und Arbeit und Mühseligkeit - so einsam war sie auch jetzt in ihrer Befriedigung .
Einsam , ganz für sich - in sich selbst verkrochen - eine kleine , bange , dumpfe , unendlich schmerzvolle Welt für sich .
Isolde hatte damals das Nachttierhafte in ihrer Mutter gespürt , das Nachttier , dessen Dasein allen ein Rätsel ist , dessen Dasein niemand kennt , und das selbst die Tageswelt nicht kennt .
* Von einem fieberhaften Eifer war Mama jetzt besessen , das zu tun , was sie tun wollte .
Es mußte durchaus geschehen sein , ehe er zurückkam .
Die alten abgenutzten Küchenmöbel ließ sie himmelblau streichen , die ganze Küche rosig tünchen .
Alle ihre innersten , tiefsten Herzenswünsche erhoben froh ihre Häupter .
Die Flickwäsche gab sie aus dem Haus und handelte um jedes Stück mit der Flickerin auf Tod und Leben .
Den Salon ließ sie mit einer weiß und goldigen Tapete neu herrichten .
Die Türen wurden auch in Weiß und Gold gestrichen .
Die Leute sollten Augen machen !
An die alten Vorhänge setzte sie neue Spitzen .
Bis tief in die Nacht hinein arbeitete sie daran mit ihrer Maschine .
Ihre Pulse flogen bei dieser Arbeit und sie war vor Anstrengung ganz außer sich .
Am anderen Morgen wurden die Vorhänge aufgemacht , nicht vom Tapezier .
Sie selbst stand auf der Leiter .
Auf den Gedanken , einen Tapezier zu holen , wäre das an Plage gewöhnte Weib nie gekommen .
Jeden Nachmittag kam sie mit Marie hochbeladen aus der Stadt wie im Rausch , ganz aufgeregt .
Da hatten sie alles Denkbare gekauft , was Mama seit Jahren sich ersehnt hatte .
Bar gezahlt wurde nichts ; alles auf Rechnung .
Er brachte erst den Reichtum mit heim .
Ob Mama sich vorstellte , daß dieser Reichtum etwa wie ein Kohlenwagen vor der Türe abgeladen werden würde ?
Jedenfalls dachte sie :
» Um Gottes Willen , wohin damit ? «
Sie wußte schon von Banken etwas , aber Steuern und Zinsen und all dergleichen ging , wie gesagt , bös bei ihr durcheinander .
Sie hatte auch nichts damit zu tun , so etwas besorgte er , - und von höheren Dingen sprach er nun einmal nicht mit ihr .
* Unter den Kostbarkeiten , die Mama und Marie fieberhaft erstanden , waren ganz sonderbare Dinge .
Die unglaublichsten Bürsten und Bürstchen , allerlei ganz außerordentlich pfiffige Einrichtungen zum Putzen von den verschiedensten Gegenständen , spitze Pinsel und stumpfe Pinsel , allerlei geheimnisvolles Küchenhandwerkszeug , das hatte sie sich alles immer gewünscht und nie war sie zum Besitz gekommen .
In der Küche sah es aus , wie in einem Arsenal , als wollte sie gegen den Hunger der ganzen Welt zu Felde ziehen .
In dieser Küche hatte sie so namenlos gelitten !
Hier konzentrierte sich alles .
Die Schneiderin saß auch im Haus , wie eine Henne auf Eiern , Tag für Tag .
Mamas und der Mädchen alte Kleider wurden hergerichtet .
Wertvolle Besätze und Gott weiß was kaufte sie , um den alten schlecht sitzenden Plunder wieder aufzustutzen .
. . . . . Die alte Geschichte vom Hirtenjungen , was der täte , wenn er König würde .
Mama und Marie kehrten jeden Nachmittag nach den Besorgungen bei dem Konditor ein , und Mama verdarb sich regelmäßig den Magen und hatte an Migräne greulich zu leiden .
Die beiden Söhne profitierten auch am Freudenrausch und der ganz naiven Art , Einkäufe ohne Geld zu machen .
* Tief in der Nacht erscholl ein Läuten durch das stille Haus .
» Der Vater ! « dachte Marie und ebenso dachte es die Mutter .
Beide waren außerordentlich erregt und konnten nirgends ein Streichholz finden .
Inzwischen läutete es auf eine unaufhörliche , nervenerregende Weise .
" Um Gotteswillen , was ist geschehen ! "
Das sagte die Mama wohl zwanzig Mal , während sie im Dunklen tappte und suchte und die Läuterei kein Ende nahm .
" Vielleicht ist alles wieder aus !
Du lieber Himmel !
So kann es nur läuten , wenn ein Unglück geschehen ist , so läutet kein vernünftiger Mensch ! "
Sie tappten und tappten .
Endlich !
Wie im Fieber , zähneklappernd , mit angstvollem Herzschlag huschte Mama in Nachtjacke , Bambuschen und grauem Flanellrock die Treppe hinab .
Bebend , mit zitternden Gliedern , schloß sie auf , öffnete die Tür , - da fiel ihr Lateinschüler und Sorgensohn Karl ihr in die Arme , mit dem Kopf voran , total bezecht .
" Herr des Himmels ! "
Mit Karl war gar_nichts anzufangen .
Er benahm sich störrisch und lärmend wie ein Ferkel , das nicht will , was es soll .
Dabei schien der dicke Knabe schwerer und plumper zu sein , als man es sich hätte von ihm vorstellen können .
Mama mußte ihn unten an der Haustür lehnen lassen .
Zwei Stufen auf einmal nehmend , stürzte sie hinauf , um Marie zu holen .
" Daß nur derweil niemand kommt ! "
Dann versuchten sie es mit vereinten Kräften .
" Na , Alte , " brummte Karl , als Mama ihn unter den Arm zu packen versuchte , " vorsichtig , vorsichtig ! "
Marie wagte es gar nicht , ihn anzufassen .
Sie hatte einen grenzenlosen Ekel vor ihm .
Sie weinte .
" So nimm ihn doch , " sagte Mama .
" Hennenhirn ! " brummte der dicke Knabe , ganz wie der Vater , nur war diese junge Prophetenstimmen noch rund und etwas schleimig - hatte keine Ecken und Auswüchse .
" Weibsvolk , albernes ! "
Marie weinte bitterlich .
" Das , wenn der Vater wüsste , wie ihr euch anstellt ! "
" Karl ! " wimmerte Mama weinerlich .
Karl tat einen scharfen , kurzen Schmatz mit den Lippen .
Sein Mund spitzte sich .
Darauf täschelte er seiner Schwester ins Gesicht .
Die schrie schluchzend auf .
Karls stierende Augen richteten sich verdutzt auf sie .
Marie war ganz auseinander .
Die beiden Frauen schleiften ihn wie eine tote Maße die Treppe hinauf .
" Wenn ihn nur kein Lehrer gesehen hat ! " wimmerte Mama .
" Recht geschähe es ihm ! " meinte Marie ; " das , wenn der Vater erfährt ! "
Mama gedachte einer Nacht im vorigen Jahr , als er ihr schon einmal so nach Hause gekommen .
Sie war eben dabei gewesen , ihrem Mann den schwarzen Kaffee zu kochen und bebte in Todesangst , daß Karl noch nicht daheim war .
Da kam er , das heißt , er versuchte zu kommen .
Und wie heute war sie die Treppe hinuntergelaufen und hatte sich dann den Vater zu Hilfe holen müssen .
Sie hatte gefürchtet , der würde ihn kurz und klein hauen .
Merkwürdigerweise nichts davon .
Im Benehmen ihres Mannes hatte sie , zu ihrem höchsten Erstaunen , eine gewisse Rührung konstatieren müssen .
Nie hatte sie ihn so sorgsam gesehen , bei keiner der vielen Krankheiten im Haus war er so hülfreich gewesen , so sachverständig .
Wie er ihr zur Hand ging , wie behutsam er Karl ins Bett half .
So viel Gemüt wie damals , hatte er bei keinem Familienereignis entfaltet .
Mama war es auch vorgekommen , als behandelte er Karln Tags darauf mit einer kameradschaftlichen Schonung und Diskretion .
Damals zog er ihn auch bei einer Angelegenheit mit in den Familienrat .
Es handelte sich darum , ob Isolde doch nicht noch zur Lehrerin ausgebildet werden solle .
Den Familienrat pflegten Papa , der älteste Sohn und Karl , der kurz vordem die erste Weihe als vollwichtiger männlicher Mann empfangen hatte .
Alle drei beschlossen einmütig , daß Isolde kein Blaustrumpf werden dürfe , trotzdem die Familie so gut wie kein Vermögen besaß und jeder nach dem Tod des Vaters auf sich selbst angewiesen war .
Alle dies kam Mama wieder lebendig in die Erinnerung , als sie mit Marie ihren dicken Sprößling die Treppe hinaufbugsierte .
Oben angekommen , machte sie sich daran , Karl einen schwarzen Kaffee zu kochen .
Inzwischen beängstigte dieser im Zimmer seine Schwester Marie , die auf ihn Acht haben sollte , daß er mit der Lampe nichts anrichte .
Und wie ein heiliges Vermächtnis seiner Ahnen und Vorgänger , war diesem angehenden Jüngling in seiner Beneblung und Hilflosigkeit die Weibverachtung als das Nächstliegende erschienen .
Die Schwester hatte in dieser Stunde etwas vor ihm voraus ; das paßte ihm nicht .
Er fühlte den dunklen Trieb , die Hand gegen sie zu erheben , als sie ihm irgend etwas wehrte , - und machte Anstalt dazu .
Da schrie sie auf , warf sich vor einen Stuhl nieder , preßte ihren Kopf in das Polster und schluchzte angstvoll .
" Dumme Gans , " sagte Karl .
" Ich , wenn jetzt ein Madel habe , - beim ersten Mucks - raus damit ! -
Gibt ihrer genug , - Gott Lob ! "
Marie fürchtete sich vor ihm .
Sie fürchtete , daß er sie anrühren könnte .
Ihr war zu Mute , als wäre sie mit einer tollen Bestie im Zimmer .
" Mutter ! Mutter ! " schrie sie jetzt laut .
Da kam Mama hereingestürzt .
" Was ist denn ? "
Karl lachte auf .
" So ' ne affektierte Gans ! "
Die Mutter trat auf ihn zu mit der völlig gleichgültigen , abgestorbenen Miene , die sie zum großen Ärger ihres Gatten so unübertrefflich anzunehmen wußte .
Vor dieser Miene duckte sich auch Karl .
Damit wußte er nichts zu machen , die verstand er nicht .
Da war sie auch ihm über .
" Vorsichtig , Alte , vorsichtig ! " lallte er und ließ sich auf Vaters breiten Arbeitsstuhl niederdrücken .
* Diesen Abend kroch Marie in Mutters Bett .
Sie war ganz außer sich .
Das mußte man Mama lassen , ihre beiden Mädels hatte sie zu behüten verstanden .
Sie waren gerade so weltfremd , wie andere höhere Töchter auch .
Die kleine geheimnisvolle Welt im eigenen Hause kannten sie so wenig wie die große draußen .
Vor der kleinen , wie vor der großen Welt , hatte Mama sich wie mit ausgebreiteten Röcken gestellt .
Ob sie dachte , daß sie einmal recht überrascht werden sollten ?
Oder was sie dachte ?
Kurzum , es war ihr einziges :
" Daß die Mädels nur nichts erfahren ! "
Vor ihren Töchtern schwieg sie wie das Grab .
Wenn ihr das Leben das Herz abdrückte , keine Offenheit den Töchtern gegenüber .
Wie gern hätte sie manchmal den müden , dumpfen Kopf an Maries Schulter gelegt , um da Verständnis und Trost zu finden .
Wie vor einem Unrecht aber war sie jedesmal zurückgeschreckt .
Nein , das Kunststück wollte sie auch fertig bringen , wie andere Mütter , ihre Mädels sollten " von nichts " etwas wissen ; darein setzte sie gewissermaßen ihren Stolz .
Sie hatte auch " von nichts " etwas gewußt .
Dann waren die Überraschungen gekommen !
Weshalb das so sein mußte , wußte Mama nicht .
Es war hübsch so - und anständig .
Alle Mädchen aus gutem Haus mußten so ins Leben hinausgehen .
Und dafür hatte sie das große Opfer gebracht , daß sie den Kindern fremd geblieben war , fremd in ihrem dumpfen , schweren Leid .
Wenn sie dennoch etwas wußten - sie war unschuldig daran , das konnte sie mit bestem Gewissen sagen .
Ihre Mädchen hatte sie gut erzogen !
So lag auch heute Marie stumm am Halse der Mutter und weinte , und Mama klopfte ihr den Rücken und murmelte , wie sie es bei ihren kleinen Kindern getan hatte , um sie zu beruhigen .
" No - no - no - no - no ! " * Mrs. Wendland hatte von dem großen Umschwung der Verhältnisse ihres Freundes Doktor Frey gehört .
Sie wußte auch von dem Glück der beiden Mädchen , daß sie im Besonderen von ihrem Onkel bedacht worden waren .
Die Besitzerin einer Summe von Dreimalhunderttausend Mark konnte sich schon sehen lassen .
Die Mädchen würden jetzt die Auswahl haben .
Mrs. Wendland hatte wirklich eine Freude über diese Nachricht gehabt .
Sie hatte sich im stillen immer gedacht :
» Was sollen diese beiden Kinder mit ihrer großen Schönheit ?
Dummheiten - Dinge werden geschehen .
Für arme Mädchen ist es viel besser , wenn sie nicht sind schön . «
Sie hatte über Freys Glückswechsel auch zu Henry Mengersen gesprochen , der ihr wenige Tage darauf mitteilte , daß er eins dieser Mädchen zu heiraten beabsichtige .
Mrs. Wendland war nicht ohne Erstaunen .
" Sehr einfach , " sagte Mengersen , " ich habe mir alles überlegt :
Meine künftige Frau muß wohlhabend sein , jung , schön , anspruchslos .
Diese Dinge trifft man selten beisammen .
Hier ist dies der Fall .
Bitte , dich zu überzeugen . "
" Ich halte Isolde durchaus nicht für anspruchslos , lieber Henry , " sagte Mistreß Wendland .
" Isolde ist ein Rassegeschöpf , die sind an und für sich . . . . "
" Die andere aber halte ich für vollkommen anspruchslos , " unterbrach Henry Mengersen .
" Die ist ganz , was ich suche . "
" Die andere ? " fragte Mrs. Wendland verwundert .
" Und weshalb nicht ? " meinte er scharf und dachte :
» Hat Isolde geplaudert ? «
Mrs .
Wendland blickte gedankenvoll vor sich hin .
" Isolde ist bei weitem interessanter . "
" Mag sein .
Beste Mary , - eine interessante Frau ?
Dazu kunstsinnig , mitempfindend , nachempfindend - Gott weiß , was noch !
Alle Achtung !
Nein - nicht um die Welt !
Und außerdem ist Fräulein Isolde auch in anderer Beziehung nicht mein Geschmack .
So etwas heiratet man nicht .
Sie ist herb , wie eine junge Quelle ?
Nicht wahr ? "
Er lächelte fein und kühl .
" Und ich behaupte , sie ist ein kleiner , frecher Dachs , dem es recht gut tun wird , wenn sie sieht , daß man ihre Schwester ihr vorzieht .
Ich glaube , diese Erfahrung ist außerordentlich wichtig für das Mädchen . "
Mrs. Wendland lächelte .
" Also aus erzieherischen Gründen wollen Sie Marie die Resten von Ihr Dessert geben und nicht Isolde ?
Sie werden ein ganz reizender Ehemann werden .
Colt as charity - kalt wie die Barmherzigkeit , man sagt .
O , ich möchte mich nicht mit Ihnen heiraten , lieber Henry .
Mich friert , holen Sie mir , meinen kleinen Schal , bitte .
Ach und nun werden Sie also philiströs ; ein Mann , was hat gelebt , wie du , ist so komisch als tugendhafte Ehemann zu denken !
Nun , also heiraten Sie sich die kleine Frey .
Sie machen immerhin ein ganz gutes Geschäft . "
Henry Mengersen dachte : » O , meine gute Mistreß , - also doch nicht ganz angenehm überrascht ? «
" Und Sie sind der erste , der sich von dem neuen Geld der Freys kaufen läßt ? " fragte sie und beugte sich in ihrem Lehnsessel vor mit einem amüsierten Ausdruck .
" Und Sie wollen die kleine Mary wieder eingeladen sehen bei mir ?
Sie brauchen gar nichts zu sagen , ich weiß schon . "
Henry Mengersen küßte ihre Hand .
" Du bist schon ganz in der philiströsen Maske eines keuschen , würdigen , deutschen Bräutigams , mit seinem gut bürgerlich schlechten Gewissen .
- Du bist mir nun langweilig !
Nicht deshalb , wie du denkst .
O , nein , gar nicht deshalb !
Sie brauchen nicht zu lächeln , Henry .
Nein , weil nun eine große , langweilige Lügengeschichte angeht , wie bei allen Männern .
Bei dich lächelt es mich noch mehr , als bei den anderen , weil ich dich kenne , wie mein Taschentuch !
Für Sie , Henry , wünschte ich , Sie hätten Isolde gewählt .
Vor ihr hätten Sie müssen doch ein wenig gene haben .
Sie könnten mit ihr nicht so ganz sans façon sein .
Doch deshalb nehmen Sie sie ja nicht .
Nun , ich wünsche Glück zu dieser Dudelsackehe .
Kommen Sie heute abend zum Tee , Henry , wir trinken auf der Veranda . "
* Marie Frey verlebte bei Mrs. Wendland traumhafte Tage .
Sie war es gewohnt , von Studenten und den Brüdern ihrer Freundinnen verehrt zu werden ; aber dieser Herr Mengersen war doch ganz etwas anderes .
Sie traute der Sache nicht recht .
Es kam ihr alles zu unwahrscheinlich vor .
Aber Henry Mengersen verstand sich darauf , sie zu überzeugen , trotzdem ihm eigentlich solch ' eine weltfremde , höhere Tochter ein sehr unheimliches Ding war .
Er überschüttete sie mit Zartheit .
Ein Bouquet , ganz aus Moosrosenknospen , was mußte das solch einem Geschöpf nicht alles sagen !
Und was sagte es ihr nicht alles .
Henry Mengersen konnte sich viel Mühe und Geist sparen .
Ein Gar_nichts , zarte Farben , zarte Formen taten mehr für ihn , als er je für sich hätte tun können ; dazu seine tadellose Wäsche , die vornehme Reinheit seiner Person , das imponierend elegant sitzende Schuhwerk .
Er mußte auf so ein Ding wirken , ohne daß er sich im geringsten anzustrengen brauchte .
Dazu sein Ruhm und die Art , wie man ihm begegnete .
Nie hatte das blonde Mädchen einen vertrauenerweckenderen Menschen gesehen .
Die instinktive Sorge , daß der Mann brutal , roh in seiner Übermacht ihr gegenübertreten könnte , kam hier nicht auf .
Die weltfremden Sinne waren noch so kindlich , so ganz vom Äußeren hingenommen .
Wie Blasphemie wäre ihr ein Zweifel an diesem Menschen erschienen .
Ja , es gab Augenblicke , da schämte sie sich ihrer selbst , ihrer Plumpheit , wie sie ihre Ungewandtheit nannte , ihrer Hände .
Man sah ihnen das fleißige Schaffen im Hause an .
Es waren reine , junge , kräftige Mädchenhände , aber nicht blütenweiß und die Nägel waren kurz gehalten .
Sie konnte ihre Hand gar_nicht neben der seinigen sehen .
Wie hoch stand dieser Mann über ihr !
Und als er sie mit weicher Stimme bat , sein Weib zu werden , war es ihr zu Mute , als tanzten Erde und Himmel durcheinander .
Ein ganzes Chaos von Glück , Stolz , Überraschung und Verwirrung .
Sie hatte ihrer Mutter und niemandem sonst ein Wort über Henry Mengersen geschrieben , auch Isolde nicht , - und nun war sie Braut , die Braut eines Mannes , zu dem sie nie die Augen erhoben hätte .
8. Isolde erfuhr die Verlobung ihrer Schwester unvorbereitet .
Sie kam von Berlin zurück , eingehüllt in ihre große , tiefe Liebe wie in eine Wolke von Sehnsucht .
Die Mutter empfing Vater und Tochter freudestrahlend , wie es die Tradition will , und verkündete ihnen die Nachricht schon auf der Treppe .
Mit einer plumpen , die Knie zusammenbrechenden Wucht , wie ein großes Raubtier auf sein Opfer , sprang die Verzweiflung auf Isolde .
Nicht Zeit zu einem Schrei !
Da war es geschehen .
Da hatte sie ihr Teil .
Sie wollte sich an ihren Vater halten um nicht zu fallen .
Ihr kam es aber vor , als griff sie in die Luft .
Und die Mutter war auch nichts als ein Gespenst - ein Nichts .
Da war kein Körper , der irgend etwas galt .
Ihre Hände hielten sich zwar , - aber sie fiel doch .
Ihre Seele fiel und hörte gar nicht auf zu fallen in Dunkelheit hinein - endlos - endlos .
Und zu derselben Zeit , in der sie so tief und endlos fiel , fühlte sie , wie sie in das Zimmer trat und hörte sprechen und sah dies und das .
Ein dumpfes Rauschen umgab sie .
Wie aus weiter Ferne hörte sie den Vater ungeduldig schelten .
" Was zum Teufel ist denn das ? "
Doktor Frey stand mitten in dem weiß und goldenen Salon mit den frisch gewaschenen mit neuen Spitzen besetzten Vorhängen .
" Das ist die reinste Verrücktheit ! "
Er sperrte ganz verblüfft Augen und Mund auf .
" Stellst du dir vor , Alte , ich laß mein gutes Geld von dir zum Fenster hinauswerfen ?
Läßt die gekündigte Wohnung neu herrichten !
Daß i net lache ! "
Er war in großer Wut .
" Gekündigt hast du ? "
- fragte Mama ganz betreten und zittrig .
" I du meine Güte , davon weiß ich ja gar_nichts ! "
Doktor Frey riß die Tür zum anderen Zimmer auf , um zu sehen , wie es dort stand .
" So - na ! - Merkwürdig ! "
Er war einigermaßen beruhigt .
" Freilich ist gekündigt .
Glaubst du etwa , ich bleibe in dem Loch ?
Und was ist denn noch geschehen , wenn ich bitten darf ? "
Nun kam ein Sündenregister .
Doktor Frey ging erregt im Zimmer auf und nieder .
" Daß i net lache !
Daß i net lache !
Das war auch besonders nötig , daß eine von den Bamsen sofort an den Esel , den Mengersen . . . Nun , ich werde euch auf die Finger passen , ihr !
Das ist ja ein reizendes Willkommen ! "
* Als Isolde endlich allein in ihrem Zimmer war , schloß sie die Tür und warf sich auf den Fußboden .
Draußen schalt der Vater weiter und die Mutter weinte einmal laut auf .
Langgestreckt lag Isolde ; - ein Schwindel erfaßte sie .
So tief , so tief , so dunkel und sie mitten darin !
Heute sollte sie ihn noch sehen und auch die Schwester - da griff sie mit den Armen in die Luft , da wollte sie wieder etwas fassen .
Auf den Boden warf sie sich vor ihr Bett und bis in den Fuß des Bettes , und verbiß sich darin , wie ein wundes Tier , das mit dem Tode kämpft .
Ihre Augen fielen auf das Konsol mit dem Schädel darauf .
Da hockte sie sich zurecht , die Arme um die Knie , und starrte dem Schädel in Verzweiflung in die leeren Augenhöhlen und starrte und vergaß die Zeit .
Sie wollte denken - aber es ging nicht .
Es war ja auch alles ganz gleich .
Sie fing an zu singen , einen Leierchen Gassenhauer .
Wie mit einem Messer schnitt sie dies Singen ; - dann sang sie weiter übermütig lustig .
Wie tat das ?
* Am Abend kamen sie wirklich beide .
Er hatte seine Braut nach München begleitet .
Isolde trat ihm ruhig entgegen ; es gelang ihr ohne Mühe , weil doch alles eins war .
Das eine tat so weh , wie das andere .
Marie war hingebend weich und selig .
Henry Mengersen schien der Situation völlig gewachsen zu sein .
Er hatte allerdings erwartet , daß Isolde sich mit " Kopfschmerzen " entschuldigt haben würde .
Nun war sie doch da , eine freche , kleine Bestie - und hatte einen ruhigen , undurchdringlichen Gesichtsausdruck .
Er aber war gerüstet auf alle Fälle ; umsonst hatte er sich nicht einen Giftzahn wachsen lassen .
Von einem Mädchen , das sich erniedrigt hatte wie Isolde - und vergeblich erniedrigt , stand alles zu erwarten .
Er hatte sie in der Hand , da war ihm anderes schon geglückt .
Die Ruhe war nur Maske .
O , er ließ sich nicht täuschen ; er kannte diese Sorte .
Ein unpassendes Wort seiner Braut gegenüber , und Isolde würde ihn kennen lernen .
* Durch einen Zufall standen sie beide in des Vaters Arbeitszimmer allein am Fenster .
Die Hängelampe warf ihren Schein grell in die Mitte des Zimmers und um diesen Lichtkern war eine weiche Dämmerung .
Isolde sah ihm ruhig in die Augen .
" Eine Bitte , Fräulein Isolde , " sagte er eisig ; " über das , was zwischen uns vorgegangen ist , kein Wort - nicht wahr ?
Es gilt das Lebensglück Ihrer Schwester .
Sie verstehen mich doch ?
Und was mich betrifft , seien Sie meiner ganz sicher - ich bin Gentleman .
Ich darf mich ja Ihnen gegenüber aussprechen . "
Aber wie er mit sicherem , vornehmem Blick den ihren streifen wollte , fuhr er leise zurück .
Nicht mehr Isolde , das rührende , liebende Mädchen , - ein vornehmes , ruhiges Weib stand ihm da gegenüber .
Und aus ihrem Mund tönten ruhige Worte .
" Ich empfand Ihre Kunst - ich liebte sie - ich tat es .
Ich will es auf offenem Markt sagen .
Sehen Sie darin etwas Schlechtes ?
Ich habe mir nicht denken können , daß ein großer Künstler schmutzig ist . -
Ist es so - so gehören Sie zum Haufen . "
Isolde wendete ihm den Rücken .
Henry Mengersen war zum ersten Mal in seinem Leben verblüfft .
* Doktor Frey hatte Champagner auffahren lassen und es wurde eine Verlobung nach allen Regeln der Kunst gefeiert .
Doktor Frey war schließlich beim Sekt mit Mengersen ganz einverstanden .
Mein Gott , ist es der eine nicht , ist es der andere , im Grund gleichgültig , wen so ein Mädel kriegt .
Dem Weib gegenüber ist so ziemlich einer wie der andere .
Eine Gans , so ein Mädel ! - könnte jetzt das schönste Leben haben und gibt ihr gutes Geld und ihre Schönheit einem Esel in die Hand , der sie doch nur auslacht .
Doktor Frey war ganz gerührt .
Auf seine " Bamsen " hielt er etwas .
Er reichte Mengersen die Hand über den Tisch , hob sein Glas und sagte weinselig :
" Daß du sie mir gut in Obacht nimmst , mein herrliches Kind ! "
Mengersen schüttelte würdig die Rechte seines künftigen Schwiegervaters und küßte seiner Braut ritterlich und zart die Hand .
* Diese Nacht lag Isolde still wie eine Tote in ihrem Bett .
Maries ruhige , sanfte Atemzüge berührten hin und wieder ihr Bewußtsein .
Marie war so selig müde gewesen am Abend und wie ein Kind entschlummert .
Das große Glücksgefühl ermattete sie .
Sie trug wahrhaft daran wie an einer Last .
Nun war ihr Schlaf tief und ruhig .
Isolde lag auch in ihrem tiefen Weh wie in einem schweren Schlaf , in einer großen Betäubung .
Der Mond schien ins Zimmer , der Schädel schimmerte .
Die Augenhöhlen glichen zwei dunklen , runden , tiefen Flecken .
Und in diese leeren Augenhöhlen mußte Isolde unverwandt sehen .
Das war ganz was sie brauchte .
Dieser leere Blick ohne Trost !
Wohl tat er ihr !
Es war ihr als wäre etwas Reines , Gutes in dieser Leerheit .
So tödlich war sie verwundet worden !
Seele und Körper zugleich .
Auch ihre Seele lag ganz still und unbeweglich .
Und von einem beschimpfenden Schlag war sie so verwundet - Der , den sie über alles liebte , den sie wie einen Gott in Anbetung liebte , hatte ihr den Schlag ins Gesicht versetzt .
Des feinen , klugen , großen Henry Mengersens Roheit hatte die allerzartesten Fäden ihres Daseins unheilbar verletzt und zerrissen .
Das war Isolde nicht mehr , das heißempfindende Kind , das Glück und Leid mit übersprudelnder Lebenskraft faßte und das Leben wie einen großen , blühenden Rosenstrauch an die Brust drücken wollte , ganz in Blüten versinkend .
Auf alles , was sie sah und was sie fühlte , starrte sie mit einem grenzenlosen Ekel .
Gab es denn gar keine Möglichkeit zu zeigen , daß man rein ist !
Konnte sie denn nicht einfach sagen .
" Da bin ich - da ! "
- Ihr junges Menschentum war noch so ganz in sich zusammengefaßt , so einfach , so rein aus Gottes Hand hervorgegangen .
Das dumme , dumpfe , ins Ekelhafte gesteigerte Weibgefühl haftete an ihr noch nicht , das Gefühl , ein Wesen zweiter Ordnung zu sein - ein Wesen , das nicht Mensch , sondern Weib ist , ein Wesen , das nicht wie ein Mensch fühlen und handeln kann , das nur geschlechtlich ist .
Welcher Ekel faßte sie , welche Scham !
Welchen Blick tat sie da !
Ja , sie hatte ihn geliebt ! ja ! ja ! ja ! Sie hatte ihm das Schönste gegeben , das Einzige , ihre Schönheit , die sie selbst liebte , die sie kannte und die sie selig und froh gemacht hatte .
Seiner heiligen , großen Kunst hatte sie sich geben wollen , als Mensch - und als Weib .
Wahrhaftig nicht nur als Weib - und auch als Weib ; - ja , sie hatte sich gesehnt , daß er sie küssen sollte , - heiß , hinsterbend gesehnt .
Er hatte ihr ja gesagt , daß er sie liebte , - oder hatte er nicht ?
Gleichgültig , jetzt ganz gleichgültig !
Und doch und doch - welche Leere !
Alles erloschen ! - einsam - verlassen - verstoßen - getreten - mißkannt - mißachtet - das Ärmste auf Erden !
Und beschmutzt - ihre reine , frohe Seele !
Sie wußte , daß ihre Seele den Körper umhüllt hatte .
Ihre Seele hatte nichts mit Schmutz zu tun .
Wie ein Sturm ging es durch ihren Körper .
Glaubte er , daß sie mit einem Wort erinnern würde ?
Glaubte er - das ?
Wie konnte er so schmutzig sein - - so dumm ?
Ach , ein Ekel , eine unsäglich Qual packte sie , wie sie mit einem Blick überschaute .
Das Weib ist nicht Mensch , nur Weib für ihn - etwas Geistloses - ohne Feinheit - ohne Freiheit - etwas so Brutales - das nur Körper ist ! -
Zum Sterben ! - ein Ekel zum Sterben !
Als sie ihm von seiner Kunst gesprochen , wie sie ihn in ihr Herz hatte sehen lassen - und die große Liebe gestand zu dem , was er schuf - da hatte er so sonderbar gelächelt .
Pfui ! pfui ! pfui !
es war ihm gewesen , als hätte ein Tier ihm das gesagt - ein freches , dummes Tier .
Grad so komisch und lächerlich war es ihm gewesen .
Sie durchschaute jetzt alles - alles mit einem Male , wie hellsehend .
Das , was sie ihm gab , hatte er auf seine Weise geschätzt .
- Und da dachte sie in fieberhafter Angst über " das Weib " nach .
Eine so heiße , heiße , brennende Angst stieg in ihr auf .
Was war denn das ?
Alles , was je gedacht , war vom Manne gedacht worden ; alles , was je getan , war vom Manne getan worden .
Nie war ihr das noch klar geworden , - ganz neu starrte sie das an .
Das Weib und das Tier haben nichts getan und nichts gedacht , von dem man weiß .
Bis in den innersten Grund ihrer Seele erschrak sie .
Da lag sie wie gebrandmarkt .
Hatte er nicht recht ?
Lächerlich war es , wenn sie von Kunst zu ihm sprach ; was hatte sie damit zu tun ?
Was ging sie die Kunst an ?
Freilich mußte er lachen !
Ihr war , als sollte sie ersticken .
Und da fühlte sie die ganze Verachtung , die auf dem Weibe liegt .
Wie einen schweren , bleiernen Druck empfand sie diese große Verachtung , die Stolz und Freudigkeit nimmt .
Was war sie ? -
Zu wem gehörte sie ?
Sie hatte wahrhaftig kein Recht , stolz und froh zu sein .
Ein dumpfes Stöhnen entrang sich ihr , ein erstickter Schrei , als wäre sie geschlagen .
Und sie hatte geglaubt wie ein Mensch zum Menschen sein zu dürfen .
Was hatte denn Mrs. Wendland gesagt ? -
Da fiel ihr allerhand ein , was sie damals gar_nicht verstanden .
Die also auch , die kannte alle die Gedanken , die so neu , so schmählich über sie jetzt herfielen .
Nach dem , was die gesagt hatte , müßte die ja auch leiden .
Fühlten alle Weiber , wie sie jetzt fühlt ?
Und war denn das möglich , daß sie noch nie etwas derartiges empfunden hatte ?
Und ihre Mutter ? - und - ihre Freundinnen ?
Ja , was war denn das ?
Wußten denn die Weiber gar_nichts davon , wie verachtet sie sind ?
Ihr zarter Körper wurde von einer tödlichen Erregung gemartert .
Da lag sie , getreten , beschimpft , beschmutzt , vereinsamt und gehörte zu der verachteten , dumpfen , gedankenlosen Hälfte der Menschheit , die nicht das Recht hat , voll Mensch zu sein .
Da lösten sich Tränen aus ihren Augen , brennende , schmerzhafte Tränen , die wie Blutstropfen aus einer Wunde flossen .
9. Isolde geht an einem blütenschweren Maimorgen in ihrem Atelier gedankenvoll auf und nieder .
Das Atelier liegt in einem Garten still versteckt , ebenerdig .
Frischer , herber Laubgeruch strömt zu den Atelierfenstern herein , die in der großen Glasfläche weit geöffnet stehen .
Der blaue , leuchtende Himmel schaut durch das Oberlicht zu ihr nieder .
Schwalben ziehen ihre schrillen Sommertönchen im schnellen Flug wie feine , glitzernde Fäden über den blauen Ätherraum hin .
Sie weben im Kreuz- und Querflug ein Netz von diesen süßen , spitzen Lauten .
Ein Zug Tauben fliegt über das gläserne , kuppelförmige Dach .
Die Flügelschwingungen hören sich so fein , so fließend an , so durchdringend frei , ohne jede Erdenschwere .
Isolde ist ganz in sich selbst versunken .
Sie bewegt sich in dem starken , mächtigen Licht , in dem großen , kahlen Raum wie im Freien .
In ihrer Hand hält sie achtlos den Grabstichel .
Auf einem kleinen Tisch liegen zwei geöffnete Briefe .
Gipsabgüsse stehen längs der Wände , Abgüsse nach der Natur , Glieder , Häupter , Totenmasken .
Der Schädel , der Isolde durch fünf Jahre begleitet hat , ist das einzige im Raum , was gewissermaßen als Schmuck auffällt .
Er trägt eine schimmernde Narrenkappe aus einem alten , köstlichen Goldstoff und darüber einen braunen Lorbeerkranz .
Sonst im ganzen Atelier kein Schmuck , weder ein Teppich , noch sonst ein Luxusgegenstand .
Unter der Kuppel , jetzt ganz von Licht übergossen , ein wunderlich fremdartiges Werk , eine sitzende Buddhastatue aus fleckenlosem Marmor : Isoldes Werk .
Um den Sockel der meterhohen Gestalt stehen diese Worte : Inbrünstig bin ich gewesen , Inbrünstig wie noch kein Anderer .
Rauhsinnig bin ich gewesen , Rauhsinnig wie noch kein Anderer .
Wehmütig bin ich gewesen , Wehmütig wie noch kein Anderer .
Abgelöst bin ich gewesen , Abgelöst wie noch kein Anderer .
Und diesen Spruch einzugraben , war Isoldes Morgenwerk .
Ja , und es war ihr gewesen , als läge in dem sonst geneigten Buddhahaupte der große Friede , - der große Friede der Erkenntnis , der vornehme , ganz von mächtigem Menschengeist durchdrungene und gehaltene Friede , nicht der demütige , unselbständige .
Wie ein Jubel , wie eine erstickende Seligkeit war es über sie gekommen .
Es schien ihr gelungen , was sie gewollt hatte .
In dem Buddhahaupte lag das Königliche , das ganz Souveräne , die große , seltene Menschenmajestät , die noch über dem Menschenschmerz steht , der das Größte auf Erden und über der Erde ist .
Du ungeheurer Todesschmerz , Leidens- und Lebensschmerz , du bist zu besiegen !
In Isoldes Augen waren heiße Tränen gestiegen .
In Wahrheit , ihr erschien das Haupt das zu sein , was es sein sollte , wie sie es in langer leidenschaftlicher Hingebung ersehnt hatte .
Schien es ihr nur so - oder war es wirklich so ?
Im Augenblick - jetzt in dieser Stunde war es so .
Sie glaubte , wenn sie auch im voraus wußte , daß sie wieder zweifeln würde .
Sie ging wie über der Erde schwebend in ihrem lichtvollen Raum auf und nieder .
Keine Schwere !
Und es hob sie , daß das Werk für diese beiden Menschen bestimmt sei - für ihre liebsten Menschen auf Erden .
Für ihn und sie !
Daß sie das ihnen geben durfte und konnte .
Was waren ihr in diesen Jahren Helwig und Lu Geber geworden .
O , ihr lieben , wahren , einfachen Menschen ! dachte sie .
Und wie würde Lu sich freuen , wie würde es ihr warm ans Herz greifen , wenn sie die schönen , stillen Züge ihres Mannes und seine Seele im Buddhahaupte wiedererkennen würde ?
Was alles hatte Isolde ihm zu danken ! was für schöne , tiefe Stunden hatten sie zu drei miteinander erlebt !
» O , ihr weltentrückten Menschen ! « dachte Isolde , » in eurem schönen , stillen Heim - auf eurer Insel der Seligen - mitten in der schmutzigen Welt ! «
Wie liebte sie diese beiden !
Bei ihnen hatte sie menschenwürdig fühlen und denken gelernt .
Was mit ihnen zusammenhing , war so zweifelsohne !
Daß es etwas so Wahres gab , wie diese Leute !
Wie freute sie sich , beide in ihr Atelier zu führen und zu sagen : " Das danke ich euch ! Dir danke ich es , du weiser , guter , abgeklärter Mann , der du so anders bist als andere , von niemandem draußen in der Welt verstanden , du stiller Großer du ! "
* Isolde ist schöner geworden , vornehm , streng im Stil .
Sie neigt zu der Art Erscheinungen , wie Mrs. Wendland in ihrer ersten Jugend einst gewesen sein mochte , schlank , bleich , das mächtige , lockige Haar wie eine dunkle Wolke über der Stirn , tiefe Augen , über denen es wie ein Schleier liegt .
Ihre Art sich zu kleiden , ist völlig ungesucht ; doch was diesen Körper berührt , wird vornehm .
Isolde ist heute in Feierstimmung .
Sie denkt heute nicht mehr daran , etwas zu tun .
Sie hört jetzt auf die Schwalben , die hoch oben am blauen Firmament mit ihren seidenen Tönen wie mit Fäden weben und wirken .
Da steht ihre Schwester Marie geistig ihr vor Augen .
Was für ein kleines Gesicht hat der arme Samtaffe bekommen .
Das Samtige , Volle ist von ihr geschwunden .
Isolde sieht sie vor sich , wie sie oben in Mengersens Sommervilla , die er sich in der Nachbarschaft von Gebers gebaut , in dem schönen Waldgarten mit einander spazieren gingen , hoch über dem Ufer der Isar .
Marie war damals Mutter ihres ersten Kindes , dessen Geburt ihr fast das Leben gekostet hatte .
Seelisch und körperlich konnte sie sich davon lange nicht erholen .
Ihr Kind gedieh , aber sie selbst hatte etwas wie vom Frost Getroffenes , etwas Mattes , Stilles , Banges .
Das Kind mochte ein halbes Jahr alt sein , als sie damals mit einander unter den dichtbelaubten Bäumen gingen .
Da hatte sich Marie mit einemmal an Isolde geklammert und ihr etwas zugeflüstert , ein Geständnis - ein so banges , schweres , daß sie wieder der Qual und dem Tod entgegenginge , und Isolde war von den fassungslosen , verzweifelten Tränen der Schwester naß am Hals geworden .
Die beiden jungen Geschöpfe hingen an einander und wagten sich nicht in die Augen zu sehen .
Marie weinte trostlos und Isolde wußte nicht , was sie sagen und fühlen sollte .
Es war so peinlich .
" Ide , " schluchzte Marie , " er kann mich doch gar nicht lieb haben !
Wie kann er denn ?
Er weiß ja wie es war , wie entsetzlich ! -
er weiß doch alles .
Ide , wenn das Liebe ist ! "
Marie schrie wie entsetzt auf und warf sich ins Gras , und lag mit dem Gesicht an die Erde gedrückt , hörte und fühlte und sah nichts vor Weinen .
Isolde kniete neben ihr .
" Sterben , zu Tode gerissen und gemartert werden - alles , wenn es sein muß ! alle Qual - alle Todesangst - und alles - alles - alles !
- aber Ide , - er ist ja nicht mein Freund ! "
Diese arme wehe Stimme !
Isolde hörte sie jetzt noch mit voller Deutlichkeit .
" Nichts bin ich ihm !
Gar nichts ! das , was ich ihm bin , haß ich !
Ich weiß , ich bin dumm - ich weiß ! - aber , wenn er mit mir spräche , ich würde es doch verstehen , schon weil ich ihn so lieb habe ' . -
Ide , glaube mir , ich würde klug aus Liebe .
- Ganz gewiß - ich weiß .
Was er Schönes hat , verschweigt er vor mir .
Nichts was er denkt , sagt er mir .
Wir sind ganz getrennt . "
Sie klagt rührend in die Erde hinein .
Das alles hörte und sah Isolde im Geiste wieder vor sich , so lebhaft , so ergreifend , wie eben erst geschehen .
Sie sah sich selbst , wie sie unbeweglich neben ihrer Schwester kniete .
Und was Marie sprach , schluchzte sie immer noch wie in die Erde hinein .
" Ein ganz einsamer Mensch ist nicht einsam , aber ich bin so einsam !
Glaubst du , daß er Mitleid mit mir hat ?
Nein sage ich dir !
Gar nicht - keine Spur .
Es muß halte so sein , denkt er .
Das ist ganz in der Ordnung so .
Dafür ist sie eine Frau .
Er denkt ich brauche nichts anderes - essen , trinken - und sein Weib sein .
Ach was sich so ein Mann denkt - so ein fremder Mann .
Und dann glaubt er , daß er unsinnig geduldig zu mir ist , wenn er mich einmal anhört .
Aber seinem Gesicht sehe ich es an . -
Er ist immer schon mit allem fertig .
Einfach meint er , das gehört so mit dazu , daß ich klage .
Siehst du , daß ich nun wieder Mutter werde : das ist so eine Schmach - so ein Elend für Leib und Seele .
Ein Wort , wenn er mir aus seiner Seele gäbe - dann trüge ich alles - alles - auch den Tod - auch alles Leidenmüssen .
Die Hände würde ich ihm küssen , wenn er mit mir sprechen würde , wie mit einem Freund .
Alles ertrüg ich - alles .
Nein , - und ich habe es Mal versucht - mehrmals . -
Nie mehr Ide - nie mehr !
Wenn er nicht selbst kommt - ich kann nicht wieder kommen - "
Ihr Körper war von wilden , leidenschaftlichen Tränenfluten erschüttert und gepeinigt .
" Siehst du Ide - die Mutter - der Mutter ist_es gerade so gegangen !
Du hast Mal gesagt , du glaubst sie wäre dumm - Ach Ide - nein !
Dumm nicht - verprügelt - abgestorben .
- Geschlagen hat er sie nicht - - aber doch verprügelt - mit Worten - mit Gedanken .
So eine ewige Mißachtung ist wie ein grauer Regentag .
Dabei stirbt die Seele .
Ich fühle es - ich werde wie Mama .
Was er nur glaubt das ich bin ?
Ob er glaubt , daß ich mich wohl fühle ?
Ob er überhaupt einmal über mich nachdenkt ? - - - Ich weiß nicht ! "
Sie war ratlos .
Isolde kniete damals in wahrer Todesangst neben ihr und hielt ihre festgeballte kleine Hand in der ihren .
Und wie Isolde ihre von Weinen ganz entstellte Schwester ins Haus zurückgeführt hatte , kam Mengersen eben aus seinem Atelier .
Er trug , wie immer im Haus , einen weißen Flanellanzug .
Man sah ihm an , er hatte mit Glück gearbeitet und befand sich geistig und körperlich außerordentlich wohl , blies behaglich die blauen Wölkchen seiner Zigarette in die Luft , da bemerkte er die beiden Schwestern .
" Was ist geschehen , Marie ? " fragte er kurz .
" Hast du dich wieder gehen lassen ?
Du sollst ja nicht , bedenke doch deine Lage , und verschone mich etwas , wenn es dir möglich ist , mit diesen Launen .
Ein wenig kannst du dich ja wohl zusammennehmen . "
Er war unangenehm berührt .
Isoldes Besuche bei ihrer Schwester mochten ihm auch fatal sein .
Sie fühlte , daß sie ihn irritierte .
Ihm gegenüber hatte sich bei ihr ein ganz sonderbarer Ton herausgebildet , der ihrer Natur fremd war , eine leichte , kühle Ironie .
Dem Schädel , ihrem einstigen Symbol , hatte sie nicht ohne Sinn eine goldene Narrenkappe aufgesetzt und nicht umsonst den Lorbeerkranz .
Henry Mengersens Kunst war und blieb ihr das Anbetungswürdige , das Große , das sie liebte .
Die Liebe zu diesem Inbegriff von Kunst hatte sie zur Künstlerin gemacht .
Eine Anerkennung von ihm war ihr heute noch von höchstem Wert und er konnte sie ihr auch nicht versagen .
Sie hatte es erreicht :
Er anerkannte ihr Talent und ihren Fleiß und das Ziel , das sie wollte .
Wie hatte sie diese Jahre gearbeitet !
Als sollte sie sich mit der Arbeit rein waschen von aller Schmach , die ihrer Seele anhaftete .
Nur das konnte heilen und reinigen .
Und hätte er ihr zu Füßen gelegen und um Verzeihung gefleht - nichts - nichts hätte das geholfen .
Aber , daß er sie anerkennen müßte !
* Asketisch hatte sie diese Jahre gelebt , als gäbe es für sie keine Jugend , keine Schönheit und keinen Reichtum .
Daheim , in dem luxuriös ausgestatteten Haus ihrer Eltern , in der Leopoldstraße , bewohnte sie ein kleines , unscheinbares Zimmer , schlief auf einem harten Feldbett , Winter und Sommer bei offenem Fenster , badete täglich kalt , litt nichts Weichliches - nichts Zärtliches in ihrer Umgebung ; bei Wetter und Wind machte sie weite Gänge .
In ihr war das Gefühl lebendig : die Schmach abwaschen ! die Schmach , die er ihr angetan , rein werden , stark werden , arbeiten , erreichen , Mensch werden .
Daß sie so schön war , freute sie .
Wie sie ihre eigene Schönheit verstand und liebte !
Und sie wurde reiner und reiner .
Ihre Seele wußte nichts mehr von Schmach - von eigener Schmach .
Ein solches Gefühl von Starksein , von Schönsein , von Können , von Macht erfüllte sie jetzt oft .
» Ja , das glaube ich , « dachte sie hin und wieder .
» Ihr möchtet mich einfangen , einkasteln .
Einer möchte mich selbst besitzen , meine Schönheit , mein Vermögen und damit schalten und walten nach Gutdünken .
Daß i net lache ! «
Das alles ging ihr jetzt durch den Sinn , als sie in ihrem hohen , weiten Atelier auf- und niederwandelte .
Was war aus ihr geworden in diesen Jahren - etwas so Freies .
So , wie in eine andere Lust , war sie gekommen .
Zum ersticken , wenn sie an ihre Schwester dachte , an ihre Mutter .
Die Nacht , in der sie still wie eine Tote in ihrem Bett gelegen hatte , war unvergessen , war eingebrannt in ihr Bewußtsein .
In ihrem innersten Sein bedeutete es nichts , daß es ihr selbst wohl erging .
Sie gehörte doch zu denen , die tief unter dem Begriff Mensch stehen , zu den Körpern ohne Geisteskraft , die beschimpft , mißachtet , ohne Menschenwürde leben , zu der dumpfen , gedankenlosen Hälfte der Menschheit , die nicht das Recht hat , voll Mensch zu sein .
Sie stand jetzt vor dem Tisch , auf welchem die zwei Briefe lagen , einer , der heute gekommen war und ein anderer , der seit drei Wochen hier schon gelegen hatte .
Sie nahm den älteren Brief in die Hand und las ihn wieder .
Von ihrer Schwester Marie aus Berlin ist er , die schreibt ihr nach der Geburt eines Kindes .
Ein wirrer , mit Bleistift gekritzelter Brief : " Ide , Todesqual , vierundzwanzig Stunden lang - wie jedes Mal , von Anfang bis zu Ende entsetzlich .
Nur mein Wille , meine armen Kinder nicht zu verlassen , erhielt mich am Leben .
Nicht chloroformiert , weil Kind sonst absterben - - schon angegriffen .
Sonst alles in Ordnung .
Henry an Vater geschrieben .
Denke an mich .
Einsam !
Einsam !
Weißt noch ?
Ade . " O ja , sie wußte !
Sie wußte auch , was Henry , Schwager " Weißröckchen " , wie sie ihn nannte , geschrieben hatte :
" Alles vortrefflich !
Das kleine Ungeheuer ist , was man so einen " prächtigen Jungen " nennt !
Schwere Entbindung , wie wir das nun einmal in der Gewohnheit haben .
Marie befindet sich nach ihren Strapazen jetzt mehr als gut .
Der Arzt ist außerordentlich zufrieden .
Nicht die geringste Ursache zu Besorgnis . "
Und der heutige Brief .
Isolde hatte ihn schon mehrmals gelesen .
Sie überflog jetzt noch einmal diese und jene Stelle :
" Mein Mann reist jetzt , weil er ästhetisch gequält ist .
Der Herr Wöchner leidet schmerzlich darunter , daß ich meine Mutterpflichten an dem Jüngsten erfülle , - noch schmerzlicher aber darunter , daß ihm jetzt so viel unpoetische Dinge unverhüllt entgegentreten .
Dieser Realität- und Wahrhitfanatiker kann nämlich absolut nicht die Wirklichkeit vertragen .
Und da ich noch vollkommen erschöpft bin , sehr wenig außer Bett sein darf , so kann ich mich nicht mehr als gnädig verhüllende Wolken zwischen ihn und die Wirklichkeit schieben .
Körperschwäche und Ammendienst halten mich von allem zurück .
Die einzige Person , die um mich besorgt war , mußte leider sehr bald zurück .
Sie war anderweitig engagiert .
Die bis für mich etwas Ruhe heraus .
Schade , daß du wegen der armen Mama nicht zu mir kommen durftest .
Welcher Trost wäre mir das gewesen !
Seitdem die Wartfrau fort ist , werde ich wieder als " Nützlichkeitstier " von allen behandelt .
Wenn ich mich auch kaum bewegen kann vor Schwäche , muß ich doch mindestens ein Kind warten und häufig noch eins dazu beaufsichtigen .
Dann kommt der Gatte und schimpft , daß immer Kinder bei mir sind und klagt den Himmel an , daß er Familienvater ist , dann versuche ich einige seiner Schmerzen zu lindern , bis die meinen zu stark werden .
So vergehen im Wechsel meiner Pein die Tage .
Ich halte mich an meinen alten Trost : die Zeit steht nicht still .
Also muß ein Wechsel kommen .
Henry hat recht , - so komisch es klingt - eine Frau , die ein Kind erwartet , sollte nicht im Hause bleiben .
Er ist so sehr empfindlich darin .
Es beleidigt seinen Schönheitssinn , mich in diesem Zustand zu sehen .
Es ist ihm unerträglich .
Ich weiß das .
Zuerst erschien es mir ein grausamer Wahnsinn , wie er es sagte ; - mir war , als täte sich ein Abgrund vor mir auf .
Er sprach es so ganz naiv aus , als Künstler , weißt du .
Aber wie alles nun einmal ist , hat er von seinem Standpunkt ganz recht .
Wundert mich , daß es nicht ein solches Gesetz gibt .
Für die Frau wäre es im Grunde auch besser .
Meine Ide , schreibe mir doch recht bald einen lieben , langen Brief .
Mich verlangt stürmisch danach , denn ganz inwendig sitzt bei mir etwas Heißes - Feuchtes .
Das sollst du fortwischen , du hast den Zauber der Liebe , du kannst es .
Vergiß mich ja nicht , Ide !
Von dir kommt mein Leben .
Was meine Seele auf Erden hat , hat sie von dir !
Einzig von dir .
Mit dir wachs ich und denke ich .
Du hältst mich .
Laß mich nicht ganz fallen . " 10 .
Als Isolde spät abends in dieser Maienzeit mit dem letzten Zug aus Ludwigshöhe nach Haus zurückgekehrt war , befand sie sich in einer wunderlichen Stimmung .
Sie hatte heute ein Stück aus dem Werke ihres guten Freundes gehört .
Das war nicht die Arbeit eines modernen Menschen .
So mochte Angelus Silesius gearbeitet haben .
Das war die Offenbarung eines Menschen , der wie die Natur schafft , ohne Eitelkeit , ohne Ehrgeiz , ohne Hast .
Das , was er erkannt hat , legt er nieder in einer Form , die mit dem Inhalt in eins wächst , ein ganzes Leben der Erkenntnis .
Wie schön war es da oben gewesen , auf der Insel der Seligen !
Wie glücklich hatten sie zusammengesessen !
Lu in ihrer rührend überirdischen Liebe die Hand ihres Mannes haltend , als er las .
Dann war sie leise zu Isolde gegangen und hatte deren Kopf an ihre Brust gedrückt .
Wie konnte diese Frau schön sein , wenn es ihr in ihrer großen Liebe wohl auf Erden wurde .
Jede Bewegung von einer süßen , tiefen Zärtlichkeit ; in jeder Silbe Wonne und lebendiger Frieden .
Isolde hatte daran gedacht , daß Mrs. Wendland einmal sagte : " Wenn ich die Lu mir vorstelle , sehe ich , daß sie genagelt ist an ein Kreuz , mit tausend Rosen überdeckt , ein Golgatha , ganz in Rosen . "
Isolde erschien es immer , als würde der Haushalt da oben in Ludwigshöhe von einem großen Kinde geführt .
Nachdem sie so weltentrückt bei einander gesessen und eine Stunde erlebt hatten , wie sie schöner und reiner auf Erden nicht zu denken ist - Isoldes Buddha hatte auf sie niedergeblickt und wie ein Licht im Zimmer geleuchtet - da war Frau Lu mit einer Schüssel voll Schlagsahne aufgetaucht und einer Kanne holländischen Kakao .
Schlagsahne und Kakao gab es da oben immer in der größten Seligkeit und auch wenn sie Kummer hatten .
Es war eine ganz naive Art zu leben , die von Frau Lu ausging .
Ihren Mann behandelte sie auch so naiv mütterlich .
Jedenfalls für sie die bequemste Form , ihre strahlende Wärme auf ihn zu richten .
Er wendete sich auch in allem an sie wie an eine Mutter .
Von ihrer Arbeit stand sie auf , kam ganz unvermittelt herein zu ihm und fragte .
" Bist du auch wirklich gut zu mir ?
Hast du mich lieb ?
Wird alles gut ? "
" Es ist alles gut , " sagte er dann .
" Verzeih , " sie durfte nicht fragen .
" Ist dir auch ein bisserl wohl ?
Und das wollte ich noch fragen :
Nach dem Bad fühlst du dich doch etwa wie nach einem Spaziergang ? - so wie neu ?
Was ?
Weißt du , du mußt mir das immer sagen , dann bin ich nachher viel froher . "
Sie lebte immer in der großen Sehnsucht nach Sonne , nach Sorglosigkeit .
Isolde kam so warmen , weichen Herzens von ihren Freunden zurück , so erfüllt von allem Guten .
Dazu heute der milde duftende Maiabend .
Schwere bange Wolken am Himmel , Sternaufflimmern und ein Rauschen der neuen Laubmassen .
Sie fuhr in offener Droschke vom Bahnhof nach Hause .
Mama schlief schon , der Vater war auswärts .
Isolde seufzte auf .
Seit Mama die Sorgen losgeworden , war sie immer leidend und oft weinerlicher , kleinmütiger Stimmung .
Isolde hatte es nicht leicht mit ihr .
Mama war eine so unbewegliche müde Seele geworden , die sich wie ein Bleigewicht an eine junge Kraft hing .
Der Vater lebte , wie er es von je her getan hatte , nur anderen Stils jetzt .
Er hatte sein Heim in Berlin , wie in München , und genoß den Umschwung der Vermögensverhältnisse seiner Frau auf das Energischste .
Der Frau selbst waren die Fähigkeiten , zu genießen , abgestorben , so gar der gute Appetit .
Mama war meist leidend und mußte knappe Diät halten .
Die Kräfte aufgebraucht , die Sinne stumpf , so stand sie dem Schicksal gegenüber , wie der Mann ohne Löffel , wenn es Brei regnet .
Das war , wenn auch unbewußt , der Grund eines tief innerlichen Mißmutes .
Isolde trat in ihr stilles , ganz von lauem Maienduft erfülltes Zimmer .
Vom englischen Garten brachte die feuchte Nachtluft ganze Wolken frischen Laubatems .
Sie legte die Hände übers Haupt .
Wie empfand sie heute das Frühjahr so stark !
Es war etwas Beseligtes in ihr und in dieser Beseligung eine so wehe , weiche Sehnsucht .
Sehnsucht nach Liebe , nach zärtlichen Händen , anschmiegen , Einswerden mit dem anderen .
Sie wollte tief , tief lieben ; nur nicht etwas Halbes !
Ein arbeitendes Weib ohne Liebe !
O , nein !
Sie lächelte .
Nein , sie wollte das ganze Leben haben , das volle , das bis an den Rand volle .
Sie sah ihr Gesicht im Spiegel .
Wie beruhigend , welcher Trost , daß sie schön war .
Jetzt sollte der kommen , der sie lieben würde - den sie lieben würde .
Sie war bereit .
Sie stand fest , da wo sie wollte .
Nein , von hier verdrängte sie nichts mehr .
Jetzt konnte sie lieben !
Wie jung sie war !
Solch eine Jugend , die schwer an all dem trug , was sie besaß , wie eine beladene Biene , die aus Blumenkelchen kommt .
So viel Macht und Willen - und ihr Können ! - und die göttlichen selbständigen Stunden !
Diese Seelenräusche , die einsamen , in denen ihre Seele untertauchte und badete , und denen sie glückselig und stark entstieg .
Ein Jubel in ihr !
Sie hielt immer noch die Hände über dem Haupt gefaltet .
Ja , jetzt durfte er kommen , der , den sie lieben würde , - jetzt !
Ihr Leben sollte reich und schön werden .
Da kam ihr die Erinnerung , wie sie als Kind vor Henry Mengersens Radierungen gestanden , zum ersten Mal vom großen Geheimnis der Liebe rein berührt , nach jenem frühlingshaften Koboldstreiben unter den Schulmädchen ; und wie sie nach Haus gelaufen war , das arme junge Herz zerspringend voll von dem Gefühl : das Herrlichste auf Erden ist Weib sein ! - sich opfern !
" Ja , ja , " sagte sie leise , " nur anders .
Noch größer muß das Opfer sein .
Menschlicher , schöner , bewußter . "
Da lag ein Brief , den sie übersehen hatte .
Sie nahm ihn , schaute auf die Adresse .
Eine fremde Hand .
Eine Bangigkeit stieg ihr wie von diesem Briefe auf - etwas sie Überschauerndes , Sonderbares .
So erregt war sie in diesen dunklen Frühlingsstunden !
Eine Frauenschrift - eine gelenke Schrift ohne Charakter , mit blaßbrauner , gewässerter Tinte geschrieben .
" Ein Bettelbrief , " sagte sie sich und öffnete ihn .
" Liebes , hochgeehrtes Fräulein ! " las sie .
" Verzeihen Sie einer Ihnen ganz Unbekannten , daß sie sich an Sie wendet .
Eine feine junge Dame , wie Sie , lebt so anders wie unsereins und wird sich sehr verwundern .
Mißachten Sie mich nicht , ich bitte
Sie recht herzlich darum .
Ich stehe ganz allein und , liebes Fräulein , ich bitte Sie noch einmal recht herzlich , sein Sie so gut und denken Sie nicht schlecht von mir .
Ich bin ein armes Mädchen .
Es ist mir immer schlecht und knapp im Leben gegangen .
Ich bin Ladnerin und auch Buchhalterin bisher gewesen und kenne Sie auch , gnädiges Fräulein .
Sie haben manchmal unser Geschäft besucht .
Ich bin in Hoffnung , damit ich_es nur gesagt habe .
Ich habe keinen Pfennig Geld in der Hand und meine Entbindung kann ich jede Stunde erwarten .
Glauben Sie mir , nur in der größten Not und Angst wend ich mich an Sie .
Die Hebamme , wo ich seit ein paar Tagen wohne , will mich nicht behalten , weil ich ganz mittellos bin .
Sie will mich in die Anstalt in der Sonnenstraße schaffen .
Du lieber , guter , barmherziger Gott !
Haben Sie Mitleid mit mir !
Ich weiß nicht aus und ein vor Angst .
Ich bin guter Leute Kind .
Die Eltern sind gestorben .
Retten Sie mich , gutes , liebes Fräulein , daß mir das nicht geschieht .
Ich stürbe vor Scham .
Tun Sie was für mich !
Der Vater von meinem Kind will nichts mehr von mir wissen .
Er hat jetzt eine Andere .
Ach daß er_es zuläßt , daß ich dort niederkommen soll !
so nackt und bloß vor aller Augen .
Die Hebamme sagt , der Kopf wird einem verdeckt ! -
Es ist doch auch sein Kind , er hat mich doch einmal gemocht .
Liebes , gutes , barmherziges Fräulein , tun Sie was für mich !
Ich bitte Sie so sehr ich kann , mit aufgehobenen Händen .
Gott Lohns Ihnen , liebes Fräulein . "
Hier folgte die Adresse der Hebamme und als Nachschrift stand :
" Fragen Sie nur nach dem blonden Mädchen aus Aussäe . "
Ja , von diesem Brief stieg es bang und schwer auf .
Als wenn zwei arme , zitternde Hände sie faßten und zur Türe drängten , so empfand sie es : " Gehe - gehe - ach gehe doch ! "
Sie fühlte sich wie nicht allein in ihrem Zimmer .
Das , was aus dem Briefe aufgestiegen , erfüllte es ganz und gar , war leibhaftig da , so weh , so hilflos , hilfesuchend .
Und sie ging .
Da stand sie im Vorhaus , warf im gehen ihren leichten Abendmantel um .
Ihr Käppchen stülpte sie auf .
Unter den hohen , flüsternden Pappeln der Leopoldstraße schaute sie noch einmal zum Hause zurück und bemerkte in dem Zimmer ihres Bruders Licht .
Der war merkwürdiger Weise schon um diese Zeit zurückgekehrt .
Die Fensterflügel standen offen .
Er hatte die Haustür wohl gehen hören , war ans Fenster getreten und mußte sie bemerkt haben , denn er bog sich hinaus und schaute ihr nach , rief ihren Namen mit einer ganz sonderbaren Betonung , die sie lächeln machte .
Jetzt beschleunigte sie ihre Schritte , denn sie fürchtete , er könnte auf den Gedanken kommen , ihr zu folgen .
Am Odeonsplatz nahm sie eine Droschke und fuhr durch die stillen , nächtlichen Straßen ; im langsamen Trab ging es vorwärts .
Ihr Herz klopfte der fremden Not entgegen .
Vor einem Hause in der Buttermelcherstraße ließ sie halten .
Die rote Laterne einer Hebamme leuchtete dort .
Auf Isoldes Läuten öffnete sich die Haustür und eine starke Person in einem schabten Prinzeßmorgenkleid , das sie mit einer ordinären Petroleumlampe beleuchtete , trat halbwegs auf die Straße hinaus .
Isolde fragte nach dem Mädchen .
Die Augen der Frau bohrten sich in Isoldes Erscheinung ein , als wollten sie mit einem Blick durchschauen , wie das vornehme , junge Mädchen mit der armen Ladnerin zusammenhing .
Was wollte die denn jetzt ?
" Wohnt nicht mehr hier ? " fragte Isolde enttäuscht .
" Ich habe sie heute in die Sonnenstraße gebracht , gnädiges Fräulein .
Da ist sie wohl aufgehoben , besser dran als bei mir .
Sehen Sie , unsereins muß oft mehr herhalten als recht ist .
Die jungen Mädchen , - wie das so ist , - sparen Tuns net , mit ei'mal Stehens vor der Bescherung .
Da soll die Hebamme herhalten .
Wenn_es irgend angeht , hat er sich bei Zeiten gedrückt .
Wissens Fräulein - Verzeihens ; wir sind doch auch net da , um alles auszubaden .
Für solche ist eben die Anstalt in der Sonnenstraße .
Möchte wissen für wen sonsten , wenn net für die ! "
Die Frau war noch in dem Eifer , den sie angewandt haben mochte , um das unglückliche Mädchen loszuwerden und anzubringen .
" Ich Zahl für sie , " sagte Isolde .
" Holen Sie sie wieder zu sich .
Benutzen Sie gleich meine Droschke .
Fahren Sie sofort . "
Isolde war es , als wenn wieder zwei arme , arme Hände sich an sie legten und sie rührend drängten .
" Ein paar Stunden , wann_es früher gekommen wären .
Jetzt glaube i net . - I mein Mal net . "
" Ich Zahl für sie , " wiederholte Isolde noch einmal .
" Mein Name ist Isolde Frey . "
Da stutzte die Frau eigentümlich .
" Erlaubens , Frey ? wenn ich recht gehört habe ? "
" Ja , Frey , Leopoldstraße . "
Die Frau schaute Isolde ganz perplex an , schloß die Haustür , die noch ein wenig offen stand , stellte die Lampe auf den Fußboden neben sich hin und sagte :
" Also vom Herrn Bruder geschickt ? "
" Von meinem Bruder ? " fragte Isolde verständnislos .
" Herr Studiosus Karl Frey ? " fragte die Frau noch einmal .
" Das ist mein Bruder . "
" No also !
Und der ist auch der Vater von dem Mädchen seinem Kind .
So weit als ich die Kleine kenne , ist sie ganz a sauberes Madel , das was auf sich hält .
Also da hat er doch noch ein Einsehn gehabt .
Ja , die ganz jungen Herren die sind a Kreuz vorn Mädel . "
Isolde war in der größten Verwirrung .
" Ich fahre zu ihr , ich bringe sie ! " sagte sie heftig .
" Kommen Sie nach . "
Sie drückte der Hebamme zehn Mark in die Hand .
" Alles wird gezahlt . "
* Als Isolde mit zitternder Hand nach der Klingel an dem eisernen Gittertore des roten Hauses in der Sonnenstraße suchte , schlug ihr das Herz zum zerspringen .
Sie war wie im Fieber .
" Unmöglich ! " sagte sie immer von neuem leise vor sich hin .
- " Unmöglich - unmöglich ! "
Ein Grausen vor ihrem Bruder stieg in ihr auf .
Dies blonde , joviale Gesicht - das breite Lächeln , die Wohlbehäbigkeit , die Überhebung in jedem Wort , die herablassende Höflichkeit gegen die Mutter und sie selbst !
Und nichts hatte man diesem Gesicht angesehen , diesem breiten , frechen Gesicht .
So behaglich wie immer hatte er dieser Tage ausgesehn , dieselben dummen , faden Witze , dasselbe rekeln und dehnen daheim .
Und seine plumpen Fäuste hatten sich von solch einem armen , unseligen Herzen losgemacht und seine plumpen Füße waren über ein Menschenwesen hingegangen , das sich ihm in Liebe gegeben hatte !
Als die Türe geöffnet wurde , konnte Isolde nicht sogleich zu Worte kommen .
Dann erfuhr sie das " zu spät " .
" Die Müssens schon jetzt hierlassen . "
Isolde stand ratlos .
Die Türe wurde geschlossen .
Isolde zahlte dem Kutscher .
Sie wollte nach Hause gehen .
Ja , sie mußte gehen , ihre eigenen Füße gebrauchen , um weiter zu kommen .
Das Kind ihres Bruders wurde da drin in dem Haus geboren von einem armen , ganz verlassenen , preisgegebenen Geschöpf .
Weil sie arm war , mußte sie alles über sich ergehen lassen , was an Entsetzen auszudenken ist ; weil man ihr Barmherzigkeit erwies , mußte sie mit dem Einzigen , was sie hatte , mit der Scham ihrer armen Seele überzahlen .
Ihre Schmerzen , ihre Todesnot wurden kühl beobachtet , notiert , vielleicht belächelt .
Welche Einsamkeit !
Das hatte ihr Bruder der angetan , die er geliebt ! die ihm jetzt sein Kind gebar .
In Isoldes Seele wurde etwas starr .
In ihren Schläfen hämmerte es vor Empörung .
Sie ging , als berührte sie den Boden nicht .
Jeder Blick , den sie heute ins Leben tat , in das , was die Menschen " Leben " nennen :
Ekel !
Eine Welt für Bestien , für Raubtiere , die einander würgen und die dann fragen :
" Wie ist das Böse nur auf unsere gute Welt gekommen ! "
Da dachte sie an ihren Freund , der seine Lebenskraft gab , um diesen wunderlichen stumpfen Hirnen die Sinne zu öffnen , dadurch daß er das Wunder und Geheimnis enthüllte , wie das Gute auf diese Welt des Fressens und Gefressenwerdens gekommen ist .
Ein Wunder ohne gleichen !
* Am anderen Morgen , nach einer schlaflosen Nacht , wurde Isolde zur Mutter gerufen , die sich nicht wohl befand .
Es gab da zu trösten und zu ermutigen .
Die Mutter litt oft an einer plötzlichen nervösen Herzschwäche und war dann in tausend Ängsten um ihr Leben .
" Fühle nur , Isolde , wie der Puls wieder geht , fühle ! "
" Gar_nicht so übel , was willst du denn , wie soll er denn gehen ? "
" Meinst du ? " fragte Mama aufatmend , " mir war , als wenn er ganz aussetzen täte .
Gehe bitte , reib mich Mal ein bissel in der Herzgegend .
Nimm aber Öl an die Finger .
- Und dann die Hände - auch reiben - da zuckt und druckt bis in die Fingerspitzen. Ah - ah . "
Mama stöhnte .
Isolde rieb und tröstete .
" Die Angst ! die Angst ! - ach Isolde !
So was kannst du dir nicht vorstellen , wie das ist !
Gehe , gib mir mein Brompulverl . "
" es ist ja keins mehr da , du weißt ja . "
" Dann laß es in der Apotheke schnell machen ; aber schnell ein bissel . "
Isolde ging , um es einem der Mädchen zu übergeben .
Aus dem Vorsaal hörte sie im Speisezimmer ihren Bruder schelten .
Das Zimmermädchen , das den Teetisch zu besorgen hatte , kam aus der Tür .
" Der Lachsschinken für den jungen Herrn ist net vom Dallmeier geholt , " sagte sie .
Da tat sich die Tür auf und Karl erschien auf der Schwelle .
Er hatte Isolde gehört .
" Möchte wissen , " rief er , " wie oft ich_es noch wiederholen muß , daß ich keinen anderen Schinken mag .
Ich dächte Isolde , du tätest dir auch kein Bein ausreißen , wenn du den Dienstboten ein bissel besser auf die Finger passen tätest ! "
Isolde starrte den kauenden Bruder wie eine unbegreifliche Erscheinung an .
Er wollte eben die Türe wieder schließen .
" Übrigens wo warst du gestern Abend ? " fragte er barsch .
Isolde wendete ihm den Rücken .
Karl schloß die Türe heftig .
Als Isolde endlich von allem , was diesen Morgen sie bedrängt und aufgehalten hatte , frei gekommen und bereit war , dahin zu gehen wohin es sie wie mit Händen zog , hörte sie ihren Bruder behaglich mit dem Vater lachen und plaudern .
Die Stunde nach dem Morgende verbrachten Vater und Sohn gewöhnlich im Frühstückszimmer , Zeitung lesend und rauchend .
Isolde grauste es vor der vollen männlichen , sorglosen Stimme ihres Bruders , in der so viel Wohlbefinden lag .
Die behagliche Stimme verfolgte sie noch auf der Straße und trieb sie wie mit einer Peitsche an .
* Und jetzt stand sie wieder vor dem stattlichen roten Haus und drückte wieder bang in schwerer Erregung auf die Klingel .
Sie tat ihre Frage und bekam etwas zur Antwort , etwas , das ihr das Blut wie einen Strahl zum Herzen trieb , und die Augen verdunkelte .
Sie hatten das Mädchen auf die Anatomie gebracht .
" Wie ? " fragte Isolde verwirrt .
" Ich will hin , " sagte sie .
" Heute können es auch hin , " meinte die Person , die geöffnet hatte .
" Aber ich möchts Ihna net raten . "
* In einem öden , breiten Gang , wie sie offiziellen Gebäuden eigen sind , stand sie , bis eine Art Hausmeister sie in den Saal führte .
Ein kahler Raum , die untere Hälfte der Fensterscheiben mit weißer Ölfarbe verstrichen .
Die Wände grauweiß , lange graue Tische , grauer Steinboden - dort um den Tisch , da standen sie dicht gedrängt .
Da lag ihres Bruders Weib nackt vor kalten Blicken .
Neben der Mutter , ihres Bruders Kind , wie eine welke Blütenknospe , formlos , schlaff .
Isolde drückte sich an die graue Wand und starrte auf die Gruppe junger Männer in weißen Röcken und auf den langgestreckten , nackten , zermarterten Leib .
Ein weißes , starres Gesicht mit geschlossenen Augen , die Stirn von blonden Löckchen umrahmt , lag wie im tiefen , reinen Schlaf , einen wehen , eisernen Schmerzenszug um die blauen Lippen .
Isolde starrte auf diesen Zug .
Der Brief des armen Dings knisterte noch in ihrer Tasche .
Sie faßte danach .
Sie hielt ihn fest in der Hand , wie ein wichtiges Dokument .
Da fuhr ein furchtbarer Schnitt über Brust und Leib des toten Weibes .
Das stille reine Gesicht mit den schweren , starren Augenlidern lag teilnahmlos , voll rührender Hoheit über all dem Entsetzen , dem blutigen Gräßlichen , was da geschah .
Da traf Isoldes Ohr ein Lachen , ein so widerlicher Witz .
Der krallte sich in ihre Seele ein und haftet da , ein Witz , so voller Weib-Verachtung .
Das jammervoll zerrissene , zermarterte Geschöpf hatte dazu herausgefordert .
Der zu Tode gepeinigte Körper predigte vom Leiden des Weibes , von seinem Opfer .
Die Weißbeschürzten fühlten sich im Besitz strotzender Kräfte , strammer Jugend .
Da lag der ganze Jammer des Weibes vor ihnen , war ihnen preisgegeben ; und das stille Gesicht in seiner Hoheit , das die Welt und den Schmerz überwunden , was wollte das ?
Was sagte das ?
» Du Schmerzenshoheit , du Todeshoheit ! « dachte Isolde , » wie stehst du doch über allem , bist größer als alles ! «
Sie hätte sterben mögen vor Ekel und Entsetzen , wäre dies stille Gesicht nicht gewesen .
Der zerrissene , unverhüllte Körper , der hier vor frechen kalten Blicken lag , war das Weib , dem alles ohne Scheu geboten werden konnte , das Weib , das nie zur Menschenwürde noch gelangt war .
Etwas wie fanatischer Jubel regte sich in Isolde , weil sie zu den Niederen , den Erniedrigten gehörte .
Die Witze galten ihr !
Sie teilte sich darein mit dem zerfetzten Leib dort !
Aber das stille , unberührte Antlitz mit dem furchtbar starren Zug leuchtete wie ein Licht unter den gemeinen , rohen , lebendigen Gesichtern . Ihres Bruders kauendes Gesicht wurde überstrahlt wie von einer Sonne .
Da war etwas in dem Totenantlitz , etwas Sieghaftes .
Und dies Sieghafte fühlte sie in sich selbst .
Sie preßte die Hände an ihre Brust .
Wie ein Schatten , wie in sich selbst verkrochen , stand sie ganz entrückt .
Es war ihr , als hörte sie ihren eigenen Namen da an dem Tische mit Entrüstung aussprechen .
» Es wird mich einer oder der andere wohl kennen « , dachte sie kühl .
Ja , da ist etwas groß geworden im Weibe , - unüberwindlich , groß durch Schmach .
Mitten in dem dummen , albernen , unentwickelten ist eine Kraft gewachsen , die Kraft , die durch Leiden , Verachtung , Verstoßung wächst .
Hellsehend überschaut Isolde das rechtlose . zum Halbtier herabgedrückte , geistberaubte , schmerzbeladene Weibtum dieser Welt .
Das lallende , unbewußte , demütige , dumme , niedere , das alles hinnimmt ohne Gegenwehr wie der blutige Leichnam dort .
Aber das heilige Weibantlitz , das unerschütterliche in diesem Antlitz , das war das Begeisternde - das Lebendige , die große Hoffnung .
Als vier Fäuste den Leichnam achtlos , ohne jede Barmherzigkeit , die der junge , schmerzzermarterte , verlassene Leib als heiliges Recht hätte verlangen dürfen , in eine Kiste warfen , wie etwas völlig Abgetanes und das Kind auf den Körper der Mutter fallen ließen , und der flache Kistendeckel , der zum Sarg der Aller-Allerärmsten . gehört und den sie den " Nasentetscher " nennen , darüber gelegt wurde , da war die Tragödie zu Ende .
In Isolde stieg einen Augenblick der Gedanke auf , daß sie einen menschenwürdigen Sarg für den armen toten Leib besorgen wollte . - -
Aber nein , daran nicht rühren !
Sie ging , die ganze Seele voller Weltliebe , bereit sich zu opfern , - bereit , mit ihrem Leben einzustehen gegen die ganze Welt .
Und draußen war voller Frühling , Werdelust und Werdekraft in der warmen , sonnendurchströmten Luft .
Sie atmete tief , tief aus und ging an den gedankenlosen , hetzenden Menschen wie an Larven vorüber .
Bis in die kleinste Faser war sie jetzt lebendig und wach , sich ihrer selbst bewußt , ihr Wille so mächtig .
Alle Alltagsgesichter , die ihr begegneten , waren ihr wie durchsichtig , das dumpfe Befangensein in diesen Köpfen fühlte sie .
Wie Tote erschienen sie ihr alle , im Gegensatz zu sich selbst .
Sie aber lebte !
* Sie blieb über Mittag in ihrem Atelier .
Unmöglich hätte sie heute ihrem Bruder gegenübersitzen können .
In dem großen , weiten Atelier wanderte sie auf und nieder , durchmaß breite Strecken in diesem stundenlangen , unaufhörlichen Sich- hin-und-her-bewegen .
Über ihr webten und wirkten wieder die Schwalben mit ihren seidenen Tönen Fäden über den blauen Himmelsraum .
Wie sie ihr zu Herzen drangen , diese Sommerlaute !
Und immer dieses starke , weite , alles überwindende Lebendigsein !
Dieser große Wille , dies Sich-opfern- wollen !
* Erst am Abend wagte sie sich zaghaft nach Haus .
Im Wohnzimmer traf sie auf ihren Vater .
Noch immer war er eine stattliche Persönlichkeit , mit einer Weltzufriedenheit im Auge jetzt , ein zufriedener Prophet .
Er trat auf sie zu , legte ihr die Hand weich auf die Schulter .
" Deesse !
Extravaganzen !
Du bist - da - heute gesehen worden , bestes Kind ! "
Isolde blickte ihren Vater mit großen Augen an .
" Karln ist es mitgeteilt worden .
Deesse ! -
Kind ! "
Eine Würde sondergleichen ging von der mächtigen Persönlichkeit aus .
Isolde erwiderte mit keinem Wort .
Der Vater schwieg auch .
Seine volle , lebendige Hand lag noch immer auf Isoldes Schulter .
" Sage Mal , Kind , " begann er wieder , " was ging das dich eigentlich an ?
Wie kommst du darauf ?
Weißt du , Deesse , das ist im vollen Sinn eine Taktlosigkeit !
Mir vollkommen unverständlich , wie du darauf gekommen bist .
Spionierst du vielleicht ?
Kontrollierst du vielleicht auch . . . . . " Doktor Frey sprach nicht aus .
" Weißt du , mein Kind , Karl ist ein junger Mann - kein Pensionsmädel , braucht keine Governeß .
Hat der arme Junge Unglück gehabt - laß deine Finger davon .
Laß ihn !
Karl ist wild über dein Betragen .
Meinst du denn , daß es ihm angenehm war von deiner Anwesenheit - dort - zu hören ?
Junge Leute untereinander !
Teufel auch !
Davon verstehst du nichts .
- Was für ein Gesicht soll er denn machen . wenn das von dir erzählt wird ? "
" Ja , - weißt du , Isolde , das ist denn doch zu toll ! " das war Karl , der das sagte .
Er stand in der Tür , voll , breit , schwerfällig , empört .
Die Weste stand ihm offen .
Sein Gesicht war stark gerötet .
" Fahre du nur so fort mit deinen Überspanntheiten , du verrücktes Huhn , das wird noch gut werden , du kannst so bleiben !
Heirat endlich , damit man Ruhe hat ! "
Er trat in das Zimmer zurück , aus dem er gekommen war und warf die Tür mit voller Gewalt ins Schloß .
" Ein ander Mal laß ihn ungeschoren , " sagte Doktor Frey .
" Kein Mensch hätte von der Affäre gehört .
Nicht eine Stunde wäre der Frieden gestört , - und nun !
Du weißt , daß ich Ärger im Haus nicht ertragen kann . "
Mama machte die Tür vorsichtig auf .
" Ach Gott - was ist denn ? "
Isolde steht bleich , in sich zusammengefaßt , wie eine Weltdame , die in einer leichten Unterhaltung gestört wird .
" Gar_nichts , liebe Mama .
Nicht der Rede wert - etwas ganz Alltägliches . " 11 .
Sie hatte so in sich selbst verschlossen gelebt - in ihrer Arbeit .
Sie hatte gewissermaßen nicht für ihre eigene Person erstrebt , was sie nun anfing , zu besitzen .
Das Weib in ihr war es , was sich mühte , was rang , was ein Ziel verfolgte , was tief erregt bei jedem Mißlingen verzweifelte , was aufjauchzte bei jedem Gelingen .
Sie wollte den Begriff Weib in sich selbst umwerten , umgestalten .
Erlöser - Seligkeit und Schmerzen standen ihrer Seele nach .
Weltfremd , jahrelang nur von einem fanatischen Arbeitsgeist besessen , war ihr vieles jetzt so neu .
Wie mit wunden Nerven hatte sie seit jener Nacht vor fünf Jahren das Weibsein empfunden .
Das Geschöpf zweiter Klasse sein , das Ausgeschlossen- sein von allem geistig Lebendigen , das Stehengebliebene , Unentwickelte - nur Körperliche .
Es war so etwas Trauriges - um das Weib . . . Sie arbeitete fanatisch , sprach aber zu keinem von ihrer Arbeit - kein Wort über Kunst !
Taktlos - albern von einem Weib .
Wozu ?
Einfach lächerlich !
Wo sie hinblickte , traf sie auf eine schmähliche Kränkung .
Jedes Buch , das sie aufschlug , bestätigte was sie empfand .
Begeisterte sie sich an einem großen Geist der Vergangenheit , mußte sie vergessen und darüber hinwegsehen , daß dieser Geist nicht über die Erde gegangen war , ohne daß er dem Weib ein neues Schandmal aufgedrückt hatte .
- Wie ein Fluch traf sie es , als sie auch durchschaut hatte , daß Buddha , der Wundervolle , der Tiefste der Tiefen , der Welterlöser , Leidensüberwinder , das Weib ausgeschlossen hatte - ausgeschlossen aus ihrem ureigensten Reich der Leidensüberwindung und Erkenntnis des Leidens .
Wohin sie sah , Schmach !
Sie litt unter der scharfen Einsicht in ihrer Lage - der Lage des Weibes .
Wie ein leidenschaftlicher - verzweifelter Fanatismus ergriff sie es oft .
Ihre Seele war so eine freie und frohe .
Stolz , ausgelassen , freiheitstrunken wäre sie gern gewesen - wenn sie nicht immer alles gesehen und durchschaut hätte .
Wie Peitschenhiebe fuhr es oft über sie hin .
Sie konnte nicht so dumpf leben wie die anderen - so breit , behaglich , angebetet und verachtet .
Das stille , starre Totengesicht mit dem Zug der Weltüberwindung , der Schmerzüberwindung verließ sie jetzt seit Wochen nicht .
- Sie wollte und mußte dies Antlitz in sich schaffen .
- Sie wollte etwas bilden .
- Das Antlitz des Weibes .
In dieser Zeit hörte sie zum ersten Mal mit Bewußtsein von der unglaublich wunderlichsten Sklavenbewegung .
Das Weib begann zu revoltieren , das Weib , das , so lang es Menschen auf Erden gibt , sich geduckt hatte .
Das unüberschaubare Zeiten sich hatte treten und mißhandeln lassen , das wie ein hungriges Raubtier seit Jahrtausenden was es wollte , erlistet und erschlichen hatte .
In einer kleinen Provinzstadt , in einer Kochschule war ein sonniger Saal mit Tannenguirlanden und frischen Laubgewinden , Blumensträußen und Fähnchen dekoriert .
Da kamen die Frauen zusammen .
Isolde trat etwas spät , von der Reise ermüdet , in den Saal ein , als schon alle versammelt waren .
Eine heiße , sonnige Luft .
Das welkende Laub strömte betäubend duftend seine Säfte aus .
So etwas Mattes , wie Herbstgeruch in der schwülen Luft .
Kleiderstoffe , ein ganzes Feld von Hüten aller Arten und Formen .
- Häßlich , wie jede Menschenansammlung , eine Anhäufung von Lappen , die alles Menschliche versteckt , etwas Formloses , Totes , Trockenes .
Diese vielen Frauen , in ihren vielen Kleidern , bedrückten und verstimmten Isolde .
Aus all dem Wust die kleinen , welken , dummen , vom Leben angekränkelten Mondchen , die menschlichen Gesichter .
Was für ein Angefaultes , Angefressenes ist so eine Menschenmenge ! - so etwas Trauriges , Schauriges , kümmerlich Verdecktes .
Vor weißverhangenen , sonnenbeschienenen Vorhängen saßen die Frauen vom Vorstand , kräftige Matronen ; ein schmaler , langer Tisch vor ihnen .
Die weißen , blendenden Vorhänge hinter ihnen ließen sie wie kompakte , schwarze Schatten erscheinen .
Die Versammlung wurde in würdiger Form geleitet .
Ein Präsident konnte den Reichstag nicht vortrefflicher eröffnen .
Aus der Menge erhob sich hin und wieder aufgefordert eine und sprach , mit einem befangenen Stimmchen , von ungeheuren Dingen , unter denen die Menschheit seufzt .
Sie faßte diese Dinge bei einem kleinen Zipfel und zeigte ihn wie ein winziges Pröbchen von einem ganz wunderbaren , riesigen Stoff , in den ungeheure Gestalten , geheimnisvolle , mächtige Muster eingewirkt sind .
* Isolde kannte ein altes Kloster in Südtirol , das hoch auf einem Felsen liegt , ein Kloster zur ewigen Anbetung .
Sie hatte einen Winter mit ihrer Mutter in Südtirol zugebracht und am Allerseelentag war sie zu diesem Kloster in der Dämmerung hinaufgestiegen .
Weißverhangener Himmel , als wollte schon Schnee kommen ; Regen rieselte , und Nebel stiegen dicht aus dem Tal auf und schieden das Kloster zur ewigen Anbetung von aller Welt ab , so daß es von keinem Auge mehr gesehen wurde .
Geheimnisvoll , wie eine Gralsburg , schimmerte , wenn der Nebel ein wenig riß , ein Turm , eine Fensterreihe , wie mitten aus Wolken .
Eine unsagbare Einsamkeit war da oben - eine herzbeklemmende , bange Einsamkeit .
Und hoch vom Felsen , aus der kleinen , im tiefen Nebel verborgenen uralten Klosterkirche heraus kamen zwei Stimmchen , wie im unendlichen Raume schwebend - so traurig , so weltverlassen .
So körperlos mystisch , so übermenschlich weh sangen die Stimmchen am Allerseelentag vom Tod und vom Leiden der Welt. Dieselben Stimmchen , im Raume schwebend , drangen jetzt wieder zu ihr , rührend , weltfremd , schmerzbeladen , ihre Seele bedrängend .
Dazu parlamentarische Würde und Sicherheit , ein ganz wunderliches Gemisch .
So etwas Strammes , als hätten die mächtigen dunklen Schatten der Frauen am Vorstandstisch , vor dem grellen Hintergrund , Boden unter den Füßen und könnten aus eigenem Grund sich regen , so etwas Gesetzmäßiges , Wichtiges , als wären die Gesetze schon da , um besser , menschenwürdiger zu leben .
Dazu der Saal mit den Girlanden und Fähnchen ! so unbeholfen sicher .
Ein ganz eigener banger Eindruck .
In Isoldes Seele war das reine Totenangesicht wie eingebrannt .
Das Gesicht , das mit seinem Ausdruck des Großgewordenen durch Leiden , wie eine Sonne alle lebendigen , befriedigten Gesichter überstrahlte .
Es wurde ihr hier schwerer an dies Gesicht zu glauben , als irgendwo sonst .
Und doch - in den weltfremden , weltverlassenen Stimmchen zitterten Laute , so rührend und lallend sie auch klangen , in denen das ganz Tiefe , das große Wollen lag - das Wollen , das sich Bahn bricht , sei es wie es sei .
* Isolde träumte , während die kompakten Schatten Bericht erstatteten , was in Sache der Frauen in diesem Jahr geschehen und nicht geschehen war .
Gut bürgerliche Vereinsbefriedigung lag währenddem über ihnen .
Isolde träumte , daß sie aufgestanden und an den Tisch vor den gelben Sonnenhintergrund getreten wäre und in die Blendung hinein und zu den mächtigen , dunklen Schatten gesprochen hätte :
" Würdige Frauen , laßt doch eure Barmherzigkeit jung sein !
Jung und stark .
Laßt sie nicht alte ausgekrochene , ausgeschlichene Geleise schleichen .
Tut doch etwas ganz Erstaunliches !
Etwas , worüber die Welt in Lachen ausbricht , in Zorn und Wut .
Weil ihr zu trotten versucht , wie der Mann trottet , so schwer und bedächtig - glaubt ihr , ihr habt es schon erreicht , was ihr wollt - oder werdet_es erreichen ? - O weh , etwas Altes ! "
Aber das klagende Stimmchen im Raum ist noch so jung .
" Ich beschwöre euch , tut etwas Königliches , etwas Freies !
Nichts Althergebrachtes .
Nichts Kluges - nichts Vernünftiges - laßt die Tat der Frau wie eine lang verschüttete , eingeengte Quelle mächtig rücksichtslos hervorsprudeln - tut etwas , das davon zeugt , daß ihr den großen Willen habt , den weltüberwindenden Willen .
Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken .
Bereitet dem jungen starken Weib ein Nest .
Ein eigenes Nest mitten in der harten , frechen Welt .
Baut eine uneinnehmbare Feste aus eurem Willen .
Ohne daß ein Funke von Verachtung in eurem Blick aufsteigt , laßt in unangetasteter Reinheit das junge Weib ein Kind ihr eigen nennen dürfen .
- Ein Kind und Arbeit !
Gebt ihnen Arbeit , bei der ihnen die Seele weit wird , und ein Kind , das ihnen das Herz froh macht .
Seht ihr - ich gebe euch den großen Willen - nehmt ihn !
Laßt sie nicht in der Arbeit , nach einem Kind hungernd , wie ein Raubtier verlangen .
Macht etwas Ganzes aus ihr !
Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken und laßt ihnen nichts geschehen !
Schützt sie , und sie sind geschützt , sagt , sie sind ehrbar - und sie sind ehrbar .
Schlagt ihn , er hat keinen Freund !
Aber hat er einen Freund , wer will den Menschen dann berühren ?
Wer kann ihm ernstlich schaden ?
Des Menschen Wille schafft die Welt !
Weshalb dem jungen Weib nicht ein Nest , worin es werden kann , was es werden will und werden muß , wenn es einmal mit beiden Lungen frei atmen kann , wie ein Geschöpf Gottes und beides hat , ein Kind und Arbeit .
Und aus diesem kleinen Nest wird eine neue starke Menschheit kommen - allen zum Trotz , die eine Menschheit von Sklaven und Haustieren wollen .
Achtung wird das Weib unter der Sonne genießen .
Lachen und jubeln wird_es !
Die ungeheure Gesetzeslast und die Mißachtung hat die Frau mit einem leichten Fußtritt bei Seite geschoben wie durch ein Wunder , und wieder wie durch ein Wunder ist sie nun frei geworden - und sieht , daß sie nie gefangen war .
Streicht ihr über die verwirrten Augen mit sanften , klugen , wollenden Mutterhänden ! und breitet die großen Flügel aus wie Glucken . "
So hatte Isolde , im Stuhl zurückgelehnt , töricht geträumt , gerade als die würdigen Frauen am Vorstandstisch die Frage aufwarfen .
" Soll die Frau den Titel des Mannes führen oder nicht ? "
Und dann kam wieder eine andere sehr vernünftige , untadelhafte Frage - sehr korrekt .
Isolde war es zu Mute , als müßte draußen ein dunkles , starkes Gewitter ausbrechen .
Es schien aber helle , grelle Julisonne , kein Wölkchen am Himmel .
Schwüle , erdrückende Schwüle im Saal .
Die Laubguirlanden strömten ihre Säfte aus .
Es duftete nach sterbendem Laub und heißen Körpern , eine einschläfernde Atmosphäre .
Und doch stieg aus dieser drückenden Atmosphäre etwas Starkes , Lebendiges auf .
Für eine feine Seele voller Weltliebe war es auch zu spüren .
Aber was ein Sturm sein sollte , war noch ein kleiner , spitzer Luftzug wie aus einer Fensterritze. 12 .
Es war in diesem selben Jahr , Weihnachts-Heiligerabend .
- Der Zusammenschlage aller Herzen , alter und junger , trauriger und fröhlicher , durchzieht wie ein mächtiger Strom die Stadt , liegt wie ein leuchtender Nebel über den Häusern , klingt von den Türmen in vollen , schweren Tönen , hallt in den Schritten der Menschen , die durch die Straßen eilen .
Weihnacht !
Weihnacht !
Weihnacht !
Der großen Weihnachtsstimmung kann kein Herz entfliehen und wenn es sich in seinem Weh bis in den dumpfsten , tiefsten Keller vergrübe .
Es müßte mit hinein in den Zusammenschlage .
Da fühlt ihr es einmal : das " All- Eine " .
Das Zusammenfließen der Seelen , das Empfinden , Früchte an einem Baum zu sein .
In allen Heimstätten feiern sie Weihnachten .
Aus den Fenstern der Häuser an der Leopoldstraße strahlt es festlich in die Nacht hinaus , glänzen die lichtvollen Weihnachtsbäume wie Sterneninseln .
Draußen leichter , schon hart getretener Schnee und doch ein milder Winterabend , zwischen Gefrieren und Tauen .
Die hohen , kahlen Pappeln ragen schattenhaft zart in den blanken Sternenhimmel hinein .
Stadtgeräusche klingen heute anders als sonst , so scheint es jedem .
Die Pferdebahn kommt so eilig , weihnachtlich daher .
Die Droschken fahren , als führen sie irgend eine Überraschung zu irgend einem Ziel .
Ja , lebendiger ist alles , als sonst und heimlicher .
Einer scheint dem anderen noch bekannt .
Man freut sich mit denen , die sich freuen können und freuen .
Das fremde Leid greift zum Herzen und nicht nur an die Nerven , und auch nicht nur zum Herzen , nein , bis in den Geldbeutel hinein , der tiefer und unzugänglicher beim menschlichen Geschöpf sitzt als Herz und Nieren .
Ja , ein schöner Abend , ein sehr merkwürdiger Abend , der Abend der Weihnachts-Heiligennacht .
Bei Doktor Freys waren sie auch in Feststimmung und Festerwartung .
Die Mutter , Isolde und Bruder Karl sitzen im Salon und warten auf den Vater , um im Speisezimmer den Weihnachtsbaum anzuzünden und dann während des Lichterglanzes ein kleines , festliches Abendessen miteinander zu verzehren - und Frau Doktor Frey ihr Haferschleimsüppchen .
Um den Weihnachtsbaum stehen von Tüchern verdeckte Tische mit Geschenken .
Es ist alles bereit .
- Das Hasten und Eilen des ganzen Tages ist einer leichten Abgespanntheit gewichen . -
Der große schöne Baum hell erleuchtet .
Tannennadelduft mischt sich mit dem frühlingszarten Atem von Maiglöckchen , Hyazinthen und Tulpen , die in einer schönen Schale , wie ein ganzes Blumenbeet , aus dem großen Tisch im Salon unter der Hängelampe stehen und ihr zu früh erwecktes Leben in die heiße Zimmerluft ausströmen , statt in hellen Maisonnenschein hinein .
Isolde geht ab und zu in das Weihnachtszimmer , schlingt noch ein paar glänzende Fäden über einen Tannenstrauß mit Rosen , oder ordnet etwas an den Geschenken .
Die Ausschmückung des Zimmers zu Weihnachten ist immer ihr Werk gewesen .
Wie fremd sind sich doch die drei wartenden Menschen in dem Salon - komisch fremd .
Mutter , Sohn und Tochter .
Fremde wie sich nur Familienglieder sein können .
Wie kennen sie jede Äußerlichkeit aneinander , jede Angewohnheit !
Sie kennen sich bis zum Überdruß , das heißt :
jedes die Larve des anderen .
So sitzen sie und hängen ihren Gedanken nach .
Was weiß Mama von dem inneren Leben ihrer Tochter und Isolde von Mamas innerem Leben ?
Sie sieht Mama sitzen in ihrem schwarzseidenen Kleid .
So fein ist die Gestalt , das müde Gesicht mit dem leidenden etwas stumpfen Ausdruck .
In Mamas Gesicht ist etwas Ausgelöschtes .
Wer hat das ausgelöscht ?
Das Leben ?
Jedenfalls .
Mama wird doch schon alt ; noch nicht gar so alt - - nein .
Sie ist aber wie mitten im Leben eingeschlafen .
Gerade als es anfing gut zu werden .
Isolde denkt , wie Mama sich früher geplagt hat , eigentlich so stumpf wie eine Magd , die fürs Leben gekauft ist , der der Herr kein freundliches Wort zu geben braucht .
Er ist ihrer sicher .
Sie kann sich nicht eines besonders liebenswürdigen Ausdruckes erinnern , den der Vater je an Mama gewendet hätte .
» Na Alte « , so ganz gedankenlos hingesagt - das hört sie in der Erinnerung , so ein klein wenig Ironie dabei - so von oben herab .
Mamas Heirat war eine Liebesheirat gewesen , gegen den Willen ihrer Eltern .
" Ah " - Isolde dehnte sich im Stuhl und streckte die Hände von sich .
» Triste ! . . . Gott behüte einem vor so etwas . «
Mama ist ein Kind geblieben , ein armes unwissendes Kind : - müde gearbeitet , ohne Liebe , ohne Sonne .
Isolde hat das Gefühl , sie möchte zu ihr hingehen und sie küssen und streicheln ; dann fängt aber Mama immer zu klagen an um alles Mögliche - und auch darum , daß sie zu nichts Appetit hat und nichts vertragen kann .
Isolde weiß das schon .
Es ist für Mama nicht gut , zärtlich mit ihr zu sein .
Sie kann damit nichts mehr anfangen .
Isolde denkt daran , wie Papa vor Jahren Mrs. Wendland den Hof gemacht hat .
Er hat immer irgend eine Flamme gehabt .
Komisch , wie eigentlich Mama sich damit abgefunden hat .
Sie weiß von Mamas Art zu denken und zu fühlen gar nichts .
Und jetzt ist_es mit Papa auch nicht so ganz geheuer .
Er ist gar zu vortrefflicher Laune .
Isolde erinnert sich daran , wie damals Papa sich vor Mrs. Wendlands Tür in einen Gentleman verwandelt hatte und wie Marie und sie selbst darüber entsetzt waren .
Ja , das war sehr sonderbar gewesen , unvergeßlich sonderbar .
Sie hatten jetzt fast immer einen wohlsoignierten , blühenden , jovialen Papa , gutgekleidet , jugendlich , von bester Gesundheit und vortrefflich im Betragen .
Allerdings hatten sie dies Vergnügen nicht allzu oft , denn er hielt sich viel in Berlin auf und auch in München war er , wie immer , der Vielbegehrte .
Aber merkwürdig daß er heute nicht kam , heute am Weihnachts-Heiligenabend .
Mama saß ganz still wie vor sich hinbrütend .
Ungeduldig hatte Isolde Mama überhaupt nie gesehen , und eigentlich kannte sie Mama zumeist nur wartend , - auf den Vater wartend .
Auch nachts wartete sie - lang , lang , das wußte Isolde ja .
Mama wartete von jeher nachts und schlief nicht eher ein , bis der Vater kam .
Was mochte wohl Mama ihr Lebtag diese vielen , vielen Stunden gedacht haben ?
Schrecklich .
Wie in sich verschlossen sie doch war .
Ganz geheimnisvoll - Nachttierhaft , rührend ihre eigenen dunklen Wege gehend .
Wie sah Mamas Leben aus , wenn man es mit ihren eigenen Augen betrachtete ?
Isolde konnte die Blicke von Mama gar nicht weg wenden .
Karl hob sich aus seinem Fauteuil , in den er sich hineingerekelt hatte - zog seine Uhr - " Neun schon ! "
Seine Stimme war erregt .
Karl hatte auch heute Abend außer der Familienfeier etwas vor .
Natürlich .
Er ging ein paar Mal im Salon auf und nieder , griff nach der Abendzeitung zum so und so vielten Mal und versank wieder in dem weichen , bequemen Polster , die Hand in seinem dicken Haarschopf vergraben , die Blicke gedankenlos über das Zeitungsblatt hinschweifend .
Mit der Spitze seines Fußes klopfte er ungeduldig im Takt auf das Parkett .
So ein harter trockener Ton .
Isolde wurde ganz nervös davon .
Mama sagt : " Heute kommt Papa aber spät .
Das Abendessen wird uns verderben . "
Dann saßen alle drei wieder ganz still eine lange Zeit .
" Karl , klopf nicht so mit dem Fuß auf , " bat Isolde .
Draußen an der Haustür schellte es auf eine eigentümliche Weise .
" Das ist Papa nicht , " sagt Isolde .
Alle drei schauen wie erschreckt , wie unangenehm berührt .
" Nein , das ist Papa nicht , " sagt Mama auch .
" Bewahre . "
" Na , und dreiviertel auf zehn wäre es jetzt glücklich . "
Karl war sehr ungeduldig geworden .
* Da tat sich die Tür auf .
Das Zimmermädchen erschien in blendend weißer , festtäglicher Schürze .
" Nun , " - Isolde wollte weiter fragen , da sah sie in ein paar wirre entsetzte Augen , in ein erdfahles Gesicht .
Sie fragten jetzt alle drei beunruhigt :
" Nun ?
Was denn ?
Was ist denn ? "
Das starre , erdfahle Gesicht über der weißen Schürze veränderte sich nicht .
Die Lippen bewegten sich , um zu sprechen , brachten aber keinen Ton hervor .
" Nun , " fragte Karl , " was ist denn eigentlich los ? "
Und da kam es - in abgerissenen , unklaren Worten .
Dem Herrn war was passiert .
Alle drei hatten sich von den Stühlen erhoben und standen und starrten im ersten Augenblick .
Das Hirn will das Schwere nicht ins Bewußtsein aufnehmen , das Leben soll behaglich sein , gleichmäßig .
Nur keinen Schreck , keine schlimmen Überraschungen , das empört , das lähmt .
Da drangen Geräusche bis in den Salon , ungeschickte , schwere , fremde Schritte .
Karl stürzte zur Tür .
Bebend , flüsternd sagte Isolde etwas und faßte heftig nach der Hand des Mädchens .
Die starrte ohne Erwiderung - aber der Druck ihrer Hand sagte alles .
Da wendete Isolde ihre Blicke auf die Mutter .
Die stand noch unbeweglich - nach irgend einem Halt mit ratlosen Augen suchend .
Isolde trat zu ihr , schlang den Arm um ihre Schultern , um sie zu stützen .
Karl hatte das Zimmer verlassen .
Die Tür war angelehnt geblieben , die Schritte draußen drangen jetzt deutlicher schwer in den Salon .
" Soll der Herr in sein Schlafzimmer gebracht werden ? " fragte das Mädchen .
Mama ging jetzt , auf Isolde gestützt , zur Tür hinaus .
Es lag etwas Hausfrauliches in der Art , wie sie das tat , etwas Geschäftiges - ihre alte Weise .
Es gab für sie zu tun .
Es mußte für einen Gast gesorgt werden .
Drei Männer hatten Doktor Frey aus der Droschke die Treppe heraufgebracht .
Ein Droschkenkutscher , ein Dienstmann und ein Herr hielten den schlaff herabhängenden Arm des Toten gefaßt .
Die Hand des Toten hielt ein mit weißem Wollpelz überzogenes Schäfchen mit rotem Halsband , ein Spielzeug , umklammert .
" Er soll in sein Schlafzimmer gebracht werden , " sagte Mama langsam , völlig klanglos .
Karl stand verblüfft , der Schreck und der Schmerz ließen seine Züge merkwürdig dumm und ratlos im Ausdruck erscheinen .
Die drei Männer folgten Frau Doktor Frey und Isolde .
Jetzt hatte auch Karl seinen Vater mit angefaßt und blickte in das bläuliche , schlappe Gesicht und auf den haltlosen Körper , der einer großen , schweren Maße glich .
Der Droschkenkutscher sagte etwas , um seine Teilnahme auszudrücken , etwas von einem " bösen heiligen Christ " - das klang schaurig , wie die Stimme aus einem alten Märchen .
Mamas in sich gekehrtes Benehmen stach wunderlich gegen das Betragen aller übrigen Personen ab .
Das Hausgesinde war so außer sich , daß ein lautes Schluchzen und Heulen den Raum erfüllte .
Karl hatte das Dumme , Ratlose , Verblüffte in den Zügen .
Isolde war vor Entsetzen ganz überwältigt , wich keinen Schritt von ihrer Mutter - nicht mehr sie zu stützen , um von ihr gestützt zu werden .
Und da war über Mama wieder das Nachttierhafte , Geheimnisvolle gekommen , vor dem Isolde vor Jahren sich so gefürchtet hatte .
Wie oft hatte Mama in der langen Ehe ihren Mann tief in der Nacht empfangen , wenn er zu ihr zurückgekehrt war , ohne daß ihr von seiner Seele , seinem Wesen auch nur ein Teilchen mehr gehört hätte , als jetzt .
Sein Körper war zu ihr zurückgekehrt - sein für sie toter Körper , nicht anders als heute - nein - nicht anders .
Ihre Ruhe war die Ruhe langen , stummen Leidens , einer langen , schweren Erfahrung .
Sie hatten ihn auf sein Bett ausgestreckt und der Herr , der sich als Arzt vorstellte , versuchte das weiße Wollschaf aus der Hand des Toten zu lösen .
Es war ein so ganz unmöglicher Anblick , die gelbe Totenhand um das lächerliche Ding geklammert zu sehen ; so leidenschaftlich geklammert , wie der Mensch die lächerlichen Dinge des Lebens umklammert hält .
Es gelang ihm nicht Doktor Frey von diesem komisch grausigen Anhängsel zu befreien .
" Lassen Sie doch , " sagte Mama .
Sie hatte den Blick nicht von dieser gelben , armen Hand mit ihrem Spielzeug gewendet .
Jetzt sprach der Arzt mit Karl , gewissermaßen als mit dem männlichen Oberhaupt der Familie .
Er bot seine weitere Hilfe an und tat allerhand geflüsterte Fragen .
Dann ging er , ein Mann in Amt und Würden , der augenblickliche Beistand der schwer getroffenen Familie .
Isolde lag erschüttert in einem Stuhl , das Gesicht in die Hände vergraben .
Karl ging im Zimmer hin und her und schaffte den Rock des Vaters , den dieser vor dem Ausgehen über den Stuhl vor dem Bett geworfen hatte , stumpf und unbewußt beiseite .
Darauf goß er ein halbgefülltes Wasserglas gedankenlos ins Waschbecken .
Er machte , wie es schien , Ordnung .
Seine Züge verloren für keinen Augenblick das Verblüffte .
Mama kniete neben der Leiche ihres Mannes nieder , nahm die schwere Hand des Toten sanft in die Höhe und versuchte den starren Fingern das Spielzeug zu nehmen .
Durch einen Zufall wohl , gelang es ihr leicht .
Isolde schaute entsetzt ihrem Tun zu , auch Karl .
Jetzt legte sie die Hand still behutsam zurück und blickte auf .
Ihre beiden Kinder sahen in ein bleiches , rührendes Gesicht , auf das der Schmerz , oder sonst ein Gefühl , einen Jugendhauch gelegt hatte .
Es war der Ausdruck einer weltfremden Nonne , die von Dingen sprechen sollte , die ihr nicht über die Lippen wollten , von sündhaften , schweren Dingen .
Die Lippen regten sich wohl schon , - die Worte fehlten noch .
Wie hilfesuchend blickte sie auf Karl und Isolde .
" Laßt es ihn nicht entgelten , " sagte sie leise bittend , - " der Vater hatte da was Liebes .
Es ist da auch ein Bübchen . "
Sie zeigte auf das kleine Schäfchen wie zur Erläuterung .
So kniete Mama vor ihren Kindern .
Die Hände legten sich ihr bei ihrer großen Bitte wie zum Gebet zusammen .
Isolde stürzte mit einem Strom von Tränen zu ihr hin und schlang die Arme um sie und erstickte Mama fast mit ihrer Liebe .
Nun kannte sie Mama .
Da lag die arme Seele vor ihr , geläutert wie reines Gold - ganz ausgeglüht .
- Weltfremd .
Ihr Lebtag bedrückt und mißachtet , haftete nichts an dieser Seele von Wissen und Macht , nichts , wovon sie irgend eine Ehre hätte ; - aber stärker schien da etwas zu sein , als alles Starke auf Erden : das große Welt- und Schmerzüberwindende lag in ihr .
Es war in ihr etwas geworden , durch Bedrückung und Mißachtung , etwas so Junges in dieser alten Welt , in der alle Kräfte beladen und ausgenutzt sind , etwas so Unbelastetes .
Isolde hing schluchzend wie in einer erlösenden , seligen Extase an Mama .
Ihre Seele verschmolz mit Mamas Seele .
Das war so rein und stark , was sie da in Mama verstand und empfand , so vornehm .
Nichts Größeres auf Erden als Weib sein !
Sie empfand die Kraft ihrer armen Mama , als könne solche Kraft , die alte , müde Menschheit , wenn sie sich frei und bewußt über sie ergösse , erlösen und verjüngen ; die Kraft , die in ihrer unscheinbaren , gedrückten Mama verschüttet und begraben war .
13. Ein dumpfer , bedrückter Winter folgte jenem Weihnachts-Heiligenabend , an dem die Lichter am Baum nicht entzündet wurden .
Der Tod hatte die Lebendigen angestarrt und wie vom Frost gerührt schienen sie eine Zeit lang welk und schlapp geblieben zu sein , bis neuer Lebenssaft aufstieg , neue Triebe die welken , verkümmerten überwuchert hatten .
Dann wurde es wieder , als wäre nichts geschehen .
Henry Mengersen zog dieses Frühjahr von Berlin mit Frau und Kindern hinaus in seine Villa nach Ludwigshöhe .
Mama freute sich , Tochter und Enkelchen so in nächster Nähe zu wissen .
Marie stand ihr so viel näher als Isolde .
Marie war das Weib , das die Wege ging , die sie selbst gegangen war .
Sie konnte Maries Leben mitleben .
Marie brauchte gar_nichts zu sagen .
" Das ist nun ma' so , ja , siehst du - das ist nun ma' so . "
Das konnte sie immer von Mama hören . wenn sie nur den Mund auftat , um Mama etwas zu klagen oder zu erzählen .
Mama wußte alles immer schon im voraus .
Sie sah gewissermaßen behaglich zu , wie Marie das Martyrium des jungen Weibes trug , die Extasen des jungen Weibes .
Die Extasen hatten bei Mama nie eine große Rolle gespielt .
Schwere Entbindungen , lange , qualvolle Schwächezustände , kranke Kinder , Geldsorgen , große Müdigkeit - weiter war ihr nicht viel in der Erinnerung hängen geblieben .
Viel geduldiger als Marie war sie gewesen , dessen entsann sie sich - und das sagte sie auch Marie oftmals - und das kam davon , daß Marie doch nicht so selbstlos war , wie eine Frau sein müßte .
Marie war eben auch Papas Tochter .
Beide Töchter hatten leider etwas so Aufrührerisches , wenn gleich Marie nicht annähernd wie ihre jüngere Schwester .
Aber heute noch konnte Marie ganz verzweifelt Mama um den Hals fallen , solcher Dinge halber , deretwegen eine Frau gar kein Wort verlieren darf , die sich von selbst verstehen .
Die Frau hat sich eben nach dem Mann zu richten , und wie der ist , so ist er , und was der tut , das tut er .
Dafür ist er das Haupt der Familie .
Ja und das sagte denn Mama ihr tüchtig .
Das aber war gleichgültig , Marie nahm nichts an und wenn Mama noch so recht hatte .
In Marie blieb etwas so Wehes , etwas so Sehnsüchtiges .
Eine Mutter von fünf Kindern , die Geschichten machte mit Idealen und so etwas !
Nein , Mama hatte auch mit Marie viel Sorge .
Da lobte sie sich Henry Mengersens Schwägerin , Pauline , die in Ludwigshöhe mit Mann und Kindern neben Henry wohnte .
Das war eine Frau nach ihrem Sinn .
Wenn eine von Mamas Töchtern so geworden wäre .
So drall und fidel wie die Frau war !
Und so eine bekommt ihre Kinder wie nichts .
Frisch vordem , frisch nachdem .
Und diese prächtigen Ammen und Wartefrauen und Kinderfrauen , die sie hatte , - ein ganzes Regiment Weiber war da immer im Haus .
Und diese Wäsche !
Und wie im Hause gegessen wurde !
Ja , die verstand was aus sich zu machen .
Vor der hatte der Mann auch Respekt .
Ach ja , Mama hatte es nicht leicht mit ihren Töchtern .
* Dies Jahr gab es einen warmen , schönen April .
Es hatte sich oben in Ludwigshöhe in einer Nacht über die Wälder wie zarter , grüner Nebel niedergelassen .
Der war wie von den Wäldern eingesogen worden , hatte sich schmeichelnd um die rötlichen , knospenden Buchenkronen gelegt und war daran haften geblieben in Millionen zarter grüner Blättertröpfchen .
Ein Leuchten ging von diesem jungen Grün aus , ein durchsichtiges , unsäglich zartes Schimmern , das die Seelen wie in ein grünes , helles Bad tauchen ließ , die armen , rußigen Winterseelen .
Und der blaue Maihimmel dazu , der endlich als helle Sonnenbahn hervorgebrochen war .
Ja , es wurde da oben jetzt schön .
Die prächtigen Waldgärten mit ihrem knospenden Buchenlaube , der feuchtbraunen Blätterdecke unter den Bäumen , aus der das frische Leben in tausendfältiger Gestalt brach .
Hier ein Himmelsschlüssel , ein zerschlissenes dürres Eichenblatt um den Stängel , dort hebt eine Familie blauer Leberblumen ein ganzes Stück Laubdecke in die Höhe .
Wie ein blauer Blick schaut es aus dem Erdreich .
In Gebers Garten blüht es wie jedes Jahr auch heuer an allen Ecken und Enden .
Sie waren die ersten Ansiedler hier oben gewesen .
Bei ihnen hatte sich schon so mancher Obstbaum heimisch eingewurzelt und blühte zwischen den kleinen Tannen und zarten Birken und Buchen . -
Frau Lu hatte so ein paar liebe rosige Kerlchen , gefüllte Kirschbäume gepflanzt , die blühten , als wollten sie sich in ungezählten tausend und abertausend rosigen Blumenbüscheln auflösen ; und Apfelbäume , die ihre ersten Knospen jugendsicher trugen .
Aus dem grünen Gras schauten weiße Narzissen und allerhand altmodische Bauernblumen . blaue Traubchen und Goldlack .
Henry Mengersens und seines Bruders Garten haben diesen intimen Reiz nicht , den Frau Lu ihrem Stück Land gegeben hatte ; aber in ihrer Art sind sie prächtige Besitztümer , groß und schattig .
Isolde war , weil Marie es brennend wünschte , auf einige Tage hinauf zu ihr nach Ludwigshöhe gekommen .
Sie hatte da oben , wenn sie ihre Schwester zu besuchen kam , ein kleines Zimmer in dem Gartenhäuschen einer Nachbarvilla als Absteigequartier .
Henry Mengersens Gastfreundschaft anzunehmen vermied sie , wenn es sich tun ließ .
Es war da auch etwas , was sie in seinem Hause bedrückte und erregte .
Sie konnte das unermüdliche Werben ihrer Schwester um sein Sich-geistig- ihr-mitteilen auf die Länge nicht ertragen .
Quälend war es Isolde von jeher gewesen , Marie im Atelier zu beobachten , wenn Henry einem Gast eine neue Arbeit zeigte .
Marie ließ es sich bei solchen Gelegenheiten nicht nehmen , ein wenig die Sachverständige zu spielen .
" Henry rück es doch so - siehst du , hier fällt das Licht nicht gut darauf . - -
Und das ist von allem mein Liebling , da liegt etwas darin was einem zu Herzen geht . -
Ich habe dir doch gesagt daß die Leiste zu dem rohen Eichenholz nicht hübsch aussieht - nun findet es Isolde auch - siehst du . "
Sie rückte etwas an einer Staffelei - sie machte ihn aufmerksam , dies oder jenes zu zeigen .
Und jedesmal traf sie derselbe spöttische Blick , sie kühl in ihre Grenzen zurückweisend .
Über Maries Gesicht ging dann der tief wehe Zug , so gekränkt , so überaus demütig .
Isolde wußte sich bei einer solchen Szene kaum zu beherrschen .
Ein Gefühl von Haß gegen ihn stieg in ihr auf und zu gleicher Zeit etwas wie Verachtung gegen ihre Schwester , Verachtung und Mitleid .
In den letzten zwei Jahren hatte Isolde bemerkt , daß Marie schwerfälliger in der Art sich auszudrücken geworden war , auch ihr gegenüber .
Bis dahin war in Marie ein leidenschaftlicher Zug gewesen . mir der Schwester weiter leben zu wollen .
Jetzt stand sie Isolde eigentümlich fremd gegenüber ; oder kam es ihr nur so vor ?
Marie fragte nicht recht was Isolde getrieben , unterhielt sie von Dienstbotenmisere , von Kinderwäsche , klagte endlos über ihr letztes Wochenbett und lobte ihre Schwägerin Pauline , von der sie das letzte Mal gepflegt worden war .
Henry hatte immer gewünscht , daß Marie sich ihrer Schwägerin anschließen möchte , war aber auf Abneigung von Maries Seite gestoßen .
Jetzt war das anders geworden .
Marie hatte von ihrer Schwägerin , wie es schien , mancherlei profitiert .
Man aß dies Jahr ganz vortrefflich bei Mengersens .
Paulines Hand war überall zu spüren , ein barscherer Ton schien auch in den Verkehr mit den Kindern gekommen zu sein , die Leibwäsche des Kleinen hingegen war um vieles feiner und luxuriöser geworden .
* Kurz ehe das jüngste Kind bei Mengersens geboren worden war , hatte es eine wunderliche Szene zwischen Mann und Frau gegeben .
Marie , in der Empfindlichkeit ihres Zustandes , war bei einem abweisenden Blick Mengersens nicht demütig , traurig verstummt , sondern in lautes unaufhaltsames Weinen ausgebrochen , war ihrem Gatten zu Füßen gefallen , hatte verzweifelt seine Hände gefaßt und diese Hände heftig geküßt und dabei geschluchzt :
" Verstoß mich nicht , - ich bin doch auch ein Mensch ! "
Und das hatte sie wie sinnlos immer von neuem wiederholt .
Henry Mengersen war diese Szene unbeschreiblich peinlich gewesen .
Was wollten sie denn ?
Dieses ewigen ungeschickten Einmischens von ihr in seine eigensten Angelegenheiten war er unendlich überdrüssig geworden .
Sie hatte etwas von einer Fliege an sich , die Geduld und Beharrlichkeit einer Fliege .
Henry Mengersen wußte gar nicht , was er ihr antworten sollte .
Er wollte sie nicht erregen , aber er wollte auch nicht schweigen .
" Marie , " sprach er , " was willst du eigentlich ?
Hast du etwas zu klagen , - so sage_es .
- Aber dies ewige Nörgeln ! "
Er ging heftig im Zimmer auf und nieder und sagte mit unterdrückter Erregung :
" Wenn ich offen sein soll , mir ist in einer Künstlerehe , und in einer Ehe überhaupt , der weibliche Abklatsch vom Mann in der Seele zuwider - einfach unerträglich !
Bin ich nicht so weit Herr im Hause , daß ich mir gestatten darf , einer Idiosynkrasie , die ich nun einmal habe , auszuweichen ?
Weshalb ist es denn durchaus nötig , daß du dasselbe , was ich sage , noch einmal verdünnt nachsprichst ?
Darauf kommt es ja doch hinaus .
Sage Mal , findest du das so durchaus notwendig , daß du deshalb wieder und wieder kommst und mich peinigst ?
Ihr habt nun einmal , wie soll ich sagen , - die tierischen Funktionen im Leben zu erfüllen . -
Nun , so erfüllt sie .
Jeder das Seine .
Sage doch , was hast du geleistet , das dir das Recht gäbe , mitzureden oder mitzuhandeln ?
Das was ich errungen habe , rechnest du dir das etwa mit an ?
Meinst du , man teilt sich in so etwas , wie in eine Torte oder wie in ein Vermögen ?
Bitte , mache dir das einmal klar .
Die Frauen berühmter Männer versäumen es gewöhnlich , darüber nachzudenken .
Du hast deine Kinder , bist dabei , sie so ziemlich gedankenlos zu erziehen , du stehst deinem Hausstand erträglich vor , läßt mich bei jeder Gelegenheit aber unter deinen Nachlässigkeiten leiden .
Erfülle deine Pflichten und laß alles Übrige auf sich beruhen .
Nimm dir ein Beispiel an Pauline , die ist wie eine Frau sein soll .
Haben wir uns nun endlich einmal verstanden , Marie ? "
Er sah in ein bleiches , tränenloses Gesicht .
" Ja , " sagte sie .
In diesem Augenblick klammerte sich ihre verachtete Seele an die Liebe zu ihren Kindern , und diese Liebe wurde zu einer Extase , die jede Marter des Herzens überwuchs .
* Von diesem Tage an warb sie nicht wieder um die geistige Zugehörigkeit zu ihrem berühmten Gatten .
Er hatte von diesem Tag an Ruhe vor " der Fliege " , hatte von diesem Tag an sich eines tadellosen Hauswesens zu erfreuen .
Der Einfluß der Schwägerin Pauline begann zu regieren .
Henry Mengersen lernte jetzt das breite , behagliche Weibtum in seinem Hause kennen , das wie eine Walze alles niederdrückt , was ihm nicht paßt .
Aber vorzügliche Mahlzeiten gab es , tadellose Wäsche , geputzte Kinder , ein schwerfälliger Ernst - und das Kleinste war zur Wichtigkeit erhoben .
Ein zarter , zudringlicher Geist , der mit erhobenen Händen unermüdlich gefleht hatte .
» Nimm mich mit , laß mich nicht verschmachten « , war verstummt .
Diese arme , bittende Seele drängte sich nicht mehr an ihn heran .
Ob er das wohl bemerkte ?
Den ganz kleinen Kindern vertraute Marie sich an , nahm sie auf den Schoß und klagte es ihnen leise in die Öhrchen , was ihr getan worden war .
Auch Isolde sagte sie kein Wort .
Die fühlte nur eine große Müdigkeit und Stumpfheit in ihrer Schwester , ähnlich der Müdigkeit und Stumpfheit , die sie in Mama empfand .
» Triste « ! dachte Isolde wieder , » Triste !
Gott bewahre einen vor so etwas . «
Sie war dieses Frühjahr selbst so schwer gestimmt , so schwer wie noch nie .
Es war doch der Tod des Vaters und der Tod selbst , der ihr das Leben so bedeutungslos , so unnötig erscheinen ließ .
Und was für ein Leben lebte sie denn eigentlich selbst ?
Es spielte sich in ihrem stillen , hohen Atelier ab ; da lebte sie - ja - das nannte sie " Leben " , was sie da tat .
Zu einer rechten Liebe hatte sie es seit der leidenschaftlichen Anbetung Henrys nicht wieder gebracht , hatte kein einziges Mal warm wieder als Weib empfunden , so viel sie auch begehrt wurde .
Ihr lieber Freund , Lus " Guter " ja , der liebte ihre Seele , dem gegenüber durfte sie sich ganz geben wie sie sich selbst empfand .
Ein wunderbares Verhältnis , das sie zu diesem seltenen Mann hatte , so wohltätig bis in die innersten Nerven .
An dieser Freundschaft war sie gesundet .
Bei ihm fühlte sie sich als freies , vollgültiges Geschöpf .
Hier wagte sie zu hoffen , daß sie in ihrer Kunst nach Großem streben dürfe .
" Schaffe dir deine Welt ; wie du sie schaffst , so ist sie .
Sie ist nur in dir selbst , in deiner Vorstellung .
Schaffe sie dir und glaube an deine Welt ! "
Ja , sie hatte an ihre Welt geglaubt .
Wie sie gearbeitet hatte !
Ernst und glühend , um die Seele von Schmach zu reinigen .
Henry Mengersen hatte ihr von ihr selbst ein so tief gemeines Bild gezeigt .
Ihre junge , heilige Liebe zu ihm , ihr großes Opfer hatte er wie etwas Schmutziges mit dem Fuß beiseite geschoben , so wenig Umstände mit ihr gemacht , wie mit der gemeinsten Straßendirne .
Er hatte sie mit seiner Beschimpfung vergiftet , daß sie bis heute nicht wieder gesund hatte werden können , wie andere Leute , die ihre Jugend gedankenlos genießen .
Ein tiefer , ungestillter Haß gegen Mengersen war im Grund ihrer Seele .
Jahrelang hatte sie es mit angesehen , wie er ihrer Schwester , seinem Weibe , dasselbe tat wie ihr einst , wie er Maries Seele verleugnete und danach schlug , wie nach einem zudringlichen Tier .
Er der hochentwickelte Geistesmensch konnte es nicht ertragen , neben sich ein Geschöpf zu dulden , dessen Seele leben wollte .
Weil das Geschöpf Weib war , konnte er es nicht ertragen .
Unter solcher Mißachtung leben müssen , fühlen müssen , Kinder gebären müssen !
Ja , schaffe dir deine Welt und glaube an deine Welt .
» Und so schuf ich sie mit ! « dachte Isolde , » eine so feine Welt !
Und meine lieben Nächsten schufen sich die Gegenvorstellung zu meiner Welt .
So ziehen die Träume der Menschen gegeneinander zu Felde und vernichten sich gegeneinander .
Nur die Träume der Menschen ! - und doch welches Leid - welche Qual ! «
Auf Isolde wirkte in diesem Frühjahr alles so schwer und trostlos .
Sie zweifelte an sich .
Stand das , was sie in ihrer Kunst erreicht hatte , irgendwie mit dem großen Fleiß , ihrer großen Hingebung in Einklang ?
War es doch nur das elende Mittelmäßige ?
Weshalb sollte gerade sie etwas Außerordentliches leisten ?
Selten , selten , so viel sie wußte , nur in ganz wenigen Ausnahmefällen , hatte das Weib mehr als Mittelmäßiges geleistet .
Nun , und weshalb sie ? -
Und wenn auch sie - so war sie eben eine armselige Ausnahme im günstigsten Falle .
Das Widerlichste , das Unerfreulichste auf Erden ist das Mittelmäßige .
Ja , sollte man nicht das Weib mit Feuer und Schwert verfolgen , wenn es die ungeschickte , unbegabte Hand an die Kunst legt ?
Isolde empfand den großen Fluch , der auf dem Weibe liegt ; erdrückend , atemberaubend .
Nein , es war keine Freude mit klaren Sinnen , geistig so unheimisch auf Erden zu leben .
Das , was sie in jener Nacht empfunden , was ihr den Jugendmut genommen , hatte sich ihr ins Bewußtsein wie eingegraben , daß sie zu der Hälfte der Menschheit gehört , die von allem Geistigen auf Erden ausgeschlossen ist , zu der verdummten , stehengebliebenen , unentwickelten Hälfte der Menschheit , die nur Körper ist , - die nur Körper sein soll , für die Geist etwas Krankhaftes , Widernatürliches , Unanständiges ist , zu der Hälfte der Menschheit , die sie die zarte nennen - und die im Grunde die robuste , die ungegliederte ist , die allem Feinen , allem Lebensprühenden , Lebenswerten , allem was Geist und Erkenntnis ist , fremd , feindlich , dumm gegenübersteht .
* Isolde machte in dieser Zeit weite Spaziergänge in der Umgegend , währenddem sie dumpf und doch leidenschaftlich vor sich hinbrütete .
Henry Mengersen schien von diesem einsamen Umherschweifen seiner jungen Schwägerin nicht angenehm berührt zu sein .
Er untersagt es ihr .
Sie standen miteinander in seinem Atelier , als er das tat .
Es war in diesen langen Jahren keinmal vorgekommen , daß sie ihm Zeit gelassen hatte , sich ihr gegenüber mit ihrer Person zu beschäftigen .
Er hatte ihre Nähe nicht wieder empfunden , seit sie , wie im uralten Märchen , in ihrer großen Schönheit nackt , wie sie zur Welt geboren war , vor ihm gestanden hatte , wie die , die ihre Brust geduldig dem Messer bot , damit ihr Herr genesen sollte .
Nicht um einen Schritt hatte er ihr sich wieder nähern können , als Künstler wohl - und oft - nie als Mensch .
Isolde blickte ihn daher jetzt mit kalten , erstaunten Augen an .
Sie würdigte ihn keiner Antwort und verließ daß Atelier .
* An diesem Abend fand sie in ihrem Zimmer , als sie spät in der Nacht aus dem Haus ihrer Schwester kam und sich schlafen legen wollte - es waren Gäste bei Mengersens gewesen - ein kleines Paket und einen Brief .
Henry Mengersen schrieb ihr :
" Verzeih , Isolde , " - sie nannten sich » du « auf Maries ausdrückliche Bitte - " mich beunruhigen deine weiten , einsamen Spaziergänge .
Du gestattest mir leider keinen Einfluß auf dich , sonst würde ich dich ersuchen , diese Gänge einzustellen .
Ich bitte dich , führe wenigstens dies kleine Ding mit dir , zu deiner Sicherheit .
Verstehst du damit umzugehen ?
Es ist geladen !
Sei vorsichtig !
Schwager Henry . "
Isolde löste das Paket und nahm aus dem Kästchen einen kleinen , zierlichen Revolver .
» Sonderbar , « dachte sie .
Und aus diesem " Sonderbar " spann sich eine lange , lange Kette von Gedanken und Gefühlen .
Eine schwere , drückende Kette .
Auf die Knie war Isolde wie von einer Last niedergezogen ; den Kopf an den Tischrand gestützt , so blieb sie lange unbeweglich , den kleinen glatten Revolver zwischen den Fingern .
Die Tür ihres ebenerdigen Gartenzimmers stand noch weit offen .
Die herbe , frische Luft , die die schäumende Isar mit sich bringt , drang zu ihr ein .
Da draußen reckte und streckte sich jedes Blättchen , ungeheure Massen zarter , grüner Lebewesen .
Es lag ein Werden , ein mächtiges Gedeihen , ein Sich-ausbreiten- wollen im Dunkel .
Die Luft war wie berauscht von all dem jungen Atem , den sie in sich trug .
Isolde schluchzte wild und bitterlich auf .
Was hatte sie im Leben ?
Wen hatte sie im Leben ?
War denn das , was sie lebte , das Leben ?
Das wirkliche , wahrhaftige , lebendige Leben ?
" Ah - einsam ! "
Sie reckte die Arme , als wäre sie ans Kreuz geschlagen - und blieb so lange , lange Zeit wie im Schmerz erstarrt .
Über ihr Gesicht rannen langsam Tränen .
Die Seele war von der großen Sehnsucht des Lebens , nach Glück , gepackt .
Die jungen , starken Sinne wollten in Daseinsjubel ausbrechen - und hatten nichts , um in Jubel ausbrechen zu können - nichts - gar nichts - auch gar nichts !
Das , was ihr allein lebenswert erschienen war , ihre Kunst , schrumpfte zusammen , zu einem Unsinn , einer Besessenheit , zu einem Unglück .
» Und alles ist wie ein Weinen im Wald « , klang es ihr durch das Bewußtsein .
Was konnte sie denn ? - so ein Tappen im Dunklen .
Es wurde ja doch nichts .
Gegen das was sie wollte - was hatte sie erreicht ?
Ja , wäre sie ein Mann !
Da lohnte es sich , für die Kunst zu leben und zu sterben , sich martern zu lassen .
Da lag die große , glänzende Vergangenheit des Mannes über seinem Wollen wie eine Sonne , die ihm leuchtete , ihm Leben gab und Mut machte , die ihm alles verhieß .
Aber sie als Weib !
Da lag die tote , leblose Vergangenheit des Weibes über ihr wie eine tote , dunkle Maße und drückt und erstickte und machte jede Bewegung schwer , über jeder Hoffnung lag sie , über jeder Freudigkeit - ah - das war etwas Trostloses , da wurde man so müde - so müde .
Da sanken die Hände herab in Trostlosigkeit wie vor Unmöglichem .
Und wie war sie trotzdem immer tapfer gewesen !
Aber heute nicht mehr - nein , heute nicht mehr .
Die Arme , die sie wie ans Kreuz geschlagen gehalten hatte , sanken herab .
Nein , heute war sie ganz fertig .
Sie hielt noch immer den kleinen glatten Revolver in der Hand .
Er war warm geworden von dem Lebensfieber , das in ihr tobte .
Da ging sie nun über die Erde und hatte nichts und hatte niemanden .
Wenn Lus " Guter " , ihr geliebter Freund , noch einmal auf der Welt zu finden wäre - ja - dann !
O , wie geborgen wäre sie dann .
- Du glückselige Lu !
Ja , so eine Insel der Seligen , - so geliebt werden - so lieben !
Wie ein guter Geist ging er neben Lu her .
Jetzt stellte sie sich vor , wie er sagte .
" Du gewinnst in dem Maße , wie du verlierst .
Sei selbstlos aus Selbstsucht .
Du tauschest den Himmel ein für die Erde , - für den sterblichen Menschen die ewige Gottheit .
Sei selbstlos gegen deinen Nächsten , sei selbstlos gegen Fernstehende , sei selbstlos gegen die ganze Menschheit , gegen alle Wesen , gegen die ganze Welt .
Das ist Erlösung !
Gib das » Ich « auf und du bist das » All « . "
Was für eine Welt war das , in der die beiden lebten ?
Welch eine gesegnete , reine ; und Lu pflanzte Blumen in diese Welt .
In Lus Augen aber stand immer .
" Wirst du mein Lieber , dein Werk vollenden ?
Wirst du mir auch bleiben ?
Was kann ich tun , um dich zu halten ?
Wie soll ich_es ertragen , wenn du mir genommen wirst ?
Was kann ich tun , ich Arme ?
Ich möchte mich wie einen Teppich zu deinen Füßen legen , wenn es dir hülfe . "
Isolde kannte Lus schmerzvolle Liebe , die den Tod jede Stunde neben dem Liebsten stehen sieht .
Es ist leidvoll zu lieben .
Aber es ist Leben !
Schweres , banges Leben .
Und Isolde lebte nicht !
Leben kann man nur im anderen .
Sich ganz fühlen kann man nur im anderen .
Im Zusammenfließen mit einem anderen . -
Aber wer lebt dann ?
Ah - was für ein Schatten sie ist .
Wieder breitet sie die Hände aus , als wäre sie ans Kreuz genagelt .
Ihr Gesicht trägt einen bitter wehen Ausdruck .
Welches Unglück ist über sie gekommen !
Ja , davon hat sie doch keine Ahnung gehabt , daß sie so sehr unglücklich war , so ohne Boden für ihre Füße , ohne Halt für ihre Seele - so ein ganz unsäglich verlassenes Geschöpf .
Draußen im Dunklen das Junge - Neue - Wiedergeborene !
Der Jubel und Atem des Werdens . -
Ja - und auch sie will ihren großen Frühling haben !
Und mit ausgebreiteten Armen kniet sie leidenschaftlich , trotzig , verzweifelt .
Mit dem jungen Laubatem , der zur offenen Tür hereinquoll , kam die heiße , seelenüberquellende Sehnsucht nach einem Kinde über sie mit Frühlingsgewalt .
Sie sehnte sich nach Leben von ihrem Leben , nach dem süßen Körper von ihrem Körper - nach dem Ende der großen Einsamkeit , nach dem Wesen von ihrem Wesen , nach der Verkörperung einer großen Liebe , nach einer so alleinigen Liebe , so eng aneinandergedrängt , so trostreich - so Zwei-Eins wie Mutter und Kind sind .
Und da war es ihr , als wenn sie sich ganz in Frühlingstränen auflöste ; hingestreckt auf den Teppich , das Gesicht in die Hände vergraben , weinte sie .
Und sie wußte von sich nichts mehr , als daß sie weinte - weinte - weinte , wie bewußtlos weinte .
Das war ein warmer Regen sondergleichen , der von der Seele barmherzig alles fortspülen und forttauen wollte , ein so junger , mächtiger Regen , der alles verschleiert .
Da war es ihr - o Wunder , als legten sich zwei trostreiche Arme um ihren bebenden Körper .
Wie denn ?
Was denn ?
Herr Gott !
Wer auf der Welt !
Wen hatte sie ?
Wer kam da ?
Wer war da ? -
- Ohne Schritte ?
Ein Entsetzen durchrann sie .
Ein Schrei stockte ihr in der Kehle .
Ein Schwindeln des Bewußtseins .
- Schwindel .
Noch lag sie wie gelähmt , ohne sich regen zu können , das Gesicht in die Hände vergraben .
Da fühlte sie sich berührt , so wild , so leidenschaftlich , so brutal , und jetzt riß es sie in die Höhe .
" Isolde ! "
Eine , erregte Stimme - die sie schon einmal gehört hatte - schon einmal .
Stumm , mit fliegendem Atem , außer sich rang sie mit Henry Mengersen , Auge in Auge , Körper an Körper - wie ineinander verschmelzend .
Waren das Henry Mengersens kühle Augen ? diese gierigen Raubtierblicke ?
War er irre ?
" Isolde , armes , schönes Ding ! " keuchte er .
" Ich weiß , nach was dich verlangt .
Ein hysterischer , kleiner Anfall - was ?
Sind wir so weit ?
Das ist kein Leben , wie du es führst , so ein Rassetier wie du bist .
Damals - ließ ich dich gehen . -
Verzeih !
Welch ein Narr ich war !
Herr Gott , was bist du gegen diese Hühner um mich her ?
Du Dämon , du kühler , brennender !
Du verstehst dich darauf , Feuer zu schüren , du , mit deinem göttlichen Körper ! "
Er hielt sie an sich gedrückt - brutal , heftig , wie ein Opfer .
" Und du liebst mich noch ! -
Du wirst mich lieben .
Du wirst alles genießen , alle Zärtlichkeit der Welt .
Was für ein Leben führst du denn , das dich so auf die Erde wirft , wie eine Bacchantin und gekreuzigt stehen läßt , wie eine Märtyrerin , du dummes Schätzchen ! "
Er drang auf sie ein , unwiderstehlich durch Entsetzen ihre Kräfte lähmend .
" Weißt du auch , was dein Haß bedeutet - weißt du_es ?
Du ?
Du - du ?
Du Märtyrerin , sehnsuchtsvolle , du hast geschmachtet !
Geschmachtet !
Geschmachtet - und dich selbst betrogen .
Du haßt mich , weil ich dich gehen ließ damals , weil ich auf deine Künste nicht hereinfiel - tolles Geschöpf . "
Mit einem wilden Ruck hatte Isolde sich ihm entwunden , war auf etwas losgestürzt .
" Wie einen Hund ! " schrie sie .
Ein scharfer , kurzer Knall - ein schwerer Fall .
- Isolde hatte ihren Schwager Henry Mengersen , den großen Künstler , erschossen .
* Tiefe , tiefe Stille lag über der Welt .
Die heilige Stunde , die mit Mensch und Tier nichts zu schaffen hat , nur mit der stummen Erde , die vorweltliche Dämmerstunde , in der die einsame Seele vor der großen Stille erschauert , vor der Stille ohne den Menschen , die Stunde in der die Erde Ruhe hat vor dem gierigen Volk mit seinem Jagen und Hetzen , und Fressen und Wüten , seinem Weisetun und Sichwichtigmachen , seiner Qual und Todesfurcht , seinem Elend , - die heilige Stunde , in der der einsam wache Mensch einmal nicht Herdentier ist , sondern ein Großes , jetzt stilles , von Lebensruhe nur noch vibrierendes Stück Natur .
Und in dieser heiligen Stunde steht Isolde erstarrt vor der Leiche ihres Schwagers .
Mörderin !
Das Wort schreckt sie nicht .
Sie ist ruhig .
Der Anblick schreckt sie auch nicht .
Ganz wunderlich fühlt sie sich , als wäre sie so gesund wie noch nie .
Sonderbar Das ist das hervorstechendste Gefühl .
Gesund , - stark , - ruhig .
Sie hat Gericht gehalten .
Tief ernst ist sie .
Sie empfindet sich nicht als kleines Lebewesen , als ein Tropfen im Nichts .
Sie steht hier vor dem Toten als der Begriff Weib .
Sie hat einen großen Künstler , einen Geistesmenschen , einen schöpferischen Menschen brutal getötet .
Das beunruhigt sie nicht .
Sie steht hier als eine , die die Hälfte der Menschheit in sich faßt , die Hälfte der Lebenden und Toten , die Hälfte des Riesenreiches der Toten , in das das kleine Häuflein Lebender unausgesetzt hineinschmilzt .
Sie steht hier als der Begriff des ewig bedrückten Weibes , des geistberaubten , unentwickelten Geschöpfes , dem alles geboten werden darf , das alles hinnimmt , waffenlos und rechtlos jeder Erniedrigung gegenüber .
Was sie jetzt getan , wiegt keinen Hauch gegen das , was sie empfindet und überschaut .
Es ist nicht der Rede wert , was sie tat .
Ja , so empfindet sie .
Ihre Seele ist ruhig und vornehm und gelassen .
Sie überschaut alles , weiß , was sie zu tun hat - ist mit allem einverstanden .
Sie will noch einmal der Sonne entgegen wandern und will die Sonne noch einmal aufgehen sehen .
Das denkt sie .
Den kleinen , zierlichen Revolver steckt sie zu sich und verläßt ihr Zimmer ohne zurückzukommen .
Henry Mengersen liegt , wie ein Baum gefällt , der Länge nach im Zimmer .
Er liegt auf dem Gesicht , die Arme weit von sich gestreckt .
Er ist sehr schnell gestorben - ein paar heftige Zuckungen , denen Isolde regungslos vor Entsetzen zugesehen hatte .
Ihr Hirn arbeitet jetzt ruhig und sicher .
Keine Empörung ist in ihr , kein Sträuben .
Am Garten ihrer Freunde will sie noch einmal vorübergehen .
Dahin zieht sie es jetzt unwiderstehlich .
Ein Wunder auch dies !
so kommt es ihr vor - da steht Frau Lu am Gartenzaun , mit dem Rücken gegen die stille Waldstraße .
Sie steht im langen , weißen Nachtgewand mit bloßen Füßen .
Wie es scheint , blickt sie auf ihre Blütenbäume , die in dieser weißlichen Dämmerung unsäglich feinfarbig sich von der Luft abheben , ganz anders als am Tage , als schliefen auch sie und träumten .
Fledermäuschen schwirren - und lassen hin und wieder sonderbar glucksende Tönchen hören .
Es ist so still - so still - leises Vogelgezwitscher .
Das Licht ist gleichmäßig , von keinem Punkte ausgehend .
Eine Ruhe sondergleichen .
Isolde bleibt jetzt stehen und blickt auf die weiße , regungslose Gestalt .
» Was hat sie wohl aus dem Schlafe gescheucht ?
Was tut sie ?
Was denkt sie ?
Steht sie hier , um mir Lebwohl zu sagen ?
Fühlt sie mit ?
Weiß sie ? «
Leise kommt Isolde näher .
" Lu " ruft sie .
" Weshalb bist du denn schon aus ? "
" Isolde , du ! "
Ein verweintes , überwachtes Gesicht wendet sich Isolde zu , dann gehen die beiden Frauen eng aneinanderangeschmiegt in dem von weißem Dämmerlicht übergossenen Garten auf und nieder . -
Lu zaghaft ; ihren bloßen Füßen tun die harten , kühlen Kiesel weh .
Wie still ist_es auf der Insel der Seligen mit ihren schlafenden Frühlingsblumen , ihren Buchenbäumen und Büschen , die alle das junge Laub wie einen zarten Schleier tragen !
Lu flüstert mit von Weinen erstickter Stimme :
" Isolde , bitte Gott , daß du nie einen Menschen liebst . "
" Nein , " sagte Isolde , " das werde ' ich auch nicht . "
" Mein » Guter « sagt : laß deine Liebe wie Schnee sein ; selbst kühl , alles wärmend , was sie berührt .
Das ist erlöste Liebe .
- Du lieber Gott , da müßte man ganz anders werden .
Mich hat heute wieder ein Schrecktraum aus dem Bett getrieben .
Die Todesfurcht für ihn .
Man lebt doch wie vor einer Hinrichtung . "
" Ja , " sagt Isolde mit eigentümlicher Betonung .
" Du bist heute so sonderbar , " sagt Frau Lu .
" Nein - du .
Weshalb gibst du dich dem Schicksal nicht hin ?
Weshalb sträubst du dich wie ein Tier ?
Das ist unvornehm von dir - nein - im Ernst , das ist deiner nicht würdig .
Du lebst neben diesem großen , guten Menschen und jammerst immer .
Und daß sein Werk vielleicht nicht vollendet wird , deshalb quälst du dich .
Du bist eitel !
Das Werk ist in ihm vollendet .
Du bist doch noch Herdentier , Lu. Nein , du mußt ganz anders werden .
Ja , werde du wie Schnee ; gewiß , so sollst du auch lieben .
Man kann nicht wie Schnee verliebt sein - aber lieben - und du liebst ja .
Lu und eins - kümmere dich nicht so viel um ihn - er ist sich ja selbst genug ; beunruhige ihn nicht .
Du bist so begabt , eine von den ungeheuer wenigen Frauen , die ihre Begabung kennen . "
Isolde schlang leidenschaftlich die Arme um ihre Freundin und drückte sie an sich .
" Lu arbeite !
Arbeite dich zu Tode meinetwegen , Lu. Verzehre deine Kräfte in deiner Arbeit , aber nicht in Liebe und Angst .
Sei ein geistiges Geschöpf .
- Gib mir deine Hand und schwöre mir , die Jahre , die du über die Erde zu gehen hast , willst du ehrlich tun was du kannst , " sagte sie warm .
" Zieh die Liebe in dir nicht so unselig groß .
Siehst du , wir Frauen neigen dazu , alles in die Liebe zu legen .
Wir haben die Liebe zu einer Art Untier gezogen , zu einer Bestie .
Sie hat unseren Geist gefressen .
Wir haben uns an ihr arm und dumm gefüttert .
Gib mir deine Hand und schwöre mir , daß du ehrlich tun willst was du kannst mit ganzer Kraft ! "
" Ja , " sagte Lu - " wie du . "
" Ja , wie ich .
Ich tue was ich kann . "
Auf ihrem Gesicht lag eine große Ehrlichkeit und Weltentrücktheit .
Sie war von einer Schönheit , die Frau Lu ganz eigen berührte .
" Du herrliches Kind , " sagte sie .
" Sage das noch einmal , " bat Isolde .
" Weshalb ? "
" Weil ich mich ganz voll davon trinken will , " antwortete Isolde heftig .
" Weißt du , und deinem Guten gib du einen Kuß , wenn er heute Morgen hier hinaus in den schönen Garten kommt , einen Kuß von mir auf seine Stirn und sage ihm .
Jeder Gedanke von ihm soll gesegnet sein .
Und danke ihm für alles , was er mir gesagt hat und was er an mir getan hat .
Und sage ihm , ich gehe jetzt , ganz reingebadet - ganz frei und erlöst und sehe die Sonne aufgehen !
Ade ! "
Frau Lu sah ihr verwundert nach , wie sie mit leichten , fliegenden Schritten den stillen Weg entlang ging und ihren Blicken entschwand .
* Isolde ging in einer wundervollen Extase , in einem ihrer heißgeliebten Seelenräusche , in dem wundervollsten Seelenrausch , den sie je empfunden , durch die weiße Morgenstille .
Jetzt stand sie und lauschte .
Sie lauschte auf die Bewegungen ihrer eigenen Seele .
Es hatte sie ein fremdes , unerträgliches Weh durchzittert , ein Weh , wie es der betäubte Totkranke empfindet , wenn er das Messer des Arztes fühlt , den schneidenden Schmerz wie aus der Ferne , durch die Narkose hindurch , fremd und wie mit ihr unzusammenhängend .
Wem galt es ?
Ihr ?
War es ihr eigenes Weh ?
Und weshalb ?
Isolde begann zu laufen .
» Das muß man abschütteln mit aller Kraft , - sonst frißt sich es ein . «
Und sie lief einen stillen Wiesenweg entlang , lief und lief .
Das Herz schlug ihr , die Pulse klopften und ihre Seele lief auch durch ungemessene Räume- körperlos .
Also dem Tod lief sie zu ?
Ja , und mit ausgebreiteten Armen .
Nein , sie kroch ihm nicht entgegen .
Gottlob !
Das fühlt sie mit Jubel , sie kroch nicht !
Dann hatte sie doch etwas im Leben erreicht .
Dann war sie doch etwas .
Und da war es wieder das wunderbare Gefühl .
Sie empfand sich wieder als der Begriff des ewig bedrückten Weibes , des geistberaubten Weibes , der Sklavin aller Völker .
Und da brach ein Jubel in ihr aus .
" Und habt ihr eine Welt auf mich geworfen - ich breche durch !
Und habt ihr mich verschüttet mit Schutt von Jahrtausenden - ich breche durch ! "
Da mußte sie aufschreien im Kraftgefühl .
Dann barg sie ihr Gesicht in einen vollen , jungen Buchenbusch , der am Wege herrlich entfaltet stand , weich und grün , feucht und flaumig .
Sie kühlte ihr junges Gesicht in seinem duftenden Laub .
Sie wühlte es ganz darin ein , wie in die Freuden der Erde .
" Wie in die Freuden der Erde ! "
Das sagte sie weich und innig .
Dann warf sie sich nieder und küßte den Boden auf dem sie stand .
" Ich komme wieder ! " rief sie laut .
" Ich komme wieder ! "
Und wie im Gebet preßte sie die Hände ineinander .
Ja , sie wollte wiederkommen - und sie mußte wiederkommen .
Das war ihr fester , großer Wille , ihr heiliger Entschluß .
Es gab hier eine Welt dumpfer , dummer , matter Seelen , Halbtierseelen !
Sie wollte einen tiefen Todesschlaf halten , der die Kräfte stählte ; dann wollte sie wiederkehren , stark und rein und gut - und mächtig - alles vermögend , mit der Kraft zu erlösen .
So stand sie unerschütterlich , Herrin über Leben und Tod - in der Wonne ihrer großen Kräfte schon entrückt - und wartete auf die Sonne .
- Rechtsinhaber*in
- Bildungsroman Projekt
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Halbtier!. Halbtier!. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0f4.0