[][][][][[1]]
Der christliche Mann
in
seinem Glauben und Leben.
Von
P. Matthias von Bremscheid,
Priester aus dem Kapuzinerorden.
Dritte Auflage.
Mit kirchlicher Approbation und Erlaubniß der Ordensoberen.
Mainz: Verlag von Franz Kirchheim.1901.
[[2]]
Druck von Joh. Falk III. Söhne, Mainz.

Imprimi permittitur.

[[3]]

Moguntiae, die 28. Junii 1887.

            C. A. OHLER,
Can. Cap. eccl. cath. Mog. et Cons. Eccl.

Permittimus, ut opusculum cui titulus:‘„Der christliche
Mann in seinem Glauben und Leben“’
, servatis de jure
servandis, denuo typis mandetur
.

Romae, die 10. Junii 1901.

Fr. Bernardus ab Andermatt
      Min. Gener. Ord. Capuc.
[interleaf]

Vorwort

[V]

Die günstige Beurtheilung, welche meine beiden
Schriften ‘„Die christliche Familie“’ und ‘„Die sociale
Bedeutung der katholischen Kirche“’
gefunden, hat
mich ermuthigt, ein Wort auch an unsere christlichen
Männer zu richten. Ist es immer wichtig, daß ge-
rade die Männer ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen,
so ist dies doch in unseren Tagen, wo ein so heißer
Kampf gegen die Religion und die höheren Güter
der Gesellschaft geführt wird, doppelt wichtig und
nothwendig. Möge dieses Büchlein nun dazu bei-
tragen, daß der eine oder andere Mann Christus
und seiner Kirche um so treuer anhange und mit
heiliger Begeisterung Gutes wirke auf dem Posten
und in dem Kreise, in den Gott ihn gestellt hat.
Ich hatte bei Abfassung desselben nicht Ungläubige,
sondern gläubige Christen im Auge, die im Glauben
und christlichen Leben nur gestärkt und gehoben wer-
den sollten. Daß einigemal ein und derselbe
Gedanke an verschiedenen Stellen hervorgehoben
wird, ließ sich nicht vermeiden, wird aber auch um
so weniger auffallen und störend wirken, da das
[VI] Ganze ja nicht auf einmal gelesen werden soll. Der
Mann, welcher seine Pflichten liebt und in Demuth
ringt, sie treu und gewissenhaft zu erfüllen, läßt sich
gerne wiederholt an dieselben erinnern. So möge
denn Gott, der Geber alles Guten, diese Zeilen
reichlich segnen auf die Fürbitte des heiligen Joseph,
des Patrones und schönsten Vorbildes unserer christ-
lichen Männer.

Der Verfasser.

Inhaltsverzeichniß.

[[VII]]

Seite

  • I. Der Mann und die Religion 1
  • II. Unser Glaube an Gott 28
  • III. Wir sind für die Ewigkeit erschaffen 52
  • IV. Jesus Christus – unser Gott 67
  • V. Die wunderbare Größe der katholischen Kirche 90
  • VI. Der Sonntag in seiner Bedeutung 124
  • VII. Der Mann und die Menschenfurcht 150
  • VIII. Der christliche Mann in der Familie 171
  • IX. Der Mann und die Unmäßigkeit 205
  • X. Der Mann und das Geld 228
[interleaf]

I.
Der Mann und die Religion.

[1]

Ueberall, wo es sich um wichtige und große Dinge
handelt, sehen wir den Mann an der Spitze stehen.
Drohen einem Lande große Gefahren von einem äußeren
Feinde, so regt sich mächtig in der Brust des Mannes
die Liebe und Begeisterung für das Vaterland; er
verläßt das Theuerste, was er hienieden besitzt, Vater
und Mutter, Frau und Kind, greift zum Schwerte und
zieht muthig in den Kampf gegen den verderbendrohen-
den Feind. Die Männer retten in dieser Zeit der Ge-
fahr das Vaterland und bewahren es durch ihren Muth,
durch ihre Strapazen, durch ihr Schwert und Blut vor
Schmach und namenlosem Elende. Aber auch zur Zeit
des Friedens sind es die Männer, die überall ein-
greifen, wo es sich darum handelt, große Thaten zu
vollbringen und Segen zu verbreiten. Männer sind es,
die im Namen und mit der [Auctorität] Gottes die Völker
lenken und regieren; Männer sind es, die im Rathe der
Fürsten sitzen und ihnen mit ihrer Einsicht und Erfahrung
zur Seite stehen; Männer sind es, die in unseren hohen
[2] und niederen Schulen die Wissenschaften lehren; möch-
ten sie es auch nur immer im rechten Geiste thun.
Männer sind es, in deren Händen gewöhnlich die In-
dustrie ruht und die durch ihre nützlichen Erfindungen,
man möchte sagen, die Länder näher an einander ge-
rückt haben; Männer, die selbst dem stürmischen, unbe-
zähmbaren Meere Trotz bieten und dasselbe zwingen,
ihre Schiffe, reich beladen mit Waaren, in fremde Län-
der zu tragen. Ueberall stehen so die Männer an der
Spitze; überall geben sie den Ton an, üben sie ihre
Herrschaft aus. So ist es auch recht; so will es der
Schöpfer. Darum hat er die Männerwelt ausgestattet
mit Einsicht und Verstand, mit Muth und Kraft, mit
Thatendrang und Energie.

Nur ein Gebiet gibt es, wo viele, ja unzählig
viele Männer nicht an der Spitze stehen, nicht den An-
dern mit ihrem eifrigen Beispiele vorangehen wollen.
Und doch ist die Pflege dieses Gebietes so enorm wich-
tig für den einzelnen Menschen und die ganze Gesell-
schaft. Was ist das für ein Gebiet? Es ist die Reli-
gion. Es ist ein höchst verhängnißvoller Irrthum, wenn
man glaubt, die Männer brauchten sich um Religion
nicht viel zu kümmern. Alle höheren Güter der Gesell-
schaft werden durch diesen Irrthum geschädigt. Gerade
die Männer sollen viel auf Religion halten. Sind die
Männer treu unserer heiligen Religion ergeben, so ist
das ein reicher Gewinn für sie selbst, für die
Familie, für Kirche und Staat
.

1.

[3]

Es ist zunächst ein reicher Gewinn für die Männer
selbst, wenn sie treu unserer heiligen Religion er-
geben sind.

1. Es ist nur zu bekannt, daß auch die Männer
ihre Leidenschaften und zwar starke, heftige, glühende
Leidenschaften besitzen können. Wollte man dies leugnen,
jeden Tag würde uns die Erfahrung Beweise dafür
bieten. Sie würde uns heute einen Mann zeigen, den
die Leidenschaft des Zornes ganz und gar beherrscht,
der bei jeder kleinen Unannehmlichkeit gleich aufbraust,
Feuer und Flamme wird und so seinen Angehörigen
manche bittere Stunden bereitet. Morgen würde sie
uns auf einen Mann hinweisen, der dem niedrigsten
und schmutzigsten Geize ergeben ist und darum seiner
Gattin, seinen Kindern, ja sich selbst nicht einmal die
nothwendige Nahrung und Kleidung gönnt. Hier würde
sie auf einen Mann aufmerksam machen, welcher von
einer unreinen Leidenschaft gefesselt ist und die eheliche
Treue, die er in feierlicher Stunde am Altare gelobt
hat, schnöde bricht und dadurch namenloses Weh in das
Herz seiner treuen Lebensgefährtin hineinsenkt. Dort
würde sie uns einen Mann zeigen, der nur thörichten
Unsinn redet und sich benimmt wie ein verstandloser
Knabe, weil er in Folge seiner Trunkenheit keines ver-
nünftigen Gedankens mehr fähig ist. Also Leiden-
schaften können die Männer besitzen. Unser eigenes
Herz und die Erfahrung sagen uns das jeden Tag.

[4]

Macht nun aber die Leidenschaft, die unbezähmte
Leidenschaft den Mann glücklich, hebt und adelt sie ihn?
Wer in der ganzen Welt möchte das behaupten? Hat
je die Unmäßigkeit, die Trunksucht einen Mann glück-
lich gemacht und ihm Ehre und Würde verliehen?
Nein; bis in den Staub der Straße, bis unter das
unvernünftige Thier erniedrigt sie die Männer. Hat
je die Unlauterkeit Heil und Frieden dem Herzen des
Mannes geschenkt? Nein, mit Unrath und Schmutz,
mit Oede und Leere, mit Unfrieden und Verwirrung
füllt sie es an. Jede Leidenschaft treibt ihre scharfen
Dorne in das Herz des Mannes und macht seinen
Lebensweg zu einem Dornenweg; jede Leidenschaft reißt
dem Manne die Herrscherkrone, das Diadem seiner
Würde, mit dem der Schöpfer ihn geschmückt hat, vom
Haupte und macht ihn zum Sclaven. ‘„Wer Sünde
thut, ist ein Sclave der Sünde
“’
(Joh. 8, 34).

Will der Mann nun vernünftig sein, will er wahre
Selbstliebe besitzen, so muß er Alles achten und hoch-
schätzen, was ihm die Leidenschaft überwinden hilft.
Das thut aber vor Allem unsere heilige Religion. Ist
es denn nicht unsere heilige Religion, die uns beständig
ermahnt, daß wir wachen über unser Inneres, daß wir
streiten gegen unsere bösen Neigungen, daß wir ja
keinen Frieden mit denselben schließen? Ist es nicht
unsere heilige Religion, die uns darum so oft erinnert
an die tief ernsten christlichen Wahrheiten, an die Heilig-
keit und Gerechtigkeit Gottes, an Tod, Gericht und
Ewigkeit, und die, um uns anzuspornen zum beharrlichen
[5] Kampfe gegen das Böse in unserem Innern, uns be-
ständig hinweist auf das hehre, vollkommene Leben
Jesu und das Beispiel der Heiligen, die auch zu kämpfen
hatten wie wir, aber mit Gottes Gnade herrliche
Siege davon trugen und nun für alle Ewigkeit mit der
himmlischen Krone geschmückt sind? Ist es nicht unsere
heilige Religion, unsere theuere Kirche, die uns nicht
bloß zum Kampfe ermahnt und aufmuntert, sondern
auch durch ihre reichen Gnadenmittel, besonders durch
ihre heiligen Sakramente himmlische Kraft und Stärke
in unser schwaches, zaghaftes und wankelmüthiges Herz
hineinsenkt, die uns ermunternd und stärkend zur Seite
steht, uns lenkt und leitet in diesem Kampfesleben?
So hat die Kirche tausend und tausend Jünglinge und
Männer vor großen Verirrungen bewahrt und tausend
und tausend andere von ihren Verirrungen wieder
zurückgebracht. Ein christlicher Mann, der wirklich Reli-
gion besitzt, nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich,
ist nie und nimmer ein willenloser Sclave seiner Leiden-
schaften. Er mag wohl manche Schwierigkeiten und An-
fechtungen zu bestehen, manche harte Kämpfe durchzu-
machen haben, aber er kämpft doch wirklich und schließt
keinen Frieden mit seinen bösen Neigungen. Und hat
er im Kampfe etwa eine Wunde erhalten, so weiß er in
seinem heiligen Glauben Heilmittel für dieselbe zu finden.

2. Unsere christliche Religion veredelt und
stärkt ferner den Charakter des Mannes
.
Unter Charakter versteht man die durch die Energie des
Willens erworbene Gesinnungs- und Handlungsweise,
[6] die das ganze Seelenleben beherrscht und unerschütterlich
gleichmüßig bleibt. Besonders vom Manne erwartet
man einen edlen und festen Charakter. Mag er noch
so herrliche Talente, noch so schöne Kenntnisse besitzen,
ist er aber ein grundsatz- und charakterloser Mann, so
wird er nie seine Stellung ganz ausfüllen, so wird statt
Segen nur zu leicht Fluch und Verderben von seinem
Leben und Wirken ausgehen. Der Mann darf wahr-
haftig nicht gleich sein dem Schilfrohr oder dem nied-
rigen Weidenbusche, den der Wind behandelt, wie er will,
und der sich tief, möglichst tief beugt, wenn nur ein
kleiner Sturm über ihn hinfährt; er soll vielmehr der
starken, kräftigen Eiche ähnlich sein, die eine Zierde
unserer deutschen Wälder ist. Die Eiche ist kein nied-
riges Gestrüpp; sie erhebt frei und frank ihre Krone in
die Höhe, gegen Himmel und zur Sonne empor. So
soll auch der Mann mit seinem Denken und Wollen
nicht im Staube kriechen, sondern frei und frank, ohne
alle Scheu und Furcht mit seinem ganzen Leben in die
Höhe, nach Gott und dem Himmel emporstreben. Die
Eiche steht stark und unerschütterlich fest da. Stürme
und Unwetter ziehen Tage lang über sie dahin, toben
wild um ihre herrliche Krone, schütteln und rütteln
zornig an ihren Blättern und Zweigen, doch der mäch-
tige Stamm der Eiche steht ruhig und unbeweglich da
wie an einem stillen und schönen Sommermorgen; er
läßt sich nicht beugen und entwurzeln, nur tiefer in den
Boden senkt er in allen Stürmen seine Wurzeln. So
soll auch der christliche Mann dastehen; er soll fest
[7] bleiben in seinen guten Grundsätzen und unerschütterlich
treu halten zur erkannten guten Sache, auch bei Hinder-
nissen und Chikanen, auch bei Beleidigungen und Ver-
folgungen, auch in Stürmen und Unwettern. Aber bei
aller Stärke und Festigkeit ist die große, kräftige Eiche
doch ein gar lieber und freundlicher Baum. An ihren
Blättern trägt sie keine scharfen Dornen und Stacheln,
welche die Hand verletzen und blutig verwunden; die
Eicheln, die sie hervorbringt, sind nicht der Art groß
und schwer, daß man ihr herabfallen zu fürchten hätte.
Sie breitet ihre grünen Aeste weit aus und winkt mit
denselben dem müden Wanderer, zu kommen und in
ihrem kühlen Schatten auszuruhen; sie schützt ihn wie
vor den sengenden Strahlen der Sonne, so auch vor
Sturm und Hagelwetter. Das Alles ist ein Bild des
echten, wahren Mannes, der bei aller Entschiedenheit
und Festigkeit in seinen Grundsätzen, bei aller Zähig-
keit und Energie in seinem Handeln kein herzloser
Tyrann, kein wilder störrischer Mensch ist, sondern
theilnehmend und freundlich, liebevoll und zuvorkommend
sich zeigt und so durch sein Leben und Wirken weithin
Glück und Freude, Heil und Segen verbreitet.

Nun frage ich: Besitzt nicht gerade unsere christliche
Religion die Fähigkeit, in dieser Weise den Charakter
des Mannes zu veredeln, ihm Stärke und Festigkeit
zu geben und ihm zugleich alles Rauhe und Herbe
zu nehmen? Unser heiliger Glaube leitet den Mann
ja an, das Gute unter allen Umständen zu thun, mag
es ihm nun Anerkennung oder Haß, Lob oder Tadel
[8] eintragen. Er leitet ihn an, bei seinem Thun und
Lassen nicht auf die Gunst launenhafter Menschen hin-
zusehen, sondern auf das Wohlgefallen des ewigen, un-
veränderlichen Gottes, der ihn nach dem Tode richten
wird. Unser Glaube ruft ihm die ernsten Worte
unseres göttlichen Heilandes zu: ‘„Wer sich mei-
ner und meiner Lehre schämt, dessen wird
sich auch der Menschensohn schämen, wenn
er kommen wird in seiner Herrlichkeit
“’
(Luk.
9, 26) und die andern Worte des Apostelfürsten:
‘„Man muß Gott mehr gehorchen als den
Menschen
“’
(Apostelgesch. 5, 29). Mit dieser Auf-
forderung zur Festigkeit verbindet unsere Kirche dann
die Gnade Gottes; sie legt in den Sakramenten himm-
lische Kraft in das schwache und unstete Menschenherz,
daß es stark und fest, muthig und ausdauernd werde.
Darum ist der christliche Mann, der wahrhaft Religion
besitzt, keine leichte Wetterfahne, die sich von Außen ihre
Richtung geben läßt, ist nicht wie Espenlaub, das bei
jedem leichten Windhauche zittert, sondern er gleicht dem
unbeweglichen Berge Sion, wie es in einem Psalme
so schön heißt. Zum Beweise dafür könnte man hin-
weisen auf die zahllosen Märtyrer, die nicht durch die
Qualen der Folter, nicht durch die Flammen der
Scheiterhaufen, nicht durch die Wuth der wilden Thiere
in ihrer Ueberzeugung sich beirren ließen; man könnte
aufmerksam machen auf so viele Bekenner der früheren
Zeiten, die um der guten Sache willen manche Drang-
salen erduldeten, freudig in den Kerker gingen oder in
[9] die harte Verbannung wanderten. Doch der Kürze
halber will ich bloß mit wenigen Worten auf zwei
Männer hinweisen, die in gar schwieriger Lage eine ganz
seltene Charakterfestigkeit an den Tag gelegt haben.

Der eine war Thomas Morus, welcher bekanntlich
unter Heinrich VIII. in England lebte. Er war nach
dem Könige der angesehenste Mann im ganzen Lande;
er besaß die schönsten Anlagen des Geistes und des
Herzens und verwaltete in vortrefflicher Weise das hohe
Amt eines Reichskanzlers. Doch noch herrlicher stand
er da durch seine christliche Frömmigkeit, durch seine
unbeugsame Standhaftigkeit im katholischen Glauben
und seine unverletzte Treue gegen Gott und seine hei-
lige Kirche. Nichts konnte ihn wankend machen in
dieser Treue, nicht der Zorn und die Drohungen seines
Königs, nicht die Versuche seiner nächsten Angehörigen,
nicht die Bitten und Thränen seiner Gattin, nicht lange
und schwere Kerkerhaft, nicht ein harter und grausamer
Tod. Mit dem Krucifixe in der Hand schritt er muthig
auf das Blutgerüst, blickte ruhig auf die versammelte
Menschenmenge, zu welcher er mit fester Stimme die
Worte sprach: ‘„Ich sterbe als treuer Unterthan des
Königs im echten katholischen Glauben. Betet für mich.“’

Dann band er sich selbst das Tuch um die Augen, kniete
nieder, legte sein Haupt auf den Block und bat scherzend
den Scharfrichter, so lange zu warten, bis er seinen Bart
bei Seite geschoben; denn dieser habe doch keinen Ver-
rath begangen. Mit solchem Muthe und solcher Ruhe
starb dieser große Mann für seine katholische Ueberzeugung.

[10]

Der andere Mann, von dem ich noch sprechen
wollte, war kein Laie, sondern ein Priester, geschmückt
mit der höchsten Würde des Priesterthums; es ist Papst
Pius VII. Von Natur ans war dieser Papst sehr zur
Nachgiebigkeit geneigt; auch nicht die geringste Spur
von Schroffheit und Härte fand sich in seinem Charakter
vor. Und doch welche Festigkeit und Unbeugsamkeit
hat er an den Tag gelegt und zwar einem Manne
gegenüber, vor dem ganz Europa zitterte, auf dessen
Wink die Kronen den Königen vom Haupte fielen.
Pius VII. mit dem sanften, milden, nachgiebigen Cha-
rakter zeigte keine Schwäche und keine Furcht vor dem
mächtigen und siegreichen Manne des Schwertes und
der Schlachten, vor Napoleon 1. Muß er auch fort
aus dem geliebten Rom, wird er auch in die Ver-
bannung geführt, thut nichts, er fügt sich nicht der
ungerechten Forderung des gefürchteten Welteroberers.
Der christliche Glaube hatte den schwachen Papst stark
und unüberwindlich, hatte den milden Pius zu einem
Manne von Stahl und Eisen gemacht.

Doch der Mann darf, soll sein Charakter ein voll-
kommener sein, nicht bloß fest und unbeugsam, nicht
bloß Stahl und Eisen sein, sondern muß mit der
Stärke und Festigkeit Freundlichkeit, Sanftmuth und
Liebe verbinden. Auch dazu verhilft ihm unsere hei-
lige Religion, wenn er nur ernstlich sich von derselben
beeinflussen läßt. Sie mahnt ihn ja, den Zorn und
sein aufbrausendes Wesen zu bekämpfen und sanft-
müthig zu sein, weil die Sanftmüthigen vom Herrn
[11] selig gepriesen werden; Beleidigungen lehrt sie ihn ver-
gessen und verzeihen, damit er von Gott auch Ver-
zeihung seiner Sünden erlange; täglich läßt sie ihn
beten: ‘„Vergib uns unsere Schulden, wie
auch wir vergeben unseren Schuldigern
.“’

Sie sagt ihm, daß er bei Widerwärtigkeiten nicht gegen
Gott murren, unter der Last des Kreuzes sich nicht
ausbäumen darf, sondern dasselbe dem göttlichen Hei-
land in Geduld und Ergebung nachtragen soll gemäß
seiner Aufforderung: ‘„Wer mir nachfolgen will,
der verleugne sich selbst, nehme täglich sein
Kreuz auf sich und folge mir nach
.“’
Und
damit der Mann dazu um so eher und um so besser
im Stande sei, weist die Kirche ihn hin auf die glän-
zende Krone der Vergeltung, die ihm dereinst im Him-
mel zu Theil wird, wenn er sich hier auf Erden recht
in der Selbstverleugnung geübt hat; sie faltet ihm
seine kräftigen Hände und lehrt ihn zum allmächtigen
Gott um Gnade und Stärke bitten; sie führt ihn zum
Mahle der göttlichen Liebe, auf daß er in der heiligen
Communion beim sanftmüthigen Herzen Jesu sich Kraft
hole zum Kampfe gegen sein heftiges und leicht auf-
flammendes Temperament. Hat nicht auf diese Weise
unsere Kirche zahllos viele Männer wahrhaft veredelt,
indem sie ihnen die ganze Stärke und Festigkeit eines
männlichen Charakters gelassen, ja noch vermehrt und
erhöht, dann aber dieselbe gemildert und verklärt hat
durch Demuth, Sanftmuth und tägliche Selbstverleug-
nung? Wer denkt hier nicht an den hl. Paulus,
[12] der einst auf dem Wege nach Damaskus vor Wuth
schnaubte wie ein wildes Ungeheuer und gleich einem
hungrigen Tiger nach Menschenblut lechzte, durch die
Religion Jesu aber zu jenem großen Weltapostel mit
dem weiten, liebevollen Herzen sich heranbildete, der
Allen Alles wurde, um Alle für Christus und den
Himmel zu gewinnen, der wie eine Mutter mit den
Traurigen weinte und wie ein Kind sich freute mit
den Fröhlichen? Wer denkt hier nicht an den bekannten
lieben heil. Franz von Sales, der trotz seiner großen
natürlichen Heftigkeit durch seinen christlichen Glauben
eine ganz seltene und wunderbare Sanftmuth sich an-
eignete, und an den heil. Vinzenz von Paul, der von
Natur herb, finster und abstoßend war, aber in dem
Christentum die Kraft fand, sich selbst vollständig zu
überwinden und jener weltberühmte Engel der christlichen
Nächstenliebe zu werden, dessen Schöpfungen der Barm-
herzigkeit zur Stunde noch tausend und tausend Men-
schenherzen, die von Kummer und Schmerz verwundet
sind, Trost und Linderung bieten? O daß wir Männer
es doch recht erfaßten, wie viel wir durch unsere Reli-
gion für Veredelung und Stärkung unseres Charakters
gewinnen könnten! Dann müßte bald die Klage ver-
stummen, daß die edlen und festen Charaktere in der
Männerwelt immer seltener werden in unseren Tagen.
Denn nur dadurch, daß so viele Männer sich lossagen
von Gott, dem allzeit Unveränderlichen und der ewigen
Liebe, fallen sie ihrer eigenen Schwäche und Selbstsucht
anheim und wird ihr inneres Wesen und ihr äußeres
[13] Leben immer grundsatzloser und gemeiner. Nur Gott,
nur seine Wahrheit, seine Liebe und seine Gnade machen
uns wahrhaft groß, wahrhaft stark und edel, bilden
uns zu Männern im besten Sinne des Wortes.

3. Es steht nach dem Gesagten fest, daß der
Mann für sein ganzes Leben und Wirken durch den
christlichen Glauben nur Vieles gewinnen kann. Wie
nun aber, wenn es mit seinem irdischen Leben zu Ende
geht, wenn das Herz des kräftigen Mannes, das jetzt
so frisch und lebensfroh schlägt, in namenloser Todes-
angst zittert und bebt, und sein Haupt, das jetzt so
kühn und stolz in die Welt hinausschaut, schwach und
todesmüde auf dem Kissen des Sterbebettes liegt? Was
soll ihm dann in diesem ernstesten und wichtigsten
Augenblicke Muth, Kraft und Zuversicht geben? Nicht
die Ehrenstelle, die er mühsam in der Gesellschaft er-
klommen, nicht das einträgliche Geschäft dem er Jahre
lang vorgestanden, nicht das Geld und Gut, das er
auf alle nur mögliche Weise sich erworben hat. Alles
das verliert seinen Glanz beim Lichte der Sterbekerze,
verliert seinen Zauber, wenn Gott sich erhebt, um mit
dem Manne in's Gericht zu gehen. ‘„Reichthümer
nützen nichts am Tage des Gerichtes, aber
Gerechtigkeit befreit vom Tode
“’
(Spr. Sal.
11, 4). Ja, die Gerechtigkeit, ein wahrhaft religiö-
ses Leben befreit vom Tode, vom ewigen Tode. Hat
der christliche Mann in seinem Leben sich den Glauben
als das kostbarste Kleinod sorgfältig bewahrt und nach
den Vorschriften dieses Glaubens Gott treu gedient,
[14] dann kann er auf dem Sterbebette mit Freuden auf
seine Vergangenheit zurückschauen und mit Hoffnung
und Zuversicht seinem Richter entgegengehen. John
Caroll von Carollton, ein großer edler Mann und
Charakter, ein tüchtiger Jurist, der alle einem ameri-
kanischen Bürger offenstehenden Ehrenposten bekleidet
hatte, war ein eifriger, praktischer Katholik. Als er nun
dem Tode nahe war und seine Kinder und Enkel sein
Sterbebett umstanden, sprach er zu ihnen: ‘„Ich habe
96 Jahre gelebt; ich war beständig gesund, war ge-
segnet mit Reichthum, Glück, Ansehen, Sympathie von
Seiten des Volkes und mit Allem, was die Welt ge-
ben kann. Doch was mich am meisten jetzt tröstet, ist
das Bewußtsein, daß ich stets meinen religiösen Ver-
pflichtungen nachgekommen bin, daß ich stets aufrichtig
bemüht war, meinem Gott treu zu dienen.“’

Männer, die ihr diese Zeilen leset, möget ihr einst
alle mit einer ähnlichen Zuversicht dem Tode in's An-
gesicht schauen und vor euern ewigen Richter hintreten
können!

2.


Es ist ferner für die ganze Familie ein großer
Gewinn, wenn der Mann treu unserer heiligen Reli-
gion ergeben ist. Der Mann ist das Haupt der Familie.
Ist das Haupt krank, so können die stärksten Arme
und die besten Füße diesen Schaden dem Körper nicht
ersetzen; sind die Funktionen des Gehirns gestört und
ist das Haupt dem Wahnsinn verfallen, so ist der ganze
Mensch nicht mehr zurechnungsfähig, sein ganzes
[15] Denken und Handeln und Leben hat für ihn und für
Andere seine Bedeutung verloren. Welch' eine Wohl-
that dagegen ist für den Menschen, für sein Leben und
Wirken ein gesundes Haupt, ein klarer, tüchtiger Kopf!
Aehnlich ist es auch mit der Bedeutung des Hauptes
in der Familie. Krankt dieses Haupt in sittlicher und
religiöser Beziehung, d. h. ist der Mann schlecht und
verdorben, will er von Gott und seiner Religion nichts
wissen, so ist das ein Unglück für die Familie, das
man nicht genug beweinen kann; überaus nachtheilig
und traurig für alle Glieder sind die Folgen eines
solchen Unglückes. Glücklich dagegen die Familie, an
deren Spitze ein Haupt, ein Mann nach dem Herzen
Gottes steht, ein Mann, der Allen im Hause voran-
leuchtet durch seine Treue gegen Gott und seine Kirche,
durch seine Treue in Erfüllung all' seiner Pflichten.
Unberechenbar ist der Segen, der von ihm über sein
ganzes Haus ausgeht.

1. Es gewinnt zunächst durch die Religiosität des
Mannes seine Gattin und zwar zuerst für ihr
eigenes religiöse Leben. Ein Jeder, der auch nur ober-
flächlich in's Leben geschaut, weiß, wie wichtig es ist,
daß gerade die Frau des Hauses, die Mutter der
Kinder einer Familie tief religiös und wahrhaft fromm
sei. Eine solche Frau und Mutter ist für den Mann
eine besorgte und liebevolle Lebensgefährtin, die ihm
treu und beglückend zur Seite steht, ist für die Kinder
wie ein sichtbarer Schutzengel, der für ihr zeitliches und
ewiges Wohl Sorge trägt, ist für das ganze Haus wie
[16] ein höheres, übernatürliches Wesen, das für Alle und für
Alles Interesse besitzt. Von ihr sagt selbst der heilige
Geist in der Schrift: ‘„Gnade über Gnade ist
ein heiliges und schamhaftes Weib
“’
(Sir.
26, 19). Das wissen selbst Männer, die für ihre
eigene Person sich nicht viel um Religion kümmern;
gern führen sie die Worte im Munde: Die Religion
ist gut für die Frauen. Daher kommt es auch oft
vor, daß solche irreligiöse Männer ihre eigenen Töchter
Klosterfrauen zur Erziehung übergeben. Sie haben es
mehr wie einmal erfahren, daß ein Weib ohne Reli-
gion ein Weib ohne sittlichen Halt, ohne Opfergeist
und ohne Tugend, daß es eine Plage und ein Ver-
derben für den Mann und die Kinder, für die Familie
und die Gesellschaft ist. Ja, die Religion besitzt eine
hohe Bedeutung für das weibliche Geschlecht.

Das weibliche Geschlecht aber, die Frauen und Jung-
frauen werden nicht auf die Dauer wahrhaft religiös
bleiben, werden nicht auf die Dauer durch gediegene
Frömmigkeit reichen Segen verbreiten, wenn die
Männerwelt mehr und mehr der Religion entfremdet
wird. Zum Beweise dafür kann ich mich einfach auf
die tägliche Erfahrung berufen. Da lebt eine Jung-
frau, die alles Lob verdient; sie kommt eifrig ihren
religiösen Pflichten nach und fühlt sich glücklich dabei;
sie ist wirklich tugendhaft; man kann ihr keinen Vor-
wurf machen. Eines Tages nun tritt sie mit einem
jungen Manne zum Brautaltare, um mit ihm den
Ehebund zu schließen. Sie ist im Augenblicke von dem
[17] besten Willen beseelt; sie hat die schönsten Vorsätze ge-
faßt. Doch wartet nur zehn Jahre und ihr werdet sie
kaum mehr wieder erkennen. Ihr religiöser Eifer ist
geschwunden; das Gebet bereitet ihr keine Freude mehr;
sie macht sich kein Gewissen mehr daraus, am Sonn-
tage aus den leichtfertigsten Gründen die heilige Messe
zu versäumen; ja die Unglückliche ist vielleicht so weit
gekommen, daß sie über religiöse Ceremonien und Ge-
bräuche, über Gebet und Frömmigkeit höhnt und spottet.
Woher nun diese Veränderung? Der junge Mann,
dem sie vor Jahren in seliger Hoffnung am Altare
ihre zitternde Hand zum Lebensbunde gereicht, war
innerlich der christlichen Religion entfremdet. Er hatte
das seiner Braut sorgfältig zu verbergen verstanden;
doch bald nach der Eheschließung macht er kein Ge-
heimniß mehr daraus. Es war für die junge Frau,
als sie dies zum erstenmale erfuhr, ein großer Schmerz;
sie besaß sogar den Muth, ihm liebevolle Vorstellung
darüber zu machen. Ein verächtliches Lächeln und eine
spöttische Bemerkung war die Antwort, und als sie
nach einiger Zeit bei passender Gelegenheit wiederum
eine schüchterne Mahnung an ihn wagte, wurde sie kurz
und scharf abgewiesen. Seitdem hat sie nie mehr einen
ähnlichen Versuch gemacht; sie wollte ihrem Manne nicht
mehr lästig fallen. Ihr Schmerz über seine Irreligio-
sität nahm nach und nach ab; ihr eigener Eifer wurde
mit jedem Monate schwächer; aus falscher Liebe zum
Manne unterließ sie bald diese, bald jene religiöse
Uebung und schließlich denkt und lebt sie wie er.

[18]

Ja weil das Weib von Natur schwächer ist als der
Mann, blickt es gern zu ihm wie zu einer Auctorität
auf, denkt gern wie er, lebt und handelt gern nach
seinem Wohlgefallen. Sind darum die Männer irreli-
giös, so werden auch die Frauen mit der Zeit sicher
träg und gleichgiltig in Bezug auf ihre religiösen
Pflichten. Treten dagegen die Männer überall mit
Eifer ein für Gott und seine heilige Sache, erweisen
sie sich als gute, treue Söhne der Kirche, dann wird
das weibliche Geschlecht nicht bloß in gewöhnlicher Weise
religiös sein, sondern es wird einen besondern Eifer
für Gott und die Tugend an den Tag legen. Ganz
mit Recht sagt der bekannte Kolping: ‘„Die Männer
müssen wir zuerst haben, die Frauen kommen dann
von selbst.“’

Die Frau gewinnt ferner durch die Religiosität des
Mannes an Liebe zu demselben. Der Mann verlangt
Liebe von seiner Gattin, wahre, treue, opferwillige
Liebe. Wahre Liebe aber setzt Achtung und Hochschätzung
voraus. Ohne diese ist die Liebe nur ein Strohfeuer,
das bald erlischt und von dem nur etwas kalte Asche
übrig bleibt. Will der Mann, daß seine Gattin ihn
bis zum Lebensende liebe, so muß er dafür sorgen,
daß er ihr nie Ursache gebe, ihn zu verachten, sondern
daß sie stets mit Hochachtung zu ihm aufschaue. Nun
frage ich aber alle christlichen Männer: Müssen euere
Frauen euch nicht überaus hochachten, wenn sie
sehen, daß ihr im Guten feststeht wie der Fels im
Meere, daß ihr durch Nichts, nicht durch freisinnige
[19] Kameraden, nicht durch Zeitschriften und Tagesblätter,
nicht durch Lügen und Verleumdungen, nicht durch
Verheißungen und Drohungen euch irgend wie
beirren lasset, wenn sie täglich sehen, wie ihr treu
und gewissenhaft den Weg der Pflicht und der Tugend
wandelt? Werden dann nicht euere Frauen mit großer
Bewunderung, mit inniger Liebe, ja mit freudigem
Stolze zu euch ausblicken? Denn die christliche Gattin
liebt um so stärker und inniger ihren Gatten, je mehr
sie hoffen darf, dereinst auch in ewiger Liebe dort oben
im Himmel mit ihm vereinigt zu werden. Aber auch
die andere Frage stelle ich an die christlichen Männer:
Kann man sich noch wundern, daß aus so vielen Ehen
die wahre Liebe und der goldene Frieden geschwunden,
daß so manche Frauen keine Achtung und keine rechte
Liebe mehr zu ihren Männern fühlen, da diese Männer
in ihrem Herzen keine Faser mehr für ihren unend-
lichen Gott besitzen, da sie Tag für Tag durch ihre
Gottlosigkeit, durch ihr niedriges und gemeines Denken
und Handeln sich als ehrlos und verachtungswürdig
hinstellen? Seid und bleibt tugendhafte und tief
religiöse Männer, und ihr werdet alle Tage eueres
Lebens den ersten Platz der Achtung und der Liebe in
dem Herzen euerer Gattin einnehmen.

Noch ein dritter Nutzen geht aus der Religiosität
des Mannes für das Weib hervor. Sie wird um so
freudiger und besser ihren wichtigen Beruf erfüllen, je
tüchtiger und religiöser ihr Mann ist. Zwar ist der
Beruf des Weibes ein mehr stiller und bescheidener als
[20] der des Mannes; aber gerade von diesem ruhigen,
stillen und bescheidenen Wirken fließt eine ganze Fülle
von Segen auf die Familie und die Gesellschaft. Oft
steht still und unscheinbar eine Blume auf der Wiese
oder am einsamen Waldwege; sie besitzt keine Farben-
pracht, keinen duftenden Wohlgeruch, keine auffallende
Größe; darum beachtet sie der Wanderer nicht und
tritt sie mit Füßen. Und doch ist diese stille, unschein-
bare Blume viel werthvoller als manche andere, die in
großer Farbenpracht am Fenster der Vornehmen steht
und die Blicke der Vorübergehenden auf sich zieht; denn
sie besitzt eine Heilkraft, die schon vielen Kranken die
kostbare Gesundheit wieder geschenkt hat. Nicht immer
ist das, was am meisten in die Augen fällt, auch das
Bedeutendste und Einflußreichste. Obgleich ein ruhiger
und stiller, ist der Beruf des Weibes in der Familie
ein äußerst wichtiger. Doch der Segen, der von dem-
selben ausgeht, ist um so größer, je freudiger und
opferwilliger das Weib seinen Pflichten nachkommt.
Werden die Frauen aber nicht dann um so eher treu
ihrem Berufe entsprechen und all' die vielen Mühen
und Beschwerden, die derselbe mit sich bringt, gern
und willig auf sich nehmen, wenn ihre Männer wirklich
wahre, ganze Männer sind, Männer, welche die
Religion wirklich geläutert und veredelt hat und noch
beständig zum Guten aneifert? Dann werden die Frauen
ihr höchstes Glück darin finden, für solche Männer und
ihre Kinder leben und sich opfern zu können. Mancher
Mann könnte so leicht glücklich, recht glücklich in seiner
[21] Familie leben, wenn er nur einmal ernstlich anfangen
wollte, ein eifriger Christ und treuer Sohn der Kirche
zu sein; aber der Arme weiß in seiner Blindheit nicht,
was ihm zum Heile dient.

2. Eine große Wohlthat ist ferner die Religiosität
des Mannes, des Vaters für die Kinder. Für die
Erziehung der Kinder ist zunächst von Bedeutung, daß
beide Eltern, Vater und Mutter, in Einheit zusammen-
wirken. Nie wird ein großes, schönes, bequemes Wohn-
haus entstehen, wenn die Arbeiter nicht nach einem
einheitlichen Plane bauen, wenn der eine die Steine
so legt, der andere aber wieder anders. So kann auch
nur dann aus den Kindern etwas Rechtes werden,
wenn Vater und Mutter in Einheit mit einander leben
und wirken, zumal wenn sie im Wichtigsten, in der
Religion, mit einander harmoniren. Wie kann die
Erziehung der Kinder gedeihen, wenn der Vater durch
seinen Unglauben oder durch das Beispiel der religiösen
Gleichgültigkeit niederreißt, was eine brave Mutter
mit Mühe aufgebaut hat? Wie kann man das eine
gute und glückliche Erziehung nennen, wenn die Mutter
mit ihren christlichen Bestrebungen allein dasteht, wenn
die Kinder nicht gehoben und getragen werden durch
das erbauende Beispiel des Vaters? Gerade das Leben
des Vaters soll der erziehenden Thätigkeit der Mutter
Halt und Stütze, Kraft und Auctorität verleihen;
gerade das Beispiel des Vaters soll gleichsam die
sichere, starke Mauer sein, an der die Kinder, besonders
die Söhne hoffnungsvoll heranwachsen, wie der Epheu an
[22] der festen Burgmauer sich emporrangt. Das gute
herrliche Beispiel eines tüchtigen christlichen Vaters ist
für die Kinder mehr werth als ein großes Vermögen,
das er ihnen hinterläßt.

Ein berühmter, weiser Mann des Alterthums wurde
ungerecht verfolgt, seines Vermögens beraubt und in
den Kerker geworfen, in dem er längere Zeit schmachtete;
endlich kam es mit ihm zum Sterben. Seine An-
gehörigen durften ihn noch einmal vor seinem Tode
besuchen; schluchzend und weinend standen in tiefem
Schmerze die Kinder um das ärmliche Sterbelager des
geliebten Vaters. Auch diesem floß das Herz über vor
Kummer und Weh; besonders hart war es ihm, daß
er seine theuern Kinder so arm zurücklassen, daß er
ihnen nichts als Erbe schenken konnte. Doch bald faßte
er sich wieder und sprach: ‘„O meine Lieben, ich ver-
mache euch das Bild meines Lebens.“’
Glücklich, zehn-
mal glücklich die Kinder, die einen Vater besitzen, dessen
Leben für sie immer der Spiegel und das Vorbild
eines wahrhaft christlichen und Gott wohlgefälligen
Lebens sein kann; er hinterläßt ihnen eine bessere und
schönere Erbschaft, als wenn er einem jeden von ihnen
zehntausend Pfund Gold hinterlassen hätte.

Noch Eines sollten die christlichen Männer und
Väter nicht vergessen. Ein Vater, der treu und ge-
wissenhaft seine religiösen Pflichten erfüllt und in jeder
Beziehung ein tugendhaftes Leben führt, zieht dadurch
den Segen Gottes auf seine Kinder herab. Das ist
eine Wahrheit, die uns durch das untrügliche Wort
[23] der heiligen Schrift bezeugt wird. ‘„Ich bin der Herr,
dein Gott, ein starker eifernder Gott, der
die Missethaten der Väter bis in das dritte
und vierte Geschlecht an den Kindern straft
,
bei denen, die mich hassen, der aber Barm-
herzigkeit erweist bis in das tausendste
Glied an denen, die mich lieben und meine
Gebote halten
“’
(II Mos, 20, 5-6). ‘„Generatio
rectorum benedicetur
“’
‘„Die Nachkommenschaft
der gerechten Väter wird gesegnet werden
“’

(Ps. 111). Sind das nicht Worte, die einen tiefen
und mächtigen Eindruck auf das Herz eines jeden
christlichen Vaters machen und ihn nachhaltig anspornen
sollten, mit allem Eifer nach christlicher Tugend und
Vollkommenheit zu streben? Denn wo ist auf Erden
ein Vater, der nicht gerne seine Kinder, für die er
lebt und arbeitet, vom Himmel gesegnet und zwar
reichlich gesegnet sehen möchte? Und ist es nicht das
tröstlichste Bewußtsein, das einen Vater im Alter be-
seelen kann, wenn er sieht, daß seine Kinder auf all'
ihren Lebenswegen vom Segen Gottes begleitet werden?

3.


Sind die Männer eifrig in Erfüllung ihrer reli-
giösen Pflichten, so ist das endlich ein reicher Gewinn
für Kirche und Staat. Nur in aller Kürze wollen
wir das betrachten.

Die Kirche ist eine göttliche Anstalt, und als solche
verdankt sie ihre Kraft dem göttlichen Heilande, der ihr
[24] Stifter und unsichtbares Oberhaupt ist und sie durch
den heiligen Geist wunderbar erhält und regiert. Nicht
von großen Männern hat sie in Zeiten schwerer Drangsale
und blutiger Verfolgungen ihre unüberwindliche Stärke
erhalten, die sie siegreich und verjüngt aus allen Ge-
fahren und Kämpfen herausgeführt hat. Nur zu oft
waren es im Gegentheil gerade die Männer und zwar
die angesehensten, die einflußreichsten, die mächtigsten
Männer, die in wüthendem Hasse gegen die Kirche an-
stürmten und sie vom Erdboden vertilgen wollten. Durch
göttliche Kraft also und nicht durch den Beistand und
die Hilfe der Menschen besteht die Kirche. Doch die
Kirche ist auch eine menschliche, sie ist eine gottmensch-
liche Anstalt; als solche kann sie durch Menschen
Manches gewinnen oder verlieren. Ein reicher Gewinn
nun ist es für sie, wenn die Männer ihr treu ergeben
sind und sich auszeichnen durch ihren religiösen Eifer.

Die Kirche gewinnt dadurch zunächst an Freuden.
Eine irdische Mutter freut sich, wenn ihre Töchter
sich auszeichnen durch ein gutes Betragen und ihr stets
Liebe und kindliche Anhänglichkeit bewahren; doch ihre
Freude ist besonders groß, wenn die Söhne, welche
draußen in der verführerischen Welt leben und dort
tausend und tausend Gefahren ausgesetzt sind, trotzdem
mit den Töchtern wetteifern in ernstem Tugendstreben
und treuer Ergebenheit gegen die Mutter. Aehnlich
ist es auch mit unserer heiligen Kirche. Sie empfindet
eine innige Freude über die Frömmigkeit der Frauen
und Jungfrauen; sie weiß ja, wie viel Gutes sie
[25] derselben zu danken hat. Doch noch größer ist ihre
Wonne, höher schlägt in mütterlicher Freude ihr Herz,
wenn sie sieht, daß ihre Söhne, daß die Männer mitten
in einer christusfeindlichen Welt mit Begeisterung ihr
ergeben sind, daß sie überall sich bewähren als gute,
eifrige Katholiken. Das ist besonders in ernsten,
schweren Tagen für sie ein Trost, der sie für manche
Bitterkeit und manchen Schmerz entschädigt.

Die Kirche gewinnt ferner durch die Religiosität
der Männer an Ehren vor der Welt. Vortreffliche
Söhne winden allein schon durch ihr Leben den
schönsten Ehrenkranz um das Haupt der Mutter. Nach
Jahrtausenden steht die maccabäische Mutter noch vor
uns im hellsten und schönsten Glanze der Ehre und
des Ruhmes wegen ihrer herrlichen Heldensöhne. So
sind auch tüchtige Männer, die ihre religiösen und
anderen Pflichten gewissenhaft erfüllen, die größte Ehre
für ihre geistige Mutter, die heilige Kirche, sind ihre
beste Lob- und Vertheidigungsrede, die uns in leben-
digem Beispiele ihre göttliche Schönheit und Kraft
zeigt. Ein heil. Ludwig, der durch seine Frömmigkeit
und segensreiche Regierung den französischen Königs-
thron so sehr zierte, ein Thomas Morus, der in Folge
seiner religiösen Gesinnung eine ganz seltene Pflicht-
treue und Charakterstärke an den Tag legte, jeder
Beamte, jeder Kaufmann, ja jeder einfacher Hand-
werker und Fabrikarbeiter, der als eifriger Katholik
freudig und gewissenhaft allen Obliegenheiten seines
schweren Standes nachkommt, ist ein größeres Lob,
[26] eine größere Ehre für die Kirche als all' die herrlichen
Tempel, die sie gebaut, als all' die Denkmale der Kunst und
Wissenschaft, mit denen sie die Gesellschaft bereichert hat.

Endlich gewinnt die Kirche durch die Religiosität
der Männer auch an segensreichem Einfluß in
der Gesellschaft. Die Männer haben überall die Zügel
der Herrschaft in den Händen; sie nehmen überall die
einflußreichen Stellungen ein. Sind sie nun von gutem
Geiste und Streben beseelt, wie viel Herrliches können
sie dann wirken als Fürsten, als Beamte, als Lehrer,
als Väter, als Meister, als einfache Bürger? Wie viel
Gutes aber unterbleibt auch und wie viel Unheil und
Verderben wird angerichtet, wenn die Männer nicht sind,
wie sie sein sollen, wenn sie sich abkehren von Gott
und seiner heiligen Kirche? Daher kommt das ganze
Elend unserer Zeit, auch das des Staates.

Männer, deren Namen nicht bloß irgendwo in einem
Taufbuche steht, sondern die wahrhaft religiös sind
und sich darum in ihrem Thun und Lassen wirklich
von christlichen Grundsätzen leiten lassen, sind die besten
und zuverlässigsten Stützen des Staates. Um des
Gewissens willen und aus Liebe zu Gott entsprechen sie
freudig den Anforderungen ihres Amtes, ihrer Stellung.
Vor jeglicher Ungerechtigkeit und Verletzung der öffent-
lichen Zucht und Ordnung schrecken sie zurück, weil über
ihnen das Auge eines Gottes wacht, der Alles sieht und
Alles vor sein Gericht zieht. In ihrem Fürsten sehen sie
mit dem Auge des Glaubens den Stellvertreter des unend-
lichen Gottes und sind ihm wie einem Vater ergeben.

[27]

Besitzt dagegen der Mann keine Religion, ist die
Wacht des Gewissens in seinem Innern erstorben, so
ist er zu jeglicher Ungerechtigkeit und jeglichem Verrathe
fähig. Heute schimpft er in animirter Gesellschaft mit
vollem Munde über die laxe Moral der Jesuiten und
schon vielleicht Morgen thut er mit beiden Händen einen
kühnen Griff in die Staatskasse und sucht mit einer
großen Summe schleunigst das Weite. Heute heuchelt
er gegen seinen Fürsten treueste Ergebenheit und viel-
leicht Morgen schon nimmt er Theil an einem revolu-
tionären Komplotte. Nur die Rücksicht auf den größeren
Gewinn, auf das blinkende Gold, auf die Partei, der
er angehört, wird für ihn maßgebend sein; alles
Andere ist ihm feil lind verkäuflich, besitzt für ihn
keinen Werth.

Im August 1885 starb in Haag Staatsminister
Moddermann. Derselbe war ein gläubiger Protestant,
aber ohne allen Fanatismus und rechtlich durch und
durch. Vor der katholischen Kirche, die ob ihrer Frei-
heit in seinem Vaterlande herrliche Blüthen entfaltet,
hatte er eine große Hochachtung. Eines Tages kam ein
Rechtscandidat zu ihm und bat um eine Anstellung im
Staatsdienste. Moddermann fragte ihn: ‘„Welcher Con-
fession gehören Sie an?“’
Der junge Mann ant-
wortete: ‘„Ich bin eigentlich katholisch, aber darauf
kommt es mir nicht weiter an.“’
‘„Was?“’ sagte Modder-
mann mit Strenge und sprang auf, ‘„Sie wissen es nicht
zu schätzen, was es heißt, in der katholischen Kirche
geboren und erzogen zu sein? Ich habe für Sie keine
[28] Anstellung; wer seinem Gott nicht treu dient, dient
auch seinem Könige nicht treu.“’
Obgleich der betreffende
Jurist aus einer sehr angesehenen katholischen Familie
Amsterdams stammte, hat er unter dem Ministerium
Moddermann nie eine Anstellung erhalten.

Leider haben nicht immer alle Minister eine ähn-
liche Anschauung und ähnliche Grundsätze besessen und
leider erkennen noch zur Stunde viele Männer es nicht,
wie verderblich für die Männerwelt und alle gesell-
schaftlichen Verhältnisse es sein muß, wenn gerade die
Jünglinge und Männer sich dem Christenthum immer
mehr und mehr entfremden.

II.
Unser Glaube an Gott.


‘„Gott und genug!“’ sagt einer unserer sinnigen alten
Kernsprüche. ‘„Weiß ich, wie Jemand zu Gott steht,
dann weiß ich Alles. Ich weiß, was er denkt, was er
will, ich weiß, was er werth ist, und das ist genug.
Wo Gott nicht haushält, da sichern tausend Riegel nicht.
Ist Gott im Schiff, dann führen es auch die Stürme
zum Hafen... Ob Bettler oder Fürst, ob Haus oder
Staat, ob Schule oder Heer, ob Kloster oder Gesellschaft,
für Alle und überall und immer gibt es nur eine
Bedingung des Gedeihens: Mit Gott den Anfang, mit
[29] Gott das Ende. Alles mit Gott, Alles für Gott, Alles
zu Gott1).“’

Diese schönen Worte eines neueren Schriftstellers
sind jedem wahrhaft christlichem Manne ganz aus dem
Herzen gesprochen; es kommt ihm Alles darauf an,
daß seine Beziehung zu Gott eine gute und richtige ist.
Wohl ist es ihm bekannt, daß es in unseren Tagen
leider viel Männer gibt, die nach Gott, ihrem Schöpfer
und höchsten Herrn, nichts mehr fragen, ja sogar sein
Dasein frech leugnen und über die, welche noch fest
an dasselbe glauben, spotten; aber er weiß auch, daß
dies nur solche Männer sind, die alle Ursache haben
Gott zu fürchten. Schon der heil. Augustinus hat
gesagt: ‘„Niemand leugnet Gott, als der, den es freue,
wenn kein Gott wäre.“’
‘„Ich möchte,“’ spricht La
Brugère, ‘„einen nüchtern, mäßigen, gerechten, keuschen
Mann finden, der die Existenz Gottes und die Un-
sterblichkeit der Seele leugnete; dieser wenigstens würde
unparteiisch sein; aber einen solchen Mann gibt es
nicht2).“’
Durch das Gerede solcher Menschen läßt sich
der christliche Mann nicht beirren. Er glaubt uner-
schütterlich fest an das Dasein eines unendlichen Gottes;
er ehrt ihn als seinen höchsten Herrn, liebt ihn als
seinen besten Vater und strebt nach ihm als seinem
letzten Ziel und Ende.

1.

[30]

1. Wir glauben unerschütterlich fest an einen un-
endlichen Gott und sind bereit für diesen Glauben unser
Leben hinzugeben; denn wir finden Gott überall
in den Geschöpfen außer uns
. Es ist ein un-
umstößliches Gesetz unserer Vernunft, daß es keine Er-
scheinung ohne hinreichenden Grund, keine Wirkung
ohne hinreichende Ursache geben kann. Gibt man uns
ein herrliches Buch, das uns in Staunen setzt durch
seine schönen, erhabenen Gedanken, seine schlagenden
Beweise, seine glühende und hinreißende Sprache, so
fragen wir gleich nach Demjenigen, der dieses bewun-
derte Buch versaßt hat. Halten wir es für möglich
und denkbar, daß dasselbe durch bloßen Zufall entstan-
den sei? ist uns folgende Erklärung seiner Entstehung
annehmbar? Eines Tages wehte der Wind eine große
Anzahl weißer Blätter zusammen; sie waren ganz un-
beschrieben; kein Mensch nahm eine Feder, um nur ein
einziges Wort darauf zu schreiben. Ein Knabe ging
zufällig mit seinem vollen Tintenfasse vorüber, stürzte
zufällig, als er bei den weißen Blättern ankam, sein
Tintenfaß zerbrach, dessen schwarzer Inhalt ergoß sich
schleunigst auf die Papierblätter und siehe, in wenigen
Augenblicken war das herrliche Buch vollendet. Denn
die Tinte vertheilte sich von selbst auf die einzelnen
Blätter, doch nicht als häßliche Flecken und Kleckse,
sondern als schöne Buchstaben. Von diesen waren die
einen größer, die anderen kleiner; doch ein jeder fand
[31] von selbst seine rechte Stelle, so daß Alles in der
schönsten Weise harmonirt; es paßt Buchstabe zu Buch-
stabe, Wort zu Wort, Zeile zu Zeile, Blatt zu Blatt.
Nirgends ist die geringste Störung, nirgends die kleinste
Unrichtigkeit zu entdecken. So ist ohne allen Plan,
ohne alle Ueberlegung eines vernünftigen Menschen,
bloß durch Zufall das schöne Buch mit seinen groß-
artigen Gedanken und seiner klassischen Sprache ent-
standen. Wollte Jemand im Ernste uns eine solche
Erklärung geben, so würden wir ihn für einen Thoren
und Wahnsinnigen halten, der wohl in's Irrenhaus,
aber nicht in die Gesellschaft vernünftiger Menschen
gehörte. Jedes, auch das kleinste Buch setzt einen Ver-
fasser voraus, der gedacht, nach einem Plane gearbeitet
hat; durch Zufall ist, seitdem die Welt steht, noch keine
einzige Zeile in einem Buche entstanden. Und da
sollte die ganze Welt mit ihrer wunderbaren Ordnung
das bloße Werk des Zufalles sein?

Wie klein und winzig ist der bunte Schmetterling,
dem die muntere Kinderschaar nacheilt, um ihn zu
saugen. Und doch gibt es an dem kleinsten und un-
scheinbarsten Schmetterlinge, wenn man ihn, sein Leben
und körperliche Beschaffenheit bis in's Kleinste studirt,
mehr Kunst, mehr Weisheit anzustaunen, als an dem
großartigen Dome zu Köln. Alle Künstler, alle Ge-
lehrten, alle Machthaber der ganzen Welt mit all' ihrem
Wissen und Können besitzen zu wenig Einsicht, Weis-
heit und Macht, um nur einen einzigen Schmetterling,
ja was sage ich, nicht einmal einen einzigen Flügel
[32] des Schmetterlings hervorzubringen. Nun denket ein-
mal an die zahllos vielen Insekten, an all' die Arten
von großen und kleinen Thieren, die im Wasser, auf
der Erde und unter der Erde leben, denket an all'
die Bäume, groß und klein, die grünen und Früchte
tragen, überall findet ihr bis in's allerkleinste Detail
eine wunderbare Ordnung und Zweckmäßigkeit. Dann
erhebet in nächtlicher Stille eueren Blick gegen Himmel.
In welcher Pracht erscheint euch da das Sternenheer.
All' diese zahllosen Sterne der Milchstraße, die ihr mit
dem gewöhnlichen Auge gar nicht bemerken könnt, sind
Weltkörper, von denen wohl die meisten größer sind,
wie die Erde, die wir bewohnen. All' diese ungeheuer
großen und schweren Weltkörper schweben frei im uner-
meßlichen Himmelsraume; ein jeder hat seine bestimmte
Bahn, die er seit Jahrtausenden durcheilt und zwar mit
einer festen Regelmäßigkeit, wie sie kaum sicherer im
besten Uhrwerke beobachtet wird. Kein Mensch kann je,
wenn er auch Tausende von Jahren lebte, all' die groß-
artigen Wunder der Ordnung, Zweckmäßigkeit und
Weisheit, die sich in der Schöpfung finden, nur all-
nähernd, ich sage nicht begreifen, sondern nur wahrnehmen.
Und das Alles sollte sein Dasein der todten Materie und
blinden Kraft zu danken haben? All' diese wunderbare
Harmonie und Ordnung, gegen welche alle menschlichen
Kunstwerke verschwindend klein und winzig sind, wie der
Tropfen Wasser am Eimer im Vergleiche zum unermeß-
lichen Meere, sollte durch bloßen Zufall entstanden sein?
Das kann nur Unverstand und Blindheit behaupten.

[33]

Treffend redet der bekannte Jesuitenpater Hammer-
stein1) seinen Edgar in folgender Weise an: ‘„Jetzt be-
trachten Sie die Welt. Welche Entstehungsart steht ihr
an der Stirn geschrieben? Die planlose oder die ein-
heitlich geplante? Wie kommt es, daß jedes Insekt,
jeder Wurm, jedes Säugethier feine entsprechende Nah-
rung findet? Woher kommt der Feldmaus ihr Instinkt,
den gesammelten Körnern den Keim abzubeißen, so daß
sie nicht auswachsen? Wer bewirkt, daß das Männchen
des Hirschkäfers als Larve sich eine doppelt so große
Höhle, als das gleich große Weibchen, ausgräbt? Weiß
es etwa, daß ihm, anders als dem Weibchen, später
sein großes Geweih wächst, und daß es hierfür dieses
Raumes bedarf? Wer lehrt das Weibchen des Kuckucks
die Nester insektenfressender Vögel von den übrigen
unterscheiden, so daß es nur in jene seine Eier legt,
deren Inhaber später sein Junges mit der richtigen Nah-
rung versehen? Wie kommt es, daß die merkwürdig
gemischte atmosphärische Luft den Athmungsorganen der
ganzen Thierwelt entspricht, und daß von den buchstäb-
lich unendlich vielen möglichen Combinationen verschie-
dener Gase gerade die wirklich vorhandene sich findet,
in welcher wir existiren können? Wie kommt es, daß
wir auf der Erde gerade die uns zuträgliche Temperatur,
die unsern Kräften entsprechende Anziehungskraft, den
unserem Organismus dienlichen Luftdruck antreffen, und
nicht etwa einige tausend Grad Reaumur, daß uns nicht
[34] ein Gewicht von 100 Zentnern, wie das auf manchen
Himmelskörpern der Fall wäre, zu Boden zieht, daß wir
nicht zerquetscht werden von einem hundertfachen Druck
der Atmosphäre? Woher kommt der merkwürdige Kreis-
lauf des Wassers, welches als Regen die Pflanzenwelt
tränkt, einsickert, als Quelle uns und den Thieren, ge-
reinigt und mit zuträglichen Mineralien versetzt, aus
dem Felsen hervorsprudelt, in den Bächen und Flüssen
den Fischen ihren Aufenthaltsort bietet, dem Meere zu-
strömt, durch die Sonnenstrahlen verdunstet, Wolken
bildet und als Regen wieder herabfällt? Woher kommt
es, daß das Wasser, eine vereinzelt dastehende Aus-
nahme – nicht dichter wird bei größerer Abkühlung,
vielmehr seine größte Dichtigkeit, mithin sein größtes
Gewicht 4 Grad über Null hat? Folgt es der allge-
meinen Regel, so würde das Eis nicht auf dem Wasser
schwimmen, sondern untersinken; die Meere gefrören zu
Eisklötzen, und bald könnte vor Kälte kein Mensch mehr
auf Erden leben. Wie kommt es endlich, daß die leb-
losen Mineralien in so scharf mathematischen Krystallen
sich zusammen gruppiren?’

„Wenn Sie das Alles für Zufall erklären, dann
sage ich Ihnen mit demselben und noch mit größerem
Recht: Goethe's Faust ist nichts als Fliegendreck; Goethe
hat nie die Idee zu demselben gefaßt; vielmehr hatte
er zufällig mehrere Bogen weißen Papiers in seinem
Zimmer liegen, und in seiner Abwesenheit waren die
Fliegen so glücklich, durch ihre schwarzen Zeichnungen
gerade die Buchstaben, Verse und Scenen des Faust
[35] hervorzubringen. Das nenne ich eine ‘„wissenschaftliche“’
Erklärung des Faust. Dagegen aus der Existenz dieser
Dichtung schließen zu wollen, daß es einmal einen
Dichter gegeben, welcher den Faust geplant habe, das
stände ebenso sehr mit der ‘„modernen Wissenschaft“’ in
Widerspruch, als aus der wunderbaren Harmonie der
Welt das Dasein eines Schöpfers zu folgern.“

Vollständig berechtigt ist der beißende Hohn und
Spott, den P. Hammerstein in den letzten Worten über
die ‘„moderne Wissenschaft“’ ausspricht. Einer solchen
unphilosophischen Wissenschaft gegenüber stimmen wir
frohlockend ein in die Worte des königlichen Sängers:
‘„ Die Himmel erzählen die Herrlichkeit
Gottes und das Firmament verkündet die
Werke seiner Hände. Ein Tag überbringt
dem andern das Wort, und eine Nacht mel-
det der andern die Kunde; über die ganze
Erde geht aus ihr Schall und bis an die
Grenzen des Erdkreises ihr Wort
.“’
(Ps. 18.)

2. Wir glauben unerschütterlich fest an das Dasein
Gottes und sind, wäre es nothwendig, gern bereit,
Gut und Blut für diesen Glauben hinzugeben; denn
wir finden ja Gott im Innern des Men-
schen selbst
. Die Stimme unseres Gewissens legt
Zeugniß ab von seiner unbestechlichen Heiligkeit und
seiner unbegrenzten Macht. König Konstanz ließ
seinen eigenen Bruder Theodosius, einen frommen
Diakon, ermorden und zwar an dem nämlichen Tage,
wo ihm derselbe den Kelch mit dem hochheiligen Blute
[36] Christi gereicht hatte. Von dieser Stunde an verfolgt
ihn Tag und Nacht eine schreckliche Angst. Wohin er
geht, immer scheint es ihm, als sehe er seinen Bruder
in der Diakonenkleidung vor sich, wie er ihm einen
Becher voll Blut darreicht mit den Worten: ‘„Trinke,
Bruder, trinke.“’
Um Ruhe zu finden für sein angst-
gequältes Herz, zieht er von einer großen Stadt zur
andern, flieht von Konstantinopel nach Italien, aber
Alles ist umsonst; die innere Richterstimme schweigt
nirgends. – Theodorich, König der Ostgothen, hatte
den edlen Symmachus schuldlos hinrichten lassen. Da
begab er sich eines Tages, daß man ihm zur Abend-
tafel einen Fischkopf von ungewöhnlicher Größe vorsetzte.
Der König nimmt ihn wahr, wird bleich, springt mit
einem Schrei des Entsetzens auf und ruft: ‘„Ich sehe
den Kopf des Symmachus, sehe seine funkelnden Augen,
sehe die Zähne, die mich zerfleischen wollen; fort, fort
von hier.“’
Wie wahnsinnig stürzt der König aus dem
Speisesaale, wirft sich, an allen Gliedern vor Angst
zitternd, auf sein Bett und nach drei Tagen ist er, der
mächtige und angesehene Gothenkönig, eine kalte Leiche.

Wir alle kennen die Geschichte des großen und sonst
so tugendhaften Königs David. Sein Leben bietet den
klarsten Beweis, daß auch die besten Menschen tief
fallen können, wenn sie anfangen, unvorsichtig zu wan-
deln, den Gefahren nicht mehr nach Kräften aus-
zuweichen und insbesondere die Augen nicht mehr zu
beherrschen. So ist David zu seinem schweren Falle
gekommen, hat seine Seele befleckt mit einer zweifachen
[37] schweren Schuld, wurde ein Ehebrecher und Mörder.
Doch die Strafe sollte auch ihm nicht ausbleiben; sein
Gewissen erhebt sich mit furchtbarer Macht gegen ihn.
Unter seiner glänzenden Herrscherkrone und seinem
königlichen Purpur schlägt ein Herz, das nicht mehr
zur Ruhe und zum Frieden kommen kann. Klagend
gesteht er selbst: ‘„ Kein Friede ist mehr in mei-
nen Gebeinen vor dem Angesichte meiner
Sünden; denn meine Missethaten haben
mein Haupt überstiegen und gleich einer
schweren Bürde lasten sie auf mir
“’
(Ps. 37).

Diese drei Männer, welche von inneren Gewissens-
bissen fürchterlich gequält wurden, waren mächtige
Könige; sie trugen ein Szepter in ihrer Hand und
eine goldene Krone auf ihrem Haupte. Tausende und
Tausende in ihren Reihen schmeichelten ihnen, sagten
ihnen nur Angenehmes; Niemand konnte sie vor einen
irdischen Richterstuhl citiren. Sie selbst sind die höchsten
Richter in ihren Ländern; die Verbrecher zittern
vor ihnen; denn sie wissen, daß von dem Richterspruch
derselben ihr Leben oder ihr Tod abhängt. Warum
zittern und beben diese mächtigen und gekrönten Männer
nun selbst? Warum preßt sich ihr Herz zusammen vor
Furcht und Schrecken? Kein Henkerbeil bedroht sie ja;
die unschuldig Gemordeten können ihnen auch nichts
anhaben, denn sie befinden sich im Reiche der Todten.
Noch einmal die Frage: Woher denn bei diesen ge-
krönten Verbrechern die namenlose Angst, die sie nicht
loswerden können? Ein Richter, ein unsichtbarer
[38] Richter, der im Innern des Menschen seinen Sitz auf-
geschlagen, ein Richter, der sich vor keiner irdischen
Macht fürchtet, der sich nicht durch dm Glanz des Goldes
bestechen und durch Lüge und Schmeichelei täuschen läßt,
ein Richter mit göttlichem Ansehen hat sich gegen sie
erhoben und mit strafender Macht ihnen ihre Verbrechen
vorgehalten. Sie, die großen und gefürchteten Gewalt-
haber dieser Erde, fühlen sich unaussprechlich klein und
schwach vor diesem Richter; sie zittern vor ihm als
arme Sünder. Dieser Richter ist das Gewissen.

Das Gewissen ist nicht erschaffen durch menschliche
Willkür, nicht durch Vorurtheile der Erziehung; es ist
nicht das Werk der Menschen. Denn was die Menschen
schaffen, dauert nur wenige Tage und Jahre, das
Gewissen dagegen ist immer und überall. Mögen die
Weltansichten wechseln, mögen alte Gewohnheiten vor
neuen zurücktreten, mögen große politische und sociale
Veränderungen bei den Völkern stattfinden, der Richter
im Innern bleibt, das Gewissen weicht nicht von seinem
Throne. Mag man unter europäischer oder asiatischer
oder gar keiner Gesetzgebung leben, überall findet sich
jener unsichtbare Gesetzgeber und furchtlose Richter, der
gewisse Handlungen als gut und gerecht, andere dagegen
als bös und ungerecht, der Mord und Diebstahl
als Unthaten bezeichnet, die strenge Strafen verdienen.
Nein, das Gewissen kommt nicht vom Menschen selbst;
es ist im Menschen ohne des Menschen Thun; es ist
im Menschen gegen den Menschen. Und doch sinkt er
alsbald auf die Stufe unvernünftiger Thiere, wenn er
[39] dasselbe in sich ertödten will. Das Gewissen ist die
Stimme Gottes, des unendlich Heiligen und Gerechten;
das Gewissen sagt uns: Es gibt ein unendlich heiliges,
gerechtes, allgegenwärtiges, allsehendes unsichtbares
Wesen, das unsere Herzen gebildet hat, ein Wesen, vor
dem alle Menschen, auch die mächtigsten und höchst-
gestellten, auch die reichsten und angesehensten Rechenschaft
ablegen müssen über ihr ganzes Leben. Das Gewissen
ist unerklärlich ohne das Dasein Gottes, ohne die
Existenz eines höchsten Richters über alle Menschen.
Mit Recht sagt darum schon der heidnische Philosoph
Seneca: ‘„Ganz nahe bei dir ist Gott; er ist mit
dir und in dir; ja ein heiliger Geist thront in
uns, ein Beobachter und Wächter über Gutes und
Böses.“’

3. Wir glauben unerschütterlich fest an das Da-
sein Gottes; wir finden ja Gott überall in der
Geschichte der Menschheit
. ‘„Gehen wir hin nach
allen Richtungen der bewohnten Erde, durchstreifen wir
die Steppen der asiatischen Hochebene, schlagen wir
unsere Wohnung auf bei den wilden Stämmen der
Ureinwohner von Amerika, gehen wir hinauf bis zum
Eispol, dringen wir hinein in die glühende Sandwüste
des inneren Afrika, überall, wo nur ein menschliches
Wesen athmet, wenn auch noch so verwildert, da erhebt
sich sein Auge nach Oben; überall, wo eine menschliche
Intelligenz denkt, wenn auch auf der niedrigsten Stufe
der Entwickelung, da hat sie Gedanken des Göttlichen;
wo immer ein menschliches Herz schlägt, da wird es
[40] durchschauert von Ahnungen des Ewigen. Und wo eine
menschliche Sprache tönt, wenn auch noch so arm und
noch so rauh, da hat sie doch ein Wort, das Gott nennt.
Und gehen wir in gleicher Weise zurück durch alle Jahr-
hunderte der Geschichte, so bewährt sich uns ein Wort,
das schon vor zweitausend Jahren Cicero gesprochen:
Kein Volk ist so roh und so wild, daß es
nicht den Glauben an einen Gott hätte
,
wenn es gleich sein Wesen nicht kennt. Seit-
dem sind Amerika, Australien entdeckt und durchforscht
worden, unzählige neue Völker sind eingetreten in die
Geschichte. Sein Wort steht unerschüttert, nur noch
mehr ward seitdem es bekräftigt. So viele Jahr-
tausende der Geschichte, so viele Beweise für dessen
Wahrheit.’

„Es ist dies eine universelle, unbestreitbare That-
sache; und eben darum kann sie nur Wahrheit ent-
halten; denn Dasjenige, worin die Natur
Aller übereinstimmt, kann nicht falsch sein
,
sagt der bereits angeführte Schriftsteller. Noch gründ-
licher aber beweist der hl. Thomas diesen Satz: ‘„Was
Alle gemeinsam aussprechen,“’
sagt er, ‘„dies kann un-
möglich falsch sein. Denn eine irrige Meinung ist
eine Schwäche des Geistes, ein Fehler desselben, kommt
demnach nicht aus dessen Wesen. Sie ist darum nur
zufällig eingetreten; was aber zufällig da ist, das
kann unmöglich immer und überall sein.
Einer kann einen irrigen, krankhaften Geschmack haben
in sinnlichen Dingen, aber nicht Alle. Eben so wenig
[41] kann das Urtheil, das Alle in religiös-sittlichen Dingen
aussprechen, falsch sein“’
1).

Doch vielleicht ist der Glaube an Gott nur die
Wirkung der Furcht gewesen, welche gewaltige Natur-
erscheinungen, wie Blitz und Donner, Sturm und Erd-
beben manchen Menschen einflößen? Aber haben denn
bloß schüchterne Kinder, furchtsame Frauen, haben bloß
Unwissende und Kleinmüthige an Gott geglaubt? Waren
es nicht gerade die besten und muthigsten Männer, die
größten Naturforscher, die tiefsten und gelehrtesten
Philosophen, welche den Glauben an das Dasein Gottes
hegten? Bei ihnen kann doch unmöglich kindische Furcht
diesen Glauben erzeugt haben. Zudem ist die religiöse
Furcht ganz verschieden von jener sinnlichen Furcht,
welche Manche bei gewaltigen Naturerscheinungen em-
pfinden; die religiöse Furcht ist Ehrfurcht, sie ist
heilige Gottesfurcht. Und die Religion ist nicht bloß
Furcht Gottes, sie ist vor Allem Liebe zu Gott. Die
größten und edelsten Thaten, zu denen die Religion an-
gespornt, die reichsten Ströme von Segen, welche sie
über die Gesellschaft ausgebreitet hat, sind hervorge-
gangen aus jener innigen und starken Liebe zu Gott,
welche sie im Herzen der Menschen anzündete. Was hat
diese Liebe zu thun mit jener feigen Furcht, welche Kinder
und Frauen bei Blitz und Donner an den Tag legen?

Doch dann haben vielleicht die Priester und Staats-
männer den Glauben an das Dasein Gottes erfunden,
[42] sind sie die Urheber der Religion gewesen? Die
Priester sollen die Religion erfunden haben! Ist das
nicht eine lächerliche Behauptung? Hat denn der Zimmer-
mann das Holz, das er verarbeitet, selbst erfunden oder
geschaffen? Unmöglich. Die Arbeit des Zimmermannes
setzt nothwendig die Existenz des Holzes voraus. Ohne
Holz, das vorher existirt, kann man nicht an einen
Zimmermann denken. Haben etwa die Eisenbahn-
beamten die Eisenbahn erfunden? Ist das nicht eine
lächerliche Frage? Konnte es denn Eisenbahnbeamte
geben, ehe die Eisenbahn da war? So ist es auch in
unserem Falle. Das Amt des Priesters setzt noth-
wendig den Glauben an das Dasein Gottes voraus;
es kann unmöglich einen Priester geben ohne Religion,
die vor ihm existirt; denn er ist einfach nur Diener
der Religion. Aber dann sind die Staatsmänner und
Gesetzgeber die Urheber der Religion gewesen! Doch
welche Staatsmänner waren es? wie heißen ihre
Namen? wo und wann haben sie gelebt? durch welchen
glücklichen Zufall verfielen sie alle auf diese Idee?
Wie war es ihnen möglich, eine Lehre, welche die
Leidenschaften zügelt und schwere Pflichten auflegt, den
Menschen annehmbar zu machen? Wie kam es, daß
sie nicht bloß die Unwissenden, sondern auch die weisesten
und selbstständigsten Männer täuschen konnten? Auf all'
diese Fragen hat man keine Antwort. Wohl erzählt die
Geschichte bis hinauf zu Tubalkain die Anfänge der wich-
tigeren Künste und Gewerbe; aber von einer ursprüng-
lichen Religionserfindung hat sie noch keine Silbe berichtet.

[43]

Zwar haben die besten und berühmtesten Gesetzgeber,
wie Minos, Solon, Lykurg, Numa bei ihren staatlichen
Verordnungen Rücksicht auf die Religion genommen und
hauptsächlich dadurch ihre Gesetzgebung heilsam und
segensreich gemacht. Aber beweist nicht gerade diese
Thatsache, daß das religiöse Gefühl nicht etwas Neues
war, sondern tief und lebendig und allgemein in den
Gemüthern lebte? Beweist nicht gerade diese That-
sache, daß der Glaube an Gott die Grundlage der
Gesellschaft sei und zwar der Art, daß auf die Dauer
ein menschenwürdiges Leben unter uns unmöglich wird
ohne den Glauben an Gott? Das führt uns zu einem
neuen Gedanken, den wir noch für einige Augenblicke
betrachten wollen.

4. Wir glauben unerschütterlich fest an das Dasein
eines unendlichen Gottes; denn wir finden, daß die
Anerkennung Gottes ein wahres Bedürfniß
für die menschliche Gesellschaft ist
. Was für
ein großes Gebäude das Fundament, das ist für die
Menschheit der Glaube an Gott. Ohne Fundament
ist ein Bau nicht dauerhaft, wird er in den Stürmen
und Unwettern nicht lange Stand halten. Mögen die
Steine noch so fest und hart sein, mag der Baumeister
sonst seine Aufgabe noch so gut gelöst haben, mag die
innere Einrichtung noch so schön und bequem sein, das
Alles ist nicht im Stande, das Fundament zu ersetzen;
ohne Fundament wird der herrliche, bequeme Bau eines
Tages krachend zusammenstürzen und vielleicht die Ein-
wohner im Schutt begraben. Ein großer Bau ohne
[44] Fundament ist die Gesellschaft ohne den Glauben an
Gott. Alle höhern Güter, welche die Menschen hoch-
schätzen, alle Bedingungen, die sie zu ihrem Wohle
bedürfen, hängen von diesem Glauben ab.

Ohne den Glauben an Gott gibt es keine Sitt-
lichkeit
. Sollen wir sittlich gut leben und handeln,
so müssen wir vor Allem einen wesentlichen Unterschied
zwischen Gut und Schlecht, zwischen Recht und Unrecht
anerkennen. Das ist die erste und allernothwendigste
Bedingung, ohne welche die Sittlichkeit ganz undenkbar
ist. Wenn es aber keinen Gott, keinen unendlich
heiligen und gerechten, keinen allwissenden Gott gibt,
dann gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen
Gut und Bös, dann braucht der Mensch bei all' seinem
Thun und Lassen nur nach dem Einen zu fragen, ob
die betreffende Sache oder Handlung ihm angenehm
oder unangenehm, ob sie ihm Schmerz oder Freude,
Schaden oder Nutzen bringe. Er hat das Recht, die
entsetzlichsten Thaten zu verrichten, Thaten, deren bloßer
Name uns schon mit Schrecken erfüllt, wenn er sich
von denselben nur Vergnügen oder irgend einen Vor-
theil versprechen kann. Er mag ruhig sein Messer
in Menschenblut tauchen und kalt seine nächsten An-
gehörigen umbringen, er mag herzlos arme Wittwen
und Waisen in's größte Unglück stürzen, mag frech
die heiligsten und wichtigsten Versprechen und Eid-
schwüre brechen, er hat ein Recht dazu, wenn ihm diese
Unthaten nur Freude machen oder irgend einen Vortheil
bringen und er dabei so klug zu Werke geht, daß ihm
[45] die Polizei nichts anhaben kann. Sind das nicht
schauerliche Grundsätze? Wohin müßte es kommen mit
der Gesellschaft, wenn dieselben sich allgemein Bahn
brechen sollten? Würde dann nicht bald bei den wilden
Thieren des Waldes mehr Ordnung herrschen als bei
den Menschen, die Vernunft und freien Willen besitzen?

Ohne den Glauben an Gott gibt es keine Auc-
torität
. Gibt es keinen unendlichen Gott, der mich
richten wird, dann hat kein Mensch, auch nicht der
allermächtigste der ganzen Welt, ein begründetes Recht,
meiner Freiheit Schranken zu setzen und mir Vor-
schriften und Gesetze zu geben. Ich brauche dann
Niemand über mir anzuerkennen, brauche durchaus nicht
mich dem Willen derer zu unterwerfen, die sich in lügen-
hafter Weise als meine Vorgesetzte bezeichnen. Ich brauche
ja dann keinem ewigen, unendlich heiligen und gerechten
Richter Rechenschaft abzulegen, brauche keine Strafe jen-
seits des Grabes zu fürchten, warum soll ich also nicht
thun, was mir beliebt? Und sage man mir nicht:
Aber so verlangt es die Ordnung in der menschlichen
Gesellschaft, daß die Einen den Andern sich willig
unterwerfen. Doch was liegt mir an dieser Ordnung,
welche nur Andere erfunden und eingeführt haben, um
sich ihre eigenen Interesse zu sichern. Was die An-
dern sind, das bin ich auch; ich kümmere mich nicht
um ihre Ordnung, wenn es so meine Sinnlichkeit,
mein Vergnügen, mein Vortheil erheischt. – Dagegen
läßt sich nichts einwenden, wenn man keinen Gott über
sich anerkennt. Muß aber nicht bei solchen Grundsätzen
[46] Alles wanken und schwanken? Muß nicht der ganze
Organismus der menschlichen Gesellschaft über den
Haufen stürzen? Muß nicht das schöne, segensvolle
Verhältnis, wie es jetzt zwischen der Obrigkeit und den
Unterthanen, zwischen den Vorgesetzten und den Unter-
gebenen, zwischen den Eltern und Kindern zu Recht
besteht, sich auflösen und überall die wildeste Unordnung
eintreten? Möchten doch die, welche es angeht, es nie
vergessen, daß es ohne den Glauben an Gott auf die Dauer
keine Achtung vor der Auctorität geben kann, und darum
mit Ernst dem Unglauben entgegentreten, der sich vielfach
in der Presse und auf manchen Cathedern geltend macht!

Ohne den Glauben an Gott gibt es kein ge-
sichertes Eigenthum
. Die alten Deutschen hatten
ein schönes Sprüchwort, das schon an der Spitze dieser
Abhandlung steht; es heißt: ‘„Wo Gott nicht haus-
hält, da sichern tausend Riegel nicht.“’
Unsere Zeit
fängt an, den Beweis zu diesem Worte zu liefern.
Die alte deutsche Treue und Ehrlichkeit, welche sprich-
wörtlich war, schwindet immer mehr, ja man hat kaum
mehr einen Begriff von derselben; Betrug, Diebstahl
und der Schwindel auf allen Gebieten des Lebens
nehmen mit jedem Jahre zu. Der Eid, der sonst das
Recht und das Eigenthum schützte, hat vielfach seine
Heiligkeit bei uns verloren. Wie leichtsinnig werden
falsche Eide geschworen, werden Eide gebrochen? Mußte
es aber nicht so kommen? Wenn man keinen allwissen-
den und allgerechten Gott mehr anerkennt, wenn man
über den Glauben an sein Dasein öffentlich spottet,
[47] wenn Professoren selbst in Gegenwart von königlichen
Ministern ruhig ihren Unglauben auskramen dürfen,
kann man sich denn da noch wundern, daß der Betrug
und jegliche Art von Ungerechtigkeit immer allgemeiner
werden, allgemeiner werden trotz der verdoppelten An-
zahl der Polizeidiener und trotz der vermehrten und
vergrößerten Gefängnisse? Kann man sich da wundern,
daß man nur den einen Grundsatz noch zu kennen
scheint: Erwerbe dir auf jede nur mögliche Weise; doch sei
so klug, der Polizei nicht in die Hände zu fallen, um der
Gefängnißstrafe zu entgehen. ‘„Wo Gott nicht haushält, da
sichern tausend Riegel nicht,“’
sichern auch tausend Gefäng-
nisse, tausend Polizeidiener nicht; ja da muß man fürchten,
daß die Wächter der Ordnung, die Richter und Beamten,
mit der Zeit selbst die ersten Diebe und Betrüger werden.

Doch genug; das Gesagte mag genügen, um zu
zeigen, daß die Anerkennung Gottes ein wahres Be-
dürfniß für die Menschheit ist, daß es für uns Alle,
für Haus und Staat, für Schule und Heer, für Arm
und Reich nur eine Bedingung des Heiles gibt, nämlich
der gläubige Aufblick zu unserem Gott im Himmel.
Möchte das doch unsere Zeit sich recht zu Herzen nehmen,
unsere Zeit, die so reich ist an Noth und Elend, an
Verwirrung und Unordnung, an Sünden und Lastern,
unsere Zeit, die des Friedens, der inneren Stärke
und Heilung so sehr bedarf. Möchten doch vor Allem
unsere Männer in diesen ernsten Tagen ihr richtiges
Verhältniß zu Gott erfassen und darnach ihr Leben
einrichten! Das wäre Heil und Rettung für uns und
[48] unsere Zeit. Welches ist denn nun dies unser Ver-
hältniß zu Gott?

2.


1. Gott, zu dem wir gläubig aufschauen, ist unser
höchster Herr
. Ihm gehört die ganze Welt; er
hat Alles in's Dasein gerufen durch die Allmacht seines
Wortes. Von ihm sind wir abhängig, ganz und gar
in jeder Beziehung, alle Tage unseres Lebens, in jedem
Augenblicke einer jeden Stunde. Seiner Allmacht kann
sich kein Mensch entbinden, auch der reichste, mächtigste
und angesehenste nicht. Er ist ein Herr über alle Herren;
der höchste und einflußreichste Herr der ganzen Welt ist
vor ihm nichts als ein geringer, armer Diener. Auch er
hat alle Ursache zu ihm zu sprechen: ‘„ Herr, Du bist
groß und herrlich in Deiner Kraft und Nie-
mand kann Dir widerstehen
“’
(Judith 16, 16).

Ist aber Gott unser höchster Herr, dann liegt uns
als Dienern die Pflicht ob, seinen heiligen Willen zu
erfüllen und ihm treu und freudig zu dienen. Wie
gewissenhaft vollzieht manchmal ein guter Diener die
Befehle und Wünsche seines irdischen Herrn! wie treu
ist er ihm ergeben! wie sehr darauf bedacht, durch
willigen Gehorsam und Fleiß sich seine Zufriedenheit
zu erwerben! Am frühen Morgen steht er auf von
seinem einfachen Lager, um an seine mühsame Arbeit
zu gehen, die fortdauert bis zum späten Abend, wo
schon längst der letzte Strahl der Sonne von den Bergen
gewichen ist. Mit solcher Treue und Gewissenhaftig-
keit dient man sein ganzes Leben einem irdischen
[49] Herrn, dessen Leib doch nach wenigen Jahren in's Grab
gelegt wird und dort zu Staub und Asche vermodert.
Wie treu und eifrig solltest darum du, christlicher
Mann, deinem Gott im Himmel dienen, deinem höchsten
Herrn, dem selbst die erhabensten Geister des Himmels
mit schnellster, vollkommenster Bereitwilligkeit gehorchen,
deinem höchsten Herrn, der dein ganzes Leben in
seiner allmächtigen Hand hält und von dem deine
ganze Ewigkeit abhängt! Sollte es dir zu viel sein,
ein paar Jahre deine bösen Neigungen ernstlich zu
bekämpfen, um als seinen treuen Diener dich zu
bewähren! zu viel, seinen heiligen zehn Geboten,
deren Erfüllung uns schon hienieden glücklich macht,
gewissenhaft zu entsprechen! ‘„ Fürchtet den Herrn
und dienet ihm aus vollkommenem und
aufrichtigem Herzen
“’
(Josue 24, 14). So hat
einst vor Jahrtausenden ein herrlicher Mann gesprochen,
Josue, der Gott mit außergewöhnlicher Treue gedient
hat. Suche ihm wenigstens ähnlich zu werden.

2. Gott, zu dem wir gläubig aufschauen, ist
ferner unser liebevollster Vater. Das ist eine
höchst wichtige Wahrheit, die wir oft beherzigen sollten.
‘„Vater unser, der du bist in dem Himmel,“’ so hat
uns schon die theuere Mutter beten gelehrt, indem sie
uns dabei die kleinen Händchen faltete. Ja, Gott ist
unser Vater. Ihm haben wir mehr unser Leben zu
verdanken als unserm leiblichen Vater. Er will uns
ein größeres Erbe schenken, als es der reichste irdische
Vater seinem Kinde geben kann. Er liebt uns unendlich
[50] mehr, als der beste Vater hienieden seinen einzigen
Sohn, seine einzige Tochter lieben kann. Wie innig
und stark ist manchmal die Liebe eines guten, braven
Vaters zu seinen Kindern! Keine Arbeit ist ihm zu
viel, keine Mühe zu schwer, keine Entbehrung zu hart
und zu groß; zu Allem ist er bereit, um die Kinder
für Zeit und Ewigkeit glücklich zu machen. Und doch
liebt unser himmlischer Vater uns mehr als alle
irdischen Väter zusammen ihre Kinder lieben können;
er liebt uns mit ewiger, mit unendlicher Liebe. In
dieser seiner Liebe hat er uns mit zahllosen Wohlthaten
überhäuft. Erhebe, christlicher Mann, in einer klaren,
stillen Nacht dein Auge gen Himmel und zähle all' die
Sterne, die mild und freundlich am Firmament leuchten
oder gehe am hellen Tage an das Ufer des majestä-
tischen Meeres und zähle die Sandkörner, die dort
liegen und dem Meere wehren, sich über das Land zu
ergießen. Es ist dir unmöglich; ebenso wenig kannst
du all' die Wohlthaten zählen, mit denen dein Vater
im Himmel dich beschenkt hat. In jedem Augenblicke
hat er uns an Leib und Seele mit Wohlthaten über-
häuft. So oft haben wir ihn in unserer Undankbar-
keit beleidigt, und dennoch verfolgte er uns auf Schritt
und Tritt mit seiner göttlichen Liebe. Sollten wir
nicht einmal anfangen, diesen Vater zu lieben, zu lieben
mit allen Kräften unseres kleinen Herzens! Wo ist
der Sohn, dessen Herz nicht warm wird, wenn er an
all' das Gute denkt, das er seinem vorzüglichen Vater
zu danken hat? Und da sollten wir kalt und gleichgiltig
[51] sein gegen unsern unendlich guten Vater dort oben im
Himmel; da sollten wir es über uns bringen, Wochen,
Monate, ja vielleicht selbst Jahre lang in schweren
Sünden zu leben und ihm als treulose Söhne gewisser-
maßen in sein väterliches Angesicht zu schlagen! Nein,
nein; das wäre der kalten und schwarzen Undankbar-
keit doch zu viel!

3. Endlich ist Gott, um nur noch dies Eine kurz
hervorzuheben, unser letztes Ziel und Ende,
will selbst unser ewiger Lohn im Himmel sein.
Einst hat er zu seinem treuen Diener, dem Patriarchen
Abraham, gesprochen: ‘„ Ich bin dein überaus
großer Lohn
“’
(I. Mos. 15, 1). Dieses Wort soll
einem Jeden von uns gelten. Wenn wir am Ende
unseres Lebens angekommen sind, wenn wir ausge-
rungen, ausgekämpft und ausgelitten haben, dann will
er die Krone der ewigen Herrlichkeit auf unser Haupt
setzen, will uns Antheil nehmen lassen an seiner eige-
nen Seligkeit, will uns beglücken mit der übergroßen
Wonne der Liebe seines göttlichen Herzens; er will,
wenn ich so sagen darf, der Busen sein, an dem wir
ausruhen von unsern Kämpfen und Mühen. Wenn
wir das recht bedächten, dann müßte gewiß bald unser
Verhalten gegen Gott ein anderes werden. Man muß
es ja gestehen, daß Viele aus uns sich gegen Gott
fast ähnlich benehmen, wie ein stolzer und habsüchtiger
Mann sich gegen einen armen Bettler an der Straße
benimmt. Er verachtet ihn, würdigt ihn keines freund-
lichen Wortes, blickt ihn kaum an. Gibt er ihm vielleicht
[52] auch ab und zu einen Pfennig, so geschieht es nur
mit Kälte und Unwillen. Aehnlich machen es Viele
mit dem unendlichen Gott. Sie verachten ihn, gehen
kalt an ihm vorüber und beklagen sich über seine Forde-
rungen; sie wollen ihm nicht das kleine, winzige
Almosen ihres Dienstes und ihrer Liebe schenken. Ach
die Armen, wie sind sie zu bedauern! Wenn Der-
jenige, welchen sie im Leben wie einen Bettler ver-
achtet haben, sie durch den Tod vor seinen Richterstuhl
fordert und dort als ewiger, heiliger und gerechter Gott
über ihre ganze Ewigkeit entscheidet, wie werden sie
dann ihre Blindheit, ihren Undank und ihre Untreue
bereuen! Aber dann wird es zu spät sein.

III.
Wir sind für die Ewigkeit erschaffen.


Eine junge Dame war ganz weltlich und gleich-
giltig gegen das Heil ihrer Seele geworden. Sie be-
saß, wie das bei Leuten dieser Art nur zu oft der Fall
ist, keinen Sinn für die einfachen und ruhigen Arbei-
ten der stillen Familie. Sie wußte nicht, welch' hohe
Bedeutung dieser Sinn für häusliches Leben und Ar-
beiten bei den Frauen und Jungfrauen besitzt, auch
dann, wenn sie den sogenannten besseren Ständen an-
gehören. Darum schlief sie am Morgen bis spät in
den hellen Tag hinein, machte dann ihre Toilette und
[53] brachte die Nachmittage und Abende in munterer
Gesellschaft und beim Spiele zu. Sie hatte ein Dienst-
mädchen, das ihr treu ergeben war und mit großer
Willigkeit und Pünktlichkeit alle Pflichten seines schweren
Berufes erfüllte. Dasselbe war sehr religiös und
schöpfte aus seinem heiligen Glauben Kraft und Freu-
digkeit für die Mühen und Arbeiten seines Standes.
Eines Abends nun kam die Dame, wie gewöhnlich,
ziemlich spät nach Hause und fand auf dem Tische ein
geöffnetes Buch, in welchem ihr braves Dienstmädchen
eben eine Betrachtung gelesen hatte. Sie warf einen
flüchtigen Blick hinein und merkte sofort, daß es ein
christliches Erbauungsbuch war und sprach darum: ‘„O
du arme, melancholische Seele! wie kann es dir doch
Freude machen, in einem solchen Buche zu lesen.“’

Dann ging sie zur Ruhe, konnte aber nicht einschlafen.
Gedanken ganz ungewöhnlicher Art gingen ihr durch
den Kopf, endlich fing sie an, bitterlich [zu] weinen.
Die gute Dienerin hörte es, begab sich zu ihr und
frug mit treuer Besorgniß, was ihr fehle. Da brach
sie von neuem in Thränen aus und gab dann nach
einigen Augenblicken zur Antwort: ‘„Ach, ich habe in
deinem Buche ein Wort gelesen, das mir keine Ruhe
mehr läßt, das Wort ‘„Ewigkeit“’. Der Gedanke an
die Ewigkeit hatte sie erfaßt und bewirkte nun ihre
vollständige Bekehrung. Sie erkannte jetzt auf einmal,
wie ihr Leben ein durchaus unchristliches und zweckloses
sei, entsagte den gefährlichen Vergnügungen und erbaute
in Zukunft Alle durch ihr christliches Tugendbeispiel.
[54] Nicht minder wie dieser Weltdame kann es dem
kräftigen Manne nur vom größten Nutzen sein, wenn
er zuweilen von dem ganzen Ernste des Gedankens an
die Ewigkeit sich durchdringen läßt, wenn er manchmal
in ruhiger Stunde vor Gott überlegt, daß er eine
ewige Bestimmung hat.’

1. Christlicher Mann, du bist für die Ewigkeit
erschaffen. Du sollst dir durch dein Leben hienieden
eine glückliche Ewigkeit jenseits des Grabes verdienen.
Nicht Ehre, nicht Reichthum, nicht sinnliche Freude ist
das Ziel, für welches du erschaffen bist, sondern dein
Ziel ist Gott und seine ewige Seligkeit. Daran er-
innert dich der untrügliche Mund des gött-
lichen Heilandes
, wenn er spricht: ‘„Was nützt
es dem Menschen, wenn er die ganze Welt
gewinnt, an seiner Seele aber Schaden
leidet
!“’
Was nützt es ihm, wenn er alle Güter
und Reichthümer der Welt, wenn er alle Ehren und
die Gunst der Großen und Mächtigen der Erde sich
erwirbt, aber für seine unsterbliche Seele keine Sorge
trägt und darum für alle Ewigkeit unglücklich wird.
Um Güter, die nur immer und ewig besitzen und die
uns Niemand rauben kann, sollen wir uns vor allem
bemühen; darum mahnt der göttliche Heiland weiter:
‘„Sammelt euch nicht Schätze, welche die
Diebe ausgraben und Rost und Motten
verzehren, sondern sammelt Euch Schätze
für den Himmel
.“’
Um uns die ewige Seligkeit
des Himmels zu sichern, müssen wir zu jedem Opfer
[55] bereit sein, müssen wir uns entschließen, eine böse Ge-
legenheit zur Sünde, mag sie unserem Herzen noch so
theuer sein, entschieden aufzugeben; darum spricht er:
‘„Wenn dich deine Hand oder dein Fuß
ärgert, so haue sie ab und wirf sie von
dir; denn es ist dir besser, verstümmelt in
das ewige Leben einzugehen, als mit zwei
Händen und zwei Füßen in das ewige Feuer
verstoßen zu werden
.“’
Und was der Heiland
gelehrt, das verkündigt überall ohne Furcht und Zagen
seine heilige Kirche. Zu dem Fürsten wie zum Bett-
ler, zu dem Reichen wie zu dem Armen spricht sie:
Nicht für den Tand und Flitter dieser Welt bist du
erschaffen, sondern für größere und bessere Güter, die
du eine ganze Ewigkeit besitzen sollst. Tag für Tag,
ja Stunde für Stunde betet sie auf dem weiten Erden-
runde mit millionenstimmigem Munde: ‘„Ich glaube
an ein ewiges Leben.“’
Und was die Kirche glaubt
und betet, das haben mit tiefster Ueberzeugung geglaubt
die zahllos vielen heiligen Männer und Frauen des
Christenthums, deren Herz rein und edel war, und die
mit dem Glanze ihrer Tugend die Erde erleuchtet und
mit dem Segen ihrer Werke die Mit- und Nachwelt
erfreut haben. Und wo es heute noch Christen gibt,
die vor Sünde und Laster zurückschrecken und mit Ernst
nach Tugend streben und ihre Berufspflichten gewissen-
haft erfüllen, da blicken sie glaubensfest auf zum Him-
mel und schöpfen aus dem Gedanken an die ewige
Seligkeit Kraft zum Kampfe gegen die Leidenschaften
[56] und zur Beharrlichkeit im Guten. Ueberall dagegen,
wo Sünde und Gemeinheit ihren Thron aufgeschlagen,
wo den Ehemännern das Gebot der ehelichen Treue
eine Last ist, die sie in ihrer Verkommenheit abschüt-
teln, wo die Jugend durch Ausschweifungen aller Art
die schönste Zeit des Lebens entweiht und schändet, da
und nur da lehnt sich der Mensch auf gegen den Glau-
ben an eine ewige Bestimmung, da und nur da möchte
er den Affen umarmen und ihn als seinen Urahnen
begrüßen mit den Worten: ‘„Ich bin nicht mehr wie
du.“’
Dich, christlicher Mann, wird das thörichte Ge-
rede solcher Männer nicht im mindesten beirren; das
Wort deines göttlichen Heilandes und seiner heiligen
Kirche, dieser erhabenen und großartigen Anstalt, wie
die Welt keine zweite je gesehen, das Wort und der
Glaube der Heiligen und treuen Christen steht dir höher,
unendlich höher als das Wort eines Ehebrechers und
einer verstandlosen und ausschweifenden Jugend.

2. Du bist mehr wie die Blume, die auf der
Wiese steht, mehr wie der Wurm, der im Staube
kriecht. Die Hand des Kindes bricht die Blume ab,
wirft sie, nachdem es einige Augenblicke mit ihr ge-
spielt, hin und die Blume verdorrt. Du trittst den
Wurm auf dem Wege mit Füßen, er krümmt sich vor
Schmerz einigemal, dann stirbt er und sein Leben ist
für immer verschwunden. Du selbst aber wirst fortleben
auch nach deinem leiblichen Tode, du wirst in die Ewig-
keit eingehen, um dort, je nach deiner sittlichen Beschaffen-
heit, entweder ein Leben beständiger Freuden oder ein
[57] Leben immer andauernder Qualen zu führen. Das ist
die Antwort, welche wir erhalten, wenn wir nach der
religiösen Ueberzeugung der Völker fragen
.
Ueberall bei allen Völkern der Geschichte stoßen wir auf
den Glauben an ein Fortleben nach dem Tode. Hier
ist man der Meinung, daß die abgeschiedenen Seelen
vor den Richterstuhl des unerbittlichen Minos und
Rhadamantus geführt werden, und daß die Gerechten
in das Elysium eingehen, während die Gottlosen in
den Tartarus geworfen werden. Dort finden wir die
Sitte, daß man für die Verstorbenen Opfer darbringt
und religiöse Feierlichkeiten veranstaltet in dem Glauben,
den Todten dadurch im Jenseits zu nützen. Bei den
Chinesen sehen wir, daß man den hingeschiedenen Ahnen
Altäre baut und ihr Andenken heiligt und in Ehren
hält, bei den Indiern und Peruanen, daß die Frauen
sich selbst dem Tode weihen, um dem verstorbenen
Manne und Familienvater in eine andere Welt zu
folgen. Das Alles zeugt doch offenbar von dem Glau-
ben, daß von den hingeschiedenen mehr übrig bleibe,
als eine Hand voll Staub und Moder, daß dieselben
jenseits des Grabes ein anderes neues Leben führen.
Und man kann auch nicht sagen, dies sei bloß der
Glaube der ungebildeten Menge gewesen. Gerade die
Gebildetsten im Heidenthum sprechen diesen Glauben
offen aus und zeichnen oft die Schrecken und Qualen der
Gottlosen in der Ewigkeit mit so grellen Farben, wie
sie wohl selten oder nie ein christlicher Prediger oder
Schriftsteller geschildert hat. Man denke doch nur an
[58] Virgil, dessen Gedichte wir noch heute bewundern. In
dem sechsten Buche seiner Aeneide spricht er mit wahr-
haft erschütternden Worten von den Qualen der Ver-
worfenen und sagt dann zum Schlusse:
‘„Wenn auch unzählige Zungen ich hätt' und unzählige Lippen,
Eiserne Stimme dazu, doch könnte ich nimmer beschreiben,
Was für Qualen der Böse dort trägt zur Strafe des Lasters.“’

Die berühmtesten Philosophen Griechenlands, wie
Pythagoras, Sokrates und Plato sprechen denselben
Glauben aus, und Cato, der bekannte Römer, ruft,
beseelt von demselben begeistert aus: ‘„O glücklicher Tag,
an welchem ich diese Erde verlasse, um mich zur himm-
lischen Versammlung der Geister, die mir vorangegangen
sind, zu erheben.“’
Ein Glaube, der allgemein bei allen,
auch den verschiedensten und entferntesten Völkern ver-
breitet ist, kann kein Irrthum, keine Täuschung sein,
muß auf Wahrheit beruhen; er ist dem Menschenge-
schlechte von Gott mit in's Leben gegeben.

3. Christlicher Mann! nicht für die kurze Zeit
dieses Lebens, nicht für den Staub und die Scholle
bist du erschaffen, sondern für Höheres, für eine wahre
und ewig dauernde Glückseligkeit. Das sagt uns die
eigene Vernunft
. Der Mensch will glücklich sein,
vollkommen glücklich, beständig glücklich. Das ist der
mächtige Zug in seinem Innern, den er nicht unter-
drücken kann. Dieses Sehnen finden wir bei allen
Menschen, nicht bloß beim Fürsten, dessen Haupt eine
goldene Krone schmückt, sondern auch bei dem armen
Manne in der zerfallenen Hütte, bei dem vor Kälte
[59] zitternden Bettler am Wege. Dieses Sehnen ist uns
mit unserer menschlichen Natur, also von dem Schöpfer
selbst gegeben worden. Gott aber konnte es uns nur
aus Liebe und Weisheit geben; denn seine unendliche
Wesenheit schließt jegliche, auch die geringste Bosheit
und Thorheit aus. Hat er aber nur aus Güte und
Weisheit diese unauslöschliche Sehnsucht nach bestän-
diger Glückseligkeit uns geschenkt, so hat er dies nur
gethan, damit sie auch befriedigt werde. Sonst wäre
dieselbe ja nur der beständige Henker des armen Men-
schen, und dieser, das große Meisterwerk der irdischen
Schöpfung, stände weit unter dem unernünftigen Thiere,
das von einem solchen Sehnen nichts weiß. Nun
wird aber dieses mächtige Sehnen nach dauernder und
allseitiger Glückseligkeit hier auf dieser Erde nicht be-
friedigt. Finden wir ja überall unruhige, schmerzer-
füllte, sorgenvolle Herzen, überall ein hastiges Jagen
nach Glück und doch so wenig glückliche Menschen.
Von allen Seiten tönt uns das salomonische Wort
der getäuschten Hoffnung entgegen: ‘„ O Eitelkeit
der Eitelkeit und Alles ist Eitelkeit
.“’

Wir wollen hier noch die schönen Worte des schon
mehrfach erwähnten Hettinger1) anführen: ‘„Wo ist
das Glück? Wir nennen es, wir suchen nach ihm,
darum kann es uns nicht gänzlich unbekannt, nicht
völlig Fremdling auf Erden sein. Es erscheint auf
Erden, es begleitet uns einen Augenblick durch's Leben,
[60] dann verschwindet es wieder – du weißt nicht, woher
es gekommen, wohin es gegangen. Wer dürfte so un-
dankbar sein zu sagen, das Glück ist mir nie er-
schienen. Doch es währt nur einen Augenblick, dann
flieht es wieder, ein Sonnenblick, der jetzt durch die
Wolken fällt und jetzt sich wieder verbirgt. Der Mensch
aber will glücklich sein nicht für einen Augenblick, er
will ein Glück, das immer währt und nie endet.
Und selbst wäre es dauernd, es wäre doch nicht das
volle Glück. Denn alles irdische Glück befriedigt nur
eine Seite, eine Richtung unseres Wesens, immer bleibt
der tiefste Grund der Seele in Nacht gehüllt, wie das
Dunkel noch immer über den Thälern liegt am Morgen,
sind auch die Spitzen der Berge von der Sonne be-
leuchtet. Das irdische Glück ist nicht allseitig und
nicht bis in's innerste Mark des Lebens dringend, es
vergoldet nur die äußeren Ränder der Seele, es wirft
sein Licht nur nach einer Seite hin, so daß die
Schatten nur noch mehr hervortreten. Darum diese
Wehmuth mitten im Glück; gerade wo es viel ge-
währt, fühlt der Mensch erst recht, wie wenig es ge-
wesen, und wie bald auch dieses Wenige schwindet.
Das wahre Glück muß allseitig sein, das wahre Glück
muß ewig währen. Nur im Unendlichen wohnt
das Glück, das allseitig, ewig, unendlich befriedigt;
nur ewiges Glück ist wahres Glück. So gewiß der
Mensch diese Sehnsucht in sich trägt, so gewiß muß
ihr Befriedigung werden; denn die Stimme der Natur
führt nicht irre, es ist die Stimme Gottes selbst, der
[61] sie gebildet.“’
Nur in der Ewigkeit kann dieses Sehnen
des Menschen nach wahrem und beständigem Glück ge-
stillt werden und darum muß es eine Ewigkeit für ihn
geben; Gott, der unendlich Vollkommene, kann nicht
als herzloser Tyrann dieses Sehnen ihm zur bestän-
digen Qual und Täuschung anerschaffen haben.

4. Es gibt eine Ewigkeit. Dort wird strenge
Gerechtigkeit geübt; dort wird die Tugend ihren Lohn,
das Laster seine Strafe erhalten. Das sagen uns die
Thaten, Handlungen und Schicksale der
Menschen auf dieser Erde
. Es ist doch sicher
ein ganz gewaltiger Unterschied zwischen einem Men-
schenmörder, der im Walde den Reisenden anfällt, ihm
seinen Dolch in's Herz stößt und dann mit dessen
Baarschaft davoneilt, und einer barmherzigen Schwester,
die am Bette eines Pestkranken, von dem die eigene
Gattin und die eigenen Kinder geflohen sind, sitzt und
ihn mit aller Liebe und Sorgfalt pflegt, ohne auf die
Gefahr für ihre eigene zarte Gesundheit zu achten. Es
ist doch ein ganz gewaltiger Unterschied zwischen einem
jungen Menschen, der ein Sclave und ein Spielball
seiner Leidenschaften ist und sich und Andere, an denen
er zum Verführer wird, in's Verderben und Elend
stürzt, und einer reinen, keuschen Jungfrau, die in
allen Versuchungen und Gefahren, auch in den stärksten
und verlockendsten, eine unbesiegbare Kraft an den Tag
legt, die in ihrer unversehrten Unschuld dasteht wie
eine liebliche Blume des Himmels und im schwachen
Fleische fast mehr ein englisches als ein menschliches
[62] Leben führt. Es ist überhaupt ein himmelweiter
Unterschied zwischen Tugend und Laster. Die Tugend
verdient großen, himmlischen Lohn, das Laster dagegen,
wenn es nicht bereut und gesühnt wird, schwere, ewige
Strafe. Es ist billig und angemessen, daß Gott, ein
Vater, der ewig lebt und unendlich große und herrliche
Reichthümer besitzt, seine guten und treuen Kinder auch
ewig an seiner Seligkeit und seinen himmlischen Gü-
tern Antheil nehmen läßt; aber ebenso ist es auch
billig und recht, daß die unbereute schwere Sünde, die
schwere Beleidigung eines unendlichen Gottes, die
schwere Beleidigung eines unbegreiflich liebevollen und
gütigen Vaters und die schnöde Verachtung des höch-
sten Gutes mit ewigen Strafen, mit ewiger Trennung
von ihm gezüchtigt werde. Wird nun in diesem Leben
die Tugend immer entsprechend belohnt und das Laster
gebührend gestraft? Durchaus nicht. Erhebt nicht oft
das Laster stolz und ungestraft das Haupt? genießt es
nicht oft alle Freiheit und alle Freuden? steht es nicht
oft in Ehren und Ansehen, während die Tugend unter
der Last des schweren Kreuzes einherwankt, von der
Gottlosigkeit verfolgt und nur zu oft nach irdischem
Begriffe auch überwunden wird? Fällt nicht der fromme
Abel, der Trost und die Freude seiner Eltern, unter
der mörderischen Hand seines bösen Bruders? Wird
nicht David, der Mann nach dem Herzen Gottes, von
Saul mit unversöhnlichem Hasse verfolgt? Weil also
hienieden in diesem Leben die Tugend nicht nach Ver-
dienst belohnt und das Laster nicht nach Gebühr gestraft
[63] wird und auch nicht gestraft werden kann, so muß es
eine Ewigkeit geben, wo die Tugend ihre Krone und
das Laster seine gebührende Strafe erhält. Das ver-
langt die ewig unbeugsame Gerechtigkeit des unendlichen
Gottes.

5. Es gibt eine Ewigkeit; an der Schwelle der-
selben erwartet dich ein unendlich gerechter Richter, der
das nicht gesühnte Laster ewig straft, dagegen die Tu-
gend und die guten Werke ewig belohnt. Der Glaube
an diese Wahrheit wird dringend verlangt von
der Ordnung und dem Wohle der ganzen
Gesellschaft
. Die Menschheit kommt ohne denselben
nicht zurecht. Gibt es keine Ewigkeit, dann gibt es
für uns nur eine Weisheit, nur ein Ziel, nämlich die
kurze Zeit unseres Lebens mit möglichst vielen Freuden
und Genüssen anzufüllen. Das Vergnügen und nur
das Vergnügen ist dann einzig und allein unseres
Strebens werth. Gibt es keinen Himmel und keine
Hölle, dann ihr Menschen alle wetteifert mit einander
im Genusse, stoßet einen Jeden unbarmherzig zu Bo-
den, der euch irgendwie in euern Freuden und Ver-
gnügen stören will; dann, ihre Söhne, erwürget herzlos
den Vater, der euern Genüssen Schranken setzen will,
und ihr genußsüchtigen, entarteten Töchter, warum
habet ihr noch Geduld mit der Mutter, die mit schmerz-
erfülltem Herzen und mit Thränen in den Augen euch
ansteht, den Weg der Sünde zu verlassen? Nieder mit
der Mutter; mag sie auch noch so viel Liebe an euch
verschwendet haben, sie hat ein todeswürdiges Verbrechen
[64] begangen; denn sie hat euch zurückhalten wollen von
euern Vergnügen. Darum weg mit ihr; ihr braucht
euch nicht länger von ihren Thränen und Bitten be-
lästigen zu lassen. Gibt es keine Ewigkeit, dann über-
haupt weg mit allen Schranken und Gesetzen, weg
mit jeder Obrigkeit, mag sie heißen wie sie will, weg
mit allen Fürsten, mögen sie vorgeben, auch noch so
rechtlich den Thron bestiegen zu haben. Nichts, durch-
aus gar Nichts soll mich binden; nur ein Recht
erkenne ich an, nämlich das Recht, zu genießen, nur
zu genießen, überall zu genießen, das Recht, in
Menschengestalt ein freies Thier zu sein. Was müßte
aus der Menschheit werden bei solchen Anschauungen?
Wie wäre da ein menschenwürdiges Leben denkbar?
Nur durch die Ewigkeit hat die Zeit, hat das irdische
Leben Werth und Bedeutung für uns; nur durch den
Glauben an die Ewigkeit ist die Ordnung und der
Bestand der menschlichen Gesellschaft gesichert. Dieser
Glaube ist das starke, feste Fundament, auf dem das
Wohl der Menschen beruht, ist die Quelle, von der
ein großer, reicher Strom von Segen über alle Völker
und Länder ausgeht, ist gleichsam ein heiliger Berg
Sinai, von dem die Gesetze der Tugend und Gerechtig-
keit in die Welt hinaus leuchten. Wehe, wenn dieser
Glaube unter uns zu ersterben anfängt; denn dann
muß sich Alles in Nacht und Dunkel hüllen; Barbarei,
thierische Grausamkeit und unmenschliche Sitten müssen
sich überall geltend machen und das irdische Leben wird
zu einer tauben Blüthe ohne allen Werth.

[65]

6. Als Thomas Morus, der berühmte Glaubens-
held des sechzehnten Jahrhunderts, lange in schwerer
Kerkerhaft schmachten mußte, weil er nicht auf Wunsch
seines ehebrecherischen Königs dem katholischen Glauben
entsagen wollte, machten einige seiner Verwandten alle
Versuche, ihn zur Nachgiebigkeit gegen den Fürsten zu
bestimmen. Doch alle Vorstellungen scheiterten an seiner
Standhaftigkeit. Zuletzt erschien sogar die eigene Gattin
mit den deutlichen Spuren des bittersten Schmerzes
und Kummers im Angesichte. Sie erinnerte ihn an
die glücklichen Jahre, die sie mit einander verlebt
hätten, an die hoffnungsvollen Kinder, die ihre ge-
meinschaftliche Freude seien, an den unerträglichen
Schmerz, der ihr und den Kindern durch seinen bevor-
stehenden Tod bereitet würde; endlich bat sie ihn unter
einem Strome von Thränen und mit den zärtlichsten
Worten, doch wenigstens aus Mitleiden mit ihr und
seinen Kindern dem Befehle des Königs zu willfahren,
um noch länger in Glück und Ansehen mit einander
leben zu können. Auch Morus wurde beim Anblick
des großen Schmerzes seiner zärtlich geliebten Gattin
tief gerührt und der Gedanke an die nahe Trennung
von ihr und seinen Kindern machte ihm das Herz
zittern. Doch er wankte nicht in seiner Treue gegen
Gott und die heilige Kirche. Fest und ernst schaute
er seine Gattin an und sprach: ‘„Wie lange glaubst
du wohl, daß dieses Ansehen, dieses glückliche Zusammen-
leben noch dauern werde, wenn ich dem ungerechten
Befehle des Königs entspreche?“’
‘„O noch zwanzig, auch
[66] noch mehr Jahre,“’
sagte sie freudig erregt. Doch mit
heiligem Ernste und unerschütterlicher Festigkeit gab
Morus zur Antwort: ‘„Geh', thörichte Käuferin! willst
du denn eine ewig dauernde Ehre und eine unendliche
Glückseligkeit einem schnöden Glücke von zwanzig
Jahren aufopfern? Bewahre mich Gott vor einem
so thörichten Tausche. Lieber will ich Alles verlieren
als meine ewige Seligkeit; denn 'was nützt es dem
Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner
Seele aber Schaden leidet?'“’
Mit diesen schönen, echt
christlichen Worten war die versuchende Eva für immer
abgewiesen.

Du, lieber christlicher Mann, wirst wohl nie in
dieser Weise, wie der berühmte Glaubensheld von Eng-
land, versucht werden; doch auch dir bleibt die Ver-
suchung nicht aus. Hier tritt an dich eine Versuchung
für deinen Glauben und deine kirchliche Gesinnung,
dort eine Gefahr für die Reinheit des Herzens und die
Treue, die du einst feierlich deinem Eheweibe am Altare
versprochen hast; anderswo lockt und reizt dich ein
reicher Gewinn, den du leicht und unbestraft machen
könntest, zur Verletzung der christlichen Gerechtigkeit.
In all' diesen und ähnlichen Gefahren denke an den
hohen Ernst der Ewigkeit, denke an die ewigen
Freuden, die dir zu Theil werden, wenn du standhaft
bleibst im Guten, an die ewigen Qualen, die du dir
verdienst, wenn du der Versuchung nachgibst und eine
schwere Sünde begehst. Denke und erwäge, wie du
allezeit gleichsam vor den Pforten der Ewigkeit stehst,
[67] indem der Tod an jedem Orte und in jedem Augen-
blicke seine eisige Hand an dich legen und dich vor
den Richterstuhl deines Gottes stellen kann. Auch
dann, wenn zuweilen dein religiöser Eifer erlahmen
will, ermuntere dich zur Beharrlichkeit und zu neuem
Eifer im Dienste Gottes durch den Gedanken an die
ewige Seligkeit und Herrlichkeit im Himmel, die ja um
so größer sein wird, je eifriger du hienieden deinem
Herrn und Gott gedient hast und je treuer du warst
in Erfüllung deiner Berufspflichten.

IV.
Jesus Christus – unser Gott.


Jesus Christus ist der von den Propheten ver-
heißene göttliche Messias. Nur an ihm haben sich ihre
verschiedenen Weissagungen alle ganz genau erfüllt. Er
ist, um nur Einiges anzuführen, zu Bethlehem im
Lande Juda geboren, wie der Prophet Michäus es
schon vor Jahrhunderten verkündigte, und zwar in der
Zeit geboren, die Daniel längst vorausgeschaut. Er hat
sein öffentliches Leben und Lehramt ausgezeichnet durch
Sanftmuth und Milde, durch große Zeichen und
Wunder, wie es die Propheten schon lange vorher ge-
schildert hatten; er wurde treulos verrathen, verkauft,
gegeißelt, mit Essig getränkt und starb zwischen zwei
Missethätern; nach seinem Tode wurden seine Kleider
[68] vertheilt und über sein Gewand das Loos geworfen.
Alles geschah, wie es vor langer Zeit heilige und er-
leuchtete Männer im Auftrage Gottes dem israelitischen
Volke geweissagt hatten. Menschen konnten aus sich
das nicht vorauswissen und noch weniger konnte ein
Mensch aus eigener Kraft all' diese verschiedenen Um-
stände und Thatsachen in seinem Leben zur Erfüllung
bringen.

Jesus Christus steht vor uns im steckenlos reinen,
hellstrahlenden Glanze seines Tugendlebens. Selbst das
schärfste Auge seiner Todfeinde konnte an ihm nicht
einmal den Schatten einer Sünde erspähen. Welche
Demuth nehmen wir an ihm wahr bei den größten
Lobpreisungen? welche Sanftmuth und Milde in allen
Lebenslagen? welche himmlische Ruhe und Gelassenheit
bei allen Verfolgungen und Kränkungen? welche un-
überwindliche Geduld in den größten Leiden auf dem
Calvarienberge? welche heldenmüthige Liebe in seinem
erhabenen Herzen, da er noch sterbend am Kreuze für
seine bittersten Feinde betet? Und wie bewundernswerth
ist der beständige Gleichmuth seiner Seele? Er bleibt
immer derselbe, ob man ihn lobt oder tadelt, ob man
ihn ehrt oder schmäht, ob man ihn steinigen oder zum
Könige ausrufen will; immer derselbe, ob eine große
Menge ihn jubelnd umwogt und ihr Hosanna erschallen
läßt, oder ob sie in arger Verblendung ihn dem
Straßenräuber und Menschenmörder Barabbas nachsetzt
und mit wildem Wuthgeschrei seine Kreuzigung ver-
langt. Selbst der Unglaube sieht sich genöthigt, Christus
[69] als einen Idealmenschen zu betrachten, über den Nie-
mand hinauskommen könne. Sokrates ist bekanntlich
oft hoch gerühmt und gepriesen worden wegen seiner
Tugend und Weisheit, und doch behauptet sogar ein
Rousseau, daß zwischen Christus und Sokrates gerade-
zu ein himmelweiter Unterschied sei, wenn er sagt:
‘„Des Sokrates Leben und Tod ist das eines Weisen,
das Leben und der Tod Jesu ist das eines Gottes.“’

Und doch wäre dieser vollkommenste und edelste der
Menschen in dem Falle, daß unser Glaube an seine
Gottheit trügerisch wäre, der infamste Lügner und der
gemeinste Heuchler und Betrüger, den je die Erde ge-
sehen; denn er hat ja wiederholt und in der feier-
lichsten Weise sich für den ewigen, wesensgleichen Sohn
des lebendigen Gottes ausgegeben. Nein, nein; Christus
kann kein teuflischer Betrüger gewesen sein. Dagegen
protestirt sein ganz heiliges und göttliches Leben,
protestirt unsere Vernunft, die ihn der gemeinsten Lüge
und des wahnsinnigsten Stolzes unfähig halten muß,
protestirt der große und reiche Segen, die hohe Kultur
und Civilisation, welche die christlichen Völker dem
Glauben an seine Gottheit zu danken haben.

Jesus Christus ist als großer Wunderthäter durch
das Leben gegangen. Er hat Blinden, die seit vielen
Jahren, ja von Geburt an des Augenlichtes beraubt
waren, sehend gemacht, hat wunderbar Tausende von
Männern und Frauen, die ihm ohne Nahrung in die
Wüste gefolgt waren, mit einigen wenigen Broden ge-
sättigt, hat Kranke aller Art, an denen berühmte
[70] Aerzte Jahre lang vergebens ihre Kunst versucht, voll-
ständig geheilt und zwar geheilt durch ein paar Worte,
die sein Mund sprach. Er hat den Jüngling von
Naim, den man zu Grabe trug, und den Lazarus von
Bethanien, der schon im Felsengrabe schlummerte, durch
einen bloßen Machtbefehl in's Leben zurückgerufen.
Selbst dem ungestümen, wilden Meere, das von ge-
waltigen Stürmen heftig und stark gepeitscht wurde,
hat er Ruhe geboten, und augenblicklich legten sich die
hoch aufgethürmten Wogen. Sogar seine größten
Feinde und Widersacher haben es nicht gewagt, seine
Wunder in Abrede zu stellen, ein Beweis, daß sie
über allen Zweifel erhaben waren. Wunder, göttliche
Thaten kann nur Gott verrichten, oder wem Gott die
Macht dazu verleiht. Diese Macht konnte er aber un-
möglich Christus verleihen, wenn derselbe sich fälschlich
für den wesensgleichen Sohn Gottes ausgab. Denn
dann hätte Gott, die ewige Wahrheit und die unend-
liche Heiligkeit, die Lüge des infamsten Betrügers und
Gotteslästerers bestätigt und in Schutz genommen. Das
aber ist absolut unmöglich. Darum beugen wir mit
vollem Recht vor Christus unsere Knie und beten ihn
an als unseren höchsten Herrn und Gott.

Jesus Christus steht in der Weltgeschichte da als
der Gründer des mächtigsten Reiches. Er, dessen Wiege
eine arme, kalte Krippe und dessen Sterbebett ein
hartes, nacktes Kreuz war, er, der so wenig von den
irdischen Gütern besaß, daß er die Vögel des Himmels
und die Füchse des Waldes reicher nennen mußte als
[71] sich selbst, hat ein Reich gegründet so groß und um-
fangreich, so mächtig und tief in die Menschheit ein-
dringend, wie nie, seitdem die Welt steht, Könige und
Kaiser ein solches gründen konnten, mochte ihnen auch
die größten und schlagfertigsten Heere zu Gebote stehen
und mochten sie selbst und ihre Soldaten auch den un-
erschrockensten Muth und die zäheste Tapferkeit und über-
legendste Klugheit besitzen. Und gegen dieses Reich
Jesu hat sich die ganze Welt erhoben, um es vom Erd-
boden zu vertilgen. Mächtige Fürsten und listige Philo-
sophen, fanatische Götzenpriester und wüthende Volks-
massen haben sich miteinander verbunden, um es un-
barmherzig zu Grunde zu richten. Doch mächtiger als
alle Regenten und Staatsmänner, als alle Philosophen
und Gelehrte, als alle Götzenpriester und rasende Volks-
haufen war der arme, verachtete, wundgeschlagene Jesus
mit der Dornenkrone auf dem Haupte, dem Spottmantel
um die Schultern und dem zerbrechlichen Schilfrohre in
der müden, zitternden Hand. Die Macht und Weis-
heit der ganzen Hölle und Welt konnte ihn nicht be-
siegen, weil in ihm die Fülle der Gottheit wohnt.

Doch noch mehr. Selbst das persönliche Schicksal,
wenn man sich bei Jesus so ausdrücken darf, das ihn
nach seinem Tode traf, zeigt uns klar, daß wir es bei
ihm nicht mit einem bloßen Menschen, sondern mit
Gott zu thun haben. Nie ist je ein Mensch nach seinem
Tode so geliebt, so gehaßt worden und hat solchen Ruhm
erlangt, wie Jesus Christus. Das wollen wir in diesem
Kapitel etwas näher betrachten.

1.

[72]

Nie ist ein Mensch nach seinem Tode so
geliebt worden wie Jesus Christus
. – Wir
haben ein Sprichwort, das sagt: ‘„Aus den Augen, aus
dem Sinn.“’
Zur Ehre der Menschheit darf man wohl
behaupten, daß dieses Wort sich nicht immer im strengen
buchstäblichen Sinne erfüllt, aber nichts desto weniger
wird es nur zu oft im Leben bestätigt; besonders aber
ist es allgemeine Erfahrung, daß der Tod, das Grab,
dem Menschen die Liebe raubt. Wie Viele, die früher
allgemein beliebt und von Freunden förmlich um-
schwärmt waren, sind wenige Jahre nach dem Tode fast
ganz vergessen, selbst im engsten Kreise der Freunde.
Selten wird ihr Name genannt; man hat neue Freunde,
und darum gedenkt man nur selten der hingeschiedenen.
Werden nicht manchmal selbst Diejenigen, mit welchen
man durch die innigsten Bande vereinigt war, bald
nach dem Tode vergessen? Geschieht das nicht selbst
bei Vater und Mutter, die doch alle Liebe an die
Kinder verschwendet? Die Thränen, welche man an ihrem
frischen Grabe in bitterstem Schmerze weint, fließen bald
nicht mehr. Die Kinder werden von den Mühen und
Sorgen des Lebens in Anspruch genommen, oder die
Welt mit ihren Annehmlichkeiten und Zerstreuungen übt
ihren Einfluß auf sie aus, und so wird der Schmerz
der trauernden Liebe nach und nach ruhiger, und wenn
man auch den theueren Eltern ein gutes Andenken be-
wahrt, so hat doch das Grab ihnen die Frische und
[73] Wärme der zärtlichen Liebe genommen, die sie bei
den Kindern genossen. Wer von uns wird wohl noch
fünfzig oder hundert Jahre nach seinem Tode hier auf
Erden geliebt werden? Wer von uns wird, wenn seine
Gebeine nur mehr eine Hand voll Staub und Asche
sind, sich noch in den Herzen derer, die ihn nie gekannt,
neue Liebe erwerben? Wer wird dann bei den Bewohnern
der großen und industriereichen Städte von Amerika
oder bei den Wilden in den Wäldern Afrika's eine
große Eroberung der Herzen bewirken, so daß dieselben
mit freudiger Begeisterung die größten Opfer für ihn
bringen? Sicher Niemand. Ohne Prophet zu sein,
kann man das mit der größten Gewißheit voraussagen.
Denn das Grab raubt uns die Liebe und bringt uns
Vergessenheit.

Nur bei Jesus Christus ist es anders. In
seinem irdischen Leben ist er verhältnißmäßig wenig
geliebt worden. Er war der Mildeste, Sanftmüthigste
und Liebenswürdigste unter den Menschen; überall ver-
richtete er Werke der Barmherzigkeit und kennzeichnete
all seine Schritte mit Wohlthaten; eine gewisse über-
irdische Schönheit und ein himmlischer Zauber war über
sein ganzes Wesen, Leben und Wirken ausgebreitet, und
doch fand er wenig Liebe. Nur Wenige liebten ihn
wahrhaft und beharrlich; nur eine kleine Schaar Jünger
hielt zu ihm, und auch diese scheinen aus bloß irdischen
Hoffnungen ihm gefolgt zu sein. Nur aus Selbstsucht
liebten sie ihn; zur Zeit der Gefahr flohen sie und
wollten nicht für seine Anhänger gelten. Einer von
[74] seinen Aposteln, Judas mit Namen, hat ihn sogar ver-
rathen und um einige wenige Silberlinge an seine
grimmigsten Feinde verkauft. Und als dann Jesus
aus Calvaria am Kreuze schmerzlich verblutete, war die
große Stadt am Fuße des Calvarienberges kalt und ge-
fühllos; nur wenige Thränen wurden um ihn geweint;
nur wenige Herzen fühlten warme und innige Theil-
nahme für sein schreckliches Leiden und qualvolles
Sterben. Die Meisten sind herzlich froh, daß er aus
dem Wege geräumt ist oder kümmern sich gar nicht um
sein trauriges Ende und gehen nur ihren täglichen Ge-
schäften nach, als ob gar nichts Besonderes vorgefallen
wäre. Wird nicht ein solcher Mann bald ganz ver-
gessen sein? nach fünfzig Jahren, um hoch zu greifen,
wird wohl kein Herz mehr auf dieser Erde schlagen,
in dem noch ein Funke von Liebe zu ihm glüht? Man
sollte es glauben. Und doch ist es ganz anders ge-
kommen.

‘„ Wenn ich am Kreuze erhöht sein werde,
will ich Alles an mich ziehen.“’
Diese Worte
Jesu, die nur Gott sprechen konnte, haben sich wunder-
bar nach seinem Tode erfüllt. Seine Jünger, die doch
früher so glaubens- und liebearm, so feige und ohne
alle Begeisterung für den Herrn sich gezeigt hatten,
scheinen auf einmal ganz andere Männer geworden zu
sein. In ihrem herzen hat sich ein Feuer der Liebe
zu Jesus entzündet, das sie nicht rasten und ruhen läßt.
Sie eilen hinaus in alle Welt, um seine Lehre den
Völkern zu verkünden. Sie scheuen nicht zurück vor
[75] den Gefahren des Meeres; sie bangen nicht vor Kerker
und Folter; freudig unterziehen sie sich den größten
Beschwerden und den schmerzlichsten Drangsalen und
Verfolgungen; jubelnd sterben sie für den Namen Jesu.
Niemand kann in ihnen mehr die feigen und selbst-
süchtigen Jünger von früher erkennen.

Doch noch mehr. Dem Heilande, der im Leben
so wenig geliebt worden, wird, nachdem er am Holze
der Schmach des schmerzlichsten Todes gestorben, auch
von Andern, die ihn nie gesehen und nie ein Wort
mit ihm gesprochen, eine Liebe zu Theil, wie sie nie
ein geschaffenes Wesen hienieden empfangen hat, und
zwar in allen Ländern der Erde und zu allen Zeiten.
Wer denkt hier nicht an die zahllos vielen Martyrer
der ersten christlichen Jahrhunderte, die freudig Gut
und Blut für Jesus zum Opfer gebracht haben? Und
das waren oft Solche, die in der Welt die glänzendste
Stellung einnahmen und das schönste Glück besaßen oder
doch sicher hoffen durften. Im Anfange des vierten
Jahrhunderts lebte in der herrlichen Weltstadt Rom
eine blühende Jungfrau, die Tochter von sehr reichen
und vornehmen Eltern. Der Sohn des Statthalters
Prokopius faßte eine innige Neigung zu derselben und
warb um ihr Herz und ihre Hand. Dieser Braut-
bewerber konnte ihr Paläste, Lustgärten, Landhäuser
und Alles versprechen, was die Welt bieten kann
und die Menschen hochschätzen. Doch die hochherzige
Jungfrau achtet auf Alles nicht und weist den hoch-
angesehenen Bewerber mit folgenden entschiedenen Worten
[76] ab: ‘„Weiche von mir, du Speise des Todes; ich bin
schon von einem Anderen erkoren, der mir einen viel
schöneren Schmuck gegeben und weit vornehmer ist an
Abkunft und Würde. Er zeigte mir unvergleichliche
Schätze, die er mir geben werde, wenn ich ihm treu
bleibe. Sein Herz ist weit edler, seine Macht weit
größer, sein Anblick weit schöner; seine Stimme ist so
lieblich und seine Liebe so süß. Wenn ich ihn liebe,
bin ich keusch; wenn ich ihn berühre, bleibe ich rein;
wenn ich ihm mich vermähle, bleibe ich Jungfrau.
Ihm bewahre ich die Treue, ihm allein gebe ich mich
ohne Rückhalt hin.“’
Wer war denn dieser Bräutigam,
von dem die vornehme Jungfrau in so glühender Be-
geisterung spricht und für den sie Alles aufopfern will,
was sonst die Menschen mit heißer Begierde erstreben?
Es war Jesus Christus, der vor beinahe drei Jahr-
hunderten in einem verachteten Lande gelebt und mit
Wunden übersäet am Kreuze gehangen und an ihm
des schmählichsten Todes gestorben war. Für ihn hat
Agnes die größten Güter und das verlockendste Glück
zum Opfer gebracht; für ihn ist sie in den schmerz-
lichen Martyrtod gegangen.

Einige Jahre früher, im Jahre 288, stand in dem-
selben Rom ein stattlicher, kräftiger Jüngling vor dem
Weltbeherrscher Diocletian. Er trägt den Waffenrock;
überaus edel sind seine Gesichtszüge; aus seinem Auge
blitzt Muth und kriegerische Tapferkeit; er besitzt schöne
Kenntnisse, große Umsicht und Klugheit und herrliche
Eigenschaften des Herzens, die ihn zum Liebling des
[77] Kaisers gemacht, der ihn bei jeder Gelegenheit mit
Gunstbezeugungen überhäuft. Von den Soldaten, über
die der tapfere Jüngling den Oberbefehl hat, ist er fast
abgöttisch verehrt und sie werden ihn vielleicht eines
Tages zum Kaiser ausrufen. Doch auf dies Alles ver-
zichtet Sebastianus; theuerer als die Gunst des Kaisers,
als die begeisterte Verehrung seiner Soldaten und die
Aussicht auf die höchsten Ehrenstellen dieser Welt ist
ihm die Liebe des armen, gekreuzigten Jesu, der vor
langer Zeit auf Golgatha gestorben ist. Freudig und
jubelnd geht er für ihn in den bittern Tod.

Seit dieser Zeit sind viele Jahrhunderte vergangen.
Zahllos viele Menschen haben seitdem gelebt und haben
sich einige Jahre der innigen Liebe ihrer Mitmenschen
erfreut. Dann sind sie gestorben und in's Grab ge-
stiegen, und auf der ganzen weiten Welt ist kein Herz
mehr, welches noch das leiseste Gefühl der Zuneigung
für sie empfindet. Aber Jesus Christus wird noch heute
wie vor Jahrhunderten geliebt und zwar geliebt mit
einer innigen, starken und beharrlichen Liebe, die zu
den schwersten Opfern befähigt. Hier wandelt eine ein-
fache, demüthige Person durch die Straßen einer volk-
reichen Stadt. Sie hat Eile und schaut nicht auf die
Pracht der Häuser und der schönen Läden; sie achtet
kaum auf die Vorübergehenden, die ihr theils ehrer-
bietig, theils höhnisch Platz machen. Wohin eilt denn
diese Jungfrau? Vielleicht in die Arme einer liebenden
Mutter, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen, oder in
eine frohe Gesellschaft von theueren Freundinnen, wo
[78] sie einige vergnügte Stunden zubringen will? O nein;
sie eilt in ein ödes, dumpfes, enges Zimmer, wo ein
verlassener Pestkranker dem Tode nahe ist. Ihn pflegt
sie mit unerschrockenem Heldenmuthe und mit der
treuesten Sorgfalt, obgleich sie merkt, das das Gift der
Krankheit auch bereits ihren eigenen Körper erfaßt hat,
und man sie vielleicht selbst in wenigen Tagen zu Grabe
trägt. Woher hat sie diesen Opfersinn? für wen nimmt
sie muthig und freudig all' diese Mühen, Entbehrungen
und Lebensgefahren auf sich, sie, die doch einer vor-
nehmen Familie entstammt, und der die Welt lachend
zu Füßen lag und die glänzendsten Anerbietungen
machte? Auf der Brust trägt sie ein Kreuz aus ein-
fachem Metall. Dieses Kreuz gibt uns die Antwort.
Aus Liebe zu Jesus Christus hat die barmherzige
Schwester ihren schweren Beruf erwählt und aus Liebe
zu ihm erträgt sie ihr Leben lang mit Freudigkeit die
harten Entbehrungen und Opfer desselben.

Dort steht am Ufer des Meeres ein junger, gut
talentirter Mann, der, wie man ihm gesagt hat, in
der Welt sein Glück machen könnte. Er hat soeben der
theueren Mutter, deren Liebling er war, zum letzten
Male die Hand gedrückt, hat unter Thränen von seinem
guten Vater und seinen Geschwistern Abschied genommen.
Jetzt steht er im Begriffe, das Schiff zu besteigen, über
den stürmischen Ocean zu fahren und sich in ein weit
entlegenes, unbekanntes Land zu begeben, wo noch wilde
Sitten herrschen und Menschen den falschen Göttern
geschlachtet und geopfert werden. Er geht nicht hin, um
[79] dort Handelsgeschäfte zu machen und mit großen Reich-
thümern zurückzukehren oder um sich durch geographische
Forschungen in der Gelehrtenwelt einen berühmten
Namen zu machen. Die einzige irdische Aussicht, welche
er hat, ist die, daß er eines Tages im Walde von den
Heiden überfallen wird, und sie ihm mit ihren Streit-
äxten den Kopf spalten. Nein, nicht die Hoffnung auf
Geld oder Ruhm bestimmt ihn, die Heimath und Alles,
was ihm in ihr theuer ist, zu verlassen, sondern die
Liebe zu Jesus Christus, der eines Tages nach der
heiligen Communion leise und doch deutlich zu ihm
gesprochen: Gehe zu den Heiden und verkündige ihnen
meinen Namen. Das Wort genügte, um ihn für alle
Opfer zu begeistern, die der Beruf eines Missionars
von ihm verlangt.

So wird Jesus Christus noch heute geliebt und
zwar mit einer Liebe, wie sie nie einem sterblichen
Menschen zu Theil geworden. Noch heute bringt man
für ihn die allergrößten Opfer, während für die viel-
gepriesenen Männer des Alterthums nicht das geringste
Opfer mehr gebracht wird. Das kommt daher, daß
diese berühmten Männer, welche ehemals so viel Auf-
sehen erregten, nur schwache, sterbliche Wesen waren,
die verwelkten und verschwanden, wie die Blumen auf
unseren Feldern. Der Heiland dagegen, Jesus Christus,
hochgelobt in Ewigkeit, ist der wesensgleiche Sohn des
göttlichen Vaters, unendlich vollkommen wie der Vater,
unendlich und ewig liebenswürdig wie der Vater. Nur dies
allein erklärt genügend die ganz einzig dastehende Thatsache.

[80]

Im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts saß
ein weltbekannter Mann als Gefangener auf einer ein-
samen Insel. Wohl selten oder vielleicht nie hat ein
Feldherr eine solche Zaubermacht über seine Soldaten
ausgeübt wie er. Ein Wort, ja ein Blick von ihm
genügte, um in den Herzen derselben das Feuer der
Begeisterung hoch anzufachen, so daß sie mit Muth sich
in's dichte Kampfgewühl stürzten. Sieg auf Sieg
krönte überall sein Kämpfen und Streiten. Durch sein
seltenes Genie, sein unerhörtes Glück und seine glänzen-
den Siege bahnte er sich den Weg zu dem französischen
Kaiserthrone und war dann eine Zeit lang der mäch-
tigste Mann Europa's; selbst bis in andere Welttheile
hatte sich der Schrecken von ihm verbreitet. In seinem
Uebermuthe nun legte er auch seine Hand an die ge-
heiligte Person des Papstes, des sichtbaren Stellver-
treters Jesu Christi auf Erden. Das war sein Unglück.
Nun gefiel es Gott, seinen Siegeslauf zu hemmen und
sein Scepter zu zerbrechen. Er wehte ihn, möchte ich
sagen, mit dem Hauche seines Mundes weg von dem
kaiserlichen Throne in Frankreich und setzte ihn als Ge-
fangenen auf eine einsame Insel. Es war Napoleon I.
Hier dachte er darüber nach, was er einst gewesen und
was er vermocht hatte und was er jetzt sei und jetzt
vermöge. So wurden die Gedanken seines gewaltigen
Geistes, die früher nur auf Eroberungskriege gerichtet
waren, auch religiösen Betrachtungen zugewandt. Eines
Tages nun, wiederum vertieft in solche Erwägungen,
sprach er zu den wenigen Gefährten seiner Verbannung:
[81]‘„Das größte Wunder Jesu ist unstreitig die Herr-
schaft seiner Liebe. Ihm allein ist es geglückt, das
Herz der Menschen bis zum Unsichtbaren zu er-
heben, bis zum Opfer des Zeitlichen; er allein
hat, indem er diese Aufopferung schuf, ein Band
zwischen dem Himmel und der Erde geknüpft. Das
ist es, was ich am meisten bewundere, und was
uns die Gottheit Christi absolut beweist. Ich habe einst
Massen in Leidenschaft versetzt, so daß sie für mich
starben. Aber jetzt, wo ich auf St. Helena bin, an-
geschmiedet an diesen Felsen, wer liefert Schlachten und
erwirbt Reiche für mich? Denkt man an mich? Wer
regt sich in Europa für mich? Wer ist mir treu
geblieben? Das ist das Schicksal der großen Männer,
der Cäsar und Alexander; man vergißt uns, und der
Name eines Eroberers und eines Kaisers ist dann
weiter nichts mehr als ein Thema für eine Schulaufgabe.
– Noch einige Augenblicke und ich sterbe vor der Zeit,
und mein Leichnam wird die Speise der Würmer sein.
Das ist das sehr nahe Schicksal des großen Napoleon.
Welch' ein Abgrund zwischen meinem tiefen Elend und
dem ewigen Reiche Jesu Christi, welcher heute noch ge-
predigt, geliebt, gelobt, angebetet wird und fortlebt in
der ganzen Welt. Heißt das sterben? Oder heißt das
nicht viel mehr leben. Ja der Tod Christi ist der
Tod eines Gottmenschen.“’
Das ist das Urtheil der
denkenden Vernunft, die Stimme der Wahrheit.

2.

[82]

Nie ist ein Mensch nach seinem Tode so
gehaßt worden wie Jesus Christus
. Du
lieber christlicher Mann magst vielleicht deine Feinde
haben, die dich bitter hassen, die durch Lügen, Ver-
leumdungen und Chikanen aller Art dir zu schaden suchen.
Vergiß nur nicht, daß du ein Christ bist und deinem
Feinde verzeihen mußt, wenn du Verzeihung deiner
Sünden von Gott erlangen willst. Doch magst du auch
jetzt Feinde haben, die von Haß gegen dich erfüllt sind;
dein Tod wird diesen Haß abkühlen und vermindern.
Deine Feinde werden vielleicht nach einiger Zeit sich
über sich selbst wundern, daß sie dir so lange abgeneigt
sein konnten und mit Anerkennung und Lob von deinen
guten Eigenschaften und Verdiensten sprechen. Das
aber ist ganz sicher, hundert Jahre nach deinem Tode
wird auf der ganzen weiten Erde kein einziges Herz
mehr sich finden, in dem der Haß gegen dich noch glüht.
Kein Europäer, noch weniger aber ein Amerikaner oder
Afrikaner wird dir zürnen und fluchen. Noch eher und
sicherer als die Liebe raubt uns das Grab den Haß
der Menschen.

Nur bei Jesus Christus ist es auch hier wieder
anders. Er wurde wüthend gehaßt zur Zeit seines Lebens.
Es haßten ihn die Schriftgelehrten und Pharisäer, die
in ihrem Neide es nicht ertragen konnten, daß Viele
gerne seine Predigten hörten, und die ihm deshalb
überall Fallstricke zu legen suchten. Es haßte ihn eine
[83] große Anzahl Juden, die nur einen Messias wollten,
der ihnen irdische Macht und Herrlichkeit bringen sollte.
Es haßten ihn viele gottlose und verkommene Menschen,
die seine reine Sittenlehre nicht ertragen konnten. Es
haßte ihn selbst einer aus der Zwölfzahl der bevorzugten
Jünger und vollbrachte an ihm die boshafteste und
schwärzeste That, indem er ihn an seine Todfeinde aus-
lieferte. Welch' höllischer Haß gegen Christus glühte
in vielen Herzen am ersten blutigen Charfreitage, da
man ihn mit dem schweren Kreuze auf der wunden
Schulter unter Hohn und Spott aus der Stadt hinaus-
trieb und ihn dann auf dem Calvarienberge mit eisernen
Nägeln an dieses Kreuz anheftete! Aber nachdem
nun der Heiland an diesem Holze der Schmach ver-
blutet, nachdem er im Tode sein dornumflochtenes Haupt
auf die Schulter gesenkt und seinen Geist ausgehaucht
hat, wird doch die Flamme des Hasses gegen ihn sinken
und nach und nach ganz ersterben? Man sollte es
meinen; aber es kam anders. Der Haß gegen ihn
erstarb nicht, sondern erfaßte immer mehr Herzen und
stieg bis zu einer unbegreiflichen Höhe.

Schon sind zwei Jahrhunderte nach seinem schmerz-
lichen Tode verflossen und im ganzen römischen Reiche
besitzt der Haß gegen Christus noch seine lebendige
Frische und Gluth. Alles ist in größter Aufregung,
der Kaiser, die Präfecten, die Richter, die Philosophen,
die Götzenpriester, die Masse des Volkes. Ihr Auge
sprüht Feuer; die Gluth des wildesten Zornes lodert
auf ihrem Angesichte; eine Fluth von Flüchen und
[84] Verwünschungen strömt von ihren Lippen. Alles muß
herhalten, um ihren Haß und ihre Rachsucht zu be-
friedigen. Die Fluthen des Meeres müssen die Opfer
dieses Zornes aufnehmen und in ihren Tiefen begraben;
die Zähne der wilden Thiere müssen sie zerreißen; die
Flammen der Scheiterhaufen müssen sie verzehren.
Nicht genug Henkersknechte mit ihren Mordinstrumenten
können sich einstellen, um sie zu martern. Woher nun
diese Aufregung? Woher diese Wuth und Raserei? Wem
gilt dieselbe? Es ist Jesus Christus, gegen den dieser
wüthende Haß tobt. Und doch ist dieser Jesus Christus
vor zwei Jahrhunderten gestorben und zwar in einem
weit entlegenen Lande. Ist das nicht äußerst sonderbar?

Doch ist es nicht noch sonderbarer, daß seit dieser
Zeit mehr wie tausend Jahre verflossen sind, der Haß
gegen Christus aber noch immer fortlebt? Gibt es
denn nicht Menschen unter uns, die beim bloßen Ge-
danken an den Gekreuzigten und seine Lehre in Auf-
regung gerathen? Menschen, die beim Anblicke eines
Dieners, eines Priesters Jesu Christi ihre Wuth kaum
bemeistern können und auf offener Straße in Flüche
und Verwünschungen ausbrechen? Menschen, die den
Namen der Kirche Jesu nicht hören können, ohne daß
sie vor Zorn fast an allen Gliedern zittern? Ist das
nicht eine auffallende Erscheinung?

Es hat manche große Verbrecher in früheren Jahr-
hunderten gegeben, die Missethat auf Missethat häuften
und ihr langes Leben mit Lastern anfüllten, wahre
Ungeheuer und Scheusale, die nur zu leben schienen,
[85] um am Ruine der Gesellschaft zu arbeiten. Die Ge-
schichte hat uns herzlose, unmenschliche Tyrannen gezeigt,
die ihr Volk entsetzlich grausam behandelten, die kalt
und lachend über die Leichen ihrer Unterthanen hin-
schritten. Niemand haßt sie mehr; Niemand hat ihret-
wegen eine schlaflose Nacht. Warum wird denn allein
Jesus, der Gekreuzigte, noch gehaßt, er, der doch
nur Wohlthaten spendend durch's Leben ging und
der mit seinem Segen die ganze Welt erfüllt hat,
er, der doch selbst von denen, die nicht seine Jünger,
vielmehr seine Gegner sind, als der Weise von
Nazareth, als der große Menschenfreund bezeichnet
wird? Warum wird er heute nach achtzehn Jahr-
hunderten noch gehaßt und zwar so wüthend und hart-
näckig gehaßt, während man die grausamsten Tyrannen
und Würger der Völker von ehedem heute nicht mehr
haßt? Dafür gibt es nur eine Erklärung, nämlich
die Gottheit Jesu Christi. Weil das Diadem der
Gottheit von seinem Haupte leuchtet, weil er als Gott
von sich sagen konnte: ‘„ Ich bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben
,“’
darum der glühende
und unersättliche Haß gegen ihn durch alle Zeiten.
Jesus Christus ist die Wahrheit; darum sucht Satan,
der Vater der Lüge, diese Wahrheit zu verdunkeln und
sie der Feindschaft und dem Hasse der Menschen preis-
zugeben. Jesus Christus ist unser Weg, der uns zum
Heile führt, ist unser wahres Leben, das uns ewig
beglücken will; darum haßt ihn Satan, der Widersacher
des Menschengeschlechtes, und sucht uns von ihm
[86] abwendig zu machen, um uns auf dem Wege des
Verderbens dem ewigen Tode zu überantworten. Das
ist die einzige richtige Lösung des großen Räthsels in
der Weltgeschichte.

Christlicher Mann! Gerade dieser grimmige Haß
der Hölle und der Gottlosen dieser Welt gegen Jesus
Christus muß dich bestimmen, ihn als deinen Herrn
und Gott, der dich unendlich liebt, mit allen Kräften
deines Herzens und deiner Seele innig und stark zu
lieben. Denn nicht ein Mensch, sondern nur der un-
endlich heilige und gerechte Gott kann von der Hölle
und der Welt in so glühender und beständig andauern-
den Weise gehaßt werden.

3.


Obgleich nie ein Mensch nach seinem Tode so
wüthend und beharrlich gehaßt worden ist, so hat doch
Niemand einen so großen Ruhm erlangt
wie Jesus Christus
. Ruhm und Liebe sind zwei
verschiedene Dinge. Jemand kann berühmt sein, ohne
besonders geliebt zu werden. – Bei den gewöhnlichen
Menschen schwindet mit ihrem Tode auch gar oft und
sehr bald die Ehre und der Ruhm, dessen sie während
des Lebens sich erfreuten. Wie oft ereignet es sich,
daß Männer, die im Leben ein großes Ansehen ge-
nossen und die man bei jeder Gelegenheit bis zu den
Sternen erhob, bald nach dem Tode in allgemeine
Vergessenheit gerathen. Es ist, als ob auch ihr Ruhm
mit ihrem Leichnam zu Grabe getragen und dort unter
[87] dem Erdhügel begraben worden sei. Im allergünstigsten
Falle wird ihr Name noch in einem Geschichtswerke
erwähnt, und muß sich eine verhältnißmäßig nur kleine
Anzahl Menschen, die sich trotz aller Mühe des Ge-
schichtsprofessors kaum momentan für sie begeistern
können, abplagen mit dem Studium ihres Lebens und
ihrer Thaten. Sonst aber sind sie ganz vergessen.
Und doch, was bietet man nicht Alles beim Tode eines
solchen angesehenen Mannes auf, um seinen Ruhm in
vollem Glanze zu erhalten und noch zu erhöhen. Man
spricht in überschwenglichen Ausdrücken von dem uner-
setzlichen Verluste, der die Wissenschaft, den Staat und
die ganze Gesellschaft durch den Tod dieses Mannes
getroffen. Aus weiter Ferne reisen hochgestellte Männer
hin, um an seinem Begräbnisse Theil zu nehmen;
man hält ihm eine Grabrede, die ihn als das Ideal
eines Mannes hinstellt, die von ihm sagt, daß er
Jahre lang die Seele großer Unternehmungen gewesen,
daß mit ihm eine Hauptzierde der Menschheit in's
Grab sinke, doch er werde fortleben im Andenken der
spätesten Geschlechter. Dann setzt man ihm einen
Grabstein, der mit goldenen Buchstaben seine hohen
Titel und seine vorzüglichsten Thaten der Welt ver-
kündet; schließlich tritt noch ein Comité zur Errichtung
eines Ehrendenkmals des Gestorbenen zusammen. Doch
was geschieht? Es sind vielleicht kaum dreißig oder
vierzig Jahre verflossen, und die Inschrift des Grabes
ist vom Regen und Wetter verwischt und Niemand
läßt sie erneuern. An dem Denkmal bleibt kaum mehr
[88] ein Reisender neugierig stehen und sucht mit Mühe
seine Lettern zu entziffern. Der Ruhm des ehemals
so sehr Gefeierten ist fast ganz erloschen; ja vielleicht
hat sich eine Menge scharfer Kritiker gefunden, die
sein ganzes Leben und Handeln nicht mit Unrecht ver-
urtheilen und klar nachweisen, daß die Triebfeder seiner
Unternehmungen in seiner enormen Selbstsucht oder in
einer anderen Leidenschaft zu suchen ist. Sic transit
gloria mundi
. So vergeht der Ruhm der Welt.

Wie ganz anders auch hier wieder bei unserm
göttlichen Heilande! In seinem Leben und bei seinem
Tode erscheint er als der Geringste und Verachtetste
der Menschen. In dem Winkel eines armen, zerfallenen
Stalles wird er geboren; bis zum dreißigsten Jahre
lebte und arbeitete er als unbekannter Zimmermann
in einem kleinen, verachteten Städtchen. In der kurzen
Zeit seines öffentlichen Lebens mußte er das Brod der
Armuth essen, das ihm mildthätige Hände darreichten.
Sein Tod endlich ist in die tiefste Schmach eingehüllt;
er stirbt auf Golgatha, der Schädelstätte, wo die Ver-
brecher hingerichtet wurden; er stirbt in einer Gesell-
schaft, die für ihn die größte Schmach sein sollte,
nämlich in der Mitte zwischen zwei Straßenräubern;
er stirbt mit der Dornenkrone auf dem Haupte, die noch
mehr eine Schmach–, als eine Schmerzenskrone war;
er stirbt am verachteten Holze des Kreuzes, und das
galt in der damaligen Welt als die allertiefste Schmach.
Und wie armselig und ruhmlos war dann sein Be-
gräbniß! Es ist ohne alle Ehre, ohne allen Glanz und
[89] Pomp, gering und arm wie das des elendesten Bett-
lers. In ein fremdes Grab legt man die zerschlagenen
Glieder; kaum sind sechs oder sieben Personen dabei
anwesend; keine herrliche Lobrede wird gehalten; Alles
schweigt, nur wird das Schweigen unterbrochen von
dem Schluchzen der armen Mutter des Verachteten.
Das ist Alles. Wird ein solcher Mann nicht nach
fünfzig Jahren ganz vergessen, ganz unbekannt sein?
Wird man aber auch dann noch einmal seinen Namen
nennen, so wird man doch nur mit Verachtung von
ihm reden, als von dem Mann der tiefsten Ernied-
rigung und der größten Schmach? Man kann, menschlich
betrachtet, keine andere Erwartung haben.

Und doch ist es ganz anders gekommen. Nie ist
einem Menschen so viel Ruhm, so große Ehre und
Verherrlichung zu Theil geworden, wie der Heiland sie
nach seinem Tode empfangen hat. Nie ist ein Name
mit solcher Ehrfurcht ausgesprochen worden, wie der
seinige. Wer zählt all' die Millionen Christen, die es
sich zur größten Ehre rechneten, seiner heiligen Sache
ergeben zu sein? wer all' die Gesänge und Lieder, die
sein Lob und seine Ehre verkündet haben? wer all'
die Altäre und herrlichen Tempel, die seiner Ehre und
seiner Anbetung erbaut worden sind? Und während ich
jetzt diese schwachen Zeilen zu seiner geringen Verherr-
lichung niederschreibe, liegen Tausende und Tausende
im Staube auf den Knieen, um ihm den Tribut gött-
licher Ehre zu zollen, und ertönt überall von den
Lippen der süße Gruß: ‘„Gelobt sei Jesus Christus, in
[90] Ewigkeit. Amen.“’
Das kommt daher, weil er ‘„Gott
von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren
Gott“’
, weil er ‘„der König der ewigen Glorie“’,
‘„ rex aeternae gloriae“’ ist.

Auch wir beide, christlicher Mann, wollen, ehe wir
in diesem Kapitel von einander scheiden, in den Staub
uns niederknieen, um Jesus Christus als unseren höchsten
Herrn und Gott mit der ganzen Inbrunst unseres
Herzens anzubeten, wollen ihm die Treue, die wir ihm
einst bei der Taufe und der ersten heiligen Communion
gelobt, wieder erneuern und darum sprechen: ‘„Jesus,
dir lebe ich; Jesus, dir sterbe ich; Jesus, dein bin
ich todt und lebendig. Amen.“’

V.
Die wunderbare Größe der katho-
lischen Kirche.


Auf einzelnen Bergen am schönen Rheinstrome oder
in anderen Gegenden Deutschlands stehen die Ruinen
alter Burgen. Manche Reisende steigen mühsam die
Anhöhen hinauf, um die Reste vergangener Herrlichkeit
und Macht in Augenschein zu nehmen. Nichts ent-
geht ihrem Blicke. Die dicken Mauern, die wenigstens
theilweise bis jetzt allen Stürmen Trotz geboten, die
schweren Steine, die sich hier und da abgelöst haben,
die Oeffnungen an der Mauer, die vielleicht von der
[91] letzten Belagerung herrühren, der Epheu, der sich bis
zu einer ansehnlichen Höhe emporgerankt hat, selbst die
unscheinbaren Blumen, die sich in oder auf der Mauer
befinden, Alles wird betrachtet. Während das Auge
dies Alles beobachtet, staunt der Geist über die Leistungs-
fähigkeit der Menschen, die hier auf steiler Höhe einst
ein so riesiges Werk aufgeführt, staunt über die Festig-
keit der Mauern, die trotz der Stürme, die seit Jahr-
hunderten über sie hingezogen sind, immer noch stark
und kräftig dastehen. Man wundert sich über das,
was menschlicher Fleiß und menschliche Ausdauer zu
schaffen im Stande sind. Und doch ist ja die frühere
Herrlichkeit und Pracht dahin; kein ernster Burgherr
schreitet mehr gravitätisch einher; keine stolzen Frauen
lustwandeln mehr auf den schön angelegten Pfaden;
keine munteren Kinder tummeln sich mehr im Spiele
herum; in den Rittersälen finden keine Berathungen
oder Festlichteiten mehr statt. Alles ist ruhig, öde
und leer; kein Leben herrscht mehr dort. Nur ein
Raubvogel hat sich sein Nest in der Mauer gebaut
und kleine Insekten schwirren durch die verlassenen
Räume. Wahrhaftig; mehr wie Bewunderung ist
trauriger Ernst und Wehmuth über die Vergänglichkeit
alles Irdischen an dieser Stelle berechtigt.

Auch ich möchte im Geiste meine Leser in diesem
Kapitel vor einen alten Riesenbau, aber einen Bau
geistiger Art hinführen, auf daß sie sich denselben in
seiner Kraft und Herrlichkeit etwas näher anschauen.
Er ist älter als die älteste, längst zerfallene Burg in
[92] Deutschland. Entsetzliche Stürme und Unwetter sind
über ihn im Laufe der Zeiten dahin gezogen und haben
gewaltig an ihm gerüttelt; Schlag auf Schlag, einer
stärker und schrecklicher als der andere, sind gegen ihn
geführt worden. Und doch steht er nicht als große
Ruine vor uns, sondern ist noch so fest und riesig
stark, als ob er erst vor einem Jahrzehnt gebaut
worden wäre. In diesem Riesenbau herrscht noch zur
Stunde das regste Leben und geht noch ein Einfluß
von ihm auf die Menschheit aus, so mächtig, so all-
gemein und so tief eindringend, wie er nie von einer
königlichen Burg ausgegangen ist. Dieser Riesenbau
ist unsere heilige katholische Kirche. Möge die Betrach-
tung ihrer wunderbaren Größe und Erhabenheit uns in
der Anhänglichkeit und treuen Liebe zu derselben stärken.

1.


Wunderbar groß erscheint uns die hei-
lige Kirche in ihrer Gründung und Aus-
breitung
. ‘„Gehet hin in alle Welt und lehret alle
Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des
Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie Alles
halten, was ich euch befohlen habe“’
(Matth. 28, 19).
Durch diese Worte, die einst Christus an elf Männer
richtete, ist der Auftrag ausgesprochen, sein Reich, die
Kirche, unter den verschiedensten Völkern auszubreiten.
Nie ist ein Befehl hier auf Erden ertheilt worden, der
einen so schwierigen Auftrag enthielt, wie dieser. Der
Auftrag will, daß die kleine Schaar Jünger die ganze
[93] Welt sich erobere, daß sie den heidnischen Götzendienst
stürze, und doch besaß dieser Götzendienst das Ansehen
eines hohen Alterthums; er war geschützt durch die
Macht und die Waffen der Könige und der Heere; er
war eng verbunden mit dem Staatswesen der stärksten
Völker. Man betrachtete die heidnischen Gottheiten als
diejenigen, denen man die Größe und Macht des
Staates zu verdanken habe. Feldherrn und Kaiser opferten
ihnen ihre Lorbeeren, die sie durch ihren Beistand er-
rungen zu haben glaubten. Der Auftrag will, daß
statt dieser gefeierten Götter Jesus von Nazareth, der
bis zum dreißigsten Jahre in einer armen Werkstätte
Hobel und Säge führte, der während den drei Jahren
seines öffentlichen Lebens mit Schmach überhäuft und
schließlich auf Golgatha zwischen zwei Mördern an's
Kreuz geschlagen wurde, daß dieser verachtete und ge-
kreuzigte Mann als der wahre Gott, als der Schöpfer
Himmels und der Erde den gebildeten und stolzen
Griechen und Römern und den übrigen heidnischen
Völkern gepredigt und von ihnen über Alles verehrt
und geliebt werde, so daß sie bereit seien, für ihn
Alles, selbst Blut und Leben hinzugeben. Der Auftrag
will, daß man die mächtigen Römer, die feinen Griechen
und die übrigen Heiden anleite, auf das bloße Wort
des Gekreuzigten hin und aus Liebe zu ihm die liebsten
Neigungen des Herzens zu bekämpfen, daß man
die Hochmüthigen bewege, sich selbst zu verachten, die
Habsüchtigen, ihr Herz von den irdischen Gütern los-
zuschälen und barmherzig zu sein, die Sinnlichen und
[94] Unkeuschen, die theuern Fesseln ihrer Sünden zu brechen
und ihr Fleisch sammt seinen Lüsten zu kreuzigen.
Welche heftige Widersprüche werden solche Lehren und
Anforderungen überall hervorrufen? auf welch' unüber-
windliche Abneigung und welch' flammenden Zorn muß
eine solche Predigt überall stoßen, zumal bei Völkern,
die stolz waren auf ihre Macht und Bildung, auf ihre
glänzenden Siege und großartigen Eroberungen, und
die sich jeglicher Ausschweifung hingaben?

Doch der Auftrag scheint uns noch um so schwie-
riger, ja muß uns, bloß menschlich betrachtet, als ab-
solut unausführbar vorkommen, wenn man die kleine
Anzahl Männer betrachtet, denen derselbe ertheilt wird.
Sind es vielleicht Söhne von mächtigen Fürsten oder
berühmten Staatsmännern und Feldherrn, die über
große Summen Geld oder über Millionen tapferer
Soldaten verfügen; Männer, denen allein schon ihre
vornehme Abkunft ein hohes Ansehen und bedeutenden
Einfluß sichert? Nein; es sind ja Söhne armer Eltern,
die kaum in einem kleinen Städtchen oder Marktflecken
gekannt sind. Weder Gold noch Silber noch anderes
Geld tragen sie in ihren Gürteln; ohne alles Besitz-
thum ziehen sie arm hinaus in die Welt, einzig und
allein angewiesen auf die Barmherzigkeit ihrer Mit-
menschen. Wie dürfen diese Bettler sich träumen lassen,
die Welt zu erobern?

Aber dann haben diese Männer vielleicht in Athen
oder in andern berühmten Städten tiefe Studien ge-
macht, sich großartige Kenntnisse und eine herrliche
[95] Rednergabe angeeignet und dürfen darum hoffen, daß
sie durch die Erhabenheit ihrer Gedanken und die
Schönheit ihrer Sprache Alle begeistern und für ihre
Sache einnehmen werden? Nein; nicht in gelehrten
Schulen haben sie Jahre lang zugebracht, nicht zu den
Füßen eines Plato oder Seneka oder Cicero haben sie
gesessen, sondern kaum waren sie erwachsen, so mußten
sie schon zum Ruder greifen und auf den Fischerkähnen
ganz gewöhnliche Arbeiten verrichten.

Doch dann haben sich diese armen und ungelehrten
Männer, die Christus zur Eroberung der Welt hinaus-
sandte, wenigstens von Jugend an durch großen Helden-
muth, der vor keiner Gefahr und vor keinem Hinder-
niß zurückschreckte, besonders ausgezeichnet und waren
dadurch wohl zu einem so schwierigen Unternehmen
befähigt? Ja, herrliche Helden, die bei der Gefangen-
nehmung ihres Meisters feige die Flucht ergreifen und
von denen einer und zwar ihr Hauptanführer vor einer
geringen Magd mit einem Eidschwure ihn verleugnet.
Fürwahr, Niemand konnte nach menschlicher Berechnung
unfähiger erscheinen, ein so großartiger Werk in's Leben
zu rufen. Nichts, gar Nichts besaßen diese Männer,
was ihnen irgendwie Erfolg versprechen konnte, kein
Geld, keine Wissenschaft, keine Rednergabe, keine Ver-
bindung mit angesehenen und reichen Männern, keine
Heere, kein Schwert. Alles an ihnen sagt uns viel-
mehr: Nicht ein einziges kleine Dorf werden diese
Männer für ihre Sache erobern, geschweige denn ganze
Städte und Länder; nicht hundert arme Taglöhner
[96] und Handwerker werden sie für sich gewinnen, geschweige
denn die Gelehrten und Reichen und die Fürsten auf
den Thronen. Nach zehn Jahren wird die ganze Welt
über die Thorheit lachen, daß sie die Welt erobern und
erneuern wollten.

Und doch wie wunderbar! Was die mächtigsten
Könige, die tapfersten Helden und die größten Gelehrten
alle zusammen nicht zu Stande gebracht hätten, haben
diese schlichten, armen, ungelehrten Fischer zu Stande
gebracht und zwar zu Stande gebracht in kurzer
Zeit, und obgleich Alles, was irgendwie Macht und
Einfluß besaß, sich gegen sie erhob und sie dem
schmerzlichsten Tode überantwortete. Diese geringen,
besitzlosen Männer, die früher sich in Jerusalem ganz
verloren und sich aus Furcht in einem Oberzimmer
verborgen hatten, zählten nach kaum zwei Jahrzehnten
schon ihre Eroberungen nur nach Völkern und schrieben
Briefe an ganze Gegenden und Nationen, an die
Galater, Epheser, Philipper, Colosser, Thessalonicher,
Römer und Hebräer. Schon Justin konnte sagen: ‘„Es
gibt kein Volk, weder unter Barbaren, noch Griechen,
noch irgend eines andern bekannten Stammes, mögen
sie auf Karren oder in Zelten wohnen oder als Nomaden
durch die Wüste schweifen, es gibt kein Volk, unter
welchem nicht im Namen Jesu, des Gekreuzigten, Ge-
bete und Danksagungen dem Vater und Schöpfer des
Weltalls dargebracht werden.“’
Nie hat die Geschichte
eine zweite ähnliche Thatsache gesehen, daß ein die
Welt umspannendes und die Menschheit bis in alle
[97] Verhältnisse durchdringendes Werk in so kurzer Zeit
von so schwachen Männern unter den größten Schwierig-
keiten vollbracht worden wäre. Hier müssen wir ge-
stehen: Nur dem Allmächtigen war es möglich, mit so
äußerst geringen Kräften das Großartigste zu wirken.
Hier haben wir das Werk des unendlichen Gottes,
nicht aber das der sterblichen Menschen.

2.


Wunderbar groß erscheint unsere heilige katholische
Küche in ihrer Erhaltung. In einer weiten
Ebene steht ein schwaches Kind, eine zarte Jungfrau.
Kein Berg, ja nicht einmal ein Baum findet sich dort,
der ihr Schutz bieten könnte. Nicht kriegerischer Muth
leuchtet aus ihren Augen, sondern nur Friedensliebe
und schüchterne Bescheidenheit. Nie trug sie ein blankes
Schwert oder eine scharfe, spitze Lanze, nie nahm sie
Antheil an einem heißen Kampfe. So steht sie waffen-
los und ohne menschlichen Schutz in der weiten Ebene.
Da auf einmal stürmen Feinde von allen Seiten auf
sie los, herzlose, unmenschliche Feinde mit gewaltiger
Körperkraft, an Krieg und Kampf gewohnt, mit den
sichersten Mordwaffen versehen. Sie schlagen unbarm-
herzig auf die Arme; ein wuchtiger Schlag folgt dem
andern, nicht bloß Minuten, sondern Stunden, ja Tage
lang. Muß die schwache, unbewaffnete Jungfrau nicht
bald unter den Streichen der grausamen Unmenschen
zusammensinken und unter den größten Schmerzen ihren
Geist aushauchen, muß nicht ihr Leib in tausend Stücke
[98] zerschlagen und zerrissen werden? Wenn es aber dennoch
nicht geschieht, wenn sie, je mehr man sie schlägt, um
so größer, stärker und schöner wird und schließlich ihre
wilden, kräftigen Gegner ohnmächtig zu Boden sinken,
während sie zu einem starken Riesen herangewachsen ist,
muß man dann nicht gestehen, daß hier eine höhere
Kraft im Spiele ist, daß sich hier die Allmacht Gottes
geltend macht?

Diese schwache, diese waffenlose und doch wunder-
bar starke Jungfrau ist unsere heilige Kirche, diese
reine Braut Jesu Christi. Noch war sie ganz schwach
und klein und schon standen starke Riesen mit gezücktem
Schwerte an ihrer Wiege, aber nicht, um sie zu schützen,
sondern um es in ihr Herz zu bohren. Immer heftiger
werden die Verfolgungen der Kirche, immer größer
die Blutbäche der Christen; Millionen werden unter
den größten Qualen hingerichtet; der römische Adler
erhebt ein Wuthgeschrei gegen die junge Kirche, so stark
und mächtig, daß es in allen Welttheilen vernommen
wird. Bildung und Rohheit, Macht und List, das
scharfe Schwert und die giftige Feder, Thron und Lehr-
stuhl, Heere von Soldaten und Schaaren heidnischer
Priester, Hölle und Welt, Alles vereinigt sich zum Kampfe
gegen die Kirche. In zehn langen, blutigen, überaus
grausamen Verfolgungen suchen die mächtigen Welt-
beherrscher Roms mit allen Mitteln sie zu vernichten
und vom Erdboden verschwinden zu machen. Und in
allen diesen Verfolgungen steht die Kirche da ohne
irdische Hilfe. Sie hat keine Heere, die für sie in
[99] den Kampf gehen, keine verbündeten Fürsten und
Könige, die ihr den geringsten Beistand leisten; sie hat
keine anderen Waffen als ihre Thränen und Seufzer,
als ihre Geduld und ihr Gebet, als ihre Schwäche und
Schmach, ihre Wunden und ihr Blut. Muß da die
arme, schwache Kirche nicht unterliegen? Muß sie nicht
elend erdrückt werden von der Riesenmacht der römi-
schen Weltbeherrscher? Man kann es nicht anders er-
warten, und oft glaubten auch diese grausamen Dränger
selbst ihr Ziel schon ganz erreicht zu haben. Diocletian,
welcher die letzte und blutigste Verfolgung gegen die
christliche Kirche hervorgerufen hatte, meinte eine voll-
ständige Niederlage derselben herbeigeführt zu haben.
In seiner Siegesfreude ließ er Münzen prägen, die
auf der einen Seite sein Bild und seinen Namen, auf
der andern Seite aber die Inschrift tragen: ‘„Nach
Vertilgung des Christenthums.“’
Die Präfecten, die
Philosophen und das ganze heidnische Volk frohlockten
und jubelten; überall sang man Spottlieder auf die
todtgeglaubte Kirche. Doch auch diesmal war wie früher
die Siegesfreude eitle Täuschung. Wohl war die Kirche
arg bedrängt und geschwächt; die Zahl ihrer Gläubigen
war klein geworden; nur in Schlupfwinkeln und unter
der Erde konnte sie die heiligen Geheimnisse feiern,
aber dem Tode war sie nicht verfallen. So kräftig
pulsirte noch das Leben durch die Adern ihres gräßlich
verwundeten und schon todt geglaubten Körpers, daß
sie wenige Jahre später ihren eigentlichen Siegeslauf
über das römische Reich und die ganze Erde antreten
[100] konnte. Kaiser Diocletian lebte noch und lustwandelte
zu Salona in seinem Garten, als Papst Sylvester aus
den Katakomben an's Tageslicht trat und Kaiser Con-
stantin das Christentum als die Staatsreligion öffent-
lich anerkannte.

Doch die Hölle ruhte nicht. Als die äußern Feinde
der Kirche das Vergebliche ihrer Bemühungen einsahen
und darum das Schwert aus der Hand sinken ließen,
suchte sie im Innern der Kirche selbst die größten
Verwirrungen hervorzurufen. Es entstand die große
Häresie des Arius, der dann später noch andere
folgten.

Furchtbar war das Verderben, das der stolze Arius
in der Kirche anrichtete. Seine Irrlehre betraf das
Wichtigste im ganzen Christenthum, die Gottheit unseres
theuersten Heilandes. Reißend schnell breitete sie sich
über ganz Europa, Nord-Afrika und einige Theile
Asiens aus. Sie blühte eine Zeit lang unter dem
Schutze mehrerer aufeinander folgenden Kaiser. Von
den Bischofssitzen wurden die rechtmäßigen Hirten ver-
drängt und arianische Kreaturen ihnen zu Nachfolgern
gegeben. Die Kirche, welche siegreich aus den Ver-
folgungen der römischen Weltmacht hervorgegangen war,
schien dem Gifte des Arianismus erliegen zu müssen;
die Irrlehrer glaubten schon, für immer den Sieg
über die Kirche errungen zu haben. Doch sie täuschten
sich. Die riesenstarke Häresie des Arius wurde bald
geschwächt durch innere Scheidungen und dann später
hinweggefegt durch andere Irrthümer, die in ihre
[101] Fußstapfen traten. Doch die gelästerte, gehaßte und
schwer geschädigte Kirche erstarkte in ihrer Gotteskraft,
sie gewann immer mehr Seelen für Christus und
erfüllte die Welt mit ihrem Segen.

Dann kam die Völkerwanderung. Die Gothen und
Vandalen, die Hunnen, Westgothen, Longobarden und
andere barbarische Volksstämme drangen aus dem
Norden in das römische Reich ein und verwüsteten die
schönsten Gegenden. Sie plünderten die Städte, machten
die Tempel dem Erdboden gleich, Ruinen und Ver-
wüstungen bezeichneten ihren Weg. Die ganze alt-
römische Cultur wurde in Trümmer gelegt, alle Ord-
nung des privaten und öffentlichen Lebens umgestoßen.
Müßte da nicht auch die Kirche gleich den andern
Institutionen zu Grunde gehen und unter dem eisernen
Schritte dieser Barbaren zertreten werden?

„Man hätte es glauben sollen. Doch die Kirche
ging nicht unter. Im Gegentheil. Von Rom als
ihrem Mittelpunkte aus, drang sie in den Schooß dieser
barbarischen Völker vor, und wie sie ehedem die heid-
nische Welt ungeachtet aller Hindernisse an sich gezogen,
so trug sie den Samen christlichen Glaubens und christ-
licher Sitte auch zu diesen barbarischen Völkern und
erzog sie zum christlichen Glauben und zum christlichen
Leben. Groß, ja furchtbar waren die Hindernisse,
welche der wilde, barbarische Geist dieser Völker ihrer
Christianisirung entgegensetzte, aber die Lebenskraft der
Kirche war stark genug, um auch diese Hindernisse zu
besiegen und den christlichen Geist gerade bei diesen
[102] Völkern, allerdings nach langem Kampfe zu reicher
Entfaltung zu bringen. Das ist groß, das ist
wunderbar.
„Es kam die große Revolution des sechzehnten
Jahrhunderts. Begleitet von dem Geschrei wilden Hasses
gegen die Kirche und ihre Vorsteher lösten sich in
vielen Ländern alle Bande der Ordnung; ganze Völker
wurden in den Abfall von der Kirche hineingerissen,
Priester und Ordensleute strömten in hellen Haufen
der neuen Lehre zu; die Kirche schien an das Ende
ihrer Tage gekommen zu sein; die Führer der Revo-
lution triumphirten bereits, als ob die [Existenz] der
Kirche nur mehr nach Jahren zu rechnen sei.
„Aber es kam anders. Mit riesiger Kraft erhob
sich die Kirche wieder, sie schied die faul gewordenen
Glieder aus ihrem Organismus aus und entfaltete
ihr Leben zu neuer Blüthe. Das Concil von Trient
proklamirte laut die alte Lehre der Kirche im Gegen-
satz zu den häretischen Neuerungen und führte jene
Reformen ein, welche das Bedürfniß der Zeit erheischte.
Und was die Kirche in Europa an Mitgliedern ver-
loren, das wurde durch die sich nun entfaltende groß-
artige Missionsthätigkeit bei den wilden und heid-
nischen Völkern wieder gewonnen. Die unverwüstliche
und wunderbare Lebenskraft der Kirche hatte sich auf's
Neue bewährt1).“
[103]

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erhob sich
die ungläubige Philosophie gegen die Kirche. In einer
Unzahl von gottlosen Schriften zog man alles Heilige
und Ehrwürdige in den Koth. Die bestehenden Ein-
richtungen in der Kirche übergoß man bald mit Hohn
und Spott, bald suchte man sie durch bittern Tadel
gehässig zu machen; die höchsten Wahrheiten zog man
hier nur in Zweifel, dort leugnete man sie förmlich.
Die gottlosen Grundsätze der sogenannten Naturreligion,
des Materialismus und der Gottesleugnung wurden
bald offen, bald versteckt gepredigt. Die Erfolge der
Philosophen waren groß. Schon jubelten sie in Voraus-
sehung ihres gänzlichen Triumphes über die Kirche.
Voltaire schrieb an einen Freund: ‘„Ich bin's nun
müde, immer hören zu müssen, zwölf Menschen hätten
es fertig gebracht, die katholische Religion zu stiften.
Ich werde beweisen, daß einer hinreicht, sie zu ver-
nichten.“’
Und in einem anderen Briefe prophezeite
er: ‘„Nach zwanzig Jahren soll der Galiläer verloren
sein.“’
Der arme Prophet! Nach zwanzig Jahren,
gerade an demselben Tage, an dem er einst in gottloser
Wuth diese Worte geschrieben, lag Voltaire auf dem
Sterbebette, gefoltert in seinem Herzen von den Peinen
rasender Verzweiflung; die geschmähte und verfolgte
Kirche aber lag nicht am Sterben, sondern die ewig
jugendliche, weil göttliche Kraft ihres Stifters lebte
noch frisch in ihr und bald mußte man sie um Hilfe
anflehen, um Frankreich aus den schrecklichen Wirren,
in welche die gottlosen Philosophen es gestürzt hatten,
[104] zu befreien und es vor dem Untergang zu be-
wahren.

Aehnlich wie Voltaire hat einige Jahrzehnte später
auch Napoleon I. sich als falschen Propheten bewährt.
Diesem siegreichen Eroberer und mächtigen Kaiser lag
Alles daran, den Papst Pius VII., als er im Jahre
1804 in Paris anwesend war, für seine Zwecke zu
gewinnen. Er ließ es darum nicht an Aufmerksam-
keiten gegen ihn, nicht an Schmeicheleien, nicht an
Versprechungen, aber schließlich auch nicht an Drohungen
fehlen. Eines Tages hatte Napoleon ihm wieder in
schwunghafter Rede die größten Verheißungen gemacht;
der Papst hörte Alles mit Ruhe an und antwortete
zum Schlusse nur mit dem einen Worte: ‘„Comödiant!“’
‘„Was,“’ rief, jähzornig aufspringend, der Kaiser
wüthend aus, ‘„ich ein Comödiant? Pfaffe! nun ist es
aus mit uns!“’
Heftig und schnaubend auf- und ab-
gehend, ergriff er das auf dem Tische stehende Kunst-
werk von Mosaik, das die Peterskirche in Rom vor-
stellte, und vor den ruhig dasitzenden Papst hintretend,
warf er es in Stücke zur Erde mit den donnernden
Worten: ‘„Siehst du, so werde ich nun dich, deinen
Stuhl, deine Kirche und dein Reich zerschmettern; der
Tag des Zornes ist über dich ausgebrochen.“’
– Der
heilige Vater aber sprach in derselben feierlichen Hal-
tung, mit derselben Ruhe und Festigkeit wie das erste-
mal wieder nur ein Wort, aber das Wort: ‘„Tragö-
diant!“’
und verließ dann das Zimmer. Und wirklich,
der gefürchtete Eroberer, der so vielen Fürsten die
[105] Krone vom Haupte genommen, war machtlos gegen
die Kirche und den alten, schwachen Papst. Der mäch-
tige Kaiser Napoleon mußte nach wenigen Jahren als
einflußloser, verstoßener Gefangener auf eine einsame
Insel wandern, während der von ihm bedrohte Pius
ruhig im Vatikan zu Rom lebte und starb.

Auf die Gegenwart brauche ich kaum aufmerksam
zu machen. Wir selbst haben es ja miterlebt, wie
man Alles, Lüge, Verleumdung, Gewalt und Verfol-
gung aufgeboten hat, um die Wirksamkeit der Kirche
lahm zu legen, um sie zu vernichten und aus der Welt
zu schaffen; wir selbst haben es erlebt, daß man die
Ordensleute aus ihren Klöstern vertrieben und aus
dem Vaterlande verbannt, daß man die Priester und
Bischöfe wie gemeine Verbrecher in's Gefängniß geführt
hat; wir selbst haben es erlebt, wie man kein Mittel
unversucht ließ, um das Volk vom Clerus, den Clerus
von den Bischöfen und die Bischöfe vom Papste zu
trennen und so eine Theilung und Spaltung in der
Kirche hervorzurufen, die ihr den Untergang bereiten
mußte. Aber wir haben auch die unüberwindliche
Macht und Lebenskraft der Kirche gesehen; denn wir
haben ja erlebt, daß trotz der furchtbaren Bemühungen
der Gegner das Band der Einheit sich enger und fester
um Volk, Priester, Bischöfe und Papst geschlungen hat,
daß die treue Anhänglichkeit der Katholiken an die
Kirche gewachsen und das Ansehen des Papstes in
Rom gestiegen ist.

Diese Lebenskraft der Kirche in allen Gefahren und
[106] Drangsalen ist wunderbar, ist göttlich. Was die
Menschen schaffen, vergeht. Die Schulen, die sie gründen,
bestehen selten zwei oder drei Jahrhunderte, wenn auch
die gelehrtesten und angesehensten Männer sie in's
Leben rufen; die Paläste, die sie bauen, werden im
Laufe der Zeit schwer von Sturm und Regen ge-
schädigt und verfallen; die Fürstenthrone, die sie auf-
richten, werden morsch und zerbrechen in Stücke; die
mächtigsten Reiche, die man mit den größten Mühen
fest zusammenkittet, werden auseinander gerissen und
elend zerstückelt. Alles vergeht, Alles altert und wirb
schwach, nur die Kirche besteht, nur die Kirche wankt
nicht. Während Alles um sie herum in Trümmer
fällt, steht sie ruhig und fest, hoffnungsvoll und un-
überwindlich da in allen Stürmen, die tobend um und
über sie rasen.

3.


Wunderbar groß erscheint uns ferner die katholische
Kirche durch die Einheit, die wir in ihr
wahrnehmen
. – ‘„ Quot capita, tot sensus. Wie
viel Köpf', so viel Sinn'.“’
Ueberall finden wir Ver-
schiedenheit und Widersprüche der Ansichten und Wechsel
der Meinungen. Es liegt im menschlichen Herzen die
Neigung, seine eigenen abweichenden Gedanken den An-
sichten Anderer entgegenzusetzen. Daher platzen die
Geister so leicht auf einander los, daher so viel Disput
und Uneinigkeit unter den Menschen. Wo finden wir
Einheit, beständige und unveränderliche Einheit des
[107] Gedankens und der Ueberzeugung? Vielleicht bei den
Gelehrten, die bloß dem natürlichen Lichte der Vernunft
folgen? Wie wenige unter ihnen stimmen mit ein-
ander überein? Was der Eine als die höchste Wahrheit
preist, das verwirft der Andere als Thorheit. Heute
erhebt man diese Meinung, dieses System bis zu den
Sternen und morgen findet man, daß es unhaltbar
sei. Heute geht nichts über den Philosophen X. und
wer zu ihm nicht hält, hat keine Geltung in der ge-
lehrten Welt; doch morgen schon fängt sein Ansehen
zu erbleichen an und statt dessen erregt der Philosoph Y.
allgemeine Bewunderung, der dann übermorgen dem
Z. seine Stelle abtreten muß. Die gelehrtesten Männer,
die tiefsten Denker, die größten Genie's sind nicht im
Stande, eine dauernde Schule zu gründen und eine
beständige Einheit der Lehre hervorzurufen. Mit Wuth
bekämpfen sie sich gegenseitig und verdrängen einander
wie auf dem stürmischen Meere eine Woge die andere
verdrängt. Mit Recht hat der bekannte Hegel einst ge-
sagt: ‘„Auf jedes neu auftauchende philosophische System
lassen sich die Worte, die einst Petrus zu Saphira
sprach, anwenden: 'Die Füße derer, die dich begraben,
stehen schon vor der Thür''.“’

Finden wir denn diese Einheit und diesen unver-
änderlichen Bestand der Lehre vielleicht bei jenen christ-
lichen Genossenschaften, die sich von der katholischen
Kirche getrennt haben? Das gerade Gegentheil. Wie
viele von diesen Secten, die bei ihrem Entstehen viel
Aufsehen machten, sind längst von der Erde verschwunden;
[108] hätte uns die Kirchengeschichte ihre Namen nicht auf-
bewahrt, so wüßten wir heute nichts mehr von ihnen.
Andere dagegen, die noch bestehen, haben wiederholt
ihren inneren Lehrgehalt gewechselt. Bald haben sie
an dieser Lehre herumgemodelt, bald jene Wahrheit
gänzlich fallen gelassen oder mit bitterer Befehdung
wieder in neue verschiedene Secten sich getheilt. Der
ehemals viel gefeierte Schleiermacher sagt von dem
Protestantismus seiner Zeit: ‘„In der gegenwärtigen
Lage des Christentums dürfen wir es nicht als all-
gemein eingestanden voraussetzen, was in den frommen
Erregungen der Christenheit das Wesentliche sei oder
nicht. Der Streit hierüber ist in der protestantischen
Kirche so groß, daß, was Einigen die Hauptsache im
Christentum scheint, Andere für bloße Hülle halten,
und Das, was diese wiederum für das Wesentliche
ausgeben, jenen so dürftig erscheint, daß sie meinen, es
lohne nicht, das Christenthum um deßwillen für etwas
zu halten1).“’
Wahrhaftig ein trauriges Geständniß
von einem Hauptvertreter dieser christlichen Genossen-
schaft, und doch ist es seit dieser Zeit nicht besser ge-
worden in derselben bezüglich der Disharmonie im
Glauben und in der Lehre.

Nur eine einzige Anstalt gewahrt unser Auge auf
dem ganzen Erdenrunde, welche eine wunderbare Ein-
heit und Beständigkeit aufweisen kann. Das ist die
katholische Kirche. Sie ist nicht von gestern, stammt
[109] nicht aus dem sechzehnten Jahrhundert, sondern zählt
jetzt schon bald neunzehn Jahrhunderte. Sie bildet
nicht bloß eine kleine Schule von hundert Männern,
sondern ihre Mitgliederzahl beträgt über zweihundert
Millionen, unter denen sich viele Männer befinden, die
sich den tiefsten Forschungen hingegeben und den
reichsten Schatz von Kenntnissen sich gesammelt. Sie
zählt zu ihren Anhängern Völker von den verschiedensten
Sprachen, Gebräuchen und Sitten, Völker, die sich in
politischen Dingen oft widersprochen und die blutigsten
Kriege mit einander geführt haben. Und doch überall
und zu allen Zeiten diese großartige Einheit im
Glauben und in der Lehre!

Steigen wir im Geiste in die Katakomben, in diese
unterirdischen Grabstätten und Gänge, in welche die
Kirche in den ersten drei Jahrhunderten vor der Wuth
der Tyrannen sich flüchten mußte, so finden wir dort
in unverkennbaren Zeichen, in Symbolen und Bildern
oder gar in ausdrücklichen Worten jene großen christ-
lichen Wahrheiten ausgesprochen, die uns heute noch
von der Kanzel vorgetragen werden. Und gehen wir
in die Schule zu den großen christlichen Meistern, den
erhabenen Kirchenlehrern der frühern Jahrhunderte und
forschen wir in ihren Schriften, so können wir uns
überzeugen, daß damals die katholische Kirche dieselben
Lehren verkündete und dieselben Sakramente spendete
wie heute. Diese Entdeckung hat ja schon manche
Andersgläubige, besonders in England aus der Schule
der Puseyten, in den Schooß der katholischen Kirche
[110] zurückgeführt; ich erinnere nur an den berühmten Faber,
an Newmann und Manning, die dann nach ihrer Kon-
version so segensreich in England gewirkt haben.

Was die Kirche bei uns in Deutschland lehrt, ganz
dasselbe lehrt sie auch in Italien, in Frankreich und
England; was wir in Europa glauben, ganz dasselbe
glauben die Katholiken in Asien, Afrika und in dem
industriereichen Amerika. Am Mississippi und an der
Donau, am Ganges und am Nile, an dem Tiber und
an der Themse, überall erkennen die Katholiken den-
selben Papst als ihr Oberhaupt an, überall wird das-
selbe Opfer auf den Altären Gott dargebracht, überall
werden dieselben Sakramente gespendet, werden die-
selben christlichen Wahrheiten gepredigt. Auch heute
noch gelten die schönen Worte des heil. Irenäus: ‘„Ob-
gleich durch die ganze Welt zerstreut, bewahrt doch die
Kirche treulich die verkündete Heilslehre, als bewohnte
sie nur ein Haus; glaubt überall dasselbe, als hätte
sie nur eine Seele; lehrt allenthalben ganz überein-
stimmend, als hätte sie nur einen Mund. Obschon die
Sprachen verschieden sind, ist doch der Inhalt der ver-
kündeten Lehre überall ein und derselbe1).“’

Ist das nicht wunderbar, diese großartige Einheit
inmitten einer Welt von Widersprüchen, voll Dishar-
monien und Wechseln und Unbeständigkeiten aller Art?
Und erscheint dies nicht noch wunderbarer, wenn
man bedenkt, was die Welt nicht Alles aufgeboten hat,
[111] um die Einheit der Kirche zu zerreißen? War es nicht
diese Einheit, gegen welche fast alle Angriffe der Gegner
sich richteten? Haben nicht alle Irrlehrer und alle
Schismatiker sie zu vernichten gestrebt? Haben nicht
manchmal die glänzendsten Geister, selbst angesehene
Diener des Heiligthums, Priester und Bischöfe verwegen
ihre Hand an dieses Band der Einheit gelegt, um es
zu zerreißen? Doch Alles war umsonst. Während Alles
in Verwirrung gerieth, während Streit und Uneinigkeit
in alle Familien, in alle Schulen und alle Völker ihren
Einzug hielten, hat die Kirche zu allen Zeiten und an
allen Orten sich ihre weltumspannende Einheit bewahrt.
Das ist wunderbar und göttlich, das ist das Siegel
der Wahrheit, welches die Kirche auf ihrer Stirne trägt.

4.


Wunderbar groß erscheint uns die katholische Kirche
durch ihre Heiligkeit. Die Kirche ist heilig; denn
sie ist begründet von Jesus Christus, dem Heiligsten
der Heiligen, dem Urquell aller Heiligkeit, welcher selbst
vor seine erbittertsten Feinde mit der Frage hintreten
konnte: ‘„Wer von euch kann mich einer Sünde be-
schuldigen.“’
Er, der unendlich Heilige, lebt nach seiner
eigenen Verheißung durch alle Jahrhunderte bis zum
Ende der Zeiten in der Kirche; er ist und bleibt ihr
unsichtbares Haupt, von dem all' ihr Leben, ihre Kraft
und ihr Segen ausströmt.

Die Kirche ist heilig; denn sie hat vom göttlichen
Heiland die Bestimmung und Aufgabe erhalten, die
[112] Menschen zur Tugend und Heiligkeit anzuleiten. Dieser
ihrer Aufgabe ist sie auch immer treu nachgekommen
und sucht sie auch heute noch ganz gewissenhaft zu
entsprechen. Immer noch ruft sie uns mit Nachdruck
die Worte Jesu zu: ‘„Seid vollkommen, wie euer
Vater im Himmel vollkommen ist“’
(Matth. 5, 48).
Immer noch verkündigt sie mit großem Eifer die er-
habenen Lehren, die der göttliche Heiland uns geoffen-
bart, und die uns zum ernsten Streben nach christlicher
Tugend und Vollkommenheit anspornen sollen. Immer
noch feiert sie auf ihren Altären das hochheilige Meß-
opfer und spendet die heiligen Sacramente und senkt
durch sie in die Seele des würdigen Empfängers über-
natürliche Kraft, die ihn aufrecht hält in den Ver-
suchungen und stärkt zum Tugendkampfe. Mitten in
einer Welt, die von Heiligkeit nichts wissen will, die
in ihren Zeitungen und Schriften, durch ihre Bilder
und Statuen, auf ihren Bühnen und vielfach selbst auf
ihren Kathedern das Laster verherrlicht und ihm Weih-
rauch streut, mitten in einer Welt, die der Gottlosig-
keit ihre Ehrensäulen baut und Feste auf Feste feiert,
welche die Leidenschaften entfesseln, fährt die Kirche un-
ermüdet fort, die Seelen zur Heiligkeit zu mahnen,
sie zur Heiligkeit zu erziehen und in derselben immer
mehr zu vervollkommnen.

Und Dank dem göttlichen Leben, das in den Adern
der Kirche fließt, hat ihre Bemühung auch immer Er-
folg gehabt. Zwar war sie nicht im Stande, all' ihre
Glieder zur Heiligkeit zu führen; denn die Glieder der
[113] Kirche besitzen freien Willen und können mit diesem
der Aufforderung und Bemühung ihrer Kirche Wider-
stand leisten. Die Kirche war immer und bleibt
immer der Acker, auf welchem neben dem Weizen auch
das Unkraut wuchert, das Netz, in dem neben den
guten Fischen auch schlechte sich befinden. So hat es
der göttliche Heiland ja selbst vorausgesagt. Aber un-
zählig ist auch die Schaar der Heiligen, welche die
Kirche von den ersten Tagen ihres Bestehens an bis
auf unsere Zeit hervorgebracht hat. Man denke nur
an die endlosen Reihen der heiligen Martyrer, welche
mit der größten Unerschrockenheit die größten Qualen
für Christus erduldeten, an die großen heiligen Väter
und Lehrer, an einen Augustinus, einen Athanasius,
einen Hieronymus, einen Thomas von Aquin, einen
Bonaventura und andere Männer, welche die Welt er-
leuchteten mit dem Lichte und Glanze ihrer tiefen und
ausgebreiteten Wissenschaft und dabei die Demuth und
liebenswürdige Einfalt eines unschuldigen Kindes be-
saßen. Man denke an jene herrlichen Ordensstifter, die
mit wunderbarer Macht ihre Zeit beeinflußten und
Schöpfungen hervorriefen, von denen Ströme des Segens
auf die Menschheit ausgingen und die selbst wieder
viele Heiligen erzeugten. Man braucht ja nur einen
heiligen Benedict, einen heiligen Dominikus, einen
heiligen Franziscus von Assisi, einen heiligen Vincentius
von Paula, einen heiligen Franz von Sales, einen
heiligen Ignatius und einen heiligen Alphonsus zu
nennen. Man denke an die vielen, vielen heiligen
[114] Frauen und Jungfrauen, denen die Welt lachend zu
Füßen lag und das sonst oft so sehr gesuchte Glück
freiwillig anbot, die aber aus Liebe zu Jesus auf
Alles verzichteten, um in den stillen, verschlossenen
Mauern eines Klosters ein Leben beständiger Selbst-
verleugnung und Armuth zu führen oder in dumpfen
Hütten die verlassenen Kranken aufzusuchen und zu
Pflegen.

Aus jedem Material, wenn man sich hier so aus-
drücken kann, hat die Kirche sich ihre heiligen gebildet,
nicht bloß aus jenen Jünglingen und Jungfrauen, die
noch unberührt waren vom giftigen Hauche der Sünde,
sondern auch aus jenen Seelen, in denen die Leiden-
schaften Jahre lang ihre schrecklichen Verheerungen an-
gerichtet hatten; nicht bloß aus den frommen Mönchen,
die nach einer strengen Ordensregel lebten und von den
meisten Gefahren der Welt durch ihr Kloster abge-
schnitten waren, sondern auch aus Königen und Fürsten,
die auf glänzendem Thron saßen, ein weites Reich be-
herrschten und mitten im Treiben und Getümmel der
Welt lebten, auch aus Soldaten, die in vielen Schlachten
große Kühnheit und einen unerschrockenen Muth an
den Tag gelegt hatten; nicht bloß aus Männern,
die auf ruhiger Flur hinter dem Pfluge einhergingen
oder die in stiller Werkstätte arbeiteten, sondern auch
aus jenen, welche verwickelte Staatsgeschäfte zu leiten
hatten oder sich den tiefsten und gründlichsten Forschungen
hingaben. In allen Ständen der Gesellschaft hat die
Kirche sich ihre Heiligen erzogen. Mächtige Fürsten
[115] waren der heilige Ludwig von Frankreich, der heilige
Eduard von England, der heilige Ferdinand von
Spanien, der heilige Heinrich von Deutschland; tapfere
Soldaten die Heiligen Sebastianus, Quirinus und
Vitalis, Gordius und Marcellus; scharfsinnige Philo-
sophen die Heiligen Justinus, Augustinus, Anselmus,
Thomas und Bonaventura. Der heilige Guido war
ein Kaufmann, der heilige Symphorianus ein Bild-
hauer, Florus ein Goldschmied, Crispinus ein Schuh-
macher, Rualfundus ein Kellner, Isidor ein Bauer,
Leonhard ein Hirt, Adrianus ein Gärtner.

Auch noch in unseren Tagen, wo die Kirche doch
mit so vielen und großen Schwierigkeiten zu kämpfen
hat, fährt sie fort, überall in den verschiedensten Lebens-
stellungen eine heldenmüthige Tugend zu erzeugen,
welche der ersten christlichen Zeit würdig wäre. Sterben
nicht noch alljährlich in China, Korea und anderen
heidnischen Ländern katholische Missionäre muthig für
Christus den qualvollsten Martertod? Verlassen nicht
immer noch fromme katholische Priester Vaterland und
Familie, um in fremden Ländern unter unsäglichen
Mühen das Evangelium Jesu zu verkünden? Haben nicht
in den Tagen des sogenannten Kulturkampfes unsere
deutschen Bischöfe und Priester für die Freiheit der Kirche
freudig lange Kerkerhaft erduldet, ähnlich den heiligen und
glorreichen Bekennern früherer Jahrhunderte? Wer kennt
nicht unsere gottgeweihten Jungfrauen, die Schwestern ver-
schiedener Orden, die am Schmerzenslager der verlassenen
Kranken wachen, oder welche herabgekommene Personen
[116] ihres Geschlechtes vom Leben der Schande zurückrufen
und sie wieder unter den veredelnden Einfluß der
Religion bringen, oder welche arme Kinder von ihrer
Unwissenheit befreien und sie die Kenntniß der Liebe
Gottes lehren? Es sind oft Jungfrauen, die den
höchsten Ständen angehörten und in der Welt das
schönste Glück genießen konnten. Und gibt es, um zur
Laienwelt überzugehen, nicht fast noch in jeder Gemeinde
der katholischen Welt Männer und Frauen, welche eine
glühende Frömmigkeit und großen Eifer für alles Gute
besitzen, die ihre manchmal so schweren Berufsarbeiten
mit bewunderungswürdiger Treue erfüllen und ihr hartes,
lang andauerndes Kreuz mit vollkommener Ergebung
in Gottes Willen ertragen? Mag auch die Welt sich
um sie nicht kümmern, Gott und die Engel schauen mit
innigem Wohlgefallen auf diese schlichten und demüthigen
Seelen herab, die ein in Christo verborgenes Tugend-
leben führen, sie leuchten von der dunkeln, kalten Erde
zum Himmel empor wie helle, freundliche Sterne.

5.


Wunderbar groß erscheint uns endlich die katholische
Kirche durch den reichen Segen, den sie den Völ-
kern im Laufe der Jahrhunderte hat zu Theil werden
lassen. Ueberallhin erstreckt sich der belebende Einfluß
der Sonne, die ihre milden Strahlen über Berg und
Thal nach allen Seiten ausgießt. Ihr haben wir die
Herrlichkeit und Pracht unserer Felder, Wiesen und
Wälder im Frühjahre, ihr die schöne, labende Frucht
[117] im Herbste zu danken. Der Wurm, der im Staube
der Straße sich langsam fortbewegt, und der Adler,
welcher in seinem kühnen Fluge in eine Höhe steigt,
wohin ihm unser Auge kaum folgen kann, die kleine
Blume, die am Rande des Baches steht, und die
mächtige Eiche, die den stärksten Stürmen Trotz bietet,
Alles steht unter dem gewaltigen Einflusse der Sonne.

Aehnlich ist es mit der christlichen Gesellschaft unserer
heiligen Kirche gegenüber. Die Kirche ist die Sonne
der Geister, die überallhin den reichsten Segen gespendet
hat und noch beständig spendet. Das Kind und der
Greis, das Weib und der Mann, der Herr wie der
Diener, der König wie der Unterthan, der Reiche wie
der Arme, der Staat und die Gemeinde wie die
Familie, alle Menschen und alle Institutionen der christ-
lichen Gesellschaft sind der katholischen Kirche zum Danke
verpflichtet für all' die vielen und großen Wohlthaten,
welche dieselbe ihnen und der ganzen Menschheit nur in
irdischer Beziehung gespendet hat. War es denn nicht
unsere Kirche, die stets einen ernsten, heiligen Kampf
gegen die Sünden und Leidenschaften, welche so viel
Verderben über die Menschen bringen, geführt hat?
Sie lehrt uns ja die Sünde als das größte Uebel der
Welt betrachten, weil sie eine Beleidigung des unend-
lichen Gottes ist; sie leitet uns an, in dem Augenblicke
der Gefahr und der Versuchung zu denken an das strenge
Gericht, das uns nach dem Tode bevorsteht und über unsere
ganze Ewigkeit entscheiden wird, und zu Gott unserem
Vater im Himmel um Hilfe und Beistand zu flehen.

[118]

War es nicht unsere heilige Kirche, welche die
Familie, die je nach ihrer Beschaffenheit großen Segen
oder schweres Unheil für die Gesellschaft in ihrem
Schooße birgt, in der besten und erfolgreichsten Weise
beeinflußt hat? Sie hat ihr ja durch ihre Lehre von
der Einheit, Unauflöslichkeit und sakramentalen Heilig-
keit der Ehe ihre Festigkeit, ihren Frieden und ihre
hohe Würde, die sie im Heidenthume verloren hatte,
wieder zurückgegeben. Sie hat alle Glieder der Familie,
den Mann und seine Gattin, den Vater und die Mutter,
die Kinder und die Dienstboten in das richtige Verhältniß
zu einander gesetzt, hat sie umschlungen mit dem Bande
christlicher Liebe und Treue, hat sie aufgemuntert, Tag
für Tag ihre gegenseitigen Berufspflichten gewissenhaft
zu erfüllen. So ist denn die Familie unter der Pflege
der Kirche zu einer Stätte des Glückes, der Freude und
der Tugend umgestaltet worden.

War es nicht unsere heilige Kirche, die auch dem Staate
das sicherste Fundament und die kräftigste Stütze geboten
hat? Sie mahnt und lehrt ja die Unterthanen, in ihren
Regenten und Vorgesetzten die Stellvertreter Gottes zu
ehren und ihnen um des Gewissens willen, wie der Welt-
apostel Paulus sich ausdrückt, willigen Gehorsam zu
leisten. Sie fordert aber auch die Vorgesetzten auf, gegen
ihre Untergebenen wie Väter, die nur das Beste derselben
wollen, sich zu benehmen und ihr wichtiges Amt treu
zu verwalten, als solche, die einst einem unendlich
höhern Herrn Rechenschaft ablegen müssen. Auf diese
Weise hat sie der Auctorität Liebe und Verehrung
[119] erworben, hat aber auch das Wohl und die Würde der
Untergebenen zu sichern gesucht und dadurch für das
Heil beider Theile am besten gesorgt.

War es ferner nicht unsere heilige Kirche, welche
die Lage der armen, wie Thiere behandelten Sclaven
verbessert und ihre Ketten gelöst, welche überall die
Gesetze der Menschlichkeit und christlichen Liebe proc-
lamirt, überall Anstalten der Wohlthätigkeit in's Leben
gerufen hat, so daß ihre Geschichte mit Recht eine
Geschichte der Barmherzigkeit genannt werden kann?

War es nicht endlich unsere Kirche, welche uns
in Zeiten wilder Barbarei in ihren stillen Klöstern
die wissenschaftlichen Schätze des Alterthums gerettet,
welche die ersten Schulen und Universitäten gegründet,
nicht die Kirche, welche besonders in Deutschland den
Ackerbau, die Obstzucht und das Handwerk mit Liebe
gepflegt und zu ihrer Blüthe so vieles beigetragen,
nicht die Kirche, der manche unserer schönen und be-
rühmten Städte ihre Entstehung und ihren Ruhm zu
danken haben? Wahrhaftig, es hat nie ein Fürsten-
thron auf unserer Erde gestanden, von dem so viel
Segen über die Völker ausgeströmt ist wie von dem
päpstlichen Throne in Rom; es hat nie eine Anstalt
hier auf Erden existirt, die so mächtig, so wohlthätig
und heilsam auf die menschliche Gesellschaft gewirkt hat,
wie unsere heilige katholische Kirche. Die Geschichte
bezeugt es: Je mehr ein Volk sich willig und demüthig
unter ihren segensreichen Einfluß stellt, desto mehr
sichert es sein wahres Wohl; je mehr es aber stolz und
[120] trotzig ihrer Lehre und ihren Gnaden sich entzieht, desto
mehr und desto schneller bahnt es sein eigenes Ver-
derben an.

6.


Diese Kirche nun, deren wunderbare Größe und
Erhabenheit wir anstaunen müssen, steht dir, lieber
christlicher Mann, nicht fremd gegenüber; sie ist für dich
keine kalte, strenge Herrin, sondern die beste Mutter,
welche dir eine innige Liebe und Sorgfalt zuwendet,
und der du die größten Wohlthaten zu danken hast
Gleich beim Eintritt in die Welt hat sie dich durch die
heilige Taufe wiedergeboren zu einem neuen, gottähn-
lichen Leben. Kaum war das Licht der Vernunft in
dir aufgedämmert, so hat sie deine Seele fort und fort
genährt mit heilsamer Lehre, hat dich zur Erkenntniß
deines Gottes geführt und die Liebe zu Jesus in dein
Herz hineingesenkt. Dann hat sie dich mit mütter-
licher Freude und mit festlichem Gepränge zum ersten
Male zum Tische des Herrn geführt und dir das Brod
der Engel, den hochheiligsten Leib Jesu Christi in der
heiligen Communion dargereicht, damit dein inneres
Gnadenleben gestärkt werde.

Als dann für dich die Zeit der Versuchungen
und Kämpfe begann, als du im Begriffe standest,
in die gefahrvolle Welt hinauszutreten, da legte in
ihrem Namen der Bischof dir die Hände auf, salbte
dich mit Chrisam und betete über dich, daß der
heilige Geist dich stärke und dir die Gnade verleihe,
[121] den Glauben treu zu bewahren und gewissenhaft
nach seinen Vorschriften zu leben. Doch du warst
vielleicht so unglücklich, den vielfachen Gefahren und
Versuchungen von Seiten des höllischen Widersachers,
der Welt und deiner eigenen bösen Lust zu unterliegen.
Da war es denn wieder die Kirche, deine geistige Mutter,
die dich aufrichtete vom schweren Falle, dich im Sakra-
mente der Buße wieder mit Gott aussöhnte und dir
innere Kraft und Gnade schenkte zum neuen, glücklicheren
Kampfe gegen die Sünde. Und so hat sie es in ihrer
unergründlichen, gottähnlichen Milde und Langmuth
immer gethan, so oft du armer Sünder mit reu-
müthigem Herzen zu ihr zurückgekehrt bist. Sie hat
dann später deinen Ehebund eingesegnet. Als du mit
deiner dir auserkorenen Lebensgefährtin vor dem ge-
heiligten Altare knieetest, da hat sie innigen Antheil an
deinem Glücke genommen und in ihrer mütterlichen Liebe
zu Gott gesteht, daß er euch und euere Nachkommen
reichlich segnen möge.

Stehst du einst am Rande des Grabes, verkündet
dir eine schwere Krankheit dein nahes Lebensende,
so wird ihre Liebe und Sorge für dich nur noch
größer und inniger. Sie tröstet dich in deinen
Leiden und Schmerzen durch ihren Priester, den sie an
dein Sterbelager entsendet; sie stärkt dich durch die hoch-
heilige Wegzehrung zum letzten entscheidenden Kampfe;
sie reinigt dich durch das heilige Sakrament der Oelung
von allen Mängeln und Ueberbleibseln der Sünde, damit
du mit Hoffnung und Zuversicht vor deinen Richter
[122] hintreten kannst. Ringst du dann mit dem Tode und
liegst du in den letzten Zügen, so ruft sie in wahrhaft
ergreifenden Worten zum dreieinigen Gott und zu den
Engeln und Heiligen des Himmels um Gnade und
Barmherzigkeit für dich.

Bist du endlich gestorben, so legt sie deinen Leich-
nam unter heiligen und bedeutungsvollen Ceremonien
und Gebeten in die geweihte Erde und pflanzt auf
dem Grab das heilige Kreuz, das Zeichen unserer
Hoffnung und unseres Heiles; doch in ihrem Herzen
lebt das Andenken an dich und die Liebe zu dir noch
fort. Nach Jahren, wo du vielleicht von den
theuersten Angehörigen schon ganz vergessen bist und
sonst Niemand deiner mehr gedenkt, legt die Kirche noch
täglich am Altare beim hochheiligen Meßopfer Fürbitte
für dich ein und steht zu Gott, er möge dir das ewige
Licht leuchten lassen und dir die ewige Ruhe schenken.
Ist das nicht die beste, die treueste, die liebevollste
Mutter? Sollten wir einer solchen Mutter nicht
willigen Gehorsam und tiefe Ehrfurcht freudig ent-
gegenbringen? Sollte ihr Wille nicht unser Wille, ihre
Wonne nicht unsere Wonne, ihr Schmerz aber und die
Schmach, die man ihr zufügt, nicht auch unser Schmerz
und unsere Schmach sein? Sollte nicht jede Faser
unseres Herzens ihr in treuester Liebe angehören?

Als die große Kaiserin Maria Theresia, allerwärts
umdrängt von Feinden, nirgends mehr eine sichere Stätte
hatte, trat sie, geschmückt mit der Krone des heiligen
Stephan und umgürtet mit dessen Schwerte, in jugend-
[123] licher Schönheit ihren erstgeborenen Sohn auf den Armen
tragend, in die ungarische Reichsversammlung zu Preß-
burg, schilderte den Abgeordneten mit rührenden Worten
ihre große Bedrängniß und flehte sie um ihre Hilfe an.
Wie ein Mann erhoben sich nun die hochherzigen,
heldenmüthigen Männer Ungarns, nahmen ihr Schwert
aus der Scheide und riefen begeistert: ‘„ Moriamur pro
regina nostra Maria Theresia
! Wir wollen sterben
für unsere Königin Maria Theresia!“’
Diese Männer
haben treu ihr Wort gehalten und Oesterreich mit
Gottes Hilfe vor großem Unglück bewahrt.

So wollen auch wir, theuere Männer, die ihr diese
Zeilen leset, um unsere heilige katholische Kirche uns
schaaren wie ein Mann. Ihr haben wir mehr zu
danken wie der liebevollsten irdischen Mutter; sie hat
der ganzen christlichen Gesellschaft mehr Wohlthaten,
größeren Segen zugewendet, als dies je eine Fürstin
ihrem Volke gethan. Groß ist die Anzahl und Stärke
ihrer Feinde. Männer des Unglaubens erheben sich
überall zum Kampfe, zum erbitterten Kampfe gegen
unsere erhabene Mutterkönigin. Darum wollen wir als
ihre wackeren Söhne uns ganz in den Dienst unserer
heiligen Kirche, dieser Tochter des Himmels, stellen.
Ihrer Liebe, ihrer Ehre und ihrem Rechte sei unsere
ganze Manneskraft, unser ganzes Herz geschenkt. Die
Liebe zur Kirche ist ja das Kennzeichen der Kinder
Gottes.

VI.
Der Sonntag in seiner Bedeutung.

[124]

Der beliebte Volksschriftsteller P. Hattler S. J.
schreibt in seinem ‘„Wanderbuch für die Reise in die
Ewigkeit“’
, Bd. II.: ‘„Da fährt ein Schiff reich mit
Waaren beladen seinen nassen Weg dahin auf ruhiger
See. Der Wind bläst in die Segel; das Wasser weicht
schweigend zu beiden Seiten aus; die Schiffer sind fröh-
lich und munterer Dinge und singen lustige Lieder und
essen und trinken oder tanzen sogar. Der Kaufmann,
dem die kostbaren Waaren angehören, rechnet schon im
Stillen den Gewinn aus, den er davon machen wird.
Aber auf einmal mitten in der raschen Fahrt bekommt
das Schiff einen gewaltigen Stoß; ein Todesschrei fährt
aus Aller Mund; noch wenige Minuten und das Schiff
geht auseinander. Es ist angerannt an verborgenes,
spitzes Gestein, das die Wellen fast hintertückisch ver-
deckt haben. Oder es ist nahe am Ufer auf den Sand
aufgesessen und sitzt fest und sie kommen nicht mehr
weiter.’

„Gerade so ist es mit der Arbeit am Sonntage.
Ein oberflächlicher Kopf zählt die Kreuzer, die ihm diese
Arbeit einbringt, und er findet, daß es monatlich und
jährlich so und so viel Gewinn verschafft. Und dabei
bleibt er stehen und meint, das Geschäft gehe ganz gut,
weil er jetzt so viel Geld mehr hat als früher, wo er
den Sonntag gehalten und geheiligt hat. Aber der
[125] einfältige blöde Mensch sieht nicht die Klippen, auf die
er mit vollen Segeln hinsteuert; er sieht nicht, wie still
und unscheinbar sein Geschäft Schaden leidet, der mit-
unter das Zehnfache des Sonntagsgewinnes ist. Das
weise Sprüchlein aber sagt:
‘„Was du thust, thu mit Bedacht,’
‘Und gib fein auf den Ausgang acht.“’
„Der Ausgang der Sonntagsentheiligung ist nicht
schwer zu prophezeien für Leute, die Ohren haben zu
hören und Verstand es zu verstehen. Aber der Geld-
narr hat keines von Beiden; für vernünftige Menschen
aber sage ich also: Wer ist denn klüger, gescheidter und
vorsichtiger, Gott der Herr oder der Mensch, sei er
Schuster, Schneider, Fabriksherr oder Professor? Offen-
bar Gott der Herr. Und wer von beiden weiß denn
also gründlicher, was dem Menschen besser ist, Sonn-
tagsruhe oder Sonntagsarbeit? Natürlich doch Gott
der Herr.“

Dieser eine Gedanke sollte schon hinreichen, jeden
Christen von der Entheiligung des Sonntags abzuhalten.
Doch da jetzt leider immer mehr am Sonntage ge-
arbeitet wird, und die Vergnügungssucht immer mehr an
den Gott geweihten Tagen ihr Unwesen treibt, so ist es
heilsam, ja nothwendig, unsere Männerwelt etwas näher
auf das große Verderben hinzuweisen, welches die Ent-
heiligung des Sonntags für die christliche Gesellschaft
mit sich bringt. Hier kommt es ja auch wieder auf
die Männer an. Halten unsere Männer den Sonntag
[126] gut und wird darum derselbe für sie eine Quelle höhern
Segens, dann wird der Tag des Herrn sicher allgemein
heilig gehalten und wird seine Feier ohne allen Zweifel
den reichsten Nutzen für die ganze Gesellschaft bringen.

1.


Die Entheiligung des Sonntags führt mit der Zeit
den Untergang der christlichen Religion
herbei. Es wird von einzelnen heidnischen Richtern er-
zählt, daß sie zu dem Christen, der wegen seines Glaubens
angeklagt vor ihrem Tribunal stand, sprachen: ‘„Ich
frage dich nicht, ob du ein Christ bist, sondern, ob du
den Sonntag beobachtest.“’
Wurde diese Frage ver-
neint, so genügte das vollständig diesen Feinden der
christlichen Religion. Sie glaubten, ein Solcher, der
den Sonntag nicht halte, könne unmöglich ein treuer
Jünger Christi sein. Diesen Richtern kann man ein
klares Urtheil nicht absprechen. Ein Christ, der den
Sonntag gewohnheitsmäßig entheiligt, muß innerlich
seiner heiligen Religion ganz untreu werden; er ver-
fällt der Religionslosigkeit.

Sollen wir Religion haben, so müssen wir vor
Allem unsere Religion, müssen die Wahrheiten, die
Gott uns geoffenbart hat, kennen. Wer den Werth
eines Edelsteines nicht kennt, ist gleichgiltig gegen den-
selben, läßt ihn unbeachtet im Staube liegen. Wer
seine Religion nicht kennt, kann unmöglich ihren über-
aus hohen Werth richtig beurtheilen, und so muß ihm
dieselbe nach und nach eine ganz gleich giltige Sache
[127] werden. Wenn wir nun den Sonntag nach Absicht der
Kirche heiligen, dem Gottesdienst mit Andacht beiwohnen,
das Wort Gottes mit Aufmerksamkeit anhören und
dazu am Nachmittag oder Abend noch in einem guten
Buche lesen, dann lernen wir unsern Glauben immer
besser kennen, dringen immer tiefer ein in seine er-
habenen Wahrheiten. An unserm Geiste ziehen im
Laufe des Kirchenjahres all die großen Geheimnisse der
Religion vorüber. Jetzt knieen wir vor dem göttlichen
Kinde in der Krippe und beten es demüthig an; dann
betrachten wir mit Staunen sein verborgenes Leben in
dem kleinen Hause und in der armen Werkstätte zu
Nazareth und lernen dort Tugenden, die für das ge-
sellschaftliche Leben so eminent wichtig sind; ein anderes-
mal hören wir den göttlichen Lehrer, wie er uns bald
mahnt zur wahren Nächstenliebe, bald warnt vor der
falschen Gerechtigkeit; dann wird unser Auge hingerichtet
auf das schmerzliche Leiden, das Jesus zu unserer Er-
lösung am Kreuze erduldete, oder wir sind Zeugen seiner
Auferstehung oder wir sehen im Geiste schon voraus,
wie er einst in Herrlichkeit und Majestät kommt, zu
richten die Lebendigen und die Todten. Wir werden
innig vertraut mit all den hehren christlichen Wahr-
heiten, die unserm Verstande himmlisches Licht und
unserm Willen höhere übernatürliche Kraft schenken.
Der Glaube wird uns theuer, wir lieben ihn als unser
kostbarstes Kleinod.

Wenn wir dagegen den Sonntag nicht heiligen, uns
an demselben nicht kümmern um das Wort Gottes, um
[128] Predigt, Christenlehre und die Belehrung durch ein
gutes Buch, müssen dann nicht die religiösen Kenntnisse
immer dürftiger, müssen uns dann nicht mit jedem
Jahre die christlichen Wahrheiten unbekannter werden?
Das zeigt ja auch nur zu oft die tägliche Erfahrung.
Wie mangelhaft sind manchmal die religiösen Kenntnisse
jener Männer, die den Sonntag nicht mehr heilig
halten? Sie wissen oft nicht mehr, was man zu thun
hat, um gut zu beichten; sie kennen oft nicht mehr die
hohe Bedeutung und den unendlichen Werth des hoch-
heiligen Meßopfers und der heiligen Communion; ja
viele von ihnen sind nicht mehr im Stande, die zehn
Gebote Gottes oder die fünf Gebote der Kirche herzu-
sagen. Muß nicht durch solche krasse Unwissenheit der
Glaube sehr geschädigt werden?

Sollen wir wirklich Religion haben, so ist es mit
der Kenntniß des Glaubens nicht genug. Die Religion
hat nicht bloß ihren Sitz im Kopfe, sondern eben so
sehr, ja noch mehr im Willen und Herzen. Wir müssen
mit unserem Willen zu Gott in Lebensverkehr treten;
wir müssen ihn loben, ihn anbeten, ihn lieben, ihm
danken, ihn anstehen um neue Gnaden und Wohlthaten.
Das thun wir vorzüglich am Sonntage. Wenn wir an
diesem Tage von unseren irdischen Geschäften ausruhen,
den Staub der Erde gleichsam von unserem Herzen
abschütteln, im Festkleide in unsere Kirchen wallen und
dort im Staube knieend mit Inbrunst des Herzens beten
oder in heiliger Freude Gott unsere Loblieder singen,
dann wird unsere innige Beziehung, unsere Liebe zu
[129] ihm immer wieder erneuert; wir werden wieder recht
lebendig bewußt, daß wir seine theuren Kinder sind und
dieses Bewußtsein ist auch für das Herz des kräftigen
Mannes ein heller Sonnenschein, der ihm Friede und
Freude bringt.

Wenn man dagegen in der Woche wenig an Gott
denkt und dann auch am Sonntag von Gebet, von
Besuch der Kirche, von Acten der Liebe Gottes nichts
wissen will, muß dann nicht das innige Band, das den
Menschen mit ihm verbindet, immer mehr gelockert
werden? muß dann nicht der Glaube immer mehr im
Herzen des Christen ersterben? Ja dann kommt es bald
so weit, daß der Mann seinen allmächtigen Gott ganz
vergißt, daß er dahin lebt, als ob es für ihn keinen
Schöpfer, keinen Erlöser, keinen dereinstigen Richter
gäbe. Der Mann, der trotz seiner Kraft doch nur ein
schwaches Staubgebilde ist, das heute sein Haupt hoch
trägt und morgen als kalte, starre Leiche regungslos
daliegt, will sich selbst sein Gott sein; ganz eingenommen
von seinen vermeintlichen Vorzügen und Leistungen,
betet er seine eigene Armseligkeit an und verlangt auch
von Andern Anbetung derselben.

Sollen wir wirklich Religion haben, soll sie unser
Inneres ganz durchdringen, unser Herz veredeln und
herrliche Früchte in demselben hervorbringen, so muß
oft und warm die Gnade Gottes in unser Inneres
hineinleuchten. Ohne das Gnadenlicht von Oben kann
der Glaube sich nicht in uns erhalten, kann er nicht
zur herrlichen Blüthe sich entwickeln. Schauet in eine
[130] Felsenschlucht, in die nie oder äußerst selten ein Sonnen-
strahl hineinfällt. Wird euer Auge vielleicht erfreut
durch den Anblick schöner Blumen oder euer Ohr er-
götzt durch lieblichen Gesang munterer Vögel, die sich
hier mit Vorliebe aufhalten? Nein; ihr schauet dort
keine Blume, kein üppiges Grün, keine schön gefiederten
Sänger; nur Kälte, nur Finsterniß, nur Tod starrt
euch entgegen. Aehnlich ist es mit dem Menschenherzen,
das sich dem Lichte der Gnade Gottes verschließt. Mag
sein Schlag auch noch so kräftig und gesund sein, im
Innern findet sich doch kein Leben, das Gott erfreut
und Bedeutung hat für den Himmel. Wenn nun der
Mann in der Woche fast nur an das Irdische denkt,
nur für den Staub, nur für die Arbeiten seines Ge-
schäftes lebt und dann auch nicht einmal am Sonntag
sein Herz für Gott und für den Himmel erschließt, wie
kann dann die Gnade von Oben in dieses Herz ein-
dringen, wie es mit ihrem göttlichen Lichte und ihrer
himmlischen Wärme beleben? Und so muß denn die
Religion, die ja vor Allem innere Lebensverbindung
mit Gott ist, in dem Herzen eines Mannes, der oft
den Sonntag entheiligt, immer mehr verkümmern; ein
solcher Mann wird ohne Gott, ohne seine Liebe, ohne
seine Gnade dahinleben, und groß ist die Gefahr, daß
er auch ohne Gott dahinstirbt.

Doch man sagt: Man kann ja aber auch an den
Wochentagen an Gott denken, ihn lieben und zu ihm
beten; man kann also Religion haben, ohne gerade den
Sonntag sich dazu zu nehmen. Nur Eines will ich
[131] darauf antworten. Es ist wahr, man kann, ja man
soll auch an den Wochentagen Gott Verehrung und Liebe
darbringen; doch wer dies am Sonntage, am Tage des
Herrn nicht thut, wird es an anderen Tagen um so
weniger thun. Da feiert in einer Familie ein alter
ehrwürdiger Vater ein schönes Fest. Dieser Tag ist
seinem Herzen sehr theuer, weil er ihn erinnert an so
viele Wohlthaten, die Gott ihm gespendet. Das wissen
seine Kinder und Angehörigen; daher haben sie schon
Wochen lang Vorbereitungen zur würdigen Feier des-
selben getroffen. Kaum ist der Tag angebrochen, so
herrscht schon reges Leben im Hause; alle Glieder des-
selben befinden sich in freudiger Stimmung; sie er-
scheinen im besten Festtagskleide vor dem Vater und
bringen ihm ihre sinnigen Gaben und die herzlichsten
Glückwünsche dar; ihm eine Freude zu bereiten macht
sie glücklich. Nur ein Sohn macht eine Ausnahme;
er überreicht dem Vater keine Gabe; kein Glückwunsch
kommt über seine Lippen, keine Freude und Theilnahme
findet sich in seinem Herzen. Er kümmert sich an
diesem Tage gar nicht um den Vater, und wenn er ihm
einmal zufällig begegnet, dann hat er keinen freundlichen
Gruß für ihn, sondern nur eine finstere Miene und
harte, kränkende Worte. Glaubst du nun, mein lieber
Leser, daß dieser Sohn, der den Festtag seines Vaters
entehrt durch sein pietätloses Betragen gegen denselben,
ihm an andern Tagen um so größere Freude macht,
und seine übrigen Brüder übertrifft an Liebe und Ehr-
furcht gegen den Vater? Wird er nicht vielmehr zu
[132] anderer Zeit noch herzloser, kälter und roher gegen den-
selben sein? So sind auch Männer, die am Sonntage,
am Tage des Herrn, es sich nicht angelegen sein lassen,
Gott nach dem Wunsche und der Vorschrift der Kirche
zu ehren, an den übrigen Tagen noch gleichgiltiger
gegen ihn; sie werden immer undankbarer, herzloser und
roher gegen ihren Vater im Himmel; alle Liebe zu
ihm, alles religiöse Leben erstirbt nach und nach in
ihrem Herzen. So hängt denn die Blüthe und der
gute Stand der christlichen Religion ganz eng zusammen
mit der treuen Haltung des Sonntages. Man kann
immer finden, daß ein Volk in dem Grade irreligiös
und gottlos ist, als es den Tag des Herrn entheiligt.
Das hat der Feind Gottes und der Menschen schon
vor Jahrtausenden erkannt und darum den Gottlosen
den Rath gegeben: ‘„Lasset uns abschaffen alle Festtage
des Herrn im ganzen Lande“’
(Ps. 73). Nur ein Volk,
das den Sonntag noch heilig hält, ist ein gutes,
frommes und christliches Volk.

2.


Durch die Entheiligung des Sonntags
wird die Sittlichkeit untergraben
. Um sitt-
lich gut zu sein, dazu ist mehr nothwendig als eine
starke Körperkraft und großer natürlicher Muth. Es
kann Jemand körperlich ein Riese sein, kann mit un-
erschrockenem Muthe in einer heißen Schlacht kämpfen
und den glänzendsten Sieg über den mächtigsten äußern
Feind davon tragen und doch dabei ganz sittlich schwach
[133] und elend, ein feiger Sclave seiner inneren Leidenschaften
sein. Auch der Reichthum und Besitz eines großen
Vermögens ist nicht im Stande, den Menschen sittlich
gut zu machen. Es kann Jemand in einem goldenen
Palast wohnen und viele Millionen besitzen und dabei
schlechter und verkommener sein als ein Straßenräuber,
der keine eigene Hütte hat, als ein gemeiner Ver-
brecher, der im Zuchthause sich befindet. Dem Gelde
wohnt keine veredelnde, keine sittlich hebende Kraft inne;
es drängt vielmehr den Menschen gar leicht auf ge-
fährliche Bahnen, wenn er keinen festen sittlichen und
religiösen Halt besitzt. Zur Erlangung sittlicher Güte
genügt auch nicht Bildung und Wissenschaft. Es kann
Jemand in seinem Kopfe die reichsten und schönsten
Kenntnisse, in seinem Herzen aber eine wahrhaft höllische
Bosheit haben. Die bloße Wissenschaft führt den
Menschen nur zu oft auf die windigen Höhen der
Eitelkeit und des Stolzes, von welchen man gar leicht
in den Sumpf der Unsittlichkeit hinabstürzt.

Soll der Christ auf die Dauer, unter allen Um-
ständen und Verhältnissen sittlich gut, wahrhaft tugend-
haft sein und bleiben, so muß er sich eine zarte Ge-
wissenhaftigkeit, eine große Liebe zur Tugend und eine
höhere sittliche Kraft aneignen und zu bewahren suchen.
Er muß seine Pflichten kennen, muß wissen, was er
zu thun, was zu unterlassen hat; muß wissen, warum
er Dies thun, Jenes unterlassen soll. Er muß
seinen Blick und sein Herz zum unendlich heiligen und
vollkommenen Gott erheben, der die Quelle alles Guten,
[134] der Grund jeder sittlichen Vorschrift, der Richter und
Bestrafer jeder Sünde, der Belohner, ja der Lohn selbst
für jegliche Tugend und treue Pflichterfüllung ist. Er
muß seinen schwachen und wankelmüthigen Willen
stärken durch die göttliche Gnade, daß er auch in Augen-
blicken, wo die Reize der Sinnlichkeit sein Herz bethören
wollen, in Stunden ernster Gefahr, wo Lust und Ge-
winn ihm lockend vorschweben, der Tugend und Pflicht
treu bleibt. Denn in solchen kritischen Augenblicken
ist die Kraft des eigenen Willens nur ein schwaches
Schilfrohr, das zerbricht, wenn man sich auf dasselbe
stützen will.

Wenn der christliche Mann nach Vorschrift der
Kirche den Sonntag heiligt, dann wird er dadurch an-
geleitet zu einem sittlich guten Leben. Durch Predigt
und Christenlehre wird er unterrichtet über seine Pflichten
gegen Gott, gegen sich selbst und seine Mitmenschen
und werden ihm die kräftigsten Beweggründe zur
Tugend und zur Meidung der Sünde an's Herz ge-
legt. Durch andächtiges Gebet, durch fromme Anhörung
der heiligen Messe und durch den guten Empfang der
heiligen Sakramente wird er mit himmlischer Kraft
ausgerüstet, Stand zu halten in den Schwierigkeiten,
Versuchungen und Gefahren, die sich dem christlichen
Leben entgegensehen.

‘„Wo dagegen soll der Mensch die höhere Erkennt-
niß Gottes und seines letzten Zieles schöpfen, wo die
in der Jugend erlangte im Gedächtnisse wieder auf-
frischen, wo soll er die übernatürlichen Beweggründe,
[135] die Sünde zu meiden und die Tugend zu üben, kennen
und zur Richtschnur seines Lebens machen lernen, wenn
er Jahr aus Jahr ein durch Arbeiten am Sonntage
sich abhalten läßt, die Predigt und christliche Lehre an-
zuhören, wenn er des Sonntags wie an den übrigen
Wochentagen sein ganzes Sinnen und Trachten dem
Irdischen zuwendet? Wo soll sein Geist zu Gott und
den himmlischen Gütern sich emporschwingen, wenn er
die Schwellen des Hauses Gottes nicht mehr betritt?
Wo soll er Wuth und Kraft finden zum Widerstande
in den Versuchungen, wenn er auch am Sonntage ob
der Arbeit das Gebet versäumt, wenn er Jahre lang
das Brod der Starken nicht mehr genießt? Wenn nun
aber dem Menschen diese höhere Erkenntniß und Kräf-
tigung abgeht, wenn anderseits die Feinde seines Heiles
ihm allenthalben Schlingen legen; wenn er sich selbst
aus freiem Antriebe immer tiefer in's Zeitliche, in die
Sinnengüter und Sinnengenüsse versenkt, wie wäre da
ein christlich tugendhafter Wandel möglich? Muß ein
Solcher nicht von Tag zu Tag tiefer in die Knecht-
schaft der Sinne und der Sünde fallen? muß er nicht
mehr und mehr Schwierigkeit empfinden, sich aus dem
Wuste der vergänglichen Dinge herauszuarbeiten? muß
er endlich nicht gleichsam zum Thiere werden, das nur
für das Sinnliche Augen hat? Da kann von einem
tugendhaften christlichen Leben keine Rede mehr sein
und ebenso wenig von einem genügsamen, glücklichen
Leben. – Die Erde besitzt nicht Güter genug, um die
gebieterischen Leidenschaften eines solchen Menschen zu
[136] befriedigen, und er besitzt nicht Kraft genug, den un-
gestümen Andrang derselben zurückzuweisen. Seine
eigenen Ausschweifungen, leidenschaftliche Menschen, wie
er Einer ist, bereiten ihm tausend Sorgen, Kämpfe,
Verdemüthigungen und Leiden; dabei ist sein Herz leer
vom Troste der Religion, voll von unaussprechlicher
Bitterkeit. Gott sucht ihn mit Verlust der zeitlichen
Güter, mit Krankheit und Schmerzen heim; er weiß
diese Heimsuchung weder mit Ergebung anzunehmen
noch mit Geduld zu ertragen; er läuft Gefahr sich der
Verzweiflung in die Arme zu werfen1).“’
Wie viele
Männer unserer Tage könnten aus eigener traurigen
Erfahrung das Gesagte bestätigen? Sie sind immer
sittlich elender geworden; das edel Menschliche ist immer
mehr aus ihrem Herzen geschwunden, dagegen das wilde
Thier der Leidenschaft immer größer, immer mächtiger,
immer ungestümer geworden, so daß sie schließlich fast
den Glauben an die Möglichkeit der Tugend verloren
haben, und das Alles, weil sie seit Jahren gewohn-
heitsmäßig vom Segen des Sonntags sich losgesagt,
weil sie diesen hehren, bedeutungsvollen Tag durch
Arbeit, durch Ausschweifungen und Sünden aller Art
entheiligt haben. Sie wollten nichts von Gott, nichts
von dem ihm geweihten Tage, nichts von seiner Liebe
und seinem Dienste wissen; darum hat auch Gott sich von
ihnen mit seiner Gnade entfernt und sie den Neigungen
[137] und Gelüsten ihres verdorbenen Herzens überlassen.
So mußten sie denn immer tiefer sinken in ihrem sitt-
lichen Elende.

3.


Die Entheiligung des Sonntags schlägt
dem christlichen Familienleben schwere
Wunden
. Klein ist die Familie als Gesellschaft, aber
dennoch überaus groß ihre sociale Bedeutung für die
Menschheit. Der Staat erhält von ihr seine Bürger,
seine Unterthanen und Vorgesetzten. Sind die Familien
schlecht und verdorben, so ist der ganze Staat corrum-
pirt. Mag dann derselbe auch ein Heer besitzen, dessen
Soldaten geschickt die besten Mordwaffen zu handhaben
verstehen, mag er nach Außen auch große Handels-
verbindungen unterhalten und bedeutenden politischen
Einfluß ausüben, so ist doch im Innern Alles morsch,
faul und unhaltbar und auch der äußere Glanz und
die äußere Macht wird nicht von langer Dauer sein.
Auch der Ruhm und die segensreiche Wirksamkeit unserer
heiligen Kirche hängt eng zusammen mit der sitt-
lichen Beschaffenheit der christlichen Familie. Fast um-
sonst verkündigen wir Prediger das Wort Gottes, fast
umsonst verwalten wir Beichtväter unser wichtiges Amt
im Beichtstuhle, fast umsonst ist alle eifrige Bemühung
eines Seelsorgers in seiner Gemeinde, wenn man das
christliche Leben in den Familien vernachlässigt, wenn
nicht die Eltern, die Träger des Familienlebens, durch
treue Pflichterfüllung die Priester und Seelsorger
[138] unterstützen. Noch mehr aber als Staat und Kirche ist
der einzelne Mensch mit der Familie verwachsen. Ob
derselbe später sich durch Tugend oder Laster auszeichnet,
ob er zum Heile oder Verderben der Gesellschaft wirkt,
ob er ewig selig wird oder ewig verloren geht, das
hängt zum großen Theile von der Familie ab, in
welcher er geboren wird und seine erste Erziehung er-
hält. Weil nun die Familie eine so hohe Bedeutung
hat, darum ist es ein furchtbares und folgenschweres
Vergehen, die Familie zu verderben, sie ihrer Würde,
ihrer Heiligkeit und ihres Segens zu berauben. Das
geschieht nun aber durch die gewohnheitsmäßige Ent-
heiligung des Sonntages.

Soll die Familie den angegebenen großen und
heilsamen Einfluß ausüben, so ist vor Allem ein
Zweifaches nothwendig. Erstens muß sie ein ge-
schlossenes Ganze bilden; es muß Liebe, Eintracht und
Friede in derselben herrschen. Ist das nicht der Fall,
so verfehlt sie ihren hohen Beruf; kein Segen, sondern
Unheil geht dann von ihr aus; sie ist kein Bild des
Himmels, sondern der Hölle mit ihrer Zwietracht und
Unordnung. Das Haus, das du, christlicher Mann,
mit deinen Angehörigen bewohnst, wird von der Ein-
heit zusammengehalten; ein Stein ist schön und passend
an den anderen gefügt; eine Mauer schließt sich ruhig
und nachgiebig an die andere an. Nur durch diese
Einheit und Harmonie kann ein Gebäude entstehen, in
dem sich wohnen läßt. Das ist ein Bild, wie es auch
im Innern des Hauses, in der Familie bestellt sein
[139] soll. Alles kommt in Unordnung; kein christliches Leben,
keine gute Erziehung der Kinder ist möglich, wenn
Friede und Einheit aus der Familie schwinden. ‘„ Ein
jedes Haus, das wider sich selbst uneins
ist, wird nicht bestehen
“’
(Matth. 12, 25).

Das Andere, dessen die Familie dringend bedarf,
um ihre hohe Aufgabe zu lösen, ist die Religion, ist
die Gottesfurcht. ‘„ Hältst du dich nicht bestän-
dig in der Furcht Gottes, so wird dein
Haus bald zerstört sein
“’
(Jes. Sir. 27, 4).
Ist der Friede in einer Familie der Mauer, so ist die
Religion dem schützenden Dache des Hauses zu ver-
gleichen. In einem Hause ohne Dach kann man auf
die Dauer nicht wohnen. So lange im Sommer die
Nächte warm sind und die Sonne am Tage hell und
freundlich leuchtet, kann man in demselben sich wohl
und behaglich fühlen, kann einige Wochen in demselben
zubringen, ohne besondern Schaden an der Gesundheit
zu erleiden. Wehen dagegen rauhe und starke Stürme
und kommen die langen Nächte mit ihrer Kälte und
der harte Winter mit feinem Schnee und Eise, dann
werden alsbald die Einwohner eines solchen Hauses
schwer erkranken und elend zu Grunde gehen. Aehnlich
ist es mit einer Familie, in welcher keine Religion
herrscht. So lange man jung und gesund ist, so lange
die erste leidenschaftliche Liebe noch andauert und man
Alles in Ueberfluß besitzt, mag man sich glücklich wähnen,
mag man lachen, scherzen und fröhliche Feste in
einem solchen Hause veranstalten. Doch ist man an
[140] einander gewohnt, hat man täglich zu leiden von den
gegenseitigen Fehlern und Unvollkommenheiten, stellt
Krankheit, Noth und anderes Kreuz sich ein oder wird
die eheliche Treue durch eine reizende Versuchung auf
die Probe gestellt und sollen vor Allem die Kinder
gut und tugendhaft erzogen werden, so daß man später
keinen Kummer und keine Schande an ihnen erlebt, so
ist man in einem solchen religionslosen Hause rath-
und thatlos; man macht Fehler auf Fehler; mit jedem
Tage wächst das Unheil und die Verwirrung; man
fühlt sich um so unzufriedener und unglücklicher, je
fröhlicher und leichtsinniger man früher in den Tag
hineinlebte. Nein, ohne Religion, ohne Gott läßt sich
kein gutes, glückliches und segensvolles Familienleben
gründen.

Friede und Religiosität nun, diese beiden höchsten
Güter der christlichen Familie, werden durch eine gute
Sonntagsfeier kräftig gepflegt und geschützt. Wenn am
Sonntage Vater und Mutter mit einander zur Kirche
wallen, dort ihre gemeinschaftlichen Anliegen Gott vor-
tragen und gegenseitig für einander beten, wenn beide
von Zeit zu Zeit gemeinschaftlich zum Tische des Herrn
hinzutreten und in der heiligen Communion den gött-
lichen Heiland, den Urheber und Bringer des wahren
Friedens, empfangen, wenn die Kinder dieses herrliche
Beispiel der Eltern nachahmen und mit heiligem Ver-
langen in das Haus Gottes eilen, um sich dort zu er-
bauen und für ihre theuern Eltern und Geschwister
zu beten, wenn außerdem die Eltern zu Hause am
[141] Nachmittage noch in einer Erbauungsstunde zu den Kin-
dern von göttlichen Dingen sprechen und mit ihnen beten
und wenn man dann, nachdem man Gott gegeben, was
Gottes ist, im häuslichen Kreise auch gemeinschaftlich
eine unschuldige Freude und Erholung sich gestattet,
müssen dann nicht in einer solchen Familie die Herzen
immer inniger und fester mit einander verbunden,
müssen nicht Eintracht und Zufriedenheit stets unge-
stört erhalten werden, müssen dann nicht Religion und
christliches Leben sich immer schöner entwickeln und
Tugenden zur Blüthe bringen, welche so Vieles zum
Heil und Wohl der Familie beitragen?

Fällt dagegen die christliche Sonntagsfeier weg,
dann fehlt das kräftigste Mittel, Einheit und Religio-
sität in der Familie zu bewahren. Wie geht es denn
gewöhnlich in einem Hause zu, in welchem man um die
Heiligung des Sonntags sich nicht mehr kümmert? Der
Vater, den die Kinder in der Woche vielleicht nicht
viel gesehen haben, weil er meistens von seinen Ge-
schäften in Anspruch genommen war, denkt an kein
Gebet; er arbeitet den ganzen Vormittag oder über-
läßt sich dem Schlafe und der Ruhe; am Nachmittage
verläßt er bald die Familie, um sich im Wirthshause
bei leichtsinnigen Kameraden dem Spiele und der Un-
mäßigkeit hinzugeben; am späten Abend oder nach
Mitternacht kehrt er polternd und fluchend zurück, in
einem Zustande, der ihm alle Achtung seiner Kinder
rauben muß. Die Mutter sitzt zu Haus und überläßt
sich ihren finstern und ärgerlichen Gedanken und
[142] Stimmungen; sie fühlt es, daß sie immer mehr alle Liebe
zum Manne und alle Freude an ihrem Berufe verliert;
oder sie sucht sich zu entschädigen für ihre vermeintlichen
Opfer und wirft sich auch der Vergnügungssucht in die
Arme. So wird sie denn ihrer erhabenen und wich-
tigen Aufgabe in der Familie immer untreuer; ja nur
zu oft wird dadurch bei manchen Frauen der erste
Grund zu großen Verirrungen gelegt. Und die Kinder?
Sie werden nur zu sehr beeinflußt durch das verderb-
liche Beispiel ihrer pflichtvergessenen Eltern; auch für
sie wird der Sonntag kein Tag innerer Erneuerung,
kein Tag, wo sie sich wieder aufmuntern zum Kampfe
gegen die bösen Neigungen und zur treuer Pflicht-
erfüllung, sondern nur ein Tag des Leichtsinnes, der
Gefahren und der Sünde. Sie zerstreuen sich nach allen
Richtungen hin, die Söhne hierhin, die Töchter dort-
hin und jagen ihren Vergnügen nach, die gewöhnlich
nicht unschuldiger Natur sind. Kann man sich bei
diesem Stande der Dinge noch wundern, daß die zu-
sammenhaltenden Mauern und das schützende Dach eines
solchen Hauses einstürzen, ich will sagen, daß Religion
und Friede aus demselben schwinden? Kann man sich
wundern, daß dort die Herzen einander mehr und mehr
entfremdet werden, daß Zank und Streitigkeiten sich
immer öfter einstellen? kann man sich wundern, daß
die Kinder von Hochachtung, Ehrfurcht und Liebe gegen
die Eltern kaum mehr einen Begriff haben, daß die
Söhne, vielleicht sogar die Töchter schon mit siebzehn
oder achtzehn Jahren ganz ungläubig sind und Reden
[143] führen, die alles Schlimme von ihnen befürchten lassen?
Nein; denn so mußte es kommen. Wollt ihr, christ-
liche Männer, daß euere Familien Stätten der Tugend
und der Zufriedenheit seien, so haltet mit all' eueren
Hausangehörigen gewissenhaft fest an der Heiligung der
Sonn- und der von der Kirche angeordneten Feiertage.

4.


Die Sonntagsentheiligung untergräbt
den zeitlichen Wohlstand
. Gerade des Geldes
und des irdischen Wohlstandes wegen entheiligt man
vielfach den Sonntag. Fraget den Arbeiter, der am
Sonntagmorgen wie an einem gewöhnlichen Werktage
in seiner Werkstätte schafft, warum er dies thue, so
wird er euch antworten: Ich muß Geld verdienen, um
meine zahlreiche Familie zu ernähren. Drückt Jemand
sein Erstaunen aus über den regen öffentlichen Ver-
kehr, der sich am Sonntage in unsern Städten zeigt,
über die Eisenbahnzüge, die an diesem Tage die ver-
schiedenartigsten Handelsproducte weiter befördern, so
sagt man ihm: das fordert unsere fortgeschrittene In-
dustrie; das ist nothwendig im Interesse des öffentlichen
Wohlstandes. Doch das ist nur lügenhaftes Gerede.
In England blüht bekanntlich Handel und Industrie
noch mehr wie bei uns und doch wird in diesem Lande
der Sonntag streng gehalten. Noch nie ist ein Volk
durch Sonntagsschändung wohlhabender geworden.
Blicket nur hin auf Frankreich. Im Jahre 1850 hat
ein französischer Schriftsteller nachgewiesen, daß von der
[144] Zeit an, wo die Sonntagsentheiligung in Frankreich
ziemlich allgemein wurde, auch der Wohlstand in diesem
schönen und fruchtbaren Lande bedeutend gesunken ist.
Im vorigen Jahrhunderte, zu einer Zeit, wo man noch
in christlicher Weise treu am Sonntage festhielt, zählte
Frankreich bei 26 Millionen Seelen nur 4 Millionen
Arme, dagegen im Jahre 1850 bei 35 Millionen
Seelen 7 Millionen Arme. Und wie viel Unheil hat
seitdem dieses Land erlitten in socialer und politischer
Beziehung? wie groß war die Verwirrung und der
Fluch, den ihm die revolutionären Ideen gebracht
haben? wie oft ist es schmählich betrogen und aus-
gebeutet worden von Staatsmännern, die nicht das
Beste des Landes, sondern nur den eigenen persönlichen
Vortheil suchten?

Doch wir brauchen nicht auf Frankreich hinzuschauen;
wir können im eigenen Vaterlande bleiben. Seit ein
paar Jahrzehnten wird auch bei uns vielfach der Sonn-
tag nicht mehr in der strengen Weise geheiligt wie
früher. Viele, sehr viele Christen, besonders in den
großen Städten, gehen am Tage des Herrn nicht mehr
in die Kirche, hören nicht mehr das Wort Gottes und
wohnen nicht mehr dem hochheiligen Meßopfer bei,
dagegen arbeiten sie wie am Werktage oder stürzen
sich haltlos in den Strudel der Zerstreuungen und Ver-
gnügen. Sind wir nun seit dieser Zeit glücklicher und
zufriedener geworden? Hat sich der Wohlstand bei uns
gehoben? Das Gegentheil ist eingetreten. In er-
schreckender Weise hat die Noth und das Elend immer
[145] weitere Kreise erfaßt, ist immer drückender geworden
und hat so eine sociale Unzufriedenheit erzeugt, welcher
die Staatsmänner angstvoll und rathlos gegenüberstehen.
Und doch waren alle Hände thätig, hat man alle
Naturkräfte ausgebeutet, hat man tausend und tausend
Maschinen in Bewegung gesetzt und sind fort und fort
zahllose Eisenbahnzüge mit Blitzesschnelle durch unsere
Länder dahingeeilt; Alles geschah im Interesse des
Geldes und des Erwerbes; Alles hat man gethan, um
die Völker durch einen allgemeinen Wohlstand zu be-
glücken. Nur Eines hat man vergessen, daß nämlich
an Gottes Segen Alles gelegen sei, wie dies die
Ueberzeugung unserer Vorfahren war. ‘„ Wenn der
Herr das Haus nicht baut, so arbeiten
Jene, die daran bauen, umsonst
“’
(Ps. 126).
Den Segen Gottes aber mußte man verscherzen durch
die Entweihung der Tage des Herrn. Zudem ist durch
diese Entweihung eine Vergnügungssucht, eine Unmäßig-
keit, ein sittlicher Leichtsinn, eine Gewissenlosigkeit und
Blindheit in Bezug auf die Eheschließung in unserem
Volke großgezogen worden, die nothwendig das all-
gemeine Wohl untergraben müssen. Denn der zeitliche
Wohlstand ist ebenso sehr, ja noch mehr von sittlichen
Eigenschaften bedingt, als von der Fruchtbarkeit des
Bodens, als von dem Gelde, das man verdient.

5.


Endlich führt die Entheiligung des Sonntags, wenn
sie allgemein wird, mit der Zeit den Untergang
[146] des Staates herbei
. Ich brauche hier bloß die
Hauptsätze des vorhin Gesagten zu wiederholen. Die
Sonntagsentheiligung untergräbt die Religion. Wie
kann aber ein Staat auf die Dauer bestehen, wenn
seine Bürger keine Religion haben? Selbst der berühmte
Redner und Staatsmann des Heidenthums, Cicero,
behauptet, es sei eher möglich eine Stadt in die Luft
zu bauen, als einen Staat ohne Religion zu gründen.
Mit welchem Rechte kann man z. B. erwarten, daß
die Auctorität des Fürsten oder seiner Beamten noch
in Ehren und Ansehen stehe, wenn man die Auctorität
Gottes und seiner Kirche schnöde verachtet und mit
Füßen tritt? Das geschieht aber, wenn man die Tage
des Herrn entweiht. Die Sonntagsentheiligung bewirkt
mit der Zeit eine allgemeine Korruption der Sitten.
Wie kann aber ein Staat auf die Dauer bestehen, wenn
seine Unterthanen kein anderes Streben mehr kennen,
als zu erwerben, als zu genießen und immer mehr zu
genießen. Müssen dann nicht die besten und edelsten
Kräfte eines Volkes immer mehr verzehrt, muß es
nicht immer mehr entnervt und verweichlicht, nicht
immer elender und thierischer werden? So ist selbst
der Staat der alten Römer, die doch so herrliche Natur-
anlagen besaßen und mit ihrer Kraft und Tapferkeit
sich die Welt erobert hatten, morsch und faul geworden,
so daß er zusammenbrach unter den Schlägen der
Völkerwanderung. Die Sonntagsentheiligung verdirbt
dann weiter, wie wir gesehen haben, die Familie.
Sind aber die Familien entchristlicht, sind sie nur
[147] Stätten der Pflichtvergessenheit, der Sünde und Unzu-
friedenheit, dann strömt aus ihnen Jahr für Jahr wie
aus unzähligen Quellen immer neues Gift, neues
Verderben über die Staaten. An Ehrlichkeit und
Redlichkeit der Bürger ist dann nicht mehr zu denken
und die Beamten, die Wächter der Gerechtigkeit und
Ordnung, werden selbst bald käuflich und jeder Dieberei
fähig sein. Aus schlechten Familien kann der Staat
nur schlechte Unterthanen und schlechte Beamten er-
halten. Die Sonntagsentheiligung untergräbt endlich
den zeitlichen Wohlstand eines Volkes, weil sie ihm
den Segen Gottes entzieht und sittliche Eigenschaften
in ihm erzeugt, die zur leichtsinnigen Verschwendung
der irdischen Güter führen müssen. Daß aber der zeit-
liche Wohlstand für das staatliche Leben von großer
Wichtigkeit sei, gestehen selbst solche Staatsmänner ein,
welche für den Werth der höhern Güter eines Volkes
kein Auge und kein Herz besitzen.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die gewissen-
hafte Feier der Tage des Herrn sehr Vieles zum Heile
und Wohle der Staaten beitragen kann. Das haben
die weisesten Staatsmänner auch zu allen Zeiten er-
kannt und darum durch strenge Gesetze auf eine echt
christliche Sonntagsfeier hingewirkt. Und merkwürdig
ist es, daß unter diesen gerade jene, die im Kriege
als wackere Helden das blanke Schwert vortrefflich zu
handhaben verstanden, im Frieden oft als die christ-
lichsten Fürsten sich zeigten. Ich erinnere nur an den
weltberühmten Constantin, der nach Eusebius die
[148] Abhaltung von militärischen Uebungen am Sonntage
streng verbot, und an Kaiser Theodosius den Großen,
den glorreichen Besieger der Gothen, welcher die Auf-
führung von Schauspielen am Sonntage untersagte. Nur
noch ein Mann sei erwähnt, der uns Deutschen viel
näher steht. Er ist vielleicht der allergrößte Staats-
mann, der je für Deutschlands Wohl gewirkt hat. In der
Schlacht blitzte gar gewaltig und schrecklich das Schwert
in seiner Hand; er kannte keine Furcht und kein
Bangen in den größten Gefahren. Aber noch herrlicher
und bewunderungswürdiger erscheint uns dieser seltene
Mann durch sein weises und großartiges Wirken für
die Befestigung der inneren Zustände seines Reiches.
Dieses Reich erstreckte sich vom Ebro bis an die Elbe,
von Neapel bis an die Nordsee. Aber überall schuf
dieser Riesengeist Friede und Ordnung, überall regierte
er mit Kraft und staunenswerther Weisheit, überall
zeigte er sich als klugen Gesetzgeber und warmen Freund
der Kunst und Wissenschaft. Dafür hat das deutsche
Volk ihm auch ein dankbares Andenken bewahrt, hat
Jahrhunderte lang ihn mit Begeisterung in Sagen
und Liedern gefeiert und noch heute besitzt sein Name
einen lieblichen Wohlklang für uns. Unser Held und
herrliche Staatsmann ist Karl der Große. Dieser Mann
mit seinem Scharfblick, seinem Herrschertalent und seiner
reichen Erfahrung war der Ueberzeugung, daß die
genaue christliche Haltung des Sonntags für seine
Völker vom größten Segen wäre. Darum sah er überall
mit großer Strenge darauf, daß dieser Tag auch wirklich
[149] ein Tag des Herrn war, daß man ihn nicht der
Arbeit und dem Vergnügen widmete, daß man fleißig
und gewissenhaft dem Gottesdienste beiwohnte. Wer
an Sonn- und Feiertagen weltliche Zusammenkünfte
veranstaltete, mußte eine große Geldsumme als Strafe
bezahlen. Sehr zu wünschen wäre es, wenn alle
christlichen Staatsmänner unserer Zeit eine ähnliche
Einsicht und Strenge besäßen.

Die Bedeutung des Sonntags ist also, mein lieber
Leser, eine überaus große für die ganze christliche Ge-
sellschaft. Darum sollten gerade die Männer Alles
aufbieten, um denselben nach dem Wunsche der Kirche
treu zu halten. Sind die Männer hierin wieder recht
gewissenhaft, dann wird dieser Tag bald wieder all-
gemein ein Tag des Gebetes, ein Tag der Frömmigkeit
und Tugend, ein Tag wahrer Freude und überreichen
Segens für alle Christen. Mache es dir darum zum
festen, unumstößlichen Lebensgesetz, den Sonntag nie zu
entweihen durch verbotene Arbeit, Sünde und Aus-
schweifung. Nur im Nothfalle, wo du es nicht ohne
sehr großen Nachtheil vermeiden kannst, magst du
die dringend nothwendige Arbeit verrichten oder von
Anderen verrichten lassen. An den andern sechs
Tagen der Woche sei sehr fleißig und erfülle deine
Berufspflichten treu, wie es einem christlichen Manne
geziemt, aber am Sonntage ruhe aus von deinen
Arbeiten. Wohne gewissenhaft dem heiligen Meß-
opfer bei, wenn möglich, dem Hochamte in deiner
Pfarrkirche; höre demüthig und aufmerksam auf das
[150] Wort Gottes, das dir in der Predigt und Christenlehre
verkündigt wird. Wie schön und erbauend ist es, wenn
auch am Nachmittage viele Männer beim Gottesdienste
sich einfinden. In einer Pfarrgemeinde, wo dies der
Fall ist, muß ein guter, ja ein vorzüglicher Geist
herrschen. Lese am Nachmittage zu Hause auch noch in
einem guten Buche, besprich das Gelesene oder das in der
Predigt und Christenlehre Gehörte mit deinen Kindern;
du selbst wirst nach Jahren den großen Nutzen einer
solchen christlichen Uebung erfahren. Gestatte dir dann
auch im Schooße deiner Familie eine angemessene Er-
holung und Zerstreuung und verbreite Freude im Kreise
der Deinigen durch erheiternde und erbauliche Gespräche.
Vergiß es nie in deinem Leben: das sind die schönsten
und heilsamsten Freuden und Vergnügen für dich, die
du im trauten Kreise deiner Angehörigen genießest.

VII.
Der Mann und die Menschenfurcht.


Man hat oft über Kinder gelacht, die sich vor
Gespenster fürchten. Doch es gibt auch viele, leider
sehr viele Männer, die vor einem Gespenste große Angst
haben; es sind manchmal Männer mit großen Bärten,
mit kräftigen Fäusten und Riesenschultern, oder Männer,
die große Bildung und Wissenschaft besitzen oder in
Amt und Würde stehen. Ja, es gibt ein Gespenst,
[151] das vielen Männern hundertmal erscheint, das ihnen
eine entsetzliche Furcht einjagt, das sie tausendmal zum
Bösen verleitet und vom Guten abhält, ein Gespenst,
das heut zu Tage in der Männerwelt so viel herum-
geistert und schreckliches Unheil in derselben anrichtet.

Dieses furchtbare Gespenst ist die Menschenfurcht,
die ungeordnete und sündhafte Begierde, den Menschen
zu gefallen oder die niedrige Besorgniß, den Menschen
zu mißfallen. Man will es mit Niemand verderben,
bei Niemand anstoßen und von Niemand irgendwie ab-
fällig beurtheilt werden. Darum stellt man sich immer
die Frage: was werden die Leute dazu sagen. Und
so unterläßt man denn oft aus feiger Rücksicht auf
Andere die wichtigsten Pflichten oder thut Dinge, gegen
welche das Gewissen entschieden Einsprache erheben
muß. Wie oft schämt man sich, dem Gottesdienste
beizuwohnen, am Beichtstuhle oder am Tische des Herrn
zu erscheinen, an einem guten Unternehmen Theil zu
nehmen und einem nützlichen Vereine beizutreten, bloß
aus Furcht vor dem Gespenste: was werden die Leute
dazu sagen? Und doch ist diese feige Menschenfurcht
erstens eines Christen, zweitens eines Mannes und
drittens unserer Zeit unwürdig.

1.


Die Menschenfurcht ist eines Christen höchst
unwürdig
. Der wahre Christ fürchtet Gott mehr
als die Menschen; er lebt und handelt nach der Mah-
nung der heiligen Schrift: ‘„Fürchte Gott und halte
[152] seine Gebote; denn das ist der ganze Mensch
“’

(Pred. 12, 13). Hat ein Unterthan Audienz bei
seinem Fürsten, so schenkt er dem Diener, der ihn ein-
führt, nicht die Hauptaufmerksamkeit; ihm erweist er
nicht die größte Ehre, sondern doch offenbar seinem
Könige. An dem Wohlwollen des Königs liegt ihm
ja viel mehr, als an dem des Dieners. Aehnlich
denkt und handelt der wahre Christ. Auf Gott sieht
er vor Allem hin; Gottes Wohlgefallen sich zu er-
werben, ist seine Hauptsorge. Er weiß ja, daß Gott sein
höchster Herr ist, dem er Alles zu danken hat; er weiß,
daß er nach wenigen Jahren oder vielleicht schon Tagen
vor ihm als seinem gerechten Richter stehen wird, um
über all' seine freiwilligen Gedanken, Worte und Hand-
lungen Rechenschaft abzulegen, daß dann von demselben
das entscheidende Urtheil über seine ganze Ewigkeit ge-
fällt wird. Dagegen weiß er auch, daß die Menschen
nur schwache Geschöpfe sind, die heute leben und morgen
in's Grab sinken; er weiß, daß auch der mächtigste
und angesehenste Mann Gott gegenüber unendlich schwach
und klein ist, daß von seiner ganzen Macht und Herrlich-
keit nach Jahren nur eine Hand voll Staub übrig bleibt.

Der ehrwürdige P. Clemens Hoffbauer wollte eines
Tages einem vornehmen Herrn, der von sich und seinem
Ansehen etwas zu viel eingenommen war, zeigen, was
der Mensch sei. Er bückte sich zur Erde, nahm ein
wenig Staub in die Hand, hielt ihm dieselbe vor das
Angesicht und sprach mit ernstem Nachdruck: ‘„Sehen
Sie, das ist der Mensch, eine Hand voll Staub.“’
Was
[153] ist eine Hand voll Staub im Vergleiche zur ganzen
Erde mit ihren großen Ebenen, Hügeln und Bergen?
Wie verschwindend klein ist sie gegenüber den zahllosen
und unermeßlichen Weltkörpern, die seit Jahrtausenden
mit bewunderungswürdiger Regelmäßigkeit ihre Bahnen
im Himmelsraume wandeln? Wie unendlich winzig und
klein muß sie aber erst sein gegenüber dem allweisen
und allmächtigen Gott, der dies Alles durch seinen
Willen in's Dasein gerufen hat und noch beständig
erhält? Diesen unendlichen Gott fürchtet der wahre Christ,
aber den schwachen, kleinen Menschen, die Hand voll
Staub fürchtet er nicht. Aus feiger Rücksicht auf ihn
und seinen faden Spott wird er seiner Pflicht nicht
untreu; ihn trifft nicht der Tadel des Propheten Isaias:
‘„ Wer bist du, daß du dich fürchtest vor
sterblichen Menschen, vor Menschenkindern
,
die wie Gras verdorren? Und des Herrn
deines Schöpfers hast du vergessen, der
die Himmel ausgespannt und die Erde ge-
gründet hat
“’
(Is. 51, 12 f.).

Die Menschenfurcht ist dann ferner eines Christen
unwürdig, weil er bei der heiligen Taufe und Firmung
sich feierlich unter die Fahne Jesu Christi gestellt, weil
er damals geschworen hat, daß er immer und unter
allen Verhältnissen bis zum letzten Hauche seines Lebens
treu zu Jesus Christus und seiner heiligen und wich-
tigen Sache halten werde. Oft ist die Fahne eines
irdischen Königs mit Muth und Tapferkeit im Kriege
vertheidigt worden. Mancher Soldat wollte lieber unter
[154] vielen schmerzlichen Wunden sein Leben preisgeben, als
die Fahne seines Fürsten an die Feinde ausliefern.
Ja es ist schon vorgekommen, daß ein Soldat, der die
Fahne nicht mehr retten konnte, diese sich um den Leib
band, um wenigstens in derselben zu sterben. Das ist
eine Liebe und Begeisterung für den irdischen König,
die alle Anerkennung und alles Lob verdient.

Doch wenn wir die Sache im rechten Lichte be-
trachten, so müssen wir Christen mit ähnlicher, ja noch
weit größerer Begeisterung für die Fahne, d. h. für
die heilige Sache Jesu Christi eintreten. Ist er ja ein
König, mit dem kein anderer Fürst, auch der beste und
liebenswürdigste nicht, in Vergleich kommen kann. Ist
ja seine Sache eine so hehre und erhabene, eine so
gerechte und gute, eine so heilsame und nothwendige,
wie die keines andern Königs; sie geht alle Menschen
an, sie umspannt Zeit und Ewigkeit. Sollten wir
darum für diese heilige und erhabene Sache nicht
wenigstens mit demselben Muthe, mit derselben Uner-
schrockenheit eintreten, mit der ein Soldat die Fahne
seines Fürsten vertheidigt? sollten wir nicht bereit sein,
wenn nothwendig, den letzten Blutstropfen für sie hin-
zugeben? Diese Begeisterung und Furchtlosigkeit erwar-
tet der göttliche Heiland von Allen, die Christen sein
wollen. Wenn wir mit unerschrockenem Muthe und
beharrlicher Festigkeit zu ihm halten, dann will er
einst durch die ganze Ewigkeit uns als seine treuen
Jünger belohnen; haben wir aber feige seiner Sache
uns geschämt, dann wird er einst als Richter unsere
[155] Menschenfurcht an den Pranger stellen und ernstlich
bestrafen. ‘„ Wer mich vor den Menschen be-
kennt, den will ich auch bekennen vor
meinem Vater, der im Himmel ist; wer
mich aber vor den Menschen verleugnet
,
den will ich auch vor meinem Vater ver-
leugnen, der im Himmel ist
“’
(Matth. 10, 32).

Die Menschenfurcht ist eines katholischen Christen
höchst unwürdig; denn er braucht sich wahrhaf-
tig der Kirche nicht zu schämen, der er an-
gehört
. Man hat noch nie erfahren, daß ein starker
und gesunder Mann sich seiner Kraft und Lebensfülle
geschämt hat, wenn er einem Menschen begegnete, wel-
cher den Keim einer zehrenden Krankheit in sich trug.
Man hat noch nie gesehen, daß ein Mann mit geraden
und gesunden Gliedern schamroth wurde, wenn er einen
andern sah, der nur mit Beihilfe von Krücken sich
weiter bewegte. Noch nie hat ein vernünftiger Mensch
es sich zur Schande angerechnet, daß er einer guten,
vorzüglichen Familie angehört, in der Tugend und
Rechtschaffenheit erblich ist. Im Gegentheil, man freut
sich darüber, dankt Gott für diese große Gnade und bedauert
alle Jene, die das große Unglück haben, einer verkom-
menen Familie zu entstammen. Man schämt sich über-
haupt, so lange man Verstand hat, nie einer guten
Sache.

Steht dieser Grundsatz fest und wird er von allen
vernünftigen Menschen als richtig anerkannt, haben
wir Katholiken dann Ursache, uns unserer heiligen
[156] Kirche zu schämen, die selbst nach dem Urtheile un-
parteiischer Andersgläubigen so Großartiges und Herr-
liches gewirkt hat zum Heile und Segen der Mensch-
heit; unserer Kirche, die von den heftigsten Stürmen
nicht niedergeworfen wurde, sondern aus allen, auch
den größten Verfolgungen, immer siegreich, immer ver-
jüngt und neu gestärkt hervorging, während Alles um
sie herum in Trümmer sankt, auch die Throne der
mächtigsten Herrscher? haben wir Ursache, uns unserer
Kirche zu schämen, die da zu allen Zeiten eine große
Anzahl der edelsten, besten und weisesten Menschen als
ihre treuesten Kinder aufzählen konnte, die stets eine
stattliche Anzahl großer Tugendhelden und Wohlthäter
der menschlichen Gesellschaft erzeugt hat? Ja wahrhaf-
tig, sich einer solchen Kirche zu schämen, ist Unverstand
und unbegreifliche Thorheit.

Auch der Kirche im Mittelalter brauchen wir uns
nicht zu schämen. So lange das kasernenbauende neun-
zehnte Jahrhundert nicht im Stande ist, so großartige
Kunstwerke in's Leben zu rufen, wie dies das Mittel-
alter in seinen herrlichen Domen gethan hat, und so
lange es die wundervollen Schöpfungen jener Zeit
kaum mit aller Mühe erhalten kann, hat es keine Ur-
sache, mit stolzer Verachtung auf das Mittelalter herab-
zublicken und ihm Finsterniß zum Vorwurfe zu machen.
War nicht auch im Mittelalter die Kirche die geistige
Sonne, von der Cultur und Civilisation, Bildung und
milde, christliche Sitten für die Menschheit ausgingen?
Auf welch' niedriger Stufe der Bildung und Gesittung
[157] ständen wir heute noch, wenn nicht damals die Kirche
bildend und veredelnd auf die naturkräftigen Völker
Deutschlands als Lehrerin und Führerin eingewirkt,
wenn die Kirche nicht damals in den Zeiten blutiger
Kriege und verheerender Raubzüge die wissenschaftlichen
Schätze des Alterthums in ihren Klöstern und Schulen
uns aufbewahrt hätte?

Und wie wir uns der Kirche selbst nicht zu schämen
brauchen, so auch nicht des christlichen Lebens, zu dem
sie uns anleitet. Sie lehrt uns, Gott, den unendlich
Liebenswürdigen, über Alles lieben und zu ihm als
unserm höchsten Herrn und größten Wohlthäter in De-
muth und Dankbarkeit beten; sie lehrt und mahnt uns
immer wieder, dem Nächsten gegenüber liebevoll,
freundlich und geduldig zu sein und gegen die Armen
und Nothleidenden ein barmherziges Herz und eine
offene, wohlthätige Hand zu haben; sie spornt uns be-
ständig an, unsere eigenen bösen Neigungen zu be-
kämpfen und den Versuchungen Widerstand zu leisten,
damit wir nicht dem Laster und den Leidenschaften
anheimfallen; sie hält uns an, durch den öftern Em-
pfang der heiligen Sakramente uns mit himmlischen,
übernatürlichen Kräften zu stärken, damit wir um so
sicherer tugendhaft wandeln und all' unsern Pflichten
gewissenhaft entsprechen. Sind das Dinge, deren man
sich schämen muß? Ist alles dies nicht viel mehr dazu
angethan, uns bei Gott und allen vernünftigen Men-
schen Ehre und Achtung zu erwerben?

Erst recht braucht man sich aber der Kirche und
[158] ihrer Lehren und des Lebens, zu dem sie uns anleitet,
nicht zu schämen jenen Menschen gegenüber, die über
Religion und Frömmigkeit spotten. Denn was sind
dies gewöhnlich für Menschen? Die Erfahrung sagt,
daß es fast immer nur Leute sind, die ein rohes Herz
besitzen, Leute, die keinen Sinn und keine Begeisterung
für höheres und Göttliches besitzen, Leute, die meistens
groben sinnlichen Ausschweifungen ergeben, Jünglinge,
welche Sclaven der Unkeuschheit sind, Männer, denen
die eheliche Treue nicht mehr heilig ist. Der schon
einmal genannte P. Hattler S. J. meint ganz mit
Recht, daß Männer, welche gegen die Religion und
die Kirche spotten und lügen, in ihrem Herzen einen
Düngerhaufen haben und daß die Lügen und Spott-
reden nur die stinkende Ausdünstung von demselben sind.

Vor Jahren veranstalteten einige abgestandene Ka-
tholiken in Paris am Charfreitage ein Spottfleischessen,
bei dem es natürlich an hohnreden auf den gekreuzig-
ten Heiland und seine Kirche nicht fehlte. Ein be-
rühmter Schriftsteller und Journalist von Paris, Louis
Veuillot, brachte in seiner vielgelesenen Zeitung auch
die Nachricht von diesem gotteslästerischen Spottfleisch-
essen, knüpfte aber daran die kleine vortreffliche Be-
merkung: ‘„Bei diesem Essen gab es Schweinsfüße und
zwar nicht bloß auf dem Tische, sondern auch unter
demselben.“’
Der Mann hat seine Leute gekannt. Ist
es nun nicht eine Schmach für den Katholiken, Men-
schen dieser Art gegenüber sich seines Glaubens und
der christlichen Gebräuche zu schämen?

[159]

Die Menschenfurcht erscheint endlich eines katho-
lischen Christen höchst unwürdig, wenn man hinschaut
auf seine muthigen Vorgänger im Glauben. In einer
altadeligen Familie hält man viel auf die Ehre und
das Andenken der Ahnen. Haben sich dieselben in
früheren Jahrhunderten ausgezeichnet durch große That-
kraft und heldenmüthige Tapferkeit, so spricht man noch
jetzt gern von ihnen, nennt mit großer Achtung ihren
Namen und erzählt gern von ihren Thaten. Das soll
durchaus nicht getadelt werden. Aber wenn nun bei den
Nachkommen dieser Helden sich Feigheit und Käuflichkeit
zeigt, dann ist das um so entehrender für sie.

Wir alle gehören als Christen einer großen Adels-
familie an. Der Adel, der uns schmückt, ist der be-
rühmteste, den es geben kann. Wir sind Kinder des
unendlichen Gottes im Himmel; er ist unser Vater.
Täglich falten wir unsere Hände und beten nach An-
leitung des göttlichen Heilandes zu ihm: ‘„Vater unser,
der Du bist in dem Himmel.“’
Aber vergessen wir
es nicht, wir gehören einem Heldengeschlechte an; un-
sere Vorfahren im Glauben waren unerschrockene,
muthige Bekenner Jesu Christi. Denken wir nur einen
Augenblick an die Christen in den ersten Jahrhunder-
ten. Da stehen sie vor dem Richterstuhle des mäch-
tigen römischen Kaisers. Er verlangt, daß sie ihrem
Glauben untreu werden und vor dem Standbilde des
Jupiter Weihrauch anzünden, zum Zeichen, daß sie ihn
anbeten. Folgen sie der Aufforderung des Kaisers, so
will er sie mit seiner Gunst, mit Ehren und irdischen
[160] Gütern überhäufen; folgen sie aber nicht, bleiben sie
dem göttlichen Heilande treu, so hetzt man wilde Thiere
auf sie, die sie grausam zerreißen oder hat tausend
Werkzeuge in Bereitschaft, um sie an allen Gliedern
in der schmerzlichsten Weise zu martern und sie dem
qualvollsten Tode zu überliefern. Das Alles wissen sie
und doch schüchtert sie die Drohung des Kaisers nicht
ein; sie zittern und beben nicht beim Anblicke der
Tiger, des Scheiterhaufens und der Marterwerkzeuge;
muthig und freudig erdulden sie Alles für Jesus und
seine heilige Sache. Solche Helden waren unsere Vor-
fahren im Glauben, und da sollten wir uns fürchten
vor dem Hohnlachen, den faden Spottreden einiger
leichtsinnigen und verkommenen Menschen, sollten unsern
heiligsten Pflichten untreu werden, weil wir die spötti-
schen Bemerkungen irgend eines Ehebrechers nicht er-
tragen können! Das wäre doch zu feige und zu
schmachvoll, wäre ein zu großer Gegensatz zwischen
Jenen und uns!

2.


Die Menschenfurcht ist ferner eines Mannes
äußerst unwürdig. Zu Ehren der Frauen und Jung-
frauen muß man gestehen, daß sie im religiösen Leben
sich von der Menschen furcht gewöhnlich weniger beein-
flussen lassen, wie die Männerwelt. Und doch ist die
feige Menschenfurcht gerade für die Männer so entehrend.

Von einem Manne erwartet man, daß er denkt,
daß er nicht von leichtsinnigem Gerede, nicht von thörich-
[161] tem Geschwätz, sondern von wichtigen Gründen in sei-
nem Thun und Lassen sich bestimmen läßt. Darum
sagt der große Weltapostel von sich selbst: ‘„Als ich
noch ein Kind war, dachte ich wie ein Kind; nachdem
ich aber ein Mann geworden, legte ich das Kindische
ab.“’
(1 Cor. 13, 11.) Wenn wir hören, daß die
Wilden von den Europäern werthloses, gefärbtes Glas
annehmen und dafür sehr kostbare Diamanten hingeben,
so sagen wir gleich: Nun diese armen Menschen stehen
noch auf den Stufen der Kindheit; sie wissen noch nicht
zu unterscheiden und zu urtheilen, wie es Männer thun
sollen. Ja Männer sollen denken, sollen den Verstand,
mit dem Gott sie ausgerüstet, gebrauchen und in ihrem
Handeln von vernünftigen Gründen sich bestimmen
lassen. Das thut aber ein Mann nicht, der an der
Menschenfurcht krank ist und darum nur nach dem Ge-
rede anderer Leute sich richtet. Heißt das z. B. als
Mann denken und sich als Mann von der gesunden
Vernunft leiten lassen, wenn Jemand wohl einsieht, daß
diese oder jene Gesellschaft ihm sehr nachtheilig und ge-
fährlich ist, sie aber dennoch nicht meidet, bloß aus
Furcht vor einigen spöttischen Bemerkungen, die er sonst
vielleicht hören müßte? Heißt das als Mann sich von
der gesunden Vernunft bestimmen lassen, wenn Jemand,
obgleich er weiß, was er von der Kirche, ihren Lehren
und Gebräuchen zu halten hat, dennoch so spricht und
sich benimmt, als stehe er der Kirche innerlich fremd
und achte sie nicht, und wenn er das bloß deshalb thut,
weil andere leichtsinnige und innerlich verkommene
[162] Männer thöricht und gottlos über die Kirche und ihr
Wirken reden? Ist das nicht höchst unmännlich? wo
bleibt den da noch die gesunde Vernunft?

Von einem Manne erwartet man ferner, daß er
in Allem sich gleich bleibe, daß er nicht bei jeder
Gelegenheit seine Ansichten ändere. Das wäre sonst
ein Beweis, daß er überhaupt keine festen Grundsätze
und keine sichere Ueberzeugung hätte. Wohl kann jeder
Mann irren; sieht er dann seinen Irrthum ein und
ist er demüthig genug, ihn einzugestehen und sich be-
lehren zu lassen, so verdient das großes Lob; denn dem
echten Manne geht die Wahrheit über Alles. Aber
mir nichts dir nichts seine Ansichten ändern, wie April-
wetter sich ändert, oder doch so reden, als hätte man
sie geändert, das ist unmännlich, ja das ist eine Schmach
für den Mann. Das thut aber der Mann, welcher
immer von der feigen Rücksicht auf Andere sich leiten
läßt. Ist er in dieser Stunde in Gesellschaft von guten,
eifrigen Katholiken, so spricht er begeistert über kirch-
liche Angelegenheiten; nach seinen Reden sollte man
meinen, er sei bereit, für die gute Sache die größten
Opfer zu bringen. Doch kommt er in der folgenden
Stunde mit abgestandenen Katholiken oder mit Anders-
gläubigen zusammen, so stimmt er ein in all die Lügen
und Verdächtigungen, welche man dort gegen die katho-
lische Kirche vorbringt, und spricht, als hätte er im-
mer eine solche Ansicht von ihr gehabt. Morgens be-
grüßt er in einer gut katholischen Familie einen be-
kannten Priester freundlich und ehrfurchtsvoll und drückt
[163] und schüttelt ihm mehrmals kräftig und herzlich die
Hand. Doch am Nachmittage desselben Tages geht er
mit einigen unchristlichen Männern spazieren und be-
gegnet demselben Priester, mit dem er vor einigen
Stunden so freundlich gesprochen hat; aber jetzt scheint
er ihn gar nicht mehr zu kennen; er benimmt sich, als
hätte er ihn nie in seinem ganzen Leben gesehen. Ist
das nicht ein Verhalten, dessen sich ein Jeder, der noch
auf den Namen eines Mannes Anspruch machen will,
schämen sollte? Unsere deutsche Sprache bezeichnet solche
Männer darum auch mit höchst verächtlichen Namen,
mit Namen, die zum Theile aus dem Thierreiche ent-
lehnt sind, oder die auf eine gemeine, ganz entehrende
Handlungsweise hinweisen. Sie sind allgemein bekannt;
ich brauche sie nicht anzuführen.

Von einem Manne erwartet man ferner, daß er
Muth und Entschiedenheit besitze. Gott hat in das
Herz des Mannes eine gewisse Unerschrockenheit gelegt.
In allen Sprachen heißt darum eine muthige That auch
eine männliche That. Und der Weltapostel mahnt die
Korinther: ‘„ Handelt als Männer und seid
stark
.“’
(1 Cor. 16, 13.) Ja der Mann darf nicht
gleich sein der widerstandslosen Wetterfahne, die von
jedem leichten Winde sich die Richtung geben läßt; er
darf keine schwache Drahtpuppe sein, die das kleinste
Kind durch eine leise Berührung in jede beliebige Be-
wegung setzt. Der Mann muß vielmehr an Kraft und
Stärke ähnlich sein der festen Eiche. Mag der Sturm
noch so gewaltig um dieselbe toben und sie rütteln
[164] und schütteln, daß alle Aeste und Blätter zittern, der
gewaltige Stamm der Eiche zittert nicht; er steht fest
und unbeweglich da, mögen auch die schlanken Tannen
um sie herum entwurzelt oder zerbrochen werden, als
wenn es nur leichte Stäbe wären. Aehnlich soll auch
der Mann unerschrocken festhalten an dem einmal er-
kannten Guten, soll feststehen in der Treue gegen seinen
Herrn und Gott, mögen die Stürme um ihn herum
noch so heftig entbrennen und mögen noch so viele
schwachen Geister wankend und untreu werden. Dann
ist er ein wahrer, ein echter Mann, der Allen, selbst
seinen Gegnern Achtung abnöthigt. Ist dagegen schon
eine spöttische Miene, eine thörichte Bemerkung von
faden Schwätzern im Stande, ihn in Schrecken zu
bringen und seiner Pflicht untreu zu machen, dann mag
er nur den Ehrennamen ‘„Mann“’ ablegen; denn er ist
nur ein feiges, schwaches Kind und mag er auch vier-
zig Jahre alt und so groß und stark sein wie der Riese
Goliath. Er zeigt sich feiger und thörichter als selbst
das unvernünftige Thier.

Im Sommer oder Herbste wo das Obst und die
Früchte reifen, kann man zuweilen wahrnehmen, daß
Gärtner oder Ackersleute einen Strohmann in den Gar-
ten oder auf das Feld hinausstellen. Man will den
Vögeln Furcht einjagen und sie verscheuchen. Darum
gibt man einer solchen Gestalt gerne eine möglichst
phantastische Kopfbedeckung und einen schweren drohen-
den Stab oder eine lange Gerte in die Hand. Doch
die Furcht und Angst der Vögel dauert nicht lange:
[165] sie merken bald, daß nicht viel hinter der ganzen Sache
steckt; nach einiger Zeit kommen sie kühn und dreist
herbeigeflogen und setzen sich der schrecklichen Gestalt
auf's Haupt. Die Auslegung von diesem Gleichniß
mögen sich die Männer selbst machen; nur die eine
Bemerkung kann ich nicht unterdrücken, daß es wahr-
haftig für unsere Männer keine Ehre ist, wenn sie, die
doch mit Vernunft und Verstand begabt sind, an Thor-
heit und erbärmlicher Feigheit unsere kleinen und ver-
nunftlosen Vöglein übertreffen.

Von einem Manne erwartet man endlich, daß er
treu und gewissenhaft seine Berufspflichten
erfüllt
. Der Mann steht überall an der Spitze, an der
Spitze des Staates, an der Spitze der Kirche, an der Spitze
der Gemeinde, an der Spitze der Familie. Wissenschaft
und Handel, Kunst und Handwerk liegt meistens in seiner
Hand. Ueberaus Vieles und Großes hat Gott ihm an-
vertraut. Darum ist es so wichtig und so heilsam für
Kirche, Staat und Familie, wenn die Männer mit
großer Treue ihren Pflichten nachkommen. Dagegen
rührt auch fast alles Unheil und Verderben daher, daß
die Männer vielfach den hohen Ernst ihres Berufes nicht
erfassen und ihre wichtigsten Obliegenheiten vernachlässigen.

Von Männern nun, die aus eitler, nichtiger Men-
schenfurcht ihre religiösen Pflichten versäumen, darf man
nicht erwarten, daß sie nach allen Seiten hin ihre
übrigen Pflichten treu erfüllen. Denn wer seinem Gott
im Himmel untreu ist und sein gegebenes Versprechen
nicht hält, wird auch den Menschen gegenüber nicht
[166] treu sein, besonders aber dann nicht, wenn er von seiner
Untreue sich einen Vortheil verspricht. Wird ein Mann,
der wegen einer erbärmlichen Kleinigkeit, aus feiger
Rücksicht auf Andere seinen unendlichen Gott, der ihn
doch richten und über seine ganze Ewigkeit entscheiden
wird, beleidigt, im Stande sein, für seine Mitmenschen
große Opfer zu bringen, wird er mit all seinen Kräften.
Sorgen und Arbeiten freudig für das Wohl und Heil
Anderer eintreten? Sicher nicht. Ein Christ dagegen,
der seinem Herrn und Gott treu dient und gewissenhaft
seine religiösen Pflichten erfüllt trotz der Schwierigkeiten,
die sich ihm dabei in den Weg stellen und trotz des
Hohnes und Spottes, den er deshalb zu ertragen hat,
wird auch gewissenhaft seinen übrigen Berufspflichten
entsprechen; denn er weiß, daß er darüber einst strenge
Rechenschaft ablegen muß; er weiß, daß der göttliche
Heiland kein Wohlgefallen an seinen religiösen Uebungen
hat, wenn er in schuldbarer Weise seine Berufspflichten
vernachlässigt. Ein Christ, der wohl Gott, aber nicht
die Menschen fürchtet, wird der fleißigste und zuver-
lässigste Arbeiter, wird der treueste Familienvater, wird
der beste und ergebenste Bürger, wird der gewissen-
hafteste Beamte sein.

Das war auch die Ueberzeugung des Constantius
Chlorus, des Vaters Constantins des Großen. Derselbe
war, obgleich selbst noch ein Heide, den Christen sehr
gewogen und hatte manche derselben in seinen Hofdienst
genommen. Eines Tages nun wollte er diese prüfen;
er ließ sie darum in einem großen Saale zusammen-
[167] kommen und eröffnete ihnen in feierlicher und ernster
Weise, daß er sie aus seinem Dienste entlassen wolle,
wenn sie nicht dem Christenthume entsagten. Für den
Augenblick entstand eine allgemeine Bestürzung unter
den christlichen Beamten und Dienern des Palastes.
Einige waren schwach genug und zeigten sich bereit,
dem Wunsche ihres Fürsten zu entsprechen. Doch die
Meisten blieben standhaft; sie erklärten mit Festigkeit,
daß sie noch weiter gerne ihrem irdischen Herrscher treu
gedient hätten; da er aber diese Forderung an sie stelle,
müßten sie seinen Dienst verlassen; denn sie wollten
lieber Alles erdulden, als ihrem Gott und Heiland un-
treu werden. Diese standhafte Treue seiner christlichen
Diener gefiel dem Constantius Chlorus sehr; er lobte
sie wegen derselben und erklärte sich mit Freuden be-
reit, sie auch in Zukunft an seinem Hofe zu behalten.
Die Männer dagegen, die aus schwacher Rücksicht auf
ihn ihrer Religion untreu werden wollten, entließ er
augenblicklich aus seinem Dienste mit der trefflichen
Bemerkung: ‘„ Wer gegen seinen Gott treulos
ist, auf den kann man sich nicht verlassen
;
er wird unter Umständen noch treuloser
sein gegen seinen irdischen Fürsten
.“’
Wahr-
haft herrliche Worte! Wenn die Wahrheit, die in den-
selben ausgesprochen ist, allgemein anerkannt würde und
wenn all unsere Männer, hoch- und niedergestellte, dar-
nach lebten und handelten, dann sähe es ganz anders
bei uns aus und hätten wir nicht Ursache, über die
große Charakterlosigkeit der Männerwelt zu klagen.

3.

[168]

Endlich ist die Menschenfurcht auch unserer Zeit
unwürdig
. Nur zwei Gedanken will ich hier kurz be-
rühren. Unsere Zeit will eine Zeit der Freiheit sein.
Die Menschen unserer Tage wollen vielfach das so
heilsame und nothwendige Joch der Auctorität nicht
mehr tragen; sie dürsten, rufen und schreien nach Frei-
heit. Das Wort ‘„Freiheit“’ ist eine Art Zaubermacht
geworden, die bethörend und verlockend auf zahllose
Herzen und Köpfe einwirkt. Dieser ungeordnete Hang
nach zügelloser Freiheit ist eine große Gefahr für die
Gegenwart.

Für eine solche freiheitsliebende Zeit nun paßt doch
gar schlecht die Menschenfurcht. Mit der Freiheit ver-
trägt sich am allerwenigsten die Sclaverei. Wer aber
der Menschenfurcht ergeben ist, lebt in der Sclaverei.
Ein Solcher mag wohl keine Sclavenketten und kein
Sclavenkleid tragen; er mag selbst in Ehren und An-
sehen stehen, mag sogar eine Fürstenkrone auf seinem
Haupte tragen, er ist doch ein Sclave. Er ist der
Sclave, der feige und schwache Sclave Aller, aus
Rücksicht auf welche er seine Pflichten nicht erfüllt, der
erbärmliche Sclave eines Jeden, dessen Unwillen
und Spott er so ängstlich fürchtet. Ist es nicht son-
derbar, daß es in unserer Zeit, in der Alles nach
Freiheit dürstet, so viele Sclaven gibt, daß die schwache
Menschenfurcht eine so allgemeine und grausame Herr-
schaft ausübt? Das ist eine gerechte Strafe des Himmels.
[169] Weil man nicht mehr der freie Diener des unendlichen
Gottes und der freie Sohn seiner heiligen Kirche sein
will, ist man der unfreie und speichelleckende Sclave
unwürdiger Menschen geworden.

Unsere Zeit ist zweitens eine Zeit des Kampfes.
Es ist ein ernster und gewaltiger Geisterkampf ausge-
brochen, in welchem der sinnliche und gottlose Unglaube
und die ganze Macht der Hölle wüthet gegen das
Christentum, ein ernster Kampf, in dem es sich um
unsere höchsten Güter, um unsere ewige Seligkeit, um
unsern heiligen Glauben, um die christlichen Sitten,
um all' den großen irdischen Segen handelt, den das
Christentum der Menschheit gebracht hat.

Eine Zeit des Kampfes ist vor Allem eine Zeit,
wo Muth und Entschiedenheit nothwendig ist. Wenn
ein Volk in einem gefahrvollen Kampfe mit einem
mächtigen äußern Feinde keinen Muth, keine Begeiste-
rung, keinen Opfersinn mehr zeigt, dann wird es sicher
unterliegen und ist auch eines Sieges nicht mehr werth.
Aehnlich ist es in dem großen geistigen Kampfe un-
serer Tage. Zeigen wir uns schwach und feige in
demselben, ist schon ein fades Gerede, ein freches Hohn-
lachen, ein stolzes Achselzucken im Stande, uns außer
Fassung zu bringen, wahrhaftig, dann sind wir des
Sieges nicht mehr werth, dann wird der Unglaube
und der Haß gegen Christus und seine Kirche zum
großen Schaden der Familie und des Staates immer
mehr Boden unter uns gewinnen und der heilsame
Einfluß des Christenthums sich immer mehr verlieren.
[170] Was uns in unsern Tagen noththut, ist vor Allem
festes und muthiges Eintreten für Gott und seine
heilige Sache, ist der unüberwindliche Maccha-
bäergeist
.

Unter dem gottlosen König Antiochus IV. war für
die Kinder Israels eine Zeit schwerer Prüfung und
Drangsal eingetreten. Er hatte es abgesehen auf Ver-
nichtung ihrer Religion und es sah damals in der
That traurig genug aus beim auserwählten Volke.
Doch da erhoben sich, von heiliger Begeisterung erfüllt,
die edlen Macchabäer, ein Eleazar, ein Mathathias,
ein Judas und Andere. Sie waren entschlossen, lieber
Alles zu erdulden, als dem Gesetze des Herrn untreu
zu werden. Und mochten auch manche von den Israe-
liten abfallen oder viele im Kampfe ihr Leben ver-
lieren, der Muth und die feste Entschiedenheit der
Macchabäer haben den Sieg davon getragen. Sind
unsere katholischen Männer der Gegenwart jenen edlen
Helden des Alterthums ähnlich, treten sie mit ruhiger,
aber fester Entschiedenheit ein für die hehre Sache Jesu
Christi und seiner Kirche, zeigen sie durch ihr gutes
christliches Leben, daß sie die Lehren und Gnadenmittel,
die der göttliche Heiland uns gebracht, überaus hoch-
schätzen, dann muß sich der Sieg an die Fahne Jesu
Christi knüpfen, dann müssen nothwendig unsere reli-
giösen und socialen Verhältnisse einen neuen heilsamen
Aufschwung erleben. Darum, theuere Männer, seid
keine Schläfer, keine schwachen Feiglinge, keine lauen,
trägen Christen, die sich für Höheres nicht begeistern
[171] können, sondern seid Männer mit muthigem, uner-
schrockenem Herzen, Männer, die mit unentwegter Treue
festhalten an Gott und seiner heiligen Sache, Männer,
die sich durch nichts beirren lassen in der gewissenhaften
und allseitigen Erfüllung ihrer Pflichten.

Handelt als Männer und seid stark.“

VIII.
Der christliche Mann in der Familie.


A. Kolping, der bekannte Gründer des katholischen
Gesellenvereins, war immer der Meinung, sein Verein
werde schon dann allein überaus segensreich wirken, wenn
er dazu beitrage, daß viele der Jünglinge, die sich ihm
anschlössen, gute christliche Familien gründeten. Darum
hielt er auch öfter in seiner packenden Weise Vorträge
über den Ehestand, die Vorbereitung zu demselben in
ehrlicher Bekanntschaft, die nothwendigen Eigenschaften
des jungen Mannes und seiner Verlobten, die Rein-
heit und Züchtigkeit des Verhältnisses und Alles, was
in dieses Kapitel einschlägt. Immer wieder betonte
er mit Nachdruck die hohe Bedeutung der wahrhaft
christlichen Familie. ‘„Das Familienleben und sein
Wohlstand,“’
so sprach er einst, ist wichtiger als alle
Wissenschaft der Gelehrten, als alle Kunst großer
Geister, als alle Macht der Mächtigen, als alle Politik.
Predigt und erziehet an Einzelnen, so viel ihr wollt:
[172] wenn das Familienleben die gute Aussaat nicht in
Schutz und Pflege nimmt, wird euere aufgewandte
Mühe meist wie Wasser im Sande verrinnen. Zer-
brecht euch die Köpfe über die beste Staatsmaschine,
wie ihr wollt; ersinnt Gesetze, welche in ihrer klugen
Berechnung das ganze Alterthum beschämen: so lange
nicht ein tüchtiges Familienleben eine tüchtige bürger-
liche Gesinnung und Tugend erzeugt und erzieht, den
Geist erweckt, in dem euere Gesetze erst Leben em-
pfangen, werdet ihr Wasser in ein Sieb tragen. Ja,
ich weiß nicht, ob für das Gedeihen der Religion noch
Hoffnung übrig ist, wenn diese kostbare Gottesgabe
nicht in dem keuschen Schooße tüchtiger Familien ge-
hegt und bewahrt wird1).“’
Weil demnach die Familie
eine so große Bedeutung hat und der Mann an der
Spitze derselben steht, so ist es billig, seine diesbezüg-
lichen Pflichten etwas näher in's Auge zu fassen. Be-
trachten wir ihn darum in seiner Stellung als Gatte,
als Vater und als Hausherr.

1.


Ueberaus wichtig ist die Stellung der Frau in
der Familie, sie ist gleichsam das Herz derselben. Ist
dieses Herz nun ein gutes, vorzügliches, so geht von
demselben ein reicher Strom von Segen und Glück
aus über das ganze Haus. Darum spricht auch der
[173] heilige Geist an verschiedenen Stellen der heiligen
Schrift mit dem größten Lob von dem tugendhaften
Weibe; er sagt unter Anderem: ‘„Gnade über Gnade
ist ein heiliges und züchtiges Weib. Glücklich ist der
Mann einer guten Frau; die Zahl seiner Jahre wird
verdoppelt. Die Anmuth einer sorgsamen Frau ergötzt
ihren Mann und gibt Mark seinem Gebeine. Wie der
Welt die aufgehende Sonne in Gottes Höhen, so ge-
reicht die Schönheit einer tugendhaften Frau zur Zierde
ihres Hauses.“’

Von der bösen und schlechten Frau dagegen spricht
derselbe heilige Geist in den schärfsten Ausdrücken des
Tadels: ‘„Alle Bosheit,“’ sagt er, ‘„ist erträglich, nur
nicht Weiberbosheit. Kein größerer Zorn als Weiber-
zorn. Bei einem eifersüchtigen Weibe ist die Zunge
eine Geißel; sie plaudert bei Allen, theilt Allen ihre
Klagen mit; sie ist wie ein schlecht aufgelegtes Joch;
wer nach ihr greift, erfasset einen Scorpion. Besser
ist es, in der Wüste wohnen, als mit einem zänkischen
und zornmüthigen Weibe.“’

Je nach der Beschaffenheit der Frau also gereicht
sie dem Manne zur Freude oder zur Qual, zum Glück
oder zu namenlosem Unglück, zum Segen oder zum
Fluche. Darum soll der junge christliche Mann klug
und vorsichtig zu Werke gehen in der Wahl seiner
Lebensgefährtin. Dies um so mehr, weil der Ehebund,
wenn er einmal giltig geschlossen, nicht mehr gelöst
werden kann, bis der Tod mit seiner kalten Hand die
Eheleute von einander trennt. Darum soll der Jüng-
[174] ling bei dieser Wahl sich nicht blenden lassen durch
äußere Reize vergänglicher Schönheit und den goldenen
Glanz der klingenden Münze. Tugend und Frömmig-
keit, häusliche Tüchtigkeit und die guten Eigenschaften
des Charakters soll er bei dieser hochwichtigen Ange-
legenheit besonders in's Auge fassen; er soll durch an-
dächtiges Gebet bei Gott und dann auch bei seinen
Eltern oder andern verständigen und wirklich christlichen
Menschen sich guten Rath einholen. Hat er aber seine
Wahl getroffen und mit seiner Lebensgefährtin nach
kirchlicher Vorschrift vor dem Altare den Ehebund ein-
gegangen, dann muß er auch fest entschlossen sein, als
Gatte seine ernsten Pflichten gegen dieselbe zu erfüllen.
All' diese Pflichten lassen sich im Grunde genommen
zurückführen auf die Pflicht der wahren, beharrlichen,
von der christlichen Religion geläuterten und geheiligten
Liebe.

Diese wahre, christliche Liebe zu seiner Gattin ver-
langt zunächst Gott vom Manne. Denn so schreibt er
durch seinen Weltapostel: ‘„ Männer, liebet euere
Frauen, wie auch Christus seine Kirche ge-
liebt und sich selbst für sie hingegeben
hat
“’
(Ephes. 5, 25). Welch' ein erhabenes Vorbild
für die christlichen Männer! Wie warm und innig,
wie stark und beharrlich, wie rein und heilig, wie
opferwillig und hingebend hat Christus seine Kirche
geliebt und liebt sie noch beständig! Sein kostbares
Blut hat er für sie bis zum letzten Tropfen am harten
Holze des Kreuzes dahin gegeben; aus Liebe zur Kirche
[175] und ihren Kindern weilt er unaufhörlich Tag und Nacht
in unsern kleinen und armen Tabernakeln; täglich
wendet er ihr im hochheiligen Meßopfer und in den
Sakramenten die Verdienste und Gnaden zu, die er
durch sein bitteres Leiden und Sterben für sie erwor-
ben; zu allen Zeiten vertheidigt und beschützt er sie
gegen die gewaltigen Angriffe des Satans und seiner
Helfershelfer hier auf Erden; immerdar zeigt er sich
langmüthig und geduldig gegen die Schwächen und
Armseligleiten, die sich in der Kirche geltend machen
durch die Schuld der Menschen. Eine ähnliche Liebe,
so will es Gott, soll der christliche Mann zu seiner
Gattin tragen.

Eine wahre und beharrliche christliche Liebe zu
seiner Gattin verlangt von dem Manne das Verhält-
niß, in welchem er zu derselben steht. Er hat ihr diese
Liebe wiederholt versprochen, versprochen in Worten,
die ihn binden mit der schweren Verpflichtung eines
hochheiligen Eides, versprochen in feierlichster Weise an
den Stufen des Altares in jenem ernsten Augenblicke,
als er ihr seine Hand reichte zum unauflöslichen Ehe-
bunde. Da hat er ihr versprochen, alle Tage seines
Lebens ihr der beste und treueste Freund zu sein, als
solcher für sie zu sorgen, sie zu beschützen und zu be-
glücken. Und seine Gattin hat seinetwegen Vater und
Mutter verlassen, von denen sie täglich Beweise zärt-
licher Liebe erhielt; sie hat ihr ganzes Leben ihm an-
vertraut, ihr ganzes Herz ihm geschenkt; sie lebt nur
für ihn und seine [Kinder]; für ihn und sie will sie
[176] sorgen mit allen Kräften ihrer Seele. Wäre es da
nicht unchristlich, ja nicht unmenschlich, wenn nicht der
Mann auch seinerseits mit unverbrüchlicher Treue und
Liebe ihr ergeben sein wollte.

Wahre und beharrliche christliche Liebe zu seiner
Gattin verlangt endlich vom Manne sein eigenes Glück
und das Wohl seiner ganzen Familie. Zeigt der Mann
sich kalt und lieblos gegen seine Frau, dann wird auch
diese nach und nach ihre Liebe zu ihm verlieren. Ist
aber die Liebe aus der Ehe geschwunden, dann zieht
Unfriede und Verwirrung aller Art in die Familie ein.
Das Leben wird dann zur Last, jedes Kreuz doppelt,
ja zehnmal schwerer; auf dem ganzen Hause ruht der
Fluch des Himmels; es wachsen Kinder heran, die den
Eltern nur Kummer und Verdruß bereiten. Aller
Glanz, alles Geld, alle Reichthümer, alle Ehrenstellen,
alle Vergnügungen und Festlichkeiten können die Liebe,
können den Frieden nicht ersetzen. Nur wo Liebe und
Frieden in der Familie herrschen, ist man zufrieden
und glücklich. Darum soll der Mann seiner Frau die
versprochene christliche Liebe stets treu bewahren.

Liebt aber der christliche Ehemann seine Gattin
in wahrer, Gott wohlgefälliger Weise, dann läßt er sie
ihre religiösen Pflichten gewissenhaft erfüllen; ja er
selbst eifert sie, wenn es nothwendig sein sollte, noch
dazu an. Er sieht es gern, wenn sie ihre täglichen
Gebete regelmäßig verrichtet, wenn sie, sofern es die
häuslichen Arbeiten möglich machen, auch an Werk-
tagen dem Gottesdienste beiwohnt, wenn sie oft und
[177] gut die heiligen Sakramente empfängt. Denn er ist
der Ueberzeugung, daß die solide und erleuchtete Fröm-
migkeit seiner Frau ihm selbst, seinen Kindern und der
ganzen Familie den größten Nutzen bringt. Ganz mit
Recht wird ja in der heiligen Schrift das fromme und
religiöse Weib mit einem Weinstocke, der seinen Eigen-
thümer mit reicher und köstlicher Frucht erfreut, ver-
glichen. Und ein deutscher Kirchenfürst, Cardinal Diepen-
brock, hat einst den schönen und wahren Ausspruch ge-
than: ‘„Wo Gott in dem Herzen einer Gattin und
Mutter sich einen Altar gebaut, da ist das ganze Haus
eine Kirche.“’

Die wahre christliche Liebe zu seiner Gattin wird
den Mann ferner bestimmen, freundlich, gefällig und
zuvorkommend gegen dieselbe zu sein. ‘„Die Liebe ist
gütig,“’
sagt mit Recht der Weltapostel. Sie will ja
beglücken. Das aber geschieht nur durch Wohlwollen,
nur durch Freundlichkeit und wahre Herzensgüte. Wie
manche Familien wären stets Stätten des lieblichsten
Friedens und des schönsten Glückes geblieben, wie
manche Frauen hätten stets freudig mit der größten
Gewissenhaftigkeit ihre Pflichten erfüllt und sich für
die Ihrigen aufgeopfert, wenn die Männer es immer
verstanden hätten, Selbstbeherrschung zu üben und liebe-
voll und sanftmüdig ihrer Lebensgefährtin zu begegnen.
Darum soll der Mann in seinem Benehmen und Reden
Alles vermeiden, was Härte und Gefühllosigkeit gegen
sie an den Tag legen könnte. Ein liebevoller Gatte
wird auch gern jede Gelegenheit benützen, seiner Gattin
[178] eine Freude zu bereiten. Ab und zu, namentlich
am Namenstag und andern festlichen Tagen, macht
er ihr ein Geschenk, wie es ihm seine Vermögens-
verhältnisse erlauben. Solche Zeichen der Aufmerk-
samkeit sind, mögen es auch an sich nur Kleinig-
keiten sein, sehr dazu angethan, das Band der Liebe
und des Friedens enger um die Herzen der Eheleute
zu schlingen.

Liebt der Mann wahrhaft in christlicher Weise seine
Frau, so wird er auch Geduld und Nachsicht üben mit
ihren Fehlern und Unvollkommenheiten. Alles heftige
Aufbrausen, alles Toben und Schimpfen kann hier nur
verderben, die Sache nur schlimmer machen. Wirft
man einen harten Stein auf einen andern, so gibt es
ein starkes Getöse und die Feuerfunken sprühen nach
allen Seiten; wirft man aber einen harten Stein in
weiche, zarte Wolle, so hört man kaum sein Auffallen
und sieht keinen einzigen Feuerfunken auffahren. Aehn-
lich ist es auch in unserem Falle. Mit fünf ruhigen
Worten erreicht der vernünftige Mann zehnmal mehr
bei seiner Gattin, als der aufbrausende Hitzkopf durch
eine lange Schimpfrede von einer halben Stunde. ‘„Ein
gutes Wort findet einen guten Ort.“’
Und der heil.
Franz von Sales sagt: ‘„Mit einem einzigen Tropfen
Honig fängt man mehr Fliegen als mit einem großen
Faß Essig.“’

„Ist deine Gattin unbesonnen, schwatzhaft, streit-
süchtig, zornig u. s. w., dann soll es dein ernstes
[179] Streben sein, sie auf bessere Wege zu bringen. Das
kann aber nur geschehen auf dem Wege der Geduld,
Sanftmuth und Güte. Einen Brand löscht man nicht
dadurch aus, daß man neuen Brennstoff herbeiträgt,
Oel in's Feuer gießt. Menschen sind Menschen, ein
jeder hat seine schwache Seite und so wird es auch nicht
ausbleiben, daß die Sonne ehelicher Eintracht ab und
zu umwölkt wird von kleineren Mißhelligkeiten und
Streitigkeiten; da darf aber die Sonne niemals unter-
gehen über einem derartigen Hauskrieg. Knarrt eine
Thüre in ihren Angeln, so wird gleich ein wenig Oel
aufgegossen und die Thüre wieder in leichten Gang ge-
bracht. Treten Zwistigkeiten im Ehestande zu Tage,
so stille sie gleich durch das Oel der Liebe. Du magst
im Rechte sein oder nicht, reiche der Gattin ohne Vor-
würfe die Hand der Versöhnung. Wenn dein Stolz
sich dagegen empören will, so denke daran, daß du der
Gattin den Ring gerade an jenen Finger gesteckt, von
wo aus eine Ader zu ihrem Herzen, dem Sitze der
Liebe geht. Indem du dich selbst überwunden, wirst
du zugleich das Herz deiner Gattin überwinden, und
sie wird sich ein andermal beeilen, zuerst die ver-
söhnende Hand zu bieten. Die Liebe sucht gemeinsam
Leid wie Freud zu tragen. Wahrhaft liebende Eheleute
müssen wie zwei Augen sein, von denen das eine im-
mer hinblickt, wohin das andere sich wendet. Der
Mann als der Stärkere muß auch die größere Last
übernehmen, und kann er das Leid der Gattin nicht
abnehmen, dann wird er wenigstens Alles aufbieten,
[180] ihr Trost zu spenden, ihr Leid zu lindern, wo und
wie er kann1).“

Besitzt der Mann eine wahre christliche Liebe zu
seiner Gattin, dann trägt er gewissenhaft Sorge für
ihren leiblichen Unterhalt, sucht sie standesgemäß zu er-
nähren und zu kleiden. Das betrachtet er als eine
ernste und heilige Pflicht. In diesem Sinne schreibt
der heil. Chrysostomus: ‘„Der Mann soll für sein Weib
sorgen, wie auch Christus für seine Kirche gesorgt hat;
er weigere sich dessen nicht, wenn er auch um ihret-
willen alles Erdenkliche leiden müßte.“’
Und schon lange
vor ihm hatte der Weltapostel gesprochen: ‘„Die Männer
sollen ihre Weiber lieben wie ihre eigenen Leiber. Nie-
mand aber hat je sein eigenes Fleisch gehaßt, sondern
er nährt und pflegt es, wie auch Christus die Kirche.“’

Darum trägt der christliche Mann mit freudiger Auf-
merksamkeit und Anstrengung Sorge für die angemessene
Nahrung, standesmäßige Kleidung und den sonstigen
Lebensbedarf seiner Frau. Besonders aber zu gewissen
Zeiten und wann dieselbe krank und leidend ist, wird
er mit noch größerer Liebe und Zuvorkommenheit für
sie besorgt sein.

Betrachtet man die anderen Geschöpfe, so muß man
staunen, wie selbst das vernunftlose Thier für sein
Weibchen und seine Jungen sorgt. Wer von uns hat
nicht schon die liebe Schwalbe oder andere Vöglein mit
Freude und Bewunderung in dieser Beziehung beob-
[181] achtet? Sollte es da möglich sein, daß der Mensch
nicht thue, was selbst das Thier nicht unterläßt? Und
doch gibt es leider nur zu viele Männer, die hier in
schwerer Weise ihre Pflicht vernachlässigen, Männer, die
sich der Trägheit ergeben und nicht mit Fleiß und Um-
sicht ihren Geschäften nachgehen, Männer, deren Frau
und Kinder zu Haus Noth leiden, während sie im
Wirthshause sitzen, essen und trinken und in Unmäßig-
keit und Spielsucht vergeuden, was sie für den Haus-
halt verwenden sollten. Ein solcher Mann ist ein mein-
eidiger Betrüger seiner Frau. Sie hat ihm ihre Frei-
heit, ihre Güter und ihre Jungfrauschaft zum Opfer
gebracht. Dafür hat er ihr am Altare Gottes geschwo-
ren, daß er für sie sorgen werde, so lange er lebe, und
nun tritt er diesen heiligen Eidschwur mit Füßen. Ein
solcher Mann ist ein roher, herzloser Mensch, der sich
wohl sein läßt, während seine Gattin zu Hause vor
Jammer und Kummer fast verschmachtet; er ist ein
grausames Ungeheuer, viel grausamer als Tiger und
Löwen, welche für ihre Weibchen und Jungen sorgen,
während er Weib und Kinder hungrig und nackt sieht
und sich ihrer doch nicht erbarmt. Ihm gelten sicher
die ernsten Worte des heil. Paulus: ‘„ Wenn Jemand
für die Seinigen und besonders für die
Hausgenossen nicht Sorge trägt, der hat
den Glauben verleugnet und ist ärger als
ein Heide
.“’

Diese verantwortungsvolle Pflichtverletzung kommt
leider nur zu oft vor in unseren Tagen, wo der starke
[182] Wirthshausbesuch von Seiten der Männerwelt so sehr
überhand genommen hat. Möchten es unsere Männer
doch bald allgemein wieder begreifen, wie diese Unsitte
ihnen selbst und ihren Familien mit der Zeit äußerst
nachtheilig werden muß; möchten sie es erkennen, wie
sie sich durch dieselbe der schönsten, reinsten und heil-
samsten Freuden berauben; denn diese genießt der Mann
nicht draußen in der zechenden Gesellschaft leichtsinniger
Kameraden, sondern zu Hause in trautem Kreise seiner
theuren Angehörigen. Liebt der Mann seine Frau
wirklich in rechter Weise, dann genießt er auch seine
Erholung am liebsten in der Familie an ihrer Seite;
es drängt ihn nicht hinaus in die dumpfe und schwüle
Wirthshausatmosphäre.

Die christliche Liebe zu seiner Gattin wird endlich
den Mann bestimmen, derselben unverbrüchlich die
eheliche Treue zu bewahren
. Der Ehebruch ist
eine schwere Verletzung jenes feierlichen Versprechens,
das der Mann seiner Frau im Angesichte Gottes und
der Kirche gemacht. Der Ehebrecher zerreißt das hei-
ligste Band, das nach Gottes Anordnung die mensch-
liche Gesellschaft einigt und verbindet; er verübt das
größte Unrecht gegen seine Gattin und fügt ihr die
tiefste Kränkung zu; er zerstört den häuslichen Frieden,
hindert eine gute Erziehung der Kinder, zerrüttet das
Glück der ganzen Familie und trägt seinerseits Alles
dazu bei, daß die Scheu vor dem Laster unter den
Christen schwindet; er entwürdigt sich selbst gar tief
und setzt sich der größten Gefahr aus, ewig verloren
[183] zugehen. ‘„ Täuschet euch nicht! Ehebrecher
werden das Reich Gottes nicht besitzen
.“’

(1 Cor. 6, 9.) Der christliche Mann schreckt vor dieser
Sünde zurück, wie vor der Hölle selbst. Er wird sich
darum keine ungeziemende Freiheit gegen eine andere
Person erlauben, keinen Scherz und keine Vertraulich-
keit. Nur seiner Gattin, sonst Niemanden, gibt er Be-
weise zärtlicher Liebe. Selbst jeden Gedanken dieser
Art und jede erwachende Neigung wird er sofort mit
Entschiedenheit abweisen und bekämpfen, eingedenk der
Worte Christi: ‘„ Ein Jeder, der ein Weib
mit Begierde ansieht, hat in seinem Herzen
schon die Ehe gebrochen
.“’
(Matth. 5, 28.)

2.


Wer sieht es der kleinen, unscheinbaren Knospe am
dornigen Strauche an, daß sie die herrliche Rose in
sich birgt, welche uns durch ihre Schönheit und ihren
Wohlgeruch erfreut und so oft als die Königin der
Blumen gepriesen worden ist? Wer sieht es dem winzigen
Kerne, den ein leichter Hauch des Mundes von der Hand
wegweht, an, daß in ihm der prächtige Baum mit seinem
umfangreichen Stamme, seinen kräftigen Zweigen, seinen
grünen Blättern, seinen weißen Blüthen und kostbaren
Früchten enthalten ist? Aehnlich kann auch unser leibliches
Auge den unendlich hohen Werth des kleinen Kindes, das
schwach in der Wiege liegt und ganz auf die Liebe und
Hilfe der Mutter angewiesen ist, nicht schauen, können
wir nicht ahnen, was Gott in seiner Barmherzigkeit
[184] und Güte aus dem winzigen Geschöpfe machen, was er
später durch dasselbe in Kirche oder Staat wirken will.
Aus dem kleinen Knäblein Moses, das einst im
Binsenkörblein weinte, ist der große Gottesmann ge-
worden, dessen Einfluß sich auf Jahrtausende erstreckte.

Eueren Kindern, christliche Väter, ist eine so hohe
und wichtige Aufgabe von Gott nicht zugedacht; sie
werden vielleicht auch keine der ersten Stellen im Staate
und in der Kirche einnehmen; doch sollen sie recht-
schaffene Menschen, gute Bürger und eifrige Christen
werden. Ein braver, tugendhafter Christ aber ist im-
mer ein großer Segen für die Menschheit, mag er auch
nur ein schlichter, stiller Handwerker sein. Doch ab-
gesehen davon ist ein jedes euerer Kinder an sich selbst
ein überaus kostbares Geschenk des Himmels; denn es
trägt an seiner unsterblichen Seele das Ebenbild seines
Schöpfers, ja es ist selbst ein Kind des unendlichen
Gottes, das er weit mehr liebt, als ihr es lieben könnt,
und das er dereinst mit ewiger Freude und Wonne
beglücken will. Wahrhaft christliche Väter werden da-
rum nicht bloß mit Freude, sondern auch mit einer
gewissen Ehrfurcht durchdrungen, wenn sie liebend ihr
Kind anschauen. Von dem heil. Leonidas, dem Vater
des großen und gelehrten Origenes, wird erzählt, daß
er zuweilen die Brust dieses seines Sohnes, während
er schlief, als eine Wohnstätte des heiligen Geistes
küßte.

Weil euere Kinder in den Augen Gottes so kostbar
sind und von ihm eine so erhabene Bestimmung erhal-
[185] ten haben, müßt ihr, Väter, vor Allem darauf bedacht
sein, daß ihr eueren Kindern eine gute christliche Er-
ziehung angedeihen lasset. Ist es aber wirklich für
euch eine ernste Herzensangelegenheit, daß euere Kinder
gut und tugendhaft werden, so müßt ihr ihnen zunächst
selbst ein gutes Beispiel geben. Ich stelle das an die
Spitze, weil es das Wichtigste ist bei der Erziehung.
Ein Sprichwort sagt: ‘„Worte bewegen, Beispiele reißen
hin.“’
Der heil. Cyprian macht die schöne Bemerkung:
‘„Die Werke haben auch ihre Zunge, und sie sind noch
weit beredter als der Mund.“’
Dann wendet er sich
an die Eltern und spricht: ‘„Euere Kinder werden mehr
auf das Acht haben, was ihr thut, als auf das, was
ihr redet.“’
Und ein anderer Kirchenvater sagt: ‘„Die
Kinder lernen mehr durch das gute Beispiel, als durch
viele Worte.“’

Besonders wichtig ist aber für die Kinder das Bei-
spiel des Vaters, weil derselbe vor ihnen dasteht als
der Träger einer höheren, von Gott ihm geschenkten
Auctorität, zu dem sie mit großer Ehrfurcht aufschauen.
An dem herrlichen Beispiele eines vorzüglichen Vaters
wachsen darum die Kinder empor und gedeihen gut,
wie der Epheu sich an der festen Mauer emporrankt
und in die Höhe strebt. Ist dagegen das Beispiel des
Vaters ein schlechtes und unchristliches, so sind nur zu
oft alle Bestrebungen einer guten Mutter fast nutzlos,
besonders aber bei den Söhnen, die gar zu leicht in
die Fußstapfen des Vaters eintreten. Man kann sich
darüber auch nicht wundern. Wie sollen die Kinder
[186] das Schelten und Fluchen nicht lernen, wenn sie hören,
wie der Vater bei jeder kleinsten Unannehmlichkeit wie
ein Besessener mit Fluchworten um sich wirft? Wie
können sie eingezogen, züchtig und ehrbar bleiben, wenn
der Vater unkeusche oder zweideutige Reden führt und
sich gerne in Gegenwart der Kinder rühmt, wie lustig
und flott er in seiner Jugend gewesen sei, wie bunt er
es getrieben habe? Kann man von den Kindern, be-
sonders von den Söhnen später erwarten, daß sie mit
großem Eifer ihre religiösen Pflichten erfüllen, wenn sie
den Vater nie beten, selten in die Kirche, nie zur Beicht
und Communion gehen sehen? Wie sollen sie den
Geistlichen achten und ehren, wenn sie bei jeder Gelegen-
heit den Vater über Papst, Bischöfe und Priester schim-
pfen hören? Wie sollen sie artig und höflich werden,
wenn sie nichts als Roheiten und Grobheiten sehen?
wie friedliebend, wenn der Vater immer zankt und
streitet mit der Mutter und mit den Nachbarn in Un-
einigkeit lebt? Wie sollen die Söhne an Zucht und
Ordnung, an Selbstbeherrschung und Mäßigkeit sich ge-
wöhnen, wenn der Vater ein gar eifriger und begeisterter
Besucher des Wirthshauses ist und sehr häufig zur Un-
zeit und mit einem Rausche nach Hause kommt? Wollt
ihr Väter, daß euere Kinder später sich bewähren als
gute und eifrige Christen, so gehet ihnen vor Allem
mit einem guten Beispiele voran; erfüllet vor ihren
Augen treu euere Pflichten gegen Gott, gegen die heilige
Kirche und die Mitmenschen; zeiget euch als eifrige,
gewissenhafte Christen, welche die Sonn- und Feiertage
[187] heilig halten, die regelmäßig beten und oft und gut die
heiligen Sakramente empfangen. Sollen wir Alle unser
Licht leuchten lassen vor den Menschen, so gilt dies um
so mehr von euch Vätern den eigenen Kindern gegen-
über, ‘„damit sie euere guten Werke sehen und den
Vater preisen, der im Himmel ist.“’

Ihr christlichen Väter müßt dann ferner darauf
sehen, daß euere Kinder unsere heilige Religion
gründlich kennen und üben lernen
. Religiöse
Unwissenheit ist sehr nachtheilig und gefährlich; sie ist
die Ursache, daß zahllos viele Christen sich um ihre
religiösen Pflichten wenig kümmern, daß sie aus den
Gnadenmitteln der Kirche nur ganz geringen Nutzen
schöpfen; sie ist die Ursache, daß Viele von allerlei ge-
fährlichen Irrthümern und unchristlichen Grundsätzen
sich umstricken lassen und nach und nach ihrer Kirche
innerlich und vielleicht auch äußerlich untreu werden.
Solche, die ihre Religion nicht kennen gelernt haben,
werden manchmal schon durch thörichte, nichtssagende
Redensarten, durch die oberflächlichsten Einwände irre
geführt und im Glauben wankend. Darum thut eine
gründliche Kenntniß der christlichen Religion noth, zu-
mal in unserer Zeit, wo so manche Tagesblätter, illu-
strirte und nichtillustrirte Zeitschriften und pikant ge-
schriebene Romane allerlei Vorurtheile und Verdäch-
tigungen gegen unsere heilige Kirche und allerlei Ent-
stellungen und Verzerrungen ihrer Lehren und Gebräuche
zu Tage fördern, die dann von Tausenden und Tausen-
den mit wahrem Heißhunger verschlungen werden. In
[188] einer solchen Zeit müssen die Kinder schon im zartesten
Alter mit Gott und seiner heiligen Religion bekannt
gemacht werden. Sie sollen so früh als möglich ihren
Vater im Himmel kennen lernen; sollen wissen, wer sie
erschaffen und wer sie erlöst hat; sollen wissen, warum
sie in dieser Welt sind und was aus ihnen dereinst
werden wird; sollen wissen, daß sie einen Schutzengel
bei sich haben, der sie überall begleitet und beschützt;
sollen wissen, daß Gott überall gegenwärtig ist, Alles
sieht und hört und einst uns richten wird. Man muß
sie frühzeitig bekannt machen mit dem heiligen Willen
Gottes und wie sie vor seinem Angesichte wohlgefällig
leben sollen. Man muß sie zum andächtigen Gebete
und zum guten Besuche des Gottesdienstes, zur jeglichen
Tugend, zum Glauben, zur Hoffnung und Liebe Gottes,
zur Eintracht, Ungezogenheit und Reinigkeit anleiten,
ehe das Unkraut der Sünde ihr zartes Herz eingenom-
men und verdorben hat. Hat so der Vater mit der
Mutter beim Kinde das religiöse Fundament gelegt,
dann ist später dem Seelsorger seine Aufgabe bedeutend
erleichtert; er wird dann mit um so größerer Freude
und mit reichlicherem Erfolge weiter bauen; doch muß
der Vater demselben stets zur Seite stehen, die Kinder
strenge zum regelmäßigen Besuche der Christenlehre an-
halten, das Lernen der Katechismusfragen überwachen und
nach Kräften dieselben zu erklären suchen. Das sollte eine
Lieblingsbeschäftigung, sollte eine süße Erholung sein für
einen christlichen Vater, dem das Wohl und Gedeihen
seiner Kinder wirklich am Herzen liegt. Der Sonntag
[189] mit seinem langen Nachmittage und so mancher freie
Abend, den man jetzt leider im Wirthshause zubringt,
wäre gewiß eine passende Zeit für diesen Unterricht
und diese Anleitung. Wie viel Segen und Wonne
würde eine solche schöne Uebung den Kindern und den
Eltern selbst bringen. Möchten darum doch alle Väter
den Unterricht ihrer Kinder sich sehr angelegen sein
lassen; dann wird an ihnen Gott auch seine Ver-
heißung erfüllen: ‘„ Unterweise deinen Sohn, so
wird er dich ergötzen und Wonne gewähren
deiner Seele
“’
(Spr. Sal. 29, 17).

Der Vater soll ferner seine Kinder an pünkt-
lichen Gehorsam
gewöhnen. Ohne Gehorsam gibt
es keine wahre Erziehung. Sehr zu bedauern ist ein
Kind, das in der Jugend keinen Gehorsam gelernt hat.
Es wird später der Spielball seiner Launen und Lei-
denschaften sein, wird in keiner ernsten Lebenslage sich
zurechtfinden und glücklich sein, wird nie einen starken
und guten Charakter erhalten. Mangel an Ernst und
Festigkeit bei der Erziehung, zu große Schwäche und
Nachgiebigkeit, die das Kind nicht zum pünktlichen
Gehorsam anleitet, macht eine gediegene Charakterbil-
dung unmöglich. Mit Recht sagt ein bekannter Schrift-
steller unserer Tage: ‘„Ein Erzieher, der nur Worte
und nicht auch Kraft hat, um seine Lehre durchzusetzen,
ist das Verderben dessen, den er bilden soll. Darum
finden wir so wenige Charaktere auf der Erde, weil
so wenige das Glück hatten, einen Meister zu finden,
der das Herz von Grund aus kannte und der es nicht
[190] bloß verstand, sondern der auch die Kraft besaß, unerbitt-
lich alle Verderbnisse der Natur, auf die er hingewie-
sen, in der That bis in ihre geheimsten Schlupfwinkel
zu verfolgen und von dort auszutreiben. Wie soll
ein gerader Charakter aus der Verschrobenheit heraus-
wachsen, die unserm Herzen fast wie natürlich wird,
sobald es sich gehen läßt, wenn nicht eine feste Hand
uns die Wohlthat erweist, uns gerade zu biegen?
Wie ein fester Charakter ohne eine Zucht, die ihre
Zwecke kennt, und die uns mit fester Hand, trotz aller
unserer Versuche zu entkommen, auf dasselbe hinlenkt1)?“’

Darum muß der Vater immer mit Nachdruck und Ernst
darauf bestehen, daß sein Kind willigen Gehorsam leiste
und zwar auf das erste Wort. Will es nicht hören,
nicht gehorsam sein, dann muß er strafen und, wenn
nothwendig, die Zuchtruthe gebrauchen. Alle falsche
Nachsicht gereicht hier nur zum Nachtheile des Kindes.
‘„Wer die Ruthe spart, hasset seinen Sohn;
wer ihn aber liebt, hält ihn beständig in
der Zucht
“’
(Sprüchw. 13, 24). Der Vater soll
aber auch nur dann strafen, wenn das Kind wirklich
eine Strafe verdient hat; er soll darauf achten, daß
die Strafe auch gerecht sei, und sich vor aller Partei-
lichkeit beim Strafen sehr hüten. Ferner soll er dabei
alles Schimpfen und Fluchen sorgfältigst vermeiden
und überhaupt nicht in der ersten Aufregung des
Zornes strafen. Die Züchtigung soll das Kind bessern;
[191] das wird aber nur dann geschehen, wenn es sich sagen
muß, daß der Vater es nicht aus Rachsucht, sondern
nur aus wahrer Liebe straft.

Der Vater muß dann weiter stets ein wach-
sames Auge auf die Kinder, auf ihre
Neigungen und Fehler, auf ihr Betragen
und ihren Umgang haben
. Ein Gärtner wacht
über seine Blumen und Pflanzen; er wehrt den schäd-
lichen Insekten, schneidet die üppigen Auswüchse ab
und jätet das Unkraut zeitig aus, damit seine Blumen
keinen Schaden leiden. Ein Hirt wacht mit großer
Sorgfalt über seine Heerde, daß kein Schäflein ver-
loren gehe oder irgendwie beschädigt werde. Sollte da
ein christlicher Vater nicht noch viel wachsamer sein
bezüglich seiner theueren Kinder, damit sie keinen Scha-
den erleiden an ihrer unsterblichen Seele, damit ihr
Glaube und ihre Unschuld nicht in Gefahr kommen?
Wie besorgt sind gewöhnlich die Väter für die Ge-
sundheit des leiblichen Lebens ihrer Kinder? Bei jeder
nur etwas bedenklichen Krankheit derselben gerathen sie
in große Besorgniß; sie nehmen die Hilfe der tüchtig-
sten Aerzte in Anspruch; keine Mühe, kein Opfer an
Zeit und Geld ist ihnen zu viel. Das soll nicht ge-
tadelt werden, im Gegentheil diese Sorgfalt verdient
so lange sie vernünftig bleibt, nur Lob und Anerken-
nung. Aber, christliche Väter, ist die unsterbliche
Seele mit ihrer erhabenen Bestimmung und dem
himmlischen Schmuck der heiligmachenden Gnade nicht
unendlich mehr werth als der Leib, diese Handvoll
[192] Staub? Ist die ewige Seligkeit des Himmels nicht
unendlich höher anzuschlagen, als die wenigen und
kurzen Jahre dieses flüchtigen Lebens, die zudem noch
meistens mehr Kummer und Leid mit sich bringen als
Freude und Wonne? Darum muß euere Sorge und
Wachsamkeit für die Seele eueres Kindes größer sein
als für seinen Leib; ihr müßt sorgfältig Acht haben
auf die entstehenden bösen Neigungen desselben, auf
die Art und Weise, wie es mit seinen Geschwistern
verkehrt, auf die Kinder und erwachsenen Personen,
mit denen es umgeht, auf die Orte, die es besucht,
auf die Bücher, Bilder und Zeitungen, die ihm in die
Hände kommen. Sind dann euere Kinder erwachsen,
so darf euere Wachsamkeit nicht aufhören; ihr müßt
sie vielmehr verdoppeln; es kann euch ja unmöglich
unbekannt sein, daß gerade der erwachsenen Jugend
noch mehr und noch größere Gefahren von Innen und
von Außen drohen. Vor Allem sollt ihr darauf sehen,
daß euere erwachsene Söhne und Töchter in keinen
Dienst, in keine Werkstätte, in kein Geschäft, in keine
Familie kommen und keinen Umgang haben, wodurch
ihre Unschuld und ihr Glaube ernstlich gefährdet ist;
ihr sollt darauf sehen, daß sie nicht zu früh eine Be-
kanntschaft, ein Verhältniß anfangen oder nicht mit
Personen, die einem verschiedenen Glaubensbekenntniß
angehören oder sonst keine Aussicht bieten zu einer
christlichen, tugendhaften und glücklichen Ehe. Auch
sollt ihr darauf achten, daß euere erwachsenen Kinder
mit Eifer und Gewissenhaftigkeit ihren religiösen Pflichten
[193] nachkommen, und müßt, wenn es nothwendig sein
sollte, mit euerer ganzen väterlichen Auctorität darauf
dringen. Dies gilt besonders auch eueren Söhnen
gegenüber, die sonst vielleicht in eine Richtung hinein-
kommen, welche ihnen für ihr ganzes späteres Leben
und für die Ewigkeit äußerst nachtheilig werden könnte.
Ihr dürft da nie denken, meine Kinder sind erwachsen;
sie müssen wissen, was sie zu thun haben; ich brauche
mich darum nicht zu kümmern. Das ist grundfalsch;
ihr seid und bleibt die Väter, die von Gott gesetzten
Hüter und Wächter euerer Kinder und werdet dereinst
zur strengen Rechenschaft gezogen werden über dieses
euer Wächteramt.

Endlich soll der christliche Vater fleißig für seine
Kinder beten. Steht der gläubige Christ vor einem
wichtigen Unternehmen, dessen glücklicher Ausgang viel
zum Wohle seiner Familie beitragen kann, so betet er
mit Eifer und empfiehlt wiederholt die Angelegenheit
der Güte Gottes. Kann es nun aber ein wichtigeres
Anliegen für den christlichen Vater geben als die gute
Erziehung seiner Kinder? Hängt nicht von dieser in
ganz besonderer Weise das Heil und Glück seiner Fa-
milie ab? Ist nicht sein eigenes zeitliches und ewiges
Wohl eng mit ihr verbunden? Darum soll derselbe
täglich regelmäßig für seine Kinder beten, soll eifrig
zu Gott flehen, daß all' die Sorgfalt und Mühe, welche
auf die gute Erziehung seiner Kinder verwendet wird,
von ihm reichlich gesegnet werde. Denn auch hier
gelten die beherzigenswerthen Worte der heiligen Schrift:
[194]‘„ Wenn der Herr das Haus nicht baut, ar-
beiten die Bauleute umsonst, und wenn
der Herr die Stadt nicht behütet, wachen
die Hüter umsonst
.“’
(Ps. 126, 1.)

Ein schönes Beispiel hat in dieser Beziehung den
Vätern der berühmte und fromme Graf Friedrich Leo-
pold von Stolberg gegeben, der von sich schreibt: ‘„Es
ist mein tägliches inbrünstiges Gebet und ich setze mich
nicht eher an die Arbeit hin, als bis ich dieses Gebet
verrichtet habe, daß meine Kinder mir die ernste Ver-
antwortung meiner Sterbestunde erleichtern, daß sie in
all' ihrem Sinnen und Thun nur die Ehre Gottes
und das Heil ihrer Seele vor Augen haben, daß sie
Jesum Christum und seine heilige Kirche über Alles
lieb haben und dem Nächsten in Demuth vor Gott so
viel Gutes erweisen, als in ihren Kräften steht. Und
diese Pflicht des Gebetes für die Kinder tritt mir be-
sonders lebhaft vor die Seele an den jährlich wieder-
kehrenden Gedenktagen, an den lieblichen einfachen
Familienfesten, die wir gemeinsam feiern und auf die
ich mich stets schon im Voraus freue, wie groß auch
bei uns die Zahl dieser jährlichen Gedenktage ist.“’

Wenn der christliche Vater in der angegebenen
Weise seine Pflichten gewissenhaft erfüllt und die
Mutter treu in ihrem wichtigen Amte unterstützt, dann
darf er hoffen, daß die Sorgfalt, die sie auf die Er-
ziehung der Kinder verwenden, auch noch in unseren
Tagen, wo der Jugend doch so viele Gefahren von
mancher Seite drohen, mit dem schönsten und glück-
[195] lichsten Erfolge gekrönt wird, daß an ihrer Seite Kin-
der heranwachsen, welche ihre Freude, ihre Wonne
und ihr Trost im Leben und in der ernsten Todes-
stunde sein werden.

3.


Der christliche Mann wird sein Haus am besten
regieren, wenn er sich an den alten Spruch hält:
‘„ Steh früh auf; zu Gott blick' auf; die
Hand thu' auf
.“’
Eine wahrhaft goldene Hausregel,
deren Befolgung für die Familie den größten Nutzen
bringen muß.

‘„ Steh' früh auf.“’ Mit diesen Worten wird
auf die Arbeitsamkeit, auf die Treue und Gewissen-
haftigkeit hingewiesen, mit der man in der christlichen
Familie den Berufspflichten entsprechen soll. Wer gern
früh aufsteht, überwindet sich gern, arbeitet gern, ist
an freudige und geregelte Thätigkeit gewöhnt. Darum
sagt das Sprichwort: ‘„Morgenstund hat Gold im
Mund.“’
Wer dagegen am Morgen gerne lange schläft
und sich träger Ruhe überläßt, geht auch während des
Tages gewöhnlich jeder Selbstüberwindung und An-
strengung aus dem Wege, ist mit einem Worte ein
Müßiggänger.

Die Arbeitsamkeit nun hat eine hohe Bedeutung
für die Familie. Sie begründet zunächst einen gewissen
Wohlstand in derselben, während Trägheit Noth und
Elend herbeiführt. ‘„Du Träger, wie lange willst
du schlafen? Wann willst du aufstehen vom Schlafe?
[196] Du wirst noch ein wenig schlafen, ein wenig schlum-
mern, ein wenig die Hände zusammenlegen, um zu
ruhen. Und unterdessen wird die Armuth zu dir kom-
men wie ein Reisiger und der Mangel wie ein be-
waffneter Mann.“’
(Sprüchw. 6, 9-12.) Wie viele
Familien gibt es, die in einem gewissen Wohlstand
leben könnten, nun aber täglich mit Noth und Elend
aller Art zu kämpfen haben, weil man in denselben
alle ernste Anstrengung flieht, weil Trägheit und
schlaffe Saumseligkeit hier zu Hause sind? Wie viele
Familien, die ehedem wohlhabend und angesehen waren
und einen großen Einfluß ausübten, sind von ihrer
Höhe und ihrem Glanze herabgesunken, weil träge
Nachkommen, welche die Arbeit für eine Schmach hiel-
ten, das Erbe tüchtiger und thätiger Vorfahren ange-
treten hatten?

Fleiß und Arbeitsamkeit bewirkt ferner Zufrieden-
heit in der Familie. Die reichste Quelle der Zufrie-
denheit ist nicht draußen zu suchen, nicht auf hohen
Bergen, die man besucht, um auf ihnen eine ent-
zückende Fernsicht zu genießen, nicht in herrlichen Wäl-
dern, die uns mächtig ansprechen durch ihre Schönheit
und das rege Leben der Vögel und Insecten, das wir in
ihnen bewundern, am wenigsten aber im Wirthshause,
in dem man sich bis in die späte Nacht der Ver-
gnügungssucht überläßt uns mit leichtsinnigen Freun-
den über nichtssagende oder gar böse und sündhafte
Dinge unterhält. Die Hauptquelle der Zufriedenheit
entspringt und fließt im Innern des Menschen, in dem
[197] süßen Bewußtsein ernster und treuer Pflichterfüllung.
Fraget euch doch einmal selbst, ihr christlichen Männer:
Wann waret ihr denn am glücklichsten und zufrieden-
sten? Nicht an jenem Abende, an welchem ihr euch in
aller Wahrheit sagen durftet, daß ihr in jeder Beziehung
wacker euere Schuldigkeit gethan und euere Kräfte für
das Wohl euerer Angehörigen geopfert? War es an
einem solchen Abend nicht so ruhig und friedevoll in
euerem Innern, wie am nächtlichen Sternenhimmel, von
dem friedlich die Millionen Sterne in das Dunkel der
Nacht hineinleuchten?

Die Arbeitsamkeit befördert endlich in der Familie
das christliche Tugendleben. Der arbeitsame
Mensch wird weniger versucht wie der träge; denn sein
Sinnen und Denken ist auf die Arbeit und andere
nützliche Dinge gerichtet; er lebt weniger in bösen Ge-
legenheiten; er hat keine Zeit und auch keine Lust,
schlechte Gesellschaften zu besuchen; denn seine Berufs-
arbeiten nehmen ihn ganz in Anspruch und bewahren
ihn vor manchen Gefahren. Der arbeitsame Mensch
ist, wenn er dennoch versucht wird, was ja keinem
Sterblichen ausbleibt, viel stärker und entschiedener
im Kampfe; denn er ist an Selbstüberwindung ge-
wohnt, sein Wille ist gekräftigt und gestählt. Darum
findet man in einer Familie, wo rege Thätigkeit
herrscht, wo fleißige Eltern an der Spitze des Hauses
stehen und fleißige Kinder in ihre Fußstapfen treten,
viel mehr Zucht, Ordnung und Tugend, als in einer
Familie, wo ein träger Vater und eine nachlässige
[198] Mutter leben und deren Kinder von Jugend an Scheu
vor ernster Arbeit haben. Ein solches Haus kann nur
eine Stätte der Unordnung und der Sünde sein.
Denn ‘„Müßiggang ist aller Laster Anfang.“’

Wasser, das in träger Ruhe stille steht, wird trübe,
unrein und faul; es verbreitet einen sehr unangenehmen
Geruch und sehr leicht sammeln sich in ihm ekel-
haftes Gewürm und allerlei häßliche Thiere, mögen
auch am Ufer üppiges Grün und schöne Blumen sich
finden. Ganz anders dagegen verhält es sich mit der
Quelle, die sich mühsam und doch munter mit lieb-
lichem Gemurmel ihren Weg sucht durch felsiges Ge-
stein und durch das Dickicht des Waldes und schnell
und eilig durch die Ebene stießt. Ihr Wasser ist silber-
hell und klar; es wird immer größer, indem es immer
neue Wasser aufnimmt, es erfrischt die Blumen der
Wiesen, fördert das Wachsthum des Getreides und
bringt überall Nutzen und Gedeihen. Da haben wir
ein ansprechendes Bild von dem reichen Segen der
Arbeitsamkeit.

Diesen Segen sucht der wahrhaft christliche Mann
seinem Hause zuzuwenden. Darum geht er Allen mit
dem schönsten Beispiele des Fleißes voran; die Arbeit
ist ihm eine Lust und Freude; vom frühen Morgen bis
zum späten Abend findet man ihn in Thätigkeit; nichts
versäumt er; nichts entgeht seiner Aufmerksamkeit;
Alles geschieht in Ordnung und mit Ueberlegung, aber
auch in christlicher guter Absicht; denn er heiligt seine
Arbeit durch die gute Meinung und macht sie so gleichsam
[199] zum Gebet und Gottesdienste. Ueber seine Lippen
kommt kein Fluchwort, sondern still und ruhig erträgt
er die Beschwerden des mühesamen Tagewerkes und
opfert sie dem lieben Gott auf. Und wie er selbst
freudig seine Arbeiten gewissenhaft erfüllt, so spornt er
zu gleichem Eifer auch seine Angehörigen an, seine
Gattin, daß sie mit Treue und Liebe ihre häuslichen
Arbeiten verrichtet, die Kinder, daß sie fleißig ihre
Aufgaben für Schule und christlichen Unterricht lernen
und außer der nothwendigen Erholungszeit nach ihren
Kräften zu Haus sich [nützlich] beschäftigen, die Dienst-
boten und andern Arbeiter, daß sie von dem, was
ihnen aufgetragen wird, nichts versäumen, sondern es
gut und pünktlich erfüllen. Das Alles sucht er zu
erreichen durch sein eigenes Beispiel und durch einen
gewissen milden Ernst, der wohl, wo es nothwendig
wird, mit ruhigem Nachdruck und mit Festigkeit auf-
treten kann, aber nie in Härte und Tyrannei ausartet.
‘„ Zu Gott blick' auf.“’ Mit diesen Worten
ist auf die Gottesfurcht, auf die Religiosität der
Familie hingewiesen. Sie ist der größte Schatz und
der schönste Schmuck eines christlichen Hauses. Wie
der eigentliche Werth und die wahre Schönheit des
Menschen nicht im Aeußern, nicht in der Hautfarbe,
nicht in körperlicher Wohlgestalt, nicht in kostbaren
Kleidern und dergleichen Dingen besteht, sondern in der
inneren Harmonie, in den guten Eigenschaften des
Herzens und dem Gnadenleben der Seele, so ist es ähn-
lich auch mit einem christlichen Hause. Nicht die Größe
[200] und Höhe desselben, nicht seine Lage in der ersten
und schönsten Straße einer großen Stadt, nicht feine
Möbel, glänzende Spiegel und Bilder mit goldenen
Rahmen, sondern die Zufriedenheit, die im Innern
wohnt, die Tugend, die man da übt, die gesunde
und echte Frömmigkeit und Religiosität, die dort herrscht,
sie bilden den wahren Reichthum und Schmuck eines
christlichen Hauses und machen es wunderschön und
werthvoll in den Augen Gottes und weiser Menschen,
die nicht Alles nach dem Staube schätzen und beur-
theilen. Mag ein solches Haus auch klein und niedrig
sein und nur für wenige Personen Platz haben, mag
es auch in einem weit entlegenen Thale stehen und
mögen seine Bewohner auch nie ein Dampfschiff oder
eine Eisenbahn gesehen haben, das kleine Häuschen ist
doch schöner, reicher und glücklicher, als mancher glän-
zende Palast, in dem keine Gottesfurcht herrscht.

In einem wahrhaft religiösen Hause liebt man
Gott; nichts aber veredelt und beglückt das Menschen-
herz so sehr wie die Liebe zu Gott. Weil man Gott
nicht beleidigen will, meidet man dort mit Sorgfalt
die Sünde, die ja so viele Familien in Unordnung
bringt und unglücklich macht. In einem solchen Hause
wohnt beglückende Liebe und Einigkeit; denn die Herzen
sind in Gott mit einander geeinigt und man liebt sich,
weil man sich gegenseitig achtet und hochschätzt. Dort
kennen die Eltern keine größere Sorge und keine wich-
tigere Angelegenheit, als ihre Kinder von frühester
Jugend an, fromm und tugendhaft zu erziehen, und
[201] die Kinder ihrerseits blicken mit treuester Liebe und
Ehrfurcht zu den Eltern auf als den Stellvertretern
Gottes und ihren größten irdischen Wohlthätern und
bringen ihnen willigen und pünktlichen Gehorsam ent-
gegen. Dort wird durch die Religion die Freude ver-
edelt und versüßt, das Kreuz und der Schmerz gemil-
dert und zu einer Quelle reicher Verdienste für den
Himmel und das ernste Sterbebett verklärt durch das
Licht der Ewigkeit.

Diesen werthvollen Schatz der Religiosität sucht der
christliche Mann seiner Familie um jeden Preis zu er-
halten. Er weiß, daß er als Hausherr nach Gottes
Absicht gleichsam der Hohepriester in seinem Hause ist
und daß ihm darum die strenge Pflicht obliegt, die
Interessen Jesu und seiner Kirche in demselben zu
vertreten. Er selbst leuchtet darum Allen voran durch
treue Erfüllung seiner religiösen Pflichten; er betet
regelmäßig, besucht gewissenhaft an Sonn- und Fest-
tagen die heilige Messe und Predigt und empfängt oft
und gut die heiligen Sakramente. Aber er sieht auch
darauf, daß all' seine Angehörigen ihren diesbezüglichen
Pflichten fleißig nachkommen und bemerkt er hierin
bei Jemand Nachlässigkeit, so wird dieselbe von ihm
gerügt und der Säumige mit Ernst zu größerem Eifer
aufgefordert. Er hält viel darauf, daß in seiner
Familie das gemeinsame Gebet in Uebung bleibt und
er selbst nimmt, wenn es ihm nur möglich ist, an
demselben theil; ebenso sieht er es gern, daß ein
oder das andere Familienglied auch am Werktage der
[202] heiligen Messe beiwohnt, wenn es die Arbeiten und
Geschäfte erlauben; denn er ist der festen Ueberzeugung,
daß dies kein Nachtheil für sein Hauswesen sei, son-
dern demselben den Segen Gottes bringe. Mit heiliger
Strenge wehrt er jeder sittlichen Gefahr in seinem
Hause; er duldet keine Dienstboten, Gesellen und Ar-
beiter, die ein böses Beispiel geben und durch ihre
Reden, ihre Grundsätze und ihr Betragen auf den
guten christlichen Geist seiner Familie nachtheilig ein-
wirken könnten. Darum ist er wachsam und schreitet
mit Entschiedenheit ein, wo es noththut. O wären
doch all' unsere Männer und Väter solche Hausherren,
wie gut wäre es dann bald überall mit den Familien
bestellt, wie würden Tugend und christliche Sitten in
denselben herrlich aufblühen zum Heile der Menschheit!

Als der große deutsche Kaiser Rudolph von Habs-
burg, dessen Regierung für unser Vaterland eine lange
Zeit des Friedens und Glückes brachte, gekrönt werden
sollte, war kein Scepter zugegen. Doch der Kaiser kam
deshalb nicht in Verlegenheit; er nahm das Kruzifix,
welches auf dem Tische stand, und sprach begeistert:
‘„Das soll mein Scepter sein.“’ So stand er da, der
fromme, muthige und herrliche Kaiser, die funkelnde
Krone auf dem Haupte, das Kreuz in der starken Hand.
Und er, der gläubig und andächtig zum Kreuze auf-
schaute und seine Völker nach der Lehre des Gekreu-
zigten lenkte, hat gut, überaus segensreich unser Deutsch-
land regiert. Mit ähnlichem Segen wird auch jeder
Familienvater sein Haus regieren, der das Kreuz zu
[203] seinem Panier erwählt und durch Wort, That und
Beispiel die Seinigen zur Treue gegen Jesus Christus
anleitet. Tugend, Friede und Glück werden unter der
Leitung und Führung eines solchen Hausherrn aufblühen.

‘„ Die Hand thu' auf.“’ Mit diesen Worten
wird der Familie die christliche Wohlthätigkeit empfohlen.
Eine kluge und geregelte Wohlthätigkeit bringt dem
zeitlichen Wohlstand durchaus keinen Nachtheil. Ein
Landmann geht im Frühjahr über seinen Acker hin
und wirft mit voller Hand verschwenderisch Getreide
um sich. Da tritt ein Wanderer an ihn heran und
spricht: ‘„Willst du denn durchaus verarmen? Wozu
denn diese leichtsinnige Verschleuderung deiner vielen
Fruchtkörner? Nimm sie doch und trage sie in die
Mühle, damit du dir kräftiges Brod aus denselben be-
reiten kannst.“’
Aber der Landmann sieht den Sprecher
erstaunt an und erwiedert: ‘„Schweige, du unwissender
Mensch, und sei nicht gar zu besorgt um mich. Von
jedem Samenkorne, das ich jetzt ausstreue, hoffe ich
eine dreißig–, vierzig–, ja fünfzigfältige Frucht zu
ernten. Schon sehe ich im Geiste die blühenden Halme,
die herrlich wogende Saat, die reichen, vollen Garben,
die ich freudig in meine Scheune fahren werde.“’

Aehnlich ist es auch mit dem Almosen, das Jemand
nach seinen Vermögensverhältnissen aus Liebe zu
Gott dem darbenden Mitmenschen reicht. Es bringt
dem Wohlthäter und seiner Familie den Segen Gottes.
‘„ Wer dem Armen gibt, dem wird nichts
mangeln; wer aber von einem Bittenden
[204] sich wegwendet, der wird Mangel leiden
.“’

(Sprüchw. 28, 27.) Und der heil. Franz von Sales
sagt: ‘„Schon in diesem Leben wird man durch Almosen
einen großen Nutzen erhalten theils an Gütern, theils
an Gesundheit, theils an andern Dingen.“’

Der wahrhaft christliche Familienvater glaubt an
die Verheißung des Segens, die Gott der Barmherzig-
keit gegeben, und weiß, daß diese Tugend dem gött-
lichen Heilande besonders angenehm ist, und er darum
dem Wohlthätigen seine Huld und ein gnädiges Ge-
richt versprochen hat. Deshalb sieht er darauf, daß
diese schöne, echt christliche Tugend in seinem Hause
fleißig geübt wird. Sonst ist er sparsam, hütet sich
sorgfältig vor nutzlosen und verschwenderischen Aus-
gaben, aber wo es gilt, einen armen und verlassenen
Kranken zu unterstützen, einem dürftigen Waisenkinde
zu einer gediegenen Erziehung zu verhelfen oder zu
einem nützlichen Zwecke eine Unterstützung zu bieten,
da hat er ein mitleidiges Herz und eine offene Hand
und reicht gern seine Gabe, um fremdem Elend zu
steuern. Seine Gattin kennt diesen seinen christlichen
Sinn, freut sich darüber und steht ihm nicht nach im
Wohlwollen gegen Arme und Nothleidende. So freut
sich denn Gott im Himmel über die Mitglieder einer
solchen Familie, in der man seine freigebige Güte
nachzuahmen sucht, und bei Allen, mit denen sie zu-
sammenkommen, finden sie Liebe und Vertrauen; denn
das ist ja dem Wohlwollen eigen, daß es sich die
Herzen erobert.

[205]

‘„Steh' früh auf; zu Gott blick' auf; die Hand
thu' auf.“’
Das sind in der That drei goldene Regeln
für das christliche Familienleben. Befolgt der Mann
dieselbe gewissenhaft mit seinen Angehörigen, so werden
sie für sein Haus drei mächtige Pfeiler, die dasselbe
stützen und aufrecht halten selbst in brausenden Stürmen.

IX.
Der Mann und die Unmäßigkeit.


Das Meer wird zuweilen vom Sturme in große
Aufregung und Unruhe gebracht. Hoch, sehr hoch gehen
dann seine Wogen; das Schiff, das nach einem fernen
Lande hinsteuert, wird hin und her geworfen, als wäre
es nur ein leichtes Brett. Jetzt wird es von einer
Welle in die Höhe gehoben, um in wenigen Augen-
blicken von einer andern in die Tiefe gestürzt zu
werden. Oft schon hat das Meer in diesem aufgeregten
und empörten Zustande große Schiffe zu Grunde ge-
richtet, hat die Passagiere und all' die Schätze, welche
sie mit sich führten, in seine Tiefe begraben. Manchen
Vater, der drei oder vier unversorgte Kinder hinter-
ließ, oder manchen Sohn, der in kindlicher Liebe für
seine betagten Eltern noch viele Jahre fleißig arbeiten
und sorgen wollte, hat es um das Leben gebracht und
so großen Kummer und schweres Unglück in viele
Familien hineingetragen. Doch wie schrecklich auch das
[206] Meer, vom Sturme gepeitscht wüthen und toben, wie
viele und große Opfer es auch in solchem Zustande
verlangen und wie trauriges Unheil es bereiten mag,
viel größer, ja unvergleichlich größer ist das Verderben,
das andere Flüssigkeiten verursachen, Flüssigkeiten, die
nicht vom Sturme hin und her getrieben werden, son-
dern die ruhig und schön im Glase perlen, Flüssig-
keiten, die nicht im Stande sind, Schiffe zu tragen,
sondern in kleinen Quantitäten auf den Tischen der
Menschen stehen. Das sind die geistigen Getränke, der
Wein, das Bier und vor allem der Branntwein. Die
Unmäßigkeit im Genusse der geistigen Getränke hat
sicher schon viel größeres Unheil angerichtet, als das
große, unermeßliche Meer, mochte es im Sturme auch
noch so sehr wüthen.

Zum Lobe des weiblichen Geschlechtes kann man
wohl sagen, daß bei ihm diese Unmäßigkeit fast gar
nicht vorkommt; es gibt ja Ausnahmen, die dann auch
um so trauriger sind. Doch im Allgemeinen ist das
weibliche Geschlecht mäßig und hat einen großen Ab-
scheu vor der Trunksucht, das männliche dagegen ist
es, welches sich gewöhnlich diesem Laster ergibt. Darum
lohnt es sich wohl der Mühe, jetzt über diesen Gegen-
stand eine Erwägung anzustellen, um so mehr, da
leider in unseren Tagen die Unmäßigkeit im Trinken
bei der Männerwelt immer mehr zunimmt.

1.

[207]

Christliche Männer, ihr seid Menschen;
durch die Unmäßigkeit im Trinken aber
entehrt ihr euere menschliche Würde
. Es
ist wahr, der Mensch ist gefallen; er steht nicht mehr
auf der Höhe, auf welcher er einst gestanden. Seine
Erkenntniß ist verdunkelt und leicht dem Irrthum zu-
gänglich, sein Wille zum Bösen geneigt von frühester
Jugend an. Und doch ist er auch jetzt noch der König
der sichtbaren Schöpfung, die erhabenste Kreatur auf
unserer Erde. Sein Verstand kann eindringen in die
Tiefen der Wissenschaft, kann die Bahnen der Himmels-
körper berechnen, der Natur ihre Geheimnisse, ihre ver-
borgenen Gesetze ablauschen, kann sich große Kenntnisse
und Fertigkeiten aneignen und mit diesen dann
Staunenswerthes zu Stande bringen. Er gibt dem
Blitze seine Bahn an, beherrscht das ungestüme Meer
und benützt die Dampfkraft, um mit größter Schnellig-
keit durch die Länder hinzufahren. Wie sein Verstand,
so ist auch sein freier Wille noch immer eine herrliche
Gabe, mit der er Großes und Tüchtiges wirken kann.
Wenn auch die meisten Menschen nicht die Fähigkeit und
Gelegenheit besitzen, Thaten zu verrichten, die allgemeine
Bewunderung hervorrufen, so ist es doch auch etwas
sehr Großes und Schönes, wenn der gewöhnliche Mann
jeden Tag mit frischer Kraft und Unverdrossenheit an
die Erfüllung seiner Berufsarbeiten geht, wenn er un-
gekannt und unbeachtet auf seinem bescheidenen Posten
[208] treu seine Pflicht thut und das Gute nach Kräften
fördert. Ja der Mensch ist der König der sichtbaren
Schöpfung. Schön und wahr sagt von ihm der fürst-
liche Sänger und Prophet David: ‘„ Du hast ihn,
o Herr, nur wenig unter die Engel ernie-
drigt, mit Herrlichkeit und Ehre ihn ge-
krönt und ihn gesetzt über die Werke deiner
Hände. Alles hast du seinen Füßen unter-
worfen, Schafe und Rinder allzumal, dazu
auch die Thiere des Feldes, die Vögel des
Himmels und die Fische des Meeres, welche
die Wege des Meeres wandeln
.“’
(Ps. 8, 6-9.)

Diese hohe menschliche Würde nun wird durch die
Trunksucht tief erniedrigt. Da hat ein Mann stunden-
lang im Wirthshause gesessen und, wie man sich aus-
zudrücken pflegt, zu tief in's Glas geschaut. Endlich
erhebt er sich, sucht die Thüre und tritt unsicher auf
die Straße hinaus. Betrachtet ihn, wie er dahin wankt,
jetzt nach rechts, dann nach links. Gott hat diesem
Manne Vernunft und Verstand gegeben, damit er
denken und überlegen könne. Doch jetzt ist derselbe nicht
im Stande, einen einzigen vernünftigen Gedanken zu
fassen; Alles geht ihm wirr und bunt im Kopfe herum,
fast noch schlimmer wie bei einem Wahnsinnigen. Der
Schöpfer hat ihm die Sprache verliehen, eine herrliche
Gabe, die den Menschen vor den Thieren so sehr aus-
zeichnet; doch die stotternde Zunge des Betrunkenen
kann nur unarticulirte Laute hervorbringen, oder spricht
thörichte Worte wie ein verstandloser Knabe, oder schreit
[209] und brüllt wie ein unvernünftiges Thier. Er hat ein
Herz vom Schöpfer erhalten, das Gott lieben und warm
und begeistert für das Gute und Edle schlagen soll;
doch dazu ist es jetzt durchaus nicht mehr fähig, nur
das Niedrige und Gemeine, nur das Wüste und grob
Sinnliche kann noch seine rohen Gefühle aufrütteln und
selbst dieser wird er sich jetzt kaum mehr bewußt. Ist
dieser Mann, der kein vernünftiges Wort mehr reden
kann, der nicht weiß, was er denkt und will, der nicht
mehr Herr über seine eigenen Füße ist, und unsicher
hin und her wankt, nicht ein wahrer Hohn auf die
Menschheit? Hat er nicht das königliche Diadem seiner
menschlichen Würde verächtlich in den Staub getreten?
Und doch – man muß es Gott laut und mit Schmerz
klagen – gibt es viele Männer und Jünglinge, die
sich oft, vielleicht jede Woche, durch ihre Trunkenheit
so tief erniedrigen.

2.


Ihr, christliche Männer, seid ferner
Kinder Gottes; die Unmäßigkeit im Trinken
aber geziemt sich sicher nicht für ein Kind
des unendlichen Gottes
. Gott hat euch in der
heiligen Taufe zu seinen Kindern angenommen, euerer
Seele ein höheres, übernatürliches, ja in gewissem Sinne
göttliches Leben geschenkt. Als Vater liebt er euch un-
endlich mehr, inniger und stärker, als der beste irdische
Vater seinen einzigen Sohn lieben kann; er will euch
nach euerem Tode ein viel schöneres und reicheres Erbe
[210] im Himmel schenken, als der reichste Millionär hienieden
seinem einzigen Kinde hinterlassen kann. Welch' eine
Ehre, welch' ein Glück, das Kind eines so erhabenen
und vollkommenen, eines so guten und liebenswürdigen,
eines so reichen und mächtigen Vaters zu sein! Ja,
Männer, vergesset es nie, daß ihr Kinder, Söhne des
himmlischen Vaters seid, und daß euere liebe Mutter mit
Recht euch schon in den ersten Lebensjahren die kleinen
Händchen gefaltet und zu Gott beten gelehrt hat:
‘„Vater unser, der du bist in dem Himmel.“’

Ein Kind nun darf dem Vater keine Unehre machen
durch ein unwürdiges Verhalten; es soll vielmehr sich
so betragen, wie es dem Range und der Würde des
Vaters entspricht. Darum darf sich der Sohn eines
Fürsten nicht wie ein gemeiner Bettler oder Landstreicher
herumtreiben. Die Geschichte erzählt von einem Polen-
könige Boleslaus, er habe das Bild seines Vaters auf
der Brust getragen, und dasselbe, so oft er ein wich-
tiges Geschäft unternommen, liebend angeschaut und die
Worte gesprochen: ‘„Fern sei es von mir, daß ich etwas
thue, was deiner unwürdig wäre.“’
Aehnlich sollen auch
wir Gott, unserem himmlischen Vater gegenüber gesinnt
sein. Wie sehr verfehlt sich dagegen nun ein Mann,
der sich der Unmäßigkeit ergibt? Ist es für ein Kind
des unendlichen Gottes nicht höchst ungeziemend, sich
in einen Zustand zu versetzen, in dem es nicht mehr
vernünftig denken kann, nicht mehr Herr ist über seine
Zunge und seine Füße und zum Gegenstand des Spottes
wird für die muthwillige Straßenjugend?

[211]

Ein Kind soll seinem Vater Freude bereiten. Die
Freude des Vaters macht das Glück des guten Kindes
aus. Um den Vater zu erfreuen, sucht es vor Allem
seinen Willen treu und gewissenhaft zu erfüllen. Be-
fiehlt er ihm etwas, so vollzieht es den Befehl in der
pünktlichsten Weise; verbietet er ihm etwas, so fügt es
sich wiederum gern und unterläßt die Sache. Ja es
geht noch weiter; nicht bloß der ausgesprochene Wille
des Vaters ist ihm heilig und theuer, sondern auch
seine Wünsche, die er nur andeutend zu erkennen gibt.
Diese zu verwirklichen, bereitet dem guten Kinde gerade
die größte Freude. Sollten wir nicht auch unserm
besten, liebevollsten Vater, nämlich unserem Gott im
Himmel gegenüber so gesinnt sein? Sollten wir nicht
unser größtes Glück darein setzen, seinen heiligen Willen,
seine Gebote gewissenhaft zu erfüllen und ihm so als
gute Kinder große Freude zu bereiten? Nichts ist
billiger und angemessener als dies.

Nun denket wieder an den unmäßigen und trunk-
süchtigen Mann. Kein Gebot seines himmlischen Vaters
ist ihm heilig und eine Schranke für seine unersättliche
Neigung; zunächst sicher nicht das erste Gebot. Denn
an der Anbetung Gottes, am Gebete hat er keine Freude,
unterläßt es unzähligemal und wenn er betet, dann ist
es gewöhnlich nur ein leeres und gedankenloses Lippen-
gebet. Ebensowenig ist ihm das zweite und dritte Ge-
bot heilig. Es ist ja alltägliche Erfahrung, daß solche
unmäßige Männer über Alles lästern, was dem Men-
schen theuer und ehrwürdig sein soll; die schrecklichsten
[212] Flüche und Gotteslästerungen kommen über ihre ent-
weihte und gottlose Zunge; bei jeder Gelegenheit ver-
heißen sie sich und schwören falsch und unnöthiger Weise.
Und sind es nicht besonders die unmäßigen und trunk-
süchtigen Männer, die den Sonntag, den Tag des
Herrn, entehren und schänden? Am Sonntage vor
Allem sollten sie Gott den Tribut ihrer Liebe und An-
betung darbringen, und an keinem Tage der Woche
lästern und beleidigen sie ihn so sehr wie an diesem.
Am Sonntage wenigstens sollten sie ihrer unsterblichen
Seele sich erbarmen und sich wieder in dem Vorsatze
erneuern, für ihr ewiges Heil eifrig Sorge zu tragen,
und gerade an diesem Tage arbeiten und verstricken sie
ihre arme Seele immer mehr in Sünde und sittliches
Elend hinein. Der hehre, heilige Sonntag, der für
uns und die ganze Gesellschaft ein reicher Segen und
eine große Wohlthat ist, wird für diese Männer zum
Fluche und Verderben, ein Tag der Sünde und des
Satans, nicht ein Tag des Herrn und seiner Liebe. –
Wie das dritte, so ist dem Trunksüchtigen auch das
vierte Gebot nicht heilig. Kann ein Kind den Eltern
mehr Kummer und Verdruß machen, kann es dieselben
undankbarer und roher behandeln, als dies gewöhnlich
ein trunksüchtiger Sohn thut? Ist es nicht schon oft
vorgekommen, daß ein solcher an die eigenen Eltern die
Hand angelegt, daß er den eigenen Vater oder die
eigene Mutter blutig geschlagen hat? Das Laster der
Trunksucht ertödtet mit der Zeit alle edlen kindlichen
Gefühle in dem Herzen des Sohnes. So könnte man
[213] alle zehn Gebote Gottes durchgehen und zeigen, wie
der Unmäßige gewöhnlich mit allen auf feindlichem
Fuß steht; man könnte insbesondere auch zeigen, wie
derselbe gar leicht das sechste Gebot übertritt und der
Unkeuschheit anheimfällt, gemäß dem Worte der heiligen
Schrift: ‘„ Berauschet euch nicht mit Wein (mit
geistigen Getränken); denn darin liegt Unkeusch-
heit
“’
Ephes. 5, 13.) Doch das Alles würde uns
zu weit führen; aber die eine Frage müssen wir noch
stellen: Wenn der Trunksüchtige durch seine Leidenschaft
dazu gebracht wird, daß er fast alle Gebote Gottes ver-
achtet und mit Füßen tritt, darf er dann sich noch als
ein treues, gutes Kind dieses Gottes betrachten? muß
er nicht vielmehr sich selbst sagen: Ich bin ein un-
gerathener und schlechter Sohn des liebevollsten und
liebenswürdigsten Vaters; wenn ich sterbe, habe ich ein
strenges Gericht von ihm zu fürchten.

3.


Christliche Männer, ihr seid Mitglieder
der katholischen Kirche; euere Unmäßigkeit
bereitet derselben nur Unehre und Schande
.
Ihr gehört dem großen Reiche Gottes an, das über die
ganze Erde verbreitet ist, der heiligen Kirche, die der
menschlichen Gesellschaft so viele und hohe Güter ver-
mittelt hat, der wir den größten Theil unserer Bildung
und Civilisation zu danken haben. Daß ihr derselben
angehört, ist für euch selbst das größte Glück. Denn
die heilige Kirche hat euch durch das Sakrament der
[214] Taufe das höhere, übernatürliche Leben geschenkt, ohne
welches der Mensch nicht die ewige Seligkeit erlangen
kann. Durch ihre Lehren und Wahrheiten gibt sie euch
Licht, daß ihr den rechten Weg zum letzten Ziele er-
kennet, Licht, daß ihr euch nicht in die Irre führen
lasset durch Lüge, falsche Grundsätze und täuschende
Trugschlüsse. Durch ihre Gnadenmittel gibt sie euch
Kraft, daß ihr nicht wanket in den Stürmen des Lebens,
daß ihr nicht unterlieget in den Versuchungen, die an euch
herantreten, daß ihr schnell und kräftig wieder aufstehet,
wenn ihr gefallen seid und euern Gott beleidigt habet.
Die Kirche ist euere sichere und zuverlässige Lehrerin,
euere treueste Führerin, euere liebevollste Mutter in
allen Lagen eueres Lebens. Und geht es mit diesem
irdischen Leben zu Ende, lieget ihr schwach und krank
dem Tode nahe auf dem Sterbebette, in diesem ernsten
Augenblicke, wo kein Mensch uns helfen kann, zeigt sich
im schönsten Lichte die Liebe unserer besorgten Mutter,
der heiligen Kirche. Noch einmal erhebt sie ihre Hände,
um uns loszusprechen von allen Sünden; noch einmal
nährt und erquickt sie unsere Seele mit dem Brode der
Engel, und dann stärkt sie uns für den entscheidenden
Kampf durch das Sakrament der heiligen Oelung.
Ja, die Kirche liebt uns unaussprechlich und ist be-
ständig für unser wahres und ewiges Wohl besorgt, sie
ist nach Gott unsere größte Wohlthäterin hier auf Erden.

Die Liebe der Kirche verlangt unsere Gegenliebe,
ihre Wohlthaten unsere Dankbarkeit. Darum soll der
christliche Mann ihr mit vorzüglicher Treue ergeben sein,
[215] soll sich bemühen, durch Wort und That, vor Allem
aber durch ein tugendhaftes Leben ihr Freude und Trost
zu bereiten und ihre Ehre und ihr Ansehen in wirk-
samster Weise zu befördern, ‘„Halte deine Mutter
in Ehren alle Tage deines Lebens
“’
(Tob.
4, 3.) Diese Worte der heiligen Schrift gelten auch
in Bezug auf unsere geistige Mutter, die heilige Kirche.
Ja, christliche Männer, ehret, achtet und liebet diese
euere Mutter alle Tage eueres Lebens, besonders aber
in Tagen, wo dieselbe den Hohn der Gottlosen und
große Bedrängniß zu erdulden hat. Da müßt ihr mit
Begeisterung für ihre Ehre eintreten, vor Allem aber
durch ein wahrhaft christliches Leben und darum in
euerem Betragen Alles vermeiden, was ihr irgendwie
zur Schande gereichen könnte.

Ein unmäßiger katholischer Mann aber, der sich oft
durch seine Trunkenheit für eine Zeit lang des Lichtes
seiner Vernunft beraubt und sich selbst unter die ver-
nunftlosen Geschöpfe erniedrigt, häuft er nicht Unehre
und Schande auf seine Kirche? Trägt er seinerseits
nicht wesentlich dazu bei, daß sie an Achtung und An-
sehen bei den Andersgläubigen verliert, daß ihre Lehren,
Gnadenmittel, frommen Gebräuche und Gewohnheiten
von denselben gering geschätzt werden? Mag ein sol-
cher Katholik auch zuweilen in feuriger Rede und mit
begeisterten Worten seine Kirche vertheidigen, sein Leben
dient doch nur dazu, ihr Ansehen zu untergraben.
Allerdings trifft die Kirche hier gar keine Schuld; sie
verdammt ja die Leidenschaft, sie warnt vor derselben
[216] und bietet ihre Schutzmittel an. Wollten unsere Männer
auf die Stimme der Kirche hören, dann gäbe es
keine Trunkenbolde unter uns, dann hätten wir nicht
zu klagen über den zu frühen, zu häufigen und zu
langen Wirthshausbesuch in unserer Zeit. Doch die
Welt ist nun einmal ungerecht in ihrem Urtheil über
die Kirche und zieht deshalb gar zu gerne aus dem
Leben einzelner Katholiken ihre lieblosen und falschen
Schlüsse gegen die Kirche selbst. Darum sollten nun
unsere katholischen Männer um so mehr darauf bedacht
sein, aus ihrem Leben Alles fern zu halten, was den
Tadel der Gegner herausfordern könnte; sie sollten um
so mehr sich bemühen, ein arbeitsames, mäßiges, nüch-
ternes und wahrhaft christliches Leben zu führen. Dann
wären sie die beste Apologie, die wirksamste Ver-
theidigung unserer theuern Kirche; ihre Ehre und ihre
segensreiche Macht würde im schönsten Glanze erscheinen
und ihren Lästerern wäre der Mund geschlossen. ‘„Haltet
euere Mutter in Ehren alle Tage eueres Lebens.“’

4.


Christliche Männer, ihr seid Unter-
thanen, Bürger eines bestimmten Staates
;
Unmäßigkeit und Trunksucht aber tragen
nur dazu bei, das Wohl desselben zu unter-
graben
. Auch dem Staate haben wir Vieles zu ver-
danken. Daß wir in Ruhe und Sicherheit leben, daß
nicht Jedermann unser Eigenthum und unsere Rechte
angreift und verletzt, daß nicht ohne weiteres ein Nach-
[217] barvolk unsere gesegneten Ebenen und Fluren mit Krieg
überzieht und in den herrlichen Gauen unseres Vater-
landes schreckliche Verheerungen anrichtet, daß Handel
und Wissenschaft bei uns in Blüthe stehen, das Alles
und noch manches Andere haben wir zum großen Theile
einem geordneten Staatswesen zu danken. ‘„Wo kein
Regent ist, da geht ein Volk unter.“’
(Sprüchw. 11, 14.)
Täglich genießt ein Jeder von uns die Wohlthaten des
Staates. Das legt uns aber auch Pflichten gegen den-
selben auf. Wir alle mit einander sollen das Wohl
des Staates fördern helfen und müssen darum auch der
Trunksucht bei uns und bei Andern entgegenarbeiten,
weil dieselbe das Wohl des Staates untergräbt.

Das Wohl des Staates verlangt, daß wir unsere
Berufspflichten treu und gewissenhaft erfüllen und daß
man sich in der Jugend mit großem Fleiße auf
seinen Beruf vorbereitet. Ist es nun nicht gerade die
Unmäßigkeit im Trinken, die eine Unzahl von Männern
zur Untreue im Berufe, zur gänzlichen oder theilweisen
Vernachlässigung ihrer Standespflichten veranlaßt? Ist
es nicht die Unmäßigkeit, die so viele Jünglinge ab-
hält, sich sorgfältig auf ihren zukünftigen Beruf vorzu-
bereiten, sich die nothwendigen Kenntnisse und die ent-
sprechende Tüchtigkeit anzueignen, durch die sie später
sich um die Menschheit sehr verdient machen könnten?
Sie haben vielleicht herrliche Anlagen, große Fähigkeiten,
bringen es aber trotzdem zu nichts, weil sie schon früh
der Unmäßigkeit im Trinken sich ergaben. Nur an
Eines sei hier erinnert. Welch' ein großer Nachtheil
[218] für den Staat und die ganze Gesellschaft ist es, daß
auf den Universitäten viele unserer Studenten Jahre
lang dem unmäßigen Biergenuß fröhnen, statt mit Ernst
und Gewissenhaftigkeit sich den Studien zu widmen?

Das Wohl des Staates verlangt ferner von uns,
daß wir nach Kräften die Sittlichkeit, die guten christ-
lichen Sitten zu befördern suchen. Macht sich das Laster
überall breit, scheut die Sittenlosigkeit nicht mehr das
Tageslicht und die Oeffentlichkeit, so werden die gesell-
schaftlichen Verhältnisse bald morsch und faul. Mag
auch noch ein gewisser äußerer Glanz und Schliff ober-
flächliche Geister täuschen, das Ganze ist doch nur Fäul-
niß, nur Sumpf, dem vergiftender Pestgeruch entsteigt.
Wie man aber auf einen Sumpf kein festes Haus bauen
kann, so auch nicht auf Zucht- und Sittenlosigkeit das
Wohl des Staates. Ist es nun aber nicht wieder die
Unmäßigkeit, die der Sittenlosigkeit Thür und Thor
öffnet? Ist eine unmäßige, trunksüchtige Jugend
nicht gewöhnlich auch allen Ausschweifungen ergeben?
Sind es nicht unsere unmäßigen Männer, die durch
ihre schamlosen Reden, durch ihre sündhaften Freiheiten
und nur zu oft auch durch ihre unerlaubte Beziehung
zu anderen Personen die öffentliche Sittlichkeit zu
Grunde richten helfen?

Noch Eines bezüglich des Staatswohles sei kurz er-
wähnt. Wollen wir mitarbeiten zum Besten des
Staates, so muß uns auch der materielle Wohlstand
des Volkes am Herzen gelegen sein. Derselbe ist von
großer Wichtigkeit für die Zufriedenheit, die Ordnung
[219] und das äußere Glück eines Volkes, ja kann sogar
Vieles zur Erhaltung und Hebung seiner Sittlichkeit
beitragen. Die Unmäßigkeit im Trinken nun ist die
größte Feindin des Wohlstandes. Ein altes Sprich-
wort sagt schon: ‘„ Der tägliche Gläserklang ist
des Wohlstands Grabgesang
.“’
Die meisten
meiner Leser kennen wahrscheinlich Familien, die früher
wohlhabend und glücklich waren, durch die Trunksucht
des Mannes aber in Armuth und großes Elend ge-
sunken sind; sie kennen Familien, in denen ganz gut
ein gewisser Wohlstand herrschen könnte, wenn nicht
das Wirthshausleben einen großen Theil des wöchent-
lichen Arbeitslohnes verschlingen würde. Muß denn
nicht in eine Familie von drei oder vier Kindern Noth
und Armuth ihren Einzug halten, wenn der Vater, ein
Handwerker oder Taglöhner oder niederer Beamter, täg-
lich oder doch öfter in der Woche eine für seine Ver-
hältnisse ziemlich hohe Summe Geldes für geistige Ge-
tränke verausgabt? ‘„ Operarius ebriosus non locu-
pletabitur
. Ein trunksüchtiger Arbeiter ge-
langt nicht zu Wohlstand
.“’
(Jes. Sir. 19, 1.)
Ein berühmter Arzt, Dr. Baer, der die Menschen und
die Gesellschaft gründlich kennen gelernt hat, sagt: ‘„Die
Trunksucht ist ein Haupthinderniß für die Beseitigung
der bereits vorhandenen Armuth und eine der häufigsten
Ursachen für die Entstehung derselben.“’
Und es war ein
weises Wort, welches einst ein deutscher König, Friedrich
Wilhelm III. von Preußen, gesprochen: ‘„Ich würde es
für den größten Segen meiner Regierung halten, wenn
[220] während derselben die Branntweinsteuer auf Null herab-
sänke, wenn sie gar nichts mehr eintragen würde.“’

5.


Die meisten von euch, verehrte christliche
Männer, sind Familienväter. Diese wich-
tige Stellung, soll sie ganz und segens-
reich ausgefüllt werden, verträgt sich durch-
aus nicht mit der Unmäßigkeit
. Mancher
Unmäßige und Trunkenbold ist Gatte. Seine Gattin
hegte einst in früheren Jahren die frohe Hoffnung,
später an seiner Seite ein zufriedenes und glückliches
Leben zu führen; sie hat in dieser Hoffnung Vater und
Mutter verlassen; sie hat ihm ihre Jugend und Schön-
heit, ihr Herz und ihre Liebe, ihre Kräfte und Arbeiten,
ja man kann sagen, ihr ganzes Leben geschenkt. Er
hat ihr dafür versprochen, sie glücklich zu machen, für
sie zu sorgen wie für seinen eigenen Augapfel; er hat
in jugendlicher Begeisterung ihr ewige Treue geschworen
und zum Zeichen dieser Treue ihr einen goldenen Ring
gegeben; dann hat er endlich am Altare ihr seine Hand
zum Lebensbunde gereicht und sich feierlich vor Himmel
und Erde verpflichtet, sie als seine Lebensgefährtin
stets zu lieben und ihr ein treuer christlicher Gatte zu
sein. Doch was thut nur zu oft der unmäßige und
trunksüchtige Mann? All' diese feierlichen Versprechen
und Schwüre der Treue und Liebe bricht er; all' seine
Pflichten, die ihm Gott gegen seine Gattin auferlegt,
tritt er rücksichtslos mit Füßen. Die, welche er lieben
[221] sollte wie sein eigenes Leben, behandelt er hart und
roh wie ein Tyrann. Wer kann all' die herzlosen
Worte zählen, mit denen er sie beschimpft? Wer all'
die Seufzer, all' die bittern Klagen, all' die heißen
Thränen, die er ihr erpreßt? Wie viele Frauen solcher
Männer sind vor Kummer und Verdruß früh alt und
kränklich geworden und vor der Zeit in's Grab ge-
stiegen? Ja mancher trunksüchtige Mann ist der
Mörder seines Weibes geworden, wenn er sie auch
nicht erdrosselt oder mit dem Messer durchbohrt hat.
Aber auch selbst diese entsetzlichen Fälle sind schon im
Zustande der Trunkenheit vorgekommen.

Mancher Unmäßige und Trunkenbold ist Vater.
Drei, vier oder noch mehr Kinder mit frischen Wangen
und leuchtenden Augen tummeln sich munter und froh
in seinem Hause und Hofe herum. Er ist nach Gott
die Ursache ihres Lebens. Indem er aber die Ursache
ihres Daseins geworden, hat er auch große und ernste
Pflichten gegen sie übernommen. Er soll nach Kräften
dafür sorgen, daß sie gesund und stark werden, daß sie
in der Jugend etwas Tüchtiges lernen und so später als
gute, brauchbare Menschen sich im Leben bewähren.
Es soll vor Allem sein ernstes Bestreben sein, daß sie in
Unschuld und Tugend heranwachsen, daß sie, als eifrige
und gute Christen, auch die begründete Hoffnung
haben, dermaleinst in die ewigen Freuden des Himmels
einzugehen. Ist er wirklich ein treuer und guter Vater,
so wird er vor keiner Mühe und Anstrengung, vor
keiner Selbstüberwindung und keinem Opfer zurück-
[222] schrecken, wo es sich um das wahre Wohl des Kindes
handelt; er wird viel für dasselbe beten, wird es lehren
und unterweisen, wird über dasselbe wachen und es
mahnen, wird es zurechtweisen und strafen, wo es noth-
wendig ist, wird aber vor Allem aus seinem eigenen
Leben Alles fern halten, was dem Kinde ein böses
Beispiel geben und ihm die Achtung vor dem Vater
rauben könnte.

Doch was thun unmäßige und trunksüchtige Väter?
Ich will hier nicht daran erinnern, wie solche manch-
mal das Leben des Kindes schon im Keime vergiften
und verderben; denn nach dem Zeugnisse tüchtiger
Aerzte und der täglichen Erfahrung kommt es gar häufig
vor, daß die Kinder von Vätern, die der Trunksucht
ergeben sind, schwach und kränklich werden und oft
schon im frühen Alter sterben, oder daß dieselben an
Blödsinn leiden oder zur Geistesstörung und zum Wahn-
sinn hinneigen. Doch davon will ich schweigen. Wie
viele unmäßige Väter gibt es aber, die so pflicht-
vergessen und grausam sind, daß sie einen großen Theil
ihres Arbeitslohnes leichtsinnig im Wirthshause ver-
prassen und nicht für ihre armen Kinder Sorge tragen?
Wie viele unmäßige und herzlose Väter, deren Kinder
ohne hinreichende Nahrung und Kleidung aufwachsen,
kein gutes Handwerk oder tüchtiges Geschäft erlernen
können und darum später immer mit Noth und
Elend zu kämpfen haben, weil sie, die pflichtvergessenen
Väter, so viel Geld für sich und ihre durstige Zunge
verausgaben? Wie viele unmäßige Väter, die, statt
[223] ihren Kindern in Allem als gute Christen voranzu-
leuchten, ihnen Tag für Tag ein schlechtes Beispiel
geben, z. B. in ihrer Gegenwart fluchen, Gott lästern,
gegen Religion und Priester schimpfen? Ach, die
armen, armen Kinder, wie sehr sind sie zu bedauern!
Aber welche furchtbare Verantwortung ziehen solche
herzlose, solche unnatürliche und grausame Väter sich
zu für den ernsten Tag ihres Gerichtes!

Mancher Unmäßige und Trunkenbold ist der Vor-
steher, das Haupt einer Familie. Hier in seiner Familie
sollte und könnte er viel Gutes und Großes wirken. Er
sollte der treue Wächter, sollte ein zuverlässiger Führer
für Alle, sollte die Stütze, die Freude, ja der Stolz
des ganzen Hauses sein. Von seinem Leben und seiner
Thätigkeit sollte ein reicher Segen ausgehen für die
gesammte Familie. Doch nun ist er in der That der
Kummer und das Kreuz, die Schande und Last, das
Unheil und Verderben derselben. Ganz mit Recht sagt
die heilige Schrift: ‘„ Wer angenehm ist bei
Trinkgelagen, der läßt Schmach in seiner
Wohnung zurück
.“’
(Sprüchw. 12, 11.)

In der Familie könnte und sollte der Mann seine
schönsten und reinsten Freuden genießen. Ja, ihr christ-
lichen Männer, die Freuden, die eine gute Familie euch
bietet, sind reiner, erquickender und größer, als die Er-
holung und die Vergnügen, die ihr draußen genießet.
Die Liebe und Aufmerksamkeit, die eine treue Gattin
gegen euch an den Tag legt, die Erweise der Verehrung
und Anhänglichkeit, mit denen brave Kinder euch über-
[224] häufen, das zwanglose, liebevolle Geplauder mit denen,
die euerem Herzen am nächsten stehen, das Bewußtsein
durch euer Verweilen und euere Erholung in der
Familie den Angehörigen Freude zu bereiten, die
innige, friedliche Zusammengehörigkeit, die euch so eng
mit einander verbindet, sollte all' dies euch nicht hundert-
mal mehr beglücken, als das lange, schädliche und un-
natürliche Verweilen im Wirthshause, als die so häufig
wiederkehrende Unmäßigkeit im Trinken? Um all' diese
erlaubten, reinen und wahrhaft beglückenden Freuden
betrügen sich in unsern Tagen unzählig viele Männer,
die ihre Erholung nur außerhalb ihres eigenen Hauses
suchen. Für sich und ihre ganze Familie eröffnen sie
damit eine Quelle reicher Bitterkeit. Sie selbst kommen
nach und nach dahin, daß sie fast unfähig werden, reine
und wahre Freuden zu genießen. Möchte darum unsere
Männerwelt doch wieder mehr für die Familie leben
und dort mehr ihre Erholung zu genießen suchen.

6.


Zum Schlusse sei hier der Wichtigkeit der Sache
wegen noch ein Punkt eigens erwähnt, obgleich an einer
andern Stelle schon seiner hätte gedacht werden können.
Ihr christlichen Männer, seid berufen, der-
einst im Himmel ewig selig zu werden
;
durch Trunksucht aber setzt ihr euch der
größten Gefahr aus, diese ewige Seligkeit
zu verlieren
. Daß wir nach diesem kurzen, mühe-
[225] und sorgenvollen Leben in den Himmel kommen, das
ist doch die Hauptsache. Was kann es uns schließlich
nützen, daß wir uns große Reichthümer oder Ehren
erworben, daß wir ein paar Jahre hindurch manche
Freuden und Vergnügen genossen, wenn wir dann nach
dem Tode eingehen in eine unglückselige Ewigkeit. Nun
sagt aber der Weltapostel Paulus: ‘„ Täuschet euch
nicht, Trunkenbolde werden das Reich
Gottes nicht besitzen
.“’
(1 Kor. 6, 10.)

Daß der unmäßige, trunksüchtige Mann in großer
Gefahr lebt, ewig verloren zu gehen, begreifen wir,
wenn wir bedenken, daß derselbe, wie schon gezeigt wor-
den, gewöhnlich so viele Sünden begeht, daß er sich
sehr leicht fast gegen alle Gebote Gottes verfehlt. Wir
begreifen das, wenn wir bedenken, daß gerade die Trunk-
sucht mit der Zeit eine furchtbar große Macht auf den
menschlichen Willen ausübt und darum eine gründliche
und beharrliche Bekehrung sehr erschwert. Alle Sün-
der, selbst die Unkeuschen, bekehren sich eher und leich-
ter als der Trunksüchtige. Er hat wohl zuweilen Augen-
blicke, in denen er klar das Verderben seiner bösen
Gewohnheit erkennt; er sieht ein, daß er sich selbst und
seinen Angehörigen das Leben zur Last und Qual macht;
er weint bittere Thränen, verspricht ernstliche Besserung,
ja schwört, von jetzt an sicher seiner Leidenschaft zu ent-
sagen. Doch der Arme weiß in diesem Moment nichts
von seiner schmachvollen Sclaverei, in welcher er sich
befindet. Bald tritt die Leidenschaft mit ihrer gebie-
terischen Forderung wieder an ihn heran, und so kann
[226] man ihn, der heute unter Schwüren Besserung ver-
spricht, schon morgen wieder betrunken sehen.

Christliche Männer, die ihr dieser Leidenschaft schon
ergeben seid oder die ihr doch begonnen habet, euch der-
selben zu ergeben, bietet Alles auf, euch ihren starken
Fesseln zu entwinden. Schwer mag es wohl sein, doch
unmöglich nicht. Versprechet heute auf den Knieen
euerem Gott und Erlöser fest und entschieden, Herr über
diese Leidenschaft zu werden, koste es, was es wolle.
Achtet doch auf die bittende Stimme der Gattin und
der Kinder, denen ihr bis jetzt so viel Kummer und
Verdruß bereitet habet. Achtet doch auf die mahnende
und stehende Stimme eueres Heilandes, der für das
Heil euerer Seele so unaussprechlich Vieles gearbeitet
und gelitten, der am blutigen Stamme des Kreuzes
gerade euerer Trunksucht wegen den brennendsten
Durst erduldet hat. Nehmet euere Zuflucht zum Ge-
bete, empfanget oft und gut die heiligen Sakramente,
vor Allem aber meidet jede Gelegenheit, in
euere Sünden zurückzufallen, und mit der Gnade Gottes
wird es euch dann schon möglich, die harten und
drückenden Fesseln euerer Leidenschaft zu brechen und
wieder mäßige und nüchterne Männer zu werden.

Ihr aber, die ihr noch nicht der sündhaften Ge-
wohnheit des unmäßigen Trinkens ergeben seid, fasset
den festen, unwiderruflichen Vorsatz, auch in Zukunft
vorsichtig zu wandeln und darum nicht zu oft und zu
lange das Wirthshaus zu besuchen. Der zu starke
Wirthshausbesuch von Seiten der Männerwelt ist ein
[227] großes Unheil und Verderben für unsere Zeit. Daß
ein Mann, wenn er in der ganzen Woche fleißig ge-
arbeitet, am Sonntage sich für eine Stunde in guter
Gesellschaft bei einem Glase Bier oder Wein eine Er-
holung gestattet, dagegen hat wohl Niemand etwas ein-
zuwenden. Aber wenn so Viele jeden Abend oder doch
mehrmal in der Woche stundenlang mit leichtsinnigen
Kameraden im Wirthshause zusammen sitzen und trinken,
so kann dies nur Böses mit sich führen. Unsere Männer
und Jünglinge fallen dadurch der Vergnügungssucht
und dem Leichtsinne anheim; ihr Charakter, ihr reli-
giöser Sinn und ihre Berufsfreudigkeit werden mit der
Zeit sehr geschädigt; die Familien erleiden große Ein-
buße an innerer Zusammengehörigkeit, Liebe, Friede
und Wohlstand. Darum, christliche Männer, erkennet
euere Pflicht und euer Heil, lernet euch wieder beherrschen
und einschränken, lernet wieder euere Freude und Er-
holung im Kreise euerer Angehörigen in der eigenen
Familie genießen. Dann wird sie erquickend für Leib
und Seele, nützlich für Zeit und Ewigkeit.

X.
Der Mann und das Geld.

[228]

‘„Geld regiert die Welt.“’ Ein anderes Sprich-
wort sagt:

‘„Das Geld, was stumm ist,’
‘Macht g'rad, was krumm ist,’
‘Und klug, was dumm ist.“’

Ja das Geld spielt eine große und wichtige Rolle
in der menschlichen Gesellschaft; es hängt so eng zu-
sammen mit manchen Erscheinungen auf dem religiösen
und sittlichen Gebiete und übt bei Vielen einen so be-
deutenden Einfluß auf ihre unsterbliche Seele, daß auch
ein Ordensmann, der so glücklich ist, für seine eigene
Person keinen einzigen Pfennig erwerben und besitzen
zu dürfen, doch zu seinen Zuhörern und Lesern von
der Bedeutung und dem Gebrauche des Geldes sprechen
soll. Der Werth des Geldes wird von Vielen über-
schätzt, aber auch von Manchen unterschätzt. Das sei
der Gegenstand, den wir in diesem letzten Kapitel mit
einander erwägen.

1.


Viele Männer überschätzen den Werth
des Geldes
. Das Geld ist ihnen Alles: es ist ihr
erster Gedanke am Morgen und ihr letzter am Abend;
es schwebt ihnen vor in ihren Träumen während der
[229] Nacht. Das Geld besitzt ihre ganze Liebe. Nichts auf
der weiten Welt ist ihnen theuerer als das Geld; sie
lieben es mehr als ihr eigenes Leben, für das sie nur
ganz kümmerlich sorgen. Geld ist das Ziel all' ihrer
Pläne und Arbeiten; Geld, immer mehr Geld zu
erwerben, das ist der einzige Zweck ihrer vielen
Sorgen und Unternehmungen, mit denen sie sich
beschäftigen, der Schweißtropfen, die so reichlich von
ihrer Stirne fallen. Geld ist ihr einziger Stolz. Nur
wer Geld besitzt, gilt etwas bei ihnen, hat Werth in
ihren Augen. Darum blähen sie sich auf und sind
hochmüthig, weil sie Geld besitzen, und sehen mit Ver-
achtung auf Andere herab, die arm sind. Das Geld
allein kann ihnen Freude und Wonne bereiten. Nichts
ist im Stande, ihr Herz in so freudige Aufwallung zu
bringen, als die Nachricht von einem bedeutenden Geld-
gewinne; aber anderseits kann ihnen auch nichts so viel
Schmerz und Trauer verursachen, als Geldverlust. Er
kann sie völlig außer Fassung bringen und ihnen die
schwärzesten Gedanken und Absichten nahe legen, mag
dieser Verlust nach ihren Vermögensverhältnissen auch
nicht besonders groß sein. Ja mehr wie einmal ist es
vorgekommen, daß selbst Millionäre in einem solchen
Falle Hand an's eigene Leben gelegt haben, obgleich sie
trotz des Geldverlustes noch reiche Millionäre geblieben
waren.

Die unordentliche Geldliebe nun bringt, wenn sie all-
gemein wird, der menschlichen Gesellschaft große Nachtheile.
Sie untergräbt zunächst das religiöse Leben.

[230]

Unsere heilige Religion verlangt, daß wir zuerst und
vor Allem darnach streben, Gott zu lieben, ihm treu zu
dienen und so uns die ewige Seligkeit zu sichern. Der
göttliche Heiland richtet ja an uns alle die Mahnung:
‘„ Suchet zuerst das Reich Gottes und seine
Gerechtigkeit, und alles Uebrige wird euch
zugegeben werden
.“’
Die Geldliebe aber verlangt,
daß man vor Allem seine Sorgen und Mühen dem
Gelde zuwende. Unsere heilige Religion weist uns be-
ständig auf das Beispiel unseres göttlichen Heilandes
hin, der arm in einem Stalle geboren wurde, arm
bis zum dreißigsten Jahre im Hause zu Nazareth lebte,
arm während seiner öffentlichen Lehrtätigkeit von den
Gaben barmherziger Menschen lebte, arm, äußerst arm
am nackten Stamme des Kreuzes starb und arm in
ein fremdes Grab gebettet wurde. Mit diesem Hin-
weis will sie uns dringend auffordern, doch ja nicht
unser Herz an das Geld und die irdischen Güter zu
hängen, sondern an Güter, die Werth und Bedeutung
haben für eine ganze Ewigkeit. Eine solche Sprache,
eine solche Zumuthung ist der Geldliebe lästig; sie hat
keinen Sinn für derartige Dinge. Darum meidet sie
gern das Wort Gottes, sie hat keine Liebe zum Gottes-
dienst, keinen Eifer für das Gebet, keine Treue in
Haltung der Gebote Gottes und der Kirche. Das Geld
ist der Gott des Geldmannes, ist das goldene Kalb,
vor dem er anbetend auf den Knieen liegt. Das Geld
zählen und betrachten, das ist sein Gebet und Gottes-
dienst; die Tage, an denen er viel Geld einnimmt, das
[231] sind seine Festtage, die sein Herz in eine freudig ge-
hobene Stimmung bringen.

Ein reicher Mann, dessen Leben den Gütern dieser
Welt gewidmet war, kam zum Sterben. Wie nicht
selten, hatte man auch zu diesem Kranken den Priester
erst in den letzten Augenblicken gerufen. Der Priester
bot ihm die Tröstungen der heiligen Religion an. Doch
der Kranke verachtete sie, wie er es im Leben gethan
hatte. Der Priester sprach vom nahen Tode, von dem
bevorstehenden Gerichte und der ewigen Vergeltung.
Doch der Kranke blieb verstockt. Der Priester bat, be-
schwor und drängte ihn mit aller Liebe und Geduld,
sich an Gott zu wenden und auf seine Barmherzigkeit
zu vertrauen. Da auf einmal begehrte der Kranke,
man solle ihm sein Geld bringen. Man hoffte jetzt, er
werde damit Anordnungen treffen, die zum Heile seiner
Seele gereichten. Doch das war eine arge Täuschung.
Der sterbende Geldmann nahm eine Münze, hob sie
an seine Lippen, küßte sie und sprach: ‘„Du bist mein
Gott; auf dich setze ich meine Hoffnung.“’
Bei diesen
Worten hauchte er seine unglückliche Seele aus. Das
Geld war sein Götze im Leben gewesen und blieb es im
Tode. ‘„ Der habsüchtige ist ein Götzen-
diener
.“’
(Ephes. 5, 5.) Daß eine solche Gesinnung
der Tod des christlichen Glaubens und Lebens ist, liegt
auf der Hand.

Die unordentliche Geldliebe untergräbt
ferner die Gerechtigkeit und Wahrhaftig-
keit
. Weil der Geldmann nur darauf bedacht ist,
[232] Geld zu erwerben und reicher zu werden, so schreckt er
gewöhnlich vor keinem Mittel zurück, wenn er nur
seinen Zweck erreicht und der Strafe des weltlichen Ge-
richtes zu entgehen hofft. Ein altes Sprichwort sagt:
‘„Ein goldener Hammer sprengt eiserne Thore.“’ Und
König Philipp von Macedonien hat einst den Ausspruch
gethan: ‘„Keine Burg ist so verschlossen, daß ein mit
Gold beladenes Maulthier sie nicht einnehmen könne.“’

Ja dieser heidnische König scheint noch eine viel zu
gute Meinung gehabt zu haben von den Männern, die
das Gold unordentlich lieben. Denn bei Solchen ist
nicht ein mit schwerem Gold beladenes Maulthier noth-
wendig, um im Herzen die Festung des Gerechtigkeits-
sinnes zu erobern, sondern viel weniger genügt dazu;
manchmal sind schon ein paar Mark oder Groschen, ja
selbst Pfennige dazu hinreichend. Gibt es nicht Männer,
die von ihrer Geldliebe sich wegen eines kleinen Vor-
theiles zur Ungerechtigkeit, zum Betrug oder Diebstahl
bestimmen lassen; gibt es nicht Männer, die zur Lüge
ihre Zuflucht nehmen, wenn sie dadurch nur drei oder
vier Pfennige gewinnen können? Muß auf diese Weise
nicht nach und nach aller Sinn für Wahrheit und Ge-
rechtigkeit unter dem Volke schwinden? Wie traurig ist
es aber bestellt um ein Volk, wenn diese beiden Grund-
pfeiler der gesellschaftlichen Ordnung wanken, wenn kaum
ein Bruder dem andern mehr trauen darf?

Die Ueberschätzung des Geldes und die
unordentliche Liebe zu demselben ertödtet
die christliche Nächstenliebe in der Gesell-
[233] schaft
. Wie schön wäre es, wenn echt christliche
Nächstenliebe und Theilnahme für einander allgemein
unter uns wohnte; wie herrlich, wenn wir alle mit
einander eine große, glückliche Gottesfamilie bildeten,
aus der Zank und Streit, Zwietracht und Uneinigkeit
gänzlich verbannt wären? Hier ist es nun auch wieder
die Geldliebe, die vielfach störend und äußerst nach-
theilig wirkt. Sie macht das Herz hart und kalt, wie
das Metall ist, welches man liebt. Wie oft erzeugt
sie flammenden Haß und bitteren Neid, der nur auf
Unheil und Verderben sinnt? Wie viele Feindschaften
ruft sie hervor, die dann Jahre lang unterhalten wer-
den? Wie viele Prozesse veranlaßt sie, die falsche Eid-
schwüre und viele andere schwere Sünden im Gefolge
haben? Ja verscheucht sie nicht von dort jegliche
Nächstenliebe, wo man sie doch vor Allem erwarten
sollte? Jeder nur etwas edel angelegte Mensch wird
gerührt und ist zur Abhilfe bereit, wenn er seinen
Nebenmenschen in großer Verlegenheit bemerkt, wenn er
die Thräne der Wittwe oder ein armes Kind vor Kälte
und Hunger zittern sieht. Nur der Geldmann bleibt
kalt und herzlos bei diesem Anblicke; doch ich irre, auch
sein Herz wird mächtig ergriffen, aber nicht von
Schmerz und Mitleiden, sondern von teuflischer Lust
und Freude; denn er hofft die Noth und die Ver-
legenheit seines armen Mitmenschen auszubeuten, um
für sich einen Geldgewinn zu machen.

Sollte nicht Liebe und Einigkeit zwischen Geschwistern
herrschen, die doch so eng mit einander verbunden sind?
[234] Dasselbe Blut fließt in ihren Adern; sie haben in
einem und demselben Hause ihre Jugend zugebracht;
eine und dieselbe Mutter hat ihre Liebe an sie ver-
schwendet, hat sie mit Gott bekannt gemacht und zu
ihm beten gelehrt; ein und derselbe Vater hat für sie
seine Schweißtropfen vergossen und seine Kräfte und
seine Gesundheit für sie zum Opfer gebracht. Doch die
herzlose Geldliebe zerreißt dieses schöne Band, das die
Geschwister mit einander vereinigen soll. Kaum sind
die Thränen, die man am Grabe der kürzlich verstorbenen
Eltern geweint hat, getrocknet, so bricht schon Zank und
Streit aus zwischen Brüdern und Schwestern, weil
man glaubt, bei der Erbschaft um einige Mark be-
nachtheiligt worden zu sein.

Sollte nicht wahre Liebe, nicht eine edle Neigung
des Herzens den Ehebund schließen? Doch da will ein
junger Mann, der das Geld unordentlich liebt, in den
Ehestand treten. Worauf richtet er nun seine Aufmerksam-
keit bei der Wahl seiner Lebensgefährtin? Vielleicht
auf Frömmigkeit, auf Sittsamkeit und Bescheidenheit,
auf einen guten, sanften und doch gediegenen Charak-
ter? Nein, das ist ihm Nebensache. Geld ist der
Magnet, der ihn anzieht. Wenn seine Braut nur so
und so viele Tausende mit in den Ehestand bringt,
dann ist er zufrieden und überlegt nicht weiter, ob er
später auch mit ihr glücklich und tugendhaft leben könne.
Er heirathet mehr das Geld, als die Person. Und
befindet er sich im Ehestand, so bleibt ihm auch das
Geld theuerer als Frau und Kinder. Er sorgt vielleicht
[235] nicht für ihren standesmäßigen Lebensunterhalt, ja läßt
sie darben und Mangel leiden, um nur die Freude zu
haben, eine größere Summe Geldes zählen zu können.

Weil demnach die unordentliche Geldliebe die Reli-
giosität, den Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit und
die christliche Nächstenliebe ertödtet, so leuchtet ein, wie
verderblich und nachtheilig sie für den einzelnen Men-
schen und die ganze Gesellschaft ist. Wir begreifen des-
halb das strenge ‘„Wehe“’, das der göttliche Heiland
und nach ihm die heiligen Lehrer über eine solche Ge-
sinnung aussprechen; wir begreifen, ein wie großes Hin-
derniß dieselbe sein muß für die Erreichung der ewigen
Seligkeit. ‘„Kindlein, wie schwer ist es, daß
die, welche ihr Vertrauen auf das Geld
setzen, in das Reich Gottes eingehen
!“’

(Mark. 10, 24.)

Darum müßt ihr, christliche Männer, euch hüten,
euer Herz an das Geld zu hängen. Vergesset ja nicht,
daß ihr nach kurzer Zeit Alles im Tode verlassen müßt.
Möget ihr Tausende und Tausende, ja Millionen durch
eueren Fleiß und euere Speculationen euch erworben
haben, der Tod wird euch Alles bis auf den letzten
Pfennig entreißen und euch arm machen, wie den ge-
ringsten Bettler, der seine magere, zitternde Hand um
ein Almosen nach euch ausgestreckt hat. Vergesset nicht,
daß alles Geld im Gerichte nach dem Tode euch gar
nichts nützen wird. Das Sprichwort mag wohl sagen:
‘„Geld regiert die Welt“’; aber Geld regiert sicher nicht
die Ewigkeit. Menschen mögen wohl den Geldbesitzern
[236] schmeicheln und ihre Fehler übersehen, ja sogar noch
loben; sie mögen mit Rücksicht auf das Geld derselben
Recht und Billigkeit verleugnen, bei dem Richter nach
dem Tode, bei Gott ist das sicher nicht der Fall. Er
wird mit derselben ewig unbeugsamen Gerechtigkeit den
mächtigsten Monarchen und den reichsten Millionär
richten, wie den ärmsten Bettler mit zerrissenem Kleide,
der keinen einzigen Pfennig sein Eigenthum nennen
konnte. ‘„ All ihr Gold und Silber wird ihnen
nichts nützen am Tage des Zornes des
Herrn
.“’
(Sophon. 1, 18.) Sorget dafür, daß ihr
an diesem Tage, daß ihr im Gerichte vor Gott bestehen
könnt. Möget ihr immerhin durch geregelten Fleiß und
mit gerechten Mitteln euch irdische Güter erwerben und
so den Kindern ein euerem Stande entsprechendes Erbe
hinterlassen; das ist euere Pflicht und Schuldigkeit.
Doch vor Allem richtet euere Aufmerksamkeit und euer
Streben dahin, durch ein gutes christliches Leben euch
Schätze und Reichthümer für die Ewigkeit zu erwerben;
denn ‘„ was nützt es dem Menschen, wenn er
die ganze Welt gewinnt, aber an seiner
Seele Schaden leidet
?“’
(Matth. 16, 26.)

2.


Viele Männer unterschätzen aber auch
den Werth des Geldes
. Auch ein guter, eifriger
Christ, der mit Ernst nach den ewigen Gütern strebt,
kann und darf sagen: Das Geld hat einen hohen
Werth. Zwar ist es an und für sich nur glänzender[237]

Staub; doch durch die Schätzung der Menschen erhält
es Werth und Bedeutung. In den meisten Fällen wird
ohne Geld nicht viel Großes erreicht. Gewiß ist für
die Gesellschaft die Pflege der Wissenschaft sehr wichtig;
doch will man die Wissenschaft wirksam fördern, so geht
das nicht ohne Geld. Man braucht Geld, um wissen-
schaftliche Anstalten zu gründen, Geld, um die Lehrer
und Professoren hinreichend zu besolden, daß sie frei
und ohne andere Sorgen sich den Studien widmen,
Geld, um die Bücher berühmter Männer anzu-
schaffen, Geld, um neue Werke, die Frucht lang-
jähriger Arbeiten und Forschungen, der Oeffentlich-
keit zu übergeben. Ohne Geld gerathen Wissenschaft
und Bildung bald in Rückgang und Verfall. Aehnlich
ist es mit Handel und Industrie, ähnlich mit der Ver-
waltung und Regierung eines Landes, ähnlich auch mit
der Familie. Ohne Geld kommt man in derselben nicht
zurecht. Man braucht Geld für die täglichen Bedürf-
nisse, für Nahrung, Kleidung, für die Einrichtung des
Hauses, für die Kinder, welche für ihr späteres Leben
etwas Tüchtiges lernen sollen. Welche wichtige Dienste
erst leistet das Geld, wenn eine Krankheit ihren Ein-
zug in die Familie hält, wenn z. B. der kranke Vater
Wochen oder Monate lang arbeitsunfähig wird? Wie
überaus traurig ist es dann in einem solchen Hause
bestellt, wenn man nicht früher in besseren Tagen sich
durch Sparsamkeit eine Summe Geldes zurückge-
legt hat?

Ja noch höher haben wir den Werth des Geldes
[238] anzuschlagen. Selbst wo es sich um übernatürliche
Güter, wo es sich um das Reich Gottes und das heil
der unsterblichen Seelen handelt, hat das Geld seine
große Bedeutung. Unsere heilige Kirche gründet gerne
Spitäler, in denen nicht bloß für den Leib, sondern
auch für die Seele der Kranken und Altersschwachen
Sorge getragen wird; sie baut gerne Waisenhäuser, in
denen arme Kinder, die früh Vater und Mutter ver-
loren haben, eine gute, gediegene christliche Er-
ziehung erhalten und so zu tüchtigen, braven Menschen
herangebildet werden, arme Kinder, die ohne diese Er-
ziehung im Waisenhause vielleicht als verkommene Sub-
jecte die Geißel der Menschheit geworden wären. Um
aber Spitäler und Waisenhäuser erbauen, um Kranke
und Verlassene pflegen, um arme Kinder unterrichten
und erziehen zu können, muß die Kirche Geld besitzen,
bedarf sie, die man ihrer Güter beraubt hat, der mil-
den Gaben ihrer barmherzigen Kinder. Unsere Kirche
sendet gerne ihre glaubensmuthigen Missionäre zu den
heidnischen Völkern, um ihnen das himmlische Licht
des Evangeliums zu bringen. Die Missionäre müssen
Kirchen und Kapellen errichten, müssen Schulen und
Anstalten der christlichen Liebe gründen, damit das
Christenthum festen Boden gewinne im Lande heidnischer
Finsterniß. Das Alles bringen sie nicht zu Stande
ohne Geld, mögen sie für ihre Person auch noch so
tüchtige Männer und heilige Priester sein.

Und wie viel Gutes kann der einzelne Christ, der
vom Geiste Jesu beseelt ist, mit seinem Gelde wirken?
[239] wie viele Verdienste sich sammeln für die Ewigkeit durch
seine Almosen, die er in die Hände der Armen und
Nothleidenden fließen läßt, durch seine Spenden, die er
zu guten, wohlthätigen Zwecken hingibt? So gereicht
das Geld, das Viele in's Verderben bringt, ihm zum
Heile und verhilft ihm zu einem gnädigen Gerichte;
denn ‘„die Barmherzigkeit ist erhaben über
das Gericht
“’
. (Jacob. 2, 13.) Und der göttliche
Heiland selbst sagt: ‘„Machet euch Freunde mit-
telst des ungerechten Mammons, damit
,
wenn es mit euch zu Ende geht, sie euch
in die ewigen Wohnungen aufnehmen
.“’

(Luk. 16, 9.)

So muß man also gestehen, daß das Geld einen
hohen Werth besitzt und nach dem Willen Gottes zu
Erreichung edler und guter Zwecke dienen soll. Doch
wie Viele gibt es in der christlichen Männerwelt, die
von dieser großen Bedeutung des Geldes keine Ahnung
zu haben scheinen? Wie viele Jünglinge, die es leicht-
sinnig verschwenden, als wäre es leere Spreu und nich-
tiger Straßenstaub? Man denke nur an die vielen
und großen Ausgaben für das Wirthshaus, für Ver-
gnügen und Thorheiten, denen man sich überläßt? Wie
manche junge Leute haben durch diese Nichtachtung
und Verschwendung des Geldes ihr späteres Lebensglück
verscherzt? Wie viele Männer und Väter in unseren
Tagen, die sich desselben Fehlers schuldig machen?
Weil sie eine Familie zu ernähren und für die Zu-
kunft ihrer Kinder zu sorgen haben, besitzt für sie das
[240] Geld einen doppelt hohen Werth und sollten gerade sie
die Worte der heiligen Schrift recht beherzigen und
gewissenhaft erfüllen: ‘„Was du ausgibst, das
zähle und wäge
.“’
(Sprüchw. 42, 7.) Und doch
wie leichtsinnig und unchristlich gehen sie mit dem Gelde
um? Wie viel verausgaben sie von ihrem Arbeits-
lohne und ihren Einkünften für die Befriedigung ihrer
unabgetödteten Leidenschaften, für ihre Erholung und
Zerstreuung? Wie viel wird in ihren Familien ver-
schwendet für Tand und Flitter?

Doch noch mehr Männer gibt es, die den höheren
Werth des Geldes nicht kennen, den Werth, welchen es
für die Seele, die Ewigkeit und das Reich Gottes be-
sitzt. Kännten sie diesen Werth, dann würden sie mehr
Werke der christlichen Barmherzigkeit verrichten; sie
würden bessere Beiträge für die Missionen, für christ-
liche Vereine, für wohlthätige Anstalten und Kirchen-
bauten geben; sie würden sich dann mehr einschränken
in ihren Bedürfnissen, weniger Ausgaben machen für
Wein und Bier, für Tabak und Cigarren und der-
gleichen Dinge. Möchten auch in dieser Beziehung
unsere Männer wieder christlich denken und handeln;
möchten sie einerseits den Werth des Geldes nicht über-
schätzen, aber auch anderseits nicht unterschätzen; denn
Beides ist verderblich und unchristlich.

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Notes
1).

P. Weiß, Natur und Uebernatur. S. 225 u. 227.

2).

Nach Hettinger, Beweis des Christenthums,
B. 1. S. 122.

1).

Hammerstein, Edgar. S. 14 f.

1).

Hettinger, Beweis des Christenthums. I. S. 112 ff.

1).

A. a. O. S. 365.

1).

Stöckl, Das Christenthum und die modernen
Irrthümer. S. 204 f.

1).

Der christliche Glaube, Th. I. S. 15 u. 16. 1. Ausg.

1).

Adv. haeres lib. 1. § 2. n. 16.

1).

Deharbe, Erklärung des katholischen Katechis-
mus, B. III. S. 243 f.

1).

Adolph Kolping, der Gesellenvater. Ein Lebens-
bild von S. G. Schäffer. S. 127.

1).

Kompaß für den verheiratheten Arbeiter. S. 12.

1).

P. Weiß, Apologie des Christenthums vom
Standpunkte der Sittenlehre. III, S. 709.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 4. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bqjr.0