Seehäfen des Weltverkehrs
Häfen ausserhalb Europas und des Mittelmeerbeckens.
Volkswirtschaftlicher Verlag Alexander Dorn
1892.
Alle Rechte vorbehalten.
Druck von Johann N. Vernay.
[]
VORWORT.
Der Inhalt dieses zweiten, die gesammte Arbeit abschliessenden
Bandes ist nach denselben Grundsätzen und in der gleichen
Weise verfasst, wie jener des ersten Bandes. Es liegt daher
keinerlei Veranlassung vor, den auf Plan und Durchführung be-
züglichen Erörterungen, welche in der Vorrede zum ersten Bande
enthalten waren, irgend welche sachliche Bemerkungen beizufügen.
Besonders hervorheben will ich nur, dass — wie schon auf dem
Titelblatte dieses Bandes ersichtlich — einige neue, werthvolle Kräfte
an der Arbeit sich betheiligt haben. Es sind dies die Herren: Director
Robert Müller des k. u. k. hydrographischen Amtes in Pola, Linien-
schiffs-Lieutenant Friedrich Ritter Müller v. Elblein, Linienschiffs-
Lieutenant Eduard Edler v. Friedenfels und Linienschiffs-Fähnrich
Alfred Freiherr v. Koudelka.
Sowohl in Bezug auf diese neuen Genossen, als in Bezug auf
jene Herren, die schon von früher her mit ihrer Thätigkeit dem
Werke angehören, kann ich an dieser Stelle nur dem wärmsten
Danke für ihre Hingebung und für die Vortrefflichkeit ihrer Leistungen
Ausdruck geben, wie ich dies schon beim Erscheinen des ersten
Bandes gethan. Auch im zweiten Bande war es nur durch das Ineinander-
greifen und gegenseitige Unterstützen der einzelnen Verfasser möglich,
die Gleichmässigkeit von Darstellung und Inhalt der verschiedenen
Abschnitte zu bewahren. Es geht daher wohl auch nicht gut an, etwa
hier die Antheile der Einzelnen an der Arbeit zu specialisiren; nur
[] soviel mag etwa gesagt sein, dass naturgemäss und ihrem Berufe ent-
sprechend Herrn Professor Dr. Zehden, Herrn Professor Dr. Cicalek
(Häfen des Mittelmeerbeckens, der West- und Nordküsten des europä-
ischen Continentes, ferner Amerikas, Japans und Chinas) und Herrn
Secretär Schwarz (Häfen Grossbritanniens, Indiens, Ost-, Süd- und West-
Afrikas und der australischen Gewässer), vorzugsweise die Bearbeitung
des commerciellen Stoffes — im weitesten Sinne des Wortes — zukam,
während die anderen Herren den historischen, beschreibenden und
nautischen Theil der einzelnen Darstellungen besorgten. Aber diese
Scheidung war keineswegs so strenge, dass nicht häufig gegenseitige
Ergänzung platzgegriffen hätte; Jeder gab eben dem gemeinsamen
Werke, was er hatte.
Auch der Unterstützung von auswärts will ich hier so wie im
ersten Bande dankend gedenken und nur noch beifügen, dass auch
die Direction des k. k. österreichischen Handelsmuseums werthvolles
Quellenmaterial in zuvorkommendster Weise zur Verfügung gestellt hat.
Dass das Werk ganz frei von Irrthümern oder Lücken sei, kann
freilich nicht behauptet werden — es scheint mir jedoch auch ganz un-
möglich, alle Mängel gänzlich zu vermeiden. An die Leser, welchen
Fehler auffallen, richte ich aber die Bitte, solche nicht nur mit der
Schwierigkeit der Arbeit zu entschuldigen, sondern auch gefälligst
davon Mittheilung machen zu wollen, damit bei einer zweiten Auflage die
entsprechende Verbesserung vorgenommen werden könne.
Wien, im October 1891.
Dorn.
[]
Inhalts-Verzeichniss.
- Seite
- Die atlantische Küste von Amerika1
- Montreal und Quebec (2 Ansichten, 2 Pläne) 5
- Halifax und St. John (1 Ansicht, 1 Plan) 22
- Boston (1 Ansicht, 1 Plan) 28
Hiezu: Portland. - New-York (5 Ansichten, 2 Pläne) 46
Hiezu: Brooklyn, Jersey-City, Hoboken. - Philadelphia (1 Ansicht, 2 Pläne) 92
- Baltimore (1 Ansicht, 2 Pläne) 107
Hiezu: Norfolk, Wilmington, Charleston, Savannah, Mobile. - New-Orleans (3 Ansichten, 2 Pläne) 130
Hiezu: Galveston. - Vera-Cruz (1 Ansicht, 1 Plan) 152
Hiezu: Tampico, Progresso. - Westindische Häfen (3 Ansichten, 6 Pläne) 171
Habana, Santiago de Cuba, Kingston, Port-au-Prince, San Domingo,
Puerto Plata, San Juan de Puerto Rico, St. Thomas, St. Pierre,
Port of Spain, Bridgetown. - Der Panama-Canal (5 Pläne) 218
Hiezu: Colon-Aspinwall, Panama, Sabanilla, Maracaibo, La Guayra. - Brasilianische Häfen (3 Ansichten, 6 Pläne) 239
Pará, Pernambuco, Bahia, Rio de Janeiro, Santos. - Montevideo (1 Ansicht, 2 Pläne) 274
- Buenos-Aires (1 Ansicht, 2 Pläne) 285
Hiezu: La Plata. - Der grosse Ocean301
- Valparaiso (1 Ansicht, 1 Plan) 309
- San Francisco (1 Ansicht, 2 Pläne) 321
Hiezu: Honolulu. - Seite
- Japanische Häfen (4 Ansichten, 4 Pläne) 341
Yokohama, Hiogo-Kobé, Nagasaki, Hakodate.
Hiezu: Wladiwostok. - Chinesische Häfen (5 Ansichten, 3 Pläne) 381
Nördliche Häfen: Niutschuan, Tientsin, Tschifu.
Yangtsekiang-Häfen: Schanghai, Tschinkiang, Nanking, Wuhu,
Kiukiang, Hankou, Itschang, Ningpo.
Südliche Häfen: Futschou, Amoy, Schatou, Canton. - Hongkong (1 Ansicht, 1 Plan) 452
Hiezu: Macao, Haiphong. - Saigon (1 Ansicht, 1 Plan) 463
- Bangkok (1 Ansicht, 1 Plan) 473
- Manila (1 Ansicht, 1 Plan) 485
- Javanische Häfen (2 Ansichten, 2 Pläne) 496
Batavia, Soerabaya. - Singapore (1 Ansicht, 1 Plan) 516
Hiezu: George Town (Penang). - Der indische Ocean531
- Rangoon (1 Ansicht, 1 Plan) 538
- Calcutta (1 Ansicht, 1 Plan) 548
- Madras (1 Ansicht, 1 Plan) 564
- Colombo (2 Ansichten, 1 Plan) 578
Hiezu: Point de Galle. - Bombay (2 Ansichten, 1 Plan) 590
Hiezu: Kurrachee. - Häfen des persischen Golfes (2 Ansichten, 1 Plan) 613
Basrah, Buschir, Maskat. - Aden (1 Ansicht, 1 Plan) 625
- Dscheddah (1 Ansicht, 1 Plan) 633
- Massaua (1 Ansicht, 1 Plan) 640
- Sansibar (1 Ansicht, 1 Plan) 645
Hiezu: Mozambique, Tamatave, S. Paul (Réunion), Port Louis
(Mauritius). - Durban (1 Ansicht, 1 Plan) 659
- Port Elizabeth (1 Ansicht, 1 Plan) 667
- Capstadt (1 Ansicht, 1 Plan) 674
- Die atlantische Küste von Afrika686
- S. Paolo de Loanda (1 Ansicht, 1 Plan) 690
- Banana (1 Ansicht, 1 Plan) 697
Hiezu: Libreville - Kamerun(1 Ansicht, 1 Plan) 705
- Lagos (1 Ansicht, 1 Plan) 711
Hiezu: Cape Coast Castle, Monrovia. - Freetown (1 Ansicht, 1 Plan) 718
- Seite
- Dakar (1 Ansicht, 1 Plan) 723
Hiezu: Gorée. - Mogador (1 Ansicht, 1 Plan) 730
Hiezu: Casablanca, Laroche. - Tanger (1 Ansicht, 1 Plan) 738
- Die australischen Gewässer749
- Adelaide (1 Ansicht, 2 Pläne) 755
Hiezu: Glenelg, Port Adelaide. - Melbourne (1 Ansicht, 1 Plan) 768
- Sydney (1 Ansicht, 1 Plan) 781
- Brisbane (1 Ansicht, 2 Pläne) 795
- Hobart (1 Ansicht, 1 Plan) 808
Hiezu: Launceston. - Auckland (1 Ansicht, 1 Plan) 817
Hiezu: Wellington. - Nachtrag zum 1. Bande:
Ansicht von Libau828
Die atlantische Küste von Amerika.
Nicht aus dem nebelhaften Reiche der Sagen und Märchen,
sondern mit der nüchternsten Klarheit tritt die atlantische Küste
Amerikas in die Geschichte ein. Fünfzig Jahre nach der Fahrt
des grossen Columbus hatten die Conquistadores und Piloten des
XVI. Jahrhunderts die Umrisse der neuen Welt in den Grundzügen
festgestellt, und die Riesenreiche, die sie entdeckten, waren um diese
Zeit bereits vertheilt. Den Romanen fiel der Löwenantheil zu; die Ger-
manen, von den Tropen sowie den reichen Minen ausgeschlossen, grün-
deten im kalten Norden ihre kleinen, auf dem Pfluge und dem Principe
der religiösen Duldung aufgebauten Colonien am atlantischen Ocean.
Das unerbittliche Recht des Stärkeren vollzog die furchtbare
Enterbung der Urbewohner eines ganzen Welttheiles.
Für die eingebornen Stämme war der Kampf ums Dasein mit dem
Sturze der Culturreiche der Montezuma und Inka für ewige Zeiten
verloren, und so viel Blut seit Jahrhunderten für das legitimste Interesse,
die Selbsterhaltung, auch geflossen ist, es war vergebens geopfert.
In zahllose Stämme gesondert, ohne gemeinsame Sprache und
Religion und der geistigen Impulse einer idealen und praktischen
Weltanschauung entbehrend, mussten diese Völkerschaften im un-
gleichen Kampfe gegen eine übermächtige Cultur unterliegen. Ihr
Schicksal lautet: Untergang oder Verschmelzung mit dem Sieger.
Von den ursprünglichen Wohnsitzen vertrieben und decimirt, haben
deren auch viele der Enterbten heute selbst die Eigenthümlichkeit ihres
Stammes grossentheils aufgegeben, andere dagegen eilen im fortge-
setzten Kampfe der gänzlichen Vernichtung entgegen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 1
[2]Die atlantische Küste von Amerika.
Wenn aber auch die europäischen Einwanderer in dem einen Er-
folge, der siegreichen Zurückdrängung und allmäligen Vernichtung der
autochthonen Bewohner, einander glichen, so gab sich doch in der
weiteren Entwicklung, im Ausbaue der neuen Ansiedlungen der tief-
greifende Unterschied zwischen germanischer und romanischer Ab-
stammung deutlich kund, deutlicher selbst als in dem alten Europa,
wo doch gemeinsame äussere Cultur und vielfache Berührung stets
wenigstens oberflächlich eine gewisse Uebereinstimmung, ein Alle gleich-
mässig umfassendes Europäerthum erscheinen liess. Der kräftig aus-
gebildete Charakter der Einwanderer, vielfach auch die Entfernung
der einzelnen Ansiedlungen von einander liessen Vermischungen und
Uebergänge in der neuen Heimat nicht zu, und so blieb die Eigenart
der Stämme grösstentheils bis heute gewahrt.
Stets zeigte sich ein Unterschied zwischen dem germanischen
und romanischen Amerika. Ersteres griff schon im XVII. Jahrhundert,
wenn auch sehr bescheiden, in den europäischen Handel ein; letzteres
war seit den Tagen der Besitzergreifung durch die Spanier und Por-
tugiesen für die übrige Welt vollkommen abgeschlossen; der ameri-
kanische Handel war ein Monopel von Lissabon und Sevilla. Keine
fremde Flagge durfte spanisch-amerikanische Häfen aufsuchen, kein
Ausländer spanisch-amerikanischen Boden betreten; ja, damit Alexander
v. Humboldt noch zu Anfang unseres Jahrhunderts seine berühmte
wissenschaftliche Reise machen konnte, bedurfte es eines eigenhändigen
Handschreibens des Königs von Preussen an den König von Spanien,
der allein diesen unerhörten Ausnahmsfall bewilligen konnte. Unter
solchen Umständen ist es gewiss erklärlich, dass Humboldt „der
wissenschaftliche Entdecker“ Amerikas wurde. Er wies unter anderem
zuerst auf den ganz eigenthümlichen Aufbau des schlanken Continents
hin, dessen Rückgrat das längste Gebirge der Erde, die 14.000 km
langen Cordilleren vom Feuerlande bis zu den ewigen Eisbergen Nord-
west-Canadas, so steil aus dem stillen Ocean aufsteigt, dass auf der
ganzen Länge des Continentes diesem Meere kein einziger grösserer
schiffbarer Strom zueilt. Die Ostabhänge der riesigen Andes dagegen
sammeln die Feuchtigkeitsmassen, welche namentlich die Passate
herbeischleppen und werden so die Quellengebiete der amerikanischen
Riesenströme. Die Stromgebiete des Lorenz, Mississippi, Orinoco, Ama-
zonas und La Plata umfassen vier Fünftel der Oberfläche von ganz Amerika
und weisen selbst die Hochthäler der Cordilleren commerciell auf den
atlantischen Ocean hin. Auf Grund dieser natürlichen Voraussetzung
entwickelten sich alle grossen Emporien des amerikanischen Handels
[3]Die atlantische Küste von Amerika.
an der Europa zugewandten atlantischen Küste. Plätzen, wie Montreal,
Boston, New-York, Baltimore, New-Orleans, Vera Cruz, Havanna, Para,
Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Ayres hat die weltentlegene,
vom Innern durch Riesengebirge abgeschiedene Westküste des Erd-
theiles nur wenig Aehnliches an die Seite zu stellen.
Die Suprematie ist der Ostküste wohl für ewige Zeiten gewahrt
durch die eben angedeutete natürliche Configuration und Bewässerung
des Continents, durch die Nähe Europas, welches man von einzelnen
atlantischen Häfen heute schon in sechs Tagen erreichen kann, und end-
lich durch die ausgezeichnete Küstenentwicklung selbst, welche ihren
Glanzpunkt in der ebenso schönen als für den Welthandel günstig
gelegenen westindischen See erreicht. Hier liegt auch jene berühmte
Stelle bei Panama, wo sich die bis 7000 m hohe und an vielen Stellen
mehrere Tausend Kilometer breite Cordillerenkette bis 100 m senkt und
auf 40 km Breite zusammenschnürt. Hier dürfte wohl noch in unserem
Jahrhundert der schon von Cortez geplante Canal beide Weltmeere
verbinden. Dieser Canal wird aber in erster Linie für die Interessen
des atlantischen Oceans und speciell für die Ostküste Amerikas
arbeiten, welchen er die Häfen am Pacific commerciell viel mehr nähern
wird, als dieses die Pacificbahnen vermögen.
Aber nicht nur das inselreiche Westindien, die ganze krause atlan-
tische Küste Amerikas besitzt hunderte von Buchten, Baien und Fluss-
mündungen, welche ganz dazu berufen wären, statt der Urwälder grosse
Handelsstätten in den Fluten zu spiegeln.
Welcher grossartigen und namentlich raschen Entwicklung aber
das menschenleere Amerika, das ja erst in unserem Jahrhunderte
selbständig in den internationalen Wettbewerb eingetreten ist, fähig
ist, zeigt nicht nur der beispiellose Aufschwung Nordamerikas zum
zweiten Handelsstaate der Erde, sondern ebenso die neueste Entwick-
lung Argentinas.
Beide Beispiele lehren mit der ganzen Rücksichtslosigkeit histo-
rischer Wahrheiten, dass alle Entwicklung in Amerika von der Ein-
wanderung, und zwar der Einwanderung einer tüchtigen, Ackerbau
treibenden Bevölkerung abhängt.
Alle Herrlichkeiten, welche die Spanier auf dem Schwerte auf-
gebaut hatten, ihre einst weltberühmten Minen, ihr Plantagenbau, ihre
Handelsmonopole und Regalien sind halb oder ganz zerfallen; auf
dem reichsten Boden der Erde wohnen ihre Nachkommen vielfach als
Bettler in elenden Adobehütten, während die armen germanischen
Feldbauern die riesige Union aufbauten und in derselben einen Volks-
1*
[4]Die atlantische Küste von Amerika.
wohlstand schufen, wie ihn die Welt noch nie gesehen. Der Weizen-
bauer besiegte allerorten den Goldgräber.
Diese Einwanderung, die Zukunft Amerikas, kommt vom Osten.
Die atlantischen Häfen nehmen die eine neue Heimat Suchenden auf,
vertheilen sie über die unermesslichen Gebiete; die atlantischen Häfen
werden so auch die natürlichen Brennpunkte der Cultur, welche von
hier aus immer weiter über den fernen Westen die segnenden Strahlen
von Licht und Wärme ergiesst.
Die grossartige Völkerwanderung über den atlantischen Ocean
hat aber auch einen ungeahnten Einfluss auf die Welt der Technik
genommen und sie zu bewunderungswürdigen Leistungen ermuntert,
die, sämmtlich auf die Bewältigung des kolossalen Personenverkehres
zwischen zwei gewaltigen Continenten abzielend, eine völlige Revolution
des ganzen Seeverkehres einleiteten.
So ward, gleichwie das schlanke und rohgemeisselte Canoe der
Indianer aus dem Bannkreise einer neuen Cultur verschwand, auch
das frühere unbehilfliche Segelschiff der Auswanderer durch die Kunst-
bauten einer hochentwickelten Technik verdrängt, und an seiner Stelle
durchschneidet gegenwärtig der scharfe Bug mächtiger, schneller und
prunkvoller Stahldampfer, wahrhafter Paläste der Atlantis, die Wogen
des Oceans.
[[5]]
Montreal und Quebec.
Ein Gebiet von ungeheurer Ausdehnung ist es, das die mächtige
Krone Grossbritanniens unter dem stolzen Namen „Dominion of Canada“
durch ebenso kluge, wie ununterbrochene Ausnützung der Verhältnisse
allmälig zu erwerben und politisch zu vereinigen verstanden hat.
Den ganzen Norden des amerikanischen Welttheiles umfassend, an
zwei Oceane gelehnt und im Süden von der hervorragenden Handels-
strasse durchzogen, welche der majestätische St. Lorenz-Strom und in
dessen Verlängerung die fünf gewaltigen Seen bilden, weist das den
europäischen Continent an Flächenraum überragende Reich die glän-
zendsten Vorbedingungen für seine Entwicklung auf.
Schon jetzt haben das engere Canada, dann Neu-Braunschweig
und Neu-Schottland einen hohen Rang auf der Stufenleiter der cultu-
rellen Bestrebungen erreicht und bilden den kräftigen Kern, von dem
aus ein frisches Leben befruchtend hinüberquillt in die endlose Wild-
niss der westlichen Gebiete des canadischen Reiches.
Der mächtige St. Lorenz-Strom, seine wasserreichen Nebenflüsse
und die mit grossen Kosten hergestellten Schiffahrtscanäle sind Ver-
kehrsadern erster Ordnung, welche das fruchtbare und an malerischen
Effecten reiche Land der tausend Seen mit dem atlantischen Ocean
direct verbinden. Gleicherart durchzieht ein von Halifax ausgehendes
das ganze Reich bis zum stillen Ocean durchquerendes, gross ge-
plantes Eisenbahnnetz die wichtigsten Productionsgebiete und ver-
mittelt deren commerciellen Anschluss an die südlichen Nachbarländer
der nordamerikanischen Union.
Unermessliche Schätze harren noch der Hebung aus jungfräu-
licher Erde.
Das canadische Reich umfasst 8·3 Millionen Quadratkilometer
und ist von 5 Millionen Einwohnern bevölkert. Hievon entfallen auf
das eigentliche Canada, nämlich die Provinzen:
[6]Die atlantische Küste von Amerika.
- Ontario 280.000 km2 mit 2·0 Millionen Einwohner,
- Quebec 500.000 „ „ 1·5 „ „
- zusammen 780.000 km2 mit 3·5 Millionen Einwohner.
Scharf sondern sich in den genannten Provinzen die nationalen
und kirchlichen Verhältnisse, und zwar ist die Bevölkerung des im
Gebiete der grossen Seen keilförmig eingeschobenen Ontario, früher
Ober-Canada genannt, zumeist britischer Abkunft und protestantisch,
in Quebec (Unter-Canada) hingegen französisch und katholisch. Die
ursprüngliche Indianerbevölkerung hat wie überall in Amerika auch
hier der „weissen Ameise“ das Feld geräumt und lebt in einer Zahl
von 131.000 (1883) Köpfen und mehreren Stämmen angehörend zer-
streut im Lande.
Wenn uns aus der Geschichte der ältesten Culturstätten die
glanzvollen Namen grosser Fürsten, Heerführer, Staatsmänner und
Heroen des Geistes entgegenleuchten, so gehört in der so treffend be-
zeichneten „neuen“ Welt der ganze Ruhm der historischen Vergangen-
heit jenen kühnen Seefahrern, die von einem mächtigen Gedanken ge-
leitet und allen Gefahren trotzend, als unerschrockene Pionniere der
Cultur unbekannten Zielen entgegensteuerten.
In dieser Hinsicht sind an Canada die Namen Caboto und Car-
tier gefesselt.
Sebastian Caboto, der Sohn des Genuesen Giovanni Caboto, des Entdeckers
von Labrador (1494), betrat 1497 die Insel Neufoundland und befuhr in späteren
Jahren die Hudsonsbai-Strasse. Auch ist er als Seefahrer an der atlantischen
Küste von Südamerika (1526 bis 1530) zur Berühmtheit gelangt. Jacques Cartier
erscheint dagegen nicht nur als eigentlicher Entdecker Canadas, damals „La nou-
velle France“ genannt, sondern auch als erfolgreicher Colonisator derselben. Aus
St. Malo stammend, trifft er, im Auftrage Franz I. auf der Fahrt nach Labrador
begriffen, im Jahre 1534 zum erstenmale an der Mündung des St. Lorenzstromes
ein, erwirbt im folgenden Jahre die Freundschaft des mächtigen Indianerhäupt-
lings Donnacona, der in Stadacona, einem Orte an der Stätte des heutigen Quebec,
residirte, und befährt den Strom bis hinauf nach Montreal (das indianische Hoche-
laga). 1541 gewinnt er durch den Bau eines Forts bei Cap Rouge südlich des
heutigen Quebec einen festen Stützpunkt. Von hier aus begann das Werk der
Colonisation.
1608 gründet S. Champlain, der Entdecker des nach ihm be-
nannten grossen Sees, die Stadt Quebec, und am 18. Mai 1642 legt
Paul de Chomedey, Sieur de Maisonneuve den Grund zur Ville Marie
de Montreal, heute kurzweg Montreal genannt.
Das Emporblühen der französischen Besitzung war geeignet, die
Eifersucht Grossbritanniens zu erwecken, und da auch Grenzstreitig-
keiten mit den südlichen englischen Colonien ausbrachen, so erdröhnte
[7]Montreal und Quebec.
die erhabene Wildniss der Uferlandschaften des Stromes wiederholt
vom Donner der Kanonen. Mächtige englische Flotten erschienen da-
selbst und bedrohten im Kampfe gegen die französische Militärmacht
die hervorragenden Städte. Insbesondere hatte Quebec während dieser
Zeit vier feindliche Angriffe durchzuleben, welche den Wohlstand tief
erschütterten. Am 18. September 1759 fiel die von Marquis v. Mont-
calm tapfer vertheidigte Stadt in die Hände der Engländer unter Ad-
miral Sanders und General Wolfe. Die ganze Colonie gelangte
aber erst durch den Pariser Frieden von 1763 unter die Herrschaft
von Grossbritannien. Ein fünfter Angriff auf Quebec erfolgte 1775
während des Unabhängigkeitskrieges der amerikanischen Union.
An der Entwicklung Canadas war die 1670 gegründete und mit vielen
Rechten ausgestattet gewesene Hudsonsbai-Compagnie, obgleich sie der Ein-
wanderung aus Rücksichten für den Pelzhandel entgegenarbeitete, dennoch hervor-
ragend betheiligt, indem die Gesellschaft als thatkräftige Mitbewerberin bei
Hebung der Schätze des Landes auftrat. Ihre Ländereien wurden 1869 von der
englischen Krone käuflich erworben.
Den heutigen Aufschwung dankt die Colonie allein der Staats-
kunst Englands, welche es verstanden hat, dem Lande die Quellen
eines dauernden Wohlstandes zu erschliessen. Wie überall, wo das
Banner Englands weht, war auch in Canada die Hebung und wei-
teste Ausbildung des Unterrichtswesens die sichere Grundlage für die
Erreichung des hohen Zieles. Ausser den Universitäten zu Toronto,
Montreal und Quebec bestehen noch zahlreiche höhere Collegien und
Akademien sowie über 8000 Gemeindeschulen.
Gegenüber dem, dadurch in den Hintergrund gedrängten, franzö-
sischen Colonisationssysteme in Canada, welches auf den im feudalen
Kastensystem des Mutterlandes wurzelnden Anschauungen damaliger
Zeit beruhte und dessen Träger, die adelstolzen Seigneurs, den Werth
der Intelligenz nicht zu schätzen vermochten und das Schulwesen unter-
drückten, führen obige Zahlen eine niederschmetternde, aber gleich-
zeitig lehrreiche Sprache.
Die Schiffahrtsverhältnisse sind durch die Eigenthümlichkeiten des
Lorenz-Stromgebietes und jene des durch die Insel Neufoundland eingeschlossenen
St. Lorenz-Golfes bedingt.
Die Hauptzufahrt zum Strome führt im Norden der Insel durch die
Meerenge Belle Isle und vorbei an der in der Strommündung gelagerten Insel
Anticosti.
Eine zweite Zufahrt ist jene zwischen den Inseln Cap Breton und Neu-
foundland.
Beide Routen sind von den erwähnten Engen bis Montreal gerechnet, je
ungefähr 1800 km lang.
[8]Die atlantische Küste von Amerika.
Montreal liegt 460 km und Quebec 166 km aufwärts der Strommündung,
welche bei einer Breite von 18 bis 55 km allmälig in den tief eingeschnittenen
Golf übergeht.
Der enorme Wasserreichthum des herrlichen Stromes gestattet, dass die
grössten Oceandampfer bis Montreal verkehren können, und hat die canadische
Regierung ausser den Canalbauten und Schleusen auch grossartige Regulirungs-
arbeiten, wie z. B. an der Stromausweitung (St. Peter-Seen) zwischen Quebec und
Montreal vornehmen lassen.
Die Navigation ist indes nur auf die schöne Jahreszeit beschränkt und
muss vom 25. November bis 25. April der Eisverhältnisse wegen auf Strom und
Golf ganz eingestellt verbleiben. Oft ist der Lorenz-Golf noch anfangs Mai mit
Trifteis bedeckt, das den Schiffen sehr gefährlich wird. Im Herbste ereignete es
sich nicht selten, dass Schiffe, welche, um vor Schluss der Navigation hohe Fracht-
sätze zu erlangen, sich verspäteten, dann im Golfe vom Eise überrascht, besetzt
und erdrückt wurden.
Im Strome und an den Küsten hat die Regierung ein durchaus einheit-
liches Markirungs- und Betonnungssystem eingeführt.
Die Strömung ist im ganzen Flusslaufe meist scharf und reissend. Bei
Quebec erreicht deren Geschwindigkeit bei 56 m Wassertiefe 7·5 km in der Stunde,
bei Montreal aber steigt sie auf 12 km Schnelligkeit.
Die Gezeiten sind stromaufwärts bis zum St. Peter-See, also auf mehr
als 300 km fühlbar, doch steigt noch in Quebec die Flut um 5·5 m.
Montreal.
Die Mündung des Ottawa-Flusses, der nach einem Laufe von
1100 km in den Lorenz-Strom sich ergiesst, bildet eine hügelgekrönte
Insel, an deren Ostseite, wie unser Plan zeigt, auf terrassenförmig
ansteigendem Abhange die prächtige, industriereiche Stadt Montreal
unter 45° 30′ nördl. Breite und 73° 33′ westl. Länge von Greenwich
(Notre-Dame) immer weiter ausgreifend sich dehnt und streckt. Der
230 m hohe Montreal-Berg (Mount Royal), seit 1874 zu einem herr-
lichen Parke umgewandelt, überragt recht malerisch das weite Häuser-
gewirre. Von der mit Gartenanlagen ausgestatteten und als Ausflugsort
beliebten Insel St. Helen, die kaum 700 m gegenüber dem Stadttheile
St. Mary im Strome liegt, geniesst man einen dankbaren Ausblick über
Stadt und Hafen. Gegen Süden zu fesselt uns die gewaltige Victoria-
Röhrenbrücke (Victoria Tubular Bridge) der Grand Trunk-Eisenbahn,
welche auf 24 Steinpfeilern in einer Länge von 2800 m den Strom
übersetzt. Mit Recht wird der stolze Bau als ein wunderbarer Triumph
der Technik bezeichnet, denn ungewöhnlich waren die zu besiegenden
Schwierigkeiten, welche einestheils die reissende Strömung, dann aber
[[9]]
Montreal.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 2
[10]Die atlantische Küste von Amerika.
auch die Rücksichten auf die ungeheuren Schwankungen der Luft-
temperatur (+ 30 bis — 40°C.) dem Ingenieur entgegenstellten.
Robert Stephenson und A. M. Ross vollendeten 1859 das berühmte
Werk, wodurch erst die directe Verbindung zwischen Toronto und
Portland hergestellt war.
Vom Westende der Brücke an, dort wo der Lachine-Canal aus-
mündet, beginnt nahezu Nord-Süd laufend der 3 km lange, mit Docks,
Anlegeplätzen, Molen und Ladevorrichtungen reich ausgestattete Hafen-
quai, längs dessen die äusserst belebte River-Street sich hinzieht.
Der Hafen ist das fesselnde Spiegelbild des regen Verkehrs eines
der bedeutendsten Handelsemporien Nordamerikas. Ueberall herrscht
Arbeit und Bewegung. Die zahlreichen Dampferlinien, welche Montreal
berühren, besitzen nördlich der Lachine-Docks eigene Bassins; hieran
reihen sich die Anlegeplätze der luxuriösen, nach Quebec verkehrenden
Flussdampfer, dann liegt weiter bis zu dem einstigen indianischen
Hochelaga, dem ersten französischen Niederlassungsorte, eine ganze
Flotte von Segelschiffen und Dampfern jeder Grösse; den Strom durch-
eilen nach allen Richtungen Dampfer und Ferryboote, die nach Lon-
gueuil und St. Lambert verkehren; kurz, wir sehen das Getriebe einer
völlig fieberhaften Thätigkeit blossgelegt.
In stolzer Ruhe zeichnet sich seitlich des bewegten Hafenbildes
die herrliche Perspective der Häusermassen, aus welchen neben zahl-
reichen Kirchen und öffentlichen Gebäuden besonders die Thürme der
majestätischen Notre-Dame-Kirche und die imposante City-Hall hervor-
ragen. Der Gesammteindruck ist ein überraschend grossartiger, und
wird noch erhöht werden, wenn die gegenwärtig im Bau befindliche
Kathedrale von St. Peter, welche dem berühmten römischen Dome
nachgebildet ist, als architektonisches Element hinzugetreten sein wird.
Montreal ist eine ausgesprochen katholische Stadt, welche durch ihre
kirchlichen Bauwerke einen hervorragenden Platz in der neuen Welt
einnimmt. Bisher galt die im gothischen Style gehaltene Pfarrkirche
von Notre-Dame (nicht Kathedrale, wie sie oft irrthümlich genannt
wird) bei einem Fassungsraume von 15.000 Menschen als einer der
grössten Dome Amerikas, allein der neue Renaissancebau von St. Peter,
dessen Kuppel die Höhe von 80 m erreicht, wird sie an räumlicher
Ausdehnung weit übertreffen. Gegenwärtig bestehen acht grosse katho-
lische Kirchen in verschiedenen Stylarten, neben 21 kleineren prote-
stantischen, welche, den verschiedenen Congregationen und National-
kirchen gewidmet, sich durch eine stylvolle Architektonik aus-
zeichnen.
[11]Montreal und Quebec.
Noch mehr als durch ihre kirchlichen Bauten glänzt die Stadt
durch die ausserordentlich hohe Zahl von Wohlthätigkeitsanstalten,
wie Spitäler, Asyle u. dgl.
Imponirend ist gleichfalls die grosse Ausbreitung und Frequenz
der Lehranstalten, unter welchen sich nebst zahlreichen Schulen aller
Bildungsrichtungen zwei Universitäten und viele höhere Collegien mit
Facultäten für alle Wissenschaftszweige befinden.
So ausgestattet gebührt Montreal, wo Künste und Wissenschaften
ein gastliches Heim gefunden haben, auch in humanitärer Hinsicht der
erste Rang in der ganzen weiten Dominion of Canada.
Aehnlich wie in vielen Handelsplätzen liegen auch in Montreal
die Wohnquartiere der Geschäftswelt (Residential-Suburbs) ausserhalb
der dem Handel gewidmeten Stadttheile und sind durch imposante
palastähnliche Bauten ausgezeichnet. Unter diesen ist das monumentale
Windsor-Hotel, das an der Nordseite des Dominion-Square gegenüber
der neuen Kathedrale seine vornehme, von einer mächtigen Kuppel
überragte Façade entwickelt, sehenswerth. Die mit fürstlicher Pracht
ausgestatteten Räume desselben haben dem hauptsächlich von Ameri-
kanern aus den Vereinigten Staaten gerne aufgesuchten Gebäude einen
Weltruf verschafft.
Der Dominion-Square ist ein Glanzpunkt von Montreal in archi-
tektonischem Sinne, wie auch in gesellschaftlicher Hinsicht, namentlich
zur Winterszeit, wenn auf seinem Plane in feenhaftem Eispalaste die
Wogen des Frohsinnes hoch aufschäumen. Während des sechs Monate
andauernden Winters zwingt die unerbittliche Macht der Natur, indem
sie Flüsse und Canäle mit starken Eisdecken überzieht, den Handel
zum Stillstande. Die rührige Stadtbevölkerung geniesst dann die
ihr aufgedrungene Ruhepause in Lust und Freude. Namentlich der
Carneval bringt, wie etwa in Rom und Venedig oder in den La Plata-
Städten, grossartige Lustbarkeiten. Allein so viel Vergnügungen der
Winter auch zuführen mag, er ist doch wie ein Fluch, der auf der
schönen Stadt wie auf ganz Canada schwer lastet.
Montreal steht an der Grenze des französischen und des englischen
Canadas. Wohl bilden die Franzosen noch mehr als die Hälfte der
Bevölkerung von Montreal, die für den Jänner 1888 auf 200.000 Seelen
geschätzt wurde. Aber die Vorherrschaft im Handel besitzen die Eng-
länder; ihre Sprache ist die Geschäftssprache. Der am Fusse des
„Mount Royal“ gelegene untere Stadttheil, das alte Hafenviertel, ist
französisch; an den Terrassen aufwärts liegt das grossstädtische, das
angelsächsische Montreal, dort wohnen die Engländer und Schotten,
2*
[12]Die atlantische Küste von Amerika.
welche das materielle Leben Montreals leiten. In ihren Händen liegt
der grösste Theil des Handels, der Industrie; sie beherrschen das
Capital und das ganze Bankwesen. Wie zähe auch der Widerstand
der Franzosen ist, Montreal muss doch allmälig seinen französischen
Charakter einbüssen, schon weil der kräftige Menschennachschub aus
Frankreich fehlt. Es bleibt übrigens immerhin ein Beweis von der
nationalen Widerstandskraft der Franzosen, dass man in Ostcanada
130 Jahre nach dem Verluste der politischen Zusammengehörigkeit
noch immer französisch spricht und fühlt.
Montreal ist die commercielle Hauptstadt Canadas, eine
schöne, wohlhabende Stadt, der Sitz der canadischen Capitalisten, der
grossen Dampfer-, Eisenbahn- und Telegraphenverwaltungen und der
mächtigsten Bankinstitute. Diese dominirende Stellung Montreals ist
begründet in seiner geographischen Lage; hier hat ein weitverzweigtes
Netz von Wasserverbindungen (Flüsse und Canäle) seinen Mittelpunkt,
bis hieher konnten schon von jeher Seeschiffe den Lorenz befahren.
Allein das System des St. Lorenz, obschon ungleich wasser-
reicher, bildet keine leistungsfähige, durchgehende Strasse wie der
Mississippi; zahlreiche Stromschnellen, selbst Wasserfälle unterbrechen
seinen Lauf und den seiner Nebenflüsse. Namentlich zwischen den
grossen Seen und Montreal lagen und liegen die Verhältnisse zum
Theil noch sehr schlimm; für die weitgehenden Anforderungen des
modernen Verkehres ist der Lorenz erst seit einigen Jahrzehnten
erschlossen und die Arbeiten sind noch nicht ganz beendet. Jetzt ist
zwischen Montreal und Quebec eine durchgehende Fahrrinne von 8·38 m
(27½ Fuss englisch) hergestellt und dadurch die Concurrenzfähigkeit
von Montreal als grossem Seehafen dauernd gesichert.
Die Hindernisse, welche sich oberhalb Montreal der Schiffahrt
entgegenstellen, werden durch 6 Canäle mit einer Gesammtlänge von
114·24 km (71 Meilen englisch) umgangen, deren Tiefe allmälig von
3·66 m (12′ englisch) auf 4·27 m (14′ englisch) gebracht wird. Diese
Canalbauten sind bereits so weit gediehen, dass schon heute See-
schiffe von 1500 t von Duluth an der Westspitze des Oberen
Sees direct nach Liverpool fahren. In der Regel aber werden die
Waaren in Montreal auf die weit grösseren Oceandampfer umgeladen.
In wenigen Jahren werden Dampfer von 2000—3000 t direct von
Europa die 1500 englische Meilen landeinwärts liegenden Häfen am
Oberen See aufsuchen. Diese Thatsache muss tief einschneidend auf die
Einwanderungs-, aber noch mehr auf die Exporttarife des nordameri-
kanischen (auch canadischen) Massenexports (Getreide, Holz) wirken.
[13]Montreal und Quebec.
Unter den seitlich zuströmenden Wasserverbindungen hat für
Montreal die grösste Bedeutung der Ottawa-River, welcher oberhalb
der Insel von Montreal auf der linken Seite in den St. Lorenzo
mündet. Ungeheuere Felder von Baumstämmen schwimmen den Strom
hinab, an Ottawa, der herrlich schönen Hauptstadt, vorüber, welche
der Mittelpunkt des canadischen Holzhandels und der Holzindustrie
Metern).
A H Stromschnellen von S. Mary (12 km stündl. Geschw.), B Strafhaus (Jail), C Wasserreservoirs,
D Werften von S. Lambert, E Eisenbahnstation, F Leuchtfeuer, G Victoria-Röhrenbrücke über den
Lorenzstrom, J Mount-Royal-Park, K Hôtel Dien, L Notre Dame-Kirche, M Lachine-Canal, N Bassin
des Lachine-Canales, O Victoria Pier, P City-Hall.
ist, und werden von Montreal oder Quebec aus nach allen Welt-
gegenden verschifft.
Eine dritte Wasserverbindung, wichtig für die Versorgung Mont-
reals mit Kohlen, führt durch den Champlain-See nach New-York.
Auf diesen billigen Strassen versorgt sich der Handel Montreals,
das um 463 km (260 Seemeilen) näher zu Liverpool und um 352 km
(190 Seemeilen) näher zu Antwerpen liegt als New-York, die Metropole
[14]Die atlantische Küste von Amerika.
des Handels an der atlantischen Küste Nordamerikas. Und doch
braucht die „Empire City“ die Rivalität Montreals niemals zu fürchten,
denn die äusserst strengen canadischen Winter beschränken seinen See-
verkehr auf höchstens 7 Monate im Jahre; im Winter ist Montreal
eine Binnenstadt.
New-York und Boston sind in erster, Portland, Halifax und
St. John in zweiter Linie die Winterhäfen Montreals. Diesen Verkehr
sichern zwei Eisenbahnbrücken zu jeder Jahreszeit dem Platze Montreal.
Die Verbindung mit zahlreichen Bahnlinien macht Montreal zum ersten
und wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte Canadas. Seit der Eröffnung
der Canada-Pacificbahn im Mai 1886 hat es auch an internationaler
Bedeutung gewonnen, denn dieselbe verbindet durch einen 4676 km
(2·906 englische Meilen) langen und solid gebauten Schienenstrang
Montreal mit Port-Moody, respective der Vancouver-Insel am stillen
Ocean, und stellt in Verbindung mit der Intercolonial-Eisenbahn Halifax-
Montreal (1376 km oder 850 englische Meilen) dermalen die kürzeste
Ueberlandsroute zwischen Europa und Ostasien, respective Nordost-
Australien her.
Die Linie Halifax-Vancouver, die einen Theil der „Empire-Route“
bildet, so genannt, weil sie ausschliesslich über Gebiet des britischen
Reiches geht, bietet dem Handel Englands nach allen Häfen in Japan
und China hinab bis Hongkong und dem Verkehre nach dem Nord-
osten Australiens einen bedeutend kürzeren Weg als über den Suez-
canal. „Via Montreal“ besteht heute schon alle vierzehn Tage eine
Postverbindung zwischen England und Ostasien; Briefe und werth-
volle Güter, wie der Thee Japans, werden auf ihr versendet und
auch die Reisenden bedienen sich ihrer im Sommer gerne, weil ihr
Seeweg durch kühle Meere führt.
Die grosse Bedeutung dieser Canada-Pacificbahn liegt aber gar
nicht in der Concurrenz im internationalen Verkehre, sondern darin,
dass sie ein Pionnier der Cultur für Südcanada ist und dass sie auch
den 311,000 km2 grossen „fruchtbaren Gürtel“ Manitobas und die
getreidereichen Nordweststaaten der Union dem Einflusse des Handels
von Montreal zugeführt.
Allerdings hört man, wenn von Montreals Grösse gesprochen
wird, noch ziemlich viel Zukunftsmusik, was der Mangel eines dicht
bevölkerten Hinterlandes erklärlich macht, aber auch in Canada lebt
man rasch und doppelt rasch, seit die Eisenbahnen das Innere er-
schliessen. Die Hauptsache ist, dass alle Zukunftswege über Montreal
[15]Montreal und Quebec.
gelenkt sind, dessen Handel übrigens schon heute ein bedeutender ist.
Es ist der erste Einfuhrplatz des Landes; von den Summen der Zoll-
einnahmen der Dominion, die bis auf eine ganz kleine Ziffer von Ein-
fuhrartikeln erhoben wurden, kommen auf Montreal allein fast zwei
Fünftel.
Eingeführt werden Erzeugnisse der Industrie Amerikas und Europas, doch
nur mehr die besseren Qualitäten.
Von Nahrungs- und Genussmitteln verdienen im Import aus dem Auslande
Erwähnung: Reis, Kaffee, Thee und Tabak; Rohzucker (1887 um 3 Millionen
Dollars) zum Theile auch aus Europa stammend und Droguen; Salz und Soda
werden vornehmlich aus dem Vereinigten Königreiche gebracht. Von dort und aus
Deutschland kommen Eisen- und Stahlwaaren (Werth 1887 4 Millionen Dollars).
Für die heimische Industrie sind Baumwolle und Jute bestimmt. Mit Steinkohlen
versorgt man sich aus den Seeprovinzen der Dominion und aus der Union.
Gewissermassen den Uebergang zum Export bilden die Artikel, welche wie
Weizen, Weizenmehl und Mais aus der Union kommen und Montreal im Transito
nach dem Osten passiren.
Der wichtigste Stapelartikel Montreals ist lebendes Vieh (1887 für 14·7 Mil-
lionen Dollars), welches nach Europa verschifft wird. Darin ist Montreal bahn-
brechend aufgetreten; es steht heute in der Ausdehnung seines Exportes von
lebendem Rindvieh nur hinter New-York zurück, während es in der Schafausfuhr
die führende Stellung behauptet.
In grossen Stock-Yards, d. h. Viehhöfen, die durch Geleise mit der Grand-
Trunk-Eisenbahn in Verbindung stehen und 10.000 Stück Rindvieh und ebenso-
viel Schafe fassen, erholen sich die Thiere von der Eisenbahnfahrt. Zu 300 bis
600 Stück lebendes Rindvieh werden auf einem Dampfer verladen, statt eines
Ochsen können je 8—9 Schafe in einem gleichen Raume untergebracht werden.
Im Frühjahre geht meist Vieh nach England, welches den Winter über in Brenne-
reien gemästet worden. Schafe werden Juni bis August verschifft, nachdem sie die
Sommerweide gehabt haben. Die Schiffe, welche Vieh verfrachten, können bei dem
geringen Gewichte desselben fast eben so viel Getreide einnehmen, wie ohne Vieh 1).
So stützt der Viehhandel den Getreidehandel. Von thierischen Producten werden
noch Käse und Eier exportirt. Das Pflanzenreich lieferte Weizen und Weizenmehl,
Mais und Hafer (zusammen 4—6 Millionen Hektoliter) und Erbsen (0·6—1 Million
Hektoliter) meist für England; Holz für Grossbritannien und Südamerika zum
Exporte; von Producten des Mineralreiches gehen Phosphate nach England und
Deutschland.
Der Gesammthandel Montreals erreichte folgende Werthe:
Montreals Schiffsverkehr 1886/87 betrug:
Der Verkehr mit der See ist wohl nicht nach Dampfern und Segelschiffen
gesondert ausgewiesen, aber wir wissen, dass die Segelschiffe mit kaum 8 Percent
des Tonnengehaltes daran betheiligt sind, weil sie sich stromaufwärts bugsiren
lassen müssen, was etwa 1 Dollar pro Tonne kostet.
Die englischen Schiffe dominiren nach Zahl und Tonnengehalt im Seever-
kehre (1886/87 903.818 Tonnen), dann folgen die canadischen (1886/87 213.783
Tonnen); unter den Schiffen fremder Flaggen sind die deutschen die wichtigsten,
neben ihnen sind noch Schweden und Norwegen zu nennen.
Zwischen Montreal und Europa bestehen 11 regelmässige
Dampferlinien, von welchen 9 nach England, 1 nach Antwerpen und
1 nach Hamburg gehen.
Der Verkehr im Löschen und Laden wickelt sich rasch ab;
denn den Schiffen steht ein ganz modern eingerichteter Quai in der
Länge von 7·6 km (4·7 engl. Meilen) zur Verfügung, an welchem die
Dampfer anlegen können. Der Hafen ist des Nachts elektrisch be-
leuchtet.
In Montreal bestehen eine Börse für Effecten und Devisen
(Stock-Exchange) und eine Getreidebörse.
Consulate haben in Montreal: Argentina, Belgien, Brasilien (G. C.), Chile
(G. C.), Deutsches Reich, Frankreich (V. C.), Hawaiï, Italien (G. C.), Liberia, Nieder-
lande (V. C.), Oesterreich-Ungarn, Peru, Spanien (V. C.), Schweden und Norwegen
(V. C.), Vereinigte Staaten von Amerika (G. C.), Uruguay.
Quebec.
Die malerische Lage von Quebec und der landschaftliche Reiz
seiner Umgebung wirken auf jeden Besucher des Lorenz-Stromes völlig
überraschend. Diese Thatsache erklärt es zur Genüge, dass der Local-
patriotismus der Bewohner diese Eigenschaft der Stadt selbst über
den herrlichen Anblick von Constantinopel, Neapel, Rio Janeiro und
anderen wegen besonderer Reize berühmten Punkten zu stellen pflegt.
[17]Montreal und Quebec.
Gewiss ist, dass nur sehr wenige Gebiete der Erde das Gesammtbild
von Quebec an Herrlichkeit und Reiz zu überbieten vermögen.
Die von der mächtigen und als uneinnehmbar geltenden Citadelle
gekrönte Stadt bedeckt, wie aus dem Plane zu ersehen, den Hügel-
zug einer Halbinsel, welche durch die Mündung des St. Charles-
Flusses gebildet ist. Auf steilen Felsenwänden, zu deren Füssen der
Quebec.
Stadttheil Champlain längs des Ufers entstanden ist, klimmen an der
Ostseite die Festungswerke bis zum 106 m hoch gelegenen Niveau
der Citadelle hinan. Gegen Westen zu entfaltet das Häusergewirre
von Quebec seine malerischen Massen, die hineingreifen in die grüne
Uferlandschaft des St. Charles-Flusses.
Ein blendendes Panorama entzückt den Besucher der berühmten
Dufferin- und Durham-Terrace, die, 70 m über dem Hafen ge-
legen, der fashionabelste Platz von Quebec ist. Majestätisch wälzt
zu Füssen des Beschauers der blaue Lorenzstrom seine von zahllosen
Schiffen jeder Art belebten Wogen dem Ocean zu. Zwischen Segel-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 3
[18]Die atlantische Küste von Amerika.
schiffen und kleineren Fahrzeugen schiessen die grossen palastähnlichen
Salondampfer und die prächtigen Könige der Oceane mit voller Kraft
daher, und längs der Ufer sind Hunderte von Fahrzeugen in lang-
gestreckter Linie mit Laden und Löschen beschäftigt. Besonders an-
ziehend und lebhaft ist das Hafenbild, wenn im Frühjahre bei Er-
öffnung der Schiffahrt die Frühlingsflotte (spring-fleet, auch fall-fleet)
mehrere hundert Schiffe stark, auf einmal im Hafen erscheint, um den
durch fünf Monate brach gelegenen Seeverkehr wieder aufzunehmen.
Gegenüber von Quebec erblickt man die an den Abhängen eines
grünen Höhenzuges gelagerte Stadt Levis. Zwischen Häusergruppen
unterscheidet man Kirchen, Klöster, Schulen und weiter zu gegen Point
Levis reizend in Gärten gebettete Villen. Auf der Levis-Höhe sind
zum Schutz des Hafens drei starke Forts erbaut. Weiter ostwärts
erscheint der grüne Rücken der Insel Orleans (vormals Bacchus-Insel
genannt), eines fruchtbaren Eilandes, an dessen Südseite die Schiff-
fahrtstrasse vorbeiführt. Prächtig ist auch das Bild des linken Strom-
ufers, längs welchem blühende Ortschaften, wie St. Anne, Chateau
Richer, L’Ange Gardien und Beauport, vom grünen Hintergrunde rei-
zend sich abheben. Dort gewahrt man die Nebelwolke des gewaltigen,
über den 80 m hohen Abgrund stürzenden Montmorency-Wasserfalles.
Den Horizont endlich begrenzen formenreiche Höhenzüge, deren
äusserste im Azur des Firmamentes aufgehen.
Die „Terrace“ ist der Brennpunkt der Gesellschaft von Quebec,
die dort während der Sommernachmittage und Abende den Klängen
der Musik lauscht. Einen besonderen Reiz gewinnt die mit sechs
Kiosken gezierte Promenade durch die anerkannte Schönheit der Frauen-
welt und die Eleganz ihrer Haltung. Ueberhaupt hat die innige Durch-
dringung der englischen und französischen Bevölkerungselemente in
Canada eine liebenswürdige Bevölkerung geschaffen, die ebenso die
englische Derbheit wie den leichtfertigen französischen Sinn abge-
streift hat.
Am 19. September 1889 ereignete sich in unmittelbarer Nähe
der Dufferin-Terrace eine entsetzliche Katastrophe, die ganz Quebec
in Trauer und Bestürzung versetzte.
Von dem die Königsbastion der Citadelle tragenden Felsen löste
sich Abends 7½ Uhr eine Erd- und Felsmasse im Gewichte von vielen
Tausenden von Tonnen und stürzte mit ungeheurer Wucht in die gegen
100 m unterhalb liegende Champlainstrasse, wo sieben Häuser voll-
ständig zertrümmert und über einhundert Menschen unter fast acht
Meter hohem Gerölle begraben wurden.
[19]Montreal und Quebec.
Aehuliche Katastrophen, die man den Einflüssen von langanhal-
tendem Regen zuschreibt, ereigneten sich an demselben steilen Ab-
sturze zu wiederholtenmalen, so 1841 und 1852. In beiden Fällen
wurden Häuser zermalmt und gingen Menschen zu Grunde.
Auch die Dufferin-Terrace wird nach der neuesten Katastrophe
für unsicher gehalten.
Im Jahre 1881 wurden die unterhalb der Felswand gelegenen
Häuser weggerückt und ein äusserst starker Schutzdamm, der etwaige
Felsstürze aufhalten sollte, errichtet.
An der Nordseite der Terrace vermittelt ein Elevator die Ver-
bindung mit der Unterstadt (Lower Town), die von Cap Diamond an
gegen den St. Charlesfluss immer mehr an Breite gewinnt. Die Ober-
stadt (Upper Town), welche nebst Kirchen grösstentheils öffentliche
Gebäude enthält, ist dagegen in den Festungswerken eingeschlossen,
deren höchstes Object die vorgenannte Citadelle ist. Das Obser-
vatorium der letzteren liegt unter 46° 48′ nördl. Breite und 71° 12′
westl. Länge von Greenvich.
Im Gouverneursgarten der Oberstadt erhebt sich der 20 m hohe
Obelisk des 1827 enthüllten Wolfe- und Montcalm-Monumentes.
Gegen Südwest dehnt sich das Hochplateau Abrahamplain, auf
welchem General Wolfe das französische Heer von Canada schlug
und dadurch das Schicksal der Colonie entschied.
Quebec besitzt einige prächtige Kirchen, wie die französische
Basilika, die an Reliquien reiche Kirche der Ursulinerinnen, die eng-
lische Kathedrale u.a.m. Bedeutend, wenn auch nicht in dem Masse
wie in Montreal, ist die Zahl der Wohlthätigkeits- und Bildungs-
anstalten von Quebec, das in jeder Hinsicht den Ruf einer interessanten
Stadt rechtfertigt.
Letzter Zeit ist nahe der Mündung des St. Charlesflusses der
grossartige neue Hafen entstanden, der zwei Bassins (Docks) von 1200 m
Länge und 300 m Breite enthält, die durch einem mit Waarenhäusern
versehenen Wellenbrecher geschützt sind und mit dem im dorischen
Style aufgeführten Zollgebäude in Verbindung stehen.
Ein ähnliches Hafenbassin ist auch bei Levis-Point vorhanden,
wie denn für die Bedürfnisse der Schiffahrt auch noch durch acht
Schwimmdocks und Aufholwerften bestens vorgesorgt ist.
Nicht in jedem Winter überzieht die Gewässer des Lorenzstromes
eine feste Eiskruste, doch ereignet es sich, dass die reissende Strö-
mung den Eisstoss zu einer imposanten Brücke (Ice-Bridge) staut,
3*
[20]Die atlantische Küste von Amerika.
über welche hinweg das Volk hinüber nach Point Levis und von dort
nach der Insel Orleans wallt.
Quebec im Mittelpunkte eines rein französischen Gebietes, hat
seinen französischen Charakter noch viel treuer bewahrt als Montreal.
Fast der ganze öffentliche Verkehr, alle Aufschriften, Ankündigungen
bedienen sich der französischen Sprache. Allerdings hört man dort
Metern).
A Hafen von Quebec, B Kirche von Beauport, C Dochester-Brücke, D Maritime Etablissements,
E Werften und Docks, G Eisenbahnstation, H Bassin von Quebec, J Neuer Hafen und Docks, K Dufferin-
Terrace, L Citadelle, M Mündung des St. Charles-Flusses, N Zollamt (Custom-House).
nicht das moderne Französisch, sondern die Sprache der Periode Lud-
wig XIV., der Zeit der grossen Classiker. Selbstverständlich ist auch
in Sitte und Tracht die Vergangenheit vielfach conservirt.
Die Bedeutung des Flusshafens Quebec ist nicht mehr dieselbe,
wie im vorigen Jahrhundert, wo er die wirkliche „Capitale“ des
französischen Canada gewesen. Es musste dem jüngeren Montreal als
Handelsplatz weichen, weil es zu weit entfernt ist von den Quellen des
Wohlstandes der Dominion of Canada.
[21]Montreal und Quebec.
Der Hafen zwischen der Stadt und der Insel Orleans ist 50 m
tief und bietet der grössten Flotte Raum, allein er ist des Eises
halber bloss vom April bis November offen.
Hesse-Wartegg nennt Quebec mit Recht die Portierloge des
Continents; denn die Schiffe, welche von und nach Montreal gehen,
landen wohl auch zum grossen Theile an den Quais von Quebec,
aber sie führen seinem Handel wenig Nahrung zu.
Der Import dient nur der Befriedigung der localen Bedürfnisse.
In Quebec mit Beauce und Rivière du Loup wurden 1886/87 686.393 Dollars
Zölle erhoben, das sind wenig mehr als 3 Percent des ganzen Zollertrags der
Dominion of Canada.
Im Exporthandel steht obenan der Holzhandel. Auch der Walfischfang ist
eine wichtige Erwerbsquelle für Quebec.
Der Schiffsverkehr von Quebec erreichte 1886/87 folgende Ziffern:
Im Seehandel ist die englische Flagge die wichtigste (1886/87 336 Schiffe
mit 548.058 Tonnen), dann folgen die fremden Flaggen, unter denen Schweden,
Norwegen und Deutschland hervorragen; aber auch holländische, russische, fran-
zösische und argentinische Schiffe besuchen Quebec, wohl meist um Holz einzu-
nehmen. Die canadische Flagge spielt die kleinste Rolle. Wie sich bei einem Hafen,
der Holz exportirt, von selbst versteht, geht ein ansehnlicher Theil der Schiffe in
Ballast ein.
Consulate: Vereinigte Staaten von Amerika, Argentina (G. C.), Belgien
(G. C.), Chile, Deutsches Reich, Frankreich (G. C.), Portugal, Schweden, Nor-
wegen, Spanien (G. C.).
[[22]]
Halifax und St. John.
Der allgemeine Charakter der Bodenfläche von Neu-Schottland
gleicht vielfach jenem von Canada. Wir finden dasselbe flache von
Flüssen und Wasserläufen durchsetzte Hügelland, Seen und Wälder
vor, wie in Canada.
Die Südost- oder atlantische Küste ist daher sehr reich an tief
eingeschnittenen Buchten und Häfen und nur allmälig senkt das Land
sich zu grossen Meerestiefen herab. Im Durchschnitte findet man erst
12 Seemeilen seewärts der Küste eine Wassertiefe von 100 m.
Einer der schönsten Häfen der Erde ist jener von Halifax, der
in die Chebucto-Bay einmündet und in dem malerischen „Bedford-
Basin“, einem kleinen Binnenmeere, ausläuft.
Er erstreckt sich 15 Seemeilen weit in nördlicher Richtung und
besitzt Raum und Wassertiefe für jede Zahl der grössten Oceanschiffe.
Die Hafenzufahrt ist durch fünf prächtige Leuchtthürme markirt und
bei Nebelwetter, das die einsetzenden Seebrisen zu begleiten pflegt,
werden die Schiffe durch drei Nebelhörner gewarnt.
Es ist keineswegs ein blendendes Bild, das Halifax und seine
Umgebung zu bieten vermag — denn es fehlt durchaus an kräftiger
Terrainbewegung — und wenngleich einzelne Partien nicht reizlos,
ja manche, wie die grüne Pleasantspitze, sogar malerisch uns entgegen-
blicken, so ist doch der Gesammteindruck der Gegend ein ausge-
sprochen monotoner.
Als Hauptwaffenplatz der englischen Land- und Seestreitkräfte
in Amerika hat Halifax eine bedeutende Zahl von Befestigungen er-
halten, deren massige Formen auf Hügeln und Inseln zu bemerken sind.
Durch eigenthümliche Verhältnisse ist der Platz viel rascher
eine Kriegsstation geworden, als er zu einem Handelsemporium ge-
deihen konnte, denn 1749 durch eine Expedition unter Edward Corn-
wallis, Gouverneur von Neu-Schottland, gegründet, wurde das kaum
[23]Halifax und St. John.
entstehende Halifax sogleich als Sammelpunkt für die gegen Canada
aufzubietenden Streitkräfte bestimmt, und eine ähnliche Rolle fiel dem
Hafen während des Unabhängigkeitskampfes und in der Zeit der
napoleonischen Kriege zu.
Erst nach Aufrichtung der amerikanischen Union ward hier, wie
überhaupt in Canada, die commercielle Thätigkeit durch die Einwan-
derung vieler Tausende königstreuer Elemente (die exilirten Loyalists)
belebt und begann Halifax — seither zur Hauptstadt von Neu-Schott-
land erhoben — als Handelsplatz aufzustreben.
Die Stadt bedeckt die flachen Böschungen einer Halbinsel, welche
durch den tief eindringenden „Nordwestarm“ gebildet ist. Die breiten,
geraden und senkrecht sich kreuzenden Strassenzüge charakterisiren
die Stadt als eine neue Schöpfung; noch mehr erwecken diesen Ein-
druck aber die mitunter reizend stylisirten hölzernen Häuser, aus
welchen das Gros der Baulichkeiten besteht. Im sogenannten „brick
district“ (Ziegeldistrict), dem Geschäftstheil der Stadt, dürfen übrigens
keine neuen Holzhäuser mehr gebaut werden. Halifax besitzt jedoch
auch schöne und imposante Steinbauten, wie die City-Hall, den Bahn-
hof, das Post- und Zollamt, mehrere Kirchen u. dgl.
Die unter 44° 39′ nördl. Breite und 63° 34′ westl. von Green-
wich und 75 m über dem Meere liegende Citadelle überragt die Stadt
und kreuzt das Feuer mit der gewaltigen Redoute der Georgsinsel,
welche letztere dem sehr belebten Quai gegenüberliegt.
Längs des Quai führt die langgestreckte Water-Street, die Haupt-
handelsstrasse von Halifax, an welcher die Werften und Waaren-
häuser liegen und der grosse Seeverkehr pulsirt. Dort sind die Anlege-
plätze der Oceandampfer und der Ferryboote, welche die Verbindung mit
dem industriellen Vororte Dartmouth besorgen, der gegenüber der Stadt
auf der östlichen Hafenseite freundlich an der Küste lagert. Am Quai
liegt weiter nördlich das weitläufige 1758 gegründete Seearsenal
(Navy Yard) der englischen Flottenstation, das zu den grössten ähn-
lichen Etablissements am amerikanischen Continente zählt und neuestens
einen Trockendock in Granitbau erhielt, der Schiffe bis zu 170 m
Länge aufnehmen kann.
Anschliessend an das Arsenal erblickt man das hübsche Gebäude
der Intercolonial-Eisenbahn, deren Endstation Halifax bildet. Der
Schienenstrang führt von hier längs der Küste nördlich, übersetzt
auf einer Pfeilerbrücke die Enge des Bedford-Basins, berührt Dart-
mouth und zieht dann weiter gegen Canada.
[24]Die atlantische Küste von Amerika.
Eine der reizendsten Strassen von Halifax ist die mit hübschen
Privathäusern und anmuthigen Gärten gezierte Pleasant Street; sie
führt zum ausgedehnten Parke Pleasant Point, einem bevorzugten
Vereinigungsorte der Stadtbevölkerung. Der weitläufige Grund ist
Eigenthum der Regierung, wird aber von dieser gegen einen Pachtzins
von einem Shilling per Jahr der Gemeinde überlassen.
Halifax hat 36.000 Einwohner, es ist eine englische Stadt und
seine kräftige Bevölkerung wohl geeignet für Handel und Schiffahrt.
Halifax.
In dem gesegneten Neu-Schottland blühen Ackerbau, Viehzucht und Berg-
bau. Die Kohlen, welche meist bei Truro, in der Nähe von Halifax, gewonnen
werden, finden ihren Markt in Neufoundland, in der Union und in Westindien.
Die Hauptquellen des Wohlstandes sind jedoch die ausgedehnten Waldungen,
welche das Innere der Halbinsel bedecken, und der Fischfang in den zahlreichen
Seen und deren Abflüssen, sowie an den Küsten und auf der Neufoundland-Bank. Der
Werth der Fischereiproducte Neu-Schottlands beträgt jährlich über 8 Millionen
Dollars, das sind etwa 45 % des Gesammtertrages der Dominion of Canada; die
Fische finden, wie das Holz, Absatz in England, Südamerika und Westindien.
Halifax, welches den grössten Theil dieses Handels besorgt, wäre schon
dadurch ein nennenswerther Hafen. Seine von Jahr zu Jahr steigende Bedeutung
liegt aber darin, dass es für die ganze Ostküste Canadas der Winterhafen ist.
[25]Halifax und St. John.
Im Gegensatze zu Quebec und Montreal, mit denen er in Eisenbahnverbin-
dung steht, wird dieser Hafen auch während der kalten Wintermonate nicht zu oft vom
Eise gesperrt. Alle grossen überseeischen Dampferlinien, die im Sommer Montreal
besuchen, laufen im Winter Halifax an; für die grossen Fischerflotten Neu Schott-
Metern).
A Hafen von Halifax, B Einfahrt zum Hafen, C Post-Amt, D Point Pleasant-Park mit Prince of Wales-
Thurm, E Eisenbahnstation, F Leuchtfeuer, G City-Hall.
lands, welche alljährlich die Küsten Neufoundlands und Labradors besuchen, ist
Halifax eine Hauptstation. Von hier aus wird auch St. Johns, die Fischermetropole
des verarmenden Neufoundlands mit Lebensmitteln versorgt; ausserdem ist Halifax
der einzige Punkt der Dominion, in welchem England eine Garnison (1480 Mann)
hält. All das vereinigt sich, um Halifax viel Leben und grossen Reichthum zu-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 4
[26]Die atlantische Küste von Amerika.
zuführen. Heute verräth schon der erste Blick auf die regelmässig gebaute Stadt
mit ihren grossen Docks, dass man sich in einem der grössten Handelshäfen
Ostcanadas befindet.
Der Schiffsverkehr von Halifax betrug 1886/87:
Die britische Flagge hat im Verkehre von Halifax das Uebergewicht; die
canadische aber auch eine viel grössere Bedeutung als die fremden Flaggen. Unter
den letzteren ragen hervor die der Vereinigten Staaten von Amerika, von Schweden
und Norwegen und des Deutschen Reiches.
Ein Viertel des gesammten Tonnengehaltes der einlaufenden Schiffe kommt
in Ballast.
Halifax ist der Ausgangspunkt (vom atlantischen Ocean gerechnet) der
ausschliesslich britischen Eisenbahnlinie, welche durch den Continent von Nord-
amerika führt.
In demselben Masse als dieser grosse „Cultur-Pionnier“ das Hinterland bis
Columbia hebt, in demselben Masse steigt Halifax an Bedeutung. Schon heute ist
es End- oder doch Anlaufstation für zahlreiche Dampferlinien.
Die Verbindung mit Europa besorgt neben den Linien, die nur im Winter
Halifax anlaufen, die Allan-Line, die jeden zweiten Dienstag von Liverpool über
Queenstown, St. Johns (Neufoundland) nach Halifax und Baltimore geht. Halifax
liegt für den Verkehr mit Europa günstig, da seine Entfernung vom St. Georgs-
Canal um 800 Seemeilen kleiner ist als die New-Yorks. Daher landen auch nicht
weit von ihm im Nordwesten fünf von den zehn transatlantischen Kabeln,
die für den telegraphischen Verkehr Europas mit Nordamerika bestimmt sind.
Drei Kabelleitungen gehen von dort weiter nach den Vereinigten Staaten.
Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich (V. C.),
Hawaiï, Italien, Niederlande (V. C.), Oesterreich-Ungarn, Portugal, Schweden und
Norwegen (V. C.), Vereinigte Staaten von Nordamerika (G. C.), Uruguay.
Wir schliessen hier, wie wir glauben ganz naturgerecht, die
Beschreibung von St. John in Neubraunschweig an, das berufen
scheint, einen Theil des Exportes aus dem Innern Canadas, soweit er
heute über Halifax geht, an sich zu ziehen.
St. John hat 26.127 Einwohner (1881); es liegt an der Fundy-
Bai und an der linken Seite der Mündung des St. John River, der bis
Fredericktown aufwärts von Seedampfern befahren wird.
Neu-Braunschweig ist ein Land der Zukunft; heute ist sein In-
neres fast zu vier Fünftel von Urwald bedeckt, der nur durch die
Läufe der Flüsse und zahlreiche Seen unterbrochen wird. Auf diese
[27]Halifax und St. John.
Art ist es wohl sehr erklärlich, dass sich das ganze Geschäftsleben
dieses Platzes um die zwei Artikel Holz und Fische dreht.
Die kolossalen Holzmassen, welche im Frühjahre und Herbst
den St. John River herabschwimmen, werden theils hier schon zum
Schiffbau benützt oder in alle Welt, vor allem nach Grossbritannien
verschifft. Hier werden auch grossartige Flosse, „Ocean Timber
Rafts“ zusammengestellt, die ein Gewicht von 7000 bis 8000 Tonnen
haben und von Dampfern geleitet, auf dem Meere nach New-York gehen.
Im Jahre 1888 wurde dort ein Holzlager von 32 Millionen Quadratfuss über-
wintert, die Verschiffungen von Dielen und Brettern beliefen sich auf 156,035.720 Qua-
dratfuss, von Fichtenholz wurden 457 Tons ausgeführt, von Birkenholz 5221 Tons.
In Neu-Braunschweig erreicht der Werth aller Fischereiproducte 3¼
bis 4 Millionen Dollars. Geradezu unglaublich ist der Fischreichthum der Flüsse
und Seen, namentlich an Lachsen und Lachsforellen.
Der Schiffverkehr von St. John betrug 1886/87:
Die Summe der Tonnenzahl der englischen und canadischen Schiffe erreicht
nicht die der fremden Flaggen, von denen die der Vereinigten Staaten neun Zehntel
umfasst. Neben ihnen sind noch erwähnenswerth die Schiffe unter norwegischer,
schwedischer und spanischer Flagge.
Aehnlich wie in Halifax verspürt man auch bereits in St. John die Wir-
kungen der allgemeinen Entwicklung Canadas und sucht die günstige Position
durch künstliche Nachhilfe so weit als möglich auszunützen.
Zu dem alten Anschlusse an die nach Halifax führende Intercolonialbahn
bei Moncton, das an dem Nordende der Fundy-Bay liegt, erhielt St. John 1889
eine kürzere Verbindung nach Quebec und Montreal durch eine Bahn, die, das
Gebiet der Union durchschneidend, längs des Flusses St. John nach Norden führt.
Man erwartet, dass ein beträchtlicher Theil der bisher über die Vereinigten
Staaten eingeführten Waaren direct nach Canada über St. John verschifft werden
wird, dessen Hafen nie zufriert.
Als Importplatz war St. John schon vor Eröffnung dieser neuen Eisenbahn-
linie ziemlich wichtig, seit ihrer Eröffnung steigert sich seine Bedeutung entschieden.
Canada macht sich aber in Bezug auf jede Art des eigentlichen Verkehres
in demselben Masse von der Union unabhängig, als die Chancen seiner eigenen
Entwicklung durch die Einwanderung steigen.
Consulate: Chile (V. C.), Deutsches Reich, Frankreich (C. A.), Hawaiï,
Niederlande (V. C.), Spanien (V. C.), Schweden und Norwegen (V. C.), Uruguay,
Vereinigte Staaten.
4*
[[28]]
Boston.
Durch die Fährlichkeiten der Einfahrt sind wir in den ge-
schützten Bereich des inneren Hafens vorgedrungen. Meilenlang, un-
absehbar liegt von Thürmen und hohen Schloten überragt die Häuser-
masse von Boston vor unserem Blick. Von zahllosen Schiffen sind
die Quais und Ankerplätze besetzt und reges Treiben belebt die
Hafenfläche.
Der gewaltige Kern von Boston, das ursprüngliche Tremont,
bedeckt den hügelförmig gekrümmten Rücken einer Halbinsel; er tritt
aus dem Häusermeer scharf und symmetrisch hervor.
Wie es jetzt dort am höchsten Punkte glitzert, ja zu hellem
Glanze aufflammt, als ergösse von dort aus die warme Glut des
Lebens sich über Stadt und Land! Der magische Lichtquell, der seine
Strahlen weit und breit entsendet, ist die mächtige goldene Kuppel des
Repräsentantenhauses (State-House) von Massachusetts. So dominirend
strebt das Bauwerk auf, so hervorragend ist seine Lage, dass es von
jedem Punkte des vielgewundenen Hafens stets als ein auffallendes
und bestechendes Hauptobject im Stadtbild erscheint. Die gleissende
Kuppel ist so recht das Wahrzeichen Bostons, ja selbst des ge-
waltigen Reiches der nordamerikanischen Union, und der Glanz, den
ihre kühn gewölbte Fläche auf das reiche Emporium zu ihren Füssen
ausstrahlt, ist dem Glanze jener Freiheit vergleichbar, die weite
Rechte verleiht, aber auch ernste Pflichten auferlegt. Unter ihrer
Herrschaft allein konnte die überschäumende Flut eines kraftvollen
Lebens bis tief in die weitesten Bevölkerungsschichten eindringen und,
in tausend Formen beglückend, den Aufbau der grossartigen Ver-
hältnisse begünstigen, die unter dem Sternenbanner der Union so un-
geahnt, so völlig wunderbar sich ausgestaltet haben.
Das freiheitliche Selbstbestimmungsrecht schuf dort eine neue
Gesellschaft, welche durch Intelligenz, tüchtige Lebensanschauung,
[29]Boston.
Selbständigkeit, Streben nach höherer geistiger Bildung, durch Fleiss
und Beharrlichkeit, wie nicht minder durch Unternehmungsgeist und
ernste humanitäre Gesinnung ausgezeichnet ist.
Solche in der Majorität eines grossen Volkes wirkende Eigen-
schaften müssen den Rahmen seiner Entwicklung immer mehr aus-
weiten, und so gewaltig ist der Triumphzug der letzteren, dass es
gegenwärtig keines Menschen geistigem Blicke noch vergönnt ist, die
endlichen Ziele, welchen die neue Gesellschaft mit ihrem socialistischen
Drängen, ihrer Frauenemancipation zustrebt, auch nur zu ahnen.
Die weiteste Ausbildung und Verwerthung der Geistesgaben und
der Arbeitskraft ist aber der Angelpunkt aller Bestrebungen in der
Union. Jede Beschränkung in dieser Hinsicht hätte den Gang der
Dinge unnachsichtlich in kleinliche Verhältnisse zurückgedrängt und
die Bevölkerung unfähig gemacht, den reichen Segen, mit dem die
Natur die unermesslichen Strecken des Reiches überhäufte, einstmals
in vollwerthige, geistige und materielle Wohlfahrt umzusetzen.
Allerdings steht heutzutage die Bewältigung der Natur und die
Ausbeutung der Bodenschätze noch im Vordergrund der Volksthätig-
keit, wodurch der Kampf ums Dasein zu grosser Schärfe zugespitzt
wurde, aber gleichwie diese Richtung zu den staunenswerthen
Leistungen der Union auf den Gebieten der Production und Technik
geführt hat, ebenso lässt sich zuversichtlich erwarten, dass auch die
höhere Geistesthätigkeit, die in den mächtig angewachsenen Gross-
städten der Union lebhaft zu Tage tritt, für Kunst und Wissenschaft
immer breitere Grundlagen schaffen und in nicht ferner Zeit den
gleichen Bestrebungen der alten Welt ebenbürtig zur Seite stehen wird.
Angesichts der enormen Ausbreitung von Boston, dessen Gebiet
heute eine Fläche von 9564 Hektaren oder zwei geographischen Qua-
dratmeilen einnimmt, vermag der Beschauer nur schwer mit der That-
sache sich abzufinden, dass hier, wie allwärts in den gottgesegneten
Ländereien der Union, vor 260 Jahren tiefer Urwald, in dem der
barbarische Ruf des Indianers mit dem Gebrülle des Raubthieres
sich mengte, den Boden bedeckte. Welche vereinigte Kraft und
Ausdauer musste aufgeboten werden, um in so kurzer Zeit aus dem
Nichts einen der gewaltigsten Brennpunkte des Weltverkehres und
einen geistigen Vorposten der Union zu schaffen!
Der Massenzuwachs der Entwicklung fällt jedoch erst in die
Zeit der Eisenbahnen, also in die Periode des Dampfes.
Versenken wir uns nun in die Vergangenheit, um eine Vor-
stellung des interessanten Werdeprocesses von Boston zu gewinnen
[30]Die atlantische Küste von Amerika.
Bald nach Gründung der niederländischen Colonie Novum Bel-
gium (New-York) erschienen an vielen Küstenpunkten Neu-Englands
(gegenwärtig die Staaten Maine, New-Hampshire, Vermont, Massa-
chusetts, Rhode Island und Conecticut) die Colonnen der ersten An-
siedler aus Grossbritannien.
Bei Plymonth, in einer Bucht südlich von Boston, wohin gegen-
wärtig die Old Colonial-Eisenbahn führt, landete im Jahre 1620 die
zu historischer Berühmtheit gelangte Schar der Puritaner, der Stamm-
väter einer Aristokratie nach amerikanischem Zuschnitt, die heute mit
Stolz auf die Thaten ihrer Vorfahren, der „Pilgerväter“, zurückblickt.
In Salem, 20 km nördlich des heutigen Boston, entstand gleich-
falls eine Colonie, die aber 1630 verlassen und nach Charlestown
verlegt ward. Auch letzter Punkt entsprach nicht, weil dort gutes
Trinkwasser fehlte, und so wanderte man am 17. September 1630
nach der knapp anliegenden Halbinsel Trimountain, später Tremont
(von den Indianern Shawmutt) genannt, deren drei Hügel ihr den
Namen gaben. Dort entstand die Niederlassung Boston, das an die
gleichnamige Stadt in England erinnern sollte, von wo viele der Co-
lonisten — und unter diesen neben dem Gouverneur Winthrop ihr be-
deutendster Mann, Isaac Johnston — herstammten.
Boston ward infolge seiner günstigen Lage alsbald zum Cen-
trum der Colonie Massachusetts, ein Name indianischer Abstammung,
gewählt. Rasch waren andere Küstenorte angesiedelt und in den
ersten zehn Jahren kamen 20.000 Einwanderer nach Boston. Die
Stadt besass 1639 bereits eine bewaffnete Macht von 1000 Mann,
und die Colonie Neu-England zählte 1674 schon 120.000 Einwohner.
Während der Befreiungskämpfe spielte Boston, wo die repu-
blikanische Strömung der Geister gegen die Bedrückung der Colonie
durch die englische Regierung zum Durchbruch kam, eine wichtige
Rolle.
1770 geschah in der jetzigen State-Street (damals King Str.)
ein Angriff des Volkes gegen englische Soldaten, andere blutige De-
monstrationen folgten und die Vernichtung der ungeheuren Thee-
ladungen im Hafen zeigte die ganze Erbitterung der Bevölkerung
gegen die ausbeutende Gesetzgebung Englands. Die Theeschiffe waren
Ende November und anfangs December 1773 angekommen, und als
am 16. December die Regierung auf der unerschwinglichen Besteuerung
der tiefgehassten Theeladungen verharrte, wurden die Schiffe von be-
waffneten Volkshaufen gestürmt und sämmtlicher Thee in das Meer
geworfen. Diese Ereignisse, deren Eindruck die freiheitlich gesinnte
[31]Boston.
Majorität der Colonisten zum Opfermuth entflammte, waren die Ein-
leitung der grossen Unabhängigkeitskämpfe, welche den unsterblichen
Ruhm Washingtons begründeten.
Am 3. Juli 1775 übernahm General Washington in Cambridge
(der Vorstadt Bostons) das Commando über die republikanischen
Streitkräfte, konnte aber erst im März 1776 die Operationen gegen
Boston beginnen. In der Nacht zum 4. März besetzte er die Höhen
von Dorchester und liess dort sogleich Erdwerke aufrichten und diese
armiren. Bei Morgengrauen erblickten die Engländer ihre Gegner in
wohlverschanzten festen Positionen. Ein Sturm verhinderte den in
Boston commandirenden General Howe, die Amerikaner zu vertreiben;
dadurch wurde seine Lage immer kritischer und war am 17. März
geradezu unhaltbar geworden. Vor Einbruch der Nacht segelte die
Besatzung an Bord der englischen Flotte ab, und Washington zog
triumphirend in Boston ein.
Die Engländer versuchten nicht mehr, die Stadt zu bezwingen,
und nach der Unabhängigkeitserklärung war Boston, wenn auch nicht
die erste Stadt der Union mit Hinblick auf die Einwohnerzahl, so
doch die einflussreichste derselben und betrat den Weg der Ent-
wicklung und Blüthe, den sie bis heute verfolgt.
Die Leistungen in letzterer Richtung sind grossartig zu nennen.
Im Jahre 1804 wurde South-Boston (das alte Dorchester Neck),
dann das 1830 auf der Insel Noddle entstandene East-Boston, in
späteren Jahren Charlestown, Roxbury, Cambridge und das südwest-
lich davon am rechten Charlesufer entstandene Brighton in das Ge-
meindegebiet von Boston einbezogen.
Bald genügte die von der Natur angewiesene Fläche des an der
Vereinigung dreier Flüsse gelegenen inselförmigen Terrains nicht mehr
den enorm gesteigerten Bedürfnissen. Man entschloss sich daher, „Land
zu machen“, um Raum für die Erweiterung der Stadt und der Vororte
zu gewinnen.
Die diesbetreffenden Fortschritte im Laufe dieses Jahrhundertes
können geradezu als immens bezeichnet werden. Die Anschüttungen
im Hafen und an den Flussufern betragen allein im älteren Boston
ungefähr 1200 ha. Auf diesem Terrain erhebt sich gegenwärtig unter
anderem das fashionable West-End, das auf unserem Hafenplane mit
D bezeichnet ist.
Das Anschüttungsmaterial wurde durch Abtragung von Hügeln
gewonnen. Die Stadterweiterung ging mit einer Stadtregulirung Hand
in Hand, und da war dem amerikanischen Unternehmungsgeiste ein
[32]Die atlantische Küste von Amerika.
unbegrenzter Spielraum gegeben. Hier entstand die haarsträubende
Operation der house-mover, die mit unglaublicher Kühnheit und Sicher-
heit ganze Gebäude auf Stahlrollen in Bewegung setzten und ver-
schoben.
In dieser Weise wurden auch ganze Stadt-Districte mit allen ihren
Steinbauwerken um mehrere Fuss gehoben und einzelne Strassen durch
Verrückung der Häuserzeilen breiter gemacht.
Während auf diese Weise die Stadt an Ausdehnung und Com-
fort gewann, wurde durch die rapide Steigerung der Eisenbahnver-
bindungen von Boston ein anderes Element des Aufschwunges ge-
schaffen, das der Entwicklung der Stadt eine neue Richtung gegeben
hat. Die vielen radialen Bahnen, die auf 50 km hinaus jede Ortschaft
der Umgebung mit dem Centrum verbinden, ermöglichten, abseits der
commerciellen Vortheile, dass die Geschäftswelt das eigene Heim weit
weg vom Schauplatze der Berufsthätigkeit sich einrichten konnte. So
entstanden Vorstädte und Villeggiaturen, die an Ausdehnung und
Schönheit völlig unvergleichlich genannt werden können. Diese Anla-
gen, welche die Vorzüge einer Stadt mit der Annehmlichkeit des
Landlebens reizend verbinden, stehen mit Boston in commercieller
und gesellschaftlicher Hinsicht in engsten Beziehungen, ja gehören
im Grunde genommen zur Stadt.
Auch hier bereitet sich dieselbe Entwicklung vor, welche seiner-
zeit zur Verschmelzung der früher erwähnten fünf vorstädtischen
Municipalitäten mit Boston geführt hat, weshalb anzunehmen ist,
dass in nicht ferner Zeit noch andere umliegende Ortschaften von
der Grosscommune absorbirt werden dürften. Der grossartige Auf-
schwung der Stadt und ihrer Umgebung hat selbstverständlich den
Werth des Eigenthums im östlichen Theile des Staates Massachusetts
ausserordentlich gehoben.
Bevor wir eine Wanderung durch die Stadt antreten, seien dem
Hafen von Boston und dessen Zufahrten einige Worte gewidmet.
Die grosse, im Süden durch das weit in See vorspringende Cap
Cod gebildete Massachusetts-Bay besitzt an der westlichen Küsten-
erstreckung die Einbuchtungen des Broad-Sound im Norden und der
Boston-Bay im Süden. Zwischen beiden windet sich durch ein Ge-
wirre von Fährlichkeiten aller Art die Einfahrt nach Boston. Bis
auf 15 km hinaus reichen die Untiefen und Riffe.
Die Hauptzufahrtsstrasse ist der in den Broad-Sound-Canal ein-
mündende South-Channel. Das durch Leuchtfeuer und Bojen aus-
reichend markirte Fahrwasser führt auf die Präsident-Rhede (Presi-
[[33]]
Boston.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 5
[34]Die atlantische Küste von Amerika.
dent-Road) und von da durch den engen Pass zwischen dem Palmyra-
Riff (N) und dem durch das starke Fort Independance vertheidigten
Castle-Eilande, dann vorbei an der gleichfalls befestigten Governor-
Insel in den inneren Hafen von Boston. Die letztgenannte Insel ist
als Geburtsort des berühmten Staatsmannes Benjamin Franklin, der
hier 1706 das Licht der Welt erblickte, von historischem Interesse.
Eine zweite Zufahrt zur Präsident-Rhede, der Main-Ship-Canal,
ist nur für Schiffe bis 7 m Tauchung bei ruhiger See navigabel. Das
ungeheure Fort Warren auf der Georg-Insel dominirt diesen Canal.
Weit ausgedehnte lagunenartige Niederungen (Flats), über welche
nur einzelne Hügel von geringer Höhe emporragen, bilden den Ab-
schluss des Hafens gegen die Seeseite. In das Hafenbecken münden
in breiten Ausweitungen die drei Flüsse Charles, Mystic und Chelsea,
welche eine natürliche Scheidung der Stadttheile von Boston voll-
ziehen, gleichzeitig aber dem Hafen sehr bewegte Contouren von
grosser Quai-Entwicklung geben. Diese Eigenthümlichkeit gestattete
die Anlage ausgedehnter Landungsbassins (Wharfs) an den Quais von
Alt-Boston, Charlestown und East-Boston für Schiffe jeder Grösse.
So haben denn auch die nach Boston verkehrenden grossen Dampf-
schiffahrts-Unternehmungen dort eigene Warfs, und der lebhafte Local-
verkehr zu Wasser konnte die herrlichsten Anlegeplätze in allen
Theilen des Hafens gewinnen. Ebenso entstanden dort Waarenmaga-
zine in grossem Style, und die Schiffahrt erhielt in ausreichendstem
Masse alle Hilfsmittel zur schnellen Bewältigung der Lade- und Lösch-
Operationen. Auch für die Behebung von Havarien jeder Art ist
durch den Bestand zahlreicher technischer Etablissements vorgesorgt.
In Charlestown besitzt die Kriegsmarine der Vereinigten Staaten
ein ausgedehntes Seearsenal (X), das, 1800 gegründet, der ameri-
kanischen Flotte zahlreiche, auf seinen Werften erbaute Schiffe zu-
führte. Das Arsenal verfügt über ein Trockendock von 112 m Länge,
und die grosse Seilerei ist die bedeutendste in Amerika.
Charlestown ist durch den riesigen Bunkerhill-Obelisken, ein
Denkmal zur Erinnerung an das dort am 17. Juni 1843 vorgefallene
Gefecht scharf gekennzeichnet. Von der Höhe des Bauwerkes bietet
sich ein herrlicher Rundblick über den Hafen dar.
Wie sehr die Stadtgemeinde und Regierung bestrebt sind, dem
äusserst angewachsenen Verkehr die weitesten Erleichterungen zu
bieten, und wie sehr sie dadurch den Aufschwung der Stadt zu för-
dern wissen, zeigt ein Blick auf den Hafenplan. Die Zahl der stabilen
Brücken, welche die verschiedenen Stadttheile über die Flussläufe
[35]Boston.
hinweg untereinander und mit dem Hinterlande verbinden, ist in der
That bedeutend zu nennen. Aus diesem Reichthum an Verbindungen,
von denen viele von ansehnlicher Länge, spricht dieselbe kraftvolle
und zielbewusste Energie, welche allein dem amerikanischen Leben
die angestaunte Intensität gegeben hat.
Der natürliche Centralpunkt von Boston ist der Hay Market-
Square (Heumarktplatz), dessen Nordseite der im Verkehr nach Port-
land sehr besuchte Bahnhof der Maine-Eisenbahn einnimmt. Dort
und in nächster Nähe münden viele der wichtigsten Verkehrsadern
der Stadt. Zur Charles-River-Bridge zieht nordwärts die Charlestown-
Street nach dem Stadttheil dieses Namens, und etwas südlich des
Hay Market führt die Hannover-Street zum nördlichsten Punkt des
Hafen-Quais.
Die wichtigste und ausgedehnteste Strasse ist aber Washington-
Street, die in einer Länge von 4 km die ganze Stadt in der Rich-
tung gegen Roxbury durchzieht. In ihrem Namen spiegelt sich die
unendliche Verehrung, welche den Manen Washington’s gezollt wird.
Die Strasse durchschneidet mehrere Plätze, deren bedeutendster
im südwestlichen Theile der mit anmuthigen Gartenanlagen gezierte
Franklin-Square ist.
Hervorragende und zahlreiche Monumentalbauten zeichnen diese
belebte Pulsader aus. An ihr liegen grosse Hôtels, wie Continental,
Adams und Metropolitan, dann Theater (Globe, Park u. a.), Kirchen,
worunter die imposante katholische Kathedrale, die Gebäude der
Journalistik, wie Herald-Building, Journal-Building u. a.
Die Journalistik von Boston hat einen enormen Aufschwung
genommen und behauptet einen hervorragenden Rang in den Ver-
einigten Staaten. Im Jahre 1704, also 74 Jahre nach der Gründung
der Stadt, erschien das erste Blatt, die „Boston New Letters“. Ge-
genwärtig besteht eine grosse Zahl von Zeitungen mit sehr hohen
Auflagen. So erscheint der „Herald“ täglich in 100.000 Exemplaren,
erlebte aber schon Tagesauflagen bis zu 302.030 Exemplaren, eine
gewiss interessante Erscheinung in der Geschichte der Journalistik.
Durch die grosse Zahl und vortreffliche Einrichtung der Schulen,
deren mehr als 400 bestehen, durch seine Hochschulen und Collegien,
durch die Menge der gelehrten Gesellschaften, seine wissenschaftlichen
und Kunstsammlungen, Museen, Bibliotheken, von welchen die Boston
public library mehr als 450.000 Bände und über 200.000 Flug-
schriften zählt, wie überhaupt durch die geistigen Bestrebungen der
Bevölkerung und die dort angesammelten Reichthümer nimmt Boston
5*
[36]Die atlantische Küste von Amerika.
eine glanzvolle Stellung ein und verdient mit Recht den stolzen Bei-
namen: das amerikanische Athen.
Das geistige Leben ist daher dort sehr entwickelt und der
Buchhandel florirt.
Längs der Bassins und Docks des Hafenquais führt, Boston
umklammernd, die breite, ihres Namens würdige Atlantic-Avenue, ein
grossartiger Verkehrsweg, dessen Besuch uns den Mechanismus des
gewaltigen Seeverkehres überblicken lässt.
Die Avenue steht mit der nach South-Boston laufenden Federal-
Avenue in Verbindung.
In dem ehemaligen Boston Neck sind prächtige, mit der Washing-
ton-Street parallel laufende Strassen entstanden, wie Albany-Street,
Harrison-Avenue, Columbus-Avenue und Shawmutt-Avenue, welch
letztere in die schöne Tremont-Avenue einmündet; an diese grenzt
der ebenso ausgedehnte wie prächtige Common-Park, gewöhnlich
Common genannt, in dessen Anlage landschaftlicher Reiz mit Kunst-
geschmack vereinigt wurde. Er ist daher der Focus des fashionablen
Lebens von Boston. Dort liess an den Ufern lieblicher Teiche, auf
grünen Hügeln und in schattigen Boschetts der ausgesprochene Sinn
der Bevölkerung für die Pflege geschichtlicher Erinnerungen eine Fülle
von Denkmälern entstehen, wie man sie selbst in manchen ehrwür-
digen Metropolen der alten Welt, die weitaus reicher an Ereignissen,
in solcher Zahl nicht vorfindet.
Die Monumente sind zumeist hervorragenden Männern der Revo-
lutionszeit gewidmet, einer Periode, in der alle früheren Erinnerungen
an das verhasste Königthum der Zerstörung anheimfielen, so dass kaum
mehr die Tradition von ihrem einstigen Bestande Kunde zu geben vermag.
Auch die alten Friedhöfe, die inmitten der Stadt, obgleich auf-
gelassen, als Andenken erhalten bleiben, geben von der Verehrung
für die Vorkämpfer der Freiheit ein beredtes Zeugniss. Einzelne In-
schriften sind der heutigen Generation allerdings nicht mehr recht
verständlich. So trägt der Stein, welcher den Capitän Malcolm am
Old North-Buryal-Ground deckt, die Worte: „Ein wahrer Sohn der
Freiheit, ein Freund des Volkes, ein Feind der Bedrückung, und
einer der vordersten Gegner der Revenue-Acte von Amerika.“ Die
Veranlassung zu seinem Lobe war ein kühner Streich, den der Capitän
1768 vollführte, indem er eine Ladung Wein landete, ohne dass er
den Zoll für selbe entrichtet hätte. Heute würde man die Affaire als
Schmuggel bezeichnen, damals galt sie aber als eine patriotische That,
weil der Zoll als ungerecht und illegal angesehen wurde.
[37]Boston.
Auf den Common-Park blickt der Renaissancebau des State-
House, dessen goldene Kuppel eingangs erwähnt wurde. Letztere
liegt unter 42° 21′5 nördl. Breite und 71° 4′ westl. Länge von Green-
wich. In der überaus prächtigen Commonwealth-Avenue (D) erhält
der Park eine originelle Fortsetzung nach West-Boston. Diese Avenue
ist die breiteste der Stadt; ihren mittleren Theil nehmen in der ganzen
Länge von zwei Kilometern Parkanlagen ein, an deren Seiten die
Fahrwege führen. Durch den Luxus der dortigen Paläste und Prunk-
bauten präsentirt die Avenue sich als eine sehenswerthe Weltstrasse
von seltener Grossartigkeit. Die Haupt-Strassenzüge von West-Boston
laufen mit der erwähnten Avenue parallel und bilden das glanzvolle
Hauptquartier der Aristokratie der Stadt.
Der Gesammteindruck von Boston ist ein durchaus angenehmer
und äusserst fesselnder.
Nach der Grösse seiner Bevölkerung ist Boston die vierte Stadt
der Vereinigten Staaten von Amerika. Es hatte nach dem allge-
meinen Census vom 1. Juni 1880 437.290 Einwohner. Für 1889
wird die Bevölkerung auf 542.000 Seelen geschätzt. Der tonange-
bende Theil der Bevölkerung der Stadt verleugnet ebensowenig, wie
die der Neuengland-Staaten überhaupt, den Charakter seines Ursprungs.
Bibelfeste Puritaner, die man in England als Dissenters und Non-
conformisten bedrückte, weil sie mit den Satzungen der bischöf-
lichen Staatskirche nicht übereinstimmten, hatten dieses bewaldete
Land zu ihrer neuen Heimat erwählt.
Hier sind, unter der Breite von Rom, die Winter so kalt,
wie die von Memel an der Nordspitze Ostpreussens, die Sommer
so heiss, wie die von Budapest. Nur durch angestrengte Arbeit
und unermüdlichen Fleiss konnten die Colonisten dem Boden die
nöthigen Bedürfnisse abringen. Dieselbe Hand, welche den Pflug
lenkte, musste aber auch gewöhnt sein, den Carabiner zu führen,
denn Tag und Nacht galt es, das dem Boden Abgewonnene gegen
die räuberischen Indianer zu vertheidigen. Dieser schwere Kampf
gegen Natur und Menschen erzog ein hartes, kühnes, unternehmendes,
aber auch freiheitliebendes Volk. Seine Verfassung und Gemeinde-
ordnung war eine demokratische, denn alle waren auf Arbeit ange-
wiesen und von gemeinsamen Gefahren umgeben. In religiösen Fragen
war man tolerant, hatte man doch zumeist aus Gründen religiöser
Verfolgung die Heimat verlassen, aber in der Ausübung der eigenen
Religion fanatisch streng. In Allen lebte die Ueberzeugung, dass sie
von der Hand der Vorsehung zu Besonderem auserwählt seien. Diese
[38]Die atlantische Küste von Amerika.
zähe und hartköpfige Race, welche Musik und Tanz für Sünde hielt,
bildete den Grundstock der grossen demokratischen Republik, deren
Geburtsstadt Boston ist. Wenn auch zwischen dem Denken und Fühlen
der heutigen Amerikaner und jenem der alten Puritaner ein him-
melweiter Unterschied ist, so ist doch nicht zu verkennen, dass ihr
Geist dem ganzen Culturleben der Union gewissermassen die Grund-
farbe gibt; ja die Neuengland-Staaten haben für alle Staaten bis an
den stillen Ocean bis heute und wohl noch für lange entschieden die
geistige Führerschaft.
Der Einwanderer englischer Abstammung fügt sich diesem
Geiste leicht, die anderen Nationen dürfen sich gegen die herrschende
Sitte nicht auflehnen.
Ein sichtbares Zeichen dieser Macht ist die Heiligung des Sonn-
tags nach der strengen Weise der Puritaner. Selbst die katholische
Kirche, die ihren Gläubigen in anderen Ländern am Tage des Herrn
die Aeusserung heiteren Frohsinnes nicht verwehrt, musste sich in
der Union dem heimischen Gebrauche anbequemen.
Von den Neuengland-Staaten geht die Temperenz-Bewegung in
der Union aus, welche gegen den Genuss geistiger Getränke,
selbst gegen den des Bieres, gerichtet ist. In Maine, das im äusser-
sten Nordwesten der Union liegt und eine Bevölkerung von 649.000
Seelen hat, dürfen nach einem Gesetze vom Jahre 1851 geistige Ge-
tränke weder erzeugt noch verkauft werden. Nur in den Apotheken
kann man sich solche verschaffen.
Auch die Agitation gegen die starke Einwanderung der letzten
zwanzig Jahre in die Union hat hier ihren Sitz.
In den Neuengland-Staaten verwandelten sich die aristokratisch
angehauchten Briten in die „Yankees“, jenen originalen Menschen-
typus, welcher der so heterogenen Bevölkerung Nordamerikas den
geistigen Stempel aufdrückt und die Söhne der verschiedensten Völker
und Racen zu einem neuen Volke amalgamirt.
Für den richtigen Nordamerikaner ist Boston die Stadt der freien
Sitte, ebenso wie für den Romanen Paris. Boston ist für die Amerikaner
viel mehr eine echt amerikanische Stadt, als New-York. Boston ist in
gewisser Weise die geistige Capitale der Union.
Hier in Boston bildet ein reiches erbgesessenes Bürgerthum den
Grundstock der Gesellschaft; unter ihnen bewegen sich Nachkommen
der berühmten „Mayflower“-Einwanderer aus dem XVII. Jahrhunderte,
fast mit aristokratischen Alluren. Diesem gebildeten, soliden Reich-
thume verdankt Boston seine vielen wissenschaftlichen und künst-
[39]Boston.
lerischen Institute, welche selbst von denen New-Yorks den Leistungen
nach nicht übertroffen werden. Es wäre aber ganz falsch, Boston
als eine Stadt aufzufassen, wohin sich bloss reiche Amerikaner zurück-
ziehen, um die erworbenen Vermögen mit Geist zu geniessen; das „ameri-
kanische Athen“ ist vielmehr im tiefsten Kerne noch immer, was es
von Anfang war, eine Kaufmannstadt.
Die Bostoner Kaufleute hatten schon im XVIII. Jahrhunderte den
Ruf grosser Tüchtigkeit und Schlauheit, doch herrscht hier im Ge-
schäftsleben ein vornehmerer Ton als anderswo. Wenn die Capita-
listen Bostons für ein Unternehmen eintreten, so wird es auf
solider Basis durchgeführt. Sie haben in kurzer Zeit das imposante
Eisenbahnnetz von Mexico geschaffen, um die romanische Nachbar-
republik wirthschaftlich an die Vereinigten Staaten zu ketten und der
hochentwickelten Industrie der Neuengland-Staaten ein unbestrittenes
Absatzfeld zu sichern.
Sie betheiligten sich im Westen des eigenen Landes in aus-
gedehntem Masse am Baue der Eisenbahnen, an Industrie- und
Ackerbauunternehmungen. Da nun die gesteigerte Concurrenz auch
dort schon den Gewinn gegen frühere Jahre bedeutend geschmälert
hat, so werfen sie jetzt ein grösseres Augenmerk auf den lang ver-
nachlässigten Süden der Vereinigten Staaten, der in der That einer
raschen Blüthe auf allen Gebieten der Production entgegenzugehen
scheint.
Boston ist aber auch eine hervorragende Industriestadt, für
Lederindustrie wohl der erste Platz der Union. Sehr ansehnlich ist
die Fabrication von Metallwaaren, Maschinen, Glas, Zucker, Wolle,
Baumwolle, Bier.
Die Bedürfnisse dieser Industrien Bostons und seiner Hinterländer
einerseits, die natürliche Production dieser Hinterländer andererseits
spiegeln sich in dem Handel dieser Hafenstadt ab.
Als Handelsplatz ist Boston der wichtigste Ort der Neu-Englandstaaten,
einer der vier Welthäfen der Union am atlantischen Ocean, der nur von New-York
an Bedeutung übertroffen wird und Philadelphia und Baltimore vorangeht.
Die geschäftliche Thätigkeit von Boston ist in erster Linie auf das ameri-
kanische Binnenland gerichtet; und zwar bildet das Hinterland von Boston nicht
allein der Nordosten der Union, sondern auch der reiche Süden von Canada. Für
letzteren war Boston bis zur Eröffnung der kürzeren Verbindung zwischen Montreal
und St. John (Neubraunschweig) der einzige Winterhafen, über welchen der Ver-
kehr lohnend war. Von Südcanada und aus Chicago kommt der grösste Theil des
lebenden Rindviehes, das über Boston nach den englischen Häfen Liverpool,
London und Glasgow gesendet wird. Die Ausfuhr erreichte 1888 54.115 Stück im
Werthe von 4·7 Millionen Dollars, 1887 43.660 Stück, 1886 45.215 Stück. Ueberdies
[40]Die atlantische Küste von Amerika.
wird in den Bostoner Schlächtereien „Dressed Beef“ hergestellt und nach Liver-
pool verschifft. Die Ausfuhr von Producten der Schweinezucht stammt aus Chicago.
Ausfuhr von „Provisions“ 1888:
Boston ist einer der grössten Butter märkte der Union.
Boston ist ferner ein wichtiger Exportplatz für Getreide, und zwar in erster
Linie für Mais; für Weizenmehl ist es ein disponirender Platz. Ausgeführt
wurden 1888 1,170.508 hl Mais, 231.141 hl Weizen, 100.832 q Maismehl, 1,327.738 q
Weizenmehl, zusammen im Werthe von 10,751.851 Dollars; Exportwerth 1887
14,008.907 Dollars; 1886 14,044.441 Dollars.
Einer der wichtigsten Ausfuhrartikel ist rohe Baumwolle sowohl der
Menge als dem Werthe nach. Ausfuhr 1888 547.799 q im Werthe von 12,596.990
Dollars; 1887 9,680.600 Dollars; 1886 10.520.797 Dollars. Blättertabak wurde
1888 (Fiscaljahr) in der Menge von 31.820 q (Werth 862.646 Dollars), 1887 in der
Menge von 92.062 q (Werth 2,296.225 Dollars) ausgeführt. Das Jahr 1888 zeigt
gegen das Vorjahr einen ähnlichen Rückschlag in der Tabakausfuhr Bostons, wie das
Jahr 1880 gegen 1879. Erdöl wurde 1888 in der Menge von 203.100 hl (Werth
539.674 Dollars) ausgeführt.
Im Verkehre mit Südamerika spielen neben Mehl und Provisionen auch
Bauhölzer eine grosse Rolle. Sie stammen zum Theile aus den Küstenprovinzen
von Canada. Die rege Baulust, die seit einigen Jahren in Buenos Ayres, der Gross-
stadt am La Plata, herrscht, hat den Handel sehr gefördert. Andere wichtige Be-
stimmungsorte sind Rosario, Montevideo und die Südstaaten der Union. Diesem
lebhaften südamerikanischen Verkehr dient seit 1888 auch einer der grössten
Schooner der Welt mit fünf Masten, der die umfangreichste Ladung von Bauholz
führte, die bis jetzt in einem Fahrzeuge verladen wurde. Alle diese Artikel sind
in fremden Staaten erzeugt; aus Massachusetts selbst kommen nur Aepfel in
steigenden Mengen nach Europa zur Ausfuhr.
Aus Boston und seiner Umgebung aber stammen die ausgeführten Industrie-
producte, wie Baumwollfabricate. Diese werden in den benachbarten Orten
Lowell, welches man das amerikanische Manchester nennt, in Fallriver, Lawrence
und New-Bedford erzeugt; der Absatz nach Südamerika und Afrika steigt unaus-
gesetzt.
In den Neu-Englandstaaten werden etwa 25 % alles Sohlenleders und 75 %
alles Oberleders fabricirt; doch kommt fast sämmtliches in anderen Staaten
gefertigtes Leder in Boston zum Verkauf. Die Erzeugung von Leder und
Schuhwaaren ist die vornehmste Exportindustrie Bostons, in diesem Zweige
geht die Stadt allen anderen Orten der Union voran.
Die Lederfabriken sind in und um Boston. Auch an den grossen Gerbereien
im Conemaughthale des Districtes Cambria-Pennsylvania sind Bostoner Häuser be-
theiligt. Durch die furchtbaren Ueberschwemmungen, welche im Mai 1889 dort
Tausende von Menschenleben, Millionen Dollars Eigenthum vernichtet haben, ist
dieses Thal in der ganzen Welt bekannt geworden.
[[41]]
A Innerer Hafen von Boston (Inner Harbour), B Rettungsboot-Station (Lifeboat-Station), C Stadt-Park (Common Park), D West-Boston mit der Common Wealth-Avenue,
E Maschinen-Haus, F Leuchtfeuer, G Anschüttungsterrain bei South-Boston, H Huntington Avenue, I Innerer Hafen, J Charles-River, K Mystic-River, L Chelsea-River,
M Fort Independence, N Palmyra-Riff, O Cragies-Bridge (Brücke nach Charlestown), P Charles-River-Bridge (Brücke nach Charlestown), Q Warren-Bridge (Brücke nach
Charlestown), R Congress-Street-Bridge (Brücke nach South-Boston), S Washington-Bridge (Brücke nach South-Boston), T Federal-Bridge (Brücke nach South-Boston),
U Dover-Street-Bridge (Brücke nach South-Boston), V Prison Point-Bridge (Brücke nach East-Cambridge), W Washington-Strasse, X Navy-Yard (Arsenal der Kriegsmarine),
Y Haymarket-Platz, Z Tremont-Strasse.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 6
[42]Die atlantische Küste von Amerika.
Die niedrigen Preise der Häute, welche jetzt um 35 % billiger sind als vor
10 Jahren und mit denen zugleich das Leder billiger wurde, haben wieder die Fabri-
cation der Schuhwaaren auf die heutige Höhe gebracht. Sie lässt grossen Gewinn,
weil die Preise des Schuhzeugs in der Zeit fast unverändert geblieben sind. Die
Ausfuhr von Leder ist in steter Zunahme begriffen, sie umfasst jedoch bisher
nur die geringeren Gattungen des Artikels. Der Versandt von Schuhwaaren aus
Boston belief sich 1888 auf 3,276.344 Kisten zu je 24 Paaren, gegen 3,074.534 Kisten
im Jahre 1887 und 2,874.172 Kisten 1886. Von den benachbarten Orten Brock-
ton, Lynn, Haverhill und Milford wurden 1888 in Summe 1,044.478 Kisten Schuh-
waaren verschickt. Die Lederfabrikanten beklagen sich, dass die Schuhe immer
mehr an Stelle der Stiefel treten und dass der Lederconsum dadurch sich ver-
mindere. Die Zufuhr von Häuten erfolgt zum Theile aus Montevideo, Buenos
Ayres, Rio grande do Sul und erreicht jährlich 5 Millionen Dollars.
Andere Artikel der Einfuhr sind India Rubber, ferner Schafwolle für die
Bedürfnisse der Fabriksstadt Lowell. Einfuhr von Schafwolle: 1888 (Fiscaljahr
1. Juli 1887 bis 30. Juni 1888) 221.800 q im Werthe von 7,653.244 Dollars, 1887
185.630 q im Werthe von 6,555.802 Dollars. Sie wird von den grossen Märkten in
Antwerpen und London bezogen und stammt aus Australien und Südamerika, Carpet-
wolle aus Brasilien und Aleppo. Da die Schafwollproduction der Union sinkt, weil
auch sie mit den grossen Gebieten der Schafzucht auf der südlichen Erdhälfte
nicht concurriren kann, so steigt der Verbrauch fremder Wollen. Wir ersehen dies
auch aus der Grösse des Stocks von Schafwolle in dem Industriegebiete von Boston
und Lowell. Ende 1887 waren von 137.336 q Wolle überhaupt 7058 q fremder
Wollen, 1888 von 86.030 q schon 8011 q. Die Baumwoll- und Schafwollfabriken
dieses Bezirkes beschicken die grossen Auctionen, die immer Ende Mai in New-
York abgehalten werden. Man versucht, solche Auctionen auch in Boston einzu-
führen.
Von Zucker wurden 1888 (Fiscaljahr 1. Juli 1887 bis 30. Juni 1888)
1,894.580 q im Werthe von 11,069.885 Dollars, 1887 2,006.940 q im Werthe von
11,065.487 Dollars eingeführt. Die Einfuhr Melasse erreichte 1888 230.637 hl im
Werthe von 1,060.854 Dollars, 1887 227.360 hl im Werthe von 1,028.750 Dollars.
Zucker und Melasse bilden den ersten Einfuhrartikel des Platzes. Das Geschäft
für Rohzucker zerfällt der Zeit nach in zwei Theile; bis September beherrschen
die Zufuhren aus Westindien, das ist aus Cuba und Portorico den Markt, von da
bis zum Frühjahr die Sendungen aus Brasilien, Java, Manilla und die von
Rübenzucker aus Europa, vornehmlich aus Deutschland. Die Ernte Westindiens
entscheidet die Preise. In Boston sind immer grosse Vorräthe von Zucker, die in
den dortigen grossen Raffinerien weiter verarbeitet werden. Von raffinirtem Zucker
gelangen pulverisirter und granulirter zur Einfuhr.
Die Einfuhr von Kaffee steigt, weil in den letzten Jahren die Verbindungen
mit Brasilien zahlreicher geworden sind: 1888 (Fiscaljahr) wurden 8.943 q im
Werthe von 335.450 Dollars, 1887 5.669 q im Werthe von 202.715 Dollars ein-
geführt.
Auch die Zufuhr von Orangen aus Florida ist durch häufige Dampfer-
verbindungen und eine kürzere Eisenbahnverbindung, die 1888 hergestellt wurde,
reichlicher geworden. Es kamen 1888 von dort 250.000 Kisten (zu je 20 Pfund
englisch = 9·072 kg) an. Ist die Saison der Florida-Orangen zu Ende, so beginnt
die Einfuhr der Südfrüchte vom Mittelmeere her, namentlich aus Sicilien. Von
[43]Boston.
dort wurden 1888 ungefähr 215.000 Kistchen Orangen und 70.000 Kistchen
Citronen direct bezogen. Die Dampfer, deren man sich jetzt in diesem Zweige des
Handels fast ausschliesslich bedient, laufen auf der Herreise wohl auch spanische
Häfen, wie Valencia und Malaga, an, um mit der dortigen Frucht die Ladung zu
vervollständigen. Der Verkauf geschieht auf öffentlichen Auctionen gleich nach
Ankunft der Dampfer.
Aus Grossbritannien und den Niederlanden werden regelmässig Kartoffeln
über Hamburg und Bremen, Bohnen aus Deutschland und Oesterreich eingeführt,
wenn die Ernte der kleinen, weissen Gattung, die in der Union gebaut wird, misslingt.
Man führt ferner ein: Eier (1888 um 257.274 Dollars), Speiseöle aus Süd-
europa, Wein, Bier und Spirituosen (1888 um 677.568 Dollars). Einen Haupttheil
des Importes bilden jedoch die Producte der europäischen Textilindustrie, nament-
lich Schafwollwaaren (Fiscaljahr 1888 3·3 Millionen Dollars), Leinenwaaren (1888
1·7 Millionen Dollars) und Baumwollwaaren (1888 1·6 Millionen Dollars), dann
Chemikalien, Eisen und Stahl (Fiscaljahr 1888 5·6 Millionen Dollars),
Papier, Glas- und Porzellanwaaren.
Bei Eisen ist zu bemerken, dass das aus Europa bezogene Eisen nicht mehr
wie früher in den Neu-Englandstaaten verarbeitet wird, sondern direct nach Penn-
sylvanien geht, wo es mit dem einheimischen Eisen vermischt wird. Die Eisen-
industrie der Neu-Englandstaaten geht eben zurück, und namentlich die Nägel-
fabriken, welche ehedem das ganze Land versorgten, müssen der Concurrenz der
westlichen Staaten weichen.
Die Seefischerei war für Boston von jeher ein bedeutender Factor des
Wohlstandes.
Der Hafen ist ein Ausgangspunkt für den Walfischfang. Von den 106 Schiffen,
welche die Vereinigten Staaten darin beschäftigen, gehören 83 dem Staate Massa-
chusetts an. Die reichsten „Walfischwiesen“ und das wichtigste Gebiet für den Fang
der Stockfische und Robben sind die Gewässer im Süden von Neufoundland.
An den Küsten der Neu-Englandstaaten ist jedoch seit einigen Jahren der
Betrieb der Fischerei sehr wenig ergiebig; die Fischer müssen nördliche Gewässer
aufsuchen, die Preise für alle Fischgattungen sind gestiegen. Den grössten Rück-
gang weist der Fang von Makrelen aus, dieser ergab 1885 330.033 Fässer, 1886
89.315, 1887 78.000 und 1888 gar nur 40.769 Fässer; man führt jetzt diesen
Fisch aus England und Irland zu. Die Makrelen meiden die Nähe von Massa-
chusetts und streichen an den Küsten der britischen Besitzungen. Von besonderer
Wichtigkeit für den Markt sind Häringe und Stockfische.
Der Schiffbau, einst in Boston so bedeutend, bildet ein vernachlässigtes
Gebiet der Industrie; man baut hier nur mehr kleine Küstenschooner und kleine
Dampfer für den Localverkehr. Ansehnlicher ist der Schiffbau im Staate Maine,
besonders in Portland, dessen wichtigstem Hafen. Die Concurrenz der grossen
englischen Werften, wo man Stahlschiffe baut, vernichtet den Schiffbau Amerikas.
Schiffsverkehr Bostons:
[44]Die atlantische Küste von Amerika.
Bei diesen Ziffern ist der Küstenhandel nicht eingerechnet; daher sind bei
den auslaufenden Schiffen jene weggelassen, welche hier einliefen und dann nach
New-York weiterreisten.
In dem hier ausgewiesenen Verkehre dominirt die englische Flagge mit
drei Vierteln der gesammten Tonnenzahl; die amerikanische liefert nur 16 %;
an dem Rest sind zumeist die norwegische, die belgische, die spanische und die
deutsche Flagge betheiligt. Wenn wir von den Norwegern, diesen Frachtenführern
der Meere, absehen, so erhalten wir im Verein mit den Bemerkungen über die
Herkunft des Importes und die Richtung des Exportes ein Bild der Handels-
stellung Bostons.
Etwa den vierten Theil des Verkehres vermitteln noch die Segelschiffe;
ein Handelsartikel nach dem andern geht diesen verloren und wendet sich den
Dampfern zu, so seit Anfang 1888 der ganze Zuckerimport; nur Melasse ist
ihnen geblieben.
Die Küstenschiffahrt wird lebhaft mit den Provinzen Canadas und den
Südstaaten betrieben; Landesfrüchte, Holz und Eis sind die wichtigsten Fracht-
gegenstände. Von fremden Schiffen finden nur Dampfer Verwendung.
Boston liegt um drei Längengrade näher zu Europa als New-York;
die Zahl seiner regelmässigen Dampferverbindungen mit Europa, nament-
lich mit den englischen Plätzen Liverpool, London, Hull und Glasgow,
ist 1888 stark gestiegen; manche reguläre Linien haben ihre Ab-
fahrten auf fünf bis sechs im Monate ausgedehnt.
Die directe Post aus Europa kommt mit der Cunard-Line, die
jeden Donnerstag von Liverpool über Queenstown nach Boston geht,
und von dort jeden Sonnabend zurückkehrt. Boston ist auch ein wich-
tiger Hafen für Einwanderer, von denen 1887 hier 46.819 Personen
landeten. Die meisten gehen nach dem Westen, dagegen bleiben die
zu Lande kommenden Canadier in Massachusetts und Vermont.
Die gegen Europa vorgeschobene Lage Bostons empfahl die
Umgebung als Anknüpfungspunkt für transatlantische Kabel. In Boston
landet das 1879 gelegte Kabel der Compagnie française du télégraphe
de Paris à New-York, das von Brest ausgeht und in St. Pierre eine
Zwischenstation macht. Drei weitere Kabel enden nicht weit von
Boston.
Acht Eisenbahnen haben in Boston ihren Endpunkt. Die wichtig-
sten sind die Küstenbahnen nach Nordosten, nach Portland und darüber
hinaus; die Verbindung nach Montreal und Quebec im Norden; die Bahn,
welche nach Westen über Albany, Buffalo, Toledo nach Chicago führt,
und endlich die Linie über Providence und New-Haven nach New-York.
Der grosse Geldverkehr dieser reichen und unternehmenden
Stadt, in der viele Bankinstitute ihren Sitz haben, wird durch ein
Clearinghouse geregelt.
[45]Boston.
Der Verkehr im auswärtigen Waarenhandel erreichte folgende Höhe:
An Einfuhrzöllen wurden in Boston 1888 21·2 Millionen Dollars, 1887
22·9 Millionen Dollars und 1886 20·9 Millionen Dollars eingehoben.
Consulate: Argentina, Belgien, Chile, Costarica, Dänemark, Deutsches
Reich, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Haïti, Hawaiï, Mexico, Nieder-
lande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn, Peru, Spanien, Türkei (G. C.), Venezuela.
Boston hat auch den grösseren Theil des Handels von dem für
den auswärtigen Verkehr jetzt in Niedergang begriffenen Portland
an sich gezogen, das weiter gegen Nordosten im Staate Maine liegt,
33.810 Einwohner hat und Endpunkt der Grand Trunk Railway ist,
welche Montreal mit dem Meere verbindet. Auch wird Portland als
Winterhafen für die Dominion of Canada benützt, wenn die aus Europa
kommenden Dampfer wegen Eisbildung in Halifax nicht einlaufen
können.
Ueber Portland und Falmouth wurden im Fiscaljahre 1888 einheimische
Waaren im Werthe von 1,377.680 Dollars ausgeführt, 1885 um 3,883.624 Dollars.
Hauptartikel der Ausfuhr ist Holz. Die Einfuhr fremder Waaren erreichte 1888
einen Werth von 1,280.632 Dollars, und dürfte in Zukunft weit kleiner werden,
weil wegen des amerikanischen Zuckertrustes die Raffinerie von Portland den Be-
trieb eingestellt hat.
Portland ist sehr wichtig für den Bau von Schiffen und für
die Küstenschiffahrt. Sein Schiffsverkehr mit dem Auslande erreichte
1888 im Eingange 80.543 Tons, im Ausgange 142.225 Tons.
[[46]]
New-York.
Mit völlig elementarer Gewalt und viel rascher, wie in der alten
Welt, vollzieht sich jenseits des Oceans das Anwachsen der Knoten-
punkte des grossen Verkehres zu jenen gewaltigen Emporien, die eine
markante Erscheinung der Gegenwart bilden.
Ein solcher Centralpunkt ist New-York, der leuchtendste Stern
im Banner der Vereinigten Staaten, die grossartigste und mächtigste
Handelsstadt Amerikas und vermöge Ausdehnung und Reichthum die
Nebenbuhlerin selbst der hervorragendsten Grossstädte des Erdballs.
Den enormen Aufschwung hat die Stadt hauptsächlich der Gunst
ihrer Lage und dem hochentwickelten Unternehmungsgeiste ihrer
thätigen Bewohner zu danken. New-York hat mit unwiderstehlicher Ge-
walt den directen Schiffsverkehr von den grössten Seeplätzen der Erde
an sich gezogen und auf zahllosen Schienensträngen, die dort wie in
einem Brennpunkte sich vereinigen, wie auf der herrlichen Wasser-
strasse des Hudsonstromes, entsendet es den kräftigen Pulsschlag seines
Lebens bis tief in das Herz des Continentes.
Die Stadt ist so recht eine Schöpfung der neuen Zeit; der tiefe
Hintergrund einer ereignissreichen, classischen Geschichte mangelt ihr
gänzlich.
Im Jahre 1524 soll Verrazzani, ein Florentiner Seefahrer, die
Insel Manhattan entdeckt haben, die gegenwärtig das Häusermeer von
New-York trägt, allein erst 1609 erscheint der im Dienste der hol-
ländisch-ostindischen Gesellschaft stehende Engländer Hudson in dem
nach ihm benannten Strome und gründet drei Jahre später die erste
holländische Ansiedlung auf der erwähnten Insel, welche 1626 gegen
einen Kaufpreis von 24 Dollars (in Waaren) von den Indianern an die
Gesellschaft abgetreten wurde.
So entstand die Colonie Neu-Niederland, deren Hauptort Neu-
Amsterdam den Keim des heutigen New-York gebildet hatte. Den
[47]New-York.
letzteren Namen erhielt die Stadt erst im Jahre 1664, als die Colonie
in die Hände Englands fiel und dem Herzog Jakob von York ver-
liehen wurde. Damals zählte New-York nur wenige Tausend Ein-
wohner.
In der ersten Geschichtsperiode der Stadt ist manches Blatt den
Kämpfen gegen die Indianer und den Aufständen der importirten
Negersclaven gewidmet. Unter der Bedrückung und Ausbeutung der
englischen Regierung hatte auch New-York zu leiden, aber bald
brandet der unaufhaltsame Wellenschlag der Freiheitsbewegung auch
am Hudson, und 1776 zieht Washington, „der Vater des Vaterlandes,
der Erste im Kriege, der Erste im Frieden, der Erste im Herzen seines
Volkes“, als Sieger in der Stadt ein.
Sieben Jahre später erfolgt die Unabhängigkeitserklärung der
13 Frei-Staaten und 1783 der Friedensschluss mit England, ein Er-
eigniss von tief eingreifender Bedeutung für die weitere Entwicklung
der Union und deshalb der hervorragendste Markstein ihrer jungen
Geschichte. Hiefür hat die vor Kurzem in allen Theilen des Landes
mit stolzem Empfinden begangene Centennarfeier den glänzenden Be-
weis erbracht.
Aber nicht allein der in freisinnigen Traditionen aufgewachsene
Amerikaner, sondern wohl jeder Denkende wird von einem Gefühle
der Bewunderung umfangen, wenn er des ungeahnten Aufschwunges
aller Verhältnisse durch die Macht der freien Entwicklung gedenkt.
Diese letztere lenkte selbst die Denk- und Anschauungsweise der
Bevölkerung in Richtungen, die mehrfach von jenen verschieden sind,
die uns Europäer zu beherrschen pflegen. Obwohl Amerikaner vom
Scheitel bis zur Sohle, ist der echte Sohn der Union gleichzeitig
Weltbürger; die ganze Erde ist das Gebiet seiner Thätigkeit, seines
Schaffens.
Die Grossartigkeit der heimatlichen Verhältnisse hat in seiner
Vorstellung selbst die weiten Gebiete der Oceane reducirt; die Redens-
art: „J am going on the other side“, ich gehe an die jenseitige Küste,
das heisst über den Ocean nach Europa, kennzeichnet das Weltbürger-
thum des Amerikaners am besten.
Von der Ausdehnung des Schiffahrtsverkehres in den Gewässern
von New-York empfängt man die ersten mächtigen Eindrücke schon
vor der Einfahrt in die grosse Bucht bei Sandy-Hook, einer mit
Doppelleuchtfeuer markirten sandigen Düne. Die imposantesten Dampfer
und zahllose Segler jeder Grösse steuern hier an uns vorbei, New-
[48]Die atlantische Küste von Amerika.
York ist das Ziel ihrer Fahrt. Ebenso streben ganze Flotten von
beladenen Schiffen der Atlantis zu.
Die Thatsache, dass in New-York jährlich beiläufig 30.000
Schiffe, worunter über 5000 Dampfer, ein- und auslaufen, beleuchtet
am besten die Lebhaftigkeit des Verkehres.
Die Zufahrt in die Bai von New-York ist infolge zahlreicher
Untiefen, wie auch wegen der Ablagerungen des Hudson, die dort
Sandbarren bildeten, von vielerlei Fährlichkeiten begleitet. Durch das
Barrenlabyrinth winden sich nur zwei für die grössten Schiffe passir-
bare Canäle.
Das bei Sandy-Hook vier Seemeilen weit in See verankerte
Leuchtschiff mit rothem Doppelfeuer markirt die Nähe der Einfahrt.
Von hier aus ist New-York noch 18 Seemeilen entfernt.
Da nun sowohl Dampf- als Segelschiffe an die Aufnahme von
Lootsen gebunden sind, so findet man die Fahrzeuge der letzteren
nicht nur bei Sandy-Hook, sondern oft schon im Umkreise von 100,
ja sogar von 300 Meilen weit auf hoher See. Nach Passirung der
Barre steuern die Schiffe nun gegen die Engen (narrows) zwischen
Staten und Long-Island, welche den Schlüssel für die Einfahrt in die
obere Bucht von New-York bilden. Die hier auf eine Seemeile an-
einanderrückenden Hügel der genannten Inseln tragen deshalb auch
bedeutende Fortificationen.
Zahlreiche Villeggiaturen in der Umgebung einer reichen Vege-
tation geben den Narrows viel landschaftlichen Reiz, aber beim
Vordringen in die obere Bai von New-York tritt an die Stelle der
lieblichen Ufer das überraschende Bild des enormen Lebensapparates
von New-York, das in seiner Grossartigkeit wohl einzig dasteht.
Der Schiffsverkehr scheint sich hier zu verdoppeln, rastlos eilen
Dampfer, Segler und Boote einher, und am Horizonte streben tausende
von qualmenden Schloten empor. Aus Dunst und Rauch entwickeln
sich allmälig die Umrisse kolossaler Baulichkeiten, bis die endlos er-
scheinende Stadt, über der an allen Punkten weisse Dampfwolken
aufsteigen, sichtbar wird. In seiner Grossartigkeit ist das Bild
fast unheimlich, an einzelnen Stellen wieder bis zur Rauheit un-
freundlich.
Das Wahrzeichen von New-York ist die ostwärts gewendete
Kolossal-Statue der Freiheit. Der Zufall fügte es, dass die Göttin des
Lichtes den Fuss auf die Fundamente eines düsteren Forts gesetzt,
welches den flachen Rücken des nahe der Stadt liegenden Bedloes-
Eilandes gekrönt hatte. Die 46 m hohe, erst im Jahre 1886 vollendete
[49]New-York.
Statue Bartholdi’s, die grösste der Welt, bildet mit ihrem imposanten
Unterbaue aus Granit ein Unicum unter den Leuchtthürmen. Aus
93 m Höhe über dem Meeresspiegel entsendet die Freiheitsgöttin blen-
dende Strahlen elektrischen Lichtes meilenweit über Land und Meer.
Zu den charakteristischen Punkten der Rhede gehören noch das
räumlich unbedeutende Ellis-Eiland unter der Jersey-Küste und Go-
vernors-Insel unter Brooklyn. Auf letztgenannter, durch reizende
New-York (Hafen-Einfahrt).
Anlagen gezierten Insel weilt der Militärgouverneur von New-York.
Eine mächtige Citadelle, das Fort Columbus, nimmt die Mitte der Insel
ein. Hier leisten vorbeifahrende Kriegsschiffe den Geschützsalut an
die Flagge der Vereinigten Staaten und aus den Geschützen des Forts
erdröhnt die Erwiderung.
Die Sinne des Ankommenden werden fortan durch den über-
wältigenden Eindruck umfangen, welchen die nun in ihrer weiten Aus-
dehnung sich erschliessenden inneren Hafenbecken mit ihrem unbe-
schreiblichen Getriebe hervorbringen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 7
[50]Die atlantische Küste von Amerika.
Links von der Battery, der südlichsten Spitze der die Stadt
New-York tragenden Manhattan-Insel, öffnet sich vor dem Blicke der
mächtige, in fast gerader Richtung gestreckte Arm des Hudson- oder
North-River, rechts der East-River mit seinen Windungen und Buchten.
Beide umspülen die Gestade der eigentlichen Stadt New-York, während
ihre Schwesterstädte Brooklyn am linken Ufer des East-River, Jersey-
City und Hoboken hingegen am rechten Hudson-Ufer ihr gegenüber
liegen.
Nicht allein die Grösse der himmelanstrebenden Paläste New-
Yorks, nicht die unzähligen Kirchthürme und die seltsamen Formen
der kolossalen, merkantilen und industriellen Zwecken dienenden
Baulichkeiten, noch das majestätisch auf Hügeln erbaute Brooklyn
sind es, welche uns fesseln, sondern das jede Vorstellung über-
bietende Leben und Treiben auf der Wasserfläche tritt in den Vorder-
grund unseres Interesses.
Die breiten Wasserstrassen haben die directe Verbindung der
Schwesterstädte durch viele Brücken nicht möglich gemacht; daher
vollzieht sich täglich eine wahre Völkerwanderung zu Schiff zwischen
den Ufern der beiden Flüsse. New-Yorks thätige Bevölkerung hat
die bestmöglichen Verkehrsmittel an jenen prächtige Dampfbooten,
welche ganze Ortbewohnerschaften sammt Hab und Gut, Wagen und
Pferd in wenigen Minuten von den meilenweit entlegenen Punkten
eines Stadttheils zu einem anderen überführen können. Solcher Boote
verkehren gegen 400, alle „full speed“, mit ganzer Kraft, rauchend,
pustend und pfeifend, und trotz dieses betäubenden Getöses werden
die Ausweicheregeln pünktlich befolgt, so dass höchst selten Unfälle
vorkommen.
Der gewaltige Hudson bildet das Endziel der prächtigen Post-
dampfer des europäischen Verkehrs, welche zumeist die Gestade von
Jersey-City und Hoboken, das wahre Centrum des Eisenbahnnetzes,
aufsuchen.
Der Hauptverkehr von hoher See wendet sich hingegen nach
dem East-River, welcher sich im oberen Laufe sehr verengt, überdies
durch seine zahlreichen natürlichen Buchten und Einschnitte den
Schiffen insbesondere im Winter bessere Zufluchtsstätten bietet.
Alles sucht Schutz in seinem schirmenden Arme, wo das mari-
time Hilfspersonal, alle dienstbaren Fahrzeuge, unzählige Schlepp-
dampfer (boxer) und tausende von arbeitsamen Menschen concentrirt
sind. Zahllose Localboote verkehren auch am East-River, auf dem
das ruhelose Treiben den Höhepunkt erreicht.
[51]New-York.
Ambulanten Städten gleich, verschieben sich die schwimmenden
Gebäude vor den dahinterliegenden Häusermassen, welche in erhabener
Ruhe den Hintergrund bilden.
Wie ein herrlicher Rahmen spannt sich über dieses Bild in
schwindelnder Höhe, und nur über zwei mächtige Thürme geführt,
jenes Wunderwerk, die East-River-Schwebebrücke (Suspension- oder
kurzweg Brooklyn-Bridge genannt), welche die Schwesterstädte New-
York und Brooklyn seit wenigen Jahren vereint. Mit vollem Rechte
verdient das geniale Werk als ein Triumph der Ingenieurkunst be-
zeichnet zu werden. Unter ihrem Scheitel passiren die stolzest ge-
takelten Seeschiffe, da die höchsten Mastspitzen kaum an sie heran-
reichen, und über ihren Rücken schreiten jährlich 40 Millionen Men-
schen, per Bahn, Achse oder zu Fuss. Ein herrliches Panorama ge-
niesst man von ihrer Mitte aus. Weithin überblickt man New-Jersey,
den Hudson bis zu den fernen, ihn begrenzenden Bergen, man sieht
die endlos scheinenden Städte, das malerische Long-Island und Staten-
Island, und durch die Narrows eröffnet sich auch ein Ausblick auf den
weiten Ocean.
Die Verhältnisse und Bedürfnisse des Seeverkehres haben in
New-York nicht nur zu den besten Verkehrseinrichtungen geführt, son-
dern es wurde auch ein ebenso tüchtiges wie verlässliches Personal
grossgezogen, welchem sich die Bevölkerung mit Beruhigung anvertraut.
Die Hafenämter erfüllen ehrenvoll den Zweck und ihr ausübendes Per-
sonal die schweren Pflichten, welche ihnen die Regelung des Seever-
kehres auferlegt. Der Lootsen- und Hafendienst ist vorzüglich organi-
sirt, die Quais, Docks und sonstigen Hafenanlagen sind, wenn auch
nicht schön, doch zweckentsprechend ausgestattet und ausreichend.
Stabile Steinbauten sind indes selten; Anlegedämme (Piers) aus Pfählen
oder combinirte Bauten aus Stein und Holz, welche den Eisverhält-
nissen im Winter und der Gezeitenströmung besser entsprechen, sind
bevorzugt. Ebbe und Flut treiben nämlich auch hier ihr unausge-
setztes Spiel, und selbst des Hudsons Macht unterliegt an seiner Mün-
dung den Gesetzen des Oceans.
Für die sanitären und klimatischen Verhältnisse New-Yorks ist
die Nähe des Oceans von hoher Bedeutung. Obwohl es in der Breite
von 41° N. bei Länge 74° West von Greenwich, also in der Höhe
Neapels gelegen ist, und obwohl die Jahresmitteltemperatur + 12°C.
erreicht, sind die Temperaturunterschiede New-Yorks doch excessive.
Die erlahmende drückende Hitze der Hochsommertage wird durch die
wohlthuenden, aus dem Ocean einströmenden Brisen gemässigt, und
7*
[52]Die atlantische Küste von Amerika.
ebenso verhindert der directe Einfluss der See, dass der Hafen in
strenger Winterszeit durch Eismassen sich schliesst. In seltenen Fällen
ereignet es sich zwar, dass durch schweres Eis fast aller Verkehr
für kurze Zeit stagnirt; dann gleichen Hudson und Bay fast einer
polaren Gegend. Doch dauert dies nie lange, aber die Herrschaft des
Winters mit seinen orkanartigen, meist aus Nordwest tobenden Stürmen
und den starken Schneefällen wird oft zur Geissel der Navigation in
der Bucht von New-York und vor der Einfahrt in dieselbe. Fast in
jedem Winter ereignen sich an dieser Küste Unfälle, welchen Menschen-
leben und grosse Werthe zum Opfer fallen.
Das Winterbild des Hafens ist eigenthümlich. Die verkehrenden
Dampfboote sind mit dicken Eiskrusten bedeckt, und Eisbrecher mit
mächtigen Sporen trachten die wichtigsten Verkehrsadern offen zu
halten. Dennoch ereignet es sich, dass selbst Ferryboote auf ihrer
kurzen Route von einem zum anderen Ufer der Eismassen wegen
plötzlich die Fahrt zu hemmen gezwungen sind. Dann schlägt man
Brücken über die Eisdecke und befreit die Gefangenen; doch sobald
die Verhältnisse es nur irgend ermöglichen, werden die Fahrten wieder
aufgenommen. Leichtes Eis überwältigen die wohlconstruirten Fahr-
zeuge mit eigener Kraft.
Ein anderes grosses Hemmniss für den Verkehr sind die im
Frühjahre und Herbst oft einsetzenden dichten Nebel. Für die nahen
Strecken des Localverkehres hat man auf Mittel gesonnen, dieser
Calamität zu begegnen. Mit bewundernswerther Geschicklichkeit führen
die Capitäne ihre Fahrzeuge, einzig dem Schalle horchend, in das
undurchdringliche Grau. Sowohl die Schiffe selbst als auch deren
Anlegestationen haben nämlich gleichartige akustische Apparate, welche
fortwährend in Thätigkeit erhalten werden. Welch sonderbares Con-
cert bei der Verschiedenartigkeit der Töne und der Unzahl der Fahr-
zeuge! Bald sind es helle Glocken, bald erschütternde tiefe Töne der
Dampfpfeifen, oder die ergreifenden Klänge oder ganze Accorde von
Aeolsharfen, mit welchen Schiff und Station sich anzulocken trachten.
Dennoch vollziehen sich Ankunft und Abfahrt mit staunenswerther
Präcision und Raschheit.
Die Fahrpreise auf Ferrybooten für das Uebersetzen auf das jen-
seitige Stadtufer sind äusserst niedrig; sie betragen nur 1 Cent in
den Morgen- und Abendstunden, unter Tags aber 2 Cent.
Nach dem letzten Census im Jahre 1880 entfielen auf New-York
allein 1,206.300 Einwohner, auf Brooklyn 566.663, auf Jersey-City
und Hoboken 151.721, Long-Island-City 17.129, also zusammen
[[53]]
New-York.
[54]Die atlantische Küste von Amerika.
1,941.813 Einwohner. Hiezu kommen noch 100.000 ambulante Fremde.
Wird aber das ganze unmittelbare Abhängigkeitsgebiet von New-York
in Betracht gezogen, also die sogenannten Vorstädte, so müssen Newark
mit 136.508, Elizabeth mit 25.000 Einwohnern und andere Städte, die
nur als Wohnorte von New-Yorker Geschäftsleuten gelten, hinzugerechnet
werden. Allein auch ohne diese Addition darf der heutige Wohnplatz
von New-York schon durch die seit 1880 erfolgte Zunahme der
Bevölkerung auf eine Einwohnerzahl von rund zweiundeinhalb Millionen
geschätzt werden.
Die eigentliche Stadt New-York nimmt nicht nur die ganze
Fläche der Manhattan-Insel ein, sondern sie hat den Harlem-River im
Norden schon längst überschritten.
Immer zahlreicher werden die Brücken und Schienenstränge,
welche die Insel mit dem herrlichen Hinterlande Westchester ver-
binden, und von den 24 Bezirken, in welche die Stadt New-York
zerfällt, gehören 22 dem insularen, 2 dem Gebiete am Festlande an.
Der belebteste Stadtheil ist die untere Stadt (down-town) an der
südlichsten Spitze der Insel, wo das geschäftliche Leben concentrirt
ist. Dort liegt die prächtige, von granitenen Quais umrandete Park-
anlage Battery, von der aus die ganze Bai und die vorliegenden Inseln
übersehen werden.
In unmittelbarer Nähe steht Castle-Garden, das weltbekannte
Gebäude für die Einwanderer, das Eingangsthor in die neue Welt,
zum Glücke oder zum Verderben. Unter dem Schutzdache des Castle
Garden ist die erste Etappe auf dem Pfade des Erwerbes.
An Castle-Garden schliesst sich unmittelbar die untere Stadt mit
ihren engen und düsteren Strassen an. Hier herrscht das regste Leben,
denn die hier stehenden, meist 8, auch 10 Stockwerke hohen Gebäude
bergen alle nur erdenklichen geschäftlichen und politischen Bureaux,
die Consulate, Agenturen, Geschäftslocale u. dgl. Die gesammte Be-
völkerung New-Yorks scheint der Südspitze der Stadt zuzuströmen
oder sich von hier in die grossen Adern ihres Verkehres zu ergiessen.
Die Gestalt der Manhattan-Insel hat das räumliche Anwachsen
von New-York in der Längsrichtung bedingt. Gegenwärtig misst die
Stadt 29·6 km in der Länge, wovon 25 km auf den insularen Theil
entfallen, während die durchschnittliche Breite 4·4 km beträgt. Der
weitaus grössere, erst in diesem Jahrhundert entstandene Stadttheil
zeigt in seiner Anlage ein fast mathematisches Gepräge. Unüberseh-
bare Avenuen, die ganze Länge der Insel durchziehend, stellen ein
System von Abscissen und die sie schnurgerade und senkrecht durch-
[55]New-York.
kreuzenden Strassen ein solches von Ordinaten dar. Auf unseren
Plänen von New-York haben wir das System durch erklärende Buch-
staben und Ziffern veranschaulicht.
Die Avenuen, vom Osten der Stadt gegen Westen gezählt, werden
mit Nummern von 1 bis 12 benannt, von welcher Bezeichnung nur
Lexington- und Madison-Avenue eine Ausnahme machen. Erstere liegt
zwischen der 3. und 4., letztere zwischen der 5. und 6. Avenue, so
dass sich die Gesammtzahl der Avenuen auf 14 beläuft.
Die Strassen der Neustadt sind ebenfalls nur mit Nummern be-
zeichnet, welche ihren Anfang im Anschlusse an die Down-Town
haben, wo sie noch durch die Querzüge der älteren mit Namen
bezeichneten Strassen begrenzt sind. Erst die 14. Strasse durchzieht
die ganze Breite der Insel vom Ufer des Hudson bis zu jenem des
East-River, desgleichen alle folgenden bis zur 155., der nördlichsten,
diesseits des Harlem-River gelegenen, insoferne sie nicht wie die 66.
bis 110 durch den Centralpark, diese herrliche Oase in der Häusermasse
von New-York, eine wohlthuende Unterbrechung erfahren. Die 5. Avenue
ist die eigentliche Achse dieses Strassennetzes. Sie theilt New-York
in eine östliche und westliche Hälfte.
Der Stempel der Einförmigkeit, welcher den Strassen New-Yorks
durch deren Anlage aufgeprägt ist, wird jedoch wett gemacht durch
das dort herrschende rege Leben.
Der über 9 km lange Broadway, welcher vom südlichsten Theile
der Down-Town durch diese gegen Nord zieht und wie ein muthwil-
liger Strich auf symmetrischem Plane die neuere Stadt bis zum Cen-
tralpark schräge durchläuft, ist weltberühmt.
Er ist die Pulsader der Stadt; an seinen Borden ist nicht nur
Pracht und Luxus ausgestellt, sondern jeglicher Handel und alle Ge-
werbe entfalten dort ihr Schaugepränge. Die kaufmännische Thätigkeit
hat hier das Hauptquartier aufgeschlagen.
Fast alle Häuser des Broadway sind bis in die obersten Stock-
werke nichts anderes als grossartige Magazine, ein Markt nicht nur
für die Stadt, sondern auch für all die entfernten Handelsplätze der
Vereinigten Staaten.
Aushängeschilder in allen Formen und Farben und mächtige
Annoncen trachten das Interesse der Passanten zu wecken und zu
fesseln.
Zu allen Tages- und Abendzeiten wogt die Menge die Trottoirs
entlang, während das Rollen und Gerassel unzähliger Wagen und der
Pferdebahn die Strasse mit einem wahrhaft betäubenden Getöse erfüllt.
[56]Die atlantische Küste von Amerika.
Den Gipfelpunkt erreicht dies Getriebe in der Höhe von Wallstreet,
der Strasse der Banken und Crösusse.
Vorüber an Trinity-Church, wo der blumengeschmückte Friedhof
und weiterhin auch das Prachtgebäude der Equitable-Life-Insurance-
Company ein seltsames Memento mori wachrufen, bis zu St. Pauls
Church-Yard, wo der Broadway über die Breite gewöhnlicher Strassen
sich erweitert, herrscht das dichteste Gedränge.
Das Ueberschreiten des Broadway ist hier mit Mühe und Gefahr
verbunden und erfordert grosse Geschicklichkeit.
Durch Union-Square, einen schönen Platz, welcher mit den
Statuen Washington’s, Lincoln’s und Lafaytte’s geschmückt ist, erleidet
die gerade Linie des Broadway eine Unterbrechung und nochmals eine
solche bei dem Garten von Madison-Square. Hier ist das Centrum
der Vergnügungswelt, des Reichthumes und der Noblesse. Neben
Theatern und Musikhallen stehen hier die besten Hotels, die ele-
gantesten Clubhäuser, welche New-York aufzuweisen vermag.
Obwohl New-York herrliche, an Grösse einzig dastehende öffent-
liche Gebäude besitzt, nahe an 500 Kirchen zählt und die Palais in
Strassen und Avenuen in Pracht und Luxus förmlich wetteifern, kann
ein allgemein bevorzugter Baustyl nicht wahrgenommen werden. Am
Broadway, wie in den meisten fashionablen Avenuen und Strassen
herrscht eine bunte Abwechslung; dagegen ist das Gros der Häuser-
zeilen von einer so nüchternen Einförmigkeit, dass man annehmen
könnte, es ziehe sich meilenweit ein und dasselbe Gebäude dahin.
Der hervorragendste historische Platz New-Yorks ist Bowling-Green,
ein Platz der Down-Town, an welchem die Wiege New-Yorks ge-
standen, indem die sechs, derzeit die Südseite des Platzes einfassenden
Gebäude jene Stelle bedecken, auf welcher einst das alte holländische,
später englische Fort gestanden hat; das Washington-Gebäude, Broad-
way Nr. 1, war die Stätte des Hauptquartiers des General Washington.
City-Hall, das Stadthaus, mit der Statue Washington’s, Sub-Treasury,
das Schatzamt, in dorischem Style aus weissem Marmor erbaut, die
Frucht- und Effectenbörse, das Zollamt, das Gebäude der Unionbank,
jenes der Manhattancompany, das Post-Office, Western-Union-Telegraph-
Comp., Court-House (Gerichtshof), das Palais der Staatszeitung, der
Equitable-Versicherungsgesellschaft gehören zu den weitaus bedeutendsten
Gebäuden der Stadt.
Unter der grossen Zahl von Kirchen in New-York, die insge-
sammt wegen der strengen Sonntagsheiligung ausserordentlich stark
besucht werden, und deren es für alle Religionen und Secten gibt,
[57]New York.
ist ihrer Grösse und Vornehmheit wegen die Trinity-Kirche er-
wähnenswerth. Ebenso verdient die neue katholische (St. Patriks)
Kathedrale als herrlichste Zierde der 5. Avenue besondere Beachtung.
Sie ist ein herrlicher, aus weissem Marmor aufgeführter gothischer
Bau, der als das schönste Gotteshaus New-Yorks und der neuen Welt
gilt. Von den Galerien ihrer 100 m hohen Thürme eröffnet sich ein
herrlicher Rundblick über New-York und dessen Umgebung.
New-York verfügt über ausgezeichnete Hotels: Fifth-Avenue,
Park-Avenue, Metropolitan-Hotel, Astor-House gehören zu den hervor-
ragendsten. Ueberdies gibt es unzählige Boarding-Houses, Pensionen,
Restaurationen für den feinsten Geschmack, wie Delmonico, und wieder
andere für die grosse Mehrzahl jener, denen nur bescheidene Mittel
zur Verfügung stehen.
Zu den ebenso grossartigen wie dieser Weltstadt zur Ehre ge-
reichenden Anlagen, welche die vitalsten Interessen seiner enormen
Bevölkerung begünstigen, gehören die Wasserwerke, der Central-
bahnhof (Central-Railway-Depot) und die charakteristischen Hoch-
bahnen, die Elevated-Railways.
Die Wasserversorgung erhält die Stadt vom unbedeutenden
Crotonflusse aus Westchester, aus einer Entfernung von circa 75 km.
Schon im Jahre 1842 war der Aquäduct, welcher das gesunde,
krystallhelle Wasser aus der herrlichen Region der Croton-Wasser-
scheide über den Harlem-River nach dem Vertheilungsreservoir in das
Herz von New-York führt, fertiggestellt. Mit immensen Kosten wurden
im Centralpark ein Vorreservoir und noch mehrere andere Reservoirs
angelegt, welche fast anderthalb Milliarden Gallonen Wasser ein-
sammeln. Durch geeignete Pumpwerke und hohe Wasserthürme wurde
auch für Speisung der höchstgelegenen Punkte der Stadt Vorsorge
getroffen. Die Kosten dieser Anlagen betrugen 30 Millionen Dollars. Der
tägliche Wasserverbrauch New-Yorks stellt sich auf 95 Millionen
Gallonen.
Ebenso kunstvoll ausgeführt wie genial erdacht ist die Ver-
einigung der Bahnen im Centrum der Stadt. Durch Tunnels unter
dem Strassenniveau, wodurch der Verkehr in den Strassen unbeinflusst
bleibt, sind die Bahnen zur Centralstation geleitet. Von den 20 ver-
schiedenen Bahnen (jene auf Long-Island ausgenommen), deren Aus-
gangspunkt New-York ist, haben nur drei ihren Bahnhof im Central-
depot und hiemit im eigentlichen Stadtgebiete. Dies sind die „New-
York-Central \& Hudson-River-“, „New-York \& Harlem-“ und „New-
York-New-Haven \& Hartford-Bahn“.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band 8
[58]Die atlantische Küste von Amerika.
Die prachtvolle dreitheilige Halle dieses in der Höhe der
42. Strasse liegenden Central-Bahnhofes kann 30 Zügen unter
ihren Dächern vollkommen Schutz gewähren, und die Gebäude sind
mit allem Comfort ausgestattet. Die auf den drei Hauptgeleisen lau-
fenden Züge sinken schon nach wenig hundert Metern Laufes unter
das Strassenniveau in einen der Tunnels und steigen erst kurz vor dem
Uebergange über den Harlem-River wieder in das Terrain auf.
Alle anderen Bahnhöfe, mit Ausnahme jener von Long-Island,
welche ihre Centralen in Brooklyn haben, liegen jenseits des Hudson
in Jersey-City oder Hoboken. Ein zweiter Bahnhof der New-York \&
Harlem-Bahn, welcher am Ufer des Hudson-River in der Höhe der
30. Strasse liegt, wird meist nur von Localzügen berührt.
Die ungeheure Längenausdehnung New-Yorks, der Umstand, dass
fast dessen gesammte, dem Geschäfte und der Arbeit zuströmende
Bevölkerung genöthigt ist, ihre Wohnsitze in den vom Ziele der Arbeit
weitab liegenden Stadttheilen aufzuschlagen, hat schliesslich zur Er-
richtung von Hochbahnen geführt, welche mit Dampf betrieben werden.
Omnibusse und Fuhrwerke, selbst die in reichlicher Zahl die Stadt in
der Länge und Quere durchlaufenden Pferdebahnen haben für die sich
täglich, insbesondere in den Morgen- und Abenstunden vollziehenden
Völkerwanderungen kaum mehr genügt, als die ersten Elevated-Trains
die langen Avenuen durchbrausten. Die Elevated-Railroads sind ein
Charakteristicum der Stadt New-York. Die langen und geraden
Avenuen haben ganz naturgemäss die Anlage solcher, allerdings für
die Bewohner dieser Strassen nicht behaglichen Einrichtungen hervor-
gerufen. Doch keine Rücksicht konnte den Anforderungen des Be-
darfes lange widerstehen, und jetzt sind die anfangs mit getheilter
Freude begrüssten Hochbahnen zum unabweisbaren Bedürfnisse ge-
worden. Unterirdische Bauten waren der Terrainverhältnisse halber
ausgeschlossen, und so erheben sich nun die Schienenwege auf eisernen
säulenartigen Unterbauten von verhältnissmässig leichter Construction,
unterhalb welchen der volle Strassenverkehr sich vollziehen kann. Die
Hochbahnen sind nicht nur in eine einzige Gesellschaft, die Manhatten-
Company, vereint, sondern stellen auch in ihrer Anlage ein einheit-
liches und zusammenhängendes System von Schienenwegen dar.
Das Centrum dieses Netzes, von welchem alle Linien ausgehen,
und nach welchem sie zurückkehren, liegt fast ganz am Südende der
Stadt, östlich von Battery, von wo aus diese Bahnen vermittelst der
die Züge erwartenden Ferryboote mit allen weiteren Verkehrsadern
jenseits des East- und Hudson-River unmittelbar communiciren. Eine
[59]New-York.
riesige bogenförmige Terrasse, ein von eisernen Stützen getragenes
Plateau, stellt das einheitliche Stationsgebäude dar, auf welchem sich
die Corridore mit Schaltern für die Kartenausgabe und die Warte-
stellen befinden. Weitaus der interessanteste Punkt der Hochbahnen
ist jene Haltestelle, welche mit dem mächtigen Plateau, dem Kopfe
der schwebenden East-Riverbrücke, in Verbindung steht. Wer das
bunte Getriebe, die enorme Bewegung ganzer Volksmassen, die Ver-
körperung des Kampfes ums Dasein mit einem Blicke erschauen will,
der betrachte jenes Brückenthor, in welches sich die Bevölkerungen
der Riesenstädte New-York und Brooklyn zu Bahn und Wagen aller
Art und in unendlichen Reihen von Fussgängern Stunde um Stunde
begegnen.
Vom Centralpunkte ziehen die Hochbahnen mit Doppelgeleisen durch die
wichtigsten Strassen und Knotenpunkte des Geschäftslebens der unteren Stadt und
durchlaufen dann die 1., 3., 6. und 9. Avenue bis ans nördliche Stadtende am
Harlem-River. Sie sind theils ganz nahe und je nach den Terrainverhältnissen an
den höheren oder niederen Stockwerken der Häuser geführt oder laufen in der
Strassenmitte auf vollkommen freistehendem Unterbau. Die 6. und die 9. Avenuebahn
vereinen sich in der Nähe des Centralparks in eine einzige Linie. Ein Querarm
der Hochbahnen führt auch zum Central-Railway-Depot, ein anderer nach dem
East-River.
Die Fahrt von der Südspitze bis zum Nordende der Stadt währt circa
eine Stunde.
Der einheitliche Tarif erleichtert wesentlich die rasche Abfertigung der
Passagiere und die mathematische Eintheilung und Anlage der Stadt die schnelle
Orientirung.
Ein Vorzug aller Verkehrsmittel New-Yorks, der besonders hervorgehoben
zu werden verdient, ist die unvergleichliche Billigkeit derselben und der Umstand,
dass der Passagier weder auf Hochbahnen, noch bei Benützung der Pferdebahnen
und sonstiger Beförderungsmittel durch eine Controle weiter belästigt wird.
Alle Wagen sind durchgehends comfortabel eingerichtet und im Winter jene
der Hochbahnen mittelst Dampfheizung, jene der Pferdebahn durch Oefen erwärmt.
Nachts verkehren die Züge der Hochbahnen in geringerer Zahl wie am
Tage, und jene, welche im directen Anschlusse an die einlangenden Züge der
grossen Verkehrsbahnen stehen, sausen gleich Expresszügen die Stadt abwärts,
nur an 6—8 Stellen haltend, während dies sonst gegen 25mal der Fall ist.
Andere Fuhrwerke hingegen, wie Miethwagen, Cabs etc., sind ausserordent-
lich theuer.
Neuestens wurde in New-York eine Strassenbahn eröffnet, deren
Wägen durch elektrische Accumulatoren bewegt werden. Die ver-
brauchten Elemente der letzteren werden an gewissen Haltestellen
gewechselt.
Nicht nur durch sein bewegtes Leben, die bunten Bilder seiner
Strassen und die Möglichkeit, nach Wahl und Geschmack zu leben,
8*
[60]Die atlantische Küste von Amerika.
ist New-York ein unversiegbarer Born für Zerstreuung, sondern es
besitzt auch Einrichtungen, welche geradezu als mustergiltig hingestellt
werden müssen.
Die polizeilichen Institutionen sind berühmt, ihre Organe regeln
mit unverdrossenem Opfermuthe den Strassenverkehr und geniessen im
Publicum auch jene unbedingte Achtung, deren sie sich so würdig
erweisen. Der Einheimische wie der Fremde findet im Bedarfsfalle an
ihnen einen Beschützer und verlässlichen Führer. Die meisten sind
der deutschen Sprache mächtig, welche nach der nationalen in
New-York die verbreitetste ist.
Die Feuerwehren sind musterhaft organisirt, hunderte von Stätten
für öffentliche Wohlfahrt, Lebensrettung und sonstige Hilfeleistung
sind telegraphisch und telephonisch miteinander verbunden. Ebenso
leisten die Telegraphen- und Postanstalten unübertreffliche Dienste.
Dass New-York, die Geburtsstätte des elektrischen Lichtes, über
eine glänzende Beleuchtung verfügt, ist natürlich. Wenngleich seine
weitaus grösseren Gebiete noch Gaslicht verwenden, so haben der Broad-
way, manche Avenuen und Strassen wie fast alle grossen öffentlichen
Anstalten und Privatetablissements das Licht der Neuzeit eingeführt,
und viele tausende elektromotorischer Anlagen stehen in Betrieb.
Der vorwiegend praktische und geschäftliche Sinn des Ameri-
kaners hat jedoch sein Gefühl für das Schöne und Edle durchaus
nicht unterdrückt. Er ist durchglüht vom Verlangen, im Augapfel seines
weiten Vaterlandes Tempel für Kunst und Wissenschaft zu gründen,
welche sich würdig an jene der alten Welt anreihen und zu den
Zierden der Stadt gereichen sollten, so wurden denn auch in New-York
viele derlei Institute gegründet.
Zum Theile verdanken sie ihr Entstehen der Fürsorge des Staates,
in überwiegender Zahl jedoch der Initiative der Provinz- und Stadt-
behörden und insbesondere der Munificenz seiner Bewohner, deren
Namen sie oft tragen.
Zu den hervorragendsten Sehenswürdigkeiten dieser Art gehören:
das Metropolitan Museum of art, Historical Society, Lenox Library,
Astor Library, die National Academy of design u. a. m.
Die privaten Bildergalerien, wie jene von Vanderbilt, sind
sehenswerth. Ausser den grossen Instituten, welche der Pflege der
Wissenschaft gewidmet sind und alle Zweige derselben umfassen, gibt
es hunderte von bildenden und humanitären Anstalten, und ist das
Clubwesen sehr ausgebreitet.
[61]New-York.
Obwohl New-York vorwiegend Handelsstadt ist, kann auch die
Entwicklung und Bedeutung seiner Industrie nicht übersehen werden.
Sie nimmt noch heute den ersten Rang unter den Industriestädten der
Union ein und besitzt unzählige Etablissements, namentlich hat sich
die Manufacturbranche in neuerer Zeit ganz besonders entwickelt.
New-York bietet für jede Art von Vergnügungen die reichste
Abwechslung. Es zählt nebst dem Metropolitan-Opera-House, dem
New-York (Brocklyn-Brücke).
neuesten und schönsten seiner Theater, und der Academy of Music
noch 32 mehr oder minder bedeutende Bühnen und entfaltet in jeder
Richtung ein reiches Kunstleben.
Unter den 32 öffentlichen Gärten oder im Baumschmucke pran-
genden Plätzen nimmt der Centralpark wohl den ersten Rang ein.
Mit kühnem Eingriffe hat die Kunst in dem von Natur ungünstigen
Boden ein wahres Paradies geschaffen. Diese Oase in der Steinmasse
von New-York ist über 4½ km lang und 1 km breit. Die schönen
Reit-, Fahr- und Gehwege, die herrliche Gruppirung der Pflanzungen,
[62]Die atlantische Küste von Amerika.
bald mächtige Baumreihen, bald üppige Wiesen, seine Bassins, Teiche,
Seen und Fontainen, seine Statuen und die vielen stylvollen Bauten,
Brücken, die Spielplätze und Restaurants, wie nicht minder die um-
gebenden Gebäude, unter welchen das Metropolitan Museum of Art
schon wegen der Schätze, die es birgt, die grösste Anziehungskraft
übt, Alles dies stempelt den Park nicht nur zu einer der herrlichsten
Anlagen, sondern erhebt ihn auch zum ersten Vergnügungsplatze und
Vereinigungsorte der New-Yorker Welt.
Die grösste Wohlthäterin der in das Meer von Häusern ge-
drängten, im Strudel der Geschäfte ermüdenden Menschheit ist jedoch
die Natur, die, mit reichem Segen das weite Land bedenkend, der
Millionenbevölkerung die wunderbarsten Erholungsplätze in der Nähe
bereit hält.
Nach allen Richtungen erschaut man knapp ausserhalb der
Stadt herrliche Waldungen, prächtige Fluren, und das weite Gebiet
ist umbrandet von den Wogen des Oceans, benetzt von rieselnden
Quellen und getheilt von grossen Wässern. Nicht nur der Hudson
mit seinen reizenden Ufern lockt, wenn Alles spriesst und grünt, die
Stadtbewohner an seine Gestade und Triften, auch die Inseln, wie
Long-, Coney- und Staten-Island, und das Küstengebiet von Jersey
nehmen, sobald sie im Frühlingsschmucke erscheinen, Hunderttausende
von Bewohnern in ihre prächtigen Villen und Sommerhäuser auf und
locken an festlichen Tagen unübersehbare Menschenmassen in ihre
Gefilde. Dort wird ihnen Erholung von den Strapazen der Arbeit und
hat der Unternehmungsgeist unzählige Vergnügungsplätze geschaffen.
Jeder Sport findet dort seine Berechtigung, und insbesondere ist Coney-
Island mit seinem Rennplatze das Ziel jener, die an den Pferderennen,
der Entfaltung der Freude und des Luxus ihr Auge weiden wollen.
Coney-Island mit ihrem gegen sandig verlaufenden Süd-Ufer
ist auch der eigentliche, der Hauptbade- und Wasserplatz, der mit
den besten Einrichtungen und mit prächtigen Hôtels für seine Be-
sucher ausgestattet ist. West-Brighton auf Coney-Island hat nicht nur
einen 1000 Fuss in den Ocean ragenden eisernen Pier, sondern trägt
auch jenes monströse Hôtel, welches, in Form eines Elephanten gebaut,
aus meilenweiter Ferne von See aus erblickt werden kann. Sogar
in den Zähnen dieses Ungethümes sind Sommerwohnungen eingerichtet.
Sechs Localeisenbahnen und eine Pferdebahn verbinden die Insel direct
mit Brooklyn und unzählige Dampfboote mit New-York und Jersey-
City. 150.000 Personen können in einem Tage hin und her übersetzt
werden.
[63]New-York.
Doch nicht nur hieher, sondern auch nach den entfernteren Punkten
der Küste von New-Jersey und bis Sandy Hook, endlich nach Staten-
Island, welches seine eigenen Eisenbahnen hat, fährt man mit Ferry-
booten oder anderen Dampfschiffen ebenso gut als billig.
Zu New-York gehören die Inseln im East-River, Blackwells,
Wards und Randalls.
Erstere besitzt grossartige Gebäude, wie Spitäler, Strafanstalten,
Arbeitshäuser und dergleichen öffentliche Institute. Ward-Island hat
ebenfalls ähnliche Anstalten, von welchen ein Theil für Zwecke der
Emigration gewidmet ist, und auf Randall-Island sind nebst anderen
auch Correctionsanstalten für verwahrloste Kinder und Kinderspitäler
erbaut.
Neuestens plant man den Bau einer mächtigen Brücke, welche
New-York über Blackwell-Island mit Long-Island verbinden soll.
So wird dem Wunderwerk der Suspension- oder Brooklyn-Brücke
bald ein zweites zur Seite gestellt sein. Bis nun ist erstere jedoch
der Stolz der Bevölkerung New-Yorks und gleichzeitig das Denkmal
ihres genialen Constructeurs Ingenieur Roebling, dem es nicht ver-
gönnt war, die Vollendung seines kühnen Werkes zu erleben. Sein
Sohn führte selbes zu Ende, und 1883 wurde die Brücke dem Ver-
kehre übergeben.
Dem Interesse an dieser gewaltigen schwebenden Strasse, welche in ihrer
kunstvollen Gliederung von einiger Entfernung aus als ein überaus zarter Bau er-
scheint, seien nachfolgende Daten gewidmet.
Mächtige Anläufe, Wälle von Mauerwerk, welche von den Ufern fast 500 m
in das Stadtgebiet von New-York und 300 m in jenes von Brooklyn ragen, bilden
gleichsam die Zufahrts-Plateaux zur Brücke, an welche sich beiderseits die Ele-
vated-Railways directe anschliessen. Für Fussgänger sind die Plateaux durch
Treppen, für Wagen auf besonderen Zufahrtsrampen erreichbar.
In den Wällen liegen die kräftigen Verankerungen, an welchen die Enden
der vier Stahlkabel von 40 cm Durchmesser befestigt sind. Diese Kabel laufen in
majestätischen Bogen über die beiden Thurmpfeiler, die einzigen Stützen des
Brückengehänges. Die Thürme, welche in dem felsigen Grunde des East-River
ihre Fundamente haben, sind aus Granit erbaut, am Wasserspiegel 42 m lang und
bei 15 m breit; sie ragen 85 m über das Meeresniveau empor. Die Kabel sind
ohne weitere Befestigung auf der Thurmkrone bloss aufgelegt. Von unzähligen
senkrecht abhängenden Stahltauen wird die eigentliche Brücke, ein sehr solides
Eisengitterwerk, getragen.
Die ganze Länge der Brücke beträgt 1785 m, ihre Breite 17½ m. Zwischen
den Pfeilern misst sie 843 m Länge und ist derart mit letzteren verbunden, dass sie
allen Stürmen zu widerstehen im Stande ist. Ihre normale Belastung mit 1380 t
wird durch eine Maximaltragfähigkeit von 49.200 t gewährleistet. Ueber
die Brücke führen zwei Schienenwege, auf welchen die Wagen vermittelst
[64]Die atlantische Küste von Amerika.
eines endlosen Drahtseiles bewegt werden. Der Dampftreibapparat hiefür befindet
sich an der Brooklyner Seite der Brücke. Zu beiden Seiten der Bahn führen die
Strassen für den Wagenverkehr, und oberhalb der Bahnen in der Mitte der Weg
für Fussgänger.
Die Erbauungskosten der Brücke erreichten die Höhe von nahezu 15 Mil-
lionen Dollars.
Brooklyn, obgleich eine gewaltige Stadt an sich, ist in den Be-
griff New-York vollkommen aufgegangen. Allein wie letzteres, stellt
auch diese Stadt einen Complex kleinerer Cities vor, deren Individua-
litäten in den Hintergrund treten mussten. In gleicher Weise ver-
lief auch der biologische Process der anderen mit New-York ver-
bundenen Nachbarstädte.
Brooklyn ist die drittgrösste Stadt der Vereinigten Staaten; sie
hat ihre eigene Verwaltung und Vertretung.
Eine stattliche Reihe öffentlicher Gebäude, worunter City-Hall,
ein vornehmer Marmorbau im jonischen Style, und zahlreiche luxuriöse
Privatbauten, geben ihr das Gepräge der Wohlhabenheit. Der Kunst
und Wissenschaft lässt die Stadt eine warme Fürsorge angedeihen,
überhaupt ist in ihren Einrichtungen der Kern von New-York das
Vorbild gewesen. Auch in Brooklyn durchzieht ein Broadway die
Stadt, und die Züge der Elevated-Railways durchbrausen Avenuen und
Strassen.
Die Häuser sind zum grossen Theile solide Steinbauten, und die
meist unter rechtem Winkel sich schneidenden Strassen in gerader
Richtung geführt, wenngleich das Terrain hügelig und stellenweise
sehr steil ist. Von einigen hochgelegenen Strassen, wie von Monta-
gue-Terrace, geniesst man eine lohnende Aussicht auf New-York und
den Hafen; die Luft ist hier reiner als in der Schwesterstadt. Im
Volksmunde wird Brooklyn als Schlafstätte der New-Yorker be-
zeichnet oder auch die Stadt der Kirchen genannt, deren sie eine
Menge besitzt.
Hervorragend durch Schönheit ist jedoch keine derselben. Da-
gegen ist Brooklyn reich an grossen und schönen Parkanlagen. Zur
Berühmtheit ist der grossartige und unvergleichliche Ocean-Parkway
gelangt, ein prächtiger, 82 m breiter und über 10½ km langer Boule-
vard. Er ist die beliebteste der Fahrstrassen, welche vom Prospect-
Park bis zum Oceanstrand von Coney-Island führt.
Auch die Industrie von Brooklyn ist sehr bedeutend, und ver-
dienen die grossartigen Petroleum-Raffinerien hervorgehoben zu werden.
Brooklyn und Long-Island-City umsäumen das ganze linksseitige
Ufer des East-River, der eigentlich kein Fluss, sondern die enge Fort-
[[65]]
New-York (Freiheitsstatue auf der Bedloes-Insel).
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 9
[66]Die atlantische Küste von Amerika.
setzung jenes Canales ist, der Long-Island im Norden bespült. Den
Namen East-River führt dieser Canal erst von der Stelle an, wo der
Harlem-River in denselben einmündet.
An einer Bucht des East-River liegt Navy-Yard, das grösste
See-Kriegsarsenal der Vereinigten Staaten mit seinen Werften, Maga-
zinen und grossen aus Granit gebauten Trockendocks.
Für die Zwecke des Handelsverkehrs entstanden im Südwesten
der Stadt die weitläufigen Atlantic-Docks, an welche sich weiterab
auch jene der Erie- und Brooklyn-Basins anschliessen. Der Gross-
artigkeit dieser Anstalten verdankt Brooklyn den Ruf als eine der
Hauptkornkammern der Erde.
Die Länge der Dämme der Atlantic-Docks beträgt gegen 4 km,
und in dem Bassin, das nur eine 60 m breite Einfahrt hat, finden 500
Schiffe gleichzeitig Raum. Riesige Waarenhäuser und neun thurm-
hohe Getreideelevatoren umfassen dort die Quais. Die Elevatoren
werden ausschliesslich mit Dampf betrieben. Erie- und Brooklyn-
Basin dienen dem gleichen Zwecke; die drei genannten Plätze sind
die einzigen, in welchen Docks im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h.
Trockendocks angelegt sind. Die enormen Dimensionen der letzteren
reichen für die grössten Seeschiffe vollkommen aus.
Durch die Elevated-Railways und Pferdebahnen wird das weite Ge-
biet von Brooklyn in meilenweiten Strecken durchzogen und haben
alle Linien den Anschluss entweder zum Fusspunkte der East-River-
Bridge oder zur Fulton-Ferry, welche die frequentirteste Fähre für
die Verbindung nach allen Richtungen ist.
Der wechselseitige, nie rastende Verkehr zwischen den drei
Städten Brooklyn, New-York einerseits und Jersey-City andererseits
hat unwillkürlich auch die letztere in den Gesammtbegriff New-York
einbezogen. Wenngleich alle drei Städte getrennte Gemeinschaften bilden
und Jersey-City sogar in einem anderen Staate, in New-Jersey, ge-
legen ist, repräsentiren sie doch alle ein einziges grosses Eingangsthor
für die Vereinigten Staaten, ein einziges Importgebiet. Jersey-City ist
auch eines jener Meere von Wohngebäuden, das meist New-Yorker
Geschäftsleuten dient, welche ihren Familiensitz in ruhigeren Gegenden,
entfernt vom Getriebe des Business, aufschlagen.
Die Hügel hinter der Stadt sind von schönen Villen besetzt,
Grand Street im Herzen derselben ihre schönste Strasse. Ausserdem
hat die Stadt bedeutende Fabriken; ihre Manufactur- und Glasindustrie,
Zuckerraffinerien sind wohlentwickelt, Eisen-, Stahl- und Zinkwerke,
Giessereien, Kessel- und Locomotivfabriken sind zahlreich vorhanden.
[67]New-York.
An Hoboken findet Jersey-City ihre Ergänzung, obgleich auch
dieses eine gesonderte Municipalität bildet. Hier leben vornehmlich
Deutsche, welche den Stock der Bevölkerung Hobokens ausmachen,
und ihre Sitten und Gebräuche drücken der Stadt den Stempel des
Deutschthums auf. Es ist kaum denkbar, und doch trifft es zu, dass
Menschen, welche seit Decennien hier leben, keine andere als ihre
deutsche Muttersprache kennen. Viele Deutsche sind Industrielle oder
Handelsleute, die meisten jedoch gehören den arbeitenden Classen
an und betreiben mechanische Gewerbe.
Auf einem Hügel im Norden bei Hoboken steht auch das durch
Commodore Stevens gegründete polytechnische und wissenschaftliche
Institut seines Namens. Die Umgebung selbst ist herrlich und die
elysäischen Felder, tiefschattige Promenaden an den Hügeln aufwärts
vom Hudson-River, gehören zu den pittoreskesten Punkten in der Um-
gebung New-Yorks.
In Jersey-City und Hoboken haben 16 Bahnen ihre Anfangs- und
Auslauf-Stationen, und von hier aus verkehren die Eisenbahnfähren zu
den Geleisen jenseits des Hudson-Rivers. Strahlenförmig führen diese
Bahnen, von welchen zwei den Ufern des Hudson folgen, in das Innere
des Landes, um in zahllosen Zweigen an jene Weltstrassen anzu-
schliessen, welche die östlichen Gestade der Vereinigten Staaten mit
dem fernen Westen und dem Stillen Ocean verbinden.
Schon seit einem Viertel-Jahrhundert ist New-York der drittwich-
tigste Hafen der Welt, seit einem halben Jahrhundert der grösste Stapel-
und Handelsplatz Amerikas, der alle anderen Seeplätze der Union weit
hinter sich lässt. Denn der Handel New-Yorks mit dem Auslande um-
fasst 55—58 % desjenigen aller Häfen der Vereinigten Staaten zu-
sammengenommen. Die folgende Tabelle bringt hiefür den ziffer-
mässigen Nachweis.
Auswärtiger Handel, Edelmetalle eingeschlossen:
Der kolossale Verkehr landeinwärts ist zunächst die nothwendige
Folge des gewaltigen überseeischen Handels. Daneben hat New-York
einen ausgedehnten selbständigen Verkehr mit seinem directen Hinter-
lande, bedingt durch die Grösse der Bevölkerung, welche heute für
den Wohnplatz New-York mit 2½ Millionen Einwohner nicht zu hoch
gerechnet ist, und durch ein ausgebreitetes Fabrikswesen. Alle diese
9*
[68]Die atlantische Küste von Amerika.
Factoren zusammen mit dem Umstande, dass es sein Antlitz Europa
und Westindien zuwendet, haben New-York zum Hauptsammelplatze
der Reichthümer der Union gemacht, deren Verwendung von diesem
Brennpunkte aus mit den Hilfsmitteln einer vollendeten Technik des
Handels und mit rücksichtsloser Energie geleitet wird. Gleichen Schritt
mit der Grossartigkeit des Handels- und des Gewerbebetriebes hält
der Luxus der oberen Stände, über den von Zeit zu Zeit erstaunlich
klingende Berichte nach Europa kommen. New-York ist dadurch auch
ein reiches Absatzgebiet für die Luxusindustrien Europas.
Unwillkürlich stellt man sich die Frage, warum von den pracht-
vollen Häfen, an denen die Ostküste Amerikas so reich ist, gerade
die Mündung des Hudson zu dieser herrschenden Stellung berufen
wurde und so das ehrwürdige Philadelphia und Boston, die Wiege
der Freiheit der Union, in den Hintergrund drängte. Auch diese Städte
liegen ja ganz nahe jenen Gebieten, in denen sich heute der Schwer-
punkt des wirtschaftlichen Lebens der Union befindet. Sein commer-
cielles Uebergewicht verdankt New-York der schon von Washington
so sehr protegirten Anlage von Canälen. New-York erhielt 1825 mit
der Eröffnung des berühmten Erie-Canales, welcher von Buffalo an der
Ostspitze des Erie-Sees nach Albany am Hudson führt, eine bequeme
und billige Verbindung mit der mächtigen Kette der grossen Seen.
Dies war der erste und blieb der einzige Canal, welcher das Gebirge
der Alleghanies überschreitet und bis in die Vierzigerjahre den ge-
sammten Handel der Binnengebiete mit dem atlantischen Ocean mono-
polisirte. Ihm verdanken Staat und Stadt New-York ihre rasche
wirthschaftliche Entwicklung und die heutige commercielle Stellung.
Die Bevölkerung der Stadt New-York stieg 1820—1840 von 124.000
auf 313.000 Einwohner. Durch den Bau des Oswego-Canales, welcher
vom Ontario-See ausgeht, und die Ausführung des Champlain-Canales,
der von Albany nordwärts zum Lorenz-Strom zieht, erhielt der Erie-
Canal werthvolle Anschlüsse, auf denen ihm grosse Mengen von Holz
und Getreide zugeführt werden. In der Zeit vor den Eisenbahnen
standen die Schiffe im Erie-Canale oft in einer ununterbrochenen Reihe
von 10 km Länge und warteten wochenlang auf die Durchschleusung.
Um den Verkehr bewältigen zu können, vertiefte man 1835 den Canal
auf 2 m, und seitdem trägt er Schiffe von 200—250 Tons Ladung, welche
auf dem 580 km langen Canale von Pferden und Maulthieren ge-
schleppt werden und durch 72 Schleusen die Wasserscheide über-
winden. Auf dem Hudson verwendet man zum Transporte der Canal-
schiffe Dampfboote.
[69]New-York.
Durch den Erie-Canal war für den Nordosten der Union die
Hauptlinie des Verkehres endgiltig festgestellt, und als man in den
Vierzigerjahren in Amerika mit regem Eifer, nicht vorsichtig zögernd
wie bei uns in Europa, an den Bau von Eisenbahnen ging, mussten
die Unternehmer der so geschaffenen Lage Rechnung tragen. Die
Stellung New-Yorks als Handelsplatz wurde durch das neue, sehr
leistungsfähige Verkehrsmittel unausgesetzt befestigt. Gleichzeitig sank
die Bedeutung des Erie-Canales für den Handel von New-York, aber
er ist auch heute noch für die Stadt keine blosse historische Erinnerung;
ja seit der grossen Bewegung der „grangers“, der weizenbauenden
Farmer gegen das Frachtmonopol der Eisenbahnen, ist seine Wich-
tigkeit als Regulator der Höhe der Getreidefrachtsätze für die sieben
Monate des Jahres, in welchen der Frost seine Benützung nicht
hindert, allgemein anerkannt.
Aber nicht nur die billige Fracht sichert den Canalbooten eine
bleibende Bedeutung für den Getreidetransport, sondern ebenso sehr
der Umstand, dass die 2500 q tragenden Boote Magazine sind, die
der Getreidespeculant wochenlang im Hudson liegen lassen und aus
welchen er mittelst sogenannter schwimmender Elevatoren direct in die
Seedampfer überladen kann.
Im Jahre 1888 kamen in dem „Tide Water“, das ist im Hudson,
der dem Einflusse von Ebbe und Flut unterworfen ist, vom Erie-Canal
1·5 Millionen metr. Tonnen und vom Champlain-Canal 0·66 Millionen
metr. Tonnen Frachten an; sie bestanden überwiegend aus Getreide
und Holz. 1·2 Millionen metr. Tonnen wurden vom Gezeitenwasser in
diese Canäle gebracht, und die gesammte Handelsbewegung auf den
Canälen des Staates New-York erreichte 4·4 Millionen metr. Tonnen
im Werth von 107 Millionen Dollars; von der Summe entfielen 84·2
Millionen Dollars auf den Erie-Canal.
Um die Bedeutung des Erie-Canales zu heben, hat die Regierung
des Staates New-York seit dem 1. Jänner 1883 alle Schiffahrtsge-
bühren aufgehoben. Aber die grossen Trunk-Linien, welche auf ihren
Geleisen die Weizenladungen aus dem Westen nach New-York bringen,
begegnen dieser Concurrenz durch ausnehmend niedrige Frachtsätze
und halten sich bis jetzt für den Ausfall schadlos durch die hohen
Tarife, welche der sehr lebhafte Localverkehr entrichten muss. Doch
hängt in der Zukunft alles davon ab, ob es der öffentlichen Meinung
gelingt, durchzusetzen, dass auf Grund der bestehenden „Interstate
Commerce Bill“ Güter, welche auf dem Wege ins Ausland den Hafen
[70]Die atlantische Küste von Amerika.
von New-York nur passiren, nicht weniger zahlen als diejenigen,
welche für den Verbrauch im Inlande bestimmt sind.
Schon aus diesen Betrachtungen geht hervor, dass Getreide einer der
wichtigsten Ausfuhrartikel von New-York ist, und die Gruppe der „Brotstoffe“,
welche auch Mehl umfasst, steht dem Werthe nach sogar an der Spitze der Ausfuhr.
Von den Brotfrüchten, welche in der Union erzeugt werden, haben Weizen
und Mais allein Bedeutung für den Welthandel. Doch nur Weizen wird in der
Form von Körnern und Mehl ausgeführt, und diese Ausfuhr bildet somit eine
directe Concurrenz für die Länder Europas, welche Weizenbau betreiben. In den
letzten Fiscaljahren, welche man in Amerika vom 1. Juli bis zum 30. Juni rechnet,
wurden aus dem Hafen von New-York von einheimischem Weizen und Mehl
exportirt:
Die Ausfuhr fremden Weizens ist gering und beschränkte sich 1888 auf
109.000 q. Die oben angeführten Mengen machen ungefähr je zwei Fünftel der ge-
sammten Weizen- und Mehlausfuhr der Union aus.
In den zahlreichen Elevators von Chicago und anderen Plätzen, soge-
nannten Collecting Places, welche im Getreidehandel dieselbe Rolle spielen
wie die Banken im Geldverkehre, wird der Ueberschuss der Weizenernte aus den
Staaten im Süden, Westen und Nordwesten der Seen gesammelt und zum grösseren
Theil über New-York ins Ausland dirigirt. Man bedient sich dabei entweder des
Wasserweges über die Seen und den Erie-Canal oder der Eisenbahnlinien, doch
kommt es auch vor, dass man beide Routen, die zu Wasser führende und die Eisen-
bahnwege, combinirt. Die Raten für die Verfrachtung des Weizens von Chicago
nach New-York sind niedrig. Sie betrugen 1888 durchschnittlich für das Bushel
(35·2 l) in Cents (à 2·1 kr. oder 4·25 Pfennige) bei der Beförderung mit den Eisen-
bahnen 14·50 Cents, also 30·8 kr. für eine Entfernung von rund 900 englischen
Meilen = 1450 km.
Also nicht einmal einen Neukreuzer Gold oder zwei Pfennige kostete im
Grosshandel die Beförderung eines Liters Weizen auf die riesige Entfernung von
Chicago bis New-York. Wenn man die Route über die Seen und den Bahnweg
combinirte, stellte sich 1888 die Fracht per Bushel auf 14·7 Cents, bei ausschliess-
licher Benützung des Wasserweges auf 5·93 Cents. Aber es vergehen Wochen, bis
auf dem zuletzt genannten Wege das Getreide von Chicago nach New-York kommt.
Aus diesem Grunde gingen auch trotz der riesigen Differenz der Fracht
von den 28,858.600 q Getreide und Mehl, die 1888 aus dem Innern nach New-York
geführt wurden, 18·7 Millionen q auf dem Eisenbahnwege und nur 9·2 Millionen q
auf dem Wasserwege dahin.
Da wir nun schon mit dem Capitel der Frachtraten uns eingelassen haben,
so wollen wir auch gleich als nothwendige Ergänzung die Höhe der Getreide-
frachten von New-York nach Liverpool (3028 Seemeilen oder 5608 km), dem
Hauptbestimmungshafen des amerikanischen Getreides, anführen. Diese betrug 1888
[71]New-York.
pro Bushel durchschnittlich 2·67 Pence oder 5·34 Cents, das Penny zu 2 Cents
berechnet.
Mais ist für die Versorgung der Union die weitaus wichtigste Getreideart,
das „Corn“; er findet dort eine so vielseitige Verwendung, dass er eine ganze
Reihe unserer Feldfrüchte nach ihrem Gebrauchswerthe ersetzen muss. In der
Ausfuhr aber tritt er weit hinter dem Weizen zurück; es wurden nämlich 1888
nur 2,201.330 q im Werthe von fast 5 Millionen Dollars über New-York nach aus-
wärts versendet.
Der Getreidehandel New-Yorks ist mit eine Folge der eigenthümlichen und
grossartigen Organisation des Getreidehandels der Union, den man nach Sering 1),
dessen Ausführungen wir hier benützen, als ein einheitliches Kunstwerk bezeichnen
muss. Denn die gewonnenen Bodenproducte werden mit denkbar grösster Oeko-
nomie auf den Markt gebracht.
In Europa haben wir ein Netz von kleinen Zwischenhändlern, welche die
ländlichen Districte durchziehen, den Bauern die Ernte abkaufen und an die
Grosshändler in den Hauptstädten abliefern. Das Getreide wird in Säcken ver-
sendet und jede einzelne Umladung, welche nothwendig ist, wird durch Menschen-
hände bewirkt. Nur wenige grosse Handelsplätze, wie Köln, Mannheim, Budapest,
haben Einrichtungen, welche sich an das amerikanische System anschliessen.
Abgesehen von den Küstenländern des Stillen Oceans wird in ganz Nord-
amerika das Getreide ausschliesslich in losem Zustande befördert, sowohl in den
Eisenbahnwägen wie in den Canalbooten und den Oceandampfern. Dadurch wird
es ermöglicht, in ausgedehntestem Masse beim Transporte, Umladen, Abwägen und
Einladen des Getreides mechanische Hilfskräfte zu gebrauchen. Mit mechanischen
Vorrichtungen zur Bewegung der Körner sind heute alle Silo-Speicher ausgestattet,
welche in allen Eisenbahn- und Wasserstationen des atlantischen Getreideexport-
gebietes und in den Hafenstädten errichtet sind. Man hebt das Getreide mittelst
eines Paternosterwerkes, d. i. eines mit Schaufeln besetzten endlosen Gurtes, auf
die Höhe des Gebäudes. Dort wird es in einer Windkammer und durch Siebe ge-
reinigt und abgewogen, und schliesslich lässt man es durch eine Holzröhre in den
für dasselbe bestimmten Lagerraum laufen. Ein solcher Raum heisst „Bin“, und jeder
bildet einen grossen, tiefen, nach unten spitz zugehenden Kasten. Oeffnet man den
Schieber, welcher sich auf dem Boden des Bin befindet, so kann man die Körner
durch eine bewegliche Röhre in den Eisenbahnwagen oder das Schiff gleiten lassen.
Wie das oben geschildert wurde, baut man in den Seestädten die Elevatoren auf
langen Molos (Piers) ins Meer hinaus, so dass die Schiffe unmittelbar anlegen
können, während vom Lande her die beladenen Eisenbahnwaggons einfahren. Von
dem Momente an, wo das Getreide den Wagen des amerikanischen Farmers verlassen
hat, bis zu seiner Ankunft in dem europäischen Hafen kommt menschliche Ar-
beitskraft bei der Handhabung desselben nur insoweit in Anwendung, als letztere
das Uhrwerk der Elevatoren regelt, die Eisenbahnzüge und Schiffe lenkt. Es bedarf
keines Hinweises, in wie hohem Grade dadurch Zeit und Geld gespart und die
Concurrenz verschärft wird.
Diese mechanischen Einrichtungen haben die wirtschaftlichen und recht-
lichen Formen geschaffen, in denen der nordamerikanische Getreidehandel sich
vollzieht. Jeder Farmer erhält für das im Elevator eingelieferte Getreide einen
[72]Die atlantische Küste von Amerika.
Lagerschein, „warehouse receipt“, der ein Ordrepapier ist, das, regelmässig durch
Indossement übertragen, leicht von Hand zu Hand wandert. Dieser Lagerschein
gibt ihm aber nicht ein Recht auf das von ihm abgelieferte Getreide, sondern auf
eine gleiche Menge Getreide von derselben Qualität. Selbstverständlich ist die
Classificirung des Getreides genau und zuverlässig, eigene beeidete Getreideinspec-
toren überwachen dieselbe. Durch dieses Verfahren ist die Besichtigung und der
Verkauf der Waaren vereinfacht, der Handel, insbesondere der überseeische Export-
handel, hat nur mit einigen wenigen grossen Qualitätsclassen zu rechnen, die Spe-
culation kennt die Vorräthe in den Elevatoren, den „visible supply“, genau, da
sämmtliche Lagerscheine zu ihrer Giltigkeit einer Eintragung in öffentliche Re-
gister bedürfen, und der Kunde wird reell bedient, weil eine unparteiische Jury
die Qualitäten (Nummern) bestimmt und ganz minderwerthige Waare vom Exporte
gänzlich zurückweist.
Für die innere Organisation des amerikanischen Getreidehandels hatte das
System der Elevatoren die wichtige Folge, dass derselbe sich in wenigen grossen
Handelshäusern concentrirt, welche die Elevatoren ganze Eisenbahnlinien entlang
gepachtet haben oder zu eigen besitzen. Dadurch ist der Landwirt von den
kleinen Zwischenhändlern befreit, die bei uns einen so grossen Theil des Gewinnes
einstreichen, er steht direct mit dem Welthandel in Verbindung. Auf der anderen
Seite aber können kühne Speculanten leicht, wenigstens für einige Zeit, die Preise
erfolgreich drücken oder heben und so die natürliche Bildung des Preises hindern.
Zu diesem Ende werden jährlich auf der Produce Exchange von New-York
im Termingeschäfte Quantitäten von Getreide umgesetzt, welche den Verkehr in
effectiver Waare um ein Vielfaches übertreffen.
In New-York sind selbstverständlich alle Einrichtungen, welche das Aus-
laden und die Verschiffung des Getreides erleichtern und beschleunigen, in der
höchsten Vollendung vorhanden. In dem dortigen Hafen bestanden 1887 22 feste
und 31 schwimmende Elevatoren; die festen haben einen Fassungsraum von fast
9·9 Millionen Hektolitern, und die festen und schwimmenden können zusammen
in der Stunde 167.000 hl (474.000 Bushels) Getreide umladen. Der grösste Eleva-
tor ist Beard’s Elevator am Erie-Basin in Brooklyn, in welchem 969.000 hl
(2,750.000 Bushels) Getreide lagern können. Die grösste Leistungsfähigkeit besitzt
der Elevator der N. Y. Central \& H. R. Railroad, welcher in der Stunde die Um-
ladung von 21.143 hl (60.000 Bushels) Getreide besorgt. Der grösste schwimmende
Elevator kann in der Stunde nur 2819 hl (8000 Bushels) bewältigen. Da auch
nachts bei elektrischem Lichte gearbeitet wird, zählt der Aufenthalt, den ein
Schiff braucht, um nach dem Löschen der eingebrachten Ladung Getreide als
Rückfracht nach Europa aufzunehmen, nur nach Stunden. Wegen dieser raschen
Lademöglichkeit completiren Dampfer wenige Stunden vor Abreise noch ihre Ladung
mit Getreide, welches zu sehr billigen Tarifen als Rückfracht nach Europa geht.
Wir schliessen diesen Abschnitt mit dem Hinweise, dass die grossen Mengen
von Weizenmehl, die über New-York ausgehen, in St. Paul Minnesota und Minnea-
polis erzeugt werden, welche an den Anthony-Fällen des mit Turbinen besetzten
Mississippi, 472 englische Meilen oder 760 km nordwestlich von Chicago, liegen.
Von dem amerikanischen Mais gelangt der kleinere Theil in der Form von
Körnern und Mehl, der grössere Theil aber in Gestalt lebender Thiere und
thierischer Producte zur Ausfuhr, und man muss auch bedenken, dass in der
Union das Gebiet der Viehzucht weit das des Ackerbaues übertrifft. Für den Ex-
[73]New-York.
port lebenden Rindviehs ist der Umstand günstig, dass die werthvollen Racen
im Osten der Union zu finden sind. Im Jahre 1888 wurden von New-York, wo
sich ausgedehnte „stock yards“ (Viehställe) befinden, 51.990 Stück Rindvieh im
Werthe von fast 5 Millionen Dollars meist nach England in die Hafenplätze Liver-
pool, Glasgow und London verschifft. Im September 1889 ging mit dem Dampfer
„England“ der „National Line“ der grösste bisher dagewesene Viehtransport von
New-York nach Liverpool: das Schiff führte 1022 Stück lebendes Rindvieh im Durch-
schnittgewichte von 635 kg und 1700 Carcasse (Viertel) von geschlachtetem Rind-
vieh. Seit demselben Monate schickt New-York Ochsen nach Deutschland, weil die
hohen Fleischpreise, welche dort jetzt herrschen, die Ausfuhr dahin gewinnbringend
erscheinen liessen.
Die Ausfuhr lebender Rinder und frischen Rindfleisches in Kühlschiffen be-
begann erst 1875.
Von frischem Rindfleisch, welches in die wichtige Gruppe „Provisions“
des amerikanischen Zolltarifs gehört, wurden 1888 286.450 q im Werthe von
5·9 Millionen Dollars über New-York ausgeführt.
Etwa zwei Drittel des von New-York ausgeführten frischen Fleisches
stammen von Vieh, das in New-York geschlachtet wurde, ein Drittel aus Chicago
und Kansas-City. Die Gesammtzufuhr von frischem Fleisch erreichte im Kalender-
jahre 1888 in New-York 885.000 q.
Fleischconserven werden in den Städten Chicago, Kansas-City, St. Louis,
Indianopolis, Omaha und Cincinnati in grossem Umfange hergestellt. Für sie ist
New-York ebenfalls ein sehr wichtiger Ausfuhrplatz. Von Büchsenfleisch
(canned beef) gingen 1888 über diesen Hafen 80.578 q, von gesalzenem und
eingepöckeltem Rindfleisch 141.180 q ins Ausland; 1887 betrug der Export aller
Gattungen Rindfleisch zusammen nur 407.106 q.
Den umfangreichen Rinderschlachtungen entspricht die Ausfuhr von Talg,
für Europa bestimmt, welche 1888 252.000, 1887 135.700 q erreichte. Weit mehr
Talg wird aber in der Form des Margarinöls (1888 136.740 q im Werthe von
2·6 Millionen Dollars) ausgeführt, gegen das die Ausfuhr der Margarinbutter weit
zurücktritt, offenbar um an Fracht zu ersparen. Man überlässt es den europäischen
Fabrikanten, aus dem Oele Kunstbutter herzustellen. Im Staate New-York ist
überdies die Erzeugung von Kunstbutter durch strenge Gesetze verboten.
Auch die Butter, welche aus der Union nach Europa geht, hat zum
grösseren Theile schon etwas gelitten und wird erst in Europa verbessert; die
feinen Sorten bleiben im Lande. Aus New-York wurden 1888 41.060 q Butter ex-
portirt, fünf Sechstel der Butterausfuhr der Union.
New-York ist einer der grössten Buttermärkte der Welt, die Zufuhren
betrugen im Kalenderjahre 1888 1,993.462, 1887 2,005.108 Colli. Noch höher
stiegen sie 1889, wo im Sommer in New-York und Umgebung eine Zeitlang
Vorräthe von 55.000—60.000 q Butter aufgehäuft waren; jede Woche kamen
neue Zufuhren von etwa 18.000 q, denn die Regen erzeugten in diesem Jahre
einen wunderbaren Graswuchs. Natürlich liefert der Staat New-York nicht allein
diese Mengen, dafür mit Pennsylvanien die am höchsten bezahlten Sorten. Im
Käsehandel nimmt New York eine ähnliche hervorragende Stellung ein. Die
Anfuhr von Käse erreichte im Kalenderjahre 1888 1,667.909, 1887 1,678.364 Colli,
die Ausfuhr ins Ausland im Fiscaljahre 1888 341.329 q im Werthe von 7·4 Mil-
lionen Dollars, 1887 317.856 q. Die Butter- und Käsefabrication hat im ganzen
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 10
[74]Die atlantische Küste von Amerika.
Westen eine hohe und rasch steigende Bedeutung gewonnen, weil man mit Hilfe
von Kühlwagen und von Kühlräumen, die in allen wichtigeren Sammelstellen
errichtet sind, Butter, Käse, Eier und andere leicht verderbliche Producte inner-
halb fünf Tagen vom äussersten Westen nach den Küstenplätzen sicher transportirt
und längere Zeit hindurch aufbewahrt.
Die Organisation des Butter- und Käsehandels der Union zeugt nach Sering,
dessen klare Schilderung wir auch hier benützen, von derselben kaufmännischen
Virtuosität, welche alle anderen Zweige des dortigen Grosshandels auszeichnet. In
den Hauptcentren sind besondere Dairy Boards of Trade, Handelskammern für
Milchwirtschaft, eingerichtet, wo die entsprechenden Producte börsenmässig ge-
handelt und die Preise mit Rücksicht auf den Weltmarkt regulirt werden. In
der Stadt New-York ist die grösste Butter- und Käsebörse der Union mit einem
Jahresumsatze von 100 Millionen Dollars.
Den wichtigeren Theil des Exportes von Provisions bilden aber die Pro-
ducte der Schweinezucht. Von diesen wurden 1888 Waaren im Werthe von
37·4 Millionen Dollars, 1887 um 38·3 Millionen Dollars ausgeführt. Sie kamen
aus den obengenannten Centren der Fabrication von Fleischconserven. Im An-
fange der Achtzigerjahre war die Ausfuhr der Menge und dem Werthe nach weit
grösser als in den letzten Jahren. Die Verbote, welche eine Reihe der grössten
Staaten Europas theils aus Furcht vor den Trichinen, theils um ihre einheimische
Schweinezucht zu schützen, gegen die Einfuhr von Producten der amerikanischen
Schweinezucht erlassen haben, sind die Ursache dieses namhaften Rückganges.
Ueber New-York wurden im Fiscaljahre 1888 ins Ausland geschickt: 872.540 q
Speck im Werthe von 16·3 Millionen Dollars, 120.540 q Schinken im Werthe von
3·1 Millionen Dollars, 162.770 q Pöckelfleisch im Werthe von 2·7 Millionen Dol-
lars und 920.230 q Schmalz im Werthe von 15·3 Millionen Dollars.
Die Ausfuhr des Jahres 1887 weist folgende Ziffern auf: Speck und
Schinken zusammen 1,123.200 q, Werth 20·3 Millionen Dollars, Pöckelfleisch
161·392 q im Werthe von 2·3 Millionen Dollars und Schmalz 1,021.240 q im Werthe
von 15·7 Millionen Dollars. Der grösste Theil des exportirten lebenden Rindviehes
und der Provisionen geht nach England, nur von Schmalz gelangen ansehnliche
Quantitäten auch nach Westindien, Deutschland und Frankreich, und Oleomargarin
hauptsächlich nach den Niederlanden, zum Theile auch nach Deutschland.
Der dritte grosse Ausfuhrartikel der Union und also auch New-Yorks ist
Baumwolle. Die Union ist der erste Baumwollproducent der Welt (7—8 Millionen
Ballen). Man nimmt in der Union an, dass der dritte Theil der einheimischen
Baumwollernte im Lande verarbeitet wird und dass zwei Drittel nach Europa aus-
geführt werden. Gegenwärtig geht ungefähr der fünfte Theil dieses Exportes
über New-York; er betrug 1888 2,068.166 q im Werthe von 46·5 Millionen Dollars,
1887 1,836.000 q im Werthe von 38·5 Millionen Dollars. Hauptbestimmungshafen ist
Liverpool. New-York und Umgebung ist auch Sitz einer ansehnlichen Baum-
wollindustrie. Ueber New-York werden sechs Siebentel der amerikanischen Baum-
wollstoffe exportirt, so 1888 147.263.000 Yards, Gesammtwerth aller Fabricate
10·2 Millionen Dollars.
Hier sei auch erwähnt, dass über New-York jährlich 1 Million q aus Baum-
wollsamen gewonnene Oelkuchen und Oelkuchenmehl im Werthe von 3 Millionen
Dollars ausgeführt werden.
[75]New-York.
Der vierte grosse Stapelartikel New-Yorks ist Petroleum. Von diesem
wurden im Fiscaljahre 1888 14,894.230 hl im Werthe von 33·1 Millionen Dollars,
1887 15,118.140 hl im Werthe von 32·6 Millionen Dollars ausgeführt. Der Rück-
gang des Jahres 1888 ist durch die ungewöhnliche Höhe der Frachten zu er-
klären, welche die Schiffseigenthümer durch den grösseren Theil des Jahres
1888 begehrten. Von der Gesammtmenge des Jahres 1888 waren nur 1,723.000 hl
Rohöl, alles übrige raffinirtes Oel, für dessen Herstellung auch in New-York gross-
artige Etablissements bestehen. Der Transport des Petroleums wird immer häufiger
lose in Tank-Schiffen besorgt, wobei man die Verfrachtung der Fässer erspart
und durch Pumpen das Beladen der Schiffe rasch vollziehen kann.
Frankreich ist der erste Abnehmer von Rohpetroleum, England von Naphtha,
das Deutsche Reich von raffinirtem Petroleum. An dieses reihen sich Gross-
britannien, Belgien und Holland.
In Asien sind die wichtigsten Bestimmungsplätze des raffinirten Petroleums
Calcutta, Batavia, Yokohama, Shanghai und Hongkong, in Südamerika Brasilien
und die Laplata-Staaten. Australien mit Neuseeland bezieht aus New-York unge-
fähr dieselbe Menge raffinirten Petroleums wie Shanghai.
Certificate über Rohpetroleum sind in New-York ein Hauptgegenstand der
Speculation, an der sich selbst die Schuljugend betheiligt. Die folgenden Ziffern
sind geeignet, einen Begriff von den geradezu ungeheuren Umsätzen zu geben,
welche auf den dortigen Waarenbörsen gemacht werden.
Die Production der Union war im Kalenderjahre 1888 auf Grund einer im
Jahre 1887 zwischen den Betheiligten getroffenen Vereinbarung auf 16,259.975
Barrels (1 Barrel = 159 l) beschränkt. Eine solche künstliche Beschränkung der
Production, die den Zweck hat, die Preise zu treiben, ist bei Petroleum ziemlich
leicht, weil gegen die Standard Oil Compagny, die das ganze Petroleumgeschäft
der Union beherrscht, eine Opposition unmöglich ist. Im Jahre 1888 verminderten
sich die Vorräthe von Woche zu Woche, was Anlass zu umfangreichen Speculationen
gab. Auf der Consolidated Stock Exchange und auf der Stock Exchange, an der
die Geschäfte erst im April begannen, wurden 1888 zusammen 1.344,022.000 Barrels,
1887 auf der ersteren allein 1.254,765.000 Barrels verkauft.
Brotstoffe, Provisionen, Baumwolle und Petroleum bilden dem Werthe
nach zwei Drittel der Ausfuhr New-Yorks an Waaren einheimischer Erzeugung.
Ausser ihnen übersteigt nur der Werth von Tabak und Tabakfabricaten,
ferner der von Baumwollwaaren, die wir schon angeführt haben, den Werth von
10 Millionen Dollars.
Für die Ausfuhr des einheimischen Blättertabaks ist New-York der
wichtigste Hafen der Union, obwohl die Zone des Tabakbaues im Südwesten
dieses Hafens liegt. Von Blättertabak und Rippen wurden 1888 640.000 q im
Werthe von 11·8 Millionen Dollars, 1887 803.900 q im Werthe von 15 Millionen
Dollars ausgeführt. Die wichtigsten Bestimmungsländer sind Italien, Spanien
Frankreich, Bremen und Hamburg. Den Schwerpunkt des Tabakhandels und Ex-
portes von New-York bildet Western-Tabak (Kentucky-, Tennessee-Tabak u. s. w.).
Von diesem wurden 1888 92.812 Hogheads, von Virginia-Tabak 20.237 Hogheads
zugeführt, von einheimischem Cigarrenblatt (Sead-leaf), aus Havana-, Javasamen
u. s. w. gezogen, 116.391 Kisten gegen 90.889 im Jahre 1887 verkauft.
Die Tabakindustrie New-Yorks, welche, nebenbei bemerkt, vielfach in Händen
von eingewanderten Czechen ist, verarbeitet auch Tabak von Cuba, und zwar
10*
[[76]]
A East-River-Passage, B Station der Long-Island-Bahn, C Manhattan-Beach-Station, D Central-Eisenbahn-Station, E New-York-Cent. und Hudson-River-Bahn, F Leuchtfeuer,
G New-York \& Harlem- und N. Haven \& Hartford-Bahn, H Fleetwood-Park, J Harlem Riv. \& P. Cester-Bahn, K Station derselben, L Bahnhof und Oeldepot der N. Y. Cent. \&
Hudson-Bahn, M Bahnhof und Ferry der Delaware-Lac. Erie \& Western-Bahn, N Bahnhof und Ferry der Pennsilvania-Bahn, O Anschluss der Pennsilvania und Red-Bahn.
P Croton-Reservoir, Q Metropolitan-Kunst-Museum, R Broadway-Str., S The Ramble-Reservoir, T Naturhistorisches Museum, U Conservatorium, V Bryant-Park, W Washington-
Park, X Union-Square, Y Madison-Square, Z Tompkins-Square, 1 Park, 2 Morris-Square, 3 Morningsede-Park, 4 Sacré-Coeur-Kloster, 5 Riverside-Park, 6 Erste Avenue,
7 Fünfte Avenue, 8 Achte Avenue, 9 Zwölfte Avenue, 10 150. Strasse, 11 110. Strasse, 12 50. Strasse, 13 22. Strasse. 14 1. Strasse, 15. Harlem-Brücke, 16 Central-Brücke,
17 West-Chester-Avenue, 18 Nord 3. Avenue, 19 Boston-Road, 20 Strafhaus, 21 Irrenhaus, 22 Correctionshaus, 23 Trinity-Friedhof, 24 Calvary-Friedhof, 25 West Shore \&
Ontario terminal Comp., 26 Kohlendepot der Del. \& Hudson Can. Comp., 27 Oeldepot der N. Y. Lac. Eris \& W.-Bahn, 28 Elisian Fields.
[[77]]
A East-River-Passage, B Erie-Basin, C Atlantic-Basin, D Freiheitsstatue auf Bedloes I. E Brooklyn-Kettenbrücke, F Leuchtfeuer, G Fort Gibson auf Ellis I., H Fort Columbus.
J Castle garden auf the Battery, K Arsenal der Kriegsmarine, L Bassins der Local- und Flussboote, M Fulton-Strasse, N Hamilton-Strasse, O Greenwood-Friedhof, P Evergreen
Friedhof, Q Washington-Park, R Broadway-Strasse, S City-Hall, T Postgebäude, U Union-Course-Platz, V Ridgewood-Reservoir, W Morris-Canal, X Brooklyn 3. Avenue.
Y Bahnen zum Strande der Coney-Insel, Z Quarantaine.
[78]Die atlantische Küste von Amerika.
meist Havanatabak, ferner Tabak von Sumatra. Die Einfuhr erreichte 1888 66.530 q
(Werth 8·9 Millionen Dollars), die Wiederausfuhr 6150 q (Werth 0·8 Millionen
Dollars). Tabak ist ein wichtiger Artikel der Rückfracht, besonders für die Schiffe,
welche Auswanderer aus Bremen bringen.
Ueber die Höhe der Tabakindustrie New-Yorks, welche auch für den Export
arbeitet, geben die Steuerlisten für das Kalenderjahr 1888 die Auskunft, dass
25.000 q Rauchtabak, 540 q Schnupftabak, 763,184.674 Stück Cigarren und 591,951.860
Stück Cigarretten erzeugt wurden.
Der Export New-Yorks an Tabakfabricaten, welcher 1888 ungewöhnlich gross
war, hatte einen Werth von 2·9 Millionen Dollars.
Der Frachtmenge und dem Werthe nach sind als Ausfuhrartikel auch Kupfer-
erze und Rohkupfer hervorzuheben mit einem Gesammtwerthe von 7·4 Millionen
Dollars im Jahre 1888.
Für den Holzhandel bestehen in New-York und Brooklyn ausgedehnte
Lagerplätze. Der Wohnplatz New-York verbraucht grosse Mengen Bauholz, welches
aus den Wäldern im Nordwesten der Seen und aus Canada stammt. So trafen
1886 858,000.000 Kubikfuss Holz (Werth 23·8 Millionen Dollars) in New-York ein
und 520,000.000 Kubikfuss wurden in der Stadt selbst zu Bauten und Reparaturen
verwendet. Im Holzhandel New-Yorks ist ein Capital von 12 Millionen Dollars
angelegt. Zur Ausfuhr gelangten 1888 Hölzer im Werthe von 4·4 Millionen Dollars,
Holzfabricate im Werthe von 3·4 Millionen Dollars, darunter für die Hälfte Möbel.
Aus der Gruppe der Fabricate nehmen unter den Exportartikeln New-Yorks
Maschinen und Maschinenbestandtheile den ersten Rang nach den Baumwoll-
fabricaten ein, denn sie repräsentiren einen Werth von 7—8 Millionen Dollars,
dem gegenüber die Einfuhr nur den zehnten Theil erreicht. Hervorzuheben sind
Ackerbau- und Nähmaschinen; Dampfmaschinen spielen in der Ausfuhr keine be-
sondere Rolle. Viel wichtiger sind Sägeblätter und die unübertrefflichen Werk-
zeuge, von denen 1888 um 1·8 Millionen Dollars exportirt wurden.
Offenbar haben die amerikanischen Maschinenfabriken noch vollauf zu thun
mit der Befriedigung des einheimischen Bedarfes.
Wichtige Ausfuhrartikel New-Yorks sind ferner Chemikalien, vor allem
Medicinen (1888 Werth 3·1 Millionen Dollars), Waggons und Wagen (1888 Werth
1·1 Millionen Dollars).
Wir wenden uns nun Artikeln zu, in welchen die einheimische Production
nicht genügt. Unter ihnen ist Zucker der wichtigste, und seine Bedeutung steigt
unausgesetzt, weil nicht nur die Bevölkerung der Union rasch steigt, sondern auch
die relative Grösse des Consums erstaunlich zunimmt. Es kommen 1888 schon
24·1 k Zucker auf den Kopf der Bevölkerung, gegen 17·3 k im Jahre 1879.
Der Schwerpunkt des Zuckerhandels von New-York, welches der wichtigste
Einfuhrhafen der Union für Zucker ist, liegt in den Bezügen aus dem Auslande,
denn im Kalenderjahre 1888 kamen im Hafen von New-York nur 130.318 q ein-
heimischen Zuckers, dagegen 6,147.312 q fremden Zuckers direct aus dem Aus-
lande an. Der Stock umfasste am 1. Jänner 1888 391.429 q, am 31. December
1888 253.842 q. Wir müssen jedoch gleich bemerken, dass im Zuckerhandel New-
Yorks das Jahr 1888 kleinere Ziffern ausweist als irgend eines der Jahre seit
1883, weil sich sämmtliche Raffinerien New-Yorks einem Zuckertrust angeschlossen
hatten. Ausserdem waren die Bezüge aus Cuba, welches in der Regel mehr als
zwei Fünftel des in New-York eingeführten Zuckers liefert, ungewöhnlich klein.
[79]New-York.
Das übrige Westindien und Brasilien reihen sich an Cuba. In New-York wird
ferner Zucker aus Manila, Java, dem übrigen Ostindien und China eingeführt,
und auch Europa, dessen Rübenzuckerproduction sich in den letzten Jahren un-
heimlich vergrössert hat, schickte Zucker. Die Ziffern schwankten in den letzten fünf
Jahren zwischen 550.000 q und 1,197.000 q.
Ebenso ging die Einfuhr von Melasse 1888 bedeutend zurück, weil die
Sendungen aus dem Auslande, welche den grösseren Theil der Anfuhren von New-
York bilden, kleinere waren. Die grössten Mengen liefern Cuba, Portorico, Trinidad
und Barbados. Die Einfuhr von Melasse für den Consum betrug im Kalenderjahre
1888 520.450 hl, davon waren 340.970 hl aus dem Auslande; die entsprechenden
Ziffern des Jahres 1887 waren 674.400 hl und 438.900 hl.
Folgende Tabelle zeigt die Einfuhr von Zucker und Melasse aus dem Aus-
lande in New-York in den letzten drei Jahren.
Aus dem Auslande wird nur Rohzucker eingeführt und in den grossartigen
Fabriken von New-York raffinirt.
Von hier gehen einheimische (1887/8 133.950 hl) und fremde Melasse
(26.921 hl) und fremder Rohzucker (108.820 q) in die Raffinerien von Canada; be-
deutender aber ist die Ausfuhr von einheimischem raffinirten Zucker, welche
1887/8 116.750 q im Werthe von 1,643.787 Dollars erreichte.
Auch die einheimische Production von Wein, Spirituosen und Bier
genügt nicht. In der ganzen Union und in New-York überwiegt in diesen Waaren
die Einfuhr die Ausfuhr. Die Hauptmenge des in New-York consumirten Weines
ist California-Wein. Die Gesammtzufuhr mit der Bahn und zu Wasser, wovon
letztere einen grossen Bruchtheil bildet, erreichte 1888 255.100 hl, 1887 226.300 hl
1886 139.900 hl. Aus diesen Ziffern ersehen wir die Ausbreitung des einheimischen
Weinbaues, welcher in Californien einen Boden und ein Klima zur Verfügung hat,
wie wenige Erdstriche überhaupt. Alle Sorten ausländischen Weines, welche mit
den einheimischen concurriren, zeigen in den letzten Jahren in der Einfuhr einen
Rückgang. Es sind dies die Weine von Bordeaux, Burgund, Cette und die spani-
schen Rothweine. Am auffälligsten ist dieser Rückgang bei den Bordeaux- und
Burgunder-Weinen, die in Fässern exportirt werden. Die Einfuhr betrug 1888
16.300 hl gegen 20.700 hl im Jahre 1885. Die Einfuhr der werthvolleren Flaschen-
weine, die eben im Lande keinen Concurrenten finden, hält sich auf ihrer Höhe
und zeigt 1888 die Ziffer von 111.045 Dutzend Flaschen.
Dafür zeigen deutsche und ungarische Weine eine ganz ansehnliche Stei-
gerung der Einfuhrziffer, die sich daraus erklärt, dass die Einwanderer, welche
aus denselben Ländern kommen, die von Jugend auf gewohnten Getränke, so-
bald sie zu Wohlstand gelangt sind, auch hier nicht länger entbehren wollen.
Von diesen zwei Gattungen wurden im Kalenderjahre 1885 32.612 hl Fass-
weine und 438,304 Dutzend Flaschen, 1888 36.000 hl Fassweine und 61.604
Dutzend Flaschen eingeführt. Eingeführt werden ferner italienische Weine; be-
sonders beliebt sind starke Flaschenweine, Sherry, endlich Portwein und Ma-
deira, deren Verbrauch andauernd zunimmt. Aber der Günstling unter den aus-
[80]Die atlantische Küste von Amerika.
ländischen Weinen ist der Champagner. Trotz hoher (7 Dollars für 1 Dutzend
grösserer Flaschen) und lästiger Zölle und demzufolge hoher Preise ist der Wein
so populär, dass nicht nur eine Festfeier ohne ihn als unvollständig gilt, sondern
er auch tagtäglich, einfach wie besserer Tischwein in allen Hotels getrunken wird.
Das erklärt, warum in New-York 1885 193.037 und 1888 bereits 249.402 Dutzend
Flaschen Champagner eingeführt wurden. Die beliebtesten Marken sind Mumm,
G. H. \& Cy und Heidsieck, Piper.
Die Verhältnisse des Handels mit Spirituosen sind gleichartig mit den-
jenigen des Weinverkehres. Der einheimische Whisky, dessen vornehmste Erzeu-
gungsstätte Kentucky (Louisville) ist, und californischer Cognac verdrängen ausländi-
schen Cognac, holländischen Gin, Scotish und Irish Whisky, welche überdies mit
hohen Einfuhrzöllen belastet sind. Aber gegen „English Gin“, Marke „Old Tom“
nützen die hohen Zölle nicht viel; die steigende Einwanderung aus England
bedingt auch eine Einfuhr dieses Getränkes. Von einheimischem Whisky wurden
in Kalenderjahre 1888 in New-York zugeführt 128.800 hl, von californischem
Cognac 11.686 hl, von einheimischem Alkohol 132.120 hl.
Die grossen Fortschritte, welche die Destillateure der Neu-Englandstaaten
in der Erzeugungsweise des Rumes gemacht haben, führte eine Verminderung der
Einfuhr und eine Steigerung der Ausfuhr von St. Croix- und Jamaica-Rum herbei,
während die steigende Einfuhr von Bier aus England und Deutschland hervor-
gerufen ist durch die theilweise nicht befriedigende Beschaffenheit der einheimi-
schen Production, für die auch New-York sehr wichtig ist.
Die Gesammteinfuhr aller Spirituosen, Cognac (Brandy) eingeschlossen, aus-
ländischen Ursprungs, betrug 1887/88 79.600 hl der Werth 1,384.276 Dollars, die
von Bier 67.500 hl im Werthe von 439.864 Dollars, welchen Ziffern in diesen
Artikeln eine viel kleinere Ausfuhr gegenübersteht. Von Sprit amerikanischen Ur-
sprungs wurden wiedereingeführt 79.600 hl im Werthe von 4·4 Millionen Dollars.
Die Production von Reis, die im Südosten der Union ihren Sitz hat, bedarf
der Ergänzung aus dem Auslande, welches über New-York 330.300 q Reis eingeführt.
Auffallend ist die bedeutende Einfuhr von Hopfen aus dem Auslande,
obwohl Amerika einer der grössten Hopfenproducenten der Welt ist. Auf eine Aus-
fuhr von 25.640 q kam 1887/88 eine Einfuhr von 17.800 q, von welcher Summe
nur ganz kleine Mengen zur Wiederausfuhr gelangen. Um dem amerikanischen
Hopfenbau aufzuhelfen, haben sich viele Bräuer verpflichtet, nur einheimischen
Hopfen zu verwenden. Und in der That sind die Handelsverhältnisse des Jahres
1889 für die Amerikaner sehr günstig. Der in der letzten Zeit erfolgte Uebergang
der grössten Brauereien der Union in die Hände englischer Consortien macht jedoch
die Hoffnung der einheimischen Hopfenbauer auf grösseren Geldertrag hinfällig.
Zur Ergänzung der einheimischen Ernten führt man Kartoffel (1,242.600 hl),
Bohnen und Erbsen (391.800 hl) ein. Die Wiederausfuhr dieser Waaren
ist klein.
New-York ist ein Hauptsitz des Häutehandels der Union, dessen Be-
darf kaum zu einem Sechstel aus dem Zollgebiete gedeckt wird. Montevideo und
Buenos-Ayres liefern jedes mehr Häute nach New-York als die Vereinigten Staaten,
und Centralamerika, in welchem Posten freilich auch Sendungen aus Californien
und der Westküste von Mexico stecken, steht ihnen nicht nach.
Die Einfuhr von Häuten unterliegt in der Union keinem Zoll. Im Kalender-
jahre 1888 wurden im Ganzen 3,358.548, 1887 2,939.438 Stück zugeführt. Dieser
[81]New-York.
Zufuhr von Häuten entspricht in der Union eine grossartige Lederindustrie,
welche exportirend ist, aber des Zusammenhanges wegen hier erledigt wird. Es
herrscht Ueberproduction, und daher sehen wir seit einer Reihe von Jahren die
Preise des Leders unausgesetzt zurückgehen. Statt den Betrieb einzuschränken,
sieht man den Erfolg einzig darin, die Preise der rohen Häute zu drücken und
wartet auf die Engländer, welche bei überfüllten Lagern zu Spottpreisen mit den
Vorräthen aufräumen.
Die wichtigste Ledersorte der Union und also auch des Marktes New-York
ist Hemlockleder, so genannt, weil es mit der Rinde der Hemlocktanne gegerbt ist.
Mit Eichenlohe erzeugtes Leder wird eigens als solches bezeichnet. Von Hemlock-
leder wurden im Jahre 1888 3,157.841, 1887 3,546.151 Häute nach New-York ge-
bracht, bei einer Gesammtzufuhr von 4,121.429 Stück Sohlenleder im Jahre 1888
und 4,662.398 Stück im Jahre 1887. Von Oberleder und Kalbleder kamen 1888
459.544 Stück, 1887 473.243 Stück an.
Der Export ist vornehmlich nach England gerichtet, das mehr als doppelt
so viel aufnimmt wie der europäische Continent. Die Ausfuhr New-Yorks an ge-
gerbten Häuten betrug 1888 1,582.105 Stück, 1887 1,497.735 Stück.
Umfangreich ist selbstverständlich der Handel New-Yorks mit Schuh-
waaren. Gewöhnliche Waare kommt aus Massachusetts, bessere Qualitäten, wie
Knöpfelschuhe für Frauen, Schuhe aus Lackleder und solche mit elastischen Einsätzen,
liefert New-York selbst. Die Schuhindustrie dieser Stadt ist in einem blühenden
Zustande, sie exportirt bereits feinste Waare nach Cuba, auch nach China und Japan.
In alaungarem Leder (Skins for Morocco) und Damenhandschuhen findet
dafür eine bedeutende Einfuhr aus Europa statt. Herrenhandschuhe macht man nur
aus amerikanischem Leder, man verlangt dort starke Waare. In New-York bestehen
zwei, in Jersey-City eine grosse Handschuhfabrik; die bedeutendsten Unterneh-
mungen sind jedoch in der Umgebung von Albany.
Handel New-Yorks in Leder und Lederwaaren in Dollars 1887/88:
Die Ausfuhr ausländischer Waaren wurde weggelassen, weil sie unbedeutend ist.
Ueber New-York, die Stadt der Union, wo der Luxus der Reichen am auf-
fälligsten zutage tritt, geht der grösste Theil des Pelzhandels der Union. Die Ein-
fuhr, die zu drei Vierteln confectionirte Waare umfasst, erreichte 1887/88
5,595.537 Dollars, die Ausfuhr einheimischer Erzeugnisse, aus rohen Pelzhäuten
bestehend, 4,520.657 Dollars, die Ausfuhr fremder Producte 201.108 Dollars.
In verhältnissmässig engen Grenzen bewegt sich der Handel mit Producten
der Fischerei. Für die Einfuhr (1887/88 Werth 1,806.000 Dollars) sind Anchovies,
Sardinen und Häringe besonders wichtig, für die Ausfuhr einheimischer Production,
die ungefähr so gross wie die Einfuhr, Stockfische und Austern. Um nicht weniger
als 661.420 Dollars wurden Austern verschickt, die meist nach England gingen.
Die Ausfuhr fremder Fische betrug 380.762 Dollars.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 11
[82]Die atlantische Küste von Amerika.
Unter den Spinnstoffen, welche die Union einführen muss, dominirt Seide;
immer grösser werden die Einfuhrmengen, weil die Seidenindustrie gewaltig zu-
nimmt, deren Hauptsitz Paterson im Staate New-Jersey ist, von wo drei Viertel
der Bänder stammen, welche das Land erzeugt. Ein Drittel der Rohseide, welche die
Union bezieht, geht heute noch über New-York, kommt also über Europa, doch
wird das Verhältniss im Platz allmälig weniger günstig, da die Seiden Ostasiens,
die ja für den Seidenhandel ausschlaggebend sind, direct über S. Francisco be-
zogen werden. Von ausländischer Rohseide wurden 1887/88 786.907 kg eingeführt.
Der Einfuhrwerth aller Sorten unverarbeiteter Seide betrug 7,714.518 Dollars.
Steigend ist auch die Einfuhr von Wolle, weil der einheimische Ertrag ab-
nimmt — denn die Zucht der Pferde ist rentabler als die der Schafe —, ander-
seits weil der Consum steigt. Die Hauptmenge des Importes umfasst aber Teppich-
wollen. Es wurden 1887/88 226.910 q fremde Wollen im Werthe von 6,122.967
eingeführt, 17.000 q fremde Wollen im Werthe von 534.331 Dollars ausgeführt.
Im Handel mit Schafwolle ist heute New-York wichtiger als Boston.
Fast die ganze Einfuhr der Union in Flachs erfolgt über New-York
(1887/88 21.110 q); hier gehen ein zwei Drittel des Importes von Hanf und der
als Ersatz desselben verwendeten Stoffe (264.956 q im Werthe von 4,198.740 Dollars),
fast die ganze Jute (918.658 q) und beinahe aller Sisalhanf (300.093 q). Der
Werth aller Artikel, welche aus dieser Gruppe der Rohproducte eingeführt werden,
beträgt (1887/88) 12,933.964 Dollars, der Werth der ausgeführten fremden Stoffe
286.806 Dollars.
Andere Naturproducte, welche fast auschliesslich über New-York eingeführt
werden, sind: India Rubber und Guttapercha (1887/88 153.050 q im Werthe
von 14,742.162 Dollars, die Grundlage einer grossartigen, der Union eigenthümlichen
Industrie), Korkholz und Indigo. Bedeutend ist New-Yorks Einfuhr von Pflanzen-
ölen, dann von Früchten, deren Werth 1887/88 14,634.985 Dollars erreichte.
Aus Europa kommen Limonien, Orangen, Korinthen und getrocknete Pflaumen,
aus Westindien Bananen. Die Einfuhr von Orangen wird bald stark sinken, denn
in den warmen Theilen der Union, in Californien und Florida, wurden grosse
Orangenculturen angelegt, und die Orangenzüchter Siciliens und Spaniens verlieren
eines ihrer ersten Absatzgebiete. Wir wollen insbesondere noch die Einfuhr von
getrockneten Pflaumen hervorheben, welche zum grösseren Theile aus Bosnien
kommen und bis auf geringe Mengen nur über New-York eingeführt werden. Ein-
fuhr 1887/88 299.470 q.
Uebrigens ist es eine Frage der Zeit, wie lange die Union noch Pflaumen
einführt, denn ihre Obstcultur nimmt in den letzten Jahren einen rapiden Auf-
schwung und gerade in den Gebieten westlich und südlich von New-York ist der
Hauptsitz des Obstbaues der Union; mindestens ein Drittel des Obstes der Union
wird hier allein geerntet. Es herrscht eine weitgehende Specialisirung: gewisse Ge-
genden ziehen Erd- und Himbeeren, andere Kirschen, andere Pflaumen, andere Pfir-
siche. Der Amerikaner hat auf diesen Obstreichthum eine umfangreiche Industrie
gegründet, die sich mit dem Conserviren des Obstes beschäftigt. In der Art der Obst-
verwerthung sind die amerikanischen Obststaaten allen Ländern vorangeschritten
und die getrockneten oder in den grossen „Canneries“ fabriksmässig eingemachten
Früchte finden ihren Markt in der ganzen Welt. Doch bilden grüne und reife
Aepfel, ferner getrocknete Aepfel den Haupttheil des Exportes, der schon 3·4 Mil-
lionen Dollars erreicht hat und wegen der guten Schiffsverbindungen ebenso wie
[83]New-York.
die Ausfuhr der Austern zum grössten Theile über New-York stattfindet und nach
Europa geht. Ausfuhr von New-York 1887/88: getrocknete Aepfel 46.630 q, grüne
und reife Aepfel 304.776 Barrels, also etwa 450.000—460.000 hl.
Ausschliesslich auf die Einfuhr ist Nordamerika bei Kaffee,
Thee und dem grössten Theile der Droguen angewiesen. Für Kaffee ist
New-York einer der ersten Weltmärkte, fünf Sechstel der Kaffee-Einfuhr der Union
entfallen auf diesen Hafen, der zugleich für Kaffee ein grosser Umschiffungsplatz
ist. Kaffee ist einer der wichtigsten Artikel der Speculation auf der New-Yorker
Waarenbörse. Es wurden hier 1887/88 1,622.470 q (Werth 51,078.178 Dollars),
1886/87 1,942.700 q (Werth 46,231.302 Dollars), 1885/86 1,929.620 q (Werth
32,380.659 Dollars) zugeführt. Das sind ein Viertel bis ein Drittel der Production
der Welt. Am 31. December 1888 umfasste der damals ungewöhnlich kleine Stock
Kaffee 120.000 q. Einfuhren kamen aus Brasilien, ferner grössere Mengen aus
Venezuela. Andere Bezugsländer sind die Insel Haïti, Columbia, Mexico und Java
mit Sumatra. Die Ausfuhr von fremdem Kaffee betrug 1887/88 59.700 q und war
nach Frankreich und England gerichtet.
Auch als Einfuhrplatz für Thee behauptet New-York die erste Stelle in der
Union, obwohl viel Thee über San Francisco kommt. Eingeführt wurden 1887/88
269.660 q (Werth 6,122.967 Dollars), 1886/87 252.909 q (Werth 7,325.121 Dollars),
1885/86 272.070 q (Werth 6,617.451 Dollars). Die Union bezieht mehr als die Hälfte
des Thees aus Japan.
Von Cacao wurden 1887/88 64.115 q eingeführt.
In das grosse und weit verzweigte Gebiet des Droguenhandels lassen
wir uns nicht näher ein, wir bemerken nur, dass in der Union in steigendem
Masse Morphin und Opium, zubereitet zum Rauchen, verbraucht wird.
Eingeführt werden ferner Gewürze, Weinstein (1887/88 74.220 q) aus
Italien, Frankreich und Oesterreich-Ungarn, Sodanitrate aus Chile (1887/88
497.800 q), Zinn in Blocks u. s. w. (131.780 q im Werthe von 8,073.971 Dollars)
Salz (879.820 q) aus England.
Den Haupttheil der Einfuhr von Fabricaten bilden in der Union trotz der
gewaltigen Zunahme der einheimischen Industrie die Erzeugnisse der Textilindustrie
(Dry goods), welche mit Inbegriff der Rohseide 1887/88 einen Werth von 112·4
Millionen Dollars, 1886/87 von fast 107 Millionen Dollars, und damit etwa drei
Viertel der Einfuhr dieser Waarengattung in die Vereinigten Staaten repräsentiren.
Zu der folgenden Tabelle bemerken wir, dass bei jedem Jahre etwa 7 Millionen
Dollars für den Import von Rohseide abzuziehen sind und dass an „Miscellaneous
dry goods“ jährlich bei 15 Millionen Dollars hinzuzurechnen sind.
Einfuhr von Erzeugnissen der Textilindustrie in Dollars:
Wir ersehen aus diesen Ziffern, dass sich der amerikanische Markt in Baum-
wollwaaren am meisten vom Auslande unabhängig gemacht hat, namentlich in den
Staaten des Südens sind viele Fabriken für die Verarbeitung des dort einheimi-
schen Rohproductes entstanden. Den Kunden wird natürlich von den Kaufleuten
vieles als fremde Waare angerechnet, was im Inlande erzeugt ist. Baumwoll- und
11*
[84]Die atlantische Küste von Amerika.
Schafwollwaaren kommen aus Grossbritannien, Deutschland und Frankreich, Seiden-
stoffe aus Frankreich, Deutschland und England, Leinenwaaren aus dem Vereinigten
Königreiche und Deutschland.
Die Producte der bedeutenden einheimischen Baumwoll- und Schafwoll-
industrie werden zum grossen Theile auf grossen Auctionen umgesetzt, welche
im Mai in New-York stattfinden. Flanelle sind die wichtigsten Artikel auf diesen
Auctionen. Der Hauptmarkt für bedruckte Baumwollstoffe ist Fall River. Eine
ansehnliche Ausfuhr einheimischer Producte besteht nur bei den Baumwollwaaren
und umfasst braune Shirtings und Drills. Werth aller ausgeführten Baumwollwaaren
1887/88 10,216.141 Dollars. Hauptabsatzgebiet ist China, Mexico, Haïti und
Brasilien.
Eisen und Eisenwaaren sind ebenfalls ein wichtiger Theil der Einfuhr,
welcher vornehmlich England und das Deutsche Reich interessirt. Wenn auch die
Eisenindustrie der Union 1885 57,758.000 q, 1886 65,205.606 q, 1888 65,950.270 q
erreichte, den grossartigen Bedürfnissen der Union, welche 1886 14.479 km, 1887
21.016 km, 1888 11.456 km neuer Eisenbahnen eröffnete, vermag sie noch lange
nicht zu genügen. Zunächst finden wir Roheisen; die Grösse der Einfuhr desselben
zeigt einen gewissen Zusammenhang mit der Kilometerzahl der neuen Eisenbahn-
linien, denn es wurden im Kalenderjahre 1886 2,030.673 q, 1887 2,474.000 q,
1888 1,695.955 q ausländisches Roheisen, Spiegeleisen eingeschlossen, im Hafen
von New-York eingeführt.
Minder wichtig ist die Einfuhr von Stahl-Ingots (1887/88 683.000 q im
Werthe von 1,812.110 Dollars).
Der dritte Theil des Einfuhrwerthes von Eisen und Eisenwaaren entfällt
auf Weissblech, für das auch Westfalen von besonderer Bedeutung ist; an
dieses reihen sich Draht und Bandeisen (1887/88 888.856 q), dann Messerschmied-
waaren.
Die Einfuhren von Eisenerz, von Eisen und Stahl, dann von Waaren aus
Eisen und Stahl hatten in den letzten fünf Fiscaljahren folgenden Werth:
Die relative Bedeutung New-Yorks für die Einfuhr von Eisen und Eisen-
waaren ist in den letzten Jahren etwas gesunken. Die oben angeführten Ziffern
entsprechen nicht ganz der Hälfte der Einfuhr der Union. Dass die Ausfuhr der
Eisenfabricate der Hauptsache nach auf Maschinen und deren Bestandtheile be-
schränkt ist, wurde schon angegeben.
Von feineren Glaswaaren, insbesondere von versilbertem und auch von
unversilbertem Spiegelglas, geht der weitaus grösste Theil über New-York ins Land.
An der Gesammteinfuhr New-Yorks für Glas und Glaswaaren von 5,756.541 q
(1877/88) hat Belgien den Hauptantheil; Oesterreich verliert immer mehr Terrain
in diesem Handel.
Porzellan- und Thonwaaren wurden jährlich um mehr als 3 Millionen
Dollars aus England, Deutschland, Frankreich und Oesterreich eingeführt.
Einer Einfuhr von Papier und Papierfabricaten im Werthe von
1,810.714 Dollars, die überwiegend von Deutschland geliefert wird, steht eine Aus-
fuhr einheimischer Erzeugnisse gegenüber, die dem Werth nach zwei Fünftel der
oben genannten Ziffer erreicht.
[85]New-York.
New-York beherrscht auch die Einfuhr von chemischen Fabricaten, wie
Theerfarben, Glycerin und Soda, die von Erzeugnissen, welche in erster Reihe dem
Wechsel der Mode unterliegen, wie Hüte (Werth 1887/88 5,747.020 Dollars), den
Import von Corsetten (1 Million Dollars), Knopfwaaren (3·3 Milionen Dollars),
welche meist aus Oesterreich stammen. Es ist der erste Einfuhrplatz und der
wichtigste Markt der Union für „Fancy Articles“, Luxusartikel, wie Parfümerien,
Perlen, Schmuckfedern, Puppen u. s. w.(1887/88 fast 6 Millionen Dollars), für Edel-
steine (9—10 Millionen Dollars) und Gold- und Silberwaaren, für Uhren und endlich
für Kunstwerke im engeren Sinne (1,578.797 Dollars), und für Bücher, Landkarten,
Stiche (3,191.794 Dollars), welche meist einem hohen Einfuhrzolle unterliegen.
Zum Schlusse geben wir eine Uebersicht des Handels von New-York mit
dem Auslande in den letzten fünf Jahren nach den zwei Hauptgruppen:
Brooklyn. (Atlantic Docks)
I. Waarenverkehr in Dollars.
II. Verkehr in Edelmetallen in Dollars.
Dem grossartigen Einfuhrhandel entspricht der Ertrag der Zölle, die in Amerika
hoch angesetzt sind und die wichtigste Einnahmsquelle dieses merkwürdigen Staats-
wesens bilden, welches nicht weiss, wie es den Ueberschuss seiner Staatseinnahmen
über die Ausgaben nutzbringend anlegen soll.
[86]Die atlantische Küste von Amerika.
Die Zolleinnahmen betrugen:
- 1884 . . . . . . 133,866.903 Dollars
- 1885 . . . . . . 125,313.677 „
- 1886 . . . . . . 132,635.369 „
- 1887 . . . . . . 146,158.589 „
- 1888 . . . . . . 144,426.620 „
Betrachten wir die Staaten, mit denen Amerika am meisten Handelsver-
bindungen unterhält, so zeigt sich folgendes Bild: Aus Grossbritannien und England
erhält New-York jedes Jahr um 100 Millionen Dollars Waaren, seine Waarenaus-
fuhr dahin erreicht 140—150 Millionen Dollars. Das Deutsche Reich und Frank-
reich schicken jedes jährlich um mehr als 60 Millonen Dollars. Deutschland erhält
dafür um 25 Millionen Dollars, Frankreich um 15 Millionen Dollars amerikanische
Erzeugnisse. Belgiens Handel mit New-York ist passiv. Um 10 Millionen Dollars
bewegen sich die Einfuhr aus den Niederlanden und die Ausfuhr dahin, um je
5 Millionen Dollars die beiden Theile des Handels mit Italien und Spanien.
Oesterreich-Ungarn, die Schweiz und auch Russland führen weit mehr dahin ein,
als sie von dort erhalten. Dänemark und Schweden und Norwegen decken ihre
Einfuhr aus New-York nicht durch die Ausfuhr einheimischer Waaren.
Der werthvollste Theil des Handels New-Yorks spielt sich im Verkehre mit
Europa ab. Von den Ländern Amerikas sind für New-York jene die wichtigsten,
welche Zucker und Kaffee an die Union abgeben, wie Brasilien, Westindien, (unter
den dortigen Inseln voran Cuba), Venezuela. Der Export von amerikanischen
Industrieproducten hält sich noch in engen Grenzen, die amerikanischen Kaufleute,
an der Spitze die New-Yorks, haben aber ihr Augenmerk unausgesetzt auf alle
jene Länder gerichtet, welche bisher ein reiches und sicheres Absatzgebiet für die
Industrien Europas bilden. Die überseeischen Länder, wie Australien, Brasilien,
Argentina etc., sind gute Kunden, weil sie an hohe Preise gewöhnt sind. Darauf,
diese Staaten zu gewinnen, sind auch hauptsächlich die Bemühungen der Amerikaner
zurückzuführen, einen Gesammtbund aller Staaten der neuen Welt zu errichten.
Für New-York ist gegenwärtig noch die Ausfuhr nach dem englischen
Australasien wichtiger, als beispielsweeis die nach Brasilien und Mexico zusammen-
genommen. In Asien sind Britisch-Ostindien und China die für New-York wich-
tigsten Verkehrsländer.
Es ist unzweifelhaft, dass der Exporthandel New-Yorks noch in den Kinder-
schuhen steckt, dass er sich aber von Jahr zu Jahr mehr entwickeln wird,
namentlich wenn es gelingt, die Union bei überseeischen Zahlungen von der Ver-
mittlung Englands zu befreien und eine Reihe einheimischer Schiffahrtsunter-
nehmungen zu gründen und zu erhalten, denn im Jahre 1887/88 wurden von dem
Gesammthandel New-Yorks mit dem Auslande, welcher, die Edelmetalle mit ein-
begriffen, 852·2 Millionen Dollars umfasste, 114·1 Millonen Dollars durch ameri-
kanische, 736·1 Millionen Dollars durch fremde Schiffe vermittelt und um 2 Mil-
lionen Dollars gingen Waaren mit der Eisenbahn nach Canada.
An der Errichtung subventionirter Schiffahrtslinien, welcher übrigens die
Verfassung Schwierigkeiten bereitete, arbeitet soeben die Regierung, denn darüber
ist man sich vollkommen klar, dass nichtsubventionirte Linien eine existenzfähige
Concurrenz bei den bestehenden Tarifen nicht aufnehmen können.
Hier mag sogleich der Schiffsverkehr von New-York besprochen werden,
welcher im auswärtigen Handel die Hälfte des Tonnenverkehrs aller Unions-
[87]New-York.
häfen zusammen bildet, der grösser ist als der Tonnenverkehr Liverpools und dem
Londons ziemlich nahe kommt.
Tonnenverkehr New-Yorks im Handel mit dem Auslande:
Den stärksten Tonnenverkehr mit dem Auslande hatte New-York 1880 und
1881, in jedem mit mehr als 15 Millionen Tons. Die Einzelangaben über die
Schiffahrt New-Yorks wollen wir auf das Jahr 1887/88 beschränken.
Auswärtiger Verkehr:
Im Küstenverkehre liefen 1888 13.710, 1887 15.224 Fahrzeuge ein. Drei
Viertel derselben kamen aus östlichen Häfen; von diesen bilden Segelschiffe den
grössten Theil. Von den aus südlichen Häfen eintreffenden Schiffen waren 1888
bereits zwei Fünftel Dampfschiffe.
Baumwolle aus dem Süden wird jetzt nur mehr mit Dampfern gebracht.
Im überseeischen Verkehre haben die Segelschiffe den Getreideverkehr verloren
und den Export von Petroleum in Kisten. Da fortwährend neue „Tank“-Steamers
eingestellt werden, so wird der Transport des Petroleums in Fässern, der bisher
den Seglern geblieben war, theilweise überflüssig werden.
Im Allgemeinen lässt sich also annehmen, dass der Handel New-Yorks und
der Union überhaupt die Frachten mehr und mehr auf die Verschiffung mittelst
Dampfers beschränken werde. Der daraus erwachsende Verdienst wird aber, wie
die obige Tabelle des Schiffsverkehrs New-Yorks nach Flaggen zeigt, nicht den
einheimischen, sondern den Dampfern Europas, vorab den Engländern zufallen.
New-York nennt wohl (1888) die ganz anständige Zahl von 4002 Schiffen
mit 915.510 Tons seine Marine; von ihnen waren 1074 Dampfer mit 369.794
Tons, aber diese dienen überwiegend dem Küstenhandel. Im transatlantischen
Verkehre können seine Fahrzeuge, wie die der Union überhaupt, mit den englischen,
deutschen, französischen, norwegischen u. s. w. nicht concurriren, die Postverbin-
dung mit Europa besorgen ausschliesslich europäische Dampfer. Ja selbst der
Handelsverkehr mit Westindien und Südamerika wird zum Theil durch europäische
Schiffe vermittelt.
New-York ist das Ziel der meisten regelmässigen Dampferlinien,
die Europa mit Nordamerika verbinden. Von Liverpool gehen jeden Mitt-
woch die Schiffe der White Star-Line, am Sonnabend die der Cu-
[88]Die atlantische Küste von Amerika.
nard-Line ab und sollen den 3028 Seemeilen langen Weg über
Queenstown fahrplanmässig in 9 Tagen machen. Die neuesten Schiffe
legen selben aber schon in 7 Tagen zurück. Von Liverpool kommen
ferner die Guion-, beziehungsweise die Inman-Line, dann die National-
Line, die Anchor-Line.
Aus Deutschland gehen nach New-York: 1. Der Norddeutsche
Lloyd, welcher jeden Mittwoch und Sonnabend Schiffe über South-
hampton nach New-York gehen lässt; Fahrtdauer 9—10 Tage, Weg
3568 Seemeilen; 2. die Hamburg-amerikanische Packetfahrt-
Actien-Gesellschaft von Cuxhafen über Southhampton bis New-
York 8½ Tage; eine zweite Linie dieser Gesellschaft berührt Hâvre.
Die Verbindung Hâvres mit New-York erfolgt ferner einmal in
der Woche durch die Compagnie Générale Transatlantique;
3187 Seemeilen in 8 Tagen. Wöchentliche Verbindungen unterhalten
ferner die Anchor-Line mit Glasgow, die Niederländisch-amerikanische
Dampfschiffahrts-Gesellschaft abwechselnd mit Amsterdam und Rotter-
dam, die Red Star-Line mit Antwerpen.
Ausserdem sind zu nennen fünf Linien vom mittelländischen
Meere her, eine von Spaniens Westküste, je eine Verbindung mit
Bordeaux, Hamburg, Kopenhagen, Stettin und zwei mit London.
Von allen diesen Linien sind die gesperrtgedruckten Postlinien. Sie
und alle übrigen betreiben auch in grossartigem Massstabe den Trans-
port von Auswanderern in die Union. Die am stärksten besuchten Ein-
schiffungsplätze sind Liverpool, Bremen, Hamburg, Antwerpen, Hâvre.
In New-York, dem Hauptziele der Einwanderung, landeten 1887/8
417.453 Passagiere aus Europa und nur 969 aus anderen Erdtheilen.
Die Zahl aller in New-York gelandeten Passagiere aber betrug in
demselben Jahre 491.027. Denn 57.759 amerikanische Bürger, welche
„auf die andere Seite“ (des grossen Wassers) gegangen waren,
kehrten heim, und 14.845 Europäer kamen herüber, um zum Ver-
gnügen oder aus Geschäftsrücksichten die Union zu besuchen. Von der
Gesammtziffer der Angekommenen waren 395.332 im Zwischendeck,
95.695 in Cabinen gereist. Diese Ziffern lassen ahnen, was die nach
Amerika gehenden Dampfschiffahrts-Gesellschaften an dem Personen-
transporte verdienen. In den Jahren 1884—1888 betraten nicht weniger
als 1,768.033 Menschen (drei Viertel aller Einwanderer in die Union)
in New-York den Boden der neuen Welt und passirten Castle Garden.
Es sind ihrer mehr, als heute den Staatsmännern der Union lieb ist.
Eine Reihe von Massregeln haben diese bereits getroffen und noch
schärfere bereiten sie vor, um die Einwanderung von chinesischen
[89]New-York.
Kulis, sogenannten Paupers (Mittellosen und Krüppeln), Verbrechern
und unter Contract engagirten Arbeitern zu verhindern, auf dass nur
körperlich und moralisch gesunde, freie und wenigstens halbwegs
bemittelte oder arbeitsfähige Bürger in das Land einwandern können.
New-Yorks Hauptbemühung ist darauf gerichtet, die regel-
mässigen Verbindungen mit Westindien, vor allem aber mit Brasilien
zu vermehren; in diese Länder gehen wenigstens nebst englischen
Schiffen auch einheimische Dampfschiffahrts-Unternehmungen.
Der früher geschilderte Verkehr New-Yorks mit dem Auslande
ist in den letzten Jahren so gestiegen, dass die heutigen Piers, Werften
und Docks am East- und North-River nicht mehr genügen. Das Dock-
departement plant, an der Westseite der Stadt zwischen Strasse 11
und 23 eine bisher für den Hafenverkehr im Grossen wenig benützte
Uferstrecke von mehr als einer englischen Meile Länge zweckmässig
umzugestalten und dort 23 mächtige Piers zu errichten. Auch die
Verbindung New-Yorks mit seinen Schwesterstädten im Westen ist
heute eine umständliche und soll vereinfacht werden. Eine Actiengesell-
schaft, für die jetzt englisches Capital eintritt, hat Probebohrungen
vorgenommen, um nach dem Vorbilde des Tunnels zwischen Liver-
pool und Birkenhead New-York unter dem Hudson mit New-Jerseys
Bahnenterminus durch zwei Tunnels zu verbinden. Das eigentliche
New-York steht nur mit den im Nordosten liegenden Neu-England-
staaten und Canada (Montreal) durch drei Linien in directer Eisen-
bahnverbindung. Die New-York nächste Eisenbahnbrücke, die über
den Hudson führt, liegt bei Poughkeepsie, am Beginne des letzten
Drittels des Weges nach Albany, und diese wurde erst Ende 1888
nach dreijährigem Baue fertig.
Mit Ausnahme der Eisenbahn New-York-Central and Hudson-
River-Railroad, an der auch Poughkeepsie liegt, münden sämmtliche
für New-York wichtige Trunk-Lines in Jersey-City. Mit dem Namen
Trunk-Lines bezeichnet man in Amerika kurz die grossen durchgehenden
Bahnen, welche den Verkehr der Massenartikel zwischen den atlan-
tischen Häfen und den Plätzen des Innern vermitteln. Durch ihre
Anlage wurde die Besiedelung des Innern erleichtert und der Handel
von New-York riesig gehoben. Mit der Eröffnung der ältesten Pacific-
bahn nach San Francisco (5229 km) am 10. Mai 1869 wurde New-
York auch zu einem wichtigen Umschiffungsplatze für die euro-
päisch-asiatische Post, welche den Weg durch die Union mit Ex-
presszug erster Classe in fünf Tagen zurücklegt. Chicago (1448 km)
ist von hier in 24 Stunden, Philadelphia (145 km) in 2 Stunden,
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 12
[90]Die atlantische Küste von Amerika.
Baltimore (202·5 km) in 5½ Stunden, Washington (367 km) in 7 Stun-
den, New-Orleans (2163 km) in 55 Stunden, endlich Mexico über
Laredo in 6 Tagen zu erreichen. Nach Boston fährt man 6¾ Stun-
den (349 km), zu den Niagarafällen 16 Stunden (711 km) und nach
Montreal 14 Stunden (628 km).
Der ausgedehnte Handelsverkehr, die Bedürfnisse der hochent-
wickelten und reichen Journale New-Yorks haben 1884 zur Er-
richtung einer directen transatlantischen telegraphischen Verbindung
der Commercial Cable Compagnie geführt. (Mackay Bennet Cable,
welches in New-York selbst landet.)
Alle besprochenen Handels- und Verkehrseinrichtungen zeigen
wohl die commercielle Bedeutung New-Yorks, nichts orientirt aber
schneller über den Umfang des geschäftlichen Verkehres von New-
York als die Ziffern über die Thätigkeit des dortigen Clearing
Houses. Das Geschäftsjahr endet mit dem 30. September, und in
dem Jahre 1888/89 gingen durch das Clearing House Checks im
Betrage von 34.796,465.529 Dollars; die Saldi bezifferten sich
auf 1.757,637.473 Dollars, somit die Gesammttransactionen auf
36.554,103.002 Dollars. Das gibt für den Geschäftstag im Durch-
schnitte 120,640.604 Dollars.
Wall-Street ist das Podium des Finanz- und Bankwesens der
grossen Republik. Hier sind die New-Yorker Fondsbörse, die New-
Yorker Productenbörse, das Clearing House, das Sub-Treasury und
das Assey-Office (Probir-Amt) der Vereinigten Staaten, um welche sich
die zahlreichen Banken und Mäkler gruppiren. Am 12. December 1888
bestanden in der City New-York allein 46 Banken, im übrigen Theile
des Staates 275, zusammen 321 Nationalbanken. Die Zahl der
Staatsbanken wird für den 8. December desselben Jahres mit 41 in
der Stadt New-York, mit 131 für den ganzen Staat angegeben. Stadt
und Grafschaft New-York hatten am 1. Jänner 1889 24 Sparbanken
(Savings Banks) mit Einlagen in der Höhe von 293,269.285 Dollars
und 715.413 Einlegern, der ganze Staat 125 Banken mit 526,677.515
Dollars Einlagen.
In einem Lande, wo es keine Pensionen gibt, wie in der Union,
und wo die Bevölkerung nicht in den Tag hineinlebt, sondern Jeder
mit Kraft und Ausdauer für seine Zukunft sorgt, blüht naturgemäss
auch das Versicherungsgeschäft. In New-York hat auch die grösste
Lebensversicherungsgesellschaft der Erde, die „Equitable“, ihren
Sitz, anderer berühmter Namen nicht zu gedenken.
Alle diese Ziffern und Daten predigen die Thatsache, dass der
[91]New-York.
Amerikaner ein kühner und unternehmender Kaufmann sei; dass er aber
ein Vorsichtiger bei aller Liberalität des Credites ist, zeigt die einzig
in ihrer Art dastehende Bradstreet Cy. in New-York, das grösste
Institut der Welt für kaufmännisches Auskunftswesen. Es wurde be-
reits 1849 gegründet, beschäftigt jetzt in seinen Bureaus 1500 sorg-
fältig ausgewählte Arbeitskräfte und ein Heer von Correspondenten und
hat ausser Amerika in London, Paris, Wien und Berlin Vertretungen.
In New-York laufen die Nachrichten über eine Million Firmen der
Union zusammen und werden gewissenhaft revidirt und ergänzt. Jedes
Vierteljahr erscheinen „Bradstreet Commercial Reports“, ein einzig
dastehendes Denkmal der Organisirung des Handelsbetriebes.
Der Amerikaner ist eben ein Kaufmann, der sein Vermögen hundert-
mal im Leben auf eine Karte setzt, aber sich in seinen Geschäften
nie durch falsche Sentimentalität leiten lässt. Er bedient reell, will
aber auch jeden Tag wissen, wie seine Kunden stehen. New-York ist
in der Creditfrage wie in allen anderen Fragen des öffentlichen Lebens
und der Sitte so recht die „Empire city“, tonangebend im Guten
wie im Schlechten für das ganze Riesenreich der Uniformität, bis an
die Gestade des Stillen Oceans.
Consulate haben in New-York folgende Staaten:
Argentinische Republik (G. C.), Belgien, Bolivia (G. C.), Chile, Chioa, Co-
lumbia (G. C.), Costarica (G. C.), Dänemark, Deutsches Reich (G. C.), Dominikanische
Republik, Ecuado (G. C.), Frankreich (G. C), Griechenland (G. C.), Grossbritannien
(G. C.), Haïti (G. C.), Hawai (G. C.), Honduras (G. C.), Italien (G. C.), Japan (G. C.),
Liberia (G. C.), Mexico (G. C.), Monaco (G. C.), Norwegen (G. C.), Nicaragua (G. C.),
Oesterreich-Ungarn (G. C.), Paraguay (G. C.), Peru, Portugal (G. C.), Russland
(G. C.), Salvator (G. C.), Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien (G. C.), Siam,
Spanien (G. C.), Türkei, Uruguay, Venezuela (G. C.).
12*
[[92]]
Philadelphia.
Wenn der enorme Werth der Einwanderung für die Entwick-
lung der Vereinigten Staaten Nordamerikas gewürdigt zu werden ver-
dient, so darf das Jahr 1682, in welchem die Auswanderung aus
Europa, hauptsächlich aus England, nach dem Unterlaufe des Dela-
ware zum erstenmale in grossartiger Weise sich vollzog, als ein
für die Zukunft der Union entscheidender Abschnitt bezeichnet werden.
Es liefen nämlich im genannten Jahre dreiundzwanzig Schiffe mit
unternehmenden Auswanderern, die der Verfolgung in Europa ent-
flohen oder doch europamüde waren, in den mächtigen Strom ein. Erst
im nächsten Jahre folgte der geistige Urheber dieser Völkerwanderung,
der berühmte Q[u]äker William Penn, als wahrer Hirte seiner frei-
willigen Gemeinde.
Das schöne und waldreiche Land, welches ihm von der eng-
lischen Regierung als Entschädigung für eine bedeutende Geldforde-
rung (16.000 Pfund Sterling) in Privatbesitz übergeben worden war,
wurde auf Wunsch des Königs Karl II. von England Pennsylvanien
genannt und trägt also heute noch den Namen seines ehemaligen
Besitzers. Von den ursprünglichen Ansiedlungen am Delaware, die
von Holländern und Schweden herstammten, von welchen besonders
die letzteren viel geleistet haben, sind fast alle Spuren verwischt,
nur der geistige Ansporn und die moralische Energie, welche die
ersten Pionniere der Cultur beseelten, wurden das Erbe der späteren,
vom Glücke mehr begünstigten Einwanderer.
Noch 1683, in dem Jahre seiner Ankunft, gründete Penn die Stadt
Philadelphia und kaufte nicht nur Landgebiete von den Indianern,
mit denen er sich freundschaftlich abzufinden wusste, sondern legte
auch den Grund zu einer Verfassung, die das Gedeihen der neuen
Colonie zu fördern geeignet war. Dieselbe Verfassung ist darum
[[93]]
Philadelphia.
[94]Die atlantische Küste von Amerika.
wichtig, weil sie 1776 die Grundlage bei der Constituirung der
Vereinigten Staaten bildete.
Ideal veranlagt und von dem Wunsche beseelt, sich und den
Bewohnern der neuen Stadt ein idyllisches, paradiesisches Heim zu
gründen, entwarf er den Stadtplan von Philadelphia schon ursprüng-
lich für grosse Verhältnisse. Die am unteren Theile jener Landzunge,
welche durch den Zusammenfluss des Delaware und des Schuylkill-
flusses gebildet wird, gelegene Stadt sollte nach Penn’s Plan in weiten
Strassen sich vom Ufer des einen Flusses bis zu jenem des anderen
erstrecken und mit grossartigen Parkanlagen ausgestattet sein. Penn’s
Ideale konnten allerdings nicht ganz verwirklicht werden, denn das
mächtige Anwachsen und Gedeihen der Colonie und der Stadt über-
flügelte alle Erwartungen, aber sein Plan bildet noch immer den
Grundriss selbst des heutigen Philadelphia, obwohl die Stadt weit
über eine Million Einwohner zählt.
Philadelphia ist reich an historischen Erinnerungszeichen, die
den Stolz seiner Bevölkerung bilden. Die hervorragendsten Denkmäler
ihrer allerdings jungen Geschichte sind Penn’s Haus, dann eine alte
schwedische Kirche, welche, im Jahre 1677 erbaut, als Gotteshaus und
gleichzeitig als Fort diente, jedoch im Jahre 1770 reconstruirt wurde,
endlich die aus dem Jahre 1729 stammende Independence-Hall, das
heiligste dieser Monumente. Auch die im Jahre 1727 begonnene
Christkirche, wenngleich von vielen der 500 Kirchen Philadelphias
an Schönheit überragt, zählt zu diesen Reliquien, weil die Klänge
ihrer alten Glocken mit jenen der Glocke des Staatshauses einstens
die Geburt der Freiheit verkündeten.
Pietätvoll wurde Penn’s Wohnhaus, das erste aus Ziegeln er-
richtete, vor wenigen Jahren nach Fairmount-Park übertragen, d. h.
geschoben, um nicht der Demolirung anheimzufallen.
Die Carpenters-Hall und Independence-Hall, in welchen der
erste und zweite Congress tagten, dürfen mit Recht als Wiege der
amerikanischen Unabhängigkeit angesehen werden. Die dem Besucher
jederzeit offenstehende Independence-Hall wird in demselben Zustande
erhalten, in welchem sie sich am 4. Juli 1776, als dort die Unab-
hängigkeit proclamirt wurde, befand.
Als Centrum der Freiheitsbewegung war Philadelphia durch län-
gere Zeit Sitz des ersten Präsidenten und bis 1800 auch jener der
Regierung der Vereinigten Staaten; bis zum Jahre 1797 wurden dort
die Congressversammlungen abgehalten. Philadelphia war damals
grösser als New-York, die grösste Stadt der jungen Union und auch
[95]Philadelphia.
die Hauptstadt von Pennsylvanien; dieses Vorrecht musste sie aber später
der Stadt Harrisburg einräumen. Dessen ungeachtet blieb erstere die be-
deutendste Stadt dieses Landes, die zweitgrösste der Vereinigten
Staaten und an Flächenausdehnung sogar die grösste der Union. Die
Tracirung der Stadt erstreckt sich nämlich über den ganzen Bezirk
(County) von Philadelphia und weist eine Längsausdehnung (Nord-
Süd) von mehr als 40 km bei einer Breite (Ost-West) von 9—15 km aus;
jetzt ist bereits der grösste Theil dieser ungeheueren Fläche ausgebaut.
Die Ost-West laufenden Strassen führen vom Ufer des Delaware nach
jenem des Schuylkill und setzen sich theilweise noch jenseits
desselben in West-Philadelphia fort. Zwei herrliche Brücken, welche
aus dem centralen Theile über den klaren und tiefen Schuylkill
führen, verbinden die zwei Stadttheile. Als Basis für die Nord und
Süd laufenden Strassen ist Front-Street, nahe an den Borden des
Delaware, anzusehen. Von dieser werden die Strassen gegen Westen
mit fortlaufenden Nummern gezählt. Die grosse Ausdehnung nach
Nord und Süd machte eine Theilung der Stadt in zwei Gebiete der
besseren Orientirung halber nöthig. Die Grundlinie dieser Theilung
ist Marketstreet, welche schnurgerade Ost-West sich vom Ufer des
Delaware und über die Brücke nach West-Philadelphia fortsetzt. Alle
ihr parallel laufenden Strassen tragen ausnahmslos Namen.
Wie ein Stern, der seine Strahlen nach allen Richtungen sendet,
steht im Centrum der Stadt, dort wo sich die Marketstreet mit der
Broadstreet senkrecht kreuzt, jener Complex von Prachtgebäuden,
welche den Namen The New Public buildings (City-Hall) führen.
Alle Staats- und Stadtämter sind darin untergebracht und über der
gegen Broadstreet gewendeten Façade ragt ein 163 m hoher Thurm,
der höchste Steinbau der Welt, in die Lüfte; er bildet ein gross-
artiges Monument zu Ehren des Gründers der Stadt. Die Statue Penn’s
blickt von der Thurmspitze herab auf das Gebiet seines einstigen
Wirkens. Diesen Platz wies die Pietät der Bewohner dem Denkmale
an, weil das herrliche Bauwerk jenen Platz einnehmen musste, der
Penn’s Namen trug und durch Penn’s Standbild geziert war. An den
prachtvollen marmorreichen Façaden der Public buildings wogt un-
aufhörlich die Menschenmenge vorüber, denn die elegante Welt der
Broadstreet und die geschäftlich eilende der Marketstreet. der Haupt-
ader des geschäftlichen Verkehres, begegnen sich dort. Der luxuriöse
Riesenbau der Public-buildings verschlang eine Bausumme von 15 Mil-
lionen Dollars. Seine isolirte Lage mit vier freien Fronten sichert dem
prunkvollen Rathhause einen besonders vornehmen Rang unter all
[96]Die atlantische Küste von Amerika.
den prächtigen öffentlichen und Privat-Gebäuden, durch deren Zahl
und Schönheit Philadelphia an und für sich alle amerikanischen
Städte überragt. Es ist, als bliebe warmes Empfinden für das Schöne
ebenfalls durch Penn’s Geist für immer an diese Stätte gebunden.
Die glücklichen Verhältnisse Philadelphias kommen in seinen
glanzvollen Bauten und in dem eleganten Aeussern der Stadt, die
ohne Uebertreibung zum Juwel der Union geworden ist, zur Geltung.
In munificenter Weise entstanden dort Institute und Anstalten zur Pflege
von Kunst und Wissenschaft sowie zur Verbreitung und Hebung des
Wohlthätigkeitssinnes in einer Zahl, wie sie anderwärts kaum anzutreffen
ist. Die schon im Jahre 1749 gegründete Universität von Pennsyl-
vanien, welche in West-Philadelphia einen Prachtbau erhalten hat,
und das Girard-College, von einem reichen Schweizer als Waisenhaus
gegründet, geniessen Weltruf. Von den staatlichen Gebäuden wären
noch das Customhause (Zollamt), die Münze und die zwei Straf-
anstalten als mustergiltig zu erwähnen. Ebenso sind die verschie-
denen Banken und Finanzinstitute, deren Mehrzahl in Chestnutstreet
gelegen ist, in ihrer Art hervorragend. Dagegen beanspruchen die
miliärischen Etablissements, und zwar ein Armee-Arsenal und der Navy-
Yard (Arsenal der Flotte), keine Bedeutung. Die Academy of fine arts,
die Academy of Music und zahlreiche Bibliotheken, wie z. B. Phila-
delphia library, sind Institutionen, welche jeder Grosstadt zur höchsten
Zierde gereichen würden. Das schon über hundert Jahre bestehende
Lippincot’sche Buchhandlungshaus, ein Literaturinstitut ersten Ranges,
der Public Ledger, eine der grossartigsten Zeitungsunternehmungen,
gehören zu den markanten Erscheinungen Philadelphias auf dem Ge-
biete der Industrie des Geistes.
Jedoch nicht allein die Prunkgebäude des Reichthums, der sein
Lager hauptsächlich in Market- und in den mit dieser an Glanz
rivalisirenden Chestnut- und Broadstreet aufgeschlagen hat und diese
Strassen zu den fashionablesten Stadtpromenaden erhob, sondern auch
die Wohnhäuser der wohlhabenden Bürgerschaft, noch mehr aber
jene der arbeitenden Classe, die kaum anderswo so glänzend versorgt
ist als hier, beanspruchen unsere vollste Aufmerksamkeit; Philadel-
phia setzt nämlich die grösste Ehre darein, den arbeitenden Classen
bequeme und saubere Unterkunft zu bieten.
Obwohl vorzugsweise Industriestadt, ist Philadelphia wie über-
haupt der ganze an schiffbaren Flüssen, Canälen und Bahnen
so reiche Staat Pennsylvanien ein reiches Handelsgebiet und die stets
wachsende Bedeutung desselben drängte zur Gründung von Hand-
[[97]]
F Leuchtfeuer.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 13
[98]Die atlantische Küste von Amerika.
lungshäusern, die seither von dominirendem Einflusse geworden sind,
wie: Wood’s Haus, Hood, Strawbridge \& Clothers, deren ebenso muster-
haft wie grossartig angelegte Geschäftshäuser in der alten und neuen
Welt ihresgleichen nicht finden. Gleichfalls vorzüglich und luxuriös
eingerichtet sind die Hôtels, deren erste: Continental, Girard-House und
Colonnade, wie fast alle besseren in Chestnutstreet liegen und mit den
modernsten Errungenschaften der Technik ausgestattet sind. Unter den
11 Theatern der Stadt ist die Academy of Music eines der ersten
und grössten Amerikas. Zu den besonderen Vorzügen Philadelphias ge-
hören auch seine Badeanstalten, deren viele dem Volke — und das ist
wohl ein hoher Triumph des Gemeinwesens — unentgeltlich zur Ver-
fügung stehen. Zur Zeit der Bädereröffnung erfüllt darob wahrer Jubel die
Stadt. Dann prangen auch die Gärten der Squares, ein Hauptschmuck
der Stadt, in prächtigem Grün; von den acht grossen dieser Plätze ist
Bittenhouse-Square nicht nur der schönste im Baumschlage, sondern
auch der Liebling der noblen Welt.
Zu den grössten städtischen Parkanlagen der Erde zählt wohl
der seiner Schönheit wegen berühmte, im Nordwesttheile der Stadt
an beiden Ufern des Schuylkillflusses gelegene Fairmount-Park.
Die Nothwendigkeit, aus den klaren Fluten des genannten Flusses
das Trinkwasser für die Stadt zu schöpfen, führte unwillkürlich zu
dem Beschluss, die Industrie aus dieser Gegend zu bannen. Unzählige
Fabriken und Mühlen, welche am Flusse lagen, mussten flussabwärts
ziehen oder abgebrochen werden, und der ganze weite Grund 8 km
aufwärts der Stadt und noch 9½ km an den romantischen Ufern
des Wissahickonflusses, eines Nebenflusses des Schuylkill, wurden
käuflich für Philadelphia erworben Dort enstand dann auf beiden
Flussseiten der riesige Fairmount-Park, dessen mit Thälern und Hügeln
geschmückte Landschaften ihn zu einem ebenso grossartigen wie
reizenden Erholungs- und Vergnügungsorte der Stadt erhoben. Mehrere
Pferdebahnlinien führen dahin, und ist der Haupteingang in Green-
Street gelegen. In der Nähe desselben gewahrt man den Fairmount-
Hügel mit den vier Reservoirs der Schuylkillwasserwerke. Von seiner
Höhe geniesst man eine lohnende Aussicht auf die Stadt und auf den viel-
fach überbrückten Schuylkillfluss. Interessante Objecte des Parkes sind
am linken Ufer des Schuylkill die Kolossalstatue Lincolns, ferner Georgs-
und Lemon-Hill, dann weiter nordwestlich ein Hügel im ehemaligen
Sedgely-Park mit einem kleinen Bretterhaus, Grant’s Cottage, welches
vom General während des Bürgerkrieges bei City Point als Haupt-
quartier benützt und nach der Beendigung des Krieges als Erinnerung
[99]Philadelphia.
an den grossen Mann hieher gebracht worden war. Am Fusse des
Hügels liegt die prächtige mit Bronzefiguren geschmückte und über
fünf Pfeiler geführte Girard-Avenue-Brücke, ein imposanter Bau, der
den Ost- mit dem Westparke verbindet. Sie ist 300 m lang, 30 m
breit und 16 m hoch über Wasser. Ganz nahe dieser Brücke liegt
auch jene, welche die Pennsylvania- mit der Camden-Eisenbahn ver-
bindet. Ueber Girardbridge gelangt man im westlichen Parke zum
zoologischen Garten, der die schönste Thiersammlung in Amerika ent-
hält und mit ungeheueren Kosten erhalten wird. Auf diesen, Solitude
genannten Grund wurde das Haus Penn’s — jetzt nach dessen Tochter
Letitia-House genannt — aus Philadelphia überführt und aufgestellt.
Im Territorium des Fairmountparkes, welches einst herrschaftliche
Villeggiaturen enthielt, stehen noch manche aus der alten Coloniezeit
herstammende Häuser, die noch jetzt als theure Andenken erhalten
werden. Im nordwestlichen Parktheile am malerischen rechten Ufer
des Schuylkill, welcher die schönsten Fahrwege hat, wurde im Jahre
1876 die Centennial-Weltausstellung abgehalten, von deren Gebäuden
das auf einer Höhe stehende prächtige Palmenhaus, die Horticultural-
Hall und die solid und schwer gebaute Memorial-Hall zum Andenken
stehen geblieben sind. Letztere, ein stylvoller Kuppelbau, ist bestimmt,
unter ihren Granit- und Eisenhüllen Werke vaterländischer Kunst
zu beherbergen. Das letzte und doch bedeutendste der alten Bau-
werke, welche zu den Zierden des Fairmountparkes gehören, ist das
reizend gelegene Belmont-Mansion, das als ein besonders werthes
Kleinod geschätzt wird, denn Washington, Franklin, Lafayette, Tal-
leyrand, Louis-Philippe und andere bedeutende Männer weilten dort
als Gäste des Besitzers, des Dichters und grossen Patrioten Richard
Peters.
Die Grundlage des Wohlstandes und enormen Aufschwunges von
Philadelphia ist seine Industrie. Nahezu jeder Zweig derselben ist hier
vertreten und erhält besonders seit der Entwicklung des Bahnnetzes
durch die Raschheit und Billigkeit der Kohlenzufuhr aus den reichen
Lagern die kräftigsten Impulse. Hervorragend ist die Eisenindustrie
in allen ihren Detailzweigen, insbesondere aber haben Locomotiv- und
Schiffbau unter den Firmen wie Baldwin, Cramp \& Sons Weltruf
erlangt. Weitaus das regste und turbulenteste Getriebe herrscht am
Hafen zu beiden Seiten des Delaware. Während am westlichen linken
Ufer in Camden fünf Bahnen nur einen Theil des Landverkehres be-
wältigen, entwickelt sich längs der Delaware-Avenue, dem Quai von
Philadelphia, die Geschäftsthätigkeit in ihrer ganzen Grösse.
13*
[100]Die atlantische Küste von Amerika.
Hier ist auch das Centrum der Approvisionirung der Stadt. Alle
Artikel und alles nur Erdenkliche für den gewöhnlichen Lebensbedarf
werden hier in unermesslichen Quantitäten aufgestapelt, Fische, Austern,
Gemüse, Obst, Geflügel u. a. Insbesondere wenn die berühmten Pfir-
siche des ganzen Delawaregebietes hier zu Markte und die Früchte
New-Jerseys ebendaselbst zur Verfrachtung gelangen, erreicht das
Getriebe einen interessanten Höhepunkt.
An den südlichen Stadtquais, wohin auch der Frachtenbahnhof
der Pennsylvania Rail-Road verlegt ist, befinden sich mächtige Getreide-
elevatoren und grossartige Industrie-Etablissements. Die grössten Ocean-
schiffe liegen dort dicht am Quai, gewissermassen direct unter den
Gebäudefronten der Stadt und bewirken das Löschen oder Verladen
der Waaren, zu deren Transport diesseits des Delaware neun Eisen-
bahnlinien nach allen Gebieten der Union sich verzweigen. Der See-
verkehr Philadelphias ist grossartig entwickelt. Mit bewundernswerther
Pünktlichkeit treffen die grossen Oceanschiffe der American-, der Red
Star-, der Allan-Line hier ein. Ebenso sieht man die schmucken
Schiffe der Clydes steam-lines von New-York, dann all die sonstigen
mit Waaren schwer beladenen Schiffe, unzählige Yachten, Schlepper,
Boote und die prächtigen Salonschiffe, welche den wasserreichen Strom
auf- und abwärts nach den vielen Städten befahren, die dessen Ufer
förmlich belagern.
Viele der Städte und Orte, die weitab, selbst an den 90 See-
meilen entfernten Gestaden des atlantischen Oceans liegen, sind Aus-
flugs- und Badeorte der Bewohner von Philadelphia, und kaum
anderswo gibt es einen schöneren Grund, einen wohligeren Wellen-
schlag, als in den lauen Sommerfluten der atlantischen Küste bei
Philadelphia. Bis Atlantic-City, 60 Meilen weit, und bis Cap May,
der Pforte in den offenen Ocean, laufen in kaum zwei Stunden die
Bahnzüge von Camden, wohin man aus Philadelphia mit Ferrybooten
zu jeder Zeit übersetzen kann. Eine besondere Erscheinung im Bilde
des Seelebens der Delaware-Bai sind die Dampfer, welche als Eigen-
thum der grossartigen Kohlentransportgesellschaft, der Reading-Railroad
ständig diese Gewässer befahren. Wohl ein Dutzend dieser Schiffe von
zusammen mehr als 15.000 Tonnen Tragfähigkeit versorgt alle Ort-
schaften und Städte bis an die oceanische Küste mit der unentbehr-
lichen Steinkohle. Die Hauptstation und Ladestelle dieser Schiffe ist
unmittelbar an der Endstation der Bahn im Norden der Stadt, wo sich
auch die ausgedehnten Werften und Trockendocks der Firma Cramp
und die bedeutendsten industriellen Etablissements erstrecken.
[[101]]
A Anlageplätze für Schiffe, B Kohlen-
magazin der Phil. u. Read.-Bahn, C Koh-
lenmagazin von Greenwich, D Camden-
Bahnh. E Kensington-Bahnhof, F Broad-
Station, G Washington-Station, H Ger-
mantown-Junction, J Balt. u. Ohio-Sta-
tion, K Phil. \& Read-Station, L North-
Pennsylvania-Junction, M City-Hall
(Public Buildings), N State House,
O Naval-Asylum, P Armenhaus, Q Penn-
sylvania-Hospit. Insane, R zoologischer
Garten, S Girards-College, T Fried-
höfe, U Universität, V Wasserreservoir,
W Georgshügel, X Memorialhall, Y Gas-
werke, Z Seearsenal. — 1 Markat-Street,
2 Broad-Street, 3 Erie-Avenue, 4 So-
merset-Street, 5 Kensington-Avenue,
6 Susquehanna-Avenue, 7 Montgomery-
Avenue, 8 Cambria-Street, 9 Richmond-
Street, 10 Girard-Avenue, 11 Ridge-
Avenue, 12 Spruce-Street, 14 Snyder-
Street, 15 Front-Street, 16 8. Strasse,
17 18. Strasse, 19 34. Strasse, 20 40.
Strasse, 21 48. Strasse, 22 60. Strasse,
23 Federal-Street, 24 Camden- u. At-
lantic-Junction, 25 Revadway, 26 Se-
cond-Street, 27 Fairmount-Avenue,
28 Strafhaus, 29 Ferry, 30 Chestunt-
Street.
[102]Die atlantische Küste von Amerika.
Selbst die Bitternisse des Winters, die in dem unsteten Klima
Philadelphias oft sehr empfunden werden, bilden am Delaware kein
Hinderniss für die regste Schiffahrt. Wie an der ganzen Ostküste der
Union, wird auch in Philadelphia während des Winters der Strom
bis weit hinab in die Bai mit Eis bedeckt, aber mittelst starker
Dampfer, welche fortwährend in Bewegung erhalten werden und das
Eis durchbrechen, wird die Bahn zum Ocean frei erhalten.
Von wo immer man sich der Stadt nähern mag, ist die Fahrt
und der Anblick fesselnd und interessant. Alle Bahnen, von welchen
fünf auf die eigentliche Stadt entfallen, durchlaufen herrliche Gegenden.
Die meisten übersetzen den Schuylkill auf fünf verschiedenen Brücken,
und sind alle Stationen durch mehrfache Verbindungsbahnen, welche
auch den Verkehr nach den Quais herstellen, wie in einen Ring inein-
ander geschlossen. Nur der Delaware hat dem Laufe der Eisenbahnen
gewisse Grenzen angewiesen. Die wichtigste Bahn, die Main-Line der
Pennsylvania Rail-Road, hat mit immensen Kosten ganze Strassen-
gevierte an sich gebracht und im Centrum der Stadt neben den
Public buildings einen Prachtbahnhof gebaut, der an Luxus, Gross-
artigkeit und Comfort kaum von irgend einer europäischen Station
übertroffen wird. West-Philadelphia durchlaufend, übersetzt der Schienen-
weg der Main-Line den Schuylkillfluss auf jener Strasse, welche die
Fortsetzung der Marketstrasse bildet. Der Viaduct, welcher an Stelle
der demolirten Häuserreihe die Zufahrt über das Terrain ebnet, ist ein
Meisterwerk der Baukunst und deshalb eine Sehenswürdigkeit und
eine Zierde der Stadt; unter dessen Bögen erleidet keine einzige der
Nord-Süd laufenden Strassen eine Unterbrechung.
Am Südende der Stadt, wo Schuylkill und Delaware sich ver-
einigen, auf dem niederen League-Island, liegt der Navy-Yard, das
Seearsenal der Vereinigten Staaten. Wenn man von Philadelphia süd-
wärts dem Ocean zusteuert, so entschwinden nach unzähligen Win-
dungen des Flusses die qualmenden Schlote, der Rauch und Dampf,
die letzten Zeichen des nie ruhenden Arbeitslebens einer der arbeit-
samsten Städte des Erdballs. Das Fahrwasser des Delaware ist, wie
unsere Karte zeigt, durch Betonnung und reichliche Leuchtfeuer markirt.
Ueber 24 derlei Lichter weisen den Seeweg, der gegen Süden zu sich
rasch erweitert, aber unter der trügerischen Wasserfläche doch nur
bestimmte tiefere Furchen der Schiffahrt offen lässt. Oft brandet und
stürmt es schon gewaltig und die hohen Wogen des Oceans rollen
mit Macht an die flachen, meist sandigen Küsten der Bai, ehe bei
Cap May das nördliche oder bei Cap Henlopen das südliche grosse
[103]Philadelphia.
Leuchtfeuer, welche beide das grosse Ausgangsthor nach dem Ocean
markiren, passirt und der offene Kampf mit den Elementen begonnen
werden kann.
Das Anlaufen der Bucht bietet in stürmischer Winterszeit gar
manche Schwierigkeiten und Gefahren, weshalb durch die Regierung
der Vereinigten Staaten innerhalb Cap Henlopen ein Wellenbrecher
errichtet worden ist. Hinter diesem finden die vor den Stürmen des
Oceans flüchtenden Schiffe einen geschützten Ankerplatz, bevor sie
die Bai aufwärts in den Delaware segeln.
Philadelphia, die reizende Stadt, in welcher, wie erwähnt, die
Amerikaner 1876 zur Feier der 100 Jahre früher erfolgten Erklärung
ihrer Unabhängigkeit eine Weltausstellung abhielten, ist nach New-
York der grösste Wohnplatz der Vereinigten Staaten, sie ist ein
wichtiger Fabriksort und der Hafen des wohlangebauten und industrie-
reichen Staates Pennsylvanien. Nicht viel weiter als 100 km nach
Nordwesten entfernt liegen die grössten Lager der Union an Anthra-
citkohlen, durch Canäle und Flussläufe mit ihn verbunden. Auffallend
muss es erscheinen, dass eine solche Stadt als Handelsplatz nicht nur
New-York weichen musste, dass sie sogar an Bedeutung weit hinter
demselben rangirt. Diese Erscheinung wird erklärlich, wenn man be-
denkt, dass keiner dieser Canäle die Alleghanies überschreitet und
dass die grossen Trunklinien, von denen die Pennsylvania Rail-Road-
Compagnie allein nach Philadelphia geht, in jeder Weise die benach-
barten Häfen New-York und Baltimore begünstigen. Denn für den
Verkehr mit Philadelphia drückt auf die Pennsylvania-Eisenbahn
keine Concurrenzlinie, wie auf den Strecken nach New-York und
Baltimore. Güter aus dem Westen, welche nach diesen Plätzen be-
stimmt sind, zahlen daher niedrigere Frachtsätze, als wenn sie nach
Philadelphia gehen. Der Hafen ist nicht frei von der Gefahr des Zu-
frierens und bedarf auch sonst mancher Verbesserungen, um dann
durch seine Grösse, durch die Tiefe des Fahrwassers und die
Vortrefflichkeit seiner Docks ein Landungsplatz ersten Ranges zu
werden.
Man will zur Hebung des Verkehres die in der Mitte des
Delaware liegenden Inseln Smiths und Windmill ganz, Pettys Insel
zum Theile entfernen und einen Canal vom oberen Ende der Stadt
bis zur Delawarebai schaffen, welcher 183 m breit und 7·9 m tief
sein wird. Dann wird Philadelphia, von dem man mit Expresszügen
in zwei Stunden nach New-York und in 2½ Stunden nach Baltimore
gelangt, vielleicht wieder jenen Theil des Handels der Union erlangen,
[104]Die atlantische Küste von Amerika.
der ihm von rechtswegen und nach seiner natürlichen Lage als einer
Stadt ersten Ranges gebührt, die an einem tiefen Flusse liegt.
Dem Range nach ist Philadelphia wohl der dritte Hafen der Union an der
atlantischen Küste, doch blühend kann man seinen Handel nicht nennen. Phila-
delphias auswärtiger Handel in Dollars betrug:
Die Wiederausfuhr fremder Waaren und die Verschiffung von Edelmetallen
sind so beschränkt, dass wir die obigen Ziffern als gleichbedeutend annehmen
können mit der Höhe der Einfuhr fremder Waaren und der Ausfuhr einheimischer
Producte.
Für Petroleum ist Philadelphia der zweite Ausfuhrhafen der Union;
dieser Artikel stellt ein Drittel des Werthes der gesammten Ausfuhr des Platzes.
Ausfuhr von Petroleum:
Die Standard Oil Company lässt viel Petroleum in Röhren nach Philadelphia
leiten, es daselbst raffiniren und dann in Tankschiffen verfrachten.
Der Handel Philadelphias mit Brotstoffen ist im Verfall. Es wurden hier
zugeführt Mehl 1888 1,186.500 q gegen 1,231.000 q im Jahre 1887, Weizen 1888
900.000 hl gegen 3,263.400 hl im Jahre 1887, Mais 1888 1,047.000 hl gegen
1,420.000 hl im Jahre 1887. Die Steigerung in der Zufuhr von Hafer und Gerste
gleicht den Verlust, welcher bei den oben genannten drei Artikeln eingetreten ist,
nicht aus.
Der grösste Theil des Werthes der ausgeführten Brotstoffe entfiel 1888 auf
Weizenmehl 603.000 q im Werthe von 2,825.331 Dollars. In früheren Jahren war
Weizen an der Spitze, von welchem 1887 noch 2,073.500 hl im Werthe von
7,760.112 Dollars, 1888 nur mehr 258.850 hl im Werthe von 993.104 Dollars aus-
geführt. Dieser Rückgang ist in erster Linie die Folge des Druckes, welchen New-
York auf Philadelphia ausübt. Werth der Ausfuhr der Brotstoffe 1888 4,329.003,
1887 11,358.511 Dollars.
Die Ausfuhr von Baumwolle ist seit Jahren nur geringen Schwankungen
unterworfen; sie erreichte 1888 107.825 q im Werthe von 3,395.902 Dollars. Etwas
grössere Unterschiede zeigt nach den einzelnen Jahren die exportirte Menge der
Oelkuchen, welche an Gewicht das der Baumwolle etwas übersteigt. Werth
ungefähr eine halbe Million Dollars. Der vierte grosse Ausfuhrartikel sind die ver-
schiedenen Gattungen der Provisions; Werth 1888 4,725.777, 1887 3,934.482
Dollars. Von besondererer Bedeutung sind Speck (1888 104.900 q, Werth 1,892.920
Dollars) und Schmalz (1888 43.114 q). Die Ausfuhr von frischem Fleisch zeigt nach
den einzelnen Jahren bedeutende Unterschiede, dagegen ist die von lebendem
Rindvieh nach Europa in den letzten Jahren constant gestiegen (1888 7037 Stück),
wenn sie auch noch weit zurücksteht hinter dem Umsatz der nördlicher gelegenen
[105]Philadelphia.
Häfen. Philadelphia liegt eben schon weit ab von den Gebieten, in welchen die
Viehzucht eine Hauptgrundlage des Wohlstandes ist.
Als Exportartikel sind noch hervorzuheben Blättertabak (1888 35.200 q),
bituminöse Kohle (1888 1·5 Millionen q), endlich Melasse und Syrup, weil in Phi-
ladelphia die grössten Zuckerraffinerien der Union sind. Die drei
grossen alten Etablissements dieser Stadt haben sich an dem von New-York aus-
gehenden Zucker-Trust nicht betheiligt und dadurch von der Steigerung der Preise
profitirt, gleichzeitig aber auch ihre Erzeugungsmenge gewaltig erweitert. 1889 wurde
von Spreckel, dem grössten Raffineur Californiens, eine vierte Fabrik errichtet.
Wegen dieser Industrie sind Zucker und Melasse aus Cuba und dem
übrigen Westindien die wichtigsten Einfuhrartikel Philadelphias, welches für die-
selben jetzt wichtiger ist als Boston.
Eisenerze, für Pittsburg, das Centrum der amerikanischen Eisenindustrie,
bestimmt, ferner Eisen und Eisenwaaren bilden die nächste wichtige Gruppe der
Einfuhr, welche 1888 einen Werth von 5,443.885 Dollars, 1887 einen solchen von
8,288.136 Dollars hatte, weil in dem letzten Jahre wegen des forcirten Baues der
Eisenbahnen ungewöhnlich viel von Eisenerzen (6·1 Millionen q), Roheisen (466.000 q),
altem Eisen (800.000 q) und Stahlblöcken war eingeführt worden. Die Einfuhr
von Weissblech dagegen beträgt regelmässig zwischen 550.000 und 660.000 q.
Für die Einfuhr von Producten der Textilindustrie ist Philadelphia wie
in den anderen Artikeln der dritte Platz der Union; alle zusammen haben einen
Werth von 5·5—6·4 Millionen Dollars.
Mehr Interesse bietet der Import der Wolle, des Rohmaterials für die
Teppichindustrie Philadelphias, welche in Amerika einzig dasteht. Von den
1888 eingeführten 77.000 q Wolle (Werth 2 Millionen Dollars) waren 69.400 q allein
Teppichwolle. Keine Industrie Philadelphias hat einen solchen Aufschwung ge-
nommen wie die Erzeugung von gewöhnlichen und Smyrnateppichen. Sie wurde
1857 eingeführt und umfasst jetzt in der ganzen Grafschaft 172 Etablissements in
mehr als 200 Fabriksgebäuden, beschäftigt 7250 Kraftstühle und 17.800 Arbeiter
und lieferte 1888 55,300.000 m2 Teppiche im Werthe von 45 Millionen Dollars.
Die wichtigste Gattung der Teppiche sind „Igrains“, ein dauerhaftes Fabricat,
dann Brüsseler, Wilton-Teppiche und gewirkte Tapeten. Auf 1500 Handstühlen
macht man sehr werthvolle Smyrnateppiche (1888 4·6 Millionen m2, Werth
12 Millionen Dollars).
Eine wichtige Industrie Philadelphias ist die Bierbrauerei; aber die mäch-
tige Temperenzbewegung bedroht ihren Bestand. Sie hat 1888 schon die Einführung
der „High Licence“ durchgesetzt, welche für Ausschank geistiger Getränke nur
Licenzen in des Höhe von 500 Dollars kennt.
Die Schuhindustrie Philadelphias erzeugt Waaren im Werthe von 9 Mill.
Dollars. Auch der Bau von Locomotiven und eisernen Schiffen wird an den Ufern
des Delaware betrieben. Diese Industrie wird einen mächtigen Antrieb erhalten,
wenn die Unionregierung auf der einige Kilometer unterhalb gelegenen League-
Insel die beantragte grossartige Werfte baut, deren Bassin Raum für 28 Kriegs-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 14
[106]Die atlantische Küste von Amerika.
schiffe ersten Ranges bieten soll und durch einen 411·5 m langen und 198 m breiten
Speisecanal mit dem Delaware in Verbindung stehen wird.
In Philadelphia bestehen ein Clearinghouse und alle Einrichtungen, welche
der Beförderung des Handels dienen. Hier hat auch die älteste Münze der Union,
1793 gegründet, ihren Sitz, von ihr wurden bis 30. Juni 1887 um 664,196.225
Dollars Goldmünzen, um 275,835.402 Dollars Silbermünzen und um 18,439.147
Dollars kleinere Münzen geliefert. Die Thätigkeit der Münze ist in den letzten
Jahren meist auf Silbermünzen gerichtet, von denen 1886/87 31,357.162 Stück
hergestellt wurden.
Die Postverbindung mit Europa geht über New-York; directe wöchentliche
Verbindung besteht mit Liverpool, Fahrdauer 15 Tage, und eine dreiwöchentliche mit
Antwerpen durch die Red Star-Line, welche beide Einwanderer befördern. In
Philadelphia landeten 1887/88 39.344 Passagiere, von diesen waren 37.325 eigent-
liche Einwanderer; die meisten kamen aus dem Vereinigten Königreiche, aus Nor-
wegen und Schweden.
Der Schiffsverkehr mit dem Auslande umfasste:
Im Jahre 1888 liefen ein:
Nach der Tonnenzahl steht die britische Flagge an der Spitze mit fast zwei
Dritteln des ganzen Verkehres, an sie reihen sich die nationale Flagge, die norwegische
und die deutsche. Wenn Schiffe, die aus dem Auslande gekommen sind, nach
einem amerikanischen Hafen gehen, so werden sie beim Auslaufen im auswärti-
gen Verkehre nicht mehr eingerechnet.
Consulate haben in Philadelphia folgende Staaten: Argentinische Repu
blik, Belgien (G. C.), Chile, Columbia, Costarica, Deutsches Reich, Ecuador,
Griechenland, Grossbritannien, Honduras, Liberia, Mexico, Niederlande, Nicaragua,
Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Schweiz, Spanien, Türkei, Venezuela.
[[107]]
Baltimore.
Das grösste und herrlichste Meeresbecken an der Ostküste der
Vereinigten Staaten, welches die Fluten des atlantischen Oceans
dem Herzen des Continentes näher bringt, ist die Chesapeake-Bai.
Von der am 37. Breitegrade liegenden, durch ein Leuchtschiff
und die Leuchthürme von Smith-Island und Cap Henry gekennzeich-
neten Einfahrt an erstreckt sich der prächtige Fjord über 160 See-
meilen nordwärts.
In unzähligen, tief in das Land von Virginia und Maryland ein-
schneidenden Buchten eilen die süssen Wässer eines fast unentwirr-
baren Netzes von Wasseradern der salzigen Flut entgegen. Die wasser-
reichen Ströme, welche sich in dieses Sammelbecken von Westen
und Norden her ergiessen, erhöhen dessen unschätzbaren Werth für
die Schiffahrt und bringen die Städte und Orte, die an ihren Ufern
erblühten, in unmittelbare Verbindung mit der See.
Die Schwierigkeiten der Navigation in der Chesapeake-Bai mit
ihren ausgedehnten Sandbänken und Untiefen, ihren vielen Riffen und
Inseln sind längst überwunden, seitdem die Dampfkraft auch bei der
Schiffahrt ihre Triumphe feiert. Auch die Segler durcheilen, den Spruch
„time is money“ beherzigend, die langwierigen und gefährlichen Pas-
sagen der Binnengewässer im Schlepp von Dampfbooten unter Füh-
rung bewährter Lootsen, welche die Schiffe durch das mit 54 Leucht-
feuern markirte Fahrwasser der Bai zum Endziele hindurch steuern.
Die Uferstrecken, im unteren Theile der Bai flach und sandig,
gehen im Norden allmälig in Hügelland über, und ein herrliches Klima
kleidet die Gegend, in welcher Süd und Nord die Hände sich reichen,
in die üppigsten Gewande.
Die in ihrer ganzen Längenausdehnung schiffbare Chesapeake-
Bai ist infolge ihrer vielfachen Zerklüftung, der Beschaffenheit ihres
Grundes und der reichen Stoffablagerung durch die zuströmenden
14*
[108]Die atlantische Küste von Amerika.
Bäche, Flüsse und Ströme die idealste natürliche Zuchtstätte für die
Auster.
Tausende von Menschen finden Beschäftigung bei der Austern-
cultur und ganze Flotten von Fahrzeugen, welche ausschliesslich der
Austernfischerei dienen, beleben die Bai den grössten Theil des
Jahres hindurch.
So friedlich und idyllisch das erwähnte Gewerbe dem ersten
Anscheine nach sich auch darstellen mag, so erfordert es namentlich
in stürmischer Winterszeit manchmal gar harte Kämpfe mit dem Ele-
mente. Auch verleitet die Freiheit zur See den Austernpiraten oft, auf
unerlaubtem Gebiete nach Beute auszugehen, und trotz Seepolizei,
welche die Rechte der Fischer in ihre Grenzen zu weisen bemüht ist,
liefern sich die Flotten der letzteren nicht selten förmliche See-
schlachten.
Die jährliche Ausbeute an Austern in der Bai ist eine enorm
reiche. Von 11 Millionen Bushels, jedes nach der Marktusance zu
300 Stück, also gegen 3⅓ Milliarden Austern, gelangen 7½ Millionen
Bushels nach Baltimore, jenem Weltmarkte, in dessen Handel sie einen
der grössten Werthe repräsentiren.
Baltimore ist der grosse Magnet, der, durch seine Lage be-
günstigt, nicht nur die Naturproducte der Bai und der umliegenden
Seegebiete, sondern auch den grossen überseeischen Verkehr, ja selbst
die Küstenschiffahrt fast ausschliesslich an sich gezogen hat, so zwar,
dass der transoceanische Verkehr die anderen in der Chesapeake-Bai
liegenden schönen Städte, wie Annapolis, die politische Hauptstadt
Marylands, nur nebensächlich berührt.
140 Seemeilen von der Pforte des Oceans entfernt, durch einen
prächtigen, Schiffen jeder Grösse zugänglichen Hafen und durch seine
für den Ueberlandsverkehr nach allen Staaten der Union äusserst
glückliche centrale Lage, vereinigt Baltimore alle jene Vorzüge, welche
diesen Platz gegenwärtig zu einer vorzüglichen strategischen Basis
im Kampfe nach Gewinn stempeln. Man könnte sagen, der hohe Rang
Baltimores als eines der Brennpunkte des Welthandels lag schon in
seiner Wiege.
Die 10 Seemeilen lange, oft kaum 100 m breite Zufahrt nach
dem Hafen ist nur ein tiefes Rinnsal in jenem 3 bis 5 Meilen breiten
Aste der Chesapeake-Bai, in welchem ihre Vereinigung mit dem Pa-
tapsko-River sich vollzieht.
Das tiefe Fahrwasser ist durch Betonnungen markirt und erst
unweit der Stadt erweitert es sich zu einem grossen Becken, welches
[109]Baltimore.
die Anlage des Hafens hervorrief. Die südlichen Ufer der Stadt be-
spülend, zerfällt die Wasserfläche durch einen halbinselförmigen Vor-
sprung wieder in mehrere Zweige, von welchen der tief einschneidende
North-West-Branch den eigentlichen Hafen Baltimores bildet. Die Ein-
fahrt zu demselben liegt zwischen dem sie beherrschenden Fort Mc Henry
und dem gegenüberliegenden Lazarethe und ist kaum 400 m breit;
dann jedoch erweitert und verengt sich der Hafen abwechselnd und
bildet abermals mehrere Abtheilungen, deren erste bei 6·7 m Tiefe
der Haupthafen für die grossen Schiffe ist, während die dritte und
seichte Einbuchtung fast in das Herz der Stadt hineinreicht und das
Basin genannt wird. Die prächtigen Quais sind mit allen Einrichtungen
ausgestattet, welche der Grossverkehr in modernem Sinne erfordert.
Werften, Docks und Werkstätten tragen den Bedürfnissen der Schiff-
fahrt und die an den beiden Uferseiten des Hafens auslaufenden Ge-
leise von 6 Hauptbahnen dem Verkehre Baltimores nach den fernen
Regionen des Continentes vollauf Rechnung. Eine Ferryanstalt, welche
täglich bis 250 befrachtete Waggons von der einen Quaiseite des
Hafens nach der anderen zu überführen vermag, schliesst den Kreis-
lauf des Baltimore umgebenden Schienennetzes. Zu den Sehenswürdig-
keiten des Hafens gehören die an der Südseite bei Locust-Point be-
findlichen Getreideelevatoren, diese unentbehrlichen Hilfsapparate und
Wahrzeichen der grossen Kornkammern Amerikas. Die schweren
Fundamente des einen sind auf 11.000 eingerammten Pfählen auf-
gelegt.
Locust-Point mit seinem grossartigen Waarenverkehre und seinen
enormen Kohlenlagern ist auch die Anlagestelle aller aus Europa an-
langenden Dampfer und die ganze südliche Halbinsel, auf welcher
die Stadt weit in das Becken ragt, ist der Hauptsitz gewerblicher
und geschäftlicher Thätigkeit.
Die schöne Jahreszeit führt ganze Heere von Touristen durch
ihre Gassen, die sonst hauptsächlich der Magazinirung von Tabak,
Austern, Früchten und deren Verpackung gewidmet sind. Da nahezu
tausend Schooner 7 Monate des Jahres hindurch im Austernhandel
verkehren und unzählige Schiffe und Dampfer die Früchte West-
indiens und der heimischen Production hier zu Markte bringen, sind
die Quais auch ausserhalb des Hafens am ganzen Saume der Halb-
insel von Schiffen belagert
Bis Middle-Branch, dem westlichsten See-Einschnitte, reihen sich
jene Schiffe, welche am Sitze der Petroleumraffinerien ihrer Landungen
directe aus den Stätten der Erzeugung harren.
[110]Die atlantische Küste von Amerika.
Ein hervorragender Industriezweig ist die Ledererzeugung und
Verarbeitung, welche einen bedeutenden Rang einnimmt; aber auch
Schiff-, Brücken- und architektonischer Eisenbau stehen in der
Blüthe und ausgedehnte Eisengiessereien, Werkstätten und Waggon-
fabriken sind Annexe der Baltimore-, Ohio- und der Northern-Central-
Eisenbahnen.
Eines jener Centren für allerlei Industrien, wie: Brauereien, Er-
zeugung chemischer Producte, Fabriken für Baumwolle, Bleiweiss, land-
wirthschaftliche Geräthe, Locomotive, Räder etc. ist Canton, der Fort
Mc Henry gegenüberliegende Stadttheil und eigentlich eine Stadt für sich.
Die daselbst in hoher Entwicklung stehende Kupferindustrie scheint
berufen zu sein, bald eine leitende Rolle auf dem Weltmarkte zu spielen.
Baltimores Ruhm, gar manche Errungenschaften der Technik
allen Städten voran in Anwendung gebracht und auch die erste
Eisenbahn besessen zu haben, kommt auch heute noch zur Geltung.
Die mit enormem Kostenaufwande geschaffenen Tunnels, welche das
hügelige Terrain durchbohren, sämmtliche im Norden der Stadt mün-
denden Bahnen vereinen und ihre Geleise dem Niveau des Meeres zu-
führen, bezeugen, wie Unternehmungsgeist und technische Kühnheit
der Bürger von Baltimore fortleben und bewunderungswürdige Bauten
schaffen, die der Stadt zum Nutzen gereichen. In Bezug auf den tech-
nisch fortschrittlichen Sinn der Einwohner könnte man Baltimore
mit Nürnberg vergleichen.
Der grössere, der Baltimore- und Potomak-Tunnel behauptet
als unterirdischer Schienenstrang den zweiten Rang an der atlanti-
schen Seite Nordamerikas. Er ist 2112 m lang und kreuzt 29 Strassen
in Tiefen bis zu 16 m unter ihrem Grunde; der kleinere Union-Tunnel
ist 1033 m lang. Durch beide führen Doppelgeleise und verkehren
mit Ausnahme der Baltimore- und Ohio-Bahn die anderen fünf Bahnen
auf diesen unterirdischen Wegen.
So verbreiten der Hafen mit seinem Wohlstand, die blühenden
Gewerbe und Institutionen des Verkehrs einen bestechenden Schimmer
über die ganze Stadt, die wie wenig andere in der kurzen Zeit ihres
Bestandes sich zu einer Weltstadt emporschwingen und doch auch
jene Stimmung der Fröhlichkeit und Heiterkeit bewahren konnte, die
sie vor allen Städten der Union auszeichnet.
Das rasche Anwachsen der Stadt zu einer Bevölkerung von
420.000 Seelen vollzog sich in erstaunlich kurzer Zeit. In den Strassen
treffen wir Schritt für Schritt auf Schwarze, welche gegen 16 % der
Bevölkerung der Stadt ausmachen.
[111]Baltimore.
An den Ufern des durch seine wilden Wässer berüchtigten
Flüsschens „Jones Falls“, welches noch jetzt Baltimore von Nord
nach Süd durchzieht und die Stadt in eine östliche und westliche
Hälfte theilt, entstand im Jahre 1682 das erste Haus; 44 Jahre später
folgte der Bau eines zweiten und im Jahre 1730 begann endlich die
Anlage einer Stadt, die aber erst im Jahre 1745 ihren jetzigen Namen,
zu Ehren des Gründers und einstigen Besitzers von Maryland, Lord
Baltimore, erhielt.
Das Städterecht wurde Baltimore im Jahre 1796 verliehen.
Wie alle Städte der Union, betheiligte sich auch Baltimore am
Unabhängigkeitskampfe, und fochten seine Bewohner rühmlichst unter
Washington. Im Kriege der Vereinigten Staaten gegen Grossbritan-
nien erfolgte 1814 ein Angriff der englischen Flotte auf das Fort
Mc Henry, der erfolgreich abgewehrt wurde.
Das Fort ward seither umgebaut und beherrscht heute noch
Stadt und Hafen.
Obwohl auf hügeligem Terrain und deshalb auch das Rom
Amerikas genannt, ist Baltimore eine sehr regelmässig angelegte Stadt.
Ihre Strassenzüge laufen in der grossen Mehrzahl Ost-West und Nord-
Süd, sich in rechten Winkeln kreuzend.
Nur einige, obzwar für sich wieder regelmässig angelegte Stadt-
theile sind in schräger Stellung zum grossen Häusermeere des Grund-
planes gebracht.
Baltimore-Street, die Hauptader, welche die Stadt von Ost gegen
West in der ganzen Ausdehnung durchzieht und sie in eine nördliche
und südliche Hälfte theilt, ist auch die Basis, von welcher aus die
Numerirung der Gebäude nach diesen beiden Richtungen erfolgt. Das
vielfach überbrückte Flüsschen Jones Falls theilt dagegen die Stadt
in eine Ost- und Westhälfte.
Baltimore-, Lexington-, Howard-, Eutaw- und Charles-Street sind
als Hauptstrassen des geschäftlichen Stadtverkehres die belebtesten
und bevorzugtesten, der nördliche Theil von Charles-Street, Vernon-
und Eutaw-Place auch die fashionabelsten Quartiere.
Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört vor Allem das
kolossale Monument, welches Baltimore dem Helden Washington, dem
Vater des Landes, geweiht hat. Es nimmt die Mitte von Mount
Vernon-Place ein und ist eine prachtvolle, das Standbild Washington’s
tragende dorische Säule aus weissem Marmor, welche mit dem Sockel
55 m über die Basis und 85 m über den Wasserspiegel emporragt.
Von herrlichen Anpflanzungen und architektonisch schönen Ge-
[112]Die atlantische Küste von Amerika.
bäuden umgeben, bietet der Mount Vernon-Place mit seinen vier radial
auslaufenden Strassenzügen und der weit sichtbaren, hoch empor-
ragenden Säule ein Bild, wie es kaum schöner gedacht werden kann
und wie es jeder Grossstadt zum Schmuck gereichen würde.
Von der Galerie des Monumentes, zu welcher im Innern der
Säule eine Wendeltreppe führt, geniesst man einen herrlichen Aus-
blick auf die Stadt, den Hafen und die Umgebung.
Zwei Monumente in Baltimore sind der Erinnerung an die Ver-
theidigung gegen die Engländer geweiht; dann wurden noch der
Gründer des Freimaurer-Ordens der Odd Fellows und der vaterlän-
dische Dichter Poe durch Denkmäler ausgezeichnet.
Unter den hervorragenden Baulichkeiten verdient das Peabody-
Institute als grossmüthige Stiftung zur Verbreitung der Wissenschaften
und Förderung der Kunst zuerst genannt zu werden.
Der prachtvolle Marmorbau schliesst reichhaltige Bibliotheken,
Kunstgalerien und Schulen und ein Conservatorium für Musik in sich
und wurde im Beisein des philanthropischen Stifters im Jahre 1857
eingeweiht.
Die City Hall ist einer der schönsten Municipalpaläste Ame-
rikas, und von besonderer Eleganz sind noch die Börse und das Post-
gebäude.
Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört auch der 65 m in
die Lüfte ragende Schrotthurm, der bei einem Umfange von 55 m an
der Basis und 16 m an seiner Spitze ein Meisterwerk der Ziegelleger
Baltimores darstellt. Der Grundstein zu demselben war im Jahre 1828
und mit ihm zugleich auch jener der Baltimore- und Ohio-Eisenbahn
gelegt worden.
Privatbaulichkeiten von feinem Geschmacke besitzt Baltimore
unzählige, während die Häuser in ihrer grossen Gesammtheit in
schmucker Ziegelausführung bei massvoller Grösse zwar keinen gigan-
tischen, aber dafür einen desto freundlicheren und wohlgefälligeren
Eindruck machen. In Baltimore, wie in ganz Amerika wird ungleich den
modernen Grossstädten Europas noch dem Wunsche „my home is my
castle“ Rechnung getragen und werden solche homes nur von je
einer einzigen Familie bewohnt.
Doch auch der Kirchen dürfen wir nicht vergessen. Die be-
rühmteste, ein minder schöner, doch imposanter, unter dem ersten
Bischofe der Vereinigten Staaten im Jahre 1806 gegründeter Bau,
ist die katholische Kathedrale mit ihrer grossen Orgel und schönen
[[113]]
Baltimore.
Die Seehäfen des Weltverkehrs, II. Band. 15
[114]Die atlantische Küste von Amerika.
Bildern, welche sie den Schenkungen Ludwig XVIII. und Karl X. von
Frankreich verdankt.
Von ungleich schönerem Aeussern sind die Mount-Vernon-
Methodisten- und die Presbyterianerkirche, erstere wegen ihres Reich-
thums an herrlicher Ausstattung von verschiedenfärbigem Marmor,
letztere wegen ihres 81 m hohen Thurmes nennenswerth. Ausser den
erwähnten gibt es noch über 20 als Bauwerke hervorragende und
unzählige andere Kirchen und Gotteshäuser für alle Glaubensbekennt-
nisse und Secten.
An öffentlichen Hochschulen und Bildungsanstalten, an Kunst-
akademien und Instituten der Wohlthätigkeit steht Baltimore keiner
der Städte der Union nach, und viele dieser Anstalten, so auch die
Hopkins University, verdankt die Stadt dem in Amerika so häufig sich
kundgebenden Wohlthätigkeitssinne und dem Grossmuthe der Bürger
der Vereinigten Staaten.
Dem Kunstgenusse sind neben den zwei schönen fast gleich
grossen Theatern Academy of Music und Ford’s Grand Opera House
noch fünf andere gewidmet.
Vorzügliche Hôtels stehen den Besuchern der Stadt in reicher
Auswahl zur Verfügung.
Die Umgebung von Baltimore ist überaus reizend. Die Hügel im
Umkreise schützen die Stadt vor den rauhen Luftströmungen, wozu
noch der Einfluss des warmen Golfstromes hinzutritt, um das Klima
herrlich und gesund zu gestalten.
Fast nach allen Richtungen, besonders aber in die nördliche
Umgebung, erstrecken sich prächtige Fahrstrassen in romantische
Thäler und Schluchten der reich bewaldeten Gegend, welche mit
ihren Flüssen, Wasserfällen und Seen nicht nur die Wanderungen der
Freunde und Bewunderer der Natur, sondern gar reichlich die Sehn-
sucht der Nimrode belohnt.
Für Jene, welche Gaben der Flora müheloser zu geniessen
wünschen, ist durch eine reiche Auswahl an schönen Stadtgärten
Fürsorge getroffen, und die Lage des Patterson-Parks im Osten der
Stadt gewährt sogar eine glänzende Aussicht über Baltimore und
seinen schönen belebten Hafen. Pferde- und Dampfstrassenbahnen
durchkreuzen die Stadt nach allen Richtungen und erleichtern den
Verkehr nach den entlegeneren Landschaften und fashionablen Pro-
menaden, insbesondere nach dem herrlichen Druid-Hill-Park, dessen
urwüchsige Schönheit und herrliche Fernsichten gewährende Partien
zu einem Besuche förmlich herausfordern.
[115]Baltimore.
Allerdings gibt es Vieles, das zum Verbleiben in der Stadt
selbst anzuregen vermag, denn wer vermöchte den Reizen der Gross-
stadt sich zu verschliessen, wenn sie in so reichem Masse wie hier
uns erfreuen. Die Schönheit der Frauen Baltimores ist berühmt, die
Gastfreundschaft seiner Bewohner die herzlichste, und wessen Auge
empfände nicht Wohlgefallen an all dem Luxus und den Freuden des
Lebens, welche Reichthum und Wohlstand zu gewähren im Stande
sind und die im rege pulsirenden Strassenleben zur vollen Geltung
kommen.
Man kann Baltimore, die Stätte grossartiger, ja überwältigender
Culturarbeit, deren geistige und materielle Leistungen nicht nur ihrer
eigenen Wohlfahrt zugute kommen, sondern zu jener ganzer Völker
beitragen, nur mit Bewunderung verlassen, besonders wenn man die
Thatsache festhält, dass die ganze Herrlichkeit ein Gebilde der neuen
Zeit ist, und staunend sagen muss: dort, wo jetzt Baltimore blüht,
stand vor anderthalb Jahrhunderten nur ein winziges Haus!
Von den grossen altlantischen Häfen der Union nimmt Baltimore
in der Ausfuhr den dritten, in der Einfuhr den vierten Rang ein,
denn die letztere ist vollständig abhängig von dem nicht zu weit ent-
fernt gelegenen grossen New-York. Für die Ausfuhr aber hat Balti-
more bei seiner weit nach Westen vorgeschobenen Lage den grossen
Vortheil, dem Ohio und dem Mississippigebiete um wenigstens 500 km
näher zu liegen als einer der bisher behandelten Hafenplätze. Dadurch
wird theilweise der Uebelstand ausgeglichen, dass der bereits 1828
begonnene Chesapeak-Ohiocanal schon auf dem halben Wege nach
Pittsburg sein Ende gefunden hat und nur bis in das Cumberland (Md.)
reicht. Er dient daher ausschliesslich dem Kohlentransporte.
Den Hauptverkehr Baltimores vermitteln die sieben von hier
ausgehenden Eisenbahnlinien. Die Baltimore- und Ohio-Eisenbahn ist
die wichtigste; ihre Endpunkte sind St. Louis per Chicago (über
Washington erreicht), dann New-Jersey (via Piladelphia). Auf ihr ge-
langten 1888 29·5 Millionen q Güter nach Baltimore, davon wurden
4·2 Millionen q verschifft.
Die Northern Central Railroad, ein Theil des Pennsylvania-Systems,
führt von Baltimore in gerader Linie nach Norden bis in die Nähe
des Niagarafalles und führte unserem Hafen 1888 16·1 Millionen q
zu; die Baltimore- und Potomac-Eisenbahn, auch ein Theil des Penn-
sylvania-Systems, deren südlichen Terminus Richmond bildet, brachte
2·8 Millionen q und die Western-Maryland-Eisenbahn fast 1 Mil-
lion q.
15*
[116]Die atlantische Küste von Amerika.
Seine Kaufleute legen auch nicht die Hände in den Schoss und
in Tariffragen hat ihrer Agitation Baltimore manche Vortheile zu ver-
danken. Umsomehr muss man sich wundern, dass das so dankbare
Project, quer durch die Halbinsel Maryland einen Seeschiffahrts-
canal in die Delaware-Bay zu bauen, von der Ausführung noch
weit entfernt zu sein scheint. Und doch handelt es sich bei dem
Durchstiche dieser durchaus ebenen Halbinsel nicht um besondere
technische Schwierigkeiten, wie auch der Voranschlag zeigt, der auf
nicht mehr als 8 Millionen Dollars lautet. Baltimore würde durch
diesen Canal den nördlichen Häfen Europas, wohin sein Handel
hauptsächlich gerichtet ist, um 480 km näher gerückt werden, nicht
zu gedenken der ungeheuren Vorheile, welche der Küstenhandel am
atlantischen Ocean aus ihm schöpfen würde. Dieses Zögern ist umso-
weniger begreiflich, da die entscheidenden Persönlichkeiten Baltimores
täglich sehen, wie sehr der bestehende Chesapeake and Delaware-
Canal sich für die Küstenschiffahrt bewährt hat.
Man hat doch schon bedeutende Summen für die Verbesserung
der Zufahrt des Hafens ausgegeben, namentlich für die Vertiefung des
Canals an der Mündung des Patapsco in die Chesapeak-Bai. Aber in
Baltimore besteht das System, die nothwendigen Arbeiten gewisser-
massen nur tropfenweise auf eine Reihe von Jahren vertheilt vor-
zunehmen.
Baltimore ist in erster Linie Handelsstadt, in zweiter Industrie-
stadt. Wenn wir den einzelnen Stapelartikeln dieses für amerikanische
Begriffe „alten Handelsplatzes“ unsere Aufmerksamkeit zuwenden, be-
greifen wir dessen steigende Blüthe und Entwicklung nach jeder
Richtung.
Die wichtigsten Handelsartikel Baltimores sind Getreide und Mehl. Im
Jahre 1888 betrugen die Empfänge von Getreide 5,929.150 hl, 1887 8,858.140 hl.
Den Höhepunkt des Getreidehandels von Baltimore bildet das Jahr 1879 mit Zu-
fuhren von 21,082.000 hl. Dieses Schicksal des Rückganges des Getreidehandels
theilt Baltimore mit New-York und Philadelphia.
Immerhin ist Baltimore der zweite Exportplatz der Union für Getreide ge-
blieben. Durch fünf feste und vier schwimmende Elevatoren wird dieser Handel
vermittelt. Die festen Elevatoren haben einen Fassungsraum von 1,779.500 hl und
können täglich 1880 Getreidewaggons entladen und Schiffe mit 942.678 hl Ge-
treide beladen.
Der Getreideexport Baltimores betrug 1888 3,074.200 hl, 1887 6,360.100 hl.
Die Getreidecorners hielten 1888 die Preise hoch und arbeiteten dadurch der Ge-
treideausfuhr der Union entgegen. Von dem Exporte des Jahres 1888 waren
1,466.299 hl Weizen, das übrige bestand fast ausschliesslich aus Mais, dem Haupt-
producte des Getreidebaues der Union, dessen Verwendung in Europa zu dem
[[117]]
A Hafen von Baltimore, B Fahrwasser zum Hafen, C Hafen von Annapolis, D Einfahrt aus der
Chesapeake-Bay, E Fort Mc Heury, F Leuchtfeuer, G Patapsco-River.
[118]Die atlantische Küste von Amerika.
zwecke des menschlichen Genusses, wie die Amerikaner mit Recht sagen, noch in
den Kinderschuhen steckt. Denn in der Union entfallen auf den Kopf der Bevöl-
kerung 11·3 hl Mais gegen 1·5 hl Weizen. Grosse Mengen von Weizen werden in
der Form von Mehl ausgeführt. Vor dem Jahre 1884 waren New-York und Bo-
ston die ersten Verschiffungshäfen der Union für Mehl, gegenwärtig hat Baltimore
Boston weit überholt und strebt New-York gewaltig nach. Die Verschiffungen sind
in den letzten drei Jahren so bedeutend geworden, dass sie die Beachtung aller
Getreide- und Mehlmärkte der Union auf sich richten mussten. In und um Balti-
more ist auch der Sitz einer ausgedehnten Mühlenindustrie, deren Leiter sich an
den Trusts weniger betheiligen als die des Nordwestens und in dem Bezuge des
Getreides durch die Zufuhren von der Chesapeak-Bai her von den Eisenbahnen
zum Theile unabhängig sind. Die Stadtmühlen Baltimores liefern ungefähr 450.000 q
Mehl, die in Canton und Locust Point 886.000 q. Diese beiden Quellen einge-
rechnet, empfängt Baltimore jetzt jährlich mehr als 2·7 Millionen q Mehl; der
Export erreichte 1888 2,149.050 q, 1887 2,810.500 q, 1884 betrug er erst 389.146 q.
Als Verschiffungshafen für Baumwolle kommt Baltimore nicht mehr in
Betracht, weil Süd-Carolina jetzt direct über Charleston und Savannah ausführt.
Die 269.612 Ballen, welche 1888 hier ankamen, waren aus Nord-Carolina. Von
diesen wurden 173.067 Ballen exportirt, 35.000 Ballen in den Spinnereien des
Ortes verwendet und der Rest im Küstenhandel verschifft.
Weil Baltimore der Zone des Tabakbaues so nahe liegt, so werden hier die
Tabake von der Bai, die von Maryland, Ohio, Virginia und Kentucky gehandelt.
Der Verkehr in zwei letztgenannten Sorten nimmt zu. Ausgeführt wurden 1887/88
263.817 q (Werth 4·3 Millionen Dollars), 1887/86 277.354 q. Die bedeutende
Tabakindustrie des Platzes befindet sich fast ausschliesslich in den Händen von
Deutschen.
Von den Exportartikeln des Pflanzenreiches sind noch hervorzuheben Bau-
holz und Fassdauben, welche nach Liverpool gehen, ferner Kleesamen. Auch ist
zu bemerken, dass in Maryland und Virginien in ausgedehntem Masse der An-
bau von Futterpflanzen betrieben wird. Und in dem leichten sandigen,
Lehmboden des Theiles von Maryland, welcher im Osten der Chesapeake-Bai liegt
und sich eines wunderbaren Klimas erfreut, baut man mit Vorliebe Gemüse und
zieht Früchte, für die man nicht nur in den nahen grossen Städten Baltimore,
Philadelphia und New-York lohnenden Absatz hat. So ist hier die Pfirsichernte die
Grundlage des Wohlstandes der Farmer, von welchen manche Obstgärten besitzen,
die 40—100 ha bedecken. Die Anfänge dieses Zweiges der Gärtnerei reichen nicht
weiter zurück als 25 Jahre. In dem centralen Theile des Staates pflanzt man
Tomatoes (Liebes- oder Paradeisäpfel) und Mais, süsse und gewöhnliche Kartoffel
und Melonen, in den hügeligen Districten Aepfel und Birnen. Auf diesen Culturen
beruht der wichtigste Erwerbszweig des Staates, das Einlegen der Früchte und
Gemüse in Büchsen, für welche Maryland das Hauptcentrum an den Küsten des
atlantischen Oceans bildet. Mais und Liebesäpfel legt man hauptsächlich in den
ländlichen Districten ein, vor allem in der County Harford, wo 1882, als das Ge-
schäft in der höchsten Blüthe war, 38 Millionen Büchsen gefüllt wurden; für
Früchte und Gemüse ist Baltimore Hauptort. Die Erzeugung von Früchten und
Gemüsen für die Firmen, welche einlegen (Canning-Houses), liefert dem Farmer
das höchste Erträgniss, welches in diesen Staaten zu erreichen ist.
[119]Baltimore.
Die Saison für das Einlegen beginnt im Mai und dauert bis September,
also rund 100 Tage. Nicht weniger als 18 Gattungen von Früchten, welche bis auf
Ananas und Reine-Claudes (Greengages) alle ausschliesslich aus diesem Staate
stammen, werden eingemacht, und ein grosser Theil der Arbeit wird von Einwanderern
aus Böhmen besorgt, die eine zwölfstündige Arbeitszeit haben und nach dem Stück
bezahlt werden. Die Packing-houses der Stadt können täglich 14.000 hl (40.000
Bushels) Erbsen und 35.000 hl (100.000 Bushels) Liebesäpfel einlegen; jedes Bu-
shel gibt 13 Büchsen von Weissblech. Im Jahre 1878 wurden aus Maryland
968.733 Kisten mit präservirten Liebesäpfeln ausgeschickt; jede Kiste enthält
zwei Dutzend Büchsen, das macht zusammen 23,249.592 Büchsen. Bei einem Ver-
kaufspreise von 1 Dollar für ein Dutzend Blechbüchsen gibt dies 1,937.466 Dol-
lars. Fürs Ausland ist auch der Export getrockneter Aepfel sehr wichtig. Doch
ist für Früchte und Austern New-York der Verschiffungshafen. Die Saison für
das Einlegen der Früchte dauert vom Mai bis September, die Austernsaison vom
September bis April. Durchschnittlich kommen in dieser Zeit 9000 Fahrzeuge mit
Austern beladen in Baltimore an; ½ Millionen Bushels (à 300 Stück) versendet
man, 800.000 consumirt die Stadt Baltimore. In neuerer Zeit werden die Schalen
der Austern mit leichtem Draht verschnürt, so dass sie sich nicht öffnen
können. Eine solche „muzzled“-Auster verträgt den weiten Transport bis St. Peters-
burg und Rom. Der Austernfang ist in den Händen grosser Unternehmer, welche
die Fischer, meist in Amerika neu angekommene Einwanderer, in unmenschlicher
Weise ausbeuten.
Baltimore ist gegen Süden hin der letzte Hafen, über den lebendes
Rindvieh nach England ausgeführt wird, und zwar hier durch Vermittlung der
Calverton- und Claremont-Viehhöfe. 1887/88 waren 21.683 Stück Rindvieh im
Werthe von 1·8 Millionen Dollars, welche aus den hügeligen Theilen Marylands
und Virginias stammten, wo man auch die Erzeugung von Butter und Käse in
sogenannten „Creameries“, Centralmolkereianstalten, betreibt.
Dafür hat die Ausfuhr von Provisions stark abgenommen, doch erreichte
sie 1887/88 noch immer den Werth von mehr als 4 Millionen Dollars. Die Haupt-
artikel waren Speck (104.670 q), Talg (76.000 q) und gesalzenes Rindfleisch
(16.600 q).
Die Zufuhren von Petroleum haben durch den grossen Einfluss, welchen
Standard Oil Cy auf diesen Geschäftszweig ausübt, abgenommen. 1886/87 wurden
413.800 hl, 1887/88 322.610 hl Petroleum exportirt.
Dagegen ist 1888 wegen der hohen Preise, welche Kupfer in Europa erlangt
hatte, die Ausfuhr von Kupfererzen aus der Region des oberen Sees über Balti-
more gestiegen.
Von Importartikeln ist in erster Linie Weissblech für die Zwecke der
Conservenindustrie zu nennen. Einfuhr 1887/88 401.500 q im Werthe von
2,624.599 Dollars, für welche mehr als 700.000 Dollars Zoll entrichtet wurden,
das ist der dritte Theil der Zolleinnahme Baltimores. In Baltimore wird der fünfte
Theil aller Blechbüchsen der Union erzeugt, Pläne, den Zoll auf Weissblech zu
verdoppeln, treffen also die Stadt sehr hart.
Nicht unbedeutend ist die Einfuhr von Eisenerz (1887/88 2,315.000 q
im Werthe von 404.094 Dollars). Verwendet wird dasselbe von den Pennsylvania-
Stahlwerken, welche 1887 400 ha Land nahe der Stadt und am Flusse gelegen
erworben haben. Hier mischt man die einheimischen und die fremden Erze und
[120]Die atlantische Küste von Amerika.
erhält so einen billigen und verwendbaren Stahl. Diese Werke sind das grösste
Fabriksunternehmen, das seit den Tagen des Bürgerkrieges in Philadelphia ge-
gründet worden ist. Die Anlage ist auf acht Hohöfen mit einem täglichen Fas-
sungsraume von 2000 T. berechnet; sie umfasst ferner eine Stahlschienenfabrik, die
täglich 1000 T. produciren kann, eine Nägelfabrik und noch andere Etablissements.
Auch der Bau von Stahlschiffen wird ins Auge gefasst. Diese Werke bilden ein
wichtiges Seitenstück zu den industriellen Werken der Baltimore-Ohio-Eisenbahn,
welche bei 4000 Arbeiter beschäftigen.
Der Werth der Einfuhr von Eisen, Stahl und aus diesen gefertigten Waaren
erreicht jährlich ungefähr 4 Millionen Dollars.
Wichtig sind ferner Schwefel, Dungstoffe, Salpeter, Soda, Salz.
Besonders hervorheben muss man Kaffee, für welchen Baltimore der
zweitwichtigste Platz der Union ist. Die Zufuhren sind in den letzten Jahren
sehr gesunken, sie betrugen 1887/88 81.500 q (Werth 2·5 Millionen Dollars),
1886/87 151.000 q, 1884/85 327.650 q.
Für Zucker und Melasse hat Baltimore gegenwärtig nur geringe Bedeutung,
grössere für Bananen und andere Früchte. Ausländische Erzeugnisse der Textil-
industrie kommen über New-York; Werth aller Zweige derselben 1887/88
685.512 Dollars.
Aus diesen Details ergibt sich, dass der Import gegen den Export gewaltig
zurücksteht und daher auch die Zolleinnahmen klein sein müssen.
Zwei Drittel der Ausfuhr gehen nach Grossbritannien, ein Sechstel nach
Deutschland; es folgen Frankreich, Brasilien, Belgien und Holland. Zu der Ein-
fuhr liefert England zwei Drittel der Gesammtsumme, kaum ein Fünftel Brasilien.
Die Bürger von Baltimore sind mit dem Gange des Handels und der
Schiffahrt ihres Hafens zufrieden. Letztere umfasste im auswärtigen Verkehre:
Den grössten Antheil haben fremde Schiffe, insbesondere englische Dampfer,
die meist aus Liverpool kommen, dann deutsche und französische. Auf die ein-
heimische Schiffahrt entfällt nur ein Vierzehntel des auswärtigen Verkehres, an
welchem amerikanische Dampfer gar nicht betheiligt sind. Von der Tonnenzahl
kommt etwa ein Achtel auf Segelschiffe.
Von Europa bestehen regelmässige Verbindungen mit Baltimore
- 1. durch den Norddeutschen Lloyd jeden Mittwoch ab Bremerhaven 3880
Seemeilen in 14 Tagen, und - 2. durch die Hamburg-Amerikanische Paketfahrt-Actiengesellschaft ab
Hamburg.
Ausser dem Handel mit dem Auslande besteht noch ein Fluss- und Bai-
handel von grosser Bedeutung. Der Küstenhandel berührt alle Punkte an der
atlantischen Küste und erstreckt sich bis San Francisco. Ansehnliche Mengen von
Kohlen, für die Baltimore ein wichtiger Platz ist, werden dahin gesendet. In
A Einfahrt zum inneren Hafen, B Patapsco-Flussmündung, C Kohlenplätze, D Anlegeplätze der euro-
päischen Dampfer, E City-Warves, F Leuchtfeuer, G City-Docks und Mündung der Jones Falls,
H Atlantic-Warves, J Mündung des Gwinns Falls, K Long Bridge, L Winans Warf, M Fort Covington,
O Eisenbahn-Ferry, P Docks, Q Battery-Square, R Gaswerke, S Mount-Clare-Bahnhof, T Camden-
Bahnhof, U Union-Station, V Maryland-Central-St., W North-Cent. und Baltimor-Potomac-St., X Phil.-
Wilmington und Baltimor-St., Y Patterson-Park, Z Public Square. — 1 Mount-Vernon-Piatz mit Monu-
ment, 2 Peabody-Institut, 3 Erste Presbyt. Kirche, 4 Hopkins-Universität, 5 Kathedrale, 6 Academy
of Music, 7 Grand opera, 8 City Hall, 9 Old Fellow Hall, 10 Battle-Monument, 11 Börse, 12 Schrott-
thurm, 13 Wildey-Monument, 14 Jackson-Square, 15 Hopkins-Spital, 16 Strafhaus, 17 St. Mary-Seminar,
18 Lafayette-Square, 19 Harlem-Square, 20 St. Peters-Friedhof, 21 Greeamount-Friedhof, 22 Baltimore-
Friedhof, 23 St Charles-Str, 24 Howard-Str., 25 St. Eutaw-Str., 26 Fremont Avenue, 27 Pennsil-
vania Av., 28 Madison Av., 29 Harford Av., 30 Belleair Av., 31 Franklin-Str., 32 Lexington-Str., 33 Bal-
timore-Str., 34 Monument-Str., 35 Central Av. 36 Broadway, 37 City East Av.
diesem Küstenhandel, welcher den grösseren Theil des Hafenverkehres bildet,
liefen 1886/87 3281 Fahrzeuge mit 2,315.508 Registertonnen ein.
Die Rhederei Baltimores umfasste 30. Juni 1888 1172 Schiffe mit 120.100 T.,
von diesen waren 158 Dampfer mit 55.513 T.
Für die Einwanderung ist Baltimore der vierte Platz der
Union; 1887/88 brachten 80 Dampfer 33.297 Emigranten und 1228
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 16
[122]Die atlantische Küste von Amerika.
Reisende hieher. Von den Einwanderern stammten zwei Drittel aus
Deutschland, der Rest aus Oesterreich-Ungarn, aus Russland und Polen.
Die Eiwanderung aus England beträgt selten mehr als 1400 Menschen.
Diese Einwanderung wendet sich, wie in der ganzen Union zu-
meist, der Agricultur zu, ein guter Theil aber besteht aus energischen,
weil wohl gebildeten Handwerkern, auf deren Schultern sich die
amerikanische Industrie zu ihrer Europa drohenden Macht emporge-
arbeitet hat. Viele solche Arbeiter, welche in Baltimore den Boden
des Freistaates betreten, finden sofort in den Fabriken dieser Stadt
lohnende Arbeit. In der Industrie von Baltimore, welcher 1886
630 Fabriken, jede mit mehr als 25 Arbeitern, dienten, spielen daher die
Deutschen, von denen wenige im Lande geboren sind, eine grosse Rolle.
Die Tabakindustrie, die Piano- und Möbelindustrie, die Schuh- und Be-
kleidungsindustrie sind fast ausschliesslich in ihren Händen; auch die
Conservengeschäfte sind zu einem bedeutenden Grade deutsch. In den
kleineren Fabriken und im Kleingewerbe bilden die Deutschen ge-
radezu die Mehrheit. Und dazu muss man bedenken, dass hier Industrie
und Gewerbe viel mehr Gelegenheit zum Erwerbe geben, als in anderen
Städten.
Als Ausdruck des Wohlstandes erscheinen die Bankumsätze, die
1887 659,496.899 Dollars betrugen, der Verkehr, welcher durch die
Baltimore Corn and Flour Exchange vermittelt wird, und vor allem
der Umstand, dass in Baltimore die Bevölkerung bequemer wohnt als
in irgend einer der grossen Städte des Ostens. Hier kommen auf ein
Haus 6·54 Bewohner, in New-York 16.37, in Brooklyn 9·11.
Consulate: Argentinien, Belgien, Brasilien (G. C), Chile, Columbia,
Deutsches Reich, Griechenland, Grossbritannien, Niederlande, Nicaragua, Oester-
reich-Ungarn, Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela.
Eine Zahl aufstrebender Hafenplätze der atlantischen Küsten-
strecke zwischen Baltimore und der Floridastrasse mögen im Nach-
folgenden hier Erwähnung finden. Ihr Ausfuhrhandel hat sich auf
Kosten der Golfhäfen der Union entwickelt, ihr Einfuhrhandel ist von
New-York fast vollständig unterdrückt.
An der Mündung des Jamesflusses in der Chesapeak-Bai liegt an
einer tiefeingeschnittenen Bucht, in welcher der kleine Elizabethfluss
sich ergiesst, die aufstrebende Stadt Norfolk mit 26.000 Einwohnern.
Der geräumige, jedoch seichte Hafen empfängt die Abflüsse des
etwa 18 geographische Quadratmeilen umfassenden Küstensumpfes Dis-
mal Swamp, dessen mittlere Niederung der Drummond-See einnimmt.
[123]Baltimore.
Norfolk wurde 1682 gegründet, gelangte aber erst im Bürger-
kriege zu einiger Bedeutung, indem es von den Conföderirten genom-
men, zu deren Hauptflottenstation bestimmt wurde. In der Nähe bei
Hampton Road ward am 9. März 1862 der denkwürdige Zweikampf
zwischen den ersten Panzerschiffen der streitenden Parteien (das Schiff
Merimac der Conföderirten gegen das Thurmschiff Monitor der Nord-
staaten, welch letzteres Sieger blieb) ausgefochten, welcher eine völlige
Umwälzung in den Seekriegsmitteln zur Folge hatte.
Norfolk mit dem auf der andern Seite des Elizabethflusses liegenden Ports-
mouth ist ein ziemlich wichtiger Verschiffungsplatz für rohe Baumwolle (1887/88
501.440 q im Werthe von 10,674.430 Dollars) und Blättertabak (46.280 q im
Werthe von 799.867 Dollars), bituminöse Kohle und Hölzer. Der Export ein-
heimischer Artikel erreichte in dem genannten Jahre 12,289.110 Dollars, der Im-
port aus dem Auslande nur 95.036 Dollars. Der Küstenhandel mit Bauholz
(Gelbfichte) steigt unausgesetzt, und die Schneidemühlen des Hafengebietes sind sehr
stark beschäftigt. In das Innere werden Austern und Erstlingsfrüchte versendet.
Der Schiffsverkehr mit dem Auslande umfasste 1888 523 Schiffe mit 586.988 Tons,
davon 399 Dampfer mit 519.154 Tons, meist der englischen Flagge angehörig.
Von Norfolk gehen regelmässig Dampfschiffe nach Boston und Providence, nach
New-York, Baltimore, Washington und Richmond.
Aufwärts von Norfolk liegt am James-River Richmond, im
Sclavenkriege die Hauptstadt der Südstaaten und Rivalin Washing-
ton. Zu seinem Hafen- und Zollbezirke gehört West Point am
Flusse York, 80 Kilometer oberhalb dessen Mündung in die Chesapeak-
Bai, ein wichtiger Verschiffungsplatz für Baumwolle, der aber wegen
nicht genügenden Fahrwassers ziemlich schwierig zu erreichen ist.
Aus dem Hafenbezirke von Richmond wurden 1887/88 144.122 Ballen oder
307.180 q Baumwolle im Werthe von 6,851.054 Dollars ins Ausland geschickt.
Richmond verfügt über bedeutende Wasserkräfte, welche in der dortigen
Mühlen- und Eisenindustrie Verwendung finden. Der Mehlexport geht zurück und
betrug 1887/88 59.820 q, welche für die Märkte Südamerikas bestimmt waren.
Die Stadt, in welcher 1888 und 1887 je 559 neue Häuser gebaut wurden,
zählt heute 100.000 Einwohner.
Auswärtiger Handel 1887/88 Ausfuhr 7,206.942 Dollars, nach England,
Brasilien und Spanien bestimmt.
Consulate: Belgien, Deutsches Reich, Grossbritannien, Oesterreich-Ungarn.
Seiner Eisenbahn- und Dampfschiffahrtsverbindungen wegen ist
Wilmington, die grösste Stadt von Nord-Carolina, erwähnenswerth.
Sie zählt 18.000 Einwohner und liegt am Cape Fear-River, 30 km
von dessen Mündung entfernt.
Baumwolle, Tabak und Nadelhölzer sind die Hauptproducte von Nord-
Carolina. Hier und im ganzen Südosten der Union blüht die Terpentinindustrie.
Terpentinspiritus findet in der Verarbeitung des Kautschuks seine Hauptver-
vendung.
16*
[124]Die atlantische Küste von Amerika.
Exportirt wurden 1887/88 261.540 q Baumwolle im Werthe von 5,529.273
Dollars, 79.315 hl Terpentinspiritus im Werthe von 695.476 Dollars und Hölzer
im Werthe von 240.000 Dollars. Summa des Werthes aller Ausfuhrartikel
6,814.363 Dollars, die fast alle auf fremden, zum grössten Theile englischen
Schiffen verfrachtet wurden.
Schiffsverkehr 1887/88 360 Schiffe mit 150.994 Tons. Mehr als ein Drittel
des Werthes des Exportes wurde durch Segler vermittelt.
In Süd-Carolina ist das an commercieller Bedeutung rasch zu-
nehmende Charleston der einzige bedeutende Exportplatz und zu-
gleich die grösste und wichtigste Stadt des Staates.
Sie breitet sich malerisch auf einer Halbinsel aus, die durch
den Zusammenfluss des Cooper- mit dem Ashleyflusse in der stark
befestigten Charleston-Bai gebildet ist.
Nach dem Census von 1880 zählte die Stadt 49.999 Einwohner,
dürfte aber gegenwärtig mit 55.000 Einwohner nicht zu hoch ge-
schätzt werden.
Charleston ist zumeist regelmässig angelegt und weist eine Zahl
prächtiger Gebäude auf. Das erst kürzlich vollendete Zollgebäude
ist unstreitig das schönste Bauwerk der Stadt.
Der kostspielige, in romanisch-korinthischem Style aufgeführte
Marmorbau wendet die imposante, säulengeschmückte Front dem
Cooperflusse zu.
Ebenso bildet die Citty-Hall mit ihrer doppelten Flucht von
Marmortreppen eine hervorragende Zierde der Stadt. Unter den zahl-
reichen kirchlichen Bauten ist die aus dem Jahre 1752 stammende
St. Michaelskirche (Episcopal) ihres schönen Thurmes wegen, der
aus grosser Entfernung von der See aus sichtbar ist, beachtenswerth.
Leider ist wenig Aussicht vorhanden, dass die seit dem grossen
Brande im Jahre 1861 zerstörte römisch-katholische Cathedrale wieder
aufgebaut werde; ihre Ruinen geben aber noch immer Zeugniss von
der einstigen Herrlichkeit des Werkes.
King- und Meeting-Street sind die beiden in Nord-Südrichtung
laufenden Hauptstrassen. Die erstgenannte enthält die hervorragendsten
Geschäfte und ist gleichzeitig die fashionable Promenade der schönen
Stadt. Von der Battery-Spitze am äussersten Ende der Stadt geniesst
man eine lohnende Aussicht auf die Bai und den Hafen.
Die Bai erstreckt sich bei einer Breite von fast zwei Seemeilen
gegen sechs Meilen tief ins Land. Die nahezu eine Seemeile breite
Einfahrt wird durch starke Forts vertheidigt, worunter Fort Sumter
im Bürgerkriege eine wichtige Rolle spielte.
Die Quais von Charleston sind mit Bassins und weitläufigen
[125]Baltimore.
Anlageplätzen wohl ausgestattet und bieten hunderten von Schiffen
für Lade- und Löschoperationen hinlänglichen Raum. Charleston
wurde 1679 als englische Niederlassung gegründet. Am Unab-
hängigkeitskriege sowie am Bürgerkriege nahm der auch militärisch
wichtige Platz hervorragenden Antheil.
Zu wiederholtenmalen das Ziel erbitterter Angriffe, erlitt die
Stadt grossen Schaden am Handel, und viele Gebäude wurden durch
die Bombardements der Nordstaatenflotte zerstört.
Am 31. August 1886 wurde die Stadt durch ein so starkes
Erdbeben heimgesucht, dass viele der älteren Häuser einstürzten oder
arge Beschädigungen erlitten, infolge dessen gegenwärtig eine lebhafte
Bauthätigkeit zu Gunsten der Stadtverschönerung herrscht.
Im Staate Süd-Carolina waren 1888 638.596 ha Land mit Baumwolle be-
baut und 612.000 Ballen geerntet, jeder in diesem Jahre zu 488·05 Pfund englisch
(= 221·4 kg) gerechnet. Infolge dessen ist Carolina für den Export der Baum-
wolle der fünfte Hafen der Union.
Die Zufuhr erreichte 1888/89 416.490 Ballen, 1887/88 450.068 Ballen. Ins
Ausland gingen 1888/89 259.126 Ballen, im Küstenverkehre wurden versendet
148.310 Ballen.
Die Ausfuhr ins Ausland ist zumeist nach Spanien, Russland, Italien ge-
richtet, in zweiter Linie nach Liverpool und Frankreich, der Küstenhandel nach
New-York gerichtet. Der Rest der empfangenen Baumwolle wird in Charleston
verarbeitet, denn seit einigen Jahren sind in allen Südstaaten und so auch in
Charleston Baumwollfabriken entstanden. Baumwolle ist der erste Ausfuhrartikel
des Hafens. Ins Ausland gingen 1887/88 617.168 q im Werthe von 14,449.446
Dollars, 1886/87 592.720 q im Werthe von 13,491.983 Dollars.
Reis ist der zweite Stapelartikel von Süd-Carolina, der aus dem Staate,
aus Georgia und dem Auslande hieher gelangt. Die Ausfuhren von einheimischem
und fremdem Reis betrugen 1888 119.900 q, 1887 142.000 q. Aus Charleston geht
Reis nicht ins Ausland, er wird nur im Küstenhandel verführt; die Einfuhr des-
selben ist gering.
In Charleston sind immer grosse Holzvorräthe zu finden, welche in den
einheimischen Anstalten verarbeitet werden. Von den verschiedenen Gattungen von
Holz und Bauholz wurden zusammen 1888 45,269.411 Fuss, 1887 32,672.735 Fuss
verschifft, aber nur ein Zwölftel davon ins Ausland, und zwar nach Westindien
und Südamerika. Aus dem grossen Waldgebiete, welches den Südosten der Union
erfüllt, kamen 1888 nach Charleston 806 533 hl Terpentin und 314.470 q Harz.
Eine Specialität des Hafens von Charleston ist die Ausfuhr von Phosphaten.
Der Aufbruch der in der Nähe der Stadt Charleston befindlichen Phosphatlager
fällt in das Jahr 1867 mit einer Production von 61 q. 1888/89 wurden 3,252.000 q
gewonnen, die jetzt bis auf ganz kleine Mengen im Inlande verarbeitet und zum
grössten Theile mit Segelschiffen verfrachtet werden. Der Verkehr dieses Hafens
hängt heutzutage zum grossen Theile von der Phosphatindustrie ab; ansehnliche
Werke wurden an den Ufern der Flüsse Ashley und Cooper gewonnen, Bahnen
führen zu den Gruben, von denen sowohl die an den Flüssen als die im Binnen-
[126]Die atlantische Küste von Amerika.
lande gelegenen gute Erträgnisse liefern und die Basis einer bedeutenden localen
Industrie für Düngmittel bilden. Bis vor kurzem wurden sie nach England aus-
geführt, dort zersetzt und präparirt und kamen dann ins Land zurück. Dieser
neuen Industrie dient auch die Einfuhr von Kainit, Schwefel und Sodanitrat.
Künstliche Düngmittel, in Amerika „Fertilizers“, die „fruchtbarmachenden“ ge-
nannt, sind der zweitwichtigste Exportartikel des Hafens, natürlich nur im Inland-
verkehr. Ein wichtiger Artikel ist Bandeisen, welches zu Reifen für Baumwoll-
ballen verarbeit wird.
Auswärtiger Handel von Charleston in Dollars:
Mit Einrechnung des einheimischen Handels erhöhte sich im Kalender-
jahre 1888 die Ausfuhr Charlestons auf 33·6 Mill. Dollars. Ausser den schon oben
genannten Artikeln sind noch wichtig in Charsleton verfertigte Baumwollwaaren,
ferner Früchte und Vegetabilien (2 Mill. Dollars).
Der Schiffsverkehr mit dem Auslande ist klein, 1887/88 188.573 t, 1886/87
224.553 t umfassend, zu denen die Engländer den grössten Theil stellen. Die
amerikanischen Schiffe haben nur den ganzen Küstenverkehr. Diesen eingerechnet,
betrug die Frequenz des Hafens von Charleston 1888 1480 Schiffe mit 881.087 t,
1887 1719 Schiffe mit 1,379.438 t, der Ausfall von 1888 gegen 1887 traf nur
die Dampfschiffe.
Consulate: Argentina, Belgien, Columbia, Costarica, Deutsches Reich,
Frankreich, Grossbritannien, Niederlande, Schweiz, Spanien.
Unter den Baumwollhäfen der Union behauptet Savannah
den dritten Rang. Die regelmässig nahe der Mündung des gleich-
namigen Flusses an dessen rechten Ufer erbaute Stadt zählt zu den
reizendsten der Union. An den Kreuzungen der breitesten Strassen
sind anmuthige Gärten eingeschaltet, die einen prächtigen Schmuck
der Strassen bilden. Die Stadt zählt bereits 24 solcher origineller
Parkanlagen. Unter den öffentlichen Gebäuden verdienen das Zollamt,
das Postgebäude, die Börse mit hohem Thurm, das Gerichtsgebäude
u. a. Beachtung.
Savannah schreitet auch auf geistigem Gebiete rüstig vorwärts,
und haben die Georgia historical Society und jüngst auch die Telfair
Academy of Arts schöne Halls sich erbaut. Das Schulwesen ist vor-
züglich ausgebildet und die Chatam-Academy ist der Centralpunkt
des Systems.
Die Stadt zählte beim Census vom Jahre 1880 30.681 Einwohner,
gegenwärtig aber wird die Zahl auf ungefähr 40.000 geschätzt.
Savannah ist die Hauptstadt und zugleich der wichtigste Handels-
platz von Georgia.
Die grossen Waarenhäuser befinden sich in der dem Flussufer
[127]Baltimore.
zunächst liegenden Bai-Strasse, kurzweg the Bai genannt, welche
der grosse Handelsmarkt von Savannah ist.
Savannahs Exporthandel hat sich in den letzten Jahren sehr gehoben, sein
Hauptartikel ist Baumwolle.
Viel geht davon mit Küstendampfern nach nördlichen Häfen und wird durch
die regelmässigen Linien derselben nach Europa versendet.
Im Jahre 1887/88 wurden in Savannah 892.388 Ballen, 1886/87 804.412 Ballen
Baumwolle empfangen. Die directe Ausfuhr ins Ausland erreichte 1887/88
395.826 Ballen oder 862.360 Quintals im Werthe von 18,018.774 Dollars.
Georgia ist gegenwärtig auch noch eine Hauptbezugsquelle für verschiedene
Hölzer, zumal für Fichtenholz. Die Benützung der Fichtenwälder zum Zwecke der
Erzeugung von Harz und Terpentinspiritus schränkt das Waldgebiet, welches wohl
heute noch sehr umfangreich ist, von Jahr zu Jahr mehr ein. Hölzer gehen ins
Ausland höchstens für den Werth von einer Viertel Million Dollars; für Terpentin-
spiritus aber ist Savannah der erste Hafen der Ausfuhr ins Ausland, das südlicher
gelegene Brunswick der vierte. Ausfuhr von Terpentinspiritus 1887/88: aus
Savannah 155.900 hl im Werthe von 1,349.846 Dollars, aus Brunswick 42.275 hl
im Werthe von 455.454 Dollars.
Auswärtiger Handel Savannahs:
Ein Drittel der Ausfuhr geht nach England, ein Sechstel nach Deutschland;
es folgen Spanien, Russland, die Niederlande und Belgien.
Der auswärtige Schiffsverkehr umfasste 1887/88 497 Schiffe mit 235.990 t,
welche der britischen und auch der norwegischen Flagge angehörten.
Der Gesammtverkehr 1888 833 Dampfer mit 1,139.436 t und 475 Segel-
schiffe mit 259.634 t, zusammen 1308 Schiffe mit 1,398.070 t. Savannah steht in
Dampfschiffsverbindung mit Baltimore, Philadelphia, New-York, Boston und mit
Florida.
Consulate: Argentina, Chile, Columbia, Deutsches Reich, Grossbritannien,
Niederlande, Spanien, Venezuela.
Wir nähern uns den flachen Gestaden Floridas, dieser merk-
würdigen Halbinsel, welche in ihrem südlichen Theile als ein Mittel-
ding von Sumpf und See, die sogenannten Everglades, als eine gross-
artige Korallenbank erscheint. Nur hie und da erheben sich aus dem
grünen Sumpfe gleich Inseln höhere, trockene Riffe, die sogenannten
Hammocks. Solche Korallenriffs sind auch die Keys, welche im Osten
und Süden vorgelagert sind.
Die Halbinsel wächst noch immer an. An der Südküste bauen
die Korallen weiter in dem warmen, bewegten Wasser des Golfstromes,
der aus dem Meerbusen von Mexico herausbricht in den atlantischen
Ocean; an der Ostküste zeigt sich die Kraft des anschwemmenden
Wassers.
[128]Die atlantische Küste von Amerika.
Einen grossen Theil Floridas bedecken Kiefernwaldungen, deren
werthvollstes Holz die Yellow Pine liefert. Der Moorboden ist mit
Cypressen bewachsen. Unzweifelhaft wird Florida einst eine Haupt-
stütze des Holzhandels der Union werden. Vorderhand ist die Orange
der wichtigste Ausfuhrartikel Floridas nach dem Norden und Westen
der Union, dessen Concurrenz schwer auf den Bauern Siciliens und
Südspaniens lastet.
Hunderttausende von Orangebäumen, meist von wilden Stöcklingen
gezogen, liefern Früchte, jeder von 100 bis zu 10.000 Stück, die auf
den Bäumen schon mit 15—20 Dollars für 1000 Stück bezahlt werden.
Wichtige Orte sind zunächst das am linken Ufer des St. John-
flusses, 40 km von dessen Mündung gelegen, das ganz moderne Jack-
sonville mit 25.000 Einwohnern, die volksreichste Stadt von Florida,
Centrum der dortigen Eisenbahnen und Ausgang vieler Küsten- und
Flussdampfer.
Seine Einwohner zeigen eine rastlose Energie, die einzig dasteht
in den Südstaaten der Union, und halten Alligatoren, ein niedliches
Raubzeug, als Hausthiere.
Die Stadt wird ihres gleichmässigen und gesunden Klimas wegen
von vielen Fremden und Leidenden aufgesucht.
Südlich von Jacksonville liegt St. Augustine, eine Gründung
der Spanier, die älteste Stadt des Landes, wo die Cultur der Orange
schon von 1835 einen wichtigen Artikel des Verkehres lieferte.
Auf dem Keys des mexicanischen Meerbusens finden wir Key-
West, einen befestigten Hafenplatz, wo Arbeiter aus Cuba Havana-
cigarren verfertigen. Von hier wird ein starker Schmuggel nach West-
indien betrieben, wie von allen Orten an der Westseite Floridas.
Dieser illegitime Handel bringt als unerwünschte Gegenleistung
häufig das gelbe Fieber nach Florida, welches dort furchtbare Ver-
wüstungen anrichtet. Ueber Key-West gehen die beiden Kabel von
Florida nach Havana. Die Stadt steht wegen ihrer Lage an der
Floridastrasse in regelmässiger Dampferverbindung mit New-York,
Havana, Punta Garda, Tampa, New-Orleans und Galveston.
An der Westküste der Halbinsel Florida liegt in der vormals
Espirita Santo, jetzt Tampa genannten, eingeschnittenen Bai die Stadt
Tampa, welche von herrlicher tropischer Vegetation umgeben ist. Ueber
Tampa führt die kürzeste Verbindung zwischen Chicago und Havana.
Im äussersten Westen Floridas, nicht weit von Mobile, nimmt
Pensacola einen gewissen Aufschwung als Ausfuhrhafen für Holz
das vornehmlich nach England geht.
[129]Baltimore.
Das östliche Gebiet des Mississippi-Sundes enthält die gegen
50 km in nördlicher Richtung eingeschnittene Mobile-Bai, deren Ein-
fahrt die auf beiden Seiten derselben erbauten Forts Gaines und
Morgan beherrschen. Am nördlichsten Ende dieser Bai liegt unter
30° 42′ nördl. Br. und 88° westl. L. von Greenwich am rechten Ufer
des gleichnamigen Flusses die zum Staate Alabama gehörende Stadt
Mobile. Dieselbe ist auf einer Niederung erbaut, längs welcher auf
einige Kilometer von der Stadt entfernt ein hoher malerischer Hügel-
zug streicht.
Bei Mobile war der eigentliche Sitz der französischen Colonisation,
und die 1702 von Canadiern gegründete Niederlassung verblieb für
einige Zeit die Hauptstadt von Louisiana. 1763 ging Mobile und
dessen Landgebiet in englischen Besitz über, 1780 erhielt es Spanien
und 1813 übernahmen es die Vereinigten Staaten. Mobile ward 1819
mit 800 Einwohnern zur Stadt erhoben und hat seither eine über-
raschende Entwicklung genommen. Gegenwärtig zählt Mobile nahezu
40.000 Bewohner. Die Fortificationen waren während des Bürger-
krieges nahezu bis zur Beendigung desselben die hervorragendsten
Bollwerke der Conföderirten und erst am 5. August 1864 forcirte
Admiral Farragut mit seiner Flotte die Einfahrt.
Wenn man von Osten kommt, ist Mobile der erste wichtigere
Hafen der Union am mexicanischen Meerbusen, der Verschiffungsplatz
des Staates Alabama und von den interessirten Eisenbahngesellschaften
zum Hauptkohlendepôt an der Golfküste bestimmt. Denn drei grosse
Kohlenfelder und ausgedehnte Eisenlager mit einem jungen, gewaltig
aufblühenden Birmingham finden sich im Norden des Staates. Südlich
vom Lande des Bergbaues liegt der „schwarze Gürtel“, der Sitz der
Baumwollcultur des Staates, den auch schwarze Menschen bewohnen,
und an der Küste eine breite, herrliche Waldzone, wichtig für die Ver-
sorgung der östlichen Küstenplätze bis New-York hinauf mit Holz,
Harz und Terpentinsprit.
Der wichtigste Stapelartikel wird immer Baumwolle bleiben. Von dieser
wurden 1888/89 229.003 Ballen im Werthe von 10,321.164 Dollars, 1887/88
207.377 Ballen ausgeführt, und zwar etwa drei Viertel davon nach Häfen und
Spinnereien der Vereinigten Staaten, der Rest nach England.
Werth der Ausfuhr ins Ausland 1888/89 3,066.648 Dollars.
Mit dem Innern ist Mobile durch eine Küstenbahn und vier nach Norden
führende Linien verbunden.
Consulate haben hier: Belgien, Deutsches Reich, Mexico, Niederlande.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 17
[[130]]
New-Orleans.
Im Angesichte der schlammigen Niederungen des Mississippi-
Deltas, das mit seinen wie eine Adlerklaue ausgespreizten Armen weit
in den mexikanischen Golf hinausgreift, stehen wir vor einem Gebiete
der Zukunft, vor einem Lande, das mit gigantischen Schritten einer
hervorragenden Bedeutung im grossen Weltverkehr entgegeneilt. Ge-
waltig, wie seine Zukunft, sind auch die Mittel, welche die Natur in
überschwänglichem Masse hier angehäuft hat.
Ungeheure Territorien, deren Fruchtbarkeit mit dem ergiebigen
Boden des Nillandes oder den gesegnetsten Fluren Italiens wetteifert,
aber diese an Ausdehnung hundertfach überragt, durchströmt der
mächtige Mississippi, der Vater der Ströme, und seine braunen Fluten
und die gewaltigen Nebenflüsse desselben tragen den Segen reicher Ernten
südwärts zum Ocean. Vergegenwärtigen wir uns das 3·2 Millionen
Quadratkilometer umfassende Stromgebiet des Mississippi, welches der
majestätische Fluss in einer Längserstreckung von 4200 km, davon
3780 km als schiffbarer Wasserweg durchströmt und berücksichtigen
wir die Tragkraft der grossen schiffbaren Nebenflüsse: Missouri,
Illinois, Kansas, Ohio, Red-River und anderer, so kommen wir zur
Ueberzeugung, dass der Mississippi als Wasserstrasse betrachtet eine
der allerersten Stellen unter den Strömen der Erde einnimmt.
Die Schiffahrt hat an der Mündung des Mississippi mit einigen
Schwierigkeiten zu kämpfen, welche durch die sumpfigen Niederungen
des ganzen Küstengebietes, hauptsächlich aber durch das schutzlose
weit in See hinausreichende Delta mit seinen Bänken und Sandbarren
hervorgerufen sind. Die Union und der Staat Louisiana haben indes
zur Erhaltung einer navigablen Einfahrtstrasse ausserordentlich kost-
spielige hydraulische Bauten aufführen lassen, durch welche bisher
eine Wassertiefe von 7·3 m im South-Pass, dem gegenwärtigen Wasser-
wege nach New-Orleans, erlangt worden ist.
[131]New-Orleans.
Das Mississippi-Delta ist eine höchst interessante Naturerscheinung. Schon
vor der Mündung des Red-River, 220 km landeinwärts des Deltas, entsendet der
Vater der Flüsse zahlreiche Seitenarme (Bayou), welche das weite mit undurch-
dringlichem Wald und Schilf bedeckte Küstengebiet durchziehen und dort mit-
unter Seen und Sümpfe bilden. Das eigentliche Delta, d. i. die Spaltung des
Stromes, beginnt jedoch, wie unser Plan zeigt, erst am äusseren Anschwemmungs-
terrain, das am Südende einer 30 km langen schmalen Landzunge (Hals), sich ge-
bildet hat.
Dort scheidet sich der Strom in drei Hauptarme (Passes), und zwar in den
Ost-, in den Südwest- und den zwischen beiden liegenden Süd-Pass. Der Ostpass
gabelt sich gleichfalls wieder in drei grosse Arme, und zwar in den Pass à l’Outre,
Nordost- und Südost-Pass; er entsendet aber gleichwie die anderen Hauptarme
noch einzelne Bayous zur See.
Früherer Zeit diente der Südwestpass für die grosse Schiffahrt, allein seit-
dem die Wasserbauten im Südpass vollendet waren, ist der letztere zur aus-
schliesslichen Benützung gelangt.
Durch Aufbau von Dämmen und Buhnen an der Deltagabelung (Head of
Passes) zwang man den Strom, die grösste Wassermasse gegen den Südpass zu
ergiessen; am Ende des letzteren aber wurden mit grossen Kosten zwei mächtige
Dämme (Jetties) bis zur Barre hinaus in See geführt. Die gesteigerte Strömung
spülte dann, wie es beabsichtigt war, in kurzer Zeit die 2 m seichte Barre hinweg
und grub sich ein Bett von 7·3 m Tiefe, durch welches nun die Fahrstrasse nach
New-Orleans führt.
Die genialen Pläne zu den vorerwähnten Bauten, welch letztere seither den
stärksten Orkanen widerstanden, hatte Capitän James B. Eads, der Erbauer der
Mississippi-Brücke bei St. Louis, entworfen.
Noch einer Eigenthümlichkeit des Stromes und dessen untersten Laufes sei
hier gedacht. Durch die enormen Ablagerungen des Mississippi erhöhte sich mit
der Zeit der Boden seines Bettes derartig über das flache Mündungsgebiet, dass
der Strom heute zwischen allmälig ansteigenden Uferdämmen dahinfliesst, ein Um-
stand, der jedes Austreten desselben zu einer das Land weit und breit verheeren-
den Ueberschwemmung steigert.
Die Schiffahrt flussaufwärts nach New-Orleans bietet für Dampfer
keine besondere Schwierigkeit, nur für Segelschiffe ist die Fahrt na-
mentlich bei einzelnen scharfen Krümmungen mit eminenten Gefahren
verbunden. Das Fahrwasser ist breit und gestattet gegenwärtig allen
Handelsschiffen von 7 m Tauchung die Zufahrt. Es steht aber zu er-
warten, dass die reissende Strömung im Südpasse eine selbst für die
grössten Schiffe genügende Vertiefung der Mündung hervorbringen
werde, und zwar hofft man eine Tiefe von mindestens 9 m zu er-
langen.
Innerhalb des Deltas ist der Strom sehr wassermächtig und
längs der Quaifront von New-Orleans erreicht er eine grösste Tiefe
von 63 m.
Der ganze südliche Theil des Deltalandes bis zur militärischen
17*
[132]Die atlantische Küste von Amerika.
Stromsperre zwischen den Forts Jackson und St. Philipp, welche Ad-
miral Farragut während des Bürgerkrieges im April 1862 forcirte,
wodurch er New-Orleans bezwang, ist nahezu uncultivirt. Nur zwei An-
siedlungen sind dort entstanden, und zwar Eadsport am äussersten
Ende des 20 km langen Südpasses mit den Werkstätten der Jetty-
Compagnie und das Städtchen Balize dort, wo der Nordost- und Süd-
ost-Pass sich abzweigen. Balize, eine altspanische Niederlassung, die
bei ihrer Gründung knapp an der See angelegt worden war, fristet
nun weit vom Meere entfernt eine bescheidene Existenz.
Nördlich der obengenannten Forts beginnen die fruchtbarsten
Plantagen; zunächst Buras Settlement am Westufer mit reicher
Orangencultur. Die Orangenbäume gedeihen hier trotz der tiefen
Wintertemperaturen in vorzüglicher Weise. Ausgedehnte Culturen ent-
standen auch im ganzen Umkreise der Stadt New-Orleans, besonders
bei Carrolton und Algier. Gegenüber von Buras wurde die Quarantaine-
anstalt errichtet.
Weiter nördlich in der Umgebung der Orte Bohemia, Point à
la Hache, Jesuits Bend bis English Turn in der Nähe von New-
Orleans ist der ergiebige Boden mit herrlichen Zuckerrohr- und Reis-
pflanzungen bedeckt.
Bei Jesuits Bend war es, wo zur Zeit der Spanier die Jesuiten
das erste Zuckerrohr in Louisiana pflanzten. Damals bestanden dort
ausgedehnte Indigoculturen, die seither aufgelassen und durch Zucker-
rohrplantagen verdrängt wurden.
Längs des linken Mississippi-Ufers fährt von New-Orleans aus
die New-Orleans- und Golf-Eisenbahn bis zur Endstation Bohemia.
Der Schienenweg durchschneidet reiche Plantagen.
Bei Poydras zweigt ein Bahnast nach Shell-Beach, einem Orte
am Borgue-See, ab.
Je mehr wir stromaufwärts vordringen, desto häufiger werden
zwischen dem Grün der einförmigen Uferlandschaft die Baulichkeiten
der Planters und einzelne Fruchthäuser sichtbar, bis bei einer mäch-
tigen Krümmung des Stromes zuerst das durch seine weisse Façade
markante Ursulinerinnenkloster von New-Orleans und gleich darauf
die endlos weitgestreckte Hafenfront der Stadt mit ihren Thürmen,
Kuppeln, hochaufragenden Schloten, den hunderten am Quai liegen-
den prächtigen Fluss- und Seedampfern, Segelschiffen und ganzen Flotten
jener flachen Fahrzeuge, welche den Productenreichthum der nörd-
lichen Staaten flussabwärts zuführen, sichtbar wird.
Die zehn Stockwerke hohe Zuckerraffinerie nächst des Zucker-
[[133]]
New-Orleans.
[134]Die atlantische Küste von Amerika.
quais (Ausmündung des Canal-Street), wo die Dampfer aus den Zucker-
districten landen, ist eines der robustesten, und die am Jackson
Square liegende dreithürmige Kathedrale St. Louis das schönste Object
im wechselvollen Hafenbilde.
Das niedrige Terrain, auf welchem die Stadt sich ausbreitet,
lässt keine malerische Entwicklung ihrer äusseren Gestaltung zu, allein
die 11 km lange Hafenfront mit dem längs derselben rege pulsirenden
Leben ist immerhin höchst überraschend.
Am rechten Ufer des Mississippi entstanden die Vorstädte Algier
mit vielen Trockendocks und Anlegeplätzen, und Gretna, das als
Ausflugsort gerne aufgesucht wird.
New-Orleans ist in der doppelsinnigen Bezeichnung als „Crescent
City“, die halbmondförmige und zugleich die wachsende Stadt bekannt,
welche Benennung von der durch die Krümmung des Mississippi bedingten
halbmondförmigen Gestalt des älteren Stadttheiles, welcher gleichwie
ein breites Band dem Uferlaufe sich anschmiegte, herrührt.
Das ungeheuere Anwachsen von New-Orleans steht mit seinen
überaus günstigen commerziellen und Verkehrsverhältnissen in directer
Beziehung. Im Jahre 1803 zählte die Stadt 9000 Einwohner, 1880
aber bereits 216.000, 1890 246.000 Einwohner, davon gehört ein
Viertel farbigen Racen an.
Im Winter, wenn der wohlhabende Theil der Einwohner, der
bei Eintritt der warmen Jahreszeit vor dem gelben Fieber die Flucht
zu ergreifen pflegt, wieder in die Stadt zurückkehrt, mag die Be-
wohnerzahl derselben mit 250.000 Seelen nicht zu hoch veranschlagt
werden.
In Louisiana hat das französische Element sich erhalten, wie in
Florida das spanische. Dieser in New-Orleans sehr zur Geltung kom-
menden Erscheinung ist es wohl zuzuschreiben, dass die dortige Ge-
sellschaft im Umgange freier und angenehmer ist als etwa im Norden
der Union. Nur die Damenwelt behauptet, wie überall in der Union,
so auch in New-Orleans die Privilegien der weitesten Emancipation,
die jedoch in liebenswürdigster Weise bethätigt werden.
Aus der Sclavenzeit datirt die auffallende Missachtung der
Farbigen, und kaum anderswo ist im Lande der Gleichheit an die Stelle
des Standesunterschiedes der Farbenunterschied so schroff getreten,
wie in Louisiana und den ehemaligen Sclavenstaaten.
New-Orleans ist am linken Ufer des Stromes auf der Niederung
zwischen diesem und dem ausgedehnten Küstensee Pontchartrain auf-
gebaut. Einer jener weiten mit riesigen Cypressen bewachsenen
[135]New-Orleans.
Sümpfe, wie solche in den Niederungen des Mississippi überall vor-
kommen, bedeckte einstens diesen Plan, welchen nur eine leichte
Bodenwelle von etwa ⅔ m Höhe, die Metairie Ridge, kaum wahr-
nehmbar überragt. Jenseits dieser folgt nordwärts endloses Marsch-
land, das die Stürme des Sees alljährlich überfluten.
Ein ungünstigerer Baugrund für eine Stadt, besonders aber
für eine im Aufblühen und in der Erweiterung begriffene, lässt sich
kaum denken. Dennoch wurden die vielfachen und völlig ungeahnten
Hindernisse grösstentheils überwunden.
Um die Stadt gegen die alljährlichen Hochwässer des Mississippi zu
schützen, mussten 3 m hohe Dämme, die Levée, aufgeführt werden, und da das
Niveau der Stadt mehr als einen Meter unter der normalen Wasserhöhe des Stro-
mes liegt und gegen Norden zu bis zu den Metairie Ridge sich senkt, war eine
unterirdische Canalisirung, die schon wegen des hohen Grundwasserniveaus hätte
unterbleiben müssen, nicht ausführbar. An deren Stelle setzte man eine allerdings
kostspielige Oberflächendrainage für Niederschlags- und Abfallwässer mit Ausschluss
der Fäcalstoffe, die selbständig abtransportirt werden müssen.
Bei dem erwähnten Drainagesysteme führen offene Strassenrinnsale die
Wässer einem weiten die Stadt durchziehenden Netze ebenfalls offener Canäle
zu, an deren Endpunkten der Inhalt durch mächtige Dampfpumpen in den Pont-
chartrain-See befördert wird. Das mit dem See verbundene Bayou St. John ist in das
Canalsystem aufgenommen worden.
Für normale Verhältnisse genügt das System hinlänglich, allein wenn bei
anhaltenden Ostwinden das Niveau des genannten Sees durch die Wasserstauung
im mexikanischen Golfe beträchtlich steigt, dann überfliessen die Canäle und der
nördliche Theil der Stadt wird einige Tage hindurch überschwemmt.
Weit später als im nördlichen Theile der Union verdichtete sich
in den Südstaaten derselben die Verkehrsthätigkeit, denn während im
Norden der Andrang der regsamen germanischen und anglosächsischen
Einwanderung zum hervorragendsten Factor der Entwicklung wurde,
verblieben die Südstaaten nur spärlich bevölkert, bis in den letzten
Jahrzehnten mit dem Aufhören der Sclavenarbeit auch dorthin der
befruchtende Strom der Völkerwanderung sich wendete.
Allerdings lagen die Verhältnisse in den Süd- oder Golfstaaten
nicht besonders günstig, denn neben den natürlichen Hindernissen,
welche die Colonisation erschwert haben mochten, machte sich auch
die geringe politische Stabilität durch häufig wechselnde Regierungen
geltend.
Dessenungeachtet dürfte doch ein wesentlicher Schuldtheil an
dem Zurückbleiben der genannten Staaten auf Rechnung der ur-
sprünglich romanischen Bevölkerung gesetzt werden können.
Ebenso wichtig ist aber der Umstand, dass die wahre Blüthe
New-Orleans’ als Handelsstadt mit der Blüthe seines Hinterlandes
[136]Die atlantische Küste von Amerika.
am oberen Mississippi zusammenhängt und erst zum Durchbruche
kommen konnte, seit das Mississippi-Becken unter Pflug genommen
wird, also seit 15—20 Jahren.
Golddurstige Spanier, welche der verunglückten Expedition des Pamphilio
de Narvaez zur Eroberung von Florida angehörten und im Jahre 1536 den Rückzug
gegen den Mississippi antraten, waren die ersten Europäer, welche den Vater der
Ströme erblickten.
Ein Jahr später erhielt Ferdinando de Loto aus Xeres die Bewilligung
Karl’s V., auf eigene Kosten dieselbe Halbinsel zu erobern. Seine gut ausgerüstete
Expedition landete dort am 31. Mai 1539, allein bevor der kühne Abenteurer 1542
den Mississippi erreichte, war sein Heer völlig vernichtet. De Loto starb an der
Mündung des Red-River, und die elenden Reste seiner Scharen flüchteten 1543
nach harten Entbehrungen stromwärts an die Meeresküste.
Das verhängnissvolle Schicksal der Spanier scheint von weiteren Versuchen,
das erwähnte Gebiet zu erobern, nachhaltig abgeschreckt zu haben, denn 130 Jahre
lang betrat kein weisser Mann die dortige Küste.
Erst im Jahre 1682 erschien eine französische Expedition am Mississippi
Delta, nachdem sie von Canada aus den oberen Lauf des Stromes erreicht und
den letzteren bis zur Mündung befahren hatte. Robert Cavalier de la Salle und
Seigneur Henry de Tonti, ein italienischer Officier, die muthigen Führer der Un-
ternehmung, richteten am 9. April des genannten Jahres ein Kreuz am Delta auf
und erklärten das Land im Namen Ludwig XIV. als Besitz der französischen
Krone. Diesem Könige zu Ehren erhielt das Land den Namen Louisiana.
Die eigentliche Colonisation fand aber erst im Jahre 1699 durch eine Ex-
pedition von 300 Mann statt. Der erste Gouverneur war Sauvolle und 1701 folgte
nach dem Tode desselben Bienville.
Es scheint, dass die Verhältnisse der Colonie recht günstig sich gestaltet
haben, zumindest aber, dass gute Aussichten für eine günstige Entwicklung er-
wartet wurden, denn 1712 verlieh Ludwig XIV. einem Ant. Crozat auf fünfzehn
Jahre das Patent für den ausschliesslichen Handel in der ganzen „Provinz“ vom
mexikanischen Golfe bis zu den grossen Seen im Norden und von den Alleghanïes
bis zu den Rocky-Mountains im Westen.
Als Gegenleistung war bedungen, dass Crozat jährlich zwei Schiffe mit Co-
lonisten nach Louisiana sende und nach Verlauf von neun Jahren sämmtliche Aus-
lagen der Colonialverwaltung mit Einschluss jener für das Heer auf eigene Rech-
nung übernehme.
Der erwähnte Pact, ohne Zweifel einer der originellsten Verträge in der
Colonialgeschichte, gibt Zeugniss von dem weiten Fluge der Bestrebungen
Ludwig’s XIV., die darauf abzielten, im Rücken der englisch-puritanischen Küsten-
colonien ein Weltreich zu gründen, das auf Canada sich gestützt hätte.
Allein Crozat fand seine Rechnung nicht; schon nach fünf Jahren übergab
er das Patent dem Herzog von Orleans, damaligen Regenten während der Minder-
jährigkeit Ludwig’s XV. (1717).
Im gleichen Jahre wurde die Colonisation von Louisiana als commerzielle
Unternehmung einer Westindischen Compagnie, auch Mississippi-Compagnie ge-
nannt, auf die Dauer von 25 Jahren übertragen (John Law). Auch diese Gesell-
[137]New-Orleans.
schaft konnte sich nicht halten und verzichtete nach fünfzehn Jahren auf die
weitere Ausübung der Rechte.
Unterdessen hatte Bienville 1718 die Stadt New-Orleans gegründet; aber
schon im folgenden Jahre wurden die Bewohner der bescheidenen Ansiedlung durch
eine grosse Ueberschwemmung vertrieben und der Ort blieb bis 1722 unbewohnt.
Nun erst kehrten die Flüchtlinge zurück. Das Städtchen zählte 1722 bereits 200
Einwohner, die in Holzhütten untergebracht waren. Zum Schutze gegen Hoch-
wasser hatte man längs des Gebietsumfanges hohe Deiche aufgeführt.
Die Entwicklung schritt nun zwar langsam, aber stetig vorwärts.
Im Jahre 1762 cedirte Ludwig XV. Louisiana an Spanien, letzteres nahm
aber erst 1769 nach Beruhigung der darob erbosten Colonisten von dem Land
factisch Besitz.
New-Orleans wurde 1794 durch Erdwälle und Bastionen befestigt.
New-Orleans (Jackson-Square).
Die spanische Periode war nur von kurzer Dauer und Louisiana kam infolge
einer geheimen Convention im Friedensvertrage zwischen Spanien und dem fran-
zösischen Consul Napoleon Buonaparte am 1. October 1800 wieder in den Besitz
Frankreichs. Das Schicksal wollte, dass Louisiana neuerdings das Object schlauer
Speculation wurde. Da die französische Republik mit England im Kriege war und
einen Angriff auf New-Orleans befürchten musste, so entschloss sich Buonaparte,
die Colonie an die Vereinigten Staaten von Nordamerika zu verkaufen. Talleyrand
eröffnete in der That mit Livingston und Monroe die Unterhandlungen, welche für
die erschöpften Finanzen Frankreichs am 30. April 1803 sehr vortheilhaft zum
Abschluss kamen, da für Louisiana ein Kaufschilling von 15 Millionen Dollars
herausgeschlagen wurde.
So wehte denn das Sternenbanner auf den Wällen New-Orleans’ und eine
neue Zeit begann für diesen jetzt so bedeutungsvollen Platz. 1812 ward Lousiana
als neunzehnter Staat der Union einverleibt.
Während des amerikanisch-englischen Krieges erschien im December 1814
eine fünfzig Segel zählende britische Flotte unter Admiral Sir Alexander Cochrane
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 18
[138]Die atlantische Küste von Amerika.
mit einem 10.000 Mann starken Corps Ausschiffungstruppen unter General Packen-
haue an der Küste von Louisiana, um New-Orleans zu nehmen. Das Flaggenschiff
Tonant, dasselbe, welches Nelson bei Abukir nach heldenmüthigem Kampfe den
Franzosen entrissen hatte, war zur Recognoscirung am 9. December in den Borgue-
See (Mississippi-Sund) östlich von New-Orleans vorgedrungen und bekämpfte dort
die kleine amerikanische Flottille mit so günstigem Erfolge, dass diese die Landung
des englischen Corps an der Westseite des Sees keineswegs mehr behindern konnte.
Die Engländer liessen indes kostbare Zeit verstreichen und landeten erst
am 23. December einen Theil der Truppen.
In New-Orleans befehligte der amerikanische General Jackson eine Streit-
macht von nur 4000 Mann, von welchen 3200 Mann in einer stark befestigten
Position östlich der Stadt mit dem rechten Flügel am Mississippi gelagert stan-
den. Durch das Zögern der Engländer gewann Jackson hinlänglich Zeit, seine
Stellung ausserordentlich zu verstärken und mit schweren Batterien auszustatten.
Als nun die Engländer am 8. Januar 1815 mit ihrer ganzen Macht zum Angriff
schritten, wurden sie trotz bewunderungswürdiger Tapferkeit mit ungeheuren Ver-
lusten zurückgewiesen.
Mit diesem ersten Versuch war die Unternehmung gegen Louisiana ge-
scheitert, und die Engländer zogen im Laufe des Monates Januar ihre Streitkräfte
zurück.
Nach dem Friedensschlusse und bis zum Beginne des Bürgerkrieges im
Jahre 1861 nahmen Louisiana und New-Orleans durch Einwanderung an Bevölke-
rungszahl mächtig zu, und die Zuckerrohrcultur entwickelte sich zu reicher Pro-
duction.
Im Secessionistenkrieg, in welchem Louisiana die Sache der Sclaven-
staaten ergriff, fiel New-Orleans schon im April 1862 in die Gewalt der Nord-
staaten, nachdem Admiral Farragut mit seiner Flotte die Stromsperre forcirt hatte
und vor der wehrlosen Stadt erschienen war.
Louisiana, das durch den Krieg grosse Verluste an Werthen, namentlich
durch gänzlichen Stillstand in der Bebauung der Plantagen erlitten hatte, wurde
nun zur Operationsbasis einiger Unternehmungen gegen die aufständischen Staaten.
Erst nach dem Friedensschlusse traten Production und Handel wieder in ihre
Rechte. Ueber New-Orleans nahm nun der grösste Theil der im Innern aufge-
stapelten und durch den Krieg zurückgebliebenen Vorräthe an Baumwolle den
Weg zum Ocean, welcher Umstand sehr viel beigetragen hat, diesen Handelsplatz
zu stärken.
Nach einem langen Provisorium erhielt Louisiana im Jahre 1879 eine neue
Constitution und schreitet nun in jeder Richtung der Entwicklung und Blüthe
entgegen.
Wie unser Stadtplan zeigt, ist New-Orleans grösstentheils regel-
mässig angelegt. Bei der Tracirung der Strassen musste dem Laufe
des Stromes, der hier eine scharfe Krümmung bildet, Rechnung ge-
tragen werden, weshalb die aus dem westlichen in den östlichen
Stadttheil führenden Querstrassen im Allgemeinen zum Stromufer
parallel gezogen und von Längsstrassen unter rechtem Winkel ge-
schnitten sind.
[139]New-Orleans.
Im nördlichen an den Pontchartrain gelehnten Stadttheile hin-
gegen werden die Strassen Nord-, Süd- und Ostwest laufen, wenn
dieses Gebiet ausgebaut sein wird, was zur Stunde gleichwie in
anderen Partien der Stadt noch nicht der Fall ist.
So sind in New-Orleans Strassenzüge von ungeheuerer Aus-
dehnung entstanden, die, wie die viele Meilen lange Clairborne-Street,
mit den längsten Avenuen von New-York einen Vergleich nicht
scheuen.
Neben der eben genannten Strasse ist die mit ihr und dem
Strome parallel laufende St. Charles-Avenue, die von Carrollton bis
zur prächtigen Canal-Street führt, die längste Verkehrsader der Stadt.
Die breite, mit einer schönen Baumallee gezierte Canal-Street,
welche vom Mississippi bis zu den vorne erwähnten Metairie Ridge
sich erstreckt, behauptet dagegen den ersten Rang unter den fashio-
nablen und durch Massenverkehr hervorragenden Strassen. Hier haben
die bedeutendsten Geschäfte ihre Niederlagen, hier ist der Sammel-
platz der kauflustigen, wie im südlichen Abschnitt der Strasse jener der
promenirenden Welt; Canal-Street ist der Vereinigungsort aller Ver-
kehrsmittel nach allen Theilen der Stadt. Die Strasse ist überdies die
Grenzscheide zwischen der amerikanischen und creolischen Bevölkerung,
welch letztere östlich derselben lebt. Dort zwischen der Münze (20)
und dem Customhouse (21) lag das ursprüngliche von Wällen und
Bastionen umgebene New-Orleans, dessen Quai noch zu Beginn dieses
Jahrhundertes eine Länge von nur 600 m besass. Der prächtige Jackson-
Square bildete dort den Mittelpunkt der alten Hafenfront. Dort, wo
die Canal-Street am Strome ausmündet, ist der berühmte Baumwoll-
quai, allwo jährlich gegen zwei Millionen Ballen Baumwolle verladen
und exportirt werden.
Carondelet- und Gravier-Streets sind Brennpunkte des Baum-
wollegeschäftes, und an der Kreuzung der erwähnten Strassen steht
der mit Sculpturen reich gezierte Renaissancebau der Baumwollbörse,
einer seit 1871 bestehenden Institution.
Ebenso sind die Börsen für Producte und Zucker in schönen
Gebäuden untergebracht.
Auch New-Orleans konnte dem in den Vereinigten Staaten ein-
gebürgerten Gebrauche nicht widerstehen und wählte für die öffent-
lichen Gebäude den antiken Styl. Das grossartige Customhouse, welches
einen Block von mehr als 100 m Seitenlänge und 25 m Höhe bildet,
ist im massigen egyptischen Styl aufgeführt. Tiefe, auf einen kost-
spieligen Pfahlrost aufgelegte Fundamente mussten hergestellt werden,
18*
[140]Die atlantische Küste von Amerika.
um die ungeheuere Last des Granitgebäudes zu stützen. Der 1847
begonnene Bau ist gegenwärtig nach Ueberwindung vieler Schwierig-
keiten und mancherlei Unfällen nahezu vollendet. Er verschlang eine
Bausumme von fast sechs Millionen Dollars.
Das Customhouse ist indes ein Prachtgebäude mit vorzüglichen
Einrichtungen. Die luxuriös ausgestattete Marmorhalle im Centrum der
Gebäudes ist der weltberühmten St. Georges-Hall in Liverpool nach-
empfunden, doch etwas kleiner als diese gehalten. Beachtenswerth
sind darin neben prächtigen Ornamenten einige schöne Basreliefs und
fünfzehn Säulen aus weissem Marmor von je 13 m Höhe, deren jede
5000 Dollars gekostet hat.
Als schöner Kunstbau verdient die City-Hall genannt zu werden,
diese zeigt die Architectur des Minerva-Tempels der Akropolis von
Athen. Die Front des massiv gebauten Gebäudes ist mit weissem
Marmor bekleidet, mit schönen jonischen Säulen und symbolischen
Figuren geziert.
In der Common-Street hat in drei imposanten griechischen
Tempeln die reich dotirte Tulanes-Universität von Louisiana ein herr-
liches Heim gefunden. Sie ist eine Stiftung Mr. Paul Tulanes’ und be-
steht seit dem Jahre 1884.
Noch viele andere öffentliche Gebäude, wie die Börse, die Münze,
das Gerichtsgebäude, tragen das Gepräge des Reichthums zur Schau
und bilden hervorragende Zierden der lebensfroh aufstrebenden Stadt.
Unter den kirchlichen Bauten haben wir bereits des prächtigen
Renaissancebaues der Kathedrale St. Louis gedacht, deren Front dem
Jackson-Square zugewendet ist. Nebst diesem Gotteshaus zählt New-
Orleans noch sieben römisch-katholische Kirchen, von welchen die
St. Patricks-Kirche den höchsten Thurm der Stadt besitzt. Derselbe
ist nach dem Münster von York construirt und hat 76 m Höhe.
Erwähnt sei auch das alte Ursulinerinnenkloster, das gegen-
wärtig als Residenz der römisch-katholischen Bischöfe dient.
Die bischöfliche Kirche verfügt über vier Gotteshäuser, den
anderen christlichen Glaubensbekenntnissen dienen weitere vier Kirchen
und die reformirte Judengemeinde erbaute sich den im byzantinischen
Style gehaltenen Tempel Sinai, den zwei kleine Thürme zieren.
Wenngleich die Stadt, im Grunde genommen, eine Schöpfung der
neuesten Zeit ist, so hat sie dank dem ausgeprägten patriotischen
Gefühle der Bevölkerung doch schon den Schmuck schöner, hervor-
ragenden Männern gewidmeter Monumente, die Thaten des Generals
Jackson, Siegers vom 8. Jänner 1845, Henry Clay’s, des Staatsmannes,
[141]New-Orleans.
Franklin’s, Robert E. Lee's, des berühmten Generals der Conföderirten
im Bürgerkriege, sind durch mehr weniger prunkvolle Standbilder aus
Marmor und Erz zur Erinnerung späterer Generationen verherrlicht.
Auch Margaret Haughery, eine Wohlthäterin der Waisen von
New-Orleans, wurde durch ein sinniges Denkmal, das erste einer Frau
in Amerika gesetzte Monument, ausgezeichnet.
Die Denkmale zieren die öffentlichen, meist mit schönen Park-
anlagen versehenen Plätze. Am Lafayette-Square bezeichnet eine
steinerne Marke die geographische Position des Punktes mit 29° 51′
5″ nördl. Br. und 90° 4′ 9″ westl. L. v. Gr. Die Breite ist um kaum 3′
nördlicher als jene der grossen Cheops-Pyramide bei Cairo.
Mississippi-Dampfer.
Gleichwie in den meisten grösseren Städten der Union ist auch
in New-Orleans die Zahl der Wohlthätigkeitsanstalten, wie Spitäler,
Asyle u. dgl., eine sehr grosse, welche Thatsache einen Beweis für
die lebhaften humanitären Bestrebungen der liebenswürdigen Bevöl-
kerung bildet.
Auch das Schulwesen ist ausgebildet, jedoch steht Louisiana
auf diesem Gebiete weit hinter den anderen Staaten der Union zurück,
welcher Umstand der starken Vertretung der farbigen Race in der
Bevölkerung zugeschrieben wird.
Das stark entwickelte, zum Frohsinn geneigte gesellige Leben
bekunden die zahlreichen Clubs für alle Sportrichtungen, welchen
unter anderem der ausgedehnte, wenngleich nur 4 m tiefe Pontchar-
train-See ein weites Feld der Thätigkeit eröffnet.
[142]Die atlantische Küste von Amerika.
Die in New-Orleans stark vertretenen Deutschen haben ihren
„Liedertafel-Club“ der Pflege der Musik und des Gesanges gewidmet.
New-Orleans verfügt übrigens auch über mehrere schöne Theater, von
welchen das französische Opernhaus und das Saint Charles-Theater
die grössten sind.
Die Verkehrsverhältnisse sind abseits zahlreicher Tramwaylinien
auch durch den Bestand einer gross angelegten Stadtbahn, welche
mit den einmündenden Eisenbahnlinien in Verbindung steht, ausser-
ordentlich günstige. So sehen wir denn New-Orleans schon jetzt ma-
teriell und geistig für seine zukünftige Mission als Weltstadt in jeder
Beziehung wohl vorbereitet.
Von der Crescent-City kann man wie von dem alten Venedig
oder den Handelsplätzen des nördlichen Hollands sagen, Alles ist aus
dem Wasser entsprungen! Das Wasser bildete nicht bloss die Haupt-
handelsstrassen, auf welchen die Wichtigkeit dieses Gemeinwesens
beruht, sondern ihm musste auch der Boden abgerungen werden, auf
dem es begründet wurde, und heute noch sind Theile der Stadt nur
unvollkommen vor dem Eindringen der Feuchtigkeit geschützt und
daher stehen nach E. Deckert viele Häuser auf einem Gerüste von
Balken, das sich mehrere Fuss über den Erdboden erhebt, als eine
Art moderner Pfahlbauten. Den Todten aber bereitet man auf den
Kirchhöfen, um sie nicht in das Grundwasser und den Morast hinein-
zubetten, festgemauerte, luft- und wasserdichte oberirdische Grab-
gewölbe, die wie mächtige Backöfen aussehen, und in denen die
Leichen in der That durch die Einwirkung der Sonnenhitze einem
sehr schnellen trockenen Verwesungsprocesse unterliegen.
Mitten in ihrem Ueberflusse an Wasser leiden die Bewohner von
New-Orleans Mangel an Trinkwasser. Diese Mündungsstadt des
Mississippi kann nie eine Hochquellenleitung erhalten.
Man muss das Regenwasser, welches die tropischen Regen-
güsse überreich spenden, in ungeheueren Gefässen aus Cedernholz
auffangen. Diese hölzernen „Cisternen“, die unmittelbar an die Häuser
angebaut sind, und dieselben öfters wie gedrungene Festungsthürme
überragen, geben der äusseren Physiognomie der Stadt einen eigen-
artigen Charakterzug.
New-Orleans gilt bei Einheimischen und Fremden als eine un-
gesunde Stadt. Und doch ist hier trotz gelben Fiebers und Malaria,
trotz der starken Negerbevölkerung (27 %), die von einer Gesundheits-
pflege keine Ahnung hat, die Sterblichkeit kleiner (25·98 Fälle auf
1000 Einwohner) als in New-York (26·47), wo Erkrankungen der
[143]New-Orleans.
Luftwege, eine Folge des excessiven Klimas, so viele Menschen
dahinraffen.
Als Handelsplatz ist New-Orleans der natürliche Ausfuhrplatz
des kolossalen Stromgebietes des Mississippi. Dampfer können Frach-
ten führen von den St. Anthonys-Fällen bis in den Golf von Mexiko
(3478 km) und von Pittsburg in Ohio bis Fort Benton in Montana
(6972 km). Lichterschiffe aber können den Missouri hinauf bis zu den
„Grossen Fällen“, in deren Nähe der Fluss das Felsengebirge ver-
lässt. Nach allen Richtungen hin verästeln sich die Zweige dieses
Stromsystems.
Im Ganzen sind gegenwärtig 45 Flüsse auf eine Länge von
25.900 km der Schiffahrt zugänglich, oder die vierfache Länge der
Oceanlinie von New-York nach Liverpool, und mehr als viermal so
viel, wie die Entfernung quer durch den Continent auf der kürzesten
Eisenbahnlinie zwischen New-York und S. Francisco. Und durch
Bauten hofft man wenigstens für die Zeit des guten Wasserstandes
noch 1600 km Flussläufe in der Nähe der Quellgebiete schiffbar zu
machen.
In allen Theilen gleichwerthig ist dieses Netz von Wasserstrassen
wohl nicht. So kann gleich die Strecke des Hauptstromes zwischen
St. Louis (Mo.) und St. Paul (Min.) von der grossen Schiffahrt nur
4—5 Monate im Jahre benützt werden. Aber abwärts von St. Louis,
wo am 4. Juli 1874 die grosse von Eads erbaute Eisenbahnbrücke
eröffnet wurde, ist der Strom das ganze Jahr hindurch auch für
Dampfer und Segelschiffe von bedeutendem Tiefgange fahrbar. Nur
die „Snags“, Baumstämme, die sich auf dem Grunde des Fahrwassers
festgerammt haben und den Fahrzeugen ihre spitzen Aeste und ab-
gebrochenen Stümpfe entgegenstellen, sind der Schiffahrt sehr gefähr-
lich. Die Snags zu entfernen, sind eigene Boote bestimmt, welche auch
mit Dynamitpatronen ausgerüstet werden.
Bei aller Bewunderung für die grossartige Ausdehnung der
Schiffahrtstrassen des Mississippi-Systems und für die 1114 Dampfer,
welche seine Gewässer beleben, darf man sich aber nicht verleiten
lassen, die heutige Bedeutung desselben für den Handel zu über-
schätzen.
Ganz gegen die Verkehrsgesetze haben in der Union die aller-
dings unglaublich billig arbeitenden Eisenbahnen einen grossen Theil
des Verkehres vom Mississippi abgezogen und führen selbst schwere
Massengüter quer über die Ströme dem atlantischem Ocean zu.
So hat der Missouri mit der Vollendung der verschiedenen
[144]Die atlantische Küste von Amerika.
Pacificbahnen jede Bedeutung für den grossen Waarenverkehr ein-
gebüsst, die regelmässige Dampfschiffahrt auf ihm hatte fast ganz
aufgehört.
Selbst der Ohio, der wichtigste Nebenfluss des Mississippi,
dessen Schiffbarkeit schon 139 km oberhalb Pittsburg beginnt, hat
einen grossen Theil seines früheren durchlaufenden Verkehres an die
Eisenbahnen abgegeben.
Allerdings zeigt die neueste Zeit ein Wanken dieses Verhält-
nisses und ein Steigen des Flussverkehres, und zwar im selben Masse,
als die Farmer gegen Westen vordringen.
Wenn wir nun insbesondere die Handelsstellung von New-Orleans
betrachten, so fällt uns auf, dass der Norden und der Süden der
Union heute noch in ihrem Cultur- und Wirthschaftsleben zwei sehr
verschiedene Welten sind, welche durch den Mississippi nicht zu
kräftig mit einander verbunden werden.
Schon vor der Zeit der Eisenbahnen überwog im Norden die
Richtung des Verkehres von West nach Ost, weil sich dieser auf den
Illinois- und den Erie-Canal stützte.
Die zahlreichen Eisenbahnen haben diese Tendenz gefestigt und
alle Hafenplätze des Ostens bis Savannah herunter Theile jenes Ver-
kehres an sich gerissen, der nach dem Baue des Landes und seiner
Flussläufe New-Orleans eigenthümlich sein sollte. Wer aus dem Ge-
biete selbst des mittleren Mississippi über New-Orleans nach Europa
Waaren sendet, statt mit der Eisenbahn über die Ostplätze, macht
eben einen grossartigen Umweg, der viel Zeit kostet, und der nur
gewählt wird, wenn er bedeutend billiger zu stehen kommt.
Aus diesem Grunde kam die Verwandlung der Wald- und Prairie-
wildnisse des Nordens in ertragreiche Mais- und Weizenfelder der in
der Welt einzig dastehenden Verkehrslinie Chicago-New-York zu Gute.
Im Süden von ihr concurriren wieder St. Louis mit seiner Uferfront
von 30 km Länge, Louisville und Cincinnati mit New-Orleans. Ja durch
die Trunk-Linien östlich und westlich vom Mississippi reicht das
Legende zum Plan von New-Orleans.
A Landungsplatz der Schiffe, B Pontchartrain-See, C Southern Yacht Club, D Clubhäuser, E City-
Park, F Leuchtfeuer, G Fair-Ground, H Jockey-Club, J Metairie-Friedhof, K Reitpark Oakland, L Aus-
stellungs-Park, M Hauptgebäude desselben, N Bahnhöfe, O Canal-Street, P Carondelet-Walk. Q Espla-
nade-Street, R Bernard-Avenue, S Elisian-Fields, T Lafayette-Str., U Ursulinerinnen-Str., V Jourdan-
Av., W Lea-Circle, X Louisiana-Av., Y Napoleon-Av., Z Upper-Line. — 1 Charles-Av., 2 Clairborn-Str.,
3 Hagen-Av., Florida-Av., 5 St. Claude-Str., 6 Commerce Place, 7 Pelopidas-Str. oder Gentilli-Av.,
8 Monroe-Av., 9 St. James-Av., 10 Calhoun-Av., 11 Edinbourg-Av, 12 Peoples-Av., 13 Constitution-
Place, 14 Broad-Str., 15 Carrollton-Av., 16 Poydras-Can. und Str., 17 Greenwood-Friedhof, 18 Ka-
sernen, 19 Jackson-Square, 20 Münze, 21 Custom-House, 22 Clay-Statue, 23 Ursulinerinnen-Kloster,
24 Lafayette-Square, 25 Gefechtsfeld vom 8. Jänner 1815.
[[145]]
(Legende siehe auf Seite 144.)
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 19
[146]Die atlantische Küste von Amerika.
Handelsgebiet von St. Louis bis in den Westen Louisianas, nach Texas
und einen grossen Theil von Mexico, und St. Louis nimmt New-Orleans
allmälig sogar den Baumwollhandel weg. Kurz, selbst der Ausfuhr-
handel von Massenproducten ist zum weitaus grössten Theile künst-
lich vom unteren Mississippi abgelenkt, die Einfuhr beschränkt sich
auf Producte der Uferstaaten des mexicanischen und des caraibischen
Meerbusens.
Während der Norden den Zug seines Handels nach dem hafen-
reichen Osten organisirte, war New-Orleans von der See her nur mit
Schwierigkeit zu erreichen. Erst mit der Vollendung der Jetties durch
Capitain James Eads, welcher die Schiffahrt auf der mittleren Mün-
dung sicherte, begann 1879 eine neue und wichtige Aera für den See-
verkehr von New-Orleans, aber keine solche für den eigentlichen Handel.
Immer mehr sinkt der Hafen zu einem reinen Transitohafen herab.
Durch die südliche Pacificbahn und deren Zufahrtlinien ist es
wohl möglich, von New-Orleans aus San Francisco in fünf Tagen und
Mexico in vier Tagen zu erreichen. Californischer Weizen wird über
New-Orleans nach New-York verfrachtet, weil der Umweg dieser aus
Eisenbahn- und Schiffahrtslinien combinirten Route dadurch mehr
als ausgeglichen wird, dass die Transportkosten für 3 km Seefracht
gleich denen für 1 km Eisenbahnfracht sind. Aber die durch die west-
lichen Bahnen gebrachten Frachten kommen gar nicht nach New-
Orleans selbst, sie werden in dem auf der anderen Seite des Mississippi
gelegenen Gretna aus den Waggons auf die Schiffe umgeladen.
Die von New-Orleans nach Norden gehenden Bahnen dienen mit
Ausnahme der in der nächsten Nähe gelegenen Theile nur dem in-
ländischen, nicht dem auswärtigen Verkehre. Nur die Ausführung
zweier grosser interoceanischer Verkehrswege könnte dem Handel
von New-Orleans, insbesondere seinem unmittelbaren Verkehre mit
dem Auslande einen ungeahnten Aufschwung verleihen. Wir meinen
die Herstellung eines Durchstiches durch die Wurzel der Halbinsel
Florida und die einer Schiffseisenbahn über den Isthmus von Tehuan-
tepec in Mexico, welche der geniale Eads geplant hatte.
Denn ein Canal durch das nördliche Florida bedeutet für Schiffe,
welche von New-Orleans nach Liverpool bestimmt sind, eine Er-
sparniss von 761 km, bei der Fahrt nach New-York von 919 km.
Was New-Orleans und alle Häfen an der atlantischen Seite der Union
durch die Tehuantepec-Schleppbahn gewännen, sowohl für ihren Ver-
kehr mit Californien, als für den mit Ostasien, brauchen wir nicht
näher auszuführen.
[147]New-Orleans.
Von dem Panama- und dem Nicaragua-Canale hat New-Orleans
keine wesentliche Steigerung seines Wohlstandes zu erwarten.
Den Hauptverkehr von New-Orleans ist nach dem Inlande gerichtet. Dieser
inländische Verkehr bezifferte sich 1888 auf 168,474.392 Dollars (1887 auf
164,528.464 Dollars). Der auswärtige Verkehr war viel kleiner, wie die folgenden
Ziffern ausweisen, und ist nur in Hinsicht der Ausfuhr von grösserer Bedeutung:
Der Waarenhandel von New-Orleans mit dem Auslande betrug in Dollars:
Rohe Baumwolle ist der einzige Exportartikel von New-Orleans, in
welchem dieser Platz eine hervorragende Stellung einnimmt; denn am mexicani-
schen Meerbusen zu beiden Seiten des Mississippi ist das wichtigste Baumwollen-
gebiet der Erde. Aber der Hafen geht als Baumwollenmarkt langsam zurück, zu-
nächst weil die directen Verschiffungen der Baumwolle von den Inlandsmärkten
nach Europa, insbesondere die über New-York immer mehr zunehmen. Und wenn
die Baumwolle schon über New-Orleans ins Ausland geht, so wird sie dort [nur]
von der Eisenbahn auf das Schiff umgeladen.
New-Orleans besitzt eine Baumwollbörse.
Von der Ausfuhr geht etwa die Hälfte nach England, ein Fünftel nach
Frankreich, ein Siebentel nach Deutschland. Die übrigen Länder des Consumes
sind Russland, Italien, Spanien und Belgien.
New-Orleans besitzt als erster Baumwollhafen der Erde grossartige Eta-
blissements für die Aufnahme und Verpackung und Versendung der Baumwolle,
und obgleich ein ganzes Heer von Arbeitern und Angestellten in der Branche
thätig ist, so ist kein Geschäftszweig so systematisch organisirt, wie der Baum-
wollhandel.
Zur Zeit der Ernte (von September bis December) herrscht im Hafen
und in allen dem Baumwollgeschäfte gewidmeten Anstalten ein unbeschreibliches
Treiben.
Die Baumwolle wird auf den Plantagen in Ballen von ungefähr 450 Pfund
Gewicht gepresst und nach New-Orleans gesendet. Die Mississippidampfer laden
gewöhnlich bis zu 5000 Ballen, einige aber vermögen sogar 8000 derselben zu
transportiren.
Am Quai — die Quais werden in New-Orleans gleichwie die Wälle Levée
genannt, obwohl sie grosse Flächen bilden und keineswegs Dämme sind — wird
die Ladung ausgeschifft und von den Geschäftshäusern übernommen, um nach
eventueller Sortirung und erneuerter Comprimirung weiter vergeben zu werden.
Die Baumwollpressen von New-Orleans sind sehenswerth. Gegenwärtig
stehen 25 derselben mit Dampfbetrieb in Verwendung.
19*
[148]Die atlantische Küste von Amerika.
Die Arbeit dieser eisernen Giganten vollzieht sich ebenso einfach wie rasch,
und es ist höchst interessant, ihre Kraftleistungen zu beobachten.
Handfeste Neger ergreifen und rollen den bereits auf der Plantage ge-
pressten Baumwollballen in die Presse, welche ihn mit eisernen Armen umfängt
und mit dämonischer Gewalt auf Dreiviertel seines Volumens reducirt. Eisen-
bänder, Ties genannt, werden rasch um das Opfer genietet und nun ist es für den
Transport fertig.
Aber gegenwärtig wird die Verpackung und Pressung zum grossen Theile
auf den Märkten des Innern vorgenommen und die Hälfte der Baumwollpressen
steht das ganze Jahr hindurch müssig, viele Geschäftshäuser für Baumwolle haben
ihren Erwerbszweig geändert und sich auf Gründung von industriellen Etablisse-
ments geworfen.
In New-Orleans sind zum Zwecke der Oelgewinnung aus Baumwollsamen
sieben Dampfpressen in Betrieb.
Das Oel geht zum Theile auch nach Europa und kehrt, wie die böse Welt
behauptet, nach entsprechender Zubereitung als feinstes Aixer- und italienisches
Olivenöl wieder nach Amerika zurück.
In der Ausfuhr von Baumwollsamenöl, von Oelkuchen und Oelkuchenmehl
(1888/89 807.861 q) steht New-Orleans hinter New-York zurück.
Die nächstwichtige Gruppe der Ausfuhrartikel von New-Orleans, Getreide
und Mehl, bewegt sich aus den bereits angeführten Ursachen in bescheidenen
Grenzen.
Im Fiscaljahre 1888/89 wurden ausgeführt 4,162.660 hl (Werth Dollars
5,768.416), 338.530 hl Weizen (Werth 902.905 Dollars) und 43.070 q Weizenmehl.
Das letztere ist nach Westindien und Südamerika bestimmt.
Die Tabakausfuhr von New-Orleans ins Ausland ist seit Jahren im Rück-
gang und war 1838/89 auf 32.790 q im Werthe von 605.976 Dollars herabge-
sunken.
Der Verarbeitung des Tabaks dienen im Districte von Louisiana (1888/89)
162 Fabriken. Specialität von New-Orleans ist Perigue-Tabak. Die Fabrication
von Cigarren wird durch Arbeiter, welche aus Cuba hieher geflüchtet sind, ver-
bessert.
Sonst sind noch zu nennen Producte der Rindvieh- und Schweinezucht
(1888/89 Werth 141.421 Dollars), Holz und Holzwaaren (Werth 364.790 Dollars),
Baumwollstoffe und Bier aus den hiesigen Brauereien.
Die Zahl der eingeführten Waaren ist bald erschöpft. An der Spitze
steht Kaffee, in welchem New-Orleans (1888/89) der dritte Einfuhrplatz der
Union ist.
Die Einfuhr erreichte 1888/89 202.707 q im Werthe von 5,875.912 Dollars,
1887/88 104.171 q.
Im Werthe kommt dem Kaffee in der Einfuhr am nächsten Rohrzucker
mit 1888/89 242.517 q (Werth 2,143.898 Dollars), 1887/88 192.898 q, welche von
den New-Orleans so nahen und zuckerreichen westindischen Inseln stammen.
Die Golfstaaten der Union von Florida bis Texas pflanzen Zuckerrohr, doch
die Gewinnung des Rohrzuckers ist nur in Louisiana von grösserer Bedeutung.
Mit Recht führt daher dieser Staat den Beinamen „die Zuckerbowle“.
Die Zuckerindustrie Louisianas verdankte ihre bisherige Ausdehnung nur
den hohen Zuckerzöllen der Union, gegen die Consequenzen der Mac Kinley-Bill,
[149]New-Orleans.
welche vielen Zucker frei einlassen will, ist sie geschützt durch eine dem früheren
Zolle gleich kommende Prämie für heimischen Zucker.
Andere Einfuhrartikel sind Bananen, Cocosnüsse und Feigen (1888/89 Werth
908.883 Dollars), Orangen und Limonen (Werth 648.189 Dollars), India-Rubber,
Wein, Flachs und Sisalhanf. Von Fabricaten sind zu nennen Baumwollwaaren,
Glas und Prozellan.
Wir haben schon angeführt, dass der Handel mit dem Inlande viel
bedeutender ist als der mit dem Auslande. Es beruht auf den schon genannten
Producten des Landes. Zu diesen kommen noch Reis, für welchen in New-Orleans
15 Schälmühlen bestehen, Moos, welches Neger einsammeln und das als Ersatz
für Rosshaare benützt wird; dann Salz, welches in die Schlächtereien der west-
lichen Staaten geht und aus Louisiana stammt. Aus dem Innern kommen Producte
der Viehzucht, Getreide und Steinkohlen.
Die gewerbliche Thätigkeit von New-Orleans, deren wichtigste Zweige
wir bereits behandelt haben, ist nicht sehr bedeutend, aber seit auch die Capitalien
des Nordens sich ihr zuwenden, hat sie es 1888/89 doch auf Erzeugnisse im Werthe
von 44·3 Millionen Dollars gebracht, die von 2998 Etablissements geliefert wurden,
gegen 915 Etablissements mit einem Productionswerthe von 18,808.909 Dollars
im Jahre 1880.
In der „Crescent City“ greifen Land- und Wasserverkehr nicht weniger eng
in einander als in den anderen amerikanischen Städten, die an grossen Flüssen
oder Meeresbuchten gelegen sind. Die Bahnhöfe der Stadt New-Orleans und ihrer
Vorstadt Gretna auf der rechten Seite des Mississippi sind hart am Ufer des
„Vaters der Gewässer“ erbaut. Eine Riesenfähre vermittelt den Verkehr zwischen
den so getrennten Kopfstationen.
Die Verbindung zwischen den Eisenbahnen und den Fluss- und Ocean-
schiffen ist also eine leichte. Nur einen Wald von Masten, wie in Hamburg oder
New-York, darf man nicht erwarten, denn der auswärtige Schiffsverkehr
erreichte:
Der auswärtige Verkehr wird bis auf 100.000 T, welche auf Segler ent-
fallen, durch Dampfer besorgt.
Der Gesammtverkehr von 1889 erreichte 2218 Schiffe mit 2,618.496 Tons.
Die amerikanische Flagge ist hervorragend an dem inländischen Verkehr be-
theiligt, von dem auswärtigen entfällt auf sie nur ein Zehntel des Tonnengehaltes.
In diesem Theile des Handel dominirt die britische Flagge; ihr folgen die spa-
nische, französische, deutsche und italienische.
Der Postverkehr Europas mit New-Orleans findet über New-York statt. Von
New-Orleans wird sie zur See auf amerikanischen Dampfern nach Balize, Living-
ston (Honduras) und Puerto Cortez (Guatemala) befördert.
Regelmässige Verbindungen durch Dampfschiffe bestehen nach New-York,
den Häfen von Florida und Texas, ferner nach Habana, Vera-Cruz, Central- und
Südamerika, London, Liverpool, Hâvre, Bordeaux, Antwerpen, Hamburg.
[150]Die atlantische Küste von Amerika.
Auf dem Mississippi gehen regelmässige Packetlinien nach St. Louis, Cin-
cinnati, Memphis, dem Red-River und Ouachita-River, Barkencurse nach St. Louis
von Vicksburg.
Der Verkehr des Clearinghauses von New-Orleans erreichte 1888/89
(31. August) eine Höhe von 482,849.747 Dollars.
Banken gibt es hier 16.
In New-Orleans wurde 1838 eine Münze der Vereinigten Staaten eröffnet,
wurde dann 1861 aufgehoben und 1879 wieder hergestellt. Sie lieferte in den
letzten Jahren nur Dollarstücke von Silber, 1888/89 18,795.050 Stück.
Consulate haben folgende Staaten: Argentinische Republik, Belgien, Bo-
livia, Columbia, Costarica (G.-C.), Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Grie-
chenland, Grossbritannien, Guatemala, Honduras, Mexico, Niederlande, Nicaragua,
Oesterreich-Ungarn, Salvador, Schweiz, Spanien, Türkei, Venezuela.
Als grösste Stadt von Texas und gleichzeitig als dessen Handels-
metropole behauptet Galveston eine wichtige Stellung an der Nord-
küste des mexikanischen Golfes.
Die Stadt bedeckt das nordöstliche Ende der gleichnamigen
Insel und beherrscht die schmale Zufahrt zu der weit in den Con-
tinent reichenden Galveston-Bai, die im Grunde genommen ein Küsten-
see ist. Der Hafen ist der beste an der ausnehmend flachen Küste
zwischen New-Orleans und dem Rio Grande del Norte, weil auf der
Südseite ein 5 km langer Damm die Einfahrt zur Galveston-Bai
wenigstens halbwegs vor Versandung schützt.
Die junge Stadt ist von breiten und geraden Strassen durchzo-
gen, die von zahlreichen Blumengärten flankirt sind.
Neben vielen, mitunter schönen Kirchen besitzt Galveston in dem
Freimaurer-Tempel, Zollgebäude und Postamt, in seinen Justizpalästen,
Theatern und Halls, in der City-Hall, Baumwollbörse u. a. hervor-
ragende Bauwerke.
Unter den Bildungsanstalten sind die römisch-katholische Uni-
versität St. Mary, die Ursulinerinnen-Schule, Ball’s Hochschule und
einige öffentliche Lehranstalten nennenswerth. Die Stadt zählt bereits
bei 50.000 Einwohner.
Texas ist ein gesundes und fruchtbares Land, das Ziel zahlreicher Einwan-
derer aus Europa. Aber bei der heute bestehenden Organisation des Handels der
Union ist sein Hafen Galveston ein reiner Ausfuhrhafen geblieben und der Werth
seiner Einfuhr ist seit 1881 bedeutend zurückgegangen.
Seine Ausfuhrartikel sind Baumwolle und Oelkuchen aus Baumwoll-
samen.
[151]New-Orleans.
Die Ausfuhr von Baumwolle betrug 1888/89 681.893 q im Werthe von
14,857.032 Dollars, von der die Hälfte nach England, ein Viertel nach Deutsch-
land gingen.
An Oelkuchen wurden 292.070 q (Werth 618.233 Dollars) meist nach den
Niederlanden verschifft.
In der Einfuhr sind von Wichtigkeit Kaffee (11.290 q), eiserne Reifen für
Baumwollballen, Weissblech, Bier und Salz.
Der auswärtige Schiffsverkehr erreichte 1888/89 im Einlauf 99.548 T, im
Auslauf 109.329 T.
Galveston ist Station der beiden Morgan-Linien, nämlich der Küstenlinie
und der Linie zwischen Morgan-City und Vera-Cruz, ferner Endpunkt der Fahrten
der New-York and Texas Steamship Cy.
Es steht durch Eisenbahnen mit dem Norden und dem Westen in Ver-
bindung.
In Galveston unterhalten Consulate: Belgien, Deutsches Reich, Gross-
britannien, Mexico, Oesterreich-Ungarn.
[[152]]
Vera-Cruz.
Die Grossartigkeit des Golfes von Mexico und sein wunderbarer
Einfluss auf die physiographischen Verhältnisse des nordatlantischen
Oceans stehen in directem Gegensatze zu dem Bilde seiner Küsten.
Während das majestätische Becken, welches zwischen den Halbinseln
von Florida und Yucatan sich erschliesst, als die Geburtsstätte des
Golfstromes bezeichnet wird, dessen Macht über den Ocean und weit
über Britanniens Gestade reicht, stehen dem Besucher der Küsten dieses
Golfes zumeist herbe Enttäuschungen bevor. Allerwärts herrscht Flach-
land vor, und insbesondere entbehren die Küsten Mexicos, Yucatan
inbegriffen, jedweden Reizes, wenngleich sie durchaus als tropische
Gegenden bezeichnet werden müssen. Der Golf, in welchem fast das
ganze Jahr hindurch der Passat mit unabänderlicher Gleichheit ein-
zieht und laue Fluten aus dem Caraibenmeere einströmen, wird zeit-
weise zu einem tückischen Meere, welches von den Seefahrenden
umsomehr gefürchtet ist, als dasselbe bei beschränkter Ausdehnung
nur wenige gesicherte Zufluchtsstätten bildet.
Natürliche gute Häfen gibt es insbesondere an den Gestaden
Mexicos gar nicht, und selbst Vera-Cruz, der einzige bedeutendere
Platz der Republik darf kaum Anspruch auf diesen Namen im eigent-
lichen Sinne des Wortes erheben. Wo immer das Land angelaufen
wird, treten die flachen Küsten erst auf wenige Seemeilen Entfernung
deutlich aus dem meist „mistigen“ Hintergrunde hervor und lassen
kaum ihre zerklüfteten Formen und die unzähligen Korallenriffe er-
kennen, die sich fast vor allen Küstentheilen als Barrièren aufbauen.
Höchst selten sind von hoher See aus die imposanten Formen der
Hochlandgebirge wahrzunehmen, welche den dunklen Hintergrund der
Tierra caliente, dieses heissen gefürchteten Küstenstriches bilden. Meist
ist das Tagesgestirn schon unter den Horizont gesunken, wenn seine
erblassenden Strahlen über Dunst und Gewölke die Gestalt des Pic
[153]Vera-Cruz.
von Orizaba als dunklen Kegel gegen die See projiciren — ein un-
trügliches Wahrzeichen für die zu steuernde Richtung und oft der
erste Gruss aus dem noch 200 Seemeilen entfernten Lande.
Noch grossartiger ist die Wirkung auf den Beschauenden, wenn
an klaren Morgen der 5450 m hohe Bergriese sein von der auf-
gehenden Sonne beschienenes spitzes schneebedecktes Haupt hoch über
Nebel und Gewölke erhebt. Man wähnt den seit langer Zeit erloschenen
Vulcan in allen seinen Details greifen zu können, und doch sind es
noch 80 Seemeilen von der Küste landeinwärts bis zu dessen Fuss,
auf welcher Strecke die verzehrende Glut der Tropen nur allmälig
einer gemässigten Temperatur weicht.
Es können jedoch Wochen und Monate vergehen, bevor man den
Anblick eines dieser beiden Bilder geniessen kann, denn so regelmässig
der Passat — die grösste Wohlthat und einzige Kühlung — hier
weht, so regelmässig erfüllen die von ihm mitgetragenen schweren
Dünste die Atmosphäre, insbesondere zur Morgen- und Abendzeit.
Der Pulsschlag der Natur ist kein reger; die nur um Geringes
schwankende Gleichheit von Tag- und Nachtlänge, das gleichmässige
Klima, welches nur eine nasse und eine trockene Jahreszeit aufweist,
die fast öde Küste mit ihren monotonen leichten Sandhügeln wirken
um so deprimirender auf den Bewohner der Seestadt, als die ganze
Küste insbesondere in den heissen Jahreszeiten vom gelben Fieber
heimgesucht ist.
Vera-Cruz kann daher nur eine vorübergehende Anziehungskraft
auf jene Fremden üben, welche für die Gefahren und Entbehrungen
denen sie ausgesetzt sind, reichen Lohn zu finden hoffen.
Vera-Cruz besitzt, wie aus unserem Plane zu ersehen, keinen
Hafen, nur eine schlechte Rhede; zahllose, zu ganzen Bänken ver-
einigte Riffe, welche hier vor der Küste lagern, dienen jedoch als
Wellenbrecher gegen den durch den Passatwind erzeugten hohen See-
gang, der hier aus Südost und Süd weht; aber sie schützen die
Rhede nur unvollkommen vor den schweren Wogen der „Nortes“,
Nordstürme des Winters.
Allein es fehlt alles rege Leben auf dieser Rhede, und all
die Dampfer, welche Vera-Cruz berühren und den directen Verkehr
mit den Vereinigten Staaten, den Antillen, England und Deutschland
vermitteln, wie auch die Segler nehmen ihren Ankerplatz zwischen
der Stadt und dem auf einer kleinen Insel gelegenen Fort Ulloa nur
so lange ein, als dies die Abwicklung der Post- und Handelsgeschäfte
erfordert. Schiffe aber, die zu längerem Aufenthalte vor Vera-Cruz
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 20
[154]Die atlantische Küste von Amerika.
bestimmt sind, wählen den Ankerplatz südlich der Insel Sacrificios;
dort müssen auch die später ankommenden Schiffe warten, wenn der
Hafen überfüllt ist.
Zahlreiche historische Erinnerungen knüpfen sich insbesondere
an das oben genannte Fort, das seit seiner Erbauung in all den
Wechselfällen und Kämpfen des Reiches bis zum Jahre 1825 ununter-
brochen im Besitze der Spanier geblieben war.
Fort Ulloa bildete den Fusspunkt aller Unternehmungen und
Bestrebungen der Spanier, welche auf den Besitz dieses Landes ab-
zielten.
Mexico ist ein schwergeprüftes Land. Bis zu dem Zeitpunkte, in welchem
das Geheimniss, das so lange auf dem Meere gelegen hatte, durch den grossen
Colon und seine Zeitgenossen gelöst wurde, war das heutige Mexico eines
jener Gebiete des amerikanischen Continentes, auf welchem eine selbständige, in
ihrer Eigenthümlichkeit aber vollendete Cultur zu bewunderungswürdiger Höhe
sich entwickelt hatte.
Durch unbekannte Ursachen, möglicherweise durch die Einwirkung von
Fremden (Chinesen, Japanesen?), die an jene Küsten verschlagen wurden, er-
langten drei Völkerschaften Amerikas, wiewohl selbe unter einander nicht in Ver-
bindung standen, eine hohe Stufe der Civilisation, und zwar schon Jahrhunderte
vor dem Erscheinen der Spanier. Dies waren die Tolteken in dem Hochlande von
Anahuak (Land am Wasser), die Muyscaner in Bogota (Neu-Granada) und die
Peruaner. Es wird angenommen, dass ungefähr um die Mitte des VII. Jahrhun-
derts die Tolteken von Norden her in Anahuak erschienen und die dort in Ilas-
kala und Cholula angesiedelten Olmeken unterjochten. Den Tolteken wird grosser
Gewerbefleiss und Kunstsinn nachgerühmt. Sie verbreiteten sich aus dem Thale
von Mexico nach allen Richtungen und hinterliessen grossartige Bauwerke, worunter
die imposanten Teokali oder Tempel, in welchen zahllose Menschenopfer den
Göttern dargebracht wurden, dann die Paläste, Thorgebäude, Befestigungen,
Brücken und Wasserleitungen das Staunen der vorgedrungenen Spanier im höchsten
Grade erregten. Bis nach Yucatan hinab waren die Tolteken gezogen, allein
nach fünf Jahrhunderten verschwand dieser Volksstamm ebenso geheimnissvoll
wie er aufgetreten war.
Es erschienen um 1170 die wilden Chichimeken und nach diesen kamen
wieder höher gebildete Völker, vielleicht Stammverwandte der Tolteken. Unter
diesen glänzten die Azteken oder Mexicaner, deren Name von ihrem Kriegsgotte
Mexitli entstanden war, und die Akolhuaner oder Tezkukaner, nach ihrer Haupt-
stadt Tezkuko so genannt.
Die Azteken gründeten, obwohl seit dem Ende des XIII. Jahrhunderts im
Lande, erst 1325 an der Westseite des grössten der Seen in der Landschaft die
zu grosser Blüthe und Pracht aufgelebte Tempelstadt Tenochtitlan oder Mexico,
die ganz von Fluten umspült, nur durch drei lange Dämme mit dem Festland in
Verbindung stand.
Mit Tezkuko und dem kleinen Königreich Tlakopan schlossen die Mexikaner
Anfangs des XV. Jahrhunderts ein Bündniss und erweiterten ihre Macht bis an
die Küsten der beiden Oceane und im Süden bis nach Nicaragua.
[155]Vera-Cruz.
Sowohl bei den Azteken wie bei den Tezkukanern hatte die monarchische
Regierungsform zu grosser Kraft sich entfaltet. Der Monarch wurde aus der
Herrscherfamilie gewählt, musste sich jedoch im Kriege ausgezeichnet haben. Der
Priesterstand besass einen bedeutenden Einfluss im Staate, und manche Angehörige
der regierenden Familie, wie Montezuma, gehörten der Priesterkaste an.
Unter dem Segen eines prächtigen Klimas und fruchtbaren Bodens zog ein
allgemeiner Wohlstand in das Land ein, Gewerbe, Ackerbau und Künste blühten,
und wären die entsetzlichen Menschenopfer der Götzen nicht gewesen, so würde
zum vollen Glücke der Völker wohl nur weniges gefehlt haben.
Von fremden Völkerschaften, etwa jenseits des grossen Wassers, oder von
weissen Menschen wusste man nichts, nur eine dunkle Sage blieb erhalten, nach
welcher der Gott der Luft, Quetzalkoatl, nachdem er durch Unterweisung der Be-
wohner in allem Guten und Schönen ein goldenes Zeitalter geschaffen hatte, das
Land auf einem Zauberschiffe verliess, weil eine Hauptgottheit ihm zürnte. Er
habe jedoch versprochen, mit seiner Nachkommenschaft einstens zurückzukehren,
um sein Reich dann wieder in Besitz zu nehmen.
Diese Sage lebte unzweifelhaft auf, als die ersten Spanier mit niemals zuvor
gesehenen Waffen und Thieren auf wunderbar vom Winde getriebenen Schiffen an
der mexikanischen Küste landeten.
Seitdem Colon 1492 die Insel San Salvator betreten, folgte eine Entdeckung
der anderen, allein die continentale Ostküste des caraibischen Meeres war dennoch
lange Zeit unbekannt geblieben.
Erst 1517 trieb ein Sturm den Hernandez de Cordova an die Küste von
Yucatan (Uyucatan), wo er von der Gesittung der dortigen Bewohner und von
ihrem kriegerischen Geiste sich überzeugte.
Velasquez, der Gouverneur von Cuba, beschloss, die Entdeckungen fortzu-
setzen, und entsendete am 1. März 1518 ein Geschwader von vier Schiffen unter
Juan de Grijalva nach Yucatan, allwo letzterer mit den unfreundlichen und
widerstrebenden Bewohnern in Verkehr und Tauschhandel trat. Man erhielt kost-
bare Edelsteine, edle Metalle und Goldarbeiten für Nadeln, Scheren und Glas-
perlen. Das neue Land schien den Entdeckern fabelhafte Reichthümer in Aussicht
zu stellen.
Grijalva drang bis zur Mündung des Panuco-Flusses vor, nachdem er auf
der Insel Sacrificios (bei Vera-Cruz) gelandet und dort zum allgemeinen Entsetzen
in einem Tempel die Ueberreste von geopferten Menschen vorgefunden hatte. Als
Velasquez die Wunder des neuen Landes vernahm, entsendete er ein grosses Ge-
schwader unter Fernando (Ferdinand) Cortez an die mexicanische Küste mit der
Weisung, einen vortheilhaften Tauschhandel mit den Bewohnern zu treiben und
die Bekehrung derselben zum christlichen Glauben anzustreben. Blutvergiessen
sei zu vermeiden, allein man solle trachten, die Einwohner zur Huldigung Karl V.
zu vermögen, welche sie durch Darbringung von Edelsteinen, Gold und Perlen
bezeigen können.
Die Entdeckungsfahrt des Cortez gestaltete sich zu einem der abenteuer-
lichsten, kühnsten und für die Völker Mexicos folgenschwersten Eroberungszuge,
der in der Geschichte seinesgleichen sucht.
Cortez’ bewunderungswürdiger Charakter, ritterlicher Muth, Ausdauer, Zä-
higkeit und Festigkeit des Willens, Hochherzigkeit, gepaart mit diplomatischer
20*
[156]Die atlantische Küste von Amerika.
Begabung, List und unerbittlicher Strenge, alle diese Eigenschaften bilden den
Schlüssel zur Erklärung seines grossartigen Erfolges.
Nach sechsmonatlichen Kreuzfahrten landete Cortez am 18 Februar 1519
am Flusse Tabasko.
Sein Geschwader bestand damals aus 11 Schiffen mit 617 Mann, darunter
16 Reiter und 13 mit Feuergewehr bewaffnete Arkebusieren. Die anderen Krieger
waren mit Armbrüsten, Lanzen und Schwertern bewehrt. Zehn Kanonen und vier
Feldschlangen bildeten die Artillerie.
Es würde zu weit führen, den Eroberungszug in allen seinen Phasen hier
darstellen zu wollen, weshalb nur die wichtigsten Resultate hier aufgenommen
werden.
Von Tabasko, wo die Indianer in blutiger Schlacht total geschlagen wurden,
segelte Cortez nordwärts, landete am 21. April an dem Punkte, wo heute Vera-
Cruz sich erhebt, und bezog hier ein Lager.
Von hier aus trat er mit Abgesandten des in Tenochtitlan regierenden, ihn
abweisenden Montezuma in Verkehr und beschloss den tollkühnen Vormarsch gegen
die Hauptstadt eines von tapferen Kriegern vertheidigten zahlreich bevölkerten
Reiches.
Zuvor gründete er die Stadt La Villa rica de la vera Cruz und befestigte
sie ansehnlich.
Cortez liess seine Flotte verbrennen und brach am 16. August mit 400 Mann
Fussvolk, 15 Reitern und 7 Geschützen nach Mexico auf. Nach blutigen Kämpfen
gelang es dem Eroberer des Bündnisses unzufriedener Völkerschaften sich zu ver-
sichern, worunter hauptsächlich die Tlaskalaner ihm zur Stütze wurden. Ungeheure
Leichenfelder bezeichneten den Weg der Spanier, die schliesslich am 8. November
in der herrlichen Hauptstadt eingezogen. Aber erst am 21. August 1521, nachdem
sie vorher die Hauptstadt unter schweren Verlusten hatten verlassen müssen und
sie dann neuerdings eroberten, waren sie unbeschränkte Herren des Landes.
Montezuma ward während dieser Zeit gefangen genommen und starb; der letzte
Herrscher des Reiches, der muthige und unversöhnliche Guatemozin gerieth auf
der Flucht aus seiner zu einem Trümmerhaufen zusammengesunkenen Residenz-
stadt in Gefangenschaft. Diesen Monarchen traf 1525 das traurige Schicksal, unter
Henkershand zu sterben.
Die Zahl der in dem Kampfe gegen Cortez gefallenen Azteken wird mit
120.000 bis 240.000 Mann angegeben. Die Spanier hatten indes Verstärkungen
erhalten, allein ihre Macht erreichte zu keiner Zeit die Stärke von 1000 Mann.
Sie verloren einige Hundert Mann, von welchen etliche 80 den Opfertod in den
Tempeln starben.
Die Verluste der Verbündeten werden dagegen auf 30.000 Mann geschätzt.
Am 15. October 1522 ward Cortez von Karl V. zum Statthalter und Ober-
befehlshaber von Neuspanien, dies der damalige Name des ganzen eroberten Rei-
ches, ernannt und trachtete nun die neue Herrschaft zu befestigen und beson-
ders die Hauptstadt zu möglichstem Glanz wieder aufzubauen.
Es ist zweifellos, dass damals sehr viel für das Land geleistet wurde,
allein ebenso gewiss ist es, dass bei aller Umsicht und Liebe des Cortez für seine
Erwerbung den Bewohnern kein mit ihren früheren Verhältnissen vergleichbarer
Zustand geboten worden war. Man hatte zerstört und gestürzt, ohne Ebenbürtiges
an die Stelle des Verschwundenen setzen zu können.
[[157]]
Vera-Cruz.
[158]Die atlantische Küste von Amerika.
Man vernichtete den Götzendienst mit seinen Menschenopfern und erfüllte
statt dessen die Luft mit dem brenzlichen Geruche, der den zahllosen qualmenden
Scheiterhaufen entstieg, mit welchen die Unduldsamkeit ihren Geist erschöpfte.
Das einst blühende und glückliche Land ward in den seiner Eroberung
folgenden drei Jahrhunderten von den Spaniern systematisch ausgebeutet, ohne
dass sie viel für die Hebung der Cultur gethan hätten, allein es ist nicht zu
läugnen, dass es unter den Spaniern besser um die öffentlichen Zustände stand, als
später unter der Republik. Im Jahre 1808 begann in Mexico die Unabhängigkeits-
bewegung und mit dieser der Bürger- und Guerillakrieg. General Iturbide versuchte,
ein Kaiserthum Mexico aufzurichten, ward aber, nachdem er die Kaiserwürde als
Augustin I. durch zehn Monate, 1822 bis 1823, bekleidet, gestürzt und verbannt.
Zwei Jahre später ward er bei dem Versuche einer Landung ergriffen und er-
schossen.
Mexico erklärte sich am 16. December 1823 zu einer bundesstaatlichen
Republik, die aber erst nachdem die Spanier ihr letztes Bollwerk, das Fort Ulloa
von Vera-Cruz, am 19. November 1825 durch Capitulation verloren, die volle Un-
abhängigkeit erlangte.
Blutige Bürgerkriege entkräfteten in den folgenden Jahrzehnten das Land
und zerrütteten seine Finanzen derartig, dass es seinen Verpflichtungen dem Aus-
lande gegenüber nicht nachkommen konnte. Dies war die Veranlassung zum Ein-
schreiten der europäischen Mächte, in der Folge zur Aufrichtung des zweiten
Kaiserthrones, den Erzherzog Ferdinand Maximilian einzunehmen vom Schicksale
bestimmt war.
Vielfache Ursachen, insbesondere aber die perfide Politik Napoleon’s III.,
der seine Truppen aus Mexico zog und den Kaiser treulos verliess, drängten den
übelberathenen Prinzen in das Verhängniss. In Queretaro eingeschlossen, capitu-
lirte er im Mai 1867 und gerieth in die Gewalt der Republikaner.
Am 19. Juni ward er gemeinschaftlich mit zweien seiner Generale zu Que-
retaro erbarmungslos erschossen.
Juarez, seit 1861 mit der Dictatur bekleidet, wurde im Juli zum Präsidenten
der Republik gewählt, stellte die Ruhe im Lande wieder her, allein es wird einer
langen Zeitperiode bedürfen, bis in dem an Naturschätzen reichen Lande die
Wohlfahrt der Bewohner einzieht.
Aus der Geschichte Mexicos geht hervor, dass die verhältniss-
mässig spärliche Bevölkerung des Riesenreiches, durch Kriege und
Bürgerkriege an der Entwicklung verhindert und von jedem Wett-
bewerbe fast ausgeschlossen, nicht im Stande war, dem Lande
zu jenem Aufschwunge zu verhelfen und jenes Gedeihen zu sichern,
zu welchem es vermöge seiner natürlichen Reichthümer berufen wäre.
Aber seit Porfirio Diaz Präsident ist, hat sich vieles zum besseren
geändert. Mit Gewandtheit und Energie hält die Centralgewalt den
äusseren Frieden und die Ruhe und Ordnung im Innern aufrecht. Ein
weises System der Sparsamkeit in Verbindung mit der Convertirung
der früheren Staatsschuld und die Eröffnung neuer Hilfsquellen hat
Mexico ein geordnetes Finanzwesen gegeben. Man darf aber nie ver-
[159]Vera-Cruz.
gessen, dass Mexico eines der gottbegnadetsten, reichsten Länder
der Erde ist.
Die Regierung fand Zeit, auch anderen Zweigen der Verwaltung
ihre Fürsorge zuzuwenden und in erster Linie den Bau der Eisen-
bahnen zu fördern.
Es war daher Pflicht der Dankbarkeit und der Vaterlandsliebe
der Mexicaner, dass sie 1887 wegen Porfirio Diaz die §§ 78 und 109
ihrer Constitution geändert haben. So konnte der grosse Staatsmann,
der vom 1. December 1884 bis 1. December 1888 mit so viel Ge-
schick Mexico geführt hatte, neuerdings für vier weitere Jahre an der
Spitze des Staates erhalten werden, denn nach der alten Bestimmung
war es nicht gestattet, dass derselbe Mann in zwei unmittelbar hinter-
einander folgenden Präsidentschaftsperioden Präsident sein konnte.
Dass die immerwährenden Unruhen einer erst halbvergangenen
Zeit für den Ausbau moderner Verkehrsmittel nicht günstig waren,
ist selbstverständlich.
Kaum über zwei Decennien ist es her, dass Schienenwege den
Haupthandelsplatz Vera-Cruz mit der Hauptstadt verbinden, und erst
1884 fanden diese Verkehrsadern an dem Bahnnetze der Vereinigten
Staaten ihren Anschluss.
Den Hauptbestandtheil der 12 Millionen Einwohner der unab-
hängigen Staaten von Mexico bildet, wie im ganzen romanischen
Amerika, das indianische Element. Es ist durch Zähigkeit, Ausdauer
und Tapferkeit ausgezeichnet.
Dessen Berührung mit europäischen und anderen fremden Ele-
menten hat den Unterschied zwischen den Abkömmlingen der tolte-
kisch-aztekischen Völkergruppe und der jetzigen fast ausschliesslich
christlich-civilisirten Bevölkerung fast gänzlich aufgehoben, ja selbst
die Sprache der Indianer (indios fideles) ist wie in Mexico allgemein
die spanische, und nur wenige indianische Stämme, die sogenannten
Indios bravos, haben ihren früheren Charakter bewahrt.
So trägt denn auch Vera-Cruz dennoch ein interessantes Ge-
präge, indem hier die verschiedensten Menschenarten und Mischlinge
aller Art vertreten sind.
Unter der etwa 22.000 Seelen betragenden Bevölkerung von
Vera-Cruz und den Vororten sind es vorzüglich die Weissen, in deren
Händen sich der Handel befindet, insbesondere Deutsche und Ameri-
kaner, während die Würden und Aemter von Landeskindern getragen
werden, die übrigens an allen Gewerben und dem Detailhandel regen
Antheil nehmen.
[160]Die atlantische Küste von Amerika.
Die unmittelbare Umgebung von Vera-Cruz gleicht einer Wüste;
der zitternde Hauch der aus der See und dem Sandboden entsteigenden
Dünste, das ringsum blendende Licht der fast aus dem Zenithe nieder-
strahlenden Sonne machen das Leben tagsüber fast unerträglich.
Es ist daher nicht zu wundern, dass gerade um die Tageszeit
die Stadt Vera-Cruz einer ausgebrannten Stätte am ähnlichsten wird,
indem alle Geschäftigkeit ruht und Mensch und Thier in die tiefsten
Schatten und Räume der Behausungen flüchten.
Die Stadt ist sehr regelmässig angelegt; längs ihren Südost bis
Nordwest laufenden Quais findet sich eine stattliche Reihe zwar
niederer, aber schöner und solider Bauten, welche hauptsächlich als
See- und Zollämter eingerichtet sind und nicht selten von den über
den vorliegenden Sand sich wälzenden Wogen oder doch ihrem Gischte
benetzt werden.
Ein Molo ist so ziemlich die einzige dem Seeverkehre gewid-
mete Anlage. Menschen und Güter, welche von See kommen, müssen
durch die grossen Thore am Fusse dieses Molos ihren Eingang nach
der Stadt nehmen, die auch heute noch mächtige Mauern ganz ein-
schliessen.
Diese alten Stadtwälle sind als Grabstätten eingerichtet, da die
Beerdigung der Todten in anderer Weise im Weichbilde der Stadt
nicht ausführbar ist, und um diese Wälle führt aussen eine Strassen-
bahn, auf der die bemittelten Einwohner von Vera-Cruz spazieren
fahren, wenn sie frische Luft schöpfen wollen.
Würde dem Fremden die fast ständig herrschende todtbringende
Epidemie des Vomito nero oder gelben Fiebers den Aufenthalt nicht
verleiden, so könnte er sich leicht befreunden, in der sonst reinen,
nett und regelmässig angelegten Stadt seinen Aufenthalt zu nehmen.
Die breiten Strassen laufen zumeist schnurgerade, die bedeutend-
sten parallel zur Quaifront, und die bescheidenen, doch säuberlichen
schneeweissen Gebäude mit den grünen Fensterbalken, ihren luftigen
und schattigen Höfen machen einen recht angenehmen Eindruck. Ganz
besonders freundlich wirkt das Gebäude der Präfectur mit seinen
Säulengängen und der dem vorliegenden Platze zugekehrten Front,
vor welcher sich auch der einzige tropische Parkschmuck ausbreitet.
Obwohl für den Fremdenverkehr zur Genüge gesorgt ist, können
Ansprüche im modernen Sinne hier kaum erhoben werden. Die durch
klimatische Verhältnisse bedingte Eigenart der Gebäude, die geregelte
Lebensweise, welche der Fremde im hygienischen Interesse befolgen
muss, lassen auch Geselligkeit kaum aufkommen und wirken hemmend
[161]Vera-Cruz.
auf die Entfaltung eines regen Lebens in den Strassen, in welchen
die bescheidenen Schauläden der kleinen Geschäftswelt keine besondere
Anziehungskraft üben.
Ausser den grossen Gefahren durch die vorherrschenden Krank-
heiten, unter welchen nebst dem gelben Fieber auch andere Fieber-
A Rhede von Veracruz für grössere Schiffe, B Fort St. Juan de Ulloa, C Korallenriffe, D Kirche
S. Francisco, E Pfarrkirche, F Leuchtfeuer, G Merced-Kirche, H Bahnhof.
erkrankungen, wie z. B. die Calientura, auftreten, belästigen den des
Klimas Ungewohnten noch vielfältige Plagen, welche das Leben oft
zu einem unleidlichen gestalten.
Der eigenthümliche Dunst, die übelriechende sehr feuchte Atmo-
sphäre, verschlimmert durch den Umstand, dass Abzugscanäle schwer
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 21
[162]Die atlantische Küste von Amerika.
anzulegen sind und die schmutzigen Wässer in offenen Rinnsalen dem
Meere zufliessen, sowie die grässliche Plage der Mosquitos werden
Jedem unvergesslich sein, der sich genöthigt sah, innerhalb der Mauern
von Vera-Cruz ein nahezu vereinsamtes Dasein zu führen.
Kaum bringt die Winterszeit, zu welcher nur in seltenen Fällen
die Temperatur unter + 15°C. herabsinkt, dauernde Erlösung aus
dem lethargischen Dahinleben, in welchem die vor einer Kaffee- oder
Trinkhalle bei den seltsamsten Gemischen von mit Eis versetzten Ge-
tränken verbrachten Abendstunden nur durch eine kurze Weile über
die unter der Sonnenglut dahingelebte Zeit hinwegtäuschen.
Die Zeit der Geschäfte ist der Morgen. Kaum graut der Tag, so
recken die auf allen Gesimsen der Gebäude und auf den Thürmen
der Kirchen zu tausenden nistenden Aasgeier ihre Gefieder und erheben
ihr heiseres Gekrächze, indem sie die Kehrichtwägen verfolgen, welche
ihren unsauberen Inhalt weitab von der Stadt, an die von der fort-
währenden Brandung heimgesuchten sandigen Ufer führen.
Diese Aasgeier, Zopilotes, sind eine ganz eigene Species und
ein Charakteristicum der Stadt, und so unheimlich ihr Gekrächze, so
unangenehm ihr Parfüm, wenn die unscheuen Thiere den Passanten
mit ihrem Flügelschlage zufällig Kühlung zuwehen, müssen sie in ge-
wissem Sinne als Strassenreiniger betrachtet werden, indem die ver-
faulenden Abfälle doch grösstentheils ihrer Gefrässigkeit zum Opfer
fallen.
So ein nächtlicher oder früher Morgengang gewährt überhaupt
dem Fremdling im Lande manche Ueberraschungen, denn mitten im
Lande, ja sogar im Gebiete der Stadt begegnet man unheimlichen
Krabbenthieren, welche Crustaceen nicht nur in dem sandigen Terrain
ringsum, sondern meilenweite Strecken landeinwärts auch dort, wo
undurchdringliches Gestrüppe und reiche üppige Tropenvegetation den
Boden zieren, ihren Aufenthalt haben und sogar die Bäume erklettern
und bevölkern.
Kaum ein anderes Land der Erde ist wie die Tierra caliente,
der Küstenstrich am Golfe, so reich an Formen und Farben allerhand
Ungethiers. Auch die Nutzthiere in den Haziendas, welche fast wild
aufwachsen, das Pferd, der kleine aber kräftige Stier, das Maulthier,
die Hühnerarten zeigen ihr eigenthümliches Gepräge, und der Nimrod,
welcher die Strapazen nicht scheut, die spärlich bewohnte Gegend
unter manchen Gefahren zu durchkreuzen, der Zoologe, können ein
reicheres Terrain nach Jagd oder Forschung kaum anderswo finden.
Die geringe Inanspruchnahme der Gaben des Landes lässt Alles
[163]Vera-Cruz.
wuchern, und gleiche Verhältnisse wie auf dem Lande herrschen im
Gebiete der Küste, an den wundersam zerrissenen und zerklüfteten
Meeresgründen, seinen Lagunen und träge stillstehenden lauen Fluten,
in welchen die Riesenschildkröte sowie der mächtige Hai und un-
zählige Arten von Fischen in überreicher Zahl und Farbenpracht ein
idyllisches Dasein führen. Und über all dem schwebt und bewegt sich
eine unvergleichlich mannigfaltig und schön gefiederte Welt.
Auch ohne den mühevollen Besuch der von Vera-Cruz weiterab
liegenden Gegenden lässt sich ein höchst werthvoller Einblick in das
Weben des Tropenlebens gewinnen, denn Alles, was das Terrain be-
herbergt, nützlich und geniessbar oder nicht, wird hier zu Markt
gebracht.
So ist die hübsche Halle, in welcher man all die Schätze des
Bodens erstehen oder mit Bewunderung betrachten kann, wohl die
erste und auch einzige Sehenswürdigkeit von Vera-Cruz, die für
alles Fehlende entschädigen muss.
Und hinter den hochgestapelten seltsamen Früchten, die uns
mehr durch ihre Form und Art als durch die Ueberzeugung von ihrem
Werthe für den Gaumen bestechen, klettert allerlei Federvieh in
Käfigen, auch Faul- und Gürtelthiere, Ameisen- und Nasenbären und
das lustige Volk der Papageien und Affen, unter welchen uns frohe,
grinsende Negergesichter zum Kaufe einladen.
Die Neger sind zumeist die lustigsten Gesellen, und nachdem
sich die befreundeten Käufernachbaren soeben gegenseitig mit den
langen Zuckerrohren gehörig durchgeprügelt haben, zerkauen sie ihre
Waffen, um ihnen den süssen Inhalt auszusaugen.
Diesem kindlichen und kindischen Getriebe gegenüber erscheint
der Indianer in seiner stoischen Ruhe doppelt auffällig. Der Sohn des
heissen Landes nimmt Alles gelassen hin, und so unscheinbar seine
Gestalt, so fest ist doch sein ganzes Wesen und seine Lebensweise
einfach und manchmal fast ritterlich.
Selbst in den niedersten Volksclassen werden Streitigkeiten, ins-
besondere in Ehrensachen, in ganz solenner Weise ausgetragen, wenn
auch der Stock allein hiebei die gewählte Waffe ist.
Der geschäftigste Tag ist seit jeher der Sonnabend, es ist dies
der allgemeine Tag für die Begleichung aller Ausstände, und wird
mit musterhafter Pünktlichkeit an dieser schönen Gepflogenheit fest-
gehalten.
Die Bestreitung der Lebensbedürfnisse ist keine leichte Sache
und wird um so schwieriger, je weiter man sich von der nationalen
21*
[164]Die atlantische Küste von Amerika.
Einfachheit, der Genügsamkeit mit Maiskuchen (tortillas) und Bohnen
oder Linsen entfernt, ja zeitweise geradezu unerschwinglich. Selbst
die überreichen Producte des Landes und der Umgebung sind infolge
des Umstandes, dass sie den Arbeiter und Händler reich entlohnen
müssen, und weil das Klima der Conservirung der Artikel so nach-
theilig ist, nur zu enormen Preisen erhältlich, und überdies belasten
die bedeutenden Eingangszölle jedes Einkommen ganz unverhältniss-
mässig.
Vera-Cruz ist, wie schon erwähnt, der einzige bedeutende Hafen-
platz an der ganzen Ostküste der mexikanischen Republik. Es genoss
seit der Gründung der ersten Niederlassungen durch die Spanier bis
1884 trotz seiner wenig sicheren Lage fast das ausschliessliche
Monopol des Gütertransportes von Europa nach dem Innern Mexicos.
Denn von hier ist der Weg nach der Hauptstadt Mexico, dem wich-
tigsten Gebiete des Consumes, kürzer als von irgend einem anderen
Hafenorte der Ostküste aus, die überdies alle gar nur mehr oder
weniger einfache Stapelplätze am freien Strande sind, dem die
grösseren Dampfschiffe sich nicht nähern dürfen.
Nur Tampico könnte leicht eine Ausnahme von dieser Regel
machen.
Ganz bedeutend hob sich die Macht von Vera-Cruz, als 1871
endlich die 424 km lange Hauptlinie Vera-Cruz—Mexico der mexi-
canischen Eisenbahngesellschaft vollendet war, deren Bau man von
Vera-Cruz aus schon im Jahre 1842 begonnen hatte. Von Jahr zu
Jahr steigerte sich nun der Verkehr und erreichte seinen höchsten
Stand, als seit 1880 die Banquiers Bostons den Bau grosser Eisenbahn-
linien von der Nordgrenze und von der Hauptstadt Mexico aus in
Angriff nahmen, um die Nachbarrepublik zunächst wirthschaftlich an
die Union zu fesseln und dieses Absatzgebiet durch die Bahnverbin-
dungen den europäischen Industriestaaten zu entreissen. Dass diese
mit amerikanischem Gelde gebaute Bahn auch von grosser politischer
Bedeutung ist, liegt wohl auf der Hand.
Die Eröffnung der mexicanischen Centraleisenbahn im März
1884, welche in El Paso del Norte an das System der südlichen
Pacificbahn der Union anschliesst und bis zur Stadt Mexico eine
Länge von 1970 km besitzt, wurde von vielen als der Anfang des
Niederganges von Vera-Cruz angesehen. Es bestand ja jetzt eine
zweite Bahnverbindung nach den dichter bevölkerten Theilen von
Mexico, die zu beiden Seiten des 20° nördl. Br. sich ausdehnen.
Auch bot die in amerikanischen Händen befindliche Bahnver-
[165]Vera-Cruz.
waltung Alles auf, um mittelst niedriger Durchfrachten und durch
Anwendung von Differentialtarifen den internationalen Verkehr an sich
zu ziehen. Und in der That gingen 1885 die Einnahmen des Zoll-
amtes von Vera-Cruz gegen das Vorjahr um 20 % zurück, aber das
war nur der Betrag des Zolles, der in den früheren Jahren für die
Einfuhr von Eisenbahnmateriale entrichtet worden war, und diese
hörte natürlich auf, als der grosse Bahnbau vollendet war.
Seit diesem Rückschlage hat sich der Einfuhrhandel von Vera-
Cruz beständig in günstiger Weise entwickelt, obwohl zu der Eisen-
bahn von der Union nach der Stadt Mexico über El Paso del Norte
zwei neue hinzugekommen sind, die über den Eagle-Pass und über
Laredo, welche gegen die alte Verbindung eine starke Abkürzung des
Weges bieten.
Die Eisenbahnen von der Union her haben weniger den alten
Aussenhandel Mexicos an sich gerissen, sondern einen neuen Verkehr
geschaffen; denn schon die sichere Erwartung der Eröffnung einer
neuen Eisenbahn wirkt wahre Wunder in den Gegenden, welche sie
durchziehen soll. Die mexicanischen Bahnen sind ebenso Pionniere der
Cultur, wie die nordamerikanischen. Auf keinem Gebiete zeigt sich
das auffälliger als auf dem des Bergbaues.
Man muss auch im Auge behalten, dass in der Hauptstadt,
deren Handelsbedeutung von jeher die aller anderen mexikanischen
Plätze um das Vielfache überwogen hat, die unbedingte Ueberlegen-
heit der neuen Ueberlandwege wegen der grossen Entfernungen bis
zur Grenze allein aufhört und dass daher der alte Handelsweg über
Vera-Cruz seine alte Bedeutung in den meisten Artikeln behaupten
konnte.
Der Vera-Cruz-Weg ist als Wasserweg billiger als die lange
Eisenbahnfracht von New-York oder New-Orleans und Galveston her,
und darum behauptet er seine Stellung gegen alle Eisenbahncon-
currenz.
Die mexicanische Eisenbahn blieb der neuen Concurrenz gegen-
über auch nicht müssig. Sie benützte zunächst die guten Einnahmen
der Jahre 1882—1884 dazu, ihren Bahnkörper und ihr rollendes
Material in einen sehr guten Stand zu setzen, und 1887 ging sie
nach einigem Sträuben mit ihren Tarifen gewaltig herunter. Die in
kurzer Zeit bevorstehende Eröffnung der Strecke Vera-Cruz—Mexico
der interoceanischen Eisenbahn über Jalapa, welche somit eine wirk-
liche Concurrenzlinie der alten Bahn ist, wird die Lage von Vera-
Cruz noch günstiger gestalten als bisher.
[166]Die atlantische Küste von Amerika.
Die Ordnung und verhältnissmässige Blüthe, deren sich Mexico
seit dem weisen Regimente des Porfirio Diaz zu erfreuen hat, kommt
auch im Handelsverkehre von Vera-Cruz zum Ausdruck, noch weit
mehr aber die Thatsache, dass der Präsident der Bundesrepublik
Mexico eine möglichst strenge Centralisation einführt. Dadurch werden
immer grössere Ländergebiete der Hauptstadt Mexico tributär, und in
demselben Masse, als sich die Hauptstadt hebt, die jetzt von allen
Seiten leicht durch Eisenbahnen zu erreichen ist, steigt mittelbar die
Bedeutung ihres Hafens Vera-Cruz.
Soweit die Handelslage von Vera-Cruz von allgemeinen Ver-
hältnissen abhängt, muss man sie als eine mindestens relativ gün-
stige bezeichnen, die Stadt selbst aber hat mit wahrhaft bewunde-
rungswürdiger Ruhe bisher fast Alles unterlassen, was den Handel
an ihre Ufer fesseln kann. Vielleicht lässt sich keine ausgiebige Ab-
hilfe dafür schaffen, dass in Vera-Cruz die Sterblichkeit 5 % der
Bevölkerung erreicht, dass hier also von 1000 Einwohnern jährlich
2½ mal so viele in ein besseres Jenseits eingehen als in London.
Aber dass an dem Damme des Zollhauses von Vera-Cruz kein
Krahn steht, dass das Geleise der Eisenbahn, welches ins Zollhaus
führt, nicht benützt werden darf, dass auf der kurzen Strecke von
550 m, welche die Eisenbahnstation von dem Zollhause trennt, keine
Schienen gelegt werden, weil die Lastträger und Frachtenführer von
Vera-Cruz thatsächlich ein ausschliessliches Privilegium auf die Be-
förderung der Handelslasten haben und dieses auch ausnützen, das
sind alte, verrottete, wenn auch privilegirte Uebelstände, welche den
Besuch des Hafens so vertheuern, dass man für eine Tonne Güter,
die von Bord zur Eisenbahnstation gebracht werden, 35 Dollars
Auslagen hat.
Und da die einflussreiche Clique der Spediteure mit den Ar-
beitern Hand in Hand geht, wird wohl so bald nichts geändert.
Zudem ist die Zahl der Lichterschiffe ungenügend, der Hafen
leicht überfüllt, so dass die später ankommenden Schiffe zur Insel
Sacrificios gewiesen werden, wo sie keine Handelsoperationen vor-
nehmen können. An den zahlreichen Festtagen, die in Mexico ge-
feiert werden, ist das Zollhaus gesperrt und so auch während der
90—100 Tage, durch welche zwischen October und April die
schweren Nordstürme herrschen, gegen die der Hafen nur wenig
Schutz bietet.
Die Eröffnung der Eisenbahnen in die Union und die Furcht,
dass auch Tampico bald Kopfstation einer Bahn werden könnte, rückte
[167]Vera-Cruz.
Vera-Cruz die Nothwendigkeit vor Augen, seine Rhede in einen
Hafen umzugestalten.
Doch bald erlahmte der Feuereifer der creolischen Unternehmer,
und das mit so grossen Hoffnungen angefangene Werk wurde einfach
an dem Tage aufgegeben, da die Gefahr nicht mehr acut war.
Auch der 1887 neuerdings begonnene Bau eines Wellenbrechers,
der das Festland mit den Inseln Galeta und Gallega verbinden soll,
kommt nicht zu Ende. Aber schon der Theil der Arbeiten, der fertig
ist, hat die Folge, dass der durch den Südwind erzeugte Wellen-
gang nicht mehr die Sinkstoffe aus dem Hafen entfernen kann, weil
der Wellenbrecher ihn aufhält. Derselbe Damm, der bestimmt ist, den
Hafen vor den Nordwinden zu schützen, ist Ursache, dass seine Tiefe
sich vermindert.
Doch wird das Alles den Handel von Vera-Cruz so lange nicht
schädigen, als kein leistungsfähiger Concurrenzplatz an der Ostküste
Mexicos besteht. Und dieser wird Tampico sein, wie uns die Erfah-
rung aus den Vierzigerjahren unseres Jahrhunderts beweist.
Sollte die Agitation, aus Vera-Cruz einen Freihafen zu machen,
von Erfolg gekrönt werden, so ist sogar eine Steigerung des Verkehres
zu erwarten. Mexico hat ja in den Nordgrenzen ein wahres Paradies
der Schmuggler, eine zollfreie Zone, welche 2500 km lang und 20 km
breit ist, die an ihrem südlichen Rande von 800—900 Mann bewacht
wird. Dagegen ist die Zollverwaltung in Vera-Cruz in den letzten
Jahren streng.
Vera-Cruz ist ein Einfuhrhafen und bietet den Schiffen selten
ausreichende Rückfracht, so dass die Tarife aus Liverpool nach Vera-
Cruz um 100 % höher sein müssen als die von Liverpool nach New-
Orleans.
Der Handel von Vera-Cruz betrug:
Nicht weniger als ein Fünftel des Werthes der Einfuhr entfällt auf Baum-
wollstoffe, und zwar 1889 88.189 q (3·6 Millionen Dollars), 1888 73.497 q
(3·1 Millionen Dollars).
Weit über drei Viertel des Werthes der Einfuhr liefert England, ein
Zehntel Frankreich, den Rest die Union und Deutschland.
Die Einfuhr von Baumwollstoffen unterliegt in Mexico einem geradezu
riesigen Zolle, der bei den ordinären Sorten, wie sie England liefert, bis auf 130 %
des Werthes steigt.
[168]Die atlantische Küste von Amerika.
England wurde so zu Gunsten der einheimischen Baumwollindustrie zurück-
gedrängt, welche nur ordinäre Waaren erzeugt, weil die sogenannten „Indios“,
welche die Masse des Volkes bilden, sehr genügsam sind und jeder im Jahre nur
etwa 15 Varas oder 12 Meter ordinärer Baumwollzeuge, sogenannte Estampados
und Pintados verbraucht.
Zum Glücke für die Engländer hat ein französisches Consortium die ein-
heimische Production monopolisirt und die Preise um 30 % hinaufgetrieben.
Der Bedarf der besseren Bevölkerungsclassen, die etwa 3 Millionen von den
11·5 Millionen Einwohnern umfassen, ist auch nicht zu gross, wird aber noch im
Bezuge aller feineren Industrieartikel für lange Zeit von Europa und den Ver-
einigten Staaten von Amerika abhängig bleiben.
Von den Schafwollwaaren (1889 8250 q) werden hier besonders die
französischen begünstigt, weniger die englischen und die deutschen. In gewöhn-
lichen Hosenstoffen hat Mexico eine ansehnliche eigene Industrie.
Leinenwaaren kommen nur aus England, Seidenwaaren (1889 1109 q)
überwiegend aus Frankreich.
Nahrungs- und Genussmittel mit Einschluss von Wein, Spiritus und
Bier (1889 5,365.746 Dollars) senden Spanien und Frankreich.
In Metallwaaren decken Frankreich und Deutschland je 30 % der Ein-
fuhr, den Rest England und die Union. Die Höhe der Einfuhr ist abhängig von
dem Bedarfe an Eisenbahnmaterialien.
Von Maschinen kommt die Hälfte aus England, 30 % aus der Union.
Bergbaumaschinen gehen jetzt meist auf dem Landwege nach Mexico (1889
1·3 Millionen Dollars).
Für Galanteriewaaren haben Frankreich und Deutschland ein Monopol.
Mexico verbraucht viel einheimisches Papier, und nur Spanien führt ordi-
näre Waare ein.
In die Einfuhr von Droguen und Chemikalien theilen sich Frankreich,
Deutschland, die Union und England.
Die Einfuhr von Petroleum, welches ebenfalls einem Zolle unterliegt,
besorgt die Union. Die grössere ist Rohpetroleum, weil raffinirtes um vieles
höher besteuert wird, so dass die in Vera-Cruz neu errichtete Petroleumraffinerie
gute Geschäfte macht.
Zollfrei sind Kohlen (1889 430.000 q) und Quecksilber (6200 q); letzteres
wird massenhaft bei der Gewinnung des Silbers verbraucht.
In der Ausfuhr sind, wie die Tabelle zeigt, Edelmetalle wichtiger als
die Gesammtheit aller anderen Artikel, denn Mexico ist das erste Silberland der
Erde. Dagegen ist die Ausfuhr von Erzen über Vera-Cruz nicht gross (1889
37.460 q), weil diese meist auf dem Landwege in die Union gehen.
Von den Erzeugnissen des Ackerbaues der Umgebung ist besonders hervor-
ragend Kaffee, 1889 mit 118.905 q (5·4 Millionen Dollars), 1888 mit 58.044 q.
Die Höhe der Ausfuhr ist zum grossen Theile abhängig von dem Kaffeeconsume
des Binnenlandes.
Der mexicanische Kaffee ist ausgezeichnet, er findet seinen Hauptabsatz in
England.
Unverarbeiteter Tabak (1889 4084 q) geht nach Deutschland und Frank-
reich, verarbeiteter (Cigarren) (5964 q) nach England.
[169]Vera-Cruz.
Die Ausfuhr von Zucker und Kautschuk erreicht keine besondere Höhe;
wichtiger ist die von Stroh des wilden Reises „Zacaton“, das zur Erzeugung
von Bürsten verwendet wird: 1889 20.676 q, Werth 505.000 Dollars.
Aus dem Thierreiche ist nur die Ausfuhr von Häuten und Fellen hervor-
zuheben: 1889 12.243 q, Werth 521.408 Dollars.
Die Edelmetalle werden zum grösseren Theile nach England, die Waaren
nach Frankreich, der Union, Deutschland und Spanien versendet.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, das die Union seit langem, namentlich
aber seit dem Bestande der sogenannten Mac Kinley Bill, Alles daran setzt, mit
Mexico eine Zollunion einzugehen, welche gegenseitig freie Einfuhr als Grund-
lage hätte; natürlich ginge diese Exportentwicklung der Union auf Kosten
Europas.
Der Schiffsverkehr von Vera-Cruz umfasste:
Der Tonnenzahl nach nimmt die spanische Flagge (1889 205.665 t) die erste
Stelle ein; die amerikanische ist ihr fast gleich und vermittelt sicher eine
grössere Menge von Frachten als die spanische, weil die Ward Line ihren Be-
nützern grosse Erleichterungen gewährt. Ihnen folgen die britische, die französi-
sche, die mexicanische und die deutsche Flagge.
Die mexicanischen Schiffe treiben fast nur Küstenschiffahrt, welche ihnen
allein vorbehalten ist, und nützen ihr Monopol derart aus, dass sie für die Fracht
30—50 % mehr begehren als die ausländischen Schiffahrtsunternehmungen rechnen
würden.
Vera-Cruz hat regelmässige Dampfschiffsverbindung mit Hamburg über
Habana durch die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actiengesellschaft, mit
St. Nazaire und Bordeaux über Santander durch die Cie. Générale Trans-
atlantique, mit Liverpool über Bordeaux durch die West-India und Pacific Steam-
Ship Cy. und die Harison Line, mit Santander und Cadiz über Habana durch die
Compañia transatlantica española und mit New-York durch die Cy. F. Alexandre
and Sons.
Die Post aber geht zum grössten Theile über New-York und braucht von
dort über Laredo 6 Tage und über den Eagle-Pass 6½ Tage.
Von der Pa. Collal (Anton Lizardo), die 25 km südlich von Vera-Cruz
liegt und einen guten Hafen hat, geht ein Kabel nach Habana.
In Vera-Cruz haben Consulate: Belgien, Chile, Columbia, Costarica, Däne-
mark, Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien, Guatemala, Honduras,
Italien, Niederlande, Salvador, Schweden, Norwegen, Spanien, Venezuela, Ver-
einigte Staaten von Amerika (G.-C.).
Wir haben schon erwähnt, dass man in Vera-Cruz Tampico
fürchtet, denn diese Stadt liegt an dem tiefen, bis in ihr Weichbild
vollkommen schiffbaren Flusse Tamesé, dessen Einfahrt leider durch
eine Sandbank, die „Barra“, versperrt ist.
Doch als die Amerikaner 1846 während des Krieges mit Mexico
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 22
[170]Die atlantische Küste von Amerika.
die Stadt besetzt hatten, schufen sie in wenigen Monaten eine tiefe
Fahrrinne durch diese Bank und das Hochplateau von Mexico wurde
über Tampico mit Waaren versorgt. Nach dem Abzuge der Ameri-
kaner versandete bald wieder der Canal, und in den Strassen von
Tampico weideten Hirsche. Da aber zwei Eisenbahnlinien nach Tam-
pico hinunter im Bau sind, die man doch einmal vollenden wird, so
wird trotz aller Intriguen der Kaufleute von Vera-Cruz auch Tampico
zu einem guten Hafen kommen.
Der Hafen von Yucatan, dem reichsten Staate von Mexico, ist
Progresso. Die grossen Dampfer können nur in beträchtlicher Ent-
fernung, fast ausser Sicht vom Lande vor Anker gehen, und die
Ueberfahrt nach dem kleinen hölzernen Molo dieses Haupthafens von
Yucatan ist bei einigermassen hohem Seegange gefährlich genug.
Progresso hat Eisenbahnverbindung über Merida mit Campêche. Es
ist eine Schöpfung der neuesten Zeit, hervorgerufen durch das rasche
Aufblühen des Handels von Yucatan.
Die Ausfuhr von Henequen oder Sisalhanf hat ungeahnte Dimensionen an-
genommen. So wurden 1889 243.968 Ballen Sisalhanf fast ausschliesslich nach den
Vereinigten Staaten von Amerika ausgeführt, ferner 80.000 q Blauholz, Ochsen-
häute und Rehfelle.
Die starke Ausfuhr hat eine bedeutende Einfuhr zur Folge, von der etwa
ein Drittel auf Deutschland entfällt.
Den Hafen besuchten 1889 810 Schiffe mit 545.894 Reg.-Tons. Die meisten
waren mexicanische Küstenfahrer, dann nordamerikanische, britische, spanische
und deutsche Schiffe.
[[171]]
Westindische Häfen.
In einem geschlossenen Bogenzuge von mehr als 2000 See-
meilen Länge bilden die Antillengruppen, welche wir mit dem gemein-
samen Namen Westindien bezeichnen, an der Seite des schmalen
Isthmus von Panama gleichsam ein zweites Bindeglied zwischen dem
massigen Norden und Süden des amerikanischen Continentes und
schliessen das Karaibenmeer gegen die Fluten des atlantischen
Oceans ab.
Ein kurzer Blick auf die Karte unterrichtet uns über deren
tropische Lage vom 10. Grad nördl. Br. bis über den Wendekreis des
Steinbockes, allwo in fast ununterbrochener Gleichmässigkeit der Nord-
ostpassat über die See und die Inseln streicht und die Glut der fast
senkrecht einfallenden Sonnenstrahlen lindert.
Vier Jahrhunderte sind verflossen, seit durch die Entdeckungen
des grossen Columbus das Inselreich als eine Vorpostenkette der neuen
Welt den Reichen des Ostens erschlossen wurde, denn schon im Jahre
1492 erfolgte durch ihn die Entdeckung der Insel Cuba, St. Domingo
(Haïti), 1494 die von Jamaica und Portorico, 1495 die der Karaiben
und schon 1498 auch die südlichste der Inseln, welche zu den An-
tillen gerechnet werden, jene von Trinidad.
Der Vernichtungskrieg, welcher seit der Besitzergreifung des
westindischen Inselreiches für die Krone Spaniens gegen die Urein-
wohner, die Karaiben und Arowaks geführt wurde, endete mit der fast
völligen Entvölkerung derselben, und die westindischen Besitzungen
bildeten kaum mehr als eine Quelle der Ausbeutung, der Handel
zwischen ihnen und der alten Welt war ein Monopol, und ihr Export
sogar ausschliesslich nach einem einzigen spanischen Hafen, Sevilla,
und erst später nach Cadix beschränkt.
Die ungenügende Leistungsfähigkeit europäischer Elemente zur
Colonisation und die systematisch und grausam betriebene Verdrängung
22*
[172]Die atlantische Küste von Amerika.
der Ureinwohner konnten somit nur zum Ruine vieler der kaum ge-
gründeten Küstenansiedlungen führen, während die reichen Innen-
gebiete der Inseln den Europäern noch fast vollends unbekannt waren.
Daher wurde schon im XVI. Jahrhundert zur Hebung des
wirthschaftlichen Werthes der Colonien und um den gänzlichen
Untergang des mühevoll begonnenen Werkes der Cultur hintanzu-
halten, mit der Importation von Negersclaven begonnen.
Mit dem gleichen Zeitpunkte begann jedoch auch die Periode
der Besitzstreitigkeiten; denn mit der intensiven Immigration nach
Westindien, insbesondere durch das Auftreten der Flibustier wurde
das Gefühl staatlicher Zusammengehörigkeit schwächer und es musste
um so früher zum Zusammenbruche der spanischen Macht kommen,
als namentlich Franzosen, Engländer und Holländer bemüht waren,
sich um jeden Preis an dem Mitbesitze der fruchtbaren Gebiete
Westindiens ihr Antheil zu erringen.
Die hieraus folgenden Conflicte der Culturstaaten haben der
Geschichte Westindiens gar manches mit Blut getränkte Blatt geliefert.
Demungeachtet fällt die Blüthezeit fast aller Inseln des Antillenreiches
in die Zeit jener Kämpfe, d. i. in das XVII. Jahrhundert, in welchem
die reichlichste Gründung europäischer Ansiedlungen erfolgte.
Heute entfällt von dem 245.516 km2 betragenden Areale der
Antillen noch immer mehr als die Hälfte, und zwar die weitaus
reichere Hälfte, auf Spanien, während dem Besitzumfange nach
zunächst die freien Neger- und Mulattenstaaten von Haïti und
St. Domingo, dann Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande,
Dänemark und endlich auch die centralamerikanische Republik
Venezuela an dem Mitbesitze in Westindien ihren Antheil haben.
Die Bevölkerung dieser Gesammtgebiete, welche, die Weissen
mit einem Drittel eingerechnet, kaum 4½ Millionen Seelen beträgt,
muss wohl als eine ganz spärliche bezeichnet werden, wenn man
damit die Bevölkerungsdichte mancher ostindischer Inseln, zum Bei-
spiel Javas vergleicht.
Sie sank trotz der in den 1860er Jahren besonders starken
Zubringung von indischen Coulies und Chinesen, welche als werth-
volle Arbeiter bestimmt waren, den Neger als Sclaven zu ersetzen,
immer tiefer und mit ihr auch die Productionsfähigkeit aller west-
indischen Colonien.
Auch konnte sich die Bevölkerungszahl trotz der gänzlichen
Aufhebung der Sclaverei, in welcher Spanien als letzter Staat folgte,
kaum sehr heben.
[173]Westindische Häfen.
Die wunderbaren Länder, deren Reichthum nur zum Geringen
im Werthe von Mineralien, wohl aber in der ausserordentlichen Frucht-
barkeit des Bodens gelegen ist, harren daher auch heute noch des
Zuströmens der Immigration, für welche fast vier Fünftel unbe-
bauter Gründe zur Verwerthung bereit stehen.
Die Ursache des geringen Andranges von Ansiedlern ist kaum
zu ergründen, doch mag nicht mit Unrecht auf die Gefahren des
Klimas und auf den Umstand hingewiesen werden, dass reicher Lohn
nur mit jenem Aufwande an Mühe und Arbeit zu gewärtigen steht,
welchem sich nur ein bescheidener Theil unternehmender Colonisten
gewachsen fühlt.
Eine Steigerung der wirthschaftlichen Bedeutung der westindi-
schen Inselwelt durch den Ausbau des Panamacanales ist zwar aber-
mals in die Ferne gerückt, doch ist die Schiffahrt im Grossen, für
welche Westindien eine kaum 14tägige Entfernung von Europa bedeutet,
in stetem Aufschwunge begriffen.
Sie bewegt sich rücksichtlich der Dampferlinien nach bestimmten
Centralpunkten und in bestimmten und sicheren Passagen, und erleidet
selbst zur Zeit der gefürchteten Stürme des Winters, der Cyklone,
keine Einbusse, während der Verkehr der Segelschiffe wie überall
ein immer beschränkterer wird.
Demungeachtet muss auch die Segelschiffahrt zwischen Europa
und Westindien als eine geradezu ideale betrachtet werden, und der-
selbe Passat, unter dessen mildem und stetigem Zuge die Segelfahr-
zeuge in circa 20 Tagen aus dem europäischen nach dem amerikani-
schen Mittelmeer gelangen, ermöglicht auch jederzeit den Verkehr
zwischen den einzelnen Inseln der grossen und kleinen Antillen und
ihrer zahllosen abseits der grossen Dampferstationen liegenden Häfen
und Buchten. Für den Yachtsport kann ein dankbareres Feld der Unter-
nehmung kaum geboten werden.
Während auf den grossen Antillen die Linien ihrer Küsten in
unübersehbar fernen Strecken und von hohen Gebirgszügen überragt,
das Gepräge von Festland tragen, zeigen insbesondere die kleinen
Antillen ihren düsteren vulkanischen Charakter.
Obwohl die ersteren die höheren Gebirgszüge aufweisen und die
höchsten Spitzen derselben auf Cuba bis zu 2560 m, auf Jamaica bis
zu 2236 m und auf St. Domingo sogar mit 3140 m in die Lüfte ragen,
während der höchste Bergesgipfel auf den kleinen Antillen (Dominica)
nur bis 1600 m hinanreicht, scheinen doch die letzteren imposanter.
Die Ostküsten aller dieser Inseln, welche dem Passate und dem
[174]Die atlantische Küste von Amerika.
Anpralle der See die Stirne bieten, geben sichtbares Zeichen vom
Kampfe mit diesen elementaren Mächten. Stets brandet die See und
der Wind wiegt die Kronen der Gewächse, welche die östlichen
Gefilde bedecken.
Fast vor allen Inseln lagern meilenweite Korallenbänke, welche
den Seefahrenden zur Vorsicht zwingen. Insbesondere gilt dies jedoch
von den östlichen Gestaden, auf welchen schon in Anbetracht der
Seeverhältnisse keine Niederlassungen gegründet sind, welche als Hafen-
plätze bezeichnet werden können.
Alle Hafenplätze liegen an den westlichen Uferseiten, d. h. in
Lee der Inseln, und sind meist vollkommen seestille Buchten, über
welche jedoch gleichwie über die Landgebiete der Passat kühlend
dahinstreicht. Nur wenige der kleinen Inseln sind niedrig oder mit
flach verlaufenden Ufern; die meisten haben, insbesondere im Osten,
schroffe Abhänge, über welche zur Regenzeit gewaltige Wassermassen
tosend in die See stürzen.
Wer je das Glück geniessen konnte, einen Theil, ja selbst nur
eines der minder bedeutenden Eilande der Antillen zu sehen, die sich
wie eine Perlenreihe von den Mündungen des Orinoco bis zur Halb-
insel Florida erstrecken, wird die empfangenen Eindrücke nie vergessen.
Die geringen Entfernungen zwischen den einzelnen Inseln ge-
währen den gleichzeitigen Anblick mehrerer, und insbesondere bietet
die Passage zwischen den Inseln bei Tageszeit ein äusserst reizvolles
Bild. Die brandende und tosende See, die starren Vulcane, die herab-
stürzenden Bäche, die kühne Vegetation, welche fast überall bis zur
salzigen Flut herniedersteigt, die Riffe und das Leben und Treiben
der Thierwelt fesseln derart, dass man in Verlegenheit ist, welchem
Bilde man die Aufmerksamkeit zuwenden soll.
Nach Millionen zählt die befiederte Welt, welche in allen er-
denklichen Arten von Land- und Seevögeln die Gestade der Inseln
oder die Scharen sich tummelnder Seethiere umkreisen, unter welch
letzteren insbesondere die Potwalle sich durch ihre Wasserkünste
kenntlich machen.
Die balsamischen Düfte der tropischen Flora erfüllen meilenweit
nach See die Atmosphäre, und wenn die Linie der Inselreihe durch-
brochen ist, wird es fühlbar, wie der Passatwind durch die engge-
fügte Reihe derselben abgeschwächt dahinweht und der Seegang
ein merklich geringerer wird.
Die Navigation nach den in Lee der Inseln gelegenen Häfen gleicht
der in einem Binnengewässer, und nur wenige der kleineren Inseln,
[175]Westindische Häfen.
die von den brandenden Fluten rings umspült werden, bieten dem
Küstenschiffer kleine Unannehmlichkeiten, wie beispielsweise bei Mont-
serrat, wo Mann und Gut aus dem Fahrzeuge nur ans Ufer gebracht,
dann aber in Kübeln mittelst Drahtseil auf die Terrasse der steil
abfallenden Insel befördert werden müssen.
So gewährt das Segeln zwischen den Antillen, welches mit
seltenen Ausnahmen zur Zeit der westindischen Drehstürme keine
Schwierigkeiten bietet, den höchsten Genuss in reizvollstem Wechsel.
Die Gleichheit der Tage, die insbesondere im Winter milde und
doch warme Temperatur, die erquickenden Nächte, durch deren Aether
die Sternbilder des grossen Bären und des südlichen Kreuzes zumeist
gleichzeitig erblickt werden, üben noch immer denselben Zauber,
mit dem sie vor vierhundert Jahren das Herz des sonst kühl denken-
den Columbus umfingen.
Es wäre mehr als lohnend, die Wunder dieser Inselwelt,
welche von kaum 50 zu 50 Meilen verlockende Häfen zur Aufnahme
bietet, im Detail zu betrachten, doch es fehlt der Raum. Hier sollen
jene Häfen und Inseln, insoweit dieselben als die Repräsentanten der
Colonialmächte und als die Handelscentren für den Weltverkehr mit
Westindien hervorgehoben werden müssen, im Nachfolgenden be-
sprochen werden.
Cuba. Habana.
Von den unermesslichen Gebieten des neuen Welttheiles, welche
einst der Krone Spaniens angehörten und unter Karl V. den stolzen
Ausspruch rechtfertigten, dass „in seinem Reiche die Sonne nicht
untergehe“, hat Spanien nur wenige Inseln der Antillen aus dem
Zusammenbruche seiner einst weltbeherrschenden Macht zu retten
vermocht.
Unter diesen nimmt Cuba, die grösste, bevölkertste und reichste
der Antillen und zugleich die werthvollste Colonie Spaniens, unser
Interesse in erster Linie in Anspruch. Cuba, „die Königin der An-
tillen“ oder auch „die Perle der Antillen“, wie sie zumeist genannt
wird, erstreckt sich in raupenförmiger Gestalt von dem nur 45 See-
meilen breiten Windward-Canal, welcher die Insel von Haïti trennt, in
einer Länge von 650 Seemeilen und bei einer zwischen 27 und 90 See-
meilen wechselnden Breite bis in die Einfahrt des mexikanischen
Golfes hinein.
Die Natur hat der Insel mit verschwenderischer Fülle alle
[176]Die atlantische Küste von Amerika.
Gaben verliehen, welche geeignet wären, dieselbe zu einem Paradiese
und zur unversiegbaren Quelle des Reichthums zu machen. Ihre Lage
zunächst dem nordamerikanischen Continente sichert ihr den Absatz
ihrer tropischen Producte vor allen anderen Concurrenten, ihre zahl-
reichen vortrefflichen Häfen, von welchen Habana, Matauzas und
Baracoa an der Nordküste, Batabano, Cienfuegos und Santiago an der
Südküste vorzüglich zu erwähnen sind, erleichtern den Austausch ihrer
Producte mit den Erzeugnissen der gewerbefleissigen kälteren Klimate.
Cuba wurde von Columbus am 28. October 1492 entdeckt und Juana be-
nannt; später erhielt sie den Namen Ferdinandina, beide Namen mussten jedoch
im Laufe der Zeit dem einheimischen wieder weichen.
Columbus hielt Cuba bis zu seinem Tode für einen östlichen Vorsprung
des Festlandes; erst durch die im Jahre 1508 erfolgte Umschiffung Cubas durch
Ocampo wurde der Inselcharakter des Landes festgestellt. 1511 wurde die Insel
von Diego Velasquez bleibend besetzt und besiedelt; es erfolgten in rascher Folge
die Gründung von Buracoa, Santiago, Trinidad und anderer Orte mehr, 1519
jene von Habana. Seither ist Cuba, ausgenommen eine kurze Unterbrechung im
Jahre 1762, im spanischen Besitze verblieben.
Diese vielversprechende Entwicklung der Insel gerieth durch die bis zum
Jahre 1560 erfolgte gänzliche Ausrottung der Indianer, deren Ersetzung durch
Negersclaven nur allmälig den hiedurch bewirkten wirthschaftlichen Nachtheil
ausgleichen konnte, durch die engherzige Colonialpolitik der damaligen Zeit, haupt-
sächlich aber durch den Umstand ins Stocken, dass in der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts der Strom der goldgierigen europäischen Einwanderer sich
mehr den neu entdeckten Festlandsgebieten zuwendete.
Auch liessen die unaufhörlichen aufeinanderfolgenden Kriege des Mutter-
landes mit Frankreich, England und Holland, deren Schauplatz sich stets über
Westindien erstreckte, nicht minder die Brandschatzungen der Flibustier durch
1½ Jahrhunderte Cuba nicht zur Ruhe kommen. Erst in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts fand ein nennenswerther Aufschwung von Handel und Wandel
statt. Anstoss hiezu gab die 1762 erfolgte Occupation von Habana und seiner Um-
gebung durch die Engländer unter Lord Albemarle. Obwohl England schon nach
zehn Monaten Habana gegen Florida eintauschte, war doch die kurze britische
Herrschaft dauernd von den wohlthätigsten Folgen für die Insel.
Entgegen dem von den Engländern selbst in ihren Colonien damals noch
befolgten Abschliessungssystem gaben sie sogleich Handel und Verkehr auf Ha-
bana gänzlich frei und erweckten dadurch mit einem Schlage den Landbau und
die industrielle Production aus ihrer bisherigen Lethargie. Spanien sah sich nach
Wiederbesitzergreifung der Insel genöthigt, den geänderten Verhältnissen wenigstens
zum Theile Rechnung zu tragen. Zunächst wurde (1765) der freie Verkehr Cubas
mit Spanien gestattet, nach dem nordamerikanischen Freiheitskampfe wurden Ha-
bana und Santiago dem Handel der fremden Nationen eröffnet, und 1790 wurde
auch der Sclavenhandel freigegeben. Die französische Revolution, welche zahlreiche
Flüchtlinge aus dem benachbarten Haïti und aus Frankreich nach Cuba brachte,
wodurch der Insel intelligente und arbeitsfreudige Elemente zugeführt wurden,
gab dem zunehmenden Aufschwunge der Colonie neue Impulse.
[177]Westindische Häfen.
Aber erst als im Jahre 1818 allgemeine Handelsfreiheit ertheilt wurde,
also zu einer Zeit, während die Colonien aller anderen Staaten noch in den Fesseln
des strengsten Prohibitivsystems lagen, war die letzte Schranke auf dem Wege
entfernt, auf welchem Cuba nunmehr rasch zu einem Zustande der Prosperität
aufstieg, welcher diese Insel weit über alle anderen westindischen Colonien erhob.
Der Vorsprung, den Cuba damals erhielt, ist selbst in der Gegenwart, in
welcher aus später erörterten Ursachen auch auf Cuba ein Stillstand, wenn nicht
ein Rückschritt zu verzeichnen ist, von den übrigen Inseln der Antillen nicht mehr
eingeholt worden.
Mit dem zunehmenden Wohlstande wuchsen aber auch der Parteienhader und
die Zerwürfnisse im Innern; seit 1812, in welchem Jahre die erste vom freien
Habana.
Neger Aponte angestiftete Sclavenempörung unterdrückt wurde, waren Negerauf-
stände etwas Gewöhnliches. Aber auch das in den früheren Jahrhunderten nie
ernstlich getrübte Verhältniss der Colonie zum Mutterlande machte einer tief-
gehenden Unzufriedenheit Platz, die sich in einer Reihe von Verschwörungen und
blutigen Aufständen äusserte. Es bildete sich eine starke Partei im Lande, welche
den Anschluss Cubas an die Vereinigten Staaten Nordamerikas anstrebte und von
letzterer Seite moralische und materielle Unterstützung fand.
Selbst officiell traten die Unionstaaten in diese Bewegung ein, indem sie
1848 der spanischen Regierung eine Million Dollars für die Ablösung Cubas boten,
und trotz der Zurückweisung dieses Antrages konnte noch zehn Jahre später im
nordamerikanischen Senate ein Antrag, wenn auch erfolglos, zur Sprache kommen,
Spanien 30 Millionen Dollars für Cuba zu bieten.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 23
[178]Die atlantische Küste von Amerika.
Als Ursache der Missstimmung der Cubaner mag nicht allein die schwere
finanzielle Belastung, welche der zu hohem Reichthum gelangten Colonie auferlegt
wurde, angesehen werden, mehr noch muss dieselbe in dem vom Mutterlande ge-
übten politischen Regierungssystem gesucht werden, welches den eingeborenen
Elementen jedwede Einflussnahme auf die Geschäfte des eigenen Landes benahm,
dieselben von der Erlangung von öffentlichen Aemtern ausschloss, dem Gouverneur
sowie den Beamten fast absolute Machtbefugnisse einräumte und jede frei-
heitliche Regung unterdrückte. Alle diesbezüglich von den Cubanern erhobenen
Beschwerden und Forderungen blieben unberücksichtigt, und so war es nur eine
natürliche Consequenz, dass, als 1868 die Revolution in Spanien ausbrach, sofort
auch auf Cuba der schon lange vorbereitete Aufstand in hellen Flammen aufloderte.
Am 10. October des genannten Jahres wurde von Carlos Manuel Cespedes,
einem der Führer der Reformpartei, auf dem Felde von Yara die Unabhängigkeit
Cubas proclamirt. Ueber zehn Jahre dauerte nun der mit wechselndem Glücke und
von beiden Seiten mit grosser Strenge und Grausamkeit geführte Krieg, in welchem
die Cubaner von den amerikanischen Republiken als kriegführende Macht aner-
kannt wurden und mannigfacher Unterstützung, besonders von Seiten der nord-
amerikanischen Union theilhaft wurden.
Erst 1878 gelang es den Spaniern unter Marschall Jovellar, dem Insurrec-
tionskrieg ein Ende zu machen. Eine Versöhnung der Parteien ist aber seither
nur in geringem Masse eingetreten. Die fortdauernd schwere, durch die Kriegs-
schulden noch gesteigerte Steuerbelastung bei gleich gebliebener politischer Un-
selbständigkeit, endlich die grausame Art, auf welche der Insurrectionskrieg auf
beiden Seiten geführt wurde, hat einen fast unausrottbaren Hass gegen das Mutter-
land erzeugt.
Heute gravitirt Cuba nicht nur geographisch, sondern auch wirthschaft-
lich viel mehr nach der Union als gegen Spanien, und von Seiten Nordamerikas
geschieht alles Mögliche, diesen Riss, welchen weder die Nationalität noch die
Religion verkitten können, grösser zu machen; ja die Mac Kinley-Bill kann in
Cuba eine Katastrophe herbeiführen.
Cuba wird der Länge nach von einer Bergkette durchzogen, welche
dem Westen der Insel den Charakter eines Hügellandes gibt, im
Osten aber sich zu bedeutenden Höhen erhebt (Sierra de Tarquino
2375 m). Zahlreiche Flüsse, welche zwar zumeist nicht schiffbar
sind, aber zur Bewässerung der Culturen und zum landschaftlichen
Reize der Thäler wesentlich beitragen, entspringen diesem Gebirgszuge.
Die Naturschönheiten Cubas zeichnen sich durch ihre Lieblich-
keit und Mannigfaltigkeit aus. Schöne fruchtbare Thäler im Vorder-
grunde, mächtige Wälder und Gebirgsscenerien im Hintergrunde,
allerwärts eine üppige Vegetation, wie sie nur die oceanische Feuch-
tigkeit im Vereine mit der tropischen Sonne hervorbringen kann, und
über all dem ein in wunderbarer Klarheit strahlender Himmel ver-
einigen sich zu dem entzückenden Bilde einer cubanischen Land-
schaft.
Das Klima Cubas ist ein ausgesprochen tropisches, wird aber
[179]Westindische Häfen.
durch die frischen Seebrisen gemildert und kann im Innern des Landes
als gesund bezeichnet werden. Im Allgemeinen lebt der Europäer
in Habana angenehmer als in Madrid oder Sevilla mit ihrem extremen
Klima und drückend heissen Sommer. Die mittlere Jahrestemperatur
beträgt für Habana 25·3°C., die mittlere Temperatur des kältesten
Monats wurde für denselben Ort mit 22·2°C., jene des wärmsten mit
28·0°C. ermittelt.
Wie auf den meisten Antillen, gibt es auf Cuba eine trockene
und eine Regenzeit. Für Habana und den nordwestlichen Küstenstrich
fällt erstere in die Monate vom November bis Mai, letztere in die
Sommermonate. In der heissen regnerischen Jahreszeit tritt an den
zum Theil sumpfigen Küstenstrichen, besonders im westlichen Theil
bei Habana, meist das gelbe Fieber auf; mit dem Eintritte der „Nor-
thers“, welche vom November bis April in kurzen Intervallen und
heftig wehen, verschwindet gewöhnlich der unheimliche Gast.
Cuba ist sehr fruchtbar; es sind jedoch noch weite Ländereien
vorhanden, welche der Urbarmachung harren. Bei einem Gesammt-
areale von 118.833 km2 schätzt man die Fläche fruchtbaren, aber
noch uncultivirten Bodens auf 20 Millionen Acres; 20 Millionen Joch
sind noch von Urwald bedeckt. Es ist also für Einwanderer noch
ein weites Feld lohnender Thätigkeit offen.
Die Einwohnerzahl Cubas betrug nach dem Census von 1880:
1,521.684, hievon 988.624 Weisse, 489.249 Farbige und 43.811 Coulies;
dies gibt 13 Einwohner auf den Quadratkilometer. Dermalen wird die
Bevölkerung auf mehr als 1,700.000 Seelen geschätzt.
Cuba hat, wie vorhin angedeutet, in den letzten Jahrzehnten
einen wirthschaftlichen Niedergang zu verzeichnen; die Ursachen dieser
Erscheinung liegen nicht allein in den die Production lähmenden
Wirkungen der Insurrectionskriege und ihren finanziellen Nachwehen,
in den durch die Ueberproduction erschwerten Absatzverhältnissen
für den Hauptausfuhrsartikel der Insel, den Zucker, sondern auch
in dem Mangel an Arbeitskräften, der sich hier wie auf allen Antillen-
inseln seit der Sclavenemancipation fühlbar gemacht hat.
Die Sclaverei hat auf Cuba länger als irgendwo sonst in Amerika
gedauert.
Obwohl schon seit 1821 gesetzlich verboten, hat doch die
Sclaveneinfuhr bis in die Siebzigerjahre gedauert. Die Sclaverei selbst
wurde erst 1870 im Principe und 1880 thatsächlich aufgehoben.
Wenn die Sclavenemancipation auf Cuba trotzdem relativ nicht so
schädliche Folgen gehabt hat wie anderwärts, so hat das seinen
23*
[180]Die atlantische Küste von Amerika.
Grund darin, dass die Negerbevölkerung infolge der schrittweise
vorbereiteten Befreiung von dem hier wie in allen spanischen Colonien
milderen Joche der Sclaverei sich verhältnissmässig leichter der freien
Arbeit anbequemte, noch mehr aber in dem an und für sich günstigen
Zahlenverhältnisse der Weissen zu den Farbigen, was schon darauf
hinweist, dass auf Cuba ein grosser Theil der weissen Bevölkerung
selbst an der Bodencultur thätig mitwirkt. Trotzdem musste auch,
wie aus der vorhergegebenen Einwohnerstatistik hervorgeht, dem
Mangel an Arbeitskräften durch Einfuhr von Coulies (zumeist Chinesen
und Yacateken) geschritten werden.
Der Wohlstand der Insel Cuba beruht auf den Producten des
tropischen Ackerbaues, und zwar solcher Pflanzen, welche die Euro-
päer eingeführt haben, Zucker (1508), Kaffee (1709) und heimischen
Tabak; der Viehzucht und der Ausbeute der reichen Schätze des
Landes an Mineralien wird erst in den letzten Jahren einige Be-
achtung geschenkt.
Aber wir dürfen nochmals daran erinnern, dass nur erst der
zehnte Theil der Insel wirklich unter Cultur genommen ist und dass
die Einwohner jährlich Millionen Dollars für Nahrungs- und Genuss-
mittel ins Ausland senden, von denen das Meiste im Lande erzeugt
werden könnte.
Die wichtigste Culturpflanze Cubas ist das Zuckerrohr, welches im Volke
der „König der Insel“ genannt wird. Seit der Ausfuhrzoll auf Zucker aufgehoben
worden ist, hat man auf Cuba grosse Flächen nur mit Zuckerrohr bepflanzt. Auch
verarbeitet jetzt nicht mehr jeder kleine Pflanzer selbst sein Rohr, sondern zer-
kleinert es nur und führt es einer Centralingenio zu, wo man mit modernen
amerikanischen und europäischen Maschinen arbeitet und für den einheimischen
Markt und Spanien auch Raffinade herstellt.
Langsam vermehrt sich die Zahl schmalspuriger leichter Eisenbahnen, die zu-
nächst für den Transport des Zuckerrohres bestimmt sind, und dadurch wird es Cuba
ermöglicht, billiger als früher zu produciren und auf dem Weltmarkte trotz der
enormen Ausdehnung der Erzeugung von Rübenzucker concurrenzfähig zu bleiben.
Aber diese ausschliessliche Begünstigung des Baues des Zuckerrohres birgt auch
schwere Gefahren für Cuba, denn der Preis des Zuckers ist abhängig von der
Speculation in New-York und London, und ein Preisfall in diesem Artikel hat
fürchterliche Folgen für den Wohlstand der Insel.
Legende zum Hafen von Habana.
A Innerer Hafen, B Bucht (Ensenada) de Marimelena, C Schwimmdock, D Seearsenal, E Fruchtmagazin,
F Leuchtfeuer, G Pulvermagazin, H Waarenhäuser, I Regla-Sandbank, J Gasometer, K Militär-Baracken,
L Promenade Paseo de Tacon, M Christina-Bahnhof, N Prado, O Platz Isabella la Catolica, P Platz Campo
de Marte, Q Batterie la Reina, R Bahnhof Regla, S Concha-Bahnhof, T Principe Alfonso-Strasse,
U Galiano-Strasse, V Belascoain-Strasse, W Kathedrale, X Reina-Strasse, Y Infante-Strasse, Z Tret-
mühle. — 1 Universität, 2 Plaza de Armas, 3 S. Francisco-Platz, 4 Cerro-Strasse, 5 Friedhof S. Lazaro,
6 Spitäler S. Lazaro, 7 Zollamt, 8 Admiralität, 9 Militärspital, 10 Christina-Strasse.
[[181]]
(Legende siehe auf Seite 180.)
[182]Die atlantische Küste von Amerika.
Die Ernte wird für 1889 auf 5,440.000 q Zucker und 940.000 q Melasse,
für 1888 auf 6,570.000 q Zucker und 1,580.000 q Melasse geschätzt.
Stabiler sind die Ergebnisse des Tabakbaues. Dieselben hängen nur von
der Ernte auf Cuba und nicht von internationalen Conjuncturen ab, weil der auf
Cuba erzeugte Tabak von der Natur ein Privilegium besitzt, ein Aroma nämlich,
das nirgends auf der Welt erreicht wird. Für den Tabakbau findet man auch
immer geschickte und willige Arbeiter, die auf den Zuckerplantagen oft schwer
zu beschaffen sind.
Der Tabakbau wurde auf Cuba erst im XVII. Jahrhundert in ausgedehntem
Massstabe begonnen. Den besten Cigarrentabak der Welt liefert die flache West-
spitze der Insel, die Vuelta Abajo, d. h. der Weg ins Tiefland. Man unterscheidet
hier die „Medio Vuelta Abaja“ um Pinar del Rio und die Vuelta de Partido bei
Habana. Aus diesen beiden Gebieten stammen die Habanatabake, die sich durch
ein volles, durchdringendes, blumenreiches Aroma auszeichnen. Die mittleren und
östlichen Theile der Insel nennt man Vuelta Arriba, sie liefern die sogenannten
Cubatabake und in guten Jahren trägt das im Tabakbau investirte Capital 10 bis
35 %. Eben deshalb werden seit 1888 in England, Australien und Neuseeland
Actiengesellschaften gegründet, um Landgüter (Vegas) und Cigarrenfabriken auf
Cuba zu erwerben. Im Jahre 1888 wurden für ein Quintal (46 kg) Vuelta Abajo
Einlageblätter 30—80 Dollars Gold gezahlt.
Der Tabakbau der Insel ist nicht im Stande, die Ansprüche des einhei-
mischen Verbrauches, der Ausfuhr und der Industrie zu befriedigen, es kommt
daher vor Allem Puertoricotabak zur Einfuhr.
Die Erzeugung von Zucker, Rum, Cigarren und Cigaretten sind die wich-
tigsten Industrien von Cuba.
Auch die Viehzucht macht bemerkenswerthe Fortschritte. Man sucht sich
also wenigstens etwas von der Alleinherrschaft des Zuckerrohrs zu befreien. Eng-
länder errichten Pflanzungen von Henequen und anderen Faserpflanzen und die
Eingeborenen wenden der Viehzucht ziemliche Aufmerksamkeit zu.
Für den Handel haben ferner grösseren Werth Honig, Wachs, Hölzer und
in neuester Zeit Schwämme, ferner Kupfer- und Eisenerze aus dem Osten der Insel.
Der Hauptort der Insel ist Habana. Am westlichen Theile
der Nordküste, wo sich mehrere Handelsstrassen kreuzen, gelegen, ist
Habana, genauer San Christobal de la Habana, einer der ersten Handels-
plätze der Erde.
Die Stadt liegt an einer ganz eingeschlossenen Bucht, der La-
gida, welche sich kleeblattförmig in die drei Becken Regla oder
Marimelena, Guasabacoa und Atares theilt. Der Hafen ist einer der
schönsten und sichersten der Welt und könnte über 1000 Schiffe
fassen; ein circa 2000 m langer gemauerter Quai gestattet selbst den
grössten Schiffen das Anlegen, auch ist ein grosses Schwimmdock vor-
handen.
Die Einfahrt, welche an ihrer engsten Stelle nur 360 m breit
ist, wird durch das Fort San Salvador (westlich), durch Fort Morro
(östlich) und durch das neuerer Zeit erbaute ausgedehnte Fort Cabanna
[183]Westindische Häfen.
beherrscht. Landseite und Hafen werden durch eine Kette von
Batterien und Forts gedeckt. Vom Hafen aus gesehen bietet Habana
einen sehr malerischen Anblick. Vom Hintergrunde einer von Pflan-
zungen, Gärten, Landhäusern und kleinen Ortschaften bedeckten
blühenden Gegend sich abhebend, zeigt sich dem ankommenden Rei-
senden das unendliche Häusermeer der Grossstadt, angenehm unter-
brochen von dem Grün der inneren Gärten, überragt von zahlreichen
Glockenthürmen und den majestätischen Gipfeln der in den Alleen
und Gärten der Stadt zahlreich vertretenen königlichen Palme, bis
zum Quai herab sich senkend und sich daselbst in dem undurchdring-
lichen Gewirre der Maste der Handelsschiffe aller Nationen verlierend.
Dieser erste Eindruck wird allerdings beim Betreten des Landes
etwas beeinträchtigt. Die schnurgeraden Strassen der Altstadt oder
inneren Stadt, welche der Ankommende zunächst betritt, sind zumeist
enge, unrein, die Pflasterung mangelhaft. Die Häuser, obwohl durch-
wegs aus Stein und solid gebaut, sind zumeist niedrig, schmucklos
und tragen den charakteristischen Stempel des Handelszweckes,
welchem sie überwiegend dienen. Ein fortwährendes Jagen, Treiben
und Drängen herrscht in den Strassen, bei Tage dem Erwerbe nach,
Abends den Vergnügungen und Erholungen entgegen, wofür in den
zahlreichen Cafés, Restaurationen und Clubs ausreichend gesorgt ist.
Hingegen weist die „äussere Stadt“, welche ausserhalb der bis
1863 bestandenen Verwaltung der „inneren Stadt“ gelegen ist, zahl-
reiche schöne Gebäude, breite reinliche Strassen und herrliche Spazier-
wege, wie den berühmten Prado, auf. Die Strassenbeleuchtung ist im
Allgemeinen brillant.
Habana ist Sitz des Gouverneurs sowie sämmtlicher oberster
Civil- und Militärbehörden der Insel; hier befinden sich auch die ein-
zige Universität der Colonie, ein theologisches Seminar, eine tech-
nische Anstalt, eine Agrarschule, endlich eine Militär- und eine Kunst-
Akademie; die Einwohnerzahl wird mit 200.000 angegeben.
Unter den sehenswerthen Baulichkeiten der Stadt sind hervor-
zuheben: die 1724 erbaute Kathedrale, in welcher die im Jahre 1796
von San Domingo hieher übertragenen Gebeine des grossen Entdeckers
Columbus ruhen; die Kirchen San Juan de Dios (1573), Santa Ca-
talina (1658), San Agostino (1608) und San Felipe mit einer Biblio-
thek; die Paläste des Gouverneurs und des Bischofs auf der Plaza
de las Armas, auf welcher die Marmorstatue Ferdinand’s VII. steht;
das Gefängniss, die Börse, das Zollamt und das Arillerie-Arsenal. Vier
Theater, von welchen das Theater Tacon eines der grössten und
[184]Die atlantische Küste von Amerika.
schönsten der Erde ist, sorgen für die geistige Unterhaltung, eine
grosse Stiergefechtarena an der Ostseite des Hafens für die Befriedi-
gung der spanischen Nationalleidenschaft.
Die Ausflüge in die Umgebung Habanas sind sehr lohnend:
namentlich Chorrera und Guanabacoa, letzteres ein Seebad am Ende
der Bucht Marimelena sind sehr beliebt. Nebst Eisenbahnen und Tram-
ways vermitteln die in grosser Menge vorhandenen Volantes (landes-
übliche einspännige Fuhrwerke nach Art der englischen Cabriolets)
den Verkehr.
Die sanitären Zustände, welche ehedem des gelben Fiebers
wegen berüchtigt waren, haben sich dank den zweckmässigen und
energisch durchgeführten polizeilichen Massregeln bedeutend gebessert.
In den Wintermonaten hat Habana das lieblichste mildeste Klima.
Die heisse ungesunde Jahreszeit bringen die reichen Leute Habanas
in Regla zu, welches als im östlichen Theile des Hafens von Habana
auf der Landzunge zwischen den Buchten Marimelena und Guasabacoa
gelegen, eigentlich als Vorstadt Habanas betrachtet werden kann; auf
den Hügeln, welche sich nordöstlich von Regla bis Guasabacoa er-
heben, liegen zahlreiche Landhäuser zerstreut.
Aber Habana hat auch seine sociale Frage. In den letzten
Jahren sind Tausende nach Habana geströmt, um hier Verdienst zu
suchen, und nur ein Theil hat einen solchen gefunden. Die Noth in
diesen Schichten ist, dass hier der männliche Arbeiter den weiblichen
in Stellungen ersetzt, welche dieser in Spanien unbestritten einnimmt.
Habana ist der wichtigste Handelsplatz von Cuba, denn
gut angebaut und ziemlich dicht bevölkert ist nur der Westen der
Insel. Habana ist daher auch Ausgangspunkt des grössten Theiles der
1600 kmEisenbahnen der Insel Cuba, welche nach Westen
bis Pinal de Rio, nach Südosten über Guines, Santa Clara und Puerto
Principe bis Santiago reichen und Zweigbahnen zu den wichtigsten
Häfen der Insel und zu den Culturcentren des Innern entsenden. Aber
auch die günstige Lage dieses Hafens im Verhältnisse zu den Ver-
einigten Staaten sichert Habana sein heutiges Uebergewicht gegen-
über den anderen Plätzen der Insel.
Hier gibt auch die Cigarrenindustrie Tausenden von fleissigen
und geschickten Creolen und einigen hundert Deutschen eine lohnende
und gesunde Beschäftigung. Ein geschickter Arbeiter erhält für
1000 Stück feiner Cigarren 20—40 Dollars Lohn. Die feinen für den
Export bestimmten Cigarren werden fast nur in Habana erzeugt. Aber
die Union hat die schon früher hohen Cigarrenzölle durch die Mac
[185]Westindische Häfen.
Kinley-Bill neuerdings in die Höhe geschraubt und wird dadurch
eine vermehrte Auswanderung von Habaneser Cigarrenarbeitern nach
ihren Key West oder einen Tarifvertrag erzwingen, der seinen Artikeln
einen vermehrten Absatz auf Cuba sichert. — Die Amerikaner haben
ohnedies schon die Insel commerziell annectirt, da ein grosser Theil
des Handels von Cuba mit Europa über New-York geht.
Die Vereinigten Staaten kaufen 80—90 % der Zuckerernte von Cuba und
über Habana geht etwa ein Fünftel der gesammten Ausfuhr des Zuckers, so
1888 1,436.000 q Zucker und 284.597 hl Melasse, 1887 1,754.000 q Zucker und
218.208 hl Melasse.
Habana ist wegen seiner Lage der einzige Ausfuhrhafen der Insel für
Habanatabake und für die hier erzeugten feinen Cigarren. Es wurden von Blätter-
tabak 1888 182.636 Ballen, 1887 175.364 Ballen ausgeführt. Habanatabak wird
nicht nach dem Gewichte, sondern nach Ballen gehandelt, die nach der Qualität
eine wechselnde Anzahl von Blättern enthalten. Das Gewicht der Ballen schwankt
daher nach der Güte zwischen 4 und 7 Arroben (46—80·5 kg).
Von Cigarren wurden 1888 219,892.000, 1887 162,743.000, von Cigaretten
1888 26,721.232 Päckchen exportirt.
Der weitaus grösste Theil der Ausfuhr geht zunächst nach New-York und
Santander und erst von dort aus werden England und Deutschland versorgt;
Frankreich dagegen bezieht direct von Habana.
Ueber Habana werden ferner ausgeführt Honig, Wachs und Rum, letzterer
nach Spanien und dem romanischen Amerika.
Die Einfuhr umfasst zunächst Industrieerzeugnisse aller Gattungen,
welche die Staaten Europas und die Union hieher bringen. Unter den europäischen
Staaten hat Spanien England überflügelt. Es folgen Deutschland und Frankreich
an der Einfuhr.
Grosse Werthe umfasst die Einfuhr von Nahrungs- und Genussmitteln.
Habana importirte 1888 112.000 q, 1887 124.100 q getrocknetes Fleisch aus
Südamerika, 1888 25.000 q Stockfische aus Norwegen und Britisch-Amerika, 1888
89.000 q Speck aus der Union, 1888 257.000 q, 1887 235.800 q Mehl aus der
Union und Spanien und 1888 416.000 q, 1887 449.000 q Reis aus Ostindien über
England.
In der Einfuhr von Steinkohlen (1888 1·5 Mill. q) hat die Union bereits
England überflügelt.
Der Schiffsverkehr von Habana betrug 1888 1417 Dampfer mit
2,248.888 t, 762 Segler mit 347 619 t, zusammen 2179 Schiffe mit 2,596.507 t,
1887 im Einlauf allein 1068 Schiffe mit 1,351.732 t.
Besonders wichtig sind die spanische und die amerikanische Flagge, ihnen
folgen britische, französische und deutsche Schiffe.
Regelmässige Dampfschiffsverbindungen unterhalten mit Europa die
Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actiengesellschaft, Fahrzeit 26 Tage von Ham-
burg (Hamburg — Vera-Cruz), die Cie. Générale transatlantique, Fahrzeit 16 Tage von
Bordeaux, 18 Tage von St. Nazaire (St. Nazaire Vera-Cruz und Hâvre—Bor-
deaux—Vera-Cruz), die Compania transatlantica, Fahrzeit 18 Tage von Cadix
(Santander—Cadix—Vera-Cruz—Colon); die amerikanischen Linien gehen von New-
York und Tampa aus.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 24
[186]Die atlantische Küste von Amerika.
Die kürzeste Postverbindung bildet die Linie Bremerhaven—New-York zu
Schiff, New-York—Tampa mit der Eisenbahn und Tampa—Habana (2 Tage) zu
Schiff, zusammen 14 Tage.
Habana steht durch Kabel mit Florida und Vera-Cruz in telegraphischer
Verbindung.
In Habana haben Consulate: Belgien, Brasilien, China (G.-C.), Columbia,
Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik (G.-C.), Ecuador,
Frankreich (G.-C.), Griechenland, Grossbritannien (G.-C.), Guatemala, Haïti, Hon-
duras (G.-C.), Italien, Mexico (G.-C.), Niederlande, Oesterreich-Ungarn (G.-C.),
Peru, Portugal, Russland, Schweden und Norwegen (G.-C.), Uruguay, Venezuela,
Vereinigte Staaten (G.-C.), Württemberg.
Ausser Habana haben wegen der grossen Längenausdehnung
von Cuba noch eine Reihe anderer Häfen als Ausfuhrplätze Be-
deutung.
Matanzas liegt im Osten von Habana an der Floridastrasse
und hat 88.000 Einwohner. Die Stadt steht durch eine Bahn in
directer Verbindung mit Habana, ebenso mit dem Hinterlande; sie ist
Gouvernements-Hauptstadt, Sitz mehrerer Behörden sowie eines Handels-
gerichtes; Matanzas besteht aus regelmässigen, schönen Strassen, be-
sitzt mehrere schöne Gebäude und zahlreiche industrielle Etablisse-
ments. Matanzas exportirt fast ebensoviel Zucker und Melasse wie
Habana, und zwar nach den Vereinigten Staaten.
Weiter nach Osten haben wir zwei wichtige Ausfuhrplätze für
Zucker, Cardenas an der Nordküste, Cienfuegos mit 66.000
Einwohnern und Trinidad de Cuba an der Südküste. Im Südosten
der Insel hebt sich von dem Hintergrunde einer prachtvollen Bai
amphitheatralisch die ehemalige Hauptstadt der Insel, Santiago de
Cuba. Sie wurde 1514 gegründet, zählt 74.000 Einwohner und ist
Departements-Hauptstadt sowie Sitz eines Erzbischofs. Die Stadt selbst
bietet keine besonderen Sehenswürdigkeiten und gilt für sehr unge-
sund, woran die die Stadt umgebenden Lagunen zumeist die Schuld
tragen dürften. Die industrielle Thätigkeit in Santiago ist bemerkens-
werth und im Aufschwunge begriffen; man zählt mehrere Cigarren-
fabriken, Kerzenfabriken, Eisengiessereien und Maschinenfabriken.
Die Ausfuhr von Santiago zeigt unter allen Plätzen der Insel die grösste
Mannigfaltigkeit, denn hier finden wir neben Zucker (1889 372.000 q) und Rum
auch Kaffee (10.000 q) und Cacao (10.400 q).
Santiago ist Ausfuhrplatz guter Cubatabake, bedeutender Mengen von
Cedernholz, aus denen Bleistifthülsen und Cigarrenkistchen gemacht werden, und
von Mahagoni.
Die Eisenerze (1889 248.480 t) aus den Minen „The Juragua Iron Co.“,
einem amerikanischen Unternehmen, enthalten 64 % metallisches Eisen und werden
ebenso wie Manganerze in steigenden Mengen nach der Union eingeführt. Die
[187]Westindische Häfen.
Einfuhr von Santiago umfasst dieselben Gegenstände wie die von Habana. Der
Schiffsverkehr erreichte 1889 377 Schiffe mit 432.832 T.
Nennenswerthe Ausfuhrhäfen in der Nähe von Santiago sind
Guantánamo, Manzanillo und Baracoa, von welch letzterem
Hafen um drei Millionen Gulden Bananen verschifft werden.
Jamaica. Kingston.
90 Meilen südlich von Cuba und circa 100 Meilen westlich von
Haïti erhebt sich Jamaica, die grösste der britischen Inseln West-
indiens, in massigen Formen aus den azurblauen Fluten des karaibi-
schen Meeres.
Schon ihr Name, welcher vom indianischen „Janahica“, d. h.
bewaldet und gut bewässert, abstammt, deutet uns den Charakter
der Insel als eines grösstentheils von tropischem Urwald bedeckten,
von zahlreichen Wasserläufen durchzogenen Gebirgslandes an; Ebenen
sind nur in geringem Masse und diese durchwegs auf der Südseite
der Insel zu finden. Die „Blauen Berge“, welche die Insel von West
nach Ost in mehreren Ketten durchziehen, erheben sich im östlichen
Theile der Insel, welche ein Areale von 10.859·4 km2 hat, in com-
pacten Formen bis zu 2236 m Höhe; die höchsten Spitzen dieser
Berge verschwinden oft in den von den dunstschwangeren Passat-
winden angehäuften Wolkenbänken. An der Nordseite der Insel fällt
das Gebirge steil zur See ab; dieser Configuration entsprechend ver-
läuft die Nordküste frei von Untiefen und Riffen, aber auch weniger
gut entwickelt. Die südliche Seite der Insel ist dagegen mehr flach
oder hügelig, von mehreren Buchten eingeschnitten und reich an Häfen,
welche jedoch wegen der dieser Küste fast in ihrer ganzen Ausdeh-
nung, mitunter bis weit in See, vorliegenden Schiffahrtshindernisse
zumeist schwierig anzulaufen sind.
Jamaica wurde von Columbus am 3. Mai 1494 auf seiner zweiten Reise
entdeckt; damals soll die Insel an 100.000 friedliche Einwohner gezählt haben. 1510
nahmen die Spanier Besitz von der Insel, sie wurde von ihnen Santiago genannt.
Die Geschichte der bis 1655 währenden Herrschaft der Spanier ist mit der
Ausrottung der Eingeborenen, Einführung von Negersclaven und häufigen Kriegen
mit den Engländern ausgefüllt.
Am 5. Mai 1655 bemächtigten sich unter Cromwell’s Regierung die Eng-
länder unter Admiral Penn und General Venables, welche Haïti vergeblich
angegriffen hatten, Jamaicas, ohne dabei einem nennenswerthen Widerstande zu
begegnen. Zwei Jahre später versuchten die Spanier unter Gouverneur Sasi mit
1500 Mann von Haïti aus die Insel wiederzuerobern, wurden jedoch zurückge-
schlagen.
24*
[188]Die atlantische Küste von Amerika.
Dieser Wiedereroberungsversuch sollte jedoch für die spanischen Colonisten
Jamaicas, welche man, wohl nicht mit Unrecht, des Einverständnisses mit den
Spaniern beschuldigte, weiters aber auch für die neuen Herren der Insel böse
Folgen haben. Es wurden nämlich alle spanischen Colonisten von der Insel ver-
trieben: die von ihnen zurückgelassenen und der Freiheit wiedergegebenen Neger-
sclaven zogen sich in die Blauen Berge, verwilderten daselbst vollständig und
waren von nun an eine dauernde Calamität für Jamaica, indem sie nicht nur der
Ausbreitung der Cultur in das Innere der Insel fast unbezwingliche Hindernisse
entgegensetzten, sondern nur zu häufig ihre räuberischen Streifzüge auch auf die
tiefer gelegenen Territorien ausdehnten.
Fast ein Jahrhundert dauerten die Kämpfe und Unterhandlungen mit diesen
unter dem Namen Maroons bezeichneten Negern, ohne gegen die in den undurch-
dringlichen Wildnissen hausenden und mit all den wilden Instincten ihrer Race
kämpfenden Stämme dauernde Erfolge erreichen zu können. Selbst das im Anfang
des XVIII. Jahrhunderts angewandte Auskunftsmittel, zur Bekämpfung der Maroon-
Neger kriegerische Indianerstämme von der Mosquitoküste anzuwerben, hatte nicht
den Erfolg, den man sich von dieser eigenthümlichen Bundesgenossenschaft
versprach.
Erst im Jahre 1738 gelang es, die Maroons zur Unterwerfung und fried-
lichen Ansiedlung zu bringen. An den erfolgreichen Kämpfen, welche dieser Ca-
pitulation vorhergingen, hatten die Schweisshunde, welche man nach cubanischem
Beispiel zur Aufspürung und Verfolgung der Neger verwendete, hervorragenden
Antheil genommen. 56 Jahre später erhoben sich die Maroons wieder, zogen sich
wie früher in die Wälder und Schluchten des Hochgebirges zurück und nahmen
ihr räuberisches Metier wieder auf. Mit Hilfe der neuerdings importirten Schweiss-
hunde aus Cuba gelang es jedoch, diesmal bald des Aufstandes Herr zu werden.
Die Maroons wurden nun nach ihrer Unterwerfung zum grössten Theile nach
Sierra Leone deportirt; doch soll es noch in der Gegenwart auf der Insel Ab-
kömmlinge der Maroons geben.
Die Geschichte Jamaicas erzählt uns weiter von einer Reihe von Sclaven-
aufständen; der blutigste derselben fällt in das Jahr 1831, kurz vor Aufhebung
der Sclaverei. Mit der 1838 perfect gewordenen Sclaven-Emancipation hörten wohl
naturgemäss diese Empörungen auf; doch brach noch im Jahre 1865 im östlichen
Theile der Insel ein Aufstand der Farbigen aus, welcher erst nach blutiger Gegen-
wehr unterdrückt wurde.
Auch von aussen her war Jamaica oftmals bedroht. 1694 griff der franzö-
siche Admiral du Casse Jamaica an der Südküste an, wurde jedoch, als er in
Carliste Bay landen wollte, zurückgeschlagen. Von einer im Jahre 1782 von den
Franzosen und Spaniern gemeinsam und mit grossen Mitteln geplanten Invasion
wurde Jamaica durch den ewig denkwürdigen Sieg des englischen Admirals Rodney
über die Flotte des französischen Admirals De Grasse in den Gewässern von Do-
minica bewahrt. Die dankbaren Colonisten Jamaicas errichteten Rodney in Spanish
Town, der damaligen Residenzstadt der Insel, eine Marmorstatue, von wo selbe
später nach Kingston übertragen wurde.
Jamaica ist überaus fruchtbar und fast durchgehends bewachsen.
Seine Wälder liefern vorzügliche Bau-, Luxus- und Farbhölzer; die
Ebenen, die zahlreichen, wenn auch engen Thäler und das hügelige
[189]Westindische Häfen.
Land im Süden und Westen der Insel eignen sich vorzüglich zum
Plantagenbau und bringen alle tropischen Culturgewächse hervor.
Vorzüglich werden Zuckerrohr, Kaffee, Piment, Ingwer, Cacao,
Indigo, Tabak, Früchte und Gemüse und neuerer Zeit auch der China-
rindenbaum und Thee angebaut. Bezeichnend für die Freigebigkeit,
mit welcher die Natur auf Jamaica die Arbeit des Ackerbaues lohnt,
und für die Leichtigkeit des Lebenserwerbes auf dieser Insel ist ein
daselbst landläufiges Axiom, „dass dort 30 Arbeitstage im Jahre auf
einer Grundfläche von 1 Acre genügen, um eine Familie zu ernähren,
und auch noch überschüssige Werthe von 10—30 ₤ zu erzeugen“.
Der ausserordentliche Bodenreichthum Jamaicas, seine Grösse
und seine günstige Lage zwischen den Antillen einerseits, und den
Reichen des centralamerikanischen und südamerikanischen Continents
andererseits, würden zu der Annahme berechtigen, als wäre Jamaica
eine der reichsten und blühendsten Colonien Westindiens.
Dies ist jedoch keineswegs der Fall; vielmehr ist Jamaica von
der hohen Stufe des Wohlstandes, auf welcher sich allerdings die
Colonie im Laufe des vorigen und noch im ersten Drittel unseres Jahr-
hunderts, ungeachtet der ewigen Kämpfe mit den Maroons, der äusseren
Verwicklungen und der häufigen Verwüstungen durch Erdbeben und
Orkane, erhoben hatte, tief gesunken. Von den 2,318.000 Acres anbau-
fähigen Bodens sind kaum 600.000 Acres Land ausgenützt und hievon
kaum der fünfte Theil wirklich bebaut; der grössere Theil des obigen
Areals ist nur als Weideland unter Cultur. Und 1787, im Jahre der
höchsten Blüthe Jamaicas, waren 1,059.000 Acres unter Cultur und
wurden von 210.894 Sclaven bewirthschaftet.
Wie allerwärts auf den westindischen Colonien, sind auch auf
Jamaica die Ursachen dieses betrübenden Niederganges der einst so
reichen und blühenden Colonie vorzüglich in den Folgen der Aufhebung
der Sclaverei zu finden. Aber auf keiner der Antillen war die Wir-
kung eine so vernichtende, wie auf Jamaica. Es findet dies seine Er-
klärung in dem ausserordentlichen Missverhältniss, in welchem auf
dieser Insel die weisse Bevölkerung gegenüber der farbigen zur Zeit
der Aufhebung der Sclaverei stand und heute noch steht. Von den
624.000 Einwohnern Jamaicas sind nur 16.418 Weisse, 108.400
Mulatten, 487.386 Neger, 13.000 Coulies (Indier und Yucateken),
die auf fünf Jahre contractlich als Arbeiter gebunden sind. Allgemein
wird englisch gesprochen.
Es fehlt Jamaica also nicht an Menschen, aber an Arbeitskräften;
denn den Haupttheil der Bevölkerung bilden Neger, und der freie
[190]Die atlantische Küste von Amerika.
Neger arbeitet in dem Lande, wo er geboren ist, nicht mehr, als ihm
eben gutdünkt. Er erhält auf Jamaica für den Tag 1 sh bis 1 sh 6 d
Lohn, seine Leistung ist aber höchstens 6 d werth.
Es zeigt sich wohl in den letzten Jahren ein allmäliger Auf-
schwung, den die Fürsorge der Regierung und die strenge Hand-
habung der Ordnung mit sich gebracht hat. Aber die hier entschei-
denden Elemente, die Pflanzer, hängen zu sehr an den alten Ideen, ihnen
stecken noch immer die Zeiten der alten, mühelosen Sclavenwirth-
schaft im Kopfe. Das Land ist vor allem capitalarm, und Alles dreht
sich um kleine Verhältnisse. Da kann nur das Mutterland eingreifen, wie
durch Erbauung von Eisenbahnen, von denen heute 108 km in Be-
trieb, die von dem Hauptorte Kingston nach Westen und Norden
vordringen.
Von grossem Werthe ist ferner der 1872 begonnene und nach
vier Jahren vollendete Bewässerungscanal, welcher 49 km lang ist
und die Fluten des Rio Cobre über die Ebene von St. Catherine ver-
zweigt. Dieser Canal versorgt auch die ehemalige Hauptstadt Jamaicas,
Spanish Town, mit Wasser.
Von den zumeist an der Südküste befindlichen Häfen und Küsten-
orten Jamaicas nimmt nur Kingston, die Hauptstadt der Insel, und
das benachbarte Port Royal unser Interesse in Anspruch. Kingston
liegt, wie unser Plan zeigt, an einem über 7 Seemeilen von Ost nach
West langen und 1½ bis 2 Seemeilen breiten Hafen, welcher durch
eine schmale, niedrige und sandige, beiläufig West gerichtete Land-
zunge, die Palisados, gebildet wird. Die Palisados sind mit niedrigem
Mangrovegebüsch bedeckt und theilweise mit Cocospalmen bepflanzt;
nahe an ihrem westlichen Ende liegt die Stadt Port Royal, ehemals
die bedeutendste Handelsstadt der Insel.
Aus den Zeiten, da England durch die unaufhörlichen Kriege
mit Frankreich und Spanien und der Maroonkriege wegen genöthigt
war, beträchtliche See- und Landstreitkräfte in Westindien zu halten,
deren Hauptstation Port Royal war, haben sich die Palisados eine
traurige Berühmtheit als Grabstätte für zahllose brave Seeleute und
Soldaten, welche vom gelben Fieber hinweggerafft wurden, bewahrt.
Port Royal, früher Cagway geheissen, ist heutzutage nur mehr
als Hauptstation der englischen Flottenabtheilung in Westindien von
Bedeutung; es befindet sich hier ein Seearsenal, ein Marine- und ein
Militärspital; südwestlich ausserhalb der Stadt, nahe der äussersten
Spitze der Palisados, steht das an seiner röthlichen Farbe schon von
[191]Westindische Häfen.
weitem kenntliche Fort Charles in einer beide Zufahrten zum Hafen
beherrschenden Position.
Der Hafen von Kingston ist sehr geräumig und gegen See-
gang vollkommen geschützt. Die Stadt, welche sich unmittelbar vom
Ufer aus an einem sanften Bergabhang amphitheatralisch hinaufzieht,
bietet dem Auge nichts Bemerkenswerthes, erhält aber durch die
landschaftliche Umgebung, insbesondere durch die schroff aufsteigenden
Gebirgsstöcke im Hintergrunde ein imposantes und sehr malerisches
Relief.
Die Strassen der Stadt, deren Einwohnerzahl mit 40.000 ange-
nommen werden kann, sind nach amerikanischer Art schnurgerade,
schneiden sich unter rechten Winkeln und fallen dem aus Südamerika
kommenden Reisenden durch ihre Sauberkeit auf; mit Maulthieren be-
spannte Tramwägen erleichtern den Verkehr. Die weisse Bevölkerung
besteht aus englischen Kaufleuten, englischen Beamten und englischen
Soldaten; sonst sieht man nur Mulatten und Neger. Nur die besseren
Gebäude sind aus dunkelrothen Ziegelsteinen aufgeführt. Von hervor-
ragenden Gebäuden sind nur die englische Kirche, ein weitläufiger
Bau mit einem schönen Thurme und dem Grabe des berühmten Ad-
mirals Benbow, und das Gefangenhaus zu erwähnen; bemerkenswerth
ist noch die früher erwähnte Statue des Admirals Rodney am Lan-
dungsplatze. Hinter der Stadt breitet sich der keiner grösseren eng-
glischen Colonialstadt fehlende Rennplatz, zugleich cricket-ground,
Paradeplatz etc., aus.
Kingston wird seines milden Winterklimas und seiner ange-
nehmen gesellschaftlichen Verhältnisse wegen im Winter gerne aufgesucht.
In der heissen Jahreszeit tritt in Kingston häufig das gelbe
Fieber auf. Die höheren Regionen der Insel haben natürlich
ein kühleres und gesundes Klima. Regenzeiten gibt es auf Jamaica
jährlich zwei; die erste und hauptsächliche beginnt im October und
dauert bis December oder Januar; die zweite, schwächer und von
geringerer Dauer, tritt im Mai ein.
In der Umgebung von Kingston könnte man sich in einen
der Villenorte bei London versetzt fühlen; ein Landsitz reiht sich an
den andern, und wie in England sind die Besitzungen durch lebende
Zäune abgegrenzt, doch sind dies hier Cactushecken.
Ein Ausflug mit der Bahn nach Spanish Town ist sehr lohnend;
diese ehemalige Residenzstadt besitzt viele schöne Gebäude, worunter
eine grosse alte Kirche am Kings Square sehenswerth ist. Wer
die kleinen Strapazen eines Ausfluges in das Gebirge, wie z. B. nach
[192]Die atlantische Küste von Amerika.
Newcastle, nicht scheut, wird durch die grossartigsten Naturscenerien
in den wildromantischen, von Gebirgsbächen durchzogenen und von
einer Alles überwuchernden tropischen Vegetation erfüllten Thälern
und Schluchten reichliche Entschädigung finden.
Höhen in Metern).
A Hafen von Kingston, B Zollamt, C Park de Gardens, D Rennplatz, E Steinbrüche, F Leuchtfeuer,
G Salzseen, H Asyl für Leporose, J Signalstation.
Ungefähr je 45 % entfallen auf den Verkehr mit England und den Ver-
einigten Staaten; auch der Verkehr mit Canada ist wichtig. Die Hauptartikel der
Ausfuhr sind seit einigen Jahren Hölzer, von denen seit 1883 immer grössere
Mengen ausgeführt werden, so 1888/89 115.454 t (Werth 375.226 ₤). Ihnen reihen
sich an Kaffee (1889 43.000 q, 1888 50.310 q), Zucker (1889 164.200 q, 1888
249.570 q) und Rum (1889 62.470 hl, 1887 126.820 hl).
Auf Rum ist in Jamaica eine sehr hohe Verbrauchssteuer gelegt, und von
einem älteren Jahrgange kostet die Flasche schon auf Jamaica 2—4 fl.
Seit einigen Jahren sind Bananen (1889 Werth 252.115 ₤) und Orangen
(1889 35 Millionen Stück) und Cocosnüsse, welche in die Union gehen, wichtige
Ausfuhrartikel und werden unzweifelhaft bald die erste Stelle einnehmen. Zu
nennen sind noch Ingwer und Piment.
[193]Westindische Häfen.
Den Haupttheil der Einfuhr bilden auf Jamaica wie auf den anderen
westindischen Inseln Nahrungs- und Genussmittel, unter denen Mehl und
Fleisch aus der Union und Fische aus Canada besonders wichtig sind. Von Erzeugnissen
der Industrie sind zu nennen Baumwollwaaren (1889 Werth 244.813 ₤), Schuh-
waaren (30.330 Dutzend), Kurzwaaren, Seife und Wollwaaren. Baumaterialien und
Kohlen (1889 450.000 q) sind ebenfalls wichtig.
Der Schiffsverkehr von Jamaica erreichte ohne den Küstenverkehr
1889 1,074.889 t, 1888 1,084.657 t; 1889 entfielen auf Dampfer 823.754 t, auf
Segler 231.135 t. Wir bemerken, dass in Jamaica das Finanzjahr am 30. September
endet. Die meisten Schiffe führten die englische Flagge.
Jamaica, beziehungsweise Kingston steht mit Southampton durch die
Dampfer der Royal-Mail-Steam-Packet-Company alle 14 Tage (4702 Seemeilen,
Fahrzeit 18 Tage) und mit Liverpool durch die Dampfer der West-India und Pa-
cific-Steamship Comp. einmal im Monate in Verbindung; die Royal-Mail geht
weiter nach Colon und Savanilla, die West-India nach New-Orleans. Die Nord-
küste von Jamaica hat regelmässige Verbindungen mit Tampa und New-York. Ein-
mal in der Woche macht von Kingston aus ein Dampfer eine Tour rund um
die Insel.
Jamaica ist ein wichtiger Knotenpunkt des Telegraphennetzes von
Westindien. Kabel gehen nach Cuba, Charleston, Portorico und Colon-Aspinwall.
Die Colonialbank ist die einzige Privatbank von Jamaica.
In Kingston unterhalten Consulate: Belgien, Chile, Columbia, Costarica,
Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Guatemala, Haïti
(G.-C.), Honduras (G.-C.), Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Peru, Salvador,
Schweden und Norwegen, Spanien, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.
Haïti. Port au Prince. San Domingo.
Im Verlaufe unserer Schilderung der Antillen haben wir mehr-
fach wahrnehmen müssen, wie diese Inseln trotz aller Begünstigungen,
welche ihnen die Natur in reichstem Masse hat zu Theil werden lassen,
unter der Ungunst der Zeiten von ihrem einstigen Wohlstande herab-
gekommen sind.
Am crassesten ist diese bedauerliche Erscheinung auf Haïti, der
zweitgrössten und einst blühendsten Insel Westindiens, der einzigen,
welcher es durch eine eigenthümliche Verkettung der Umstände gelun-
gen ist, sich die staatliche Selbständigkeit zu erringen, zu Tage getreten.
Die Insel Haïti, deren Name indianisch „Gebirgsland“ bedeutet,
begreift zwei Staaten in sich, die kleinere Republik Haïti im
Westen und die „Republica Dominicana“ im Osten. Die Bevöl-
kerung ist sehr ungleich vertheilt; von den 1,377.000 Einwohnern,
welche die Insel haben soll, entfallen etwa 960.000 auf den kleineren
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 25
[194]Die atlantische Küste von Amerika.
Staat Haïti, der nur 28.676 km2 umfasst, und nur 417.000 Einwohner
auf die 45.000 km2 grosse Dominikanische Republik.
In beiden Republiken bilden die Weissen nur einen kleinen
Bruchtheil der Bevölkerung. Die Hauptmasse bilden in Haïti die fran-
zösisch redenden Neger, welche sich hier so als Herren der Schöpfung
fühlen, dass in diesem Gemeinwesen nach § 7 der Verfassung die
Weissen weder ein öffentliches Amt bekleiden, noch ein Stimmrecht
ausüben, noch Grundbesitz erwerben dürfen. Die Dominikanische
Republik ist ein Mulattenstaat, doch bilden die Weissen ein Zehntel
der Bevölkerung, und neuere Reisende berichten, dass sich gerade
im Innern des Staates zahlreiche Weisse und helle Mischlinge finden.
Da Santo Domingo bis in unser Jahrhundert zu Spanien gehörte,
so ist hier das Spanische Landessprache.
Die Geschichte Haïtis wird bis zum Jahre 1844, in welchem erst dauernd
die Trennung in zwei Staaten erfolgte, am besten gemeinsam für beide Landes-
theile betrachtet.
Nachdem Columbus auf seiner ersten Reise, und zwar am 3. December 1492 die
Insel entdeckt hatte, erfolgte bald darauf die Gründung von mehreren Städten
auf derselben, zuerst jene von San Domingo, welche Stadt überhaupt die älteste
spanische Niederlassung im neuen Welttheile war. Columbus nannte die Insel
Espanola, aus dem man später Hispaniola machte. Schon 1505 begann die Einfuhr
von Negersclaven, nachdem um diese Zeit schon ein grosser Theil der eingeborenen
Indianer infolge grausamer Behandlung durch die Weissen dahingestorben war.
Die Alleinherrschaft der Spanier auf der Insel dauerte bis 1630, in welchem
Jahre französische Flibustier von Tortuga aus sich auf Haïti festsetzten. Diese
kühnen Freibeuter, welche sich auch Bucaneers nannten, trieben als Hauptbe-
schäftigung das Abfangen und Ausplündern der spanischen Silberflotten. Nach und
nach besetzten sie den ganzen westlichen Theil der Insel; die französische Regie-
rung bewog sie, eine geordnete Niederlassung zu bilden, und im Ryswicker Frieden
(1679) wurde diese als französische Colonie anerkannt. Sie gelangte bald zu
hoher Blüthe und konnte als die reichste der westindischen Colonien angesehen
werden.
Da kam die französische Revolution und damit eine ganz neue Ordnung der
Verhältnisse. Die Schlagworte „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ drangen
über den Ocean, und am 23. August 1791 erhoben sich die Negersclaven, welche
Gleichstellung mit den Weissen verlangten. Unter den gräulichsten Verwüstungen
und Blutthaten verbreitete sich in den folgenden Jahren der Aufstand, welcher
mit der Ermordung oder Vertreibung fast aller Weissen endete, über die ganze
Insel. Die vom französischen Nationalconvent zur Herstellung der Ordnung ent-
sendeten Commissäre waren machtlos gegenüber den mit elementarer Gewalt sich
vollziehenden Ereignissen, hielten es überdies vielmehr mit den Aufständischen
als mit den Weissen, welche zumeist royalistischer Gesinnung verdächtig waren.
Ja, als 1793 die Engländer und Spanier vereint die Insel angriffen, wurde Toussaint
l’Ouverture, der Führer der Insurgenten, vom Directorium zum Obergeneral der ver-
einigten Negertruppen und Franzosen ernannt. Der spanische Theil der Insel
[195]Westindische Häfen.
musste 1795 an Frankreich überlassen werden; 1798 gelang es Toussaint, die
besten Streitkräfte der Engländer von der Insel zu vertreiben.
Nach diesen Erfolgen strebte Toussaint sich von Frankreich unabhängig zu
machen und gab der Insel eine republikanische Verfassung, in welcher ihm die
Präsidentschaft auf Lebenszeit zufiel. Bonaparte entsandte 1801 ein Heer von
25.000 Mann unter General Leclerc, um Haïti wieder zu unterwerfen und die
Sclaverei wieder herzustellen; es gelang zwar den Franzosen, nach einigen mili-
tärischen Erfolgen Toussaint gefangen zu nehmen (er wurde nach Frankreich ge-
bracht und starb daselbst 1803), doch brach hierauf im Jahre 1803 der Aufstand
unter der Führung des Negergenerals Dessalines von Neuem aus und griff sieg-
reich um sich, so dass die Franzosen, welche überdies von einer englischen Flotte
bedrängt waren, im November 1803 die Insel räumen mussten. 1804 wurde die
Unabhängigkeit der Insel proclamirt; Dessalines, der erste Präsident der Republik,
liess sich noch in demselben Jahre zum Kaiser krönen und wirthschaftete nun als
grausamer Tyrann im Lande, wurde jedoch schon 1806 ermordet.
Die nun folgenden Ereignisse bis 1844 können wir füglich übergehen; wäh-
rend dieses Zeitraumes folgen einander in bunter Reihenfolge blutige Verschwö-
rungen, Mordthaten, Revolutionen und Gegenrevolutionen, Spaltungen und Wieder-
vereinigung der getrennten Landestheile, in welchen bald die republikanische,
bald die monarchische Staatsform herrscht. Bemerkenswerth ist nur, dass der öst-
liche Theil der Insel im Jahre 1814 wieder an Spanien kam, 1821 aber sich wieder
lossagte und im folgenden Jahre mit dem westlichen Theile unter dem Präsidenten
Boyer vereinigt wurde.
Nach dem Tode Boyer’s im Jahre 1844 erfolgte die Scheidung des Landes
in die beiden selbständigen Republiken, wie sie dermalen bestehen. In der west-
lichen Republik, welche den Namen Haïti beibehielt, blieb bis in die Siebziger-
jahre der Bürgerkrieg sozusagen permanent; während der Periode von 1849 bis
1859 führte wieder einmal ein fratzenhaftes Kaiserthum unter dem Neger Sou-
louque, welcher sich als Faustinus I. krönen liess und mit unerhörter Grausam-
keit und Willkür regierte, ein ephemeres Dasein. Dreimal während dieser Periode,
1849, 1850 und 1855, versuchte es Soulouque, die östliche Nachbarrepublik wieder
zu unterwerfen, doch ohne Erfolg. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist eine
gewisse Stabilität in dem Regierungswechsel, doch tobte 1888 und 1889 wieder
der Bürgerkrieg mit all seinen Greueln und Folgen in der Republik.
Auch in der Dominikanischen Republik setzte sich nach der Trennung von
der Schwesterrepublik das alte Spiel der einander verdrängenden und Aufstände
anzettelnden Präsidenten fort.
Im Jahre 1861 versuchten die Spanier, von einer Partei, die eben die Herr-
schaft verloren hatte, herbeigerufen, sich wieder im Lande festzusetzen. Nachdem
spanische Truppen auf Santo Domingo ausgeschifft worden waren, genehmigte die
Königin von Spanien am 19. März 1861 die Annexion der Republik; allein schon
1863 brach ein Aufstand gegen die spanische Herrschaft aus, infolge dessen nach
langen Kämpfen 1865 die letzten spanischen Truppen die Insel wieder räumen
mussten.
Die ganze neuere Geschichte dieser Insel gibt den Beweis für die Un-
fähigkeit der Neger, auch nur eine bereits aufgerichtete Cultur zu erhalten, ge-
schweige denn, eine Cultur aufzurichten.
25*
[196]Die atlantische Küste von Amerika.
Die Insel Haïti ist sehr gebirgig, alle Ketten streichen von West
nach Ost. Der centrale Gebirgszug erhebt sich in Loma Tina, einem
südlichen Seitenaste, zu 3140 m. Zwischen dieser Kette und der Sierra
Monte Christi an der Nordküste breitet sich die fruchtbare Vega Real
aus. Eine dritte Kette durchzieht die südwestliche Halbinsel. Das
Klima ist in den Ebenen tropisch, heiss und feucht, wird aber durch
die Seebrisen etwas gemildert; auf dem nördlichen Gebirgszuge der
Insel herrscht dagegen ein ewiger Frühling. Vom November bis Ende
März dauert die grosse trockene Saison; April und Mai bilden die
Hauptregenzeit und auf den trockenen Juni und Juli folgt eine zweite
kleinere Regenzeit. Unangenehm sind die zahlreichen Gewitter, ge-
fährlich die Cyklone, von denen auch Haïti manchmal gestreift wird.
Das Klima ist im Allgemeinen für den Europäer erträglich;
thatsächlich kommt das gelbe Fieber auf Haïti seltener vor als auf
den benachbarten Inseln Cuba und Portorico. Aber für den Europäer
ist im Allgemeinen die Arbeit im Freien in der Sonne in der Zeit von
8 Uhr Morgens bis etwa 5 Uhr Nachmittags völlig ausgeschlossen.
Dank der ausserordentlichen Fruchtbarkeit der Insel und der durch
die klimatischen Verhältnisse bedingten grossen Mannigfaltigkeit der
klimatischen Verhältnisse gedeihen auf Haïti bei geringer Mühe nicht
allein tropische und subtropische, sondern auch manche Erzeugnisse
der gemässigten Zone. Während die zahlreichen Ebenen sich für den
Anbau von Zuckerrohr, Cacao und Baumwolle eignen, wachsen in den
Bergen bis zu 1800 m Höhe Kaffee und europäische Gemüse, Aepfel
und Pfirsiche, Fichten und Palmen neben einander. Die Küsten zeigen
eine ausserordentlich reiche Gliederung und bieten dem Handel zahl-
reiche gute Baien und Häfen. Aber die beständigen Unruhen und die
Indolenz der Neger lassen keinen Fortschritt erwarten, während der
Ackerbau in der Dominikanischen Republik in den letzten Jahren einen
bemerkbaren Fortschritt machte.
Und nun gehen wir über zur Betrachtung der wichtigsten Hafen-
plätze der beiden Republiken und der besonderen Grundlage des
Handels.
Port au Prince, jetzt mit seinem officiellen Namen Port Re-
publicain genannt, ist erst 1745 gegründet worden. Port au Prince
hat eine schöne Rhede und einen kleinen, aber sicheren Hafen mit
8—12 m Tiefe am Nordende der Stadt; die Einfahrt in diesen Hafen
wird durch ein unmittelbar aus dem Wasser ragendes Fort vertheidigt.
Mehrere andere Forts, alle im schlechten Zustande, beherrschen Stadt
und Rhede; unter denselben ist nur Fort Alexandre, im Osten hinter
[197]Westindische Häfen.
der Stadt auf einem 100 m hohen Hügel situirt, als sehr markantes
Object bemerkenswerth.
Die Stadt, am nördlichen Abhange eines Gebirgsrückens gelegen,
welcher sich etwa 20 km südsüdöstlich der Stadt im Princes-Pic zu
1500 m Höhe erhebt, breitet sich unmittelbar am Ufer in einer Aus-
dehnung von fast 2 km aus, kann jedoch nur an einem geringen Theile
der Uferlänge betreten werden, da das Ufer zum grössten Theile seicht
und riffig verlauft. Nördlich und östlich der Stadt erstreckt sich eine
Port au Prince.
weite, von Bergen umschlossene Ebene, der Cul de sac, einst von
reichen Plantagen und Landhäusern bedeckt, heute eine wüste, unge-
sunde Marschgegend.
Durch seine Lage im Hintergrunde der tief in das Land ein-
schneidenden Bai, welche zu beiden Seiten von hohen, schön bewal-
deten Gebirgszügen eingerahmt wird und auch nach aussen durch die
gleichfalls dicht bewaldete, bis 760 m hohe Insel Gonave einen wir-
kungsvollen Abschluss erhält, begünstigt, gewährt Port au Prince
einen sehr malerischen und freundlichen Anblick. Aber dieser gute
Eindruck verkehrt sich sofort in das Gegentheil, wenn man die Stadt
[198]Die atlantische Küste von Amerika.
betritt. Die Strassen, zwar breit und gerade, sind schmutzig und
ungepflastert, die Canalisation lässt Alles zu wünschen übrig. Zahl-
reiche Ruinen von einst prachtvollen Herrenhäusern geben Zeugniss
von der vandalischen Zerstörungswuth, mit welcher hier im Namen
der Freiheit gehaust wurde, und von der kläglichen Unfähigkeit und
Indolenz der nachgekommenen Geschlechter. Mit Ausnahme des Senats-
hauses, eines massigen, aber unschönen Baues, des seinerzeit von den
Engländern erbauten Palastes des Präsidenten hinter dem Marsfelde
(Place d’armes) und der Statue Pétion’s auf diesem Platze, dann der
Wasserleitung fällt keine der Baulichkeiten besonders auf. Die meisten
Häuser sind ein-, höchstens zweistöckig und wegen der häufig vor-
kommenden Erdbeben zumeist aus Holz gebaut. Erwähnenswerth
sind nur noch die katholische Kirche, das Arsenal, das Gefängniss
und das Militärspital, letztere beide vielleicht auch wegen der wahr-
haft horrenden Zustände, welche in ihnen herrschen.
Port au Prince besitzt wenige schöne mit Bäumen bepflanzte
Plätze. Auf der bereits erwähnten Place d’armes sollte eine Ruhmes-
halle erbaut werden; der Bau kam aber nicht über den Sockel hinaus
und ist nun der Verwitterung preisgegeben.
Port au Prince ist der Sitz der Centralbehörden der Republik,
eines Handelstribunales, eines Bischofs und einer Hauptfiliale der „Bank
von Haïti“, welche ihren Sitz in Paris hat und die Aufgabe über-
nommen hat, die trostlos zerrütteten Finanzen des Staates zu regeln.
Die Stadt, deren Einwohnerzahl mit 61.000 angegeben wird,
besitzt überdies mehrere Unterrichtsanstalten, deren Leistungen aller-
dings einen europäischen Massstab nicht vertragen.
Die gewerbliche Thätigkeit ist unbedeutend; der Handel, zwar
noch immer lebhaft, ist nur mehr ein Schatten des früheren.
Das ist natürlich, denn 1790 hatte die Gesammtausfuhr Haïtis einen
Werth von 74 Millionen Gourdes, 1888/89 von 12 Millionen Gourdes, 1887/88 von
13·2 Millionen Gourdes.
Davon entfielen 1887/88 auf Port au Prince 4,277.108 Gourdes, während
sich die Einfuhr auf 2,905.729 Gourdes belief.
Der Stapelartikel Haïtis ist noch immer Kaffee; von diesem wurden
1887/88 über unseren Hafen 92.377 q meist nach Hâvre und mindere Sorten direct
nach Hamburg ausgeführt.
Der zweite Ausfuhrartikel Haïtis ist Blauholz, in welchem aber Port au
Prince keine Rolle spielt. Zu nennen ist noch Cacao 1887/88 mit 155.131 kg.
Der Schiffsverkehr umfasste 1889 282 Dampfer mit 483.242 t und
102 Segelschiffe mit 28.380 t, zusammen 384 Schiffe mit 511.622 t, 1888 484 Schiffe
mit 563.808 t.
[199]Westindische Häfen.
In Port au Prince unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Bolivia,
Brasilien, Columbia, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik (G-.C.),
Frankreich, Grossbritannien, Guatemala, Honduras, Italien, Liberia (G.-C.), Mexico,
Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Peru (G.-C.), Portugal, Schweden und Norwegen,
Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.
Einfuhr und Ausfuhr von Haïti beherrschen die Franzosen, weil sie den
grössten Theil des Kaffees aufnehmen, daher lauten auch die Tratten immer auf
Francs und sind in Paris zahlbar, selbst die auf Hamburg gezogenen. Die Fran-
zosen unterstützen Haïti als alte Colonie und ein französisch redendes Land. In
Port au Prince ist, wie erwähnt, die Hauptniederlassung der „Banque nationale
d’Haïti“, einer anonymen französischen Gesellschaft, deren Sitz Paris ist. Aber
schon sind ihnen in der Einfuhr die Deutschen durch das zielbewusste Vorgehen
der Hamburger Dampferlinie voraus. Franzosen, Deutsche und Engländer versorgen
Haïti mit Industrieartikeln, England mit Reis, die Union mit Mehl, Fleisch
und Glaswaaren.
Die regelmässige Dampferverbindung mit Europa unterhalten die Ham-
burg-Amerikanische Packetfahrt Actiengesellschaft auf ihren Linien nach Colon
(Fahrzeit bis Port au Prince 25 Tage) und Vera-Cruz, die Cie. Générale trans-
atlantique auf ihrer Linie Hâvre-Jacmel. Ausserdem bestehen Verbindungen mit
Amsterdam, Liverpool, New-York (Atlas-Line, Clyde-Steamship-Cy. und nieder-
ländische Postdampfer), New-Orleans und den übrigen Plätzen Westindiens, vor
Allem mit Kingston auf Jamaica. Haïti ist in das Welttelegraphennetz auf-
genommen.
Nächst Port au Prince ist wichtig Cap Haïtien auf der Nord-
küste, einst unter dem Namen Cap Français Hauptstadt der französi-
schen Colonie. Es führt aus: Kaffee (1887/88 61.000 q) und Cacao,
und ist erster Platz der Insel für Blauholz. Ausser diesen sind zu
nennen: Aux Cayes, Jacmel, Gonaives und Jérémie (Cacao).
Wie schon erwähnt wurde, sind die Zustände in der Domini-
kanischen Republik weit besser als in Haïti. Die Einwohner
sind zwar, wie alle Mulatten, träge und sinnlich, aber doch
von ehrenhaftem und leutseligem Charakter. Man hasst hier nicht
die Fremden, sondern überlässt Einwanderern unentgeltlich Grund
und Boden und ertheilt ihnen sofort das Bürgerrecht. Daher finden
wir in diesen Staaten englisches, französisches und holländisches Ca-
pital investirt.
Die Hauptstadt der Republik und der bedeutendste Handelsplatz
derselben, Santo Domingo oder auch Sante Domingo liegt an der
Südküste der Insel an der Mündung des Ozama-Flusses, welcher sich
nebst anderen drei Flüssen daselbst in eine weite, 10 Seemeilen
tief in die Küste einschneidende Bai ergiesst. Die Lage der Stadt
ist eine sehr anmuthige; westlich von der Stadt breitet sich eine aus-
gedehnte Savannah, amphitheatralich von Hügeln eingerahmt, aus.
Auf dieser Seite erheben sich 8—10 km von der Küste die ersten
[200]Die atlantische Küste von Amerika.
Stufen der Cibao-Kette. Desgleichen erstreckt sich östlich vom Ozama-
Fluss eine Ebene 30—40 km landeinwärts.
Die Stadt wurde 1496 von Bartholomäus Columbus gegründet;
1586 wurde sie von den Engländern unter Drake erobert und grossen-
theils verheert. Der Hafen der Stadt wird durch den Ozama-Fluss
selbst gebildet, welcher bis auf 3 Seemeilen von der Mündung eine
Tiefe von 3½—8 m hat; der Hafen ist eng und kann der der Mün-
dung des Flusses vorliegenden Barre wegen, welche bei Ebbe bloss
3·5 m Tiefe hat, nur von Schiffen mittleren Tiefganges, und das nicht
ohne zur Einfahrt einen Lootsen zu nehmen, benützt werden. Grössere
Schiffe müssen auf der Rhede bleiben, woselbst das Ein- und Aus-
schiffen von Waaren grosse Schwierigkeiten macht, ja oft unmöglich
ist; auch in nautischer Hinsicht ist die Rhede verrufen und beson-
ders zur Zeit der Orkane und vom November bis Mai gefährlich.
Die Stadt ist allseits von einem Wall umgeben; einige verfallene
Forts und Bastionen vertheidigen die Einfahrt in den Hafen und die
Landseite. Die Strassen sind breit, regelmässig angelegt, aber schmutzig
und ungepflastert; die Häuser sind meist gut gebaut; unter ihnen
befinden sich viele grössere Gebäude, die noch von der Zeit der
spanischen Herrschaft herrühren, aber auch viele Ruinen, die von
den Kämpfen der vergangenen Zeiten und von den häufigen Erdbeben
Zeugniss ablegen. Sehr sehenswerth ist die auf der Plaza mayor ge-
legene, im gothischen Style erbaute Kathedrale mit einer schönen
Kuppel, welche die älteste der neuen Welt ist (sie wurde 1514—1540
erbaut) und in welcher Columbus’ Gebeine bis 1794 aufbewahrt wurden,
in welch letzterem Jahre sie nach Habana überführt wurden. Im Jahre
1877 will man übrigens gelegentlich eines Umbaues in der Kathe-
drale in einer Bleicassette die echten Gebeine Colon’s gefunden
haben, und man vermuthet, dass die nach Habana überführten einem
Verwandten des grossen Entdeckers angehören.
Von sonstigen Gebäuden sind noch erwähnenswerth das Gou-
vernementsgebäude, das Arsenal, das ehemalige Jesuitencollegium —
jetzt ein Militärmagazin und sehenswerth wegen seines schönen
Hochaltars und seiner Kuppel, nebst einer grossen Zahl meist ver-
fallener Kirchen.
Santo Domingo, welches 20.000 Einwohner hat, führt vor Allem
Zucker aus und steht als Handelsplatz hinter Puerto Plata zurück.
Puerto Plata liegt an der Nordküste und ist Sitz des Gouverne-
ments des Norddistrictes. Die Stadt hat einen halbkreisförmigen, ziem-
lich unsicheren Hafen von etwa ½ Seemeile Durchmesser. Puerto
[201]Westindische Häfen.
Plata, welches dermalen 10.000 Einwohner zählt, wurde im Jahre
1863 während des Aufstandes gegen die spanische Herrschaft fast
ganz eingeäschert und konnte sich seither nur mühsam erholen.
Der Handel von Puerto-Plata leidet unter der zunehmenden Concurrenz von
Sanchez (Bai von Samaná) an der Ostseite der Insel, von welchem eine 115 km
lange Eisenbahn nach La Vega ausgeht, denn die Wege, welche von Puerto-Plata
in die Vega Real, den fruchtbarsten Theil des Staates, führen, können selbst die
Saumthiere nur dann passiren, wenn es nicht zu lange regnet. Daher vermittelte
Puerto-Plata früher die Hälfte, heute nur den dritten Theil des Handels der
San Domingo: A Ankerplatz vor S. Domingo, B Yabacao-Fluss, C Zollamt, D Sta. Barbara-Kirche,
E Palais des Präsidenten, F Leuchtfeuer, G Marktplatz, H Kathedrale, J Bastion la Concepcion,
K Friedhof, L Remedio-Kirche, M erzbischöfliches Palais, N Congress-Palais. — Port au Prince:
O Rhede, P innerer Hafen, Q Zollamt, R Fort Alexander, S Palais des Präsidenten.
Republik. Die Ausfuhr besteht aus Tabak, der geschätzt ist und im Lande von
cubanischen Arbeitern zu Cigarren und Cigaretten verarbeitet wird, Kaffee, Maha-
goniholz und Cacao. Sie erreichte 1889 898.679 Dollars und geht nach Hamburg,
Bremen, Hâvre und Liverpool.
An der Einfuhr von 697.485 Dollars ist neben den genannten Häfen auch
New-York betheiligt.
Der auswärtige Schiffsverkehr war 1889 auf 108 Schiffe mit 78.246 Reg.-
Tons gesunken.
Puerto-Plata hat auch mehr Dampferverbindungen als Santo Domingo, steht
durch vier Dampferlinien mit Europa und Amerika in Verbindung, eine fünfte,
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 26
[202]Die atlantische Küste von Amerika.
von der Republik subventionirte amerikanische Dampferlinie verbindet sämmtliche
grössere Häfen der Insel untereinander und mit Amerika. Mit England, Nord-
amerika, den westindischen Inseln und mit Venezuela ist das Land durch unter-
seeische Kabel verbunden; das Telegraphen- und Telephonwesen im Lande ist gut
entwickelt.
Portorico. San Juan.
Portorico, die zweitgrösste der spanischen Inseln Westindiens,
schliesst im Osten die Reihe der Grossen Antillen ab. Von Haïti im
Westen durch die circa 60 Seemeilen breite Mona-Passage getrennt,
erhebt sich die Insel, welche bei ziemlich einfachen Ufercontouren die
Gestalt eines Ost-West liegenden Rechteckes und ein Areale von
9620 km2 hat, in einem die ganze Insel ihrer Länge nach durch-
ziehenden und nahe dem östlichen Ende im Yunque-Pic seine grösste
Höhe von 1120 m erreichenden, wald- und quellenreichen Gebirgsstock
zumeist in steilen Abhängen aus der See. Doch finden sich im Innern
und stellenweise an der Küste, wo das Hochgebirge ins Land zurück-
tritt, weit ausgedehnte Savannen, welche von zahlreichen von den
Niederschlägen des Passats gespeisten und oft in herrlichen Wasser-
fällen aus den Gebirgsschluchten sich herabstürzenden Flüsschen reich-
lich bewässert, an Fruchtbarkeit denen der übrigen Antillen nichts
nachgeben.
Die Küsten der Insel sind theils von Klippen, Riffen und Lagunen
eingefasst, theils werden sie wie am östlichen Theile der Nordküste
unvermittelt von den schroff ins Meer abstürzenden Gebirgsabhängen
gebildet, an welchen die vom Nordost-Passate einhergetriebenen mäch-
tigen Wogen tosend branden.
Dieser Küstenconfiguration entsprechend hat Portorico nur wenige
gute Häfen; San Juan an der Nordküste gilt als der einzige, in
welchem grosse Schiffe auch während der Orkausaison sichere Zuflucht
finden; nebst diesem können nur noch Guanica und Hovas, die aber
als Handelsplätze von keiner Bedeutung sind, als gute Häfen be-
zeichnet werden.
In dieser Unzugänglichkeit der Insel mag zum Theile auch die
Erklärung für die Thatsache gefunden werden, dass sich die Geschichte
Portoricos in verhältnissmässig viel ruhigeren Geleisen bewegt hat,
als auf den anderen westindischen Inseln.
Die Besiedlung der Insel, welche am 15. November 1493 von Columbus
entdeckt und San Juan Baptista de Puerto Rico benannt wurde, erfolgte erst 1509
von San Domingo aus, und zwar durch Ponce de Leon, den Statthalter einer der
spanischen Niederlassungen auf letzterer Insel.
[203]Westindische Häfen.
Die Eingeborenen, deren Zahl für die Zeit der Entdeckung mit circa
600.000 angegeben wird, erfreuten sich im Anfange einer relativen Schonung,
erlitten jedoch bald dasselbe Schicksal wie ihre Brüder auf den anderen von den
Spaniern in Besitz genommenen Inseln.
Einem kleinen Reste derselben gelang es jedoch, als in der Mitte des XVI. Jahr-
hunderts der blutigen Wirren wegen die Insel für längere Zeit von den Spaniern
verlassen wurde, sich zu erhalten und, wie wir später sehen werden, ihr Blut bis
auf den heutigen Tag, wenn auch nur als Mischung zum weissen, zu vererben.
Gegen Ende des XVI. Jahrhunderts begann die Colonie durch Zuzug von
Ansiedlern ziemlichen Aufschwung zu nehmen; bis 1763 war sie aber so ziemlich
sich selbst überlassen. Erst von diesem Jahre an begann die spanische Regierung
sich für Portorico zu interessiren und erliess in der Folge eine Reihe von Ver-
fügungen, insbesondere mit Absicht auf Förderung der Einwanderung und Be-
freiung des Handelsverkehres von den drückendsten Fesseln, welche das Prospe-
riren der Colonie mächtig förderten, so dass Portorico zu Ende des vorigen und
Anfangs dieses Jahrhunderts ähnlich wie Cuba, wenn auch nicht in demselben
Masse, eine Periode hohen Wohlstandes zu verzeichnen hatte.
Seither haben sich die ungünstigen Verhältnisse des Weltmarktes für
Colonialproducte, welche nebst anderen Umständen auf allen westindischen Inseln
eine Bewegung in absteigender Linie verursacht haben, freilich auch auf Porto-
rico fühlbar gemacht; allein da letztere Insel sich relativ ruhiger und geordneter
innerer Zustände erfreute und auch die erst 1873 erfolgte Aufhebung der Sclaverei,
dank dem starken Ueberwiegen der Weissen und Mulatten über die Neger, sich
nur wenig fühlbar machen konnte, endlich auch die Bevölkerung sich fortwährend
in ziemlich starker Progression vermehrte und noch vermehrt, so trat auch ein
eigentlicher Stillstand auf Portorico nicht ein, vielmehr hat sich Production und
Handel auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts langsam, aber sichtlich
erhoben.
Portorico ist seit seiner ersten Besitzergreifung ununterbrochen unter der
Herrschaft Spaniens geblieben.
Wohl war die Colonie im XVI., XVII. und XVIII. Jahrhundert mehrmals
von Engländern, Franzosen, Holländern und von den Flibustiern angegriffen worden,
doch gelang es denselben nie, dauernd festen Fuss auf der Insel zu fassen. Als
dann zu Anfang des XVII. Jahrhunderts die Hauptstadt San Juan stark befestigt
wurde, wurden die feindlichen Angriffe, welche sich naturgemäss immer gegen
diesen Punkt richteten, regelmässig zurückgeschlagen.
Die Bevölkerung Portoricos betrug 1887 813.937 Seelen, was
85 Bewohner auf den Quadratkilometer gibt. Ist sonach schon die
Dichtigkeit der Bevölkerung auf Portorico eine weit grössere als auf
irgend einer anderen der grossen Antillen, so gestaltet sich dieses
Verhältniss noch günstiger, wenn man die Zusammensetzung der Be-
völkerung in Betracht zieht; denn mehr als die Hälfte sind Weisse, von
dem Reste sind mehr als zwei Drittel Mulatten und kaum ein Drittel
Neger. Der von Natur arbeitsscheue Theil der Bevölkerung bildet also
hier nur einen kleinen Bruchtheil, wobei bemerkt werden muss, dass auf
Portorico die Neger, weil eben durch die Concurrenz an Arbeitskräften
26*
[204]Die atlantische Küste von Amerika.
die Lebensbedingnisse erschwert sind, sich nolens volens zur Arbeit
verstehen müssen.
Interessant ist, dass auf Portorico, wie früher angedeutet, ein
Menschenschlag, und zwar in ziemlicher Menge vertreten ist, dessen
Abstammung auf eine Vermischung der spanischen Colonisten mit den
Ureinwohnern der Insel zurückzuführen ist.
Diese Gibaros, wie sie genannt werden, und die Islenos — letztere
Einwanderer von den canarischen Inseln — sind meist kleine Grund-
besitzer, Viehzüchter und Feldarbeiter. Ihrem Vorhandensein ist
es wohl zu danken, dass auf Portorico eine Masseneinfuhr von
Negersclaven nicht erforderlich war, und in weiterer Folge die Sclaven-
emancipation keinen so schädlichen Rückschlag in der Production
hervorrufen konnte wie beispielsweise auf den englischen Inseln
Westindiens.
Die Bodencultur auf Portorico entspricht der Fruchtbarkeit der
Insel und dem relativ günstigen Populationsverhältnisse.
Das Klima ist zwar tropisch warm, im Allgemeinen aber ge-
sünder als auf den übrigen Antillen.
Portorico bildet mit den benachbarten Inseln Vieques, Culebra,
Desechos und Mona ein eigenes Generalcapitanat.
An der Nordküste, beläufig 30 Seemeilen von der Nordostspitze
der Insel, liegt San Juan, die Hauptstadt und der Haupthafen Portoricos.
San Juan, vollständiger San Juan de Puerto Rico, wurde, wie
erwähnt, im Jahre 1514 gegründet; die Stadt, welche gegenwärtig
circa 24.000 Einwohner zählt, steht am westlichen Ende einer bei-
läufig 2½ Seemeilen langen WNW gerichteten Felseninsel, der
Morro-Insel, welche im Südosten nur durch den sehr schmalen San
Antonio-Canal vom Inselland getrennt ist und den nördlichen Ab-
schluss der sehr geräumigen und sicheren Bai bildet. Seit September
1889 lässt die Regierung den Hafen vertiefen.
Eine grosse Zahl von Forts und Bastionen haben seiner Zeit
San Juan zu einem der festesten Plätze gemacht, aber diese Be-
festigungen sind jetzt veraltet.
Der Hafen wird im Westen durch die Cabras-Inseln und die
seichten Bänke, welche diese Inseln mit dem Lande verbinden, abge-
schlossen; im Süden und Osten wird er durch das hier niedrige und
morastige Inselland begrenzt.
Wie unser Kärtchen zeigt, lassen sich innerhalb der grossen
Bai, welche den Hafen von San Juan bildet, und deren für Schiffe
benützbares Areale durch ausgedehnte Bänke und Lagunen bedeutend
[205]Westindische Häfen.
eingeengt wird, zwei eigentliche Häfen unterscheiden: der äussere,
welcher durch den von der Einfahrt bis zur Puntilla sich hinziehenden
Schiffahrtscanal gebildet wird und welchen zumeist jene Schiffe be-
nützen, welche nur kurze Zeit im Hafen verweilen, und der innere,
östlich von der Puntilla. Letzterer ist gegen alle Seiten vollkommen
geschützt und geniesst überdies den Vortheil des über das niedrige
Dünenland östlich der Stadt hinwegstreichenden kühlenden Passats.
A Innerer Hafen, B Zollamt, C Waarenhäuser, D Arsenal, E Anlegeplatz, F Leuchtfeuer, G Gouverne-
mentspalast, H St. Helena-Batterie, J Ballaya-Kaserne, K Friedhof, L S. Domingo-Kaserne, M Kathe-
drale, N S. Francesco-Kirche, O Marktplatz, P Caguas-Strasse, Q Tierra-Thor, R S. Juan-Thor.
Das Einfahren in den Hafen von San Juan gestaltet sich wegen
der vielen und infolge der Schlammablagerungen aus den in die Bucht
sich ergiessenden Flüssen variablen Untiefen schwierig; auf der Barre
der Hafeneinfahrt bricht sich bei Nordwinden die Brandung mit
Mächtigkeit und kann einlaufenden Schiffen gefährlich werden; der
Schiffahrtscanal im Hafen ist zwar durch Bojen gekennzeichnet, da
dies aber nicht in vollkommen ausreichendem Masse der Fall ist und
[206]Die atlantische Küste von Amerika.
infolge des sehr unreinen Wassers die Grenzen des fahrbaren Wassers
mit dem Auge nicht erkannt werden können, so ist es nicht rathsam,
ohne Lootsen in den inneren Hafen einzulaufen.
Die Stadt San Juan selbst macht einen recht angenehmen Ein-
druck; sie besteht aus breiten geraden, unter rechtem Winkel sich kreu-
zenden Strassen und gut gebauten, der Orkane wegen aber meist nur
einstöckigen, oft auch nur hölzernen Häusern. Für die gewöhnlichen
Bedürfnisse der ankommenden Schiffe, wie Kohle, Wasser und Lebens-
mittel, ist ausreichend vorgesorgt; für gesellige Unterhaltung dienen
zahlreiche Cafés, Casinos und ein in den Jahren 1824—1829 erbautes
grosses Theater.
Von Gebäuden, welche geeignet wären, die Aufmerksamkeit des
Fremden zu fesseln, ist vorzüglich die Kathedrale zu erwähnen, welche
drei Schiffe und zwei Reihen seitlicher Kapellen hat; im Ganzen aus
Stein erbaut, ist auch dieses Gebäude mit Ausnahme des Theiles über
dem Hochaltar mit Holz eingedeckt. Bemerkenswerth sind ferners
noch das auf dem grossen Platze stehende Rathhaus mit einem schönen
Saale, das Arsenal, das Zollhaus, das Hafencapitanat und verschiedene
Regierungsgebäude.
San Juan ist Sitz der Centralbehörden der Colonie; auch resi-
dirt ein Bischof hier. In der Stadt herrscht zuweilen Wassermangel,
da die Bewohner auf ihre Cisternen angewiesen sind; ausserhalb der
Stadt befinden sich jedoch reichlich fliessende Quellen.
Bei dem eigenthümlichen verticalen Baue der Insel, welche ihrer
ganzen Länge nach eine Gebirgskette von West nach Ost durchzieht,
haben neben San Juan noch eine Reihe anderer Küstenplätze ihre
selbständige Handelsbedeutung. Diese sind Arecibo und Aquadilla
im Nordwesten, Mayaquez an der Westküste und Ponce an der
Südküste, welche Orte neben San Juan von den europäischen Post-
dampferlinien angelaufen werden.
An dem Handel von Portorico haben das Mutterland Spanien und Cuba
den grössten Antheil, an sie reihen sich die Vereinigten Staaten, dann Gross-
britannien, das fast den vierten Theil der Einfuhr liefert, das Deutsche Reich und
Frankreich.
Der Handel von Portorico betrug:
Der Hauptartikel ist Kaffee (1889 169.910 q, 1888 232.250 q), welchen
Cuba, Frankreich, Deutschland und Spanien aufnehmen.
[207]Westindische Häfen.
Von Zucker (1889 636.100 q, 1888 619.870 q) gehen 300.000—400.000 q
in die Union, der Rest nach Spanien und England.
Melasse (1889 207.030 q) wird zum grössten Theile in die Union gesendet.
Von Tabak (1889 35.090 q, 1888 15.180 q) gehen etwa 6000 q nach Cuba,
das übrige nach Spanien und Deutschland.
Die Ausfuhr von Rindern stieg 1889 auf 6531 Stüek und war nach
Französisch- und Britisch-Westindien, dann nach St. Thomas gerichtet. Auch die
Ausfuhr von Häuten ist ansehnlich.
Mit dem Ausbau von Eisenbahnen, von denen heute 18 km fertig, 546 km
im Bau und projectirt sind, wird sich die Ausfuhr Portoricos ganz bedeutend
steigern, denn heute führt eine Fahrstrasse nur längs der Küste um die ganze
Insel, in das Innere gelangt man nur auf meist verwahrlosten Reitwegen.
In der Einfuhr hat die regsame Industrie Cataloniens Spanien den Vor-
rang vor der Union und Grossbritannien gesichert; den vierten Platz nimmt
Deutschland ein.
Den wichtigsten Theil der Einfuhr bilden Nahrungsmittel aller Art.
Mehl (1889 140.190 q) senden die Union und Spanien, Reis (1889 195.290 q)
Grossbritannien und Deutschland, Stockfische (88.250 q) Canada und die Union,
Schweinefleisch Schinken und Speck die Union, candirte Früchte Spanien,
Käse die Union, Olivenöl Spanien, Gemüse und Hülsenfrüchte Spanien und
die Union und Weine Spanien.
Hölzer kommen aus der Union und Canada, Kohlen aus England, Petro-
leum aus der Union.
Weniger bedeutend ist die Einfuhr von Industrieerzeugnissen.
Den Markt in Baumwollstoffen (1889 18.730 q, Werth 1,770.420 Pesos)
und Schafwollstoffen beherrschen Spanien und Grossbritannien. In den Er-
zeugnissen aus Jute, Hanf und Flachs tritt Spanien hinter Grossbritannien zurück.
In Metallwaaren und insbesondere in Maschinen für Zuckerfabrication
ist Grossbritannien der wichtigste Staat; doch die Schienen für die Bahnen,
welche im Bau begriffen sind, liefert das thätige Belgien.
Der Schiffsverkehr von Portorico erreichte im auswärtigen Verkehre
1889 2547 Schiffe mit 2,317.414 t, 1888 2752 Schiffe mit 2,206.557 t.
Mehr als drei Fünftel der Tonnenzahl entfallen auf die spanische Flagge,
denn die Compañia transatlantica unterhält zwei Linien mit Spanien (Santander,
Cadiz) und über Habana mit Vera-Cruz und Colon; zwei ihrer Linien haben
Liverpool zum Ausgangspunkte.
Häfen Portoricos laufen ferner an die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-
Actiengesellschaft und die Compagnie Générale Transatlantique (Hâvre).
Portorico hat über Jamaica und Trinidad Anschluss an die Welttele-
graphenlinien.
St. Thomas.
Keine zweite Insel der Kleinen Antillen bietet einen so maleri-
schen Anblick als das dänische St. Thomas (86 km2) im Osten von
Portorico. Seine centrale Lage zwischen den Grossen und Kleinen
Antillen und an der kürzesten Linie, die von Europa in das Karai-
[208]Die atlantische Küste von Amerika.
bische Meer führt, verschaffte mit der Zeit St. Thomas eine hohe
commerzielle Bedeutung als Depôtplatz der Industrieerzeugnisse Eu-
ropas und der Naturproducte Westindiens. Seit Kabel- und Dampfer-
verbindungen den directen Verkehr dieses Handelsgebietes ermög-
lichen, ist der Zwischenhandel hier verschwunden und damit auch
alle bedeutenden Handelsfirmen, von denen eine grosse Zahl deutsche
waren.
Die Insel ist heiss und nur zum Theile anbaufähig, von Erd-
beben und verheerenden Drehstürmen heimgesucht. Sie producirt nicht
viel und die 14.389 Bewohner sind ausschliesslich auf den Erwerb
angewiesen, welchen der Schiffsverkehr mit sich bringt; dieser
erlitt vorübergehend eine Einbusse, als die Engländer ihre Haupt-
schiffstation nach Barbados verlegt hatten. Der Freihafen St. Thomas,
eigentlich Charlotte Amélie, liegt an der Südküste der Insel am
Fusse einer Bergkette, die ihm einen vorzüglichen Schutz gewährt
und ist mit Reparatur-, Slip- und Schwimmdock ausgerüstet, besitzt
eine leistungsfähige Maschinenfabrik und bequeme Vorrichtungen zum
Einladen von Kohlen.
Und als Kohlenplatz hofft St. Thomas wieder auf bessere
Zeiten, wenn der Panama-Canal ausgebaut sein wird.
St. Thomas laufen an alle westindischen Linie der Hamburg-amerikanischen
Packetfahrt-Actiengesellschaft, eine Zweiglinie der Royal-Mail-Steam-Packet-Cy.
(Southampton), die West-India \& Pacific-Steamship-Cy. und Harrison-Line (Liver-
pool), die Cie. Générale Transatlantique (Hâvre, Bordeaux, Marseille). St. Thomas
ist ein Knotenpunkt der westindischen Kabel.
Martinique. St. Pierre.
Martinique, die am weitesten gegen den Passat vorgeschobene
der „Inseln ober dem Winde“ — wenn man von Barbados, welches
ganz ausserhalb des Bogenzuges der Antillen liegt, absieht — ist die
bedeutendste Besitzung Frankreichs in Westindien und bildet für sich
ein eigenes Gouvernement.
Gleich den anderen, vulcanischen Kräften ihre Entstehung
verdankenden Nachbarinseln zeichnet sich auch Martinique durch
die Mannigfaltigkeit und das Malerische in den Formen seiner Gebirge
aus, welche auf dem kleinen Areale von 988 km2 zusammengedrängt,
zu Höhen bis 1350 m (Mt. Pelée) ansteigen.
Martinique hat sehr gut entwickelte Küstencontouren und besitzt
eine grosse Zahl von schönen sicheren Baien, welche aber der vor-
gelagerten Korallenbänke wegen schwer zugänglich sind; die bereits
[209]Westindische Häfen.
erwähnte Bai von Fort Royal, in deren Hintergrunde die politische
Hauptstadt der Insel, Fort de France liegt, zählt zu den besten
Häfen Westindiens.
Martinique wurde von Columbus im Jahre 1493 entdeckt; doch blieb die
Insel bis zum Jahre 1635 im ungestörten Besitze der zum Stamme der kriege-
rischen Karaiben gehörenden Eingeborenen.
A Bojen für Schiffe, B Felsgrund des Caye de l’hôpital, C Ankerplatz bei Marthe, D Fort-Kirche,
E Theater, F Leuchtfeuer, G botanischer Garten, H Hospital, J Mouillage-Kirche, K Mündung des
Mouillage-Flusses.
Im Juli des letztgenannten Jahres wurde Martinique von französischen
Colonisten der Insel St. Christophe im Namen der von Richelieu gegründeten
„Companie der amerikanischen Inseln“ in Besitz genommen; die erste Ansiedlung
fand an der Stelle des heutigen St. Pierre statt. Directe unter die Hoheit des
französischen Staates kam Martinique aber erst 1664, in welchem Jahre diese
Colonie nebst Guadeloupe und Dependenzen vom Staate angekauft wurde.
Verfehlte volkswirthschaftliche Politik und kriegerische Unruhen liessen
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 27
[210]Die atlantische Küste von Amerika.
die Colonie im weiteren Verlaufe des XVII. Jahrhunderts nicht zur Entwicklung
gelangen.
Martinique hatte zu jener Epoche mehrere Angriffe seitens der Engländer
und der Holländer abzuwehren, was, wenn auch mit grossen Opfern, doch stets
mit Erfolg geschah.
Vom Ryswicker Frieden bis zum Ausbruche des siebenjährigen Krieges
genoss Martinique die Wohlthaten einer langen Friedensperiode. In dieser Zeit
nahm die Colonie einen bemerkenswerthen Aufschwung, so dass Martinique nächst
Barbados der Hauptstapelplatz für die colonialen und die europäischen Producte in
den Kleinen Antillen wurde. In der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts und bis
zum Abschlusse der grossen Napoleonischen Kriege in Europa kam Martinique
viermal (1762, 1794, 1809, 1815) für kurze Zeit in den Besitz der Engländer,
welche jedoch jeweilig bei Friedensschluss die Insel wieder an Frankreich zurück-
geben mussten. Am längsten, nämlich fast acht Jahre, dauerte die Occupation
seitens Englands nach der im Jahre 1794 durch Admiral Jervis erfolgten
Eroberung der Insel.
Mehr als von den äusseren Entwicklungen hatte Martinique von den Folgen
der französischen Revolution zu leiden, welche auf der Insel ähnliche blutige Ver-
wicklungen im Innern schufen wie auf Haïti; dass zu jener Zeit die Negerfrage auf
Martinique nicht eine gleich verhängnissvolle Lösung für die Weissen gefunden hat
wie auf der genannten Insel, ist wohl der früher erwähnten Occupation Martiniques
durch die Engländer zu verdanken, welche eben in die Zeit fiel, als auf Haïti die
Neger mit Erfolg sich zu Herren der Insel machten.
In die nun folgende Friedensepoche bis zum Jahre 1848, in welchem auf
Martinique die Sclaverei infolge der Februar-Revolution ohne irgend welchen Ueber-
gang aufgehoben wurde, fallen mehrere, theils im Keime erstickte, theils erst nach
blutigen Kämpfen unterdrückte Verschwörungen und Aufstände der Neger und
Farbigen; die bedeutendsten waren die in den Jahren 1824 und 1833 von den
Mulatten in Scene gesetzten Revolutionen.
Das Klima Martiniques kann während der Trockenzeit, welche
von November bis Juli dauert, ein gesundes genannt werden; der
Ausdruck „Trockenzeit“ darf übrigens nicht zu wörtlich genommen
werden, da auch in dieser Zeit kurze Regenschauer eintreten; während
der von Juli bis October dauernden Regenzeit grassirt besonders in
den Niederungen häufig das gelbe Fieber, zuweilen auch die Cholera.
So wie Martinique mit den anderen Inseln der Kleinen Antillen
den Segen der ausserordentlichen Fruchtbarkeit und der Ueppigkeit
der Vegetation in allen Gebirgslagen, den Fischreichthum der Küsten-
gewässer und die reiche Fauna des Landes gemeinsam hat, so theilt
es mit denselben auch die Schrecken, mit welchen die Natur zuweilen
diese gottbegnadeten Inseln heimzusuchen findet. Erdbeben und Orkane,
letztere in der Regenzeit auftretend, verwüsten manchmal ganze Länder-
strecken und Städte; so wurde Fort de France im Jahre 1839 durch
ein Erdbeben ganz zerstört; auch Sturmfluten richten häufig Ver-
heerungen in den Häfen und an den Küsten an.
[211]Westindische Häfen.
Eine Specialität Martiniques sind die in der Regenzeit vorkom-
menden, von verheerender Wirkung begleiteten Wasserstürze, Déscente
genannt, welche eine Folge der in dieser Jahreszeit auftretenden
wolkenbruchartigen Regen und der durch dieselben gebildeten Wasser-
ansammlungen in den Mulden des Gebirges sind. Nicht unerwähnt
können wir endlich die äusserst giftige Lanzenschlange lassen, welche
auf Martinique ebenso wie auf der südlichen Nachbarinsel St. Lucia
massenhaft vorkommt und eine wahre Landplage geworden ist. Der
Biss dieser Schlange ist in wenigen Minuten tödtlich und bildet des-
halb ein ernstliches Hinderniss für die weitere Cultivirung der Insel.
Die Bevölkerung von Martinique wird für 1888 mit 175.164
Einwohnern angegeben. Davon sind höchstens 10.000 Weisse, 13.000
ostindische Coulies und die übrigen Neger und Mulatten. Bei der frei-
sinnigen Verfassung, welcher Martinique besitzt, sind die Mulatten
die Herren der Insel. Die Neger erfreuen sich unter der Herrschaft
der Franzosen seit mehr als 100 Jahren der Freiheit, aber sie haben
sich der europäischen Cultur trotzdem nicht angeschlossen, sondern
leben thatsächlich in einer tiefen Barbarei. Die Noth zwingt sie selten
zu arbeiten, weil die Lebensbedürfnisse namentlich seit Einführung
des Brotfruchtbaumes spottbillig sind. Fleissige Arbeiter sind die
Coulies, deren Einfuhr die Regierung in die Hand genommen hat;
sie blicken mit Verachtung auf den Neger herab.
Die Insel liefert Bodenproducte im Werthe von 30 Millionen
Francs, trotzdem zwei Drittel der Oberfläche Wälder und Savannen
einnehmen. Die Hauptculturen sind Zuckerrohr, das zum Theile schon
in grossen Centralfabriken verarbeitet wird, und aus welchem Roh-
zucker (550.000 q), Melasse (46.000 hl), Rum und Tafia (243.000 hl)
hergestellt werden, dann Cacao (579.000 q). Die altberühmte Kaffee-
production liefert nur noch wenig für den Export.
Hauptort der Insel und Sitz des Gouverneurs ist Fort de
France mit 17.000 Einwohnern. Die schöne Stadt, in der im Juni
1890 ein Brand 1600 Häuser zerstörte, hat einen ausgezeichneten
Hafen.
Aber der Handel und das Geldgeschäft sind in St. Pierre,
der volkreichsten Stadt der Insel, concentrirt. St. Pierre liegt, wie alle
Handelsplätze auf den Kleinen Antillen, an der Leeküste der Insel.
Diese Küste ist im Allgemeinen steil abfallend und frei von Untiefen.
Zehn Seemeilen südöstlich von Cap St. Martin, der Nordwestspitze
der Insel, bildet die Küste in einer Ausdehnung von circa 5 See-
meilen eine flache Einbuchtung, an deren innersten Punkte die Stadt
27*
[212]Die atlantische Küste von Amerika.
St. Pierre auf einem von den Gebirgsabhängen daselbst freigelassenen
schmalen sandigen Ufersaume steht. In ihrer Entwicklung landein-
wärts durch diese Bergabhänge begrenzt, dehnt sich die Stadt in einer
Länge von mehr als einer Seemeile von der Spitze Ste. Marthe, einem
schroff ins Meer fallenden Hügel im Süden, bis zur Mündung des
Pères-Flusses im Norden knapp am Ufer aus; ein zweiter Fluss, der
Mouillage, welcher im nördlichen Drittel der Stadt mündet, durch-
bricht die in ununterbrochener und dichter Folge sich dahinziehende
Häuserreihe. St. Pierres Lage im Vordergrunde von mit dichten Wal-
dungen und Culturen bedeckten Hügeln, weiter rückwärts die ihre
Häupter bis in die Wolken erhebenden Gebirgsriesen, von welchen
besonders die Pitons du Carbet im Südosten durch ihre bizarren
Formen auffallen, ist eine sehr malerische. Die Stadt selbst macht
einen ganz europäischen Eindruck.
Wie aus der vorbeschriebenen Lage hervorgeht, besitzt St. Pierre
nur eine ganz offene Rhede; des gegen See sehr rasch abfallenden
Grundes wegen sind die Schiffe genöthigt, sich ganz nahe am Ufer
der Stadt, senkrecht zu demselben „vierkant“ zu vertäuen, wie man
in der Seemannssprache sagt, zu welchem Zwecke am Ufer eine Reihe
von Landfesten stehen, sowie auch parallel zum Ufer acht Vertäubojen
ausgelegt sind. Während der Regenzeit, welche auch die Zeit der
Stürme ist, müssen die Schiffe die Rhede, welche dann sehr gefährlich
ist, verlassen.
Das Klima der Stadt ist, besonders zur Regenzeit, verrufen; die
besser situirten Einwohner suchen zu dieser Jahreszeit ihre höher ge-
legenen Landsitze auf. Aber trotzdem wird jeder Besucher St. Pierres
gewiss nur die angenehmsten Erinnerungen von seinem Aufenthalte
auf dieser reizenden Insel im Allgemeinen sowie der Stadt im Beson-
deren in sich aufnehmen.
Hiezu tragen nicht nur die genussreichen Ausflüge in die an den
herrlichsten landschaftlichen Scenerien reiche Umgebung der Stadt,
sondern mehr noch die überaus angenehmen gesellschaftlichen Ver-
hältnisse der Stadt bei, wie sie nur die echt französische Gastfreund-
schaft, Lebensfreude und Liebenswürdigkeit der Bewohner im All-
gemeinen und der unvergleichliche Liebreiz, die Anmuth und Grazie
der französischen Creolinnen mit sich bringen können.
Die Stadt, welche 29.000 Einwohner beherbergt, trägt in ihrer
Anlage und ihren Gebäuden den unverkennbaren Charakter der Handels-
thätigkeit. Durch Architektur und Grösse zeichnet sich keine Baulich-
keit besonders aus; zu erwähnen wäre nur die Kathedrale, das Rath-
[213]Westindische Häfen.
haus, der Justizpalast, das Lyceum, das Theater, das Militärspital und
der bischöfliche Palast.
Mit Wasser ist St. Pierre in ganz vorzüglicher Qualität versorgt,
ein Vorzug, welcher in einer Tropenstadt besonders ins Gewicht fällt.
Sehr sehenswerth ist der am südlichen Thalabhange des Mouil-
lage-Flusses gelegene botanische Garten, welcher zur Acclimatisation
für ostindische Gewächse dient.
Der Handel von Martinique erreichte 1888 23·5 Millionen Francs in der
Ausfuhr und 22·9 Millionen Francs in der Einfuhr.
Die Ausfuhr setzt sich zusammen aus den obengenannten Naturproducten,
sie wird sich mit der Weiterführung der Eisenbahnen, von denen heute schon
194 km in Betrieb stehen, weiter steigern; an der Einfuhr ist Frankreich nur zu
drei Fünfteln betheiligt.
Mit Ausschluss des Küstenverkehres erreichte der Schiffsverkehr 1888
1123 Schiffe.
Den regelmässigen Verkehr mit Europa besorgt die Cie. Générale trans-
atlantique mit drei Linien; die Linie St. Nazaire-Colon erreicht Fort de France
in 13 Tagen, die Linie (Hâvre-)Bordeaux-Colon in 14 Tagen, auch die Linie Mar-
seille-Colon läuft hier an. Fort de France ist Ausgangspunkt der Zweiglinie nach
Cayenne.
Martinique steht über Portorico mit Nordamerika und Europa, über Trinidad
mit der Westküste Südamerikas in telegraphischer Verbindung.
St. Pierre ist Sitz der Banque de la Martinique und der Banque trans-
atlantique.
Hier unterhalten Consulate: Dänemark, Grossbritannien, Niederlande,
Schweden und Norwegen, Venezuela und die Vereinigten Staaten von Amerika.
Auf der im Norden von Martinique gelegenen französischen
Insel Guadeloupe, welche mit ihren Dependenzen 1870 km2 mit
165.000 Einwohnern umfasst, herrschen ähnliche Verhältnisse. Hier
ist Basse Terre Sitz der Verwaltung und Pointe à Pitre, das
27.000 Einwohner zählt und einen vollkommen sicheren Hafen be-
sitzt, der Mittelpunkt des Handels der Colonie. Ausser Zucker
(580.000 q) und Melasse werden hier gewonnen Kaffee, Cacao (340.000 kg),
Vanille (15.000 kg) und Rocon.
Die Handelsbewegung von Guadeloupe ist grösser als die von Mar-
tinique und erreichte 1888 in der Ausfuhr 26, in der Einfuhr 24 Millionen Francs.
Guadeloupe ist über die anderen Antillen mit der Union und Südamerika
telegraphisch verbunden.
Die beiden Hauptplätze von Guadeloupe sind Stationen der drei west-
indischen Linien der Cie. Générale transatlantique.
Für den Localverkehr besteht hier eine eigene Dampfergesellschaft.
[214]Die atlantische Küste von Amerika.
Trinidad. Port of Spain. Barbados.
Unter allen Völkern, welche Colonien in Westindien gründeten,
sind die Briten die besten Colonisatoren, darum zeichnen sich auch
die Inseln Trinidad und Barbados durch grosse Wohlhabenheit aus.
Die Insel Trinidad wurde von Columbus 1496 auf dessen dritter Reise ent-
deckt und ging nach dem Frieden von Amiens im Jahre 1802 in den definitiven
Besitz Englands über, nachdem sie schon 1797 den Spaniern entrissen worden war.
Der Aufschwung von Trinidad beginnt 1783, als die Spanier auf der bis dahin
vernachlässigten Insel auch Nichtspaniern die Ansiedlung gestatteten und nicht
mehr strenge darauf bestanden, dass die Einwanderer Katholiken sein müssten. In
der Folge liessen sich so viele Franzosen aus Domingo und Frankreich nieder,
welche vor den Revolutionen geflüchtet waren, dass innerhalb weniger Jahre die
Bevölkerung ganz französischen Charakter erhielt, welcher sich mit der ihm eigen-
thümlichen Zähigkeit bis heutzutage erhalten hat
Nicht weiter als 26 km vom südamerikanischen Festlande ge-
legen, erscheint Trinidad als ein losgesprengtes Stück des letzteren.
Das continentale Gepräge der Insel manifestirt sich auch in
ihrer Fauna und Flora, und die Natur hat sie mit solchen Schätzen
an Schönheit und Reichthum ausgestattet, dass sie als das Paradies
Westindiens bezeichnet wird. Die Ergiebigkeit und Fruchtbarkeit ihres
Bodens, die Mannigfaltigkeit der gewonnenen Producte sucht ihres-
gleichen unter den Inseln im Antillengebiete.
Ihren Namen erhielt die Insel wegen ihrer drei markant empor-
steigenden Pics (Monte Tucutche 918 m, Cerro de Aripo 835 m,
Monte Blanchicheuse 692 m) zur Weihe der heiligen Dreifaltig-
keit, und hat sie denselben sowohl im Wechsel der Zeiten als dem
ihrer Beherrscher behalten.
Trinidad zählt heute 196.172 Einwohner. Wir finden hier Eng-
länder, Franzosen, Spanier, Neger und Mulatten, eine grosse Zahl
ostindischer Coulies, da jährlich bei 2000 einwandern.
Leider hindert die völlige Urbarmachung und Bebauung des
Bodens hier wie in ganz Westindien der Mangel an Arbeitskräften,
an welchem die Colonie seit 1838, dem Jahre der Aufhebung der
Sclaverei, leidet. Die Regierung hat daher in den letzten Jahren die
Einwanderung von Coulies aus Ostindien organisirt; leider kehren die
meisten von ihnen nach den fünf Jahren, für die sie contractlich ge-
bunden sind, wieder in ihre Heimat zurück.
Bis nun ist erst ein Theil von Trinidad, insbesondere jener um
Port of Spain und die zweite Hafenstadt St. Fernando sowie der
Südosten der Insel colonisirt und nur 380.000 Acres sind von den
1,121.000 Acres (10.859 km2) der ganzen Insel in Privatbesitz.
[215]Westindische Häfen.
Der Ausnützung der Schätze, mit welchen die Natur Trinidad
in fast verschwenderischer Weise bedacht hat, steht ein um so grösseres
Feld offen, als das Klima, trotzdem es ein heisses genannt werden
muss, für den Weissen erträglich und gesund ist. Ausserdem erfreut
sich Trinidad des Vorzuges, dass es, obgleich selbst ein Herd vul-
canischer Thätigkeit, gegen die Erschütterungen vulcanischer Ausbrüche,
welche auf vielen der benachbarten Antillen zu wiederholtenmalen die
Werke menschlicher Cultur vernichteten, gefeit ist.
Dieser Umstand und nicht minder die Thatsache, dass Trinidad
ausser der Sturmbahn der verheerenden westindischen Orkane (Cyklonen)
liegt, lassen ihren Werth für den Colonisten, dessen Aussicht auf
sicheren Erfolg nicht getrübt wird, in erhöhtem Glanze erscheinen.
Auch die Navigation im Bereiche der Insel wird durch den letzter-
wähnten Umstand eine leichte.
Das Leben auf der Rhede der Hauptstadt Port of Spain ist
besonders für den Ankömmling, welcher zum erstenmale tropische
Gegenden berührt, überaus bezaubernd. Unzählige Canoes und Boote
mit Insassen aller erdenklichen Racen und Typen umkreisen und be-
lagern förmlich die anlangenden Schiffe.
Unwillkürlich betrachtet man mit seltsamen Gefühlen bald das
Getriebe auf der Rhede, bald das liebliche Panorama der Küste. Der
Charakter der Stadt ist ganz und echt tropisch; die weiss getünchten
Gebäude sind zumeist nur in den Erdgeschossen aus festem Materiale
hergestellt, das aufgesetzte Stockwerk hingegen aus Holz. Weit
vorspringende Verandas beschatten die Gehwege längst der Häuser-
fronten, in welchen sich ein Waarenhaus dem andern anreiht.
Zu den hervorragenden Gebäuden von Port of Spain gehören
drei Kirchen, das Stadthaus, ein Theater und ganz besonders das
Palais des Gouverneurs im botanischen Garten. Port of Spain
ist Sitz des Gouverneurs der Insel und der wichtigsten Schulen,
nämlich des Queen’s Royal College und des diesem affilirten römisch-
katholischen Collegiums Immaculata Conception.
Ueber alle Beschreibung erhaben sind die Genüsse, welche jede
weitere Partie in das Innere der Insel lohnen; wir müssen auf ihre
Darstellung verzichten, aber dem Charakter des vorliegenden Buches
entsprechend, darf der sogenannte Asphaltsee (Pitchlake) im Süd-
westen der Insel, zu Wasser 48 km von Port of Spain entfernt, nicht
unerwähnt bleiben. Sein Areale beträgt 109—114 Acres und derselbe
enthält ungezählte Millionen Tonnen von Asphalt. Ein Syndicat eng-
lischer und amerikanischer Unternehmer zahlt jährlich 12.000 Dollars
[216]Die atlantische Küste von Amerika.
für das Privilegium der Asphaltgewinnung; durch den Reinigungspro-
cess, welchem das Rohmateriale zugeführt wird, wird dasselbe zu
einem werthvollen Exportartikel, der als „Épuré“ in den Handel kommt.
Der Ladeplatz für diesen Specialartikel von Trinidad ist La
Brea, welches eine Seemeile abseits des Asphaltsees an der Küste liegt.
Der ganze andere Handel der Insel concentrirt sich in der Hauptstadt
Port of Spain, von welcher die 90 km Eisenbahnen der Insel ins Innere nach
Osten und nach Süden bis zur Hafenstadt San Fernando gehen.
Port of Spain.
Pferdebahnen erleichtern die Zufuhr von den Zuckerplantagen zu den Eisen-
bahnstationen. Auch Dampfer-, Telegraphen- und Fernsprechverbindungen machen
immer grössere Theile der Insel der Hauptstadt tributär.
Der Handel von Trinidad betrug:
Mehr als die Hälfte des Werthes der Waarenausfuhr entfällt auf Zucker
(1889 524.760 q, 1888 555.600 q), Melasse und Rum. Der zweite Artikel ist
Cacao (1889 7,896.270 kg, 1888 11,143.680 kg).
Die Einfuhr setzt sich vor Allem zusammen aus Reis, Mehl, Pökelfleisch
und getrockneten Fischen.
In der Einfuhr von Industrieartikeln sind hervorragend Erzeugnisse
der Textilindustrie, Kurzwaaren und Maschinen, dann Leder.
[217]Westindische Häfen.
Nennenswerth ist auch die Einfuhr von Bauholz aus dem Südosten der Union.
Den stärksten Handel treibt Trinidad mit England, dann mit den Ver-
einigten Staaten von Amerika und Venezuela, endlich mit Frankreich.
Der Schiffsverkehr erreichte ohne den Küstenhandel 1889 1,198.778 T.
1888 1,271.381 T, davon gehörten mehr als die Hälfte der britischen Flagge.
In Port of Spain kommen jetzt jeden Monat 35 Dampfer an; regelmässige
Linien unterhalten die Royal-Mail-Steam-Packet-Cy aus Southampton, Fahrzeit
15 Tage; die West-India and Pacific-Line, die Harrison-Line und Josef Hoult’s
Line aus Liverpool; die London-direct-Line, die Clyde-Line und der Koninklijke
West-Indische Maildienst aus Amsterdam; mit Hamburg ist Trinidad direct durch
eine englische Linie verbunden.
Nach Nordamerika gehen die Quebec and Gulf-Line, die Atlantic and West-
india-Line, und 7 Dampfer vermitteln den Verkehr nach Venezuela.
Trinidad steht über die Antillen und Florida in telegraphischer Ver-
bindung mit Europa und durch ein Küstenkabel mit der Ostküste von Südamerika.
In Port of Spain unterhalten Consulate: Brasilien, Columbia, Dänemark,
Deutsches Reich, Frankreich, Italien, Niederlande, Portugal, Schweden und Nor-
wegen, Spanien, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.
Von den Besitzungen der Engländer in den kleinen Antillen ist
Barbados, das „Klein-England“ von Westindien, selbst neben
Trinidad ganz besonders erwähnenswerth.
Auch nicht der kleinste Fleck der 430 km2 grossen Insel ist
unbebaut. Sie hat 182.000 Einwohner, gehört also zu den am dich-
test bevölkerten Gegenden der Erde. Hier muss der Neger arbeiten,
wenn er leben will, er kann nicht faulenzen wie auf dem verhältniss-
mässig dünn bevölkerten und fruchtbaren Jamaica. Der Grundbesitz
ist riesig zerstückelt, und die Grundstücke sind zu klein, um Zucker-
rohr zu pflanzen, so baut der Neger mit Eifer und Fleiss allerlei
Nahrungsgewächse.
Sonst ist ganz Barbados, die wenigen Gärten abgerechnet, dem
Baue des Zuckerrohrs unterthan. Da kein Boden mehr frei ist, kann
die Insel keinen weiteren Aufschwung nehmen und muss bemüht sein,
durch sorgfältige Düngung den Boden ertragsfähig zu erhalten.
Der Hauptort Bridgetown hat etwa 20.000 Einwohner und
ist auch Ausgangsstation von drei Zweiglinien der Royal-Mail-Steam-
Packet-Cy. von Southampton und dadurch als Umschiffungsplatz
und Ordreplatz für Handelsschiffe wichtig.
Die Ausfuhr von Barbados erreichte 1889 1,029.588 ₤, die Einfuhr
1,211.370 ₤. Die Einfuhr beherrschen England und die Vereinigten Staaten, die
Ausfuhr geht nach den Vereinigten Staaten, dann nach Englisch-Westindien, Eng-
land und Britisch-Nordamerika.
Der Schiffsverkehr erreichte mit Ausschluss des Küstenhandels 1889
1,217.728 T.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 28
[[218]]
Der Panama-Canal*).
Ein Blick auf die Karte zeigt uns, dass Amerika in seiner
14.000 km langen Cordillere nicht nur das längste, sondern auch das
mächtigste Kettengebirge der Erde besitzt. Die Höhe dieses Riesen-
gebirges, welche sowohl in Nord- als Südamerika in vielen Punkten
6000 m übersteigt, wird nur im Himalaya übertroffen.
Der vom nördlichen bis fast zum südlichen Eismeere breit hin-
gelagerte Gebirgswall zeigt in der Landenge von Darien eine merk-
würdige Unterbrechung zweifacher Art. Erstens verengert sich der an
vielen Stellen mehrere tausend englische Meilen breite Continent zu
einem Terrain von nur 74 km und zweitens senkt sich die Kammhöhe
der Cordillere im Charakter der Hügellandschaft bis 100 m herab.
Ein glücklicher Zufall führte schon im Anfange des XVI. Jahr-
hunderts die land- und goldgierigen spanischen Entdecker an diese
merkwürdige Stelle Amerikas. 1513 überschritt Nunez de Balbao,
einer der verwegensten unter den Conquistadoren, mit 190 abenteuer-
lustigen Spaniern beiläufig auf derselben Linie, wo jetzt der Canal
gebaut werden soll, die Landenge und war somit der erste Europäer,
dessen Augen die Fluten des Grossen Oceans erblickten.
Die Spanier erkannten bald den commerziellen sowie strategi-
schen Werth dieser Landenge. Sie legten einen Maulthierweg über
dieselbe an und gründeten 1521 am Grossen Ocean die Stadt
Panama, welche durch volle 300 Jahre, bis 1821, in welchem Jahre
die spanisch-amerikanischen Colonien die Fremdherrschaft abschüttelten,
ein Hauptstützpunkt ihrer Macht blieb. Von hier aus unternahm der
kühne Franz Pizarro, ein Genosse des Balbao, seine epochemachende
Eroberung von Peru (1530); und von da liefen auch spanische Ver-
bindungen nordwärts nach Centralamerika und Mexico.
[219]Der Panama-Canal.
Balbao und Pizarro fassten schon damals den Gedanken, die
Landenge von Panama zu durchstechen, doch war derselbe technisch
und politisch verfrüht und darum unfruchtbar.
Spanien, ja die ganze damalige Christenheit besassen nicht die
Mittel, ein solches Unternehmen auszuführen, selbst wenn es das
höchste Staatsinteresse geboten hätte. Nun lag aber der spanischen
Colonialpolitik nichts ferner, als ein auf freihändlerischer Tendenz
basirtes Bauwerk aufzuführen. Die spanischen Häfen jenseits des
Oceans blieben bis in unser Jahrhundert jedem fremden Schiffe ver-
schlossen.
Praktisch wurde aber die Südsee aus dem Reiche der Mythen
und Fabeln ins Bereich des lebendigen, internationalen Verkehrslebens
erst durch die Entdeckung der Goldkörner auf der Farm des Capi-
täns Sutter in Californien 1848 gezogen.
Die Zeit von 1848 bis 1886 ist es, wo der Grosse Ocean mit
einemmale von allen Seiten in den Welthandel gezogen wurde.
Alle seefahrenden Nationen haben heute das Gefühl, dass dem
Welthandel, welcher sich nun fast 400 Jahre auf dem Atlantischen
und Indischen Ocean abspielte, ein neues, unermesslich reiches Ge-
biet im Stillen Ocean und dessen Gestadeländern erschlossen sei.
Alle suchen sich einen Antheil an diesem hohen Gewinne zu sichern;
daher das allgemeine Interesse für jeden neuen Handelsweg, der
dieses Gebiet erschliesst.
Freilich direct nach der Entdeckung der reichen Goldfelder
Californiens beschäftigte sich Niemand mit grossen handelspolitischen
Fragen über den Werth der Südsee, dafür trat die realistische Frage:
„Wie komme ich in das Wunderland am Sacramento, wo das Gold
in den Bächen liegt und wo man in wenig Tagen vom Bettler zum
Millionär werden kann?“ in den Vordergrund. Für die vielen Tausende
„Californier“, welche vom wilden Goldfieber getrieben dem fernen
Westen Amerikas zusteuerten, gab es nur zwei Wege, beide gleich
lang, gleich kostspielig und fast gleich gefährlich; der eine führte
um Südamerika herum, der andere durch die menschenleeren Prairien,
über die wegelosen Hochthäler der Cordillere, wo Hunger, Kälte,
Rothhäute und last not least, der Abschaum der Weissen den Ein-
wanderern in tausendfachen Gefahren entgegentraten.
Unter solchen Umständen lag der Gedanke sehr nahe, über die
Landenge von Panama zu gehen und die Seereise um wenigstens
5000 Seemeilen abzukürzen. In Wahrheit stürzten sich auch sofort
Tausende von Goldsuchern auf diesen von der Natur vorgezeichneten
28*
[220]Die atlantische Küste von Amerika.
Weg. Unbekümmert, ob sie in Panama Schiffe bekämen oder nicht,
eilten sie an den Stillen Ocean, wo viele dem gelben Fieber erlagen,
ehe sie das Dorado geschaut hatten.
Doch sehr bald brachten die praktischen Yankees Sinn und
Ordnung in diese wilde Jagd nach dem goldenen Wunderlande, indem
sie einerseits einen regelmässigen Dampferverkehr zwischen Panama
und San Francisco einrichteten, andererseits indem sie die schmale
Landenge durch eine Eisenbahn überbrückten.
Die Geschichte dieser Bahn ist jedenfalls eines der merkwürdigsten Capitel
in der Geschichte der Eisenbahnen überhaupt.
Schon 1849 erwirkten drei Nordamerikaner John Stephens, Chauncey
und Aspinwall bei der Regierung von Columbia (damals Neu-Granada ge-
nannt) die Concession zum Baue einer Eisenbahn über den Isthmus. Es wurde
festgesetzt, dass diese Gesellschaft für 90 Jahre das ausschliessliche Privilegium
auf die Isthmusbahn habe, wodurch jede Concurrenzbahn ausgeschlossen wurde.
Ausserdem bekam die Gesellschaft 200.000 Acres Land als Geschenk. Dagegen
musste sie jährlich 250.000 Dollars an die Regierung zahlen; auch fällt die Bahn
nach 90 Jahren (vom Tage der Eröffnung) dem Staate anheim. Die Endstationen
der Bahn, das am Atlantischen Ocean auf der Insel Manzanilla neu angelegte
Colon-Aspinwall sowie Panama wurden für Freihäfen erklärt.
Am 1. Jänner 1850 wurde mit dem Baue begonnen, und am 27. Jänner
1856 brauste die erste Locomotive von einem Meere zum anderen. Der Bau dieser
etwas über 11 deutsche Meilen (75·6 km) langen Bahn kostete 7½ Millionen
Dollars und 10.000 Menschenleben. Eine deutsche Meile also fast 1 Million Dol-
lars und 1000 Menschenleben.
Diese Preise sowie der langsame Fortschritt der Arbeit erklären sich einer-
seits aus dem Sumpfterrain an der Ostseite, wo die Bahn 13 englische Meilen
durch Manglewald gebaut werden musste, und andererseits aus dem nassen, heissen,
mörderischen Klima, welchem weder Weisse noch Chinesen widerstanden. Die
Arbeiterfrage war eine Hauptschwierigkeit, da man von Woche zu Woche die
Lücken unter den Arbeitern kaum auszufüllen wusste.
Der höchste Punkt der Bahn ist 263 englische Fuss, 37 englische Meilen
vom Atlantischen Ocean; die Steigung beträgt auf der atlantischen Seite 1 : 90,
auf der pacifischen 1 : 88. Die längste Brücke über den Chagres hat 625 englische
Fuss Spannweite. Die Bahn ist eingeleisig, hat vier bequeme Ausweichestellen
(Stationen) und alle vier englische Meilen ein Wächterhaus, in dem ein Bahnauf-
seher mit 10 Dienern stationirt ist. Letztere haben die Aufgabe, die übermäch-
tige Vegetation zu bekämpfen. Würde man dieses 12 Monate unterlassen,
so verschwände die Bahn im überwuchernden Urwalde, „wo das Auge nie die
Sonne sieht und der Fuss nie den Boden betritt“.
Obwohl diese Bahn so theuer hergestellt wurde und obwohl Erhaltung
und Betrieb bei ½ Million Dollars im Jahre kosteten, war sie jedenfalls eine
der rentabelsten, wenn nicht die rentabelste Bahn der Welt. Sie hat vom
Emissionswerthe nie weniger als 26 %, in den ersten Jahren aber über 100 %
Dividende gezahlt.
[221]Der Panama-Canal.
Diese Erträge werden sofort klar, wenn man die Tarife betrachtet. Ein
Fahrgast zahlte für diese vierstündige Fahrt ohne Unterschied 28 Dollars, denn es
gab nur eine Wagenclasse. Kinder bis 12 Jahre die Hälfte, bis 6 Jahre ein
Viertel. Ein Ochs, Pferd, Maulthier zahlte ebenfalls 28 Dollars, Schafe 12 Dollars.
Die Frachten wurden per Pfund mit 7 cents. berechnet.
Die Einnahme war in einem schlechten Jahre, z. B. 1856 1,459.000 Dollars
brutto und 929.000 Dollars netto.
Von 1856 bis 1869 (in welchem Jahre die Pacificbahn eröffnet wurde) hatte
die Panamabahn rund 500.000 Reisende, 600 Millionen Dollars Gold, 200 Millionen
Dollars Silber und 700.000 t Frachtgüter befördert.
Seit 1870 geht die Bahn in ihren Erträgnissen zurück, und zwar infolge
der neu entstandenen fünf Pacificbahnen und der Hebung der Dampferfahrten
durch die Magelhaensstrasse. Die Steamer haben heute, vergleichen mit 1856, ihre
Tarife auf den vierten Theil herabgesetzt.
So hatten denn wohl die viel beneideten Actionäre der Panamabahn auch
schlimmere Tage erlebt, doch sie können heute sagen: „Ende gut, Alles gut“, da
1880 die Panama-Canal-Gesellschaft die Bahn, welche 7½ Millionen Dollars ge-
kostet hat, für 17½ Millionen Dollars kaufen musste.
Es wäre ganz falsch zu glauben, dass während der goldenen
Tage der Panamabahn Niemand daran dachte, die beiden Weltmeere
durch einen Canal zu verbinden. Seit Alexander v. Humboldt für den
Gedanken der ersten spanischen Entdecker in Europa mit Wärme ein-
getreten war, wurde derselbe nach den verschiedensten Seiten beleuchtet
und erwogen. Immer sind es drei Punkte, welche als geeignet für
einen interoceanischen Canal von den Projectanten mit einer grösseren
oder geringeren Hartnäckigkeit verfochten wurden: die Einsenkung
bei Tehuantepec, die Senkung am Nicaraguasee und die Panama-
landenge.
Mindestens zwanzig Projecte wurden vermessen, gezeichnet und
als durchführber in die Welt geschickt, ohne dass man über akade-
mische Erörterungen hinausgekommen wäre. Nur der Plan des Nica-
ragua-Weges nahm in den Fünfzigerjahren und neuestens wieder eine
praktische Gestalt an.
Die beiden grossen Seen, der Nicaragua- und Managuasee sowie
deren mächtiger östlicher Abfluss, der San Juan, bilden auf eine
grosse Strecke eine natürliche Wasserstrasse zwischen beiden Meeren,
nur im Westen zwischen dem Managuasee und dem Stillen Ocean
bleibt eine Wasserscheide von kaum 60 km Breite und einer Höhe
von mehr als 150 m zu überwinden.
1850 gründete der bekannte Eisenbahnkönig Vanderbilt eine
Compagnie, welche den Transito nach Californien via Nicaragua be-
sorgen und daselbst einen Canal bauen sollte. An das letztere dachte
[222]Die atlantische Küste von Amerika.
Vanderbilt im Ernste nie. Er begnügte sich, mittelst Dampfern die
„Californier“, welche zwischen 1850 und 1856 zu Tausenden herbei-
strömten, den San Juan und den Nicaraguasee hinauf und mittelst
Postwagen die westliche Cordillere nach dem Hafen San Juan del
Sur hinab zu befördern. Die Bediensteten dieser nordamerikanischen
Gesellschaft benahmen sich in Nicaragua wie Flibustier. Die Com-
pagnie hielt ihre Verträge in keiner Weise ein, so dass ihr 1856 auf
Befehl der Regierung von Nicaragua wegen rückständiger 350.000
Dollars alle Schiffe und Wagen gepfändet und ihr Privilegium als
verwirkt erklärt wurde.
Die 1882 gegründete Nicaragua-Canal-Gesellschaft hat mit dieser alten
Compagnie nur gemein, dass an ihr auch amerikanisches Capital betheiligt ist.
Sie will auch den Canal nicht durch den Managuasee, sondern direct aus dem
Nicaraguasee nach Brito am Grossen Ocean führen, das etwas nördlich von dem
eben genannten San Juan del Sur liegt.
Man hat 1890 an den Mündungsstellen bei San Juan de Nicaragua
(Greytown) am Karaibischen Meere und bei Brito an der pacifischen Seite mit
Baggerung und Schüttung langer Dämme begonnen, um so Hafenanlagen zu
schaffen.
Nach der jetzt definitiv angenommenen Trace soll der Nicaragua-Canal eine
Länge von 310 km erhalten; hievon entfallen auf den Fluss San Juan und den
Nicaraguasee 195 km, 34 km werden von angestauten Becken gebildet werden,
45 km sind bis zu einer Tiefe von 80 m in das Terrain einzuschneiden. Auf beiden
Seiten des Nicaraguasees sollen je 3 Schleussen von 11 m Gefälle nahe den Mün-
dungen in die Meere erbaut werden. Die Baukosten sind auf 100 Millionen Dollars,
die Bauzeit auf 6 Jahre angenommen.
Dieser im Wesen höchst überflüssigen Kämpfe freute sich Nie-
mand mehr als die 1856 fertig gewordene Panamabahn, welche durch
dieselben geradezu ein Monopol erlangte.
Dass man 1880 an die endliche Realisirung des Panama-Canales
ging, muss in erster Linie dem wirklich unerwarteten Erfolge, den
der Suez-Canal errang, zugeschrieben werden. Für solche grosse
finanzielle Unternehmungen gilt ewig der Satz der alten Römer:
„Verba movent, exempla trahunt“. Der Suez-Canal, dem selbst ge-
wiegte Handelsgeographen und Marineure jede Zukunft absprachen,
zahlt Dividenden, welche den Cours der Actien auf dem Vierfachen
des Nominalwerthes halten, und hat viele verspottete, aber gläubige
Actionäre nach Jahren der Enttäuschung und Kämpfe zu sehr reichen
Leuten, manche zu Millionären gemacht. Darum kaufte auch der
kleine französische Particulier, der für exotische Papiere schwärmt,
Panama-Actien.
Der zweite, nicht minder wichtige Umstand, welcher dem
[223]Der Panama-Canal.
Panama-Unternehmen zugute kam, war der, dass sich derselbe Mann,
dessen eiserner Ausdauer allein der Suez-Canal seine Existenz ver-
dankt, dass sich Ferdinand von Lesseps an die Spitze des
Panama-Unternehmens stellte.
Ihm glaubte man, auf ihn schwur die ganze gebildete Welt, vor
Allem aber die Franzosen, und von französischem Gelde wurde bisher
der Panama-Canal ebenso wie seinerzeit der Suez-Canal gebaut.
Frankreich, dieses Land der Sparer und der Phantasiemenschen, ist
der einzig richtige Boden für solche Unternehmungen. Bevor noch der
Suez-Canal ganz functionirte, trat das Interesse für einen central-
amerikanischen Canal schon immer lebhafter an den Tag. Man suchte
durch eigens hiefür eingerufene Congresse in Antwerpen 1871 und
Paris 1875 und 1878 die europäische Intelligenz und das Capital
dafür zu gewinnen. Eine praktische Gestalt bekamen alle diese Ver-
handlungen erst, als 1879 Ferdinand v. Lesseps den Vorsitz des
internationalen Congresses in Paris übernahm.
Die vielen Projecte wurden auf fünf *) reducirt, dieselben ein-
gehends überprüft und, wenn auch mit Reserve, die Ueberzeugung
ausgesprochen, dass das Panama-Project das beste, dem Verkehre am
meisten entsprechende und am leichtesten durchführbare sei.
So siegte denn das Panama-Project, als das einzige, welches
einen dem Suez-Canale ähnlichen offenen Schifffahrtscanal ohne
Schleussen herzustellen versprach, über alle Rivalen.
Hart vertheidigt wurde übrigens gegen Panama nur das Nica-
ragua-Project, für welches der verstorbene Präsident Grant sehr ent-
schieden eingetreten war, und für welches die Amerikaner (schon
ans Opposition gegen das europäische Unternehmen) nicht nur
stimmten, an dessen Realisirung sie ja auch bald Hand anlegten.
Welches Vertrauen man speciell in Frankreich dem Unternehmen
und besonders dem Hauptunternehmer Lesseps entgegenbrachte, be-
[224]Die atlantische Küste von Amerika.
weist die Raschheit, mit der die Geldmittel aufgebracht wurden. Am
7., 8. und 9. December 1880 wurde die Subscription für die ersten
300 Millionen Francs aufgelegt und sofort doppelt gezeichnet.
Unterdessen war der „Contract“ zwischen der Regierung von
Columbia und den Concessionären perfect geworden. Der Contract
gibt ein Privilegium, das eine Dauer von 99 Jahren, vom
Tage der Eröffnung gerechnet, hat. Die Arbeiten mussten mit 1881
beginnen und in 12 Jahren vollendet sein, bei ausserordentlichen
Schwierigkeiten kann die Arbeit sechs Jahre länger dauern.
Alles Land, welches die Gesellschaft zu Bauzwecken braucht,
wird kostenfrei von der Regierung abgegeben, ausserdem ein Streifen
von je 200 m an beiden Seiten des Canales und 500.000 ha Land
für Minen und andere Anlagen.
Der Canal, welcher für Schiffe von 140 m Länge, 16 m Breite
und 8 m Tiefe fahrbar hergestellt werden muss, ist für alle Nationen
ohne Unterschied für den Transito geöffnet, und es bestehen keinerlei
Zollformalitäten, ausser für die Güter, die in Columbia ausgeladen
werden.
So war denn die „Compagnie Universelle da Canal Inter-
océanique“ concessionirt, fondirt, und man konnte mit dem Baue
beginnen. Der ewig junge Lesseps reiste sammt seiner Familie nach
Panama, woselbst Fräulein Fernande de Lesseps am 1. Jänner 1881
den ersten Spatenstich vornahm.
Bevor wir auf den eigentlichen Canalbau eingehen, dürfte es
sich empfehlen, in wenig Worten die oro- und hydrographischen
Verhältnisse der Trace auseinander zu setzen.
Da die Landenge von Panama genau von Ost nach West
streicht, so wird die Canaltrace von Nord nach Süd, oder besser,
eine nord-südöstliche Richtung erhalten.
Die Wasserscheide, hier Sierra Colebra genannt, liegt viel
näher dem Grossen als dem Atlantischen Oceane. Nach Norden, also
in den Atlantischen Ocean, sendet sie den Rio Chagres mit dem
Obsipo, nach Süden in den Grossen Ocean den Rio Grande. Der
Uebergang zwischen beiden Flüssen liegt rund 80 m über dem Meere.
Diese Tiefenfurche (Chagres-Obsipo-Rio Grande) benützte der
alte spanische Maulthierweg, benützte die Eisenbahn und benützt
der Canal, weil sie eben den niedersten und bequemsten Uebergang
bildet.
Der Canal sollte nach dem Projecte eine Länge von 73 km,
eine Breite von 50 m (im Gebirge 28 m), eine Tiefe von 8·5 m und
[225]Der Panama-Canal.
fünf Ausweichestellen mit doppelter Breite auf je 1000 m haben. Es
sollte ein schleussenfreier, also im Niveau der beiden Meere ange-
legter offener Schifffahrtscanal sein.
Die Hauptschwierigkeiten dieser Riesenarbeit waren vom An-
fange an vier: die Durchstechung des Scheidegebirges, die Bewälti-
gung der Bergwässer, die Anlage guter Häfen in Panama und Aspin-
wall und das Klima.
Was den ersten Punkt anbelangt, so genügt es zu sagen, dass
ein Durchstich gemacht werden muss, welcher auf die Länge von
1 km über 90 m Tiefe hat und weitere Kilometer lange Durchstiche
von einer Höhe zwischen 20—50 m. Dagegen waren die Einschnitte
am Suez-Canale, deren tiefster 28 m beträgt, Kinderspiel. Das Ge-
stein am Panama-Canale hielt man nach den ersten Untersuchungen,
die freilich viel zu flüchtig vorgenommen wurden, für selbsttragend,
bestehend aus festen Conglomeraten, Trachyt, aber auch aus Schiefer,
so dass spätere Rutschungen nicht wahrscheinlich erschienen. Allein
bei dem Fortschritte der Arbeiten zeigte sich, dass das ganze vul-
canische Gebirge durch zerfliessende Thone unterbrochen und durch-
setzt ist, also vielfach als Rutschterrain behandelt werden müsse,
was vor Allem zur Erbauung ganz enorm geneigter Böschungen
zwingt.
Die zweite Schwierigkeit, die Bewältigung der Wässer des
Rio Chagres, Obsipo und Rio Grande, gilt für die bedeutendste. Diese
Flüsse, an sich klein, steigen während der Regenzeit, welche 3000 mm
Wasser *) bringt, um 12—13 m.
Diese Hochwässer, und noch mehr die Schuttmassen, welche
die Wogen der wilden Bergströme mitwälzen, bilden eine ewige Ge-
fahr für die Existenz des Canales, der nun einmal aus dem Profile des
Flusses nicht verlegt werden kann. Er wäre jedes Jahr verschlammt,
wenn nicht Vorsorge getroffen würde.
Diese sollte auf folgende Weise getroffen werden: Da, wo der
Chagres mit dem Obsipo vereinigt das Gebirge verlässt, um in die
Küstenebenen einzutreten, bilden Hügel eine kolossale Mulde. Diese
Mulde sollte nun durch einen Damm, welcher an der Sohle 1000 m,
oben 1600 m lang und 40 m hoch ist, abgemauert werden, so dass
ein Bassin, ähnlich wie die Gileppe bei Verviers in Belgien, ent-
standen wäre. Dieses Bassin, einigemale so gross als der Genfer-See,
sollte 600 Millionen Cubikmeter Wasser und Massen von Schutt auf-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 29
[226]Die atlantische Küste von Amerika.
nehmen, und durch Canäle sollte der Abfluss dieser Wassermassen in
einer Weise, welche dem Panama-Canale nicht mehr gefährlich ge-
wesen wäre, geregelt werden. Das Materiale für diesen Riesendamm
wollte man aus den Durchstichen im Gebirge gewinnen. Allein bald
erkannte man die Unmöglichkeit der praktischen Durchführung und
musste sich entschliessen, alle Gewässer in eigens zu erbauenden
Abflüssen, also in neu zu grabenden Canälen von dem Schiffahrts-
canale fern zu halten.
Die weiteren schwierigen Objecte bilden die Hafenanlagen in
Panama und Aspinwall. Die Küste ist sowohl am Atlantischen wie
am Grossen Oceane eine äusserst flache, seichte Mangroveküste,
welche Hafenanlagen von vorneherein ausschliesst. Deshalb hat man
schon Aspinwall seinerzeit auf der Insel Manzanillo angelegt, und hat
auch Lesseps auf der Südseite, also in Panama, die 7 km dem Fest-
lande vorgelagerte Insel Flamenco als Hafenstation in Aussicht ge-
nommen.
An beiden Plätzen müssen indes noch grossartige Baggerungen
und Hafenanlagen ausgeführt werden, sollen diese Häfen imstande
sein, dem Weltverkehre zu dienen. In Aspinwall soll ein grosser
Wellenbrecher, in Panama eine sogenannte Flutdocke gebaut werden.
Diese Flutdocke stellte sich aus physikalisch-geographischen Gründen
als dringende Nothwendigkeit heraus.
Die Flutbewegung ist nämlich in den beiden Meeren eine höchst
verschiedene. Im Grossen Oceane bei Panama erreicht sie eine Höhe
von 5—6 m, im Atlantischen nur die Höhe von ½ m, ausserdem tritt
sie bei Aspinwall um neun Stunden später ein als in Panama. Auf
diese Weise würde im Canale eine Strömung entstehen, welche dem
Bauwerke selbst gefährlich werden müsste. Zu dem Behufe plante
man eben an der Südseite besagte Flutdocke, d. i. ein grosses Bassin
mit drei Schleussenthoren (eines für die einfahrenden, eines für die
ausfahrenden Schiffe und eines für die Reserve), welches das Ein-
dringen der Flut in den Canal verhindern und das Niveau des Wassers
stets in gleicher Höhe erhalten würde. Lesseps berechnet diese An-
lagen bei Panama allein auf 20 Millionen Francs.
Es genügen wohl diese kurzen Angaben, um sich vollständig
klar zu sein, welche Riesenaufgaben dem Ingenieure hier gestellt
sind.
Lesseps schätzte die zu bewegenden und auszuhebenden Erd-
massen auf 73 Millionen Cubikmeter. Davon entfallen ober der
Erde:
[227]Der Panama-Canal.
- Alluvialerde .... 26·0 Millionen Cubikmeter
- Halbhartes Gestein . 0·5 „ „
- Harter Fels ..... 20·5 „ „
unter dem Wasser:
- Alluvialerde .... 17·0 Millionen Cubikmeter
- Halbhartes Gestein . 1·0 „ „
- Harter Fels ..... 8·0 „ „
Nordamerikanische Ingenieure, welche übrigens, wie schon be-
merkt, dem Unternehmen misstrauisch, ja übelwollend gegenüber-
stehen, setzen diese Zahlen höher, sie sprechen rund von mindestens
90—100 Millionen Cubikmeter, welche bewegt werden müssten.
Heute wissen wir, dass die Zahl auf 150 Millionen Cubikmeter
zu erhöhen sein wird.
Bis Ende 1888 arbeiteten 20.000 Menschen und Dampfmaschinen
mit 57.000 Pferdekräften am Canale. Es waren 40 grosse Bagger-
maschinen, deren jede pro Tag 6000 m3 (schon abgerechnet 25 %
Verlust durch Aufenthalt) hebt, 159 Baggerschiffe, 116 Trocken-
baggerer, 171 Locomotiven, 29 Dampfschiffe, 468 Pumpen, 131 Loco-
mobilen in Thätigkeit. Zur Fortschaffung der Erdmassen sind 314 km
breitspurige und 175 km schmalspurige Bahngeleise gelegt, auf welchen
4622 Waggons liefen.
Anfangs arbeitete die Compagnie in eigener Regie, seit dem
1. Jänner 1886 wurden die Arbeiten durch mehrere französische
(darunter Couvreux \& Hersent, Eiffel), durch amerikanische und andere
Unternehmer betrieben, und haben sich dieselben contractlich und
gegen hohe Pönalien verpflichtet, den Canal binnen drei Jahren fertig-
zustellen.
Bis Ende 1888 wurden circa 56 Millionen Cubikmeter Erde
bewegt.
Eine andere Frage ist die nach den Menschen- und Geldopfern.
Wir meinen dabei nicht die Opfer, welche jedes grosse tech-
nische Unternehmen fordert, sondern die Opfer des tropischen
Klimas.
Der Canal muss mitten durch eine unbewältigte Wildniss, durch
einen tropischen Urwald geführt werden. Namentlich an der Atlan-
tischen Küste entsteigen unter den Manglebäumen der sumpfigen
Landschaft giftige Miasmen und fieberbringende Gase, in denen
Wolken von Moskitos und Sandfliegen ihr Gedeihen finden. Aber auch
in dem relativ gesünderen Panama sind das gelbe und andere perni-
ciöse Fieber ständige Gäste.
29*
[228]Die atlantische Küste von Amerika.
Wir haben schon bei der Panamaeisenbahn erwähnt, wie sie
auf Chinesenleichen erbaut wurde. Nichts destoweniger fanden sich
Verfechter für das Klima von Darien, welche so weit gingen, zu
sagen, Panama würde sicher einmal als Vergnügungsaufenthalt ge-
wählt werden.
Als beste Illustration für dieses reizende Klima dienen wohl
die vielen Barackenspitäler, welche die Canalgesellschaft sofort
errichten, die vielen Aerzte, welche sie anstellen musste, und die
statistische Sterblichkeitszieffer, welche 4—6 % beträgt, eine Zahl,
welche in Europa kaum bei Epidemien erreicht wird.
Aber nicht nur unter den gemeinen Arbeitern, welche in Wahr-
heit durch Excesse dem Klima zu Hilfe kommen, sondern auch unter
der intelligenten Classe, welche gewiss dem Tropenklima entsprechend
diät lebt, hielt der Tod reiche Beute. So starben einige der bedeu-
tendsten Ingenieure und der Generaldirector für den Panamacanal,
Herr Leon Boyer, am gelben Fieber.
Als eigentliche Arbeiter beschäftigte man zumeist Neger und
Mischlinge von den westindischen Inseln Cuba, Jamaika, Porto-Rico
etc., wo überall Werbebureaux aufgeschlagen waren. Die Neger sind
auch nicht fieberfrei, aber viel widerstandsfähiger als Chinesen oder
Weisse.
Infolge der hohen Löhne war auch nie eine ernstliche Klage
über Arbeitermangel laut geworden.
Ueberblicken wir nochmals die rein technische Seite des Panama-
Unternehmens, so müssen wir uns sagen, dass es das grossartigste
und schwierigste Unternehmen ist, an welches jemals die Ingenieur-
kunst getreten; wir wissen heute, wo wir tiefer blicken können,
dass die ersten Untersuchungen und die darauf gebauten Projecte
viel zu rosig aufgefasst waren, dass die Schwierigkeiten mit dem
Fortschritt der Arbeit nicht geringer, sondern im Gegentheil immer
grösser wurden, allein wir müssen auch sagen, dass nach dem gegen-
wärtigen Stande der Ingenieurkunst der Ausbau des Panama-Canales
ein Ding der Möglichkeit ist, wenn die nöthigen Geldmittel zur Ver-
fügung gestellt werden.
Wir stehen jetzt im Momente der schweren Panamakrisis nicht
vor einer Niederlage der Technik, sondern vor der kalten ablehnen-
den Haltung der Financiers, welche das Unternehmen in dem Augen-
blicke fallen liessen, als sie die Rentabilität neuer Zuschüsse be-
zweifelten, daher müssen wir uns über den allerwichtigsten Punkt
des ganzen Panama-Unternehmens, über die Rentabilität des Canales
[[229]]
A Ausmündung des Canals im Karaibischen Meere, B Ausmündung des Canals im Stillen Ocean, C I, C II grosse Canalschleussen, D Normalprofil des Canals, E Chagres-
See, F Leuchtfeuer, G Karaibisches Meer, H Stiller Ocean. — Die grossen Ziffern in Blockschrift zeigen die Kilometer der Canalstrecke an.
[230]Die atlantische Küste von Amerika.
wie man sie bei der Gründung 1880 und später auffasste, klar
werden.
Die Rentabilität des Canales hängt natürlich von der Bi-
lanzirung der Erträgnisse gegenüber den Anlagekosten ab. Der Rein-
ertrag ist wieder der Ausdruck des factischen Verkehres, respective
der Bedeutung des Canales für den Weltverkehr. Jede Voraussage,
in welchem Masse der Panama-Canal Träger des Weltverkehres sein
werde, ist doppelt schwer, weil jede Analogie fehlt. Denn bei dem
oft beliebten Vergleiche zwischen Suez- und Panama-Canal muss
sofort erwähnt werden, dass der letztere in erster Linie an menschen-
und culturarme Gestade führt, während der Suez-Canal in die am dich-
testen bevölkerten und reichsten Länder Asiens, nach Indien und China
führt, dass er also für diese Weltmärkte vom ersten Tage an Träger
eines schon bestehenden grossartigen Verkehres war.
Die Rentabilität des Panama-Canales liegt in letzter Linie,
wie die jedes Canales, in einer Wegabkürzung. Der Panama-Canal
wird die Umschiffung des gefährlichen, 54° südlich vom Aequator
gelegenen Cap Horn überflüssig machen, mithin für alle Schiffe, welche
von Europa oder den Oststaaten Amerikas nach den Westküsten
Amerikas, nach Oceanien, Australien, Nord-China, Japan steuern, ein
viel näherer Weg sein. Jetzt macht ein Schiff von New-York nach
San Francisco 13.700 Seemeilen, via Panama wird dasselbe nur 7700
Seemeilen zu machen haben. Von Liverpool nach Callao durchläuft
ein Schiff via Cap Horn 17.000 Seemeilen, via Panama 5800. Von
New-York nach Yokohama via Cap der guten Hoffnung 15.750 See-
meilen, via Panama 11.550
Die riesige Zeit- oder, was dasselbe ist, Geldersparniss wird
ausser allem Zweifel die Panamalinie zu einer fast ebenso frequen-
tirten Weltpassage machen, wie dieses der Suez-Canal bereits ist.
Die Frage ist nur: wann? Denn das können wir uns nicht verhehlen,
dass im Grossen Ocean, auf welchem die Panama-Unternehmung fusst,
wenn auch nicht Alles, so doch das Meiste, erst geschaffen werden
muss. Kaum vierzig Jahre sind vergangen, seit der Grosse Ocean aus
einem tausendjährigen Schlafe aufgerüttelt wurde. Seitdem ist unend-
lich viel geschehen, aber das Bestehende können wir doch nur als
Anfänge grossartiger Entwicklungen betrachten. Die reichen West-
staaten der Union sowie die herrlichen Hochebenen Mexicos und
Centralamerikas sind durch Eisenbahnen dem Einwanderstrome und
damit der Cultur erschlossen.
Durch diese Culturarbeit sind die Pacificbahnen nicht, wie viel-
[231]Der Panama-Canal.
fach behauptet wird, Concurrenten, sondern wahre Förderer des
Canales, denn immer und immer werden die Producte Westamerikas
ebenso wie alle Massenproducte der Erde den billigen Wasserweg
aufsuchen und so dem Canale verfallen. China steht momentan am
Scheidewege. Es will mit seinem altgewurzelten Fremdenhasse bre-
chen und an den Eisenbahnbau gehen; dass hiedurch der Güteraus-
tausch zwischen dem Reiche der Mitte und Europa, respective Amerika
sich ungeheuer steigern wird, steht ausser Zweifel. Von dieser Fre-
quenz fällt wieder ein Löwenantheil dem Panama-Canale zu. Auch
die kleinen klimatisch so wunderbaren Inseln Oceaniens werden von
Jahr zu Jahr für den Welthandel bedeutender. Höchst wichtig sind
sie aber für die Panamarouten, weil sie als Kohlen-, Wasser- und
Kabelstationen unbezahlbare Stützpunkte für die Navigation des
grössten aller Oceane werden müssen. Das alles wird zweifellos ein-
mal so — werden; für den Panama-Canal ist aber die Frage, was ist?
die Hauptfrage.
Lesseps legte seiner Berechnung des anzuhoffenden Verkehres
die Güterbewegung, welche jetzt um’s Cap Horn und via Panama-
bahn geht, sowie die Transitgüter der Pacificbahnen zu Grunde, und
berechnet diese auf 6 Millionen Tonnen. Das Passagegeld soll per
Tonne 15 Francs betragen, was, wenn diese 6 Millionen Tonen durch
den Canal gingen, einen Rohertrag von 90 Millionen Francs ergäbe.
Dazu rechnet er noch andere maritime Einnahmen in einer Höhe von
6 Millionen Francs, stellt also eine Gesammteinnahme von 96 Millionen
Francs auf.
Dieser Voranschlag, den man keineswegs übertrieben nennen
kann, befriedigte allgemein, denn er sicherte eine ganz gute Super-
dividende neben der 4 %igen Verzinsung der Actien im Betrage von
1200 Millionen Francs.
- Roheinnahme ............ 96,000.000 Francs
- Zinsen und Amortisation ...... 54,000.000 „
- 42,000.000 Francs
Jährliche Auslage für Instandhaltung
- des Canales ........... 6,000.000 „
- Reingewinn (netto) ......... 36,000.000 Francs.
1200 Millionen Francs waren nämlich 1886 nach der Meinung
Lesseps und seiner Ingenieure im äussersten Falle die Kosten des
Canales; 1200 Millionen Francs repräsentiren nahezu dreimal die
Kosten des Suez-Canales, welche sich bis zu dessen Fertigstellung auf
rund 450 Millionen Francs beliefen.
[232]Die atlantische Küste von Amerika.
Diese 1200 Millionen Francs waren 1886 nahezu für Obligationen
verschiedener Emissionen bar eingezahlt worden, und alles schien gut
und glatt ablaufen zu wollen. Allein allzu bald zeigte sich, dass die
Vorausberechnungen falsch waren, es traten die oben angedeuteten
technischen Schwierigkeiten mit ihrem kategorischen Imperativ immer
lauter hervor. Es wurde zunächst zwar noch an dem Projecte eines Niveau-
canales festgehalten, aber die Eröffnung des Canales wurde vom 1. Jänner
1889 auf den 1. Jänner 1891 verschoben. Allein als die Schwierigkeiten
immer grösser werden, besonders als man sich über das Vorhandensein
des „schwimmenden Terains“ nicht mehr hinwegtäuschen konnte, ent-
schloss sich Lesseps 1887 mit schwerem Herzen den offenen Schiff-
fahrtscanal fallen zu lassen und einen Schleussencanal mit 10 Schleussen
und 47 m Scheitelhöhe herzustellen. Am 15. November 1887 wurde
mit Herrn Eiffel, dem Erbauer des berühmten „Eiffelthurmes“ ein
Vertrag abgeschlossen, wonach er sich verpflichtete, bis Mitte 1890
die Schleussen fertigzustellen und sofort die Arbeit in Angriff nahm.
Dieser Schleussencanal sollte noch 670 Millionen Francs kosten,
welche durch Ausgabe von Lotterie-Obligationen aufgebracht werden
sollten. Ihr Absatz versagte trotz der hohen Verzinsung und trotzdem
der greise Lesseps, der sein Leben für die Verwirklichung seiner Idee
gelassen hätte, persönlich in Frankreich herumreiste, Vorträge hielt
und die Obligationen an den Mann zu bringen suchte.
Nahezu zwei Milliarden Francs nominelles Capital hatten
die Franzosen an der Landenge von Darien festgegraben. Da war
aber der Credit der Panamagesellschaft und des Namens Lesseps in
Frankreich einfach erschöpft.
Lesseps brachte die nöthigen Gelder nicht mehr auf und er-
klärte am 14. December 1888, dass die Zahlung der Zinsen und
Amortisation für die Actien und fast alle Serien der Obligationen
eingestellt werden müsse.
Auf diese Schreckensnachricht folgte der bekannte Sturz der
Panamapapiere, welcher nichts anderes laut sagte, als was man im
Geheimen längst wusste, dass der Canal nicht 600 und nicht 1200 Mil-
lionen Francs, wie Lesseps Anfangs behauptete, kosten würde, son-
dern 3000 Millionen und vielleicht noch mehr. Er sagte aber auch,
dass sich dieses Anlagecapital von 3 Milliarden aus dem anzuhoffenden
Verkehre, besonders durch einen Schleussencanal gar nicht oder doch
erst in sehr ferner Zeit rentiren könne. Die Gesellschaft stand mit
Beginn des Jahres 1889 vor einer furchtbaren Katastrophe, vor einer
Katastrophe, welche in erster Linie die Franzosen, in zweiter Linie
[233]Der Panama-Canal.
aber alle seefahrenden Nationen, ja alle Gebildeten überhaupt auf
das lebhafteste interessirte und noch interessirt, da das endgiltige
Schicksal des halbfertigen Panama-Canales noch bis zur Stunde nicht
entschieden ist. Zu allernächst handelte es sich natürlich um das
Schicksal der französischen Sparer, die dem Leitsterne Lesseps bis
jetzt blind vertrauend gefolgt waren. 1,100.000 Franzosen, darunter
viele „kleine Leute“, standen auf dem Sprunge, ihre Ersparnisse zu
verlieren. Eine directe Hilfsaction von Seiten des französischen Staates,
welche die Bedrohten zunächst verlangten, war ausgeschlossen, da
der Senat in Washington schon früher öfters und besonders in einer
Sitzung vom 7. Februar 1889 mit 42 gegen 3 Stimmen „jede Ver-
bindung seitens irgend einer europäischen Macht mit dem Baue
oder der Controle irgend welchen Schiffahrtscanales über den Dari-
schen Isthmus als den gerechten Interessen der Vereinigten Staaten
nachtheilig und als Bedrohung ihres Wohles“ betrachtete (Monroë-
Doctrin).
Der Staat rettete die Gesellschaft aber dennoch vor dem momen-
tanen Zusammenbruche dadurch, dass er die Concursverhängung über
die Gesellschaft verhinderte, welche nach französischem Rechte ein
einziger Actionär hätte verlangen können, weil die schon während
des Baues garantirte Ausbezahlung der Coupons eingestellt war.
Es wurden gerichtliche Administratoren aufgestellt, welche mit
den weitest gehenden Vollmachten ausgerüstet, sogar Arrangements
gegen die Interessen der alten Gläubiger treffen konnten. Vor Allem
wurde durch Verpfändung der Panamabahn-Actien eine Summe (wie
hoch ist unbekannt) aufgebracht, um die Arbeiten am Canale nicht
sofort einstellen zu müssen. Dann schritt Lesseps daran, eine neue
Gesellschaft zu gründen. Die Besitzer der alten Actien und Obliga-
tionen sollten fortan keine Zinsen mehr, wie diese ganz falscher-
weise vor 1880 bis Ende 1888 bezahlt wurden, erhalten, aber An-
spruch auf 80 % der Einnahme aus dem Canale haben. Allein trotz
aller Anpreisungen in französischen und auswärtigen Blättern gelang
es nicht, die Actien und Obligationen dieser neuen Gesellschaft zu
placiren. So wurde am 4. Februar 1889 die alte Gesellschaft (Comp.
Univ. Canal Interoc. de Panama) durch das Civilgericht aufgelöst und
der Advocat Brunet als Liquidator aufgestellt. Ferdinand Lesseps
zog sich im März 1889 auf das tiefste verstimmt vollständig von der
Gesellschaft zurück.
Im selben Monate wurden am Isthmus die Arbeiten eingestellt.
An eine Erhaltung der fertiggestellten Arbeiten durch längere Zeit ist
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 30
[234]Die atlantische Küste von Amerika.
gegenüber dem tropischen Klima von Darien mit seinen Regenmassen
nicht zu denken, bis jetzt (Anfang 1891) wird eine Art Polizeiauf-
sicht über die Magazine, Werkstätten, kurz über das Inventarium
der zu Grunde gegangenen Gesellschaft aus den letzten Vermögens-
resten aufgebracht. Daneben verrosten die Maschinen, Wägen, Bagger etc.
oder versinken im Schlamme, leichtere Gegenstände werden von den
Hochwässern weggeschleppt oder auch gelegentlich gestohlen. Wenn
der Canalbau nur bis Ende 1891 unterbrochen bleibt, so kann man
alle Maschinen als altes Eisen verkaufen oder besser gesagt ver-
schenken. Wie die Dinge in Panama gegenwärtig stehen, scheint es
fast zu diesem tragischen Ende kommen zu wollen. Die amerikanische
Firma Staven \& Comp. hat schon Mitte 1890 ihren Riesenbagger an
die Nicaragua-Gesellschaft verkauft und nach Greytown gebracht.
Für die Rettung der Panamacanal-Gesellschaft oder besser ge-
sagt für die Rettung der bisher geleisteten, im Dienste der gesammten
Menschheit stehenden Arbeiten derselben ist nichts geschehen, als
dass die Regierung von Columbia geneigt scheint, den Eröffnungs-
termin des Canals hinauszuschieben. Woher aber die fehlende Mil-
liarde Francs kommen soll, weiss heute Niemand.
Und doch müsste diese Frage in der kürzesten Zeit entschieden
werden, denn schon beginnt der tropische Urwald sein grünes Kleid
über die Dämme und Gräben zu ziehen, und im raschen Siegeszuge
zurückzuerobern, was ihm die technische Kunst des weissen Mannes
für ewig zu entreissen schien. Käme in wenigen Jahren ein Forscher
oder Reisender an die Stellen, wo noch 1889 pustende Dampfmaschinen,
ächzende Bagger eine neue Welthandelsstrasse gruben, er stünde vor
einem undurchdringlichen Urwald, und sein Blick vermöchte nicht
einmal mehr die Trace zu erspähen, welche ein genialer Geist diesem
neuen Weltwege vorgeschrieben hatte.
Früge sich dieser Wanderer, warum das grösste Bauwerk aller
Zeiten halbvollendet im Sumpfe des Urwaldes versinken musste, so
würden ihm die Palmen vielleicht zuflüstern: „Es war zu früh ge-
boren“.
Lesseps und dessen Freunde irrten vielleicht in der Entwicklung
des Weltverkehres. Der Panama-Canal ist vielleicht am Ende des
XIX. Jahrhunderts noch kein unabweisliches Bedürfniss für den Welt-
handel, die Gestadeländer des grossen Oceans sind eben für diese
Forderung noch zu wenig entwickelt; wäre die Forderung nach einem
Panama-Canal unabweisbar, so würden sich die Mittel zu dessen Her-
[235]Der Panama-Canal.
stellung sicher finden, und es müssten alle seefahrenden Nationen
ihre Capitalien dafür zusammentragen.
Wie immer sich das Schicksal des halbvollendeten Canales aber
auch gestalten möge, der Name Lesseps wird künftigen Geschlech-
tern neben James Watt und Stephenson glänzen, denn er ist für
ewige Zeiten mit den beiden Wasserstrassen verbunden, welche dem
Welthandel neue Bahnen wiesen, welche über das Wohl und Wehe
ganzer Völker und Städte entscheiden.
Colon-Aspinwall an der Limonbay (atlantischer Ocean) und
Panamá am stillen Ocean sind handelsgeographisch untrennbar mit
einander verbunden. Sie bilden die Endpunkte der 49 englische
Meilen langen Ueberlandroute zwischen beiden Weltmeeren, einen
zukünftigen Angelpunkt des Welthandels, wie dieses bei Port Said
und Suez der Fall ist.
Panamá ist eine alte spanische Gründung, welche nun bald das
vierte Säculum ihres Bestandes feiern kann. Die an einer elenden,
flachufrigen, sehr ungesunden Rhede gelegene Stadt bildete Jahrhun-
derte lang den Stützpunkt vieler handelspolitischen Unternehmungen
der Spanier nach der Westküste von Südamerika. In der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts zeigte die Stadt einen starken Verfall; 1843 hatte
sie kaum 5000 Einwohner. Seit der Entdeckung der californischen
Goldfelder und dem bald folgenden Eisenbahnbau über den Isthmus
begann eine neue Blüthe, Panamá wurde Hauptstation für die An-
schlussdampfer, welche die europäischen Sendungen via Colon em-
pfingen und gegen Valparaiso oder andererseits gegen Acapulco—San
Francisco weiter beförderten. Zu den höchsten Hoffnungen berechtigte
Panamá, welches gegen 30.000 Einwohner zählt, der Panama-Canal-
bau. Der jähe Abbruch der Arbeiten hat die Stadt natürlich furcht-
bar zurückgeworfen, wie jetzt der Bau des Nicaragua-Canales San
Juan de Nicaragua emporhebt.
Colon, nach dem Amerikaner, welcher die Isthmus-Eisenbahn
erbaute, auch Aspinwall genannt, ist im Gegensatze zu Panamá
eine sehr junge Stadt, sie wurde 1854 auf der Insel Manzanilla an-
gelegt, ist im Herbste 1890 fast vollständig abgebrannt und wird
jetzt in kurzer Entfernung von den Stationsgebäuden und Docks neu
aufgebaut. Sie besitzt Waarenhallen, Maschinenwerkstätten und Vor-
kehrungen, um den Schiffen das Ein- und Auslaufen in die voll-
ständig geschützte Rhede sowie das Umladen daselbst zu erleichtern.
Während des Canalbaues spielte sich natürlich auch in Colon
30*
[236]Die atlantische Küste von Amerika.
ein reges, buntes, oft auch tolles und verschwenderisches Leben ab,
das Anfang 1889 zum Schmerze der ganzen Gesellschaft ein schnelles
Ende fand; die Einwohnerzahl, welche in wenigen Jahren von 3000
auf 15.000 gestiegen war, ist seitdem riesig gesunken. Heute zeigen
Panamá und Colon wieder die alte, gelangweilte Physiognomie.
Langsam und geschäftslos schleichen die Tage in der heissen
fieberschwangeren Atmosphäre hin, nur belebt, wenn die grossen Post-
dampfer kommen und gehen. Die Reisenden sowie die wenigen Eil-
güter, welche die theuere Ueberlandroute nehmen, bleiben keine
Stunde länger, als sie bleiben müssen, alles hastet fort, das meist
noch ferne Ziel zu erreichen.
Colon wie Panamá sind echte Transitoplätze, aber Transito-
plätze von welthistorischer Bedeutung, denen einem ganz jungen
Thronerben gleich in ferner Zukunft noch Glanz und Herrlichkeit
winkt, wenn „die Pforte zu den Oceanen“ durch einen „Weltcanal“
erschlossen sein wird.
Das Colongeschäft war von jeher fast ausschliesslich localer Natur; sein
Absatzgebiet umfasste die Stadt selbst und die an der Eisenbahn nach Panamá
gelegenen Ortschaften, welche alle durch den Wegzug von 12.000—15.000 Arbeitern
und 1200 Beamten entvölkert sind. Daher mussten 1889 in Colon eine grosse
Reihe von Geschäftshäusern schliessen.
Nach dem Berichte der Panama-Eisenbahn-Gesellschaft sank der Local-
frachtenverkehr 1889 auf 36.046 T gegen 169.857 T im Jahre 1888, die Zahl
der Passagiere auf 290.664 gegen 1,283.753 im vorhergehenden Jahre. In Durch-
fracht gingen 1889 von Colon nach Panamá 72.756 T aus Europa und 43.934 T
aus New-York, vom Stillen zum Atlantischen Ocean 50.573 T nach Europa,
25.582 T nach New-York. Von der pacifischen Küste kommen Kaffee (1889
562635 Säcke) in steigenden Mengen, Cacao, Indigo, Wein, Gerste, Steinnüsse,
Häute und Felle.
Der Isthmus ist für seine Bedürfnisse an Natur- und Kunsterzeugnissen
ganz vom Auslande abhängig; nur Yams, Kokos, Zuckerrohr, Mais und Reis
werden in genügender Menge gebaut.
Die Importhäuser Colons sind vorzugsweise Amerikaner, der Detailhandel
ist fast ausschliesslich in den Händen von Chinesen.
Die Gesammtzahl der 1889 eingelaufenen Schiffe betrug 1889 549 mit
758.133 Reg.-Tons, 1888 684 mit 872.611 Reg.-Tons.
Colon besuchen regelmässig 8 Dampferlinien: die Hamburg-amerikanische
Packetfahrt-Actiengesellschaft (32 Tage) zweimal monatlich, die Royal-Mail-Steam-
Packet-Cy. aus Southampton (21 Tage), 2 Linien aus Liverpool, die Cie. Générale
transatlantique aus St. Nazaire (20 Tage) dreimal im Monate, zwei spanische
Linien, und zwar eine aus Barcelona, die andere aus New-York und eine nord-
amerikanische Linie aus New-York.
Die Ueberfahrt mit der Eisenbahn von Colon nach Panamá dauert 3 bis
4 Stunden.
[237]Der Panama-Canal.
Fast alle Dampferlinien, welche Colon-Aspinwall anlaufen, be-
suchen auch die anderen Häfen der Nordküste Südamerikas. Wir be-
grüssen in Columbien zunächst Cartagena, eine der ältesten Städte
des Landes. Den Haupteingang zu seinem von Natur vorzüglichen
Hafen haben die Spanier 1793 versperrt und die indolente Bevöl-
kerung hat ihn seitdem noch nicht wieder eröffnet.
Daher ist jetzt das elende Sabanilla oder Salgar der erste
Ausfuhrhafen Columbiens. Die von einer deutschen Gesellschaft 1870
erbaute Ferrocarril de Bolívar bringt die Reisenden für 5 Pesos (10 fl.)
nach dem 22 km entfernten Baranguilla am Magdalena, dem Haupt-
speditionsplatz des Landes, von wo 25 Dampfer stromaufwärts gehen;
die Mündungsbarre ist nur mit Gefahr für Schiff und Mannschaft zu
passiren.
Die Ausfuhr von Sabanilla erreichte 1889 9[·]8 Mill. Pesos, davon für 3·6
Mill. Pesos Silber, für 2·1 Mill. Pesos Kaffee, ferner Häute, Tabak und Gummi.
Die Ausfuhr ist nach Grossbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frank-
reich und Deutschland gerichtet.
Die Einfuhr, welche zum grössten Theile von Grossbritannien und Frank-
reich, aber auch von Deutschland und der Union besorgt wird, hatte 1889 einen
Werth von 7·4 Mill. Pesos.
In demselben Jahre liefen 238 Schiffe 365·231 Reg.-Tons ein.
Am Westufer des Canals, welcher den Golf von Maracaibo mit
der Lagune gleichen Namens verbindet, liegt die Stadt Maracaibo.
Sie besitzt eine Pferdebahngesellschaft, welche 30 % Dividende ab-
wirft, elektrische Strassen- und Häuserbeleuchtung, die Amerikaner ein-
gerichtet haben, und ist Sitz einer ganz ansehnlichen Industrie, welche
sich der Dampfkraft bedient. Der Hafen vermittelt die Ausfuhr der
Kaffeedistricte, welche die Lagune umgeben, und da die Kaffeepreise
in den letzten Jahren lohnend waren, ist der Wohlstand des Landes
und damit die Consumfähigkeit bedeutend gestiegen. Auch die Durch-
fuhr nach dem östlichen Columbien ist ansehnlich.
Der hiesige Grosshandel ruht fast ganz in deutschen Händen.
Die Grundlage aller geschäftlichen Unternehmungen ist Kaffee, von
welchem 1889 183.614 q (Werth 30·7 Mill. Bolivares) meist nach New-York ver-
schifft wurden. Dorthin gehen auch Rindshäute, Ziegenfelle, während Nutz- und
Farbhölzer und Dividivi überwiegend nach Falmouth oder Queenstown an Ordre
versendet werden.
In der Einfuhr nimmt Deutschland (Hamburg) dem Werthe nach den
ersten Rang mit 40 % der ganzen Summe, auf die Union (New-York) entfallen
35 %, auf England (Liverpool) 16 %.
Im Jahre 1889 erreichte die Ausfuhr 33·7, die Einfuhr 11 Mill. Bolivares.
Die Postverbindung mit Europa wird durch die „Red D Line of
Steamships“ vermittelt, welche über Curaçao in sechs Tagen New-York erreichen.
[238]Die atlantische Küste von Amerika.
Puerto Cabello, der Hafen von Valencia, mit dem es durch
eine Eisenbahn verbunden ist, führt ebenfalls Kaffee (1889 151.138 q),
Cacao, Rindshäute und Ziegenfelle nach New-York überwiegend, dann
nach London und Hamburg aus.
La Guayra ist der Hafen von Caracas, der Hauptstadt von Vene-
zuela, zu der eine kühne Eisenbahn über die 1000 m hohen Küsten-
cordilleren führt, deren Betrieb aber in der Regenzeit öfter unter-
brochen ist; die Stadt ist ein wichtiger Knotenpunkt die Dampfschiff-
fahrt, der erste Einfuhrhafen des Landes.
Ihre Hafeneinrichtungen wurden in den letzten Jahren wesentlich
verbessert.
Die Einfuhr erreichte 1889 den Werth von 1,933.474 ₤, die Ausfuhr
723.542 ₤. Letztere bestand aus Kaffee (106.460 q) und Cacao (3,665.860 kg).
Der Schiffsverkehr erreicht 700.000 t. Regelmässige Dampfverbindungen
nach La Guayra und Puerto Cabello unterhalten die Hamburg-Amerikanische
Paketfahrt-Actiengesellschaft, der Koninklijke West-Indische Maildienst (Amster-
dam-New-York), die Royal Mail Steam Paket Cy. (Southampton), die West India
and Pacific Steamship Cy. und Harrison Line (Liverpool), die Compañia trans-
atlantica (Santander, Cadiz), Cie. Générale Transatlantique (St. Nazaire, Hâvre,
Bordeaux), United States and Brazil Mail Steamship Cy. (New-York), Red D Line
(New-York) und Quebec Steamship Cy.
Die Küste Südamerikas von Trinidad bis Pernambuco wird nur
wenig von Schiffen besucht. Auf dieser Strecke liegt zunächst Ciudad
Bolivar, früher Angostura genannt, der Hafen des Orinocogebietes,
der über Trinidad und Paramaribo indirect, über New-York-Theoband
durch die Theobaud-Line (Fahrzeit 11 Tage) direct mit den Centren
des Welthandels verbunden ist. Weiter nach Osten folgen George-
town, Paramaribo und Cayenne, die Hauptorte der drei Gayaras,
die europäischen Staaten unterthan sind, und wichtige Ausfuhrhäfen
für Zucker, Cacao und Hölzer.
Die Post vermitteln der Koninklijke West-Indische Maildienst (Amsterdam)
und die Cie. Générale Transatlantique.
[[239]]
Brasilianische Häfen.
Nach Vasco de Gama’s glücklicher Rückkehr sandte König
Emanuel von Portugal, den die Geschichte den „Glücklichen“ nennt,
eine zweite Flotte von 13 Schiffen mit 1200 Mann unter dem Com-
mando Pedro Alvarez Cabral nach Indien aus.
Cabral segelte am 9. März 1500 von Lissabon ab und steuerte
nach der Segelanweisung, die Vasco de Gama gegeben hatte, einen
mehr westlichen Curs als dieser, um die Calmenregion unter Afrika
zu vermeiden. So gerieth er in den Bereich der damals noch ganz un-
bekannten oceanischen Strömungen hinein und entdeckte am 22. April
ein neues Land. Zwei Tage später ging er in einer ruhigen Bucht,
dem sogenannten „sicheren Hafen“, Porto Seguro, vor Anker, nahm
das Land, dessen Küsten 1500 die Spanier zuerst gesehen hatten, für
den König von Portugal feierlich in Besitz und nannte es Terra da
Vera Cruz. Der Name Brasilien entstand erst ein Decennium später;
man leitete ihn von Pão do Brazil, d. h. Holz der glühenden Kohle
ab, einem rothen Farbholze (Caesalpinia brasiliensis, nach Selin
„echinata“), das man dort in Menge fand und seit dem XVI. Jahr-
hundert nach Europa ausführte.
Die Besiedlung der neuen Colonie mit Verbrechern (zumeist
Verurtheilten der Inquisition) sowie die Verbannung der Juden nach
derselben gingen der Entsendung des ersten Gouverneurs, Thomas de
Souza, voraus. Souza gab im Auftrage König Joãos III. eine Organi-
sation, erbaute 1549 die Stadt Bahia als Sitz der Centralregierung
und brachte die Jesuiten ins Land.
Aber dieser erste Gouverneur fand auch bereits die Grundlagen
der Indianerkriege vor, welche bis ins XVIII. Jahrhundert dauerten,
das Land seiner eingeborenen Arbeiter beraubten und die Einführung
von Negersclaven aus Westafrika zur Folge hatten. Denn schon 1534
hatte João III. das Land unter die Donatoren als Lehen getheilt und
diesen das Recht gegeben, die heidnischen Indianer (Gentios) zu
[240]Die atlantische Küste von Amerika.
Sclaven zu machen und jährlich eine bestimmte Anzahl abgabenfrei
auf dem Lissaboner Markt zum Verkaufe zu bringen.
Als später 1580—1640 das Mutterland unter der spanischen
Oberhoheit stand, griffen die Feinde Spaniens, die Holländer, Eng-
länder und Franzosen, auch Brasilien an.
Die von ihnen gegründeten Niederlassungen mussten zwar
wieder geräumt werden, aber die Schöpfung des Grafen Moritz von
Nassau, der es verstand, die der niederländisch-westindischen Com-
pagnie gehörigen „Plätze in Brazijl“ mit dem Vororte Pernambuco
in wenigen Jahren zu hoher Blüthe zu bringen, zeigte, was aus diesen
Landschaften zu machen war, welche die Portugiesen und Spanier
vernachlässigt hatten.
Als die Niederlande 1662 auf alle Eroberungen ihrer Compagnie
verzichtet hatten, war der Kampf um Brasilien zu Ende.
Portugal, seit 1640 wieder selbständig unter den Königen aus
dem Hause Bragança, that jetzt viel für die Entwicklung der Planta-
genwirthschaft, denn Brasilien musste für das Mutterland die „Melk-
kuh“ an Stelle des verlorenen Ostindiens werden.
Die thatkräftigen „Paulistas“ (Mischlinge von Weissen und
Indianern aus der Provinz São Paulo) durchstreiften das weite Innere,
entdeckten Gold- und Diamantenfelder und zogen Europäer ins Land.
In der Zeit des Aufschwunges wurde jedoch auch der Keim
gelegt zu dem Hasse zwischen Portugiesen und Brasilianern, die hier
einander ebenso feindlich gegenüberstanden, wie im spanischen Ame-
rika Spanier und Creolen.
Das Mutterland liess nur die Gold- und Diamantgruben Brasi-
liens ausbeuten und trachtete dasselbe in steter Abhängigkeit zu
halten, es förderte nicht die geistige Bildung des Volkes, verbot den
Oel- und Weinbau, weil diese Producte Portugal lieferte; auch durfte
weder Salz gewonnen noch irgend eine Fabrik angelegt werden. Die
Einfuhr von Fabrikswaaren (zu hohen Preisen) blieb ausschliesslich
den Portugiesen vorbehalten.
Handel, Gewerbe und Fabriken nahmen erst dann einen freieren
Aufschwung, als König João VI. im Jahre 1808 vor Napoleon I.
nach Bahia flüchtete und die Carta regia erliess, welche die Häfen
des Landes dem allgemeinen Weltverkehre öffnete. Die immer be-
standene Bevorzugung der Portugiesen vor den Brasilianern wurde
jedoch durch diese Thatsachen nicht geändert. Ein republikanischer
Aufstand 1817 in Pernambuco war der Vorläufer jenes von Rio de
Janeiro vom 26. Februar 1821, welcher den König zur Versprechung
[241]Brasilianische Häfen.
einer freisinnigen Constitution zwang. Auch musste Dom João vor
seiner Abreise nach Portugal den Kronprinzen Pedro als Prinzregenten
zurücklassen.
Als nun die portugiesischen Cortes den brasilianischen Depu-
tirten den Zutritt versagten und Brasilien noch immer als abhängige
Colonie von Portugal aus regiert haben wollten, weigerte sich 1822
der Prinzregent, den Befehlen aus Lissabon Folge zu geben, verkündete
auf einer Reise durch die Provinz am 7. September 1822 die Unab-
hängigkeit Brasiliens und wurde am 1. December 1822 als Pedro I.
zum constitutionellen Kaiser gekrönt. In seine Regierung fallen dem-
ungeachtet mehrere Aufstände, und ein wenig rühmlicher Krieg gegen
die Argentinische Republik. Am 7. April 1831 dankte der Kaiser zu
Gunsten seines sechsjährigen Sohnes Dom Pedro II. ab und begab sich
auf der englischen Corvette „Volage“ nach Europa. Eine Reihe von
Sclaven- und Pöbelaufständen sowie republikanische Schilderhebungen
trübten in den folgenden Jahren das Bild der geschichtlichen und
commerziellen Entwicklung Brasiliens, welche überdies durch die
klägliche Finanzlage des Staates gehemmt war. Die in den Provinzen
São Paulo, Minas Geraës und Rio Grande do Sul erregten republikani-
schen Aufstände konnten durch den General Caxias (1842—1845)
nur mit Mühe unterdrückt werden.
Dem siegreichen Kriege 1851—1852 gegen den argentinischen
Dictator Rosas folgte eine Besserung der brasilianischen Verhältnisse.
Der Handel nahm während des Krieges und nach demselben einen
grossen Aufschwung, Eisenbahnen und Verbindungsstrassen wurden
gebaut und 1853 die brasilianische Bank mit einem Capital von
30 Millionen Milreïs gegründet.
Auch in dem Kriege gegen Paraguay, den Brasilien im Vereine
mit Argentinien und Uruguay führte, erreichten die brasilianischen
Truppen unter der Führung des Grafen d’Eu, des Schwiegersohnes
des Kaisers, einige nennenswerthe Erfolge. Der glückliche Ausgang
des Krieges 1870 erhöhte Brasiliens politisches Ansehen, da aber die
von Paraguay übernommenen Kriegskosten (500 Mill. Gulden) von
diesem finanziell vollkommen erschöpften Lande nicht gezahlt werden
konnten, geriethen die brasilianischen Staatsfinanzen in gänzliche
Zerrüttung.
Von grösster Wichtigkeit für den inneren Fortschritt war das
Gesetz über die Sclavenemancipation (1871), dem 1888 das Gesetz
über die gänzliche Abschaffung der Sclaverei folgte, wodurch für
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 31
[242]Die atlantische Küste von Amerika.
die grossen Grundbesitzer die ohnedies schwierige Arbeiterfrage un-
endlich erschwert wurde.
Die Unzufriedenheit des Landes mit den schlechten ökonomi-
schen Verhältnissen wurde von der republikanischen Partei geschickt
ausgebeutet, während der Kaiser im Bewusstsein der Lauterkeit seiner
Handlungen es versäumt hatte, seine Person in den Vordergrund zu
stellen.
Marschall Deodoro da Fonseca organisirte einen Aufstand der
meist aus Negern bestehenden Landtruppen und verkündete am
15. November 1889 den Sturz des Kaiserreiches und die Errichtung
der Republik der „Vereinigten Staaten von Brasilien“.
Mit Einführung der Republik wurde an den politischen Ver-
hältnissen Brasiliens wenig mehr als der Name geändert. Es blieb
ein Föderativstaat mit weitgehender Selbständigkeit der einzelnen
Staaten.
Auch die verfahrenen wirthschaftlichen Verhältnisse können im
Lande der „Paciencia“ (Geduld), wo man alles aufschiebt und nichts
erledigt, nicht über Nacht andere werden. In dem Feuereifer, Bra-
silien zu heben, will man mit einem Schlage die Versäumnisse von
Jahrzehnten nachholen und hat 1890 neue zahlreiche geschäftliche
Unternehmungen gegründet, die zusammen ein Capital von 1⅓ Mil-
liarden Gulden Gold beanspruchen.
Man forcirt also, was nur durch langsame, zielbewusste Arbeit
erreicht werden kann, und der böse Rückschlag kann nicht aus-
bleiben.
Dabei werden wir durchaus nicht verkennen, dass die Entwick-
lung der Eisenbahnen und der Flussschiffahrt die Ausfuhr heben,
Industriegesetze und hohe Zölle die Einfuhr wenigstens der gewöhn-
lichen Erzeugnisse des europäischen Gewerbefleisses überflüssig machen
werden.
Der Abschluss eines Reciprocitätvertrages zwischen der nord-
amerikanischen Republik und Brasilien, der am 1. April 1891 in
Kraft trat, wird die Concurrenzfähigkeit der europäischen Industrie
in Brasilien, aber auch die der so mühsam geschaffenen nationalen
Industrie weiter schädigen.
Denn nach diesem Vertrage gehen die Stapelartikel Brasiliens
zollfrei in die Union, und dafür geniessen viele Waaren der Union,
wie z. B. Weizenmehl in Brasilien Zollfreiheit, andere, wie Baumwoll-
fabricate, geniessen eine Zollermässigung von 25 % gegen die anderer
Staate.
[243]Brasilianische Häfen.
Die Stapelartikel Brasiliens gehören alle dem Pflanzenreiche
an; wir werden sie bei den einzelnen Seehäfen kennen lernen.
Aber leider fehlt es dem ungeheuren und meist fruchtbaren
Lande, das fast die Grösse von Europa erreicht, an Menschen. Die
15 Millionen Einwohner bevölkern fast nur an den Küsten die
Umgebung der einzelnen grösseren Städte. Das freie Innere ist das
weite Streifgebiet von einigen Hunderttausend Indianern, unter denen
es Horden gibt, die noch nie einen Weissen gesehen haben.
Von einem einheitlichen Typus der Bevölkerung kann hier keine
Rede sein, weil sie im Wesentlichen aus Mischlingen von Portugiesen
Indianern und Negern in den verschiedensten Abstufungen besteht.
Alle verbindet aber die Gemeinsamkeit der portugiesischen Sprache
und der katholischen Religion und die Unlust zu anhaltender regel-
mässiger Thätigkeit.
Die neuen Einwanderer, unter denen die Deutschen und Italiener
besonders hervorragen, äussern ihren Einfluss erst in einzelnen Theilen
Südbrasiliens.
Brasilien ist also in seinen Hafenplätzen concentrirt, welche die
Ausgangspunkte der Eisenbahnen sind, die immer weiter ins Innere
vordringen und heute zum Theile schon die Ufer der grossen Ströme
erreicht haben. Ihre Zahl ist im Vergleiche zur grossen Länge der
Küste immerhin eine mässige.
Pará.
Pará, auch Belem do Grão Pará (Nossa Senhora de Belem)
genannt, ist die Hauptstadt des gleichnamigen Staates und liegt unter
1° 27′ südl. Br. und 48° 30′ westl. L. an der Mündung des Gua-
jará (Guandù) in den Rio Sará, der der mächtigste Stromarm des
Amazonenstromes ist. Die Stadt ist 110 km vom Atlantischen Ocean
entfernt.
Francisco Caldeiro Castello Branco gründete im Jahre 1616 auf Befehl
Alexandro de Moura’s die Stadt Nossa Senhora de Belem, welche vom Zeitpunkte
ihrer Errichtung an durch lange Jahre in beständiger Aufregung blieb. Ursache
dessen waren zuerst blutige Kämpfe gegen die Indianer, dann der Ehrgeiz her-
vorragender Personen und der Kampf mit den Jesuiten wegen der Sclaverei der
Indianer.
Die Unabhängigkeitsbestrebungen Brasiliens (1821) brachten schwere Zeiten
über die aufstrebende Stadt, die Capitän Grenfell als Commandant der Brigg
„Dom Miguel“ mit einer Kriegslist zur Unterwerfung brachte. 1835 folgten dem
daselbst ausgebrochenen Aufstande eine Reihe blutiger Scenen, die Stadt konnte
31*
[244]Die atlantische Küste von Amerika.
nur durch eine Belagerung bei Mithilfe einer englischen Flotte eingenommen
werden.
Die 1867 decretirte und eröffnete freie Schiffahrt auf dem Amazonenstrome
trug bedeutend zur Hebung des Handels Parás bei.
Das Anlaufen von Pará ist bei gewissen Winden und wegen
der starken, eine stündliche Geschwindigkeit bis zu sieben Seemeilen
erreichenden Strömung mitunter keine leichte, eine durchaus nicht unge-
fährliche Sache und durch die Bänke von Tigoca und Bragança und
auch deswegen erschwert, weil die Tiefen und die Bänke im Fluss
sich fortwährend ändern. Der Kampf zwischen der Strömung des
Flusses und der Flutwelle des Oceans wird Pororoca genannt und ist
für die Schiffahrt auf dem Amazonenstrome charakteristisch und be-
achtenswerth. Die Flutwelle macht sich selbst noch 500 Seemeilen
von der Mündung des Stromes in die See bei der Stadt Obidos be-
merkbar. Die Ufer des Stromes sind bis zu dem zwei Seemeilen von
Pará liegenden Fort do Barra mit dichten Mangrovewäldern be-
wachsen.
Der Hafen wird von einem schönen, aus grossen Quadern ge-
bauten Quai gebildet. Der Ankerplatz ist gut, der Hafen für Schiffe
von 6·8 m Tiefgang jederzeit zugänglich.
Pará hat breite, regelmässig angelegte, theils vortrefflich ge-
pflasterte, theils macadamisirte Strassen und schattige Alleen von
Woll- und Brotfruchtbäumen und Königspalmen. Die zwei- und drei-
stöckigen Häuser sind weiss getüncht und mit grossen, oft um das
ganze Gebäude führenden Veranden versehen. Die Strassen und Plätze
sind mit Gas beleuchtet, Pferdebahnen verbinden die eigentliche Stadt
mit dem Largo do Nazareth und dem Boulevard da Camara Municipal.
Die schönste Strasse der Stadt ist die breite Estrada das Mau-
gubeiras. Sie geht vom Arsenale aus längs des Flusses zu dem an
der Ostseite der Stadt gelegenen Largo do Polvora und wird von
dort zum Largo do Paço und zum Largo do Quartél führenden
Strassen durchschnitten. Ihr Name stammt von den prächtigen und
schattigen Brotfruchtbäumen, von denen sie eingesäumt ist.
Zu den hervorragendsten Bauten Parás zählen der ansehnliche
Regierungspalast (Sitz des Provinzgouverneurs), der Palast des Bischofs,
das grosse Gebäude, in welchem die Sitzungen des Provinzialland-
tages, des Magistrats und sämmtlicher Provinzialbehörden stattfinden,
zehn Kirchen, darunter die 1720 erbaute Kathedrale (eine der
schönsten Kirchen Brasiliens), ferner ein schönes Theater und das
Arsenal.
[245]Brasilianische Häfen.
An Bildungsanstalten besitzt die Stadt ein Lyceum, zwei Semi-
narien, ein Museum und eine öffentliche Bibliothek. Von den indu-
striellen Etablissements sind eine Schiffswerfte und eine Sägemühle
zu erwähnen.
Auf dem Grunde des einstigen Klosters — jetzigen Hospitales
— São José wurde 1797 ein botanischer Garten errichtet, doch
wurde auch dieser während der stürmischen Zeit von 1835 zerstört
A Oestliche Mündung des Amazonen-Stromes, B Pozo-Canal, C Leuchtschiff, D Kathedrale, E Arsenal,
F Leuchtfeuer, G Fahrwasser nach Pará.
und aufgelassen. Der ehemalige Kriegsminister, spätere Gouverneur
der Provinz Pará, Sebastião do Rego Barros, liess jedoch 1854 durch
aus Europa bestellte, des Handwerks kundige Gärtner einen neuen,
ausgedehnteren botanischen Garten in etwas grösserer Entfernung von
der Stadt anlegen.
Das freundliche Pará zählt heute bereits 65.000 Einwohner.
Es ist die Handelsniederlage des ungeheueren Gebietes des Ama-
zonenstromes, und je weiter die Schiffahrt auf diesem grössten und
[246]Die atlantische Küste von Amerika.
wasserreichsten Flusslaufe der Erde vordringt, um so wichtiger wird
Pará.
Heute wird von den 45.000 km schiffbaren Wasserstrasse des
Hauptstromes und seiner Nebenflüsse noch nicht viel mehr als der zehnte
Theil regelmässig befahren.
Auch eine Einschliessung des Tocantingebietes durch Dampfer-
curse und Eisenbahnen wird vorbereitet. Gegenwärtig geht erst eine
kurze Eisenbahn nach Bragança.
Der Handel von Pará beruht auf den Producten der „Hylaea“, des Wald-
landes des Amazonengebietes. Das Hauptproduct ist Kautschuk, von welchem
1889 über diesen Hafen 126.409 q im Werthe von 21,686.489 Milreïs nach den
Vereinigten Staaten und England ausgeführt wurden. Ein grosser Theil des
Kautschuks geht von Manaos direct ins Ausland. Der Kautschukhandel ist that-
sächlich von einer amerikanisch-englischen Gesellschaft monopolisirt. Die unge-
heuer steigende Nachfrage nach Kautschuk veranlasste einzelne Unternehmer,
förmliche Kautschukplantagen anzulegen, da der sogenannte „wilde Kautschuk“
in den Wäldern, der nur auf natürlichen Nachwuchs angewiesen ist, immer
seltener wird. Diese Kautschukplantagen dürften dereinst von sehr hoher Bedeu-
tung werden.
Die Indianer, die früher Ackerbau und Viehzucht getrieben haben, verlegen
sich heute fast ausschliesslich auf Kautschuksammeln und pflanzen nur mehr den
Cacaobaum, dessen Früchte den zweiten Ausfuhrartikel (43.369 q, Werth
1,713.389 Milreïs) von Pará bilden und meist nach Frankreich gehen.
Ferner werden exportirt Kastanien (100.120 hl) nach Frankreich, den
Vereinigten Staaten und England, Hirschhäute und Ochsenhäute.
Die Gesammtausfuhr erreichte 1889 24,388.488 Milreïs, welcher ansehn-
lichen Ziffer nur ein kleiner Import gegenübersteht, da im Amazonengebiete der
Consumenten für ausländische Waaren nicht zu viele vorhanden sind. Es ist
zweifelhaft, ob es gelingen wird, die 16.000 europäischen Familien zur Einwan-
derung nach dem Staate Pará zu bewegen, wozu sich 1890 drei Unternehmer
gegen die Regierung contractlich verpflichtet haben. In Pará haben mehrere Fluss-
schiffahrtsgesellschaften ihren Sitz. Einzelne dehnen ihre Fahrten bis in die
Staaten der Westküste Südamerikas aus. Der Schiffsverkehr erreichte 1889
544 Dampfer und 161 Segelschiffe zusammen mit 742.082 Tons.
Pará steht durch zweimal wöchentlich verkehrende Dampfer nationaler
Flagge mit den Häfen Brasiliens, zweimal im Monate durch die Booth Steam
Ship Cy. und Red Cross Line mit Liverpool, Hâvre und Lissabon in Verbindung.
Mit Newport News (Va) besteht zweimal im Monate Verbindung durch die United
States and Brasil Mail Steamship Cy.; ferner gehen Dampfer einmal im Monate
nach New-York und nach Baltimore. Der Hafen hat Anschluss an das Netz des
Welttelegraphen und ist Sitz von zwei einheimischen Banken und einer Succursale
der English Bank of Rio Janeiro.
Hier haben Consulate: Belgien, Deutsches Reich, Frankreich (V.-C.),
Grossbritannien, Oesterreich-Ungarn (V.-C.), Portugal, Schweiz, Venezuela und die
Vereinigten Staaten von Amerika.
[247]Brasilianische Häfen.
Pernambuco.
Pernambuco, auf 8° 3′ südl. Br. und 34° 52′ westl. L. ge-
legen, ist die Hauptstadt des den gleichen Namen tragenden Küsten-
staates von Brasilien, der sich zwischen Parahyba und Alagoas aus-
breitet.
Der Küste ist in unmittelbarer Nähe ein mehrere hundert See-
meilen langes Riffgebilde vorgelagert, das nur wenige Oeffnungen
besitzt. Der Name Pernambuco wird von Pera-nabuko abgeleitet,
welche Worte, der Sprache der Caheté-Indianer angehörend, so
viel als „durchlöcherter Stein“ bedeuten und sich auf jene Oeffnungen
des Riffes beziehen dürften, das der gegenwärtigen Stadt Pernambuco
vorliegt.
Christovao Jacques gründete 1525 am Ufer des Flusses Iguarassú eine
Factorei, Duarte Coelho Pereira, zehn Jahre später die 16 km nördlich gelegene
Ortschaft Olinda. Diese Colonie kam von 1630 bis 1654 in den Besitz der Hol-
länder, die im Kampfe mit den Spaniern zwar Olinda einäscherten (1631), doch
unter Graf Maurits eine zweite Stadt auf der Insel Antonio Vaz gründeten und
diese Mauritsstadt benannten.
Die holländische Herrschaft war durchaus nicht ungünstig, das abgebrannte
Olinda entstand von Neuem, doch schöner und grösser; das Fischerdorf Recife,
die Hafenstadt des heutigen Pernambuco, entwickelte sich zu einer reichen
Ortschaft.
Die portugiesische Revolution 1640 brachte auch das Ende der holländi-
schen Herrschaft über Pernambuco, das in den folgenden Jahren die Hauptmann-
schaften Parahyba, Rio Grande do Norte und selbst Ceará seinem politischen und
commerziellen Einflusse unterordnete.
Dem republikanischen Aufstande vom Jahre 1817 sowie jenem von 1824
folgten schwere und übertriebene Strafen von Seite João VI. und Dom Pedro I.,
dagegen trug jedoch die Amnestie, die anlässlich des Aufstandes bei der Thron-
entsagung des ersten Kaisers den Schuldigen gewährt wurde, weit bessere Früchte,
da sich Pernambuco seither ruhig verhielt und ungestört emporblühte.
Die Stadt ist zum Theile auf den beiden Inseln gelegen, die
durch die Flüsse Biberibe und Capiberibe gebildet werden, zum an-
deren Theile jedoch auf dem festen Lande erbaut. Sie zerfällt hie-
durch in drei Stadttheile — Bairros — und zwar: in den Bairro
Recife und Bairro Santo Antonio, die auf den Inseln liegen, und in
den Bairro Boavista auf dem Festlande. Der Name Boavista wurde
aus dem holländischen „Schoonzigt“ abgeleitet, welches der Name
für die durch die Erbauung eines Palastes für Graf Maurits gegrün-
dete holländische Villenstadt war.
Das der Stadt vorliegende Riff, dessen durchschnittliche Breite
10 m beträgt, bildet den eigentlichen Hafen. Die Hafeneinfahrt sowie
[248]Die atlantische Küste von Amerika.
ein auf 15 Seemeilen sichtbares Leuchtfeuer befinden sich am nörd-
lichen Ende dieses Riffes, dass nur an einigen Stellen künstlich durch
Aufbau erhöht wurde, um den fortwährenden, durch den Südost-
Passat erzeugten, starken Seegang zu brechen. Nur bei Sturmflut
und starken östlichen oder südöstlichen Winden wird das Riff von
der See überflutet und im Hafen eine stärkere Dünung erzeugt, doch
währt auch dies zumeist nur ein bis zwei Stunden. Schiffe von ge-
ringerem Tiefgang vertäuen sich parallel zum Riff mit Ankern und
Landfesten, kleinere Schiffe können auch an der Mündung des Capi-
beribe (beim Zollamt) gut liegen, grosse und tiefergehende Schiffe
müssen jedoch auf der Rhede ausserhalb des Riffes ankern, weil
Schiffe mit einem Tiefgange, der 19′ englisch übersteigt, nur bei
Springflut in den Hafen einlaufen können. Jetzt sind grosse Arbeiten
im Gange, um die Einfahrt und den Hafen selbst zu vertiefen und
Quais und Molos zu erbauen, an denen grosse Schiffe anlegen können,
wodurch in Zukunft das bisher so kostspielige Lichtern vermieden
werden wird. Auch ein Dock soll erbaut werden, damit man hier
Schiffsreparaturen ausführen kann. Die Strömung im Hafen steigt oft
bis zu vier Seemeilen stündlicher Geschwindigkeit.
Der Form der Inseln entsprechend ist die ganze Lage der
Stadt, die eine der belebtesten und schönsten Städte Südamerikas
ist, eine in die Länge gezogene. Sechs aus Eisen oder Stein erbaute
Brücken verbinden die Stadttheile mit einander, die breite und gut
gehaltene, mit Gas beleuchtete Hauptstrassen besitzen. Ein Netz von
Pferdeeisenbahnen vermittelt den Verkehr zwischen den einzelnen
Stadttheilen.
Die Häuser der Stadt bestehen zumeist aus mehreren Stock-
werken und sind aus Stein erbaut; manche derselben haben, dem
portugiesischen Geschmacke entsprechend, das äussere Mauerwerk mit
glasirten Ziegeln bekleidet. Der Baustyl vieler Häuser verräth noch
den holländischen Ursprung.
Die Wasserversorgung Pernambucos geschieht durch eine Wasser-
leitung, welche eine ausreichende Wassermenge von einer landein-
wärts von Carangà gelegenen vortrefflichen Quelle der Stadt zu-
führt. Das Wasser der beiden Flüsse eignet sich nur für den Ge-
brauch als Nutzwasser.
Die eigentliche Hafenstadt, Bairro do Recife, ist der Hauptsitz
des geschäftlichen Lebens. In ihr liegen das Landtagsgebäude, das
Comptoir der Anglo-Brazilian-Bank, das Zollamt, die Sternwarte und
das Seearsenal. Mit dem Zollamte räumlich verbunden und eine De-
[249]Brasilianische Häfen.
pendenz desselben ist die Alfandega, ein Freilager, in welchem sämmt-
liche zur Verschiffung kommenden oder zur See angelangten Waaren
eingelagert werden müssen. Das Seearsenal besitzt einen gedeckten
Stapel, der jedoch nur für kleinere Schiffe verwendbar ist; ferners be-
finden sich in demselben eine Schiffsjungenschule und kleinere Re-
paraturswerkstätten von geringer Leistungsfähigkeit. In Recife liegen
überdies noch zahlreiche Magazine, welche zur Aufbewahrung von
solchen Rohproducten dienen, die im Waarenumsatze Pernambucos
die hervorragendste Stelle einnehmen.
Pernambuco.
Im Bairro do Santo Antonio liegt die von Maurits von Nassau
erbaute Vrijborg (das jetzige Regierungspalais), ein Theater, eine Ka-
serne und ein Gefängniss, eine Markthalle, sowie endlich ein Findel-
und Waisenhaus.
Santo Antonio gegenüber, wie schon erwähnt, auf dem Fest-
lande liegt Boavista mit reizenden, von prächtigen Gärten umgebenen
Villen. In diesem Stadttheil befinden sich überdies der Palast des
Bischofs von Olinda, die Rechtsfacultät, das Gymnasium und das
grosse Spital Dom Pedro II.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 32
[250]Die atlantische Küste von Amerika.
Von den Kirchen Pernambucos zeichnet sich keine durch be-
sondere Schönheit oder prunkvollen Bau aus. Die Garnisonskirche
Nossa Senhora da Conceição besitzt ein grosses Wandgemälde, die
Schlacht von Gararápes darstellend, das den Sieg über die Holländer
zu verherrlichen bestimmt ist.
Die Befestigungen Pernambucos bestehen aus zwei Forts, die
der Einfahrt gegenüber und circa eine Seemeile von einander liegen,
zur Zeit der Holländer erbaut wurden und die Namen Bruno und
Buraco führen. Die Geschütze, aus der Zeit José I. stammend, haben
morsche Lafetten und sind, wenngleich ihres Alters halber sehens-
werth, so doch nichts weniger als den Ansprüchen der modernen
Kriegswaffentechnik genügend.
Das Klima ist ein — speciell für Europäer — noch immer un-
günstiges, obschon sich das von einer englischen Gesellschaft herge-
stellte Drainagewerk als sehr nützlich erwiesen hat. Der Wasser-
reichthum der umliegenden sumpfigen Landstrecken sowie die niedrige
Lage der Stadt dürfen wohl als die Ursachen des wenig erfreu-
lichen Gesundheitszustandes der letzteren anzunehmen sein. Glück-
licherweise hat Pernambuco relativ wenig vom gelben Fieber zu
leiden, dessen Auftreten in Brasilien übrigens seit einigen Jahren im
Allgemeinen abgenommen hat. Die Stadt besitzt erfreulicherweise aus-
reichende und vortreffliche Spitäler, von denen in erster Linie hervor-
zuheben sind: das St. Lazarus-Hospital, die Santa Aqueda, das
Hospizio di Alicuados und das Asylo di Medicidade.
Pernambuco ist in erster Linie Handelsstadt, hat aber auch
einige wichtigere gewerbliche Anstalten, wie Baumwollspinnereien,
Webereien, Oelmühlen, Schiffswerften, Maschinenfabriken, Schnupf-
tabak- und Cigarrenfabriken, eine grosse Zuckerfabrik, Rumfabriken,
eine Baumwollpresse, Mühlen, Glasfabriken, Schuhfabriken. Die Gas-
werke und die grossen Drainageanstalten sind ebenfalls bemerkenswerth.
Pernambuco hat 190.000 Einwohner und ist der wichtigste
Handelsplatz von Nord-Brasilien. Seine weit nach Osten vorge-
schobene Lage hat es zur natürlichen Zwischenstation aller nach
Südamerika bestimmten europäischen Schiffe, zum Anlegepunkt der
directen Kabel zwischen Europa und Südamerika geschaffen.
Auch die Verbindung von Pernambuco mit dem Innern ist eine
gute. Drei Dampfstrassenbahnen, auf denen immer ein ungemein leb-
hafter Verkehr herrscht, führen in die nähere Umgebung; drei Eisen-
bahnen, welche bevölkerte und fruchtbare Gegenden durchziehen,
dienen dem Fernverkehr. Die wichtigste ist die Santo Francisco-
[251]Brasilianische Häfen.
Bahn, welche nach Südwesten führt und sich bereits dem oberen
schiffbaren Santo Francisco nähert. Sie wird nach ihrer Vollendung
indirect auch eine Verbindung mit Bahia herstellen. Ein Flügel dieser
Eisenbahn geht nach dem Hafenplatze Maceió.
Die Ausfuhr beruht wie in allen tropischen Ländern auf den Naturpro-
ducten des Pflanzenreiches. Klima und Bewässerung lassen den Anbau aller tro-
pischen und zahlreicher subtropischer Pflanzen in grosser Ausdehnung für den
Export zu. Aber die Indolenz der Bevölkerung, welche genügsam von Salzfisch,
lufttrockenem Fleisch, schwarzen Bohnen und Mandiocamehl lebt, gestattet keine
Hoffnung auf die Besserung der heutigen Zustände. Man baut nur Zucker und
Baumwolle für den Export, Kaffee, Cacao und Tabak für den einheimischen Be-
darf und führt selbst Mais, Weizen und Fleisch aus Südbrasilien, den Laplata-
staaten und der Union ein.
Auf eine grössere Einwanderung aus Europa rechnen selbst optimistische
Agenten nicht.
Der erste Artikel der Ausfuhr ist Zucker. Der Anbau des Zuckerrohres,
mit dem sich heute noch in Nordbrasilien 500.000 Menschen befassen und das im
XVIII. Jahrhunderte den Stapelartikel des Landes bildete, geht stetig zurück,
weil der Anbau in höchst primitiver Weise erfolgt und nur schwächliche Pflanzen
liefert. So ist das hiesige Product auf dem Weltmarkte nicht concurrenzfähig.
Im Jahre 1888 wurden in Pernambuco 1·8 Millionen q zugeführt und davon
1·6 Millionen q nach dem Süden Brasiliens, nach den Vereinigten Staaten mit
Einschluss von Canada und nach Grossbritannien ausgeführt.
Von der erzeugten Baumwolle (1888 210.000 q) wird ein Theil im Staate
verarbeitet, ein Drittel geht in die südlichen Provinzen, das übrige nach Gross-
britannien, in die baltischen und deutschen Häfen.
Für den ausländischen Verkehr haben nur noch Baumwollsamen, Häute und
Felle einige Wichtigkeit.
Den Haupttheil der auswärtigen und inländischen Einfuhr umfassen
Nahrungs- und Genussmittel, darunter Mehl aus der Union und Oesterreich-
Ungarn, Stockfische von Neufundland, luftgetrocknetes Fleisch aus Rio Grande
do Sul und vom La Plata.
Unter den Industrieartikeln sind besonders wichtig Baumwollwaaren
aus England, Deutschland und Frankreich, ferner Eisen- und Stahlwaaren.
Die Hauptverkehrsländer sind in der Ausfuhr Grossbritannien mit Colonien,
die Vereinigten Staaten, Portugal, Deutschland und Argentinien, in der Einfuhr
Grossbritannien mit Colonien, Frankreich, Deutschland, Uruguay, Vereinigte
Staaten, Portugal, Argentinien. Pernambuco hat unter den Häfen Brasiliens die
stärkste directe Einfuhr aus Oesterreich-Ungarn aufzuweisen, so 1889 mit einem
Werthe von 1,324.599 Goldgulden.
Der gesammte Schiffsverkehr von Pernambuco umfasste:
[252]Die atlantische Küste von Amerika.
Die englische Flagge dominirt auch hier sowohl im regelmässigen Post-
verkehre als auch unter der Anzahl der übrigen den Hafen anlaufenden Schiffe.
Ihr folgen die brasilianische und die französische Flagge. Der Küstenverkehr
liegt zum grössten Theile in den Händen des brasilianischen Lloyd.
Den regelmässigen Verkehr mit Europa unterhalten die Hamburg-
Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft, die Royal Mail Steam Packet Cy.
(Southampton), die Messageries maritimes (Bordeaux), die Pacific Steam Naviga-
A grosse Zufahrt, B kleine Zufahrt, C Leitbojen, D Kabel nach St. Vincent, D1 Kabel nach Ceara,
D2 Kabel nach St. Vincent. D3 Kabel nach Bahia, E Kabelhaus, F Leuchtfeuer, G Eisenbahnstation,
H Marine-Arsenal, J Obelisk, K Commandantur, L Zollamt, M Friedhof, N Bäder.
[253]Brasilianische Häfen.
tion Cy. (Liverpool, Bordeaux), Chargeurs réunis (Hâvre), der Oesterreichisch-ungari-
sche Lloyd (Triest). Mit Ausnahme der letzten Linie laufen alle Lissabon an.
Der Verkehr mit Newport News (Va), welchen die United States and
Brazil Mail Steamship Cy. vermittelt, und der mit Baltimore durch die Red
Cross Line und Sloman’s Brazil Line, wird infolge des Reciprocitätsvertrages vom
April 1891 (Mac Kinleybill) zwischen Brasilien und der Union bald zunehmen.
Die telegraphische Verbindung mit Europa wird durch eine doppelte
Kabelleitung hergestellt, die über die Capverdischen Inseln und Madeira nach
Lissabon führt; das Kabel nach Nordamerika geht über Pará und die West-
indischen Inseln nach Florida. Nach dem Süden führt ein Kabel über Bahia und
Rio de Janeiro bis Buenos Aires. Diese Kabellinien sind sämmtlich im Besitze
der Brazilian Submarine Telegraph Company. Von S. Vincent geht eine zweite
Verbindung über S. Louis und Cadiz nach Europa.
Die wichtigsten Banken sind die English Bank of Rio Janeiro und die
London and Brazilian Bank.
In Pernambuco unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Bolivia,
Chile, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Frankreich, Gross-
britannien, Italien, Niederlande, Oesterreich Ungarn, Paraguay, Peru, Portugal,
Schweiz, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.
Kleinere Häfen, mit denselben Ausfuhrartikeln wie Pernambuco, sind im
Norden von diesem Ceará, im Süden Maceió.
Bahia.
Die bedeutendste Stadt Brasiliens nach Rio de Janeiro ist un-
streitig Bahia, deren officielle Benennung „La Cidade de Santo Sal-
vador da Bahia do Todos os Santos“ lautet.
Mit der Entdeckung der grossen Allerheiligenbai (Bahia do Todos os Santos)
durch Christovao Jacques 1503 und der ersten Colonisation durch Diego Alvarez
Corea beginnt die Vorgeschichte der jetzigen Stadt Bahia, die im Jahre 1549 auf
Befehl des Königs João III. von Portugal durch Thomas de Souza in der Aller-
heiligenbai gegründet und mit dem Namen des Heilandes — São Salvador —
benannt wurde. Die Stadt wurde als Sitz der Regierung gleichzeitig auch der
Aufenthaltsort der Aristokratie.
Im Jahre 1624 nahmen die Holländer im Kriege mit dem Portugal be-
herrschenden Spanien auch die Stadt Bahia ein, wurden jedoch ein Jahr später
besiegt und in der folgenden Zeit durch den Generalgouverneur Telles da Silva
gänzlich vertrieben.
Als Hauptstadt der Colonie genoss nun Bahia begreiflicherweise Begünsti-
gungen, die ihm den Vorrang im geistigen Leben sicherten und das moralische
und materielle Gedeihen der Stadt, das übrigens auch durch die Wohlthat des
Friedens gefördert wurde, hoben und festigten.
Wenngleich durch die Einverleibung der Gebiete von Porto Seguro und
Ilhéos namhaft vergrössert, verlor Bahia 1763 dennoch seinen Rang als Haupt-
stadt der Colonie an Rio de Janeiro. Der kirchliche Vorrang blieb jedoch Bahia
erhalten; das Bisthum der Stadt, als das erste der brasilianischen Colonie 1551
[254]Die atlantische Küste von Amerika.
gegründet, war schon 1676 zum Metropolitanerzbisthum erhoben worden. In Bahia
befindet sich überdies nebst den prachtvollsten geistlichen Gebäuden Brasiliens
auch das kirchliche Obergericht — das Relaçao Metropolitana.
Als im Jahre 1821 der Freiheitsruf erscholl, folgte Bahia demselben ohne
Zögern und zwang den portugiesischen General Madeira zur Abreise nach Portugal.
Ein republikanischer Aufstand 1837 wurde mit Waffengewalt unterdrückt.
Die unter 12° 58′ südl. Br. und 38° 31′ westl. L. (von Green-
wich) gelegene Stadt ist von einer prachtvollen, alle Wunder der
Tropenwelt in sich vereinigenden Vegetation umgeben und zieht sich
in nord-südlicher Richtung längs der Ostseite der Einfahrt der Aller-
heiligenbucht hin, die mehrere schiffbare Flüsse in sich aufnimmt
und einen geräumigen und sicheren Hafen bildet.
Eine bis nahe an den Strand reichende Hügelkette mit einem
steilen, 200 m hohen Abhang bedingt die Theilung der Stadt in eine
untere und eine obere Stadt.
Die untere Stadt — Cidade baixa, auch Praya (Strand) ge-
nannt, besteht aus einer langen, nicht allzu breiten Hauptstrasse, der
Rua Praya, die sich an einer Stelle zu einem Marktplatz erweitert,
und aus schmalen, unregelmässigen Nebengassen. In diesem Stadt-
theile befinden sich die Handelsetablissements, er enthält die Börse,
das Zollhaus, Kaufläden, Bankgeschäfte und grosse Waarenmagazine.
Die in der Rua Nova do Commercio liegenden ersten Handlungshäuser
verleihen derselben ein stattliches Aussehen. In der Cidade baixa
sind überdies noch ein kleines Seearsenal, eine Schiffswerfte, die Gas-
fabrik, der Bahnhof der Santo Francisco-Eisenbahn und die Woh-
nungen der Last- und Hafenarbeiter. Die Kirche Nossa Senhora da
Conceiçao gehört zu den ältesten Gotteshäusern Bahias und ist zur
Gänze aus einem Stein erbaut, der in der Nähe von Lissabon ge-
brochen wurde.
Die Verbindung der unteren Stadt mit der Cidade alta wird
theils durch steile Strassen und zwei Rampen, theils durch einen
sinnreichen von der Bevölkerung lebhaft benützten Elevator her-
gestellt.
Die obere Stadt ist in Styl und Bauart der Mutterstadt Lissa-
bon nachgebildet, hat schöne, grosse Häuser, breite und lange Strassen
und eine Anzahl von grösseren Plätzen, die zumeist durch Spring-
brunnen verschönert sind. Die Strassen weisen infolge des hügeligen
Terrains, auf dem die obere Stadt erbaut ist, oft bedeutende Stei-
gungen auf. In der Cidade alta liegen der Palast des Provinzgouver-
neurs, das erzbischöfliche Palais, die Kathedrale (die schönste Kirche
Brasiliens), der Justizpalast und das ehemalige Jesuitencollegium, in
[255]Brasilianische Häfen.
dessen weiten Räumlichkeiten das Hospital der Misericordia, die me-
dicinische Facultät und eine etwa 18.000 Bände enthaltende öffent-
liche Bibliothek untergebracht sind.
Bemerkenswerthe Gebäude sind noch die alte Kathedrale Sé,
die Kirche des Ordens terceira de Santo Francisco, das Benedictiner-
kloster und das Kloster da Palma, mehrere Kirchen und das Theater
Santo Joanno.
Im südlichen Theile der Stadt befindet sich in herrlicher Lage
der öffentliche Garten, Passeio publico, welcher seit 1814 besteht und
die schönste und belebteste Zierde der Stadt ist. Zum Andenken an
die im Jänner 1808 erfolgte Landung des Prinzregenten und späteren
König Joanno VI. wurde in diesem Garten ein Obelisk errichtet.
An den Passeio publico schliesst sich die Vorstadt Nossa Sen-
hora da Victoria an, in welcher sich die Capelle da Graça, die älteste
Kirche Brasiliens, befindet. Im Norden Bahias liegt die Vorstadt
Bomfiu mit dem Negerinnenkloster Nossa Senhora de Bomfiu, welches
durch seine Arbeiten mit Vogelfedern, wie zum Beispiel zierliche
Blumen-Imitationen und geschmackvolle Fächer, bekannt ist.
Die bereits erwähnte geistliche Suprematie der Stadt macht sich,
wie aus der vorstehenden Beschreibung zur Genüge ersichtlich, auch
in der grossen Anzahl geistlicher Gebäude in Bahia bemerkbar.
Die Arbeiten einer grossartigen Stadtregulirung, welche Plätze
und Squares schaffen und der armen Bevölkerung, welche 1888/89
von einer Hungersnoth zu leiden hatte, Gelegenheit zur Arbeit geben
sollte, kamen wegen Geldmangel bald zum Stillstande.
Die Bevölkerung der Stadt wird 1890 mit 80.000 Personen an-
gegeben, wovon circa 25.000 Weisse, der Rest Mulatten, Mestizen
und Neger sind. Unter den Ausländern, die sich hier niederlassen,
ist das deutsche Element stark vertreten und in stetem Zunehmen
begriffen, so dass selbes sogar die englischen Handlungshäuser schon
fast ganz verdrängt hat.
Der Provinz-Gouverneur, die Provinzialvertretung und der Erz-
bischof haben ihren Sitz in Bahia; auch befinden sich hier das Militär-
und das Seearsenals-Commando, eine Handelskammer und die Börse.
Der Verkehr zwischen der Stadt und den Vorstädten wird durch
Pferdebahnen besorgt, welche vom Centrum der ersteren nach Bomfiu
und Itapagipe sowie über Victoria nach Rio Vermelho führen.
Letztere Ortschaft, ein beliebter Ausflugsort, steht mit Bahia überdies
durch eine Dampftramway in Verbindung.
Docks sind in Bahia nicht vorhanden und dürften trotz des
[256]Die atlantische Küste von Amerika.
Drängens der Kaufmannschaft nicht sobald gebaut werden. Bei Bomfiu
liegt eine grössere Schiffswerfte, die sich auch mit Eisenschiffbau ab-
gibt. Nördlich des Seearsenales, das, wenngleich in seinen Dimen-
sionen beschränkt, dennoch durch seine Ordnung und Reinlichkeit
einen günstigen Eindruck hervorruft, befindet sich ein langer, aus
Stein gebauter Quai, der stellenweise mit Anlegeplätzen für Boote
versehen ist.
Die zehn Forts, die zwischen dem Leuchtthurm von Santo An-
tonio im Süden und der Spitze Mount Serrat im Norden gelegen sind,
Bahia.
stammen aus längstvergangener Zeit und sind nicht armirt. Das vor
der Stadt auf einem Inselchen liegende, von den Holländern erbaute
Fort do Mar oder Santo Marcello besitzt eine halbrunde Form und ist zur
Erwiderung der Geschützsalute fremder Kriegsschiffe mit zwanzig alten
Vorderladegeschützen bestückt.
Bahia besitzt eine Reihe von industriellen Unternehmungen, wie
Baumwolle und Jutefabriken, Fabriken für Schuhe, Stiefel, Hand-
schuhe, Hüte, Cigarren, Kautabak und den weltberühmten lichtbraunen
Schnupftabak, Seife und Kerzen. Die hiesigen Centralzuckerfabriken
sind die leistungsfähigsten von Brasilien.
[257]Brasilianische Häfen.
Bahia ist der zweite Handelsplatz von ganz Brasilien. Seine Aus-
fuhr zeigt eine Mannigfaltigkeit der Waaren, welche in diesem Lande einzig dasteht.
Denn in der Bai von Bahia haben vier Eisenbahnen mit zusammen 900 km Länge ihre
Kopfstation und bringen die Producte verschiedener Bodenarten und klimatischer
Gebiete an die Küste. Das Tafelland des Innern, welches bis 1000 m ansteigt, ist
geeignet für die Colonisation durch Europäer, von denen in den nächsten Jahren
A Ankerplatz für Kriegsschiffe, B Ankerplatz für brasilianische Kriegsschiffe, C Handelshafen, D Landungsplatz, E Zollamt, F Leuchtfeuer,
G Arsenal, H Fischplatz, J Theater, K öffentlicher Garten.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 33
[258]Die atlantische Küste von Amerika.
Agenten 20.000 Familien zuführen wollen. Bahia ist auch der einzige Hafen Bra-
siliens, von welchem Producte des Mineralreiches zur Ausfuhr kommen.
An der Küste gedeihen Zucker, Tabak, Mais, Reis und Mandioca.
Von diesen bildet Tabak den ersten Artikel der Ausfuhr von Bahia,
1889 mit 131.100 q (Werth 5·9 Millionen Gulden), 1888 mit 192.000 q.
Der ausgeführte Zucker stammt zum grössten Theile nicht aus dieser
Gegend, sondern von Sergipe. Die Ausfuhr geht hier wie in Pernambuco zurück
und betrug 1889 172.700 q, 1888 487.680 q, 1887 548.640 q.
Aus dem Hügellande kommen Cacao, Kaffee, Baumwolle und Weizen.
Die Ausfuhr von Cacao erreichte 1889 3,809.000 kg, die von Kaffee, der
von ausgezeichneter Qualität ist, 1889 103.256 q, 1888 68.860 q.
Producte des fernen Innern sind Kautschuk und Rosenholz. Das früher
so beliebte Jacarandaholz ist aus der Mode.
Unausgesetzt steigt die Ausfuhr von Piassava (1889 91.440 q) nach Eng-
land und über dieses nach Deutschland.
Tapioca wurde dagegen 1889 gar nicht erzeugt.
Aus dem Thierreiche ist wichtig die Ausfuhr von Ziegen-, Schaf- und
anderen Häuten (1889 12.850 q), die von amerikanischen Häusern betrieben wird.
Das Mineralreich stellt zur Ausfuhr Diamanten und Carbonados (schwarze
Diamanten), 1889 im Werthe von 800.000 fl., 1888 in dem von 750.000 fl.
Die „Turfa“-Minen, welche 100 km im Süden von Bahia liegen, liefern
Petroleum.
In der auswärtigen Einfuhr von Bahia sind Industrieartikel wichtiger als
Nahrungs- und Genussmittel.
Die Ausfuhr erreichte 1889 2,313.954 ₤, die Einfuhr 2,203.520 ₤, wobei
1 Milreïs zu 27⅛ d gerechnet wurde.
Von der Einfuhr liefert Grossbritannien zwei Fünftel, von der Ausfuhr
geht ein Fünftel direct nach deutschen Häfen, viele brasilianische Güter werden
auch über England bezogen.
Ausser diesen sind in der Einfuhr Deutschland, Frankreich, die Union,
Portugal, Uruguay und Oesterreich-Ungarn, in der Ausfuhr Grossbritannien, Frank-
reich und Belgien zu nennen.
Der Schiffsverkehr von Bahia umfasste:
Von dem Verkehre des Jahres 1889 entfielen auf die britische Flagge 28 %,
an sie reihten sich die deutsche, die brasilianische, die französische, die amerika-
nische, österreichisch-ungarische und norwegische Flagge.
Die regelmässigen Linien fremder Dampfschiffahrtsgesellschaften, die
Bahia anlaufen, sind: die Hamburg-Südamerikanische Dampfschiffahrtsgesellschaft,
die Compagnie des Chargeurs Réunis und die Liverpool-Brazil and River Plate Steam
Company mit je drei Dampfern monatlich, die Pacific Steam Navigation Company
und die Royal Mail Steam Packet Company mit je zwei Dampfern monatlich, die
Messageries maritimes und der Norddeutsche Lloyd mit je einem Dampfer im
Monate und der österreichisch-ungarische Lloyd sechsmal im Jahre. Von New-
[259]Brasilianische Häfen.
port News (Va) kommt die United States and Brazil Mail Steamship Cy. Ausser
diesen und den übrigen unregelmässig eintreffenden fremden Dampfern wird Bahia
auch noch von den Küstendampfern nationaler Flagge angelaufen.
In dieser Stadt hat auch eine Flussschiffahrtsgesellschaft ihren Sitz, welche
die Dampfschiffahrt auf dem Jequitinhonha bis Cachoeirinha, auf dem Paraguassú
bis zu dem durch seine zahlreichen Cigarrenfabriken bekannten Cachoeira und
auf dem São Francisco bis zu den 80 m hohen Sattos de Paulo Affonso betreibt.
In Bahia selbst ist Kopfstation der Bahia São Francisco-Eisenbahn, welche
schon 1892 den oberen schiffbaren São Francisco erreichen soll.
An der Bai von Bahia enden überdies drei Eisenbahnen. Grössere Bedeu-
tung hat nur die Brasilianische Central-Bahia-Eisenbahn, welche von dem eben
genannten Cachoeira ausgeht.
Die wichtigsten Banken sind die Banco da Bahia, die Banco Uniao da
Bahia und eine Succursale der English Bank of Rio de Janeiro.
In Bahia unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Bolivia, Chile,
Columbia, Dänemark, Deutsches Reich, Grossbritannien, Oesterreich-Ungarn, Peru,
Portugal, Schweiz, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.
Rio de Janeiro.
Rio de Janeiro, officiell La Cidade de São Sebastiao do Rio
de Janeiro genannt und durch den Titel „muito leal e heroica“ (sehr
loyal und heldenmüthig) geehrt, ist der bedeutendste Seehafen
und die Hauptstadt Brasiliens liegt an der westlichen Seite der gleich-
namigen Bucht und ihr Anblick „voll huldvoller Anmuth und hoher
Majestät“ zählt unstreitig zu den schönsten der Erde.
Dias de Solis war der Erste, der diese Bucht 1515 anlief; ihm folgten
1519 Magelhaens und am 1. Jänner 1531 Alfons de Souza. Die enge Einfahrt der
Bucht, ihre weite Erstreckung ins Innere des Landes sowie die zahlreichen in ihr
liegenden Inseln, erweckten in Souza den Glauben, die Mündung eines mächtigen
Flusses entdeckt zu haben, dem er den Namen Rio de Janeiro — Januariusfluss
— beilegte. Die Ureinwohner nannten die Bucht Nictheroy (verborgene Wässer),
welcher Name sich für die der Stadt Rio de Janeiro in der Bucht gegenüber
liegender Hauptstadt der Provinz Rio de Janeiro erhalten hat.
Ungeachtet der hervorragenden landschaftlichen Reize der Bai und der
grossen Fruchtbarkeit des angrenzenden Landes blieb dieselbe lange Jahre unbe-
achtet, bis 1555 der Franzose Durand de Villegagnon, vom Admiral Coligny
unterstützt, daselbst eine hugenottische Niederlassung gründete. Als sich Ville-
gagnon wieder nach Europa begab, um neue Ansiedler zu werben, zerstörten 1560
die portugiesischen Brasilianer unter Mem de Sá das Fort Coligny und vertrieben
in den nächsten Jahren die Franzosen gänzlich. Dies und die 1566 erfolgte Grün-
dung der Stadt Rio de Janeiro durch Estaçio de Sá stellte die portugiesische
Herrschaft her.
Im Jahre 1710 versuchte ein französisches Geschwader unter Duclere die
Stadt einzunehmen, wurde aber vollständig vernichtet, weshalb im folgenden Jahre
33*
[260]Die atlantische Küste von Amerika.
eine grössere französische Flotte unter Duguay-Trouin Rio de Janeiro einnahm,
nach Erhalt eines Lösegeldes von 600.000 Cruzados jedoch wieder absegelte.
König José I. erhob Rio de Janeiro zur Hauptstadt des Vicekönigthums,
doch nahm dieselbe erst dann einen rascheren Aufschwung, als sie von dem durch
Napoleon I. vertriebenen König João VI. zur Residenz gewählt wurde. König
João’s Sohn wurde am 7. September 1822 zu Rio de Janeiro als Pedro I. zum
Kaiser von Brasilien ausgerufen.
Die wiederholten Gährungen im Reiche zeigten sich zu Rio in den Auf-
ständen von 1821, 1823 und 1831, doch schritt die Entwicklung der Stadt hievon
unbeeinflusst fort.
Der Sturz des Kaiserreiches am 15. November 1889 durch Marschall Fon-
seca machte aus der kaiserlichen Residenzstadt die Hauptstadt der Vereinigten
Staaten von Brasilien.
Schiffe, die Rio de Janeiro anlaufen, sichten zuerst das auf
30 Seemeilen von der Bucht gelegene Cap Frio, ein mächtiges Vor-
gebirge mit charakteristischer Felsformation, bald darauf aber auch
schon die Höhenzüge, welche die Bucht umsäumen und stellenweise
bis dicht an das Ufer herantreten. Im Westen erhebt sich der be-
waldete, steil abfallende und mit einem Lusthause gekrönte Gipfel
des Corcovado, hinter diesem die markante Gestalt des Gabia und
mehr landeinwärts die Spitze des Tijuca. Weiter entfernt liegen die
Serras dos Orgãos, de Estrella, de Tingua und de Viuva. Am meisten
ins Auge fallend ist jedoch der 387 m hohe Pão de Açucar, der
Zuckerhut, der mit seinem steilen Abfalle die kleine, flache, mit dem
Fort João besetzte Landzunge begrenzt, welche die westliche Seite
der Einfahrt bildet. Oestlich der Einfahrt liegen das Fort Santa Cruz
und der 228 m hohe Pico. Vor und in der Einfahrt findet man häufig
hohe See und eine zumeist seewärts tragende Strömung. Innerhalb
der Bucht, doch noch der Einfahrt nahe, liegt eine kleine Felseninsel
mit dem Fort Lage, der Sanitätsstation.
Die Bucht von Rio de Janeiro, deren Mittelrichtung von Süd-
südwest nach Nordnordost liegt, hat eine keilförmige Gestalt; während
die Einfahrt kaum eine Seemeile breit ist, beträgt die Ausdehnung
der Bucht an deren Begrenzung 13 Seemeilen. Unter den 47 in der
Bucht liegenden Inseln ist die im nordwestlichen Winkel befindliche
Ilha do Governador die grösste, für die Schiffahrt sind jedoch die
Inseln Lage und Villegagnon sowie die Ilha dos Cobras die wich-
tigsten. Innerhalb der Verbindungslinie Villegagnon—Cobras können
tiefer gehende Schiffe nicht mehr liegen. Die Ufer der Bucht sind
durch Einschnitte und vortretende Landzungen stark gegliedert. An
der Westseite liegt Rio mit seinen Vorstädten Botafogo, Catete, da
[261]Brasilianische Häfen.
Gloria und São Cristovao, an der Ostseite Nictheroy und im Hinter-
grunde der Bucht die Stadt Mauá.
Der Anblick von Rio de Janeiro geniesst mit Recht einen Welt-
ruf; nur jener von Neapel und des Goldenen Hornes kommen ihm
gleich. Die Stadt breitet sich am Ufer aus, ihre von der herrlichsten
und üppigsten Tropenvegetation umgebenen Villen an den umliegenden
Hügeln, auf deren Höhen sich zumeist Kirchen oder Klöster befinden,
emporschiebend; die gartenreichen Vorstädte erstrecken sich tief in
den Hintergrund der Botafogo-Bai. Hinter der Stadt erhebt sich der
Moro do Castello mit der ältesten Kirche der Stadt, an seinem Fusse
liegt die grosse Santa Casa di Misericordia, nach Osten zu bildet er
die scharfe Punta do Calabouço, auf welcher ein Theil des See-
arsenals liegt. Hier beginnt die eigentliche Stadt, die seit dem Jahre
1834 als Reichshauptstadt ausserhalb des Provinzialverbandes steht
und als Municipio Neutro bezeichnet wird.
Die Stadt ist Sitz der Centralregierung, der Versammlungsort
der Kammern und die Residenz der in Brasilien accreditirten Gesand-
schaften.
Die Bevölkerungszahl Rios betrug 1890 500.000 Personen und
ist in stetem Zunehmen begriffen. Unter den Ausländern sind nach
den Portugiesen, welche in ihre Heimat zurückkehren, wenn sie sich
einiges Geld erspart haben, die Franzosen, denen die reichsten Ver-
kaufsläden gehören, am zahlreichsten vertreten; dann kommen die
Deutschen, die zumeist Kaufleute, Gastwirthe und Handwerker sind
und eigene Schulen, seit 1845 auch eine protestantische Kirche und
den „Germania“-Club haben; sodann folgen die Engländer, die im
Grosshandel die erste Stellung einnehmen.
Rio de Janeiro besteht aus einer Altstadt, einer 1808 entstan-
denen Neustadt und den bereits genannten Vorstädten. Die Altstadt
zieht sich in unregelmässiger Anlage längs des Meeresufers hin und
wird von der mehr landeinwärts liegenden Cidade nova durch einen
grossen, Campo Santa Anna oder auch zur Erinnerung an die Un-
abhängigkeitserklärung Brasiliens Praça de Acclamação genannten
Platz getrennt, welcher mit schönen Parkanlagen bepflanzt ist und
von einem kleinen Flüsschen durchschnitten wird. An diesem Platze
liegt das reichhaltige und sehenswerthe Nationalmuseum, der grosse
Municipalpalast, die Volksschule der Pfarre Santa Anna, das Central-
Telegraphenbureau, das Kriegsministerium, eine Kaserne, die Münze
und der elektrisch beleuchtete Bahnhof der Dom Pedro II.-Eisenbahn.
Im Innern der Altstadt sind die Häuser klein und niedrig, aus
[262]Die atlantische Küste von Amerika.
Stein gebaut und ohne architektonischen Schmuck, die öffentlichen
Gebäude nur selten bemerkenswerth. Die Strassen sind eng und nicht
rein, doch durchkreuzen sie sich zumeist unter rechten Winkeln. Das
regste Geschäftsleben findet sich in den Parallelstrassen, die das
Meeresufer mit dem Constitutionsplatze — Praça do Constitução —
verbinden. Dieser Platz ist ebenfalls mit Parkanlagen versehen und
mit einem durch Volkssubscription errichteten Reiterstandbild Dom
Pedro’s I. geschmückt, das den Kaiser die Constitution überbringend
darstellt. Der Sockel ist mit allegorischen Figuren verziert, welche
die Ströme und Völker des Reiches versinnlichen. An diesem Platze
liegt auch das Ministerium des Innern und das zweite Theater der
Stadt, das 1813 eröffnete Teatro São Pedro d’Alcantara.
Die bedeutendste Strasse der Altstadt ist die Rua Direita, gegen-
wärtig officiell Rua Primeiro Março benannt. Sie ist breiter als die
übrigen Strassen, mit kleinen Steinquadern gepflastert und führt vom
Kloster São Benito, das eine reiche und schöne Kapelle besitzt, süd-
lich bis zum Largo do Paço, an welchem das ehemalige kaiserliche
Palais, das Handelsministerium, das Abgeordnetenhaus und die Markt-
halle liegen. Das Palais ist ein grosser Steinbau, in altportugiesischem
Style ausgeführt. Zuerst Residenz der Vicekönige und für einige Zeit
auch João’s VI., diente es in den letzten Jahrzehnten nur für Gala-
empfänge des Hofes und enthielt auch schon zu dieser Zeit verschie-
dene öffentliche Aemter. Die Rua Primeiro de Março ist sehr belebt
und der Sitz der Kaufleute; in ihr befindet sich die Börse, das Zoll-
haus, die Kathedrale und das Postgebäude. Die Börse, ehemals ein
Theil des Zollamtes, wurde 1834 von der Regierung ihrer jetzigen
Bestimmung abgetreten, seither jedoch durch einen hübschen Neubau
ersetzt; die Kathedrale Nossa Senhora do Carmo ist sowohl durch
ihr Aeusseres als auch durch die innere Ornamentik eine der schönsten
Kirchen der Stadt; das Postgebäude ist sehr einfach, jedoch geräumig.
Am Ende der Rua Primeiro de Março befindet sich das Seearsenal
mit dem Amtssitze des Marineministers.
Die in die Rua Primeiro de Março einmündende Rua do Ouvidor,
der Broadway Rios, ist die eleganteste Strasse der Stadt und reich
an luxuriös ausgestatteten Läden, doch macht deren Enge auf den
Fremden einen auffälligen Eindruck. In ihr befinden sich die Redac-
tionen der ersten Tagesblätter der Hauptstadt und die 40.000 Bände
enthaltende Bibliothek Fluminense. Die Rua do Ouvidor führt zu dem
Platze Largo de São Francisco de Paulo, in dessen Mitte José Boni-
facio de Andrade ein mit den allegorischen Figuren der Gerechtig-
[263]Brasilianische Häfen.
keit, Geschichte, Poesie und Wissenschaft geschmücktes Monument
errichtet wurde.
Die Rua do Ourives ist der Sitz der Goldarbeiter und der Uhr-
macher. Die São José-Strasse, welche vom Quai Pharoux zum Carioca
Platz führt, enthält die geräumige, im Styl Ludwig XVI. erbaute São
José-Kirche an der Ecke der Rua da Misericordia und die Kirche
Nossa Senhora do Parto an der Ecke der Rua do Ourives, die weder
das Aeussere eines Gotteshauses, noch ein bemerkenswerthes Inneres
besitzt. Die Kirchen Rio de Janeiros sind zumeist mit goldenen und
silbernen Ornamenten überladen, doch sind bei manchen derselben die
Dachsparren zu sehen. Die hervorragendsten Gotteshäuser sind die
Candelariakirche, deren Bau 1775 begonnen wurde, und die bereits
erwähnte Kapelle des reichen Klosters São Benito.
Die Strassen der Cidade nova sind breiter, doch weniger belebt
als jene der Altstadt; die Vorstädte zeichnen sich durch hübsche
Villen und prächtige Gärten aus. In der Vorstadt Matoporcos, süd-
östlich vom Morro do Sao Rodrigues, befindet sich ein grosses Straf-
haus. An diese Vorstadt grenzt Engeho velho, an letzteres São Chri-
stovao mit dem überaus herrlich gelegenen, ehedem kaiserlichen Lust-
schlosse Boa Vista.
Südöstlich von der Altstadt liegt zunächst die Vorstadt Ajudá,
dann da Gloria mit dem Volksgarten, der Nationalbibliothek und
einem reich ausgestatteten Club, dem Casino Fluminense. Der Volks-
garten — Jardim publico — ist ein beliebter Versammlungsort Rio
de Janeiros und bildet mit seinen Gruppen von Bäumen mit über-
hängenden Aesten, bunten Schmarotzerpflanzen, schattigen Spazier-
gängen und kühlen Springbrunnen einen der schönsten Punkte der
Stadt und dabei von seiner an der Seeseite gelegenen Terrasse einen
prächtigen Ausblick über den Gloriahügel und den Zuckerhut. Die
Nationalbibliothek ist mit den Statuen der beiden Kaiser und der
Büste Dom João’s VI. geschmückt und enthält 200.000 Bände.
Unter der Serra do Carioca liegt Cateba mit vielen Villen und
dem Spitale des portugiesischen Wohlthätigkeitsvereines, südlich hie-
von der prachtvolle Hügel Morro da Gloria, mit Palmen und Bananen
reich bedeckt, mit einem kleinen Kirchlein. Im Hintergrunde der Bota-
fogobai, bis an den Berg Alto do Corcovado hin, auf welchen eine
Zahnradbahn führt, liegt die Vorstadt Botafogo mit der grossen 1852
errichteten Irrenanstalt Dom Pedro’s II. und der Militärschule, die sich
in einer befestigten Kaserne, dem Quartél de Praia Vermelha befindet.
Südwestlich hievon liegt der botanische Garten mit seiner berühmten
[264]Die atlantische Küste von Amerika.
Allee von Königspalmen. In diesem Garten hat das Ackerbauinstitut
eine vortreffliche theoretische und praktische Ackerbauschule — das
Asylo agricola — gegründet.
Zur Verbindung der Stadttheile und Vororte untereinander dient
ein gut angelegtes Netz von Strasseneisenbahnen, deren Wagen von
Maulthieren gezogen werden und ausser für den Personenverkehr
auch zur Beförderung von Lasten verwendet werden.
Rio de Janeiro ist glänzend mit Gas beleuchtet, Polizei und
Feuerwehr sind vortrefflich organisirt. Die Stadt ist auch gut cana-
lisirt und durch drei Wasserleitungen vom Corcovado und von der
Serra da Tijuca reichlich mit Wasser versorgt. Die bedeutendste der-
selben ist die Wasserleitung von Carioca, die schon 1750 vollendet
wurde und unter Anderem auf dem Carioca-Platze eine zwar monu-
mental nicht hervorragende, doch sehr reichliche Fontaine speist.
Uferbauten für das Anlegen der Schiffe sind nur in sehr ge-
ringer Anzahl vorhanden, das Vertäuen der Schiffe an Quais zum
Aus- und Einschiffen der Ladung ist nicht möglich, doch sind für
letzteren Zweck zahlreiche Lichterboote und Schlepper vorhanden. Der
einzige bedeutendere Quai befindet sich vor dem ehemaligen kaiser-
lichen Palais. Hier sind ausser einem Bootshafen mehrere gute An-
legeplätze für Boote, das alte Zollhaus und der in tieferes Wasser
reichende Molo der Ferryboats-Gesellschaft.
Rio de Janeiro ist befestigt und der Central-Kriegshafen der bra-
silianischen Flotte. Die Befestigungen sind alt, aus Stein gemauert;
sie stammen noch aus der Zeit der portugiesischen Herrschaft und sind,
wenn auch mit modernen Geschützen versehen, so doch kaum dem
Stande der modernen Artillerie gewachsen. Die Vertheidigungslinie
an der Hafeneinfahrt bilden die Forts Santa Cruz, San Juan und
Lage, sowie eine Batterie auf der Insel Contunduba; im Inneren
der Bucht liegen die Forts Villegagnon, Gravata und Boa Viagen, so-
wie einige Befestigungen auf der Ilha dos Cobras.
Als die Residenz des Vicekönigs von Bahia nach Rio de Ja-
neiro verlegt wurde, ward letztere Stadt auch der Mittelpunkt des
geistigen Lebens in Brasilien. Von den zahlreichen wissenschaftlichen
Anstalten und Schulen der Stadt seien insbesondere hervorgehoben:
Das Collegio de Dom Pedro II., eine medicinische Facultät, die poly-
technische Schule, die Handelslehranstalt, eine Gewerbeschule, die
Kriegsschule und die Marineschule, das Conservatorium der Musik,
das astronomische und meteorologische Observatorium (22° 54′ 24″ südl.
Breite, 43° 10′ 21″ westl. Länge), das Nationalmuseum und die Natio-
[[265]]
Rio de Janeiro.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 34
[266]Die atlantische Küste von Amerika.
nalbibliothek neben mehreren anderen Museen und Bibliotheken, das
historisch-geographisch-etnographische Institut und schliesslich die
Akademie der schönen Künste mit Gemälde- und Sculpturensamm-
lungen.
Unter den zahlreichen Wohlthätigkeitsanstalten ist das in der
Nähe der Calabouçospitze liegende Krankenhaus Santa Casa di Mi-
sericordia die bedeutendste. In grossartiger Weise angelegt, den An-
sprüchen der modernen Hygiene vollkommen entsprechend, vermag
dasselbe 1200 Kranke aufzunehmen und verfügt über ein Vermögen
von 17 Millionen Milreïs. Das Hospizio dos Lazaros für Aussätzige,
das Hospizio de N. S. da Sanda, das Hospital de Beneficienza Por-
tugueze, das Spital do Carmo und das Hospizio São Antonio, zwei
Militärlazarethe, das Waisenhaus, das Findelhaus, das Blinden- und
Taubstummeninstitut, die Erziehungsanstalt Santa Theresa und die schon
erwähnte grosse Irrenanstalt verdienen ebenfalls genannt zu werden.
Rio de Janeiro ist vorwiegend eine grosse Handelsmetropole, be-
sitzt jedoch auch bedeutende gewerbliche Anstalten, wie Tabak- und
Cigarrenfabriken, Brauereien und Destillationen, Getreidemühlen und
eine grosse Brotfabrik, Sägemühlen, Oelpressen, Diamantschleifereien,
Maschinenbau-, Baumwoll-, Schafwoll-, Segeltuch- und Jutefabriken,
Gerbereien und Schuhfabriken, Hutfabriken, Eisfabriken, Kerzen- und
Seifenfabriken, Möbelfabriken.
Die zahlreichen kleineren Geschäfte für Gold- und Silberwaaren
sind in den Händen von Spaniern und Portugiesen.
Das Seearsenal ist für den Bau kleiner Schiffe und für Repara-
tursarbeiten eingerichtet und liegt theils auf der Ilha dos Cobras,
theils auf dem Festlande. Auf letzterem befinden sich die Stapel und
die meisten Werkstätten. Die Stapel sind höchst einfach gedeckt, nur
einer derselben erreicht grössere Dimensionen. Der Arsenalstheil auf
der Ilha dos Cobras enthält zwei Trockendocks, die aus dem Gestein
ausgehauen wurden, eine Tischlerei, ein grosses Magazin, ein Spital
und eine Kaserne. Das Seearsenal beschäftigt 1500 Arbeiter.
Ausser den Docks des Seearsenals besitzt Rio de Janeiro auch
noch mehrere Privatdocks, in denen Schiffe bis zu 2000 t Aufnahme
finden können. Die Ausbesserung aller Gattungen Havarien ist leicht
durchführbar, Lebensmittel, Kohle und Wasser nach Bedarf erhältlich.
Der Umfang der Handelsthätigkeit von Rio de Janeiro ist ein bedeuten-
der, denn mehr als die Hälfte des auswärtigen Handels von Brasilien nimmt
seinen Weg über diesen Hafen. Rio ist einer der bedeutendsten Handelsplätze
der neuen Welt überhaupt.
[267]Brasilianische Häfen.
Als reiche Hauptstadt und Hafen des wohlhabendsten Theiles von Brasilien
bildet es den Mittelpunkt der Einfuhr des Landes, deren Antheil an dem Werthe
des Handels von Rio de Janeiro schon mehr als die Hälfte ausmacht.
Langsam sinkt dafür der Werth der Ausfuhr, welche zu mehr als neun
Zehnteln aus Kaffee, dem heutigen Stapelartikel des Landes besteht, worin Bra-
silien den Weltmarkt beherrscht, da es drei Fünftel dieses Genussmittels liefert.
Ueber Rio de Janeiro, dessen Handelsgebiet durch das Vordringen der
Eisenbahnen in das Innere schon gewaltige Länderstrecken umfasst, welche der
Einwanderung aus Europa sehr günstig sind, geht der Haupttheil des Handels der
Staaten Rio de Janeiro, Minas Geraes und Espirito Santo. Das Gebiet der Ein-
fuhr ist noch grösser, da in werthvolleren Waaren auch São Paulo von unserem
Hafen abhängig ist.
Die Einfuhr beherrschen portugiesische Firmen.
Rio de Janeiro ist ferner der erste Börse- und Bankplatz Brasiliens,
und seine verhältnissmässige Wichtigkeit muss bei der entschieden centralisirenden
Tendenz der heutigen Staatsbanken sich noch weiter steigern.
Von Kaffee wurden 1889 1,729.400 q, 1888 1,998.100 q, 1887 1,344.530 q
ausgeführt, davon geht der grösste Theil (1889 1,074.300 q) in die Union, und
zwar nach New-York, das übrige nach dem Canal und Nordeuropa (328.400 q),
und zwar nach Hamburg, Hâvre, London, Antwerpen und Southampton, nach den
Mittelmeerhäfen Triest, Marseille und Genua (150.500 q), nach Capland, Argen-
tinien, Chile und Uruguay.
Gegenüber den 97 Millionen Goldgulden für ausgeführten Kaffee ver-
schwindet der Rest von ungefähr 7 Millionen Goldgulden, der auf den Export-
werth der anderen Artikel fällt.
Der Anbau des Zuckerrohres lohnt sich in dem Handelsgebiete von Rio de
Janeiro nicht, weil er ganz primitiv betrieben wird.
Nach Nordamerika und England ging 1889 Zucker nur im Werthe von
396.000 Goldgulden.
Die Hauptmenge des erzeugten Zuckers wird verbraucht zur Herstellung
des beliebten Zuckerbranntweins (caxaça). Zur Deckung des localen Bedarfes wird
Zucker aus Pernambuco und Bahia, neuerdings auch aus dem Süden zugeführt.
Eingemachte Früchte, Mandioca- und Tapiocamehl, Tabak in Rollen und
Blättern und präparirter Tabak gehen nach Argentinien und Uruguay, Schnupf-
tabak nach Grossbritannien, Jacarandaholz nach Frankreich, Gummi elasticum vom
Mangabaum nach Frankreich und Grossbritannien.
Von Producten des Thierreiches werden Häute (1889 38.998 q) und Kuh-
hörner nach Frankreich und dem Canal versendet.
Grösseren Werth hat auch die Ausfuhr von rohen Diamanten (1889
2324 q) von Krystallen nach Grossbritannien und Frankreich, von gemünztem
Gold nach Uruguay und Argentinien und von Barrengold nach Grossbritannien.
Den wichtigsten Theil der Einfuhr bilden Manufacturwaaren. Von den
Baumwollwaaren (1888 55.017 Ballen) liefert England vorzugsweise billige
Waare (Werth 1889 21·5 Millionen Goldgulden), bessere kommt aus Deutschland,
Frankreich, Oesterreich-Ungarn, Belgien und der Union. In Baumwollzwirn, in
Spulen- und Häckelgarn beherrscht Paisley in Schottland den hiesigen Markt.
34*
[268]Die atlantische Küste von Amerika.
In Schafwollwaaren (1888 6778 Ballen) steigt auch hier der Verbrauch
von Kammgarnstoffen, derjenige von Tuchen vermindert sich zusehends. Die
Hauptlieferanten sind England (Werth 1889 4 Millionen Goldgulden), Deutsch-
land, Frankreich, Belgien, Oesterreich-Ungarn.
Seidenwaaren kommen aus Frankreich (1889 für 1·5 Millionen Gulden),
England und Deutschland.
Leinenstoffe werden hier zu Kleidern, aber nicht zu Wäsche verarbeitet.
Dafür sind Spitzen jeder Art und Provenienz ein grosser Artikel des
hiesigen Marktes.
Wegen des hohen Zolles können nur mehr bessere Wirkwaaren aus
Deutschland, Frankreich und Spanien eingeführt werden.
Wäsche und Hüte liefern Oesterreich und Deutschland, Damenkleider
Frankreich.
Der Absatz von Miedern ist seit Aufhebung der Sclaverei riesig ge-
stiegen, denn jede Negerin will durch das Tragen eines Mieders sich als freies
Wesen documentiren.
Weil Damenhandschuhe ein sehr grosser Verbrauchsartikel des hiesigen
Platzes sind, wird viel französisches Handschuhleder eingeführt, Damenschuhe
kommen aus Oesterreich-Ungarn und Paris, Herrenschuhe aus England, Frank-
reich und Deutschland.
Papier, heute noch ein lohnender Zweig der Einfuhr, kommt meist aus
Hamburg.
Mit Möbeln aus gebogenem Holze versorgt Oesterreich-Ungarn den Markt.
Den so bedeutenden Bedarf an Maschinen decken England, Deutschland
und die Union.
Messerschmiedwaaren kommen aus Deutschland, Bijouterien aus Frankreich,
der Union und Nordböhmen.
Umfangreich ist die Einfuhr von Thon-, Porzellan- und Glaswaaren aus
Deutschland, England, Frankreich, Belgien und Oesterreich-Ungarn.
Zündhölzchen liefert Schweden.
In der Gruppe der Nahrungs- und Genussmittel ist wichtig Mehl, welches
aus der Union und Oesterreich-Ungarn eingeführt wird.
Weizen beziehen die zwei hiesigen Dampfmühlen aus Oesterreich-Ungarn,
Russland (Odessa), der Union und von La Plata.
In Teigwaaren (1889 60.502 Kisten) ist das italienische Fabricat mass-
gebend, soweit nicht die einheimische Industrie schon den Bedarf deckt.
Mais (1889 900000 Säcke) wird zum grössten Theile von La Plata zu-
geführt.
Die Einfuhr von Bier (44.040 Kisten und 553 Fässer) besorgt meist
Deutschland, Wein kommt überwiegend aus Portugal, dann aus Bordeaux, Genua
Marseille, Triest und Fiume. Der Absatz ungarischer Rothweine vergrössert sich,
aber auch die Anpflanzung des californischen Weinstockes im Lande selbst.
Naturbutter sendet Frankreich, getrocknete Fische Neufundland, ge-
trocknetes Fleisch kommt aus Argentinien und Uruguay, Fettwaaren aus den-
selben Ländern und der Union.
Wichtig ist die Einfuhr von Holz aus der Union und Canada, von Petro-
leum (407.644 Kisten) aus der Union, und von Steinkohlen (4,049.750 q) aus
England.
[[269]]
A Zufahrt von See, B Ankerplatz für Kriegsschiffe, C Ankerplatz für Handelsschiffe, D Zollamt
E Klöster, F Leuchtfeuer.
[270]Die atlantische Küste von Amerika.
Rio de Janeiro wird auch aus den anderen Staaten Brasiliens auf dem
Seewege mit manchem versorgt. Hieher gehören „Carne secca“ (getrocknetes
Fleisch), Fettwaaren, Mandiocamehl und Tabak aus Rio Grande do Sul, schwarze
Bohnen von Porto Alegre und Santa Catharina, Baumwolle und Zucker aus Nord-
brasilien.
Handel von Rio de Janeiro in Goldgulden:
Der Schiffsverkehr von Rio de Janeiro umfasst:
Im Jahre 1888 erreichte der Gesammtverkehr 4793 Schiffe mit 4,121.020
Tons, 1887 4640 Schiffe mit 3,436.317 Tons.
Die brasilianische Flagge ist (1889) an dem Schiffsverkehre von Rio de
Janeiro mit kaum 9 % betheiligt und besorgt etwa zwei Drittel des Küstenver-
kehres. Weitaus den ersten Rang nimmt hier die englische Flagge ein, und zwar
nicht nur mit Dampfern, sondern auch mit einer starken Tonnenzahl der Segel-
schiffe. Der Antheil der französischen Flagge ist noch etwas grösser als der der
deutschen, doch zeigt letztere seit Jahren eine kräftig steigende Tendenz. Weit
kleiner ist die Betheiligung der nordamerikanischen, italienischen, österreichisch-
ungarischen und der norwegischen Flagge.
Den regelmässigen Seepostverkehr vermitteln dermalen monatlich
15 Dampfer mit Europa und zwei Dampfer mit Nordamerika, die Verbindung der
Küstenstädte untereinander, an der sich auch drei nationale Schiffahrtsgesellschaften
betheiligen, ist bei weitem häufiger. An der Verbindung mit Europa participiren
mit regelmässigen Fahrten: die Royal Mail Steam Packet Company (Fahrzeit von
Southampton 21 Tage, von Lissabon 17 Tage) mit drei Dampfern monatlich, die
Messageries maritimes (Bordeaux), die Chargeurs Réunis (Hâvre), die Hamburg-
Südamerikanische Dampfschiffahrtsgesellschaft, die Navigazione Generale Italiana
(Genua) und die Pacific Steamship Company, die United States and Brazil Steamship
Company (Newport News) mit zwei Dampfern monatlich, die deutsche Gesellschaft
Kosmos mit Dampfern in Intervallen von drei Wochen, der Norddeutsche Lloyd,
die Hansa, die italienische Gesellschaft La Veloce, die Mala Real Portugueza
(Lissabon), Slanan’s Brazil Line (Baltimore) mit je einem Dampfer monatlich,
endlich der österreichisch-ungarische Lloyd und die Adria in der
Kaffeesaison. Nationale Küstenschiffahrtsgesellschaften mit dem Sitze in Rio de
Janeiro sind die Companhia Nacional de Navigação per Vapor und die Companhia
Brazileira de Navigação per Vapor. Die Companhia de Navigaçao Espirito Santo
e Caravellas besitzt nur fünf kleinere Dampfer.
Von Bedeutung für den Verkehr mit Europa dürfte der neugegründete
[271]Brasilianische Häfen.
brasilianische Lloyd werden, der auch bestimmt ist, eine Reihe der nationalen
Küstenschiffahrtsgesellschaften in sich aufzunehmen.
Dieser Schiffsverkehr verdankt einen Theil seines Lebens der Einwan-
derung aus Europa nach Rio de Janeiro und Santos, welche 1889 65.161, 1888
98.495 Menschen erreichte.
Die meisten Einwanderer kamen früher aus Portugal, doch bleiben
diese, wie schon erwähnt, dem Lande nicht erhalten, gegenwärtig aus Italien
direct oder über den La Plata, wo jetzt infolge einer grossen Geschäfts-
krise so wenig Gelegenheit zum Erwerbe ist. Am besten gedeihen in den Ge-
genden, welche unter dem Einflusse von Rio stehen, die Spanier und Portugiesen.
Auch Deutsche und in neuester Zeit Russen landen in Rio de Janeiro, um Bra-
silien neue Arbeitskräfte zuzuführen.
Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass der Einwanderung der tüchti-
gen Deutschen mehr als das Klima die religiöse und nationale Unduldsamkeit
der portugiesischen Bevölkerung im Wege steht.
An dem Ausbaue des Eisenbahnnetzes wird eifrig gearbeitet. Die im
Staatsbesitze befindliche Estrada de Ferro Dom Pedro II. hat ihren Bahnhof in
Boa Vista, dem nordöstlichsten Stadttheile. Sie besitzt mehrere schmalspurige
Abzweigungen; die Hauptstrecke theilt sich bei Barna do Pirahy in zwei Aeste,
von denen einer nach Ouro Preto in der Provinz Minas Geraes, der zweite nach
São Paulo führt und dort mit Santos in Verbindung steht. Eine weitere schmal-
spurige Eisenbahn führt von dem Nordende der Bai nach Petropolis. Von Nic-
therop führt die Strada de Ferro da Cantagallo nach Novo Friburgo und Rio
Bonito, sowie auch in die Zuckerdistricte von Campos.
Die überseeische Telegraphenverbindung Rio de Janeiros wird durch
das Kabel der Western Brazilian Submarine Telegraph Company (Limited) mit
Bahia, Rio Grande do Sul und Montevideo, sowie über Bahia mit Nordamerika,
Europa, Madeira und den Canarischen Inseln vermittelt. Die Stadt besitzt auch
ein ausgebreitetes Telephonnetz.
Den Postdienst zu Lande besorgen theils die Eisenbahnen, theils die Boten
der einzelnen Fazendeiros.
Rio ist mit Santos telephonisch verbunden.
Rio de Janeiro ist der Sitz einer Börse, eines Clearinghauses und
zahlreicher Banken, unter welchen die Ende 1890 gegründete und mit seltenen
Privilegien ausgestattete Banco da Republica des Estados Unidos do Brazil alle
anderen weit übertrifft. Von ausländischen Unternehmungen sind wichtig die
English Bank of Rio de Janeiro, die London and Brazilian Bank und Succursalen
von Banken aus Porto.
Von grosser Bedeutung für den Handel der Stadt ist auch die Associaçao
commercial do Rio de Janeiro.
In Rio de Janeiro unterhalten Consulate: Argentinien, Bolivia, Chile,
Columbia, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Frankreich,
Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Peru, Por-
tugal, Russland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Uruguay, Venezuela,
Vereinigte Staaten von Amerika.
[272]Die atlantische Küste von Amerika.
Santos.
Santos, eine erst seit Kurzem im Aufschwung begriffene See-
stadt des Staates São Paulo liegt auf 23° 56′ südl. Breite und 46° 19′
westl. Länge auf der Insel São Vicente und am Fusse des Monserrate,
dessen Gipfel eine Kirche krönt.
Sein Hafen ist zugänglich für Schiffe aller Art und bietet Raum
für grosse Flotten. Aber diese natürlichen Vorzüge sind in keiner Weise
ausgenützt; der Bau von Quais hat erst begonnen, die Schiffe, welche
nicht Postdampfer sind, verlieren mit dem Einladen und Ausladen oft
Wochen.
Die Bevölkerung der Stadt, welche dermalen nahezu 20.000 Per-
sonen beträgt, ist im raschen Zunehmen begriffen; der Totaleindruck,
welchen Santos macht, ist der einer modernen Stadt, die Häuser sind
elegant gebaut, die Strassen mit Gas beleuchtet und mit Pferdebahnen
versehen. Von den Baulichkeiten der Stadt sind das Stadthaus, das
Zollamtsgebäude und das Hospital die am meisten bemerkens-
werthen. Schöne Quais und ein prächtiger öffentlicher Garten vervoll-
ständigen das freundliche Bild, das die Stadt dem Besucher bietet.
Der Einfluss der vielen in Santos ansässigen Fremden macht sich
vielseitig geltend, das portugiesische Element wird immer mehr
verdrängt.
Eine Eisenbahn verbindet Santos mit São Paulo, der Hauptstadt
des gleichnamigen Staates und dadurch mit Rio de Janeiro, welchem
das Hinterland schon durch eine stattliche Reihe von Zweigbahnen
erschlossen ist. Diese Gebiete stehen durch ihren Kaffeebau nicht mehr
weit hinter Rio de Janeiro und dessen Dependenzen zurück und werden
es bald überflügeln, weil die energischen Paulistas, diese glückliche
Mischlingsrace von Portugiesen und Indianern, dem Kaffeebau grosses
Interesse entgegenbringen. Millionen von heranwachsenden Kaffee-
bäumchen werden trotz des herrschenden Raubbaues in kurzer Zeit
die Kaffeeernte vergrössern, welche 1890/91 bereits 1·8 Millionen Meter-
centner betrug.
Das reiche Land mit seinem glücklichen Klima ist daher mit
Recht das Ziel zahlreicher Einwanderer aus Italien. Auch das eng-
lische Capital hat bereits entdeckt, dass Anlagen in São Paulo eine
gute Verzinsung versprechen.
Im Jahre 1546 gegründet, nahm die Stadt jederzeit lebhaften Antheil an
allen Bewegungen, welche die Provinz São Paulo betrafen, sowie sie nun auch an
dem durch die Kaffeeproduction ins Land gebrachten Reichthum als Meistbethei-
[273]Brasilianische Häfen.
ligte participirt. Sie ist die Vaterstadt der Andrades, von welchen José Bonifacio,
Martin Francisco und Antonio Carlos der Stolz Brasiliens sind.
Santos führt nur Kaffee aus, und zwar 1889 1,616.800 q, 1888 1,092.000 q,
1887 1,053.000 q. Drei Viertel dieser Menge gehen nach den bekannten Kaffee-
plätzen Europas, vorab nach Hamburg, Hâvre und Antwerpen, ein Viertel nach
New-York.
Die Ausfuhr von Santos erreichte 1889 108,203.800 Goldgulden, 1888
59,353.200 Gulden; die Höhe der Einfuhr ist nicht bekannt, sie wird für 1889
auf 6 Millionen geschätzt und steigt unausgesetzt, entsprechend der Entwicklung
des Hinterlandes, obwohl werthvolle Waaren der Einfuhr über Rio de Janeiro
nach São Paulo gelangen und die Industrie in São Paulo selbst bedeutende
Fortschritte macht.
Der Schiffsverkehr von Santos umfasste:
Santos ist Anlegehafen der brasilianischen Küstendampfer, ferner der Ham-
burg-Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft, des Norddeutschen Lloyd
(Bremen), der Royal Mail Steam Packet Company (Southampton), der Chargeurs
Réunis (Hâvre), Slanan’s Brazil Line (Baltimore) und in der Kaffeesaison des öster-
reichisch-ungarischen Lloyd (Triest) und der Adria (Fiume).
Die Post kommt mit der Eisenbahn über Rio nach Santos (Schnellzug
Rio de Janeiro—São Paulo 14½ Stunden).
Santos ist durch Kabel und Landtelegraphen an das Netz des Welttele-
graphen angeschlossen.
Die wichtigste Bank ist die Banco mercantil do Santos, ausser dieser be-
stehen hier noch vier Banken und Banknebenstellen.
In Santos unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Chile, Deutsches
Reich, Grossbritannien, Paraguay, Uruguay und die Vereinigten Staaten.
Im Süden von Santos sind unter den brasilianischen Häfen
hervorzuheben, Paranaguá, der Hafen des Staates Parana und Aus-
fuhrplatz von Maté oder Paraguaythee, Desterro, der Hafen des
Staates Santa Catharina, in welchem zahlreiche deutsche Ackerbau-
colonien blühen, endlich Porto Alegre und São Pedro do Rio
Grande do Sul, die Häfen von Rio Grande do Sul, dem südlichsten
Staate von Brasilien. Beide Häfen liegen an der Küste des Festlandes,
das dort leider nicht von den Wellen des Oceans, sondern von einer
Lagune, der Lagoa dos Patos bespült wird.
Im Süden, an dem einzigen Eingange in dieselbe, liegt Rio
Grande do Sul, am Ende des nordwestlichen Ausläufers Porto
Allegre.
Eine böse Barre sperrt den Eingang in die Lagune; wenn der
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 35
[274]Die atlantische Küste von Amerika.
Nordostwind das Wasser aus ihr ins Meer treibt, so müssen die
Schiffe manchmal tagelang warten, bis es höheren Wasserstand gibt.
Aus diesem Grunde läuft keiner der europäischen Postdampfer die
beiden Häfen an.
In Rio Grande do Sul überwiegt die Ausfuhr, in dem schön
gelegenen Porto Allegre die Einfuhr. Pelotas in der Nähe von Rio
Grande do Sul ist Stapelplatz für die Viehzucht des Staates, welche
Xarque (Dörrfleisch) und Häute ausführt. Das Handelsgebiet beider
Orte reicht bis zum Flusse Uruguay, wohin Eisenbahnen führen, die
gegen Westen hin in einen Strang zusammenlaufen.
Porto Allegre ist der Hafen für zahlreiche deutsche Nieder-
lassungen, die endlich nach namenlosem Drangsal und harter Cultur-
arbeit zu grosser Blüthe gelangt sind.
Den Handel von Porto Allegre und von Rio Grande do Sul
beherrschen daher deutsche Firmen, aber zwei Drittel der Waaren
sind englischer Herkunft.
[[275]]
Montevideo.
Südlich von der brasilianischen Provinz Rio Grande do Sul,
zwischen dem Ocean, dem La Plata und dem Uruguayflusse liegt
ein von der Natur reich bedachtes Land, die Republica oriental
dal Uruguay. Dieses war ursprünglich eine spanische Colonie und
hat viel und oft unter den rivalisirenden Bestrebungen der grossen
Nachbarstaaten, den Eroberungsgelüsten europäischer Grossmächte
und den eigenen politischen Leidenschaften gelitten.
Zabala, Vicekönig von Buenos-Aires, erbaute 1717 an der Stelle der jetzigen
Stadt ein Fort, 1726 wurden die ersten Colonisten aus Andalusien und den cana-
rischen Inseln daselbst angesiedelt, doch verging mehr als ein halbes Jahrhundert,
ehe die Niederlassung vom Staate als Seehafen erklärt wurde und in die Privi-
legien und Rechte eines solchen eintrat.
Im Jahre 1780 besass Montevideo 6400 Einwohner, zwölf Jahre später be-
trug schon der Werth der Einfuhr an drei und der der Ausfuhr über vier Mil-
lionen Dollars, welche Ziffern die Wohlstandszunahme der Stadt am deutlichsten
illustriren.
Als im Jahre 1806 der alte und schwache Vicekönig Sobremonte die Stadt
Buenos-Aires den englischen Land- und Seetruppen übergab, die nach der Erobe-
rung des Caplandes einen Kriegszug auf eigene Faust gegen die spanische Nieder-
lassung am La Plata unternahmen, sammelte der spanische Fregattencapitän Juan
Santiago de Liniers eine ansehnliche Streitmacht in dem von den Engländern un-
beachtet gebliebenen Montevideo und zwang dieselben zum Abzuge. Zum Vice-
könig ernannt, schlug er im folgenden Jahre einen erneuerten Kriegszug der
Engländer ruhmvoll zurück.
Zehn Jahre später, am 9. Juli 1816, nach manchen unglücklichen Missver-
ständnissen, denen auch der tapfere und verdiente Liniers zum Opfer fiel, und
nach blutigen Kämpfen erklärten die zu Tucuman versammelten Deputirten der
Banda oriental, d. h. des Landes an der Ostseite des Flusses, die Unabhängigkeit
des Landes als neubegründete Republik, deren Hauptstadt Montevideo wurde.
Als Uruguay 1821 unter dem Namen Cisplatina dem brasilianischen Kaiser-
reiche als Provinz einverleibt wurde, befreite der „Zug der Dreiunddreissig“ unter
der Führung des argentinischen Obersten Juan Antonio Laval vier Jahre später
das Land von der brasilianisch-portugiesischen Herrschaft. Zahlreiche Namen in
Montevideo erinnern an das denkwürdige Unternehmen Laval’s, dem ein langwieriger
35*
[276]Die atlantische Küste von Amerika.
Krieg zwischen Brasilien und Argentina folgte, welcher mit der Selbständigkeits-
erklärung Uruguays endete.
Eine fast neunjährige, 1843 begonnene Belagerung Montevideos von Seite
des argentinischen Dictators Rosas wurde durch das Einschreiten Brasiliens und
die Erhebung des Generals Urquiza gegen Rosas beendet, doch war der Republik
noch immer keine Periode friedlicher Entwicklung beschieden.
1864 bis 1865 blokirten die Brasilianer Montevideo und setzten den Ex-
präsidenten Flores wieder ein, welchem Vorgange Brasiliens eine Kriegserklärung
Paraguay’s an die Tripelallianz Brasilien-Argentina-Uruguay folgte.
Wenngleich dieser Krieg, der während seiner Dauer theilweise den Handel
von Buenos-Aires ablenkte, zur Bereicherung Montevideos beitrug, so brachten
doch die finanzielle Misswirthschaft der Regierung und andauernde Parteikämpfe
noch manche schwere Stunde über die aufstrebende Stadt, die sich in neuester
Zeit eines ganz besonderen Aufschwunges und einer lebhaften Einwanderung erfreut.
Die Stadt (San Felipe y Santiago de) Montevideo liegt an der
Ostseite einer fast halbkreisförmigen Bai an der nördlichen Küste
der La Plata-Mündung und 120 Meilen von Buenos-Aires, mit welcher
Stadt täglich Dampfer verkehren. Die schmale Halbinsel, auf welcher
Montevideo erbaut wurde, erhebt sich nur wenig über die See. Die
westliche Seite der Bucht wird vom Hochlande von Cerro (148 m)
gebildet, das sich genügend hoch über das sonst niedrige und flache
Land erhebt, um den Namen Montevideo zu rechtfertigen, den der
Gipfel des Cerro führt. Auf dem Gipfel befindet sich ein Leucht-
feuer und ein altes, seinerzeit starkes Fort, jetzt Artigas genannt.
Montevideo ist eine schöne, beinahe glänzende Stadt mitteleuro-
päischen Styls. Der ältere Theil der Stadt liegt auf der schon erwähnten
Landzunge, die Vororte erstrecken sich weit in das Land. Altstadt
und Neustadt sind regelmässig gebaut; gerade, breite und gut gepfla-
sterte Strassen durchschneiden einander in rechten Winkeln und
bilden fast 100 m breite Häuserblöcke. Zahlreiche niedere Häuser
mit flachen Dächern, wenigen, oft vergitterten Fenstern an der
Strassenseite, kleinen, manchmal zu Gärten umgewandelten Höfen
(patios) im Innern und mit Aussichtsthürmchen (miradores) geben
der Stadt ein echt spanisches Aussehen.
Die Strassen sind mit Gas beleuchtet. Ein ausgedehntes Netz
von Pferde-Eisenbahnen in einer Länge von 170km durchkreuzt die
Stadt und die Umgebungen nach allen Richtungen und beförderte
1888 17 Millionen Passagiere.
Die Stadt war ehedem auf das in den Cisternen angesammelte
Regenwasser angewiesen, erst im Jahre 1870 wurde eine 53 km lange
Wasserleitung eröffnet, die sich als sehr nützlich erweist, weil bei
Regenmangel auch die in die Bucht mündenden Flüsschen versiegen
[[277]]
Montevideo.
[278]Die atlantische Küste von Amerika.
oder infolge der Fluthströmungen brackig werden. In solchen Fällen
musste früher das Trinkwasser mittels Tragthieren auf zehn Meilen
Distanz herbeigeschafft werden. Die Wasserleitung führt das Wasser
des Flusses Santa Lucia; drei kräftige Dampfmaschinen arbeiten Tag
und Nacht, um das benöthigte Wasserquantum in die ausserhalb der
Stadt gelegenen Bassins zu pumpen, von welchen die weitere Ver-
theilung des Wassers mittels regulirte Schleussenwerke geschieht.
Die eigentliche Altstadt erstreckt sich vom Fort San José am
Eingange der Bucht östlich bis zur Plaza de Independenzia. Hier
stand die alte spanische Citadelle, an welcher 2000 Guarany-Indianer
sieben Jahre lang im Frohndienste arbeiteten. Die Citadelle wurde
von 1835 bis 1868 als Markthalle benützt, 1877 aber geschleift und
der Baugrund der vorgenannten Plaza einverleibt. Auf letzterem Platze
befindet sich das prachtvoll ausgestattete Solis-Theater, das nach
Diaz de Solis, dem Entdecker des La Plata benannt ist.
In der Altstadt selbst liegt die Plaza Mayor mit dem Regierungs-
gebäude (Casa Fuerte oder Gobierno) und die Plaza de la Constitu-
cion. Die Südseite dieses Platzes wird von der Matriz oder Kathedrale
eingenommen, an der Nordseite desselben liegt der Cabildo. Die Ka-
thedrale, ein imposanter Backsteinbau, dessen Ausführung 1790 be-
gonnen und 1804 beendet wurde, besitzt zwei seitliche 40·5 m hohe
Thürme, die für das Anlaufen der Schiffe vortreffliche Orientirungs-
objecte bilden. Der Cabildo enthält den Gerichtshof und das Gefäng-
niss sowie die Räumlichkeiten für die Sitzungen des Congresses.
Die Grenze zwischen der Altstadt und der Neustadt bildet die
Calle de la Ciudadela, die an der Stelle des ehemaligen Ringwalles
gebaut wurde und nebst den Strassen 18. de Julio, 25. de Majo und
di Sarandy zu den schönsten Montevideos gehört.
Die Neustadt ist der Wohnsitz zahlreicher ausländischer Kauf-
leute und wird durch die prächtige und breite Calle 18. de Julio in
gerader Richtung durchschnitten. Den östlichsten Theil der Stadt
bilden zahlreiche Villen, die zumeist reich gebaut und mit schönen
Gärten umgeben sind.
Von den öffentlichen Gebäuden Montevideos sind noch
hervorzuheben die 1864 erbaute Börse, eine Nachahmung jener von
Bordeaux, das Universitätsgebäude, das grosse Hospital de Caridad
(1825 von Francesco A. Macil gegründet) mit einem Belegraum für
500 Kranke, das Zollhaus, die Post, das 1830 durch I. M. Perez
Castellano gegründete Nationalmuseum mit einer öffentlichen Biliothek,
das neue Irrenhaus Manicomio Nacional, sowie schliesslich noch die
[279]Montevideo.
baskische und die englische Kirche. Letztere wurde an Stelle einer
Batterie erbaut, die 1807 durch Samuel Auchmuty’s Streitmacht ge-
nommen und zerstört wurde. An der Universität, die eine juridische
und eine medizinische Facultät besitzt, sind 44 Professoren thätig
und 1450 Studirende eingeschrieben, doch gehört nur ein Drittheil
der Letzteren zu den Reglamentados, d. i. ordentlichen Hörern; die
Zahl der Graduirungen ist eine auffallend geringe. Das National-
museum hat in den letzten Jahren, Dank den Bemühungen des jetzigen
Directors, einen bedeutenden Aufschwung genommen. Interessant ist
die erst vor wenigen Jahren entstandene paläontologische Abtheilung,
besonders reich die archäologische Abtheilung des Museums, welche
höchst bemerkenswerthe Gegenstände über die Sitten, Lebensweise
und Gewohnheiten der Ureinwohner des Landes zur Zeit der Er-
oberung desselben durch die Spanier enthält.
Montevideo besitzt mit den Vorstädten Paso do Molin, Cerro und
und Villa Union 175.000 Einwohner. 55 % derselben sind Inländer
(„Orientalen“), der Rest Fremde. Wenngleich in früherer Zeit die
Brasilianer nach den Orientalen am zahlreichsten vertreten waren, so
hat sich doch seither dieses Verhältniss geändert, Spanier und Italiener
haben die Anzahl der Brasilianer beträchtlich überflügelt. In Uruguay
geborene Kinder der Fremden werden nach den Gesetzen des Landes
als Inländer gezählt. Die eigentlichen Landeskinder, welche theils
spanischer theils portugiesischer Abkunft sind und deren Blut fast
allgemein mit dem der Guarany, Charrua und der anderen einheimi-
schen Indianerstämme gemischt ist, dürften im Laufe der Zeiten ebenso
durch die Einwanderer verdrängt werden, wie sie selbst den Urein-
wohner des Landes, den Indianer, verdrängt haben.
Die Regierung Uruguay’s bietet der Einwanderung manche
Vortheile. So übernimmt beispielsweise das in der Calle Pata-
gonas in Montevideo errichtete Asilo de imigracion alle ankom-
menden Einwanderer, beherbergt und verköstigt jene der dritten
Classe gratis durch acht Tage und trägt die Kosten ihrer Reise zu
Wasser oder zu Lande zum gewählten Ansiedlungsort. Die bereits
seit einiger Zeit begonnene Gründung von Ackerbaucolonien dürfte
gewiss vortreffliche Ergebnisse liefern, wenngleich auch die Einwan-
derer-Colonien Urugays noch lange nicht dieselbe Bedeutung erreicht
haben, wie jene in Argentina.
Der bewaffneten Macht Uruguays hat der Präsident Maximos
Santos mit dem Bestreben, in derselben eine ergebene Stütze seiner
Regierung zu schaffen, eine ganz besondere Fürsorge zugewendet,
[280]Die atlantische Küste von Amerika.
die sich unter anderem auch in der reinen Haltung und einem ge-
wissen Luxus der Kasernen Montevideos ausprägt.
Am schönsten ausgestattet ist die Kaserne Artigas in der Calle
Agraciada; am geräumigsten ist die am Platze Artola gelegene Ka-
serne des 1. Artillerie-Regimentes.
Montevideo besitzt nur einen kleinen seichten Hafen von kaum
einer halben Quadratmeile (englisch) Grösse, der immer mehr ver-
sandet; grössere Schiffe müssen daher auf der Rhede ankern. Die
Tiefe des inneren Theiles der Bucht beträgt durchschnittlich nur
5 bis 6 m, der Grund ist schlammig. Hafen und Rhede haben seit
Beginn dieses Jahrhunderts 1·5 m an Tiefe eingebüsst.
Das Anlaufen des Hafens und der Rhede ist wegen der in der
La Plata-Mündung befindlichen Bänke und der starken unregelmäs-
sigen Strömungen mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Die Küsten-
beleuchtung ist mangelhaft; die Strömungen hängen zwar im Allge-
meinen von den Gezeiten ab, mitunter werden sie auch ziemlich stark
von den vorherrschenden Winden beeinflusst.
Das Löschen und Laden der Schiffe geschieht mittelst Lichter-
booten, doch zeigen die statistischen Angaben des Hafenamtes, dass
diese Arbeiten durchschnittlich an 100 Tagen des Jahres wegen un-
günstiger Witterung unterbleiben müssen. Die schon wiederholt pro-
jectirte Herstellung grösserer Quais oder eines künstlichen Hafens
wurde immer wieder aufgegeben, weil diese Arbeiten nach der be-
scheidensten Schätzung 30 Millionen Dollars verschlingen würden.
Montevideo besitzt zwar keine bedeutenden Hafenbauten, doch
ist für die übrigen Bedürfnisse der Schiffahrt bestens vorgesorgt. Im
Süden der Stadt liegt ein kleineres Dock des Baron Mana, zwei
grössere Docks mit 7·3 m Tiefe wurden am Fusse des Cerro von
einer englischen Gesellschaft mit zwei Millionen Dollars Kosten erbaut.
Die mit der Escuela de Artes y Oficios verbundene Staatswerfte baut
Boote und kleinere Fahrzeuge, liegt jedoch mitten in der Stadt, wes-
halb es nöthig wird, die erbauten Schiffe zur Stapellassung durch
mehrere Strassen zu transportiren. Einige Maschinenwerkstätten neh-
men sowohl Neuerzeugungen als auch grössere Reparaturen vor.
Legende zum Plan von Montevideo.
A Ankerplatz für kleine Schiffe, A1 Rhede, B Landungsplatz, C Werfte, D Eisenbahnstation, E Tele-
graphen-Kabel, F Leuchtfeuer (Platz Constitucion), G Fabrik, H Centralbahn, J Mühle, K Zollamt,
L Caridad Hospital, M englisches Hospital, N englische Kirche, O Maná-Dock, P Gaswerke, Q alter
Friedhof, R englischer Friedhof, S Postamt, T Oper, U Kathedrale, V Dom, W Plaza Independencia,
X Plaza Cagancha, Y Strasse 25 de Mayo, Z Sarandi-Strasse. — 1 Strasse 18 de Julio, 2 Paysandu-
Strasse, 3 Canelones-Strasse, 4 Strasse de la Constituyente.
[[281]]
(Legende siehe auf Seite 280.)
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band 36
[282]Die atlantische Küste von Amerika.
Die Ankerplätze der Bucht sind ungeachtet des schlammigen
Grundes nicht immer verlässlich, bei Pamperos und anderen heftigen
Winden kommen die Schiffe leicht ins Treiben. Den östlichen Ufer-
theil der Bucht bildet sandiger Strand, die Westseite, namentlich der
Abhang des Cerro ist durchwegs felsig. Von Punta San José bis
Punta Funda führt ein fast 6 m hoher Quai, an welchen mehrere
kurze Steindämme und hölzerne Landungsbrücken angebaut wurden.
Zwischen Punta und Punta San José Saranda befinden sich zwei
circa 10 m lange Steinmolen, doch sind alle diese Uferbauten nur
dem Bootsverkehr zugänglich.
Die in die Bucht von Montevideo mündenden Flüsse Miquelete,
Secco und Pantanosa können nur von Flachboten befahren werden.
Der Umstand, dass die Einwohner von Montevideo fast ein
Viertel der Gesammtbevölkerung der Republik betragen und dass
die Landbewohner im Gegensatze zu den einen Hang nach Luxus
besitzenden Städtern verhältnissmässig wenig Bedürfnisse haben, be-
dingt, dass das Schwergewicht des Seehandels von Uruguay sich in
der Landeshauptstadt concentrirt.
So bewegten sich 1888 88·9 % der Einfuhr und 68·5 % der
Ausfuhr von Uruguay über Montevideo. Der auswärtige Verkehr der
Hauptstadt zeigt die Neigung, den percentuellen Antheil an der Aus-
fuhr des Landes zu vergrössern, während die Einfuhr langsam
zurückgeht.
Im Jahre 1888 erreichte der auswärtige Handel von Montevideo in der
Einfuhr 26,196.344 Dollars, in der Ausfuhr 19,188.427 Dollars; 1887 in der Ein-
fuhr 23,322.321 Dollars, in der Ausfuhr 11,822.817 Dollars.
Leider stehen uns für das Jahr 1889 nur Angaben über den Gesammt-
handel des Staates Uruguay zur Verfügung, welche einen Einfuhrwerth von
36,823.863 Dollars und einen Ausfuhrwerth von 25,954.107 Dollars ausweisen.
Wir sind daher gezwungen, eine Darstellung des Handels von Uruguay zu
geben.
Die Ausfuhr von Uruguay beruht auf der Fruchtbarkeit des Landes, das
sich glücklicher klimatischer Verhältnisse erfreut. Es wartet nur auf die fleissigen
Arbeiter, die den Rasenteppich aufbrechen und die schwere braune Erde bloss legen
werden. Bis jetzt ist dies erst in der Nähe der Hauptstadt geschehen, welche den
Erzeugern der Bodenproducte gewinnreichen Absatz bietet.
Das weite Innere ist Weideland geblieben, auf welchem 16—18 Millionen
Stück Schafe und über 6 Millionen Stück Rinder weiden.
Die Schafzucht wird erst seit 1852 in grossem Style betrieben. Sie lieferte
Wolle, den wichtigsten Ausfuhrartikel des Landes, 1889 für 9,149,938 Dollars,
1888 381.210 q im Werthe von 7,587.924 Dollars, welche nach Belgien, Nord-
frankreich, Deutschland und die Union gingen. Von Schaffellen wurden 1888
63.460 q vornehmlich nach Frankreich ausgeführt.
[283]Montevideo.
Die Rinder werden in den „Saladeros“ geschlachtet und zu Ausfuhrsproducten
verarbeitet, deren wichtigste Fleischextract, gesalzenes, lufttrockenes Fleisch (tasajo)
und Unschlitt sind. Knochen, Hörner und Häute bilden ebenfalls werthvolle Aus-
fuhrsproducte, jeder Abfall wird nutzbar gemacht, wenn nicht anders, so getrocknet
als Heizmaterial. Die am westlichen Ufer der Bucht von Montevideo am Fusse
des Cerro errichteten grossartigen Saladeros, in denen jährlich an 200.000 Rinder
geschlachtet werden, sind das einzige bedeutendere industrielle Etablissement der
Stadt. Die übrigen Saladeros des Landes liegen zumeist an Flüssen, was eine so-
fortige Verschiffung der erzeugten Waare ermöglicht und wodurch der Flussschiff-
fahrt Uruguays eine hervorragende Rolle zugewiesen ist.
Die grössten Anlagen dieser Art sind in Fray-Bentos, wo bekanntlich
Fleischextract nach Liebig’scher Methode bereitet wird.
In neuester Zeit versucht man auch die Ausfuhr von lebenden Rindern.
Die Ausfuhr von Rinderhäuten erreichte 1889 einen Werth von
6,602.944 Dollars, 1888 von 5,789.017 Dollars. Die wichtigsten Bestimmungs-
länder sind die Union, Frankreich, Belgien und England.
Von Tasajo wurden 1888 495.055 q im Werth von 4,950.553 Dollars, 1887
nur 285.755 q ausgeführt, weil in dem Jahre die Häfen Brasiliens der Einfuhr
dieses Artikels aus Uruguay verschlossen waren. Das wichtigste Absatzgebiet ist
Brasilien, die Ausfuhr nach Cuba geht riesig zurück.
Fleischextract (1888 576.053 kg) geht nach England und Belgien.
Von Producten des Ackerbaues wurden nur Mehl nach Brasilien und Mais
nach Brasilien und England ausgeführt.
Da Uruguay keinerlei Industrie besitzt, die directe Verwerthung der thie-
rischen Producte ausgenommen, so ist es ein wichtiges Land der Einfuhr.
Auf den fremden Industrieproducten ruhen hohe Zölle; die sind aber nicht
von dem Bestreben eingegeben, die eigene Industrie zu schützen, sondern reine
Finanzzölle, die eine gute Einnahmsquelle des Staates bilden und hier, wie in
ganz Amerika vom Volke gerne getragen werden. Die natürliche Production
des Landes bietet nun genügenden Reichthum, um den Einwohnern die Be-
schaffung der von fremden Industrien abhängenden Bedürfnisse ohne Rücksicht
auf die Höhe des Einfuhrszolles zu gestatten. So treibt beispielsweise Montevideo
mit modernen Kleidern und prunkvollen Luxusgegenständen einen sehr grossen
Aufwand, wobei eine besondere Vorliebe für auffallende Farben und Toiletten vor-
herrscht.
Die Einfuhr der letzten Jahre aber ist vor allem so hoch gestiegen, weil
der Bau von Eisenbahnen und Dampfschiffen energischer betrieben wird.
Auffallend ist die starke Einfuhr von Getränken, welche 14—16 % der
Gesammteinfuhr ausmachen. Wir finden hier Rum von Cuba, französischen Wer-
muth und Cognac, vor allem aber Wein aus Spanien, Frankreich und Italien.
(1888 261.159 hl.)
Aus der Gruppe der Nahrungs- und Genussmittel sind hervorzuheben: Oli-
venöl (18.600 q), Zucker (10.020 q) aus Brasilien, Frankreich und Deutschland,
Kaffee (14.982 q) aus Brasilien, Reis (40.344 q) aus Bremen und Italien, Tabak
wird aus Brasilien, Paraguay und der Union eingeführt, Cigarren aus Cuba und
Italien; Gesammtwerth dieser Gruppe 1888 517.347 Dollars.
Von den Baumwollwaaren liefert England drei Viertel, in Damenmode-
stoffen aus Schafwolle beherrscht Frankreich den Markt, dem England und
36*
[284]Die atlantische Küste von Amerika.
Deutschland mit Erfolg nachstreben, in Halbwollstoffen und Tuch England. Fer-
tige Kleider liefern Deutschland und Frankreich, Schirme England und Frankreich.
Ackerbaumaschinen werden aus der Union, Grossbritannien und Frank-
reich gebracht, Eisen und Eisenwaaren, Locomotiven England, Belgien und
Deutschland. Spanien versorgt die ansehnliche Einfuhr von Salz.
Der Schiffsverkehr von Montevideo betrug:
Im Jahre 1889 liefen in allen Häfen von Uruguay im auswärtigen Verkehre
987 Dampfer mit 1,643.491 T und 766 Segler mit 534.526 T ein.
Die effective Belastung erreichte 1888 1,411.686 Tonnen.
Montevideo wird von nachstehenden regelmässig verkehrenden Dampferlinien
berührt: Pacific Steam Navigation Company (Liverpool), Royal Mail Steam Packet
Company (Southampton), Allan Line (Liverpool), Messageries maritimes (Bordeaux),
Transports maritimes (Marseille), Chargeurs réunis (Hâvre), Norddeutscher Lloyd
(Bremen), Kosmos, Hamburg-südamerikanische Dampfschiffahrts-Gesellschaft, Navi-
gazione Generale Italiana und La Veloce (Genua), Liverpool Brazil and River Plate
Steamers (Lamport und Holt) aus Liverpool und die belgische Linie dieser Firma
aus Antwerpen, Compagnie Fraissinet (Marseille) und zwei spanische Linien (Bar-
celona und Cadix), die amerikanische United States and Brazilian Mail Steamship
Company und schliesslich die brasilianische Companhia de Navigação a Vapor
Nacional Brazilheira. An 40 regelmässige und ebensoviel unregelmässig verkehrende
Dampfer, unter welchen die englische Flagge überwiegt, laufen allmonatlich Monte-
video an.
Die Stadt ist das Ziel zahlreicher Passagiere, welche zur See ankommen
und abgehen. Davon waren 1888 16.581, 1887 12.867 Einwanderer, 1888 7601,
1887 6252 Auswanderer.
Den Verkehr der Hauptstadt mit dem Inneren des Landes vermitteln nebst
der Flussschiffahrt auch drei Eisenbahnlinien, und zwar: die Centralbahn nach
Paso de los Toras, die Ostbahn nach Pando und die Nordbahn nach Bara de Santa
Lucia. Die Gesammtlänge der Eisenbahnen Uruguays beträgt 1200 km.
Montevideo besitzt zwei Telephongesellschaften für den inneren Verkehr;
ein Fernsprechkabel verbindet es mit Buenos-Aires.
Die Stadt ist Sitz einer Börse. Die Banken auf diesem Platze sind:
Banco Nacional de la Republica Oriental del Uruguay, Banco Inglés del Rio de
la Plata, Banco de Londres y Rio de la Plata, Banco Italiano del Uruguay, Banco
de España y Rio de la Plata.
In Montevideo bestehen Consulate folgender Staaten: Belgien, Bolivia,
Brasilien (G.-C.), Chile (G.-C.). Dänemark (G.-C.), Deutsches Reich, Frankreich,
Grossbritannien, Guatemala, Italien (G.-C.), Mexico, Niederlande (G.-C.), Oesterreich-
Ungarn (G.-C.), Paraguay (G.-C.), Peru (G.-C.), Portugal, Russland (G.-C.), Schweden
und Norwegen (G.-C.), Schweiz, Spanien (G.-C.), Uruguay (G.-C.), Vereinigte
Staaten von Amerika.
[[285]]
Buenos-Aires.
Buenos-Aires, die Hauptstadt der argentinischen Republik, liegt
unter 34° 39′ südl. Breite und 58° 18′ westl. Länge, 300 km vom Ocean
entfernt, am rechten Ufer des La Plata-Stromes, der bei Buenos-Aires
schon so breit ist, dass man das gegenüberliegende Ufer mit freiem
Auge nicht mehr wahrnimmt, gleichzeitig aber so seicht, dass Schiffe
von mehr als 5 m Tiefgang auf mindestens 7 Seemeilen von der Stadt
entfernt zu ankern gezwungen sind.
Der erste Europäer, der die Mündung des La Plata anlief, war 1515 Juan
Diaz de Solis, weshalb der Strom auch durch längere Zeit Rio de Solis genannt
wurde. Fünf Jahre später folgte Magelhaens und nach diesem Sebastian Cabot,
der die erste spanische Niederlassung mit dem Fort San Espiritu am La Plata
gründete.
Pedro de Mendoza, der erste Adelantado (Civil- und Militärgouverneur) der
spanisch-südamerikanischen Colonie, gründete am 2. Februar 1535 Buenos-
Aires, welches bald nach seiner Gründung von den Indianern zerstört und durch
Juan de Garay 1580 wieder aufgebaut wurde.
Vierzig Jahre später war Buenos-Aires bereits Hauptstadt der aus den um-
liegenden Colonien gebildeten Provinz Rio de la Plata und über Betreiben König
Philipp’s III. von Spanien Sitz eines Bischofs geworden. Das drückende Monopol-
system des Mutterlandes hinderte die Entwicklung der Colonie und rief einen aus-
gedehnten Schleichhandel hervor, der insbesondere von den Portugiesen schwung-
haft betrieben wurde, welche 1680 Buenos-Aires gegenüber die Colonie von
Sacramento gründeten. Lange Jahre beherrschten die Spanier das Land mit rück-
sichtslosem Eigennutz und nur auf ihre Bereicherung bedacht; erst 1776, nach
Errichtung des spanischen Vicekönigreiches Buenos-Aires und nach Vertreibung der
Portugiesen aus der Nachbarschaft, folgte ein liberaleres Handelssystem, dessen
Vortheile insbesondere der Stadt Buenos-Aires zu Gute kamen.
Die Versuche der Engländer, die Colonie zu erobern (1806 und 1807)
wurden durch Santiago de Liniers und die damals noch treu am Mutterlande hän-
genden Colonisten zurückgewiesen. Die französische Invasion in Spanien bewirkte
aber einen grossen Umschwung der Gesinnungen wie in ganz Spanisch-Amerika
so auch in Buenos-Aires, die nationale Partei der Creolen, an deren Spitze Mariano
Moreno stand, agitirte für die Lostrennung von Spanien, für welche unter der
unklugen und willkürlichen Regierung des Vicekönigs Cisneros sich zahlreiche An-
hänger fanden. Durch Einfluss englischer Kaufleute wurde die Absetzung des Vice-
[286]Die atlantische Küste von Amerika.
königs und die Constituirung einer provisorischen Junta unter dem Präsidium
Cornelio Saavedra’s eingeleitet. Die siegreichen Schlachten von Tucuman (1812)
und Salta (1813) befreiten die La Plata-Provinzen von der spanischen Herrschaft
und führten 1816 zur Unabhängigkeitserklärung des Landes.
Buenos-Aires blieb Hauptstadt der neuen Republik und trachtete die Re-
gierung der letzteren völlig an sich zu reissen, welchem Bestreben die Provinzen
einen energischen Widerstand entgegensetzten. Die Herrschsucht der Porteños (Ein-
wohner der Hauptstadt), die den Abfall von Paraguay und der Banda Oriental zur
Folge hatte, erbitterte die Landbewohner, welche eine neue Nationalversammlung
nach Tucuman einberiefen, um das Verhältniss zwischen Hauptstadt und Provinzen
zu regeln und für die letzteren einige Zugeständnisse zu erlangen. Die Beschlüsse
dieser Nationalversammlung machten jedoch den Parteikämpfen kein Ende, Uni-
tarier und Föderalisten standen sich schroff gegenüber, die La Plata-Länder lösten
sich in so viele Staaten auf, als Provinzen waren.
Die Vereinigung der Föderalisten und Unitarier unter deren Parteihäuptern
Rodriguez und Rivadavia, welche sich ursprünglich nur auf Buenos-Aires be-
schränkte, ging einem neuen, im December 1824 zu Buenos-Aires zusammen-
tretenden Generalcongress voraus, der ein vorläufiges Grundgesetz für die argen-
tinische Conföderation schuf, durch welches der Hauptstadt die Leitung der aus-
wärtigen Angelegenheiten zugewiesen wurde.
Die Unruhen im Lande dauerten trotzdem fort, bis sich der Estanciero und
Gauchos-Häuptling Don Juan Manuel de Rosas an die Spitze der Föderalisten
stellte und diese ihre Gegner mit Waffengewalt unterdrückten. Der durch das
dictatorische Auftreten Rosas herbeigeführte Krieg mit Uruguay hatte 1845 die
Blokade von Buenos-Aires durch eine englisch-französische Flotte und weiterhin
auch den Sturz Rosas zur Folge. Der von Letzterem abgefallene General Urquiza
wurde hierauf Präsident der argentinischen Conföderation; zu Buenos-Aires aus-
gebrochene Unruhen wurden zwar durch die übrigen Staaten der Conföderation
niedergeworfen, doch blieben die Ansprüche der Hauptstadt auf eine politische
Suprematie und sonstige exceptionelle Stellung die Ursache endloser politischer
Wirren.
Im Jahre 1865 wurde die Conföderation überdies in einen Krieg mit Para-
guay verwickelt, der zu den für die Argentinier ruhmvollen, doch wenig erfolg-
reichen Schlachten bei Paso de la Patria, am Estero Bellaco und bei Curupaty
führte. Wenngleich dieser Krieg durch die alliirten Brasilianer siegreich zu Ende
geführt wurde, so hatte derselbe doch der dünn bevölkerten argentinischen Repu-
blik etwa 50.000 Mann nebst 40 Millionen Dollars gekostet und überdies die
Cholera in das Land eingeschleppt.
Erneuerten Unruhen zu Buenos-Aires folgte 1880 die Föderalisirung dieser
Stadt, die dadurch Hauptstadt der Republik verblieb, jedoch der Verwaltung der
Nationalregierung direct unterstellt wurde, während die an der Bucht von Ense-
nada neu zu erbauende Stadt La Plata zum Sitz der Provinzialregierung be-
stimmt wurde.
Buenos-Aires ist in Form eines Rechteckes sehr weitläufig und
regelmässig zumeist in quadratischen Häuserblöcken (cuadras) ange-
legt, die aber derzeit noch nicht vollständig ausgebaut sind. Wenn
auch in früherer Zeit die Häuser selten ein zweites Stockwerk be-
[287]Buenos-Aires.
sassen, die innere Ausstattung derselben äusserst primitiver Art war
und Oefen zu den unbekannten Gegenständen gehörten, so wurden
doch diese Verhältnisse in den letzten Jahrzehnten gänzlich geändert.
Fast jede Strasse weist nunmehr schöne Häuserfronten mit drei bis
vier Stockwerken auf und an der Aussenseite, noch mehr aber bei den
Treppenanlagen und zum Belegen der Höfe finden wir bei den Häusern
der Reichen eine reichliche Verwendung von Marmor. Elegante Ein-
richtungsstücke werden aus Europa bezogen, die Zimmer tapezirt und
parquettirt, sowie mit Oefen versehen. Letztere erweisen sich bei dem
sehr feuchten und oft wechselnden Klima von Buenos-Aires als ganz
besonders vortheilhaft. Gegenwärtig ist Buenos-Aires in Bezug auf
modernen grossstädtischen Glanz die erste unter den Städten Süd-
amerikas, der Luxus und Comfort, der ganze Styl des Lebens erinnern
an die blühenden Handelsstädte der Nordküste des mittelländi-
schen Meeres.
Von den granitgepflasterten Strassen führen 30 vom Flusse aus
gegen Westen und 25 in nordsüdlicher Richtung. In den nur 10 bis
12 m breiten Strassen entsteht infolge äusserst lebhaften Menschen-
und Wagenverkehrs oftmals ein grösseres Gedränge; der Umstand,
dass die Trottoirs, auf welchen sich zur Vermeidung der kothigen und
holprigen Fahrstrassen alle Fussgänger bewegen, bis zu 2 m höher
liegen als die Strasse selbst, macht das Gedränge noch unangenehmer.
Diese Enge der Strassen beeinträchtigt die Wirkung der in den-
selben liegenden monumentalen Gebäude; nur vom Strome aus, an
dessen Ufer ein grosser Theil der hervorragenderen Bauten vereinigt
ist, wird ein umfassenderer Ueberblick möglich. In der Mitte der Ufer-
front liegt der Centralbahnhof, der in zierlichem Villenstyl erbaut und
mit reichem Schnitzwerk und Holzgiebeln verziert, von der sonst
üblichen Bauart der Bahnhöfe stark abweicht. Das überaus belebte Bild,
das der sehr rege Verkehr vor dem Portale des Bahnhofes bietet,
wiederholt sich unweit desselben bei dem Zollhause, einem mächtigen
Bau, zwischen dessen langgestreckten Seitenflügeln sich ein halbrund
gegen den Strom vorspringender Mittelbau erhebt. In der nächsten
Nähe des Zollhauses zieht sich längs des Quais eine hübsche Park-
anlage hin, welche durch ein künstlerisch ausgeführtes Monument ge-
ziert ist, das — bezeichnend für die Stellung und Grösse der italieni-
schen Colonie in Argentina — von einem italienischen Bildhauer
(Monteverde) aus italienischem Marmor gemeisselt, dem ausdauernden
Vorkämpfer für Italiens Einheit, Giuseppe Mazzini, errichtet wurde.
Mehr landeinwärts liegen der Victoria- und der 25. de Mayo-
[288]Die atlantische Küste von Amerika.
Platz, die von kunstvollen Renaissancebauten, zumeist öffentlichen Ge-
bäuden, gebildet werden, welche ihrer schönen Durchführung wegen
jeder europäischen Grossstadt zur Zierde gereichen würden. Es sind
dies der Regierungspalast, das Repräsentantenhaus, das Rathhaus, die
grosse Oper (das schönste der acht Theater der Stadt), sowie der in
seiner Form der Pariser Madeleine-Kirche ähnliche Dom, welcher einen
von zwölf korinthischen Säulen gebildeten breiten Porticus besitzt.
Diese Gebäude geben in ihrer Vereinigung einen prächtigen Stadt-
theil, dessen Gesammteindruck durch das auf dem Victoriaplatze be-
findliche, zur Erinnerung an den Unabhängigkeitskrieg errichtete Mo-
nument noch gehoben wird.
An diesen Stadttheil schliessen sich mehrere langgestreckte
Strassen, welche aus zahlreichen aufeinanderfolgenden Waarenhäusern
und Magazinen bestehen und das eigentliche Centrum der umfang-
reichen Handelsthätigkeit von Buenos-Aires bilden. Der englische
Grundsatz „time is money“ prägt dem Verkehre in diesen Strassen
seinen Stempel auf, wie auch der nüchterne Zweck der Häuser in
ihrem einfachen Aeusseren und den tiefen, mit Waarengütern ange-
füllten Hofräumen zu erkennen ist.
Die Hauptstrasse der Stadt, Calle Rivadavia, nach dem einstigen
Führer der Unitarier und ersten Präsidenten der argentinischen Con-
föderation benannt, geht vom Stromufer zwischen dem Zollhause und
dem Centralbahnhofe aus und theilt mit ostwestlichem Zuge die Stadt
in zwei Hälften. Die Calle Florida, eine zum Stromufer parallele Strasse
in der nördlichen Stadthälfte, die gleichlaufende Calle San Martin
und die beide genannten Strassen kreuzende Calle Victoria bilden den
fashionablen Theil der Stadt. Speciell in der Calle Florida findet sich
Alles zusammen, was Buenos-Aires an Vornehmheit und Reichthum be-
sitzt; sie ist der bevorzugte Punkt, in welchem die Miethzinse eine schwin-
delnde Höhe erreichen. Hier befinden sich die elegantesten Mode- und
Galanteriegeschäfte, Juweliere, luxuriöse Restaurants und noch luxuriö-
sere Conditoreien, letztere das Rendezvous der vornehmen Damen der
Stadt. Die Calle Florida ist der Corso der eleganten Welt, deren
Equipagen den Fahrweg beleben, und deren Frauenschönheiten,
Toiletten und Juwelen die Pracht des Bildes ergänzen.
Die Calle San Martin macht sich durch eine Reihe der schönsten
Profanbauten bemerkbar, sie ist Sitz der Geldaristokratie und Bank-
viertel, welches durch die Provinzial-, National- und Hypothekenbank,
die London and River Plate, Carabassa, Italienische und Englische
Bank, sowie endlich auch durch das Börsengebäude gebildet wird.
[[289]]
Buenos-Aires.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 37
[290]Die atlantische Küste von Amerika.
Wenngleich fast jedes Haus in seinem Patio einen hübschen
Garten besitzt, so sind doch die öffentlichen Gartenanlagen im Allge-
meinen nicht durch Schönheit hervorragend. Eine Ausnahme hievon
bildet die Recoleta, eine anmuthige Promenade im nordwestlichen
Theile der Stadt, und der Parque 3. de Febrero, eine in jeder Be-
ziehung grossartige Parkanlage, welche durch den Präsidenten Do-
mingo Faustino Sarmiento zur Erinnerung an die Befreiung des Landes
von der Dictatur Rosas geschaffen wurde. Dieser Park, den an schönen
Tagen unzählige Spaziergänger und Wagen beleben, ist das Bois de
Boulogne der Stadt.
Buenos-Aires ist Sitz eines Erzbischofs. Obschon der Cultus der
katholischen Religion von der Staatsverfassung — allerdings neben
völliger Religionsfreiheit — aufrecht erhalten wird, ist doch die ehe-
dem reiche Kirche während der Revolution ihrer Güter beraubt worden,
weshalb Bischöfe und Capitel auf relativ geringe Einkünfte von Seite
der Nationalregierung angewiesen sind. Die 24, zum Theile grossen
und prachtvollen Kirchen Buenos-Aires’, deren schönste der bereits
erwähnte Dom ist, stammen noch aus den Zeiten des kirchlichen Reich-
thums unter spanischer Herrschaft. Die deutsche protestantische Kirche
steht unter dem Consistorium der Provinz Brandenburg und war das
erste protestantische Gotteshaus auf südamerikanischem Boden. Ausser
der deutschen bestehen in Buenos-Aires noch eine nordamerikanische
und zwei englische protestantische Gemeinden.
An wissenschaftlichen Instituten besitzt Buenos-Aires eine
Universität, eine Militärschule und eine Marine-Akademie, ein geist-
liches Seminar, mehrere Mittel- und Volksschulen, Kunst- und Ge-
werbeschulen, eine öffentliche Bibliothek mit nahezu 70.000 Bänden,
eine Sternwarte und ein naturhistorisches Museum. Die Universität
wurde über Beschluss des Nationalcongresses im Jahre 1819 gegründet
und drei Jahre später feierlich eingeweiht. Die Collegiengelder und
Taxen sind sehr gering bemessen, weshalb die Kosten des Universitäts-
unterrichtes fast gänzlich vom Staate getragen werden müssen. An
der Universität bestehen eine juridische, eine medicinische und eine
philosophische Facultät, wobei der Lehrplan der Letztgenannten von
jenem der gleichen Facultäten europäischer Hochschulen einigermassen
abweicht und mit der medicinischen Facultät auch Lehrcurse für
Pharmaceutik, Zahnheilkunde und Geburtshilfe verbunden sind. Die
Frequenz aller drei Facultäten kann keinesfalls eine lebhafte genannt
werden. Die Militärschule, welche in Palermo, einer hübschen Villen-
vorstadt, gelegen ist, sowie auch die Marineakademie wurden durch
[291]Buenos-Aires.
gewesene österreichisch-ungarische Officiere organisirt. Das naturhisto-
rische Museum, eine Schöpfung Burmeisters, ist besonders reich an
Fossilien, die im Anschwemmungsgebiete des La Plata gefunden
wurden; einige dieser Fossilien sind in europäischen Museen nicht
vertreten. Die ethnographische Abtheilung des Museums enthält manche
interessante Gegenstände, darunter Steinwaffen und Steinwerkzeuge,
wie solche noch gegenwärtig von den Pampasindianern und Pata-
goniern verwendet werden.
Von humanitären Anstalten besitzt Buenos-Aires 19 Spitäler,
eine Irrenanstalt, ein Waisen- und Findelhaus und ein Asyl für Einwan-
derer. Von den Spitälern sind das deutsche, englische, französische,
italienische und spanische Spital, sowie das Hospital Buenos-Aires und
das Frauenhospital nennenswerth. Das bedeutendste und grösste Spital
der Stadt ist aber das 1611 gegründete Hospital General de Hombres,
das von Seite der Patienten keinerlei Vergütung beansprucht und ganz
vom Staate erhalten wird. Die argentinische Staatsbürgerschaft ist
die einzige Bedingung, die behufs Aufnahme in dasselbe erfüllt
sein muss.
Buenos-Aires hat 561.160 Einwohner (30. Juli 1890) und ist
somit die grösste Stadt von Südamerika. Die eingeborenen Porteños,
d. h. Hafenbewohner, sind ein hochgewachsener, wohlgebildeter
Menschenschlag. Die Hälfte der Einwohner aber bilden Fremde; von
diesen sind insbesondere die starke italienische, ferners die spanische,
französische, englische und deutsche Colonie hervorzuheben. Die öster-
reichisch-ungarische Colonie, ehemals der Zahl nach verschwindend
klein, schloss sich früher je nach der Nationalität ihrer Mitglieder
theils an die deutsche, theils an die italienische Colonie an, ohne je-
doch hiedurch ihre Individualität einzubüssen. Durch die Einwanderung
der letzten Jahre beträchtlich vermehrt, gewinnt sie jedoch in neuester
Zeit stetig an Bedeutung.
Der Hafen von Buenos-Aires ist eigentlich nur ein Abschnitt des
in der Nähe des Ufers sehr seichten Rio de La Plata und von der
Natur stiefmütterlich bedacht. Es wurde bereits darauf hingewiesen,
dass tiefgehendere Schiffe auf mehrere Meilen vom Lande zu ankern
gezwungen sind. Diesem Uebelstande abzuhelfen wurde das Project des
argentinischen Ingenieurs A. Louis Huergo, den südlich der Stadt
mündenden Riachuelo-Fluss durch Ausbaggern zu vertiefen, angenom-
men und um so leichter durchgeführt, als gerade an der Mündung
des Riachuelo die La Boca genannte Schiffervorstadt von Buenos-Aires
liegt und die Flussschiffahrt daselbst ihren Ausgangspunkt hat.
37*
[292]Die atlantische Küste von Amerika.
Dieser Hafen, Boca del Riachuelo, ist bestimmt, dem Verkehre
eine grosse Erleichterung zu bieten, denn alle Schiffe, deren Tiefgang
es erlaubt, können in demselben anlegen, wodurch viel Zeit und Geld
erspart wird, und das früher so häufige Beschädigen und Durchnässen
der Waarenballen aufhört.
Der Hafen ist aber nur für Schiffe benützbar, die nicht mehr
wie 5·5 m tauchen. Zwei Wellenbrecher, jeder beiläufig 600 m lang,
schützen den Hafen gegen Versandung; sie bestehen aus zwei Palli-
sadenreihen, deren Zwischenräume mit Steinen angefüllt wurden. An
den Köpfen dieser Wellenbrecher befindet sich je ein Hafenfeuer; das
nördliche ist roth, das südliche weiss. Die Mündung des Flusses und
die erwähnten Schutzbauten liegen in der Richtung ONO—WSW, so
dass die Schiffe im Hafen bei den schweren Südwest- und Südost-
winden sehr gut liegen, da selbst der zuweilen besonders heftig auf-
tretende und gefährliche Pampero (Südwestwind) daselbst keinen hohen
Seegang erzeugt. Zum Hafen führt eine 70 m breite, 4 Seemeilen
lange und auf circa 6 m Tiefe ausgebaggerte Fahrrinne, deren nörd-
liche Seite mit schwarzen und deren südliche Seite mit rothen Bojen
bezeichnet wird.
Grosse Erweiterungen und Verbesserungen der bestehenden Hafen-
anlagen werden schon seit lange geplant; man beabsichtigt, die
Wellenbrecher so weit zu verlängern, als derzeit die betonnte Fahr-
rinne reicht, und an diesen Canal einen zweiten anzuschliessen, der
durch die Residenzia-Bank zum Zollgebäude führen und zum Anlegen
der Schiffe geeignet sein soll.
Weiter vom Lande ankernden tiefertauchenden Schiffen stehen
zahlreiche Communicationsmittel zur Verfügung; kleine Dampfer, flache
Lichterboote (paile-boats) und Dampfbarkassen vermitteln den Verkehr
mit den Landungsbrücken — in Fällen, die das Anlegen an diesen nicht
zulassen, — mittels Karren, die in das seichte Wasser fahren.
Legende zum Plan von Buenos-Aires.
A Alter Canal zu den Docks, B neuer Canal zu den Docks, B1 Muelle de las Catalinas, C innere
Rhede, D Ankerplatz El Pozo, E äussere Rhede, F Leuchtfeuer, G Boca Bank, H City Bank, J Wrack,
K Schleusse, L Strafhaus, M Park 3. Februar, N Eisenbahnstation, O Aguas Corrientes (Fliessende Wässer),
P Emigrantenasyl, Q Gaswerke, R Zollamt, S Plaza S. Martin, T Plaza de Mayo, U Plaza 11. de Setiembre,
V Plaza Costitucion, W Côrdoba-Strasse, X Corrientes-Strasse, Y Rivadavia-Strasse, Z Independencia-
Strasse. — 1 Municipalität, 2 Zollamtsdepôts Catalinas, 3 Marine-Commandantur, 4 medicinische
Facultät, 5 nautische Schule (Escuela Naval), 6 Generalstab, 7 Kriegsarsenal (Arsenal de Guerra),
8 Hospital San Roque, 9 französisches Hospital, 10 Militärspital, 11 Kirche de la Merced, 12 Kirche
San Ignacio, 13 Kirche de la Piedad, 14 Kirche del Socorro, 15 Kirche de la Concepcion, 16 Kirche de
San Elmo, 17 Kathedrale, 18 nordamerikanische Kirche, 19 Kirche Santa Catalina, 20 Victoria-Capelle,
21 Capelle del Carmen, 22 Kirche und Collegium San Salvador, 23 Capelle Santa Felicita, 24 Fried-
höfe, 25 Kirche de Balvanera, 26 Kloster, 27 Artillerie-Park, 28 neues Männer-Spital, 29 deutsches
Spital, 30 Waisen-Asyl, 31 Talleres F. C. Oeste, 32 Männer-Spital, 33 Invalidenhaus.
[[293]]
(Legende siehe auf Seite 292.)
[294]Die atlantische Küste von Amerika.
Das Stadtufer wird durch einen schönen und breiten Quai ge-
bildet, von welchem aus drei hölzerne Landungsbrücken einen halben
Kilometer weit senkrecht in den Strom hinausgebaut wurden. Diese
Landungsbrücken, Muelle viejo, de los Pasajeros und Catalinas, die
beiläufig 400 m von einander entfernt sind, haben an ihrem Kopfende
2—4 m Wassertiefe. Sie sind mit Ausnahme des Muelle de los Pasa-
jeros, der mehrere schöne Landungstreppen besitzt, mit Anlegestellen
für Boote nur mangelhaft versehen. Desgleichen ist auch der Riachuelo
mit Anlegeplätzen sehr schlecht ausgestattet, weshalb man sich mit
kleinen, transportablen Holztreppen behelfen muss, die mit Tauen an
freien Stellen der Quaimauer provisorisch befestigt werden und Eigen-
thum der Bootsführer sind.
Reparaturen an Schiffen können von den in Buenos-Aires befind-
lichen Etablissements nur dann ausgeführt werden, wenn dieselben
nicht das lebende Werk betreffen, weil Buenos-Aires keine Docks
besitzt. Der weiche, schlammige Grund, auf welchem die Stadt er-
baut ist, lässt die Fundirung des Quaderbaues eines Docks nicht zu;
der Bau würde schon in kürzester Zeit grössere Deformirungen er-
leiden. Es müssen daher alle Schiffe mit Havarien an Unterwasser-
theilen die Docks des benachbarten Montevideo in Anspruch nehmen.
Für die Unterbringung der gelöschten Schiffsladungen besitzt
Buenos-Aires ausser dem geräumigen Zollhause eine grosse Anzahl
privater Magazine sowie auch Hulks.
Die Strassenbeleuchtung von Buenos-Aires wird durch drei Gas-
gesellschaften besorgt, deren älteste im Jahre 1856 gegründet wurde.
Stellenweise finden sich auch elektrische Beleuchtungsinstallationen;
ein ausgedehntes Telephonnetz weist eine grosse Anzahl von Abon-
nenten auf.
Die Canalisation der Stadt ist äusserst mangelhaft, weshalb
schon zahlreiche Pläne zu deren Verbesserung entstanden sind, doch
bietet die niedrige und vollends flache Lage der Stadt jedweder
Canalisationsart grosse Schwierigkeiten. Auch die Wasserversorgung
der argentinischen Hauptstadt lässt zu wünschen übrig. Es besteht
zwar eine Wasserleitung, die Wasser aus dem La Plata mit Pump-
und Hebewerken in ein grosses Reservoir und von diesem zu den
einzelnen Häusern führt, doch ist diese Anlage viel zu klein, um die
Bedürfnisse der ausgedehnten Stadt vollauf zu befriedigen. Jedes Haus
besitzt daher auch eine Cisterne, in welcher zur Vermeidung eines
Wassermangels Regenwasser angesammelt wird.
Ein grossartiges Tramwaynetz durchzieht die ganze Stadt, die
[295]Buenos-Aires.
Tramwaygesellschaften besitzen einen stattlichen Wagenpark, der
selbst gesteigerten Anforderungen des ohnehin sehr lebhaften Verkehres
jederzeit zu genügen im Stande ist. Sie sind eine dringende Noth-
wendigkeit in einer Stadt, welche einen gleichen Flächenraum wie
Paris bedeckt.
Leider führen die zahlreichen Eisenbahnen und Tramways, die
von Buenos-Aires ausstrahlen, in eine landschaftlich ganz unbedeu-
tende Umgebung.
Buenos-Aires ist gemäss seiner geographischen Lage und poli-
tischen Stellung der natürliche Centralpunkt des Handels für
das zweitgrösste Reich Südamerikas. Die Stadt beherrscht den Einfuhr-
handel Argentiniens beinahe vollständig. Die Provinzen am oberen
La Plata beziehen ihre Waaren blos zum geringen Theile von
Rosario und anderen Plätzen, zum überwiegenden Theile dagegen
von Buenos-Aires, und der ganze Süden und der ganze Osten sind
ausschliesslich auf Buenos-Aires angewiesen. Ueber den Ausfuhrhandel
des Landes hat es keine so grosse Gewalt.
Und wenn in wenigen Jahren in schwindelnder Höhe die Tunnels
durch die Anden vollendet und das noch fehlende Stück der Eisen-
bahnverbindung zwischen Mendoza in Argentinien und Santiago de
Chile hergestellt sein wird, dann wird Buenos-Aires auch für die
Westküste Südamerikas ein wichtiger Hafen sein und eine stattliche
Zahl jener Schiffe an seinen Ufern sehen, die jetzt um die Südspitze
des Continentes fahren, ohne hier anzulegen.
Heute beeinflussen den Handel dieses Hafens nur die Ver-
hältnisse des eigenen Landes, dessen fruchtbarster und daher am
dichtesten bewohnter Theil in der Breite von Buenos-Aires liegt. Man
darf die günstigen Bedingungen, welche Ackerbau und Viehzucht in
diesem Streifen vorfinden, nicht in den übrigen Gebieten der Argenti-
nischen Republik erwarten und, auf dieses Trugbild gestützt, nicht
hoffen, dass Argentinien und damit der Handel von Buenos-Aires den
kühnen Flug nehmen werden, den wir bei den Vereinigten Staaten
von Amerika und bei seiner Metropole New-York staunend be-
wundern.
Als 1879 die Indianer endlich unschädlich gemacht waren und
mit der erlangten Sicherheit Menschen und Capital ins Land wan-
derten, da sagten sich die Argentinier: „Für uns ist der Tag erst
angebrochen.“ Aber eine immer rücksichtsloser auftretende Specu-
lation bemächtigte sich der Ländereien, welche geeignet waren, die
europäischen Einwanderer aufzunehmen, und trieb die Preise derselben
[296]Die atlantische Küste von Amerika.
so in die Höhe, dass die Ankömmlinge das Land nicht kaufen, son-
dern nur pachten konnten. Statt neuer Staatsbürger gewann also Ar-
gentinien meist nur Arbeiter und Pächter, welche Raubbau treiben
mussten, die keine Anhänglichkeit an das Land fesselte und die ihre Er-
sparnisse in die Heimat schickten. Kaum war gegen Ende 1890 die
grosse Krisis ausgebrochen, so stockte der Zuzug der Einwanderer
aus Italien und Spanien, und in den ersten Monaten des Jahres 1891
wanderten bereits mehr Menschen aus als ein. Die Geschäftspolitik
der Argentinier hat ihnen das Scheiden leicht gemacht.
Trotz des Aufschwunges des Ackerbaues in den letzten Jahren
ist die Viehzucht die Grundlage des Ausfuhrhandels von Argen-
tinien geblieben; aber neben den Producten der Viehzucht werden
nach Jahren mit reichlichen Niederschlägen Weizen und Mais schon
nach England ausgeführt.
Die fast mühelose Viehzucht auf den ausgedehnten Ebenen, den Pampas,
sichert dem alten Besitzer von Grund und Boden auch heute noch reiche Einkünfte.
Von besonderer Wichtigkeit ist die Schafzucht, welche seit etwa 40 Jahren
schwunghaft betrieben wird. Argentinien zählt gegenwärtig bei 90 Millionen Schafe.
Schafwolle ist daher der erste Ausfuhrartikel des Landes und des Hafens von
Buenos-Aires. Im Jahre 1890 wurden von Schweisswolle 18 4 Mill. kg (Werth
35·5 Mill. Dollars Gold), 1889 141·8 Mill. kg ausgeführt. Der Hauptbestimmungs-
hafen für La Plata-Wolle ist gegenwärtig Dunkirchen, ihm folgen Hamburg—
Bremen und Antwerpen; Hâvre, Marseille und Genua stehen hinter diesen Plätzen
weit zurück.
Die Ausfuhr von Schaffellen geht meist nach Frankreich und erreichte
1890 27·1 Mill. kg (Werth 6·8 Mill. Dollars Gold), 1889 36·4 Mill. kg.
Argentinien zählt bei 20 Millionen Stück Rinder, und man sagt dort: „In
unserem Lande gibt es keine bessere Mine als die Kühe“, obwohl bei der ver-
hältnissmässig kleinen Bevölkerung die Verwerthung der Thiere nur eine beschränkte
sein kann. An Plätzen, die zum Verschiffen geeignet sind, sind wie in Uruguay
grosse Schlachthäuser, „Saladeros“, wo die Rinder in den Monaten December bis
März-April verarbeitet werden. Man heizt die Kessel mit Fleisch und Knochen-
resten. In die Ausfuhr gelangten „Tasájo“ (gesalzenes und gedörrtes Rindfleisch)
1890 43·5 Mill. kg, 1889 41·8 Mill. kg, die nach Brasilien und Cuba gingen.
Die Ausfuhr von conservirtem Fleisch betrug 1890 0·5, die von
Fleischextract 0·2, die von Zungen 0·7 Mill. kg. Auch Talg (1890 17·4 Mil-
lionen kg), Hörner, Haare, Klauen, Knochen und Asche sind Ausfuhrartikel. Ferner
wurden 1890 3·1 Mill. Stück (Werth 5·8 Mill. Pesos), 1889 2 4 Mill. Stück trockener
Rindshäute und 1890 1·3, 1889 1·0 Mill. Stück gesalzener Rindshäute nach
England, der Union, Deutschland, Frankreich und Spanien ausgeführt.
Ein Vergleich der billigen Einkaufspreise des Viehes in Argentinien mit
den hohen Fleischpreisen Europas liess den Export von frischem Fleisch und
lebendem Vieh das Hauptziel der Viehzüchter Argentiniens werden. So wurden in
Kühlschiffen 1890 20·4 Mill. kggefrorene Hammel gegen 16·5 Mill. kg im
Jahre 1889 ausgeführt.
[297]Buenos-Aires.
Die Ausfuhr von lebendem Rindvieh nach Hâvre, welche 1890 in Buenos-
Aires 50 Producenten in die Hand genommen haben, scheint sich gewinnreich ge-
stalten zu wollen.
Von dem reichen Stapel des Landes an Pferden und Schafen werden nur
die Häute ausgeführt, so 1890 0·1 Mill. Stück trockener, 0·2 Mill. Stück gesalzener
Pferdehäute und 2 Mill. kg Ziegenfelle.
A Zufahrt, B Ankerplatz, C äussere Rhede, D City-Bank, E nördlicher Zufahrtscanal, F Leuchtfeuer,
G südlicher Zufahrtscanal, H Santiago-Canal, J Ensenada de Barragan, K projectirte Docks.
Früher war das Land einzig und allein auf den Ertrag der Viehzucht an-
gewiesen; durch die starke Einwanderung ist es heute in den Stand gesetzt,
Cerealien auszuführen, so 1890 7·1, 1889 4·3 Mill. qMais nach England und
Brasilien, 1890 3·3, 1889 0·02 Mill. qrothen Weizen zumeist nach Brasilien
und 1890 120.000 qMehl.
Andere Ausfuhrartikel sind Gerste, welche nur als Viehfutter verwendet
werden kann, Kartoffeln, die hier zweimal im Jahre gepflanzt werden können;
dann Leinsaat (1890 307.000 q), welche einen guten Ertrag gibt, obwohl man
die Fasern noch gar nicht benützt, und endlich Trockenfutter (1890 191.000 q),
erzeugt von der Luzerne, hier zu Lande Alfalfa genannt, welche am La Plata
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 38
[298]Die atlantische Küste von Amerika.
die dankbarste Culturpflanze ist und in jedem Jahre wenigstens 3, sehr oft aber
4 Schnitte liefert.
Die Einfuhr von Argentinien ist immer grösser als seine Ausfuhr; sie
steht 1890 unter dem Zeichen der grossen ökonomischen Krise des Landes.
Den wichtigsten Theil der Einfuhr bilden Metalle und Metallwaaren.
Der Werth der Einfuhr von Eisen und Eisenwaaren, welche aus England,
Deutschland, Belgien und Frankreich erfolgt, ging 1890 auf 9·6 Mill. Dollars
zurück gegen 1889 24·7 Mill. Dollars. Dass der Rückgang in Zaundraht (Deutsch-
land), Roheisen und Stahl, landwirthschaftlichen Maschinen (Deutschland und die
Union), und Motoren besonders gross ist, muss als die traurigste Folge der jetzigen
Krise bezeichnet werden.
In der Gruppe „Andere Metallwaaren“ weisen 1890 die Luxusartikel,
Schmucksachen aus Frankreich und Uhren aus der Schweiz, dann Rohzink eine
bedeutende Mindereinfuhr gegen das Vorjahr auf.
Auf die verminderte Baulust sind der Rückgang von Holz und Holz-
waaren (1890 7·4, 1889 12·1 Mill. Dollars) und von Stein-, Porzellan- und
Glaswaaren (1890 4·1, 1889 6·7 Mill Dollars) zurückzuführen, denn sie treffen
zumeist die Artikel Tannenholz, Bausteine, Cement (England) und Glasfenster.
Die Einfuhr von Leder und Lederwaaren (1890 4·7 Mill. Dollars) geht
zurück wegen Zunahme der einheimischen Industrie in Schuhwaaren. Dasselbe gilt
von der Confection (1890 6·5, 1889 8·1 Mill. Dollars), für die man zahlreiche
französische Arbeitskräfte ins Land gezogen hat.
Von den Chemikalien (1890 3·9, 1889 4·8 Mill. Dollars) liefern Frank-
reich, England und die Union Oele und Firnisse.
Die Einfuhr von Steinkohlen aus England erreichte dem Werthe nach
1890 nur 5·1, 1889 6·6 Mill. Pesos.
Petroleum liefert die Union, Zündhölzchen Schweden; von Kerzen wurden
2 Mill. Pakete, unter diesen auch solche aus Wien, eingeführt.
In der Gruppe Nahrungsmittel (1890 16·4, 1889 18·4 Mill. Dollars)
sind zu nennen: raffinirter Zucker aus den Niederlanden und Deutschland,
der schwer mit der Concurrenz einheimischer Fabriken zu kämpfen hat, Kaffee aus
Brasilien, Reis aus Bremen und Italien, Olivenöl aus Italien und Spanien, Fisch-
conserven und Yerba maté aus Brasilien und Paraguay; Tabak kommt aus Paraguay.
Bei Getränken (1890 12·8, 1889 15·3 Mill. Dollars) sind besonders her-
vorzuheben die Weine von Oporto und Catalonien, welche die von Bordeaux verdrän-
gen, Bier (1890 0·8 Mill. Dollars) aus München, Alkohol und Wermuth aus Italien.
Die Höhe der Einfuhr von Papier (1890 3·6 Mill. Dollars) trotzt jeder
Krise, denn Politik und Zeitungen ruhen niemals in diesem Lande.
In der Textilbranche (1890 23·5 Mill. Dollars) sind seit der Krise an die
Stelle der Seiden- und Halbseidenwaaren wollene (Frankreich) und baumwollene
(England) getreten; England lieferte 1890 um 3 Mill. Dollars Getreidesäcke.
Endlich bilden einen Haupttheil der Einfuhr Materialien für öffentliche
Bauten (1890 36·2, 1889 24·2 Mill. Doll.), wie Eisenbahnen (1890 34 Mill. Doll.)
und Fabriken, welche zollfrei eingehen und der Hebung des Wohlstandes des Landes
dienen. In Argentinien werden nur englische Stahlschienen verwendet, weil mit Aus-
nahme einer unbedeutenden Strecke alle Bahnen mit englischem Capitale erbaut sind.
Unter dem Schutze hoher Zölle, welche jetzt in Gold erhoben werden, ist
in Buenos-Aires auch eine Industrie entstanden, wie wir wiederholt bei der
[299]Buenos-Aires.
Einfuhr gesehen haben. Man erzeugt hier Bier, Chocolade, Alkohol, Cigarren, Zucker-
raffinade, Wachshölzchen, Stearinkerzen, Schuhwaaren, Säcke, Billards, Nägel und
eiserne Cassen.
Der Waarenhandel von Argentinien betrug:
Buenos-Aires ist der Knotenpunkt des Eisenbahnnetzes, der Fluss-
schiffahrt und des Seehandels von Argentinien, der letztere wird von einer
grossen Anzahl regelmässiger Dampfschiffahrtslinien unterhalten. Diese Linien
sind: der Norddeutsche Lloyd (Bremerhaven 33 Tage), die Hansa (Bremen), die
Hamburg-Südamerikanische Dampfschiffahrts-Gesellschaft (29 Tage), Lamport
\& Holt unter belgischer Flagge aus Antwerpen, ferner Linien von Liverpool und
Southampton, die Royal Mail Steam Packet Company (Southampton), Allan Line
(Liverpool), Messageries maritimes (Bordeaux), Société générale des Transports
maritimes (Marseilles), Chargeurs Réunis (Hâvre, Bordeaux), Compagnie Fraissinet
(Marseille und Genua), Navigazione Generale Italiana und La Veloce (Genua), Nieder-
ländisch-Amerikanische Dampfschiffahrts Gesellschaft (Amsterdam und Rotterdam),
United States and Brazil Mail Steamship Company aus New-York, und eine zweite
Linie aus New-York wird neuester Zeit mit Unterstützung der Vereinigten Staaten
von Amerika errichtet, um die Zollunion zwischen beiden Staaten zu erleichtern.
Von den unregelmässig verkehrenden Dampfern ist eine grössere Zahl für
die ausschliessliche Verfrachtung von Rind- und Schaffleisch in Kühlräumen be-
stimmt und dem entsprechend eingerichtet, so z. B. die Dampfer der Houlder Line,
die Eigenthum der River Plata Fresh Meat Company ist.
Der Verkehr der handelsthätigen Schiffe im Hafen von Buenos-Aires umfasste:
Buenos-Aires hat mit Europa telegraphischen Verkehr über die Ost-
küste und die Westküste von Südamerika, Telephonleitungen in der Stadt und
Umgebung und nach Montevideo.
Die wichtigsten Banken sind die Provincialbank, die Nationalbank, die
Succursale der Banco de Londres y el Brazil, die Holländisch-Amerikanische Agentie.
In Buenos-Aires haben Consulate: Belgien, Bolivia, Brasilien (G.-C.),
Chile, Dänemark (G.-C.), Deutsches Reich (V.-C.), Frankreich, Griechenland, Gross-
britannien, Hawaii, Italien (G.-C.), Niederlande, Nicaragua (V.-C.), Oesterreich-
Ungarn, Paraguay (G.-C.), Peru (G.-C.), Portugal, Russland, Schweden und Norwe-
gen (G.-C.), Schweiz (G.-C.), Spanien, Uruguay (G.-C.), Vereinigte Staaten von Amerika.
Die im Jahre 1880 erfolgte Föderalisirung der Stadt Buenos-
Aires (Ausscheidung aus dem Provincialverbande) ergab die Noth-
wendigkeit, für die Provinz Buenos-Aires eine neue Hauptstadt zu
wählen. Der damalige Präsidentschaftscandidat Rocha trat für die
38*
[300]Die atlantische Küste von Amerika.
Gründung einer neuen Stadt ein, die in der Nähe der Küste und an
einer bis dahin unbewohnten Stelle der Pampas zu erbauen wäre.
Diese Idee fand anfangs grossen Widerstand, als aber bald darauf
Rocha Provinzgouverneur wurde, gelang es seinem energischen Auf-
treten, die Realisirung des Planes durchzusetzen. Ueber Vorschlag des
zu Rathe gezogenen holländischen Ingenieurs, Staatsrath Walrop, der
durch verschiedene grössere Hafenbauten bekannt geworden ist, wählte
man zur Erbauung der neuen Stadt eine Stelle in der Nähe der Bucht
Ensenada, 40 km von Buenos-Aires. Diese Stelle befindet sich aber
nicht unmittelbar am Stromufer, wie letztere Stadt, weil das dem
Strome in der Bucht zunächst liegende Land so niedrig ist, dass es
häufig überflutet wird, sondern auf einer circa 5 m hohen Erhebung
des Terrains, die 5 km südwestlich der Bucht Ensenada liegt.
Ensenada hat vor Buenos-Aires den wesentlichen Vortheil vor-
aus, dass der Strom selbst in der nächsten Nähe des Ufers noch 5 m
tief ist. Die Verbindung der Bucht mit der Stadt wird durch einen
derzeit noch nicht vollendeten Doppelcanal, der vor der Stadt mit
einem bassinartig erweiterten Quercanal abschliesst, hergestellt. Die
Kosten dieser Hafenanlage, bei deren Herstellung auf alle Bedürfnisse
des modernen Verkehres Rücksicht genommen wurde, belaufen sich
auf 20 Millionen Gulden. Die ankommenden Schiffe werden durch
den einen Canal ins Bassin gelootst werden und sich nach Löschen
ihrer Ladung durch den anderen Canal entfernen.
Der Grundstein der neuen Stadt, die den Namen La Plata er-
hielt, wurde am 19. November 1882 gelegt und die Anlage derselben
nach einem in grossartigem Style entworfenen Plane in Angriff genom-
men. Mit echt amerikanischer Schnelligkeit wuchs die Stadt aus dem
Boden, in den breiten Strassen und auf den grossen Plätzen entstanden
prachtvolle Gebäude, zu deren rascherer Bevölkerung der Gouverneur
Rocha sofort alle Aemter der Provincialregierung in die fast unbe-
wohnte Stadt übersiedeln liess, welche derzeit schon weit über 50.000
Einwohner zählt (darunter sehr viele Italiener).
Das Terrain, auf dem sich jetzt die Stadt erhebt, war früher
dicht mit Eucalyptuspflanzungen bedeckt, deren Ueberreste noch in den
Gartenanlagen der Stadt zu finden sind. Die Gegend von Ensenada
ist sumpfig und ungesund, sowie arm an Trinkwasser.
Die neue Hafenstadt wird der Mutterstadt Buenos-Aires gewiss
grosse Concurrenz machen; ob aber die von der Provinz bei der Erbauung
der Stadt investirten Millionen sich genügend günstig verzinsen werden,
muss erst die Zukunft lehren.
[[301]]
Der grosse Ocean.
Jenes ungeheure Salzwasserbecken, welches sich zwischen dem
Ostrande der alten und dem Westrande der neuen Welt hin-
streckt und allein eine grössere Flächenausdehnung besitzt, als
alle fünf Continente zusammen, wird mit verschiedenen Namen be-
zeichnet, unter denen der nüchternste, nämlich „grosser Ocean“
(soviel als „grösster Ocean“) in Deutschland der gewöhnlichste
geworden ist.*)
Andere Nationen ziehen Bezeichnungen vor, die nur dann ver-
ständlich sind, wenn man ihren historischen Ursprung kennt. So ge-
brauchen die Völker englischer Zunge den Ausdruck „Pacific Ocean“,
stiller Ocean, weil Magelhaens, der erste Weltumsegler, bei seinem
Schiffscurse von der Magelhaensstrasse zu den Philippinen eine ruhige,
windstille Fahrt hatte. Durch die Spanier, welche von Westindien
kamen, und vor denen sich, als sie die centralamerikanische Land-
enge überschritten hatten, das neuentdeckte Weltmeer nach Süden
hin ausdehnte, wurde der Name Süd- oder Australsee verbreitet.
Von der Behringstrasse, diesem Maximum der Annäherung der
beiden grossen Festlandsmassen, weichen die amerikanische und asia-
tische Küste immer weiter auseinander. Die Wasserfläche wird immer
ärmer an Inseln. Unabsehbar dehnt sich hier das Bett einer der ko-
lossalsten Meeresströmungen aus, des Kuro Siwo oder schwarzen
Stromes, der mit seinem tiefblauen, warmen Wasser Japan entlang
[302]Der grosse Ocean.
gegen das Behringsmeer fliesst, hierauf aber durch die Drehung der
Erde gegen Amerika abgelenkt wird und in mächtigem Bogen
an der amerikanischen Küste wieder umbiegt, um südlich vom Wende-
kreis des Krebses in die Aequatorialströmung einzumünden, welche
an die asiatische Ostküste zurückführt.
Zwischen den Wendekreisen liegt die ungeheure Inselflur Poly-
nesiens mit ihren hohen (vulkanischen) und niedrigen Eilanden, welch
letztere der Bauthätigkeit eines winzigen Seethieres, der Koralle, ihre
Existenz verdanken. Nach Süden hin wird das stille Meer wieder
einsam, bis schwärmende Eismassen an die Nähe der antarctischen
Zone gemahnen.
Das südliche Eismeer entsendet an die Westseite Südamerikas
einen Strom kalten Wassers, die Peruanische oder Humboldtströmung,
welche die Temperatur jener Regionen erniedrigt und von der Schiff-
fahrt ernstlich berücksichtigt werden muss.
Ein anderer Zweig der antarctischen Trift ergiesst sich um die
Südspitze Amerikas, das Cap Horn, herum in den atlantischen Ocean.
Vergleichen wir nun die pacifischen Küsten der beiden Fest-
landsmassen, so tritt uns die sozusagen überschwengliche Bevor-
zugung der alten vor der neuen Welt auf den ersten Blick entgegen.
In der neuen Welt buchten- und inselarme, dürftig gegliederte Meeres-
ufer, in der alten dagegen Binnenmeere, Golfe, Häfen, Inselgruppen
in Hülle und Fülle. Während sich in der alten Welt herrliche
Fruchtebenen und Stromthäler bis an das Gestade des Meeres hin-
ziehen, steigt an dem Westrande Amerikas fast unvermittelt aus dem
Meere das mächtigste Kettengebirge der Erde, die Cordilleren, empor.
Südamerika hat keinen einzigen nennenswerthen Fluss, der sich
ins pacifische Meer ergiesst, Nordamerika besitzt zwar solche Wasser-
läufe, was bedeuten aber diese unwirthlichen, ihrer Katarakte wegen
weltberühmten, aber sonst geringfügigen Stromgebiete im Vergleich
mit dem Amur, Hoang-ho, Yang-tse-kiang, Si-kiang?
Ein wichtiger Vorzug der asiatischen Küste vor der amerika-
nischen besteht auch darin, dass der ersteren die australische Insel-
welt sich unmittelbar anschliesst, wogegen die letztere durch breite,
öde Meeresstrecken von ihr getrennt ist.
So ist denn auch die von der Natur bevorzugte Ostküste Asiens
der amerikanischen Westküste in culturgeschichtlicher Beziehung um
Jahrtausende vorangeeilt.
Die alte, rothhäutige Bevölkerung Amerikas war nicht im Stande,
die Ungunst der Naturbedingungen zu überwinden; erst den weissen
[303]Der grosse Ocean.
erobernden Rassen, zumal ihrem germanischen Zweige ist es gelungen,
Sieg auf Sieg über die feindliche Natur davon zu tragen und den
lange vernachlässigten Westen Amerikas einer glorreichen Zukunft
entgegenzuführen.
In Ostasien ist es den weissen Eindringlingen, den „rothhaarigen
Barbaren“, noch lange nicht geglückt, sich die uralten, autochthonen
Culturvölker dienstbar zu machen, geschweige denn sie zu verdrängen
oder auszurotten, wie in Amerika oder Australien. Immerhin sind die
Europäer den pacifischen Asiaten hart auf den Leib gerückt. Nur
der Gewalt haben jene die Verträge zu verdanken, welche auch nur
durch die Furcht vor der Gewalt aufrecht erhalten werden können.
Die Erschliessung des grossen Oceans, seiner Inseln und Küsten
hat eine Geschichte, die aus dem Dunkel vorgeschichtlicher Zeit-
räume zuerst in das Dämmerlicht unzusammenhängender Ueberlie-
ferungen eintritt und erst seit einem halben Jahrtausend die erfor-
derliche Helligkeit gewinnt. Den Culturvölkern des Alterthums waren
die Regionen, aus denen Seide und sonstige Kostbarkeiten stammten,
die sie übrigens selbst aus zehnter Hand erhielten, nur vom Hören-
sagen bekannt. Der einflussreichste Geograph des Alterthums, Claudius
Ptolomäus, dachte sich den Ostrand Asiens weit über seine wirkliche
Meridianerstreckung ausgedehnt und die einzige grosse Festlands-
insel von einem einzigen Ocean bespült. Das war die geographische
Weltanschauung, von welcher beherrscht die Seefahrer des 15. und
16. Jahrhunderts ihre Unternehmungen ins Werk setzten.
Hat also das classische Alterthum hinsichtlich der pacifischen
Welt späteren Geschlechtern kaum etwas Anderes hinterlassen als
zähe Irrthümer, so hat dagegen das spätere Mittelalter Verbindungen
eingeleitet und Nachrichten beigebracht, mit denen die Erschliessung
jener Regionen für den abendländischen Culturkreis beginnt. Die
activste unter allen Menschenrassen, die kaukasische, der es vorbe-
halten war, das Unbekannte zu entschleiern und selbst die Einöden
der Weltmeere zu beleben, entsendete ihre ersten Pionniere nach Län-
dern, aus denen seit unvordenklichen Zeiten auf unbekannten Wegen
durch unbekannte Vermittler kostbare Waaren nach den Handels-
plätzen des mediterranischen Gebietes kamen. Diese Pfadfinder waren
theils Kaufleute, theils Missionäre. Zur Zeit als die Nachkommen des
mongolischen Welteroberers Dschingiskan über Asien herrschten,
errichteten katholische Glaubensboten am pacifischen Rande der alten
Welt ein Erzbisthum und zur selben Zeit gelangte nach einer am
schwarzen Meere begonnenen Landwanderung der venetianische Han-
[304]Der grosse Ocean.
delsreisende Marco Polo an die Ufer des gelben Meeres. Seine
Schilderungen von Chathay (China) mit dem Handelsplatze Quinsay
(Hangtscheou-Fu) und von Zipangu (Japan) fanden zwar nicht überall
Glauben, aber an ihnen entzündete sich die thatkräftige Phantasie
eines Christoph Columbus, ja des ganzen Zeitalters der Entdeckungen.
Das Ziel der spanischen, portugiesischen, englischen, holländischen,
und französischen Seefahrer war neben Indien das pacifische Ostasien.
Alle wirklichen oder möglichen Entdeckungen sollten einem
doppelten Zwecke dienstbar gemacht werden: einem materiellen, halb
auf gewaltsame Ausbeutung, halb auf friedliche Handelsverbindungen
gerichteten, und einem ideellen, der Ausbreitung des christlichen
Glaubens. Den genannten Zielen und Zwecken konnte man sich auf
vier verschiedenen Seewegen nähern, den vier berühmten „Durch-
fahrten“ oder Passagen: der südöstlichen Durchfahrt um die Süd-
spitze Afrikas und die beiden Indien herum; der südwestlichen um
die neuentdeckte Welt herum; der nordwestlichen längs des Nord-
randes von Amerika und der nordöstlichen nördlich von Europa und
Asien. Durch die Benützung des südöstlichen Seeweges kamen die
Portugiesen allen Mitbewerbern zuvor. Freilich gegen das chinesische
Reich konnten sie nicht mit Gewalt vorgehen, nach einigen unge-
schickten und darum fehlgeschlagenen Occupationsversuchen be-
hielten sie einen einzigen Handelsplatz, Macao, der ihnen denn auch
bis heute verblieben ist. Mit Japan machten sie 1542 die erste Be-
kanntschaft.
Unterdessen waren auch die Spanier bis zur Südsee vorge-
drungen, aber nicht an deren West-, sondern an deren Ostgestade.
Im Jahre 1513 ergriff der Entdecker Vasco Nuñez Balbao südlich
der Landenge von Panama, die er glücklicherweise entdeckte, von
dem unbekannten Meere durch einen symbolischen Act im Namen der
spanischen Krone Besitz. War doch dieser kraft der vom Papste
Alexander VI. vorgenommenen Theilung der Erde die westliche Hemi-
sphäre ebenso zuerkannt worden, wie den Portugiesen die östliche.
Nun drang aber Magelhaens, der erste Seefahrer, welcher den grossen
Ocean durchquerte, bis zu den Philippinen vor. Nach seinem Tode
(1521) gelangten die Spanier in die Sphären der portugiesischen
Interessen, in das Sundameer, und es entspann sich nun ein Streit
über den Lauf jener Demarcationslinie, durch welche der Papst die
spanische von der portugiesischen Sphäre geschieden hatte. Indem
Carl V. seine Ansprüche auf die Molukken zu Gunsten der Portu-
giesen aufgab, blieben Meere und Inseln 17° östlich von den Ge-
[305]Der grosse Ocean.
würzinseln — also auch der stille Ocean — unbestritten im Besitze
der Spanier. Dem Vertrage streng genommen zuwider behaupteten
sich diese auf den Philippinen, welche seit 1571 langsam colonisirt
wurden.
Mittlerweile breiteten die Spanier durch die Eroberung Mexicos,
des Inkareiches in Peru und Chile ihre Besitzungen an der paci-
fischen Küste immer mehr aus.
Im Norden und Süden kamen ihre Unternehmungen ins Stocken,
als sie bis zu Territorien vorgedrungen waren, wo es nach ihrem
Dafürhalten keine Edelmetalle gab. Schon entwickelte sich ein be-
scheidener Verkehr zwischen der atlantischen und der pacifischen
Küste, theils über die Landenge von Panama, theils um Südamerika
herum. Von dem mexicanischen Acapulco fuhr auch alljährlich ein
spanisches Frachtschiff nach den Philippinen.
Den Bannkreis dieses päpstlich privilegirten spanisch-portugie-
sischen Stilllebens durchbrachen zuerst im Zeitalter der Königin Eli-
sabeth die protestantischen Engländer, bald darauf, anfangs sogar mit
ungleich grösserem Erfolge, die gleichfalls ketzerischen von Spanien
abgefallenen Holländer. Den Letzteren verdankt die Welt den Fort-
gang der Entdeckungen in der Südsee. Von Japan drangen sie bis
zu den Kurilen und bis zum Ochotzkischen Meere vor. Im Süden
umfuhren sie das den Portugiesen und Spaniern nicht ganz unbe-
kannt gebliebene Australien, das von ihnen auch Neu-Holland ge-
tauft wurde. Mit Recht gehört der Name Abel Tasmans, des
grössten unter den holländischen Entdeckern, zu denjenigen, die
durch Uebertragung auf bestimmte Erdräume Unsterblichkeit erlangt
haben. Auch die Russen gelangten am Anfange des 17. Jahrhunderts,
Pelzthiere jagend, durch Sibirien bis an den grossen Ocean.
Doch auch den Holländern fehlte die nachdrückliche Macht,
den ostasiatischen Völkern ihren Herrscherwillen aufzuzwingen; noch
weniger lag es im Kreise ihrer Bestrebungen, den pacifischen Orient
und Occident mit einander zu verbinden. Die Beziehungen zu China,
Japan und der pacifischen Inselwelt blieben während der Periode der
holländischen Suprematie nur ein Nebengeschäft des indischen Handels.
Gleichfalls von Indien aus kamen die Engländer, die glücklichen
Nebenbuhler der Holländer, nach Ostasien und Australien.
Während des XVIII. Jahrhunderts ging die Führerschaft im Welt-
handel von den Holländern auf die Engländer über. Das volkarme
Holland konnte ebensowenig wie das volkarme Portugal eine Welt-
herrschaft behaupten, zu deren Aufrichtung ihnen einige geniale Köpfe
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 39
[306]Der grosse Ocean.
und ihre maritime Ueberlegenheit über die zeitgenössischen seefahrenden
Nationen geholfen und genügt hatten.
Das volkreiche Spanien und England waren die natürlichen
Erben. Die Engländer gelangten um dieselbe Zeit, als sie in Indien
festen Fuss gefasst, auch in den Besitz des ganzen Nordens von
Amerika. So rückten denn von West und Ost und bald auch vom
australischen Süden die angelsächsischen Colonnen gegen das noch
immer erst halb bezwungene stille Meer vor. Ein grosser Mann diente
ihnen als Eclaireur, James Cook († 1779), der eigentliche Entdecker
Polynesiens, der durch seine arctischen und antarctischen Forschungs-
reisen für immer das Märchen einer südlichen und nördlichen Land-
verbindung der alten und neuen Welt widerlegt hat. Seinem Rathe
folgend, colonisirten seit 1788 die Engländer den antipodischen
Continent.
Nur nach langem, hartnäckigem Ringen mit den widerspenstigen
Chinesen gelang es den Europäern, unter englischer Führung in Ost-
asien festen Fuss zu fassen. Die Serie dieser Kämpfe eröffnet der
sogenannte Opiumkrieg (1840—1842). Als die chinesische Regierung
nämlich den Consum des Opiums, welches die Briten aus Ostindien
importirten, untersagte, erzwangen diese nicht bloss die Zurücknahme
des Verbotes, sondern auch die Ueberlassung von Hongkong und die
Eröffnung der fünf ersten Vertragshäfen, darunter Canton und Shanghai.
Auch die Union und Frankreich schlossen alsbald vortheilhafte
Verträge mit dem himmlischen Reiche (1860), und Russland benützte
(1858) die Zeit kriegerischer Verwicklungen, um das Amurgebiet zu
annectiren. Wenn auch die chinesische Regierung später sich vor
weiteren Verwicklungen mit den militärisch so sehr überlegenen Euro-
päern hütete, so dauerte und dauert doch die Antipathie des Volkes
gegen die racefremden „Barbaren“, deren Einrichtungen und Erfindungen
fort. Selbst zu einem abermaligen, wenn auch von Seiten der Chinesen
verkappten Waffengange kam es, als die Franzosen Tongking und
Annam occupirten und vom Süden aus China in die Flanke nahmen.
Von Russen und Franzosen zu Lande, von den Briten und allen
anderen seefahrenden Nationen zu Wasser in die Mitte genommen,
kann der Chinese dem Eindringen europäischer Gesittung nicht länger
widerstehen. Das neunzehnte Jahrhundert hat dem „Reiche der
Mitte“ den Telegraphen und zum Schlusse sogar die verhasste Eisen-
bahn beschert.
Ganz anders verhielten sich die ehemals gleich den Chinesen
abgeschlossenen und allem christlich-europäischen Wesen feindlichen
[307]Der grosse Ocean.
Japaner, seit durch die Nordamerikaner (1854) das Land Fremden
eröffnet wurde. Von diesem Jahre an herrscht in dem nebeligen
„England Ostasiens“ eine ununterbrochene Culturrevolution, welche
den Volksgeist der liebenswürdigen Japaner zu einem ganz neuen
Leben erweckt. Die Geschichte weist kein anderes Beispiel einer so
raschen und gründlichen Aufnahme einer fremden Cultur auf, als sie
sich in Japan vollzogen hat; denn nicht bloss das Fahrzeug des bri-
tischen oder nordamerikanischen Kaufmannes hat in Yokohama oder
Nagasaki Zugang erhalten, sondern auch die höchsten Culturgüter des
europäischen und speciell germanischen Gesittungskreises hat das
hochbegabte Volk sich mit bewunderungswürdiger Raschheit ange-
eignet.
Während sich diese Umwandlungen in den uralten Culturländern
Ostasiens vollzogen, bildeten sich an der pacifischen Küste Nord- und
Südamerikas, in Australien und Polynesien neue Staaten, ja neue Popu-
lationen. Auch für die Geschichte der Wirthschaft ist der Abfall des
spanischen Amerikas vom Mutterlande in den zwei ersten Decennien
des XIX. Jahrhunderts ein epochemachendes Ereigniss. Die neuen
Staaten wurden seitdem erst dem internationalen Verkehre erschlossen.
Indessen, sowie der Handel mit China, Japan, Australien und Poly-
nesien noch immer bloss eine Fortsetzung und ein Bestandtheil des
europäisch-indischen Handels ist, so ist auch noch immer der Handel
mit dem pacifischen Südamerika grossentheils nur eine Fortsetzung
des transatlantischen Handels.
Vom atlantischen zum pacifischen Ocean führt aber heute nicht
bloss, wie ehemals, der Seeweg um Südamerika herum, es führen auch
sechs Schienenstränge von Meer zu Meer: die hochbedeutsame Panama-
bahn, die vier Pacificbahnen des Uniongebietes, die Bahn von Canada
nach British Columbia. Alle sechs Bahnen verdanken dem Golde
ihren Ursprung, dem Golde Californiens in erster Reihe. Die näm-
liche Zaubermacht hat San Francisco über Nacht zum wichtigsten
Hafen des stillen Meeres emporgehoben. Hier hat der im engeren
Sinne transpacifische Handel seinen Ausgangspunkt, hier haben die
nach Asien strebenden, der britischen Vorherrschaft nicht ungefähr-
lichen Yankees den Stützpunkt für alle Unternehmungen auf der
Südsee in grossartiger Weise aufgerichtet.
Dem Golde seines Bodens hat Australien seinen Aufschwung in
den vier letzten Jahrzehnten zu verdanken, nebstbei ein wenig der
Wolle seiner 120 Millionen Schafe. In der mit tropischen Producten
gesegneten Inselflur der Südsee hat auch die jüngste unter den Colonial-
39*
[308]Der grosse Ocean.
mächten, Deutschland, Posto gefasst. Der Deutsche, als Rheder und
Commissionär in Südaustralien längst daheim, ist seit 1885 Herr
eines Gebietes von mehr als 250.000 km2 mit nahezu einer halben
Million Einwohner.
So versammeln sich denn die Völker immer mehr, um den bis
zum XIX. Jahrhunderte in Wirklichkeit „stillen“ Ocean in die grosse
internationale Bewegung des Güterverkehres hineinzuziehen.
Die pacifische Welt ist noch lange nicht in den Zenith ihrer
Entwicklungsfähigkeit getreten, sie bescheint erst das Morgenroth
ihrer culturgeschichtlichen Entwicklung. Die folgenden Capitel mögen
zeigen, was bisher den kommenden Zeiten vorgebaut wurde.
[[309]]
Valparaiso.
Die Ostseite des grossen Oceans ist geschlossen und einförmig,
seine Küste hafenarm, und schon in geringer Entfernung von dieser
erheben die Anden ihre schneebedeckten Häupter. So bleibt nur wenig
Raum für reiche Küstenlandschaften, und die Verbindung mit dem
Innern ist schwierig und theuer.
Von allen Häfen der ganzen langgestreckten Westküste Amerikas
sind nur zwei von grösserer Bedeutung: Valparaiso und S. Francisco.
Im Jahre 1536 durch den spanischen Officier Juan de Saa-
vedra als Hafen für die landeinwärts angelegte Hauptstadt Santiago
gegründet, erhielt Valparaiso vom Gründer den Namen seines bei
Cuenca in Spanien gelegenen Geburtsortes. Die Anlage der Haupt-
städte einige leguas landeinwärts geschah der Seeräuber wegen,
welche es nicht wagten, sich so weit von ihren Schiffen zu entfernen,
und sich mit der Plünderung der Häfen begnügten, so lange diese
Punkte nicht befestigt waren. Man ist heute bei der Ankunft in
Valparaiso erstaunt, gerade diesen Punkt der Erde „Val paraiso“,
Thal des Paradieses, genannt zu finden, da diese Bezeichnung weder
zum landschaftlichen Bilde der Stadt, die von kahlen, zerklüfteten
Hügeln eingefasst ist, noch zur Vorstellung eines behaglichen oder
beschaulichen Lebens der dort Ansässigen, noch auch nur mit Bezug
auf einen etwa sehr sicheren Ankerplatz passend ist. Von der Beute-
sucht kühner Abenteurer, den Kriegen des Landes und von dem zer-
störenden Wirken feindlicher Naturgewalten wiederholt und schwer
mitgenommen, ist Valparaiso stets ein Mittelpunkt fieberhafter Thätig-
keit und ruhelosen Schaffens gewesen. Die einst kleine und unbe-
deutende Stadt ist in den letzten 60 Jahren mächtig emporgeblüht;
dem Meere, das früher die Abhänge der Cerros bespülte, wurde durch
Anschüttungen ein weites Terrain abgewonnen und wo jetzt schöne
Strassen führen, lagen einst Schiffe vor Anker.
[310]Der grosse Ocean.
Lange Jahre nach seiner Gründung figurirte Valparaiso noch auf den könig-
lichen Seekarten, ohne aber eine namhafte Niederlassung zu sein; Francis Drake,
der Valparaiso im Jahre 1578 unterwarf, fand kaum ein Dutzend Häuser zu zer-
stören. Sechzehn Jahre später plünderte der englische Corsar Hawkins die kleine,
mittlerweile wieder aufgebaute Ortschaft und deren Waarenmagazine. Von diesem
Schlage kaum erholt, fiel Valparaiso 1600 in die Gewalt des holländischen See-
räubers Van Noort. Diese wiederholten Heimsuchungen stählten aber die Wider-
standskraft der Bewohner Valparaisos, die im Jahre 1615 einen neuen Angriff des
Holländers Spielbergen energisch zurückwiesen.
Gegen Ende des XVII. Jahrhunderts sendete der Vicekönig von Peru acht
Kanonen zur Bestückung des bastionirten Werkes „La Concepcion“, das aber —
knapp vor Beendigung seines Baues — durch das Erdbeben vom Jahre 1730 zer-
stört wurde.
Kurz vor Beginn des Unabhängigkeitskampfes zählte Valparaiso, das 1802
vom Könige zum Range einer Stadt erhoben wurde und den Namen Nuestra
Señora de la Merced de Puerto Claro erhielt, 4500 Einwohner, die sich unter dem
Schutze von vier starken Forts: Concepcion, San Antonio, San José und el Baron,
ziemlich sicher fühlen konnten.
Die Spanier steckten nach ihrer Niederlage von Chacabuco Valparaiso in
Brand und schleiften die Forts. Das Erdbeben vom Jahre 1822, die Erdstösse der
Jahre 1839 und 1873, die Feuersbrunst vom November 1858 und das Bombar-
dement durch die spanische Flotte unter Admiral Nunez am 31. März 1866 fügten
der aufstrebenden Stadt noch manchen schweren Schaden zu.
Valparaiso liegt amphitheatralisch an der Südseite einer halb-
kreisförmigen Bai, die 2½ Seemeilen breit und 1¼ Seemeilen tief
ist. Von der See durch einen schmalen Streifen Landes getrennt, er-
hebt sich eine kahle Hügelkette, deren Höhe zwischen 300 und 450 m
beträgt. Auf einem der Hügel befindet sich die Signalstation, durch
welche die ankommenden Schiffe nach Valparaiso gemeldet werden.
Dem vorhandenen ebenen Boden entsprechend, bestand die Stadt
seinerzeit aus einer einzigen langen Strasse, die sich längs des Gestades
hinzog. Späterhin, beim Anwachsen der Stadt, baute man die neuen
Häuser auch auf ansteigendem Terrain, das durch Sprengungen ge-
ebnet wurde, ferners in den gegen die See zu sich öffnenden Thälern
und Wasserläufen (Quebradas) zwischen den Hügeln, sowie endlich
auch auf dem durch Anschüttungen gewonnenen Lande.
Ein steiler Felsvorsprung, Cueva del Chivato, theilt die Stadt
in zwei Theile. Westlich liegt der ältere Stadttheil, El Puerto ge-
nannt, mit den wichtigsten öffentlichen und commerciellen Bauten,
von welchen insbesondere der grossartige Zollspeicher, das Zollamt
und der Kuppelbau der Börse hervorzuheben sind. In dieser untern
Stadt wickelt sich der ganze Geschäftsverkehr ab. El Puerto be-
sitzt überdies eine Anzahl von Schiffswerften und einen Hafen, der
[311]Valparaiso.
durch den vorliegenden Molo gegen den Seegang der Rhede geschützt
ist. Die Hauptkirche befindet sich auf der Plaza de la Municipalidad,
dort ist auch das Standbild des Admirals Lord Cochrane.
Manche der neueren Bauten erinnern an ähnliche der nordameri-
kanischen Städte. Auf dem Cerro Alegre, über der Stadt, liegen die
meist villenartigen Häuser der englischen und deutschen Kaufleute und
die protestantische Kirche. Im östlichen Stadttheil, El Almendral, sind
die Häuser zumeist einstöckig. An der Plaza Victoria liegt ein Theater,
im östlichen Theile des Almendral der Staatsbahnhof.
Eine Verbindungsbahn mit zahlreichen Haltestellen führt vom
Staatsbahnhof längs des Quais zum Hafen. Am Quai befindet sich der
Membrillo, ein hübscher Spaziergang mit Ausblick auf den Hafen und
dessen Befestigungen.
Die Strassen sind mit Gas oder elektrisch beleuchtet; die Haupt-
strasse, Calle Esmeralda, führt parallel zum Quai. In dieser beleb-
testen Verkehrsader Valparaisos sind zahlreiche stattliche Auslagen,
Bankinstitute und Consulate zu finden. Eine Wasserleitung versorgt
die Stadt mit Wasser, ein ausgedehntes Tramwaynetz zieht sich vom
Fort Baron zum Zollamt. Eigenthümlich ist, dass die gleichmässig
uniformirten Tramwayconducteure — weiblichen Geschlechtes sind;
die Guttaperchamarken der Gesellschaft von 2½ und 5 Centavos
dienen als Scheidemünze, wenn auswärtige Kriege und innere Un-
ruhen die Staatsfinanzen in Unordnung bringen.
Die vielen Quebradas schneiden tief zwischen die Hügel ein und
führen in ihrem Grunde Bäche, welche im Winter oft zu reissenden
und mächtigen Sturzbächen anschwellen und alljährlich einige Ranchos
(Hütten) zerstören. Am Quebrada San Augustin liegt das zweite Theater
der Stadt, welches, auf dem Grunde eines verlassenen Convents er-
baut, vor mehreren Jahren abgebrannt ist, seither jedoch wieder auf-
gebaut wurde.
Die stattliche Victoriakirche mit eleganten Colonnaden, die
palastartigen Wohnhäuser, wie beispielsweise der in florentinischem
Stile erbaute Palast der Familie Edwards, grosse Bankhäuser und
reiche Clubs verleihen der Stadt ein prächtiges Aussehen. Der Ge-
sammteindruck wird noch gehoben durch die grossstädtischen Kauf-
läden mit ihren hübschen Auslagen und durch das lebhafte Treiben
auf den Strassen, das sich bis in die Nacht fortsetzt und bei den
allabendlichen Strassenconcerten seinen Höhepunkt erreicht. Bei diesen
Concerten, die von 8½ bis 9½ Uhr Abends dauern, sind die Damen
sehr luxuriös und nach der neuesten Pariser Mode gekleidet.
[312]Der grosse Ocean.
Valparaiso hatte nach dem Census von 1885 bereits 104.952
Einwohner. Das Gros derselben ist spanischer Herkunft, bei den
unteren Classen des Volkes finden sich noch Spuren der Ureinwohner
des Landes, der indianischen Araukaner. Der Handel der Stadt liegt
zumeist in den Händen englischer und deutscher Kaufleute. Die
deutsche Colonie, welche in Valparaiso eine sehr geachtete und her-
vorragende Stelle einnimmt, besitzt einen Turnverein mit eigenem
Clubhaus. Oesterreich-Ungarn, von dessen Unterthanen in ganz Chile
nur 674 ansässig sind, findet sich in Valparaiso nur spärlich vertreten.
Unter den Wohlthätigkeitsanstalten sind hervorzuheben: das
städtische Hospital, ein eigenes Blatternspital, ein Armen- und ein
Waisenhaus. An wissenschaftlichen Instituten bestehen in Valparaiso
ein theologisches Seminar, eine Marine-Akademie mit 70 Schülern
und einer maritimen Bibliothek, ein Lyceum mit 500 Schülern und
ein Museum. Das letztere wurde im Jahre 1878 durch die Initiative
des Rectors des Lyceums, Eduard de la Barra, gegründet und ist in
fünf grossen Sälen des Lyceums installirt. Es zerfällt in drei Sectionen:
Zoologie und Paläontologie, Mineralogie und Ethnologie. Mit dem
Museum ist auch eine bakteriologische Untersuchungsanstalt verbunden.
In Valparaiso erscheinen vier grosse Tagesblätter mit einer Total-
auflage von 20.000 Exemplaren. Eines dieser Blätter, „El Mercurio“,
hat bereits mehr als ein halbes Jahrhundert hinter sich. Ueberdies
besteht seit mehreren Jahren eine Vereinigung der Seeofficiere, der
Circulo Naval, der eine vortreffliche, fachwissenschaftliche Zeitschrift,
die „Revista de la Marina“, veröffentlicht.
Am nordöstlichen Ende der Bai von Valparaiso, mit der Eisen-
bahn leicht zu erreichen, liegt der reizende Badeort Viña del Mar, welcher
zahlreiche Villen mit schönen Gärten und einige elegante Hôtels be-
sitzt. Im Jahre 1586 wurde das Eigenthumsrecht von Viña del Mar,
das nur aus einem Weinberg bestand, um 150 Pesos angekauft, der-
zeit kostet der Quadratmeter 10 Pesos. Viña del Mar ist als Badeort
sehr beliebt, und daselbst werden auch jährlich Wettrennen abgehalten.
Das Anlaufen des Hafens von Valparaiso ist mit keinerlei
Schwierigkeiten verbunden; auf Punta Angeles befindet sich ein weithin
sichtbares Leuchtfeuer, eine rothe selbstthätige Signalboje kenn-
zeichnet die auf 280 m von der genannten Spitze liegende Untiefe
Buoy Rock. Bei heftigen Nordwinden ist es räthlich, in See zu bleiben,
weil diese das Land mit Nebel verdecken und im Hafen einen heftigen
Seegang erzeugen, der die Schiffe gefährdet. Das bevorstehende Ein-
treten von Nordwetter, das sich durch das Sinken des Barometer-
[[313]]
Valparaiso.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 40
[314]Der grosse Ocean.
standes unter 755 mm anzeigt, wird vom Hafenamt durch Hissen
zweier Ballons auf dem Flaggenstocke der Börse angezeigt, worauf
die Dampfer in See zu gehen pflegen, um daselbst das Aufhören
des Nordwindes abzuwarten. Im Winter, das ist vom Mai bis October,
herrschen die Nordwinde vor, in den übrigen Monaten aber südliche
Winde.
Die Rhede besitzt an ihrer Einfahrt über 50 m, bei den Quais
9 m Tiefe. Bei nördlichen Winden hält der Ankergrund ziemlich gut,
bei Winden aus entgegengesetzter Richtung aber weniger zuverlässig.
Der Vertäuungsort der Schiffe wird denselben fallweise vom Hafen-
amt bestimmt, nur die regelmässig verkehrenden Dampfer haben ihre
ständigen Bojen. Die chilenischen Kriegsschiffe liegen nahe der West-
küste der Bucht, im sichersten Theile der Rhede.
Zwei concurrirende Schleppergesellschaften haben die Erlaubniss
erhalten, ausserhalb des gewöhnlichen Ankerplatzes zwei Bojenreihen
zu legen, die gegen Bezahlung von je 2½ Pesos per Tag benützt
werden können. Diese Gesellschaften verfügen über ein vortreffliches
Flottantenmateriale und einige kleinere Dampfer, und leisten den Schiffen
manchen nützlichen Dienst, wie beispielsweise Wasserversorgung,
Schleppen und Vertäuarbeiten, sowie auch Hilfe bei Seenoth und
und Bränden.
An der Westküste der Bucht, wo sich die schönen und mo-
dernen Zollspeicher befinden, wurde ein eiserner Molo auf cylindrischen
Trägern erbaut. Dieser Molo, Fiscale benannt, besitzt einen poly-
gonalen Kopf, welcher mit einem Absatze treppenförmig gegen die
See abfällt und für das Anlegen der Boote dient. Im Grunde der
Rhede, in Almendral, befinden sich noch mehrere Anlegeplätze, darunter
zur Benützung bei Seegang eine schwimmende Anlände, doch ist bei
nördlichen Winden jeder Bootsverkehr zwischen Schiff und Land
geradezu ausgeschlossen und bei anderen, frischeren Winden sehr
erschwert. Nachtsüber dürfen, um das Schmuggeln hintanzuhalten,
nur Kriegsboote und die Boote der Finanzbehörde verkehren. Letztere
können aber gegen Vergütung auch von Privatpersonen zur Beförderung
im Hafen benützt werden.
In der Nähe des eisernen Molos befinden sich zwei Balance-
docks. Das Santiago-Dock ist 90·8 m lang und 27·4 m breit, das Valpa-
raiso-Dock 60 9 m lang und 24·4 m breit; ersteres eignet sich zur
Aufnahme von Schiffen bis zu 4000 T, letzteres für Schiffe von 2200 T
Deplacement. Die Gesellschaft, der diese beiden Doks gehören, beab-
sichtigt, ein drittes, grösseres Dock aus Eisenconstruction herzustellen,
[315]Valparaiso.
in welchem auch die Panzerschiffe der chilenischen Kriegsmarine
werden Aufnahme finden können.
Valparaiso ist der erste Hafenplatz von Chile, einer der
bedeutendsten Knotenpunkte der Schiffahrt im stillen Ocean. Es ver-
mittelt fast ausschliesslich den Verkehr der Hauptstadt Santiago de Chile,
welche mit ihren 200.000 Einwohnern, als Sitz der Regierung und
Centralstation der Eisenbahnen, die von hier nach Valparaiso (187 km)
und nach Süden führen, das ergiebigste Absatzgebiet des Landes
für fremde Waaren bildet.
Seine reichen und creditfähigen Handelshäuser versorgen zum
grossen Theile die übrigen Küstenplätze mit auswärtigen Fabrikaten.
So kommt es, dass über Valparaiso heute noch bei 70 % der frem-
den Einfuhr ins Land kommen, und in früheren Jahren war das
Verhältniss sogar weit günstiger. Die übrigen chilenischen Häfen,
namentlich die von hier weiter entfernten, befreien sich allmählich
von dem Zwischenhandel Valparaisos; die Hauptimportfirmen desselben
errichten überall Zweiggeschäfte, und diese beziehen die Waaren
grösstentheils direct von dem Productionslande.
Auch Santiago wird sich nach Vollendung der transandinischen
Bahn nach Argentinien zum Theile wenigstens der Vormundschaft
Valparaisos entziehen.
Die einst herrschende Rolle in der Ausfuhr Chiles hat Valpa-
raiso schon lange verloren, denn der Hauptsitz der Production des
Staates sind nicht mehr die dicht bevölkerten Ackerbaudistricte zwischen
32°—43° südlicher Breite, sondern die Mineralzone des regenlosen
Nordens, wo sich „Caliche“, die Salpeterfelsen, in unerschöpflichen
Mengen finden. Doch hat bis in die letzte Zeit Valparaiso auch in
der Ausfuhrstatistik einen hervorragenden Platz dadurch eingenommen,
dass im Wege des Küstenhandels aus dem Süden die landwirth-
schaftlichen Producte, aus dem Norden die Bergproducte dorthin für
den Handel ins Ausland zusammenflossen. Auch hierin hat eine Aende-
rung stattgefunden, der directe Verkehr ist an die Stelle des indirecten
getreten und der Antheil von Valparaiso an dem Ausfuhrhandel Chiles
1889 auf 14 % herabgesunken.
Der wichtigste Artikel der Ausfuhr von Valparaiso ist Getreide, und zwar
gehen Weizen und Braugerste nach England, Weizenmehl nach den anderen süd-
amerikanischen Staaten. Kupfer, dessen Bedeutung für Chile durch die ameri-
kanische Concurrenz gesunken ist, geht von dem Schmelzwerke zu Santiago über
Valparaiso nach England und Deutschland (1885 53.000 q), Schafwolle geht
nach Frankreich, England und Deutschland. Auch Guano wird in abnehmenden
Mengen über Valparaiso ausgeführt.
40*
[316]Der grosse Ocean.
Die Einfuhr von Valparaiso findet auf eigene Rechnung der dortigen Im-
porthäuser statt, von denen eine Anzahl Filialen grosser europäischer Firmen sind.
Die grossen Mengen der billigen Baumwollwaaren, welche die hiesige
Bevölkerung verbraucht, kommen aus England, geringere bedruckte Baumwoll-
stoffe auch aus der Union, feine Waaren aus Deutschland.
Baumwollene und halbwollene Hosenstoffe, Shawls, Wirkwaaren sendet
Deutschland, baumwollene bedruckte Taschentücher England und die Schweiz,
feine Tücher England und Belgien, wohlfeile Qualität Deutschland.
Theure Modeartikel liefert Frankreich.
Rohzucker (1887/88 157.000 q) kommt meist aus Peru, einiges auch aus
Java, und ist zum Theile für den unmittelbaren Consum der armen Bevölkerung
bestimmt.
In raffinirtem Zucker (1887/88 107.300 q) beherrscht Deutschland den
Markt, weil die Frachtsätze von Hamburg her sehr günstig sind.
Eisen und Eisenwaaren kommen zum grössten Theile aus England.
In Maschinen finden wir hier neben England die Union und Deutsch-
land, in eisernen Nägeln die Union.
Cement, Zündhölzchen, Kerzen und Druckpapier liefert Deutschland.
Der Einfuhr- und der Ausfuhrhandel von Valparaiso sind in verhältniss-
mässig wenigen Händen concentrirt, die betheiligten Handelshäuser sind sehr
solid fundirt und leiten ihren Geschäftsbetrieb in sehr conservativer Weise.
Der auswärtige Handel von Valparaiso betrug:
Die wichtigsten Verkehrsländer sind Grossbritannien, Deutschland, das
seinen Handel auf Kosten von Frankreich ausbreitet, Frankreich und die Ver-
einigten Staaten.
Grösser als die Umsätze des auswärtigen Verkehres sind in Valparaiso die
des Küstenhandels, welcher 1888 in der Zufuhr 22,383.600 Pesos oder ein
Viertel und in der Ausfuhr 47,344.615 Pesos, also mehr als die Hälfte des ge-
sammten Küstenverkehres der Republik erreichte.
Die bedeutendsten industriellen Etablissements von Valparaiso sind
die Werkstätten der Staatsbahn, eine grosse Giesserei und Maschinenwerkstätte,
eine Wagenfabrik, eine Zuckerraffinerie und Spiritusbrennerei (in Viña del Mar),
zwei Bierbrauereien, eine Tabakfabrik und Mineralwasserfabriken.
Der Verkehr der handelsthätigen Schiffe betrug 1888 1460 Dampfer
mit 1,392.189 T und 1062 Segler mit 810.625 T, zusammen also 2522 Schiffe mit
2,202.805 T. Die wichtigsten Flaggen sind die englische, die chilenische, die
deutsche und die französische. Valparaiso und die Küsten Chiles überhaupt bieten
auch Segelschiffen lohnende Frachten.
Der Hafen von Valparaiso wird von einer Reihe regelmässiger Schiff-
fahrtslinien angelaufen. Die wichtigste ist die Pacific Steam Navigation Company,
welche von Liverpool aus über Bordeaux und Lissabon bis Callao geht und in
40 Tagen Valparaiso erreicht; der „Kosmos“ braucht von Hamburg her 50 Tage;
dieser und die Hamburg-Pacific-Dampfschiffslinie gehen nach Norden bis Central-
amerika.
[317]Valparaiso.
Zu nennen sind ferner die Compagnie maritime du Pacifique (Bordeaux)
und die unregelmässig verkehrende Greenock Steamship Company oder Gulf Line
(Glasgow Liverpool), Pacific Mail Packet Service (Panama-Valparaiso), die Com-
pañia Sudamericana mit dem Sitze in Valparaiso, welche an der Küstenschifffahrt
zwischen Puerto Montt und Callao participirt und dafür von der chilenischen
A Ankerplatz, B schwimmende Docks, C Hospital, D Friedhöfe, E Eisenbahnstation, F Leuchtfeuer,
G Estero de la Delicias, H Börse, J Pulvermagazine, K Artillerie-Baracken.
Regierung mit 206.000 Pesos subventionirt ist; endlich die Compañia Armadores
de Valdivia.
Zur Beförderung der Post von und nach Europa bedient mansich mit Vorliebe
der Pacific Steam Navigation Company, welche durch die Magelhaensstrasse geht.
Der Weg über die Landenge von Panama ist nicht so verlässlich. Die Vollendung
der transandinischen Bahn über den Uspalatta Pass (3190 m) wird gestatten, dass
[318]Der grosse Ocean.
die Briefe von Bordeaux über Buenos Aires statt in 37 Tagen schon in 26 Tagen
in Valparaiso ankommen werden.
Den Telegraphenverkehr mit der Union und Europa besorgt die „West-
Coast of America Telegraph Company“ über Galveston. In zweiter Linie benützt
man die Leitungen über Panamá-Jamaica und über Buenos Aires. Valparaiso besitzt
ein dichtes Telephonnetz.
Von Bankinstituten sind zu nennen: eine Filiale der Banco National
de Chile und die Banco de Valparaiso.
In Valparaiso unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Bolivia, Bra-
silien (G.-C.), Columbia, Costarica, Dänemark (G.-C.), Deutsches Reich, Canada,
Frankreich, Grossbritannien, Mexico, Niederlande (G.-C.), Oesterreich-Ungarn (G.-C.),
Paraguay, Peru, Portugal, Russland, Salvador, Schweden und Norwegen, Schweiz
Uruguay, Vereinigte Staaten von Amerika.
Die anderen wichtigeren Häfen Chiles, die, wie erwähnt, in ihrem
auswärtigen Verkehre von Valparaiso immer mehr unabhängig
werden, sind: im Süden Valdivia, der Mittelpunkt zahlreicher deutscher
Niederlassungen und einer lebhaften Industrie; Talcahuana, mit Val-
paraiso durch eine Eisenbahn verbunden, hat den besten Hafen an der
Westküste Südamerikas; im Norden von Valparaiso sind Cochimbo,
Caldera und die Salpeterhäfen Taltal, Antofagasta, Ausgangs-
punkt einer Eisenbahn, welche bereits die Grenzen von Bolivia er-
reicht hat und ins Innere dieses Landes fortgesetzt wird, Tocopilla,
Iquique, Junin, Pisagua. Von den letzteren behauptet Iquique
den Vorrang, welches unter den 20° 12′ 30″ südlicher Breite an der
Spitze einer weiten sandigen Landzunge liegt. Der Hafen, in welchem
die Schiffe guten Ankergrund und Schutz gegen die Südwestwinde
finden, die hier durch acht Monate im Jahre wehen, breitet sich
zwischen der Stadt und der gleichnamigen Insel aus.
Die Küstenwüste der Salpeterregion setzt sich nach Norden hin
weiter fort; aber in Peru unterbrechen hie und da Thäler mit grosser
Fruchtbarkeit und Schönheit die Sand- und Felseinöde. Sie werden
durch die Bäche und Bergströme gebildet, welche die schmelzenden
Schneemassen der Cordillere oder die Regengüsse speisen, die während
eines Theiles des Jahres im Innern fallen.
Die Küstenplätze, die am Ausgange der grösseren dieser Thäler
oft inmitten einer trostlosen Umgebung liegen, weil durstige Sandmassen
die Gewässer aufsaugen, bevor sie das Meer erreichen, sind fast alle
Ausgangspunkte von Eisenbahnlinien, die am Fusse der eigentlichen
Cordillere enden, aber schon auf kurze Strecken bedeutende Steigungen
zu überwinden haben.
[319]Valparaiso.
Wir nennen hier Arica, den Hafen von Tacna, dann Molendo,
den Ausgangspunkt der Südbahn von Peru, deren Geleise in einer
Höhe von 4751 m, also fast in einer Horizontallinie mit dem Gipfel
des Montblanc, die Cordillere überschreiten und den Reisenden in
zwei Tagen nach Puno an die felsigen Ufer des hellblauen Titikaka-
Sees bringen, dessen Spiegel höher liegt, als das Kaiserkreuz auf der
Spitze des Grossglockners.
Die Ausfuhr der Producte Perus und der Transitogüter Bolivias
umfasst Alpacca- und Schafwolle, Silber, Kupfer, Zinn, Chinarinde
und Coca.
Drei Tage, nachdem der Dampfer des „Kosmos“ die Rhede von
Mollendo verlassen hat, geht er in dem schönen Hafen von Callao
vor Anker.
An der sturmgepeitschten Küste der Union würde der Hafen von
Callao kaum einen besseren Namen als den einer Ankerstelle ver-
dienen; aber in diesen Breiten wehen nur Süd- und Südwestwinde,
und gegen diese ist Callao geschützt durch eine vorspringende Land-
zunge und die hohe Insel San Lorenzo.
Hier empfangen uns herrliche Hafenwerke, kostspielige steinerne
Molos und hölzerne Piers, auf denen Schienen liegen, dann ein Dock
mit Dampfkrahn. Die Hafengebühren sind mässig, aber die Stadt ist
schmutzig. Callao, dessen Gründung Pizzaro, der Eroberer Perus,
ausgewählt hat, ist der wichtigste Hafen von Peru, der Piräus des
3 km weit entfernten Lima, der berühmten „Stadt der Könige“, und
mit diesem durch zwei Eisenbahnen verbunden; drei Eisenbahnen ziehen
seit Jahren längs der Küste hin.
Der Ausbau der Eisenbahn Callao-Oroya, die bis Chicla in die
Höhe von 3725 m reicht, wird gegenwärtig eifrig betrieben, und in
Kürze hofft man die letzten 30 km zu überwinden, welche an die
Mündung des 4792 m hoch gelegenen Cordilleren-Tunnels führen, der
fertig ist.
Die Course der Personenschiffe der deutschen Dampfschiffahrts-
Gesellschaft „Kosmos“ enden in Callao; von dort muss man die „Küste
hinunter“, wie die Leute hier sagen, bis Panamá die Schiffe der eng-
lischen Pacific Mail Packet Service benützen.
Wir berühren auf der Fahrt nach Panamá den jungen auf-
strebenden Hafen Paita, in dessen Nähe die reichen Petroleumlager
des Küstenplatzes Talara durch eine englische Compagnie ausge-
beutet werden. Wir laufen auch in den Fluss Gayas ein, an dessen
rechten Ufer, 60 Seemeilen vom Meere entfernt, Gayaquil liegt.
[320]Der grosse Ocean.
Dieser Hafen von Ecuador, der wichtigste Verschiffungsplatz
der Welt für Cacao (1890 164.536 q, 1889 116.753 q), und der Aus-
gangspunkt einer Eisenbahn nach Riobamba, ist bei den Seefahrern nicht
beliebt; der Ort ist ungesund, die Strassen starren von Schmutz und
die Zollbeamten chicaniren den Capitän, der nur am Vormittage durch
wenige Stunden löschen darf. Der Reisende aber freut sich des so
lange entbehrten Anblickes einer reichen Vegetation, denn hier beginnt
die Regenzone, und er kauft ein Paar Dutzend der durch ganz Süd-
amerika berühmten piñas blancas oder Ananas von Gayaquil.
Noch 4 Tage dauert die Fahrt, bis wir die schöne und male-
rische Bucht von Panamá erreichen, wo wir auf die Dampfer der
amerikanischen Pacific Mail Steamship Company umsteigen, die den
Dienst zwischen Panamá und San Francisco besorgen. Wir halten
unter anderen in Punta Arenas, das in kurzer Zeit eine Eisenbahn
mit dem caraibischen Meere verbinden wird, in Corinto, dem Haupt-
hafen von Nicaragua, von wo uns eine Bahn an den See von Nica-
ragua bringt, in San José, in Champerico, in Acapulco, dem
schönsten Hafen der Westküste Mexicos, wo in der Zeit der spani-
schen Herrschaft die eine Galeere landete, welche den Handel
zwischen den Philippinen und Amerika zu vermitteln hatte; dann
laufen wir in die ziemlich sichere Rhede von San Blas ein, das
in Eisenbahnverbindung mit Mexico steht, und erreichen endlich San
Francisco.
[[321]]
San Francisco.
Südlich vom 38. Grade nördlicher Breite wird das westameri-
kanische Küstengebirge durch einen tiefen Einschnitt, die Bai von San
Francisco, unterbrochen.
Die Einfahrt dieser seeartigen grossen Bai bildet ein fünf Meilen
langer und eine Meile breiter Canal, der das „Goldene Thor“ („Golden
Gate“) genannt wird. Wer hinter diesem klangvollen Namen landschaft-
liche Reize vermuthet, wird sich durch den Anblick der kahlen und
öden, gelblich gefärbten Felsen, welche die Bai einsäumen und
keinerlei Spur von Vegetation tragen, sehr enttäuscht finden. Das Be-
merkenswertheste des Goldenen Thores sind die Seal Rocks, drei
Felsklippen, welche an der Südseite der Canaleinfahrt liegen und im
Sommer von einer grossen Zahl Robben bevölkert sind. Diese Thiere
geniessen staatlichen Schutz, indem ein Gesetz dieselben vor Nach-
stellungen der Jäger sichert.
Die 65 Seemeilen lange und fast ebenso breite Bai, in welche
die beiden grossen Flüsse Californiens — der Sacramento und der San
Joaquin — münden, wird durch zwei Halbinseln gebildet, deren nörd-
liche aus schroffen und meist baumlosen Felsen besteht, welche
gegen die See steil abfallen. Die südliche Halbinsel ist etwas über
30 km lang, besitzt den Charakter von Dünen und in der Mitte einen
bis zu 280 m hohen Sandgebirgsrücken. Auf der östlichen Seite des
letzteren und gegen das Ende der Landzunge, also im Innern der
Bai, liegt unter 37° 47′ nördlicher Breite und 122° 25′ westlicher
Länge die Stadt San Francisco, die Hauptstadt Californiens.
In der Bai liegen überdies noch mehrere Städte und Ortschaften,
sowie drei Inseln: das stark befestigte Alcatraz Island dem goldenen
Thore gegenüber, nördlich hievon das gleichfalls befestigte Angel
Island und südöstlich von Alcatraz die Insel Yerba Buena. Die ehemals
der Schiffahrt gefährliche Untiefe „Blossom Rock“ wurde 1870 durch
einen deutschen Ingenieur (Oberst J. v. Schmidt) nach Ueberwindung
mehrfacher Schwierigkeiten mittelst einer grossen Mine gesprengt.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II Band. 41
[322]Der grosse Ocean.
Die Bai von San Francisco wurde im Jahre 1769 entdeckt, und zwar nicht
von der See aus, sondern durch eine Landexpedition. Vielleicht wurde sie von
den Seefahrern nur deshalb so lange übersehen, weil das die Einfahrt bildende
und relativ enge Goldene Thor oftmals von Nebel verhüllt ist. Im Jahre 1767
veranlasste der Vicekönig von Mexico, Marquis de Croix, die Colonisation der
californischen Küste durch Mönche vom Orden des heiligen Franz. Die Anregung
zur Colonisation bot das wachsende Interesse Englands und Frankreichs an dieser
Provinz, welches durch die Expeditionen Cooks und Bougainvilles bethätigt wurde,
sowie auch die Thatsache, dass sich Russland im Norden des Continents fest-
setzte. Das Land wurde in drei Theile getheilt und für die bekannten Häfen San
Diego und Monterey je eine Mission bestimmt. Nach San Diego waren drei Schiffe
entsendet, die jedoch gegen den andauernden Gegenwind, welcher daselbst durch
Monate vorherrschte, nicht aufkamen, weshalb die Expedition ihre Reise zu Lande
fortsetzte. Sie erreichte nicht den Bestimmungsort, machte aber die wichtige Ent-
deckung der ausgedehnten Bai, die nach dem Ordensheiligen der Mönche „San
Francisco“ benannt wurde.
Am 17. September 1776 wurde nordwestlich von der jetzigen Stadt ein
spanischer Militärposten, das Presidio, und im nächstfolgenden Monate die Mission
San Francisco de Dolores gegründet, deren Gebäude noch jetzt im Südwesten der
Stadt stehen. Die Niederlassung blieb jedoch unbedeutend und vom Strome der
Weltereignisse unberührt; noch 1830 bestand die Besatzung des Presidio aus
50 Soldaten und die Gesammtbevölkerung der Niederlassung aus nur 200 An-
siedlern. Vier Jahre später wurde die Mission säcularisirt und 1846 das Land
durch ein Kriegsschiff der Vereinigten Staaten von Nordamerika annectirt. Im
Jahre 1848 zählte die Ortschaft, die unter dem Namen San Francisco bekannt zu
werden begann, etwa 2000 Einwohner.
Die Entdeckung der Goldlager Californiens am Sacramento-Fluss (1848
durch den Schweizer Hauptmann Sutter), bewirkte, dass von allen Seiten Ein-
wanderer nach San Francisco zuströmten, so dass die Stadt Ende 1849 schon
20.000 und drei Jahre später bereits 35.000 Einwohner zählte. Bezeichnend ist,
dass in der letzteren Zahl nur 5245 Personen weiblichen Geschlechtes inbegriffen
waren. Nach San Francisco kommende Schiffe wurden oft von ihren Matrosen, die
„Goldwaschen“ gingen, verlassen; manchmal folgten ihnen sogar die Capitäne, so
dass eine Zeit lang 300 bis 400 Schiffe unbemannt im Hafen lagen.
San Francisco wurde nun begreiflicherweise ein Sitz des Lasters, ganze
Vermögen wurden ebenso rasch, wie sie gewonnen worden waren, wieder im Spiele
verloren. Den Goldwäschern lief das edle Metall in fabelhaften Massen durch
die Hände, wenig oder nichts blieb in denselben zurück. Der mehrjährigen
Anarchie, die jedoch den materiellen Aufschwung der Stadt nicht zu hindern im
Stande war, wurde durch „Vigilance Committees“ (von den Bürgern gebildete
Ueberwachungsausschüsse) ein Ende gemacht. Diese Ausschüsse, deren summa-
risches Verfahren von schonungsloser Energie begleitet war, wirkten so wohl-
thätig, dass die Ordnung in kurzer Zeit hergestellt wurde und die Stadt jetzt sehr
gut verwaltet ist.
Die in den ersten Jahren nach der Entdeckung des Goldes in Californien
errichteten hölzernen Bauten wurden mehr als einmal durch Feuer schwer mit-
genommen. Die Feuersbrunst vom 4. Mai 1850 richtete einen Schaden von nahezu
3 Millionen Dollars an; die im nächsten Monate ausgebrochene Feuersbrunst war
[323]San Francisco.
noch verderblicher, indem sich der von ihr angerichtete Schaden auf etwa
4 Millionen Dollars belief.
Die seinerzeit äusserst ergiebigen Goldfunde lockten durch viele Jahre
immer neue Zuzügler in grossen Schaaren an. Die Bevölkerungszunahme San
Franciscos betrug in den Jahren 1860 bis 1870 etwas über 164 %, jene der Stadt
Oakland, die auch in der Bai und der Stadt San Francisco gegenüber liegt,
sogar 615 %. Jetzt, kaum ein halbes Jahrhundert nach der Entdeckung der cali-
fornischen Goldfelder, zählt San Francisco über 350.000 Einwohner.
Die äussere Physiognomie der Stadt sowie alle inneren öffent-
lichen Einrichtungen geben dem Fremden, der etwa die Union von
Westen her betritt, sofort das richtige Bild von der unvergleichlich
raschen und eigenartigen Entwicklung amerikanischer Städte. Ausser
New-York und Chicago hat wohl keine zweite Stadt der Union sich
so rasch emporgearbeitet, wie San Francisco, in Californien „Frisco“
genannt.
Vom Meere aus gesehen, bietet die Stadt einen eigenartigen,
doch nicht gerade malerisch zu nennenden Anblick. Sandhügel, von
breiten Strassen in gerader Richtung durchzogen, die Häuser braun,
der Sand gelb: dies Alles gibt ein wenig farbenreiches, mitunter
sogar ein eintöniges Bild. Der Stadttheil am Ufer der Bai besteht
zumeist aus Bretterhütten und Tavernen mit holprigen und staubigen
Strassen; Fronten kleinerer, einstöckiger Backsteinhäuser bilden den
Uebergang zu den palastartigen Bauten, an denen San Francisco
ziemlich reich ist.
Der Bauplan der Stadt ist der in den Vereinigten Staaten all-
gemein gebräuchliche; regelmässige, rechtwinklige Häuserblöcke, unter-
einander von gleicher oder annähernd gleicher Grösse, bilden lang-
gestreckte geradlinige Strassen. Die bei den Ferry Slips beginnende
Market Street, welche diagonal von Nordost nach Südwest angelegt
ist, wird durch scheinbar unüberwindliche Terrainhindernisse von ihrer
geraden Richtung nicht abgelenkt und liefert mit ihren bedeutenden
Höhenverschiedenheiten den überzeugendsten Beweis, dass das Fest-
halten an geradlinigen Strassen in amerikanischen Grossstädten oft
zur Manie wird. Die Market Street durchzieht in einer Länge von drei
Kilometern die ganze Stadt und setzt sich sodann als Heeresstrasse
zwischen den Bergen Blue Mountain und Las Papas fort.
Die Unebenheiten des Terrains wurden beim Baue der Häuser-
gruppen und Strassen nach Thunlichkeit beseitigt, die hiebei ge-
wonnene Erde wurde zur Anschüttung des Ufertheiles der Bucht ver-
wendet. Das auf diese Art neugeschaffene Terrain schützt ein mäch-
tiger Steinquai, der Sea Wall. Dieser Quai ist 20 m breit und 2½ km
41*
[324]Der grosse Ocean.
lang, die Wassertiefe gestattet das Anlegen der grössten Seeschiffe
dem Quai entlang.
Zu den bemerkenswerthesten Strassen der Stadt gehören die
Montgommery und die Kearny Street, in welcher sich zahlreiche
Prachtbauten befinden; die Montgommery Street ist gleichzeitig die
fashionable Promenade. Die California Street ist der Sitz der Bank-
häuser und der Makler, die Montgommery Avenue führt diagonal von
der Strasse gleichen Namens bis in die Nähe der Governement Re-
servation. Die wichtigsten Strassen sind macadamisirt oder mit Basalt-
blöcken gepflastert, in den letzten Jahren begann man überdies auch
einzelne Strassen zu asphaltiren.
Die in Californien häufigen Erdbeben und die grossen Kosten
der Steinbauten sind die Gründe, weshalb die meisten Privathäuser
aus Holz erbaut werden. Die Erdbeben zwingen überdies zur Her-
stellung von nur wenige Stockwerke hohen Bauten. Das in anderen
Grossstädten der Union beliebte Aufthürmen von zehn und mehr Stock-
werken, welches in Anbetracht der hohen Preise der Baugründe auch
in San Francisco recht vortheilhaft wäre, muss daher in letzterer
Stadt unterbleiben. Es ist wahrscheinlich nur den erwähnten Bauver-
hältnissen zu verdanken, dass das am 21. October 1868 (als bis
jetzt heftigstes) beobachtete Erdbeben, zwar grossen Schrecken her-
vorgerufen und hie und da den Häusern einige Risse beigebracht,
sonst aber keine weiteren Unfälle verursacht hat.
Man hat in San Francisco bei Ausführung der Holzconstruc-
tionen schon eine solche Fertigkeit erlangt, dass der Fremde es
beim ersten Anblick nicht glauben will, ganze Strassenfronten höl-
zerner Häuser vor Augen zu haben. Der Baustyl der Häuser ist zu-
meist moderne Renaissance allerreichster Gattung, oftmals etwas
überladen, immer aber so vorzüglich angestrichen, verkleidet und
solid ausgeführt, dass die Täuschung leicht möglich ist. Das Innere
der Häuser lässt jedenfalls an Bequemlichkeit nichts zu wünschen übrig,
die neuesten Errungenschaften der Technik und Wissenschaft finden
ausgedehnte Verwendung. Für Ventilation, Beleuchtung, Beheizung
und Wasserleitung ist in allen Räumen bestens vorgesorgt; die kleinen
Vorgärten mit ihrem reichen Schmucke halbtropischer Pflanzen sind
mit duftenden, das Auge erfreuenden Blumenkörben zu vergleichen.
Auf Nob Hill stehen die prächtigsten Paläste der Stadt, die mit
dem raffinirtesten Luxus eingerichteten Wohnstätten der Eisenbahn- und
der Bonanzakönige *). Die öffentlichen Gebäude zeichnen sich seltener
[[325]]
San Francisco.
[326]Der grosse Ocean.
durch ihre Schönheit, sondern eher durch ihre Grossartigkeit aus,
wie bespielsweise das Rathhaus im Yerba Buena-Park und die neue
Münze.
Die bergige Natur der Strassen erfordert häufig die Anlage
von Treppen und Terrassen, die sich in ihrer zierlichen Holzcon-
struction ganz besonders hübsch ausnehmen und einen Schmuck der
Strassen bilden.
San Francisco besitzt elf öffentliche, zum Theil in Parks um-
gewandelte Plätze, von welchen der Jefferson Square und der Lafay-
ette-Park hervorzuheben sind. Ausserhalb der Stadt liegen der Bay
View Park und der Golden Gate Park. Letzterer, dessen grösster
Theil ehemals eine Treibsanddüne war, liegt im Westen der Stadt
und dehnt sich bis an die Oceanküste aus. In der Mitte dieses Parks,
der ein Areal von mehr als 400 ha bedeckt, befindet sich ein grosses
Glashaus, das mit zum Theil seltenen tropischen und halbtropischen
Pflanzen gefüllt ist. Die schattigen Spazierwege sind vortrefflich ge-
gehalten und sorgfältigst geebnet und bilden einen beliebten Er-
holungsort.
Die Kaufläden der Stadt sind glänzend ausgestattet, die daselbst
zum Verkaufe ausgebotenen Gegenstände jedoch theuer, wie begreif-
licherweise das ganze Leben in San Francisco. Es sind eben noch
Ueberbleibsel aus der Zeit der Goldfunde und manche Aehnlichkeiten
mit den damaligen Verhältnissen vorhanden; der Arbeitslohn ist nach
europäischen Begriffen noch immer übertrieben hoch und das fieber-
hafte Treiben der Goldsucher durch eine nicht minder fieberhafte
Thätigkeit und Arbeitsamkeit der städtischen Bevölkerung ersetzt.
Die angesammelten Reichthümer sind auch jetzt nicht immer stabil
und werden, wenngleich nicht mehr am Spieltisch, so doch oft nicht
weniger schnell in allerlei abenteuerlichen Speculationen verloren.
Mit dem enormen Aufschwung, den die Stadt in den Jahren
seit der Entdeckung des Goldes genommen hat, haben die Schulen
gleichen Schritt gehalten. Die erste öffentliche Schule wurde im April
1849 errichtet, derzeit bestehen schon über 60 Freischulen für den
Volksschulunterricht. Im Allgemeinen bestehen weit über 100 Unter-
richtsanstalten. Zu diesen gehört an erster Stelle die California-Uni-
versität, die sich in Berkeley, auf der San Francisco gegenüberlie-
genden Seite der Bai befindet und in eine juridische und eine medi-
cinische Facultät zerfällt. Mit letzterer ist auch eine zahnärztliche
Abtheilung verbunden. Von den übrigen wissenschaftlichen Instituten
sind hervorzuheben: Das Cooper Medical College, das Hahnemann
[327]San Francisco.
Medical College, das San Francisco Theological Seminary, die School
of Mecanic Arts und die Academy of Sciences. Von den achtzehn
öffentlichen Bibliotheken sind jene der Stadt mit 53.000 Bänden und
die der Mercantile Library Association mit 52.000 Bänden die be-
deutendsten. Die Bergbaubehörde besitzt eine reichhaltige und äusserst
interessante Mineraliensammlung.
San Francisco hat an 100 Gotteshäuser; hievon sind 70 pro-
testantische und 19 katholische Kirchen, 1 griechische (russische)
Kirche und 7 Synagogen. Das Aeussere dieser Gotteshäuser ist mit
Ausnahme der beiden katholischen Kathedralen wenig bemerkens-
werth; die Kathedrale St. Patrick besitzt einen 73 m hohen Thurm,
den höchsten der Stadt. Die Kirchhöfe liegen auf dem Kamme der
Hügelkette im Westen von der Stadt, der schönste derselben ist der
auf dem Lone Mountain. Die Lage dieses Kirchhofes bietet eine herr-
liche Fernsicht über die ganze Bai, das angrenzende Land und see-
wärts bis zur Gruppe der sechs Felseninseln Farrallones de los
Frayles, die 23 Seemeilen vom Goldenen Thor entfernt liegen.
Die Gasbeleuchtung der Stadt besorgen zwei Gesellschaften,
das Wasser wird durch die Spring Valley Company von San Mateo
hergeleitet. Das Hauptrohr der Wasserleitung ist 23 Meilen lang, es
hat einen Durchmesser von 1·12 m.
Die Stadt ist nach allen Richtungen von zahlreichen Pferde-
bahnlinien durchschnitten; sie besitzt überdies mehrere Drahtseil-
bahnen, deren Linien von Jahr zu Jahr an Ausdehnung zunehmen.
Die Drahtseilbahn von Clay Street ist 2 Meilen lang und steigt bis
zu einer Höhe von 36·6 m. Bau und Einrichtung dieser Bahn kosteten
nahezu eine halbe Million Dollars.
Zu den Sehenswürdigkeiten San Franciscos gehört das vier-
stöckige, massiv steinerne und feuerfest gebaute Haus der Safe Deposit
Company. Dieses birgt in seinem Erdgeschosse einen stählernen
Depositraum, der 4600 Schubfächer zum Aufbewahren von Werth-
papieren und Juwelen besitzt. Die Schubfächer, welche gegen eine
relativ mässige Gebühr vermiethet werden, besitzen je zwei Schlösser,
von denen das eine nur vom Besitzer und das andere nur vom Auf-
seher der Gesellschaft geöffnet werden kann, weshalb zum Oeffnen
eines Faches immer Beide anwesend sein müssen. Für die Uebernahme
und Uebergabe der Depositen stehen eigene Salons zur Verfügung,
desgleichen befinden sich im Hause elegant eingerichtete Schreib-
zimmer für Damen und für Herren.
Das schönste und grösste Hôtel San Franciscos, gleichzeitig
[328]Der grosse Ocean.
eines der grössten der Welt, ist das mit einem Kostenaufwand von
3,250.000 Dollars erbaute Palace Hotel, welches 1200 Bewohner be-
herbergen kann. Das Gebäude zeichnet sich insbesondere durch seine
zahlreichen Fenster aus, welche Bauart übrigens für alle Luxusbauten
der Stadt charakteristisch ist. Um das sechsstöckige Haus gegen
Erdbeben widerstandsfähig zu machen, wurde in dessen Mauern ein
eisernes Gitterwerk eingefügt.
Von den zahlreichen mildthätigen Anstalten verdienen besondere
Erwähnung: Das Marine-Hospital, das städtische Hospital, das
Magdalenen-Asyl, die Besserungsanstalt und eine namhafte Anzahl von
Waisenhäusern.
Bei dem kurzen Bestehen San Franciscos als grosser Stadt ist
die Bevölkerung im Allgemeinen ungemein bunt und verschiedenartig.
In dem kosmopolitischen Gepräge des Lebens, in welchem sich theil-
weise auch noch spanische Sitten und Gebräuche erhalten haben,
tritt das Yankeethum einigermassen zurück. Das grösste Fremden-
contingent stellt Irland, ihm zunächst steht Deutschland. Deutsche
Schulen und Geselligkeitsvereine, eine reiche Unterstützungsgesell-
schaft für arme Einwanderer, ein eigenes Theater und der oft mass-
gebende deutsche Einfluss auf die verschiedenen Zweige des socialen
Lebens in San Francisco sind bezeichnend genug für das Ansehen
und die Grösse der deutschen Colonie. Kleinere Einwanderercontin-
gente stellen Spanien und Frankreich, sowie auch Oesterreich (Dal-
matien).
Die zahlreichsten, gleichzeitig aber auch die unbeliebtesten
Fremden im Weichbilde der Stadt, sind unstreitig die 30.000 Chinesen,
deren Nationaltracht und deren Schriftzeichen auf den Aushänge-
schildern der Kaufläden San Francisco um einen fremdartigen Zug
bereichern. Das chinesische Viertel, die „China Town“, ist Wohn-
sitz der ärmeren Classen und der Arbeiter, es enthält auch deren
Spiel- und Opiumhäuser. Die chinesischen Gastwirthe und Unter-
nehmer pflegen mit Vorliebe ältere europäische Häuser anzukaufen,
brechen aber sehr viele Durchgänge aus und bauen eine solche
Unzahl von Anhängseln hinzu, dass ein Wirrsal von Räumen entsteht,
in welchen die Bewohner eng zusammengepfercht hausen.
So lange Californien zu Mexico gehörte, waren daselbst keine
Chinesen ansässig. Erst die Entdeckung des vielen Goldes daselbst
und der Bau der ersten Pacificbahn zog die Chinesen ins Land.
Anfangs wurden sie von amerikanischen Unternehmern als billige
Arbeitskraft aus ihrer Heimat geholt, bald kamen sie aber frei-
[329]San Francisco.
willig. Sie verdienten nach ihren Begriffen in wenigen Jahren
„Vermögen“ und bald stiegen die Fluthen der Einwanderer aus
dem Reiche der Mitte auf viele Tausende, welche immer weiter
gegen Osten vordrangen, aber streng an ihren Sitten festhielten.
— Die nach Californien kommenden Chinesen, fast ausschliess-
lich Männer, lassen sich noch vor der Abreise aus ihrer Heimat als
Mitglieder einer der sechs grossen Gesellschaften aufnehmen, die sich
in San Francisco unter der Leitung höherer einflussreicher Chinesen
befinden. Jede dieser Gesellschaften besitzt ihr eigenes grosses Ge-
bäude; ihr Einfluss auf die Landsleute ist ein überaus grosser, er er-
streckt sich auf dieselben sogar nach dem Tode — die Gesellschaften
befördern nämlich die Leichen verstorbener Chinesen nach China
zurück, weil jeder Chinese in der heimatlichen Erde ruhen will. Sie
vermitteln auch die Einfuhr der vaterländischen Erzeugnisse, die sich
in den zahlreichen Läden der China Town ebenso mannigfaltig vor-
finden, wie in den grösseren Städten ihrer Heimat.
In San Francisco kann man keinen Schritt machen, ohne auf
bezopfte Söhne des himmlischen Reiches zu stossen. Ihre heimatliche
Gewohnheit, die Lasten an einer langen, über die Schulter gelegten
Bambusstange zu tragen, verursachte in den belebten Strassen oftmals
grosse Verkehrsstörungen, weshalb der Stadtrath die Anwendung dieser
Tragstangen abschaffte. (Der Wortlaut dieser Verordnung war ge-
eignet, die allgemeine Heiterkeit zu erregen: „It shall be unlawful for
anybody to carry baskets upon sidewalks suspended on poles“, wört-
lich: „Es ist verboten für Jedermann, Körbe zu tragen auf Trottoirs,
die auf Stangen gehängt sind.“)
Im Chinesenviertel befinden sich zwei buddhistische Tempel.
Der ältere ist dem „Josh“ (Dschosch) geweiht, im jüngeren, der 1871
erbaut wurde, wird der Gott des östlichen Gipfels, Pak Tie, verehrt.
Die China Town hat auch ein eigenes ständiges Theater, in welchem
von Morgens 10 Uhr an bis spät in die Nacht ohne Unterbrechung
gespielt wird, doch wird ein Stück im Laufe des Tages nur selten
zu Ende gebracht.
Die chinesische Einwanderung der Jahre 1853 bis 1874 über-
stieg 150.000 Köpfe, wodurch der in Californien seit jeher bestandene
Antagonismus gegen die Chinesen sich mit der Zeit zu einer lebhaften
Anti-Chinesen-Agitation verschärfte. Der Chinese lebt mit geringen
Mitteln in kaum menschenwürdiger Weise, er verdrängt den weissen
Arbeiter durch geringere Ansprüche, verhindert durch seine billige
Arbeit die europäische Einwanderung und nimmt bei der Rückkehr
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 42
[330]Der grosse Ocean.
in die Heimat seine Ersparnisse mit sich. Diese stichhältigen Gründe
förderten die Agitation gegen die chinesischen Einwanderer, welche
zuerst zu weitgehenden Einschränkungen der Chineseneinwanderung
und endlich zum empfindlichen Verbote der Leichenausfuhr führte.
Im Frühjahre 1880 brach in San Francisco eine Chinesenhetze aus,
die durch die Polizei und wieder entstandene Vigilance-Committees
unterdrückt wurde. Als nun nach Abschluss des chinesisch-amerika-
nischen Vertrages von Peking den Vereinigten Staaten das Recht ein-
geräumt wurde, die chinesische Einwanderung zu reguliren und zu
beschränken oder auch zeitweilig einzustellen, trotzdem aber binnen
anderthalb Jahren nach Abschluss dieses Vertrages abermals 25.000
Chinesen nach San Francisco kamen, beschlossen 1882 beide Ver-
tretungskörper der Union, die Chineseneinwanderung auf 20 Jahre zu
verbieten. Als der Präsident Arthur dieses Gesetz mit seinem Veto
belegte, entstand in den westlichen Staaten ein Entrüstungssturm. Ein
im selben Jahre zu Stande gekommenes Gesetz, das die Einwanderung
auf 10 Jahre verbietet, erhielt die Bestätigung des Präsidenten.
Dieses Gesetz ist seit dem 5. August 1882 in Kraft und hat seither
eine namhafte Abnahme der Zahl von chinesischen Einwohnern der
Stadt bewirkt.
An der Ostküste der Bai von San Francisco liegen die Städte
Oakland, Berkeley und Alameda, welche durch die Nähe und den
weitgehenden Einfluss des mächtig anwachsenden San Francisco ge-
wissermassen als Vorstädte der Goldstadt angesehen werden können.
Oakland, das malerisch inmitten immergrüner Eichen und gegen-
über von San Francisco am San Antonio Creek liegt, besitzt an
35.000 Einwohner (1880). Ein mächtiger Quai, der 3350 m weit
in die See und bis nahe an die Insel Yerba Buena reicht, ist das
Ende der Central Pacific Railway, deren Passagiere und Güter daselbst
auf die nach San Francisco abgehenden Ferry Boats überschifft werden.
Dieser Quai trägt überdies grosse Kornspeicher und Stallungen für
500 Rinder. Zwei ähnliche Quais, die bis in tieferes Wasser reichen,
liegen nördlich, beziehungsweise südlich der Einfahrt des Antonio
Creek. Westwärts vom Quai und ziemlich in der Richtung desselben
befindet sich ein auf elf mächtigen Pfählen erbautes Leuchthaus.
Durch Oakland führt eine Eisenbahn, die an allen bedeutenderen
Strassenecken Haltestellen besitzt und Eigenthum der Ferry Boats
Company ist, deren Dampfboote zwischen Oakland und San Francisco
verkehren. Das Eigenartige dieser Bahn ist, dass man dieselbe
kostenfrei benützen kann. Die Eigenthümer lassen das Publicum auf
[331]San Francisco.
derselben frei fahren, weil ohnehin fast jeder Bewohner Oaklands
täglich nach San Francisco hinüber fahren und dazu die Dampfboote
der Gesellschaft benützen muss.
In Berkeley befindet sich die California-Universität, eine Stern-
warte, eine Taubstummenanstalt und eine Blindenschule.
Fast alle Besucher San Franciscos reisen zu dem weltberühmten
Mariposa-Haine mit den berühmten, an 100 m hohen Baumriesen
(Mariposa Big Trees, Sequoia gigantea) und in das mehr als 100 engl.
Meilen entfernte Yosemite-Thal. Letzteres ist eine an Naturschönheiten
überreiche, etwa 12 km lange Schlucht am oberen Merced River,
welche von senkrechten Granitwänden eingefasst wird, über die
zahlreiche Wasserfälle stürzen (darunter der Yosemité-Fall, 2600 engl.
Fuss hoch, der höchste Wasserfall der Erde). Das kaum seit 25 Jahren
bekannte, im Urwalde prangende Yosemite-Thal wurde vom Staate
angekauft, die Riesenbäume daselbst schützt ein Gesetz der Legis-
latur gegen jegliche Beschädigung, um diese herrliche Gegend vor
dem Alles zerstörenden Vorgehen rücksichtsloser Goldwäscher zu be-
wahren.
In nächster Nähe San Franciscos, gegenüber den Seal Rocks,
liegt ein kleines Observatorium, das Cliffhouse, von dessen Veranda
man eine prächtige Fernsicht geniesst und das Treiben der Robben
auf den Seal Rocks beobachten kann.
Das Klima San Franciscos ist ein ganz eigenartiges. Wenn-
gleich die täglichen Schwankungen der Lufttemperatur mitunter ganz
beträchtliche sind, so besteht doch in der mittleren Temperatur der
Monate nur eine ganz geringe Differenz. Der wärmste Monat (Sep-
tember) und der kälteste (Jänner) differiren in ihrer Mitteltemperatur
um nur 5°C. San Francisco besitzt vorherrschend eine neblige, doch
nicht allzu feuchte Atmosphäre, die insbesonders während der Sommer-
monate des Morgens und Abends über der Stadt lagert und dieselbe
mit einem dichten Schleier verhüllt. Längs der Küste wehen fast
das ganze Jahr hindurch nördliche und nordwestliche Brisen, die im
Laufe des Nachmittags und gegen den Abend ihre stärkste Intensität
erreichen, oft aber auch den ganzen Tag in gleicher Stärke andauern
und die Temperaturverhältnisse der Küstengegenden des sonst sonnigen
und wolkenlosen Californiens merkbar beeinflussen. Die Tagestempe-
ratur ist gemässigt, doch, wie schon bemerkt, grossen Veränderungen
unterworfen, weshalb man in San Francisco sowohl im Winter als
im Sommer warme Tuchkleider trägt und selbst zur heissesten Zeit
Nachts über einer warmen Decke nicht entrathen kann. Die Behaup-
42*
[332]Der grosse Ocean.
tung, dass das geschilderte Klima einen wohlthätigen Einfluss auf
den Menschen ausübe und die rastlose Thätigkeit und grosse
Beweglichkeit desselben fördere, mag nicht unbegründet sein.
Obschon die mittlere Wassertemperatur der Bai nur 7⅓°C.
beträgt und zur wärmsten Zeit kaum 20°C. erreicht, so bestehen
doch bei San Francisco mehrere prachtvoll eingerichtete Badeanstalten,
die sich einer lebhaften Frequenz erfreuen.
Mit der Entwicklung der Stadt San Francisco und der ganzen
Westküste der Union hält die Industrie der Stadt gleichen Schritt,
trotzdem sie mit zwei Uebelständen zu kämpfen hat: mit hohen
Arbeitslöhnen und theueren Kohlen, so dass die Concurrenz der Fabriken
der Oststaaten immer fühlbarer wird. Die Scott Bill, welche die Ein-
wanderung chinesischer Arbeiter ohne Ausnahme untersagt, hat daher
die Industrie in Californien empfindlich getroffen.
Im Jahre 1889 zählte San Francisco 1098 Fabriken mit 31.250 Ar-
beitern. Der Gesammtwerth der Fabrikate erreichte 109·3 Millionen
Dollars gegen 77·8 Millionen Dollars im Jahre 1880.
Hervorzuheben sind die Eisengiessereien und Werke für den
Bau von Maschinen, Eisen- und Stahlschiffen, zusammen 41 mit
4375 Arbeitern, die Zuckerraffinerien, welche 1889 412.800 q Roh-
zucker verarbeiteten, die 162 Fabriken für Schuhe und Stiefel, welche
für die Ausfuhr arbeiten, die 6 Gerbereien, die 24 Bierbrauereien und
die Mälzereien, welche fast ohne Ausnahme Deutschen gehören, die
Fabriken zur Herstellung künstlicher Steine für Gebäude und Trot-
toirs, 12 Fabriken für Fensterrahmen und Fensterladen, 9 Fabriken
für Conserven von Früchten, welche die massenhafte Obstproduction
Californiens verwerthen. In San Francisco erzeugt man ferner die
dabei in Verwendung kommenden Holzkisten (2 Millionen Stück) und
Blechbüchsen (ein Dutzend für jede Kiste).
Auch die Erzeugung von Cigarren (162 Millionen Stück) und
Cigarretten (35 Millionen Stück) blüht, und nur die Wollmanufactur
geht zurück.
Nach Allem besitzt San Francisco eine Exportindustrie, welche
seinen auswärtigen und seinen internen Verkehr unterstützt.
Das Anlaufen der Bai von San Francisco ist keineswegs schwierig
und durch eine vorzügliche Küstenbeleuchtung und Betonnung er-
leichtert. Das wichtige und einträgliche Geschäft des Schleppens
und Lootsens ein- und auslaufender Schiffe war lange Jahre mono-
polisirt und stand unter der Controle einer Gesellschaft von einfluss-
reichen Kaufleuten und Schiffsrhedern. Später jedoch erfolgte durch
[[333]]
A Zufahrt aus dem Stillen Ocean, B Sanddünnen, C Ocean-Honse-Rennplatz, D Rettungsboote, E Telegaphenstationen, F Leuchtfeuer, F1 elektrisches Leuchtfeuer, G Eisen-
bahn-St. (Bahnhof), H Grand Hotel, J Post, K Grosse Oper, L City Hall, M Golden Gate Park, N Friedhöfe, O Spital.
[334]Der grosse Ocean.
Vereinigung von Schiffseignern und -Führern eine bedeutende Herab-
setzung der Lootsentaxen.
Die Erbauung des Sea Wall brachte dem Hafen grossen Nutzen.
Tiefgehende Schiffe können am Quai laden und löschen, und aus-
gedehnte Kornmagazine, welche auf demselben erbaut wurden, er-
leichtern die Verschiffung des als Exportartikel wichtigen Getreides.
Bei Hunter Point, beiläufig vier Seemeilen südöstlich von der
Mitte der Stadt, ist ein Trockendock aus dem Felsen ausgehauen
worden, das 137 m lang und 27 m breit ist und das Eindocken von
Schiffen mit 6·7 m Tiefgang bei mittlerem Hochwasserstand zulässt.
Die Gebühren für das Docken von Schiffen sind: Dampfer je nach
deren Grösse 32½ bis 25 Cents pro Tonne und Tag, Segelschiffe
über 500 t am ersten Tag 40 Cents und an den folgenden Tagen
20 Cents pro Tonne. Mit diesem Trockendock ist auch ein Balance-
dock vereinigt, das für Schiffe bis zu 1400 t geeignet ist. Ein
kleineres Dock befindet sich überdies im nördlichen Theile des
Hafens.
San Francisco ist die einzige wirklich grosse Handelsstadt des
weiten amerikanischen Westens. Erst vor wenigen Jahrzehnten durch
die Energie der Yankees an der bis dahin öden Küste entstanden, schien
sie durch ihre Lage berufen zu sein, für die pacifische Küste der
Union das zu werden, was New-York auf der atlantischen Seite ist:
die Beherrscherin des Handels des Westens. Aber mit dem Ausbau
der transcontinentalen Bahnen blieb San Francisco in dieser Stellung
nicht unbestritten. Die Eröffnung der Union- und Central-Pacificbahn
(10. Mai 1869) brachte neben grossen Vortheilen bald auch eine Ent-
täuschung Sie erleichterte zwar in hohem Grade die Besiedelung
der pacifischen Küste und damit die Entwickelung der Hilfsquellen
Californiens, wo in kurzer Zeit Landwirthschaft und Viehzucht eine
grössere Wichtigkeit erlangten, als die Gewinnung der Edelmetalle.
Man war für die Ausfuhr nach dem Osten nicht mehr auf den zeit-
raubenden Umweg um die Südspitze Amerikas oder auf die umständ-
liche Passage über die Landenge von Panamá angewiesen; auf einer
Strecke von 5259 km, soviel beträgt auf dieser Bahnlinie die Entfernung
von San Francisco nach New-York, ist auch bei niedrigen Tarifsätzen
die Gesammtfracht für die billigen Massenartikel Californiens meist
zu hoch, aber durchaus nicht unerschwinglich für die Industrieartikel
des Ostens. Diese Concurrenz lastet von Jahr zu Jahr schwerer auf den
Fabriksunternehmungen von San Francisco.
Auch nahm erst in den achtziger Jahren die Einwanderung von
[335]San Francisco.
Farmern einen grösseren Umfang an, weil man so spät die Vor-
züge des Klimas Californiens schätzen lernte, das fast überall gesund
und ungemein milde ist.
Doch das Ziel der Bewegung blieb nicht lange das Thal des
Sacramento. Der Ausbau der Santa Fé- und Südpacificbahn (1. Juli
1883, San Francisco—New-York 5937 km) und der in sie einmün-
denden anderen Ueberlandsrouten führte die Neuankommenden in den
Süden Californiens und die Nordpacificbahn in die nordwärts gelegenen
Landschaften von Oregon, Washington u. a.
Und diese ausgedehnten und rasch aufblühenden Gebiete deckten
ihre Bedürfnisse nicht mehr wie früher in San Francisco, mit dem
sie Küstendampfer verbunden hatten, sondern direct aus dem Osten.
So wurden innerhalb weniger Jahre die wirthschaftlichen Verhältnisse
der Westküste der Union wiederholt zu Ungunsten von San Francisco
verschoben. Durch den Bau kostspieliger Gebirgsbahnen, die parallel
mit der Küste nach Norden laufen, und durch den Aufschwung, welchen
die San Francisco näher gelegenen Counties genommen haben, hat
die Stadt in der Folge für den Verlust dieser Absatzgebiete vollstän-
digen Ersatz gefunden.
Aber die Kaufleute und Rheder von San Francisco können
nicht zur Ruhe kommen. Seitdem die Einwanderung der Chinesen
in die Union verboten ist, fehlen jedem der von dem Reiche der Mitte
kommenden Dampfer die 500 bis 1000 bezopften Passagiere, welche
sie früher regelmässig herüber beförderten. Die 1886 dem Verkehre
übergebene Canada-Pacificbahn wächst zusehends zu einem wichtigen
Gliede im Kreislaufe des Welthandels heran, und die Dampfer dieser
Eisenbahngesellschaft machen den von hier nach den asiatischen
Häfen gehenden Dampfern nicht unerheblich Concurrenz. Auch tritt
immer deutlicher die Tendenz hervor, von jedem Punkte, an welchem
die Eisenbahn die Küste erreicht, selbständig Dampfer ausgehen zu
lassen. Ein solcher Concurrenzplatz von San Francisco ist San Diego,
Station der südlichen Pacificbahn, von wo überdies eine Bahn nach
Nordosten in Bau ist zum Anschluss an den heutigen Endpunkt
der Utah Centraleisenbahn, die dadurch den Ocean erreichen wird.
Auch Portland und Willamete in Oregon, Tacoma in Washington
sind hier zu nennen.
Trotz all dieser Hindernisse steigt das Vermögen von San
Francisco von Jahr zu Jahr und wurde für das Fiscaljahr 1889/90
abgeschätzt auf 241·1 Millionen Dollars an Grundeigenthum und Gebäu-
lichkeiten und auf 64·9 Millionen Dollars an beweglichem Eigenthum.
[336]Der grosse Ocean.
Im Allgemeinen kann man behaupten, dass die Ausfuhr
überwiegend nach Europa gerichtet ist und dass die Einfuhr aus
Asien und Hawaïi erfolgt.
Der wichtigste Gegenstand der Ausfuhr einheimischer Producte von
San Francisco ins Ausland ist Getreide, dessen Anbau in Californien geradezu
fabriksmässig betrieben wird.
Von allen Häfen der Union sendet San Francisco die grössten Mengen von
Weizen und Gerste ins Ausland, in Mehl nimmt es die vierte Stelle ein
und die Ausfuhr bewegt sich in aufsteigender Linie. Es wurden ausgeführt:
Grossbritannien ist der Hauptconsument.
Bedeutend ist nur noch die Ausfuhr von Lachs, der fast ausschliesslich
in Büchsen nach England und Australien versendet wird; 1889/90 98.149 q (Werth
2·3 Millionen Dollars), 1888/89 105.044 q.
Der Werth jedes anderen Ausfuhrartikels von San Francisco erreicht lange
nicht 1 Million Dollars.
Die wichtigeren sind Ginseng 1889/90 101.180 kg (Werth 605.233 Dollars),
gesägtes Bauholz (Werth 458.000 Dollars), conservirte Früchte (Werth
542.832 Dollars), Wein, Bier, Zucker, Quecksilber, Zink.
Ferner sind zu nennen Sohlenleder (1889/90 5634 q), Baumwoll-
waaren (487.000 Dollars), Maschinen, andere als Locomotiven (667.477 Dollars),
und Schiesspulver (293.949 Dollars).
Diese Waaren gehen nach den Sandwichinseln, nach China, Australien,
Mexico und Centralamerika.
Die Ausfuhr fremder Erzeugnisse beschränkt sich auf Kaffee und
Luxusartikel.
Mannigfaltiger ist die Einfuhr.
Hier müssen wir zunächst Seide aus Japan und China nennen; in diesem
Artikel geht San Francisco allen anderen Plätzen der Union voran; 1889/90
1,481.367 kg (Werth 13,811.502 Dollars), 1888/89 1,516.718 kg.
Für Zucker ist San Francisco der vierte Einfuhrhafen der Union, der die
Firma Spreckel, welche an der Westküste die Zuckerraffinerie monopolisirt, deckt.
Drei Viertel des hiesigen Bedarfes an Rohzucker kommen von den Hawaïischen
Inseln, deren Producte in der Union keinen Zoll zu zahlen brauchen.
Die Ergänzung kommt von den Philippinen, die fast ihre ganze Zucker-
ernte an Californien abgeben, von Ostindien, Centralamerika und China.
Es wurden 1889/90 1,239.700 q (Werth 12·8 Millionen Dollars), 1888/89
1,431.340 q Zucker eingeführt.
Die Einfuhr von Kaffee belief sich 1889/90 auf 84.541 q (Werth 3·2 Mil-
lionen Dollars), 1888/89 auf 103.720 q.
Thee sendet vorzugsweise Japan 1889/90 34.632 q (Werth 976.474 Dollars),
1888/89 30.405 q.
Den werthvollsten Theil des eingeführten Weines (1889/90 472·197 Dollars)
bildet Champagner, auch deutsche Biere, Cognac und Whisky gelangen zur Einfuhr.
[337]San Francisco.
Von Reis werden grosse Mengen aus Hinterindien und den benachbarten
Inseln bezogen, 1889/90 221.800 q (Werth 1,161.373 Dollars), 1888/89 271.766 q.
Die Einfuhr von Tabak und Tabakfabrikaten erreichte 1889/90 562.004 Dol-
lars, die von Opium 49·509 kg (Werth 503.666 Dollars); letztere geht in dem
Masse zurück, als die Zahl der Chinesen in der Union sich vermindert.
San Francisco ist zu einem bedeutenden Theile auf die Einfuhr von Kohlen
aus Australien angewiesen, da in Californien nur weiche Steinkohlen gefunden
werden. (Einfuhr 1889/90 692.009 t.)
Aus dem Auslande wurden ferner bezogen schwefelsaure Soda, 1889/90
101.926 q Sodaasche, kaustische Soda und Glycerin.
Ferner werden hier eingeführt Kupfer-, Gold-, und Silbererze, und Salz.
Der Verarbeitung in der einheimischen Industrie dienen Sisalhanf, Hanf
und Jute.
Die Einfuhr von australischem Zinn betrug 1889/90 7679 q, 1888/89
10.023 q.
Von Fabrikaten sind hervorzuheben Eisen, Stahl und daraus gefertigte
Waaren, darunter 1889/00 195.977 q verzinntes Eisenblech, das in der umfang-
reichen Conservenindustrie des Landes Verwendung findet, und Draht (77.100 q).
Glaswaaren wurden 1889/90 für 310.000 Dollars eingeführt, Cement
277.603 Fässer.
Die Einfuhr chinesischer Industrieartikel erreichte 1889/90 einen Werth
von 290.000 Dollars.
Erzeugnisse der Textilindustrie sendet meist England; es wurden hier
eingeführt 1889/90 Baumwollwaaren für 530.000 Dollars, Schafwollwaaren für
900.000 Dollars, Fabricate aus Hanf und Flachs für 15 Millionen Dollars. Ein sehr
wichtiger Einfuhrartikel für das Getreideland Californien sind Säcke.
Der auswärtige Handel von San Francisco betrug in Dollars:
San Francisco ist auch einer der wichtigsten Häfen der Erde für Verschiffung
von Edelmetallen. Von hier gehen amerikanische und mexicanische Silbermünzen
nach China, diesem getreuen Consumenten des in Uebermass producirten Silbers,
ferner nach Japan und Hawaïi.
Aber diese Ziffern geben kaum ein annäherndes Bild des Umfanges des
Handels von San Francisco, denn es fehlt ja vollständig der ungemein rege In-
landsverkehr, bei welchem man erst den Reichthum Californiens kennen lernt.
Wir müssen uns hier mit der Mittheilung genügen lassen, dass die Gesammtaus-
fuhr dieses Hafens 1889 an Waaren zur See 41,274.077 Dollars, zu Lande
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 43
[338]Der grosse Ocean.
35,000.000 Dollars, zusammen 76,274.077 Dollars, die gesammte Waareneinfuhr zur
See und zu Lande 94,000.000 Dollars erreichte.
Der auswärtige Schiffsverkehr von San Francisco umfasste:
Nicht weniger als vier Siebentel des auswärtigen Verkehres werden von
ausländischen, vor allem von englischen Schiffen vermittelt. San Francisco ist ein
Hafen, in welchem Segelschiffe lohnende Frachten nach Europa finden.
Regelmässige Dampfschiffsverbindungen unterhalten die Pacific Mail Steam-
ship Cy. und die Occidental and Oriental Steamship Cy. abwechselnd einmal nach
11—12 Tagen mit Yokohama (4750 Seemeilen, 18 Tage) und Hongkong (6370 See-
meilen, 26 Tage), die Ocean Steamship Cy. einmal in vier Wochen über Honolulu
(2100 Seemeilen, 7 Tage) und Auckland (5910 Seemeilen, 21 Tage) nach Sydney
(7191 Seemeilen, 28 Tage). Ausserdem besteht eine 14tägige Verbindung mit
Honolulu. Die Pacific Mail Steamship Cy. unternimmt endlich alle 10 Tage eine
Fahrt nach Panamá. Ebenso bestehen Verbindungen nach Norden bis in die Häfen
des Territoriums Alaska.
San Francisco besass am 30. Juni eine eigene Rhederei von 882 Schiffen
mit 299.641 t; von diesen waren 325 Dampfer mit 118.893 t.
Beim Fange der Stockfische und Makrelen waren 1889/90 9 Schiffe mit
1750 t, beim Walfischfange 6 Schiffe mit 3022 t beschäftigt.
Was New-York im Osten, ist San Francisco im Westen für den Reise-
verkehr und die Einwanderung; doch hat letztere durch das Verbot der
Einwanderung der Chinesen einen riesigen Rückschlag erfahren. 1889/90 landeten
in San Francisco 8233 Menschen, die meisten aus Australien, Columbia und Hawaïi.
Der Einwanderer waren 3606. Es gingen von hier ab 12.025 Menschen, darunter
7303 Chinesen. Der Verkehr mit Mexico, Centralamerika, British Columbia und
der Union ist hier nicht eingerechnet.
San Francisco ist Sitz einer Münze der Vereinigten Staaten, einer Geld-
und einer Waarenbörse. Die berühmte Goldbörse von San Francisco, in
welcher jährlich Millionen an tausenden von Minenactien gewonnen und verloren
werden, fand einen gefährlichen Rivalen in der neu errichteten Goldbörse in
New-York.
Das hiesige Clearinghouse hatte 1889 einen Umsatz von
843,778.581 Dollars.
Ende 1889 bestanden hier 33 Banken mit Depositen in der Höhe von
911,125.903 Dollars.
In San Francisco sind Consulate folgender Staaten: Argentinien, Belgien,
Bolivia, Chile, China, Costa-Rica, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Griechen-
land, Grossbritannien, Guatemala, Hawaiï, Honduras, Italien, Japan, Mexico, Nieder-
lande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Peru, Portugal, Russland, Salva-
dor, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Uruguay, Venezuela.
[339]San Francisco.
Von den Häfen der Union im Norden von San Francisco ent-
wickelt sich der District des Willamete, des schiffbaren Neben-
flusses des Oregon, zu einer gewissen Selbständigkeit im internationalen
Verkehre als Station der Northern Pacificbahn und Ausgangspunkt
der Canadian Pacific Steamship Cy. und der Portland and Hongkong
Packet Steamship Cy., welche beiden Linien Chinesen zur Heimreise
in das „Reich der Mitte“ benützen. Portland ist das Handelscentrum
des Nordwestens, wichtig für die Ausfuhr von Weizen, Weizenmehl
und Wolle.
Die Ufer des Oregon sind, wie die Häfen am Pouget-Sound,
alle der Sitz eines grossartigen Holzhandels, eines umfangreichen
Schiffbaues und Fischfanges. Wir heben hervor Tacoma und Port
Townsend. Auf canadischem Gebiete liegt der schöne Hafen Port
Moody, der frühere Endpunkt der Canada-Pacific-Eisenbahn, der
seine Bedeutung verloren hat, seit diese Bahn nach Vancouver
weitergeführt ist, das ebenfalls einen ausgezeichneten Hafen besitzt.
Von hier gehen die Dampfer der Canadian Pacific Steamship Line,
welche eine Subvention der Dominion of Canada geniessen, zweimal
nach Yokohama, wozu sie im Sommer 684 Stunden, im Winter
732 Stunden brauchen. Doch sind in der ersten Hälfte des Jahres 1891
Schnellfahrten unternommen worden, welche es wahrscheinlich machen,
dass man in kurzer Zeit über Vancouver in den Sommermonaten nur
drei Wochen zu einer Reise von Yokohama nach London brauchen
werde.
Auch soll mit staatlicher Subvention eine Linie errichtet werden,
und Vancouver wird sich auf diese Weise zu einem der wichtigsten
Post- und Passagierhäfen der Erde, zum zweiten Hafen für Thee und
Seide Ostasiens erheben.
Hawaiï ist ein Anhängsel des Wirthschaftsgebietes der Union,
mit dieser durch einen Gegenseitigkeitsvertrag so enge verbunden,
wie etwa Algier mit Frankreich.
Daraus und aus der Lage der Inselgruppe erklärt es sich, dass
94 % des gesammten Handelsverkehres auf die Vereinigten Staaten
von Amerika entfallen.
Einst als Hauptstützpunkt des Walfischfanges, als Verschiffungs-
platz von Thran und Barten von Bedeutung, gehören die vulcani-
schen Sandwichsinseln, deren über 4000 m hoch aufragende Spitzen
einen grossen Theil des Jahres mit Schnee bedeckt sind, zu den
sehr gut angebauten Ländern der Erde. Hier gibt es beim Rohr-
zucker nie eine Missernte, weil fleissige Hände ausgedehnte Bewäs-
43*
[340]Der grosse Ocean.
serungsanlagen geschaffen haben, es gedeihen üppig Reis und Bananen.
Denn das muntere Völkchen der Eingebornen, welche heute nur mehr
die Hälfte der 80.000 Einwohner der Inselgruppe ausmachen, hat
sich in 65 Jahren von einem gewaltigen Barbarismus auf eine hohe
Stufe politischer und moralischer Bildung emporgearbeitet.
Der Haupthandelsplatz der Insel ist Honolulu (21.000 Ein-
wohner), der Sitz zahlreicher amerikanischer und europäischer Han-
delshäuser.
Die Ausfuhr von Zucker betrug 1889 1,098.465 q (Werth 13·1 Millionen
Dollars), 1888 1,069.990 q, die von Reis 1889 43.563 q, und die von Bananen
37.228 hl.
Die wichtigsten Einfuhrartikel sind Bekleidungsgegenstände, Baumwoll-
stoffe, Mehl, Getreide, Heu aus Californien, Bauholz aus Oregon und British
Columbia, Maschinen, Metallwaaren, Ackergeräthe.
Der Handel erreichte folgenden Umfang:
In sämmtlichen Häfen Hawaiïs liefen 1889 ein 269 Kauffahrteischiffe mit
218.579 Reg.-Tons.
Von Auckland kommt einmal im Monate ein Dampfer der Union Steam-
ship Cy. in Auckland und hat durch die Oceanic Steamship Cy. Anschluss nach
San Francisco.
Ausserdem besteht regelmässige Seeschiffahrt mit den Südseehäfen, den
pacifischen Plätzen der Union und Dominion of Canada, ferner mit Boston, New-
York, Liverpool und Bremen.
Honolulu ist eine wichtige Zwischenstation des Verkehrs zwi-
schen Australien und Asien einerseits und Amerika andererseits. Von
San Francisco aus lässt sich ein Ausflug nach Honolulu und zu dem
weltberühmten Kratersee Kilanea, den beständig feurig flüssige Lava
erfüllt, in drei Wochen vollenden.
[[341]]
Japanische Häfen.
In unserer, an wunderbare Ueberraschungen, Entdeckungen,
geistige Sprünge gewöhnten, schnelllebigen Zeit, ist wohl kein Land,
kein Volk in seiner geistigen und materiellen Entwicklung rascher
vorgeschritten als Japan. Gegenüber dem Sprunge, mit welchem
dieses hochcivilisirte mongolische und alte Culturvolk sozusagen mit
einem Satze tausend Jahre Culturlebens übersetzt, und aus seinem
ostasiatischen Gedankenkreis mitten in unseren europäischen sich ein-
lebt, hundertjährige Traditionen, Rechte, Gewohnheiten und Gesetze
wegwirft, als wären es alte Kleider, um Alles das durch neue, oft
kaum verstandene europäische Ideen zu ersetzen, gegenüber diesem
culturhistorischen Sprunge, der ohnegleichen in der Weltgeschichte
dasteht, ist die Entwicklung der Union eine langsame, systematische
zu nennen.
Alt- und Neujapan sind zwei ebenso verschiedene Cultur-
epochen, wie dies etwa das XIII. und XIX. Jahrhundert für Eng-
land sind. Denken wir uns, die eisengepanzerten Zeitgenossen König
Johann’s ohne Land hätten plötzlich ein Volk mit unserer Bildung
kennen gelernt und über Nacht dessen Cultur zur ihrigen gemacht, wie
würden wir eine solche historische Anomalie anstaunen? Noch wunder-
barer wird dieses thatsächliche uns so märchenhafte Vorgehen der
Japaner aber dadurch, dass sie dreihundert Jahre die Europäer und
deren Cultur wenigstens annähernd kannten, sie aber abwiesen,
sogar verfolgten, um dann inmitten unseres Jahrhunderts plötzlich
dem verhassten Fremden Thür und Thor zu öffnen und eine sociale
Häutung durchzumachen, wie sie kein zweites Volk der Erde auch
nur annähernd durchgemacht hat.
Die folgenden Zeilen mögen dem freundlichen Leser die Haupt-
etapen dieser Entwicklung vor Augen führen.
Drei entlaufene portugiesische Matrosen, welche sich an Bord
eines chinesischen Kauffahrers geflüchtet hatten, kamen auf die Insel
[342]Der grosse Ocean.
Tanegasimor und betraten 1542 oder 1543 als die ersten Europäer
den Boden Japans.
Ein anderer Portugiese, Namens Fernão Mendez Pinto, den die
Sucht nach Abenteuern trieb, alle zu jener Zeit bekannten Länder zu
durchstreifen, gab sich fälschlich für einen dieser drei Matrosen aus
und erzählte, er sei 1545 in Japan gewesen, wo er der Neugierde der
Japanesen zufolge und besonders dadurch, dass er die erste (damals
noch sehr primitive) Feuerwaffe mitbrachte, eine sehr freundschaft-
liche Aufnahme erfahren habe.
Seine Schilderungen von Japan, das er gesehen haben dürfte, und
von dem grossen Natur- und Industriereichthum des neuen Landes reizten
den Handels- und Geschäftsgeist der an den Küsten von China ange-
siedelten portugiesischen und spanischen Kaufleute zu Expeditionen
nach dem Inselreiche, um da so schnell als möglich Handelsverbin-
dungen anzuknüpfen, ehe andere Nationen ihnen zuvorkommen
konnten.
Der Bekehrungseifer, welcher in jenen Zeiten die Christen be-
seelte, brachte bald nach dem ersten Erfolge der Kaufleute auch
Missionäre ins Land. Schon am 15. August 1549 setzte der grosse
Jesuitenapostel Franz Xaverius seinen Fuss auf japanischen Boden.
Die Missionäre verstanden es, ihre Religionsübungen mit imposanten
Ceremonien und einer Entfaltung möglichst grossen Prunkes zu ver-
einigen, die den Sinn der Japaner für grosse und prächtige Feierlich-
keiten derart fesselten, dass sie in fast unglaublich kurzer Zeit wahr-
haft staunenswerthe Erfolge ihrer Bestrebungen aufzuweisen hatten.
Chroniken jener Zeit melden von Hunderttausenden von Neophyten,
unter denen sich Vertreter aller Volksclassen bis zu den höchsten
Daimios (Adeligen) hinauf befanden. Insbesondere war Kiushiu, die
westlichste grosse Insel des Reiches, dem Christenthum so zugethan,
dass in einigen Provinzen derselben der katholische Ritus anstatt
der früher üblichen Glaubensform zur Staatsreligion erhoben wurde.
Nagasaki, welches damals noch ein kleines Fischerdorf war,
hatte den grossen Vortheil einer Lage nahe an den Küsten des asi-
atischen Festlandes und eines vollkommen geschützten Hafens für
sich und bot den fremden Kaufleuten einen besonders günstigen Punkt
zu Niederlassungen, da die Bevölkerung der umliegenden Territorien
zum Christenthume übergetreten war und die herrschenden Daimios
das Bestreben der Missionäre eifrigst unterstützten.
Die ungestörte Einigkeit der einheimischen Christen und der
angesiedelten Fremden, die mit den ersteren in regem Verkehre
[343]Japanische Häfen.
standen, war, vermuthlich durch Uebereifer der Missionäre, nur von
kurzer Dauer. Taiko Sama, der um 1582 die Regierung antrat,
setzte der Ausbreitung des neuen Glaubens den grössten Widerstand
entgegen, war aber, da einige sehr mächtige Daimios dem Christen-
thume treu anhingen, nicht stark genug, durch sein Machtgebot die
Ausrottung des schon ziemlich festgewurzelten Neuglaubens zu er-
zwingen. Selbst der Ausweisungsbefehl, der 1587 an die Missionäre
erging, blieb erfolglos, da die christlichen Priester in den Burgen der
ihnen wohlgesinnten Fürsten gastliche Aufnahme und sicheren Schutz
fanden.
Der glückliche Ausgang eines Eroberungszuges, den Taiko Sama
nach Korea unternahm, war der Durchführung seiner Pläne insoferne
günstig, als er die dem Christenthume ergebenen Daimios mit ihren
Truppen in Korea als Besatzung zurücklassen konnte, was bei ihrem
Hange zu kriegerischen Unternehmungen auf keinen Widerstand stiess;
durch diesen Schachzug war den in Japan zurückgebliebenen Mis-
sionären ihr Schutz benommen und den Gegnern freie Hand zur eif-
rigsten Verfolgung gelassen.
Zu den persönlichen Motiven, welche Taiko Samas Hass gegen
die Christen erweckten, gesellte sich in einer für die Folge äusserst
verhängnissvollen Weise nun noch eine bei den Kaufleuten erwachte
Eifersucht. Der grosse Gewinn, den der Handel abwarf, hatte die
Sucht nach grösserem zur Folge; der Neid um den Antheil, den alle
Betheiligten in gleichem Masse anstrebten, bemächtigte sich der Ge-
müther, und anstatt im gemeinsamen Wirken den grösstmöglichen
Vortheil zu erringen, betrat man den schmählichen Weg der gegen-
seitigen [Verdächtigung], was zur Folge hatte, dass die Japaner den
bisher fast unbeachtet gebliebenen Handel der Fremden, in Erkennung
des grossen Nutzens, den er abwarf, unter strenger Controle hoch
besteuerten und die Freiheit der fremden Ansiedler einschränkten.
Es kam zu Gewaltthaten gegen die Christen und Ausweisungen
von Missionären, sowie zur Beschränkung des Aufenthaltes der Fremden,
die in natürlicher Anlehnung an die Küsten Chinas, mit denen sie des
Handelsinteresses wegen in steter Verbindung bleiben mussten, ihre
Wohnsitze in den westlichen Districten des Landes, auf Kiushiu und
besonders in nächster Nähe von Nagasaki suchten, wodurch dieser
Ort ständig an Bedeutung gewann.
Wenn auch der Tod Taiko Samas, nach welchem die Truppen,
die zum grössten Theile dem Christenglauben treu geblieben waren, aus
Korea zurückkehrten, etwas bessere Zeiten für die bedrängten Christen
[344]Der grosse Ocean.
herbeiführte, so war die Beschränkung der Handelsfreiheit doch so-
weit im Interesse der Japaner, dass sie auf die aus derselben direct
resultirenden Einnahmsquellen nicht verzichten wollten, wobei in der
Verkürzung des Gewinnes der Fremden der gegenseitige Neid immer
reichere Nahrung fand und häufigen Anlass zu schärferen Einschrän-
kungen bot.
Holländische Kaufleute, die um das Jahr 1600 nach Japan
kamen, sollen die christlichen Missionäre bei der Regierung dahin
verdächtigt haben, dass sich dieselben politischer Umtriebe schuldig
machten, wodurch sie hofften, die Zuneigung des Shoguns *) in einer
Weise zu gewinnen und sie weiters auf Kosten der bis dahin gleich-
berechtigten anderen europäischen Handelsleute für ihre Geschäfts-
interessen dahin auszunützen, dass ihnen ein ausschliessliches Handels-
monopol zugewendet werde.
Ein Regierungswechsel, der die Familie der Togugawa zum
Shogunat erhob, hatte die entschiedenste Aenderung in dem Verhalten
Japans gegen die Christen und Fremden zur Folge. Als eifrigste
Anhänger des Feudalsystems, dem die neuen Shogune huldigten,
fanden diese schon darin einen Grund, sich der Ausbreitung der neuen
Lehre zu widersetzen, dass die Principien dieser Lehre das Bestreben
nach Centralisation der Macht auf Basis des auf höherer Geburt ge-
gründeten Rechtes in keiner Weise unterstützten.
Es erfolgten Edicte, welche jedem Japaner die Lossagung vom
Christenthume strengstens anordneten und die Ausweisung der Missio-
näre verfügten.
Mit bewunderungswürdigem Opfermuthe wurde von Seite sowohl
der Missionäre als auch der zum neuen Glauben bekehrten Japaner
den Anordnungen der Regierung der entschiedenste Widerstand ent-
gegengesetzt, was seitens der letzteren die Anwendung der rücksichts-
losesten und grausamsten Gewaltmittel zur Folge hatte. Christen-
verfolgungen, die jenen des alten Rom an Grauen erregenden Scenen
kaum nachstehen, waren nun an der Tagesordnung. Wenn den
Berichten über die Ausführung dieser Schreckensthaten auch nur
einigermassen Glauben geschenkt werden darf, so ist es fast Wunder
zu nennen, wie der Widerstand ein derart zäher sein konnte, dass es
nach einer mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Verfolgung, in welcher
die Leichen der Märtyrer am Kreuze, auf dem Scheiterhaufen und in
[345]Japanische Häfen.
den Wogen des Meeres nach Hunderttausenden zählten, noch im
Jahre 1637 zu einer offenen Revolution kommen konnte, die das
Blutbad von Shimabara, den unglücklichen Ausgang der Empörung
der Christen gegen die Gewaltacte der Regierung nach sich zog.
Nach dreimonatlicher Belagerung der Festung Arima wurden die
Werke im Sturm genommen und der grösste Theil der aus Christen
bestehenden Besatzung niedergemetzelt, alle übrigen Christen aber, mit
Einschluss der nicht wehrhaften Männer, Frauen und Kinder wurden
von Papenberg, einer Insel am Eingange des Hafens von Nagasaki,
über die steilen Felsenwände ins Meer gestürzt und ertränkt.
Waren es nun thatsäche Unterstützungen, welche die Holländer
gelegentlich der Christenverfolgungen der Regierung leisteten, wie es
manche Aufschreibungen mit peinlicher Genauigkeit darstellen, oder
waren sonstige Bestrebungen derselben von besonderem Glücke be-
günstigt, so ist es doch Thatsache, dass während der geschilderten
Periode die Holländer die Einzigen waren, denen der Handel in Japan
gestattet blieb; alle übrigen Nationen, die Chinesen ausgenommen,
wurden ausgewiesen. Dass bei der deutlich vor Augen gerückten
Energie der japanischen Regierung, mit welcher sie ihre ertheilten
Befehle zu unterstützen sich niemals scheute, den übrigen Fremden der
Boden unter den Füssen brannte und sie sich nunmehr willig der
Ausweisung fügten, ist leicht begreiflich.
So ernst und gründlich auch die Ausrottung des Christenthums
betrieben worden war, fand die neue Lehre durch die vielfachen
Berührungen der Japaner mit Fremden, insbesondere gelegentlich der
von denselben unternommenen Seereisen, immer wieder neue Nahrung
und machte sich für die Regierung nur zu bald in unliebsamer Weise
bemerkbar. Halbe Massregeln waren niemals die Sache der japa-
nischen Machthaber; mit einer an Unglaublichkeit streifenden Energie
wurde nun die volle Absperrung des Landes gehandhabt. Jede
Schiffahrt ausserhalb der engsten territorialen Gewässer wurde völlig
unterdrückt, ein Verlassen des Landes seitens der Japaner absolut
verboten und bei Rückkehr nach längerer Zeit die Todesstrafe in An-
wendung gebracht; der Schiffbau wurde unter strengster Controle ge-
halten, die für grössere Seereisen geeigneten Fahrzeuge zerstört und
der Bau neuer nur in sehr bescheidenen Dimensionen zugelassen.
Die Japaner, welche bis dahin als tüchtige und gewandte See-
leute bekannt und durch ihre Raubzüge an mancher entfernten Küste
des asiatischen Continents gefürchtet waren, verschwanden in kür-
zester Zeit aus den Reihen der seefahrenden Völker; kein fremdes
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 44
[346]Der grosse Ocean.
Schiff wurde an den Küsten des Inselreiches zugelassen und jedem
Versuche zum Betreten des Landes seitens Fremder der entschiedenste
Widerstand entgegengesetzt.
Die Holländer und Chinesen, als die einzigen Fremden, denen
(in sehr beschränkter Zahl) nach Absperrung des Landes das Ver-
bleiben in demselben gestattet war, wurden bei Nagasaki internirt
und dortselbst wie Gefangene überwacht, ihr Handel auf ein Minimum
reducirt, unter Regierungscontrole gestellt und die Geschäfte zwischen
eigenen und fremden Kaufleuten durch besonders angestellte Beamte
vermittelt. Nur einmal in jedem Jahre öffnete sich das Thor der
Ringmauer, mit der die Fremdenansiedlung umgeben war, um den
Vertretern derselben den Durchzug zu gestatten. Die Huldigungsfahrt
in die Residenz des Shogun war die einzige Gelegenheit, Japan aus
eigener Anschauung ungefährdet kennen zu lernen, theuer genug er-
kauft durch die bedeutenden unter dem Namen von Geschenken dar-
gebrachten Abgaben und durch die erniedrigende Behandlung, die
den Fremden von den Machthabern und an deren Höfen zutheil wurde.
Die Vorgänge im Innern des Landes während der zwei Jahr-
hunderte dauernden vollkommenen Abschliessung liegen ausser dem
Rahmen unserer Beschreibung und gipfeln in der Ausbildung des voll-
kommensten Feudalsystems.
Der Mikado (auch Tennô oder Tenshi, Titel des Kaisers von
Japan), vor Zeiten dem Volke gegenüber mit gottähnlichem Nimbus
ausgestattet, war jeder Macht entkleidet, während der Shogun der
eigentliche Herrscher mit der Macht über Leben und Tod der
Daimios war. Dazu bestand ein Heer von Samurais (Krieger), die
ihr Leben in Waffenübungen verbrachten und keine andere Verpflich-
tung hatten, als den übertriebenen Begriffen von Ehre in weit-
gehendster Weise zu huldigen und nöthigen Falls für ihre Gebieter
den Heldentod zu sterben, während das Volk grösstentheils Acker-
bau und Handel trieb und ohne viele Sorgen weiter lebte, da die
eigenen Bedürfnisse gering waren und die zu leistenden Abgaben
zum Ertrage des Bodens und der Arbeit in keinem Missverhältnisse
standen.
In der Mitte unseres Jahrhunderts, als Handel und Verkehr an
der Westküste Amerikas an Ausdehnung gewannen, gestaltete sich die
Abschliessung Japans für die Ausbreitung des Welthandels zu einem
um so unliebsameren Hinderniss, als man den immensen Reichthum
dieses bedeutenden Inselreiches an Natur- und Kunstproducten kannte.
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika kamen zuerst Stimmen
[347]Japanische Häfen.
zur Geltung, welche die Eröffnung des in einen Märchenschleier ge-
hüllten Japan in entschiedener Weise um so mehr forderten, als Japan
zu einer Zwischenstation auf dem Seewege von Nordamerika nach
China geeignet erschien. Sie brachten es dahin, dass im Jahre 1853
das erste und 1854 ein zweites amerikanisches Geschwader unter
Commando des Commodore Perry nach Japan entsendet wurde, um
daselbst Handelsverträge abzuschliessen.
Das tactvolle und feste Auftreten des Commodore war von einer
imponirenden Machtentwicklung Amerikas unterstützt. Er fand aber auch
politische Zustände im Lande vor, welche bei der Eifersucht zwischen
den Familiengliedern des Mikado und jenen des Shoguns jeden ver-
einigten Widerstand unmöglich machten, und brachte es leicht zum
Abschlusse von Verträgen, infolge welcher den amerikanischen Schiffen
die Häfen Nagasaki und Simoda zum freien Verkehr eröffnet wurden.
War Simoda schon seiner entfernten Lage von den Hauptpro-
ductionsgebieten des Landes wegen nicht sonderlich vortheilhaft als
Station für den Welthandel gewählt, so erwies sich dessen Untauglich-
keit als Hafen in drastischer Weise durch die Verheerungen, die ein im
December 1854 daselbst eingetretenes Seebeben verursachte. Nahezu
alle in grosser Zahl verankerten japanischen Fahrzeuge wurden durch
die Gewalt der Wogen aneinander geschleudert und zertrümmert; die
Seebebenwoge („Roller“) überschritt die Ufer, riss alle Baulichkeiten
mit sich fort und führte im Rücklaufe deren Trümmer in die offene
See. Die russische Corvette „Diana“, mit der Flagge des Admirals
Putiatin, der mit der japanischen Regierung in Verbindung stand, um
für seine Nation die gleichen Begünstigungen bezüglich der Freiheit
des Schiffahrtsverkehres zu erlangen, welche die Amerikaner bereits
besassen, wurde von ihren Ankern gerissen und derart beschädigt,
dass sie bald nach Ablauf des Rollers in die Tiefe sank.
Sollten die Errungenschaften, die in der Erschliessung Simoda’s
für den allgemeinen Verkehr lagen, nicht illusorisch werden, so
musste auf die Wahl eines besser gesicherten Ankerplatzes Bedacht
genommen werden. Da ein solcher in nächster Nähe nicht zu finden
war und man aus Handelsinteresse ausserdem darnach trachten musste,
dem Centrum des Landes näher gelegene Punkte als Vertragshäfen
zu gewinnen, so wurden von Seiten der Amerikaner erneuerte Verhand-
lungen aufgenommen, die im Jahre 1857 zu dem Ziele führten, dass
Kanagawa den Fremden eröffnet und mit den am Welthandel bethei-
ligten Nationen, und zwar zunächst mit den Vereinigten Staaten von
Nordamerika, den Engländern, Franzosen und Russen und später
44*
[348]Der grosse Ocean.
mit den übrigen Staaten Verträge folgenden Inhaltes abgeschlossen
wurden:
- 1. Diplomatische Agenten der betreffenden Staaten erhalten das
Recht in Yeddo zu wohnen, stehen unter dem Schutze des Shoguns
und dürfen im Lande ungehindert reisen. - 2. In allen Häfen, welche dem auswärtigen Handel geöffnet
werden, können die Vertragsmächte Consulate errichten. - 3. Den Fremden wird ein bestimmtes Terrain eingeräumt, das
sie nach Zahlung einer festgesetzten Taxe bebauen können. - 4. Die Fremden bleiben unter der Jurisdiction ihrer eigenen
Consulate. - 5. Die Fremden geniessen Religions- und Handelsfreiheit, so
lange sie die festgesetzten Zollabgaben entrichten. - 6. Innerhalb eines Rayons von 10 Ri (2 Ri = 3·9 km) können
sich die Fremden frei bewegen, dürfen aber diese Grenzen ihrer
Territorien ohne Erlaubniss der japanischen Regierung unter keiner
Bedingung überschreiten.
Der Abschluss dieser Verträge mit den Fremden erhöhte die
Spannung zwischen dem Shogun und dem Mikado. Die Daimios, die
bis nun treue Anhänger des Shoguns gewesen waren, sahen sich durch
die Freiheiten, welche den Fremden eingeräumt wurden, in ihren Rechten
verkürzt und schlossen sich, da der Mikado bei Abschluss der Ver-
träge nicht betheiligt war, enger an diesen, um durch Erhöhung der
Macht desselben die ihnen lieb gewordene Feudalgewalt zu behaupten.
Thatsächlich wurden auch am Hofe von Kioto die abgeschlossenen
Verträge als ungiltig betrachtet und zu umgehen gesucht.
Die Zerstörung von Kagoshima, der Hauptstadt des Fürstenthums
Satsuma, durch die Engländer (1863) infolge der Niedermetzelung
eines Engländers, der sich nach Anschauung der Japaner einer Eti-
ketteverletzung schuldig gemacht hatte, und das Bombardement von
Shimonoseki, das im Gegensatze zu den abgeschlossenen Verträgen den
fremden Schiffen die Passirung verweigerte, durch Engländer, Fran-
zosen, Holländer und Nordamerikaner 1864, belehrte die Japaner in
nicht misszuverstehender Weise über die Ausdehnung der Machtmittel,
welche den Fremden zu Gebote standen, und machte jeden ferneren
Widerstand illusorisch.
Der Anschluss der Daimios an den Mikado hatte nur insoferne
eine Aenderung der Situation herbeigeführt, dass der Shogun zum
Abdanken gezwungen wurde und der Mikado selbst die Regierung
mit deren Sitz in Yeddo, das von 1868 an Tokio genannt wird, übernahm.
[349]Japanische Häfen.
Die Verträge wurden in der gleichen Form, wie sie vom Shogun
abgeschlossen wurden, seitens des Mikados bestätigt und seit dieser
Zeit vollinhaltlich aufrecht erhalten.
Die Bestrebungen, welche neuerer Zeit von den fremden Mächten
für die Eröffnung des ganzen japanischen Reiches für den freien
Verkehr gepflogen werden, haben deswegen noch nicht den ge-
wünschten Erfolg gehabt, weil man von Seite Japans die Unter-
stellung der Fremden unter japanische Jurisdiction forderte und ihnen
nicht das Recht gewähren wollte, in Japan Grundeigenthum zu er-
werben. Die Einführung der neuen Gesetzbücher, welche auf den in
Europa geltenden Principien beruhen, die nothwendige Voraussetzung,
wenn man Europäer japanischen Richtern unterstellen will, kommt
übrigens seit 1. Jänner 1891 langsam in Gang.
Die ungemeinen Fortschritte Japans auf der Bahn der Cultur,
die seit der kurzen Zeit der thatsächlichen Eröffnung des Landes ge-
macht wurden und bis jetzt noch in steter Entwicklung begriffen sind,
lassen annehmen, dass die oben erwähnten Bestrebungen zu Gunsten
der Vertragsmächte und der Vertragshäfen mit den vielfachen Ein-
schränkungen der Freiheit endlich doch von Erfolg gekrönt sein
werden, trotz der nationalen Reaction, die sich seit einigen Jahren
in Japan gegen alles Fremdländische entwickelt hat.
So versuchten die japanischen Kaufleute, mit Hilfe der Regie-
rung den Handel der europäischen Firmen zu verdrängen; dies ist
ihnen bis jetzt theilweise bei den Artikeln Seide, Reis und Kohle,
also in Zweigen des Exportgeschäftes gelungen. Die Japaner be-
herrschen ferner den Handel mit China und den Vertrieb der eigent-
lichen „Japanwaaren“, das sind die Erzeugnisse des japanischen
Kunstgewerbes. Im Ganzen jedoch ist ihr Antheil an dem auswär-
tigen Handel verhältnissmässig noch klein. Dieses Terrain beherrschen
die 150 in Japan etablirten ausländischen Firmen aller Nationen, von
denen ungefähr 90 auf Yokohama entfallen. Diese Kaufleute sind in
Japan nur Grosshändler und befassen sich gleichzeitig mit Import
und Export. Die treibende Kraft in jedem europäischen Kaufmanns-
hause ist der japanische „Banto“, welcher Gebräuche, Charakter und
Behandlungsweise seiner Landsleute, sowie auch ihre Geschäftsge-
bräuche kennt. Er vermittelt den Verkauf der Waare unter Oberauf-
sicht des Repräsentanten der europäischen Firma.
Ein Gebiet für grossen, schnellen Gewinn bei geringen Umsätzen
ist Japan heute nicht mehr, weil sich hier wie im übrigen Ostasien
die Concurrenz aus allen Ländern der Welt begegnet. Dafür verstehen
[350]Der grosse Ocean.
es die Japaner, wie kaum ein zweites Volk der Erde, sich die tech-
nischen Errungenschaften der Europäer eigen zu machen. So hat
Japan nicht nur viele Maschinen zur Hebung seiner Industrie aus
Europa und Nordamerika importirt, sondern selbst im Lande Maschi-
nen-, Glas- und Tuchfabriken, Seidenspinnereien etc. nach euro-
päischen Mustern eingerichtet; ja es exportirt schon Imitationen von
schwedischen Zündhölzchen, böhmischen Glaswaaren, schweizerischen
Strohflechtereien und anderen europäischen Erfindungen, zum Theil
selbst nach Europa.
Yokohama.
Als auf Grund der mit den Fremden abgeschlossenen Verträge
zur Eröffnung Kanagawas geschritten wurde, traten die Fehler deut-
lich zutage, welche in der Wahl des Platzes lagen und Schwierig-
keiten involvirten, deren Tragweite eine unabsehbare war.
Die Lage des Ortes am Tokaï-Do, jener Heerstrasse, auf welcher
die in den reichen westlichen Landestheilen residirenden mächtigen
Daimios mit ihrem zahlreichen Gefolge an Kriegern jahraus, jahrein
ihre Reise an den Hof des Shoguns unternahmen, war bei den in
jener Zeit ins Wanken gerathenen politischen Zuständen die denkbar
ungünstigste. Die Feudalfürsten waren vielleicht aus Ueberzeugung,
die grosse Menge der Samurais aber sicherlich aus egoistischen Gründen
eingefleischte Fremdenhasser. Lag es doch nahe, dass die Eröffnung
des Landes Aenderungen zur Folge haben müsse, welche diese beiden
bisher herrschenden Classen ihrer Vorrechte berauben werden. Eine
Verletzung der strengen japanischen Etiquette durch die Europäer,
die mit deren geheimnissvoller Bedeutung unbekannt waren, konnte
zu schweren Verwicklungen mit den europäischen Mächten führen.
Diesen auszuweichen und auch aus dem Grunde, weil die stark versan-
dete Rhede von Kanagawa den Anforderungen, die man aus nautischen
Rücksichten an sie als Hauptschiffahrtsstation des überseeischen Handels
mit Japan stellte, nicht entsprach, vereinbarte man die Wahl eines
anderen Vertragshafens an der Bucht von Yeddo. Trotz der grossen
räumlichen Ausdehnung derselben, die in einer durchschnittlichen
Breite von 10 ungefähr 25 Seemeilen tief in das Land eindringt, finden
sich daselbst nur wenige Stellen, die zur Anlage eines umfangreiche-
ren Hafens geeignet sind. Der nördliche Theil der Bucht, an dessen
Gestade Tokio liegt, ist grösseren Schiffen durch ausgedehnte Ver-
sandungen unzugänglich, welche von Ablagerungen des hier mün-
[351]Japanische Häfen.
denden Sumida-gawa herrühren, ebenso auch seiner Flachküsten wegen
der östliche Theil. Es erübrigte daher nur das von Kanagawa süd-
wärts, demnach von Tokio entfernter gelegene Ufergebiet der Halb-
insel Sagami, die von einer mit steilen Hängen zur See absteigenden
Hügelkette gebildet wird, welche vor dem Südeingange der Bucht
vorgelagert ist und diesen zwar bedeutend verengt, aber auch die
Bucht vor dem directen Eintritt der Oceanwogen bewahrt.
Das unansehnliche und zu jener Zeit kaum beachtete Fischerdorf
Yokohama auf dieser Halbinsel (35° 26′ nördl. Br., 139° 39′ östl. L.
v. Gr.) wurde zur Fremdenniederlassung ausersehen und im Juli 1859
dem auswärtigen Handel geöffnet. In wenigen Jahren entwickelte
sich die Stadt zu einem Handelsemporium ersten Ranges. Die Ein-
wohnerzahl allein, deren Höhe schon dermalen 122.000 Köpfe beträgt,
spricht für die Ausdehnung, die es genommen hat.
Yokohama hat die stärkste Fremdencolonie in Japan. Ende 1889
waren von den 4542 Ausländern 2993 Chinesen, 720 Engländer, und
829 gehörten den übrigen Nationen an. Hier erscheinen 3 Tages-
blätter in englischer Sprache. Die Engländer unterhalten die Victoria
Public School und neben 3 japanischen Spitälern finden wir hier je
ein Seehospiz der Deutschen, der Engländer und der Amerikaner.
Die Rhede ist im Allgemeinen eine gute zu nennen, umsomehr,
als in neuerer Zeit der Versandung, welche von Kanagawa aus immer
weiter um sich griff, durch Errichtung zweier Wellenbrecher Einhalt
geboten wurde. Diese Wellenbrecher sind je eine Seemeile lang und
laufen im stumpfen Winkel gegen einander. Dadurch umfangen sie
ein ausgedehntes Hafenbecken, das mit der freien Rhede nur durch
eine kaum 3 Kabel breite und von Leuchtschiffen und Tonnen gut
gekennzeichnete Einfahrt in Verbindung steht. Ein über 600 m langer
Pier, an dem die Schiffe werden anlegen können, soll vom Staate,
ein Dock von Privaten erbaut werden.
Die grossartige Anlage der Hafenbauten auf der Rhede von
Yokohama gibt den besten Beweis dafür, dass es den Japanern gegen-
wärtig mit der Unterstützung der internationalen Schiffahrt und der
Heranziehung derselben an ihre Küsten vollster Ernst ist.
Die Lage der Stadt ist eine äusserst vortheilhafte. Gegen Süd-
ost an die pittoresk geformten Hügel des Mandarin-Blaff (im Allge-
meinen die „Hills“ genannt) gelehnt, gibt das landwärts und beson-
ders in der Richtung gegen Tokio verlaufende flache Terrain hin-
reichenden Raum zur Ausbreitung, die dermalen schon soweit gediehen
ist, dass durch die vereinzelt längs der Strandlinie auftauchenden
[352]Der grosse Ocean.
Häuschen der Contact mit Kanagawa gewonnen ist und dadurch auch
mit den Ortschaften Tsurumi, Kawasaki und Omori, welche den
Tokaï-Do mit je einer Häuserzeile bis Shina-gawa, der Vorstadt Tokios,
begleiten.
Weit hinter der Stadt erscheinen coulissenartig gegen einander
geschoben mehrere Hügelreihen und über diesen, die Dunstsphäre durch-
brechend, in deutlichen Contouren das Bild des heiligen Berges Fusi-
yama (3750 m), des Wahrzeichens von Japan, zu dem alljährlich im
Hochsommer an 20.000 weissgekleidete Pilger wallfahrten. Gegen die
Rhede zu präsentirt sich Yokohama als moderne Seestadt. Ihrer
ganzen Länge nach ziehen sich tadellos ausgeführte Quaibauten mit
kleineren Wellenbrechern, welche den French Hatoba (französischer
Hafen) und English Hatoba (englischer Hafen) umschliessen. Diese
beiden sind jedoch nur zur Aufnahme von kleinen Fahrzeugen und
Lastbooten geeignet. Am breiten Quai, der wie in den übrigen Ver-
tragshäfen „Bund“ genannt wird, reihen sich stattliche, nach euro-
päischen Mustern errichtete Gebäude aneinander, welche nur durch
die in regelmässigen Intervallen belassenen Querstrassen unter-
brochen sind. Die den „Hills“ näher liegenden Gebäude dienen
hauptsächlich den angesiedelten Fremden, während nordwestlich vom
English Hatoba das Zollhaus, verschiedene Etablissements japanischer
Schiffahrtsgesellschaften und schliesslich das Hafenamt die Reihe er-
gänzen.
Hinter diesen Bauwerken breitet sich das ausgedehnte Häuser-
feld, das durch regelmässige und breite Strassen in den Hauptrich-
tungen NW-SO und NO-SW gekreuzt wird, in erster Linie bis an
einen breiten Canal aus, welcher die beiden Arme eines Flüsschens
verbindet, die das Weichbild der Stadt einerseits gegen die Hills,
anderseits gegen Kanagawa abgrenzen.
Jenseits dieses Canals liegen ausgedehnte Vorstädte, die von der
ärmeren, hauptsächlich Kleingewerbe betreibenden Bevölkerung be-
wohnt werden.
Abgesehen von den Hills, auf die wir noch später zurück-
kommen werden, lassen sich im Weichbilde Yokohamas drei durch
den Charakter ihrer Bauarten und der sie bewohnenden Gesellschafts-
classen streng geschiedene Stadttheile unterscheiden. Im östlichen
Theile haben ausschliesslich europäische Bauten ihren Platz; hier
befinden sich die grossen Waaren- und Bankhäuser, welche die Ge-
schäftsvermittlung des Grosshandels zur Aufgabe haben, dazwischen
die für die angesiedelten Fremden im fernen Osten zum Bedürfniss
[[353]]
Yokohama.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 45
[354]Der grosse Ocean.
gewordenen Hôtels und Clubhäuser, sowie vereinzelte Verkaufslager,
aus welchen die Ansiedler ihre Lebens- und Leibesbedürfnisse decken.
Das Centrum der Stadt vom English Hatoba an beherrscht das offi-
cielle Yokohama, wenn man die Vereinigung der Amtsgebäude als
solches bezeichnen darf. Präfectur, Municipium, Post- und Telegraphen-
amt, Zollhaus u. s. w. stehen hier nahe aneinander in grossen, regel-
mässigen und palastartigen Gebäuden; im Hintergrunde erstreckt sich
der sogenannte Cricket-Ground, dessen Anlage auf englische Anre-
gung zurückzuführen ist, ein freier Rasenplatz von grosser Aus-
dehnung, der in mehreren Theilen Anfänge zu grösseren Gartenanlagen
aufweist.
Westlich vom centralen Theile Yokohamas liegt die japanische
Stadt, ein Prototyp der Regelmässigkeit. Wenn man von einem Unter-
schiede gegenüber anderen japanischen Städten reden kann, so mag er
wohl nur darin gefunden werden, dass die einzelnen Häuser, welche
insbesondere in den dem Centrum der Stadt näher gelegenen Strassen ganz
zu Waarenlagern umgewandelt sind, ohne auch nur im Geringsten vom
normalen Typus abzuweichen, den Eindruck einer grösseren Wohlhaben-
heit der Bewohner machen. Das ist auf den Umstand zurückzuführen,
dass sich hier besser situirte Kaufleute Tokios, welche in engere
Handelsbeziehungen zu den Fremden in Yokohama oder zu über-
seeischen Firmen getreten sind, ansässig gemacht oder Filialen ihrer
Stammgeschäfte errichtet haben.
Auffällig sind weiters die „feuersicheren“ Häuser, von denen
je eines in Mitte einer Gruppe japanischer Häuschen steht. Diese
Häuser sind Lehmbauten mit sehr dicken Wänden, einem wider-
standsfähigen Dache aus Backsteinen und einer beschränkten Zahl
von Fenstern und Thüren, die durch in Charnieren bewegliche Platten
aus gleichem Material und in gleicher Dicke wie die Wände herge-
stellt sind und nahezu luftdicht schliessen. Die Contouren eines
solchen „Feuerhauses“ sind vollkommen regelmässig und stossen
scharfkantig aneinander; die Aussenwände sind glatt polirt und mit
einer dunklen Lackfarbe angestrichen, so dass die Häuser das Aus-
sehen von feuerfesten Riesencassen haben, welcher Eindruck durch
die erwähnten, unseren Cassenthüren absolut gleichenden Verschlüsse
noch erhöht wird.
Der eminenten Gefahr wegen, die eine Feuersbrunst für Holzhäuser
japanischer Bauart mit sich bringt, ist die Einrichtung von Feuerhäusern
eine ebenso nothwendige als sinnreich durchdachte und dabei vollkommen
entsprechende, weil bei einer Feuersbrunst das leichte Sparrenwerk der
[355]Japanische Häfen.
japanischen Häuser vollständig niedergebrannt ist, bevor es zur Entwick-
lung hoher Gluthitze kommen kann. Bei Ausbruch eines Feuers werden
alle werthvollen Waaren und Gegenstände des Hausrathes mit mög-
lichster Raschheit aus den dem Feuerherde nächstliegenden Wohn-
häusern in das Feuerhaus gebracht, dieses verschlossen und sodann
der Ausgang des Brandes relativ angstlos abgewartet. Rauchgeschwärzt
und höchstens mit einigen Sprüngen durchzogen steht nach dem
Brande das Feuerhaus, welches in den meisten Fällen die darin auf-
bewahrte Habe der Abgebrannten unversehrt in sich birgt, inmitten
des rauchenden Trümmerhaufens, um kurze Zeit darauf als Stützpunkt
für den Wiederaufbau der zerstörten Häuser zu dienen.
Die als südöstliche Begrenzung Yokohamas ansteigenden Hügel,
welche sowohl durch die Vielgestaltigkeit ihrer Formen, als auch
durch das üppige Grün, das sie bedeckt, das Auge des Beschauers
von der Eintönigkeit des von der Stadt gebotenen Bildes ablenken, sind
an ihren Kuppen und Hängen von zahlreichen Villen besetzt. Jeder
Ansiedler, dessen Mittel es halbwegs zulassen, und der durch seinen
Beruf nicht unbedingt an die untere Stadt gefesselt ist, mithin alle
Consuln, Bankbeamte, Aerzte und Private (es gibt auch solche be-
reits unter den in Yokohama angesiedelten Fremden) hat hier sein Häus-
chen nach eigenem Geschmacke und Bedürfniss errichtet und haust
darin ungestört und unbehelligt von aller Welt. Die einzelnen Villen
stehen in grösseren oder kleineren wohlgepflegten Gärtencomplexen
die von natürlichen Hecken umsäumt sind.
Das geschäftliche Treiben der unteren Stadt erreicht nicht die
Höhen der Hills, wo der allgemein herrschende Friede und die Ruhe
höchstens durch das Gelächter auf den Rasenplätzen sich tummelnder
Kinder und durch das Knarren eines vereinzelt über die Kieswege
rollenden Jinriksha (Menschenkraftwagen, die aus Reisewerken wohl-
bekannten leichten Karren mit stuhlartigem Sitze für ein bis zwei
Personen und einer scheerenartigen Deichsel) gestört wird.
Am Grat der gegen die Stadt besonders steil abfallenden vor-
dersten Hügelreihe steht ein kleiner Tempel, der über eine in gerader
Linie ansteigende Treppe zugänglich ist, welche unter dem Namen
der „hundert Stufen“ bekannt ist, wenngleich deren einige weniger
vorhanden sein mögen. In der Nachbarschaft dieser Treppe befinden
sich mehrere Theehäuser, die in ihrer exponirten, von der kühlenden
Seebrise bestrichenen Lage mit freiem Ausblick über Yokohama und
die ausgedehnte Bucht bis an die Grenzen des Dunstmeeres, das über
45*
[356]Der grosse Ocean.
Tokio lagert, hinreichende Anziehungskraft besitzen und daher Ein-
heimische und Fremde in gleicher Weise bestimmen, nach des Tages
Mühen hier Ruhe und Erfrischung zu suchen.
Die Erschliessung des Wunderlandes der „aufgehenden Sonne“
brachte Yokohama, dem Hafen der Hauptstadt Tokio, dem Ausfuhr-
platze des ergiebigsten Theiles des Landes, riesigen Gewinn. Mit dem
Tage der Eröffnung des Handels mit dem Auslande wurde Yokohama
der Werthmesser der ganzen Handelsbewegung des Reiches. Es war
selbstverständlich, dass die erste Eisenbahn, welche Japan baute, nur
die Strecke Yokohama-Tokio sein konnte. Schon 1869 wurde der
erste Spatenstich gethan, aber erst am 14. October 1872 ward die
Linie dem Verkehre übergeben, weil der Bau der 485 m langen
Brücke über den Rokupawa ungeahnte Schwierigkeiten verursachte.
Yokohama erhielt gleichzeitig grosse Werkstätten für den Bau von
Eisenbahnbetriebsmitteln.
In einem Lande, wo man abseits von den Eisenbahnen und schiff-
baren Wasserstrassen heute noch wochenlange Reisen in der zweirädrigen
von einem Menschen gezogenen Jinriksha unternimmt, weil diese Art
zu reisen die bequemste und billigste ist, musste die Eröffnung einer
Eisenbahn die Zufuhr von Gütern aus dem Innern nach Yokohama
ungemein fördern, während die Reformbewegung, die von der Haupt-
stadt ausging, naturgemäss zunächst in ihrer Umgebung die steigende
Einfuhr europäischer Waaren zur Folge hatte.
Als Station der grossen Eisenbahnlinie, welche ganz Nippon
längs der Ostküste von Norden nach Süden durchzieht, als Nachbar-
stadt von Tokio, dem Ausgangspunkte westwärts gerichteter eiserner
Spurwege, blieb die Handelsstellung Yokohamas als dominirenden
Hafens von Japan lange unangefochten; erst in den letzten Jahren
strebt hinter ihm das südwärts gelegene Kobé-Hiogo empor und wird
ein gefährlicher Rivale. Die Kaufmannswelt von Yokohama sucht
nach Möglichkeit einem Rückgange seines Handels entgegenzuwirken.
Dahin gehört die Thatsache, dass man 1890 junge Leute, welche die
Handelsschule absolvirt hatten, nach Shanghai schickte, damit sie
dort die chinesischen Handelsusancen kennen lernen und befähigt
seien, japanische Exporthäuser zu gründen. Denn bisher gibt es
zahlreiche und geachtete chinesische Handelshäuser in Japan, aber
keine japanischen in China, und von den 4542 Fremden, die Ende
1889 in Yokohama wohnten, waren 2993 Chinesen.
[[357]]
A Rhede, B Einfahrt in den Hafen, C Wellenbrecher in Bau, D innerer Hafen, E Anlegeplätze für
Boote, E1 Zollamt, F Leuchtfeuer, G Wettersignalstation, H Hôtel, J Eisenbahn nach Tokio, K Eisen-
bahnstation, L Fels, M Garten und Cricketplatz, N Admiralitäts-Werften, O Hospital.
[358]Der grosse Ocean.
Wir geben zunächst eine Uebersicht des Handelsverkehres
von Yokohama in Silber-Yen (= 1 Silber-Dollar).
Die Hauptausfuhrartikel Japans, Seide und Thee, sind auch die des
Handels von Yokohama.
In dem edlen Rohstoffe Seide beeinflusst Japan in hervorragendem Grade
die Preise des Welthandels. Seine lohnende Production wird in den ausgedehnten
Gebieten im Westen und Norden von Yokohama betrieben und endet gegen Süden
hin unter dem Parallelkreis von Kioto. In diesem Gebiete entstehen unausgesetzt neue
Maulbeerpflanzungen. Japanische Seide findet Absatz in der Union und in Europa.
Jedes Jahr beschäftigt die Japaner die Frage, ob sie die Seide grob, das ist für
Amerika, oder fein für Europa (Frankreich und England) spinnen sollen. Doch
arbeiten die Japaner in erster Reihe für den europäischen Markt, und wenn
die Ernte in Italien missrathen ist, wird mehr feiner Titre gesponnen.
Ausfuhr von Seide aus Yokohama.
Im Jahre 1890 gerieth die Ausfuhr ins Stocken, als durch die amerikanische
Silberbill der Preis des Silbers stieg.
Erwähnenswerth ist noch die steigende Ausfuhr von seidenen Taschen-
tüchern (1889 629.596 Dutzend, 1888 334.425 Dutzend) nach Amerika, Frank-
reich und England; diese werden in der Umgebung von Yokohama und Tokio ver-
fertigt. Seidenstoffe und Waaren wurden 1889 für 566.301 Yen ausgeführt.
Thee ist seit mehr als 1000 Jahren in Japan bekannt und das Lieblings-
getränk der Eingeborenen. Man führt fast nur grünen Thee aus, und dieser ist
fast ausschliesslich auf den amerikanischen Markt (Chicago, Canada, Californien) an-
gewiesen, da ihm europäische Consumenten keinen Geschmack abgewinnen können.
Durch die Eröffnung der Canada-Pacificbahn und der oceanischen Dampferlinien
derselben ist japanischer Thee in die Oststaaten vorgedrungen. Man denkt in
Japan daran, den Absatz des russischen Petroleums zu fördern, damit Russland
dafür dem japanischen Thee Vorzugszölle gewähre.
Ueber unseren Hafen wurden 1889 10,838.152 kg Thee (Werth 3,615.978 Yen),
1888 10,799.454 kg Thee ausgeführt.
Von Rohproducten haben (1889) grössere Bedeutung nur noch Fische
(Werth 971.647 Yen), welche in China abgesetzt werden, Zimmerholz (Werth
372.815 Yen), Kupfer in Barren und Stangen (1889 44,100 q, 1888 47,474 q),
welches nach China und Indien geht, endlich Steinkohlen (61.848 t) für den Schiffs-
gebrauch.
Die Ausfuhr von Erzeugnissen des japanischen Kunstgewerbes nimmt im
allgemeinen zu. Hieher gehören Porzellan und Irdenwaaren (763.927 Yen),
welche vorzugsweise in Amerika, Australien, China und Indien abgesetzt werden,
[359]Japanische Häfen.
dann die bisher unübertroffenen Lackwaaren (460.841 Dollars), die nach Deutsch-
land, Frankreich und England gehen, sowie Bronzewaaren (162.563 Yen), für
welche Yokohama ein sehr bedeutender Industrieplatz ist, und die Frankreich,
England und Amerika kaufen.
Bemerkenswerth ist auch die Ausfuhr von Holzwaaren, Fächern und Stroh-
geflechten.
Von anderen Erzeugnissen sind hervorzuheben halbseidene Satins für
Deutschland, Frankreich und die Schweiz, und Teppiche.
Die Einfuhr Japans, welche sich zur Zeit des holländischen Monopol-
handels auf wenige europäische Artikel: Uhren, Bücher etc. beschränkte, ist seit
dem grossen Culturumschwunge im beständigen Steigen, und es wird noch lange
dauern, bevor japanische Etablissements den Bedarf an europäischen Producten
decken können, wenn auch das bisher Erreichte höchst staunenswerth ist. Von der
Einfuhr entfallen gut zwei Drittel des Werthes auf Industrieerzeugnisse aus Europa
und Amerika.
Der für den Handel Yokohamas wichtigste Artikel sind Baumwollgarne
(1889 118.393 q, Werth 6,157.089 Yen, 1888 129.643 q), welche aus England und
Indien kommen, und mit denen die im Lande erzeugten Garne nicht concurriren
konnten, weil sie bisher nur aus der im Lande angebauten oder aus China ein-
geführten, also minderwerthigen Baumwolle hergestellt waren, doch kommt jetzt
auch aus Amerika und Indien Baumwolle.
Die Einfuhr von Rohbaumwolle ist wegen Errichtung zahlreicher Spin-
nereien 1889 auf 39.170 q gestiegen.
Im Jahre 1889 hatten die hier eingeführten Baumwollgarne und Fabricate
einen Werth von 8,882.423 Yen, 1888 von 9,337.054 Yen.
Die Einfuhr von Schafwollgarnen und Fabricaten erreichte 1889 einen
Werth von 4,046.236 Yen, an welcher Ziffer wollene Musseline aus Frankreich und
Deutschland, Italian Cloth aus England, Tuche aus Deutschland, Militärtuche aus
England, Flanell aus Deutschland und England und wollene Decken aus England
den Hauptantheil hatten.
Die grösste Zukunft haben wollene Flanelle, welche die Japaner gerne für
nationale Sommer- und Winterkleider verwenden.
Die Einfuhr von Eisen- und Stahlfabricaten erreichte 1889 einen
Werth von 2,553.128 Yen. Roheisen, Stangeneisen und Platten kommen über-
wiegend aus England, Eisenbahnschienen liefert auch Deutschland, in Nägeln
behauptet dieses den ersten Platz.
Maschinen und Instrumente wurden 1889 für 3,892.057 Yen, 1888 für
3,046.974 Yen eingeführt. Die Einfuhr von Nähmaschinen aus Deutschland geht
zurück, weil in Japan die Strömung gegen das Tragen europäischer Kleidung wieder
mächtiger wird und japanische Gewänder nicht mit der Maschine, sondern aus-
schliesslich mit der Hand genäht werden.
Taschenuhren wurden 1889 119.702 Stück, Wanduhren 82.228 Stück ein-
geführt. Wichtig ist die Einfuhr von Locomotiven, Dampfkesseln, Waggons,
Maschinen für Papier-, Spinn- und Webefabriken.
Für Droguen, Chemikalien und pharmaceutische Producte ist Yokohama
der wichtigste Platz Japans. Die Einfuhr steigt, weil die vielen neu errichteten
Papier-, Glas- und anderen Fabriken gute Abnehmer sind.
[360]Der grosse Ocean.
Anilinfarben, von welchen Violett am stärksten begehrt wird, liefert
Deutschland, trockenen Indigo Indien.
Papier kommt aus England und Deutschland, und diese werden für Sorten
von leichterem Gewichte den Markt behaupten, da die zahlreichen neuen einheimi-
schen Fabriken, welche mit europäischen Maschineneinrichtungen versehen sind,
nur die schwereren Sorten liefern.
Für Filzhüte, die in Japan sehr beliebt sind, ist England das wichtigste
Land, für Schuhwaaren bestehen im Lande zahlreiche Fabriken; der Gebrauch des
europäischen Schuhwerkes breitet sich rasch aus; die grossen Fortschritte, welche
die Japaner in der Bearbeitung des Leders machen, beeinflussten mehr und mehr
den Markt. 1889 wurden noch für 461.588 Yen, 1888 für 502.682 Yen Leder,
meist aus England, eingeführt.
Fensterglas, dessen Bedeutung für die Einfuhr steigen dürfte, sendet
Belgien, Cement England und Deutschland.
In der Gruppe der Nahrungs- und Genussmittel ist Zucker von hervor-
ragender Bedeutung. Ein Hauptcontingent liefert Formosa; beliebt ist weisser
raffinirter Zucker aus China. In Yokohama werden regelmässig Zuckerauctionen
abgehalten.
Es wurden Zucker und Melasse 1889 44.793 q (Werth 3.990.162 Yen), 1880
633.890 q eingeführt.
Von einiger Wichtigkeit sind noch Mehl aus der Union, condensirte Milch
und Biere aus England und Deutschland, dessen Einfuhr aber beständig zurück-
geht, weil in Yokohama und Tokio nach europäischen Verhältnissen eingerichtete
Brauereien errichtet wurden.
In der Einfuhr von Petroleum (1889 848.100 hl, 1888 591·440 hl), dessen
Absatzgebiet in Japan noch einer grossen Erweiterung fähig ist, tritt Russland als
ernster Concurrent der Union auf, seit man in Batum auf die Versendung in Blech-
büchsen mehr Sorgfalt verwendet.
Yokohama ist ein wichtiger Platz für Erzeugung von Cloisonnéwaaren, für
Maschinen, Eis und Bier. Die meisten Fabriken in europäischem Style sind aber
in Tokio und auf dem Wege dahin und beeinflussen daher wesentlich den Einfuhr-
handel von Yokohama.
Im Hafen von Yokohama liefen ein:
Die nationale Flagge dient hauptsächlich dem Küstenhandel, im auswärtigen
Verkehr dominirt die englische Flagge (1889 505.457 t), ihr folgen die Flagge der
Union, die deutsche und französische Flagge.
Die regelmässigen Dampfschiffsverbindungen von Yokohama ver-
mitteln die englische Oriental and Occidental Steamship Cy. und die Pacific Mail
Steamship Cy. durch ihre gemeinsamen 14tägigen Linien: die Strecke San Fran-
cisco-Yokohama (4750 Seemeilen) wird fahrplanmässig in 18 Tagen zurückgelegt,
[361]Japanische Häfen.
doch brauchte der Dampfer „China“ December 1889 nur 12 Tage 18 Stunden. Von
Yokohama nach Hongkong, 1620 Seemeilen, brauchen diese Dampfer 7—8 Tage.
Die Verbindung mit Canada besorgt die Canadian Pacific Steam Line mit
der Linie Vancouver-Yokohama-Hongkong bisher einmal, demnächst zweimal im
Monate. Mit dieser Linie, welche mit der Canadian Pacific-Railway einen Theil
der „Imperial Route“ der Engländer bildet, gelangten im Mai 1891 Reisende in
21 Tagen 6 Stunden von Yokohama nach London, während man via Suez noch
immer 40 Tage braucht.
Ausser den eben genannten Gesellschaften unterhalten die Verbindungen
mit den chinesischen Häfen und über diese weiter mit Südasien und Europa der
Norddeutsche Lloyd (Bremen), die Kingsin-Line (Hamburg), die Peninsular and
Oriental Steam Navigation Cy. (Brindisi, London) und die Messageries Maritimes
(Marseille).
Ferner ist der Hafen Station der Ozaka Shoshen Kwaisha (Ozaka Mer-
chant Shipping Cy.), der Glen Line, Castle Line, Shire Line, der Gibb Line of
Australian Steamers.
Yokohama ist Sitz der nationalen Nippon Yusen Kwaisha (Japanese Mail
Steamship Cy.), welche nicht nur Küstenfahrten unterhält, sondern auch die chine-
sischen Häfen bis Shanghai, Korea und Wladiwostok besucht.
Neuerer Zeit besteht ferner eine von Japan subventionirte Verbindung mit
Sydney.
Yokohama ist Sitz einer Handelskammer, eines kaiserlichen Zollamtes, eines
Post- und Telegraphen-Departements, eines kaiserlichen Laboratoriums für Hygiene,
des britischen Gerichtshofes für Japan.
Es bestehen hier ein Exchange Market, an Banken und deren Ver-
tretungen: Chartered Bank of India, Australia and China, Comptoir National
d’Escompte de Paris, Hongkong and Shanghai Corporation, Oriental Bank Corpo-
ration in London, und nicht weniger als 116 Assecuranz-Gesellschaften haben hier
ihre Vertretungen.
In Yokohama unterhalten Consulate: Belgien, China, Dänemark, Deutsches
Reich, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Peru,
Portugal, Russland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Vereinigte Staaten
von Amerika.
Hiogo-Kobé.
Von Nippon in Nord und Ost, von Sikok in Süd und von
Kiusiu in West begrenzt, liegt zwischen den drei vorgenannten
Inseln die japanische Inlandsee, ein Binnenmeer, das bezüglich seiner
landschaftlichen Reize dem vielgerühmten griechischen Archipel würdig
zur Seite gestellt werden kann. Trotz der die Navigation erschwerenden
vielfachen Inselbildung wird dieser Meerestheil für die Schiffahrt in-
soferne eine ständige Bedeutung behalten, als die geringe Ausdehnung
seiner Wasserfläche auch bei den heftigsten Wirbelstürmen ein über-
mässiges Anwachsen der See nicht zulässt und dadurch der Gefähr-
lichkeit der in den japanischen Gewässern, besonders im Spätsommer
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 46
[362]Der grosse Ocean.
und Herbst, nur zu häufigen Typhons den schwerstwiegenden Theil
benimmt. Die an Ausdehnung und betreffs des Handelsverkehres be-
deutendste Stadt der Inlandsee ist Osaka (Oesaka) mit mehr als
476.000 Einwohnern im nordöstlichen Theile derselben, im Mündungs-
gebiete des Yodogawa gelegen.
Die vom Flusse an seiner Mündung abgelagerten Geschieb-
massen machten die Bucht von Osaka immer seichter und für grössere
Seeschiffe unzugänglich, so dass die Stadt Osaka auf die Vortheile
einer eigentlichen Seestadt verzichten muss.
Als nach Eröffnung Japans der klingende Segen nur zu deutlich
für den materiellen Erfolg sprach, welchen der überseeische Handel
mit sich brachte, musste Osaka, wollte es nicht an Bedeutung ver-
lieren, an ein Mittel denken, sich in directe Beziehungen zum See-
verkehr zu setzen.
Nachdem die den Zuzug grösserer Seeschiffe störenden Hinder-
nisse nicht zu beseitigen waren, wurde Hiogo, das den natürlichen
Bedingungen eines Seehafens Genüge leisten konnte, zum eigentlichen
Hafen für Osaka erwählt und 1868 dem auswärtigen Handel eröffnet.
Hiogo (auch Fiogo), das durch die Entwicklung der Fremdenstadt
Kobé zu einer Doppelstadt geworden ist und mit Kobé gegen
136.000 Einwohner zählt, liegt 13 Seemeilen westlich von Osaka
an der gleichnamigen Bucht. Es ist landwärts durch die steil ab-
fallenden Hänge einer vorgeschobenen Hügelkette vortheilhaft begrenzt.
Von Wada-Saki bis Kobé Point, einer Strecke von zwei See-
meilen, breitet sich die Stadt in stark gekrümmtem Bogen conform
der Küstenconfiguration aus und erscheint nur durch die nahezu in der
Mitte der Bucht vorspringende Landzunge Kawasaki unterbrochen,
welche durch Ablagerung vom Geschiebe des hier mündenden Minato-
gawa entstanden ist und die natürliche Grenze zwischen Hiogo und
Kobé bildet.
Die Stadt Hiogo hat ihren japanischen Charakter vollkommen
behalten und zeigt durch die Gleichförmigkeit der einzelnen Häuser,
die in regelmässigen Zeilen aneinandergereiht sind, keine Abwechs-
lung. Kobé hingegen, das seine Bedeutung nur durch die Ansiedlung
der Fremden gewonnen hat, bietet durch die Verschiedenheit der
vertretenen Baustyle, von der zierlichen Villa bis zum massigen
Waarenhaus, und nicht minder dadurch, dass es Mangels hinrei-
chenden ebenen Terrains die naheliegenden Hügellehnen ansteigt,
dem Beschauer viel Anziehendes; es stellt dadurch die ältere
[363]Japanische Häfen.
Schwester in den Schatten. Das Fremdenviertel von Kobé wird daher
kurz das „model settlement“ von Japan genannt.
Das Innere der beiden Städte entspricht vollkommen dem Ein-
drucke, welchen die der See zugewandte Aussenseite macht; in Kobé
finden wir die Villenstadt par excellence, von einem äusserst regel-
mässigen breiten und wohlgepflegten Strassennetz durchkreuzt, jedes
einzelne Haus in den für den Bewohner ausreichenden Dimensionen
gehalten und mit einer Gartenanlage umgeben, die in der meist
glücklich gewählten Combination von europäischen und japanischen
Ziergewächsen umsomehr einen schönen und eigenartigen Anblick
bietet, da die japanische Gartenkunst ihr Hauptaugenmerk auf die
Cultur ausserordentlich kleiner Zwergpflanzen und auf groteske Ori-
ginalität richtet.
Landwärts und anlehnend an Hiogo schliessen an den europäisch
angehauchten Stadttheil Gruppen japanischer Häuser an, welche die
Regelmässigkeit der Strassenzüge nicht beeinflussen. Ihr Bau-
material ist Holz; die Häuschen werden niedriger und die Gärten
kleiner, das Terrain steigt leicht an; vor uns läuft der Damm der
Kobé-Hiogo mit den Städten Osaka und Kioto und dem Landinnern
verbindenden Eisenbahn; zur Linken liegt der Fluss und zwischen
Fluss und Damm eingeschoben liegen die ausgebreiteten Tempel-
gründe Nanküsan’s. Es sind da keine besonders auffallenden Bauten
vorhanden, die den Plan zieren; auch sind sie keinesfalls mit den
Tempeln Kiotos oder Tokios in eine Linie zu stellen, es sind eben
nur einfache, ziemlich räumliche Säulenhallen, die von einem der
Form nach äusserst schwerfälligen Dache geschützt und durch mobile
Wände in verschieden grosse, ihrer Bestimmung gemäss eingerichtete
Räumlichkeiten getheilt sind.
Die freien Gründe zwischen den Tempeln sind mit Buden und
Verkaufsstellen dicht besetzt, die meist nur Gegenstände des japani-
schen Hausrathes oder aber Spielgeräthe, denen der Japaner auch
in gesetzten Jahren nicht abhold ist, zum Verkaufe ausgelegt haben.
Hier ist jahraus jahrein ein Markt, der aber merkwürdiger Weise
täglich erst in den Abendstunden eröffnet und weit nach Mitternacht
geschlossen wird.
Unzählige, in den mannigfachsten Farben erglänzende Lampions
erleuchten das Terrain, tausende von Weiblein und Männlein trippeln
um die eng aneinander gerückten Buden; durch das Hauptthor der
Tempelgründe drängt und zwängt sich Alt und Jung fortwährend in
46*
[364]Der grosse Ocean.
gleicher Menge; die gesammte Stadtbevölkerung scheint sich allnächtlich
hier einzufinden.
Anpreisen und Feilschen, Gelächter und Gekicher, dazu die
Klänge von Saiteninstrumenten und Trommeln, welche aus den Gesell-
schaftsräumen der die Tempelgründe umgebenden Theehäuser stammen,
geben ein Chaos von Tönen, das nur insoferne einheitlich erscheint,
als es Nacht für Nacht die gleiche Klangfarbe ungezwungener und ge-
Kobé.
sunder Heiterkeit annimmt. Hier ist es immer Sonntag, und wenn auch der
am Feuer sich drehende Spiess fehlt, so ist dennoch für Befriedigung
des Magens nach japanischen Begriffen in lucullischer Weise vorge-
sorgt: Gehobeltes Eis, halbgesottene Bohnen, Streuzucker, bisquit-
artiges Gebäck und Thee sind Jedermann in Menge um sehr be-
scheidene Münze zugänglich.
In Hiogo selbst jenseits des Minatogawa reiht sich Haus an
Haus in regelmässigen Zeilen, von denen eine der anderen zum Ver-
wechseln ähnlich sieht. Strassen und Gassen sind schmäler als im
japanischen Theile Kobés und die Häuser kleiner und unansehn-
[365]Japanische Häfen.
licher, die Kaufläden, die in Kobé grösstentheils mit Curiositäten,
Waffen, Erzeugnissen japanischer Kunstindustrien und solchen Gegen-
ständen überfüllt sind, welche die Kauflust der Fremden in hohem
Grade zu reizen vermögen, zeigen in Hiogo ein viel bescheideneres
Aussehen. Japanisches Hausgeräth wird hier nebst Fächern, Schirmen
A Hafen von Hiogo, B Hafen von Kobé, C Wettrennplatz, D Wasserfall, E Concession der Ausländer,
F Leuchtfeuer, G Dörfer und Gehöfte, H Tempel, J Wildbach Minatogawa, K Becken Isumi Nada des
japanischen Binnenmeeres.
und Kleidersorten in Masse feilgeboten. Bedingt durch den Klein-
handel, der in Hiogo in voller Blüthe steht, ist das Strassenleben
im Orte ein viel bewegteres als in Kobé, das einen ernsteren, wohl-
habenderen, dafür aber minder warmen Eindruck macht als Hiogo.
Die durch die japanischen Lebensgewohnheiten und die früheren
staatlichen Einrichtungen bedingten Vorkehrungen sind in Hiogo noch
[366]Der grosse Ocean.
nach alten Mustern erhalten. Grosse Badehäuser, wo Jung und Alt,
Mann und Weib gemeinsam ohne Scheu vor den Augen Neugieriger,
den ans Extreme grenzenden Begriffen von Reinhaltung des Körpers
huldigen, finden sich in jeder Strasse, desgleichen Thee- und Ein-
kehrhäuser, wo den Reisenden zu jeder Tagesstunde Reis und Thee
und zur Nachtzeit ein Ruheplätzchen gegen eine kaum nennenswerthe
Vergütung zu Gebote steht. Erwähnt seien auch die in jedem Stadt-
theile errichteten Stationen einer öffentlichen Feuerwehr mit hohem
Leitergerüste als Auslug, einer Alarmglocke und reichlich bemes-
senen, gut in Stand gehaltenen, jedoch sehr primitiven Löschwerk-
zeugen. Diese Einrichtung ist durch die Bauart der japanischen
Häuser, welche bei der geringsten Unvorsichtigkeit mit Feuer nur
zu häufig ein Raub der Flammen werden, bedingt und im ganzen
Lande mit grosser Präcision organisirt.
Unter den Vertragshäfen Japans hat Hiogo-Osaka in den letzten
Jahren verhältnissmässig den grössten Aufschwung genommen. Denn
dieser Hafen ist heute nicht nur der Hauptmarkt für die wohl-
habenden südlichen Provinzen der Hauptinsel, sondern auch für die
Inseln Sikok und Kiusiu. In voller Würdigung der bedeutenden Zu-
kunft dieses Platzes haben allmälig fast alle grösseren Firmen von
Yokohama Zweigniederlassungen in Hiogo-Kobé errichtet.
Kobe ist seit Mai 1874 mit seiner Schwesterstadt Osaka, dem
ersten Industrieplatz und dem wichtigsten Orte für den inneren
Handel Japans, seit August 1876 mit Kioto, der alten Mikadostadt,
der classischen Stätte altjapanischer Geschichte durch die Eisenbahn
verbunden und dadurch auch Station der grossen Meridionalbahn Japans.
Doch gerade in dem Handelsgebiete von Kobé-Osaka-Kioto
bieten die Wasserstrassen Gelegenheit, Waaren und Personen billiger,
wenn auch langsamer, zu befördern. Da die Zeit hier oft nur eine
untergeordnete Rolle spielt, so macht, wenn Geldersparniss der
Zeitersparniss gegenübersteht, oft ein nur geringfügiger Betrag zu
Gunsten der ersteren die Wasserstrassen gegen die Eisenbahnen con-
currenzfähig. Man hat überdies die Wasserstrassen schneller und an-
genehmer gestaltet und für die Güterbeförderung Gesellschaften ge-
bildet, welche dem Publicum manche Erleichterungen bieten.
Der auswärtige Handel von Hiogo-Osaka betrug in Silber-Yen:
Der wichtigste Artikel der Ausfuhr unseres Hafens ist Reis. Das Jahr 1889
war in Reis ein Missjahr für Japan, daher sank 1889 die Ausfuhr auf 1,526.900 q
gegen 1,575.770 q im Jahre 1888.
Ueber Kobé gehen heute schon mehr als drei Viertel der Reis-
ausfuhr ins Ausland, und zwar nach Deutschland, den Vereinigten Staaten,
den Niederlanden, Italien, Frankreich und Australien.
Thee nimmt in diesem Hafen die zweite Stelle ein, 1889 mit 8,077.260 kg,
1888 mit 8,605.600 kg, welche zumeist nach New-York und den Oststaaten der
Union, ferner nach Canada, Chicago und Californien versendet werden. Die eigent-
liche Theesaison fällt in die Monate Mai bis Juli.
Seide wird in steigenden Mengen über Kobé und Osaka ausgeführt, weil
die Seidenzucht in den Gebieten, aus denen diese Plätze sich versorgen, zunimmt.
Ausfuhr 1889 113.780 kg, 1888 42.825 kg.
Die Fischerei ist von hoher Wichtigkeit für die Ernährung des japanischen
Volkes und gestattet überdies eine umfangreiche Ausfuhr von getrockneten
Fischen, dann auch von Haifischflossen nach China. Schwämme gehen nach
Hongkong.
In die Ausfuhr von Kampher (1889 24.650 q) theilt sich Kobé mit Naga-
saki; vegetabilisches Wachs geht nach Hongkong.
Von Mineralien sind wichtig Kupfer (1889 55.070 q, 1888 49.595 q) für
England, Hongkong und China, und in steigender Menge Kohle (1889 2·3 Mill.
Metercentner) für China, Hongkong und Californien.
Unter den Industrieartikeln erregen Zündhölzchen unsere Aufmerksam-
keit, weil die japanischen Zündhölzchen die europäischen aus China und den
Straits Settlements verdrängen. Die Japaner ahmen dabei auch flott die in
diesen Ländern gut eingeführten Marken nach. Das Geschäft ist ganz in den
Händen der hier ansässigen Chinesen, welche die erzeugten Mengen aufkaufen und
nach China und Hongkong als Bezahlung für die erhaltenen Zuckersendungen
schicken.
Von Erzeugnissen des Kunstgewerbes wurden 1889 nach Europa und Amerika
Porzellanwaaren für 2½ Mill. Yen, 10,406.933 Stück Fächer, 81.996 Schirme
und 385.430 Sonnenschirme verschifft.
In der Einfuhr von Hiogo-Osaka nehmen Baumwollgarne, welche zu
drei Vierteln aus Bombay, zu einem Viertel aus Manchester kommen, die führende
Stelle ein; Einfuhr 1889 140.370 q, 1888 158.270 q.
Die unausgesetzt steigende Anzahl von Baumwollspinnereien in Osaka, von
welchen die in den letzten Jahren errichteten mit europäischen Maschinen arbeiten,
ist Ursache, dass von roher Baumwolle 1889 81.854 q, 1888 40.165 q, von nicht
enthülster Baumwolle 1889 244.670 q, 1888 70.670 q, meist aus China ein-
geführt wurden.
Selbstverständlich leidet dadurch die Einfuhr von Baumwollstoffen, die
überwiegend England liefert.
Auch die Einfuhr von Schafwollwaaren (Deutschland) sinkt; von Jute-
säcken wurden 1889 2,748.850 Stück, 1888 3,160.330 Stück eingeführt.
Durch den Bau von Eisenbahnen und die Einrichtung von Fabriken ist in
den letzten Jahren die Lage des Geschäftes in Metallen und Metallwaaren,
Maschinen aller Art, Waggons (England und Belgien) eine gute.
[368]Der grosse Ocean.
Erwähnenswerth ist auch die Einfuhr von Glaswaaren, Hüten (England),
Droguen und Farbwaaren (Deutschland), Leder (Union). Hervorzuheben sind ferner
Portlandcement (England) und Petroleum (1889 718.790 hl), wobei russisches
dem amerikanischen gegenüber sich langsam Bahn bricht.
Von Nahrungs- und Genussmitteln werden brauner Zucker aus China,
weisser aus Hongkong, zusammen 1889 285.035 q, Hülsenfrüchte 112.500 q
eingeführt.
Von Fabriken bestehen in Kobé-Hiogo eine Reisschälfabrik, Fabriken für
„europäisches“ Papier, eine Locomotivfabrik der Staatsbahnen, eine kaiserliche Schiffs-
werfte, deren Patent-Slip Schiffe bis 2000 T Gehalt aufnehmen kann, zwei private
Schiffsbauanstalten und zahlreiche Zündhölzchenfabriken.
Der Schiffsverkehr von Kobé-Hiogo umfasste:
Wir bemerken, dass hier bei den japanischen Schiffen nur der Verkehr
mit Shanghai und den auswärtigen Häfen aufgenommen, der sehr umfangreiche
Inlandverkehr also ausgeschlossen ist. Diesen vermittelt zumeist die nationale
Osaka Shosen Kaisha mit dem Sitze in Kobé und Osaka.
Bei dieser Beschränkung ist die wichtigste Flagge die englische (1889
1,286.006 T), an sie reihen sich die japanische, die französische, die deutsche und
die der Union.
Als Zwischenstation zwischen Hongkong und Yokohama wird Kobé-Hiogo
angelaufen von den Dampfern der Peninsular und Oriental Cy., der Glen, Shire,
Ben Line und der Ocean Steamship Cy., der Messageries Maritimes, des Nord-
deutschen Lloyd und der Hamburger Rhederei-Gesellschaft; nach Amerika gehen
in regelmässigen Cursen die Pacific Mail Steamship Cy., die Occidental and Oriental
Steamship Cy. und die Canada Pacific Steamship Cy.
Kobé-Hiogo sind Sitz verschiedener Handelscompagnien, der japanischen
Kampher Cie. und einer Succursale der Hongkong and Shanghai Banking Corpo-
ration.
In Kobé unterhalten Consulate: Belgien, China, Dänemark, Deutsches
Reich, Frankreich, Grossbritannien, Hawaïi, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn,
Portugal, Russland, Spanien, Vereinigte Staaten von Amerika.
Osaka, das „Venedig des fernen Ostens“, dessen niedliche und
belebte Gassen von zahlreichen Canälen durchschnitten werden, ist
durch die Zahl seiner Einwohner (Ende 1889 476.271), durch seine
Bedeutung für den Innenhandel und als Industrieplatz unbedingt die
zweite Stadt Japans.
Die Vermittlung seines auswärtigen Verkehres musste es be-
kanntlich Kobé überlassen. Sein Fremdenviertel beherbergt daher jetzt
nur mehr 283 Fremde, darunter 135 Chinesen, 83 Amerikaner und
50 Engländer; die anderen, die hier wohnten, sind mit ihren Ge-
schäften nach Kobé übersiedelt.
[369]Japanische Häfen.
Die Japaner anerkennen die Bedeutung dieser eigentlich japani-
schen Stadt, welche der Sitz eines Provincialgouvernements, eines
Appellationsgerichtes, des kaiserlichen Arsenals und der Münze
Japaus ist.
Dem Dienste der hier hoch entwickelten Industrie, von welcher
die Baumwollspinnereien, Schiffswerften, Eisenwerke und Fabriken
für Zündhölzchen hervorzuheben sind, ist ein Museumsverein für
Künste und Manufacturen gewidmet.
Osaka ist der erste Zuckermarkt Japans und besitzt auch eine
Zuckerraffinerie.
Der Waarenverkehr mit dem Auslande erreichte 1889 in der Ausfuhr
261.013 Yen, in der Einfuhr 2,131.442 Yen, der Verkehr der japanischen Schiffe
1887 944.189 t.
Nagasaki.
An der reichgegliederten Westseite der Insel Kiusiu in der
Tiefe einer in nördlicher Richtung in die Halbinsel Hizen eindrin-
genden Bucht liegt die sehr alte Stadt Nagasaki, mit einem prächtigen
Hafen, der jeder Nachhilfe durch künstliche Anlagen entbehren kann.
Die an drei Seemeilen lange und in ihrem als Hafen in Betracht kom-
menden Theile durchschnittlich eine halbe Seemeile breite Bucht ist
an den drei Landseiten von hohen Hügeln umgrenzt, welche in ziemlich
grossen Böschungen gegen die See abfallen. Gegen die Seeseite ist
die Bucht durch eine Gruppe von Inseln geschützt, die sich in ihrer
gegenseitigen Stellung derart decken, dass sie eine continuirliche
Hügelkette darstellen.
Das Anlaufen des Hafens ist unter allen Umständen und selbst
bei schwerem Wetter ohne besondere Schwierigkeiten möglich, indem
die an 30 Seemeilen westlich von Nagasaki liegenden Goto-Inseln
sichere Orientirungsmarken geben, die zwischenliegenden Meerestheile
frei von Schiffahrtshindernissen sind und alle Küsten steil abfallen,
so dass eine Annäherung an dieselben bis auf kürzeste Distanz
keinerlei Wagniss mit sich bringt. Bei Annäherung eines Typhons,
der an den Küsten Japans zumeist mit nördlicher oder nordöstlicher
Bahn auftritt, ist Nagasaki als Zufluchtshafen unbedingt empfehlens-
werth.
Der Ankergrund ist ein vorzüglicher; die nahe dem Strande
gelegenen Ankerplätze sind gemäss der Küstenconfiguration gegen
plötzliche Windstösse geschützt. Dichte Kieferwaldungen kleiden die
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 47
[370]Der grosse Ocean.
Hügelreihen, welche die Bucht umgeben, in ein tiefes Grün, das
durch die Mannigfaltigkeit der Terrainformation und durch die eigen-
artige Zusammenstellung einzelner Bäume in besonders hervortretenden
Gruppen seltsame Lichteffecte hervorbringt.
Geradezu malerisch ist die Vegetation auf den früher erwähnten
Inseln, unter denen insbesondere das Eiland Papenberg (Tababoko)
am Hafeneingang seiner Lieblichkeit wegen auffällt, die in argem
Gegensatze zur Bedeutung steht, welche dieser Insel in historischer
Beziehung als Richtstätte tausender von Christen zukam. Die Insel
zeigt sich als ein nahezu regelmässig kegelförmiger Hügel, der
augenscheinlich durch vulkanische Kräfte über das Meeresniveau ge-
hoben wurde und reich mit Kieferbäumen und Bambus besetzt ist.
Die Bäume treten stellenweise so hart an den Strand, dass ihre in den
bizarrsten Formen zerrissenen Kronen den Spiegel der See zu berühren
scheinen und sich von den durch die Brandung unterwaschenen
kahlen Bruchufern dennoch scharf abzeichnen.
Zierliche Villen der ansässigen Fremden lugen an vereinzelten
Stellen der Bucht aus der reichen Vegetation der Hügelhänge hervor
und winken dem Ankömmling ein freundliches Willkommen zu; im
südöstlichen Theile der Bucht rücken sie näher aneinander und bilden
das Fremden-Settlement, das sich in nahezu ununterbrochener Zeile
längs der Strandlinie bis zu den Ausläufern des japanischen Ortes
hinzieht. Dieser breitet sich im nordöstlichen Theile der Bucht aus
und zeigt im gleichartigen Grau der dicht aneinander gereihten
Häuser eine grosse Einförmigkeit. Die Reichhaltigkeit des Bildes der
hinter dem Orte ansteigenden Bergterrassen mit einer grossen Zahl
von niedlichen Tempelbauten und ausgedehnten Friedhöfen ent-
schädigt jedoch das Auge des Beschauers für den unansehnlichen
Anblick der Stadt umsomehr, als die Friedhöfe durch die sorgsame
Pflege, welche ihnen von den für Naturschönheiten begeisterten
Japanern zutheil wird, das Unheimliche ihrer Bestimmung ganz ver-
gessen lassen. Vom Chinesenviertel, das weiter rückwärts liegt, ist
vom Ankerplatz aus nichts zu sehen.
Der Stadt vorgelagert und mit dieser durch eine kurze,
steinerne Brücke verbunden, liegt die kleine Insel Desima, die
einstige sehr beschränkte Ansiedlung der Holländer. Die Ring-
mauer, welche in früheren Zeiten diese Insel umfasste, ist nun-
mehr längst gefallen, die Wohn- und Waarenhäuser der Hol-
länder sind verschwunden und durch einfache japanischen Styles
ersetzt; kein äusseres Kennzeichen mahnt an die frühere, fast kerker-
[371]Japanische Häfen.
ähnliche Bestimmung der Insel, ebensowenig wie an den Reichthum,
der einst hier aufgestapelt war; der Name aber darf in keiner ge-
schichtlichen Aufzeichnung fehlen, welche die Abschliessung und
Wiedereröffnung Japans behandelt, und muss zumindest unter den
Curiositäten der Geschichte der europäischen Staaten ein Plätzchen
finden.
Die Stadt Nagasaki zählt 55.000 Einwohner, von welchen
(31. December 1889) 1058 Fremde sind, darunter 366 Weisse mit
16 Firmen, und 692 Chinesen mit 59 Firmen. Die Hauptstrassen der
langgestreckten Stadt verlaufen breit und regelmässig, der Strand-
linie entsprechend und werden durch kurze, zumeist in Stufen an-
steigende Quergassen unter nahezu rechten Winkeln geschnitten.
Die sorgfältige Reinlichkeit der Strassen in Verbindung mit der
Nettigkeit der Häuser, deren Bauart freieren Einblick gestattet und das
Leben und Treiben der Bewohner den Vorübergehenden preisgibt,
zumeist aber das abwechslungsreiche Bild des Strassenlebens täuschen
die Sinne über die Einförmigkeit vollkommen hinweg, die jeder ja-
panische Ort zeigt, und Nagasaki ganz besonders, weil daselbst
keinerlei hervorragende Bauten vorhanden sind.
Auch an öffentlichen Anstalten überhaupt ist Nagasaki arm.
Schule, Spital und Gefangenhaus, die nach europäischer Art einge-
richtet sind, können angeführt werden, um ihr Bestehen zu kenn-
zeichnen; Sehenswürdigkeiten aber nach europäischen Begriffen bilden
sie ebensowenig als der ausgedehnte Bazar, der jedoch immerhin eine
sehr sehenswerthe stabile Ausstellung japanischer Hausindustrie bildet.
Oeffentliche Anstalten, welche durch die Verbindung und den
Verkehr mit fremden Nationen nothwendig wurden, als Post, Tele-
graphenamt, Consulate, Agenturen und Hôtels sind in Gebäuden der
Fremdenansiedlung untergebracht. Die für den immerhin bedeutenden
Schiffahrtsverkehr von und nach Nagasaki nothwendigen maritim-
technischen Anlagen haben ihren Platz südlich der Stadt am Eingang
des inneren Hafenbeckens gefunden. Das Nagasaki-Dockyard verdient
als das bedeutendste aus dem Grunde eine besondere Erwähnung,
weil dessen Gründung dem Unternehmungsgeist einheimischer In-
dustrieller zu danken ist und der Betrieb daselbst durch japanische
Ingenieure geleitet wird. Für die Grösse und Wichtigkeit des Eta-
blissements spricht am besten die Thatsache, dass dessen in den
natürlichen Felsen eingesprengtes Trockendock das geräumigste Ost-
asiens ist. In den letzten Jahren wurde auch ein grossartiges Wasser-
werk vollendet; das Reservoir desselben fasst vier Millionen Hektoliter.
47*
[[372]]
Nagasaki.
[[373]]
A Tempel, B Sturmsignalstation, C Landungsplatz, D Zollamt, E Canal, F Leuchtfeuer, G Ansiedlung
der Fremden, H Werfte, J Batterien, K Baracken, L Pricken, M 2 Meter Linie, N 5 Meter Linie,
O 10 Meter Linie.
[374]Der grosse Ocean.
Vor Jahrhunderten war die Bai von Nagasaki der Sammelpunkt
des japanisch-europäischen Handels, weil die Verordnungen der
Regierung nur an diesem Platz den Verkehr gestatteten. Heute ist
das Handelsgebiet Nagasakis auf die ihm von der Natur gegebenen
Grenzen beschränkt. Vielleicht sichert die Erschliessung Koreas, an der
sich Japan in hervorragender Weise betheiligt, Nagasaki eine
bessere Zukunft.
Der auswärtige Handel von Nagasaki betrug:
Die Ausfuhr von Nagasaki beruht vor allem auf Kohle, dann auf
Kampher, Reis, Weizen und getrockneten Fischen.
Die Kohle stammt aus der Umgebung von Nagasaki, vornehmlich aus den
Minen von Takashima. Die meisten dieser Minen gehören der Mitsui Bishi-Ge-
sellschaft; Ausfuhr 1889 641.452 q, 1888 783.085 q.
Der Handel mit Thee (1889 356.200 kg, 1887 1,022.180 kg) hat wenig Aus-
sicht; er geht nach dem Norden von China.
Von Kampher gingen 1889 535.250 kg, 1888 766.350 kg ins Ausland.
Reis wird nach den Festlandshäfen von Europa versendet, 1889 419.100 q,
1888 387.650 q.
Weizen geht nach China; 1889 88.100 q, 1888 58.680 q.
Die Ausfuhr von Weizenmehl nach Wladiwostok wird in Kurzem steigen.
Getrocknete Fische werden nach China versendet.
Der Werth der gesammten Einfuhr von Nagasaki übersteigt nur wenig
den der Kohlenausfuhr des Hafens.
Die wichtigeren Artikel sind rohe Baumwolle aus China (1889 21.555 q),
deren Einfuhr rasch zunimmt, brauner und weisser Zucker (1889 43.970 q), Hülsen-
früchte, Metalle und Metallwaaren und Petroleum (1889 114200 hl).
Die Hauptländer für die Einfuhr sind Grossbritannien und China, in der
Ausfuhr geht China Grossbritannien voran.
Von Fabriken finden wir in Nagasaki eine Seidenfabrik, Baumwollspin-
nereien, eine Dampfmühle, eine Fabrik für Ziegel, Glas, Eis und eine Unternehmung
für elektrische Beleuchtung.
In Nagasaki liefen ein:
Die wichtigsten Flaggen sind die britische, die japanische und die deutsche.
Die regelmässigen Dampferverbindungen besorgen die Peninsular and Ori-
ental Cy., der Norddeutsche Lloyd, die Canadian Pacific Mail Steamship Cy. und
die Nippon Yusen Kaisha, die Osaka Shosen Kaisha. Zu nennen sind noch die Glen
Line, die chinesischen Dampfergesellschaften und die (russische) freiwillige Kreuzer-
flotte.
[375]Japanische Häfen.
Nagasaki ist der wichtigste Knotenpunkt der Kabel der Nordischen Tele-
graphen-Compagnie; von hier gehen Linien nach Shanghai, nach Fusan (Korea)
und nach Wladiwostok.
In Nagasaki unterhalten folgende Banken Agenturen: Die Hongkong and
Shanghai Banking Corporation, Chartered Bank of India and China, Comptoir
National d’Escompte de Paris, New Oriental Bank Corporation.
In Nagasaki unterhalten Consulate: Belgien, China, Dänemark, Deutsches
Reich, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Russ-
land, Schweden und Norwegen, Spanien, Vereinigte Staaten von Amerika.
Hakodate.
Der auswärtige Handel von Hakodate ist nicht sehr umfang-
reich, aber der Platz ist durch seine Lage in der für die Schiffahrt
immerhin wichtigen Strasse Tsugar Strait, zumeist aber als Haupthafen
der den Colonisationsbestrebungen der Japaner ein weites Feld bieten-
den Insel Jeso für den Handel mit letzterer von grosser Bedeutung.
Durch den Ausbau der transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok
an die japanische See wird neben Nagasaki sicher auch Hakodate
gewinnen.
Den Anforderungen, welche die Navigation an einen Hafen
stellt, entspricht Hakodate in vollem Masse, die Zufahrt ist eine
leichte und das Hafenbecken mit Ausnahme einer nordwärts von
Anama-Point verlaufenden Untiefe gleichmässig tief.
Ueberdies ist der Hafen durch die nahe an den Strand tretenden
Hänge des die Bucht umsäumenden Höhenzugs, sowie durch Hako-
date-Head, eine von einem massigen Gebirgsstock bedeckte Halb-
insel, auf welcher auch der grössere Theil der Stadt liegt, gegen hef-
tige Winde geschützt.
Zur Zeit der Feudalherrschaft wurde Jeso von der Regierung
ganz vernachlässigt. Nur wenige Japaner waren auf der Insel an-
sässig, die Zahl der Ortschaften war eine äusserst beschränkte und
Hakodate, das als die bedeutendste Ansiedlung galt, stand auf dem
Niveau eines grösseren Dorfes. Da kam der Systemwechsel in Japan,
der Kriegsadel verlor seine Vorrechte und Bedeutung und wurde in
Massen in Jeso angesiedelt. Damit erblühte Hakodate, und jetzt be-
herbergt die Stadt 58.000 Japaner und an 69 Fremde, die nicht wie
in den anderen Vertragshäfen eine eigene Fremdenniederlassung bil-
den, sondern zerstreut unter den Japanern leben.
Eine 1889 vervollständigte Wasserleitung versorgt die Stadt
ausreichend mit Trinkwasser. Das Klima ist gesund, die Luft kräftig,
[376]Der grosse Ocean.
nur geben die festeren Holzwände der japanischen Wohnhäuser und
insbesondere die grossen Steine, welche die Dächer belasten, davon
Zeugniss, dass die Temperatur des Winters hier viel niedriger ist,
als in Yokohama.
Die seit dem grossen Brande von 1879 neu aufgebaute Stadt
breitet sich am Fusse des steilen, 337 m hohen Hakodate-Head aus.
Sie besitzt breite Strassen, eine Reihe schöner Tempel, welche auf
Anhöhen liegen, und einige öffentliche Gärten. Das Gouvernementsge-
Hakodate.
bäude, das Zollhaus, das Post- und Telegraphenamt, das Spital,
sowie eine katholische Kirche, und im Anschlusse daran eine von der
amerikanischen Mission errichtete Schule sind einfache Steinbauten
im europäischen Style, die ziemlich nahe aneinander, landeinwärts
knapp unter dem steilen Abhange des Hakodate-Head liegen.
Wenn noch des nach höchst primitiven Plänen erbauten See-
forts Anama, das den Hafen beherrscht und den westlichen Abschluss
der Stadt bildet, sowie der nahe dem Strande gelegenen grösseren
Gebäude mit den Agentien von Schiffahrtsgesellschaften und ein-
[[377]]
Meter Linie, B 5 Meter Linie, C 10 Meter Linie, D Ankerplatz, E Zollamt, F Leuchtschiff.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 48
[378]Der grosse Ocean.
zelnen Waarendepôts und schliesslich des im östlichsten Theile der
Stadt erbauten, von öffentlichen Gärten umringten Museums Erwähnung
geschieht, das insbesondere durch die Reichhaltigkeit seiner ethno-
graphischen Sammlung von Bedeutung ist, so haben wir der Be-
schreibung des Weichbildes der Stadt genüge gethan.
Die Einförmigkeit im Aussehen der Stadt selbst wird auch
hier, wie bei den meisten japanischen Städten, durch die reizvolle
Umgebung im Uebermasse wettgemacht. Der Nadelholzwald bedeckt
die Hänge des Hakodate-Heads und tritt so nahe an den Ort heran,
dass dessen äusserste Ausläufer im Schatten desselben stehen. Wohlge-
pflegte Wege, die von einem hübschen Aussichtspunkte zum anderen
führen, durchkreuzen mehrfach den Wald und auf einem derselben
gelangt man im Rücken der Stadt nach dem Dorfe Shai Sawabe,
das wegen seiner reizenden Lage am Gestade des stillen Oceans und
seiner heilkräftigen Quellen der beliebteste Ausflugsort der Stadt-
bewohner ist.
Der Holzreichthum der Insel gab Veranlassung zur Errichtung
einer grossen Zündhölzchenfabrik.
Die übrigen Häfen Japans haben für den Aussenhandel nur ge-
ringe Bedeutung, und es sind nur noch zwei Vertragshäfen der Voll-
ständigkeit halber zu erwähnen.
Auf der Westseite von Nippon, am japanischen Meere, liegt
Niigata, dessen früher kleiner Verkehr mit dem Auslande ganz
eingeschlafen ist, und an der Südwestspitze Nippons, an der Van
der Capellen-Strasse, welche diese Insel von Kiuschiu trennt, Simo-
noseki, der südliche Endpunkt der grossen Eisenbahn, welche
Japan von Nord nach Süd durchzieht.
Die Ausfuhr bildeten Seekraut (1889 14.900 t), Schwefel (1889 14.653 t) und
Steinkohlen, welche auf der Insel Jeso gewonnen werden, und endlich Fische.
Die Einfuhr aus dem Auslande ist nur dann nennenswerth, wenn man auf der
Insel Eisenbahnen baut.
Der Schiffsverkehr erreichte 1889 3903 Schiffe zusammen mit
737.489 t.
Die kleineren japanischen Häfen, die heute als Handelsplätze
noch wenig Beachtung finden, werden in dem Augenblicke genannt
werden, als das gigantische Project Russlands, eine Bahn quer
durch Sibirien zu bauen, zur Vollendung kommen wird. Schon
hat der Czarewitsch im Juni 1891 den ersten Spatenstich für die
[379]Japanische Häfen.
zunächst zu erbauende Theilstrecke gethan; diese soll von dem russi-
schen Hafen Wladiwostok an der japanischen See parallel mit dem
Ussuri nordwärts bis zu dessen Mündung in den ebenfalls schiff-
baren Amur bei Chabarowka geführt werden. Von dort wird die
Bahn längs der Nordgrenze Chinas und der Kirgisensteppe über
Irkutsk und Tomsk nach Slatoust bei Orenburg gehen und so den An-
schluss an das Bahnnetz Europas finden. Sie wird im Ganzen eine
Strecke von 6400 km durchlaufen, soll nur 75 Millionen Rubel kosten
und in vier Jahren ganz fertig sein.
Wladiwostok, auf manchen Karten auch Port May genannt,
liegt unter 43° 7′ nördl. Breite und 131° 54′ östl. Länge am Südende
einer langen Halbinsel, welche in die Bai Peter des Grossen hinein-
ragt. Wegen seiner länglichen und schmalen Form und des gold-
führenden Erdreiches der Hügel, die ihn ringsum umgeben und
schützen, hat man den Hafen nicht ganz mit Unrecht das „Goldene
Horn“ genannt.
Dieser schönste Hafen Ostsibiriens, dessen Eingang überdies die
Insel Dundas schützt, kann eine unbegrenzte Zahl von Schiffen des
grössten Tiefganges fassen. Er liegt unter derselben Breite, wie das
„Goldene Horn“ Constantinopels, aber trotz einer Fluth, die hier 10 m
hoch ansteigt, ist der Hafen von Weihnachten bis zum Anfange des
April mit Eis bedeckt. Dann müssen die Schiffe in die Diomed-Bai
oder in einen der zahlreichen Ankerplätze an der Ostseite der Insel
Dundas einlaufen und die Waaren über das Eis nach und von
Wladiwostok bringen lassen.
Wladiwostok ist als südlichster Hafen von Sibirien und in der
Nähe Koreas wunderbar für den Handel des Amurlandes und die
Aspirationen Russlands in Ostasien gelegen. Seit zwei Jahrzehnten
berühmt als Knotenpunkt des sibirischen Ueberlandtelegraphen und
der Kabel der Great Eastern Telegraph Cy. (Kopenhagen), ist es die
Hauptschiffstation Russlands am stillen Ocean, und ausgerüstet mit
einem Schwimmdock, das Schiffe von 3000 T aufnehmen kann; bald
wird auch ein gegrabenes Dock erbaut werden.
Die Stadt liegt an der Südseite der Hügel, welche den Hafen
im Norden einsäumen, hat gute Strassen, ist Sitz des Militärgouver-
neurs für den Süd-Ussuridistrict, dessen Residenz von einem öffent-
lichen Garten umgeben ist. Wir finden hier ein Gymnasium, Kasernen
und Spitäler. Die Zahl der Einwohner, welche meist Europäer sind,
beträgt mehr als 12.000, die Garnison hat bei 8000 Mann.
48*
[380]Der grosse Ocean.
Wladiwostok ist ein sprechendes Monument für die Culturarbeit
Russlands in Asien.
Die Einfuhr von Wladiwostok, welche die japanische Nippon Yusen
Kaisha und die freiwillige Kreuzerflotte aus Odessa mit ihren neuen grossen
Dampfern besorgen, erreichte 1888 einen Werth von 5,978.583 Rubeln. Die Aus-
fuhr bedeutet wenig, seit die Russen die Ausfuhr von Bauholz untersagt haben.
Wladiwostok ist auch der Stützpunkt der Russen bei ihrem Vor-
dringen gegen Korea. Dieser Staat, bei den einheimischen Chosen,
d. i. „Morgenstille“ genannt, liegt auf der Halbinsel, die die japanische
See vom gelben Meere trennt. Die Japaner betrachten Korea als die
Domäne ihres Handels und politischen Einflusses und haben die
Stellung seit 1863, in welchem Jahre ihnen der erste Hafen geöffnet
wurde, bis heute zu behaupten gewusst. In allen Tractathäfen bilden
sie das Hauptelement des Handelsbetriebes, in Chemulpo den grösseren
Theil der Bevölkerung in einem eigenen Settlement. Das Land
schickt jährlich Geschenke an China, ohne aber von diesem ab-
hängig zu sein. Die Erschliessung des Landes für den europäisch-
amerikanischen Verkehr ist das Verdienst der Union, mit welcher
Korea am 5. Mai 1882 den ersten Handelsvertrag abschloss.
Dem Handel der Fremden sind folgende Häfen geöffnet: an
der Ostküste Wön-san (Yensan, Gensan), an der Südostspitze Fusan
und im Westen Chemulpo, der Hafen, welcher am nächsten bei
der schmutzigen Hauptstadt des Landes, Söul, liegt.
Der Umfang des Handels ist nicht bedeutend, die Ausfuhr beruht auf dem
Golde, an dem das Land ebenso reich ist, wie an anderen nutzbaren Mineralien;
in der Einfuhr haben nur Baumwollwaaren einen grösseren Werth. Den Verkehr
vermittelt zumeist die Nippon Yusen Kaisha.
[[381]]
Chinesische Häfen.
Abgeschlossenheit ist das hauptsächlichste Merkmal der politi-
schen und der Culturgeschichte der Chinesen. Wie gross muss die
geistige Begabung und die Bildungsfähigkeit des Volkes sein, das
sich durch eine Reihe von Jahrtausenden in den Stromgebieten des
Hoangho und Yangtsekiang durch grosse Wüsten, himmelanstre-
bende Gebirge und feindliche Nomadenvölker von dem Verkehre mit
den Nationen der arisch-semitischen Welt getrennt, selbständig ent-
wickelt hat und nie ein Volk neben sich sah, das es als eben-
bürtig anerkennen konnte. Daraus erklären sich, wie Richthofen
(in China, I. S. 386) sagt, alle Vorzüge und Fehler der Chinesen,
daraus die Thatsache, dass die in ihrer Art hoch entwickelte chi-
nesische Cultur so starr und als „die einzige der Welt“ neben der
europäischen unbeugsam ist. Die Chinesen betrachten sich als die
Herren der Erde und können es nicht fassen, dass andere Völker
etwas erfunden haben sollten, das nicht ursprünglich von ihnen
selbst stamme.
Nur langsam lüftete sich der undurchdringliche Schleier, der
die östliche von der westlichen Welt trennte. Erst als die Chinesen
im II. Jahrhundert v. Chr. ihre eigenen Landesgrenzen durch die
„Grosse Mauer“ vor den Einfällen der umwohnenden Nomaden ge-
sichert hatten, konnten sie sich den Weg nach den Culturländern des
Westens bahnen. Seide war das treibende Moment, welches durch
etwa ein Jahrhundert den Verkehr aufrecht hielt. Doch erlangten die
Griechen und Römer nur unbestimmte Kenntniss von der Grösse und
dem Reichthum Chinas, welches Ptolemaeus „Serica“ nennt.
Unsere ersten, etwas genaueren Nachrichten über dieses Land
datiren erst aus dem IX. Jahrhundert, in welchem arabische Kaufleute
südchinesische Häfen besuchten und daselbst Factoreien gründeten.
Da entstand gegen Ende des XII. Jahrhunderts meteorartig das
gewaltige Mongolenreich des Dschingis-Chan, das unter einem Scepter
[382]Der grosse Ocean.
alle Länder von China bis Europa hinein zu einem Ganzen vereinigte.
Frei war der Verkehr durch den ganzen Continent, es herrschte voll-
kommene Sicherheit für Leben und Eigenthum, und getragen von
diesen günstigen Umständen unternahm in der zweiten Hälfte des
XIII. Jahrhunderts der Venezianer Marco Polo seine Reise nach
„Cathay“ an den Hof des Kublai Chan, wo er 17 Jahre verweilte,
den zauberhaften Glanz der Riesenstadt Quinsay und ihres Kaiser-
palastes schaute und von Zipango (Japan) hörte, wo es Gold in
Ueberfluss gäbe.
Aber der Sturz der mongolischen Dynastie (1368) brachte die
allen Fremden feindliche Ming-Dinastie an die Spitze, und die Ab-
sperrung Chinas wurde wieder eine vollständige bis zu den Tagen
der Entdeckung des Seeweges nach Indien und China durch die
Portugiesen.
Schon 1514 kamen ihre Schiffe in Sicht der chinesischen
Küste, durften aber nicht landen. Dies gelang erst 1517 dem Fernão
Perez de Andrade in Canton. Aber auch er musste bald umkehren,
und eine Niederlassung in Canton konnte erst viel später gegründet
werden.
Das friedliche Treiben war weder hier, noch an den
anderen Plätzen von langer Dauer; der Eigendünkel chinesischer
Machthaber und die Roheit der Seeleute, welche die Sucht nach
Abenteuern und Beute hieher getrieben hatte, stiessen schroff an-
einander und veranlassten einerseits ungerechtfertigte, die Freiheit
der Fremden beschränkende Massnahmen, andererseits gewaltsame
Gesetzesübertretungen. Nur der grosse Gewinn, welcher beiderseits
erzielt wurde, sprach trotz aller Unsicherheit in den gegenseitigen
Beziehungen für die Fortsetzung des Handelsverkehres. Die chinesischen
Seeräuber wussten, dass sie seitens ihrer Regierung für ein an den
Fremden begangenes Verbrechen wohl kaum ernstliche Strafen zu
erwarten hatten und überfielen bei jeder Gelegenheit Schiffe der
Fremden. Es kam zu erbitterten Kämpfen, in welchen der Barbarismus
der minder civilisirten Chinesen mit der Brutalität der fremden See-
leute in Gräuelthaten zu wetteifern schien.
Berichte an chinesische Machthaber über derlei Kämpfe waren
nicht danach angethan, hohe Begriffe von der Cultur des Abend-
landes zur Geltung zu bringen; man gewöhnte sich vielmehr, in
jedem Fremden ohne Unterschied nur einen „Barbaren“ zu sehen,
dessen Duldung im Lande jedoch aus materiellen Interessen geboten
schien.
[383]Chinesische Häfen.
In diese Zeit (1557) fällt die Gründung von Macao. Die Por-
tugiesen benützten diesen Hafen anfänglich als Sammelplatz für ihre
Schiffe, setzten sich aber später in den Besitz desselben, ohne hiezu
eine nachweisbare Berechtigung zu haben. Die Stadt erblühte und
wusste sich mittelst Tributen und Abgaben, die theils freiwillig ge-
leistet, theils abgenöthigt wurden, vor Behelligung durch chinesische
Behörden zu schützen. Die Frage, ob Macao portugiesischer Staats-
besitz ist, beschäftigt berufene Kreise schon seit der Gründung der
Stadt und ist heute noch ungelöst.
Den portugiesischen Kaufleuten folgten die katholischen Mis-
sionäre auf dem Fusse. Die Jesuiten erforschten den Charakter, die
Sitten und religiösen Gebräuche der Chinesen, sie erlernten ihre
Sprache und erzielten durch ihre Kenntnisse in Mathematik und
Astronomie Erfolge, die man bei dem Selbstbewusstsein, das alle
Chinesen beherrscht, für unmöglich halten sollte.
In der Mitte des XVII. Jahrhunderts bestand nahezu in jeder
grossen Stadt Chinas eine Christengemeinde, und der liebenswürdige,
gewandte Jesuit Matteo Ricci, der das Volk durch seine Ge-
schicklichkeit in der Experimentalphysik, die Gelehrten durch seine
Kenntnisse in der Mathematik unterhielt, lebte 1601—1616 auf Kosten
des Kaisers Wan-li in Peking, der Südtiroler Martini lieferte die
ersten halbwegs richtigen Landkarten von China und die sechs gelehrten
Jesuiten, welche der weit ausschauende Ludwig XIV. zu königlichen
Mathematikern ernannt und mit den besten Instrumenten ausgerüstet,
nach China geschickt hatte, wurden von dem einsichtsvollen Kaiser
Kang-hsi dazu verwendet, die Grenzen astronomisch aufzunehmen und
eine Karte des chinesischen Reiches zu entwerfen, welche sie 1718
dem Kaiser überreichten. Die Grundlage für eine geographische Er-
forschung war damit gelegt. Gaubil, Du Halde u. a. setzten die
Arbeiten fort, welche den Händen d’Anville’s, des grössten Geo-
graphen seiner Zeit, zur endlichen Redaction übergeben wurden.
Aber in der Zeit dieser höchsten Triumphe wurden die Keime
des Unterganges gelegt Nebst den staatsklugen Jesuiten fanden seit
1630 auch andere Orden, insbesondere Dominikaner und Franciskaner
in Menge ihren Weg nach China; ihnen fehlte die Weltklugheit der
Jesuiten. Sie kämpften gegen die Gebräuche der Chinesen, so gegen
den Ahnencultus derselben, den die Jesuiten geschont hatten, weil
dieser derart mit der sittlichen Auffassung der Söhne des himmlischen
Reiches verwachsen ist, dass sie für die Verdienste, die ein Sohn sich
erwirbt, dem Vater desselben Triumphbögen errichten. In diesem
[384]Der grosse Ocean.
Kampfe siegten wiederholt die Jesuiten, welche das Ohr des Kaisers
Kang-hsi hatten. Ein Decret vom 22. März 1692 gestattete die Aus-
übung der katholischen Mission in China. Aber je grösser die Frei-
heit, desto heftiger entbrannte stets der selbstmörderische Vernichtungs-
kampf, die hohen Beamten, welche mit Missgunst auf die Fremden
sahen, untergruben unter den Nachfolgern des Kaisers Kang-hsi deren
Einfluss, und allmälig brach unter den feindlichen Massregeln der
Regierung das grosse Missionswerk zusammen; die französische
Revolution entzog den Priestern die Mittel und Kräfte, sich wieder zu
erheben. Erst als durch die beredte Sprache der Kanonen in der Mitte
unseres Jahrhunderts die europäischen Kaufleute in China festen Fuss
fassen konnten, lebte die Thätigkeit katholischer und evangelischer
Missionäre wieder auf.
Wenden wir uns nun der Ausbildung des europäisch-chinesi-
schen Handels zu.
Trotz der von anderen Nationen mehrfach angestellten Versuche,
mit China in Handelsbeziehungen zu treten und diese durch Verträge
zu regeln, blieb den Portugiesen ein ausschliessliches Handelsmonopol
durch lange Zeit erhalten, wenn es auch ab und zu vorkam, dass
Schiffe fremder Flaggen vor Canton erschienen und daselbst ihre
Waaren tauschten.
Auch der glückliche Angriff der englisch-ostindischen Compagnie
auf Canton 1637 machte es dieser nicht möglich, mit Canton in
regelmässige Handelsverbindungen zu treten, weil die Chinesen den
in nächster Zeit eingelangten Schiffen einen passiven Widerstand in
Form aller denkbaren Chikanen und übermässiger Zölle und Abgaben
entgegensetzten.
Glücklicherweise verdiente man aber viel bei dem chinesischen
Handel. Trotz der vielfachen Schwierigkeiten, die sich entgegen-
stellten, wurde er rege weiter betrieben, und auch die Holländer,
Franzosen und Spanier betheiligten sich an demselben in bedeutendem
Masse. Canton blieb der Knotenpunkt des Handels. Daselbst waren
von der chinesischen Regierung eigene Kaufleute, Hong-Kaufleute oder
Co-Hong genannt, für denselben ausersehen; sie waren berufen, Ver-
mittlung zu üben und die sehr bedeutenden Zölle und Abgaben an
die Regierung abzuliefern; dabei waren sie für das Betragen der
Fremden persönlich verantwortlich. Zu einem vertragsmässigen Ver-
kehr aber kam es nicht, und der Willkür der auf ihren eigenen Vor-
theil bedachten Mandarine waren keine Schranken gesetzt.
[385]Chinesische Häfen.
Versuche, sich in directe Beziehungen zum Hofe von Peking
zu setzen, um daselbst eine Regelung der Zustände zu erlangen,
scheiterten an dem Eigendünkel der dortigen Machthaber, denn der
Kaiser von China hielt sich für den unumschränkten Herrscher über die
ganze Welt und betrachtete die Fremden nur als seinem unnahbaren
Throne fernstehendste Unterthanen. Wurde es den fremden Kaufleuten
zu arg, so kam es zur zeitweiligen Einstellung des Handels. Der
Entfall der Zölle und Abgaben wurde aber am Hofe von Peking
missliebig bemerkt, Untersuchungen wurden angeordnet und die
Wiederaufnahme des Handels angebahnt, jedoch die Rechtlosigkeit der
Fremden wurde nicht beseitigt.
Die vielfachen Reibereien zwischen englischen Kaufleuten und
Chinesen, die geringe Achtung, mit der die Engländer im Vergleiche
zu den Portugiesen behandelt wurden, und endlich die Sorge um einen
jährlichen Handelsumsatz von mehreren Millionen Pfund Sterling
drängten die englische Regierung zu entscheidenden Schritten. Im Jahre
1793 erschien Earl Macartney als Gesandter mit einem britischen Kriegs-
schiff und zwei Begleitschiffen an der Peiho-Mündung, wurde da-
selbst von chinesischen Würdenträgern freundlich empfangen und
unter grossem Ceremoniell an den Hof des Kaisers von China ge-
leitet. Dort jedoch theilte man ihm in sehr höflicher Weise mit, dass
man sich nie und nimmer zur Abschliessung von Handelsverträgen
verstehen werde.
Die politischen Ereignisse, welche zu Beginn des XIX. Jahr-
hunderts die Grossmächte Europas beschäftigten, tangirten auch den
Handel mit China und hatten auf die Niederlassungen daselbst eine
bestimmte Rückwirkung. Die Engländer hielten sich berufen, die über-
seeischen portugiesischen Besitzungen vor Handstreichen der Fran-
zosen zu schützen und besetzten Macao im Jahre 1802 zum ersten
und 1808 zum zweiten Male, was die Chinesen als Eingriffe in ihre
Oberhoheit ansahen und zum Anlasse nahmen, den Handel mit den
Engländern ganz zu sperren.
Erst nach Abberufung der englischen Garnison aus Macao
wurde der Handel, aber nur unter erniedrigenden Bedingungen wieder
aufgenommen.
Doch erzwangen die Engländer 1814 den ersten Vertrag, als
sie sämmtliche englische Handelsfahrzeuge vom Perlflusse zurück-
zogen und so die Chinesen mit ihren eigenen Waffen schlugen. Diese
verhandelten, und das Ergebniss war die Abschliessung eines vom
Vicekönig eigenhändig unterfertigten Vertrages, der den Fremden das
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 49
[386]Der grosse Ocean.
Recht zum directen amtlichen Verkehr mit der Provincialregierung
einräumte und ihre Stellung den Eingeborenen gegenüber regelte.
Dieses erste amtliche Zugeständniss von Seite der Chinesen er-
weckte in England die Hoffnung, dass auch die Centralregierung sich
Vertragsverhandlungen gegenüber gefügiger zeigen würde. Lord
Amherst wurde 1816 nach Peking entsendet. Man behandelte ihn mit
grosser Höflichkeit, verlangte aber als Bedingung der Audienz beim
Kaiser, dass er sich dem Ceremoniell für Tributbringer unterwerfe,
was Amherst natürlich ablehnte. Der Handel, der auch für die
Chinesen schon zur Nothwendigkeit geworden war, wurde in der üb-
lichen Art weitergeführt. Die Vorsteher der einzelnen Factoreien waren
auch die Vertreter der Regierung; was den Handel selbst anbelangte,
standen sie mit den Hong-Kaufleuten, und in politischen Angelegen-
heiten mit der Provincialregierung in Verbindung.
Mit dem Erlöschen des Monopols der ostindischen Compagnie
(1834), wodurch den Factoreivertretern die Amtsgewalt genommen
wurde und der Handel Jedermann freistand, trat in den englisch-
chinesischen Beziehungen eine arge Verschlimmerung ein. Der Opium-
handel nahm jetzt so bedeutende Dimensionen an, dass die chinesische
Regierung, welche in der Masseneinfuhr dieses Artikels eine Gefahr
für das Volk erblickte, denselben ganz verbot, worauf sich ein gross-
artiges Schmuggelsystem entwickelte. Durch Bestechung der Mandarine
gelang es auf Lin-Tin, einer kleinen Insel an der Mündung des Perl-
flusses, einen Stapelplatz für den Opiumschleichhandel förmlich unter
den Augen der chinesischen Behörden zu errichten. Die chinesische
Centralregierung in Peking wollte diesem Scandal ein Ende machen.
Sie entsandte 1839 einen hohen Mandarin, Lin-Tse-Tsin, einen
begabten und ausdauernden Vertreter des Altchinesenthums, mit den
ausgedehntesten Vollmachten versehen nach Canton, um den Opium-
schmuggel auszurotten und wieder einen regelmässigen Handel anzu-
bahnen. Er nahm seine Aufgabe zwar sehr ernst, setzte die Todes-
strafe auf den Genuss von Opium, zwang alle fremden Kaufleute zur
Ablieferung ihrer Vorräthe, die er sofort vernichten liess, und nahm
die bisher mit den Fremden und speciell mit dem Opiumhandel in
Verbindung gestandenen einheimischen Kaufleute unter scharfe Auf-
sicht, konnte aber dem Schmuggel nicht Einhalt thun, welcher nun
über Land stattfand, da ihm der Flussweg versperrt war.
Lin-Tse-Tsin versuchte sämmtliche fremde Ansiedler, insbesondere
aber die Engländer, zur Unterfertigung eines Reverses zu bewegen,
der sie verpflichtete, auf ihren Schiffen kein Opium zur Einfuhr zu
[387]Chinesische Häfen.
bringen und sich für den Fall, als dies dennoch geschähe, der
chinesischen Justiz unterzuordnen, welche auf den Opiumhandel die
Todesstrafe gesetzt hatte. Dass diesem Verlangen seitens der Fremden
keine Folge gegeben wurde, ist begreiflich; Lin-Tse-Tsin musste
also, um sich darüber, dass die Fremden die Opiumeinfuhr fallen
gelassen hatten, Gewissheit zu verschaffen, auf andere Mittel bedacht
sein. Er organisirte ein solches Ueberwachungssystem um die Fremden,
dass diese förmliche Gefangene waren und sich, um der Unwürdig-
keit, die in dieser Ueberwachung lag, zu entgehen, in der Zwangs-
lage befanden, entweder den Revers zu unterzeichnen oder Canton zu
verlassen. Entgegen dem Wunsche der Chinesen geschah das letztere,
die Engländer übersiedelten nach Macao, ihre Handelsflotte
sammelte sich unter Hongkong und der Handel wurde vollständig ab-
gebrochen. Die Situation war äussert gespannt, chinesische Dschunken
überfielen die Boote der Fremden, Schmuggler und Piraten bekämpften
auch die Vertreter der Behörden in förmlichen Seeschlachten und das
Gesetz hatte jede Autorität verloren.
Trotz alledem bestand Lin-Tse-Tsin auf seinem Vorsatze und
liess die Handelsflotte der Fremden auffordern, behufs Unterzeich-
nung des Reverses in den Perlfluss einzulaufen, oder aber die chinesi-
schen Gewässer binnen drei Tagen zu verlassen. Da die Engländer
dieser Aufforderung keine Folge gaben, schritt ein Geschwader
chinesischer Kriegsdschunken zum Angriff auf die Handelsflotte, um
dieselbe von ihren Ankerplätzen zu verjagen. Zwei englische Kriegs-
schiffe traten aber den Dschunken entgegen und zwangen sie zum
sofortigen Rückzug. Erbittert durch den Misserfolg, publicirte Lin-
Tse-Tsin einen Erlass, welchem zufolge die Engländer für ewige
Zeiten aus dem himmlischen Reiche verbannt und für vogelfrei er-
klärt wurden. Das war die Ursache des sogenannten Opiumkrieges
1840—1842, in welchem China vollständig unterlag.
Der Verlauf des Krieges zeigt die ganze Zähigkeit des chinesischen Wesens
und die Eigenart der dortigen Diplomatie, welche bei den europäischen Vertretern
ein selbst für den Orient unvergleichlich reiches Mass von Geduld verlangt. Wir
sehen aber auch die grosse Unabhängigkeit der einzelnen Provinzen der Central-
gewalt in Peking gegenüber und die Thatsache, dass nur derjenige mit dem Kaiser
von China Krieg führt, der auf Peking losgeht. Dort liegt die Lösung der chine-
sischen Fragen.
Die Engländer trafen das Richtige, als sie sofort die Operationen gegen
Peking richten wollten. Der Gedanke an die Möglichkeit, dass die Fremden ge-
waltsam dort eindringen könnten, verursachte bei den Mandarinen einen panischen
Schrecken; sie versprachen die weitestgehende Nachgiebigkeit und Bereitwilligkeit
für Verhandlungen, die man in Canton führen wollte, und brachten es dahin,
49*
[388]Der grosse Ocean.
dass die Escadre den Perlfluss aufsuchte. Das Furchtbarste war abgewendet, aber
die Verhandlungen, welche die Chinesen nach der Abberufung des Lin-Tse-Tsin
eingeleitet hatten, wurden von ihnen unverschämt in die Länge gezogen, um da-
durch Zeit zu gewinnen, sich möglichst in Vertheidigungszustand zu setzen. Da
die Engländer in Erfahrung brachten, dass die Chinesen eine friedliche Lösung
überhaupt nicht in Erwägung zögen, gingen sie sofort zum Angriff über. In
wenigen Stunden des 7. Jänner 1841 waren die Vertheidigungswerke an der
Flussmündung zum Schweigen gebracht und die Kriegsdschunken zerstört, so
dass die Provinzialregierung um Waffenstillstand bitten musste, um eine Conven-
tion abzuschliessen, laut welcher versprochen wurde:
- 1. die Insel Hongkong der englischen Regierung abzutreten;
- 2. eine Entschädigung von sechs Millionen Dollars für das zerstörte Opium
zu zahlen, und - 3. die Eröffnung des Handels binnen zehn Tagen stattfinden zu lassen.
Thatsächlich wurde durch diesen Vertrag nur erreicht, dass die Engländer
sich am 26. Jänner 1841 in den Besitz der Insel Hongkong setzten. Alles andere
blieb auf Befehl der Regierung in Peking unausgeführt, welche nach Canton die
Weisung ergehen liess, die ruchlosen Barbaren vom Angesicht der Erde wegzu-
fegen, und erst infolge erneuerter Angriffe der Engländer konnten die englischen
Kaufleute ihre Factoreien beziehen und den Handel in der früher geübten Weise
durch Vermittlung der Hongs wieder aufnehmen.
Während man in Peking die in Canton abgeschlossenen Verträge missachtete,
weil man es nicht fasste, dass es einer kleinen Truppe Fremder gelingen konnte,
das Reich, von dessen Unüberwindlichkeit man vollkommen überzeugt war, zu
Verträgen zu zwingen, war man auch in England mit dem Abschlusse der Con-
vention unzufrieden, weil man auf Basis der errungenen Erfolge ein Recht auf
ausgedehntere Zugeständnisse zu haben meinte und durch die Erfahrung belehrt,
nur auf solche Verträge Werth legte, die vom Kaiser selbst sanctionirt waren.
Um einen solchen zu erzwingen, verlegten die Engländer den Kriegsschau-
platz weiter gegen Norden, also näher an die Hauptstadt Peking.
Am 10. October wurde bei Tschinhac, an der Mündung des Yangtsekiang,
von den Landungstruppen eine starke Streitkraft der Chinesen vollständig ge-
schlagen, und die Engländer nahmen ihre Winterquartiere in der reichen Handels-
stadt Ningpo, wo sie durch ihr musterhaftes Verhalten, das in grellem Gegen-
satze zu der Beutelust der chinesischen Söldlinge stand, den friedliebenden Theil
der Bevölkerung für sich gewannen.
Im Frühjahre 1842 drangen sie in die Mündung des Yangtsekiang ein,
besetzten das reiche Schanghai und eroberten Tshinkianfü, den Schlüssel zum
Kaisercanal, auf welchem damals noch Peking sein Getreide aus den Südprovinzen
bezog. Doch die Gefahr einer Aushungerung brach noch nicht den Eigendünkel
der Herren in Peking. Erst als sie sahen, dass es den Engländern Ernst sei mit
der Besetzung Nankings, der südlichen Hauptstadt des Reiches und der Ge-
lehrtenstadt Chinas, gaben sie nach, denn sie fürchteten deshalb einen Aufstand
des Volkes, das in China sich um Politik nicht kümmerte, weil dafür die Man-
darinen da sind, das aber in grossen Unglücksfällen einen Wink des Himmels
sah, die Regierung mit Gewalt zu beseitigen, unter der solches sich ereignet.
Solche unglückliche Ereignisse können selbst der Dynastie verhängnissvoll werden.
[389]Chinesische Häfen.
In rascher Weise, welche die Furcht vor einem weiteren Vordringen der Engländer
zur Genüge kennzeichnete, wurden die eingeleiteten Friedensverhandlungen zu
Ende geführt.
Am 29. August 1842 wurde der am 15. September vom Kaiser
von China bestätigte Vertrag abgeschlossen, nach welchem die Häfen
Canton, Amoy, Futschou, Ningpo und Schanghai dem Handel aller
Nationen eröffnet, die Vorrechte der Hong-Kaufleute aufgehoben, die
Errichtung von Consulaten in diesen Orten bewilligt, die Zahlung einer
Kriegsentschädigung von 21 Millionen Dollars und die Abtretung der
Insel Hongkong an die Engländer, sowie die Gleichstellung der
Beamten der verschiedenen Staaten bei Verhandlungen verbürgt
wurde.
Die Engländer zogen ihre Streitkräfte nach Hongkong zurück.
So war ein scheinbarer Friede geschlossen mit dem officiellen
China; mit dem chinesischen Volke dauerte der Kriegszustand weiter
und führte zu neuen kriegerischen Verwicklungen mit dem chinesi-
schen Staatswesen. Die Cantonesen versäumten keine Gelegenheit, ihrer
feindlichen Gesinnung Wort und That zu leihen. Angriffe auf die
Factoreien und selbst Ueberfälle auf einzelne Personen kamen häufig
genug vor und führten zu Conflicten zwischen den Consulaten und
den chinesischen Behörden.
Der Vertragspunkt, welcher die Fremden zum freien Verkehr
in Canton ermächtigte, wurde dadurch illusorisch gemacht. Die Eng-
länder, zum Frieden geneigt, verschoben den Termin zur Eröffnung
der Stadt immer weiter, bis sie endlich zur Einsicht kamen, dass die
Mandarine selbst auf Seite der Bevölkerung stünden und auf güt-
lichem Wege die Forderung kaum jemals ihre Erfüllung finden würde.
Die Erbitterung der Chinesen war so hoch gestiegen, dass die
Drohungen der Engländer, Gewalt anzuwenden, gar nichts nützten;
selbst das Vordringen eines englischen Kriegsschiffes bis Canton
und ein Bombardement der Stadt (October 1856) hatte nur die Folge,
dass der Handel gesperrt, die Factoreien überfallen und geplündert
und die angesiedelten Fremden, die sich nicht flüchten konnten, er-
mordet wurden.
Die politischen Zustände im Innern Chinas waren zu jener Zeit
keineswegs erfreuliche. Vielfache revolutionäre Bewegungen, die sich
gegen den Thron der Mandschuren-Dynastie kehrten, traten zu Tage
und vereinigten sich mit einer religiösen Strömung, welche die Lehre
des Confucius verwarf und den Glauben an einen Gott predigte; die
Machtmittel der Regierung waren durch den Krieg mit den Fremden
erschöpft, ihre Autorität war gebrochen und die im Herbste 1850 aus-
[390]Der grosse Ocean.
gebrochene Taiping-Revolution hatte ein offenes Feld für ihr Be-
streben gefunden. Die Rebellen brachten binnen kurzer Zeit einen
grossen Theil des Reiches unter ihre Herrschaft und riefen ihr Ober-
haupt zum Kaiser aus.
Trotzdem ignorirte die kaiserliche Regierung in Peking scheinbar
die Wegnahme Cantons durch die vereinigten Engländer und Fran-
zosen (December 1857) und unternahm nichts, um den Forderungen
der Fremden nachzukommen und sie dergestalt zur Herausgabe der
Stadt zu bewegen. Solchem Starrsinn gegenüber musste man sich zu
einem Angriffe auf Peking selbst entschliessen. Die vereinigte englisch-
französische Escadre nahm die die Mündung des Peiho beherrschenden
Forts nach kurzem Kampfe (20. Mai 1858) und ihre Truppen trafen
alle Anstalten in Peking einzurücken. Dieses Vorgehen hatte den
Erfolg, dass sich in Tientsin chinesische Würdenträger einfanden,
die sich auf Grund ihrer vom Kaiser erhaltenen Vollmachten zu
Verhandlungen bereit erklärten. Letztere, an welchen auch Vertreter
der Vereinigten Staaten von Nordamerika und Russlands theilnahmen,
zogen sich sehr in die Länge, führten aber (26. Juni 1858) doch zum
Abschlusse des Vertrages von Tientsin, infolge dessen nebst den
bereits für den fremden Handel freigegebenen Häfen noch Niutschuan,
Tschifu, Thaiwan (Formosa), Schatou und Kiungtschou und am
Yangtsekiang zunächst nur Tschinkiang geöffnet und die Regelung
der Zölle und Abgaben sichergestellt wurde.
In diesen Plätzen nehmen die britischen Unterthanen besondere
Stadtviertel ein, welche das Recht der Selbstverwaltung besitzen; sie
haben ihre eigenen Kirchen, Schulen, Spitäler und Friedhöfe und
unterstehen der Gerichtsbarkeit ihrer eigenen Richter.
Der Artikel 51 des Vertrages aber setzte ferner fest, dass das
Zeichen „I“, welches Barbaren bedeutet, im ganzen chinesischen
Reiche in officiellen Documenten unter keiner Bedingung mehr an-
gewendet werden dürfe.
Jedoch auch der Ratification dieses Vertrages suchten die chinesi-
schen Behörden unter allerlei Vorwänden auszuweichen und neue
Verhandlungen in Schanghai, also weit entfernt von Peking zu
eröffnen.
Da verbündeten sich England und Frankreich zu einem ent-
scheidenden Schlage auf Peking. Sie landeten mit 18.000 Mann
bei dem Taku-Fort und drangen landwärts bis über Tientsin vor.
In nächster Nähe von Peking gelang es der Ueberredungskunst
der Chinesen nochmals, die Fremden zu täuschen und aufzuhalten. Bald
[391]Chinesische Häfen.
jedoch wurde jede weitere Verhandlung abgelehnt und nach Ueber-
windung des chinesischen Heeres bis unter die Mauern von Peking vor-
gedrungen. Nach abermaligen fruchtlosen Verhandlungen wurden die
Feindseligkeiten am 6. October wieder eröffnet, der ausserhalb der Stadt
gelegene Sommerpalast des Kaisers gestürmt und geplündert, und die
Uebergabe eines Stadtthores bei Androhung des Bombardements ge-
fordert. Das entschiedene Auftreten der Verbündeten bewog die
Chinesen, nunmehr den Forderungen ein willfähriges Gehör zu
schenken. Die Thore Pekings wurden geöffnet und von den Fremden
besetzt. Der Friedensschluss aber und die Unterzeichnung des neuen
Vertrages konnten erst erreicht werden, als der Sommerpalast in
Brand gesteckt und die Besetzung des Kaiserpalastes in Aussicht
gestellt worden war. Am 24. October 1860 endlich wurde in
Peking in feierlicher Weise die Convention unterzeichnet und die
Ratification des Vertrages von 1858 mit den Engländern und den
Franzosen vorgenommen. Nach Bestätigung der Convention durch den
Kaiser von China, der sich während dieser Zeit auf seinem Jagd-
schloss in der Tartarei aufgehalten hatte, räumten die fremden
Truppen Peking und alle übrigen besetzten Orte und zogen sich nach
Hongkong zurück, die Gesandten aber bezogen ihre Wohnungen in
der Hauptstadt.
Durch besondere Handelsverträge wurden diese Vorrechte der
Engländer und Franzosen auf die übrigen europäischen und die
amerikanischen Staaten sowie Japan ausgedehnt.
England und Frankreich arbeiteten auch nach diesen Erfolgen
unausgesetzt an der weiteren handelspolitischen Erschliessung von
China. Ihr Hauptaugenmerk war auf die Provinz Yünnan gerichtet,
die an Indien grenzt.
Die Ermordung eines englischen Reisenden (Margary), der trotz
des Abrathens der chinesischen Behörden seinen Weg durch die
Grenzlandschaften von Yünnan nach Bhamo fortsetzte, gab den Eng-
ländern den Vorwand zu neuen Verhandlungen, deren Ergebniss der
Vertrag von Tschifu (13. September 1876) war. Doch erlangten
sie die Ratificirung erst am 6. Mai 1886, nachdem sie den Frieden
zwischen China und Frankreich wegen Tongking vermittelt, das früher
an China Tribut gezahlt hatte und jetzt von Frankreich erobert wurde.
Durch diesen Vertrag wurden neuerdings mehrere Häfen dem
Verkehr geöffnet, worunter Itschang am Yangtsekiang besonders
werthvoll war. Und selbst das noch weiter oberhalb gelegene
Tschungking sollte in dem Augenblicke Vertragshafen sein, als man
[392]Der grosse Ocean.
es würde mit Dampfern erreichen können. Die Tschungking-Con-
vention vom Februar 1890 setzte für die Eröffnung des letztgenannten
Ortes die näheren Bedingungen fest.
So sehen wir in der Jetztzeit China, wenn auch noch in einem
gewissen beschränkten Masse, seewärts dem Handel des Auslandes
erschlossen. Aber der Groll der Regierenden, der Hass des Volkes
gegen die Eindringlinge ist nicht ganz geschwunden, er macht sich
noch manchmal Luft, so Juni und Juli 1891 in den Yangtsekiang-
Häfen durch Angriffe auf die Settlements der Europäer.
Auf der anderen Seite sind aber auch die europäischen Nachbarn
Chinas nicht mit dem zufrieden, was sie erreicht haben, sie wollen
auch landwärts von ihren Besitzungen aus einen umfangreichen
Handel einrichten. Die Franzosen haben in einem langwierigen und
kostspieligen Kriege, der eigentlich noch nicht beendet ist, Tongking
erworben und sich durch die Verträge von 1885 und 1886 be-
sondere Vortheile für den Landhandel aus diesem Lande nach Süd-
china gesichert.
Die Engländer, seit Neujahr 1886 Herren in Oberbirma und
Nachbarn der Chinesen, zahlen klugerweise den Chinesen den alther-
kömmlichen Tribut Birmas, doch bringen diesen alle zehn Jahre Men-
schen birmanischer Abstammung, die aber britische Unterthanen sind,
an den kaiserlichen Hof von China. Die Russen endlich bauen ihre
kolossale sibirische Eisenbahn längs der ganzen Nordgrenze des
chinesischen Reiches. Unzweifelhaft besteht ein stiller Wettkampf
zwischen diesen drei Mächten, den jetzt Russland in einem wahrhaft
grossartigen Stil in Angriff nimmt.
Wir stehen hier vor den Vorbereitungen zu einem der wichtigsten
Abschnitte der politischen Geschichte und der Geschichte des Welt-
handels. China mit seinen 400 Millionen Einwohnern, von denen alle
erwachsenen männlichen Personen lesen und schreiben können, ob-
wohl keine Verordnung den Chinesen in die Schule zwingt, ist ein
solches Bemühen werth.
Uns aber handelt es sich jetzt nicht um Ausblicke in die Zu-
kunft, sondern um das, was schon erreicht ist, um den Verkehr der
sogenannten Tractathäfen, der Treaty Ports, deren es gegenwärtig
mit Tschungking zwanzig gibt; die werthlosen 5 Yangtze-Stages
wurden nicht gerechnet.
Ueber ihren Handel veröffentlicht jedes Jahr der General-
inspector des Hai-Kwan, das ist die kaiserlich chinesische Zoll-
behörde (Imperial Maritime Customs), Returns of Trade and Trade
[393]Chinesische Häfen.
Reports, welche in Shanghai gedruckt werden und die Grundlage
jeder Darstellung über den auswärtigen Seehandel Chinas bilden,
soweit dieser von Schiffen europäischer Bauart vermittelt wird. Nur
im Seebezirke von Canton ist man schon weiter gegangen und hat
auch den Verkehr der Dschunken statistisch behandelt.
Diese, dem Namen nach chinesische, in der That internationale
Seebehörde, in der wir Vertreter aller europäisch gebildeten Nationen
der Erde finden, ist, wie die Einführung des Maises, der Kartoffel,
der Petroleumbeleuchtung, des Telegraphen und Telephons, ein
Beweis dafür, dass der Chinese kein absoluter Feind von Neuerungen
ist. Aber wie unser Bauer nach dem Sprichworte nicht isst, was er
nicht kennt, so will auch der Chinese den Nutzen jeder Sache
sehen, bevor er sie nachahmt.
Dieses Seezollamt verdankt seine Entstehung den Engländern
und Franzosen, welchen die Chinesen im Vertrage von Peking als
Garantie für die zu leistende Kriegskostenentschädigung die Zölle
der Vertragshäfen geben mussten. Als weitere Sicherheit verlangte
man, dass die Erhebung der Zölle unter europäische Verwaltung ge-
stellt werde; die energische und gewissenhafte Leitung der beiden ersten
Generalinspectoren Mr. Lay und Robert Hart imponirte den Chinesen
derart, dass sie nach Abzahlung der Kriegskostenentschädigung gleich-
wohl die europäische Oberleitung beibehielten, um ihrer Regierung die
reichen Zolleinnahmen des eigenen Landes zu sichern und sie so
vor den Angriffen ihrer Mandarine zu bewahren.
Zum Verständnisse der Darstellung des Handels der einzelnen Häfen
machen wir darauf aufmerksam, dass China Silberwährung hat und dass die
Werthe in Haikwan Taels (Hk. Tls.) angegeben sind: 1 Hk. Tl. = 3·4335 Gulden
österr. Währ. oder 6·867 Mark. Der Durchschnittscurs für 1 Hk. Tl. betrug 1890
5·29 Mark, resp. 6·47 Francs oder 5 s. 2¼ d.; 1889 4·85 Mark, resp. 5·95 Francs
oder 4 s. 8¾ d.
Wir bringen hier aus dem reichen Materiale, das die Returns of Trade
and Trade Reports enthalten, für die Uebersicht des Werthes des Handels der
einzelnen Häfen den Nettohandel, das heisst die Einfuhr fremder und einheimi-
scher Waaren vermindert um die Wiederausfuhr (Reexport), und die Ausfuhr von
Waaren localen Ursprungs. Nur bei den disponirenden Handelsplätzen geben
wir auch die Werthe des Bruttohandels, das ist die Einfuhr mit Einschluss des
Reexportes.
Die Angaben über den Verkehr in den einzelnen Artikeln beziehen sich
bei der Einfuhr in der Regel auf die Nettoeinfuhr, bei der Ausfuhr einheimischer
Waaren dagegen immer auf die Ausfuhr der Waaren localen Ursprungs, vermehrt
durch den Reexport.
Die Abweichungen von dieser Regel sind besonders bezeichnet.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 50
[394]Der grosse Ocean.
Bei einer näheren Betrachtung der Seehäfen Chinas sehen wir,
dass wir dieselben nach den klimatischen und Productionsverhältnissen
der Gebiete, deren Verkehr sie vermitteln, und nach ihren Handels-
beziehungen zum Auslande, in drei Gruppen eintheilen können: 1. die
nördliche Gruppe; 2. die Yangtsekiang-Häfen, eingerechnet Ningpo,
und 3. die südliche Gruppe.
Nördliche Häfen.
Der Vorhafen der nördlichen Gruppe ist Tientsin. Der directe
Verkehr aller Häfen dieser Gruppe mit dem Auslande hat einen
geringen Umfang, denn Schanghai ist für sie disponirender Platz.
Minder fruchtbar, als die mittleren und südlichen Provinzen des Reiches,
bei kalten, langandauernden Wintern meist auf Getreidegattungen an-
gewiesen, die erst im Frühjahr gesäet werden, müssen die nördlichen
Provinzen wegen ihrer dichten Bevölkerung Lebensmittel aus dem
Süden einführen.
Um ihre friedlichen Unterthanen regelmässig verpflegen zu können, bauten
die Kaiser vor Jahrhunderten den grossen Canal oder Kaisercanal von Tschin-
kiang am Yangtsekiang, den Hwangho (Hoangho, gelber Fluss) kreuzend nach
Norden bis Tientsin am Peiho, das der Hafen der Hauptstadt Peking ist. Zahl-
reiche Piraten hatten die Zufuhren zur See nach dem Norden unsicher gemacht.
Der grosse Monarch Kublai Khan, an dessen Hofe Marco Polo geweilt hatte, liess
sich auf keinen aussichtslosen Seeräuberkrieg ein, sondern griff zu dem gewiss
sehr kostspieligen Auskunftsmittel des Kaisercanals, auf welchem die Dschunken
den sicheren Inlandsweg verfolgen konnten. Heute ist der Kaisercanal, dessen
Dämme in den letzten Jahrzehnten von den Fluten des Hwangho wiederholt durch-
rissen wurden, nur noch theilweise ein Verkehrsweg.
Der Verkehr hat wieder den bequemeren und rascheren Seeweg aufge-
sucht, und dem Norden führen Küstendampfer seine Bedürfnisse zu statt der alten
Canal-Dschunken.
Weil alle diese Plätze Jahrhunderte lang keinen Seeverkehr hatten, sind
sie auch heute wirthschaftlich nicht selbständig, sondern abhängig von Schanghai.
Der nördlichste Platz dieser Gruppe ist das Dort Jintsekou,
an einer trostlos öden und flachen Küste, 20 km oberhalb der Mündung
des Liauho in den Meerbusen von Petschili gelegen, mit 60.000 Ein-
wohnern. In den Handelsverträgen wird dieser Ort Niutschuan (Nech-
wang) genannt, welchen Namen bei den Chinesen eine ärmliche und
wenig bevölkerte Stadt ziemlich weit im Nordosten dieses Hafens führt.
Schingking, der südliche Theil der Mandschurei, des Stamm-
landes der seit 1644 in China regierenden Dynastie, ist allein unter
den nördlichen Provinzen Chinas im Stande, Lebensmittel zu ex-
portiren, weil trotz einer zahlreichen Einwanderung von Chinesen das
[395]Chinesische Häfen.
Land noch nicht dicht bevölkert ist. In dem Alluvialthale des
Liauho gedeihen massenhaft Hülsenfrüchte, die gebirgigen Theile
liefern Holz und wilde Seide, die nächstwichtigen Ausfuhrartikel von
Niutschuan.
Das Futter ist im Lande billig, das Strassennetz ist ausgedehnt;
in der Geschäftszeit kommen täglich 1000, und wenn die Wege
durch den Frost hart geworden, auch bei 2000 der landesüblichen
Karren nach Niutschuan und bringen oft aus einer Entfernung von
700—800 km Bohnen, Bohnenkuchen und Hirse.
Niutschuan wurde 1858 dem auswärtigen Handel eröffnet. Sein
Handel hängt von der localen Ernte in Getreide und Hülsenfrüchten
ab und nahm, da diese 1889 und 1890 sehr günstig waren, in diesen
Jahren einen grossen Aufschwung.
Da fast die gesammte Ausfuhr einheimischer Producte (1890
7,197.816, 1889 5,567.569 Hk. Tls.) nach den chinesischen Häfen Schatou, Canton
und Schanghai gerichtet ist, so genügt es hier, mitzutheilen, dass über Niutschuan
1890 1,170.700 q, 1889 1,158.809 qBohnen, 1890 1,586.825 q, 1888 1,893.334 q
Bohnenkuchen, welche man als Düngemittel verwendet, 1889 34.420 qBoh-
nenöl, 1890 9668 q, 1889 4802 qwilde Seide und 1889 954 q (Werth 328.195
Hk. Tls.) Ginseng versendet wurden.
Die Einfuhr einheimischer Producte (1890 2801,408, 1889 1,678.394
Hk. Tls.) erfolgt ausschliesslich aus Schanghai, die Einfuhr fremder Waaren
(1890 4,449.057, 1889 2,204.041 Hk. Tls.) nur über Hongkong und chinesische
Häfen. Die Hauptartikel der letzteren sind Baumwollstoffe und Garne, Schafwoll-
stoffe, Metalle, Zündhölzchen und Opium.
Dieser Hafen hat nicht nur einen geringen directen Verkehr mit dem Aus-
lande, sondern auch fast keinen Reexport.
Der Schiffsverkehr betrug 1889 418 Dampfer mit 345.308 T, 88 Segel-
schiffe mit 38.976 T, zusammen 506 Schiffe mit 384.284 T, 1890, wo der Ver-
kehr den aller früheren Jahre seit Eröffnung des Hafens für den fremden
Verkehr übertraf, liefen 289 Dampfer mit 239.951 T, 65 Segler mit 27.871 T,
zusammen also 354 Schiffe mit 267.832 T ein.
Von der Tonnenzahl kamen 1890 50 % auf englische und 20 % auf deutsche
Schiffe.
Die Schiffahrt ist wie bei allen Häfen am Meerbusen von Petschili durch
drei Monate wegen Eis geschlossen.
Niutschuan ist Station des kaiserlich chinesischen Telegraphennetzes.
Ganz im Norden von China, zwanzig Breitengrade von der
südlichen und nur einen von der nördlichen Grenze des Reiches ent-
fernt liegt in einer Ebene, die im Norden halbkreisförmig von herrlich
geformten Bergen umragt wird, die kaiserliche Residenz Peking.
Ihr Hafen ist das im Südosten 130 km weit entfernte Tientsin, dessen
Chinesenstadt den Ruf hat, ganz besonders schmutzig zu sein.
50*
[396]Der grosse Ocean.
Tientsin, bekannt durch den Vertrag zwischen England und China
vom 26. Juni 1858, liegt an der Vereinigung des Grossen Canals
mit dem schiffbaren Flusse Peiho, 39° 4′ nördl. Breite und 117° 4′
östl. Länge. Die bescheidenen Fremdenconcessionen, die französische
und die englische, sind flussabwärts, 2½ km entfernt angelegt.
In früheren Jahrhunderten von eminenter Bedeutung als Haupt-
knotenpunkt des Binnenverkehres von China, über den die reiche
Hauptstadt mit allen Artikeln des nothwendigen Lebensbedarfes und
des Luxus von Süden her versorgt wurde, ist Tientsin heute, wo auf
dem Kaisercanal ein durchlaufender Verkehr nicht stattfinden kann,
noch immer dadurch wichtig, dass hier das Ende der Seeschiffahrt auf
dem Peiho und der Ausgangspunkt eines lebhaften Karawanenhandels
nach Sibirien liegen. Die Eröffnung der China Railway, am 9. October
1888, welche vom linken Ufer des Peiho stromabwärts nach Taku
und von dort in nördlicher Richtung in die Kohlenlager von Kai-
ping führt, gab dem Handel von Tientsin einen neuen Aufschwung.
Wenn der Peiho, was oft der Fall ist, wegen seichten Fahrwassers
für grössere Seeschiffe nur 32 km weit aufwärts fahrbar ist, so werden
die Waaren in Taku, das an der Mündung des Flusses liegt, um-
geladen.
Man schätzt die Zahl der Einwohner des befestigten Tientsin
und seiner handelsthätigen Vorstädte auf 300.000.
Infolge der Nähe der Hauptstadt ist Tientsin der wichtigste Hafen Chinas
für den Netto-Import fremder Waaren und übertrifft in dieser Beziehung sogar
Schanghai, aber trotzdem steht es nicht im directen Verkehre mit dem Auslande,
sondern bezieht mehr als neun Zehntel derselben aus chinesischen Häfen, insbe-
sondere aus Schanghai. Ueber Tientsin wird ausser der Provinz Petschili auch
Schansi versorgt.
Die verhältnissmässig kleine Ausfuhr geht ebenfalls nach Schanghai.
Der Handel von Tientsin betrug in Hk. Tls.:
Für das Jahr 1890 wird die Nettoeinfuhr fremder Waaren mit 17,131.846
Hk. Tls., die einheimischer Waaren mit 12,021.408 Hk. Tl. und die Ausfuhr
einheimischer Waaren mit 4,978.644 Hk. Tls. berechnet.
Der Nettowerth des Handels erreichte also 34.131,668 Hk. Tls.
Die Bruttoeinfuhr von fremden Baumwollwaaren erreichte 1889
4,276.888 Stück im Werthe von 8,977.712 Hk. Tls., die von Baumwollgarnen
40.341 q im Werthe von 1,501.479 Hk. Tls. In Tientsin werden weitaus über-
wiegend indische Garne eingeführt.
Die Einfuhr von Schafwollwaaren und Metallen erreicht hier nur einen
mässigen Umfang.
Die Einfuhr von Opium ist 1889 auf 926 q gesunken.
Von den übrigen Waaren heben wir hervor Zucker, Petroleum und Zünd-
hölzchen, (391.638 Gross).
In der Bruttoausfuhr einheimischer Waaren erschöpfen Thee
(1889 218.058 q), Wolle von Schafen und Kameelen, Felle und Häute von Ziegen
und Schafen, Hörner und Kohle (61.000 t) den grössten Theil des Werthes der
Rohproducte.
Von Fabricaten sind zu nennen Schuhe, Medicinen und Samschu, d. i.
Branntwein aus Sorghum, für den Tientsin ein wichtiger Fabricationsort ist.
In der Einfuhr einheimischer Waaren behaupten entsprechend der
Darstellung, die wir anfangs gegeben haben, Reis mit (1889) 1,243.000 q, Thee,
Weizen, Hülsenfrüchte und Seidenwaaren den ersten Rang.
Der Schiffsverkehr von Tientsin umfasste:
Den Hauptantheil des Verkehres haben die britische und die chinesische
Flagge, dann folgen die japanische (Nippon Yusen Kaisha) und die deutsche.
Mit Dampfern gingen 1889 von hier 21.337 Passagiere ab und 28.163
kamen an.
Tientsin ist Sitz einer Seebehörde, einer kaiserlichen Telegraphen- und
Telephonverwaltung, der Kaiping-Kohlencompagnie und der obengenannten Rail-
way C. (China), die hier Maschinenwerkstätten besitzt. Die Errichtung einer
chinesischen Eisenbahnschule in Verbindung mit einer Militärschule ist im Zuge.
Ein Gymnasium besteht bereits.
Die wichtigsten Banken sind die deutsch-asiatische Bank und die Hong-
kong and Shanghai Banking Corporation.
Consulate unterhalten in Tientsin: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich,
Frankreich, Grossbritannien, Italien, Japan, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Por-
tugal, Russland, Schweden und Norwegen, Spanien, Vereinigte Staaten von
Amerika.
Die Provinz Schantung ist eine der zugänglichsten von China.
An der Nordküste der gleichnamigen Halbinsel, unter 37° 46′ nördl.
Breite und 124° 25′ östl. Länge, liegt der bequeme und tiefe Hafen
der Handelsniederlassung Tschifu (Cheefoo). Die Stadt, welche
etwa 21.000 Einwohner zählt und in der im September 1876 die
[398]Der grosse Ocean.
sogenannten Cheefoo-Convention zwischen England und China abge-
schlossen wurde, ist auf der Landseite von einem Halbkreise von
Hügeln eingeschlossen, deren höchster Punkt über 400 m hoch
ansteigt.
Tschifu ist der gesündeste Vertragshafen von China und besitzt
ein ausgezeichnetes, vielbesuchtes Seebad.
Wenn im Winter der Peiho zugefroren ist, so landet man hier
die Post für Tientsin und andere nördliche Plätze und bringt sie
auf dem Landwege dahin.
Für den Aussenhandel von Schantung ist Tschifu nicht der
günstigste Platz, da es zu Lande vom Thale des Hwangho, dem
Sitze der dichtesten Bevölkerung, zu schwer zu erreichen ist.
Die Zukunft gehört in dieser Provinz dem Hafen Kiaotschou
(36° nördl. Breite). Sollte dieser einst dem Aussenhandel geöffnet
werden, so sind die in Tschifu angelegten Capitalien verloren.
Die Ausfuhr einheimischer Producte umfasst in Tschifu gleich wie in
Niutschuan Bohnen und Bohnenkuchen, die in die südlichen Provinzen, besonders
nach Schanghai ausgeführt werden. Ins Ausland gehen nur Strohgeflechte.
Auch Vermicelli (Fadennudeln) sind (1889) mit 90.075 q (Werth 657.211
Hk. Tls.) ein sehr wichtiger Posten.
In der Einfuhr einheimischer Producte sind Reis, Zucker, Seide und
Seidenstoffe, ferner Papier wichtig; sie werden von Schanghai und Schatou be-
zogen.
Von der Einfuhr fremder Waaren kommen zwei Fünftel direct aus
dem Auslande (Hongkong, Japan), das übrige über Shanghai.
Wichtige Artikel der Einfuhr sind Baumwollstoffe, Metalle, Opium,
Zündhölzchen und Anilinfarben. Doch wird neuerer Zeit Blauholz bezogen, um
aus diesem den Stoff zum Färben der Strohgeflechte zu gewinnen.
Der Nettowerth des Handels erreichte 1890 12,862.382 Hk. Tls., 1889
12,666.578 Hk. Tls. Von letzterem entfielen auf die Einfuhr ausländischer
Waaren 4,429.136 Hk. Tls., auf die Einfuhr einheimischer Waaren 2,400.222 Hk.
Tls., auf die Ausfuhr derselben 5,837.220 Hk. Tls.
Der Schiffsverkehr wird für 1889 mit 2262 Schiffen und 1,800.176 Tons
angegeben, von denen das meiste auf die englische, die chinesische (China Mer-
chants Steam Navigation Cy.) und die deutsche Flagge entfielen; Tschifu wird
von der chinesischen Küstenfahrtgesellschaft (Hamburg) angelaufen, deren Schiffe
früher unter britischer Flagge fuhren. Den Postverkehr besorgt die japanische
Nippon Yusen Kaisha mit der Linie Schanghai-Wladiwostok. Sehr umfangreich ist
der Verkehr durch Dschunken mit dem Hoangho und Tientsin. Zwischen Tschifu
und den Plätzen Tientsin und Niutschuan besorgen die Dampfer einen umfang-
reichen Passagierverkehr; Gesammtverkehr (ohne die Transporte von Kulis) gegen
60.000 Passagiere.
Tschifu ist Station des kaiserlichen Telegraphen. Die deutsch-asiatische
Bank hat auf dem Platze eine Agentie.
[399]Chinesische Häfen.
Yangtsekiang-Häfen.
Der Yangtsekiang ist der bedeutendste Strom des chinesi-
schen Reiches; er entspringt am Südabhange des Gebirgszuges Küen-
lün, welcher die Grenze der Tartarei gegen Tibet und gleichzeitig die
Wasserscheide für die nach Süd und Ost fliessenden Hauptwasserläufe
Asiens bildet, und nimmt von hier seinen an 5300 km langen Lauf
in das Gelbe Meer.
Seine Mächtigkeit, welche nur jener des Amazonenstromes und
des Mississippi nachsteht, wie nicht minder auch der Umstand, dass
er die fruchtbarsten und dichtestbevölkerten Districte des Landes durch-
fliesst, erheben ihn naturgemäss zur ersten Wasserstrasse des Reiches.
Dadurch, dass die Chinesen, welche den Wasserwegen stets den Vor-
zug vor anderen Communicationsmitteln einräumen, ein ausgebreitetes
Canalsystem an ihn anschlossen, gewann der Strom für den internen
Handel und Verkehr immer grössere Bedeutung.
Nachdem die Schiffbarkeit des Stromes für grosse Seeschiffe auf
weite Strecken landeinwärts erkannt war, trachteten die Fremden,
die an den Ufern gelegenen grossen Städte dem freien Handel zu
eröffnen. Der Friede von Nanking brachte die lang gehegten Wünsche
zur Realisirung; Schanghai, Tschinkiang, Wuhu, Kiukiang, Hankou
und Itschang wurden unter die Vertragshäfen aufgenommen und die
Schiffahrt auf dem Yangtsekiang allen Nationen freigegeben.
Die grossen Reichthümer der Provinzen, die vom Yangtsekiang
durchkreuzt werden, spornten den Unternehmungsgeist immer mehr an.
Trotz der vielfachen Schwierigkeiten, welche die Flusschiffahrt für
grössere Fahrzeuge mit sich bringt, gelangen heutzutage die See-
schiffe bis zur Stadt Hankou, das ist 956 km von der Mündung
stromaufwärts, und von hier eigene Flussdampfer noch weitere 584 km
stromaufwärts bis Itschang. Oberhalb dieses Ortes sperren zahlreiche
Stromschnellen den Fluss, was jedoch nicht hindert, dass eine reich-
liche Zahl von Booten und Dschunken die Schiffahrt bis über Sutschou,
die Hauptstadt der Provinz Sz’tschwan (2480 km von der Mündung),
fortsetzt.
Nun bestimmt die Tschifu-Convention von 1876, dass Gross-
britannien in Tschungking, das unterhalb Sutschou liegt, wohl einen
Residenten haben dürfe, dass es aber seinen Kaufleuten erst dann
gestattet sei, daselbst Waarenhäuser zu errichten, wenn der Platz von
Dampfschiffen erreicht werde.
[[400]]
A Südliche Einfahrt in den Yangtse, B nördliche Einfahrt in den Yangtse, C Hangtschu-Bay, D Canal, E See.
[401]Chinesische Häfen.
Das Anlaufen dieses Ortes, der oberhalb Itschang, dem bis-
herigen Endpunkte der Dampfschiffahrt, 2011 km von der Mün-
dung des grossen Flusses entfernt liegt, musste für die Einfuhr aus
England so viele Vortheile bringen, dass die grosse schottische Firma
McDonald eigens den seicht gehenden Dampfer Kuling bauen liess,
der im Stande war, die Stromschnellen oberhalb Itschang zu über-
winden und Tschungking zu erreichen. Die chinesische Regierung
aber kaufte den Dampfer auf und eröffnete Februar 1890 Tschung-
king wohl dem auswärtigen Handel, aber nur Schiffe von chinesischer
Bauart dürfen denselben vermitteln.
Der Handel der Yangtse-Häfen ist vollständig abhängig von
Schaughai, nur Hankou bewahrt diesem gegenüber eine gewisse com-
mercielle Selbständigkeit. Wir fügen dieser Gruppe auch noch Ningpo
an, da es ebenfalls von Schanghai beherrscht wird.
Die Dampfschiffahrts-Gesellschaften, welche auf dem
Yangtsekiang verkehren, sind: China Navigation Cy., Indo China
Steam Navigation Cy., Mr. G. McBain’s steamers und die einheimische
Linie der China Merchant’s Steam Navigation Cy., zu welchen älteren
Linien 1890 die Schanghai Mutual Steam Navigation Cy. trat.
Schanghai.
Von den Yangtsekiang-Häfen ist Schanghai schon wegen seiner
Lage nahe an der Mündung und insbesondere wegen der grossen
Fremdenniederlassung daselbst der bedeutendste.
Wenige Meilen vor der Mündung des Yangtsekiang strömt
ihm der Wusung zu, an dessen linkem Ufer Schanghai unter 31° 15′
nördl. Br. und 121° 29′ östl. L. liegt. Das Wort bedeutet im Chine-
sischen „nahe der See“.
Die im Frieden von Nangking erhaltenen Zugeständnisse für
die Niederlassung der Fremden in den Vertragshäfen wurden in Schang-
hai zuerst in Anspruch genommen. Engländer, Franzosen und Ame-
rikaner ergriffen von dem nordwärts der eigentlichen Chinesenstadt
am Ufer des Wusung sich ausbreitenden flachen Alluvialterrain Besitz
und errichteten daselbst ihre Consulate, Factoreien und Wohnsitze
auf einem Grunde, der nominell dem Kaiser von China gehört, den
Fremden aber gegen einen jährlichen Zins von 500 Kupfercash oder
1¼ Dollar für das Mow (⅙ acre oder 675 a) in Erbpacht ge-
geben ist.
Der Chinesenstadt zunächst und von ihr durch eine Wasserader
(den Defence Creek), welche die gesammte Ansiedlung auch gegen
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 51
[402]Der grosse Ocean.
Westen abgrenzt, geschieden, liegt das französische Settlement, an
welches sich jenseits des Yangkingpang-Canals, über den 11 Brücken
führen, das englische anreiht, das gegen Norden am Soochow-Creek
seine Grenze findet und an der Landspitze, wo diese sich mit dem
Whangpoo vereinigt, einen öffentlichen Garten besitzt. Auf Brücken,
von denen 3 für den Wagenverkehr eingerichtet, gelangt man jenseits
des Soochow Creek in die amerikanische Niederlassung, die den Namen
Honkew führt.
Der bedeutende Ertrag des Handels am Yangtsekiang liess die Ansied-
lung in kurzer Zeit zu ungeahnter Entwicklung erblühen. Nahezu alle Firmen der
Welt, die im überseeischen Handel Ruf besitzen, fanden Gelegenheit, sich daselbst
zu etabliren, und öffentliche Anstalten, die mit dem Geschäftsbetrieb in enger
Zusammengehörigkeit stehen, fanden ein reiches Feld für ihre Thätigkeit. Die
Taiping-Revolution, deren Hauptsitz in den Yangtsekiang-Provinzen war, wurde
gegen alles Erwarten der Entwicklung Schanghais äusserst günstig, weil alle
reichen einheimischen Kaufleute jener Städte, die von den Taipings bedroht
waren, auf dem Territorium der Fremden Zuflucht nahmen und sich und ihr
Eigenthum unter deren Schutz stellten. Die 400.000 Rebellen aber, die seit August
1861 durch Monate die Fremdenniederlassung bedrohten, wagten keinen Angriff
auf die schussfreien Befestigungslinien, die von französischen und englischen
Marinetruppen, von einem britischen und zwei indischen Regimentern und einer
Batterie vertheidigt wurden. Erst 1866 zogen die englischen Soldaten ab.
Das hohe Erträgniss, das als Folge des starken Zuflusses die
Vermiethung von Häusern und Liegenschaften abwarf, führte zu einer
rastlosen Bauthätigkeit und steigerte den Werth des Grundes und
Bodens von 50 Liv. Sterl. für den Acre, die dieser ursprünglich gekostet
hatte, auf 10.000 Liv. Sterl. Binnen wenigen Jahren war auf dem bis nun
kaum beachteten Alluvialterrain eine Stadt heraufgezaubert, die ganz
im Gegensatz zu anderen von Chinesen bewohnten Städten das Bild
der vollendetsten Ordnung und Reinlichkeit bietet. Sehr breite, in
rechten Winkeln sich kreuzende Strassen, die in naher Zukunft von
einem Netz von Tramways durchzogen werden sollen, durchschneiden
das Weichbild der Stadt, welche in den an den Fluss angrenzenden
Theilen aus einer stattlichen Zahl prunkvoller Paläste der verschie-
densten Baustyle, in den übrigen Theilen aus zumeist grossen und
solid hergestellten Steinbauten besteht. Der Boden ist nicht fest
genug, monumentale Bauten zu tragen, so dass man es bisher nicht
wagen durfte, den Thurm der als Bauwerk so interessanten Trinity-
Kathedrale auszubauen. Wenn auch das Innere vieler dieser Häuser
noch recht viel Unsauberkeit beherbergen mag, so verräth das Aeussere
davon nichts. Der Besucher wird nur durch das fremdländische
Wesen und die Tracht der Bewohner daran erinnert, dass er auf
[403]Chinesische Häfen.
fremdem Boden steht; bei Nacht aber, wenn die Häuser geschlossen
und die Strassen menschenleer sind, wobei dennoch das Licht elek-
trischer Bogenlampen als Stadtbeleuchtung erstrahlt, bietet sich kaum
ein Anhaltspunkt, der an den fernen Osten mahnt.
Die Bewohner der drei Fremden-Settlements sind vorwiegend
Chinesen, im Juni 1890 207.000 an der Zahl, während man zur selben
Zeit von Fremden 4265 zählte, von denen nur 444 auf die fran-
zösische Niederlassung kamen. Die Bevölkerungszahl ist ständig im
Zunehmen begriffen, was den sichersten Beweis dafür gibt, dass es
noch gute Weile hat, bis Schanghai zur höchsten Stufe der Ent-
wicklung gelangt sein wird.
Die Europäer stehen unter der Gerichtsbarkeit ihrer Consuln,
die Chinesen der europäischen Settlements werden von gemischten
Gerichtshöfen nach ihren einheimischen Gesetzen gerichtet.
Die öffentlichen Einrichtungen Schanghais gehen weit über das
Mass jener anderer Fremdenniederlassungen, denn auf Grund der so-
genannten „Land Regulations“, das heisst der Gründungsurkunden der
Fremdenniederlassungen verwalten diese ihre Localangelegenheiten in
mustergiltiger Weise selbst. Dabei sind seit 1863 das britische und
das amerikanische Settlement zu einer Gemeinde vereinigt, welche das
alljährlich von den grösseren Haus- und Grundbesitzern gewählte
„Municipal Council“ leitet, in dem alle Nationalitäten vertreten sein
können. Die Municipalität der französischen Concession bilden 4 Fran-
zosen und 4 Nichtfranzosen.
Diese Behörden haben nach jahrelangem Arbeiten die Canali-
sirung der Stadt durchgeführt, ein schwieriges Werk auf diesem
niedrig gelegenen Terrain, das kein Gefälle besitzt. Eine Compagnie
versorgt die Bewohner gegen eine billige Entschädigung mit filtrirtem
Wasser.
So ist Schanghai im Ganzen eine gesunde Stadt, deren mittlere
Jahrestemperatur ungefähr der von Rom gleich ist. Doch zeigen,
wie in ganz Ostasien, die Wintermonate constant heiteren Himmel und
das Thermometer sinkt hier tiefer als an irgend einem Orte West-
europas unter der gleichen Breite; die regenreichen Sommer sind
sehr heiss.
Abgesehen ferner von den mit dem Handel in Verbindung
stehenden Anstalten verfügt die Stadt über ein Freiwilligencorps für
ihre Vertheidigung gegen einen plötzlichen Handstreich, über ein
eigenes Polizeicorps von 440 Mann, das die Eingeborenen stramm
in Ordnung hält, über vorzüglich organisirte Feuerwehren, grosse
51*
[404]Der grosse Ocean.
Spitäler und eine nicht unbedeutende Zahl von Schulen, in welchen
die Kinder von Fremden und Einheimischen allgemeine und fach-
technische Ausbildung erhalten können, die weit über den Rahmen
europäischer Volksschulen hinausgreift. Wir nennen hier das Gym-
nasium, die polytechnische Schule für Chinesen und zwei Biblio-
theken.
Schanghai ist der Sitz eines katholischen und eines anglicanischen
Bischofs, sowie mehrerer Missionen, welch letztere eine angestrengte
und weitgehende Thätigkeit, besonders im Lehrfache, entwickeln; es
besitzt Gotteshäuser der verschiedensten Confessionen, Freimaurerlogen,
deren segensreiches, hier aber in ziemlich mystisches Dunkel gehülltes
Wirken grosse Ausdehnung gewonnen hat; Clubs und Unterhaltungs-
locale, darunter der Schanghai-Club, der deutsche Concordia-Club, das
Lyceum-Theater sind hier in reichlicher Zahl vorhanden. Landwärts
vom Defence Creek, mithin schon ausserhalb des Weichbildes der
Stadt, ist eine ausgedehnte Cottage-Anlage in Bildung begriffen; Gärten
und Parks, kleine Villen und Privathäuser stehen in zwanglos anein-
ander gereihten Gruppen beisammen, welche von gutgehaltenen Kies-
wegen und Promenaden durchschnitten sind. Der Sport in Form von
Lawn-tennis, Criquet und Pferderennen findet auf zu diesem Zwecke
hergerichteten grossen Plätzen bedeutenden Zuspruch.
In dem Dorfe Sikawei sind das Missions- und das Waisenhaus
der Jesuiten, welche auch ein naturhistorisches Museum und ein wissen-
schaftliches Observatorium unterhalten. Von hier aus werden alle
meteorologischen Stationen geleitet, die an den Ufern des chinesischen
Meeres vor kurzer Zeit eingerichtet worden sind.
Ihren Mittelpunkt finden die wissenschaftlichen Bestrebungen
der europäisch-amerikanischen Colonie in Schanghai in der dortigen
Abtheilung der Royal Asiatic Society, deren Berichte eine Fundgrube
für unsere Kenntniss von China und seinen Bewohnern sind.
Dass die hier für die Europäer erscheinenden beiden Tages-
journale und die drei Wochenschriften, von denen wir den „North
China Herald“ hervorheben, englisch geschrieben sind, versteht sich
bei dem Ueberwiegen des englischen Einflusses von selbst. Auch für
die Chinesen bestehen hier zwei Tagesblätter, deren Eigenthümer und
Herausgeber aber Europäer sind.
Wer also das Wirken und das Leben der Europäer im fernen
Osten kennen lernen will, der muss zuerst das „Modell Settlement“
in Schanghai besuchen, wo er wählen kann unter einer Anzahl vor-
züglich eingerichteter Hôtels.
[[405]]
Schanghai.
[406]Der grosse Ocean.
Die Chinesenstadt Schanghai, welche nur 125.000 Einwohner
zählt, unterscheidet sich in nichts von den übrigen bekannten Städten
des Reiches. Eine breite, an 8 m hohe Ringmauer mit vorliegendem
Wassergraben umschliesst das Innere, das ein Labyrinth enger und
krummer Gassen bildet, in denen sich das nimmermüde chinesische
Treiben abspielt, zu dessen ständiger Begleitung ein ununterbrochenes
Schreien und Rufen gehört. Koth und Schlamm in den engen Strassen
und Winkeln, unglaublicher Schmutz in allen Häusern, und dazu ein
Gemisch ganz abscheulicher Dünste, das in der ganzen Stadt verbreitet
ist, sind mit jeder Chinesenstadt so innig verbunden, dass es kaum
Wunder nehmen kann, sie auch hier vorzufinden.
Schanghai, schon seit Jahrhunderten ein bedeutender Ort, ist
jetzt das grosse Emporium für den Handel des reichen, theilweise
durch Dampfschiffe erschlossenen Gebietes des Yangtsekiang und
der nördlichen Häfen von China, und seit der Eröffnung von Japan
und Korea in einem gewissen Sinne disponirender Platz auch für
diese Länder. Folgerichtig ist hier der Sitz des statistischen Departe-
ments des „Imperial Maritime Customs“, und die Engländer haben
ihren „Supreme Court of China and Japan“, den Appellationshof für
die britischen Unterthanen, die dort sich aufhalten, und für die
Streitfälle zwischen Engländern und Ausländern, nach Schanghai
verlegt.
Die Grundlage der Grösse Schanghais sind die Wasserstrassen,
welche den Hafen mit dem Kaisercanale und dem Yangtsekiang
verbinden. Localdampfer vermitteln den Küstenverkehr.
Eine Reihe gut gebauter Strassen, welche von den Europäern
angelegt wurden und weiter geführt werden, vermittelt den Verkehr
mit den näheren Gebieten. Leider erregte seinerzeit die Eisenbahn,
welche als die erste im chinesischen Reiche im Juni 1867 eröffnet
wurde und Schanghai mit Wusung verband, bei den chinesischen
Machthabern Missmuth und fiel der Furcht zum Opfer, dass durch sie
einem grossen Theile der ärmeren Bevölkerung seine Beschäftigung
entzogen werden könnte. Nachdem sie durch 16 Monate in Betrieb
gestanden war, wurde sie von den chinesischen Behörden angekauft
und abgebrochen.
Daher ist der ganze Verkehr mit dem Binnenlande auf die
Wasserstrassen angewiesen. Der Hafen ist von der See aus nur nach
Durchschiffung eines Stromdeltas voll Fährlichkeiten zu erreichen,
unter denen das Passiren der Wusung-Barre das Unangenehmste ist.
Der mittlere Wasserstand bei Flut beträgt über derselben nur 19 Fuss,
[407]Chinesische Häfen.
doch hat man einen eigenen Dampfbagger angekauft, um grosse Bagge-
rungen in Angriff zu nehmen, die den freien Verkehr der grossen
Oceandampfer, welche bis jetzt oft an der Barre aufgehalten werden,
ermöglichen sollen.
Fast sämmtliche europäische „Hongs“ (kaufmännische Bureaux)
von Schanghai befinden sich auf der englischen Concession, während
die Godowns (Magazine) und Werften, sowie zahlreiche Chinesen-
häuser in der französischen Niederlassung ihren Platz gefunden haben.
Alle europäischen Firmen müssen chinesische Namen führen, und nur
unter diesen sind sie den Eingeborenen bekannt. Entlang der ganzen
Chinesenstadt finden wir den Fluss auf einer Länge von 3½ km
mit chinesischen Dschunken dicht bedeckt, die hier, Bord an Bord
liegend, das Flussufer säumen. Die breite Wasserfläche vor der
Fremdenniederlassung ist der Ankerplatz der Schiffe fremder Bauart,
unter denen seit der Eröffnung des Suez-Canales eine grosse Zahl von
Segelschiffen durch stattliche Dampfer ersetzt worden ist.
Alle Dampfer und die meisten Segelschiffe nehmen ihre Han-
delsoperationen an den zahlreichen öffentlichen und privaten Quais
vor. Die der Associated Wharf Companies besitzen eine Uferfront
von mehr als 1200 m.
Flussabwärts und flussaufwärts sehen wir die Schiffswerften,
Reparaturwerkstätten und Docks, die durch den fremden Handel all-
mälig ins Leben gerufen worden sind.
Dermalen bestehen in Schanghai vier Docks: das eine in Tungkado,
gegenüber der Stadt, hat eine Länge von 380 Fuss und bei Flut
eine Tiefe von 21 Fuss, das „Old Dock“ zu Honkew 400 Fuss Länge
und 18 Fuss Tiefe; das „New Dock“ zu Pootung am unteren Ende
des Hafens misst 450 Fuss in der Länge bei einer Tiefe von 21 Fuss.
Die chinesische Regierung besitzt ein Arsenal, ein Dock und eine
Schiffsbau-Anstalt zu Kaou Chung Mow, ein kleines Stück oberhalb
der Stadt. Alle diese Docks sind Constructionsarsenale, und die
Regierung baut und rüstet in ihrem Etablissement Kriegsschiffe sogar
grösseren Tonnengehaltes aus.
Interessant ist, dass die Docks von Schanghai in dem weichen
Erdreiche ausgegraben, aber nicht ausgemauert, sondern mit Holz aus-
gezimmert sind.
Die grosse Wichtigkeit Schanghais als Vermittler des Verkehres mit ein-
heimischen und fremden Waaren mit dem Auslande und den chinesischen Häfen
zeigt die folgende Tabelle.
[408]Der grosse Ocean.
Wir können uns hier nicht auf eine Beschreibung des Handels von Shang-
hai nach all den Richtungen befassen, die in diesen Ziffern zum Ausdrucke
kommen und werden uns in der Hauptsache auf die Darstellung des aus-
wärtigen Handels beschränken.
Die wichtigsten Artikel der Ausfuhr einheimischer Waaren von Schanghai
sind Seide und Thee.
In Seide ist China der erste Producent der Erde, und die Ausfuhr von
Schanghai macht etwa ein Viertel des gesammten Seidenverbrauches der Welt aus.
Leider grassirt im Schanghaibezirke schon seit Jahren unter den Seidenwürmern
die Körperchenkrankheit oder Pébrine, doch ist über die Ausdehnung dieses Un-
glückes nichts Näheres bekannt.
Die hier zu Markte kommenden Seiden sind von den Chinesen nach ihrer
alten Art versponnen. Das Product der Spinnereien nach europäischen Muster
[[409]]
A Werften, B Docks, C Consulate, D Ansiedlung (Settlement) der Amerikaner, E Ansiedlung (Settle-
ment) der Engländer, G Ansiedlung (Settlement) der Franzosen, H Chinesenstadt, J öffentl. Garten,
K Zollamt, L Yangtse-Strasse, M Whampoa-Quai, N Quai de France, O Wirbel, P franz. Polizeistation,
Q Tempel, R Tunkadu-Dock, S Schiesstätte, T Lager, U Kianguan-Arsenal, V Pai Lien Creek.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 52
[410]Der grosse Ocean.
wird von den Inhabern der Etablissements unter festen Contracten direct nach
Europa oder Amerika verschickt und kommt deshalb für den hiesigen Handel
gar nicht in Betracht.
Wir haben es in Shanghai nur mit Rohseide (Grège) zu thun, welche gegen
Casse gekauft wird.
Ausfuhr von Seide in Kilogramm:
Frankreich ist der erste Käufer chinesischer Seide, es nahm 1889 von
weisser und gelber Rohseide 2,258.414 kg, von Tussah, d. i. die wilde oder Eichen-
spinnerseide, welche aus den nördlichen Provinzen kommt, 32.825 kg, von Seiden-
abfällen 1,718.413 kg auf. Gewöhnliche Rohseiden gehen ferner in grösseren
Mengen nach den Vereinigten Staaten, Grossbritannien, Indien und Italien, in die
Schweiz und nach Türkisch-Asien, wilde Rohseide und Abfälle nach Grossbritannien.
Der Antheil der Rohseide am Handel von Schanghai wird klar, wenn man
hört, dass die Ausfuhr 1889 einen Werth von 19·6 Millionen Hk. Tls. erreichte.
Seidenfabricate nehmen in der Ausfuhr nach Europa an Bedeutung
stark zu; es sind dies Pongees und seidene Taschentücher, deren Hauptmarkt
London, Paris und die Union sind; Gesammtwerth 1889 6·7 Millionen Hk. Tls.
Baumwolle, welche theilweise den Ausfall deckt, welchen die Theeaus-
fuhr erlitten hat, ist wichtig für den Verkehr mit Japan, dessen Industrie sich
rasch ausdehnt. In Europa wird sie trotz ihrer glänzenden weissen Farbe noch
wenig verwendet, weil ihr Stapel kurz ist. Es wurden 1889 476.962 q (Werth
7·9 Millionen Hk. Tls.), davon 161.927 q nach chinesischen Häfen, 1888 285.262 q
ausgeführt.
Von Chinagras (Hanf), das zwischen Hankou und Kiukiang gebaut wird,
exportirte Schanghai 1889 55.092 q, davon das meiste über Hongkong und direct
nach Grossbritannien und dem übrigen Europa, einiges auch nach Japan. Sollte
es möglich werden, die seidenartig glänzende Faser dieser Pflanze leichter als
jetzt zu gewinnen, so wird Chinagras eine ungeahnte Bedeutung erlangen.
Die Ausfuhr von Jute, welche aus der Provinz Tientsin stammt, steigt
regelmässig.
Unter den Nahrungs- und Genussmitteln, welche von Schanghai zur Ausfuhr
gelangen, ist das erste Thee, dessen Anbaudistricte vor allem im Thale des
Yangtsekiang zu suchen sind.
Die Theesaison in Schanghai beginnt Mitte Juni, ungefähr sechs Wochen
später als die von Hankou.
Ausfuhr der wichtigsten Theegattungen:
Die Theeausfuhr Chinas hat auf ihrem Hauptmarkte London seit einigen
Jahren mit der Concurrenz von Britisch-Indien und Ceylon schwer zu kämpfen,
deren Theesorten jedoch die chinesischen an Aroma noch nicht erreichen. Aber
stärker fällt für die Ausfuhr nach London ins Gewicht, dass Russland sich mehr
und mehr von dem Markte in London zurückzieht und seinen Theebedarf direct
aus China zu Lande oder über Odessa bezieht.
Von schwarzem Thee findet die stärkste Ausfuhr nach Grossbritannien
(1889 129.042 q), den Vereinigten Staaten und Russland statt, eine weniger grosse
nach Hongkong und Japan. Die besten Thees entnehmen immer die Aufkäufer für
Russland, wo die ersten Theekenner Europas wohnen, und sie zahlen für feinste
Ningtschan-Congous die höchsten Preise, so 1888 bis 60 Hk. Tls. pro Pikul
(60.453 kg).
Von grünem Thee wird das Meiste in die Vereinigten Staaten geführt,
dann nach Grossbritannien, Indien und Britisch-Amerika.
Ziegelthee geht in die Mandschurei und nach Japan.
Zucker geht zum grössten Theile den Yangtsekiang hinauf und stammt
von Formosa, den südlichen Seeprovinzen Chinas und von Manila.
Ausfuhr von Zucker:
Als Hauptabnehmer des meist nach England ausgeführten Tabakes gilt
Deutschland. Er nimmt viel Wasser auf und wird zur Mischung mit dem türki-
schen Tabake verwendet. Daher richtet sich die Nachfrage nach chinesischem
Tabak nach dem Ausfalle der Ernte des türkischen. Ausfuhr von Rohtabak 1889
14.913 q, von präparirtem Tabak 1889 29.812 q (Werth 1,183.560 Tls.), 1888 28.052 q.
Von Nahrungsmitteln des Pflanzenreiches sind ferner hervorzuheben Bohnen
aller Art (1889 385.439 q) und Erbsen, von denen zwei Fünftel nach Südchina
ausgeführt werden, Weizen (1889 667.390 q, 1888 621.053 q) und Reis (1889
2,679.114 q, 1888 3,704.986 q). Reis ist kein Artikel des ausländischen Handels;
zwei Fünftel gehen als Tribut nach Nordchina, der andere im freien Verkehre
nach Südchina.
Andere wichtige Ausfuhrartikel des Pflanzenreiches sind Bambus-Shoots,
Bohnenkuchen (1889 265.862 q, Werth 395.805 Hk. Tls.), Chinawurzel, Datteln,
getrocknete und gesalzene Früchte, Rhabarber (1889 4188 q, Werth 243.821
Hk. Tls.) für London, New-York und Deutschland, getrocknete Lilienblüthen
(1889 35.262 q, Werth 314.942 Hk. Tls.) und Lilienblüthensamen, Galläpfel (1889
22.278 q), coreanischer Ginseng, Oele (1889 100.044 q, Werth 1,215.286 Hk. Tls.),
von denen Sesam-, Holz-, Thee- und Grundnussöl die hervorragendsten sind,
Sesamsaat.
Viel kürzer ist das Verzeichniss der Producte des Thierreiches. Wir nennen
hier zunächst Schafwolle und Kameelwolle. Diese kommen aus dem nörd-
lichen China, eine feine Schafwolle, Woosie genannt, aus dem Bezirke von Schang-
hai. Schafwolle (Ausfuhr 1889 44.678 q, Werth 591.247 Hk. Tls.) geht überwie-
gend in die Union, Kameelhaar nach Grossbritannien.
Häute von Kühen und Büffeln (1889 33.808 q, 1888 47.689 q), die aus den
nordwestlichen Provinzen stammen, wo Muhammedaner wohnen, werden in erster
52*
[412]Der grosse Ocean.
Linie nach dem europäischen Continente, nach Oesterreich-Ungarn und Italien,
ferner nach Grossbritannien und der Union ausgeführt.
Ziegenfelle und Ziegenfelldecken (1889 550.650 Stück) kaufen
Grossbritannien und Amerika.
Die Ausfuhr von Federn, welche zumeist direct nach Deutschland gesendet
werden, ist 1889 auf 12.622 q gestiegen.
Auch Schweinsborsten sind kein unwichtiger Ausfuhrartikel.
Moschus ist eine Specialität Chinas; das benützen die chinesischen
Händler und treiben durch einheitliches Vorgehen die Preise in die Höhe. Die
Ausfuhr (1889 206.266 kg, Werth 272.970 Hk. Tls.) geht nach Marseille, Paris,
London, New-York und Deutschland in die Centren der Parfumerie-Industrien.
Wir führen noch an Schwämme (1889 8326 q) und Wachs, das meist
für chinesische Häfen bestimmt ist.
Die Ausfuhr von Industrieartikeln, unter welchen auch solche europäi-
scher Form sind, entwickelt sich zusehends. Vieles davon ist für die Chinesen
auf Manila, Java und in den Straits Settlements bestimmt.
China sandte 1889 6,726.564, 1888 14.007.872 Stück Hüte aus Stroh
(Tschifuwaare) und aus Schilfgras (Ningpowaare) nach Europa auf Consignation
und nach Amerika auf feste Bestellung; ferner 1889 53.492 q (Werth 2,035.152
Hk. Tls.), 1888 47.624 qStrohgeflechte meist nach Europa.
Umfangreich, wenn auch wenig werthvoll, ist die Ausfuhr von Säcken
aus Stroh und Hanf.
Die folgenden Waaren sind zum grösseren Theile für die Chinesen im
Auslande oder chinesische Häfen bestimmt.
Von einheimischen Baumwollstoffen, sogenannten Nankings, wurden
1889 18.193 q (Werth 1,203.810 Hk. Tls.), 1888 18.487 q, von Grasleinen für
242.484 Hk. Tls., von Porzellan 1889 15.104 q (Werth 391.740 Hk. Tls.), von
Fächern aller Art 1889 30,823.772 Stück (Werth 300.780 Hk. Tls.) ausgeführt;
von den letzteren waren 26 Millionen Stück aus Palmblättern hergestellt und nur
gegen 5 Millionen Stück gingen in chinesische Häfen. Die Ausfuhr von Sonnen-
schirmen erreichte 1899 nur 280.609 Stück.
Von Schuhen und Stiefeln aus Baumwoll-, Seidenstoffen und Stroh
wurden 1889 735.312 Paare ausgeführt.
Umfangreich ist die Ausfuhr von Papier mit 75.935 q (Werth 1,692.634
Hk. Tls.) im Jahre 1889 und mit 87.017 q im Jahre 1888.
Die Ausfuhr gedruckter Bücher erreichte 1889 4913 q.
Ausschliesslich für Chinesen bestimmt sind Medicinen (Werth 1889
1,235.882, 1888 1,405.221 Hk. Tls.) und Kupfercash, die bekannte durch-
löcherte chinesische Kleinmünze, von der 500 Stück auf 1 Dollar gehen und die
man in grösseren Beträgen nur auf Lederriemen aufgefädelt befördern kann.
Die Hauptbestandtheile der Brutto-Einfuhr aus dem Auslande sind
Opium, Baumwollwaaren, Schafwollwaaren und Metalle. Wie die Uebersichtstabelle
beweist, wird der weitaus grösste Theil dieser Waaren wieder ausgeführt und
zwar in chinesische Häfen.
Wir stellen Opium an die Spitze, müssen aber gleich bemerken, dass die
Einfuhr desselben unausgesetzt zurückgeht, weil der Mohnbau in West-, Mittel-
und Südchina selbst an Ausdehnung zunimmt.
[413]Chinesische Häfen.
Das chinesische Opium ist leichter als das indische, es wird daher pro
Pikul nur mit etwa 250 Hk. Tls., das ist halb so theuer wie das indische be-
zahlt. Das inländische Opium hat den Vorzug, dass die narkotischen Eigenschaften
durch das Verbrennen nicht so rasch herausgezogen werden; man kann die in der
Pfeife zurückgebliebenen Reste noch siebenmal verwenden lassen, die des indischen
nur dreimal.
Die am häufigsten consumirte Sorte ist Malwa-Opium, ihr folgen Patna-
und Benares-Opium.
Opiumeinfuhr von Shanghai:
Von der Einfuhr des Jahres 1889 wurden nicht weniger als 10.891 q nach
anderen chinesischen Häfen, besonders nach den nördlichen, wieder ausgeführt.
In der grossen Gruppe der Baumwollwaaren übertreffen seit 1889
graue Schirtings (1889 6,335.427 Stück, Werth 8,236.056 Hk. Tls.) an Werth
selbst das Malwa-Opium, das bisher immer der erste Einfuhrartikel Shanghais war.
Dieser einträgliche Theil des hiesigen Handels ist hauptsächlich in Händen
englischer Kaufleute.
Weisse Schirtings (1889 1,569.805 Stück, Werth 2,276.217 Hk. Tls.)
werden meist zu Kleidern verarbeitet, welche man unmittelbar auf dem Leibe
trägt. Auch T-cloths kommen zumeist aus England, Drills, dann Sheetings,
die theilweise zu Theesäcken verarbeitet werden, überwiegend aus der Union, in
zweiter Reihe erst aus England.
Die eingeführten Taschentücher benützen die Chinesen als Servietten,
bei Tisch- und Bettdecken sehen sie vorzugsweise auf lebhafte Farben, wie
Roth mit Grün, Roth mit Blau, Roth mit Violett.
Die englischen und deutschen Socken und Strümpfe haben mit der Con-
currenz japanischer Waaren zu kämpfen.
Im Jahre 1885 kamen zum erstenmale Bombaygarne auf den Markt von
Schanghai, zwei Jahre später wurden von ihnen schon mehr als von den englischen
eingeführt und 1889 kamen hieher achtmal soviel indische als englische Garne.
Die indischen Garne kommen aus einem Lande mit Silberwährung, die auch in
China herrscht, und zeigen mehr Uebereinstimmung mit den in der chinesischen
Hausindustrie erzeugten Garnen, was den Eingebornen die Anwendung ihrer pri-
mitiven Färbemethoden erleichtert.
In Baumwollwaaren und Garnen ist Schanghai distribuirender Markt für
Nordchina mit dem für diese Artikel wichtigsten Markte Tientsin, für die Plätze
der Ostküste und das Thal des Yangtsekiang.
Die folgende Tabelle bringt die Einfuhr Schanghais in den wichtigsten
Gattungen der Baumwollwaaren.
Der weitaus grösste Theil dieser Waaren ist zur Wiederausfuhr bestimmt.
In Schanghai selbst blieben 1889 von Schirtings nur 1,464.415 Stück, von T-cloths
321.126 Stück, von Drills 98.282 Stück und die gesammten eingeführten Sheetings
wurden wieder ausgeführt.
Die Einfuhr von Schafwollwaaren in Schanghai erreichte 1889 385.905
Stück im Werthe von 2,791.603 Hk. Tls., 1888 505.345 Stück im Werthe von
4,081.934 Hk. Tls., 1887 247.233 Stück im Werthe von 4,476.165 Hk. Tls. Der Markt
von Schanghai nahm 1859 nur 55.272 Stück auf. Schafwollwaaren sind für die
Chinesen, welche im Winter Kleider aus wattirten Baumwoll- und Seidenstoffen
tragen, eine Art Luxusartikel. Ueberschwemmungen und Missernten, welche die
Kaufkraft der Bevölkerung hemmen, äussern ihre Wirkung zuerst und am stärk-
sten in der Einfuhr von Schafwollwaaren.
Schafwollwaaren liefern England, Deutschland und Russland. Aus Deutsch-
land kommen Flanelle, Tuche, Wirkwaaren und Litzen; letztere, hier Llama
Braids genannt, flechten die Chinesen in ihre Zöpfe. Deutschland und England
imitiren russische Tuche. In diesen Waaren ist der chinesische Markt auch für
neue Gattungen aufnahmsfähig.
Die Zukunft des Handels mit Metallwaaren hängt davon ab, ob die
Chinesen sich entschliessen, zu dem modernen europäischen Fabriksbetriebe über-
zugehen, für den sie Maschinen aufnehmen müssen, und ob sie in absehbarer Zeit
ihr Vorurtheil gegen Eisenbahnen, von dem wir schon oben gesprochen haben,
überwinden werden.
Der durchschnittliche Bedarf dieses Marktes an allen Sorten von Eisen
beträgt 450.000 q. Der Hauptartikel des hiesigen Eisenmarktes ist Nageleisen
aus Belgien, Deutschland, England und Schweden. Eisendraht und Stahl
(Bambu) liefert Deutschland, Stangeneisen Deutschland, Belgien, Schweden,
England.
Eine wichtige Post ist hier die Einfuhr von altem Eisen, das weiter in
die nördlichen Häfen geht.
Die Einfuhr von Zinn in Platten übertrifft an Werth öfter die aller Eisen-
waaren. Dieses Zinn stammt aus Malakka und dient zum grössten Theile zur
Herstellung des sogenannten Josspapiers, d. i. eines Papieres, welches mit einer
silber- oder goldfarbenen Metallfolie überzogen ist, das bei den praktischen Chi-
nesen den Götzen (Joss) gegenüber Geld vertreten soll und als Opfer für die Ver-
storbenen verbrannt wird. Der Rest dient mit Blei gemischt zur Anfertigung
von Theetöpfen und Haushaltungsgegenständen. Einfuhr 1889 22.829 q, Werth
1,090.130 Hk. Tls., 1888 30.146 q. Netto-Einfuhr 1889 3.988 q.
Blei (1889 Brutto 87.113 q. Netto 15.547 q) verwendet man zur Herstellung
von Thee-Emballagen. Das Geschäft ruht in den Händen einer englischen Firma,
doch wird auch deutsches Blei eingeführt.
Kupfer wird aus Japan bezogen und zur Herstellung von Scheidemünzen
(Cash) verwendet. Einfuhr 1889 16.425 q, 1888 9118 q.
Die Einfuhr von Weissblech (England) geht zurück, seit so viel Petro-
leum in Gefässen aus Zinnblech eingeführt wird.
Andere wichtige Einfuhrartikel sind Anilinfarben aus Deutschland und
England. Die Hälfte der Einfuhr (Werth 1889 563.602, 1888 771.830 Hk. Tls.)
entfällt auf Scharlach, das in enormer Menge zum Färben für die stets rothen
[415]Chinesische Häfen.
Visitkarten der Chinesen, ferner von Futterstoffen und Haarbändern ver-
wendet wird.
Statt der ordinären blauen Anilinfarben wird jetzt Blauholzextract ein-
geführt.
Von Maschinen (Werth 1889 211.722 Hk. Tls.) sind hervorzuheben
amerikanische und deutsche Nähmaschinen.
Die Einfuhr von Nähnadeln erreichte 1889 1,606.424 Mille, 1888
2,392.889 Mille.
Falsche Perlen französischer Erzeugung und deutsche Wachsperlen,
Messingknöpfe und Regenschirme (England, Deutschland) sind keine unbedeu-
tenden Artikel der Einfuhr.
Fensterglas liefern Belgien und Deutschland.
Zündhölzchen kommen schon zu zwei Dritteln aus Japan, der Rest aus
Europa (Oesterreich-Ungarn, Deutschland, Schweden). Einfuhr 1889 1,370.572
Gross. Uebrigens folgen die Chinesen jetzt dem Beispiele Japans und erzeugen
selbst Zündhölzchen.
Seife senden England, Deutschland, Japan.
Die Einfuhr von Stearinkerzen ist in jedem dritten Jahre sehr stark,
wenn die Provinzialprüfungen abgehalten werden.
Von Hölzern sind zu nennen Bauholz aus Canada und der Union, Sandel-
holz und Sappanholz.
Aus Nordjapan kommt Seegras (1889 180.136 q, Werth 690.206 Hk. Tls).
Eine ziemliche Rolle spielt die Einfuhr von Gewürzen und Nahrungs-
mitteln. Wir nennen hier Ginseng (Mandschurei und Union), schwarzen Pfeffer,
Haifischflossen (271.918 q, Werth 232.749 Hk. Tls.), eine chinesische Delicatesse,
essbare Holothurien (Bicho de Mar, Werth 1889 574.942 Hk. Tls.) und
Vogelnester. Von dieser in China als anregende Speise hochgeschätzten
Specialität, welche an den steilen, fast unzugänglichen Küsten der Sundainseln
gepflückt wird, führte man 1889 34.811 kg im Werthe von 389.912 Hk. Tls. ein.
Wir schliessen die Liste der Einfuhrartikel mit Petroleum und Stein-
kohlen.
Petroleum, ein Hauptartikel des Reexportes nach chinesischen Häfen,
stammt zu zwei Dritteln aus Amerika, zu einem Drittel aus Russland. Einfuhr
1889 664.548 hl, 1888 603.110 hl.
Steinkohlen für den Bedarf der Dampfschiffe und der Ausländer werden
aus Japan, Australien, England und Amerika zugeführt, 1889 260.560 t. In diesen
Ziffern sind nicht enthalten: die Zufuhren von Kaipingkohlen aus Nordchina,
welche die chinesischen Dampfer brennen, die zwischen Shanghai und Tientsin
fahren, und nicht die Kohlen von Hankou am Yangtsekiang.
Um das Bild des Handels von Schanghai zu vervollständigen, müssen
wir auch angeben, ans welchen Theilen Chinas die Einfuhrartikel chinesischer
Provenienz stammen. Von diesen kamen 1889 etwa 20 % aus den drei nördlichen
Häfen Niutschuan, Tientsin und Tschifu (hauptsächlich wilde Seide, Strohge-
flecht, Felle), 60 % aus den Yangtsehäfen und aus Ningpo (Thee, Seide, Tabak,
Droguen, Papier, Häute) und die übrigen 20 % liefern die südlichen Häfen (ins-
besondere Zucker), unter diesen vor allem Schatou.
Im auswärtigen Handel nimmt Grossbritannien in der Einfuhr die erste
Stelle ein, ihm folgen der Umschiffungshafen Hongkong, dann Indien, Japan und
[416]Der grosse Ocean.
die Vereinigten Staaten. Die Ausfuhr geht zumeist nach dem Continente Europa,
an diesen reihen sich Grossbritannien, die Vereinigten Staaten, Japan und Hong-
kong. Auffallend ist der Fortschritt, den Deutschland im chinesischen Aussen-
handel macht.
In Schanghai werden in reichem Masse die chinesischen Gewerbe be-
trieben. Von Unternehmungen in europäischem Style sind ausser den Werften
und Maschinenfabriken zu nennen Seiden- und Baumwollspinnereien.
Der Verkehr der Schiffe europäischer Bauart umfasste in Shanghai:
Von den gesammten Schiffsreisen entfällt nur wenig mehr als ein Viertel
auf den Verkehr mit dem Auslande.
Die wichtigste Handelsflagge ist die englische (1889 51 %). Sehr be-
achtenswerth ist der Antheil der chinesischen Flagge, welche in Schiffen auslän-
discher Bauart schon 29 % des ganzen Tonnenverkehres von Schanghai umfasst,
aber zum grössten Theile durch die Schiffe der China Merchants St. Sh. Cy. be-
sorgt wird. Seit das Deutsche Reich (1886) die subventionirte Postdampferlinie
des Norddeutschen Lloyd nach China und Japan ins Leben gerufen hat, nimmt
die deutsche Flagge die dritte Stelle ein; ihr folgen nach die japanische, die
französische und die amerikanische Flagge.
Die Postdampferlinien, die Schanghai anlaufen, sind im Verkehre mit
Europa der Norddeutsche Lloyd, einmal in vier Wochen (Bremerhaven, Ant-
werpen, Southampton, Genua, Brindisi, Port Said), der ab Brindisi fahrplan-
mässig in 33 Tagen Schanghai erreicht, er soll aber gewöhnlich um 2½—3 Tage
früher ankommen; die Kingsin-Linie (Hamburg) einmal in 14 Tagen; die Penin-
sular and Oriental Steam Navigation Cy. (London, Brindisi) einmal in 14 Tagen;
die Messageries maritimes (Marseille) einmal in 14 Tagen, deren Schiffe nach
Yokohama weiter gehen. Auch die Castle- und die Shire-Linie laufen Shanghai an.
In der Richtung nach Amerika hat in jüngster Zeit auch die neu eröffnete
Schnellroute der Canadian Pacific Steamship Cy. nach Yokohama neben den alten
Verbindungen über San Francisco erhöhte Bedeutung für Schanghai gewonnen.
Den Verkehr mit Japan und Wladiwostok unterhalten die Dampfer der
Nippon Yusen Kaisha. Dem Küstenhandel und dem Verkehre mit Corea dient die
von der chinesischen Regierung subventionirte China Merchants Steam Navigation
Cy. Ausserdem haben in Schanghai drei Gesellschaften für Küstendampfschiff-
fahrt ihren Sitz. Eine grosse Rolle im Küstenhandel spielen deutsche, insbeson-
dere Hamburger Dampfer.
In Schanghai unterhalten Postämter Deutschland, England, Frankreich,
Japan und die Union. Die Localpost ist auch in europäischen Händen. Shanghai
hat ein Telephonnetz, 1·25 km, und ausgezeichnete telegraphische Ver-
bindungen.
Wusung, das 14 km unterhalb Shanghai liegt, ist Landungspunkt von
drei Kabeln der Great Northern Telegraph Cy. (Kopenbagen), welche die chinesi-
schen Häfen, Japan, Corea und Nagasaki verbindet.
[417]Chinesische Häfen.
Die Verbindung mit den Philippinen, den Sundainseln, Australien, Hinter-
und Vorderindien besorgt die Eastern Extension, Australasia and China Tele-
graph Cy.
Schanghai ist auch Sitz eines Hauptamtes des kaiserlich chinesischen Tele-
graphen, der zu Lande Anschlüsse mit Russland, Corea, Tongking und Birma
besitzt.
Ausser den schon genannten Behörden ist Schanghai Sitz der Shanghai
General Chamber of Commerce und eines Bureaus bei dem englischen General-
consulat, welches das Recht hat, Schiffe zu registriren.
Die Banken von Schanghai sind: Agra Bank, Chartered Bank of India,
Australia and China, Chartered Mercantile Bank of India, Deutsch-asiatische
Bank, London and China, Hongkong and Shanghai Banking Corporation, New
Oriental Bank Corporation.
Hier haben auch 125 Assecuranzen ihren Sitz und zahlreiche chinesi-
sche und europäische Handelsgesellschaften.
In Schanghai unterhalten Consulate: Belgien (G.-C.), Dänemark, Frank-
reich (G.-C.), Grossbritannien (G.-C.), Italien, Japan (G.-C), Oesterreich-Ungarn
(G.-C.), Portugal (G.-C), Russland, Schweden und Norwegen (G.-C.), Spanien,
Vereinigte Staaten.
Tschinkiang.
Die Stadt Tschinkiang (Chinkiang-fu), d. h. „Fluss“, liegt am
rechten Ufer des Yangtseflusses, 241 km oberhalb dessen Mündung,
dort, wo der grosse chinesische Canal (Jünho, d. h. Beförderungs-
fluss), welcher die Reichshauptstadt Peking mit den fruchtbaren süd-
lichen Provinzen Chinas verbindet, den Strom kreuzt.
Tschinkiang hatte zweimal in jüngster Zeit eine nahezu gänzliche Zerstö-
rung zu erleiden. Im Jahre 1842 bombardirte die englische Flotte unter Sir
Henry Pottinger die Stadt und nahm dieselbe am 26. Juli ein; eilf Jahre später
zerstörten die Taiping-Rebellen die inzwischen wieder aufgebaute Stadt. Erst in
jüngster Zeit, am 5. Februar 1889, war sie der Schauplatz einer Emeute des
Pöbels gegen die angesiedelten Fremden, wobei das englische Consulatsgebäude
zerstört wurde.
Die Einwohnerzahl der Stadt wird zur Zeit mit 135.000 Seelen
angegeben, hierunter befinden sich etwa 60 angesiedelte Europäer.
Die Zufahrt zur Stadt ist durch starke Batterien geschützt,
welche unmittelbar stromabwärts von derselben am rechten Flussufer,
sowie auf der inmitten des Flusses gelegenen Silber-Insel er-
richtet sind.
Vom Flusse aus gesehen, bietet Tschinkiang noch heute einen
prächtigen Anblick dar, welcher durch die grüne, bergige Umgebung,
sowie durch die Silber- und die Goldinsel, zwei unter- und oberhalb
der Stadt liegende Eilande, deren mit Bäumen bestandene Abhänge
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 53
[418]Der grosse Ocean.
zierliche Buddha-Tempel sowie kleine Pagoden tragen, bedeutend
erhöht wird.
Die Chinesenstadt hat eine sehr grosse Ausdehnung und liegt
theilweise innerhalb einer sehr starken, sich den Lehnen der um-
gebenden Berge entlang ziehenden Festungsmauer, welche von den
Taiping-Rebellen im Jahre 1857 errichtet wurde. Ausserhalb der
Mauern breitet sich eine ausgedehnte Vorstadt aus, in der sich, wie in
den meisten chinesischen Städten, das eigentliche Geschäftsleben ab-
wickelt, während innerhalb der Stadtmauern Privatwohnungen,
Tempel und öffentliche Gebäude liegen. Die Strassen der Chinesen-
stadt sind ein planlos angelegtes, enges Winkelwerk, ausserordentlich
unrein und von den widerlichsten Gerüchen durchzogen, da aller
Schmutz und Unrath vor den Hausthüren abgelagert und von da
erst nach geraumer Zeit durch hiezu bestimmte Kulis auf die Felder
der Umgebung gebracht wird.
Tschinkiang ist gegenwärtig eine der wichtigsten Militärstationen
Chinas. In der Umgebung der Stadt liegen mehrere befestigte Lager,
in denen die Recruten der umliegenden Provinzen ihrer ersten mili-
tärischen Ausbildung unterzogen werden.
Die Fremdenniederlassung occupirt ein schmales, rechteckiges,
unmittelbar oberhalb der Chinesenstadt gelegenes Uferterrain, die
sogenannte Concession.
Dieselbe ist regelmässig abgegrenzt und von der chinesischen
Regierung für einen Zeitraum von 999 Jahren den Engländern gegen
eine jährlich zu entrichtende Pachtsumme zur Besiedelung überlassen,
bleibt jedoch chinesisches Gebiet, zum Unterschiede von den soge-
nannten Settlements in Schanghai, welche von der chinesischen Krone
den fremden Nationen gegen Erlag einer Kaufsumme dauernd abge-
treten wurden. In der Fremdenansiedlung unterstehen sämmtliche An-
sässige — Chinesen und Fremde — der Jurisdiction des englischen
Consuls, welcher gleichzeitig ständiger Präsident des Municipal-
rathes ist.
Die Gebäude der Europäer sind, meist von Gärten umgeben, in
luxuriösem Style aufgeführte villenartige Steinbauten mit luftigen
Säulengängen und Veranden. Wie in allen asiatischen Settlements be-
wohnt jede Familie ihr eigenes Haus. Die Strassen sind in aufeinander
senkrecht stehender Richtung regelmässig angelegt, werden sehr rein
gehalten und des Nachts durch Petroleumlampen beleuchtet. Zur
Versehung des Sicherheitsdienstes besteht ein eigenes Polizeicorps von
sechs indischen Sikhs, sowie einer Anzahl chinesischer Schutzleute,
[419]Chinesische Häfen.
welches von einem Europäer befehligt wird. Die Uferstrasse — in
Ostasien „Bund“ genannt — ist breit gehalten, mit schattigen Bäumen
bestanden und mit Ruhebänken versehen und dient der europäischen
Bevölkerung als Promenade. Im Uebrigen haben die Engländer einen
grossen Theil des Terrains der Concession an Chinesen verkauft, was
den Uebelstand nach sich zieht, dass künftige Ansiedler gezwungen sind,
Baugrund um theueres Geld den speculativen Eingebornen wieder
abzulösen. Ein Uferhügel trägt den schönen Neubau des auf Kosten
Tschinkiang.
der chinesischen Regierung wieder errichteten britischen Consulats-
gebäudes, ein weiter landeinwärts gelegener Hügel ist von einem Fort
gekrönt, dessen Besatzung zum Schutze der Fremdenniederlassung
bestimmt ist.
Bei der Emeute des Jahres 1889 war jedoch gerade dieses
Fort der Ausgangspunkt der gegen die Europäer gerichteten Be-
wegung.
Die Stadt besitzt zwei sehr comfortable eingerichtete Clubs,
von denen der eine den europäischen Kaufleuten, der andere
den im chinesischen Zolldienste stehenden Europäern als Erholungs-
ort dient.
53*
[420]Der grosse Ocean.
Vor dem Bund liegen vier Stegschiffe vertäut, an welchen die
Flussdampfer anlegen; die Innenräume der ersteren dienen als Dépôts
für die zur Versendung gelangenden Waaren.
Kriegsschiffe ankern stromaufwärts von den Stegschiffen ziemlich
nahe am rechten Flussufer, im Bereiche der durch einen vorsprin-
genden Berg entlang desselben verursachten Gegenströmung.
Den Verkehr mit dem Auslande besorgt Schanghai. Für die Einfuhr ein-
heimischer Producte ist Hankon besonders wichtig. Der Ort hat wenig Reexport.
Der Nettowerth des Handels von Tschinkiang betrug in Hk. Tls.:
Im Jahre 1889 verursachten starke Regengüsse in der Umgegend Tschin-
kiangs grosse Ueberschwemmungen, wodurch der Ausfall dieses Jahres begründet
erscheint, dagegen hat sich 1890 der Handel sehr gehoben.
Von der Einfuhr fremder Waaren ist hervorzuheben, dass die Einfuhr
von Opium, welche jahrelang zurückgegangen, 1890 ganz bedeutend gestiegen ist.
Aber bei Zucker dauerte die Abnahme auch 1890 fort, weil der einhei-
mische Zucker dem fremden vorgezogen wird. Die Einfuhr sank 1890 auf 94.100 q
herab, gegen die doppelte Ziffer im Vorjahre.
Der Handel mit Zündhölzchen ist im Steigen begriffen. Die Einfuhr be-
trug 1886 107.630 Gross, 1889 248.760 Gross. Dieser Artikel wird hauptsächlich
aus Japan, in zweiter Linie aus Oesterreich-Ungarn eingeführt. Die bedeutend
billigeren japanischen Zündhölzchen verdrängen allmählich das bessere öster-
reichische Product.
Andere Einfuhrartikel sind Bicho de Mar (Holothurien, Seegurken), Pfeffer,
Sandel- und Sapanholz.
Den grössten Werth aber repräsentiren Baumwollwaaren, namentlich
graue Shirtings, die hier erst gefärbt werden.
Baumwollgarne (1890 7815 q, 1889 577 q) kommen aus Indien.
Der Verbrauch des Petroleums steigt auch im Innern Chinas; 1890
wurden 112.000 hl eingeführt, davon mehr als ein Drittel aus Russland, 1889
91.000 hl, davon ein Viertel aus Russland.
In der Einfuhr einheimischer Producte sind wichtig Zucker (1890
325.000 q, 1889 193.674 q), Holzöl (1890 74.433 q), Holzpfähle und Särge (1889
101.943 Stück, Werth 59.200 Hk. Tls.), Tabak, vornehmlich präparirter, und
vegetabilisches Wachs.
Die Ausfuhr einheimischer Waaren besteht aus Reis (1890 138.450 q),
von dem etwa die Hälfte als Tribut nach Peking geht, dann aus Bohnen, Weizen,
getrockneten Lilienblüthen (1890 32.566 q), endlich aus Rohseide und Seiden-
waaren. Wir haben hier nur Producte, welche in der Provinz gewonnen werden.
Für den Transitohandel von der Küste in das Innere ist Tschinkiang
von altersher von Bedeutung; er erreichte 1889 4,735.041 Hk. Tls., davon ent-
fielen 25 % auf die Provinz Honan.
[421]Chinesische Häfen.
Die Schiffsbewegung von Tschinkiang umfasste:
Bei diesem Verkehre sind auch Dschunken mit Specialpass eingerechnet,
so 1889 858 derlei Fahrzeuge mit 62.285 Tons.
Jedes Jahr werden auf dem Yangtsekiang neue Dampfer in Dienst ge-
stellt und durch den Wettbewerb sind 1890 die Frachten um 30 %, die Passa-
gierpreise um 50 % gesunken, was wieder zur Folge hatte, dass in diesem Jahre
71.050 Passagiere in Tschinkiang landeten.
Von der Tonnenzahl entfielen 1890 63 % auf englische, 31 % auf chine-
sische Schiffe (China Merchants Steam Navigation Cy.). Auch deutsche und
amerikanische Schiffe erscheinen hier. Die Chinesen haben auf dem Yangtse-
kiang auch Segelschiffe europäischer Bauart, die sie „lorcha“ nennen.
Tschinkiang ist Station des kaiserlich chinesischen Telegraphennetzes.
Consulate unterhalten: Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Gross-
britannien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Vereinigte Staaten von Amerika.
Nanking.
Von der Mündung des Yangtseflusses 320 km entfernt, liegt
an dessen rechtem Ufer in der Provinz Kiangsu die vicekönigliche
Residenz Nanking, welche, obwohl sie gegenwärtig noch nicht dem
fremden Handel und der Besiedelung durch Europäer erschlossen
ist, dennoch an dieser Stelle nicht ungenannt bleiben soll. Nur
wenige Denkmäler haben die vielen erbitterten Kämpfe, sowie die
Zerstörungen, welchen die alte Kaiserstadt der Ming-Dynastie sehr
häufig ausgesetzt war, überstanden und geben der Nachwelt ein
Zeugniss der ehemaligen Grösse und des Glanzes dieser noch im
XIV. Jahrhunderte volkreichsten Stadt der Erde.
Nach der im Jahre 1853 durch die Taiping-Rebellen vorge-
nommenen Zerstörung der im Jahre 1412 errichteten, den sieben
Weltwundern zugezählten Porzellan-Pagode sind nur mehr die aus
kolossalen Steinblöcken gemeisselten Figuren bei den Ming-Gräbern,
sowie zum Theil die massiven, stellenweise mehr als 15 m hohen
und wahrhaft gigantischen Stadtmauern der Zerstörungswuth der
Taipings entgangen. Namentlich die Ueberreste dieser Mauern erregen
wegen ihrer kolossalen Dimensionen (die Gesammtlänge derselben
beträgt 56·3 km) gerechtfertigte Bewunderung.
Der Landungsplatz der Dampfer, welche hier lediglich chinesische
Passagiere und Waaren aufnehmen oder ausschiffen dürfen, ist gut
[422]Der grosse Ocean.
befestigt. Von der Uferstadt zu der nur den südlichen Theil des von
den Mauern eingeschlossenen Raumes occupirenden Stadt führen
mehrere gepflasterte Wege durch ein mit üppigen Culturen bestan-
denes Terrain. Nahezu in der Mitte der heute angeblich nur mehr
350.000 Einwohner zählenden Stadt liegt der Palast des Vicekönigs
(Yamen). Von den Sehenswürdigkeiten Nankings sind vor Allem die
von Kaiser Tschu, dem Begründer der Ming-Dynastie am Golden
Nanking (Landungsplatz).
Pearl-Berg angelegten Kaisergräber, das vicekönigliche Artillerie-Ar-
senal und der grosse neue Confuciustempel zu nennen. Auch be-
stehen zu Nanking eine französische Jesuiten-, und eine amerika-
nische Mission.
Ueber die Handelsbewegung Nankings liegen, da es kein Vertragshafen
ist, keinerlei Ausweise vor. Den Hauptindustriezweig bildet die Seidenweberei,
welche theils von Privaten, theils in der grossen kaiserlichen Seidenfabrik be-
trieben wird. Die Erzeugnisse der letzteren, oft wahre Wunderwerke, wandern
sämmtlich als Tribut des Vicekönigs in den kaiserlichen Palast nach Peking.
[423]Chinesische Häfen.
Wuhu.
Das blühende und thätige Wuhu wurde erst durch die Tschifu-
Convention, 1. April 1877, Vertragshafen. Es liegt am rechten Ufer
des Yangtseflusses, 346 km von Schanghai entfernt, in der Provinz
Nganhwei. Die Stellung der Stadt als Handelsplatz ist ausgezeichnet
wegen der zahlreichen Wasserstrassen, die von ihr ins Innere aus-
gehen. Ein breiter Canal, der im Winter 2 m, im Sommer 3—4 m Tiefe
hat, führt 80 km weit südwärts zur wichtigen Stadt Ningkue. Ein
anderer Canal, der wohl nur im Sommer fahrbar ist, geht nach dem
berühmten Thee-Stapelplatz Teuping und nach den durch ihre Seiden-
production hervorragenden Städten Nanling und Kinghsien. Der in
der ganzen Umgebung der Stadt auf Meilen hin angebaute Reis wird
hauptsächlich durch die Dampfer der sogenannten Schatou-Linien
nach Tientsin und nach Canton, dem für den Reisconsum bedeutendsten
Platze Chinas verführt.
Bei der Annäherung an Wuhu, von Osten kommend, werden
zuerst die Gebäude der amerikanischen Mission sichtbar, welche eine
englische Meile stromabwärts von der Stadt entfernt auf einer Hügel-
gruppe stehen.
Die Fremdenniederlassung Wuhus besteht lediglich aus den in
unmittelbarer Nähe der Chinesenvorstadt drei Hügel krönenden Ge-
bäuden der französischen Jesuitenmission, dem britischen Consulate
und der Wohnung des kaiserlich-chinesischen Zolldirectors.
Die Gebäude der chinesischen Vorstadt ziehen sich von einer
am Flussufer stehenden, jedoch verfallenen siebenstöckigen Pagode
längs des mit Dschunken jederzeit buchstäblich vollgestopften Creeks,
ungefähr eine englische Meile lang, bis zu der von einer starken
crenelirten Mauer in Rechteckform umgebenen eigentlichen Stadt hin.
Die Einwohnerzahl Wuhus wird mit 80.000 Chinesen und nur
25 Europäern angegeben.
Ein „Bund“ wie in anderen Hafenstädten besteht zu Wuhu nicht.
Am Ufer liegen fünf Anlegehulks zum Gebrauche der Flussdampfer;
unmittelbar oberhalb derselben und ziemlich weit vom Flussufer ent-
fernt, ankern die Kriegsschiffe.
Der Nettowerth des Handels von Wuhu hat nach Jahren der Stagnation
1889 und 1890 wieder einen Aufschwung genommen. Derselbe erreichte in der
Einfuhr fremder Waaren 1890 2,922.253 Hk. Tls., in der einheimischer Waaren
1,655.452 Hk. Tls., in der Ausfuhr von Gütern localer Herkunft 3,051.492 Hk. Tls.
zusammen 7,629.197 Hk. Tls.
[424]Der grosse Ocean.
Die Einfuhr von fremdem Opium, das noch immer bei 40 % des Werthes
ausländischer Waaren repräsentirt, ist trotzdem 1890 auf 1552·6 q gesunken, weil hier
907·2 q einheimischen Opiums auf den Markt gebracht wurden.
Die übrigen Einfuhrartikel sind wie in allen Yangtse-Häfen Baumwoll-
waaren, in denen ein starker Reexport nach Kiukiang und Hankou stattfindet,
Zucker (1890 47.269 q, 1889 32.979 q), unter dem sich aber chinesischer und in
Hongkong raffinirter befindet, dann Säcke, Sandelholz und Petroleum.
Von einheimischen Waaren sind zu nennen Zucker (1890 63.120 q).
Baumwolltuch und Nankings, deren Absatz hier beständig steigt (1890 6100 q).
und Holzöl.
Von der Ausfuhr einheimischer Waaren bildet Reis (1890 918.420 q,
1889 1,280.069 q) die Hauptfracht der von hier stromabwärts verkehrenden
Dampfer, ferner rohe Baumwolle, schwarzer und grüner Thee, Rohseide (1890
30.993 kg), Felle und Federn. Sehr schöne, geschmackvolle Federfächer, sowie
bunte Kameelhaardecken mit aufgedrucktem originellen Dessin bilden Speciali-
täten der Hausindustrie Wuhus.
Von Industrieartikeln sind wichtig Seidenwaaren (1890 100.5 q, 1889
742 q) und 1890 das erstemal Joss-stick-Pulver, das die Chinesen in grossen
Mengen bei ihren religiösen Festlichkeiten verbrauchen.
Der umfangreiche Holzhandel von Wuhu ist in den Händen der
Chinesen.
Eine Zukunft hat die Ausfuhr von Steinkohlen (1890 144.000 q, 1889
93.000 q) aus zwei benachbarten Lagern.
Der Schiffsverkehr von Wuhu, der 1890 wie in allen Yangtse-Häfen sehr
gross war und auch mit besonderen Pässen versehene Dschunken umfasst, die in
den Küstenhäfen nicht mitgezählt werden, erreichte in dem oben genannten
Jahre 2125 Dampfer mit 2,107.112 T, 1054 Segelschiffe mit 50.659 T, zusam-
men 3179 Schiffe mit 2,157.771 T.
Die wichtigsten Flaggen sind die englische, chinesische, deutsche, amerika-
nische und die von Oesterreich-Ungarn, weil hier ein Handelshaus dieser Monarchie
bestand.
Kiukiang.
Zwölf englische Meilen (20 km) stromauf der Ausmündung des Ab-
flusses aus dem Pojang-See in den Yangtsekiang liegt an dessen
rechtem Ufer Kiukiang, eine Präfecturstadt der Provinz Kiangsi. Die
Umgebung der Stadt ist hügelig und mit üppigen Culturen und
Bäumen bedeckt, ausserdem bilden die pittoresken Conturen der im
Süden der Stadt sich bis zu 1400 m erhebenden Lieu-schan-Berge
eine prächtige Staffage. Das linke Yangtse-Ufer gegenüber der Stadt
ist ebenes Ackerland.
Kiukiang verdankt seine Wahl zum Vertragshafen dem ausge-
dehnten Netze schiffbarer Canäle, welche auch diese Stadt mit den
die Heimat des grünen Thees bildenden Districten in Verbindung
setzen. Kiukiang ist auch der Ausfuhrhafen für die vorzüglichen Er-
[425]Chinesische Häfen.
zeugnisse der Porzellanfabriken von Kingtetschin, von denen jedoch
durch die Taipings viele zerstört wurden. Kiukiang liegt am Flusse
220 km von Hankou und 716 km von Schanghai entfernt und soll
von allen an den Ufern des Yangtse-Flusses gelegenen Vertrags-
häfen das heisseste Klima besitzen. Die einst reiche und geschäftige
Stadt erholt sich allmälig von den Folgen der Verwüstung durch die
Taipings (1853—1855), seit sie 1860 Vertragshafen geworden ist,
und die dermalige Einwohnerzahl wird auf 53.000 Seelen geschätzt.
Die Fremdenniederlassung zählt nur ungefähr 40 Köpfe.
Die Stadt ist hart am Uferrande des Yangtseflusses erbaut,
welcher auf eine Strecke von 475 m die Festungsmauern bespült.
Nur ungefähr die Hälfte des von den letzteren in einer Länge von
acht Kilometern eingeschlossenen Raumes ist verbaut, den Rest
nehmen noch Aecker und Obstgärten ein. Chinesenstadt und Fremden-
niederlassung gleichen den analogen Vierteln in Tschinkiang voll-
kommen. Kiukiang ist ein Hauptsitz der katholischen Missionsthätigkeit.
Die barmherzigen Schwestern des Ordens von St. Vincent de
Paula unterhalten zu Kiukiang ein Waisenhaus und ein Spital, ferner
besteht daselbst eine Mission der amerikanischen Presbyterianer.
Vor dem mit schattigen Bäumen bepflanzten „Bund“ liegen vier
Stegschiffe, welche den verschiedenen Flussdampfergesellschaften ge-
gehören. Die Compagnie der Thee- und Opiumkaufleute hat für die
Dschunken eigene Landungsplätze gebaut. Zu Kiukiang bestehen
dermalen zwei, Russen gehörige Thee-Briquetfabriken, über deren
Betrieb bei Hankou Näheres angegeben wird.
Der Nettowerth des Handels von Kiukiang betrug in Hk. Tls.:
Kiukiang hat als Handelsplatz die Erwartungen nicht erfüllt, die man bis
1874 auf es gesetzt hatte. Es sank von da an die Ausfuhr einheimischer Pro-
ducte, dafür ist der Hafen in den letzten Jahren für die Einfuhr fremder Waaren
sehr wichtig geworden. Es steigt nämlich im Gegensatze zu anderen Hafenplätzen
Chinas die Einfuhr von Opium, weil hier bis 1885 für Opium eine höhere Likin,
d. i. Transitabgabe erhoben wurde, als in anderen Häfen. Im Jahre 1890 wurden
2012 q eingeführt, die höchste Ziffer, die an diesem Hafenplatze vorgekommen ist.
Die Einfuhr von Baumwollwaaren (England) ist 1890 auf 411.445 Stück,
die von Baumwollgarnen (Indien) auf 20,357 q gegen 1333 q im Jahre 1880
gestiegen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 54
[426]Der grosse Ocean.
Die Einfuhr von Schafwollwaaren (1890 34.747 Stück), Metallen (Zinn
und Blei) und von Zündhölzchen (1890 27.165 Gross) ändert sich wenig.
Sehr gut gehen dagegen deutsche Llama braids, d. h. Schafwollbänder
zum Einflechten in die Zöpfe (1890 62.500 Gross, 1884 800 Gross), Fensterglas,
Anilinfarben und Nadeln (1890 39.000 Mille) aus England und Iserlohn. Zu
nennen sind ferner Seetang und Agar-Agar, das ist essbarer Seetang.
In der Einfuhr einheimischer Waaren erscheinen Rohbaumwolle,
Nankings, Zucker und Tintenfische, in der Ausfuhr von einheimischen Rohpro-
ducten Thee (1890 146.793 q, davon 111.883 q schwarzer und 21.013 q grüner
Thee, 1889 im Ganzen 169.770 q) nach London und Odessa, Hanf oder richtiger
Ramié (1890 17.990 q) und Tabak, insbesondere Blättertabak.
Von Industrieartikeln gelangen zur Ausfuhr: Grasscloth, Papier, Papier-
fächer, Porzellan und Bambusmatten.
Ein directer Verkehr mit dem Auslande findet nicht statt, den vermittelt
Schanghai, die Ausfuhr einheimischer Waaren geht nach Hankou und Shanghai.
Der binnenwärts gerichtete Transitoverkehr erreichte 1890 1,692.082
Hk. Tls.
Die Concurrenz der Dampferlinien ist auch hier derart gestiegen, dass
chinesische Passagiere schon im October 1889 von hier um nur 3·10 Dollars nach
Schanghai, um 1 Dollar nach Hankou fahren konnten.
Der Schiffsverkehr erreichte 1890 2050 Dampfer mit 1,985.818 T und
51 Segelschiffe (eingeschlossen die Dschunken mit Specialpässen) mit 6286 T,
zusammen 2101 Schiffe mit 1,992.104 T. Im Vorjahre betrug der Dampferverkehr
1636 Schiffe mit 1,664.434 T.
Vertreten waren die englische, chinesische, deutsche und österreichisch-un-
garische Flagge.
Hankou.
An der Stelle, wo zu beiden Seiten des Yangtsekiang eine
unregelmässige Reihe halb isolirter niedriger Hügel die nur wenig
über das Niveau des Flusses erhöhte und an Seen reiche Ebene in
der Richtung von Ost nach West kreuzt, liegt am linken Ufer des
genannten Stromes die Stadt Hankou (Hankow) mit 895.000 Einwoh-
nern, seit 1861 thatsächlich dem europäischen Handel eröffnet. Sie ist
965 km von Schanghai entfernt. An demselben Ufer, getrennt durch
die Mündung des canalartigen, aber schiffbaren Hanflusses, der von
West dem Yangtsekiang zueilt, breitet sich das viel ältere Hanjang
mit 150.000 Einwohnern aus, als dessen Vorstadt Hankou in früheren
Zeiten angesehen wurde. Am rechten Ufer des 1·5 km breiten
majestätischen Stromes erhebt sich im Angesichte der beiden Städte
die von gewaltigen Mauern umgebene und angeblich von 400 Kanonen
vertheidigte Provinzhauptstadt Wutschang.
Hankou ist bereits dermalen ein Hauptstapelplatz für den Ver-
kehr und Handel mit den inneren Provinzen Chinas, dürfte jedoch,
[427]Chinesische Häfen.
wenn die chinesische Regierung sich zum Baue eines Eisenbahnnetzes
entschlossen haben wird, eine sehr hervorragende Bedeutung für den
Welthandel erlangen. Eine in der Richtung Nord-Süd durch Hankou
geführte Eisenbahnlinie würde Peking und Canton, die nördlichste
und die südlichste Grosstadt Chinas, die beide nahezu gleichweit
von Hankou entfernt sind, verbinden und zugleich senkrecht auf der
einzigen bestehenden natürlichen Wasserstrasse des Yangtsekiang
stehen. Die Waaren aus allen Provinzen könnten nach Hankou, als
dem künftigen Haupt-Eisenbahnknotenpunkte des inneren Chinas ge-
bracht und daselbst unmittelbar auf Seedampfer überladen werden.
Bis jetzt ist es nicht gelungen, einen ausgebreiteten directen
Verkehr mit dem Auslande einzurichten. Hankou bezieht die aus-
wärtigen Waaren über Schanghai und sendet dorthin vier Fünftel
seiner Ausfuhr und nur den Rest unmittelbar nach Grossbritannien
und Odessa.
Die Chinesenstadt Hankou ist von einer crenelirten Mauer um-
geben. Aus dem Häusermeere ragen drei hochgeschweifte und mit
gelben Ziegeln gedeckte Doppeldächer empor, welche die Wohnung
des Taotei (Provinzgouverneurs) bezeichnen.
Die etwa 60 europäische Einwohner zählende Fremdennieder-
lassung nimmt ein unmittelbar an den Ufern des Yangtseflusses lie-
gendes Terrain von 1·6 km Länge und 0·8 km Breite ein. Der mit
schattigen Kastanien-Alleen bestandene Bund ist nächst jenem
zu Schanghai der schönste in Ostasien und sieht vom Flusse ge-
sehen imposant aus. Er ist breit angelegt und besitzt eingezäunte
Rasenplätze, sowie einen langen Steinquai mit Eisenballustrade, leidet
jedoch an dem Uebelstand, dass er tiefer als der höchste Wasser-
stand des Flusses liegt und dass daher einmal im Jahre sämmtliche
Strassen der Fremdenniederlassung einige Tage lang unter Wasser
stehen, wobei dann der Verkehr in den Strassen nur über gelegte
Holzläden möglich ist. Während des abnorm hohen Wasserstandes
im Jahre 1889 konnte der Verkehr sogar nur mittelst Kähnen aufrecht
erhalten werden. Durch die häufigen Hochwasser werden die Häuser
stark unterwaschen und bleiben sie auch die übrige Zeit des Jahres
hindurch feucht und ungesund. Von den europäischen Gebäuden
zeichnen sich die am Bund gelegenen durch luxuriösen Baustyl,
sowie wohlgepflegte kleine Vorgärten aus. Hier stehen eine grosse
katholische und je eine kleine protestantische und griechisch-orientalische
Kirche; die letztere wurde von den Russen erbaut, die als Kaufleute
und Fabrikanten hier grossen Einfluss haben. Die Katholiken unter-
54*
[428]Der grosse Ocean.
halten hier ausser der Mission auch ein von katholischen Kloster-
frauen geleitetes Waisenhaus und ein Spital; endlich bestehen hier
sieben evangelische Missionen. Die Stadt besitzt zwei Clubs.
Für den Gebrauch der Flussdampfer liegen vor dem Bund
sechs Stegschiffe vertäut. Die zur Theesaison Hankou besuchenden
Seedampfer müssen im Strome auf grössere Entfernung vom Lande
vor Anker gehen und die Ladung mittelst Lichterbooten einnehmen.
Bei rapidem Steigen des Wasserstandes entstehen häufig Havarien
durch Brechen der Ankerketten; so gerieth im Jahre 1888 ein voll-
Hankou.
geladener Theedampfer aus dieser Ursache auf den Bug eines zweiten
Dampfers und wurde vollkommen eingedrückt, wobei die ganze
Ladung verloren ging.
Bei den gegenwärtig niedrigen Theefrachten, welche für Hankou
entscheidend sind, rentirt es sich für Seedampfer kaum mehr, die ge-
fährliche Flussreise bis Hankou zu unternehmen und hiefür 2000 bis
3000 fl. Lotsengeld zu bezahlen.
Zu Hankou bestehen zwei grössere, von Russen etablirte Fabri-
ken, in welchen Theebriquets erzeugt werden, welcher Handelsartikel
erst seit wenigen Jahren besteht und rasch einen bedeutenden Ex-
[429]Chinesische Häfen.
port gefunden hat. In den mit den neuesten maschinellen Einrichtungen
ausgestatteten Fabriken, in welchen über 1000 Kulis beschäftigt sind,
werden die getrockneten Theeblätter gepresst, befeuchtet, sodann in
Holzformen gefüllt und neuerdings gepresst, bis die Masse einen voll-
kommen compacten Ziegel bildet. Sodann werden diese Ziegel in
Cartons von ähnlicher Form wie jene der bekannten Malzbonbons
verpackt, versiegelt und in diesem Zustande exportirt. Je nach der
betreffenden Exportfirma gelangen rothe, gelbe und weisse Thee-
briquet-Cartons in den Handel. Sie werden fast durchwegs den
Yangtsefluss hinab und sodann auf dem Seewege nach Tientsin ver-
führt, von wo aus sie mittelst Karavanen in die Mandschurei und
über Kiachta-Maimatschin nach Sibirien und von dort über Irkutsk nach
Turkestan gelangen. In diesen Ländern bilden die Theebriquets eines
der wichtigsten Genussmittel der Bevölkerung und werden in Er-
manglung cursirenden Kleingeldes bei Zahlungen als Bargeld ange-
nommen.
Auf den Handel werden auch die neuen Fabriksanlagen der
Nachbarstädte von Einfluss werden. So ist bei Hanjang am Hanflusse
ein Eisenwerk im Bau, das die Erze von Huangkang verarbeiten
will, und bei Wutschang an dem Ufer des Yangtse wurde eine
grossartige Baumwollspinnerei errichtet, mit der ein Collegium für
Chemie, Maschinenbau, Bergbau und praktische Physik in Verbindung
steht, an dem europäische und chinesische Lehrer unterrichten. Man
will von hier aus das östlich gelegene Sz’tschwan statt mit Roh-
baumwolle mit Baumwollwaaren versehen.
Hankou ist der wichtigste Handelsplatz am Yangtsekiang.
Leider gehen im Verkehre mit dem Auslande sämmtliche Waaren,
Thee ausgenommen, durch den Umschlaghafen Schanghai; die Schiff-
fahrt beschränkt sich auf den Verkehr mit Schanghai und den Yanktse-
kiang-Häfen, nur Thee wird auf grossen Seedampfern direct verschifft.
Der ganze Einfuhrhandel befindet sich fast ausschliesslich in
den Händen von chinesischen Kaufleuten, welche ihre Waaren un-
mittelbar von den fremden Importeuren in Schanghai beziehen. Der
früher bedeutende Zwischenhandel europäischer Firmen ist vernichtet.
In der Theesaison senden europäische Firmen ihre Vertreter hieher,
um Einkäufe zu machen.
Ueber den Handel der Unzahl von Dschunken, welche ihre Zölle im Pro-
vinzialzollhause entrichten, liegen auch hier leider keine Angaben vor. Der Ver-
kehr mit Schiffen europäischer Bauart und Dschunken unter Special-
pässen erreichte in Hk. Tls.:
[430]Der grosse Ocean.
Dass trotz der grossen Ueberschwemmungen, welche 1889 grosse Theile
der Provinz Hupe heimsuchten, der Handelsumsatz nicht zurückgegangen ist, be-
weist die ausgezeichnete Handelsstellung von Hankou.
Hankou hat einen unbedeutenden Zwischenhandel; die Ziffern bei der Ein-
fuhr beziehen sich daher auf die Gesammt- (Brutto-) Einfuhr.
Für diesen Ort ist auswärtiges Opium nicht mehr ein wichtiger Han-
delsartikel (1890 450 q). Einheimisches Opium wird hier nicht versteuert, sondern
geschwärzt.
Die Gesammteinfuhr von Baumwollstoffen hat, beständig steigend,
1890 einen Werth von 5,692.868 Hk. Tls, die Gesammteinfuhr von Baumwoll-
garnen ist von 19.148 q (Netto 14.227 q) im Jahre 1889, sprungartig auf 90.000 q
im Jahre 1890 gestiegen. Das ganze Plus, das offenbar zur Ausfuhr nach Sz’tschwan
bestimmt ist, kam aus Indien.
Die Einfuhr von Schafwollwaaren, für die das hiesige Klima nicht
mehr günstig ist, erreicht trotzdem einen Werth von fast 2 Millionen Hk. Tls.
Die Einfuhr von Metallen (Blei, Zinn, Kupfer, Nageleisen, Draht) ist
nicht umfangreich. Maschinen führt in neuerer Zeit die Regierung ein; die
Concession zur Ausbeutung der Kohlenlager der Provinz und Erbauung von Eisen-
bahnen lässt für diesen Artikel viel hoffen.
Den Reichthum der Provinz Hupe zeigt die Zunahme der Einfuhr von
Zucker: 1890 93.115 q, 1889 56.650 q.
Als bedeutende Einfuhrartikel sind ferner Holothurien, Pfeffer, Cardamomen,
Cassia, Ginseng, Sandel- und Sapanholz, Seegras aus Japan, Hausenblase und
Petroleum (1890 138.375 hl) zu nennen; auf diesem Platze kann das russische
Petroleum gegen das amerikanische nicht aufkommen.
Von Industrieartikeln führen wir an: Glaswaaren, Messingknöpfe, Far-
ben, Zündhölzchen (1890 564.720 Gross), Regenschirme und Schafwollbänder
(Llama braid).
Thee, Seide und Seidenwaaren, Rohbaumwolle, Moschus, Zucker, Medicinen,
weisses Wachs, präparirter Tabak, Bambussprösslinge, Fächer und Rhabarber sind
die ersten Waaren der Ausfuhr einheimischer Producte.
Schwarzer Thee geht nach Odessa in steigenden Mengen, die Ausfuhr
nach London nimmt ab. Die feinsten Theesorten werden nur für Russland gekauft.
Gesammtausfuhr von schwarzem Thee 1890 305.464 q, 1889 343.560 q, von Thee
in Ziegeln und Täfelchen 1890 140.693 q, 1889 140.653 q, endlich von Thee-
staub, der wegen seines ausgezeichneten Aromas von den Russen zu Täfelchen
(Ausfuhr 1890 6972 q) verarbeitet, von den Engländern in losem Zustande gekauft
wird, 1890 3296 q.
[431]Chinesische Häfen.
Von Rohseide, Cocons und Abfällen wurden von hier 1890 1,675.697 kg,
1889 1,516.544 kg, von Hanf (und Ramié) 1890 70.752 q ausgeführt.
Andere Artikel sind aus dem Pflanzenreiche Galläpfel, Rhabarber,
Theeöl und Holzöl, Tabak, Schwämme, die auf Felsen und auf Holz wachsen
und in China gegessen werden, und Reis (1890 267.980 q, 1889 38.290 q); aus dem
Thierreiche Moschus (für London), weisses Wachs, Felle und Häute; aus dem Mineral-
reiche Kohlen 1890 40.000 t und von anderen Waaren Lack und Medicinen.
Der Transitoverkehr erreichte 1889 4,607.485 Hk. Tls.
Der Verkehr europäischer Schiffe ist nicht mehr so gross wie in den
unteren Yangtse-Häfen und erreichte 1890 1198 Dampfer mit 1,116.878 T,
696 Segelschiffe mit 110.102 T, zusammen 1894 Schiffe mit 1,226.980 T.
Hankou ist Station des kaiserlichen Telegraphennetzes und Sitz einer
Handelskammer.
Itschang.
Als vorläufiger Endpunkt der Dampfschiffahrt auf dem Yangtse-
flusse ist noch die in der Provinz Hupe gelegene Stadt Itschang (Ichang)
anzuführen, welche dem fremden Handel im Jahre 1877 eröffnet
wurde. Sie hat 34.000 Einwohner, liegt inmitten einer reich culti-
virten Gegend und ist ein guter Marktplatz für die Theedistricte von
Hohfungtschou. In der Umgebung der Stadt wird auch Mohn ge-
baut und Opium producirt. Zwischen Hankou und Itschang besteht
seit dem Jahre 1878 eine regelmässige Dampfschiffverbindung.
In den ersten Jahren nach der Eröffnung des Hafens spielte dieser eine
recht traurige Rolle; aber 1890 erreichte sein Nettohandel die Höhe von 6,403.292
Hk. Tls., sein Transitohandel 1889 4,042.303 Hk. Tls.
Seine Ausfuhr (Seide, Moschus, weisses Wachs, Medicinen) geht nach Han-
kou; von dort empfängt es auch die ausländischen Waaren, aber diese gehen
sofort weiter nach dem reichen Tschungking, das bereits den Handel von
Itschang bedroht, da es auch ein Tractathafen geworden ist.
Im Jahre 1889 umfasste der Schiffsverkehr 106 Schiffe mit 41.000 T.
Die Vorsicht der Engländer, bei Abschluss der Tschifu-Con-
vention nicht eine bestimmte Stadt, sondern den obersten mit Dampf-
schiffen erreichbaren Punkt am Yangtsekiang als den äussersten Trac-
tatshafen zu verlangen, ist seit 1890 belohnt, wie wir in der Ein-
leitung hervorgehoben. Dampfschiffe dürfen freilich noch nicht hinauf,
nach der umfangreichen Stadt Tschungking, sondern nur Schiffe
von chinesischer Bauart, aber auf die Dauer werden sich selbst die
Chinesen dieser berechtigten Forderung nicht entziehen können. Die
Stadt ist über 2000 km von der Mündung des Yangtsekiang ent-
fernt; sie liegt an der Stelle, wo von Norden her der Kialing in
denselben mündet und ist so von Natur aus zu einem Handels-
[432]Der grosse Ocean.
platze bestimmt. Als die wichtigste Stadt der reichen Provinz
Sz’tschwan zählt sie 250.000 Einwohner, und eine Reihe von Mis-
sionen haben bereits hier ihren Sitz aufgeschlagen.
Ningpo.
Ningpo im Süden von Schanghai, in der Provinz Tschekiang an
der Mündung des Flusses Jung gelegen, war der erste Hafen Chinas,
dessen fleissige und unternehmende Kaufleute sich herbeiliessen, mit
den Portugiesen Handel zu treiben.
Schon 1522, als Canton den Fremden noch verschlossen blieb, wurde hier
eine Niederlassung gegründet und blühte bis 1542, wo die chinesische Regierung
dieser portugiesisch-chinesischen Freundschaft, welche ihr gefährlich schien, mit
Waffengewalt ein Ende machte. Offenbar setzten die Einwohner von Ningpo den
früher an sie ergangenen Aufforderungen passiven Widerstand entgegen, denn es
schritt Militär ein und zerstörte die Häuser des Volkes, das sich den Heiden
gegenüber durch kein Gesetz gebunden erachtete. Dabei wurden 800 von den
1200 portugiesischen Einwohnern massacrirt.
Dem modernen Verkehre wurde Ningpo durch den Opiumkrieg verschlossen.
Der Besetzung der Stadt durch die Engländer 13. October 1841 bis 7. Mai 1842
folgte im August 1842 die Eröffnung des Vertragshafens.
Ningpo hat Baumwollspinnereien, für welche die Umgebung die
Baumwolle lieferte, Tausende von Männern und Frauen machen Hüte
und Matten aus Binsen, die in der Umgebung gezogen werden, man
verfertigt ausserdem Zimmergeräth, Möbel, Zündhölzchen, Papierfächer
und betreibt den Fang von Thunfischen.
Die Zahl der Einwohner von Ningpo wird auf 250.000 ge-
schätzt, die Fremdenniederlassung liegt gegenüber der Chinesenstadt
am Nordufer des Flusses.
Seit die Opium-Convention von 1886 in Vollzug gesetzt ist, nach welcher
Opium überall gleiche Abgaben zahlt, versorgt sich das nördliche Tschekiang über
das benachbarte Schanghai und nicht mehr über Ningpo. Doch wurden 1889
wieder 3611 qOpium eingeführt, weil der Staat und die Opiumgilde dem
Opiumhandel grosse Erleichterungen zutheil werden liessen.
Importirt werden ferner Baumwollstoffe (1889 718.950 Stück), Eisen, Zinn
in Platten (15.435 q), Zündhölzchen (275.304 Gross) aus Japan, Deutschland und
Schweden, dann in steigenden Mengen Petroleum.
In der Einfuhr von fremden Zucker concurriren die Dschunken mit den
Dampfschiffen, ebenso wie in der Einfuhr einheimischer Producte.
Die Ausfuhr von Thee (1889 95.826 q) umfasst beinahe nur grünen Thee. Von
Binsenmatten wurden 1889 1,199.575 Stück, von Hüten aus Binsen 1889 6,291.275,
1888 14,213.105 Stück, von Papierfächern 1889 2,064.783 Stück ausgeführt. Roh-
baumwolle geht auch auf Dschunken nach Japan. Wichtig sind noch Medicinen
und Tintenfische.
Der Nettowerth des Handels erreichte 1890 13,069.415, 1889 12,674.040
Hk. Tls.
[433]Chinesische Häfen.
Im Schiffsverkehre, der 1889 auf 1126 Schiffe europäischer Bauart und
771.789 T angegeben wird, beherrschen seit Jahren die Dampfer der engli-
schen Indo-China Steam Navigation Cy. und der China Navigation Cy. die Frachten
und vermittelten 1888 den Verkehr von 157.033 Passagieren. Jetzt verkehren auch
Schiffe der Formosa Trading Cy.
Südliche Häfen.
Die südchinesischen Häfen bilden eine eigene Gruppe im Ver-
kehre des chinesischen Reiches. Jeder derselben besitzt sein abgegrenztes
Hinterland, in welchem er die Concurrenz eines anderen Hafens nicht zu
fürchten hat, ihre ausländischen Waaren beziehen sie von Hongkong,
und die Auswanderer, welche von ihnen aus die hinterindische Insel-
flur, Siam und die Straits Settlements aufsuchen, sind die Veranlassung
eines immer grösser werdenden Handels nach diesen Gegenden.
Nur für den Bezug inländischer Waaren ist man vielfach auf
das Yangtsegebiet angewiesen.
Wentschon, der nördlichste dieser Plätze hat nur geringe
Bedeutung für den Handel.
Futschou.
Futschou (Foochow), die Hauptstadt der Provinz Fokien
(Fukian) liegt auf 26° 02′ nördlicher Breite und 119° 20′ östlicher
Länge an der Nordseite des Flusses Min, in einer Ebene, die von
malerischen bewaldeten Hügeln umgeben ist, 55 km vom Meer und
14·5 km von der Insel Pagoda entfernt, wo die fremden Schiffe vor
Anker gehen. Bei der zunehmenden Seichtigkeit des Flusses können
nur ganz leichte Schiffe an die Stadt herankommen.
Ueber den Fluss führt eine 300 m lange Brücke, die längste
in China, auf vierzig Pfeilern und mit kolossalen, bis zu vierzehn
Meter langen Steinplatten belegt.
Der Hafen wurde schon 1842 dem Handel eröffnet, gelangte
jedoch erst 1853 zu einer Bedeutung, als die Firma Russell \& Comp.
von dort Thee direct nach Europa und Amerika verschiffte.
Seitdem ist Futschou einer der ersten Theemärkte Chinas, zu-
gleich berühmt durch Schnitzereien von kleinen Pagoden u. s. w. aus
Speckstein, künstliche Blumen u. s. w. Die Stadt zählt 636.000 Ein-
wohner, besitzt ein Seearsenal, wo auch Kanonenboote gebaut werden,
eine Schiffswerfte, und seit 1877 eine Telegraphenschule. Sie ist Sitz
von vier evangelischen und einer katholischen Mission; die Domini-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 55
[434]Der grosse Ocean.
kanerinnen unterhalten ein Spital für Findlinge. Die English Church
Missionary Society entfaltet die umfangreichste Thätigkeit.
Durch Entwerthung und stetige Abnahme der Ausfuhr des Thees ins Aus-
land hat seit 1888 der Gesammtwerth des Handels einen grossen Rückschlag er-
fahren. Er betrug in Hk. Tls.
Die Einzelangaben der Einfuhr sind die des Bruttowerthes.
In diesem Hafen sind von ausländischen Baumwollstoffen T-cloths (1890
213.378 Stück) mehrfach wichtiger als Shirtings (78.802 Stück). Von Metallen
sind Blei und Zinn sehr wichtig.
Auf dem Markte für fremdes Opium, dessen Umsatz (1890 3138 q) auch
hier sinkt, kommen neben den indischen Sorten auch die theueren persischen
und türkischen zum Verkauf. Von anderen Artikeln ist nur Petroleum hervorzuheben.
Die Einfuhr von einheimischem Reis wechselt sehr nach der Höhe
der Ernte der Provinz (1890 196.300 q, 1886 265.000 q). Präparirter Tabak, Roh-
seide und Seidenwaaren, Fächer und Matten folgen an Wichtigkeit.
Thee ist der einzige wichtige Artikel der Ausfuhr, für die er drei Viertel
des Werthes liefert: 1890 277.837 q Thee und 25.424 q Ziegelthee, welcher von
russischen Firmen erzeugt und über Tientsin nach Sibirien gesendet wird; 1887
wurden ausgeführt 374.810 q Thee und 56.458 q Ziegelthee.
Aus seinen Hauptabsatzgebieten Australien, Neuseeland, Capland, den Ver-
einigten Staaten, Canada, England wird er immer mehr von Indien und Ceylon
verdrängt.
Der Schiffsverkehr erreichte 1890 579 Dampfer mit 503.521 T, 76 Se-
gelschiffe mit 31.716 T, zusammen 655 Schiffe mit 535.237 T, 1889 645 Schiffe
mit 520.212 T; vertreten sind die britische Flagge durch zahlreiche Dampfer-
gesellschaften (Canadian Pacific Steamship Cy., Ocean Steamship Cy., China
Navigation Cy., Glen-Line, Shire-Line, Ben-Line, Gibb-Line, China and Australian
Strs., Eastern and Australian S. S. Cy), die chinesische (China-Merchants S. N. Cy.,
Shanghai Mutual St. N. Cy.), die amerikanische und die deutsche Flagge (Ham-
burger Rhederei-Gesellschaft). Passagiere wurden von und nach Futschou 23.141
befördert.
In der Nähe von Futschou sind Landungsstellen der Kabel der Eastern
Extension Cy., der Great Northern Telegraph Cy., welche Anschluss an den kaiser-
lichen Telegraphen haben. In Futschou besteht eine Handelskammer. Wir finden
hier die Chartered Bank of India, Australian and China und die Hongkong and
Shanghai Banking Corporation.
Amoy.
In Amoy, das einen der besten und grössten Häfen an dieser
Küste hat, entstand schon 1544 eine portugiesische Niederlassung, die
aber später angeblich wegen der Grausamkeit der Europäer gegen
[435]Chinesische Häfen.
die Eingeborenen gesperrt wurde. Den Portugiesen folgten Engländer
und Holländer und als 1730 alle chinesischen Häfen (ausgenommen
Canton) den Schiffen versperrt wurden, durften doch noch die Spanier
wegen der Handelsbeziehungen Chinas zu den Philippinen hier Handel
treiben. Doch landeten auch die Schiffe anderer Nationen. Im Jahre
1842 wurde Amoy Tractathafen. Die schmutzige Stadt liegt an einer
pittoresken Bai der Insel Haimun, welcher zahlreiche kleinere Eilande
vorgelagert sind, während im Hintergrunde der Stadt kahle Berge
aufsteigen.
In der Stadt und den Vorstädten wohnen 300.000 Einheimische
und 280 Ausländer, in der Stadt allein 96.000 Menschen. Es er-
scheinen zwei Blätter in englischer Sprache, und ein Seemanns-Ho-
spital zeigt die Bedeutung des Hafens. Drei evangelische und eine
katholische Mission, sowie spanische Dominikanerinnen, welche ein
Findlings-Hospital unterhalten, wirken für die christliche Sache.
Amoy ist für den europäischen und chinesischen Verkehr ein ganz wichtiger
Handelsplatz geworden, welcher im Jahre 1889 in der Grösse seines Tonnenver-
kehrs nur von Schanghai übertroffen wurde.
Die ausländischen Waaren erhält es von Hongkong, von Singapore und den
Punkten der Malakkastrasse; Formosa und Schanghai senden einheimische Waaren
hieher, und die Vereinigten Staaten von Amerika, Singapore, Pulo-Penang und
Malakka, die Philippinen, Java und Hongkong nehmen dieselben auf. Von hier
geht Zucker nach Tientsin und Niutschuan.
Zahlreiche Schiffsverbindungen bestehen mit Hongkong, Schatou, Futschou,
Formosa, Manila und in die Malakkastrasse. Amoy ist Einschiffungsplatz
für die kräftigen Kulis der Provinz Fokien, die namentlich in alle Länder an den
Küsten des grossen Oceans und nach Hinterindien auswandern. Die Dampfer führten
1889 123.038 chinesische Passagiere, 87.414 entfielen auf den Verkehr mit den
Gebieten an der Malakkastrasse, 20.902 auf Manila. Im selben Jahre zahlte ein
Kuli nach Singapore, die Verpflegung eingeschlossen, 4·93 Dollars.
Da der Hafen einen starken Reexport hat, so ist der Bruttowerth des
Handels um mehr als ein Viertel grösser als der Nettowerth.
Der Handel von Amoy betrug in Hk. Tls.:
In der Einfuhr von Amoy ist Opium von Benares die wichtigste Sorte
(1889 netto 3559 q); von hier aus wird Formosa damit versorgt.
55*
[436]Der grosse Ocean.
Dem Werthe nach folgen Baumwollwaaren und unter diesen weisse Shir-
tings und Cloths; die Einfuhr indischer Baumwollgarne war 1889 auf 30.737 q
gestiegen. Von den Metallen hat Zinn einen grösseren Werth als alle anderen
zusammengenommen.
Zu nennen sind ferner rohe Baumwolle aus Indien, Ginseng und Lebens-
mittel, da Fokien dicht bevölkert ist, getrocknete Fische aller Art, amerikanisches
Mehl, Reis und Weizen. Auch Petroleum und europäische Zündhölzchen sind her-
vorzuheben. Petroleum kommt in Segelschiffen aus New-York.
Es versteht sich von selbst, dass in der Einfuhr einheimischer Pro-
ducte die Nahrungs- und Genussmittel, wie Bohnen, getrocknete Fische und See-
producte aller Art, Reis, Weizen, Tabak und Vermicelli sehr wichtig sind. Ausser
diesen sind zu nennen: Bohnenkuchen, Lilienblüthen, rohe Baumwolle, Sesamsaat
und Seidenwaaren.
Die Höhe der Ausfuhr von Amoy wird hauptsächlich durch den Gang
des Theegeschäftes bestimmt. Dieses beruht heute auf dem Reexport von
Tamsui-Thee aus Formosa, welches den grössten Theil seiner Ernte hieherschickt.
Amoythee ist übrigens in letzter Zeit unbeliebt geworden, und in wenigen
Jahren dürfte keiner mehr ausgeführt werden. Theeausfuhr 1889 96.738 q, 1888
110.425 q. Die Hauptsorte ist Oolongthee, der Absatz geht besonders in die
Vereinigten Staaten, über San Francisco und Vancouver, dann nach Hongkong,
Singapore, Java, Grossbritannien.
Mit Zucker (1889 154.012 q) werden von hier aus die nordchinesischen
Häfen Niutschuan, Tientsin, ferner Tschifu und Schanghai versorgt.
Die kleineren Artikel der Ausfuhr sind Papier, Grasscloth, Hanf (Ramié)
und Hanfsäcke, ordinäres Porzellan, Blättertabak und Vermicelli.
Der Schiffsverkehr von Amoy umfasste:
Die wichtigsten Flaggen sind die britische (1889 83 %), die chinesische,
die deutsche, die spanische und die amerikanische.
In Amoy laufen an die Dampfer der Canadian Pacific Steamship Cy., Occi-
dental and Oriental Pacific Mail Cy., Ocean Steamship Cy., Eastern and Australian
Steamship Cy., Indo-China St. N. Cy., Glen-Line, Ben-Line, Netherlands India
S. N. Cy., spanische Schiffe, Deutsche Rhederei-Gesellschaft von Hamburg, China
Navigation Cy., China Merchants S. N. Cy., Formosa Trading Cy. und andere.
Amoy ist Station der Great Northern Telegraph Cy. und der kaiserlichen Tele-
graphenverwaltung, Sitz einer Handelskammer und von Agentien der Banken:
Chartered Mercantile Bank, New Oriental Bank Corporation, Hongkong and Shanghai
Banking Corporation. Chartered Bank of India, Australia and China.
Hier unterhalten Consulate: Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich,
Grossbritannien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Schweden und Nor-
wegen, Spanien, Vereinigte Staaten von Amerika.
Tamschui (Tamsui), das an der Nordspitze der fruchtbaren Insel Formosa,
das ist der „Schönen“, liegt, wie sie die Portugiesen nannten, sendet den grössten
[437]Chinesische Häfen.
Theil des schwarzen Thees (1889 99.130 q), der auf den Hügeln in der Umge-
bung der Stadt gebaut wird.
Dagegen geht die Ausfuhr von Zucker (1889 344.600 q) des Hafens
Takao (Takow) an der Südspitze Formosas direct nach Japan und den nord-
chinesischen Häfen und die von Kampfer nach Hongkong.
Schatou.
Schatou (Swatow), im Nordosten der Provinz Kwangtung,
liegt unter 23° 21′ nördlicher Breite, 116° 39′ östlicher Länge am
linken Ufer der Mündung des Flusses Han. Seit 1860 dem auswär-
tigen Handel eröffnet, wurde Schatou alsbald Sitz des gewinnbrin-
genden Kulihandels, denn anders kann man die organisirte Aus-
wanderung der fleissigen und sparsamen Einwohner dieser übervöl-
kerten Provinz nicht nennen. Jetzt ist durch strenge gehandhabte
Gesetze dem gewaltthätigen Treiben der Coolie-Brokers ein Ende ge-
macht. Nirgends in China waren eben wegen dieser Abart von Sklaven-
händlern die Fremden mehr verhasst, wie hier.
Die enggebaute Stadt zählt 32.500 Einwohner. Sie beherbergt
zwei evangelische und eine katholische Mission.
Um den Bedürfnissen des rasch steigenden Handels genügen zu
können, hat man dem Wasser bereits 11 ha Grund abgewonnen und
dort neue Magazine erbaut.
Einen grossen Fortschritt bedeutet für die Stadt die am
10. Jänner 1891 erfolgte Eröffnung der regelmässigen Fahrten von
chinesischen Personendampfern, die den Hanfluss aufwärts nach
Tschaotschou (15 km) und Kitjang (61 km) passiren.
Schatou geniesst den Ruf eines gesunden Klimas, was an der
chinesischen Küste sehr selten ist. Leider nehmen die verheerenden
Typhons der Strasse von Formosa öfter ihren Weg über Schatou.
Der Handelsverkehr von Schatou betrug in Hk. Tls.:
Schatou treibt nur einen ganz kleinen Reexport; seine fremden Waaren
bezieht es über Hongkong, das von hier in 15—20 Stunden zu erreichen ist.
Im Jahre 1890, in welchem keinerlei Unglücksfälle das Handelsgebiet von
Schatou heimsuchten, bietet der Handel ein normales Bild. Die Einfuhr von
Opium (1890 4.692 q, 1887 3.869 q) steigt, wie in ganz Südchina, die von Baum-
wollwaaren erreichte 1890 479.857 Stück und weisse Schirtings und T-cloths sind
die wichtigsten Gattungen derselben. Die Garneinfuhr (1890 77.591 q) besorgt meist
Indien, das mit China die Silberwährung gemein hat. Die Garne werden in Hoing-
[438]Der grosse Ocean.
ning verwebt, das auch indische Rohbaumwolle bezieht. Von Mineralien sind
Zinn und japanische Kohle (1890 32.000 t) wichtig. Japan liefert ausschliess-
lich die Zündhölzchen (293.198 Gross).
Zu der Einfuhr der einheimischen Waaren liefern Bohnenkuchen,
die als Dünger auf die Zuckerfelder geführt werden, Bohnen und Erbsen
aus Niutschuan, Tschifu und Hankou die Hälfte des Werthes.
Wichtig sind ferner Reis (1890 438.700 q), Weizen (88.670 q), Hanf und
rohe Baumwolle.
Den Stock der Ausfuhr bildet Zucker, der nach Nordchina und über
Schanghai in die Yangtsekiang Häfen versendet wird. Ausfuhr 1890 902.613 q,
für 1891 wird eine weitere Steigerung erwartet.
Als wichtige Ausfuhrartikel führen wir noch an präparirten Tabak, Papier‘
namentlich Josspapier, Baumwollwaaren und Grasscloth.
Von den Fabriksunternehmungen der Stadt wirft die Bohnenkuchen
fabrik bedeutenden Gewinn ab; eine grosse Zuckerraffinerie wurde nach kurzem
Betriebe geschlossen.
Die Kuliauswanderung bildet eine wesentliche Grundlage des Schiffsver-
kehres. Sie erreichte 1889 mit 77.317 Auswanderern ihren Höhepunkt. Gegenwärtig
suchen die Holländer für ihre Tabakpflanzungen in Deli (Nord-Sumatra) Kuli
zu gewinnen. Zu diesem Ende wurde die neue Dampferlinie Schatou-Deli errichtet
und schiesst den Arbeitern das Reisegeld vor („credit ticket“ System). Die Rück-
wanderung brachte 1889 57.462 Chinesen zurück.
Die britischen Schiffe besorgen mehr als neun Zehntel dieses Verkehres; in
den Rest theilen sich chinesiche und deutsche Schiffe (Hamburger Gesellschaft
Schatou). Schatou ist Station des kaiserlichen Telegraphennetzes.
Der Schiffsverkehr von Schatou umfasste:
Canton.
Im östlichen Deltaarme des Perlflusses (Sikiang oder Tschukong)
liegt am rechten Ufer 80 Seemeilen stromaufwärts in der Provinz
Kwangtimy Canton (chinesich Kwangtschoufu), die meistbevölkerte
Stadt Chinas.
Der Perlfluss ist trotz der grossen Schlamm-Mengen, die er mit
sich führt und die er an vielen Stellen des weit verzweigten Flussge-
bietes zur Ablagerung bringt, noch immer für grosse Dampfer bis
über Canton hinauf in mehreren Zweigarmen schiffbar, von welchen
der Whampoa-Canal und die Blenheim-Passage die bedeutendsten sind.
Für grössere Segelschiffe ist die Navigation auf dem Flusse wegen
der starken Strömung und der vielfachen Krümmungen der Flussrinne mit
solchen Schwierigkeiten verbunden, dass von ihnen zumeist Whampoa,
[439]Chinesische Häfen.
ein unterhalb Canton gelegener Ort, als Ankerplatz gewählt wird
Fortificationen der verschiedensten Systeme, die oft mit wenig Ver-
ständniss für moderne Kampfmittel gewählt scheinen, sind an ein-
zelnen Punkten des Flusses errichtet. Die Bocca-Tigris, von welcher
an der Fluss ein mehr abgeschlossenes und im Profil regelmässigeres
Bett aufweist, ist mit Werken bespickt, welche wohl im Stande sind,
einem Vordringen in den Fluss bedeutenden Widerstand entgegen-
zusetzen.
Gewitzigt durch die Erfahrungen des Opiumkrieges, in welchem
die Engländer die Passage erzwungen haben und die Besetzung Cantons
durch feindliche Truppen in Aussicht stand, hat man der Befestigung
dieses Punktes neuerdings besondere Beachtung gewidmet.
Stromaufwärts von der Bocca-Tigris stösst man auf eine Reihe
von Barricaden und Flussperren, die, obgleich der gelegentlich der
Tonkingaffaire losgebrochene Conflict mit den Franzosen schon längst
beigelegt ist, noch nicht entfernt sind und für die Schiffahrt unlieb-
same Hindernisse bilden.
Dampfer, welche einen grösseren Tiefgang als 11 Fuss 6 Zoll
besitzen, können vor Entfernung der den Hauptfluss schliessenden
Sperre gar nicht nach Canton hinaufkommen, sondern müssen in
Whampoa bleiben.
Das Leben auf dem Flusse ist im Bereiche Cantons ein äusserst
reges. Wenn auch die imposanten Flussdampfer der grossen Ströme
civilisirter Länder gänzlich fehlen und grosse Hochbordschiffe
nur in wenig Exemplaren vertreten sind, so ist in anderer Weise
reichlich für die Bedürfnisse des Verkehres gesorgt.
Schwerbeladene Dreimast-Dschunken, die ihrem Fassungsraum
nach grösseren Segelschiffen wenig nachstehen, laufen unter kurzen
Segeln bedachtsam ihrem Bestimmungsorte zu; bis zum Monsoons-
wechsel sind sie hier festgebannt, da ein Aufkreuzen gegen den Wind
bei ihrer plumpen Bauart verlorene Mühe wäre. Zwischen ihnen
durch tummeln sich kleinere, für die Küstenfahrt bestimmte Dschunken,
und eine Unzahl von Booten, welche den Verkehr besorgen.
Nur bei Berücksichtigung der etwas beschränkten Begriffe der
Chinesen über Raumverhältnisse wird es möglich, sich eine Vorstellung
über die Zahl von Passagieren zu machen, welche diese Boote an
Bord aufnehmen. Aus den kleinen im Mittelaufbau eingeschnittenen
Lichtlucken sieht Kopf an Kopf hervor; dies macht dabei den Ein-
druck, als sei es nicht Neugierde und nicht das Begehren nach
frischer Luft, das die Eigenthümer der Köpfe dazu bewegt, sie in
[440]Der grosse Ocean.
der etwas unbequemen Weise ins Freie zu strecken, sondern vielmehr
die Unmöglichkeit, einen anderen Platz für sie zu finden. Als Ver-
treter der Macht gegen die im Flussgebiete zuweilen noch heutzutage
mit Erfolg erscheinenden Piraten figuriren einige Kriegsdschunken,
die durch ihre grosse Zahl von Geschützen und den reichlichen
Schmuck von Flaggen und Wimpeln auffallen, deren Bedeutung dem
Fremden ein Räthsel bleibt.
Die Stadt Canton hat noch gegenwärtig ihren rein chinesischen
Charakter in ausgesprochener Weise beibehalten. Die Doppelthürme
der im Weichbilde der Stadt stehenden katholischen Kirche, welche
alle übrigen Bauwerke bei weitem überragen und daher den ankom-
menden Schiffen zuerst in Sicht kommen, heben sich von dem wohl
ausgebreiteten, aber in seiner Gleichförmigkeit unansehnlichen Bilde ab,
das die Stadt dem Beschauer zeigt. Sowie die meisten chinesischen
Städte, wird auch Canton von einer, wegen der grossen Ausbreitung
der Stadt fast 10 Kilometer langen Ringmauer umgeben. Chine-
sischen Angriffswaffen gegenüber ist diese Mauer, in Verbindung mit
dem vorliegenden und theilweise unter Wasser stehenden Festungs-
graben ein ausreichender Schutz für die Stadt, da sie fast durch-
gehends über 12 m hoch und auf der an 7 m breiten Krone mit
zahlreichen durch eine crenelirte Brustwehr maskirten Geschützen be-
setzt ist. Modernen Angriffsmitteln aber würde sie umsoweniger einen
Widerstand leisten können, als der Zustand ihrer Geschütze ein
äusserst verwahrloster ist.
Der dem Flussufer zugekehrte Stadttheil führt den Namen Neu-
Canton und ist durch eine zum Flusse parallel laufende Mauer mit
breitem Wassergraben von der landwärts gelegenen, mehr als fünf Sechstel
des Gesammtareals einnehmenden alten Tartarenstadt geschieden. Zwölf
Thore, von welchen drei auf die letzterwähnte Scheidemauer und vier
auf die dem Flusse zugewendete Seite Neu-Cantons entfallen, ermög-
lichen den Verkehr.
Die Tartarenstadt und Neu-Canton sind in ihrem Wesen von
einander sehr verschieden, die erstere hat nur in ihrem südlichen
Theil durch die dichte Gruppirung von Bauten ein ausgesprochenes
Stadtgepräge, während der grösste Theil des von der Ringmauer um-
schlossenen Areals noch Ackerland ist. Grosse öffentliche Gebäude
und Anstalten nebst einer namhaften Zahl von Tempelbauten liegen
innerhalb desselben zerstreut. Sie kennzeichnen sich weniger durch
ihre Architektonik, als durch die Ausdehnung ihrer Anlage. Endlose
mit Pallisaden oder Mauerwerk abgeschlossene Gänge führen zu
[[441]]
Canton (Wasserstadt).
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 56
[442]Der grosse Ocean.
Höfen und Vorhallen, in denen zumeist eine grosse Zahl von Sol-
daten und Gesinde herumlungert, und von dort in die eigentlichen
Wohngebäude. Insoweit diese dem Fremden zugänglich sind, machen
sie fast ausnahmslos durch ihre ärmliche Einrichtung, die keine
sonderliche Reinlichkeit verrathenden Lehmböden und den Mangel
an hinreichend grossen Fensteröffnungen keinen angenehmen Eindruck.
Besonders hervorzuheben sind der Palast des General-Gouverneurs,
nahezu im Centrum der Stadt, das Confucius-Collegium, die Prüfungs-
halle, der Tempel der fünf Genien, der kaiserliche Tempel und die
Fünf-Stock-Pagode (Five Story Pagoda), die im nördlichen Theile der
Stadt, wo diese gegen die umgrenzenden Hügel ansteigt, und, wie man
erzählt, als militärische Beobachtungsstation errichtet worden ist. Der
Rundblick von ihr lohnt kaum der Mühe des langen und eintönigen
Weges, den man längs der Stadtmauer dahin zurückzulegen hat.
Immerhin aber überblickt man das Häusermeer Cantons, aus welchem
die hohen Flaggenmaste der öffentlichen Gebäude und die Thürme
der in nicht geringer Zahl vorhandenen Feuerhäuser hervortreten, und
erkennt die bedeutende Ausdehnung des mauerumgürteten, theilweise
brach liegenden Areals der Tartarenstadt, welches als Uebungsfeld
des in Canton zahlreichen Militärs dient. In der Nähe des Nord-
thores liegen auch die ausgedehnten Gebäude der 1889 errichteten
Münze, welche mehr Prägemaschinen besitzt als irgend eine andere
auf der Erde. Die von der Stadtmauer gegen Nord ansteigenden
Hügelhänge sind mit Grabstätten dicht besetzt, die in ihrer Ein-
förmigkeit und in Verbindung mit dem Mangel einer lebhafteren
Vegetation ein recht trauriges Bild bieten.
Neu-Canton ist die eigentliche Geschäftsstadt. Dichtgedrängt und
nur durch schmale, häufig kaum mannsbreite Gassenzüge getrennt,
stehen da grösstentheils aus Mauerwerk hergestellte Häuser, deren
Aeusseres nur kahle, selten mehr als ein Stockwerk hohe Wände
zeigt, oft in fast unglaublicher Unregelmässigkeit aneinandergereiht.
Die staunenswerth grosse Zahl von in den schreiendsten Farbentönen
gehaltenen Schildern und Tafeln, welche jedes Haus ausnahmslos an
der Vorderfront gegen die Strassenseite zu aufweist, die zumeist reiche
Ausstattung der das ganze Erdgeschoss des Hauses einnehmenden
Verkaufsläden und das geschäftige Treiben auf den Strassen, welches
durch das Schreien und Lärmen der Ausrufer und der in ständigem
Feilschen begriffenen Passanten in Verbindung mit einer schwülen,
von unsauberen Dünsten geschwängerten Luft geradezu betäubend
wirkt, nehmen die Sinne des Fremden derart gefangen, dass eine
[443]Chinesische Häfen.
eigentliche Betrachtung der Stadt wohl kaum möglich wird. Diese
würde übrigens schon aus dem Grunde wenig Erfolg bringen, weil
thatsächlich für das Auge des Fremden eine Strasse der anderen voll-
kommen gleicht und ihm nur der grössere oder geringere Aufwand in
der Ausstattung einzelner Verkaufsläden oder die für irgend eine
Strasse als Charakteristik dienende Häufigkeit eines Artikels, der in
den Geschäften ausgeboten wird, als Anhaltspunkt zu einer Orien-
tirung dienen kann.
An der dem Flusse zugewendeten Stadtmauer, in dem flachen, vom
Flusse angeschwemmten und durch zahllose Canäle durchkreuzten
schmalen Terrain, halb auf festem Boden, zum Theil auf Piloten
ruhend, steht Hütte an Hütte und an diese angeschlossen bis nahezu
in die Flussmitte die „Wasserstadt“, nämlich Boot an Boot neben
und hinter einander, manches darunter schon so altersschwach und
morsch, dass es wohl nicht wagen darf, sich vom Nachbar loszu-
trennen.
Jedes Boot ist Wohnsitz einer Familie, die hier ungestört
und unbekümmert um das Treiben der eng angeschlossenen Nach-
barn haust. Würde so ein Boot nicht zeitweilig als Brücke dienen,
über welche das feste Land zu erreichen ist, oder würde dessen An-
näherung im Momente hoher Fluth oder eines Sturmes nicht un-
leidlich, so möchte wohl eines dem anderen kaum Beachtung
schenken, trotz der langen Reihe von Jahren, seit sie Bord an Bord
liegen mögen. Während der Tagesstunden sind die Männer meist aus-
wärts auf Arbeit, nur Frauen und eine Schaar von Kindern bleiben
an Bord.
Die Mutter im Achterraum, auf dem Rücken das kleinste der
Kinder in einer Art von Rücksack, waltet aus Hausfrau und sorgt
für ihre Schutzbefohlenen im Mittelraum des Bootes, der mit ver-
schiebbaren halbcylinderförmigen Rotangdeckeln überdacht ist. Es ist
dieses ein bescheidenes Dasein, das in dieser Art nur ein Chinese
zu würdigen im Stande ist. Küche, Schlafstellen, ein Hausaltar und
selbst die kargen Vorräthe finden in diesem Mittelraum, der kaum
nach Spannen misst, ihren Platz.
Ganz schmale Canäle führen zwischen der Bootsflotte durch; nur
durch Ziehen, Stossen und Schieben kann sich hier ein Fahrzeug
einen Weg bahnen, wenn das vielstimmige, den Eindringling be-
grüssende Geschrei und Gekreische ihn nicht von seinem Vorhaben
abhält, das Flussufer etwa in dieser Art zu erreichen, wonach der
Insasse es vorzieht, den in diesem Falle minder umständlichen Weg
56*
[444]Der grosse Ocean.
über die anderen Boote hinweg zu nehmen. Die Einwohnerzahl Can-
tons wird noch immer auf 1·6 Millionen geschätzt; wenn man in Be-
tracht zieht, dass der bei weitem grössere Theil der alten inneren
Stadt nahezu unbewohnt ist, so kann man auf die immense Dichtig-
keit der Bevölkerung in dem den Fluss begrenzenden Stadttheile und
in der Wasserstadt schliessen.
Der östliche Theil der Wasserstadt hat gegenüber dem anderen
ein aristokratisches Aussehen; die Boote sind bedeutend grösser und
zeigen durch ihr Aeuseres, dass sie zu einem anderen Zwecke be-
stimmt sind, als um einer armen Familie zur Wohnung zu dienen.
Das Oberdeck dieser ihrer Form und Grösse nach unter die
Dschunken einzureihenden Boote trägt einen Glassalon, dessen Portal
mit kunstvollen Schnitzereien reich verziert ist. Das Innere des Salons
ist mit Spiegeln und Blumenguirlanden an den Wänden, mit Lustern
und Hängelampen an der mit Sculpturen versehenen Decke und mit
prunkvollem Möblement ausgestattet und zeigt Reichthum und Behag-
lichkeit.
In langen Reihen, die einen gewissen Anspruch auf Regel-
mässigkeit machen können, steht eines dieser Boote neben dem an-
deren; allgemeine Ruhe herrscht hier im Gegensatz zum Treiben in
der eigentlichen Wasserstadt. Diese „Blumenboote“ Cantons, denn mit
solchen haben wir es zu thun, haben ob ihrer prunkhaften Ausstat-
tung einen Ruf in der Welt des Zopfes. Sobald die Sonne unter dem
Horizont verschwindet, erglänzen diese Boote im unsicheren Lichte
einer grossen Zahl von vielfärbigen Lampions, die Reihen der Boote
lösen sich und unter den sanften Tönen einer Guitarre und dem Ge-
sang chinesischer Schönen gleiten die Boote vom Strom und von der
Abendbrise getrieben stromauf und stromab. Nur selten stiehlt sich
ein greller Lichtstrahl aus einer Spalte der dicht verhängten Fenster des
Salons oder der Ton freudigen Gelächters ins Freie und lässt errathen,
dass es im Innern dieser Boote fröhlich hergehe und dass den sonst
steifen Chinesen eine gewisse Leichtlebigkeit zuweilen doch nicht
ganz fremd sei.
Dem südlichen Theile Cantons vorgeschoben liegt auf der Fluss-
insel Schamien die Fremdenniederlassung; sie unterscheidet sich schon
in ihrem äusseren Anblick günstig von der eigentlichen Stadt. Gute
Uferbauten dämmen den Fluss ab, dichte Alleen laufen dem Haupt-
ufer entlang und bilden eine herrliche Promenade, breite, gut ange-
legte Wege durchziehen die Insel und theilen sie in Parcellen, deren
jede eine Gartenanlage darstellt und in der Mitte das Wohn- und
[445]Chinesische Häfen.
Amtshaus umfasst. Alle Bauten sind im Villenstyle aus solidem Mauer-
werk hergestellt und von dichten Kronen in reicher Zahl angepflanzter
Bäume beschattet. Die drei Brücken, welche die Verbindung der Insel
mit dem Festlande herstellen, stehen unter scharfer militärischer Be-
wachung, nachdem die friedliche Niederlassung häufig der Schauplatz
arger Ausschreitungen chinesischer Volksmengen gegen die Fremden
A Rothes Gebäude, B Grasbewachsene Hügel, C Strasse nach In Tang, D Aufenthaltsort der Aus-
sätzigen, E Paradeplatz, F Leuchtfeuer, G Heim der alten Frauen, H Heim der alten Männer, J Heim
der Blinden, K Findelhaus, L Tempel, M Pagode, N Stadtthor, O Gräber, P Teich, Q Ansiedlung der
Europäer, R Reisfelder, S Vorstadt, T Stadtviertel der Kiha, U Stadtviertel der Manntschen, V Residenz
des Tartaren-Generals, W Residenz des Gouverneurs, X Glockenthurm, Y Pilotenhäuser, Z Zollamt,
I Riff, II Napierinsel, III Kupferinsel.
war und man chinesischerseits die Wiederholung solcher noch in
neuester Zeit vorgekommenen Fälle zu verhindern bestrebt ist.
Die Insel war früher eine Schlammbank, in den Jahren 1859 bis
1861 wurde hier mit einem Aufwande von 325.000 Pfund Sterling
fester Boden geschaffen und die Concession errichtet. Von den Kosten
trug die englische Regierung vier Fünftel, die französische ein Fünftel
bei, und in demselben Verhältnisse wurde der Grund und Boden
unter beiden Nationen getheilt. Der französische Theil der Concession
[446]Der grosse Ocean.
wird erst seit 1889 benützt, weil die Franzosen ein ausgedehntes
Terrain, angrenzend an den Yamen des Vicekönigs besitzen, wo auch
ihre obenerwähnte gothische Kathedrale steht.
Am linken Ufer des Flusses liegt der Stadt gegenüber die Insel
Honam; das Ufer ist dort ebenso wie die Insel vollkommen flach,
selbst am Horizont sind keine merklichen Bodenerhebungen zu sehen.
Häufige Baumgruppen, welche die einzelnen Häuser und Hüttenpartien
beschatten und verbergen, schützen das Bild vor allzu grosser Ein-
tönigkeit.
Den Europäer interessirt auch das schon genannte Wham-
poa, die „Bambusstadt“. Hier landeten die Portugiesen zuerst,
nachdem es ihnen gestattet worden war, mit den Chinesen Handel
zu treiben, und hier mussten durch Jahrhunderte alle Schiffe der
Fremden vor Anker gehen.
In den letzten Jahren ist Whampoa wieder der eigentliche
Hafen von Canton geworden, weil Schiffe, deren Tiefgang grösser als
10 Fuss bis 11 Fuss 6 Zoll bei rund 1000 Tonnen Ladung ist, nicht
nach Canton hinaufkommen können, bis die den Hauptfluss schlies-
sende Sperre hinweggeschafft ist. Die Kaufleute von Canton rechnen
darauf, dass dies noch vor Ablauf des Jahres 1891 der Fall sein
werde.
Für den Zeitraum aber, auf welchen sich unsere Darstellung
bezieht, muss man streng genommen von dem Hafen Canton-Wham-
poa reden.
In Whampoa finden wir ein kaiserliches Zollamt und ausgedehnte
Docks, die dem Staate gehören. Die Chinesen haben hieher auch
den Sitz einer See- und Militärakademie und eines Torpedo- und See-
minen-Departements verlegt.
Nach den Veröffentlichungen der Imperial Maritime Customs ist der
Handel von Canton im Laufe der letzten Jahre im Ganzen stationär geblieben,
trotzdem die Stadt ein fruchtbares und reiches Hinterland besitzt und mit
den Provinzen, deren Handel von ihr aus vermittelt wird, einen grossen Bedarf
an ausländischen Waaren hat.
Wir bemerken ferner, dass wegen der Nähe von Hongkong in der Ver-
mittlung des auswärtigen Handels unseres Hafens der Verkehr der Dschunken, die
nicht vor dieselbe Zollbehörde gehören, wie die fremden Schiffe, eine grössere Be-
deutung besitzt, als in einem anderen Vertragshafen von China. Das zeigt sich zu-
nächst in dem geringen Umfange der Wiederausfuhr, so weit diese durch ausländische
Fahrzeuge vermittelt wird. Die an und für sich nicht grossen Schwankungen zwischen
den einzelnen Jahren können auch davon herrühren, dass die chinesischen Kaufleute
in dem einen Jahr ihre Waaren mit den Dschunken befördern, deren Thätigkeit
in der unten aufgeführten Tabelle nicht enthalten ist, in einem anderen Jahre die
[447]Chinesische Häfen.
Benützung der Schiffe fremder Bauart vorziehen. Die wirkliche Grösse des Han-
dels von Canton kann man nur ermessen, wenn man auch den Verkehr der Zoll-
stationen Chinesisch-Kanlung und Lappa ins Auge fasst und des grossartigen
Schmuggels gedenkt, der hier getrieben wird. Uebrigens ist es unzweifelhaft, dass
der Handel mit einheimischen Waaren in Canton einen hohen Grad der Blüthe
erreicht hat.
Die directe Einfuhr fremder Waaren ist verhältnissmässig gering, der
Schwerpunkt des ganzen Geschäftes liegt in Hongkong, von wo die Waaren auf
Dschunken direct nach Canton und ins Innere gelangen. Das Recht der Einfuhr
unter Transitopässen ins Innere wird wegen der vielfachen Widerwärtigkeiten
mit den Likinbehörden nicht benützt.
Der Kleinhändler von Canton bezieht die fremden Waaren in kleinen
Posten von dem grösseren Hongkongkaufmann und nützt dabei das unter chine-
sischen Kaufleuten gebräuchliche, ihm sehr günstige Creditwesen aus; die in Hong-
kong gekauften Waaren werden dann auf Dschunken nach Canton gesendet, weil
im Dschunkenzollamte der Einfuhrtarif im allgemeinen niedriger ist als im Schiffs-
zollamte. Auch liegt die Vermuthung nahe, dass die chinesischen Kaufleute hier
wie in anderen Plätzen Mittel und Wege finden, damit sie nicht den vollen Ein-
fuhrzoll für ihre Waaren bezahlen müssen. Ganz anders stellen sich die Spesen,
wenn ein Chinese ausländische Waaren von fremden Firmen bezieht, die in Can-
ton ansässig sind, denn diese empfangen die Güter mittelst Dampfer und erlegen
den richtigen Einfuhrzoll.
Seit die Dampfer nicht in Canton selbst landen können, gewöhnen sich
die Chinesen mehr und mehr daran, ihre Waaren auf Dschunken nach Hongkong
zu befördern und dort auf die verschiedenen Dampfer zu verladen. Für die
grössere Mühe, die sie aufwenden müssen, werden sie durch die Ersparniss an
Zoll entschädigt.
Auch von einem eigentlichen Cantonfrachtengeschäfte kann nur in ge-
ringem Masse die Rede sein; alle Charters für Dampfer, welche nach Canton
kommen, werden in Hongkong abgeschlosen, und wie eben erwähnt, werden dort
die für Europa und Amerika bestimmten Waaren verladen.
Für Canton kommt überhaupt nur die Küstenschiffahrt in Betracht. Nichts
charakterisirt die Handelsstellung unseres Hafens deutlicher, als die Thatsache, dass
1889 fünf Siebentel der Gesammttonnenzahl seines Schiffsverkehres gebildet
wurden durch die sechs zwischen hier und Hongkong, bezw. Macao täglich ver-
kehrenden Flussdampfer, von denen einer (der Macaodampfer) unter chinesischer
Flagge (berechnet mit 57.000 Reg.-T.), die andern unter britischer Flagge fuhren.
Der Verkehr der eigentlichen Seedampfer ist nach Schanghai und den nörd-
lichen Häfen gerichtet.
In den letzten Jahren ist Canton auch in dem Verkehre mit seinem Hinter-
lande bedroht durch die Erleichterungen, welche die französische Regierung der
Einfuhr nach China über die Landesgrenze von Tongking gewährt. Statt wie
früher über Canton, gelangen jetzt auf diesem Wege bedeutende Mengen von
indischem Baumwollgarn nach Yûnnan, Sz’tschwan und Kwangsi.
Zum Schlusse müssen wir noch von der bereits erwähnten grossartigen Münze
hervorheben, dass sie täglich 2 Millionen Stück Cash liefern kann. Auch Silber-
münzen werden hier geprägt, die China mit seinen 400 Millionen Einwohnern
[448]Der grosse Ocean.
bis heute noch nicht besitzt, so dass in den Küstengegenden ausländische Dollars
circuliren, während im Innern nur Barrensilber gangbar ist.
Der Nettowerth des gesammten Handelsverkehres von Canton belief
sich im Jahre 1890 auf 38,482.592 Hk. Tls., 1889 auf 39,573.117 Hk. Tls., 1888
auf 38,125.272 Hk. Tls., 1887 auf 37,314.157 Hk. Tls.
Von dem Verkehre des Jahres 1889, den wir für den folgenden Bericht
ins Auge fassen, entfielen auf die Ausfuhr 18,784.217 Hk. Tls., auf die Einfuhr
ausländischer Producte 10,828.391 Hk. Tls. und auf die Einfuhr einheimischer
Waaren 9,960.509 Hk. Tls.
Der Bruttowerth des Handels übertrifft den Nettowerth nur um Geringes,
er erreichte 1889 39,730.719 Hk. Tls.
Von der Ausfuhr Cantons gehen sieben Achtel aller einheimischen Waaren
nach fremden Ländern, d. h. nach Hongkong, ein Achtel wurde nach anderen
chinesischen Häfen verschifft.
Mehr als 50 % des Nettowerthes der ganzen Einfuhr fremdländischer
Producte liefert der Import von Opium. Im Ganzen importirte Canton 7,418 q
im Werthe von 5,759.150 Hk. Tls.
Dem Werthe nach an zweiter Stelle stehen Baumwollwaaren für
1,881.284 Tls. Von dieser Summe entfallen 1,384.984 Hk. Tls. (44.574 q) auf
Baumwollgarne indischer Provenienz, der Rest vertheilt sich auf verschiedene,
zumeist aus England stammende Stückgüter, wie Schirting, Drill, Sammt, feine
Hand- und Taschentücher.
Die Einfuhr von Baumwollstoffen geht zurück, die von Garnen und Roh-
baumwolle (29.285 q) steigt, weil die Chinesen aus fremden und einheimischen
Garnen Baumwollzeuge erzeugen, welche dauerhafter und billiger sind, als die
ausländischen.
Einen weit geringeren Werth, 86.591 Hk. Tls., repräsentiren Wollwaaren
Canton importirte ferner im Berichtsjahre für 319.954 Hk. Tls. Metalle
Mehr als zwei Drittel dieser Summe entfielen auf Blei, der Rest auf Eisen
Weissblech, Messingplatten und Quecksilber.
Bemerkenswerth in der Einfuhr Cantons ist, dass die übrigen fremdländi-
schen Industrieerzeugnisse in derselben keine nennenswerthen Ziffern verzeichnen.
Als die einigermassen wichtigeren sind zu bezeichnen: Anilinfarben im Werthe
von 88.350 Hk. Tls., Glaswaaren für 24.084 Hk. Tls., Streichhölzer (Japan) für
37.368 Hk. Tls.
Dagegen ist die Einfuhr verschiedener Rohproducte des Auslandes von
einiger Bedeutung.
Die Einfuhr von Mehl verzeichnete einen Werth von 263.856 Hk. Tls., und
der Import von Pilzen einen solchen von 124.822 Hk. Tls.
Aus dem Thierreiche ist hervorzuheben der Import von Tintenfischen im
Werthe von 523.825 Hk. Tls., ferner die Einfuhr von Rhinozeroshörnern im
Werthe von 127.590 Hk. Tls., Elefantenzähnen für 35.673 Hk. Tls., Pfauenfedern
für 29.009 Hk. Tls., Vogelnestern für 40.000 Hk. Tls., und getrockneten Schal-
thieren für 42.304 Hk. Tls.
In der Einfuhr einheimischer Waaren entfällt rund der vierte Theil
der Gesammtsumme auf den Import von Reis (Schanghai, Wuhu), der sich 1889
auf 1,107.680 q, im Werthe von 2,681.854 Hk. Tls. belief.
[449]Chinesische Häfen.
Als der nächststärkste Importartikel erscheinen Bohnen im Gewichte von
650.100 q und im Werthe von 1,571.069 Hk. Tls., und zwar schwarze, grüne,
weisse und gelbe Bohnen. Daneben gelangten für 46.519 Hk. Tls. Erbsen zur Einfuhr.
Die Einfuhr von roher Baumwolle betrug 119.639 Hk. Tls. und die von
Tabak 117.611 Hk. Tls.
Andere Importartikel des Pflanzenreiches sind: süsse Mandeln für 64.661 Hk.
Tls. Ginseng (einheimischer) für 76.638 Hk. Tls. und koreanischer Ginseng für
98.209 Hk. Tls., Sesamsamen für 124.403 Hk. Tls., Persim für 48.036 Hk Tls.
Lebhaften Antheil an diesem Importe nehmen verschiedene Oele, und zwar
Bohnenöl (269.004 Hk. Tls.), Erdnussöl (36.516 Hk. Tls.), Theeröl (27.067 Hk. Tls.)
und Sesamsamenöl (60.450 Hk. Tls.).
An Producten des Thierreiches ist zu nennen die Einfuhr von Hirsch-
hörnern im Werthe von 381.437 Hk. Tls., getrocknete Garnelen im Werthe von
134.296 Hk. Tls.
Stattliche Ziffern repräsentiren ferner in der Einfuhr: Rohe Seide (weiss)
im Werthe von 203.064 Hk. Tls., weisses und gelbes Wachs im Werthe von
99.485 Hk. Tls,
Der Import von Zinnober belief sich im Berichtsjahre auf 156.738 Hk. Tls.
Eine hervorragende Rolle spielt ferner der Import von Arzneien für
463.769 Hk. Tls.
Unter den Erzeugnissen chinesischer Industrie endlich, welche nach Canton
im Berichtsjahre importirt wurden, sind als die bedeutenderen zu nennen: Seiden-
waaren im Werthe von 1,142.892 Hk. Tls., einheimische Zeuge und Kleider für
348.164 Hk. Tls., Schuhe aus Seide und Baumwolle für 66.212 Hk. Tls., Bücher für
32.207 Hk. Tls., Teppiche für 31.977 Hk. Tls., Messing und Kupferwaaren für
30.000 Hk. Tls., Strohmatten für 34.757 Hk. Tls. und Pelzkleider für 22.557 Hk. Tls.
In der Ausfuhr Cantons nehmen Seide und Seidenwaaren weitaus die
erste Stelle ein. Es entfallen auf diese Exportgruppe mehr als 60 % der Ge-
sammtausfuhr. Es erscheint daher von Interesse, diesen wichtigen Theil in seiner
Zusammensetzung zu veranschaulichen. Im Berichtsjahre wurden ausgeführt
(1 Picul = 60·453 kg).
Nächst Seide kommen in der Ausfuhr die verschiedenen Producte des
Pflanzenreiches in Betracht.
Unter diesen zählt der Export von Thee (schwarz) im Werthe von
1,014.041 Hk. Tls. zu den bedeutendsten. Er hat übrigens hier wie in anderen
chinesischen Häfen seit Jahren einen Rückgang zu verzeichnen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 57
[450]Der grosse Ocean.
Es folgt dann die Ausfuhr von Zucker im Werthe von 372.000 Hk. Tls.,
ferner Tabak für 233.526 Hk. Tls., Cassia lignea für 49.200 Hk. Tls. und Gemüse
für 49.000 Hk. Tls.
Zu den wichtigsten Industrieerzeugnissen, welche Canton im Berichtsjahre
exportirte, gehören: Matten aus Rohr im Werthe von 679.000 Hk. Tls., Feuer-
werkskörper im Werthe von 473.542 Hk. Tls. und Glasarmbänder im Werthe von
391.028 Hk. Tls.
Andere Industrieerzeugnisse von einiger Bedeutung sind: Kleidungsstücke
aus Seide und Baumwolle im Werthe von 267.000 Hk. Tls., Messingknöpfe für
125.307 Hk. Tls., Papier für 146.121 Hk. Tls., Fächer aus Palmblatt und Papier
für 88.000 Hk. Tls., Porzellanwaaren für 50.000 Hk. Tls., Messingwaaren für
43.683 Hk. Tls., weisses Leder für 64.258 Hk. Tls., gelbes Leder für 39.184 Hk. Tls.,
Schuhe und Stiefel für 54.580 Hk. Tls. u. a. m. Arzneiwaaren wurden ausgeführt
für 108.583 Hk. Tls.
Canton ist ein hervorragender Industrieplatz; es ist Hauptsitz der
Seidenweberei und Seidenstickerei, der Baumwollweberei, hat eine ausgedehnte
Borten- und Schnürfabrication, Färberei und Appretur; Glasbläserei, Glas- und
Steinschleiferei werden eifrigst betrieben. Lackwaaren- und Papierfabrication stehen
auf hoher Stufe, ebenso die Elfenbeinschnitzerei und Möbelschreinerei. Die Metall-
und Porzellanindustrie beschäftigt in der Umgebung ganze Dörfer.
Der Schiffsverkehr von Canton umfasste:
Von der gesammten Tonnenzahl des Jahres 1889 entfielen auf britische
Schiffe 83 %, auf chinesische 10 % und auf deutsche 6·3 %. Die deutschen Schiffe
gehören zum grössten Theile der in Hamburg registrirten „Chinesischen Küsten-
fahrts-Gesellschaft“.
Die Segelschiffahrt geht auch in diesem Hafen zurück.
Der Passagierverkehr umfasste 1889 5655 Fremde und 904.835 ein-
heimische Personen.
Canton ist seit 1883 Station des kaiserlichen Telegraphen und steht auch
über Kanlong-Hongkong in Verbindung mit dem Welttelegraphennetze.
Der Bankverkehr geht über Hongkong. Die Hongkong and Shanghai Banking
Corporation ist in Canton vertreten.
Consulate haben daselbst: Deutschland, Dänemark, Frankreich, Gross-
britannien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Schweden und Norwegen und
die Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Um dem grossartigen Schmuggel zu steuern, den chinesische
Fahrzeuge in dem reich verzweigten Netze schiffbarer Wasserläufe
des Deltas des Perlflusses vermitteln, hat die chinesische Regierung
im August 1887 in (Chinesisch-) Kaulung an der Aussenseite des
Hafens von Hongkong und in Lappa gegenüber dem inneren Hafen
von Macao kaiserlich chinesische Seezollämter errichtet, welche dem
[451]Chinesische Häfen.
fremden Handel nicht geöffnet sind, dafür aber den Verkehr der
einheimischen Fahrzeuge controliren.
Aus dem Umfange des Handels dieser Plätze ersehen wir, welche
grosse Concurrenz die Dschunken den Dampfschiffen machen.
Der früher schon grosse Passagierverkehr hat 1889 eine bedeutende
Zunahme erfahren, weil die Provinzialbehörden gestattet haben, dass
Dampfbarcassen unter chinesischer Flagge auf den der fremden Schiff-
fahrt nicht geöffneten Gewässern der Provinz Kwangtung zum Tauen
von Passagierbooten verwendet werden dürfen. Dadurch ist die Schiff-
fahrt billiger, schneller und auch sicherer geworden, weil die umher
schwärmenden Piraten Bedenken tragen, sich an die wohlbemannten
und meistens gut bewaffneten kleinen Dampfschiffe heranzuwagen.
Wenn wir die Ziffern des Waaren- und des Personenverkehres
von Canton, Kaulung und Lappa zusammenfassen, so erhalten wir
ein annäherndes Bild des Verkehres der Umgebung einer chinesischen
Seestadt.
Verkehr von Kaulung und Lappa 1890 in Hk. Tls.
Der Handel dieser Plätze übertraf also 1890 um 10·5 Millionen Hk. Tls.
den in Canton durch fremde Fahrzeuge vermittelten.
In Kaulung ist Canton mit der Hälfte des Gesammtwerthes, in Lappa
mit 3 % betheiligt.
Zwischen Netto- und Bruttowerth besteht in diesen beiden Häfen kein
Unterschied.
Wir lassen uns auf den Handel dieser Orte im Einzelnen nicht ein und
heben nur hervor, dass fast nur über sie Canton und Umgebung ihr Petroleum
beziehen.
Der Schiffsverkehr erreichte 1889 in Kaulung ohne die Schiffe, welche
hier auf der Fahrt zwischen Macao und Hongkong landeten, 7086 Dampfer und
46.995 Dschunken, in Lappa 23.768 Dschunken, die Beförderung von Passagieren
in Kanlong 603.973, in Lappa 275.465 Personen.
Der Handel der Vertragshäfen Khungtschou (Kiungchou [Hafenplatz
Hoihou]) an der Nordseite der Insel Hainan, und von Pakoi (Pakhoi) am Golf
von Tongking ist nicht umfangreich.
57*
[[452]]
Hongkong (Victoria).
Vor der Mündung des Tschukiang oder Cantonstromes (Perl-
flusses) liegt eine Gruppe von Felseninseln, welche in früherer Zeit den
im ausgebreiteten Flussdelta hausenden Seeräubern und Schmugglern
unauffindbare Schlupfwinkel und Schutz vor Verfolgung boten. Unter
diesen Inseln ist Hongkong jetzt als eine Centralstation des ost-
asiatischen Handels von hervorragender Bedeutung. Die Insel, 17 km
lang und 2—4 km breit, wird durch einen massigen Gebirgsstock ge-
bildet, dessen hervorragendste Kuppe der im westlichen Theile an-
steigende 560 m hohe Victoria Peak ist. Ihre Küstenconfiguration ist
namentlich an der Südseite, wo mehrere tiefe Buchten einschneiden,
sehr unregelmässig und durchwegs steil ansteigend. Enge, oft
schluchtenartige Thäler und zahlreiche Wasserrinnen zwischen den
unregelmässig gelagerten Kuppen geben der Insel, die nahezu jeder
Vegetation entbehrt, ein steriles Aussehen.
Zwischen der Nordseite Hongkongs und dem Festland befindet
sich ein schmaler Canal, der sich am östlichen Ende zu dem kaum
500 m breiten Lyemoon Pass verengt und dann den seiner geschützten
Lage wegen vielfach gerühmten Hafen von Hongkong bildet, welcher
vor der Stadt Victoria liegt. Der Ankergrund ist in dem etwa sechs
Seemeilen langen und in seiner Breite von einer bis drei Seemeilen
wechselnden Hafen durchgehends vorzüglich zu nennen; Untiefen oder
Riffe sind nur in geringer Zahl nahe der Strandlinie und in genau
gekennzeichneten Positionen vorhanden, so dass sie keinerlei Hinderniss
für die Schiffahrt bilden. Steile Hügel, die jetzt von dem Gouverne-
ment aufgeforstet werden, begrenzen nach allen Seiten den Ausblick.
Ausgedehnte Quai-Anlagen umsäumen den grössten Theil des
nördlichen Inselufers und bieten den verschiedenen Handelsschiffen
die Möglichkeit, sich bis dicht unter Land zu holen. Die Küste der
Halbinsel Kaulung (englisch Kowloon), welche die Nordseite des
Hafens abschliesst, beherbergt eine Zahl von Schiffahrts-Etablissements,
[[453]]
Hongkong.
[454]Der grosse Ocean.
Werften und Docks, welche allen Bedürfnissen der Oceanschiffahrt
volle Rechnung tragen und in ihrer Ausdehnung mit ähnlichen An-
lagen in den grossen europäischen Seehäfen wetteifern können.
Eine Sternwarte und eine meteorologische Beobachtungsstation, die
in diesen Gegenden der häufigen Typhone wegen von besonderer
Bedeutung ist, hat hier Platz gefunden und gibt durch Wettersignale
den Schiffern gute Anhaltspunkte für die Sicherung der Schiffe so-
wohl im Hafen, als auch für die Navigation im chinesischen Meere.
Wichtig wurde für die Station die telegraphische Verbindung
mit Manila, aus dessen Gegend viele dieser Drehstürme kommen, die
jetzt telegraphisch angemeldet werden können.
Hongkong ist Kroncolonie und wurde, wie schon erwähnt, im
Jahre 1841 an die englische Regierung abgetreten. Auf der vorher voll-
kommen öden Insel hat englische Energie und Thatkraft in richtiger Er-
kenntniss der Bedeutung derselben durch die Schaffung eines grossen,
allen fremden Nationen zugänglichen Hafens an der nahezu abge-
schlossenen Küste des reichen China binnen wenigen Jahren Ein-
richtungen getroffen, welche Jedermanns Staunen wachrufen müssen.
Die Gründung der Stadt Victoria, der Ausbau des Hafens und die
Vereinigung der den Handel kräftigenden Elemente sind Leistun-
gen, die ihres Gleichen suchen, aber dabei jedenfalls auch den ange-
strebten Zweck vollkommen erfüllen. Ein Blick auf das rege Leben
im Hafen, wo Dampfercolosse aus aller Herren Länder sich ab und
zu bewegen, wo ein Heer von Küstenfahrern rastlos sich umhertreibt
und wo Ruhe ein ganz unbekannter Begriff scheint, lässt sofort er-
sehen, dass die vielverzweigten Fäden des ostasiatischen Handels
hier zusammenlaufen.
An der Nordseite der Insel, dem Hafen directe zugewendet,
liegt die Stadt Victoria, welche von der See aus am steilen Hange
des durch eine Bergbahn zugänglichen Victoria Peaks terrassenförmig
emporsteigt und mit ihren zumeist palastartigen Bauten ein Bild des
Reichthums und der Solidität der Stadt gibt. Wer die Stadt bei
Nacht vom Wasser aus sieht, wenn die Plätze und Häuser ihrer 7 km
langen Front reich beleuchtet sind, wird diesen Anblick nie vergessen.
Der günstige Eindruck verschwindet nicht, wenn man gelandet
hat. Grosse Gebäude, alle nahezu in ähnlichem Style gehalten, mit
weiten Bogengängen im Erdgeschosse und hohen Bogenfenstern in
den Stockwerken stehen in regelmässigen Reihen neben und über
einander; zwischen ihnen befinden sich Gärten und Parkanlagen,
welche durch die Reichhaltigkeit und Ueppigkeit der Vegetation, in
[455]Hongkong.
der tropische Gewächse mit Kindern unserer heimischen Flora ab-
wechseln, auf das Auge des Beschauers um so wohlthuender wirken,
als die umliegenden Berghänge nur kahle Felswände zeigen.
Hongkong (welcher Name oft auch für die Stadt Victoria ge-
braucht wird) ist ein Muster von Reinlichkeit und Ordnung; breite
Strassen, die zum grössten Theil mit Cementschichten überzogen sind,
laufen der Strandlinie parallel und terrassenartig übereinander durch
die ganze Stadt; sie werden durch Quergassen in reichlicher Zahl
und in regelmässigen Intervallen unterbrochen.
Nur in den westlichen, der Ansiedlung der Chinesen überlassenen
Stadttheilen sind von der grösseren Steigung des Terrains verursachte
Unregelmässigkeiten in den Strassenzügen eingetreten. Abgesehen von
der Praya, an welcher naturgemäss alle mit dem überseeischen Handel
in directer Beziehung stehenden Etablissements, die Agentien kauf-
männischer Anstalten und die der Hafenpolizei zukommenden Amts-
gebäude ihren Platz haben, ist die Queens Road die bedeutendste
Strasse Victorias.
Von Osten beginnend stehen in dieser Strasse die hervor-
ragendsten öffentlichen Gebäude, wie das Stadthaus, 1866—1869
errichtet, mit Theater, Bibliothek und Museum, dann das Post-
und Telegraphenamt, Banken, Hôtels, Clubs und die Geschäfts-
häuser von Firmen, die im Welthandel einen Ruf haben; an-
schliessend daran wird sie zur exquisiten Geschäftsstrasse, die in
ihrer Ausstattung mit den verschiedenfarbigen, an den Pfeilern der
Arcadengänge senkrecht herabhängenden Firmatafeln und zahlreichen
grossen Papierlampions einen ungewöhnlichen, ja geradezu theatralischen
Eindruck macht. Die Strasse enthält Laden an Laden von Europäern
und Chinesen friedlich nebeneinander, chinesische Curiositäten neben
europäischen Luxuswaaren, eine Apotheke an eine chinesische Thee-
handlung gelehnt, ein europäisches Hôtel, an das sich ein chinesi-
sches Wechselhaus anreiht; hier fertige Kleider aus Paris oder London
und nebenan ein reich assortirtes Lager chinesischer Schuhe, chinesi-
sches Porzellan neben europäischen Tuch- und Baumwollwaaren, alle
Laden in ziemlich gleichförmiger Art unter den die Strasse beider-
seits begleitenden Arcaden und nur in ihrer Ausstattung von einander
verschieden. Dazu ist das Leben und Treiben auf der Strasse ebenso
vielseitig als das wirre Durcheinander der Geschäfte. Vertreter aller
Menschenrassen und Nationen hasten auf und ab: Europäer in den
leichten Dschinrikschahs (ein Fahrzeug, das den in Europa gebräuch-
lichen Krankenfahrstühlen ziemlich ähnlich ist) oder in offenen
[456]Der grosse Ocean.
Sänften, die übrigen Passanten, von welchen naturgemäss Chinesen
überwiegen, zu Fuss. Den Kopf mit dem Fächer gegen die Sonne
schützend oder, wenn dies nicht nöthig, den geschlossenen Fächer
zumeist am Nacken zwischen Rock und Hals eingeschoben und die
langen, breiten Aermel hin und her schwingend, eilen die bezopften
Söhne des himmlischen Reiches ihren Geschäften nach. Wenn dann
noch eine der in China sehr häufig vorkommenden Processionen,
Hochzeits- oder Leichenzüge, ihr Herannahen durch ein mark-
erschütterndes Lärmen auf Gongs und ähnlichen Hölleninstrumenten
bekanntgibt und ihren Weg durch die Strasse nimmt, wobei von
allen Seiten Volk zuströmt, dessen Neugier hier nicht minder leicht als
anderswo zu wecken ist, dann übertrifft das Gewimmel auf der
Strasse beinahe das eines Bienenschwarmes. Verfolgt man die Queens
Road weiter gegen Westen, so gelangt man in die nur von Chinesen
bewohnten Stadttheile, in welchen der Europäer und von diesen
zumeist der Matrose nur als Gast weilt, um in den vielen Schank-
buden und Unterhaltungsorten zweifelhafter Natur gewisse Anziehungs-
punkte zu finden. Insbesondere während der ersten Nachtstunden
steigert sich das Treiben hier oft bis zur Tollheit und bietet dadurch
des Sehenswerthen genug.
Im Südwesten des Stadthauses, begrenzt durch die südliche
Seite von Queens Road, also mitten in der Stadt, steigen ausgebreitete
Parkanlagen die Böschungen hinan. In diesen Anlagen steht der Gou-
vernementpalast und rund um ihn herum Villen und Privathäuser von
Mitgliedern der vornehmen Gesellschaft. Oberhalb des Gouvernement-
palastes ist der reizende botanische Garten Victorias. Der in jeder
englischen Ansiedlung unvermeidliche Cricket-Platz befindet sich auch
in dieser Gegend, dicht am Strande; über ihn hinaus reihen sich aus-
gedehnte militärische Etablissements aneinander, nämlich Kasernen
und Baraken mit allem Zugehör und das Arsenal der englischen
Kriegsmarine.
Die Bevölkerung von Hongkong wird Ende 1889 auf 194.482
Menschen geschätzt, das ist um 21·318 weniger, als man für Ende
1888 annahm, überhaupt weniger als in einem der Jahre seit
1886. Wir sehen, dass die Grösse der Bevölkerung je nach dem
Gange des Geschäftes einem starken Wechsel unterworfen ist. Von
den Einwohnern waren 56.449 weiblichen Geschlechtes, und der bei
weitem überwiegende Theil entfällt auf die chinesische Rasse. Im
Jahre 1881 wurden in der Colonie 160.402, in der Stadt Victoria
141.494 Menschen gezählt. Von ansässigen Europäern und Ameri-
[[457]]
A Englisch-chinesische
Grenze, B Minen-Uebungs-
platz, C Ankerplatz für
Kriegsschiffe, D Anlege-
platz für Handelsdampfer,
E Handelshafen, F Leucht-
feuer, G Magazine, H Cos-
mopolitan Dock, J Königl,
Marine-Depôt, K Kohlen-
magazine, L Sternwarte,
M Kaulung-Docks, N Spi-
tal, O Residenz des Statt-
halters, P St. Johns’s Ka-
thedrale, Q Marine-Eta-
blissement, R Militär-Ba-
raken. S Theater, T Vic-
toria-Hôtel, U Centralpoli-
zei-Station, V Kgl. Marine-
Spital, W Boat Shelter
Creek, X Chinesen-An-
siedlung, Y Morrison Hill,
Z Cabelhäuser.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 58
[458]Der grosse Ocean.
kanern wurden im Jahre 1881 3040 angegeben, während sich
die Angehörigen von Mischlingsrassen aus Goa, Indien, Manila u. a.
im selben Jahre auf 1722 bezifferten. Um sich den Besitz von Hong-
kong mit seinen ausgedehnten Hilfsmitteln in militärischer Hinsicht
und vom handelspolitischen Standpunkte aus auch für den Fall zu
sichern, als Verwicklungen mit europäischen Mächten kriegerische
Angriffe auf die überseeischen Colonien herbeiführen würden, nahm
England auf eine weitgehende Befestigung des Hafens Bedacht.
Grosse und stark bestückte Werke auf North Point und Hungham
beherrschen den Lyemoon Pass, während die Einfahrt in den Hafen
von der Westseite nur im Bereiche der Batterie auf Stone-Cutters
und der Forts bei Belcher und Fly Points (Island) möglich und die
Landseite durch mehrere, im Rücken der Stadt aufgeworfene Batterien
gedeckt ist.
Als die Engländer von Hongkong Besitz ergriffen, war die
Insel ungesund, und die Garnison hatte viel von der Malaria zu leiden.
In der Gegenwart ist sie einer der gesundesten Aufenthalte der Welt
von denen, welche unter derselben geographischen Breite liegen, ein
Ergebniss, das erzielt wurde durch eine ausgedehnte Canalisirung und
die Aufforstung von Nadelholzwäldern.
Auf die zahlreichen und ansehnlichen Höhen führen gute Strassen,
und zum Victoria-Gap gelangt man auf einer Drahtseilbahn, welche
bei der St. Johnskathedrale ihren Ausganspunkt hat. So ist den
Europäern leicht gemacht, die Bungalows und Häuser zu erreichen,
die auf der Windseite der Hügel erbaut sind, wo man im Sommer
die Vortheile der Erhebung über den Meeresspiegel und des erfrischen-
den Seewindes geniessen kann, der Victoria nicht erreicht, weil die
Stadt der Landseite zugekehrt ist.
Auf den Höhen um den Victoria Peak ist in den letzten Jahren
ein ausgedehntes Alpendorf, wenn man es so nennen darf, entstanden,
und 1883 wurde auch für das Militär ein Sanatorium auf den Höhen
errichtet.
Hongkong ist Freihafen. Wir besitzen keine officiellen Ver-
zeichnisse über die Grösse seiner Ein- und Ausfuhr, sondern nur über
seinen Schiffsverkehr, der sich 1889 auf 61.388 Fahrzeuge mit
12,672.691 Reg.-Tons belief. Durchschnittlich liefen täglich 84 Fahr-
zeuge im Hafen von Hongkong ein, jeden Tag konnte man hier
Dampfer von 4000—5000 Reg.-Tons Ladefähigkeit verkehren sehen;
die Thätigkeit von 91 Dampfbarcassen vervollständigt das lebhafte
[459]Hongkong.
Bild des Treibens im Hafen, der über eine Million Passagiere als
Durchgangsplatz benützte.
Aber der Grösse des Schiffs- und Passagierverkehres entspricht
bei weitem nicht die des Waarenverkehres, weil viele der hier
verkehrenden Schiffe nur Passagiere führen, die aus Nordchina für
Whampoa bestimmten hier nur anlaufen, ohne zu laden und zu löschen,
die auf dem Wege nach Norden hier durchgehenden Postdampfer und
Frachtschiffe nur Kohlen einnehmen.
Hongkong ist der wichtigste Platz des östlichen China für das
Chartern von Schiffen, für den Verkehr der Post und der Telegraphen
und eine grosse Kohlenstation. Die Chinesen, welche sich in Hongkong
unter dem Schutze der englischen Gesetze so wohl befinden, ver-
mitteln von hier aus den Handel Cantons und unternehmen kühne,
oft zu kühne Handelsspeculationen. Von den Europäern treten neben
den Engländern die Deutschen und die Portugiesen hervor. Hongkongs
Waarenverkehr, der zu einem sehr grossen Theil aus Durchfracht-
gütern von und nach China besteht, wird im Durchschnitte jährlich
auf 400 Millionen Gulden geschätzt.
Die wichtigsten Waaren des hiesigen Marktes sind Opium, Baumwoll- und
Schafwollstoffe, Metalle und Metallwaaren, Thonwaaren, Farben, Baumwolle, Hölzer,
Zucker, Salz, Mehl, Oele, Elfenbein, Betelnüsse und endlich Gemüse und Früchte.
Gestützt auf die billige chinesische Arbeitskraft gewinnt die Industrie
von Hongkong von Jahr zu Jahr an Bedeutung. Es bestehen hier drei grosse
Zuckerfabriken, von denen eine Rum erzeugt, eine Eisfabrik, eine Seilfabrik,
Sägewerke, Maschinenwerkstätten, Ziegel- und Cementwerke, eine Papiermühle,
eine Gasanstalt und Elektricitätswerke. Diese Fabriken sind nach europäischem
Muster eingerichtet.
Die Chinesen blasen Glas, kochen Opium, erzeugen Seidenstoffe, sie färben,
machen Zahnpulver, Zündhölzchen, Cigarren, bauen Boote u. s. w.
Von den 6 Docks hat das Admiralitätsdock in Kaulung eine Länge von
500 englischen Fuss, eine Breite von 70—86 Fuss und eine Tiefe von 29 Fuss.
Der Schiffsverkehr von Hongkong umfasste
Im Jahre 1887 erreichte der Verkehr 54.812 Schiffe mit 12,729.454 Reg.-
Tonnen.
Von den 1889 eingetroffenen 30.777 Fahrzeugen waren 3669 Dampfer, 151
Segelschiffe und 26.957 Dschunken.
58*
[460]Der grosse Ocean.
Die Zahl der britischen Schiffe ragt so unverhältnissmässig vor den Schiffen
der übrigen Nationen hervor, weil die Personendampfer der Hongkong and Macao
Steamship Cy., welche täglich, mit Ausnahme der Sonntage, zweimal von Hong-
kong nach Canton und von Macao einmal abfahren und ebenso oft hier eintreffen,
und eine Gesammttonnenzahl von 1½—2 Millionen Tons liefern, in die Hauptziffer
eingerechnet sind.
Auf Grossbritannien folgen (1889) der Reihe nach China, das Deutsche
Reich (12 % der gesammten Tonnenzahl), Japan, die Vereinigten Staaten von
Amerika, Frankreich, Dänemark, Oesterreich-Ungarn, Italien, Norwegen, Spanien,
Russland.
Nur der Verkehr dieser Localdampfer, ferner die zahlreichen Dampfer,
welche auf ihren Reisen in Hongkong nur anlegen, ohne aber handelsthätig zu sein,
in Verbindung mit dem bedeutenden Dschunkenverkehr, machen es möglich, dass
man wegen seines Schiffsverkehres Hongkong häufig den drittgrössten Hafen
der Welt nennt.
Wenn auch in Hongkong, wie auf allen Handelsplätzen, díe Segelschiff-
fahrt zurückgeht, so finden hier doch Segelschiffe noch lohnende Frachten.
Hamburg unterhält mit Hongkong einen regelmässigen Segelschiffsverkehr;
auch besorgen die Segelschiffe einen ansehnlichen Theil des Verkehres mit London,
Cardiff, New-York, den Philippinen und Honolulu, dann mit japanischen und nord-
chinesischen Häfen.
Der Dampfschiffsverkehr zwischen den Häfen an der chinesischen
Küste ist, abgesehen von den festen Linien, zur Hälfte deutsch; auch ziehen die
Chinesen für die bedeutende Personenbeförderung zwischen den chinesischen Häfen
und den Straits Settlements die deutschen Dampfschiffe vor, deren Officiere sie
gut behandeln. Deutsche Dampfer finden wir in der Küstenfahrt in allen Häfen
Asiens von Wladiwostok bis Rangoon.
Regelmässige Verbindungen mit Hongkong unterhalten: Der Oester-
reichisch-Ungarische Lloyd (Triest—Bombay); der Norddeutsche Lloyd (Bremer-
haven—Colombo—Hongkong [10.728 Seemeilen])—Schanghai—Yokohama, die mit
Hilfe der Zweiglinie Brindisi—Port-Saïd die euröpäische Post häufig in kürzerer
Zeit bringt, als die englischen Postdampfer (fahrplanmässige Dauer der Postfahrt
29 Tage); die Deutsche Dampfschiffsrhederei zu Hamburg (Kingsin-Linie); Penin-
sular and Navigation Steam Navigation Cy. (London, resp. Brindisi—Colombo); Glen
Line, Shire Line, Union Line, Ocean Steamship Cy., Ben Line, China Shippers
Mutual Steam Navigation Cy.; Messageries maritimes (Marseille—Colombo), Navi-
gazione Generale Italiana (Genua—Bombay).
Die meisten deutschen, englischen und französischen Gesellschaften unter-
halten auch Verkehr mit Schanghai und Japan.
Hongkong wird auch von den Schiffen der Russischen Freiwilligen Kreuzer-
flotte (Odessa—Wladiwostok) angelaufen.
Nach der Union und Canada gehen drei Linien und ebenso viele nach
Australien; nach dem Cap der guten Hoffnung geht alljährlich nur zur Theesaison
ein Dampfschiff mit Thee ab.
Der Küstenschiffahrt dienen hier eine chinesische, eine deutsche und sechs
englische Unternehmungen; eine der letzteren unterhält den Verkehr mit Manila.
Von Hongkong wurden 1889 unter Aufsicht der Colonialregierung 47.849 Chi-
nesen nach nichtchinesischen Ländern und 99.315 wurden aus fremden Ländern
[461]Hongkong.
nach Hongkong befördert. Der Verkehr ist zumeist nach den Straits Settlements
gerichtet. Der Passagierverkehr mit Hongkong und Macao weist im selben Jahre
857.542 Menschen aus.
Von Hongkong gehen fünf Kabel der Eastern Extension Australasia and
China Telegraph Cy. aus, und zwar nach Macao, Haiphong, Saigon, Bolinao auf
Luzon und Shanghai, und ein Kabel der Great Northern Telegraph Cy. nach
Nordchina und Japan. Ueber Kaulung besteht ein Anschluss an den kaiserlich
chinesischen Telegraphen.
Hongkong ist Sitz eines Obersten Gerichtshofes und einer Handels-
kammer.
Von Banken seien hier folgende erwähnt: Agra Bank (Agentie), Bank of
India, Australia and China, Mercantile Bank of India, London and China, China
Import, Export and Bank Cy., Comptoir National d’Escompte de Paris, Hongkong
and Shanghai Banking Corporation, Hongkong Savings Bank, New Oriental Bank
Corporation, Trust and Svan Company of China, Japan and the Straits.
In Hongkong unterhalten Consulate: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutsches
Reich, Frankreich, Hawaïi, Italien, Japan, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Peru,
Portugal, Russland, Schweden und Norwegen, Siam, Spanien, Vereinigte Staaten
von Amerika.
Neben dem englischen Hongkong ist dem portugiesischen Frei-
hafen Macao heute nur eine bescheidene Rolle geblieben. Die über-
aus malerisch gelegene Stadt, deren Häuserwände bemalt sind, be-
findet sich an der Südspitze der gleichnamigen Insel, welche die Ein-
fahrt in den Tschukiang im Westen begrenzt.
Der Handel der Stadt, die 70.000 Einwohner zählt, erhält sich
auf einer gewissen Höhe durch die mannigfaltigen Bedrückungen,
welche der Verkehr der benachbarten chinesischen Gebiete von den
Mandarinen zu erleiden hat, vor denen er sich ins Ausland flüchtet.
Die Zufahrt zu dem seichten Hafen versandet rasch, man erwartet
aber von den neuen Strombauten in Kürze eine Besserung der Ver-
hältnisse.
Thee, Seide, Sternanis, Cassiaöl, flüssiges Indigo sind die Hauptartikel der
Ausfuhr, Opium, indisches Garn, Baumwollgüter und Petroleum die der Einfuhr.
Im Hafen verkehren zahlreiche Dschunken; zwei chinesische Dampfer unter-
halten den regelmässigen Verkehr mit Hongkong, und deutsche Dampfer unter-
halten seit September 1890 einen regelmässigen Verkehr mit Mexico, wohin sie
Kulis bringen.
Macao ist durch ein Kabel mit Hongkong verbunden.
Von den Häfen an der Ostseite Hinterindiens, die erst seit
wenigen Jahren unter der umsichtigen Verwaltung Frankreichs stehen,
ist der wichtigste Haiphong (15.000 Einwohner) am Flusse Cua
Cam, der durch Wasserläufe mit dem Songka- oder rothen Flusse in
Verbindung steht. Die Messageries fluviales unterhalten auf ihnen
[462]Der grosse Ocean.
einen regelmässigen Verkehr mit dem Songka, insbesondere mit
Hanoi, der politischen und commerciellen Hauptstadt Tongkings.
Gelingt es den Franzosen, auf dem Songka die regelmässige Dampf-
schiffahrt aufwärts bis in die chinesische Provinz Yünnan einzurichten
und den Handel dahin von Hongkong und Canton auf ihr Gebiet
vollends abzulenken, so werden Haiphong und Hanoi noch eine un-
geahnte Bedeutung für den Handel erlangen.
Ein neuer, 2 Fuss tauchender Dampfer hat im Juli 1890 von
Haiphong aus diese neue Handelsroute eröffnet. Die Stadt ist durch
Kabel mit Hué-Saigon und mit Hongkong, durch eine Zweiglinie der
Messageries maritimes mit Saigon verbunden.
[[463]]
Saigon.
Zu den hervorragendsten Städten Cochinchinas gehört Saigon,
der Sitz der französischen Regierungsbehörden. Der Name der Stadt
wird von zwei annamitischen Worten abgeleitet, die eine Art von
Baumwollstauden bezeichnen, welche von den Eingeborenen um ihre
Erdbefestigungen gepflanzt wurden. Seinerzeit hiess eine in der Nähe
gelegene chinesische Stadt Cholon-Saigon; im Laufe der Begeben-
heiten fand der Name für das annamitische Dorf Anwendung, an dessen
Stelle sich jetzt die Stadt erhebt.
Traditionen zufolge war Saigon einstens eine rein annamitische Ortschaft;
von eingewanderten Chinesen, die sich der zweiten Tartarendynastie nicht unter-
werfen wollten, wurde die Stadt zum Ansiedlungsorte gewählt. Der annamitische
König Gia-Long, 1777 durch die Taysons-Revolution vertrieben, schloss 1787 ein
Schutz- und Trutzbündniss mit Frankreich. Später (etwa 1799) liess sich Gia-
Long zum Kaiser ausrufen. Er verlegte in den Tagen seiner Bedräugniss (1789)
seine ständige Residenz nach Saigon und erst im Jahve 1811 wieder nach Hué,
der früheren Hauptstadt seines mittlerweile zurückeroberten Reiches. Die Einge-
borenen nennen die Stadt seither Gia-Dinh. Im Jahre 1790 durch Oberst
Ollivier, einen in annamitischen Diensten befindlichen Franzosen befestigt, wurde
Saigon 1859 durch Admiral Rigault de Genouilly eingenommen. Es blieb seit-
dem Hauptstadt der seit 1862 als Cochinchine Française an Frankreich abgetre-
tenen Provinzen und wurde 1884 nach der umfangreichen Erweiterung des fran-
zösischen Gebietes in Hinterindien Sitz des General-Gouverneurs und der Central-
behörden von Indo-China.
Saigon liegt am gemeinschaftlichen Delta des Dong-Nai und des
Saigonflusses, und zwar am rechten Ufer des letzteren, und ist,
wenngleich ungefähr 60 km von der Flussmündung entfernt, Dank
der Tiefe seiner Wasserstrasse ein wichtiger Hafen- und Handelsplatz
geworden. Zur Hebung der Stadt wurde unter der französischen Herr-
schaft Bedeutendes geleistet; die Sümpfe in der Umgebung wurden
ausgetrocknet, die Canäle regulirt und entsprechend vertieft. Vor kaum
dreissig Jahren noch ein unansehnlicher Ort, ist Saigon heutzutage
eine freundliche und wohlhabende Stadt mit zahlreichen schönen und
zweckmässigen Bauten und von fast europäischem Aussehen.
[464]Der grosse Ocean.
Schon der erste Eindruck, den das hinter dem Bergrücken des
Cap St. Jacques liegende Flachland bietet, ist ein überaus freundlicher.
Rotangs und Mangroves, weiter landeinwärts Palmen und Bananen,
das saftige Grün der üppigen Tropenvegetation und malerische, halb
in den Fluss gebaute Palmstrohhütten vervollständigen das schöne
Landschaftsbild, das sich längs der zahlreichen und starken Krüm-
mungen des Saigonflusses aufrollt. Beim Einfahren in den letzteren
sichtet man zunächst als erstes Wahrzeichen der Stadt die beiden
rothen Thürme der Kathedrale; vor der Stadt ankernd, kann man sie
kaum sehen, weil sie von einer langen Reihe mächtiger Tamarinden-
bäume nahezu ganz verdeckt sind.
In der inneren Stadt sind gerade, macadamisirte Strassen mit
breiten Trottoirs und hübschen, luftig gebauten Häusern. Die Strassen
bilden meistens schattige Alleen; diese und zahlreiche sonstige Baum-
pflanzungen sind den klimatischen Verhältnissen entsprechend. Die
Anlage der Stadt ist eine durchwegs regelmässige, die Strassen
kreuzen sich unter rechten Winkeln.
Hauptstrasse ist die Rue Catinat, welche als erste practicable
Strasse an Stelle des alten annamitischen Fahrweges, der von der
Citadelle zum Flusse führte, erbaut worden ist; in ihr sind mehrere
Amtsgebäude, sowie die Post und das Theater gelegen; sie ist der
Centralpunkt der grossen, eleganten Kaufläden mit deren geschmack-
vollen Auslagen. Das Theater ist hübsch gebaut, sowie auch
vortrefflich ventilirt; es erhält von der Colonie eine jährliche
Subvention von 150.000 Francs, weil es sonst die beträchtlichen
Kosten der Hin- und Rückreise des Personales und des Material-
transportes nicht tragen könnte. Die Rue Catinat führt zum Platze
der Kathedrale, die im Jahre 1877 mit einem Kostenaufwande von
2½ Millionen Francs erbaut worden ist. Auf diesem Platze liegt auch
das elegante und geräumige Militärcasino. Parallel mit der Rue Catinat
führt die Rue Nationale, welche beim Rond Point, dem besten Anlege-
platze des Stromufers beginnend, die ganze Stadt durchzieht und durch
ein Monument M. Lamaille’s verschönert wird. Weiters führen noch
in der gleichen Richtung die Rue de l’Hôpital zum grossen Militär-
Hospitale und der Boulevard de la Citadelle zur Festung. Diese ist
ein citadellenartiger Complex, der die Unterkunftsräume und Uebungs-
plätze der Garnison enthält und 1799 von französischen Officieren für
den Herrscher von Annam erbaut wurde.
Das Militärhospital ist das einzige Krankenhaus der Stadt und
liegt in einem grossen Parke, der von einer Mauer umgeben ist. Die
[465]Saigon.
Krankenzimmer sind sehr luftig, deren Fussböden mit Steinplatten
belegt. Die Leitung des Spitals hat ein Marinearzt, die Wartung der
Kranken ist barmherzigen Schwestern und militärischen Kranken-
wärtern übertragen.
Oestlich vom Boulevard de la Citadelle erstreckt sich längs des
Flusses das Seearsenal, das nebst zahlreichen Magazinen auch mehrere
vortreffliche Werkstätten enthält. Von letzteren sind insbesondere eine
Schmiede, ein Maschinensaal, eine Giesserei und eine grössere Tisch-
Saigon (Arroyo Chinois).
lerei hervorzuheben. Das Arsenal besitzt auch ein Balance-Dock für
Schiffe bis zu 2000 T Gehalt und drei Trockendocks, deren ältestes
nur kleinere Fahrzeuge (bis zu 800 T) aufnehmen kann. Das zweite
Trockendock ist 130 m lang, 36 m breit und 9 m tief; das dritte
wurde im Jänner 1888 der Benützung übergeben; seine Dimensionen
sind: 140·5 m Länge, 27 m Breite und 5·5—6·4 m Tiefe (je nach
dem Wasserstande im Flusse). Ausser den genannten, der Kriegs-
marine gehörigen, besitzt Saigon keine Docks. Landwärts vom Arsenal
befinden sich die Gebäude der katholischen Mission.
Senkrecht auf die bisher genannten Strassen, in der Richtung
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 59
[466]Der grosse Ocean.
SO—NW, führen die Rue d’Espagne, die Rue de la Grandière, der
Boulevard Norodon, die Rue Chasseloup-Laubat und die Rue des Mois.
Um den erwähnten Rond Point gedrängt, zwischen der Rue
de l’Hôpital, dem Boulevard Bonnard und dem Arroyo Chinois be-
findet sich die eigentliche Geschäfts- und Handelsstadt von Saigon.
Der Markt besteht aus acht geräumigen Hallen, der grosse Canal,
der an den Platz mit dem Denkmal de Lagrée’s (Chefs der Expe-
dition am Mékong) grenzt, erleichtert die Zufuhr der Waaren zu den
Markthallen.
Im Nordwesten der Stadt liegt der ausgedehnte Jardin de la
Ville, welcher Dank seinen prächtigen Anpflanzungen und den
häufigen Militärconcerten ein Sammelplatz der eleganten Welt Saigons
geworden ist. An den Jardin de la Ville grenzt ein Park, in dessen
Mitte der Palast des Gouverneurs gelegen ist. Der Bau dieses Pa-
lastes, welcher sich durch eine herrliche Façade auszeichnet und
im Style der Tuilerien aufgeführt wurde, kostete 12 Millionen Francs.
Im Südosten der Stadt, zwischen dem Arroyo de l’Avalanche, dem
Seearsenal und den militärischen Etablissements, sowie den Gebäuden
der katholischen Mission, liegt der botanisch-zoologische Garten.
Dieser Garten wurde bald nach der französischen Besitzergreifung
von Saigon über Befehl des Admirals de la Grandière unter der
Leitung eines Militärthierarztes gegründet; eine hervorragende wissen-
schaftliche und praktische Bedeutung erlangte diese Anstalt unter
Dr. Pierre, welcher ihre Direction im Jahre 1865 übernahm. Der
botanische Garten ist hauptsächlich eine Versuchsstation für die
Cultur der verschiedenen Arten von Zier- und Nutzpflanzen, Sämereien
und Setzlinge, sowie auch gleichzeitig eine Baumschule, welcher
die meisten der zur Stadtsverschönerung verwendeten Bäume ent-
nommen wurden. Der zoologische Theil des Gartens weist sehr
schöne Exemplare der einheimischen Fauna auf. Gewaltige Tiger und
Leoparden, grosse Schlangen, seltene und prächtige Arten von Tauben
und Hühnern sind hier in grosser Anzahl vertreten.
In den Strassen der Stadt herrscht, die heissen Mittagsstunden
natürlich ausgenommen, ein sehr reges Leben, das seinen Höhepunkt
in den ersten Abendstunden erreicht. Die zahlreichen Cafés, deren
Veranden und Vorgärten allabendlich mit Besuchern überfüllt sind,
bieten ein anziehendes Bild, das von der angenehm berührenden
französischen Leichtlebigkeit vortheilhaft beeinflusst erscheint. Für
die Unterhaltung sorgen ausser dem bereits erwähnten Theater noch
eine philharmonische Gesellschaft, die im Jahre 1880 gegründet
[467]Saigon.
wurde, und zwei Geselligkeitsvereine: der Cercle de l’Union und der
Cercle Colonial. Die Eingeborenen, selbst jene, welche die fran-
zösische Sprache vollständig beherrschen, ziehen die Schaustellungen
der chinesischen und der wandernden annamitischen Theater jenen des
französischen Musentempels vor.
Saigon besitzt (Ende 1889) ohne Militär 16.213 Einwohner, von
welchen 5968 Annamiten, 7346 Chinesen, 1758 Franzosen und
95 andere Europäer sind. Für den öffentlichen Unterricht, der
von der Stadt subventionirt wird, sorgen zwei Collegien —
Chasseloup-Laubat und Adran — mit mehr als 900 Schülern
und ein Seminar mit philosophisch-theologischem Lehrplane. Das
Collège d’Adran verewigt das Gedächtniss an den für Saigon
hochverdienten Bischof Piqueaux de Behaigne, dessen Grab sich
in der Nähe der Stadt befindet. Zwei ausgiebig beschäftigten
Buchdruckereien, von welchen eine öffentlich ist und die andere der
katholischen Mission gehört, entstammen mehrere politische Journale,
wissenschaftliche und Regierungspublicationen, sowie andererseits alle
Missionsschriften. Die Marine-Sternwarte veröffentlicht den astronomi-
schen Theil des Annuaire de Cochinchine, überdies hat sie für die
Uebereinstimmung des chinesischen mit dem europäischen Kalender
zu sorgen und die Fluthzeiten für die wichtigsten Hafenorte der
Colonie zu berechnen. Letztere Arbeit ist eine überaus schwierige,
weil die Gezeiten in dieser Gegend sehr unregelmässig und die Ur-
sachen dieser Unregelmässigkeiten noch aufzuklären sind.
Das Klima Saigons weist alle Beschwerlichkeiten der Tropen-
zone auf. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 26°C., die nasse
Jahreszeit wird durch intensive Regengüsse charakterisirt, welche von
heftigen Entladungen der atmosphärischen Elektricität begleitet sind.
Die trockene Jahreszeit fängt mit dem Monate März an; im Mai setzt
der heisse Südwest-Monsun ein, bei geringer Windstärke gibt es
starke Gewitter. Letztere treten im August am häufigsten und am
heftigsten auf. Im October setzt der Nordost-Monsun ein, die Tem-
peratur wird erträglicher, sinkt jedoch nie unter 16°C. Typhone
ziehen nur selten, meist erst im November bis an die Küste Cochin-
chinas. Die bekannten Einwirkungen des Tropenklimas auf die
Europäer treten in Saigon wie anderwärts auf, doch wird hier
der Sonnenstich ganz besonders gefürchtet. Zu den häufig auftre-
tenden Krankheiten gehört die Dysenterie, doch haben sich die Ge-
sundheitsverhältnisse der Stadt in den letzten Jahren beträchtlich
gebessert. Bei regelmässiger, dem Klima angepasster Lebensweise
59*
[468]Der grosse Ocean.
können Europäer selbst längere Jahre in Saigon leben, ohne einen
wesentlichen Schaden an ihrer Gesundheit zu erleiden. Der richtigen,
Fett und Alkohol thunlichst ausschliessenden Ernährung ist ganz be-
sondere Sorgfalt zuzuwenden; an den Table d’hôtes der zahlreichen
Restaurants in Saigon herrscht die französische Küche mit dem
Klima entsprechenden Modificationen vor. Der Gesammteindruck,
den die in Saigon lebenden Europäer machen, ist doch der, dass
sie unter dem Tropenklima stark leiden.
Das Post- und Telegraphenwesen ist seit 1882 vereinigt. Den
Postdienst zwischen Saigon und den Hauptorten der Colonie besorgen
die Fahrzeuge der Messageries fluviales. Von diesen Hauptorten wird
die Post mit verschiedenen Mitteln des Landpostdienstes weiterbeför-
dert. Das Telegraphennetz der Colonie ist sehr ausgebreitet.
Saigon ist so recht ein Spiegelbild der französischen Colonial-
politik. Der Staat steckt Millionen in seine Colonien, um sie ertrags-
fähig zu machen und nach Jahrzehnten die Zinsen dieser Anlagen
wieder zurück zu gewinnen. Dem Reichthum Frankreichs und der
Vorliebe des französischen Volkes entsprechend tragen alle colonialen
Einrichtungen den Stempel des Reichthums und der Grossartigkeit
an sich.
Die Stadt Saigon wird von den dorfartigen Vorstädten durch
Wasserläufe getrennt. Es sind diese: im Norden der Tin-ghé oder
Arroyo de l’Avalanche, im Westen der Umfassungscanal, im Süden
der Viaim Benghé oder Arroyo Chinois und im Osten der Saigon-
fluss. Die Arroyos sind Canäle, die zur Verbindung der natürlichen
Wasserläufe dienen. Wenngleich die Colonialregierung beim Ausbaue
der Landcommunicationen auch überaus thätig vorgeht, so werden
doch noch durch lange Jahre die Wasserstrassen für den Binnen-
verkehr die erste Stelle einnehmen. Die grossen Flüsse, an denen
die Handelscentren der Colonie liegen, wie beispielsweise Saigon,
theilen das Land gewissermassen in natürliche Verkehrsgebiete.
In diesen kommt nun den kleineren Wasseradern und den Arroyos
eine wichtige Rolle zu, sie vermitteln den Verkehr mit den Markt-
orten und den productiven Landesstrecken. Sie haben überdies einen
bedeutenden Werth für die Bodenproduction, deren Ertrag sie durch
die Bewässerung des fruchtbaren Landes ansehnlich vermehrt haben.
Eine Eisenbahn zwischen Saigon und Mytho, die einzige des
Landes, ist von der Colonialregierung am 1. October 1888 in
Staatsregie übernommen worden. Diese Eisenbahn führt über das
nur 5 km von Saigon entfernte Cholon, das mit ersterer Stadt über-
[469]Saigon.
dies durch eine Dampftramway verbunden ist. Cholon wurde 1778
von chinesischen Einwanderern aus Bien-hoa gegründet, ist grossen-
theils von Chinesen bewohnt und die eigentliche commercielle
Hauptstadt von Cochinchina; über die mehrere Kilometer langen
Quais gelangen alljährlich viele Millionen Piculs Reis zur Ver-
schiffung.
A Sternwarte, B Strasse nach Bien-Hoa, C Strasse nach Goviap, D Strasse nach Cai-mai.
Der Handelsverkehr Saigons, des für Europa wichtigsten Hafens zwi-
schen Honkong und Singapore, unterlag in den letzten Jahren mannigfaltigen
Schwankungen und wies in seiner Totalität oft während zweier aufeinander fol-
gender Jahre Differenzen auf, welche sich bis zu einem Fünftel des Gesammt-
verkehres erstreckten. Bei der Ausfuhr lassen sich solche Unterschiede auf die
Ernteergebnisse zurückführen, zumal Saigon beinahe ausschliesslich Ausfuhrhafen
für Naturproducte ist. In der Einfuhr jedoch müssen die merklichen Differenzen auf
die jeweiligen Zollmassregeln der französischen Regierung zurückgeführt werden.
[470]Der grosse Ocean.
Die Ergebnisse der Waaren-Ein- und Ausfuhr in ihren einzelnen Glie-
derungen sollen hier nach den statistischen Aufzeichnungen des Jahres 1887 zur
Besprechung gelangen.
Der Gesammtimport dieses Jahres belief sich auf 11,689.076 Dollars
gegen 15,082.816 Dollars des vorhergehenden Jahres, wies also eine Differenz
von rund 3,306.000 Dollars auf.
Den weitaus bedeutendsten Theil der Einfuhr repräsentiren im genannten
Jahre die Erzeugnisse der Textilindustrie mit mehr als 30 % des Gesammt-
ergebnisses.
An erster Stelle stehen Baumwollstoffe im Betrage von 1,886.513 Dollars,
diesen reihen sich Seidenstoffe im Werthe von 1,070.364 Dollars an. Dann folgen
verschiedene Kleider- (Woll-) Stoffe im Werthe von 377.615 Dollars, endlich
Segeltuche und Tauwerk für 133.417 Dollars und Jutesäcke für 116.842 Dollars.
An zweiter Stelle in der Einfuhrsliste der Fabricate stehen Metalle,
Metallwaaren und Maschinentheile im Gesammtwerthe von 625.290 Dollars.
Darunter sind namentlich hervorzuheben:
Ziemlich umfangreich ist ferner der Import von Druck- und Papierwaaren
(Bücher), deren Werth sich auf 496.481 Dollars belief.
Von anderen Industrieerzeugnissen ist hervorzuheben der Import von
chemischen Producten und Droguen im Werthe von 246.200 Dollars, von Por-
zellan, Fayence und Thonwaaren im Werthe von 159.202 Dollars, von Glas und
Kristallwaaren für 38.995 Dollars und Lampen im Werthe von 123.019 Dollars.
Der Importwerth der Zündhölzchen belief sich auf 114.446 Dollars.
Die Einfuhr der sogenannten wichtigsten Kurzwaaren mag aus folgender
Tabelle ersichtlich werden:
An verschiedenen Fettstoffen und Oelen importirte Saigon im Berichts-
jahre für 121.708 Dollars, Indigo für 47.089 Dollars und Tabak für 134.632 Dollars.
Einen nicht zu unterschätzenden Importartikel bildet Opium, dessen
Werth für das Jahr 1887 auf 537.600 Dollars beziffert wird.
Die Einfuhrsliste weist ferner den Bezug von Petroleum im Werthe von
376.090 Dollars auf und verzeichnet eine Steinkohlen- und Coakseinfuhr für
nur 72.720 Dollars.
Cement erreichte im Berichtsjahre den ziemlich stattlichen Einfuhrswerth
von 111.664 Dollars.
Von massgebender Bedeutung ist ferner der Import von Nahrungs-
[471]Saigon.
und Genussmitteln und Getränken aller Art, welche in ihrem Werthe einen
hohen Percentsatz der Gesammteinfuhr in sich schliessen, und mit deren Auf-
zählung die Einfuhrliste ihren Abschluss finden soll. Unter den importirten
Nahrungsmitteln sind zu verzeichnen:
Daneben als bedeutende Importartikel Zucker im Werthe von 316.764 Dollars
und Thee für 448.582 Dollars.
Die importirten Getränke bestanden aus folgenden Artikeln:
In der Ausfuhr von Saigon erscheinen, wie schon erwähnt, beinahe
ausschliesslich Naturproducte. Die grösste Rolle spielt der Export von Reis
und Paddy, der jedoch je nach dem Ausfalle der Ernte ganz erheblichen
Schwankungen unterworfen ist. Die Variationen werden ersichtlich aus der
Gegenüberstellung der Exportmengen dieser Artikel in den Jahren 1888 und
1889. Während nämlich im Jahre 1888 noch 5,170.032 q ausgeführt wurden, fiel
der Export schon im nächsten Jahre auf 2,879.196 q, so dass der Ausfall
nahezu 2·3 Millionen Metercentner betrug. Im letzten Jahre 1890 stieg dieselbe
schon wieder auf 5,295.241 q. Den stärksten Abnehmer für Reis aus Saigon bildet
China mit mehr als der Hälfte des gesammten Erträgnisses. Nach Europa geht
im Wege der directen Verfrachtung ein nur verhältnissmässig geringer Theil,
dagegen nimmt Singapore beträchtliche Mengen auf, von denen jedoch nur die
kleinere Hälfte den Suezcanal passirt, während der Rest nach Java verführt wird.
Der Antheil der verschiedenen Länder an der Reisausfuhr Saigons war im
Jahre 1890 folgender: Es gingen nach China 3,490.653 q, Philippinen 651.572 q,
Japan 466.190 q, Europa 361.647 q, Singapore 256.496 q, Tonking 35.861 q und
Annam 27.959 q.
Die Wichtigkeit des Reisexportes für Saigon werden nachstehende Ziffern,
welche gleichwie jene der Einfuhr den statistischen Ergebnissen des Jahres 1887
entnommen sind, illustriren.
Die Gesammtausfuhr dieses Jahres bezifferte sich auf 13,004.792 Dollars.
Davon entfielen auf Reis und Paddy allein 10.595.867 Dollars, also rund
80 % des Totalausfuhrwerthes.
Der nächstbedeutende Ausfuhrartikel sind Fische in getrocknetem oder
gesalzenem Zustande. Ihr Exportwerth erscheint für das Berichtsjahr 1887
auf 593.151 veranschlagt.
Die Ausfuhr von Häuten erreichte im gleichen Zeitabschnitte einen
Werth von 210.920 Dollars. Es wurden 17—19 Dollars für Kuh- und 9—10 Dollars
für Büffelhäute pro Pikul von 60·4 kg bezahlt.
[472]Der grosse Ocean.
Schweine bilden einen, wenn auch nicht bedeutenden Exportartikel
Saigons. Im Berichtsjahre belief sich ihr Ausfuhrwerth auf 47.018 Dollars.
Die übrigen Exportartikel Saigons seien mit dem Werthe ihrer Ausfuhr
des Jahres 1887 in tabellarischer Uebersicht hier verzeichnet.
Es gelangen zur Ausfuhr:
ferner in geringeren Werthmengen Kardamomen, Fischleim, Gummigutti,
Hörner und Strohmatten.
Von den ausgeführten Waaren (Reis ausgenommen) ging beinahe die Hälfte
nach Singapore, ein grosser Theil nach China, Annam und Tonking, und nur
geringe Mengen nahmen ihren Weg direct nach Europa.
Die industrielle Thätigkeit ist in Saigon auf die Reismühlen-Industrie
beschränkt, welche einen immer lebhafteren Aufschwung nimmt.
Der Schiffahrtsverkehr im Hafen von Saigon, für welchen bereits
neuere Daten vorliegen, war im Jahre 1889 folgender: Es liefen im Ganzen
370 Dampfer mit 446.011 T ein.
An Segelschiffen verkehrten 9 britische mit zusammen 11.749 T und
1 deutsches mit 896 T.
Der Postverkehr mit Europa wird durch die Dampfer der Compagnie des
Messageries maritimes besorgt. Saigon ist auch Station der Peninsular and Oriental
Steam Navigation Cy. und des Norddeutschen Lloyd.
Zwischen Saigon und Bangkok lässt die Compagnie Nantaise einen sub-
ventionirten Dampfer laufen, der monatlich eine Reise macht.
Mit Cambodja ist Saigon zweimal wöchentlich durch Schiffe der Messa-
geries fluviales in Verbindung; dieselbe Gesellschaft unterhält einen wöchent-
lichen Binnenverkehr mit Siam, der jedoch während der Zeit des niedrigen
Wasserstandes, d. i. vom 15. Jänner bis Ende Juli, unterbrochen werden muss.
Mit Annam und Tonking besteht eine regelmässige Dampferverbindung, des-
gleichen wird eine solche mit China, Japan, Manila, Java und Europa durch die
Dampfer der Messageries maritimes hergestellt.
Von Saigon gehen Kabel der Eastern Extension Australasia and China Tele-
graph Cy. nach Singapore, Hué und Hongkong, Landtelegraphen nach Hué und Bangkok.
Die Abwicklung der Geldgeschäfte des Handels besorgen in Saigon mehrere
Filialen bedeutender Banken. Die wichtigsten derselben sind jene der Indo-
chinesischen Bank und der Honkong and Shanghai Banking Corporation. Erstere
Bank wurde im Jänner 1875 mit einem Capitale von 8 Millionen Francs er-
richtet; Sitz der Centralleitung ist in Paris, Saigon und andere wichtige Hafen
Ostasiens haben Filialen dieser Bank.
In Saigon unterhalten Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich,
Grossbritannien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Siam, Spanien, Vereinigte
Staaten von Amerika.
[[473]]
Bangkok.
Die Haupt- und Residenzstadt des Königreiches Siam, Bangkok,
die „Stadt der wilden Oelbäume“, liegt auf 13° 38′ nördl. Br. und
100° 34′ östl. L. zu beiden Ufern des Menam-Flusses, 63 km von
dessen Mündung.
Der Fluss ist nur für Schiffe von 350 Tonnen bis zur Stadt fahr-
bar, weil an seiner Mündung eine Barre liegt, deren Tiefenverhältnisse
Schiffen mit grösserem Tiefgange das Anlaufen von Bangkok verwehren
und diese zwingen, auf der Rhede vor der Barre zu ankern. Nächst
der Barre ist in einem hölzernen, auf Eisenpfählen erbauten Hause ein
Leuchtfeuer untergebracht, das mit dem Telegraphenamte von Paknam
(7000 Einw.) in telephonischer Verbindung steht. Von letzterem Orte
werden Depeschen über die Ankunft von Schiffen nach Bangkok
telegraphirt.
Die Fahrt im Menam bis Bangkok ist überaus interessant und
reich an landschaftlichen Reizen. An der westlichen Seite der Fluss-
mündung erstrecken sich mächtige Mangrovewaldungen, wenige Kilo-
meter von der Mündung entfernt, am linken Ufer des Flusses, liegt
die bereits erwähnte Ortschaft Paknam, nach welcher auch die Rhede
vor der Barre benannt wird. Paknam ist die Zollstation für die fluss-
aufwärts fahrenden Schiffe. Am Ufer schwimmen auf Flössen errich-
tete hölzerne Häuser mit hohen Giebeln; von den auf festem Lande
erbauten Häusern Paknams fällt das Post- und Telegraphenamt auf;
ein modernes und gut armirtes Fort beherrscht an dieser Stelle den
Fluss. Nach Paknam und bis Unter-Paklat breiten sich Zuckerplan-
tagen und Reisfelder aus, zwischen Unter-Paklat und Ober-Paklat
bildet der Strom fast einen Kreis und fliesst an prächtigen Orangen-
hainen vorüber. Eine vortreffliche Kunststrasse, Chawen Krung ge-
nannt, verbindet die letztgenannten Orte mit der Hauptstadt.
Flussaufwärts von Ober-Paklat dehnen sich am linken Ufer Reis-
felder aus, während das rechte Ufer mit Cocos- und Betelnussbäumen
bepflanzt ist.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band 60
[474]Der grosse Ocean.
Die äussersten südlichen Ausläufer des Stadtgebietes von Bang-
kok sind die am Flussufer vorgeschobenen Docks und Werften, so-
wie die Consulate und zwei Forts. Die vor der Stadt ankern-
den Schiffe finden daselbst eine grosse Zahl von Anlegetreppen,
welche fast bei jedem der unmittelbar am Flusse liegenden Häuser
angebracht sind, sowie auch ein reichhaltiges Material von Flottanten
aller Arten und Grössen, die zur Vermittlung des Personen- und
Waarenverkehres zwischen Schiff und Land dienen.
Aus dem kleinen Dörfchen, das sich einst an dieser Stelle befand, ist in-
folge des im Jahre 1769 erfolgten Auflassens der alten Residenzstadt Si Ayo-
Phaya, die derzeit grösste Stadt Hinterindiens entstanden. Der einheimische
Name der ehemaligen Königsstadt ist auf Bangkok übergegangen, das in offi-
ciellen Acten noch jetzt als Li Ayuthia Maha (grosse königliche Stadt der Engel)
bezeichnet wird.
Der mächtige Menamfluss, sowie ein Netz von kleineren Armen
desselben und von Canälen durchziehen als Hauptcommunicationen
die ganze Stadt, die deswegen von Vielen mit Venedig verglichen
wird. An diesen Wasseradern liegen zahllose, unansehnliche Bambus-
hütten als Wohnstätten der ärmeren Bevölkerung; die Häuser der
wohlhabenderen Classen liegen zumeist inmitten von Gärten und sind
aus Holz oder Bambus auf Pfählen erbaut, so dass man zur Veranda
auf einer Treppe emporsteigt. Steinmateriale wird zu Wohnhäusern
nur von den Europäern, und zu den Klöstern und den könig-
lichen Palästen verwendet; alles Uebrige, auch der Bazar, der nicht
auf Pfählen, sondern auf festem Boden erbaut ist, macht keine Aus-
nahme von der allgemeinen Bauart, alle Privatgebäude aus Holz,
vorzugsweise aus Bambus zu construiren.
Unter den Wohnhäusern gibt es hier wie auch in Paklat schwim-
mende, die mitunter sogar ein Stockwerk besitzen; sie werden an ein-
gerammten Pfählen festgebunden und sind gegen das Wasser zu offen.
Diese Häuser gestatten den Besitzern, ihren Wohnort mit Leichtig-
keit zu verändern, indem sie sich mit ihrem Hause einfach durch die
Strömung zu einer passenden und noch unbesetzten Stelle im Flusse
treiben lassen. Diese Wasserwohnungen sind zumeist Werkstätten
oder kleinere Verkaufsläden und tragen daher in hervorragender
Weise dazu bei, den Fluss, auf welchem der ganze Marktverkehr
stattfindet, überaus bunt und rege zu beleben. Diese grosse Rührig-
keit des Verkehres wird nur dann für kurze Zeit gehemmt, wenn ein
Staatsboot (kenntlich an seinem hohen und reichverzierten Buge)
durch die betreffenden Wasserstrassen fährt.
Der Bazar Sampeng wird durch eine gerade und schmale, sehr
[475]Bangkok.
lange Strasse gebildet, die sich von den Wohnstätten der Europäer
bis zur sogenannten Königstadt erstreckt. Der Bazar enthält in
bunter Folge die verschiedensten siamesischen, chinesischen und
europäischen Erzeugnisse, doch keineswegs werthvolle oder kunst-
reiche Gegenstände, so dass der Gesammteindruck, den der Bazar
bietet, ein fast ärmlicher genannt werden muss. An eine grössere
Anzahl von Verkaufsläden mit gewöhnlichen Esswaaren (zumeist Reis,
Obst und Fische) reiht sich der etwas elegantere Theil des Bazars,
woselbst hauptsächlich Industrieproducte des Landes, als Matten, Thon-
geschirre und Messinggefässe, feilgehalten werden. Ueberaus häufig sind
Niederlagen von Buddha-Figuren und anderen Götzenbildern; die
Chinesen verkaufen ihre heimatlichen Erzeugnisse, nicht selten aber
auch allerlei Tand europäischer Provenienz. Wo das Gedränge
des ohnehin sehr belebten Bazars ein noch lebhafteres wird, findet
man Spielhäuser, die zumeist von Chinesen, jedoch auch von den
eingeborenen Landeskindern besucht werden.
Besonders zahlreich und sehenswürdig sind die Tempel Bang-
koks, deren zahllose schlanke, oft reichvergoldete Thürmchen —
Pratschedis — hoch über die aus Holz oder Palmstroh bestehenden
Giebeldächer emporragen. Die Tempel — Wats — sind in ihrer
Anlage ziemlich gleichförmig, ein Unterschied besteht zumeist nur in
ihren Dimensionen. An reicher und prunkvoller Ausstattung aber
überbieten sie sich gegenseitig. Die Gebäudecomplexe der Wats sind
von hohen Umfassungsmauern umgeben, längs welcher sich fresken-
geschmückte Säulenhallen befinden. Der eigentliche Tempel, ein
rechteckiges Gebäude mit hohem Dache und von kleineren Gebet-
hallen, Bibliotheken und Pratschedis umgeben, befindet sich zumeist
in der Mitte der ganzen Anlage. Diese Pratschedis sind thurmartige
Bauten von Kegel- oder Pyramidenform, welche in feine und lange
Spitzen auslaufen. Sie besitzen reichen ornamentalen Schmuck und
bilden Reliquienschreine, oder sind auch Wahrzeichen der Aschen-
urnen hervorragender Persönlichkeiten.
Das Dach eines Tempels ist ein drei- bis vierfaches, mit schön
geschwungenen Firsten und reich ornamentirten Giebeln geschmückt;
die Aussenwände und die Thore tragen reiche Vergoldungen. Das
Sanctuarium wird besonders reich ausgestattet, künstlerische Mosaiken
aus Gold, Glas und farbigem Thon, sowie prächtige Fresken verzieren
dasselbe. Inmitten des Sanctuariums befindet sich fast immer eine
riesige, reich vergoldete Buddha-Statue, und der Boden um dieselbe
herum ist mit Silbermatten belegt.
60*
[476]Der grosse Ocean.
Die ausgedehnteste Tempelanlage ist die von Wat Poh, die sich
in der Nähe der königlichen Residenz befindet und durch eine schwer
übergoldete Buddha-Figur in liegender Stellung auszeichnet. Beson-
ders bemerkenswerth ist auch die Wat Tscheng mit einem stattlichen
Thurme, Prabang genannt, der etwa 100 m hoch und ausserordent-
lich geschmackvoll ausgeführt ist. Da er weithin sichtbar ist, bietet
er auch von seiner obersten Galerie eine prächtige Aussicht über
ganz Bangkok und die Umgebung der Stadt. Der Grundriss des
Thurmes ist quadratisch mit eingezogenen Seiten; an dem sich all-
mälig verengenden Thurme steigt eine Galerie über der anderen
empor, welche alle von Dämonen und fabelhaften Thieren getragen
erscheinen, während die Nischen mit allegorischen Figaren reich be-
setzt sind. Den gleichmässigen Mittelbau krönen vier Thürmchen,
deren Nischen durch dreiköpfige Elefanten verziert werden. In der
Mitte zwischen den Thürmchen ragt die eigentliche, cannelirte und
im Querschnitte runde Thurmspitze empor, die sich nach oben kuppel-
förmig abschliesst. Man glaubt beim ersten Anblick, dass für diesen
Bau kunstvolle Steinmetzarbeit und reiches Mosaik aus edlen Steinen
verwendet wurde, überzeugt sich aber bei näherer Besichtigung bald,
dass das Baumaterial dieses Tempels nur aus gewöhnlichen Ziegel-
steinen besteht und dass die Verzierungen aus Stücken zerbrochener
Töpferwaare zusammengesetzt sind. Der Gesammteindruck dieses
Tempels, welcher zu den auffälligsten Baudenkmälern Siams gehört,
wird durch die bewunderungswürdige Kunstfertigkeit in der Zusammen-
stellung ein geradezu grossartiger.
Von der übrigen grossen Zahl der Tempel sind noch hervorzu-
heben: Die Wat Semplin, in welcher eine Fusstapfe Buddhas gezeigt
wird, die Wat Ratschagobit mit den Grabdenkmälern der könig-
lichen Kinder, die Wat Sutat mit einer riesigen Buddha-Figur, welcher
die überlebensgross dargestellten 72 Jünger gegenübersitzen; schliess-
lich die an schönen Fresken reiche Wat Saraharom.
Die Königstadt ist ein Complex grösserer und kleinerer Gebäude,
die sich innerhalb einer hohen, weissen Umfassungsmauer von etwa
einer Seemeile Umfang ausdehnt. Das eigentliche königliche Schloss
liegt in der Mitte der Königstadt; südlich von demselben befinden sich
verschiedene Gebäude für Staats- und Wirtschaftszwecke, einige
Kioske und Gartenanlagen. Auf der östlichen Seite liegt der könig-
liche Tempel, auf der westlichen, gegen das Ufer des Menam zu, der
Wasserpavillon und ein Anlegeplatz für Boote. Den zweiten, inneren
Schlosshof, der mit Granit- und Marmorfliesen gepflastert ist, be-
[[477]]
Bangkok.
[478]Der grosse Ocean.
grenzen zu beiden Seiten die alten Audienzhallen, die ein grosses
Portal abschliesst.. Den nördlichen Theil der Königstadt nehmen
das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, das Museum, die
Münze und die Druckerei ein. Die letztgenannten Gebäude bilden
den ersten, äusseren Schlosshof. Zahlreiche sonstige Bauten, zumeist
an der Umfassungsmauer, dienen zur Kasernirung der Wachmann-
schaften u. s. w.
Das königliche Schloss ist ein im modernsten europäischen
Style erbautes, zweistöckiges Gebäude mit dem landesüblichen hohen
Dache. Im unteren Stockwerke befinden sich die Staatsgemächer,
im oberen hauptsächlich Veranden und luftige Säle. Der grosse
Audienzsaal zeichnet sich durch einen massiven Goldthron mit sieben-
fachem Schirm darüber und durch die prächtigen, zu beiden Seiten
des Thrones angebrachten alten königlichen Waffen aus. Von den
alten Audienzhallen, die durch viele alte Gemälde und Fresken verziert
sind, ist die Mahaprasat benannte mit reichvergoldeten Säulen und
Wänden besonders bemerkenswerth.
Das Museum, das eigentlich zutreffender eine Schatzkammer
genannt werden sollte, enthält werthvolle Kunstschätze, eine reiche
Sammlung von Edelsteinen und chinesischem Porzellan. In der
Nähe des Museums liegen die Stallungen der „weissen“ (eigent-
lich nur weisslichen) und der Kriegselefanten. Wenngleich sich diese
weissen Elefanten einstens in Siam göttlicher Verehrung erfreuten,
so hat doch die fortschreitende Aufklärung auch den siamesischen
„Köhlerglauben“ zu erschüttern vermocht — der weisse Elefant ist
vom Piedestal der Gottheit herabgestiegen und nunmehr eine Rarität
geworden, die nur der Tradition halber gehegt und gepflegt wird.
Grossartige Schätze und prächtige Ornamentik finden sich in
der Tempelanlage der königlichen Palaststadt. Der Tempel der
Kleinodien, Wat Pra Keo, überwältigt durch seine reiche Pracht an
Goldmosaik und durch die verschwenderische Herrlichkeit seines
Hauptgebäudes, des Pra Ubosat. Der Hauptaltar des letzteren ist mit
Gold und Edelsteinen übersäet und von einer Buddha-Figur aus Jaspis
gekrönt. Die geschmackvolle Anordnung von Spiegelmosaik auf Gold-
grund erzielt hier hervorragend schöne Decorationseffecte. Unweit des
Hauptgebäudes liegt das Putabrang Prasat, der Krönungstempel, an
welchen sich ein reizender Pavillon, Pramondop genannt, anschliesst.
Von der grossen Zahl der Pratschedis dieser Tempelanlage ist die
Siratana-Pratschedi unzweifelhaft am schönsten und reichsten; ihre
meist glatten Aussenwände sind bis zur Spitze mit Goldmusiv verkleidet.
[479]Bangkok.
Die Vorstädte Bangkoks bilden einen ausgedehnten Garten, in
welchem die Häuser zerstreut liegen; ausserhalb der Vorstädte breiten
sich Palmenhaine und eintönige Reisfelder aus. Südlich von der Stadt
liegt der aus neuerer Zeit stammende Lotosgarten und das Palais des
Kronprinzen, etwa 60 Seemeilen stromaufwärts Ayuthia, die ehemalige
Hauptstadt Siams, die im vorigen Jahrhundert durch die Birmanen
zerstört wurde.
Ayuthia liegt auf einer Insel, besteht grösstentheils aus schwim-
menden Häusern und beginnt sich wieder zu heben, ohne begreif-
licherweise je wieder zu jener Pracht und Bedeutung emporsteigen zu
können, von welcher die (jetzt mit Schlingpflanzen reich bewachsenen)
Ruinen von Tempeln und Pratschedis ein beredtes Zeugniss ablegen.
Am Ufer eines kleinen Nebenarmes des Menam liegt das könig-
liche Lustschloss Bangba In, von einem prächtigen Parke umgeben,
der durch eine grössere Anzahl von Canälen und Teichen verschönert
wird. Die Wohnräume des Königs befinden sich in einer durchaus
in europäischem Style erbauten und ebenso eingerichteten Villa. Im
Parke zerstreut liegen zahlreiche, in allerlei Formen und Stylarten
erbaute Kioske und Pavillons.
Die sanitären Verhältnisse Bangkoks sind im Allgemeinen nicht
geradezu ungünstige, die Wasserversorgung jedoch auf Cysternen-
wasser und auf filtrirtes Wasser aus dem Menam beschränkt. Oeffent-
liche Spitäler bestehen derzeit noch nicht.
Bangkok hat an 400.000 Einwohner, dem Haupttheile nach
Siamesen, neben ihnen besonders viele Chinesen, Malaien, Birmanen,
Annamiten und Japaner, schliesslich — allerdings noch in relativ
sehr geringer Anzahl — auch Europäer. Die verschiedenartigen National-
trachten, die nach europäischem Muster gekleideten Polizeibeamten
und die mannigfaltigen Uniformen der in Bangkok stationirten Truppen
spiegeln einerseits am natürlichsten die sehr gemischte Zusammen-
setzung der Bevölkerung wieder, führen aber auch andererseits leb-
haft vor Augen, welch bedeutende Fortschritte die Nachahmung
europäischer Kleidung, Sitten und Einrichtungen bei den Völkern des
östlichen Asiens macht — Fortschritte, denen sich auch das Königreich
Siam keineswegs verschliesst. Letzteres gilt insbesondere von der
bewaffneten Macht, die durchaus nach europäischem Muster organisirt
und adjustirt, sowie mit modernen Hinterladergewehren ausgerüstet
ist. Die grosse Kaserne, welche 6000 Mann aufnehmen kann, ist
luftig gebaut und wegen ihrer tadellosen Ordnung und Reinlichkeit
bemerkenswerth.
[480]Der grosse Ocean.
Vortreffliche Krupp’sche Feldbatterien und eine kleine, aus
mehreren Kreuzern, Kanonenbooten und Yachten bestehende Kriegs-
marine erhöhen die staatliche Wehrfähigkeit. Dem Umstande, dass
die europäischen Mächte ihren Colonialbesitz im östlichen Asien fort-
während erweitern, ist es allein zuzuschreiben, dass die Barre an der
Mündung des Menam noch nicht beseitigt worden ist, denn diese
Barre ist eben von grossem defensiven Werth, weil sie von grösseren
Schiffen nicht passirt werden kann und kleinere Fahrzeuge durch
die bestehenden, durchwegs modernen Befestigungen des Menam
zurückgewiesen werden können.
Wenngleich Bangkok der einzige Kriegshafen Siams ist, so be-
steht doch daselbst kein Seearsenal, weswegen die nationale Kriegs-
flotte hinsichtlich ihrer Reparaturen im Bedarfsfalle auf die Privat-
etablissements der Hauptstadt angewiesen bleibt. Von solchen Eta-
blissements sind die Bangkok Dock Company und die Siamese Engine
Works zu nennen, doch ist die Leistungsfähigkeit der Letzteren eine
ziemlich beschränkte.
Bangkok ist der wichtigste Handelsplatz des Landes und für die
Europäer von steigender Bedeutung.
Der Gesammthandel von Bangkok während der letzten drei Jahre wird
durch folgende Tabelle illustrirt:
Die ziemlich bedeutende Differenz in den Exportziffern der letzten zwei
Jahre ist auf die verminderte Reisausfuhr zurückzuführen, welche im letzteren
Jahre einen bedeutenden Ausfall aufwies. Als Folge des Mangels an Regen ging der
Preis von Paddy derart in die Höhe, dass er dem Export hinderlich war; über-
dies waren viele Besitzer durch das Austrocknen der Canäle ausser Stand gesetzt,
ihre Reisernte nach Bangkok zu verführen.
Nichtsdestoweniger umfasste die Reisausfuhr von Bangkok im Jahre 1889
noch immer 303.088 Tons (1 T = 1016·06 kg) im Werthe von 1,443.328 ₤, gegen
449.589 T im Werthe von 2,104.849 ₤ des vorhergehenden Jahres. Davon gingen
69.619 T direct nach Europa, ein grosser Theil nahm seinen Weg nach Califor
nien, der Rest wurde nach Canton verkauft.
Bei weiterer Betrachtung der Ausfuhr von Bangkok stellt sich Holz, und
zwar das Holz des Teakbaumes als der nächstbedeutende Exportartikel dar. Es
gelangten im Jahre 1889, als dem Berichtsjahre, 43.146 T im Werthe von
254.149 ₤ zur Ausfuhr, um ca. 15.000 T mehr als im vorhergehenden Jahre.
Die der Quantität und dem Werthe nach nächstwichtigen Ausfuhrsgegen-
stände bilden getrocknete Fische.
[481]Bangkok.
Der Export belief sich in den letzten drei Jahren auf
- 1889 11.807 Tons im Werthe von 89.635 ₤
- 1888 6.789 „ „ „ „ 84.657 „
- 1887 6.662 „ „ „ „ 70.180 „
hat also eine stetige Zunahme zu verzeichnen.
A Pagode, B Buddhatempel, C Kirchen, D Residenz des I. Königs, E Residenz des II. Königs, G Canal,
H Palast des Prinzen, J englische Factorei, K Palais des Ministers des Aeussern, L Begräbnissplatz,
M Consulate, N Docks und Werften, O Zollamt, P Bangkok-Strom (Me-nam).
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 61
[482]Der grosse Ocean.
Diese getrockneten Fische umfassen nur drei Arten; zwei davon sind Süss-
wasserfische, die dritte ein Seefisch unter dem Namen „platu“ bekannt, welcher
dem Häring gleicht und nur in den Monaten November, December und Jänner ge-
fangen wird. Die Versorgung mit Fischen ist für die Ernährung, sowohl der
europäischen wie der eingeborenen Bevölkerung von Bangkok von grosser Bedeu-
tung. Das Fischereirecht in den Binnengewässern ist ein, gewöhnlich einem
Siamesen von der Regierung verliehenes Monopol. Derselbe, „Farmer“ genannt,
hat nun seine Fischer, die ihm nach der Preislage eine 10 %ige Taxe von jedem
Fange bezahlen müssen und überdiess verpflichtet sind, ihre Ladungen in der „Far-
mer Station“ ihres Pachtherrn zu Bangkok zu entladen und zu Markte zu bringen.
Von einiger Bedeutung für den Export von Bangkok ist ferner Pfeffer,
dessen Ausfuhrmenge während des Bericht-jahres sich auf 1125 T im Werthe
von 60.571 ₤ belief.
Von Interesse ist ferner die Ausfuhr verschiedener Holzgattungen, wie
Rosenholz und Sapanholz. Von ersterem wurden im Berichtsjahre ausgeführt
3465 T im Werthe von 19.919 ₤, von letzterem 2027 T für 10.910 ₤.
Die Ausfuhr lebender Rinder spielt eine grosse Rolle im Exporte
Bangkoks. Regelmässiger Abnehmer ist Singapore. Der Preis eines guten Rindes
stellte sich im letzten Jahre auf 19½ Dollars, etwas mehr als 3 ₤, frei an Bord
gestellt. Die Ausfuhr lebender Rinder hat sich während der letzten fünf Jahre
mehr als verdoppelt. So exportirte Bangkok im Jahre
- 1889 25.770 Stück im Werthe von 51.993 ₤
- 1888 27.118 „ „ „ „ 60.394 „
- 1887 15.263 „ „ „ „ 32.039 „
- 1886 14.141 „ „ „ „ 31.693 „
- 1885 12.654 „ „ „ „ 26.555 „
Die Ausfuhr von rohen Häuten ist gleichfalls bemerkenswerth. Sie
betrug im Berichtsjahre 1227 T im Werthe von 31.603 ₤.
Hervorzuheben ist ferner der Export von Muscheln, der sich 1889 auf
998 T im Werthe von 16.855 ₤ belief.
Einen ganz merkwürdigen Ausfuhrartikel bilden Vogelnester, die ein ganz
stattliches Erträgniss liefern, wenn man bedenkt, dass für 7 T 13.184 ₤ erlöst wurden.
Die im Berichtsjahre zur Ausfuhr gelangten Cardamomen werden auf 9503 ₤
veranschlagt und der Werth aller übrigen nicht speciell benannten Artikel be-
zifferte sich auf 145.923 ₤.
Bei Betrachtung der Einfuhr von Bangkok, welche sich vornehmlich aus
Industrieerzeugnissen zusammensetzt, findet man Baumwollfabricate an erster
Stelle. Im Jahre 1889 wurden nicht weniger als 1,349.476 Stück im Werthe von
356.581 ₤ importirt. Die letzten Jahre weisen eine stete und beträchtliche Zu-
nahme in der Einfuhr dieser Erzeugnisse auf. Im Jahre 1886 betrug der Einfuhrs-
werth solcher Waaren 251.860 ₤, im Jahre 1887 302.746 ₤, und stieg im fol-
genden Jahre auf 342.202 ₤. Die wichtigsten Artikel darunter sind weisse
Shirtings, die aus England kommen, und „Chawls“ von Bombay Provenienz,
die den Manchester-Erzeugnissen vorgezogen werden.
Daneben werden ansehnliche Quantitäten an Baumwollgarnen bezogen,
im Berichtsjahre 4643 Ballen im Werthe von 57.533 ₤.
Der Import von Seidenwaaren betrug 1889 59.132 Stück für 50.112 ₤
gegen 80.372 Stück im Werthe von 26.325 ₤ des vorhergehenden Jahres.
[483]Bangkok.
Bedeutend ist die Einfuhr von Porzellanwaaren (China), deren Werth
im Berichtsjahre sich auf 128.840 ₤ gegen 84.740 ₤ des Vorjahres belief.
Die im Berichtsjahre importirten Eisen-, Stahlwaaren und Maschinen
hatten einen Werth von 48.107 ₤ gegen 14.807 ₤ des Vorjahres.
An Zündhölzchen importirte Bangkok 1889 8097 Kisten, im Werthe
von 26.090 ₤.
Ein hervorragender Einfuhrartikel ist Opium; die in der Liste ausgewie-
senen Mengen kommen ausschliesslich aus Singapore nach Bangkok. Die Opium-
einfuhr der letzten Jahre weist eine wesentliche Steigerung auf. Sie betrug 1886
664 Kisten im Werthe von 62.000 ₤, 1887 schon 968 Kisten im Werthe von
78.423 ₤, im Jahre 1888 belief sie sich auf 993 Kisten im Werthe von 82.912 ₤
und stieg im Berichtsjahre 1889 auf 1035 Kisten im Werthe von 91.274 ₤.
Damit ist aber die Opiumeinfuhr keineswegs erschöpft, da bedeutende Quantitäten
auf dem Landwege aus Yünnan und Luang Phrabang eingeführt werden. Grosse
Mengen von Opium werden ferner aus den chinesischen Häfen, namentlich durch
die aus Hongkong kommenden Segler und durch die den Küstenhandel besorgenden
Dschunken im Wege des Schmuggels nach Bangkok gebracht. Die siamesische Regie-
rung macht erst jetzt Versuche, diesem ausgedehnten Schmuggelhandel ein Ende zu
machen, und will ein aus Europäern und Chinesen gebildetes Inspectorat mit der
Ueberwachung des Opiumhandels betrauen. Die Verpachtung der Zölle auf Opium
bildet eine grosse Einnahme der Regierung und ist in der Hand eines aus
Chinesen bestehenden Syndicates. Im Jahre 1888 betrug der Pachtpreis 120.000 ₤.
In der Importliste fällt uns ferner die Einfuhr von Zucker auf, welche
die Menge von 2927 Tons im Werthe von 57.375 ₤ aufweist.
Die Einfuhr von Spirituosen erreichte im Berichtsjahre die Menge von
93.298 Kisten mit einem Werthe von 26.062 ₤, hat sich also gegen das Vorjahr
um 26.000 Kisten vermindert. Der Grund hiefür liegt in der Einführung eines
neuen Steuergesetzes, welches am 1. April 1889 in Kraft trat und den Handel
sowie den Verbrauch von Spirituosen in Siam wesentlich beeinflusste. Ein durch
dasselbe decretirter Einfuhrzoll von 40 bis 50 % auf Alkohol machte dem Handel
mit „Samshu“, einem aus Reis und Melasse erzeugten, bis zu 63 % Alkohol enthal-
tenden chinesischen Getränke, das in Schatou und Schanghai erzeugt wird, ein Ende.
Eine kleine Flasche „Samshu“, die am Erzeugungsort 1 s. 6 d. kostete, wurde in
Siam um 2 s. 5 d. verkauft. Jetzt ist sie mit einem hohen Einfuhrzolle je nach
dem Alkoholgehalte belegt, infolge dessen sind die billigen und starken Sorten,
die zumeist von der Landbevölkerung consumirt werden, von der Einfuhr aus-
geschlossen.
Dagegen ist der Verbrauch von Bier und Wein, welche nur 5 % Zoll
bezahlen, ein wesentlich grösserer geworden.
Ein bemerkenswerther Einfuhrartikel ist ferner Petroleum. Die erste Petro-
leumeinfuhr in Bangkok erfolgte im Jahre 1874 mit circa 8000 Fässern, nahm von
Jahr zu Jahr zu und erreichte 1889 die stattliche Zahl von 215.680 Fässern im
Werthe von 57.515 ₤., davon waren 135.000 Fässer amerikanischer und 86.680
Fässer russischer Provenienz. Da man zum Heitzen der Dampfmaschinen die Ab-
fälle von Reis und Kohle verwendet, so ist die Einfuhr von Kohle sehr klein.
Wir können die Importliste nicht schliessen, ohne noch der Einfuhr von
Juwelen und Schmucksachen zu gedenken, welche im Berichtsjahre einen
Werth von 97.235 ₤ repräsentirten. Der grösste Theil dieser Artikel gehört für
61*
[484]Der grosse Ocean.
den Gebrauch der Palastdamen. Mit dem Juwelenhandel befassen sich einige Indier
aus Bombay und Malayen aus Singapore.
Der Werth aller übrigen nicht speciell benannten Artikel des Jahres 1889
beziffert sich auf 371.871 ₤.
Die industrielle Thätigkeit in Bangkok beschränkt sich auf eine Anzahl
grosser Reismühlen, auf die Herstellung von Spirituosen aus Melasse, welche
hauptsächlich aus China importirt wird, auf eine Eisfabrik, auf ein Dockunter-
nehmen, auf ein Eisenwerk und Sägewerke.
Der Schiffsverkehr von Bangkok wird zu vier Fünfteln durch die Eng-
länder besorgt. Die Gesammtzahl der im Berichtsjahre im Hafen eingelaufenen
Schiffe belief sich auf 388, davon waren 75 Segler und 313 Dampfer.
Regelmässige Schiffsverbindungen bestehen zwischen Bangkok und Hongkong,
sowie zwischen Bangkok und Singapore. Die Linie Bangkok-Hongkong befahren
zehn englische Dampfer, von denen sieben Eigenthum der „Scottish Oriental Steamship
Company“ sind. Der Verkehr zwischen Bangkok-Singapore wird gleichfalls durch
englische Schiffe besorgt, vier dieser Dampfer sind Eigenthum der „Ocean Steamship
Company“. In letzter Zeit sind auch zwei deutsche Dampfer für den regelmässigen
Dienst dieser Linie eingestellt.
Ausserdem wird seit 1889 von der französischen Regierung ein Dampfer sub-
ventionirt, welcher die ausschliessliche Bestimmung hat, zwischen Saigon und
Bangkok in bestimmten Intervallen zu laufen.
Auch die „Peninsular and Oriental Steam Navigation Company“ und der
„Norddeutsche Lloyd“ laufen Bangkok an.
Die ersten postalischen Einrichtungen Siams datiren aus dem Jahre 1884,
in welchem eine Stadtpost für Bangkok eingerichtet wurde. Seither wurde das
Postwesen durch einen deutschen Postbeamten organisirt, so dass es allen An-
forderungen zu entsprechen im Stande ist. Am 1. Juli 1885 ist Siam in den Welt-
postverein aufgenommen worden. In telegraphischer Verbindung steht Bangkok
durch Landlinien mit Moulmein, Saigon, Chiengmai (an der birmanischen Grenze),
Chantaburi, Zimmeh und Paknam. Weitere Telegraphenlinien befinden sich gegen-
wärtig noch im Baue.
Der Verkehr Bangkoks nach dem Binnenlande beruht bis jetzt allerdings
noch auf den althergebrachten Verkehrsmitteln. Doch besteht schon eine Menam
Flotilla Cy. und in allernächster Zeit dürfte der Bau verschiedener Eisenbahnlinien
in Angriff genommen werden.
An Projectanten und Projecten fehlt es nicht. Englische, französische und
deutsche Firmen haben der Regierung eine Anzahl von Plänen unterbreitet, unter
denen der eines deutschen Ingenieurs zum Bau einer Eisenbahn von Saraburi nach
Korat (eine Entfernung von 160 Kilometern) die meisten Chancen hat, ausgeführt
zu werden. In Bangkok selbst wurde im Jänner 1889 mit dem Bau einer Pferde-
bahn begonnen, welche schon im ersten Jahre ihres Bestehens eine 11 %ige Divi-
dende zahlte. Die Concession wurde zwei Regierungsbeamten auf 50 Jahre ertheilt.
In nicht zu langer Zeit wird sich Bangkok der elektrischen Beleuchtung er-
freuen. Die Concession wurde der „Siam Electric Light Company“ übertragen, einer
Gesellschaft, der zwei Prinzen angehören, der eine als Secretär, der andere als Cassier.
Gesandtschaften und Consulate unterhalten: Belgien, Dänemark,
Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-
Ungarn, Portugal. Schweden und Norwegen, Vereinigte Staaten von Amerika.
[[485]]
Manila.
Zu den werthvollsten Perlen der spanischen Königskrone gehört
unstreitig Luzon, die hervorragendste unter den nahezu 1000 Inseln,
aus welchen die Gruppe der Philippinen besteht. Ihre Hauptstadt,
Manila, liegt an der Westküste Luzons, am Ende der tief ins Land
einschneidenden Bucht von Manila.
Beim Ansegeln von Manila sichtet man zuerst die vorliegende
Punta Capones, dann folgen bis zum Cap Mariveles mit üppigem
Grün bewachsene Berge; zwischen dem letztgenannten Cap und der
malerischen Insel Corregidor hindurch gelangt man in die geräumige
Bucht, die einen Umfang von ungefähr 150 km besitzt. In diese Bucht
mündet der allezeit genügend wasserreiche Fluss Pasig, der Manila
in zwei Theile trennt. Der Pasig ist ein Abfluss der Laguna del Bay
und in seiner ganzen Länge bis tief in das Innere der Insel hinein
für flach gebaute Fahrzeuge schiffbar. Grössere Seeschiffe müssen vor
Cavite ankern, kleinere können auch in den Fluss einlaufen.
Die Errichtung eines neuen, für tiefgehende Schiffe geeigneten
Hafens ist links von der Mündung des Pasig projectirt. Zur Bestrei-
tung der Auslagen wird seit Jahren ein erheblicher Zuschlag zu den
Zöllen erhoben, aber die Arbeiten gehen nicht vom Fleck.
Die Bai ist zu gross, um sie auf einmal übersehen zu können.
Es entspricht daher ihr Gesammteindruck nicht jenem Rufe von
Schönheit, der ihr bisweilen zugeschrieben wird. Ueber dem flachen
Strande im Osten erheben sich die Gebäude des Seearsenals von
Cavite, weiter nördlich erstreckt sich die von zahlreichen Thürmen
überragte weisse Häuserlinie der Stadt, die sich von der im Hinter-
grunde liegenden blauen Bergkette scharf abhebt; doch findet sich
nirgends ein landschaftlich schöner oder sonst bemerkenswerther
Punkt, an dem das Auge des Beschauers mit Wohlgefallen haften
bleiben könnte, obwohl sich noch prächtige Urwälder mit riesigen
Bäumen auf der Insel befinden.
[486]Der grosse Ocean.
Die Philippinen wurden von Magelhaens 1521 entdeckt; aber erst 50 Jahre
später von den Spaniern besetzt. Speciell Manila wurde am 19. Mai 1571 von
Legaspi, dem Eroberer der Philippinen, an der Stelle der jetzigen kleinen Vor-
stadt Tondo gegründet und zur Hauptstadt der neuen Colonie erhoben; Papst
Gregor XIII. verlegte im Jahre 1578 hieher den Sitz eines Erzbischofs.
Die Altstadt Manila, die seither ihre Gestalt fast unverändert beibehalten
hat, ist von Don Gomez Damarinas erbaut, der überdies im Jahre 1590 mit dem
Baue von Festungswerken begann
Die Geschichte der Inseln und der Stadt Manila berichtet von zahlreichen
Conflicten zwischen der geistlichen und weltlichen Gewalt, doch erfuhr dadurch das
Werk der Bekehrung der sanften Tagalen keinen Aufschub, die selbst zum Priester-
stande zugelassen werden. Manila ist ein Dorado für die katholische Geistlichkeit,
und noch heute braucht ein Reisender, welcher das Innere der Inseln besuchen
will, die Empfehlung des Generals der Augustiner, denen die Seelsorge übertragen
ist, nothwendiger, als die Erlaubniss des Generalcapitäns.
Die reichen Inseln erweckten aber auch den Neid der benachbarten Portu-
giesen und Niederländer, welche wiederholt die Spanier bedrängten, die sich
häufig auch den unvermutheten Ueberfällen grausamer chinesischer Seeräuber zu
erwehren hatten.
Im Jahre 1762 erschien plötzlich eine englische Escadre vor Manila, welche
der erstaunten Stadt die erste Nachricht von dem zwischen England und Spanien
ausgebrochenen Kriege überbrachte und dieselbe zur Unterwerfung aufforderte.
Der damalige Erzbischof traf als Interims-Statthalter sofort alle Anstalten zur
Vertheidigung der Stadt, zu deren Oberhaupt er vor seiner Flucht den Richter
Don Simon de Anda ernannte. Der letztere war ein thatkräftiger und energischer
Greis und sammelte zu Bacolor in der Provinz Pampanga eine beträchtliche Zahl
von Vertheidigungstruppen, mit welchen er durch 15 Monate allen Angriffen der
Engländer standhielt, bis der Friede von Paris die Feindseligkeiten einstellte.
Bis zum Jahre 1785 war Manila den Fremden ganz verschlossen, und selbst
der Verkehr mit dem Mutterlande war ein ganz schwacher und ungenügender.
Das menschenarme Spanien concentrirte seine Kräfte auf die reichen amerikanischen
Colonien, die Philippinen standen nicht im Kreise der ersten Interessen. Alle
Jahre verliess ein Schiff, „la nao de Acapulco“ genannt, den Hafen von Manila,
um die Erzeugnisse der Inselgruppe in Mexico gegen bare Münze umzusetzen;
erst 1789 wurde Manila den Fremden eröffnet, blieb aber noch lange Jahre der
einzige Hafen des Archipels, in welchem Fremde Handel treiben durften.
Am linken Ufer des Pasig liegt die Altstadt, das eigentliche
Manila, dessen Name auch auf die am rechten Ufer des Flusses lie-
genden Vorstädte ausgedehnt wird. Die an Bedeutung und Grösse
hervorragendste der letzteren ist Binondo, welcher Stadttheil un-
mittelbar am Flusse liegt und sich von dessen Mündung in nörd-
licher Richtung hin ausdehnt. Von Binondo aus erstrecken sich
strahlenförmig in nördlicher und nordöstlicher Richtung die an der
See gelegene Vorstadt Tondo und landeinwärts die Vorstädte Trozo,
St. Cruz, Quiapo, St. Miguel, San Sebastian, Tanduay und Sampaloc.
[487]Manila.
Am linken Ufer des Pasig und ausserhalb der Festungswerke liegen
drei kleinere Vororte: Ermita, Malata und Pago, von welchen die
beiden erstgenannten an das Meeresufer grenzen. Die 300 Jahre alten
Festungswerke, welche die Altstadt umgürten, sind noch vortrefflich
erhalten; die Geschütze aber, mit denen sie armirt sind, müssen
weniger als den Anforderungen der modernen Kriegstechnik entspre-
chend, denn als hübsche Museumsstücke bezeichnet werden. Zwei
Seiten des Gürtelwalles, von denen eine an den Pasig und die andere
an die Küste grenzt, bilden einen spitzen Winkel, in welchem sich
das Fort Fuerza de Santiago befindet, das in der Geschichte der
Philippinnen mehrmals eine Rolle gespielt hat
Innerhalb der Festungswerke liegt, wie bereits erwähnt, Alt-
Manila, ein heisser und sehr stiller Ort mit geraden, einander recht-
winkelig schneidenden Strassen und viereckigen Plätzen, die durch
Statuen und steife Gartenanlagen verziert werden. Die bemerkens-
werthesten dieser Denkmale sind eine Magelhaens-Säule und eine Statue
der Königin Isabella II. Klöster, Stifte, Regierungsgebäude und Kaser-
nen wechseln hier miteinander ab, doch ist die Bauart der Häuser der
häufigen Erdbeben halber eine überaus einfache, die der kirchlichen
Bauten fast ganz ohne architektoniche Schönheit oder künstlerischen
Schmuck. Luzon ist durchwegs vulkanischer Natur und hat noch
viele thätige Vulkane, um Manila herum deren drei. Infolge der be-
ständigen Gefährdung der Häuser durch Erderschütterungen sind die
Miethzinse ausserordentlich hohe, der gebotene Comfort ein äusserst
geringer; so sind beispielsweise die Dächer trotz der Tropenhitze
häufig mit Eisenblech gedeckt und nur der Unterbau der Häuser
solid und stark gemauert, die Stockwerke jedoch aus Holz gezim-
mert. Eine Eigenthümlichkeit sind jedenfalls auch die Fenster, die
häufig aus zahlreichen Placunamuscheln zusammengesetzt sind und
deshalb auch nicht los cristales, sondern los conchas (Concha=Muschel)
genannt werden. Sind die Conchas geschlossen, so macht das Haus
einen ungemein trübseligen Eindruck, der durch das Düstere der
Innenräume noch verschärft wird. Die Häuser sind auch noch in
anderer Beziehung möglichst unbequem, denn während der heissen
Jahreszeit, d. i. März bis Juni, bieten sie keinerlei Frische, fängt
aber dann die bis September oder October währende Regenzeit an,
so weiss man durch drei Monate nicht, welches Zimmer man bewohnen
soll, um sich vor dem eindringenden Regen zu schützen.
Ausserhalb der Festungsmauern liegen in unmittelbarer Nähe
der Stadt breite Strassen mit schattigen Alleen und weiten luftigen
[488]Der grosse Ocean.
Plätzen; der Paseo und die Luneta, woselbst die Militärmusik häufig
spielt, sind beliebte Spaziergänge.
Zu der Stille der Altstadt contrastirt in hohem Masse das rege
Leben auf dem Pasig, an dessen Mündung ein schon lange im Bau
befindliches, doch noch immer nicht vollendetes Hafenbassin liegt.
An beiden Ufern des Flusses, die bis zur Mündung eingedämmt sind,
befinden sich stets lange Reihen von Segelschiffen und Dampfern, die
daselbst laden und löschen; grosse, flache Boote mit halbrunden
Dächern, die für Waarentransporte auf dem Flusse und gleichzeitig
auch als Behausung ihrer Bemannung dienen, sowie eine grosse An-
zahl von Lichterbooten u. s. w. sind in steter Bewegung.
Eine stattliche eiserne Brücke führt über den Fluss und ver-
bindet die Vorstadt Binondo mit der Altstadt. In den Hauptstrassen
Binondos, speciell in dessen Hauptverkehrsader, der Escuelta, sowie
auch in der Calle del Rosario reihen sich Verkaufsläden, Cafés,
Hôtels und Werkstätten in bunter Folge aneinander; am Ufer des
Pasig befinden sich zahlreiche, dem regen Geschäftsbetriebe der Vor-
stadt entsprechende Waarenlager, und hier vereinigt sich das ganze
commercielle Leben der Stadt. Die luftigen Wagen der Pferdebahn,
zahlreiche hübsche Equipagen, nette Lohnfuhrwerke und eine bunte
Menge von Fussgängern beleben die breiten Strassen Binondos, das
die Altstadt nicht nur an Grösse, sondern auch an Schönheit der
Anlage bei Weitem übertrifft.
Unter den zahlreichen kirchlichen Bauwerken Alt-Manilas und
Binondos befinden sich mehrere, die Dank ihrer soliden Bauart den
zerstörenden Einflüssen der Erdbeben ziemlich gut Stand gehalten
haben. Die im Jahre 1578 erbaute erzbischöfliche Kathedrale wurde
jedoch zu wiederholten Malen durch verheerende Erderschütterungen
zerstört oder beschädigt. Zuletzt im Jahre 1863 fast neu erbaut,
musste ihr Thurm nach dem Erdbeben von 1880 gänzlich abgetragen
werden. Nebst der Kathedrale sind an hervorragenden Bauwerken
noch zu nennen: das Athenäum, das Missionshaus und das meteoro-
logische Observatorium der Jesuiten, das Stadthaus (Palacio del
Cabildo Municipal), das Zollamt, das Hospital San Juan de Dios,
ferners die Kirchen von Santa Cruz, San Sebastian, San Thomas,
San Michael, Santa Elisabeta und San Augustin, sowie schliesslich die
Klöster von San Domingo und San Augustin. Es sei hier bemerkt,
dass die Intoleranz gegen Andersgläubige in Manila so weit geht,
dass der ziemlich zahlreichen protestantischen Colonie der Bau eines
Gotteshauses noch nicht gestattet worden ist.
[489]Manila.
Von dem durchwegs europäischen Aussehen Binondos unter-
scheidet sich das der übrigen Vorstädte durch tropische Scenerien
und durch lange Reihen von Villen und Hütten inmitten saftig grüner
Gärten. Besonders auffallend ist in dieser Beziehung Tondo, wo sich
an das Chinesenviertel die ausschliesslich von Tagalen bewohnten
Quartiere anschliessen, welche durch ihre auf Pfählen ruhenden Hütten
mit Palmstrohdach und Mattenwänden lebhaft an die malayischen Ort-
schaften Sumatras erinnern. Auf den kleinen Esterros (Flüsschen),
Manila (Escuelta).
welche die Vorstädte durchziehen, gleiten rasch und geräuschlos die
Piroguen — bancas — der Eingeborenen. Sie bringen Trinkwasser,
Gemüse und Obst, vor allem anderen auch ganze Ladungen Areca-
nüsse, die von den Tagalen in Betelblätter eingeschlagen und leiden-
schaftlich gerne gekaut werden. Das bedeutendste dieser Flüsschen,
der Rio de Binondo, ist geradezu ein Canal, der sich zwischen den
Häuserreihen hinzieht und nebst mehreren anderen auch die Esterros
de Sibacon und de Tutuban aufnimmt. In den kleineren Vorstädten
finden sich zahlreiche Häuschen, die nur aus Bambusrohr und dem
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 62
[490]Der grosse Ocean.
Holz und den Blättern einer cocosähnlichen Palmengattung, daher
geradezu kostenlos erbaut werden, weil dieses Baumaterial an den
Ufern der Esterros wächst und zu dessen Verbindung keineswegs
Nägel oder andere Eisentheile, sondern Streifen von Rotang oder
Bambus Anwendung finden.
Das Ziel eines lohnenden Ausfluges ist ein interessanter Krater-
see in der Nähe Manilas, welcher den Namen Laguna encantada, d. i.
der bezauberte See führt.
Manila hat mit Einrechnung der Vorstädte 250.000 Einwohner,
von welchen aber nur 12.000—14.000 in Alt-Manila sesshaft sind. In
dieser Viertelmillion Einwohner finden sich beinahe alle Stämme,
welche die Philippinen bewohnen, mehr oder minder zahlreich ver-
treten. Ausser den europäischen Spaniern und den Hios del pays sind
in der Stadt noch Chinesen, Tagalen, Igoroten, vereinzelte Negritos,
Cagayanen, Ilocanen und Visayas ansässig, so zwar, dass die ein-
zelnen Stämme meistens zusammenwohnen und man gewissermassen
ganze Stadtviertel derselben unterscheiden kann. Negritos und Igorotes
sind die Ureinwohner der Insel, die Tagalen (auch Naturales und
Indios genannt) Nachkommen der mohammedanischen Eroberer ma-
layischen Stammes, welche zwei bis drei Jahrhunderte vor Ankunft
der Spanier Luzon in Besitz genommen hatten.
Die Mestizen unterscheiden sich in spanische und chinesische
oder Mestizos de Sanglang (Sangley). Erstere sind Abkömmlinge
spanischer Väter und eingeborner Mütter; sie gelten als wenig unter-
nehmend und als nicht besonders thätig, während die Mestizos de
Sanglang in allen Beziehungen ihren chinesischen Vätern nachge-
rathen. Bemerkenswerth ist, dass selbst bei Mischlingen aller drei
hier vorkommenden Racen (Kaukasier, Mongolen und Malayen) der
chinesiche Typus in der Nachkommenschaft durch mehrere Genera-
tionen bemerkbar bleibt. Wie an allen Orten ihres Auftretens, so ge-
langen auch die Chinesen Manilas durch ihren unermüdlichen Fleiss
und ihren berechnenden Geschäftsgeist bald zu einigem Reichthume,
weshalb sie auch von den Eingebornen als ihre Ausbeuter betrachtet
und nur mit Neid angesehen werden. Dessenungeachtet verschmelzen
manche seit längerer Zeit in Manila ansässige Chinesen immer mehr
mit der übrigen Bevölkerung, und europäisch gekleidete, wenngleich
noch bezopfte Chinesen mit dem Amtszeichen der Gobernadorcillos,
dem goldknopfigen Stocke, sind keine Seltenheit mehr; auch ist die
Gastfreundlichkeit der wohlhabenden Chinesen bekannt und wird oft
in Anspruch genommen.
[491]Manila.
Die europäischen Kreise Manilas scheiden sich in zwei scharf
getrennte Gruppen; die eine bilden das Militär, Beamte und Pflanzer,
welche durchwegs Spanier, Creolen oder Mestizen sind, und die andere
umfasst den Handelsstand, in welchem bei grösseren Firmen Spanier
fast gar nicht vertreten sind, Engländern und Deutschen jedoch die
Hauptrolle zufällt. Deutsche und Engländer helfen sich über die be-
stehenden Gegensätze durch eifrige Benützung ihrer behaglichen und
gastfreundlichen Clubs hinweg. Gegenstand einer besondern Leiden-
schaft der Bevölkerung von Manila sind die Hahnenkämpfe, über
deren wahrscheinlichen Ausgang umfangreiche Wetten abgeschlossen
werden. Die auf dieselben eingehobene Steuer ist nicht unbeträchtlich.
Manila ist Sitz des Statthalters der Philippinen. Dieser, ein
Divisions-General der Armee, führt einen überaus langen Titel, an
erster Stelle jenen eines Gouverneurs und General-Capitäns der Colonie,
sowie auch der Marianen- und der Carolinen-Inseln; er ist der oberste
Chef der Regierungsämter und der bewaffneten Macht, doch ist sein
Wirkungskreis bedeutend eingeengt. Einerseits ist ihm ein Verwal-
tungsrath (Real audiencia) beigegeben, der aus dem commandirenden
Admiral der Station und aus den obersten Spitzen der Kirchen-, Ge-
richts- und Civilämter besteht, andererseits muss er für alle Entschei-
dungen von einiger Bedeutung die Genehmigung der Madrider Re-
gierung einholen.
Von den Unterrichtsanstalten Manilas ist an erster Stelle die
Universität zu nennen. Diese, la real y pontificia Universidad de
Santo Tomás de Manila, wurde 1619 als Colegio de Santo Tomás
von den Provinzialen des Ordens del Santisimo Rosario gegründet
und 1785 durch König Karl III. zu einer königlichen Anstalt erhoben,
wobei deren Rechte jenen der Universitäten des Königreiches Spanien
gleichgestellt wurden. Durch lange Jahre eine vorwiegend theologische
Unterrichtsanstalt ist sie seit dem 29. October 1875 gleich der Uni-
versität von Madrid organisirt und seit 1879 durch Aggregirung
von Cursen für Geburtshilfe, sowie für pharmaceutische und ärztliche
Gehilfen erweitert. Die Hörerzahl der einzelnen Facultäten schwankt
zwischen 120 und 180, die Anzahl der Graduirungen aber ist eine
auffallend geringe. Insbesondere scheint der Doctorstitel der juridischen
und der medicinischen Facultät selten ertheilt oder selten angestrebt
zu werden. Das 1640 gegründete Colegio San Juan de Letran ist
das Gymnasium Manilas, das Real Colegio de senoritas de Sta Isabel
besorgt den höheren, von barmherzigen Schwestern geleiteten Unter-
richt der Mädchen. Das Ateneo municipal der P. P. Jesuiten ertheilt
62*
[492]Der grosse Ocean.
einen allgemeinen Unterricht, besitzt einen commerciellen Specialcurs
und zeichnet sich durch ein gut eingerichtetes physikalisches Cabinet
und ein reichhaltiges naturwissenschaftliches Museum aus. Zu nennen
sind ferner die nautische Academie und eine Ackerbauschule. Der
botanische Garten ist wenig bemerkenswerth, das meteorologische
Observatorium im Jesuitenconvent von gutem wissenschaftlichen Ruf.
Seine Sturmwarnungen haben schon oft grossen Nutzen getragen,
Studien über Erdbebenerscheinungen werden daselbst eifrigst durch-
geführt.
Die Junta directoria de Obras Pias unter dem Präsidium des
Erzbischofs steht den humanitären Anstalten vor. Zu letzteren gehören
das Waisenhaus, das im Jahre 1810 gegründete Real hospicio de
San José, das Siechenhaus San Lazaro und das Hospital San Juan
de Dios de Manila; die beiden letztgenannten Anstalten sind bereits
drei Jahrhunderte alt, sowie das als Militärspital verwendete Hospicio
San José de Cavite.
Die Garnison der Stadt ist in zwei grossen und mehreren
kleinen Kasernen untergebracht. Im Innern der Stadt befindet sich
die grosse Artilleriekaserne, in welcher ein ganzes Regiment liegt, in
nächster Nähe derselben sind ein Munitionsdepôt, ein Munitionslabo-
ratorium und eine grössere Werkstätte zur Vornahme von Repara-
turen an Geschützen. Die im Barakenstyle angelegte Infanterie-
kaserne liegt ausserhalb der Stadt im freien Terrain. Bemerkens-
werth ist, dass nur die europäischen Soldaten Betten besitzen, wäh-
rend die eingeborenen sich mit einer einfachen, tagsüber aufgerollten
Strohmatte begnügen.
Die Philippinen sind eine Ackerbaucolonie; die heisse Saison
dauert hier von März bis Juli; dann beginnen die Regen, welche bis
December andauern und die Strassen und Wege fast ungangbar
machen.
Unter den Handelsplätzen derselben ist Manila der wichtigste und
vermittelt den grösseren Theil des Aussenhandels der Inseln.
Von den vornehmsten Producten der Inseln, welche den Gegenstand der
Ausfuhr bilden, gelangten folgende Quantitäten über Manila zur Verschiffung:
Der Export von Zucker als dem quantitativ stärksten Ausfuhrartikel belief
sich im Jahre 1890 auf 2,360.442 Piculs oder 149,297.956 kg, während im Jahre
1889 nur 99,337.239 kg zur Ausfuhr gelangten. Der Hauptabsatz von philippinischem
Zucker erfolgt gegenwärtig nach Nordamerika, welches zwei Drittel der ge-
sammten Ausfuhr, zumeist trockenen Zucker bezieht.
Für Manila-Hanf, gewonnen von der Abacastaude, weist Manila die be-
trächtliche Ausfuhrmenge von 1,004.310 Pic. = 63,522.608 kg für das Jahr 1890
auf. Im Jahre 1889 wurden nur 62,351.486 kg verschifft.
[493]Manila.
An dritter Stelle steht in der Ausfuhr Tabak, dessen im Jahre 1890 ver-
schiffte Quantitäten gegen das vorhergehende Jahr eine nicht unbedeutende Ver-
minderung auf 178.267 q gegen 213.161 q verzeichnen.
Neben Tabak bilden Cigarren, die in Manila selbst erzeugt werden, einen
lebhaften Exportartikel. Im Jahre 1890 wurden nicht weniger als 109 Millionen
Stück exportirt.
A Sternwarte, B Botanischer Garten, C Militärspital, D Friedhöfe, E Exercierplatz, F Leuchtfeuer,
G Tanque, H Bateria de Carlos IV, J Isla de Convalescencia, K Fuerzo St. Jago, L Isla de Trozo,
M neuer Hafen (im Bau), N Leprosen-Spital. O Dulumbate, P Carcel, Q 10 Meterlinie, R 5 Meterlinie.
Den nächst stärksten Export verzeichnet Kaffee, wovon 1890 nur 76.771 Pic.
4,645.766 kg gegen 5,985.326 kg des Vorjahres ausgeführt wurden.
Farbhölzer verzeichnen im Jahre 1890 eine Exportmenge von 45.050 Pic.
oder 2,849.412 kg.
Unter den übrigen Ausfuhrartikeln desselben Jahres verdient noch Indigo
mit der Quantität von 395 Pic. oder 24.984 kg genannt zu werden.
[494]Der grosse Ocean.
Andere Ausfuhrartikel Manilas bilden, allerdings in geringeren Mengen,
Büffelhäute und -Hörner, Bauhölzer, Cocosnüsse, Copalgummi und
Perlmutter.
Dagegen spielt die Ausfuhr von Edelmetallen eine grosse Rolle. Der
Werth des beispielsweise im Jahre 1887 zur Ausfuhr gelangten Goldes in
gemünztem Zustande belief sich auf 834.914 Doll. und der des gemünzten
Silbers auf 1,115.876 Doll.
Die Philippinen erhielten nämlich im Jahre 1857 ein eigenes Münzsystem,
bei gleichzeitiger Einrichtung einer Münze. Durch den beträchtlichen Goldvorrath
im Lande veranlasst, wählte man die Goldwährung. Seit 1862 wurden jedoch
auch Silbermünzen geprägt, und gegenwärtig haben inländische und ausländische
Silbermünzen die Goldmünzen vollständig aus dem Verkehre verdrängt.
Bezüglich der Einfuhr von Manila fehlen uns specielle statistische Auf-
zeichnungen. Die vorhandenen Ausweise umfassen den Import der Philippinen
überhaupt und reichen auf das Jahr 1887 zurück. Der Gesammtwerth dieser Einfuhr
betrug 16,530.296 Doll., wovon die grössere Hälfte auf den Hafen Manila entfiel.
Die wichtigeren Importartikel veranschaulichen folgende Tabelle:
- Baumwollgewebe aller Art 4,626.387 Doll.
- „ gemischte 313.004 „
- Garne ......... 673.300 „
- Seidenwaaren ...... 385.635 „
- Wollwaaren ...... 135.428 „
- Stroh- und Filzhüte .. 318.204 „
- Möbel aller Art .... 284.501 „
- Chemikalien, Droguen etc. 481.150 Doll.
- Papier jeder Art .... 239.193 „
- Schirme ........ 375.544 „
- Steingut ........ 131.692 „
- Eisen u. Eisenwaaren etc. 613.657 „
- Zündhölzchen ..... 270.259 „
Unter den Nahrungsmitteln spielt Reis die erste Rolle mit einem Werthe
von 2,355.431 Doll., daneben Mehl für 523.362 Doll., Conserven für 535.348 Doll.
In der Einfuhr von Getränken ist Wein an erster Stelle mit einem Werthe
von 1,317.332 Doll. zu nennen. Bier verzeichnet einen Importwerth von 107.976 Doll.
und Spirituosen einen solchen von nur 71.563 Doll.
An der Einfuhr participirten England und Indien mit 6·3 und 5·4 Mill.
Doll., Spanien mit 2·5 Mill. und Saigon mit 1·1 Mill. Der Rest vertheilt sich auf
Amerika, Deutschland, Frankreich und China.
Von der Ausfuhr des Jahres 1887, welche auf rund 25 Mill. Doll. veran-
schlagt ist, gingen Waaren für 11·7 Mill. nach Amerika, für 6·9 nach Indien und
Hongkong, 3·6 nach England und 2·3 nach Spanien als den stärksten Absatz-
gebieten.
Die industrielle Thätigkeit in Manila ist eine ziemlich lebhafte. In
erster Linie ist die Fabrication von Cigarren zu nennen, deren Ausdehnung durch
oben angeführte Exportziffer von fertigen Cigarren beurtheilt werden kann. Es
besteht eine Reihe grösserer, von Europäern angelegter Fabriken. Ihre Erzeug-
nisse werden immer besser, und die Manila-Cigarren erobern allmälig wieder
ihren alten Ruf.
Seit mehr als einem Jahrzehnt besteht daselbst eine grosse englische Zucker-
raffinerie und im Jahre 1890 wurde in Manila eine grosse Bierbrauerei dem Be-
triebe übergeben. Die Qualität des von derselben erzeugten Bieres ist jedoch eine
sehr mittelmässige und wird den europäischen Bieren kaum starke Concurrenz
machen. Ausserdem gibt es noch Spiritusbrennereien, eine in englischen Händen be-
[495]Manila.
findliche Tauwerkfabrik, zwei Maschinenfabriken und in der Bucht von Canacao
(Bai von Cavite) ein Patentslip und Einrichtungen für Reparatur von Schiffen.
Destillate von ätherischen Oelen aus der Ilang-Ilang-Blüthe werden
namentlich von deutschen Apothekern hergestellt. Unter den Flechtarbeiten sind
neuerlich Hüte aus Palmenbast und gespaltenem Stuhlrohr ein nennenswerther
Ausfuhrartikel geworden, wogegen die recht kunstvoll angefertigten Cigarrentaschen
wenig ins Ausland gelangen.
Der Schiffsverkehr von Manila weist für das Jahr 1887 einen Einlauf
von 438 Schiffen mit 359.999 Tonnen auf.
Die erste Rolle spielt die britische Flagge, ihr folgen die spanische, nord-
amerikanische und deutsche.
Der Seeverkehr ist unbeschadet der ungünstigen Hafenverhältnisse ein ziem-
lich ansehnlicher; er wird in erster Linie durch die Marquez de Campos-Dampfer
besorgt, welche in Ostasien unter dem Namen Royal Spanish Mail and Coasting
Steamship Company bekannt sind. Diese Dampfer verbinden Manila mit Liverpool
und Barcelona, mehrere Dampfer englischer Flagge mit Hongkong, im Anschluss
an die Postdampfer der Messageries maritimes. Die Schiffe der ebenfalls eng-
lischen Sirap Line berühren Manila auf ihren Fahrten zwischen Antwerpen, England,
Singapore und Japan. Gross ist die Zahl der in unregelmässiger Folge ankom-
menden Dampfer.
Der Postverkehr Manilas erfreut sich Dank seiner tadellosen Einrichtung
einer steten Zunahme; die erste Telegraphenlinie wurde 1872 über Cavite nach
Corregidor gelegt. Der in den nächsten Jahren folgenden beträchtlichen Erweite-
rung des Telegraphennetzes schloss sich auch die Einbeziehung der Philippinen
ins Welttelegraphennetz an, welche durch die Legung eines Telegraphenkabels
zwischen Luzon und Hongkong bewirkt worden ist.
Auch von Manila nach Visyas auf der Insel Iloieo wurde ein Kabel gelegt.
Dem Binnenverkehre dient eine Eisenbahn von Manila nach Dagupan,
welche Ende 1890 fertiggestellt und bereits dem Betriebe übergeben wurde. Bei
dem Baue derselben waren 5000 Menschen beschäftigt.
Die Linie durchschneidet mehrere der reichsten Ackerbauprovinzen, nament-
lich die blühenden Zuckerdistricte von Bulacan und Pampanga sowie die Haupt-
reiskammer Pampasinan. Die Rentabilität dieser Bahn, deren Anlage einen grossen
Fortschritt bedeutet, ist nicht zu bezweifeln, da in den bevölkerten Provinzen
neben dem Güter- sich gewiss auch ein starker Personenverkehr entwickeln wird.
Eine zweite Linie Manila-Antipolo ist projectirt und dürfte bald in Angriff
genommen werden.
Die wichtigsten Bankinstitute auf Manila sind: Chartered Bank of India,
Australian and China, Banco Español Filipino, Hongkong and Shanghai Banking Cy.
Die spanische Bank steht unter Aufsicht der Regierung, welche einen Director
bestellt, die Anstellungen genehmigt und den Zinsfuss festsetzt. Sie allein hat das
Recht der Notenausgabe; ihr Hauptgeschäft ist das der Depositen, während
die englischen Banken im An- und Verkauf von Tratten bedeutenden Umsatz
haben. Der Zinsfuss beträgt 5—9 Procent.
In Manila unterhalten Consulate: Belgien, Brasilien, Chile, Dänemark,
Deutsches Reich, Canada, Frankreich, Grossbritannien, Quatemala, Italien, Japan,
Liberia, Mexico, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Russland, Schweden
und Norwegen, Schweiz, Vereinigte Staaten von Amerika.
[[496]]
Javanische Häfen.
Die wichtigste der holländischen Colonien in Asien ist Java,
eine der fruchtbarsten und schönsten Inseln nicht nur Ostindiens
sondern der Welt. Wenngleich an Grösse Sumatra, Borneo und Celebes
weit nachstehend, ist Java mit seinen 22 Millionen fleissigen Ein-
wohnern dennoch die reichste und am dichtesten bevölkerte Insel des
ganzen Archipels. Ihre Nordküste bespült die Javasee, ihre Südküste
der indische Ocean. Letztere Küste ist steil und hoch und überhaupt
schwer zugänglich, sie besitzt nur wenige Ankerplätze minderen
Werthes, von denen Tjilatjap eine Ausnahme bildet; dieser wunder-
schöne natürliche Hafen hat während der letzten fünf Jahre die Auf-
merksamkeit der Handelswelt auf sich gezogen. Die Nordküste ist
hingegen niedrig, der Meeresboden dort weicher Schlamm, also guter
Ankergrund; mehrere vortreffliche Häfen an derselben sind für die
Schiffahrt von grossem Werthe.
Die bedeutendsten und besten dieser Häfen sind die Bantam-
Bai, die Batavia-Bai, die Rehede von Samarang und der Hafen von
Soerabaya. Die an der Batavia-Bai und an der Bucht von Soerabaya
erbauten gleichnamigen Hafenstädte sind die Handelscentren der Insel
und als solche für den Handels- und Schiffahrtsverkehr des hinter-
indischen Archipels von grosser Bedeutung.
Batavia.
Die Hauptstadt der gesammten niederländischen Besitzungen in
Ostindien und das Emporium des niederländisch-asiatischen Handels
ist Batavia. Sie ist am westlichen Ende der Nordküste von Java, unter
6° 8′ südl. Breite und 106° 49′ östl. Länge von Greenwich, an einer
breiten und geräumigen Bai erbaut; das Weichbild der Stadt wird
durch das Canalnetz des Tjiliwong (Jiliung), eines schmalen und
seichten Wasserlaufes, sowie auch anderer benachbarter Gewässer
durchzogen. Der Tjiliwong kann nur durch unausgesetztes Baggern
für kleinere Fahrzeuge fahrbar erhalten werden.
[497]Javanische Häfen.
Ein Häuptling von Djakarta, Vasall des Bantam’schen Reiches,
verkaufte im Jahre 1611 ein Grundstück am östlichen Ufer des Tjili-
wong für circa 3000 Gulden an den holländischen Generalgouverneur
Pieter Both, der daselbst im Jahre 1614 den Grundstein zu einer
Factorei legte, welche den Namen Nassau erhielt. Der vierte General-
gouverneur, J. Pieter Koen, benannte die Niederlassung zuerst nach
seiner Vaterstadt Nieuw Hoorn und später, über Anordnung der
Batavia (Waterloo Plein).
niederländisch-ostindischen Compagnie, „Batavia“. Koen machte sich
für die junge Colonie in vieler Hinsicht sehr verdient, seine Energie
und Thatkraft stehen gewiss ausser jedem Zweifel, das Monument,
welches ihm später in Weltevreden errichtet wurde, verdient er jedoch
weder als Gründer der Stadt, noch als Mensch (Ambon’scher Mord,
Kortenhoef-Sara Spett).
Die erste Schule der Stadt wurde 1625 erbaut, die erste Raths-
sitzung fand 1627 in dem neu erbauten Rathhause statt. General-
gouverneur v. Diemen baute ein Gymnasium und die Kruiskerk (Kreuz-
kirche), auch hinterliess er der Stadt nach seinem Tode eine grössere
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 63
[498]Der grosse Ocean.
Summe zum Baue einer zweiten Kirche. Unter seinen nächsten Nach-
folgern ging die Ausdehnung der Stadt rasch vorwärts, die Amanus-
Gracht, das Molenvliet und der Antjol’sche Canal wurden gegraben.
Ursprünglich in Form eines länglichen Vierecks mit fünf Thoren
erbaut, von welch letzteren die Vierkantspoort bis auf den heutigen
Tag erhalten geblieben ist, zählte die Stadt zu Anfang des XVIII. Jahr-
hunderts bereits drei grössere Vorstädte. Die Geschütze des „Kasteels“
bestrichen dazumal die Rhede, doch rückte der Strand seither durch
die Anschwemmungen des Tjiliwong jährlich um 7—8 m in die See
vor, so dass die Stadt jetzt schon 4 km von der See entfernt ist.
Der Zuckerbau nahm gleich im Anfange einen grossen Auf-
schwung, ging jedoch nach und nach wieder ein, bis (1709) die Plan-
tagen von Chinesen übernommen wurden. Letztere bemächtigten sich
übrigens auch schon damals eines Theiles des Handels und der Küsten-
schiffahrt, indem sie Europäer und Javaner durch ihre billige Arbeit
verdrängten.
Die Bai ist gegen die offene See durch viele Inseln und Bänke
geschützt und insoferne ein guter Ankerplatz für tausend und mehr
Schiffe. Aber die grosse Anzahl der im Laufe der Zeiten angelegten
und vom Tjiliwong gespeisten Gräben schwächten diesen Fluss, welcher,
als die versuchte Zuleitung des Tjidani und des Angki resultatlos
blieb, nicht mehr die Kraft besass, den Unrath der Stadt der See
zuzuführen, dafür aber an seiner Mündung eine grosse Schlammbank
ansetzte und die Tiefen in der Bai überall verringerte. Ueberdies
wurde Batavia durch diese Anschwemmungen höchst ungesund, so
dass man es lange Zeit hindurch als „Kirchhof der Europäer“ be-
zeichnete.
Generalgouverneur Daendels liess 1808 die Befestigungswerke
abtragen; er verlegte den Sitz der Regierung nach dem 6 km land-
einwärts, höher und gesünder gelegenen Weltevreden. Seither bauten
sich die wohlhabenderen Einwohner der Stadt gegen Weltevreden
zu an, und auch eine andere, ebenfalls höher gelegene Stelle, der
Konings-Plein, wurde mit regelmässigen Strassen angelegt. Auch die
Sanirung der alten Stadt selbst konnte durch jahrelange Mühe und
Ausdauer, durch Bohrung artesischer Brunnen, sowie durch den Bau
von Dämmen und Canälen schliesslich erreicht werden; demungeachtet
gerieth sie immer mehr in Verfall.
Die wiederholten Blokaden durch englische Flottenabtheilungen
(1800 und 1806), sowie die widerstandslose Einnahme der Stadt
durch englische Truppen (1811) blieben auf Batavia, das nach dem
[499]Javanische Häfen.
Frieden von 1816 wieder den Holländern zurückgegeben wurde, ohne
schädigenden Einfluss. Desgleichen berührten auch die Niederwer-
fung des Aufstandes Dieppo Negoros (1825—1830) und der Heeres-
zug gegen den Sultan von Bali (1849), die sonst schwere finanzielle
Schäden mit sich brachten, die Entwicklung der Hauptstadt in keiner
Weise.
Batavia zerfällt in 7 Bezirke, deren erster die alte Stadt und
die angrenzenden Vorstädte in sich begreift.
Die alte Stadt ist trotz ihres sonstigen Rückganges doch noch
immer Sitz des gesammten Handels geblieben. Längs der mit Last-
booten bedeckten und von schattigen Bäumen eingefassten Canäle ziehen
sich Bauten in holländischem Style hin, welche vielfach an die
Grachten Amsterdams erinnern. Alt-Batavia besteht zumeist nur aus
Schreibstuben, Magazinen und Speichern der Kaufleute und Handels-
und Schiffahrtsgesellschaften und den Aemtern der Consulate, sowie
aus den Wohnungen der Eingeborenen, Chinesen und Mischlinge;
hier befinden sich überdies noch das 1652 erbaute Stadhuis mit den
Amtslocalen des Residenten und der Polizei, das Justizpalais, das
meteorologisch-magnetische Observatorium, das Hafenamt, die alte
Kirche Buitenkerk, die Börse, die Bureaux zahlreicher Dampfschiff-
fahrtsgesellschaften und der chinesische Club. Am grossen Canale
Kali Besar befinden sich das Gebäude der Java-Bank, deren Noten
von der Regierung garantirt und als Papiergeld im Umlaufe sind,
ferners die meisten grossen Handelsfirmen und die Mehrzahl der Con-
sularämter.
Die Häuser der alten Stadt sind unzweckmässiger Weise nahe
aneinander und hoch gebaut, auch zumeist mit Glasfenstern ge-
schlossen und haben Kupferdächer. Besondere Sehenswürdigkeiten
finden sich hier nicht. In der Nähe des Pinangthores, des letzten
Wahrzeichens der einstigen kurzen portugiesischen Herrschaft (um
1590), liegt eine alte Kanone, bei der die Javanen opfern (beson-
ders die kinderlosen Frauen, welche dadurch ihre Fruchtbarkeit zu
fördern vermeinen). Bei der Buitenkerk liegt das Denkmal des Ver-
räthers von Batavia, Pieter Elberfeld, der 1722 hingerichtet wurde.
Eine Steinplatte trägt die Inschrift, dass auf dieser Stelle „bis in
Ewigkeit“ nicht gebaut werden darf.
Zu den Vorstädten des ersten Bezirkes gehört die arabische an
der Rua Malaka. Holländische Häuser wechseln hier mit leichten
Hütten aus Bambusrohr ab, Araber und Mauren treiben daselbst Handel
mit Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen.
63*
[500]Der grosse Ocean.
Im Südwesten der Altstadt liegt der zweite Bezirk, Campong-
china, der meist aus kleinen, schlecht gebauten und eng aneinander
liegenden Hütten von Chinesen besteht. Dieser Stadttheil ist entschieden
der lebhafteste des gesammten Complexes, das ganze Leben concentrirt
sich hier auf der Strasse, umsomehr als der Bezirk trotz seiner unge-
sunden Lage ungemein dicht bevölkert ist und seine arbeitsamen
Bewohner für Batavia von grosser Wichtigkeit sind. Alle Gattungen
Handwerke sind hier vertreten und alle Bedürfnisse der Europäer,
Chinesen und Javanen aufgestapelt.
Der dritte Bezirk, Molenvliet, wird ausschliesslich von Euro-
päern bewohnt und überrascht durch seine Schönheit. Dem Klima
entsprechend liegen die Häuser von einander getrennt und inmitten
von Fruchtbäumen aller Art; sie sind gross und zumeist nur einstöckig,
mit flachen Dächern und schönen Veranden erbaut. Letztere sind
gegen den Abend der gewöhnliche Aufenthaltsort der Bewohner des
Hauses, dort werden Besuche empfangen und bewirthet, dort athmet
man freier auf, spielt, musicirt oder plaudert, sobald die drückende
Hitze des Tages der angenehmen Abendluft gewichen ist. Hinter den
Hauptgebäuden und in der Nähe derselben liegen zu beiden Seiten
Wohnräume der Dienerschaft, Küchen, Badezimmer und Stallungen.
Südlich von Molenvliet dehnen sich die europäischen Vorstädte
Rijswijk und Nordwijk aus. In ersterer befinden sich der sehens-
würdige alte Palast des Generalgouverneurs, der gesellige Club „Har-
monie“ mit seinem prächtigen Garten und das Museum der Gesell-
schaft für Künste und Wissenschaften. Nordwijk wird hauptsächlich
von Kaufleuten bewohnt.
Die Rijswijker Strasse verfolgend gelangt man zum Konings-
Plein, einem grossen Viereck von etwa 200 m Seitenlänge, das von
prächtigen Alleen majestätischer Tamarinden und fast ringsum von
weissen Gebäuden umrahmt wird. Zu letzteren gehören die Wilhelms-
kirche mit ihrer hohen Kuppel, die alle anderen Gebäude überragt,
und das neue Stadtpalais des Generalgouverneurs; der grosse Rasen-
platz dient zur Vornahme militärischer Uebungen, die vorerwähnten
Alleen bilden ein beliebtes Terrain für Spazierfahrten. Bei Anbruch
der Dunkelheit sammeln sich hier zahlreiche Equipagen mit Damen
in Balltoilette, während die Herren, welche ihre Kopfbedeckungen zu
Hause lassen, zu beiden Seiten der langsam fahrenden Wägen einher-
gehen. Die Tracht der Kutscher und der Bedienten erscheint etwas
eigenartig: galonnirter Cylinder über dem malayischen Kopftuche,
weisse Handschuhe, Alle aber sind — barfuss. Letzteres ist Landes-
[[501]]
A Alte Rhede, B neue Rhede, C Hafen, D Zeitsignal, E Schwimmdock, F Leuchtfeuer, G Sternwarte, H Bootscanal, J Eisenbahnstation, K Untiefen, L Riffe, M 2 Meterlinie,
N 5 Meterlinie, O 10 Meterlinie.
[502]Der grosse Ocean.
sitte der Eingeborenen. Da diese des Nachts nicht ohne eine Fackel
über die Strasse gehen dürfen und ihre Schritte andererseits unhörbar
sind, bieten die Strassen nach Eintritt der Dunkelheit einen ganz
eigenthümlichen Anblick. Charakteristisch für das Strassenleben
Batavias sind auch die Klontongs, chinesische Hausirer, die ihre
Waaren theils selber tragen, theils dies durch einen Kuli besorgen
lassen. In letzterem Falle geht der Besitzer voraus und meldet seine
Gegenwart mit einer eigenartig tönenden Klapper an.
Der vierte Bezirk, Ooster District, besteht aus den Stadttheilen
Jakatra und Gunungsahari, die fast ausschliesslich von Eingebo-
renen bewohnt werden. An den letztgenannten Stadttheil grenzt die
Vorstadt Weltevreden (Wohlzufrieden) mit einem grossen viereckigen
Platze, dem Waterloo-Plein, der durch das bereits erwähnte Denkmal
Pieter Koens und durch eine Säule mit dem Löwen von Waterloo
verschönert wird. Von den Gebäuden, die den Waterloo-Plein um-
säumen, sind das zweistöckige grosse Regierungspalais mit den
Sitzungssälen des Rathes von Indien und das schöne Militärclubhaus
„Concordia“ hervorzuheben. Das gleichfalls an diesem Platze liegende
Palais Daendels, welches vom Marschall Daendels erbaut und vom
Burggrafen Du Bus de Glusignies vollendet wurde, ist ein rechteckiger,
colossaler Steinbau, der jedoch wenig Kunst und Geschmack aufweist.
Neben dem Palais Daendels befindet sich das Gerichtsgebäude, in
welchem der höchste Gerichtshof Javas, der Hoog Gerechtshof, und
der Justizhof, Rad van Justitie, Sitzungen abhalten. Leider ist das
bürgerlijk wetboek (Gesetzbuch) in seiner Anwendung so eigenartig,
dass jeder Nichtbegüterte das Processiren vermeiden muss.
In Weltevreden liegen noch das Arsenal, die Artillerieschule,
das Hospital für christliche Einwohner, die Kasernen und das Theater,
in welchem von Zeit zu Zeit Concerte und Vorstellungen französischer
oder italienischer Operngesellschaften gegeben werden. Sonntag Abends
spielt die Militärmusik auf dem Waterloo-Plein, der dann von einem
zahlreichen Publicum in Wagen, zu Pferde und zu Fuss belebt
wird.
Bei der 1837 erbauten Citadelle Prins Frederik Hendrik, die
nicht armirt ist und nur mehr zu Magazinen verwendet wird, ist seit
einem Decennium ein Atjeh-Monument im Baue, ohne bemerkenswerth
fortzuschreiten — eine Analogie zu den noch immer nicht beendeten
Atjeh-Kriegen. Unweit hievon liegen die von Eingeborenen und Chinesen
bewohnten Stadttheile Kamponglama und Kampongbaru; südwestlich
von Molenvliet liegt der grösste Bezirk Batavias, der Südwestdistrict,
[503]Javanische Häfen.
der vier von Eingeborenen bewohnte Vorstädte enthält; westlich von
Kampongchina dehnt sich der am dünnsten und ausschliesslich von
Javanen und Malayen bevölkerte Westdistrict aus. Der siebente
Bezirk, Kampongbali, zu dessen Bewohnern nur wenige Europäer
zählen, bildet den Abschluss der Stadt gegen Süden.
Batavia war ehemals durch 27 Batterien gegen feindliche An-
griffe geschützt, insbesondere waren die Aussenwerke Fort Antjol,
Jakatra, Nordwijk, Rijswijk, Vyfhoek und Angki mächtig und vor-
trefflich bewehrt. Von allen diesen Fortificationen sind heutzutage
nur mehr zwei an der Westseite des Tjiliwong erhalten geblieben,
die seinerzeit die Namen Kuilenburg und Middelburg erhalten haben.
Das Klima Batavias ist tropisch feucht, besonders in den Monaten
Jänner und Februar, welche die wenigst warmen Monate sind; im
April herrscht die grösste Hitze, von Juni bis August sind die Morgen-
und Abendtemperaturen relativ kühl.
Batavia hat fast 200.000 Einwohner, darunter 6000 Europäer
und 66.000 Chinesen. Die Europäer sind im Allgemeinen genöthigt,
ihre Vergnügungen in der Häuslichkeit zu suchen. Sie wohnen in
den Vorstädten, und regelmässig begeben sich die Männer des Mor-
gens nach der Altstadt, um dort ihre Geschäfte zu besorgen; da sie
erst des Abends in ihr Heim zurückkehren, haben sie eigentlich nur
die Abende zur freien Verfügung. Immerhin bestehen einige Musik-,
Gesangs- und Theatervereine, zwei Ruderclubs und drei Turnvereine.
Das Leben ist in Batavia theuer, die Preise von Lebensmitteln sind
ungemein hohe. Jede europäische Familie muss der herrschenden
Sitte nach, Wagen und Pferde, sowie eine grosse Anzahl inländischer
Bedienten halten, kurz einen nach europäischen Begriffen auf grossem
Fusse eingerichteten Haushalt führen.
Wenngleich in Batavia eine grössere Anzahl von Schulen existirt,
so lässt doch das gouvernementale Schulwesen noch so Manches in
Bezug auf Lehrpläne und Hygiene der Schulräumlichkeiten zu wünschen
übrig; nur die Mädchenschulen der Ursulinerinnen zu Weltevreden
und Noordwijk sind geradezu mustergiltig.
Von der grösseren Zahl wissenschaftlicher Vereine sind an erster
Stelle zu nennen: die Gesellschaft für indische Sprachen-, Länder-
und Völkerkunde, die Gesellschaft für Künste und Wissenschaften und
schliesslich die königliche naturhistorische Vereinigung. Das Museum
der Stadt befand sich früher in Rijswijk, ist aber derzeit in einem
sehr schönen Hause am Konings-Plein untergebracht. Vor dem Ein-
gange befindet sich ein Elefant aus Bronze auf steinernem Piedestal;
[504]Der grosse Ocean.
das Ganze ist ein Geschenk des Königs von Siam. Den Glanzpunkt
des Museums bildet dessen ethnologische Sammlung, von deren
reichem Inhalt die Abtheilung Sumatra und der Nachlass des Sultans
von Atjeh sowohl des reellen als des künstlerischen Werthes halber
hervorragen. Besonders vollständig ist die Abtheilung Mittel- und
Ost-Java.
Die archäologische Sammlung, obwohl jüngeren Datums, ist
immerhin sehenswerth, die numismatische Sammlung von anerkanntem
Weltrufe und speciell in Bezug auf Niederländisch-Indien fast voll-
ständig.
Der zoologisch-botanische Garten, Planten en dierentuin, ist im
Parke des von der Stadt angekauften alten Palais des Prinzen (Raden)
Saleh eingerichtet worden, doch von keinerlei wissenschaftlichem
Werth, wenngleich als Vergnügungsort (und Restaurant) an Sonntagen
ein beliebtes Ausflugsziel.
Die inländische Polizei ist gut organisirt, doch von den Ein-
geborenen mehr verabscheut als gefürchtet. Längs der Strassen
stehen zahlreiche kleine steinerne Wachhäuschen, vor denen der
Gentong (Tongtong) hängt. Dies ist ein ausgehöhlter Block von
Nangkaholz mit einer schmalen Spalte als Oeffnung, die beim
Schlagen laute Töne gibt, welche den Polizeiposten als Signale
dienen. Ueberdies befinden sich auch in jedem dieser Häuschen
lange hölzerne Gabeln mit dornigen Zweigen, deren grosse Dorne
nach rückwärts stehen und auf diese Weise Fanginstrumente bilden,
die gegen Widerspenstige angewendet werden. Insbesondere werthvoll
sind diese Gabeln gegen die Amokläufer (orang amok), die in ihrem
Laufe alles Lebendige, das ihnen in den Weg kommt, in blindem
Fanatismus tödten.
Die Tiefe der Bai von Batavia nimmt, wie schon erwähnt,
infolge der beständigen Anschwemmungen des Tjiliwong stetig ab.
Die Regierung sah sich daher genöthigt, bei Tandjong Priok einen
künstlichen Hafen anzulegen, der mit der alten Stadt durch eine
Eisenbahn, eine breite Fahrstrasse und einen Canal verbunden wurde.
Der Waarentransport bewegt sich hauptsächlich auf den Wasser-
strassen, trotzdem sind auch die Fahrstrassen ungemein belebt, weil
Jedermann, so weit eben thunlich, fährt.
Die Eisenbahnlinien Batavias sind die von der Stadt (Station
Rathhaus-Plein) nach Tandjong Priok führende Staatsbahn und die
Privatbahnen nach Buitenzorg und Bekassie (Ooster-Bahn). Letztere
Bahnen haben ihren Bahnhof in Weltevreden am Konings-Plein. Die
[505]Javanische Häfen.
bis 1883 bestandenen Pferdebahnen wurden seither durch eine Dampf-
tramway ersetzt. Diese geht vom Pinangthor aus durch die alte
Stadt, dem Canal Molenvliet entlang, zwischen Rijswijk und Noord-
wijk, längs der Post und des Theaters, über den Waterloo-Plein und
an der „Concordia“ vorbei bis zur Vorstadt Kramat, von wo eine
Abzweigung über Meester Cornelis nach Kampong Malayu geht.
Eine Eisenbahn verbindet, wie vorher erwähnt, Batavia auch
mit dem 62 km südlicher gelegenen Buitenzorg (Ausser Sorge), von
den Eingeborenen Bogor genannt, welches seit 1746 die Residenz des
Generalgouverneurs von Niederländisch-Indien ist. In einem herrlichen
Thale am Fusse des Vulkans Salak gelegen und von einem mächtigen
Wildbach durchzogen, gewährt Buitenzorg einen überaus prächtigen
Anblick. Besonders schön liegt das Palais des Generalgouverneurs
inmitten des botanischen Gartens, der unstreitig der grossartigste der
Welt ist. In den verschiedenen Theilen desselben finden sich ungefähr
300 Pflanzenfamilien mit nahezu 10.000 Arten. Buitenzorg besitzt eine
hübsche Simultankirche und eine grosse Zahl einladender Privat-
gebäude, die Sommerwohnungen der Beamten und wohlhabender
Familien Batavias, welche den Ort seiner sehr gesunden Lage wegen
während der heissen Zeit aufsuchen.
In der Nähe Buitenzorgs, bei Ibu Kotta, liegen die Ruinen
Bogors, der Hauptstadt des Padjadjaran’schen Reiches, welche im
XIV. Jahrhundert durch den Muhammedaner Hassan Udin eingenommen
und verbrannt wurde, und zwischen Buitenzorg und Batavia liegt
Meester Cornelis, wo 1811 ein blutiges Treffen mit den englischen
Occupationstruppen stattgefunden hat.
Soerabaya.
Gleichfalls an der Nordküste Javas, gegenüber der Insel Madura,
befindet sich die Residentschaft Soerabaya mit der gleichnamigen
Hauptstadt, welche Sitz der Regierung und des Militärcommandos von
Ost-Java ist.
Soerabaya (Surabaja) hat eine bessere Rhede als Batavia und
wurde dadurch eine rasch emporblühende, durch Handel und In-
dustrie gleich bedeutsame Stadt; es liegt an der Meerenge von Madura
unter 7° 14′ südl. Breite und 120° 44′ östl. Länge von Greenwich; sie
zählt bereits 107.800 Einwohner, darunter 6421 Europäer, 8285 Chi-
nesen und 1618 Araber. Die Flüsschen Mas und Pigirian durchschneiden
den Häusercomplex der Stadt, die in früheren Zeiten eine Art Festung
bildete. Die alten Festungswerke wurden vor etwa 10 Jahren geschleift.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 64
[506]Der grosse Ocean.
Der Stadtbezirk wird in zwei Theile getheilt, die Kotta und Djobo-
kotta genannt werden. Zu Kotta gehören die Stadt, die Vorstädte
und die westlich daran grenzenden Kampongs, während zu Djobokotta
die südlichen und östlichen Kampongs gezählt werden. Die Stadt
zerfällt in 21 Bezirke, Wyken genannt, denen Wykmeesters vor-
stehen.
Westlich vom Flüsschen Mas liegt die theils auf holländische
Art, theils in einem an den altgriechischen erinnernden Baustyl er-
baute Altstadt. Diese Verschiedenheit, sowie auch die Anwendung
des letztgenannten Baustyls wird durch die Thatsache erklärt, dass
die niederländisch-ostindische Compagnie auf den dazumal allein zu-
gänglichen, ungesunden Küstenplätzen ihre Städte zuerst nach Art
der holländischen errichtete.
Die Ausserachtlassung der klimatischen Verhältnisse brachte
manche Epidemie und eine grosse Sterblichkeit über die Städte, die man
daher in der Folge mehr landeinwärts ausdehnte, wobei gleichzeitig
auch getrachtet wurde, geräumige und luftige Häuser zu bauen. Auf
diese Art entstanden Gebäude mit sehr breiten Vorder-, Innen- und
Hintergalerien, doch blieb nur wenig Platz für Zimmer.
Der schönste Theil Soerabayas ist der Stadttheil Simpang,
welcher einen prächtigen öffentlichen Garten und eine Menge schöner
Villen enthält. Hier liegt auch das Palais des Residenten, das Club-
haus und ein grosses Militärspital. Von bemerkenswertheren Ge-
bäuden der Stadt sind noch anzuführen: Die protestantische und die
katholische Kirche, die Maschinenfabriken, die Moschee, das Rath-
haus, das Theater und mehrere Hôtels.
In Orten wo sich jetzt das Stadtviertel Ngampel ausbreitet,
wurde die erste Niederlassung gegründet. Aus letzterer entstand die
Stadt Surobojo, in welcher der bekannte eifrige Vorkämpfer und
Apostel des Islam, Raden Rahmat (später Sunan Ngampel genannt)
wirkte und starb. Diese religiöse Bewegung fällt ins XIII. und XIV. Jahr-
hundert, in welcher Zeit der Islam den alten hindostanischen Glauben
von einem grossen Theile der Sundainseln verdrängte. Von den Hol-
ländern wurde zum Unterschiede von den Spaniern und Portugiesen
für eine Propaganda nie etwas gethan, welchem Umstande man zum
Theile die leichte Festigung ihrer Herrschaft zuschreibt.
Unter dem Schutze einer starken Küstenbatterie befindet sich
am Udjongflusse ein grossartig eingerichtetes Marine-Etablissement,
das mehrere Docks und zahlreiche Werkstätten enthält.
Soerabaya besitzt eine erfreulich grosse Anzahl von Schulen.
[507]Javanische Häfen.
Nicht weniger als acht europäische und zwei inländische Gouverne-
mentsschulen, sowie eine Gemeindeschule für Einheimische und mehrere
Privatschulen sorgen für die geistige Bildung der Bevölkerung. Von
wissenschaftlichen Vereinen und anderen Institutionen machen sich
um das allgemeine Wohl besonders verdient: Der Indische Landbau-
verein, die Maatschappy tot nut van ’t algemeen, mehrere humanitäre
Anstalten, die städtische Sparcasse und die Handels- und Industrie-
kammer.
Wie bereits früher erwähnt, schreitet die Entwicklung der Stadt
ungemein rasch fort, sie würde Batavia längst überflügelt haben,
Soerabaya.
wenn daselbst nicht der Sitz der Landesregierung wäre. Das Leben
in Soerabaya, wo sich auch der oberste Gerichtshof für die östlichen
Residentien Javas befindet, ist viel angenehmer und auch bei weitem
billiger als jenes in der Hauptstadt.
Die Rhede von Soerabaya ist eine in jeder Beziehung vortreff-
liche und durch guten Ankergrund ausgezeichnete; die Schiffe können
in nächster Nähe der Mündung des Kali Mas ankern, was die Ope-
rationen des Ladens und Löschens bedeutend erleichtert Eine Eisen-
bahn (Ooster spoorweg) geht von der Stadt nach Sidoardjo, woselbst
sie sich in zwei Zweige theilt, von denen der südliche nach Pasu-
ruan und Malang und der westliche nach Kertosono führt. Die Ver-
bindung Soerabayas mit Batavia ist im Princip beschlossen.
64*
[508]Der grosse Ocean.
Das Klima gleicht im Allgemeinen jenem von Batavia, nur ist
die Regenmenge der östlichen Theile Javas (Soerabaya 1855 mm
jährlich) eine geringere, als jene der westlichen Hälfte (Buitenzorg
5208 mm, Batavia 2020 mm jährlich). Bedeutend ist aber der Unter-
schied, den Stadt und Land im Osten je nach der Jahreszeit dar-
bieten. Während des Ostmonsuns sind die Ufer der Flüsse fast aus-
getrocknet, ihr dunkler Lehmboden zeigt grosse Spalten und das
spärlich fliessende Wasser ist ausserordentlich trüb. Kein Wölkchen
zeigt sich am Himmel; die weissgetünchten Häuser und die kies-
bestreuten Wege reflectiren das grelle Sonnenlicht so intensiv, dass
die Augen schmerzen; das Vibriren der aufsteigenden heissen Luft
ist deutlich wahrzunehmen. Die Wege sind von Sprüngen durchzogen
und eine dicke Lage braunrothen Staubes bedeckt alle Gegenstännde
mit einer gleichfarbigen Decke.
Ganz anders ist aber das Bild zur Zeit des Westmonsuns, der
Regenperiode. Das Sonnenlicht wird durch Wolken gemildert, an
den Ufern der hochgehenden Flüsse findet sich eine üppige Vege-
tation, die hässliche Staubschichte ist weggespült, alle Farben treten
frisch hervor und die Temperatur ist eine erträglichere.
Besonders interessant sind zwei „Modderhügel“ südlich von
Soerabaya, die in der Nähe des Strandes von Kalangandjar liegen.
Die Kuppe dieser Hügel trägt eine „Modder“ (Schlamm)- Welle, die
beständig in Bewegung ist und in welcher zahllose Luftblasen
aufsteigen, die schnell und ohne Geruch oder Geräusch auseinander
platzen. Eine wissenschaftliche Erklärung dieser merkwürdigen Natur-
erscheinung ist noch nicht gefunden.
Da in den statistischen Werken der holländischen Regierung ein Nachweis
über den Handelsverkehr der einzelnen Hafenplätze nicht enthalten ist, veran-
schaulichen wir im Nachstehenden den Gesammthandel der Insel Java,
welcher sich doch zumeist in den Häfen Batavia, Soerabaya und Samarang con-
centrirt. In dieser allgemeinen Schilderung wird auf die specielle Bedeutung des
einen oder anderen Platzes in gewissen Zweigen des Handels immerhin ein-
gegangen.
Unter den Inseln des indischen Archipels weist Java den grössten Handels-
verkehr auf. Von der gesammten Einfuhr Niederländisch-Indiens, welche während
des Jahres 1889 mit Ausschluss der Regierungsgeschäfte 140,572.052 holländische
Gulden betrug, entfielen 89,691.468 Gulden auf Java und Madura, eine kleine
Insel an der Ostküste Javas, denn auf diese zwei Inseln concentriren die Holländer
seit Jahrhunderten ihre ganze Thätigkeit, während sie die anderen Besitzungen
bis in die neueste Zeit vernachlässigt haben. Noch mächtiger ist die Vorherr-
schaft Javas in der Ausfuhr, welche, abermals mit Hinweglassung der Regierungs-
geschäfte, 112,702.683 Gulden von den 164,084.642 Gulden der Ausfuhr Hollän-
disch-Indiens umfasste.
[[509]]
A Marinearsenal, Zeitsignalstation, B Wrack, C Warnbojen, D 2 Meterlinie, E 5 Meterlinie, F Leucht-
feuer, G Fort Hendrick, H Strasse nach Kresik, J Stadtgraben, K Stadttheil der Europäer, L Stadt-
theil der Araber, M Stadttheil der Chinesen, N Vorstadt Udjong, O Vorstadt Kali anjer, P Vorstadt
Semut, Q Vorstadt Simpang, R Vorstadt Paser besar, S Vorstadt Kramat, T Vorstadt Bubutan,
U Chinesische Gräber, V Friedhöfe, W Eisenbahn nach Batavia, X Cocoswälder, Y Reisfelder, Z Fisch-
teiche.
[510]Der grosse Ocean.
Wenn wir uns vorerst mit der Ausfuhr Javas als dem wichtigeren Theile
seines Aussenhandels befassen, so finden wir in derselben beinahe ausschliesslich
die Producte der Bodencultur vertreten.
Als der weitaus bedeutendste Exportartikel Javas erscheint Zucker,
welcher im Jahre 1889, als dem Berichtsjahre, in einer Quantität von 3,157.496 q
im Werthe von 47,361.072 Gulden zur Ausfuhr gelangte. Im vorhergehenden
Jahre bezifferte sich die Ausfuhr auf 56,354.237 Gulden, weist also einen Rückgang
von rund 9 Millionen Gulden auf. Diese Verminderung ist nicht so sehr auf die
schlechten Witterungsverhältnisse im Berichtsjahre, als auf das Auftreten einer
Krankheit (Serehkrankheit) des Zuckerrohres zurückzuführen. Hauptabnehmer für
Javazucker sind Grossbritannien, Amerika, China und Australien.
Neben Zucker ist der Export von Kaffee für die Insel von grosser Be-
deutung, zumal die Kaffeecultur in hohem Masse auf Rechnung des Staates betrieben
wird. Im Jahre 1889 wurden ausgeführt 185.156 q im Werthe von 28,408.367 Gulden
von der Regierung und für 24,719.786 Gulden im Wege des Privatgeschäftes,
worunter sich allerdings ein grosser Theil von der Regierung gewonnenen Kaffees
befindet, da seit mehreren Jahren 100.000 Piculs (1 Picul = 61·76 kg) desselben
in Batavia jährlich versteigert werden. Der weitaus grössere Theil des Kaffees,
beinahe 90 %, nimmt seinen Weg nach den Niederlanden, der Rest nach England,
den Häfen im mittelländischen Meere, nach Singapore und Amerika. Kaffee ist eine
der besten Einnahmsquellen der Regierung von Niederländisch-Ostindien, weil
diese den Eingebornen für den Kaffee, der auf den Regierungsplantagen geerntet
wird, je nach der Qualität nur 7—14 Gulden Holl. pro Picul oder 61·76 kg be-
zahlt und auf den Auctionen ein Mehrfaches dieses Preises erzielt.
Der Werth der Tabakausfuhr Javas belief sich im Berichtsjahre auf
15,904.442 Gulden bei einer Quantität von 148.637 q, welche beinahe ausschliesslich
nach den Niederlanden verschifft wurde.
In der gleichen Zeitperiode exportirte Java 306.452 qReis im Werthe von
2,450.947 Gulden. Reis, welcher das Hauptnahrungsmittel der einheimischen Bevöl-
kerung bildet, kommt als eigentlicher Ausfuhrgegenstand nur bei einer ausser-
gewöhnlich guten Ernte in Betracht, sonst wird die jeweilige Ausfuhr durch eine
entsprechende Einfuhr aus Siam, China, Japan ersetzt, wie dies im Berichtsjahre
der Fall war.
Eine ansehnliche Rolle spielt die Ausfuhr der Insel an Thee. Dieselbe
belief sich im Jahre 1889 auf 34.923 q im Werthe von 2,095.306 Gulden und
blieb so ziemlich auf der gleichen Stufe wie in den drei vorhergehenden
Jahren.
Hervorzuheben ist ferner der Export von Pfeffer, welcher im Berichts-
jahre 25.020 q im Werthe von 1,650.000 Gulden erreichte. Dieser von Java aus-
geführte Pfeffer stammt hauptsächlich aus dem an der Sundastrasse gelegenen
Theile Sumatras, von wo er nach Batavia gebracht wird. Es ist dies beinahe
ausschliesslich schwarzer Pfeffer, während weisser in grosser Menge in dem nord-
westlichen Theile Sumatras (Atjeh) gewonnen und über Penang und Singapore ins
Ausland verschifft wird.
Den vorstehenden Artikeln anzureihen ist Indigo, dessen Cultur in Java
sehr lohnend ist. Die Ausfuhr desselben umfasste 727.203 kg und wurde auf
2,545.210 Gulden veranschlagt. Die Ausfuhr hat seit dem Jahre 1878 regelmässig
zugenommen. Der vermehrte Anbau von Indigo erklärt sich aus der Nothlage
[511]Javanische Häfen.
der Zuckerindustrie in den Residentschaften Djokjakarta und Soerakarta, wo die
Pflanzer sich infolge der Serehkrankheit veranlasst sahen, ihre Gründe mit Indigo
zu bepflanzen.
Java exportirte ferner im Berichtsjahre 14.946 qGummi im Werthe von
965.075 Gulden.
Muskat- und Cocosnüsse bilden gleichfalls lebhafte Exportartikel, deren
Ausfuhrwerth im Berichtsjahre 88.986 Gulden und 826.646 Gulden erreichte.
An Koprah wurden 1889 56.611 q für 449.518 Gulden exportirt.
Die Ausfuhr von Arrak belief sich im selben Jahre auf rund 20.000 hl
und repräsentirte einen Werth von 213.291 Gulden.
Der Export von Kapok erreichte einen Ausfuhrwerth von 330.845 Gulden.
Einen bedeutenderen Ausfuhrartikel bildet Chinarinde, wovon im Be-
richtsjahre für Privatrechnung um 902.735 Gulden und für Regierungsrechnung
um 138.734 Gulden, und zwar nach den Niederlanden und Grossbritannien ver-
schifft wurde. Die Cultur der Chinarinde hat durch Ueberproduction in anderen
Ländern, namentlich in Ceylon, stark gelitten und deckt kaum mehr die Pro-
ductionskosten, wiewohl die Chinarinde Javas die gehaltreichste der Welt ist.
Die verschiedenen Oele verzeichneten im Berichtsjahre einen Ausfuhrwerth
von 729.545 Gulden.
Das zur Ausfuhr gelangte Rohr repräsentirte einen Werth von 306.077 Gulden.
Wir gelangen nunmehr zu einem wichtigen Ausfuhrartikel, der zwar nicht
auf Java gewonnen, doch über Batavia zur Verschiffung gelangt, nämlich zu
Zinn, Dasselbe wird auf den in der Nähe von Sumatra gelegenen Inseln Banka
und Billiton theils für Rechnung der Regierung, theils für die von concessionirten
Privatgesellschaften gewonnen. Der Exportwerth belief sich für Privatrech-
nung auf 5,191.869 Gulden für 51.940 q, während die von der Regierung verschiffte
Quantität, welche von Banka stammt, 45.251 q im Werthe von 4,525.074 Gulden
umfasste. Der grösste Theil hievon ging nach den Niederlanden.
Unter den Producten des Thierreiches sind als weitaus wichtigster Artikel
Häute zu erwähnen, deren Werth für das Berichtsjahr auf 1,875.127 Gulden ver-
anschlagt wird.
Einen besonderen Ausfuhrartikel bilden Vogelnester für den stattlichen
Betrag von 182.003 Gulden.
Unter den Industrieerzeugnissen, die Java zumeist im Wege des Reexportes
versendet, sind Kleider im Werthe von 706.967 Gulden und verschiedene Manu-
facturwaaren im Werthe von 550.358 Gulden hervorzuheben.
Hiermit wären allerdings die bedeutenderen Ausfuhrartikel der Insel nam-
haft gemacht, wenngleich die Liste keineswegs erschöpft ist. Die nicht speciell
benannten Artikel sind jedoch durch verhältnissmässig geringe Werthe vertreten,
so dass von einer besonderen Anführung abgesehen werden kann.
Bei Betrachtung der Einfuhr Javas spielen selbstverständlich die verschie-
denen Industrieerzeugnisse eine grosse Rolle. Unter diesen stehen an erster Stelle
Baumwollwaaren und Stoffe mit einem Einfuhrwerthe von 27,199.815 Gul-
den während des Berichtsjahres 1889. Die Hälfte davon kommt aus den Nieder-
landen, nahezu ein Drittheil aus Grossbritannien, der Rest aus dem übrigen
Europa, und zwar theils direct, theis über Singapore.
[512]Der grosse Ocean.
Den Baumwollwaaren reihen sich an (1889):
Die nächstwichtige Gruppe bilden Metalle und Metallwaaren; sie setzt
sich aus folgenden Unterabtheilungen zusammen. Es betrug im Jahre 1889 der
Importwerth von:
Unter den übrigen Industrieerzeugnissen nehmen Kurzwaaren einen her-
vorragenden Rang ein. Deren Einfuhrwerth bezifferte sich im Berichtsjahre auf
3,120.972 Gulden.
Eine grosse Rolle spielt ferner die Einfuhr von irdenem Geschirr aller
Art mit einem Werthe von 1,231.069 Gulden, wovon zwei Drittheile aus den
Niederlanden importirt werden.
Der Import von Wachs (Ceresin) kann gleichfalls ein bedeutender ge-
nannt werden, da dessen Werth mit 1,216.202 Gulden angegeben erscheint.
Auch ist der Import von Manila- und Havannah-Cigarren ein umfang-
reicher und bewerthet sich mit 1,346.716 Gulden.
Die Einfuhr anderer wichtigerer Artikel erreichte nachstehend verzeichnete
Werthe:
Ein grosser Bruchtheil des gesammten Importes entfällt auf die verschiedenen
Nahrungsmittel und Getränke.
Unter ersteren erscheinen gesalzene und getrocknete Fische im
Gewichte von 160.000 q und im Werthe von 5,208.026 Gulden angegeben, während
der Importwerth anderer Fische sich auf 510.534 Gulden belief.
Neben Fischen ist Butter ein bedeutender Artikel, der im Berichtsjahre für
1,318.044 Gulden importirt wurde.
Die übrigen, nicht speciell benannten Esswaaren, von denen die Hälfte aus
Singapore und ein Drittheil aus den Niederlanden eingeführt wurden, repräsentiren
einen Werth von circa 3½ Mill. Gulden.
In dieser Liste ist nicht enthalten die Einfuhr von Reis, Thee und Mehl,
welche separat verzeichnet wird.
Der Reisimport wird auf 2,815.613 Gulden veranschlagt, der von Thee
auf 831.794 Gulden, und die Einfuhr von Mehl im Gewichte von 46.370 q hatte
einen Werth von 1,350.243 Gulden.
[513]Javanische Häfen.
Unter den Getränken nimmt Bier, wenn auch nicht dem Werthe, so doch
der Menge nach, eine hervorragende Stelle ein. Dagegen ist der Werth der
eingeführten Weine ein ziemlich bedeutender. An Getränken aller Art importirte
Java im Berichtsjahre 1889:
- Bier in Flaschen ........... 1,172.927 l für 594.888 Gulden
- Wein (Flaschen und Fass) ..... 1,200.000 l „ 1,086.072 „
- Genever ................ 1,052.692 l „ 692.439 „
- Branntwein und Cognac ....... 441.009 l „ 662.601 „
- Champagner in Flaschen ...... 56.163 „ 163.776 „
- Liqueure ............... — „ 139.992 „
- Mineralwässer ............. 1,420.000 l „ 212.316 „
Opium ist Gegenstand eines Regierungsmonopols und wird aus Kleinasien,
Persien und Indien eingeführt.
Endlich sind noch die beiden hervorragenden mineralischen Import-
artikel Petroleum und Kohle zu erwähnen. Die Petroleum einfuhr umfasste
949.280 hl im Werthe von 9,529.028 Gulden, eine Ziffer, welche das Resultat er-
gibt, dass in Java der grösste Verbrauch von Petroleum in ganz Ostasien
stattfindet. Die Steigerung ist eine sehr bedeutende und umfasst gegen das
Jahr 1887 eine Mehreinfuhr von 230.000 hl. Bis vor wenigen Jahren war das
eingeführte Petroleum ausschliesslich amerikanisches. Im Jahre 1889 hat jedoch
die Zufuhr russischen Petroleums bereits 177.170 hl, d. h. beinahe ein Sechstel
der Gesammteinfuhr erreicht, da es bei gleicher Qualität billiger als das ame-
rikanische ist.
Die Einfuhr von Steinkohle erreichte im Berichtsjahre einen Werth von
4,137.425 Gulden, dürfte sich jedoch in nicht zu ferner Zeit verringern, da in ver-
schiedenen Gegenden Niederländisch-Indiens Kohlen gefunden wurden und die
Ausbeutung von Kohle im Hinterlande von Padang (Sumatra) unmittelbar bevorsteht.
Die wichtigsten Hafenplätze Javas, welche beinahe den ganzen Aussen-
handel bestreiten, sind Batavia, Samarang und Soerabaya, die durch Eisen-
bahnen mit einander verbunden sind.
Vermöge seiner günstigeren Lage zu der grossen Schiffahrtsstrasse für den
ostasiatischen Verkehr ist Batavia der grösste Ausfuhrshafen Javas, da nicht
nur ein Theil der Inselproducte, sondern auch zahlreiche Artikel der anderen
Inseln des Archipels, namentlich des Südens von Sumatra, dahin gebracht werden,
um von dort erst nach Europa oder anderen Bestimmungsländern verschifft zu
werden. Hier ist übrigens auch der Sitz der vornehmsten Banken und Kaufhäuser
Niederländisch Indiens, welche dem Handel einen steten Impuls verleihen. Die
meisten grossen Geschäfte der Districte Samarang und Soerabaya werden denn
auch über Batavia gemacht, und dieses bildet das Centrum der mercantilen Opera-
tionen von ganz Niederländisch-Indien.
Dasjenige Landesproduct, welches Batavia vornehmlich zum Ausgangshafen
nimmt, ist Kaffee mit Rücksicht auf die schon erwähnten, daselbst von der
Regierung veranstalteten grossen Auctionen; der auf diesen Auctionen umge-
setzte Kaffee repräsentirt die feinste Sorte Holländisch-Indiens und ist im Handel
unter dem Namen „Gold-Java“ allgemein bekannt. Auch Zucker ist ein starker
Exportartikel dieses Hafens.
Ein beinahe ausschliessliches Versandtproduct Batavias bilden Thee und
Reis. Gewürze, namentlich Pfeffer, werden von Sumatra nach Batavia zu
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 65
[514]Der grosse Ocean.
Markte gebracht, ebenso Zinn, das die Regierung von den bereits genannten
Inseln nach Batavia zur Verschiffung bringen lässt. In grossen Mengen werden
endlich Häute über Batavia ausgeführt. Batavia war auch bis Neujahr 1891
der einzige javanische Hafen, der von fremdländischen Schiffahrtsgesellschaften,
z. B. den Messageries Maritimes, durch Zweiglinien angelaufen wurde.
Ueber Samarang, den kleinsten der drei Häfen, gelangt neben Zucker
Tabak und Kapok noch Indigo, welcher hauptsächlich in dem Districte cultivirt
wird, zur Ausfuhr.
In der Ausfuhr Soerabayas spielen Zucker und Tabak die Hauptrolle
neben Kaffee, der aus der Provinz Malang stammt und unter dem Namen
Malang-Kaffee in den Handel kommt. Gegenstand der Ausfuhr dieses Hafens
bildet ferner Koprah. Unter Koprah versteht man den getrockneten Kern der
Cocosnuss. Aus Koprah wird in Europa Oel dargestellt, und die Rückstände
finden noch als Viehfutter Verwendung. Die Koprahausfuhr hat seit dem Jahre
1889, über welches hier berichtet wurde, einen bedeutenden Aufschwung ge-
nommen, zu dem eine in Java etablirte österreichische Firma nicht wenig bei-
getragen hat.
Die Stärke des Hafenplatzes Soerabaya liegt in seiner Einfuhr, welche
die von Batavia und Samarang wesentlich übertrifft. Abermals ist dies durch
die geographische Lage bedingt. Während Batavia und Samarang durch ihre
Einfuhr nur den eigenen sowie den Bedarf ihrer Hinterländer auf der Insel zu ver-
sorgen haben und Batavia auch noch für den Süden Sumatras importirt, werden
von Soerabaya aus die ganze Ostseite Javas, sowie die übrigen Inseln des
Archipels versorgt. Es bildet dies einen wesentlichen Bestandtheil des Handels
von Soerabaya, als dem letzten Hafen des Ostens, wo die directen europäischen
Dampferlinien anlaufen. Soerabaya ist somit der eigentliche Platz für den Transit-
handel nach dem angrenzenden Archipel.
Die Einfuhrsartikel selbst sind für alle drei Hafenplätze gleichartig, weil
die Bevölkerung die gleiche ist und mithin dieselben Bedürfnisse und den gleichen
Geschmack besitzt.
Die wichtigsten Bankinstitute, welche zumeist in Batavia ihren Sitz
haben, sind: Die „Javasche Bank“ in Batavia mit Filialen in Samarang, Soerabaya,
Padang und Makassar, begründet im Jahre 1828 mit einem Capital von 6 Mill.
Gulden; die „Neederlandsch-Indische Handelsbank“, die „Koloniale Bank“,
„Chartered Bank of India, Australia and China“, „The Chartered Mercantile
Bank of India, London and China“, „Neederl.-Ind. Escomptemaatschappij“
„Hongkong and Shanghai Banking Corporation (Hamburg)“ etc. etc.
Nicht zu übersehen ist die „Factorij der Neederlandsche Handelsmaat-
schappij“, eine im Jahre 1824 begründete Handelsgesellschaft mit Agenturen in
Batavia, Samarang, Soerabaya, Padang und Singapore und einem Capital von
35,783.000 Gulden, welche sich um die Ausbreitung des Handels auf dem Archipel
grosse Verdienste erwarb. Diese Gesellschaft, sowie die drei englischen Banken
vermitteln hauptsächlich den Wechselverkehr mit dem Auslande. Die Wechsel-
curse werden durch sogenannte Institute auf die Niederlande, London, Paris und
seit April 1890 auch auf deutsche Bankplätze officiell notirt. Seit dem December
1887 beträgt der Discontsatz der Javabank 5 % und blieb auch während des Berichts-
jahres unverändert.
[515]Javanische Häfen.
Der Schiffsverkehr der drei Hafenplätze Batavia, Samarang und Soerabaya
während des Jahres 1888 hatte folgenden Umfang:
In Batavia liefen ein 557 Dampfer mit 644.168 T, 247 Segler mit
129.373 T, zusammen 804 Schiffe mit 773.541 T. Von den Dampfern führten
400 die holländische, 125 die britische und 32 die französische Flagge. Unter
den Seglern dominirte die holländische Flagge mit 190, ihr folgte die britische
mit 20. Die Zahl der ausgelaufenen Schiffe betrug 799.
In Samarang liefen ein 431 Dampfer mit 497.744 T und 122 Segler mit
74.003 T, susammen 553 Schiffe mit 571.747 T. Von den Dampfern führten 300
die holländische, 119 die britische Flagge. Von den Seglern waren 83 holländische,
13 britische. Ausgelaufen sind gleichfalls 553 Schiffe.
In Soerabaya liefen ein 451 Dampfer mit 402.665 T und 297 Segler mit
134.611 T, zusammen 748 Schiffe mit 537.276 T. 304 Dampfer waren holländische,
137 britische. Von den Seglern waren 240 holländische, 30 britische. Ausgelaufen
sind 738 Schiffe.
Den regelmässigen Verkehr vermitteln folgende Dampfschiffahrtsgesell-
schaften:
- 1. Die von der Regierung subventionirte Koninklijke Pakketvaart Maatschappij
welche die Fahrten im ganzen Archipel besorgt. - 2. Die Dampfschiffahrtsgesellschaft „Neederland“ (Amsterdam).
- 3. Der „Rotterdamsche Lloyd“ (Rotterdam).
- 4. Die Peninsular and Oriental Steamship Cy. mit einer Zweiglinie von
Singapore nach Batavia. - 5. Compagnie des Messageries maritimes, Zweiglinie von Singapore nach
Batavia. - 6. Queensland Royal Mail Line, directe Linie von London über Batavia nach
Australien. - 7. Navigazione Generale Italiana, directe Linie Genua—Marseille—Batavia.
- 8. Compagnie Nationale de Navigation zwischen Marseille und Java.
- 9. Die Deutsche Dampfschiffsrhederei in Hamburg, deren Sunda-Linie
Batavia, Samarang und Soerabaya anläuft. - 10. Die Eastern Steamship Cy. Limited endlich berührt auf der Fahrt von
Australien nach China Batavia und Samarang.
Von Batavia und Banjoevangi (an der Ostspitze von Java) geht je ein
Kabel der Eastern Extension Australasia and China Telegraph Cy. nach Singapore
und vermittelt über dieses den telegraphischen Verkehr mit Europa und Ost-
asien. Zwei Kabel verbinden Banjoevangi mit Port Darwin in Nordaustralien.
Auch mit Sumatra und Celebes ist Java durch Kabel verbunden.
In Batavia unterhalten Consulate: Belgien (G.-C.), Deutsches Reich,
Frankreich, Grossbritannien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Schweden und
Norwegen, Schweiz, Siam, Türkei (G.-C.), Vereinigte Staaten von Nordamerika.
65*
[[516]]
Singapore.
Im Norden durch die von den Malayen Ujong Tanah (Ende des
Landes) genannte Südspitze der Halbinsel Malakka förmlich um-
schlossen, liegt die britische Provinz Singapore, die commerciell und
administrativ wichtigste Ansiedlung der englischen Straits Settlements,
mit welchem Namen die britischen Besitzungen an der Malakkastrasse
bezeichnet werden.
Die Provinz Singapore besteht hauptsächlich aus der gleich-
namigen, 50 km langen und 26 km breiten Insel, welche ein Areal
von 580 qkm besitzt.
Die Insel Singapore wird von dem ehemals unabhängigen
Sultanate Djohore durch eine Wasserstrasse getrennt, die an ihrer
engsten Stelle kaum eine halbe Seemeile breit ist und Salat Tabras
oder Tambrosch genannt wird.
Von der Seeseite aus gesehen bietet die Insel einen überaus
anmuthigen Anblick; ihre Hauptschönheit, der sie auch ihren ma-
layischen Namen Tamsak (Liebesgarten) verdankt, liegt in ihrer
üppigen Vegetation; allerdings sind die mächtigen Urwälder schon
zum grössten Theile unter der Axt des chinesischen Pflanzers ge-
fallen. Die Insel besitzt niedrige Hügelketten und sumpfige Flächen;
die höchste Erhebung, der 157 m hohe Buka Timah, befindet sich
im Centrum der Insel. Der Boden des ehemaligen Urwaldes ist un-
gemein fruchtbar und bringt Reis, Katechu, Betel-Pfeffer, Tapioca,
Ananas, Kokosnüsse u. s. w. in grosser Menge hervor.
Der Name Singapore wird verschieden abgeleitet; nach Marsdon’s
malayischem Wörterbuche bedeutet derselbe: „Halt-auf-dem-Wege-
Stadt“ (Sing gah pur, Stop on the way town), nach der allgemeineren
Version jedoch „Löwenstadt“ (Singa pura).
Im südöstlichen Theile der Insel, unter 1° 17′ nördlicher Breite
und 103° 50′ östlicher Länge von Greenwich, liegt die Stadt Singa-
pore, nach welcher Insel und Provinz benannt worden sind.
[517]Singapore.
Sir Stamford Raffles, der während der napoleonischen Kriege Statthalter
von Java gewesen, gebührt das Verdienst, nach der durch die Bestimmungen des
Wiener Congresses vom Jahre 1814 erfolgten Zurückgabe der Sunda-Inseln seitens
Englands an die Niederlande in richtiger Erkenntniss der Bedeutung des da-
maligen Piratennestes Singapore, die Einverleibung desselben unter das Banner
Grossbritanniens angeregt zu haben. Politische Verhältnisse des dazumal noch
unabhängigen Sultanats Djohore, in welchem eben das legitime Herrscherhaus
ausgestorben war, erleichterten die Abschliessung eines Kaufvertrages, der die
Insel Singapore an England brachte.
Das alte Singapura wurde in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts von
dem Rajah Sang Nila Utama gegründet, welcher von der Ostküste Sumatras
hieher ausgewandert war. Allein schon unter dem Nachfolger des Gründers, dem
Rajah Sikander, fiel Singapura in die Gewalt der Javanen von Majapabit. Letztere
waren durch Sang Rajana Tapa, den Schatzmeister des Königs, aus Rache für die
Hinrichtung seiner Tochter herbeigerufen und kamen mit 300 Schiffen an, worauf
sie in einer hartnäckigen Schlacht den Rajah besiegten, der sich an den Seletar-
Fluss und dann nach dem Festlande von Malakka flüchtete, woselbst er die Stadt
Malakka und ein neues Reich gründete.
Der Rajah Ketschil Besar, welcher später den Titel Mohammed Schah an-
nahm, trat mit der gesammten Bevölkerung seines Reiches zum Islam über, der
seither die vorherrschende Religion der Malayen geblieben ist.
Als Capitän Hamilton im Jahre 1703 Djohore besuchte, bot ihm der
damalige Sultan dieses Staates die Insel Singapore als Geschenk an, doch lehnte
Ersterer dieselbe ab, weil er sie nicht wirklich in Besitz nehmen konnte.
Im Jahre 1810 starb der letzte Sultan von Djohore, Mohammed, ohne einen
rechtmässigen Erben zu hinterlassen. Seine Räthe, der Tumangong (Oberrichter)
und der Bandahara (Schatzmeister) theilten sich nun in die Herrschaft über das
Sultanat, wobei dem Ersteren das eigentliche Djohore und die Insel Singapore
zufielen. Der Tumangong gestattete hierauf den Engländern, auf der Insel
Niederlassungen zu gründen.
Am 6. Februar 1819 wurde daselbst zum ersten Male die Flagge Gross-
britanniens gehisst und 1824 wurde Singapore durch die Britisch-Ostindische
Compagnie dem Sultan von Djohore gegen Zahlung von 60.000 Dollars und eine
Leibrente von 24.000 Dollars abgekauft; 1867 ging die Insel endgiltig in den
Besitz der britischen Krone über.
Bei der Besitznahme der Insel durch die Engländer war die Insel nur von
20 malayischen Fischerfamilien bewohnt und ein übel berüchtigtes Seeräubernest;
der Scharfblick des Sir Thomas Raffles hatte aber richtig vorausgesehen, denn
wenngleich der jungen Colonie noch manches Jahr von Seite der malayischen
Seeräuber Unheil drohte, so blühte dieselbe dennoch mit staunenswerther Rasch-
heit auf und gelangte Dank der Schaffung eines Freihafens in kurzer Zeit zu be-
deutender Wichtigkeit.
Singapore hatte durch lange Zeit das Monopol des Handels
zwischen Indien und dem östlichen Asien; die Häfen von China,
Japan, Cochinchina und Siam waren dem europäischen Handel ver-
sperrt, Batavia, ohne von letzterem ganz abgeschlossen zu sein, bot nur
den holländischen Schiffen besondere Vortheile, die übrigen Häfen
[518]Der grosse Ocean.
der holländischen Besitzungen waren nur der nationalen Flagge ge-
öffnet. Singapore war hingegen für alle Nationen frei, Schiffe irgend
einer Nation entrichteten daselbst weder Zölle noch sonstige Abgaben;
Malayen, Chinesen, Hindus, Araber waren in Singapore besser daran
als in ihrem Vaterlande. Alle Erzeugnisse der tropischen Sunda-
Inseln und hinterindischen kleinen Häfen, Kaffee und Reis an erster
Stelle, fanden hier immer eine günstige Verschiffung, die Niederlassung
Fremder blieb jederzeit eine vollkommen freie und war keinerlei Be-
dingungen unterworfen. Heutzutage ist Singapore, wenngleich hauptsäch-
lich nur Zwischenhafen an der grossen Handelsstrasse zwischen Indien
und dem östlichen Asien, so doch für den Frachten- und den Personen-
verkehr von hervorragender und noch immer zunehmender Bedeutung.
Von der Seeseite gesehen unterscheidet sich die Stadt kaum
von dem gewöhnlichen Bilde, das europäische Hafenplätze zu bieten
pflegen. Das saftige Grün der reichen Vegetation und die weithin
sichtbaren Thürme der Kirchen bringen einen anmuthigen Zug in das
Häusergewirre, das im nordöstlichen Theile bei einem malayischen,
am Ufer des Rohore River gelegenen Pfahldorfe beginnt. Von hier
aus zieht sich eine mehrere Kilometer lange Reihe meist einstöckiger
Häuser längs der Rhede hin; landeinwärts erstrecken sich die ver-
schiedenen Quartiere der Stadt, die von drei Hügeln, Pearls Hill,
Government Hill und Mount Sophia, überragt werden. Der mittlere
dieser Hügel erreicht 47·5 m Höhe und trägt den Palast des Gou-
verneurs, der Pearls Hill das Fort Canning, von welchem aus man
einen prächtigen Ueberblick über die ganze Stadt geniesst.
Wie alle Städte des Orients, die von verschiedenen Nationen
und Kasten bevölkert werden, so gliedert sich auch Singapore in
mehrere Quartiere oder Viertel, die sich von einander durch die
Verschiedenheiten ihrer Bauart und ihrer Industrien unterscheiden.
Am Landungsplatze, der durch die zahlreichen an den Quais
angelegten landenden oder löschenden Dampfer und durch das leb-
hafte Treiben entlang den grossen Docks ein überaus buntes Bild
gewährt, liegen die Geschäftshäuser der Europäer, das Postgebäude
und einige Clubs. Europäische und amerikanische Waaren, die
Bodenproducte der Insel und der angrenzenden Halbinsel Malakka,
sowie indische Gewebe sind hier und an den Quais in grossartigen
Magazinen angehäuft. Auf der Rhede liegen überdies vollgeladene
Schiffe fast aller europäischen und amerikanischen Flaggen, malerische
chinesische Dschunken, malayische Praus und die eigenartig geformten
Fahrzeuge der Bewohner der Sunda-Inseln.
[519]Singapore.
An den Landungsplatz grenzt zunächst das europäische Viertel
mit schönen Bauten, prächtigen Gärten, zahlreichen Hôtels und Kirchen.
Hier befindet sich auch der Amtssitz des Gouverneurs und der aller
Regierungsbehörden der Provinz. Die Hôtels besitzen weitläufige
Räumlichkeiten, um den periodischen Ueberfluthungen durch an-
kommende Gäste Rechnung zu tragen; den klimatischen Verhältnissen
entsprechend sind sie luftig gebaut und mit zahlreichen Bädern ver-
sehen. Das europäische Viertel bietet, abgesehen von dem bunten
Völkergemisch, das die Strassen belebt, ein vollkommen europäisches
Bild. Vor dem hübschen und ausgedehnten Gymkhana-Clubhouse
befindet sich die Esplanade, ein sorgfältig gepflegter Rasenplatz mit
einer Statue des Sir Thomas Stamford Raffles und einem Musik-
pavillon; unweit hievon liegt die in gothischem Style erbaute Kathe-
drale sowie das durch seine mächtigen Dimensionen hervorragende
„Hôtel d’Europe“. Die Gebäude der französischen Mission und die
portugiesische Kirche liegen ebenfalls im europäischen Viertel.
Ein überaus interessantes Bild gewährt das chinesische Viertel,
das im südwestlichen Theile der Stadt, südlich vom Singapore River,
gelegen ist. Zwischen den meist blaugetünchten Häusern dieses
Viertels befinden sich viele Buddha-Tempel und zahlreiche Verkaufs-
läden von eigenartigen chinesischen Leckerbissen; ein grosser Bazar
heimischer Erzeugnisse und viele offene Werkstätten ergänzen den
fremdartigen Eindruck, den dieser Stadttheil trotz seines regelmässigen
Baues und seiner relativen Reinlichkeit hervorruft.
An der Mündung des vorgenannten Flusses, der die Stadt in
zwei Theile trennt, liegt ein trefflich ausgerüstetes Fort.
An das chinesische grenzen das indische und das malayische
Viertel; ausserhalb derselben, in einem weiten Bogen um die ganze
Stadt, erstrecken sich zahlreiche malayische Kampongs und chinesische
Niederlassungen; südlich vom Chinesenviertel befinden sich in einer
Bucht, New Harbour genannt, die grossartigen Etablissements der
Penninsular and Oriental Steam Navigation Company. Weiter land-
einwärts liegen an den schönsten Punkten der Insel die Landsitze
der wohlhabenderen Classen, bequem eingerichtete „Bungalows“ mit
schattigen Gärten. Reiche Leute kaufen meist einen der vielen Hügel,
welche die Insel erfüllen, bauen auf dem Gipfel das Wohnhaus und
verwandeln den Hügel selbst in einen Park.
Wenngleich die Bevölkerung der Insel ihren Erwerb haupt-
sächlich in der Handelsthätigkeit findet, so ist doch auch schon die
ganze Insel von Culturen durchzogen, deren stetig fortschreitender Aus-
[520]Der grosse Ocean.
breitung der einstige Urwald Raum machen musste. Die ersten Colo-
nisten, die als Pionniere des Ackerbaues ins Innere der Insel vor-
drangen, hatten unendlich viel durch Ueberfälle von Tigern zu leiden.
Von der Nähe der menschlichen Behausungen angelockt, schwammen
diese Raubthiere von der benachbarten Halbinsel Malakka über die
Enge von Tambrosch und richteten auf Singapore grosse Verheerungen
an. Aelteren Angaben zufolge wurden in jener Zeit alljährlich etwa
300 Menschen von Tigern getödtet. Hohe Prämien, die von der eng-
lischen Regierung und den Kaufleuten der Stadt für jeden erlegten
Tiger ausbezahlt wurden, haben in relativ kurzer Zeit die fast gänz-
liche Ausrottung dieses Raubthieres zu Stande gebracht. Heutzutage
haben die Ansiedler nur mehr die Einfälle wilder Schweine zu be-
kämpfen, welche den Anpflanzungen oft schweren Schaden zufügen.
Am nordöstlichen Ende der Stadt liegt, wie bereits erwähnt,
ein malayischer Kampong, ein getreues Abbild der malayischen Ort-
schaften Sumatras. Die kleinen Hütten, die auf hohen Holzpfählen
erbaut sind, befinden sich an dem bei Fluth überschwemmten Fluss-
ufer des Rohore River. Steile Stiegen führen zu einer Plattform, wo-
selbst sich der Hauseingang befindet. Die Wohnräume sind durch
kleine Fenster nur mässig beleuchtet, doch rein und ordentlich gehalten.
Schon vor geraumer Zeit wurde in der Nähe der Militärstation
ein botanischer Garten angelegt, der seinem doppelten Zwecke bestens
nachkommt, als Erholungsort und zugleich als wissenschaftliche Ver-
suchsstation zu dienen. Dieser Garten hat unter der Leitung des
Directors H. J. Murton neuerdings einen bemerkenswerthen Aufschwung
genommen. Von den Pflanzen des Gartens sind insbesondere zahl-
reiche Palmenarten und der Giftbaum Borneos (Antiaris toxicaria),
von dem vor Zeiten so viel gefabelt worden ist, hervorzuheben.
Das Raffles-Museum, errichtet im October 1887, besitzt erst
wenig umfangreiche naturhistorische Sammlungen; die Bibliothek
zählt 16.000 Bände.
Die Stadt Singapore, der Sitz der Verwaltung und des höchsten
Gerichtshofes der englischen Colonie Straits Settlements, zählt 120.000
Einwohner, welche sich zusammensetzen aus Europäern und deren
Nachkommen, aus Malayen und Chinesen, die theils eingewandert,
theils auf Singapore gebürtige Nachkommen ihrer eingewanderten
Väter sind, aus den von der Coromandelküste stammenden Klings, aus
Arabern, Armeniern, Parsen, Juden, Birmanen, Siamesen, Bengalesen,
Javanen u. a. m.
Die Chinesen, welche derzeit schon mehr als die Hälfte der
[[521]]
Singapore.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 66
[522]Der grosse Ocean.
Gesammtbevölkerung der Insel betragen, kommen alljährlich mit
Beginn des Nordost-Monsuns in grösserer Anzahl nach Singapore.
Die meisten dieser Einwanderer sind arm und ohne Kenntnisse oder
professionelle Fertigkeiten, aber durch ihre überall bewiesene Accli-
matisationsfähigkeit, Genügsamkeit und Zähigkeit sind sie auch an
diesem Ansiedlungspunkte sehr bald in der Lage, sich in relativ
kurzer Zeit einen ausreichenden Erwerb zu schaffen. Jene Chinesen,
die den beiden Nationallastern, dem Spiele und dem Opiumrauchen,
widerstehen können, bringen es zumeist in wenigen Jahren zu an-
gesehenen und einträglichen Stellungen sowohl als Kaufleute, wie
auch als Pflanzer. So mancher chinesische Grosshändler Singapores
hatte bei seiner Einwanderung keinen Dollar in der Tasche! Be-
zeichnend ist, dass der gesammte Verkauf von Spirituosen und Opium
in den Händen der Chinesen liegt, die denselben von der Regierung
gepachtet haben, und dass dieselben den ungeheuren Handelsumsatz
immer mehr an sich ziehen, dabei aber die Preise der Waaren all-
mälig vertheuern. Der Anzahl nach finden die meisten Chinesen ihr
Unterkommen beim Handelsverkehr, der Rest als Schuhmacher, Gold-
arbeiter, Schiffer, Ackerbauer, Fischer, Handlungsdiener u. a. Ihre
wachsende und den Europäern gefährliche Bedeutung bezeichnet nichts
so sehr, als das Wort „Chinesenpest“, womit die Engländer grollend
die Vermehrung des chinesischen Elementes in Ostindien benennen.
Die Ureinwohner Singapores sind die Malayen. Ihr träges
Naturell bringt es mit sich, dass sie jeder dauernden Beschäftigung
aus dem Wege gehen und daher auch beispielsweise nie als arbeit-
same Landbebauer anzutreffen sind. Ihr ganzes Streben geht darnach,
ein kleines Grundstück zu besitzen, das sie mit ihrem Reisbedarf für
das ganze Jahr versorgt. Dieses Grundstück beschäftigt sie nur durch
zwei Monate, die anderen zehn verbringen sie in gleichgiltigem
Müssiggang. Verhältnissmässig wenige Malayen suchen ihr Unter-
kommen beim gewerblichen Treiben der Stadt, in welchen Fällen sie
allerdings von der europäischen Civilisation nicht unberührt bleiben.
Die aus der Provinz Madras stammenden Klings werden zumeist
für untergeordnete Dienste, wie z. B. als Diener, zum Ziehen der
Djinrikschas (zweiräderige Karren für Personenbeförderung) oder als
Kulis in den Pflanzungen verwendet, welchen Anstellungen sie ihren
Charaktereigenschaften gemäss sehr gut entsprechen.
Die europäische Gemeinde endlich bilden hauptsächlich Eng-
länder, Deutsche und Portugiesen; ihre Zahl erreicht mit Einschluss
der Garnison etwa 2800 Menschen.
[523]Singapore.
Das Klima der Stadt und der Insel ist durch die Gleichmässig-
keit seiner Temperatur und, weil es gesund ist, bemerkenswerth;
Aerzte nennen die Insel „das Paradies der Kinder“. Die mittlere
Jahrestemperatur beträgt 26°C., sie wird von der höchsten ein-
tretenden Temperatur nur um etwa 2—3° überschritten; auch die
täglichen Temperaturschwankungen sind im Allgemeinen unbeträchtlich.
Stürmisches Wetter kommt zwar zu jeder Zeit vor, am häufigsten
beim Monsunwechsel, dauert jedoch nie besonders lange. Die
Jahresregenmenge ist eine ziemlich beträchtliche, denn unter normalen
Verhältnissen regnet es fast täglich, am stärksten aber im November
und December. Die Regen erhalten im Vereine mit der grossen
Luftfeuchtigkeit und den starken nächtlichen Thaufällen die prächtige
Vegetation der Insel, deren immergrüne Wälder sich zwischen
den Abhängen der Hügelketten ausbreiten und die letzteren in
malerischer Weise krönen.
Singapore hat zwei Ankerplätze, und zwar die alte Rhede und
den neuen Hafen (New Harbour). Die alte Rhede ist im Südosten
der Stadt gelegen und wird, da sie leicht anzulaufen ist, insbe-
sondere von Segelschiffen und von jenen Dampfern bevorzugt, die
weder zu laden noch zu löschen beabsichtigen. Immerhin können
Schiffe, die hier ankern, ihren Waarenverkehr mittelst chinesischer
Dschunken bewerkstelligen, welche Operation durch die in den Morgen-
stunden andauernden Windstillen wesentlich gefördert wird. Die
Boote des Personenverkehres legen an einer langen, hölzernen Lan-
dungsbrücke, dem Johnson Pier, an, doch ist das Anlegen manchmal
durch den Umstand erschwert, dass die Brücke dem Seegange des
vorherrschenden Südostwindes ausgesetzt ist. Die Kriegsschiffe aller
Flaggen pflegen, insbesondere wenn sie keine Kohlen zu ergänzen
haben, ebenfalls auf der alten Rhede zu ankern, weil diese einerseits
mehr Manövrirraum bietet, andererseits aber für Luftströmungen
offener, also gewissermassen besser ventilirt ist.
Der Ankerplatz des New Harbour wird durch den Kanal
zwischen den Inseln Singapore, Blakan Mati und Ayerbrani gebildet;
ihn suchen hauptsächlich Dampfer auf, deren Manöver durch die hier
vorkommenden variablen und mitunter auch heftigen Meereströmungen
weniger beeinflusst wird, als jenes der Segelschiffe. Die Dampfer,
die überdies anstandslos jede der drei Zufahrten dieses Hafens be-
nützen können, pflegen an den Quais anzulegen, an welchen sämmt-
liche Kohlenmagazine sich befinden.
Im New Harbour befinden sich auch drei Docks, von denen
66*
[524]Der grosse Ocean.
zwei an der westlichen Zufahrt und das dritte, das Graving-Dock,
an der östlichen Zufahrt erbaut wurden. Letzteres Dock, das am
günstigsten gelegene, besitzt 137 m Länge, 20 m Breite und 6 m
Wassertiefe. Die französische Kriegsmarine hat auf der Insel Ayer-
brani ein Lebensmitteldépôt angelegt.
A Malayen-Friedhof, B Kirche, C Anlegeplatz für Boote, D Ankerplatz für kleinere Schiffe, E Anker-
platz für grosse Schiffe, F Leuchtfeuer, G Backe, H neuer Hafen, J Piloten-Haus, K Docks und Kohlen-
magazine, L Fischereien, M Anlegeplätze für Handelsdampfer, N Rhede von Singapore, O Bank.
[525]Singapore.
Singapore ist der bedeutendste und verkehrsreichste Transithafen
Ostasiens. Dank seiner Lage wurde der Platz Knotenpunkt des Schiffahrts-
verkehres und der Kabel nach Vorderindien, Hinterindien, China, Japan,
den Philippinen, dem indischen Archipel und dem östlichen Australien.
Es bildet für einen grossen Theil europäischer Waaren den Um-
ladungsplatz nach dem Osten, ist aber auch ein Sammelpunkt für die
verschiedensten Producte der genannten Länder, die behufs Ver-
schiffung nach dem Westen hierher gebracht werden. Seine Bedeutung
als Import- und Exportplatz wächst ferner in dem Masse, als die
rasche Entwicklung der Halbinsel Malakka, Sumatras und Borneos
seinem Handel neue Hinterländer und ein sich mit jedem Jahre
namhaft ausdehnendes Absatzgebiet schafft.
Der Gesammtverkehr von Singapore wird durch nachstehende Daten ver-
anschaulicht:
Der Totalwerth seiner Einfuhr betrug nach amtlichen Quellen in den Jahren:
1889 110,764.590 Dollars, 1888 108,112.271 Dollars, 1887 92,119.736 Dollars, hat
mithin im Laufe von zwei Jahren eine Steigerung um rund 18 Mill. Dollars erfahren.
Der Gesammtwerth seiner Ausfuhr belief sich 1889 auf 88,683.134 Dollars,
1888 auf 87,143.305 Dollars, 1887 auf 75,066.330 Dollars.
Von der obbezeichneten Einfuhrsziffer des Jahres 1888 entfielen auf Gross-
britannien und Irland 18,646.742 Dollars, die britischen Colonien (mit Ausschluss von
Penang und Malakka) 22,817.550 Dollars, auf Penang und Malakka 7,711.504 Dollars.
Die gesammte nichtbritische Einfuhr erscheint mit 59,043.867 Dollars
im Jahre 1888 und mit 47,376.768 Dollars im Jahre 1887 angegeben.
Von dieser entfielen im Jahre 1889 auf:
- Arabien ....... 49.496 Dollars
- Amerika ...... 763.076 „
- Belgien ....... 800.982 „
- Borneo (nichtbrit.) 53.056 „
- China ........ 4,829.906 „
- Cochinchina .... 436.347 „
- Deutsches Reich .. 1,459.965 „
- Aegypten ...... 23.405 „
- Frankreich ..... 1,083.965 „
- Franz. Cochinchina 3,865.708 „
- Das übrige Franz.-
Indien ...... 399.189 „ - Niederlande .... 161.733 „
- Italien ....... 149.499 „
- Japan ........ 4.585.783 „
- Malayische Halbinsel
- (Ostküste) .... 932.550 „
- Malayische Halbinsel
- (Westk.), u. zwar:
- Djohore .... 6,421.100 „
- Perak ..... 119.279 „
- Malayische Halbinsel
(Westk.), u. zwar:- Selangor .... 3,787.957 Dollars
- Sungei Ujong . 645.069 „
- Natunas-Inseln 425.298 „
- Niederländ.-Indien, u. zw.:
- Sumatra ..... 2,240.803 „
- Java ....... 4,111.664 „
- Rio ........ 2,199.523 „
- Bali ........ 838.679 „
- Die andern Inseln 10,506.475 „
- Oesterreich-Ungarn 565.763 „
- Persien ....... 210 „
- Philippinen ..... 840.353 „
- Portug.-Indien ... 2.840 „
- Sarawak ....... 1,189.362 „
- Siam ........ 4,933.321 „
- Schweiz ....... 600 „
- Spanien ....... 10.163 „
- Sulu-Archipel .... 208.336 „
- Türkei (eur.u.asiat.) 402.406 „
[526]Der grosse Ocean.
Aus dieser Aufstellung geht hervor, dass die Producte des indischen
Archipels, der malayischen Halbinsel, Siams, Chinas und Japans das grösste
Contingent der Einfuhr von Singapore bilden.
Von der aus Grossbritannien und dem übrigen Europa kommenden Einfuhr,
welche sich aus den verschiedensten Industrie-Erzeugnissen zusammensetzt, wird
ein grosser Theil meist uneröffnet nach den benachbarten Inseln und Ländern
verkauft.
Im Jahre 1888 wurde zum ersten Male russisches Petroleum aus Batum,
in Blechkisten in bedeutenden Mengen eingeführt, so dass Singapore neben Penang
den Hauptabsatzort für Batumer Petroleum bildete. In den Handelslisten von
Singapore wird der Werth desselben aber nicht bei Russland, sondern noch
bei der asiatischen Türkei eingerechnet, zu der Batum schon seit 1878 nicht
mehr gehört.
Von der Gesammtausfuhr des Jahres 1888, welche, wie bereits erwähnt,
87,143.305 Dollars betrug, entfielen auf Grossbritannien und Irland 19,526.721 Dol-
lars, auf die britischen Colonien 10,934.001 Dollars und auf die übrigen fremden
Länder 53,803.115 Dollars.
Die Gesammtausfuhr nach Grossbritannien, den Vereinigten Staaten und
dem europäischen Continente, welche beinahe durchwegs aus den Landesproducten
derjenigen Staaten und Inseln des Ostens besteht, die in der Tabelle über die
Einfuhr verzeichnet sind, setzt sich aus folgenden Artikeln und Mengen zu-
sammen:
Die stärkste Ausfuhr verzeichnet Gambier in einer Menge von 368.763 q,
hierauf folgt Koprah mit 310.502 q.
Die Ausfuhr von Sagomehl erreichte 263.914 q und die von Perlsago
21.794 q.
An Stuhlrohr exportirte Singapore 158.461 q und an Pfeffer 116.263 q,
davon ⅚ schwarzen und ⅙ weissen Pfeffer.
Der Export von Zinn belief sich auf 150.130 q.
Die übrigen Ausfuhrsmengen der einzelnen wichtigeren Artikel zeigt fol-
gende Tabelle.
- Gefleckter Tapioka .. 47.735 q
- Perl-Tapioka ..... 42.684 „
- Tapiokamehl ..... 26.227 „
- Reis .......... 26.401 „
- Kopalharz ....... 16.314 „
- Guttapercha ...... 14.312 „
- Kaffee ......... 13.190 „
- Kautschuk ...... 7.334 q
- Illipénüsse ...... 8.119 „
- Dammarharze ..... 2.760 „
- Stocklack ....... 2.382 „
- Muskatnüsse ..... 1.892 „
- Perlmutterschalen .. 2.075 „
- Benzoë ........ 1.687 „
Unter den Producten des Thierreiches sind in erster Linie rohe Häute
zu erwähnen, welche eine Ausfuhrsmenge von 32.171 q verzeichneten, daneben
wurden 22.258 qgegerbte Häute exportirt.
Die Ausfuhr von Hörnern belief sich auf 12.690 q.
Was die industrielle Thätigkeit betrifft, so bestehen neben den Docks,
in welchen die Schiffsreparaturen besorgt werden, in Singapore eine Eisfabrik,
eine Oelfabrik und mehrere europäische und chinesische Unternehmungen, welche
[527]Singapore.
tropische Früchte, vor allem Ananas, conserviren und nach Europa (England,
Frankreich), Amerika und Australien versenden. Dieses Geschäft hat sich so ent-
wickelt, dass man 1889 nicht im Stande war, alle Aufträge auszuführen. Nun
hat aber der Sultan von Djohore einen grösseren Landstrich der Ananascultur ge-
widmet, und auch auf den benachbarten Inseln haben die Eingeborenen die
Cultur derselben aufgenommen.
Vermöge seiner geographischen Lage Knotenpunkt einer grossen Anzahl
Dampferlinien, die von hier aus Zweiglinien nach verschiedenen Richtungen des
weiteren Ostens unterhalten, weist Singapore selbstverständlich einen sehr be-
deutenden Schiffsverkehr auf.
In Singapore liefen 1889 3867 Dampfer und Raaen führende Segelschiffe
mit zusammen 3,065.732 T Rauminhalt ein. Der Nationalität nach waren hiervon
Die Richtung des Verkehres der Schiffe europäischer Bauart mit Singa-
pore wird der Hauptsache nach durch folgende Zahlen beleuchtet.
Es kamen aus:
- Grossbritannien direct .. 200 Schiffe von 277.987 T
- und über Penang ... 139 „ „ 207.769 „
- von Britisch-Indien .... 268 „ „ 231.258 „
- „ Hongkong ...... 299 „ „ 365.289 „
- „ China ........ 291 „ „ 343.667 „
- „ Französ. Cochinchina 93 „ „ 114.533 „
- „ Deutschland ..... 48 „ „ 66.737 „
- „ d. malayisch. Halbins. 369 „ „ 67.045 „
- „ Sumatra ....... 516 „ „ 127.524 „
- „ Java ......... 343 „ „ 214.900 „
- „ den Philippinen ... 85 „ „ 113.235 „
- „ Siam ......... 221 „ „ 124.202 „
Der gesammte Schiffsverkehr von Singapore erreichte 1889 7715 Schiffe
europäischer Bauart mit 6,113.977 Reg-T. und 13.182 Fahrzeuge von Eingebornen
(Chinesen, Malayen, Indern) mit 508.189 Reg.-T., im Ganzen also 20.879 Schiffe
mit 6,622.166 Reg.-T., 1888 20.441 Schiffe mit 6,304.618 Reg.-T.
[528]Der grosse Ocean.
In Singapore landen folgende regelmässige Dampfschiffslinien: Nord-
deutscher Lloyd (Bremerhaven—Yokohama) einmal in vier Wochen, Deutsche Dampf-
schiffsrhederei zu Hamburg, und zwar die Sunda-Linie (Batavia) einmal monatlich, die
Kingsin-Linie (Hongkong, Yokohama) alle 14 Tage; Peninsular and Oriental Steam
Navigation Cy. (London, Brindisi, Yokohama) jede zweite Woche, Messageries
Maritimes (Marseille) jeden zweiten Sonntag, Oesterreichisch-Ungarischer Lloyd
(einmal im Monate), Navigazione Generale (Genua—Hongkong), spanische Dampfer
Batavia (Barcelona, Manilla).
Von Singapore gehen Zweiglinien nach Batavia und Saigon.
Die British India Steam Navigation Company unterhält eine wöchentliche
Linie Calcutta, Rangoon, Penang, Singapore. Im Anschlusse an die Dampfer der
Deutschen Dampfschiffs-Rhederei zu Hamburg (Sunda-Linie) befördern die Schiffe
der New-Guinea-Compagnie von October 1891 angefangen die Post nach und von
Kaiser-Wilhelmsland je einmal in zwei Monaten.
Als Landungsplatz für Kulis hat Singapore an Bedeutung verloren, seit die-
selben von den chinesischen Häfen nach Deli auf Sumatra direct verschifft
werden. Im Jahre 1889 wurden auf 49 Schiffen ausser der Ladung 16.312 Chinesen
befördert.
Von Singapore gehen Kabel über Penang nach Madras und nach Rangoon,
über Saigon nach Tongking und nach Hongkong, nach Batavia und über Banjoe-
wangi nach Australien.
Singapore ist Sitz einer Handelskammer und von Filialen der Chartered
Bank of India, Australia and China, der Chartered Mercantile Bank of India,
London and China, der Hongkong and Shanghai Banking Corporation, sowie der
Oesterreichisch-Ueberseeischen Handelsgesellschaft.
In Singapore bestehen Consulate der Staaten: Belgien, Brasilien, China,
Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Italien, Japan, Niederlande, Oesterreich-
Ungarn, Portugal, Russland, Schweden und Norwegen, Siam, Spanien, Vereinigte
Staaten von Amerika.
Neben Singapore ist George Town, die Hauptstadt der Insel
Penang, der wichtigste Handelsplatz der Straits Settlements. Doch
hört man nur selten den Namen der Hauptstadt; der Name der
Insel, welcher „Betelnussinsel“ bedeutet, wird gewöhnlich auch ihrer
Hauptstadt beigelegt.
Die Insel Penang oder Prince of Wales-Insel, wie man sie bis
vor wenigen Jahren genannt hat, liegt in der Strasse von Malakka
unter 5° nördlicher Breite und in der Nähe der Küste der Malayischen
Halbinsel. Sie gehört nach der Eintheilung der Meere, wie sie in
den Werken über die physikalische Geographie gebräuchlich ist,
bereits zum indischen Ocean; aber der Handelsgeograph muss Penang,
wo der mexikanische Dollar die Handelsmünze ist, im Zusammen-
hange mit Singapore behandeln, dem es auch politisch unterge-
ordnet ist.
[529]Singapore.
Penang steht seit 1785 unter der Herrschaft der Engländer. Es übernahm
als Handelsplatz die Erbschaft des niedergehenden Malakka und wurde 1806 zum
Range einer Präsidentschaft erhoben, als Singapore noch fast unbekannt war. Im
Jahre 1825 vereinigte man Malakka und Singapore mit Penang als Vorort unter
dem Namen der Straits Settlements. Aber durch seine günstigere Lage überflügelte
Singapore seine ältere Schwester, und 1832 wurde der Sitz der Verwaltung von
Penang nach Singapore verlegt.
Das Handelsgebiet von Penang bilden die englische Provinz
Wellesley auf der malayischen Halbinsel, die dortigen einheimischen
Staaten, von denen einer nach dem anderen sich unter die Schutz-
herrschaft der Engländer stellt, und der nördliche Theil des hollän-
dischen Sumatra.
Auch hier dominiren die Chinesen, wie in Singapore, und ge-
niessen den Reichthum, den sie durch Fleiss und Unternehmungsgeist
erworben haben.
Seit Jahren geht die Hälfte der in Penang eingeführten europäischen
Waaren nach dem Sultanate Atschin (Atjeeh), und der Krieg, welchen die Hol-
länder gegen ihren aufständischen Vasallenstaat zu führen gezwungen sind, schä-
digt ungemein den Handel von Penang, dessen ansehnliche Höhe die folgende
Tabelle zeigt.
Der Handel von Penang betrug in Dollars:
Der Hauptartikel der Einfuhr sind rohe (Mexicans, Supers, Grey Shirtings
und T-Cloths) und gebleichte (Shirtings, Cambrics), dann bedruckte und buntge-
webte Baumwollwaaren, welche in erster Linie das Mutterland England liefert.
Der bedeutendste Artikel der Ausfuhr ist gegenwärtig Zinn, 1889 mit
161.388 Piculs, 1888 mit 152.659 Piculs (1 Picul = 60·479 kg), welches nach
England und der Union geht.
Im Jahre 1889 wurden von schwarzem Pfeffer 92.259 Piculs, von weissem
Pfeffer 39.726 Piculs nach England, Triest und Hamburg ausgeführt.
Zucker, der aus der Provinz Wellesley stammt, geht von hier nur nach
England; 1889 166.369 Piculs, 1888 52 520 Piculs.
Minder wichtig sind Tapiokamehl (1889 98.248 Piculs), Tapioka,
Muskatnüsse, Muskatblüthen, Nelken, Benzoë, Patchoulikraut, Häute und
Hausenblase.
Der Schiffsverkehr von Penang erreichte 1889 5867 Schiffe mit
3,231.786 Reg.-T., 1888 5174 Schiffe mit 2,928.364 Reg.-T., 1887 4931 Schiffe
mit 2,711.993 Reg.-T.
Der Hafen wird einmal in 14 Tagen von der Kingsin-Linie der Deutschen
Dampfschiffsrhederei zu Hamburg auf der Ausreise und von der chinesischen Linie
der Peninsular and Oriental Steam Navigation Cy. und des Oesterreichisch-Unga-
rischen Lloyd bei der Ausreise und Rückreise, von der British India Steam Navi-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 67
[530]Der grosse Ocean.
gation Cy. (Calcutta—Singapore), dann oft auch von den Schiffen der Navigazione
Generale Italiana (Genua—Hongkong) angelaufen.
Daraus erklärt sich auch, dass auf die britische Flagge mehr als zwei
Drittel der gesammten Tonnenzahl entfallen. Neben der britischen Flagge sind
die niederländische, die deutsche und die österreichisch-ungarische hervorzuheben.
Von Padang gehen Kabel nach Madras, Rangoon, Malakka, Singapore und
an die gegenüberliegende Küste der Halbinsel Malakka.
Penang ist Sitz einer Handelskammer und von Niederlassungen der Char-
tered Bank of India, Australia and China, und der Chartered Bank of India,
London and China.
Consulate unterhalten: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich,
Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Siam, Vereinigte Staaten von
Amerika.
[[531]]
Der indische Ocean.
Zur selben Zeit, als die Gestade des mittelländischen Meeres
vom Frühroth geschichtlicher Kunde erhellt werden, fällt auch
bereits ein leiser Schimmer historischen Lichtes auf die Ufer-
länder des indischen Oceans.
So wenig als Klima und Natur dieser Erdstriche sich in ge-
schichtlicher Zeit geändert haben, ebensowenig hat deren ethno-
graphische Scenerie im Grossen und Ganzen eine andere Physiognomie
erhalten. Nur durch die Europäer, welche aber erst im 16. nach-
christlichen Jahrhunderte eingedrungen sind, ist neues Leben in und
an den Ocean gebracht worden, der die reichgegliederte Südküste
Asiens, das einförmige Ostafrika, Australien und die Sundainseln
bespült.
Neben der winzigen, übrigens auch vom Klima befeindeten
Minorität europäischer Eindringlinge behaupten sich die Ureinwohner
als compacte, aber commerciell abhängig gewordene Majoritäten. Die
Araber, die Hindus, die Drawidas, die Malayen, die dunkelfarbigen
Afrikaner sind geblieben, wo sie vordem waren. Für Einheimische
und Fremde hatte und hat der grosse indische Ocean zu allen Zeiten
ein Gravitationscentrum, das sich im Namen schon kundgibt, im
Norden, im Lande der Kostbarkeiten und Wunder: in Indien.
Die Producte der südostasiatischen Tropenwelt hatten schon
eine Anziehungskraft, als die dominirenden Artikel des heutigen
67*
[532]Der indische Ocean.
Welthandels noch gar keine Rolle spielten; sie waren eben eminent
transportfähig zu einer Zeit, als alles darauf ankam, dass der Handels-
artikel bei möglichst geringem Volumen und Gewicht einen möglichst
hohen Werth repräsentire. Bei der Singularität der tropischen Er-
zeugnisse bildete deren masslose Vertheuerung in Folge des Trans-
portes und des Zwischenhandels noch immer kein unüberwindliches
Hinderniss für deren Verkäuflichkeit.
Seit den frühesten Zeiten stehen der ostasiatische (chinesische),
iranische, arabische und mediterrane Culturkreis mit den beiden Indien
in Verbindung. Es war dieses von Anbeginn eine Verbindung zur
See; verbindet doch nur ein einziger praktikabler Landweg, der
Kheiberpass und Kabuldurchbruch, Indien mit den Nachbarländern,
speciell mit Iran. Die 4—5000 m hohen unwegsamen Pässe über
den Himalaya kommen für den Grosshandel einfach gar nicht in
Betracht.
Werfen wir einen Blick auf die Karte. Nordwärts vom in-
dischen Ocean erstreckt sich jener zusammenhängende Steppen- und
Wüstengürtel der alten Welt, der Afrika und Asien vom atlantischen
bis nahe an das pacifische Meer durchsetzt. Stellenweise reicht er
unmittelbar an den indischen Ocean. Wenn er auch von Oasen unter-
brochen wird, so bildet er doch ein schwer zu bewältigendes Hinderniss
des Völkerverkehrs. Mit bewunderungswürdiger Energie haben schon
in fernen Zeiten acclimatisirte Stämme das Hinderniss überwunden.
So führt z. B. die älteste Karawanenstrasse der Weltgeschichte von
Gerrha im südöstlichen Arabien durch die arabisch-syrische Wüste
zum Mittelmeer. Die Lage von Gerrha weist aber auf eine jener
tiefeingeschnittenen Wasserfurchen hin, durch welche die Bewältigung
des ebengenannten Wüstengürtels erheblich erleichtert worden ist,
auf den persichen Golf, der an Wichtigkeit freilich noch von dem
arabischen Golf oder dem Rothen Meere überboten wird.
In diesen Furchenlinien hat sich der Menschen- und Waaren-
verkehr des Alterthums und des Mittelalters vollzogen; in die eine
derselben ist er seit mehr als zwanzig Jahren nach einer lange
dauernden Periode der Verödung zurückgekehrt.
Die Handelsgeschichte des Rothen Meeres enthält in nuce die
des indischen Oceans und bis zu einem gewissen Grade die der alten
Welt überhaupt.
Die Bewohner der Nil-Oase, die Hamiten Altägyptens, erzählen
uns von ihren Fahrten nach dem Lande Punt, einer Collectiv-
bezeichnung des tropischen Arabiens und Ostafrikas. Von den He-
[533]Der indische Ocean.
bräern hören wir alte Traditionen über die Ophir-Fahrten der Phö-
nikier, welches Ophir mit dem Punt der Aegypter wohl identisch
gewesen sein dürfte. In Ophir gab es aber auch indische Producte
einzutauschen; das arabische Meer war eben der Schauplatz eines
seit lange bestehenden Verkehres zwischen Indien und Arabien. Durch
arabische Hände gingen indische Producte dann weiter nach Babylon,
Syrien, Iranien oder Aegypten.
Mit der Gründung Alexandriens und des Ptolomäerreichs be-
ginnt eine neue Epoche für die Beziehungen der Mittelmeerländer zu
Indien. Jedoch nicht der Suezcanal des Alterthums — jener Canal,
den Ramses, Necho, Darius begonnen, die Ptolomäer wieder brauch-
bar gemacht hatten — war der wichtigste Träger dieses Ver-
kehres, sondern die genaue Kenntniss oder doch sorgsame Berück-
sichtigung der meteorologischen Verhältnisse. Gerade aus meteoro-
logischen Gründen, der ungünstigen Winde wegen, löschte man die
Indienfahrer nicht in Suez, sondern in Berenice, von welchem Hafen
Karawanen die Waaren nach Koptos an den Nil brachten. Das Ge-
lingen und die Dauer der Fahrten von und nach Indien hingen eben-
falls von meteorologischen Vorgängen ab, nämlich von den Monsunen im
nördlichen Theile des indischen Oceans. Der Südwest-Monsun während
des Sommers der Nordhalbkugel wurde zur Hin-, der Nordost-Monsun
zur Rückfahrt benuzt; Südwinde brachten die Schiffe dann noch im
Rothen Meere bis Berenice. Auch in der Zeit des Zerfalles der
Römerherrschaft dauerte der Verkehr im erythräischen Meere fort,
wie die Spuren des Christenthums auf Sokotora, Ceylon und an der
Malabarküste (sogenannte Thomas-Christen) beweisen — Spuren, die
sich bis zur Invasion der Portugiesen erhalten haben.
Bis über den Anfang unserer Aera lassen sich auch maritime
Beziehungen zwischen Vorder- und Hinterindien, Indien und China
nachweisen, wodurch in den bengalischen Busen und in die Strassen
der Javasee mannigfaltiges Leben kam.
Spröder noch als die indochinesischen Wechselbeziehungen ver-
halten sich die Wanderungen der Malayen gegen jede chronolo-
gische Fixirung. Wenn wir uns Peschel und Ratzel hinsichtlich
der anthropologischen Einheit der Malayen des nach ihnen benannten
Archipels mit den Polynesiern und einem Bruchtheil der Bevölkerung
von Madagaskar anschliessen, so dürfen wir auch das Staunen über
nautische Leistungen theilen, welche alles übertreffen, was Arier,
Semiten und Mongolen vor Columbus und Magelhaens unternommen
haben.
[534]Der indische Ocean.
Eine neue Epoche beginnt für den indischen Ocean mit dem
Auftreten des arabischen Propheten und der Ausbreitung seiner Lehre
bis Indien und Centralasien einerseits, Spanien und Marokko anderer-
seits. Die Araber werden nun die ausschliesslichen Herren des indischen
Oceans und unterwerfen insbesondere Ostafrika ihrem Einflusse, den sie
daselbst bis zur Gegenwart, freilich von englischen und deutschen, ehe-
mals auch von portugiesischen Mitbewerbern bedrängt, erhalten haben.
Was der mittelalterlichen Welt an indischen und chinesischen
Producten zukommt, muss durch arabische Hände, muss durch die
von ihnen beherrschten Engen des persischen oder arabischen Golfes,
muss ihre Karawanenwege und Stapelplätze benützen, wo islamitische
Despoten Abgaben und Preise der ein- und ausgehenden Waaren
festsetzen. Nur der beschwerliche Ueberlandweg liegt ausserhalb
der Grenze ihrer Machtsphäre.
Das wichtigste Ereigniss in der ferneren Geschichte des indischen
Oceans, eines der folgenschwersten zugleich für die Entwicklung
Europas und die Expansion der europäischen Cultur, „war die Ab-
lenkung des indischen Handelsverkehrs aus dem schmalen Bette des
arabischen Meerbusens nach dem Ocean, so dass die atlantischen
Uferstaaten jene Vortheile genossen, welche früher ausschliesslich den
Küsten des Mittelmeeres zu Gute kamen“ (O. Peschel). Mit der Ent-
deckung der Südspitze Afrikas durch Bartolomeo Diaz (1486) und
des Seeweges an die Malabarküste (Vasco da Gama, 1498) schlug
auch die Sterbestunde für die arabische Seeherrschaft. Im Jahre
1513 stand ihr Pulsschlag still; denn in diesem Jahre drang der
grosse portugiesische Statthalter Albuquerque über Sokotora und Aden
ins Rothe Meer ein, nachdem 1507 bereits die arabischen Handels-
Emporien Ormuz und Maskat von den Portugiesen besetzt worden
waren. Das geschah aber nicht, um den genannten Plätzen neues
Leben zuzuführen, sondern um die Eingänge in das Rothe und per-
sische Meer für die Zukunft zu erschweren. So war denn von
da an der indische Ocean nur vom Cap der guten Hoffnung aus
zugänglich; die Portugiesen hüteten ihn als ihre Domäne, deren aus-
schliessliches Eigenthum ihnen die höchste Autorität der Christenheit,
der Pontifex maximus in Rom, zuerkannt hatte.
Indem die Spanier gleichzeitig vom Stillen Ocean Besitz nahmen,
schloss sich der Ring der indo-germanischen Weltherrschaft rund um
die Erde, die Völker des „erythräischen Culturkreises“ (Ratzel) waren
ausgeschaltet aus der Kette, in der sie bis dahin ein wichtiges
Glied gebildet hatten.
[535]Der indische Ocean.
Aber schon gegen Ende des XVI. Jahrhunderts brach das pon-
tifical-spanisch-portugiesische System der Oceansperre haltlos in sich
zusammen. Holländer, Engländer, Franzosen drangen unaufhaltsam
auch in den indischen Ocean ein. Das völkerrechtliche System des
„mare liberum“ — Freiheit des Meeres in Krieg und Frieden —
gewann die Oberhand.
Das Uebergewicht der Holländer und späterhin der Engländer
beruhte nicht auf Verträgen und künstlichen Veranstaltungen, sondern
auf ihrer natürlichen reellen Ueberlegenheit. Im Laufe des XVIII. Jahr-
hunderts überholten die Engländer alle ihre Nebenbuhler, besonders
die Franzosen, welche von ihnen aus Nordamerika und Ostindien
verdrängt wurden. Gleichzeitig eilte die englische Industrie durch
technische Erfindungen und Organisation des Grossbetriebes den
Industrien des Continentes um ein halbes Jahrhundert voraus. Als
nun in Frankreich das alte Regime seiner politischen Misserfolge
wegen von der Revolution gestürzt worden war, bildete die Be-
kämpfung des seegewaltigen Britanniens, die Zerstörung seiner
commerciellen Vorherrschaft den Kerngedanken des neuen kriegerisch-
politischen Systems. Die Fleischwerdung dieses Gedankens hiess
Napoleon Bonaparte. Von überschwenglichen Phantasien erfüllt,
unternahm der junge Corse seinen denkwürdigen Alexanderzug nach
Indien. Freilich, das Schicksal donnerte ihm schon in Syrien ein
Halt entgegen, allein das berühmte Wort Napoleons: „Aegypten
ist der Schlüssel Indiens“, bildet den Keim der sogenannten Orient-
frage, welche heute und wohl noch für lange Zeit den Cardinalpunkt
der grossen europäischen Politik bildet, und in Bonaparte’s Um-
gebung entstand der fruchtbare Zukunftsgedanke einer Durchstechung
des Isthmus von Suez. Erst unter Napoleon III. sollte das Werk
zur Ausführung kommen, mit welchem die jüngste Phase in der Ge-
schichte des indischen Oceans anfängt (1869). Wenn sich die stille
Hoffnung der Franzosen und vielleicht auch anderer Handelsstaaten
am Mittelmeer daran geknüpft hat, der englischen Präponderanz in
Süd- und Ostasien einen tödtlichen Schlag beigebracht zu haben,
so ist sie nicht in Erfüllung gegangen. Durch Vermehrung ihrer
Positionen im Mittelmeer, durch geschickte finanzielle Operationen,
durch die erhöhte Aufmerksamkeit, welche den australischen und
afrikanischen Colonial- und Schutzgebieten zugewendet worden, hat
England im Ganzen seine frühere Stellung behauptet.
Im Vergleiche zur reichen Nordküste ist der ostafrikanische
buchten- und hafenarme Küstensaum des indischen Oceans nach jeder
[536]Der indische Ocean.
Richtung stiefmütterlich behandelt. Kahle, sandige Flachküsten
wechseln mit tropischem Urwald ab, die ärmlichen Niederlassungen,
und nur ganz selten auftauchenden Leuchtfeuer verrathen dem fremden
Schiffer, dass er am culturärmsten Erdtheile hinsegelt, dessen be-
dürfnisslose Bewohner auf den untersten Stufen der Civilisation stehen
und, zufrieden mit ihrem vegetirenden Leben, die Schätze des Bodens
ungehoben lassen.
Ganz Afrika hatte, abgesehen von Aegypten, nie einen be-
deutenden Handel, weil es fast nichts producirte, mithin fast nichts
auf die internationalen Märkte zu werfen hatte.
Diesen geringen Handel, soweit er sich in Ostafrika abspielt,
hatten, wie erwähnt, seit Jahrtausenden die Araber in Händen, ja es
ist zweifellos, dass sie diesen ganzen Aussenhandel schon zur Zeit
Alexanders des Grossen, also vor zweitausend Jahren, bis tief ins Innere
des schwarzen Erdtheiles vollständig beherrschten und monopolisirten.
Ihre Nachfolger in der Handelsherrschaft, die Portugiesen, be-
schränkten sich zumeist auf die fiscalische Ausbeutung dieser Handels-
pforten und nahmen weder auf die Civilisation der Neger noch auf
die Hebung des Binnenhandels, den sie nach wie vor den Arabern über-
liessen, einen Einfluss; ja im XVIII. Jahrhunderte konnte sogar die ara-
bische Herrschaft auch politisch neben der des schwach gewordenen
Portugal nochmals ihr Haupt erheben und das muselmännische San-
sibar zum Emporium des ostafrikanischen Handels emporbringen. Ge-
ändert wurden diese Verhältnisse gründlich erst durch das Auftreten
der Engländer in unserem Jahrhunderte. Zuerst entwanden die ge-
schäftsgewandten Hindus, welche als britische Unterthanen von Bombay
kamen, den Arabern den ganzen Grosshandel und drückten die aben-
teuerlustigen Wüstensöhne zu ihren Agenten herab, welche das Detail-
geschäft und die Waarentransporte bis zu den Aequatorialseen zu
besorgen hatten, während sie selber ruhig in den wenigen Hafen-
plätzen Comptoirs leiteten und die grossen Gewinne einstrichen.
Den britischen Kaufleuten folgten britische Forscher und Missio-
näre, diesen politische Agenten und Consuln, welche in der zweiten
Hälfte unseres Jahrhundertes in wahrhaft bewunderungswürdiger Weise
grossartige und weitreichende Eroberungspläne anbahnten und bereits
zur theilweisen Reife gebracht haben.
England begnügt sich nicht, wie es Jahrhunderte hindurch
Portugal gethan, von wenigen Hafenplätzen aus den Import und
Export von Ostafrika zu controliren; der grosse staatsmännische Ge-
danke, von welchem die englische Colonialpolitik in Ostafrika geleitet
[537]Der indische Ocean.
wird, ist der, die ganze Osthälfte des Erdtheiles, von Aegypten bis
zur Capcolonie, in britisches Territorium zu verwandeln. Dieses
Riesenterritorium soll durch eine langsame, aber mit britischer
Zähigkeit durchgeführte Culturarbeit allmälig so weit gehoben werden,
dass es dem heimischen Grosshandel ein dankenswerthes Feld ab-
geben kann. Dass es sich hier nicht um Utopien, sondern um die
nüchternste Realpolitik handelt, beweist der gegenwärtige Stand der
Dinge. Aegypten ist mehr als halb englisch, England besitzt durch
das glückliche Abkommen mit Deutschland die Zugänge zum oberen
Nil, die werthvollsten Theile des Kilimandscharogebietes, den schiff-
baren Tana, das Somaliland und das dichtestbevölkerte Reich von
Centralafrika, Uganda; im Süden hat sich die englische Politik von
Portugal die freie Fahrt auf dem Zambesi und so die Verbindung der
vielen englischen Handelsstationen von den Aequatorialseen über den
Nyassa nach dem Caplande im weitesten Sinne gesichert.
Die festen Stützpunkte für dieses im Aufbauen begriffene Colonial-
reich sind die beiden einzigen guten Häfen an der ganzen Ostküste:
Mombassa und Sansibar. Mombassa ist seit einigen Jahren eng-
lischer Besitz und die arabische Herrschaft von Sansibar steht unter
englischem Protectorate, das heisst vollständig unter englischem
Einflusse.
Wie die Statistik uns in ihrer schonungslosen Weise lehrt,
beherrscht England bereits den ganzen ostafrikanischen Handel in
einer derartig übermässigen Weise, dass daneben die anderen Rivalen,
namentlich Deutschland und Portugal, kaum in Rechnung kommen.
Jeder objectiv Urtheilende wird an dem, was die Briten in Ostafrika
geschaffen haben, die colonisirende Meisterhand bewundern, namentlich
wenn er sich vergegenwärtigt, dass alles dieses doch nur Anfänge,
wenn auch grossartig angelegte Anfänge, für noch grössere Zukunfts-
pläne sind.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 68
[[538]]
Rangoon.
An dem östlichen Ausflusse des Irawadi-Deltas, am Fluss-Arm
Rangoon, 32 km von der See entfernt, dehnt sich die Stadt Rangoon
(Rangun) aus, deren günstige Lage bereits die Herrscher des König-
reiches Ava erkannten, welche den Sitz eines Vicekönigreiches hie-
her verlegten. Jetzt ist Rangoon die Hauptstadt von Birma, einer
Provinz des Kaiserthums Indien.
Die älteste Geschichte Birmas ist in einiges Dunkel gehüllt, die einhei-
mischen Geschichtsquellen beginnen erst mit dem Jahre 79 v. Chr.; im III. Jahr-
hundert n. Chr. wurde der Buddhismus durch indische Missionäre im Lande ver-
breitet.
An der Stelle des jetzigen Rangoon befand sich schon vor Jahrhunderten
die auch noch gegenwärtig existirende grosse Dagon Pagode, welche die Haare
Gautamas und Reliquien Buddhas enthalten soll und dadurch den Platz zu einem
geheiligten macht. Um 1740 wurde Birma von Pegu erobert, 1750 erhob ein bir-
manischer Bauer aus dem Orte Mozzobo die Fahne des Aufstandes, besiegte die
Peguer, schwang sich unter dem Namen Alompra (Alaung-Phra) auf den Thron
und verkündigte seinen Sieg feierlich zu Rangoon, das er bei diesem Anlasse zur
Stadt erhob. Alompra, dessen glänzende Siegeslaufbahn seinen Namen zu dem
beliebtesten in den Erinnerungen des Volkes gemacht hat, und nicht minder auch
seine Nachfolger zierten Rangoon mit schönen buddhistischen Bauwerken.
König Phagyidan dachte gemeinsam mit Cochinchina die Vertreibung der
Engländer aus Indien bewirken zu können; sein Uebermuth führte 1824 zum
Kriege mit England, bei welchem die den Irawadi aufwärts vordringenden britischen
Truppen unter General A. Campbell in rascher Aufeinanderfolge Rangoon und
eine Anzahl anderer Orte einnahmen. Eine zweite englische Armee, die von
Assam aus vordringen sollte, erlitt zwar wiederholt Niederlagen, doch endete der
Krieg mit dem Frieden von Yandabo (24. Februar 1826) und der Abtretung Mul-
meins und mehrerer Provinzen des Landes an England.
Einem Vertragsbruche seitens Birmas folgte 1851 ein erneuerter Krieg mit
England, bei welchem am 14. April des folgenden Jahres Rangoon erobert und
wenige Monate später mit der Provinz Pegu dem indo-britischen Reiche als Britisch-
Birma einverleibt wurde.
Durch einen dritten Krieg mit Englànd wurde 1885 der Rest des König-
reiches Birma unter General Prendergast erobert, der König Thibau abgesetzt und
[539]Rangoon.
sammt seiner Familie in Südindien internirt. Die Organisation der britischen
Verwaltung hat sich seit der Besitzerklärung (1. Jänner 1886) ziemlich rasch ein-
gelebt, doch zeigt sich die Bevölkerung den Engländern noch immer widerspenstig
und feindselig.
Rangoon (ehemals Dagon) ist an den letzten Ausläufern des
Peguyoma gelegen; drei Flüsse und mehrere kleinere fahrbare Wasser-
wege vereinigen sich an dieser Stelle oder in deren nächster Nähe,
und verbinden das Delta des Irawadi mit jenem des Sittang. Durch
diese günstige Lage und die seit Beginn der englischen Occupation
entwickelte fast fieberhafte Thätigkeit ist Rangoon zu dem nach Cal-
cutta bedeutendsten Handelshafen des Golfes von Bengalen empor-
gestiegen und hat sich gleichzeitig auch zu einer grossen Industriestadt
entwickelt. Thatsächlich gibt es keinen Fortschritt der modernen
Industrie, der nicht auch schon in Rangoon seine Anwendung oder
Verwerthung gefunden hätte. Die wichtigsten Unternehmungen sind
die Reisschälmühlen.
Der erste Eindruck, den der Fremde von Rangoon erhält, ver-
räth nicht, wie in anderen Seeplätzen, die commercielle Bedeutung
des Platzes. Beide Flussufer sind von einer reichen Vegetation bedeckt,
zwischen welcher noch vereinzelte alte birmanische Holzhäuser zu
sehen sind; doch lassen die vor ihnen liegenden vortrefflichen Lan-
dungsplätze mit regem Personen- und Waarenverkehr den Schluss
ziehen, dass auch diese Ueberbleibsel aus der Zeit, in der Rangoon
nichts als ein gesuchter Wallfahrtsort und dabei noch 1760 ein kleines
Dorf war, in Bälde zweckentsprechenderen Bauten Platz machen
dürften. Im Hintergrunde erheben sich zahlreiche mächtige Fabriks-
schlote, im Centrum der hauptsächlich am nördlichen Flussufer ge-
legenen Stadt befinden sich einige grössere Steinbauten, aus deren
Mitte die Pyramide des Sandsteinthurmes der englischen Kirche
emporragt. Hinter der letzteren steigt das Terrain langsam an, und
hier befindet sich inmitten dunkler Laubmassen die riesige Dagon-
Pagode mit reich vergoldeter Thurmspitze.
Das Innere Rangoons ist ganz dazu angethan, Zeugniss für
das rasche Aufblühen und die rege Handelsthätigkeit dieser Stadt
abzulegen und gute Aussichten für deren weiteren Aufschwung hoffen
zu lassen. Lange und gerade Strassen von beträchtlicher Breite
werden rechtwinklig von engeren Gassen durchschnitten, die nicht mit
Namen, sondern mit Nummern bezeichnet sind. Die Häuser, denen
man zumeist die rasche Entstehung anmerkt, sind in überwiegender
Zahl einstöckig und aus Holz erbaut, dabei mit Ziegeln oder ge-
68*
[540]Der indische Ocean.
welltem Bleche gedeckt; grosse Magazine, Bazare und chinesische
Verkaufsläden finden sich in reichlicher Menge zwischen den kleineren
Wohnhäusern verstreut. Die Strassen belebt eine grosse und bunt
zusammengewürfelte Menschenmenge, die eilfertig und rührig ihren
Geschäften nachgeht, dazwischen rasselt die Dampfstrassenbahn und
verkehren zahlreiche Fuhrwerke aller Art.
Im westlichen Theile der Stadt wohnen ausschliesslich Chinesen,
die aber meist Birmaninnen zu Frauen haben. Dieses Viertel ist in
Bezug auf das Aussehen seiner Häuser und Läden, die des Abends
mit zahlreichen Lampions beleuchtet sind, eine bis ins Einzelne ge-
naue Copie einer chinesischen Stadt. Die grosse Menge von Gar-
küchen mit ihren für den europäischen Gaumen zweifelhaften und
durchaus nicht einladend aussehenden Leckerbissen, die bunten
Tempel und die Lastträger mit ihren langen Bambusstangen, dies
Alles ist dazu angethan, dem Besucher des Chinesenquartiers die
Heimat der Söhne des himmlischen Reiches getreulich wiederzu-
spiegeln.
Im Nordwesten der Stadt liegt das „Cantonnement“, die Euro-
päerstadt, mit breiten Strassen und ausgedehnten hübschen Gärten.
Hier befinden sich auch die Kasernen für 1330 Mann der Madras-
armee, an welche sich die Royal Lakes anschliessen. Dies sind ausser-
ordentlich schöne Parkanlagen, welche den Hügel der Dagon-Pagode
umgeben und mehrere hübsche Teiche enthalten, denen sie auch ihren
Namen verdanken.
Die Dagon-Pagode bildet einen schon seit vielen Jahrhunderten
besonders hoch gehaltenen Wallfahrtsort und ist nicht nur die grösste
Pagode Rangoons, sondern auch ganz Birmas.
Die Dampfstrassenbahn führt bis zum Fusse des Tempelhügels,
welcher die Terrasse der Pagode trägt. Zu beiden Seiten des Stiegen-
aufganges befinden sich zwei 12 m hohe, fratzenhafte Ungethüme,
welche Löwen vorstellen sollen, neben der Treppe Verkaufsläden und
Ruhehütten für die Pilger, die anlässlich des Jahresfestes des Dagon,
im März, aus allen Provinzen Birmas, aus Siam, Cambodja und selbst
aus Korea herbeiwandern.
Der Tempel selbst ist ein imposantes Gebäude in Pyramidenform,
das sich inmitten einer stufenförmigen Terrasse erhebt. Ueber dem
Reliquienschrein erhebt sich die imposante Stupa, ein thurmartiger
Bau ähnlich den siamesischen Pratschedis, der in eine feine Spitze
verläuft. Diese Thurmspitze, das Hti, befindet sich 118 m über dem
Pflaster der Terrasse und ist mit Goldplatten und kostbaren Steinen,
[[541]]
Rangoon.
[542]Der indische Ocean.
einem Geschenke des Souveräns von Mandalai, reich verziert. Dieses
Hti ist in Birma ein Zeichen souveräner Macht, weshalb es zu-
nächst den englischen Behörden übergeben werden musste und erst
durch diese wieder angebracht wurde. Um die grosse Stupa sind
zwei Reihen ähnlicher, doch kleinerer Bauten, sowie Opferbäume
aus vergoldetem Silber gruppirt; vier reich geschmückte Tempel
mit grossen Buddhastatuen weisen nach den vier Cardinalpunkten
der Windrose. Am Rande der Terrasse befinden sich Ruhehäuser
mit mehrfachen, durch reiches Schnitzwerk verzierten Dächern,
sowie niedrig gehängte Glocken von mitunter bedeutenden Dimen-
sionen. Die grösste dieser Glocken ist 42 T schwer; die Engländer
wollten sie als Trophäe nach Calcutta führen, doch war man
bei ihrer Einschiffung nicht genügend vorsichtig, die Glocke fiel in
den Fluss. Die getreuen Gläubigen aber hoben sie trotz ihrer höchst
primitiven Mittel mit grosser Mühe aus dem Schlamm und zeigen sie
jetzt triumphirend den Fremden.
Die ordnende Hand der englischen Regierung macht sich, wie
überall, so auch im Handel, speciell im Detailhandel in günstigster
Weise bemerkbar. Abgesehen von der grossen Markthalle, einer
wahren Musteranstalt dieser Art, sind auch sonst in der Stadt die
Verkaufsläden gleichartiger Waaren vereinigt. So gibt es Gassen,
welche nur Glas- und Porzellanwaarenhandlungen enthalten, in anderen
werden nur Metallwaaren verkauft und wieder in anderen bloss
Kleidungsstücke u. s. f. In den Läden der Birmanen finden wir
meistens eingeborene Frauen als Verkäuferinnen, die — nebenbei be-
merkt, ein Unicum an der ganzen süd- und ostasiatischen Küste —
die Preise nur wenig überhalten, oft sogar feste Preise haben.
Eines der interessantesten öffentlichen Gebäude Rangoons ist
das Gefängniss, das sich durch seine praktischen Einrichtungen und
seine — Grösse auszeichnet. Dass der Raum, der für 3000 einhei-
mische Gefangene berechnet ist, auch ausgenützt werde, dafür sorgen
die Banden der Dasoits. So nennt man in Birma die einheimischen
Räuber. Sie hatten seit dem Anfange der achtziger Jahre das nörd-
liche Birma verheert, und die Engländer sind ihrer nach schweren
Opfern an Geld und Blut erst in der letzten Zeit Herr geworden,
Ueberdies gehören noch zum Complexe der Anstalt ein Zellengefäng-
niss, ein abgesondertes Gefängniss für Europäer und ein Spital.
Rangoon besitzt (26. Februar 1891) 180.000 Einwohner, darunter
Tausende von Europäern und Eurasiern (Mischlinge von Europäern
und Hindufrauen). Die Birmanen tragen einen rothen Sarong, d. i. ein
[543]Rangoon.
um die Hüften und die Beine geschlungenes offenes Stück Zeug, und
eine weisse Jacke. Die Frauen sieht man häufig mit Blumen im
aufgekämmten Haare; die Chinesen erscheinen auch hier in ihren
traditionellen Blousen und kurzen weiten Beinkleidern, doch tragen sie
mit Vorliebe, trotz ihres Zopfes, graue europäische Filzhüte. Man
sieht auch viele Inder, meistens Tamulen aus Madras, mit den bunten
Trachten ihrer engeren Heimat und einige Araber; die Einheimischen
und die Matrosen der zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe aller
Flaggen zeigen eine grosse Mannigfaltigkeit an Costümen jeder Art.
Wie in allen anderen Städten gleichen oder ähnlichen Klimas
entwickelt sich auch in Rangoon des Abends ein besonders reges
Leben, da Jedermann bestrebt ist, zu dieser angenehmeren Tageszeit
seinen Vergnügungen nachzugehen. Die Engländer besitzen einen sehr
hübschen Club, die Deutschen ein nettes kleines Vereinshaus; der
tägliche Corso bei den Royal Lakes oder in Halpins Road wird meist
nur von Damen besucht. Die Kaufläden der Eingeborenen bleiben
bis spät in die Nacht offen, Pagoden, Tempel und Moscheen werden
von zahlreichen Gläubigen besucht, die daselbst ihr Abendgebet ver-
richten. In den Garküchen geht es lebhaft zu, indische Gaukler finden
ein dankbares Publicum. Zu den gesuchtesten Vergnügungsorten der
Birmanen gehört aber das Theater, in welches sich jeder Besucher
Esswaaren und eine Matte oder einen Teppich mitbringt; Frauen
nehmen überdies einen kleinen Polster mit. Die theatralischen Auf-
führungen stellen zumeist Scenen aus dem Leben Buddhas oder der
Könige dar, sie sind theils Marionetten-Darstellungen, theils solche
durch Schauspielertruppen. Im Gegensatze zu anderen indischen
Bühnen erscheinen hier auch Frauen unter den Darstellern.
Der Boden Birmas ist wunderbar ergiebig. Das ganze Land
wird von einer Unzahl von Bächen und Flüssen durchfurcht, welche
in regelmässigen Zeitabschnitten ihre Ufer überfluthen und Alles mit
fruchtbarem Schlamm bedecken. Das ist das richtige Land für die
Reiscultur, mit der sich ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung be-
schäftigen. Jedes Jahr gehen Millionen Metercentner ins Ausland
und in die anderen Provinzen des britisch-indischen Reiches. Dabei
sollen nicht mehr als 5 % des urbaren Landes bebaut sein und fast
die ganze männliche Bevölkerung birmanischen Stammes faullenzt.
In diesem Lande arbeitet nur die Frau. Sie geht hinter dem Pfluge
her, während ihr Mann unter dem Schatten eines Baumes den jüngsten
Sprössling wiegt. Mutter und Tochter besorgen den Kaufladen mit
Geschäftssinn und gewinnendem Anstand, und als Handelsagenten
[544]Der indische Ocean.
besuchen sie die Comptoirs der europäischen Kaufleute, wo man sie
allgemein mit Achtung empfängt und ihnen die Geldsummen anver-
traut, die sie unter die Bauern als Vorschuss auf die Reisernten
vertheilen.
Ackerbau, Industrie und Handel sind daher noch einer grossen
Entwicklung fähig, welche die Chinesen herbeiführen werden, deren
Einwanderung die Regierung begünstigt. Der chinesische Einwanderer
bringt nur selten seine Frau mit. Gerne heiratet ihn die Birmanin;
er ist Buddhist wie sie Buddhistin, fleissig und arbeitsam und behan-
delt seine Frau gewöhnlich gut. Auf diese Weise entwickelt sich
eine neue Race, welcher die Zukunft Birmas gehört.
Unter den Hafenplätzen von Britisch-Birma kommt für den Aussen-
handel in erster Linie Rangoon als grösster Reishafen in Betracht,
gegen den die anderen Reishäfen Akyab, Bassein und Moulmein
eine ziemlich untergeordnete Rolle spielen. Denn 1889/90 besorgte
Rangoon 93.03 % der Einfuhr und 70·83 % der Ausfuhr von Britisch-
Birma. Hiebei muss bemerkt werden, dass die grösseren Firmen von
Rangoon in den anderen birmanischen Häfen Filialen unterhalten,
welche den Reis, das Hauptproduct des Landes, daselbst einkaufen
und direct verschiffen. Die importirten Waaren hingegen werden
direct an die Waarenhäuser in Rangoon consignirt.
Neben der Flusschiffahrt rentiren sich auch die schmalspurigen
Eisenbahnen recht gut, von denen eine Linie Rangoon mit Allarmyo,
die andere Rangoon mit Mandalei verbindet; die Endpunkte beider
liegen am Irawadi. Da die Birmanen, ähnlich den Chinesen, gern
reisen, so liefern auf den Eisenbahnen die Einnahmen aus dem
Personenverkehre und nicht, wie in Europa, die aus dem Frachten-
verkehre den grösseren Theil der Einkünfte.
Rangoon ist vermöge seiner geographischen Lage der wichtigste
Handelsplatz im Delta des Irawadi, weil von hier aus selbst grosse
Schiffe in den Hauptstrom vordringen können, welcher zu allen
Jahreszeiten eine natürliche, 1350 km lange Wasserstrasse bildet, die
man sich nicht bequemer und sicherer vorstellen kann. Die Dampfer
der „Burmah Flotilla Company“ gehen auf dem Irawadi von Rangoon
über Mandalei nach Bhamo, wo die Schiffbarkeit des Flusses endet.
Letzterer Ort liegt in nächster Nähe der Grenze der chinesischen
Provinz Yünnan. Mindestens der westliche Theil derselben gehört zum
Handelsgebiete von Rangoon und wartet nur auf die Verbesserung
der Strassen, um den von der Natur vorgezeichneten Verkehr in
grösserem Massstabe aufnehmen zu können. Jetzt schon vereinigen
[[545]]
A Kirche, B Eisenbahn nach Proma, C Eisenbahnstation, D Botatanúg-Pagode, G Semaphor, H Soolay-Pagode, J Spital, K Untiefe, L Weg zur Syriam-Pagode.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 69
[546]Der indische Ocean.
sich auf dieser Route (Bhamo—Moulmein) die Telegraphennetze Chinas
und Britisch-Indiens.
Wir geben im Folgenden in Ermanglung specieller Ausweise für den Hafen-
verkehr von Rangoon eine Beschreibung des Handels von Britisch-Birma
im Allgemeinen.
Zur Erklärung der Zahlenangaben schicken wir voraus, dass in Indien das
Verwaltungsjahr den Zeitraum vom 1. April bis 31. März umfasst und dass in den
folgenden Angaben 10 Rupien gleich 1 ₤ angenommen werden.
Der Handel von Britisch-Birma erreichte mit Einschluss des Küstenhandels
1887/88 einen Gesammtwerth von 20,991.341 ₤, 1888/89 von 18,790.764 ₤,
1889/90 von 21,378.321 ₤.
Von der Ziffer des Jahres 1889/90 entfielen auf die Einfuhr 10,695.014 ₤ und
auf die Ausfuhr 10,683.307 ₤.
Von der Einfuhr des Jahres 1889 kamen auf den Privathandel mit Waaren
9,562.566 ₤, auf Edelmetalle 768.148 ₤ und der Rest auf Transactionen der Regierung.
Die wichtigsten Importwaaren setzen sich aus industriellen, Erzeugnissen
zusammen, unter denen wieder Textilwaaren den ersten Rang behaupten. So im-
portirte Britisch-Birma 1889/90
- Baumwoll. Stückgüter für ........ 1,602.410 ₤
- Baumwollgarne für ............ 776.927 „
- Seidene Stückgüter für ......... 944.799 „
- Wollene „ „ ......... 257.227 „
- Jutesäcke für ............... 314.361 „
- Hemden, Handtücher u. dergl. für . .. 235.282 „
- Zusammen für ... 4,131.006 ₤
oder circa 40 % der Gesammteinfuhr.
Unter den übrigen Industrieerzeugnissen ist hervorzuheben die Einfuhr von
- Maschinen ....... für 91.558 ₤
- Metall- und Messer-
schmiedwaaren ... „ 152 582 „ - Metalle (halb bearb.) . „ 332.502 „
- Töpferwaaren ..... „ 88.716 „
- Glaswaaren ...... für 65.931 ₤
- Zündhölzchen ..... „ 59.170 „
- Reg.-u. Sonnenschirme „ 67.264 „
- Kerzen ........ „ 56.208 „
Einen auffallend starken Importartikel bilden Oele im Werthe von
614.139 ₤; den grössten Theil des Werthes liefert amerikanisches Petroleum.
Nahrungsmittel und Getränke bilden gleichfalls einen erheblichen
Theil der Einfuhr. Diese umfassten Lebensmittel (besonders getrocknete Fische)
für 776.016 ₤, Zucker (von den Straits Settlements) für 226.032 ₤, Cerealien
für 142.046 ₤, Sämereien für 156.477 ₤, Früchte und andere vegetabilische
Stoffe im Werthe von 145.890 ₤, Salz (englischer und deutscher Provenienz)
für 124.077 ₤ und Getränke (darunter zur Hälfte Bier) für 234.259 ₤.
Mit der Anführung von Kohlen aus Cardiff und anderem Brenn-
material, das einen Importwerth von 103.692 ₤ verzeichnete, ist die Liste der
wichtigeren Einfuhrsartikel erschöpft.
Die Stärke in der Ausfuhr von Birma liegt in seinem Reisexporte, der
nahezu 70 % des Werthes der Gesammtausfuhr umfasst.
1889/90 wurden 1,347.869 T (à 1,016.048 kg) Reis im Werthe von 6,555.590 ₤
ausgeführt. Davon verschiffte Rangoon allein 927.473 T 7 %), Akyab 189.335 T, Basi
[547]Rangoon.
sein 155.785 T und Moulmein 75.276 T. 724.456 T gingen nach Europa. Der Reis
ist zum grössten Theile enthülst.
Unter den übrigen Ausfuhrsartikeln sind als wichtigere hervorzuheben:
- Baumwolle .. im Werthe von 193.880 ₤
- Catechu .... „ „ „ 372.032 „
- Häute u. Felle „ „ „ 105.570 „
- Kautschuk im Werthe von 60.291 ₤
- Reiskleie . „ „ „ 111.825 „
ferner Früchte für 22.582 ₤, Gewürze für 17.065 ₤, Schellack für 11.555 ₤
und vegetabilische Oele für 17.194 ₤.
Einen bedeutenden Exportartikel, mit dem wir die Liste schliessen, bildete
ferner Teakholz im Werthe von 1,518.719 ₤.
Für den auswärtigen Handel Britisch-Birmas sind Grossbritannien und
Singapore die wichtigsten Länder.
Der Schiffsverkehr von Birma erreichte ohne Küstenschiffahrt 1888/89
636 Dampfer mit 735.052 T und 306 Segelschiffe mit 279.187 T, zusammen
942 Schiffe mit 1,014.239 T; mit Einrechnung der Küstenschiffahrt 1889/90
6435 Schiffe mit 3,360.045 T, 1888/89 5881 Schiffe mit 2,793.874 T.
Den regelmässigen Schiffsverkehr mit Rangoon besorgen im Anschlusse an
die grossen europäisch-asiatischen Hauptlinien die Dampfer der „British India
Steam Navigation Cy.“, welche drei Linien mit Berührung von Rangoon unterhält,
und zwar Calcutta—Rangoon—Penang—Singapore einmal wöchentlich, Calcutta—
Rangoon—Moulmein wöchentlich und Rangoon—Mergui wöchentlich.
Rangoon hat zu Lande telegraphische Verbindungen mit Vorderindien,
China und Hinterindien (Bangkok); ein Kabel ist von hier nach Penang
gelegt.
In Rangoon sind folgende Banken vertreten.: Agra Bank, Bank of Ben-
gal, Bank of Bombay, Chartered Mercantile Bank of India, London and China,
Chartered Bank of India, Australia and China, National Bank of India, National
Provincial Bank of England and National Bank of England.
In Rangoon unterhalten Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich,
Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Persien, Peru,
Schweden und Norwegen, Vereinigte Staaten von Amerika.
69*
[[548]]
Calcutta.
Die Mündung des Ganges bildet ein dem Po-Delta ähnliches
jedoch 25mal grösseres, weitverzweigtes Delta, dessen Hauptader vor
Zeiten der Hooghly (Hugli, Bhagirathi) war. Wenngleich der letztere
noch immer ein mächtiger Stromarm ist, so bildet er derzeit doch
nur einen Seitenausfluss des „heiligen“, fisch- und krokodilreichen
Ganges, der sich seinen Weg immer weiter ostwärts gebahnt hat und
bei Goalanda, mit dem Brahmaputra vereinigt, in der nordöstlichsten
Ecke des Golfes von Bengalen, in zahlreiche Arme zertheilt und ein
Labyrinth von Inseln bildend, ins Meer mündet.
Dass der Hooghly noch immer auf 160 km, d. i. bis zu der an
seinen Ufern liegenden Stadt Calcutta, für Seeschiffe fahrbar ist,
konnte nur durch mühevolle, kostspielige und langwierige mensch-
liche Arbeit erzielt werden. Die drei Nadija-Flüsse, aus denen sich
der Hooghly oberhalb Calcutta zusammensetzt, werden jederzeit derart
offen gehalten, dass sie genügend Wasser führen, um Verschlammungen
des Strombettes hintanzuhalten. Wie bei den meisten Mündungen grosser
Ströme in die offene See, so macht sich auch im Hooghly der Ein-
fluss der Fluthwelle in hohem Masse geltend, indem sie bedeutende
Niveauunterschiede, oftmals bis zu 6 m, erzeugt und noch an 200 km
landeinwärts von der Mündung fühlbar ist. Bei den Einmündungen
der Flüsse Damoodah und Roopnarayan wird das Fahrwasser durch
fortwährende Ablagerungen eingeengt und verschlammt, so dass es
bei der James and Mary Bank bei Ebbe nur 3 m Tiefe hat. Diese
Bank, deren Name von den indischen Worten „jal“ und „mári“
(Wasser, unglückbringend) abgeleitet wird, bildet die gefährlichste
Stelle der Navigation im Hooghly, die schon zahlreiche Unglücks-
fälle verursacht hat. Schiffe, die an dieser Stelle stranden, kentern
infolge der starken Strömung in kurzer Zeit und versinken im Ver-
laufe weniger Minuten spurlos im Schlamme (1878 der grosse eng-
lische Dampfer „Queen Anne“). In den Monaten Mai, August und
[549]Calcutta.
September erreicht die durch Hochwässer verstärkte Strömung bis
9 Seemeilen stündlicher Geschwindigkeit, weshalb man in dieser Zeit
nur mit dem Einsetzen des Fluthstromes die Fahrten flussabwärts
durchführen kann. Nachtfahrten sind ganz ausgeschlossen.
Trotz aller Bemühungen seitens der Regierung und der Hafen-
behörden von Calcutta, das Anlaufen des Hooghly und die Fahrt in
diesem zu erleichtern, bleibt bisher dennoch beides noch immer eine
ebenso schwierige als durchaus nicht ungefährliche Aufgabe. Bei
den Sandbänken (Sandheads), welche den Ganges-Mündungen vor-
liegen, werden die ankommenden Schiffe von Lootsen übernommen,
deren besondere Geschicklichkeit und Verlässlichkeit bestens be-
kannt ist.
Das Abwarten des günstigsten Zeitpunktes für den Antritt der
Fahrt stromaufwärts geschieht in der Mündung auf der Rhede der
dicht mit Gebüsch (Jungle) bewachsenen Insel Saugor (Sagar), die
wegen ihrer grossen Zahl von Tigern berüchtigt ist. Nach alten
Chroniken soll Saugor vor der Gründung Calcuttas von einer Viertel-
million Menschen bewohnt gewesen sein, und diese sollen im Jahre
1688 während einer Nacht durch eine Sturmfluth, welche die ganze
Insel überschwemmte, zugrunde gegangen sein. Auch in unserem
Jahrhunderte wurden Inseln des Ganges-Deltas von ähnlichen Kata-
strophen betroffen.
Etwa 34 Seemeilen (63 km) flussaufwärts von Saugor liegt
Diamond Harbour, welches mit Calcutta durch eine Eisenbahn ver-
bunden ist und den Ein- und Ausschiffungsplatz der Reisenden Calcuttas
bildet, denen hiedurch der nach Diamond Harbour folgende gefähr-
lichste und oft langwierigste Theil der Flussfahrt erspart wird. Hier
pflegen auch die grossen Schiffe, die mit voller Ladung über die
James and Mary Bank nicht passiren könnten, einen Theil ihrer
Ladung zu löschen, beziehungsweise den Rest derselben zu er-
gänzen.
Bald nach Diamond Harbour, am westlichen Ufer des Hooghly,
folgt die breite Mündung des Roopnarayan, acht Meilen von dieser
das kleine Städtchen Tamluk, das im Alterthume eine berühmte
Palaststadt und einer der Centralpunkte des Buddhismus gewesen
ist. Tamluk war überdies einstens ein Seehafen; von hier segelte
der chinesische Pilger Fa Hian zu Beginn des V. Jahrhunderts nach
Ceylon ab. Einer zweieinhalb Jahrhunderte späteren Beschreibung
des Ortes durch Hiuen Tseng ist ebenfalls zu entnehmen, dass Tamluk
auch damals noch ein Seehafen war, woraus sich am besten ersehen
[550]Der indische Ocean.
lässt, wie mächtig die Anschwemmungen des Ganges gewesen sind
und wie weit seewärts die Küste durch die unaufhörliche Einwirkung
dieses Stromes verschoben worden ist.
An beiden Ufern des Hooghly entwickelt sich eine prächtige
tropische Vegetation; kleinere Ortschaften, Pagoden und Tempel
folgen einander in bunter Reihenfolge und gestalten die Flusssfahrt
zu einer überaus interessanten und malerischen. Die Schönheit des
Gesammteindruckes fördern auch zahlreiche terrassenartige Anlagen,
sowie eine grosse Zahl von Anlegeplätzen, deren oft ansehnliche
Stiegenreihen und schön gearbeitete Geländer, insbesondere in der
Nähe von Tempeln und Moscheen, mit Blumen und Kränzen verziert
und geschmückt werden. Das Wasser des Ganges, als Stromes der
Götter, gilt bei den Bekennern der brahmanischen Religion als
reinigend und sühnend, und zahlreiche Pilger suchen sich durch
Baden im heiligen Strome von ihren Sünden zu befreien. Der Ver-
sandt von Gangeswasser bildet einen sehr einträglichen Handelsartikel.
Nach Passirung der James and Mary Bank folgt die Mündung
des Damoodah-Flusses, der die Fultah-Sands vorliegen, und von wo
an sich das Flussbett des Hooghly immer mehr verengt. Bald nach
der Beendigung der scharfen Krümmung bei Hangman Point treten
die von dichtem Grün umrahmten Gebäude der Hauptstadt des
britisch-indischen Kaiserreichs und der Lieutenant-Governorship Ben-
galen hervor.
Am linken Ufer des Hooghly, 160 km von dessen Mündung
unter 22° 33′ nördlicher Breite und 88° 20′ östlicher Länge, erstreckt
sich Calcutta in nordsüdlicher Richtung über fast 5 km längs des
Flussufers, während die Breitenausdehnung der Stadt zwischen 2 und
3 km beträgt. Prächtige Paläste, reizende Parkanlagen, grossartige
Etablissements, Schulen, Denkmäler und zahlreiche Gotteshäuser ver-
einigen sich hier zu einer Grossstadt, die unstreitig zu den ersten
und schönsten der alten Welt gehört. Und doch ist Calcutta keine
Hinterlassenschaft prunkliebender indischer Nabobs (Nawab) oder
mächtiger Mogule, sondern ganz und gar ein Wahrzeichen britischer
Machtfülle und britischen Fleisses. Da die Entwicklung Calcuttas
als Grossstadt erst seit 1757 begonnen hat, finden sich daselbst
keine jener monumentalen und kunstvollen Bauten, die aus der Glanz-
zeit der einheimischen Fürsten stammen und sich anderwärts fast
überall im Reiche erhalten haben.
Die vom Mogul Akbar im Jahre 1596 ausgeschriebenen Steuern
enthalten die erste historische Notiz über eine kleine, der furcht-
[551]Calcutta.
baren Göttin Kâlî geweihte Ortschaft namens Kalikata oder Kalighat.
Neunzig Jahre später siedelten sich englische Kaufleute, die wegen
Differenzen mit den Behörden des Moguls ihre frühere Factorei
Hooghly verlassen hatten, im Dorfe Sutahnati an, das an der Stelle
des jetzigen Calcutta lag. Diese neue Factorei wuchs rasch an und
vereinigte sich mit Kalikata und anderen Ortschaften zu einer Stadt.
1689 wurde seitens der indischen Compagnie der Amtssitz der
Districtsbeamten von Bengalen hieher verlegt, und Sutahnati, Gobindpur
und Kalikata wurden von Azim, dem Sohne Aurangzibs, für die
Compagnie angekauft.
Da das Gebiet der sich zusehends erweiternden Stadt stellen-
weise unter dem Hochwasserniveau des Ganges lag, bildeten sich
durch einige Zeit des Jahres an den „Maidám“ (Maidan) genannten
Gründen, sowie auch sonst im Umkreise der Stadt sumpfige Stellen,
die bei der Tropenhitze des Sommers zu Brutstätten epidemischer
Krankheiten und hiedurch die Ursache einer bedeutenden Sterblichkeit
unter den Europäern wurden.
1756 wurde Calcutta durch Suraj ut Daulá, Nabob von Bengalen, einge-
nommen und geplündert, 146 englische Gefangene wurden in das Black Hole,
einen Raum von kaum 20 Quadratfuss Bodenfläche, gepfercht, so dass nur wenige
derselben die Nacht überlebten. Als im folgenden Jahre eine englische Expedition
unter Admiral Watson und Oberst Clive Calcutta zurückeroberte, fand sie die
Stadt arg verwüstet und gänzlich ausgeplündert vor. Mir Jáfar, der Nachfolger
des in der Schlacht von Plassey geschlagenen Suraj ut Daulá, leistete für diese
Plünderung eine Entschädigung von 750.000 ₤.
Von diesem Zeitpunkte an datirt der Wiederaufbau der Stadt, der mit
Auflassung der alten Forts, der Erbauung des mächtigen Forts William (2 Mill. ₤
Kosten) und Schaffung eines weitläufigen Parkes an Stelle des Maidám begonnen
wurde.
Der neue Park besserte die sanitären Verhältnisse der angrenzenden Gegend
in hohem Masse, so dass diese — insbesondere aber der Theil östlich vom Parke —
der Ansiedlungsort der reicheren Classen wurde und auf diese Weise das pracht-
volle Stadtviertel Chowringhee oder Chauringhi Quarter entstand.
Später wurde Calcutta zum Sitze der Präsidentschaft Bengalen erhoben, 1772
verlegte Warren Hastings den Sitz der Regierungsämter von Murshidabad hieher,
1773 wurde der Präsident zum gleichzeitigen Generalgouverneur von Britisch-
Indien erhoben. Diese beiden Functionen wurden erst 1854 getrennt, der General-
gouverneur wurde Vicekönig von Indien.
Von dem am westlichen Ufer des Hooghly gelegenen Howrah
aus bietet Calcutta einen grossartigen Anblick. Längs des Flussufers
zieht sich eine lange Reihe monumentaler Bauten in europäischem
Style bis zum Eden Garden, einem prachtvollen Park, dessen An-
lagen von Lady Eden, der Schwester Lord Auckland’s, General-
[552]Der indische Ocean.
gouverneurs von Indien, entworfen und angelegt worden sind und
seither mit einer Anzahl von Denkmalen, so denen Lord Auckland’s
und Sir William Peel’s, verziert wurden. Im Edengarten, der durch-
wegs elektrisch beleuchtet ist, und in welchem, englisch-indischer
Sitte entsprechend, das Rauchen untersagt ist, gibt sich gegen Abend
tout Calcutta ein Rendezvous, um daselbst die frischere Luft und
die Schönheiten der paradiesischen Vegetation zu geniessen.
An diese Anlagen schliesst sich die Esplanade Maidám an.
Diese selbst erstreckt sich mit schattigen Alleen, die gleichfalls durch
eine Anzahl von Statuen geziert sind, hauptsächlich östlich und süd-
östlich vom mächtigen Fort William, welches nahezu 3 km Umfang
besitzt und durch seine Bauten einen grossen Theil des Parkes gegen
die Flussseite zu verdeckt. Durch Clive in der Form eines regel-
mässigen Achteckes erbaut, enthält dieses Fort Unterkunftsräume für
25.000 Mann, ein Arsenal, die Munitionsdépôts für seine 619 Geschütze
und mehrere hübsche Gärten. Im südlichen Theile des Maidám
liegt der Wettrennplatz, an den sich in weiterer Folge der zoolo-
gische Garten und der Paradeplatz anschliessen; östlich vom Wett-
rennplatze befindet sich ein grosses Gefangenhaus und etwa 1 km
weiter östlich von diesem der Bischofspalast. Nordwärts von diesem
Palast breitet sich das schon erwähnte Chowringhee-Viertel aus.
Die imposanten Paläste des Chowringhee-Viertels sind fast alle
in griechisch-römischem Style erbaut und kehren ihre mit mäch-
tigen Colonnaden geschmückten Fronten dem Maidám zu, der
im Norden durch den Palast des Vicekönigs, das Rathhaus und den
Prachtbau der Bank von Bengalen begrenzt wird. Der Palast des
Vicekönigs (Generalgouverneurs) wurde durch den Marquis von
Wellesley, nachmaligen Herzog von Wellington, der von 1798 bis
1805 Generalgouverneur war, mit einem Aufwande von 130.000 ₤
erbaut. Vor diesem Palaste steht ein 50 m hohes Monument Sir
David Ochterlony’s; die Galerien desselben sind durch eine im Inneren
des Denkmals befindliche Treppe erreichbar und ermöglichen einen
hübschen Ausblick auf einen grossen Theil der Stadt.
Die nördlichen und östlichen Partien der Stadt waren früher
ein Conglomerat schmutziger Hütten, das von engen Winkelgässchen
durchzogen wurde und von der Pracht des Chowringhee-Viertels in
höchst störender Weise abstach. In den letzten Jahrzehnten räumte
man aber auch in dieser Beziehung gründlich auf, die Hütten wurden
grösstentheils niedergerissen, neue, zweckentsprechendere Häuser ge-
baut und die Strassen zwischen ihnen geregelt; diese neueren Bauten
[[553]]
Calcutta (Maidám).
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 70
[554]Der indische Ocean.
in der Eingeborenenstadt sind nicht nur dem Auge gefälliger, sondern
auch in sanitärer und wohnlicher Beziehung allen Anforderungen ent-
sprechend.
An der Peripherie der eigentlichen Stadt liegen zahlreiche Vor-
orte, welche von Eingeborenen bewohnt werden, ohne dass diese
nach Rassen oder Kasten gesondert sind. Indo-Europäer, Hindus und
Mohammedaner wohnen hier in bunter Folge friedlich beisammen.
Dem Centrum der Stadt gegenüber und mit dieser durch eine Brücke
in Verbindung, liegt am westlichen Ufer des Stromes die Vorstadt
Howrah. Die 506 m lange Brücke ist ein sehr interessantes Bau-
werk, das 1884 vollendet wurde und 220.000 ₤ kostete. Die Pfeiler
der Brücke ruhen auf verankerten Pontons, welche der ungeheueren
Inanspruchnahme mit Bezug auf ihre Tragfähigkeit und den mitunter
reissenden Strom bestens widerstehen und dabei den beträchtlichen
Niveauunterschieden des Flusses (bis zu 6 m) folgen. Kleinere Schiffe
können unter der Brücke durchfahren, für die Passage grösserer
Fahrzeuge bleibt sie täglich durch zwei Stunden geöffnet.
Howrah ist das industrielle Viertel Calcuttas und macht mit
seinen hohen Fabrikskaminen ganz den Eindruck einer europäischen
Fabriksstadt. In Howrah befinden sich alle Etablissements der Gross-
industrie, wie beispielsweise eine grosse Anzahl von Jutespinnereien,
welche jährlich an 70.000 T Jute verarbeiten und 80 Millionen Säcke
herstellen, dann mehrere Baumwollspinnereien. Die Industrie der
Stadt Calcutta selbst ist hingegen unbedeutend und fast ganz auf
Kleinindustrie beschränkt. Von den grossartigen Etablissements, die
der Staat in Calcutta und Umgegend besitzt, ist die grosse Geschütz-
giesserei in Kosipur das bedeutendste. Auch sind zwei Trockendocks
und grosse Ladedocks im Bau begriffen.
Zu den nennenswerthesten Gebäuden Calcuttas gehören ausser
dem bereits genannten Government House die Town Hall (Stadthaus),
1804 erbaut, mit einem riesigen Saal, der für Meetings, Bälle und
Concerte benützt wird, das Legislative Council Office, der High Court,
das Currency Office in italienischem und das prächtige Postgebäude
in griechischem Baustyl mit mächtigen korinthischen Säulen, die sich
in einem anmuthigen Teiche spiegeln. Calcutta hat 27 protestantische
und 8 katholische Kirchen, sowie noch 8 sonstigen Riten angehörige
Gotteshäuser. Zu den letzteren zählt auch die Brahmo Somaj oder
deistische Kirche, die Rajah Ram Mohun Roy, der erste Reformator
der Hindureligion, nach der Besitzergreifung Indiens durch die Briten
gegründet hat. Die orthodoxen Hindus haben auffälligerweise kein
[555]Calcutta.
eigenes Gotteshaus, sie kommen ihrem Cultus theils an den Ufern
des Hooghly, theils in Privathäusern nach. Nur die Göttin Kâlî,
die Schutzpatronin von Calcutta, hat einen kleinen Tempel in Kalighat
am Ufer des Nullah.
Die Schulbildung wird von einer grossen Anzahl von Instituten
besorgt, als deren hervorragendste zu nennen sind: Hindu College,
University Senate House, Hare School, Sanskrit College, Medical
College, Free Institution und die berühmte La Martinière, welche den
Namen eines französischen Abenteurers trägt, der als einfacher Soldat
nach Indien kam und 1808 mit Hinterlassung eines Vermögens von
mehr als fünf Millionen Rupien zu Lucknow starb.
Das indische Museum gehört sowohl seinem Aeusseren nach,
als auch durch den Reichthum seiner Sammlungen zu den hervor-
ragendsten Sehenswürdigkeiten Calcuttas. Auf Grund eines Parlaments-
beschlusses vom Jahre 1866 erbaut, ist dieses relativ junge Institut
der ihm vorgezeichneten grossen, ganz Indien umfassenden Aufgabe
in geradezu musterhafter Weise nachgekommen. Von besonderem
Werthe ist die Fossiliensammlung, höchst interessant die Mineralien-
sammlung, in welcher prächtige Edelsteine aus dem Bandalkhand,
von Sambhalpur und Südindien ausgestellt sind. Der wenig wider-
standsfähige, weiche Grund, auf dem die Stadt erbaut ist, hat aber
leider unter der Schwere des massig grossen Museumsgebäudes theil-
weise nachgegeben, wodurch die Hauptfront desselben einen starken,
von oben bis unten reichenden Riss erhielt, der zwar ausgebessert,
aber doch noch wahrnehmbar ist.
Am westlichen Ufer des Hooghly, unterhalb von Howrah, be-
findet sich der botanische Garten, der über Anregung des Generals
Kyd im Jahre 1786 gegründet worden ist. Dieser Garten wird von
breiten Strassen nach allen Richtungen durchkreuzt, und zwei gleich
beim Haupteingange gelegene Alleen von Palmyrapalmen und Maha-
gonibäumen fesseln den Besucher in hohem Masse. Zu den haupt-
sächlichsten Sehenswürdigkeiten des Gartens gehört eine Riesen-
banyane (Ficus indica), die mit fast 200 Luftwurzeln ein Areal
von 75 m2 einnimmt und deren Stamm 15 m im Umfange misst.
Abgesehen von seinem hohen wissenschaftlichen Werthe hat der bo-
tanische Garten auch schon vielfach für die Production nutzbringend
gewirkt, wie z. B. durch die hier vorgenommenen Acclimatisations-
versuche mit Theepflanzen, auf deren Basis die blühende Theecultur
des Himalaya und in Assam entwickelt wurde.
Der zoologische Garten ist sowohl an wissenschaftlichem Werthe,
70*
[556]Der indische Ocean.
als auch seinem Inhalte und seiner Ausdehnung nach bei weitem
weniger bedeutend als der botanische. Immerhin enthält er einige
interessante Thierexemplare, wie z. B. Orang-Utangs, schwarze Panther
und verschiedene hübsche Fasanarten.
Der Hafen von Calcutta ist 9 Seemeilen lang, der für grössere
Seeschiffe fahrbare Theil des Stromes im Hafen durchschnittlich
230 m breit. Flussfahrzeuge und kleinere Localdampfer haben ihre
Vertäuungs- und Anlegestellen im nördlichen Theile des Hafens, in
welchem sich auch — zumeist am rechten Stromufer — elf Trocken-
docks (die zwei erwähnten, im Bau begriffenen Regierungsdocks in-
begriffen) befinden. Südlich von der Verbindungsbrücke Calcutta-
Howrah liegt der Hafen für die grösseren Seeschiffe, die am linken
Stromufer in drei bis fünf Reihen vierkant vertäut werden. In der
Mitte des Stromes liegen Bojen für die Fahrzeuge des Hafendienstes.
Quais oder Uferdämme gibt es in Calcutta nicht; die Flussufer be-
stehen aus einem zähen und lehmigen Boden, dessen natürliche
Böschung sanft ansteigt. Als Anlegeplätze dienen verankerte Pontons,
die durch (in Gelenken) bewegliche Brücken mit dem Ufer in Ver-
bindung stehen. In einigen Fällen werden diese Brücken noch durch
einen zweiten Ponton unterstützt, welcher bei besonders niedrigem
Wasserstande im Trockenen liegen bleibt. Eine grössere Anzahl
solcher Anlegeplätze befindet sich in der Nähe des Zollhauses. An-
sonsten finden sich aber auch noch stellenweise aus Ziegeln gemauerte
Treppen, die bis zum Flusswasser führen und nur zur Vornahme der
religiösen Waschungen der Hindus dienen. Nördlich von der Howrah-
Brücke befindet sich das Ghat Nimtolah, das speciell für die Ver-
brennung der Todten geheiligt ist.
Calcutta hat (26. Februar 1891) 972.000 Einwohner. Der
Religion nach sind fast zwei Drittel derselben Hindus, an 40.000
Christen und über 200.000 Mohammedaner. Unter dieser grossen Be-
völkerung leben nur gegen 8000 Europäer.
Das nothwendige Wasser führen Wasserwerke aus dem Hooghly
zu, doch ist dieses nur im Winter trinkbar. In der übrigen Zeit
behilft man sich mit dem in Teichen angesammelten Regenwasser. Die
Bohrung artesischer Brunnen ist trotz oft wiederholter Versuche, bei
denen auch grössere Tiefen erreicht wurden, bisher erfolglos geblieben.
Das Klima Calcuttas kann nicht als ein gesundes angesehen
werden. Da die Stadt tief liegt, so können ihre Canäle nicht in den
Hooghly münden, sondern entleeren sich in einen todten Arm des
Ganges, der östlich von Calcutta sich ausbreitet. Dies und die
[557]Calcutta.
feuchte Hitze der Sommermonate leisten der Entwicklung von allerlei
Krankheiten Vorschub. Deshalb trachtet auch jeder, der in der an-
genehmen Lage ist, dies thun zu können, bereits Ende März die
Sommerfrische aufzusuchen und daselbst bis October zu bleiben.
Früher folgte man dem Vicekönig nach dessen Sommerresidenz, dem
im westlichen Himalaya liegenden Orte Simlá, während derzeit das
nördlich von Calcutta im Himalaya liegende Darjeeling fashionable ist.
A Eisenbahnstation, B Botanischer Garten, C Docks, D Zeitsignalstation, E Zoologischer Garten,
G Spital, H Kirche, J Zollamt, K Statthalterei-Gebäude, L Tolly Canal, M Ghusri Untiefe, N Sibpur
Untiefe, O Monument, P Eden Garten, Q Eisenbahn, R Eisenbahn.
[558]Der indische Ocean.
Trotz der ungünstigen Verhältnisse des Grundes und Bodens,
auf dem Calcutta steht, ist es eine Grossstadt geworden, eine der
theuersten Städte der Erde, in welcher sich der Luxus des Orientes
und der des Occidentes vereinigen. Mit der Ausbreitung der britischen
Macht in Indien erweiterten sich auch die Grenzen seines Weich-
bildes. Als wichtigster Stützpunkt der Engländer in Bengalen, dem
reichsten und am dichtesten bevölkerten Theile der Halbinsel, wurde
es zunächst Hauptstadt dieses Landes und später des ganzen englisch-
indischen Reiches. Zur politischen Herrschaft gesellte sich auch die
commercielle. Erst die Eröffnung des Suezcanals und der Ausbau
des indischen Eisenbahnnetzes, welches keine Stadt so stark wie
Bombay begünstigt, verschafften diesem letzteren Hafen, der Europa viel
näher liegt als Calcutta, die Vorherrschaft im Aussenhandel Indiens.
Calcutta ist jetzt an die zweite Stelle gedrängt und findet nur
allmälig in den Landschaften am Brahmaputra Ersatz für das reiche
Handelsgebiet, welches es im Westen endgiltig an Bombay verloren
hat. Nach dem Plane der Regierung soll die Stadt Ausgangspunkt
einer wichtigen Handelsstrasse nach Yünnan werden und auch die
Bemühungen der Engländer, ihren Waaren und Kaufleuten Ein-
gang in das bis jetzt verschlossene Tibet zu verschaffen, würden in
erster Linie Calcutta zu Gute kommen. Die Engländer haben bereits
eine Eisenbahn nach Darjeeling an der Grenze von Tibet gebaut,
und die chinesische Regierung hat sich bereit erklärt, die Wünsche
der Engländer zu erfüllen, aber sie hat in Tibet wenig zu reden;
da wird wohl früher der Ende 1890 begonnene Bau der East Coast
Railway von Calcutta nach Madras vollendet, als den Engländern
der Eintritt nach Tibet gestattet sein.
Uebrigens rangirt Calcutta als Handelsstadt noch immer unter
den allerbedeutendsten nicht nur Asiens, sondern der ganzen Erde.
Calcutta ist dem Verkehre nach der zweitgrösste Hafen Indiens und in
seinem Handel nur von Bombay übertroffen. Sein Antheil an dem gesammten aus-
wärtigen Handelsverkehre von Britisch-Indien mit Einschluss der Edelmetalle be-
ziffert sich im Jahre 1888 auf 35·8 %. In den letzten vier Jahren hat sein
Handel um 8·5 % zugenommen. Er erreichte im Jahre 1890 in Waaren allein
(ohne Edelmetalle) die Ziffer von 631,124.000 Rup. gegen 589,558.520 Rup.
im Jahre 1888 und 577,720.901 Rup. im Jahre 1887.
In Calcutta concentrirt sich auch der ganze Handel der Provinz Bengalen,
da nur ein Hafen, nämlich Chittagong, das im Osten des Gangesdeltas liegt,
einen namhaften Handelsumsatz aufweist, so (1888) in der Ausfuhr 14·4 Millionen
Rupien, in der Einfuhr 0·7 Millionen Rupien.
Das fruchtbare Hinterland Bengalen mit seinen reichen Bodenproducten,
welche nahezu ausschliesslich über Calcutta zur Verschiffung gelangen, verleiht
[559]Calcutta.
diesem Hafen jene Bedeutung im Welthandelsverkehre, die er seit Decennien that-
sächlich inne hat. Die Versorgung einer zahlreichen Bevölkerung, der ganzen
Provinz mit den Erzeugnissen moderner Industrie, die stets wachsenden, mit dem
Fortschreiten der Cultur und Ausdehnung der Verkehrsmittel gleichen Schritt
haltenden Bedürfnisse der indischen Bevölkerung sichern Calcutta auch seine
Bedeutung als grössten Einfuhrshafen des östlichen Indiens.
Die Ausfuhr Calcuttas steht zu seiner Einfuhr im Verhältnisse von 3 zu 2.
Bei Besprechung der einzelnen Phasen dieses Handelsverkehres wollen wir
daher mit dem Exporte Calcuttas als dem wichtigeren Theile beginnen.
Unter den Bodenproducten spielt Jute in der Ausfuhr Calcuttas die Haupt-
rolle; da dieselbe nur in Bengalen allein producirt wird, liegt auch der Handel
ganz in den Händen Calcuttas. Wiewohl der jährlich steigende Bedarf der inlän-
dischen Fabriken befriedigt wird, ist die Ausfuhr des Rohmateriales in fortwäh-
rendem Wachsen begriffen. Die Ausfuhr von Jute war in den letzten 10 Jahren
folgende (1 T = 1016 kg):
- 1878/79 301.069 T für 38,000.000 Rup.
- 1879/80 334.033 „ „ 43,700.000 „
- 1880/81 290.491 „ „ 39,300.000 „
- 1881/82 375.516 „ „ 50,300.000 „
- 1882/83 517.445 „ „ 58,500.000 „
- 1883/84 350.899 „ „ 45,900.000 „
- 1884/85 418.434 T für 46,600.000 Rup.
- 1885/86 389.122 „ „ 43,600.000 „
- 1886/87 415.335 „ „ 48,700.000 „
- 1887/88 482.174 „ „ 60,400.000 „
- 1888/89 527.657 „ „ 79,000.000 „
Als grösster Abnehmer figurirt England.
Nach den Bestimmungsländern vertheilt sich die Ausfuhr des letzten Jahres
in folgender Weise:
- Grossbritannien . . . . . . . . . . 375.000 T für 58,600.000 Rup.
- Oesterreich-Ungarn . . . . . . . 10.000 „ „ 1,700.000 „
- Deutsches Reich . . . . . . . . . 34.000 „ „ 5,700.000 „
- Italien . . . . . . . . . . . . . . 9.000 „ „ 1,500.000 „
- Verein. Staaten v. Nordamer. . . 84.000 „ „ 9,000.000 „
- Andere Länder . . . . . . . . . 15.000 „ „ 2,500.000 „
Jute bildet auch den Stock der Ausfuhr von Chittagong.
Dagegen kann sich die Ausfuhr roher Baumwolle von Calcutta aus mit
der von Bombay keineswegs messen, steht sogar hinter der von Madras weit
zurück. Sie umfasste im Jahre 1888 die Menge von 375.214 Cwts. (1 Cwt. = 50·8 kg)
im Werthe von 9,200.000 Rup.
Nächst Jute bildet Opium den grössten Ausfuhrsartikel, dessen Werth
für das Jahr 1887/88 auf 59,806.000 Rup. veranschlagt ist. Der grösste Theil
hiervon ging für China nach Hongkong, der Rest nach den Straits Settlements,
Cochinchina und anderen Ländern. Die Ausfuhr nach China geht zurück, damit
vermindern sich auch die Einnahmen aus dem Opiummonopole von Britisch-Indien,
und das englische Unterhaus hat im Mai 1891 einen Beschluss gefasst, welcher
auf die Aufhebung des Monopols abzielt.
Dem Werthe nach folgt dann in der Ausfuhr Thee, wovon Calcutta im
Jahre 1887/88 für 50,815.850 Rup. exportirte. England bezog fast die ganze
Ausfuhr.
Hieran reiht sich der Export von Körnerfrüchten, unter denen Reis
und Paddy die grössere Hälfte bilden. Für diese Artikel ist übrigens Calcutta
der zweitgrösste indische Verschiffungshafen. Es führte an Reis und Paddy aus
[560]Der indische Ocean.
im Jahre 1889 6,457.000 Cwts. im Werthe von 23 Millionen Rupien. Der Aus-
fuhrswerth der übrigen Körnerfrüchte belief sich auf circa 21 Millionen Rupien.
Einen hervorragenden Exportartikel bilden auch Oelsaaten. Die Ausfuhr
derselben steht nur hinter der Bombays zurück und bezifferte sich im gleichen
Jahre auf 6,319.000 Cwts. im Werthe von 36 Millionen Rupien.
Als Exportartikel von Bedeutung ist ferner Indigo zu nennen, für den Cal-
cutta bis jetzt noch der Hauptmarkt ist, obwohl es London nicht an Bemühungen
fehlen lässt, diesen Zweig des Handels an sich zu ziehen. Dann würde für Indigo
Calcutta nur der Transitohafen werden. Die Menge, welche zur Verschiffung ge-
langte, betrug 1890/91 25.311, 1889/90 35.430, 1888/89 33.650 Kisten (1 Kiste =
ungefähr 130 kg.) Der grössere Theil wurde nach England verschifft.
Erwähnenswerth ist auch der Export von Gummi, dessen Ausfuhr vom
Jahre 1888 auf rund 5 Mill. Rupien veranschlagt ist, der Export von Salpeter
im Werthe von circa 3,600.000 Rup. und die Ausfuhr von roher Seide im beiläu-
figen Werthe von 3,500.000 Rup.
Einen der wichtigsten Ausfuhrsartikel Calcuttas, in welchem es unter allen
indischen Hafenplätzen eine dominirende Stellung einnimmt und für welchen es
Hauptverschiffungsplatz ist, bilden rohe Kuhhäute. Seine Ausfuhr betrug im
Jahre 1888 474.297 Cwts. im Werthe von 17,600.000 Rup. bei einer Gesammt-
ausfuhr Indiens von 570.843 Cwts. im Werthe von 20,000.000 Rup., wonach also
nahezu 90 % auf Calcutta entfallen.
Noch günstiger ist das Verhältniss für Calcutta bei der Ausfuhr roher
Ziegenhäute. In diesem Artikel betrug im gleichen Jahre die gesammte
indische Ausfuhr 38.752 Cwts. im Werthe von 3,500.000 Rup., und auf den Export
von Calcutta entfielen hiervon 38.034 Cwts. im Werthe von 3,000.000 Rup. Bei
der Wichtigkeit des Artikels dürfte es von Interesse sein, die Absatzländer kennen
zu lernen.
Von rohen Kuhhäuten gingen im Jahre 1888/89 nach
Grossbritannien erweist sich sonach als der stärkste Abnehmer von rohen
Kuhhäuten, während in Ziegenhäuten Amerika der weitaus grösste Consu-
ment ist.
Die Ausfuhr dieser Artikel liegt zum grössten Theile in den Händen deutscher
Firmen in Calcutta.
In der Ausfuhr dieses Hafens spielt ferner eine grössere Rolle ein Artikel,
welcher dem Gebiete der Industrie, und zwar der daselbst in hoher Blüthe stehen-
den Jutefabrication angehört.
An verarbeiteter Jute, „Gunnysäcken“, exportirte Calcutta 1886/87 für
11,500.000 Rup. 1887/88 für 17,500.000 Rup. 1888/89 für 27,500.000 Rup., welche
Ziffern auf einen enormen Aufschwung der einschlägigen Industrie schliessen lassen.
Der grösste Abnehmer für Jutesäcke ist Australien. Es bezog in dem
letzten Zeitabschnitte für 7,900.000 Rup., Grossbritannien für 3,500.000 Rup.; nach
Singapore gingen für 2,800.000 Rup., nach China für 1,800.000 Rup., nach den Ver-
[561]Calcutta.
einigten Staaten für 1,700.000 Rup., nach Südamerika für 1,500.000 Rup., der
Rest nach Aegypten, der Capcolonie und der asiatischen Türkei.
Die restliche Ausfuhr, in deren Details einzugehen wir uns erlassen, beziffert
sich auf rund 20 Millionen Rupien.
Wir gelangen nunmehr zur Besprechung der Einfuhr von Calcutta, welche
in noch höherem Masse als die Ausfuhr die von ganz Bengalen repräsentirt, da der
einzige in Betracht kommende und schon oben erwähnte Hafen Chittagong von
seiner gesammten auswärtigen Einfuhr nur Salz und amerikanisches Petroleum
direct, alles Andere über Calcutta bezieht. Die Einfuhr von Calcutta findet gleich
der aller asiatischen Hafenplätze in den Erzeugnissen industrieller Thätigkeit ihr
Schwergewicht.
Der wichtigste und bedeutendste Einfuhrartikel von Calcutta sind Baum-
wollfabricate, Garne und Twist. Unter den Stückwaaren sind die haupt-
sächlichsten Artikel: graue (ungebleichte), weisse (gebleichte), gefärbte und be-
druckte Stoffe. Calcutta hat in diesen Artikeln unter den indischen Häfen bei
weitem die Führung. Von der Gesammteinfuhr, welche sich 1888/89 auf
375,100.000 Rup. belief, entfielen auf die bengalischen Hafenplätze, unter denen
Calcutta allein in Betracht kommt, 156,600.000 Rup. oder circa 42 %. An dieser
Einfuhr ist das Vereinigte Königreich beinahe ausschliesslich betheiligt.
Die Einfuhr von Wollwaaren erreichte im Jahre 1888 den Werth von
8,000.000 Rup. und die der Seidenfabricate wird auf 2,000.000 Rup. veran-
schlagt.
Die nächstbedeutende Gruppe in der Einfuhr repräsentiren Metalle und
Metallwaaren. Der Werth der letzteren wird für 1888 auf nahezu 15,000.000 Rup.
veranschlagt, wobei Maschinen, die einen Werth von 6,000.000 Rup. umfassen,
nicht eingerechnet sind.
An verschiedenen Eisenbahnmaterialien, bestehend in Locomotiven,
Waggons, Baumaterial u. s. w. importirte Calcutta für 3,200.000 Rup.
Messerschmiedwaaren erreichten die Einfuhrsziffer von 3,000.000 Rup.
und der Import von Metallen in unverarbeitetem Zustande repräsentirte
einen Werth von 6,500.000 Rup.
Unter den übrigen Industrieerzeugnissen nehmen Kleider eine hervor-
ragende Stelle ein. Ihr Importwerth während des Berichtsjahres betrug 4,495.440
Rup. In Verbindung mit denselben seien Sonnenschirme erwähnt, die für circa
2,000.000 Rup. eingeführt wurden.
Papier, Papierwaaren und Bücher erreichten im Berichtsjahre einen
Importwerth von 4,225.597 Rup. und weisen gegen das Vorjahr eine Steigerung
von 900.000 Rup. auf. Mit der Erweiterung des Eisenbahnverkehres und Ein-
führung des Schulunterrichtes dehnt sich der Papierconsum immer mehr aus und
trotz des Bestehens mehrerer Fabriken im Inlande wird sich der Import auch in den
folgenden Jahren wesentlich heben.
Die Einfuhr der übrigen wichtigeren Industrieerzeugnisse wird durch nach-
stehende Daten veranschaulicht: Calcutta importirte im Jahre 1887/88:
- Glaswaaren . . . . . . für 1,867.300 Rup. Chemikalien . . . . . für 812.390 Rup.
- Droguen, Medicinalien „ 1,783.470 „ Farben . . . . . . . . „ 631.630 „
Wir gelangen nunmehr zur Besprechung der Einfuhr der diversen Nah-
rungsmittel und Getränke.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 71
[562]Der indische Ocean.
In erster Linie ist die Einfuhr von Salz zu nennen, für welchen Artikel
Calcutta den Haupteinfuhrhafen Indiens bildet. Der Werth der Einfuhr, an welcher
zumeist England betheiligt ist, betrug für das Jahr 1888/89 6,682.024 Rup.
Ebenso ist die Einfuhr von Zucker eine bedeutende, in welcher Calcutta
nur Bombay nachsteht. Es importirte im gleichen Zeitabschnitte 282.969 Cwts.,
und zwar raffinirten Zucker aus England, Rohzucker aus Mauritius. Im Wege des
Küstenhandels wird viel Rohzucker aus Madras bezogen.
Provisionen, die sich aus Speck, Schinken, Butter, Käse etc. zu-
sammensetzen, verzeichnen einen Importwerth von 2,687.850 Rup.
Gewürze repräsentirten im selben Jahre einen Werth von 1,775.430 Rup.
Unter den Getränken stehen Spirituosen (Liqueure) an erster Stelle. Ihre
Einfuhr bezifferte sich 1887/88 auf 5,040.370 Rup.
Seit den letzten Jahren hat sich der Import von Bier sehr gehoben, welches
zumeist aus deutschen Brauereien importirt wird.
Am Schlusse der Importliste sind noch zwei Artikel hervorzuheben, und
war Petroleum und Kohle. Der Import von Petroleum beziffert sich
für das Jahr 1887/88 auf 8,333.616 Rup., während der Werth der in der
gleichen Zeitperiode importirten Kohle auf 888.914 Rup. beziffert wird.
Der Werth aller übrigen nicht speciell benannten Artikel belief sich rund
auf 17,500.000 Rup.
In industrieller Beziehung kann sich wohl Calcutta mit Bombay nicht
messen, doch verfügt es immerhin über eine ziemlich entwickelte Industrie,
welche in stetem Aufschwunge begriffen ist.
Da Jute ein Product von Bengalen allein ist, so liegen auch die Jute-
fabriken allein in der Nachbarschaft von Calcutta. Im Jahre 1888 gab es daselbst
28 Fabriken mit 7389 Webstühlen und 146.302 Spindeln. Die Industrie beschäf-
tigte 56.000 Arbeiter, worunter 34.818 Männer, 11.600 Frauen und 5500 jüngere
Personen neben etwa 4000 Kindern.
Neben Jute wird in Calcutta auch Baumwolle verarbeitet, doch steht es
darin hinter Bombay weit zurück. Während letzteres nahezu 90 Fabriken zählt,
befinden sich in Calcutta deren nur 7.
In der Nähe von Calcutta bestehen ferner drei grosse Papierfabriken, von
denen eine erst vor Kurzem in Betrieb gesetzt wurde, ferner zwei grosse Zucker-
raffinerien und neben mehreren Indigofabriken etwa 170 kleinere Etablissements
für verschiedene Zwecke, darunter eine erst vor Kurzem begründete Messing-
giesserei, über deren Leistungsfähigkeit noch keine Daten vorliegen. Entschieden
bewähren sich die Indigofabriken, welche im Jahre 1888 reines Product im Werthe
von 2,312.348 Rup. auf den Markt brachten.
Der sich in Calcutta concentrirende Schiffsverkehr zeigt folgendes Bild
Im Jahre 1887/88 sind in Calcutta eingelaufen
- fremde Schiffe . . . . . . . 567 mit 850.951 T
- inländische Schiffe . . . . . 37 „ 5.088 „
- Total 604 mit 856.039 T
Im gleichen Zeitabschnitte liefen aus
- fremde Schiffe . . . . . . . 683 mit 1,044.752 T
- inländische Schiffe . . . . . 45 „ 6.053 „
- Total 728 „ 1,050.805 T
Der weitaus grösste Theil derselben war britischer Nationalität.
[563]Calcutta.
Die wichtigsten Dampferlinien, welche Calcutta anlaufen, sind: Die
Peninsular and Oriental Steam Navigation Cy., deren Dampfer jede zweite Woche
von London über Aden und Colombo nach Calcutta gehen; die British India
Steam Navigation Cy., deren Schiffe gleichfalls alle 14 Tage von London mit
Berührung von Colombo und Madras Calcutta anlaufen. Diese Gesellschaft unter-
hält von Calcutta aus drei Zweiglinien, nämlich Calcutta—Rangoon—Penang—
Singapore wöchentlich, Calcutta—Rangoon—Moulmein wöchentlich und Calcutta—
Chittagong—Birma gleichfalls wöchentlich.
Ausschliesslich dem Frachtenverkehre dienen: Hamburg—Calcutta-Linie,
City Line (London), Anchor Line (Ceylon, Bombay), Star Line (London, Liverpool),
Clan Line, Eastern Steamship Cy.
Der Oesterreichisch-Ungarische Lloyd“ unterhält im Anschlusse an seine
indo-chinesische Linie eine Zweiglinie mit monatlichen Fahrten von Colombo über
Madras nach Calcutta.
Ebenso unterhalten die Messageries maritimes eine Zweiglinie von Co-
lombo über Pondichery und Madras nach Calcutta mit monatlich einer Fahrt.
Mit dem Innern ist Calcutta-Howrah durch die Dampfer auf dem Ganges
und Brahmaputra und durch zwei Eisenbahnen verbunden.
Es ist Kopfstation der Eisenbahn Calcutta—Alahabad—Bombay, auf welcher
der Schnellzug eine Entfernung von 1405 englischen Meilen in 45 Stunden zu-
rücklegt.
Durch den Ausbau der Bengal—Nagpor-Eisenbahn ist der Weg zwischen
Bombay und Calcutta um 150 Meilen abgekürzt.
Von Alahabad gehen nach Nordwesten Eisenbahnen ins Pendschab. Von
den Bahnen, welche von Calcutta nach Norden zum Himalaya führen, können wir
hier absehen.
In Calcutta sind folgende Banken vertreten: Agra Bank, Bank of Bengal,
Bank of Bombay, Chartered Mercantile Bank of India, London and China, Bank
of Bengal, Delhi and London Bank, Chartered Bank of India, Australia and China,
Comptoir National d’Escompte de Paris, Hongkong and Shangai Banking Cor-
poration, National Bank of India, New Oriental Bank Corporation, Land Mort-
gage Bank of India. Auf diesem Platze finden wir auch eine Anzahl europäischer
Bankers.
In Calcutta bestehen Consulate folgender Staaten; Belgien, Dänemark
(G.-C.), Deutsches Reich (G.-C.), Frankreich (G.-C.), Griechenland, Italien, Nieder-
lande, Oesterreich-Ungarn, Persien, Schweden und Norwegen (G.-C.), Siam, Ver-
einigte Staaten von Amerika (G.-C.).
71*
[[564]]
Madras.
Zu den ältesten Plätzen englischen Besitzes in Indien gehört
Madras, das trotz seiner für den Seeverkehr ganz besonders un-
günstigen Lage dennoch im Laufe der Zeit die drittgrösste Stadt
Indiens und ein Verkehrscentrum von ansehnlicher Bedeutung ge-
worden ist. Allerdings war hiefür der Umstand massgebend, dass
Madras vor langer Zeit zur Hauptstadt einer Präsidentschaft erhoben
worden ist und durch diese wichtige politische Stellung auch der
commercielle Mittelpunkt der umliegenden Gebiete wurde.
Von Ceylon bis Orissa ist die Ostküste von Indien von der
Natur höchst stiefmütterlich bedacht; keine bedeutenderen Fluss-
mündungen, Einbuchtungen oder vorliegende Inseln finden sich hier
vor, kein einziger natürlicher oder durch seine Verhältnisse sicherer
Hafenplatz bietet sich den Schiffen, zu deren Schutz künstliche und
kostspielige Hafenbauten geschaffen werden mussten.
Die dringende Nothwendigkeit der letzteren für Madras wird durch
den oft beträchtlichen Seegang auf dessen offener Rhede und durch
die fast alljährlich ein- oder zweimal zur Zeit des Monsunwechsels
diese Küste berührenden Drehstürme klar dargelegt. Wie gefährlich
diese Stürme den vor Madras liegenden Schiffen werden können,
zeigt am besten ein Blick in die Statistik der bezüglichen Unglücks-
fälle. Am 3. October 1746, wenige Tage nach der Einnahme von
Madras durch de Labourdonnais gingen 3 französische Kriegsschiffe
mit 1200 Mann, 2 Prisen und 20 andere Schiffe durch einen Dreh-
sturm gänzlich verloren; am 20. October 1807 und am 2. Mai 1811
traten furchtbare und grossen Schaden verursachende Orkane auf;
bei letzterem gingen die Fregatte „Dover“ und ein Handelsschiff
zu Grunde, 90 Küstenfahrer wurden von ihren Ankern gerissen.
Endlich war am 2. Mai 1872 bei einem ähnlichen Sturme der Verlust
von 9 europäischen Schiffen und 20 Küstenfahrern zu beklagen.
Wenngleich in den letzten Jahrzehnten Madras seinen künst-
lichen Hafen erhalten hat, so müssen doch auch noch heutzutage
[565]Madras.
alle in diesem Hafen liegenden Dampfer zur Zeit der Stürme —
October, November und December — stillen Dampf halten, um ebenso
wie die auf der Rhede verankerten Segelschiffe auf das erste Signal
(Sturmwarnung) des Hafenamtes sofort in See gehen zu können.
Madras ist für indische Begriffe eine junge Stadt. Francis Day über-
siedelte im Jahre 1639 von seiner 62 km nördlicher gelegenen Factorei Armagon
(an deren Stelle sich zwar ein durch eine Sandbank geschützter Hafen, Blackwood’s
Harbour, aber nicht genügend taugliches Terrain für die Erbauung einer Stadt
befand) nach dem Orte des gegenwärtigen Madras, theilweise auch aus dem Grunde,
um den Bedrückungen des Königs von Golkonda zu entgehen. Vorher schon hatte
er im Auftrage der Ostindischen Compagnie vom Rajah von Chaudagiri die Be-
willigung erworben, an dieser Stelle eine Factorei zu gründen und zu befestigen,
worauf bereits 1641 das Fort St. George erbaut wurde.
Im Jahre 1653 zu einer eigenen Präsidentschaft erhoben, wurde Madras
1702 von Dáud Khan und 1741 von den Mahratten (Marathen) erfolglos be-
lagert. Zwei Jahre nach Beginn der Kämpfe zwischen England und Frankreich
um die Oberherrschaft in Indien (1744 bis 1761) eroberte Labourdonnais die Stadt,
die später durch die Bestimmungen des Aachener Friedens wieder in englischen
Besitz zurückkehrte.
Eine zweite französische Belagerung 1758 unter Lally wurde durch die zum
Entsatze der angegriffenen Stadt herbeigeeilte englische Flotte zurückgewiesen;
die Bedrohung von Madras durch die Reiterschaaren Hyder (Haider) Alis in den
Jahren 1769 und 1780 blieb gleichfalls erfolglos.
Am 15. December 1875 wurde anlässlich der Anwesenheit des Prinzen von
Wales der Grundstein des seither vollendeten künstlichen Hafens gelegt, im Jahre
1881 aber ein Theil der erst 1880 beendeten Hafenbauten durch einen Drehsturm
wieder zerstört.
Madras ist ausserordentlich niedrig und flach gelegen, weshalb
man von der Seeseite aus keine Uebersicht der Stadt geniesst.
Andererseits ist es auch zumeist der unschönste Theil der Stadt, der
an den Meeresstrand grenzt, so dass dieselbe von der See aus ge-
sehen keinen günstigen Eindruck hervorzurufen im Stande ist.
Das unter 13° 4′ nördlicher Breite und 80° 17′ östlicher Länge
gelegene Fort St. George grenzt unmittelbar an den Strand. Eine
Seite der Festungsmauern liegt der Brandung so nahe, dass die
Fundamente schon öfters bedeutende Senkungen gezeigt und grössere
Reparaturen nothwendig gemacht haben. Landeinwärts bildet das
Fort einen weiten Halbkreis mit zahlreichen Redans und einem vor-
liegenden, sehr tiefen Festungsgraben, der mehrere Fuss hoch mit
Wasser gefüllt ist. Innerhalb dieser Werke befinden sich mehrere
Regierungsämter, das Arsenal, die St. Mary-Kirche, im nördlichen
Theile zwei vortrefflich eingerichtete Baracken zur Unterbringung der
Besatzung, schliesslich im südlichen Theile eine Salutbatterie. Im
Regierungsgebäude liegt die General Hall, welche den Empfangsraum
[566]Der indische Ocean.
des Gouverneurs bildet; im Erdgeschosse des Hauses ist eine mit den
neuesten Maschinen versehene Münzstätte untergebracht. Das Arsenal
enthält ein Museum mit bemerkenswerthen, mitunter sehr alten und
historisch interessanten Trophäen, Waffen, Fahnen, Mörsern und
Kanonen.
Die Promenade „Beach“ zieht sich, beim Fort St. George be-
ginnend, in südlicher Richtung längs des Strandes hin. Zuerst führt sie
über die Napierbrücke, welche den Coowam- (Cuwam-) River über-
brückt, dann bei der Marinevilla, dem Senatsgebäude und anderen
öffentlichen Aemtern vorbei bis zu dem im Stadttheile Chepak ge-
legenen Presidency College, von hier aus an der mohammedanischen
Vorstadt Triplicane vorbei bis zum Capper House Hotel, von welchem
an sie unter dem Namen Edward Elliotts Road in westlicher Richtung
bis zur St. Georges-Kathedrale und zur Mount Road führt. Hier be-
findet sich ein Monument des Obersten Naill, der sich im Kampfe
gegen die empörten Sepoys auszeichnete und beim Entsatze von
Lucknow (1857) fiel.
Da die Promenade fast in ihrer ganzen Länge in nächster Nähe
des Strandes bleibt, wird sie stets von den erfrischenden Seebrisen
bestrichen, weshalb sie auch von der eleganten Welt mit Vorliebe
aufgesucht wird und insbesondere in den Abendstunden ein an-
ziehendes, von zahlreichen Fussgängern und Wagen belebtes Bild
bietet. Eine eigenartige Zierde der Promenade während des Abends
bilden überdies auch unzählige leuchtende Insecten, die fast das
ganze Jahr hindurch alle hier angepflanzten Bäume und Sträuche um-
schwirren. Tagsüber hängen auf den höchsten Bäumen grosse Fleder-
mäuse, welche die warmen Stunden des Sonnenscheines verschlafen
und erst bei Anbruch der Dämmerung erwachen und umherflattern.
Nordwärts vom Fort St. George und von diesem durch einen
breiten ebenen Raum getrennt, liegt das grösste Stadtviertel, Tschena-
patnam, das von Eingeborenen bewohnt und deshalb von den Eng-
ländern die „schwarze Stadt“, Black Town, genannt wird. Diese
„schwarze Stadt“, die gleichzeitig auch das Geschäftsviertel von
Madras ist, besitzt mehrere grosse, sich kreuzende Strassen, doch
innerhalb dieser so gebildeten Complexe niedere, gedrängte Häuser-
gruppen, über welche das Customhouse mit seinen beiden Kuppel-
thürmen hoch emporragt. Bei den meisten Gebäuden der Black
Town ist der Mörtelbewurf heruntergefallen, die blossstehenden Ziegel
sind verwittert und die Dächer schadhaft; Ventilation und Reinlichkeit
der staubigen Strassen lassen sehr viel zu wünschen übrig.
[567]Madras.
Wenngleich daher dieser in jeder Beziehung ungesunde und un-
schöne Stadttheil einen möglichst ungünstigen Eindruck hervorzurufen
vermag, so ist es doch immerhin erstaunlich, was hier für schöne
und kräftige Männer und robuste Frauen — sämmtliche natürlich
dunkelster Hautfarbe — trotz der schlechten, sumpfigen Luft ge-
deihen.
Am westlichen Ende der Black Town liegen das grosse Hospital
und das prächtige Stationsgebäude der Central Railway, dann folgt
der Cochrane-Canal und diesem der Volksgarten, People’s Park.
Letzterer ist eigentlich ein Thiergarten, der zwar einige schöne Thiere
besitzt, dabei aber im Grossen und Ganzen ziemlich verwahrlost er-
scheint.
Westlich und südlich vom People’s Park breiten sich die Viertel
Vepery, Parsewakam, Egmore, Chintadripet, Pudupak Triplicane und
St. Thome aus. Letzteres ist das alte Maïlapur in den Erzählungen
Marco Polo’s. In den vorgenannten Stadtvierteln finden sich zwar
keine Gruppen monumentaler Bauten, wie solche beispielsweise das
Chowringhee-Viertel Calcuttas aufweist, doch sieht man hier hübsche
Villen europäischen Styles und kleine indische Häuser mit bunt an-
gestrichenen Veranden, die oft auf zierlich geschnitzten Säulen ruhen.
Da hier die meisten Gebäude sich inmitten hübscher Gärten befinden,
die von grossen Alleen und Wiesen eingefasst sind, bedeckt die Stadt
ein ausgedehntes Areal (70 km2). Sie besitzt — die leidige Black
Town natürlich ausgenommen — das Aussehen eines grossen Parkes,
durch den sich der kleine und unsaubere Coowam-Fluss in trägem
Laufe hinzieht.
Von diesem Flusse zweigt sich bei der Penitentiary, der grossen
Correctionsanstalt, ein Canal ab, der sich unweit der Napier Bridge
wieder mit dem Flusse vereinigt und dergestalt mit dem letzteren
eine Insel bildet, welche einfach „The Island“ (die Insel) genannt wird.
Auf der Insel befindet sich gleichfalls ein kleiner Stadttheil, in dessen
Mitte sich das schöne Reiterdenkmal Sir J. Monroe’s erhebt, eines
der grössten Staatsmänner Indiens, der als Gouverneur von Madras
1827 der Cholera zum Opfer gefallen ist. Dieses Monument, dessen
Schöpfer der bekannte F. Chantrey ist, verdankt seine Entstehung
einer allgemeinen Subscription.
Das Governement House (Regierungspalais) ist ein sehr hübsches
und bequem eingerichtetes Gebäude, das von einem an seltenen und
schönen Bäumen reichen Garten umgeben ist. Das Innere des Palastes
ist mit werthvollen Gemälden verziert, welche zumeist Scenen aus den
[568]Der indische Ocean.
Kriegen Englands in Indien darstellen. Der Gouverneur besitzt über-
dies noch in Guindy, einem in nächster Nähe der Stadt gelegenen
Orte, eine schöne Villa mit einem prächtigen Parke, der seines hohen
und reichhaltigen Wildstandes wegen bekannt ist, und hat auch einen
Landsitz in den Nilgiri-Bergen.
Der alte Palast des Nabobs von Carnatic liegt östlich vom Re-
gierungspalaste an der Beach in Triplicane. Er besitzt einen 30 m
hohen Thurm, von welchem aus man die ganze Stadt zu übersehen
vermag. Der älteste Theil dieses Palastes, in dem gegenwärtig
eine Ingenieurschule untergebracht ist, schliesst sich unmittelbar an
den Thurm an. Alle anderen Bauten sind neueren Ursprunges und
in sarazenischem Style erbaut. Das grosse Thor, das den Eingang
zu dem ganzen Complexe bildet und Makkah Gate genannt wird,
wurde durch den Nabob Azim Jah erbaut.
Der Club von Madras, der als ältester englischer Club Indiens
auch als dessen vornehmster gilt, besitzt ebenso gefällig als praktisch
angelegte Baulichkeiten, die westlich von der Vorstadt Pudupak in
einem ausgedehnten Parke liegen. Abgesehen von zahlreichen, mit
auserlesenem Comfort eingerichteten Speise- und Lesezimmern finden
sich hier noch eine reichhaltige Bibliothek, eine Anzahl von Wohn-
zimmern für zeitweilige Gäste, sowie ein grosses gedecktes Schwimm-
bad nebst sonstigen Badeanlagen.
Madras besitzt eine grosse Anzahl von Schulen, darunter auch
eine ziemlich gut besuchte Universität, welche sämmtlich für die Ein-
geborenen errichtet worden sind; doch ist es auch hier, wie im
übrigen Indien, in hohem Masse auffallend, dass die Mohammedaner
jeder höheren Schulbildung ausweichen und sich mit dem mangelhaften
Unterrichte ihrer Moscheeschulen begnügen. Die Zahl der Gotteshäuser
ist gross, doch sind die letzteren zumeist kleine und unbedeutende
Bauwerke. Im Fort liegt die St. Mary’s Church, welche zahlreiche Grab-
male in der Geschichte Indiens bekannter Personen, meistens höherer
Officiere, enthält. Das hervorragendste dieser Denkmale ist jenes
des rühmlichst bekannten Missionärs Schwartz, das aus weissem
Marmor kunstvoll gemeisselt ist. Am Mount Road liegt die St. Georges-
Kathedrale, deren Aeusseres nicht besonders anziehend ist. Im
Inneren derselben jedoch finden wir hohe massige Säulen, hübsche
Verzierungen aus dem marmorartigen indischen Mörtel „Chunam“,
und eine grosse Anzahl von Gedenktafeln und Grabdenkmalen.
Von den sonstigen Kirchen sind hervorzuheben die zwischen Vepery
und Chintadripet liegende schottische St. Andrew’s Church, die ka-
[[569]]
Madras.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 72
[570]Der indische Ocean.
tholische Kathedrale von St. Thome, sowie schliesslich die gleichfalls
in letzterem Stadttheile gelegene St. Thome’s Church, welche vom
Gouverneur und der Elite der Gesellschaft besucht zu werden pflegt.
Merkwürdiger Weise besitzt Madras keinerlei sehenswerthe
Hindutempel, obgleich sich in den naheliegenden Ortschaften Seven
Pagodas und Condjiveram hervorragend schöne indische Tempel-
bauten vorfinden. Madras ist auch Sitz einer theosophischen Gesell-
schaft, die eine Moralphilosophie ohne Gott, eine Art verbesserten
Buddhismus mit freimaurerischen Anklängen, als Universalreligion auf-
stellt, Zweiggesellschaften in England und den Vereinigten Staaten
besitzt und vor Kurzem anlässlich des Todes ihrer Begründerin wieder
von sich reden gemacht hat.
Trotz seiner niedrigen Lage besitzt Madras vielfach gutes
Brunnenwasser, und nur in der Black Town ist es wegen Mangels
einer guten Canalisirung schmutzig und ungesund. Bei den Seven
Wells findet man überdies noch eine ganz eigene Art von Wasser-
werken, welche für die Versorgung der Stadt mit Wasser dienen.
Es sind dies grosse, thurmartige Wasserreservoirs, die aus Zieh-
brunnen gefüllt werden. Die Arbeit an dem Ziehbrunnen besorgt
ein Coolie (Kuli, Arbeiter), welcher auf dessen Balken beständig
hin- und herläuft und durch sein Gewicht die wassergefüllten Kübel
hebt, bis sich diese in einer bestimmten Höhe entleeren. Aehn-
liche Ziehbrunnen dienen auch zur Bewässerung der an die Stadt
grenzenden Felder.
Eine Musterwirthschaft, Model-Farm, auf welcher eine grössere
Zahl von jungen Leuten die Landwirthschaft erlernt, hat zwar auf dem
Gebiete der Viehzucht bisher noch keine besonderen Erfolge aufzu-
weisen, doch gedeihen daselbst in erfreulich günstiger Weise ver-
schiedene Nutzpflanzen, insbesondere Tabak, Baumwolle und Indigo.
Bei der stets zunehmenden Bedeutung von Madras als See-
handelsplatz und unter den eingangs geschilderten ungünstigen Wetter-
verhältnissen auf der Rhede erscheint es einigermassen befremdlich,
dass erst 1860 eine Landungsbrücke (Pier) gebaut und 1875 der
Grundstein zu weiteren Hafenbauten gelegt worden ist.
Die eiserne Landungsbrücke, welche auf starken Schrauben-
pfeilern ruht, ist 305 m lang und vor dem Custom House direct in
die See gebaut, so dass ihr Ende, das mit mehreren Treppen zum
Anlegen der Boote versehen ist, bereits ausserhalb der Brandungs-
grenze liegt. Mehrere Laufkrähne besorgen das Verladen der Waaren
in die Lichter und aus denselben, vier Eisenbahngeleise dienen für
[571]Madras.
den Transport auf der Brücke. Vor der Erbauung dieses Piers war
es oft ungemein beschwerlich und auch manchmal nicht ohne Gefahr,
durch die speciell zur Zeit des Nordostmonsuns sehr schwere Brandung
den Strand zu gewinnen. Man konnte hiebei zwar die Geschick-
lichkeit und Uebung der eingeborenen Bootsleute bewundern, verlangte
es sich aber in der Regel nicht, diese Fahrt zu wiederholen.
Wenngleich den dringendsten Bedürfnissen durch die Erbauung
der Landungsbrücke einigermassen abgeholfen worden war, so stellte
sich doch heraus, dass des Seeganges wegen das Laden und Löschen
am Pier vertäuter Schiffe nicht möglich war, ohne die letzteren und
die Brücke ernstlich zu gefährden. Da man aber auch den auf der
Rhede den Unbilden des Wetters ausgesetzten Fahrzeugen einen
Schutz gewähren wollte, entschloss man sich nach langem Zaudern
zum Baue eines künstlichen Hafens, der 1880 vollendet wurde und
sechs Millionen Gulden gekostet hat. Dieses Hafenbassin liegt vor der
Black Town, die Landungsbrücke in der Mitte des Bassins; die
äussere Begrenzung bilden zwei mächtige, 1500 m lange Wellen-
brecher mit einer schmalen Durchfahrt. Einer dieser Wellenbrecher
ist (wie bereits erwähnt) ein Jahr nach seiner Vollendung während
eines heftigen Sturmes theilweise zerstört worden, doch wird an dessen
Wiederherstellung gearbeitet. Das Hafenbassin bietet für etwa zehn
Schiffe genügenden Vertäuungsraum.
Während der schlechten Jahreszeit herrscht selbst bei ruhigem
Wetter ein starker Seegang, der auf dem flachen (zumeist sandigen)
Strande eine mächtige Brandung erzeugt, welche dem Hafenreglement
zufolge nur von den Fahrzeugen der Eingeborenen, den Catamarans
und Masulas, passirt werden darf. Die Catamarans sind eine Art von
Flössen, die aus mehreren Kokosstämmen zusammengefügt sind und
durch einen rittlings sitzenden Ruderer mittelst eines Doppelruders
fortbewegt werden; die Masulas sind gebrechlich aussehende Boote
mit flachrundem Boden, deren Bretter eigenthümlicher Weise nicht
zusammengenagelt, sondern mit Kokosfaserstricken zusammengebunden
sind, damit sie das Aufschlagen auf dem flachen Strande besser aus-
zuhalten vermögen.
Madras hat (1891) 449.000 Einwohner; von diesen sind drei
Viertel Hindus, die übrigen zu gleichen Theilen Mohammedaner und
Christen. Die Zahl der Europäer beträgt etwa 2000.
Das Klima von Madras gleicht dem der ganzen angrenzenden
Küste; im Winter ist es für den Europäer gesund, im Sommer aber
wegen Cholera, Fieber und Dysenterie gefährlich. Im December und
72*
[572]Der indische Ocean.
Jänner tritt häufig starker Thaufall auf, vom Mai bis November weht
der Südwestmonsun schwach und bringt nur wenig Feuchtigkeit mit
sich. Im März und April, mitunter auch noch im Mai, treten tags-
über feuchte Seebrisen (Longshore) auf, die Abends von einem lästigen
warmen Landwind abgelöst werden. Die eigentliche Regenzeit fällt
in den Monat November.
Südlich von Madras liegt der Mount, ein isolirter Felsen von
etwa 100 m Höhe, auf dem die Kirche „Zur Verkündigung der
heiligen Jungfrau“ liegt, die von den Portugiesen erbaut wurde, der-
zeit aber den Armeniern gehört. Hinter dem Altare befindet sich
eine nestorianische Inschrift in sassanidischem Sehlewi, die aus
dem Jahre 801 n. Chr. stammt, des Inhaltes: „Immer rein. Durch
ihre Gnade trug er das Kreuz.“
Hier soll der heilige Thomas gewirkt und seinen Märtyrertod
gefunden haben; die syrische Kirche in Malabar leitet — allerdings
ohne Grund — ihren Ursprung von dieser Legende ab. Immerhin
spricht schon Marco Polo von der christlichen Colonie von Maïlapur,
die sich nahe der Stelle des jetzigen Madras befand.
Nach dem Umfange seines auswärtigen Handels ist Madras der
vierte Hafen von Britisch-Indien und folgt unmittelbar auf Rangoon.
Der Platz empfindet sehr stark den Mitbewerb von Bombay, das sich
einer viel besseren geographischen Lage, eines ausgezeichneten Hafens
und vieler Schiffsverbindungen zu erfreuen hat, während hier seit
1888 die Dampfer der Peninsular and Oriental Cy. nicht mehr
regelmässig für Frachten anlaufen.
Für den Handelsverkehr des Hafens Madras fehlen uns specielle stati-
stische Ausweise; die in dem „Annual volume of the sea-borne trade and naviga-
tion of the Madras Presidency“ veröffentlichten Berichte umfassen den Handel der
ganzen Präsidentschaft Madras, den wir unserer Darstellung zu Grunde legen.
Wir müssen aber gleich bemerken, dass in der Präsidentschaft Madras der Hafen
Madras nicht in dem Masse die beherrschende Rolle spielt, wie Calcutta in
Bengalen, da beispielsweise 1890 im auswärtigen Waarenhandel auf Madras
ein Werth von 103,393.000 Rup. und auf den nächstwichtigen Hafen Tuticorin
22,647.000 Rup. entfielen.
Es bezifferte sich 1889/90 der gesammte Handel der Präsidentschaft Madras
ohne den Regierungsverkehr auf 237,026.425 Rup., wovon 143,808.500 Rup. auf
die Ausfuhr und 93,217.925 Rup. auf die Einfuhr entfallen.
Der Handel mit dem Auslande umfasste, der Verkehr für Rechnung der
Regierung und den in Edelmetallen ausgeschlossen, 176,812.526 Rup., der Handel
mit britischen Häfen in anderen Präsidentschaften Indiens 55,560.188 Rup., der
Handel mit nichtbritischen indischen Häfen 4,653.711 Rup.
Den grössten Antheil an diesem Handel hat Grossbritannien mit 119,588.522
Rup. in der Ein- und Ausfuhr zusammen. Diesem zunächst steht Ceylon mit
[573]Madras.
17,558.669 Rup., dann Frankreich mit rund 17 Millionen Rupien. Auf Aegypten,
die Straits Settlements und die Vereinigten Staaten von Nordamerika entfallen
4·5, 4·9 und 4·6 Millionen. Oesterreich-Ungarn, Italien und Belgien sind mit rund
je 2 Millionen betheiligt, Russland und Spanien mit etwas über einer Million,
die übrigen Länder, deren specielle Aufzählung wir uns erlassen, mit Beträgen
unter einer Million.
Meter Linie, B Wellenbrecher, C Wellenbrecher-Ruinen, D Landungsplatz für Boote, E Spitäler,
F Leuchtfeuer, G Eisenbahnmagazine, H Bahnhof, J Münzamt, K Gefängniss, L Zollamt, M Postamt,
N Pagode, O Obelisk, P Park, Q Waisenhaus, R Promenade, S Monument, T Sternwarte, U Moschee,
V St. Georgs-Kathetrale, W Nabobspalast, X Polizeiamt, Y Hindu-Begräbnissplatz, Z Sullivan-Garten.
— 1 Friedhof, 2 Salzdepôt, 3 Batterie.
[574]Der indische Ocean.
Unter den britischen Gebieten Indiens verzeichnet Bombay mit 36,680.356 Rup.
den stärksten Antheil an dem Handelsverkehre mit Madras. Diesem schliessen sich
Bengalen mit 17,397.601 Rup. und Britisch-Birma mit 8,697.931 Rup. an.
Wie aus obiger Zusammenstellung ersichtlich, liegt das Schwergewicht des
Handelsverkehres von Madras in seiner Ausfuhr, welche daher zunächst einer Be-
sprechung unterzogen werden soll. Die Erzeugnisse der Bodencultur, sowie die
Producte des Thierreiches verleihen auch dem Exporte von Madras ihr Gepräge,
während Industrieerzeugnisse und Finalproducte nur in verhältnissmässig geringem
Masse an demselben participiren.
In der ersten Gruppe bildet rohe Baumwolle den stärksten Ausfuhr-
artikel, so 1889/90 mit einer Quantität von 877.904 Cwts. im Werthe von
25,377.570 Rup. Ins Ausland gingen von dem Hafen Madras allein 1890 302.154 Cwts.,
1889 301.871 Cwts., 1888 203.931 Cwts. Baumwolle bildet auch den Hauptaus-
fuhrartikel von Tuticorin.
Der Baumwolle zunächst steht, wenn auch nicht der Quantität, so doch
dem Werthe nach der Export von Kaffee, 1889/90 mit 239.005 Cwts. im Werthe
von 15,068.426 Rup., an dem in der Präsidentschaft Madras allein betheiligt ist.
Sämereien bilden einen wichtigen Theil der Ausfuhr von Madras; die
1889/90 ausgeführte Menge belief sich auf 1,921.380 Cwts. im Werthe von
11,900.229 Rup. Die wichtigsten Sorten sind Gingellysaat, Rübsamen, Nigersaat
und Ricinussaat.
Die grösste Quantität aller Ausfuhrsartikel entfällt auf Reis, dessen Export-
menge 1889/90 auf 2,120.596 Cwts. im Werthe von 8,355.665 Rup. veranschlagt
erscheint. Dazu ist noch die Ausfuhr von Paddy mit 300.379 Cwts. im Werthe
von 625.631 Rup. zu rechnen, dem sich die übrigen Körnerfrüchte für
662.363 Rup. anschliessen. Ins Ausland wurden aus dem Hafen Madras allein 1890
17.267 Cwts., 1889 145.108 Cwts. Reis verschifft.
Die Ausfuhr von Indigo belief sich im Jahre 1889/90 auf 54.517 Cwts.
und repräsentirte den stattlichen Werth von 11,940.063 Rup.; vier Fünftel davon
wurden ins Ausland geschickt.
Eine nicht unbedeutende Rolle im Exporte der Präsidentschaft Madras
spielt ferner Zucker. Die zur Ausfuhr gelangte Menge belief sich 1889/90 auf
1,351.256 Cwts. und repräsentirte einen Werth von 8,620.087 Rup. Der Zucker-
export von Madras ist auch deshalb bemerkenswerth, weil dieses beinahe der ein-
zige indische Hafen ist, der ihn betreibt, während die anderen Hafenplätze
Zucker importiren.
Der Rohzucker von Madras ist zum grossen Theile nicht ein Product des
Zuckerrohrs, sondern der viel ergiebigeren Palmyrapalme. Der Palmyrazucker
findet in England in Brauereien, mehr aber noch zum Füttern und Fettmachen
des Rindviehs Verwendung. In Madras bestehen Zuckerraffinerien, welche sich
gut rentiren und ihr Erzeugniss im Wege des Küstenhandels nach Calcutta,
Birma und Ceylon absetzen.
Beträchtlich ist die Ausfuhr von Gewürzen, von denen die Präsidentschaft
Madras 37,834.899 Pfd. im Werthe von 7,087.619 Rup. exportirte.
Die Ausfuhr von Oel belief sich auf 4,878.401 Gall. im Werthe von
5,156.515 Rup., die von Kokosnüssen auf 69,350.025 Stück für 1,601.247 Rup.
An Koprah exportirte Madras 226.926 Cwts. im Werthe von 2,103.366 Rup.
[575]Madras.
Hervorzuheben ist ferner noch der Export von Tabak im Gewichte von
7,933.878 Pfd. für 1,746.871 Rup. und der von Thee, welcher allerdings nicht von
hervorragender Bedeutung, immerhin 5828 Cwts. im Werthe von 487.547 Rup.
umfasste.
In der zweiten Exportgruppe, den Producten des Thierreiches, verzeichnet
Madras im Berichtsjahre 1889/90 eine Ausfuhr an Fellen und Häuten (meist
in bearbeitetem und gegerbtem Zustande) im Gewichte von 228.102 Cwts. und
im Werthe von nicht weniger als 20,683.453 Rup. In diesem Artikel hat Madras
die Führung unter allen indischen Häfen. Von 106.604 Cwts. bearbeiteter Häute
als Gesammtausfuhr Britisch Indiens entfielen 1889/90 auf Madras 90.794 Cwts.
im Werthe von 5,000.000 Rup., und von 165.845 Cwts. bearbeiteter Ziegenfelle
im Werthe von 19,200.000 Rup. exportirte dieser Hafen allein 138.492 Cwts.
im Werthe von 15,600.000 Rup., also rund 50 %. Den grössten Abnehmer für
diesen Artikel bildet Grossbritannien, welches namentlich von gegerbten Ziegen-
häuten beinahe die gesammte Exportmenge aufnimmt.
Die Ausfuhr von anderen Industrieerzeugnissen beschränkt sich auf Baum-
wollwaaren, die sich 1889/90 aus 1,100.165 Stück und 13,638.070 Yards zu-
sammensetzten und einen Werth von 4,509.671 Rup. repräsentirten, ferner auf
Coirgarn und Tauwerk im Gewichte von 431.724 Cwts. und im Werthe
von 3,329.073 Rup.
Erwähnt zu werden verdient noch der Export von Bauholz im Werthe von
1,900.188 Rup. und endlich die Ausfuhr lebender Thiere, welche 86.684 Stück
im Werthe von 674.612 Rup. umfasste, während alle übrigen, in die eine oder
andere Gruppe einzureihenden, nicht speciell benannten Artikel in dem hiefür ver-
anschlagten Gesammtwerthe von 10,805.444 Rup. enthalten sind.
Der Werth der im Berichtsjahre 1889/90 reexportirten Waaren beträgt
1,172.859 Rup.
Bei Betrachtung der Einfuhr findet man, dass dieselbe zum weitaus
grössten Theile aus Industrieerzeugnissen zusammengesetzt ist. An der Spitze
derselben stehen, wie in den anderen indischen Hafenplätzen, die Erzeugnisse der
Baumwollindustrie.
So importirte die Präsidentschaft Madras 1889/90 an Baumwollwaaren:
In dem Hafen Madras gelangten 1889/90 13,390.770 Pfd. Baumwollgarne
zur Einfuhr.
Die nächstwichtige Gruppe bildet die Einfuhr von Metallen, welche sich
aus folgenden Arten zusammensetzt:
Trotz der, wie wir oben gesehen haben, erheblichen Ausfuhr von Madras
an Getreide und Hülsenfrüchten gelangen solche auch in nicht geringen Mengen
zur Einfuhr. So importirte die Präsidentschaft Madras 1889/90 817.232 Cwts.
Reis im Werthe von 3,379.221 Rup., ferner Paddy 489.869 Cwts. im Werthe
von 984.433 Rup. und andere Getreidesorten 376.416 Cwts. im Werthe von
1,383.413 Rup.
Die im Berichtsjahre importirten Getränke setzen sich aus folgenden
Sorten zusammen:
- Spirituosen . . . . . . . . . . . 218.037 Gall. 958.215 Rup.
- Wein . . . . . . . . . . . . . . 62.629 „ 436.419 „
- Biere . . . . . . . . . . . . . . 538.767 „ 741.461 „
- andere . . . . . . . . . . . . . 1.002 „ 4.356 „
Nennenswerth ist ferner die Einfuhr von Eisenbahnmaterial, welche
einen Werth von 3,989.951 Rup., und die von Bauholz, welche einen solchen
von 2,105.948 Rup. repräsentirte.
Zur Vervollständigung des Gesammbildes ist noch die Einfuhr und Aus-
fuhr von Gold und Silber für Privatrechnung in Betrachtung zu ziehen,
welche folgende Tabelle zeigt:
| Gold . . . . . | Einfuhr . . . . . . . . . | 1,363.011 | Rup. |
| Ausfuhr . . . . . . . . | 103.241 | 〃 | |
| Silber . . . . | Einfuhr . . . . . . . . . | 1,967.473 | 〃 |
| Ausfuhr . . . . . . . . | 836.499 | 〃 |
Die vorstehenden Darstellungen erstrecken sich nur auf den Handelsverkehr,
insoferne er sich für Privatrechnung entwickelte. Ohne ins Detail einzugehen,
seien hier nach dem Werthe noch die für die Rechnung der Regierung ausgeführten
Transactionen verzeichnet.
Es wurden im Jahre 1889/90 für Regierungsrechnung Waaren für
2,587.370 Rup. importirt und für 728.501 Rup. exportirt. Ferner bezog die Regie-
rung für 5,125.000 Rup. Silber und führte für 395.967 Rup. an gleichem Me-
talle aus.
Die industrielle Thätigkeit in Madras ist auf wenige Artikel beschränkt,
in diesen aber um so entwickelter. Vor Allem sind die zahlreichen Gerbereien
und Lederfabriken hervorzuheben, welche in Madras selbst und in dessen Nähe
liegen und dem Hafen, wie schon oben erwähnt, ein reiches Materiale für
die Ausfuhr verarbeiteter und gegerbter Felle bieten. Ausserdem ist die
Zuckerproduction eine ziemlich bedeutende. Schliesslich besitzt Madras sechs
Baumwollfabriken, deren Erzeugnisse in der oberwähnten Ausfuhr vertreten er-
scheinen.
Der Schiffsverkehr, welcher den Aussenhandel von Madras bewältigte,
soll in nachstehender Tabelle veranschaulicht werden.
Im Berichtsjahre 1889/90 sind in Madras
Darunter waren der Nationalität nach:
Die wichtigsten Dampfschiffahrtsgesellschaften, welche Madras regelmässig
anlaufen, sind: British-India Steam Navigation Cy., Messageries maritimes, Oester-
reichisch-Ungarischer Lloyd, die beiden letzteren mit Zweiglinien von Bombay
über Madras nach Calcutta, Hansa (Hamburg und Bremen). Die Peninsular and
Oriental Steam Navigation Cy. läuft Madras nicht regelmässig an.
Für den Inlandverkehr sorgen die Eisenbahn Madras — Bombay und die Linien,
welche von Madras nach Westen und Süden gehen. Die East Coast Railway
zwischen Madras und Calcutta, welche sehr dicht bevölkerte Länder durchziehen
wird, ist im Bau.
Von Madras geht ein Kabel der Eastern Extension Australasia and China
Telegraph Cy. nach Penang.
In Madras sind folgende Banken vertreten: Agra Bank, Bank of Bengal,
Bank of Bombay, Chartered Mercantile Bank of India, London and China, National
Bank of India, New Oriental Bank Corporation, Commercial and Land Mortgage
Bank, Madras Bank
In Madras unterhalten Consulate: Dänemark, Deutsches Reich, Nieder-
lande, Schweden und Norwegen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 73
[[578]]
Colombo.
Zu den herrlichsten Ländern der Erde gehört ohne Zweifel die
Insel Ceylon, das Taprobane der Griechen und Römer, welches in
den alten indischen Epen „Lankâ“, die Strahlende, genannt wird.
Abgesehen von der Pracht ihrer tropischen Vegetation besitzt die
Insel den Vorzug eines zwar heissen, aber dabei ziemlich gleich-
mässigen Klimas, welches für den Europäer angenehmer ist als das
von Indien. Ihre schönen und zugleich grossartigen Landschaften
sind ebenso wie das Bergland der Insel mit prächtigen Wäldern be-
deckt, in den Talavas, den Lichtungen in der Ebene, gedeihen die
verschiedensten Cultur-Pflanzen, deren Producte für den Handel
überaus werthvoll sind, wie Chinarinde, Kokosnüsse, Zimmt, Kaffee
und Thee. Der Kaffeebau, der in den Patenas, den Lichtungen der
höheren Gegenden, mit dem besten Erfolge betrieben wird, ist in den
letzten Jahren infolge der Zerstörung vieler Bäume durch die Hemileia
vastatrix zurückgegangen, weshalb zum Ersatze Liberia-Kaffeebäume
gepflanzt werden.
Aber auch das Mineralreich hat seinen Antheil am Reichthume
der Insel, denn abgesehen von den Edelsteinen, die hier in früherer
Zeit in grösserer Menge gefunden wurden, finden sich derzeit noch
der beste Graphit, vorzügliches Eisen, Anthracit und Caolin, welch
letzteres hier schon im Mittelalter von den Chinesen gewonnen wurde.
Die Insel ist mit Ausnahme eines Theiles der nordwestlichen
Küste ringsum für die grössten Schiffe zugänglich; ihr sicherster Hafen
ist jener von Trincomalee, der bedeutendste und wichtigste aber
jener von Colombo, gegen welchen der erstgenannte in der Neuzeit
vollständig zurückgetreten ist. Point de Galle besitzt nur eine Rhede.
Die an Gewürzen und Edelsteinen reiche Insel Ceylon (Singhala) war, wie
bereits erwähnt, schon den alten Griechen und Römern unter dem Namen Tapro-
bane bestens bekannt. Auf ihr herrschte seit 543 n. Chr. ein aus Nordindien
stammendes Fürstengeschlecht, die Mahawanio, nach denen auch das grosse
[579]Colombo.
in Versen abgefasste Geschichtswerk der Singhalesen benannt wurde. Der Buddhis-
mus und eine weit vorgeschrittene Cultur verbreiteten sich im V. Jahrhundert
von hier nach Hinterindien; im VIII. Jahrhundert liessen sich mohammedanische
Araber auf der Insel nieder.
Zu Anfang des XV. Jahrhunderts unterwarfen die Chinesen Ceylon, das
ihnen bis zur Regierung des Kaisers Tee-Shun tributpflichtig blieb. Seit dem
Jahre 1505, der Landung Almeidas auf Ceylon, begannen die Portugiesen daselbst
festen Fuss zu fassen. Lopez Suarez Alvarenga gründete 13 Jahre später eine be-
festigte Factorei an der Stelle des jetzigen Colombo. Die portugiesische Herrschaft
machte sich jedoch sehr verhasst, weshalb dieselbe auch mit Beihilfe der Holländer
allmälig beseitigt wurde. Die Letzteren besetzten im Jahre 1756 nach sieben-
monatlicher Belagerung Colombo, das letzte Refugium portugiesischer Macht, deren
Stützen nach und nach gefallen waren.
Während der Periode der holländischen Herrschaft versuchten Franzosen
und Engländer in den Besitz der Insel zu gelangen, doch wurde diese erst im
Kriege zwischen Holland und England von den Truppen der letzteren Macht be-
setzt, worauf sie im Frieden von Amiens 1802 förmlich an England abgetreten wurde.
Nach Besiegung des letzten Königs von Kandy (1815) trat England in den
effectiven Besitz der ganzen Insel. Das neuerworbene Territorium wurde zuerst
der Ostindischen Compagnie zur Verwaltung überwiesen, diese Massregel aber bald
rückgängig gemacht und Ceylon unter seinem ersten Gouverneur Frederik North,
dem späteren Earl of Guildford, unmittelbare Kroncolonie Englands. Letzteres
ist die Insel seither auch unverändert geblieben, indem aus ihr ein in sich
selbst abgeschlossenes, von Indien getrenntes Colonialreich geschaffen wurde,
welches sozusagen in politischer und administrativer Beziehung als Musteranstalt
für die Territorien des grossen indischen Kaiserreiches diente.
Colombo (Cola-ambu), die Hauptstat Ceylons, ist an der Süd-
westküste desselben an einer gegen Nord und Nordwest offenen
Bucht unter 6° 56′ nördl. Breite und 79° 51′ östl. Länge gelegen.
Vom Hafen aus sind nur wenige einstöckige Häuser zu sehen,
die sämmtlich in italienischem Style erbaut sind; alles Uebrige
sind kleine Hütten mit hohen Ziegeldächern. Thatsächlich besteht
auch das Europäer-Viertel nur aus wenigen Strassen, die das Queen’s
House (Gouverneurpalais), das hallenreiche Zollamt, die Post, ein
Museum, die Kasernen und einige Hôtels enthalten und durch schattige
Alleen mit Standbildern früherer Gouverneure geziert sind. Dieses
Viertel bildet begreiflicherweise auch das geschäftliche Centrum der
Stadt. An die Europäerstrassen grenzt nördlich das an der Bucht
gelegene Eingeborenen-Viertel Pettah, welches aus einer Ansammlung
von Hütten besteht, die sich an den Ufern des Flüsschens Kailani
hinziehen und von Singhalesen, Mohammedanern und Tamulen be-
wohnt werden. Zwischen der Europäerstadt und Pettah erhebt sich
auf einer vorspringenden Spitze die von den Holländern erbaute grosse
Citadelle.
73*
[580]Der indische Ocean.
Das übrige Colombo gleicht einem ausgedehnten tropischen
Parke, in welchem sich hübsche Bungalows und Hütten der Ein-
geborenen an endlosen Strassen und Alleen verstreut finden. Den
Reiz dieser von üppiger Vegetation durchzogenen Stadttheile erhöhen
in besonderem Masse die zahlreichen in denselben liegenden Teiche.
Der fashionabelste Theil dieser Parkstadt ist der Cinnamon Garden,
der seinen Namen von den vielen Zimmtbäumen hat, die daselbst an-
gepflanzt sind. In der Nähe liegt ein kleiner See, der den Einge-
borenen zur Vornahme ihrer religiösen Waschungen dient und früher
eine mit dem Ocean verbundene Lagune war. Vor wenigen Jahren
erweiterte sich aber die sandige Landzunge, welche die Grenze see-
wärts bildete, und machte hiedurch die Lagune zu einem kleinen
Binnensee.
Das Museum Colombos ist zwar bescheidenen Umfanges, bietet
aber doch so manches Sehenswerthe. Hiezu gehören in erster Linie
die sorgfältigen und interessanten Sammlungen ethnographischer und
historischer Gegenstände, die theils Ceylon, theils den Malediven ent-
stammen. Ferners ist hier noch eine ausgedehnte Zusammenstellung
der Perlmuscheln bezüglich ihres Wachsthums, sowie auch eine Nach-
bildung des Daladâ, des Zahnes Buddhas, der als grosses Heilig-
thum der Buddhisten im Tempel von Kandy, der einstigen Haupt-
stadt Ceylons, aufbewahrt wird.
Die Bevölkerung Colombos beträgt fast 112.000 Seelen, die
sich in zahlreiche Volksstämme, Rassen und Mischlingsrassen scheiden.
So finden sich ausser den Europäern noch vertreten: Singhalesen,
Parsen, Juden, Mauren, Malayen, Tamulen, Kaffern, ferners degenerirte
Nachkommen der Portugiesen und Mischlinge von Engländern und
Holländern und eingeborenen Frauen. Alle diese scheiden sich wieder
nach ihren Glaubensbekenntnissen; die Singhalesen sind Buddhisten,
die Tamulen Brahmanen und die Mischlinge zumeist Katholiken. Eine
grosse Zahl protestantischer Bekenntnisse, speciell Wesleyaner, finden
sich vertreten, selbst die Salvation Army hat hier Anhänger und
Werber.
Am verbreitetsten ist der Buddhismus, der hier infolge seiner
Toleranz viel von dem Dämonencultus der Ureinwohner der Insel in
sich aufgenommen und sich hiedurch einigermassen verändert hat.
Trotz der Grösse der buddhistischen Glaubensgemeinde Colombos ist
deren Haupttempel ein nur kleines, niedriges Gebäude mit wenigen
Bogengängen und nicht allzureicher Ornamentik, das äusserlich
durchaus nicht imposant aussieht. Das Innere dieses Tempels ist
[[581]]
Colombo.
[582]Der indische Ocean.
etwas bemerkenswerther. Die Wände sind mit den Bildern der
80 Jünger Buddhas geziert; dieser selbst ist in schlafender Stellung
aus bemaltem Steine in dreifacher Lebensgrösse dargestellt. Ein
Zugeständniss für jene Glaubensgenossen, die gerne mit dem Brahma-
ismus liebäugeln, ist der zur Seite des besonders heilig gehaltenen
Buddha stehende, blau bemalte Wischnu. Ein zweites Tempelgemach
enthält einen hockenden Buddha und ist gleich der Vorhalle mit
wenig kunstvollen Wandmalereien bedeckt.
Die Masse der eingeborenen Bevölkerung besteht aus buddhisti-
schen Singhalesen, einer den südindischen Stämmen verwandten Rasse
mit malayischer Beimischung. Die Singhalesen sind zwar aber-
gläubisch, doch immerhin intelligent; so können beispielsweise fast
alle lesen und schreiben; ihre Tagesblätter haben eine grosse Ver-
breitung. Die meisten englischen classischen Theaterstücke sind
bereits ins Singhalesische übersetzt und im Volkstheater in Colombo
aufgeführt worden. Von den einstigen kriegerischen Neigungen der
Singhalesen (der „Löwen“, wie sie sich selbst nannten) ist bei diesem
nunmehr friedfertigsten Volke der Erde nichts zurückgeblieben, als
die in der Ramayana bewahrte Erinnerung an die heldenmüthige
Eroberung Ceylons. Von den dazumal besiegten Ureinwohnern, den
Yakos, dürften die im Südosten der Insel wohnenden Veddas ab-
stammen, doch sind auch diese dermalen schon im Aussterben be-
griffen.
Seit einigen Jahren beherbergt Colombo eine historisch inter-
essante Persönlichkeit, Arabi Pascha, der, hieher verbannt, eine eng-
lische Pension von 12.000 Gulden verzehrt.
Eine Plage Colombos sind für jeden Reisenden die dortigen
Hausierer, die ihre Waaren, von allen Gattungen Edelsteinen an bis
zu Zündhölzchen, in möglichst zudringlicher, lästiger Weise anzu-
bringen trachten und daher nur schwer vom Leibe zu halten sind.
Colombo besitzt grossartige Wasserwerke, die mit hohen Kosten
errichtet wurden und das Trinkwasser von Gebirgsquellen dreissig
englische Meilen weit herleiten.
Der Personentransport innerhalb der ausgedehnten Stadt ge-
schieht mit Dschinrikshas, die seit 1884 hier eingeführt sind, und mit
Miethwägen. Pferdebahnen sind projectirt.
Seinerzeit eine Rhede, auf der die Schiffe im Südwestmonsun
sehr schlecht und unsicher lagen, hat Colombo durch den Bau eines
langen, fast nordsüdlich verlaufenden Wellenbrechers einen geräumigen
und im Allgemeinen auch gut geschützten Hafen erhalten. Der letztere
[583]Colombo.
ist jedoch gegen Norden zu noch offen, sodass der häufig aus dieser
Richtung wehende Nordostmonsun die im Hafen liegenden Schiffe be-
deutendem Seegange aussetzt. Diesem Uebelstande wird durch einen
zweiten, derzeit auch schon projectirten, ostwestlich verlaufenden
Wellenbrecher abgeholfen werden. Im Hafen selbst können 24 Dampfer
bequem vertäut werden.
Der Schiffahrt bietet Colombo alle nöthigen Ressourcen; Kohle
und Wasser sind in ausreichender Menge zu haben, Havarien werden
in dem grossen Maschinenetablissement John Walter and Co. tadellos
ausgebessert. Colombo ist mit dem im Inneren der Insel gelegenen
Kandy und mit den südlichen Küstenplätzen durch Eisenbahnen ver-
bunden.
Der Herzog von Buckingham, Gouverneur von Madras, machte
dem Gouverneur von Ceylon, Sir William Gregory, einen Vorschlag,
dessen Realisirung Colombo zu einem der wichtigsten Handelsplätze
der Erde erheben würde. Es solle nämlich für Ceylon durch Ueber-
brückung der Palk-Strasse, die nur für Schiffe von weniger als 4·5 m
Tiefgang fahrbar ist, ein Anschluss an das südindische Eisenbahnnetz
geschaffen werden.
Angrenzend an den Hafen haben sich an der Küste unter dem
Einflusse der Strömungen und der Monsune Lagunen und kleine Seen
gebildet, die von den Holländern, diesen Meistern im Wasserbau,
durch Canäle verbunden wurden und für den Verkehr zwischen den
Militär- und Handelsstationen dienten. Auch noch heutzutage finden
dieselben Verwerthung für die Zwecke des localen Handels.
Seit der Eröffnung des Suezcanales hat Colombo als Hafenplatz grosse Be-
deutung erlangt, da hier für die nach Ostasien und Australien verkehrenden
Dampfer eine Kohlenstation geschaffen wurde. Anfangs machte wohl Point de
Galle, der zweitgrösste Hafen Ceylons, Colombo eine starke Concurrenz, indess
ging letzteres aus diesem Wettstreite als Sieger hervor, so dass heute ein gutes
Drittheil aller den Suezcanal passirenden Dampfschiffe in Colombo anlegt. Dem-
zufolge ist auch der Kohlenumsatz ein stetig steigender; im Jahre 1888 erreichte
die Einfuhr an Kohlen in Colombo 232.052 T, in Point de Galle 52.412 T und
stieg 1889 in Colombo auf 250.338 T, in Point de Galle auf 70.677 T. Durch
den wachsenden Hafenverkehr hebt sich Colombo mehr und mehr.
Leider fehlen uns für den speciellen Handelsverkehr von Colombo und Point
de Galle statistische Aufzeichnungen, wir müssen uns daher darauf beschränken,
den Gesammthandel Ceylons einer Besprechung zu unterziehen. Die Bedeutung
der beiden in Frage kommenden Hafenplätze erhellt übrigens aus der Angabe,
dass 1889 die Gesammteinfuhr der Westprovinz (Colombo) auf 52,533.481 Rup.,
die der Südprovinz (Galle) auf 5,338.469 Rup., die Gesammtausfuhr der West-
provinz auf 42,774.315 Rup., die der Südprovinz auf 1,507.014 Rup. sich belief.
[584]Der indische Ocean.
Der Gesammthandel Ceylons einschliesslich der Edelmetalle betrug im
Kalenderjahre 1889 laut Regierungsangaben: in der Einfuhr 60,695.136 Rup., in
der Ausfuhr 46,924.505 Rup., zusammen 107,619.614 Rup.; dagegen im Jahre 1888
97,908.123 Rup., 1887 83,889.572 Rup., 1886 76,434.385 Rup., 1885 74,633.444 Rup.,
1884 76,992.639 Rup. Wie aus vorstehenden Ziffern hervorgeht, hat der Handel
Ceylons in den letzten fünf Jahren eine wesentliche Steigerung erfahren und im
letzten Jahre sogar das Totale des Jahres 1880 (97,813.458 Rup.), des stärksten
im letzten Decennium, um ein Bedeutendes übertroffen.
An diesem Verkehre Ceylons participirten im Jahre 1889 Grossbritannien
mit 30,420.509 Rup., also nahezu 50 % in der Ausfuhr und mit 18,088.809 Rup.
in der Einfuhr Ceylons. Die britischen Colonien absorbirten 8,584.345 Rup. der
Ausfuhr und 38,197.954 Rup., circa 63 %, der Einfuhr.
Die nächstwichtige Rolle, allerdings nur in der Ausfuhr Ceylons, spielt
Amerika mit 4,517.570 Rup.; Deutschland und Oesterreich-Ungarn betheiligen sich
an diesem Handel in der Aus- und Einfuhr mit je ungefähr einer, Frankreich mit
einer halben Million Rupien.
Den grössten Werth in der Einfuhr repräsentiren die beinahe aus-
schliesslich aus England kommenden Baumwollwaaren geringerer Qualität.
Die Einfuhr derselben belief sich
- 1889 auf 1,879.933 Stück und 1782 Ballen, zusammen im Werthe von 316.916 ₤,
- 1888 „ 2,394.232 „ „ 1314 „ „ „ „ „ 350.829 „
- 1887 „ 2,090.111 „ „ 1970 „ „ „ „ „ 326.689 „
- 1886 „ 2,216.591 „ „ 807 „ „ „ „ „ 325.459 „
Ueberdiess wurden 1889 622 Cwts. Baumwollgarne im Werthe von 11.429 ₤
eingeführt.
Der Werth der im Jahre 1889 importirten Werkzeuge und Messer-
schmiedwaaren belief sich auf 19.901 ₤ gegen 24.226 ₤ im Vorjahre.
An Kurz- und Putzwaaren importirte Ceylon während der letzten drei
Jahre:
- 1889 . . . . . . 4225 Colli und 14.131 Stück im Werthe von 59.600 ₤
- 1888 . . . . . . 3029 „ „ 43.184 „ „ 68.019 „
- 1887 . . . . . . 4234 „ „ 114.145 „ „ 58.019 „
Trotz der ausserordentlichen Fruchtbarkeit und Productionskraft Ceylons
spielt der Import von Bodenproducten eine grosse Rolle. In erster Linie ist
Reis zu nennen, für welchen Ceylon einen bedeutenden Abnehmer bildet. Die
Einfuhr von Reis hat während der letzten zwei Jahre gegen die ersten Jahre des
Decenniums jährlich rund um 1 Million Bushels (1 Bushel = 36.349 l) zugenommen.
Es mag dies darauf zurückzuführen sein, dass seit dem Niedergang des Kaffee-
anbaues auf der Insel Ende der siebziger Jahre die Zahl der Kulis auf den Plan-
tagen sich verminderte und erst mit der wachsenden Theecultur durch die Ein-
wanderung vorderindischer Kulis wieder zunahm.
Den Reisimport der letzten fünf Jahre veranschaulicht folgende Tabelle.
Derselbe belief sich
- 1889 . . . . . . . . . auf 6,677.923 Bushels im Werthe von 1,492.100 ₤
- 1888 . . . . . . . . . „ 6,744.145 „ „ 1,552.557 „
- 1887 . . . . . . . . . „ 5,870.632 „ „ 1,351.468 „
- 1886 . . . . . . . . . „ 5,567.100 „ „ 1,356.980 „
- 1885 . . . . . . . . . „ 5,734.130 „ „ 1,397.694 „
[585]Colombo.
Neben Reis importirte Ceylon im Jahre 1889 951.168 Bush. Paddy im
Werthe von 98.089 ₤ und für 109.520 ₤ andere Körnerfrüchte.
Einen nicht unbedeutenden Einfuhrartikel bildet Poonac, eine Art Kokos-
nuss-Oelkuchen, wovon im Jahre 1889 167.268 Cwts. im Werthe von 45.999 ₤
importirt wurden.
A Kirchen, B Hindu-Tempel, C Militär-Baraken, D Spital, E Esplanade, F Leuchtfeuer, G Anlegeplatz
für Boote, H Wellenbrecher, J Batterie, K Zeitsignalstation, L Gasanstalt, M Teich, N Eisenbahn-
station, O Thurm, P Residenz des Gouverneurs, Q Ballspielplatz.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 74
[586]Der indische Ocean
An gesalzenen und getrockneten Fischen importirte Ceylon im
selben Jahre 154.771 Cwts. im Werthe von 106.406 ₤
Zum Schlusse sei noch der Import lebender Thiere erwähnt, der sich
im Jahre 1889 auf 53.848 Stück im Werthe von 29.314 ₤ belief.
Die Ausfuhr Ceylons besteht beinahe ausschliesslich aus den reichen Er-
trägnissen der tropischen Bodenproduction. Früher wurde vorherrschend Kaffee
gepflanzt; aber nach der in den siebziger Jahren auftretenden Kaffeekrankheit
erfuhr die Kaffeecultur eine rasche Abnahme, heute bildet Thee das wichtigste
Ausfuhrproduct der Insel. Es dürfte von Interesse sein, den enorm raschen Auf-
schwung dieser Cultur zu beleuchten. Im Jahre 1869 wurde als erster Ersatz für
Kaffee versuchsweise Thee gepflanzt. Im Jahre 1877 betrug die Theeausfuhr 2015 Pfd.,
im Jahre 1882 bereits 697.268 Pfd. und nahm in den späteren Jahren, wie aus
folgenden Zahlen ersichtlich ist, einen geradezu grossartigen Aufschwung. So ex-
portirte Ceylon an Thee im Jahre 1883 1,666.423 Pfd. (1 Pfd. = 0·4536 kg), 1884
2,393.023 Pfd., 1885 4,373.754 Pfd., 1886 7,851.562 Pfd., 1887 13,824.701 Pfd.,
1888 23,820.724 Pfd., 1889 34,346.432 Pfd., 1890 46,901.554 Pfd. und für 1891
erwartet man eine Ernte von 53—55 Millionen Pfund.
Von der Ausfuhr des Jahres 1890 gingen 43,756.912 Pfd. nach London,
2,559.901 Pfd. nach Australien. Man ersieht daraus, dass England den beinahe
ausschliesslichen Abnehmer für Ceylonthee bildet, dessen kräftiger Geschmack
dort besonders gewürdigt wird; in Australien steht die Sache ähnlich. Es hat
jedoch die „Ceylon Planters Association“ unter den Theepflanzern eine Vereinigung
ins Leben gerufen, um den Vertrieb von Ceylonthee auch nach anderen Ländern
ausser England zu unterstützen. Zu diesem Behufe wurde in Colombo ein Thee-
markt etablirt, dessen Entwicklung der Umstand entgegensteht, dass die Pflanzer
von England aus Vorschüsse auf die Ernte erhalten und zur Consignation des
Productes nach London verpflichtet sind. Daher kamen denn auch in Colombo
während der letzten Jahre nur 14 % des ganzen verschifften Quantums zum Ver-
kaufe. Die Ueberschwemmung des Marktes mit Thee hat natürlich auch dessen
Preis gedrückt, so dass jetzt der beste Thee, loco Colombo, mit 66—70 Cents
per Pfund verkauft wird.
Die Ausfuhr von Kaffee, der einstmaligen Lebenspflanze Ceylons, hat wäh-
rend der letzten 15 Jahre eine stete Verminderung erfahren, die, wie schon an-
gedeutet, auf das Auftreten einer die Kaffeestaude vernichtenden Krankheit
zurückzuführen ist. Während das Jahr 1877 die stärkste Kaffeausfuhr mit nahezu
einer Million Cwts. aufweist, fiel dieselbe im Jahre 1882 schon auf 450.000 Cwts.,
im Jahre 1885 auf 210.000 Cwts. und sank 1890 auf 86.000 Cwts. herab; gleich-
zeitig wird ein weiterer Rückgang der Kaffeecultur in Aussicht gestellt.
Von der Ausfuhr des Jahres 1890 gingen 56.837 Cwts. nach London,
13.087 Cwts. nach Australien, 8038 Cwts. nach Triest, 445 Cwts. nach Indien, der
Rest nach Amerika.
Der nächstwichtige Exportartikel ist Cinchona (Chinarinde). Die Ausfuhr
des Jahres 1890 belief sich auf 8,728.836 Pfd.; davon gingen 8,003.452 Pfd. allein
nach London, der Rest nach Amerika, Antwerpen, Venedig und den Niederlanden.
Die Ausfuhr dieses Artikels weist während der letzten Jahre eine constante Ver-
minderung au. Sie belief sich 1886 auf 14,838.402 Pfd., 1887 auf 12,599.847 Pfd.
und sank 1889 schon auf 9,283.729 Pfd. Der Grund liegt in den abnorm niedrigen
[587]Colombo.
Preisen der Rinde, welche keine Veranlassung zu neuen Anpflanzungen bieten und
eine gewisse Vernachlässigung der Pflege des Artikels im Gefolge haben.
Ziemlich lebhaft gestaltet sich die Ausfuhr von Zimmt. Solange die Insel
den Holländern gehörte, wurde hier der Zimmtbaum ähnlich monopolisiert ge-
pflegt, wie auf den Mollukken der Nelkenbaum Wer einen Zweig abriss, verlor
die rechte Hand! Unter den Engländern wurde die Zimmtcultur freigegeben; der
Geschmack der Europäer hat sich seither einigermassen vom Zimmt abgewendet.
Die Exportmenge des Jahres 1889 mit 2,010.096 Pfd. im Werthe von 88.093 ₤,
welche die letzten vorhergegangenen Jahre übertraf, sank 1890 auf 1,894.514 Pfd.
herab. Ausserdem gelangten 1889 562.543 Pfd., 1890 441.447 Pfd. Zimmtabfälle
zur Ausfuhr.
Ein bedeutender Exportartikel ist ferner Kokosnussöl. 1890 wurden
362.690 Cwts., 1889 356.576 Cwts. im Werthe von 325.057 ₤ ausgeführt.
Dagegen hat die Ausfuhr von Koprah im Allgemeinen abgenommen, weil
die Oelfabriken von Ceylon den europäischen kaum nachstehen. Nur wenn die
Fracht nach Europa sich sehr niedrig stellt, wie dies im Verlaufe des Sommers
1890 der Fall war, erreicht die Ausfuhr eine grössere Höhe, so 1890 129.502 Cwts.
gegen 38.384 Cwts. im Jahre 1889.
Hervorzuheben wäre ferner noch die Ausfuhr von Kokosfasergarn, welche
1890 75.030 Cwts., und die von Coirfaser, die 35.967 Cwts. erreichte.
Die Zahl der Kokosbäume auf der Insel wird auf 30 Millionen geschätzt,
welche an 700 Millionen Nüsse produciren.
Arecanüsse werden gleichfalls in erheblichen Mengen ausgeführt, so im
Jahre 1889 120.602 Cwts. im Werthe von 72.701 ₤.
Mit der Zunahme des Anbaues von Tabak auf der Insel erhöht sich auch
die Ausfuhr dieser Pflanze. Dieselbe erreichte 1889 52.392 Cwts. im Werthe von
81.905 ₤.
Von Bedeutung für den Export Ceylons ist auch Graphit. Das Jahr 1890
weist eine Ausfuhrsmenge auf, welche die des vorhergehenden um mehr als das
Doppelte übersteigt. Dieselbe belief sich auf 486.138 Cwts. und repräsentirte
einen Werth von 334.220 ₤. Der Graphit von Ceylon wird seiner Feinheit und
Reinheit wegen sogar dem sibirischen Graphit vorgezogen.
Den Schluss der Exportliste bildet Ebenholz, dessen Ausfuhr sich wäh-
rend der letzten Jahre wesentlich verringerte. Im Jahre 1886 wurden 23.951 Cwts.
1889 nur 3572 Cwts., 1890 9373 Cwts. ausgeführt.
Der Schiffsverkehr Colombos ist, wie schon erwähnt, deshalb ein so
reger, weil die meisten nach Ostasien und Australien verkehrenden Dampfer hier
Kohlen einnehmen.
Der Gesammtverkehr der einlaufenden Schiffe im Hafen von Colombo
betrug im Jahre 1890:
[588]Der indische Ocean.
Von europäischen Nationen waren an diesem Verkehre 1890 betheiligt:
In Colombo laufen an die Dampfer des Norddeutschen Lloyd, der Peninsu-
lar and Oriental Steam Navigation Cy., der British-India Steam Navigation Cy.,
Point de Galle.
der Messageries maritimes und des Oesterreichisch-Ungarischen Lloyd, welche
Zweiglinien von Colombo nach Calcutta unterhalten, der Hamburg—Calcutta-Linie
und der Bremer Gesellschaft Hansa, der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-
gesellschaft Hamburg, der Navigazione Generale Italiana, der Orient Pacific Steam
Navigation Cy. (nach Australien).
Die Bedeutung von Colombo für den Handel der Insel kam so recht erst
durch die nach dem Innern gebauten Bahnen zur Geltung. So wurden im Jahre
1867 Kandy, 1874 Nawalapityia und 1885 Nanuoya mit Colombo verbunden. Die
Bahn von Colombo nach Point de Galle geht ihrer Vollendung entgegen.
Ceylon ist mit Paumben in Vorderindien telegraphisch durch ein Kabel
verbunden.
[589]Colombo.
In Colombo unterhalten Consulate: Belgien, Deutsches Reich, Frankreich,
Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Russland, Schweden und
Norwegen, Spanien, Türkei, Vereinigte Staaten von Amerika.
Südöstlich von Colombo, am südlichen Ende der Westküste
Ceylons, liegt Point de Galle in ungesunder Lage und an einer
wenig geschützten Rhede, welche die Regierung, wie es scheint, ab-
sichtlich nicht verbessert, um den ganzen Handel nach Colombo zu
ziehen, wie denn überhaupt Colombo vielfach durch das Machtwort
der Regierung den Handel von Point de Galle in die Hände be-
kommen hat.
Die Geschichte von Point de Galle greift weit zurück, beinahe
in die sagenhafte Zeit. Hier trafen sich die Völker des südöstlichen
Asiens mit den Arabern, welche deren Waaren, meist Gewürze, wohl-
riechende Essenzen und feine Gewebe, durch Vermittlung der Griechen
und Römer, später durch die Venetianer nach Europa verhandelten.
Die Ansicht der Stadt von der Seeseite aus ist wegen der halb
europäischen, halb orientalischen Bauart derselben zwar in jeder Be-
ziehung malerisch, doch bemerkt man sofort nach dem Betreten des
Landes den allgemeinen Rückgang, welchem Point de Galle verfallen
ist. Früher Knotenpunkt der wichtigsten Dampferlinien, musste es
diese Stelle dem aufstrebenden Colombo überlassen und sich damit
begnügen, zur Zeit des winterlichen Nordostmonsuns, also wenn der
Hafen von Colombo weniger günstig ist, Anklänge an seine frühere
rege Handelsthätigkeit in der vorübergehenden Ausfuhr der Landes-
producte wiederzufinden. Doch auch dieser letzte Rest eines einst
blühend gewesenen Handels wird schwinden, wenn in absehbarer Zeit
der noch fehlende Schutz des Hafens von Colombo hergestellt sein wird.
Die Einfuhr von Point de Galle besteht ohnehin schon seit längerer
Zeit nur mehr aus Steinkohlen und Eisenreifen für Waarenballen.
[[590]]
Bombay.
Die einzige hervorragende Seehandelsstadt an der Westküste des
Dekhan ist Bombay (auf der gleichnamigen Insel), das im XVI. Jahr-
hunderte eine kleine, unbedeutende Colonie war, seither aber —
speciell seit der Eröffnung des Suezcanales — der für Europa wich-
tigste Handelsplatz Indiens geworden ist, über den der Personen-
und Waarenverkehr des grossen indischen Kaiserreiches geleitet wird.
Der Name der Stadt soll nach Einigen vom portugiesischen
Bom Bahia (gute Bucht) herstammen, andere leiten seine Entstehung
von der benachbarten kleinen Insel Mumbaï ab, die nach der Göttin
Mumba benannt worden ist.
Bombay wurde von dem auf der wegen ihrer uralten kolossalen Höhlen-
tempel berühmten, nördlich von Bombay gelegenen Insel Salsette herrschenden
Sultan Baliadur, König von Gujarat, im Jahre 1530 den Portugiesen abgetreten,
welche wegen der schönen und geschützten Lage der Bucht daselbst Factoreien
und ein Fort errichteten. 1661 noch eine kleine und unansehnliche Ansiedlung
von kaum 10.000 Einwohnern, ging Bombay als ein Theil der Mitgift der Infantin
Katharina von Portugal bei ihrer Vermählung mit Karl II. von England an die
englische Krone über. Die letztere wusste den Werth der neuen Colonie, die
mehr kostete, als sie eintrug, nicht gebührend zu schätzen, weshalb Bombay
schon 1668 der Ostindischen Compagnie gegen einen Pachtschilling von 10 ₤
jährlich übergeben wurde.
Die Ostindische Compagnie ergriff sofort die richtigen Massregeln, um
Bombay jenen Platz im Handelsverkehre sicher zu stellen, welcher dem Hafen
wegen seiner Vorzüge für die Schiffahrt in dem an guten Häfen armen Ostindien
gebührt. Das Fort wurde vergrössert und verstärkt, der Bau einer regelmässigen
Stadt in Angriff genommen, neue sich ansiedelnde Colonisten blieben durch fünf
Jahre von allen Zöllen enthoben, vollkommene Religionsfreiheit wurde gewährt,
die Baumwoll- und Seidenweberei kräftigst unterstützt und der Hafen mit den
nöthigen Anlagen versehen.
Dennoch erscheint der rasche Menschenzuzug nach Bombay während der
ersten Entwicklungszeit einigermassen befremdend, wenn man bedenkt, dass dazumal
in Bombay zahlreiche epidemische Krankheiten mit einem erschreckend hohen Per-
centsatze letaler Ausgänge auftraten. Andererseits war aber der Besitz der Insel
Bombay für die Ostindische Compagnie besonders werthvoll, weil diese Insel durch
[591]Bombay.
ihre abgeschlossene Lage von den langwierigen Kriegen jener Zeit wenig in Mit-
leidenschaft gezogen wurde. Aus diesem Grunde wurde auch 1686 der Sitz der
westlichen indischen Gouvernements von dem damals grösseren Surate (Surat)
nach Bombay verlegt, was die Entwicklung der Stadt Bombay, wo noch im selben
Jahre ein Postamt und eine Münze errichtet wurden, wesentlich förderte.
Im Laufe des nächsten Jahrhunderts wechselten Surate und Bombay die
Rollen; in jenem Masse, als ersteres, das einstige „Thor von Mekka“ mit
800.000 Einwohnern, mehr und mehr zurückging und einem langsamen, aber
stetigen Verfalle anheimfiel, stieg gleichzeitig die Bedeutung Bombays, das durch
den Fall der Mahraten-Dynastie und die Besetzung ihrer immensen Ländereien
durch die Ostindische Compagnie zu einer imposanten Machtstellung gelangte
die es in der Folge auch nicht mehr verlor.
Der amerikanische Secessionskrieg brachte durch den ge-
steigerten Baumwollexport Indiens der Stadt Bombay einen enormen
Gewinn, der aber infolge des Speculationsfiebers, das alle Schichten
der Bewohner Bombays ergriffen hatte, einen unausbleiblichen schweren
Rückschlag eintreten machte. Die Aufzählung aller Banken, Institute
und Gesellschaften, die bei diesem Anlasse fallit wurden, füllt mehrere
Seiten einer bezüglichen Chronik. Immerhin hatten aber Stadt und
Hafen von dem zugeströmten Gelde bereits grossen Nutzen gezogen.
Verschönerungen, Neubauten und eine Reihe sanitärer Verbesserungen
erinnern noch heute an jene Periode. So ist, allerdings auch durch
consequente Fortsetzung der zweckmässigen Vorkehrungen, Bombay
nunmehr eine der gesündesten Städte Indiens geworden. Hiezu trägt
besonders die grossartige Wasserleitung bei, die auf der bereits er-
wähnten Insel Salsette das Wasser eines Flüsschens in einem künst-
lichen See sammelt und von da nach Bombay führt.
Oestlich von der Stadt liegt der Hafen, von welchem aus be-
trachtet die Insel einen malerischen Anblick bietet. In ihrem süd-
lichsten Theile verläuft sie in zwei Landzungen, zwischen welchen
die südlich und westlich von der Stadt gelegene Back Bay eine weite,
jedoch seichte Bucht bildet.
Die westliche Landzunge trägt den Namen Malabar Hill und
ist dicht mit Bungalows (Villeggiaturen) bedeckt, zu denen gute Wege
durch schattige Palmengehölze führen. Die Hauptstrasse, die in zahl-
reichen Windungen auf den Bergesrücken und von da an das west-
liche Meeresufer führt, ist reich an herrlichen Ausblicken auf Stadt
und Hafen. Diese ländliche Niederlassung von leicht und luftig aus
Holz erbauten Häuschen auf Malabar Hill, der noch vor dreissig
Jahren nur zwei Bungalows trug, hat aber trotz der kurzen Zeit
ihres Bestehens ihren eigentlichen Werth verloren, weil der Hügel
seither schon zu dicht bevölkert und bebaut worden ist. Die Bun-
[592]Der indische Ocean.
galows selbst sind einstöckig erbaut oder bestehen auch nur aus
einem Erdgeschoss und bieten bei manchmal ganz unansehnlichem
Aeusseren, das allerdings unter Bananen, Palmen und Tamarinden
fast ganz verschwindet, in ihrem Inneren nahezu ausnahmslos ein
Schatzkästchen von Luxus und Comfort. Mitten in dieser Idylle, an
der Südspitze des Malabar Hill, steht eine mächtige, hochmoderne
Batterie.
Die Uebervölkerung des Malabar Hill führte zur Wahl ander-
weitiger Landaufenthaltsorte. So liegt auf der Insel Salsette die Ort-
schaft Tannah (Thana), welche einst eine Königsresidenz und blühende
Handelsstadt war, von der bereits Albironi (1030) und Marco Polo
sprachen, und wo jetzt ebenfalls ein Villenvorort Bombays entstanden
ist. Etwas entfernter, doch in wenigen Stunden zu erreichen, liegt
in 749 m Seehöhe Matheran, welches allgemein „das Sanatorium“
genannt wird und sich durch gesunde Luft und schöne Wälder aus-
zeichnet.
In der Mitte des Malabar Hill liegen das heilige Dorf der
Hindus, Walkeshwar, und die Thürme des Schweigens. Der Haupt-
tempel von Walkeshwar ist zwar ein unbedeutendes Gebäude, doch
reich an Kostbarkeiten. Die Legende erzählt, dass hier Rama eine
Nacht zubrachte, als er von Audh nach Ceylon reiste, um seine von
Ravana entführte Gattin Sita wieder zu holen. Neben dem Tempel
liegt ein schöner, geheiligter Teich, Vana Tirtha (Pfeilteich), der mit
Stufen zum Hinabsteigen versehen ist. Rama hatte hier Durst und
fand kein Wasser; als er nun einen Pfeil in die Erde schleuderte,
entstand an dieser Stelle der Weiher, der jetzt von schattigen Bäumen
und zierlichen Pagoden umgeben ist.
Die Thürme des Schweigens bilden den Leichenbestattungsort
der Parsen; sie liegen in einem grossen, duftenden Blumengarten auf
der höchsten Stelle des Hügels. Es sind dies fünf etwa 6 m hohe
kreisrunde Thürme ohne Dach, die innen eine trichterartige Plattform
und in ihrer Mitte einen Schacht besitzen. Die Plattform ist in drei
ringförmige Abtheilungen getheilt, welche radiale Ausnehmungen zur
Beisetzung der Leichen besitzen. Die äusserste Abtheilung ist für
die Leichen von Männern, die mittlere für jene von Frauen und die
innerste für jene von Kindern bestimmt. Wenige Stunden, nachdem
ein Leichnam ausgesetzt wird, ist derselbe von den zahlreichen Aas-
geiern schon bis auf die Knochen vollständig aufgezehrt; einige Tage
später werden die Knochen in den Schacht gebracht. Letzterer ist
durch einen Canal mit der See in Verbindung, andererseits aber von
[593]Bombay.
derselben durch einen eingeschalteten Filter von Sand und Holzkohle
getrennt, damit wohl das Regenwasser, aber kein Partikelchen der
Leichname das Meer erreichen könne. Seit Anlage des Villenviertels
auf Malabar Hill wurden seitens der Gemeindeverwaltung von Bombay
zahlreiche Versuche angestellt, die Parsen zur Verlegung ihres Be-
stattungsplatzes zu bewegen, doch konnte dies bis jetzt nicht erreicht
werden. Immerhin gab dies der englischen Regierung neuerdings
Gelegenheit, ihre grosse Toleranz in religiösen Angelegenheiten zu
Bombay. (Hafeneinfahrt.)
beweisen. Obschon man eine alte Wasserleitung, deren Reservoir
in der Nähe dieser Thürme liegt, aufgeben musste, weil das Wasser
des Reservoirs von den hier hausenden Aasgeiern verunreinigt wurde,
vermied es die Regierung dennoch, ihre Zuflucht zu Gewaltmassregeln
zu nehmen. Dadurch ist aber diese Wasserleitung, die vier Millionen
Gulden gekostet und vortreffliches Quellwasser in grosser Menge ge-
liefert hatte, vollständig nutzlos geworden.
Die Leichenverbrennungsstätten der Hindus befinden sich an der
Back Bay. Sie bestehen aus einem länglichen Hofe und mehreren
mit Bänken versehenen Warteräumen. In der Mitte des Hofes sind
gabelartige Eisenständer, auf welche das Holz um einen Leichnam
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 75
[594]Der indische Ocean.
so aufgeschichtet wird, dass derselbe ganz verdeckt ist. Der Holzstoss,
der bei Reichen aus kostbaren Hölzern besteht, wird ohne irgend
welche Ceremonien vom Sohn oder einem anderen männlichen An-
verwandten angezündet und die übrig bleibende Asche mit den
Knochenresten ein bis zwei Stunden nachher in das Meer geworfen,
was bei einigen Secten unter Entfaltung einer gewissen Feierlichkeit
geschieht.
Die langgestreckte östliche Landzunge trägt an ihrer südlichsten
Spitze das auf 18° 53′ nördlicher Breite und 72° 48′ östlicher Länge
gelegene Leuchthaus Brongs. Eine Seemeile von diesem liegt das
alte Leuchthaus, an welches sich der durch seinen regen Handels-
betrieb hervorstechende Stadttheil Kolaba und in diesem zunächst eine
Irrenanstalt, die Sternwarte und ein grosses Hospital anschliessen.
In Kolaba befinden sich auch zahlreiche Baumwollpressen, in denen
die Baumwolle zur Verschiffung bereitet wird, und der weltberühmte
Baumwollmarkt Bombays. Westlich von Kolaba befinden sich mehrere
Truppenbaracken und der Paradeplatz.
Der breiten Strasse nordwärts folgend, gelangt man zu der aus-
gedehnten Artilleriewerkstätte und zu mehreren Waarenhäusern, sodann
zum Anlegeplatz Apollo Bunder, der gleichzeitig einen abendlichen
Vergnügungsort bildet, wo häufig Musik spielt und sich die elegante
Welt ein Rendez-vous im Freien gibt. Der Name dieses Anlegeplatzes,
der officiell Wellington Pier heisst, ist keineswegs vom Sonnengotte
der alten Griechen abgeleitet; er ist eine Verballhornung des Wortes
„pallow“, das eine Fischgattung bezeichnet, oder vielleicht des Wortes
„polo“, das der mundartliche Ausdruck für „Pálwa“ (Kriegsschiff) ist.
Nördlich des Apollo Bunder liegen die Regierungsdocks und
das sogenannte Castle (Castell), das von der prächtigen Esplanade
eingerahmt wird. Die Regierungsdocks bilden mit den dazugehörigen
Werkstätten, unter die auch eine Maschinenfabrik zählt, ein voll-
ständiges Arsenal, das insbesondere zur Zeit des Holzschiffbaues
durch die ausgezeichnete Qualität der hier erbauten Schiffe zu einem
vortrefflichen Rufe gelangt war und damals auch mehrere Linienschiffe,
sowie andere grössere Kriegs- und Handelsschiffe geliefert hatte. Seit
Beginn der Eisentechnik im Schiffbaue hat dieses Etablissement den
Neubau von Schiffen aufgegeben und beschränkt sich jetzt nur mehr
auf Reparaturarbeiten und den Bau von Hafenfahrzeugen.
Das Castle ist mit der Esplanade der Sitz der meisten Behörden
und öffentlichen Institute. Am nördlichsten liegt das Telegraph Office,
das in modern gothischem Style erbaut ist und eine schöne, mit
[595]Der indische Ocean.
blauen Basaltsäulen geschmückte Façade besitzt; dann folgen, in
venezianisch-gothischem Style erbaut, das Post Office mit drei weiten
Hallen und das Public Works Office mit dem Eisenbahndepartement,
ferner der Justizpalast (Law Courts), welcher ein in englischer Früh-
gothik mit grosser Pracht errichteter Palast ist, der die Räumlich-
keiten mehrerer Gerichts- und Appellationshöfe enthält. Hieran reiht
sich die Universitätsbibliothek mit einem angebauten Thurme, dem
Raja Bai Tower, welcher das höchste Bauwerk Bombays ist und von
einem reichen Parsen (Premchand Raichand) errichtet worden ist,
um das Andenken seiner Mutter (Raja Bai) zu ehren. Auch der Re-
gierungspalast, The Secretariate genannt, ist in venetianisch-gothischem
Style erbaut; er ist mit weitläufigen Amts- und Wohnräumlichkeiten
ausgestattet. Das am südlichen Ende dieses Complexes monumentaler
Bauten liegende Gebäude ist das Sailor’s Home, eine Art Invaliden-
haus (Seemannshaus) für alte, erwerbsunfähige Seeleute. Der Grund-
stein dieses Hauses, zu dessen Bau der indische Fürst Khandé Rao
Gackwad 200.000 Rupien beigesteuert hat, wurde durch den Herzog
von Edinburgh gelegt. 20 Officiere und 58 Matrosen können eine
sorgenfreie Unterkunft finden in dem Hause, dessen Ausstattung aber
vielleicht zu luxuriös ausgefallen ist, denn aussen blaue Basalt-
façaden, reiche Verzierungen aus Porbandarstein und fast prunkvolle
Einrichtungen im Inneren des Gebäudes passen doch nicht ganz für
invalide Seeleute, die ein Leben voll Entbehrungen muthig und stand-
haft durchgekämpft haben.
Die beschriebenen Bauten sind von breiten Strassen durchkreuzt.
Ausgedehnte Plätze mit Statuen und Parkanlagen verleihen mit der
schönen Esplanade dem Castle das Gepräge eines schönen Stadt-
viertels, welches jeder europäischen Grossstadt zur Zierde gereichen
könnte. Auch die Esplanade ist ein Zusammenkunftsort der eleganten
Welt Bombays; der Gymkhana Club hat hier einen Platz für gym-
nastische und sportliche Uebungen (Skating Rink etc.). Den schön-
sten Schmuck der Esplanade bildet die Carraramarmorstatue der
Königin Victoria, ein Geschenk Khanderao’s, Guicowars von Baroda;
sie ist eines der hervorragendsten und besten Kunstwerke des be-
kannten Bildhauers Noble.
Zu den sehenswerthen Gebäuden gehören auch die Münze, die
Markthallen und das Stadthaus (Town Hall). Die jetzige Münze
stammt aus dem Jahre 1825, wurde 1864 ansehnlich erweitert und
ist von besonderer Leistungsfähigkeit. In derselben können täglich
durchschnittlich 300.000 Rupien geprägt werden; es wurden aber
75*
[596]Der indische Ocean.
auch schon bis zu 700.000 Rupien innerhalb 24 Stunden hergestellt.
Gold wird in Bombay nicht gemünzt. Die umfangreichen Markthallen
— Crawford Market — zeichnen sich durch ihre architektonische
Schönheit und durch musterhafte Reinlichkeit aus. Sie sind aus
Granit, Eisen und Glas erbaut, im Centrum steigt eine prachtvolle
Fontaine, ein Geschenk des Parsen Sir Kausji Jahângir Readymoney.
Der rechte Flügel der Markthallen ist für Blumen und Früchte, der
linke für Gemüse und Specereien bestimmt; nahe daran, doch ge-
trennt, befinden sich Fleisch-, Fisch- und Geflügelmarkt. Das Stadt-
haus stammt aus dem Jahre 1820 und besitzt mehrere Denkmale,
sowie historisch interessante Porträts.
Das jetzige Zollhaus ist das älteste Gebäude der Stadt. Zur
Zeit der portugiesischen Herrschaft war hier die Kaserne der Gar-
nison, die Ostindische Compagnie hatte das starke und widerstands-
fähige Haus zur Unterbringung ihrer Civilbeamten benützt.
Der ältere Theil der Stadt, das Eingeborenen-Viertel (Black
Town) liegt nordwestlich vom Castle und ist von diesem nur durch
die breite Esplanade getrennt. Diese Black Town hat noch ihr ur-
sprüngliches Aussehen: Platte Dächer, Gitterfenster, hölzerne Balkone,
schmale, niedrige Thüren und weit vorspringende Veranden. Ihre
Sehenswürdigkeiten bestehen aus den ausgestellten Waaren, die
speciell in den zahlreichen Bazaren manches Interessante aufweisen.
Man ist oftmals überrascht, selbst die Bewohner der ärmlichsten
Hütten mit schwierigen und in ihrer Art fast kunstvollen Arbeiten
beschäftigt zu sehen. Von solchen sind besonders schöne, aus
massivem Holze ornamental geschnitzte Möbel und feine Gewebe
hervorzuheben. Die Bevölkerung lebt hier ungemein zusammen-
gedrängt; auf eine Person kommen nur 6·5 m2, während beispiels-
weise im dichtestbevölkerten Theile von London 10·5 m2 auf jede
Person entfallen. Strassen von nicht ganz 2 m Breite sind hier nicht
selten.
Von der Black Town durch die Great Indian Peninsular Railway
getrennt, liegt auf einer in die See vorspringenden Spitze die Vor-
stadt Mazagon, wo sich grossartige Hafenbassins für die mächtigen
Oceandampfer befinden. Der überaus rege und lebhafte Personen-
und Waarenverkehr an dieser Stelle spiegelt hier das Leben einer
modernen Seehandelsstadt in den buntesten Farben.
Bombay besitzt anglikanische, römisch-katholische und arme-
nische Kirchen, eine Synagoge, zahlreiche Hindutempel und 89 Mo-
scheen, doch ist der Zutritt zu den beiden letztgenannten Gattungen
[[597]]
Bombay.
[598]Der indische Ocean.
von Gotteshäusern für Andersgläubige meist nur schwer zu erlangen.
Die erste Stelle unter den christlichen Kirchen nimmt die Kathedrale
St. Thomas ein, die im Castle gelegen ist. Im Jahre 1718 als Garni-
sonskirche erbaut, wurde sie 1833 zur Kathedrale erhoben, bei welcher
Gelegenheit auch ein hoher Glockenthurm zugebaut wurde. Der Bauplan
der Kathedrale ist ein sehr einfacher. Die Säulen sind annähernd in
toskanischem Style gehalten, das Dach ist gewölbt, der ganze Bau
aus wetterfestem Stein. Das Schiff dieser Kirche, die keine Galerie
besitzt, ist durch eine grosse Anzahl von beachtenswerthen Monu-
menten und Gedenktafeln geziert. Von diesen sind hervorzuheben:
Die Gedenktafel für den Gouverneur Duncan, der wegen seiner väter-
lichen Gesinnungen für die Eingeborenen allgemein hochverehrt war
und von 1795 bis 1811 an der Spitze der Regierung von Bombay
stand; die Gedenktafel für die Bemannung der Fregatte „Cleopatra“
der Ostindischen Compagnie, die am 15. April 1847 an der Küste
von Malabar zu Grunde ging; ferner die Tafel zum Andenken an den
Oberst Campbell, der mit 3000 Mann die Festung Mangalúr durch
einige Monate gegen Tippu Sahib heldenmüthig vertheidigte, ob-
schon letzterer über 100.000 Mann zur Belagerung aufgeboten hatte.
Endlich liegt in der Kathedrale auch ein Mann begraben, der
weniger durch seine Verdienste als infolge eines anderen Um-
standes in der Weltgeschichte eine Erinnerung gefunden hat, nämlich
der Admiral Sir Frederic Maitland, dem Napoleon I. an Bord des
„Bellerophon“ seinen Degen übergab. Die Kathedrale ist die Epi-
skopalkirche von Bombay, welches früher eine Dependenz des Bis-
thums von Calcutta war. Bombay ist auch Sitz eines römisch-katho-
lischen Bischofs.
Trotz des grossen Reichthums und der fast luxuriösen Lebens-
weise der besitzenden Classen Bombays gibt es hier wenig Vergnügungs-
orte und Zerstreuungen. Der bereits erwähnte Gymkhana-Club, dem
mehrere sportliche Vereine angehören, sorgt in erster Linie für kör-
perliche Uebungen, die in den Tropen höchst vortheilhaft für die
Gesundheit sind. Concerte in der Town Hall, zeitweise Vorstellungen
in einem der fünf Theater der Stadt, endlich ein (jährlich einmal
stattfindender) Ball des Gouverneurs und die Bälle des Byculla-Clubs
bilden so ziemlich das ganze Vergnügungsprogramm Bombays. Die
einzige, allerdings durch das ganze Jahr übliche Form geselliger Zu-
sammenkünfte, die nicht in das vorstehend skizzirte Programm ge-
hören, sind die beliebten Dinner Parties. Ausser dem Byculla- und
dem Gymkhana-Club, von denen sich der erstere durch seine Grösse,
[599]Bombay.
Eleganz und praktische Anlage besonders auszeichnet, bestehen noch
zahlreiche andere gut eingerichtete Clubs, die allen erdenklichen
Comfort bieten. Das Haus des Royal-Yacht-Club befindet sich in
reizender Lage am Meeresstrande.
Einer der schönsten Punkte Bombays ist der Victoria Garden,
der auch ein beliebter Erholungsort ist und mit einem Museum einen
botanischen und einen Thiergarten verbindet. Das Museum befand sich
ursprünglich im Fort, doch ist schon 1862 der Grundstein zum neuen
Hause gelegt worden, das 1871 beendet wurde und in der Mitte
seiner hübschen Front einen Glockenthurm trägt. Hier befindet sich
auch eine schöne Statue des verstorbenen Prince Consort Albert, ein
Meisterwerk des Bildhauers Noble. Der botanische Garten befindet
sich im westlichen Theile der Anlage, die von kleinen Seen und
zierlichen Brücken verschönert wird. Im östlichen Theile liegt ein
Thiergarten und eine Menagerie, die sehenswerthe Raubthiere und
Vögel enthält. Die Instandhaltung des Gartens kostet jährlich 10.000
Rupien. Der Glockenthurm des Museums verdankt gleich den meisten
übrigen Kunstwerken der Stadt einer Schenkung seine Entstehung.
Sir Albert Sassoon, der diesen Thurm erbauen liess, schenkte der Stadt
überdies zur Erinnerung an den Besuch des Prinzen von Wales eine
Reiterstatue desselben, die eine Viertelmillion Gulden gekostet hat.
Die Stadt wird ausser von Pferdebahnen auch von zwei Eisen-
bahnen durchzogen. Der Bahnhof der Bombay, Baroda and Central
India Railway liegt in Kolabah, Stationen gibt es weiter nördlich
in der Nähe des Watson Hotels (Church-gate Station), beim Byculah-
Club, und im Westen beim Malabar Hill (Grant Road Station). Die
Personenaufnahme der Great Indian Peninsular Railway geschieht im
Stationsgebäude beim Bori Bunder.
Oestlich vom Hafen liegen die Inseln Cross, Butchers Id. und
Elephanta. Letztere Insel, die von einer tropischen Vegetation dicht
überzogen ist, besitzt einen berühmten Tempel, der in den Basaltberg
eingehauen ist, ein Areal von etwa 160 m2 bedeckt und 5 m hoch
ist. Den schönsten Theil dieses unterirdischen Tempels, der reich
an fratzenhaften Darstellungen brahmanischer Götzenbilder ist, bildet
die Kolossalbüste der Trimurti, ein Kopf mit den Gesichtern von
Brahma, Wischnu und Siwa.
Von den (1891) 846.000 Einwohnern Bombays sind nur etwa
10.000 Europäer und 50.000 Parsen, alle anderen sind Indier und
Mischlinge. Letztere sind zumeist portugiesischen Ursprunges und
unter der Bezeichnung Goamen bekannt. Der Religion nach scheidet
[600]Der indische Ocean.
sich die Bevölkerung der Stadt in Hindus, welche sieben Zehntel der
Gesammtzahl umfassen, in Mohammedaner, Parsen, Juden und Christen.
Die Verschiedenheit der in Bombay vertretenen Rassen, Natio-
nalitäten und Confessionen ist geradezu ausserordentlich, wie das
schon aus den verschiedenartigen Trachten und Sitten hervorgeht,
die den Bazaren der Black Town ein fast kaleidoskopartiges Ge-
präge verleihen.
Unter den zahlreichen Hindustämmen sind die Banianen, Mar-
waris und Mahraten am häufigsten vertreten. Die Banianen sind von
altersher die geschicktesten und thätigsten Kaufleute Indiens. Yule
gibt in seinem Werke über Marco Polo’s Reisen eine in Surate land-
läufige, treffende Charakteristik dieses Stammes: Man braucht drei
Juden, um aus ihnen einen Chinesen zu machen, doch geben erst
drei Chinesen einen Banianen. Die Marwaris beschäftigen sich haupt-
sächlich mit Geldgeschäften im Kleinen und sind oft arge Wucherer.
Die Mahraten haben ihre kriegerischen Eigenschaften, die der briti-
schen Regierung oft schwere Stunden bereitet hatten, wenigstens in
Bombay heutzutage ganz abgestreift. Man findet sie häufig als
Rechtsanwälte und als Beamte in zahlreichen Aemtern; bei geringerem
Bildungsgrade sind sie häufig als Kutscher, Reitknechte u. s. f. be-
dienstet. Grundzug im Charakter aller Hindus ist eine gewisse Weich-
heit und Milde, die namentlich auch in dem Verkehre gegenüber der
Thierwelt zu Tage tritt.
In Bombay besteht auch ein Thierspital, das Pinjra Pol, das
fast gänzlich durch freiwillige Spenden der Banianen erhalten wird.
In diesem Thierspital, das besser ein Asyl für alte und kranke Thiere
zu nennen wäre, finden solche zwar keine thierärztliche Behandlung,
doch bis zu ihrem Eingehen ein Gnadenbrot. Die jährlichen Kosten
dieses Thierspitals belaufen sich auf 100.000 Rupien.
Ein interessanter und seiner Religion nach den Christen nahe-
stehender Stamm sind die Parsen, die in der Bevölkerung Bombays
eine angesehene und einflussreiche Stellung einnehmen. Die Re-
gierung säumte daher auch nicht, in richtiger Würdigung dieser
Thatsache, zu wiederholten Malen hervorragende Persönlichkeiten
dieser Gemeinde auszuzeichnen und ihnen z. B. auch den Rittertitel
zu verleihen. Ein grosser Theil des Handels von Bombay ist in den
Händen der Parsen; so zählt man beispielsweise in dieser Stadt über
50 grosse parsische Handlungshäuser, während die unteren Classen
nicht nur treffliche, sondern auch äusserst strebsame und rührige
Handwerker abgeben. Die eigenthümliche, Andersgläubigen geradezu
[601]Bombay.
pietätlos erscheinende Art ihrer Todtenbestattung wurde bereits bei
der Beschreibung des Malabar Hill erwähnt; zu bemerken ist dazu
noch, dass die Parsen, wenngleich in ihrem rein deistischen Cultus
das Feuer eine wichtige Rolle spielt, dennoch keine Feueranbeter
sind, wie oft, aber unrichtig behauptet wurde. In den letzten Jahren
wurden in Bombay Institutionen gegründet, um das geistige Niveau
des parsischen Priesterstandes zu heben, der insofern eine Kaste
bildet, als nur der Sohn eines Priesters wieder Priester werden kann,
doch keineswegs hiezu gezwungen ist. Bezeichnend ist auch, dass
nicht weniger als 32 wohlthätige Anstalten Bombays durch Parsen
— entweder von Einzelnen oder von Vereinigungen — ins Leben
gerufen worden sind.
Unter den der Mehrzahl nach schiitischen Mohammedanern
Bombays sind die hausierenden Bohras bemerkenswerth, die ungemein
geduldig, doch leidenschaftliche Spieler sind. Seit Bombay das
„Thor von Mekka“, nämlich der Antrittsort der Pilgerfahrten zum
Grabe des Propheten geworden ist, sammeln sich hier alljährlich im
Winter die verschiedensten mohammedanischen Stämme und Secten
Asiens.
Die Juden und die Mischlinge Bombays nehmen hier nur ganz
untergeordnete Stellungen ein; das einzige jüdische Grosshandlungs-
haus Sassoon gelangte zu Ansehen und Reichthum und dessen Chef
zum englischen Rittertitel.
Erfreulicherweise leben in Bombay alle Angehörigen der ver-
schiedenartigsten Religionen und Rassen ruhig und friedlich neben-
und durcheinander; die Erscheinung, dass bestimmte Stadtviertel aus-
schliesslich nur von einer oder der anderen Confession oder Natio-
nalität bewohnt werden, findet sich in Bombay nicht.
Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit der Lebensader Bombay’s,
dem Hafen zu. Der Hafen von Bombay besitzt alle jene Ressourcen,
die für die Schiffahrt nothwendig sind, in Hülle und Fülle; er ist
geräumig und im Allgemeinen von ausreichender Tiefe. Während der
Zeit des sommerlichen Südwestmonsuns ist das Laden und Löschen
im Hafen manchmal erschwert oder auch unmöglich, weshalb seitens
der Regierung eine Anzahl grösserer Bassins erbaut wurde, in welchen
die Schiffe vortrefflich gesichert liegen. Die Aufsicht über diese
Bassins ist dem Port Trust übergeben, einem Aufsichtscomité, das
theils aus Mitgliedern, die vom Gouverneur ernannt werden, theils
aus Vertretern der Handelskammern und des betheiligten Publicums
zusammengesetzt ist.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 76
[602]Der indische Ocean.
Ausser den Regierungsdocks besitzt Bombay noch mehrere
Privatdocks, wie z. B. das Sassoon- und das Elphistone-Dock, die
Docks der Peninsular and Oriental Steam-Line etc.
Jedes Jahr bringt neue Bauten, Vergrösserungen und Verbesse-
rungen, weil Bombay schon eine im rapiden Aufschwunge begriffene
Seestadt ist. Wie schon angedeutet, begann ihre gute Zeit mit der
Eröffnung des Suezcanals und mit dem Bau der indischen Bahnen,
welche heute bereits auf 25.000 km sich erstrecken. Von Bombay ist
heute Europa in 16, von Calcutta aber in 24 Tagen zu erreichen,
während früher bei der Fahrt um Afrika die Reisedauer für beide
Städte ziemlich gleich war.
Bombay ist der Centralpunkt des Handels von Vorderindien,
dessen Lage in commercieller Beziehung viel günstiger ist, als die
eines anderen indischen Hafens, weil er die erste grosse Etape zum
Suez-Canal bildet. Durch seine Landverbindungen war Bombay schon
in alter Zeit im Stande, einen grossen Theil des hindostanischen
Handelsverkehres an sich zu ziehen und auch die Umschiffung der
Halbinsel zu ersparen.
Durch den Bau von Eisenbahnen, deren erste Theilstrecke
Bombay-Tannah am 18. April 1853 eröffnet wurde und die natur-
gemäss nach dem bereits vorhandenen Handelscentrum Bombay
gravitirten, wurden die Handelsbeziehungen Bombays mit dem Innern
der Halbinsel riesig ausgedehnt. Man bedenke, dass in der Zeit vor
den Eisenbahnen der Reisende, welcher in das Innere des Dekhans
wollte, auf einem Schiffe zunächst in vier bis sechs Stunden über
die prachtvolle Bai setzen musste, welche den Hafen von Bombay
bildet. Heute fährt er auf Garen, einem kleinen Karren, von seinem
Hôtel zur Boree Bunder Station der Great Indian Peninsula Railway,
besteigt um 6 Uhr 30 Minuten Abends, Madraser Zeit, nach der die
Fahrpläne indischer Bahnen eingerichtet sind, den Mailtrain und
kommt in 1 Stunde 50 Minuten in Kalian am Fusse der Ghats an,
die sich hinter der 30—60 km breiten Küstenebene steil erheben.
Von dort geht es über den 580 m hohen Tal Ghat weiter nach
Calcutta, das mit dem Schnellzuge in 45 Stunden erreicht wird.
Ein zweiter Arm der Great Indian Peninsula Railway geht über
den 550 m hohen Bhone Ghat nach Puna und von dort weiter nach
Madras.
Die Bombay, Baroda and Central India Railway führt längs
der Küste nach Norden. Durch diese drei Hauptbahnen sind fast alle
Eisenbahnen Indiens, welche östlich von der Wüste Huar liegen,
[603]Bombay.
ausgenommen die Linien des näheren Handelsgebietes von Calcutta,
den Interessen Bombays dienstbar. Zahlreiche, zum Theile schmal-
spurige Nebenlinien führen den Hauptlinien die Waaren zu, welche
über Bombay meist auf Dampfern nach dem Suez-Canal ausgeführt
werden, weil im arabischen Meere die Navigationsverhältnisse für die
Segelschiffe sehr ungünstig sind. Infolge der zahlreichen Verbindungen
sind die Frachten ab Bombay billiger, als von einem anderen Hafen
Indiens aus. Dadurch ist Bombay nicht mehr blos der nächste Aus-
fuhrhafen für das westliche Dekhan, sondern auch für Baumwolle
und andere Producte des Pendschab, der Nordwestprovinzen; selbst
für Audh stellt sich die Fracht ab Bombay billiger als ab Calcutta.
Der Antheil von Bombay als dem bedeutendsten Handelshafen Ostindiens an
dem gesammten ostindischen Handelsverkehre betrug mit Einschluss der Edelmetalle
1890 46·8 %. Der Werth des Seehandels dieses Hafens ohne die Transactionen
der Regierung erreichte im Jahre 1890 1014,927.049 Rup., 1889 976,787.666 Rup.,
1888 910,417.831 Rup.; die Zunahme beträgt daher in drei Jahren 11·5 %. Diese
Ziffern umfassen aber auch den Verkehr mit anderen indischen Häfen oder den
Küstenhandel.
Der Werth des auswärtigen Handels der Privaten allein beziffert sich für
das Jahr 1890 auf 831,866.426 Rup., 1889 auf 788,559.519 Rup., gegen 1888 auf
729,522.797 Rup. Mit Inbegriff der für Rechnung der Regierung gemachten Trans-
actionen hat der gesammte auswärtige Handelsverkehr Bombays 1890 die Summe
von 838,648.988 Rup., 1889 von 796,849.290 Rup. erreicht. Die folgende Tabelle
gibt eine Uebersicht des auswärtigen Handels von Bombay in den Jahren 1890
und 1889 in Rup.
Einfuhr.
[604]Der indische Ocean.
Im Hafen Bombay ist fast der ganze auswärtige Seeverkehr der Provinz
Bombay concentrirt.
Bei der Betrachtung des Waarenhandels Bombays, soweit er durch
Private vermittelt wird, stellen wir die Ausfuhr als den wichtigeren Theil voran.
In dieser stehen die Erzeugnisse der Industrie hinter den Natur- und Bodenpro-
ducten wesentlich zurück, weil Indien ein Ackerbau treibendes Land ist.
An der Spitze der Industrieerzeugnisse stehen Baumwollgarne. Die Zu-
nahme in dem Exporte dieses Artikels lässt auf eine rasch aufstrebende Ent-
wicklung des einschlägigen Industriezweiges schliessen. Im Jahre 1889 wurden
622.780 q Garne ausgeführt und schon im folgenden Jahre bezifferte sich die
Ausfuhr auf 660.148 q (Werth 53·7 Mill. Rup.). Thatsächlich besitzt Bombay
vier Fünftel aller in Ostindien bestehenden Baumwollspinnereien und führte 95 %
der ganzen indischen Ausfuhr an Garnen und 64 % der Gewebe aus.
Der Export anderer Baumwollwaaren bezifferte sich 1890 auf 5·6 Mill.
Rupien.
Erwähnenswerth ist ferner noch der Export von Schafwollwaaren, deren
Werth sich 1890 auf 0·3 Mill. Rupien belief.
Die Hauptbestimmungsländer für indische Garne sind China, Japan, Aden,
Singapore, Java, Persien; Strickgarne gehen an die Ostküste Afrikas, nach Aden,
Ceylon, Abessynien, Singapore, China, Arabien und Persien. Die grösste Zunahme
in dem Bezug der Garne weist China auf, welches mit der Zeit das Haupt-
absatzgebiet werden dürfte.
In der stattlichen Reihe der Naturproducte, welche über Bombay zur Aus-
fuhr gelangen, zeigt sich die Bedeutung dieses Hafens.
An der Spitze der über Bombay zur Ausfuhr gelangenden Rohproducte
steht rohe Baumwolle. Im Jahre 1890 exportirte Bombay von dieser 2,409.510 q
im Werthe von 145·6 Mill. Rup., 1889 1,964.778 q.
Um zu ermessen, welch hervorragenden Antheil Bombay an dem Exporte
dieses wichtigen Artikels nimmt, veranschaulichen wir in nachstehenden Ziffern
die Ausfuhr von roher Baumwolle aus ganz Indien. Im Jahre 1889 exportirten
Calcutta 375.214, Bombay 4,198.262, Sindh 130.749, Madras 595.556, Birmah
32.123 Cwts., zusammen 5,331.904 Cwts. Es entfielen sonach auf Bombay allein
nahezu 80 %. Von der Gesammtausfuhrmenge des Jahres 1889 (5,331.904 Cwts.)
gingen nach
- Grossbritannien ... 1,776.694 Cwts.
- Belgien ....... 872.904 „
- Italien ....... 780.819 „
- Oesterreich-Ungarn. 755.120 „
- Frankreich ..... 548.749 „
- Deutschland. .... 190.585 Cwts.
- Russland ....... 150.585 „
- China ........ 139.318 „
- andere Länder ... 117.130 „
Der Baumwolle zunächst steht die Ausfuhr von Getreide und Hülsen-
früchten, 1890 mit 3,403.088 q (Werth 30·8 Mill. Rup.), 1889 mit 3,563.798 q
(52·5 Mill. Rup.). Die bedeutendsten Abnehmer für indischen Weizen sind Gross-
britannien, welches 1889 für 32·3 Mill. Rup. aufnahm, ferner Belgien, Frankreich
und Aegypten.
Die nächste Stelle in der Ausfuhr der Präsidentschaft Bombay nehmen
gewöhnlich Oelsaaten und -Samen ein, doch standen sie 1890 unter den
Rohproducten dem Werthe nach an der zweiten Stelle. In diesem Producte riva-
lisirt Bombay mit Calcutta.
[[605]]
A Mahalukshmi-Tempel. B Walkeschwar Tempel, C Sumpf, D Bahnhöfe, E Princes Dock, F Leucht-
feuer, G Eisenbahn, H Great India Peninsula Railway, J Irrenhaus, K Baraken, L Friedhof, M Münze,
N Esplanade, O Castell, Zeitsignalstation, P Artillerie Werkstätte, Q Waarenhäuser, R Sternwarte,
S Spital, T Arsenal und Docks, U Pulvermagazin, V Ankerplatz.
[606]Der indische Ocean.
Der stärkste Ausfuhrartikel dieses Zweiges ist Leinsamen, für welchen
England mit 60 % den grössten Abnehmer bildet, dann kommen Frankreich, die
Vereinigten Staaten, die Niederlande und Belgien. Raps geht vorzugsweise nach
Frankreich und Belgien.
Die aus Bombay verschifften Mengen verschienener Oelsaaten beliefen sich
1890 auf 3,446.156 q (Werth 48·6 Mill. Rup.), 1889 auf 3,563.787 q (Werth
46.5 Mill. Rup.), 1888 auf 3,375.162 q.
Die Ausfuhr von Reis, in welcher Birma die Führung besitzt, spielt für
Bombay nur eine geringe Rolle und beschränkte sich auf circa 3 Millionen Meter-
centner.
Opium bildet gleichfalls einen bedeutenden Ausfuhrsartikel, dessen Menge
1890 mit 18.237 q im Werthe von 37·4 Mill. Rup. angegeben erscheint.
Die Ausfuhrmengen und -Werthe anderer wichtiger Bodenproducte werden
in nachstehender Tabelle zusammengefasst. Es gelangten aus der Präsidentschaft
Bombay zur Ausfuhr:
An thierischen Producten ist die Ausfuhr Bombays weniger bedeutend, weil
die Bevölkerung Indiens sich überwiegend zur brahmanischen Religion bekennt
und diese den Genuss von Fleisch verbietet.
Den stärksten Exportartikel bildet in dieser Gruppe rohe Schafwolle,
wovon im Jahre 1890 87.167 q (Werth 8·2 Mill. Rup.), 1889 93.397 q ausgeführt
wurden.
Bemerkenswerth ist ferner der Export in Häuten und Fellen, deren
Werth 1890 auf 6·2, 1889 auf 3·5 Mill. Rup. veranschlagt wird.
Heben wir noch den Export von Elfenbein mit 1093 q (Werth 1·3 Mill.
Rup.), 1889 mit 1969 q hervor, so haben wir die Liste der bedeutenderen Export-
artikel Bombays erschöpft.
Die wichtigsten der zur Einfuhr gelangten Waaren sind die Erzeugnisse
der Textilindustrie, unter denen baumwollene Stückgüter 1890 mit 30·5 %
des Werthes der gesammten Waareneinfuhr von Bombay den ersten Platz in der
Importliste behaupten. Es wurden eingeführt:
Kleidungsstücke und Zubehör wurden 1890 für 3,398.968 Rup., 1889
für 3,346.523 Rup, Schuhwaaren 1890 für 430.078 Rup. eingeführt.
In allen diesen Waaren, ausgenommen Seidenwaaren, beherrscht England
den Markt von Bombay. Neben England sind zu nennen für Baumwollwaaren
Italien und Oesterreich-Ungarn, für Schafwollwaaren Deutschland, Oesterreich-
Ungarn, Belgien und Frankreich, für Kleidungsstücke Oesterreich-Ungarn, Frank-
[607]Bombay.
reich und Deutschland; Seidenwaaren kommen aus Europa von Italien, England
und Oesterreich-Ungarn, neun Zehntel der Gesammteinfuhr aber aus China.
Den Textilwaaren zunächst steht dem Werthe nach die Gruppe der
Metalle und Metallwaaren, wobei bemerkt werden muss, dass Bombay bei
Weitem das Meiste unter allen indischen Häfen aufnimmt, weil es der wich-
tigste Ausgangs- und Endpunkt des indischen Eisenbahnnetzes ist. Es erreichte
die Einfuhr der Präsidentschaft Bombay:
Letztere sind zumeist für die neu entstehenden Fabriken bestimmt und lassen
auf die stete Zunahme einer Industrie nach europäischem Muster schliessen. Aus
der Gruppe der Metallwaaren sind im Besonderen hervorzuheben Stahl- und
Messerschmiedwaaren, an deren Einfuhr neben England noch Oesterreich-Ungarn,
Belgien und Deutschland betheiligt waren.
Von Industrieartikeln werden ferner in Bombay eingeführt: Glas und
Glaswaaren (Werth 1890 1,367.384 Rup.) aus England, Belgien und Oesterreich-
Ungarn, Glasperlen (1890 972.269 Rup.) aus Frankreich, Italien und Oesterreich-
Ungarn, Porzellan und Steingutwaaren, Uhren, Musikinstrumente, Möbel,
Papier (Werth 1890 2,111.287 Rup.) aus England und Oesterreich-Ungarn, Leder,
Kerzen und Seife, Lacke, Anilin- und Alizarinfarben (Werth 1890
2,986.874 Rup.), Droguen, Arzneiwaaren und Chemikalien, endlich auch Elfenbein
und Elfenbeinwaaren.
Für alle folgenden Artikel beziehen sich die Angaben auf die Präsident-
schaft Bombay.
In der Gruppe der Nahrungs- und Genussmittel erscheint Zucker 1890
mit einer Einfuhr von 576.640 q (Werth 15·1 Mill. Rup.), 1889 mit 531.769 q.
Für Zucker ist Bombay der Haupteinfuhrhafen Indiens; ein grosser Theil der
Einfuhr, die aus Mauritius, China und den Straits Settlements stammt, wird
wieder ausgeführt.
Der Importwerth der verschiedenartigen Lebensmittel belief sich
1890 auf 6·6 Mill. Rup., der von Wein, Bier und Spirituosen auf 3·7 Mill.
Rup., von welcher Summe die Hälfte auf Sprit entfällt.
Oele, darunter viel Petroleum, importirte 1890 die Präsidentschaft Bom-
bay für den ansehnlichen Betrag von 7·2 Mill. Rup., 1889 für 6 Mill. Rup.
Von Thee wurden 1890 24.502 q (Werth 3·5 Mill. Rup,), 1889 21.524 q aus
China und Ceylon eingeführt.
Bei der Einfuhr sind noch hervorzuheben rohe Seide 1890 für 8·2, 1889
für 7·2 Mill. Rup., und rohe Baumwolle aus Persien 1890 57.625 q (Werth
2·7 Mill. Rup.), 1889 32.900 q.
Einen sowohl der Menge als dem Werthe nach wichtigen Factor in der
Einfuhr Bombays, mit dem wir die Importliste schliessen, bildet Kohle. Die
Einfuhr derselben erreichte 1888 5,682.740 q, 1889 6,427.620 q, 1890 4,561.560 q
im Werthe von 9·5 Mill. Rup.
[608]Der indische Ocean.
Ueber den Privatwaarenverkehr Bombays 1890 mit den verschiedenen Her-
kunfts-, bezw. Bestimmungsländern nach seinem Werthe in Rupien gibt die nach-
stehende Tabelle Auskunft.
In der Einfuhr ist, wie aus dieser Aufstellung hervorgeht, die Vorherrschaft
Englands eine unbestrittene, es ist an derselben 1890 mit ca. 67 % betheiligt. In
der Ausfuhr steht es allerdings mit seinem Antheile, einem Fünftel, als grösster
Abnehmer indischer Producte an der Spitze, doch ist sein Uebergewicht über die
anderen Länder nicht mehr so gewaltig wie bei der Einfuhr.
Der Waarenhandel von Britisch-Indien ist in einem hohen Grade activ; im
Jahre 1890 stand einer Ausfuhr indischer Producte im Werthe von 991,001.000 Rup.
eine reine Einfuhr von nur 622.643.000 Rup. gegenüber. Den Ueberschuss des
Werthes der indischen Ausfuhr müssen die Empfänger mit Edelmetallen (ins-
besondere mit Silber) decken, die zum grössten Theile über Bombay nach Indien
gelangen.
Die stärkste Einfuhr von Edelmetallen kommt naturgemäss aus England
(1890 115,578.353 Rup.), dann aus China (16,884.024 Rup.), Australien (7,026.938 Rup.),
[609]Bombay.
Arabien (5,475.221 Rup.), Frankreich (3,176.521 Rup.), der asiatischen Türkei, Per-
sien, Deutschland, den Vereinigten Staaten, Aegypten, Aden, Oesterreich-Ungarn
und Ostafrika.
Edelmetalle werden ausgeführt nach England (4,443.023 Rup.), Ceylon,
Mauritius, Arabien und den Straits Settlements.
Bombay besitzt eine bedeutende und stetig wachsende Industrie. An
erster Stelle steht die hochentwickelte Baumwollindustrie, welche der englischen
bereits jetzt eine starke Concurrenz bereitet und in China und Japan immer
grössere Absatzgebiete erwirbt. Der grosse Vortheil, den die indische Baumwoll-
industrie vor England voraus hat, ist namentlich der Umstand, dass das Roh-
material so zu sagen vor der Thüre der Fabrik wächst und so nicht nur die Fracht
für den Rohstoff erspart wird, sondern dass auch das Fabricat viel billiger an den
Absatzort geliefert werden kann, weil der Weg von Bombay nach Ostasien nicht
halb so weit ist, wie der von England. Ausserdem kommen noch die un-
glaublich billigen Arbeitslöhne der indischen Fabriksarbeiter und Werkführer in
Betracht (dieselben beziehen in Indien zwischen 5—30, in England 90—150 Rup.
monatlich). Der rapide Aufschwung der indischen Baumwollindustrie, getragen
von englischem Golde, macht es begreiflich, dass die Entwicklung der Ereignisse
von Seite der englischen Fabrikanten mit einiger Besorgniss betrachtet wird.
Der Absatz der Baumwollgewebe Bombays macht auch in Arabien und Ostafrika
rasche Fortschritte. Der Verein der Baumwollindustriellen unterhält in Aden
eine ständige Agentur, welche diesen Handel vermittelt. Die Baumwollfabriken in
Bombay zahlten in den letzten Jahren Dividenden von 10 und 14 %.
Nachstehende Tabelle gibt ein übersichtliches Bild über die Thätigkeit der
Baumwollfabriken und den Fortschritt der indischen Baumwollindustrie seit dem
Jahre 1877.
Von den 114 Baumwollfabriken, welche 1890 in Indien bestanden, waren
82 in der Präsidentschaft Bombay und 60 von diesen in der Hauptstadt derselben.
Bombay ist ferner der Hauptsitz der indischen Mühlenindustrie. Die Mehlaus-
fuhr macht auch ungeahnte Fortschritte und richtet sich nach Aegypten, Aden,
Arabien, Persien, Ceylon, Singapore, Sansibar, Natal, ja sogar nach Italien und
der Türkei. Sie stieg in den Jahren 1883—1887 von 34.080 q auf 1,787.209 q.
Von 8 Papierfabriken, die (1890) in Indien bestehen, sind 4 in der Präsident-
schaft Bombay.
Der Schiffbau wird in Bombay in ausgedehnter Weise betrieben und auf
diesem Gebiete Vorzügliches geleistet. Zum Docken und Ausbessern der Schiffe
bestehen in Bombay 5 Docks, darunter 2 Trockendocks, und ein hydraulisches
Slipdock bei Hog Island, 5 Meilen von Bombay.
Ein anderer grosser Industriezweig, der aber nicht fabriksmässig betrieben
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 77
[610]Der indische Ocean.
wird, ist die indische Kunstindustrie in allen ihren Branchen, namentlich in Mosaïk,
Holzschnitzereien, Messingwaaren, Teppichen, Brocaten u. s. w.
Der Schiffsverkehr von Bombay umfasste:
An dem Verkehre mit dem Auslande war 1889/90 die englische Flagge mit
934 Schiffen und 1,638.386 Reg.-T. oder 80 % der ganzen Tonnenzahl, Oesterreich-
Ungarn mit 75 Schiffen und 160.362 Reg.-T. (fast 8 %) betheiligt; diesem folgen
Italien, Arabien (meist mit Segelschiffen), das Deutsche Reich und Frankreich.
Die Küstenschiffahrt besorgen britische Schiffe neben den Schiffen der Ein-
geborenen. Diese kaufen auch alte Dampfschiffe, stellen die Besatzung derselben
bis auf den Capitän und einen Officier aus Eingeborenen zusammen und vermitteln
den Verkehr sehr billig.
Die Dampfer der Peninsular and Oriental Steam Navig. Cy. verbinden
London über Brindisi und Aden wöchentlich mit Bombay. Ueber Bombay gehen
ferner die in vierzehntägigen Zwischenräumen nach China und Japan abgefer-
tigten Postdampfer dieser Gesellschaft. Von Liperpool gehen aus: Hall Line, City
Line, McIver Line, von Glasgow und Liverpool: Anchor Line, Clan Line, von Hull:
Wilson Line; der Oesterreich-Ungarische Lloyd veranstaltet jeden Monat eine
Fahrt von Triest über Aden nach Bombay und ausserdem jeden zweiten Monat
eine, auf welcher die Häfen des Rothen Meeres Djedda, Suaki, Massaua, Hodeida
und Aden angelaufen werden; auch unterhält er eine monatliche Verbindung mit
Singapore und Hongkong. Die Messageries maritimes (Marseille) unterhalten
in Verbindung mit ihren australischen und ostafrikanischen Linien einmal im Mo-
nate die Zweiglinie Aden—Kurrachee—Bombay. Die Dampfer der Navigazione
Generale Italiana gehen jede dritte Woche von Genua nach Bombay und von dort
einmal im Monate nach Singapore und Hongkong. Endlich unterhält die Hansa
aus Bremen einen monatlichen Verkehr zwischen Bombay und Hamburg oder
Bremen über Antwerpen.
Hauptsächlich den Verkehr mit den Häfen des Persischen Meerbusens und
Ostafrika vermitteln: 1. Die British India Steam Navigation Cy., welche ihre
Schiffe von London nach Bedarf nach Bombay verkehren lässt und von dort aus
folgende Zweiglinien unterhält: Zweimal wöchentlich zwischen Bombay und Kurra-
chee nach Calcutta, wöchentlich über Kurrachee, Mascat, Bender Abbas, Linga und
Bushir nach Bassorah. Ueberdies besorgt diese Gesellschaft die Verbindung mit
Mauritius, Mozambique und Sansibar; 2. Bombay and Persian Golf Steam Navigation
Cy.; 3. H. H. the Sultan of Sansibar’s Line of Steamers zwischen Bombay und
Sansibar; 4. die Asiatic Steam Navigation Cy. geht nach Häfen an der Ostküste
und die Bombay Steam Navigation Cy. nach denen an der Westküste Vorderindiens.
Ueber den umfangreichen Passagierverkehr fehlen vollständige stati-
stische Nachweisungen. Es reisten von Bombay ab 1889/90 22.327 Europäer (von
[611]Bombay.
diesen 6430 nach Europa) und 329.192 Eingeborne, 1888/89 19.468 Europäer und
311.136 Eingeborne. In Bombay kamen 1889 von ausserindischen Häfen mit
Dampfern an 41.648 Passagiere, davon 15.568 Mann Truppen, 10,355 Mekkapilger
und der Rest, 15.725, waren hauptsächlich Passagiere von europäischen Häfen.
Den Reiseverkehr mit Europa vermitteln der Hauptsache nach die Penin-
sular and Oriental-Postdampfer.
Bombay steht durch drei Kabel der Eastern Telegraph Cy. über Aden,
ferner durch Landlinien und die Kabel der Telegraphenverwaltung von Britisch-
Indien im Persischen Meerbusen über Persien und die Türkei mit Europa in tele-
graphischer Verbindung; den Anschluss an die Kabel nach Ostasien und
Australien vermittelt die Landlinie Bombay—Madras.
Bombay ist Sitz einer Handelskammer.
Die Bankinstitute des Platzes sind: Bank of Bengal, Chartered Bank
of India, Australia and China, Chartered Mercantile Bank of India, London and
China, Hongkong and Shanghai Banking Corporation, Bank of Bombay, Agra
Bank, National Bank of India, New Oriental Bank Corporation, Land Mortgage
Bank of India.
Ausser diesen gibt es auf diesem Platze europäische und einheimische
Bankers. Der directe Gewinn am indischen Geschäfte steht aber dermalen fats
im umgekehrten Verhältniss zum Aufschwung des letzteren. Die Riesenconcurrenz,
welche auf allen Gebieten des Handels und der Seeschiffahrt in den indischen
Plätzen entstanden ist, hat die Geschäfte verhundertfacht, aber den Reingewinn
im Vergleiche zur Zeit der Compagnie, wo 100 % ein bescheidener Gewinn waren,
auf ein Niveau herabgedrückt, welches viel mehr an Europa als an die Länder
der Nabobs erinnert.
In Bombay unterhalten Consulate: Belgien (G.-C.), Chile, Dänemark,
Deutsches Reich, Frankreich, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn (G.-C.), Per-
sien (G.-C), Portugal, Schweden und Norwegen, Siam, Vereinigte Staaten von
Amerika.
Von den drei Häfen Calicut, wo Vasco de Gama 1498 ge-
landet, Goa, dem Vororte der portugiesischen Herrschaft in Indien,
und Surate, die im Laufe der Neuzeit an der Westküste von Dekkan
nach einander dieselbe Stellung eingenommen haben, welche heute
Bombay besitzt, erfreuen sich Calicut und Goa eines mässigen Auf-
schwunges, seit sie durch englische Unternehmungen an das Eisen-
bahnnetz Indiens angeschlossen wurden; zu Rivalen Bombays aber
werden sie nie mehr erwachsen. Dieses beobachtet mit Besorgniss
nur die Entwicklung von Kurrachee an der Mündung des Indus.
Kurrachee (Karachee) liegt 20 km im Westen des Indus-
deltas. Die im modern englischen Style erbaute Stadt zählt bei
80.000 Einwohner.
Ihr Hafen gehört unter die drei Ankerplätze an der Westküste
Vorderindiens, welche auch grossen Schiffen bei dem Südwestmonsun
77*
[612]Der indische Ocean.
Schutz bieten. Er ist der Hauptsache nach ein Stauwasser und hat
bei der Fluth eine Oberfläche von 21 km2, doch ist selbst bei Hoch-
wasser ein Theil des Hafens nicht frei zugänglich. Das Hochwasser
steigt von 2·2 m einer gewöhnlichen bis 3·6 m einer aussergewöhn-
lichen (Spring-) Fluth. Der Hafen hat zwei Zufahrten; die zwischen
dem Festlande und der Ostspitze der Insel Keemaree heisst China
Creek, die andere, welche die Schiffe gewöhnlich benützen, ist
zwischen dem Westende von Keemaree und Munosa Point.
Als Hafen des Sind und des Pendjab, als Endpunkt der North-
Western Railway, der längsten und der wichtigsten strategischen
Eisenbahn Britisch-Indiens, hat Kurrachee in den letzten Jahren einen
beachtenswerthen Aufschwung genommen.
Eine Verbindung der Linie der North-Western Railway am
unteren Indus nach Osten an das System der Rajputana-Malwa
Railway müsste Kurrachee in den nordwestlichen Provinzen zu einem
gefährlichen Concurrenten Bombays machen. Erwägungen militärischer
Natur werden trotz des Widerstrebens von Bombay die Ausführung
der genannten Eisenbahn doch zuwege bringen. Dann erst wird
Kurrachee von dem Umstande Nutzen ziehen können, dass es Europa
um 80 Seemeilen näher liegt als Bombay.
Der Gesammthandel von Kurrachee erreichte 1889/90 einen Werth von
122·3 Millionen Rupien, 1888/89 von 111·8 Millionen Rupien. Der Werth des aus-
wärtigen Handels allein ohne Einrechnung der Regierungstransactionen wird für
1890 mit 84,057.000 Rup. angegeben.
Die Hauptartikel der Ausfuhr sind Weizen, Oelsaaten, ferner Wolle, Baum-
wolle, Felle.
In der Einfuhr sind unter Industrieartikeln seit Jahren Eisenbahnmaterialien
von besonderer Bedeutung.
Kurrachee hat folgende regelmässige Dampfschiffsverbindungen: Die British
India Steam Navigation Cy. unterhält eine monatliche Verbindung zwischen London
und Bombay über Kurrachee. Bei der immer mehr zunehmenden Bedeutung von
Kurrachee wird geplant, letzteren Hafen zum Endpunkte der Linie zu machen und
die für Bombay bestimmten Güter in Kurrachee auf die Küstendampfer der Gesell-
schaft umzuladen. Hall Line vierwöchentlich zwischen Liverpool und Kurrachee;
Messageries maritimes, Zweiglinie Aden—Kurrachee—Bombay, in Verbindung mit
den heimreisenden australischen und den ausreisenden ostafrikanischen Dampfern
der Gesellschaft; Dampfer der British India Steam Navigation Cy. laufen von
Bombay alle acht Tage nach Kurrachee und wöchentlich einmal über Kurrachee
nach dem persischen Golfe.
Kurrachee ist Sitz einer Handelskammer. Von Banken sind zu nennen:
Agra Bank, National Bank of Scotland, Bank of Bombay, National Bank of India,
National Provincial Bank of England.
In Kurrachee unterhalten Consulate: Belgien, Deutsches Reich, Frankreich,
Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Persien, Türkei, Vereinigte Staaten von Amerika.
[[613]]
Häfen des persischen Golfes.
Aus dem indischen Ocean dringt durch die Strasse von Ormus
(Hormus) vom Golf von Oman aus ein tiefeinschneidender Meerbusen
zwischen Persien und Arabien in den asiatischen Continent ein. Es ist
dies der persische Golf, den die Alten „Sinus Persicus“ nannten und
welcher einen Flächenraum von 240.000 km2 einnimmt, wovon über
4000 km2 auf die Inseln im Golfe entfallen. Die bedeutendsten dieser
Inseln sind: Ormus, bekannt durch ihre Eroberung durch Schah
Abbas den Grossen, Kischm (Kasm), Bubian (Jezírat Bubiyán),
schliesslich die Inseln Bahrein (Bahrain, Awál) mit reicher Perlen-
fischerei.
Während die Küsten der arabischen Seite meist flach und
sandig, sowie von Klippen und Untiefen eingesäumt sind, erheben
sich an der persischen Küste hohe Berge, manchmal ganz ohne
Küstensaum, begleitet von reinem Fahrwasser. Aus den Gebietstheilen
Persiens ergiessen sich nur kleine und unbedeutende Wasserarme in
den Golf; aus der Türkei kommt der mächtige Schatt el Arab. Das
Seewasser hat besonders im nördlichen Theile des Golfes mehr
Salzgehalt, als im indischen Ocean. Die Schiffahrt ist an der per-
sischen Küste im Allgemeinen leicht und sicher, regelmässige Strö-
mungen begünstigen dieselbe; an der arabischen Küste pflegen Schiffe
(allerdings auch wegen gänzlichen Mangels an Leuchtthürmen) Nachts
zu ankern, so unsicher ist die Schiffahrt daselbst.
England ist im Golfe die leitende Macht, die auch die See-
polizei ausübt und zu diesem Behufe beständig eine kleine Flotten-
abtheilung von vier bis fünf Fahrzeugen daselbst hält.
Die bedeutendsten Häfen des Golfes sind Basrah und Buschir,
minder wichtig sind Lingeh und Bender Abbas.
[614]Der indische Ocean.
Basrah.
Im asiatisch-türkischen Vilajet Bagdad liegt auf angeschwemm-
tem Terrain nahe am rechten Ufer des von den Flüssen Euphrat und
Tigris gebildeten Schatt el Arab, ungefähr 60 Seemeilen von seiner
Mündung entfernt, die Stadt Basrah (Al Basra) oder Bassorah, das
Balsorah der Geschichte.
Im Jahre 636 n. Chr. gründete der Kalif Omar die Stadt Balsorah, um
den Persern den Weg, der über den persischen Golf nach Indien führt, zu ver-
legen. In den nächsten Jahrhunderten wurde Balsorah das „Athen des Orients“,
in welchem Wettkämpfe aller Arten stattfanden, die von Dichtern jener Zeit mit
Vorliebe besungen wurden. In Aladin’s Wunderlampe und den Erlebnissen
Sindbad’s des Seefahrers oftmals genannt, nimmt Balsorah in den berühmten
Mährchen „Tausend und Eine Nacht“ nach Bagdad die erste Stelle ein.
Emir Raschid, der arabische Fürst von Balsorah, überlieferte im Jahre 1538
die Schlüssel der Stadt an Sultan Soliman, der ihn mit dieser belehnte.
In späterer Folge gerieth Basrah wiederholt in die Hände der Perser, so
zum letzten Male im Jahre 1777; von den Arabern wurde es 1787 nach dreizehn-
monatlicher Belagerung erobert, aber immer wieder gelang es den Türken, die
Stadt zurückzugewinnen. 1815 wurden hier die Wahabiten von den Ägyptern
geschlagen, 17 Jahre später kam Basrah in die Gewalt Mehemed Alis, der aber
schon 1840 die Stadt dem Sultan wieder abtreten musste.
Ehedem ein Handelsplatz von eminenter Bedeutung, die es
seiner günstigen Situation am Flusse und einem ausgedehnten Canal-
netze verdankte, ging Basrah doch immer mehr und mehr zurück.
Die ungesunde Lage, die Apathie der türkischen Regierung und allerlei
Wechselfälle verursachten, dass die im vorigen Jahrhunderte noch
150.000 Einwohner zählende Stadt vor kaum vier Jahrzehnten nur
mehr 5000 Einwohner besass. Seit dem Inslebentreten der Euphrates
and Tigris Steamship Line, welche den Handelsverkehr mit Indien
besorgt, und seit man in der Nähe der Stadt keine Reiscultur mehr
betreibt, wodurch sich die Gesundheitsverhältnisse Basrahs wesentlich
gebessert haben, lässt sich ein neuerlicher Aufschwung verzeichnen.
Basrah zählt jetzt schon wieder über 40.000 Einwohner, unter diesen
jedoch kaum mehr als 60 Europäer.
Die Mündung des Schatt el Arab (Strom der Araber) ist von
bedeutender Breite. Leider ist im Jahre 1891 noch kein Leucht-
thurm dort! Eine Barre in der Mündung erlaubt nur Schiffen bis
zu 6 m Tiefgang (und dies auch nur unter der Führung von Fluss-
lootsen) das Einlaufen in den weiterhin tieferen Fluss. An den mit
dichtem Schilfe bewachsenen Stromufern liegen vor Basrah noch die
Ortschaften Fao, die Endstation des britisch-indischen Telegraphen-
kabels Kurrachee—Fao, und Mohammereh (Muhammero), letztere
[615]Die Häfen des persischen Golfes.
an der Mündung des ebenfalls schiffbaren und seit 1890 von einem
englischen Dampfer regelmässig befahrenen Nebenflusses Karun.
An den zumeist sehr seichten und verschlammten Canälen
Basrahs, durch welche Boote nicht gerudert, sondern mit Stangen
geschoben werden, liegen niedrige Häuser, die jetzt auch schon aus
gebrannten Ziegeln hergestellt werden, der Mehrzahl nach aber aus
ungebrannten, an der Sonne getrockneten Lehmziegeln bestehen. In
den Backsteinhäusern, die manchmal auch ein Stockwerk besitzen und
meist von Europäern bewohnt werden, findet man den Luxus eines
Backsteinpflasters, während die übrigen Wohnungen sich auch für diesen
Zweck des Universalauskunftsmittels bedienen und den zu Basrah
sehr billigen Lehm verwenden, der in einer etwas anderen Form
— als Strassenkoth — auch das landesübliche Kinderspielzeug ist.
Der Bazar, hier wie in allen orientalischen Städten der Sammel-
punkt aller Verkaufsläden und des Handelsverkehres, befindet sich in
dem zwei Seemeilen vom Schatt el Arab entfernten und an dem
Flüsschen Asshar gelegenen Centrum der Stadt; er besteht aus dem
grossen Bazar, Suk-el-Kebir, und dem kleinen Bazar, Suk-el-Zeghir.
Zwischen diesen beiden liegt das Serail (Regierungsgebäude), dann
ein grosser Platz, der durch die anliegenden vielen Getreideläden
zum Getreidemarkt verwandelt wurde, eine niedrige, von einigen Sol-
daten bewachte Schilfhütte, welche das Garnisons-Pulvermagazin ist,
eine Moschee und das halbzerfallene Telegraphenamt. Im kleinen Bazar
werden hauptsächlich Lebensmittel, Tabak, Sandalen und Stroh-
matten feilgeboten, während im grossen Bazar Waffenhändler, Schuh-
waarenhändler und (1888) ein Schneider ihre Läden offen halten.
Ausserhalb Basrahs dehnt sich die Wüste mit anfangs lehmigem,
später steinigem Boden aus.
Daran, dass Basrah nicht annähernd die commercielle Stellung
als Seehafen einnimmt, die ihm seiner vorzüglichen geographischen
Lage nach zukäme, daran trägt allein die Verkommenheit der orien-
talischen Zustände die Schuld. Basrah könnte den Handel von ganz
Mesopotamien, Armenien und West-Persien beherrschen. Der Türkei
fehlt das Verständniss für solche Aufgaben, sie thut nichts für Hafen-
bauten, Wege oder für die Flussschiffahrt. Was für letztere auf den
Euphrat und Tigris geschehen ist, machen die Engländer, welche
auch von Bagdad aus den mesopotamischen Handel in Händen halten.
Ein Wechsel zum Besseren ist nur vom Ausbau der türkischen Eisen-
bahnen in Asien, speciell der seit 1839 geplanten Euphratbahn zu
erwarten. Ihr Bau bedeutete auch ein neues Morgenroth für Basrah.
[616]Der indische Ocean.
Der Handelsverkehr von Basrah weist übrigens während der letzten vier
Jahre eine lebhafte Steigerung auf, weil die Araber, unterstützt von englischem
Capitale, die seit Jahrhunderten verschütteten Bewässerungscanäle der alten Baby-
lonier allmälig reinigen und so jedes Jahr neues Land dem Getreidebaue zuführen.
Am Schatt el Arab dagegen werden die Anpflanzungen von Dattelpalmen vergrössert.
Den Gesammtverkehr illustrirt nachstehende Tabelle:
Basrah (Canal El Ascher).
Als Grundlage der Besprechung des Handels dienen die statistischen An-
gaben für das Jahr 1890.
Den wichtigsten Theil des Importes mit 70 % des Gesammtwerthes bilden
die Erzeugnisse der Textilindustrie. Dieselben erscheinen unter einer Gruppe,
Seiden-, Wollen-, Baumwollwaaren und Kleider angeführt, gelangten 1890
in 13.835 (Werth 501.815 ₤), 1889 in 26.000 Ballen und Kisten (Werth 664.600 ₤)
zur Einfuhr.
Die verschiedenen Metalle wurden in bearbeitetem Zustande eingeführt, so
1890 Eisen in Stangen, Platten und Reifen im Werthe von 13.819 ₤ und Kupfer
in gleichen Formen im Werthe von 8947 ₤.
Unter den importirten Hölzern spielen die bereits bearbeiteten Bestand-
theile von Kisten für den Dattelexport die grösste Rolle. Die Einfuhr dieser
[617]Häfen des persischen Golfes.
dünnen Brettchen bezifferte sich 1890 auf 97.698 Bündel (Werth 41.064 ₤), 1889
auf 76.142 Bündel; daneben wurden für 12.360 ₤ Balken und Bohlen zu Bau-
zwecken importirt.
An Gewehren und anderen Feuerwaffen bezog Basrah 2962 Ballen im
Werthe von 19.375 ₤.
Unter den Nahrungs- und Genussmitteln ragt an Quantität und Werth
Zucker hervor. Es wurden 1890 nicht weniger als 56.875 Kisten Brotzucker im
Werthe von 101.268 ₤ und 18394 Säcke Pilézucker im Werthe von 32.013 ₤
importirt.
Diesem zunächst steht die Einfuhr der verschiedenen Gewürze, welche
1890 13.902 Ballen im Werthe von 23.670 ₤ umfasste.
Kaffee importirte Basrah 5201 Säcke im Werthe von 18.582 ₤; der
Werth der 1890 importirten 11.831 Säcke Reis belief sich auf 5952 ₤.
Von Tabak wurden 1890 2694 Ballen (Werth 6009 ₤) eingeführt.
Die Einfuhr von Indigo betrug 656 Kisten im Werthe von 14.478 ₤.
Hervorzuheben ist ferner noch der Import von Petroleum, der 22.532 Kisten
im Werthe von 7195 ₤ betrug, und die Einfuhr von Kohle, die sich auf 8580 T
im Werthe von 15.820 ₤ belief.
In der Ausfuhr von Basrah spielt in der Reihe der Bodenproducte der
Export von Datteln die erste Rolle. Der Ausfuhrswerth dieser Frucht belief sich
1890 auf 447.624 ₤, also fast auf ein Drittel, 1889 auf 250.396 ₤, also nahezu auf
den vierten Theil des Gesammtexportes. Der Handel mit Datteln gelangt immer
mehr in die Hände der Europäer und wird sich lebhaft steigern, da in der letzten
Zeit neue Pflanzungen von Dattelpalmen angelegt wurden.
In namhafter Weise sind Körnerfrüchte in der Ausfuhr vertreten. In erster
Reihe steht Weizen mit einem Exportwerth 1890 von 183.500 ₤, 1889 von
91.341 ₤, dann folgt Gerste 1890 im Werthe von 65.522 ₤ und Reis. Die
Ausfuhr von Sesam, den die Araber stark fälschen, sank 1890 auf einen Werth
von 3435 ₤ herab, die anderer Sämereien belief sich auf 61.655 Säcke im Werthe
von 20.864 ₤.
Die Ausfuhr von Gummi hat gegen die früheren Jahre eine wesentliche
Abnahme erfahren. 1887 importirte Basrah noch 12.678 Sack Gummi, 1890 nur
mehr 6018 Sack für 59.593 ₤.
Ein nicht unbedeutender Exportartikel sind ferner Gallnüsse 1890 mit
16.387 Sack im Werthe von 74.387 ₤.
Einen ganz merkwürdig lebhaften Export verzeichnet ausgekochte Butter
1890 mit 11.405 Kisten und einem Werthe von 24.076 ₤, 1889 mit 27.691 Kisten.
Beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist die Ausfuhr von Opium.
Im Jahre 1890 wurden ausgeführt 561 Kisten im Werthe von 57.380 ₤, 1889
291 Kisten.
Die Ausfuhr von Süssholz nach Amerika steigt beständig.
Unter den Producten des Thierreiches, welche über Basrah zur Ausfuhr
gelangen, ist Wolle der bedeutendste Artikel. Der Wollexport gestaltete sich
während der letzten vier Jahre in folgender Weise:
[618]Der indische Ocean.
Der Ausfuhrswerth der Ziegen- und Kameelhaare ist 1890 auf 10.391 ₤
zurückgegangen. Dagegen hielt sich der Export von Häuten und Fellen auf
ziemlich gleicher Höhe und betrug im Berichtsjahre 16.275 ₤.
Ein specieller Exportartikel sind Pferde. Die Zahl derselben belief sich
auf 3193 im angeführten Werthe von 63.860 ₤. Der Werth eines Thieres stellte sich
sonach 1890 im Durchschnitte auf 20 ₤ gegen 22 ₤ im Jahre 1889.
Die über Basrah zur Ausfuhr gelangenden Industrieerzeugnisse beschränken
sich auf Teppiche, welche 1890 im Betrage von 2440 ₤, und auf Seidengewebe,
die im Werthe von 8462 ₤ zur Ausfuhr gelangten.
Der Seeschiffsverkehr von Basrah umfasste:
Die Dampfer führten fast alle die englische, die Segler die arabische, tür-
kische oder persische Flagge.
Basrah und die anderen Häfen des persischen Golfes stehen mit Bombay und
Kurrachee durch eine wöchentliche Postlinie, mit Bombay durch die British India
Steam Navigation Cy. und die Bombay and Persia Steam Navigation Cy. in Zwischen-
räumen von 14 Tagen in Verbindung.
Von England verkehren direct einmal im Monate die Euphrates and Tigris
Steam Navigation Cy., und die Turkish Government Steamers unterhalten mit
wöchentlichen Fahrten eine Postlinie zwischen Basrah und Bagdad. Wenn im
Frühjahre durch die Schneeschmelze in den Gebirgen Armeniens der Wasserstand
der Flüsse hoch ist, gehen Dampfer auf dem Tigris bis Mosul und auch den
Euphrat aufwärts.
Basrah ist Station der türkischen Telegraphenlinie zwischen England und
Indien.
Buschir.
Auf einer sandigen, 10 Seemeilen langen und in ihrer Mitte
3 Seemeilen breiten, mit der Küste nur durch eine Sandfurt ver-
bundenen Halbinsel des persischen Golfes (zur persischen Provinz
Farsistan gehörig) liegt unter 28° 59′ nördlicher Breite und 50° 50′
östlicher Länge die Stadt Buschir (Bushire, Abuschehr), welche der
Haupthafen Persiens und der Centralpunkt des südpersischen Handels
ist. Buschir wird speciell von Indien aus stark besucht.
Kerim Khan gestattete 1763 den Engländern eine Niederlassung in Buschir,
sowie den Handel im persischen Golfe. Als der noch jetzt regierende Schah
Nassr-Eddin mit England in Conflict gerieth, besetzten die Engländer 1856 Buschir
und die vorliegende Insel Kerak (Kharag, Kharij); Stadt und Insel blieben bis zum
Pariser Frieden (1857) in ihren Händen.
Im nahegelegenen Dorfe Rischehr (Ríshahr) befinden sich Ueberreste von
Wällen und Verschanzungen aus Ziegeln mit Keilinschriften, die aus sehr alter
Zeit herrühren. Andreas und Stolze veranstalteten daselbst im Jahre 1876 grössere
Ausgrabungen.
[619]Häfen des persischen Golfes.
Wenngleich die Umgebung von Buschir nur eine sandige Ebene
ist, so bietet doch die Landzunge, auf welcher die Stadt erbaut ist,
einen ziemlich freundlichen Anblick. Am südlichen, etwas höher ge-
legenen Ende der Halbinsel liegen zwischen Dattelpalmen und hüb-
schen Gärten in indischem Style gehaltene Landhäuser, in deren
Mitte sich eine niedere Moschee mit grünglasirter, birnförmiger Kuppel
befindet. In diesem Stadttheile, der Sabs-Abad genannt wird, liegen
auch die Landsitze der Vertreter Englands und Hollands, die English
Residency und Holland-Abad, sowie das Consulat der Türkei. Die Mo-
schee ist eine Imamsadeh, d. h. Grabstätte eines der elf heiligen Imame;
sie ist der Bestattungsort jener Gläubigen, die zwar wohlhabend genug
sind, dies bestreiten zu können, aber trotzdem nicht genug Mittel
besitzen, um sich nach Kerbela oder Bagdad überführen zu lassen.
Die nördlich gelegene Stadt besteht aus einer compacten Häusermasse
mit flachen Dächern, über welche sich weder Minarets noch Kuppeln
erheben. Jedoch befindet sich eine kleine (armenisch-) christliche
Kirche in der Stadt, in welcher Gedenktafeln für mehrere 1856—1857
gefallene englische Officiere aufgestellt sind. Die Häuser selbst
sind schmal und meist einstöckig; bei grösseren Gebäuden findet
man öfters im ersten Stocke vor den Wohnräumen eine grosse, von
Säulen getragene Veranda; bei kleineren Häusern wird das Erdgeschoss
vom Stockwerk überragt. Die Wohnhäuser der reicheren Perser und
Araber sind gegen aussen ganz abgeschlossen, ihr Hof (Haiat) ist
meist mit Fliesen belegt und durch ein Wasserbecken mit Spring-
brunnen verziert. Der Palast des Gouverneurs liegt am Landungs-
platz, unmittelbar beim Hafen für Küstenfahrer.
Da viele der sehr unreinen, winkeligen Strassen von beladenen
Maulthieren nur knapp passirt werden können, ist in der Stadt jeder
Wagenverkehr ausgeschlossen; nur längs des Meeresufers, wo durch
Niederreissen des alten Walles eine breite Strasse geschaffen wurde,
kann man von der Stadt nach Sabs-Abad fahren. Die Strassen des
Bazars sind ebenso unrein und eng wie alle anderen, doch mit
Brettern eingedeckt, was bei der hier landesüblichen Sitte, jeglichen
Unrath durch das Fenster auf die Strasse zu expediren, keineswegs
unangenehm ist.
Hinter Sabs-Abad liegt ein altes Fort, das gleichzeitig als Be-
quartierungsort der Garnison dient, und welches nach der Vertreibung
der Portugiesen aus dieser Gegend durch die Holländer erbaut
worden ist.
Buschir zählt 13.000—15.000 Einwohner. Die Mehrzahl der-
78*
[620]Der indische Ocean.
selben, etwa zwei Drittel, sind Araber und arabisch-persische Misch-
linge; den Rest bilden zumeist armenische Christen. Trotz dieser
relativ grossen Bevölkerung und des geradezu mörderischen Klimas
ist in Buschir noch kein Arzt ansässig; dem englischen Consulate
ist zwar ein solcher zugetheilt, doch ist derselbe nur für die euro-
päische Colonie und die indische Ehrenwache des englischen Resi-
denten bestimmt.
Der Ankerplatz vor Buschir ist Schiffen bis zu 6 m Tiefgang
zugänglich (grössere Schiffe müssen auf der Aussenrhede liegen
Buschir.
bleiben), aber ziemlich ungeschützt; kleinere Schiffe, die sich zwar
auch nur auf zwei bis drei Seemeilen dem Lande nähern können,
liegen etwas besser. Gutes Wasser findet man nur in grosser Ent-
fernung von der Stadt. Ein Quai zur Vornahme der Lademanipu-
lationen existirt nicht; letztere sind daher immer mit Schwierigkeiten
verbunden.
Das Klima ist durch die Geringfügigkeit der Niederschläge
charakterisirt, die sich auf wenig Thau und seltene Gewitterregen
beschränken. Der Boden ist aber trotzdem fruchtbar.
Buschir besitzt mehrere Wollwaaren- und Waffenfabriken.
Buschir ist der wichtigste Hafenplatz Persiens am persischen
[621]Häfen des persischen Golfes.
Meerbusen. Eine stark besuchte Strasse geht von hier über Schiras
nach Ispahan und Teheran. Dieser beschwerliche Weg gewinnt immer
mehr an Bedeutung; je mehr nämlich Russland die nördlichen und
westlichen Zufahrtshäfen nach Persien unter seine Controle nimmt,
desto wichtiger wird namentlich für England der Weg über Buschir.
Buschirs Handel beherrschen vollständig die Engländer.
A Sandbank, B Residenz, C Windthurm, D Stadtmauer, E Stadtthor, G Sumpf, H Steilküsten,
J Hütten, K Flaggenstock.
Der Handelsverkehr Buschirs weist während der letzten Jahre eine leb-
hafte Steigerung auf. Die Ausfuhr, welche im Jahre 1888 einen Gesammtwerth
von 378.148 ₤ erreichte, stieg im Jahre 1889 auf 515.907 ₤, also um mehr als
30 %. Die Steigerung tritt bei der Vergleichung der Importwerthe noch deut-
licher zu Tage. Die Einfuhr hob sich nämlich von 527.235 ₤ des Jahres 1888
auf 791.823 ₤, was einer mehr als 50 %igen Erhöhung entspricht.
Den weitaus grössten Theil des Handels von und nach Buschir besorgen
England und seine Colonien, namentlich aber spielt es in der Einfuhr dieses
Hafens eine ganz hervorragende Rolle. Von den auf rund 791.000 ₤ veranschlagten
Importwerthen des Jahres 1889 entfielen auf Grossbritannien 415.452 ₤, auf
Britisch-Ostindien und die Colonien 328.566 ₤, während die directen Provenienzen
aus allen anderen europäischen Ländern nur 32.739 ₤ umfassten. China, welches
für die Ausfuhr Buschirs von grosser Bedeutung ist und beispielsweise 1889
[622]Der indische Ocean.
nahezu 40 % seines Gesammtexportes aufnahm, betheiligte sich im gleichen Jahre
an dessen Einfuhr mit nur 6714 ₤.
Von dem Gesammtexporte Buschirs im Jahre 1889 absorbirte China
212.444 ₤, Grossbritannien 83.990 ₤, Britisch-Ostindien 167.912 ₤, die Türkei
33.783 ₤, Aegypten 28.793 ₤, von welchen Ziffern die Ausfuhr nach sämmtlichen
anderen europäischen Ländern mit nur 771 ₤ ungemein absticht.
Der Schwerpunkt der Einfuhr Buschirs liegt naturgemäss in den ver-
schiedenartigen Industrieerzeugnissen des Auslandes, namentlich der europäischen
Staaten, da die wichtigsten Nahrungsmittel und Naturproducte im Hinterlande
selbst gewonnen werden und über die persischen Häfen in stattlichen Mengen zur
Ausfuhr gelangen. Mehr als die Hälfte der Gesammteinfuhr entfiel im Berichtsjahre
1889 auf Baumwollwaaren im Werthe von 420.595 ₤, denen sich Woll-
waaren für 24.497 ₤, Garne für 7925 ₤, Jutewaaren für 4358 ₤, Seidenwaaren für
2497 ₤ anreihten.
Die Einfuhr von Metallen und Metallwaaren erreichte den Werth von
82.215 ₤, die von Metallkurz- und Messerschmiedwaaren die Summe von 6747 ₤.
An Porzellanwaaren importirte Buschir im gleichen Jahre für 10.798 ₤, an
Glas und Glaswaaren für 6217 ₤, an Kerzen für 5039 ₤ und an Waffen für 4750 ₤.
Von einiger Bedeutung war ferner der Import von Zucker in Broden und
Säcken im Werthe von 77.110 ₤ und der von Thee im Werthe von 25.841 ₤.
Eine stattliche Ziffer weist die Einfuhr von Indigo auf, deren Werth sich
im Jahre 1889 auf 50.017 ₤ belief, sich also gegen das Vorjahr, in welchem nur
für 25.985 ₤ importirt wurde, nahezu verdoppelte.
Hebt man noch die Einfuhr von Droguen und Medicamenten im Werthe
von 6512 ₤, von Gewürzen für 9430 ₤, von Oel für 4333 ₤ und von Wein und
Spirituosen im Werthe von 2559 ₤ hervor, so ist damit die Einfuhrliste der
wichtigeren Artikel erschöpft.
In der Ausfuhr Buschirs steht Opium mit 45 % des gesammten Export-
werthes an der Spitze. Im Jahre 1889 wurde über Buschir nämlich für 231.521 ₤
Opium ausgeführt, wovon China allein neun Zehntel aufnahm.
Lebhaften Antheil an der Ausfuhr nahmen ferner die verschiedenen Boden-
producte. So exportirte Buschir im Jahre 1889 für 57.555 ₤ Getreide und
Hülsenfrüchte, für 31.638 ₤ Tabak, für 16.362 ₤ Früchte und Gemüse,
ferner Sämereien im Werthe von 2996 ₤.
Rohe Baumwolle participirte an dem Exporte desselben Jahres mit der
Ziffer von 7938 ₤, rohe Seide mit 4944 ₤.
Es wurden ferner ausgeführt Datteln für 4818 ₤, Gummi für 3920 ₤.
An thierischen Producten exportirte Buschir 1889 für 9756 ₤ Wolle und
für 4360 ₤ Häute und Felle.
Auf wenige Artikel beschränkt sich die Ausfuhr von Industrieerzeugnissen,
unter denen in erster Linie die bekannten und beliebten persischen Teppiche zu
nennen sind, deren Exportwerth sich im Berichtsjahre auf 21.111 ₤ belief. Diesen
reiht sich die Ausfuhr von Parfümerien an, welche im selben Jahre 13.625 ₤ erreichte.
Der Schiffahrtsverkehr Buschirs wird beinahe ausschliesslich durch
englische Dampfer besorgt; er erreichte:
Eine regelmässige wöchentliche Schiffsverbindung mit Buschir unterhält die
British India Steam Navigation Cy. auf ihren Linien Bombay—Kurrachee—Basrah,
eine in Zwischenräumen von 14 Tagen die Bombay and Persia Steam Navi-
gation Cy.
Buschir ist Kopfstation der Hauptlinie der Indo-European Telegraph Cy.
(London), welche England über Russland und Persien mit Indien verbindet, und
Anlegestelle eines Kabels nach Fao und von zwei Kabeln nach Kurrachee.
Im östlichen Theile des persischen Golfes, unter 26° 33′ nörd-
licher Breite und 54° 54′ östlicher Länge liegt Lingeh (Linga) mit
20.000 Einwohnern, der Ausfuhrhafen der Provinz Laristan und
Stapelplatz der gegenüber liegenden arabischen Küste. Besonders
wichtig ist hier der Perlenhandel, der jährlich an vier Millionen
Gulden beträgt; ihn vermitteln Banianen und reiche Araber.
Gegenüber der Insel Ormus liegt in heisser und äusserst un-
gesunder Gegend Bender- (Bander-) Abbas, von den Arabern ge-
wöhnlich nur Bander, früher Gombrun (Gombroon) genannt, Hafen-
stadt der persischen Provinz Kerman. Bender-Abbas liegt unter
27° 10′ nördlicher Breite und 56° 18′ östlicher Länge; es war einst-
mals als Niederlage indischer und persischer Waaren berühmt. Trotz
seines ungünstigen Hafens — grössere Schiffe müssen zwei See-
meilen vom Lande entfernt ankern und sind da zuweilen bei Südost-
winden starkem Seegange ausgesetzt — ist Bender-Abbas doch ein
ziemlich wichtiger Handelsplatz geblieben, weil es den Endpunkt
der Karawanenstrassen aus dem östlichen Persien und aus Afghanistan
bildet.
Von der flachen und seichten Küste ragt ein langer Molo in
die See, und dieser bietet einen guten Anlegeplatz für Boote. Un-
mittelbar hinter diesem Molo befindet sich das zweistöckige Gebäude
des Gouverneurs. Vor der Front dieses Gebäudes, das auf seinem
Dache einen luftigen Pavillon trägt und einst eine holländische be-
festigte Factorei war, ist eine Batterie aufgestellt.
Der Bazar ist ziemlich gut bestellt und ausgedehnt; man findet
in demselben namentlich sehr viele und schöne Teppiche, speciell
solche aus Chorasan und Kerman. Die Stadt ist mit gut erhaltenen
Mauern umgeben, ausserhalb welcher die Palmstrohhütten der Sidis
liegen und die ankommenden Karawanen lagern.
Wie in den übrigen Ortschaften des persischen Golfes, ist auch
hier wenig Bemerkenswerthes an Baulichkeiten u. dgl. zu finden.
Nur in der Mitte der Stadt liegen einige grössere Gebäude und eine
[624]Der indische Ocean.
Moschee, welche sich auf einem grösseren, von Bogengängen be-
grenzten Platze befindet. In diesen Bogengängen sieht man auch
oft die dem persischen Volksleben eigenthümlichen Naggals (Ge-
schichtenerzähler), die sich durch Vortrag von Stücken aus Firdusi’s
„Schâhnâhme“ und anderen Dichtungen, sowie von mündlich über-
lieferten Sagen und Geschichten eine nie versiegende Einnahmsquelle
schaffen.
Während der heissen Jahreszeit flüchtet jeder, der dies kann,
nach dem eine Meile entfernten, etwas höher gelegenen Mínau (Minab),
um der unerträglichen Hitze zu entgehen. Die Bevölkerung sinkt in
dieser Zeit von etwa 12.000 auf nur 3000—4000 Seelen herab.
Auf ihrer Linie Bombay-Kurrachee-Basrah laufen die Dampfer
der British India Steam Navigation Cy. auch Maskat an, die Haupt-
stadt des Staates Oman, der die Südostküste Arabiens einnimmt.
Die Stadt Maskat liegt im Hintergrunde eines Kessels, den eine
Reihe scharfkantiger, dunkelbrauner Hügel einschliesst, und erstreckt
sich mit ihren weissen Häusern bis an die Ufer der Bucht und
spiegelt sich wieder in deren hellgrünem Wasser. Runde und vier-
ekige Thürmchen krönen die 30—150 m hohen Hügel und schützen
den Zugang zur Stadt gegen die Stämme des inneren Arabiens.
Eine Insel liegt vor dem Eingange des nicht grossen aber ge-
nügend tiefen, sicheren Hafens. Die beiden Seiten der Insel decken
castellartige Forts, alten Ritterburgen gleichend.
In den Ecken zwischen den übrigen Felsrücken erblickt man
die Häuserlinien der Fischerdörfer Kabla und Ryan und das Gewirre
der weissen Häuser der Handelsstadt Mattrah (Materah). Dieses Bild
sucht an malerischer Schönheit seinesgleichen.
Obwohl Maskat der feste Platz des Landes, die Residenz des
Sultans und der Wohnsitz der grösseren Kaufleute ist, befindet sich
die grössere Zahl der Einwohner und der Haupthandelsverkehr doch
in dem etwa 3 km entfernten Mattrah. Der Hafen desselben ist ebenso
sicher; alle Producte des Inlandes werden hier durch die Karawanen
zu Markte gebracht, und hier machen auch die Beduinen aus dem
Innern ihre Einkäufe.
Maskat ist gegenwärtig nur mehr Stapelplatz für Oman und einen Theil
Arabiens.
Das Haupterzeugniss des Landes sind Datteln, von welchen jährlich für
eine Million Gulden ausgeführt werden. Eingeführt werden Zucker, Kaffee, Reis,
Mehl und ungebleichte Baumwollwaaren.
[[625]]
Aden.
Das Rothe Meer ist seit Eröffnung des Suezcanales neuerdings eine
der wichtigsten Passagen des Weltverkehres geworden. Die beste Route
zwischen Europa und Indien, sowie Ostasien führt durch dasselbe.
Das östliche Afrika ist in nähere Beziehung zu Europa gebracht,
und ebenso führt der Weg nach Australien durch jene Gewässer.
In erster Linie hat das Rothe Meer durch diesen Umstand hervor-
ragende Bedeutung; weiter aber grenzen ausgedehnte Gebiete an dieses
Meer, mit denen der Handelsverkehr durch letzteres allein vermittelt
werden kann.
An der südlichen schmalen und schwer zu passirenden Pforte
zum Rothen Meere liegt auf 12° 17′ nördlicher Breite und 45° 10′
östlicher Länge das wichtige Aden, wo alle Schiffe anlaufen, welche
das Rothe Meer in der einen oder der anderen Richtung durchsegeln.
Für die grosse Schiffahrt, welche das Rothe Meer nur als Passage
betrachtet und welche innerhalb desselben keine Zwecke verfolgt,
kommen nur die beiden Endpunkte, im Norden Suez, im Süden Aden
in Betracht, und man läuft auf der ganzen Fahrt keinen Zwischen-
hafen an.
Mit dem ihnen eigenen Scharfblick haben die Engländer die
Position von Aden erkannt und sich dort einen festen Punkt ge-
schaffen. Für sie hat der Verkehr durch das Rothe Meer wegen
der Beziehungen zu ihrem ausgedehnten indischen Reiche besondere
Bedeutung. Abgesehen aber von dieser Rolle Adens ist dasselbe
auch als ein Stapelplatz für den Handel nach den benachbarten ara-
bischen Gebieten einerseits und nach Ostafrika andererseits wichtig,
welcher Handel sich dort in die grosse Route einschaltet.
Die Engländer haben Aden im Jahre 1839 in Besitz genommen, nachdem
sie bereits längere Zeit auf diesen Ort ihr Augenmerk gelenkt hatten. Schon die
Römer haben die Wichtigkeit dieses Punktes erkannt, weshalb Aelius Gallus,
der römische Statthalter Aegyptens, 24 v. Ch. seinen Feldzug gegen das Reich
der Sabäer bis zur Hafenstadt Adana, dem heutigen Aden ausdehnte, und nach
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 79
[626]Der indische Ocean.
Berichten des berühmten Reisenden Marco Polo soll auch zu seiner Zeit daselbst
eine grosse Handelsstadt gestanden sein. Im XVI. Jahrhundert setzten sich die
Portugiesen dort fest, mussten jedoch bald den Türken weichen.
Die Türken haben im vorigen Jahrhunderte den Ort an arabische Scheicks
überlassen müssen. Die Plünderung eines 1837 daselbst gescheiterten Schiffes gab
den Engländern erwünschten Anlass zu einer Expedition dahin, deren Ergebniss
nach mancherlei Kämpfen die Eroberung Adens war. Die neuen Herren waren
sofort darauf bedacht, diese Station nicht nur militärisch sicher zu stellen, son-
dern auch für die Bedürfnisse des Handels entsprechend auszustatten, denn dreifachen
Zwecken muss der Platz dienen: als militärische Position zur Beherrschung der
Einfahrt in das Rothe Meer, als Kohlen- und Proviantstation für die Schiffe,
welche dort passiren, und endlich als Handelsplatz für die schon erwähnten
Seitengebiete.
Durch seine Lage entspricht Aden dieser dreifachen Aufgabe.
In jeder anderen Beziehung gehört es aber durchaus nicht zu den
Orten, die irgend welche Anziehung üben, denn heiss brennt die
Sonne auf das kahle, felsige Gelände, und vergebens sucht das Auge
nach einer Erquickung. Es gibt nahezu keine Vegetation, wohl
aber blendet die helle Farbe der Landschaft, welche noch durch
den weissen Anstrich aller Baulichkeiten erhöht wird, in höchst
lästiger Weise. In einer Beziehung erinnert Aden an Gibraltar. Es
steckt nämlich auch zwischen Felsen und ist stark befestigt. In
Aden West (auch Back) Bay, Bander Tauwahi, können Schiffe so-
wohl auf der sogenannten Aden Road, als auch im eigentlichen Hafen
vom Leuchtschiffe gegen die nur kleinen Fahrzeugen zugängliche
innere Bucht hin ankern. Während des Südwestmonsuns herrscht
jedoch todter Seegang auf dem äusseren Ankerplatz. Locallootsen
sind immer zu haben. Während der Monate Juni, Juli und August
bietet die Aden East Bay einen guten und der Stadt nahen Anker-
platz, welcher jedoch während des Nordostmonsuns starkem Seegange
ausgesetzt ist.
Aden zerfällt in zwei Theile, in Steamerpoint bei Ras Marbut
an der West Bay und in das eigentliche Aden. Steamerpoint liegt
am eigentlichen Hafen. Hier befinden sich die Agentien der ver-
schiedenen Aden berührenden Dampfergesellschaften, mehrere Hôtels
und die Consularämter. Sämmtliche Häuser haben ganz flache Dächer
und sind möglichst luftig gebaut, um gute Ventilation zu erzielen.
Von Steamerpoint führt eine gute Strasse, theilweise durch
Felsentunnels, nach der eigentlichen Stadt. Diese ist sehr regelmässig
in meist rechtwinkelig sich schneidenden Strassen angelegt, bietet
aber nichts Bemerkenswerthes dar. Als Baumaterial ist fast aus-
schliesslich Korallenstein verwendet.
[627]Aden.
Eine grosse Wichtigkeit für Aden, einen Ort, der keine natür-
lichen Quellen besitzt, hat die in der Nähe der Stadt befindliche
Cisternenanlage, in welcher man das Regenwasser sammelt. Diese
Anlagen sind zugleich das einzige Object, welches in Aden Interesse
bietet, und der einzige grüne Fleck Erde, allwo man sich etwas er-
holen kann. Die Cisternen sind sehr alt und man kann die Zeit
ihrer Entstehung nicht genau angeben. Sie sind stufenförmig in den
Felsen eingehauen, so dass es im Ganzen fünfzig Reservoirs gibt,
welche gut ausgemauert sind. Ist ein Reservoir voll, so strömt das
überfliessende Wasser in das tiefergelegene. Am Südostende der
Stadt werden diese Reservoirs durch ein grosses Bassin abgeschlossen.
Man veranschlagt den Fassungsraum sämmtlicher Cisternen auf fast
anderthalb Millionen Hektoliter. Bei dem im Ganzen seltenen Regenfalle
sind die Cisternen schwer ganz zu füllen, und darum ist Wasser in
Aden ein gut bezahlter Artikel. Man ist damit sparsam und hilft
vielfach durch Destillation von Meerwasser nach. Uebrigens ist in
neuester Zeit auch eine Wasserleitung angelegt.
In fortificatorischer Beziehung gilt Aden für stark. Die Felsen
bilden den Kern der Anlage, während die Kunst nur zu deren Er-
gänzung mitgeholfen hat. Eine Reihe von Batterien krönt die ein-
zelnen Höhen. Die Garnison selbst aber ist meist in luftigen Ba-
racken untergebracht. Aden untersteht der Präsidentschaft Bombay;
jedoch sind dem in der Stadt residirenden Regierungsvertreter (Re-
sident) ziemlich grosse Befugnisse zugestanden.
Die Einwohnerschaft Adens ist sehr gemischt. Herrschen auch
dort die Engländer, so ist doch deren Anzahl, abgesehen von der
Besatzung, eine geringe. Aber trotz der tropischen Temperatur des
Ortes halten die Engländer auch in Aden an ihren heimischen Ge-
wohnheiten fest. Das Gros der Bevölkerung besteht aus Arabern und
aus Somali-Negern. Die Araber sind die eigentlichen Landinsassen,
ein stattlicher Menschenschlag, der sich hier vorwiegend mit Handel
beschäftigt; hauptsächlich schaffen sie aus den benachbarten Gebieten
Lebensmittel her. Die Somali kommen von der afrikanischen Küste
herüber, haben sich aber in Aden niedergelassen und sind zum Theil
auch in engere Beziehung zu den Einwohnern getreten. Diese Somali
vermitteln wesentlich den Verkehr mit Afrika. Sie handeln haupt-
sächlich mit Vieh, Straussfedern, Elephantenzähnen und Stroharbeiten
der verschiedensten Art. Die Somali haben eine mehr gelbliche Haut-
farbe und werden daher fast mit Unrecht der Negerrasse zugezählt.
Sie tragen ein sehr einfaches Costüm, färben sich aber gerne das
79*
[628]Der indische Ocean.
Haar in röthlichen Tönen und lieben einen aus vielen Zöpfchen
zusammengestellten Kopfputz. Sie sind kriegerische Leute, welche
in ihrer Heimat mit den Gallas-Negern viele Streitigkeiten ausgefochten
haben. Aber in Aden müssen sie gutthun und sich der strengen
englischen Zucht fügen. Es ist ihnen nicht gestattet, daselbst Waffen
zu tragen oder auch nur zu besitzen.
Zu diesen beiden Hauptgruppen der Bevölkerung kommen dann
noch Hindus und Malayen, Juden und Parsen und selbst Chinesen.
Aden (Steamer Point).
Die Parsen haben das grosse Geschäft in der Hand, die Juden
widmen sich hauptsächlich dem Handel mit Straussfedern, für welchen
Artikel Aden ein sehr wichtiger Punkt ist, während Malayen und
Chinesen mehr für untergeordnete Dienstleistungen zu haben sind.
Derart findet man in Aden eine kleine Musterkarte von Menschen-
rassen versammelt, und wer vom Norden kommt, gewinnt sofort einen
Ueberblick über die Völkerstämme, denen er im Süden und Osten
von Asien begegnen wird.
Die wichtigsten Momente im Leben dieser Stadt drehen sich um
die Ankunft der vielen Dampfer. Diese bleiben wohl nie lange, be-
[629]Aden.
nützen aber ihren Aufenthalt zur Ergänzung ihrer verschiedenen Vor-
räthe, namentlich von Kohle. Da entwickelt sich denn an Bord und
unter Bord dieser Schiffe ein reges Treiben. Wenn man auch den
meisten Bedarf an Kohle, Eis, Lebensmitteln etc. durch fixe Agenten
A Uferlinie bei Ebbe, B 2 Meterlinie, C 5 Meterlinie, D 10 Meterlinie, E Ankerplatz, F Leuchtfeuer,
G Wasserleitung, H Wasserreservoirs, J Ruinen des Duribel Arabel Walles, K Brücke, L Salinen,
M Telegraphenamt, N Fort, O Signalstation, P Sümpfe, Q Grab von Scheikh Othman.
[630]Der indische Ocean.
besorgt, über welche jede Dampferlinie hier verfügt, so versuchen
es doch die vielen Händler, nebenher noch Geschäfte zu machen.
Händler mit Edelsteinen und Raritäten etc. rechnen auf die Neu-
gierde und Kauflust der Passagiere, denen es doch um einen Zeit-
vertreib zu thun ist. Und zumeist gelingt es ihnen auch, ihre
Artikel recht theuer an den Mann zu bringen. Alle die verschie-
denen Kinder des Orientes, welche sich im Hafen von Aden heran-
drängen, haben einen stark ausgeprägten Sinn für Geschäft und
Verkauf. Was sich nicht dem Dampferverkehr widmet, ist im Küsten-
handel beschäftigt. Zumeist sind es Segelboote, welche diesen Handel
gegen Osten längs der Küste von Hadramaut und nach Maskat,
nach dem Westen mit dem Somaliland und südwärts, dem afrika-
nischen Gestade entlang, bis Sansibar betreiben.
Aden ist ein Hauptknotenpunkt des grossen Verkehres nach dem
Osten. Hier trennen sich die Dampferlinien nach Bombay von jenen,
die direct nach Ceylon und von dort einerseits nach dem Ganges
und andererseits nach Singapore und weiter gerichtet sind. Von
hier geht auch häufig die Fahrt direct nach Australien, und ebenso
nehmen die in allerletzter Zeit an Bedeutung zunehmenden ostafrika-
nischen Linien ihren Curs von Aden aus.
Zählt daher dieser Ort auch nicht viel über 30.000 Seelen und
macht er zwischen Felsen und Sonnenbrand einen ungemüthlichen,
wenig lockenden Eindruck, so dass man dort ein gewisses Gefühl
der Verlassenheit nicht überwinden kann, so spielt er doch im grossen
Weltverkehre eine nicht unwesentliche Rolle. Durch die Pforte von
Aden wälzt sich ohne Unterlass ein wahrhaft gewaltiger Strom
menschlicher Thätigkeit, seit der Canal des genialen Lesseps zur
Thatsache geworden ist.
Seit der Durchstechung des Suezcanals hat Aden dadurch, dass
es auf dem asiatischen Verkehr vielfach als Kohlenstation benützt
und daher von zahlreichen Schiffen angelaufen wird, als Hafenplatz
an Bedeutung gewonnen. Doch laufen in neuester Zeit viele Dampfer
Aden nicht an, sondern ergänzen ihren Kohlenvorrath aus den Dépôts
auf der ebenfalls englischen Insel Perim; da diese in der Mitte der
Strasse Bab-el-Mandeb, des „Thores der Thränen“, liegt, welches
das Rothe Meer mit dem Busen von Aden verbindet, so ersparen die
Schiffe, welche hier statt in Aden landen, etwa einen halben Tag Zeit.
Adens Handelsverkehr nimmt auf Kosten Djeddahs stetig zu. Nament-
lich ist seit dem Jahre 1887, wie aus folgender Zusammenstellung ersichtlich,
ein lebhafter Fortschritt zu verzeichnen.
[631]Aden.
Es betrug die Einfuhr im Jahre 1888 27,007.263 Rup., 1889 35,004.908 Rup.
und die Ausfuhr 1888 22,412.507 Rup., 1889 27.212.082 Rup. Es verzeichnet sonach
der Gesammtverkehr von Aden von 1888 auf 1889 einen Aufschwung um rund
13 Mill. Rup., der wohl in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass Aden als
Freihafen im Gegensatz zu den türkischen Seeplätzen mit ihrem 8 %igen Zolle
dem Waarenverkehre grössere Erleichterungen bietet und deshalb den Vorzug erhält.
Da der Import von Aden vermöge seines höheren Werthes als der wich-
tigere Theil seines Handelsverkehres erscheint, wollen wir vorerst die Einfuhr in
ihren hervorstechenden Theilen einer Besprechung unterziehen.
Den bedeutendsten Einfuhrgegenstand von Aden bilden die Erzeugnisse
der Textilindustrie. Darunter stehen Baumwollgewebe aller Art an erster
Stelle. Deren Einfuhrwerth repräsentirte im Jahre 1888, welches als Berichtsjahr
ins Auge gefasst ist, 376.080 ₤. Daneben wurden 7850 qBaumwollgarne im
Werthe von 56.120 ₤ importirt. Unter Einem ist der Import von Seidenfabri-
caten zu erwähnen, welche einen Werth von 26.640 ₤ repräsentirten.
An zweiter Stelle steht die Gruppe der Nahrungsmittel. In dieser bilden
Getreide und Reis die weitaus wichtigsten Einfuhrsartikel. Im Berichtsjahre
importirte Aden davon 322.000 q im Werthe von 233.000 ₤.
Bemerkenswerth ist ferner die Einfuhr von Mehl, welche im gleichen
Zeitabschnitte 54.500 q im Werthe von 58.000 ₤ umfasste.
Erwähnt zu werden verdient noch der Import von Datteln in einem
Gewichte von 45.114 q und einem Werthe von 30.840 ₤.
Eine grosse Bedeutung für den Import von Aden besitzt Tabak. Im
Berichtsjahre wurden davon 22.700 q im Werthe von 64.720 ₤ importirt.
Die Einfuhrliste kann nicht geschlossen werden, ohne den Import von
Kohle hervorzuheben, der sich auf 1,442.240 q für 245.400 ₤ belief.
In der Ausfuhr verzeichnet Kaffee den stärksten Export, der im Be-
richtsjahre 34.750 q im Werthe von 378.640 ₤ umfasste.
Den nächststärksten Ausfuhrartikel des Pflanzenreiches bildet Gummi,
dessen Ausfuhr sich auf 10.500 q im Werthe von 93.840 ₤ belief.
Ausserdem kommt noch der Export von Weihrauch, Gewürzen und Droguen
in Betracht. Aden exportirte 1888:
- Weihrauch ......... 11.516 q für 35.600 ₤
- Gewürze .......... 4.825 „ „ 23.200 „
- Droguen .......... 1.900 „ „ 15.600 „
Unter den Producten des Thierreiches müssen Häute in erster Reihe mit
einem Exporte von 22.400 q und einem Werthe von 4,690.000 Frcs. genannt
werden.
Einen lebhaften Handels- und Ausfuhrartikel von Aden bildet ferner
Perlmutter, das im Jahre 1888 in einer Menge von 4306 q und in einem
Werthe von 40.840 ₤ zur Ausfuhr gelangte.
Der Export von Elfenbein repräsentirte während des gleichen Jahres 285 q
und einen Werth von 27.760 ₤.
Mit der Anführung des Exportes von Straussfedern erreicht die Aus-
fuhrliste der wichtigeren Artikel ihren Abschluss. An Straussfedern exportirte
Aden im Jahre 1888 21 q für 2.640 ₤, welche Summe gegen das vorhergehende
Jahr, in welchem Straussfedern im Werthe von 9.600 ₤ ausgeführt wurden, einen
bedeutenden Rückgang aufweist.
[632]Der indische Ocean.
Von handelsthätigen Schiffen liefen in Aden 1888 ein im Ganzen 1482,
darunter 1476 Dampfer und 6 Segler.
An dem Dampfschiffahrtsverkehre waren die einzelnen Nationen in
folgender Weise betheiligt:
Die wichtigsten Dampfschiffahrtsgesellschaften, welche Aden regelmässig
anlaufen, sind: die Peninsular and Oriental Steam Navigation Cy., British India
Steam Navigation Cy., Orient and Pacific Steam Navigation Cy., die Messageries
maritimes, der Norddeutsche Lloyd, der Oesterreichisch-Ungarische Lloyd, die
Società Generale Italiana.
Aden ist durch Kabel telegraphisch mit Bombay, Suez, der Insel Perim
(-Obock), mit Suakin, Sansibar und Kapstadt verbunden.
In Aden unterhalten Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich,
Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Schweden und Norwegen,
Vereinigte Staaten von Amerika.
[[633]]
Dscheddah.
An der Ostküste, der arabischen Seite, des Rothen Meeres folgen
sich vier Häfen vom Süden nach Norden, nämlich Hodeida (Ho-
deidah), Lokeya (Lokijah), Dscheddah, (Jiddah) und Yambo
(Yenbo, Port of Medina). Die beiden erstgenannten haben insoferne
einige Bedeutung, als sie den Handel mit Yemen vermitteln; in
Hodeida, dem an Bevölkerung grösseren Platze, gelangt namentlich
der Kaffee von Mokka zur Ausfuhr, während Lokeya sich besonders
mit dem Perlmutterhandel beschäftigt.
Wichtiger jedoch als die beiden eben genannten ist Dscheddah,
der Hafenplatz der allen Mohammedanern heiligsten Stadt Mekka
und des Landes Hedschas (Hidscha). Dscheddah hat einen schwer
zugänglichen, jedoch sehr guten, von einer dreifachen Linie von Fels-
riffen geschützten Hafen. Die Stadt bietet, vom Meere aus gesehen,
keinen ungünstigen Eindruck. Sie ist von befestigten Mauerwällen
eingeschlossen und besitzt stattliche Gebäude in reiner arabischer Bau-
art, deren bedeutende Höhe (sie haben bis drei und vier Stockwerke),
imponirt. Die Strassen sind im Allgemeinen breit, jedoch ungepflastert;
die Vorstädte werden von elenden Hütten gebildet. Die Häuser der
Stadt sind, namentlich an Balkonen, Thüren und Fenstern mit vieler,
oft fein und kunstvoll ausgeführter Holzarbeit, versehen. Durch feste
Thore, deren je eines gegen je eine Himmelsrichtung gerichtet ist, ge-
langt man in das Innere der Stadt. Hier zeigt sich durchweg noch
echt orientalisches Gepräge. Vielleicht keine Stadt des Orientes hat so
sehr und so zähe den muselmännischen Charakter festgehalten, als
Dscheddah, allwo noch vor Kurzem Europäer sich nicht ohne Gefahr
aufhalten konnten. Es begreift sich dies aber leicht. Jahraus, jahr-
ein wälzt sich der Strom der frommen Pilger durch Dscheddah nach
dem benachbarten Mekka, wo sie am Grabe des Propheten ihre An-
dacht verrichten und an der Geburtsstätte des Islams in gläubigen
Erinnerungen schwelgen. Wer aber die beschwerliche Pilgerfahrt
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 80
[634]Der indische Ocean.
nach Mekka antritt, der ist islamitischer Sinnesart voll, der ist über-
haupt von einer eigenen exclusiven Rechtgläubigkeit, und er meint,
dass ihm der harte Pilgerpfad den Weg nach Mohammeds Paradiese
eröffne. Der letzte, elendeste Hadschi — so nennt man die, welche
die Wallfahrt nach Mekka unternommen haben, — hält sich für
tausendfach besser als irgend einen Ungläubigen; mit einer gewissen
stolzen Verachtung blickt er auf solchen herab und ungern sieht er
auf dem geheiligten Boden, den er mit ehrfurchtsvollen Gefühlen be-
tritt, Ungläubige sich bewegen, denen der Prophet nichts gilt. Der
Fanatismus der Pilger hat Dscheddah durchtränkt, und was der
Fanatismus nicht allein bewirken konnte, das brachte dann das
eigene pecuniäre Interesse hinzu. Denn ist auch der Araber in Dsched-
dah ein braver Muselmann, sich voll bewusst seiner beglückenden
Existenz am Eingange des heiligen Mekka, so weiss er doch auch den
materiellen Segen zu schätzen, welchen der Pilgerzug mit sich bringt.
Kaufmann war Mohammed gewesen und kaufmännischen Sinn haben
die Araber sich bewahrt.
Je mehr aber fremder Einfluss in Dscheddah zur Geltung kom-
men würde, desto mehr könnte vielleicht der Pilgerzug allgemach
Störungen oder doch lästige Verringerung erleiden.
Aus allen Theilen der muselmännischen Welt kommen Pilger,
und wer über die ethnographische Verbreitung dieser Religion Studien
machen wollte, der thäte wohl am besten, er ginge nach Dscheddah;
denn hier steht ihm eine vollständige Musterkarte zur Verfügung,
und er sieht neben dem echten Türken den Araber aus Sansibar,
neben dem Bosniaken aus Sarajevo den Sickh von den Ufern des
Indus, neben einem Oesbegen aus Bochara einen Marokkaner vom
atlantischen Gestade. Reiche und Arme, Alte und Junge kommen
gezogen, und so mancher ist darunter, welcher Tag um Tag sich
seinen Unterhalt erbetteln muss. Aber Gott ist gross und barmherzig,
und wenn er wollte, dass der arme Mann sich gegen Mekka auf-
mache, so wird er auch für ihn sorgen. Der Muselmann vertraut dem
Schicksal mit stoischer Ruhe und sorgt wenig um den kommenden
Tag, denn seiner Ansicht nach nützt diese Sorge doch nichts, wenn
es einmal im Buche des Schicksals anders bestimmt sein sollte.
An eigentlichen Sehenswürdigkeiten weist Dscheddah nicht viel
auf. Ausser dem grossen und immer gut versorgten Bazar ist auch
ein altes, aber schon ziemlich verfallenes Castell und das Palais des
türkischen Gouverneurs zu erwähnen. Dagegen bietet das ausserhalb
der Stadt gelegene „Grab der Eva“ deswegen Interesse, weil dieser
[635]Dscheddah.
Punkt in der mohammedanischen Religion eine Rolle spielt. Dieses so-
genannte Grab ist ein roher Steinbau und besteht aus zwei niederen
Mauern, welche in einer Entfernung von 2 m miteinander parallel
laufen. Die Länge der Mauern beträgt ungefähr je 70 m. Sie sind
genau von Nord nach Süd gerichtet. Am südlichen Ende dersel-
ben erhebt sich eine Palme, um den Punkt zu bezeichnen, wo
der Kopf der „Mutter des Menschengeschlechtes“ ruht. Dass diese
Mutter ein Weib von ganz gewaltigen Dimensionen gewesen sein
muss, erhellt aus dem Umstande, dass ungefähr 40 m vom Kopf-
ende entfernt eine Art von Capelle errichtet ist, um die Stelle zu
kennzeichnen, wo nach der Tradition der Nabel der Eva zu liegen
kommt. In dieser Capelle steht ein schöner Schrank, der einen alten,
mit vielen räthselhaften Inschriften bedeckten Stein umschliesst. Die
Wände dieser Capelle sind mit Sprüchen des Korans bedeckt. Der
ganze Boden des angeblichen Grabes ist reich mit Kräutern bepflanzt
und bietet dadurch auch dem Giaur einen erfrischenden Anblick.
Zum Grabe der Eva wandern nun die Pilger zuerst, ehe sie noch den
Zug nach Mekka antreten. Dort beten sie inbrünstig und werden
manchen Goldstückes ledig, welche die stets zahlreich versammelten
Derwische ihnen abnehmen.
Zwischen dem Grabe der Eva und dem nahen, auf der Strasse
nach Mekka gelegenen Stadtthore sammeln sich in der Regel die
Pilgerkarawanen vor ihrem Abgange. Man veranschlagt die Zahl der
jährlich durch Dscheddah ziehenden Pilger auf durchschnittlich
100.000, von denen wenigstens die Hälfte auf dem Seewege anlangen.
Diese Pilgertransporte bilden für die betreffenden Dampferlinien ein
ganz einträgliches Geschäft, dessen Schattenseite nur darin liegt, dass
diese Pilger nicht selten die Keime der Cholera mit sich schleppen
und dann alle möglichen sanitären Plackereien für die betroffenen
Schiffe verursachen.
Die eigentliche Einwohnerzahl der Stadt beläuft sich auf etwa
20.000 Seelen, vorwiegend arabischen Stammes. Neben den Leuten
letzteren Schlages gibt es viele Neger, welche Sclaven sind oder
doch Sclavendienste verrichten. Einst bildete der Handel mit solchen
Sclaven aus Afrika nach Arabien ein schwungvoll betriebenes Ge-
schäft, und Dscheddah wie Hodeida waren gute Stapelplätze für
den weiteren Vertrieb dieser „Waare“. Heute wird der ganze Ost-
saum Afrikas von Kriegsschiffen bewacht, damit ja nicht die be-
rüchtigten Dhaus mit der „schwarzen Waare“ herüberkommen können,
aber ganz kann man bis jetzt das Unwesen doch nicht hindern. In
80*
[636]Der indische Ocean.
Arabien ist die Zahl der Neger gross, und sie machen wenigstens
den Eindruck, Sclaven zu sein.
In Dscheddah residirt ein türkischer Pascha als Gouverneur.
Das ganze westliche Arabien zählt zum türkischen Reiche, aber die
Autorität des Sultans macht sich abseits der Küste wenig fühlbar, und
in Mekka dürfte der dortige Grossscheik, der eigentliche Hüter des
Prophetengrabes mehr Einfluss und Macht haben, als die anderen
Vertreter des Padischahs.
Dscheddah.
Die Bewohner von Dscheddah haben den Handel des Hedschas
hauptsächlich in ihren Händen. Ausserdem dreht sich ihre Beschäf-
tigung um alles, was mit dem Pilgerzuge im Zusammenhange steht.
Da darf wohl keiner durch die Stadt, der nicht in irgend einer Weise
den schuldigen Tribut zurückgelassen. Die Einwohner sind fanatisch,
ja 1858 fand sogar ein Gemetzel unter Christen statt, dem der eng-
lische und der französische Consul zum Opfer fielen. Doch verlangten
damals die Mächte, nachdem Dscheddah von einem englischen Kriegs-
schiffe drei Tage lang bombardirt worden war, strenge Bestrafung
der Schuldigen. Die türkische Regierung musste einige Hinrichtun-
[637]Dscheddah.
gen vornehmen lassen, was nicht ohne nachhaltigen Eindruck auf
die Ultras von Dscheddah blieb. Heute haben sich dort bereits
einige Europäer niedergelassen und begegnen keinen Schwierigkeiten.
A Ankerplatz, B Begräbnissplatz der Christen, C Stadtthore, D Gefängniss, E 5 Meterlinie, G 10 Meter-
linie, H Untiefen, J Baraken, K Mohammedanische Priesterwohnungen, L englisches Consulat, M Minaret.
[638]Der indische Ocean.
Aber eine gewisse Klugheit ist immer noch geboten, namentlich ge-
genüber den Aeusserungen der Frömmigkeit, welchen der Fremde mit
aller Rücksicht und äusserlichen Achtung begegnen muss.
Seit der Besitznahme von Aden durch die Engländer und die
Occupation von Massaua durch die Italiener ist die commercielle
Bedeutung von Dscheddah im Abnehmen begriffen. Aden als Frei-
hafen im Gegensatze zu dem in den türkischen Seeplätzen herrschenden
8percentigen Werthzoll bildete bald eine fühlbare Concurrenz für den
Handel von Dscheddah. Dscheddah, ehemals der Mittelpunkt für den
Handel des Rothen Meeres mit Abessinien, Nubien, Aegypten, Indien,
Afrika und Europa erlitt auch einen bedeutenden Schaden infolge der
durch den Suezcanal bewirkten directen Verbindung dieser Länder mit
Europa. Bedeutung hat dieser Hafen nur noch durch den Umstand,
dass er der Landungsplatz für die Mekkapilger ist und dass von hier
aus auch die Versorgung der heiligen Stätte des Islams mit den ver-
schiedenen Bedarfsartikeln stattfindet.
Dscheddah, welches in seiner Blüthezeit einen Handelsverkehr im Werthe
von 1,600.000 ₤ aufwies, verzeichnet heute kaum mehr einen Waarenumsatz von
1,000.000 ₤. Davon entfallen circa 720.000 ₤ auf die Einfuhr und nur 280.000 ₤
auf die Ausfuhr. Nach den vorliegenden Berichten wurden im Jahre 1890 auch
diese Ziffern nicht mehr erreicht.
Die nun folgenden Ein- und Ausfuhrziffern erscheinen in Ermanglung einer
genauen officiellen Statistik das Ergebniss einer Schätzung, dürften jedoch von
der Wirklichkeit kaum wesentlich abweichen.
Fassen wir zunächst die Einfuhr Dscheddahs als den wichtigeren Theil
seines Aussenhandels, und zwar für das Jahr 1890, ins Auge. so finden wir
Manufactur- und Textilwaaren mit einem Werthe von 150.000 ₤ an der
Spitze. Davon kamen für 80.000 ₤ aus England und für 70.000 ₤ aus Indien. —
12.000 ₤ repräsentirte die Einfuhr von Teppichen aller Art, worin Dscheddah
einen sehr bedeutenden Handel betreibt, da Teppiche von den Mekka-Pilgern aus
Algerien, Aegypten und Indien gern gekauft werden.
In nachstehender Tabelle verzeichnen wir die Importziffern der wichtigsten
Nahrungs- und Genussmittel. Es erreichte im Berichtsjahre die Einfuhr von
- Werth
- Zucker .......... 27.000 ₤
- Kaffee ........... 33.500 „
- Weizen (Indien u. Aegypt.) 87.000 „
- Gerste (Indien) ..... 24.500 „
- Reis............ 20.000 „
- Werth
- Gewürzen und Droguen.. 15.000 ₤
- Butter ........... 18.000 „
- Thee............. 30.000 „
- Bohnen ........... 3.000 „
Von Tabak gelangt eine specielle Sorte aus Persien und Mukalla zur
Einfuhr. Es ist ungeschnittener Tabak (Dembikih), der für das Nargileh-Rauchen
mit Vorliebe verwendet wird. Da dieser Tabak in der Türkei nicht gepflanzt wird,
ist seine Einfuhr nur gegen einen 75 %igen Zoll gestattet. Von dieser Sorte
importirte Dscheddah im Berichtsjahre für 7500 ₤.
Einen lebhaften Importartikel bildet ferner Holz. Im Jahre 1890 wurden
[639]Dscheddah.
für 15.000 ₤ Bretter und für 2500 ₤ Balken zumeist aus den Straits Settle-
ments eingeführt.
Erwähnenswerth ist noch die Einfuhr von Metallen. Dieselbe umfasste
für 4000 ₤ Kupfer, für 1800 ₤ Zinn und für 1700 ₤ Blei.
Die Einfuhr von Petroleum (aus Amerika) verzeichnete einen Werth von
15.000 ₤ und der Import von Kohle einen solchen von 3050 ₤.
In der Ausfuhr repräsentirten Perlmutterschalen den grössten Werth
mit 15.000 ₤. In diesem Artikel hat sich der Handel theilweise nach Massaua
gezogen, wo die Schalen bessere Verwerthung finden. Der grösste Theil der nach
Dscheddah gebrachten Schalen wird mit Dampfern des Oesterreichisch-Ungarischen
Lloyd nach Triest verschifft, und nur die grösseren Muscheln sendet man nach
Jaffa und Jerusalem, wo die Erzeugung von Schmuckgegenständen aus Perlmutter
einen hervorragenden Industriezweig bildet. Auch wurden für 600 ₤ Schildkrot-
schalen exportirt.
Den nächstbedeutenden Ausfuhrartikel bilden Felle. Dscheddah exportirte
im Berichtsjahre für 7100 ₤ Ziegenfelle, für 5300 ₤ Schaffelle und für
850 ₤ Kuhhäute.
Unter den Producten des Pflanzenreiches ist der Export von Datteln im
Betrage von 9000 ₤ in erster Reihe zu erwähnen. An diese reihen sich nach-
stehende Artikel: Hennah im Werthe von 1300 ₤, Sennesblätter im Werthe von
1100 ₤ und Gummi im Werthe von 2600 ₤.
Schliesslich sind noch Honig und Wachs als minder erhebliche Ausfuhr-
artikel Dscheddahs zu nennen.
Wie schon erwähnt, verdankt Dscheddah seine Bedeutung dem in diesem
Hafen sich concentrirenden Pilgerverkehre, dessen Umfang man aus folgenden
Ziffern ermessen kann: Im Jahre 1888 landeten in Dscheddah mit Dampfern
49.652 Pilger, ausserdem 1569, die durch türkische Küstenschiffe befördert wurden.
Die grösste Zahl dieser Pilger beförderten englische Dampfer, und zwar
21.330 oder 44½ %; 11.720 kamen mit ägyptischen Schiffen, 5114 mit türkischen,
3533 mit österreichischen, der Rest mit holländischen, französischen, italienischen
und deutschen.
Der Schiffsverkehr Dscheddahs ist schon aus diesem Grunde ein ganz
respectabler. Im Jahre 1890 liefen daselbst ein 231 Dampfer mit einem Gehalte
von 251.666 T. Darunter waren:
- Britische ...... 105 mit 138.176 T
- Aegyptische .... 54 „ 34.228 „
- Holländische .... 21 „ 31.008 „
- Oesterreichische .. 21 „ 30.962 „
- Ausserdem 7 Segler mit 6251 T.
- Türkische ...... 22 mit 18.211 T
- Deutsche ...... 1 „ 2.008 „
- Französische .... 3 „ 3.453 „
- Sansibarische .... 4 „ 3.620 „
Die regelmässige Verbindung besorgen ägyptische Dampfer (Suez-
Aden) jede zweite Woche, und der österreichisch-ungarische Lloyd jeden zweiten
Monat. Dscheddah ist durch ein Kabel mit Suakin an der Westküste des
Rothen Meeres verbunden und hat über diesen Hafen Anschluss an das Netz der
internationalen Telegraphen. Von Dscheddah gehen Landlinien nach Mekka und
Hodeida-Sana in Südarabien.
Consulate haben in Dscheddah: Frankreich, Grossbritannien, Italien,
Niederlande, Oesterreich-Ungarn
[[640]]
Massaua.
An der Westküste des Rothen Meeres sind Suakin (Suakim)
und Massaua (Massawa, Massua, Matsewa, Ort der Ankunft) die
beiden bedeutendsten Handelsplätze, selbstverständlich relativ zu allen
anderen Punkten. Beide stehen unter europäischem Einflusse; Suakin
unter britischem, Massaua unter italienischem. Suakin hat ungefähr
5000 Einwohner, von denen jedoch ein guter Theil während der
grossen Hitze des Sommers den Ort verlässt, um Kühlung im Inneren
Afrikas zu suchen. Der Ort ist an sich von keinerlei Bedeutung und
ganz reizlos. Die Bewohner bestehen meist aus Nubiern, dann auch
aus Arabern, einigen Griechen, Banianen und einigen englischen Kauf-
leuten. Die britische Besatzung ist relativ stark. Die vielfachen
Unruhen und kriegerischen Verwicklungen, deren Schauplatz im Laufe
des letzten Decenniums der benachbarte Sudan gewesen ist, blieben
nicht ohne Rückwirkung auf Suakin. Aeusserlich führten sie zur
Befestigung des Platzes, innerlich unterband aber der Aufstand des
Mahdi Suakin’s Handel fast vollständig, und auch heute noch haben
sich die Verhältnisse nicht viel gebessert, eine neue Blüthe ist erst
nach Pacificierung des Sudan zu erwarten.
Das südlicher, unter 15° 36′ nördlicher Breite und 39° 38′ öst-
licher Länge am Eingang der auch Massaua oder Arkiko benannten
Bai gelegene Massaua ist heute eine italienische Colonie und Haupt-
ort jenes Besitzes, welcher von seinem neuen Eigenthümer mit dem
alterthümlichen Namen Erythraea bezeichnet worden ist.
Massaua bestand bereits als „Saba“ unter den Ptolomäern, später hiess es
„Sabe“, wurde 1557 von den Türken erobert und 1866 an Aegypten abgetreten.
Bekanntlich wurden die Italiener auch von dem Colonialfieber ergriffen,
welches in den Achtzigerjahren weithin verbreitet war und namentlich auch die
Richtung nach Afrika nahm. Ein Streit mit Abessinien, allwo man italienische
Forschungsreisende arg gemassregelt hatte, gab Anlass zur Entsendung einer
militärischen Expedition, welche sich des für den Verkehr mit Abessinien wichtigsten
Hafens von Massaua bemächtigte.
[641]Massaua.
Dieses Massaua ist ein kleiner, durch sein ungesundes Klima
berüchtigter Ort mit etwa 5000 Einwohnern. Derselbe liegt auf zwei
Inseln, welche durch Erddämme mit dem Festlande verbunden sind.
Jener Damm, welcher zu der dem Festlande näheren Insel führt, ist
über 1000 m lang. Bemerkenswerthes bietet dieser Ort nicht, weder
an Baulichkeiten, noch an sonstigen Einrichtungen. Auf der östlich
gelegenen Insel befinden sich das alte Fort, die französische Mission
und das Zollamt, vor welchem man mit dem Baue eines neuen Quais
begonnen hat. Auf der westlichen Insel liegen die Baracken der
Garnison und ein grosses Wasserreservoir.
Massaua.
Der Hafen ist klein, aber gut und leicht zugänglich. Die
Italiener konnten während der kurzen Zeit ihres Besitzes nichts
leisten, da ihre ganze Aufmerksamkeit theils durch die bedrohlichen
Verhältnisse zu Abessinien, theils aber durch die Fürsorge für die
Truppen, welche das Expeditionscorps bildeten, fortwährend in An-
spruch genommen war. Dieses Corps hat durch das überaus heisse
Klima und durch den Mangel an gutem Trinkwasser viel zu leiden
gehabt. Es wies stets einen sehr hohen Krankenstand und Sterblich-
keit auf. Die italienischen Soldaten schlafen unter nassen Tüchern,
welche sie auf den nackten Leib legen, um durch die Verdunstung
einige Kühlung zu erfahren.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 81
[642]Der indische Ocean.
Die Bewohner Massauas sind zumeist Eingeborene, nur wenige
Araber, Nubier, Hindus und Griechen haben sich dort niedergelassen;
neuestens ziehen auch Italiener den Spuren der eigenen Truppen
nach. Seit es den Italienern gelang, auf dem kühleren, gesunderen
Hochplateau von Keren festen Fuss zu fassen, haben sich deren Aus-
sichten, den Handel Abessiniens wenigstens zum Theile in die Hände
zu bekommen, wesentlich gebessert. In Italien selbst sind die An-
sichten über das ganze Unternehmen getheilt. Nicht Wenige erblicken
darin mehr ein wenig überlegtes Wagniss, als den Anfang einer
hoffnungsvollen colonialen Politik. Ja es erscheint selbst noch gar
nicht ausgemacht, ob gerade Massaua der richtige Punkt sei, um
dort ein Emporium für den abessinischen Handel zu schaffen.
Ein Moment lässt sich freilich nicht verkennen, und in dessen
Beachtung liegt überhaupt die Hoffnung, welche Italien an diesen
Besitz knüpfen darf, mit dem es wenigstens eine erste Etape ge-
wonnen hat. Ganz Ostafrika ist in dem letzten Decennium aus seiner
bisherigen Abgeschlossenheit und Verschlossenheit herausgehoben
worden, und zahlreiche Bestrebungen sind thätig, um dort, wie es
bereits in anderen Theilen des Erdballes der Fall ist, die Fäden aus-
zulegen, welche auch Ostafrika dem Culturleben nahe bringen sollen.
Es steht eine harte und mühselige Arbeit bevor, und manche Zeit
wird vergehen, bis man am Ziele steht; aber der Anfang ist einmal
gemacht, und die Mittel, welche heute durch die Technik gegeben
sind und welche das früher so hindernde Moment der mangelhaften
Communication überwinden können, gewährleisten den Fortgang des
begonnenen Werkes.
Von einem eigentlichen Aussenhandel Massauas kann man seit
der Besetzung dieses Hafens durch die Italiener wohl nicht sprechen.
Seit dem mehrjährigen Kriege mit den Abessiniern beziehen diese
ihren Bedarf an europäischen Waaren über Obock, den Haupthafen
eines kleinen von Frankreich besetzten Küstenstriches, den die Fran-
zosen als Deportationsplatz für die Verbrecher aus Algier, respective
Tunis benützen. Die abessinischen Producte gelangen gleichfalls über
Obock im Süden und über Suakin im Norden zur Ausfuhr. Ehemals
spielte in dem Exporte von Massaua abessinischer Kaffee, welcher
wegen seiner vorzüglichen Qualität beliebt war und bei den Orientalen
als dem Mokkakaffee gleichwerthig erklärt wurde, eine grosse Rolle.
Gegenwärtig können Perlmutterschalen als der wichtigste Ausfuhrartikel
Massauas angesehen werden. Namentlich sind es Dscheddahfischer, welche, wahr-
scheinlich der besseren Verwerthung halber, der Mehrzahl nach ihre Beute mit
[643]Massaua.
Vorliebe nach Massaua zum Verkaufe bringen. Es wird in den letzten Jahren
die Beobachtung gemacht, dass von den 300—400 Barken, die von Dscheddah auf
den Muschelfang ausziehen, nur ein geringer Theil dahin zurückkehrt, während die
übrigen nach Massaua gehen.
A Grab, B Militärbaracken, C Observatorium, D Strasse, E franz. Mission, F Leuchtfeuer, F1 Leucht-
schiff, G Kohlenmagazin, H Ankerplatz, J Wasserleitung, K Wasserreservoir, L Quai im Bau, M Zoll-
amt, N Magazin für Schiffsvorräthe, O Minaret, P franz. Consulat, Q 5 Meterlinie, R 10 Meterlinie.
81*
[644]Der indische Ocean.
So liegt denn der Schwerpunkt des Verkehrs von Massaua in seiner Einfuhr
und auch da weniger in Handelsartikeln als in solchen Producten und Industrie-
erzeugnissen, welche zur Deckung der Bedürfnisse der italienischen Garnisonen
bestimmt sind. Nach den jüngsten Ausweisen, welche im Uebrigen das Herkunfts-
land der einzelnen Artikel nicht berücksichtigen, so dass es schwierig erscheint,
den Antheil der verschiedenen Länder an der Einfuhr dieses Hafens zu bestimmen,
belief sich der Gesammtimport von Massaua im Jahre 1890 auf 13,914.198 Lire gegen
12,768.230 Lire des Jahres 1889, wies mithin eine Steigerung von 1,145.968 Lire
oder 8 % auf.
Den weitaus grössten Theil dieser Summe umfassen naturgemäss die für
den Lebensunterhalt der Garnisonen nothwendigen Nahrungsmittel und Getränke.
So betrug der Werth der im Berichtsjahre (1890) importirten Getreide,
Mehle und Früchte 6,250.639 Lire oder rund 45 % der Gesammteinfuhr.
Der Import lebender Thiere umfasste im gleichen Zeitraume einen
Werth von 2,084.508 Lire.
Sodann gelangten für 851.443 Lire verschiedene Colonialwaaren (inclusive
Tabak) zur Einfuhr, und der Import an Getränken, Spirituosen und Oelen
repräsentirte einen Werth von 833.280 Lire.
Unter den übrigen Einfuhrartikeln stehen Textilwaaren an erster Stelle.
Der Hauptwerth von 2,029.588 Lire entfiel auf Baumwollwaaren, 198.035 Lire
repräsentirten die eingeführten Seidenwaaren, Wollwaaren umfassten einen
Werth von 56.654 Lire und Erzeugnisse aus Hanf und Leinen einen solchen von
43.431 Lire.
Der Import chemischer Producte belief sich auf 390.097 Lire.
Erwähnenswerth ist noch die Einfuhr von Erzen und Metallen im Werthe
von 238.109 Lire, ferner der Import von Holz und Stroh im Werthe von 147.454 Lire
und der Import von Stein und Thon im Werthe von 160.650 Lire.
Eine regelmässige Verbindung mit Massaua unterhalten:
- 1. Die Navigazione Generale Italiana, deren Schiffe alle 14 Tage von Neapel
über Messina, Port Said und Suez nach Massaua gehen. Ausserdem lässt diese
Gesellschaft wöchentlich einen Dampfer zwischen Massaua und Aden verkehren. - 2. Der Oesterreich.-Ungarische Lloyd, dessen Schiffe jeden zweiten Monat auf
der Fahrt von Triest nach Bombay Suez, Dscheddah, Suakin, Massaua, Hodeida
und Aden berühren. - 3. Aegyptische Schiffe jede zweite Woche auf der Linie Suez-Aden.
Die telegraphische Verbindung vermittelt ein Kabel nach Suakin, dem
Knotenpuncte der Kabel des Rothen Meeres.
[[645]]
Sansibar (Zanzibar).
Längs der ganzen Strecke vom Cap Guardafui bis Natal nimmt
Sansibar als Handelsplatz den ersten Rang ein. Dort concentrirt
sich nicht nur der Küstenverkehr, sondern auch die Karawanen,
welche die Verbindung mit dem Inneren von Afrika aufrecht
halten, nahmen bis vor Kurzem fast ausschliesslich ihren Aus-
gang von Sansibar, dessen Sultan eine verhältnissmässig bedeutende
Macht inne hatte. Heute bereiten sich freilich verschiedene Wand-
lungen in Ostafrika vor, unter denen jedenfalls der Erwerb eines aus-
gedehnten Gebietes durch das Deutsche Reich und die sehr nach-
haltigen Bestrebungen nach fester Organisation dieser Länder und
seines Handels eine wichtige Rolle spielen. Nicht minder wesentlich
sind die Abmachungen zwischen dem Deutschen Reiche und Gross-
britannien über die Abgrenzung der beiderseitigen Sphären in Ost-
afrika und die Bemühungen beider, sich feste Verbindungen mit dem
Inneren, namentlich nach den Gebieten der grossen Seen, zu sichern.
Da droht für Sansibar mancherlei Concurrenz, denn es liegt
auf der Hand, dass die neuen Colonialbesitzer sich bestreben werden,
den Handelszug in ihrem eigenen Territorium bis an die Küste zu
führen und ihren Küstenplätzen die Vermittlung jenes Handels zu
sichern, der bisher in Sansibar und dem auf der Küste des Festlandes
ihm gegenüberliegenden Saadani concentrirt war.
An der der deutschen Schutzhoheit unterstellten Küste westlich
von Sansibar ist hauptsächlich Dar-es-Salaam, das einen besseren
Hafen hat, als das etwas nördlich gelegene Bagamoyo, derjenige
Punkt, welcher als eine Hauptechelle dieser Colonieen Aussicht auf
eine künftige Entwicklung haben dürfte, während die Engländer das
weiter nördlich gelegene Mombas als Hauptniederlassung einrichten.
Die Eröffnung von Eisenbahnen, welche Deutsche und Engländer von
ihrer Küste aus gegen den Victoria Nyanza hin bauen wollen, wird
Sansibar neue Concurrenzhäfen schaffen. Im deutschen Küstengebiete
[646]Der indische Ocean.
dürfte ein Platz bei Tanga oder Pangani Ausgangspunkt für die
sogenannte Usambara-Linie werden, zu deren Bau sich die „Eisen-
bahngesellschaft für Deutsch-Ostafrika“ constituirt hat.
Sansibar hat mancherlei Schicksale gehabt. Es stand schon in alten Zeiten
in enger Verbindung mit Arabien, gerieth dann unter die Herrschaft der Portu-
giesen, welche aus Sansibar nichts machten und sich auch dort auf die Dauer
nicht behaupten konnten, sondern diesen Besitz an den Imam von Maskat ver-
loren. Die arabischen Dynasten regierten gleichzeitig über ihr Heimatland Maskat
im südöstlichen Arabien und über jenes afrikanische Gebiet. Noch der Vater des
jetzigen Sultans gebot über Maskat und Sansibar. Nach seinem Tode aber fand
eine Trennung statt. Der eine Sohn behielt Maskat und der andere, Sayed Medschid
(† 1870; ein jüngerer Bruder, Sayed Khalifa, ist seit 1888 der Herrscher) trat
selbständig das Regiment in den afrikanischen Besitzungen an.
Die Stadt Sansibar liegt unter 6° 10′ südlicher Breite und
39° 11′ östlicher Länge von Greenwich; sie zählt ungefähr 100.000
Einwohner, nimmt also schon dadurch den ersten Rang an der ganzen
Ostküste Afrikas ein. Die sich ganz ansehnlich präsentirende Stadt,
welche von den Eingeborenen Unguja genannt wird, liegt auf
einer flachen, sandigen Landzunge und besteht aus mehreren von
einander wesentlich verschiedenen Theilen. Im Norden liegt das
europäische Viertel, welches sich durch eine gewisse Nettigkeit kenn-
zeichnet und ausser den Niederlassungen der Europäer auch viele
Häuser der arabischen Aristokratie in sich schliesst. Hier findet man
durchweg Steingebäude und reine, zumeist mit Asphalt belegte
Strassen. Der Styl der Häuser erinnert zumeist an die portugiesische
Zeit. Die Einrichtung ist praktisch und dem Klima entsprechend,
da die Nähe zum Aequator besondere Rücksicht erheischt. Man findet
bei den Europäern zumeist wohlbepflanzte Höfe, in denen man sich
erfrischender Kühle erfreut, und durchwegs flache, terrassirte Dächer,
welche in den abendlichen Ruhestunden mit besonderer Vorliebe be-
nützt werden. Die flachen Dächer sind auch der Lieblingsaufenthalt
der Araber, welche jedoch in Bezug auf die innere Einrichtung ihrer
Häuser hinter ihren europäischen Nachbarn zurückbleiben. Die
arabischen Häuser enthalten sehr unregelmässig aneinandergefügte
Räume und kleine Stiegen, aber fast immer einen grossen Saal für
feierliche Handlungen innerhalb der Familie. Die Einrichtung an
Möbelstücken ist zumeist karg.
Dem europäischen Viertel zunächst liegt das sogenannte Bazar-
viertel, in welchem auch die zahlreichen, dem Handel obliegenden
Inder Häuser und zahllose Verkaufsbuden besitzen. Wenn auch hier
noch Steinbauten vorkommen, wie denn überhaupt ungefähr ein
[647]Sansibar.
Drittel aller Häuser Sansibars aus Korallenstein errichtet ist, so wirkt
der Eindruck dieses Viertels doch schon minder günstig, wenngleich
das rege Treiben für den Ethnographen manches Interesse bietet. Der
Besuch des Quartiers, welches das Fort in der Mitte der Stadt umgibt,
stimmt noch mehr herab. Hier wohnen zum grossen Theile Fischer,
Matrosen und Sclaven, auch viele Neger. Man findet hier nur Hütten,
zumeist aus Bambus, mit Schmutz und üblem Geruch. Und diese Bei-
gaben steigern sich in den nur von Negern bewohnten Theilen der Stadt
in einer recht bedenklichen Weise, obwohl man trotz alledem mit
Recht sagen kann, dass Sansibar eine für afrikanische Begriffe
reinliche Stadt genannt werden muss.
Seewärts auf dem Hauptplatze liegt die Residenz des Sultans,
ein einfaches Gebäude mit zwei Stockwerken, dessen innere Einrich-
tung gleichfalls nichts von der in orientalischen Fürstensitzen gewöhn-
lichen Pracht zeigt. Neben dem Palaste befinden sich zwei Gebäude,
in denen der Harem des Sultans untergebracht ist. Sowohl der Palast
als auch der Platz, auf welchem derselbe steht, sind elektrisch be-
leuchtet. Die verschiedenen auf der Insel gelegenen Landhäuser des
Sultans sind bereits telephonisch mit dem Stadtpalais verbunden. Der
Harem des Sultans soll zahlreich besetzt sein. Der Sultan Seyid Khalifa
ben Saïd ist jedoch kein schroffer Orientale. Er hat Verständniss für
europäisches Wesen und kommt den Fremden mit Freundlichkeit
entgegen, wobei er wohl auf sein eigenes Interesse auch Bedacht
nimmt. Seine Stellung ist übrigens keine leichte, seitdem Ostafrika
von den Deutschen und Engländern aufgetheilt wurde; dabei verlor
Sansibar seine Besitzungen an der Küste des Continentes, und über den
Rest, die Inseln Sansibar und Pemba zusammen mit 2560 km2 um-
fassend, übernahm am 4. November 1890 England die Schutzherr-
schaft.
Wie alle Orientalen sind der Sultan und seine Rathgeber
schlaue Politiker, welche der unerbittlichen Nothwendigkeit der Ver-
hältnisse nachgaben, ohne Widerstand zu leisten. Der Sultan verfügt
auch über eine reguläre militärische Macht, welche bei feierlichen
Gelegenheiten mit einer gewissen Befriedigung gezeigt wird. Sie
besteht aus einer Leibwache von 1500 Mann, noch anderen
1400 Soldaten und einem Kriegsdampfer. Trotz der guten Bewaffnung
und einiger europäischer Cultur dürfte jedoch der innere Werth
dieser Truppen kein grosser sein. Am verlässlichsten ist jedenfalls
die meist aus Beludschen gebildete Leibwache; diese sind kräftige
Leute, die einen kriegerischen Eindruck machen, und denen vor
[648]Der indische Ocean.
Allem der Schutz des Palais und der übrigen Häuser des Sultans in
und ausser der Stadt anvertraut ist.
Die Regierungsform ist in Sansibar eine vollkommen absolute. Es
gibt eigentlich keine stehenden Behörden. Der Sultan greift selbst in
Alles ein und überträgt nur vorübergehend Functionen an irgend
einen Vertrauensmann.
An bemerkenswerthen Gebäuden fehlt es in Sansibar vollkommen.
Die Moscheen sind zwar zahlreich, aber klein und unansehnlich. Am
meisten fällt noch das Gebäude der französischen Mission mit der
katholischen Kirche auf. Auch eine anglikanische, die „Central-
African Mission“, befindet sich hier, und es sind einige Hôtels vorhanden.
Verlässt man die Stadt auf der Landenge, welche dieselbe
mit der eigentlichen Insel verbindet, so findet man auf langsam an-
steigendem Terrain zunächst einen meist von Madegassen bewohnten,
recht primitiven Vorort und gelangt dann zur sogenannten Nasimoja,
dem Hauptausflugspunkte der Leute von Sansibar, einer mit Alleen
und hübschen Gärten ausgestatteten Fläche, die ihren Namen von
einer Palme trägt, welche dort vereinzelt hoch emporragt. Von der
Nasimoja hinweg führen dann die Wege zu den verschiedenen Fried-
höfen; der Todtencultus spielt in Sansibar eine grosse Rolle.
Wandert man auf der Insel herum, so stösst man allenthalben
auf die grossen Besitzungen sowohl des Sultans, als seiner reichen
arabischen Unterthanen.
Die Bevölkerung von Sansibar ist eine sehr gemischte. Herrschend
sind die Araber, aber ihre Anzahl ist nicht gross. Sie bilden die
Aristokratie des Landes, ihnen gehört der meiste Grundbesitz, und
die Insel, soweit sie nicht Domäne des Sultans ist, befindet sich ganz in
ihren Händen. Freilich haben sich die Araber nicht rein erhalten, sondern
vielfach mit den Suaheli, den eigentlichen Einwohnern des Landes,
gekreuzt. Sie haben die Fäden des Verkehrs in der Hand und be-
weisen hier wie anderwärts ihren commerciellen Geist.
Die Suaheli machen das Gros der Bevölkerung aus. Sie gehören
der Negerfamilie an, weisen jedoch, durch den langen Wechsel-
verkehr, viel Beimischung arabischen Blutes auf. Es sind starke,
kräftige und intelligente Leute von einer zwischen schwarz und braun
liegenden Hautfarbe. Sie gelten als gutmüthig, aber auch als sehr
lügnerisch und im höchsten Grade auf Gewinn bedacht.
Neben den Suaheli finden sich Neger anderer Stämme und
reineren Blutes aus den verschiedenen Landschaften Ostafrikas. Dann
sind die Hindus, wie schon vorher erwähnt, ziemlich stark vertreten.
[649]Sansibar.
Ein Theil derselben gehört dem Islam an, ein anderer Theil besteht
aus Brahmanen und unter diesen sind insbesondere die Banianen her-
vorzuheben. Die Hindus treiben durchwegs Handel; namentlich die Ba-
nianen zeichnen sich sowohl durch ihre Geschicklichkeit als auch zu-
meist durch ihren Reichthum aus. Diese Hindus kamen als englische
Unterthanen, wussten bald den Grosshandel den Arabern vollständig zu
entwinden und diese zu ihren Agenten zu machen, welche die müh-
samen Geschäfte für sie auf dem Festlande zu besorgen haben. Selbst
Leute, wie Tippo-Tipp, sind finanziell ganz von den Hindus abhängig.
Diese Hindus als britische Unterthanen haben auch die britischen In-
Sansibar.
teressen in Sansibar so sehr zur Bedeutung gebracht. Dann gibt es
Madegassen, von Madagascar her kommend, und die sogenannten
Godoesen, das sind Abkömmlinge portugiesischer und einheimischer
Eltern. Die Europäer bilden in Sansibar eine ganz kleine Colonie
von höchst geringer Kopfzahl, einige Consularfunctionäre und die
Agenten von Geschäftshäusern und Dampfergesellschaften bilden das Gros.
Wenn man die Bevölkerung nach ihrer rechtlichen Stellung
scheidet, so befindet sich der grössere Theil in dem Verhältnisse der
Sclaverei. Der Sclavenhandel, der in früheren Zeiten über Sansibar
sehr schwungvoll betrieben wurde, hat heute freilich aufhören
müssen, seitdem die europäischen Seemächte scharfe Wacht halten
und deren Kreuzer auf jedes verdächtige Schiff Jagd machen; aber
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 82
[650]Der indische Ocean.
in Sansibar hat man die Sclaven, welche den Eingebornen gehören,
noch nicht freigegeben. Doch scheint nach allen Beobachtungen die
Lage dieser Leute in Sansibar keine allzu trübselige zu sein. Sie
werden im Ganzen von ihren Herren gut behandelt, erhalten ge-
wöhnlich eine gewisse Bezahlung, können sich Ersparnisse machen
und haben zumeist auch einen Theil der Arbeitszeit zur freien Verfü-
gung. Auf dem Lande stehen die zur Bebauung der Aecker verwen-
deten Sclaven in einem Verhältnisse, welches jenem der sogenannten
Colonen in Italien gleicht. Auch besitzen die Sclaven in Sansibar ein
eigenthümliches, nicht unwesentliches Recht. Sie können nämlich im
Falle nachgewiesener schlechter Behandlung ihren Herrn zwingen, sie
zu verkaufen. Der Sclave zählt in Sansibar zum Inventar der Familie.
Es besteht daher zwischen ihm und seinem Herrn ein näheres Ver-
hältniss und man ist auf beiden Seiten dem häufigen Wechsel des
Besitzes nicht geneigt.
Die Lebensverhältnisse in der Stadt sind jenen irgend einer
streng orientalischen Stadt gleich. Der Europäer sind zu wenig vor-
handen, um einen Einfluss auf die gesellschaftlichen Zustände üben
zu können.
In religiöser Beziehung sind hier verschiedene Culten vertreten;
in erster Reihe steht jedoch der Islam, welcher freilich durch die
Ueberreste verschiedener, von den Negern stammender Confessionen
mancherlei Variationen gefunden hat, umsomehr, als vor Allem die
Suaheli tief in allerlei Aberglauben stecken und in einer Fülle von
tollem Formelwesen und Zauberkram ihre grösste Befriedigung und Be-
ruhigung suchen und finden. Auch christliche Missionen, sowohl
katholischer als protestantischer Form, haben in Sansibar ihre Thätig-
keit eröffnet und auch dadurch einige Erfolge erzielt, dass sie Unter-
richtsanstalten für Kindererziehung erhalten. In dieser Beziehung ist
die Niederlassung französischer Missionäre in Bagamoyo, einem auf
dem Festlande gegenüber von Sansibar gelegenen Orte, der jetzt
den Deutschen gehört, und von wo die grosse Verkehrsader nach
dem Innern abbiegt, sowohl an Umfang als an Bedeutung erwähnens-
werth. Sie enthält mehrere Hundert Zöglinge, welche namentlich im
Feld- und Gartenbau unterrichtet werden, und von denen man hofft,
dass sie sich als Pionniere nicht nur ihres Glaubens, sondern auch
des wirthschaftlichen Fortschrittes bewähren werden.
In Sansibar existirt kein Hafenamt und werden von den einlaufenden
Schiffen keine Schiffsdocumente abverlangt. Es ist deshalb auch mit der Anlage
der Handelsstatistik ziemlich schlecht bestellt. Wiewohl uns also genaue Auf-
[651]Sansibar.
zeichnungen nicht vorliegen, wollen wir aber doch versuchen, ein Bild des Handels-
verkehres zu entwerfen, so weit dies bei den vorhandenen Hilfsmitteln möglich ist.
Unter den Waaren, welche in Ostafrika am meisten consumirt werden und
daher in erster Linie in Sansibar zur Einfuhr gelangen, sind Textilwaaren her-
vorzuheben. Darunter beherrschen rohe und gefärbte Baumwollwaaren den
Markt, namentlich ein leichter Baumwollstoff „Americano“ genannt, der aber in
letzter Zeit durch das ähnliche, jedoch wesentlich billigere indische „Gamti“ ver-
drängt wird. Beliebt sind ferner leichte durchsichtige Stoffe, die zu lang herab-
wallenden Hemden Verwendung finden, sowie bunte, bedruckte Taschentücher, von
denen man je sechs zusammenhängende Stücke als Hüft- oder Brusttücher ver-
wendet.
Bunte Baumwoll- und Seidenstoffe werden ferner in grellen Farben
theils für Kleidungsstücke, theils zum Ausschmücken der Wohnräume benützt.
Glasperlen in verschiedensten Grössen und Farben finden bei den Negern
als Hals-, Bein- und Armschmuck Verwendung und werden zumeist aus Venedig
und Böhmen eingeführt.
Ebenso werden verschiedene Schmuckgegenstände aus Eisen-, Kupfer- und
Messingdraht angefertigt, welche daher einen lebhaften Import finden.
Kerzen liefert hauptsächlich Belgien, und Seife wird aus England im-
portirt.
Zündhölzchen kommen aus Deutschland und Oesterreich-Ungarn.
Steingutwaaren sind meist deutscher Provenienz.
Ein speciell bei den Arabern gesuchter Artikel sind Sanduhren, die man
in den Wohnungen in ziemlicher Anzahl als Zierde vorfindet, und welche aus der
Schweiz eingeführt werden.
Nägel und Stifte kommen vornehmlich aus England und Antwerpen; Möbel
aus gebogenem Holze, zumeist österreichischer Provenienz, führt Hamburg ein.
Petroleumlampen, die ziemlich starken Absatz finden, kommen merk-
würdigerweise aus Bombay.
Fez werden in grossen Mengen aus Böhmen über Deutschland importirt.
Einen starken Importartikel bilden in Folge des lebhaften Verkehres an
Kriegsschiffen Conserven, die aus England zur Einfuhr gelangen.
In Schiffszwieback concurriren Deutschland und England.
Mehl importirt Bombay und in kleinen Mengen Oesterreich-Ungarn.
In die Einfuhr von Zucker theilen sich Oesterreich-Ungarn und Frankreich
Wein liefern Frankreich, Italien und Spanien; Bier, welches in erhöhtem
Masse consumirt wird, liefert hauptsächlich England und Deutschland.
Whisky kommt aus Glasgow und Dundee.
Olivenöl wird aus Frankreich, Italien und Oesterreich eingeführt.
Tabak und Cigarren liefert hauptsächlich Antwerpen.
Die Ausfuhr setzt sich zumeist aus Rohproducten zusammen.
Die eigentlichen Ausfuhrartikel der Insel Sansibar selbst beschränken sich
auf Gewürznelken und Koprah, alle anderen Artikel werden vom Festlande
nach Sansibar gebracht, im Sultans- oder dem deutschen Zollamt dem Werthe nach
verzollt und von da ins Ausland verschickt. Der ganze Zwischenhandel liegt in
den Händen der Inder, welche jede Concurrenz der Araber und Europäer hart-
näckig bekämpfen.
82*
[652]Der indische Ocean.
Die wichtigsten und bedeutendsten Exportartikel sind Elfenbein, Gummi
und Nelken.
Das Elfenbein erstehen arabische und indische Kaufleute durch Tausch-
handel von den Eingebornen im Inneren und bringen es in Karawanen an die
Küste. Es kommt aus Pangani, Kilwa, Lindi, Bagamoyo und Saadani. In Sansibar
sollen jährlich zwischen 200.000 bis 300.000 kg auf den Markt gebracht werden.
Gummi stammt aus Central- und Ostafrika, das beste aus Lindi und Kilwa.
Die Versendung erfolgt in Jutesäcken nach Europa und Amerika. Die Ausfuhr
A Ankerplatz, B 10 Meterlinie, C 5 Meterlinie, D Telegraphen-Kabel, E Brücke, F Leuchtfeuer, G Be-
gräbnissplätze, H weisse Steinpfeiler (als Landmarke), J Gefängniss, K Fluss Mpepo, L englische
Mission.
beträgt durchschnittlich per Jahr 10.000—15.000 Frassilas oder (1 Frassila
= 15·8 kg) 158.000—237.000 kg.
Gewürznelken werden fast seit 100 Jahren auf den Inseln Sansibar,
Pemba und den Comoren cultivirt und jetzt in solcher Menge, dass Sansibar der
erste Hafen für dieses allerdings nicht mehr so sehr begehrte Gewürz geworden
ist, gegen den die Molukken (früher der einzige Bezugsort) weit zurücktraten. Der
grösste Theil der Nelkenplantagen gehört dem Sultan und seiner Familie, der
Rest reichen Arabern. Die sansibarischen Gewürznelken sind von bester Qualität
und liefern zwei Drittel des Gesammtconsums des Weltmarktes. Der Export
beträgt jährlich im Durchschnitte 50.000—100.000 Frassilas oder 790.000 bis
[653]Sansibar.
1,580.000 kg, welche, in Mattensäcken verpackt, nach Europa und Indien als Ge-
würze und zur Erzeugung des Nelkenöles ausgeführt werden.
Koprah geht zumeist nach Indien, wo es zur Erzeugung von Brennöl
Verwendung findet. Es werden jährlich circa 40.000 Frassilas oder 632.000 kg
ausgeführt.
Der Exportwerth von Orseille wird auf 50.000 Dollars jährlich veran-
schlagt.
Rohrzucker, eigentlich Melasse, aus Zuckerrohr gewonnen, wird in ge-
reinigten Petroleumblechkisten nach Europa verschifft.
Erwähnenswerth ist ferner noch die Ausfuhr von Rindshäuten, die in
grossen Mengen aus den Somaliländern nach Sansibar gebracht und im unge-
gerbten Zustande nach London und Amerika verschifft werden.
Von industriellen Erzeugnissen des Landes, die übrigens nicht zu
zahlreich sind, wird nur wenig ausgeführt, sie werden zumeist im Lande selbst
consumirt. Erwähnenswerth ist die Erzeugung von Oel, welche stark betrieben
wird. Das Oel wird durch Pressen von Cocosnüssen und Palmkernen in Oel-
mühlen gewonnen. Nur ein geringer Theil wird nach Indien exportirt.
Verschiedene Getränke, denen die Neger mit Vorliebe huldigen, werden
gleichfalls in Sansibar hergestellt. So der Palmwein oder „Tembo“, der durch
Anbohren der Blüthenstaude der Cocospalme gewonnen wird. Ein anderes Getränk,
„Pombe“, wird durch Kochen und Gähren von Maniok bereitet.
Die Erzeugung von Flechtarbeiten wird ferner überall von Negerfrauen
betrieben, welche hiefür eine bewunderungswürdige Fertigkeit besitzen. Solche
Producte sind vornehmlich Matten, Korbwaaren und Fächer.
Cocosnussgarn wird in Sansibar stark erzeugt. Das Fabricat geht nach
London und Hamburg, um zu Tauwerk verarbeitet zu werden.
Die Eingebornen betreiben ferner die Töpferei, welche jedoch primitiv
ist und sich auf die Herstellung einfacher irdener Schüsseln, Töpfe und Wasser-
gefässe in unglasirtem Zustande beschränkt.
Einen bevorzugten Industriezweig bildet die Waffenfabrication, da die
Araber von Sansibar sehr gute Waffenschmiede sind.
Erwähnenswerth ist schliesslich noch die Erzeugung verschiedener Galan-
teriewaaren aus Ebenholz, Elfenbein, Horn, Schildpatt und Holz.
Der Schiffsverkehr von Sansibar wird aus nachstehender Tabelle er-
sichtlich.
Im Jahre 1888 sind in den Hafen von Sansibar eingelaufen:
- Deutsche .......... 5 Dampfschiffe und 5 Segler
- Britische .......... 47 „ „ 4 „
- Französische ........ 17 „ „ — „
- Amerikanische ....... — „ „ — „
- Portugiesische ....... — „ „ 1 „
- Belgische ......... 3 „ „ — „
- Dänische .......... — „ „ 1 „
- Sansibarische ....... 58 „ „ — „
Vier europäische Dampfschiffahrt-Gesellschaften unterhalten eine regel-
mässige Verbindung mit diesem Hafen. Die British India Steam Navigation Cy.
sendet jede vierte Woche einen Dampfer von London durch den Suezcanal über
Aden, Lamu und Mombas nach Sansibar.
[654]Der indische Ocean.
Die Schiffe der Deutschen Ostafrika-Linie gehen alle vier Wochen von
Hamburg gleichfalls über Aden nach Sansibar und von da aus weiter nach
Mozambique und der Delagoabai.
Eine monatlich regelmässige Verbindung zwischen Marseille und Sansibar
unterhalten ferner die Messageries maritimes, deren Dampfer dann von hier aus
über Tamatave weiter nach Réunion und Mauritius gehen.
Endlich lässt die Mala Real Portugueza von Lissabon monatlich einen
Dampfer über Sansibar nach der Delagoabai laufen.
Ueberdies unterhalten die Dampfer des Sultans von Sansibar einen Verkehr
mit den Küstenplätzen, mit Aden und Bombay.
Die Segelschiffahrt ist sehr gering und hauptsächlich auf Kohlen- und
Petroleumschiffe beschränkt. Der Küstenhandel wird durch die heimischen „Dhaus“
vermittelt.
Sansibar steht mit Aden, dem Caplande, ferner mit Mombas und Bagamoyo
durch Kabel in telegraphischer Verbindung.
Die Communicationen auf dem Lande vollziehen sich noch immer auf den
Karawanenstrassen, wenn man die von den Trägern ausgetretenen Fusssteige so
nennen darf. Als Tranportmittel wird ausschliesslich der Sclave verwendet. 100
bis 200 Sclaven bilden eine unter Führung eines Arabers stehende Karawane.
Der männliche Sclave trägt 2 Frassilas (31·6 kg), die Sclavin 1 Frassila (15·8 kg),
und zwar auf dem Kopfe.
Durch Consulate sind in Sansibar vertreten: Deutsches Reich, Frank-
reich, Grossbritannien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Vereinigte Staaten
von Amerika.
Südlich von Sansibar an der Festlandsküste liegen die kleineren
Hafenorte Lindi und Kilwa (Quiloa), die jedoch von keiner Bedeutung
für den grossen Verkehr sind, dann Mozambique (Mosambik), die
Hauptstadt des portugiesischen Colonialbesitzes im östlichen Afrika.
Der Ankerplatz von Mozambique, welcher durch die nördliche, mit
Bojen versehene und gut beleuchtete Einfahrt leicht zugänglich ist,
kann als ein für jede Gattung von Schiffen sehr guter bezeichnet
werden, da er durch die vorliegenden Inseln und Riffe ausreichend
geschützt ist. Der portugiesische Besitz von Ostafrika befindet sich
durchaus nicht in einem blühenden Zustande, obwohl die Verhältnisse
des Landes von Natur aus keine anderen sind als jene der etwas
südlicher gelegenen britischen Colonie Natal oder der Küsten-
gebiete im Westen von Sansibar, wo man in der neuesten Zeit
eine im Vergleiche zu Mozambique viel günstigere Entwicklung con-
statiren kann. Die Portugiesen sind eben arm an Mitteln und waren
immer arm an dem richtigen Verständnisse für die Behandlung und
Förderung von Colonien. Es hat der hier in Rede stehenden Colonie
auch noch geschadet, dass man dieselbe zur Deportation von Sträf-
lingen benützte. Das Budget der Colonie ist immer passiv.
[655]Sansibar.
Die Stadt Mozambique, welche auf einer ganz kleinen nie-
drigen und schmalen, etwa 4 km langen Koralleninsel gelegen ist,
macht keinen freundlichen Eindruck. Sie stellt sich mehr wie eine
düstere Festung, denn als ein Handelshafen dar. Der Eingang in den
Hafen wird von zwei Forts geschützt, San Sebastian (mit aus Europa
gebrachten Steinen gebaut) und S. Lorenzo. Ersteres dient auch als
Gewahrsam für Deportirte. Die Stadt selbst hat reine Strassen und
zumeist Häuser aus Stein, zeigt jedoch keinerlei Leben. Unter den
Gebäuden sind das Palais des Gouverneurs, das Municipalgebäude,
ein ehemaliges Jesuitencollegium, ein Spital, ein kleines Arsenal,
dann mehrere Factoreien der daselbst etablirten portugiesischen,
deutschen und französischen Handelshäuser zu erwähnen.
Die Bevölkerung beläuft sich auf ungefähr 8000 Seelen,
worunter jedoch, abgesehen von der Garnison, nur wenige Europäer
sind. Ausserdem sind hier Malayen, Banianen, Araber und auch Chi-
nesen sesshaft. Die Masse der Bevölkerung besteht aber aus Einge-
bornen.
Mozambique wird besonders in der Regenzeit (November bis
März) stark von bösen Fiebern heimgesucht und erfreut sich über-
haupt keiner guten sanitären Verhältnisse; ja für die Europäer ist
das Klima dieser, wie fast aller portugiesischen Colonieen in Afrika
mörderisch.
Auf dem Festlande ist der Einfluss der Portugiesen bereits ein
sehr geringer, wozu wohl auch seit jeher der Umstand beigetragen
haben mag, dass die Lage des Centrums der Colonie nicht praktisch
ist. Handel und Verkehr Mozambiques bewegen sich daher in
einem beschränktem Umfange, und der Conflict, in welchen das Mutter-
land mit England eben wegen dieser Colonie in jüngster Zeit gerathen
ist, hat natürlich nur noch ungünstiger auf die dortigen Verhältnisse
eingewirkt.
Den Seeverkehr von Mozambique besorgen die Deutsche Ost-
afrika-Linie und die Mala Real Portugueza.
Südlich von Mozambique, an der Mündung des Zambesi, liegt
der kleine Hafenort Luabo, welcher an Wichtigkeit viel gewinnen
wird, wenn einmal der Verkehr mit den an den Ufern des Zambesi
gelegenen binnenländischen Districten eine gesichertere Entwicklung
gewonnen haben wird, dann folgen Inhambane und die Dela-
goabai mit dem Hafen Lorenzo Marquez als Einbruchsstellen für
das betreffende Hinterland. Letzteres wird namentlich für das Transvaal-
[656]Der indische Ocean.
Land von grosser Bedeutung werden, wenn die geplante Eisenbahn
fertiggestellt sein wird. Diese Bahn würde Transvaal commerciell
von Süd-Afrika loslösen.
Nicht ganz unerwähnt können wir die grosse Insel Madagascar
lassen, welche ungefähr in der Längenausdehnung vom Cap Delgado
bis Cap Corsentos, durch die breite Strasse von Mozambique getrennt,
der afrikanischen Ostküste gegenüberliegt.
Madagascar hat sich bekanntlich früher von der Aussen welt
abgeschlossen.
Wiederholt wechselten die Hovas, der herrschende Stamm auf
Madagascar, ihre Religion, nachdem sie Christen geworden waren. Sie
waren Katholiken, als der französische Einfluss vorherrschte, und
bekannten sich als Evangelische, wenn ihnen die Engländer mehr
imponirten. Jetzt sind die Hovas nominell Presbyterianer, und das
werden sie aus Hass gegen die Franzosen auch bleiben, die sie
gezwungen haben, in einem Vertrage vom 17. December 1885 das
französische Protectorat anzunehmen und zu gestatten, dass ein fran-
zösischer Resident mit militärischer Bedeckung in der Haupstadt
Antananarivo seinen Sitz habe; er darf sich aber nicht in die innere
Verwaltung der Insel mischen, sondern besorgt nur die äusseren Ange-
legenheiten von Madagascars. Dieses Protectorat wurde 1890 von Eng-
land und Deutschland anerkannt.
Tamatave an der Ostküste ist die natürliche Eingangspforte
von Madagascar. Es verdankt seine Bedeutung den benachbarten Inseln
Réunion und Mauritius, welche seit langer Zeit Handelsbeziehungen
mit Madagascar unterhalten, und als bequemer Ankerplatz ist es zum
Centrum der kreolischen, der indischen und der Howa-Händler, wie der
europäischen Kaufleute geworden. Tamatave ist der Hafen von Anta-
nanarivo und sein Verkehr mit der ganzen Ostküste und den Central-
provinzen des Reiches überragt an Bedeutung alle übrigen Küstenplätze.
Die Messageries maritimes unterhalten viermal im Monate eine
regelmässige Verbindung Tamataves mit Marseille über Sansibar und
Réunion. Eine englische Linie verkehrt zwischen Mauritius, Tamatave,
Natal und Capstadt.
Aber an die Küste von Madagascar treiben die Wellen des
Weltverkehrs nur erst ihre äussersten Ausläufer, und die Zeit, in
welcher die Insel ihrer natürlichen Beschaffenheit und ihrer Bevöl-
kerung nach einmal eine ganz ansehnliche Rolle zu spielen berufen
sein mag, dürfte noch ferne liegen.
[657]Sansibar.
Ausfuhrartikel sind lebende Ochsen, bestimmt für die dichte Bevöl-
kerung von Réunion und Mauritius, wohin jede Woche 5—600 Stück gehen.
Zu nennen sind ferner Häute und Kautschuk von der Kautschukliane.
Auch die Einfuhr ausländischer Waaren, unter denen schlechter Rum von
Mauritius und Réunion und rohe amerikanische Baumwolltücher hervorragen, ist
nicht unbeträchtlich.
Einer hohen Cultur erfreut sich die Gruppe der Mascarenen,
welche im Osten Madagascars an der polaren Grenze des Passates
der südlichen Erdhälfte liegt. Réunion, früher Ile de Bourbon ge-
nannt, gehört seit 1644 den Franzosen, den Namen von Mauritius
änderten die Franzosen bei der Besetzung der Insel 1715 in Ile de
France, und erst 1810 führten die Engländer, die neuen Beherrscher
derselben, die alte Bezeichnung wieder ein.
Beide Inseln sind Perlen landschaftlicher Schönheit. Steil erhebt
sich fast an dem ganzen Umfange das vulcanische Gestein in der
Nähe der Küste zu einem mehrere Hundert Meter hohen Plateau, das
mit einer tiefgründigen, lebhaft rothen und fruchtbaren Erde bedeckt
ist. Berge mit bizarren Formen, die nur bis zu 790 m über das Meer
aufsteigen, überragen die ausgedehnten Hochebenen von Mauritius;
das viel kleinere Réunion ist vorherrschend bergig; hier beherrscht
der weithin sichtbare Piton des Neiges (3069 m), dessen Spitze im
Juli und August im blendenden Schnee erglänzt, die ganze Landschaft.
Alle erdenklichen landschaftlichen Elemente vom Norden bis zu den
überreichen Tropen sind hier in einer so wunderbaren harmonischen
und wirkungsvollen Weise zusammengedrängt, dass auch der nüch-
ternste Beobachter nicht kühl bleiben kann und unsere Sprache dem
gewiegtesten Poeten nur eine dürftige und blasse Wiedergabe dieser
grossartigen Natur gestattet.
Der fruchtbare Boden, die warme, durch beständige Seewinde
gemilderte Luft, die reichlichen Niederschläge schaffen eine staunens-
werth üppige Vegetation, welche naturgemäss die Ansiedler locken
musste.
Heute gehören beide Inseln zu den dicht bevölkerten Gebieten
der Erde. Réunion zählt auf 1980 km2 165.009 Einwohner (83 auf
1 km2), Mauritius auf 1918 km2 sogar 372.664 Einwohner (195 auf
1 km2), eine Dichte, ähnlich derjenigen, die in den hervorragenden
Fabriksbezirken Europas herrscht.
Zucker, Rum und Vanille sind die wichtigsten Ausfuhrproducte
der Inseln, in der Einfuhr sind Industrieartikel, Reis aus Indien und
lebende Ochsen aus Madagascar in erster Linie zu nennen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 83
[658]Der indische Ocean.
Dabei ist zu bemerken, dass die wirthschaftlichen Verhältnisse
des englichen Mauritius viel günstiger sind als die des französischen
Réunion, wo eine Raupe grosse Verheerungen anrichtet; sie bohrt
sich in die Zuckerrohrstengel ein und bringt das Rohr zum Absterben.
Die Bewohner beider Inseln sind grösstentheils französische
Kreolen. Dem Fremden fallen auch die Inder auf, die sogenannten
Malabaren, rührige und sparsame Kulis lebhaften Temperamentes von
der Küste von Malabar. Ein drittes Element bildet der schwarze Afri-
kaner, welcher verschiedenen Völkerschaften der Ostküste angehört.
Dazu kommen noch Chinesen, die zur Staffage des Strassenlebens
gehören, Araber und Mischlinge von Weissen und Schwarzen aller
möglichen Hautschattirungen.
Zu diesen Elementen kommen auf Réunion französische, auf Mau-
ritius englische Beamte und deren Familien.
Auf Réunion ist St. Paul an der geschützten Westküste die
älteste Niederlassung, 1669 wurde an der Nordküste St. Denis
gegründet, die heutige Hauptstadt der Insel. Sie zählt bei 30.000
Einwohner und ihre niedrigen Häuser verbergen sich in einem üppigen
Tropengarten, dessen Massenhaftigkeit dem Beschauer imponirt. Der
Hintergrund ist grossartig. und wird von tief durchfurchten Lavamassen
gebildet, welche rasch im Brulé de St. Denis zu einer Höhe von
1000 m aufsteigen. Die Rhede von St. Denis ist wenig sicher.
Im Jahre 1888 wurden von Réunion Waaren im Werthe von 900.640 ₤
eingeführt, solche im Werthe von 645.198 ₤ ausgeführt. Die Postverbindung
besorgen die Messageries maritimes.
Hauptort der Insel Mauritius ist Port Louis an der Nord-
westküste mit 30.000 Einwohnern.
Den Haupttheil der Ausfuhr von Port Louis liefert Zucker: 1888/89
1,321.730 q, 1887/88 1,240.731 q.
Minder wichtig sind:
Die Post erhält die Colonie durch die Messageries maritimes über Aden,
Sansibar, Réunion und durch die British India Steam Navigation über Colombo.
Jede der beiden Gesellschaften unterhält je eine Fahrt in vier Wochen.
[[659]]
Durban (Port Natal)
Die Colonie Natal umfasst den Küstenstrich von der Mündung
des Tugela- bis zu jener des Umtamvuna-Flusses. Ziemlich in der
Mitte dieses Küstenstriches liegt der Hafen der Colonie Port Natal
mit der Stadt Durban.
Diese Colonie verdankt ihren Namen und ihre Entdeckung dem berühmten
portugiesischen Seefahrer Vasco de Gama, welcher am Weihnachtstage (Natal heisst
Weihnachten) 1497 dortselbst anlief. Er fand hier eine arabische Niederlassung
und berichtete über die Anmuth und Ueppigkeit des Landes. Aber diese Ent-
deckung gerieth durch lange Zeit in Vergessenheit und das Land wurde nur vor-
übergehend wieder in Erinnerung gebracht. Die Holländer versuchten am Anfange
des vorigen Jahrhunderts eine Niederlassung zu gründen, jedoch ohne bleibenden
Erfolg. Erst im Jahre 1823 entschloss sich die Capregierung auf die sehr gün-
stigen Berichte eines nach Natal entsendeten Officiers hin, zur Colonisirung dieses
Gebietes. Dort hatten sich bereits seit 1834 Tausende Boeren niedergelassen,
welche mit ihren Ochsenwägen die weite Reise aus der Capcolonie hieher unter-
nommen hatten. Sie sahen in Natal ein gelobtes Land, in welchem sie, der
verhassten englischen Herrschaft ledig, ein unabhängiges Gemeinwesen gründeten.
Durch den emsigen Fleiss der Boeren wuchs die „batavisch-afrikanische Maat-
schappy“ sehr bald zu einer blühenden Colonie empor, welche auch die Zulukaffern
nach ihrer Niederlage am Flusse Tugela in Ruhe liessen. Schon meinten die
Boeren in Natal, das lange ersehnte Ziel ihrer Wünsche, die Unabhängigkeit von
britischer Herrschaft erreicht zu haben, als 1838 unerwartet eine Abtheilung
britischer Truppen in Port Natal erschien und über ein Jahr im Lande blieb. Mit
schwerem Herzen wandten die Boeren von Natal in grosser Zahl ihrer zweiten
Heimat den Rücken und zogen, von Andries Pretorius geführt, über die Draken-
berge westwärts in das Gebiet des Vaal, wo sie, verstärkt durch neue Zuzüge
vom Caplande, den Oranje-Freistaat und den Transvaal-Staat gründeten, der seit
1881 die Südafrikanische Republik genannt werden; erst 1842 wurde Natal blei-
bend von den Engländern militärisch in Besitz genommen.
Natal bildete anfänglich einen Theil der Capcolonie; 1856 wurde es jedoch
als eine selbständige Colonie der britischen Krone organisirt.
Das Land zeichnet sich durch seine Fruchtbarkeit und den
grossen Reichthum an Wasser aus, welches der Capcolonie mangelt.
Ackerbau und Viehzucht finden daselbst eine gleich lohnende Pflege.
83*
[660]Der indische Ocean.
Dabei macht Natal durchwegs, auch längs der Küste, einen höchst
freundlichen Eindruck. Es ist ein im wahren Sinne des Wortes
grünes Land. Ebenso ist dessen Klima ein günstiges, nur in gewissen
Zeiten des Jahres herrscht namentlich an der Küste eine empfindliche
Hitze, welche man dem Einflusse der aus dem Innern des Continentes
streichenden nordwestlichen Winde zuschreibt.
Eine grosse Beschwerde für die Colonie bildeten die Kriege mit
den Zulus, welche insbesondere unter Führung ihres energischen
Häuptlings Cetewayo zu Ende der Siebziger-Jahre den Engländern
eine harte Aufgabe zu lösen gaben. Letztere erlitten sogar damals eine
empfindliche Niederlage bei Isangula und erst nach bedeutenden An-
strengungen gelang ihnen die Bezwingung der Zulu durch Gefangen-
nahme ihres tapferen Führers.
Einige Jahre später begann der Krieg abermals, nachdem zuvor
schon die um ihre Unabhängigkeit besorgten holländischen Boeren in
Transvaal den Kampf mit den Engländern aufgenommen hatten. Erst
1884 kam es zur völligen Herstellung des Friedens in den Gebieten
der Colonie. Bei den Kämpfen mit den Zulus war es auch, wo
der Sohn des Kaisers Napoleon III. sein junges Leben auf einem
Recognoscirungsritte durch plötzlichen Ueberfall (1. Juni 1879) verlor.
Die Colonie besitzt trotz ihres Umfanges, der jenem von Schottland
nahezu gleich kommt, doch nur zwei Städte, Pieter-Maritzburg im
Boerenlande, den Sitz der Colonialregierung, und das schon erwähnte
Durban an der fast ganz geschlossenen Bucht von Port Natal,
welche jedoch eine durch Barrenbildung ziemlich ungünstige Einfahrt
von der See her hat, so dass Schiffe von mehr als 5 m Tauchung
selbst unter günstigen Umständen die Barre nicht passiren können.
Für die Verbesserung des Hafens und die Vertiefung des Wassers
über der Barre wurde jedoch in neuester Zeit sehr viel gethan. Man
setzte eine eigene Behörde hiefür (nach Muster des im Mutterlande
erprobten Vorganges), den Harbour Board of Natal, ein, dessen Auf-
gabe die Ausführung grossartiger Hafenanlagen war, von denen ein
Theil auch bereits hergestellt worden ist. Es handelt sich hiebei nicht
nur um die Schaffung genügender Wassertiefen, besonders an der Barre,
durch sehr umfassende Baggerungen, sondern auch um Herstellung
von grossen Zufahrtscanälen, eines Wellenbrechers und eines Landungs-
dammes, welcher in Verbindung mit dem schon bestehenden Old Pier
ein Innenbassin bilden soll. Von dem neuen Wellenbrecher ist ein
grosser Theil bereits fertiggestellt. Ausserdem sind Quai-Anlagen mit
der erforderlichen Ausrüstung an Maschinen und Ladevorrichtungen
[661]Durban.
in Aussicht genommen. In dieser Weise wird Durban allmälig zu
einem ganz modernen Hafen umgeschaffen und man rechnet mit voller
Bestimmtheit auf dessen steigende Entwicklung, welche in der natür-
lichen Leistungsfähigkeit der Colonie begründet und durch die gleich-
falls mit Sorgfalt gepflegte Förderung der Eisenbahnverbindungen
nach dem Innern zu unterstützt wird.
Heute zieht sich die Hauptlinie des Schienenstranges von
Durban nach Pieter-Maritzburg und dann in nordwestlicher Richtung
Durban (Einfahrt in die Bucht).
bis an die Grenze des Oranje-Freistaates hin. Daran knüpfen sich
von Durban aus in nördlicher und südlicher Richtung kurze Zweig-
linien der Küste entlang und auserdem sind von dem Hauptstrange
im Innern noch Seitenlinien in Aussicht genommen. Hier wie in der
Capcolonie legen die Engländer mit Recht grossen Werth auf das
Eisenbahnwesen und scheuen keine Kosten dafür. Gute Verbindungen
sind eben die unerlässliche Bedingung des Aufblühens jeder Colonie.
In Natal hat man zum Theil die Bahn in bedeutender Steigung über
die Gebirgszüge führen müssen, welche das Innere des Landes
durchziehen.
[662]Der indische Ocean.
Die Stadt Durban zählt (31. Juli 1890) 24.000 Einwohner, wovon
beiläufig die Hälfte Europäer sind, während die andere Hälfte aus
Eingebornen und Indern besteht. Man hat nämlich Hindus und
Chinesen als Arbeiter (Kuli) gegen mehrjährige Verträge nach Natal
geschafft, weil dieselben sich vielfach leistungsfähiger als die Ein-
gebornen erwiesen.
Durban, welches seinen Namen von einem einstigen Gouverneur
der Colonie erhalten hat, ist eine gut angelegte Stadt mit breiten
Strassen und Plätzen und manchen ganz stattlichen Gebäuden, unter
denen das erst in jüngster Zeit vollendete Stadthaus in erster Linie
genannt zu werden verdient. Durban macht einen entschieden eng-
lischen Eindruck; es mangelt dort nicht an allen jenen Einrichtungen,
welche die Engländer, und seien sie noch so ferne von ihrem
Mutterlande, zu treffen pflegen. Es gibt hier Clubs mancherlei Art,
sowohl solche, die der Geselligkeit dienen, wie auch einen Yacht-,
einen Cricket-Club u. dgl. Die Stadt besitzt eine Hochschule
(High School), dann mehrere Mittel- und niedere Schulen, darunter
auch solche für die indische Bevölkerung. An Kirchen, Capellen und
verschiedenen Missionsanstalten sind nicht weniger als 25 in Durban
vorhanden.
Von Interesse ist ein in der Nähe der Stadt befindlicher gut
gepflegter botanischer Garten, welcher insbesondere die Aufgabe hat,
Versuche mit der Acclimatisirung fremder Gewächse anzustellen und
ausserdem ein getreues Bild der Flora der ganzen Colonie liefert.
Ferner besteht hier eine Bibliothek, eine landwirthschaftliche
Gesellschaft und zur Vertretung der wichtigen commerciellen Interessen
der Stadt eine eigene Handelskammer. Auch sind in Durban ver-
schiedene Banken und Geldinstitute durch Agentieen oder Filialen
vertreten und dienen zur Vermittlung des sich immer reger ge-
staltenden Verkehres.
Ganz unstreitig gewinnt man in Durban den Eindruck, dass
man sich in einer Colonie befindet, in welcher eine zielbewusste und
umsichtige Thätigkeit vorhanden ist und die einer völlig gesicherten
Zukunft entgegengeht. Wer die lange Ostküste Afrikas durchmessen
hat, dem mag Durban wie eine Station endlicher Erholung erscheinen,
nicht so sehr wegen des anmuthigen Anblickes des ganzen Landes,
als weil hier ein anderer Geist herrscht, Alles einen anderen, lebens-
kräftigen Anstrich zeigt. Man erkennt in Durban wie in der ganzen
Capcolonie die coloniale Leistungsfähigkeit der Anglosachsen.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass man, von Norden
[663]Durban.
kommend, bei Durban von der Tropenwelt in die gemässigte Zone
übertritt.
Der Handelsverkehr von Durban ist in erster Linie abhängig
von dem Geschäftsverhältnisse zu seinem wichtigsten Hinterlande, der
Transvaal-Republik. Es hat im Verkehre dahin von Seite der Cap-
colonie und in Zukunft wohl auch von der Delagoa-Bai eine scharfe
Concurrenz auszuhalten, welcher man durch den Ausbau von Eisen-
bahnen und Verbesserung des Hafens die Spitze zu bieten sucht.
Der grösste Theil des Aussenhandels der Colonie Natal nimmt seinen
Weg über den Haupthafen Durban (Port Natal), für dessen speciellen Verkehr
uns genaue Aufzeichnungen fehlen. Wir geben daher im Folgenden ein Bild der
Handelsbewegung der ganzen Colonie, aus welcher sich auf die von Port Natal
immerhin ein Schluss ziehen lässt. Als Grundlage nehmen wir die officiellen Aus-
weise des Jahres 1890.
Die Gesammteinfuhr bezifferte sich in diesem Zeitabschnitte auf 4,527.015 ₤
gegen 4,417.085 ₤ des Jahres 1889, weist daher eine Vermehrung von 110.000 ₤
auf, die sich hauptsächlich auf den Import von industriellen Erzeugnissen vertheilt.
Hingegen weist die Ausfuhr einen Rückgang von 1,656.318 ₤ im Jahre 1889
auf 1,379.657 ₤ im Jahre 1890 auf.
Industrielle Erzeugnisse aller Art bilden den grösseren Theil der Ein-
fuhr Natals. So repräsentirten die im Berichtsjahre (1890) eingeführten Kleidungs-
stücke allein einen Werth von 369.828 ₤ und Kurz- und Modewaaren einen
solchen von 345.643 ₤. Daneben verzeichnete die Einfuhr von Textilwaaren
folgende Werthe:
Die Gruppe der Metalle und Metallwaaren wird durch nachstehende
Artikel vertreten: Eisen aller Art für 108.027 ₤, Eisenwaaren für 267.784 ₤,
Maschinen für 215.015 ₤.
In der Reihe der übrigen Industrieerzeugnisse sind als wichtigere hervor-
zuheben:
Einen nicht unwesentlichen Theil der Einfuhr bilden ferner Nahrungs-
und Genussmittel und Getränke. Unter ersteren sind zu erwähnen:
Im Anschlusse an diese Artikel verzeichnen wir die ziemlich beträchtliche
Einfuhr von Colonialwaaren aller Art im Werthe von 102.816 ₤, ferner den
Import von Apothekerwaaren für 78.222 ₤ und die Einfuhr von Getränken,
die sich aus folgenden Artikeln zusammensetzt:
Erwähnenswerth ist ferner der Import von Oel im Werthe von 37.206 ₤
und endlich der von Tabak und Cigarren im Werthe von 32.563 ₤.
Der Import aller anderen nicht speciell benannten Artikel hatte einen
Werth von 721.584 ₤. Dazu kamen noch Güter für das Gouvernement und Eisen-
bahnmaterial, welche in der Gesammtsumme nicht enthalten sind und einen
Werth von 610.356 ₤ repräsentirten.
Die Ausfuhr Natals besteht zumeist aus colonialen Producten im Werthe
von 872.870 ₤.
Unter diesen spielt der Export von Schafwolle mit dem Betrage von
725.118 ₤ oder mehr als 80 % die Hauptrolle. Das Gewicht der exportirten Wolle
im Jahre 1890 betrug 26,780.281 Pfund.
An sonstigen thierischen Producten exportirte Natal:
Daneben lebende Thiere für 773 ₤.
Das Pflanzenreich ist in der Ausfuhr Natals durch folgende wichtigere
Artikel vertreten:
während die übrigen Producte kaum nennenswerthe Ziffern verzeichnen.
Im Jahre 1890 erscheint Steinkohle zum ersten Male als Ausfuhrartikel mit
8833 T im Werthe von 10.426 ₤. Die Kohlenausbeute der im nördlichen Theile
der Colonie liegenden Gruben belief sich für das Jahr 1890 auf 81.549 T. Ausser
der Eisenbahn und den Hafendampfern bedienen sich derselben auch die Dampfer
der directen Londoner Linien zur Ergänzung ihres Vorraths. Der Preis stellt sich
um die Hälfte billiger als für eingeführte englische Kohle, auf etwa 20—25 Shilling
die Tonne ab Quai. Man erhofft daher für das Kohlengeschäft eine bedeutende
Entwicklung, wenn es erst gelingt, die Barre am Eingange des Hafens zu besei-
tigen und diesen grösseren Schiffen zugänglich zu machen.
Die Ausfuhr von Gold über Natal betrug im Jahre 1890 358.520 ₤, ist
daher gegen das Vorjahr, welches eine solche von 585.933 ₤ verzeichnet, erheb-
lich gesunken.
Der Export industrieller Erzeugnisse endlich ist so geringfügig, dass eine
Besprechung desselben überflüssig erscheint.
Der Schiffsverkehr in Port Natal umfasste:
A Flaggenstock, B Rettungsboot-Station. C Wrack, D Zeitsignal, E Landmarken, F Leuchtfeuer, G Bahnhof, H Zollamt, J Friedhof, K Eisenbahn, L Marktplatz, M Smith
Street, N Stranger Street, O Oliwal Street, P Gardiner Street, Q Field Street, R Grenze des Stadtgebietes, S Tramway, T New North Pier, U New South Breakwater.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 84
[666]Der indische Ocean.
Von den Dampfern des Jahres 1890 waren 354 mit 447.289 T britische und
nur 2 mit 585 T portugiesische.
Auffällig ist das Ueberwiegen skandinavischer Segler (89 mit 34.134 T),
welche meistens Holz aus Schweden brachten.
Bei der vermehrten Dampfschiffsverbindung mit Grossbritannien bleibt die
Segelschiffahrt auf enge Grenzen beschränkt, zumal die Frachten wegen des
Mangels an Ausfracht verhältnissmässig hoch sind.
Eine regelmässige Schiffahrtsverbindung mit Natal unterhalten die Union
Steamship Cy. (Southampton) und die Castle Mail Packet Cy. (London) auf
ihren Fahrten um das Cap.
Die Verbindung des Hafens mit dem Inlande ist durch eine Eisenbahn
hergestellt, welche bis Newcastle, 270 englische Meilen von Durban, am 15. Mai 1890
dem Verkehre übergeben wurde; eine Fortsetzung derselben bis zur Grenze bei
Charlestown sollte bereits im April 1891 eröffnet werden. Es ist ferner eine
Zweiglinie nach dem Kohlencentrum Dundee gebaut worden und die Linie von
Ladysmith nach Harrysmith, etwa 60 englische Meilen über das Drakensgebirge,
ist im Baue begriffen.
In Natal sind drei grosse Banken vertreten: die Bank of Afrika, die Natal
Bank und die Standard Bank.
Durban ist Endpunkt des von Aden auslaufenden Kabels der Eastern and
South African Telegraph Cy.
Consulate haben hier: Belgien, Deutsches Reich, Niederlande, Oesterreich-
Ungarn, Portugal.
[[667]]
Port Elizabeth.
Port Elizabeth ist nächst der Capstadt der wichtigste Hafen-
punkt der Capcolonie. Es liegt an der Algoa-Bai in ganz geschützter
Situation und verfügt über entsprechende Hafeneinrichtungen,
unter denen zwei (bis in eine Tiefe von 6 und 7 m) weit hinaus
reichende Landungsmolen insbesondere Erwähnung verdienen. Nur
bei südöstlichen Winden im Sommer (October bis April) ist beson-
ders der äussere Ankerplatz so weit entfernt zu wählen, dass Raum
zum Treiben vorhanden sei, obwohl der Ankergrund ein so guter
ist, dass viel Wind und Seegang dazu gehört, bis die Schiffe zu
treiben beginnen. Die Stadt zerfällt der Hauptsache nach in zwei
Theile, in das nähere und mehr im Niveau des Hafens gelegene,
vorwiegend dem geschäftlichen Leben gewidmete Quartier und in
den sogenannten Hill, das auf einer terrassenförmigen Erhöhung er-
baute elegante Viertel. Im erstgenannten Quartier befinden sich
zahlreiche Waarenhäuser, Verkaufsläden, die Bureaux der verschie-
denen Unternehmungen und Agentieen u. dgl. Hier bei Jetty’s Street
ist auch der Bahnhof, denn Port Elizabeth ist Kopfstation einer
Eisenbahn, die von der Küste zum Vaal führt. Die bedeutendste
Strasse dieses Quartiers ist die Main Street, welche eine bedeutende
Längenentwicklung hat und in der alle wichtigeren Etablissements
gelegen sind. Als ein schöner Neubau stellt sich das jüngst mit einem
bedeutenden Kostenaufwande vollendete Stadthaus (Town Hall) dar,
welches deutlich den Hoffnungen Ausdruck verleiht, mit denen man
einer stetigen Weiterentwicklung der in commercieller Beziehung
äusserst regen Stadt entgegensieht. Dasselbe ist in italienischem Style
gehalten, jedoch mit korinthischen Säulen im Porticus versehen. Hier
sind ausser den Municipalbehörden auch die Handelskammer, eine öffent-
liche Bibliothek und das Museum untergebracht. Zur Abhaltung von Ver-
sammlungen, Bällen u. dgl. gibt es da eine sehr grosse und stattliche
Halle, wie kaum eine andere in der ganzen Capcolonie vorhanden
84*
[668]Der indische Ocean.
ist. Eine andere Zierde von Port Elizabeth sind die neuen Producten-
hallen, welche mit einem Aufwande von 70.000 Pfund Sterling erst
vor einigen Jahren hergestellt worden sind und einen ausgedehnten
Flächenraum einnehmen.
Der „Hill“ erhebt sich oberhalb Main Street und zeichnet sich
sowohl durch eine frischere, reinere Luft, als auch durch viele hüb-
sche Baulichkeiten, insbesondere Villen der wohlhabenderen Einwohner
aus. Hier findet man auch die grösseren Kirchen der verschiedenen
Port Elizabeth.
in Port Elizabeth vertretenen Confessionen, darunter auch eine Syna-
goge, dann ein gut eingerichtetes Spital und die Localitäten der
einzelnen Clubs, woran hier nach englischer Sitte keinerlei Mangel
herrscht. In der Nähe dieses Viertels liegt der ausgedehnte St. Georges
Park, welcher schöne Baumgänge, mehrere wasserreiche Bassins
und eine reiche Vegetation enthält und den Einwohnern von Port
Elizabeth umsomehr zu angenehmen Spaziergängen dient, als die
unmittelbare Umgebung der Stadt in dieser Beziehung viel zu wün-
schen übrig lässt.
Port Elizabeth zählt dermalen etwas über 18.000 Einwohner,
[[669]]
A Strasse nach Grahamstown, B Gefängniss, C Spitäler, D Friedhöfe, E St. Georges Park, F Leucht-
feuer, G Rettungsboot-Station, H Gasanstalt, J Lady Donkin’s Monument, K Angeschütteter Grund,
L Zollamt, M Whites Strasse, N Main Strasse, O Wrack’s, P Victoria-Quai.
[670]Der indische Ocean.
von denen der grössere Theil aus Europäern besteht. Die Stadt
weist durchaus kein hohes Alter auf. Die erste Besiedlung geschah
in den Zwanzigerjahren. Das wachsende Bedürfniss nach einem
Hafenplatze für die östlichen Theile der Capcolonie hat denn am
meisten zum Emporblühen von Port Elizabeth beigetragen, welches
seinen Namen von Elizabeth, der Gattin des im Jahre 1820 für die
Leitung der Colonie hier eingelangten Sir R. S. Donkin erhalten hat.
Derselben Lady Donkin wurde auf einem Hügel im Hintergrunde der
Stadt ein Obelisk als Denkmal errichtet. Durch seine günstige Lage
und die volle Sicherheit seines Hafens das ganze Jahr hindurch,
welch letzterer Eigenschaft sich Capstadt leider nicht rühmen kann,
ist Port Elizabeth nicht nur ein gefährlicher Rivale für die Metro-
pole der Capcolonie geworden, sondern hat dieselbe in Bezug auf
den Handelsverkehr bereits überflügelt.
Bei der Besprechung des Handelsverkehres von Port Elizabeth ist es
von Interesse zu constatiren, welche Bedeutung dieser Hafenplatz für den Handel
der Capcolonie hat. Aus den Vergleichen der statistischen Ausweise ergibt sich
nun, dass Port Elizabeth der bedeutendste und verkehrsreichste Einfuhrhafen ist
und als Ausfuhrhafen, wenn man von dem Exporte von Diamanten und Gold absieht,
gleichfalls die erste Rolle spielt.
Die Gesammteinfuhr der Colonie betrug im Jahre 1889 im Ganzen
8,446.065 ₤, dagegen im Jahre 1888 im Ganzen 5,678.337 ₤.
Es ergab sich somit eine Gesammtzunahme von 2,767.728 ₤, an welcher
in erster Linie Port Elizabeth betheiligt war.
Die Theilnahme der einzelnen Häfen der Capcolonie an diesem Gesammt-
importe war folgende:
während Port Alfred, St. Johns River, Simonstown und Knysna noch geringere
Verkehrsziffern aufweisen. Es können sonach nur die drei erstgenannten Hafen-
plätze für die Beurtheilung des Handels der Colonie in Betracht kommen.
Nach erfolgter Festsetzung des ziffermässigen Antheiles der einzelnen Häfen
an dem Gesammthandel der Capcolonie halten wir es für geboten, hier ein Bild
dieses Gesammtverkehres, namentlich hinsichtlich der Einfuhr zu geben, weil
das percentuelle Verhältniss in den einzelnen Artikeln nicht wesentlich ver-
schoben wird.
Auch hier bilden, wie beinahe in allen überseeischen Colonien, die Er-
zeugnisse der Textilindustrie den wichtigsten Theil der Einfuhr. So importirte die
Capcolonie in den Jahren:
[671]Port Elizabeth.
Hierauf folgt die Gruppe der Metalle und Metallwaaren, welche in
den beiden Jahren nachstehende Importmengen umfasste:
Unter den übrigen Industrieerzeugnissen sind nach den Aufzeichnungen
des Jahres 1889 hervorzuheben der Import von Leder und Lederwaaren im
Werthe von 412.625 ₤ ferner:
- Papier- u. Schreibmaterial für 136.893 ₤
- Möbel ........... „ 183.486 „
- Hüte aller Art ...... „ 72.141 „
- Juwelierwaaren...... „ 61.352 „
- Porzellan u. Steingut .. „ 48.144 „
- Musikalische Instrumente „ 44.234 „
- Cigarren und Cigaretten für 93.000 ₤
- Dynamit u. Sprengstoffe. „ 163.062 „
- Apothekerwaaren ..... „ 104.912 „
- Kerzen .......... „ 42.611 „
- Landwirth. Geräthe u. Wagen 79.700 „
- Sattel und Geschirre .. „ 84.075 „
Unter den Nahrungsmitteln spielt der Import von Körnerfrüchten eine ver-
hältnissmässig geringe Rolle. Dagegen ist die Einfuhr von Kaffee eine bedeutende
und erreichte im Berichtsjahre den Werth von 362.154 ₤. Ebenso fällt die Ein-
fuhr von Zucker mit 250.000 ₤ in die Wagschale.
Der Import von Conserven[erreichte] den Werth von 226.090 ₤, der von
Butter 40.756 ₤, von Käse 31.932 ₤; der von Confituren und Chocolade
53.844 ₤ und von Reis 54.016 ₤.
Die Einfuhr von Getränken setzte sich im Berichtsjahre zusammen aus
Bier im Werthe von 107.124 ₤, Spirituosen für 139.920 ₤ und Wein für
77.506 ₤.
Erwähnenswerth ist ferner die Einfuhr von unbearbeitetem Holze im
Werthe von 138.469 ₤ und von Kohle im Werthe von 171.296 ₤, wovon der
grössere Theil nach Capstadt geht, weil dieses die eigentliche Kohlenstation in
Südafrika für die europäischen Dampferlinien bildet.
Am Schlusse dieser Einfuhrliste, welche allerdings keinen Anspruch auf
Vollständigkeit machen kann, mag erwähnt werden, dass gleichzeitig mit der
Zunahme der Einfuhr in den meisten Artikeln auch die Zolleinnahmen eine
wesentliche Steigerung erfuhren. Diese Steigerung belief sich 1889 auf 181.566 ₤
gegen das vorhergehende Jahr.
Wir wenden uns nun der Besprechung des Exportes zu, der zur grösseren
Hälfte dem Werthe nach in der Ausfuhr von Diamanten und Rohgold liegt. Beide
Artikel sind trotz ihrer hohen Werthe nicht geeignet, den Verkehr eines Hafens
zu beeinflussen.
[672]Der indische Ocean.
Die Gesammtausfuhr der Colonie zeigt folgendes Bild:
Es zeigt sich also auch hier eine Zunahme von 673.354 ₤, die in den
beiden letzten Gruppen zum Ausdrucke gelangt.
Der Werth der Ausfuhr von colonialen Producten, ausschliesslich Gold und
Diamanten, vertheilt sich für das Jahr 1889 auf die drei Haupthäfen der Colonie
in folgendem Verhältnisse: Port Elizabeth 1,958.839 ₤, Capstadt 557.595 ₤ und
East London 942.948 ₤.
Auch hier wird die hervorragende Stellung von Port Elizabeth ersichtlich.
Als der wichtigste Ausfuhrartikel von Port Elizabeth erweist sich Wolle.
Der Werth derselben umfasste im Jahre 1889 rund 60 % der obigen Gesammt-
ziffer; es wurden 1889 ausgeführt 35,403.313 Pfund im Werthe von 1,181.772 ₤
gegen 34,887.518 Pfund im Werthe von 1,156.939 ₤ des vorhergehenden Jahres.
Port Elizabeth ist ferner Hauptausfuhrhafen für Angoraziegenhaar.
Der Export dieses Artikels betrug:
- 1888 9,598.768 Pfund im Werthe von 305.362 ₤
- 1889 9,442.213 „ „ „ „ 351.544 „
An dritter Stelle in der Ausfuhr stehen Straussfedern. Rund zwei Drittel
der Gesammtausfuhr der Capcolonie entfallen auf Port Elizabeth. Die Gesammt-
ausfuhr dieses Artikels belief sich nämlich im Jahre 1889 auf 229.137 Pfund im
Werthe von 365.884 ₤, davon exportirte Port Elizabeth 140.317 Pfund im Werthe
von 237.681 ₤. Von Fellen verschiffte Port Elizabeth nahezu die Hälfte der
gesammten Ausfuhrmenge der Colonie. Letztere betrug im Jahre 1889: Ziegen-
felle 1,530.799 Stück für 123.784 ₤ und Schaffelle 2,737.951 Stück für
241.939 ₤. Davon entfielen im gleichen Zeitabschnitte auf Port Elizabeth:
Ziegenfelle 843.856 Stück für 63.386 ₤ und Schaffelle 1,426.882 Stück für
125.336 ₤. Ausserdem exportirte dieser Hafen im gleichen Jahre 61.681 Stück
Ochsen- und Kuhhäute im Werthe von 30.914 ₤ und 151 491 Stück Ochsen-
und Kuhhörner für 3422 ₤.
Erwähnenswerth ist noch der Export von Elfenbein im Gewichte von
2246 Pfund und im Werthe von 704 ₤.
Im Jahre 1889 klarirten in Port Elizabeth ein:
- 439 Dampfschiffe von 972.524 Tonnen und
- 179 Segelschiffe „ 102.909
- Zusammen 618 Schiffe von 1,078.433 Reg.-Tonnen.
Davon waren: 503 britische Schiffe von 1,016.790 Reg.-Tonnen.
Die regelmässigen Linien der Union Steamship Cy. (Southampton) und
der Castle Mail Packet Cy. (London) konnten, obgleich jede dieser Gesell-
schaften wöchentlich einen Extradampfer spedirte, den Verkehr nicht bewältigen
und es wurden die South Africa Line, die International Line und die Clan Line
für den Verkehr zugezogen.
Die Verbindung nach dem Inlande besorgt ein Eisenbahnnetz, dessen
mittlerer Complex in Port Elizabeth seinen Ausgangspunkt hat und von hier bis
[673]Port Elizabeth.
De-Aar Junction, an der Hauptlinie Capstadt-Kimberley 338 Meilen und durch
Abzweigungen nach Colesberg, Graaf-Reinet, Grahamstown führt.
Es wird mit grosser Energie daran gearbeitet, der Capcolonie ein weitver-
zweigtes Eisenbahnnetz zu verschaffen, und die Regierung ist im Juni 1890 mit
einem Programm hervorgetreten, welches für neu zu erbauende Bahnstrecken
10 Mil. Pfd. St erfordert.
Die Telegraphenverbindung ist eine ausgezeichnete und umfasst beinahe
alle Plätze von irgend welcher Bedeutung in der Colonie.
Von Banken, welche in Port Elizabeth Filialen besitzen, sind zu erwähnen
die Cape of good Hope Bank, Bank of Africa, Standard Bank of British South
Africa.
Consulate haben hier folgende Staaten: Chile, Deutsches Reich, Oester-
reich-Ungarn, Peru.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 85
[[674]]
Capstadt.
Das Cap der guten Hoffnung hat, sobald es entdeckt war,
grosse Bedeutung für die Schiffahrt gewonnen. Man gebot nun über
den Seeweg nach Indien, und durch fast vier Jahrhunderte nahm der
grosse Verkehr zwischen Europa und Ostasien seinen Weg um die
durch jenes Cap bezeichnete Südwestspitze von Afrika. Als dann 1869
der Canal von Suez einer anderen Richtung den Vorzug gab, hatte
sich im Caplande bereits ein so ausgedehntes Gemeinwesen und ein
so mächtiges Productionsgebiet entwickelt, dass das Land die
theilweise Ablenkung des Weltverkehres um so leichter ertragen
konnte, als zur selben Zeit die grossen Diamantfunde erfolgten,
welche ein mächtiger Magnet für die Einwanderung, für die Verkehrs-
entwicklung und für die Hebung der ganzen Colonie wurden.
Uebrigens blieb der Segelverkehr immer noch dem Cap treu, weil
bekanntlich das Rothe Meer aus nautischen Gründen für die Segel-
schiffahrt nur in geringem Grade benützbar ist.
Die Capcolonie, heute ein wichtiges Glied des englischen Colonialbesitzes,
hat eine merkwürdig langsame Entwicklung genommen. Erst im Jahre 1601 sah
sich die holländisch-indische Gesellschaft veranlasst, eine hundert Köpfe starke
Expedition nach der Tafelbai zu entsenden und 1652 wurde an der Stelle der
jetzigen Capstadt das erste Fort gegründet. Man hatte nur den Zweck, dort eine
Zwischenstation für die mit Indien verkehrenden Schiffe zu gründen. Lange Zeit
blieb die Niederlassung in den engsten Grenzen. Die erste Verstärkung ward der-
selben durch Zuzug französischer Hugenotten zutheil, welche infolge des Edictes
von Nantes ihre Heimat verlassen mussten. Aber auch fast das ganze XVIII. Jahr-
hundert verlief, ohne dass Capstadt im Verhältnisse zu dieser langen Periode wesent-
liche Fortschritte machte. Die Holländer hielten die Ansiedlung unter einem sehr fis-
calischen Regimente und legten der freien Bewegung viele Fesseln an, nur um
sich selbst alle Vortheile des Handels mit dem Caplande zu sichern.
Im Jahre 1795 wurde die Colonie von den Engländern erobert. Infolge
des Friedens von Amiens musste dieselbe zwar 1803 an die früheren Eigenthümer
zurückgestellt werden, gelangte jedoch schon drei Jahre später wieder in den
Besitz Englands, dem es 1814 im ersten Pariser Frieden definitiv zugesprochen wurde.
[675]Capstadt.
England trat in der Colonie reformirend auf, löste die von den Holländern
auferlegten Fesseln und bemühte sich, es in seiner Entwicklung, sowie im äusseren
Verkehr nach jeder Richtung hin zu fördern. Dank dieser einsichtsvollen Politik
und der in allen Colonieen befolgten Grundlage einer weit gehenden Autonomie
hat auch die Capcolonie im Laufe des XIX. Jahrhunderts einen ganz gewaltigen
Aufschwung genommen. Dabei hatte man bei der unerlässlichen Ausdehnung des
Territoriums mit Schwierigkeiten mancherlei Art zu rechnen, unter denen insbe-
sondere die Kämpfe mit den wilden und grausamen Völkerschaften der Kaffern
zu nennen sind, während welcher Kämpfe die Colonisten im Innern des Landes
viel auszustehen hatten.
Nicht mindere Schwierigkeiten bot die Aufhebung der Sclaverei, welche
seit der Gründung der Colonie die Grundlage der ganzen agricolen Arbeit ge-
wesen war. Und ebenso veranlasste die Abneigung der alten holländischen An-
siedler gegen das englische Element manche Differenz, welche schliesslich eine
theilweise Emigration der ersteren nach den nördlichen, noch freien Gebieten im
Innern und die Gründung der sogenannten Boerestaaten daselbst, des Oranje-
Freistaates und der Südafrikanischen Republik (Transvaal-Staat) zur Folge hatte.
Auch die ungünstigen nationalen Verhältnisse der Capcolonie,
vor allem der Widerstand der holländischen Ansiedler, der Boeren,
konnten jedoch den Fortschritt des Landes unter englischer Herr-
schaft auf die Dauer nicht aufhalten. Das Land selbst bot so
vielfache Vortheile durch seinen natürlichen Reichthum dar, dass es
sich lohnte, mit aller Zähigkeit daran festzuhalten, und die britische
Eigenart war ganz dazu geeignet, die Aufgabe zu lösen. Wenn auch
heute noch in der Capcolonie selbst das holländische Element zahl-
reich zu Tage tritt, so sind doch britische Ansichten und Grundsätze
herrschend und ausschlaggebend. Ganz verschwunden sind aber die
holländischen Reminiscenzen keineswegs, und es ist beispielsweise
gewiss des Hervorhebens werth, dass die Münze und das Geldwesen
zwar englisch sind, als Wechselrecht der Colonie aber noch das
holländische gilt.
Uebrigens hat namentlich in den allerletzten Decennien die Cap-
colonie durch Anlegung eines ausgedehnten Eisenbahnnetzes und durch
sonstige moderne Einrichtungen einen wichtigen Schritt vorwärts ge-
macht. Man verfügt bereits über ein Bahnnetz von fast 3000 km,
welches namentlich die Verfrachtung der im Innern gewonnenen Pro-
ducte zur See ermöglicht. Eine ausgedehnte Viehzucht, namentlich
die der Schafe wird, ähnlich wie in Australien, in der wasserarmen
Capcolonie wohl stets die reichthumbringende Basis der Landwirth-
schaft bleiben. In zweiter Linie stehen die Diamant- und Goldfelder,
deren Zauber sich in ähnlichen Wirkungen, wie in Californien und
Australien offenbart.
85*
[676]Der indische Ocean.
In der Tafelbai nun, wo einst die ersten holländischen Siedler er-
schienen waren, liegt heute eine ansehnliche, und zwar die grösste und
schönste Stadt des südlichen Afrika, Cape Town, die Capstadt,
anmuthig an den Abhängen des Tafelberges ansteigend und von
zahlreichen Villen und deren Gärten umgeben. Hinter der Stadt aber
erhebt sich scharf und schroff aufsteigend der gewaltige Tafelberg
(1082 m), welcher von der eigenthümlichen Abplattung seines Kam-
mes diesen Namen erhalten hat. Er schliesst das Gesammtbild in
malerischer Weise ab. Die Tafelbai war lange Zeit eine offene und
nicht wenig gefährdete Rhede, auf welcher die Schiffe mannigfachem
Ungemache ausgesetzt blieben, so dass man sich eigentlich wundern
muss, weshalb gerade dieser Punkt zur Anlage der Stadt gewählt
worden ist. Anfänglich erwog man diese Umstände nicht und
als man später deren Nachtheile erkannte, konnte man sich nicht
mehr leicht zu einer vollständigen Uebersiedlung entschliessen. Erst
im Jahre 1860 entschloss man sich zur Anlage eines künstlichen
Hafens, der nunmehr, nicht ohne grosse Schwierigkeiten während
seines Baues, in seinem wichtigsten Theile zu Ende geführt und
Schiffen bis zu 8 m Tiefgang zugänglich ist, während die im Süden
von der Tafelbai jenseits des Caps der guten Hoffnung gelegene
Simonsbai den grössten Schiffen sicheren Ankergrund bietet. Die
Hafenanlagen bestehen hauptsächlich aus einem kolossalen, in der
Richtung von Südwest nach Nordost gehenden, an seinem Ende
sanft gekrümmten Wellenbrecher. Von dem Wellenbrecher gehen
zwei Molen aus. Ausserdem hat man zwei Bassins, das Innen-Bassin
und das Alfred-Bassin errichtet, an welch letzterem sich auch ein
Trockendock (Robinson Dry Dock) und eine „Patent Slip“ für Schiffe
bis zu 1000 T Gehalt befindet. Leuchtfeuer auf der Robbeninsel und
auf den Spitzen Green und Mouillé, sowie ein Hafenfeuer an der
Spitze des Wellenbrechers erleichtern das Einlaufen von Schiffen bei
Nacht. Die Hafenanlagen, welche noch erweitert werden sollen, sind
mit allen modernen Hilfsmitteln für den Umschlag der Waare ausge-
stattet und werden durch elektrisches Licht beleuchtet. Geräumige
Magazine und Güterschoppen sind vorhanden und Geleise führen
nach allen Richtungen die beladenen oder zum Laden bestimmten
Waggons. Die ganze neue Hafenanlage bildet einen in sich ge-
schlossenen Complex ausserhalb der eigentlichen Stadt. Dieser Com-
plex ist durch eine Mauer abgesperrt und besitzt nur ein einziges
Thor, durch welches man nach der eigentlichen Stadt gelangt. Die
Stadt selbst macht einen sehr günstigen Eindruck und hat einen
[[677]]
Capstadt.
[678]Der indische Ocean.
ganz europäischen Anstrich. Die Strassen sind meist breit, rein ge-
halten und gerade, schneiden sich in der Regel im rechten Winkel,
und es wird auf deren Instandhaltung grosse Sorgfalt verwendet. Nur
der reichlich vorhandene Staub erscheint lästig. Die Häuser sind fast
durchaus aus Stein, häufig mit besonderer Bevorzugung italienischen
Styles gebaut und oftmals mit kleinen Gärtchen umgeben, wie man
überhaupt in der Capstadt viel Sorgfalt auf Gartenanlagen verwendet.
Es gibt daselbst mehrere hübsche Parks, unter denen der Regierungs-
park und der botanische Garten besondere Erwähnung verdienen.
Der botanische Garten ist sehr ausgedehnt und besitzt unter sach-
kundiger Leitung eine sehr reichhaltige Sammlung einheimischer und
fremder Gewächse. Dem Regierungspark gereicht eine sehr lange
Eichenallee zur besonderen Zierde. Am Anfange dieser Allee steht
das Gebäude der Bibliothek (South African Library), ein Prachtbau,
in dessen Räumen über 40.000 Bände aufgestellt sind. Diese Biblio-
thek soll sehr reich an Handschriften sein, welche sich auf die
Geschichte der Capcolonie seit ihrem Beginne beziehen, und bei ihrem
Besuche gewinnt man den Eindruck, dass man sich in einer Stadt
befindet, in welcher neben den Anforderungen des materiellen Lebens
auch geistige Interessen Pflege und Anregung finden. In der unmittel-
baren Nähe der Bibliothek erheben sich noch zwei ansehnliche Bau-
werke, nämlich das South African Museum und eine Gallerie für Werke
der bildenden Künste. In dem Museum werden alle Gegenstände ge-
sammelt, welche sich auf die Colonie, vor Allem auf deren Ethnogra-
phie beziehen. Man kann hier vielfache Studien über die zahlreichen
Eigenthümlichkeiten Südafrikas anstellen. Unter den sonstigen Bau-
lichkeiten der Stadt ragen insbesondere das Parlament, das Stadt-
haus, die verschiedenen Bankinstitute, die durch ihren feinen gothi-
schen Styl ausgezeichnete katholische Kathedrale hervor. Ueberhaupt
hat man bei öffentlichen Bauten nicht an Geld gespart und dieselben
mit Vorliebe in monumentaler Art zur Ausführung gebracht. Ausser
derartigen Gebäuden findet man auch eine Anzahl industrieller Eta-
blissements von grossem Umfange, von denen wir nur mehrere Dampf-
mühlen, eine grosse Sägemühle, eine Brauerei u. dgl. erwähnen. Viel-
leicht den ersten Platz nimmt die grosse Maschinenfabrik der westlichen
Eisenbahn ein, in der alle für den Bahnbetrieb erforderlichen Dinge
vollkommen hergestellt werden können.
Die Stadt und der Hafen sind sehr gut, zum Theile mit elektrischem
Lichte beleuchtet und, was auf afrikanischem Boden eine ganz besondere
Wichtigkeit hat, mit Wasser trefflich versorgt. Die geologische Beschaffen-
[679]Capstadt
heit der Umgebung hat die Lösung der Aufgabe durch eine Wasser-
leitung vom Tafelberge freilich erleichtert, aber nichts destoweniger
hat man auch in technischer Beziehung Alles gethan, um den Ein-
wohnern die grosse Wohlthat guten Trink- und reichlichen Nutz-
wassers zu verschaffen.
Das Leben und Treiben in der Stadt macht einen guten Ein-
druck, und wären nicht fremdartige Menschengestalten zu sehen, so
würde man kaum glauben, dass man sich an der Südspitze von
Afrika, fern von Europa befinde. Das berühmte (astronomische und
magnetische) Observatorium befindet sich ausserhalb der Stadt
(33° 56′ 3″ südl. Breite und 18° 28′ 40″ östl. Länge v. Gr.). In der Cap-
stadt erscheinen sieben Zeitschriften, darunter eine deutsche. Ausser
zahlreichen Kirchen aller christlichen Confessionen finden wir hier
auch eine Synagoge und eine Moschee.
Die Bevölkerung der Capstadt, welche sich auf etwas über
60.000 Seelen beläuft, besteht aus verschiedenen Elementen. In erster
Linie stehen die Briten, welche auch die wichtigsten Stellen im
öffentlichen, wie im Geschäftsleben innehaben und den Ton angeben.
Dann kommen die Holländer, obwohl sich diese mehr und mehr ins
Innere des Landes zurückgezogen haben, wo sie vorwiegend ihrer
Hauptbeschäftigung, der Landwirthschaft, obliegen. Deutsche sind in
einiger Anzahl vertreten, während sonstige Europäer nur mehr ver-
einzelt vorkommen. Auch Neger sind, zumeist in niederen Bedien-
stungen, dann als Arbeiter, viele aus der Zeit vorhanden, in welcher
die Sclaverei noch zu Recht bestanden hat. Ebenso trifft man auch
häufig Malayen, dagegen erscheinen eigentliche Eingeborne, wie
Kaffern, Buschmänner, Hottentoten nur mehr vereinzelt in der Stadt.
Europäische Kleidung ist ganz allgemein.
Die Stadt besitzt einige, aber durchwegs mehr oder minder ver-
altete Befestigungen, von denen das Castell wenigstens stattlich aus-
sieht, wenn es auch ganz nach längst veralteten Principien angelegt
ist. Heute dient diese ziemlich geräumige Fortification zur theilweisen
Unterbringung der Garnison; dann befinden sich daselbst das Quartier
des Militärcommandanten der Colonie und sonstige militärische Bureaux.
Ueberhaupt ist für die Garnison sehr gut gesorgt.
Auch an öffentlichen Institutionen hat die Capstadt keinen
Mangel, sowohl an solchen für geschäftliche, als auch für humanitäre
Zwecke. Unter ersteren verdienen die bestehenden fünf Banken Be-
achtung, deren wichtigste die Standard Bank of South Africa ist,
welche in einem sehr schönen Palais residirt. Dann kommt die Cape
[680]Der indische Ocean.
of good Hope Bank, Union Bank, Bank of Africa und die Saving
Bank. In Bezug auf humanitäre Anstalten muss vor Allem die grosse
Aufmerksamkeit hervorgehoben werden, welche man dem Unterrichts-
wesen widmet.
Die Capstadt ist zugleich die Hauptstadt der ganzen Colonie,
Sitz des Gouverneurs und der obersten Administrativbehörden, so-
wie auch des Parlamentes. Der Gouverneur wird wohl von der
britischen Regierung ernannt, aber von der Colonie besoldet. Die
Capcolonie ist, wie alle britischen Besitzungen, in welchen die
Weissen die Majorität bilden, also alle britischen Ackerbaucolo-
nieen, ganz auf autonomem Fusse organisirt und steht mehr unter
einer allgemeinen Ueberwachung, als unter eigentlich unmittelbarer
Verwaltung des Mutterlandes. Auch dieser Umstand hat nicht wenig
zu der befriedigenden Entwicklung der Colonie beigetragen. Dazu
kommt noch, dass die Stadt selbst sich eines sehr gesunden Klimas
erfreut, welches auch eine fortgesetzte Thätigkeit gestattet. Dies und
die unbestrittene Blüthe des ganzen Geschäftes tragen wohl wesentlich
dazu bei, dass in der Capstadt ein sehr frohes und frisches sociales
Leben pulsirt und man sich gerne den Stunden des Genusses hin-
gibt. Das steife englische Wesen hat sich dort etwas gemildert und
einer freieren Bewegung in den gesellschaftlichen Ansichten und
Formen Platz gemacht.
In dem gegen den Tafelberg zu gelegenen Theile der Stadt
stösst man auf viele elegante Villen und kann bei deren Besitzern
alle Annehmlichkeiten eines comfortablen Daseins geniessen. Ueber-
haupt gilt dieses höhere, am Mount Nelson befindliche Quartier als
das feinste.
Aber auch die weitere Umgebung der Capstadt — denn die nahe
gelegene ist vielfach sandig und kahl — bietet mancherlei Reiz und
verlockt zu Ausflügen, auf denen man Gelegenheit hat, den grossen
Fleiss kennen zu lernen, welchen man allwärts auf die Bebauung
und Ausnützung des Bodens verwendet hat.
Südlich von der Tafelbai liegt in der Falschen Bai die schon
erwähnte Simonsbai, welche namentlich von den Kriegsschiffen be-
nützt wird und der britischen Division in Südostafrika als Station dient.
Eigentlich ist die Simonsbai besser geschützt als die Tafelbai, und solange
nicht in letzterer die grossen Hafenbauten hergestellt waren, ankerten
die Schiffe insbesondere zur Winterszeit häufig hier. An der Bai liegt
das kleine Städtchen Simonstown von circa 600 Einwohnern, wel-
ches mit seinen netten, weissgetünchten Häusern, die zumeist an der
[[681]]
A Flaggenstock, B Whale Riff, C Salzlacke, D Eisenbahn nach Wellington, E Eisenbahn nach Wyn-
berg, F Leuchtfeuer, G Strasse nach Simon’s Town, H Sternwarte, J Blockhaus, K Teufels-Spitze,
L Tafelberg, M das Löwenhaupt, N der Löwenrumpf, O die nördliche Löwentatze, P die südliche
Löwentatze, Q Drei Anker-Bucht, R Wellenbrecher, S Wettrennplatz, T Teich, U Castell, V Forts
und Batterien, Y Zeitsignalstation, X Docks, Z Militärspital, — 1 Gouvernements-Gebäude, 2 Zollamt,
3 Gefängniss.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 86
[682]Der indische Ocean.
einzigen Strasse des Ortes liegen, einen freundlichen Eindruck macht.
Hier sind ein Admiralitätsgebäude, ein maritimes Arsenal und ein Spital,
sowie ein Slip für Schiffsreparaturen. Simonstown ist enge mit den
Interessen der Kriegsmarine verwachsen. Mit der Capstadt ist es
durch eine Eisenbahn verbunden.
Die Verwaltung der Capcolonie ist eifrig bedacht gewesen, das
Verkehrswesen zu fördern, und hat sowohl in Bezug auf den Bau
von Strassen, als auch in Richtung der Eisenbahnen sehr Erspriess-
liches gethan, so dass ein Berichterstatter mit Recht sagen durfte,
dass die Leistungen der Capverwaltung einem jeden Lande zur Ehre
gereichen würden, umsomehr also einer abgelegenen Colonie. Nach
der letzten Statistik gab es in der Colonie 7000 km Kunststrassen
ersten Ranges und ungefähr in gleicher Ausdehnung Strassen, welche
man unter den bei uns gebräuchlichen Namen von Bezirksstrassen
einreihen könnte. Und dieser ganze Strassenbau war mit Rücksicht
auf das vielfach gebirgige und von Wasserläufen durchzogene Terrain
keine leichte Sache. Häufig waren sehr complicirte Kunstbauten,
namentlich Ueberbrückungen erforderlich, die zumeist in Eisen aus-
geführt wurden.
Mit der Herstellung von Eisenbahnen wurde 1862 begonnen;
die Linie Capstadt-Wellington kam zuerst in Betrieb. Daran reihten
sich zunächst einige andere kleinere Strecken, bis man endlich zum
Entwurfe eines systematischen Netzes überging und an der Hand des-
selben den Ausbau allmälig bewerkstelligte. Man schied das Netz
in drei grosse Gruppen, deren jede auf einen Hafenpunkt, nämlich
Capstadt, Port Elizabeth, East London basirt ward.
Die westliche Gruppe hat als Hauptlinie die Eisenbahn Cap-
stadt-Kimberley. Die Hauptlinie weist eine Länge von mehr als 1000 km
auf. Von ihr zweigt ab die Linie Colesburg-Bloemfontein im Oranje-
Freistaate, und nach Norden hin ist die Fortsetzung quer durch
das ganze Stella-Land von Kimberley nach Mafeking vollendet.
Die mittlere Gruppe umfasst die Hauptlinien Port Elizabeth bis
De-Aar Junction und Zwartskops-Graaf Reinet mit zusammen 1260 km
und die östliche die Linie East London-Aliwal-North mit 450 km.
Dazu kommen noch einige Abzweigungen. Diese Bahnen erheben sich
theilweise zu ganz bedeutenden Höhen und bieten sowohl in techni-
scher als in landschaftlicher Beziehung viel des Interessanten dar.
Die rasche Entwicklung der Bahnen verdankt die Capcolonie,
wie schon angedeutet, der Entdeckung der Diamantfelder, welche sich
vom Oranjefluss bis zum Limpopo und vielleicht noch weiter hinauf
[683]Capstadt.
ziehen. In der That ist auch eine ganz eigenthümliche Erscheinung der
Capcolonie die Diamantengräberei. Dieses Land ist jetzt die reichste Fund-
grube der Welt in dieser Beziehung, und seitdem man diese Entdeckung
gemacht hat, spielt der Gewinn von Diamanten eine grosse Rolle, ähn-
lich wie einstmals die Goldgräberei in Californien und Australien.
Erst gegen Ende der Sechzigerjahre unseres Jahrhunderts hat man
die ersten Spuren von Diamanten gefunden. Ein gewisser O’Reilly
erwarb von einem Farmer den ersten Diamenten, dessen Werth erst
von den Juwelieren der Capstadt erkannt wurde. Es folgten dann
zunächst vereinzelte Funde, welche aber die Aufmerksamkeit wach-
riefen und natürlich einen grossen Zuzug von Diamantensuchern mit
allen mit solchen Expeditionen verbundenen Erscheinungen zur Folge
hatten.
Anfänglich suchte man die kostbaren Steine mehr im Ufer-
gebiete, dort wo die ersten Diamanten vorgekommen waren. Bald
aber zeigte es sich, dass das ergiebigste Feld das im Norden gele-
gene sogenannte westliche Griqualand sei, ein Territorium, welches
an Ausdehnung der Schweiz gleichkommt. Dorthin wendete sich nun
der Zug der Wanderer und im Jahre 1870 sind an 10.000 Menschen
nach den Uferstrecken des Oranje- und Vaalflusses gezogen, an denen
man die meiste Ausbeute fand. Hier entstand die kleine Stadt
Barkly. Aber bald machte man die Entdeckung, dass auf dem
Hochplateau des Griqualandes noch bessere Aussichten gegeben
seien und nun zogen die Gräber hinauf. Nach harten Mühen
wurden auch die Anstrengungen belohnt, und man fand Felder vor,
welche die Erwartungen übertrafen. Allmälig klärten sich auch die
Verhältnisse. Die von allen Seiten zugezogenen, oft sehr zweideutigen
Diamantengräber verschwanden allmälig, und man bemühte sich, eine
gewisse Organisation in den Landstrich zu bringen, der bisher nur
schwach von Eingebornen besetzt war und dessen politische Stellung
ganz in der Luft schwebte. In den Siebzigerjahren wurde inmitten
des wüsten Griqualandes die seither zur raschen Entwicklung gelangte
Stadt Kimberley gegründet und wurde Hauptort des ganzen
Districtes, in welchem heute bereits die Hauptbahnlinie der west-
lichen Gruppe endet. Im Jahre 1876 wurde das Griqualand mit der
Capcolonie vereinigt. Die britische Regierung ordnete sofort durch
bestimmte Regeln das ganze Minenwesen und brachte dadurch
feste Verhältnisse an Stelle der wüsten Wirtschaft, welche in den
ersten Zeiten der Entdeckung in wohl unvermeidlicher Weise platz-
gegriffen hatte. Und so ist der Gewinn von Diamanten zu einer
86*
[684]Der indische Ocean.
neuen Quelle des Wohlstandes für das Capland geworden. Es mag
zur Beurtheilung dieses Umstandes der Hinweis auf die Thatsache
genügen, dass in den hauptsächlichsten Minen von beiläufig 2000
weissen und 12.000 farbigen Arbeitern u. s. w. eine jährliche Aus-
beute im Werthe von mindestens 100 Millionen Francs erzielt wird.
Wiewohl Capstadt als Hauptstadt der Capcolonie auch als deren Haupthafen
betrachtet wird, kann es in Bezug auf seinen Handelsverkehr als solcher nicht
mehr gelten, weil es schon seit mehreren Jahren von Port Elizabeth, dem Hafen
des Ostens der Colonie, übertroffen wurde. Welchen Antheil Capstadt in den
letzten Jahren an dem Gesammthandel des Landes nahm, kann schon aus der
Besprechung des Verkehres von Port Elizabeth entnommen werden.
Der Gesammtimport des Hafens belief sich im Jahre 1889 auf 2,625.609,
1888 auf 1,900.564, 1887 auf 1,696.015 ₤.
Der Gesammtexport (mit Ausschluss von Diamanten und Gold) an colo-
nialen Producten umfasste im Jahre 1889 557.595, 1888 559.980, 1887 480.174 ₤.
In der Einfuhr des Jahres 1888, welches für die folgenden Nachweise als
Berichtsjahr dient, verzeichnen Mode- und Kurzwaaren die stärkste Import-
ziffer von 300.455 ₤. Daneben betrug die Einfuhr von Baumwollwaaren
185.307 ₤, die von Leinenwaaren 12.862 ₤ und die von Säcken 18.401 ₤.
Eisen- und Messerschmiedwaaren repräsentirten einen Werth von
78.426 ₤, Schiffsgeräthe einen solchen von 121.721 ₤ und Maschinen von
22.336 ₤.
Leder und Lederwaaren (incl. Schuhwaaren) bezifferten ihre Einfuhr auf
108.296 ₤.
Der Import von Möbeln belief sich auf 35.449 ₤, der von Schreib-
requisiten auf 65.132 ₤ und von gedruckten Büchern auf 36.519 ₤.
In der Reihe der übrigen Industrieerzeugnisse erscheinen noch erwähnenswerth
Hüte (19.230 ₤), Juwelierwaaren (10.652 ₤), Tabakpfeifen (11.912 ₤) und
Apothekerwaaren (39.240 ₤).
Den Import von Nahrungs- und Genussmitteln vertreten:
Die Einfuhr von Getränken beschränkte sich auf Bier für 10.093 ₤, Wein
für 12.418 ₤ und Spirituosen aller Art für 18.199 ₤.
Eine bemerkenswerthe Rolle in der Einfuhr spielen schliesslich noch Kohle
und Holz. Der Holzimport belief sich auf die stattliche Ziffer von 69.000 ₤, davon
54.000 ₤ für bearbeitetes und 15.000 ₤ für unbearbeitetes Holz.
Kohle importirte Capstadt für 82.331 ₤, welche Ziffer nicht einmal so
bedeutend erscheint, wenn man bedenkt, dass Capstadt die Hauptkohlenstation
für die zwischen Europa und Australien um das Cap verkehrenden Dampfer bildet.
In der Ausfuhr bildet Wolle den bedeutendsten Artikel. Im Jahre 1888
exportirte Capstadt gewaschene und ungewaschene Wolle für 250.453 ₤.
In Straussfedern betrug der Werth der Ausfuhr 129.220 ₤.
[685]Capstadt.
An Fellen wurden für 31.776 ₤ Ziegen- und für 60.504 ₤ Schaffelle
ausgeführt.
Der Export von marinirten Fischen erreichte 24.609 ₤.
Als letzter Artikel der Ausfuhr erscheint Wein im Werthe von 18.971 ₤.
Was nun speciell die Ausfuhr von Diamanten und Gold betrifft, so liegen
hierüber folgende Ziffern vor:
Während der zwanzig Jahre, in welchen die Kimberley-Minen bearbeitet
wurden, sind aus denselben Steine im Werthe von ca. 65 Mil. Pfd. St. genommen
worden. Die grosse Bedeutung der Diamantenminen für das wirtschaftliche
Leben der Capcolonie wird am besten durch die Angabe bezeichnet, dass jährlich
über 2 Mil. Pfd. St. für Arbeitslöhne, Materialien und die verschiedenen Bedürf-
nisse der Colonie verausgabt werden.
Im Jahre 1889 exportirte die Capcolonie 2,962.004 Karat Diamanten im
Werthe von 4,325.187 ₤, im Jahre 1888 wurden 3,841.937 Karat im Werthe von
4,022.379 ₤ und im Jahre 1887 3,598.930 Karat im Werthe von 4,242.470 ₤
ausgeführt.
Die Ausfuhr von „rohem Gold“ aus der Colonie erreichte im Jahre 1889
einen Werth von 860.271 ₤ gegen 517.821 ₤ des Jahres 1888.
Die Schiffsbewegung im Hafen von Capstadt während des Jahres 1888
verzeichnet im Einlaufe 474 Dampfer mit 851.742 T und 319 Segler mit 142.457 T.
Davon entfielen auf den internationalen Verkehr:
auf den Küstenverkehr
Man sieht also, dass der Dampfschiffahrtsverkehr dieses Hafens ausschliess-
lich in den Händen der Engländer liegt.
Thatsächlich unterhalten auch nur die englischen Gesellschaften, Union
Steam Ship Cy. (Southampton) und Castle Mail Packet Cy. (London) regelmässige
Verbindungen mit Südafrika. Jede Linie lässt monatlich zwei Dampfer regelmässig
abgehen, stellt jedoch zu Zeiten des grossen Waarenverkehres Extradampfer ein.
Die Schiffe der Union Line machen die Fahrt von Plymouth nach Capstadt in 20
Tagen mit Berührung von Madeira und St. Helena und gehen dann weiter bis Natal.
Die Castle Mail geht abwechselnd über Lissabon und Madeira und macht
jede zweite Fahrt über Natal hinaus nach Tamatave und Mauritius.
Dem überseeischen Telegraphenverkehr dient das Kabel Cadiz (beziehungs
weise die Linie Lissabon — S. Vincent) — S. Louis—Capstadt.
In Capstadt sind folgende Banken etablirt: Bank of Afrika, Cape of good
Hope Bank (in Liquidation), Cape of good Hope Savings Bank, Standard Bank,
Union Bank (in Liquidation).
Consulate unterhalten hier: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutsches Reich,
Frankreich, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Russland, Schwe-
den und Norwegen, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika
[[686]]
Die atlantische Küste von Afrika.
Während der Nordrand von Afrika und die Nil-Oase als Gestade-
länder des Mittelmeeres seit Jahrtausenden mit der euro-
päischen Cultur in vielfacher Beziehung stehen, bildet Afrika
südlich von der Sahara eine Welt für sich, auf welche die
Europäer überhaupt erst seit dem XVI. Jahrhunderte einen Ein-
fluss nehmen, welcher aber bis auf die allerneueste Zeit bloss auf
die Besetzung der wichtigsten Küstenplätze beschränkt blieb.
Bis in unsere Tage galt eben die Unerschlossenheit als ein
Hauptcharakteristicum des schwarzen Erdtheiles.
Die auffallende Erscheinung, warum die kühnen Entdecker,
besonders die Portugiesen, ihre Kräfte nicht an der Exploitirung
Afrikas, für dessen geographische Entschleierung sie eine schwere,
hundertjährige Entdeckerarbeit eingesetzt hatten, versuchten, erklärt
sich namentlich aus zwei Ursachen. Afrika ist seines orographischen
Aufbaues und seines Klimas wegen sehr schwer zugänglich und der
niederen Cultur der Neger wegen relativ sehr arm. Von jeher waren
es immer nur wenige Artikel, welche Afrika in den Welthandel
brachte, vor Allem drei: Goldstaub, Elfenbein und Menschen als
Sclaven. Der letzte Artikel, „der schwarze Casimir“ oder „das Eben-
holz“ der Sclavenschiffe, bildete bis in die zweite Hälfte unseres Jahr-
hunderts das eigentliche Fundament für den ganzen afrikanischen
Aussenhandel, in ihm wurden ungezählte Millionen verdient.
[687]Die atlantische Küste von Afrika.
Dem Sclavenhandel verdanken die vielen hundert Factoreien,
welche die atlantische Küste Afrikas einsäumen und auf denen die
Flaggen aller europäischen seefahrenden Nationen wehen, ihre Ent-
stehung. Mit der Abschaffung der Sclaverei verödeten die meisten
dieser Factoreien, das afrikanische Geschäft, wenigstens an der West-
küste, war durch diese internationalen Acte ruinirt; am östlichen
Gestade freilich treiben die Araber, wenn auch unter erschwerten
Umständen, den Export von „Ebenholz“ bis zum heutigen Tage fort.
An der atlantischen Küste dagegen kämpfen seit den Dreissigerjahren
selbst die besten Plätze schwer gegen „die schlechten Zeiten“ und die
Concurrenz, welche sich die verschiedenen Nationen untereinander
machen.
Ein völliger Umschwung kam in die afrikanischen Verhältnisse
in den letzten zwanzig, respective zehn Jahren, seit die am central-
afrikanischen Handel zumeist interessirten Nationen sich zu dem
grossen Gedanken aufrafften, den an die Küste gebundenen, immer
weniger rentablen Tauschhandel zur Nebensache zu machen, dafür
aber ganz Central-Afrika unter sich zu theilen, um daselbst auf dem
letzten sozusagen herrenlosen Fleck der Erde Colonien im grossen Style
anzulegen. Kühne Forscher, Livingstone, Stanley und andere,
haben diesen Theil unseres Erdballes, von welchem man vor fünfzig
Jahren weniger wusste als vom Monde, so weit entschleiert, dass
nur mehr Fragen zweiter Ordnung zu lösen sind. Sie wiesen vor
Allem in den entdeckten Riesenströmen dem Kaufmanne und anderen
Pionnieren der Cultur die Wege, auf denen sie sich geistig und materiell
des unbekannten Landes bemächtigen können.
Es ist über jeden Zweifel festgestellt, dass Central-Afrika ausser
dem immer seltener werdenden Elfenbein, ausser Oelfrüchten und
Harzen ungeheuere Mineralschätze und Massen von Plantagenproducten
in den Welthandel liefern könnte. Noch sind Landschaften zu ver-
theilen, welche an Fruchtbarkeit mit den reichsten Strichen Süd-
amerikas und Indiens rivalisiren können.
Darf es uns wundern, wenn unter solchen Umständen die Ent-
decker-Berichte in Europa ein ähnliches Colonialfieber erzeugten, wie
dieses die Berichte der grossen Conquistadores vor vierhundert Jahren
thaten, und wenn die erhitzte Phantasie Goldquellen fliessen sah, wo
vorderhand in Wirklichkeit nichts zu sehen ist, als wasserarme, sonn-
verbrannte, wenn auch erzführende Felsenberge oder undurchdringliche
Urwälder?
Zum Glücke ist die Zeit der ärgsten Aufregung vorüber.
[688]Die atlantische Küste von Afrika.
Man ist über der Freude des neuen Besitzes nicht mehr blind in Be-
zug auf den wahren Werth desselben. Es ist den massgebenden Kreisen
klar geworden, dass nur durch eine lange, andauernde, viele Kosten
und Opfer fordernde Culturarbeit Afrika zu dem gemacht werden
könne, was man in der Zeit des Colonialfiebers vor wenigen Jahren
noch — sowohl in Paris wie in Brüssel und Berlin — schon in der
allernächsten Zukunft besitzen zu können wähnte.
Afrika ist kein Indien, weil die Neger keine Hindus, sondern
vollkommen bedürfnisslose, arbeitsscheue Völkerstämme sind. Die
Neger an Bedürfnisse zu gewöhnen, bis zu einem gewissen Grade zu
erziehen, ist die Grundbedingung für alle colonialen Pläne in Afrika.
Millionen culturell zu heben ist aber keine Aufgabe, welche in wenigen
Jahrzehnten gelöst werden kann.
Auch die Stimmen Jener, welche den amerikanischen Aus-
wandererstrom nach Afrika, etwa in ein Neu-Deutschland ablenken
wollten, verstummen immer mehr und mehr. Man muss sich eben
dem „Veto“, welches das centralafrikanische Klima derartigen Plänen
unerbittlich entgegenstellt, fügen.
Central-Afrika ist nur der Boden für Plantagencolonien, in denen
der Schwarze arbeiten, der Weisse die geistige Initiative führen
kann. Aber selbst diese Ausnützung Afrikas ist wieder beschränkt
durch das eiserne Gesetz der Volkswirtschaft: von der Nachfrage
und dem Angebote. Wäre es möglich, den geeigneten Boden Central-
Afrikas rasch in Plantagenland zu verwandeln, so ergäben diese
Plantagen eine derartige Ueberschwemmung der Märkte mit Colonial-
waaren, dass die derzeit bestehenden Colonien durch den Preissturz
ruinirt wären.
So verwandeln sich die Träume sowie die ehrlichen Bestrebungen
in Central-Afrika immer mehr in Zukunftbilder. Aber diese Zukunft-
bilder haben einen reellen Hintergrund. Es herrscht ein Gesetz in der
ganzen Culturgeschichte der Menschheit, dass jede Entdeckung nur
dann von wirklichem Werthe ist, wenn sie zur richtigen Zeit gemacht
wird, d. h. wenn sie in ihre Zeit passt; zu früh gemacht, bleibt sie
werthlos und geht verloren.
In den Aufbau der europäischen Gesellschaft, wie ihn uns die
früheren Jahrhunderte zeigen, passte einfach die Idee, ganz Afrika
cultiviren und exploitiren zu wollen, gar nicht hinein.
Es macht heute fast einen lächerlichen Eindruck, wenn vor vier-
hundert Jahren die portugiesischen Seefahrer an der West- und Ostküste
Afrikas ihre Wappenpfeiler aufstellten und hiedurch den ganzen Erd-
[689]Die atlantische Küste von Afrika.
theil für ihren König mit Beschlag belegten. — Was wollten sie mit
diesem Besitze wohl anfangen?! — Ihr Einfluss reicht jetzt nach
400 Jahren noch nicht weiter, als die Kanonen ihrer Präsidios, und
ihre Häfen sind trotz des starrsten Monopolismus, der hier stets ge-
herrscht hat, von gar keiner commerciellen Bedeutung, ja in vieler
Beziehung mehr berüchtigt als berühmt.
Die Schwelle des XIX. zum XX. Jahrhunderte, eine Zeit, in der
man sich gewöhnt hat, grosse Fragen vom internationalen und
kosmopolitischen Standpunkte zu behandeln, scheint erst eine günstige
Zeit für das Morgenroth einer Culturarbeit in Afrika.
Afrika sich nutzbringend zu machen, ist für die Weissen eine
ungleich schwerere Aufgabe, als dieses in Ostasien, und selbst in
Mittel- und Südamerika der Fall war, wo es einfach galt, fertige
Culturreiche mit überlegener Waffe zu erobern und so zu organisiren,
dass der Ertrag der Arbeit der fleissigen Ureinwohner in die Taschen
der Eroberer floss.
Die zu leistende Arbeit ist in Afrika viel schwerer, aber auch
die Mittel, welche unserer Zeit zu Gebote stehen, sind viel gewaltigere,
als sie frühere Jahrhunderte kannten. Vor Allem sind es zwei unserer
modernen Machtmittel, welche für die Erschliessung Afrikas von
grösster Bedeutung sein werden: die Association des Capitals und
unser hochentwickeltes Verkehrswesen.
Diese beiden mächtigen Culturmotoren haben kaum ihren Einzug
in Afrika gehalten, und schon fühlt man ihre Wirkung wie die eines
Frühlingsregens.
An der atlantischen Küste speciell, wo Riesenflüsse, wie Niger,
Congo, Ogowe die Erschliessung des Innern erleichtern, werden Fluss-
dampfschiff und Eisenbahn unter den vielen Factoreien sehr bald jene
Punkte zur Geltung und dauernden Blüthe bringen, welche für den
modernen Verkehr die günstigsten geographischen Bedingungen haben
und deshalb in Zukunft wirkliche westafrikanische Seeplätze und
Stützpunkte des Binnenhandels werden sollen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 87
[[690]]
S. Paolo de Loanda.
An der Westküste von Afrika haben die Portugiesen einen ähn-
lich ausgedehnten Besitz (800.000 km2), wie in Ostafrika, den sie aber
weit besser ausnützen, als die Landstriche, welche sie auf der Ost-
küste beherrschen.
Das portugiesische Colonialgebiet von Südwestafrika wird am rich-
tigsten mit dem Gesammtnamen von Angola bezeichnet. Es erstreckt sich
von der Mündung des Cunene bis an das Südufer der Congo-Mündung
und zerfällt in drei Theile: Mossamedes, Benguella und Loanda.
Auch im Norden des Congostaates sind die Portugiesen Herren über
einige Küstenorte. Das ganze Gebiet ist von Negern bewohnt, nur in
den Küstenorten findet man portugiesische Bevölkerung. Für die Ent-
wicklung des Landes ist in den letzten Jahren Manches geschehen
und dem Mangel an brauchbaren Verbindungen wurde durch Eisen-
bahnen, deren Ausgangspunkte Mossamedes und Loanda sind, zum
Theile schon abgeholfen, doch ist die Gewinnung der Rohprodukte,
von denen wir Gummi, Orseille, Wachs, Oel und Oelkerne, Häute,
Elefantenzähne, Kautschuk, Cocosnüsse u. dgl. neunen wollen, wie
auch der Handel mit denselben nicht ausreichend organisirt, während
wieder der Einfuhr die geringe Absatzfähigkeit hindernd ent-
gegensteht.
Der Hauptort des südlichsten gleichnamigen Districtes ist
Mossamedes. Diese Stadt geniesst den Ruf einer schönen Lage,
doch ist dies mehr relativ zu nehmen, entschieden ist sie aber ge-
sünder als die meisten anderen Orte Westafrikas.
Mossamedes ist eine noch junge Gründung (1840), jetzt gerade
ein halbes Jahrhundert alt. Sie liegt an der Little Fish Bay auf
15° 13′ südl. Breite und 12° 1′ östl. Länge und hat einen guten Anker-
platz. Die Stadt verdankt dem Umstande ihrer Gründung in neuerer
Zeit die sehr regelmässige Anlage. Sie zeigt nur steinerne Häuser in
freundlichen Palmenalleen und bloss als Vorort ein aus Hütten
[691]S. Paolo de Loanda.
bestehendes Negerviertel. Das Gebäude des Gouverneurs, welches von
einem schönen, wohl gepflegten Garten umgeben ist, stellt sich ganz
stattlich dar und auch das Zollhaus ist ein hübsches Gebäude.
Die commercielle Bedeutung dieses Hafens ist heute eine
geringe, doch gibt man sich der Hoffnung hin, dass bei Verbesserung
der Communicationen nach dem Inlande ein Aufschwung mit Sicher-
heit zu erwarten stehe.
Die Hauptstadt der portugiesischen Besitzungen in Westafrika
ist jedoch die im Jahre 1578 gegründete Stadt S. Paolo de Loanda
(S. Paolo de Assumpçao de Loanda) mit ungefähr 20.000 Einwohnern,
worunter 1200—1500 Weisse, der Rest Neger. Drei noch aus dem
vorigen Jahrhunderte stammende Forts umgeben den Platz, welcher
halbkreisförmig um den geschützten und geräumigen Hafen herum
gelegen ist und in einen oberen, auf der Höhe sich hinziehenden
und in einen unteren Theil zerfällt, und der von der See aus einen
recht günstigen Totaleindruck gewährt. Die obere mittelst einer breiten
Treppe zugängliche Stadt gilt wegen der grösseren Ventilation für
gesünder und wird vorwiegend nur von Weissen bewohnt. Dort be-
finden sich auch die verschiedenen Regierungsgebäude, darunter die
Paläste des Gouverneurs und des Bischofes, mehrere Kirchen, ein
Hospital und ein meteorologisches Observatorium.
In der Uferstadt concentrirt sich das kaufmännische Leben.
Hier liegt das Zollamt und eine Markthalle, in der man stets eine
reiche Auswahl von Fischen findet. Die Hauptstrassen sind breit, gut
gepflastert, aber ziemlich unsauber und an beiden Seiten mit Baum-
reihen (Pfefferbäumen, Tamarinden, Cocospalmen u. dgl.) besetzt. Sie
machen dadurch einen freundlichen Eindruck, während man in den
Seitengassen sofort tief in den warmen Sand einsinkt. Einst mag
S. Paolo ganz stattlich gewesen sein. Die Häuser, wenn auch selten
mit Stockwerk, sind gut gebaut und in mancherlei Art verziert.
Ueberall aber zeigen sich Spuren von Verwahrlosung und Nieder-
gang. Manche Dächer sind eingestürzt, das Mauerwerk ist zerbröckelt,
die Fensterscheiben fehlen, der Anwurf ist längst abgefallen und
selbst die Anpflanzungen sind vernachlässigt, sogar die Kathedrale ist
schon in sehr schlechtem Bauzustande. Ueberdies wird der Hafen
von Jahr zu Jahr verschlammter und seichter, so dass z. B. de
Theil beim Zollhaus, wo einstens die grössten Schiffe liegen konnten,
jetzt bei Ebbe sogar trocken liegt. Der oft gehörte Jammer, dass
S. Paolos Niedergang mit der Unterdrückung des Sclavenhandels zu-
sammenhängt, ist wohl ganz richtig, er beweist aber auch, dass die
87*
[[692]]
S. Paolo de Loanda.
[693]S. Paolo de Loanda.
Portugiesen es nicht verstanden, an Stelle des „schwarzen Casimirs“
andere Handelsartikel treten zu lassen, wie dieses den Franzosen und
Briten gelang.
Ein grosser Uebelstand S. Paolos ist der Wassermangel, und erst in
jüngster Zeit hat man Unterhandlungen wegen Erbauung einer eigenen
Wasserleitung angebahnt, welche durch eine englische Gesellschaft
hergestellt werden soll. Man will hiezu den nahen Beugo-Fluss
benützen.
A Einfahrt, B Ankerplatz, C Friedhof, D Hospital, E Sternwarte, F Leuchtfeuer, G Marine-Depôt.
Eine Vorstadt von S. Paolo bildet, wie schon angedeutet, das
nur von Negern bewohnte Quartier. Hier findet man nur Lehm- und
Bambushütten und alle bei Negerniederlassungen unvermeidlichen
Eigenthümlichkeiten abstossender Art. Mangel an Reinlichkeit und
übler Geruch sind charakteristisch.
In S. Paolo de Loanda ist das Klima keineswegs günstig. Es
herrscht eine grosse, trockene Hitze, welche sehr leicht zu Sonnen-
stichen Anlass gibt und den Europäern höchst empfindlich ist, wes-
halb auch manche derselben Landhäuser mit hübschen Gärten auf
[694]Die atlantische Küste von Afrika.
der Insel Loanda bewohnen, wohin die Seebrise kühlere und reinere
Luft bringt. Mancherlei Krankheiten, namentlich typhöse Fieber,
kommen häufig, auch unter den Eingebornen, vor. Eine schwere
Plage des Ortes ist auch der aus Brasilien eingeschleppte Sandfloh,
ein Insect, welches in den sandigen und schmutzigen Strassen sich
ungeheuer vermehrt und sich mit Zähigkeit in der Haut der unteren
Extremitäten (besonders der in der Regel barfuss gehenden Neger)
festsetzt, wo sich dann Entzündungen und schmerzhafte Geschwüre
bilden.
Für S. Paolo waren einst, wie dessen grosse Anlage zeigt,
günstige Bedingungen vorhanden. Statt diese zu entwickeln, machte
man Loanda zum Deportationsplatze für schwere Verbrecher aus
Portugal („Degradados“).
Freilich, am Aequator und bei den unleugbaren Schwierigkeiten,
welche Klima und eine im vollen Urzustande befindliche Natur dar-
bieten, waren Erfolge noch schwerer zu erzielen als in Südafrika.
Die commercielle Bewegung in Angola schleppte sich in alt-
gewohnter Trägheit still weiter, und erst die Gründung des Congo-
staates und die Bemühungen der Deutschen und Engländer, für ihre
Staaten möglichst grosse Strecken Südafrikas zu erwerben, schreckte
die Portugiesen aus ihren Träumen auf. Sie suchten jetzt das Ver-
säumte nachzuholen, und in dem „Königreiche“ Angola, wie die
Portugiesen ihre Besitzungen an der Westküste Südafrikas nennen,
kommen sie auch nicht zu spät, wie die rasche Zunahme des Ver-
kehres zeigt.
Die Handelsbewegung im Hafen S. Paolo hat in den letzten Jahren
einen beträchtlichen Aufschwung genommen. Dies geht zunächst aus den Zoll-
einnahmen hervor, welche sich in vier Jahren mehr als verdoppelt haben. Die-
selben betrugen in Milreis (1 Milreis = 2·225 fl. ö. W. = 4·45 Reichsmark): 1886
217.744, 1887 349.173, 1888 358.027 und 1889 473.472. Das Jahr 1890 weist eine
weitere, sehr bedeutende Steigerung aus.
Der Werth der Einfuhr von S. Paolo belief sich im Jahre 1889 auf
1,950.441 Milreis, im ersten Halbjahre 1890 auf 1,189.000 Milreis, wovon kaum
ein Sechstel von fremden und der Rest von portugiesischen Schiffen importirt
wurde. Die Ausfuhr bezifferte sich 1889 auf 1,543.885 Milreis, im ersten Halb-
jahre 1890 allein schon auf 1,450.000 Milreis, wovon nur der zehnte Theil in
anderen als portugiesischen Schiffen ausgeführt wurde.
Der Grund mag wohl darin gelegen sein, dass Landesproducte, wenn sie auf
portugiesischen Fahrzeugen verschifft werden, einen Ausfuhrzoll von 3 %, sonst
aber von 5 % bezahlen.
Die Hauptrolle in der Einfuhr S. Paolos spielten im Berichtsjahre 1889
folgende Artikel:
[695]S. Paolo de Loanda.
Die Erzeugnisse der Textilindustrie, unter welchen Baumwoll-
waaren einen Einfuhrwerth von 469.654 Milreis erreichen, und sonstige Ge-
webe, welche einen Werth von 304.159 Milreis repräsentirten.
Unter den übrigen Artikeln verdienen hervorgehoben zu werden:
Weizenmehl im Werthe von 61.661 Milreis, portugiesische Weine
(zollfrei) im Werthe von 152 086 Milreis, Gewehre (für den Handel mit den Ein-
gebornen) im Werthe von 46.616 Milreis und Pulver im Werthe zon 27.632 Milreis.
Messerwaaren aller Art, Thonwaaren, Seife u. dgl. verzeichnen
einen ziemlich geringen Einfuhrwerth.
In der Ausfuhr, die sich ausschliesslich aus Landesproducten zusammen-
setzt, steht Kaffee an erster Stelle. Die Kaffee-Ausfuhr betrug im Berichts-
jahre 893.962 Milreis.
Dieser zunächst steht der Export von Gummi, welcher mit einem Werthe
von 387.491 Milreis angegeben erscheint.
Die Ausfuhr der übrigen Artikel veranschaulichen folgende Zahlen:
- Wachs ...... für 84.140 Milreis
- Pflanzenöle ... „ 53.331 „
- Cocosnüsse ... „ 36.487 „
- Faserstoffe .... für 9.046 Milreis
- Orseille ...... „ 9.331 „
- Elfenbein ..... „ 3.461 „
Der Handel von S. Paolo liegt nahezu ganz in der Hand portugiesischer
Kaufleute, nur vereinzelt kommen daselbst englische und deutsche Häuser vor.
Ebenso behauptet, wie aus folgender Zusammenstellung ersichtlich, die
portugiesische Flagge in der Schiffsbewegung den Vorrang.
Im Jahre 1889 liefen im Hafen von S. Paolo ein und aus: 93 Dampfer und
24 Segler. Von den Dampfern waren 41 portugiesische, 30 britische, 11 deutsche,
8 niederländische und 3 französische.
An Küstenfahrern, einschliesslich der Dampfer der Compagnie Quanza,
waren im Ganzen 882 vorhanden, und zwar 71 von mehr als 50 T und 811 von
weniger als 50 T Tragfähigkeit, welche unter portugiesischer und holländischer
Flagge den Dienst längs der Küste einerseits bis zum Congo, andererseits nach
den übrigen Plätzen des „Königreiches“ Angola versehen.
Vier Dampfschiffahrtsgesellschaften besorgen die regelmässige Ver-
bindung S. Paolos mit Europa. Die portugiesische Linie Empieza Nacional
lässt ihre Dampfer am 6. jeden Monates von Lissabon abgehen, welche unter
Berührung von Madeira, St. Vincent, Congo-River und Ambriz am 29. oder 30. in
S. Paolo eintreffen, von da nach Mossamedes gehen, auf der Rückreise abermals
S. Paolo anlaufen und am 15. des folgenden Monates wieder in Lissabon an-
langen. Diese Linie eignet sich, weil sie die regelmässigste ist, am besten für
die Beförderung der Post. Da die Dampfer sowohl auf der Hin- als Rückfahrt
stets volle Ladung haben, beschlossen einige portugiesische Kaufleute die Er-
richtung einer zweiten Linie unter dem Namen Mala Real Portuguesa, welcher
die Regierung angeblich eine jährliche Subvention von 22.000 ₤ in Aussicht ge-
stellt hat, und welche über S. Paolo, Mossamedes, Capstadt bis an die Ostküste
Afrikas verkehren soll.
Die Dampfer der englischen Linien The African Steam Ship Company
und The British and African Steam Navigation Company gehen wohl ab-
wechselnd alle drei Wochen von Liverpool ab, berühren Teneriffa und eine grosse
Anzahl von Hafenplätzen an der Westküste Afrikas, sind jedoch nicht verlässlich
und kommen oft 5—6 Tage nach der festgesetzten Zeit an. Diese Gesellschaften
[696]Die atlantische Küste von Afrika.
senden ausserdem monatlich einen Dampfer von Antwerpen ab, der das Materiale
für die im Baue begriffenen Eisenbahnen bringt.
Schliesslich verkehren noch die Schiffe der Hamburger Woermann Linie,
jedoch gleichfalls unregelmässig und nehmen an dem Handel mit S. Paolo nur
sehr geringen Antheil.
S. Paolo ist Station des Kabels, welches die wichtigeren Häfen an der
Westseite Afrikas mit Cadiz und Capstadt verbindet. Ausserdem führt eine
Telegraphenlinie in das Innere des Landes auf eine Entfernung von 200 englische
Meilen nach Dondo und Casengo, eine andere nach Bengo River.
Von der schmalspurigen Eisenbahn S. Paolo—Ambaka (200 englische Meilen)
der Royal Trans-African Railway ist mehr als die Hälfte schon in Betrieb.
Nach ihrer Vollendung, welche innerhalb 4 Jahren erwartet wird, wird der Handel
von S. Paolo einen bedeutenden Aufschwung nehmen.
In S. Paolo ist eine einzige Bank, die Banco Nacional Ultramarino of
Lisbon durch eine Filiale, vertreten welche wieder ihre Zweigabtheilungen in
Benguela und Mossamedes besitzt.
In Loanda unterhalten Consulate das Deutsche Reich, Grossbritannien,
die Niederlande, die Vereinigten Staaten von Amerika.
[[697]]
Banana.
Das Gebiet von Angola grenzt nördlich an jenes des Congo,
des Stromes, welcher durch die kühnen und abenteuerlichen Fahrten
von Henry Stanley erst erschlossen worden ist und an dessen Ufern
sich infolge der von Stanley ausgegangenen Anregung und infolge
der sogenannten „Congoconferenz“ zu Berlin seit 1885 ein eigen-
thümliches Staatsgebiet unter den Auspicien und dem Protectorate
des für die Afrikaforschung begeisterten Königs der Belgier, Leo-
pold II., gebildet hat, das für beständig neutral erklärt ist. Am
25. Juli 1890 haben die belgischen Kammern eine Convention zwi-
schen dem Congostaate und Belgien angenommen, nach welcher
diesem Land das Recht zugesichert ist, den Staat mit allen Rechten,
welche mit der Souveränetät verknüpft sind, nach zehn Jahren zu
annectiren. Dieser neue Congostaat dehnt sich auf beiden Ufern
des Flusses weithin aus, doch bildet der Fluss selbst zunächst dessen
eigentliche Basis, von welcher aus die Cultivirung des Landes all-
mälig bewerkstelligt werden soll.
Unter allen Umständen ist die Gründung des Congostaates ein
interessanter Versuch zur Erschliessung des äquatorialen Theiles von
Afrika. Ob man zu grossen Resultaten gelangen werde, darüber gehen
die Ansichten selbst derjenigen, welche in allerjüngster Zeit das
Congogebiet besucht haben, noch auseinander. Bei den verschiedenen
Argumenten, welche für jede Meinung angeführt werden, ist es schwer,
einen bestimmten Ausspruch zu thun. Alles dreht sich hier, wie
eigentlich an der ganzen westafrikanischen Küste, um zwei Dinge, ob
das Klima unter allen Umständen als ein den Weissen unbedingt
verderbliches betrachtet werden müsse und ob die Neger einer für
die rationelle Landescultur erforderlichen Entwicklung fähig seien.
Die Schädlichkeit des Klimas äussert sich hauptsächlich in perni-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 88
[698]Die atlantische Küste von Afrika.
ciösen Fiebern, welche nicht selten raschen Tod zur Folge haben.
Der bekannte Afrikareisende Schweinfurth sagte darum: „Keineswegs
gebe ich mich dem Glauben hin, als könnten am Congo viele Tau-
sende von weissen Ansiedlern eine zweite Heimat finden. Im Lande
der Termiten wird der Weisse stets ein Fremdling bleiben.“
An der Mündung des Congo liegt schon aus früherer Zeit her,
als von der Gründung eines Congostaates noch lange keine Rede
war, am Nordufer die Niederlassung Banana, zugleich der Seehafen
des ganzen Flussgebietes. Banana zählt (30. December 1890) eine
Einwohnerschaft von 73 Europäern und 600 Negern. Es ist eigent-
lich keine Stadt, sondern nur ein Complex von fünf grossen Facto-
reien, an welche sich das Bureau des Congostaates und dessen Post-
amt, dann das Zollamt und der Gerichtshof anschliessen. Die Facto-
reien gehören den Belgiern, Briten, Franzosen, Holländern und Portu-
giesen. Die erste Factorei wurde durch ein Pariser Haus 1855 ge-
gründet (Pointe française).
Diese Factoreien haben an verschiedenen Punkten des Congo
ihre Filialen und dienen als Stapelplätze für den Verkehr, welcher
sich zwischen dem Congogebiete und der übrigen Welt abwickelt.
Jede Factorei ist eine für sich geschlossene Gruppe von Gebäuden.
Die Wohngebäude sind, soweit dieselben für Weisse benützt werden,
aus Holz, meist mit gemauerten Pfeilern erbaut, ebenso auch die
grossen Waarenmagazine. Die Neger dagegen sind in leichten Bauten
aus Bambus untergebracht, denen man meist eine Bedachung aus
Holz gibt.
Die weisse Bevölkerung von Banana besteht nur aus den Be-
amten des Congostaates und aus den Angestellten der einzelnen
Factoreien. Die Neger versehen in letzteren den Dienst als Arbeiter.
Es sind zum grösseren Theile sogenannte Kruboys aus dem kräftigen
und arbeitsamen Stamme der Kru (Kroo) von der Pfefferküste, welche
sich auf eine bestimmte Zeit, meist auf ein Jahr verdingen und dann
entweder ihren Contract erneuern oder aber heimkehren. Die Kruboys
sind an der ganzen westafrikanischen Küste sehr geschätzte Arbeiter.
Der andere Theil der Arbeiter besteht aus Negern vom Gebiete des
unteren Congo. Sie werden durch Vermittlung der verschiedenen dort
befindlichen Negerhäuptlinge engagirt, eigentlich aber von Letzteren
verkauft und sind daher, wenn auch nicht dem Namen und Rechte
nach, so doch in der That Sclaven, die aber gut behandelt und auch
gut genährt werden und mit ihren Frauen und Kindern in Banana
vielleicht besser daran sind, als ihre frei gebliebenen Brüder.
[699]Banana.
In Banana herrscht ein reges kaufmännisches Treiben. Da der
Strom eine Barre hat, welche bei Ebbe nur 5 m Wasser führt, können
grössere Schiffe nicht bis vor Banana gelangen; solche finden jedoch
ausserhalb einen guten Ankerplatz, wenn sich auch daselbst eine
ziemlich starke Strömung (2—4 Seemeilen per Stunde) geltend macht.
Der Bootsverkehr unterliegt keinen Schwierigkeiten und an verschie-
denen Pfahldämmen ist auch für tiefer gehende Lastboote ausrei-
chende Wassertiefe (bis zu 5 m) vorhanden.
Der ganze Verkehr landeinwärts kann nur auf dem Congo be-
werkstelligt werden. Daher verfügen die einzelnen Factoreien über
kleine Dampfboote, welche den hiezu nothwendigen Dienst versehen.
Die Umgebung Bananas besteht aus dichten sumpfigen Waldungen,
durch welche nur elende Pfade führen. Landschaftlich hat der Ort
keinen Reiz und nur der ansehnliche Strom belebt die Situation. Die
Küste ist flach; Banana selbst entwickelt sich längs des Ufers. Die
Factoreien, welche am Strome aufwärts gelegen sind, haben den An-
strich kleiner Festungen und sind durchwegs, ebenso wie jene in
Banana selbst, mit Pallisaden umgeben.
Ein wichtiger Hafen am Unterlaufe des Congo oberhalb Banana
ist auch die Station Boma, der Sitz der Centralbehörden des Congo-
staates; da es aber im Interesse der Entwicklung des Congostaates
liegt, dass Seedampfer im Flusse möglichst weit aufwärts dringen
und die Verbindung mit Europa in möglichst kurzer Zeit hergestellt
werde, so haben im August 1891 die verschiedenen Congogesell-
schaften in Brüssel mit den drei Dampfschiffahrtsgesellschaften, welche
bisher nur Banana und Boma auf ihren westafrikanischen Echelle-
linien angelaufen haben, einen Vertrag geschlossen, nach welchem
diese vom October 1891 an am 6. jeden Monates einen Dampfer von
1800 bis 2000 T von Antwerpen direct nach Matadi abgehen lassen.
Die Hinreise darf höchstens 25, die Rückkehr höchstens 30 Tage
dauern.
Matadi ist der Ausgangspunkt der Congobahn, welche den
Zweck hat, die zahlreichen Wasserfälle und Stromschnellen zu um-
gehen, welche den für grosse Seeschiffe fahrbaren Unterlauf des Congo
von den 12.000 km schiffbaren Gewässern seines Mittel- und Ober-
laufes trennen. Die Congobahn soll den grossen Fehler im orogra-
phischen Aufbau Afrikas, welche die Ränder seiner Hochplateaux
bis nahe ans Meer vorschiebt und so die Flüsse (Zambesi, Nil, Congo
etc.) zwingt, in Katarakten den Unterlauf zu erreichen, corrigiren.
Ohne Congobahn gibt es keine Congoschiffahrt, wohl aber mit der
88*
[700]Die atlantische Küste von Afrika.
Congobahn, welche die Stromschnellen umgeht und die Waaren von
Matadi an die majestätischen Fluthen des Stanley-Pool schafft.
Für den Eisenbahnbau wurde eine Actiengesellschaft unter dem
Namen „Compagnie du chemin de fer du Congo“ mit einem Capital
von 25,000.000 Francs ins Leben gerufen, welche ihre Arbeiten
bereits begonnen hat. Ein Personale, bestehend aus etwa 100 Euro-
päern und 2000 schwarzen Arbeitern, ist nach Erbauung eines Bahn-
hofes und der nöthigen Magazine in Matadi mit der Tracirung und
Schienenlegung beschäftigt. Die erste Locomotive wurde am 31. März
Banana.
1891 abgelassen, und noch vor Ende 1893 soll der Schienenstrang
von Matadi bis Naoslo am Stanley-Pool vollendet sein.
Für die commercielle Entwicklung des Congostaates wird damit
eine neue Epoche anheben, die grosse Culturarbeit der Unterdrückung
des Sclavenhandels am oberen Congo wird dadurch wesentlich leichter
gemacht werden.
Der Aussenhandel des Congostaates, welcher sich beinahe ganz in dem
Hafenplatze Banana concentrirt, zeigt während der letzten Jahre einen lebhaften
Aufschwung. Von den Producten, welche aus dem Gebiete des Congostaates selbst
stammen, wurden ausgeführt im Jahre 1887 für 1,980.441 Frcs., 1888 für
2,609.300 Frcs., 1889 für 4,297.543 Frcs., 1890 für 8,242.199 Frcs.
[[701]]
A Congo-Mündung, B Factoreien von Banana, C König Antonio’s Dorf, D König Ploly’s Dorf, E Dorf, F Leuchtfeuer, G Mangrove-Sümpfe, H Hochwald, J Raphael-Creek,
K Medusa-Creek, L Medora-Creek, M Beeka-Creek. — Bei den mit ∸ bezeichneten Sonden hat das Loth den Grund nicht erreicht.
[702]Die atlantische Küste von Afrika.
Rechnet man jedoch auch die Ausfuhr der aus den benachbarten Gebieten
stammenden Producte hinzu, für welche Banana den Transithafen bildet, so ergibt
sich für die Gesammtausfuhr folgendes Bild: Im Jahre 1887 7,667.969 Frcs.,
1888 7,392.348 Frcs., 1889 8,572.519 Frcs., 1890 14,109.781 Frcs.
Von den Ausfuhrwerthen des Jahres 1890 waren bestimmt nach:
Den werthvollsten Ausfuhrartikel bildete im Jahre 1890 Elfenbein im
Gewichte von 196.322 kg im Werthe von 5,070.851 Frcs. Davon stammten
180.605 kg im Werthe von 4,668.887 Frcs. aus dem Congostaate, der Rest aus
den portugiesischen und französischen Nachbarbesitzungen. Dieses Elfenbein wird
in Antwerpen auf Auctionen verkauft.
Die übrigen Ausfuhrproducte gehören dem Pflanzenreiche an. An erster
Stelle zu erwähnen ist der Export von Kautschuk, der bei einem Gewichte
von 6845 q einen Werth von 3,080.358 Frcs. repräsentirte. Davon stammten
jedoch nur 1236 q aus dem Congostaate, 626 q aus der französischen Nachbar-
colonie und das Uebrige aus den portugiesischen Besitzungen.
Den nächstbedeutenden Export verzeichnen Palmnüsse mit 91.282 q und
einem Werthe von 2,464.619 Frcs., wovon 65.298 q im Werthe von 1,763.067 Frcs.
aus dem Congostaate, der Rest aus den Nachbarländern stammten.
Ferner wurden 31.275 qPalmöl im Werthe von 1,563.756 Frcs., wovon
mehr als zwei Drittel aus dem Congostaate stammend, ausgeführt.
Einen nicht zu unterschätzenden Ausfuhrartikel bildet Kaffee. Dessen
Export belief sich 1890 auf 8871 q im Werthe von 1,685.604 Frcs. Davon
kamen allerdings nur 464 q auf den Congostaat, während der übrige Theil aus der
benachbarten portugiesischen Colonie stammte.
Ebenso entstammten dieser Colonie die über Banana zur Ausfuhr gelangten
Erdnüsse im Gewichte von 2406 q für 72.195 Frcs. und Kopal, wovon 551 q
im Werthe von 96.484 Frcs. exportirt wurden.
In kleineren Mengen wurden die Farbstoffe Orseille und Orlean, ferner
Wachs, Baumwolle, Pflanzenfasern und Häute ausgeführt.
Die Einfuhr des letzten Jahres wird auf 12,720.000 Frcs. veranschlagt. Diese
Ziffer ist jedoch nur eine annähernde. Eine genaue Statistik der Importe konnte
bisher von der Verwaltung des Congostaates nicht eingeführt werden. Die Einfuhr
umfasst alle jene Artikel, welche für den Bedarf der europäischen Colonisten dienen
und zum Tauschhandel für die Eingebornen bestimmt sind.
Der Schiffsverkehr, welcher sich bis vor drei Jahren ausschliesslich auf
das Anlaufen von Banana beschränkte, hat, wie schon oben erwähnt worden,
nunmehr eine Erweiterung insoferne erfahren, als jetzt das früher für die Lan-
dung von Seeschiffen ungeeignet gehaltene Boma und neuestens auch Matadi von
solchen Fahrzeugen angelaufen wird.
Im Jahre 1888 liefen ein in Banana 123 Schiffe mit 140.033 T und in Boma
22 Schiffe mit 25.995 T.
Im Jahre 1890 wies Banana einen Einlauf von 132 Seeschiffen mit 172.920 T
und Boma von 52 Seeschiffen mit 96.096 T auf.
[703]Banana.
Das Lootsenwesen auf dem Congo hat eine Regelung erfahren und die
Taxen sind erheblich billiger geworden. Während früher die Piloten 350 Frcs.
für die Führung des Schiffes bezogen, erhalten sie jetzt nur 150 Frcs. für das
Lootsen von Fahrzeugen über 500 T.
Banana wird regelmässig angelaufen von den Schiffen der British and
African Steam Navigation Cy. ab Liverpool (alle 3 Wochen), ferner der
Woermann-Linie ab Hamburg (zweimal monatlich) und der portugiesischen
Empieza nacional ab Lissabon (zweimal monatlich). Die portugiesische Linie
besorgt auch den Postverkehr mit Antwerpen.
Die Dampfer der Woermann-Linie gehen nach Boma; Matadi hat seit 6. Oc-
tober 1891 seine regelmässige directe Verbindung mit Europa durch Dampfer
der oben genannten drei Gesellschaften erhalten.
Der Postverkehr mit dem Congostaate hat sich regelmässig entwickelt.
Die erhaltenen und expedirten Sendungen beliefen sich 1886 auf 33.140, 1887
auf 50.814, 1888 auf 51.264, 1889 auf 53.428 und 1890 auf 74.988. Seit 1887
besteht mit den Ländern des Weltpostvereines ein Postpacketverkehr.
Eine Reihe von Actiengesellschaften für verschiedene Zweige des Verkehres
ist seit dem Jahre 1887 ins Leben gerufen worden. So die „Compagnie du
Congo“ für Handel und Industrie mit einem Capitale von 1,227.000 Frcs. Die-
selbe beschäftigt sich vornehmlich mit der Herstellung von Communicationen
im Lande.
Ferner die „Compagnie des Magasins Généraux“ (Capital 600.000 Frcs.),
welche die Erbauung von Hôtels, Lagerräumen und die Herstellung von Pferde-
bahnen aller Art als ihr Ressort betrachtet.
Die „Compagnie des Produits du Congo“ (Capital 1,200.000 Frcs.) widmet
sich der Entwicklung von Landwirtschaft und Viehzucht.
Die „Société Anonyme Belge pour le Commerce du Haut Congo“ verfügt über
3,000.000 Frcs. und betreibt hauptsächlich den Elfenbein- und Kautschukhandel.
Die „Compagnie du Katanga“ endlich widmet ihr Capital von 3,000.000 Frcs.
hauptsächlich industriellen Unternehmungen und öffentlichen Arbeiten.
Man sieht aus allen diesen Anstrengungen, dass grosse, gewiss erstrebens-
werthe Ziele erhofft werden, man sieht aber auch, dass noch manches Jahr ver-
gehen wird, bevor der schweren Culturarbeit ihr Preis werden mag.
Es unterhalten Consulate in Banana: Frankreich, Niederlande und Portu-
gal, Boma, Italien und die Vereinigten Staaten von Amerika.
Nördlich vom Congo befindet sich die französische Colonie Gabon.
Gabon wurde 1843 von den Franzosen in Besitz genommen und durch die
Entdeckungen des französischen Schiffslieutenants Grafen P. Savorgnan
de Brazza in den Achtzigerjahren ostwärts bis zum Congo und dessen Neben-
fluss Mobangi ausgedehnt. Der Hauptort wird Libreville (Plateau)
genannt; gegen 100 Europäer, darunter neben den Franzosen auch
manche Deutsche, haben ihren Wohnsitz daselbst. Die Stadt, welche
seit 1849 gegründet und seither vielen befreiten Sclaven zum Auf-
[704]Die atlantische Küste von Afrika.
enthalte angewiesen worden ist, scheint gut zu gedeihen. Eine
katholische und eine amerikanische Mission, letztere bei Glass,
sorgen daselbst durch allerlei Unterricht auf das beste für das
Wohl der ehemaligen Sclaven und ihrer Nachkommenschaft. Die
unweit von Libreville gelegene Ortschaft Glass ist der Haupthan-
delsplatz des Stromes.
Die hauptsächlichsten Ausfuhrartikel sind Kautschuk, Palmöl und so-
genanntes „grünes“ (transparentes) Elfenbein.
1885 liefen 37 englische und 54 deutsche Seeschiffe ein. Der Werth der
Einfuhr (Salz, Pulver, Tabak, Baumwollzeuge, Metalle u. a.) belief sich auf etwas
mehr als 4, die Ausfuhr bewerthete sich mit fast 4½ Millionen Frcs.
[[705]]
Kamerun.
Durch eine gigantische Eingangspforte, gebildet von dem Riesen-
kegel des Götterberges (4190 m) auf dem Festlande und dem Clarence
Peak (3630 m) auf der Insel Fernando Po, fahren die Schiffe von
Norden her in die Mündung des Kamerun ein. Meist verhüllen
Wolken den Gipfel des Götterberges, dieses Wahrzeichen des
deutschen Schutzgebietes „Kamerun“, und nur Morgens und Abends
zeigt er sich dem staunenden Blicke.
Das Land um den Kamerunfluss, der mit vier anderen Flüssen sich in ein
gemeinsames Sammelbecken ergiesst und mit ihnen längs der Küste ein ganzes
System von Wasseradern bildet, wurde bereits zu Ende des XV. Jahrhunderts von
den Portugiesen entdeckt, kam aber dann wieder in ziemliche Vergessenheit, bis
der Sclavenhandel auch diesen Theil Westafrikas in seine Operationen einbezog.
Im Jahre 1841 schlossen die Briten mit den hier herrschenden Negerkönigen
Verträge ab, wornach kein Sclavenhandel mehr getrieben und kein Sclavenschiff
mehr an der Küste zugelassen werden durfte. Die Engländer sind mehrmals wegen
Nichtbeachtung dieser Bestimmungen strafweise eingeschritten. Eine Besitzergreifung
durch die Engländer fand jedoch nicht statt. Dagegen knüpfte seit 1868 die
Hamburger Firma Woermann Verbindungen an jener Küste an, die bald an Aus-
dehnung gewannen und zur Anlage grosser Factoreien führten. Derart gewann
das Kamerungebiet steigende Bedeutung für den deutschen Verkehr, und das
wurde dann die Veranlassung zur förmlichen Umwandlung des Landes in ein
deutsches Schutzgebiet. Dieser Act wurde wesentlich dadurch beschleunigt, dass
man auf Seite Englands auch entschiedene Absichten in Bezug auf eine Besitz-
ergreifung hegte, seitdem man eine deutsche Action als möglich erachtete. Im
Jahre 1884 wurde Kamerun, ebenso wie das nördlicher gelegene Togo-Gebiet
an der sogenannten Benin-Bucht, als deutsches Schutzgebiet erklärt und die
Reichsflagge dort gehisst. Zugleich wurde der von seinen früheren grossen Afrika-
reisen her bekannte Dr. Nachtigal zum Reichs-Commissär für das neue Gebiet
ernannt. Er fiel jedoch bald dem bösen Malaria-Fieber zum Opfer. Kaum war
die Besitznahme von Seite Deutschlands ausgesprochen, als man auch schon mit
den Einwohnern in Conflict gerieth, deren „Könige“ zum Theil das neue Ver-
hältniss deshalb nicht gerne sahen, weil sie von demselben eine Stärkung ihrer
Nebenbuhler befürchteten. Allerlei Parteiungen waren unter den schwarzen Macht-
habern am Kamerun vorhanden. Durch eine kurze, aber energische Action der
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 89
[706]Die atlantische Küste von Afrika.
anwesenden deutschen Kriegsschiffe „Bismarck“ und „Olga“ wurde jedoch der
Widerstand der Neger gebrochen und damit zugleich das Ansehen der neuen
Schutzmacht zur Geltung gebracht.
Die Kamerun-Colonie hat heute noch keinen grossen Central-
punkt. Die Factoreien bilden hier wie am Congo den Schwerpunkt
des ganzen geschäftlichen Lebens, und die Schiffe, welche mit der
Colonie verkehren, wählen ihren Ankerplatz so nahe an der be-
treffenden Factorei, als es die maritimen Verhältnisse gestatten. Die
grösseren Schiffe bleiben deshalb meist nahe an der Flussmündung.
Die Orte im Gebiete der Colonie sind durchwegs Negerdörfer, wenn
sie auch stattliche Namen führen, wie König Bells Stadt u. dgl.
Eine feste Organisation wurde der Colonie noch nicht gegeben.
Inwieweit Kamerun mehr werden kann und wird, als eine Handels-
etape, ob es sich in eine förmliche Colonie umwandeln lässt, ist
heute noch eine offene Frage, bei deren Beantwortung dieselben
Gesichtspunkte massgebend bleiben werden, deren wir zuvor in Bezug
auf den Congo Erwähnung gethan haben.
Heute handelt es sich in Kamerun in erster Linie darum, dem
deutschen Handel das Hinterland zu erschliessen und ihm den Weg
zum Tsadsee zu sichern.
Der Aufbau des Landes und die Gewohnheiten der Bevöl-
kerung sind dem Vordringen leider wenig günstig. Wenn wir von dem
vulcanischen Kamerungebirge absehen, wo der Gipfel des Götter-
berges in der Regenzeit (Mitte Juni bis Ende September) Schnee
trägt, so steigt das Land allenthalben in Terrassen zu dem unbe-
kannten Inneren auf, aus dem sich die Flüsse über Stromschnellen
den Weg zur Küste bahnen. Auch der Kamerun, dessen Mündung
nicht wie die der anderen Flüsse durch eine Barre gesperrt ist, kann
nur eine kurze Strecke aufwärts von Schiffen befahren werden. Der
Reisende muss bald ans Land steigen und die Dörfer der Kamerunneger
passiren, welche, wie alle Bantu-Neger, leidenschaftlich dem Handel er-
geben sind. Jeder Dorfhäuptling, den man hier „King“ (König) nennt, und
den seine Unterthanen absetzen können, wenn sie mit ihm unzufrieden
sind, will in seinem eigenen Gebiete eine Factorei haben und hält
es für entehrend, in das Nachbargebiet zu gehen, um dort zu kaufen
oder zu verkaufen; auch muss ihm die Factorei gewisse Abgaben
(Kumi) in Waaren leisten.
Damit ihnen nun diese Einnahmsquelle nicht geschmälert werde,
gestatten die Küstenneger, die Duallas, nicht den freien Verkehr der
Europäer mit den Bewohnern des Innern und halten die Handelswege
[707]Kamerun.
geheim. Die Küstenneger aber dürfen auch nicht weiter hinein, als
bis zu ihren „Buschleuten“, die ihrerseits wieder den Handel mit
den anwohnenden Stämmen monopolisiren. So bestehen an der
Kamerun-Mündung fünf Ringe, welche die Waaren passiren müssen;
die Preise werden dadurch riesig gesteigert.
Es wird den Deutschen viele Mühe und Zeit kosten und grosse
Klugheit erfordern, dieses schädliche Absperrungssystem zu durch-
brechen. Reicher Gewinn wird aber sicherlich diese Culturarbeit
Kamerun.
lohnen, denn heute ahnen wir nicht einmal die Grösse des Auf-
schwunges, den der Handel mit Herstellung des freien Verkehrs er-
fahren kann.
Da nun die Deutschen den kürzesten Weg von der Kamerun-Bai
ins Innere nicht einschlagen können, so sind ihre Expeditionen, welche
das Hinterland des Schutzgebietes und den Weg zum Tsadsee erforschen
wollen, gezwungen, entweder über das Kamerungebirge längs der
Nordgrenze ihres Gebietes oder im Süden von Batanga aus vorzudringen
und den neun Tagereisen breiten, menschenleeren Urwald zu durch-
89*
[708]Die atlantische Küste von Afrika.
queren, der hier die Küste begleitet und in dem man niemals die
Sonne erblickt.
Den nördlichen Weg hat unter Anderem Dr. Zinttgraff mit
Erfolg eingeschlagen, auf dem südlichen ist erst vor Kurzem Premier-
lieutenant Morgen bis zum oberen Binuë gelangt und hat, von allen
Mitteln entblösst, in Ibi bei den Beamten der englischen Royal
Niger Company die freundlichste Aufnahme und Unterstützung ge-
funden.
Im Gegensatze zu den Deutschen besitzen die Engländer in dem
schiffbaren Binuë, einem Nebenflusse des Niger, einen günstigen
Handelsweg, der ihr Vordringen gegen den Tsadsee und in das Hin-
terland von Kamerun unterstützt, welches durch die eifrig betriebene
Sclavenjagd der Adamene-Häuptlinge rasch entvölkert wird.
Der Handelsverkehr des Kamerungebietes soll nach den letzten Aus-
weisen, welche die Zeit vom 1. Juli 1889 bis 30. Juni 1890 umfassen, besprochen
werden. Dieselben befassen sich nur mit der Einfuhr.
Unter den im obbezeichneten Zeitraume nach Kamerun importirten Waaren
sind in erster Reihe die verschiedenen Nahrungsmittel und Getränke hervor-
zuheben.
Der Quantität nach den bedeutendsten Import verzeichnet Salz mit einem
Gewichte von 21.819 q.
Ferner wurden 1981 q an diversen Specerei-, Conditor-Waaren und
anderen Consumtibilien eingeführt.
Die Einfuhr von Erzeugnissen des Land- und Gartenbaues umfasste
268 q, die von Reis belief sich auf 3442 q.
Unter den Getränken verzeichneten Rum und Genever die stärkste Ein-
fuhr mit 10.726 hl, dann wurden importirt 300 hlCognac und Liqueure,
10 hlWein einschliesslich Schaumwein und 21 Kisten Mineralwässer, ferner
Bier im Gewichte von 834 q.
Unter den industriellen Erzeugnissen ist hervorzuheben der Import von
12.241 Schiessgewehren und von 2812 qPulver.
Die Einfuhr von Textilwaaren ist vertreten durch 999 Ballen und 113
Kisten Baumwollwaaren im Gewichte von 735 q, durch 1160 Stück Lein-
wand und Leinenwaaren im Gewichte von 210 q, durch 96 Kisten Kleider
Wäsche, Putzwaaren und Hüte.
Eisen- und Stahlwaaren verzeichneten eine Einfuhr von 1020 q.
Ziemlich bedeutend war der Import von Bauholz, Fassholz und Holz-
waaren im Gewichte von 3220 q.
Der Import von Seife und Parfümerien belief sich auf 390 q, der von
Droguen und Farbwaaren auf 134 q, und der von Oel, Fetten und Kerzen
auf 101 q.
An Petroleum und anderen Mineralölen wurden 218 q importirt.
Von Wichtigkeit ist noch die Einfuhr von Steinkohle und Kohlen
briquettes im Gewichte von 10.156 q, ferner die von Cement, welche
855 q betrug.
[[709]]
A Bake, B 2 Meterlinie, C 5 Meterlinie, D 10 Meterlinie, E Ansiedlungen, F Leuchtfeuer, G Bombareh Canal, H Mungo Canal, J Mbo Canal, K Donga Canal, L Matumal
Canal, M Malimba Canal, N Romano Canal, O Wouri J.
[710]Die atlantische Küste von Afrika.
Ausser den zahlreichen anderen, in geringen Mengen importirten Artikeln
wurden noch eingeführt: 1 vollständiges Wohnhaus, 9 Brandungsboote, 1 Dampf-
barcasse mit Inventar, 5 Boote nebst Zubehör, 1 Flussdampfer und 1 Segelschiff
nebst Zubehör.
Unter den Schiffen, welche im Jahre 1890 Kamerun anliefen, befanden sich
43 deutsche von 40.268 Reg.-Tons und 40 britische von 51.855 Reg.-Tons.
Kamerun wird zweimal monatlich regelmässig von den Dampfern der Woer-
mann-Linie (Hamburg) und ebenso zweimal monatlich von den Schiffen der African
Steamship Cy. auf ihren Fahrten nach S. Paolo de Loanda angelaufen.
Auf der spanischen Insel Fernando Po, der grössten der Guinea-
Inseln, deren Hauptort Clarencetown (jetzt Santa Isabel genannt)
ist, besitzen Grossbritannien, die Vereinigten Staaten und das Deutsche
Reich Kohlenstationen.
[[711]]
Lagos.
Der bedeutendste Punkt der britischen Colonien in West-Afrika,
gewissermassen die Capitale dieser zerstreuten Colonien und Facto-
reien ist Lagos. Die Küste ist daselbst flach und einförmig. Man
erblickt auf viele Meilen lang immer nur denselben weisslich-grauen
Streifen, hinter welchem sich in paralleler Richtung ein zweiter grüner
Streifen hinzieht. Der eine bezeichnet die Düne, der andere den Wald.
Und so erblickt man auch die am Westende der flachen Insel Kuramo
gelegene Stadt Lagos erst, wenn man die Barre (über welche grössere
Schiffe gar nicht gelangen können) passirt hat und dadurch in den
eigentlichen Hafen eintritt. Da geniesst man einen recht freund-
lichen Anblick, wenn auch nur im relativen Sinne des Wortes, denn in
jenen Theilen Afrikas wird das Auge nicht verwöhnt. Längs des Ufers
zieht sich die äusserst rein gehaltene und mit schattigen Bäumen
bepflanzte „Marina“ hin, an welcher das Gouvernementsgebäude, alle
europäischen Factoreien, die Post und eine schöne Kirche gelegen
sind. Jede Factorei besitzt einen eigenen Molo, welcher nur aus
Holz hergestellt ist, sich aber weit hinaus in den Hafen erstreckt.
An demselben legen die Schiffe an, welche mit der betreffenden
Factorei zu thun haben. Diese vielen Molen tragen zur Belebung
des Hafens bei. An denselben verkehren auch die Lastboote und
Dampfbarcassen, welche theils die Verbindung mit den Schiffen her-
stellen, welche vor Anker bleiben, theils aber landeinwärts den Fluss
hinauf gehen, um Waaren zu bringen. Auch hier sind die Factoreien,
ähnlich wie in Banana, als vertheidigungsfähige Punkte eingerichtet.
Jede einzelne ist von starken steinernen Mauern umgeben, welche gut
drei Meter hoch sind und innerhalb deren dann die Wohnhäuser,
Lagerräume und verschiedene Werkstätten sich befinden. Die geringe
europäische Bevölkerung, welche eigentlich nur mit dem Geschäfte
der Factoreien zu thun hat, lebt ausschliesslich in diesen. Ihre Zahl
beträgt nicht viel über 100 Köpfe, worunter etwa ein Drittel Deutsche
[712]Die atlantische Küste von Afrika.
sind. Dagegen ist die Stadt, welche an die Marina sich anschliesst,
sehr gross und birgt an 70.000 Seelen, durchaus Neger, welche hier
wie überall in strohgedeckten Lehmhütten oder auch in Bambus-
hütten leben. Die Negerstadt Lagos ist völlig regellos angelegt und
bietet nichts von Interesse. Die Einwohner gehören verschiedenen
Stämmen an; sie anerkennen trotz der britischen Oberhoheit immer
noch den Einfluss ihres angestammten Königs, welcher jetzt in Lagos
Lagos.
selbst residirt und von der britischen Regierung eine jährliche Pension
von 1000 ₤ erhält.
Lagos hat schlechtes Wasser; seine Einwohner leiden viel durch
Fieber, Sonnenstich und Dysenterie; in manchen Jahren ist das dor-
tige Klima für Europäer geradezu mörderisch.
Der britische Gouvernementsbeamte von Lagos untersteht dem
Gouverneur der Goldküste in Christiansborg bei Akkra, welches
letztere wegen seiner günstigen Lage am Ausgangspunkt mehrerer
in das Binnenland führende Strassen und wegen der günstigeren
nautischen Verhältnisse seines Hafens (namentlich in Bezug auf das
[713]Lagos.
Anlaufen) bevorzugt wird. Lagos wird auch dadurch beeinträchtigt,
dass die Briten ihre Aufmerksamkeit mehr dem Niger zuwenden.
Die Berliner Congo-Conferenz hatte den Engländern die Strom-
polizei auf dem unteren und mittleren Niger und auf dessen Neben-
fluss Binuë übertragen und am 5. Juni 1855 wurden die Territorien
an beiden Ufern des Niger von der Mündung des Binuë bis zum
A Agbri Creek, B Five Cowrie Creek, C Victoria Lagune, D Strasse nach Otta und Abeokuta,
E Etomu R., F Leuchtfeuer.
Meere sowie die Länder an beiden Ufern des Binuë bis Ibi hinauf
unter britisches Protectorat gestellt. Die „Royal Niger Company“
arbeitet in diesen Gegenden mit Glück; ihre Hauptniederlassungen
liegen im Gebiete des Binuë.
Der Handel von Lagos umfasste in den letzten Jahren rund 900.000 ₤,
wovon so ziemlich gleiche Theile auf die Ein- und Ausfuhr entfallen.
Folgende Tabelle gibt hierüber genaueren Aufschluss. Es belief sich in den
Jahren:
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 90
[714]Die atlantische Küste von Afrika.
Die einzelnen Phasen dieses Verkehres verfolgen wir auf Grund der
Statistik für das Jahr 1889. In der Einfuhr von Lagos hat England mit rund drei
Viertheilen des Gesammtwerthes die Vorherrschaft. Aus dem vereinigten König-
reiche stammten Waaren im Werthe von 307.045 ₤.
Für 126.138 ₤ lieferte Deutschland, gegenüber welcher Summe die
minimalen Importe der anderen Länder gar nicht in Betracht kommen; es wäre
denn, dass man noch die Betheiligung Brasiliens an der Einfuhr mit 10.573 ₤
hervorhebt.
In der Ausfuhr von Lagos erscheint jedoch Deutschland mit 213.924 ₤
an der Spitze der Abnehmer und lässt England mit 152.897 ₤ weit zurück.
Unter den Artikeln stehen Textil-, speciell Baumwollwaaren, mit einem
Werthe von 184.311 ₤ oder 40 % des Gesammtimportes an erster Stelle. Auch
hier sind es vornehmlich die billigen und buntfärbigen Artikel, die als Tausch-
objecte für die Eingebornen verwendet werden.
Ein anderer Artikel, dessen Einfuhr erwähnt zu werden verdient, sind
Fassdauben zur Erzeugung der Fässer, welche für die Versendung von Palmöl
dienen. Im Berichtsjahre wurden 9947 Ballen im Werthe von 9439 ₤ importirt.
Es wurden ferner 6572 Schiessgewehre im Werthe von 2929 ₤ und
3422 Kisten Schiesspulver im Werthe von 3899 ₤ eingeführt.
Bedeutende Einfuhrartikel bilden die verschiedenen Getränke. So impor-
tirte man im Berichtsjahre für 50.095 ₤ Genever und für 35.819 ₤ Rum
und Whiskey.
Der Import von Salz belief sich auf 4424 T im Werthe von 7197 ₤.
Zum Schlusse ist noch die Einfuhr von Tabak zu erwähnen, die sich auf
11.863 Cwts. im Werthe von 26.886 ₤ belief.
In der Ausfuhr von Lagos erscheinen Palmkerne als der bedeutendste
Artikel mit einem Exportwerthe von 293.897 ₤ und einem Gewichte von 32.715 t.
An zweiter Stelle steht Palmöl. Dessen Ausfuhr belief sich im Berichts-
jahre auf 2,349.011 Gall. im Werthe von 133.723 ₤.
Alle übrigen Producte haben im Vergleiche zu diesen Ziffern eine nur
untergeordnete Bedeutung. Es wurden nämlich im Berichtsjahre noch ausgeführt:
Rohe Baumwolle für 8023 ₤, Benissamen für 2132 ₤ und Elfen
bein für 4093 ₤
Den Schiffsverkehr mit Lagos besorgen die British and African Steam
Navigation Cy. und die African Steam Ship Cy., welche jeden Samstag von Liver-
pool abgehen, ferner die Woermann Line, die zweimal monatlich in Lagos
anlegt.
In Lagos unterhalten folgende Staaten Consulate: Dänemark, Deutsches
Reich, Italien und Portugal.
Landeinwärts in der Nachbarschaft von Lagos liegt das Gebiet
von Dahomey, welches wegen der Kriegslust und Wildheit seiner
Bewohner und wegen der Amazonen-Garde und der masslosen Grau-
[715]Lagos.
samkeit seines Herrschers berüchtigt war und diesen Ruf auch heute
noch nicht ganz eingebüsst hat. Die Engländer hatten in früherer
Zeit mit den Leuten von Dahomey manchen Strauss zu bestehen.
Heute sind die Franzosen mit ihnen in einen Kampf verwickelt. Der
Hafen von Dahomey ist das an einer der vielen Lagunen der Küste
gelegene Waïda.
Westlich von Waïda stossen wir auf einen anderen Theil des
deutschen Schutzgebietes in Westafrika, das Togoland. Auch hier
ging das Factoreiwesen lange der förmlichen Aufhissung der deut-
schen Reichsflagge voran. Lange schon hatten deutsche Kaufleute
eine rege geschäftliche Thätigkeit daselbst entwickelt und insbeson-
dere in den Orten Klein- und Gross-Popo, dann in Porto Seguro
Niederlassungen errichtet. Verschiedene Plackereien, denen diese
Niederlassungen seitens der Eingebornen ausgesetzt waren, und bei
denen nicht blos heimische, sondern auch fremde Einflüsse mit im
Spiele waren, lenkten die Aufmerksamkeit der deutschen Regierung,
welche bereits in Kamerun engagirt war, auch auf das Togoland und
veranlassten im Jahre 1884, unterstützt durch die Anwesenheit eines
deutschen Geschwaders, die Anerkennung als Schutzgebiet und den
Abschluss eines dieses Verhältniss förmlich anerkennenden Vertrages
mit den Häuptlingen der verschiedenen das Land bewohnenden Grup-
pen. Es wäre zu viel, wenn man diese Häuptlinge nach west-
afrikanischem Gebrauche als „Könige“ bezeichnen würde.
Das Togoland hat längs der Küste durchwegs eine lagunen-
artige Bildung, und ein Theil der den Handel vermittelnden Orte be-
findet sich an dem den Lagunen vorliegenden, sandigen Küstensaume,
so die vorher genannten, dann auch das die westliche Grenze des
deutschen Gebietes bezeichnende Lome. Der deutsche Reichs-Com-
missär der Colonie residirt in Klein-Popo. Alle genannten Orte weisen
Factoreien auf, sind fast durchwegs von Negern bewohnt und haben
für den grossen Verkehr nur insoweit Bedeutung, als nach der
Natur des ganzen Handels an der westafrikanischen Küste derselbe
in einer Menge einzelner, kleiner Canäle sich bewegt und bisher die
Entwicklung bedeutender Emporien gar nicht gestattete. Dazu muss
das Land wie sein Communicationswesen erst auf eine höhere Stufe
gehoben werden. Hiezu mangelt es aber vor Allem noch an einer
Bevölkerung, welche den thätigen Kern solcher Emporien zu bilden
im Stande wäre.
An der eigentlichen Goldküste besitzen die Briten noch einen an-
deren Hafen, Cape Coast Castle (portugiesisch Cabo Corso), früher
90*
[716]Die atlantische Küste von Afrika.
in portugiesischen, dann in holländischen Händen. Dort ist ein starkes
Castell, knapp an der See, ein massiver, unregelmässiger Steinbau,
innerhalb dessen sich mehrere Regierungsgebäude nebst Vorrath-
häusern, einer Schule und einem Spital und grossen Cisternen be-
finden. Die Stadt selbst (von den Eingebornen Iguah oder Egwa
benannt) beherbergt ungefähr 16.000 Seelen, fast ausschliesslich Ein-
geborne (Fanti), und hat den Charakter der Negerniederlassungen.
Es kommt dort nicht selten vor, dass die Negerhütten bei heftigem
Regenguss geradezu hinweggewaschen werden. Dies kümmert jedoch
den Besitzer wenig. Er baut eine neue, gerade so elend wie jene,
welche dem Regen zum Opfer gefallen. Während der trockenen Jahres-
zeit können Schiffe ziemlich nahe am Castell ankern, jedoch in der
Regenzeit ist es vorsichtiger, nicht näher als 1½ Seemeilen vom
Castell vor Anker zu gehen.
Cape Coast Castle ist die Einbruchstation in das Land der
Aschanti, eines auch durch viele Kriegszüge der Engländer bekannt
gewordenen Negervolkes. Diesem Stamme gehören die meisten Ein-
wohner der Stadt an.
Nach der Goldküste erstreckt sich die sogenannte Elfenbein-
küste bis zum Cap Palmas. Sie hat ihren Namen von dem dort mit
viel Erfolg betriebenen Handel mit Elefantenzähnen. Hinter Cap
Palmas gelangt man (an dem auch Pfefferküste genannten Theil
dieser Küste) in das Land der freien Neger-Republik Liberia, deren
Hafenplatz und Hauptstadt sich in Monrovia befindet. Liberia ver-
dankt seine Gründung dem Streben des 1816 in Washington zu-
sammengetretenen Colonisationsvereines, für die von den Sclaven-
schiffen befreiten Neger eine Heimstätte zu gründen. Der Verein
erwarb 1821 einen Küstenstrich bei Cap Mesurado und siedelte zunächst
dreissig freie Negerfamilien dort an. Bekanntlich haben sich die euro-
päischen Mächte unter Führung Englands schon vor sechzig Jahren zur
Unterdrückung des Negerhandels vereinigt und fortwährend Kreuzer längs
der Küste Afrikas unterhalten, welche jedes verdächtige Schiff anhielten
und, wenn es schwarze Leute an Bord hatte, sequestrirten und die
Befreiten zumeist auch nach Liberia schickten. Seit 1847 besteht
Liberia als selbständige und anerkannte Republik. Der Gedanke,
welcher Liberia entstehen und gedeihen machte, war ein humaner,
aber zu sonderlicher Blüthe gelangte das neue Gemeinwesen nicht.
Es zeigte sich auch hier eine gewisse Unfähigkeit dieses Stammes,
aus enge gezogenen Grenzen herauszutreten. Monrovia, welches
seinen Namen von dem Präsidenten Monroe der Vereinigten Staaten
[717]Lagos.
(† 1831) trägt und am Flusse und Cap Mesurado liegt, zählt ungefähr
13.000 Einwohner und besteht aus einem Gewirre von Hütten. Nur
an der mehr in ihren Anfängen bestehenden Hauptstrasse liegen
einige aus Stein oder doch auf Steinfundamenten aus Holz gebaute
Häuser, darunter die Residenz des Präsidenten Dantee, eine Kirche
und sogar ein Hôtel. In der Mitte dieser Strasse erhält eine Denk-
säule die Erinnerung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten,
Monroe, der grosse Verdienste um die Unterdrückung des Sclaven-
handels hatte. Alle Häuser des Ortes sind bunt bemalt und haben
hohe, steile Dächer, um dem häufig niederströmenden Regenwasser
leichteren Abfluss zu gewähren. In Monrovia liegt das ganze Geschäft
und damit eigentlich auch alles wirtschaftliche Interesse der Re-
publik in den Händen des deutschen Hauses Woermann, welches
dort eine grosse Factorei besitzt. Die Neger sehen darum auch mit
scheelen Augen auf die Deutschen, welche bisweilen mancherlei An-
fällen ausgesetzt waren, ohne dass die legitime Regierung darüber
sonderlich ungehalten war.
Die Barre des Flusses unterliegt häufigen Verschiebungen, daher
Schiffe gut thun, einen Kruman zum Lootsen der Boote aufzunehmen.
Als Anlageplätze besitzt Monrovia zwei schlecht gehaltene Holzdämme
mit je einem Drehkrahn von 1½ Tonnen Tragfähigkeit.
Die Umgebung Monrovias besteht aus dichtem, fast undurch-
dringlichem Urwalde. Weit oberhalb am Mesurado-Flusse befinden sich
grosse Kaffeeplantagen. Auch das Klima der Stadt Monrovia ist ein
bösartiges, und Ressourcen sind keinerlei vorhanden. Die Schiffe
können sich mit Kohle und Wasser nur nach eingeholter behördlicher
Erlaubniss versehen. Frische Lebensmittel sind in der Stadt zu
bekommen.
[[718]]
Freetown.
Auch die britische Colonie Sierra Leone verdankt ihr Ent-
stehen der Agitation englischer Philantropen (1787) zu Gunsten der
befreiten Neger. Ursprünglich Eigenthum der englisch-afrikanischen
Gesellschaft, welche damit ein Territorium erworben hatte, um be-
freite Sclaven anzusiedeln, wurde dasselbe schon im Jahre 1808 von
der Krone übernommen. Die Besiedelung des Landes, insoweit nicht
schon eine autochthone Bevölkerung vorhanden war, geschah durch
die verschiedenartigsten Elemente des schwarzen Stammes, je nach-
dem die Umstände solche als Erfolg der Jagd auf Sclavenschiffe
dahin schafften. Auch brachte man viele Maronneger — Nachkömm-
linge der durch die Spanier nach Jamaica eingeführten und ihnen
daselbst entsprungenen Neger — von der letztgenannten Insel dahin.
Diese Maronneger haben sich ziemlich rein erhalten und leben in der
neuen Heimat fast ganz für sich abgeschlossen, während aus den
übrigen Ansiedlern ein sehr buntes Gemisch entstand, welches Kenn-
zeichen aller in Afrika überhaupt vorkommenden Rassen an sich trägt.
Freetown (ursprünglich Granvilletown), auf einer Halbinsel,
ist der Mittelpunkt dieser Colonie. Der Ankerplatz ist gut und leicht
zu erreichen. Die Stadt, welche 1794 von einem französischen Ge-
schwader gänzlich zerstört, aber dann wieder aufgebaut worden ist,
liegt am linken Ufer des Rokelleflusses, amphitheatralisch von Bergen
umschlossen, deren reich bewässerte Abhänge im frischesten Grün
prangen und daher einen sehr hübschen Anblick gewähren. Sie
zeichnet sich gegenüber anderen ostafrikanischen Plätzen vortheilhaft
durch ihre stattliche Anlage und durch die mit besonderem Geschmacke
erbauten Häuser aus. Es gibt mehrere Kirchen, welche ebenso wie
das von einem Parke umgebene Palais des Gouverneurs, die Resi-
denz des Bischofs, zwei Missionen, das Postamt und die Markthalle
Erwähnung verdienen. Die Strassen der Stadt sind zwar nicht gepfla-
stert, aber breit und durchschneiden sich zumeist in senkrechter Rich-
[719]Freetown.
tung. Fast alle sind mit Bäumen bepflanzt und haben zur Seite ein
Rinnsal für das reichlich vorhandene Wasser. Es sind viele Quellen
und Brunnen vorhanden. Auch Proviant und Steinkohle kann man
hier beschaffen; letztere wird in Kohlenlichtern unter Bord gebracht.
Die Zahl der Einwohner beträgt 20.000, davon sind auch hier
nur wenige Europäer. Aber die Neger in Freetown machen einen
weit besseren Eindruck als jene in anderen Gebieten Westafrikas.
Es scheint, dass hier der englische Einfluss und vielleicht auch die
starke Mischung der Bevölkerung zu besseren Resultaten geführt
haben. So findet man unter den Negern eine recht gute Schulbildung,
natürlich wesentlich nur in den elementaren Kenntnissen, verbreitet. Sehr
gut untergebracht ist die Garnison, welche übrigens auch aus einem
von britischen Officieren befehligten Negerregimente besteht und in
grossen luftigen Baracken wohnt, in denen eine musterhafte Rein-
lichkeit herrscht. Ebenso zeigt diese Truppe auch treffliche Disciplin.
Den Sicherheitsdienst in Freetown versieht ein gleichfalls aus Negern
bestehendes Polizeicorps in tüchtiger Weise.
Gewinnt man also auch hier im Ganzen günstige Eindrücke, so
ist doch wieder das Klima der Gegenstand steter Klage. Die Euro-
päer unterliegen in hohem Grade dem bösen Einflusse desselben und
sind nicht selten gezwungen, sich durch rasche Entfernung dem sonst
unvermeidlichen Tode zu entziehen. Fieber und Anämie sind die
herrschenden Uebel. Die in Freetown stationirten Beamten und Offi-
ciere haben daher nach je zwei Jahren Anspruch auf einen sechs-
monatlichen Urlaub, um sich wieder für einige Zeit widerstandsfähiger
zu machen.
Eine merkwürdige, wohl auch durch das Klima bedingte Er-
scheinung ist, dass hier wie an der ganzen westafrikanischen Küste
sich europäische Hausthiere gleichfalls nicht acclimatisiren können
und alle in dieser Richtung gemachten Versuche erfolglos ge-
blieben sind.
Eine Eigenthümlichkeit von Freetown sind die Kroomen (Kru-Leute)
oder Krooboys, deren wir vorübergehend schon bei Banana gedacht
haben. In Freetown befindet sich der Mittelpunkt einer grossen Institution
zur Anwerbung von Kroomen, welche ihre Veranlassung darin findet,
dass eben wegen des Klimas nicht nur auf dem Lande, sondern auch auf
den längs der Küste verkehrenden Schiffen die Verwendung von
Europäern zu körperlichen Arbeiten fast unthunlich ist. Hiezu ver-
dingen sich nur diese Kroomen, deren Namen daher rührt, dass die-
selben anfänglich dem Stamme der Kroo angehörten, während gegen-
[720]Die atlantische Küste von Afrika.
wärtig auch Angehörige anderer Stämme, namentlich aber viele Leute
aus Liberia sich diesem Erwerbe widmen. Die Kroomen geniessen
wegen ihrer Geschicklichkeit, ihres Fleisses und ihrer Vertrauens-
würdigkeit eines sehr guten Rufes und nehmen daher stets eine be-
vorzugte Stellung gegenüber anderen Arbeitern ein. An der Spitze
der Kroomen in Freetown steht ein von denselben eingesetzter und
auch von der britischen Regierung anerkannter Obmann. Lange Zeit
versah diese Function der sogenannte King Peter, eine auf allen an
der afrikanischen Küste verkehrenden Schiffen wohlbekannte Persön-
lichkeit. Mit diesem Obmanne werden die Contracte gemacht und er
Freetown.
übernimmt die Verantwortlichkeit für deren richtige Erfüllung. Die in das-
selbe Dienstverhältniss, auf dem Lande oder an Bord eines Schiffes ein-
tretenden Kroomen wählen sich aus ihrer Mitte wieder den Chef ihrer
Gruppe, den Headman, der auch ein gewisses Disciplinarrecht über
seine eigenen Leute ausübt. Wegen dieser gut bewährten Organisation
wird Freetown mit Vorliebe zur Anwerbung von Kroomen benützt.
Man bekommt auch an anderen Orten, so z. B. in Monrovia der-
artige Leute, aber die Bedingungen sind nicht so verlässliche, wie in
Freetown.
Der Handel von Sierra Leone, der hauptsächlich über Freetown seinen
Weg nimmt, liegt fast ausschliesslich in englischen Händen.
[721]Freetown.
Die Gesammtausfuhr der Colonie belief sich im Jahre 1887 auf 333.517 ₤,
1888 auf 339.043 ₤ und 1889 auf 319.719 ₤.
Die vornehmlichsten Landesproducte, aus welchen sich diese Ausfuhr zu-
sammensetzt, sind: Palmöl, Gummi, Palmkerne, Benissamen und Elfen-
bein. In geringeren Mengen kommen auch Felle von wilden Thieren und
Gold in den Handel. Letzteres wird zumeist im verarbeiteten Zustande auf
den Markt gebracht; die Schmucksachen, welche von Schwarzen angefertigt
werden, sind in einer styl- und geschmackvollen Weise hergestellt.
In früheren Zeiten war Holz ein bedeutender Exportartikel, doch sind
gegenwärtig die der Küste näher gelegenen Waldungen nahezu ausgerodet.
Meterlinie, B 5 Meterlinie, C 10 Meterlinie, D Landungsplatz, E Werfte, F Leuchtfeuer, G Batterien,
H Missionsstation, J East Street, K Wilberforce Street, L Rawdon Street, M Howe Street, N Charlotte
Street, O Gloucester Street, P George Street, Q Trelawney Street, R Magazin.
Die Ausfuhr richtet sich zum vorwiegenden Theile nach England.
Von der Gesammtausfuhr des Jahres 1889 gingen für 131.000 ₤ Waaren
nach England, für 74.379 ₤ nach den benachbarten afrikanischen Küsten-
strichen, für 35.796 ₤ nach Frankreich, für 19.659 ₤ nach Deutschland und
für 17.323 ₤ nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Noch bedeutender ist das Uebergewicht Englands in der Einfuhr, von der
es rund mehr als zwei Drittel bestreitet.
Der Gesammtimport bezifferte sich im Jahre 1887 auf 308.039 ₤, im Jahre
1888 auf 250.147 ₤ und im Jahre 1889 auf 277.781 ₤.
Von der Importziffer des Jahres 1889 entfielen auf England 210.800 ₤,
auf die Vereinigten Staaten 32.107 ₤, auf Deutschland 20.736 ₤, der Rest auf
Frankreich und die benachbarten Colonieen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 91
[722]Die atlantische Küste von Afrika.
Die vornehmlichsten Gegenstände der Einfuhr sind Webewaaren (be-
druckte Kattune und Baumwollstoffe in verschiedenen Farben) billigster Sorte.
Decorirtes Porzellan in einer dem Geschmacke der Neger ange-
passten Ausstattung und Ironstone kommt aus England.
Glasperlen und Glaskorallen liefert Italien in grossen Mengen, mit-
unter bis zum Jahresbetrage von 15.000 ₤.
Eisenwaaren, und zwar Küchengeräthschaften, ordinäre Messer, Gabeln
und Löffel kommen ausschliesslich aus England.
Gleicher Provenienz ist das importirte Papier.
In den Import von Feuersteingewehren theilen sich England und
Deutschland. Ersteres liefert auch Schiesspulver in ordinärer Gattung.
Mehl wird aus den Vereinigten Staaten bezogen, ebenso Tabak.
Reis kommt zum grössten Theile aus Indien.
Wein liefert Frankreich, Bier in unbedeutenden Quantitäten England und
Deutschland.
Von Spirituosen werden Kornbranntwein, Genever, Whiskey zum Theile
aus England, zum Theile aus Deutschland bezogen. Die aus Hamburg gelieferten
Spirituosen werden in 10 l haltenden Korbflaschen (Demijohn) versendet, welche
Flaschen einen eigenen Handelsartikel bilden.
Sowohl Einfuhren als Ausfuhren sind mit entsprechenden Zöllen belegt,
aus welchen die Einnahmen der Colonialregierung bestehen.
Diese Zolleinnahmen betrugen im Jahre 1887 47 211 ₤, im Jahre 1888
51.229 ₤.
Der Schiffsverkehr von Freetown ist ein ziemlich starker und umfasste
im Jahre 1887 633 Schiffe von 174.915 T und 1888 702 Schiffe von 255.330 T.
Von dieser ansehnlichen Schiffsbewegung entfällt ein nicht allzu grosser
Theil auf die regelmässige Dampferverbindung, in welche Freetown einbezogen ist.
Diesen regelmässigen Verkehr unterhalten die Schiffe der West-African
Steamship Cy., welche ihre Fahrten zweimal monatlich von Liverpool antreten
und dieselben abwechselnd bis Old Calabar und San Paolo ausdehnen und auch
auf der Rückfahrt Freetown anlaufen.
Für den Kohlenbedarf der den Hafen von Freetown anlaufenden Dampfer
ist dadurch gesorgt, dass stets eine genügende Quantität Kohle, 3000—4000 T,
am Lager ist.
Freetown steht in telegraphischer Verbindung nach dem Süden über die
Stationen Akkra, Grand Bassam, Portonovo, St. Thomé, Lagos, Brass, Bonny und
Principe; nach Norden mit Europa über Gambia, Dakar und Cadiz, und hat
durch das Kabel St. Louis—St. Vincent Anschluss an die Linie Lissabon—
Pernambuco.
Durch Consulate sind daselbst vertreten: Deutschland, Frankreich, Italien
Belgien, Spanien, Portugal, Dänemark und die Vereinigten Staaten von Nord-,
amerika.
[[723]]
Dakar.
Nördlich von Sierra Leone liegt Senegambien, welches seinen
Namen von den beiden bedeutendsten Flüssen seines Gebietes,
Senegal und Gambia, erhalten hat. An beiden Flüssen liegt die
französische Colonie Senegal, welche nach dem Namen des er-
steren bezeichnet wird. Die Colonie hat den Franzosen schon
viele Mühe verursacht und viel Sorgen gemacht, vor Allem,
weil die Besitzer einer feindlichen und kriegerischen Bevölkerung
gegenüberstehen, und weil auch hier, wie längs der ganzen Westküste
Afrikas, die Schwierigkeiten der Colonisation ganz erhebliche und
nicht allein in dem nachtheiligen Klima begründete sind. Eine über-
wuchernde tropische Vegetation, die zahlreichen Niederungen der
grossen Flüsse und die unvermeidlichen Miasmen erzeugen im Vereine
mit der äquatorialen Sonne hygienische Verhältnisse, welchen der
Europäer sich nur höchst schwer anzupassen vermag. Körperliche
Arbeit kann er nicht leisten. Die Eingebornen hingegen sind wohl
kräftig, aber jegliche Arbeit ist ihnen ein Greuel, und auch an dem
Baue der Eisenbahn von Dakar nach St. Louis haben sich nicht viele
betheiligt. Man entbehrt also der nothwendigen Hilfskräfte zur Ent-
wicklung des Landes. Dazu gesellen sich dann noch die schlechten
Communicationen, sobald man landeinwärts dringen will. Es mangelt
an Zug- und Tragthieren. Eine Acclimatisirung europäischer Thiere
in dem Küstengebiete ist noch nicht gelungen und im Lande findet
man nicht geeignetes Material. Man muss sich der Menschen als Trans-
portmittel bedienen, und die sind für diesen Zweck sicher das theuerste
und dabei auch schlechteste Material. Es ist deshalb begreiflich, dass
sich der Verkehr wesentlich auf die Flüsse beschränkt, soweit man
auf denselben mit Fahrzeugen gelangen kann, während abseits der
Flüsse Mühsale aller Art sich entgegenstellen.
Am Senegal wie in allen anderen Gebieten ist daher noch immer
nicht von einer systematischen Colonisirung des Landes und von einer
91*
[724]Die atlantische Küste von Afrika.
rationellen Ausnützung des Bodens die Rede. Man besitzt eigentlich
nur Handelsstationen, an denen der Waarenumschlag, zumeist noch
in der primitiven Form des Tauschgeschäftes, sich vollzieht. Der
Europäer, insoweit er nicht zu den wenigen Organen der Colonial-
regierung zählt, ist Kaufmann, und schon das überall vorfindliche
Institut der Factoreien zeigt, dass in dem Waarentausch der Schwer-
punkt der Thätigkeit liegt. Es ist dies eine Einrichtung, welche in
anderen colonialen Ländern schon lange der Vergangenheit angehört.
Aber auch in der Factorei hat der Europäer nicht das Gefühl, dass
seine Leistung der Colonie angehört. Er betrachtet sich stets als einen
Fremdling, welcher nur so lange in dem ihn wenig anmuthenden
Lande verbleibt, als es sein Dienstverhältniss oder sein geschäftliches
Interesse erheischt, und welcher die Stunde segnet, in der er Ab-
schied nehmen kann. Auch dieser Umstand hindert die Festigung
der Verhältnisse. Nicht für die Colonie und ihre Angelegenheiten, nur
für das Geschäft, welches man dort hat, gibt es Interesse. Es ist
aber begreiflich, dass dem nicht anders sein kann. Vom ersten Tage
an fühlt der Europäer, dass er dem höchst ungesunden Klima als
einer feindlichen Macht gegenübersteht, welche in heimtückischer Art
seine Existenz zu untergraben bemüht ist. Fort und fort ist er ge-
zwungen, mit peinlicher Genauigkeit die Regeln der örtlichen Hygiene
zu beobachten. Weicht er davon ab, dann muss er es nur zu rasch
und in oft unheilbarer Weise büssen. Diese Momente zwingen den
Weissen, sich nur der Leitung der Geschäfte und der Beaufsichtigung
der Arbeiten zu widmen, jede andere Thätigkeit aber den Schwarzen
zu überlassen.
Man bewegt sich in Westafrika eigentlich in einem Zirkel. Nur
wenn es gelingen würde, im Kampfe mit der übermächtigen Natur
einigermassen die Oberhand zu gewinnen, also namentlich durch
Rodung und Cultivirung des Bodens in ausgedehntem Masse, könnte
man auf eine allmälige Besserung der Lebensverhältnisse rechnen; um
aber zu diesem Ende zu gelangen, bedarf man der Kräfte, welche die
erforderlichen kolossalen Arbeiten bewältigen. Bisher gestatten die
gemachten Erfahrungen es nicht, auf kräftige und willige Unter-
stützung durch die Eingebornen zu rechnen, und es ist immer noch
die Frage, ob es gelingen wird, aus dieser verwickelten Sachlage
einen befriedigenden Ausweg zu finden. Es ist daher erklärlich, dass
auch im Senegalgebiete nur Rohproducte den Gegenstand des Exportes
bilden, und zwar Rohproducte, die nicht erst durch eine organisirte
Thätigkeit gewonnen werden müssen.
[725]Dakar.
Die Erkenntniss der übergrossen Schwierigkeiten, welche sich
der Colonisation in Westafrika entgegensetzen, dürfte die Engländer
bewogen haben, durch den Vertrag vom 5. August 1891 den ganzen
Nordwesten des Erdtheiles der Interessensphäre der Franzosen zu
überlassen. Dieses ungeheure Gebiet wird von einer Linie begrenzt,
die von Say am Niger zum Tsadsee und von diesem an die Ostgrenze
von Tunis verläuft.
Dakar.
Die Franzosen erwägen jetzt den Plan, ihre Besitzungen am
Atlantischen Ocean mit denen am Mittelländischen Meere durch eine
Sahara-Bahn zu verbinden. Um die Ausführung derselben vorzu-
bereiten, dringen ihre Vorposten von beiden Seiten gegen die Wüste
vor. Die von dem Cardinal Lavigerie gestifteten „Sahara-Brüder“,
eine mönchisch-militärische Vereinigung nach Art der Ritterorden, die
in der Zeit der Kreuzzüge entstanden sind, und das irreguläre
Kameelreitercorps der „Meharisten“ bemühen sich mit Erfolg, die
Karawanenstrasse im Norden zu sichern. Im Süden unterwerfen die
französischen Soldaten der Reihe nach die muhammedanischen
[726]Die atlantische Küste von Afrika.
Stämme, errichten Telegraphenleitungen und befahren die schiff-
baren Flüsse mit Dampfern; den Verkehr über die Wasserscheide, welche
den Oberlauf des Senegal und des Niger trennt, vermittelt eine schmal-
spurige Eisenbahn.
Dakar ist heute zum künftigen Centralpunkt der Senegal-
colonie bestimmt. Man hat die Absicht, den Sitz des Gouvernements
von St. Louis dahin zu verlegen. St. Louis befindet sich nämlich
in Folge der zunehmenden Barrenbildung vor der Mündung des
Senegals in einer immer schwieriger zugänglichen Lage, woraus dem
Verkehre viele Unzukömmlichkeiten entstehen. Man kann dagegen
keine Abhilfe schaffen, weil sich die Barre fortwährend verschiebt
und verändert, und wendete darum dem südlicher gelegenen Dakar
seine Aufmerksamkeit zu. Dieser Ort befindet sich schon seit 1779
im Besitze der Franzosen, war aber bis in die jüngste Zeit ganz ver-
nachlässigt. Nun haben sich die Dinge seit 1862 sehr geändert. Vor
Allem bemühte man sich, nicht ohne erheblichen Kostenaufwand, um
die Schaffung eines guten Hafens. Zwei grosse Molen aus Stein-
quadern mit Landungstreppen und Schienengeleisen, sowie ein guter
Quai bieten sichere Vertäu- und Anlegeplätze, während ausserhalb der
Molen Bojen gelegt sind.
Im Süden der Hafenanlagen befindet sich auf einem Hügel ein
altes Fort; ein anderes steht auf der nördlich von der Stadt ge-
legenen Spitze Belair, einem wegen Fieber besonders verrufenen
Punkte.
Die Hauptstrasse des Ortes führt vom Landungsplatze sanft
bergan. Längs derselben liegen wenige aus Stein aufgeführte Gebäude,
darunter das von einem Garten umgebene Haus des Militärcomman-
danten, die katholische Kirche sammt Mission und Schule, einige
europäische Handlungshäuser und die Kasernen. Alle übrigen Theile
Dakars zeigen den Charakter jeder Negerniederlassung. Doch geht
die Regierung damit vor, die Negerhütten allmälig zu erwerben und
niederzureissen, um Platz für die an deren Stelle beabsichtigten Neu-
bauten zu schaffen. Die Negerstadt in Dakar ist sehr ausgedehnt. Sie
zählt 15.000 Seelen, welche sehr verschiedenen Stämmen angehören.
Nur wenige Neger bekennen sich, trotz der Bemühungen der Fran-
zosen, zum Christenthume. Mehr Neigung zeigen dieselben für den
Islam, welcher ihren Gewohnheiten besser zusagt. In der Negerstadt
von Dakar liegen gewöhnlich drei bis fünf Hütten innerhalb eines
gemeinschaftlichen Zaunes. Die Hütten haben eine kegelförmige Form;
die grösseren dienen den Menschen, die kleineren den aus Geflügel
[727]Dakar.
und einheimischen Ziegen bestehenden Hausthieren zur Unterkunft.
Der Hausrath besteht meist nur aus einigen Matten und Gefässen
nebst einem Mörser zum Stossen des Kornes. Die einzelnen Hütten-
gruppen liegen wirr nebeneinander; die dazwischen befindlichen
Gassen strotzen von Schmutz und verbreiten den übelsten Geruch.
Vom Hafen ab geht seit 1885 eine Eisenbahn längs des Ufers
bis Réfusque und nach St. Louis. Die Erhaltung dieser Bahn ist
mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Einerseits stört bei trockenem
Wetter der Flugsand und anderseits leidet unter den vielen Regen-
Meterlinie, B 10 Meterlinie, C Dakar-Fort, D Museum, E Weisse Sandhügel, F Leuchtfeuer,
G Gouvernement-Signalmast, H Lazareth.
güssen der Unterbau in empfindlicher Weise. Das Klima von Dakar
ist höchst bösartig. Zu den einheimischen Uebeln gesellt sich hier
häufig noch das aus Südamerika eingeschleppte gelbe Fieber.
Nahe, fast gegenüber von Dakar liegt die Ortschaft Gorée auf
der gleichnamigen Felseninsel, früher das Bollwerk für die fran-
zösischen Besitzungen in Senegambien, während man heute schon
der besseren Verbindungen mit dem Binnenlande wegen das Festland
bevorzugt. Gorée hat 3000 Einwohner; sein Hafen ist mit zwei
theils aus Eisen, theils aus Holz construirten Molen ausgestattet. In
der Stadt, welche durch ihre insulare Lage sich eines besseren Klimas
erfreut, befindet sich nebst einigen Waarenhäusern ein wohl einge-
[728]Die atlantische Küste von Afrika.
richtetes, von Aerzten der französischen Marine geleitetes Spital.
Dagegen ist der Mangel an Trinkwasser und Brennholz sehr empfindlich,
und man ist genöthigt, beides durchwegs vom Continente herüber zu
schaffen. Das Wasser muss dann noch erst einer Filtrirung unter-
zogen werden.
Nahe der Senegalmündung liegt St. Louis, bisher die Haupt-
stadt der französischen Colonie, welche aber heute schon fast die
ganze Bedeutung zu Gunsten Dakars eingebüsst hat.
Die letzten Publicationen des französischen Ministeriums der Marine und
der Colonien über den Handelsverkehr von Senegal reichen bis zum Jahre 1887
und behandeln den Verkehr der ganzen Colonie ohne Berücksichtigung
des Hafens Dakar. Man geht jedoch nicht fehl mit der Annahme, dass der
Aussenhandel dieses Hafens sich zum grössten Theile mit dem von ganz Senegal
deckt, da in den folgenden Nachweisen der Handel der südlichen Dependenzen
von Senegal nicht inbegriffen ist.
Im Jahre 1887, welches wir als Berichtsjahr annehmen müssen, belief sich
der gesammte Aussenhandel Senegals auf 39,756.717 Frcs. Davon entfielen nahezu
zwei Drittheile auf den Import und ein Drittel auf den Export.
Die Einfuhr umfasste einen Werth von 25,812.675 Frcs., davon französische
Waaren für 12,268.238 Frcs. und fremdländische Producte für 13,236.437 Frcs.
Unter den industriellen Erzeugnissen, welche Senegal importirt, sind Textil-
waaren hervorzuheben, und zwar zumeist in der dem Geschmacke der Neger
angepassten Ausführung zum Zwecke des Tauschhandels. Im Jahre 1887 betrug
die Einfuhr dieser Artikel nicht weniger als 7,259.137 Frcs. Weit über 6,000.000 Frcs.
umfasste der Import der übrigen Industrieerzeugnisse, insofern sie theils den Be-
dürfnissen der Colonisten, theils dem Tauschhandel dienten.
Die weitere Einfuhr setzt sich zum grössten Theile aus Nahrungs- und
Genussmitteln zusammen. So importirte Senegal im Berichtsjahre:
- Colonialwaaren aller Art ..... für 3,171.038 Frcs.
- Mehlhaltige Nahrungsmittel ... „ 2,566.216 „
- Früchte und Sämereien ...... „ 876.709 „
- Zucker ................ „ 830.512 „
- ferner Getränke aller Art ..... „ 2,380.536 „
Die Einfuhr lebender Thiere repräsentirte einen Werth von 316.850 Frcs.
und die von thierischen Producten einen solchen von 589.425 Frcs.
Erwähnenswerth ist noch der Import von Kohle im Werthe von 1,684.772 Frcs.
und der von Holz im Werthe von 864.648 Frcs.
Die Gesammtausfuhr von Senegal belief sich im Berichtsjahre auf
13,944.042 Frcs. Davon nahm der weitaus grösste Theil im Werthe von
11.742.856 Frcs. seinen Weg nach Frankreich, der Rest von 2,186.679 Frcs. ver-
theilte sich auf andere Länder.
Wenige Producte sind es, die exportirt werden. Als das wichtigste kann
Gummi angesehen werden. Im Berichtsjahre gelangten 28.276 q im Werthe von
4,629.000 Frcs. zur Ausfuhr.
An zweiter Stelle stehen Erdnüsse mit 178.930 q im Werthe von
4,360.748 Frcs.
[729]Dakar.
Ferner wurden Palmkerne im Gewichte von 19.254 q und im Werthe
von 288.815 Frcs. exportirt.
Die Ausfuhr von Kautschuk belief sich auf 2144 q für 647.247 Frcs.
Senegal exportirt auch etwas Mais (im Berichtsjahre für 34.000 Frcs.).
Das Thierreich ist in der Ausfuhr durch Felle und Häute, sowie Ele-
fantenzähne vertreten. Letztere erreichen keine besonders hohe Ausfuhrziffer
(17.817 Frcs. im Berichtsjahre).
In Senegambien wächst Kaffee; die Qualitäten Rio-Nunez und Rio-Longo
sind in der Colonie sehr beliebt, das geringe Erträgniss liess bis nun eine Ausfuhr
nicht zu.
Der Schiffsverkehr mit Dakar ist ein lebhafter. Drei französische Ge-
sellschaften laufen Dakar regelmässig an: Die Messageries maritimes zweimal im
Monate auf ihren Fahrten von Bordeaux nach den La Plata-Staaten und zurück,
die Compagnie Fraissinet (ab Marseille) und die Chargeurs Réunis (ab Bordeaux)
abwechselnd jeden zweiten Monat auf der Fahrt nach Loango. Die British and
African Steam Navigation Cy. und die African Steamship Cy. legen auf ihren
Fahrten von Liverpool nach Loanda gleichfalls in Dakar an. Ebenso landen die
Schiffe der Woermann-Linie einmal monatlich in Dakar.
Im Jahre 1887 liefen daselbst ein 79 französische Schiffe mit 53.847 t und
213 fremde mit 9734 t.
Dakar und St. Louis sind Anlegeplätze des Kabels, welches längs der
Westküste Afrikas Cadiz mit Capstadt verbindet. Eine zweite Verbindung mit
Europa, sowie eine mit Amerika, wird durch das Kabel St. Louis—St. Vincent
hergestellt, weil auf dieser Capverdischen Insel die beiden Kabel nach Lissabon
und nach Pernambuco landen.
In Gorée unterhalten Consulate: Portugal und die Vereinigten Staaten
von Amerika.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 92
[[730]]
Mogador.
An der Stelle, wo sich heute die marokkanische Stadt dieses
Namens befindet, waren schon, soweit die Nachrichten reichen, in
früheren Zeiten Ansiedlungen. Im Alterthume lag hier die von den
Karthagern gegründete Stadt Tamusiga; ein Segelhandbuch vom Jahre
1351 erwähnt sie; zu Anfang des XVII. Jahrhunderts erscheint
hier auf einer spanischen Karte ein kleiner Hafenplatz ver-
zeichnet. Später dürfte der Ort in Verfall gerathen sein; in der
ersten Hälfte des vorigen Säculums sollen nur mehr die Ruinen eines
einstigen portugiesischen Forts vorhanden gewesen sein. Dasselbe
stammt wohl aus der Zeit, in welcher die Portugiesen an der Nord-
küste Afrikas eine Rolle spielten.
Die heutige Stadt Mogador (bei den Mauren Suïrah d. i. die
Prächtige) ist jüngeren Datums. Sie soll um 1760 gegründet worden
sein, und zwar auf Befehl des Sultans Muhammed ben Abdallah als
Concurrenz zu der ob ihres Wohlstandes mit Neid betrachteten Stadt
Agadir. Die Anlage der neuen Stadt geschah nach den Plänen des
Genueser Ingenieurs Cornut. Der Bau, bei dem die französischen
Kriegsgefangenen von der verunglückten Expedition gegen Larache
(1765) verwendet wurden, dauerte bis zum Jahre 1775. Die Stadt liegt
auf einem wenig über die See emporragenden Felsenriffe und ist ringsum
von einer starken Mauer umgeben, während auch deren Inneres durch
Mauern in drei streng von einander gesonderte Theile geschieden ist. Der
beste Theil ist die sogenannte Kasbah, welche nahe beim Hafen ge-
legen ist. Dort leben alle hier ansässigen Europäer und auch die
reicheren Juden, deren Stamm hier wenigstens der Zahl nach eine
Rolle spielt. Die Kasbah ist ziemlich gut gehalten und umfasst nebst
den Regierungsgebäuden und dem Gerichtsplatze des Kadi die Resi-
denzen der verschiedenen Consulate, ein spanisches Kapuzinerkloster
und eine Schule, welche von der englischen Missionsgesellschaft ge-
gründet worden ist. Hier gibt es sogar ein Hôtel, wenngleich dieser
Name für die Unterkunft, welche Fremde darin finden, etwas zu voll-
[731]Mogador.
tönend klingt. An die Kasbah schliesst sich in nordöstlicher Richtung
die eigentliche „Stadt“, Medina genannt, an. Diese Stadt zerfällt
wieder in zwei Theile, von denen der eine die Werkstätten, Waaren-
räume und Comptoirs, der andere die eigentlichen Wohnhäuser in
sich schliesst. In der Medina finden sich auch zwei grosse Marktplätze
und die Hauptmoschee des Ortes. Hier wohnen durchwegs Mauren
und Araber. Die Strassen, von ziemlicher Breite und für eine orien-
talische Stadt auch von auffallender Reinlichkeit, kreuzen sich, der
schon erwähnten planmässigen Anlage entsprechend, zumeist im rechten
Winkel.
Das dritte Quartier heisst Mellah und ist das Judenviertel. Das-
selbe unterscheidet sich durch seine wirre Gestaltung mit engen
Gassen und oft sehr ärmlichen Behausungen von den beiden anderen
Quartieren und scheint daher bei der Anlage Mogadors nicht in Be-
tracht gezogen worden zu sein. Vielmehr verdankt es seine Entste-
hung dem allmäligen Zuzuge und dem raschen Wachsthum seiner
Inwohner. Man schätzt deren Zahl heute auf 8000, also fast die
Hälfte der ganzen Bevölkerung Mogadors. Die Mellah zeigt alle
Schattenseiten, durch welche die verschiedenen Ghettos verrufen sind:
enge zusammengepferchte Wohnungen, Schmutz, übler Geruch und
völliger Mangel jeglicher Zierde. Aber wenn auch die Juden in ganz
Marokko trotz ihrer hohen Zahl in den einzelnen Seeplätzen eine
gedrückte Stellung einnehmen, so sind sie doch ein höchst wichtiges
Element und haben den Handel in ihren Händen.
Die Stadt weist namentlich in den beiden schöneren Theilen
recht stattliche Gebäude auf, die soweit sie zu Wohnstätten dienen,
meist ein oder zwei Stockwerke besitzen. Aus der Stadt gelangt man
durch verschiedene Thore ins Freie; die Thore aber werden bei Son-
nenuntergang mit aller Sorgfalt geschlossen und erst wieder geöffnet,
wenn die Sonne aufgeht.
Befestigungswerke sind in grösserer Zahl vorhanden, jedoch alle
ziemlich verwahrlost. Auf einem Riffe im Südwesten von der Stadt
befindet sich ein Thurm, welcher mit dem Lande durch eine steinerne
Brücke verbunden ist; überdies liegen gegen die Seeseite zu noch
zwei Forts und mehrere Geschützstände, sämmtlich massive Stein-
bauten. In der südöstlichen Ecke der Stadtmauer liegt die Marokko-
Batterie, in der Nordnordost-Ecke die Dukkalah-Batterie und an der
Ostseite der Mauer noch eine Flankenbatterie. Die Geschütze sind
sämmtlich glatte Vorderlader, Projectile für dieselben sind angeblich
nicht vorhanden! Auch sollen sich in den sechs Batterien der Insel
92*
[732]Die atlantische Küste von Afrika.
Geschütze befinden, die im Jahre 1844 von den Franzosen vernagelt
und seither nicht wieder in Stand gesetzt worden sind. Die Garnison
Mogadors besteht aus etwa 100 Mann.
Die niedrige Lage der Umgebung Mogadors hat zur Folge,
dass Springfluthen, die hier den Meeresspiegel bis zu 4 m erheben,
bei westlichen Winden, namentlich aber bei Stürmen, die Stadt voll-
ständig vom übrigen Festlande abtrennen, weshalb auch die ins
Mogador.
Innere führende Strasse zum Schutze gegen diese sich regelmässig
wiederholenden Ueberfluthungen durch hohe Steindämme geschützt ist.
In dem durch die kleine vorliegende Insel Mogador gebildeten
Hafen finden kleinere Schiffe einen guten Ankerplatz; grössere müssen
ausserhalb der Insel ankern, wo sie jedoch — wie auch oft im Hafen
— dem Seegange vom Ocean her immer ausgesetzt sind und daher
stark rollen. Im Winter (October bis April) müssen Schiffe daselbst
immer bereit sein, bei heftigen westlichen Winden den Hafen zu
verlassen.
[[733]]
A Rhede von Mogador, B Hafen von Mogador, C Nordeinfahrt, D Südeinfahrt, E Ankerplatz, G Zollamt,
H Befestigungen, J Thürme, K Stadtthor, L Landungsplatz, M Moschee, N Grabmal, O Wasserreservoir,
P Wasserleitung, Q Gärten, R Heiligthum Sidi Mogadors, S kaiserlicher Palast, T Wrack, U 2 Meter-
linie, V 5 Meterlinie, W 10 Meterlinie.
[734]Die atlantische Küste von Afrika.
Eine aus Stein erbaute, zum südlichen Thore der Stadt führende
Rampe dient bei Fluth als Anlegeplatz für Boote; bei Ebbe ein weiter
östlich gelegener, jedoch nur für leichtere Boote genügend tiefer
Canal, von dem ein schmaler Fusssteig über Klippen zu den Stadt-
mauern führt.
Was das Klima von Mogador anbelangt, so kann dasselbe als
ein günstiges bezeichnet werden, namentlich ist es sehr gleichmässig.
Auch verfügt man über reichliches Wasser von einer Wasserleitung aus
dem benachbarten Flusse Wad al Ghored. In der Stadt befinden sich
drei grosse Wasserreservoirs, und zwar eines in der Kasbah und zwei
in der Medina. Im Ghetto gibt es eine solche Vorkehrung nicht.
Für den Bedarf der Schiffe ist durch einen Wasser-Auslauf in der
Nähe des Landungsplatzes gesorgt. Eine Seemeile südlich von Mo-
gador befinden sich an der Wasserleitung ziemlich grosse Gärten.
Die Bevölkerung von Mogador wird auf 18.000 bis 20.000 Seelen
veranschlagt. Sie besteht, wie wir bereits andeuteten, wesentlich aus
Mauren, Arabern und Juden. Europäer sind hier in nicht grosser
Anzahl (kaum 200) vorhanden. Die Unsicherheit der Verhältnisse in
Marokko trägt hiezu nicht wenig bei und gestattet überhaupt nur mit
einiger Verlässlichkeit den Aufenthalt an der Küste, wo man sich
jederzeit wenigstens des consularischen Schutzes erfreuen kann.
Mogador könnte übrigens, wenn die Verbindungen nach dem Innern
und insbesondere die Verhältnisse daselbst günstigere wären, eine ganz
ansehnliche commercielle Bedeutung erlangen, denn seine Lage macht es
zu dem natürlichen Hafenplatz eines grösseren Hinterlandes. Heute aber
spielt Mogador eine nur sehr bescheidene Rolle, und wenn auch dort
öfters Markt gehalten wird, so sind doch die Schwierigkeiten, unter
denen die binnenländischen Producte dahin gebracht werden, sehr
grosse. Mogador ist übrigens wichtig für den sudanesischen Strauss-
federnhandel. Die Industrie beschränkt sich auf Maroquingärberei
und Erzeugung von Waaren aus getriebenem Messing und Kupfer.
Der Verkehr wird immer noch, wie in vergangenen Zeiten, durch
Karawanen auf schlechten Pfaden vermittelt. Als Beispiel, wie langsam
überhaupt der ganze Landverkehr sich vollzieht, mag dienen, dass
die Post von Mogador nach Tanger sich volle vierzehn Tage unter-
wegs befindet.
Mogador steht in Bezug auf den Umfang seines Handelsverkehres unter
den marokkanischen Häfen erst an dritter Stelle. Es wird nicht allein von dem
Haupthafen Tanger, sondern auch von Casablanca nicht unwesentlich über-
troffen.
[735]Mogador.
Wählen wir die Jahre 1888—1890 als Grundlage unserer Berichterstat-
tung, so finden wir übrigens, dass in diesem kurzen Zeitabschnitte Mogador in
seinem Handel einen ganz merkwürdigen Aufschwung genommen hat, der durch
nachstehende Zusammenstellung illustrirt wird.
Der Gesammtverkehr von Mogador, geprägtes Geld inbegriffen, belief sich
im Jahre 1888 auf 9,565.100 Frcs. und stieg im darauf folgenden Jahre auf
14,114.675 Frcs. und 1890 auf 15,678.450 Frcs.
Davon entfielen auf die Einfuhr im Jahre 1888 4,941.500 Frcs., 1889
7,086.750 Frcs. und 1890 7,578.200 Frcs. und auf die Ausfuhr im Jahre 1888
4,623.600 Frcs., 1889 7,027.925 Frcs. und 1890 8,100.250 Frcs.
Sowie in den andern Hafenplätzen Marokkos findet auch hier die Einfuhr
ihr Schwergewicht in den verschiedenen Industrieerzeugnissen. An der Spitze
dieser steht die Textilindustrie. Repräsentirt wird dieselbe vornehmlich durch
Baumwollwaaren, deren Einfuhrwerth im Jahre 1890 auf 3,413.120 Frcs. und
1889 auf 2,970.000 Frcs reichte. Ausserdem gelangten 1890 Tuche im Werthe von
50.000 Frcs zur Einfuhr.
Der Import von Eisen- und Stahlwaaren umfasste 1889 einen Werth
von 63.250 Frcs. und einen beinahe gleich hohen Werth zeigen die importirten
Kupfer- und Zinnwaaren.
Andere Industrieartikel wurden 1889 in folgenden Werthmengen importirt:
- Kerzen ........ für 82.340 Frcs.
- Seifen u. Parfümerien „ 33.760 „
- Kurzwaaren ..... „ 38.200 „
- Glaswaaren ..... für 25.500 Frcs.
- Säcke ........ „ 23.300 „
- Zündhölzchen .... „ 20.000 „
Die specielle Anführung des Importes der zahlreichen übrigen Industrie-
erzeugnisse, wie Möbel, Porzellan, Papier, Schmuck- und Putzwaaren
Kleidern etc. erscheint wegen des verhältnissmässig geringen Umfanges der ein-
zelnen Positionen überflüssig.
Dagegen sei der Import von Zucker hervorgehoben, der mit einem
Werthe von 1,445.550 Frcs. im Jahre 1890 gegen 926.400 Frcs. im Jahre 1889 und
557.900 Frcs. im Jahre 1888 auffallende Steigerung aufweist. Den Zuckermarkt
beherrscht Belgien vollständig.
Eine stattliche Importziffer verzeichnet ferner Thee, 1889 mit einem
Werthe von 330.500 Frcs.; er vertritt in Marokko vielfach die Stelle des sonst im
Oriente gebräuchlichen Kaffees. In der That beträgt der Werth des im Jahre
1889 nach Mogador importirten Kaffees nur 30.500 Frcs.
Am Schlusse der Einfuhrliste wäre noch der Import von Büffelhäuten
1889 im Werthe von 155.000 Frcs. zu erwähnen.
Die Ausfuhr von Mogador setzt sich ausschliesslich aus Natur- und
Rohproducten zusammen. Olivenöl und Mandeln, die grössten Ausfuhrartikel
des Platzes, haben 1891 durch die Heuschrecken sehr gelitten. Die diesem vor-
angehenden Jahre zeigten einen stetigen Aufschwung.
Nahezu 20 % des Gesammtexportes weist 1890 die Ausfuhr von Mandeln
mit einem Werthe von 1,584.000 Frcs., im Jahre 1889 mit 2,624.375 Frcs. 40 %
desselben auf.
Aehnlich verhält es sich mit dem Exporte von Olivenöl, wovon Mogador
1888 für 606.000 Frcs., 1889 für 1,309.800 Frcs. oder 25 % des Gesammtexportes,
1890 für 3,468.000 Frcs. oder circa 43 % des Gesammtexportes ausführte.
[736]Die atlantische Küste von Afrika.
In dem letzten Jahre war die Ernte Marokkos sehr reich, während Italien eine
Missernte hatte.
Gummi wurde 1888 für 950.500 Frcs., 1889 für 638.875 Frcs. und 1890
für 740.000 Frcs. ausgeführt.
Mogador exportirte ferner:
Als höchst bedeutender Ausfuhrartikel sind Ziegenfelle zu nennen. Ihr
Export belief sich 1890 auf 1,593.600 Frcs., 1889 auf 1,492.500 Frcs. und 1888
auf 752.000 Frcs. Schliesslich ist im Jahre 1890 auch die Ausfuhr von Strauss-
federn hervorzuheben.
Der Schiffsverkehr von Mogador erreichte im Einlaufe 1890 109 Schiffe
mit 93.069 Reg.-Tons, 1889 98 Schiffe mit 70.998 Reg.-Tons. Der Schiffsverkehr,
welcher fast nur Dampfer umfasst, stieg 1890 gegen das Vorjahr, weil zwei
deutsche Linien, die Woermann- und die Atlas-Linie, regelmässige Fahrten
zwischen Hamburg und Mogador einrichteten.
Mogador ist ferner Station der Paquet-Compagnie (Marseille), einer
spanischen Linie und einiger englischen Linien.
In Mogador unterhalten Consulate: Frankreich, Grossbritannien und
Spanien.
So ziemlich in der Mitte zwischen Mogador und Tanger liegt
die Seestadt Casablanca (Dar El Baida, früher Aufa genannt), der
Hauptort der reichen Provinz Schawia. Die Stadt ist mit starken
Mauern und Thürmen umgeben und bildet ein längliches Viereck.
Die Strassen sind zwar ziemlich geräumig, doch ebenso schmutzig,
wie die fast aller Städte Marokkos; die Häuser sind unansehnlich,
eigentlich zumeist nur Hütten.
Einst ein Zankapfel zwischen den Portugiesen, welche die Stadt
anfangs des XVI. Jahrhunderts an der Stelle des alten Aufa grün-
deten, und den Mauren, beginnt Casablanca an Bedeutung zuzunehmen,
obschon der Hafen eigentlich nur eine offene Rhede ist.
Casablanca zählt 9000 Einwohner, darunter 2000 Juden und
etwa 100 Europäer. Unter den Letzteren befinden sich auch einige
Deutsche.
Die Stadt ist Sitz des Gouverneurs der Provinz und der Ver-
treter der fremden Mächte. Sie ist ein ziemlich bedeutender Handels-
platz geworden, dessen Hauptausfuhrartikel Getreide, Felle und Wolle
sind. Der Handelsumsatz beträgt über 3,000.000 Gulden im Jahre.
Etwa 60 Kilometer vor Tanger liegt Larache (arabisch El
Araïsch genannt), an der Mündung des Wad-al-Kus (Uëd-Aulcus) in
[737]Mogador.
den atlantischen Ocean. Hier stand die phönikische Stadt Lix, von
welcher Ruinen noch vorhanden sind.
Die sehr verfallene Stadt beginnt sich wieder zu heben und
zählt derzeit über 10.000 Einwohner, worunter 1000 Juden und 200
Europäer. Im Allgemeinen ist die Stadt unansehnlich, ihre Strassen
sind enge und schmutzig, doch ist der Marktplatz leidlich hübsch
und von Arkaden umgeben, welche noch aus der Zeit stammen, als
(im XVII. Jahrhundert) Larache den Portugiesen gehörte.
Früher war Larache der Hauptsitz der fremden Vertreter in
Marokko; es hat wiederholte Belagerungen und Beschiessungen aus-
zuhalten gehabt. So wurde es 1829 von der österreichischen Escadre
unter Bandiera bombardirt, ein unternommener Landungsversuch
missglückte jedoch.
Hauptausfuhrartikel bilden Häute und Schafwolle, welche letztere
als die beste im Reiche gilt.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 93
[[738]]
Tanger.
Tanger (Tanjah oder Tandscha) ist der wichtigste Hafen von
Marokko und ein von altersher bekannter Punkt. Die Lage am Ein-
gange der Meerenge, welche das Mittelmeer mit dem Atlantischen
Ocean verbindet, an einer Stelle, wo Afrika Europa fast die Hand
reicht, verleiht diesem Punkte eine gewisse Bedeutung. Dort führt
gleichsam eine Brücke von einem Welttheile zu dem anderen.
Tanger hat eine weit zurückgreifende Geschichte. Ein Zeitgenosse Belisars,
der Historiker Procopius, erzählt von einer altphönikischen Inschrift, die zu
Tanger gefunden wurde, welcher zufolge zur Zeit der Eroberung Palästinas durch
Israeliten geflüchtete Kanaaniter die Stadt gegründet haben.
Die Römer hatten hier eine Colonie, Tingis genannt, den Hauptort
des westlichen Mauritanien, der sogenannten Provincia Tingitana. Sie verloren diese
Provinz und damit auch die Stadt an die Westgothen, welche im V. Jahrhunderte
das nördliche Afrika eroberten; 300 Jahre später mussten die Westgothen den Arabern
weichen. Im Jahre 1471 eroberten die Portugiesen, damals eine starke, nach über-
seeischem Besitz energisch strebende Seemacht, den Platz und behaupteten sich
daselbst bis ins XVII. Jahrhundert. Im Jahre 1662 verheiratete König
Johann VI. seine Schwester Katharina an Karl II. von England und schenkte ihr
Tanger als Heiratsgut. Aber in England legte man auf dieses Geschenk wenig
Werth, fand dasselbe vielmehr lästig und kostspielig. Man zerstörte daher bald
die Festungswerke und überliess im Jahre 1684 Tanger an den Sultan Mulei
Ismaïl, welcher es wenige Jahre später an den Sultan von Marokko verlor.
Seither befindet sich die Stadt unter dem heutigen Regimente. Es wird be-
richtet, dass die Engländer bei ihrem Abzuge sogar den schönen Damm zerstört
haben, welcher vorher zum Schutze des Hafens trefflich gedient hatte. Hätten
übrigens die Engländer geahnt, dass sie wenige Decennien nach dem Aufgeben
Tangers die starke Stellung von Gibraltar erwerben würden, so hätten sie
sicherlich einen anderen Entschluss gefasst. Dann würden sie völlig Herren
über die Einfahrt in das Mittelmeer geworden sein. Tanger hat zweimal für
die Ausschreitungen seiner marokkanischen Beherrscher büssen müssen. Im Jahre
1790 wurde es von einer spanischen Flotte bombardirt, und 1848 erlitt es wegen
Behelligung französischer Handelsschiffe das gleiche Schicksal durch die Franzosen
unter Befehl des Prinzen von Joinville.
[739]Tanger.
Auf der Rhede ist ein Schiff unter nahezu allen Umständen
ausreichend geschützt, die Verbindung mit dem Lande jedoch häufig
eine schwierige und bei stärkerem Winde oft gänzlich gehindert, weil
keine guten Anlegeplätze vorhanden sind.
Eine vom Sultan 1890 in Deutschland gekaufte Dampfbarkasse
erleichtert jetzt ungemein das Laden und Löschen der Schiffe.
Die Bucht, an welcher Tanger situirt ist, wird ringsum von
mässig aufsteigendem Hügellande umschlossen, welches an seinen
Abhängen zum Theil bebaut, zum Theil von langgestreckten Cactus-
und Aloëhecken bedeckt ist. Im Hintergrunde des terrassenförmig auf-
steigenden Landes zeigen sich an klaren Tagen die Berge des Atlas-
gebirges. Ein besonders schönes Panorama gewinnt man durch einen
Ausflug auf das nahe gelegene Cap Spartel, vor welchem sich auf
einer vom Meere umbrandeten Klippe der auf internationale Kosten
erhaltene Leuchtthurm befindet, welcher die Nordwestspitze Afrikas
markirt. Hier schweift das Auge hinüber zu den deutlich hervor-
tretenden Linien der spanischen Küste, erkennt sofort den mächtigen
Felsen von Gibraltar und im fernen Westen das schlachtberühmte
Cap Trafalgar, während in anderer Richtung die Umrisse der afrikanischen
Küste verfolgt werden können und man gegen das Innere von Marokko
zu gleichfalls manchen Blick werfen kann.
Die Stadt Tanger selbst liegt unter 45° 47′ nördlicher Breite
und 5° 49′ westlicher Länge v. G. auf einem Kalkfelsen, der sich
allmälig ansteigend entwickelt und dessen höchste Spitze die Kasbah,
wie das Castell genannt wird, krönt. Rings um die Stadt zieht sich
eine hohe, mit Zinnen versehene Festungsmauer, während ausserdem
noch an verschiedenen Stellen zur besseren Vertheidigung des Platzes
Batterien errichtet sind. In die Stadt führen drei Thore, zwei von
der Land- und eines von der Hafenseite aus.
Die Stadt erscheint von aussen gesehen sogar imponirend; die
starken, im Sonnenlichte hell weiss erglänzenden Häuser, welche
nach orientalischer Art strassenwärts kein Fenster zeigen, thürmen
sich infolge der terrassenförmigen Anlage des ganzen städtischen Com-
plexes übereinander. Dazwischen treten die Moscheen deutlich hervor.
Dieselben unterscheiden sich in ganz Marokko von den Moscheen
der übrigen islamitischen Welt durch die abweichende Form der
Minarets. An Stelle der hoch aufstrebenden schlanken Entwicklung
tritt hier ein mehr massiver, viereckiger Bau, welcher an der Spitze
in einem gewölbten Aufsatz verläuft. Es erinnert das an die bei
russischen Kirchen beliebtere Form der steinernen Thürme.
93*
[740]Die atlantische Küste von Afrika.
Das Innere von Tanger hat streng maurischen Charakter, und nur
ganz vereinzelt findet man Häuser nach europäischem Style erbaut.
Das maurische Haus umgibt einen Hofraum, in welchen alle
Thüren und Fenster münden, während es nach aussen, abgesehen
von der Eingangspforte, keinerlei Oeffnung aufweist. Diese Bauart
wird so genau eingehalten, dass auch die Juden, welche hier wie in
Mogador ein sehr starkes Contingent der Bevölkerung stellen, sich
derselben Sitte anbequemt haben. Es ist richtig, die Strassen von
Tanger machen hiedurch einen etwas düsteren Eindruck, welcher
freilich durch das immerhin bunte Treiben in derselben einigermassen
gemildert wird. Diese Strassen sind vielfach steil, berganlaufend und
mit sogenannten „Katzenköpfen“ in einer für den Fussgänger bisweilen
recht empfindlichen Weise gepflastert, überdies auch von geringer
Breite.
Nach europäischer Art sind eigentlich nur die Residenzen der
verschiedenen in Tanger befindlichen diplomatischen Vertreter und
die Hôtels erbaut. Unter den ersteren ragen insbesondere die
deutsche und spanische Mission hervor. Die deutsche Mission liegt
ausserhalb der Stadtmauer, inmitten eines grossen, durch seine üppige
Vegetation ausgezeichneten Gartens.
Die Consule in Tanger sind zugleich die politischen Vertreter
ihrer Staaten beim Sultan, der aber nicht gestattet, dass sie in der
Hauptstadt residiren, und lieber seinen Minister der auswärtigen An-
gelegenheiten in Tanger residiren lässt, wo derselbe zugleich Gouver-
neur ist.
Die Rolle der Consulate wird namentlich wichtig durch
das Institut der Schutzbefohlenen. Der Consul geniesst für sich,
seine Beamten und Diener, sowie für sein Haus volle Immunität.
Da die marokkanischen Behörden schon mehrmals sehr ernst-
hafte Erfahrungen über die bösen Folgen gemacht haben, welche
eine Verletzung der consularischen Rechte nach sich ziehen kann, so
hüten sie sich wohl, dieser Immunität nahe zu treten. Dies ist aber
der Grund, weshalb auch die Eingebornen hohen Werth darauf
legen, unter den Schutz eines Consuls zu gelangen. Besitzen sie
nämlich einmal einen darauf bezüglichen Schein, dann kann ihnen
die maurische Gerichtsbarkeit nichts anhaben, und auch mit der
Erfüllung ihrer sonstigen Unterthanenpflichten dürfen sie es leicht
nehmen.
Hôtels sind zwei vorhanden. Das Hôtel Continental und das
Hôtel de Ville, beide im englischen Style mit viel Comfort einge-
[[741]]
Tanger.
[742]Die atlantische Küste von Afrika.
richtet, so dass der Fremde hier ein sehr befriedigendes Unter-
kommen finden kann. In der That wird Tanger auch von Fremden,
namentlich Engländern, stark besucht. Zunächst bildet die sehr aus-
giebige Jagd in der Umgebung einen grossen Anziehungspunkt.
Hasen-, Rebhühner und Wildschweine sind in grosser Menge vor-
handen. Dann aber hat auch das Klima im Winter grosse Vorzüge,
so dass Tanger nicht mit Unrecht als ein sogenannter klimati-
scher Curort gepriesen wird. Von November bis Februar beträgt die
mittlere Temperatur 19—21° Celsius mit sehr geringen Differenzen
bei Tag und bei Nacht. Tanger kann daher in dieser Beziehung
bestens mit Madeira und Cairo in Concurrenz treten, wobei demselben
noch zugute kommt, das es eine freundliche Umgebung hat und in
sehr naher Verbindung mit Europa steht.
Leider ist das Europäerviertel am 13. Juni 1891 vollständig
niedergebrannt. Dies wird die Anlage neuer Häuser ausserhalb Tanger
begünstigen, da die Europäer das besondere Vorrecht geniessen, in
der Nähe der Stadt Grundstücke erwerben zu dürfen.
Bemerkenswerthe oder zierende Baulichkeiten sind keine vor-
handen. Weder die sechs Moscheen zeichnen sich aus, noch auch die
von spanischen Franziskanern besorgte katholische Kirche, noch auch
das übrigens genügend gut eingerichtete Hospital, für dessen Erhal-
tung mehrere fremde Regierungen Beiträge leisten.
Die Kasbah, in welcher der Gouverneur seine Wohnung hat,
ist ein halbverfallener, wenngleich in tadellos maurischem Style ge-
haltener Palast, in dem auch eine Moschee, die Schatzkammer der
Provinz und die Gefängnisse sich befinden. In diesen Gefängnissen
sieht es abscheulich aus, und nicht selten soll der Fall vorkommen,
dass die Häftlinge dort schlechthin des Hungers sterben. Es ist
nämlich nicht Brauch, dass die Justizbehörde für deren Verpflegung
Sorge trägt. Man überlässt solches den Verwandten oder Freunden
des Unglücklichen. Erweisen letztere aber den Liebesdienst nicht oder
sind solche überhaupt nicht vorhanden, dann sieht es mit dem Lebens-
unterhalte schlimm aus. Recht schlimm steht es aber dort auch mit
der Justiz selbst. Einerseits ist dieselbe sehr flau und reicht
deren Arm über die Mauern der Stadt nicht hinaus, andererseits ist
die Willkür des Richters ebenso gross wie die Härte, ja Grausam-
keit der Strafen. Es gibt eigentlich kein positives Recht. Der Richter
thut, was ihm beliebt, und wenn er sich um nichts kümmert, so muss
man eigentlich über seine Lässigkeit noch froh sein.
Ein entschieden freundlicheres, durch Lebendigkeit und Bunt-
[743]Tanger.
heit anlockendes Bild zeigt sich auf dem grossen Marktplatze von
Tanger, welcher ausserhalb der Stadtmauer liegt. Hier treibt sich
allerlei Volk herum, welches namentlich in den Morgenstunden
dem Kleinhandel nachgeht und dieses Geschäft mit dem möglichsten
Aufwande von Lärm besorgt. Auf hoch beladenen Kameelen und
kleinen Eseln langen früh am Morgen aus der ganzen Umgebung
die verschiedenen Landeserzeugnisse: Früchte, Gemüse, Geflügel u. dgl.
an, und immer entwickelt sich das Handeln und Feilschen unter Be-
gleitung eines sinnberückenden Geschreis, zu dessen Erhöhung die
schrillen Töne der Esel und das dumpfe, hässliche Grunzen der
Kameele redlich das Ihrige beitragen. Dazu mangelt es auch nicht
an Leuten, welche unter dem etwas übel angebrachten Titel von
Musik noch für weiteren, unharmonischen Lärm Sorge tragen, der
durch die weithin dröhnenden Schläge auf die besonders beliebten
Pauken seinen Höhepunkt erreicht. Man empfindet dieses Uebermass
fast wie Schmerz, aber trotzdem ist doch Leben vorhanden und
findet das Auge ein mannigfaltiges und eigenthümliches Bild. Wenn
aber tagsüber der geschäftliche Verkehr sein Recht behauptet, so
tritt gegen Abend das Vergnügen in den Vordergrund und neben dem
rastenden Kameeltreiber drängen sich Märchenerzähler und Taschen-
spieler, Schlangenbändiger und sonstige freie Künstler heran, um das
neugierige Volk Tangers zu unterhalten und sich selbst das sicher
nicht leichte Brot zu verdienen. Der Maure horcht eben dem Märchen-
erzähler und dessen hundertmal wiederholten Berichten hier am atlan-
tischen Ocean mit demselben gespannten Eifer, wie sein Glaubens-
genosse in dem fernsten Osten. Die Vorliebe für Märchen und ähnliche
Erzählungen zieht sich wie ein rother Faden durch den ganzen Orient,
und nicht minder finden die Künste des Gauklers immer wieder leb-
haften Beifall, wenn er nur seine Zuseher geschickt zu täuschen ver-
steht. So gehört der Abend den fahrenden Gesellen, wie der Tag den
geschäftseifrigen kleinen Leuten, aber zur Ruhe gelangt man auf dem
Marktplatze von Tanger niemals.
Sowohl auf der Kasbah als auch weiter gegen die See stösst
man auf zahlreiche Batterieen, zum Theile mit alten englischen Vor-
derladern auf morschen Holzlaffeten armirt. Drei neue Batterieen, mit
je zwei Vierzigtonnen-Geschützen bewaffnet, sind ein Geschenk Eng-
lands, das die Bedienungsmannschaften für diese Geschütze in Gib-
raltar ausbilden liess.
Die Bevölkerung der Stadt beläuft sich auf 20.000 Seelen. Sie
zeigt eine bunte Musterkarte. Mauren und Berber, Araber und
[744]Die atlantische Küste von Afrika.
Beduinen, Juden und Neger sind vorhanden, und dazwischen findet
man Europäer und sogenannte Rufiaten, von denen behauptet wird,
dass sie directe Nachkommen der alten Vandalen seien, welche
einstens vorübergehend ein grosses Reich in Nordafrika beherrscht
haben. Der Zahl nach stehen in erster Reihe die Mauren und die
Juden. Erstere bilden überhaupt in ganz Marokko die herrschende
Rasse. Man kann den Mauren nicht viel Gutes nachsagen, und wenn
auch deren Verwandtschaft mit jenem Volke feststeht, welches eine
so glänzende Rolle in Spanien zur Zeit spielte, als dort der Islam
weithin herrschte und die glänzendste Epoche schuf, welche Spanien
überhaupt erlebt hatte, so könnte man doch bei Betrachtung der
heutigen Mauren in Marokko fast an dem Vorhandensein irgend einer
Stammesbeziehung irre werden.
Der Maure in Marokko zeigt äusserlich immer noch einnehmende
Eigenschaften durch edle Züge und sichere Ruhe und durch eine
gewisse Eleganz seines Benehmens und seiner Tracht. Aber hinter
dieser Aussenseite bergen sich üble Eigenschaften, unter denen voll-
endete Heuchelei voran steht. Es gibt bei diesen Leuten weder
Glauben noch Treue, überhaupt mangelt ihnen jede bessere Sinnesart.
Habsucht, Geiz und eine grosse Verschlagenheit paaren sich mit
nicht geringer Indolenz, die nur durch Geldgier überwunden
werden kann. Nicht einmal annähernd haben sie das Gefühl des
Patriotismus. Das darf aber kaum erstaunen, denn wie soll sich unter den
Verhältnissen, welche heute in Marokko bestehen und die jeder ge-
sicherten Grundlage für den Einzelnen entbehren und schliesslich dem
Gutdünken des regierenden Sultans oder eines seiner augenblicklichen
Günstlinge Alles anheimstellen, ein solches Gefühl entwickeln? Wofür
soll eigentlich der Maure sich begeistern? Er kennt nur sein persön-
liches Interesse und das Streben, sich so weit als nur möglich den
Plackereien der Machthaber zu entziehen. In der Verwaltung des
Landes reflectirt sich, ebenso wie wir schon in Bezug auf die Justiz-
pflege erwähnten, der Charakter des Mauren, und so befindet man
sich auch hier wiederum in einem Zirkel. Der Charakter des Mauren
verdirbt die öffentlichen Zustände im Lande, und diese Zustände be-
einflussen wieder in höchst nachtheiliger Weise die Charakter-
eigenschaften des vorherrschenden Volksstammes.
Die Juden nehmen selbstverständlich, trotz ihrer Zahl, keine
hervorragende Stellung ein, aber sie zeichnen sich entgegen den
Mauren durch ihre unermüdliche Thätigkeit aus. Der Handel ist vor-
wiegend in ihren Händen, und auch auf dem Gebiete des Gewerbe-
[745]Tanger.
wesens sind sie in allen Zweigen bewandert. Die Juden in Tanger,
wie in allen anderen Orten Marokkos, sind Abkömmlinge der gegen
Ende des Mittelalters namentlich aus Spanien und Portugal ver-
triebenen Glaubensgenossen. Sie haben im nordwestlichen Winkel
Afrikas wenigstens eine Heimstätte gefunden, wo man ihnen die Aus-
übung ihrer Religion gestattete, wenn sie auch in vielen anderen Be-
A Ankerplatz für grosse Schiffe, B Wellenbrecher, C Flaggenstock, D Minarets, E Moschee,
F Leuchtfeuer.
ziehungen sich mancherlei Bedrückungen und Plackereien gefallen
lassen mussten.
Unter den Juden in Tanger finden sich viele wohlhabende Leute,
und in allen commerciellen und Geldangelegenheiten ist ihr Einfluss
überwiegend. Obwohl die Juden in Tanger in maurisch gebauten
Häusern wohnen, so tragen sie doch in der Regel europäische
Kleidung. Man veranschlagt ihre Zahl auf 7000 Köpfe.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 94
[746]Die atlantische Küste von Afrika.
In Tanger gibt es auch viele Sclaven, zumeist Neger, denn die
Sclaverei besteht in dem Lande noch zu Recht. Doch ist das Los
dieser Leute ein erträgliches. Der Sclave zählt im ganzen Oriente
zum Haus- und Familienstande, und wenn er sich nicht gerade etwas
zu Schulden kommen lässt, so wird er gut behandelt. Auch wechselt
derselbe selten seinen Herrn.
Die Verbindung Tangers mit dem Innern des Landes befindet
sich in einem üblen Zustande. Es mangelt durchwegs an ordentlichen
Strassen, und man denkt auch nicht daran, solche in Angriff zu
nehmen. Hierin liegt ein wesentlicher Grund, warum Tanger in com-
mercieller Beziehung nicht zu jenem Aufschwunge gelangen kann, zu
welchem es eigentlich durch die Gunst seiner Lage an der See, am
Aus- und Eingange des Mittelmeeres, umsomehr berufen wäre, als
auch die localen Verhältnisse einen derartigen Aufschwung begünstigen
würden. Das gute Klima wäre jedenfalls ein Moment mehr, um die
Niederlassung fremder Kaufleute zu erleichtern.
Das grösste Hinderniss für die Entwicklung des Handels liegt
in dem fanatischen Fremdenhasse, in dem blinden Despotismus. So
gilt als oberster Grundsatz für den Küstenhandel, dass der Export
als solcher einfach verboten ist. Nur mit besonderer Bewilligung der
Regierung darf ein marokkanischer Unterthan einen von Fall zu Fall
genau nach Mass und Werth bestimmten Artikel z. B. 1000 Kg.
Datteln, 100 Ochsen etc. exportiren, resp. an fremde Händler ver-
kaufen. Manche Artikel dürfen unter keiner Bedingung exportirt werden.
Tanger ist der bedeutendste und wichtigste Hafen Marokkos. Sein
Handelsverkehr umfasst mehr als ein Viertheil des gesammten marokkanischen
Aussenhandels, welch letzterer sich im Jahre 1889 auf rund 72 Millionen Francs
belief, wovon 43½ Millionen auf den Import und 28½ Millionen auf den Export
entfielen. Aus nachstehender Tabelle wird der Antheil Tangers an dieser Menge
ersichtlich. Der Gesammtverkehr dieses Hafens belief sich im Jahre
- 1889 ........ auf 18,867.125 Frcs.
- 1888 ........ „ 17,083.875 „
- 1887 ........ „ 23,616.475 „
Davon entfielen auf den Import Tangers:
- 1889........... 12,784.550 Frcs.
- 1888........... 11,098.925 „
- 1887........... 12,582.300 „
Die Ausfuhr dagegen bezifferte sich:
- 1889 ......... auf 6,082.575 Frcs.
- 1888 ......... „ 5,984.950 „
- 1887 ......... „ 10,934.175 „
[747]Tanger.
Die Ausfuhrziffer des Jahres 1887 erscheint weniger durch den Export von
Waaren, als durch die bedeutende Ausfuhr von Bargeld im Betrage von nahezu
6 Millionen Francs eine so hohe.
Der Handel Tangers hat in den letzten Jahren aus dem Grunde keinen auf-
fallend grossen Aufschwung genommen, weil andere marokkanische Häfen, nament-
lich Larache und Rabat, da sie den Hauptstädten Fez und Marokko näher gelegen
sind, den Waarentransport billiger zu vermitteln vermögen und daher den Waaren-
verkehr theilweise von Tanger abgelenkt haben.
Trotz dieser Ablenkung des Verkehres hat sich seit dem Jahre 1878 bis
1889 die Einfuhr Tangers nahezu verdoppelt und die Ausfuhr verdreifacht. Der
Import stieg nämlich von 7,622.500 Frcs. des Jahres 1878 auf die bereits erwähnte
Ziffer von 12,784.550 Frcs. und der Export von 2,174.100 auf 6,082.575 Frcs.
Den bei weitem grössten Antheil an der Einfuhr dieses Platzes besorgt
noch immer England, auf welches im Berichtsjahre 1889 nicht weniger als 57 %
entfielen, wogegen Frankreich mit 34 %, Deutschland mit 5 %, Spanien mit 1½ %,
Italien und Belgien mit je 1 % an derselben participirten.
Den wichtigsten Theil der Einfuhr bilden die Erzeugnisse der Textil-
industrie; unter diesen stehen Baumwollwaaren mit einem Einfuhrwerthe von
3,715.900 Frcs. im Jahre 1889 an der Spitze. Diesen folgt die Einfuhr von Tuch
im Werthe von 1,893.120 Frcs., während die im gleichen Jahre importirten
Seidenwaaren nur einen Werth von 182.000 Frcs. repräsentirten.
Unter den übrigen Industrieerzeugnissen ist hervorzuheben der Import von
- Zucker in Broten .... im Werthe von 402.850 Frcs.
- Zucker, Pilé ....... „ „ „ 73.320 „
- Kerzen .......... „ „ „ 238.740 „
- Eisen und Eisenwaaren „ „ „ 163.650 „
- Glaswaaren ....... „ „ „ 144.450 „
Einen sehr bedeutenden Einfuhrartikel bildete Rohseide mit einem Import-
werthe von 1,588.000 Frcs. für das Jahr 1889 gegen 956.000 Frcs. des vorher-
gehenden Jahres.
An Tabak importirte Tanger 1889 für 248.000 Frcs. gegen 168.000 Frcs.
des Vorjahres.
Verhältnissmässig gering bewerthet erscheint die Einfuhr von Kaffee, die
sich 1889 auf 60.000 Frcs. belief. Dagegen erreichte im gleichen Jahre der Thee-
Import die mehr als achtfache Werthziffer von 499.400 Frcs.
Die Einfuhr von Mehl umfasste im Berichtsjahre den Werth von 105.180 Frcs.
und die Einfuhr von Conserven aller Art 254.570 Frcs.
Ausserdem wäre noch die Einfuhr von Getränken im Betrage von 240.000 Frcs.
hervorzuheben.
Die Ausfuhr Tangers, welche zumeist aus Natur- und Rohproducten
besteht, sei in ihren wichtigsten Theilen in Nachstehendem beleuchtet.
25 % der Gesammtausfuhr repräsentirt der Export lebender Rinder mit
einem Werthe von 1,531.950 Frcs. des Jahres 1889 gegen 1,579.350 Frcs. des
Jahres 1888, welche nach Gibraltar gesendet werden, um zur Verpflegung der
dortigen Garnison zu dienen, wie sich denn überhaupt Gibraltar zumeist von
Tanger aus verproviantirt.
Ferner gelangten 1889 für 98.800 Frcs. Hühner zur Ausfuhr.
94*
[748]Die atlantische Küste von Afrika.
Der Export von Eiern umfasste im gleichen Jahre die Werthsumme von
906.532 Frcs. gegen 985.750 Frcs. während des vorhergehenden Jahres.
Unter den Producten des Thierreiches sind in der Ausfuhr Tangers hervor-
zuheben Ziegenfelle für 86.955 Frcs., Häute für 30.600 Frcs., rohe Wolle für 7000 Frcs.
und Wachs für 106.000 Frcs. im Jahre 1889.
Das Pflanzenreich ist in der Ausfuhr dieses Hafens 1889 der Hauptsache nach
durch Datteln im Werthe von 131.500 Frcs. vertreten, welche Ziffer gegen das
Vorjahr eine Abnahme von 40.000 Frcs. zeigt.
Da jedoch seit 1891 als Folge des deutsch-marokkanischen Handelsvertrages
auch die Ausfuhr von Weizen und Gerste gestattet ist, welche das fruchtbare
Land reichlich liefern kann, so wird die Ausfuhr aller geöffneten Häfen bald eine
auffallende Steigerung erfahren.
Unter den Erzeugnissen industrieller Thätigkeit, welche Tanger ausführt,
bilden Pantoffel ein hervorragendes Product. Der Exportwerth dieses Artikels
zeigt im Jahre 1889 eine ganz bedeutende Verminderung gegen das Vorjahr, er-
reichte aber trotzdem noch die stattliche Ziffer von 584.250 Frcs. (804.000 Frcs.
im Jahre 1888).
Ausserdem wurden im gleichen Jahre noch ausgeführt: Wollwaaren für
257.500 Frcs., Teppiche für 100.000 Frcs. und Curiositäten für 53.750 Frcs.
Gleichwie der Handelsverkehr Tangers weist auch sein Schiffsverkehr
eine entsprechende Steigerung auf, die aus folgendem Vergleiche hervorgeht.
Im Jahre 1878 verzeichnete der Hafenverkehr 856 Schiffe von 117.527 Reg.-Ton.
und 1889 dagegen 1845 Schiffe von 559.615 Reg.-Ton., darunter 1448 Dampfer
mit zusammen 551.150 Reg.Ton.
Die französische, englische, spanische, italienische und die deutsche Flagge
weisen jede ungefähr dieselbe Tonnenzahl aus.
Regelmässige Fahrten nach Tanger unterhalten die Dampfer der Messageries
maritimes jede Woche ab Marseille und die der Paquet Compagnie zweimal monat-
lich gleichfalls ab Marseille.
Die Schiffe der Woermann Linie legen auf ihren Fahrten nach Westafrika
einmal im Monate in Tanger an; ausserdem unterhält diese Linie eine directe Ver-
bindung, die Unternehmung „Atlas“, eine über Portugal mit Hamburg.
Spanische Dampfer gehen dreimal wöchentlich von Cadiz über Algeziras
nach Tanger.
Der [Oesterreichisch]-Ungarische Lloyd berührt auf seinen Fahrten nach
Brasilien gleichfalls Tanger.
Ausserdem legen mehrere englische Gesellschaften auf ihren Fahrten nach
dem Osten und nach Südafrika in Tanger an.
Tanger ist durch ein Kabel mit Gibraltar verbunden und so an das Netz
der Welttelegraphen angeschlossen. Eigene Couriere befördern dreimal in der
Woche die Telegramme auf dem Landwege nach den grösseren Küstenorten bis
Mazagan in Südmarokko und brauchen dazu 5 Tage.
In Tanger unterhalten diplomatische Vertreter (und Consuln):
Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Grossbritannien, Italien, Oesterreich-Ungarn,
Portugal, Russland, Schweden und Norwegen, Spanien, Vereinigte Staaten von
Nordamerika.
[[749]]
Die australischen Gewässer.
Vor hundert Jahren war Australien noch ein nahezu unbekanntes
Land; man wusste davon nicht viel mehr, als dass es ein aus-
gedehnter Continent mit sehr geringer Bevölkerung im Südosten
von Asien sei. Wie das Land in seiner Ausdehnung beschaffen
sei, was es in seinem Inneren berge, davon wusste kaum irgend
Jemand Näheres. Von den Holländern im XVI. Jahrhunderte als „Terra
australis“ entdeckt, erhielt der Continent den Namen „Neuholland“, die
grossen Inseln die Namen „Neuseeland“ und „Vandiemensland“ (jetzt
Tasmanien). Zur Besiedlung besass der wasserarme, menschenleere, in
seiner äusseren Physiognomie so sehr armselige Erdtheil für die Hol-
länder, welche ihre ganze colonisatorische Kraft der Sundasee zu-
wandten, keine Reize. Sie erhoben auch keine Einsprache, als Ende
des XVIII. Jahrhunderts die Engländer auf den Rath Cooks den Continent
zu besetzen begannen und Verbrechercolonien anlegten, indem sie durch
das System der Deportation die Gefängnisse zu ersparen hofften. Im
Jahre 1788 trafen die ersten Deportirten aus England in der Botany-
Bay ein.
Heute birgt Australien eine Reihe von Gemeinwesen, welche in
staatlicher, socialer und materieller Beziehung hoch entwickelt sind
und durchaus einen europäischen Eindruck machen. Die Urbevölkerung
ist fast ganz verschwunden; durch Einwanderung hat sich dagegen
eine neue Bevölkerung zumeist europäischer Herkunft entwickelt, deren
Kopfzahl auf mehr als drei Millionen veranschlagt werden kann.
[750]Die australischen Gewässer.
Australien ist der wasserärmste Erdtheil, und deshalb ist nur
ein verhältnissmässig nicht grosser Theil des Bodens für den Ackerbau
geeignet; der Viehzucht dienen riesig ausgedehnte Weiden und die
Kenntniss von dem Umfange der Schätze des Mineralreiches erweitert
sich noch unausgesetzt. Dieses Land kann ein Wunderwerk der Coloni-
sation genannt werden. Was hier im Laufe von hundert Jahren geleistet
wurde, verdient unsere Bewunderung und verdient sie doppelt, wenn
man bedenkt, dass gerade durch das Deportationssystem der gesunden
Entwicklung ungeheure Schwierigkeiten in den Weg gelegt worden sind.
Die verschiedenen australischen Colonien kamen erst in der
zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts in Aufschwung, und zwar durch
die grossen Goldfunde, welche Millionen Europäer in das ferne
Land zogen. Sie gewannen bald ein hohes Mass von Autonomie,
ja sie kamen endlich in einen nur sehr losen Verband zum
Mutterlande. In allerjüngster Zeit schlossen die einzelnen Colonien
unter sich eine Conföderation, welche zwischen denselben ein engeres
Verhältniss zur Sicherung und Förderung gemeinsamer Interessen her-
stellt. Diese australische Conföderation kann der kaum zu verhindernde
erste Schritt zur vollen Selbständigkeit werden, wenn anders die
Australier nicht kluger Weise einsehen, dass die fast nur formelle
Anerkennung der britischen Oberhoheit ihnen, ohne Lasten drückender
Art aufzuerlegen, doch alle jene Vortheile bietet, welche durch die
Macht des Mutterlandes gewährleistet werden können.
Wenn wir einen kurzen Blick auf die Entdeckungsgeschichte Australiens
werfen, so treffen wir auf die allererste Kunde von der Existenz dieses Continentes
im Jahre 1606, in welchem der Führer eines holländischen Schiffes (Duyfken)
das Cap York am Carpentaria-Golf sichtete, nachdem übrigens der Portugiese
Godinho de Eredia bereits 1601 die Nordküste besucht hatte. Wohl finden sich
schon früher, im XV. Jahrhunderte, Strecken der südlichen und östlichen
Küste auf portugiesischen Karten verzeichnet, welche heute im British Museum
auf bewahrt werden, aber man hat keine Kunde über die Veranlassung zu diesen Ein-
zeichnungen. In dem schon genannten Jahre 1606 befuhr auch der spanische Seefahrer
Torres die jetzt nach ihm benannte Strasse im Norden Australiens. 1636 wurden
von Holländern Theile der nördlichen und der westlichen Küste untersucht, und
1642 entdeckte Tasman die grosse Insel im Südosten des australischen Continentes,
welcher er den Namen Vandiemensland gab, die aber jetzt nach ihrem Entdecker
als Tasmania bezeichnet wird.
Der eigentliche Entdecker Australiens ist jedoch der ob seiner grossen
und kühnen Fahrten berühmte Capitän Cook. Derselbe hat 1770 zuerst die süd-
östliche Spitze des Continentes, Point Hicks, gesichtet und sodann die ganze öst-
liche Küste von hier bis zu dem vorher erwähnten Cap York eingehend besucht.
Im Jahre 1798 entdeckte Bass die seinen Namen führende Strasse zwischen Australien
und Tasmania und befuhr Flinders die ganze Südküste.
[751]Die australischen Gewässer.
Forschungen im Innern des Landes wurden erst seit 1813 begonnen, haben
sich jedoch bis heutzutage noch lange nicht über den ganzen Continent erstreckt.
Besonders in dessen westlichem Theile gibt es noch grosse, nicht erforschte
Strecken.
Im Jänner 1788 wurde die Besiedlung von Botany-Bay durch Deportirte
begonnen. Unter Leitung des Capitäns Phillip trafen 757 Sträflinge auf elf
Schiffen unter Escorte hier ein. Von nun an begann die systematische Zusendung
von Sträflingen, denen man Landstücke zur Bebauung überwies. Selbstverständlich
war die Sache mit mancherlei Schwierigkeiten verbunden, und das System zeigte
sich für eine gesunde Entwicklung nicht allzu förderlich. Die günstigen Ver-
hältnisse des Landes zogen aber auch freie Einwanderer an. Da deren Zahl
immer mehr zunahm, entschloss man sich endlich 1840, von der Absendung von
Sträflingen fernerhin ganz Umgang zu nehmen. Von da an war der Zuwachs
an Bevölkerung dem freien Zuzuge überlassen.
Die an der Ostküste eingerichtete Colonie wurde Neusüdwales genannt.
Hier entstand an der nördlich von der Botany-Bay gelegenen Bucht Port Jackson
die seither ungemein emporgewachsene Stadt Sydney. Die allmälig erfolgende
Besitzergreifung weiterer Strecken längs der australischen Küsten hatte nur die
Erweiterung des Gebietes von Neusüdwales zur Folge. Allgemach ergab sich
jedoch die Nothwendigkeit einer Ausscheidung der neuen Gebiete aus dem Ver-
bande der alten Colonie, deren Umfang zu ausgedehnt und deren Verwaltung
dadurch zu verwickelt wurde. Nachdem schon Tasmania 1825 und Westaustralien
1829 selbständig geworden waren, erlangten Südaustralien 1834, Victoria 1851
und Queensland 1859 ihre coloniale Autonomie. Somit zerfällt der australische
Continent heute in fünf britische Colonieen, zu denen noch Tasmania und Neu-
seeland als weitere zwei gleichartige Gruppen hinzutreten. Diese sieben Colonieen
bilden zusammen die neue australische Conföderation.
Unter den Städten dieser Colonieen nehmen unstreitig den ersten
Rang Sydney, die Hauptstadt von Neusüdwales und der alte Vorort
von ganz Australien, dann das jugendliche Melbourne, die schöne
Capitale der Colonie Victoria, ein. Daran reihen sich Adelaide, der
südaustralische Centralpunkt, Brisbane als Hauptort von Queensland,
Hobart auf Tasmanien und endlich Auckland, der neuseeländische
Haupthafen. In allen diesen Punkten pulsirt ein reiches, vielgestaltiges
Leben, in allen diesen Punkten steht man einer Entwicklung gegenüber,
deren Verlauf sich noch gar nicht absehen lässt. Australien ist ein noch
junges Land, es hat noch viel ausnutzbaren Raum, viel Feld der Arbeit und
des Gewinnes. Seine wirthschaftliche Geschichte beginnt eigentlich
erst in unserem Jahrhunderte, kam durch die Goldentdeckung (1851)
plötzlich zur allgemeinen Geltung, und doch nimmt Australien heute
schon einen sehr hervorragenden Platz ein.
Die australischen Colonieen verfügen bereits über ein sehr ausge-
dehntes Schienennetz, und es mag darum von Interesse sein, an dieser
Stelle einen Ueberblick über dasselbe in seiner Gesammtheit zu geben,
[752]Die australischen Gewässer.
denn daraus vermag man vielleicht mehr als aus anderen Daten die
grosse Bedeutung zu entnehmen, welche diesem von der Natur reich
gesegneten Lande zukommt.
Das Bahnnetz von Australien zerfällt in vier grosse Gruppen,
in das Netz von Neusüdwales, von Victoria, von Südaustralien und
von Queensland. Alle vier sind unter einander in Verbindung gebracht.
In Neusüdwales hat die Bahn an der Küste zwei Ausgangspunkte:
Sydney und Newcastle. Von Sydney geht ein Strang gegen
Nordwest bis Burke, einer gegen Süden und Südwesten bis Hay und
Junce. Von Junce zweigt eine Linie ab, welche den Anschluss an
an das Netz von Victoria bei Albury hat. Von Sydney nach Melbourne
fährt man per Bahn in etwa neunzehn Stunden. Sydney ist auch mit
Newcastle (dem Hauptkohlenmarkte Australiens) durch eine Linie
längs der Küste verbunden. Von Newcastle läuft die Bahn nordwärts
bis Brisbane, Hauptstadt von Queensland, nimmt dann eine west-
liche Richtung und endet vorläufig in Charleville, soll aber bis an den
Golf von Carpentaria fortgesetzt werden. Im südlichen Queensland gibt es
dann noch mehrere einzelne Stränge, die jedoch alle bald untereinander in
Verbindung gesetzt sein werden. Zunächst sind jene Strecken zu bemerken,
welche längs der Küste Brisbane mit Rockhampton verbinden werden,
dann zieht sich von Rockhampton eine lange Linie in das Innere
bis Jericho. Im Norden von Queensland ist die Strecke Towns Ville-
Norwood im Betrieb. Diese sowie noch andere daselbst von der Küste
aus projectirte Strecken dürften jedoch wegen ihrer abseitigen Lage
wohl noch durch längere Zeit ausser Verband mit dem übrigen Netze
bleiben.
In Victoria haben die Bahnlinien eine ganz andere Formation
als in Neusüdwales. Es ist ein dicht verzweigtes Netz, das in Melbourne
seinen Stützpunkt hat, im Osten Strafford, im Westen Portland an
der See berührt, und das sich durch seine Dichte in hervor-
ragender Weise kennzeichnet. Die Linie, welche von Melbourne über
Sandhurst und Besalla bis Albury geht, ist deshalb von besonderer
Bedeutung, weil sie, wie schon erwähnt, die Verbindung mit Sydney
in Neusüdwales überhaupt herstellt. Ebenso kann man als zweite
Hauptlinie jene betrachten, welche von Melbourne über Ballarat und
Bordertown nach Adelaide geht und die südaustralische Colonie der-
gestalt mit dem Osten vereinigt. Von Bordertown zweigt dann eine
Linie südwärts an die See ab, während von Adelaide eine lange
Strecke gegen Norden bis Mazzee ins Innere führt. Von dieser Strecke
biegen dann noch verschiedene Abzweigungen ab.
[753]Die australischen Gewässer.
Dieses ganze Netz soll noch durch eine Reihe anderer
Linien ergänzt werden, welche bereits projectirt sind und deren Aus-
führung bei der Energie, mit welcher man sich in Australien dem
Eisenbahnwesen widmet, auch nicht allzulange auf sich warten lassen
dürfte. Um ein Bild von der räumlichen Entwicklung der australischen
Eisenbahnen zu gewinnen, müssen wir auf einige Zahlen verweisen.
Nach den Ausweisen über den Stand des australischen Eisenbahn-
wesens waren am 30. Juni 1890 in Neusüdwales 3511, in Queens-
land 2064, in Victoria 3974 und in Südaustralien 2591 und in
Westaustralien 803 Kilometer in Betrieb. Im Bau oder projectirt
sind in Neusüdwales weitere 2300, in Queensland 1000, in Victoria
500, in Südaustralien 100 und in Westaustralien 500 Kilometer. Es
umfasst also das offene Netz 12.940 km, und nach Vollendung der
begonnenen und der projectirten Arbeiten wird man über nicht weniger
als circa 17.350 km verfügen.
Westaustralien steht in Bezug auf Entwicklung, namentlich
auch in municipaler Beziehung, hinter seinen Schwestercolonieen
noch zurück. Es weist noch keine Stadt von sonderlicher Bedeutung
auf. Diese Colonie, deren Gebiet lange zuvor von verschiedenen
Reisenden besucht und auch zum Theil durchforscht worden war,
wurde erst 1829 förmlich gegründet. Die Entwicklung derselben litt
jedoch nicht wenig durch den Umstand, dass der Strom der Ein-
wanderer sich mit Vorliebe dem Osten des Landes zuwendete, insbe-
sondere seit man in Victoria Goldfelder gefunden hatte. Da
aber auch hier die natürlichen Bedingungen zur Prosperität gegeben
sind, so lässt sich bei der Energie, welche die Anglo-Australier
anderwärts entwickelt haben, mit Sicherheit erwarten, dass dieses
Land, wenn auch langsamer, so doch stetig einer gedeihlichen Zu-
kunft entgegengehen werde.
Unter den Häfen der Colonie Westaustralien haben nur zwei
einige Bedeutung, nämlich Albany und Perth.
Albany liegt am Princess Royal Harbour der King George Sound
genannten Bucht. Es hatte 1881 nicht viel mehr als 1021 Einwohner;
seitdem ist seine Bevölkerung bedeutend gestiegen, denn es ist der
erste Landpunkt, welchen die nach Australien kommenden Post-
dampfer der Peninsular and Oriental Cy. anlaufen. Der Hafen ist
geräumig und wohl geschützt; ein ziemlich langer Pier erleichtert
die Operationen der Schiffe. Die Stadt selbst ist klein und ohne be-
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 95
[754]Die australischen Gewässer.
sondere Zierde. Sie besitzt als Hauptort der südlichen Bezirke mehrere
öffentliche Gebäude. Auch wird ihr in militärischer Beziehung einige
Bedeutung beigemessen.
An der Westküste, 20 km oberhalb der Mündung des Schwa-
nenflusses, des bedeutendsten Gewässers von Westaustralien, liegt
dessen Capitale, Perth. Dieselbe ward in demselben Jahre (1829)
wie die Colonie selbst gegründet und hat jetzt mit den Vororten erst
9000 Einwohner. Die Anlage der kleinen Stadt geschah planmässig
und sichert derselben die Möglichkeit einer zweckmässigen Erweiterung.
Ein hübsches Stadthaus, eine protestantische und eine katholische
Kathedrale, mehrere Banken, eine Hochschule und ein Hospital sind
die hauptsächlichen Gebäude in Perth, dessen landschaftliche Lage
viele Reize darbietet.
Unmittelbar an der Mündung des Schwanenflusses ist Perths
Hafen, Freemantle, gelegen, ein Städtchen von mehr als 5000 Seelen,
wo die grösseren Seeschiffe verbleiben, um die Navigation auf dem
Fluss zu ersparen, umsomehr, als mit Perth sowohl durch eine Eisen-
bahn als auch mittelst Localdampfer eine ständige gute Verbindung
hergestellt ist.
Der Hafen ist Nordwinden ziemlich ausgesetzt. Grössere See-
schiffe ankern auf der Gage Roads genannten Rhede im Westen von
Freemantle. Diese Stadt ist auch der Endpunkt der westaustralischen
Eisenbahn, welche sich von da über Perth in ziemlich östlicher
Richtung jetzt erst bis Northam erstreckt.
[[755]]
Adelaide.
Die grösste Colonie auf dem australischen Continente ist jene
von Südaustralien, welche, trotz ihres Namens, im Laufe der Zeit
auch einen guten Theil des nördlichen Continentes, das sogenannte
Nordterritorium, in sich aufgenommen hat, so dass diese Colonie
den ganzen Continent von Süd nach Nord durchquert. Der südliche
Theil und das eigentliche Stamm- und Kernland dieser Colonie liegt
zwischen Victoria und Westaustralien, das Nordterritorium dagegen
zwischen Westaustralien und Queensland. Seiner Bevölkerungsdichte
nach (0·14 Einwohner per km2) kann sich Südaustralien weder mit
Victoria (4·9) noch mit Neusüdwales (1·3) messen. Letztere Colonieen
beherbergen durchschnittlich je 1·2 Millionen Einwohner, Südaustra-
lien jedoch nur 0·3 Millionen, ist daher ein menschenleeres Land.
Die Entstehung von Südaustralien ist eine eigenthümliche. Es verdankt
nicht einem Zufalle, sondern einem planmässigen Vorgange seine Gründung. Im
Jahre 1831 entdeckte Capitän Sturt den Murrayfluss, den einzigen bedeutenden
Fluss der südlichen Colonie, welcher in die Encounter-Bay mündet. Er war von
dem geschenen Lande so entzückt, dass er bei seiner Heimkehr nach Sydney
eine Anzahl unternehmender Leute zu einer Expedition nach dem neuen
Lande veranlasste. Diese Leute kamen auch nach dem westlich von der Encounter-
Bay gelegenen Golf von St. Vincent, an welchem heute Adelaide gelegen ist
Diese Expedition, welche Capitän Sturt’s Berichte nur bestätigte, bestimmte wieder
eine Vereinigung von Männern in London, den Plan der Anlage einer eigenen
Colonie an jenen Gestaden in Erwägung zu ziehen.
Es bedurfte auch längerer Verhandlungen mit der britischen Regierung,
um diesen Plan zur Reife zu bringen. Im Jahre 1834 erst gelangte man zu be-
stimmten Abmachungen. Dabei gingen die Vorkämpfer des neuen Colonisations-
planes von der richtigen Anschauung aus, dass man das im übrigen Australien
bisher nicht immer mit gutem Erfolge beobachtete System bei der Besitznahme von
Land nicht befolgen dürfe, sondern dass man strenge an dem Principe festzuhalten
habe, dass Land nur durch Kauf, nicht aber durch freie Uebertragung erworben
werden solle. Im Jahre 1834 wurde denn auch durch eine eigene Parlamentsacte
die Gründung der Colonie, welcher man ihren jetzigen Namen beilegte, genehmigt
und dieselbe unter die Oberhoheit der britischen Krone gestellt. Eine wichtige
95*
[756]Die australischen Gewässer.
Bestimmung dieser Acte bezog sich darauf, dass ausdrücklich Südaustralien von
der Deportation von Sträflingen ausgenommen worden ist. Dieser Umstand hat
jedenfalls auf die Entwicklung der Colonie gut eingewirkt und diese vor mancher-
lei Schwierigkeiten bewahrt, mit denen ihre älteren Schwestern lange Zeit zu
kämpfen hatten.
Um die Acte auch zu verwirklichen und die erforderlichen Mittel aufzu-
bringen, bildete man die „Südaustralische Gesellschaft“, welche die weitere Aus-
führung des Projectes in die Hand nahm. Oberst Light ward 1836 nach Australien
abgesendet. Er nahm die erste Landvermessung zur Besiedlung vor und wählte
auch den Punkt zur Anlage der ersten Stadt. Seine Wahl fiel auf den St. Vincent-
Golf und für die städtische Anlage auf den Platz, wo jetzt Adelaide steht. In
den letzten Tagen des Jahres 1836 fand die förmliche Besitzergreifung der neuen
Colonie statt, und heute feiert man den betreffenden Tag — es ist der 28. De-
cember — als den grössten Festtag in ganz Südaustralien.
Da dieses Land nicht durch solche Umstände begünstigt war, wie
Victoria, dem die Entdeckung reicher Goldfelder zu einem ganz fabel-
haft raschen Aufschwunge verholfen hat, so ging die Entwicklung von
Südaustralien einen mehr natürlichen aber viel langsameren Gang.
Diese Entwicklung ist auf den Pflug und die Viehzucht gestützt. Wohl
gelang es der Umsicht und Thätigkeit seiner von Jahr zu Jahr sich meh-
renden Bewohner und der unermüdlichen Ausdauer und dem regen Fleisse
derselben, aus den reichen Schätzen des von der Natur gesegneten
Landes Vortheil zu ziehen und die Entwicklung des Landes und ins-
besondere seiner Hauptstadt in fort und fort aufsteigender Linie zu
erhalten. Adelaide kann sich an Grösse und Einwohnerzahl bereits
unter die ersten Plätze des australischen Welttheiles stellen.
Die Küstenentwicklung des südlichen Continentes charakterisirt
sich dadurch, dass die Südküste, deren beide äussersten Markpunkte
fast in derselben Breite liegen, eine tiefe, aber allmälig verlaufende
Einbuchtung bildet, deren Scheitelpunkt zugleich ziemlich in der Mitte
der ganzen Südküste gelegen ist.
Die östliche Hälfte weist aber eine viel grössere Gliederung auf,
als die westliche. Wir finden zuerst Port Phillip, dann die schon
vorher erwähnte Encounter-Bay mit der Mündung des Murray, hierauf
kommt der Golf von St. Vincent, welchem die Känguruh-Insel vor-
liegt, und dann zieht sich der Spencer-Golf fast fjordartig tief in das
Land hinein; erst westlich von diesem Golfe wird die Configuration
der Küste eine einförmigere. In dem freundlichen Golfe von St. Vincent
liegt aber Adelaide, welches seinen Namen von der Gemahlin des zur
Zeit der Gründung in England regierenden Königs Wilhelm IV. erhielt.
Adelaide selbst liegt nicht unmittelbar an der See, doch ganz in
deren Nähe, so dass es sich aller Vortheile einer Seestadt erfreut.
[[757]]
Adelaide.
[758]Die australischen Gewässer.
Die eigentlichen Hafenplätze von Adelaide sind Glenelg, Largs-Bay
und Port Adelaide, sämmtlich durch die Bahn mit der Stadt ver-
bunden und eigentlich durch diesen Umstand und durch die an sich
geringe Entfernung beinahe als Vororte von Adelaide zu betrachten.
Glenelg ist ein kleiner, sechs Seemeilen von Adelaide ent-
fernter Ort von 3000 Einwohnern, welcher jedoch in seiner eben
erwähnten Eigenschaft als Hafenplatz von Adelaide Bedeutung und
auch durch die mit dieser Bestimmung in Zusammenhang stehenden
Baulichkeiten ein ganz stattliches Aussehen hat. Es gibt hier eine
hübsche Kathedrale, mehrere grosse Hôtels und, was uns am meisten
interessirt, einen grossen eisernen Pier (400 m lang), an welchem
insbesondere die Dampfer der „P. \& O.“ anlegen. Dieser Pier steht in
unmittelbarer Verbindung mit der Eisenbahn. In Glenelg legte 1836
das Schiff an, welches zur förmlichen Besitzergreifung der Colonie
entsendet worden war, und nahe dem Orte befindet sich der berühmte
„Old Gum Tree“, ein Baum, unter dessen Schattendach damals die
feierliche Proclamation der Besitzergreifung erfolgte. Als man 1886 das
fünfzigjährige Gründungsfest der Colonie beging, wurde zum Andenken
daran eine Gruppe junger Bäume rings um jenen ehrwürdigen Zeugen
einer historischen Episode angepflanzt. Glenelg ist während des
Sommers seiner Seebäder wegen sehr stark besucht.
Der Ankerplatz Largs-Bay hat zwei grosse Piers (Semaphore
Jetty und Largs-Bay Jetty), an welchen die grossen Postdampfer der
Südaustralien berührenden Linien anlegen.
Kriegsschiffe pflegen ihren Ankerplatz entweder auf der Hold-
fast-Bay genannten Rhede bei Glenelg, 1½ bis 2 Seemeilen vom
Lande entfernt oder in der Largs-Bay (Semaphore Anchorage) zu
wählen.
Port Adelaide, etwas südlich von vorgenanntem Punkte am
Adelaidefluss gelegen, ist auch nur ein kleiner, aber doch als Muni-
cipium selbständiger Ort von ungefähr 5000 Seelen. Hier hat man
sehr bedeutende Arbeiten, namentlich auch Baggerungen ausgeführt,
und dadurch dem Schiffsverkehr grossen Nutzen geschaffen, so dass
Schiffe bis zu 6 m Tiefgang (mit Lootsen) bis nach Port Adelaide
gelangen können. Insbesondere in dem letzten Decennium geschah sehr
viel für die Verbesserung des Hafens, welcher dermalen in den ver-
schiedenen Bassins eine Quaientwicklung von circa 4000 m aufweist.
Diese Quais sind in moderner Weise ausgestattet. Ferner befindet
sich hier ein geräumiges Trockendock, welches tiefgehende Dampfer
aufnehmen kann. Zahlreiche Magazine ergänzen die Anlagen von
[759]Adelaide.
Port Adelaide. Unter den Gebäuden des Ortes selbst sind das Stadthaus,
ein hübsches Seemannshaus (Prince Alfred’s Sailors Home), mehrere Kir-
chen und Schulen, eine grosse Markthalle, dann eine Reihe von Mühlen-
Etablissements zu nennen. Port Adelaide ist auch gegen die See zu
durch einige Befestigungen gesichert.
Drei Seemeilen im Norden von Glenelg mündet der Torrens-
fluss, welcher die Stadt Adelaide selbst in zwei Theile trennt, jedoch
nur in geringem Masse schiffbar ist. Diese Stadt hat eine sehr freund-
liche Lage. Sie befindet sich in einer wohl cultivirten Ebene, welche
zum grösseren Theile von einer sich im Mount Lofty (im Südosten von
der Stadt) bis zu 700 m erhebenden Hügelkette umrahmt wird, während
man gegen West vielfach einen Ausblick auf den Golf von St. Vincent
geniesst. Der südliche Theil der Stadt schliesst das eigentliche Geschäfts-
leben in sich, während im nördlichen Theil mehr das Behagen und der
Genuss in den Vordergrund treten. Hier ruht man von den Mühen des
Tages in angenehmem Heimwesen aus. Adelaide trägt den Typus einer
neu und planmässig angelegten Stadt, namentlich durch das syste-
matische, rechteckig sich durchschneidende Strassennetz.
Wie alle australischen Städte hat auch Adelaide ausgedehnte
Parks, welche dem Orte zur Annehmlichkeit und Zierde gereichen,
aber auch in den verschiedenen Strassen hat man vielfach für Baum-
pflanzungen Sorge getragen. Diese schnurgeraden Strassen, welche
fast durchwegs von Süd nach Nord, oder aber von Ost nach West
laufen, sind breit, mit Macadam und auf den Trottoirs mit Holz-
pflaster versehen und rein gehalten. Unterbrochen wird das
Strassennetz durch einige grosse Squares, Plätze von nicht geringer
Ausdehnung, in deren Mitte sich stets eine Gartenanlage befindet.
Diese Vorliebe für solche Anlagen und überhaupt für die Ausstattung
der Städte mit den Reizen der Vegetation ist ein nicht genug zu
rühmender Vorzug in Australien, und in dieser Beziehung müssen sehr
viele Städte der alten Welt ihre jüngeren Schwestern in Australien
beneiden.
Im südlichen Theile von Adelaide zeigt die Vertheilung dieser
eben erwähnten Squares eine grosse Systematik. Fast im Centrum
befindet sich der grösste und schönste derselben, Victoria Square.
Denkt man sich nun die Stadt in vier Quartiere getheilt, deren Thei-
lungslinien gerade auf dem Victoria Square sich durchschneiden
würden, so hat dann wieder jedes dieser vier Quatiere in seinem
Centrum auch einen derartigen Square. Die Squares führen die Namen
von Männern, welche in der Geschichte der Colonie sich besondere
[760]Die australischen Gewässer.
Verdienste erworben haben. Es sind Hindmarsh Square in NO, Light
Square in NW, Whitemore Square in SW und Hurtle Square in SO.
Die Hauptader der Stadt ist die King William Street, welche sie
ihrer ganzen Ausdehnung nach in der Mitte von Süd nach Norden durch-
schneidet und damit auch den Victoria Square durchquert. Parallel mit
King William Street und in derselben Ausdehnung laufen zwei andere
Strassenzüge, die ihrerseits wieder die beiden Squares durchkreuzen,
welche im westlichen, beziehungsweise östlichen Quartiere der
Stadt sich befinden. Es sind dies östlich die Hanson und die Pulteney
Street, westlich die Brown und die Morphett Street. Derart zeigt sich
das Gerippe Adelaides. Betrachten wir nun die Stadt in ihren ein-
zelnen Theilen, so stossen wir auch hier auf schöne Gebäude, welche
allen möglichen Zwecken dienen und ein beredtes Zeugniss sowohl
von der Geschäftsthätigkeit als auch der culturellen Entwicklung der
Stadt ablegen. Angenehm berührt auch, dass man die thurmhohen
Bauten vermieden hat, welche unseren europäischen Strassen so häufig
ein bedrückendes Gepräge verleihen und jeden Ausblick nach auf-
wärts und jede freie Luft rauben. In den Strassen von Adelaide
kann man athmen und sieht auch den Himmel.
In erster Reihe müssen wir das Palais des Gouverneurs der
Colonie (Government House) und das Stadthaus (Town Hall) nennen.
Government House befindet sich inmitten eines kleines Parkes auf der
Nordterrasse am Torrensflusse. Das in King William Street ge-
legene Stadthaus zeichnet sich durch eine schöne Loggia und den
50 m hohen Albert-Thurm aus, während im Innern eine geräumige
von korinthischen Säulengängen umrahmte Halle an 2000 Personen
Legende zu Port Adelaide und Adelaide.
Port Adelaide: A Eisenbahn nach Kapunda, B Rhede, C Holdfast-Bay, D 5 Meterlinie, E 10 Meter-
linie, F Leuchtfeuer.
Adelaide: A Park, B Friedhof, C Sternwarte, D Stadttheil Robe Ward, E Stadttheil Mac Donnell
Ward, G Stadttheil Gaveller Ward, H Stadttheil Hindmarsh Ward, J Stadttheil Grey Ward, K Stadt-
theil Young Ward, L Wellington Square, M Light Square, N Hindmarsh Square, O Victoria Square,
P White More Square, Q Hurtle Square, R Prince Alfred College, S St Peters College, T Botanischer
Garten, U Irrenhaus, V Spital, W Zoologischer Garten, X Bahnhof, Y The Oval, Z Gouvernements-
Gebäude. — 1 Strasse nach Port Adelaide, 2 Strasse nach Bowden, 3 Hanley beach Road, 4 Hilton
Road, 5 Britannia Road, 6 Bartels Road, 7 Hackney Road, 8 South Terrace, 9 Doquetteville Terrace,
10 North Terrace, 11 Parade Terrace, 12 Kingston Terrace, 13 Lefevre Terrace, 14 Strangways Terrace,
15 Monteflore Hill, 16 Brougham Place, 17 Pennington Terrace, 18 Childers Street, 19 Buxton Str.,
20 Gaver Str., 21 Molesworth Str., 22 Tynte Str., 23 Barnarth Str., 24 Archer Str., 25 Ward Str.,
26 Hill Str., 27 Jeffcott Str., 28 O’Connell Str., 29 Kermode Str., 30 Stanley Str., 31 Melbourne Str.,
32 Finnis Str., 33 Jerningham Str., 34 John Str., 35 Avenue Road, 36 City Road, 37 Hindley Str.,
38 Currie Str., 39 Waymouth Str., 40 Franklin Str., 41 Grotte Str., 42 Grey Str., 43 Morphett Str.,
44 King William Str., 45 Gonger Str., 46 Wright Str., 47 Sturt Str., 48 Gilbert Str., 49 Rundle Str.,
50 Grenfell Str., 51 Pirie Str., 52 Flinders Str., 53 Wakefield Str., 54 Pulteney Str., 55 Brown Str.,
56 Angas Str., 57 Carrington Str., 58 Halifax Str., 59 Gilles Str., 60 Hanson Str., 61 Hutt Str.,
62 Wasserreservoir, 63 Football-Wiese, 64 Universität, 65 städtische Bäder, 66 Weir-Brücke, 67 Victoria-
Brücke, 68 City-Brücke, 69 Albert-Brücke, 70 Companys-Brücke, 71 West Terrace.
[[761]]
(Legende siehe auf Seite 760.)
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 96
[762]Die australischen Gewässer.
zu fassen im Stande ist. Auch ist hier eine grosse Orgel aufgestellt,
welche bei festlichen Gelegenheiten benützt wird. Ausser dieser Halle
enthält das Stadthaus auch einen eigenen Banketsaal und die son-
stigen Nebenräume für grosse Festlichkeiten, denen man in Adelaide
keineswegs abhold ist.
Das Parlament von Südaustralien ist in einem grossen Palaste
untergebracht, welcher erst in den jüngsten Jahren neu errichtet worden
ist. Natürlich fehlt es auch hier nicht an einem schönen, mit Thurm und
architektonischem Beiwerke geschmückten Postamt, dem Wahrzeichen
jeder britischen Colonialstadt. In schönen Localen sind die verschie-
denen Banken untergebracht, deren man in Adelaide nicht wenige
zählt. Es sei nur der Banken von Südaustralien, von Adelaide, der
Australasian, der National Bank und der English \& Scottish Bank
gedacht. Unter den Humanitätsanstalten zeichnen sich besonders aus
das grosse Blindenhaus, das in freundlichem Cottagestyl erbaute
Waisenhaus und ein grosses Hospital.
An Kirchen ist kein Mangel. Zunächst besitzt die Stadt die
imposante St. Peter Kathedrale, dann fünf andere Episkopalkirchen,
nämlich die Dreifaltigkeitskirche, Christuskirche, St. Lucas, St. Paul
und St. Johann; ausserdem die katholische Kathedrale, die irische
Kirche von St. Patrick und noch viele andere Gotteshäuser der ver-
schiedenen hier vertretenen Confessionen.
Das Schulwesen wird auch in Südaustralien wohl gepflegt und
hat die Gesetzgebung diesem Gegenstand grosse Aufmerksamkeit zu-
gewendet. Es besteht ein Minister Controling Education (Unterrichts-
minister), und man hat eine Anzahl öffentlicher Schulen eingerichtet.
Unter denselben nehmen die sogenannten Model Schools den ersten
Rang ein. Es besteht auch eine Art von Schulzwang für Kinder von
7 bis 13 Jahren. Es gibt in der Colonie bereits nicht weniger als
472 öffentliche Schulen für den Elementarunterricht, in denen an
50.000 Kinder aufgenommen sind. Auch für die Heranbildung von
Lehrern ist Sorge getragen. Das schöne Gebäude der Modellschule
in Adelaide zeichnet sich durch äussere Zierlichkeit und durch die
Zweckmässigkeit der inneren Einrichtung aus. Diese Gattung von
Schulen dient als Vorbild für die anderen Unterrichtsanstalten des-
selben Ranges.
Eine zweite Gattung sind dann die Colleges, welche unseren
Mittelschulen ziemlich entsprechen. Von denselben ist das St. Peter’s
College das älteste in Adelaide. Dasselbe wurde 1847 errichtet und
ist nach dem Vorbilde ähnlicher englischer Anstalten organisirt.
[763]Adelaide.
Ebenso sind das Prince Alfred’s und das Windham College zwei ganz
ansehnliche Anstalten. Für den höheren Unterricht besteht eine
Universität. Dieselbe verdankt ihre Entstehung der Munificenz eines
Privatmannes, des Sir Watson Hughes, welcher im Jahre 1872 die
Summe von 25.000 Pfund Sterling zur Gründung eines solchen In-
stitutes widmete. Dieses schöne Beispiel fand bald Nachahmung;
auch die Regierung wendete der Angelegenheit ihre vollste Auf-
merksamkeit zu und stattete das neue Institut mit einer Reihe erheb-
licher Vorrechte aus. Die von der Universität verliehenen Grade
werden sogar jenen gleichgeachtet, welche die Universitäten im Ver-
einigten Königreiche verleihen, und so steht ein Doctor australischer
Promotion nicht hinter dem Besitzer eines Diplomes von Oxford zu-
rück. Die Universität ist in einem ihren Aufgaben würdig entspre-
chenden Baue untergebracht. Der öffentlichen Bildung dienen fernerhin
eine grosse Bibliothek von 20.000 Bänden und das Museum, sowie
ein eigenes technologisches Museum.
An Theatern finden wir als erstes im Range das Royal Theatre,
in welchem 1800 Personen Platz haben. Dass es an Hôtels, an so-
genannten Coffee Palaces, ähnlich wie in Melbourne, an mehreren
grossen Markthallen, kurz an allen Einrichtungen, welche für das
Leben einer modernen Stadt eine Nothwendigkeit sind, nicht mangelt,
brauchen wir nicht besonders hervorzuheben. In Adelaide erscheinen
4 tägliche und 14 andere Zeitschriften, darunter eine deutsche.
Ebenso zeigt Adelaide alle Mittel städtischer Communication,
Trambahnen und Miethfuhrwerke jeder Gattung. Die Beleuchtung
geschieht theils durch Gas, theils auch durch elektrisches Licht Die
Stadt wird aus grossen vom Torrensfluss gespeisten Reservoirs reich-
lich mit Wasser versorgt; zwei Reservoirs halten fortwährend an
2000 Millionen Gallons (à 4½ Liter) reinen Wassers.
Die Verbindung mit dem auf dem anderen Ufer des Torrens
gelegenen Nord-Adelaide wird durch eine Anzahl von Brücken her-
gestellt, deren wichtigste jene sind, welche sich an die drei grossen,
Süd-Adelaide der ganzen Länge nach durchquerenden Strassenzüge
anschliessen. Der nördliche Stadttheil hat einen stilleren Charakter
und stellt sich vielfach als eine Art von Villen- und Cottageviertel
dar. Hier stösst man auch wieder auf grosse Parkanlagen, unter denen
der am Flussufer sich hinziehende botanische und der mit demselben
im Zusammenhange stehende zoologische Garten besonderes Interesse
wachrufen, nicht nur wegen der grossen Ausdehnung und der land-
schaftlich anmuthigen Gestaltung derselben, sondern auch wegen des
96*
[764]Die australischen Gewässer.
reichen und für das Studium höchst ergiebigen Inhaltes, welchen die-
selben bieten. Ausser diesen Gärten hat Nord-Adelaide auch, ebenso
wie die südliche Schwester, mehrere grosse, schön bepflanzte Squares,
von denen wir Wellington Square, Brougham, Palmer und Roberts
Place nennen wollen.
Rings um Adelaide liegen verschiedene Vororte, in denen viele
Leute ihr Heim aufgeschlagen haben, die nur für ihre Geschäfte zur
Stadt selbst kommen. Trams und Omnibusse stellen die Verbindung
mit diesen Vororten her. Hieher gehören unter anderen im Norden
der Stadt Enfield und Prospect, im Westen Hindmarsh, Bowden und
Bromptom, im Süden Mitcham, Fullerton und Parkside, im Osten
endlich Kensington, Norwood, Hackney, Stepney und Marryatville.
Ganz Adelaide mit den Vororten hat (1891) eine Bevölkerung
von 133.000 Seelen. Das Leben in Adelaide ist wie in den beiden
anderen australischen Grossstädten ein sehr reges und bewegtes.
Man liebt hier trotz aller Thätigkeit im Geschäfte doch auch Zer-
streuung und Vergnügen. Zeugniss hiefür geben die zahlreich vor-
handenen Clubs (darunter auch ein deutscher) und die Vereine für
alle Zweige des Sports und der Geselligkeit überhaupt, der man sich
mit Eifer hingibt. Auch die weitere Umgebung der Stadt verlockt
zu lohnenden Ausflügen, deren Ausführung die Eisenbahnen wesentlich
erleichtern. Aber auch der See gehört die besondere Vorliebe des
Australiers, und Ausflüge auf derselben, wozu die Ufer des St. Vincent
Golfes vielerlei dankenswerthe Gelegenheit bieten, werden gerne
unternommen. Nicht umsonst hat Süd-Australien die besondere Be-
zeichnung des sonnigen Landes und wird dessen Hauptstadt von
ihren Einwohnern mit aller Zustimmung von den Besuchern das
liebliche Adelaide, „fair Adelaide“, genannt.
Speciell das Klima von Adelaide ist dem von Sicilien oder
Neapel ähnlich. Im Winter regnet es viel. Im Ganzen jedoch herrscht
eine grosse Gleichmässigkeit bezüglich der Temperatur, nur in den
Monaten Januar und Februar wird die Hitze etwas lästig. Frost
kommt selten vor, warme Winde treten viel seltener auf als in anderen
Theilen des Continents und der Sonnenschein wird überhaupt selten
entbehrt.
Wir können unseren Bericht über Adelaide nicht besser schliessen,
als wenn wir die Worte des bekannten englischen Yachtbesitzers
Brassey anführen, welcher sagt: „Ich zolle meine aufrichtige
Bewunderung den äusseren Reizen von Adelaide. Ich bin viel gereist,
aber ich habe kaum eine anziehendere Stadt als diese gesehen, noch
[765]Adelaide.
erinnere ich mich irgendwo ein Gemeinwesen gefunden zu haben, in
welchem ich so viel zu bewundern fand und liebgewinnen musste
als in Südaustralien.“ Und ein anderer Reisender meint, dass Adelaide
unter allen Städten der australischen Colonie die Palme verdiene und
dass es eine der gesündesten und besteingerichteten Städte der
Welt sei.
Den Handel von Adelaide kann man ebensowenig für sich darstellen wie
jenen von Melbourne; die officielle Statistik weist nur den Handel der ganzen
Colonie aus.
Von dem Aussenhandel der Colonie Südaustralien, soweit er sich zur See
vollzieht, nimmt jedoch die Einfuhr fast ausschliesslich ihren Weg über den
Haupthandelsplatz Adelaide. Für die Ausfuhr von Getreide und Kupfer, sowie
Kupfererzen kommen noch einige kleinere Verschiffungsplätze in Betracht.
Der Aussenhandel von Südaustralien zeigt folgendes Bild:
Aus vorstehender Tabelle erweist sich eine constante Steigerung der Ein-
fuhr sowohl wie der Ausfuhr.
An der Einfuhr des Jahres 1890 waren die australischen Colonieen mit der
grösseren Hälfte im Werthe von 4,803.003 ₤ betheiligt, auf Grossbritannien ent-
fielen 2,483.416 ₤ oder rund 25 % des Gesammtimportes, der Rest vertheilte sich
auf die übrigen Länder, unter denen Deutschland mit 297.821 ₤ und die Ver-
einigten Staaten mit 219.627 ₤ die bedeutendsten Ziffern aufweisen.
Die Ausfuhr des Jahres 1890 theilt sich in zwei gleiche Theile, in die
Wiederausfuhr importirter Producte im Werthe von 4,417.306 ₤ und in die Ausfuhr
einheimischer Producte im Werthe von 4,410.052 ₤. Von letzteren gingen 60 %
oder für 2,612.538 ₤ nach Grossbritannien, rund 25 % nach den australischen
Schwester-Colonieen und der Rest nach anderen Ländern.
Ueber die Zusammensetzung dieses Handelsverkehres nach Artikeln liegen
uns Ausweise über das Jahr 1890 noch nicht vor, weshalb wir bei Besprechung
dieses Theiles auf das Jahr 1889 zurückgreifen müssen.
Nur soviel sei jetzt schon bemerkt, dass die Zunahme der Ausfuhr des
letzten Jahres (1890) in der ausserordentlich guten Ernte ihre Ursache hat. Der
Exportwerth von Weizen und Weizenmehl allein zeigt im Jahre 1890 eine Zunahme
von annähernd 1,000.000 ₤ gegen das Vorjahr.
Im Jahre 1889 bezifferte sich die Ausfuhr von Weizen auf 240.295 ₤
und die von Weizenmehl auf 691.777 ₤.
Den bedeutendsten Ausfuhrartikel bildete Wolle im Werthe von 2,194.701 ₤,
wovon der grösste Theil nach London ging.
Der Ertrag der Colonie Südaustralien an Mineralien ist nur in Kupfer bedeu-
tend, doch ist der Reichthum an Producten aller Art zweifellos ein grosser. Im Jahre
1889 wurden für 84.687 ₤, im Jahre 1890 für circa 50.000 ₤ an Gold und Sil-
[766]Die australischen Gewässer.
ber und deren Erzen ausgeführt, während der Export an Kupfer und Kupfer-
erzen sich 1889 auf 212.933 ₤, 1890 auf 226.992 ₤ belief.
Ausserdem gelangen über Adelaide noch Schaffelle, Känguruhfelle
und Mimosarinde, welche ein sehr kräftiges Gerbmaterial liefert und sehr be-
gehrt ist, zur Ausfuhr.
In der Einfuhr bilden auch hier industrielle Erzeugnisse einen wichtigen
Bestandtheil.
An erster Stelle stehen Textilwaaren aller Art im Einfuhrwerthe von
671.549 ₤, ferner Säcke im Werthe von 150.617 ₤ und Kleidungstücke im
Werthe von 192.136 ₤ während des Jahres 1889.
Im selben Jahre verzeichneten Schuhwaaren eine Einfuhr von 81.832 ₤.
Der Import von Eisen- und Messerschmiedwaaren belief sich auf
48.959 ₤, der von bearbeitetem und unbearbeitetem Eisen auf 141.000 ₤.
Die Einfuhr von Maschinen zu Zwecken der Landwirthschaft hatte einen
Werth von 15.551 ₤, die anderer Maschinen einen Werth von 64.543 ₤.
Der Werth des importirten Goldes in gemünztem und ungemünztem Zu-
stande betrug 125.213 ₤.
Unter den Nahrungsmitteln verzeichnete im Jahre 1889 Zucker den höchsten
Einfuhrwerth von 321.740 ₤.
Der Import von Thee verzeichnete im selben Zeitraume einen Werth von
90.395 ₤.
Die Einfuhr von Getränken umfasste: Bier und Ale für 60.818 ₤,
Spirituosen aller Art für 83.000 ₤ und Wein für 14.628 ₤.
Tabak wurde für einen Werth von 48.000 ₤ eingeführt.
Die Einfuhr von Holz verzeichnete einen Werth von 186.049 ₤ und die
von Kohle und Coaks einen solchen von 94.343 ₤.
Zum Schlusse der Einfuhrliste nennen wir Wolle als den bedeutendsten
Artikel, dessen Werth 1889 auf 848.330 ₤ veranschlagt wurde, der jedoch zumeist
über die Landesgrenzen aus Neusüdwales importirt wurde.
Die industrielle Entwicklung in Südaustralien macht rasche Fortschritte.
Im Jahre 1889 bestanden daselbst 668 industrielle Etablissements, in denen
11.429 Menschen Beschäftigung fanden. Erwähnenswerth hierunter sind 79 Dampf-
mühlen, 33 Brauereien, 39 Maschinen- und Eisenbahnwerkstätten, welche allein
1749 Arbeiter beschäftigten.
Der Schiffsverkehr in der Colonie Südaustralien belief sich im Jahre
1890 auf 2122 Schiffe mit 2,190.442 T, von denen 1454 Schiffe auf die australischen
Colonien, 358 auf Grossbritannien und 310 auf die anderen Länder entfielen.
Für das Jahr 1889 wird der Verkehr auf 2082 Schiffe mit 1,959.752 T an-
gegeben.
Dieselben Dampferlinien, welche Melbourne und Sydney mit der alten Welt
verbinden, laufen auch Adelaide an Hier wird die Post gelandet und geht
mit der Eisenbahn direct voraus nach Melbourne (835 km), Sydney (1763 km) und
Brisbane (2925 km), während die Dampfer ihren Weg längs der Küste fortsetzen.
Ausserdem haben daselbst eine Reihe von Dampfschiffahrtsgesellschaften, denen
die Pflege des colonialen Verkehres obliegt, ihren Sitz, und zwar: Die Adelaide
Steamship Cy. Ld, Adelaide Steamtug Cy., Adelaide Steamlaunch Cy., Port
Pirie and Areas Shipping Cy., Port Wakefield Shipping Cy.
[767]Adelaide.
Gegenwärtig besitzt die Colonie Südaustralien ein Bahnnetz in der Aus-
dehnung von 1610 englischen Meilen. Die erste Bahn in der Colonie war eine
Pferdebahn auf die Entfernung von 6¾ Meilen zwischen Goolwa und Port Elliot,
eröffnet im Jahre 1854. Die erste Locomotive lief am 21. April 1856 auf der
Strecke von 7½ englischen Meilen zwischen Adelaide City und Adelaide Port.
Gegenwärtig heisst diese älteste Bahn Port Line und geht von Adelaide bis Sema-
phore-Jetty bei Largs-Bay (9¼ englische Meilen). Eine zweite Linie, die North
Line, verbindet Adelaide mit Quorn und Port Augusta. In Quorn schliesst sich an
dieselbe die Great Northern Line, die bis Hergett Springs geht. Eine Zweiglinie
der North Line verlässt dieselbe bei Roseworthy und läuft nach Nordost bis Morgan
(74¾ Meilen).
Ausserdem führt die Southern Line von Adelaide bis Port Victor (81 Meilen).
— Die Port Pirie Line führt von dem gleichnamigen Hafen (87 Meilen)
bis Petersburg, Knotenpunkt des nördlichen Bahnnetzes. Die Kingston and
Bordertown Railway, 109¾ Meilen lang, durchläuft die südöstlichen Districte der
Colonie und verbindet dieselben mit dem Meere.
Im Bau begriffen ist gegenwärtig eine Verlängerung der Great Northern
Railway von William Creek nach Angle Pole auf eine Distanz von 122 Meilen und
eine Bahn von Port Darwin nach Pine Creek auf 148½ Meilen.
In Adelaide bestehen eine Handelskammer und eine Industriekammer
(Chamber of Manufactures).
Zahlreiche Bankinstitute haben in Adelaide ihren Sitz; unter diesen sind
zu nennen: Anglo Australian Bank, Bank of South-Australia, Bank of Australasia,
Union Bank of Australasia, National Bank of Australasia, English, Scottish and
Australian Chartered Bank, Bank of Adelaide, Bank of New South Wales, Com-
mercial Bank of Australia, Bank of New Zealand, und die Federal Bank. —
Die sämmtlichen haben in den wichtigsten Städten der Colonie ihre Filialen
Durch Consulate sind in Adelaide vertreten: Belgien, Brasilien, Chile,
Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Liberia, Niederlande, Oesterreich-
Ungarn, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien und die Vereinigten Staaten von
Nordamerika.
[[768]]
Melbourne.
An Neusüdwales, das eigentliche Stammland von Australien,
grenzt die Colonie Victoria, welche die südöstliche Ecke dieses Con-
tinentes einnimmt. In dieser Colonie zieht deren Hauptstadt Mel-
bourne in mehr als einer Beziehung unsere vollste Aufmerksamkeit
auf sich. Man kann Melbourne in seiner wunderbaren Entwicklung
ganz gut neben Chicago, San Francisco und andere Phänomene colo-
nialer Entwicklung stellen. Wer heute diese prächtige, mit allen modernen
Einrichtungen versehene Stadt betritt, welche (1891) nicht weniger
als 489.000 Einwohner beherbergt, wer das rege und bunte Treiben
in derselben, die zahlreichen, überall zu Tage tretenden Beweise von
Reichthum und Behagen beobachtet, wer die nach allen Richtungen
auslaufenden Eisenbahnlinien wahrnimmt, auf denen die Reisenden
nach den verschiedenen Orten des Continentes verkehren, wer die lebhafte
Schiffsbewegung im Hafen betrachtet, der vermag kaum zu erfassen,
dass all dies in einem Zeitraum geschaffen wurde, welcher kaum ein
halbes Jahrhundert erreicht. In Melbourne gibt es heute noch Per-
sonen, welche von sich sagen können, dass sie die ganze bisherige
Geschichte ihrer Stadt miterlebt haben.
In den ersten Tagen des Jahres 1802 wurde von dem britischen Schiffe
„Nelson“ die schöne Bai von Port Phillip entdeckt. Man gab ihr den Namen
des damaligen Gouverneurs von Neusüdwales. Uebrigens nahm man damals zwar von
dem Landstriche an der Bai im Namen der britischen Krone Besitz, kümmerte sich
jedoch die nächsten zwanzig Jahre wenig um deren Geschick. Erst 1824 unternahmen
einige unternehmende Privatleute eine grössere Forschungsreise in diese Gegenden,
und 1826 wurde in Port Phillip eine Abtheilung Sträflinge angesiedelt. Doch gab
man diesen Versuch bald wieder auf. Fast ein Jahrzehent verstrich nun ohne
sonderliche Ereignisse. Da kam 1835 ein gewisser John Batman von Tasmania
herüber und traf mit den Häuptlingen der Eingebornen ein Abkommen wegen
Ueberlassung einer bedeutenden Strecke Landes am Yarra-Flusse, welcher heute das
Stadtgebiet von Melbourne bespült. Noch im selben Jahre landete ein gewisser
Fawkner am Yarra-Flusse und schlug hier seine Zelte auf. Dieser Fawkner kann
als der eigentliche Begründer der neuen Stadt betrachtet werden. Klein war die
[769]Melbourne.
Niederlassung, welche unter seiner Leitung hier entstand; sie zählte — 14 Köpfe!
aber man setzte doch sofort eine Magistratsperson ein und Fawkner gab sogar
bald eine Zeitung heraus; kamen doch jeden Monat neue Zuzüge von Einwanderern.
Im Jahre 1836 verlieh man der neuen Niederlassung ihren heutigen Namen nach
dem damaligen Premierminister Englands, Lord Melbourne. 1839 zählte der Ort 450
Häuser und 3000, 1841 4440, 1846 10.945 Einwohner. Man beschäftigte sich mit
Landbau und Schafzucht und verschiffte namentlich viel Wolle. Nun ging die
Entwicklung der Colonie langsam und ruhig vor sich, und 1851 ward dieselbe
aus dem bisherigen Verbande mit Neusüdwales ausgeschieden und als ein selbst-
ständiges Colonialgebiet organisirt. Die Stadt besass damals 23.143 Einwohner.
Dieses Jahr 1851 ward aber zugleich ein Markstein für die Geschichte Mel-
bournes und ganz Australiens und brachte jenen Impuls, welcher das geradezu fabel-
hafte Wachsthum der Stadt zur Folge hatte. Im genannten Jahre entdeckte man
nämlich die Goldgruben Victorias, und wie wenige Jahre vorher das californische
Gold einen starken Strom von Einwanderern nach der pacifischen Küste Amerikas
gerufen hatte, so übte die Kunde von dem australischen Golde nun eine gleiche
Wirkung aus. Von allen Seiten strömten Menschen nach Victoria, und Melbourne
war die Hauptstätte für den ganzen Verkehr, welcher dadurch ins Leben kam.
Rasch wuchs die Bevölkerung und mit derselben deren Bedürfnisse, und mit der
Ausbeute an Gold auch die Fähigkeit, diesen Bedürfnissen nachzukommen.
Wenn wir unseren Lesern nunmehr das heutige Melbourne zu
schildern versuchen, so mögen sie dabei vor Augen haben, was diese
kurze Spanne Zeit für eine so gewaltige Leistung bedeutet. Es mag
die Männer von Melbourne ein gerechter Stolz beim Anblicke ihrer
Stadt erfüllen. Sie haben bewiesen, was Thatkraft und Energie zu
leisten vermag und haben in ihrer Stadt der menschlichen Fähigkeit
ein schönes Denkmal gesetzt.
Kommt man von der See, so führt eine schmale und nur unter
Beobachtung gewisser Vorsichten anstandslos zu passirende Einfahrt
in das grosse Becken von Port Phillip, in dessen Hintergrund nörd-
lich die Hobson Bay eine weitere Einbuchtung in das Land bildet. In
diese Bai mündet auch der von Osten her kommende Yarrafluss, mit
dem sich kurz vor der Mündung der Saltwaterfluss vereinigt. Haupt-
sächlich am erstgenannten Fluss, und zwar an dessen rechtem Ufer,
breitet sich die Stadt Melbourne aus, deren eigentlicher Kern nicht
unmittelbar an der See gelegen und nur Schiffen von 4 m Tief-
gang zugänglich ist. Vielmehr erstrecken sich nur Vororte bis an die
Hobson Bay, und dieser Theil bildet den eigentlichen Hafen von
Melbourne.
Der Yarra zeigt vielfache Krümmungen, welche dem Ufer einen
pittoresken Anstrich verleihen. Die westliche Begrenzung der Stadt
wird durch den Saltwaterfluss geformt. Zwischen dem linken — süd-
lichen — Ufer des Yarra und dem nördlichen Ufer der Hobson Bay
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 97
[770]Die australischen Gewässer.
befinden sich die Hafenbai und die Vororte der Stadt. Auch am rechten
Ufer des Flusses liegen Vororte, von denen Williamstown halbinsel-
förmig in die Bai hineinragt, allwo die meiste Schiffahrtsbewegung
stattfindet.
Wenden wir uns nun zunächst dem Hafen der Stadt zu. In
Port Melbourne (Sandridge), im nördlichen Theile der Hobson Bay am
Vororte Sandridge ragen zwei grosse Molen, der Railway Pier und der
Sandridge Pier, in unmittelbarer Verbindung mit Eisenbahngeleisen
eine drittel und fast eine halbe Seemeile weit in die See hinaus.
Hier können Schiffe bis zu 6 m Tauchung anlegen. Ostwärts davon,
bei dem sehr hübsch gelegenen Vororte St. Kilda, befindet sich eine
Reihe eleganter Bade-Etablissements. Auf der anderen Seite der
Hobson Bay weist Williamstown einen Schutzdamm nebst einer Reihe
von Piers auf, welche ebenfalls mit Eisenbahngeleisen versehen sind.
In Hobson Bay selbst ist guter Ankerplatz für 800 Schiffe. Aber
Schiffe bis zu 4 m Tiefgang sind nicht genöthigt, in der Bai zu
bleiben oder an den Molen Platz zu suchen, welche sich an deren
Ufer befinden; der Yarra gestattet ihnen das Einlaufen in den Fluss.
Nicht ohne Aufwand von Mühe und Geld hat man dessen Schiff-
barkeit erreicht, dadurch aber den Schiffen ganz besonders bequeme
und sichere Liegeplätze verschafft. Auf der einen Seite des Flusses
können Schiffe anlegen und befindet sich ein grosses Trockendock,
während auf der anderen Seite sich einige Schiffswerften, sowie gleich-
falls ein aus schönem Stein gebauter Quai befinden, welch letzterer
mit einem gewaltigen Dampfkrahn ausgerüstet ist. Grössere Trocken-
und Slipdocks sind im Vororte Williamstown an der Mündung des
Flusses vorhanden. Um die Verbindung zwischen Fluss und See zu
erleichtern und zu kürzen hat man in neuester Zeit vom unteren
Yarra einen geraden Durchstich zur Führung eines 5½ m tiefen
Canales ausgeführt und kann dadurch die Krümmung vermieden
werden, welche der Fluss an seiner Mündung macht. Der Weg von
der Hobson Bay zur Stadt erfährt bei Benützung des neuen Canals
eine Abkürzung von beiläufig zwei Seemeilen. Kriegsschiffe dürfen,
wenn sie ihre Munition an Bord behalten, nur ausserhalb des Leucht-
schiffes bei der Spitze Gellibrand in der Hobson Bay vor Anker gehen.
Die eigentliche Stadt Melbourne zeigt die an amerikanische Städte
erinnernde regelmässige Gestaltung, welche sofort die Jugend und Plan-
mässigkeit ihrer Anlage verräth. Eine Reihe von parallelen Hauptstrassen
durchquert den Kern der Stadt und wird von anderen Strassen in
senkrechter Richtung gekreuzt. Mehrere dieser Strassen, so die zwischen
[771]Melbourne.
Ost und West mit einander in paralleler Richtung laufenden Flinders,
Collins, Bourke, Lonsdale und Latrobe Street, durchwegs nach Männern
benannt, welche sich in der Geschichte Australiens und seiner Ent-
deckungen grossen Ruf erworben haben, ebenso wie die Victoria
Street Parade können sich den schönsten Strassen europäischer Gross-
städte würdig zur Seite stellen. Die Strassen sind in gutem Stand
erhalten, wohl gepflastert und gut, vielfach elektrisch beleuchtet,
zeigen auch einen höchst lebhaften Verkehr. Ein wohl verzweigtes Netz
von Trambahnen steht zur Verfügung. Daran reihen sich zahlreiche
Omnibuslinien und ausserdem gibt es viele Cabs nach Londoner Art.
Die Baulichkeiten von Melbourne machen schon darum einen
guten und geradewegs stattlichen Eindruck, weil sie aus vorzüglichem
Steinmateriale errichtet sind. Und an schönen Bauten hat gerade
diese Stadt durchaus keinen Mangel. Es lohnt sich darum der
Mühe, dieselben einer kleinen Musterung zu unterziehen.
Das Government House, Sitz des von der Königin bestellten
Gouverneurs der Colonie, liegt auf einer kleinen Anhöhe am linken
Ufer des Flusses inmitten eines reizenden Gartens und gewährt einen
schönen Blick auf die ganze Stadt und die Bucht vor derselben.
Das Parlamentshaus in Spring Street, welches die Sitzungsräume
für die, wie in allen australischen Colonien, bestehenden beiden Re-
präsentationskörper: das Legislative Council (Oberhaus) und die Legis-
lative Assembly (Unterhaus) in sich schliesst, ist mit vieler Pracht her-
gestellt und wurde erst kürzlich zur Vollendung gebracht. Das
Gebäude ist vorwiegend in altgriechischem Style gehalten. Besonders
erwähnenswerth ist die in diesen Räumen untergebrachte Bibliothek,
die nicht weniger als 35.000 Bände aufweist. Wie in allen englischen
Städten, daheim sowol als in den Colonien, ragt auch hier das Ge-
neral-Postamt (Eisabeth Street) hervor. Es bildet einen eigenen Block,
wird von einem hohen Uhrthurm überragt, auf welchem als Zeichen
der Ankunft von Postdampfern die einzelnen Linien kennzeichnende
Flaggen gehisst werden. Nicht minder überrascht der gewaltige Bau
des Stadthauses (Melbourne Town Hall), welches durch einen schönen
Porticus geziert ist und gleichfalls einen hohen Thurm besitzt. Das-
selbe enthält eine grosse Halle, in welcher ein besonders fein ge-
arbeitetes Orgelspiel aufgestellt ist.
Zwischen Lonsdale und Bourke Street befindet sich das Gerichts-
gebäude (Law Courts), worin die verschiedenen Gerichtshöfe der Stadt
untergebracht sind. Dasselbe bildet ein längliches Viereck, in dessen
Mitte die von einem kuppelförmigen Thurme überragte Bibliothek der
97*
[772]Die australischen Gewässer.
Gerichtshöfe liegt. Ganz nahe daran finden wir ein anderes statt-
liches Gebäude: die königliche Münze, während sich die in Spring
Street gelegene Treasury (Schatzamt) durch ihre einfache, aber edle
Architektur auszeichnet.
Wenden wir uns nun zu den Kirchen, so finden wir Melbourne
auch in dieser Beziehung mannigfach versehen. Wir sehen die
St. Paul’s Cathedral am Yarraufer (Flinders Street), die Episcopal-
Kirche, welche erst im verflossenen Decennium gebaut worden ist.
Sie zeigt rein gothischen Styl und belaufen sich die Kosten dieses
Baues auf 1,200.000 Gulden. Ein gewaltiger Thurm ragt hoch in die
Lüfte. St. Patrick’s Cathedral dagegen, auf Eastern Hill, ist die erz-
bischöfliche Kirche der Katholiken. In Melbourne residirt nämlich
auch ein katholischer Erzbischof, was damit zusammenhängt, dass
sich in der Colonie Victoria sehr viele Einwohner irischer Herkunft
aufhalten.
Erwähnung verdienen ferner St. James, die Kirche der Baptisten,
die Wesleyan Church und St. John.
Auf die öffentlichen Gebäude, welche dem Verkehre dienen,
haben die verschiedenen Banken und Verkehrsinstitute für ihre gute
Unterbringung viel Sorgfalt und Geld verwendet, so besitzt die Austral-
asian Bank einen Palast in dorischem Style, die London Chartered
einen solchen in italienischem Style. Die Neuseeland-, die Victoria-
und die Colonialbank haben dem gothischen Genre den Vorzug ge-
geben. Interessant ist auch das in Queen Street gelegene Melbourne
Safe Deposit, zur sicheren Aufbewahrung von Geldbeträgen, Werth-
papieren und Kostbarkeiten aller Art.
Unter den Unterrichtsanstalten ragt die Universität mit dem
Nationalmuseum, das Observatorium (unter 37° 50′ südlicher Breite
und 144° 59′ östlicher Länge) und die grosse öffentliche Bibliothek
hervor. Der Unterricht in Victoria befindet sich überhaupt in
guten Verhältnissen. Wenngleich auch daselbst, dem allgemeinen
britischen Systeme gemäss, die staatliche Intervention durchaus nicht
so weit in dieses Gebiet eingreift, als man es auf dem europäischen
Continente gewöhnt ist, so macht sich hierin, wie in vielen anderen
australischen Dingen mehr der Geist der Nordamerikaner geltend,
welcher eine allgemeine Volksbildung kategorisch verlangt. Nach
statistischen Daten aus jüngster Zeit sollen z. B. unter 10.000 Kindern
der Colonie nur 519 des Lesens unkundig sein. In dieser Colonie
steht überhaupt die Volksbildung auf einer weit entwickelteren Stufe
als in den anderen Colonien von Australien. Es gibt an 25 Orten der
[[773]]
Melbourne.
[774]Die australischen Gewässer.
Colonie auch technische Schulen und mit der Nationalgallerie in Mel-
bourne selbst ist ein gewerbliches und technologisches Museum mit
entsprechenden Unterrichtscursen verbunden. Für Zwecke der Hu-
manität ist Vieles geleistet worden. Neben mehreren Hospitälern für
Kranke gewöhnlicher Art sind Heilanstalten für besondere Zwecke,
dann Institute für Blinde und Taube, eine Irrenanstalt, ein eigenes
Hospital für Einwanderer u. dgl. vorhanden.
Für das gesellige Leben ist in Melbourne reichlich gesorgt.
Zunächst sind fünf grosse Theater vorhanden: Das Royal Theatre in
Bourke Street, das Princess Theatre in Spring Street, das Alexandra-,
das Bijou-Theater und das H. M. Opera House. Das Princess Theatre
ist wegen seiner schönen Bauart besonders hervorzuheben. Ausser
den Theatern dienen noch mehrere andere Gebäude, so St. George’s
Hall, Melbourne Town Hall etc. für Zwecke des geselligen Verkehrs
und der Zusammenkunft. Grosse Vorliebe hat man auch in Melbourne
für Sport aller Art, und gibt es hier nicht wenige Clubs, welche sich
dem Cricket und anderen in England gebräuchlichen Ballspielen, dem
Rudersport, sowie auch dem Yachtwesen widmen und zum Theil über
eigene Gebäude verfügen.
Eine Eigenthümlichkeit von Melbourne sind auch die sogenannten
Coffee Palaces, eine Art von Kaffee-Restaurants, welche übrigens auch
mit Wohnräumen verbunden sind. Als wahre Prachtgebäude stellen
sich namentlich der Federal Coffee Palace an der Ecke von Collins
und King Street und der Victoria Coffee Palace in Collins und Russel
Street dar.
Eine ganz besondere Zierde der Stadt sind deren grosse Parks.
Es gibt neben sonstigen kleineren Anlagen nicht weniger als dreizehn
Parks in den verschiedenen Theilen der Stadt. Unter denselben nimmt
wohl den ersten Rang der sehr ausgedehnte botanische Garten ein,
welcher am linken Ufer des Flusses hinter dem Government House ge-
legen ist. Derselbe umfasst eine reiche Sammlung von Gewächsen
aller Art und dient darum auch mit Vortheil dem Studium. Diesem
Garten zunächst an Schönheit der Lage kommt der Fitzroy Gardens
benannte Park im östlichen Theile der Stadt. Hier findet man na-
mentlich schöne Baumgruppen. Auch ist dieser Park mit Quellen,
Wasserbassins und Springbrunnen aller Art bestens ausgestattet.
Carlton Park im Norden hat das Gebäude der letzten Ausstellung in
seiner Mitte gesehen und birgt heute noch ein interessantes ständiges
Aquarium. In Flaggstaff Gardens im Westen hat man wegen seiner höhe-
ren Lage die schönste Aussicht über die Stadt und die Hobson Bay.
[775]Melbourne.
Wir erwähnen noch Albert und Fawkner Park in den Vororten süd-
lich des Yarra, neueren Datums, aber von grosser Ausdehnung und
ersterer wegen seines ausgedehnten Teiches für Rudersport gerne
benützt.
Die Vororte der Stadt, welche mit derselben aber zum grossen
Theile schon enge verwachsen sind, ziehen sich zunächst nördlich
um dieselbe vom Yarra- bis zum Salzwasserflusse. Hieher gehören
insbesondere Northcote, Preston, Brunswick, Pentridge, Flemington
und Coburg, dann am linken Ufer des Yarra Hawthorne im Osten
und Malvern, Windsor, St. Kilda, Südmelbourne im Süden, dann am
rechten Ufer des Salzwasserflusses Footscray, Greenwich und das
schon erwähnte Williamstown.
Melbourne ist nach der Zahl seiner Einwohner die erste Stadt
Australiens. Das Leben dahier ist ein bewegtes, neben dem Geschäfte
oder dem Berufe widmet man sich auch gerne dem Vergnügen; das
Gefühl, dass man in so kurzer Zeit Tüchtiges zu Wege gebracht,
in Verbindung mit dem festen Glauben an die grössere Zukunft der
Stadt und der Colonie trägt nicht wenig zu dem Selbstvertrauen und
Behagen der Bewohner bei, welche in ihrer Stadt heute schon nichts
von dem vermissen, was überhaupt die moderne Cultur den Menschen
zur Bequemlichkeit und zum Genusse des Lebens zu bieten vermag.
Die Umgebung der Stadt ist freundlich und verlockt daher zu
Ausflügen, welche durch das schon an einer früheren Stelle erwähnte
engmaschige Eisenbahnnetz erleichtert werden.
Ueber den Handelsverkehr speciell von Melbourne selbst liegen leider keine
statistischen Aufzeichnungen vor. Mit Rücksicht darauf aber, dass Melbourne als
der wichtigste Hafenplatz der Colonie für deren Handel mit dem Auslande da-
durch in Betracht kommt, dass die europäischen Dampfer beinahe ausschliesslich
hier anlegen, ist man in der Lage, aus dem Gesammtverkehre von Victoria
einen Schluss auf den von Melbourne zu ziehen. Der Handel der Colonie Victoria
während der letzten Jahre wird durch folgende Tabelle illustrirt.
Auch hier macht sich, wie bei allen australischen Colonieen, die dominirende
Stellung Englands bemerkbar. Es ist an der Gesammteinfuhr des Jahres 1889 mit
nicht weniger als 11,414.000 ₤, also nahezu 50 % betheiligt. 6,326.440 ₤ ent-
fielen auf die Einfuhr aus Neusüdwales, 3,800.000 ₤ auf die übrigen englischen Colo-
nieen und nur 3,096.600 ₤ auf andere Länder Von diesem letzten Betrage entfallen
991.000 ₤ auf die Einfuhr aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika, 606.670 ₤
auf Deutschland, 444.000 ₤ auf China, 511.000 ₤ auf Norwegen und Schweden.
[776]Die australischen Gewässer
Von der Ausfuhr des Jahres 1890 gingen rund 7,000.000 ₤ oder 55 % nach
England, circa 4,500.000 ₤ nach den englischen Colonieen (darunter 2,114.000 ₤
allein nach Neusüdwales) und der Rest von 1,100.000 ₤ nach anderen Ländern
und zwar zur Hälfte (597.000 ₤) nach Belgien, 218.000 ₤ nach Deutschland,
153.000 ₤ nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika und für 133.000 ₤ nach
Frankreich.
Das Vorherrschen englischer Sitten und Gebräuche, die Anhänglichkeit an
das Mutterland, bedingt durch den steten Zuzug englischer Auswanderer, nament-
lich aber die durch viele Jahre von England aus besorgte alleinige Verbindung mit
Europa sind genügende Gründe, um die Machtstellung Englands im Handel begreif-
lich erscheinen zu lassen.
Bei Besprechung der Details des Gesammthandels stützen wir uns auf die
officiellen Berichte des Jahres 1889 und beginnen zunächst mit der Einfuhr.
In dem Importe von Victoria spielen die verschiedenen Industrieerzeug-
nisse eine wesentliche Rolle.
Die bedeutendsten Werthe hierunter verzeichnen Textilwaaren, und zwar:
Ferner wurden Kleidungsstücke aller Art im Werthe von 473.984 ₤
eingeführt.
Der Import von Kurz- und Putzwaaren belief sich auf 383.837 ₤, Wirk-
waaren und Handschuhe verzeichneten einen Einfuhrwerth von 267.053 ₤.
Die Einfuhr von Schuhwaaren repräsentirte einen Werth von 149.235 ₤
und die von Hüten und Kappen einen solchen von 129.441 ₤.
Leder und Lederwaaren erscheinen mit der Importziffer von 173.249 ₤.
Erwähnenswerth ist ferner der Import von Möbeln aller Art im Werthe
von 149.738 ₤ (von denen Möbel aus gebogenem Holze für mehr als 10.000 ₤ aus
Oesterreich-Ungarn sind), sowie die Einfuhr von Papierwaaren für 121.861 ₤,
ferner von Kerzen im Werthe von 32.139 ₤.
Sehr bedeutend ist der Einfuhrwerth von Eisen und Stahl im Gewichte
von 119.834 T und im Betrage von 1,002.840 ₤.
Eisen-, Stahl- und Messerschmiedwaaren waren mit einem Werthe
von 267.053 ₤ vertreten.
Für Rechnung der Regierung wurden Eisenbahnschienen im Werthe
von 436.184 ₤ importirt.
Die Einfuhr von Gold (Bargeld ausgeschlossen), die aus den Minen der
Colonieen erfolgte, belief sich auf 503.818 ₤.
Das Thierreich ist in der Einfuhr von Victoria durch Wolle und lebende
Thiere vertreten. Erstere sowohl wie letztere stammen aus den Colonieen, insbeson-
dere aus Neusüdwales.
Die Wolleinfuhr belief sich im Jahre 1889 auf 803.916 Cwts. im Werthe
von 3,595.449 ₤.
Der Import lebender Thiere umfasste 4205 Stück Pferde im Werthe
von 165.367 ₤, 76.373 Stück Hornvieh für 462.869 ₤ und 1,030.462 Stück
Schafe im Werthe von 441.157 ₤.
[777]Melbourne.
Die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Getränken setzt sich zusammen
aus Körnerfrüchten aller Art inclusive Reis und Malz im Werthe von
574.234 ₤, aus Mehl im Werthe von 7001 ₤, ferner aus Zucker und Melasse
im Gewichte von 1,124.286 Cwts. und im Werthe von 992.961 ₤, endlich aus Thee
im Gewichte von 129.835 Cwts. und im Werthe von 596.385 ₤.
Meterlinie. B 5 Meterlinie, C 10 Meterlinie, D Sumpfland, E Bahnhöfe, F Leuchtfeuer, F1 Leucht-
schiff, G Eisenbahn nach Sandhurst und Echuca, H Eisenbahn nach Melbourne und Williamstown,
J Eisenbahn nach Geelong und Ballarat, K Eisenbahn nach Brighton, L Saltwater River, M Stony
Creek, N Carlton-Garten mit Ausstellungsgebäude, O Fitzroy-Garten, P Friendly Society-Garten,
Q Botanischer Garten, R Public-Garten, S Flinders Park, T Yarra Park, U Fawkner Park, V Albert Park
mit Pagode, W Brewery Street, X Universität, Y Gouvernements-Gebäude, Z Sternwarte. — 1 Theater,
2 Armenasyl, 3 Spital, 4 Gaswerke, 5 Friedhöfe, 6 Polizei-Kaserne, 7 Victoria-Kaserne, 8 Batterie,
9 Blinden-Institut, 10 Cricket-Spielplätze, 11 Synagoge, 12 Bank.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 98
[778]Die australischen Gewässer.
An Getränken importirte die Colonie 1889 Bier und Cider für 346.507 ₤,
Spirituosen aller Art für 500.417 ₤ und Wein aller Art für 158.770 ₤.
Die Einfuhr von Tabak und Cigarren belief sich auf 35.864 Cwts. im
Werthe von 370.724 ₤.
Zur Vervollständigung der Importliste sind noch zwei Artikel hervorzuheben,
nämlich Oel und Petroleum im Werthe von 217.265 ₤ und die Einfuhr von
Holz, welche den bedeutenden Werth von 1,390.036 ₤ repräsentirte und sich aus
16,754.308 Stück zusammensetzte. Holz wird meist auf Segelschiffen gebracht.
Der Ausfuhrhandel von Victoria, der sich mit dem von Melbourne bei-
nahe vollständig deckt, besteht zum grössten Theile aus Natur- und Rohproducten.
Wir theilen dieselben in solche des Thier- und des Pflanzenreiches.
Der bedeutendste Exportartikel der ersten Gruppe ist Wolle, welche über
Melbourne nach London verschifft wird. Die Wollausfuhr der letzten Jahre zeigt
folgendes Bild:
- 1889....... 1,356.073 Cwts. im Werthe von 5,928.932 ₤
- 1888....... 1,184.535 „ „ „ „ 5,170.882 „
- 1887....... 1,154.606 „ „ „ „ 5,073.491 „
Wie schon bei der Besprechung von Sydney erwähnt, stammt diese Wolle
theilweise aus Neusüdwales, von wo sie über die Landgrenze nach Victoria und
der leichteren Verschiffung wegen nach Melbourne geführt wird.
Die Ausfuhr von Fellen hat sich in den letzten drei Jahren dem Werthe
nach verdoppelt. Sie stieg von 3,558.034 Stück im Werthe von 104.874 ₤ des
Jahres 1887 auf 5,008.765 Stück im Werthe von 206.960 ₤ des Jahres 1889.
Daneben gelangten 33.689 Stück Häute im Werthe von 25.000 ₤ zur Ausfuhr.
Der Export von unverarbeitetem Leder repräsentirte einen Werth von
209.984 ₤ und der von Talg einen solchen von 149.429 ₤.
An lebenden Thieren exportirte die Colonie im Jahre 1887 584.121
Stück für 529.753 ₤, im Jahre 1888 329.423 Stück für 406.674 ₤, 1889 658.219 Stück
für 538.895 ₤, und die Ausfuhr von conservirtem Fleisch hatte im letzten Jahre
einen Werth von 18.921 ₤.
Das Pflanzenreich ist in der Ausfuhr von Victoria durch folgende Artikel
vertreten:
Mehl zeigt in der Ausfuhr des Jahres 1889 eine Menge von 24.026 T im
Werthe von 319.938 ₤.
Die Weizenausfuhr ist erheblichen Schwankungen ausgesetzt und erfuhr in
den letzten Jahren folgende Veränderungen:
- 1889.............. 10.913 T für 84.064 ₤
- 1888.............. 70.000 „ „ 515.016 „
- 1887.............. 56.482 „ „ 416.487 „
- 1886.............. 21.496 „ „ 166.916 „
Geringere Bedeutung hat der Export von Gerste, welcher im Jahre 1889
nur 275 T (2758 ₤) umfasste.
Der Reexport von Reis und Malz hatte einen Werth von 22.880 ₤.
Bemerkenswerth ist die Ausfuhr von Kartoffeln, welche im Jahre 1889
57.612 ₤ repräsentirte gegen 94.301 ₤ des vorhergehenden Jahres.
Der Export von Zucker weist in den letzten Jahren eine constante Ver-
minderung auf. Im Jahre 1875 erscheint die Zuckerausfuhr mit 322 619 ₤ be-
[779]Melbourne.
werthet, 1880 belief sie sich auf 248.260 ₤, sank 1886 auf 166.059 ₤ und betrug
1889 nur noch 128.256 ₤.
Hervorzuheben ist noch der Export von Butter und Käse im Werthe von
46.409 ₤.
An industriellen Artikeln von einiger Bedeutung können genannt werden
Schuhwaaren im Werthe von 39.402 ₤ und Seife füe 17.422 ₤.
Zum Schlusse heben wir noch die Ausfuhr von Edelmetall hervor, welche
im Jahre 1889 in sich schloss:
In Melbourne befindet sich nämlich eine königliche Münze, welche im Jahre
1872 errichtet wurde. Bis zum 31. December 1889 wurden in derselben
11,268.118 Unzen Gold im Werthe von 45,127.201 ₤ ausgeprägt.
Die industrielle Entwicklung hat in Victoria, besonders in Melbourne,
in der letzten Zeit nennenswerthe Fortschritte gemacht. Namentlich seit der Ein-
führung der hohen Schutzzölle im Jahre 1867 wurden grössere Fabriken errichtet,
um Artikel, welche vorher importirt werden mussten, in der Colonie erzeugen zu
können. Eine Vorstellung von dem Anwachsen der industriellen Etablissements
gewähren folgende Ziffern.
Im Jahre 1868 belief sich die Zahl sämmtlicher Etablissements auf 1106,
im Jahre 1889 auf 2975. Allein viele dieser auf den Schutzzoll aufgebauten Un-
ternehmungen erwiesen sich der hohen Löhne und des geringen Absatzes wegen
nicht als lebensfähig. Bodenständig sind in diesem menschenleeren Lande nur
jene Industrien, welche sich auf die Urproduction Australiens stützen.
Als grössere Fabriksetablissements sind hervorzuheben: 70 Brauereien mit
einer Jahresproduction von 20,051.000 Gall. Bier; 7 Textilwaarenfabriken mit Dampf-
betrieb und 810 Arbeitern, welche über 1 Million Yards verschiedener Tuche und
Flanelle erzeugten; 186 Maschinenfabriken aller Art, 33 Fabriken für Erzeugung
von Seifen und Kerzen mit einer Jahresproduction von 160.000 Cwts. Seife und
50.000 Cwts. Kerzen.
6 Tabakfabriken lieferten im Jahre 1889 10.674 Cwts. Tabak und 14·3
Millionen Cigarren.
In 107 Mühlen, von denen 100 mit Dampf betrieben wurden, wurden im
letzten Jahre 146.828 t Mehl producirt.
Man zählte ferner 18 Malzfabriken, 3 Zuckerraffinerieen, 5 Destillerieen (Sprit),
11 Fabriken für die Erzeugung chemischer Producte etc. etc.
Im Jahre 1889 liefen in den Häfen von Victoria 2855 Schiffe von
2,370.827 Reg.-Tons ein, worunter 424 Schiffe mit 803.585 Reg.-Tons britisch
waren; 1888 liefen 2724 Schiffe mit 2,182.071 Reg.-Tons ein.
Am Zollamte von Melbourne allein klarirten im Jahre 1889 ausschliesslich
der australischen Küstenfahrzeuge ein:
[780]Die australischen Gewässer.
Melbourne stehen in regelmässiger Verbindung mit Europa und Amerika
dieselben Linien zur Verfügung, die auch Sydney anlaufen und die wir hier nur
kurz anführen: Die Peninsular and Oriental Steam Navigation Cy., die Orient and
Pacific Steam Navigation Cy., die Messageries maritimes, der Norddeutsche Lloyd,
die Deutsch-Australische Dampfschiffahrtsgesellschaft zu Hamburg, die Oceanic
Steamship Cy. Die europäische Post gelangt über Adelaide mit der Bahn
hierher.
Ausserdem verkehren zahlreiche Dampfer längs der australischen Küste
nach Osten und Westen und auch nach Tasmanien. Insbesondere versieht die
Adelaide Steamship Cy. einen regen Dienst zwischen Melbourne, Adelaide und
Westaustralien.
Andere Linien, die Melbourne zum Ausgangspunkte haben, sind: Austral-
asian United Steam Navigation Cy., Belfast and Koroit Steam Navigation Cy.,
Melbourne Coal Shipping Cy., Queenscliff Steamboat Cy., Tasmanian Steam Navi-
gation Cy., Union Steamship Cy. of New Zealand, Western Steam Navigation Cy.
Von Melbourne gehen vier Bahnen in das Innere des Landes, und zwar:
- 1. Die Northern Railway (Nordbahn) geht von Melbourne auf eine Entfer-
nung von 156 englischen Meilen bis Eduna. Schnellzüge legen die Strecke in
5¾ Stunden zurück und verkehren zweimal täglich. Diese Linie besitzt zahl-
reiche Zweiglinien. - 2. Die North Eastern Railway (Nordostbahn) von Melbourne nach Wodonga
(187 Meilen). Sie verbindet sich bei Alburg, der Kopfstation von Neusüdwales,
mit der Bahn, die nach Sydney geht. - 3. Die Eastern Railway (Ostbahn) verbindet Melbourne mit der Endstation
Bairnsdale (170¾ englische Meilen). - 4. Die Western Railway (Westbahn) endlich geht von Melbourne nach
Ballarat (74 Meilen) und hat eine ganze Reihe von Zweiglinien. Am 30. Juni 1890
waren 2469¾ Meilen dem Verkehre geöffnet.
Von Cap Shank, das südlich von Melbourne liegt, gehen 2 Kabel nach
Low Head auf Tasmania.
In Melbourne bestehen 43 Banken. Die bedeutendsten derselben sind:
Bank of Australasia, Bank of New South Wales, Commercial Bank of Australia,
London Chartered Bank of Australasia, National Bank of Australia, Royal Bank
of Australia, Union Bank of Australia.
Melbourne ist Sitz einer Handelskammer und einer Börse
Durch Consulate sind daselbst vertreten: Argentinien, Belgien (G.-C.),
Bolivia, Brasilien, Chile, Columbia (G.-C.), Costa Rica (G.-C.), Dänemark (G.-C.),
Deutsches Reich (G.-C.), Frankreich, Griechenland, Hawaïi (G.-C.), Italien, Japan,
Liberia (G.-C.), Niederlande (G.-C.), Oesterreich-Ungarn, Nicaragua (G.-C.), Peru,
Portugal, Russland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien, Spanien, Türkei,
Uruguay, Vereinigte Staaten von Nordamerika (G.-C.).
[[781]]
Sydney.
Ein Reisender, welcher die Welt viel durchwandert hat, sagt
von Sydney: „Es ist mir unmöglich, meinen Lesern die überwältigende
Schönheit des Hafens von Sydney zu schildern. Ich habe nichts Lieb-
licheres gesehen. Weder Neapel noch Rio de Janeiro, noch Lissabon
besitzen eine solche Fülle von Reizen als sich hier vereinigt finden“.
Wenn man die schmale Einfahrt in Port Jackson passirt hat,
zeigt sich auf einmal ein fesselndes Panorama. Die tiefblauen Wogen
heben sich wunderbar von den Ufern und den verschiedenen in der
Bucht befindlichen Inseln ab, die trotz ihrer felsigen Unterlage von
einer üppigen Vegetation bedeckt sind. Tiefe, schmale Buchten dringen
in das Land ein, langgestreckte Landzungen springen dagegen in die
blaue Fluth hinaus, welche von Fahrzeugen aller Art vielfach
durchkreuzt wird. Ein Berichterstatter sagt über Sydney: „Sydney
hat nicht den Charakter amerikanischer Städte, nicht jenen geome-
trischen Charakter, den wir bei anderen australischen Städten ge-
wahren. Sydney ist nicht mit der Eintönigkeit gebaut, welche das
Verfolgen mathematischer Regelmässigkeit mit sich bringt; es gleicht
in seiner Anlage mehr einer älteren europäischen Stadt ohne die
dort unvermeidlichen engen Strassen. Die Pracht und Gediegenheit
seiner Bauten würden den schönsten Hauptstädten Europas zur Ehre
und Zierde gereichen. Seine öffentlichen Gärten, recht eigentlich im
Herzen der Stadt gelegen, namentlich aber der botanische Garten am
Strande des Meeres, sind von ausserordentlicher Schönheit. Hier finden
wir nebeneinander Palmen und Eichen, Jacaranda aus Brasilien neben
Cypressen vom Himalaya, die Damaras der Tropen an der Seite der
Cedern, welche vom Libanon kamen, den unförmlichen Flaschenbaum
neben der californischen Sequoia, die deutsche Haselnuss an der
Seite des ostindischen Zimmtstrauches, kurz die Vegetation aller Zonen
ist hier in ihren charakteristischen Vertretern versammelt. Weiter
draussen in den Vorstädten wandern wir durch ganze Strassen mit
[782]Die australischen Gewässer.
reizenden Cottages, umrankt von blumigen Gewinden inmitten lieb-
licher Gärten oder vorüber an den anspruchsvolleren Villen reicher
Kaufleute und Schafbarone, deren Equipagen oder Yachten ihre
Besitzer allabendlich in diese glückliche Zurückgezogenheit tragen.
Namentlich ist es die letztere Art, welche man in Sydney liebt, und
nicht nur an den häufigen Festtagen bedeckt sich die Fläche von
Port Jackson mit den zahlreichen bewimpelten Booten der Ver-
gnügungssucher, auch in die gewöhnliche Arbeitszeit der Woche
wird wohl eine Lücke durch die beliebten Picknickpartieen gerissen,
die sich gerne zusammenthun, um von dem Strande die Austern zum
gemeinschaftlichen Mahle zu sammeln.“
Sydney führt seinen Namen nach dem Staatssecretär Viscount
Sydney, welcher die erste Anregung zur Gründung dieser Colonie in
Neusüdwales gab.
Der Hafen Sydneys, Port Jackson, der geräumigste und sicherste
Australiens, könnte alle Kriegsflotten Europas beherbergen; auch ist er
nicht nur bei Tag, sondern, Dank sehr gut gewählter Leucht- und Hafen-
feuer, auch bei Nacht ziemlich leicht zugänglich. Es besteht übrigens die
streng beachtete Vorschrift, dass Dampfer innerhalb des Hafens nur
mit nicht mehr als sechs Seemeilen Fahrt laufen dürfen. An der Einfahrt
(Watson Bay) sind immer Lootsen und ein Lifeboat, eventuell auch
Schleppdampfer für Segelschiffe bereit. Kriegsschiffe ankern zumeist
in dem Farm Cove benannten Einschnitt, wo auch Bojen (für
britische Kriegsschiffe) liegen, und in dem Theile des Hafens
zwischen Fort Macquarie und Garven Island, wo sich Dépôts und
Werkstätten für Gouvernementsschiffe befinden. Handelsschiffe bis zu
9 m Tiefgang legen an den Ufern an, und werden die bezüglichen
Anlegestellen vom Hafenamte zugewiesen.
Sehr tief (über 9 m) tauchende Schiffe können der in der Ein-
fahrt befindlichen Untiefen wegen nur bei ruhigem Wetter ein- oder
auslaufen.
Sydney besteht aus der eigentlichen Stadt und einer grossen
Anzahl von Vororten, welche zwar selbständige Municipien bilden,
jedoch mit dem Leben und Treiben der Stadt, als ihres festen Kernes,
auf das innigste verbunden sind. Die Bevölkerung der Stadt mit
den Vororten beläuft sich bereits auf die stattliche Ziffer (1891) von
386.400 Einwohnern, während 1800 kaum 2600 Einwohner vor-
handen waren.
Die Stadt entwickelt sich zunächst von der Sydney Cove ge-
nannten Einbuchtung aus, welche zugleich den Centralpunkt des
[783]Sydney.
Hafens bildet. An den beiden Landspitzen dieser Bucht liegt östlich
das Fort Macquarie und westlich die Batterie von Dawes Point.
Breite Quaianlagen umrahmen die Bucht, verschiedene Molen dienen
daselbst dem Verkehre der Schiffe. Hier legen auch die grossen Post-
dampfer an, deren Gesellschaften über eigene, meist wohl ausgestattete
Landungsplätze verfügen.
Oestlich vom Fort Macquarie sind noch zwei weitere Buchten,
an welche die Stadt heranreicht. Zunächst Farm Cove, wo der schon
vorher erwähnte botanische Garten liegt und weiter die besonders
reizende Woolloomooloo Bay. Westlich von Dawes Point dagegen
zieht sich das Ufer bis Miller Point hin, und sodann folgt in süd-
licher Richtung ein tief einschneidendes Becken, Darling Harbour,
an dessen beiden Seiten städtische Anlagen und Baulichkeiten sich
entwickeln.
Die Ufer von Darling Harbour sind zumeist mit Quais und An-
legestellen für den Schiffsverkehr versehen.
Ein Trockendock (in welchem 1858 Sr. Maj. Fregatte Novara
gedockt wurde) befindet sich auf Cockatoo Island, wo auch noch
ein zweites grösseres im Baue ist. Ueberdies befinden sich in Sydney
noch zwei Balancedocks und drei Aufschlepphellinge (Slips).
Schon ihre vielgegliederte Gestaltung gibt der Stadt einen
ebenso belebten als freundlichen Anstrich. Die Vororte befinden sich
theils im Süden der Stadt landeinwärts, theils der See entlang an
den sehr zahlreichen Buchten von Port Jackson.
Die Stadt enthält mehrere sehr stattliche Strassen, von denen
insbesondere George Street, welche von Dawes Point in gerader
Richtung durch die ganze Stadt südwärts führt, ferner die Pitt,
Market, King und Theatre Street Erwähnung verdienen. Schöne,
durchweg aus Sandstein errichtete Gebäude sind in reichlicher Zahl
vorhanden. Wir nennen darunter die im gothischen Style gehaltene
Sydney Universität, welche eine grossartige Halle in sich schliesst,
wie eine solche kaum in ähnlichen Anstalten des britischen Mutterlandes
gefunden wird. Das Universitätsgebäude ist ringsum von einem schönen
Garten (Victoria Park) umgeben und hat den obligaten Cricket-
Ground. Gleichfalls im gothischen Style ist die Sanct Andreas-Kathe
drale in George Street gehalten. Durch Feinheit der Ausführung
zeichnet sich ferner die erst in neuerer Zeit vollendete jüdische
Synagoge aus, ein Repräsentant byzantinischer Bauart. Als gewaltige
Bauwerke stellen sich fernerhin die Government Offices und das
Crown Land Office dar; ersteres birgt verschiedene Centralbehörden
[784]Die australischen Gewässer.
der Colonie und im letzteren ist die wichtige Verwaltung der Staats-
ländereien untergebracht. Unter den Kirchen verdienen noch die
wegen Brandes neugebaute katholische Marienkirche, dann St. Patrick,
St. John und St. Philip Erwähnung. Im Ganzen zählt Sydney
200 Gebäude für kirchliche Zwecke der sehr zahlreich vertretenen
Confessionen.
Reinen Tudorstyl zeigt das Palais des Gouverneurs, welches
eine schöne Aussicht auf Farm Cove und den botanischen Garten ge-
niesst. In dessen Nähe lag das sogenannte Gartenpalais, in welchem
die grosse Ausstellung von 1879 stattfand, das aber einige Jahre
darauf einem gewaltigen Brande zum Opfer fiel, wobei viele werth-
volle Sammlungen vernichtet wurden.
Sydney besitzt drei grosse öffentliche Bibliotheken.
Gut untergebracht sind die zahlreichen Bankinstitute, über
welche man in Sydney verfügt. Sie haben sich ihre Behausungen in
allen möglichen Stylarten und zumeist mit bedeutendem Aufwande
hergestellt. Es gehören hieher die New South Wales-, die Commer-
cial-, die Australian Joint Stock-, die City-, die English and Scottish,
die Australasian, die London Chartered, die Oriental, die Mercantile,
die Neuseeland-, die Queensland National-, die Federal und die
Australian Commercialbank. Ein eigenes schönes Palais besitzt auch
die Australian Mutual Provident Society, eine Versicherungsanstalt,
und ebenso verfügen mehrere in Sydney erscheinende Journale über
eigene mit allen modernen Erfordernissen ausgestattete Etablissements,
so der Sydney Morning Herald, welches Blatt nicht ganz mit Un-
recht die „Times“ des australischen Continentes genannt wird.
Hervorragend sind ferner eine Anzahl stattlicher, im Besitz grosser
Kaufherren befindlicher Waarenhäuser in verschiedenen Theilen der
Stadt, unter denen insbesondere einige Wollmagazine sich sowohl
durch ihr gefälliges Aeussere als auch durch die praktische Ein-
richtung der inneren Manipulation auszeichnen. In diesen verschiedenen
Waarenhäusern lagern ganz riesige Quantitäten und geben Zeugniss von
der colossalen Production des australischen Continentes und der Thä-
tigkeit seiner Bewohner.
Zwischen George und Pitt Street erhebt sich das Postgebäude
(Post Office.) Es ist im Venetianer Styl gehalten, durch Säulenhallen
an beiden Seiten geziert und von einem Thurme überragt, welcher
eine Höhe von 77 Metern erreicht. Dieser Bau wurde mit einem Auf-
wande von vier Millionen Gulden hergestellt. Ein ebenso imposantes
Bauwerk ist das neue Stadthaus (Town Hall), dessen grosse Halle
[[785]]
Sydney.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 99
[786]Die australischen Gewässer.
einen Flächenraum von 1300 Quadratmetern umfasst und für die Ver-
sammlung von 5000 Personen Raum hat.
Unter den öffentlichen Gebäuden sind noch das Museum in der
Nähe von Hyde Park, das Parlamentshaus, das Prinz Albert Hospital,
das Zollamt, die Münze, die Sternwarte (in 33° 51′ 41″ südlicher
Breite und 151° 12′ 23″ östlicher Länge v. Gr.) zu nennen. Hiebei
ist gar nicht der vielen Privatgebäude gedacht, unter denen nament-
lich die Villen in den Vororten sich durch Eleganz der Ausstattung
und prachtvolle Gartenanlagen auszeichnen.
Für das Vergnügen wird durch sechs Theater gesorgt; es sind
dies das Royal, Her Majesty’s, Gaiety, Criterion, Opera House und
Royal Standard-Theatre. Es mag einen Beweis für die theatralische Ent-
wicklung der Stadt bilden, dass hier regelmässig englische Gesell-
schaften und italienische Sänger ihre Stagione haben, dass aber selbst
für französische Celebritäten eine Kunstreise zu diesen Antipoden
lucrativ erscheint. Ebenso dienen dem Vergnügen wie der erfri-
schenden Erholung die schönen Parkanlagen in den verschiedenen
Theilen der Stadt, eine wahre Zierde von Sydney. Wir haben
schon früher des botanischen Gartens gedacht. Eine grosse An-
lage ist auch der Hyde Park fast im Centrum der Stadt, dann
die sogenannte Domain gegen die Farm Cove zu, Prinz Alfred Park,
Belmont Park und andere mehr (darunter auch ein Leichhardt Park).
In jüngster Zeit ist eine grossartige Parkanlage am östlichen Ende
der Stadt zwischen den Vororten Waverley und Randwick in der
Ausführung begriffen. In diesem Parke ist auch ein grosses museum-
artiges Prachtgebäude, das sogenannte Hate House projectirt. Im Hyde
Park erhebt sich eine Statue des Prinzen Albert. Statuen sind in Sydney
auch der Königin Victoria und in dankbarer Erinnerung dem Capitän
Cook gewidmet.
Die Strassen von Sydney sind gut gehalten, in der Regel breit
angelegt, mit Holz gepflastert und theils noch mit Gas, theils aber
schon mit elektrischem Lichte beleuchtet. Die Wasserversorgung der
Stadt ist eine entsprechende, doch ist man noch immer mit der Ver-
vollständigung der bezüglichen Anlagen und Einrichtungen beschäftigt.
An Humanitätsanstalten aller Art leidet Sydney keinen Mangel.
Abgesehen von zahlreichen und gut eingerichteten Spitälern gibt es
eigene Institute für Blinde, Taube und Geisteskranke, Kinderasyle
u. s. w.
Als Verkehrsmittel dienen zu Lande Pferde- und Dampftram-
bahnen, Omnibusse aller Art und Cabs nach Londoner Brauch, ausser-
[787]Sydney.
dem durchkreuzen zahlreiche Fährboote (Dampfer) die Bucht von Port
Jackson, um die Verbindung mit den verschiedenen Vororten auf-
recht zu erhalten. Die Zahl dieser Vororte ist eine sehr bedeutende.
Zu den Vororten zählt auch Botany an der südlich von Port
Jackson gelegenen Botany Bay, allwo bekanntlich die ersten Sträflinge
landeten und sich niederliessen. Doch fand man bald Port Jackson
in jeder Beziehung günstiger gelegen und sah sich veranlasst, die
Colonie dorthin zu verlegen.
Das industrielle Leben von Sydney tritt uns in dessen ver-
schiedenen Fabriksanlagen entgegen. Wir finden sehr grossartige
Etablissements, welche viele Hunderte von Arbeitern beschäftigen,
insbesondere in Lederwaaren, Kleidern und Kutschen aller Art, dann
für Schiffbau und technische Einrichtungen. Es werden hier für die
Eisenbahnen des Landes sowohl Maschinen und Waggons gebaut,
als auch die Schienen hergestellt. Und all’ diese Entwicklung, welche
viele gleich grosse Städte Europas weit zurück lässt, auf einem Punkte
der Erde, welcher 20.000 Seemeilen vom Cultur-Centrum Europa ent-
fernt ist, und wo vor hundert Jahren einige Segeltuchzelte die
Gründung der ersten australischen Stadt symbolisirten!
Bevor wir auf die Besprechung des Handelsverkehres von Sydney ein-
gehen, dürfte es von Interesse sein, die Bedeutung dieses Hafens für den ge-
sammten Handel von Neusüdwales festzustellen. Es wird dies aus den folgenden
statistischen Aufzeichnungen am leichtesten ersichtlich sein.
Im Jahre 1890 bezifferte sich der Aussenhandel von Neusüdwales auf
43,295.381 ₤. Hievon entfielen 21,370.039 ₤ auf den Import und 21,925.342 ₤
auf den Export. Nahezu 80 % der Einfuhr mit einem Werthe von 16,566.893 ₤
nahmen ihren Weg über Sydney, während von der Gesammtausfuhr rund 55 % im
Werthe von 12,571.535 ₤ durch Sydney besorgt wurden.
Der Handel von Neusüdwales hat gegen das vorhergehende Jahr eine Ab-
nahme erfahren, ist aber höher, als in den Jahren 1888 und 1887, deren Resultat
nachstehende Tabelle veranschaulicht.
Es belief sich der
Die Betheiligung der verschiedenen Länder an dem Aussenhandel von Neu-
südwales geht aus folgender Aufstellung hervor:
An den oben erwähnten Werthen participirten im Jahre 1890 in der
[788]Die australischen Gewässer.
Man ersieht hieraus die dominirende Stellung Englands im Handel dieser
Colonie, welche in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass die gesammte
Cultur und Civilisation aus England stammt. Die Häuser und Wohnungen werden
denen des Mutterlandes nachgebaut, der Ackerbau wird hier wie dort mit denselben
Geräthschaften betrieben, Wagen, Geschirre und alle anderen Bedarfsartikel werden
den heimischen Modellen nachgebildet. Alles, was aus dem Mutterlande kommt,
wird ohne Besinnen gern angenommen und als ausschliesslich massgebend
betrachtet.
Für die Ausfuhr der in der Colonie erzeugten Rohwaaren bildet andererseits
London den Hauptstapelplatz in Europa.
Die übrigen australischen Colonieen sind an dem Handel von Neusüdwales
mit 40 % der Einfuhr und 45 % der Ausfuhr betheiligt. So werden von Victoria
vornehmlich Getreide, Früchte, Heu, Gemüse, Butter und landwirthschaftliche
Geräthschaften eingeführt. Die Hauptausfuhr nach Victoria besteht in Wolle, die
der vorhandenen Wasserwege halber nach Melbourne als Transithafen verschifft
wird. In den letzten Jahren hat der Werth dieser Ausfuhr regelmässig 2 Mill. ₤
überstiegen. Ein anderer wichtiger Artikel, der nach Victoria geführt wird, ist
Schlachtvieh im Durchschnittswerthe von mehr als 1½ Mill. ₤ ½ Mill. ₤
betrug jährlich der Export von Neusüdwales-Kohlen nach Victoria.
Aus Queensland wird hauptsächlich Gold importirt, welches der Münze
in Sydney zur Prägung zugeführt wird. Im Jahre 1889 betrug diese Einfuhr
2¾ Mill. ₤.
Die anderen Importe aus Queensland, bestehend in Rohzucker, Wolle (zur
Ausfuhr), Zinn, conservirtem Fleisch, Talg und Häuten, übersteigen jährlich den
Gesammtwerth von 3½ Mill. ₤.
Die Ausfuhr nach Queensland wird auf circa 2 Mill. ₤ bewerthet.
Der Handel mit Südaustralien wird mit 1½ Mill. ₤ angegeben. Haupt-
artikel der Ausfuhr bildet auch hier Wolle, die nach Adelaide der bequemeren
Verschiffung wegen ausgeführt wird, während aus dem Brokenhill-Bezirke zumeist
Erze eingeführt werden.
Der Werth des Handels mit Tasmanien beziffert sich auf 6—700.000 ₤
jährlich.
Die nachstehende Uebersicht über die Werthe der Einfuhr und Ausfuhr im
Hafen von Sydney in den einzelnen Monaten des Jahres 1890 gibt ein anschau-
liches Bild von dem Gange des Handelsverkehres:
Legende zum Plan von Sydney.
A Einfahrt nach Sydney, B Spectacle- und Schnapper-Insel, C Iron Cove, D Coat-Insel, E Johnstones
Bay, F Leuchtfeuer, G Blackwattle Bay, H White Bay, J Elisabeth Bay, K Darling Bay, L Berrys Bay,
M Lavender Bay, N Cockatoo-Insel, O Mossmans Bay, P Double Bay, Q Clarke-Insel, R Rushcutter Bay,
S Wooloomoolo Bay, T See-Arsenal, U Farm Cove, V Sydney Cove, W Wettrennplatz, X Irrenhaus,
Y Sternwarte, Z Gouvernements-Gebäude. — 1 Morts Dock, 2 Watterview Bay, 3 St. Maria-Kirche,
4 Friedhof, 5 Wentworth Park, 6 Hyde Park, 7 Albert Park, 8 Universität, 9 Belmore Park, 10 Parla-
ments-Gebäude, 11 Botanischer Garten, 12 National-Kunst-Gallerie, 13 Gefängniss, 14 More Park,
15 Rushcutter Bay Park, 16 Victoria-Caserne, 17 Wasserreservoir, 18 Admiralat, 19 Lyons Road,
20 Barling Street, 21 Montague Str., 22 Darling Str., 23 Annandale Str., 24 Parramatta Road, 25 Bahn-
hof, 26 Mount Renny, 27 Cleveland Str., 28 James Str., 29 Pyrmont Str., 30 Pyrmont-Brücke, 31 Sussen
Str., 32 Kent Str., 33 Pitt Str., 34 Liverpool Str., 35 William Str., 36 Phillip Str., 37 Dawling Str.,
38 Randwick Str., 39 South Head Str., 40 Mitschell Str., 41 New South Head Str., 42 Gregory Str.,
43 Waverly Str., 44 Bishopcourt Str., 45 Runerband Str., 46 Barker Str., 47 Birrell Str., 48 Upper
Victoria Str., 49 Bellevue Str., 50 Edgecliff Str., 51 Macleat Str., 52 Waterloo-Teich.
[[789]]
(Legende siehe auf Seite 788.)
[790]Die australischen Gewässer.
Um die Handelsbewegung von Sydney im Speciellen kennen zu lernen,
müssen wir auf den Verkehr des Jahres 1889 zurückgreifen. Es wird bei dieser
Besprechung auf die Gesammt-Ein- und Ausfuhr der Colonie hingewiesen werden,
damit man in den Stand gesetzt sei, die Bedeutung Sydneys für den Handel von
Neusüdwales zu beurtheilen.
Industrielle Erzeugnisse aller Art bilden den Hauptantheil der Einfuhr
von Sydney. Im Jahre 1889 importirte Sydney für 2,164.206 ₤ Manufactur-
waaren und für 1,046.146 ₤ Kleider nebst Zubehör (die correspondirenden
Ziffern des Importes der ganzen Colonie waren 2,440.000 ₤ und 1,218.696 ₤).
In Schuhen besorgte Sydney den ganzen Import im Werthe von 584.518 ₤.
Ebenso deckt sich der Import Sydneys an Eisenwaaren im Werthe von
823.000 ₤ und an Maschinen im Werthe von 462.767 ₤ mit dem der ganzen Colonie.
Die Einfuhr von Zinn und Zinnwaaren belief sich auf 184.000 ₤, die von
Eisen und Stahl auf 151.000 ₤, von Gold- und Silberwaaren auf 150.000 ₤,
Waffen und Munition auf 160.000 ₤, von Eisenbahnmaterialien auf 98.000 ₤.
Sydney importirte ferner Bücher und Zeitungen für 182.369 ₤, Papiere
aller Art für 128.643 ₤, gegen 174.885 ₤ der ganzen Colonie, während alle hier
folgenden Waaren nur über Sydney eingeführt wurden, und zwar:
- Spielwaaren ....... für 156.185 ₤
- Claviere ......... „ 98.803 „
- Uhren .......... „ 84.881 „
- Schreibmaterialien ... „ 148.370 „
- Hüte und Kappen ... „ 158.000 „
- Kerzen ......... „ 55.745 „
- Oeltuch und Linoleum „ 55.000 „
- Möbel.......... für 197.114 ₤
- Eiserne Betten .... „ 60.955 „
- Drogu. u. Apothekerw. „ 188.025 „
- Porzellan- u. Thonwaar. „ 144.815 „
- Glaswaaren....... „ 96.000 „
- Handschuhe ...... „ 93.422 „
In der Gruppe der Nahrungs- und Genussmittel verzeichnete Sydney im
Jahre 1889 einen Import an
Diese Werthe repräsentiren die Einfuhr der ganzen Colonie.
Sydney importirte ferner im gleichen Zeitabschnitte Tabak für 105.000 ₤
und Cigarren für 90.393 ₤.
Einen wichtigen Artikel der Einfuhr bildete ferner Holz mit einem Werthe
von 407.000 ₤ und Cement im Werthe von 118.712 ₤.
Die wichtigsten Artikel, welche die Colonie Neusüdwales nicht über Sydney,
sondern zumeist auf dem Landwege importirte, sind Gold für 2,880.900, Wolle
für 330.000 und Schafe (lebend) für 416.935 ₤.
Ueber die Ausfuhr von Sydney liegen uns leider keine ausführlichen
Daten vor, es soll daher im Folgenden der Export von Neusüdwales behandelt
und, soweit es möglich ist, die Theilnahme von Sydney an demselben festgestellt
werden.
Als der wichtigste Ausfuhrartikel von Neusüdwales ist Wolle anzusehen.
Deren Export bezifferte sich im Jahre 1889 auf 2,662.290 Cwts. im Werthe von
10,785.070 ₤. 60 % dieser Ausfuhr nahmen ihren Weg über Sydney, welches
412.661 Ballen verschiffte, während 144.290 Ballen über die Landesgrenze nach
Victoria und 59.636 Ballen nach Südaustralien gingen. Die Wollausfuhr von
Neusüdwales beträgt so viel, wie die aller übrigen australischen Colonien zu-
sammengenommen.
Der weitaus grössere Theil dieser Ausfuhr, nämlich 357.546 Ballen, wurden
nach London, als dem eigentlichen Marktplatz für australische Wolle, versandt.
Da Wolle den bedeutendsten und werthvollsten Exportartikel von Australien
bildet, dürfte es von Interesse sein, an dieser Stelle in übersichtlicher Form nicht
allein die Theilnahme der einzelnen Colonien an dieser Ausfuhr zu beleuchten,
sondern die bedeutendsten Absatzgebiete für diesen Artikel kennen zu lernen.
Die Gesammtausfuhr Australiens an Wolle bewerthete sich im Jahre 1889
auf 26,244.269 ₤. Davon betrug die eigene Production der Colonie 21,305.634 ₤.
An dieser Ausfuhr waren die einzelnen Colonien in folgender Weise be-
theiligt:
- Neusüdwales ........... mit 10,785.070 ₤
- Victoria ............. „ 5,928.847 „
- Queensland ............ „ 2,680.134 „
- Südaustralien ........... „ 2,194.701 „
- Westaustralien .......... „ 395.904 „
- Tasmanien ............ „ 283.237 „
- Neuseeland ............ „ 3,976.376 „
- Zusammen 26,244.269 ₤
Davon wurden verschifft nach:
- Grossbritannien ......... für 18,840.978 ₤
- Belgien .............. „ 1,407.568 „
- Deutschland ........... „ 714.402 „
- Frankreich ............ „ 172.723 „
- allen anderen Staaten ..... „ 5,108.598 „
Ueberhaupt hat sich der Wollhandel während der letzten Jahre wesentlich
geändert. Während früher die australische Wolle beinahe ausschliesslich in Con-
signation nach London ging, um da im Auctionswege verkauft zu werden, er-
scheinen jetzt die Käufer selbst in Australien und treten mit den Producenten
[792]Die australischen Gewässer.
direct in Fühlung. Thatsächlich gingen im letzten Jahre bereits drei Siebentel
des ganzen Wollvorrathes schon in Australien in feste Hände über.
An Häuten und Fellen exportirte Neusüdwales für 384.345 ₤, wovon der
grössere Theil (136.000 Stück) über Sydney ging.
Der Export in Talg der ganzen Colonie belief sich auf 186.291 Cwts. im
Werthe von 201.712 ₤ (23.637 Fass gingen über Sydney).
Unverarbeitetes Leder wurde im Werthe von 168.712 ₤ exportirt.
Neusüdwales verzeichnet ferner einen lebhaften Export an lebenden Thieren,
der zumeist über die Landesgrenze erfolgt und 1889 sich auf 3385 Pferde (für
143.364 ₤), 82.771 Stück Schlachtvieh (für 516.009 ₤) und 1,217.325 Schafe
(500.740 ₤) erstreckte.
Dagegen geht die Ausfuhr von frischem und conservirtem Fleisch,
dessen Ausfuhrwerth sich im Jahre 1889 auf rund 100.000 ₤ belief, ausschliess-
lich über Sydney. Namentlich aber hat die Ausfuhr von gefrorenem oder in
Kühlräumen verschifftem Fleisch sehr bedeutende Fortschritte zu verzeichnen.
Seit langen Jahren wurden in dieser Richtung Anstrengungen gemacht, bis
neuerdings die Schwierigkeiten sowohl auf dem Lande, wie bei den Schiffsein-
richtungen überwunden wurden. Nachdem sowohl die Peninsular als die Orient
Line auf ihren Postschiffen die nothwendigen Einrichtungen getroffen haben, das
Fleisch in frischem Zustande zu transportiren, ist man gegenwärtig im Stande,
in gewissen Monaten wöchentlich 5000 bis 7500 Hammel und ausserdem eine
gewisse Quantität Rindfleisch nach London zu senden. Der Preis des Hammel-
fleisches stellt sich gegenwärtig in London auf 4 d per Pfund, wovon 2½ d auf
die Verschiffungs-, Transport-, Auslade-, Verkaufs- und Generalkosten entfallen.
Man ist zur Zeit in Sydney damit beschäftigt, durch einen daselbst zu erbauenden
Kühlraum und durch Anschaffung entsprechender Eisenbahnwaggons im Inlande
geschlachtetes Vieh in gutem Zustande auf den Markt zu liefern. Die Kälte-
erzeugung soll theils durch Eis, theils durch comprimirte Luft bewirkt werden.
Der Hauptantheil an der Ausfuhr von conservirtem Fleisch fällt der „Syd-
ney Meat Preserving Cy.“ zu, die in der letzten Hälfte des vorigen Jahres
bereits 177.211 Schafe und 796 Rinder verarbeitete, bezw. deren Fleisch in gefro-
renem Zustande versandte.
In ähnlicher Weise wird jetzt auch der Export von frischer Butter von
Sydney aus in entsprechend abgekühlten Schiffsräumen nach London vorgenommen,
wo für erste Qualität solcher Butter 1 sh. per Pfund bezahlt wird. Die Ausfuhr
belief sich 1889 auf 142 T und 1890 schon auf 250 T.
Der Export von Zinn und Kupfer erfolgt zumeist über Sydney, welches im
Jahre 1889 120.942 Cwts. Kupfer im Werthe von 301.266 ₤ und 95.000 Cwts.
Zinn im Werthe von 435.167 ₤ verschiffte.
Sehr bedeutend ist die Goldausfuhr von Neusüdwales. Dieselbe umfasste
1889 842 Kisten Gold (gemünzt) für 3,157.965 ₤ und in Barren für 44.649 ₤.
Davon gingen für 2,928.805 ₤ von ersterem und für 39.945 ₤ von letzterem, also
mehr als 90 % über Sydney. Ausserdem exportirte dieses für 84.484 ₤ Silber.
Einen weiteren wichtigen Ausfuhrartikel der Colonie bildet Kohle. Deren
Ausfuhr betrug 1889 2,397.261 T für 1,334.154 ₤, welche zumeist in den nörd-
lichen Bezirken gewonnen wird und über Newcastle ins Ausland geht.
[793]Sydney.
Das Pflanzenreich war 1889 in der Ausfuhr von Neusüdwales durch folgende
Artikel vertreten:
- Weizen u. Mais im Werthe von 58.733 ₤
- Mehl ..... „ „ „ 201.014 „
- Zucker .... „ „ „ 90.000 „
- Thee ..... im Werthe von 35.889 ₤
- Tabak .... „ „ „ 73.776 „
An industrieellen Erzeugnissen exportirte die Colonie (zumeist über Sydney)
im Wege des Reexportes Manufacturwaaren und Kleider für 325.357 ₤ und
Eisen- und Stahlwaaren für 75.459 ₤.
Sydney ist der Sitz einer nennenswerthen Industrie, welche sich in man-
chen Artikeln den Importeuren bereits fühlbar macht. Es befindet sich daselbst
eine Anzahl grosser und mächtiger Maschinenfabriken, in welchen Maschinen
und Bestandtheile aller Art, auch Locomotiven für die Regierungsbahnen erzeugt
werden.
Sydney besitzt über 100 Etablissements für die Erzeugung von Kleidern
aller Art, in deren jedem 50 bis 400 Arbeiter beschäftigt sind.
Eine grosse Schuhfabrik gibt 350 Arbeitern Beschäftigung.
Drei Dampfmühlen sind daselbst im Betriebe, deren grösste 250 Menschen
Arbeit gibt.
Die Wagenfabrication wird in ausgedehntem Masse betrieben.
Ueber die industrielle Thätigkeit in Neusüdwales gibt uns die officielle
Statistik folgendes interessante Bild:
Im Jahre 1889 waren im Lande 101 Dampfmühlen mit 2611 Pferdekräften
im Betriebe.
Die Gesammtzahl aller industriellen Etablissements belief sich auf 2926
und beschäftigte 44.989 Personen. Von dieser Zahl befassten sich 175 Fabriken mit
der Verarbeitung von Rohstoffen im Interesse der Landwirthschaft, 639 Etablisse-
ments dienten der Herstellung von Nahrungsmitteln und Getränken, 114 erzeugten
Textilwaaren, 313 waren Maschinenfabriken und Eisenwerke, 61 dienten dem Schiffbau,
124 waren Möbelfabriken, 285 betrieben die Erzeugung von Wagen und Sattler-
waaren, 30 Seifen- und Kerzenfabriken producirten 164.800 Cwts. Seife und
23.884 Cwts. Kerzen.
In 10 Tabakfabriken wurden 1,971.394 Cwts. Tabak erzeugt.
38 mit Dampfbetrieb eingerichtete Zuckerfabriken producirten 380.520 Cwts.
Zucker und 494.145 Gall. Melasse, und eine einzige Zuckerraffinerie erzeugte
600.000 Cwts. raffinirten Zucker.
In 76 Brauereien wurden 9,515.200 Gall. verschiedener Biere erzeugt, welche
80 % des gesammten inländischen Bedarfes deckten.
Von 59 Fabriken wurden 2,196.815 Paar Schuhe und Stiefel fertiggestellt.
Angesichts dieser sicherlich bedeutenden Entwicklung der ansässigen In-
dustrie mag aber denn doch constatirt werden, dass kein Industriezweig in Austra-
lien so weit vorgeschritten ist, um den Import überflüssig erscheinen zu lassen.
Der gesammte Schiffsverkehr erreichte im Hafen von Sydney 1889 im
Einlaufe allein 2256 Dampfer mit 1,870.282 T und 998 Segler mit 761.799 T, zu-
sammen 3254 Schiffe mit 2,632.081 T; der Verkehr von Schiffen grosser Fahrt
allein im selben Jahre 1832 Schiffe mit 2,431.101 T im Einlaufe, 1666 Schiffe mit
2,217.200 T im Auslaufe, zusammen 3498 Schiffe mit 4,748.301 T, 1888 im Ganzen
3522 Schiffe mit 4,527.760 T.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 100
[794]Die australischen Gewässer.
Von diesem Verkehre entfällt auf den Kohlenhafen Newcastle ein bedeu-
tender Antheil.
Schiffsgesellschaften, welche einen regelmässigen Verkehr zwischen Sydney
und den Ländern ausser dem Festlande von Australien unterhalten und den Post-
dienst besorgen, sind:
- 1. Die Peninsular and Oriental Steam Navigation Cy.
- 2. Die Orient and Pacific Steam Navigation Cy. (Orient Line), deren Schiffe
wöchentlich von London abgehen und abwechselnd über Neapel oder Brindisi, Aden
oder Colombo, Adelaide, Melbourne und Sydney anlaufen. - 3. Die Messageries maritimes, welche einmal monatlich von Marseille über
Aden nach Albany, Adelaide, Melbourne und Sydney und von da weiter nach Noumea
(Neucaledonien) gehen. - 4. Der Norddeutsche Lloyd verkehrt einmal monatlich von Bremen über
Antwerpen, Genua, Port Said, Aden, Colombo nach Adelaide, Melbourne und
Sydney; er betreibt eine Zweiglinie von Sydney nach den Samoa Inseln. - 5. Die Deutsch-Australische Dampfschifffahrtgesellschaft lässt alle drei
Wochen ein Schiff von Hamburg über Antwerpen nach den genannten australischen
Häfen laufen. - 6. Die Oceanic Steamship Cy. stellt die Verbindung von Sydney mit San
Francisco über Auckland und Honolulu in vierwöchentlichen Fahrten her. - 7. Die Union Steamship Cy. of New Zealand geht wöchentlich von Melbourne
über eine Reihe australischer Häfen nach Sydney. - 8. Die Australasian United Steam Navigation Cy. verbindet Sydney mit
Melbourne und Brisbane, den Fidschi-Inseln und Noumea.
Ausserdem gibt es eine Reihe von Schiffahrtgesellschaften, welche den Verkehr
der Häfen der australischen Colonieen untereinander im Anschlusse an die trans-
oceanischen Linien besorgen. Die wichtigsten derselben, welche Sydney regel-
mässig anlaufen, sind die Tasmanian Steamship Cy., Manly Beach Steamship Cy.,
Shellharbour Steamship Cy., Bulli Coal Cy., Newcastle Steamship Cy.
Von Sydney gehen drei Bahnlinien in das Innere des Landes. Die Südbahn
(Southern Line) geht von Sydney bis Albury (387 englische Meilen). Bei Junce
zweigt sie ab nach Südwest und endet bei Hay (454 Meilen). Die Westbahn,
die längste Eisenbahn von Australien (Western Line), geht von Sydney nach Bourke
und die Nordbahn (Northern Line) endet an der Grenze von Queensland. Am
30. Juni 1890 umfasste das Bahnnetz in Neusüdwales 2182 englische Meilen.
Von Sydney gehen 2 Kabel nach Nelson an der Nordküste der Südinsel
von Neuseeland.
Sydney ist Sitz einer Handelskammer, einer Börse und von 17 grossen
Bankinstituten, welche im Jahre 1889 Dividenden zwischen 6 und 25 % be-
zahlten.
Durch Consulate sind in Sydney vertreten: Argentinien, Belgien, Chile,
Costa Rica, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich (G.-C.), Hawaïi (G.-C.), Italien,
Japan, Liberia, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Persien, Peru, Portugal, Russ-
land, San Salvador, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Vereinigte Staaten
von Nordamerika.
[[795]]
Brisbane.
Die nördliche Küste des australischen Continentes ist noch am
wenigsten für culturelle Zwecke gewonnen, sie harrt noch auf ihre
Zeit. Allerdings aber ist das ganze Territorium von der britischen Krone
in Besitz genommen und in die einzelnen Colonialgebiete eingereiht.
Es gehört theils zu Westaustralien, theils zu dem sogenannten Nord-
territorium von Südaustralien, theils endlich zu Queensland.
Letztere Colonie umfasst den nordöstlichen Theil des Continentes
und damit zugleich die nördliche Hälfte der Ostküste. Queensland
hat sich ebenso wie die anderen Colonien von Neusüdwales
abgelöst.
Um die Entdeckung und Erforschung eines guten Theiles des heutigen
Küstengebietes von Queensland hat sich namentlich Flinders verdient gemacht.
Derselbe fand auch zuerst die Moreton Bay, in welche der Brisbanefluss mündet,
an dessen Mündung die gleichnamige Stadt, der Hauptort der Colonie Queensland,
angelegt wurde.
Doch erst längere Zeit nach Flinders’ Forschungsreisen schritt man
zur Gründung einer Ansiedlung. 1824 fand man sich in Sydney bestimmt,
in der Moreton Bay eine Zweigstation für besonders gefährliche und unverbesser-
liche Deportirte zu errichten. Dies war der Anfang der Colonisirung. Der Um-
stand, dass man dann im Hinterlande wundervolle Weidegründe entdeckte, ver-
anlasste den Zuzug von Squatters aus Neusüdwales. Im Jahre 1842 wurde freier
Zuzug von Einwanderern bedingungslos zugelassen und hörte auch die weitere
Deportation von Sträflingen auf. Hiedurch gestaltete sich die Entwicklung dieser
Colonie ebenso wie anderwärts günstiger. Zugleich machte sich eine lebhafte
Agitation für die Lostrennung von der Stammcolonie geltend, welche Agitation
nach mancherlei Schwankungen endlich 1853 zum Ziele führte. In diesem
Jahre wurde die nunmehr Queensland benannte Colonie, welche bisher den
Moreton Bay District gebildet hatte, förmlich als solche constituirt und Bris-
bane zu ihrer Capitale erklärt. Letzteres hat seinen Namen von Sir Thomas
Brisbane, welcher zur Zeit der ersten Niederlassung in Moreton Bay Gouverneur
von Neusüdwales gewesen ist. Eine grosse Schwierigkeit für die Colonie ergab
sich in der Frage nach Beschaffung tüchtiger Arbeiter. Die ohnehin nur in ge-
ringer Zahl vorhandenen Ureinwohner zeigten sich wenig leistungsfähig, die Ein-
wanderung von auswärts her lieferte keinen raschen Zuwachs, und die neuen
100*
[796]Die australischen Gewässer.
Ankömmlinge waren zumeist nicht gewohnt, schwere Arbeit zu verrichten.
Empfindlich war insbesondere der Mangel an Arbeitern auf den Zuckerplantagen,
welche man in Queensland einrichtete. Man entschloss sich also zur Einfuhr von
Eingeborenen aus den Südsee-Inseln, wie auch von chinesischen Kulis. Leider
ging man in ersterer Richtung nicht gerade in tadelloser Weise vor, vielmehr
artete die Sache, zwar nicht der rechtlichen Form, wohl aber der Thatsache nach,
in einen reinen Sclavenhandel aus; die harte Rücksichtslosigkeit, mit welcher die
verschiedenen Agenten auf den Südsee-Inseln bei der sogenannten Anwerbung von
Arbeitern vorgingen, hat zu manchen Conflicten geführt und nicht am wenigsten
den bitteren Hass verursacht, welchen die Südsee-Insulaner gegen die Weissen
hegen. Dieses Treiben hat endlich legislative Massregeln hervorgerufen. Es
sollten künftighin nur solche Arbeiter in der Colonie zugelassen werden, deren
freiwilliger Entschluss hiezu nachgewiesen werden konnte. Man hat hiedurch
zwar einigermassen den früheren Unfug gemildert, nämlich in der Richtung auf
die Dauer des contractmässig stipulirten Arbeitsverhältnisses, aber gänzlich wurden
doch die Uebelstände nicht beseitigt, welche bei Beschaffung von Arbeitern auf
den Inseln eingerissen waren. Der Anbau von Zuckerrohr nahm jedoch in der
Colonie einen fortwährenden Aufschwung, so dass dermalen bereits eine Fläche
von 50.000 Acres durch diese Cultur in Anspruch genommen ist und man daher
mit vollem Rechte auf eine noch weitere Ausdehnung derselben rechnen darf.
Der wichtigste Punkt der Colonie ist, wie schon erwähnt, die
Stadt Brisbane, welche am gleichnamigen Flusse in der südlichsten
Ecke von Queensland, nahe der Grenze gegen Neusüdwales an der
Moreton Bay gelegen ist.
Die Moreton Bay wird durch eine sich weit vorstreckende Halb-
insel und durch die nördlich vorliegende Moretoninsel gebildet. In
die Bai mündet der Brisbanefluss, welcher die vorgenannte Stadt in
einer S-artigen Krümmung dergestalt durchzieht, dass dadurch auf
beiden Ufern halbinselförmige Gestaltungen des Terrains sich ergeben.
Der Fluss ist gut schiffbar, aber wegen der Barre an seiner Mündung
können nur Schiffe bis zu 5 m Tiefgang einlaufen. Grosse Seeschiffe
ankern auf den Brisbane Roads, doch ist dieser Ankerplatz bei
Nord- und Nordoststürmen schwerem Seegang ausgesetzt. Uebrigens
muss bemerkt werden, dass grössere Schiffe nur mit Lootsen in die
Moreton Bay überhaupt einfahren können.
Die Ufer des Flusses sind bei der Stadt mit guten Quaianlagen
versehen; ausserdem befindet sich an der Südseite des Flusses ein
geräumiges Trockendock. Wohl ist bisher eine unmittelbare Verbindung
der Bahn mit den Quais noch nicht hergestellt, aber man beschäftigt
sich doch schon ernstlich mit Projecten, welche diesem den Verkehr
behindernden Uebelstande abhelfen sollen.
Die Stadt zerfällt in vier Quartiere: Nordbrisbane, Südbrisbane,
Kangaroo Point und Fortitude Valley. Die Verbindung zwischen den
[[797]]
Brisbane.
[798]Die australischen Gewässer.
auf beiden Flussufern gelegenen Stadttheilen wird durch die Victoria-
brücke hergestellt. Diese Brücke ist durchweg in Eisen construirt und
300 m lang. Ausser durch diese Brücke wird die Communication
zwischen beiden Ufern durch Dampffähren aufrecht erhalten.
Auch Brisbane zeigt wie die übrigen australischen Städte eine
sehr regelmässige Gestaltung ihrer Anlage. Der Kern der Stadt liegt
auf der durch den Fluss gebildeten Halbinsel des linken Ufers, in
Nordbrisbane. Hier laufen sechs Hauptstrassen parallel mit einander,
nämlich: Anna, Adelaide, Queen, Elisabeth, Charlotte und Mary Street.
Sämmtlich in der Richtung von Nordost nach Südwest. Diese werden
rechtwinkelig von sechs anderen gleichen Strassen, William, George,
Albert, Edward, Creek und Wharf Street gekreuzt.
Es gibt nicht weniger als 45 Gotteshäuser in Brisbane, welche
14 verschiedenen Confessionen angehören. Davon verdienen Erwähnung
in erster Linie die katholische Kathedrale von St. Stefan, St. John,
die Kathedrale der Episkopalkirche, die Allerheiligen und die Baptisten-
kirche. Unter den öffentlichen Gebäuden ragen vor Allem das Stadt-
haus, der grossartige Palast der Regierungsbehörden (Government
House), das mit einem Aufwande von 100.000 Pfund Sterling her-
gestellte Parlament, das Post- und Telegraphenamt, das zierliche
Viceregal Lodge (der Wohnsitz des Gouverneurs), die im Cottagestyle
gehaltene Normalschule und die im Tudorstyle erbaute Grammar
School (eine Art von Gymnasium) hervor. Hieher zählen auch das
ausgedehnte Justizgebäude, in welchem die Gerichtshöfe ihr Unter-
kommen haben, das Zollamt und das Mädchengymnasium, (Girls
Grammar School).
Die Banken und sonstigen Institute haben auch zur Verschönerung
der Stadt manchen rühmenswerthen Beitrag geleistet. Wir erwähnen
nur die Nationalbank, die Royal Bank of Queensland, die Australian
Mutual Provident Society, die Bank von Neusüdwales, die Australian
Joint Stock Bank. Die im italienischen Styl gebaute National-
bank insbesondere gehört zu den schönsten Bauwerken dieser Art in
ganz Australien. Ein gewaltiger Bau ist auch das Palais der Brisbane
Newspaper Company, welches allein über 100.000 Pfund Sterling
kostete und sieben Geschosse aufweist. Auch die Clubs haben für
sich in stattlicher Weise gesorgt, so besitzt der Queensland-Club ein
wahres Prachtgebäude. An Theatern verdienen das Gaiety Theatre,
das Opernhaus und das Victoriatheater Erwähnung. Es fehlt in Bris-
bane auch nicht an den erforderlichen Humanitätsanstalten, unter denen
sich insbesondere ein grosses Krankenhaus und ein Waisenhaus befinden.
[799]Brisbane.
Selbstverständlich hat sich Brisbane nach dem löblichen Brauche
der anderen australischen Städte auch mit Parkanlagen geziert; wie-
wohl man hier nicht einen so planmässigen Vorgang bei diesen An-
lagen wie in Adelaide findet, so ist doch zunächst der botanische
Garten zu erwähnen, welcher Gewächse aller Art enthält und ganz
besonders gut gepflegt ist. In Zusammenhang damit steht Queen’s
Park, welcher namentlich für Cricket- oder Ballspiele benützt wird.
Diese beiden Parks nehmen die Spitze der mehrerwähnten Halbinsel
am linken Flussufer ein, in deren Mitte auch das Palais des
Gouverneurs gelegen ist. Andere Parks sind Victoria und Bowen Park
an der nördlichen Peripherie der Stadt. Im Bowen Park befindet sich
ein Gebäude, in dem die regelmässigen Ausstellungen des Queens-
lander Nationalvereines abgehalten werden. Hier verfügt auch die
Acclimatisationsgesellschaft über einen eigenen ihren Zwecken ge-
widmeten Grund.
Am rechten Ufer des Flusses, in South(Süd)Brisbane, welches
seit 1890 eine selbständige städtische Gemeinde bildet, ist Honley
Street die grösste und bedeutendste Strasse. Hier liegt auch der
hübsche Park von Woollogata. Die Halbinsel, welche südlich durch
den Fluss gebildet wird und wesentlich geschäftlichen Zwecken, na-
mentlich dem Schiffsverkehre dient, heisst Kangaroo Point.
Brisbane ist durchweg gut mit Gas beleuchtet und im Besitz
einer sehr entsprechenden und reichlich versorgten Wasserleitung.
Die Bevölkerung der Gemeinde Brisbane belief sich 1891 auf 56.000
Seelen; mit South-Brisbane und den Vororten dürfte sie nahezu
100.000 Seelen erreichen.
Die Lage der Stadt, deren nördlicher Theil sich auf sanften
Hügeln erhebt, welche durch die parkähnlichen Anlagen ein recht
lebhaftes Vegetationsbild zeigen, ist eine freundliche. Das Bild ge-
winnt an Reiz durch den breiten und vielbelebten Fluss, auf dem
sich ein rühriger Verkehr abspielt. Als Hintergrund der Landschaft
dienen Höhenzüge, welchen jedoch der immer wiederkehrende Mangel
australischer Landschaften, nämlich der Abgang von üppigem Wald
anhaftet.
Im Ganzen macht Brisbane einen günstigen Eindruck und dazu
den Eindruck eines kräftig aufstrebenden Gemeinwesens. Wir müssen
hier, wie bei den vorher betrachteten Städten, welche ebenso nur
ein kurzes Alter aufweisen, namentlich hervorheben, dass der Auf-
wand für öffentliche und grossartige Anlagen aller Art, wie solche
alte Städte in Europa kaum ihr Eigen nennen, geradezu Staunen
[800]Die australischen Gewässer.
erregt und zugleich einen Massstab für die Ertragsfähigkeit dieser
Colonie bietet.
Der Aussenhandel von Brisbane muss nach dem der ganzen Colonie
Queensland beurtheilt werden, weil auch hier eine Statistik über den Verkehr der
einzelnen Hafenplätze nicht vorliegt. Aus der unten folgenden Zusammenstellung
des Schiffsverkehres der verschiedenen Häfen von Queensland wird ersichtlich,
dass Brisbane für den überseeischen Handel beinahe ausschliesslich in Betracht
kommt.
Der Handel von Queensland hat in den letzten Jahren einen bedeutenden Auf-
schwung genommen. Seit 10 Jahren hat sich derselbe nahezu verdoppelt. Die
Handelsbewegung dieser Colonie zeigt während der letzten 4 Jahre folgendes Bild.
Es belief sich die
Die Einfuhr setzt sich aus industriellen Erzeugnissen aller Art und ver-
schiedenen Nahrungsmitteln, die zur Ergänzung des Bedarfes dienen, zusammen.
In der ersten Gruppe findet die Textilwaaren- und Bekleidungsindustrie die stärkste
Vertretung.
Es belief sich im Jahre 1889 der Werth der importirten Woll-, Baum-
woll- und Leinenwaaren auf 311.447 ₤, Kleider- und Confectionswaaren auf
267.346 ₤.
Der Import von Schuhwaaren hatte einen Werth von 145.740 ₤ und der
von Sattlerwaaren einen solchen von 28.954 ₤.
Metalle und Metallwaaren wiesen im selben Jahre folgende Einfuhrwerthe
auf: Eisen und Stahl 271.858 ₤, Eisen- und Messerschmiedwaaren 190.844 ₤,
Maschinen aller Art 166.052 ₤.
Erwähnenswerth ist ferner die Einfuhr von Büchern und Zeitungen
für 62.524 ₤ und Papier und Papierwaaren für 104.000 ₤.
Ausserdem wurde eine Reihe anderer Industrieerzeugnisse importirt, deren
specielle Aufzählung infolge der geringeren Werthe überflüssig erscheint.
Unter den Nahrungsmitteln steht Mehl mit einem Werthe von 482.687 ₤
an der Spitze.
Der Import von Reis betrug 34.745 ₤ und die Einfuhr von Thee hatte
einen Werth von 135.931 ₤.
Unter den Getränken, die im Jahre 1889 eingeführt wurden, sind zu nennen:
Bier und Ale im Werthe von 168.613 ₤, Spirituosen aller Art für 177.000 ₤
und Wein im Werthe von 47.134 ₤.
Legende zum Plan von Brisbane.
A Rhede von Brisbane, B 2 Meterlinie, C 5 Meterlinie, D 10 Meterlinie, E Brisbane-Mündung, F Leucht-
feuer, G Francis-Canal, H West-Bänke, J Ostbank, K Boat-Canal, L Warn-Bojen, M Gibson-Insel,
N Parker-Insel, O Strafanstalt, P Crab Creek, Q Breakfast Creek, R Norman Creek, S Donghboy
Creek, T Tingalpa Creek, U Uniacka oder Luggage Point, V Humbug Point, W Figtree Point, X Kan-
garoo Street, Y Gasanstalt, Z Bäder. — 1 Ueberfuhren, 2 Victoria-Brücke, 3 Trocken-Dock, 4 Parla-
ments-Gebäude, 5 Gouvernements-Gebäude, 6 botanischer Garten, 7 Queen’s Park, 8 Windmühle,
9 Gouvernements-Domäne.
[[801]]
(Legende siehe auf Seite 800.)
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 101
[802]Die australischen Gewässer.
Schliesslich ist noch der Import von Tabak und Cigarren hervorzuheben,
der einen Werth von rund 85.000 ₤ aufwies.
Als die wichtigsten Ausfuhrartikel sind folgende hervorzuheben:
Wolle verzeichnete im Jahre 1889 einen Exportwerth von 2,680.134 ₤,
die grösste Ziffer, welche die Colonie bis dahin aufzuweisen hatte. Gegenüber dem
Jahre 1888 ist allein eine Zunahme um 421.769 ₤ zu verzeichnen.
Der Werth der Ausfuhr in Häuten und Fellen belief sich auf
127.900 ₤.
An Talg wurden 60.000 Cwts. im Werthe von 61.000 ₤ exportirt.
Der Ausfuhrwerth von conservirtem und eingesalzenem Fleisch
belief sich (1889) auf 95.450 ₤. Der Fleischexport scheint in der Zukunft grös-
sere Dimensionen annehmen zu wollen. Um ihn zu heben, hat die Eisenbahn-
verwaltung beschlossen, eigens hergerichtete Eiswagen für den Transport von
Fleisch anzuschaffen und in Brisbane geeignete Lagerhäuser zu errichten.
Den wichtigsten Ausfuhrartikel der Colonie bilden jedoch die verschiedenen
Bergwerksproducte.
So war im Jahre 1889 infolge der reichen Ausbeute auch die Ausfuhr an
Gold die grösste bisher dagewesene und belief sich auf 742.335 Unzen im Werthe
von 2,754.382 ₤ gegenüber 467.222 Unzen im Werthe von 1,662.639 ₤ im
Jahre 1888.
Die Ausfuhr von Zinn und Zinnerz umfasste im Jahre 1889 58.472 Cwts.
im Werthe von 230.360 ₤ und die von Kupfer und Kupfererz hatte einen
Werth von 14.126 ₤.
Einen wichtigen Exportartikel bildet ferner Zucker. Im Jahre 1889 ex-
portirte die Colonie 485.463 Cwts. im Werthe von 443.668 ₤; davon ging der
grösste Theil nach den Nachbarcolonieen und nur circa 500 T nach England.
Zur Vervollständigung der Ausfuhrliste sei noch der Export von Kohle
für 11.906 ₤ und der von Holz für 6933 ₤ angeführt.
Am 1. Jänner 1890 gab es in Queensland 1334 industrielle Etablissements,
darunter 102 Zuckerfabriken, 6 Zuckerraffinerien, 118 Dampfsägewerke, 27 Braue-
reien, 11 Distillerien, 22 Maschinenfabriken, 27 Seifen- und Kerzenfabriken.
In 2 Fabriken in Brisbane werden gegenwärtig sogar schon Locomotiven
gebaut, ausserdem bestehen daselbst mehrere Etablissements für die Herstellung
von Eisenbahnwaggons.
Der Schiffsverkehr in den einzelnen Häfen der Colonie im Jahre
1889 betrug im Einlaufe:
Aus dieser Zusammenstellung ersieht man, dass der eigentliche Aussen-
handel der Colonie sich in Brisbane concentrirt.
Eine regelmässige Verbindung mit Brisbane unterhält die British
India Steam Navigation Cy. alle 4 Wochen von London über Neapel, Suez,
Aden, Batavia und Cooktown.
[803]Brisbane.
Ausserdem verkehren zwischen Brisbane und Cooktown zweimal wöchentlich
die Schiffe der Australasian United Steam Navig. Cy.
Von Brisbane führen zwei grosse Schienenstränge in das Innere des Landes.
Die „Southern Railway“ führt nach dem Süden bis Wallangarra auf eine Ent-
fernung von 232 englischen Meilen und die „Western Railway“ nach dem Westen
bis Charleville auf eine Distanz von 483 Meilen. Ausserdem zieht eine Bahn an
der Nordküste entlang von Brisbane auf 52 Meilen bis Landsborough.
Die Verbindung mit den im Norden der Colonie bestehenden Bahnen ist
noch nicht hergestellt, dürfte jedoch kaum lange auf sich warten lassen. Es wäre
namentlich eine Verbindung der „Western Railway“ mit der „Central Railway“,
welche von Rockhampton aus in das Innere geht und in Barcaldine (358 Meilen)
ihr Ende findet, für den Verkehr von Vortheil.
Eine wichtige Bahnstrecke ist noch die „Northern Railway“, die beim Hafen
Townsville beginnt und 236 Meilen bis Hughenden geht.
Schliesslich erwähnen wir noch die „Bundaberg Railway“, welche 66 Meilen
von Bundaberg bis Mount Perry zurücklegt.
Die in Brisbane etablirten Banken besassen 1890 in der Colonie 195
Filialen.
Drei der Banken, nämlich die Queensland National Bank, die Royal Bank
of Queensland und die Bank of North Queensland sind Localinstitute. Die anderen,
und zwar die Australian Joint Stock Bank, Bank of Australasia, Bank of New
South Wales, Commercial Banking Cy. of Sydney, Commercial Bank of Australia,
London Chartered Bank, Mercantile Bank of Sydney und Union Bank of Australia
sind in Brisbane durch Filialen vertreten.
Consulate halten in Brisbane: Belgien, Deutschland, Frankreich, Hawaïi,
Italien, Niederlande, Portugal, Schweden, Schweiz und die Vereinigten Staaten
von Nordamerika.
Werfen wir nun einen allgemeinen Blick noch auf die Colonieen
des australischen Continentes, ehe wir von demselben Abschied
nehmen. Wir haben die vier grossen municipalen Kernpunkte ge-
schildert, in denen sich das Leben der Colonieen kristallisirt, und
wir haben auf der weiten Wanderung, welche wir bereits in den
verschiedenen Welttheilen zurückgelegt haben, ausser in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika kein Gebiet gefunden, dessen
Colonisationsgeschichte eine so kurze, dessen Entwicklung dabei
aber eine so staunenswerthe ist, als gerade Australien. Der Europäer
hört von keinem Welttheile im Grunde so wenig, als von dem
fünften, vielleicht aus dem Grunde, weil dieser fünfte Welttheil
keinerlei politische Ereignisse aufweisen kann, deren Interesse über
den engeren Kreis Derjenigen hinausragt, welche daran unmittelbar
betheiligt sind. In Europa hörte man von dem Golde, welches in
Australien gefunden wurde, man hörte von den Fluctuationen des Woll-
marktes, und man ward allenfalls durch die Kunde der grossen Aus-
101*
[804]Die australischen Gewässer.
stellungen in Sydney und Melbourne darauf aufmerksam gemacht, dass
es sich dort doch schon der Mühe lohnen müsse, derartige Ausstel-
lungen zu veranstalten. Sonst aber berührt das Leben von Australien,
welches sich scheinbar so still und ereignisslos abwickelt, kaum
unsere Kreise. Und doch verdient gerade dieses Land ein erhöhtes
Interesse, weil man dabei lernen kann, was menschliche Thatkraft
und menschlicher Fleiss in kurzer Zeit auf einem empfänglichen Boden
leisten können. Und dabei darf man nicht vergessen, dass die austra-
lischen Colonieen mit einer ganz enormen Schwierigkeit zu kämpfen
hatten. Ihre Anfänge waren die einer Deportationsstätte, die erste
Besiedelung geschah durch Sträflinge, ein guter Theil der Bevöl-
kerung stammt von Sträflingen ab. Als freie Einwanderer zu-
gezogen, da hatten sie es mit Deportirten, in der Heimat dem
Verbrechen verfallenen Leuten zu thun. Und trotzdem vollzog sich
doch der Entwicklungsprocess ungestört, und geschah die Reinigung
des Landes von diesem ihm anfänglich anhaftenden Uebel viel rascher
und intensiver, als man je hätte annehmen können. Heute erinnert
kaum mehr etwas an die Zeiten der Deportation. Freilich darf man
nicht meinen, dass Australien frei von Schäden sei. Schon die Epoche
des Goldzuzuges und das in den entlegenen Districten freiere Leben
haben Auswüchse mit sich gebracht, welche noch nicht ganz beseitigt
sind. Man befindet sich eben in einer jungen Colonie, die in der
Wahl ihrer Einwanderer keine allzustrenge Auswahl treffen kann und
der eine gewisse Ungebundenheit des Lebens zur Ausdehnung und
ferneren Besiedelung namentlich des inneren Gebietes unerlässlich ist.
Dafür zeigt Australien heute aber auch schon viele starke Seiten.
Australien ist eine Ackerbaucolonie geworden, woselbst der weisse
Mann seine neue Heimat findet, und welche er nicht wie die Plan-
tagen oder Minencolonieen, je eher je lieber reich geworden, verlässt.
Das Gold war hier, wie in Westamerika die Kraft, welche das
Schwungrad der Cultur in Bewegung setzte. Aber heute sind die Er-
trägnisse der Goldminen Nebensache, gegenüber den Producten der
Landwirthschaft. Die Schafzüchter, manche im Besitze von ½ Mill.
Stück, bilden die australische Aristokratie. Die Sturm- und Drang-
periode der „Goldzeit“ ist in Australien längst überwunden, allent-
halben stösst man auf feste organisatorische Grundlagen, auf ein
bereits in allen Theilen durchgebildetes Staatswesen, auf einen regen
Gemeingeist und auf eine wahrhaft patriotische Hingebung für das
Wohl und Gedeihen der Colonie. Der Australier, wenn auch durch-
weg nichtaustralischer Herkunft und wenn auch vorwiegend seiner
[805]Brisbane.
Nationalität und Sprache nach Brite, fühlt doch ganz als Australier.
Er denkt nicht, wie in anderen Colonien es so häufig vorkommt, daran,
seinen Aufenthalt nur als vorübergehend zu betrachten und, sobald
die Umstände und der erzielte Erwerb es gestatten, nach Europa
heimzukehren. Seine Gegenwart wie seine ganze Zukunft gehört dem
Lande, in dem er lebt, und der Grundsatz, den er und alle seine
Genossen unentwegt hoch halten, spricht sich in den Worten aus:
„Australien den Australiern.“ Sie wollen keine Einmischung von
aussen, auch nicht von Seite der Macht, welcher die Oberhoheit über
die Colonien zusteht, ohne dass sie deswegen an irgend welche for-
melle Secession denken; sie wollen eben auf eigenen Füssen stehen
und sich nach ihrem Gutdünken und unter völliger Wahrung ihrer
eigenen Interessen verwalten.
Aber auch in Bezug auf die Bevölkerung bietet Australien ein
anderes Bild als die meisten übrigen Colonieen. Die allem Anscheine
nach übrigens nie zahlreich gewesenen Ureinwohner, die tiefst
stehenden Menschen des Erdballes, sind ganz in das Innere des
Landes zurückgedrängt und man kann bei dem fortwährenden Rück-
gange ihrer Zahl wohl mit Sicherheit annehmen, dass sie sich
gerade so auf dem Aussterbeetat befinden, wie die Maori auf
Neuseeland, die Hottentoten in Capland und ähnliche Aboriginer an-
derwärts. Sie haben in der Geschichte der Colonie nie eine Rolle
gespielt, es konnte nicht einmal der Versuch gemacht werden, sie in
eine engere Beziehung zu den neuen Ansiedlern zu bringen. Diejenige
Bevölkerung Australiens daher, welche das Land besiedelt, bebaut
und zu seiner heutigen Entwicklung gebracht hat, wurde durchwegs
durch Einwanderung und durch den Nachwuchs der Einwanderer
geschaffen.
Diese Einwanderung hatte fast immer eine unmittelbare euro-
päische Provenienz oder wenigstens europäischen Charakter und
stand europäischer Cultur nahe. Sie konnte sich daher vom ersten
Augenblicke an auf einer freien Bahn entfalten und hatte vom ersten
Augenblicke an die Tendenz, ihr Gemeinwesen auf ganz freiem Fusse
einzurichten. Dabei war es selbstverständlich, dass man stets und
sofort die neuesten Einrichtungen in Berücksichtigung ziehen konnte.
Deshalb haben die australischen Städte aber auch den Vor-
theil gehabt, dass sie nicht erst an Veraltetes und Bestehendes an-
knüpfen und dasselbe verbessern und umgestalten mussten, sondern
dass sie volle Freiheit besassen, zu schaffen, was ihnen das Beste
und Zweckmässigste dünkte.
[806]Die australischen Gewässer.
In der Bevölkerung Australiens spiegelt sich auch das Pro-
ductionsleben des Landes.
In Australien bildet, wie oben erwähnt, Ackerbau und Viehzucht
die breite Grundlage aller Existenz. Die gut bewässerten Küstenstriche
können noch Millionen Farmer aufnehmen, das wasserarme Innere
bleibt wohl für immer der Viehzucht verfallen, und zwar nur dem
genügsamen Schafe. Wir brauchen nicht erst zu erinnern, dass die
unermesslichen Schafherden des Landes die bedeutendste Quelle seines
Reichthums sind und dass die 150 Millionen Ballen australischer
Wolle in stets zunehmender Weise den Weltmarkt beherrschen.
Die Schafzucht spielt daher eine so grosse Rolle, dass der Gegensatz
zwischen Ackerboden und Weideland in viele Verhältnisse hineingreift
und mancherlei Interessen gegeneinander in Bewegung setzt. Der
Ackerbauer widmet sich der Cultur des Getreides oder des Weines,
welcher sehr gute Resultate verspricht, dann aber auch, wie in
Queensland, der Production von Zucker. Beim Ackerbau wird durch
die Gesetzgebung die Bildung des Grossgrundbesitzes verhindert, da
niemand mehr als 500 Acres besitzen darf; man will eben einen
gesunden Farmerstand. Da Australiens Absatz überwiegend für den
Export bestimmt ist, so förderte dieser Umstand das Emporkommen
eines tüchtigen Kaufmannsstandes im Vereine mit allen die grossen
geschäftlichen Transactionen erleichternden Einrichtungen. Hieher
zählt insbesondere auch das breit entwickelte Bankwesen, welches
nicht nur dem eigentlichen Handel dient, sondern den vielen Opera-
tionen sich widmet, welche mit dem Erwerbe und mit der Bebauung
von Land verbunden sind.
Aber auch das rein gewerbliche Fach bis hinauf zur grösseren
industriellen Thätigkeit ist in Australien schon stattlich vertreten und
ermöglicht es, einen grossen Theil der Bedürfnisse im Lande selbst
zu erzeugen und sich vom Import unabhängig zu machen.
Trotz alledem steht aber Australien erst im Beginn seiner Ent-
wicklung.
Noch ist die Bevölkerung ausserordentlich dünn, (0·5 Einwoh-
ner per Quadratkilometer) noch sind weite Strecken Landes kaum be-
nützt. Viel Raum für schaffende Arbeit ist vorhanden, aber der feste
Grund ist gelegt, die tüchtigen Kernpunkte sind vorhanden,
Richtung und Signatur sind gegeben. Der fünfte Welttheil hat eine
gesicherte und eine grosse Zukunft vor sich und kann auch inso-
ferne als ein glückliches Land gepriesen werden, als dessen völlig
abgeschlossene Lage ihn leicht vor auswärtigen Störungen und vor
[807]Brisbane.
der Gefahr, in fremde Verhältnisse hineingezogen zu werden, be-
wahrt.
Gestützt auf sich selbst kann Australien sich weiter gestalten,
und es liegt nur in der Hand seiner Bürger, es hängt nur von
ihrer patriotischen Klugheit ab, sich diese besondere Gunst des
Schicksales auch zu bewahren.
In Australien findet der Europäer Europa wieder, aber ein
jugendliches Europa, wohl ohne ehrwürdige Traditionen, ohne den
reichen Schatz einer nach Jahrtausenden zählenden Entwicklung,
aber auch ohne die Schwächen und Schwierigkeiten, welche alte Ge-
meinwesen unvermeidlich in sich schliessen. Ohne die gewaltige
Vorarbeit des alten Europa hätte aber auch das junge Australien
in so kurzer Zeit nicht so werden können, wie es der Besucher be-
obachtet und mit Recht auch anstaunt.
[[808]]
Hobart.
Südlich vom australischen Continente und von demselben durch
die Bass-Strasse getrennt liegt die freundliche Insel Tasmanien
(Tasmania), welche ihres vorzüglichen Klimas wegen von den Australiern
auch gerne zur Cur oder zur Erfrischung aufgesucht wird und so-
wohl mit Sydney als mit Melbourne in regelmässiger Dampferver-
bindung steht.
Die Insel wurde 1642 von dem holländischen Seefahrer Abel Tasman entdeckt
und von ihm nach dem damaligen Gouverneur von Niederländisch-Indien Van
Diemensland genannt. Dieser Name wurde erst 1853 durch jenen des Entdeckers
ersetzt. Bis gegen das Ende des XVIII. Jahrhunderts hielt man Tasmanien für
einen Theil von Australien und wurde über die insulare Gestalt des Landes erst
durch Lieutenant Bass aufgeklärt, welcher die Strasse zwischen Tasmanien und
Australien auffand, die ihren Namen von ihm führt. 1803 nahm die britische
Regierung von der Insel Besitz, um daselbst eine Sträflingsstation als Ergänzung
jener von Neu-Südwales zu gründen. Es blieb dies lange Zeit hindurch das
Schicksal von Tasmanien, obwohl schon seit 1816 auch freie Einwanderer ihren
Weg dahin nahmen. Die Sträflinge veranlassten vielfache Belästigungen, nament-
lich dadurch, dass sie häufig entsprangen, sich in den Busch schlugen und dann
eine Art von Räuberleben führten. Es bedurfte vieler Energie und der kräftigen
Mitwirkung der freien Ansiedler, um diese Buschklepper zu beseitigen. Die freien
Ansiedler versuchten zu wiederholtenmalen eine weitere Deportirung von Sträf-
lingen nach Tasmanien aufhören zu machen, mussten aber auf die grosse Wohl-
that dieses Zugeständnisses länger warten als Australien. Erst 1853 ward der
Wunsch erfüllt, und 1855 erhielt die Insel eine Verfassung als selbständige
Colonie. Die Auffindung von Gold in Victoria brachte Tasmanien insofern einigen
Nachtheil, als viele Bewohner der Sehnsucht nach den neuen Schätzen nicht wider-
stehen konnten und sich dem Goldlande zuwandten. Trotzdem begann das nun-
mehr erst in gesunde Verhältnisse gebrachte Land sich günstiger zu entwickeln,
und namentlich gewann dessen Hauptstadt an Aufschwung.
Die Stadt Hobart, wie sie seit 1881 heisst — früher war
sie Hobarttown genannt worden — schreibt ihren ersten Anfang der
britischen Niederlassung in Tasmanien zu. Sie hat einen sehr ge-
schützten und geräumigen, auch leicht zugänglichen Hafen und eine
sehr schöne Lage. Im Süden von Tasmanien nämlich liegt die Storm
[[809]]
Hobart.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 102
[810]Die australischen Gewässer.
Bay, die auf der östlichen Seite durch die Halbinsel Tasman, auf
der westlichen Seite durch die dem Festlande vorliegenden Bruny-
Inseln gebildet ist. Von der Storm Bay ziehen sich mehrere tiefe
Einbuchtungen landeinwärts, von denen eine im Nordosten durch den
in einen breiten fjordartigen Canal mündenden Derwent-Fluss an der
Sandy Bay gebildet wird. An diesem Fjord liegt die Stadt Hobart
unter 42° 54′ südlicher Breite und 147° 21′ östlicher Länge.
Kommt man zur See in Hobart an, so erblickt man zu seiner
Rechten eine Reihe bewaldeter Hügel, umgürtet von verschiedenen
kleinen Buchten und Inseln. Diese Hügel endigen im Norden in dem
alle beherrschenden 450 m hohen Mount Direction. Mehr links fällt
der Blick zuerst auf das eine grüne Landspitze einnehmende Govern-
ment House. Noch weiter links zeigt sich ein prächtiger Park, Queen’s
Domain oder People’s Park benannt, welcher langsam zur Höhe
emporsteigt. Dann erblickt man die Quaianlagen des Hafens, über
denen das auf einer Anhöhe befindliche Christ College wie ein Mark-
stein emporragt, und hinter diesem Collegium erheben sich dann die
neuen Häusergruppen von Glebe-Town, welche aus dem dunklen
Hintergrund plastlich hervortreten. Ueber den Mastenwald des Hafens
hinweg sieht man den gothischen Thurm von Trinity Church, und
daran reihen sich auf der äussersten Linken zahlreiche Gebäude aller
Art und darunter viele von netter architektonischer Gestalt. Hinter
diesem belebten Vordergrund, welcher durch hügelige Configuration
des Terrains an lebendiger Gliederung gewinnt, ragt ernst und ge-
waltig der 1270 m hohe Mount Wellington empor, das echte Wahr-
zeichen der Landschaft von Hobart.
Der eigentliche Hafen von Hobart liegt zwischen den Spitzen
Macquarie und Battery Point und heisst Sullivan’s Cove. Hier er-
strecken sich die grossen Piers in die See, abgesehen von einigen
kleineren Molen, und überdies sind zwei umfangreiche Bassins, unter-
halb der Battery Point auch Slipdocks für Schiffe bis zu 1000
Tonnen Gehalt vorhanden.
Hübsche Quais verbinden die einzelnen Theile des Hafens mit
einander.
Unter den Gebäuden von Hobart ist in erster Reihe das schon
erwähnte, ausserhalb der Stadt hübsch gelegene Government House
zu nennen, in dem der Gouverneur der Colonie seinen Sitz hat. Dieses
mit grosser Eleganz hergestellte Palais stammt aus dem Ende der
Fünfzigerjahre, enthält mehrere geradezu prachtvolle Säle, ist von
zierlichen Gartenanlagen umgeben und erfreut sich eines wahrhaft be-
[811]Hobart.
zaubernden Ausblickes auf die Stadt und die Bucht. Unmittelbar vom
Government House weg gelangt man in den grossen Park von
Queen’s Domain (in Hobart gewöhnlich nur „The Domain“ genannt),
welcher den Raum zwischen der Stadt und dem Derwent-Flusse ein-
nimmt. Hier suchen die Städter Erholung und geniessen die
schönen Spaziergänge des durch seine hügelige Formation vielfache
landschaftliche Abwechslung und anmuthige Ausblicke darbietenden
Parkes. Nicht weit entfernt liegt hinter dem Government House und
dem Observatorium der botanische Garten, oder wie er hier auch
heisst, „Royal Society’s Garden“, eine Anlage, wie solche keine Stadt
Australiens entbehren will. Nördlich von diesen verschiedenen Garten-
gruppen und entlang den blauen Fluten des Derwent gelangt man
dann in die Vororte von Hobart, welche mit Villen aller Art besetzt
sind. Hiedurch gewinnt das ohnehin anziehende Bild einen noch
mehr erhöhten Reiz.
Wenden wir uns nun der eigentlichen Stadt zu, so zeigt uns
Hobart infolge seines coupirten Terrains nicht jene überaus regel-
mässige Anlage des rechtwinkeligen Strassennetzes, wie die meisten
anderen australischen Städte, wenngleich man, so weit als dies
thunlich war, auch hier dieser Tendenz Rechnung getragen hat. Als
vornehmste Strasse der Stadt und als jene, in welcher namentlich die
hübschesten Kaufläden sich vorfinden, gilt Murray Street, dann folgen
Liverpool und Elizabeth Street. Sie liegen alle nahe dem inneren
Hafen. In diesem belebtesten Theile der Stadt finden wir auch deren
wichtigste Gebäude; zunächst in Murray Street das Parlament von
Tasmanien und das Zollamt, dann das stattliche Postamt und die
Kathedrale von St. David, die Hauptkirche der Stadt, welche noch
nicht ganz vollendet ist, aber schon zu den Zierden der Stadt ge-
rechnet wird.
In der die Stadt fast in ihrer ganzen Breite durchlaufenden
und die Murray Street senkrecht schneidenden Macquarie Street,
welche an einem Ende die Queen’s Domain berührt und am anderen
Ende sich bis zum Vororte Sandy Bay hinzieht, finden wir vor-
nächst das schöne Gebäude des „Royal Society’s Museum“, welches
grosse naturhistorische und geologische Sammlungen und eine reiche
Bibliothek enthält. Hier werden auch Vorträge abgehalten und con-
centrirt sich ein reges wissenschaftliches Leben. Ganz nahe bei dem
Museum liegt das Stadthaus, das ebenfalls eine grosse Halle für Ver-
sammlungen und Vergnügungszwecke enthält. Auch im Stadthaus
befindet sich eine öffentliche Bibliothek mit mehr als 12.000 Bänden.
102*
[812]Die australischen Gewässer.
In Verbindung mit dieser Bibliothek steht ein grosser Lesesaal, wo
fast alle britischen und colonialen Zeitschriften gehalten werden,
Besuchern beiderlei Geschlechtes offen. Auch birgt das Stadthaus
eine Druckerei mit lithographischer Anstalt.
In Macquarie Street befindet sich auch das grosse Telegraphen-
amt, dann das im griechischen Style gehaltene Gebäude der Commer-
cialbank. Gerade gegenüber dieser Bank liegt der Franklin Square,
welcher seinen Namen von dem berühmten Polarreisenden trägt, der
seinerzeit Gouverneur von Tasmanien gewesen ist. In der mit Garten-
anlagen gezierten Mitte dieses Square erhebt sich eine Bronzestatue
John Franklin’s. Gegenüber der Statue ist eine im Krimkriege von
den britischen Truppen eroberte und von der Centralregierung der
Colonie als Geschenk gewidmete russische Kanone aufgestellt. Auf der
der vorerwähnten Bank entgegengesetzten Seite dieses Square gelangt
man zu einer grossen Gruppe öffentlicher Bauten, von welchen das
Supreme Court, Amtslocale der tasmanischen oberen Gerichtshöfe, ins-
besondere zu nennen ist. In der Nähe liegt auch das hübsche Ge-
bäude der Tasman \& Derwent Assurance Company.
Unter den vielen Gotteshäusern Hobarts erwähnen wir noch
Trinity Church mit einem Spiele von acht Glocken, die katholische
Marienkirche, ein imposantes, mit einem grossen Convent verbundenes
Gebäude, eine andere katholische, in allerjüngster Zeit erbaute Kirche
vom Sacré-Coeur, dann St. Andreas und die Kirche der Wesleyaner.
Auch Gotteshäuser anderer Confessionen sind vertreten, so z. B. be-
steht hier auch eine Synagoge.
An Schulanstalten hat Hobart gleichfalls keinen Mangel. In
erster Reihe ist das schon vorher erwähnte Christ College (High
School) zu nennen. Daran schliessen sich Hutchins’ School und Me-
tropolitan School. Der öffentliche Unterricht in Tasmanien ist ähnlich
wie in den australischen Colonieen organisirt. Die Staatsbehörden üben
ein Oberaufsichtsrecht und der Staat unterhält eine Anzahl von öffent-
lichen Schulen, deren es in Hobart sechs gibt. Ausser der obersten
Unterrichtsbehörde bestehen locale Schulräthe zur Beaufsichtigung
der Anstalten und der in Bezug auf den Unterricht erlassenen An-
ordnungen. An Humanitätsanstalten besitzt Hobart ein grosses Hospital,
ein wohleingerichtetes Armenhaus, ein Waiseninstitut, ein eigenes
Spital für Kinder und noch eine Reihe anderer ähnlicher Institute.
Theater ist nur eines vorhanden, das Royal Theatre, dagegen gibt
es mehrere sehr gut ausgestattete Clubhäuser. Der Tasmanian Club ist
darunter der vornehmste. Sein stattliches Haus erhebt sich nahe der
[813]Hobart.
St. Davids-Kathedrale. Einen etwas weiteren Mitgliederkreis zählt der
Hobart Club, dessen Billardzimmer wegen ihrer sehr eleganten Aus-
stattung einen besonderen Ruf in allen australischen Colonieen ge-
niessen.
A Gouvernements-Gebäude, B Sternwarte, C Botanischer Garten, D Queen’s Battery, E Anlegeplätze
für Dampfer, F Leuchtfeuer, G Hochschule, H Theater, J Batterieen, K Signalstation, L Friedhof,
M Militär-Baracken, N St. Georgsberg, O Montague-Haus, P Spital, Q Bäder. — 1 Park Street,
2 Campbell Str., 3 Argyle Str., 4 Elizabeth Str., 5 Murray Str., 6 Harrington Str., 7 Barrack Str.,
8 Molle Str., 9 Fitzroy Place, 10 Davey Str., 11 Macquarie Str., 12 Collins Str., 13 Liverpool Str.,
14 Rathurst Str., 15 Melville Str., 16 Brisbane Str., 17 Patrick Str., 18 Warwick Str.
[814]Die australischen Gewässer.
Hobart ist mit Gas beleuchtet und mit Trinkwasser durch
eine Wasserleitung reichlich versorgt. Die Stadt sammt Vororten zählt
rund 36.000 Einwohner. Zu den Vororten gehören New Town, Queen-
borough, Wellington, Glenorchy, Risdon und Bellerive.
Hobart weist eine Anzahl grosser und bequemer Hôtels auf,
weil in einem Theile des Jahres ein starker Zuzug von Fremden
stattfindet, die das angenehme Klima und in Verbindung damit die
landschaftlichen Reize geniessen wollen, welche Tasmanien in reicher
Fülle darbietet. Ist schon die Lage Hobarts an sich eine höchst
einnehmende, so steigert sich deren Reiz noch bei den Ausflügen in
die nächste Umgebung. Von Mount Wellington aus, dessen Besteigung
mit keinerlei Beschwerden verbunden ist und zu welchem von Hobart
eine ganz gute Fahrstrasse führt, geniesst man eine herrliche Rund-
sicht über Land und See. Am Südabhange des Berges ist ein bedeu-
tender Wasserfall sehenswerth. Ein anderer, wenn auch nicht so
hoher Aussichtspunkt wie Mount Wellington aber lohnend genug, ist
der im Süden der Stadt gelegene 340 m hohe Mount Nelson, auf
dem sich auch eine Signalstation mit telegraphischer Verbindung nach
Hobart befindet. Wer aber grössere Ausflüge in das Innere der Insel
unternehmen will, der findet Auswahl genug, und er wird sich doppelt
angezogen finden, weil Tasmanien neben seinen Bergen auch vielen
Reichthum an Wasser und hochgelegenen Gebirgsseen aufweist.
Für die Verbindung mit den übrigen Theilen des Landes ist
auch hier schon durch Eisenbahnanlagen Sorge getragen. Ein Theil
derselben steht bereits im Betriebe, ein anderer Theil ist projectirt.
Wir erkennen hier abermals den von den Engländern in allen ihren
Colonieen befolgten Grundsatz, das Communicationswesen als eines der
wichtigsten Mittel zur Hebung und Entwicklung einer Colonie zu be-
trachten und mit Eisenbahnbauten nicht erst zu warten bis schon das
Bedürfniss darnach ungestüm verlangt, sondern dam itvoranzugehen, um
eben die Ansiedlung und die Ausnützung des Landes von vornherein
zu fördern.
Der Handel von Tasmanien, welcher vorzugsweise über Hobart seinen
Weg nimmt, hat in den letzten Jahren keine wesentliche Veränderung erfahren;
er ist auffallend stationär geblieben. Er belief sich im Jahre:
Als der bedeutendste Einfuhrartikel sind Textilwaaren anzusehen, welche
in ihrer Gesammtheit im Jahre 1889 einen Importwerth von 378.601 ₤ aufwiesen.
[815]Hobart.
Ausserdem verzeichneten Schuhwaaren eine Einfuhr von 41.249 ₤. Der
Import an Papier und Büchern belief sich 1889 auf 42.232 ₤.
Tasmanien importirte ferner im selben Jahre für 107.353 ₤ Eisenwaaren
und für 22.051 ₤ Eisenbahnmateriale.
Das Pflanzenreich war in der Einfuhr durch Rohzucker im Werthe von
117.018 ₤, durch Thee im Werthe von 46.875 ₤ und Tabak im Werthe von
26.639 ₤ vertreten.
Endlich ist noch der Import von Kohle für 38.851 ₤ zu erwähnen.
Den werthvollsten Ausfuhrartikel von Tasmanien bildet Zinn. Im Jahre
1889 wurden 3795 Tons im Werthe von 345.407 ₤ ausgeführt.
Diesem zunächst steht die Ausfuhr von Wolle, welche im selben Jahre
einen Werth von 283.237 ₤ erreichte.
Das Pflanzenreich spielt in der Ausfuhr der Colonie eine verhältnissmässig
bedeutende Rolle. In erster Linie ist der Export von Erdäpfeln hervorzu-
heben, der sich auf 41.390 Tons im Werthe von 167.739 ₤ belief.
Daneben bezifferte sich die Ausfuhr von frischen und conservirten
Früchten auf 128.822 ₤.
Die Ausfuhr von Gerste erreichte einen Werth von 36.672 ₤ und die von
Hopfen einen solchen von 23.115 ₤.
An Rinden wurden 10.575 Tons im Werthe von 87.248 ₤ ausgeführt.
Schliesslich ist noch die Ausfuhr von Holz zu erwähnen, welche einen
Werth von 63.161 ₤ verzeichnete.
Den directen regelmässigen Schiffsverkehr zwischen Tasmanien und Europa
besorgen die New Zealand Shipping Cy. und die Shaw, Savile and Albion Cy.,
welche abwechselnd zweimal monatlich von London über Capstadt und Hobart
nach Neuseeland gehen und die Rückfahrt über Rio de Janeiro und Teneriffa nach
London machen.
Ausserdem verkehren die Schiffe der Union Steamship Cy. of New Zealand
wöchentlich einmal von Melbourne nach Hobart und von hier weiter nach Neu-
seeland und die Dampfer der Tasmanian Steam Navigation Cy. besorgen den
regelmässigen Verkehr zwischen Hobart und Launceston einerseits, Melbourne
und Sydney andererseits. Diese Localdampferlinien verbinden natürlich Tasmanien
mit allen grossen europäisch-australischen Linien, mit den P. \& O., den Messageries
maritimes u. s. w.
Die grösste Eisenbahnlinie in Tasmanien ist die Launceston and Western
Railway. Die Hauptlinie geht von Hobart nach Launceston 133 englische Meilen
und von Launceston weiter nach dem Westen bis Ulverstone 99 englische Meilen
und nach dem Osten bis Scottsdale 47 Meilen. Ende 1890 waren Linien von
414 Meilen dem Verkehre übergeben und neue in der Ausdehnung von 43 Meilen
im Bau begriffen.
Den Anschluss an das Welttelegraphennetz vermitteln die zwei Kabel,
welche Low Head, nördlich von Launceston, mit Cap Shank in Victoria ver-
binden.
In Hobart bestehen 7 Banken, darunter die Commercial Bank of Tas-
mania, National Bank of Tasmania, Anglo-Australian Bank, Bank of Australasia,
Union Bank of Australia und die Bank of Van Diemen’s Land.
Hobart ist Sitz einer Handelskammer.
[816]Die australischen Gewässer.
Hier unterhalten Consulate: Dänemark, Frankreich, Hawaïï, Italien,
Japan, Niederlande, Schweden und Norwegen und die Vereinigten Staaten von
Nordamerika.
Im nördlichen Theile der Insel liegt deren zweitwichtigste Stadt
Launceston am Tamarfluss. Der Tamar bildet sich nahe dieser Stadt
aus dem Zusammenflusse des Nord Esk und des Süd Esk River und
läuft dann als ein ziemlich stattlicher Strom noch circa 70 km bis
zu seiner Mündung in die See bei Georgetown im Port Dalrymple.
Er ist von Launceston an schiffbar, so dass Dampfer bis höchstens
5 m Tiefgang (mit Lootsen) von der See fast bis zur Stadt Launce-
ston gelangen können.
Launceston liegt in einem von Hügeln umrahmten Thale und
zählt mit den Vororten 22.000 Einwohner; sie wird durch den Nord
Eskfluss in zwei Theile getheilt. Die südliche Hälfte ist grösser und
enthält den schöneren Theil und die wichtigeren Gebäude. Am Flusse
befindet sich ein guter als Landungsplatz, der Dampfer benützter
Quai. Auch diese junge Stadt ist mit Gas beleuchtet, hat eine gute
Wasserversorgung und stellt sich überhaupt als ein freundlicher Ort dar.
Das südliche Quartier durchzieht in der Richtung von Ost
nach West die Brisbane Street, die vornehmste Strasse der Stadt.
Auch hier fällt die grosse Anzahl von Kirchen auf, deren wir
nicht weniger als sechzehn zählen, unter denen die älteste die 1824
gegründete Kirche von St. John ist. Ein hübsches Stadthaus, die in
einem palastartigen Baue untergebrachten Regierungsbureaux, mehrere
Banken, das erst jüngst errichtete grosse Post- und Telegraphen-
gebäude und die Musikakademie gehören zu den Zierden der Stadt,
die auch mehrere Parks aufweisen kann. Das Alter von Launceston
ist, wie schon angedeutet, kein erhebliches; erst 1858 wurde der Ort
mit städtischen Rechten versehen. Er gewinnt aber immer mehr an
Bedeutung für die nördliche Hälfte von Tasmanien und bietet nament-
lich den Vortheil, dass er eine kürzere Seeverbindung mit dem Con-
tinente hat, weil man nicht, wie bei Hobart, die ganze Insel
umschiffen muss, um dahin zu gelangen
[[817]]
Auckland.
Die Gruppe von Inseln, welche als Neuseeland bezeichnet
wird, bildet eine eigene Colonie für sich; diese steht jedoch nicht nur
in Bezug auf ihren Verkehr, sondern auch auf ihre ganze Gestaltung
und Einrichtung noch in enger Beziehung zu dem eigentlichen
Australien, obwohl sie nicht weniger als 1000 Seemeilen ostwärts da-
von gelegen ist.
Neuseeland besteht hauptsächlich aus zwei grossen langge-
streckten Inseln, der Nord-Insel und der Süd-Insel; dazu gehört noch
die im Süden der letzteren gelegene, jedoch an Umfang wesentlich
kleinere Stewart-Insel. Als England (1840) die drei Inseln in Be-
sitz nahm, wurden sie officiell New Munster, New Ulster und New
Leinster benannt; diese Namen sind jedoch nie in Gebrauch gekommen.
Der alte aus der Zeit der holländischen Entdeckung stammende Namen
behauptet sich siegreich. Neuseeland ist seiner geographischen Lage
nach Antipode des Vereinigten Königreiches (England, Schottland
und Irland); es wurde darum auch bisweilen das Grossbritannien der
südlichen Hemisphäre genannt. Die Inseln sind vulkanischen Ur-
sprunges und werden zum grossen Theile von den mächtigen bis
4024 m (Mount Cook) hohen neuseeländischen Alpen bedeckt. Diesem
Gebirge verdankt Neuseeland auch seinen Wasserreichthum, der es
vor dem australischen Festlande so sehr auszeichnet. Der bekannte
Reisende Trollope sagt von diesem Lande:
„In Neuseeland ist Alles englisch. Die Scenerie, die Farben und
die Formation der Hügel erinnern uns an das, was wir im Westen
Irlands und in den schottischen Hochländern zu sehen gewohnt sind.
Die Berge sind braun und scharf gezeichnet, die Flüsse sind breit
und von raschem Gefälle, die Seen sind blau, tief und in die Berge
hineingebuchtet. Wenn ein langschlafender Brite auf die Otago Hills
(Hügel) gebracht und wenn man ihm beim Erwachen erzählen würde,
er sei in Galway oder im Westen von Schottland, so bliebe er leicht
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 103
[818]Die australischen Gewässer.
in dieser Täuschung befangen, wenn er auch jene Landschaften genau
kennt.“
Die ganze Küste von Neuseeland weist eine Menge natür-
licher guter Häfen auf und hat einen wahren Ueberfluss von Ge-
wässern, die überall einmünden. Auch das Klima des Landes ist
ein angenehmes, gemässigtes und im Ganzen ein gleichmässiges,
welches wenig grelle Abstände zeigt. Es weist zum Theil eine ge-
wisse Aehnlichkeit mit den einschlägigen Verhältnissen von Italien
auf, wenn auch da und dort Schneefälle nicht gerade zu den Selten-
heiten gehören. Die Gesundheitszustände sind daher sehr befriedigende
und hat namentlich der Einwanderer seinen Aufenthalt mit keinerlei
hygienischen Opfern der Acclimatisation zu erkaufen.
Neuseeland wurde in demselben Jahre wie Tasmanien entdeckt. Der schon
früher genannte holländische Seefahrer Tasman bekam es 1642 auf jener Reise
zu Gesicht, auf welcher er Vandiemensland berührt hatte. Es scheint jedoch,
dass er damals das Land, das er Staatenland benannte, selbst nicht betrat. Jeden-
falls entschwand die Kunde von demselben fast ganz dem Gedächtnisse. Von hollän-
dischen Geographen des XVII. Jahrhunderts stammt der Name „Nova Zelandia“.
Cook, der berühmte Erforscher der Südsee, kam im October 1769 auf seiner
Rückfahrt von Tahiti nach Neuseeland, welches er dann auf seinen späteren Reisen
wiederholt besuchte. Er fand dort einen ziemlich kräftigen Schlag von Einge-
bornen, die sogenannten Maori, welche in zahlreiche Stämme getheilt waren,
vielfach in Krieg unter einander lebten, sich gegenseitig schweren Schaden zu-
fügten und — Menschenfresser waren!
Aber auch Cook’s Reisen vermochten Neuseeland nicht aus seiner weltfernen
Abgeschlossenheit zu reissen. 1814, 1822 und 1838 unternahmen mehrere Missio-
näre einen Versuch zur Colonisirung in der Hoffnung, die Eingebornen für das
Christenthum zu gewinnen, aber ohne Erfolg. Die Maori verhielten sich sehr
ablehnend und feindlich. Erst als 1839 in ähnlicher Weise, wie es in Bezug auf
Südaustralien der Fall war, sich eine Gesellschaft energischer Männer in England
unter Leitung des Lord Durham (die „New Zealand Company“) zusammenthat,
bekam die Idee der Colonisirung eine festere Gestaltung. Auch hier wollte die
königliche Regierung von dem Plane anfänglich nichts wissen, und erst 1840
konnte man ernstlich an die Realisirung des Planes schreiten. Man fing die
Sache zunächst damit an, dass man wegen Landkaufes mit den Eingebornen in
Verhandlung trat. Die Eingebornen zeigten wohl viel Misstrauen, weil sie
fürchteten, schliesslich doch benachtheiligt zu werden, aber endlich kam es zu
einer Art von Uebereinkommen (Vertrag von Waitangi) mit den verschiedenen
Häuptlingen, die hier die Oberhoheit der britischen Krone anerkannten während
diese den Eingebornen ihren Besitz garantirte und die Modalitäten des Land-
verkaufes an die neuen Ansiedler regelte.
Hierauf wurde noch im Jahre 1840 die Colonie förmlich constituirt.
Leider ging die Durchführung der Ansiedlungen nicht so ruhig und friedlich
vor sich, als man gehofft hatte. Die Maori überfielen wiederholt die ihnen ver-
hassten Einwanderer, es kam mehrmals zu blutigem Gemetzel, und die Engländer
[819]Auckland.
waren dann wieder genöthigt, zur Sicherung ihres Besitzes und ihrer Colonisten
Kriegszüge zu unternehmen. Diese Schwierigkeiten haben durch einige Zeit recht
schwer auf der jungen Colonie gelastet, umsomehr, als man sich immer mehr
überzeugte, dass es kaum möglich sein werde, die Eingebornen zu einem fried-
lichen und vertrauensvollen Zusammenleben zu vermögen.
1854 erhielt Neuseeland eine selbständige Verfassung mit eigenem Parla-
mente. Aber noch dauerte es mehr dreissig Jahre, bis (seit 1886) völliger Friede
in der Colonie gesichert war. Die Maori wollten auf ihre Unabhängigkeit nicht
verzichten und wurden, je mehr sie den englischen Waffen auch unterlagen, nur
noch erbitterter. Mehr als ein Feldzug musste gegen die Maori unternommen
werden, und dazwischen dauerten die kleinen Feindseligkeiten fort, welche das
Leben und den friedlichen Erwerb der Colonisten fort und fort bedrohten. Immer
mehr machte sich die Ansicht geltend, dass an einen Frieden mit den Maori nicht
zu denken sei. Wenn man auch nicht gerade das Princip aufstellte, so sah man
sich doch thatsächlich zu einer Art von Vernichtungskrieg gezwungen. Wie bei den
meisten Ureinwohnern der von den Europäern in Besitz genommenen Welttheile,
zeigte sich das Volksthum der Maori nicht widerstandsfähig. Der stete Kampf, die
ununterbrochene Concentrirung aller Bestrebungen auf die Vertreibung und Ver-
nichtung der verhassten Weissen, das Elend des eigenen, an Entbehrungen reichen
Daseins, namentlich aber die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten
erschöpften in kurzer Zeit im Ringen mit einem viel kräftigeren Feinde die
Kräfte der Eingebornen. Der Kampf mit den Maori fand sein Ende, nicht durch
deren endgiltige Unterwerfung, wohl aber durch deren rasches Absterben.
Heute kann man schon mit Bestimmtheit voraussagen, dass
der Tag nicht allzuferne sei, an welchem die Ureinwohner Neusee-
lands nur mehr in der Tradition fortleben werden. Als Neuseeland
in Besitz genommen ward, veranschlagte man die Zahl der Maori auf
120.000 Seelen. Heute sollen deren nach einer möglichst genauen
Erhebung nur mehr 40.000 Seelen (darunter 17.000 weiblichen Ge-
schlechtes) auf der ganzen Inselgruppe vorhanden sein, und sind alle
zum Christenthume bekehrt. Die Maori sind der geistig und körperlich
tüchtigste Volkszweig der australischen Rassen, auch haben sie sich
des Genusses von Branntwein ziemlich enthalten, und dennoch müssen
sie zu Grunde gehen, weil sie dem ungleichen Kampfe um’s Dasein
mit den kampfgeübteren Europäern weder geistig noch körperlich
gewachsen sind. Manche Maori unterscheiden sich jedoch kaum von
Europäern.
Die übrige Bevölkerung bildet jetzt die überwiegendste Masse.
Sie beläuft sich auf etwas über 625.000 Köpfe. Sie ist vorwiegend
europäischen, meist britischen Ursprunges, und besteht aus Ein-
wanderern oder Nachkommenschaft von Einwanderern; darunter
sind etwa 5000 Deutsche. In neuerer Zeit sind auch an 5000
Chinesen zugezogen, welche namentlich als Kuli Verwendung finden.
Diese Chinesen können jedoch nur als eine vorübergehende Bevöl-
103*
[820]Die australischen Gewässer.
kerung betrachtet werden, indem sie wie auch anderwärts nur männ-
lichen Geschlechtes sind und Weiber bloss in ganz vereinzelter Zahl
vorkommen. Der Chinese gibt den Gedanken an die Heimkehr in
sein geliebtes Mutterland niemals auf und lebt darum auch in den
verschiedenen Colonieen, wo man ihn findet, fast ausnahmslos nur als
Fremder und mit den Gefühlen eines Fremden, für den nichts Interesse
hat, als sein Erwerb.
Trotz der Belästigungen, welche aus den lange fortgesetzten
Maorikriegen sich ergeben haben, gewann die Colonie doch stetig
an Entwicklung.
Dieser Umstand muss wesentlich den vielfachen Vortheilen zu-
geschrieben werden, welche Neuseeland durch seine günstige Lage
und seinen natürlichen Reichthum bietet. Dass das Vorhandensein
von Gold, das man seit 1857 hauptsächlich im Alluvium findet,
nicht wenig zur raschen Besiedelung des Landes beitrug, dürfte sich
von selbst verstehen.
Nahm die Sache auch nicht solche Dimensionen an, wie in Victoria,
so fand man doch eine Ausbeute, welche den regelmässigen Be-
trieb lohnte. Ausserdem zeigt Neuseeland auch an anderen Mineralien,
namentlich an Kupfer, Eisen (im Meeressand!) und Kohle, erhebliche
Schätze. Auch Petroleum wurde in jüngster Zeit auf der Nord-Insel
gewonnen. Ueberdies ist der Ackerbau lohnend und spielt auch die
Viehzucht, insbesondere, wie in Australien, die Schafzucht (15 Millio-
nen Stück), eine grosse Rolle.
Der wichtigste Hafen und überhaupt die bedeutendste Stadt ist
Auckland, wenn auch der Sitz der obersten Colonialbehörde sich
seit 1865 in Wellington befindet.
Auckland hat eine eigenthümliche Lage. Die Nord-Insel,
welche nördlich von Auckland in einen ziemlich schmalen, halb-
inselförmigen Landstrich ausläuft, bildet dort, wo sich dieser Land-
strich von dem Kerne der Insel trennt, eine Art von Isthmus. Auf
der Ostseite liegt der von verschiedenen Inseln geschützte Hauraki-
Golf, dessen Fortsetzung der Hafen Waitemata bildet, an welchem
Auckland gelegen ist.
Auf der westlichen Seite liegt die fast geschlossene Bucht des
Manukau Harbour. Die Breite des Isthmus zwischen beiden Buchten
beträgt kaum 10 km, und hat man darum Auckland auch das Korinth
der Südsee genannt. Es geniesst den Vortheil, nach zwei Seiten hin
Verbindung mit der See zu haben, und dies ist schon darum
[821]Auckland.
erheblich, weil die vom Westen kommenden Schiffe nicht genöthigt
sind, die Nordspitze der Insel zu umschiffen.
Die beiden Häfen, über welche Auckland sonach verfügt,
nämlich der eigentliche Hafen der Stadt und jener am Manukau Har-
bour, zeichnen sich durch ihre ganz besonders geschützte Lage aus.
Ohne Anstand und Gefahr können selbst grosse Schiffe hier operiren.
Auckland bietet auch landschaftlich einen grossen Reiz. Wenn man
den unfern der Stadt gelegenen 200 m hohen Mount Eden besteigt,
Auckland (Queen Street Wharf).
auf welchem sich noch Reste alter Vertheidigungswerke der Maori
befinden, geniesst man einen wahrhaft herrlichen Rundblick auf den
inselreichen Golf im Nordosten und auf die Bucht von Manukau im
Süden; auch kann man den ganzen Isthmus überschauen und vermag
selbst die bergige Formation des Landes weithin zu verfolgen.
Unterhalb aber liegt die Stadt mit ihrem lebendigen Treiben und
dem bunten Verkehre der Schiffe, welche den sehr bedeutenden
Handel von Neuseeland besorgen. Der Besucher von Auckland thut
gut, zuerst seine Schritte hinauf zum Mount Eden zu lenken. Er er-
fasst in einem Momente die vielen Eigenthümlichkeiten dieses Punktes,
[822]Die australischen Gewässer.
sowie überhaupt auch manche von Neuseeland, und es macht ihm
zugleich der Ausblick auf den unermesslichen Ocean zu beiden
Seiten einen grossartigen Eindruck.
Mitten im Ocean, wie ein äusserster Vorposten, liegt Neusee-
land, und doch hat auch hier die europäische Cultur sich eine Heim-
stätte errungen und bindet dieses ferne Gemeinwesen an die übrige
civilisirte Welt.
Auckland ist mit Onehunga am Hafen von Manukau durch eine
Eisenbahn verbunden. Man geht mit der Absicht um, nebst dieser
Bahn auch einen schiffbaren Canal herzustellen und durch diesen
Wasserweg das Umladen der Schiffe zu ersparen. Beide Häfen be-
sitzen heute schon ausreichende Quaianlagen und Molen. Der Quai Queen’s
Wharf allein hat eine Längenbuchtung von 550 m. Es können vierzig
Schiffe gleichzeitig an den Ufern ihre Operationen vornehmen. Auch
ist überall für ausreichende Wassertiefe Sorge getragen. Ein grosses
Trockendock nahe dem Queen’s Wharf, steht überdies Schiffen zur
Verfügung, und ein zweites, das Calliope Dock an der Nordseite des
Hafens, ist jüngst vollendet worden. Dasselbe ist 160 m lang und
24 m breit.
Die Stadt selbst ist gut gebaut. Die Queen Street ist ihre vor-
nehmste und auch belebteste Strasse. Zu den bedeutenderen Strassen
zählt man noch Albert, Hobson, Wyndham, Victoria, Wellesley,
Wakefield, Grey und Grafton Street. Die Strassen sind mit Gas
beleuchtet.
Unter den Gebäuden nehmen auch hier die verschiedenen
Kirchen einen schon der Zahl nach ansehnlichen Rang ein. Die
Episcopalkirche zählt drei, die Presbyterianer drei, die Anglicaner
zwei, die Wesleyaner, die Congregationalisten und die Baptisten je
eines, und die Katholiken vier Gotteshäuser. Die Kirche St. Andreas
der Presbyterianer gilt als die schönste von Auckland. Unter den
sonstigen öffentlichen Gebäuden nennen wir das Regierungspalais,
die Börse, das Postamt, das Zollamt und das Auckland-Institut,
allwo sich neben einem wohl ausgestatteten Museum vorwiegend
neuseeländischer Artikel auch eine ansehnliche öffentliche Bibliothek
befindet. Spitäler und Schulen sind in genügender Zahl vorhanden
Für den Unterricht wird in ähnlicher Weise wie in den anderen
australischen Colonieen gesorgt. Für den höheren Unterricht bestehen
in Auckland eine Grammar School für Knaben und eine andere für
Mädchen, auch steht die Errichtung eines University College nach
englischem Muster im Zuge.
[823]Auckland.
Ein nettes Gebäude besitzt auch die erst vor wenigen Jahren
eröffnete Auckland Free Library and Art Gallery, eine öffentliche,
Jedermann zugängliche Bibliothek mit bereits circa 100.000 Bänden.
Die Bankinstitute haben sich auch in Auckland wohl einge-
richtet. Vertreten sind hier durchwegs in eigenen Bauten die Neu-
seeland-, die Neusüdwales-, die Australasian, die Colonialbank, die
Union- und Nationalbank. Die Aucklander Sparcasse verfügt über ein
besonders hervorragendes Gebäude. Selbstverständlich ist nach dem
guten australischen Brauche kein Mangel an Gartenanlagen, von denen
in erster Reihe der botanische Garten genannt werden muss. Daran
reihen sich noch der City Park und der Albert Park. Theater gibt es
zwei, das Royal Theatre und das Opernhaus.
In Auckland befindet sich eine ganz bedeutende Anzahl indu-
strieller Etablissements, insbesondere Sägemühlen und bedeutende
Tischlereien, dann eine grosse Zuckerraffinerie, welche einen nahm-
haften Theil des auf Neuseeland consumirten Zuckers herstellt.
Die Stadt hat bei 50.000 Einwohner und besitzt bereits ein
Tramwaynetz, welches die eigentliche Stadt und die Vorstädte mit
einander verbindet.
Das Eisenbahnwesen hat auf Neuseeland auch schon Ausdehnung
gewonnen und durch dasselbe steht Auckland mit der ganzen Nord-
Insel in reger Verbindung. Es führt zunächst eine Hauptlinie südwärts
durch die ganze Insel bis Wellington. Von dieser Hauptlinie sondert
sich nebst der schon erwähnten kurzen Strecke nach Onehunga ein
Zweig in östlicher Richtung nach New Plymouth ab, ein anderer geht
an die Ostküste bis Napier, ein dritter durchzieht den südöstlichen
District der Insel und mündet dann gleichfalls in Wellington. Ausser-
dem gibt es noch mehrere andere Seitenbahnen. Eine bedeutende
Ergänzung des Netzes ist theils projectirt, theils auch schon in Aus-
führung begriffen. Ebenso ist die Bahn nördlich von Auckland bis
zur Nordspitze der Insel begonnen und sieht ihrer Vollendung ent-
gegen.
Die Bahnen sind theils Eigenthum des Staates, theils gehören
sie Privatgesellschaften. In gleicher Weise wie die Nord-Insel ist auch
die Süd-Insel von Neuseeland der Länge nach von einem viel ver-
zweigten Bahnsysteme durchzogen. Die Bahnen in Neuseeland haben
nach den letzten Ausweisen bereits eine Ausdehnung von mehr als
3200 km, eine gewiss stattliche Ziffer für eine Colonie in der
fernen Südsee.
[824]Die australischen Gewässer.
Die Gesammtausfuhr der Colonie Neuseeland belief sich im Jahre 1890
auf 9,820.545 ₤, 1889 auf 9,131.373 ₤, wovon 1889 auf die Provinz Auckland
allein 1,350.226 ₤ entfielen.
Von der Gesammteinfuhr der Colonie, welche 1890 mit 6,260.577 ₤, 1889
mit 6,297.097 ₤ bewerthet erscheint, entfielen 1889 auf Auckland allein 1,407.465 ₤.
Der grösste Theil dieses Handels der Provinz Auckland nimmt seinen Weg über
den gleichnamigen Hafen. Letzterer hatte im Jahre 1889 eine Ausfuhr von
1,042.087 ₤ zu verzeichnen. Unter den übrigen Hafenplätzen der Provinz kommen
Poverty Bay mit einer Ausfuhr von 126.099 ₤ und Kaipara mit einer solchen von
90.839 ₤ in Betracht.
Der wichtigste Ausfuhrartikel des Hafens Auckland ist Kaurigummi,
welcher in dieser Provinz von Neuseeland am häufigsten vorkommt. Der Export
von Gummi belief sich im Jahre 1889 auf 326.875 ₤. Der stärkste Abnehmer
für denselben ist Amerika, und die grösste Ausfuhr findet nach New York und
Boston statt. Kauriharz (der neuseeländischen Tanne Dammara australis) wird
gegenwärtig zum Preise von 30—55 ₤ per Tonne verkauft.
Wolle, welche einen bedeutenden Exportartikel von Neuseeland bildet,
geht nur zum geringsten Theile über Auckland. Von 3,976.375 ₤, als dem Werthe
der Wollausfuhr der ganzen Colonie im Jahre 1889, entfielen auf Auckland nur
97.173 ₤.
Neuseeländischer Flachs ist ein lebhafter Ausfuhrartikel von Auck-
land; im Jahre 1889 betrug dessen Ausfuhrwerth 46.374 ₤. Die Ausfuhr dieses
Flachses dürfte sich in den kommenden Jahren heben, weil sich seit Kurzem
mehrere Unternehmungen gebildet haben, welche die Bearbeitung desselben besorgen.
Grosse Quantitäten von Flachs (Phormium tenax) werden nach Amerika verschifft.
Eine Reihe von Nahrungsmitteln vervollständigt den Export von Auckland.
Im Jahre 1889 wurden ausgeführt: Fleisch für 50.698 ₤, Butter und Käse
für 20.815 ₤, Mais für 27.512 ₤, Getreide für 23.978 ₤, Kartoffeln für
11.900 ₤.
Erwähnenswerth erscheint auch der Export von Holz im Werthe von
51.670 ₤, welches vornehmlich nach London und Glasgow verschifft wird.
Schliesslich ist die Ausfuhr von Gold und Silber zu nennen, welche
1889 einen Werth von rund 95.000 ₤ repräsentirte.
Der Import von Auckland (für den uns leider keine speciellen statistischen
Daten vorliegen) setzt sich im Wesentlichen aus den gleichen Artikeln zusammen,
welche die Einfuhr der anderen australischen Colonien bilden.
Eine Reihe von industriellen Erzeugnissen Europas sowie Nahrungs- und
Genussmitteln, speciell Getränken, sind die wichtigsten Elemente der Einfuhr.
Im Jahre 1889 waren in sämmtlichen Häfen der Provinz Auckland 333
Schiffe von 197.353 T eingelaufen, davon in dem Hafenplatze Auckland allein
250 Schiffe mit 169.153 T.
Regelmässige Verbindung mit Auckland unterhalten die New Zealand
Shipping Cy. und die Shaw, Savile and Albion Cy., deren jede vierwöchentlich einen
Dampfer von London um das Cap nach Neuseeland sendet, ferner die Oceanic
Steamship Cy., welche einmal monatlich die Linie von San Francisco über Ho-
nolulu und Auckland nach Sydney befährt.
Die Union Steamship Cy. of New Zealand sendet ein Schiff wöchentlich
von Melbourne über Auckland nach Sydney und unterhält seit Kurzem eine Linie
[[825]]
A Flaggenstock, B Calliope Dock, C Kohlenhulk, D Molo (project), E Handelshafen, F Leuchtfeuer, G Ankerplatz, H St. Stephan, J Thurm, K Eisenbahn nach Waikato,
L Eisenbahn nach Helensville, M Windmühle, N Graving Dock, O Franklin Road, P Albert Street, Q Upper Queen Str., R Nelson Str., S Cook Str., T Beresfort Str., U Queen
Str., V Stanley Str.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 104
[826]Die australischen Gewässer.
welche vierwöchentlich von Auckland eine Fahrt nach den Südsee-Inseln unter-
nimmt, wobei die Inselgruppen Tonga und Samoa berührt werden.
Auckland ist Sitz einer Handelskammer und folgender Banken: Bank
of New Zealand (mit 106 Filialen in den einzelnen Städten), National Bank of
New Zealand, Colonial Bank of New Zealand, Bank of New South Wales, Union
Bank of Australia und Bank of Australasia.
Durch Consulate sind daselbst vertreten: Chile, Dänemark, Deutsches
Reich, Frankreich, Hawaïi, Italien, Niederlande, Schweden und Norwegen und die
Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Während Auckland auf der Nord-Insel den nördlichen Knotenpunkt
der Bahnlinien bildet, ist solcher Wellington im Süden der Insel.
Man hat, wie schon erwähnt, 1865 den Sitz der Colonialregierung
von Auckland hieher verlegt, weil letzterer doch zu entlegen für
das übrige Neuseeland war, während Wellington ziemlich central an
der Cookstrasse gelegen ist, welche die beiden grossen Inseln von
einander scheidet. Wellington ist die älteste Niederlassung auf Neu-
seeland und besitzt in dem wohl geschlossenen Port Nicholson, einer
in das Land kreisförmig hineinreichenden Bucht, einen leicht zugäng-
lichen und prächtigen Hafen (Lambton Harbour), sowohl in Bezug
auf Schutz und Sicherheit, als auch in Bezug auf Tiefgang. Die Stadt
zählt 32.000 Einwohner, besitzt ein hübsches Regierungspalais, das
in italienischem Style gehaltene und bereits elektrisch beleuchtete,
sehr stattliche Parlamentshaus (mit Ober- und Abgeordneten-
haus), drei Kathedralkirchen (St. Paul, St. Marcus und St. Peter)
nebst einer Anzahl anderer Gotteshäuser. Es sind drei Theater vor-
handen, von denen das Opernhaus 1200, das Royal Theatre 1000
Personen fassen kann. Wellington besitzt mehrere bedeutende Un-
terrichtsanstalten, darunter den schönen Bau des katholischen St. Pa-
trick’s Collegiums, verschiedene Bankinstitute, einen botanischen
Garten und andere hübsche Parks, dann auch ein Colonial-
museum, in welchem alle Merkwürdigkeiten von Neuseeland
gesammelt werden, um dem Besucher ein anschauliches Bild von der
Beschaffenheit der Colonie in Bezug auf Land und Leute zu gewähren.
Der Hafen hat zwei grosse Piers, den Queen’s Wharf und den Rail-
way Wharf Pier und ausserdem ein auch für grössere Schiffe (bis zu
2000 Tonnen) brauchbares Slipdock in der östlich von der Stadt ge-
legenen Evansbai. Im ganzen stellt sich Wellington daher als ein
bedeutender Ort dar, welcher auch in industrieller Beziehung eine
rege Thätigkeit entwickelt und eine Anzahl ganz stattlicher Eta-
blissements, darunter z. B. eine grosse Fleischconservenfabrik und
mehrere Wolle- und Flachspressen aufweist.
[827]Auckland.
Die Süd-Insel der Neuseelandgruppe besitzt noch keinen Hafen
von grösserer Bedeutung, jedoch eine Anzahl von Küstenpunkten,
welche den weiten Verkehr vermitteln. Wir nennen davon Dunedin
(am Otago Harbour), die bedeutendste Stadt an der Ostküste, ferner
das ebenfalls an der Ostküste gelegene Christchurch mit dem Hafen
Lyttelton und Nelson an der Tasman- oder Blindbai im Norden.
Dass Neuseeland selbst nach jeder Richtung hin in telegra-
phischer Landverbindung steht, bedarf wohl keines besonderen Hervor-
hebens; Kabel verbinden die 270.000 km2 grosse Inselgruppe, das
Land unserer Antipoden, über den Continent mit Europa.
Neuseeland ist der letzte Punkt, den wir auf unserer grossen
Rundschau begrüssten. Bilder aller Art sind vor unseren Augen vor-
übergezogen, Schicksale in auf- und absteigender Linie haben wir
betrachtet, aber immer und überall haben wir gesehen, dass Thätig-
keit, Energie und Umsicht, gepaart mit dem klaren Verständnisse von
Zeit und Gelegenheit das Feld behaupten und aus kleinen Anfängen
zu grossen Resultaten führen. Hiefür bietet uns auch Neuseeland einen
abermaligen Beweis. Das Volk der wilden Maori ist dahingesunken,
auf den Stätten aber, die es einstens allein bewohnte, ist ein neues
blühendes, zukunftreiches Gemeinwesen im Keimen begriffen, welches
ganz und voll der Cultur angehört und zu den glänzendsten Hoff-
nungen colonialer Entwicklung berechtigt.
[]
Nachtrag zum I. Bande.
Infolge eines unliebsamen Versehens, auf welches der Heraus-
geber zu spät aufmerksam gemacht worden ist, befindet sich auf
Seite 845 des I. Bandes eine Abbildung unter der Bezeichnung Libau,
während sie in Wirklichkeit Pillau vorstellt und daher auf Seite
840 abgedruckt sein sollte.
Indem wir bitten, hievon gefälligst Kenntniss zu nehmen und den
Irrthum gütigst zu entschuldigen, bieten wir hier nachträglich die
Ansicht von Libau.
Libau.
[][]
Appendix A
Druck von Johann N. Vernay in Wien.
[][][]
März 1891.
Toikun, ein Tïtel des weltlichen Herrschers.
- License
-
CC-BY-4.0
Link to license
- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Anonymous. Die Seehäfen des Weltverkehrs. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bqg9.0