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Entwurf

einer

systematischen Poetik,

nebst

Collectaneen zu ihrer

Ausführung. ────────────


Zweyter Theil. ──────────────────


Leipzig,

bey Breitkopf und Härtel.

1804.

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Poetik. ──────


Zweytes Buch.


[Abbildung]

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Dieses zweyte Buch, welches einen kurzen Grundriß zur

besondern Poetik, oder zu einer Theorie der Dichtungsarten

enthält, besteht aus folgenden Unterabtheilungen.



A) Erster Abschnitt. Von der göttlichen Poesie.



a) Erstes Kapitel. Von der göttlichen Poesie oder

einer idealen Weltgeschichte als Bedürfniß des

religiösen Glaubens überhaupt.



b) Zweytes Kapitel. Von der biblischen Poesie

insbesondere.



B) Zweyter Abschnitt. Von der menschlichen Poesie.



a) Erstes Kapitel. Von der lyrischen Poesie.



1) Erster Unterabschnitt. Von der höhern lyrischen

Poesie.



2) Zweyter Unterabschnitt. Von der niedern

lyrischen Poesie.

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b) Zweytes Kapitel. Von der darstellenden Poesie.



1) Erster Unterabschnitt. Von der historischen

Poesie.



2) Zweyter Unterabschnitt. Von der beschreibenden

Poesie.



3) Dritter Unterabschnitt. Von der didaktischen

Poesie.



4) Vierter Unterabschnitt. Von der allegorischen

Poesie.



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Erster Abschnitt.


Von der göttlichen Poesie. ────── |#f0012 : E488|

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[Abbildung]


Erstes Kapitel.


Von der göttlichen Poesie oder einer idealen Weltgeschichte als Bedürfniß

des religiösen Glaubens überhaupt. ──────



§. 1.



Der Jnhalt der göttlichen Poesie ist eine durch

göttliche Begeisterung den Seelen offenbarte

ideale
Weltgeschichte, welche, wie wir oben

bewiesen haben, ein unumgängliches Bedürfniß für

den religiösen Glauben ist.



Anmerk. Ohne noch hier anzunehmen, was weiter

unten klar werden wird, daß die Schriften, welche von

den Christen unter dem Namen Bibel begriffen werden,

das Bedürfniß der Offenbarung im Engern Sinne vollkommen

befriedigen, betrachten wir hier den Begriff der göttlichen

Poesie a priori, wie er schon von der Psychologie postulirt

wird. Wer an eine solche ideale Weltgeschichte

glaubt, kann auch, wenn er consequent seyn will, keine

andre Quelle für dieselbe anerkennen, als göttliche

Begeisterung.
Das Zeugniß der Sinne kann uns ungewöhnliche

Begebenheiten beurkunden, aber allein kann es |#f0014 : 490|



uns über göttliche Dinge keinen Aufschluß geben, weil Gott

in einem Lichte wohnt, dahin kein sinnliches Auge dringen

kann, weil das ideale Prinzip der Welt in der Erscheinung

als Erfahrungsobjekt nicht gefunden wird. Was die Vernunft

betrifft, so offenbart sie uns zwar schon einen Aufruf

zum höhern Leben im religiösen Gewissen. Der

Tugendhafte, wenn er seinen Willen allein nach der Form

der Gesetzlichkeit bestimmt, weiß, daß Gott sey, denn

Gott, das gesetzliche Wesen, handelt durch ihn. Keinen

andern Aufschluß giebt aber die Vernunft nicht. Die

Vernunft kann also den religiösen Glauben, daß das

gesetzliche Prinzip auch zugleich die Erscheinungswelt allmächtig

lenke, nur postuliren. Will die menschliche Vernunft

sich von der Wirksamkeit ihrer Willensbestimmung durch

Gott in der Erfahrungswelt überzeugen, welches sie als

receptives Vermögen erheischt, so bedarf sie dazu einer höhern

Begeisterung, welche die sichtbaren Begebenheiten in

einem idealen Lichte verklärt, und den Plan Gottes zeigt,

nach welchem er die Schicksale des Menschengeschlechts nur

darum anordnet, daß dasselbe zur Gemeinschaft mit ihm gelangen

könne.



§. 2.



Vorausgesetzt, daß sich in der Erfahrung Traditionen

und Urkunden fänden, welche auf die Würde

einer göttlichen Offenbarung Anspruch machten, so fragt

es sich, nach welchen Kriterien der Mensch die Aechtheit

derselben zu beurtheilen habe.

|#f0015 : 491|



§. 3.



Da das religiöse Gewissen die höchste

Quelle alles menschlichen Wissens ist, der Mensch aber

nichts glauben kann noch darf, was seinem höhern

Wissen widerspricht, so dürfen erstlich diese

Urkunden des religiösen Glaubens dem religiösen

Gewissen
nicht widersprechen, sondern

müssen dasselbe bekräftigen.



Anmerk. 1. Etwas anders ist zu sagen von dem

niedern mehr sogenannten Wissen der gewöhnlichen

nach physischen und Verstandesgesetzen geordneten Erfahrung.

Dieses historische Wissen beruht ohnedieß nur auf

Hypothesen, ist und bleibt ewig Stückwerk, und kann nur

von falschem Witze und menschlicher Aufgeblasenheit einer

Offenbarung entgegengesetzt werden. Letztere muß sogar

ihrer Natur nach dem beschränkten Verstande unwahrscheinlich

seyn, weil sie Gegenstände darstellt, welche nicht für

sein Forum gehören.



Anmerk. 2. Der religiöse Glaube ist zwar, wie

wir oben bewiesen haben, seiner Natur nach ästhetisch.

Er unterscheidet sich aber eben dadurch von den profanen

ästhetischen Empfindungen, daß er ein praktisches Jnteresse

hat, und das Gewissen bekräftigen soll. Das

höhere Leben der Tugend muß sich selbst erscheinen, muß an

sich selbst glauben. Da es sich auf eine für den Verstand |#f0016 : 492|



unerklärliche Jdealität der Freyheit gründet, kann es sich

nicht anders objektiv werden, als im Lichte der Schönheit.

Das Gefühl dieser höhern Schönheit ist aber eben deswegen

heilig, weil es den Menschen stärkt, von neuem dem

Aufruf zum Handeln Genüge zu thun. Dadurch widerspricht

jedoch der Glaube dem Gewissen keinesweges,

daß er den moralischen Zwang aufhebt, und das

Gute aus Liebe vollbringen läßt. Vielmehr ist dies die

natürliche Folge der Offenbarung. Der durch den Jmperativ

zum zweckmäßigen Handeln aufgeforderte Mensch

lernt die höchste Zweckmäßigkeit als Schönheit mit religiöser

Andacht anschauen, seine Knechtschaft verwandelt sich in

Kindschaft, die Achtung für den moralischen Zwang in

Enthusiasmus. Auch dadurch widerspricht eine Religionslehre

nicht dem Gewissen, wenn sie irrige menschliche Begriffe

von Gerechtigkeit umstößt. Christus z. B. schlägt in

seinen Parabeln die Anmaßung aller derjenigen nieder, welche

sich auf die Verdienstlichkeit ihrer Werke berufen und

deswegen einen besondern Lohn verlangen. Dieser göttliche

Richter richtet gewöhnlich und auch hier die Menschen nach

ihren eigenen Grundsätzen. Haben jene Menschen das Gute

wegen des Lohns gethan, so war die Triebfeder ihrer Handlung

nicht rein. Sie verdienen keinen Vorzug. Sie waren

blos Spekulanten, die das entferntere Nützliche dem nähern

vorzogen. Thaten sie das Gute aus Achtung für den moralischen

Zwang, so sind sie ja nach ihrem eigenen Geständnisse

unnütze Knechte. Sie thaten, was sie zu thun schuldig

waren. Hätten sie aber das Gute aus Enthusiasmus, |#f0017 : 493|



aus einer höhern Neigung für dasselbe gethan, so würden

sie im Gelingen desselben, in der Reinheit ihres Herzens

ihren Lohn finden, keinen Vorzug verlangen, den sie schon

haben, und sich über die Bekehrung anderer, über die Verbreitung

der Seligkeit freuen.



§. 4.



Da das Postulat des Glaubens eine befriedigende

ideale Weltgeschichte ist, in welcher Gott, das gesetzliche

Wesen, als Bestimmer der Weltschicksale zu

gesetzlichen Zwecken erscheint, und die zum Bewußtseyn

der Vernunft gekommenen Menschen in seine Gemeinschaft

aufnimmt, so müssen zweytens die Offenbarungsurkunden

wirklich eine solche vollständige

ideale
Weltgeschichte enthalten, welche die Entwicklung

aller Wahrheiten der rationalen Psychologie in der

Zeit symbolisch zeigt, mit den für die Sinne realen

Weltbegebenheiten den genausten Zusammenhang hat,

hinreichend ist, den praktischen Enthusiasmus, die

höhere Begeisterung der Andacht zu erwecken, also in

jedem Herzen fortgesetzt werden kann, und auf das

menschliche Leben auch den entschiedensten Einfluß hat.



Anmerk. Jn diesem § wird der Begriff einer idealen

Weltgeschichte näher aus einander gesetzt und nach seinen

Kriterien bestimmt. 1) Jn einer solchen idealen

Weltgeschichte muß Gott als das gesetzliche Wesen erscheinen |#f0018 : 494|



, welches die Welt zu absolut gesetzlichen Zwecken bestimmt,

die Menschen immer deutlicher über diese Bestimmung

belehrt, und die Menschheit in die göttliche Gemeinschaft

aufnimmt. Da eine Geschichte Succession in der

Zeit voraussetzt, so kann die Jdealität dieser Geschichte

nicht auf einmal und in Allen Momenten der Zeit erscheinen,

sondern sich nur nach und nach, je mehr sich das Ganze entwickelt,

darthun. Die Seelenwelt kündigt sich hier als eine

successiv sich organisirende Totalität an, die der absoluten

Gesetzlichkeit immer näher kommt. Es ist daher ein sonderbarer

Vorwurf, der z. B. dem alten Testamente von vielen

Gegnern der Bibel gemacht worden ist, daß darin weder

Gott noch die Menschen in einem rein idealen Lichte erscheinen.

Gott kann sich den Menschen nicht anders zeigen,

als sie ihn verstehen, als sie ihn zu sehen verdienen.

Christus läßt in einer seiner Parabeln einen Knecht zum

Herrn sagen: Herr, ich furchte mich vor dir, denn du bist

ein harter Mann. Und der Herr antwortet: Wenn du

wußtest, daß ich ein harter Mann bin, so richte ich dich aus

deinem Munde, du Schalk. Eben so richtete der Nazionalgott

Jehova sein Volk aus dessen Munde, weil die Menschheit

einer reinern Ansicht noch nicht würdig war, und vermöge

der Gesetze der geistigen Organisation noch nicht seyn konnte.

Allein die ideale Geschichte muß in so fern vollständig

seyn, daß alle an sich zufällige Ereignisse eine vorbereitende

weissagende Beziehung
auf irgend eine große

Hauptbegebenheit haben, wo das menschliche Leben ganz

zum göttlichen wird, wo die Menschheit erscheint im |#f0019 : 495|



reinen Gegensatz mit der physischen sterblichen Welt, als

selbst gesetzlich, des Anschauns, der absoluten Gesetzlichkeit

Gottes gewürdigt und theilhaftig der göttlichen

Natur.
(2. Epist. Petri Kap. 1. V. 4.) ─ 2) Diese

ideale Weltgeschichte muß ferner die Entwicklung aller

Wahrheiten der rationalen Psychologie in der Zeit, symbolisch

unter heiligen Mysterien zeigen. Ob sie gleich

über das sinnliche reale hypothetische Wissen der Erscheinungswelt

hinausgeht, und nicht vor dessen Richterstuhl gezogen

werden kann, so können die Wahrheiten, welche sie

vorträgt, doch nicht von den Wahrheiten der rationalen

Psychologie verschieden seyn, da die rationale Psychologie,

wie oben bewiesen worden, auf dem religiösen

Gewissen beruht, und ganz allein aus ihm herzuleiten ist.

Gerade die rationale Psychologie ist es, die eine solche Offenbarung

im engern Sinne postulirt, damit sie ihre Wahrheiten

in der Erscheinungswelt a posteriori wiederfinde.

Sie kann zwar die Erfahrungen der empirischen Seelenkunde

mit dem Verstande nach ihren Grundsätzen ordnen. Allein

diese Anwendung bleibt immer Hypothese. Sie bedarf also

des religiösen Glaubens, als verbindendes Mittelglied

zwischen ihrem absoluten Wissen und den Erfahrungen des

innern Sinnes. Dieser religiöse Glaube kann nicht anders

erlangt werden, als wenn die ganze Erscheinungswelt

mittelst göttlicher Begeisterung zum Symbol der absoluten

psychologischen Wahrheit wird. Die höchste Wahrheit der rationalen

Psychologie ist die gesetzliche Freyheit, der Wille Gottes.

Dieser kann nie ganz als Objekt erscheinen in der empirischen |#f0020 : 496|



Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten

Schönheit als eine Organisation vorkommen können,

in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares

Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die

Menschheit erzogen werden muß, erscheint sie bestimmt

durch die Nothwendigkeit. Hat aber die Erziehung

zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen

Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende Nothwendigkeit

und Freyheit, wie die Endpunkte einer Kreisperipherie,

zusammen, und die Erziehung der Menschheit

erscheint als eine schöne geistige Organisation.

Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt,

an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit

ein, daß sie sich selbst mit erzogen habe, weil sie durch

die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt

ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes

ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation

ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung

ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner

Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des

Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung

des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt.

Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die

Hand, woran man eine wahre religiöse Weltgeschichte erkennen

muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene

Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: erstlich

als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen

Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische |#f0021 : 497|



Natur reingesetzlich ist, wiewohl ohne moralisches Selbstbewußtseyn;

zweytens in ihrem Abfall von den Gesetzen

der physischen Natur, im Zustande der daraus nothwendig

folgenden Erbsünde, in steter Furcht vor dem göttlichen Gesetzgeber,

zu dessen höherer Natur sie sich nicht emporschwingen

kann, nicht werth, ihn in seinem reinsten Lichte zu erblicken,

schwankend zwischen dem niedern Jnstinkt, dem

sie nur zur Hälfte entsagt hat, und der höhern Gesetzlichkeit,

die sie ahnet; drittens aufgenommen in die göttliche

Natur,
indem sie den höhern Jnstinkt der Liebe gefunden,

ihren Gesetzgeber, durch sein eigenes Veranstalten, versöhnt

hat, so würde diese religiöse Weltgeschichte die

einzig wahre Ansicht der Dinge enthalten. Daß der

Uebertritt des Menschen vom Jnstinkt zur Selbstbestimmung

als eine Sünde anzusehen sey, die an der Nachkommenschaft

bis ins tausendste Glied gestraft werden mußte, ist

a priori eben so leicht einzusehen, als es leider durch die

Erfahrung aller Zeiten bestätigt wird. Der Gang der instinktmäßigen

Natur ist zugleich rein=gesetzmäßig,

und wird gestöhrt, sobald ein Naturwesen sich selbst bestimmen

will. Sobald der Mensch werden wollte, wie Gott,

und selbst erkennen, was gut und böse sey, mußte er sich

auch des Jnstinkts schämen, der ihn maschienenmäßig, wiewohl

zu seinem Glücke bestimmte, und mußte sich selbst vor

dem Richterstuhl der höchsten göttlichen Freyheit verachten.

Gott konnte sich ihm also in der Erscheinungswelt nur als

ein zürnender Gott zeigen. Der Mensch, verführt von dem

bösen Dämon einer egoistischen scheinbaren Freyheit, war |#f0022 : 498|



nun sich selbst überlassen, wagte mit menschlicher Klugheit

seine Thierheit zu lenken und eigenmächtige Eingriffe in das

Meisterwerk der Natur zu thun, blieb ihr ewiges unglückliches

Spielwerk, und vermochte sich nicht einmal mit dem

Verstande von seiner Selbstbestimmung zu überzeugen. Er

stand also getrennt von dem moralischen Gesetzgeber,

dessen Heiligkeit ihn unaufhörlich verdammte, den er umsonst

durch Opfer zu versühnen suchte. Er war sich des Guten

als einer ihm vorgeschriebenen Richtschnur bewußt, aber er

fand in dem Guten keine Freude, und die Freuden des Jnstinkts

waren für ihn nicht schuldlos mehr. Er ward ein

Knecht des furchtbaren Gottes in der höhern Sphäre, in

welche er durch das Schicksal hinaufgerissen war, in welcher

er sich nicht behaupten konnte. Der stolze Trieb nach

Selbstbestimmung, verbunden mit Sinnlichkeit, zeigt also

den Menschen, der sich der höhern Moralität bewußt wird,

in der Erscheinungswelt als ein unvollkommnes mit der Erbsünde

behaftetes Wesen. Der heilige Gott steht dagegen

von ihm getrennt, mit einer unerbittlichen Strenge, der

nicht genug gethan werden kann, wie denn auch die neuere

Moralphilosophie, weil sie auf eben diesem Gesichtspunkte

stehen geblieben ist, das radicale Böse behauptet, und den

Kontrast zwischen der Heiligkeit Gottes und der menschlichen

Verkehrtheit oder Schwäche nicht aufzuheben vermag.

Denn sobald der Mensch den Schein der Selbstbestimmung

zu erlangen sucht, und sich als ein von der Natur getrenntes

Wesen betrachtet, erklärt er sich auch fähig der Jmputation,

und dieser Jmputation nach, wiewohl sie im eigentlichen |#f0023 : 499|



Sinne nicht statt finden kann, muß er sich ursprünglich

verachten. Mit einem Worte, das moraliche Gewissen

allein als bloße Anforderung sich in das gesetzliche Wesen

aufnehmen zu lassen, ohne den Glauben an eine erfolgte

Aufnahme, muß a posteriori in der empirischen Psychologie

als ein Uebel, als eine nothwendige Strafe dafür angesehen

werden, daß der Mensch sich gegen die Naturgesetze

auflehnte. Allein nach der religiösen Weltgeschichte ließ

Gott die Menschen fallen und in ihren eigenen Augen verächtlich

werden, um sie nun desto höher zu erheben. Es

bedurfte in der Geschichte der Seelen eines feierlichen Akts

der Versöhnung. Es mußte die menschliche Natur

in der Erscheinungswelt der göttlichen einmal vollkommen

genug thun. Dieses war nicht anders möglich,

als daß sich die göttliche mit ihr vereinigte. Denn Gott

kann nur Gott genug thun. Jndem der Mensch die

Versöhnung annahm, indem er glaubte, daß die

strenge Tugend, die göttliche Freyheit, mit voller Consequenz

in Menschengestalt gewohnt, daß Ein Mensch dem

niedern Leben ganz entsagt, und Gott allein gelebt habe,

lernte er auch an sich selbst, an die Möglichkeit seiner Erhöhung

glauben. Das moralische Gewissen durfte ihn

nun nicht mehr ursprünglich verdammen. Er setzte ihr die

ästhetische Evidenz entgegen, daß Gott mit der

Menschheit vereinigt gewesen sey, daß Gott die Menschheit

ganz in sich aufgenommen habe. Das Gesetz war erfüllt,

die Strafe hinweg genommen, und an die Stelle des Gesetzes

trat der Glaube. Der Mensch lernte den furchtbaren |#f0024 : 500|



Gott lieben, der ihm zum erstenmal in der Erscheinungswelt

im Lichte der höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit

gezeigt ward. Dieser Gott der Liebe erschien ihm

nicht mehr als Herr, sondern als Vater. Der Mensch

lernte seine eigene vergötterte Natur lieben, denn er

glaubte an ihre mögliche Reinheit. Der Glaube

an Gott ward mit dem Glauben an die menschliche Natur

eng verbunden. Von nun an konnte das Gesetz nicht mehr

tödten, d. h. die sinnliche Natur niederschlagen. Der

Glaube hatte sie lebendig gemacht. Der Glaube

hatte sie geheiligt. Was nicht aus dem Glauben kam,

blieb Sünde. Denn der Verstand kann sich von der Moralität

keiner Handlung überzeugen. Aber der Glaube

kann es. Er ist die einzige reine Triebfeder. Dieser Glaube

ward das Gefühl der göttlichen Freyheit selbst, der

Geist Gottes, welcher die Menschen trieb. Gott, wie Minucius

Felix sagt, verließ mit dem Christenthum jeden andern

Tempel, um in dem Menschen zu wohnen. Von

nun an mußte die Menschheit inne werden, daß ihr Gott

ein dreyeiniger Gott sey, der Vater ein Gott der

Liebe, dessen liebender Wille oder Caussalität die Welt zur

höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit bestimmte, um in

ihr sein Bild zu finden. Er hatte einen Sohn (λογος),

der ihm genug that, durch den, und um deßwillen die Schöpfung

da war, die Substanz und Seele der anschaulichen

innern und äußern Erscheinungswelt, beyde hält zusammen

zur Totalität der Geist der Liebe, der von beyden ausging,

alles belebte, heiligte und mit ihnen vereinigte. Diese |#f0025 : 501|



drey ὑποϛασεις (oder προσωπα) machen nach dem Symbolo

Athanasiano
Eine οὐσιαν, Ein Selbstbewußtseyn,

Ein göttliches Hauptwesen aus. Man sieht hieraus, wie

die Mysterien der religiösen Weltgeschichte, welche die Christen

bekennen, mit den Wahrheiten der rationalen Psychologie

übereinstimmen, wie tief sie in der Natur des menschlichen

Geistes gegründet sind. Die aus dem moralischen

Gewissenssatze hergeleiteten Seelenkräfte verweisen auf vier

Vernunftideen: Caussalität, Substantialität, Totalität,

und absolutes göttliches Selbstbewußtseyn, deren letzte die

drey ersten in sich vereiniget. Die Metaphysik, der menschliche

Verstand kann diesen Jdeen keine Materie geben. Aber

in den Mysterien seiner Weltgeschichte findet der religiöse

Glaube, was er sucht, was das Wissen nur ahnen kann.

Schon Augustin erläutert sich das Geheimniß der Dreyeinigkeit

durch eine Analogie mit den Seelenkräften, und die

ganze physische Natur trägt von der heiligen Trias die unverkennbarsten

Spuren. Wie armselig müssen also dem tiefern

Denker die Einwendungen eines Dudithius vorkommen,

der in Eins und Drey einen Widerspruch findet, wie geistlos,

wiewohl gutgemeynt, die Zweifel derjenigen, welchen

die Jdee der Versöhnung der Gottheit unwürdig scheint ─

Diese Bemerkungen weiter auszuführen, muß der Theologie

überlassen bleiben. Uebrigens fügen wir hier noch hinzu,

daß mit der Behauptung, die ideale Weltgeschichte zeige die

Entwicklung der psychologischen Jdeen symbolisch, keinesweges

der Wirklichkeit und Wahrheit dieser Geschichte

Abbruch geschieht. Wenn die ganze Natur im Raume ein |#f0026 : 502|



Symbol des Geistes ist, der doch selbst der Materialist

die Realität nicht abspricht, warum soll die Geschichte,

die das Göttliche in der Zeit darstellt, nicht auch symbolisch

und dennoch innig mit der physischen Realität verwebt

seyn? Hiermit sagen wir also nicht, daß die religiöse

Weltgeschichte poetische Allegorie im gemeinen Sinne

dieses Worts sey. Dieses haben wohl auch zum Theil Theologen

andeuten wollen, doch unsrer Meynung nach mit Unrecht.

Die vom historischen Realismus verführten Sprachforscher

und Aufklärer der Bibel können indeß der Sache der

Religion wenig schaden, wenn sie uns aufmerksam darauf

machen, daß Adam vielleicht eine mystische Person, die

Menschheit bedeute, daß die Schöpfungstage sechs Zeiten

gewesen, daß Elohim ein Plural sey u. s. w. Die Hauptwahrheiten

der Religion bleiben immer dieselben. 3) Um der

idealen Weltgeschichte ihre historische Realität zu sichern,

behaupten wir im § ferner als Kriterium ihrer Aechtheit,

daß sie mit der Historie im profanen Sinne in einem innigen

Zusammenhange stehen müsse. Es muß den Hauptbegebenheiten,

die die religiöse Geschichte erzählt, ihr wirklicher

Platz in der Zeit angewiesen werden können. Sie

muß nicht als das Hirngespinnst eines einzelnen müßigen

Kopfes, sondern als ein Phänomen, das einen großen

Theil der Menschheit betrifft, anzusehen seyn. Jhre Einwirkung

auf die Seelen muß historisch als Factum erwiesen

seyn. Hierzu gehört aber nicht, daß diese ideale Weltgeschichte

im historischen Tageslichte erscheine. Dies

würde vielmehr ihrem Wesen ganz zuwider seyn. Sie |#f0027 : 503|



schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen.

Sie ist geistigen Ursprungs, und muß also in nächtliche

Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf

also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein

neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders

dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er

hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben

sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser

meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in

welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle,

meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum

mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet

die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als

ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint.

Denn wir beten nicht den Gott der physischen

Macht, wir beten den heiligen und wahren an, dem

die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen

seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren,

und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze

verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen

mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen

haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion

wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck

muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten

Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der göttlichen

Freyheit
in Menschengestalt, eine fortdauernde

Andacht zu erwecken. Sie darf also nicht blos phantastisch,

sie muß zugleich moralisch seyn. Die Religionsurkunden |#f0028 : 504|



vieler Völker erzählen von Menschwerdungen

Gottes. Brama kam vielmals auf die Erde herab, und

der chinesische Foe ist durch einen Sonnenstrahl gezeugt, von

einer Jnngfrau gebohren. Allein das sind phantastische

Mährchen ohne idealische Wahrheit. Es fehlt ihnen das

hohe Muster der Moralität, das allein im höchsten Lichte

des Schönen erscheinen kann. Sie zeigen nicht die göttliche

Freyheit
im Gegensatze mit der menschlichen Natur

und ihren siegreichen Kampf mit der Welt. Nur allein

das Anschaun der höchsten Tugend in ihrer Verklärung kann

die Andacht erwecken, welche der Mensch für sein höheres

Leben bedarf. Die Niedrigkeit der Seelen geht zwar zu

unsern Zeiten so weit, daß man alle Andacht für Schwärmerey

ausgiebt, weil man die Andacht, wie alle Moralität,

für eine beschwerliche Fessel hält. Jndessen ist das

Bedürfniß der Andacht zu einer seligen Gemüthsstimmung

unläugbar. Nun darf zwar eine ideale Weltgeschichte den

Aberglauben nicht begründen. Jndessen ist es ihr auch nicht

zuzurechnen, wenn Aberglaube und Hierarchie sich ihrer bemächtigt.

So ist z. B. die Lehre Christi, der mit so viel

Bestimmtheit wider das Pfaffenthum seines Volks aufstand,

an jeder Entheiligung unschuldig, die sie in der Folgezeit

entstellte. Die Quelle einer solchen idealen Weltgeschichte

ist göttliche Begeisterung. Diese Geschichte ist die

einzige, deren Quelle ihre Lauterkeit durch sich selbst, durch

ihr alleiniges Daseyn beweisen soll. So wenig man eine

Empfindung des Schönen Jemandem eindemonstriren kann,

eben so wenig kann eine solche Geschichte einen stärkern Beweis |#f0029 : 505|



für sich anführen, als die Andacht, welche sie erweckt.

Kein Betrug, keine irdische Absicht darf da obgewaltet haben,

wo sie in ihrem höchsten Lichte erscheint. Gott kann

sich nur in reinen Seelen offenbaren. Muhamed ist eben

deswegen ein falscher Prophet, weil er ein Egoist war, und

ein irdisches Reich stiftete. Soll sich die Begeisterung

andern Seelen mittheilen, so bedarf es mehr, als bloßer

historischer Traditionen. Diese Traditionen müssen nicht

bloß historisch, sie müssen moralisch und ästhetisch

ächt
seyn. Die Hülfsmittel zur Andacht, welche eine

solche ideale Weltgeschichte eingiebt, müssen also den entscheidendsten

Einfluß auf das Leben haben. Es muß diese

Geschichte, wie z. B. durch die christlichen Sakramente, in

jedem Herzen fortgesetzt werden können. Sie muß auch

in so fern vollständig seyn, daß sie Weissagungen enthält,

bis ans Ende der Zeit, z. B. das Gericht. ─ Nur

dadurch wird sie idealisch und göttlich. Sie umfaßt

das ganze ungeheure Gefild der Jahrtausende, betrachtet

es unter dem höchsten Gesichtspunkte, und zeigt die Einheit,

welche das Ganze zusammenhält.



[Abbildung]

|#f0030 : E506|

[Abbildung]


Zweytes Kapitel.


Von der biblischen Poesie insbesondere. ──────



§. 1.



Die Aechtheit der Bibel als Offenbarungsurkunde

aus dem christlichen Gesichtspunkte nach den im vorigen

Kapitel angegebenen Kriterien a priori einer Offenbarung

im Engern Sinne überhaupt zu erweisen, kommt

der Theologie oder Gottesgelahrheit zu, und

wird auch vermöge der von uns gemachten Bemerkungen

nicht schwer seyn. Die Poetik betrachtet nur

die Bibel, als angenommene göttliche Poesie,

ihrer Poesie nach. Ohne uns also weiter darauf einzulassen,

ob die Bibel allen oben angegebenen Anforderungen

an eine ideale Weltgeschichte Genüge leiste,

in wie fern diese sich auf das moralische Gewissen, auf

Psychologie und Geschichte als solche beziehe, liegt es

uns hier nur ob darzuthun, daß die Bibel aus dem

Standpunkte des Christenthums angesehen, die höchste

Poesie, die vollkommenste ideale Einheit sey, der die

Organisation des menschlichen Geistes fähig ist, daß |#f0031 : 507|



sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der

reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung

in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.



Anmerk. Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn

man, wie bisher geschehen ist, blos im alten Testament

Poesie findet. Lowths poesis Sacra nimmt nur diese

Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen

Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre.

Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung,

um nur die geringste Anwendung davon auf das neue

Testament zu wagen. Man vergaß die Jdee der Jnspiration,

welche die Bibel begründet. Man meynte, nur

ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache

das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung

des Jdealen durch die Sprache ist. Man sah nicht ein,

daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen

Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes

poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die

religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man

dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche

Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch,

philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler

unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen

endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers

Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums

die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen

hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen, |#f0032 : 508|



die Hierarchie erschüttern. Aber er war so weit entfernt,

der Bibel ihre poetische Kraft zu nehmen, daß seine Uebersetzung

vielmehr eins der größten Kunstwerke unsrer Sprache

ist. Was hilft alle Kritik, alle philologia sacra, alle

Sprachkenntniß, wenn die theologischen Nachforschungen

in den Nebenquellen uns die von dem Katholizismus mit

standhafter Consequenz behauptete Hauptquelle der Jnspiration

als einer fortgehenden Tradition rauben? Jst nicht

diese Jnspiration der Seelen, als mündliche Tradition, auf

welche sich Jrenäus, Origines und andre Kirchenväter berufen,

weit älter, als die Sammlung des christlichen

Testaments? Was hilfts, daß man die Hebraismen des

neutestamentarischen Styls aufsuche, uns mit wichtiger

Miene z. B. zu bemerken gebe, Gericht halten, Werke

thun u. s. w. heiße lehren? wenn man mit dem Ausdruck

dem Gedanken sein Mark, seinen Nerven nimmt? Der

wahre Freund der Aufklärung wird ihre Wohlthaten anerkennen.

Er wird sie aber keine Fehltritte thun lassen. Wenn

die Aufklärung dahin geht, alle Begeisterung, allen Enthusiasmus

zu tödten, den Gott in die Sprache, wie in

die Seele legte, so ist sie der gerade Weg zum Materialismus.





§. 2.



Die Bibel muß von der Poetik erstlich nach ihrem

Hauptinhalte, sodann nach ihren einzelnen

poetischen Formen betrachtet werden. 1) Nach

ihrem Hauptinhalte ist sie ein ideales Ganzes. |#f0033 : 509|



Sie ist, wenn man die oben angeführte Eintheilung

der menschlichen Poesie auf sie anwenden darf, ein

Kunstwerk der darstellenden Poesie. Sie

enthält eine die Erfahrungen der profanen Historie begründende

und eng mit dem Menschenleben verwebte

ideale Weltgeschichte. Daher ist sie vorzüglich

als ein Werk der historischen Poesie anzusehen,

wiewohl sie zu gleicher Zeit beschreibend, lehrend

und symbolisch, d. h. allegorisch ist, im realsten

Sinne dieses Worts. Als historische Poesie

enthüllt die Bibel in allen Schicksalen der Menschenwelt

eine große Organisation, bestimmt und gelenkt

durch die freye Caussalität Gottes, um diese göttliche

Freyheit zum Selbstbewußtseyn in der Menschheit gelangen

zu lassen. Diese Jdee einer sich selbst producirenden

Freyheit scheint ein Zirkel zu seyn. Allein

jede Organisation oder Selbstproduktion in der Zeit ist

ein geheimnißvoller Zirkel, den nur die ideale innere

Einheit des Geistes, die Ewigkeit, aufheben kann.

Die Hauptidee der Bibel, auf welche sich alle vorhergehenden

und folgenden Begebenheiten beziehen, kann

für den Christen keine andre seyn, als die Gottheit

Christi.



Anmerk. Unsre alten ehrlichen Deutschen sangen

in ihrem Liederbuche: „Seele, wilt du Frieden finden, such |#f0034 : 510|



bey keiner Kreatur, laß was irdisch ist dahinden, Schwing

dich über die Natur, Wo Gott und die Menschheit in Einem

vereinet, Wo alle lebendige Fülle erscheinet.“ ─

Dies war ihr Glaube, in diesem lebten und starben sie. Er

war ihnen Bürge für ihre eigene Hoheit, für ihre eigne

Unvergänglichkeit. ─ Späterhin ist durch eine materialistische,

(doch nur halb wissenschaftliche) mathematische,

physische
Ansicht des Weltgebäudes, durch den

sogenannten theistischen Begriff einer allmächtigen Gottheit,

die alle die unzähligen Sternenheere regiert, und durch

den groben historischen Realismus die wohlthätige Jdee des

moralischen liebenden Gottes unsrer Väter verdrängt, alles

höhere Menschengefühl bey vielen Menschen im eigentlichsten

Verstande erdrückt worden. Man wagte nicht mehr

sich vorzustellen, daß der, welchen der Weltkreis nicht faßt,

wie Luther sagt, in einer Krippe geweint haben sollte, daß

der furchtbar große Naturgott die Menschheit so geliebt

haben sollte, um mit seiner ganzen Fülle in ihr zu wohnen.

Gleichwol ist und bleibt der Spruch: Also hat Gott die Welt

geliebt u. s. w. der Schlußstein des ganzen biblischen Systems.

Nur durch diese Wahrheit erhebt sich die Bibel zur

Würde einer vollkommen idealen Weltgeschichte, die in

das Menschenleben den entschiedensten Einfluß haben kann.

Es ist hier von keiner der unzähligen Menschwerdungen und

Vergötterungen die Rede, die bey den heydnischen Nazionen

geträumt worden sind. Die Heyden vergötterten aus

Schmeicheley Menschen nach dem Tode, dachten sich phantastische

Wunderwesen, welche zuweilen die Menschen= |#f0035 : 511|



gestalt annahmen, um als bloße Erscheinungen unter uns

zu wandeln. Aber diese Götter waren immer objektiv außerhalb

der Menschheit hingestellt. Es war eine ewige

Kluft zwischen der Gottheit und der sterblichen Natur. Das

Wesen des Christenthums hingegen besteht darinnen, daß

der Gott zugleich wahrer Mensch war, besteht in einer

innigen engen Vereinigung der göttlichen und menschlichen

Natur. Nur dadurch, daß der Gott, der nichts als das

Gute wollte, menschlich fühlte, menschlich litt,

erhebt sich das Christenthum als einzig ächte Humanität

über alle inhumane Fabeln des Heydenthums. Der Enthusiasmus,

den die Leidensgeschichte Christi in so vielen

Menschenseelen erregt, ist allein durch das Bedürfniß erklärbar,

das göttliche Prinzip der Dinge, die höchste reinste

Liebe im Kampfe mit der fühllosen Natur dargestellt zu sehen.

Eine ideale Weltgeschichte, welche uns diesen

Kampf im vollsten Glanze zeigt, welche die tiefste Erniedrigung

und die größte Erhöhung neben einander stellt, ist zu

gleicher Zeit die Geschichte eines jeden menschlichen Herzens.

Der Sieg, den sie verkündet, muß jedes Herz zu einem

ähnlichen Siege anfeuern. Auf dieses mit ästhetischer Ruhe

verbundene praktische Jnteresse gründet sich vorzüglich der

Glaube an ihre historische Wahrheit. ─ Und diesen Glauben

verlangt sie, wie ihn unsre Natur verlangt, kein Wissen

giebt sie nicht, kann und darf sie nicht geben. Was

seyn soll, muß seyn. Das ist die wahre Ueberzeugung.

Was in der Welt siegen soll, muß siegen. Das ist die Jdee,

aus der alles göttliche Handeln kommt. Die höchste Schönheit |#f0036 : 512|



, ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst

Werth giebt. ─ Wenn es also die Hauptbegebenheit der

Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum

Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch

werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen

im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel

als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die

heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation

in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch

zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen

Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten,

das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu

durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich

in dieser Rücksicht die ganze Menschheit repräsentiren

konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer

mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt

haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die

Einheit Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut

gesetzliche Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt,

duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte

also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes

Volk Gottes halten. Gott mußte demselben durch dazu

berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und

bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine

wahre Theokratie statt gefunden haben, Gott mußte

wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und

Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten

seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk. |#f0037 : 513|



Die Offenbarungen, deren sich dasselbe rühmte, waren zugleich

eine vollständige religiöse Geschichte der Menschheit

von Anbeginn. Sie berichten uns, der Mensch sey nicht

etwa, wie es einem Diodorus Siculus vorkommt, ein αὐτοχθων

aus Schlamme zufällig geboren, sondern Gott ähnlich

in äußerer Gestalt, von Gottes Hand geformt worden,

aber instinktmäßig, wie die übrige Natur, nur ein lebendes,

begehrendes Wesen (‎‏היח שמכ‏‎). Nachher habe er aber

Gottes Vorschrift übertreten, habe die ihm gesetzte Schranke

des Naturinstinkts niedergerissen, sich dessen geschämt, wie

Gott frey erkennen wollen, das Gute und Böse, sey so des

Paradieses verlustig worden, und das Erbübel habe seinen

Anfang genommen. Von da an beginnen schon die mysteriösen

Weissagungen, welche das Volk Gottes durch alle

Perioden seiner Geschichte begleiten. Es ist unbegreiflich,

wie manche selbst denkende Gottesgelehrte der Vorzeit an der

Aechtheit der drey ersten Kapitel in der Genesis haben zweifeln

können, da sie die Grundlage der ganzen biblischen

Weltgeschichte sind. Von nun an sehen wir, wie sich der

Mensch von der Gottheit immer mehr entfernt, und sich

vermißt, ein für sich selbst bestehendes Wesen zu seyn. Aber

ganz verläßt Gott die Menschheit nicht. Er ist noch zu den

Zeiten der Erzväter der Gott der Familiengeschlechter, doch

er ist ein furchtbarer erzürnter Gott, der selbst große Naturbegebenheiten,

wie die Sündfluth, als moralische Strafen

verhängt. Späterhin ist er ein kriegerischer Gott, ein Herr

der Herrschaaren. Er macht durch Mosen die Jsraeliten

zum Volk, verleiht ihnen den Sieg, giebt ihnen Land, Gesetze |#f0038 : 514|



, Richter und Könige. Er läßt durch Samuel Prophetenschulen

gründen. Gottbegeisterte Männer wohnen auf

den Höhen in der freyen Natur und vereinigen den Geist der

Dichtkunst mit dem Geiste der Weissagung. Sie erwecken

die Helden Jsraels zu großen Thaten, strafen sie im Namen

des höchsten Gesetzgebers. David versetzt die heilige Poesie

auf den Berg Zion und in den Tempel, giebt ihr den feurigsten

lyrischen Schwung, aber auch zugleich das wärmste

Jnteresse für das Herz. Keiner dürstet, wie David, nach

Offenbarung. Keiner sehnte sich, wie er, es anzuschauen

das unbekannte Wesen, das sein Schicksal und die Schicksale

seines Volks zu einem höhern Weltenplane hinlenkt, das

seinem Saamen ein neues Reich, Jsrael einen größern Helden

verspricht, als alle, die es bis jetzt beherrschten. Salomos

Glanz und Reichthum giebt der heiligen Poesie ein

üppiges stolzes Gewand. Aber Gott liebt nicht den eiteln

Glanz dieser Welt. Er zieht seine Hand von Salomo ab.

Der Glaube erlischt in Salomos Herzen. Mißmuth, zweifelnder

düsterer Sinn und Abgötterey entheiligen Salomos

Alter. Das Reich wird nach seinem Tode zerrüttet. Die

Zeiten des Unglücks, die durch die Ueppigkeit vermehrten

Bedürfnisse, das Sittenverderbniß, verdrängen die Religion

aus den Seelen, aber machen auch die Sehnsucht nach den

göttlichen Jdeen lebhafter im Geiste einzelner edlerer Männer.

Trotz des Spottes mancher ihrer Zeitgenossen beharren

diese Propheten in der Zuversicht auf das Urwesen, halten

ihrem Vaterlande seine Vergehungen vor, und machen

es auf seinen Verfall, aber auch auf seinen künftigen Erretter |#f0039 : 515|



aufmerksam. So wie die Geschichte der Erzväter,

wo Gott in der Natur dem Menschen noch näher war, eine

naiv schöne Poesie ist, so hat in der prophetischen Poesie

der alttestamentarische Styl die letzte Höhe der Heftigkeit

und des Grausenden erreicht. Denn Gott hat sich fast

ganz von seinem gesunkenen Volke getrennt, und diese Trennung

des gesetzlichen Wesens von der verderbten Menschenwelt

muß die Phantasie der letztern zu einer leidenschaftlichen

Düsternheit stimmen. Was die Propheten weissagten, geschieht.

Der Untergang des hebräischen Staats zieht auch

den Tod der hebräischen Poesie, zugleich mit ihr aller wahren

Religiosität nach sich. Wie bey den Römern die Jdee

der Vaterlandsliebe, so war auch in der jüdischen Provinz

Judäa die begeisternde Jdee der Gottheit kraftlos geworden.

Nach alten von den Sternen herabgekommnen, von allen

orientalischen Völkern anerkannten, von allen jüdischen Propheten

wiederholten Weissagungen soll mit dem Anfang des

fünften Jahrtausend ein errettender Gesalbter das göttliche

Leben, das mit dem Paradiese verlohren ging, in einem

höhern himmlischen Glanze herstellen, den Fürsten der

Welt überwinden, und als Menschensohn die Regierung

der Welt antreten. Die Juden erwarten den Geweissagten

mit Ungeduld. Sie hoffen von ihm Befreyung vom

ausländischen Joch, neuen weltlichen Glanz, sie hoffen, er

werde ein ausschließender Wohlthäter ihrer Nazion seyn.

Und dieser Messias, aber mehr als ein weltlicher Fürst der

Juden, das geistige Licht aller Völker, die im Dunkeln wandelten,

wird geboren. Alle Kennzeichen treffen zusammen, |#f0040 : 516|



um ihn, wiewohl noch insgeheim, zu seinem furchtbaren

großen Berufe einzuweihen. Der neue Messias sollte aufgehen,

aus der Höhe, plötzlich erscheinen, wie ein Stern

aus dunkler Nacht, aber aus Betlehem kommen, und vom

Stamme Davids seyn. Und geleitet von den Sternen finden

die Weisen den neugebornen Christus, aus Davids

Stamm in Betlehem. Aus der Dunkelheit einer heiligen

Nacht, welche symbolisch seine Wiege umschattet, in der

die Himmelsgeister den Menschen einen höhern Frieden verkünden,

geht auf die neue Erleuchtung der Gemüther über

die Erde. Das Geräusch der unheiligen Welt verbirgt die

größte Begebenheit, welche die Geisterwelt auszeichnet, die

Geburt des Sohnes Gottes, durch den die einzig wahre

Religion verbreitet werden sollte. Er, der bestimmt war,

die göttliche Freyheit in sich zu finden, er, der aufgerufen

war, das lehrende Vorbild, die neue belebende Seele der

Menschheit zu seyn, mußte der Sohn einer Jungfrau seyn

durch den Geist Gottes. Das Kind wird dem Herrn dargestellt

in seinem Tempel, und prophetische Seelen weissagen

Marien von ihm, er sey gesetzet zum Fall und zum Auferstehen

vieler auf Erden, und zu einem Zeichen, dem widersprochen

wird, und ein Schwert werde dringen durch die

Seele seiner Mutter, auf daß offenbar würden der Herzen

Gedanken. ─ Das Kind wächst, wird stark im Geist, und

seiner hohen Bestimmung sich immer deutlicher bewußt.

Schon als Knabe sitzt er unter den Lehrern im Tempel.

Wisset ihr nicht, sagt er zu den ihn suchenden Eltern, daß

ich seyn muß in dem, das meines Vaters ist? ─ Vor ihm |#f0041 : 517|



her geht Johannes, der Prediger in der Wüste, und verkündet

laut, daß er dem Herrn seinen Weg bereite. Jesus

läßt sich von Johannes taufen. Gott selbst erleuchtet in

diesem Augenblick beyder Seelen und erklärt ihn für seinen

Sohn. Von nun an ist Jesus voll des heiligen Geistes und

seines höchsten Berufs gewiß. Er sieht die Menschheit um

sich her in ihrer Ermattung. Alle haben den Wunsch besser

zu werden, keiner den Muth, alle haben den Namen Gottes

im Munde, keiner den Glauben an ihn im Herzen. Sie

ringen nach zeitlichem Genuß, und verachten ihn, wollen

Glück, und verstehen nicht die Kunst glücklich zu seyn. Sie

dienen dem Mammon und dem Fürsten dieser Welt, und

heucheln den Dienst des Ewigen. Sie besitzen in Angst und

klügelnder Sorge das Leben, und zittern vor dem Tode.

Sie fühlen sich unwürdig der Ewigkeit, und haben auch keine

Sehnsucht nach ihr. Der Gott der Rache hatte die moralische

Welt wie in Trümmern geworfen. Auf der Erde

krochen nichts, wie egoistische, vom Fürsten der Finsterniß

beseßne, in sich verschloßne, von sich abgewandte, von

keinem Hauche der Liebe erhobene Wesen. Es war keine

Einheit des Willens, keine helle lichte Jdee, an der sich die

bessern Seelen erkennen, zu der sie sich sammeln konnten.

Es ist ein banger Stillstand in der geistigen Natur. Und

der Geist Gottes, die unbekannte Stimme, treibt Jesus

hinweg von den Freuden der Erde, über welche er erhaben

ist, welche ihm widerstehen, weil sie nicht mehr Freuden der

schuldlosen Natur, sondern der Verderbtheit und klugen

egoistischen Ueberlegung sind, treibt ihn hinweg in die Wüste. |#f0042 : 518|



Und noch einmal macht der Fürst der Welt einen Versuch auf

die Menschheit des Sohnes Gottes. Er tritt zu ihm, der

Verführer, stellt ihn auf einen hohen Berg und zeigt ihm

alle Reiche der ganzen Erde in einem Augenblicke. „Bete

mich an, sagt er zu ihm, so soll alles dein seyn.“ ─ Aber

Jesus verschmäht das Reich eines weltlichen Messias, das

die Juden erwarteten, und antwortet: „Es steht geschrieben,

du sollt Gott deinen Herrn anbeten und ihm allein dienen.“

Und mit diesem Entschlusse wird er sich ganz der

eigenen Gottheit bewußt. „Es steht geschrieben, sagt er

zum Satan, du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen.“

Von nun an fühlt er, daß seine Stunde gekommen ist, von

nun an zeigt sich nur Gott in seiner reinen Seele. Er tritt

in die Welt, allein auf gegen die Welt, mit vollem Bewußtseyn

seiner göttlichen Freyheit, mit vollem Bewußtseyn,

daß er gekommen sey in dies Chaos der irdischen Geister,

der neue moralische Schöpfer zu werden, die bange

Hemmung in den Gemüthern, die Schranken zwischen den

Seelen aufzuheben, und mit dem Hauche der Liebe die Erde

von neuem zu beleben. Als Gott kann er die von Gott verlaßne

Menschheit nicht achten, als ihr neuer Schöpfer muß

er sie lieben, indem er in ihr den Wiederschein seiner eignen

Gesetzlichkeit ahnet. Er weiß es, daß in ihm der Urgeist

ist, der Himmel und Erde bewegt, er weiß es, daß

er eher war, denn Abraham, daß er eine Herrlichkeit bey

Gott hatte, ehe denn die Welt war, daß durch ihn alle

Dinge geworden sind. Den Gott, den die Propheten nur

außer sich ahneten, den die Menschen nur dem Namen nach |#f0043 : 519|



nannten, um ihn zu fürchten und sich und andre mit dem

Worte zu quälen, den sieht Jesus in sich von Angesicht zu

Angesicht in voller Reinheit, als Gott der Liebe. Und

das alte Schicksal erfüllt sich, Gott und die Menschheit,

die ganz von einander getrennt waren, sind in Einem

Mittler vereint. Jesus weiß, daß er von oben herab gekommen

ist in die Welt, aber er weiß auch, wohin er geht.

Er selbst hat sein Schicksal in und durch Gott zum Besten

der Welt bestimmt, und er folgt mit freyer Selbstbestimmung

diesem nothwendigen Schicksal. Die in ihren eignen

Augen gesunkne Menschheit bedarf eines schuldlosen Opfers,

eines Vorbilds, an das sie glauben könne, um an sich selbst

zu glauben, eines wahren Menschen, der ganz allein Gott

lebte und starb, der sich ganz heiligte für die menschliche

Natur, damit der Geist der Wahrheit zu ihr komme. Die

Menschheit bedarf die Hinwegnahme des erblichen moralischen

Uebels in dieser Welt, vermöge dessen sich jeder als ein

blos sinnlich kluges Wesen selbst verachten muß. Sie muß

ihrer Aufnahme in die göttliche Freyheit, in die höhere vollkommne

himmlische Natur sichtbar gewiß werden. Der erzürnte

Gott, der mit dem Abfall der Menschen von der Natur

zur Weltklugheit die Strafe der Selbstverachtung und

des physischen Uebels über sie verhängt hatte, mußte ganz

versöhnt werden. An die Stelle der schwachen Erkenntniß

und Weltklugheit, mit welcher jene ewig strafende Selbstverachtung,

die Hölle des Lebens, unauflöslich verbunden

war, mußte die freye göttliche Liebe und der Glaube kommen.

Darum forderten die alten Weissagungen das Leiden |#f0044 : 520|



und den Tod des Messias, damit die Menschheit in ihm

überwinde, mit ihm in lichterer Gestalt wieder auferstehe.

Jesus geht seinen großen Gang mit Unterwerfung, mit Ergebung

in den Willen des Gottes, der sein höheres Selbst

ist. Er geht einher, wie der Herr der Erde, aber ohne

sich der physischen Macht anders, als zur Unterstützung seiner

geistigen Lehre zu bedienen. Seine Wunder sind nicht

Schrecken für die sinnliche Natur, sie sind Wohlthaten, die

das höhere Heil verkünden. Die Blinden sehen, die Gebrechlichen

gesunden, die Todten wandern lebendig, die

schwarzen Dämonen weichen von den krampfhaften beseßnen

gequälten Sterblichen. Allen hilft der Glaube, der Berge

versetzt. Petrus geht auf dem Meer durch den Glauben.

Ein krankes Weib berührt heimlich des Messias Gewand,

und von Stunde an weicht von ihr das Uebel. Die Natur

huldigt dem moralisch lehrenden Gotte der Erde, dem ein

staunendes begeistertes Volk durch das Land nachströmt.

Aber die Schätze, die das höhere Leben tödten, und jedes

Ansehn weltlicher Macht zu gebrauchen, verschmäht er.

Denn eben die Schätze der Erde und die weltliche Macht sind

es, die gedehmüthigt werden sollen, wie die stolze äußere

Ehrbarkeit und das Wissen der Pharisäer vor seinem Richterblick.

Der Sohn Gottes, dessen reine Hoheit die Demuth

gebietet, der Freund der Kinder, der Trost der Mühseligen

und Beladenen, der Versöhner der Gefallnen mit Gott, erscheint

im Gewande der Armuth, aber das Meer giebt dem

Allwissenden die Münze, die er bedarf, um den Fürsten zu

steuern, denen er ihren Zepter nicht entreißen will. Die |#f0045 : 521|



ganze neue Lehre des Wunderthäters ist Glauben und

Liebe. Er verlangt mehr als den bloßen Glauben an das

Wort Gott, das die Juden so oft entweihten. Er verlangt

den Glauben an sich, an den Gott verbunden mit

der Menschennatur. Er allein ist die Wahrheit und das Leben.

Niemand kommt zum Vater, als durch ihn. So

erhebt und heiligt er die Menschheit wieder, die nur einen

furchtbaren Gott außer sich kannte, die in ihren eigenen

Augen gesunken, von der alles wechselseitige Vertraun auf

Seelenreinheit gewichen war. Liebe Gott über alles, und

deinen Nächsten als dich selbst, ist das ganze Gesetz, das er

verkündet. Aber dies Gesetz verlangt mehr, als der alte

Buchstabe. Denn Liebe thut mehr, wie der Gehorsam, und

wer sein eignes Werk thut, mehr wie der Knecht. Darum

legt er das Gesetz der Vorfahren aus mit furchtbarer Strenge.

Mit dem begeisterten Ruf der moralischen Allmacht zieht er

die wieder gebornen Menschenherzen vom Besitze des Zeitlichen,

von der Sorge fürs niedere Leben ab. „Wer den

Pflug ergreift und sieht hinter sich, wer mir huldigen will

und auch dem Mammon, wer Weib und Kind und Eltern

mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht werth. Wer mich

verläugnet vor den Menschen, den verläugne ich vor Gott.

Wer sein Leben behalten will, der wird es verliehren, und

wer es verliehren wird um meinetwillen, der wird es gewinnen.“

Die erschütterten längst verhärteten Herzen der

Juden fühlen die Nähe des Reiches Gottes. Aber es kommt

nicht, wie sie es erwartet hatten, es kommt nicht mit äußern

Geberden. Seine Jünger hoffen auf irdischen Vorzug |#f0046 : 522|



in seinem Reich. „Jhr wisset nicht, was ihr bittet. Könnt

ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ ─ Aber

er sagt ihnen voraus, daß auch sie ihn trinken müssen diesen

Kelch der Leiden für die Wahrheit seiner Lehre. Dennoch

folgen sie ihm, dennoch glauben sie an ihn. Das Reich

Gottes ist, wie ein Senfkorn, welches ist das kleinste unter

den Saamen. Er hat dieses Saamenkorn der Ewigkeit

ausgeworfen in die Furchen der Zeit, und es dem Schicksale

überlassen. Doch er weiß, daß das Göttliche siegen, durchdringen

muß in aller Zukunft. Darum weiht er seine Jünger

zu ihrer hohen Bestimmung. Sie dürfen nicht sorgen,

was sie reden werden, wenn man sie überantwortet den

Richtstühlen. Er, ihr Lehrer, wird bey ihnen seyn, wohnt

in ihren Seelen, und wird sprechen durch sie, so wie Gott

spricht durch ihn. ─ Und nun nachdem er geordnet hat die

Zwölfe und seine Lehre ausgegangen ist in die Länder, nun

geht er hinab nach Jerusalem seinem großen Ziele, dem

Tode für die sündige Welt zu. Denn es muß alles erfüllet

werden, was geschrieben steht von des Menschen Sohn.

Petrus will ihm wehren. „Hebe dich weg von mir Satan,

spricht Jesus. Denn du meynest was menschlich, nicht was

göttlich ist. Er zieht ein in der heiligen Tempelstadt und

des wankelmüthigen Volkes Zuruf segnet ihn. Die Palmen

des Landes, in dem noch überall Spuren von der Gnade

des Ewigen sind, erschallen noch einmal von dem lauten

Hosianna, zum letztenmal von begeistertem feurigen Prophetengesang.

„Gesegnet sey, der kommt im Namen des

Herrn!“ Aber itzt kommt kein Prophet. Der Sohn selbst, |#f0047 : 523|



der Erbe zieht ein in den Weinberg seines Vaters. Das

Volk Gottes hat seine Bestimmung vollendet, es soll verschwinden

vom Schauplatz der Welt, zerstreut werden unter

die Menschen. Das Reich ist von ihm genommen und den

Heyden gegeben. Ach es muß nach dem Fluch des Schicksals

verdorren, wie der Feigenbaum, der keine Früchte trägt.

Christus sieht die auf ihre alte Heiligkeit stolze Stadt und

weinet über sie. Dieser Tempel soll abgebrochen werden,

und die menschliche Natur allein der Tempel des versöhnten

Gottes seyn. Der Erbe der ewigen Wahrheit, der göttliche

Richter der Erde, findet sein Erbtheil besessen von Feinden,

entheiligt vom Priesterthum, von heuchelnden Predigern

der nur äußern Gesetzlichkeit. Der sein Brod isset,

tritt ihn mit Füßen. Er treibt aus dem Hause seines Vaters

die, welche es durch niedern Eigennutz entweihen, er

schilt die Pharisäer. Er ist in ihren Augen ein Aufrührer,

ein Wahnsinniger. Die Stunde seiner Ueberantwortung

kommt, und er weiß es. Er nimmt Abschied von seinen

Jüngern in heiliger Nacht. Er, das Wort der Liebe, die

allbelebende, allernährende Seele der neugeschaffnen himmlischen

Welt, die neue höhere Natur, die von nun an wohnen

soll in dem Menschengeschlecht, welches der niedern Natur

entsagt hat, ordnet eine neue Speise, einen neuen

Trank, das Fleisch und das Blut seines göttlichen Leibes,

das alle seine Glieder begeistern soll zum höhern Leben. Das

göttliche Blut, das für die Welt vergossen ward, soll aus

dem Einen, der sich opferte, übergehen in alle, in denen

er leben wird. Hier ist keine Bedeutung (wie die Reformirten |#f0048 : 524|



meynen). Es ist die wirkliche Nahrung der christlichen

Gemeinde. ─ Er, der die Welt überwunden hat,

geht nun zum Vater, um seinen Gläubigen die Stätte zu

bereiten. Mit aller Hoheit seines göttlichen Wesens duldet

er nun die Leiden und den Spott blinder Weltmenschen, die

nicht wissen was sie thun, duldet er nun einen Tod, zu dem

er sich aus freyer Liebe im Vertraun auf das höhere Selbst

des Weltalls bestimmt hat. Seine Worte am Kreuz sind

Sphärengesang in den Ohren der Geister, die würdig sind

sie zu fassen. Der bitterste Kelch, die trübste Minute in

der ganzen Geschichte der Seelenwelt, der Augenblick, wo

er ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich

verlassen? mit einem Ruf, der durch das innerste Mark

alles Lebens dringt, geht vorüber. ─ Er befiehlt sein

menschliches Jch in die Hände des Gottes der Liebe, dem

er sich nach den Anordnungen des Schicksals opfert. Die

Erde bebt. Er stirbt, und es ist vollbracht. Und von

nun an ist alles himmlisch, von nun an kein Tod mehr,

überall schöpferisches geistiges Leben in der erleuchteten Natur.

Mögen die verfinsterten Juden den Leichnam bewachen,

Christus, der Sohn des Unsichtbaren, der sich in

Gewißheit der väterlichen Liebe dem höllischen Abgrund des

Grabes übergab, hat im Bewußtseyn der Göttlichkeit durch

seinen eigenen Tod den allgemeinen Tod in der Seelenwelt

bezwungen. Mit allmächtiger Hand schmiedet der Gestorbene

tief in der Hölle es an, das undenkbare Ungeheuer,

auf daß kein Gedanke mehr an denselben in den christlichen

Himmel komme. Die Verwesung kann nicht vernichten, |#f0049 : 525|



was einmal vom Worte der Liebe beseelt und neugeboren

war. Ohnmächtig steht der von Gott abgefallne schwarze

Geist der sich frey und klug dünkenden niedern Selbstheit.

Die Menschen haben kein Jch mehr, das mit Stolze von

ihm besessen und gequält werden kann. Sie haben kein Jch

mehr, das Vernichtung verdient. Und Christus, der Schöpfer

des Himmels auf Erden, ist auch der erste, der ersteht

in diesem seinen irdischen Reiche. Boten Gottes sitzen

auf seinem offnen Grabe. Er selbst, der König der Geisterwelt,

tritt unter seine erleuchteten Gläubigen, und legt

die Hände auf sie. „Friede sey mit Euch. Gehet hin und

lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des

Sohnes und des Geistes. Siehe ich bin bey Euch alle

Tage bis an der Welt Ende.“ Dann verschwindet er auf

immer sichtbar aus ihren Augen. Aber ausgegossen wird

auf sie die Feuertaufe des Geistes. Und sie thun, wie

ihnen geboten ward. Sie lehren in allen Sprachen der

Fremde, thun Wunder, und sterben den Märtyrertod.

Die Erleuchtung breitet sich aus. Der größte Theil der

gebildeten Erde huldigt dem neuen Glauben. Die übermüthigen

weltlichen Jdole des Götzendienstes werden umgestürzt,

und das Zeichen der Demuth, der über den Stolz

erhabenen göttlichen Liebe, der Trost der Leidenden, das

Kreuz, an das sich so viele sterbende Geschlechter der Menschen

hielten, überall erhöht. Nach langen Jahrhunderten

zogen fremde noch halb rohe Nazionen, Kaiser und Könige

mit abgelegten Zeichen der weltlichen Ehre an der Spitze

ihres Heereshaufen, andächtig zu dem heiligen Ort, wo der |#f0050 : 526|



von seinem Volke verachtete Christus litt. Aber, was mehr

ist als dieses, noch nach langen Jahrhunderten erhob die

wohlthätige Jdee des Gottes und Menschen, des Einzigen,

in dem die Menschheit, nach dem Gesetze des

Schicksals, sich selbst anbeten, sich vor dem Richter

rein nennen darf, die vom niedern Leben gedemüthigten,

unter der Last des Staubes erliegenden Seelen.

Die vor dem Allerheiligen zitterten, lernten ihn lieben,

weil er ihres Gleichen war, weil er, wie sie, kämpfte

und ihre Schwächen hinwegnahm. So war das irdische

Leben des Helden der biblischen Geschichte, das man nur

allein in den Evangelien kurz und rein dargestellt findet.

Menschliche Dichter versuchen umsonst mit dem Schwunge

ihrer Einbildungskraft die Züge jener Wundergeschichte zu

verschönern. Andächtler versuchen umsonst durch weitschweifige

Betrachtungen die Menschen aufmerksamer darauf zu

machen. Nur Christus selbst hat Worte der Ewigkeit. Aufklärer

versuchen umsonst dieses Leben seiner wundervollen

Wirksamkeit zu berauben und es in die gemeine Sphäre profaner

Begebenheiten herabzuziehn, weil es zu innig mit

allen Bedürfnissen des menschlichen Gemüths verwebt ist.

Noch schallt der Name Christus in unsern Tempeln. Aber die

zwey allerwärmenden Jdeen seiner Lehre und seines Wandels,

Glauben und Liebe, sind nur noch in wenigen Seelen.



§. 3.



So weit von der biblischen Poesie nach ihrem

Hauptinhalte. Die besondern Formen, welche |#f0051 : 527|



die Poesie des alten Testaments an einzelnen Orten annimmt,

sind schon von vielen Gottesgelehrten bestimmt

worden, und erfordern eine eigene Bearbeitung.



Anmerk. Als Stücke der höhern lyrischen Poesie

sind zu merken: 1) die hebräische Ode. Daß auch sie ursprünglich

mit Musik verbunden war, zeigt die Ueberschrift

vieler Psalmen: Lamnazeach, wenn dies anders richtig

mit dem Vorsänger oder vorzusingen übersetzt wird. Denn

die Erklärung der Worte, welche musikalische Jnstrumente

u. dgl. bedeuten, ist sehr ungewiß. Zur eigentlichen Ode

kann man die Psalmen rechnen, wo Einer spricht, es sey

nun David oder ein anderer Verfasser. Der lyrische Jdeengang

der Psalmen hat viel Aehnlichkeit mit dem horazischen.

Das Gedicht beginnt mit einem Aufruf, einer begeisterten

Frage, mit einer feyerlichen Vorbereitung zum Gesang, mit

einer Sentenz. Die Uebergänge sind rasch und kühn, es

giebt historische Digressionen, und oft verliehrt sich der Dichter

in einer Episode, in einer Allegorie, und schließt mit ihr.

Doch bleibt er auch wohl seinem großen Gegenstande, welcher

gewöhnlich das Lob Gottes ist, getreu. Oft wechselt

der erhabene Styl mit dem sanften Schönen und Reizenden

ab. 2) Die hebräische Hymne. (Ode in Liederform,

wo mehrere Chöre mit Jntermezzos und auch einzelnen

Stimmen abwechseln, z. B. Psalm 8.) Hierher gehören

auch die Siegeshymnen Mosis, der Debora und Davids.

Die älteste dieser Art ist das Danklied Mosis am

rothen Meer. 3) Die Prophezeyungen, Orakel und Visionen |#f0052 : 528|



, welche ebenfalls im höchsten Odenschwunge sind.

Besonders ist hier die Sammlung zu merken, bey welcher

Jesaias zum Grunde liegt. Ezechiel ist der hebräische

Aeschylus. Die bilderreiche, in Ansehung der Zeiten unbestimmte

Sprache der Hebräer ist für die Orakel sehr passend.

Als Stücke der niedern lyrischen Poesie kann man merken:

1) die hebräische Elegie, die oft im Tone der

Nänie, oft ein ruhigeres ἐπικηδειον ist. Hier sind besonders

die Klagelieder des Jeremias anzuführen, eine Sammlung

in Form der Todtengesänge gewöhnlich in fünf

Theilen und dramatisirend. Die Verse sind alphabetisch,

das Metrum langsam, schleppend, vielsylbig. Die Hebräer

hatten ganze Elegieensammlungen, mehrere Psalmen

sind rührende Elegieen. Vorzüglich schön ist die Elegie

Davids auf Sauls und Jonathans Tod mit einem Chor.

2) Die lyrische Jdylle der Hebräer. Lyrische Gedichte

im naiven Hirtenton. Hierher kann man den Propheten

Amos rechnen. ─ Die einzelnen Stücke der darstellenden

Poesie bey den Hebräern sind: 1) historisch. a) erhabene

Geschichte.
Als Heldengedicht kann man die

Bücher Moses ansehen, der in mehrerm Betracht der Homer

der Hebräer ist. Einzelne dramatische Stücke giebts

in den Propheten, die oft personifiziren und handeln lassen.

Das Buch Hiob, das hohe Lied Salomonis, sind beyde

dramatisirt. Doch ist es keine eigentliche Handlung, weswegen

wir das erste zum Lehrgedicht, das andre zur Allegorie

zählen. ─ Erhabne Geschichte in Liederform, wie altyrinchische

Hymnen ─ kleine historische Psalmen, z. B. 78. |#f0053 : 529|



Einige nennen dergleichen Stücke Jdyllen, im weitsten

Sinne des griechischen Worts, wo es ein kleines vollendetes

Ganze heißt (εἰδυλλιον). b) Geschichte, die mehr zum

niedern Schönen Stoff giebt ─ z. B. historische Jdyllen.

Hierher kann man das Buch Ruth, manches aus

dem Leben der Erzväter rechnen u. s. w. 2) Die darstellende

Poesie der Hebräer hat auch vorzüglich didaktische

Stücke aufzuweisen. Hierher gehören a) Lehrgedichte in

bistorischer Form, z. B. das Buch Hiob, eins der erhabensten

glänzendesten Gedichte des Alterthums, das aber

nicht ganz zu den Nationalwerken der Jsraeliten zu gehören

scheint. Es liegt zwar eine dramatische Geschichte zu

Grunde. Allein der Hauptgegenstand ist der Streit Hiobs

und seiner Freunde, und Gottes Ausspruch, eine Theodizee

wegen des Uebels in der Welt, welche Ergebung in den

Willen, in die höchste Weisheit und Majestät Gottes verlangt.

b) Lehrende Systeme. Hierher kann man das

Predigerbuch oder die predigende Weisheit Salomons rechnen.

Die Hauptlehre ist Vergänglichkeit und Hinfälligkeit

der menschlichen Dinge. Also ist Zusammenhang im Ganzen.

c) Sammlung von Sentenzen, ‎‏כילשמ‏‎. Die

Sprüchwörter und kurzen Sentenzen, und überhaupt der

gnomische Styl ist der hebräischen Poesie als Poesie vorzüglich

eigen. ─ Hierher gehören die Sprüche Salomons.

Sie haben eine Einleitung, und alsdann folgen abgerißne

Parabeln und Sprüche. Nachahmungen davon sind das

Buch Sirach und die Weisheit Salomons in griechischer

Sprache. d) Lehrgedichte in Liederform, z. B. manche |#f0054 : 530|



Psalmen, die alphabetischen. 3) Es giebt auch beschreibende

Gedichte, Beschreibungen in Liederform. Manche

Psalmen sind hierher zu rechnen, die nicht den freyen

lyrischen Charakter haben, sondern die Majestät Gottes im

Weltall schildern. 4) Endlich giebt es auch allegorische

Gedichte. Hierher kann man im alten Testamente nach

christlicher Auslegung besonders das hohe Lied Salomons

rechnen. Es ist eine mystische Allegorie, die nur erst

durch das Christenthum volle Bedeutung erhielt. Gott

liebt die Seelenwelt, wie schon nach hebräischer Vorstellungsart

Jehova seine Nazion, und sie wird mit ihm vermählt.

Christus deutet auch oft auf diese Allegorie,

wie er sich überhaupt als moralischer Lehrer der Parabeln

bedient.



[Abbildung]

|#f0055 : E531|



Zweyter Abschnitt.


Von der menschlichen Poesie. ────── |#f0056 : E532|

|#f0057 : E533|

[Abbildung]


Erstes Kapitel.


Von der lyrischen Poesie. ──────



§. 1.



Die lyrische Poesie ist diejenige, in deren

Produktionen die Empfindung des Schönen ganz frey

und an keinen individuell bestimmten Gegenstand gebunden

erscheint.



§. 2.



Da die Gemüthsstimmung des Dichters sich entweder

auf das höhere oder auf das niedere

Schöne richten kann, so giebt es eine höhere und

eine niedere lyrische Poesie.



[Abbildung]



Erster Unterabschnitt.


Von der höhern lyrischen Poesie.



§. 1.



Die Gedichte der höhern lyrischen Poesie,

welche nicht durch eine zufällig hinzukommende be= |#f0058 : 534|



sondere Form einen andern Namen erhalten, wollen

wir im Allgemeinen Oden nennen.



Anmerk. Diese griechische Benennung ist ursprünglich

musikalisch, wie die ganze lyrische Poesie von

der Lyra herstammt, welche Merkur erfand. ─ Ὠδος

heißt nach einigen Grammatikern der große Becher, der bey

den griechischen Gastmählern mit Gesang herumgegeben

wurde. Sonach wäre Ode und Skolion oder Tafellied ziemlich

synonym. Man ist indeß bey allen Nazionen übereingekommen,

alle lyrische Gedichte höherer Art, sobald sie

durch keine besondere zufällige Form einen andern Namen

bekommen, Oden zu nennen.



§. 2.



I) Theorie der Ode. 1) Da die Materie der

Ode eine lyrische durch kein Objekt fixirte Gedankenreihe

ist, welche die Stimmung des höhern Schönen

nährt, so ist alle Einheit, welche diese Dichtungsart

verlangt, nur darinnen zu suchen, daß die

Empfindung des höhern Schönen in ihr herrschend

bleibe. Das höhere Schöne hat mehrere Unterarten.

Das Große, das Starke, das Heftige, das Erhabene.

Diese können in einer Ode mit allen ihren Modificationen

unter einander abwechseln. Selbst das

niedere Schöne kann darein verwebt werden. Nur |#f0059 : 535|



darf es nicht überwiegend seyn. Am allerwenigsten

darf es unter einer Modification erscheinen, welche

das höhere Schöne stöhrte.



Anmerk. Da die Stimmung zum höhern Schönen

eine ungewöhnliche Gemüthsbewegung ist, welche im Menschen

mehr durch Leidenschaften, als durch kaltes Denken

gewirkt wird, so ist begreiflich, warum einige den wesentlichen

Jnhalt der Ode in Schilderung der Leidenschaft

gesetzt haben. Allein die Schilderung der Leidenschaft, die

dunkle heftige Empfindung macht eigentlich nicht das Gedicht,

sondern der Sieg, welchen die Vorstellkraft der Phantasie

ihr abgewinnt, wenn sie das Begehren des Gemüths

im hellen Lichte der Schönheit zeigt. Durch die Leidenschaften

kommt allerdings viel geistiges Leben in die Ode. Die

eigentliche Ode muß aber doch mehr für die Fantasie, als

für das Herz seyn. Darum heißt sie auch oft εἰδυλλιον,

ein kleines Gemälde. Das Herz findet mehr Nahrung in

der Elegie, welche bey der Leidenschaft länger verweilt.

Auch ist der Odendichter oft nur in einer bewundernden

Stimmung, nicht in einer begehrenden. ─ Horaz

scheint in seiner Arte poetica der Ode eine bestimmte Gattung

von Gegenständen anweisen zu wollen. Musa dedit

fidibus Divos, puerosque Deorum et pugilem victorem,

et equum certamine primum et iuvenum

curas et libera vina referre
. Er scheint hier vorzüglich

den Pindar und die andern griechischen Lyriker in Gedanken

gehabt zu haben. Allein man muß die Veranlassung |#f0060 : 536|



der Ode von dem eigentlichen Hauptinhalte unterscheiden.

Die Veranlassung der Ode kann bestimmt

seyn. Die Gedankenreihe selbst ist und bleibt unbestimmt.

Die Veranlassung erweckt im Dichter die Empfindung

des Schönen, und diese nährt er durch willkührliche Gedanken.

Diesen Gedanken nach wechseln im Gedicht Beschreibungen,

Lehren, Erzählungen ab. Aber dies alles sind

episodische Nebenideen, zusammengekettet durch eine freyere

Jdeenassociation. Man hat gefragt, ob eine Ode Handlung

enthalten könnte. Jm eigentlichen Sinne dieses

Worts muß die Frage verneint werden. Die Darstellung

einer Handlung würde die Jdeenreihe nicht durch sich

selbst, sondern durch äußere Umstände ganz bestimmen.

Oden sind also fehlerhaft, wo man sich den Gang der Gedanken

nicht durch die Gemüthsstimmung des Dichters selbst,

sondern durch vorausgesetzte äußere Veränderungen erklären

soll. Wenn also z. B. in einer Ode sich der Dichter eine

geliebte Nymphe denkt, die er verfolgt, und plötzlich ausruft:

„Ha, dich, flüchtiges Reh, dich hab ich erhascht!“

so ist dies nicht zu billigen, weil man sich dabey äußere

Umstände denken muß, die die Jdeenreihe nicht bloß veranlassen,

sondern immerfort nen bestimmen. Es giebt zwar

ganz erzählende Oden, der Einkleidung nach, z. B. die

Weissagung des Nereus, Horaz I. 15. Allein wenn gleich

die Vorbereitung historisch ist, welche uns einen Schauplatz

gleichsam für die Ode bestimmt, so ist doch die Weissagung

des Nereus selbst lyrisch, eine ganz freye, objektiv

unbestimmte Gedankenreihe. Es giebt auch dramati= |#f0061 : 537|



sirte Oden, wo mehrere historisch bestimmbare Personen

sprechen, z. B. Horaz I. 28. Doch auch hier liegt keine

Handlung zum Grunde. Die Gedankenreihe des Gesprächs

ist lyrisch so verbunden, daß man weiter keine äußern Umstände

braucht sie zu erklären. Zwey sprechen. Aber es

ist, als wenn nur Einer spräche. So fließt eins aus dem

andern. ─ Es giebt auch Oden, wo der Dichter sagt,

daß er handeln will, wo er uns Entschlüsse bekannt macht.

Z. B. „Freund, laß die Laub uns schließen“ u. s. w. Klopstock

an den Rheinwein. cf. Horaz I. 27. Hier spricht

Horaz mit seinen Freunden beym Gastmahl. Zwischen den

Worten depone tutis auribus und ah miser kann man

sich zwar eine Handlung denken, als wenn der Freund dazwischen

gesprochen hätte. Allein es läßt sich auch so erklären,

daß Horaz ahnet, was er antworten wird, wie

Klopstock in der Rheinweinode und weiter spricht. Auch

dadurch bekömmt die Ode noch keine Handlung, wenn die

Phantasie des Dichters ihm etwas vergegenwärtigt, wie in

Klopstocks Ode an Ebert: „Leitet den sterbenden Greis!“

Nur muß die augenblickliche Stärke der Begeisterung so groß

seyn, daß man sich die Handlung als phantastisch, nicht als

wirklich denkt. Klopstocks Wingolf ist ein künstliches

dramatisches Odengebäude. Für solche und ähnliche Stücke

sollte man mehr den Ausdruck lyrische Scene gebrauchen.

Wo wirkliche Handlung zum Grunde liegt, ist es

eine historische Dichtungsart, und die lyrische Form zufällig.

─ Will man übrigens, wie Klopstock einmal in seiner

Gelehrten Republik, jeden Entschluß in der Seele, jedes |#f0062 : 538|



Schwanken, Zweifeln u. s. w. eine beginnende Handlung

nennen, so läßt sich dawider nichts einwenden, allein dann

ist das Wort nicht kunstmäßig gebraucht. ─ So viel zur

Erläuterung des Satzes, daß die Ode keinen objektiv bestimmten

Jnhalt habe.



Anmerk. 2. Am wirksamsten ist der Gang der ästhetischen

Empfindungen in der Ode, wenn das Gedicht mit

dem Heftigen, Starken, Großen oder Feyerlichen beginnt,

und mit dem Erhabenen schließt. Denn dies ist der natürliche

Gang des menschlichen Geistes. Doch kann man den

Dichter hierin nicht beschränken. Nur müssen die Uebergänge

aus einer Untergattung des Schönen in die andere

nicht widernatürlich und zu kontrastirend seyn. Man kann

hier viele interessante Bemerkungen machen, wenn man die

schönsten Oden nach theoretischen Bestimmungen analysirt.

Man nehme z. B. d. Horaz. Ode III. 11. Erst das Feyerliche

─ dann folgt ein heiteres Bild des reizend Schönen.

Dann das Starke, hierauf das Schauerliche, und der Schluß

ist erhaben. ─ Jn der Ode Augustam amice pauperiem

pati (III
. 2.) beginnt das Starke, dazwischen ist ein Lichtstrahl

sanfter Liebe geworfen, dann folgt das Heftige, hierauf

kommt eine hohe Empfindung. Das Bild der Tugend,

welche die Erde verläßt, ist erhaben, und die Ode schließt

wieder mit dem Starken. Da die Empfindung des höhern

Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsstimmung voraussetzt,

so wird der Odendichter seine Seelenkräfte entweder durch

einen feyerlichen Anruf zu seinem Gesange sammeln, oder |#f0063 : 539|



er wird mit einer heftigen und lebhaften Frage beginnen:

Quo me Bache rapis? ─ Wohin wird mein Gesang verschlagen?

Uz. ─ oder eine starke große Sentenz an die

Spitze seiner Jdeenreihe stellen: Iustum et tenacem etc.

Da die Ode eine gewisse Freyheit der ästhetischen Empfindung

behauptet, so wird sie am Schlusse das Erhabene, wie

ein Epiphonem lieben, das einen unbestimmbaren Nachhall

in der Seele zurückläßt. Das niedere Schöne, welches sich

in der Ode findet, darf die Kraft der Ode nicht ganz erweichen,

es darf auch durch keine ganz kontrastirende Modification

stöhren oder beleidigen. Z. B. Das Scherzhafte

darf in der Ode eigentlich nicht statt finden. Klopstock hat

zuweilen Scherz in seinen Oden, aber allemal unter einer

edlen Form. Manche anakreontische Gedichte sind vollkommne

Oden. Manche Stücke des Horaz, in welchen die

Freude, die Liebe herrscht, sind nichtsdestoweniger vollkommene

Oden. Denn diese Dichter verbinden immer mit der

Aufmunterung zur Freude, des Gastmahls und des Bechers

den Gedanken an die Vergänglichkeit des Lebens, an den

Tartarus. Huc vina et unguenta, et nimium breves

flores amoenae ferre iube rosae. ─ Linquenda

tellus et domus et placens uxor
─ oder Anakreon

führt uns vom Gastmahl zur Anschauung der ganzen Welt:

ἡ γη μελαινα πινει κ. τ. λ.



§. 3.



2) Da die Ode keinen objektiv bestimmten Gegenstand

hat, aber doch eine Gedankenreihe enthält, |#f0064 : 540|



die, als solche, nicht ganz logisch unvollkommen seyn

darf, so muß in Absicht auf die Gedanken und Bilder

eine künstliche Unordnung herrschen, die auf

einen verborgenen Plan hindeutet.



Anmerk. So wie der Dichter eine zufällige Veranlassung

zu seiner Gemüthsstimmung haben darf, die er

gleich anfangs ankündigt, so kann und muß er auch einen

Hauptgedanken haben, welcher der ganzen Jdeenreihe ein

gewisses Licht giebt. Nur darf dieser nicht als der Hauptgedanke

angekündigt seyn und logisch durchgeführt werden,

sonst würde dies der Phantasie Zwang anlegen. Daher wird

er weder mit dem Hauptgedanken beginnen, noch mit ihm

schließen. Denn nur dadurch bekommt die Jdeenreihe eine

gewisse Unendlichkeit, daß sie zu Anfang und zu Ende frey

ist. Darum verliehrt sich Horaz sehr gern am Ende seiner

Gedichte in die Darstellung eines Bildes, einer Geschichte.

Er will z. B. III. 11. die Lyde rühren durch seinen Gesang.

Diese Absicht giebt er nicht gleich anfangs zu erkennen.

Sondern er ruft den Merkur an, den Erfinder des Gesangs.

Nun erwähnt er erst seine Hauptabsicht, daß er die Geliebte

erweichen will. Dann verliehrt er sich ganz in die

Erzählung der Geschichte eines liebenden großmüthigen Mädchens,

und schließt damit. Hier scheint er sich von seinem

Wege verirrt zu haben. Allein die freye lyrische Unordnung

deutet auf einen verborgenen Plan. Denn Lyde

kann an dieser Erzählung sich ein Beyspiel nehmen. ─

L. III. od. 4. ist die Hauptidee vielleicht, die Horaz hatte, |#f0065 : 541|



den Einfluß der Musen auf die Bildung der rohen Macht

dem Cäsar ans Herz zu legen. Aber sie ist nur mit einigen

Worten in der Mitte angedeutet. Das Ganze ist freye

Phantasie, die sich aber darauf bezieht. Die freye Gedankenreihe

in den Oden, welche die größte Willkühr der

Phantasie behaupten, zeigt sich auch darinnen, daß oft eine

Kleinigkeit dem lyrischen Dichter Gelegenheit zu einer erhabenen

Ansicht des Lebens giebt, z. B. Hor. III. 21. Am

allerschwersten ist der Plan der Pindarischen Oden zu entdecken

und zu behalten, weswegen Erasmus Schmid sie

auch in Tabellen gebracht hat. Gleichwohl ist Pindar mehr

wegen seines üppigen Ausdrucks, wegen seiner Jdeenassoziationen

und Uebergänge schwer. Jm Ganzen bleibt er

immer fast zu viel und zu einseitig bey seinen fürs höhere

Gefühl armen Gegenständen. Er beginnt mit der Hauptidee,

kehrt auch zu derselben zurück. Seine historischen Digressionen,

wodurch seine Öden oft unsern Balladen ähnlich

werden, sind durch die Natur der griechischen Kampfspiele

bestimmt, und nur in Zusammensetzung einzelner Gedanken

findet man lyrische Unordnung. Man kann dann wohl, wie

die Dichterin Corinna, mitunter von ihm sagen: der Same

müsse mit der Hand gestreut, nicht in ganzen Säcken ausgeschüttet

werden. Klopstocks Oden sind voll tiefen Gefühls,

und die herrschende Empfindung läßt seine Phantasie

nicht sehr herumschweifen. Nur die einzelnen Uebergänge

machen den Plan zuweilen schwer. Ramler und Uz haben

mehr den Horaz nachgeahmt.

|#f0066 : 542|



§. 4.



3) Da die Ode eine höhere Gemüthsstimmung

voraussetzt, welche durch keinen äußerlich bestimmten

Gegenstand genährt wird, also nicht bleibend seyn kann,

so muß sie ihrer Natur nach kurz und ihr Styl gedrängt

seyn. Keiner Dichtungsart kommt die hohe

Sprache zu, welche die Ode hat, weil in ihr der Dichter

allein spricht, und seine erhabenen Empfindungen

mittheilt.



Anmerk. Weder Pindar noch Rousseau machen von

dieser Regel der Kürze eine Ausnahme. Pindars Oden

nähern sich oft mehr der Natur von Erzählungen in

lyrischer Form unsrer Balladen. Nur in dieser Qualität

kann man sie nicht zu lang finden. Der Engländer Prior

hat Oden von fünf und dreyßig zehnzeiligen Strophen.

Rousseaus Oden pflegte Klopstock Dissertations lyriques

zu nennen. Sie sind zuweilen mehr Lehrgedichte in lyrischer

Form, als wirkliche Oden. Ueberhaupt kommt es bey

Classification der Gedichte auf das an, was die Hauptsache

ist. A potiori fit denominatio, wie wir schon bemerkt

haben. Es kann ein Dichter erzählen und lehren wollen,

und seiner Gedankenreihe dabey eine freyere lyrische Form

geben, als wär er an seinen Gegenstand nicht gebunden.

Dann ist er kein lyrischer Dichter, wenn er auch noch so

viel lyrische Stellen einmischt. Wiederum kann ein Dichret

nur erzählen. Wenn aber seine Erzählung ihrer

Natur nach Nebensache, Einkleidung, und nichts als das |#f0067 : 543|



Symbol einer höhern Gemüthsstimmung ist, so ist sein

Gedicht dennoch eine Ode, z. B. die beyden Musen;

Skulda von Klopstock; Bachum in remotis rupibus vidi.

Hor
. Es ist ein kleines vollendetes Gemälde von einer Empfindung

des höhern Schönen, die nicht an einen äußern

Gegenstand als Jdeal fixirt ist. Was erzählt wird, erregt

als Handlung nicht das Hauptinteresse, ist auch nicht

objektivisirte Jdee, sondern ist nur die Schilderung, das

Sinnbild einer interessanten Gemüthsstimmung. ─ Uzens

Theodizee, und Drydens Ode auf den Cecilientag stehen

vielleicht gerade auf der Gränze zwischen dem Lehrgedicht,

der Erzählung und der Ode. ─ Eben wegen der nothwendigen

Kürze, welche die Ode verlangt, ist ein großer Dichter

an nichts leichter zu erkennen, als an der Art, wie er zu

schließen versteht. ─ Der Styl der Ode muß kräftig und

gedrängt seyn, kann ans Außerordentliche gränzen. Denn

in der Ode koncentrirt sich so zu sagen die Quintessenz der

Dichtkunst. Wenn der Styl auch zuweilen seinem Gegenstande

zufolge natürlicher ist, so darf er doch nie gedehnt seyn,

wie der elegische. Daher das, was die Theoretiker bey den

Uebergängen den lyrischen Sprung nennen. Alle gewöhnliche

Mittelideen werden weggelassen. Kein andrer Dichter

wie der Odendichter darf mehr so denken wie Rousseau: Lecteur,

s'il faut tout vous dire, ne me lisez point
.



§. 5.



4) Da der Styl der Ode gedrängt, kurz und

kräftig ist, so paßt für sie auch nur ein Metrum von |#f0068 : 544|



kurzen Versen, welches den Strom der Rede in engen

Schranken hält und dadurch erhöht. Vorzüglich sind

die strophischen Versarten auf sie anzuwenden, weil

diese am meisten das Gepräge der Vollendung haben.

Der Styl der Ode ist der vollendeteste von allen, und

bedarf auch einer vorzüglich musikalischen Sprache.

Die einzelnen lyrischen Sylbenmaaße, in wie

fern sie für besondre lyrische Empfindungen passen, haben

wir schon oben genauer bestimmt.



Anmerk. Bey den Griechen war die lyrische Poesie

zuweilen nicht nur mit Musik, sondern auch mit Wendungen

des Tanzes verbunden. Daher in den Oden

und Chören Strophe, Antistrophe, Epodos. Daher

und wegen der Musik mußte die Antistrophe dem Takt nach

der Strophe correspondiren. Alcäus, Sappho, Horaz u.

s. w. haben monostrophische Oden. Diese hießen eben wegen

der Beziehung auf den Tanz, der hier wegfiel, auch

ϛασιμα. Bey den neuern Nazionen hat man den Reim

für die Ode angenommen. Aber auch hier sind Stanzen

oder besondere Reimsysteme nöthig, um dem Metrum die

gehörige Vollendung und Rundung zu geben. Bey den

Jtalienern sind besonders die Canzonen für die höhere lyrische

Poesie. Sie haben auch ihre Ballata und Contraballata,

Volta, Rivolta
und Stanza, wie die

Griechen ihre Strophen und Antistrophen, Epoden

angenommen. Manche Sonnette von Petrark sind vollkommne |#f0069 : 545|



Oden, wiewohl die Form des Sonnets für den

lyrischen Schwung eigentlich zu peinlich ist. Boileau sagt,

es sey vom Apoll zur Marter armer Dichterseelen erfunden.

Nur Petrarks hoher Geist konnte in diese niedliche

Form freyes himmlisches Leben bringen. Abraham Cowley,

der Vater der englischen Odenpoesie, hat die in diesem § behauptete

Regel, daß die strophischen Versarten für das

Wesen der Ode, als des vollendetesten Gedichts, nöthig

sind, vernachlässigt. Allein pindarisch wird dadurch eine

Ode nicht, wenn gar keine metrische Symmetrie statt findet.

Für das griechische Ohr war gewiß Pindar musikalisch genug.

Die französische Ode hat oft abwechselnd kurze und

lange Verse in ihren Stanzen, und diese Mischung trägt,

wie Fenelon bemerkt, viel zur Harmonie bey.



§. 6.



5) Die Ode nimmt verschiedene zufällige Formen

an, oder sie bekommt auch, ihrem veranlassenden

Jnhalte nach, zuweilen Nebenbenennungen, ohne daß

in beyden Fällen der Hauptname Ode ganz verlohren

ginge.



Anmerk. Es giebt, wie wir bemerkt haben, a) dramatisirte

Oden, z. B. Selmar und Selma in Klopstock,

Horaz und Lydia. Das Gespräch muß aber doch Eine einzige

lyrische Jdee seyn, ohne Handlung, sonst wird es ein

darstellendes historisches Gedicht, wo die lyrische Form zufällig

ist, eine lyrische Scene. b) Oden in Briefform. |#f0070 : 546|



Die Odendichter reden oft im Anfange ihrer Gedichte einen

Freund an, den sie sich als gegenwärtig denken. Oft hat

die angeredete Person ihrem Charakter nach wenig oder gar

keinen Einfluß in das Gedicht, z. B. Horat. Lib. II. 3.

moriture Delli, Posthume Posthume
─ Es müßte

denn seyn, daß der Dichter eine gewisse Wahrheit gerade

diesem Freunde ans Herz legen wollte. Zuweilen lernt man

doch den Freund, an den die Ode gerichtet ist, aus dem Gedichte

kennen, z. B. Albi, ne doleas. Hor. Hieraus

sieht man Tibulls elegischen Charakter. Klopstocks Oden

an Gleim. ─ Dieses macht noch nicht die Briefform. Zuweilen

ist letztere jedoch unverkennbar, z. B. Horat. I. 20.

Vile potabis etc
. und Klopstocks Gedicht: Cidli, du weinest

und ich schlummre sicher ─ c) Zuweilen giebt auch

eine besondere Modifikation des Schönen der Ode

einen eigenen Charakter. Wir haben das Satyrische zwar

zum niedern Schönen gerechnet, allein bemerkt, daß es auch

eine heftige Satyre gebe, die sich dem Erhabenen nähert.

Es giebt daher satyrische Oden. Archilochus soll dazu

den Jambus gebraucht haben. Daß Horaz auch wohl dergleichen

gemacht haben mag, zeigt seine Palinodia L. I.

od
. 16. und sein Buch Epoden. Man hat dergleichen

satyrische Oden, wo gewöhnlich ein längerer Jambe mit

einem kürzern abwechselt, nach der Bemerkung des Hephästion

Epoden genannt, welche Benennung auch von deutschen

Dichtern gebraucht worden ist. Scaliger findet in

dem Ausdruck weiter nichts, als einen Anhang von Oden.

Alle Epoden des Horaz sind nicht geradezu satyrisch. Z. B. |#f0071 : 547|



gleich die erste an den Mäzen ist nur ein Scherz. ─ Das

schöne Gedicht: Beatus ille, hat nur einen satyrischen

Schluß, der eigentlich nicht recht paßt. ─ Wegen der

Veranlassung zu manchen Oden haben sie auch zuweilen

eigne Benennungen erhalten. d) Epinicia, wurden bey

den griechischen Spielen dem Sieger gewidmet. Daher die

Pindarischen Olympionicae, Nemeonicae, Pythionicae,

Isthmionicae
. Man sollte dies nicht Siegeshymnen

übersetzen. Denn Hymne, wenn man endlich einmal eine

feste Kunstsprache einführen will, muß für die Gesänge bleiben,

wo nicht blos der Dichter, sondern mehrere zusammen

singen. e) Das Melos, Liebesgedichte (ἐρωτικα) in

freyerm Odenschwung, soll der Lyriker Alcwan erfunden

haben. Hierinnen ist Sappho vor allen berühmt. f) Die

Scolia der Griechen. Zuweilen sangen mehrere zusammen

bey den Gastmählern. Dann mochten es keine Oden, sondern

mehr gesellige Lieder seyn. Allein zuweilen ward nach

der Reihe gesungen, von jedem Einzelnen, der alsdann eine

Myrte oder einen Lorbeer auf dem Haupte und in der Hand

trug. Diese Scolia, wie wir aus dem sehen, was davon

auf unsre Zeiten gekommen ist, sind wahre Oden im freysten

lyrischen Schwung, enthielten das Lob eines berühmten

Mannes, z. B. das berühmte ἐν μυρτου κλαδι auf den Aristogiton

und Harmodius, auf den Aiar, oder eine Lebenssentenz.

Das Scolion des Timocreon Rhodius wider den

Reichthum, das gewiß bey unsern Festen nicht gesungen

werden würde, weil unsre Feste gern nichts wie Beweise des

Reichthums seyn möchten. ─ Der berühmte Päan (im uneigentlichen |#f0072 : 548|



Sinn des Worts) des Aristoteles. ─ Woher der

Ausdruck Scolion kommt, darüber ist man nicht einig. Es

wird behauptet, daß dem besten Sänger ein Becher als

Preis zuerkannt ward. Vielleicht kommt auch daher der

Ausdruck Ode.



§. 7.



II) Die Hymne ist ein Gedicht der höhern lyrischen

Poesie in Liederform, unter Voraussetzung,

daß es von mehreren Menschen bey einer feyerlichen

Gelegenheit gesungen werde.



Anmerk. Man muß also in genauer Kunstsprache

Ode und Hymne von einander ganz unterscheiden, und der

Sprachgebrauch der Dichter beobachtet auch den Unterschied.

Die Ode ist eine freye erhabene Phantasie des Dichters, die

eine Veranlassung haben kann und auch nicht. Die Hymne

hat die bestimmte Veranlassung, bey feyerlicher Gelegenheit

von einer Menge Menschen gesungen zu werden, und also

die Liederform. Zwar nennen die Alten zuweilen kleine Gebete

der Dichter, die an irgend eine Gottheit gerichtet sind,

auch wohl Hymnen. Λαβουσα μικρον ὑμνον. Anacr. θ.

Horat. L. I
. 30. ist förmlich ein kleiner ὑμνος κλητικος,

wie ihn die Griechen nannten, (nach Art der ersten Ode der

Sappho) und so mag die Hymne, für welche Cythere das

Täubchen an den Anakreon verhandelte, auch gewesen seyn.

Eigentliche Hymnen sind aber Chorgesänge, wie Horat.

L. I
. 21. und das carmen saeculare. ─ Daß das Lob |#f0073 : 549|



göttlicher Wesen die Veranlassung zu einer Hymne seyn

müsse, ist dem Sprachgebrauch nach nicht nothwendig.

Man hat Hymnen an das Licht (Abr. Cowley), an das

Grab, auf Publicität u. s. w. Schillers Gesang an die

Freude ist ganz eigentlich eine Hymne. Der Marseiller

Kriegsgesang von de Lille wird auch eine Hymne genannt.



§. 8.



1) Da die Hymne ein höheres lyrisches Gedicht

ist, so ist ihr Hauptinhalt eine Empfindung

des höhern Schönen. Da aber die Veranlassung

feyerlich ist, und vorausgesetzt wird, daß mehrere

singen, so wird nicht jede Untergattung des rührend

Schönen passend seyn. Diese Untergattungen werden

auch nicht so unter einander abwechseln, wie bey der

Ode. Denn das leicht bewegliche Gemüth des einsamen

Dichters geht eher aus einer Empfindung in die

andere über, als sich die Stimmung einer Menge

Menschen bey einer feyerlichen Gelegenheit verändert.

Es muß also mehr Einheit der Empfindung in der

Hymne seyn, als in der Ode, und das Große, das

Feyerliche durchaus herrschen.



Anmerk. Besonders muß der Aufang der Hymne

ein προσωπον τηλαυγες seyn. Man betritt ein Heiligthum.

Gewöhnlich ists ein Anruf, der die Hauptver= |#f0074 : 550|



anlassung enthalten muß, die die Singenden feyerlich

stimmt. Die sogenannten homerischen Hymnen sind

sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind

mehr kleine historische Stücke, und können kaum zur lyrischen

Poesie gezählt werden. ─ Callimachus ist weit lyrischer.

Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an

die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter

zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. ─

Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht

so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung

zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung

zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner

Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und

endet leicht, oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit

eben der großen Empfindung enden, wie sie begann.

Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens

ein Gruß an den Gott wiederholt. Mesomedes

Hymne an die Nemesis hat den Charakter der Stärke und

des Grausenden. Darum ist auch die letzte Jdee, mit

welcher der Dichter schließt, der Tartarus. ─ Uebrigens

können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend

schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe

so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so

ganz denselben überlassen, wie bey der Ode.



§. 9.



2) Da die Hymne ein lyrisches Gedicht ist,

folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr |#f0075 : 551|



die einzelne Gedankenreihe bestimmt, als umgekehrt

die objektive Gedankenreihe die Gemüthsstimmung, so

ist auch der Plan der Hymne frey und lyrischen

Unordnungen
unterworfen. Da aber die Hymne

zugleich die Liederform hat, folglich auf mehrere

Menschen berechnet ist, und mehrere Menschen, zumal

bey feyerlicher Veranlassung, nicht so leicht von einem

Gedanken auf den andern übergehen, so bleibt hinwiederum

der Hymnendichter dem Gegenstande, der ihm

Veranlassung zum Gedicht giebt, mehr getreu, als

der Odendichter.



Anmerk. Die historischen Hymnen der Alten enthalten

mehrentheils die Thaten eines Gottes. Diesem Gegenstande

bleiben die Dichter getreu. Diese Hymnen sind

hier jedoch weniger anzuführen, weil sie schon mehr darstellende

Poesie sind. Davids Hymnen (s. oben)

enthalten das Lob Jehovas, aber er nimmt seine Bilder ohne

gezwungene Ordnung aus der ganzen Natur. Daß es bey

Zeiten christliche Hymnen gegeben, beweist die Stelle beym

Plinius Epp. Lib. X. 97. quod essent soliti carmen

Christo, quasi Deo dicere secum invicem
. Die Thaten

Christi sind auch hier der Hauptgegenstand, wie wir aus

den katholischen Messen sehen. Doch bestimmt ein einzelner

meist die Empfindung der Gedankenreihe. Die meisten

Hymnen des Prudentius sind in Ansehung der Gedankenreihe

lyrisch, z. B. Cathemerinon liber. Auch von Augustin |#f0076 : 552|



haben wir Hymnen. ─ Das Requiem oder die

Todtenmesse: Dies irae, dies ille, ist ganz lyrisch. ─

Alle geistliche Lieder der Neuern darf man nicht unter der

Kategorie von Hymnen aufführen. Die neuesten geistlichen

Lieder zumal sind mehr Lehrgedichte, gnomische Gedichte

in Liederform. Jn unsern ältern Gesangbüchern giebt es

noch eher wahre Hymnen, weil sich darinnen noch höhere

Poesie findet. ─ Popes allgemeines Gebet, Rousseaus

und Cramers Psalmen sind im wahren Hymnenton; auch

Klopstocks geistliche Lieder und manche seiner Oden.



§. 10.



3) Jndem die Hymne mehr die Empfindung beschäftigt,

als dem Geiste eine bestimmte objektive Anschauung

giebt, indem sie das Werk eines hohen lyrischen

Moments ist, der die Menschen begeistern soll,

verlangt sie auch eben so wie die Ode Kürze, Gedrängtheit.

Da sie aber durch die Liederform

etwas herabgestimmt wird, und für mehrere Menschen

berechnet ist, überdem ihr Plan etwas regelmäßiger

ist, als der der Ode, so leidet sie auch etwas mehr

Ausdehnung als letzteres Gedicht. Die Sprache der

Hymne muß wegen der feyerlichen Empfindung in hohem

Styl seyn, doch nicht ganz so ungewöhnlich,

wie der Odenton. Denn mehrere Menschen

zusammen können seltener die freyen Wendungen des

Ausdrucks nehmen, als der Dichter allein.

|#f0077 : 553|



Anmerk. Der historische Ton der alten griechischen

Hymne ist ohne allen lyrischen Schwung. Aber man findet

auch Hymnen, die wahrscheinlich in den Mysterien gesungen

wurden, wie die τελεται des vorgeblichen Orpheus.

Diese sind lauter Ausrufungen, lauter Epitheten, folglich

ganz lyrisch. Auch in der griechischen Anthologie findet

man Hymnen an den Bachus, an den Apoll in dieser Art.

Natürlich dürfen solche Hymnen nur kurz seyn. Denn sie

sind nichts als lyrische Benennungen des Gottes ohne Zusammenhang.

Unsere Litaneyen können damit verglichen

werden.



§. 11.



4) Das Metrum der Hymne darf nicht ganz

so viel Mannichfaltigkeit enthalten, als das der Ode.

Die Liederform verlangt eine gewisse leichtere

Faßlichkeit für das Ohr.



Anmerk. Die Griechen hatten anfangs den Hexameter

in ihren Hymnen. Das Metrum paßt für den historischen

Styl, ist zu ausgedehnt, aber doch ziemlich gleichförmig.

Doch haben die Alten auch in Strophen und

Antistrophen und noch freyern Versmaaßen ihre Hymnen

gesungen. Viele ihrer tragischen Chöre im Sophocles und

Euripides sind vollkommne Hymnen auf das Lob eines Gottes.

Horaz hat sein Carmen saeculare in Monostrophen

gedichtet. Die christlichen lateinischen Dichter haben zuweilen

sogar sapphisches Sylbenmaaß, oft aber auch ein leichteres |#f0078 : 554|



trochäisches oder jambisches Metrum, und so ist es

gewöhnlich bey den neuern Hymnendichtern geblieben, welche

Stanzen und Reime angenommen haben. Manche alte Kritiker

hielten den Jamben für unverträglich mit der Hymne.



§. 12.



5) Zufällige Formen und besondere Veranlassungen

haben auch der Hymne zuweilen noch besondere

Namen gegeben, ohne jedoch die Benennung

der Gattung dabey ganz aufzuheben.



Anmerk. Hierher kann man rechnen: 1) die

Kriegslieder. Tyrtäus hat zwar die elegische Form.

Seine Gedichte nähern sich aber den Hymnen. Mehr romantisch

sind Gleims preußische Kriegslieder ─ und Weissens

Amazonenlieder. 2) Die Siegeshymnen hießen bey

den Griechen Päane. Dies waren also keine Epinicia,

wo Sieger in Spielen besungen wurden, sondern feyerliche

Danklieder nach gewonnener Schlacht, wie unser Te Deum.

Der Ausruf ἰη παιαν soll bey diesen Liedern gewöhnlich gewesen

seyn. Doch brauchen die Griechen auch zuweilen das

Wort Päan von andern Liedern beym Opfern, z. B. im

Homer. Es giebt auch Skolien, die Päane genennt wurden,

z. B. Atiphrons Päan auf die Hygieia, des Aristoteles

Päan auf den Hermias, ein feuriges Loblied auf die Tugend.

3) Die gottesdienstlichen Gesänge vor dem Altar

nannte man Hymnen insbesondere. Die in den Mysterien

gewöhnlichen hießen dann zuweilen τελεται, und bestanden |#f0079 : 555|



fast aus lauter Epitheten. 4) Dithyramben. Haben mehr

den Charakter des Heftigen als des Feyerlichen. (Der

Ausdruck soll daher kommen, daß Bachus zweymal geboren

worden, δις θυρας ἀμειβων. Andere meynen, daher,

daß, nach dem Archilochus, ein Diener des Bachus so geheißen.)

Dem sey wie ihm wolle, so ist der Styl der dithyrambischen

Hymnen auf den Bachus im höchsten Grade lyrisch,

das Metrum wechselnd und voll kurzer Sylben gewesen.

Man erfand und setzte neue lange Worte dazu zusammen.

Aeschylus nennt den διθυραμβον μιξοβοαν. ─

Die Dithyramben des Pindar sind verlohren gegangen.

Eine Gattung davon hieß Hyporchema. Auch Lobgesänge

auf andre Götter, den Silen, die Cybele, den Priap u.

s. w. heißen zuweilen Dithyramben, wiewohl auch dafür

wieder andere Sylbenmaaße statt fanden (s. oben). Die

Dithyramben wurden von der freysten Musik begleitet, welcher

φρυγιος νομος hieß. Die dorische Harmonie hingegen

(δωριϛι), welche bey den Tibiis statt fand, konnte auf den

Dithyramben nicht angewendet werden. Sie war ernst und

besänftigte mehr, als daß sie hinriß. ─ Die Neuern verstehen

unter den Dithyramben Gedichte, wo der höchste lyrische

Rausch in Sprache und Sylbenmaaß ausgedrückt ist.

Sie setzen also ungewöhnliches Genie voraus. Die Ode des

Horaz: Quo me Bache rapis, mag wohl noch die einzige

Dithyrambe von Werth seyn. Die Jtaliener, Franzosen

und Deutschen haben die dithyrambische Manier nachgeahmt,

am neusten Voß und de Lisle. Klopstocks geistliche

Oden nähern sich zuweilen der Dithyrambe. Nur ein solcher |#f0080 : 556|



Dichter kann das mit Glück. Denn die größte Freyheit und

Fessellosigkeit verlangt auch die größte Sicherheit. Sonst

gilt von dem Dichter das Wort des Horaz: Vitreo dat

nomina ponto
. 4) Es gab hymnos κλητικους, φυσικους,

μυθικους
u. s. w. Man rufte die Götter, oder

hypostasirte Naturerscheinungen, Tag, Nacht. Man erzählte

die Reisen der Götter, (wie Homer, die des Apoll)

und begleitete sie mit Segenswünschen (ἀποπεμπτικους).

Man erzählte die Genealogie der Götter (γενεθλιακους)

u. s. w.



§. 13.



III) Die Heroide ist ein Gedicht der höhern

lyrischen Poesie in Briefform, unter Voraussetzung,

daß irgend ein berühmter Held der Fabel oder Geschichte

einem andern seine Empfindungen in einer

merkwürdigen Situation seines Lebens schriftlich mittheile.





Anmerk. Die Heroide ist also von der Ode in

Briefform noch zu unterscheiden. Dort schreibt der Dichter,

hier ein fingirter Held der Geschichte. Daher auch der Ausdruck

Heroide. Sulzer bestimmt das Wesen der Heroide

nicht richtig, wenn er sie zur Elegie rechnet. Das elegische

Sylbenmaaß und der gedehnte Ton, welchen diese

Dichtart beym Ovid hat, mochte Sulzern, wie auch einen

andern englischen Kunstrichter, in seinem Versuch über Pope

zu dieser Behauptung bestimmen. Allein nicht allemal ist |#f0081 : 557|



der Erfinder einer Dichtart gleich so glücklich, sie vollkommen

zu organisiren. Wenn auch Ovid wirklich die Heroide

erfunden und damit die griechische Elegie zu verbessern

gemeynt hätte, so ist noch nicht die Folge, daß er in

der Ausführung ganz glücklich gewesen sey. Auch zweifelt

man, ob die in seinen Werken vorhandenen Heroiden alle

von ihm sind. Man kennt die spielende, mehr witzige als

empfindungsvolle Manier dieses Dichters. Er konnte also

die Heroide nicht über den Ton der tändelnden, höchstens

zärtlichen Elegie erheben. Wenn man dagegen die Jdee

dieser Dichtungsart an sich betrachtet, wenn man bedenkt,

daß merkwürdige Helden und Heldinnen der Geschichte ihre

leidenschaftlichen Empfindungen in großen Situationen einander

mittheilen sollen, (ein äußerst glücklicher Gedanke)

so folgt daraus, daß diese Empfindungen solcher Seelen nothwendig

zum höhern Schönen, zur höhern lyrischen Poesie

führen müssen, und daß es nur ein Fehler des Dichters

ist, wenn er, wie Ovid, elegisch bleibt. Man kann

also behaupten, daß erst mit Popes berühmten und wahrhaft

erhabenen Heroide von Heloise an Abelard diese Dichtart

ganz ausgebildet worden ist. Wenn die höhere lyrische

Poesie die Liederform verträgt, warum sollte sie nicht auch

die Briefform vertragen? Wenn es im Fache des niedern

Schönen poetische Episteln giebt, so mußte der menschliche

Geist nothwendig auch auf die Erfindung erhabener poetischer

Briefe verfallen. Natürlich war es da, daß man

Helden und merkwürdige Menschen an einander schreiben

ließ. Klopstock verweigert in seiner Gelehrtenrepublik den |#f0082 : 558|



poetischen Briefen den Namen von Gedichten. Vermuthlich

hatte er die Sendschreiben in Gottscheds Manier in Gedanken.

Denn sonst ist kein Grund von dieser Behauptung

einzusehen. „Der Himmel selbst, spricht Pope, erfand

die Schrift zur Hülfe des Unglücklichen, für irgend einen

verbannten Liebenden, oder ein gefangenes Mädchen. Der

Buchstabe lebt, er spricht, er haucht den Athem der Liebe,

kommt warm von der Seele, und giebt treu ihr Feuer wieder.

Die jungfräulichen Wünsche zeigen sich in ihm ohne

Furcht. Er erspart ihnen die Schamröthe, gießt das ganze

Herz aus, erhält die süße Gemeinschaft von Seele mit

Seele, und bringt einen Seufzer vom Jndus zum Pole.“

Warum sollte also die Briefform eines Gedichts, selbst eines

erhabenen Gedichts unwürdig seyn? ─ Freylich ist es thörig,

wenn der italienische Dichter Crasso Adam an Eva, ein

anderer Gott den Vater an die Jungfran Maria schreiben

läßt. ─ Allein die französischen Dichter, welche den Cato

an den Cäsar, Hannibal an Flamminius, Montezuma an

Cortes, Carl den Ersten an seinen Sohn, Gabriele an

Heinrich den Vierten, Leonora an den Tasso schreiben lassen,

haben die Jdee der Heroide sehr gut gefaßt, die Ausführung

sey übrigens, wie sie wolle. Es ist gar nicht nöthig,

daß die Leidenschaft der Liebe in der Heroide herrsche. Eben

so wenig darf die Heroide, wie Eschenburg thut, als ein

dramatisches Gedicht aufgeführt werden, wenn gleich

die Personen im Ovid und andern Dichtern einander antworten.

Dramatisch ist blos das Gedicht, dessen Gedankenreihe

durch eine dargestellte Handlung bestimmt wird. |#f0083 : 559|



Die Personen in der Heroide sind aus der Geschichte. Aber

ihre Briefe sind Monologen, die sich in der Seele entwickeln

ohne äußere verändernde Umstände. ─ Es giebt

auch Oden, wo historische Personen sprechen, z. B. Nereus

im Horaz, und man nennt das doch nicht dramatisches Gedicht.

─ Da die Heroide zu den höhern lyrischen Dichtungsarten

gehört, und die schreibenden Personen in großen

Situationen sind, so ist das Heftige herrschend und eine

außerordentliche Sprache allerdings auf sie anzuwenden.

Weil aber die Natur des Briefes den lyrischen Ton wiederum

mildert, so ist deshalb der Styl etwas natürlicher,

die Uebergänge dürfen nicht ganz so rasch seyn, als in der

Ode. Aus diesem Grunde haben auch die Dichter oft dazu

das elegische Sylbenmaaß gewählt. Die Jtaliener gebrauchen

dabey die Terzinen. Bey keiner Nazion hat diese

Dichtungsart mehr Anhänger und auch Widerspruch gefunden,

als bey der französischen.



[Abbildung]

|#f0084 : E560|

[Abbildung]

Zweyter Unterabschnitt.


Von der niedern lyrischen Poesie. ──────



§. 1.



Die lyrischen Gedichte, in welchen das niedere

Schöne herrscht, wollen wir, wenn sie nicht durch eine

besondere Form, oder Modisication des Schönen eine

andere Benennung erhalten, Elegieen nennen.



Anmerk. Daß die Elegie (von ἐλεον λεγειν)

ursprünglich ein Klagegesang über den Tod eines Freundes

bedeute, scheint Ovid Amor. L. III, el. 9. andenten zu

wollen, wo er den Tod des Tibulls beweint. Flebilis indignos,

elegeia, solve capillos, ah nimis ex vero

nunc tibi nomen erit
. Horaz nennt die elegos miserabiles.

─ Er sagt, man kenne den Erfinder derselben

nicht. Wenn die Ode zur Leyer gesungen ward, so

scheint die Elegie mehr zur Tibia gesungen worden zu seyn,

und auch dies zeigt ihren Ursprung in den Todtenfesten.

Didymus definirt dies Gedicht θρηνον ἁδομενον προς αὐλον.

Späterhin ist man dahin übereingekommen, ein jedes

empfindungsvolle Gedicht, in welchem das niedere Schöne,

besonders das Sanfte herrscht, Elegie zu nennen, wenn |#f0085 : 561|



der Dichter selbst spricht. Die Elegie correspondirt also

völlig der Ode. Sie ist für die niedere lyrische Poesie, was

die Ode für die höhere ist.



§. 2.



I. Theorie der Elegie. 1) Da die Elegie

ein lyrisches Gedicht ist, so wird die Gedankenreihe

nicht durch einen äußern Gegenstand, der dargestellt

werden soll, sondern durch die Gemüthsstimmung

des Dichters bestimmt. Alle Einheit, welche

diese Dichtungsart verlangt, ist, daß die Empfindung

des niedern Schönen in ihr herrschend sey. Da

es aber mehrere Unterarten des niedern Schönen giebt,

das Sanfte, die Grazie, das Niedliche, das Naive,

so können alle diese darinnen abwechseln. Selbst das

höhere Schöne kann darinn statt finden. Nur muß

es so modificirt seyn, daß kein Contrast, keine

Stöhrung dadurch veranlaßt werde.



Anmerk. „Die Elegie, sagt ein Kritiker, ist ein

leidenschaftliches Selbstgespräch.“ Dies ist richtig,

in sofern die Leidenschaft nicht heftig ist. Die Elegie

unterscheidet sich von der Ode dadurch, daß der Dichter

sich seiner Leidenschaft mehr überläßt. Der Schwung der

Phantasie ist gebundener. Die Vorstellkraft nicht so lebhaft.

─ Das Herz ist mehr durch irgend einen begehrten Gegenstand |#f0086 : 562|



interessirt. Allein dieser Gegenstand ist an sich

nur die Veranlassung zum Gedicht. Nicht er soll

geschildert werden, sondern die Seelenstimmung des Dichters

im Lichte der Schönheit. Man darf aber auch in der

Elegie eben so wenig wie in der Ode die Leidenschaft

zum Hauptinhalte machen wollen. Denn die Elegie beschäftigt

sich eben so oft mit Gegenständen ruhiger Neigung

und Wünsche, z. B. Sehnsucht nach dem Landleben. ─

Das Sanfte scheint den Hauptton in der Elegie anzugeben,

alle andere Empfindungen, welche die Elegie aufnimmt,

modifiziren sich darnach. Kein Dichter hat deswegen die

Einheit so gut getroffen, als Tibull, weil sich in seiner

sanften Seele alles unter einem elegisch sanften Lichte darstellt.

Deswegen ist es gut, daß die Elegie sanft beginnt

und sanft schließt, wie ein musikalisches Stück in

derselben Tonart. Wenn auch Tibull mit einer Frage, mit

einer Anrede beginnt, so ist beydes doch nicht so heftig, wie

beym Horaz. ─ Auch die Uebergänge aus einer Empfindung

in die andere müssen eine Continuität ausdrücken, sanft

und allmählig geschehn. So geht Tibull im 1. B. Eleg. 3.

sogar aus dem reizend Schönen ins Grausende über. Aber es

ist dieses nur sanftgrausend und der Uebergang selbst

ist nicht schnell. Erst beschreibt er die Freuden Elysiums:

Ac iuvenum series teneris immixta puellis ludit et

assiduus proelia miscet amor
. Dies Bild ist reizend

und hell, nun der Uebergang: Illic est cuicunque rapax

mors venit amanti, et gerit insigni myrtea serta

coma. At scelerata iacet sedes in nocte profunda,
|#f0087 : 563|



abdita quam circum flumina nigra sonant. ─ Durch

den räuberischen Tod mors rapax wird die Seele zwar vorbereitet,

aber das Bild bleibt immer noch schön. Dann

folgt erst die Schilderung des Tartarus. Durch jenen

Uebergang, der zu gleicher Zeit schaurig und lieblich ist,

wird die Continuität erhalten. Horaz hingegen stellt sogleich

dem lachenden Bilde der Freude den Tartarus entgegen.

Er überläßt sich also auch nicht so der Heiterkeit in seinen

Bildern, wie Tibull, sondern eine starke Nebenidee stöhrt

immer die frohe: huc vina et unguenta et nimium

breves flores amoenae ferre iube rosae, dum res

et aetas, et sororum fila trium patiuntur atra
. Dagegen

läßt Horaz auch oft einen plötzlich hellen Lichtstrahl

entstehn, wenn das ganze Gemälde dunkel ist. Tibull

bleibt traurig und klagend, wenn er einmal so begann, und

geht nur nach und nach zu lichtern Bildern über. ─ Das

Naive findet in der Elegie ebenfalls statt, zumal wenn

sich der elegische Ton dem scherzenden nähert z. B.

Tibull. L. 2. el. 3. und 6. Und auch nur unter der

Gestalt der Naivität und der Grazie findet die Modification

des Scherzhaften in der Elegie statt, weil sie sonst zu sehr

contrastiren würde. Jn der Elegie spricht der Dichter

selbst, dessen Seele nie den edeln Charakter verläugnen

darf. Sein Scherz darf also nie so frey seyn, als etwa

der Scherz im Lustspiel, wo eine fremde Person redend eingeführt

wird. Catull und Properz gehn hier oft zu weit,

auch Ovid. Tibull hingegen erhebt sich über alle diese

Dichter durch das Edle seines Scherzes. ─ Die vierte |#f0088 : 564|



Elegie im ersten Buche an den Priap ist voll Grazie,

und man kann sie beynahe galant nennen, ungeachtet

sie einen an sich nicht delicaten Gegenstand berührt. ─

Die Grazie, als die Bewegung beym niedern Schönen

findet also am besten in der Mitte der Elegie statt. Der

Schluß muß wieder sanft seyn, damit man nicht aus der

Tonart falle. Das niedliche paßt für die Elegie am

wenigsten. Es hat zu viel den Charakter der Vollendung.

Eher kann eine Ode sich dem niedlichen nähern,

als die eigentliche Elegie, z. B. Horaz o fons Blandusiae.

─ Die Dichter schildern die Elegie mit

langen Haaren und in weiten Kleidern. Sie kann also

nicht das knappe enge Gewand des Niedlichen vertragen.

Unter allen Gattungen des niedern Schönen haben die

Dichter das Sanfte als herrschend in ihren Selbstgesprächen

gewählt, weil dieses die Wärme des Enthusiasmus

am meisten nährt, am längsten erhält. Jede höhere Empfindung,

die sich mit dem Sanften gar nicht amalgamiren

läßt, ist eine Dissonanz für die Elegie. Ovid hat

diras (Jnvectiven) gegen einen gewissen Jbis geschrieben im

Elegieenton. Allein er gesteht selbst non soleant quamvis

hoc pede bella geri
.



§. 3.



2) Wenn gleich die Elegie keine durch ein Objekt

bestimmte Gedankenreihe hat, so muß doch diese

durch zufällige Gemüthsstimmung entstandene Gedankenreihe |#f0089 : 565|



als solche logisch vollkommen seyn. Nun ist

das niedere Schöne mit einer ruhigern Anordnung

des Verstandes verträglich, ja das Sanfte verlangt

sogar in seinen Jdeen eine leicht sich entwickelnde Begreiflichkeit.

Da nun der Charakter der Elegie

vorzüglich sanft ist, so wird ihr Plan regelmäßiger

und mehr in die Augen fallend seyn müssen, als

derjenige der Ode.



Anmerk. Wenn in der Ode oft die veranlassende

Hauptidee künstlich versteckt, weder gern zu Anfang

gesetzt, noch am Ende wiederholt wird, so ist in der Elegie

gerade das Gegentheil. Tibulls erste Elegie beginnt mit

dem Verse Divitias alius fuluo tibi congerat auro, und

der letzte Vers ist Despiciam dites, descipiamque

famem
. Der Dichter kommt also am Schlusse auf dieselbe

Jdee zurück, und erleichtert so die Uebersicht. Die

lyrische Freyheit der Jdeenassoziation zeigt sich also mehr

in der Mitte des Gedichts, indem der Dichter seine Schilderungen

verfolgt, episodische Bilder einschiebt. Doch

kommt auch da Tibull immer auf seine Hauptidee zurück,

und das ist der Charakter der wahren tiefen Empfindung,

ohne welche, wie Boileau sagt, die Elegie uns kalt läßt.

Semper eodem gyro includitur. Die Elegie ist nicht

ein witziges, ein kühnes Werk der Phantasie. Sie ist

weniger himmlisch, als die Ode, sie bleibt an der Erde

gefesselt, unterhält das Herz mit menschlichen Wünschen

und Klagen eines menschlichen Kummers. Hallers sogenannte |#f0090 : 566|



Trauerode beym Absterben seiner geliebten Mariane

ist eine wahre Elegie. Dies zeigt der Plan, welchen sich

der Dichter gleich zu Anfang für seine Jdeen vorzeichnet.

„Nicht Reden, die der Witz gebieret, nicht Dichterklagen

fang ich an, nur Seufzer, die ein Herz verliehret, wenn

es sein Leid nicht fassen kann. Ja meine Seele will ich

schildern von Lieb und Traurigkeit verwirrt, wie sie ergötzt

an Trauerbildern, in Kummerlabyrinthen irrt.“ ─ Und

so bleibt auch Haller seinem Hauptgegenstande durch das

ganze Gedicht treu. ─ Eben so hat Klopstock in seinen

Elegieen einen bestimmten Plan, den er nie verläßt, weil

er durch die Empfindung an ihn gefesselt ist. Seine Elegie,

die künftige Geliebte, hat eine und eben dieselbe herrschende

Jdee. Jn seinem elegischen Gespräch Selmar und

Selma ist nur ein rührender Hauptgedanke, der oft

wiederholt wird, weil sich die zärtlich fühlende Seele des

Dichters in demselben gefällt. ─ Jn jeder Elegie des

Tibulls ist ein Hauptgedanke, der auf eine leicht begreifliche

Weise das Ganze zusammenhält. So ist der Jnhalt der

ersten Elegie des Dichters, Zufriedenheit mit seiner Armuth

bey einem ruhigen Landleben in den Armen seiner Delia.

Gleich anfangs setzt er seine Lage der unruhigen des Reichen

entgegen, der sich im Kriege Schätze erwirbt. Er

schildert sein Landleben, die Gewissenhaftigkeit, mit welcher

er seinen ländlichen Göttern dient. Die pura fictilia,

aus denen die Götter seine Gaben nicht verschmähen sollen,

die parva seges alles deutet auf seine Dürftigkeit. Er

findet alle seine Freuden in Ruhe und Liebe. Er vergleicht |#f0091 : 567|



mit diesen Freuden den kriegerischen Glanz. Er wendet

alle seine Gedanken auf Delien. Er will mit ihr leben, in

ihren Armen sterben. Sie soll ihn beweinen. Er sieht

schon im Geist seine Todtenfeyer. Er ermahnt seine Geliebte

mit ihm das Leben zu genießen, und schließt mit

derselben Verachtung des Reichthums, die er zu Anfang

des Gedichts zeigte. Die dritte Elegie ist in einer

Krankheit auf einer Reise gemacht. Gleich anfangs giebt

der Dichter seine Sehnsucht nach dem Vaterlande, nach Delien

zu erkennen. Dies erinnert ihn daran, wie ungern er sich

von ihr trennte. Er preist die goldne Zeit, wo man noch

nicht reiste, um Schätze sich zu erwerben. Er sieht seinen

Tod voraus. Er denkt sich schon hinab in die Unterwelt,

schildert die Elysischen Gefilde, die Gärten der Liebenden,

den Tartarus. Dann geht ein neues Licht der Hoffnung

in ihm auf. Der Uebergang ist äußerst fein. Er hofft

seine Delia wieder zu sehn. Er ermahnt sie zur Treue.

Er denkt sich den Tag seiner Rückkehr, wie ihm seine Geliebte

entgegenläuft, und schließt das Gedicht mit dem

Wunsch, daß ihm die Morgenröthe dieses Tages bald aufgehn

möge. So kann man alle Elegien Tibulls durchgehn.

Ueberall wird man finden, daß des Dichters Jdeen sich

nach einem leichtbegreiflichen Plane entwickeln, ohne harte

Uebergänge, daß er immer bey einem Lieblingsgedanken

verweilt, auf ihn nach jeder freyen lyrischen Digression zurückkommt.

Dieses thut ein Odendichter, wie Horaz, fast

nie. Uebrigens giebt es erzählende Elegien im Tibull und

Properz. Von diesen gilt eben das, was wir von den

erzählenden Oden bemerkt haben.

|#f0092 : 568|



§. 4.



3) Da die Elegie den Charakter des niedern Schönen,

insbesondere des Sanften hat, so kommt ihr

ein natürlicher Styl zu, ohne solche hervorstechende

Figuren, wie die Ode. Das Sanfte entwickelt sich

leicht. Daher müssen keine schweren Uebergänge, und

lyrische Sprünge statt finden. Jn sofern ist der Elegie

auch ein etwas gedehnter Ausdruck gestattet.



Anmerk. Ovids Ton ist zwar natürlich und leicht,

aber für die Elegie zu witzig. Er spielt mit Worten und

Antithesen. Das mag in dem galantern Theile seiner Gedichte

angehn. Aber er thut es auch, wo er die Sprache

der Empfindung reden will. Die dritte Elegie im ersten

Buche der Tristium ist voll Gefühl. Man sieht, daß eine

wahre Situation diese Klage ausgepreßt hat. Dennoch

läßt er seine Frau bey ihrer Trennung sagen te iubet e

patria discedere Caesaris ira, me pietas, pietas haec

mihi Caesar erit
. ─ Das ist nicht viel besser, als

Hofmannswaldau, der in seinen Heldenbriefen die

Emma an den Eginhard schreiben läßt, er habe mehr

Dinte als Blut für den Kayser vergossen ─ oder: dies

Brieflein schließ ich zu, und meine Kammer auf. ─ ─

Tibull ist in der Sprache der Elegie allein classisch zu

nennen. Er ist natürlich und doch nie prosaisch, wie

öfters Ovid. ─ Properz hat mehr genialische Energie,

als Tibull. Sein Styl ist aber auch schwerer.

|#f0093 : 569|



§. 5.



4) Das Metrum der Elegie muß dem Charakter

des Sanftschönen angemessen seyn, und der Sprache

Raum verstatten, sich ohne Zwang auszubreiten.

Uebrigens nimmt die Elegie noch verschiedene Formen

an, ohne daß dadurch die Hauptbenennung ganz verlohren

gehe.



Anmerk. 1. Von den Distichen haben wir schon

oben gehandelt. Die griechische Elegie, von der wir eigentlich

sehr wenige Reste haben (z. B. das Fragment des

Hermesianar beym Athenäus) behandelte die Distichen mit

mehr Freyheit als die Römer, sie erlaubte sich mehr Nachlässigkeiten,

endete nicht allemal den Sinn mit dem Distichon,

brauchte oft zum Schluß vielsylbige Worte u. s. w.

Außerdem haben auch die Spanier und Jtaliener in ihren

Elegien Terzinen gebraucht. Die Engländer haben oft

lauter männliche Reime in dieser Dichtungsart. Dies ist

für den elegischen Charakter etwas zu hart. Abwechslung

männlicher und weiblicher Reime, ein trochäischer Gang

des Verses und Abtheilung in Strophen scheint für die

deutsche Elegie am besten zu passen, wie Höltys Elegie

auf den Tod eines Landmädchens beweist. Ehemals

brauchte man Alexandriner. Sie haben etwas von der

Natur der Distichen, besonders darinnen, daß sie der

Sprache Raum geben.

|#f0094 : 570|



Anmerk. 2. Es giebt dramatisirte Elegien.

Klopstocks Selmar und Selma. ─ Schon beym Catull

ist eine Unterredung des Dichters mit einer Thür im Elegienton.

Doch verdient das Gedicht nicht den Nahmen

einer Elegie. ─ Es giebt Elegieen in Briefform,

ohne daß man sie deshalb gerade schon zu den poetischen

Episteln zählt. Oft redet Tibull zu Anfang seiner Elegie

einen Freund an. Dies kann man sich auch ohne einen

Brief erklären. Allein Catulls Elegie an den Manlius,

wo er den Tod seines Bruders beklagt, hat die Briefform.

Ovids Elegien, die er ex Ponto an seine Freunde schickte,

haben den Nahmen epistolae. Jhr Ton ist auch oft so

matt, daß man sie zu wirklichen poetischen Episteln rechnen

kann. Die wirklichen poetischen Episteln haben nämlich

schon mehr die Sprache des gemeinen Lebens, und wenig

Lyrisches. ─



Anmerk. 3. Zuweilen bekömmt die Elegie

durch eine besondre Untergattung und Modification

des Schönen, die sie enthält, eigne Gestalt und

Nahmen. So erscheint sie, wenn der Dichter die idyllischnaive

Sprache der Hirtenwelt spricht, als 1) lyrische

Jdylle, z. B. Kleists Amynt. ─ Man hat die lyrischen

Jdyllen
zuweilen Schäferoden genannt.

Wenn man Ode blos im Sinn von ειδυλλιον ein kleines

vollendetes Gemälde nimmt, so mag das gehn. Da aber

die Ode dem Jnhalt nach die Gemüthsstimmung des höhern

Schönen voraussetzt, und eine Schäferwelt nur Empfindung |#f0095 : 571|



des Naiven erwecken kann, so ist es besser, man rechnet

die lyrischen Jdyllen zu den Elegieen. Hor. L. 3.

od
. 13. ist ein ländliches Bild. Allein der Schluß ist doch

mehr im hohen als naiven Styl. Eben so L. III. 18.

Also kann man sie nicht idyllische Oden nennen. Der

Odendichter schildert das Landleben, wie ein philosophischer

Städter, der sich gern damit unterhält, doch darüber erhaben

ist. Das Niedliche will sich zwar mit der eigentlichen

Elegie nicht vertragen. Wenn indeß die elegische

Empfindung sich unter der Modification des Niedlichen

zeigt, und ein besonderes Reimsystem dazu kommt,

so erhält bey den neuern Nazionen die Elegie 2) den Nahmen

Sonnet. Von dem Sonnet als Reimsystem haben

wir schon eben etwas gesagt. Die dort angegebene gewöhnliche

Form ist nicht die einzige. Die Jtalienischen

Kritiker zählen auf 16 Species, welche das Sonnet als

Reimsystem annimmt. Jndeß müssen wir doch auch

ein Wort vom Sonnet, als Dichtart sagen. Man

hat nämlich dem musikalischen Sonnet noch einen besondern

poetischen Charakter angebildet, und darüber Regeln gegeben.

Nimmt man das, was Bettinelli, Boileau

und andere Kunstrichter über das Wesen des Sonnets sagen,

zusammen, so ist wohl der Hauptcharakter des Sonnets

eine zärtliche platonische Empfindung unter der

Form des Niedlichen verbunden mit dem größten musikalischen

Wohlklang. So hat wenigstens das große Original

Petrark den Jnnhalt des Sonnets durch seine Werke bestimmt.

Die Jtaliener und Spanier haben zwar auch |#f0096 : 572|



Sonetti satirici (sonetos burlescos), sonetti pedantesci,

eroici (sonetos heroicos
). Man hat spanische und

französische sehr schöne geistliche Sonnette (von Desbarreaur

und de Modene). Doch das sind Ausnahmen von

der Regel, oft auch verdorbener Geschmack, und ist dabey

nur vom Reimsysteme die Rede. Das eigentliche Sonnet

schwankt seinem lyrischen Jnhalte nach zwischen der Ode und

Elegie. Jnsofern die Ode als Jdyllion, als Kunstwerk

der Phantasie mehr Vollendung hat, als die Elegie,

nähert sich das Sonnet mehr der Ode. Denn die Jtaliänischen

Kunstrichter verlangen Neuheit, Einheit,

Ueberraschung, unerwarteten
Schluß (der zuweilen

beynah epigrammatisch ist) für das Sonnet. Da soll

auch nicht ein rauher Reim, ein unpoetisches Wort, eine

gezwungene Wendung mit unter laufen. Es soll die größte

lyrische und musikalische Vollkommenheit darinnen

seyn. Jndessen, insofern die Ode mehr erhabene Gemüthsstimmung

ausdrückt, das Sonnet aber zärtliche,

romantische, graziöse, naive, niedliche Gefühle ausdrückt,

insofern ist das Sonnet der Elegie näher, und da wir

die Dichtungsarten nach ihrem gewöhnlichen Hauptinhalte

bestimmen, so müssen wir das Sonnet zur Elegie zählen,

wiewohl einige Sonnete Petrarks auch wahre Oden sind. ─

Uebrigens nimmt das Sonnet noch andere zufällige Formen an.

Z. B. die erzählende. Petrark erzählt, Träume, Gesichte,

die er gehabt hat. Es giebt dramatisirte

Sonnette, Sonnette in Briefform. Peinlich und

verdienstlich ist das Sonnet für unmusikalische Sprachen |#f0097 : 573|



allerdings. Für einen scherzhaften oder mit Grazie gedachten

niedlichen Gedanken mag die Form auch bey uns gut seyn.

Aber daß sich der glühende himmlische Genius des Petrark

diese Fessel angelegt, und darinnen glücklich bewegt hat,

das ist wohl zufällig mehr seinen Zeiten und seiner Sprache

zuzuschreiben, als daß es bey andern Nachahmung erwecken

sollte. Jnsofern die Elegie auch zuweilen die Modification

des Scherzhaften und Galanten annimmt, kann

sie außer dem Sonnet noch andre Reimsysteme wählen,

dann erscheint sie unter den Nahmen 3) Rondeau, Madrigal

u. s. w. (s. oben). Das Triolett schwankt seiner

Natur nach zwischen der Elegie und dem Epigramm.

Daß die dreymalige Wiederholung eben desselben Verses und

Gedankens paßt, ist überraschend und sinnreich, und insofern

für den Verstand unterhaltend, wie das Epigramm.

Jnsofern aber der Ausdruck einer schönen Empfindung

damit genährt wird, insofern ist das Triolett elegisch. Le

premier jour du mois de Mai fut le plus beau jour de

ma vie, je vous vis et je vous aimai le premier jour

du mois de Mai. Le beau conseil, que j'y formai!

S'il ne vous deplut, Silvie, le premier jour du moi

de Mai fut le plus beau jour de ma vie
. Dieses auch

von Hagedorn nachgeahmte Triolett dient statt aller Regeln.

Man sieht, die Wiederholung ist nicht bloß sinnreich, sie hat

einen Grund in der elegischen Stimmung des Dichters.

|#f0098 : 574|



§. 6.



II. Das Lied im engern Sinne des Worts

ist ein Gedicht der niedern lyrischen Poesie,

welches seiner Form nach bestimmt ist von mehreren

Menschen mit und ohne gewisse Veranlassung gesungen

zu werden.



Anmerk. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß

alles was gesungen wird, zuweilen Lied heißt, kommt der

Ausdruck Lied noch in einem doppelten Sinne vor. Das

Lied im weitern Sinne heißt jedes Gedicht in Liederform.

Also giebt es in diesem Sinne auch historische Lieder,

Lehrlieder u. s. w. Das Lied im engern Sinn ist

ein Gedicht der lyrischen Poesie. Wenn man z. B.

sagt Oden und Lieder, so versteht der ästhetische Sprachgebrauch

unter Lied etwas von Ode und Hymne verschiednes.

Das Lied in diesem Sinne ist bey der niedern lyrischen

Poesie eben das, was die Hymne für die höhere ist,

und correspondirt der Hymne, wie die Elegie der Ode.

Will man also eine systematische Terminologie in die poetische

Theorie einführen, so muß man vom Begriff Lied

vieles ausschließen, was bisher noch zu ihm gerechnet ward.

Nationallieder im höhern Sinne, Kriegslieder, geistliche

Lieder gehören zu den Hymnen. Einige geistliche Lieder,

die meisten moralischen, gehören zu den lehrenden, also

darstellenden Liedern. Nur diejenigen lyrischen

Gedichte, welche eine Gemüthsstimmung des niedern Schönen |#f0099 : 575|



ausdrücken, und auf einen geselligen Genuß dieser Gemüthsstimmung

berechnet sind, müssen ausschließend den

Nahmen Lied führen. Will man die Natur des Liedes aus

der im §. gegebenen Definition näher entwickeln, so ergeben

sich folgende Resultate: 1) der ästhetische Jnnhalt des

Liedes ist eine Empfindung des niedern Schönen, bis zum

Scherzhaften hinab. Da aber der Charakter des Liedes

geselliger Genuß, wahre Humanität ist, so

muß im Durchschnitt für alle Menschen eine gewisse Hauptempfindung

angenommen werden, die der Menschheit würdig

sey, und die gleichsam dem Lied ein Jdeal vorhalte.

Die Stimmung zum niedern Schönen darf also nicht ganz

ohne ein dunkel sie begleitendes Gefühl des höhern Schönen

seyn, wenn der Charakter der Menschheit ganz ausgedrückt

werden soll. Diese Vereinigung zweyer Gefühle giebt eine

Modification, welche wir oben das Edle nannten.

Daher ist der herrschende Hauptton, der im Liede statt

finden muß, die Empfindung des Edlen. Feyerliche

erhabene Stimmung, wie die der Hymne und Ode paßt

nicht für jeden, sanftes, scherzhaftes Gefühl ist auch nicht

in allen Menschenherzen. Aber das Edle soll eigentlich

der Hauptzug im Charakter der Menschheit seyn, wenn wir

sie aus dem ästhetischen Standpunkte im Durchschnitt ansehn.

Hiermit ist keine andre Untergattung des niedern

Schönen ausgeschlossen. Nur müssen sie alle durch den

Hauptton des Edlen modificirt werden, auch dürfen diese

Empfindungen nicht so schnell und leidenschaftlich abwechseln,

wie bey der Elegie, oder der Ode, weil dies dem Haupttone |#f0100 : 576|



widerspräche. Hierdurch wird auch den scherzhaften

Liedern eine Schranke gesetzt, daß sie nicht des Charakters

der Humanität unwürdig werden. 2) Der Gedankeninhalt

des Liedes ist durch kein äußeres Objekt bestimmt,

welches geschildert werden soll, sondern zufällig. Doch

kann eine Veranlassung zum Rundgesange da seyn, dies

muß Anfangs angegeben werden, und giebt dem Gedicht

seine gewisse Einheit. Um den Plan des Liedes faßlicher zu

machen, und die Hauptidee herauszuheben, scheinen die

Refrains erfunden zu seyn. Die Uebergänge und Jdeenassociationen

müssen leicht seyn. Die Empfindungen der

Freude, der Traurigkeit, der gesellige Genuß sind der gewöhnliche

Stoff der Liederdichter. 3) Der Styl muß natürlich,

einfach seyn. Denn nicht der Dichter selbst spricht,

sondern es ist ein Gesang für mehrere Menschen in einer

gemäßigten Gemüthsstimmung. 4) Das Metrum muß

so eingerichtet werden, daß es auf eine leichte faßliche Melodie

gesungen werden kann. Daher verlangt keine Dichtungsart

mehr Gleichmäßigkeit, fließendern Wohlklang als das Lied.

─ Eine sehr große Mannichfaltigkeit und Lebhaftigkeit der

Füße, wie sie bey der Ode statt findet ist für das Lied

nicht passend. ─ Trochäische, jambische, kurze Verse

sind am besten. Die Verse müssen in Strophen seyn,

deren jede die Melodie einmal darstellt. Daher muß der

Sinn bey jeder Strophe enden. Noch leichter wirds für

den Gesang, wenn jede Strophe aus zwey Perioden besieht,

wenn dieselben Einschnitte allemal wiederkehren.

5) Das Lied kommt bey den verschiedenen Nazionen unter |#f0101 : 577|



mancherley Benennungen vor, die von seinen besondern

Veranlassungen hergenommen sind. Die Scolien der Alten

waren mehr Oden. Doch mögen auch einige Lieder gewesen

seyn. Einige Anacreontische Oden nähern sich mehr unsern

Liedern. Manche Epipompeutica, die Hymenäi der Alten

stehn auf der Gränze zwischen der Hymne und dem Liede.

Die Gelegenheit ist festlich, aber ihr Styl, wie wir aus

dem Catull und Claudian sehn, mehr scherzhaft und froh,

als feyerlich. Es gab Hymenäen welche ernsthafter waren,

bey andern wurde die fescennina locutio (Zweydeutigkeiten)

u. s. w. mit eingemischt. Die Refrains Io Hymen, Hymenaei,

Talassio
und andere Acclamationen die dabey

waren, sind bekannt. ─ Jn der alten französischen Provenzalpoesie

hieß das Lied Lais. Soulas bedeutete insbesondere

das lustige Lied. Die Syrventez, wenn man dem

Nostradamus trauen darf, mögen satyrische Lieder gewesen

seyn. Die Tensonen, oder Partiencen waren Streitfragen

über die Liebe, wie sie an den Liebeshöfen abgehandelt wurden,

also dramatisirte Lieder. Das eine Catullische Epithalamium,

der Wettgesang zwischen den Jünglingen und

Mädchen hat vielleicht eine entfernte Aehnlichkeit mit den

altfranzösischen Tensonen. ─ Bey den Jtalienern, wie

wir schon gesehn haben, hießen die Oden Canzonen. Es

gab eine Canzone Pindarica u. s. w. Die Sylbenmaaße

waren hier anfangs freyer und keinesweges in Liederform.

Doch die Canzone Anacrontica gehört mehr hierher. Oft

findet man in der Geschichte der neuern Poesie auch die

Lieder benannt nach dem Styl, in welchem sie gedichtet |#f0102 : 578|



sind. Es giebt Lieder, die sich der Jdylle nähern,

im Bauernton, städtische Lieder im Volkston (Gassenhauer).

So giebt es bey den Spaniern Villanellen, bey den Franzosen

Vaudevilles, die bekanntlich auch in der politischen

Geschichte von großem Einfluß sind. Bey den Franzosen

ist die Gattung der Chansons am meisten ausgebildet worden,

weil diese Nazion für alle gesellige Freude viel Sinn

und Talent hat. Eine Art kleiner besonders im Jdyllenton,

oder im Ton der Galanterie gedichtete Lieder ist das

Madrigal. Es ist von den Provenzalen zu den Jtalienern,

und dann zu andern Nazionen gekommen. Ueber

den Ursprung des Nahmens wird sehr gestritten. Es besteht

gewöhnlich aus 11 bis 13 Versen von ungleicher Länge, wo

auch wohl einige nicht gereimte Zeilen mit unter laufen.

Diese stellen zusammen eine Strophe vor. Wegen der

Freyheit die hier herrscht, hat man auch längere Gedichte

in madrigalischen Strophen gemacht. Es nähert sich auch

deshalb mehr der Elegie, als dem Liede.



§. 7.



III. Die poetische Epistel ist ein Gedicht

der niedern lyrischen Poesie in vertraulichem Briefton.



Anmerk. Sie ist also für die niedere lyrische Poesie

was die Heroide für die höhere ist, und correspondirt

derselben. Sie gehört zur lyrischen Poesie, freylich

nicht im hohen musikalischen Sinne, aber doch insofern,

weil die Gedankenreihe kein Objekt darstellt, sondern willkührlich |#f0103 : 579|



ist, und eine Gemüthsstimmung ausdrückt. Die

Epistolarform findet sich zwar auch bey Lehrgedichten,

z. B. Horat. de Arte poetic. Pope Versuch über den

Menschen. Allein eigentlich sind dies keine poetische Episteln,

denn der Hauptzweck ist die Darstellung eines

Systems, welches seiner zufälligen Form nach jemanden

dedicirt ist. Die Natur einer poetischen Epistel verlangt

eine freye vertrauliche Unterhaltung, ohne bestimmten

darstellenden Jnnhalt; hohen lyrischen Ton darf man also

hier nicht suchen. Vielmehr ist er dem Briefstyl zuwider.

Ja es scheint zu der poetischen Epistel im engen Sinn des

Worts, der Scherz nothwendig zu gehören. Denn es

ist schon eine Art Scherz darinnen, in vertrauten Situationen

des Lebens den poetischen Ton anzunehmen. Ovids

Epistolae ex Ponto sind für wahre Elegieen nicht lyrisch

genug, und für poetische Briefe zu ernsthaft. Man kann

nicht begreifen, warum der Dichter gewöhnliche Klagen in

Gedichte bringe. Es fällt einem dabey die Geschichte aus

des Dichters Jugend ein, wie er bey den Schlägen seines

Vaters, der ihm die poetischen Grillen austreiben wollte,

unwillkührlich in einen Hexameter ausbrach. Eben so sind

Gottscheds und anderer pindarische Lobepisteln eine traurige

Jdee. Also muß der Dichter, der poetische Episteln

schreibt, mit einer Art Jronie über sich selbst seinen Einfall

durchführen. Wollte er auch den schwärmerischen Ton annehmen,

so muß doch eine gewisse Nüchternheit durchblicken,

mit der er sich selbst beurtheilt. Das Scherzhafte ist

in dieser Dichtungsart sonach als herrschender ästhetischer |#f0104 : 580|



Ton anzunehmen, nach dem sich alle andre Empfindungen

modifiziren müssen, wie bey der Elegie das Sanfte,

und bey dem Liede das Edle. Die Gemüthsstimmung

des Dichters, die sie darstellt, muß Laune seyn.

Jn diesem Geiste sind auch die besten Episteln der Dichter

geschrieben. Horaz, Boileau, Addisson, Göcking, Gleim,

Jacobi, Ebert u. s. w. liefern Beyspiele. ─ Veranlassung

und Gedankeninhalt der Epistel sind willkührlich. Horazens

Episteln sind zufällige freye Werke der Laune, er erzählt,

er trägt eine Lebenssentenz vor; aber alles mit sokratischer

Jronie über sich selbst. Man sieht, er will nichts

planmäßiges darstellen, er folgt der augenblicklichen Eingebung

seines Genies. Eben wegen dieser launigen Jronie, die

der Epistel eigen ist, dieser leichten Manier über das Leben

zu scherzen, haben auch viele Lehrdichter, die einen

ernsthaften Zweck hatten, die Form der Epistel gewählt.

Der Styl der Epistel kann natürlich seyn, kann auch zuweilen

höher sich heben, alles, wie es die Laune bestimmt.

Das Metrum muß frey, und nicht sehr von der Sprache der

Prosa entfernt seyn. Horazens Hexameter ist beynahe zu

ernsthaft. ─ Das Elegieenmaaß des Ovid hat zu viel

lyrisches für die wirkliche Epistel; (etwas anders ist von der

Elegie in Briefform zu sagen s. oben). Boileau hat

seine Alexandriner. Die Engländer haben etwas kürzere

jambische Verse in dieser Dichtungsart. Die Deutschen

haben kleine kurze leichte Verse angenommen, und das paßt

im Grunde am besten. Unter mehreren Modificationen

von Empfindungen nimmt die Epistel das satyrische |#f0105 : 581|



auch an, welches man als eine zufällige besondere Form von

ihr ansehen kann. Boileau, Juvenal und Persius liefern

Belege.



§. 8.



Als Anhang zum Kapitel von der lyrischen

Poesie müssen wir hier noch ein Wort von den eigentlichen

musicalischen Gedichten
sagen, welche

gewöhnlich Kantaten genannt werden. Hier erscheint

die lyrische Poesie nicht, wie beym Lied

und der Hymne, für sich bestehend und nur möglicher

Weise auf eine musikalische Begleitung bezogen, sondern

in durchgängiger nothwendiger Verbindung mit

der Musik. Das musikalische Gedicht soll zwar

eigentlich auch die Direction über die Musik führen.

Es ist aber nicht als ein für sich bestehendes Werk zu

beurtheilen, sondern die lyrischen Gedanken, verbunden

mit der Composition machen ein unzertrennliches

ästhetisches Ganzes aus. Die Musik selbst ist hier als

eine Hauptkunst thätig, welche ihre ganze eigene ästhetische

Kraft unter Anleitung der Poesie entwickelt.



Anmerk. 1. Als die Poesie und die Musik noch in

der Kindheit waren, konnten sie auch noch leicht beyde als

Hauptkünste neben einander bestehn. Daher sind die ältesten

Gedichte lyrischer Gattung gewiß musikalisch gewesen, |#f0106 : 582|



d. h. der poetische Gedanke und die Musik waren in nothwendiger

Verbindung, in unzertrennlicher Wechselwirkung.

Nach und nach bildeten sich diese Künste mehr aus. Jede

konnte hinlänglich für sich unterhalten. Sie wurden selbstständig,

sie trennten sich von einander. Die poetischen

Werke wurden zwar ihrer Form nach in Liedern, Hymnen,

Chören, auf die mögliche Begleitung der Musik eingerichtet.

Allein sie thaten doch ihren Effekt auch ohne die Musik, und

wurden als für sich bestehende Werke beurtheilt. Eben so

ward die Musik, ohne Rücksicht auf einen möglichen Text,

den sie begleitet, als Kunstwerk für sich angesehn. ─ Es

ist also bey der großen Cultur dieser beyden Künste eine

Aufgabe entstanden: Wie können sie beyde als gebildete

selbstthätige Hauptkünste wieder mit einander eng vereinigt

werden? Diese Aufgabe ist um so interessanter, je gewisser

es ist, daß diese enge Vereinigung und Harmonie zweyer so

vervollkommten Künste unerhörte Wirkung hervorbringen

müßte. Diese Aufgabe sollte nun billig das musikalische

Gedicht,
die Kantate lösen, wiewohl bis jetzt

es noch nicht geschehn ist. Denn die Jdee des musicalischen

Gedichts
ist noch nicht ganz rein aufgefaßt

worden. Es ist bis jetzt noch mehr der Nahme als die

Sache vorhanden. Nach Crescimbeni sind die Kantaten

eine Erfindung der Jtaliener aus dem siebzehnten Jahrhundert.

Allein diese Nazion hatte zu viel Neigung für die

Musik, als daß sie nicht der Musik dabey das Uebergewicht

über die Poesie hätte einräumen sollen, und so konnte diese

Dichtungsart nicht zur Vollkommenheit kommen. Daher |#f0107 : 583|



die ewigen Wiederholungen und Ausdehnungen der Worte,

die Vernachlässigung der Recitative, die Ungleichheit in der

Melodie, die musikalische Mahlerey in Nebendingen, die

Manieren, Kadenzen, der Lärm der Jnstrumente, welche

den Gesang unverständlich und unwichtig machen. Noch

jetzt dauert in den Kantaten, wie in den Opern, diese Despotie

der Musik fort, und wird nicht eher aufhören, bis

große Dichter und große Musiker zusammen arbeiten und

sich wechselseitig beschränken, damit ein höheres Ziel der

Kunst erreicht werde. Freylich müßte da die Musik von

ihrem glänzenden Reichthum an übertäubenden Tönen etwas

nachlassen. Auch nehmen sich einzelne Kantaten, wie

z. B. Haydns Ariadne, nur für das Fortepiano, sehr gut aus.

Die Poesie würde gewiß durch diese vereinigten nicht isolirten

Arbeiten an Neuheit und Wärme und Metrum gewinnen.

Wie wenig gute Kantaten haben wir, wenn man einige von

Metastasio, Rousseau, Ramler, Meißner ausnimmt.

Die Musiker scheinen selbst die guten Texte zur Composition

zu fliehn, weil sie ihnen zu viele Schranken setzen. ─

Das musikalische Gedicht kann sich zweytens auch deswegen

noch nicht vervollkommnen, weil man noch in der Meinung

steht, es müsse für sich ohne Musik bestehen,

und beurtheilt werden. Dies beschränkt die Freyheit der

Dichter, und macht, daß sie sich nicht so an die Musik anschmiegen

können, wie es seyn müßte. Ein eigentlich musikalisches

Gedicht muß aus ganz kurzen und langen

Versen und Reimen bestehn können, muß aussehn dürfen,

wie kein andres das für sich zu beurtheilen wäre. Die ma= |#f0108 : 584|



drigalischen Strophen kommen ihm am nächsten. Auch

sind die ersten Kantaten in Jtalien wahrscheinlich aus Composition

der freyen Liederchen, die man Madrigale nannte,

entstanden.



Anmerk. 2. Die Kantate gehört ihrer Natur

nach zur lyrischen Poesie. Sie könnte die höchste Tendenz

der lyrischen Poesie seyn in Absicht auf die Vereinigung

der Musik und Dichtkunst, könnte vielleicht mit einer

Art lyrischer Schauspielkunst (decorirten Declamation) vereinigt

werden, und wäre alsdann im lyrischen Fache

eben das, was die Oper für die darstellende Poesie ist.

Denn sie kann den Effekt der Ode, der Hymne, des Lieds,

der Elegie in sich vereinigen, und ein großes lyrisches

Ganzes bilden. Rousseau hält zwar in seinem Diction.

de Musique
die Kantate für ein musikalisches Drama,

verführt vermuthlich von dem italienischen Ausdruck Drammi

musicali
. Allein eigentliche Handlung, die als

solche interessiren könnte, hat die Kantate nicht, sonst

würde sie völlige Oper werden. J. B. Rousseaus mythologische

Kantaten haben zuweilen historische Einkleidung.

Doch ist dies eben das, was manche historische Oden des

Horaz sind. Die Hauptrichtung des Dichters bleibt

immer lyrisch. Oft, besonders in geistlichen Kantaten,

(Oratorien) treten allegorische und andre Personen auf, die

sich in die Stimmen theilen, z. B. Pilger am Grabe, Patriarchen.

─ Allein ihr ganzer Dialog ist doch nur lyrisch.

Einige Klopstockische Bardenoden können als Kantaten |#f0109 : 585|



angesehn werden. Man erklärt sich, oder soll sich

wenigstens ohne Veränderung und Handlung die Jdeenreihe

erklären können. Manche Oratorien sind doch mehr lyrische

dramatische Szenen, als eigentlich lyrische Gedichte. ─



Anmerk. 3. Jn der Kantate ist also keine Gleichmäßigkeit,

wie im Liede, in der Hymne, sondern die Poesie

entwickelt sich in einer freyen Versart zugleich mit der Musik.

Jst es ein leidenschaftliches Selbstgespräch, so darf die Kantate

freylich nicht so lang seyn, als wenn sie dramatisirt ist.

Jm letztern Falle müssen die verschiedenen Stimmen, Baß

Discant u. s. w. nach dem Charakteristischen ihrer Rede

vertheilt seyn. Die ausführliche Theorie der Kantate

gehört mehr in eine Aesthetik, als in die Poetik. Daß die

Kantate mit einer Arie anfangen müsse, haben einige behauptet.

Allein man kann den Grund nicht einsehn. Die

Arie ist der höchste lyrische Moment. Bey sehr lyrischen

Kantaten kann man mit der Arie beginnen, so wie auch die

Ode gleich feyerlich und begeistert beginnt. Bey mehr elegischen

und historischen Kantaten hingegen, ist es natürlicher

mit dem einfachen Rezitativ anzufangen; denn auf das

accompagnirte obligate Rezitativ, und so nach und nach

durch Arioso und Cavatina auf die eigentliche Arie überzugehn.

Freylich kommt alles auf den Jnhalt an, indeß

liebt der Geist eine natürliche Abstufung der Empfindungen,

ein continuirliches Steigen und Sinken. Das Recitativ

erfordert eine ganz freye madrigalische Versart. Es

hat kein ander Gesetz als den Rhythmus. Da der |#f0110 : 586|



Reim, wie wir bewiesen haben, so viel zur Bezeichnung

der rhythmischen Glieder des Perioden thut, so ist er

bey dem Rezitativ nicht so unnöthig, als einige Theoretiker

meynen. Ein Reim, wo die rhythmische Reihe

endet, (dahin muß er kommen) thut allemal eine sehr gute

Wirkung. Daß der Dichter und Musiker richtig declamiren,

die Accente, die guten und schlechten Noten beobachten,

daß die Worte von vorzüglichem Wohlklang seyn müssen,

versteht sich von selbst. Die Arie erfordert ein gleichmäßigeres,

strophisches Metrum. Sie besteht gewöhnlich

aus zwey Hälften mit correspondirenden Reimen, deren

erste die Caprice der Musiker mehr heraushebt, und am

Ende noch einmal wiederholt. Die Wiederholungen müssen

nicht blos musikalische Figuren, sondern auch dichterisch

nothwendig seyn. Für die Arie muß von dem Dichter ein

vorzüglich gefühlvoller Stoff gewählt werden. Wunderbar

klingen die Verse von Rousseau in seiner Kantate contre

l'hiver
in einer Arie: tandis, qu'assis à table dans un

réduit aimable sans soins et sans amour près d'un ami

fidele de la saison nouvelle s'attendrai le retour
. Jn

den Oratorien, wo mehrere Stimmen statt finden, giebt

es Duette, Terzette, Chöre, Chorale u. s. w. ─ Die

eigentlichen Kantaten sind gewöhnlich Monologen, die bey

den Engländern bey Pope und Dryden die Form der Oden

haben, bey den Jtalienern und Franzosen oft mehr elegisch

sind.



[Abbildung]

|#f0111 : E587|

[Abbildung]


Zweytes Kapitel.


Von der darstellenden Poesie. ──────



§. 1.



Die darstellende Poesie ist diejenige, welche

irgend ein bestimmtes Objekt im Lichte der Schönheit,

oder idealisirt schildert, und ihre Gedankenreihe

an dieses Objekt bindet.



Anmerk. Bey der lyrischen Poesie ward durch

die Gemüthsstimmung die objektive Gedankenreihe veranlaßt.

Hier ist es umgekehrt. Der Gedanke, das Objekt geht

voraus und bewirkt die Stimmung. Bey der lyrischen

Poesie ist der Gedanke frey und die Empfindung

gebunden. Bey der darstellenden Poesie ist die Gedankenreihe

gebunden und die Empfindung frey.



§. 2.



Ein Objekt, an welches die Form und Empfindung

des Schönen fixirt ist, heißt ein Jdeal im

weitern Sinne des Worts.

|#f0112 : 588|



§. 3.



Da das Schöne unter einem vierfachen Charakter

erscheint, 1) als frey sich formend zur Gesetzlichkeit,

2) als successiv anschaulich werdend, 3) als

eine leicht zu ahnende begreifliche Totalität, 4) als

Symbol der innern gesetzlichen Geistesnatur, welches

ein Gefühl von Harmonie des objektiven und subjektiven

erweckt; so muß auch ein Objekt, das von der

Poesie idealisirt, oder durch die Sprache in der Zeit

dargestellt wird, diesen vierfachen Charakter haben.

Es muß 1) vor den Augen unsrer Seele sich wie von

selbst frey, ohne Zwang und doch gesetzlich formen, 2)

es muß sich anschaulich entwickeln, 3) es muß am

Ende eine begreifliche Totalität ahnen lassen, 4) es

muß die Harmonie des Subjektiven und Objektiven

fühlen lassen, und dadurch auf unser Selbstbewußtseyn

wirken.



Anmerk. Jedes idealisirte Objekt wirkt also

auf die vier Seelenkräfte. Jndem es sich frey und doch

gesetzlich organisirt, beschäftigt es unsern Willen, indem

es anschaulich entsteht, beschäftigt es unsre Phantasie,

indem es ein begreifliches Ganzes ist, beschäftigt

es unsern Verstand, indem es ein Symbol der innern

Geistesnatur ist, beschäftigt es unsre Vernunft,

als das höchste Selbstbewußtseyn. Mit einem Worte: es |#f0113 : 589|



erregt in uns ein Gefühl von der Harmonie aller dieser Seelenkräfte,

das Gefühl der Schönheit.



§. 4.



Der Mensch wird durch seine vier, im Gewissenssatze

ausgedrückte Seelenkräfte, wenn er sich dieselben

in der höchsten Vollkommenheit vorzustellen, und ausser

sich zu objektivisiren sucht, auf vier Jdeale

(im engeren Sinne des Worts) oder objektivisirte Jdeen

geleitet. Das Jdeal, welches der Wille sucht, der

sich bestimmen will, ist die gesetzliche Freyheit.

Das Jdeal, welches die Phantasie sucht, die anschauen

will, ist die Substanz, das Jdeal, welches

der Verstand sucht, der verstehn will, ist eine

begreiflich zusammenhängende Allheit (Welt,

System). Das Jdeal, welches die Vernunft

sucht, ist ein höchstes gesetzliches Selbstbewußtseyn

mittelst aller Objekte. Nun ist das Schöne

ein Schein vom Jdealen im Realen. Jedes Objekt,

welches im Lichte der Schönheit erscheint, (Jdeal

im weitern Sinne), wird also mehr oder weniger

sich auf eine oder die andre Ansicht des Jdealen im

engern Sinne beziehn. Die Dichtkunst, welche Gedankenobjekte

idealisirt darstellt, wird also sich nach

einem von diesen vier Polen aller Jdealität vorzüglich |#f0114 : 590|



wenden. Sie wird entweder vorzüglich den Willen

zu beschäftigen und das Jdeal desselben, die

Freyheit herauszuheben suchen (historische Poesie),

oder die Phantasie, und das Jdeal derselben

die Substanz nach allen ihren gleichzeitig

existirenden Theilen anschaulich machen (beschreibende

Poesie
), oder sie wird den Verstand

vorzüglich beschäftigen und das Jdeal desselben (das

System) darstellen (didactische Poesie) oder endlich

die Vernunft, indem sie das Jdeal derselben, das

Selbstbewußtseyn durch Harmonie des Objektiven

und Subjektiven darzustellen sucht (allegorische

Poesie).



Anmerk. Wenn also das Jdeal im weitern

Sinne vermöge des Gefühls der Schönheit auch alle vier

Seelenkräfte harmonisch beschäftigt, so wird es nichts destoweniger

Eine vorzüglich interessiren. Und dies giebt die

vier Gattungen der darstellenden Dichtkunst.



§. 5.



Da in der Erscheinungswelt von den vier Vernunftidealen

Analogien existiren müssen, da alle

Verstandesbegriffe sich auf sie beziehen, so wird sich

die darstellende Poesie oft nur damit begnügen, ein

Objekt zu schildern, das irgend eine besondre Analogie |#f0115 : 591|



mit den Jdealen hat, und dadurch eine von den

vier Seelenkräften interessiren. Es wird also eine historische

Poesie geben, welche mehr das Begehrungsvermögen,

als die Freyheit interessirt,

indem sie Begebenheiten von geringern Werth darstellt.

Es wird eine beschreibende Poesie sich finden, die

nur einzelne Ansichten von individuellen Objekten giebt.

Es wird eine didactische Poesie geben, welche nur

einzelne Lehren darstellt, welche den Verstand mehr

insofern er Witz oder Begriffsvermögen ist, nicht nach

seiner allumfassenden Tiefe interessirt. Es wird eine

allegorische Poesie geben, welche die Vernunft

nur einzelne Symbole enträthseln läßt. Jn allen diesen

Fällen wird sich das Objekt auch mehr im Lichte

des niedern als des höhern Schönen zeigen. Es

giebt also in Ansehung des Objekts und der Empfindung

in jeden von den vier Gattungen eine höhere

und eine niedere darstellende Poesie.



[Abbildung]

|#f0116 : E592|

[Abbildung]


Erster Unterabschnitt.


Von der historischen Poesie. ──────


I.


Von der historischen Poesie überhaupt.



§. 1.



Die historische Poesie idealisirt Objekte, welche

den Willen und das Begehrungsvermögen besonders

beschäftigen. Sie stellt Handlungen dar.



Anmerk. Eigentlich sollte man eher drastische

Poesie sagen, als historische. Denn der Ausdruck historisch

erweckt den Nebenbegriff von Erzählung. Man

muß den Ansdruck historisch hier weder von blos wirklichen,

noch von blos erzählten Thatsachen verstehn. Uebrigens

muß man Handlung und Begebenheit von

einander wohl unterscheiden. Begebenheiten sind Erscheinungen

in der Zeit, welche auf einander folgen. Diese

kann auch der beschreibende Dichter darstellen. Der

historische Dichter schildert Handlungen, das heißt,

Kraftäußerungen vernünftiger und sinnlich begehrender Wesen

nach der Jdee von Zwecken.

|#f0117 : 593|



§. 2.



Da die dichterische Handlung (fabula)

eine dargestellte Willensthätigkeit seyn soll, welche

idealisirt als ein schönes Objekt erscheine, so muß

sie alle vier Eigenschaften haben, die wir oben

von einem Jdeale verlangten. Sie muß 1) ohne

Zwang vor unsern Augen, wie ein bloßes Spiel des

Zufalls entstehn und doch immer mehr eine gesetzliche

Einheit ahnen lassen, nach der sie sich organisire, 2)

sie muß anschaulich, mannichfaltig, lebhaft seyn, 3) sie

muß am Ende eine vollkommene, begreifliche Totalität

darstellen, 4) sie muß das Gefühl einer Weltordnung

in uns erwecken, die sich nach unsern subjektiven Jdeen

von Zweckmäßigkeit richte.



Anmerk. Wenn also 1) scheinbar zufällige Begebenheiten

zu einer Handlung sich organisiren müssen,

wenn eine gesetzliche Einheit geahnt werden soll, so

kann diese in nichts anders bestehn, als in einem gewissen

Hauptzweck,
auf den sich die Willensthätigkeit bezieht,

auf dessen Erreichung unsre Aufmerksamkeit gespannt

wird. Der Zweck mag an sich gut oder böse seyn, wenn er

nur wichtig ist, nur das höhere oder niedere Begehrungsvermögen

zu interessiren vermag. Derjenige, für dessen Hauptzweck

und Charakter wir uns interessiren, heißt der Held

der Geschichte. Damit aber die Handlung, die poetisch dargestellt |#f0118 : 594|



wird, einem freyen Spiele des Zufalls gleiche, muß

der Plan etwas verborgenes haben, und sich nur nach und

nach entwickeln. Daher Horazens Behauptung, daß man

nicht den Trojanischen Krieg vom Ey der Leda anfangen

müsse. Vt iam nunc dicat, iam nunc debentia dici

pleraque differat et praesens in tempus omittat
. Daher

auch in den Erzählungen die Episoden, welche nicht

zufällig, sondern künstlich verborgene Theile des Plans seyn

müssen. Bey den besten Dichtern geben die Episoden Aufschluß

über die Sache selbst, zeigen wichtige Folgen der

Handlung, oder entwickeln verborgene Ursachen derselben.

So scheint in Milton die Erzählung des Engels vom Kriege

gegen die Teufel Episode. Allein sie erklärt uns den Grund,

warum Satan der Zerstörer des paradisischen Glückes werden

mußte. Darum wird die halbe Geschichte der Odyssee

als Erzählung episodisch eingeschaltet, und die Eroberung

Trojas beym Virgil. Das Mährchen im Oberon, das Scherasmin

erzählt, scheint eine zusällige Episode. Es erklärt

uns aber den Grund von Oberons wunderbarer Theilnahme

an Hüons Schicksal. Die Episoden sind jedoch nur in erzählenden,

nicht in dramatischen Gedichten zu gestatten.

Hier muß mehr Ordnung seyn. ─ Uebrigens muß bey

aller Verborgenheit des Planes sich der Zusammenhang des

Ganzen doch nach und nach immer mehr errathen lassen.

Man muß aus dem vergangenen auf das zukünftige schliessen,

und den handelnden Personen ihr Schicksal weissagen

können. Nur so organisirt sich die Handlung in der Zeit

frey und zweckmäßig. 2) Um die Handlung anschaulich und |#f0119 : 595|



lebhaft zu machen, muß sie in einem etwas kürzern Zeitraum

hineingedrängt werden, damit sich das Einzelne als

werdend darstellen lasse. Auch aus diesem Grunde gebraucht

der erzählende Dichter Episoden, verweist manche

vorhergehenden und folgenden Begebenheiten in dieselben,

und concentrirt dadurch den Moment der Willensthätigkeit.

Homer ist hierin dem Virgil vorzuziehn, in zehn Haupttagen

geschieht bey ihm mehr, als in einem Jahre des Virgils.

Wenn der Dichter zu große Zeiträume umfaßt, sieht er sich

genöthigt zu allgemeinen abstracten Begriffen seine Zuflucht

zu nehmen, und dann wird das Gedicht, wie beym

Silius Jtalicus, Lucanus, Voltaire, zur rednerischen Historie.

Um der Anschaulichkeit willen begeht Homer oft Unordnungen,

wiederholt sich u. s. w. Ferner muß, um die

Handlung lebhaft zu machen, die Willensthätigkeit etwas

angestrengt, die Aufmerksamkeit auf den Ausgang gespannt

werden. Dies ist nicht anders möglich, als wenn dem

Hauptzweck Schwierigkeiten und Hindernisse in den

Weg gelegt werden. Hieraus entsteht zu gleicher Zeit eine

gewisse Verwicklung (δεσις, Aristot. ein Knoten,) der

am Ende die Entwicklung (λυσις) vollkommen entsprechen

muß. Zur Lebhaftigkeit der Handlung bey der Verwicklung

und Entwicklung gehört auch das, was Aristoteles

περιπετεια und αναγνωρισις nennt. Alles dieses

findet zwar in höherer Potenz nur in dramatischen Werken

statt, weil hier die Hauptmomente oder Katastrophen

der Handlung mehr concentrirt sind. Allein es ist auch auf

andre historische Gedichte anwendbar. Die Peripetie |#f0120 : 596|



ist eine plötzliche Veränderung der Glücksumstände, die

überrascht und anders ausfällt, wie man erwartete, z. B.

wenn der Bote, welcher ankommt, den Oedipus mit seiner

Nachricht alle Furcht zu benehmen, ihn gerade einen unglücklichen

Aufschluß giebt. Die Erkennung, z. B.

wenn Odysseus aus seiner Narbe erkannt, und dadurch der

Handlung eine plötzliche Wendung gegeben wird. Die

Erkennung ist auch bey fröhlichen Begebenheiten oft als

sogenannter Theatercoup sehr gewöhnlich, und trägt durch

ihr Ueberraschendes zur Lebhaftigkeit der Handlung bey.

Jm Oedipus Tyrannus trifft Erkennung und Peripetie zusammen,

und giebt der λυσις einen fürchterlichen Effekt.

3) Die Handlung muß ferner eine begreifliche Totalität darstellen,

sie muß Einheit, Zusammenhang der Theile, Vollkommenheit

zeigen, wenn man bey der Auflösung auf sie

zurückblickt. Dieses begreifliche Zusammenstimmen der

Theile ist das, was man gewöhnlich die Wahrscheinlichkeit

oder ideale Wahrheit der poetischen Handlung

nennt. Aristoteles in seiner Poetik c. 10. 23. unterscheidet

hierdurch die historische Poesie von der Geschichte. Sie ist

gleichsam das Jdeal, welches der Geschichte vorgehalten

wird. Die Geschichte soll streben so begreiflich zu werden,

wie das historische Gedicht, und insofern hat Quinctilian

recht, wenn er die Geschichte ein von metrischem Zwang

freyes Gedicht nennt. Es wird also eine Haupteinheit

verlangt, die nicht blos in der Zeit sey, ein Synchronismus

der Begebenheiten, sondern in und durch die Jdee

des Hauptzwecks. Alle Nebenbegebenheiten und Zwischenvorfälle |#f0121 : 597|



müssen sich begreiflich auf die Hauptbegebenheit

beziehn. Sind also zu viel und zu mannichfaltig verwickelte

Begebenheiten aufgehäuft, die an der Leichtigkeit des

Begreifens hindern, so ist dies ein Fehler. Fehlerhaft ist

also hierinnen das Gedicht des Ariost, wenn gleich dessen

romantischer Charakter ein größeres Herumschweifen der

Phantasie entschuldigt. Denn es ist nicht anders möglich,

als daß man die Schicksale des einen Ritters über den Schicksalen

des andern vergesse. Zumal da die Erzählung unaufhörlich

unterbrochen wird. Fehlerhaft sind Trauerspiele,

wie das des Corneille Clitandre im altspanischen Geschmack,

wegen der zu vielen Nebenpersonen, Nebenintriguen, Vertrauten

u. s. w. ─ Die Wahrscheinlichkeit, welche

für eine poetische Handlung verlangt wird, ist doppelt.

Es bedarf das historische Gedicht einer psychologischen

und einer kosmischen Wahrscheinlichkeit. Denn wenn

eine Handlung begriffen, logisch vollkommen erklärt

werden soll, muß man die Gründe theils in den Charakteren

der Denk- und Handlungsweise der Personen,

theils in der kosmischen Verbindung der Begebenheiten

aufsuchen. Die Handlung als Willensthätigkeit

muß zugleich ein lebendes Sittengemälde seyn (διανοια und

ἠθος sind die psychologischen Ursachen der Willensthätigkeit).

Die Charaktere können also idealisirt, aber

sie müssen wahrscheinlich, und ihren Handlungen angemessen

seyn. Da der Charakter im Menschen bleibend ist,

so muß er sich auch durch die ganze Handlung treu bleiben,

d. h. er muß gut durchgeführt seyn. ─ Rein vollkommne |#f0122 : 598|



und eben so durchaus böse Charaktere, die ohne allen Kampf

sich zum Guten oder Bösen bestimmen, giebt es vielleicht

gar nicht. Der Dichter muß also dergleichen nicht darstellen,

weil ihnen die Wahrscheinlichkeit fehlt. Sie haben

auch keine Lebendigkeit, weil sie nicht durch Leidenschaften

und Neigungen angetrieben werden. Sie erscheinen

als bloße Maschienen des Dichters, um die Begebenheit

herbeyzuführen. Sie sind Gedankenwesen, Abstracta.

Jeder Charakter muß eine Jndividualität haben.

Menschen, wie Jago, die gern hetzen, und boshaft intriguiren,

giebt es. Lady Makbeth, das Weib, die aus ihrer

Sphäre tritt, ist begreislich. Miltons Satan hat Charakter

und Leidenschaft. Aber diese Charaktere stehn vielleicht

an der Gräuze. Klopstocks Satan ist schon mehr

Gedankending, der Begriff des Bösen. Daher muß sich

auch der Dichter vor blos allegorischen Personen hüten,

welche nicht zugleich mythologisch und historisch individuell

sind, wie die alten Götter. Wenn Voltaire glaubt,

das Wunderbare des Heldengedichts für aufgeklärte Nazionen

durch allegorische Personen genießbar zu machen,

so irrt er. Die Zwietracht u. s. w. sind wenigstens

keine Personen für eine Handlung. ─ Ferner muß

sich der historische Dichter in Acht nehmen, daß er die Charaktere

nicht etwa blos beschreibt. Homer läßt seine

Personen selbst handeln. Die Charakteristik der Jünger im

Messias ist, als lyrische Schilderung unübertrefflich

schön. Aber die Handlung läßt sie kalt. Silius Jtalicus

schildert den Charakter des Hannibal, wie ein Geschichtschreiber |#f0123 : 599|



. ─ Auch dürfen die Dichter nicht etwa den Charakter

im bloßen äußerlichen Betragen setzen. Manche dramatische

Dichter glauben schon alles gethan zu haben, wenn

sie einen Gecken, eine stolze Adliche Französisch reden lassen,

wenn der Eilfertige eilig ist, der Schwätzer schwatzt, der

Lügner lügt u. s. w. Alsdann nähert sich das Lustspiel

schon mehr der Posse. ─ Wenn es zur psychologischen

Wahrscheinlichkeit gehört, daß der Charakter sich

treu bleibe, so ist damit nicht gesagt, daß er seinen Entschlüssen

treu bleibe. Er kann sich umstimmen lassen, wie

Makbeth, wie Clavigo. Nur muß die Möglichkeit dieser

Veränderung in seinen Neigungen begründet seyn. ─ Was

nun die kosmische Wahrscheinlichkeit, d. h. den

Zusammenhang der Begebenheiten betrifft, so versteht es

sich, daß man sie mit der physischen nicht verwechseln

müsse. Der Dichter hat seine eigne Welt, die von der

natürlichen ganz verschieden ist. Hat er das Wunderbare

in dieselbe aufgenommen, so kann er es auch

wirken lassen. Nur darf er es sich auch hier nicht zu leicht

machen, und durch keinen Deus ex machina ganz unerwartet

das Schicksal lenken lassen. ─ Jupiter beym Homer

wägt zwar das Loos der Helden. Es ist aber der

Ausgang nicht seiner Willkühr, sondern dem Schicksal unterworfen,

welches seinen festen Gang fortgeht. ─ Wenn

Wieland den Hüon auf dem Arme eines Geistes von der

wüsten Jnsel dahin tragen läßt, wo Amanda ist, so ist dies

ein wenig gewaltsam. Denn es ist durch nichts vorbereitet.

Es scheint mehr eine Aushülfe zu seyn. Oberon lenkt das |#f0124 : 600|



Schicksal der Liebenden. Allein man hätte vorher einen Blick

auf seinen ganzen Plan thun müssen, um dies nicht zu

mährchenhaft zu finden. ─ Jm Oedipus entwickelt sich

das Schicksal wunderbar, aber man ahnt gleich von vorn

herein und nach und nach immer deutlicher den Gang der

Begebenheiten. Es ist alles in einander nach Naturgesetzen

gegründet, wenn gleich eine höhere wunderbare Natur zum

Grunde liegt. ─ Zur kosmischen Wahrscheinlichkeit

kann man auch bey Gedichten, wo wirkliche Geschichte zu

Grunde liegt, die Beobachtung eines gewissen Kostüme

d. h. Ueblichen in äußerer Decoration des Gedichts rechnen,

und daß man dem Geiste der dargestellten Zeit gleich bleibe.

Wo man voraussetzen kann, daß die Geschichte genau bekannt

ist, wird der Zuhörer durch Widersprüche verwirrt.

Wenn Kamoens in seinem Gedichte die heidnischen Götter

mit katholischen Helden zusammenstellt, ist dies wider die kosmische

Wahrscheinlichkeit. ─ Milton braucht die Fabel nur

zu Vergleichungen. Das geht. Endlich gehört zur Totalität

einer Handlung eine gehörig vorbereitete befriedigende

Auflösung,
die nichts zu wünschen übrig lasse. Der

Verstand muß Alles, worauf seine Aufmerksamkeit gerichtet

war, enträthselt haben. Das Gedicht darf hier weder

zu wenig noch zu viel enthalten. Tod und Begräbniß

des Hektors in der Jliade, gehört noch zum Plan des Ganzen,

wenn man auch den Zorn des Achilles als den

Stoff des Gedichts und überhaupt das Gedicht als ein Ganzes

annimmt. Denn erst mit dem Begräbniß des Hectors

konnte die gespannte Aufmerksamkeit ganz befriedigt werden. |#f0125 : 601|



Zumal bey den Griechen war das Schicksal des Leichnams

nicht gleichgültig. Eins fließt in der Jliade aus dem andern.

Aus dem Zorn des Achills, der nicht selber kämpfen

will, folgt die Niederlage der Griechen, die Absendung und

der Tod des Patroclus, daraus der Tod und das Begräbniß

Hectors. Nur hier endigen sich alle Folgen des Zankes

im ersten Buche. ─ Aber das Ende des Gedichts

darf auch nicht zu wenig enthalten. Man tadelt es am

Don Carlos, daß man über das Schicksal des Prinzen am

Ende keine völlige Auskunft erhält, an Wallenstein, daß

die Thecla verschwindet. So lange der Verstand noch nach

etwas zu fragen hat, kann auch die Empfindung des Schönen

nicht vollkommen seyn, die ihre letzte Höhe am Ende

des historischen Gedichts erreichen soll. 4) Jn dem historischen

Gedicht muß bey der Auflösung eine Stimmung zurückbleiben,

die wenn auch der Ausgang schauerlich ist, doch

eine gewisse Ruhe wegen Harmonie des Schicksals mit der

Ordnung in unserm Geiste giebt. Diese höhere Harmonie

giebt bey höhern historischen Gedichten die Empfindung

des Erhabenen, bey niedern die des reizend und lebendig

Schönen.



§. 3.



Da der historische Dichter entweder die menschliche

Freyheit in ihren höhern Kämpfen darstellen,

und damit die Empfindung des rührend Schönen erwecken,

oder nur die Thätigkeit des niedern Be= |#f0126 : 602|



gehrungsvermögens schildern, und die Empfindung

des Lebendigschönen beabsichtigen kann, so giebt

es eine höhere und eine niedere historische

Poesie.
Jn beyden Fällen wählt der Dichter eine

oder mehrere von folgenden Formen. 1) Form der Erzählung,

2) dramatische Form, er läßt die

handelnden Personen selbst sprechen, 3) Liederform,

4) Verbindung eines eigentlichen Dramas mit Schauspielkunst

und Musik (Schauspielform).



[Abbildung]



II.



Von der höhern historischen Poesie.



§. 1.



Zu der Gattung der höhern historischen Poesie

gehören: A) die Epopöe oder das eigentliche

Heldengedicht.
Dies ist die Erzählung einer grossen

Begebenheit in der Geschichte, bey deren Entscheidung

die Willensthätigkeit in höchster Anstrengung,

und die Macht, welche das Schicksal der Welt nach

des Dichters Begriffen lenkt, mit vorzüglichem Einfluß

erscheint.

|#f0127 : 603|



Anmerk. Da der Stoff 1) eine große Begebenheit

in der Geschichte ist, so muß der Dichter

dieselbe uns wichtig zu machen wissen, indem er ihre ausgebreiteten

Folgen zeigt. Daher läßt Virgil den Aeneas immer

als Vater der Römer auftreten. Gleich anfangs giebt

er den Zweck seiner Reisen an tantae molis erat, Romanam

condere gentem
. Aeneas steigt in die Unterwelt,

um seine Nachkommenschaft zu sehn. Die Episode ist nicht

überflüssig. Homer giebt den Zorn des Achills an, als eine

Begebenheit von sehr wichtigem Einfluß ἡ μυρι Αχαιοις αλγε

εθηκε. Die Odyssee enthält zwar mehr ein häusliches

Sittengemälde und Reiseabentheuer. Man könnte sie wegen

ihrer Naivität eine heroische Jdylle nennen. Allein

sie steht doch mit der Begebenheit des trojanischen Kriegs

in einem genauen Zusammenhang, das Schicksal des Odysseus

ist an das seines Vaterlands geknüpft. Die Götter

selbst nehmen Antheil daran. Das Heldengedicht ist also

ein großes Gemälde, ein Stück aus der Weltgeschichte. Der

Dichter bedarf dazu eines weiten Schauplatzes, den er mit

großen und kleinen Gegenständen der Natur decorirt. Seine

Beschreibungen, seine Gleichnisse müssen dazu beytragen,

die Größe, die Wichtigkeit der Geschichte anschaulich zu

machen, sie mit dem ganzen Weltall in Zusammenhang zu

bringen. Es paßt auf ihn was Dante sagt, che non é

impresa di pigliar a garbo descriver al fondo tutto

l'universo
. Daher äußern die epischen Dichter auch oft,

daß sie der Beschreibung ihres Gegenstandes unterliegen.

ἀργαλεον δε μοι εϛι θεον ὡς παντ' ἀγορευειν. Sie möchten |#f0128 : 604|



hundert Zungen haben, um alles auszusprechen. Und doch

verlangen dergleichen Beschreibungen mehr Ruhe, wie die

des Lyrikers, dessen Phantasie, ohne fixirt zu seyn, überall

herumschweift. Weil die Begebenheit Einfluß auf einen

großen Theil der Menschheit hat, und sie gleichsam von

Grund aus aufrührt, so ist es natürlich, daß der Dichter

dabey Sitten, Kenntnisse, Religion, Charaktere eines ganzen

Zeitalters schildert, z. B. Homers und Tasso's Catalogus.

2) Da im Heldengedichte die menschliche Freyheit

im Kampfe und die Willensthätigkeit in der größten Anstrengung

gezeigt wird, so müssen die Begebenheiten entscheidend

seyn. Daher gewöhnlich kriegerische Begebenheiten,

Kampf auf Leben und Tod den Jnhalt ausmachen,

wo der einzelne Mensch vergessen wird (z. B. Il. ε. 689.).

Augenblicke, wie die im Homer, νυξ δ' ἡδ' ἡε διαρραισει

ϛρατον ἡε σαωσει. Venit summa dies et ineluctabile

tempus ─ una salus victis nullam sperare salutem.

Virg
. Daher lieben die Heldendichter den Contrast zwischen

Glück, Frieden und Tod, recht fühlbar zu machen, und

setzen das reizend schöne dem erhabenen entgegen, wie Homer

im 6ten und 22sten Buch der Jliade. Tassos Armida.

Fingal von Ossian 1stes B. zu Ende. Messias fünfter Gesang.

─ Oft auch zeigt sich reine Kraft und Anstrengung,

wie zu Anfang des eilften B. d. Jliade. Ungeachtet

also die Personen, welche hier auftreten, oft Helden

sind (im engsten Sinne des Worts), so giebt es doch auch

Epopöen, deren Haupthelden nicht kriegerisch sind. So

Adam und Eva in Milton. Denn der kriegerische Satan |#f0129 : 605|



ist nicht, wie Batteux glaubt, die Hauptperson. Es ist

nämlich nicht nöthig, daß in der Epopöe der Hauptheld siege

und seinen Zweck erreiche. Ein Hauptheld muß indeß

immer da seyn, der sich durch Charakterstärke und bewundernswürdige

Eigenschaften auszeichne, um den sich die

große Begebenheit dreht, dem alle andre Charaktere untergeordnet

sind. Nur dadurch wird die große Begebenheit

concentrirt, so zu sagen personisizirt, bekömmt Einheit und

Jnteresse. Dieser Held muß, wenn wir mit ihm sympathisiren

sollen, Leidenschaften haben, im Kampf mit sich

selbst und dem Schicksal erscheinen, wie Achilles, nicht,

wie pius Aeneas, blos eine Maschine des Dichters und der

Götter seyn. Die Handlung muß dadurch an Anschaulichkeit

gewinnen, daß alles auf dem Einen beruht. Der

Hauptheld der Jliade handelt zwar sehr lange gar nicht.

Sein Zorn ist aber doch die Ursache der ganzen Wendung,

welche die Dinge nehmen. Einige behaupten, Achill zürne

zu lange, sey zu lange unthätig. Allein nach dem Plane

des Gedichts, sollen die Folgen des Zorns dieses Helden

beschrieben werden. Dieß ist der Stoff des Gedichts.

Alles hängt davon ab, und folgt daraus, selbst der Tod des

Hectors. Mithin bleibt der Dichter seinem Gegenstande

ganz treu, wenn er den Achill lange ruhen läßt. Er will

nicht Achills Handlungen allein, er will die Folgen seiner

Unthätigkeit zeigen. Gerade daß er so lange hinter der

Szene bleibt, während andre Helden große Thaten verrichten,

daß man nur immer hört, Er sey noch größer als sie,

gerade dadurch wird die Erwartung gespannt. Jupiter |#f0130 : 606|



ehrt ihn, darum begünstigt er die Trojaner. Schon daß

er seinen Waffenbruder Patroclus sendet ist für die Bedrängten

eine große Hülfe. Und nun endlich erscheint er, handelt

kurz, und gebietet Entscheidung, wie ein Gott, wodurch

er der erregten Erwartung völlig entspricht. Hector,

wendet man ein, schadet dem Achill, durch das Jnteresse,

das seine Liebenswürdigkeit einflößt. Es ist wahr,

Achill ist rauh und wild. Es ist ein großes, wunderbares

Naturwesen mit heftigen Leidenschaften, voll Rachsucht und

Grimm. Doch er ist beharrlich in seinem Entschluß, er

hat auch gefällige Eigenschaften. Dies zeigt sein Betragen

gegen den Priamus, gegen die Herolde, welche die Briseis

fortführen, seine treue anhängliche Freundschaft für den

Patroclus. Uebrigens ist er ein Nazionalheld der Griechen.

Was kann Homer dafür, daß Hector mehr für unsern Sinn

ist? Achill ist der Sohn einer Göttin, größer, stolzer und

in seiner Lage nicht schlechter. Ueberhaupt ist die innere

Organisation der Jliade zu einer ganzen vollkommnen Handlung

unverkennbar. Mag sie ein Werk des Zufalls, mehrerer

Menschen seyn ─ so ist sie doch weit mehr durch einen

innern Schöpfergeist zusammengehalten, als die Aeneide,

welche ausgemacht das Werk eines einzigen ist. ─ Der

Hauptstoff, der Zorn des Achilles als eine Ursache

großer Folgen, eine Kette von Begebenheiten, ist, wie wir

bewiesen haben, vollkommen bis zum Ende durchgeführt.

Das Hauptinteresse ist das des Achills, der Thetis,

des Jupiters, daß der ungerecht beleidigte Achill

gerochen werde. Mag darinnen eine Jnhumanität |#f0131 : 607|



des Schicksals liegen. Dies ist vielleicht zu tadeln. Aber

dieses Hauptinteresse wird doch durchgeführt. Es zeigen

sich Schwierigkeiten. Agamemnons Rede wird von

den Griechen mißverstanden. Sie wollen nach Hause kehren.

Aber da wäre Achill nicht gerochen worden. Ulysses

hält die Einschiffenden ab mit Hülfe der Götter. Man will

den Krieg durch einen Zweykampf enden. Aber dann wär

Achill nicht gerochen worden. Die Götter verhindern die

Erfüllung des geschloßnen Bundes. Die Griechen sind

tapfer. Juno steht ihnen bey, ─ aber die Trojaner sollen

siegen. Denn sonst wär Achill nicht gerochen. Nun

empfängt er aber auch die Strafe für die Erfüllung seines

leidenschaftlichen Wunsches. Er verliehrt seinen Freund

Patroclus. Dies ist der Weltlauf im Ganzen dargestellt.

Nimmt man dazu die mannichfaltigen Leidenschaften

der Menschen und Götter, ihre Jntriguen wider einander,

die alle harmonisch in den Plan des Schicksals wirken, so

sehr sie wider einander laufen. ─ Sieht man auf die

Mannichfaltigkeit der Charaktere, die sich immer treu bleiben,

die selbst in äußern kleinen Umständen consequent geschildert

werden, (z. B. in der Art, wie die Helden, der wildromantische

Diomedes, der bejahrte Nestor daheim in ihren Zelten

gefunden werden,) so ist die Einheit gar nicht zu läugnen.

Einzelne Stellen mögen von den Rhapsoden eingeflickt seyn,

der Styl ist allerdings zuweilen sehr verschieden. Das Gedicht

mag selbst im Geiste des Dichters rhapsodisch existirt

haben, wenn er die Schreibkunst nicht kannte. Das Ganze

lag doch in seiner Seele. Einzelne Schlachtbeschreibungen |#f0132 : 608|



sind zu langweilig, zumal für uns, es giebt Widersprüche

in der Schilderung des Schlachtfelds, in der Geschichte

der Helden. Doch sind deren wenige. Einige

Wiederholungen zeigen von Schwäche, z. B. Il. VIII. 70.

wo Jupiter das Loos des Treffens wägt, ist diese Jdee weit

kraftloser, als wo er das Schicksal Achills und Hectors

wägt, im zwey und zwanzigsten Buch. Hier ist vermuthlich

Nachahmung eines andern Rhapsoden. Jm Ganzen

genommen ist aber doch ein Hauptheld, ein Hauptinteresse.

─ Wenig Dichter haben vermocht ihren Haupthelden

die Würde, die Theilnahme zu verschaffen, wie

Homer. Aeneas ist ohne alle Selbstthätigkeit, er ist

undelicat, gefühllos gegen die Dido. Träume und Weissagungen,

sein Vater Anchises leiten ihn. ─ Klopstock

hat seinen Helden zu sehr von Seiten der physischen Allmacht

gezeigt. Jm Evangelio ist es der moralische Gott,

verbunden mit der Menschennatur. Darum ist der Messias

im Evangelio weit liebenswürdiger, als in der Messiade. ─

Der Kampf im fünften Gesang, das Gericht ist mit den

wirklichen Leiden des verlassenen Christus am Oelberg nicht

zu vergleichen. Es ist erhaben und feyerlich, aber zu mystisch,

zu dunkel gehalten ─ als daß es aller Theilnahme

erregen sollte. ─ So viel von dem Helden des Heldengedichts.

3) Da das Heldengedicht gleichsam eine Periode

der Universalgeschichte in einem Moment anschaulich

darstellt, so muß es auch, um die Begebenheit zu erklären,

die Mächte, welche das Schicksal lenken, nach der Vorstellungsart

des Zeitalters schildern. Daher verlangen die |#f0133 : 609|



Dichter Aufschlüsse von den Musen, und man hat von jeher

das Wunderbare zur Hauptingredienz der eigentlichen

Epopöe gemacht. Kein Heldengedicht aus der neuern Geschichte

wird glücken, so wenig, wie Silius Jtalicus und

Lucanus glücklich gewesen sind. Die Geschichte muß sich

in das Unbegreifliche, in die Fabelwelt verliehren.

Unbekannte Mächte müssen mit Theil daran haben. Daher

bringen die Epiker Himmel und Unterwelt in Verbindung

mit der irdischen Begebenheit, und suchen sich aus höhern

Ursachen dieselbe begreiflich zu machen, wodurch

sie auch die Wichtigkeit der Handlung mehr ins Licht setzen,

z. B. der Götterkampf in der Jliade. Für die Würde der

eigentlichen Epopöe schickt sich jedoch mehr das höhere

Wunderbare aus der Götterwelt, welches auf die ganze

Weltordnung Beziehung hat, als blos phantastische Mährchen

von Zauberern, wie im Tasso, Schiffe und Wälder

und Pferde die weissagen, Stürme in einen Schlauch eingesperrt

u. s. w. Die Odyssee nähert sich schon mehr dem

romantischen Gedicht; bey den Reisen des Odysseus

hat man also das Abentheuerliche, die Somnia Iouis gern.

Jm Tasso verliehrt durch die vielen romantischen Mährchen

das Ganze an Größe. Er richtete sich etwas nach dem

Geschmack seines Zeitalters. Hätte er es ganz thun können,

wär sein Geist nicht zu idealisch gewesen, so hätte

er vielleicht eben das Glück gemacht, wie Ariost. So

schwankte er aber zwischen dem reinen und dem seinen Geschmack,

und that keinem ganz Genüge. Ossian kennt das

Wunderbare nicht, einige Geistererscheinungen ausgenommen |#f0134 : 610|



. Allein Ossians Gesänge gehören auch mehr unter

die Gattung des romantischen Gedichts, als daß

sie eigentliche Epopöen seyn sollten. Glovers Leonidas ist

auch ohne das Wunderbare, aber es ist auch keine eigentliche

Epopöe. Uebrigens muß selbst das Wunderbare

eine Art physische und psychologische Wahrscheinlichkeit

haben, damit es dem Menschen begreiflich

werde, die wunderbaren Kräfte müssen menschlich handeln.

Es muß mehr Bewunderung als Verwunderung

erregen, also zweckmäßig seyn.



§. 2.



Der im vorhergehenden angegebene objektive

Stoff der Epopöe bestimmt nun auch den ästhetischen

Jnnhalt
derselben. Die Hauptempfindung,

welche in ihr herrschen muß, ist das Große.

Nach ihr modifiziren sich die übrigen.



Anmerk. Das Heldengedicht muß mit dem Großen

beginnen und mit dem Großen enden, in beyden Fällen einfach

seyn, der Stoff selbst ist hinlänglich, diese Empfindung

zu wecken. So schließt Homer mit dem Grabe des Hektors.

Ως ὁι γ' αμφιεπον ταφον ἑκτορος ἰπποδαμοιο. Es ist

als wenn man am Grabe einer Welt stünde. Die Hauptempfindung

ist also nicht tragisch, wie Marmontel glaubt,

nicht stark, nicht heftig, sondern Bewunderung der

Größe des Schicksals. ─ Man sieht Glanz, Herrlichkeit, |#f0135 : 611|



heroisches Leben, und am Ende löst sich alles auf in eine

allgemeine ruhige Jndifferenz des Schicksals. Am Ende

der Jliade wird eben der Hektor bestattet, welcher im zwölften

Buche, wie ein verderblicher Gott, das Lager der

Griechen anzündete. Achills Zorn ist befriedigt, seine Ehre

wieder hergestellt. Aber er hat auch gebüßt für seine Leidenschaft.

Die allgemeine Weltordnung erscheint hier in

einem Moment, unter der Ansicht eines Ganzen. Daher

ist über die Epopöe eine große Stimmung verbreitet, welche

sich dem Erzähler mittheilt, welche alles modificirt. Das

Starke, das Heftige, das Schreckliche, findet in der

Mitte der Handlung statt. Aber immer muß die Jdee der

Größe jeden Contrast wieder aufheben. Auch das reizend

schöne muß zuweilen gefunden werden, damit die

Anspannung nicht zu groß sey. Daher führt uns Homer

aus dem Schlachtgewühl ins häusliche Leben, erinnert uns

an die Eltern, Weiber, Kinder, für welche gefochten wird.

Nur darf man sich nicht zu sehr darein verliehren. Tasso ist

selbst mit dem Rinald in die Schlingen der Armide gefallen.

Da das Heldengedicht wegen seiner Länge in verschiedene

Stücke, Bücher, Rhapsodien, Gesänge getheilt wird, so

muß jedes Buch ebenfalls mit einer großen Empfindung

schließen, und das folgende mit einer starken muntern beginnen.

Das Große muß als herrschend bey jeder Pause

im Gedicht angetroffen werden. Nur muß die Größe

nicht so vollendete Ruhe geben, wie am Ende des Werks,

sondern muß mit einer Art bangen Erwartung verbunden

seyn, in Ansehung dessen, was kommen wird. Daher |#f0136 : 612|



schließen die heroischen Dichter einzelne Gesänge gern mit

Bildern der Nacht vor dem Schlachtmorgen, z. B. Iliad. α,

besonders schön schließt Il. η. wo Jupiter die ganze Nacht

durch donnert, auch Il. θ. Ossian Fingal erstes Buch, wo

man die Geister in der Nacht wehklagen, und zuweilen nur

den Schall des Schildes hört. ─ Tasso 2ter Gesang,

wie die christlichen Helden dem Morgen entgegen sehn, weil

sie Jerusalem zu erreichen wünschen. Mirano ad or ador

se raggio alcuno spunti, o rischiari della notte il bruno
.

Die folgenden Bücher beginnen dann mit der Morgenröthe

erwartungsvoll. ─ Das Sanfte, die Grazie, das

Naive, alles findet sich im Homer, der eine lichte heitere

Ansicht von der ganzen Welt giebt. Aber immer kehrt das

Starke, das Schreckliche wieder, und das Große mildert

den Gegensatz. Auch das Lächerliche hat Homer in

seine Gedichte aufgenommen, spätere Epopöendichter haben

es nicht gewagt. Vulkan, der im Olymp herumhinkt, Thersites,

Ajax, der in das ονθος βοων fällt ─ (dies hat denn

doch der Nachahmer Virgil aufgefaßt und im certamine navali

nachgeahmt.) Jn der heitern Phantasie des Griechen

ist dies keine Dissonanz.



§. 3.



Da der Heldendichter als Erzähler sich nicht

ganz in der Handlung verliehren, sondern den Faden

immer in der Hand, und den Blick auf das Ganze behalten

muß, sein Stoff aber so wichtig, so ausgedehn |#f0137 : 613|



ist, so geziemt sich für ihn ein lichter, gleichmäßiger

einfacher schöner
Styl, ohne lyrische Spannung.

Er muß eine gewisse Hoheit und Selbstständigkeit,

Ruhe beobachten, die des Jnnhalts

würdig sey. Er muß natürlich erzählen, damit der

Geist nicht durch unnütze Figuren bey der Größe des

Werks ermüdet werde. Man kann also dem Styl

der Erzählung den Charakter des Edlen beylegen.

Das Metrum muß der Sprache die größte Ausdehnung

zulassen, in seinem Gange stark, feyerlich, ruhig

seyn.



Anmerk. Homer ist hier völlig Jdeal. Wenn er

auch die Größe seiner Gegenstände als unerfaßlich angiebt,

ganz unterliegt er nicht. Sein Geist behält eine lichte nüchterne

Vorstellkraft, die ohne allen lyrischen Schwung ist.

Wenn er auch noch so rührende Szenen schildert, er selbst

nimmt nicht Theil. Er schwebt, wie ein anschauender Gott

über dem Ganzen. Wie ruhig ist die Wiederholung Il XXII.

vs. 78─91. ουδ' ἐκτορι θυμον ἐπειθον
. ─ Die Personen

reden mit der heftigsten Leidenschaft, wiewohl auch

immer im einfachen Styl. Er selbst der Erzähler bleibt

zwar nicht gefühllos, das zeigen seine Epitheten φιλον ὑιον,

δειλοι βροτοι. Aber im ganzen zeigt er, um mit dem Horaz

zu reden, aequam mentem in rebus arduis. ─

Dies ist die höchste moralische Maxime der Epopöe. Keine

andere, so viel auch Le Bossu dafür sagen mag, liegt nicht zu |#f0138 : 614|



Grunde. Deswegen läßt sich Homer auch nicht darauf ein,

lyrische Selbstgespräche zu halten. Er sucht seine Selbstständigkeit

darin, daß er den Sinn des Lebens, die Objekte

auffaßt und idealisch ausbildet. ─ Ossians Erzählungen

haben nicht den ächten epischen Ton. Es sind mehr

lyrische Erinnerungen. Hier ist Odeuschwung. Dies

ist eine andre Gattung. Ossians Gedichte sind auch kürzer,

sie sind mehr romantische Heldengedichte, als Epopöen.

Der Schauplatz ist dunkler gehalten, und läßt dem subjektiven

Gefühl mehr Spielraum. Homer dagegen, bey

dem alles lichte Anschauung seyn sollte, durfte sich nicht dem

lyrischen Gefühl hingeben. Milton hat zwar lyrische

Einleitungen. Sein Styl ist schon körnigter, sentenzenreicher,

phantastischer als der des Homer. Diesen höhern

Schwung erheischt der Gegenstand. Aber er hat doch den

epischen ruhigen licht darstellenden Ton genauer

gehalten, als Klopstock. Klopstocks Epopöe ist

im religiösen Hymnenton. Es sind Blumen aus einer

höhern Welt. ─ Aber die Welt selbst ist nicht dargestellt.

Der Sprachausdruck ist oft zu angespannt. Aus

diesem Grunde wird das Gedicht wegen der epischen Länge

für das anhaltende Lesen schwer. Doch wie viele lesen auch

den Homer, den Tasso auf einmal durch? Klopstocks Gegenstand

setzt in dem Erzähler ein hohes religiöses Gefühl

voraus. Er muß also seine Erzählung immer unterbrechen,

durch Aeußerungen der Andacht. Milton konnte seine

Welt schon mehr episch darstellen, Klopstock konnte sie

nur ahnen. Milton ist ein größerer Heldendichter in Ansehung |#f0139 : 615|



der Handlung. Klopstock hat eine Begeisterung,

die ihm einen wahren Prophetenton giebt. Jn manchen

einzelnen Versen der Messiade liegt das ganze Gefühl der

Ewigkeit. Das kann uns Milton nicht geben. Aber Charakter,

Darstellung, lebendig epischer Styl ist mehr in dem

Englischen Dichter zu finden. ─ Was nun das Metrum

betrifft, so paßt der Hexameter wegen seines majestätischen

Ansangs, wegen seiner Ausdehnung am besten. Homers

Hexameter in der Fortdauer gelesen sind die Fluthen des ruhig

sich wiegenden Ozeans. Milton braucht die Jamben.

Tassos Stanzen haben den Charakter sanfter Ruhe besonders

durch die beyden Schlußzeilen und die weiblichen Endreime.

Allein Tassos Gedicht giebt mehr die Empfindung der erhabenen

Grazie. Dazu paßt die Stanze.



§. 4.



B. Das romantische Heldengedicht ist

die poetische Erzählung abentheuerlicher und wunderbarer

Begebenheiten aus kriegerischen Zeiten, welche mehr

Situationen aus dem Leben einzelner Helden sind, als

daß sie eine Ansicht von der Weltordnung im Ganzen

geben.



Anmerk. 1. Der Zorn des Achill im Homer hat

Einfluß auf ganze Nationen. Das Schicksal kriegführender

Mächte ist nothwendig damit verbunden. Jm Ariost hingegen

ist die eifersüchtige Liebeswuth des Orlando, die Geschichte |#f0140 : 616|



des Astolfo, des Ruggiero u. s. w. Hauptsache, und

daß ein großer Krieg dabey geführt wird, ist zufällig. So giebt

auch Ariost seinen Jnnhalt an: Le Donne, ei Ca

valier, l'arme, gli amori, le cortesie, l'audaci imprese

io canto, che furo al tempo, che passaro i

Mori d'Africa il muro
u. s. w. Also eine Menge abentheuerlicher

Begebenheiten rafft hier der Dichter zusammen,

und stellt sie dar. Die Begebenheiten sind zu der Zeit des

Kriegs. Aber das ist nur zufällig. Er will nicht Eine

wichtige Handlung, er will recht verwickelte Begebenheiten

von Privatpersonen schildern. Tasso hingegen, ob er gleich

zum romantischen Gedicht sich hinüber neigt, auch in seinen

discorsi keinen Unterschied zwischen Epopöe und Rittergedicht

anerkennt, kündigt seinen Jnhalt doch im Ton der

förmlichen Epopöe an. Die frommen Waffen singt er,

und den Feldherrn, der Christi großes Grab befreyte. Das

ist also Eine wichtige Handlung, und er schließt damit, daß

Goffredo vor dem eroberten Grabe nieder knieet. Das

Abentheuerliche, das Ueberraschende ist also im romantischen

Heldengedicht die Hauptsache. Das Wunderbare

was hier vorkommt ist nicht das höhere Wunderbare,

das sich auf die letzten Weltursachen bezieht, sondern

das niedere Wunderbare, das Mährchenhafte. Zauberer,

Riesen, Gnomen u. s. w. sind hier die Haupttriebfedern,

weil man keine Ansicht der ganzen Weltordnung verlangt,

das höhere wunderbare würde sogar hier stöhren,

weil es zu viel Licht giebt. Das romantische Gedicht

will dunkel gehalten seyn. Man will sich hier gar |#f0141 : 617|



nicht orientiren. Es ist dies eine besondere Richtung, welche

die Poesie bey den neuern Nazionen genommen hat. Die

Phantasie, die hier recht eigentlich zu Hause ist, will sich

verliehren in einzelnen Situationen des Lebens. ─ Weil

oft der Stoff für dergleichen Gedichte aus den Ritterzeiten

genommen wird, so nennt man sie auch Rittergedichte.

Der ästhetische Jnhalt ist also das romantisch

schöne,
mithin die Grazie (s. oben von den Untergattungen

des Schönen.) Man könnte das romantische

Gedicht mehr zu den historischen Gedichten des niedern

Schönen zählen, wenn nicht der kriegerische Stoff

der Empfindung eine herrschende Heftigkeit und Hoheit

mittheilte. Der Styl muß leicht seyn, kann

ans Galante gränzen. Da die Phantasie hier vorzüglich

spielt, so kommt dem Dichter sogar der Ton einer Jronie

mit sich selbst und des Scherzes zu. Jhn haben Wieland

und Ariost angenommen, die hier Muster sind. Wieland

hat Einfachheit des Plans vor Ariost voraus, wenn er

gleich minder poetisch ist. Das beste Metrum ist die

Stanze.



Anmerk. 2. Kleinere romantische Gedichte in

Liederform und Volkston, in welchen heroische und andere

abentheuerliche besonders grausende Begebenheiten dargestellt

werden, nennt man Balladen oder Romanzen

im weiten Sinne. Die englischen und altschottischen

Balladen geben hier das beste Muster. ─ Der Jnnhalt

muß abentheuerlich seyn, aus der Ritter=, Kloster=, |#f0142 : 618|



Geisterwelt. Der Nahme mag vom Tanz herkommen,

denn es ward bey diesen Volksliedern in Jtalien getanzt,

und man findet hier und da noch solche rhapsodische Aufführung.

Anfangs waren es nicht einmal Erzählungen. Aber

späterhin wurden sie auch dramatisch. ─ Der Volkston

erlaubt hier Scherz und selbst einen Grad von Gemeinheit.

Der Ausdruck poesia volgare, den die Gedichte

in der italienischen Volkssprache führen, ist hier recht

eigentlich angewandt. Das Metrum muß fließend, strophisch

und für den gemeinschaftlichen Gesang eingerichtet

seyn. Uebrigens hieß Romanze bey den Jtalienern zuweilen

auch das größere romantische Gedicht. Oft besteht

es auch bey ihnen wohl mehr aus einer Menge einzelner

Romanzen, als daß es Ein Ganzes ausmachen sollte. ─



Anmerk. 3. Das romantische Gedicht wählt

oft zum Jnhalt das ganze Leben irgend eines Helden, und bedient

sich dabey der dramatisirenden Form. Dergleichen

dialogisirte heroische Biographien, oder dramatisirte

Romane werden oft von ihren eigenen Verfassern mit

wirklichen Dramen verwechselt. So brachte Shakespear

das Leben der Englischen Könige auf die Bühne. Szenen

aus so einer Biographie darzustellen und mit Schauspielkunst

zu verbinden, insofern das sich mit der Enge einer Bühne

verträgt, ist nicht tadelhaft. Denn die Schauspielkunst

kann vielleicht auf mehrere Arten der Poesie angewendet

werden, als man bis jetzt denkt, und die Aesthetik wird

wohl thun, wenn sie Drama und Schauspiel ganz |#f0143 : 619|



von einander trennt. ─ Nur muß man dergleichen dramatisirte

Biographien nicht als wahre Dramen und

Tragödien betrachten. Denn sonst wären sie fehlerhaft.

Wenn man also hier eine neue Eintheilung macht, und diese

dramatischen Geschichten zum romantischen Gedicht

rechnet, wohin sie auch gehören, so rettet man eine ganze

Menge Werke des Genies von dem Vorwurf der Unvollkommenheit.

Warum soll sich alles unter das Joch des

Aristoteles beugen? warum soll überall ein Drama seyn?

das Genie thut recht, sich nicht an die einseitigen Regeln

zu binden, und stets neue Formen zu erfinden, nur muß es

ihnen auch bestimmte Nahmen geben. Die heroischen

dramatisirten
Biographien haben also noch einen weitern

Jnhalt, als das gewöhnliche romantische Gedicht.

Dieses umfaßt nur Situationen. Hier wird oft ein ganzes

Leben dargestellt. Wie der eigentliche Roman, eine

Untergattung der niedern historischen Poesie, den Charakter

und die Handlungsweise eines Menschen aus der bürgerlichen

Welt entwickelt, eben so haben die dramatisirten

romantischen Biographien
die Entwicklung eines

heroischen Charakters zum Hauptgegenstand, der

ästhetische Jnhalt des Gedichts ist das Romantische.

Das Leben muß voll verwickelter Schicksale seyn. ─ Das

Gedicht kann auch größere Decorationen vorschreiben, als

die eigentliche Tragödie, weil nicht nöthig, ja nicht einmal

möglich ist, daß alles davon auf die Bühne gebracht

werde. Der Styl kann zuweilen selbst scherzhaft seyn.

Denn es ist eine Darstellung des ganzen Lebens, wie |#f0144 : 620|



darinn alles bunt durch einander geht. Daß die Personen

ihrem Charakter angemessen sprechen müssen, versteht sich

von selbst. Ein großer Theil der Shakespearschen Stücke

ist nicht zur Tragödie, sondern zum romantischen Gedicht

in dramatisirender Form zu rechnen. Das beste Muster

für diese Gattung giebt des Englischen Dichters Heinrich

der vierte, wo der genialische Charakter des Kronprinzen

geschildert wird, und Göthes Götz von Berlichingen.

Am besten ists hier, wie auch Shakespear thut,

daß Prosa und Metrum mit einander abwechseln, da

es in einem dergleichen Gedichte bald höhere lyrische Momente,

bald gemeinere Situationen giebt. ─ Schillers

Wallenstein und seine Jungfrau gehören auch hierher. Es

sind mehr dramatisirte romantische Gedichte, als Tragödien.



§. 5.



IC. Die Tragödie ist die Darstellung einer

heroischen Handlung, welche die Empfindungen

des höhern Schönen erweckt, in vollkommner Form

des Drama d. h. zu dem Zweck eingerichtet, mit der

Schauspielkunst verbunden zu werden.



Anmerk. Die Tragödie ist für die darstellende

Poesie ungefähr das, was die Ode für die lyrische

war. Wir nannten die Ode das vollkommenste lyrische Gedicht.

So ist auch die Tragödie gleichsam die höchste Potenz

der darstellenden Poesie. Dem Heldendichter gehn weit |#f0145 : 621|



eher Fehler hin, als dem tragischen, weil hier jeder Fehler

gegen das Ganze eher gefühlt wird. Sophocles ist ein

vollkommnerer Dichter, wie Homer, dieser aber ein größerer.

Der Jnnhalt der Tragödie wird gewöhnlich nach

dem Aristoteles in das φοβερον και ἐλεεινον gesetzt, an

welches der griechische Philosoph das menschliche Auge gewöhnt

wissen will. Jndessen machen weder jene Leidenschaften,

noch ein unglücklicher Ausgang das Wesen des

Trauerspiels aus. Einige fanden darinnen einen Unterschied

zwischen Epopöe und Tragödie, daß in der ersten

der Held siegen, in der letztern unterliegen müßte. Allein

was heißt dies unterliegen? Soll der Hauptheld allemal

sterben? Dies ist nicht immer der Fall. Brutus

läßt seine Söhne hinrichten. Dies giebt dem Voltaire,

dem Alfieri Stoff zu einem Trauerspiel. Brutus ist

Hauptheld. Aber er stirbt nicht. Soll unterliegen

heißen seinen Zweck verfehlen? Auch wieder nicht; wie oft

erreicht ein Held gerade seinen Zweck durch den Tod, wie

oft siegt er über seine niedere Natur, wie Antigone.

Daß in der Tragödie nothwendig Fürsten und Könige handeln

müssen, gehört auch nicht zu ihrem Wesen, wiewohl

jene Personen öfter in tragische Verhältnisse kommen, wie

andere. Man kennt längst auch das bürgerliche Trauerspiel.

Also ist der Jnnhalt der Tragödie in eine heroische

Handlung zu setzen, in einen großen Kampf der Frey=

heit mit dem Schicksal, mit dem niedern Begehrungsvermögen.



|#f0146 : 622|



§. 6.



Da die Tragödie die Form des Dramas

annimmt, und zu dem Zwecke eingerichtet ist, vorgestellt

zu werden, so muß der Plan der Handlung

vorzüglich faßlich, dieselbe gut eingetheilt, und in jeder

Rücksicht vollkommen seyn. Das Kunstwerk muß in kurzer

Zeit vorgestellt werden, daher wird auch eine schnelle

Uebersicht desselben erfordert, und jeder Fehler weit leichter

gefühlt. Daher muß das überflüssige Episodische

vermieden, und der Verstand bey aller Anschaulichkeit

im Einzelnen immer auf die Einheit der Handlung

aufmerksam gemacht werden. Aus ähnlichem Grunde

wird die Einheit des Orts Vorzug eines guten

Trauerspiels seyn, zumal da sie dazu beyträgt,

das Ganze in einen Moment der Anschauung zu

concentriren.



Anmerk. Die sogenannten drey dramatischen Einheiten

sind allerdings Erfordernisse zu einem vollkommnen

Trauerspiele, wenn gleich dadurch das Trauerspiel noch

nicht schön wird. Es giebt große tragische Dichter, die sie

nicht beobachten, und schlechte, die sie beobachten. Die

Regel ist deshalb doch in der Natur der Sache gegründet.

Was 1) die Zeit betrifft, so darf eine Vorstellung nach

der Uebereinstimmung aller Dichter und Kritiker nicht viel

über drey Stunden dauern, weil sonst die Anfmerksamkeit |#f0147 : 623|



natürlich ermüden würde. Hieraus kann man nun zwar

nicht folgern, daß die Handlung selbst wie im Oedipus,

in den Horaziern u. s. w. nicht über diese Zeit hinaus währen

dürfe. Das wäre die Regel der Wahrscheinlichkeit zu

weit getrieben. Ueberdem kann angenommen werden, daß

einige Zeit in den Zwischenakten verfließe. Die ideale

Zeit, die in der wirklichen vorgestellt wird, kann also etwas

länger seyn. Voltaire verstattet etwa vier und zwanzig

Stunden. Corneille ist hierin auch sehr streng, und sie haben

nicht unrecht. Die Tragödie ist ein concentrirtes Kunstwerk.

Selbst bey der Epopöe war die Kürze der Zeit ein

Vorzug, geschweige denn bey der Tragödie. Je kürzer die

Zeit ist, desto mehr gewinnt die Handlung an individueller

Anschaulichkeit und Einfachheit. Shakespear läßt einmal

die Zeit als Chorus auftreten und erzählen, daß während

dem Akt sechzehn Jahre verflossen seyn. Dies ist witzig,

und paßt für das romantische dramatische Gedicht. Aber

nicht für das eigentliche ernste Drama. Das Lustspiel kann

eher wider diese Regeln handeln. Allein bey der Tragödie

muß alles vermieden werden, wodurch der Verstand beleidigt,

und nächstdem die Empfindung gestöhrt werden könnte.

2) Was den Ort betrifft, so trägt seine Einheit allerdings

auch zur einfachen Faßlichkeit des Plans bey. Denn

man kann aus der Decoration allein noch nicht gleich die

geographische Veränderung merken, die mit Verwandlung

der Szene vorgegangen ist. Wenn Shakespear seine Personen

bald in Schottland, bald in England auftreten läßt,

so ist das immer eine Freyheit, welche hätte vermieden werden |#f0148 : 624|



können, nämlich insofern eine wahre Tragödie, nicht

ein romantisches Gedicht beabsichtigt wird. ─ Pedantisch

würde es freylich seyn, der Wahrscheinlichkeit wegen zu verlangen,

daß immer derselbe Platz bliebe. Die neuern

strengen Kritiker verlangen also nur Eine Gegend, z. B.

den Umkreis eines Pallastes. Bey den Alten war die

Einrichtung ihrer Bühne, und besonders der Chor, der seit

dem Euripides die Bühne nie verließ, die Ursache von strenger

Beobachtung der Regel. Sie nahmen gewöhnlich einen

öffentlichen Platz an. Corneille giebt den Rath, man solle

die Szene nicht zu deutlich bestimmen, und das ist sehr richtig.

Es ist auch eine zu große Bestimmtheit in ästhetischer

Rücksicht, Beschränkung für die Phantasie. Verwandlung

der Szene vor unsern Augen mag bey romantischen

Darstellungen, Opern und Lustspielen sehr gut angehn.

Aber beym Trauerspiel stöhrt sie die ernste Einfachheit

des Ganzen. Die Alten halfen sich viel durch ihren αγγελος,

der das erzählte, was hinter der Szene vorging.

Wenn indeß, um diese Einheit des Orts zu beobachten,

große Unwahrscheinlichkeiten entstehn, wenn z. B. der Thürwärter

an demselben Ort Wache hält, wo Makbeth sich zum

Morde des Königs entschließt, die geheimsten Verschwörungen,

wie z. B. im Cinna, und nach einigen Umarbeitungen

im Fiesko in öffentlichen Zimmern abgehandelt werden, so

ist dies beynah schlimmer, als die Verletzung der Regel.

3) Muß die Handlung selbst im Trauerspiel einfach

seyn, und die strengste Einheit haben. Das ist für das

Trauerspiel eine unerlaßliche Regel. Wird der Verstand |#f0149 : 625|



durch Verwicklungen zu sehr beschäftigt, hat er zu viel zu

grübeln, über die Triebfeder der Handlungen, über die Umstände,

(wie z. B. im Don Carlos wegen Posas Tod) so

hat der Geist keine Muse, das Erhabene des Ganzen zu empfinden.

Jm Lustspiel, in der Oper, hat der Verstand

wegen der Munterkeit der Gemüthsstimmung Spielraum.

Es kann ihm, wie z. B. in Figaros Hochzeit Stoff zu grübeln,

gegeben werden. Daher heißt die Fabel des Lustspiels Jntrigue.

Die höhere Tragödie sollte nie zum Jnhalt

eine Jntrigue haben. Die besten Trauerspiele, der Oedipus

Coloneus, die Antigone sind ganz einfach, ohne verwickelte

Situationen. Oedipus Tyrannus ist verwickelter und steht

hier gewissermaßen an der Gränze. Allein die Verwicklung

ist doch planmäßig, es geht alles so leicht und faßlich auseinander,

daß der Verstand keinen Zweifel behält, und das

Ganze eben so schnell ahnet, als übersieht. Die Einfachheit

der Handlung wird durch Ein herrschendes Hauptinteresse,

durch die Beziehung des Ganzen auf das Schicksal

weniger Personen bewirkt. Jn dem erzählenden Gedicht

kann viel eingeschaltet werden. Aber in der Tragödie

hat man keine Zeit auf Nebendinge zu sehn. Es ist der

höchste Moment der Thätigkeit (ακμη). Daher muß es

keine überflüßige Personen geben, die offenbar blos Behelfe

des Dichters sind. Jhre Menge verwirrt den Zuschauer.

Man weiß nicht, ob sie nöthig werden seyn, oder nicht.

So haben die französischen Tragiker ihre Zuflucht immer zu

Vertrauten genommen, z. B. Corneille in dem Horaz.

Voltaire in seinem Oedipus hat auch zwey Vertraute. Das |#f0150 : 626|



sind Behelfe des Dichters, damit man die Gesinnungen der

handelnden Personen erfahre. Allein sie sind unnütz und

erschweren die Uebersicht des Ganzen, weil man nicht weiß,

wie viel sie zur Handlung beytragen werden. Auch hierinnen

war der Chor der Alten gut. Er vertrat die Stelle

der Vertrauten, die handelnden Personen klagten ihm

ihr Leid, er ermahnt, tröstet sie, hierdurch ward das Unnatürliche

der vielen Monologen gemildert, und dennoch die

Aufmerksamkeit durch keine überflüssigen Charaktere von den

Hauptcharakteren abgelenkt. ─ Ferner wird die Einfachheit

der Handlung gestöhrt, wenn zwar nicht ganz

unthätige, aber doch solche Nebenpersonen mit vorkommen,

die ihre Plane für sich haben, auf die man aufmerksam

gemacht wird. Shakespear und andre romantische

Tragiker versahn es hierinnen nicht selten, selbst Corneille

im Cid hat die Liebe der Jnfantin ohne Grund mit eingewebt.

Die Alten sind auch hier einfacher. Personen, wie Hämon

in der Antigone kommen selten vor, und dieser ist doch auch

nicht ganz unnütz. Antigone ist zwar über allen Kampf

erhaben, indeß vermehrt das Verhältniß mit Hämon das

Hauptinteresse, und die Heldin selbst nimmt oft auf das

Glück Rücksicht, dem sie entsagen muß, z. B. 816. Αχεροντι

νυμφευσω ─ ─ ανυμεναιος αγομαι. Auch wird

Creon durch des Hämon Tod wegen seiner Halsstarrigkeit

bestraft. Hämon kann also da seyn im Plane des Stücks,

er hätte auch den einfachen herrlichen Charakter zeigen müssen,

den er entwickelt. Er hätte aber mehr mit der Antigone

selbst in Verhältnisse gebracht werden sollen. Man |#f0151 : 627|



sieht, wie wenig die Alten die Liebe als eine tragische Leidenschaft

ansahn. Es war noch nicht die schwärmerische

Jdee von Seelenvereinigung damit verbunden. Ein neuerer

würde es sich nicht haben nehmen lassen, statt eines blos

lyrischen allgemein gehaltenen Chors über die Liebe, eine

Szene zwischen dem Hämon und der Antigone anzubringen,

und dann wär Hämon vielleicht als minder überflüssig erschienen.

Die Neuern zumal die Franzosen bringen dagegen die

Schilderung der Liebe selbst in die alten Fabeln. Beym

Racine ist sie fast immer die Haupttriebfeder der Handlung.

Allein das ist wider alle kosmische Wahrscheinlichkeit,

da der übrige Charakter der alten Helden zu dieser romantischen

Liebe nicht paßt. Jn Voltaires Oedipus muß wenigstens

Philoklet in die Jocaste verliebt seyn. Jm Jnnius

Brutus hat Titus Brutus Sohn für die Tullia eine

Leidenschaft, die sich im Sinne der ächten Rittergalanterie

zeigt. ─ Durch solche Widersprüche im Hauptinteresse

verliehrt auch die Handlung an Einfachheit.

Voltaire hat dadurch den Titus liebenswürdiger machen,

die Handlung mehr verwickeln wollen. Und darüber hat

Plan und Charakter an heroischer Simplicität verloren. ─

Um die Einheit der Handlung zu erhalten, muß der

Dichter einen solchen Stoff wählen, der an sich gehörige

Ausdehnung erleiden kann. Wenn er sich genöthigt sieht,

mehrere Begebenheiten an einander zu reihn, mehrere

Handlungen zu vereinigen, so ist dies schon Armuth in

der Materie. So tadelt Corneille sich selbst wegen seines

Horace. Horaz hat eine doppelte Gefahr zu bestehn, |#f0152 : 628|



und das giebt gewissermaßen zwey Handlungen, die nicht

nothwendig mit einander verbunden sind. Beym Shakespear

ist oft genialischer Jdeenreichthum die Ursache von einer

doppelten Handlung. So z. B. hat Romeo anfangs

eine andere Liebe, welche ihn einen ganzen Akt durch peinigt.

Jm Hamlet, welches mehr ein Charakterstück

ist, fehlt der rasche Gang der Handlung. Tragischer

ist Makbeth, dessen blutdürstiger Ehrgeiz von Verbrechen

zu Verbrechen unaufhaltsam fortgeht. Die einfache

Organisation der Handlung verlangt endlich eine proportionierliche

Disposition ihrer einzelnen Theile. Da dem

Zuhörer Ruhepunkte gegeben werden müssen, so hat man

die Eintheilung in Akte erfunden. Jndeß muß ein Akt

allemal so schließen, daß eine neue Erwartung entsteht,

die im folgenden befriedigt wird, wenn gleich er auch schon

den Anfang einer Auflösung erhalten muß, weil sonst keine

Ruhe möglich wäre. Unrecht ists, wenn mit Einem Akte

die Handlung so weit vollendet scheint, daß man keinen

folgenden vermuthet, wie z. B. im Otto von Wittelsbach,

im Clavigo. Die Zahl von fünf Akten ist zwar zufällig angenommen,

ist aber doch in der Natur der Sache gegründet.

Jede Handlung hat, wie Aristoteles sagt, einen Anfang,

eine Mitte, ein Ende. Wenn man für den

Anfang, und für das Ende einen Akt rechnet, so bleiben

drey für die eigentliche Verwicklung übrig, und das ist eine

richtige Proportion. Da in der Tragödie alles concentrirt

seyn muß, so muß alles Ueberflüssige vermieden werden.

Es ist keine Erzählung, es ist die Thatsache selbst, |#f0153 : 629|



die idealisch nach Ursache und Wirkung verknüpft, ohne

alle Episoden vor unsern Augen vorgeht. Gleich anfangs

(in der Protasis) muß das Hauptinteresse angegeben werden.

Oft helfen sich die Dichter auch durch einen Prologus. Jn

den folgenden Akten kann das Jnteresse durch die Hindernisse

immer steigen. Jm dritten Akt ist die Mitte gleichsam

die letzte Höhe erreicht. Von nun an muß die Verwicklung

aufhören, und die Auflösung beginnen. Diese Eintheilung

ist also zugleich eine richtige proportionirliche Vertheilung

der Zeit, welche der Zuhörer für den Genuß des Kunstwerks

anwenden will. Er will nicht zu schnell die Auflösung des

Ganzen erfahren, er will auch nicht zu lang hingehalten

werden. Auch will er nicht etwa im fünften Akte Klagen

über den im vierten zu früh verstorbenen Helden hören. Die

Handlung selbst soll alle Zeit füllen. Man nehme den Cid

des Corneille. Jm ersten Akt erfahren wir Rodrigos Liebe,

und zugleich zeigt sich ein Haupthinderniß ─ der Streit der

Väter. Der erste Akt endet mit dem Kampf des Cid zwischen

Ehre und Liebe. Man erwartet, ob er den Vater

seiner Geliebten zum Zweykampfe fordern werde. Dies geschieht

im zweyten Akte. Der Knoten schürzt sich immer

mehr. Rodrigo fordert den alten Grafen und tödtet ihn.

Die Geliebte verlangt vom König Gerechtigkeit gegen den

Mörder ihres Vaters, den sie liebt. Ende des zweyten

Akts. Der dritte Akt enthält die Mitte, die Höhe

der Handlung. Die beyden Hauptpersonen, die Liebenden

treten gegen einander auf, im vollen Gefühl ihrer verwickelten

Situation. Rodrigo bringt sein Leben seiner Richterin. |#f0154 : 630|



Hier ist eine Art Stillstand, man genießt einen der schönsten

romantischen Momente, dieses merkwürdige Schauspiel,

wie Elmire ruft Rodrigue devant moi! ─ Mit dem

Ende des dritten Akts wird man aufmerksam auf die Entwicklung

gemacht. Die Handlung neigt sich. Der Feind

greift das Vaterland an, und Rodrigo wird vom Vaterland

aufgefordert, den Verlust des Feldherrn, den er tödtete,

zu ersetzen. Sein Sieg veranlaßt den König selbst der

Schiedsrichter zu seyn. Er tritt auf die Seite der liebenden

Herzen, und versöhnt ihre durch Meynungen getrennten

Gemüther. ─ So viel von den Akten. Bey den Griechen

kann man oft sieben bis acht Akte zählen, wenn man

nach den Chören geht. Kleinere Abtheilungen heißen Szenen.

Die Kritiker verlangen hier zu jedem Abgehn und

Kommen von Personen mit Recht einen Grund im Plane

des Ganzen. Sie verlangen die Verkettung der

Scenen. Das Theater soll nicht ganz leer werden. Daß

Personen auftreten, welche nicht zusammen in Verbindung

siehn, dies würde eine zu große Abtheilung geben. Das

würde einem Akt gleichen. ─



§. 7.



Da der objektive Jnhalt des Trauerspiels eine

heroische Handlung ist, so wird der ästhetische

Jnnhalt
oder die subjektiven Empfindungen, welche

erweckt werden sollen, nothwendig zur Gattung des höhern

Schönen gehören. Alle Modificationen desselben |#f0155 : 631|



, die sich auf Schrecken und Mitleid gründen, und

die man insbesondre tragisch nennt, finden hier

statt. Die herrschende Hauptempfindung muß

das eigentlich Erhabene seyn, weil die Handlung

concentrirt ist, und Freyheit und Schicksal in

einem Kampfe zeigt, der sich doch durch die Hoheit

des Helden harmonisch enden soll. Alle andre Empfindungen

müssen sich darnach richten, müssen diesen

Charakter annehmen. Was den Gang in Abwechslung

der ästhetischen Gefühle betrifft, so läßt sich folgende

Regel behaupten. Die Tragödie muß mit einer

großen Stimmung beginnen, auf das Starke,

Heftige, Schreckliche
fortgehn, und mit dem

Erhabenen schließen.



Anmerk. Die besten Trauerspiele beginnen mit dem

ästhetisch Großen. Denn es muß eine schauerliche

Erwartung erregt werden von den Dingen die kommen

sollen. Sophocles versteht dies am besten. Jm Oedipus

Tyrannus, das bittende Volk vor dem Könige auf den

Knieen mit Zweigen in den Händen. Jm Oedipus Coloneus,

der hohe blinde Greis geführt von seiner Tochter in

einer einsamen Gegend, sich nahend dem Ort, wo sein

Schicksal erfüllt werden soll. Die Antigone, welche im

Vorhof in der Nacht der Jsmene ihren Entschluß mittheilt.

─ Jn der Elektra der Pädagog, welcher den Orest in die |#f0156 : 632|



Stadt seiner Väter mit der Morgenröthe einführt. ─ Eben

so weiß Shakespear sehr gut ein Trauerspiel anzufangen.

Jm Hamlet, die nächtlichen Wachen, die schon von dem

Gespenst erzählen, im Makbeth der Hexentanz im Sturm,

während der Schlacht. Die französischen Tragiker fangen

ihre Trauerspiele mit vertraulichen Unterredungen ohne Kraft

an, wo der Jnnhalt vorläufig erzählt wird. An die Stelle

des großen Anfangs im griechischen Oedipus ist beym Voltaire

eine Unterredung gekommen, zwischen Philoklet und

Dimat, zwey Nebenpersonen. ─ Cäsars Tod fängt besser an.

César tu vas regner, ─ eben so auch Brutus: Destructeurs

des Tyrans etc
. Lessings Emilia Galotti,

welche nur gegen das Ende wie von Ungefähr ein Trauerspiel

wird, hat zu Anfang einen schwachen Monolog.

Man findet selten bey den neuern Tragikern einen

guten Anfang. ─ Wenn auch nicht allemal mit einer

großen Empfindung, so sollte doch wenigstens das Trauerspiel

mit einer Anstrengung beginnen, die von dem gewöhnlichen

Leben abzieht. Diese Anstrengung muß aber doch

ruhig seyn. Aeschylus selbst, so heftig er ist, so wild,

jammervoll, kriegerisch
seine ἑπτα επι θηβαις

gleich anfangs sind, beginnt doch mit einer etwas gefaßten

Rede des Eteokles. Hierauf kommt erst der αγγελος vs. 40.

mit einer kriegerischen Erzählung, welche äußerst stark

und heftig ist. ─ Jn den Eumeniden ist auch erst mehr

grausendes und großes. Das ειδωλον der Klytaimnästra

und der Chor der Eumeniden zeigt sich etwas später. Prometheus

beginnt mit einer starken Empfindung. Der Anfang |#f0157 : 633|



des Agamemnon ist am besten decorirt. Der

Wächter unter dem Sternenhimmel, der das Feuersignal

von Trojas Einnahme erwartet. Sehr schön und romantisch

schauerlich ist der Anfang der Jphigenia in Aulis. Agamemnon

vor seinem Zelte des Nachts, in Unterredung mit

seinem alten Sclaven. ─ Dies vom Anfang. ─ Mit

der Handlung selbst nimmt nun auch der Wechsel der Empfindungen

zu, die wegen des raschen Gangs der Tragödie

immer steigen müssen. Es muß aber eine gewisse Continuität

in diesen Empfindungen herrschen. Das Große muß

immer schauerlicher, bänger werden, dann muß das

Starke folgen. Denn diese Empfindung paßt am besten

zur Willensthätigkeit, die sich immer mehr entwickelt. Wenn

auch nun ein reizend schöner Augenblick dazwischen geworfen

wird, so darf er doch nie erweichend seyn. Er darf

keine Dissonanz machen. Das Lächerliche darf nicht in

der eigentlichen Tragödie zu finden seyn. Jm Makbeth hat

Shakespear wohl hier und da gemeine Stellen, aber doch

nichts Lächerliches. Es ist ein eigentliches Trauerspiel.

Hamlet ist schon mehr romantisches Gedicht, und so

erträgt man die Scherze des Polonius. ─ Jn der wichtigsten

Situation, tritt nun gewöhnlich das Heftige, das

schreckliche ein. Hier zeigen sich die meisten Contraste.

Mit der Auflösung muß sich das Heftige zum Wehmüthigen

hinneigen, und das Ganze mit dem Erhabenen

schließen. Der Zorn des Schicksals ist gestillt, das Opfer

ist gefallen, und mit Hoheit gefallen zur Ehre der menschlichen

Natur. Der disharmonische Streit der Kräfte hat |#f0158 : 634|



aufgehört. ─ Am besten wirkt also am Schluß ein Seufzer

des Chors über die Menschenschicksale im allgemeinen.

Dies läßt einen erhabenen Nachklang in der Seele zurück.

Starker Schluß thut selten gut. Voltaires Brutus

schließt stark und affectirt ─ Rome est libre, il suffit

─ rendons graces aux Dieux
. Der Schluß mag in

den Römischen Charakter passen, denn die Römer waren,

um ihre Empfindungen zu verbergen, Schauspieler, und

Voltaire mag wunder gedacht haben, wie kräftig er geschlossen

habe. Aber ästhetisch hat Alfieri den Schluß weit besser

getroffen, weil er wehmüthig schließt del sangue libera

sorge Roma ─ infelice padre
! ─ Das Volk: Dio

di Roma
! ─ Brutus sich das Antlitz bedeckend Io sono

l'uom più infelice, che sia nato mai
. ─ Die Antithesen,

die körnigten Sentenzen zum Schlusse sind bey den

Franzosen zu finden. Die Deutschen schließen oft so matt,

wie sie anfingen. Schillers Jungfrau hat einen erhabenen

Schluß. Shakespear schließt immer mit einer Art Pomp,

gleichsam mit einem prächtigen Trauerzug zur Ehre der Gefallenen.

Auch dies kann zuweilen eine erhabne Stimmung

bewirken. Doch die simple Art, wie gewöhnlich der Chor

der Alten schließt, wird von keinem Neuern erreicht.



§. 8.



Da das Trauerspiel die Ansicht einer concentrirten

erhabenen
Handlung giebt, und die handelnden

Personen, welche hier nach der dramatischen |#f0159 : 635|



Form selbst sprechen, in den höchsten Situationen

des Lebens sich befinden, so hat hier auch eine weit

gedrängtere lyrische Sprache statt, als im Heldengedichte,

welches die Form der ruhigen Erzählung hat.

Jndeß darf die Sprache des Cothurns nicht so außerordentlich

seyn, wie die des lyrischen Dichters. Sie

muß etwas natürlicher und einfacher seyn. Denn die

Personen, die sprechen, sind der wirklichen Welt näher,

als der Odendichter. Der tragische Styl hält also im

Ganzen genommen zwischen dem Styl der Ode und

dem des Epos das Mittel. Man kann ihm den

herrschenden Charakter der Hoheit geben, und er

hat seine nähere Bestimmung durch den Chor der Alten

bekommen. Da aber verschiedene Personen nach

einander auftreten, so versteht sich, daß eine gewisse

Abstufung im Styl statt haben, daß alles auf Charakter

und Situation berechnet seyn muß. Denn der

Mensch, den Verhältnisse und Leidenschaft auf einen höhern

Standpunkt gesetzt haben, spricht anders als der

kältere und gewöhnliche. Jndessen muß man auch

diesem, wegen der Hauptstimmung eine von der gemeinen

unterschiedene Sprache geben. Der Jnhalt des

Trauerspiels giebt jeder Person eine lyrische Würde,

und die Regel der Jllusion oder treuen Nachahmung

der Natur darf hier nicht dagegen angeführt werden. |#f0160 : 636|



Aus diesen Gründen wählt auch die Tragödie am liebsten

ein Metrum, das sich zwar ursprünglich nur

wenig über den rhythmischen Gang der prosaischen

Sprache erhebt, aber nicht ohne herrschendes Gesetz

ist, und bey zunehmender Lebhaftigkeit der Handlung,

in lyrische Sylbenmaaße leicht übergehn kann.



Anmerk. Der Styl des Heldengedichts ist leichter

seinem Charakter nach zu bestimmen, weil Eine Person, der

Erzähler in der Regel das Wort führt, und weil, um den

Contrast zu vermeiden, die redend eingeführten Personen

sich nach dem Erzähler etwas richten müssen. Der Styl

des Trauerspiels hingegen ist schwerer seiner Einheit nach

zu charakterisiren, weil da eine Menge verschieden handelnde

Personen nach einander auftreten. Die Geschichte

der tragischen Dichtkunst giebt auch hier die beste Auskunft.

Das Trauerspiel ist seinem Ursprunge nach bey den Griechen

lyrisch. Es entstand weniger aus der Aktion der

Rhapsoden, welche einzelne epische Stücke mit einer Art

äußerer Decoration vortrugen, als aus den dithyrambischen

und satyrischen Chören bey den gottesdienstlichen Festen.

Der Chor, der den τραγος bekam, mochte wohl Anfangs

nur Vorstellungen aus dem Stegreif aufführen. Erst

Thespis unterschied einen bestimmten Schauspieler vom

Chor, der auf der Bühne agirte, und vom Chor unterstützt

ward. Nun wurden nach und nach erst die ernsthaften

Trauerspiele erfunden. Aeschylus that den zweyten Schauspieler |#f0161 : 637|



und eine Kleidung desselben, Sophokles den dritten

und die Decoration hinzu. Und nach und nach soll man

auch noch einen vierten Aktor zuweilen gebraucht haben,

dessen Reden aber Horaz, vermuthlich weil er die obige

Regel von Einfachheit der tragischen Handlung gefühlt

hat, sehr beschränkt. Der Chor, der also der Ursprung

der alten Tragödie war, hielt auch das Ganze zusammen,

ungeachtet seine Gesänge immer mehr beschränkt und

in die Zwischenakte verwiesen wurden, war er doch in der

Regel stets zugegen. Jm Sophokles z. B. im Ajax tritt

er zuweilen ab. Jm Euripides ist er immer da. Wenn er

der Vertraute der handelnden Personen ist, durch den Coryphäus

mit ihnen spricht, wider alle gewöhnliche Wahrscheinlichkeit

der Freund von allen ist, die ihm noch so fremd

sind, wie z. B. in Euripides Jphigenia in Aulis, aller Geheimnisse

verschweigt, wie in der Medea des Euripides keinen

an seinen Handlungen hindert, so haben einige Kunstrichter

ihn für ein nothwendiges Uebel gehalten, das allein

historisch zu erklären, der Jllusion schädlich gewesen sey,

und das die alten Dichter der unentbehrlichen Einrichtung

der Bühne wegen nicht hätten abschaffen können, so gern sie

es gewollt hätten. Allein hier hat man die Natur des

Chors, wie auch den Sinn der Regel von der Jllusion ganz

verkannt. Der Chor, wenn ihm gleich Horaz actoris partes

giebt, ist keinesweges in der vollendeten Tragödie als dramatische

Person anzusehn, am wenigsten als eine assistirende

Nebenperson. Aeschylus macht ihn zwar zuweilen

gar zur Hauptperson, z. B. in den Supplicibus die Danaiden |#f0162 : 638|



. Jn den Eumeniden ist zwar Orest die Hauptperson,

aber der Chor sein beständiger Begleiter. Jn dem Prometheus

kommt er auf Maschienen herab. Jn den Persern

ist er Prologus und klagt mit über die Niederlage der Armee.

Jn den ἑπτα ἐπι θηβαις zeigt er sich gar so sehr lebendig,

daß ihm Eteokles deswegen Vorwürfe macht. Allein

Aeschylus war der alten ursprünglichen Tragödie näher, wo

oft einige aus dem Chor aufgetreten waren und agirt hatten.

Sophocles und Euripides hingegen unterscheiden den Chor

schon weit mehr von den Schauspielern, und diese Form hat

auch Aristoteles bey seinen Definitionen immer vor Augen.

Der Chor hat hier mehr das Ansehn einer lyrischen Person,

welche das Ganze zusammenhält. Er ist für die Tragödie

das, was der Erzähler im Heldengedichte ist. Er

giebt der Handlung einen herrschenden Ton. Dies erhellt

aus folgenden Gründen: 1) der Chor ist im Sophocles

und Euripides unpartheyisch und ohne Leidenschaft,

er nimmt nur einen entfernten Antheil an der Geschichte. Er

ist der Vertraute aller. Das sind Greise, die schon wenig

Jnteresse mehr am Leben nehmen, darüber mit Ruhe reflectiren,

oder Unterthanen und Bürger, die sich auf dem

Standpunkte der Resignation befinden, also das Ganze

mit mehr Freyheit beurtheilen können. Darum ermahnt

auch der Chor in allen Dingen zur Mäßigung, er sucht

die erhitzten Gemüther zu besänftigen. Er empfiehlt den

Gleichmuth, die Mittelmäßigkeit, das friedliche Leben ohne

Ehrgeiz nnd Leidenschaft (z. B. in Iphigen. Aul. μακαρες,

ὁι μετριας θεου μετα τε σωφροσυνας μετεχον λεκτρον
|#f0163 : 639|



Ἁφροδιτας γαλανειᾳ χρησαμενοι κ. τ. λ.) Dieser ruhige

contemplative Charakter des Chors zeigt hinlänglich, daß er

keine dramatische Person sey, daß er nicht einmal mit unsern

Statisten zu vergleichen sey. Als dramatische Person

würde er zu kalt seyn. Es würde unbegreiflich seyn,

warum er z. B. die Medea am Kindermord nicht hindert,

da er doch beym Euripides davon spricht, er wolle es thun.

(Freylich hätte dies der griechische Tragiker weglassen können.)

Jst er aber eine poetische, lyrische Person, so

kann die Regel der Jllusion auf ihn nicht in der Strenge angewendet

werden, wie auf die eigentlichen Schauspieler.

Alsdann ist er vielmehr gerade dazu da, uns zu erinnern,

daß das ganze Schauspiel eine idealische Täuschung sey.

2) Zwischen den Akten singt der Sophokleische Chor Gesänge,

welche zwar nach der Horazischen Regel auf die Handlung

Beziehung haben, aber doch ohne Leidenschaft sind. Es

sind Maximen, Reflexionen, die uns von dem Augenblick

abziehn, und den Blick aufs Schicksal im allgemeinen richten.

Diese Gesänge erhalten die hohe Empfindung in den

Zuschauern, und lassen doch die Handlung ruhen. Oft sind

es Hymnen auf die Götter, die gerade dahin passen, oft

das Lob eines Landes z. B. Oedip. Colon. 670. oft eine

Betrachtung über den Menschen Antigon. 332. u. s. w.

Wäre der Chor eine dramatische Person, so würde er

nicht Zeit haben solche allgemeine Reflexionen anzustellen, er

würde während den Akten nicht in allgemeinen Sentenzen

sprechen, sondern sich zur Fortsetzung der Handlung vorbereiten.

Auch hieraus erhellt, daß der Chor nicht eine Person |#f0164 : 640|



der Handlung, keine Menge von Schauspielern sey, sondern

daß er ein wunderbares, ideales, lyrisches Wesen

sey, welches die Theile der Handlung zu Einem poetischen

Ganzen verbindet. 3) Nimmt man auf den Bau des griechischen

Theaters Rücksicht, betrachtet man z. B. das Theater

des Bachus, wie dessen Plan von Reisenden nach den

alten Schriftstellern wieder hergestellt worden ist, so findet

man, daß sich das Proscenion, wo die eigentlichen Schauspieler

standen, um eine ziemliche Höhe über das Logeion

oder die Thymele bey den Griechen erhob. Das Logeion,

der Ort des Chors war also niedriger. Der Chor stand also

auch im physischen Sinne nicht auf der Höhe der Handlung.

Er glich mehr einem im Sinne des Stücks decorirten Orchester.

Als lyrisches Orchester, als eine Gesellschaft von

Sängern ertheilte er der Handlung eine gewisse Jdealität

und verhinderte einen zu groben Begriff von Jllusion. Er

verwandelte die theatralische Handlung in eine Art Concert

und Oratorium. Als decorirtes Orchester gab es doch

dem Auge eine Art von Jllusion, indem die Sänger im

Sinne des Stücks angekleidet waren, und sich also desto

eher in die Reden der Schauspieler mischen konnten. So ist

also auch Horaz zu verstehn, wenn er sagt tibicen traxit

vagus per pulpita vestem
. Der Chor war ein decorirtes

Orchester. Uebrigens mag bey den Römern (Vitruv ist

freylich in Angebung der Maaße nicht bestimmt und läßt

also die Sache dunkel) das pulpitum, der Ort des Chors

etwas anders gewesen seyn, als bey den Griechen das Logeion,

weswegen einige Alterthumsforscher auch behaupten, |#f0165 : 641|



das pulpitum sey höher gewesen, als der Ort der Schauspieler.

Uebrigens hat der Ausdruck pulpitum vielleicht

einen weitern und engern Sinn. ─ Nach diesen Bemerkungen

läßt sich das Wesen des Chors folgendermaßen

angeben: Er ist eine lyrische Person, eine Anzahl vereinigter

Sänger und Rhapsoden, welche eigentlich ursprünglich

das Ganze der Handlung vortragen und interpretiren.

Jnsofern repräsentirt der Chor den Dichter. Er ist das

Fundament, auf welchem sich das Gebäu der Handlung

erhebt. Durch den Chor werden wir immer daran erinnert,

das Ganze sey eigentlich eine Vorstellung, keine

Wirklichkeit. Denn der Chor macht den Erzähler, wie

der Heldendichter. Er zieht moralische Folgen aus der

Handlung, sagt zuweilen voraus, welche Person sich nähert,

was geschehn werde, und erhält dadurch die ruhige

Würde des Ganzen. Die Handlung selbst ist leidenschaftlich.

Die Personen sind in Leidenschaft. Wär wahre Nachahmung,

und höchste Jllusion der Zweck der Tragödie, so

würde alle ideale Ruhe und Nüchternheit des Kunstwerks

verlohren gehn. Denn es ist keine Person da, welche die

volle Besinnung hat, wie bey der Epopöe der Erzähler.

Deswegen ist der Chor da, als ein außerdramatisches

Wesen, das die Uebersicht des Ganzen giebt. Um nun aber

doch der Jllusion etwas zu gestatten, nimmt der Chor

die äußere Gestalt von Personen an, welche möglicher Weise

interessirte Zuschauer bey der Handlung gewesen seyn können.

Doch gehn neuere Kunstrichter zu weit, wenn sie deshalb

behaupten, der Chor repräseutire ein ideales Publikum |#f0166 : 642|



. Allerdings benutzt der Dichter diese Gelegenheit,

seinem Publikum zu zeigen, was es beym Anschaun der Handlung

denken müsse. Jndem aber der Chor dem Publikum

gleichsam vordenkt, nimmt er Theil an der Schöpfung des

Kunstwerks und geht in die Person des Erzählers über. Wie

selbst bey den gemeinsten Kunstvorstellungen immer jemand

auftritt, der das Volk aufmerksam macht auf den Sinn des

Schauspiels, wie selbst unter dem Pöbel Sänger mit

Schildereyen herumgehen und sie erklären, so erklärt auch

der Chor den Sinn des Stücks. Sonach ist der Chor der

Alten mehr, als der Chor der Neuern, der nur zwischen

den Akten singt, z. B. Esther von Racine Act. I. Sc. 5.

oder wie der beym Shakespear, der gewöhnlich den Prologus

macht. Er muß sich in die Handlung mischen, und

bey der größten Lebhaftigkeit derselben die Ruhe wieder herstellen,

damit Eine ästhetische Tonart im Ganzen herrsche.

Da nun der Chor zum Wesen der Tragödie im höchsten

Sinne des Worts nothwendig gehört, da man sich nicht

einbilden muß, das Schauspiel verlange eine vollständige

Jllusion, (denn man soll eben dies Bewußtseyn der Kunst

haben, welche die Natur nachahmt und verschönert,) so

wird auch der Chor den Styl der Tragödie nothwendig

bestimmen. Er selbst wird ganz im Odenton sprechen, und

die handelnden Personen müssen eine davon nicht sehr abweichende

Sprache führen. Denn eine allzueinfache würde

gegen den Chor zu sehr abstechen. Auch will man nicht

eine wirkliche, man will eine idealisirte Natur. Auch die

Neuern, welche den eigentlichen Chor nicht mehr haben, |#f0167 : 643|



haben doch die etwas lyrische Rede für das Trauerspiel

beybehalten. ─ Die figurirte Sprache, welche bey

dem Heldengedicht nicht statt hat, findet sich im Trauerspiel,

besonders die heftigen, starken, leidenschaftlichen Figuren.

Antithesen, Metaphern, Aufhäufungen, zuweilen

Sentenzen, nur muß keine übertrieben werden. Die Sentenz

paßt für das Trauerspiel, weil die Personen der erhabenen

Handlung selbst im Momente der Leidenschaft

des Schreckens einen gewissen Blick auf das Ganze und

Allgemeine behalten müssen. So macht die Sophocleische

Sentenz immer Eindruck, z. B. Antigone 523.

Oedip. Colon
. 607. ─ ─ Allein Euripides liebt schon

mehr die philosophische Sentenz, wie sie bey Streitigkeiten

in der sokratischen Schule statt hatte. Diese ist bey

der Handlung unnatürlich. Die Franzosen pflegen auch zu

viel allgemeine Maximen aufs Theater zu bringen, damit

der Zuhörer etwas zu merken habe. Die Antithese paßt

wo Kampf und Streit ist, weil sie einen Contrast gut darstellt.

So braucht sie Sophocles, z. B. Antigone vs. 88.

Bey den französischen Tragikern ist sie aber oft müßiges

Verstandesspiel. Die Metapher, die vergleichende Zusammenstellung

ist in Scenen, die Gehalt haben, dem Tragiker

ganz natürlich. Denn der leidenschaftliche Mensch

gebraucht die ganze ihn umgebende Natur als Sinnbild

seiner Gemüthsstimmung, z. B. Othello, der das Leben

der Desdemona mit dem Lichte in Vergleichung bringt, das

er in der Hand hat. Wenn Lady Makbeth sagt: scheine die

Blume, und sey wie die Schlange darunter. So kann das |#f0168 : 644|



nicht kräftiger, und zugleich natürlicher ausgedrückt werden.

Die Rede, in der Makbeth die Wunden des Dunkan mit

Lücken im Weltall vergleicht, zu denen das Verderben hereinbricht,

haben einige Kunstrichter zu schwülstig gefunden,

und psychologisch mit der heuchlerischen Verlegenheit des Königsmörders

erklären wollen. Allein sie wär auch ohnedem

passend. Shakespear wendet den hohen Styl nur auf leidenschaftliche

Scenen an, Sophocles und Aeschylus dagegen

sind oft schwülstig in der Diction, weil sie auch ganz gewöhnliche

Dinge in neuen Wendungen sagen wollen. Welch

ein Metapher ist nicht z. B. επτα επι θηβαις vs. 373.

σπουδη διωκων πομπιμους χνοας ποδων
, um das Gehen

auszudrücken. Und es ist hier nicht einmal mehr eigentlicher

Chorgesang. Sophocles läßt seine Boten oft in künstlicheren

Wendungen reden, als ein Pindar sprechen würde;

hierinnen ist der Styl des Euripides simpler. ─ Was

nun das dramatische Gespräch der Tragödie insbesondere

betrifft, so muß es allerdings idealer gehalten werden,

als im Lustspiel. Die Hoheit der Verhältnisse, der heroische

Charakter der Personen, giebt den Unterredungen eine

gewisse Würde, die aber nach jeder Sinnesart anders modifizirt

seyn muß. Monologen sind den tragischen Personen

natürlich, wegen der Heftigkeit ihrer Empfindungen und

den wunderbaren Situationen. Nur müssen sie, wie bey

Shakespear, wahrer Ausbruch des Gefühls seyn. Mehr

Jnterjektionen, als kalte Betrachtungen. Daß der Prologus

und der Chor sich den Zuschauern nennt und zu erkennen

giebt, ist zwar wider die Jllusion. Denn wirklich handelnde |#f0169 : 645|



Personen werden nicht Dinge sagen, die ihnen selbst

bekannt sind. Allein Chor und Prologus sind lyrische

Personen, sollen eben die Jllusion mehr beschränken und die

Vorstellung der Handlung in die ideale Welt hinüber ziehn.

Die Jdeenassoziation in den Dialogen muß lyrisch

seyn, nicht blos durch die Handlung und den Verstand,

sondern oft durch freye willkührliche Wendungen der Phantasie

bestimmt. Eine zu gemeine Lebhaftigkeit des Dialogs

wird von den Griechen vermieden. Shakespear hat oft zu

wenig Pathos. Dagegen haben die langen Tiraden, worinn

jede Person ruhig alles abhandelt, was sie zu sagen hat,

etwas unnatürliches und unterbrechen den Gang der Handlung.

Hierinn fehlt besonders die französische Tragödie.

Beym Sophocles finden sich zuweilen lange Reden und Erzählungen.

Sie sind aber allemal durch die Handlung selbst

herbeygeführt. Jn den schlechten Trauerspielen sprechen die

Personen nicht um der Handlung willen, sondern weil der

Dichter geschwätzig ist. Das Metrum der Tragödie

wird auch durch die Natur des Chors bestimmt. Die

neuern haben ein eintöniges gewählt, z. B. die Alexandriner,

die Jamben. Allein die Griechen lassen Jamben,

Trochäen, selbst Hexameter und lyrische Sylbenmaaße,

jedoch nach einer gewissen Continuität abwechseln. Dies

paßt besser für die herrschende hohe und doch lebendige Empfindung

des Ganzen. Die Prosa ist nur fürs bürgerliche

Trauerspiel, beym Shakespear wird sie von Jamben und Reimen

unterbrochen. Für die Werke seines fessellosen Genius

ist dies die beste Einkleidung. Allein viele seiner Tragödien |#f0170 : 646|



sind eigentlich dramatisirte romantische Gedichte. Makbeth

ist eine wahre Tragödie im höhern Sinn. Diese hat aber

auch ihren Chor, der das ganze zusammenhält, nämlich

die Hexen. Wird dieser Chor von der vortrefflichen Reichardischen

Musik begleitet, so giebt er dem Stück eine höhere

lyrische Haltung nach griechischer Art.



§. 9.



Da die tragische Poesie mit der Schauspielkunst

verbunden werden soll, so muß der Dichter seine Erfindungen

durch Rücksichten auf die äußern Verhältnisse

beschränken. Die negativen Regeln, welche hieraus

entspringen, gehören in die allgemeine Aesthetik,

weil sie die Verbindung mehrerer Künste betreffen.

Sie beziehn sich besonders auf die Beschaffenheit des

Theaters, auf das Kostume oder Uebliche in der Decoration,

auf die Mimik des Schauspielers, und auf

Geschmack und Stimmung der Nazion, vor welcher

die Vorstellung statt hat. Daß die Tragödie hierdurch

weit mehr beschränkt werde, als die Komödie, folgt

aus dem Ernst der erhabenen Empfindung, die sie erwecken

soll, und der durch keine Unschicklichkeit gestört

werden darf.



Anmerk. 1. Der Tragiker darf dem Theater nicht

mehr Decoration zumuthen, als es nach seiner Beschränktheit |#f0171 : 647|



fassen kann. Die Oper kann das abentheuerliche, das

wunderbare weit mehr in den Decorationen suchen, als die

ernsthafte Tragödie. Wenn dies cock-pit, wie Shakespear

irgendwo sagt, die ungeheuren Gefilde von Frankreich mit

allen seinen Armeen zeigen soll, so kann es nicht fehlen, daß

die Anstrengung im kleinen etwas großes darzustellen, nicht

Veranlassung zu Unschicklichkeiten gebe. Die ernsthafte

Tragödie muß aber alles der Art beleidigende vermeiden.

Da ferner die tragische Handlung vorgestellt werden

soll, so darf das was auf dem Theater vor unsern Augen

geschieht, nicht den Sinnen zuwider seyn, weil das sreye

Spiel der Einbildungskraft nothwendig leiden muß, sobald

ein wahrer Abscheu in uns rege wird. Daher die bekannte

Regel des Horaz, daß Medea ihre Kinder nicht vor dem

Volke umbringen müsse. Wider das Uebliche darf der tragische

Dichter am wenigsten fehlen, noch den Schauspielern

Gelegenheit geben, dagegen zu verstoßen. Jeder Verstoß

wider die Geschichte und Sitten der vorgestellten Zeit fällt

natürlich auf dem Theater mehr in die Augen. Ferner muß

der Dichter den Schauspieler nicht zu Bewegungen und Gesten

veranlassen, welche in Ansehung der Mimik tadelhaft

oder der mahlerischen Gruppirung zuwider wären. Ein Fehler

dieser Art ist die Ohrfeige im Cid. Endlich muß der

Tragiker allerdings auch auf den Charakter seines Publikums

Rücksicht nehmen. Voltaire klagt, daß die frivole

Stimmung seiner Nazion die Bühne zu sehr beschränke.

Shakespear habe viel vorstellen können, was kein französischer

Dichter wagen dürfe aufs Theater zu bringen, wenn |#f0172 : 648|



nicht der ganze Effekt des Stücks durch Einen witzigen Einfall

verlohren gehn solle. ─ Jeder andre Dichter kann auf

den Geschmack seines Publikums wirken, kann erst ein Publikum

zu sich heranheben. Der tragische Dichter kann das

nicht. Denn er hat sich schon durch die Wahl der poetischen

Gattung, in welcher er arbeitet, von der Laune seines

Publikums abhängig gemacht. Will er ganz im Geschmack

einer fremden, einer alten Nazion dichten, so wird er nie

die Lebendigkeit der Darstellung erreichen. Also ist es freylich

besser, es nimmt der tragische Dichter auf sein wirkliches

Publikum Rücksicht.



Anmerk. 2. Die Tragödie nimmt verschiedene zufällige

Formen an, um derentwillen sie zuweilen andere

Beyworte erhält. Schon bey den Alten gab es ein Drama

satyricum
, wo der Chor aus Satyren bestand. Der Gegenstand

war hier heitrer, z. B. der Poliphem des Euripides.

An drey Festen wurden ernste Tragödien gegeben, im vierten

eine satyrische ─ daher der Ausdruck τετραλογια σατυρικη.

─ Etwas dem ähnliches sind die Tragicomödien

der Spanier und andern neuern Nazionen. Man hat geistliche

Dramen, bürgerliches Trauerspiel, (wo die Situation

aus dem gemeinen Leben genommen ist, wenn sie

gleich zu einer heroischen Handlung Gelegenheit giebt.)

Klopstocks Bardieten sind tragische Darstellungen aus der altdeutschen

Geschichte mit Bardenchören. Man nennt manche

(besonders Ritter=) Stücke, die eine Empfindung des

höhern Schönen erwecken sollen, ohne daß der Ausgang |#f0173 : 649|



traurig ist, Schauspiele im Engern Sinne. Unsere

Melodramen, obligate Recitative nähern sich der

Tragödie der Alten. Die Rezitationen derselben werden mit

Musik begleitet. Da hier kein eigentlicher Gesang ist; so

unterscheiden sie sich von der Oper. Der Gegenstand muß

freylich aus der Wunderwelt seyn, z. B. Gerstenbergs Ariadne.

Der Effekt, den diese lyrischen Dramen machen, die

uns in eine höhere Welt versetzen, zeigt, was die Tragödie

der Alten wirken mußte. Denn mit der eigentlichen Oper

darf man die alte Tragödie nicht vergleichen, da die Musik

bey den Alten nur das Gedicht unterstützte, ihre Rezitation

nur eine erhöhte Declamazion war. Unsre Oper ist aber ein

durchaus musikalisches Gedicht. ─ Neuerlich ist der Ausdruck

romantische Tragödie aufgekommen. Wahrscheinlich

versteht man darunter eine Tragödie, welche das

Wunderbare aufnimmt. Das Wunderbare gehört

zwar nicht eben so zum Wesen der tragischen Handlung,

wie es zum Wesen des Heldengedichts gehört. Jndeß

fand es doch bey den Alten statt. Besonders Aeschylus

nimmt seine Stoffe aus der Fabelwelt. Beym Sophocles

sind die Erscheinungen der Götter seltener, des Schicksals

Einwirkung ist mehr durch Orakel u. s. w. ins Dunkle

gestellt. Da die Tragödie Charaktere im Kampfe der

Handlung, im Augenblick des Entschlusses darstellt, so kann

das Wunderbare hier selbst insofern eingreifen, daß unbekannte

Mächte zur Willensbestimmung des Menschen beytragen;

z. B. in Makbeth. Dies vermehrt das Tragische

der Empfindung. Denn die Freyheit, welche der |#f0174 : 650|



tragische Dichter idealisirt, erhält dadurch unsichtbare Feinde,

gegen deren verführerische Eingebungen sie kämpfen

muß. ─ Wir haben indessen das höhere Wunderbare

von dem Romantischen unterschieden. Die romantische

Tragödie,
nach Schillers Sinn, scheint mehr mit

Maschienerien aus einem unsichtbaren Geisterreich, als aus

einer bestimmten Götterwelt verbunden zu seyn. Sie gehört

mehr zu dem, was wir dramatisirtes romantisches

Gedicht nannten, als in die Gattung der Erhabenen Tragödie.





[Abbildung]



III.



Von der niedern historischen Poesie.



§. 1.



Zu den Gattungen der niedern historischen

Poesie
gehört A) das komische Heldengedicht,

oder die Erzählung einer lächerlichen und unwichtigen

Begebenheit im Tone der ernsthaften Epopöe.



Anmerk. Kant sagt vom Lächerlichen, es müsse

sich eine große Erwartung in Nichts auflösen. Wenn gleich

die Definition für alle Arten des Lächerlichen zu eng ist, so

paßt sie doch ganz auf das komische Heldengedicht. Das

Wesen desselben besteht darinnen, daß gewöhnlich der Stoff

geringfügig ist, aber mit großem Pomp angekündigt und |#f0175 : 651|



durchgeführt wird. 1) Der objektive Jnnhalt ist eine

unwichtige Begebenheit, ein kleiner scherzhafter Vorfall,

eine abentheuerliche Erdichtung, deren Helden Karrikaturen

und aus widersinnigen Prädicaten zusammengesetzt sind.

Z. B. Homers Batrachomyomachie, oder Frösch- und Mäuse=

Krieg, der Streit zweyer Staaten über einen geraubten

Wassereymer (von Tassoni) ─ Zachariäs Renomist, Murner

in der Hölle. ─ Zuweilen ist die Begebenheit an sich

auch wichtig. Voltaires Pucelle, sie ist aber doch von einer

lächerlichen Seite gefaßt. 2) Der ästhetische Jnhalt ist

das Lächerliche, dieses wird bewirkt, sowol durch das

Komische im Stoff selbst, als auch durch den wichtigen Ton,

der auf eine Kleinigkeit angewendet wird. Zuweilen herrscht

eine harmlose Lustigkeit, z. B. in Thümmels Wilhelmine,

zuweilen der Ton der Satyre gegen einen gewissen Stand

z. B. in Boileaus Lutrin gegen die Geistlichkeit, gegen einzelne

Menschen, Rosts Vorspiel gegen Gottsched. 3) Der

Styl parodirt ganz das ernsthasre Heldengedicht. Feyerliche

Anrufungen, Beschreibungen, Vergleichungen, alles

wird angewendet, um der Erzählung eine komische Würde

zu geben. 4) Das Metrum ist, wie das der Epopöe. Zuweilen

thut auch eine sogenannte poetische Prosa hier

gute Wirkung, wie in Thümmels Wilhelmine. Diese kann

auch wohl mit Versen abwechseln. 5) Zu dem komischen

Heldengedicht kann man auch als zufällige Form das

travestirte heroische Gedicht rechnen. Jn der eigentlichen

komischen Epopöe wird ein komischer Gedanke ernsthaft

vorgetragen, folglich ist das eine parodirte Epopöe, |#f0176 : 652|



Jn dem travestirten Gedicht wird der Stoff eines ernsthaften

Werks auf eine lächerliche Art erzählt.



§. 2.



B) Die poetische Erzählung im engern Sinn.

Hierunter rechnen wir jede andre Erzählung einer Handlung,

welche die Empfindung des niedern Schönen erweckt.



Anmerk. Wie das komische Heldengedicht der Epopöe,

so steht die poetische Erzählung im System dem Romantischen

Rittergedicht beym höhern Schönen entgegen.

Es giebt besonders zwey Gattungen, 1) die versifizirte komische

Erzählung, in welcher Wieland Meister ist, und

bey welcher auch oft die Modification des Satyrischen statt

findet, 2) der eigentliche poetische Roman. Der Roman

steht an den Gränzen zwischen den Werken der Poesie und

der Beredsamkeit. Es giebt eine Gattung Romane, welche

mehr den Zweck haben, zu belehren, und Charaktere jeder

Art lebendig darzustellen, psychologische Biographieen, z. B.

Sophiens Reisen, und wiederum andere, deren Haupttendenz

ist, als Kunstwerk der freyen Phantasie zu gefallen.

Der objektive Jnhalt dieser poetischen Erzählung ist gemeiniglich

die Entwicklung eines poetischen Charakters, oder

die Darstellung einer natürlichen Leidenschaft, und ihr Kampf

mit den Verhältnissen der geselligen Welt, z. B. Werthers

Leiden. Der ästhetische Jnhalt des Romans ist

also vorzüglich das romantische, das sich dem rührend

Schönen nähert, im pathologischen Sinne des Worts, das |#f0177 : 653|



Sentimentale. ─ Denn was sich der Konvenienz

und den Sitten der Menschen entgegensetzt, hat den Charakter

des Abentheuerlichen, und wird in der Gesellschaft

unglücklich. ─ Der Styl muß natürlich seyn, eine leichte

Erzählung in ungebundener Rede, Briefform u. s. w. Doch

giebt es auch komische Romane, welche sich von der

komischen versifizirten Erzählung nur durch Mangel des

Metrums unterscheiden, und dadurch daß ihre Gegenstände

minder idealisch gehalten sind. Die komische Erzählung

in Versen hat oft idealere Gestalten, z. B. Wielands

griechische Erzählungen ─ aus der Götterwelt. Der

komische Roman dagegen nimmt die Karrikaturen der gemeinen

bürgerlichen Welt, und stellt das Lächerliche davon

dar, z. B. Peregrine Pikle. Zuweilen nimmt aber

auch der komische Roman Gestalten aus einer wunderbaren

Welt, z. B. die Werke von Rabelais, Swift, Voltaires

Micromegas. Zwischen den sentimentalen und

dem satyrisch komischen Romane steht eine Gattung in

der Mitte, der humoristische Roman, im Geist von

Sterne und Jean Paul. Er hat freylich weniger ästhetische

Einheit, als seine beyden Pole zwischen denen er

schwankt, er greift aber tiefer in den Geist des Lebens ein.

Denn das Spiel des Schicksals ist Laune, bald Ernst bald

Scherz ─ und so eine Laune ist der ästhetische Jnnhalt

des humoristischen Romans. Nur darf er nicht die

Phantasie durch zu bunte Arabesken ermüden. Die Engländer

sind hierinnen nüchterner als die Deutschen. Cervantes

Don Quixote
gehört zu den humoristi= |#f0178 : 654|



schen Romanen. Der spanische Humor hat mehr

Grazie, der Englische ist philosophischer. ─ Die Alten

kannten den eigentlichen Roman nicht, weil ihr innerres

bürgerliches Leben weder romantisch war noch mit dem

Abentheuerlichen im Kampf stand. Die Gelegenheit, die

ihre Jugend vorfand, im Kriege wahre Ebentheuer zu bestehn,

machte, daß das häusliche innere gesellige Leben

wenig phantastisches hatte. Da nun der eigentliche ästhetische

Zweck des Romans ist, das gemeine Leben in einem

romantischen Lichte zu zeigen, so konnten die Alten nicht

auf den sentimentalen Roman verfallen. ─ Die

großen Leidenschaften, welche die höhern bürgerlichen Verhältnisse

bey ihnen erregten, ließen die andern, Liebe u. s.

w. nicht aufkommen. Erst mit den Verfall der Staatsverfassungen

und der Sitten wurden die jonischen, milesischen

Fabeln, meistentheils schlüpfrige Romane erfunden, z. B.

Apuleius de asino aureo. Aber die platonische Philosophie

gab auch der Geschlechtsneigung einen andern Schwung.

Man sehnte sich darnach sie zu idealisiren, und da man dies

in der bürgerlichen Welt nicht konnte, so entstand eine Art

von Schäferroman, der aber von dem eigentlichen Geist

der Jdylle sehr wenig hat. So ist er bey den griechischen

Erotikern zu finden, z. B. Longus. Bey den abendländischen

Nazionen gesellte sich das Wunderbare zu den Romanen.

Sie machten mit dem romantischen Gedichte Eine Gattung

aus. König Artus, Karl der Große und ihre Familien waren

hier die Helden, bey den Spaniern erhielt sich der Geschmack

an diesen Ritterbüchern am längsten. Sie hatten |#f0179 : 655|



auch Schäferromane. Allein diese sind mehr galanter Art,

und haben nicht viel mehr von der eigentlichen Jdylle, als

die Jtalienischen. Mit dem Don Quixotte, so wie in Deutschland

mit Theuerdank hatten diese Romane ein Ende. Näher

kamen dem Wesen des eigentlichen Romans die Jtaliener

durch ihre Novellen oder kleine Erzählungen von Begebenheiten

der geselligen Welt, z. B. der Decamerone des

Boccaccio. Allein die französische Nazion scheint zuerst dem

Roman seine neueste Gestalt gegeben zu haben. Jm Cleveland

(von Prevot d'Exiles), in den Schriften von Lesage und

andern, zeigte sich der Roman als Schilderung von Abentheuern

in den geselligen Verhältnissen des Privatlebens.

Noch mehr suchten Richardson und die andern Englischen

Romanschreiber das häusliche und gesellschaftliche Leben in

einem idealen Lichte zu zeigen. Rousseau, Göthe und andere

bestimmten den Charakter des Romans noch näher, indem

sie besonders den Kampf des Naturmenschen und der

naiven poetischen Charaktere mit den Convenienzen und platten

Gemeinheiten der Städtewelt darstellten.



Anmerk. 2. Außer dem komischen erzählenden Gedicht

und dem Roman, giebt es zwar auch noch andre poetische

Erzählungen, z. B. Mährchen, welche die Empfindung des niedern

Schönen erwecken, und doch gehören sie meist wo anders

hin. Einige dieser Art grenzen an die Fabel, z. B. Erzählungen

von Gellert, Hagedorn, einige sind idyllischen Jnnhalts.

Doch werden wir von der eigentlichen Jdylle an einem andern

Ort handeln. Die Jdyllen haben zwar oft die Einkleidung |#f0180 : 656|



von Erzählungen. An sich sind sie aber doch mehr

beschreibende Gedichte. ─ Die moralischen Erzählungen,

die an die Fabeln gränzen, gehören als

Fabeln zur allegorischen Poesie. Andre kleine

Erzählungen sind als Novellen anzusehn, und gehören

also doch zur Gattung des Romans, wenn sie gleich diesen

Nahmen nicht führen.



Anmerk. 3. Zuweilen nimmt die poetische Erzählung

die Form des Liedes an. Viele Volkslieder sind

komische Erzählungen, z. B. John Gilpin bey den Engländern.

Kleine romanhafte Erzählungen, zumal aus der Welt

der Liebe in Liederform, werden zuweilen Romanzen

im engern Sinne genannt, und von den Balladen unterschieden,

die mehr erhabenen Jnnhalts sind. Diese Unterscheidung

ist zwar nicht in der ästhetischen Litterargeschichte

gegründet, kann aber doch von Nutzen seyn.



§. 3.



C) Das Lustspiel ist die Darstellung einer

Handlung, bey welcher nicht sowohl die Freyheit oder

die höhere Natur des Willens, als das niedere Begehrungsvermögen

interessirt ist, und welche die Empfindungen

des niedern Schönen erweckt: in Form

des vollkommenen Drama, zu dem Endzweck eingerichtet,

mit Schauspielkunst verbunden zu werden.

|#f0181 : 657|



Anmerk. 1. Der Hauptunterschied des Lustspiels

von dem Trauerspiele liegt also nicht im Stande der Personen,

(denn es giebt wie gesagt auch bürgerliche Trauerspiele)

nicht im Ausgange (denn nicht alle Tragödien, wie z. B.

Jphigenie) enden traurig ─ sondern darinnen, daß in

der Tragödie die Handlung heroisch ist, die höchste

menschliche Willenskraft mit dem Schicksal zusammengestellt

wird. Jn der Komödie dagegen ist die Handlung mehr interessant

für das niedere Begehrungsvermögen. Es ist hier

Kampf mit Verhältnissen, die sich umändern lassen, nicht

mit dem nothwendigen unvermeidlichen Schicksal. Es giebt

hier auch Entschlüsse, Plane, aber keine heroischen Akte

der Freyheit. Die eigentliche Sphäre des Lustspiels ist deshalb

freylich das gesellige häusliche Leben von Privatpersonen,

weil sich darinnen das niedere Begehrungsvermögen,

und jeder gemeinere eigennützige Trieb der Menschen

am meisten entwickelt.



Anmerk. 2. Der objektive Jnnhalt der Komödie,

in seinem idealen Sinn genommen, ist also eine gewöhnlich

erdichtete Thatsache aus dem bürgerlichen, geselligen,

häuslichen Leben. Das Jnteresse der Haupthandlung

ist ein Jnteresse des niedern Begehrungsvermögens.

Die Charaktere interessiren nicht wegen ihrer einfachen

Hoheit, sondern wegen ihrer Mannichfaltigkeit, Lebendigkeit,

und als treue Nachbildungen der Wirklichkeit. Der

Plan der Komödie kann verwickelt seyn, es kann nächst

dem Hauptknoten noch mehrere Nebenknoten geben, weil |#f0182 : 658|



der Verstand beym niedern Schönen mehr Muße zum rathen

hat, als bey erhabener Gemüthsstimmung. So wie eines

Theils die Einfachheit des Plans nicht verlangt, vielmehr

Mannichfaltigkeit gesucht wird, so ist auch anderntheils

in Ansehung der Vollkommenheit des Ganzen der Zuschauer

nicht so streng, als bey der Tragödie. Die Natur

des Drama fordert zwar auch einen raschen Gang der

Handlung. Allein da die Seele in geringerer Spannung

ist, so läßt man sich auch eher episodische Szenen gefallen,

die mehr Aufschluß über einen Charakter geben, als daß sie

die Handlung weiter bringen sollten. Nur müssen sie an

sich einen Werth haben und eine Stelle verdienen, z. B. die

Szene mit der Dame in Trauer in Lessings Minna von

Barnhelm konnte wohl füglich wegbleiben.



Anmerk. 3. Der ästhetische Jnhalt des Lustspiels

ist das niedere Schöne. Da es mehrere Gattungen

und Modificationen des niedern Schönen giebt, so wird

eine oder die andere vorzüglich in Einem Lustspiele herrschend

seyn. Es finden sich daher in dieser Rücksicht mehrere Gattungen

von Lustspielen. 1) Das edle Lustspiel, wo

die Empfindung des Edeln, und das sanftschöne herrschend

ist, nach der sich alle übrige modifiziren müssen. Dies

ist das höchste Kunstwerk der komischen Muse. Man nennt

einige Stücke dieser Art zuweilen auch Schauspiele im

engern Sinne, s. jedoch was wir oben bey der Tragödie

von diesem Ausdruck bemerkten. Die Vollkommenheit des

Drama muß hier am meisten beobachtet, wider Kostume, |#f0183 : 659|



Nazivnalsitten u. s. w. nicht verstoßen, und ein gewisser

Grad von Jllusion erreicht seyn. Es wird hier am meisten

Charakterzeichnung verlangt. Daher steht auch gewöhnlich

ein Hauptcharakter an der Spitze, z. B. Molieres

Misanthrop, welches man für des Dichters Meisterwerk hält,

ungeachtet es weniger gefiel, als seine Possen. Diderots

Pere de famille, (von dem der deutsche Hausvater eine

schwache sehr verfehlte Nachbildung ist). Der Essigkrämer

u. s. w. ─ Auch die Alten hatten das edle Lustspiel

schon. Dies beweist die sogenannte neue Komödie der

Griechen, von Philemon und Menander, ohne den satyrischen

Chor, und der Uebersetzer des Menander Terenz.

Sein Heavtontimorumenos, seine Adelphi sind hier besonders

zu nennen. Bey den Deutschen ist Minna von

Barnhelm als Hauptmuster anzuführen, wo der heitere

Charakter der Minna und der edle des Tellheim so glücklich

neben einander gestellt sind. Die sogenannten Familiengemälde

unserer Bühne sind meist Versuche in dieser Gattung.

─ Jn dem edlen Lustspiel kann das Lächerliche nur

unter großer Einschränkung statt finden, und das grotesk

komische, das niedere komische muß ganz daraus verbannt

seyn, wenn ästhetische Einheit statt finden soll. Wenn im

Edlen Lustspiel ein trauriger Ton herrschend ist, und die

rührenden Verhältnisse nur am Ende einen glücklichen Ausgang

gewinnen, so nennen dies die Franzosen Comédie

larmoyante
. Man hat diese Art Lustspiele widersinnig finden

wollen, andere z. B. Gellert haben sie vertheidigt. Versteht

man unter jenem Ausdruck eine Vorstellung, welche |#f0184 : 660|



schlechterdings blos weibische Rührung und Niedergeschlagenheit

erregt, wo sich gar keine Empfindung des höhern

Schönen findet, wo blos der glückliche Ausgang am Ende

wieder Muth machen soll, so ist eine solche Tortur des Zuschauers

allerdings wider die Würde der Kunst. Durch

die Tragödie will Aristoteles den Menschen an Schreck und

Jammer gewöhnt wissen. Dieser Eindruck ist wohlthätig.

Wenn man aber in lauter sanfter Trauer hinschmelzen, und

am Ende blos durch eine glückliche Wendung der Dinge wieder

aufgerichtet werden soll, so wird dies schwerlich ein Zuschauer

mehrere Stunden aushalten. Jfflands Jäger geben

bey vielen idyllisch schönen Zügen, das Beyspiel zu so einer

Comédie larmoyante, in mißverstandenem Sinne. 2)

Das feinkomische Lustspiel, die eigentliche Komödie

im engern Sinn, wo das Lächerliche und insbesondere

das Feinkomische herrschend ist. Hier werden

die Charaktere und Verhältnisse nicht nach ganzer

Tiese und Umfang gezeichnet, sondern nur die äußere

lächerliche
Seite von ihnen aufgegriffen, die aber originell

seyn muß. Das edle Lustspiel schildert Menschen,

in menschlichen Lagen, die Komödie schildert nur

die feinen Karrikaturen der bürgerlichen Welt, in bürgerlichen

Verhältnissen. Der Unterschied der Stände und Gewerbe

verzerrt nämlich den allgemeinen Menschencharakter

in der Gesellschaft. Das komische Talent des Dichters

faßt diese lächerlichen Züge auf, und stellt sie dar. Die

Verhältnisse des geselligen Lebens werden hier nicht von ihrer

heitern schönen oder rührenden Seite gezeigt, wie im |#f0185 : 661|



edeln Lustspiel, sondern als kleinliche Labyrinthe, in die

sich der bürgerliche Mensch gefangen hat, wenn er handeln

will. Die Verlegenheiten, in die er dabey geräth, die klugen

spitzfindigen Mittel, wie er sich durch die Convenzion

zu seinem Zwecke durchzuarbeiten sucht, geben hier hauptsächlich

die lächerliche Ansicht. Die Charaktere müssen

also auch hier mehr als je durch die Handlung selbst gezeigt

werden, weil lächerliche Gestalten durch Bewegung an

Wirksamkeit gewinnen. Daher wird die Charakterzeichnung

hier vorzüglich durch die Jntrigue bewirkt.

Weil man den Unterschied zwischen dem edeln und dem komischen

Lustspiel fühlte, in dem ersten gewöhnlich mehr tiefen

Charakter, in dem letztern mehr Jntrigue fand, so machte

man einen Hauptunterschied zwischen Charakterstücken

und Jntriguenstücken. Allein diese Unterscheidung

sollte von der Theorie nicht angenommen werden,

weil sie gar leicht zu Mißverständnissen führen, und fehlerhafte

Stücke entschuldigen kann. Es muß in jedem guten

Stück Handlung und Charakter beysammen seyn.

Die Jntriguenstücke werden fade, wenn die Charaktere

zu flach, allgemein und gewöhnlich gehalten sind, wenn

alles in der Verwicklung gesucht wird. Jüngers Jntriguenstücke

sind vielleicht bey uns die besten. Allein die Personen

sehn sich doch immer einander ähnlich. Das sind

junge verschuldete Leute, verschmitzte Bediente u. s. w.

Hier könnte man eben so gut, wie bey den Römern und Jtalienern

Charaktermasquen brauchen. Jn Schröders Lustspielen

haben die Personen schon mehr individuelles und charakteristisches |#f0186 : 662|



. Das beste Jntriguenstück ist Figaros Hochzeit.

Allein hier sind auch alle Charaktere, wenn gleich

von der äußern Seite, doch nach ganz originellen und frappanten

Zügen geschildert. 3) Das satyrische Lustspiel,

wo besonders das Satyrische herrschend ist, wo das Lächerliche

und die Schwäche des Lasters oder der Thorheit gezeigt

werden soll, die eigentliche Komödie schildert die

komischen Seiten des Menschen, an welchen er eigentlich

nicht Schuld ist, den Einfluß, den die verschiedenen Stände

und Verhältnisse auf die Verbildung seiner äußern Gestalt

haben. Das satyrische Lustspiel sucht besonders die

schwache komische Seite seiner Jrrthümer und eigentlichen

Fehler auf. Das satyrische Lustspiel war bey den

Griechen das erste. Von den satyrischen Chören bey den

ländlichen Festen (κωμη ωδη), welche mit muthwilligen

Neckereyen verbunden waren, hat sie den Ursprung. Nach

und nach verwandelten sich die Jnpromptus in Stücke mit

ordentlicher Handlung. ─ Jn der alten griechischen

Komödie war also das satyrische herrschend, der satyrische

Chor hielt das Ganze zusammen. Es war die Komödie

in Rücksicht der Tragödie ungefähr das, was das

komische Heldengedicht in Rücksicht der Epopöe ist. Daher

parodirt Aristophanes in allen den tragischen Ton.

Auch die sogenannte mittlere Comödie der Griechen nimmt

noch die satyrische Richtung. Nur vermied man mehr die

Personen unter ihren wirklichen Nahmen aufzuführen, und

es näherte sich die mittlere griechische Komödie dem Lustspiel,

das wir das komische genannt haben. Noch Aristoteles |#f0187 : 663|



kannte das Lustspiel nur als Satyre nicht in allen seinen

Veränderungen. Er konnte, als ästhetischer Kritiker, noch

eine neue Periode derselben weissagen, die nachher erfolgte,

nämlich die Zeit der neuen oder edlen Komödie. ─ Da

das satyrische Lustspiel auf eine bald bittere, bald

lustige Weise über die Thorheiten der Menschen spottet,

so sucht es Welt und Menschenleben nicht in einer idealen

Gestalt, sondern in grotesken lächerlichen Formen zu

zeigen. Es bindet sich also an keine dramatische Regel

von Wahrscheinlichkeit, Einheit des Orts, der Zeit, der

Handlung. Es liebt, wie man im Aristophanes sieht, in

seinen Decorationen das Abentheuerliche. Das Genie

folgt hier mit der größten Freyheit seinen Launen, und so

wenig, wie Aristophanes Götter und Menschen schont, eben

so wenig schont er irgend eine dramatische Regel. Unter

allen Gattungen des Lustspiels giebt das satyrische der

Phantasie am meisten Nahrung, wegen seiner humoristischen

Erfindungen. 4) Das groteskkomische Lustspiel,

wo nicht das feinkomische, sondern das groteskkomische

herrschend ist. Hier zeigt sich das ganze menschliche

Leben als auffallende Karrikatur, da in der eigentlichen

Komödie nur seine feinern lächerlichen Nüancen

gefunden werden. Von dem satyrischen Lustspiel unterscheidet

es sich dadurch, daß es nicht wider die Thorheiten

und Fehler gerichtet ist. Das satyrische Lustspiel, wie

wir aber schon gesehn haben, nimmt oft die Form des groteskkomischen

an. Die Gattung des groteskkomischen

Lustspiels ist sehr weitumfassend. Es kann auf |#f0188 : 664|



der einen Seite das romantische mit in sich enthalten,

und auf der andern zum eigentlichen Possenspiel werden,

und das niedere komische als herrschend aufnehmen.

Wenn im satyrischen Lustspiel der Griechen, im feinkomischen

den Franzosen, im edlen Lustspiel den

Deutschen der Preis zuerkannt werden kann, so findet sich

dagegen das groteskkomische in vollkommner Ausbildung

auf dem Spanischen und Jtalienischen Theater,

wo es besonders mit dem romantischen verbunden

ist. Da es dabey auf auffallende Kontraste abgesehn

ist, so zeigt sich hier alles in bunter Mischung, und es ist

weder große Einheit des Plans, noch der ästhetischen Empfindung

nöthig. ─ Man kann hieher die sogenannten

Mysterien und christlichen Schauspiele der abendländischen

Völker, der Jtaliener und Spanier, die Autos, Comedias

de Santos
, die figure, Vangeli, geistlich allegorischen

Zwischenspiele (Moralitäten), einen Theil der Tragikomödien

u. s. w. rechnen. Hier geht heiliges und profanes,

personnifizirte leblose Welt und wirkliche historische Person,

Schäfer und König in wilder Unordnung durch einander.

Den romantischen Charakter behielt das Lustspiel bey den

Spaniern durchaus. Lopez de Vega und Calderone sind

reich an Verwicklungen, stellen das rührende neben das niedrige,

und verbinden den hochtrabenden Styl mit dem gemeinen.

Bey den Jtalienern bildete sich besonders in Gozzis

Geist das groteskkomische und romantische

Lustspiel. Shakespears Lustspiele haben meist auch den

Charakter des Groteskkomischen und Romantischen. |#f0189 : 665|



Die von Foote nähern sich der Posse. Der Englische

Geschmack im Lustspiel geht überhanpt mehr aufs groteske

und niedrige Komische. Doch haben sie auch gute feinkomische

Stücke, z. B. von Sheridan. Das Possenspiel

an sich ist nicht zu verwerfen. Der menschliche Geist bedarf

zuweilen eine stärkere Dosis des Lächerlichen, um erschüttert

zu werden. Damit das Possenhafte jedoch in gewissen

Schranken gehalten werde, damit man nicht den Stoff zum

feinkomischen Lustspiel possenhaft behandle, ist es freylich

am besten, wenn man wie viele Nazionen besondre possenhafte

Charaktere habe, wie z. B. bey den Spaniern

der Gracioso, der Gallega, bey den Jtalienern der Harlekin,

Skaramuz u. s. w., bey den Deutschen das Kasperle,

und das sämmtliche Personal des Marionettentheaters.

Hierdurch bekommt man für das Possenhafte eine eigne

besondere Welt, und geräth nicht in Gefahr, die Schranken

umzuwerfen und es mit dem Feinkomischen verbinden zu

wollen. ─ Auch die Römer hatten an den fabulis Atellanis

eigentliche Possenspiele, wahrscheinlich mit bleibenden

Karrikaturmasken. Die Atellana hatten den Nahmen von

der Stadt Atella; von ihnen waren die fabulae tabernariae

noch unterschieden. Die Personen, die hier vorkamen, waren

von niederm Stande. Jn den fabulis praetextatis kamen

personae nobiliores vor. ─ Uebrigens kann man

auch den Plutus zu den groteskkomischen Dichtern

rechnen, und ihm ist Moliere mehr, als dem Terenz

gefolgt. 5) Die Pastorale oder das Schäferdrama ist

ein Lustspiel, in welchem der naive Jdyllenton |#f0190 : 666|



herrscht, weil der Gegenstand aus der Hirtenzeit genommen

ist. Die favola boscareccia ist bey den Jtalienern vorzüglich

ausgebildet worden. Tasso hat durch seinen Amint das

beste Muster geliefert dem Guarini unendlich nachsteht. Einige

italienischen Kritiker wollen diese Dichtart nicht gelten

lassen, und meynen, die Zusammensetzung, auf der sie beruhe,

sey wider die Regeln aller Wahrscheinlichkeit. Freylich

ist die Schäferwelt so ganz ideal und von unsrer Wirklichkeit

verschieden, es herrscht darinnen zu wenig wahre Thätigkeit,

daß sie sich als Drama nicht gut darstellen läßt,

wenn sie nicht mit Musik verbunden ganz ins Lyrische übergeht.

Der Ausdruck idyllisches Drama hat eben so

etwas contrastirendes bey sich, als der: Schäferepopöe.

Unsre altdeutschen Schäferspiele fallen gewöhnlich ins Lächerliche.

Geßners idyllische Dramen, z. B. Erast, werden

auch aufgeführt keine große Wirkung thun. Uebrigens kann

es auch kleine dramatische Stücke geben, deren Gegenstand

aus dem wirklichen ländlichen Leben genommen ist, in

denen das naive herrscht.



Anmerk. 4. Was den Styl und das Metrum

betrifft, die in der Komödie statt haben, so muß man die

oben bemerkten Gattungen des Lustspiels wohl unterscheiden.

Das edle Lustspiel verlangt einen natürlichen

einfachen Styl, da die Regel der Jllusion bey ihm am meisten

zu beobachten ist. Das feinkomische Lustspiel muß

den geselligen Weltton haben. Für beyde schickt sich also

die Prosa am besten, oder ein Metrum, das ihr am nächsten |#f0191 : 667|



kommt. Das satyrische und groteskkomische

Lustspiel, wie auch die Posse, bedarf allerdings der Versifikation,

des Reims, und eines gewähltern Styls, um die

Würde eines Kunstwerks zu behaupten. Man hat für und

wider das versifizirte Drama im allgemeinen gestritten, ohne

allemal jene Gattungen des Lustspiels dabey gehörig zu unterscheiden.

Der Grund gegen die Versification scheint der

schwächste, der daher genommen ist, daß dadurch Jllusion

und Wahrscheinlichkeit gestöhrt werde. Denn man soll bey

dramatischen Werken nie das Bewußtseyn verliehren, daß

das ganze Kunst sey. Auch vereinigen die französischen Lustspiele

die feinsten Wendungen, die größte Leichtigkeit im

Dialog mit der Versification. ─ Uebrigens nimmt das

Lustspiel im Einzelnen noch verschiedene zufällige Formen an.

Es giebt pièces à scenes détachées, scenes à tiroir, d. h.

einzelne Scenen ohne Verbindung zu einem Drama. ─

Drantatische Sprüchwörter ─ Jntermezzos ─ Vorspiele,

Nachspiele ─ Entertainements ─ Farcen.

Jede Nazion hat besondere Nahmen für dergleichen verschiedene

dramatische Lustbarkeiten. Meistentheils sind sie als

Gelegenheitsgedichte zu betrachten, und die Regeln dabey

nicht zu genau zu nehmen. Man kann auch eine Gattung

des Lustspiels annehmen, in welchem das Niedliche

herrscht, dies wäre die Kinderkomödie. Die Demidramas,

welche Scenen aus der Kinderwelt enthalten, z. B. die

Stücke der Frau von Genlis, von Weiße u. s. w.

|#f0192 : 668|



Anmerk. 5. Was die eigentliche Schauspielkunst

betrifft, so gehören die dahin einschlagenden Regeln in die

allgemeine Aesthetik, und insbesondere in einen Theil derselben,

welcher Mimik heißt.



[Abbildung]



IV.



Von der Verbindung der historischen Poesie mit der Musik.



§. 1.



Die Oper ist die dramatische Vorstellung

einer Handlung, bey welcher sich Poesie, Musik

und Schauspielkunst, als Hauptkünste zu

gleichen Rechten verbinden.



Anmerk. Es ist also die Oper ein durchaus musikalisches

Gedicht, wie wir den Begriff oben bey der

Kantate bestimmt haben, auf die historische Poesie angewandt.

Sie unterscheidet sich von der alten Tragödie und

dem Melodram. Denn in diesen beyden ist die Poesie

die Hauptkunst und die Musik unterstützt nur die Recitationen.

Sie soll aber eigentlich auch nicht so wie bis jetzt, der

Musik den Vorrang einräumen, und selbige von der

Poesie nur unterstützen lassen. Kurz bey der Oper, wie

deren ideale Natur nach dem System festgesetzt werden kann,

sind Poesie und Musik Hauptkünste, haben gleiche

Rechte, müssen einander wechselsmeise beschränken.

|#f0193 : 669|



§. 2.



Da die Schauspielkunst mit der Oper verbunden

wird, diese aber wenn auch nicht eine vollkommene

Jllusion, wenigstens einen Grad von Täuschung

und Wahrscheinlichkeit verlangt, so muß der Jnhalt

der eigentlichen Oper so beschaffen seyn, daß man

sich die Theilnahme der Musik als Hauptkunst erklären

könne. Daher sollte der Stoff der wahren

opera seria aus der Wunderwelt genommen seyn.

Mit der opera buffa braucht man es indeß nicht so genau

zu nehmen.



Anmerk. St. Evremond und mehrere Kunstrichter

haben bekanntlich die Oper für eine ganz ungereimte

Erfindung ausgeben wollen. Nach St. Evremond ist die

Oper nichts anders, als ein lustiges Werk, worinnen Dichter

und Tonkünstler sich einander im Wege stehn, und sich

gleich stark bemühn, eine schlechte Arbeit zu Stande zu

bringen. Dieser Kritiker findet es lächerlich, daß man das

ganze Stück absingt, daß man Befehle nach dem Takt giebt

u. s. w. Allein es müssen hier viele Fälle unterschieden

werden. 1) Die Opera seria oder die ernsthafte Oper verlangt

wegen der ernsten Empfindung, die sie in uns erhalten

soll, einen Grad von Wahrscheinlichkeit, und einen

sorgfältigen Plan. Die Musik soll daran als Hauptkunst

Theil nehmen. Sie soll gleichsam der Aether seyn, in |#f0194 : 670|



welchem sich die Personen und ihre Reden bewegen. Dazu

gehört, daß der Stoff aus der Götter=und Fabelzeit, aus

der romantischen Geschichte, aus der Schäfer=und Mährchenwelt

wie bey Gozzi genommen werde, ohnedem ist keine

Jllusion möglich. Jst das Wunderbare einmal als Princip

der Handlung angenommen, so läßt sich auch die beständige

Haupttheilnahme der Musik wahrscheinlich finden. ─

Der Operndichter muß seine Materie so wählen, daß sie auch

ein romantisches Kostüme und Decoration giebt. Nazionen

wie die Spanier, deren Sitten noch viel romantisches haben,

können allerdings Geschichte für die Oper liefern, z. B. Don

Juan. Auch die morgenländischen Sitten und Kostüme

paßt für die Oper, z. B. Azur. Denn es läßt sich ein

Grad von Wunderbaren mit ihnen verbinden. Der Französische

Axur hat durch seinen wunderbaren Prolog einen

Vorzug vor dem Jtalienischen. ─ Nimmt die opera seria

ihren Stoff aus der wirklichen Geschichte, z. B. La Clemenza

di Tito
, so wird die Darstellung schon an Wahrscheinlichkeit

und Ernst verliehren. Man wird nicht selten durch

Unschicklichkeiten gestöhrt werden. Es thut der Componist

alsdann gut, wenn er die Theilnahme der Musik vermindert,

wenn er die historische opera seria mehr den

einfachen Melodramen, den Tragödien der Alten nähert,

wenn er der Poesie den Vorrang läßt und die Musik blos zu

ihrer Unterstützung anbringt. Sonst wird freylich diese

opera seria ein abentheuerliches Kunstwerk, und man wird

es immer wider alle Wahrscheinlichkeit finden, daß ernste

Helden ihre Gedanken in gedehnten Kadenzen und Manieren |#f0195 : 671|



eröffnen. 2) Die opera buffa der Jtaliener hat sonst gewöhnlich

ein sparsam begleitetes Recitativ. Es nähert sich

also den Lustspielen der Alten, wo die Musik zur Unterstützung

der Poesie da war. ─ Szenen aus dem häuslichen

Leben mit Begleitung der Musik, wenn diese hauptsächlich

Theil nehmen soll, ein edles musikalisches Lustspiel wäre

ein Unding, weil im edlen Lustspiel ein Grad von Jllusion

verlangt wird. ─ Allein die opera buffa soll groteskkomisch

seyn, und das groteskkomische bindet sich nicht an die

Regeln der Wahrscheinlichkeit. Vielmehr sollen da recht

auffallende Kontraste statt finden. 3) Unsere deutschen Lustspiele

mit Gesang und Operetten sind ihrer Form nach ganz

unnatürlich, weil man aus der prosaischen Rede in die lyrische

Arie übergehn soll. Sie können nicht vertheidigt werden.





§. 3.



Der ästhetische Jnhalt der Oper ist das romantische

und das groteskkomische. Metrum

und Styl müssen ganz musikalisch, d. h. auf die

Haupttheilnahme der Musik berechnet seyn.



Anmerk. 1. Das Romantische muß in der

opera seria herrschen. Das eigentlich große und erhabene

wird in der Oper nie Glück machen. Aber das

romantische kann bis zum grausenden steigen. Auch

das idyllischschöne ist, insofern es mit dem romantischen

zusammengränzt, Jngredienz zu einer guten Oper. Eine |#f0196 : 672|



unbestimmte lyrische Decoration des Ganzen, wie z. B. in

Erwin und Elmire thut hier gute Wirkung. ─ Eine gewisse

Continuität und ästhetische Einheit im Wechsel dieser

Empfindungen muß immer beobachtet werden. Hier

müssen Musik und Poesie einander ganz in die Hand arbeiten.

So wächst nach und nach im Don Juan von Mozart das

tragische, bis zum Finale des ersten Akts, und die Musik

überhaupt hat selbst bey ihren heitern Momenten einen Anklang

von der Geisterwelt.



Anmerk. 2. Der Operndichter muß also nie ein

Kunstwerk liefern wollen, das auch ohne Musik gefalle.

Sein Styl, sein Metrum muß lediglich mit beständiger

Rücksicht auf die Verbindung mit der Musik ausgearbeitet

seyn. Der Styl der opera seria ist höchst lyrisch, und

auch die opera buffa muß nicht in zu natürlichem prosaischen

Tone geschrieben seyn, denn sie muß doch, wie das groteskkomische

Lustspiel, ihre Würde als Kunstwerk behaupten.



§. 4.



Da der Hauptcharakter der Oper in Darstellung

einer wunderbaren romantischen Welt besteht, so

wird sie bey Decoration des Theaters vorzüglich auf die

Sinne zu wirken suchen, und sich mit allen übrigen

Künsten, mit Tanzkunst, Plastik, Mahlerey

zu dem Ende verbinden. Dieser äußere Glanz

macht die Oper zu dem zusammengesetztesten aller Kunstwerke |#f0197 : 673|



. Doch darf man sie deswegen nicht für das

höchste Kunstwerk halten.



Anmerk. 1. Durch die Zusammenwirkung so vieler

Künste, die, wie Voltaire sagt, de cent plaisirs font un

plaisir unique
, kann zwar ein großer Sinnenrausch bewirkt

werden. Allein eben durch die Menge von zusammenwirkenden

Theilen verliehrt das einzelne an Kraft. Die Gestalt

des Ganzen ist schwerer zu fassen, die ästhetische

Wirkung der Tragödie ist weit größer, die Tragödie selbst

ein weit erhabneres Kunstwerk, als die Oper mit allem ihren

Sinnenreiz. Hierzu kommt, daß je mehr die Oper auf die

Sinnlichkeit Einfluß hat, desto mehr auch die Phantasie

an eigentlicher Freyheit verliehrt. Den moralischen Werth

der Oper schildert Boileau sehr treffend in der zehnten Satyre,

d'un spectacle enchanteur la pompe harmonieuse,

ces danses, ces heros, à voix luxurieuse,

ces discours sur l'amour seul roulants, ces doucereux

Renauds, ces insensés Rolands et tous ces lieux communs

de morale lubrique
, (von Qvinaut) que Lulli

rechauffa des sons de sa musique
. ─



Anmerk. 2. Die Oper erscheint auch zuweilen als

Jntermezzo, wo eine einfache Handlung von wenigen Personen

durchgeführt wird. Vielleicht gab das Jntermezzo

zum ersten Ursprung der Oper Gelegenheit, den man in

Jtalien zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts setzt. Freylich |#f0198 : 674|



ist die italienische Oper, gerade wie die Kantate,

eine in der äußern Gestalt verfehlte Jdee, weil selbst die

Poesie eines Metastasio nicht im Stande war, die Musik in

ihre Schranken zurück zu weisen.



[Abbildung]

|#f0199 : E675|

[Abbildung]


Zweyter Unterabschnitt.


Von der beschreibenden Poesie. ──────



I.



Von der beschreibenden Poesie überhaupt.



§. 1.



Die beschreibende Poesie idealisirt die Objekte, in

sofern sie die Phantasie, das Anschauungsvermögen

besonders beschäftigen. Sie stellt die Theile dar, welche

an einem beharrlichen Ganzen erscheinen.



Anmerk. 1. Die Handlung, welche von der pragmatischen

oder historischen Poesie dargestellt wird, ist zwar

auch ein Ganzes. Allein es ist ein vorübergehendes

Ganzes. Bey der beschreibenden Poesie liegt allemal ein

beharrliches Ganzes zu Grunde, dessen einzelne Erscheinungen

angegeben werden. Die Erscheinungen selbst

brauchen nicht coexistirend zu seyn; sie können auch nach

einander gefunden werden, z. B. Thomsons Jahrszeiten.

Das Ganze ist aber etwas Beharrliches, die Natur.

Die Erscheinungen, mittelst deren ein Gegenstand beschrieben |#f0200 : 676|



wird, können sich auch wie eine Reihe von Ursachen und

Wirkungen entwickeln. Nur muß der Verstand dabey weniger

interessirt werden, als die Phantasie, sonst geht das

Gedicht in ein Lehrgedicht über. Manilii Astronomicon

schwankt zwischen dem beschreibenden und dem Lehrgedicht.

Hallers Gedicht an die Ewigkeit ist ein beschreibendes

Gedicht.



§. 2.



Da der zu beschreibende Gegenstand unter

einer idealen Ansicht, unter der Form des Schönen erscheinen

soll, so müssen nach den oben festgestellten

Grundsätzen, 1) die Theile desselben vor unsern Augen

nach und nach zwanglos vorbeygeführt werden, 2) sie

müssen in einem anschaulichen und lebendigen Licht erscheinen,

3) sie müssen eine begreifliche Totalität bilden,

4) Es muß dadurch ein Gefühl von Harmonie der Objekte

mit unserer inneren Gesetzlichkeit und ein Selbstbewußtseyn

der letztern entstehn.



Anmerk. Die erste Forderung und die dritte sind

die schwersten für den beschreibenden Dichter. Es liegt hier

allemal ein in der Zeit beharrlicher Gegenstand zum Grunde,

von dem eine Ansicht im Ganzen gegeben werden soll. Nun

kann der Dichter nicht anders als successiv die Vorstellungen

aufführen. Es scheint also die Natur einer Beschreibung in

Worten eine große Ordnung zu verlangen, damit man das

Ganze fasse. Gleichwohl soll diese Ordnung zwanglos, |#f0201 : 677|



nicht prosaisch seyn, und ganz zufällig entstehn. Ueberdem

hat der beschreibende Dichter nicht einmal den Vortheil,

welchen der pragmatische hat, daß sich die einzelnen Theile

allemal in einer nothwendigen Verknüpfung von Ursache und

Wirkung befinden. Bey der Handlung weist jedes Glied

der Vorstellungskette auf das vorhergehende zurück, oder

läßt das folgende ahnen. Bey der Beschreibung soll

der Zusammenhang der Theile mehr die Phantasie interessiren,

als den Verstand. Denn die Phantasie ist

von allen Seelenkräften diejenige, welche mit dem wenigsten

Zwange unterhalten seyn will, welche das Mitarbeiten des

Verstandes am wenigsten duldet. Hieraus läßt sich die

Folge ziehen, daß die beschreibenden Gedichte von allen

darstellenden Dichtungsarten die kürzesten seyn und

am meisten lyrisch gehalten seyn müssen. Die beschreibenden

Dichter wählen daher auch Gegenstände, deren einzelne

Theile wieder als kleinere für sich bestehende Ganze angesehn

werden können, wie z. B. Thomsons Jahrszeiten.

Zachariäs Stufen des weiblichen Alters. So wird der

Phantasie die Uebersicht erleichtert.



§. 3.



Die Phantasie hat ihr Jdeal, im vorzüglichen

Sinne dieses Worts, eben so gut, wie die übrigen

drey Seelenkräfte. Da sie ein Streben nach

Anschauung ist, so muß sie bey dem beständigen

Zeitwechsel etwas Beharrliches suchen, das ihr |#f0202 : 678|



Stoff zu beständiger Anschauung liefere. Jhr Jdeal

ist die Vernunftidee der Substanz, als des

bleibenden Substrats aller Anschauung. Die beschreibende

Poesie wird also die Aufmerksamkeit der Phantasie

entweder auf solche Gegenstände richten, unter

welchen sich der menschliche Geist das beharrliche

Prinzip der Dinge vorstellt, und das Absolute in

dem Werden seiner Erscheinung beschreiben, oder

auf solche, welche nur eine Zeitlang subsistiren, und

ein der Substanz analoges kleineres Ganze ausmachen.

Jm ersten Falle wird das Gefühl des höhern

im andern Falle das Gefühl des niedern Schönen

entstehn. Es wird also eine höhere und eine niedere

beschreibende Poesie geben.



[Abbildung]



II.



Von der höhern beschreibenden Poesie.



§. 1.



Das höhere beschreibende Gedicht schildert

die Erscheinungen von Gegenständen, unter denen

sich die Phantasie das beharrliche Prinzip alles

Werdens (die Substanz) vorzustellen sucht.

|#f0203 : 679|



Anmerk. Hallers Gedicht an die Ewigkeit ist

vielleicht die höchste Richtung, welche die Phantasie in diesem

Felde nehmen kann. Haller schildert durch lauter

Negationen, so zu sagen im Schooße des Nichts das

höchste Daseyn. Ueberall sieht man das Streben des Dichters,

das höchste Beharrliche für die Anschauung, die Substanz

darzustellen. „Und wenn ein zweytes Nichts wird

diese Welt begraben, wann von dem Allen selbst nichts bleibet

als die Stelle, wann mancher Himmel noch, von andern

Sternen helle, wird seinen Lauf vollendet haben, wirst du

so jung, als jetzt von deinem Tod gleich weit, gleich ewig

künftig seyn, wie heut. ─ „Wie eine Uhr beseelt durch

ein Gewicht, eilt eine Sonn aus Gottes Kraft bewegt,

Jhr Trieb läuft ab, und eine zweyte schlägt, du aber

bleibst und zählst sie nicht. ─ Thomsons Jahrszeiten

schildern eigentlich nur veränderliche Erscheinungen.

Allein das Beharrliche, was zum Grunde liegt, ist die

Natur. Die Natur ist eigentlich der Gegenstand, den

Thomson beschreibt, und so gehört sein Gedicht zu den höhern

beschreibenden Gedichten, welchen Rang es nächst

seinem Jnnhalte auch durch seinen Styl behauptet. Thomsons

Frühling zeigt den bildenden Einfluß der Natur auf die

leblose Materie, auf die Pflanzen, auf die wilden Thiere,

zuletzt auf den Menschen. Der Sommer beginnt mit einem

Blick auf die Bewegung der himmlischen Körper, als eine

Ursache der Jahreszeiten. Durch alle diese Schilderungen

vergänglicher Erscheinungen bekommen wir ein Gemälde von

der Natur, als beharrlichem productiven Wesen. ─ Es |#f0204 : 680|



ließe sich eine interessante Untersuchung darüber anstellen,

warum die Alten, welche in allen Gatrungen der darstellenden

Poesie, wenigstens im pragmatischen und didaktischen

Gedicht Meisterwerke aufzuweisen haben, die Jdee des

höhern beschreibenden Gedichts nicht gehabt zu haben scheinen,

zumal da ihre Epopöen und andere Gedichte voll Beschreibungen

sind. Das erste Buch des Manilius Sphaera

mundi aut de universitate
gehört am meisten hierher.

Jn den übrigen Büchern ist mehr die astrologische Lehre zu

finden. Das Schild des Achills in Homers Jliade ist

eine Welt im Kleinen. Es erregt aber mehr die Empfindung

des Niedlichen, als ein erhabenes Gefühl. Das

Scutum Herculis ist gar nicht zu erwähnen. Es ist eine

schwache Nachahmung und auch zum Theil historisch.



Anmerk. 2. Es giebt auch kleinere beschreibende

Gedichte über einen Gegenstand, der die Empfindung

des Erhabenen erweckt. Z. B. Opitzens Vesuv, kriegerische

Gemälde u. s. w. Doch auch hier sieht man immer das

Bestreben des Dichters, eine Ansicht von Natur und Welt

im Ganzen zu geben. So beginnt Opitzens Gedicht Vesuvius

folgendermaßen: „Natur von derer Kraft, Luft, Welt

und Himmel sind, des Höchsten Meisterrecht und erstgebornes

Kind, du Schwester aller Zeit, du Mutter dieser Dinge,

o Göttinn gönne mir, daß mein Gemüthe dringe, in

seiner Werke Reich u. s. w.“ ─ Wenn man bedenkt, wie

zufällig die Gedanken eines Dichters entstehn, so ist es die

größte Rechtfertigung einer Theorie, wenn der Gang, den sie |#f0205 : 681|



a priori den Dichterischen Jdeen als nothwendig vorzeichnet,

auch a posteriori von den Dichtern bey der größten Freyheit

ihres Genius, genommen wird. Die Poetik, wenn sie

sich vervollkommnen sollte, wird demnach als die beste Probe

der menschlichen Theorie anzusehn seyn.



§. 2.



Da die Beschreibung dichterisch seyn und von

allem Zwang des Verstandes frey erscheinen muß, so

wird der Dichter den Plan des Ganzen so viel als

möglich verbergen, und bey aller scheinbaren Unordnung

doch eine vollkommne Ansicht des Gegenstandes

geben müssen.



Anmerk. Bey dem beschreibenden Gedichte soll die

Phantasie besonders interessirt werden, welche sehr leicht ermüdet.

Es darf der Dichter deshalb keinesweges mahlen

wollen. Denn was man hinter einander nach und nach sich

vorstellt, kann man sich nicht ohne Zwang und peinliche

Ordnung zu Einem Hauptbilde vereinigt neben einander

denken. Haller beschreibt die Alpenblumen mit der Genauigkeit

des Botanisten, und geht hierinnen über die Gränzen

seiner Kunst heraus. ─ Der beschreibende Dichter muß

Erzählungen, Lehren, Betrachtungen, lyrische Stücke in

seine Beschreibungen als Episoden einmischen. Denn der

Geist wird es satt, immer nur anzuschaun, und in Bildern

sich zu verliehren. Die übrigen Seelenkräfte wollen bey |#f0206 : 682|



einem längern Gedichte auch nicht ganz unbefriedigt seyn.

Aber alle Episoden und Digressionen müssen doch nicht gewaltsam

herbeygezogen, sondern passend seyn, und am Ende

dazu beytragen, die Ansicht des Hauptgegenstandes zu erleichtern.

Auch muß immer Ein Hauptgedanke im

Plane durchgeführt werden, auf welchen der Dichter zurückkehrt.

So ist z. B. in Thomsons Sommer der Hauptgedanke:

Die Beschreibung eines Sommertags. Er beginnt

mit Sonnenaufgang. Hier folgt eine lyrische Hymne an die

Sonne. Weiterhin kommen noch vor als Episoden die Geschichte

von Damon und Musidora ─ eine Lobrede auf

Großbrittannien, und das ganze schließt mit dem Preis der

Philosophie. Alles dieses ist aber so eng in das Gemälde

eines Sommertags verwebt, daß dadurch das an sich todte

Gemälde poetisch lebendig wird. Der beschreibende Dichter

muß also nicht dem Mahler gleichen, und mit ihm wetteifern

wollen. Er muß mehr der empfindende Mensch seyn,

der vor einem Gemälde steht, und seine Gedanken, als

Nebenideen, die dieses Gemälde in ihm veranlaßt, mittheilt.

Durch diese zufälligen Bemerkungen und Ausgüsse von Empfindungen

bey jedem Theile des Gegenstandes, lernen wir

am Ende ohne allen Zwang das Gemälde selbst kennen und

uns vorstellen.



§. 3.



Die herrschende ästhetische Empfindung in dem

höhern beschreibenden Gedicht ist das starke und |#f0207 : 683|



große, welches letztere nach näherer Beschaffenheit

des Gegenstandes entweder die Modification des Prächtigen

oder Glänzenden, oder Schaurigen

annehmen kann. Der Styl muß, wegen der freyeren

Gedankenreihe im Plane sich dem höhern lyrischen

Ausdrucke nähern, aber wegen der zur Beschreibung

erforderlichen Ruhe, mehr edle Hoheit als heftige

Erhabenheit zeigen. Das Metrum wird wegen der

Größe des Gedichts eine gewisse Ausdehnung und Einfachheit

nöthig haben.



Anmerk. 1. Hallers Beschreibung der Ewigkeit ist

durchgängig schaurig. Eine starke Empfindung muß

mit dem Großen verbunden seyn, weil die Anschauung von

etwas Beharrlichen, dessen Wesen man in allen diesen

Erscheinungen fassen soll, ein besonderes Gefühl der concentrirten

und gesammelten Seelenkräfte erfordert. Jn Thomsons

Gedicht ist die herrschende Empfindung das Glänzende,

und für diese Art Gemälde der Natur paßt dies

auch am besten. Denn so erscheint der Gegenstand in einem

hellen Lichte. Der Geist hat eine muntere Stimmung,

dehnt sich weit aus, und umfaßt ohne Anstrengung das

Ganze.



Anmerk. 2. Die beschreibenden Dichter wählen

gewöhnlich die Sylbenmaaße der Epopöe. Kleists Frühling

ist in Hexametern. Thomson hat Jamben. Der Hexameter |#f0208 : 684|



hat den Vorzug, daß er durch seine Mannichfaltigkeit

Gelegenheit giebt die sinnlichen Beschreibungen durch die

Bewegung des Sylbenmaaßes zu unterstützen. Der Jambe

hat den Vorzug, daß er im Ganzen genommen etwas lyrischer

ist, als der Hexameter. Letzterer paßt besser für

Darstellung. Die Darstellungen des beschreibenden

Dichters sollen aber etwas lyrisch seyn. Der Styl soll

zwischen dem epischen und Odentone das Mittel halten,

wie in der Tragödie. Daher sind auch die Jamben gut.

Hallers beschreibende Gedichte sind gereimt. Uebrigens

nimmt das höhere beschreibende Gedicht wohl auch die Liederform

an, und fließt alsdenn gewöhnlich mit der Hymne zusammen.

Z. B. Davids Beschreibungen von Gottes Majestät

im Weltall.



[Abbildung]



III.



Von der niedern beschreibenden Poesie.



§. 1.



Es giebt A) beschreibende Gedichte niederer

Gattung, welche mehr die Ansicht einzelner Gegenstände,

als der Natur oder des absoluten

Werdens
im Ganzen geben, und die Empfindung

des niedern Schönen erwecken.

|#f0209 : 685|



Anmerk. Z. B. die Stufen des weiblichen Alters

von Zachariä ─ das sind Ansichten aus dem menschlichen

und zumal häuslichen Leben, die mehr dazu geeignet sind,

die sanftern Empfindungen zu erregen, als daß sie das

höchste Jdeal für die Phantasie, die Schönheit der Natur

und des Weltalls darstellen sollten.



§. 2.



B) Hierher kann man auch rechnen, das moralische

beschreibende Gedicht
oder die Beschreibung

der menschlichen Sitten. Hiervon

sind besonders zwey Unterarten bekannt, die Jdylle

im engern Sinne und die Satyre im Engern

Sinne, wiewohl noch eine dritte Unterart möglich

ist.



Anmerk. 1. Wir haben gesehn, daß das idyllisch

schöne
und das satyrische bey allen Dichtungsarten

vorkam und dieselbe modifizirte. Dieß gab dann allemal

Jdyllen oder Satyren im weitern Sinne.

Nun giebt es aber auch eine Jdylle und eine Satyre

im engern Sinne, welche eigentlich sichs zum Hauptzweck

machen, die Sitten des Menschen zu schildern. Diese

gehören zur beschreibenden Poesie. Denn die

Phantasie soll eine Ansicht von der menschlichen Lebensart

dadurch bekommen. Die moralische menschliche gesellige

Welt soll dargestellt werden. Nun ist ein dreyfacher Zustand |#f0210 : 686|



des Menschen denkbar in Ansehung seiner Sitten: 1)

der Zustand der rohern Natur, 2) der Zustand der verderbten

Cultur, 3) der Zustand der Religion, die Cultur und

Natur durch den höhern Jnstinct der Liebe vereinigt. Die

Geschichte der Menschheit in den heiligen Büchern zeigt den

Menschen unter diesen drey Ansichten. Die profane Erfahrung

läßt den Menschen nur unter den zwey ersten erscheinen.

Daher haben auch die Dichter gewöhnlich nur die natürlichen

und die cultivirten Sitten des Menschen geschildert, und

man findet nur Jdyllen oder Satyren. Doch kann

sich auch der Dichter religiöse Sitten des Menschen denken,

wie in den ersten Zeiten des Christenthums. Man

sieht also, daß dies System der Poetik auch im Stande ist,

neue Unterarten der Dichtungskunst vorauszusagen, wie

wir anderswo behaupteten. Etwas ähnliches ahnte schon

der tiefe Blick Schillers, indem dieser große philosophische

Dichter eine Vernunftidylle postulirte. Der Ausdruck

ist freylich nicht recht gut gewählt. Denn Vernunft

wird gewöhnlich der Natur ganz entgegengesetzt.

Allein wenn die Vernunft zum Triebe wird, heißt sie

Religion, und es ist alsdann eine religiöse Jdylle

möglich. Das moralische beschreibende Gedicht

gehört zur niedern beschreibenden Poesie. Denn die Sitten

des Naturstandes erwecken die Empfindung des naiven,

die Sitten der Bürgerwelt erwecken den Spott der freyern

Geister, also das Gefühl des Satyrischen. Beydes sind

Empfindungen des niedern Schönen. Ueberdem ist das

menschliche Leben das hier beschrieben wird, für die Anschauung |#f0211 : 687|



der Phantasie zu wenig, um als Jdeal die

Phantasie zu füllen. Also auch aus diesem Grunde gehört

das moralische beschreibende Gedicht zu der niedern

beschreibenden Poesie. Nur allein die postulirte religiöse

Jdylle konnte vielleicht zum höhern beschreibenden Gedicht

gerechnet werden. Denn die religiöse Welt wäre

für die Phantasie bedeutend genug, um sich darunter das

beharrliche Jdeal der Anschauung vorzustellen, und die Empfindung

des erhabenen würde dadurch auch bewirkt werden.

Die Szene des letzten Abendmahls Christi gäbe, z. B. Stoff

zu so einer religiösen Jdylle. Klopstocks Gedicht nähert

sich zuweilen dieser postulirten Dichtart.



§. 3.



Die Jdylle im Engern Sinne ist ein Gedicht der

niedern beschreibenden Poesie, (eine Unterart der moralischen

beschreibenden Dichtungsart) wodurch die Sitten

des Menschen, von Seiten ihrer lebendigen unbefangenen

Schönheit, also vorzüglich im Naturstande

und Landleben für die Phantasie anschaulich dargestellt

werden.



Anmerk. 1. Der Gegenstand ist also eine Ansicht

des noch nicht cultivirten oder ländlichen Lebens. Der

Ausdruck Schäfer= und Hirtengedicht ist freylich etwas

eng. Denn Adam und Eva könnten füglich auch im

Paradiese schon geschildert, Personen einer Jdylle seyn. |#f0212 : 688|



Ueberdem giebt es Fischeridyllen, schon beym Theokrit

(Jdyll. 21.) auch Deutsche von Brouner, Schnittergesänge

(λυτιερσης) auch von Voß und Hölty ─ Winzerlieder u.

s. w. Vossens Louise hat zum Gegenstand die Familie eines

Landgeistlichen. Die Benennung der Alten war noch eingeschränkter.

Sie nannten die Jdylle carmen bucolicum

απο των βουκολων
, weil diese Gattung von Hirten

die wichtigste und angesehenste war. Der Jdyllenton ist gewiß

auch der älteste in der Poesie, weil die Poesie mit Nachahmung

begann, und die ländlichen Sitten der erste Gegenstand

der Nachahmung waren. Ohne Zweifel waren also

die Hirten in Arkadien und Sizilien die Erfinder, da sie am

meisten Muße hatten. Die Fabel hat uns sogar Nahmen

solcher alten bukolischen Dichter als Helden des bukolischen

Gesangs aufbehalten. Daphnis (siehe Virgils 5 Eccloge)

ist für die Jdyllendichter, was Orpheus für die

Odendichter war. Dieser Daphnis, einer von denen welche

sich βωκολιαϛαι nannten, soll ein Sohn des Merkurs und

einer Nymphe gewesen seyn. Sein Tod wurde in den bukolischen

Gesängen besonders gefeyert. Hierher gehört auch

Silen, der Cyclop und andre fabelhafte Personen. Das

musikalische Jnstrument, womit diese Art Lieder begleitet

wurden, war die σιριγξ oder fistula, der Erfinder

Pan. Es waren diese Gesänge zum Theil πορευτικα, welche

die Hirten beym Fortziehen der Heerden sangen, z. B.

die ὁδοιποροι (Theocr. I. 5.). Späterhin mögen die Hirtengedichte

bey den Festen der ländlichen Gottheiten gesungen

worden seyn. ─ Stesichorus, Theokrit und andere gaben dem |#f0213 : 689|



Hirtengedichte die erste gebildete Gestalt. Der Ausdruck

ειδυλλιον paßt am besten, das Wesen des Hirtengedichts

als einer Beschreibung, einer kleinen Schilderung anzudeuten.

Eclogae hießen hernach besonders ausgewählte

Stücke. ─ Theokrit hat nicht alle Gegenstände zu seinen

Jdyllen aus dem ländlichen Leben genommen. Oft behandelt

er auch andre Stoffe im naiven Jdyllenton, z. B.

die Hymenäen des Menelaus und der Helena ─ die Pharmaceutria

u. s. w. Auch Virgil hat bürgerliche Menschen

und Verhältnisse durch die Jdylle gleichsam allegorisch behandelt,

z. B. Pollio, dem Pope seinen Messias nachgebildet

hat. Einige Kunstrichter behaupten, der Jdyllendichter

müsse blos das Glück des ländlichen Lebens, das goldene

Zeitalter und die guten Sitten der Landleute herausheben.

Allein auch hieran haben sich die Dichter nie gebunden. Theokrits,

Virgils Hirten sind zuweilen in ihren Aeußerungen

roh und zänkisch. Geßners Jdyllische Personen werden auch

wohl im Unglück geschildert. ─ Die Jdylle, wie die

Griechen das Wesen derselben auffaßten, soll gerade nicht

lehren, oder gewisse Sitten empfehlen, sondern ein anschauliches

Gemälde für die Phantasie seyn, von

der muntern sichtbaren Natur. Jn diesem Sinne ist Theokrits

sechste Jdylle das schönste Muster. ─ Die Galatee,

welche den Polyphem mit Aepfeln wirft, der am Strande

sitzt und die Flöte spielt. ─ Aber er bemerkt es nicht ─

dann wirft sie den Hund, dieser bellt und sieht ins Meer

u. s. w. Geßners Jdyllen enthalten oft mehr die Sehnsucht

eines Städters nach einer idealen verfeinerten Natur, |#f0214 : 690|



als die Schilderung der lebendigen Natur selbst. Sie nähern

sich schon der dritten Gattung des moralischen beschreibenden

Gedichts, nämlich, der, wo eine gewisse Cultur

der Seele mit dem Naturstande vereinigt gedacht wird. ─

Theokrit hat also mehr Reiz und Leben, Geßner höhere

geistige Schönheit. Voß und Göthe (in Hermann und Dorothea)

stehn zwischen beyden in der Mitte. Die Menschen,

die von diesen Dichtern geschildert werden, sind schon in bürgerlichen

Verhältnissen. Es wird aber von diesen bürgerlichen

Verhältnissen durch die Jdylle als beschreibendes

Gedicht
die lebendigste anschaulichste Ansicht für die

Phantasie aufgefaßt. Da die Phantasie unter allen

Seelenkräften die unbefangenste ist, und ihr das Anschaun

und Verwundern (θαυμαζειν) zukommt, so wird jedes beschreibende

Gedicht dieser Art, selbst bey einem nicht ländlichen

Gegenstande, den naiven Ton haben, und sich der

ländlichen Jdylle nähern. Aus diesem allen sieht man, wie

sich nach und nach das Wesen der Jdylle immer bestimmter

organisirt hat. Deswegen haben wir die Definition

der Jdylle im eigentlichsten Sinne nicht blos auf Darstellung

des Landlebens eingeschränkt, sondern ihren objektiven

Zweck dahin bestimmt, die Sitten des Menschen von

Seiten ihrer unbefangenen und lebendigen Schönheit,

den sichtbaren Reiz des Lebens für die Phantasie

zu beschreiben.



Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt der

Jdylle, die herrschende Empfindung ist das Naive, und |#f0215 : 691|



weil auch die Schönheit der menschlichen Sitten lebendig dargestellt

wird, die Grazie. Alle andern Gefühle müssen sich

hiernach modifiziren. Das eigentlich lächerliche und satyrische,

was eine heftige bittere Empfindung giebt, muß als

Contrast, vermieden werden. Vossens Jdyllen, in denen

zuweilen das unterdrückte Leben des Bauernstandes dargestellt

wird, geben dann eine bittere Gemüthsstimmung, welche

dem Wesen der Jdylle zuwider ist. Das Leben des

Menschen soll nicht in der Unterdrückung, es soll in seiner vollen

freyen schönen Thätigkeit aufgefaßt werden. ─ Das

Naive die herrschende Tonart ist das Bewußtseyn des instinktmäßigen

Daseyns von seiner Gesetzlichkeit. Es ist also

auch eine bürgerliche Naivität möglich, z. B. wenn

der Bürger bey seinem Erwerb, Handel und Wandel sich

einer gewissen Würde bewußt wird. Von dieser Seite schildert

Göthe zuweilen sehr glücklich den Bürgerstand idyllisch.

Tragische Empfindungen, Klagen über den

Tod eines geliebten Menschen, z. B. des Adonis, des Dafnis,

können auch in der Jdylle statt finden. Nur muß

auch hier der Schmerz mehr von der sichtbaren lebendigen,

naiven Seite gezeigt werden. Der Mensch muß dem Unglück

nicht unterliegen, sondern es muß sich das Leben im

Selbstbewußseyn seiner Schönheit mit unschuldigem Muth,

mit einer gewissen Besonnenheit über die traurige Lage erheben.

Auch hiervon giebt Hermann und Dorothea das beste

Beyspiel. ─ Die 23. Jdylle des Theokrit, wo sich ein

unglücklicher Liebhaber erhenkt, die von Lafontaine und andern

unter dem Nahmen Alcimadure nachgeahmt worden ist, |#f0216 : 692|



ist ein Mißgriff und contrastirt mit dem eigentlichen Wesen

dieser Dichtungsart. So wie die Alten zuweilen das

Wunderbare in ihre Jdylle aufnahmen, so haben neuere

Nazionen das romantische und galante hineingelegt,

besonders die Spanier, Jtaliener, Franzosen. Dies ist der

Charakter der Schäferromane von Cervantes, Florian u. s. w.

Schon in Moschus und Bion ist eine Spur hiervon.



Anmerk. 3. Der Styl der Jdylle muß einfach

seyn, ohne alle Figuren und Metaphern. Denn der

Gegenstand im Ganzen ist schon Gemälde. Die Phantasie

würde bey einem zu lyrischen Styl ermüden. Auch

paßt der einfache Styl am besten für den gewöhnlichen

Stoff dieser Dichtungsart. Hallers Alpen sind mehr

Jdylle als erhabenes beschreibendes Gedicht. Der Styl ist

aber etwas zu bunt. Eben so ist Popes Styl, zuweilen

selbst Geßners Ausdruck nicht einfach genug. Das Metrum

der Jdylle muß für sinnliche Beschreibungen

passen. Daher die Alten und auch die meisten Neuern den

Hexameter hier gewählt haben. Der Reim scheint am

wenigsten hier anwendbar zu seyn, wenn die Jdylle nicht die

Form des Liedes hat. Geßners Prosa ist besser, für

Geßners Manier, als die Hexameter, zu welchen Ramler

sie unformte.



Anmerk. 4. Die Jdylle nimmt verschiedene zufällige

Formen an. Die dramatisirende, die Erzählung,

die Ledersorm. Es giebt sogar Schäferromane, Schäferepopöen |#f0217 : 693|



, Schäferschauspiele. ─ Man muß auch hier bey

der Benennung und Classification des Gedichts auf den

Hauptzweck des Dichters sehn. Jst der Hauptzweck des

Gedichts Beschreibung, Schilderung der Sitten,

so mag die Form immer Erzählung seyn, es bleibt doch eine

Jdylle im Engern Sinne. Jst aber der Hauptzweck

des Gedichts, das Hauptinteresse auf die Handlung gerichtet,

so sage man lieber, es ist ein idyllisches erzählendes

Gedicht. So hat z. B. Vossens Louise mehr den

Zweck, naive Sitten darzustellen und zu beschreiben, als

durch die Handlung zu interessiren. Mithin ist das Gedicht

Jdylle im Engern Sinne. Hermann und Dorothea ist

schon mehr Erzählung idyllischer Art, denn hier hat

die Handlung mehr Jnteresse. ─ Einige Formen scheinen

für die Jdylle nicht sehr zu passen. Schäferroman,

z. B. die ländlichen Jdeen werden darinn über die Gebühr

ausgedehnt. Es ist in den Charakteren, in den Verhältnissen

zu viel Einfachheit, als daß ein solcher Roman nicht

langweilig werden sollte. ─ Eben so ist Schäferepopöe

eine etwas unbehülfliche Form, so schön auch zum

Theil Geßners Tod Abels ist. Die Jdylle im Engern

Sinn wirkt am besten als ein Miniaturgemälde, als eine

flüchtige Ansicht, als eine einzelne Szene. Auch hierüber

giebt uns schon der Nahme den besten Aufschluß. ─

Gleichwohl haben alle neuere Nazionen die Jdylle in dergleichen

unbehülflichen Formen. Es giebt auch französische

Schäferepopöen. Doch da Epopöe eigentlich eine

Erzählung erhabner Art bedeutet, so sollte man die |#f0218 : 694|



größere Jdylle dieser Art lieber zu den schönen Erzählungen,

als zu den Heldengedichten rechnen. ─ Virgils

Georgica haben den Endzweck zu lehren. Es ist also

hier ursprünglich ein didaktisches Gedicht, jedoch in

idyllischer Form ─ keine Jdylle im Engern Sinn.



§. 4.



Die Satyre im Engern Sinn ist ein Gedicht

der niedern beschreibenden Poesie (eine Untergattung

des moralisch beschreibenden Gedichts) in welchem

die Sitten des Menschen im Zustande der cultivirten

Verderbniß von ihrer lächerlichen Seite für

die Phantasie anschaulich dargestellt werden.



Anmerk. 1. Da man bisher keine Theorie hatte,

so konnte man auch die Beziehungen der einzelnen Dichtungsarten

auf einander nicht gehörig bemerken. Man trug

die Theorie der Satyre und der Jdylle einzeln vor, und bedachte

nicht, daß beyde eigentlich zu derselben Gattung, dem

moralischen beschreibenden Gedicht, gehörten. Gleichwohl

wird dadurch die Uebersicht erleichtert. Die Analogie, die

zwischen der Jdylle im Engern Sinn und der Satyre

herrscht, ist ganz klar. Der objektive Jnhalt der

Satyre ist also die Sitte des Menschen im Zustande der

Verfeinerung, welche in der Gesellschaft bis zur lächerlichen

Karrikatur steigt, und in der äußern Gestalt viele contrastirende

Züge hat, weil die Cultur den Jnstinct umsonst

bemänteln will. Bey den Griechen war die |#f0219 : 695|



Satyre, wie wir schon erwähnt haben, mit dem

alten Schauspiel verbunden. Jhr satyrischer Chor bestand

aus jungen Satyrn, welche scherzten, und alten Satyrn,

die im ernstern Tone sprachen. Die Satyre stand in der

Mitte zwischen Komödie und Tragödie. Schon die Römer

unterschieden die Satura von der dramatischen Form. Einige

haben den Ursprung des Nahmens Satyre daher von

den Römern ganz herleiten wollen. Ennius habe zuerst

Saturas geschrieben, mehr zum Lesen, als zum Aufführen,

wiewohl noch in dramatischer Form, ein Gemisch

verschiedenen Jnnhalts. Der Ausdruck Satura bey den

Römern mag nun wie einige wollen a lance, vel lege

oder von den Satyris kommen, dramatischen Personen, qui

cum lance prodibant et canistellis pomorum omni genere

plenis, quibus Nymphas allicerent
. Dem sey,

wie ihm wolle, so bestand die älteste Satyre der Römer,

wie Diomedes sagt, ex variis poematibus und war mit

den Saturninischen Versen, mit der fescennina locutione

in Verbindung. ─ Beym Terentius Varro findet man

Saturas Menippeas in Jamben. ─ Doch hat er auch

ein Gemisch von Prosa und Versen (wie nachher Seneca und

Petronius). Lucilius wählt für die Satyre gleichförmige

Sylbenmaaße. Bey ihm ward die Satyre schon mehr ein

poetisches Ganzes. Es war die Satyre ein genus διηγηματικον

und kam dem beschreibenden Gedicht näher. ─



Anmerk. 2. Der Plan der Satyre als beschreibendes

Gedicht setzt einen gewissen einfachen Hauptgedanken |#f0220 : 696|



voraus, um den sich das Gedicht dreht. Es muß also,

da Thorheit und Laster bey den Menschen so viele Seiten

hat, eine Ansicht besonders herausgehoben werden. So ist

z. B. die zehnte Satyre des Boileau gegen die Weiber

gerichtet. Der Plan, die objektive Gedankenreihe, bekommt

auch durch die besondre Form, welche der Dichter wählt,

eine nähere Bestimmung. Oft ists eine Erzählung, oft

läßt der Dichter eine fingirte Person sprechen, z. B. Boileaus

erste Satyre Damon, ce grand Auteur u. s. w.

Oder der Dichter unterhält sich mit noch einer Person, wie

Horaz mit dem Trebatius. ─ Jmmer muß aber bey der

Reichhaltigkeit des Gegenstandes eine gewisse besondere Gattung

von Thorheiten nach ihrer lächerlichen Außenseite beschrieben

werden. Die Uebergänge und Jdeenassoziationen

haben eine vollkommne lyrische Freyheit wie bey der Jdylle,

und überhaupt beym beschreibenden Gedicht, damit die

Phantasie nicht durch eine zu peinliche Ordnung ermüdet

werde.



Anmerk. 3. Der ästhetische Hauptinhalt ist

das Lächerliche, darnach modifizirt sich das übrige. Sogar

das höhere Schöne, das Heftige kann statt finden,

wie in der juvenalischen Satyre. Man kann daher zwey

Gattungen von Satyren annehmen, 1) die heftige leidenschaftliche,

bittere Satyre, wie die des Juvenal und

Persius; man muß sie aber nicht die ernsthafte nennen,

wie einige Theoretiker thun. Denn das Lächerliche ist

auch im Juvenal herrschend. Eine sogenannte ernsthafte |#f0221 : 697|



Satyre wäre vielmehr ein didaktisches Gedicht. 2) Die

scherzhafte Satyre im leichten Weltton, von der Horaz

und Boilean die besten Beyspiele geben. Jn der ersten Gattung

ist der Wechsel der Empfindungen natürlich lyrischer

als in der andern, der Dichter ist höher gestimmt. Die andre

hat mehr den Ton der geselligen Unterhaltung und den Lehrton.

Die Schilderung der verdorbenen Sitten darf aber

nicht bis ins ekelhafte gehn, weil dadurch der ästhetische

Genuß gestöhrt wird. Juvenal geht hierinnen nicht selten

zu weit, und Horaz hält sich nur eben an der Gränze,

überschreitet sie auch zuweilen, z. B. (L. I. Sat. 5.)



Anmerk. 4. Der Styl der Satyre kann bunt

und mannichfaltig seyn, und läßt die größte Freyheit zu.

Die heftige Satyre verlangt mehr figurirten lyrischen

Ausdruck und Gedrängtheit der Bilder. Juvenal ist hier

Muster. Die scherzhafte Satyre hat weniger poetischen

Styl nöthig. Es gleicht ihr Ton der vertraulichen Unterhaltung.

Die erste Gattung nähert sich der Ode, die andre

der poetischen Epistel. ─ Leichtigkeit, Urbanität,

Jronie, ist die vorzüglichste Tugend der scherzhaften Satyre.

Horaz ist zuweilen zu schwer. Das Metrum ist so mannichfaltig,

als die Einkleidung. ─ Die Alten, wie wir

gesehen haben, hatten Jamben, Hexameter, ließen

Prosa abwechseln. Lucian ist ganz in Prosa, ungeachtet

er viel ästhetische Darstellung hat. ─ Die Neuern haben

die Alexandriner und kürzere Verse. ─ Swifts, Rabners

Satyren sind in Prosa.

|#f0222 : 698|



Anmerk. 5. Die Satyre nimmt beynahe aus

allen möglichen Dichtungsarten willkührliche Formen an.

Jndessen muß man auf den Hauptzweck des Dichters sehn.

A potiori fit denominatio. Jst die Hauptabsicht, ein

anschauliches Gemälde der verdorbenen menschlichen Sitten

zu entwerfen, welches die Phantasie durch sein lächerliches

Aeußeres unterhalte, so kann man das Gedicht immer eine

Satyre im Engern Sinne nennen, die Einkleidung

mag übrigens seyn, welche sie wolle, Erzählung, Drama,

Lied u. s. w. Jst aber das Hauptinteresse nicht auf Beschreibung,

sondern auf Handlung gerichtet, soll

irgend eine andre Seelenkraft außer der Phantasie, unterhalten

werden, so bekommt das Gedicht einen andern

Hauptnahmen, und das Wort satyrische muß blos als

Beywort stehn, um die Modification auszudrücken, z. B.

satyrisches Lustspiel, satyrische Erzählung. ─ Jn

der gewöhnlichsten Form hat der Ton der Satyre im Engern

Sinne am meisten Aehnlichkeit mit dem Lehrton.

Allein die Satyre ist beschreibend, schildert das Lächerliche,

und daß sie dadurch belehrt, ist erst eine spätere

Folge. ─ Das Sinngedicht, von dem wir bey der didaktischen

Dichtart reden werden, weil es den Verstand

besonders interessirt, ist oft mit der Satyre ganz verwandt.

Jndessen bleibt der witzige Einfall, der dem

Verstand gefällt, immer die Hauptsache. Also ist das Epigramm

dieser Art zu den didaktischen Arten zu zählen,

und das satyrische davon ist nur eine Modification. ─

Die Parodie und die Travestirung (den Unterschied |#f0223 : 699|



haben wir schon oben bestimmt) sind auch besondere Formen

der Satyre. Die Parodie bey den Alten soll davon den

Nahmen haben, daß man wenn die Rhapsoden ihre Declamationen

schlossen, zur Erholung, scherzhafte Anspielungen

dazwischen gesungen. Hegemon bey den Atheniensern hat

durch eine Gigantomachie besonders die dramatischen

Parodieen in Aufnahme gebracht. Aus dem Hipponax hat

man Fragmente, woraus man sieht, daß er Homerische Verse

gegen seine Feinde herumgedreht hat. Er mag also die

epische Parodie aufgebracht haben. Bey den Neuern haben

Scarron und Blumauer den Virgil, Marivaux und andere

den Homer travestirt. Man hat eine travestirte Henriade

u. s. w. Die sogenannten Sillen der Griechen und

die Centonen, welche wir schon oben erwähnt haben, oder

Fragmente von Versen, die zu einem neuern Sinne verbunden

werden, sind auch mit den Parodieen verwandt. Die

Boutrimes haben auch zuweilen eine Aehnlichkeit mit dieser

Dichtart.



§. 5.



Zu der beschreibenden Poesie niederer Gattung

kann man endlich auch die Aufschriften rechnen

(Epigrammen im ältesten Sinne des Worts)

oder die kurzen Verse, welche die Bestimmung irgend

eines Gegenstandes angeben, und das Wesen desselben

erklären.

|#f0224 : 700|



Anmerk. 1. Hier erscheint die Poesie, als Nebenkunst,

welche andre Künste unterstützt. Auf die Tempel

der Alten, in ihre Haine, an Bildsäulen, Monumente wurden

Jnschriften gesetzt, welche gewöhnlich ganz beschreibend

waren. Die Aufschriften sind also ihrem Wesen

nach von dem eigentlichen Sinngedicht ganz unterschieden.

Die Aufschriften der Alten waren gemeiniglich kleine

Gemälde des Gegenstandes für die Phantasie, späterhin nahmen

sie freylich auch die Form des Sinngedichts an, das

mehr für den Verstand ist. Folgende Aufschrift aus den

sogenannten homerischen Epigrammen, die in der Anthologie

dem Cleobulus zugeschrieben wird, ist offenbar ein beschreibendes

Gedicht, weil es die Phantasie vorzüglich beschäftigt.

„Seht, ein Mädchen von Erz, bewach ich den Hügel des

Midas, Und so lange der Quell wird rinnen, grünen des

Waldes Wipfel, sich füllen der Fluß, laut rauschen das

wogige Weltmeer, glänzend steigen die Sonn und lieblich

leuchten der Vollmond, werd ich lehnen hier an der vielumweineten

Urne, Und dem Wandrer der Fremde verkünden

das Grab des Midas.“ ─ Hier ist zwar auch eine Erwartung

erregt und eine Auflösung gegeben. Der Verstand

hat aber weniger Jnteresse dabey, als die Einbildungskraft.

Das Ganze ist ein Bild, eine Beschreibung. Man setze

den Fall, auf einer Bildsäule, welche die Victoria mit gebundenen

Flügeln vorstellte, hätte man folgendes Epigramm

gesunden: ρωμη παμβασιλεια τεον κλεος ὁυποτ' ὀλειται

─ νικη γαρ σε φυγειν ἀπτερος ὀυ δυναται, so ist das

auch eine bloße Beschreibung für die Phantasie, welche den |#f0225 : 701|



Sinn der Bildsäule erläutert. Es ist aber zugleich auch ein

witziger Einfall, ein Verstandesspiel. Hier geht also das

Epigramm ins eigentliche Sinngedicht über, welches

wir als eine Unterhaltung des Verstandes zu den didaktischen

Dichtungsarten rechnen.



Anmerk. 2. Man kann noch viele sogenannte

lyrische Gedichte von dem Tadel der Unvollkommenheit

retten, wenn man sie zu den kleinern beschreibenden Gedichten

rechnet, welche die Liederform haben. Der Dichter

kann z. B. wie oft Mathisson eine Landschaft beschreiben,

wenn er nur als Dichter mahlt und nicht mit dem Mahler

im eigentlichsten Sinne des Worts wetteifern will, so wird

man das Gedicht mit Vergnügen lesen.

|#f0226 : E702|

[Abbildung]


Dritter Unterabschnitt.


Von der didaktischen Poesie. ──────



I.



Von der didaktischen Poesie überhaupt.



§. 1.



Die didaktische Poesie (im weitsten Sinne des

Worts) idealisirt Gegenstände, die den Verstand

und das Vermögen zu begreifen, besonders beschäftigen.

Sie stellt Allgemeinbegriffe in ihrer

Verbindung dar.



Anmerk. Weil Allgemeinbegriffe eine Menge

Fälle unter sich enthalten, worauf sie der Verstand anwenden

kann, so nennt man sie auch Lehren. Diese Lehren

sind entweder theoretisch oder praktisch. Die

praktischen, sagen uns, was in gewissen Fällen gethan

werden soll, und sind entweder kategorische oder

technische Jmperative. Die erstern sind allgemeine

moralische Vorschriften,
die letztern sind Regeln.

|#f0227 : 703|



§. 2.



Da die Allgemeinbegriffe und Lehren,

welche die didaktische Poesie darstellt, in einem idealen

Lichte erscheinen sollen, so müssen sie nach den oben aufgestellten

Grundsätzen 1) ohne Zwang des Verstandes,

nicht synthetisch, wie ein vollendetes System, sondern

analytisch, wie eine erst werdende Abstraction, in der

Seele des Dichters entstehn, 2) sie müssen anschaulich,

sinnlich, lebhaft, mit steter Rücksicht auf einzelne

Fälle und Gefühle vorgetragen werden, 3) sie müssen

eine begreifliche Totalität darstellen, 4) sie müssen ein

Gefühl von Harmonie des subjektiven und objektiven,

ein Gefühl der Wahrheit in uns erwecken.



Anmerk. Mehrere alte Kunstrichter haben den

Hesiodus und Theognis blos unter die Versificateure gesetzt.

Empedocles, der seine Grundsätze der Physik in Verse brachte,

wird von den meisten nur als Naturkundiger aufgeführt.

Plutarchus de audiendis poetis nennt den Empedocles

Verfasser eines Werks in Versen, keines Gedichts. Eben

so urtheilt er von Nicander, Parmenides und andern. Der

Kunstrichter mag hier eben so geirrt haben, wie der Dichter.

Er meynt, zum Begriff der Poesie sey eine fabelhafte Erfindung

unumgänglich nothwendig. Aber hierinnen fehlt

er. Alles was Jdeal ist, ist Gegenstand der Poesie.

Jedes System der Wahrheit ist in seinen höchsten Regionen |#f0228 : 704|



poetisch. Also muß es Lehrdichter geben. Der

Verstand, der die Totalität des Daseyns zu umfassen sucht,

muß sich ebenfalls zu idealisiren streben. Quinctilian scheint

den Lehrdichtern, besonders dem Lucretins auch nicht sehr

hold zu seyn. Allein daß die Hauptidee von Lucrez poetisch

sey, zeigt schon der Anfang, der Anruf an die Venus,

deren Zauberkraft das All der Dinge erhält, und die

hohe Begeisterung, mit welcher er von der Weisheit, von

der Erkenntniß der Weltursachen, u. s. w. spricht. Wenn

so ein großer Dichter, wie Lucrez, vom Empedocles sagt,

vt vix humana videatur stirpe creatus, wenn er ihn

sich zum Vorbild wählt, so kann auch Empedocles kein

bloßer Versificateur gewesen seyn. ─ Vom Aratus sagt

Quinctilian, seine Materie sey ohne Jnteresse (sine motu).

Cicero, der jenen Dichter übersetzte, lobt dessen Verse, (eum

ornatissimis atque optimis versibus scripsisse
.) ─

Ovid, der in seinen Gedichten fast vor allen Dichtern Verbeugungen

macht, hält das erhabene Gedicht des Lucretius

so unvergänglich, wie die Welt. Jndeß begeht freylich Lucretius

in einzelnen Stellen den Fehler, daß er seine Wahrheiten

mehr synthetisch und abstract, als analytisch vorträgt,

und zu wenig auf Anschaulichkeit und Styl Rücksicht nimmt.

─ Aus den im §. aufgestellten Grundsätzen erhellt auch,

daß Heyne sich nicht ganz richtig ausdrückt, wann er in seinem

Prooemium ad Georgica sagt: summa vis carminis

didactici in ornatu posita videtur
. Freylich rechnet

er hernach zum ornatus fast die ganze Behandlung des

Themas. Allein man könnte dieses den Worten nach doch |#f0229 : 705|



so verstehn, als ob das ganze poetische Wesen des didaktischen

Gedichts nur im Styl läge, und dieser Jrrthum

ist nicht viel besser, wie jener der alten Kritiker, welche

dasselbe in die Versification setzen. Ungeachtet der

Gegenstand des Lehrgedichts aus abstracten Wahrheiten

besteht, so ist er doch schon an sich eben so poetisch,

als wenn er eine Handlung, eine Empfindung wäre.

Denn diese abstracten Wahrheiten haben, zumal beym höhern

Lehrgedicht, den genauesten Zusammenhang mit der Bestimmung

des Menschen, mit allem, was ihm theuer und heilig

ist. Kein wahrhaft großer Philosoph hat ohne Gefühl geschrieben,

dies beweisen Plato, Spinoza und Leibnitz. Freylich

muß aber der Lehrdichter sein System von der poetischen

Seite darzustellen wissen. Diese Darstellung besteht nun

nicht in einem überflüssigen ornatus, sondern in der Art,

wie die Seele ihre abstracten Jdeen auffindet, an einander

reiht, mit ihren Empfindungen und Phantasieen in

Verbindungen bringt. Der Lehrdichter muß sich als ein

leidenschaftlicher oder zufälliger Erfinder zeigen, der das

System wie aus Nichts, vor unsern Augen entstehen läßt,

doch muß er es nicht aus Grundsätzen förmlich deduciren wollen.

Der Apfel des Newton, das Blatt, welches Leibnitz

findet, aus dem er das principium indiscernibilium

herleitet, gehört ganz eigentlich in das Lehrgedicht. ─

Hierdurch wird auch am meisten das andere Haupterforderniß,

daß alles, wie Heyne sagt, ad vivum repräsentirt

seyn muß, bewirkt. Denn die Erfinder gehn allemal vom

Anschaulichen aus.

|#f0230 : 706|



§. 3.



Das Jdeal des Verstandes, als einer ursprünglichen

Seelenkraft, ist ein durchaus begreifliches

Weltsystem. Er muß dahin streben die Vernunftidee

der Totalität zu realisiren. Die didaktische

Poesie wird also, um den Verstand zu interessiren,

in ihrer höchsten Richtung die allgemeinsten

Wahrheiten darzustellen suchen, welche den Weltlauf

im Ganzen erklären, oder wenigstens sich auf Erklärung

desselben beziehn. Sie wird sich das Absolute

als allumfassend und allbegreifend vorzustellen

suchen, wobey das Gefühl des höhern Schönen

entstehn muß. Nächstdem wird die didaktische

Poesie
auch andre Begriffe und Systeme

von Begriffen zu ihrem Gegenstande wählen, welche

den höchsten Begriffen nur analog sind, welche

eine engere Sphäre von Erfahrungen umfassen, und

auch dadurch wird ein Lehrgedicht den Verstand interessiren,

indem es sein Begriffsvermögen in Ansehung

minder wichtiger Objekte unter der Form der

Schönheit darstellt. Hier wird vorzüglich das Gefühl

des niedern Schönen entstehn. Es giebt also

eine höhere und eine niedere didactische Poesie.

|#f0231 : 707|



[Abbildung]



II.



Von der höhern didaktischen Poesie.



§. 1.



Das höhere Lehrgedicht stellt den Verstand

in Aufsuchung der allgemeinsten Prinzipien dar, durch

welche Welt und Daseyn überhaupt als ein Ganzes

begreiflich wird.



Anmerk. 1. Da die Philosophie sich besonders

mit Nachdenken über den letzten Grund und Zusammenhang

aller Dinge beschäftigt, so nennt man das höhere

Lehrgedicht zuweilen auch das philosophische. Allerdings

wird hier von den Dichtern gewöhnlich irgend ein metaphysisches

System dargestellt, z. B. von Lukrez, das

atomistische, von Pope (essai on Man) der Optimism.

─ Jndessen kann der Gesichtspunkt auch moralisch und

religiös seyn. Z. B. Louis Racine la Religion, ─

Voltaire la Religion naturelle
. Man muß also Philosophie

hier im weitsten Sinne des Worts nehmen.



Anmerk. 2. Nicht immer sucht die höhere didaktische

Poesie ein vollkommnes System über die Welt

darzustellen, wie z. B. Lukrez de rerum natura ─ oft |#f0232 : 708|



wählt sie zum Gegenstand nur einige Hauptgrundsätze,

über ein besondres Kapitel der Metaphysik, die aber

Licht auf das Ganze werfen, und sich also auf die Erklärung

des Ganzen beziehn. Z. B. Haller über den Ursprung

des Uebels. Voltaire le désastre de Lisbonne. Wenn

wir Uzens Ode Theodizee zu der darstellenden Dichtkunst

hinüberziehn, so gehört sie auch hierher. ─ Youngs Nachtgedanken

über Leben, Tod und Unsterblichkeit sind hier vorzüglich

anzuführen.



§. 2.



Der objektive Jnnhalt des höhern Lehrgedichts

ist nicht gerade eine Reihe allgemeiner

Grundsätze,
über das Weltall und seine Bestimmung,

deren Zusammenstellung nach einer logischen

Ordnung die Schule System nennt, sondern irgend

ein Hauptprinzip, das der Verstand auf analytischen

Wege auffindet, welches ihm einen allumfassenden

Blick auf die Erklärung des Ganzen eröffnet.

Je mehr auf dieses Hauptprincip das ganze

Lehrgedicht concentrirt ist, desto mehr Freyheit bekommt

die Jdeenreihe bey der strengsten Einheit. Der Lehrdichter

ist kein Compendienschreiber, sondern ein philosophischer

Geist in dem Augenblick, da er den Grundstein

zu einem System findet. Jn dieser Hinsicht

muß also der Plan des höhern Lehrgedichts ausgearbeitet |#f0233 : 709|



seyn. Es muß kein logisches Geripp

von Begriffen darstellen, sondern einen alles belebenden

Hauptgedanken, der das ganze Daseyn begreiflich gemacht.

Die Art, wie der Dichter diesen Hauptgedanken

findet, und ausbildet, (die analytische

Methode
) das Zusammenwirken aller Seelenkräfte,

des Empfindungs=, Begehrungsvermögens, u. s. w.

um den Verstand bey seinen Arbeiten zu unterstützen,

dies ist der eigentliche Jnhalt des Gedichts, und giebt

den Grund zur Disposition der Gedankenreihe.



Anmerk. Selbst Lukrez, ungeachtet er ein großes

lehrendes Werk schreiben wollte, hat sich wohl gehütet,

eine synthetische logische Disposition zu machen. Er

spricht zwar z. B. V. 65. me huc rationis detulit ordo.

Er hat auch einen gewissen Plan befolgt. Allein er verbirgt

diesen doch so viel er kann. Das erste Buch handelt von

den Atomen, das zweyte betrachtet sie nach ihren Affektionen

und Bewegungen. Jn dem dritten Buch erklärt er

daraus Seele und Lebenskraft, in dem vierten Buch erklärt

er die materiellen Jdeen. Jm fünften und sechsten Buch die

Wunder der Natur. Logisch müßte man das Werk also

ungefähr so abtheilen. Das erste und zweyte Buch handelt

von den Urkräften der Dinge. Die übrigen Bücher von

dem, was aus ihnen entsteht. Jm ersten Buch werden die

Urkräfte an sich, im andern nach ihren besondern Eigenschaften

und Lagen betrachtet. Jm dritten und vierten Buch |#f0234 : 710|



werden die sogenannten geistigen, im fünften und sechsten

Buch die sogenannten körperlichen Naturerscheinungen erklärt.

Das dritte Buch betrachtet die Seele selbst, das vierte Buch

die Erscheinungen und Wirkungen der Seele. Das fünfte

Buch betrachtet die körperliche beharrliche Natur. Das

sechste Buch die Naturerscheinungen. ─ Wahrscheinlich

hat er, oder Empedocles ein philosophisches Werk bey diesen

Poesien zum Grunde gelegt. Wenn auch gleich Lukrez

also ziemlich logisch ist, wenn er auch oft seinen allgemeinen

Jdeengang wiederholt, so beginnt er doch jedes Buch mit

einer freyen lyrischen Digression, mit einem Lobe der Weisheit,

des Epikur u. s. w. Er macht nie logische Eintheilungen,

wenn er sie auch befolgt. Nur hierinn sucht er die

Einheit seines Werks, daß er Ein Hauptprinzip

durchführt, welches er auch gleich anfangs als das Licht

des Ganzen aufstellt. Principium hinc cuius nobis exordia

sumet, ex nihilo nihilum in nihilum nil posse

reverti
. Er ist immer von der ganzen Jdee des epikurischen

Systems durchdrungen, bringt dieses Licht in den

Schauplatz der Natur, und eröffnet uns von derselben dadurch

eben so lebendige als begreifliche Ansichten. So

oft er kann, giebt er mittelst seiner Hauptidee keine logische,

sondern eine poetische und eigentlich philosophische

Uebersicht des Ganzen. Eben so herrscht Eine Hauptempfindung

in dem lukrezischen Gedicht, das hohe Gefühl von

der Würde der Weisheit, die sich über den menschlichen

Wahn erhebt, und in die innere Werkstatt der Natur dringt.

Jndessen ist der Plan des Werks doch vielleicht zu abstract |#f0235 : 711|



gefaßt. Ueberhaupt scheint es besser, wenn der höhere Lehrdichter

die Wahrheit nicht als ein weitumfassendes System

darzustellen unternimmt, wenn er sich auf irgend einen einzelnen

metaphysischen Standpunkt stellt, wie z. B. die Frage vom

Uebel, vom Selbstmord, von der Bestimmung des Menschen,

wie Pope, und von da aus den Blick ins unermeßliche Ganze

hinaus erweitert. Es ist eben so, wie beym Heldengedichte.

Der Heldendichter thut gut, seine Handlung

auf eine einzige That zu concentriren, der Lehrdichter

thut gut, sein System in der Anwendung auf irgend einem

Hauptfall zu zeigen. Die Uebergänge des Lehrgedichts müssen

ohne Zwang des Verstandes nicht wissenschaftlich seyn,

mehr durch willkührliche Jdeen= Assoziation der Phantasie

und der Empfindung bewirkt. Haller fängt sein Lehrgedicht

über das Uebel mit Beschreibung einer Landschaft an,

in welcher die wohlthätige Fülle der Natur überall ausgebreitet

ist, und fährt dann fort: „Und dieses ist die Welt,

worüber Weise klagen.“ ─ Diese Jdeenassoziation ist ächt

poetisch, weil sie so willkührlich erscheint. Eben so folgen

Pope und Young mit vollkommner Freyheit ihrer Laune,

indem sie die philosophischen Gedanken an einander reihen,

wiewohl ersterer gleich Anfangs den Jnhalt seines Gedichts

bestimmt angiebt. Was die Digressionen in dem höhern

Lehrgedichte betrifft, so müssen sie freylich nicht als

unnütze Zierrathen da seyn. Der Gegenstand ist zu ernst,

zu erhaben, um dem Dichter Muße zu vielen Ausschweifungen

zu erlauben. Sie müssen gerade dazu da seyn, das

Hauptprinzip unvermerkt in ein helleres Licht zu setzen. |#f0236 : 712|



Etwas anders ist bey dem Lehrgedichte der niedern Gattung,

bey den szientifischen, artistischen Gedicht. Hier

sind die Digressionen selbst als Schmuck des Ganzen wegen

der mindern Wichtigkeit des Stoffs an ihrer Stelle, und

Home geht zu weit, wenn er den Virgil deswegen tadelt.



§. 3.



Der ästhetische Hauptinhalt des höhern

Lehrgedichts
ist die Empfindung des Großen,

welche nach der vom Dichter genommenen Ansicht entweder

mehr ins Glänzende, oder ins Schaurige

fallen oder ans Starke gränzen kann. Alle übrige

Empfindungen des höhern und niedern Schönen müssen

sich nach jener herrschenden Tonart modifiziren.



Anmerk. Die Abstractionen des Verstandes setzen

eine gewisse Ruhe voraus, welche besonders mit der

ästhetischen Empfindung des Großen und Starken

verbunden ist. Bey Lukrez ist die Hauptempfindung eine

gewisse lichte glänzende Größe. Jn Young herrscht eine

melancholische schauerliche Dunkelheit. Pope hat viel Glanz,

aber weniger Stärke und Hoheit der Empfindung als Lukrez.

Sogar ein Grad des Lächerlichen und Scherzhaften,

insofern es mit der großen Empfindung eines Weisen

verträglich ist, wird von den höhern Lehrdichtern in das

System ihrer Empfindungen aufgenommen. Pope sagt

gleich anfangs zu seinem Freund, laß uns, wo sichs gebühret |#f0237 : 713|



, lachen. Er hat oft einen sarkastischen Ton. Lucret.

L. IV
. 1150. hat ebenfalls eine scherzhafte Stelle, und

fällt bey seiner Schilderung der sinnlichen Liebe, etwas

ins gemeine und ins ekelhafte. Seine materialistische

Ansicht und der Römische Sinn wirken hier freylich zusammen.





§. 4.



Der Styl des höhern Lehrgedichts muß mit lyrischer

Hoheit eine lichte deutliche Darstellung verbinden,

darf weder zu abstrakt, noch wegen der

großen herrschenden Hauptidee im Einzelnen zu figurirt

und bilderreich seyn. Das Metrum muß der Sprache

eine gewisse Ausdehnung gönnen, und Würde haben,

weswegen die Lehrdichter das heroische, die

Jamben und längere gereimte Verse zu wählen pflegen.



Anmerk. 1. Jn Ansehung des Styls ist vielleicht

keiner von den höhern Lehrdichtern ideal zu nennen.

Lucrez hat an vielen, besonders gefühlvollen und mahlerischen

Stellen einen ächt poetischen hohen reinen Styl. Er

ist allerdings unter allen Lehrdichtern hierinnen der Erste.

Aber er hat auch ganz abstrakte Stellen, wo er völlig im

Ton der gelehrten Schulen spricht. Gegen eine ächt poetische

Stelle, wie L. I. vs. 250. ſqq. findet man vielleicht

zehn, wie L. I. 420. ſq. Popes Styl ist, wie immer

zu bunt, oft gemeiner und sarkastischer, als einem ruhigen |#f0238 : 714|



Weisen geziemt. Young ermüdet durch die großen ausgeführten

Figuren, so wie die Urania ein neues sehr ausgezeichnetes

deutsches Lehrgedicht, durch die kleinern ausgeführten

Miniaturgemälde. Göthe hat unter seinen kleinen

lyrischen Gedichten einige kurze Lehrgedichte, die mehr

zu den gnomischen Gedichten (s. weiter unten) gehören. Wie

sein Styl überhaupt Muster des poetischen Styls ist, so

könnte auch der Ausdruck in jenen Gedichten den höhern

Lehrdichtern zum Muster dienen.



Anmerk. 2. Das höhere Lehrgedicht nimmt

mehrere zufällige Formen an. Am meisten Würde hat

es freylich, wenn es, wie im Lukrez, als ein großes Werk

erscheint, das der Dichter vollenden will. Lucrez widmet

das Werk seinem Freunde Memmius Gemellus, mit dem er

ehemals in Athen gewesen war. Allein deswegen kann man

hier noch keine Epistolarform annehmen. Der feyerliche Anruf

an die Venus, der hier noch besser paßt, als beym Ennius,

ist im epischen Ton und läßt ein Werk von langem

Athem erwarten. Eben so geben die noctes serenae vs.

133. die der Dichter durchwachen will, dem ganzen einen

höhern lyrischen Ton. ─ Youngs schlaflose Nächte geben

auch seinem Gedichte eine lyrische Form. Pope hat die Briefform

und dies stimmt auch den Ton des Gedichts etwas herab.

Haller hat auch eine lyrische, und zuweilen erzählende

Form. Auch das poetische Gespräch könnte hier

angewendet werden, nur müßte die Scene, wo die Sprechenden

aufträten, gut, und des Gegenstandes würdig decorirt |#f0239 : 715|



seyn. Das Buch Hiob ist ein Lehrgedicht, in Form einer

Erzählung ─ s. oben von der göttlichen Poesie.



[Abbildung]



III.



Von der niedern didaktischen Poesie.



§. 1.



A) Das didaktische Gedicht zweyter Ordnung,

stellt ein System von Regeln oder Allgemeinbegriffen

dar, welche eine besondere Kunst oder einzelne

Wissenschaft betreffen, und zeigt die Wirkungen des

menschlichen Verstandes unter der Form des niedern

Schönen.



Anmerk. Man hat es zuweilen das scientifische

oder artistische Lehrgedicht genannt, im Gegensatz

des philosophischen, weil gewöhnlich die Regeln einer

besondern Kunst oder Wissenschaft hier dargestellt werden.

Allein auch dieser Ausdruck ist ein wenig eng, wie jener

des philosophischen Gedichts. Wenigstens müßte

man unter dem Ausdruck scientifisch selbst die Philosophie

verstehn, insofern sie nicht als kosmischer

Begriff, sondern mehr als Wissenschaft im Schulsinne

genommen wird. So gehören alle Lehrgedichte, welche

philosophische Wahrheiten scientifisch behandeln,

welche dabey keine Richtung zur Erforschung der höhern |#f0240 : 716|



menschlichen Bestimmung nehmen, sondern sich nur auf

die Kunst zu leben beziehen, zum didaktischen Gedichte

zweyter Ordnung, nicht zum höhern Lehrgedicht.

Gleichwohl sind sie ihrem Jnhalte nach philosophisch.

Man sieht also, daß man das höhere Lehrgedicht nicht philosophisch

nennen kann, wie Eschenburg thut, und daß

man das niedere didaktische Gedicht nur insofern scientifisch

nennen kann, in wie fern man die Philosophie mit

zu den Wissenschaften zählt. So ist z. B. Wielands

Musarion eins der vorzüglichsten Lehrgedichte in erzählender

und Gesprächsform. Der Gegenstand ist die Philosophie,

und es wird der gefährliche Einfluß der philosophischen

Schwärmerey auf das Leben in Kontrast mit der wahren

Kunst das Leben zu genießen gestellt. Allein eben diesem

Jnhalte zufolge, so wie auch dem durchaus scherzhaften

Tone nach ist das Gedicht ein Lehrgedicht zweyter

Ordnung. Es wird hier blos eine heitre Lebensphilosophie,

eine Kunst zu leben vorgetragen, wie sie der Mensch als

Jndividuum auf dem Standpunkte eines epikurischen Skepticismus

zeigen kann. Von Erforschung der höhern Bestimmung

des Menschen und der Welt ist hier nicht die Rede.

Die Platonischen und Pythagorischen Systeme erscheinen hier

nicht als wahre Jdeen dargestellt, die wärmen und die Seele

füllen, sondern als Begriffe zum Spiel des Verstandes.

Sie können also keine Empfindung des höhern Schönen erwecken,

sie sollen es auch nicht dem Plane des Dichters

nach. Lukrez hat vielleicht noch weniger gläubige Resultate

aus seinem Materialismus gezogen, als die epikurische |#f0241 : 717|



Philosophie des Lebens, wie sie Wieland dargestellt haben mag.

Gleichwohl zeigt die Art, wie Lukrez vom Tode und von den

wenigen Bedürfnissen und der Hoheit des Weisen spricht,

daß er uns mit Jdeen füllen, unser Gefühl zu einer höhern

Ansicht der Dinge erheben könne. Wieland hingegen

giebt bey allem Glanz und bey aller Gewandheit im Ausdruck

eben so wenig, wie Ovid, wenn er von erhabenen

Dingen spricht, die Empfindung des Erhabenen. Da er

mehr eine Lucianische Stimmung in uns zu erhalten sucht,

mehr französische Leichtigkeit als brittischen Tiefsinn in seiner

philosophischen Gedankenreihe zeigt, so gehört er zu den sogenannten

scientifischen, nicht zu den eigentlich höhern

Lehrdichtern, eben so, wie er als erzählender Dichter,

kein Heldendichter, sondern ein romantischer Dichter ist. ─

Der objektive Jnhalt des didaktischen Gedichts

zweyter Ordnung ist also jede Kunst oder Wissenschaft. Hier

kann man sagen, nil intentatum nostri liquere poetae;

und es ist ein großer Triumph der Poesie, daß nichts in der

weiten Welt für ihren Zauberschmuck unempfänglich, für sie

zu unpoetisch ist. Athenäus führt den Archestratus an, den

er den Hesiodus der Leckermäuler nennt. Er hat ein Gedicht

de regulis bonae coenae geschrieben γαστρονομια.

Es fing an; λεξω ὀπον καλλιϛον ἁπαν βρωτῶν τε ποτου

τε. Der Sänger dieser didactischen Parodie (denn eigentlich

ist dies eine Parodie auf das didactische Gedicht, wie

Vidas Schachspiel) ist, wie man sagt, selbst sehr mager gewesen.

Macer hat dem Ovid über die Vögel, Schlangen,

Pflanzen ein Gedicht vorgelesen, welches verlohren gegangen |#f0242 : 718|



ist. Bekannt ist auch unter den Neuern die Syphilis

siue morbus gallicus
des Fracastorius, ein sehr dichterisches

Product, über eine äußerst delicate Materie. De Thou

erzählt, als dieses erschienen, habe Sannazarius ausgerufen,

er sey überwunden, ungeachtet er zwanzig Jahr an

seinem Gedicht de partu virginis gearbeitet hatte. Scaliger

setzt den Fracastor dem Virgil an die Seite und das will bey

ihm viel sagen. Scevola Samarthanus über die Säugung

der Kinder. Rapin hat ein Gedicht de hortis geschrieben.

─ Es giebt ein praedium rusticum in 14 Büchern, doch

ist dieß freylich viel zu weitschweifig. Die Troubadours

brachten die Grundsätze der Rittergalanterie in Verse. Dufresnoy

und Watelet haben die Kunst zu mahlen poetisch abgehandelt.

Ovid gar die Kunst sich selbst zu mahlen, de

medicamine faciei
. Lafontaine hat ein Gedicht von der

Chinarinde (Quinquina) in freyen Sylbenmaaßen. ─

Kurz es ist fast kein Hauptgegenstand aus dem Felde der

Kunst und Wissenschaft, der nicht von einem Lehrdichter irgend

einer Nazion zum Stoff eines didactischen Gedichts gewählt

worden wäre. Die Litteratur hat in keiner Gattung

mehr Nahmen aufzuweisen. ─ Jndessen gehn die meisten

von dem falschen Grundsatze des Manilius aus: ornari res

ipsa negat, contenta doceri
. Sie machen die wissenschaftliche

Darstellung zum Hauptzweck, wollen recht gründlich

seyn, nehmen sich einen zu weitläuftigen Stoff und verliehren

darüber das eigentliche Ziel zu gefallen aus den Augen.

Virgil sagt mit vollkommnem Rechte, non ego cuncta

meis amplecti versibus opto
. Es ist weniger der Gegenstand |#f0243 : 719|



, der auseinandergesetzt werden soll, als die Operation

des Verstandes selbst, der auf eine poetische, geistreiche

Art, über denselben nachdenkt. Der Verstand soll

beym didaktischen Gedicht nur insofern interessirt werden,

daß er sich selbst unter der Form der Schönheit erscheine,

daß seine Abstractionsfähigkeit in Zusammenhang mit der

Phantasie und dem Empfindungsvermögen gezeigt werde.

Bey der höhern didaktischen Poesie ist der Zusammenhang

klar, das Streben des philosophirenden Verstandes wegen

der Wichtigkeit der Untersuchungen und ihres Einflusses auf

die ganze Seele, an sich schon ästhetisch. Bey der

niedern didaktischen Poesie ist der Zusammenhang der

abstrakten Wahrheiten mit der Phantasie nicht so

unmittelbar. Es giebt viele Wissenschaften, die eigentlich

mehr Grillenspiele sind, die den Verstand beschäftigen, ohne

den Menschen zu begeistern. Die eigentlich scientifischen

abstrakten Begriffe werden also bey der niedern didaktischen

Poesie am wenigsten ihr Glück machen. Die besten

größern Lehrgedichte der zweyten Ordnung bey den Alten

sind gar nicht wissenschaftlich, sondern enthalten blos Erfahrungen

über Gegenstände der Natur und Kunst, die ästhetisch

sind. ─ Hesiodus εργα και ἡμεραι, besonders die

εργα enthalten so viel philosophische Mythen und moralische

Lehren über die Bestimmung des Menschen, daß man sie

füglich zu den höhern Lehrgedichten zählen kann. Zum

Theil hat aber auch das Werk gnomische Poesie, Sentenzen

ohne Zusammenhang. Zum Theil ist es beschreibende

Jdylle. Virgils Landbau hat beynah zu wenig, |#f0244 : 720|



was den Verstand interessirt, um didaktisches Gedicht

im strengern Sinne zu seyn. Es schwankt sehr in die

Gattung des beschreibenden Gedichts, der Jdylle hinüber.

Eben dies läßt sich von den halienticis, cynegeticis,

von den hortis (z. B. Columella L. X.) und Landgedichten

(bey den Neuern Rapin, Vaniere, de Lisle) sagen.

Erst beym Horaz de arte poetica zeigt sich ein idealisirter

Verstand, der über die Grenzen und Regeln seiner

Kunst wissenschaftlich nachdenkt. Jhm sind Boileau, Pope,

Vida gefolgt. Auch die Araber haben Poetiken in Versen,

und es ist allerdings eine wunderbare Erscheinung, daß der

dichterische Geist in einer freyen poetischen Gedankenreihe,

eben dieser Gedankenreihe Gesetze giebt. Vielleicht ist der

Preis für ein Gedicht de arte poetica, wo sich die menschliche

Seele zugleich als Phänomen und als Jntelligenz zeigen,

wo das Genie in seiner eigentlichen nüchternen Kraft

erscheinen, d. h. sich selbst die Schranken setzen soll, noch

einem künftigen Dichter aufbehalten. Denn Horaz war

nicht Selbstdenker genug, hielt sich ganz an Nebensachen

des Styls, und blieb bey dem von den Griechen eingeführten

Gewohnheitsrechten. Boileau ist wieder Nachahmer

eines Nachahmers, und Vida hat den traurigen psychologischen

Gedanken, einen Dichter erziehn, d. h. ein Wesen

nach Grundsätzen der Freyheit unglücklich machen zu

wollen. Schon daraus, daß die Gedichte über das Wesen

der Poesie, die wir haben, sämmtlich Lehrgedichte der zweyten

Ordnung sind, erhellt, daß der Hauptgedanke noch

nicht getroffen ist. Ein Gedicht über die Poesie muß ein |#f0245 : 721|



höheres Lehrgedicht werden, da die Poesie, und wenn man

sie auch als eine Verirrung des Geistes ansähe, doch auf die

Bestimmung des ganzen Daseyns eine unmittelbare Beziehung

hat. Schillers Künstler geben in dieser Art das

beste Muster. ─ Uebrigens sind artistische Gegenstände,

sogar die Kriegskunst (Friedrich des Zweyten l'art de

la guerre
) Gegenstände der schönen Kunst, oder psychologische

Untersuchungen über die damit verwandten Seelenkräfte

(Akenside's Pleasures of imagination) der beste

Stoff zu einem didaktischen Gedicht zweyter Ordnung.

Hierauf folgen Gegenstände der Natur, die an sich ästhetisch

sind. Daher haben so viele Lehrdichter die Sternkunde,

die Botanik (Savastani, Botanicorum, de la Croix

connubia florum
, welche letztere Jdee poetischer, und

von mehrern Dichtern gebraucht ist, z. B. Darwin the

loves of the plants, the oeconomy of Vegetation
) die

Chemie u. s. w. poetisch dargestellt. ─ Allein hier ist auch

vielleicht die Gränze. Denn die mechanischen Wissenschaften

sind zu trocken. Man hat z. B. über den Schwerpunkt

ein Gedicht Philocentria. Der Gegenstand kann mit poetischen

Jdeen von Anziehung und Liebe in Zusammenhang

gebracht werden. Aber ein langes didaktisches Gedicht wird

er nicht füllen, ohne Langeweile zu machen. Am wenigsten

scheint die eigentliche Medizin Stoff zum Lehrgedicht zu geben,

weil die Jdee der Krankheit für die Einbildungskraft

etwas niederdrückendes Widerliches hat. Gleichwohl hat

man über die Anatomie, über Krankheit, Digestion, Chilisication

u. s. w. Gedichte. Die Anatomie des Auges, des |#f0246 : 722|



Ohres, der Todtenkopf, kann die Poesie zu manchen schönen

und zugleich schauerlichen Gedanken veranlassen. Allein

etwas anders ist die Veranlassung, etwas anders der Gegenstand

als Lehre. Uebersicht aller Wissenschaften ─

(z. B. Dusch die Wissenschaften in neun Büchern) ─ und

eigentliche formale Vernunftlehre sind für die Poesie zu abstract.

Moralische Gegenstände können Stoff des höhern

Lehrgedichts werden, aber für das scientifische

niedere Lehrgedicht passen sie seltener, weil an sich schon

Moral zur kalten Wissenschaft ausgedehnt, für den gefühlvollen

Menschen etwas Widerliches hat. Die einzelnen

moralischen Lehren werden öfter und glücklicher von der gnomischen

Poesie als von der scientifischen dargestellt

─ und von den gnomischen Dichtern sprechen wir weiter

unten. ─ Endlich giebt es auch scherzhafte Künste des

Lebens, die Gegenstände für das scherzhafte Lehrgedicht

sind. So kann man Ovid über die Kunst zu lieben,

Vidas Gedicht über das Schachspiel didaktische Parodien

nennen. Diese geben dem Genie am meisten

Spielraum. Die Regeln, die hier dargestellt werden, sind

meist epigrammatisch (davon weiter unten) und interessiren

mehr den spielenden, witzigen, als den forschenden Verstand.

─ ─ So viel vom objektiven Jnhalt des

niedern Lehrgedichts. Von dem Plane gilt dasselbe,

was schon beym höhern Lehrgedicht erwähnt worden. Die

Empfindungen müssen die Jdeenreihe verknüpfen, nicht die

Schlüsse, und doch muß das Ganze System seyn. Digressionen |#f0247 : 723|



sind hier mehr erlaubt, als beym höhern Lehrgedicht,

weil der Verstand mehr Muße hat.



Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt des niedern

Lehrgedichts, oder die herrschende Empfindung in demselben

muß vorzüglich die Grazie seyn, und kann an den

feinern Scherz gränzen. Der denkende Verstand muß sich

mit Leichtigkeit bewegen. Horaz in seiner arte poetica,

die noch dazu in Epistelform geschrieben ist, kommt zuweilen

auf das vorige Thema zurück. Die künstliche Unordnung

im Plan muß nicht als Schwäche des Verstandes,

sondern als Leben der Einbildungskraft erscheinen.



Anmerk. 3. Der Styl ist beym niedern

Lehrgedicht besonders zu berücksichtigen. Er muß das molle

und facetum haben, was Horaz am Virgil bewundert.

Denn freylich ist die poetische Einkleidung bey dem minder

wichtigen Stoff eine Hauptsache. Einige Dunkelheiten abgerechnet

können die Künstler von Schiller hier zum Muster

dienen. Doch nähert sich dieses vortreffliche Gedicht

dem höhern Lehrgedicht, wie wir dies von einem Gedicht

de arte poetica verlangten. Das Metrum ist wie

beym höhern Lehrgedicht. Der zufälligen Formen

für das niedere didaktische Gedicht giebts unzählige.

Die Epistel ist wegen ihres vertraulichen Welttons

eine vorzüglich gute Form, weil sie den Dichter verhindert

pedantisch zu werden, und sich den Lehrton zu

geben. Jndeß paßt sie doch nicht für alles. Die

Georgica als ein ländliches Gedicht haben eine mehr |#f0248 : 724|



lyrische ideale Form. Es würde da die Epistel weniger gepaßt

haben. Man denkt sich eher einen Sänger auf dem

Lande, als einen Gelehrten mit Schreibmaterialien. Das

Genie, das zwischen mehrern Formen zu wählen hat,

fühlt das passende und unpassende von selbst. ─ Erzählung,

Gespräch,
vielleicht auch Drama kann ebenfalls

die Form des niedern Lehrgedichts werden. Daß Musarion

eines der schönsten Lehrgedichte in erzählender Form

sey, bemerkten wir schon oben. Allein Nathan den

Weisen kann man doch eigentlich kein didactisches

Gedicht nennen. Seine Tendenz mag didactisch seyn. Das

Drama ist hier mehr, wie Form. Das Jnteresse ist die

Handlung, der nach des Le Bossu Verlangen eine Maxime

zu Grund liegt.



§. 2.



B) Das gnomische Gedicht ist eine Reihe kurzer

philosophischer besonders praktischer Lehren ohne genauere

Verbindung in Denkversen.



Anmerk. Bey vielen Nazionen haben die ältern

Weltweisen, welche Schulen stifteten, ihre Meynungen in

kurzen Sprüchen hinterlassen, und dieselben in Verse gebracht,

theils weil die Verse dem Gedächtniß zu Hülfe kamen,

theils, weil sie wirklich die Verbindung der Philosophie

mit der Poesie in ihren höhern Regionen ahnten. Auch

Consucius hat seine Moral auf kurze Maximen gebracht.

Von Pythagoras oder einem seiner Schüler sind die aurea |#f0249 : 725|



carmina bekannt. Hierauf folgten eine Menge Gnomici,

Solon, Theognis, der sogenannte Phocylides und andre ─

ηθικη ποιησις ─ Bey den Lateinern hat man ebenfalls

Sententias von Syrus und Dionys. Catonis disticha.

Bey den Hebräern sind die Sprüchwörter Salomonis damit

zu vergleichen. Verschiedene didaktische moralische Gedichte

der neuern von Gellert, Hagedorn, auch viele geistliche

Lieder, die man nicht als Hymnen ansehn kann, sind unter

die Gattung des gnomischen Gedichts zu rechnen.



Anmerk. 2. Der objektive Jnhalt des gnomischen

Gedichts besteht also aus Lehren der Weisheit,

welche ohne nähere Verbindung, wie Orakelsprüche vorgetragen

werden. Dergleichen besonders praktische Lehren

sind durch das Hauptprincip alle mit einander verwandt.

Unter sich aber haben sie gewöhnlich keine Verbindung. Dies

benutzen die gnomischen Dichter. Jndem sie die Maximen

so fragmentarisch vortragen, bekommt das Ganze einen

heiligen, feyerlichen Anstrich, etwas räthselhaftes,

─ mit einem Worte aus dem Lehrton wird ein Orakelton.

Daher darf man auch weiter keinen logischen Plan im gnomischen

Gedicht suchen. Theognis hat zu Anfang einen

Anruf an den Apoll und die Diana, ─ oft wendet er sich

an den Cyrnus, welchen er belehren will. Uebrigens findet

man unter den Lebensregeln selbst wenig Zusammenhang.

Doch kann auch ein besonderes Kapitel der Moral abgehandelt

werden, z. B. Gellert, die Freundschaft, der Ruhm,

der Menschenfreund u. s. w. auf welches sich die Maximen |#f0250 : 726|



beziehn. Jn eine ganz verkettete Gedankenreihe darf aber

die gnomische Poesie nicht übergehn, wenn sie ihr Wesen behalten

will. Denn sie steht zwischen dem eigentlichen Lehrgedicht

und dem Epigramm in der Mitte. Als moralisches

Epigramm muß jede Sentenz ein kleines gediegenes für sich

bestehendes Ganzes bilden. Der ästhetische Jnhalt,

oder die herrschende Empfindung ist bey längern Sammlungen

dieser Sprüche das Edle. Es muß eine hohe, und

zugleich schöne Stimmung durch diese Lehren in der Seele

erweckt werden. Jn diesem Charakter sinden sich einige

herrliche gnomische Gedichte bey Göthe. ─ Die Sprüchwörter

Salomonis erwecken im Ganzen genommen die

Stimmung des Großen und Starken. Der Styl der

gnomischen Poesie verlangt epigrammatische Präcision und

Gediegenheit. Auch ist er keineswegs durch seinen Gegenstand

von der Verbindlichkeit frey, die Phantasie zu unterhalten.

Theognis ist allerdings zu trocken. Isocrates ad

Nicoclem
klagt darüber, daß die Griechische Jugend den

Theognis nicht liebe. Doch kann man es der griechischen

Jugend nicht verdenken. Theognis kann nicht mit der Natur

der Gnomen entschuldigt werden, wie Harles in seiner

historia linguae graecae will. Denn Simonides hat

auch im Fache der gnomischen Poesie gearbeitet, und seine

Sprache ist immer poetisch, bey aller Simplieität, lebhaft,

anschaulich. Aber seine Gedanken haben auch eine gewisse

Hoheit, welche dem Theognis abgeht. Zum Metrum

haben die gnomischen Dichter gewöhnlich elegische Distichen,

weil sie einen Perioden leicht einschließen und ein |#f0251 : 727|



Ganzes ausmachen. Die Distichen des Dionys. Cato indeß

sind blos Hexameter. Die neuern gnomischen Dichter haben

auch die Liederform. Bey den Alten Deutschen waren schon

die Sprüchwörter gereimt.



§. 3.



C. Das Sinngedicht, oder das Epigramm

im Engern Sinne ist ein kurzes künstliches Begriffespiel,

besonders witzigen, oft auch satyrischen Jnhalts,

das wegen seiner unerwarteten glücklichen Wendung

den Verstand vorzüglich interessirt, in poetischer

Einkleidung.



Anmerk. Man hat seit Lessings Untersuchungen in

diesem Fach das Wesen des Epigramms fast ganz aus seinem

Ursprung herleiten und nach der Natur der Aufschriften

beurtheilen wollen. Allein man bedachte nicht, daß

es eine doppelte Art Epigrammen gebe, welche blos zufällig

zu Einer Gattung zusammengeschmolzen worden sind, erstlich

die blos beschreibenden, einfachen Aufschriften,

welche die Phantasie interessiren, und zweytens, die

sinnreichen Gedanken, die wegen ihrer Künstlichkeit als

Gedankenspiele den Verstand unterhalten. Da die erste

Art für die Phantasie, die zweyte für den Verstand ist, so

beziehen sie sich auf verschiedene Seelenkräfte, müssen also

von der Theorie ihrem Wesen nach getrennt werden. Freylich

klingt es sonderbar, wenn das Epigramm als didaktisches |#f0252 : 728|



Gedicht aufgeführt wird. Allein schon der deutsche

Ausdruck Sinngedicht zeigt an, daß es einen besonders

künstlichen Sinn enthalten müsse. Alles was den Verstand

übt und interessirt, ist didaktisch. Jnsofern gehört das

Epigramm zu den Verstandesübungen und Lehrgedichten.

Der Witz ist das im Scherz, was der Verstand im

Ernst ist, eine künstliche unerwartete Verbindung von Jdeen,

ein Spiel mit Begriffen. Der objektive Jnhalt des

eigentlichen Epigramms ist gewöhnlich witzig, die

unerwartete Richtung eines Gedankens, und weil die Aufschriften

in Kurzem sehr viel sagen müssen, so verlangen

sie auch oft eine rasche künstliche Wendung. Daher

kommt es, daß das ursprüngliche blos beschreibende

Epigramm als Aufschrift nach und nach Gelegenheit gegeben

hat, das eigentliche Sinngedicht, als eine Gattung

von Verstandesspielen zu erfinden. Man sagt gewöhnlich,

das Sinngedicht müsse aus zwey Theilen bestehn, einer

erregten Erwartung und einem unerwarteten Aufschluß.

Damit ist im Grunde nichts anders gesagt, als

daß es einen sinnreichen gemeiniglich witzigen Einfall

enthalten müsse. (Un bon mot de deux rimes ornées.

Boileau
) Denn der Witz hat allemal als Problem verborgene

scherzhafte Aehnlichkeit zu entdecken, Jdeen von einer

eignen neuen Seite zu verbinden. Dieses Problem erregt

Erwartung, und der Aufschluß ist eben, weil er

witzig und neu ist, auch unerwartet. Oft besteht

das Wesen des Epigramms auch in einer getäuschten Erwartung,

die denn den ganzen Gedanken mehr lächerlich, |#f0253 : 729|



als witzig macht. Z. B. ─ Es ist doch wunderbar bestellt,

sprach Veit zu Junker Fritzen, daß stets die Reichen

in der Welt, ─ das meiste Geld besitzen. Oft ists eine

Ungereimtheit ein Widerspruch, der doch einen Anschein von

Richtigkeit hat. Z. B. Wenn dieser Rothkopf ehrlich ist,

so ist er sicher ein Betrüger. Zuweilen auch ein Wortspiel,

wiewohl Boileau das nicht haben will. Oft scheints nur

ein Wortspiel. So läßt sich das Marzialische Epigramm

II. 3. allerdings übersetzen: Du bist nichts schuldig,

Marzian, Nur der ist schuldig, der bezahlen kann. ─

Wenn auch das Epigramm zuweilen eine rührende Empfindung

enthält, so muß doch der Gedanke künstlich gestellt

seyn. Z. B. Gleims Turteltaube ─ oder das Sinngedicht

von Besser: Dies ist die Doris, die Geliebte, die ihren

Canitz eher nicht, als nur durch ihren Tod betrübte. ─

Einige Kunstrichter nennen Katulls Gedicht auf den Tod

des Sperlings ein Epigramm. Allein so niedlich es ist,

so ist es doch mehr ein naives Gemälde, als witzig. Wollte

man auch die Länge nicht in Betracht ziehn. (Wernike

hat wahre Epigramme mit immer steigender Erwartung

und schneller Auflösung, die dennoch lang sind). ─ Doch

die Stellung des Gedankens ist keinesweges künstlich, und

letzteres ist zu einem Epigramm unumgänglich nothwendig.

Das Wort witzig ist freylich um den Jnhalt des Epigramms

zu bezeichnen ein wenig eng, weil der Witz Scherz

voraussetzt. Der Witz ist auch nur eine Modification des

niedern Schönen, nahmentlich des scherzhaften. Das

Epigramm soll aber einen objektiven Jnhalt haben, |#f0254 : 730|



da es ein darstellendes Gedicht ist. Wir haben daher lieber

gesagt, es enthalte ein künstliches Gedankenspiel.

Dies muß bey allen auch ernsthaften Epigrammen seyn.

Z. B. Leser, steh, erbarm dich dieses Falles, Außer Gott,

war in der Welt, was hier liegt, mir Alles. ─ Die

Aufschrift auf dem Tempel der Jsis, die Grabschrift der

Lacedämonier bey Thermopylä so einfach erhaben sie sind,

so ist doch die Wendung künstlich, rasch und unvermuthet.

Der Verstand findet seine Operationen mit

Begriffen unter der Form der Schönheit dargestellt. Der

Plan des Epigramms muß also künstlich seyn. Der Verstand

soll interessirt werden durch ein Gedankenspiel. Hierzu

gehört eine gespannte Erwartung, die immer steigt, wie

sich gewisse Begriffe verbinden lassen, wie sich irgend ein

Problem lösen werde, und dann eine schnelle plötzliche

wenigstens scheinbar befriedigende Auflösung. Daher muß

das Epigramm kurz seyn. Daher sagt ein Kunstrichter

selbst in einem sehr glücklichen Epigramm: Es müsse das

Sinngedicht, wie die Biene, einen Stachel, Honig haben

und klein seyn. ─ Jnsofern der Aufschluß schnell ist, und

die ganze Gedankenreihe auf einen Punkt zusammendrängt,

nennt man ihn auch acumen, pointe. Jst er insbesondere

satyrisch, so heißt er aculeus, Stachel.

Doch kann der Aufschluß auch mehr stark, als spitzig ausgedrückt

seyn. Klopstock sagt in seiner Gelehrtenrepublik:

„Bald ist das Epigramm ein Pfeil, trifft mit der Spitze,

Jst bald ein Schwerdt, trifft mit der Schärfe, Jst manchmal

auch ─ die Griechen liebten so ─ ein klein Gemäld, |#f0255 : 731|



ein Strahl gesandt zum Brennen nicht, nur zum Erleuchten.

─ Das letztere charakterisirt das anthologische

Epigramm, welches oft mehr beschreibend ist, als didaktisch.

Jn so fern es schnell erleuchtet, hat es

etwas von der Natur des eigentlichen Sinngedichts. ─

Der ästhetische Jnhalt des Epigramms ist das

niedliche. Dieses muß in der Regel herrschen, und das

Ganze bestimmen. Denn es wird eine Totalität im kleinen

vollendet dargestellt. Das naive, das sanfte,

das witzige, das satyrische sind alles Empfindungen,

welche abwechseln oder bey einander seyn können. Auch

giebt es einige Epigramme, die sich dem höhern Schönen

nähern. Der Styl des Epigramms ist mannichfaltig.

Er bedarf indeß besonders der Figuren, welche das Verstandesspiel

und den Scherz herausheben, z. B. die Antithese,

der Climax, die Jronie u. s. w. Sunt bona, sunt

quaedam mediocria, sunt mala plura, quae legis

hic: aliter non fit, Avite, liber. Martial
. Uebrigens

erheischt schon der Charakter des Niedlichen eine

vollkommene Tadellosigkeit im Ausdrucke. Simplicität ist

in so fern gut, weil sie die Uebersicht des Ganzen erleichtert,

und eine schnelle Uebersicht wird gerade verlangt. Das

Metrum muß auch so beschaffen seyn, daß sich eine ganze

Periode darin zusammendrängen läßt. Z. B. elegische Disticha,

wie die Alten. Hende casyllaba, weil sie den Charakter

der Naivität haben. ─ Die neuern gebrauchen kurze

Reime. Als zufällige Formen nimmt das Epigramm den

Dialog, die Erzählung an, und andre mehr. Zuweilen |#f0256 : 732|



bekommt es auch eigene Nahmen, von der Gelegenheit,

und seiner Entstehung. Es giebt Jnpromptus, Bouquette,

Symbole oder Wahlsprüche, z. B. auf Ritter=

Schilden (war, wie man aus dem Aeschylus επτα επι Θηβαις

sieht, schon bey den Alten in Gebrauch.) ─ Devisen,

Grabschriften, ─ (letztere gehören auch oft zu den beschreibenden

Epigrammen.

|#f0257 : E733|

[Abbildung]


Vierter Unterabschnitt.


Von der allegorischen Poesie. ──────



I.



Von der allegorischen Poesie überhaupt.



§. 1.



Die allegorische Poesie idealisirt Gegenstände,

welche die Vernunft, oder das Vermögen aus allem

objektiven auf eine subjektive Gesetzlichkeit zu schliessen,

besonders beschäftigen. Sie betrachtet alles, was

sie darstellt, als Hieroglyphe, als Symbol eines

verborgenen höhern Sinnes.



Anmerk. Formal genommen pflegt man die Vernunft,

das Vermögen zu schließen zu nennen. Es

besteht also die Operation der Vernunft in einer mittelbaren

Einsicht. Nach der Logik gebraucht die

Vernunft einen Mittelbegriff. Die Poesie, wie wir

gesehn haben, idealisirt alle vier Seelenkräfte. Die historische

Poesie idealisirt die Operationen des Willens,

die beschreibende die Phantasie, die didaktische |#f0258 : 734|



den Verstand. Die Allegorische wird also im ästhetischen

Gebiete der Vernunft entsprechen. Was in der

Logik Mittelbegriff ist, wird in der allegorischen

Poesie Sinnbild.
Durch das Symbol äußerer Gegenstände

ahnt und vernimmt die Vernunft mittelbar ihr

inneres gesetzliches aber unbekanntes Wesen. Je mehr

sich im Menschen die Vernunft entwickelt, desto mehr wird

sein Geist auch im Aesthetischen die Richtung nehmen,

alles äußere nur als Abbild eines innern reinern Urbilds anzusehn.

Er wird sich gewöhnen, überall einen verborgnen

höhern Sinn zu vermuthen, der nie ganz enthüllt werden

kann. Er wird sich in doppelseitigen Beziehungen und einer

räthselhaften Sprache üben, die ganze Natur wird ihm zu einer

Allegorie des Geistes, welche der wissenschaftliche Naturkundige

zu entziffern sucht.



§. 2.



Da die sinnbildlichen Gegenstände, welche

die allegorische Poesie darstellt, in einem idealen

Licht erscheinen sollen, so muß nach den oben festgestellten

Grundsätzen, 1) die poetische Allegorie keinen

Zwang des überlegenden Verstandes verrathen, sie

muß begriffslos, wie eine freye Phantasie in der Seele

des Dichters entstehn, 2) sie muß sinnlich, anschaulich,

lebendig, individuell seyn, 3) sie muß die Sphäre der

allegorisch individualisirten Begriffe vollkommen erschöpfend

nach allen Beziehungen erklärbar als eine systematische |#f0259 : 735|



befriedigende Totalität darstellen, 4) sie

muß hierdurch ein Gefühl von Harmonie des Subjektiven

und Objektiven, der gesetzlichen Form und Materie der

Begriffe und Anschauungen in uns erwecken.



Anmerk. Die Allegorie, inwiefern sie ihre geistigen

Gegenstände individualisirt, ihnen eine sinnliche Lebendigkeit

mittheilt, und eine fabelhafte oder ideale Welt

schafft, heißt vorzugsweise Mythus. Der Mythus, inwiefern

seine individuellen Züge wieder vollkommene Beziehung

auf ein System allgemeiner Geistesideen haben, heißt vorzugsweise

Allegorie. Sokrates im Plato theilt dem

Philosophen die λογους, dem Dichter die μυθους zu.

Nach diesem Urtheil wäre alle Poesie in ihrer höchsten

Region allegorisch. Denn Mythus im platonischen

Sinne ist wohl so ziemlich mit Allegorie ein und dasselbe.

Allerdings ist auch die allegorische und mythische Poesie

die höchste Dichtkunst, so wie die Vernunft, auf

welche sie sich bezieht, die höchste Seelenkraft ist. Uebrigens

bleibt immer noch einiger Unterschied zwischen Mythus

und Allegorie nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche.

Mythus ist individualisirte Jdealität, welche

die Form der Realität angenommen hat. Ueber die reellen

Züge vergißt der Mensch oft die allgemeinen Beziehungen.

Dies war bey den Alten der Fall. Daher war ihre

Mythologie mehr fabelhafte Geschichte als Allegorie.

Bey der Allegorie wird immer das Bewußtseyn

vorausgesetzt, daß der individuelle Gegenstand als Erscheinung |#f0260 : 736|



blos Abbild eines idealen allgemeinen Gegenstands,

oder der innern gesetzlichen Geistesform sey. Dieses Bewußtseyn

erwacht erst in dem Menschen, bey zunehmender

philosophischer Cultur, wenn er im Besitz des λογος ist.

Daher findet sich die Allegorie bey den Alten mehr in den

Philosophieen, z. B. beym Plato. Daher haben die

neuern an die Stelle der Mythologie den Begriff

Allegorie treten lassen. Dieser Unterschied im Sprachgebrauche

und in der Culturgeschichte zwischen Mythologie

und Allegorie setzt den Künstler in große Verlegenheit.

Nach den im §. angegebenen Regeln sollen die poetischen

sinnbildlichen Gegenstände sowohl sinnlich lebendig

seyn, als auch allgemeine Beziehungen auf die Geistesideen

haben. Und dieses zusammen würde die Theorie Allegorie

im guten Sinne nennen. Die Praxis der Dichter

hat aber zwischen den beyden Erfordernissen der Jndividualität

und Universalität einen Gegensatz gemacht, und

anstatt zwischen diesen beyden Polen zu schweben, sich einem

oder dem andern mehr genähert, wodurch sie fehlerhaft geworden

ist. Die Mythologischen Dichter der Alten,

(wenn sie nicht etwa als historische Dichter zugleich anzusehen

sind, z. B. Aeschylus, sondern blos die Darstellung

der Mythen auch ohne interessante Handlung beabsichtigen,

wie z. B. Hesiodus, Ovid,) haben wenig Werth.

Warum? Weil man sie als allegorische Dichter ansehn

muß. Gleichwohl fehlt ihnen ein Haupterforderniß zur guten

Allegorie, die ganz durchgeführten allgemeinen Beziehungen.

Sie stellten die Mythologie dar, wie sie dieselbe |#f0261 : 737|



vorfanden. Das war ein Aggregat von zufälligen halb

wahren Begebenheiten, welche der Mensch nach und nach in

ein immer idealeres Licht gesetzt, und durch willkührliche

Erfindungen ausgeschmückt hatte. Eitelkeit der Großen und

Schmeicheley der Dichter, Hang zum Wunderbaren, Mysterien

und Philosophieen, wirkliche Geschichte, Enthusiasmus

für berühmte Helden, romantische Gegenden, astronomische,

wissenschaftliche Ansichten, alles trug dazu bey, eine

Mythologie zu bilden, welche viel individuelles

Leben,
aber auch viel abgeschmacktes Mährchenhafte hatte,

das die Vernunft nicht interessiren konnte. ─ Unsere

neuern allegorischen Dichter, etwa den Dante ausgenommen,

haben in den entgegengesetzten Fehler verfallen

müssen. Sie haben keine Nazionalmythologie mehr. Sie

haben keine lebendigen individuellen Züge darzustellen. Jhre

Allegorien halten sich großentheils an die Philosophie

unmittelbar, und sind deswegen kalt. ─ Die Alten

waren für die Allegorie im Großen nicht philosophisch

und für die kleinere Allegorie nicht witzig genug. Wenn

gleich auf alle ihre Geräthschaften von den Künstlern allegorische

Anspielungen angebracht waren, so erhoben sich doch

ihre Dichter nie zur Jdee eines höhern allegorischen

Gedichts, und was man von Allegorien der Alten in den

übrigen Künsten noch aufgefunden hat, zeigt von wenig

ästhetischer Kraft. ─ Den Neuern wiederum fehlt das

mythologische Leben. ─ Es postulirt also die Theorie

eine allegorische Poesie, als die höchste Richtung

für die Dichtkunst überhaupt, welche noch nicht vorhanden |#f0262 : 738|



zu seyn scheint. ─ Jhre Bestimmung wäre die abstracten

religiösen und philosophischen Jdeen der Neuern Zeit für die

Einbildungskraft in Sinnbildern zu individualisiren, und

lebendig zu machen. Vielleicht, weil man dies Bedürfniß

fühlte, hat man neuerlich hier und da von einer christlichen

Mythologie
gesprochen. Der Ausdruck ist unbequem

und unbedachtsam gewählt, wenn man unter Mythus

sich fabelhafte Erfindung willkührlicher Bilder und

Geschichten denkt. Denkt man sich aber unter Mythologie

nur allegorische Jndividualisirung nothwendiger Wahrheiten,

so kann dies Wort auch bey christlichen Jdeen

von einem consequenten Christen geduldet werden. So ist

allerdings Dante Erfinder einer christlichen Mythologie,

d. h. die nothwendigen Wahrheiten von Himmel

und Hölle belebt er durch einzelne allegorische Bilder, die so

individuell sind, daß man das abstract wahre auch unterhaltend

für die Einbildungskraft finden muß. ─ Ein inniges

Grausen ergreift gewiß einen jeden, wenn er liest,

wie Dante im Schlangenthale die Lügner bestrafen läßt.

Der Mensch, der von einem glühenden Wurme gebissen

wird, der nicht schreyt, aber zu gähnen beginnt und in

dumpfer Erstarrung den Wurm betrachtet ─ ist ein so lebendiges

Bild des Entsetzens, als die griechische Mythologie

vielleicht keines aufzuweisen hat. Gleichwol wird niemand

dieses Bild zu den christlichen Glaubensartikeln zählen, wenn

es auch eine christliche Wahrheit allegorisch darstellt. ─

Heutzutage zeigt sich eine große Disharmonie zwischen den

poetischen Geistern vom ersten Range in Ansehung der allegorischen |#f0263 : 739|



Poesie, nahmentlich der Mythologie. Auf der

einen Seite ist durch die zunehmende Aufklärung und ein verfeinertes

Kunstgefühl eine große Sehnsucht der Einbildungskraft

nach den fabelhaften Wesen des griechischen Olymps

entstanden, denen man gern ihr volles Bürgerrecht in der

poetischen Welt wiedergeben möchte. Man findet in den

Griechischen Göttern die Jdeale des höchsten, des ewig seligen

Lebens, und glaubt sich durch die reinere Jdee von der

Gottheit in eine schauderhafte Wüste versetzt. Auf der andern

Seite finden einige, eben den Gedanken, im weiten

Weltall mit Einem Schöpfer allein, und nur durch einen

Mittler mit ihm vereint zu seyn, so grausend erhaben, so

süß melancholisch, die christlichen Jdeen scheinen ihnen von

solcher ästhetischer Kraft, daß sie sich vielmehr durch die

muntern griechischen Phantasieen gestöhrt glauben würden.

Man kann als Repräsentanten der ersten Meynung Boileau

und Schiller (in seinen Göttern Griechenlands), als Vertheidiger

der zweyten Chateaubriand, den Verfasser der Atala

in seinem Genius des Christenthums aufführen. Jn jeder

Parthey stehen Männer von Bedeutung an der Spitze. Allein

große Dichter lieben, wenn sie philosophiren, die Hyperbel

und werden leicht einseitig. Das Christenthum wäre

nicht die höchste Wahrheit, wenn es der Phantasie nicht

auch im Lichte der höchsten Schönheit erscheinen könnte.

Und die griechische Mythologie hat wiederum eine naive lebendige

Schönheit, welche das Christenthum nicht haben

kann, aber auch nicht bedarf. Das Christenthum ist die

Mysterie des Lebens, kann in seiner Reinheit nur von den |#f0264 : 740|



edelsten Seelen gefaßt werden. Die griechische Mythologie

idealisirt nur das äußere individuelle Daseyn. Das Christenthum

eröffnet denen, welche reines Herzens sind, eine

Einsicht in die Geheimnisse des Weltalls. Die griechische

Mythologie verweilt auf der Oberfläche der schönen Natur.

Daß beyde Ansichten von der menschlichen Phantasie gesucht

werden, erhellt aus dem wunderbaren Phänomen von so

vielen vortrefflichen Gedichten, wo christliche Jdeen, und

griechische Mythologie zusammen zu finden sind. Doch

läuft dies immer wider die kosmische Wahrscheinlichkeit,

zumal in der historischen Poesie. ─ Es wäre die höchste

Aufgabe für einen Dichter, deren Auflösung durch unser

Zeitalter nothwendig geworden ist, das griechische Schönheitsgefühl

mit den christlichen Jdeen so zu vereinigen, daß

der Geschmack dabey nicht beleidigt würde. Da die griechischen

Mythen sich auf die sichtbare Natur beziehn, so könnten

sie besonders aus dem Standpunkte der neuplatonischen

Philosophie als Allegorie angesehn, und dabey die christlichen

Jdeen in ein geheimnißvolles Dunkel als der letzte Sinn

des Räthsels gestellt werden. Hätte derjenige französische

Schriftsteller, welcher la guerre des Dieux anciens et

modernes
geschrieben hat, (Evariste Parny) statt ein

komisches Heldengedicht zu schreiben, das nur halbwitzige

Blasphemieen enthält, seinen Gegenstand von der ernsthaften

Seite angesehn, so würde er vielleicht ein neues unbekanntes

Land für den poetischen Genius entdeckt haben.

Doch diese Ansicht mußte ihm bey seiner unheiligen Stimmung

verborgen bleiben. Auch hier, wie z. B. bey der |#f0265 : 741|



Jungfrau von Orleans, bildete sich die Jdee von der komischen

Seite eher aus, wie von der ernsthaften. Die Theorie

kann übrigens hier nur ahnen und weissagen. Der Geist

des Dichters wird durch die Organisation der Gedankenwelt

in seinem Zeitalter von selbst auf den Weg geführt, die

Weissagungen der Theorie zu erfüllen.



§. 3.



Das Jdeal der Vernunft, als einer ursprünglichen

Seelenkraft ist ein allgemeines gesetzliches

Selbstbewußtseyn mittelst der Objekte, die absolute

Harmonie
alles objektiven und subjektiven. Die

allegorische Poesie wird also, um die Vernunft zu

interessiren, in ihrer höchsten Tendenz, die endlichen

Formen der Schöpfung, als Sinnbilder von der innern

Natur des Schöpfers darzustellen suchen, deren

Beziehung auf das Urbild sich nach Begriffen erklären

läßt. Sie wird die Jdeen, welche sich der Mensch

von dem Göttlichen macht, in Allegorien versinnlichen.

Hieraus wird das Gefühl des höhern

Schönen,
und überhaupt die höhere allegorische

Poesie entstehn. Nächstdem wird die allegorische

Poesie auch die niedern Vernunftanlagen oder

das formale Vermögen zu schließen, im allgemeinen,

(ohne Rücksicht auf das materiale Vernunftideal) zu

beschäftigen suchen. Sie wird von Begriffen und |#f0266 : 742|



Wahrheiten jeder Art Sinnbilder darstellen, und den

höhern räthselhaften Sinn mittelbar errathen lassen.

Dies wird vorzüglich die Empfindung des niedern,

des lebendig Schönen erwecken, und so wird es auch

eine niedere allegorische Poesie geben.



Anmerk. Von der allegorischen Poesie, die

sich vornimmt ein allegorisches Objekt darzustellen, und

sich an diese Darstellung bindet, wird man die Allegorie

als Figur des Styls leicht unterscheiden. Von letzterer

haben wir schon oben gehandelt. Diese findet auch

bey der lyrischen Poesie statt, und ist nur ein vorübergehender

Schmuck der Rede. Freylich ist sie eine Hauptfigur

des poetischen Styls. Denn das Bedürfniß des Menschen

zu allegorisiren ist tief in seiner sinnlichen Natur, wie

auch in seiner Vernunft gegründet, welche letztere allen

Dingen der Welt zwey Bedeutungen giebt, eine niedere und

eine höhere, eine individuelle und eine allgemeine. Jedes

zufällige Objekt, möchte man sagen, ist ein Sinnbild seines

urbildlichen Gattungsbegriffs. Menschenschicksale sind Allegorien

auf das Glück im Allgemeinen. Einzelne gute

Menschen geben Allegorien für tugendhafte Eigenschaften ab.

Z. B. Herkules für die Stärke, Orestes und Pylades für

die Freundschaft. Daher in allen Künsten die sogenannte

historische Allegorie z. B. Marius auf den Trümmern

von Karthago ein Sinnbild für die Nichtigkeit der menschlichen

Größe. Diese Bemerkung giebt den Schlüssel zu einer

pragmatischen Geschichte vom Ursprung aller Mythologie.

|#f0267 : E743|

[Abbildung]



II.



Von der höhern allegorischen Poesie.



§. 1.



Das höhere allegorische Gedicht stellt die

Jdeen, welche sich der Mensch von göttlichen Dingen

macht, unter Sinnbildern dar.



Anmerk. Diese Dichtungsart nimmt also die höchste

Richtung, welche die menschliche Poesie nur immer

nehmen kann. Die didactische Poesie kann zwar auch

in die Geheimnisse der Schöpfung eindringen. Allein sie hat

doch mehr mit Verstandesbegriffen zu thun. Sie

drückt das aus, was sich über den Grund und Zusammenhang

der Dinge denken läßt. Die allegorische Poesie

geht weiter. Sie sucht, wiewohl in Sinnbildern, die

höchsten Vernunftideen auszudrücken, welche sich nicht

ausdenken, nur ahnen lassen. Die Mythologie der

Heyden ist also wenigstens ihrer Hauptrichtung nach eine

solche allegorische menschliche Poesie, zu welcher

aber der Schlüssel noch nicht ganz gefunden ist. Mit der

allegorischen Poesie ist der Kreisgang im Gebiete der

Dichtkunst geendet. Wir gingen von der göttlichen

Poesie aus, und enden mit der Gattung von menschli= |#f0268 : 744|



cher Poesie, welche am nächsten an die göttliche gränzt.

Hier zeigt sich aber auch der Unterschied, zwischen göttlicher

und menschlicher Poesie, wahrer Religion und

heidnischer Mythologie am deutlichsten. Die menschliche

Poesie und Mythologie kann das göttliche nur ahnen,

ausser sich in Sinnbildern darstellen. Die göttliche

Poesie hingegen, deren Offenbarungen die Hebräer und

Christen bekennen, lehrt den Menschen die Vernunftideen,

um das göttliche Princip im Geist und in der Wahrheit zu

ergreifen, mittelst der Andacht in sich selbst zu finden, sich

von dem Göttlichen kein Bild zu machen, sondern es unmittelbar

in sich wohnen zu lassen. Hierauf konnten die

Menschen nur durch eine Begeisterung geleitet werden,

die unmittelbar von Gott angezündet ward, hierzu gehörte

die Menschwerdung der Gottheit.



Anmerk. 2. Da wir eigentlich noch kein vollkommenes

allegorisches Gedicht höherer Gattung haben,

so wird die Theorie in diesem Abschnitt noch fast ganz

a priori verfahren müssen. Bey den Alten kann man hierher

die Mythologischen Dichter ex professo rechnen,

d. h. solche, welche die Mythologie nicht als Triebfeder ihrer

historischen Gedichte gebrauchten, sondern dieselbe als einen

Hauptgegenstand im Zusammenhange abhandelten. Allein

die Griechischen und Römischen Dichter waren zu wenig in

die Mysterien eingeweiht, um den höhern Sinn, der in ihrer

Mythologie verborgen liegen mag, zu fassen. Daher

fehlte ihnen die ordentliche planmäßige Darstellung, |#f0269 : 745|



welche das allegorische Gedicht bedarf, damit man den höhern

Sinn errathe. Die mythologischen Gedichte der Alten

sind Aggregate von Fabeln ohne alle nähere Verbindung

zu einem höhern Sinne. Hiermit verlangen wir nicht, daß

ein Palaephatus de Incredibilibus uns vordemonstrire,

wie bey Entstehung dieser Fabeln alles natürlich zugegangen

sey. Eine solche Einsicht in die gesammte Mythologie

mag die Aufgeklärten unserer Tage interessiren, denen

ein munterer Genius der Aufklärungstrieb mit der Fackel unaufhörlich

vorschwebt, die wohl selbst den göttlichen Helden

der Bibel sehr zu ehren glauben, wenn sie ihn den Sokrates

der Christen nennen. ─ Wir fragen hier, was für nothwendige

psychologische Gründe sogar die Heiden bestimmen

mußten, die mythologischen Begebenheiten grade so und

nicht anders zu idealisiren. Ließen sich die philosophischen

Wahrheiten auffinden, welche bey Erfindung der Fabeln,

ohne daß es die Erfinder selbst wußten, die Basis

waren, so hätte man die Mythologie zur Allegorie

erhoben. Allein die alten Dichter hingen zu sehr an dem

Mährchenhaften, hatten keine Uebersicht des Ganzen,

konnten also nur Data zu einem künftigen allegorischen Gedicht

liefern. So muß man z. B. des Hesiodus Theogonie,

die historischen Hymnendichter u. s. w. ansehn. Ovids

Metamorphosen
sind ein wunderbares Phänomen. Der

Hauptgedanke an sich ist für den Ovid und überhaupt

für die Römische Dichtkunst zu genialisch. Daß der römische

Dichter bey einzelnen Stellen den Hesiodus, Theokrit,

Callimachus vor den Augen gehabt hat, ist bekannt. |#f0270 : 746|



Allein außerdem muß er irgend ein griechisches Hauptwerk

zum Grunde gelegt haben, wie dies die Art fast aller römischer

Dichter war. Mehrere Griechen sollen unter dem Titel

μεταμορφοσεων Bücher geschrieben haben, unter andern

Callisthenes. ─ Die Jdee eine allgemeine Geschichte

der wunderbarsten Verwandlungen von Schöpfung der

Welt bis auf die neusten Zeiten zu entwerfen, ist allegorisch,

und eine der glücklichsten muntersten, welche die

menschliche Phantasie fassen kann. Das äußere der Natur

zeigt einen beständigen Wechsel, eine immerwährende Veränderung

der Gestalten. Es ist dem Menschen natürlich,

einen allgemeinen wunderbaren Geist des Lebens bey diesen

Veränderungen vorauszusetzen, der bald diese bald jene

Form annimmt, der die kleinsten und größten Gegenstände

beseelt, für den nichts todt ist. Die körperliche Natur,

eben wegen ihrer Veränderlichkeit erscheint als der Spiegel

des ewigen Geistes, der seine Gedanken in ihr abwechselnd

wiederstrahlt! Diese einzelnen Gedanken des Urgeists, welche

die scheinbar trägen Massen bewohnen, macht die Allegorie

zu mythologischen Wesen. Was bey Leibnitz Monaden,

bey Berkley Gedanken Gottes sind, das sind in der

spielenden Phantasie des Dichters Götter, Menschen,

Thiere und Pflanzen, die bald diese, bald eine andere Gestalt

annehmen, aber immer lebendig, immer im großen

Weltraum zu Hause sind. Sollte Ovid das Große seines

allegorischen Hauptgedankens gefühlt haben? Nach den ersten

Versen des Gedichts, welche ziemlich matt sind, möchte

man daran zweifeln. ─ Jndeß die Geschichte selbst beginnt |#f0271 : 747|



pathetisch genug mit der Weltschöpfung und den Weltaltern

und im letzten Buch wird die Lehre des Pythagoras

von der Seelenwanderung sehr ausführlich abgehandelt. Die

Rede des Pythagoras, die sehr künstlich in den Plan des

Ganzen verwebt ist, scheint gleichsam den höhern Sinn der

Metamorphosen anzugeben, die Allegorie enträthseln zu

wollen. Die Behandlung des Ganzen und der tändelnde

weitschweifige Styl ist aber keineswegs der Jdee würdig, so

interessant und leicht auch die Erzählungen, so glänzend die

einzelnen Beschreibungen seyn mögen. Die Uebergänge von

einer Geschichte zur andern sind wie aus tausend und einer

Nacht, oder aus der Spinnstube genommen, völlig im

Mährchenton, und es ist nicht zu begreifen, wie Wilhelm

Canter hier eine große Kunst bewundern kann. ─ Die

Orakel der Sibyllen bey den Alten, und die Hieroglyphen

(z. B. Horus) welches aber meist untergeschobene Schriften

sind, Lycophrons Cassandra u. s. w. sind auch allegorisch zu

nehmen. Doch fehlt uns größtentheils die Deutung, und

hätten wir sie, das Jnteresse. Unter den neuern Dichtern

macht Dante in der höhern allegorischen Poesie

allein Epoche. Mit vollem Recht sagt er Nuove Muse

mi dimostran l'orse
. Neue Musen zeigten ihm den Pol

zu seiner Schiffarth. Sein Werk haben einige unter die

Epopöen gerechnet. Er scheint es selbst von dieser Seite

angesehn zu haben, da er sich den Virgil zum Führer seiner

Reise wählt. Allein das Werk hat gar kein historisches episches

Jnteresse. Es enthält keine eigentliche Handlung,

sondern eine allegorische Beschreibung. Gleich Anfangs beginnet |#f0272 : 748|



es mit Schilderung von allegorischen Dingen, z. B.

von dem Wald, in dem sich der Dichter befand, von den

wilden Thieren, denen er begegnet, unter welchen die Commentatoren

Wollust, Hochmuth und Geiz verstehn. ─

Ehe er in den christlichen Lethe, den Strom Eunoe getaucht

wird, um ins Paradies einzugehn, sieht er noch in einer

mystischen Vision die Schicksale der christlichen Kirche.

Während des ganzen Gedichts befindet sich Dante auf dem

Schauplatz einer Welt, in der alles Jndividuelle Symbol

von etwas allgemeinen ist. Die historischen Personen

mit denen er spricht sind Repräsentanten irgend eines abstrakten

Begriffs, einer Jdee. So ist seine verklärte Geliebte

seine Beatrice, die himmlische Weisheit. Jn den

wunderbaren Gestalten sterblicher Menschen, die er im

Himmel antrifft, glänzt etwas göttliches, ihrem irdischen

Bild ganz unähnlich. Dante ist also allegorischer

Dichter, und weil er sein ganzes Wissen von den göttlichen

Dingen, und den Geheimnissen des Weltalls mittelst seiner

Symbole uns mittheilen will, so ist sein Gedicht ein höhetes

allegorisches Gedicht, vielleicht das Einzige, das

diesen Nahmen verdient, ob es gleich bey allen originellen

glänzenden Zügen in tausend Rücksichten als sehr unvollkommen

angesehn werden muß.



§. 2.



Zum objektiven Jnhalt hat das höhere allegorische

Gedicht sinnbildliche Gegenstände von

göttlichen Dingen. Es ist also dieser Jnhalt doppelseitig |#f0273 : 749|



, er muß erst sinnbildlich genommen, ein Ganzes

ausmachen, zweytens muß der Sinn, auf den die

Symbole deuten, abstract genommen ebenfalls ein

vollkommenes leicht faßliches Ganzes seyn. Endlich

muß zwischen dem Bilde, und dem was darunter verstanden

wird, eine richtige und passende Beziehung

statt finden, d. h. die Symbole müssen so gewählt

seyn, daß die Einbildungskraft darunter die göttlichen

Jdeen ahnen, und sich mit denselben unter einer faßlichern

Gestalt vertrauter machen kann, da sie in einer

wirklichen religiösen Ansicht denselben gewöhnlich unterliegt.





Anmerk. 1. Der Plan des allegorischen Gedichts

ist wegen seiner Zweydeutigkeit das schwerste Problem,

was ein Dichter auflösen kann. Erstlich muß man die

Reihe der Sinnbilder selbst betrachten. Diese Sinnbilder

können objektiv zu Erzählung von Handlungen,

oder zu Beschreibung vereinigt seyn. Dantes Gedicht

nimmt auch oft die Form des didaktischen Gedichts an. Wie

die Vernunft aus der Harmonie der übrigen drey Seelenkräfte

hervorgeht, so vereinigt die allegorische Poesie,

welche die Vernunft repräsentirt, alle die vorhergehenden

Gattungen der Poesie. Handlung, Beschreibung, alles

kann dem allegorischen Dichter zum Symbol dienen. Er

muß also für seinen Plan zuerst alle Gesetze beobachten, nach

welchen die Handlung, die Beschreibung u. s. w. poetisch |#f0274 : 750|



organisirt wird. Hierin ist Dante so ziemlich tadellos,

wenn man ihn als beschreibenden Dichter ansieht. Zweytens

muß aber auch der Plan so eingerichtet seyn, daß sich

das System der Jdeen, der höhere Sinn der Hieroglyphe

beym Genuß des Gedichts in uns immer mehr ausbilden

kann. Dieses innere System, gleichsam die unsichtbare

Seele der poetischen Welt, welche er erschafft, muß einfach

und begreiflich seyn. Hierin fehlt es vorzüglich bey Dante.

Einzeln sind seine Jdeen herrlich, höchst philosophisch,

rein christlich. Z. B. was er von der Erlösung sagt. Mancher

Theolog gestand, aus dem Dichter mehr Theologie gelernt

zu haben, als von seinen akademischen Lehrern. Aber

im Ganzen ist das Gebäude doch gothisch, zwar kühn,

aber winklicht, voll sophistischer Spitzfindigkeiten. Es fehlt

noch an einem lichten Hauptgedanken, der uns durch dies

Labyrinth geleite. Wenn auch Dante über sein Zeitalter

hervorragt, wie eine Pyramide, so mußte er doch die Dogmatik

seiner Zeit zur Grundlage nehmen. ─ Der höhere

Sinn des allegorischen Gedichts liegt in den gefühlten

Jdeen. Aber jede Kleinigkeit, jeden Nebenumstand der

Erfindung deuten zu wollen, ist eben so fehlerhaft, als

wenn man ein wirklich episches Gedicht, wie Tasso und

Ariosts Werke allegorisch auslegen wollte, wie zuweilen von

den Dichtern und Commentatoren geschehen ist.



Anmerk. 2. Das Symbol soll individuell anschaulich

sinnlich genug seyn, um die Einbildungskraft zu

interessiren, und mit den göttlichen Jdeen vertraulich zu |#f0275 : 751|



machen. Das ist eben das Wesen der allegorischen

Poesie, daß der Phantasie das Anschaun der Jdeen erleichtert

werde. Hierdurch unterscheiden sich die religiösen

Gedichte von den allegorischen. Vidas Christias,

Klopstocks Messias besonders der letztere sind mehr religiöse

Gefühle. Darum hat auch Klopstock mehr eine lyrische

Richtung, als daß er darstellte. Sein Gedicht, insofern

es den Himmel schildert, erweckt mehr Empfindung,

als Anschauung. Warum? weil er die Jdeen selbst in

uns erwecken will. Jdeen können aber eigentlich nicht

dargestellt, sie können nur geahnt werden. Will man

der Phantasie ein Bild geben, so ist dies Symbol. Daher

ist Dante weit unterhaltender für die anschauende Einbildungskraft

als Klopstock. Man vergleiche eine Hymne

des letztern Dichters auf die Gottheit mit der Vision Dantes

im Paradiese, als er sich in den Grundquell der Schöpfung

versenkt. „Ewiger, du bist allein, in deiner Größe vollkommen,

Jeder Gedanke, mit dem du dein eigenes Wesen

durchschauest, ist erhabner und größer, als die stille

Betrachtung auf geschaffene Dinge von dir herniedergelassen.“

Klopstok. Hier ist heiliges Dunkel, negative Bestimmung,

gleichsam das νουμενον. Das Urwesen an sich.

Dante hingegen, da er einen Blick in die Tiefen der

Gottheit thut, erleichtert es der Einbildungskraft. Er sieht

die Substanz des großen Lichtes, drey farbige Kreise in demselben,

er sieht eine leuchtende Heiligenwelt, in Gestalt einer

Rose, von lebendigen Funken und den Engeln umschwebt.

─ Eben so vergleiche man den Triumph Christi im Dante |#f0276 : 752|



mit dem in Klopstok in der Messiade letzten Gesang. ─ Klopstok

schwankt zwischen der eigentlichen lyrisch, d. h. andächtig

gefühlten Jdee und der symbolischen Darstellung, darum

macht sein Gemälde nicht ganz den Eindruck, als das des

Dante, welcher hier rein symbolisch, vollkommen mystisch

gehalten ist. ─ Milton steht zwischen beyden Dichtern

in der Mitte, hat mehr Darstellung als Klopstok, und

höhere erweiterte Begriffe als Dante. Allein Dante dürfte

doch hier seinem Ziele am nächsten geblieben seyn, wenn

gleich viele Fehler wider die kosmische Wahrscheinlichkeit und

überhaupt den Geschmack, z. B. Einmischung von heidnischen

Bildern überall mit unterlaufen. ─ Da die höhere

allegorische
Poesie sich zur Anschauung erhebt,

so ist es dem Dichter natürlich, sich in die wunderbare Gemüthsstimmung

der Visionen, der Träume zu versetzen.

Besonders dem Dante ist es geglückt, einen Schwung

mit seinem Geiste zu nehmen, wie keiner von den andern

menschlichen Dichtern. Seine Träume sind in Augenblicken

geträumt, um mit seinen eignen Worten zu reden, wo die

Seele von ihrem Körper getrennt, in ihren Gesichten am

göttlichsten ist.



§. 3.



Der ästhetische Jnhalt des höhern allegorischen

Gedichts ist das Erhabene. Das ist die

herrschende Hauptempfindung. Denn diese entspricht

dem Selbstbewußtseyn der Vernunft, die sich |#f0277 : 753|



hier in Bildern der Einbildungskraft spiegelt, und die

Harmonie des Schöpfergeistes mit der Schöpfung fühlt.

Alle übrigen Gattungen des höhern Schönen, auch die

edlern Unterarten des reizend Schönen können hier abwechseln.

Styl und Metrum müssen lyrischer seyn,

als in der Epopöe, doch auch eine gewisse Ausdehnung

und ruhige Hoheit haben. Der Dichter sieht außerordentliche

Dinge. Darum ist er in einer ungewöhnlichen

Stimmung. Allein er stellt sie dar. Darum

muß er sich beherrschen können.



Anmerk. 1. Dante geht aus Hölle und Fegfeuer

in den Himmel. Darum geht er vom starken, schrecklichen

grausenden, zum hohen und erhabenen über. Allein das

Erhabene herrscht, weil es die höchste Stufe des Gedichts ist.



Anmerk. 2. Der Styl des Dante ist, nach seiner

eignen Theorie zu sprechen, nicht tragisch, sondern ziemlich

bunt und mit unter gemein, wodurch aber viel individuelles

Leben bewirkt wird. Vielleicht stammt daher der

Ausdruck Commedia, wobey er eine Art Tragikomödien

im Sinn haben mochte. Oft fällt er ins Gezierte. So

sagt er z. B. von zwey Gestirnen, die ihr Licht vertauschen,

qual diverebbe Giove, s'egli è Marte fossero augelli,

e cambiassersi penne
. Antithesen und andere etwas gezwungene

Figuren, passen aber für die außerordentliche Gemüthsstimmung.

Z. B. I' non mori, e non rimasi |#f0278 : 754|



vivo. ─ Oft schimpft er in eben nicht hohen Ausdrücken.

Z. B. di sua bestialitate il suo processo farà la

pruova
. Nicht selten wird er naiv, und es gränzt sein

Styl ans Komische, wie er z. B. mitten im Himmel sich

daran erinnert, daß er aus Florenz kommt. Diese Zusammenstellung

gemeiner Ausdrücke mit den erhabensten

Bildern wirft indeß die Seele hin und her, und thut oft einen

ähnlichen Effekt, als die hebräische Poesie, besonders

der Styl der Propheten durch ein gleiches Mittel bewirkt.

Dante ist übrigens freylich zu rauh und dunkel. Allein

ein Grad von heiligem Dunkel wird zu einer mystischen

Stimmung verlangt. Der lichte edle Styl des Heldengedichts

würde nicht passen. ─ Das Metrum des

Dante, die Terzine, hält sehr gut das Mittel zwischen

dem Lyrischen und Epischen. Jndeß könnte ein höherer allegorischer

Dichter, dessen Erzählung mehr Zusammenhang

hätte, auch freyere Stanzen gebrauchen.



[Abbildung]



III.



Von der niedern allegorischen Poesie.



§. 1.



A) Das allegorische Gedicht niederer Gattung

enthält die sinnbildliche Darstellung von abstracten

Begriffen, Gegenständen oder Begebenheiten jeder Art,

welche sich nicht auf die Enthüllung der letzten Weltursachen |#f0279 : 755|



beziehn, sondern die Vernunft nur als formales

Vermögen von einem Gegenstand auf den andern zu

schließen, und das Gefühl des niedern Schönen beschäftigen.





Anmerk. Hiervon haben wir bey den Alten ebenfalls

nur wenig Beyspiele, weil ihnen bey ihrer Mythologie

die intellectuelle Deutung mangelte. Als allegorisches Gelegenheits=Gedicht

kann man allenfalls das Carmen Claudiani

de nuptiis Honorii et Mariae
hierher rechnen voll

üppiger Schilderungen. Metastasio hat ein ähnliches Epithalamium.

─ Die neuere Poesie mußte wegen der

zunehmenden Reflexion die Allegorien dieser Art sehr frühzeitig

ausbilden. Der berühmte französische Roman von

der Rose in vielen tausend Versen ist ganz allegorisch, sehr

abentheuerlich, für die Phantasie unterhaltend, aber freylich

ohne großen Plan. Er mag eine satyrische Tendenz

haben. Ueber den höhern Sinn sind die Commentatoren

nicht einig. ─ Petrarks Allegorien nähern sich dem höhern

allegorischen Gedicht, wegen ihres tiefern Sinnes,

sind aber mehr lyrisch als darstellend. Jm Englischen,

Jtalienischen und Französischen hat man außerdem eine Menge

Tempel des Ruhms, des Geschmacks, Träume,

Gesichte u. s. w. voll wunderbarer oft planloser aber unterhaltender

Erdichtuug. J. B. Rousseau hat zwey Bücher

Allegorien, die ziemlich kalt sind. ─ Man hat die Wahl

des Hercules (von Metastasio, Lowth u. s. w.) und andre

Gegenstände bearbeitet. Herders Paramythien sind kleine |#f0280 : 756|



allegorische Gemälde, die an die Fabel gränzen. Παραμυθητικον

war bey den Alten ein Trostgedicht. ─ Der Plan

sollte eben so wie beym höhern allegorischen Gedicht in doppeltem

Sinne richtig vollkommen seyn. Es ist der Frage

werth, ob der Dichter die Deutung selbst angeben dürfe?

Ganz abstrakte Personen, unter allgemeinen Nahmen,

Klugheit, christliche Liebe u. s. w. machen freylich das

Gedicht kalt. Besser ists, wenn am Ende der Allegorie

durch eine künstliche Wendung ohne viele Erklärung die Deutung

des Ganzen in helles Licht gesetzt wird. ─ Uebrigens

hat man allegorische Dramen, Prologen und Vorspiele.

Z. B. von Metastasio, Racine u. s. w.



§. 2.



B) Die Fabel im Engern Sinne ist die Darstellung

irgend einer einzelnen praktischen Regel der Lebensweisheit

unter einem aus der nicht moralischen Welt

hergenommenen Sinnbild.



Anmerk. 1. Die Fabel im Engern Sinn, von

der man die oben bey dem pragmatischen Gedicht erwähnte

Fabeln (συϛκσις των πραγματων) unterscheiden muß, verhält

sich zum größern allegorischen Gedicht, wie die

Sentenz der gnomischen Poesie zum eigentlichen Lehrgedicht.

Jn dem allegorischen Gedicht wird ein

System von Wahrheiten bildlich vorgetragen, in der Fabel

ein einzelner meist praktischer Erfahrungssatz. Der objektive

Jnhalt der Fabel ist also doppelt. Erstlich das

Sinnbild aus der nicht moralischen Welt. Zwey= |#f0281 : 757|



tens die sogenannte Moral, oder daraus gezogene Lehre.

Es ist also falsch, wenn einige, z. B. Sulzer, die Fabel zu

den Lehrgedichten zählen. Hier ist eine ganz andre

Gattung. Die Lehrgedichte interessiren den Verstand,

als begreifendes Vermögen. Die Fabel interessirt

die Vernunft, als das Vermögen vom Sinnbild auf

die Wahrheit zu schließen. Die Fabel gehört zu den

allegorischen Gedichten. Das Vergnügen, welches

sie gewährt, liegt darinnen, daß sie anschaulich zeigt, wie

in der nicht moralischen physischen Welt nach ähnlichen

Prinzipien verfahren wird, als in der Welt der Freyheit,

so daß man die instinctmäßige Natur, als Sinnbild der moralischen

brauchen kann. Jedes auch leblose Ding in der

Welt ist das Sinnbild eines Begriffs, hat einen Charakter,

der den Menschen an irgend etwas analoges in seinem Geiste

erinnert. Die Eiche trotzt dem Sturm, aber wird entwurzelt,

das Rohr biegt sich, aber bleibt auf seiner Stelle.

Ruft die Natur dem Menschen nicht dadurch anschaulich die

Lehre zu: trotze nicht! es giebt etwas höheres als dein individuelles

du, so tief dessen Wurzeln auch gehn mögen?

Der Topf von Thon geht mit dem Topf von Eisen auf die

Reise und bricht, und dies zwar nach nothwendigen materiellen

Gesetzen. Geht dies nicht in der Menschenwelt eben so nach

Gesetzen geistiger Organisation? Jn den Thieren zeigen

sich Charaktere, Leidenschaften, welche die menschlichen im

Kleinen oft sehr glücklich satyrisch kopiren. Jst es nicht dem

Menschen natürlich, ihnen Sprache zu geben, sie handeln

zu lassen, und in der Thierwelt einen ähnlichen nothwen= |#f0282 : 758|



digen Zusammenhang nach Principien zu erwarten,

als in der Menschenwelt? Hier ist also mehr, denn ein blosses

Gleichniß. Die Fabel interessirt nicht blos den

Witz, der entfernte Aehnlichkeiten findet. Jhr Jnteresse

liegt tiefer. Es ist das der Vernunft, welche aus den natürlichen

Gesetzen selbst der leblosen oder instinctmäßigen

Natur auf ihr inneres Wesen schließt. Sie ist, wie überhaupt

die Allegorie, weniger ein Gleichniß zur Erläuterung

der Wahrheit, als die sinnliche Seite der Wahrheit,

so wie die ganze Natur, eine sichtbare Evolution des Schöpfergeistes

ist. Am nächsten ist, in Bestimmung des Wesens

der Fabel, und der Allegorie im Allgemeinen der

Sache Herder gekommen, so weit man ohne eine vollständige

Theorie der Poetik und eine rationale Psychologie

nur kommen kann. Aus diesem allen erhellt, daß die Fabel

älter sey, als Aesop (wenn nicht Aesop selbst nur eine

allegorische Person ist, wie nach seinen Biographieen vielleicht

Homer). Wenigstens meynen dies Luther und andere.

Lockmann, Bidpai, wiewohl auch entstellt, zeigen den morgenländischen

Ursprung der Fabel. Sie hängt mit der

alten Mythologie, mit der allegorischen Sprache, mit den

Hieroglyphen, welche so oft die Thiere zur Darstellung der

Wahrheit gebrauchten, nothwendig zusammen. Sie ist eine

Belebung der todten Natur, eine Prosopopöe, sie giebt

den Thieren als Jnstinctwesen eine freye, moralische Natur.

Sie ist also rein poetisch. Es ist ein Mißgriff zu dem

schon die Griechen Anlaß geben, wenn man die Fabel

für ein ursprünglich rhetoretisches Product hält, das |#f0283 : 759|



nachher von der Poesie durch den Styl poetische Einkleidung

bekommen soll. Alsdann wäre freylich die poetische

Fabel ein didaktisches Gedicht, wenn sie den Zweck hätte

zu lehren. Die Fabel will aber nur gefallen als eine

Ansicht von der Harmonie der Welt im Kleinen. Daß Menenius

Agrippa die Römer durch eine Fabel überzeugt; beweist

nicht die Macht der Beredsamkeit, sondern der Poesie,

welcher die Beredsamkeit klüglich ihre Kunstgriffe ablernt.

Aristoteles handelt von der Fabel in seiner Rhetorik unter

dem Nahmen λογος. Die Fabeln des Stesichorus und Aesop,

die er anführt, sind politisch und rhetorisch. Allerdings

hört der Mensch leichter auf Wahrheiten, die ihm unangenehm

sind; wenn man sie symbolisch vorträgt. Deshalb

mögen die Redner, (welche ein Witzling nach des Aristoteles

Erzählung mit Ammen vergleicht, die das Muß den Kindern

voressen und mit ihrem Speichel versetzen,) die Fabel

von den Dichtern entlehnt haben. Socrates, der zufolge

eines göttlichen Traums, Aesops Fabeln in Verse brachte,

mußte vielleicht für dieses von Rednern und Philosophen an

der Poesie begangene Plagium büßen. Wenn wir übrigens

es zum wesentlichen der Fabel rechnen, daß das

Sinnbild aus der nichtmoralischen Welt genommen

seyn muß, so schließen wir freylich die moralischen Erzählungen

oder die Beyspiele, und die Parabeln,

allegorische Geschichten aus der Menschenwelt aus. Grössere

moralische Erzählungen, wie die des Marmontel, gehören

zum Roman. Die kleinern Erzählungen, Beyspiele

aus der Menschenwelt, kann man, wenn man minder streng |#f0284 : 760|



seyn will, zur Fabel rechnen, weil alle Fabeldichter, Lafontaine,

Gellert, Hagedorn sie mit den eigentlichen Fabeln

verbunden haben. Will man aber streng theoretisch verfahren,

so muß man die moralischen Parabeln und Erzählungen

von der Fabel unterscheiden und zu den eigentlichen

allegorischen
Gedichten niederer Gattung rechnen.

Denn jedes Beyspiel ist im Grunde Versinnlichung

eines allgemeinen Erfahrungssatzes. Jedes individuelle ist

Allegorie von etwas Abstrakten. Ueberdem enthalten

die eigentlichen Parabeln mehr wie das Beyspiel.

Das Beyspiel ist ein Fall in concreto. Die Parabel

ist ein ähnlicher Fall als Allegorie von einem andern

ähnlichen Falle, z. B. Lessings Parabel von dem Pallast

und den Grundrissen. Daß indeß der Mensch in einer

allegorischen Erzählung vorkommt, wo die nicht moralische

Welt zur Grundlage des Ganzen dient, verwandelt die Fabel

noch nicht in Parabel. Denn der Mensch wird alsdann

auch in abstracto als Thier betrachtet. Z. B. in

der Fabel, die Aristoteles anführt, vom Hirsch und Pferd.

Eben dies gilt von Satyrn, Faunen u. s. w. ─ So viel

von dem objektiven Jnhalt der Fabel. Was insbesondere

den Plan betrifft, so wird dieser durch die Natur der

Erzählung bestimmt. Denn gewöhnlich läßt der Fabeldichter

die nichtmoralischen Wesen handeln, weil eine

praktische Wahrheit anschaulich gemacht werden soll.

Jndeß gehn viele Theoretiker zu weit, wenn sie in der Fabel

nothwendig eine wirkliche Handlung suchen.

Oft ist sie Erzählung von einer Begebenheit, die nicht |#f0285 : 761|



nach allen Regeln der poetischen Handlung zusammenhängt.

Zuweilen nur eine Bemerkung irgend eines Phänomens

der Naturwelt, ein Dialog zwischen zwey Thieren u. s. w.

Die Lehre muß in der Fabel nicht vergessen werden, sonst

bekommt sie die Natur des Räthsels. Sie kann voraus geschickt

werden. Dieß vermehrt zuweilen das Jnteresse der

Erzählung, weil der Zuhörer desto leichter die Anwendung

macht, sie kann folgen, welches die Aufmerksamkeit mehr

spannt. Sie kann den handelnden Wesen in den Mund gelegt

werden. Es braucht nicht allemal eine wirkliche Moral,

es kann eine Klugheitsregel, eine psychologische Beobachtung,

nur muß sie merkwürdig seyn. Nicht immer wird

sie, wie in der alten äsopischen Fabel, ohne alle Einkleidung,

schlicht hingesagt. Zuweilen ist sie in einen neuen individuellen

Fall eingehüllt, und die Fabel ist alsdann, wie

manche Lessingische, zusammengesetzt, besteht aus

Bild und Gegenbild. Das letztere muß aber deutlicher

sich auf den Sinn beziehn, als das erste.



Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt der Fabel,

die herrschende Hauptempfindung ist das naive. Denn

die instinctmäßige Natur erscheint hier im Selbstbewußtseyn

ihrer Jdealität. Die nicht moralische

Welt zeigt sich handelnd nach geistigen Gesetzen. Dies giebt

ästhetisch betrachtet die Empfindung des Naiven. Nächstdem,

weil in der Fabel das Wunderbare bis zur Bizarrerie

getrieben wird, wird die Empfindung des Scherzhaften

am häufigsten erweckt werden, nicht selten auch |#f0286 : 762|



das satyrische Gefühl, wegen der menschlichen Schwächen,

die unter der thierischen Gestalt gegeisselt werden.

Zuweilen nähert sich auch die Fabel dem höhern Schönen.

Einige Fabeln Lessings sind rührend, z. B. vom Lamm

und der Juno, die des Babrias Αηδων και χελιδων ebenfalls.

Lafontaine erhebt sich nicht selten mit Einbildungskraft

und Gefühl, wiewol er im Ganzen genommen mehr

Naivität und Grazie zeigt. Durch den ästhetischen

Jnhalt wird auch der Styl der Fabel bestimmt. Von dem

Styl der Fabel kann man drey Gattungen annehmen, den

ganz einfachen der Griechen, den Lafontainischen

geselligen Weltton, den epigrammatischen Styl Lessings.

Das Centrum des durch diese drey Punkte bestimmten

Zirkels ist von wenigen Fabeldichtern getroffen. Das

beste Muster giebt uns Babrias in den paar griechischen

Fabeln, die wir noch haben. Sein Styl ist einfach, edel,

naiv. Einfach muß der Styl der Fabel seyn, weil der

Gegenstand, wegen seiner praktischen Tendenz eine gewisse

Würde hat, und das Ganze leicht durchschaut werden muß,

wie jede nüchterne Lebensphilosophie. Lafontaine versteigt

sich zuweilen, wiewol im Scherz, in die Regionen

der Metaphysik, z. B. der Cartesischen. Hier geht er freylich

über die Sphäre der eigentlichen Fabel hinaus; und

sein Styl wird dann minder einfach: Wenn er die Parthey

der Thiere nimmt, und eine gewisse geistige Natur derselben

behauptet, so ist seine Philosophie allerdings der Theorie der

Fabel gemäß. Doch ist das mehr Reflexion über die Fabel,

als eigentliche Fabelpoesie. Die Lafontainische Fabel ist |#f0287 : 763|



Poesie der Cultur, die der Griechen Natur. Auch hier

zeigt sich die Wahrheit der Bemerkung, welche sich durch

das ganze Feld der Dichtkunst machen läßt, daß die neuere

Poesie sich mehr auf Reflexion, als auf Naturnachahmung

gründet. Uebrigens wär es pedantisch, wenn

man wegen der Einfachheit alle Munterkeit (Lepidezza

nach Bertola), interessante selbst müssige Züge verbannen

wollte. Edel muß der Styl der Fabel seyn, damit sich

auch in kleinen Gegenständen die Würde der Kunst behaupte.

Die Lafontainischen Scherze, die Titel, die er den Thieren

giebt maitre, capitaine u. s. w. sind in seiner Sprache

nicht unedel. Lafontaine hat den höhern Weltton getroffen.

Die deutschen Fabeldichter Gellert, Hagedorn fehlen

oft wider den edeln Styl. Jhre Natürlichkeit, ihr Scherz,

gränzt zuweilen ans Platte. Dagegen ist der Styl des

Phaedrus, den Desbillons und andere nachahmten, wieder

zu geziert, zu sehr voll Ansprüche, um ganz edel zu

seyn. Ueberhaupt zweifelt man an der Aechtheit des Werks

wegen seiner Latinität. ─ Naiv muß endlich der Styl

der Fabel seyn, weil man sich ein Publikum von großen

und kleinen Kindern denkt, welche man durch Mährchen

unterhalten, unterrichten will. Eine gewisse Treuherzigkeit

bey Erzählung dieser wunderbaren Dinge, thut die beste

Wirkung. Bey den Alten ist sie natürlich, bey Lafontaine

ist diese Treuherzigkeit, diese Naivität schon mehr schalkhaft.

Jn den Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger ist

viel Naivität. Auch trägt hierzu die alte Sprache sehr bey.

Da der Styl der griechischen äsopischen Fabeln zu einfach |#f0288 : 764|



war, um dichterisch zu seyn, da der Styl des Lafontaine

zu galant und geschwätzig war, um immer edel

zu seyn, so suchte Lessing einen Mittelweg. Er kehrte

zur Kürze der Alten zurück, verschmähte die tändelnde,

oft nur sogenannte poetische Einkleidung, die ambitiosa

et otiosa ornamenta
, allein er suchte der Fabel durch neue

sinnreiche Wendung und durch einen edlern Styl ästhetische

Würde zu geben. Oft ist der Styl der Lessingischen Fabel

so musterhaft, wie der Styl des Babrias. Aber zuweilen

wird er epigrammatischer, als es sich mit der Naivität

verträgt. ─ Das Metrum der Fabel darf sich nicht

sehr über den rhytmischen Gang der Prosa erheben. Denn

die Fabel nähert sich dem Ton der geselligen Unterhaltung.

Hendecasyllaben, Choliamben (wie Babrias), Jamben mit

und ohne Reim, kleine madrigalische Strophen (wie Jtalienische

Fabeldichter sie gebraucht haben) passen am besten.

Lessings Prosa hinwiederum ist poetisch und lebhaft genug,

um sich von der Sprache des gemeinen Lebens zu unterscheiden.

─ Uebrigens kömmt die Fabel unter mancherley

Formen und Nahmen vor. Die Alten (nach Aristoteles)

unterscheiden die Aesopische Fabel, wo Thiere, libische,

wo Menschen auftreten, (λογοι αισωπειοι λιβυκοι).

Es gab Sybaritische, Aegyptische u. s. w. vom Nahmen

der Erfinder. Apologen hießen mehr die rednerischen

allegorischen Beyspiele, welche die Menge belehren

sollten. (λογος απο λογου). Μυθοι hießen die poetischen

Erfindungen jeder Art. Hesiodus erzählt eine Fabel

und nennt sie αἰνος grauis admonitio. Jm Plato, |#f0289 : 765|



in der Sammlung der griechischen Aesopischen Fabeln steht

abwechselnd λογος und μυθος. ─ Die Neuern scheinen

unter Apologen Fabeln und Erzählungen zusammen zu begreifen,

z. B. Pfeffel in seiner ersten sehr schönen Fabel:

„Ein Sträußermädchen von Athen u. s. w. So, Leser,

denk auch ich von meinen Apologen.“ ─ Es giebt dialogisirte

Fabeln, es giebt einen ganzen Fabelroman. Den

bekannten Reinecke Fuchs, wahrscheinlich französischen Ursprungs

aus den Zeiten der Fabliaux. Ja der Fuchs stand

im Mittelalter bey dem französischem Volk so sehr in Ansehn,

daß man sogar allegorische Geschichten von ihm auf die Bühne

gebracht haben soll. Sonach hätte man auch Fabeln

in Schauspielform aufzuweisen.



§. 3.



C) Das Räthsel ist die kurze allegorische

Umschreibung eines Gegenstandes, die in der Absicht

gegeben wird, daß man selbigen aus den angeführten

symbolischen Eigenschaften errathe.



Anmerk. Das Räthsel verhält sich zu den übrigen

Gattungen der allegorischen Poesie, wie das Epigramm

zur didaktischen. Wie jenes muß es kurz

nnd niedlich seyn, wie jenes ist es mehr ein Spiel des

Witzes, als der höhern Geistesanlagen. Das Räthsel

interessirt zwar auch die Vernunft, als Vermögen zu

schließen. Aber nur durch scherzhafte Aehnlichkeiten. Die

Umschreibung im Räthsel gehört zur allegorischen Poesie |#f0290 : 766|



, nicht zur beschreibenden. Denn es werden nicht

die wirklichen Eigenschasten des verschwiegenen Gegenstandes

angegeben, wie bey einer Beschreibung, sondern symbolische.

Die Erde heißt ein Haus mit einem kristallnen

Dache. Der Regenbogen eine Brücke u. s. w. Ein Räthsel,

das ein Gedicht seyn soll, muß aber solche Bilder und

Jdeen in uns erwecken, die wahrhaft ästhetisch sind, und

das Gefühl des höhern oder niedern Schönen reizen. Auch

muß ein vollkommner Plan, eine Totalität im Kleinen darinnen

anzutreffen seyn. Die Gedanken müssen einen witzigen,

wenigstens scherzhaften Zusammenhang haben. Es

muß eine Einheit des Gedankens, wenigstens des Wortes

darinnen herrschen, dessen einzelne Sylben und Buchstaben

nach neuen Zusammensetzungen, oder dessen verschiedene Bedeutungen

beschrieben werden. Der ästhetische Jnhalt

des Räthsels ist das niedliche. Das Räthsel stellt im

Kleinen eine Totalität dar. Doch giebt es auch Räthsel,

die eine Empfindung des höhern Schönen erwecken, z. B.

das Räthsel des Sfinx, das Oedipus errieth, das Räthsel

vom Schlaf, vom Schatten im Athenäus, die meisten

Räthsel von Schiller. Styl und Metrum muß epigrammatisch

seyn. Es giebt mehrere Arten von Räthsel.

Z. B. Charaden, wo die einzelnen Sylben eines

Worts beschrieben oder anders zusammengesetzt werden, Logogryphen,

Anagrammen, wo dies mit einzelnen Buchstaben

geschieht, welche man umkehrt, hinwegdenkt oder

vorsetzt. Auch hier muß der Stoff poetisch epigrammatisch

seyn. Z. B. Amor, Roma. Dies verstehn die Franzosen |#f0291 : 767|



am besten. Z. B. diene nur der Schluß eines Logogryphe

von rosée si vous otez toutes les deux (r und e ersten

und letzten Buchstaben) je suis un mot fort précieux,

qu'à l'amant, que a sçu lui plaire, l'amante ne dicte,

que des yeux
. ─ Gewissermaßen kann man hierher

auch andre Spielereyen der Dichter rechnen, wenn Anfangsbuchstaben

von Worten oder Versen einen besondern Sinn

haben, wenn die Verse hingeschrieben eine Figur bilden,

eine Künsteley, welche man bey den Alten findet. Z. B.

Syrinx Theocriti, Ara, securis, Alae von Simmias

Rhodius. Das πτερυγιον (das Räthsel auf den Amor)

ist ein erhabenes Gedicht. Die Räthsel sind von jeher in

Ansehn gewesen. Bey den alten Völkern waren die Orakelsprüche

oft Räthsel. Homer, fabelt man, soll aus Gram

über ein unauflösliches Räthsel gestorben seyn. Die Hirten

in den Jdyllen der Alten geben sich Räthsel auf. Ein Räthsel

war das Unglück Thebens und der Familie des Lajus.

Bey den Griechen gab man sich Räthsel auf unter Androhung

gesellschaftlicher Strafen, im Fall sie nicht aufgelöst

werden konnten. Die Dichter gaben sich Räthsel in Versen,

und lösten sie auf in demselben Sylbenmaße, z. B.

Sappho beym Athenäus. Oft war die Auflösung gleich

mit dem Räthsel in einem Gedichte verbunden. Clearch hat

ein ganzes Buch über die Räthsel geschrieben. Er nimmt,

wie Athenäus sagt, sieben Gattungen an. Daß die Alten

auch Charaden und Logogryphen hatten, sieht man aus dem

Athenäus X. 17. Gryphus hieß bey ihnen eine verfängliche

und zweydeutige Aufgabe. αινιγμα eine dunkle allegorische |#f0292 : 768|



Andeutung. Aus dem Plutarch sehn wir, daß diese Räthsel

auch die Form des Scolions hatten. ─ Jndeß hat

beym Athenäus Räthsel eine zu weite Bedeutung. Jede

scherzhafte Aufgabe in der Gesellschaft, jede Art Pfänderspiel

hat bey ihm diesen Nahmen. Z. B. sagen, welche

Stadt in Asien, welcher Vers im Homer mit einem gewissen

Buchstaben anfängt. Man hatte ganze logogryphische

Dramen, wo Buchstaben die Personen waren. Selbst Sophocles

soll in einem Satyrischen Drama ein Buchstabenballet

aufgeführt haben, vielleicht etwas ähnliches, wie das Ballet

zu Ehren des Königs Stanislaus, welches Sulzer unter

dem Wort Anagramma anführt, wo Jünglinge mit Schilden

tanzten, auf denen gewisse Buchstaben von Gold geschrieben

waren. Pindar hat eine Ode ohne sigma gedichtet,

als Auflösung einer scherzhaften räthselhaften Aufgabe.

─ Euripides beschreibt den Nahmen Theseus, indem er

räthselhaft die Gestalt der Buchstaben von einem Landmann

beschreiben läßt. Mehrere in der Geschichte berühmte politische

Räthsel führt Athenäus an. Heutzutage glücken den

Dichtern die Räthsel am besten, und sie werden auch am

meisten geliebt, weil man sich gern mit der Poesie kurz abfindet.

Dies zeigt einen überwiegenden Haug zum niedlichen

,
andern Theils aber auch zum allegorischen und mystischen

an, wie in jedem philosophischen Zeitalter. Daß die

Räthsel der Philosophie verwandt sind, bemerkt schon

Clearch, beym Athenäus. Wer nicht bessere Nachrichten

hat, möchte aus der jetzigen Räthselsucht beynah das Ende

aller Poesie prophezeihn. Denn das System der Poetik |#f0293 : 769|



schließt mit dem Räthsel. Sie hat den poetisirenden

menschlichen Geist durch alle Kreisgänge seiner Organisation

verfolgt, die Hauptpole für die beschriebenen Kreise gefunden,

und trifft in der kleinsten letzten Windung jener

großen Spirallinie, in dem Räthsel, wie sichs für

eine Organisation gehört, das vollkommene Bild des

Ganzen wieder an. Denn die Poesie im Ganzen, als

die geistige Schöpfung, ist, gleich der materiellen Natur,

ein Räthsel, dessen Schlüssel der Geist in sich selber

trägt.

|#f0294 : E770|

[Abbildung]



Allgemeine Schlußanmerkung.



Kriterien der alten und neuen Poesie als Grundlinien

zu einer kritischen Geschichte der Dichtkunst.



Wenn die Poetik sich zur vollkommenen Theorie ausbilden

sollte, wozu dies Buch die ersten Grundsätze als Hypothesen

a priori enthält, so müßte die Geschichte der

Poesie nach ihren bestimmten Perioden eben so sicher daraus

folgen, wie der letzte Satz im dreyzehnten Buch des Euklides

aus allen vorhergehenden. Gegenwärtiger Versuch enthält

nur die Grundidee des Ganzen, und bescheidet sich gern

noch einer scharfbestimmten Terminologie und Politur

im Einzelnen zu bedürfen, welche vielleicht Männern von

beharrlicherem philosophischen Nachdenken und größerer Gelehrsamkeit,

als der Verfasser besitzt, aufbehalten ist. Daher

können auch hier nur einige Bemerkungen mitgetheilt

werden, wie die Geschichte der Poesie bearbeitet werden

müsse.



Jedes Volk hat seine Nazionalpoesie, die nach Willkühr

zu sinken und zu steigen scheint. Jndeß muß eine Universalgeschichte

der Poesie möglich seyn, weil sich der menschliche |#f0295 : 771|



Geist psychologisch betrachtet, nach Grundsätzen entwickelt.

Nun giebt es, wie wir gesehn haben, eine göttliche

Poesie,
durch welche gewisse Völker als Repräsentanten

der ganzen Menschheit ausgezeichnet, und Perioden

einer idealen Weltgeschichte dargestellt werden.

Diese, welche die Menschheit durch alle Zeiträume ihrer Erziehung

begleitet, wird auch die verschiedenen Epochen der

menschlichen Poesie andeuten. Wenn wir die Religionsgeschichte

zu Rathe ziehn, (s. oben) finden wir den Menschen

in drey verschiedenen auf einander folgenden idealen Zuständen

aufgeführt, welche bey einzelnen Völkern eben so, wie

im Ganzen statt haben müssen. Zuerst macht der Mensch

einen Theil der instinctmäßigen Natur aus, und erscheint

ohne allen Gebrauch der Freyheit. Denken wir uns denselben

als das edelste Thier, insofern er sich noch nicht von

der Natur getrennt hat, so ist auch noch keine Kunst möglich.

Er besitzt blos Kunsttriebe, wie die Biene und

der Biber. Sein Leben ist Poesie, wie die ganze Natur

um ihn her Poesie ist. Aber er selbst ist sich noch nicht der

poetischen Kraft seines Geistes bewußt. Er selbst und

alles, was er treibt, ist ein Kunstwerk der Natur. Seine

Sprache kann sich zum Gesang erheben, aber mit eben

so wenig Bewußtseyn, bestimmter Objektivität und Fortdauer,

wie wir in dem Gesange einer Nachtigall voraussetzen.

An Tradition, und schriftliche Aufbewahrung der

Gedichte ist hier nicht zu denken. Augenblickliche Stimmung

macht den Dichter, die Wälder der Einöde horchen

ihm, die ganze Natur nimmt Theil an seinem Gesang. Dies |#f0296 : 772|



ist das Zeitalter, welches die poetische Geschichte späterer

Tage so reizend zu schildern weiß, wo Daphnis der Jdyllendichter,

wo Silen, Orpheus und andre Helden der

Fabel gesungen haben sollen. Buchstäbliche Aufbewahrung

dieser Gesänge ist nicht denkbar. Giebt es in einer solchen

Periode vor Erfindung der Buchstabenschrift Tradition,

so ist diese nur als eine fortwährend sich ausbildende

Poesie anzusehn, vermöge welcher der jüngere Dichter durch

das Beyspiel des ältern angefeuert, den Jnhalt gewisser

Volksgesänge auf eine neue Art darstellt. Wenn also erst

mit Verbreitung der Buchstabenschrift, der Gedanke objektivisirt

in einen Begriff verwandelt, fixirt wird, so ist in

dem ersten poetischen Zeitalter einer Nazion weder ein

Homer, noch ein Ossian, möglich. Der wahre Ossian

mag allerdings anders gedichtet haben, als das ist, was

Makpherson von ihm gedichtet hat, dem man bey aller

originellen Simplicität, doch so manche nachgeahmte Stelle

aus Homer, Aeschylus, Milton u. s. w. nachweisen kann.

Dies erhellt ans dem Jrrischen Fragmente, und selbst das,

was man in der Ursprache von Ossian aufzeigt, ist gewiß

durch die Tradition nachfolgender Barden, entstellt. Die

Gedichte, die wir unter dem Nahmen Homers haben, können

in dieser Gestalt wohl schwerlich vor Erfindung und Gebrauch

der Buchstabenschrift vorhanden gewesen seyn. Homers Metrum

und Beschreibungen sind in jeder Rücksicht so genau, so

objektiv bestimmt, daß man die Einwirkung der Schriftsprache

auf seinen Geist nicht verkennen kann. Jede Vollendung

und Ründung des Gedankens ist erst dann denkbar, |#f0297 : 773|



wenn der Mensch anfängt, außer sich durch bleibende

sichtbare
Zeichen darzustellen. Eben so wenig würden

wir die ächten feurigen Naturgesänge der alten Barden haben,

wenn auch Carls des Großen Sammlung der Bardenlieder

noch vorhanden wäre. Der zweyte Zustand,

in welchem wir den Menschen finden, ist der, welcher mit

einer gewaltsamen Trennung desselben von der übrigen Natur

beginnt. An die Stelle des Naturtriebes tritt eine gewisse

Ahnung von Freyheit, statt natürlichen Eigenschaften

erschafft sich der Mensch Convenzionen und Sitten. Die

Erkenntniß, welche vorher höchstens symbolisch in der Hieroglyphe

vorhanden war, wird in abstrakten Begriffen dargestellt,

und durch die Schriftsprache allgemein objektivisirt.

Erst in diesem zweyten Zeitalter, in dem Zeitalter der

Cultur beginnt die wahre Poesie, als eine Kunst.

Der Mensch stellt sich nun der Natur gegenüber und sucht

ihr ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Weil er aber dem

Naturstande immer noch ziemlich nahe ist, weil er sich

durch die Cultur in einem minder glücklichen Zustande befindet,

als er in den Zeiten der Rohheit war, so träumt

er sich in den Naturzustand zurück, schmückt denselben

durch Fabeln aus, und stellt die sichtbaren äußern Naturgegenstände

mit Auffassung aller Züge ihres individuellen Lebens,

ja sich selbst und seine Götter nur als Naturwesen in

einem idealen Lichte dar. Dies ist der Charakter der

alten Poesie, wie sich dieselbe bey den Griechen im Original,

bey den Römern in der Kopie fand. Es ist nun

auch sehr erklärbar, warum der scharfsinnige Aristoteles das |#f0298 : 774|



Prinzip der Poesie (nämlich der Alten, die er beobachtete)

in die Nachahmung setzte. Ungeachtet der Mensch

schon idealisirte, war er sich doch dessen nicht so sehr

bewußt, weil seine Sehnsucht nach der Natur, ihm den verlornen

Naturstand schöner vorstellte, als er gewesen seyn

mochte. Zweytens weil die Wirklichkeit selbst noch

nicht so schlecht war. Jn diesem Zeitpunkte sammelte ein

Homer die Traditionen, welche jeden Helden der Vorzeit

schon nach und nach idealisirt hatten, und stellte den Menschen

als Naturwesen mit großen aber edeln Leidenschaften

dar. Jhm folgte Aeschylus, Sophocles und andre. Die

Verbreitung der Buchstabenschrift, die städtische Schaubühne

welche die Poesie concentrirte, gaben dem poetischen Gedanken

mehr Ründung und objektive Vollkommenheit. Ungeachtet

durch die Staatsverhältnisse die Menschen zusammengedrängt

und an einander gerieben wurden, so daß wohl

zuweilen ein außerordentlicher Charakter, wie die Antigone

des Sophocles, eine Erscheinung aus der Vernunftwelt,

gesehn wurde, so behielt doch auch die dramatische Poesie

der Griechen den Homerischen Sinn für die Schilderung der

individuellen lebendigen Natur. Eben dieser Sinn zeigte

sich in der lyrischen Poesie, und der Theokritischen Jdylle.

Der dritte Zustand endlich, in welchem der Mensch

aus einem idealen Standpunkte betrachtet, gefunden wird,

beginnt mit einer höhern Offenbarung. Die Sitten

sind auf dem höchsten Grad der Verderbtheit, die Wirklichkeit

ist so tief gesunken, daß der Geist alles Jnteresse am

Leben verliehrt, das Glück ist aus den Herzen gewichen, |#f0299 : 775|



und die Sinnlichkeit hat Ekel am Genusse. Da erwacht ein

inneres Licht im Menschen, und zeigt ihm eine höhere

göttliche allgemeine Bestimmung. Der Mensch wird auf

den Himmel verwiesen, der Sorge für das irdische Glück,

das ohnedieß ein unvollendetes Gebäude bleibt, entladen.

Von nun an muß die Poesie einen andern Charakter bekommen.

Dies geschah mit Verbreitung des Christenthums.

Mit dem Christenthum beginnt die neue Poesie. Durch

das Christenthum verlernte es der Mensch, die Lebendigkeit

des natürlichen individuellen Daseyns, als den höchsten

Zweck anzusehn. Er ward zu hochgesinnt, alle Jdealität

in der äußern objektiven sichtbaren Natur zu suchen.

Er kehrte den Blick nach Jnnen, wo sich ihm ein neuer

bisher unbekannter Quell geistigen unsichtbaren Lebens öffnete.

Wenn der Schatten des Achills in der Odyssee lieber

auf Erden der Knecht eines Bauers seyn wollte, als in der

Unterwelt ein König, so dachte sich der Christ dagegen nichts

herrlicheres als im Himmel ein Königthum. Er verlor also

die bestimmten Conture der Dinge aus den Augen. Das

Prinzip der Poesie war nicht mehr Nachahmung einer

vergangenen Naturwirklichkeit, wie zu den Zeiten des

Aristoteles, sondern Darstellung einer idealenkünstlichen

unsichtbaren
Welt. Daher will schon Vida

einen Dichter erziehn, während Horaz ihn nur bilden

wollte. Wie die alte Poesie, (die griechische oder

mythologische) nicht die Gegenwart schilderte, sondern den

Blick um eine ganze Epoche rückwärts in einen Naturstand

äußerlich idealer Gestalten warf, eben so zeigt die neue, |#f0300 : 776|



(christliche philosophische) Poesie, welche auf dem Standpunkt

der Offenbarung steht, keineswegs den Menschen,

wie er itzt seyn sollte, erleuchtet von der Religion ─ sondern

sie wirft den Blick um eine ganze Epoche rückwärts in

den Zustand der Cultur, und schildert uns die Welt unter

der Herrschaft der Sitten und Convenzionen. Die alte

Poesie schilderte die sichtbare und individuelle Natur,

weil sie dieselbe für das Jdeal des Daseyns hielt; sie

blickte rückwärts, weil sie ihr Jdeal hinter sich in einer kräftigeren

Vorwelt suchte. Die neue Poesie schildert den

convenzionellen cultivirten Zustand, nicht weil dieser

ihr Jdeal ist, nicht weil sie ihr Jdeal rückwärts sucht,

sondern weil ihr der Naturzustand zu wenig, dagegen der

Zustand der Cultur der einzige Weg ist, durch welchen der

Mensch zum höhern Jdeal, welches vorwärts liegt, gelangen

kann. Die alte Poesie nahm eine Richtung,

welche den Menschen beruhigen mußte, sie zeigte die äussere

Gestalt der Natur, welche immer harmonisch ist.

Selbst wenn sie, wie in der Tragödie, den Menschen im

Unglück darstellte, verwies sie ihn auf die grausend schöne

Jdee des Fatums, und hingestützt auf Grazien und Musen

empfing er, wie Schiller sagt, den Pfeil mit freundlich

dargebotner Brust vom sanften Bogen der Nothwendigkeit.

Er fand seine schönste Bestimmung darinnen der Natur

als integrirender Theil anzugehören, er fühlte ihre Schönheit,

und liebte sie, selbst wenn er vom geheimnißvollen

Gang ihres Schicksals niedergetreten ward. Die neue

Poesie nimmt eine Richtung, welche die Absicht hat, den |#f0301 : 777|



Menschen eher zu empören als zu beruhigen. Sie will

ihn von der sichtbaren Natur entfernt halten. Sie will alle

Bande, die ihn an sie knüpfen zerreißen, damit er sich einer

höhern idealen Natur, die in ihm selbst ist, in die Arme

werfe. Die neuere Poesie bringt also nicht Harmonie,

sondern Contraste hervor, um aus diesen Contrasten

eine höhere Harmonie einst hervorgehn zu lassen. Darum

stellt sie gern das gestaltlose Zeitalter der Cultur dar,

weil sich der Mensch in demselben mit sich selbst, mit seiner

Sinnlichkeit in Entzweyung befindet, weil er darinnen

kämpft, um das religiöse Prinzip zu erringen. Darum

zeigt sie den Menschen immer auf der einen Seite in der

tiefsten Verderbniß und Erniedrigung, auf der andern als

ein Wesen, das auf eine gottähnliche Jdealität Anspruch zu

machen hat. Die alte Poesie beginnt mit dem naiven,

weil sie nur allein die Jdealität der instinctmäßigen

Natur fühlt. Alle übrigen Empfindungen des niedern

und höhern Schönen modifiziren sich nach jener herrschenden

Hauptempfindung. Jn den Helden der Alten findet

man, wie wir oben aus Beyspielen ersehn haben, Naivität

mit Hoheit verbunden, Naivität in der Heftigkeit

u. s. w. Das höhere Schöne ist nie ganz getrennt von dem

niedern Schönen. Die alten Dichter sind des Großen,

Starken, Heftigen, Hohen fähig. Nur das himmlisch

erhabene,
wie schon von uns bemerkt worden ist, fehlt

ihnen ganz und muß ihnen fehlen, weil die Alten die unsichtbare

Welt des Geistes, und ihre Harmonie mit der

Natur, nach geschehener Trennung von der Natur nicht |#f0302 : 778|



kannten. ─ So zeigt sich die alte Poesie zuerst im Homer,

welcher als der erste Dichter, und die Quelle derselben angesehn

werden kann. Die neue Poesie beginnt mit der

Allegorie. Denn ihre Epoche hat den Dante an der

Spitze. Den Charakter der Naivität, der individuellen

Lebendigkeit hat sie nicht, weil die Zweydeutigkeit der

Allegorie sich nicht mit Naivität verträgt. Dagegen

zeigt sie alle Grade des rührenden Schönen. Geist und

Natur sind in der größten Trennung. Das heftige, das

starke, das große, das schauderhafte ist geschildert, ohne

Beymischung des niedern Schönen. Darum entsteht

auch, wenn die Trennung aufgehoben wird, das himmlisch

Erhabene.
Uebrigens hat die neue Poesie eine

sehr alte Quelle, das größte Meisterwerk des Geistes, die

Bibel. Homer hatte zwar auch Fabeln und Mythologie,

die er nur zu sammeln brauchte. Allein die höchste Form

der Schönheit mußte er selbst zu seinem Stoffe hinzuthun.

Die neue Poesie hingegen hatte die göttliche Poesie

zur Quelle, zum Muster, da die Bibel von der Genesis

an bis zur Offenbarung Johannis ein großes poetisches Ganzes

ist, das die ideale Weltgeschichte vom Anfang bis zum

Ende der Zeit in sich begreift. Durch die Bibel steht die

neue Poesie in Verbindung mit dem Kunstgeschmack der

ältesten Völkerschaften des Orients. Die Tendenz der

neuen Poesie ist also vielleicht eben so alt, als die Tendenz

der alten. Denn dieser Contrast eines innern geistigen

Jdeals und der äußerlich erniedrigten Menschheit,

die Verbindung des kühnsten Gedankens mit den gemeinsten |#f0303 : 779|



Ausdrücken des Lebens, eine erhabene Ansicht des Weltgebäudes,

der tiefe philosophische Blick in die grausende Nacht

eines gestaltlosen Geisterreichs, alles das, was in der

neuen Poesie oft nur Nachahmung ist, findet sich bey den

hebräischen Dichtern ursprünglich. Allein vor Ausbreitung

des Christenthums war die göttliche Poesie ein Nationalgeheimniß

der Juden. Sie konnte deshalb auf die menschliche

Dichtkunst keinen Einfluß haben. Erst als die Wissenschaften

wieder auflebten, und die christliche Religion mit

ihren wohlthätigen Jdeen die barbarischen Völker kultivirt

hatte, wurde die Stimmung, welche die Bibel aus dem

Orient ins Abendland verpflanzte, Veranlassung, nach ihr eine

neue Poesie zu bilden. Diese heißt also mit Recht die

Neue. Dagegen die griechische Poesie mit Recht die

Alte. Denn vor dem Christenthum war sie diejenige,

welche in der damals gebildeten Welt den Ton angab. Auch

ist der griechische Geschmack an dem naiv schönen

nothwendig eher, älter, wird bey den Menschen, im Durchschnitt

genommen, eher ausgebildet, als das Gefühl des

geistig schönen, wie dieses aus den oben festgestellten

Grundsätzen bewiesen ist. Daß übrigens die neue Poesie

von der Religion ihre Bildung erhalten hat, läßt sich leicht

darthun. Dante schuf eine christliche Mythologie,

Milton, Ariost, Tasso folgten ihm auf neuen Wegen.

Durch die Troubadours ward Petrark gebildet. Shakespear

ergriff den innersten Geist des Lebens. Allein war nicht die

romantische und zugleich philosophische Stimmung des

Zeitalters, welches alle jene Originaldichter aufzog, ein |#f0304 : 780|



Werk des Christenthums, dessen mystisches Licht sich mit der

Nacht der gothischen Barbarey vereinigte, um wunderbare,

für die alte griechische Welt unerhörte poetische Gestalten

hervorzubringen? Das reine Christenthum an sich betrachtet,

hat eine einfache Tendenz und ist den mährchenhaften

Erfindungen der Poesie abhold. Durch die höhere Andacht,

welche die Anbetung Christi erweckt, soll das Leben

selbst in Poesie, und die Lebensart des Menschen in

eine religiöse Jdylle verwandelt werden. Der Mensch,

den sich die griechische Poesie in der rückwärts liegenden Fabelwelt,

als ein vollkommnes Naturwesen dachte, soll

durch das Christenthum einem zweyten höhern Naturstande

entgegengeführt werden, welcher der Himmel heißt, wo die

Reflexion, die Entzweyung aufhört, und an die Stelle des

individuellen Naturinstincts, der allgemeine Vernunftinstinct

der Liebe tritt. Wäre diese Poesie des Lebens völlig

zu realisiren, so würde die objektive Poesie, die blos

in der Gedankenwelt statt hat, aufhören müssen. Sie würde

eben so wenig, wie zu den fabelhaften Zeiten des Orpheus

denkbar seyn. ─ Da nun aber die Wirklichkeit den

Jdealen des Christenthums widerstrebt, da der Mensch seinen

Himmel kaum in wenigen Augenblicken zu realisiren vermag,

so hat der Genius des Christenthums die wohlthätigen Träume

der Phantasie aus einer poetischen Gedankenwelt nicht

von der Menschheit verscheucht. Er mußte aber natürlich

die Gattung der Poesie am meisten begünstigen, die seinen

Jdealen am nächsten war. Dies konnte die alte griechische

Poesie nicht seyn, weil diese nur das irdische |#f0305 : 781|



individuelle Daseyn idealisirte. So mußte also eine neue

Poesie entstehn, welche in der idealen Weltgeschichte freylich

um eine ganze Epoche hinter den Aussichten des Christenthums

zurück ist, und der göttlichen Poesie der Hebräer

am nächsten kommt. Hier erscheint der Mensch in dem Zustand

der Kultur und der Reflexion, auf der einen Seite

verachtend sein individuelles Daseyn, auf der andern aufblickend

zu einer allgemeinen idealen göttlichen Natur, in

welche er sich aber noch nicht aufgenommen fühlt. Wenn

wir den Unterschied der alten und neuen Poesie durch

die einzelnen Gattungen der Dichtkunst verfolgen, so ergeben

sich folgende Charakterzüge. Jn der lyrischen Poesie

der Alten herrscht idealisirte Sinnlichkeit, und

individuelles Leben. Die Oden von Pindar, Anakreon,

Horaz, sind eine Reihe wohlgeordneter Bilder, welche die

Anschauung beschäftigen. Der Gegenstand bezieht sich gewöhnlich

auf äußerliche Gestalt und Schönheit, Kampfspiele,

Gasimahle, sinnliche Liebe u. s. w. Das Gedicht hängt

objektiv als ein lebendiges Gemälde zusammen, es ist ein

Jdyllion im eigentlichsten Sinne des Worts. Die Einbildungskraft

bestimmt, wie Horaz das Muster giebt, den

Plan. Die lyrische Poesie der Neuern hat durch die

religiöse Umänderung der Jdeen einen ganz andern Schwung

bekommen. Der Horazischen und Anacreontischen Poesie

steht Petrark, der pindarischen, Klopstok entgegen.

Der gebildete Mensch hat das Hauptinteresse für den äussern

Glanz verlohren. Nur höhere Jdeale begeistern

den neuern Odendichter. Seine Helden müssen mehr über |#f0306 : 782|



sich selbst, als über andre siegen. Die Liebe für das

Jndividuum findet der neue Lyriker nur dann gerechtfertigt,

wenn dies Jndividuum ihm als Abglanz des Urbilds

aller Schönheit überhaupt erscheint. Hoheit und Reinheit

des Charakters werden von ihm gepriesen, und Vorzüge,

die in einer unsichtbaren Welt gelten. Der Plan der neuern

Ode wird weniger durch die objektive Gedankenreihe und

die Einbildungskraft, als durch die Empfindung des

Dichters bestimmt. Sie ist weniger Bild, als Herzenserguß.

─ Was die darstellende Dichtkunst betrifft,

so ist nicht zu läugnen, daß in der historischen Gattung

die alte Poesie weit über die Poesie der Neuern steht.

Auch dies ist aus der Umändrung der religiösen Jdeen und

der geselligen Einrichtungen zu erklären. Zur Ausbildung

der historischen Poesie gehört vorzüglich ein Zeitalter

voll Thatkraft, deren Wirkungen in die Sinne fallen.

Die religiöse oder wenigstens philosophische Jdee von Nichtigkeit

der menschlichen Dinge ist dem Unternehmungsgeiste

wenig günstig. Und hätten auch die Charaktere der neuen

Welt eben so viel Energie, als die der Alten, wo Staatsverfassung

und heroische Verhältnisse die Jugend zu Thaten

spornten, so hat sich doch der Mensch überall mit so viel

kleinlichen Mitteln in seinen kriegerischen und bürgerlichen

Arbeiten umgeben, daß diese Massen weit schwerer in

Bewegung gesetzt werden können. Jm Kabinett durch die

Feder, durch mathematische Plane, höchstens durch lange

Reihen von Feldstücken wird mehr bewirkt, als durch das

Schwerdt. Die neuern Thaten geben also der Einbildungskraft |#f0307 : 783|



um so weniger Nahrung, je weniger ihre Wirkungen

in die Sinne fallen, je weniger der einzelne Mensch

durch sich selbst handelt. Jm Homer tritt Ajax auf dem Kampfplatz

und alle zittern. Der neuere Held ist fürchterlicher

durch seine Geistesenergie als durch sein äußeres Selbst. Die

historische Poesie der Alten zeichnet die Charaktere als

wunderbare Naturwesen voll heftigen Leidenschaften, und

so wird mehr individuelles Leben bewirkt, als bey den

Neuern, welche die innern unsichtbaren Tiefen der Seele

darzustellen suchen. Daher hat die Neue Poesie den Roman

erfunden, weil ihr das Heldengedicht im eigentlichen

Sinne fremd ist, weil im Roman sich vorzüglich die

Seele entwickelt. Ueberdem ist das Jnteresse für Vaterland

und Nazion bey den Neuern schwach. Denn Philosophie

und Religion geben dem Menschen ein allgemeines Vaterland.

Wenige Handlungen interessiren die ganze Menschheit

selbst. Selbst die Entdeckung einer neuen Welt mag vielleicht

mehr eine Epopöe für Seefahrer und Handelsleute geben.

Daher sind unsre neuen Epopöen, die diesen Nahmen

verdienen, sämmtlich religiösen Jnhalts, oder neigen

sich zur allegorischen Poesie hin, wodurch der besondre

individuelle Stoff einen Werth im allgemeinen als Jdee

bekömmt. Da das historische Gedicht der Neuern an

Werth der Handlung und Lebendigkeit der Charaktere

verlohren hat, so hat man diesen Verlust anderwärts her ersetzen

müssen. Hieraus muß man sich bey den Neuern die

Verwicklung der Handlung, die Aufhäufung von Personen

in den epischen Gedichten und Tragödien erklären. |#f0308 : 784|



Je größere Dichter die Alten waren, desto einfacher waren

sie hierinn. Schon Euripides erfand mehrere Situationen,

weil er sich schwächer fühlte. Daher stammt auch bey den

Neuern die Erfindung des abentheuerlichen romantischen

Gedichts. Zu dieser Gattung gehört Ariost, großentheils

Tasso und selbst die Shakespearische Tragödie. Weniger

Scenen braucht allerdings Sophocles, einen Charakter, z. B.

den Oedipus darzustellen, als Shakespear. Aber freylich,

was den Charakteren der Neuern an Lebendigkeit abgeht,

gewannen sie wieder an Liebenswürdigkeit, innerer Jdealität,

feiner psychologischer Zeichnung. Die Gefühle und

Leidenschaften der neuern Menschen haben eine Herzlichkeit,

ein Jnteresse, eine Tiefe, von der sich die Alten keinen Begriff

machen konnten. Schon Virgil, wenn gleich sein

pius Aeneas ihm mißlang, weiß (besonders in den letzten

Büchern) das Herz durch manchen sanften Zug zu interessiren,

welcher dem Homer entgehn mußte. Virgil war der

Umwandlung der religiösen Jdeen auf der Erde näher, und

die edlern Geister jener Zeit hatten vielleicht schon eine Ahnung

von dem neuen Schwung, welchen die Seelenwelt

nehmen würde. Brutus der letzte Bürger war gefallen.

Aber die Menschheit sollte ein Bürgerrecht im Himmel erhalten.

Darum zeigen sich in der neuen Poesie die Menschen

von bisher nie geahnten Seiten. Die Krieger im Tasso fechten

nicht für eine Helena, sie fechten für das Grab ihres

Gottes. Alle Leidenschaften nahmen durch diese und ähnliche

Jdeen eine andere Wendung. Wenn Ulysses und Penelope

sich ohne alle Ueberspannung aus häuslicher Gewohnheit, |#f0309 : 785|



und individuellex Neigung lieben, wenn alle Bande der

Verwandschaft bey den Alten mehr für zufällig, als für

nothwendig gehalten wurden, so fühlt sich dagegen ein Olint

für Sophronie, ein Semida für Cidli geschaffen, so dehnt

der neugeborne Mensch alle Bande der Geschlechter in eine

Ewigkeit aus. Dies giebt den poetischen Gefühlen eine

schwärmerische Heftigkeit. Ein Charakter wie Hamlet,

ein Monolog wie der des Richard im Kerker, öffnet allein

schon die Aussicht in eine neue von den Griechen nicht gekannte

Welt. Freylich sind ein Eteokles, ein Orestes

bessere Helden für eine Handlung, aber Hamlet ist

eine ungewöhnlichere Erscheinung. Ein Adam, der in der

Schöpfung zuerst erwacht, ein Eloah, der zum erstenmal

den Ewigen Gott vor sich sieht, sind Wesen, die eine neue

Periode in der Geschichte der Menschheit, die Entwicklung

der tiefsten philosophischen Einsicht in das All der Dinge

verkünden. Die neue Tragödie, das Shakespearsche Drama

bringt nicht, wie die griechische, den Menschen mit dem

Geschick in Einigkeit, versöhnt ihn nicht durch das Band

der Schönheit mit der Natur, sondern sie läßt ihn in beständigem

Kampfe, damit er, durch die Freyheit, das Bewußtseyn

des Himmels erringe. Auch hierdurch verliehrt die historische

Poesie der Neuern an Schönheit, gewinnt aber

vielleicht an philosophischem Jnteresse. Ein anderer Reiz,

welchen die neue historische Poesie vor der alten voraus

hat, besteht in dem Romantischen, als einer neuen

Gattung des Wunderbaren. Homers Götterwelt hat

zu viel Licht, erregt selten Grausen, man möchte etwa |#f0310 : 786|



den Götterkampf der Jliade, das eilfte Buch der Odyssee

u. s. w. ausnehmen. Aeschylus übertrifft hier den Homer

durch den Schatten des Darius, durch sein Furienchor

u. s. w. Allein wie weit bleibt Aeschylus hinter Shakespear

zurück, wie weit die Maschienerie des Homer hinter

der des Tasso, Dante und Milton. Die Religion hat

den Menschen einen Sinn aufgeschlossen, welcher den Alten

fremd war. Eine wohlthätige Nacht eröffnet das Auge der

Seele, und sie sieht Dinge, die sie mit dem Tod und allen

Schrecknissen des Jenseits vertraut machen. Freylich verliehrt

durch diese oft unerklärbare Maschienerie das Werk

der Neuern nicht selten an ästhetischer und logischer

Vollkommenheit. Aber es gewinnt für die Einbildungskraft

an Jnteresse. Die neuere Poesie gleicht hierinnen

einer minder regelmäßigen Schönheit, welche durch

einen tiefen Zug oft anziehender ist, als das vollkommenste

Gesicht. Endlich gewinnt auch die neue historische Poesie

zuweilen durch gewisse Contraste des komischen und tragischen,

des gemeinen und edeln, die sich die alte nicht erlaubt

haben würde, (ob sie gleich aus dem wirklichen Leben

im Zustande der Cultur aufgegriffen sind), und durch lebhaftere

Beschreibungen. Wenn man die Gleichnisse Ariosts,

Dantes und Homers gegen einander hält, so findet man in

den erstern Dichtern oft ein lebhaftes hervorstechendes Colorit,

das dem alten Griechen mangelt. Letzterer hält sich

nur an die Natur, selten daß er von einer besondern menschlichen

Erfindung, oder aus dem häuslichen Leben seine Bilder

hernimmt, auch sind dies dann nicht immer die glücklichsten |#f0311 : 787|



. Ariost hingegen und andre neuere Dichter setzen

in ihren Gleichnissen alles, was Kunst, Wissenschaft und

menschliche Erfindsamkeit ihnen darbietet, zusammen. ─

Eine einzige Gattung der pragmatischen Poesie hat in

dem neuen Zeitalter in Vergleichung mit ihrem Zustande

bey den Alten gewonnen, und das ist das Lustspiel,

besonders, das feincomische, weil die alten, wie Aristophanes

zeigt, beym groteskkomischen stehen blieben, unsere

gesellschaftlichen Verhältnisse dagegen und der Unterschied

der Stände mehr Karrikaturen hervorbringen, als die Alten

aufzuweisen hatten. Auch hat das Zeitalter der Cultur

und künstlichen Freyheit, den Humor, die Laune erzeugt,

welche den Alten ganz mangelt. Was übrigens

die Einrichtung der Schauspiele betrifft, so zeigt sich

auch hier der Unterschied der alten und neuen Poesie.

Die Alten arbeiteten bey allen ihren Kunstwerken in großen

colossalischen Massen, weil sie das Auge durch außerordentliche

Gestalten zu füllen suchen. Daher, und wegen den

bleibenden Charakterrollen im Lustspiel, gebrauchten sie

Masken. Die Neuern suchen in allen Dingen mehr die

Seele. Sie verlangen, daß weniger die äußere Gestalt,

als die Mine des Schauspielers wirke. Auch ist man dem

Schauspieler bey uns näher, als in den alten Theatern. ─

So viel von der historischen Poesie. ─ Was die beschreibende

Poesie betrifft, so ist schon bemerkt worden,

daß die Neuern hierinnen den Vorzug haben. Die Alten

kannten die Natur weniger im Großen, weil ihre mythologischen

Jdeen den Blick beschränkten. Daher findet |#f0312 : 788|



man bey ihnen das höhere beschreibende Gedicht gar nicht.

Jn der Jdylle muß man, aus oben angezeigten Gründen,

den Alten den Vorzug lassen. Geßner giebt die

Manier der neuern Jdylle an. Sie nähert sich aber bey

ihm schon einer Gattung, welche für uns noch in der Zukunft

liegt, der religiösen Jdylle. ─ Satyre und

Epigramm, findet in dem Zustande der Kultur so viel

Nahrung, daß die Neue Poesie hierinnen der Alten leicht

den Preis abgewinnen kann. Jm didactischen und allegorischen

Felde hat die Neue Poesie ihr eigentlichstes

und originellstes Gebiet. Denn hier giebt ein philosophisches

Zeitalter den meisten Stoff. Wir haben schon zu anderer

Zeit bemerkt, daß hier noch manches unentdecktes unbenutztes

Land liege. ─ Aus dieser kurzen pragmatischen

Geschichte der Dichtkunst kann man das Resultat ziehn, daß

der Unterschied der alten und neuen Poesie in nothwendigen

psychologischen Ursachen gegründet sey. Jede von

beyden hat ihre besondre originelle Richtung. Jn welchem

Fache die eine Original ist, kann es die andre schlechterdings

in dem Grade nicht seyn. Man sollte demnach die alte

Poesie zwar immer als beschränkendes Muster zur Bildung

des Geschmacks, nie aber als ein Muster, welches das

schöpferische Genie zu Nachbildungen reizt, ansehn.

|#f0313 : E789|

[Abbildung]

Register. ──────


Die Seitenzahlen laufen durch beyde Theile fort.



A.



Aeschylus 74. Uebersetzung seines Furienchors 79. Antithesen

99. Beschreibung des Schlachtmorgens 124. Wortsynthesen

273. Jnterjectionen 284. Amphibolieen 322.

Pleonasmen 324. tragische Metra 408. Anfang der

Trauerspiele 633. sein Chor 638. Schwulst 644.



Aesop 758.



Alexandrinische Dichter 200.



Alfieri sein Brutus verglichen mit Voltaire 634.



Anacreon. Niedliche Stellen 156. Naive 198.



Appollonius Rhod. hat Naivität 201.



Apulejus 190. 191. Hermes Trismegistus 467.



Arabische Dichter lieben die Allegorie 310. ob sie den

Reim erfunden 353. haben Poetiken in Versen 720.



Archestratus 717.



Ariost Roland, verglichen mit Othello 99. Alcina mit

Tassos Armida 171. seine Laune 190. romantische Beschreibungen

191. Allegorieen 312. sein Plan 597. 616. Beschreibungen

verglichen mit Homer 786.



Aristoteles sein Prinzip der Nachahmung 9. 774. κυριον.

ξενικον 249. über Chiasmus 316. sein Päan 554. Theorie

der Handlung 595. 6. über das tragische 621. über die

Fabel 759. 64.

|#f0314 : 790|



Aristophanes seine Satyre ist schmutzig 185. parodirt die

Tragiker 662.



Athanasius 501.



Athenäus über Räthsel 766 ─ 68.



Ausonius s. Cento 314.



B.



Babrias 409. 762.



Barden 353. 773.



Baumarchais, Figaro 662.



Bentley ist zu scharfsinnig in Erklärung der Dichter 257.

über Cäsur 396. über Sapphisches Metrum 423.



Blumauers travestirte Aeneis 187.



Blair über Horaz 309. über die Figuren 317.



Boileau über Poesie und Musik 15. über Wortspiele 266.

729. über Epitheta 277. über Sonnet 545. über die Elegie

565. über die Oper 673. Satyren 696. Dichtkunst 720.

übers Epigramm 728. über Alexandriner 411.



Büffon 339.



Bürger Uebers. des Homers 330. Onomatopoien 373.



C.



Camoens 600.



Catull, niedliche Stellen 159. hat Grazie 169. ist humoristisch

190. Wechselgesänge 477.



Cervantes 653.



Chateaubriands Atala 203. über den Genius des Christenthums

739.



Cicero Paronomasie 265. von der Allegorie 309. genera

dictionis
333. Uebers. der Apolog. Socr. 339.



Claudian falsche Jnversion 280. Epithalamien 577. 755.



Cleobulus Epigramm übersetzt 700.



Corneille (P.) 96. Clitandre 267. 97. Cid 268. 626. 29.

47. der Reim wird ihm schwer 376. seine Declamation |#f0315 : 791|



436. über die dramatische Einheiten 623. 24. Nebenpersonen

625. Horace 627.



Cowley, unmusikalischer Schluß 391. ohne Strophen 545.



D.



Dante 74. verglichen mit Sophocles 85. Ugolinos Traum

übers. 115. sanfte Stellen 165. πολυσυνδετον 281. seine

Mythologie 738. ist allegorisch 747. über die Erlösung

750. verglichen mit Klopstock 751. sein Styl 753.



Delisle und Boileaus Uebers. der Sappho 424. Dithyramben

555.



Dryden, Ode auf d. Cecilientag 543. 86.



E.



Edda 354.



Engländer zu bilderreich fürs sanfte 166. sind humoristisch

189.



Ennius Onomatopoie 372.



Euripides Beyspiel des Sanften 161. ist zu sentenziös 301.

schließt einfach 303. Jphigenie 633. sein Chor 637. 38. 39.

Räthsel 768. hat am meisten Situationen 784.



Evremond über die Oper 669.



F.



Florian 179.



Fracastorius 718.



G.



Gellert 659. 725. 763.



Geßner 246. 343. idyllische Dramen 665. Jdyllen 689. 90.

Tod Abels 693.



Gleim, Beyspiel des Glänzenden 123. Anakreontische Nachahmungen

158.



Göthe, der Charakter seiner Poesie ist hohe Grazie 179. ist

Muster für den poetischen Styl 270. Götz von Berlichingen |#f0316 : 792|



620. Clavigo 628. schildert den Bürgerstand idyllisch

691. Bestimmung des Romans 655. sein gnomischer Styl

714.



Grays Dorfkirchhof 167.



H.



Hagedorn 573. 655. 763.



Haller, Beyspiel des Großen 105. Elegien 566. An die

Ewigkeit ist beschreibend 679. seine Alpen 692.



Hebräische Dichter, lieben den αθροισμος 87. haben poetischen

Dialekt 277. Bilder aus dem gemeinen Leben 290.

Prosopopoien 291. verwechseln die tempora 295. lieben

Antithesen 298. der Parallelismus 300. ob sie den Reim

gekannt 352. ihre Elegieen 528. ihr Charakter 779.



Hephästion Definition der kurzen Sylbe 385. über Epoden

546.



Herders Paramythien 755. über Fabel 758.



Hermann über Rhythmus 342. Metrik 392. über Pentameter

398.



Hermesianax 569.



Herodot über Homer und Hesiodus 11. 310.



Hesiodus Beyspiel des Ekelhaften 85. Scut. Herc. 680.

εργ. και ἡμερ
. 719.



Heyne über das didactische Gedicht 704.



Hiob heftige und grausende Stellen 87. 112. ein Lehrgedicht

529.



Hölty 424. 29.



Homer 75. Epanalepsis 76. Beyspiel vom Heftigen 77.

Gräßlichen 78. Aengstlichen 84. grausenden 118. hohen

130. liebt die Contraste und erhabene Grazie 132. Priamus

Anrede an Achill übers. 136. hohe Grazie 177. Thersites

181. Naivität dieses Dichters 195. Hymnus in Venerem

179. häuft die Nahmen 279. seine epitheta sind |#f0317 : 793|



nomina propria 280. seine Beschreibungen sind nicht

müßig 286. Vergleichungen und Gleichnisse 287 ─ 90.

γοργοτης 294. schließt ohne Epiphonem 302. Climax

305. Schwur 307. Hyperbel 308. 288. Räthsel 310. 767.

Allegorie 311. Amphibolieen 322. Nachricht vom Tod des

Patroklus, analysirt 329 ─ 31. Uebersetzung in Jamben

330. musikalische Sprache 348. 50. Hiatus 401. rhythmischer

Ausdruck 404. metrischer Ausdruck 405. 6. Wiederholungen

595. Plan der Jliade 600. 605. Odyssee 603. 9.

Eatalogus 604. Schluß der Jliade 610. einzelner Bücher

612. sein lächerliches 612. Ton der Erzählung 613. kannte

die Buchstaben 772. seine Charaktere verglichen mit den

Neuern 775. 84.



Horaz 73. hat Grazie 168. Beyspiel der Catechrese 257. der

Metonomie 259. pleonastische Epitheta 279. hat zu lange

Parenthesen 282. schließt ohne Epiphonem 303. ist oft zu

metaphorisch 309. Allegorie 311. schlechter Wortklang 351.

Accent wider das Metrum 403. über Jamben 408 ─ 16.

Jonisches Metrum 425. über die Ode 535. historische Oden

536. 37. Jdeengang seiner Oden 538. 40. 43. dramatisirte

Oden 545. Epoden 546. Hymnen 548. verglichen mit Tibull

563. idyllische Oden 571. Episteln 580. über den Chor

637. 40. Satyren 697. de arte poetic. 720.



J.



Jesaias, grausende Pracht 113. Allegorie 310.



Johannes Evangel. Beyspiel des himmlisch erhabenen 143.



Jtaliener Ursprung ihres heroischen Sylbenmaaßes 389.



Justinian Chiasmus 316.



Juvenal 351. 697.



Jvain vom Ritter Hartmann hat Naivität 204.

|#f0318 : 794|



K.



Kants Sittengesetz 39. Beyspiele des Großen 108.



Kleists amphibrachische Hexameter 416.



Klopstock 68. Beyspiel des Heftigen 89. ist weniger grausend

als Milton 118. glänzende Stellen 123. Uebergang aus

dem Großen ins Erhabene 127. erhabene Grazie 134.

Naivität 200. über die Endigung deutscher Worte 276.

Beyspiel von Sermocinatio 283. Prosopopoien 292. Epiphonem

303. Amphibolieen 320. 22. über Position 387.

deutscher Daktylus 388. über Quantität der Sprachen 390.

Spondeenmangel 391. über seine lyrischen Metra 396. 97.

Hiatus 402. über rhythmische Perioden 345. über metrische

Bewegung 405. seine Jamben 409. über den deutschen

Hexameter 417. Ode Salem 421. Clarissa 424. die Sommernacht

425. Lehrling der Griechen 429. Hermanns Schlacht

480. dramatische Oden 537. 43. 45. über poetische Episteln

557. Elegieen 566. Plan seiner Oden 541. seine Charaktere

598. 608. sein Erzählungston 614. über Handlung und Leidenschaft

537. über das Epigramm 730. seine Bardieten

648. 480. über Declamation 436.



L.



Lamotte und Lafaye über den Reim 375.



Lafontaines Fabeln 762. 63.



Lessing, seine Jamben 409. Emilie Galotti 632. Minna

von Barnhelm 658. 59. Nathan 724. über d. Epigramm

727. 28. Parabel 760. Fabeln 761. 62.



Longin Definition des Erhabenen 210. über Sylbenmaaß

381. Metrum 393.



Longus (Sophista) hat Naivität 201.



Lucan 307.



Lucilius liebt die Tmesis 276.

|#f0319 : 795|



Lukrez. Große Stellen 110. erhabene 130. sanfte Größe 166.

hat Laune 190. Tmesis 276. Plan des Gedichts 707. 709.

11. sein Styl 713. 17.



M.



Macpherson, sein einfacher Styl 270.



Manilius 676. 680. 718.



Marzial 729. 31.



Mathissons 161. Adelaide 304. beschreibende Lieder 701.



Mesomed Hymne an die Nemesis 131. 550.



Metastasio niedliche Stellen 160. Beyspiele der galanten

Poesie 593.



Milton, grausende Stellen 118. Gebet von Adam und Eva

übersetzt 120. Penseroso 166. Einmischung der Mythologie

296. 600. Erzählungston 614.



Minnesänger hatten noch poetischen Dialect 363. Fabeln

763.



Minucius Felix 500.



Moliere Precieus. 267. Misanthrop 659.



N.



Newton über Geometrie 24.



Nonnus Paraphras. des Johannes 278.



Notkerk 46.



O.



Odins Höllenfarth 119.



Opitz, von der Poeterey 10. hat Naivität 204. Wortsynthesen

274. sein Vesuv 680.



Ossian 68. Große Stellen 111. grausende 115. Wehmuth 137.

seine Vergleichungen sind genauer wie die Homerischen 290.

ob er gereimt 354. sind seine Gedichte Epopöen? 610. Schluß

seiner Gesänge 612. sein Erzählungston 614. über seine

Aechtheit 772.

|#f0320 : 796|



Otfried Evangel. 355.



Otway 94.



Ovid niedliche Stellen 160. Grabschrift des Phaeton 182.

Metamorphos. Anfang 261. Antimetabole 316. seine Pentameter

419. über die Elegie 560. dirae 564. seine Heroiden

557. sein Elegieenton 568. Epistolae ex Ponto 570. 79.

de arte amandi
722. Plan seiner Metamorphosen 745.



P.



Pervigilium Veneris 158.



Petrark heftige Stellen 103. Antithesen 105. hat die Provenzaldichter

benutzt 105. stellt das himmlisch erhabene dar

140. Beyspiele von Grazie 171. Reimsysteme 357. Sonnette

572. Allegorien 755.



Phädrus 763.



Pindar Beyspiele hoher Grazie 178. der Hypallage 259.

260. lyrischer Plan 541. Poesie des Styls 270. asigma 768.



Platos Republik 12. über Wortdefinitionen 37. tropischer

Styl 268. Rhythmischer Schluß 339. über Rhapsoden und

Declamation 433. 36.



Plutarch über Empedocles 703.



Pope, Eloise 139. allgemeines Gebet 552. über die Briefe

558. s. Messias 689. Essai on man 707. 13.



Properz 170. 563. 68.



Prudentius, Hymnen desselben 551.



Psalmen, Hypallage 262. Flügel der Morgenröthe 264.

Vergleichungen 286. abwechselnde Chöre 478. lyrischer Plan

derselben 527. Cramers Uebers. 552.



Q.



Quinctilian über κακαφατον 314. über die Figuren 318.

über Amphibolie 320. über κακοζηλον. κοινισμος 325. über

Rhythmus 337. über rhythmische Perioden 345. über Aratus

704.

|#f0321 : 797|



R.



Rabner 184. über den Reim 374.



Racine frostiges Wortspiel 265. Jnversion 280. Parenthese

281. Hypotyposis 283. sein Chor 642.



Ramler 294. 412. 541. 583.



J. B. Rousseaus Oden, oft Lehrgedichte 542. Cantaten

584. 86. Allegorieen 755.



Rhythmus de Anone Episc. 355.



S.



Sakontala Beyspiele des niedlichen 155.



Salomons hohes Lied 155. 299. 530. Predigersprüche 310.

529.



Sappho niedliche Stellen 159.



Scaliger (Joseph) Skoliond. Harmodius 547. comische

Wortsynthesen 273. (Jul. Cäs.) über Figuren 317. perspicuitas

319.



Shakespears Makbeth 76. Othello 76. Fluch des Lear

verglichen mit Sophocles 81. 82. Laune 189. Naivität 202.

Anachronismen 295. Antithesen 297. tragische Metra 408.

dramatische Biographieen 618. verletzt die Einheiten 623.

Hamlet, Romeo, Makbeth 628. sein Chor 642. seine Metaphern

643. Monologen 644. das Wunderbare 649. Lustspiele

664. verglichen mit den Alten 786.



Schiller 120. 268. liebt die Distributio 299. Wallensteins

Lager 480. Gedicht an die Freude, eine Hymne 549. über

die Stanze 371. über Jdylle 686. Räthsel 766. seine Künstler,

Muster eines Lehrgedichts 721.



Simonides Beyspiele des Edlen 179. gnomische Gedichte

726.



Simmias Rhodius πτερυγιον 767.



Sophocles, Beyspiele vom Ekelhaften 85. 101. Beyspiel

des Großen 109. 110. d. hohen Naivität 198. der Hypalla- |#f0322 : 798|



ge 259. Metapher 263. braucht zu viel Antithesen und ironische

Antiphrasen 269. hat Hexameter 418. Chor in der

Antigone 426. im Oedip. 431. beobachtet die Einheiten 623.

25. sein Haemo in der Antigone 626. Anfang seiner Trauerspiele

631. sein Chor 639. seine Sentenzen 643. lange Reden

45. Buchstabentanz 768.



Strabo sein Urtheil von der Poesie 10.



T.



Tasso Beyspiel vom himmlisch erhabenen 139. ist nicht

schlüpfrig 174. Beyspiele von Grazie 175. Metapher im

Amint 263. musikalische Sprache 350. hat Alexandriner

390. Allegorieen 312. sein Catalogus 604. sein Wunderbares

609. Schluß seiner Gesänge 612. sein Plan 616. seine

Charaktere 784.



Theognis 725. 26.



Theokrits Naivität 199. Jdyllen 689. 91.



Thomsons Edward 109. Jahrszeiten 682. 83.



Tibull, sanfte Stellen 161. hat Grazie 170. Accent wider

das Metrum 403. seine Pentameter 420. Jdeengang 562.

63. 66. 67.



Trobadors 31. 35. 577.



U.



Uz 541. Theodicee 543. hat amphibrachische Hexameter 417.



V.



Vida, sein Schachspiel 293. 717. Ars poet. 418. 720. 775.

Christias 751.



Virgil, Beyspiele des Grausenden 119. des Sanften 163.

der Synecdoche 256. der Hypallage 261. 62. Archaismen

276. ὑπερβατον 281. Pleonasm. Ellips. 282. Hypotypos.

283. Suspensio 293. Anticipatio
295. unpassende |#f0323 : 799|



Nachahmung des Homer 307. Chiasmus 316. Amphibolie

322. Parenthesis 324. Onomatopoia 345. ὁμοιοτελευτον

351. Elision. Hiatus 400. metrischer Ausdruck

406. Allegorieen 312. sein Aeneas 608. allegorische Jdyllen

689. Georgica 720. hat viel rührendes 784.



Voltaire, Mahomet 73. 97. Pücelle 293. temple de goût

97. über die Scanfion der Alexandriner 412. sein episches

Verdienst 595. über Allegorie 598. Nebenpersonen und Jntriguen

im Trauerspiel 625. 27. Anfang seiner Trauerspiele

632. über Nazionalgeschmack 647. komische Nomane 653.



Voß 427. 555. 690. 91. seine Louise 693.



W.



Wernike 729.



Wieland, sein Scherz hat Grazie 180. Beyspiel d. Suspensio

293. deutsche Stanzen 371. Episode im Oberon 594.

hat mehr Plan, als Ariost 617. Grazien 205. Musarion

716.



Winsbeck 356.



Y.



Youngs Antithesen 298. Metaphern 308. Nachtgedanken

708.

|#f0324 : E800|



Einige den Sinn entstellende Druckfehler verbessere

man folgendermaßen: ──────



S. 22. Z. 13. statt Elementarlehre lies Elementenlehre.



─ 74. ─ 9. statt ευδομεν l. ειδομεν.



─ 74. ─ 19. statt ἡλιοςκαλω l. ἡλιου καλω.



─ 129. ─ 2. von unten statt Erdenland l. Erdentand.



─ 142. ─ 6. von unten statt prosaischer l. prophetischer



─ 143. ─ 7. statt dem Tode l. der Rede.



─ 157. ─ 17. statt verwirrt l. verirrt.



─ 268. ─ 2. statt er l. es



─ 270. statt §. 10. l. §. 5.



─ 276. ─ 6. statt fregit l. comminuit.



─ 520. ─ 10. statt wandern l. wandeln.



─ 616. ─ 6. statt muro l. mare.



─ 670. ─ 12. statt morgenländischen: und Azur l. morgenländische

─ Axur.



─ 731. ─ 4. von unten statt hende casyllaba l. hendecasyllabi.



|#f0325 : E801|

|#f0326 : E802|

|#f0327 : E803|

|#f0328 : E804|


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TextGrid Repository (2016). ePoetics_Clodius2. ePoetics. . https://hdl.handle.net/11378/0000-0005-E7AF-2