Johannes Schlaf
Meister Oelze
Drama in drei Aufzügen

[177]

Personen

Personen.

    • Franz Oelze, Tischlermeister.

    • Mariechen, ihre Tochter.

    • Rese, seine Frau.

    • Frau Weidenhammer.

    • Emil, ihr Sohn.

    • Patschke, der Geselle.

    • Die alte Frau Oelze.

    • Frau Kramer.

    • Pauline, Oelzes Stiefschwester.

1. Akt

Erster Aufzug

Ein mittelgroßes, düstres, dunkeltapeziertes Wohnzimmer mit niedriger, getünchter, rauchgebräunter Decke, die von zwei dicken Balken durchquert ist, an denen Kräuter zum Trocknen, ein Vogelbauer, Mützen usw. hängen.
In der Mitte des Hintergrundes steht ein großes Familiensofa. Darüber ein runder Spiegel; um diesen herum gruppiert Photographien und Silhouetten. Rechts vom Sofa die Kammertür; links vom Sofa eine Tür, die auf den Hausflur führt. Über ihr hängt ein großer Erntekranz aus Roggenstroh mit Blumen, Fähnchen, Schleifen und Bändern aus buntem Papier. Links von der Tür, in der Ecke, der Kasten einer alten Standuhr. – An der linken Seitenwand, zwei niedrige, tiefnischige Fenster mit Zwirngardinen und Blumenstöcken; [177] draußen vor den Fenstern Weinlaub. Am Zwischenpfeiler, auf einem Fenstertritt, ein Tischchen mit allerlei Nähgerät. Vor jedem Fenster ein Rohrstuhl. – An der rechten Seitenwand, in der Mitte, ein großer, grünglasierter Kachelofen mit einer ringsherumlaufenden Ofenbank. Auf dem Ofen Horden, auf denen Obst dörrt. Links vom Ofen, gegen den Hintergrund, ein großer dunkelpolierter Kleiderschrank mit Vasen aus buntem Glas drauf,
Büchern und einem ausgestopften Vogel. Rechts vom Ofen, gegen den Vordergrund, ein großer, altmodisch gepolsterter Sorgenstuhl mit einer gestickten Schlummerrolle. Darüber in vergoldetem Rahmen die Photographie eines alten Mannes. – In der Mitte des Raumes steht ein großer Eßtisch mit Rohrstühlen ringsherum. Der Fußboden ist mit Läufern bedeckt.
Das Zimmer liegt in einem dämmrigen Herbstnachmittagslicht. Von Zeit zu Zeit während des Gesprächs zwischen Pauline und Mariechen noch ein flüchtiger Sonnenblick. – In Pausen Windgebrause. – Pfeifen im Schornstein. – Gegen Ende des Aufzugs steigert sich der Wind.
Vor dem Nähtischchen, nach der Tür zu, sitzt Pauline. Sie schläft, zurückgelehnt, die Hände lässig über eine Weißnäherei auf ihrem Schoß weg. Sie ist eine kräftige Frau in der Mitte der Vierziger mit hübschen derben, energischen Gesichtszügen. Glatt nach beiden Seiten gescheiteltes Haar. Ein einfaches, kattunenes Hauskleid. – Zu ihren Füßen sitzt Mariechen auf dem Fenstertritt mit einem Strickstrumpf beschäftigt.
Nach Aufgang des Vorhangs eine Pause. Dann draußen vom Flur her ein lauter, greller Aufschrei von einer Weiberstimme.

MARIECHEN
schrickt zusammen.
Mutterchen!

Pauline schläft weiter. Eine Weile bleibt es still; dann ein zweiter Schrei, der in ein langgezogenes Heulen verläuft. Die Schreie und das darauffolgende Heulen während des folgenden Gesprächs in Pausen.
[178]
MARIECHEN
läßt den Strickstrumpf fallen; klammert sich an Pauline; angstvoll aufweinend.
Mutterchen, ach Mutterchen!!
PAULINE
schrickt auf; verschlafen.
Hm?! – Na?!Reibt sich die Augen. Was ... Was is ... hast 'enn?!Horcht. Stille mal!!
MARIECHEN
stammelnd.
Die ... die alte – Großmutter ...
PAULINE
beugt sich gegen die Tür vor, lauscht einen Augenblick und will dann in die Höhe; hastig.
Laß mich mal! – Ich – will mal ...
MARIECHEN
sich dichter gegen sie drängend.
Ach nee, Mutterchen, nee!!
PAULINE.
Dumme Gans! – Der Onkel schläft je hinten in der Kammer!
MARIECHEN.
Ach nee! Nee! – Ich ...
PAULINE.
Stille!

Beide lauschen.
MARIECHEN.
... ferchte mich so!
PAULINE.
Äh! Hab dich nich! – Laß mich los! De zerrst een'm je de Kleider vom Leibe!

Steht auf, tritt zur Tür und lauscht einen Augenblick hinaus.
MARIECHEN.
Geh nich! Geh nich naus, Mutterchen!
PAULINE
von der Tür her ärgerlich, nachdrücklich.

Stille mal!! Horcht. Das Heulen draußen verliert sich. Das is wohl was, wenn de mal e Oogenblickchen alleene bleibst! – So e altes großes Mächen! – Schäme dich! – Beißt dich denn wer?! – Hä?!

MARIECHEN
beschämt.
Nee.
PAULINE.
Na also!

Sie horcht noch einen Augenblick, seufzt, und geht wieder zu ihrem Stuhl; setzt sich.
MARIECHEN
stammelnd.
Horch doch, Mutterchen! Se hört je schon widder uf.
PAULINE
ihre Arbeit wieder aufnehmend, ärgerlich.

Äh! Du sollst nich uf sagen! Kannste denn nich orndlich deitsch sprechen?! Lernt 'r denn das nur in der Schule?!

MARIECHEN.
Nee.
PAULINE.

Na, nu rück mal e bißchen vor! Mer kann sich je [179] nich riehrn! – Äh, sei vernünft'g! – Nu?! – Herrje, de zitterst je orndlich?!

MARIECHEN.
Ich – hawwe mich so – erschrocken.
PAULINE, sie streichelnd. Na, na, na! Mei armer kleener Affe!
MARIECHEN.
Die alte Großmutter wird wohl nich widder gesund, Mutterchen?
PAULINE.
Nee! Du lieber Gott!

Kleine Pause. Pauline näht.
MARIECHEN.
Hu! 's is schon so finster!
PAULINE.
Ja.
MARIECHEN.
Du! Mutterchen!
PAULINE.
Na?
MARIECHEN.
Reisen mer nu bald widder nach Hause?
PAULINE.
Gefällt dir's denn hier nich mehr?
MARIECHEN.
Ach nee, gar nich.
PAULINE.
Awwer du sollst mer hier doch widder rote Backen kriegen, du?
MARIECHEN.

Ach, zu Hause is es doch besser. Wemmersch auch nich so gut hamm wie die hier. Un wenn ich auch in de Schule muß. Un wenn ... wenn Vater auch ... manchmal ...

PAULINE.
Ach, bis' stille, meine Kleene!

Seufzt.
MARIECHEN
schmeichelnd.
Mutterchen?
PAULINE.
Hm? – Schmeichelkatze! – Na ja, na ja!
MARIECHEN.

Die alte Großmutter immer. Das is een'm so schaurig. – Un denn der Onkel, der is auch immer krank. Leise, wichtig. Du! Mutterchen!

PAULINE.
Was denn?
MARIECHEN.
Ich kann 'n nich ausstehn.
PAULINE
lacht.
Mei Klugschnabel! Warum denn?
MARIECHEN.

I, ich weeß nich. – Du! Warum macht e denn immer so e finstres Gesichte? E mag uns wohl gar nich leiden, he?

PAULINE
mit ironischem Lachen.
I ja, das mag wohl schon sein, daß e uns nich leiden kann.
[180]
MARIECHEN.
Warum denn?
PAULINE.

I, bis' stille. Das is nischt fer dich. Nimmt sie zu sich herauf, drückt sie gegen sich. Loof mer nur hier immer recht hibsch in der scheen', frischen Luft rum un iß ticht'g, daß de mer fer 'n Winter recht hibsch gesund un kräft'g bist, Meine! – Heerste? Küßt sie.

MARIECHEN
gedehnt, nachdenklich.
Jaaa! – Minna wird awwer doch wohl zu Hause ihre liebe Not hamm mit der Wirtschaft, he?
PAULINE
lacht.
Du Plappermaul! – Na ja, lange bleib'n mer nu nich mehr hier.

Pause.
MARIECHEN.
Horche mal wie de Uhr geht, he?
PAULINE
nähend.
Ja.
MARIECHEN.
Immer tack – tack – tack. – Orndlich zum Ferchten, nich?
PAULINE
seufzt.
MARIECHEN.

War die schon so, wie du hier noch so e kleenes Mächen warst wie ich un wie dei Vater un deine Mutter noch lebt'n?

PAULINE.
Ja, mei Mariechen. – So gehn de Zeiten. Lieber Gott. –
MARIECHEN.
Die is wohl schon hundert Jahre alt?
PAULINE.
I ja, so alt mag se wohl sein.
MARIECHEN.
Mutterchen?
PAULINE.
Hm?
MARIECHEN.
Du bist je so stille?
PAULINE
abwehrend.
I!
MARIECHEN.

Heere mal! Morgen frieh nehm se draußen uf 'm – auf 'm Felde Kartoffeln aus, hat de Tante gesagt. Emil fährt mit naus auf Weidenhammers ihr'n Wagen. Un denn wollten mer e großes Feier anmachen un uns Kartoffeln braten. Derf ich mit?

PAULINE.
Ja, wenn 's Wetter gut is.
[181]
MARIECHEN
sich ängstlich anschmiegend.
Hu, horch mal! Da geht's widder los! Draußen das Schreien. Sie horchen.
PAULINE
selbstvergessen, die Faust gegen die Kammer hin schüttelnd.
Na, du Hund! Du Hund!
MARIECHEN
erschrocken.
Mutterchen?!
PAULINE
streichelnd.
Bis' stille, Meine! Bis' stille!
MARIECHEN
weinerlich.
's is mer gar so schauerlich!
PAULINE.
Na, na, na! M!
MARIECHEN.
Ach, das is so schrecklich, nich?
PAULINE
aus ihren Gedanken heraus, ernst.
Das is auch eine Strafe Gottes!
MARIECHEN.
Wie?
PAULINE.
Nischt, Meine! Nischt!

Kleine Pause.
MARIECHEN.
Der alte Wind draußen! – 's donnert orndlich!
PAULINE
weint plötzlich auf.
MARIECHEN.
Mutterchen! Mutterchen! – Was hast 'enn?!
PAULINE, sie an sich drückend, die Augen gegen ihren Scheitel. Ach Meine, Meine!
MARIECHEN.
Liebes Mutterchen!
PAULINE.
Ja! Ja! Ich bin schon ruh'g!

Küßt sie.
MARIECHEN
seufzt tief auf.
PAULINE.
Wart mal e bißchen. Der Arm wird mir taub. – So. –
MARIECHEN
schüchtern.

Nich wahr? Die hamm's gut. – So viele scheene Sachen hamm die. – Drieben in der guten Stube das scheene Klavier. – Das is immer so hibsch, wenn Emil drauf spielt. – Ich möchte auch so spielen könn' ,Mutterchen?

PAULINE.
Das könnteste auch, wenn se's uns nich weggestohlen hätten!
MARIECHEN.
Das Klavier?! – Hamm se's uns gestohl'n?!
PAULINE.
Ja, das Klavier, un das Haus, un den Garten, und die Felder un alles, alles!
[182]
MARIECHEN.
Wie denn? Gestohl'n?
PAULINE.
Ja, ja.
MARIECHEN.
Awwer da könn mer so doch bei der Polezei anzeig'n?
PAULINE.

I ja, wenn mer das könnten! Sich besinnend. Awwer daß de mehr zu keen'm Menschen driwwer plapperst, heerste?! Ja nich! – Zu keen'm Menschen!

MARIECHEN
erschrocken.
Nee. Kleine Pause. Mutterchen.
PAULINE.
Na?
MARIECHEN.
Ach!
PAULINE.
Meine!

Draußen rumpelt es über die Gasse. Der Postillon bläst: »Goldene Abendsonne.« Die Töne verlieren sich die Gasse hinunter.
MARIECHEN
am Fenster.
De Post!
PAULINE.
Ja.
MARIECHEN.
Wemmer doch erscht widder mitfiehr'n!
PAULINE.
Warte nur! Nu balde!
MARIECHEN.
De Frau Weidenhammern!
PAULINE
gegen das Fenster.
Wo denn?!
MARIECHEN.
Se is schon am Fenster verbei!

Die Hausklingel. Gleich darauf klopft's.
PAULINE.
Herein?!
FRAU WEIDENHAMMER
tritt ein, dem Posthorn nachträllernd, einen Strickstrumpf schwenkend, lacht.

Brrr! Herbst! – Der Wind geht iwwer de Stoppeln! – 'n Tag! – Na? Keener weiter da?! – Das is ja hibsch, da könn' mer so recht hibsch gemietlich mal e Klätschchen fer uns machen! Lacht.

PAULINE.
'n Tag, Hannchen! – Franz schläft drinne!
FRAU WEIDENHAMMER.
Ah! – Pst!
PAULINE.
Rese is hinten bei d'r Mutter! – Hier is es mal widder hibsch!
FRAU WEIDENHAMMER.
Ach! – 's is wohl widder ...
[183]
PAULINE
bestätigend mit den Händen winkend und damit gleichsam andeutend, wie schlimm es wieder mit der alten Frau steht.
Na! – Na! –
FRAU WEIDENHAMMER.

Na weeßte, denn will ich mich nur beizeiten widder uf de Strümpe machen! Sich zu Mariechen bückend. Na Mariechen? – Nu guck doch eener, wie die kleene Spitzmaus sich rausgemacht hat in den Wochen! 's is wohl hibsch bei der Tante? Was? – Hehe!

PAULINE.
Setz dich doch e Weilchen?
FRAU WEIDENHAMMER.

Na, denn awwer nich lange! – Was 'ch sagen wollte: mei Mann schickt morgen frieh um sechse den Knecht mit 'n Wagen fer de Kartoffeln!

PAULINE.
Gut gut! Lächelnd von ihrer Arbeit auf. Das Posthorn haste gut nachgemacht vorhin!
FRAU WEIDENHAMMER.
Nich wahr?

Lacht.
PAULINE.
Du bist selber wie so 'ne Abendsonne!
FRAU WEIDENHAMMER.
Na! Na! – Du! 's is denn wohl widder sehre schlimm mit der alten Frau?
PAULINE.
Ach Gott, na! – Schrecklich, schrecklich! – Da?! – Heere doch?!

Draußen wieder für einen Augenblick das Schreien. Es kommt jemand durch den Flur, wie mit Holzpantoffeln, auf die Tür zu geklappert.
PAULINE.
Das wird Rese sin!
RESE
in der offnen Tür.

Groß, vierschrötig, gesund. Die Kleidärmel in die Höhe gestreift, eine Küchenschürze vor. Stellt ihre Holzpantoffeln draußen neben die Tür, kommt in Strümpfen herein. Ruft zurück in den Flur. Kramern?! Ihr habt doch wohl noch e Weilchen Zeit?! – Ja?! – Na, denn tut mer nur den Gefall'n un bleibt noch e bißchen bei 'r! Drückt die Tür hinter sich zu und tritt ins Zimmer. Franz schläft wohl noch?

PAULINE.
Ja.
RESE.
Guten Tag, Weidenhammern!
FRAU WEIDENHAMMER.
Guten Tag!
[184]
RESE
läßt sich, erschöpft, schwerfällig auf einen Stuhl sinken; seufzt auf.

Der schläft un schläft, der Mann! – In een'm weg! – Das weeß der liebe Gott, was widder mit dem los is! – Ach Gott nee! – Nee ... Ich kann – doch werklich – kaum noch – jappsen! – Nee, Pauline! Ich kann dir werklich sagen: Du hast schon deine liebe Not bei dir zu Hause: awwer ich?! – Hach! – Du machst dir keen' Begriff! – Na, ihr habt's je wohl widder geheert?

PAULINE.
Ja.
RESE.

Mir zittern un beb'n doch, wahrhaft'g'n Gott, noch alle Glieder! – Ich muß mich e Weilchen ausruhn! – 's is nur gut, daß de Kramern oben bei sich e Weilchen abkomm' kann; die wird immer noch am besten mit 'r fert'g. – I, wenn doch der liebe Gott die alte Frau nur endlich mal zu sich nehmen wollte! – Geistesgesteert?! Nee, 's is zu, zu schrecklich! Horcht auf das Wetter draußen. Nu horcht nur! – Na, heite kriegen de Ziegeldecker noch Arbeit! – Un wo nur der Emil widder bleibt, der Bengel! – Bei so e Sturme! – Wie leichte kann 'm e Ziegel uf 'n Kopp fallen! – Äh, wahrhaft'g'n Gott! Mer könnt es werklich manchmal satt kriegen! – Könnt 'r denn morgen 'n Wagen schicken, Weidenhammern?

FRAU WEIDENHAMMER.
Morgen frieh um sechse kömmt der Knecht.
RESE.

Na Gott sei Dank! 's wird Zeit, daß mer de Kartoffeln rein kriegen. Steht auf und geht zu Pauline hin. Wie geht 's denn mit 'r Arbeit, Pauline?

PAULINE.
Was hat se denn widder geschwatzt?
RESE
die Näherei gegen das Licht haltend.

Wah? – Gucke mal, Pauline? Mißte hier am Ende ... Warte mal? – Ja? – Gucke? – Der Ärmelausschnitt is doch am Ende e bißchen zu enge? Nich?

PAULINE
ungeduldig.

I warum nich gar! – Laß nur! Gib her! Ich wer' schon machen! – Der – Franz mit sein' Spatzenarmen! Wo denkst 'enn hin? – 's schlackert so alles um 'n rum.

[185]
RESE
eingeschüchtert.

Na ja! De wirst je wissen! – Du lieber Gott, 's is wahr: der Mann schwind't een'm jetzt reene nur so aus 'n Kleidern raus!

PAULINE
mit bösem Spott.
I stirbte, denn stirbte; denn bist 'n los un heiratst e andern!
RESE.
I Gott ja! Wie de nur so reden kannst, Pauline!
PAULINE.

Na ja? – Na, gib dich nur zufrieden! Der is zäh wie enne Katze! Der iwwerlebt uns noch alle, so gesund wie mer sin!


Lacht.
RESE
ist an das Fenster getreten.
I ja! – Gott nee, das Wetter!
PAULINE.
Was hat se denn nu widder gered't?
RESE
setzt sich wieder.

I nu, widder so e entsetzliches Zeich! – Alles bunt durchenander. 's wäre widder eener in der Stuwwe, den se vergift't hätten un wollte se tot machen; un se könnte je doch nischt derfor un e sollt 'r doch ja nischt tun! – Na Leite, ich kann eich sagen! – Ja nu: un eemal soll 's ihr Vater sin, un eemal is es ihr Onkel, un eemal is es dei Vater ...

PAULINE.
Mei Vater?
RESE.
Ja! Un denn red't se mal widder was von e Geburtstage, un denn is es e'mal widder enne Hochzeit ...
PAULINE.
Hm.
RESE.

Ja, un heite hatten se gar aus een' Biefstick gemacht un hamm's gegessen ... Lauter un lauter solchen schrecklichen Unsinn! – Un merkwird'g: alle mal bei schlechtem Wetter! – Wenn mer Wind oder Gewitter kriegen, denn haww ich schon allemal allen Respekt! – Stille mal! Nach der Kammer hin. Franz – hust't wohl widder?! Nee! – Ä Gott, un nu ooch noch der Mann! – Egal un egal das Gehuste!Besorgt. Un ich weeß ooch gar nich du, denn spuckt e jetzt ooch widder so viel Blut?

PAULINE.
I na, das is doch nischt Neies! Deswegen!
RESE.

Ach nee nee, du! Das is erscht seit kurzem! Seit enner Woche! E is jetzt iwwerhaupt ganz anders! Du liebe Zeit, sonst durfte je kee Liftchen an 'n komm'! – Manchmal [186] wurd es een'm orndlich läst'g, so pimplig war e! – Awwer jetzt nimmt e sich ooch nich e bißchen in acht! – Und daderbei is e in een'm fort so grillig? – Seit e paar Wochen is es manchmal reeneweg nich mehr zum Aushalten! – Is d'r das nich och ufgefall'n, Pauline?

PAULINE.
O ja, hehe! – Am Ende is es, weil ich noch da bin?

Lacht.
RESE.

I Gott nee, Pauline! So derfste das nich nehm'n! – Ha! Ich möchte mal sehn, wenn de de Ernte iwwer nich dagewesen wärst, was 'ch hätte anfangen soll'n! De ganze Wertschaft un die alte Frau un das alles! – Ärgerlich. Ha! E is je zu sonderbar! – Wohl schon zehnmal haww ich zu 'm gesagt: mer woll'n e Mächen nehm'n? Ich kann das nich alles alleene schaffen: ich hätte je stramme Ärme, meent e! – Stramme Ärme! Hä! – Scheene stramme Ärme! – So e Mann bild't sich ein, das macht sich alles ganz von alleene! – Nee, geiz'g is e, richt'g geiz'g! – Nee, nee, Pauline! 's is mer enne rechte Erleicht'rung gewesen, daß 'ch dich die Zeit iwwer gehabt hawwe, un de tust mer nur e Gefall'n, wenn de noch e paar Wochen bleibst.

PAULINE.
Nu, Franzen tu ich keen' Gefall'n dermit; die Versich'rung kann ich d'r geb'n, hehe!
RESE.

I Gott, an den sei Gerede mußt de dich nich kehr'n! De weeßt je, wie e kranker Mensch is! – Jaja, Weidenhammern! Du kannst wohl immer gute Laune hamm! Wer's so gut hat wie du? – Na nu will ich nur widder hinter un fersch Abendbrot sorg'n! – Die dumm' Drescher hat mer heite ooch noch uf 'm Halse! Die nähln ooch was Scheenes zurechte! Zu Mariechen, die wieder auf dem Tritt sitzt und strickt. Na mei Mariechen? Biste fleiß'g? Strickste? – Nu kannste heite nich e bißchen draußen in der frischen Luft rumloof'n! – Hehe! – Richtet sich wieder in die Höhe. Na denn ... Hm! – I nee, da fällt mer ein! Hehe! – Heite haww ich doch e rechten Spaß gehabt! Lacht. I, 's is mer eegentlich gar nich so zum Lachen zumute, [187] awwer ... Na, wie ich vorhin 'n Kaffee hinter in de Scheine brachte, da zankten sich de Dreschersleite widder e'mal!Lacht. Kinder nee, 's is allemal reeneweg zum Totlachen! – Da is immer eener eifersicht'ger wie der andre? – Er – Lacht. – er – so krumm – wie e Fiddelbogen, un sie: de reene Vogelscheiche? – Na, nu is e ja awwer so ungeheier stolz uf se, weil se buchstabier'n kann un 's Eenmaleens gelernt hat, und er »ies bluß Schoofjunge gewäst?! Se homm mer nischt lärn losse! Meine Mutter sälig hot mich veracht't?« Sie alleene hat 'n »genumme!« Un 200 Taler hat se gehabt und er gar nischt? Lacht. Ja, un denn, wenn e beschreibt, wie se als Mächen ausgesehn hat! Lacht. Nee, Kinder der Welt! – »Sähn Se, Fru Oelzen: ä Näst hotte se« – Zeigt auf ihren Zopf –. »ä Näst, bis hie vuur! Un aussähn tot se, Fru Oelzen: nich ahnfossn hob ich se mer getraut, su, su – sauber un su, su – odrätt!« Lacht. »Ober jetzt will se nischt mehr vun mer wissen, weil ich e krumm' Buckel hobe.« – Un sie nu widder: 's wäre je nich wahr! Er wollte von ihr nischt mehr wissen! E hätte gestern mit d'r Frau Hauken ihrer Magd gered't – Un er denn nu widder: Nee! Sie hielt's mit 'm Schachtmeester! Lacht. Na, ich sage eich! Die beeden? Lacht. Zum Koppskeekelschießen. Lacht.

FRAU WEIDENHAMMER
lacht.
Na, die beeden! Die sin stadtbekannt! Das sin e paar Orjenale!
RESE.
Gott ja, solche Leite! Wemmer so nimmt: 's is doch awwer hibsch!
FRAU WEIDENHAMMER.
Ja, bei 'n mehrschten is es nich so!

Lacht.
RESE.

Herrjees, du Weidenhammern! Wie is denn das mit dem Frailein Herbst ihrer Verlobung? Das is je wohl widder retour gegangen?

FRAU WEIDENHAMMER.
I freilich? Das weeßte noch nich?
RESE.

Na, da kann Frailein Herbst ooch sag'n, Gott sei Dank! Ich hawwe gar nich begreifen könn', was se denn an dem Bergstedt fer e Narr'n gefressen hatte! – Das will [188] nu e Lehrer sin! So e alter, vierschreet'ger Fläz! – E hat keen' Zahn mehr im Maule, so e junger Mensch!

FRAU
Weidenhammer lacht.
RESE
mitlachend.

Na, 's is wahr! – Un nich e bißchen Lebensart hatte der Mensch? E hat 'n ganzen Tag bei Herbsts rumgelegen un hat sich pudeldicke gefressen un daderbei is e zu faul gewesen, 'm Frailein e Stuhl zu bringn oder enne Gießkanne Wasser in Garten zu hol'n! –'s war der reene Skandal!

FRAU WEIDENHAMMER.

Na, 's liegt 'm awwer ooch sehre dran, daß die Sache widder ins Gleise kömmt! Vor e paar Tagen hat e im Gasthause gesessen un vor allen Gästen laut geweent un hat gesagt: Frailein Herbst hätt 'm 's Herze gebrochen! – Na, was sagt 'r denn dazu? Lacht. Doch so richt'g wie so e dummer Junge!

RESE
amüsiert.
Na, bei dem scheint's awwer richt'g zu rappeln!
FRAU WEIDENHAMMER
lachend wie über einen Einfall.

Ach Gott nee! Da sprach 'ch gestern seine Wirtsfrau, de Schaden! Das is so 'ne spaßhaft'ge Frau! Die hat zu 'm gesagt: bei Herbsts – ständen – sechs krumme – Kommt kaum weiter vor Lachen. – un – un – sechs gerade Knippel ... Wenn ... Wenn e widder hinkäme ... Ach Gott nee, 's is zum Totschrein!! – Da wirde de Frau Herbsten die krumm' uf sein'm Buckel grade un ... un – de graden – krumm hau'n!!


Allgemeines Belustigtsein.
RESE
äußerst amüsiert.
Herrgott, Kinder! Mer wecken Franzen!
FRAU WEIDENHAMMER
sich schüttelnd vor Lachen.
Die krumm' grade – un ... un de graden – krumm ... Kinder, nee ...
RESE
aufstöhnend vor Lachen.

Ach, Kinder! Der liebe Gott hat doch noch fer e bißchen Spaß in der Welt gesorgt! [189] Eifrig. Herrgott nee, awwer ich verplappre mich hier un hawwe noch alle Hände voll zu tun! – Fix, fix! – An der Tür. Wirste denn heite mit 'm Hemde fert'g, Pauline? Denn könn' mersch am Ende gleich noch mit in de Wäsche nehm'n?

PAULINE.
Ja.
RESE.
Ja! – Na! – Gib doch nachher Franzen mal sein' Kaffee, wenn e ufsteht! –
PAULINE.
Ja.
RESE.
Bleibste denn noch da, Weidenhammern?
FRAU WEIDENHAMMER.
Nich lange.
RESE.
Na, vielleicht sehn mer uns nachher noch! – Die krumm'n grade un die graden krumm ...

Lacht. Ab.
FRAU WEIDENHAMMER
lacht.
Gott, die Rese! Immer hat se gleich widder gute Laune! – Die is nicht tot zu kriegen!
PAULINE
seufzt.
Ja, grade so wie du, Hannchen!
FRAU WEIDENHAMMER.
I na weeßte, wo sollte mer sonst ooch hin! – Da wirde eener nich fert'g!
PAULINE.
Ja, ja! Wer so sagen kann?

Kleine Pause.
FRAU WEIDENHAMMER.

Mit der alten Frau, das is doch enne rechte Plage! – Weeßte, das laß 'ch mer nich nehm'n: das hat se sich damals zu Gemiete gezogen, wie dei Vater so mit eenem Male wegstarb! – Hm! – 's war je ooch zu sonderbar! Grade wie e zu deiner Hochzeit reisen wollte! Du lieber Gott, so e gesunder alter Mann! – Wer hätte das nur gedacht, daß den der Schlag riehr'n sollte!

PAULINE
ohne von ihrer Näherei aufzusehen.
Wenn ich nur dagewesen wäre damals!
FRAU WEIDENHAMMER.
Ja eben! – Nu hast 'n nich noch e'mal zu sehen gekriegt!
PAULINE.
Öff'en hätt 'ch 'n lassen vom Kreisphiesikus!
FRAU WEIDENHAMMER
erschrocken.
Öff'en?! – Na nu Gott bewahre mich!
[190]
PAULINE
über ihre Arbeit.
Der sah eben schlagfliß'g aus! – He! – Ach ja! Sieht auf. Ach Hannchen, Hannchen!
FRAU WEIDENHAMMER
betreten.

Hm! Ja, 's muß dir doch recht eigen zumute sin, jetzt, wo de nu nach Jahr'n widder mal zu Hause bist.

PAULINE.
Zu Hause! – Ach Gott, zu Hause!

Lacht bitter.
FRAU WEIDENHAMMER.
Seid 'r denn noch immer wie Hund un Katze zusamm', du un Franz?
PAULINE.
Wir?! Schauernd. Huch Gott, sprich mer nich davon!
FRAU WEIDENHAMMER
sieht sie an, schüttelt den Kopf.
Ach Gott nee, das is doch awwer gar nich scheene!
PAULINE.

Wir! – Huch Gott nee! – Siehste Hannchen! Jahrelang hat mer sich in Not un Armut hinkrepeln missen un ... un – nu kömmt mer hierher un – muß sehn, wie das alles sozusagen fremde Leite hamm, wo mer kleene gewesen is, wo mer aufgewachsen is! Alles, was doch eegentlich von Rechts wegen mein'm Bruder un mir geheert! Was der dem guten, alten Manne abgeschwindelt hat, schändlich abgeschwindelt! Das ganze, ganze scheene Vermeegen! – Wie die hier im Fette sitzen und ... Na! Das möchte je awwer noch alles sin!

FRAU WEIDENHAMMER.
Ja, gut hamm se am Ende nich gegen dich gehandelt.
PAULINE.

Ich seh immer noch, wie se damals alle beede da reinkam'n! Die Alte un der spitzköpp'ge, schwindsicht'ge Duckmaiser! Das sollte nu meine neie Mutter un mei neier Bruder sin! – Schon damals lief mersch eiskalt iwwer un iwwer, wie ich die kleen', boshaften Zwinkeroogen sah!

FRAU WEIDENHAMMER.

Ja, e zu merkwird'ger Mensch is der Oelze! – Du, ich möchte doch eegentlich wissen, was der so vom Leben hat! Immer is e krank? Nischt derf e sich gönn'? E derf keene Zigarre roochen? E derf keen Seidel Bier trinken? 's zehnte derf e nich essen? Un denn hat e ooch gar keen' Verkehr? Immer huckt e so fer sich [191] alleene! – Merkwird'g! Grade als wenn e sich ver 'n Leiten fercht'te!

PAULINE.

Der?! Sich ferchten?! – Hach, da kennst 'n schlecht, Hannchen! Der fercht sich weder vor e Gott noch vor e Teifel, geschweige denn vor e Menschen! – Was der vom Leben hat? Daß e alle Menschen veracht't un iwwer alles spott't: das is seine Freide! – Bei dem is alles dumm!

FRAU WEIDENHAMMER.
Du, sprich nich so laut!

Kleine Pause.
FRAU WEIDENHAMMER.
E sollte sich nich so zurückehalten! – Gloobste, daß de Leite alles meegliche iwwer 'n sprechen?
PAULINE
interessiert.
I gar! – So! – Sprechen se iwwer 'n? – Was denn?!
FRAU WEIDENHAMMER.

I nu, 's is je am Ende nur so e dummes Gerede. Awwer mer kann sich nich driwwer wundern! – I nu, 's kann 'm je keener direkt was nachsagen! E tritt je kenn'm zu nahe! – Awwer beliebt is e nich! Das kann ich dir sagen!

PAULINE.
Na, was sagen se denn so?
FRAU WEIDENHAMMER.

I nu ... Äh, na! Was soll mer driwwer reden! – Hm! – Na, gucke, daß dei Bruder un du damals so ganz leer ausgegangen seid un Franz un die alte Frau alles geerbt hamm, da wundern se sich driwwer un meen', daß das nich so mit rechten Dingen zugegangen is. I na, un daß e sich so aparte hält ... I na, de kannst d'r je den ken! – Ja, un deshalb geht's ooch nich so recht mit der Tischlerei! – Na, dadruff is e je nu ooch nich angewiesen!

PAULINE.

Hm! – Hm! – Ja! – Das is e beeser Mensch, Hannchen! E ganz beeser Mensch! Steht auf und stellt sich neben Frau Weidenhammer. Geheimnisvoll. Gucke dir nur mal so seine Oogen an! Als ob der leibhaft'ge Satan rausguckt! – Ach Hannchen, Hannchen!

FRAU WEIDENHAMMER
sieht sie an.
Hm, hm?
PAULINE
hart.

Na, awwer seine Stunde soll ooch noch e'mal [192] schlagen! Das erleb ich noch! – Ach Hannchen, Hannchen! – Wenn ich dir alles so sagen könnte, was ... Wenn ich een' Menschen sagen könnte, was ich alles so stille in mich neinwürgen muß! – Siehste! Das ... das ... Verrückt könnte mich das alles manchmal machen! – Wie ... Wie – Gift frißt das in ein'! – Herkrieg'n könnt 'ch manchmal alles un zusammenschmeißen! – Aufbrüll'n, laut aufbrüll'n könnt 'ch, wenn ich manchmal so in der Nacht daliege un krieg keen' Schlaf in de Oogen, un ... un – denk so an alles! – Ach!! – Un ducken muß mer sich ooch noch? Spitzen muß mer sich bieten lassen? Seine Armut muß mer sich vorhalten lassen? – Jeder Bissen wird een' vorm Maule weggezählt? – Un denn mißte mer sich, weeß Gott, ooch noch bedanken, daß mer sich doch e'mal e paar Wochen satt essen kann? Vergessen. Un denn nu ooch noch zu denken ... Huch Gott, huch Gott! Schüttelt zusammenschauernd den Kopf, das Gesicht in den Händen. Dann Fau Weidenhammer ansehend. Ach Hannchen, Hannchen! – Was der Mensch alles so im stillen mit sich rumschleppen muß!

FRAU WEIDENHAMMER
nach der Kammer hin.
Pauline! Pauline!
PAULINE.
Ach Hannchen, wenn ich dich so anseh! Was bist du fer e hibsches muntres Weibchen!
FRAU WEIDENHAMMER.
I Gott, liebe Pauline! Jeder hat seine liebe Not!
PAULINE.

Jeder! Lächelt, indem sie Frau Weidenhammer mustert. Du! Was sollst du wohl fer Not hamm! – Ihr habt eier hibsches Vermeegen! Du hast gesunde Kinder, hast e guten, fleiß'gen Mann, kennst keine Sorgen? Seufzt. Adi, wenn ich so nehme: was war'n das fer scheene Zeiten, wie wir beede so nebenander uf derselben Schulbank saßen un dem alten Kilian heimlich Streisand in seine Schnupptabaksdose mengten! – Weeßte noch? – Was war'n mer fer e paar unbänd'ge Mächens!

FRAU WEIDENHAMMER
verlegen; gerührt.
I ja, das is wahr!
[193]
PAULINE.

Un mer hatte sei scheenes, warmes Zuhause un kannte keine Sorgen! Leise. Un wenn ich an meine gute, selige Mutter denke? – Wer hätte das damals gegloobt, daß das alles so wer'n sollte! Daß die Alte da un ... un ... Huch!! Gesicht schauernd in die Hände bergend. Un wemmer ooch frieh mit 'n Lerchen raus mußte, naus ufs Feld, sei Sticke Butterbrot ins Tuch gebunden un seine Kaffeeflasche unterm Arme; mer kriegte rote Backen derbei un war gesund un froh! – Un jetzt? – Wemmer so in sich neinsieht – Finster vor sich hinblickend –, zumute is een', als hätte mer een' totmachen sehn, un – derfte nischt sagen!! – Aaach!!!

FRAU WEIDENHAMMER
erschrocken.
Na gottbewahre, Pauline! – Wie kannste nur uf so e schrecklichen Gedanken komm'!
PAULINE
zu sich kommend.
Ich meene je nur so! Beispielsweise!

Kleine Pause.
FRAU WEIDENHAMMER
verlegen.

Na, nu will ich awwer ... Erhebt sich zögernd. 's gibt noch so allerlei ... Bleibt in Gedanken stehn. Hm! – Ja, da haste eegentlich – recht wenig – Genuß von dein' Besuche ...

PAULINE.
Genuß! – He! –
FRAU WEIDENHAMMER.
Ich wundre mich denn nur, wie de's so lange hast aushalten könn'?
PAULINE
aus ihren Gedanken heraus, mit geheimnisvollem Nachdruck.
Ich hawwe noch so meine Absichten!
FRAU WEIDENHAMMER.
Absichten?
PAULINE.

I nu ... Hm! – Weil ... Weil e – mich nich leiden kann! – Weil e mich gar zu gerne forthamm möchte! Hebe! – Un nu grade! Grade des halb bleib ich! – Un – wenn ich ... Fährt in Gedanken langsam mit dem Finger über die Tischplatte. Wenn ich nu – rauskriegte ... Hm! Hastig. Du! Haste gemerkt, wie verändert e jetzt is?! – So – kribblig! – So – unruh'g! – So ... So ... Hehe! – Haste gemerkt?! Zwischen den Zähnen vor, die [194] Faust ballend. Aaach!! – Das is 'n je zu infam, daß ich nich gehe! Dariwwer is e je zu gift'g! – Das wurmt 'n! Hehe! – Erregt. Und du, du, – das ... is ooch seine Krankheit jetzt! Geheimnisvoll, langsam. Un e weiß auch warum! Ganz genau weiß e das! – Ja? Vor mir – fercht e sich! – Hehe! – Hehe! – In großer Erregung, aus einem unterdrückten Mitteilungsbedürfnis heraus. Ach Hannchen, Hannchen!

FRAU WEIDENHAMMER,
sie betroffen ansehend.
Du bist doch recht anders geworden, Pauline!
PAULINE
schmerzlich, in Gedanken.
Ja, ganz anders! – Ach, bis' froh, Hannchen! Bis' froh! Bis' froh!

Pause.
FRAU WEIDENHAMMER.
Ja, na ...
PAULINE
in anderem Tone; sucht ihrer Stimmung Herr zu werden.
Ach mei gutes, kleenes Hannchen! Ich hawwe dich gelangweilt? Nich wahr?
FRAU WEIDENHAMMER
verlegen.

He ... hehe! – Ach gar! – Stille mal?! E hust't wohl?! – Na, da will ich nu doch machen, daß 'ch fortkomme! Hehe! Zu Mariechen, ihre Hand nehmend. Adje, mei Mariechen! Adje, mei Häschen! – Komm morgen nachmittag mal zu uns niwwer, heerste? Mer nehm'n Ber'n ab! – Adje! Zu Pauline. Na, denn adje, Pauline! – Komm die Tage mal zu mir! Da woll'n mer uns e bißchen was erzähl'n! – Awwer von frieher, nich wahr?

PAULINE.
Ja, von frieher.

Geben sich die Hand.
FRAU WEIDENHAMMER.
Adje!
PAULINE.
Adje!
FRAU WEIDENHAMMER
schlüpft hinaus.
PAULINE
steht einen Augenblick in Gedanken; schluchzt still in die Hände hinein; dann, mit unterdrücktem Zorn, die Faust gegen die Kammer hin schüttelnd.
Hund! – Schwindsicht'ger Hund! – Merder!!
[195]
MARIECHEN
auf sie zu, sich ängstlich an sie schmiegend.
Mutterchen!
PAULINE
geht, den Arm um sie legend, mit ihr zu ihrem Sitze zurück.

Ja, komm, meine Kleene! Sie sitzt einen Augenblick in Gedanken, nickt mit dem Kopf und lächelt boshaft vor sich hin. Na! – Na warte! Hehe! – Du!! ...


Pause. Von der Kammer her anhaltendes Husten. Zunehmende Dämmerung. Der Sturm draußen steigert sich.
MARIECHEN
ängstlich.
Der Onkel kömmt!
MEISTER OELZE
tritt hustend ins Zimmer.

Vornübergebeugt, engbrüstig, abgemagert. Eingefallnes, gelbes, bartloses Gesicht. Schwarzsamtne, gestickte Hausmütze, die bis zu den Ohren runtergezogen ist. Hat eine blaugestrickte Wolljacke an. Seine Arme stecken bis zu den Ellbogen im Latz einer blauleinenen Arbeitsschürze. Die Beine in grauen, schlottrigen Hosen. Filzsocken. – Er geht schweratmend auf den Lehnstuhl zu. – Spricht mit langsamer, ironischer Stimme; unangenehm überrascht. Du bist da?

PAULINE.
Ja, ich! – Lacht. De ferchst dich doch nich etwa vor mir, Franz? – Hehe!
MEISTER OELZE
läßt sich langsam, steif, im Lehnstuhl nieder.
Ferchten! – Was du dir doch nich alles einbild'st!
PAULINE.
Na, 's kam so komisch raus?
MEISTER OELZE.
Hm!

Hustet anhaltend.
PAULINE.

Na, ich mache je ooch bloß Spaß! – Nanana, so e Husten! – Ich kann d'r am Ende e Glas Wasser hol'n, was?

MEISTER OELZE.
Hähä! – Du bist je sehre besorgt?
PAULINE.
Soll ich?
MEISTER OELZE.
Danke scheen!
PAULINE.

Warte, awwer dein' Kaffee will ich d'r geb'n! – Laß mich e'mal e bißchen vorbei, mei Mariechen! – So! Erhebt sich, geht zum Ofen und nimmt Tasse und Kännchen aus der Röhre. Ich setz dir's gleich hier uf de Ofenbank! Da brauchste nich erscht ufzustehn! – So! Holt vom [196] Tisch ein Tellerchen mit Weißbrot. Hier! Frisches Pflaumenmus! Geht wieder zu ihrem Stuhl zurück. Pause. Ihr habt hier so scheene Myrthen!

MEISTER OELZE
trinkend.
Hähä! – Eselsohr'n!
PAULINE.
Was? – Eselsohr'n?
MEISTER OELZE.
Wie Eselsohr'n sehn Myrthenblätter aus!
PAULINE
lacht.
So e Einfall! – Wohl weil eener dumm is, wenn e sich verheirat't?
MEISTER OELZE.
Das mußt du je am besten wissen? – Hehe!
PAULINE.
Ja, mit dir hat's Rese freilich besser! – Du kannst dich wenigstens nich besaufen!
MEISTER OELZE.

Da spart eener ooch viel scheenes Geld! – Wenn ihr das alles uf de Sparkasse getragen hätt't, was dei Alter schon vertrunken un in de Luft gepafft hat, da ging's eich ooch besser!

PAULINE
über ihre Arbeit gebückt.

I ja, Franz. Da haste wohl recht. – Na, mit der Mutter is es heite ooch widder recht schlimm. – Die arme Rese hat widder 'n ganzen Nachmittag mit 'r ihre liebe Not gehabt.

MEISTER OELZE
scharf.
Hä?!!
PAULINE
zusammenfahrend.

Gott, Franz! Mer erschreckt sich je orndlich?! Lacht. Ich weeß gar nich, wie de jetzt nur immer bist?!

MEISTER OELZE.
So? – Erschrocken haste dich? – Aaach!

Trinkt.
PAULINE.
Na ja! – Du bist jetzt immer gleich iwwer alles so grillig!
MEISTER OELZE.
Hm!
PAULINE
gegen das Fenster gewandt.

Hu, hu! – Das kann iwwer Nacht noch e scheen' Sturm geb'n! – Das is ooch widder das Leiden von der alten Frau! – I ja, 's wär eich wohl enne rechte Erleichterung, wenn se der liebe Gott zu sich nehm'n wollte. Nich?

MEISTER OELZE.
Wer is denn heite bei 'r gewesen? Du?
PAULINE.
Ich? – Nee, Franz! Warum denn?
MEISTER OELZE.
Na, de steckst je doch sonst immer bei 'r?
[197]
PAULINE.

Na Gott, das is doch weiter nich wunderbar? – Wer soll denn gleich immer bei 'r sin? – Rese kann je doch ooch nich immer abkomm'.

MEISTER OELZE.
's scheint d'r je doch e Vergniegen zu machen?
PAULINE.
E Vergniegen? – I nu, e Vergniegen is es wahrhaft'g'n Gott nich!
MEISTER OELZE.
Du bist je doch so 'ne Gefiehlvolle, so 'ne barmherz'ge Schwester? Hähä.
PAULINE.

Na, heere mal, Franz! Du scheinst awwer heite widder mal richt'g mit 'm linken Beene zuerst ufgestanden zu sin!


Lacht belustigt.
MEISTER OELZE.
Hm!

Trinkt.
PAULINE
erhebt sich, geht auf ihn zu.
MEISTER OELZE.
Was willst 'enn?!
PAULINE.
Na, Gott, einschenken will ich d'r, Franz?!
MEISTER OELZE.
Danke! Kann ich alleene!
PAULINE
lacht.
Du tust je wirklich, Franz, als ob 'ch Gift an' Fingern hätte?
MEISTER OELZE.
I, wer weeß?
PAULINE
tut pikiert.

Na, heere mal! Geht zu ihrem Stuhl zurück. Na?! Da geht's wohl widder los mit der Mutter?! Horcht. Gott, Gott, 's is doch e rechtes Leiden! Vor e paar Tagen saß 'ch e'mal so bei 'r, un da hatte se so e lichten, weichen Augenblick. Die Sonne schien grade so recht hibsch helle un warm zum Fenster nein. Un da meente se so zu mir: »Ach, wenn ich doch erst hinten läg auf 'm Gottesacker neben dein'm Vater.« 's ging mer doch durch un durch! Plötzlich wie ergriffen. Huch Gott nee! Ich weeß ooch gar nich, wo se nur all das ferchterliche Zeich herkriegt! Wie se sich das nur in Kopp gesetzt hat! – Weeßte, 's scheint mer manchmal, als wenn se gloobte, daß der Vater keenes natierlichen Todes gestorb'n is!

MEISTER OELZE.
Hähä.
PAULINE.
Was lachst 'enn, Franz?
[198]
MEISTER OELZE.
Nu, ich freie mich, weil de ... Sie fixieren sich einen Augenblick. Hähä.
PAULINE.
Hm? Wie meenste?
MEISTER OELZE
ihr nachäffend.

»Hm? Wie meenste?« – Ich freie mich, weil de so enne gute Tochter bist? – »Nich?« wie de immer machst. »Nich?«

PAULINE.
Wie de nur bist!
MEISTER OELZE.
Na, nur weiter! – Laß dich nur nich steer'n in dein' Texte!

Lacht.
PAULINE.

I, e rechter Quatschkopp biste! – Mer kann werklich kee verninft'ges Wort mehr mit dir sprechen! ... Zeig e'mal, Mariechen? De läßt mehr doch keene Masche fall'n? Wenn de beim Zwickel bist, sagst es mir! Streichelt sie. M! Meine Kleene! – Heere lieber jetzt uf; de verderbst dir de Oogen. Pause. Ja, denke dir nur, Franz! Heite hat se widder gesagt, se hätten 'n Vater vergift't un denn hätten sie zu enner Hochzeit Biefstick aus 'm gemacht, un hätten's gegessen! – Huch Gott nee!

MEISTER OELZE
lacht.
PAULINE.

Gott ja, mer könnte werklich manchmal driwwer lachen, so schrecklich wie's is! Pause. Ach ja! Der gute Vater! – Ich seh 'n immer noch, wie e abends so dasaß, dort auf sein' Lehnstuhle mit sein' scheen' weißen Barte un sein' gestickten Hauskäppchen un sein' freindlichen alten Gesichte! Wenn e hinten aus der Werkstatt vorkam un zum Feierabende noch so sei Pfeifchen roochte! – So scheene, rote Backen hatte der alte Mann noch! Wer hätte bloß denken soll'n, daß es so rasch mit 'm zu Ende gehn sollte! – Hat den Schürzenzipfel am Auge. Ach ja, wenn ich 'n doch wenigstens noch mal zu meiner Hochzeit bei mir gehabt hätte! Weiter hätt ich je denn gar nischt gewollt!

MEISTER OELZE.
Hm!
PAULINE.
Nee, weeß Gott, Franz! Weiter gar nischt!
MEISTER OELZE.
Was denn?!
[199]
PAULINE.
Ach, ich dachte, du gloobtest's nich.
MEISTER OELZE.
Hähä! – Ä wo!
PAULINE.

Nee, e war ooch zu gut fer die schlechte Welt! – Ja, un nu sitzt du da uf sein' Platze! – I ja, wenn doch jeder so e gutes, freies Gewissen mit sich ins Grab nehm'n könnte wie der alte Mann!

MEISTER OELZE
streicht mit beiden Händen langsam über die Seitenlehnen des Stuhles.

Hm! – Hm! – Kannste dich denn awwer nich e'mal iwwer was andres mit mir unterhalten? Hä? – Jetzt nach zwanz'g Jahr'n? – De kannst wohl gar nich anders? – Ewig mußte de wohl den alten Versch beten? Oder denkste etwa, daß ich's anders machen kann? Hä?

PAULINE
ernst.

Nee, Franz! So was läßt sich freilich nich widder gutmachen! – Awwer ich kann mer nich helfen! 's kömmt immer widder so iwwer mich!

MEISTER OELZE
wie vorhin.
M! – Na, so gut hat e, denk 'ch, gar nich gegen dich gehandelt un dein' Bruder? Hä?
PAULINE.

I Gott, na ja, Franz! – Awwer im Grunde genomm' war das damals doch ooch bloß sei gutes Herze, daß e 's Testament zu dein' un deiner Mutter ihr'n Gunsten machte! – Nich wahr? Wie hättst du dich denn durch de Welt schlagen soll'n, immer so schwach un kränklich? – I na, un wenn e nich gar so pletzlich damals weggestorb'n wär, hätt e uns am Ende ooch noch e bißchen besser bedacht! Nich?

MEISTER OELZE.
Ja, wenn e doch damals bloß zu deiner Hochzeit gekomm' wär! Hähä!
PAULINE.
I ja! Mit tausend Freiden hätt'n mer 'n aufgenomm'!
MEISTER OELZE.
Das gloob ich. – Hähä!
PAULINE.
Ja, das kannste, werklich Franz!
MEISTER OELZE.
Nu gewiß! Denn wenn de sonst nischt von 'm geerbt hast, haste doch sei gutes Herze geerbt.
PAULINE.

I Gott, 's is wahr, Franz! Das is freilich wenig genung! – 's muß eener so e recht gottvergeßner Halunke [200] sin, wenn e's in der Welt zu was bringen soll! – Na, 's schad't nischt! Der liebe Gott läßt nischt ungerochen!

MEISTER OELZE.
Hähä.
PAULINE.
Nee, gewiß un sicher nich, Franz!
MEISTER OELZE.

Na, willst 'enn dir un mir nu mal den Gefall'n tun un mit dem Kohle ufheer'n? – Ich weeß gar nich, was das heeßen soll, daß de 'n grade mir immer widder ufwärmst? – Hähä.

PAULINE.

Nee, Franz! Das is sicher un gewiß kee Kohl! Awwer ich weeß je, du bist ooch so e Neimod'scher, – so e Freigeist!

MEISTER OELZE.

Na, de weeßt je, dadervor soll je mei Emil mal Paster wer'n! – Mer hamm's je schließlich derzu! Hähä! – Un denn kann e je mal fer mich beten, daß 'ch in Himmel komme! Hähä!

PAULINE.
Ja, spotte nur, Franz! Das hilft nischt, wenn e andrer fer een' bet't!
MEISTER OELZE
pfeift leise vor sich hin, über die Seitenlehnen streichend.
Wenn reist 'r denn?
PAULINE.
Wie, Franz?
MEISTER OELZE.
Wenn 'r reist, frag 'ch! – Seit wenn heerst 'enn schwer?
PAULINE.

Ach so! – Ach so, de meenst, se könn' bei mir zu Hause nich mehr recht ohne mich auskomm'? I Gott, deswegen, Franz! – Deswegen könn' mer gut un gerne noch e paar Wochen bleib'n! – Gott, Minna is doch nu e großes Mächen; un das bißchen Wertschaft bei uns! – Rese fragte ooch schon, weil se mich doch jetzt bei der Kartoffelernte un beim Obsteinmachen gut gebrauchen kann. Un ... Un – Mit stockender Stimme – 's is doch immer mei Elternhaus hier.

MEISTER OELZE
mit höhnischem Bedauern.
Na, na, na! – Wo kriegste denn nur immer gleich alle die Trän' her?
PAULINE.
Ach, da brauchste nich zu spott'n, Franz!
MEISTER OELZE.

Nee, nee! – Bleib doch? Bleib doch so lange [201] hier wie de willst! Immer bleib! – Hähä! – Sage mal, biste denn nur werklich so dumm?

PAULINE.
Was denn, Franz?
MEISTER OELZE.

Na, denkste denn, ich versteh dich nich? Denkste denn, ich weeß nich ganz genau, worauf de nauswillst? – Hähä.

PAULINE.
Worauf ... Worauf ich – naus will?
MEISTER OELZE.
Hähä! – Na, was verstellste dich denn nur so?
PAULINE.
Ich? Mich verstell'n?
MEISTER OELZE.

Hähä! – Denkste denn, ich weeß nich, mei Lämmichen? – Daß mir das hier alles geheert, das is doch de ganze Sache! Hä?! – Das is doch de ganze Geschichte! – Je, awwer meine is es doch nu mal? Un meine bleibt's? Und von mir erbst's e'mal mei Junge! – Nu? – Hä? – Da friß das doch in dich nein! – Hähä. – Da – platze doch vor Gift! – Platze doch! – Hähä.

PAULINE
ihn ruhig fixierend.
Awwer Franz! Wie de dir nur solche Grill'n machen kannst! Lacht.
MEISTER OELZE.

Ich haww es doch nu e'mal! Un keener kann's mer nehm'n! Heerste! Kee Mensch! – Hähä! – Beschweere dich doch! – Geh doch hinter uff 'n Kerchhof un beschweere dich bei dein' Vater! – Na?

PAULINE.
Nee, du bist werklich recht krank, Franz!
MEISTER OELZE.
Aach! – Warum spielste denn nur solche Komeedie?
PAULINE
ruhig.
Franz! Gott is mei Zeige, daß das ...
MEISTER OELZE.

Ich hawwe dir das doch nu schon mehr wie eemal unter de Nase gerieb'n?! Ich wirde mir das nich so oft sagen lassen an deiner Stelle!

PAULINE
immer in ruhigem Ton.

Na, Franz! Nu will ich dir mal was sagen, un da kannste gleich sehn, was das alles fer e Unsinn von dir is, oder – ich weeß nich was? – Wenn ich mich nu nich dariwwer zufrieden geb'n könnte, daß du das Vermeegen geerbt hast: wer hätte denn Grund, sich zu ärgern: du oder ich? – Was? – Un wenn ich nu, [202] wie de meenst, dadruff immer widder anspielte, da wär ich doch heechstens de Dumme, un du könntst mich auslachen! Nich?

MEISTER OELZE.
Na, das tu ich je ooch? Hähä.
PAULINE.

Awwer ich denke je gar nich dran, Franz! – Ich beneide dich nich, Franz! – Wahrhaft'g nich! – Liebe Zeit, der liebe Gott hat mir e paar gesunde Ärme gegeben, un bis jetzt haww ich noch immer satt zu essen un trinken gehabt, un im iebrigen haww ich, Gott sei Dank! e gutes Gewissen, un ich denke, das is de Hauptsache! – Wenn de denn awwer durchaus nich mit mir in Frieden un Freindschaft leb'n kannst ...

MEISTER OELZE.
In Frieden un Freindschaft? – Hähä! – Na, wer fängt denn immer an?
PAULINE.
Du, Franz?! Mit dein' Einbildungen?!
MEISTER OELZE.
So! – So! – Hm!

Pfeift. Streicht über die Lehnen.
PAULINE.

Wie gesagt, wenn de's mir denn durchaus nich gönnst, daß 'ch mal nach Jahr'n e paar Wochen in mein' Elternhause bin, nu gut, denn will ich eich weiter nich zur Last fall'n, denn kann ich je reisen! – Awwer hibsch is es jedenfalls nich von dir, daß de mir nich e'mal das gönnst! – Ich dächte doch, 's könnte dir wahrhaft'g'n Gott nich druf ankomm'!

MEISTER OELZE.

Na ja! Na ja! – Gut! – Bleib doch! – Hm! – Immer bleib! – De denkst je sonst ooch am Ende werklich, ich ferchte mich vor dir! – Hähä!

PAULINE.

Awwer warum sollste dich denn nur vor mir ferchten, Franz?! – Ich kann wirklich gar nich begreifen, wie de nur immer daruf kömmst?! – Ich möchte nur in aller Welt wissen, was an mir zu ferchten soll sin?

MEISTER OELZE.

Na, nu – stille! ... Ich mag – Bekommt einen starken, langanhaltenden Hustenanfall – von – dem Quatsche – nischt mehr ...

PAULINE
auf ihn zu.
Gott, Gott! Na ja, siehste, Franz! – Nu haste dich widder so stille in dich nein geärgert!
[203]
MEISTER OELZE fortwährend hustend, spuckt aus!
PAULINE.
Herrgott, nu gucke doch bloß!!
MEISTER OELZE
gibt zwischen dem Husten unartikulierte Laute von sich.
PAULINE
sich über das Ausgespuckte beugend.
Blut!
MEISTER OELZE
wie eben.
PAULINE.
Blut!
MEISTER OELZE
mühsam.
Q-Quatsch ...
PAULINE.
O ja, gucke doch, Franz?! – E ganz großes Sticke?! – Das is Lunge?!
MEISTER OELZE
ist ein wenig zu sich gekommen, packt sie am Handgelenk, versucht sie von sich zu stoßen.
Weg!!!
PAULINE
zurückzuckend, wie vor Ekel.

Hch!! – P-Packste een' da – gleich an mit – dein' dürr'n, kalten – Fingern! Reibt sich die Stelle. Leise. Ganz schweiß'g! Atmet auf. Mer – könnte werklich manchmal denken, de wärst nich recht bei Troste, Franz! – Is dir nu besser?


Meister Oelze liegt erschöpft im Stuhl, lacht. Draußen geht die Hausklingel; gleich darauf tritt Emil ein.
EMIL
rotes Schülermützchen auf dem windzerzausten Haar.
Wirft es auf den Tisch. 'n Abend, Vater! 'n Abend, Tante! 'n Abend! 'n Abend!
PAULINE
gutgelaunt.

Na, Emil? Du bist mir ooch e rechter Rumtreiber! – Bei so e Wetter? Lacht. Setzt sich wieder auf ihren Stuhl.

EMIL
hat sich inzwischen mit Mariechen umhergeneckt.

Äh, mer hamm draußen noch so hibsch gespielt! – Erscht hammer nach e Hamster geschmissen, den mer an Weidenhammers ihr Scheintor festgenagelt hamm, un denn hammer uns noch gehascht! Schmeißt sich auf einen Stuhl, daß ihm die Beine in die Höhe fliegen. Lacht. Wupp! – Da war ich je beinah hingeflogen?! – Ei wei, is da awwer emal e verflixter Wind?! – Du! Vater! Von Schwalbens [204] ihrer Scheine hat e 's halbe Dach abgedeckt, un bei unsrer Hausecke kömmt mer gar nich rum! – Akerat so, als ob mer vor enner Mauer steht! – Bei Bäcker Knabens sin ooch schon enne Menge Fenster kaputt! Ach ach, un bei Bornscheins! Bei Bornscheins is enne ganze Esse runtergepurzelt! – 's kam so mit eenem Male. Un hinten, hinter der Kerche, kömmt's egal ganz dicke un schwarz 'n Himmel in de Heehe! – Grade als wenn de Welt untergehn sollte! – Hoho! Guckt mal, wie sich die Kleene fercht't! Hoho! Hoho!

PAULINE.
Du mußt se nich ängstlich machen, Emil!
EMIL.

Wah? – Ach, un die Weiber un die Mächens! Au nee, hamm mir nur e Spaß gehabt! – Immer der Wind hinten gegen die Röcke! – Wie angeklitscht!

PAULINE
lacht.
Awwer, Emil!
EMIL.

Wah? – Un, un – immer so de Gasse hat se der Wind nuntergetrieb'n! – Ach, un de alte Schäfern? Die hat der Wind ganz un gar hingeschmissen! – Mer hamm se nachher ufgehob'n, un denn hat se sich immer so dichteweg an 'a Haisern hingekrebst! – Wißt 'r? Der Amtsdiener Edel hat vorhin zum Gertlermeester Abel gesagt: wenn nur in der Nacht nischt passierte, un beim Spritzenhause hamm se alle beede Spritzen z'rechte gemacht!


Draußen kommen mehrere Personen langsam durch den Flur auf die Tür zu.
EMIL.
Du, Tante! Wo is denn ... Horche mal?!

Meister Oelze beugt sich vor. Vor der Tür Sprechen. Rese tritt ein. Sie führt mit Frau Kramer die alte Frau Oelze. Diese bewegt sich zwischen den beiden Frauen mit langen, schlenkernden Schritten vorwärts. Dicker, gedunsener Körper. Unsauberes, ganz farbloses Kleid. Darüber eine Schoßjacke von ungewisser Farbe. Gedunsenes Gesicht. Wirre weiße
Haare. Gelb, runzlig, vornübergebeugt. Stumpfer Blick. – Sie wird zur Ofenbank geführt.
[205]
RESE.

Hibsch – langsam! – So! – So! – Soo, Großmutter! – Hier is hibsch warm! – Warm! – Nich wahr? – Setzen Se sich! – So! –


Die Alte hebt, als sie sitzt, einen Augenblick den Kopf und sieht sich langsam, mit stumpfem Blick, um. Sinkt dann in sich zusammen und sitzt stumpf und still da, die Arme schlaff über den Schoß weg.
FRAU KRAMER.
'n Abend!
RESE.
'n Abend, Kramern! Dank ooch scheene!
FRAU KRAMER.
Nich Ursache, Meester Oelzen!

Ab.
MEISTER OELZE
scharf.
Na, was soll denn das?!
RESE
verlegen.
Gott, Franz! – Se is je jetzt stille!
MEISTER OELZE
erhebt sich.
Auf und ab.
RESE.
Was soll mer denn mit 'r anfang'n? Hinten kann ich se heite doch nich bänd'gen.
MEISTER OELZE.
Mein' Rock un meine Stiwweln!
RESE.
Wie ... Wie, Franz ...? ...
MEISTER OELZE.
Mein' Rock un meine Stiwweln will ich! – Kannste nich heer'n?!
RESE.
Dein' ...
MEISTER OELZE.
Mähre nich so lange!
RESE.
Hm! – Ja! Gleich! Geht zum Schrank und holt das Verlangte. Hier!
MEISTER OELZE
setzt sich, zieht die Stiefeln an.
RESE
schüchtern vor ihm mit dem Rock.
De willst noch fort, Franz?!
MEISTER OELZE.
Halt 'n Rock!
RESE.
Gott! Franz ... Bei dem Wetter! ... Der Kreisphiesikus hat doch ...
MEISTER OELZE.

Halt orndlich! Fährt in den Rock. Meine Mitze! Mein' Stock! – Nu mache, mache, mache! – Beides wird ihm gebracht. So! – Na, nu könnt 'r je hier alle dreie 's Pres hamm? – Hähä! – Gute Unterhaltung! Ab.

[206]
RESE
hinterher.

Franz?! 's Halstuch wenigstens ... Weg is e! Macht die Tür zu. Na, Pauline, nu sag mer bloß! Da soll nu eener draus klug wer'n! –Weinerlich. Ich wer' e aus dem Manne nich mehr gescheit! – Na, nu heere nur, so e Sturm! – Keen Hund schickt mer naus! – Ach Gott! Nee, nee! – Na, nu is doch wenigstens die alte Frau stille! So is se nu stundenlang! – Kannste mir denn nu jetzt hinten e Oogenblickchen helfen?

PAULINE.
Ja, gerne!
RESE.

Hm! – Na ja. Pauline! Nicht wahr! – Was soll mer denn machen? – Ich hätte se doch hinten nich ruhig gekriegt?

PAULINE.
I, versteht sich! – Lacht. Laß 'n doch? – Was is e denn so e Dickkopp?
RESE
bekümmert.

I ja! – Seid mer nur hibsch art'g derweile, Kinder! – Un laßt de Großmutter zufrieden! Daß de mir ja nich etwa Unsinn un Talberei'n mit 'r machst, Emil! Heerste?!

EMIL.
Nee nee!
RESE.
Na Pauline, denn komm! – Das kann enne gute Nacht wer'n!

Mit Pauline ab.

2. Akt

Zweiter Aufzug

Die Rouleaus sind heruntergelassen. Auf dem Tische steht die brennende Lampe und liegt Paulines Näharbeit. Mariechen sitzt am Tische. Emil lungert im Zimmer umher. – Draußen der Wind.

EMIL
betrachtet pfeifend, die Hände in den Hosentaschen, die alte Frau.

Brrr! Ganz dreck'g is se, un nach Hamsterfell'n stinkt se! – Brrr! Pfeift wieder im Zimmer umher. Hach! – Hier is gar nischt los!Bleibt vor Mariechen stehn. Na du?! Plötzlich kommt ihm ein Gedanke. Er hüpfelt zur Tür hin. Na? Soll ich dich jetzt mal mit der Großmutter [207] alleene lassen un nausgehn? Hand auf der Türklinke. Na? Soll ich?

MARIECHEN
lächelt ungewiß.
EMIL.
Na?
MARIECHEN
halb zaghaft.
Ach, du traust dich je selber nich naus?
EMIL.
Oho! Paß mal auf!

Drückt auf die Klinke.
MARIECHEN
schnell, ängstlich.
Nee, Emil, nee!
EMIL
neckend.
Grade! Erst recht! Jetzt geh ich!
MARIECHEN
halb weinend.
Lieber Emil! Ach nee! Ach nee!
EMIL.

Siehste, wie de Angst hast? – Wenn ich jetzt nausgehe, denn kömmt e ganz schwarzer Mann da aus 'm Uhrkasten un frißt dich auf!

MARIECHEN.
Nee, ach nee!
EMIL.
Ä was! Ich gehe doch! – Na?! Soll ich?! –
MARIECHEN
weint.
EMIL
lacht.

Hoho! De Kleene weent! – Na nu nee doch! Ich geh je gar nich naus! Was weenst 'enn?! – Hoho?! Bist du awwer mal dumm?! Von der Tür weg. Na?! Wenn de immer noch weenst, geh ich doch! – Na!

MARIECHEN
trocknet sich die Augen.
EMIL.

Fercht't sich die Kleene! – Aach! Fercht't se sich! – Hehe! Hehe! – Schab, schab Möhrchen?! – Du! Lache mal, Kleene! – Na?! – Willste gleich mal lachen?!

MARIECHEN
lacht.
Na, Dummer!
EMIL.

So! Siehste?! Gähnt und dehnt sich. Sucht wieder pfeifend im Zimmer umher. Äh! Gibt's denn hier gar nischt zu essen?! – Hm hm hm! – Warte mal! Bleibt endlich vorm Ofen stehn und macht einen langen Hals hinauf. Au! Is ja wahr! Die Birn'! – Mal 'n Stuhl her! – Fix! Schleppt einen Stuhl zum Ofen. So! Nu komm mal her un setz dich druf. Mariechen setzt sich auf den Stuhl. Awwer feste, daß e nich umkippelt! – Nu klettr' ich fix uf de Lehne? Denn kann ich grade hinlang'n! Langt nach den [208] Birnen. Awwer de mußt ooch feste sitzen! Ganz feste! Heerste? Ja nich wackeln! – Au, wie's im Ofen bubbert! Mariechen erschrickt. Au!! – Na Dumme! – Sitz doch feste! Was ferchst de dich denn?! De Großmutter tut dir nischt! Langt Birnen oben vom Ofen, ißt und wirft dann welche Mariechen zu. Da! – Fang ufl – Iß! – Daß de awwer hernach nischt meiner Mutter sagst! Heerste? – Sonst kriegste Haue!

MARIECHEN.
Nee.
EMIL.

Ach! Da sin der Großmutter grade e paar uf 'n Kopp gefall'n! – Hihihi! – Ah, schad't nischt! Das merkt se doch nich! Langt wieder nach den Birnen. So! Noch e paar!


Singt beim Kauen.

Dreie, sechse, neine!
Jetzt gehn mer in die Scheine!
Jetzt gehn mer in das Haberstroh
Un sin ganz kreizfidel un ...

So! Jetzt is genung! – Nu fix noch e paar nach vorne paddeln, daß se nischt merken! Sonst gibt's Keile! – Bleib sitzen!! – Ich springe!! – Bautz!!Springt von der Lehne herunter. Hä! Gucke mal! Alle Taschen haww ich mer vollgepfroppt! – Na iß doch?! – De traust dich wohl nich? – Die missen mer alle essen, sonst merken se was! – So! –'n Stuhl widder wegstellen! – Fix! Iß! – Eh se widderkomm'!

MARIECHEN.
Du! Emil! – Wo tun mer denn awwer de Stiele hin?
EMIL.

Au ja! – Is je wahr! – Ich hawwe meine alle in de Stuwwe gespuckt! – Hihi! – Fix uflesen! Liest mit Mariechen die Stiele zusammen. Hintern Ofen, du! Alle hintern Ofen! Setzt sich auf einen Stuhl, baumelt mit den Beinen, singt.


Dreie, sechse, neine!
Jetzt gehn mer in de Scheine!
Jetzt gehn mer in das Haberstroh,
Un sin ganz kreizfidel un froh!
[209]
MARIECHEN.
Du! Emil! – Da liegen noch e paar uf der Großmutter ihrn Schoße!
EMIL
essend.
Nimm se doch weg!
MARIECHEN.
Ach nee, du.
EMIL.
De traust dich wohl nich?
MARIECHEN.
Nee.
EMIL.
Dumme! Die tut keen' was! – Nimm se mal gleich weg!
MARIECHEN.
Nimm du se doch weg, Emil?
EMIL.
Nee,du! – Na?!
MARIECHEN.
Ach!
EMIL.
Na?! – Sonst geh ich naus!
MARIECHEN.
Ach!
EMIL.
Na?! Eins? – Zwei? – Un – un – drei – is – drei – is ...
MARIECHEN
ist auf die alte Frau zugegangen und hat ihr ängstlich die Birnen vom Schoße genommen.
EMIL.
Na siehste? Hat se dich denn nu gebissen?
MARIECHEN.
Du! Se sitzt da wie tot! Nich?
EMIL.
Äh! Laß se sitzen!
MARIECHEN.
Du! Gucke mal, Emil, wie's Feier iwwern Fußboden weghippt!
EMIL
faul.
Ja!
MARIECHEN
tritt zum Fenster und sieht auf die Gasse.

Au, lauter dicke, weiße Wolken am Himmel! – Gucke mal! – Hu, wie fix die gehn! – Du, die da iwwer Weidenhammers ihrer Scheine driebn! Wie e ganz langes Krokodil? Nich?

EMIL
ist zu ihr getreten.
Au ja!
MARIECHEN.
Horche mal, der Wind? – Das wird immer schlimmer! – Nich?
EMIL.

Ja, Kleene! – In der Nacht geht ooch de Welt unter! – Weeßt 'enn das noch nich? – In der Nacht geht de ganze Welt unter! Zurück in die Stube. Aaach!! Räkelt sich, gähnt. Ich lese bißchen!


Holt sich ein Buch, setzt sich damit an den Tisch.
[210] Mariechen setzt sich neben ihn, den Kopf auf den Arm gelegt.
RESE
tritt mit Pauline ein, atmet auf.

Na Gott sei Dank! Soweit sin mer je nu fert'g! Sie hat Butterbrote für die Kinder. Hier, Kinder, habt 'r gleich e paar Bemmen! Viel Umstände könn' mer heite nich machen! – Ihr habt wohl ticht'gen Hunger, was?!

EMIL.
Jo?!

Duckert sich zusammen und lacht Mariechen zu. Sie essen.
RESE.

Na, Pauline! Nu woll'n mer bloß noch die alte Frau zu Bette bringen, denn wenn Franz kömmt un se sitzt noch da, denn is gleich widder der Teifel los! Mit Pauline beim Ofen. Großmutter! Großmutter! Die alte Frau hebt langsam den Kopf. Mer woll'n zu Bette gehen! – Zu – Bette – gehn!! – Komm' Se! Faßt sie an dem einen, Pauline faßt sie an dem andern Arm. Richten sie langsam und vorsichtig auf. Komm' Se! – So! – Na?! – Hibsch – lang – sam?! – Hibsch – lang – sam!! – So! – So! – So scheene wer'n Se schlafen! So scheenchen! – Schlafen?! – Hä?! Führen sie hinaus.


Pause. Emil ißt, liest, brummelt dabei vor sich hin.

MARIECHEN, die ihn, den Kopf aufgestützt, beobachtet. Du! Emil!
EMIL
ohne aufzusehen.
Was!
MARIECHEN.
Wie alt bist 'n du?
EMIL
wie eben.
Funfzehn.
MARIECHEN.
Ach! Ich bin erst sieben!
EMIL
sieht auf, lehnt sich zurück.
Na, wieviel bist 'enn da jinger wie ich?
MARIECHEN.
Warte mal! Zählt an den Fingern. Sieben, achte, neine, zehne ... Acht Jahr!
EMIL.
Ja! – Na, un wenn du mal funfzehn bist, wie alt bin ich denn?
MARIECHEN.
Wenn ich funfzehn bin? – Du! Denn bin ich konfermiert. Nich?
[211]
EMIL.

Ach, das is jetzt ganz egal! – Wie alt ich denn bin, sollste ausrechen! Da mußte also achte zu funfzehn zuzähl'n! – Na?

MARIECHEN.
Wart e'mal! Zählt leise. Dreiundzwanz'g.
EMIL.
Ja. Stimmt.
MARIECHEN.
Du! Awwer Emil! Wenn ich siebz'g bin, denn bistu achtunsiebz'g! Au!
EMIL.
Ja! Denn haww ich so e Wackelkinn un solche Triefoogen wie der alte Stöber!
MARIECHEN
lacht.
Au, pfui!
EMIL.
Na ja?
MARIECHEN
lacht.
Du! Der alte Stöber macht immer papp, papp, papp mit sein'm Munde! Grade als wenn e egal ißt! Lacht.
EMIL.
Ja!

Liest weiter.
RESE
tritt ein, dehnt sich.
Hch, Gott ja! – Na, seid 'r satt geworden, Kinder?!
MARIECHEN.
Ja!

Rese nimmt einen Strickstrumpf vom Nähtischchen und setzt sich damit an den Tisch.
EMIL.
Horche mal, Mutter! 's Kaizchen drieb'n bei Weidenhammers!
RESE
strickend.
Ja, da sterbt eener in der Nachbarschaft.
EMIL
lacht.
Ach, das is doch Unsinn! Warum soll denn da eener sterb'n?
RESE.
I na, wenn de's besser weeßt?
EMIL.
Na, da gloobt der Vater ooch nich dran!

Liest.
PAULINE
tritt ein.
Se schläft.
RESE.
Na Gott sei Dank! Wenn se der Sturm nur nich widder wach macht!
PAULINE
setzt sich.
Nimmt ihr Nähzeug.
RESE.
Gott nee, der Franz!
PAULINE.

I, warum leefte denn weg?! – 's hat 'n doch keener fortgetrieb'n? – E wird doch wahrhaft'g mal e Oogenblickchen [212] seine alte kranke Mutter in der Stuwwe leiden könn'?

RESE.
Wo e nur hin is?
PAULINE.
Na, doch wohl ins Gasthaus? E hat doch sonst weiter keen' Verkehr?
RESE.
Ach Gott ja! – Sei Lebtag is der in kee Gasthaus gekomm'. – Mer mißte mal niwwerschicken?
PAULINE.
Na, das würd 'ch nich! – Das gibt nur e Gerede!
RESE.
Ja, das is ooch wahr! – Du! Was un was der Mann nur hat! – Der hat so 'ne Unruhe in sich?
PAULINE
kurz.
Gott, wer weeß!

Es klopft.
RESE.
Herein?!
PATSCHKE
tritt ein.

Mütze auf. Blaue Arbeitsschürze unterm Rock vor. Vierziger. Rotes Gesicht. Struppiger, schwarzer Schnurrbart. Bart unterm Kinn weg, das Gesicht einrahmend. Phlegmatische Sprechweise. Hat getrunken. 'n Abend!

RESE.
'n Abend, Patschke! Na?
PATSCHKE.
Ich wollte noch e bißchen weggehn, Meester Elzen!
RESE.
Na?! Wohl ins Gasthaus?! Was?!
PATSCHKE.
Ja, Meester Elzen! Noch so e kleen' Seelenwärmer nehm'n fersch Schlafengehn!
RESE.
Na, Patschke, Patschke! Ihr macht was Scheenes zurechte!
PATSCHKE.
Äh! Was is 'enn da weiter bei, Meester Elzen? – Da steer'n een' keene schlechten Traime!
RESE.
Ja, geht mer nur weg! – Beseht Eich nur e'mal im Spiegel!
PATSCHKE.
Meester Elzen! In mich verliebt sich doch keene mehr.
RESE.
Nu freilich? Wenn Ihr mit so 'ner Nase rumlooft, Patschke, wer soll sich denn in Eich verlieb'n?
PATSCHKE.
Ja.
RESE.

Na, denn besauft Eich nur wenigstens heite nich un [213] kommt nich zu späte heeme, falls de in der Nacht noch was passiert! Heert 'r?!

PATSCHKE.
Ja, Meester Elzen.
RESE.
Sagt e'mal, hat denn Fritze den Sarg zu Bornscheins hingefahr'n?
PATSCHKE.
Ja.
RESE.
Na, is e denn ooch recht hibsch geworden?
PATSCHKE.

Ja, Meester Elzen! – E wunderhibsches Särgelchen! – Mit versilberten Gleckchen, un uf der een' Seite »Ruhe sanft« un uf der andern »Uf Wiedersehn«. Scheene! – Bloß unsereener hat de Arbeit, un 'n alten Bornschein is es doch egal, ob e neinkömmt! Ja!

RESE.
E wird je wohl mit der ganzen Schule begrab'n?
PATSCHKE.

Ja! Mit 'n Glocken laiten se, un de Schuljungens singen, un Meester Hassert geht mit sein' Musekanten vorneweg, un de halwe Stadt geht mit. – No, un was is 'enn da weiter derbei, Meester Elzen? E paar alte Manns kriegen kalte Beene un sterb'n weg. Ja. – Bei dem Wetter machen mer Geschäfte, Meester Elzen! Das is so e Wetterchen, wissen Se, wenn de nu noch so e kleener Landregen derzukömmt, daß de so e paar Wochen lang de Blasen immer so uf 'n Pfitzen rumhippen, das is denn so e Wetterchen, das kriecht denn so ganz sachtchen, wissen Se, Meester Elzen, durch alle Tierritzen und alle Fensterritzen un iwwerall durch un nimmt so ganz stille, wissen Se, Meester Elzen, immer so een' nach 'n andern weg, wer de nich taktfeste is, Meester Elzen. Ja. – No, was is 'enn da weiter? Das kann kee Mensch ändern! – Ja. – Sehn Se, Meester Elzen ...

EMIL
von seinem Buch in die Höhe.

Äh, Patschke, quatscht nich so viel un macht daß 'r naus kommt! – Ihr habt widder gesoffen! – Ihr verstänkert de ganze Stuwwe!

PATSCHKE
hand auf der Klinke.
Ja, na ... 'n Abend!
RESE.
Patschke!
PATSCHKE.
Ja, Meester Elzen?
RESE.

Wenn 'r 'n Meester im Gasthause sehn solltet, denn [214] sagt 'm doch, daß e zu Hause kömmt? – Mer hätten sei Abendbrot warm gestellt!

PATSCHKE.
Ja, Meester Elzen! – 'n Abend!

Ab.
RESE.

Der Patschke is e abscheilicher Kerl! Was der immer zusammenred't! – Hach! Wenn nur nischt passiert mit Franzen! – Ich hawwe so 'ne Unruhe?!

EMIL
ärgerlich, überlaut lesend.

»Als das Mädchen wieder alleine war, wußte es sich nicht mehr zu raten und zu helfen und trat in seiner Betrübnis vor das Fenster. Da sah es drei Weiber herkommen; davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die zweite hatte eine zu große Unterlippe, daß sie bis übers Kinn herunterhing ...«

RESE.
Gott, na Emil! Mer könn' uns doch deinetwegen nich 's Maul zubinden?!
EMIL
ärgerlich.
Ja, ja, ja! – Nich ne Seite kann mer runter lesen!
RESE.
Ach, du bist zu garst'g!
EMIL.

Äh, jawohl! Erscht kömmt der alte Saufsack Patschke un mährt 'ne ewige Länge, un denn red'st du egal!

RESE.

So sprichste mit mir? – Na, du bist je hibsch art'g! Gegen dein' Vater wirste dir so was nich unterstehn! Mit dem biste immer gut Freind! Awwer gegen deine Mutter kannste dir wohl alles rausnehm'n! Daderzu is se gut genung!

EMIL
verlegen, trotzig.

Nu, denn les 'ch eben nich mehr?! Klappt das Buch zu. Komm, Kleene! Mer gehn ufs Sofa un erzähl'n uns was!


Geht mit Mariechen zum Sofa.
Pause.
RESE.
Na, so 'ne Unvernunft von Franzen! – Da soll mer nu morgen frieh um fimfe raus!
PAULINE
lacht.
Biste nich gewohnt! Was?
RESE
schrickt zusammen.
Laiten se nich?!!
PAULINE.
Nee.
RESE.

Heite Nacht kann mer sich uf alles gefaßt machen! Seufzt. Strickt. Du, was heite de Weidenhammern erzählte, [215] war doch zu scheene! – Bei dem scheint's werklich im Oberstiebchen nich ganz richt'g zu sin! – Setzt sich in de ... Horcht. Na nu gewiß, Pauline?!! – Se laiten?!! Springt auf und geht schnell zum Fenster. Das is de Feierglocke?!! – Ach du großer Gott, behiet uns in Gnaden! –


Alle an die Fenster.
Draußen Rufe: »Feier!! Feier!!«
RESE.

Da! Da trappeln se schon von allen Seiten zusamm'! – Da is je ooch Patschke?! Reißt das Fenster auf. He!! Patschke!! Wo brennt's denn?!


Patschke von draußen durch den Wind: »Draußen vorm Tore, Meester Elzen! beim Miller Hecht!!«
RESE.

Na Gott sei Dank! Denn is es doch nich in der Stadt!! – He, Patschke!! Kömmt denn der Meester ... Weg is e! Schließt das Fenster, geht zu ihrem Stuhl zurück; desgleichen Pauline, Mariechen an ihrem Schürzenzipfel. Sie setzen sich. Emil bleibt am Fenster. Nun frag 'ch een'! Kann sich Franz nu nich zu Hause scheer'n! – Mer weeß nich, was passier'n kann!

EMIL
vom Fenster.
Da rumpeln se mit 'n Spritzen verbei! – Mutter, derf 'ch mit?!
RESE.
Na, du bist wohl nich gescheit, Junge! Was du ooch fer Ideen hast!
EMIL.
Na, was is denn da?!
RESE.

Nu gar! Das könnte fehl'n! – Du bleibst mer hibsch hier! – Der Patschke, der Esel, wird doch nich etwa mitrenn'?! ... Huch, Kinder! Nu heert doch bloß um Gottes will'n! – Na, da kann sich der alte Hecht frei'n! – O je! Der brennt doch runter bis uf 'n Boden! – Ach Gott, Pauline! Mir zittern doch orndlich de Hände! – Wenn doch nur Franz erscht da wäre!

PAULINE.
I!
RESE.
Na, Vorwerfe brauch 'ch mer nich zu machen!
PAULINE.
Nu gar! – Willste dich hinlegen, Mariechen?!
[216]
MARIECHEN
weinerlich.
Nee.
EMIL
vom Fenster weg.
's klingelt! Der Vater kömmt!
RESE.
Ach, mir fällt e Steen vom Herzen!

Pause.
MEISTER OELZE
tritt ein, pfeift vor sich hin.
RESE
winkt Pauline besorgt zu.
Ach!
EMIL
ihm entgegen.
Vater, 's brennt!
MEISTER OELZE.

Hähä! Ja! – Laß brenn', mei Sohn! – Laß de ganze Welt runterbrenn'! Pfeift. Legt ab. Na?! Habt 'r eich denn gut unterhalten alle dreie? – Hähä! – Iwwer Biefsticks aus Menschenfleesch und solche scheene Sachen? – Hähä! – Das is je so was fer eich?

RESE
schüchtern.
I nee, Franz! – De Mutter is nachher gleich eingeschlafen! – Soll ich dir Abendbrot bring'n?
MEISTER OELZE.

Danke, danke! Auf und ab. Hähä. Na, ich hawwe mich ooch unterhalten im Gasthause! – 's war sehre scheene! – Hähä. Se hatten Dittekarln un de Pippine reingeholt un – hamm se – Hustet –. besoffen gemacht. Hustet. Un denn – Hustet –. hat 'n Schmidts Christian Papierflitt'ge hinten uf 'n Buckel gesteckt un – und hat se – verheirat't ...


Lacht. Hustet.
EMIL
lacht belustigt.
PAULINE.

Na, solche arme Menschen, die ihr'n Verstand nich hamm! – Grade als wenn mer nu mit 'r Mutter so was machen wollte!

MEISTER OELZE.

Hä?! Lacht. Seine Worte jetzt und im Folgenden fortwährend von Husten und einem nervösen Lachen unterbrochen. – Un – un denn mußte Dittekarl Lieder zum besten geb'n. Solche selbergemachten. Singt nach einer willkürlichen Melodie. »Oh, du verfluchtes Weib«, sang e, »o du verfluchtes Weib! Du hast mich unglicklich gemacht mit deiner Liebe«! Lacht. Hustet.

EMIL
lacht laut.
[217]
MEISTER OELZE.

Immer so in der gemietlichsten Weise! Lacht. Hustet. Singt. »Oh, du ver fluchtes ...« – Hustet – »... o du verfluch tes Weib ...« – Nervöses Lachen –. »... Du hast mich – unglicklich gemacht ...« – Lachen. Husten –. »... mit deiner – Liebe ...«


Lachen. Husten.
RESE
schüchtern, besorgt.
Gott, Franz! Wenn de dir nur nich mit dem Biere geschad't hast!
MEISTER OELZE.
Geschad't? Ä wo! – Ich seh nich ein – Hähä! –, warum ich mir nich ooch e'mal e Spaß machen soll?
RESE.
's is nur, weil der Kreisphiesikus meente ...
MEISTER OELZE.

Äh, so e Doktor is fer de Katze! – »Oh, du verfluchtes Weib ...«Kommt vor Lachen und Husten nicht weiter. »... Du hast mich unglicklich gemacht – mit deiner – Liebe ...« Ganz kreizfidel sang e das! ...


Lachen. Husten.
EMIL
lacht.
Du! Vater! – Vor e paar Tagen hat Dittekarl Mariechen draußen vor der Tiere e Kuß geb'n woll'n!
MEISTER OELZE,
ohne auf ihn zu achten, immer noch auf und ab.
»O du verfluchtes Weib ...« Nee! Gelacht haww ich doch? – Gelacht? Lachen. Husten.

Emil schleicht sich hinter zum Sofa.
PAULINE.
Na, ich kann nu nich begreifen, wie mer iwwer so was lachen kann!
MEISTER OELZE.

Hä?! – Nee, du sitzt lieber hinten un läßt dir was erzähl'n von een', den se vergift't hamm un aus den se Biefstick gemacht hamm! Das is dir interessanter! Wenn de dariwwer so spintisier'n kannst, hä?! Lacht. Nu, e jeder nach sein' Geschmacke! Ärgerlich. Wütend. Das riecht je hier so dunst'g! Das is enne Luft!! – Tiere uf!! Reißt die Tür auf. Wieder auf und ab. Da hat mersch doch nich mit dumm' Leiten zu tun, im Gasthause! Die sin alle ganz gescheit! Hähä. – Da heert mer doch was un sieht mer doch was von der Welt?! – Un da braucht mer [218] doch nich ... Stolpert über ein Fußbänkchen ... Hals un Beene zu brechen!! – Was is denn das fer ne Wirtschaft – verfluchte!!!

RESE.
Gott die Kinder ...
MEISTER OELZE.

So! – Hä! – Sauwirtschaft – verdammte!!! – Du hast je wohl immer gar so viel zu tun! Du kannst je wohl nich e bißchen uf Ordnung halten!! – – Hä?! – In 's Gasthaus muß mer gehn, wenn mersch gemietlich hamm will!Lacht nervös. Wieder auf und ab. Pfeift. Lacht. Singt dann. »O du verfluchtes Weib ...«Lacht. Hustet. Ja, un denn sang e weiter, immer ganz gemietlich! Singt. »Jetzt geh ich hin un kaufe mir ein großes Messer, un da schleich ich mich in der Nacht an dei Bette un – steche dich – toot!!!« Lachen. Husten. Hä?! – Da kann mer doch was sehn un heer'n?! – Un denn war der alte, pensionierte Kanter aus Thaldorf da. Der hat so e hibschen Karfunkel im Genicke – hähä! –, der gliehte, wie so e Paradiesäppelchen! Lachen. Husten. E kaut immer so an 'n Worten: »Wischen Schie, isch könnte ja – e – in die Schtadt zschiehen – e, aber – e, isch habe da ein altesch gutesch Pfärd, dasch mir zschehn Jahre treu gedient hat, und – e, deschwegen, hm, schehen Schie, deschwegen bleib isch auf dem Lande, bisch dasch dasch alte gute Tier geschtorben ischt!« Lachen. Husten. Un denn war der Windmiller Scheibe da, der Sozialdemokrate; der bewies haarkleen aus der Geschichte, daß der – Herr Jesus e Sozialdemokrate gewesen is, hähä! – Na, das is doch noch was? Da kann mer sich doch unterhalten?


Lachen. Husten.
PAULINE
lacht.

Na ja, siehste! Da haste je Vergniegen de Menge gehabt. – Awwer ich dächte, de sprächst nich so viel? Das strengt dich nur an. De heerst je nich uf zu husten?

MEISTER OELZE
auf und ab; pfeift, bleibt vorm Lehnstuhl stehn; wütend.
Das Bild is noch nich weg?!
RESE.
Welches Bild ...? ...
[219]
MEISTER OELZE.
Ich hawwe dir doch gesagt, du sollst die Photegraphie niwwerhäng'n in de gute Stuwwe?!
RESE.
I bewahre, Franz? Wenn willste mir denn das gesagt hamm?
MEISTER OELZE.
E Gedächtnis haste, wie ... wie so e alter Erpel!
PAULINE.
Na, der Vater hat doch immer da gehangen?
MEISTER OELZE
wütend.
's soll weg!!
RESE.

I ja, gedacht haww ich ooch schon dran. 's is schade um den scheen' Rahmen. Der verderbt hier ganz un gar. – Ja, Franz! Ich häng es morgen niwwer! Leise zu Pauline. Bis' doch stille, Pauline!


Meister Oelze setzt sich in den Lehnstuhl, pfeift vor sich hin. Pause.
MEISTER OELZE.
Emil!
EMIL.
Was denn, Vater?
MEISTER OELZE.
Komm doch e'mal her?
EMIL
kommt zu ihm hin.
Was denn?
MEISTER OELZE.
Komm doch e bißchen her?
EMIL
tritt näher.
MEISTER OELZE
legt den Arm um ihn.
Na? Wenn sin denn nu deine Ferien alle, ha?
EMIL.
Nächsten Mittwoch.
MEISTER OELZE.
Hast 'enn ooch schon deine Schularbeiten gemacht? Hä?
EMIL.

Die mach 'ch die Tage. – Mer hamm nich viel aufgekriegt. – Der Lehrer sagte, mer sollten uns in 'n Ferien nur recht erhol'n!

MEISTER OELZE.

Nu ja, nu ja. – Zuviel derfste ooch nich arbeiten. Das hat keen' Zweck. Daderfor haste ooch Ferien. Awwer mach mer nur deine Sachen immer recht hibsch ordentlich, heerste? – Wenn de jetzt ooch arbeiten mußt: nachher bringt's widder ein, wenn de nachher e studierter Mann bist, hm? – Hähä! – In welcher Klasse bist denn doch nu schon gleich?

[220]
EMIL.
In Tertia.
MEISTER OELZE.
Hä?
EMIL.
In Tertia!
MEISTER OELZE.
Ja. In ... Wie warsch?
EMIL.
In Tertia!! Tertia!!
MEISTER OELZE.

Tertia! Jawohl, Tertia! – In Tertia sitzt e. – Hähä. – Jedesmal is e mit versetzt un immer untern Erschten. – E hat e offnen Kopp. – Wenn de erscht e'mal Paster bist? Hä?

EMIL.

Äh, Paster mag ich nich. So e alter Pfaffe! – Lehrer oder Dokter oder ... Äh! Lacht. Gar nischt, gar nischt, gar nischt!

MEISTER OELZE.

I, laß doch, Emil? Bis' nich so dumm? Die Pasters verdien 's mehrschte Geld alleweile un hamm 's allerwenigste zu tun?

PAULINE.
Na, awwer deshalb wird doch eener kee Paster?
MEISTER OELZE
spricht das erste Wort mit wütendem Nachdruck, mit dem er auf den Einwand Paulinens reagiert, ohne sonst von ihm Notiz zu nehmen.

Paster!! – Wer'e du nur Paster, mei Sohn! Heitzutage is de Hauptsache, daß eener 's mehrschte Geld verdient! Bis mer nur immer recht hibsch fleiß'g, nich wahr? – Hm? – Hähähä. – Manches kann mer je, weeß Gott, manchmal gar nich lesen, was se lern' müssen? – Da hamm se so was ... Äh! – Wie heeßt's doch gleich? – Na? – Äh! – Griech'sch! Ja richt'ch: Griech'sch nennt mersch je wohl? Hä, Emil?

EMIL.
Ja, Griech'sch.
MEISTER OELZE.

So enne Krakelei, 's is eegentlich der reene Quatsch, daß se so was lern' müssen. Awwer 's geheert je doch nu e'mal derzu? Bring doch e'mal so e Buch her, Emil?

EMIL
unlustig.
Ach!
MEISTER OELZE.

Na mache doch? Mache! Tu dein' Vater doch e'mal den Gefall'n? Lies der – Tante – hähä! – mal was vor! Die freit sich ooch driwwer? – Nich wahr – Tante? – Hähä!

[221]
EMIL
geht zum Schranke und holt ein Buch.
MEISTER OELZE.
Komm mal her dermit?
EMIL
kommt mit dem Buch zu ihm hin.
MEISTER OELZE.
Zeig e'mal? Blättert. Da! – Das! – Lies doch das e'mal? Wie heeßt denn das? Hä?
EMIL.
I, das versteht 'r je doch nich.
MEISTER OELZE.
Na mache doch?
EMIL.

I, das kann ich aus 'm Koppe! Singend, quietschend, manchmal mit tiefer, gepreßter Stimme, manchmal mit der Fistel. Ho anthropos, tu anthropu, to anthropo, ton anthropon, o anthrope; hoi anthropoi, ton anthropon, tois anthropois, tus anthropus, o anthropoi, pi pu po pax bäbäbäbäh! Klappt das Buch dicht unter der Nase zu, schneidet Fratzen nach beiden Seiten, wackelt mit dem Kopfe, streckt die Zunge heraus und bricht in ein unbändiges Gelächter aus.

MEISTER OELZE.
Na? Hä? – Wie e das so kann? Hähä. – Zu Rese. Gib mer e'mal Wein!
RESE.
Wein?
MEISTER OELZE.

Na ja? Mußte denn nach all'n erscht zehnmal fragen?! 's muß doch noch enne halbe Flasche im Uhrkasten stehn?

RESE
zaghaft.
Awwer der regt dich so uf heite abend, Franz?
MEISTER OELZE.
Na, das wird je wohl meine Sache sin?
RESE
holt den Wein.
MEISTER OELZE
schenkt ein, gibt Emil das Glas.
Da, Emil! Trink! Weil de's so scheene gekonnt hast. Hähä.
EMIL
mit dem Rest zu Mariechen.
Da Kleene! Trink ooch mal!
MEISTER OELZE
hustet, zieht ein Gesicht.
PAULINE
räuspert sich; dann mit Nachdruck.
Trink doch dein' Wein alleene, Emil! Se wird bloß schwindlig davon!
[222]
EMIL.

Trink nur, Kleene! Trink! Scherzhaft drohend. Na?! Trinke mal gleich! – So! – Trägt das leere Glas zurück. Könn' mer nu de Tiere zumachen, Vater?! Mer friert bloß!

MEISTER OELZE.
Mache zu.
EMIL
geht und schließt die Tür.
MEISTER OELZE.
Komm doch noch e bißchen her, Emil? – Komm e bißchen her zu dein' Vater!
EMIL
geht wieder zu ihm hin, setzt sich neben ihm auf die Ofenbank.
MEISTER OELZE.

Hähä! – Betrachtet ihn. Laß dich nur e'mal nich dumm machen. Heerste? – 's Fell muß mer 'r iwwer de Ohr'n ziehn, der dumm' Bande. Da kömmt mer am allerweitsten!

PAULINE
lacht.
Na, du bringst Emiln was Scheenes bei, Franz!
MEISTER OELZE
wieder mit jener stillen Reaktion gegen Paulines Worte.

Heere nur immer dadruff, was dir dei Vater sagt! – Un denn: denn mußte – ... Ehrgeiz'g mußte sin! Siehste: die Bande hier, das ganze schmierige Volk, die müssen e'mal unter dir stehn! Nich mit 'm Hintern sollste se anzusehn brauchen! Denn sollste mal sehn, mei Sohn, wie se komm'! Denn kriechen se dir sonstwo nein, wenn de se nur recht verach'st! Steht auf, geht pfeifend auf und ab.

RESE.
Willste etwa zu Bette gehn, Franz?
MEISTER OELZE
roh.

Halt 's Maul! Wieder eine Weile pfeifend auf und ab. Hähä! Hä! – Was is denn das fer 'ne Gesellschaft hier? Was is denn das fer e Pack? – Die könn' weiter nischt wie mährn un mährn un klatschen! – Dumm sin se wie de Sinde, un wenn se sich um e paar Pfenn'ge beschissen hamm – Emil lacht –. da bilden se sich wer weeß was uf ihre Schlauheet ein. – Fer zu schlecht mußt de se halten, daß se dir ooch nur de Stiwweln putzen! – Hähä – uf zweerlee mußte sehn: uf 's Geld un daß de de mehrschte [223] Gewalt hast; daß de Leite nach deiner Pfeife tanzen un du nich nach ihrer! – Alles andre is fer de Katze! – Das is nur der Speck, womit mer de Maise fängt! Hähä! Auf und ab. Macht plötzlich halt und sieht zur Tür hin. Dann zu Rese. Na, gucke doch mal nach! 's hat gepocht!

RESE.

Gepocht? Erhebt sich, geht zur Tür hin und sieht hinaus. Nee! – Ist 'enn jemand da?! – Ob jemand da is!! – Nee! Kee Mensch! – 's is alles stille! Geht wieder zu ihrem Stuhl.

PAULINE.
's wird der Sturm gewesen sin, Rese. Haste denn de Hoftiere hinten zugemacht?
RESE.
Die is zu.
PAULINE.
Na, denn wird's wohl irgendwo durchziehn.
MEISTER OELZE
wieder auf und ab.

Da tun se, als wenn's e lieben Gott geb'n sollte. – Hähä! – Das is ganz schlau, mei Sohn? – Hähä! – Der liebe Gott is wie der Strohwisch uf 'n Kerschbeem', mei Sohn. Mit dem sagen die Leite zu 'n dummen Spatzen: wollt 'r mir aus mei'n Kerschen?! Hähä! Hä! Hustet.

PAULINE.
Na, das hat schon mancher gesagt, Franz, un hat hernach kleene beigegeben!
MEISTER OELZE.

So? Na da! – In welcher Altweiberspinnstuwwe hamm se dir denn das weisgemacht? Auf und ab. Hähä! Hä! – Langsam, mit spöttischem Nachdruck. De Kerschen sin nischt fer de dumm' Spatzen! Geht zur Ofenbank, schenkt sich von dem Wein ein, trinkt langsam, gegen den Tisch gewandt, aus. Hähä! – Schmeckt ganz hibsch, so e Glas Wein? – Willst de noch e'mal. Paster? – Hähä. Schenk dir ein! – Hähä.

EMIL
schenkt sich ein, trinkt.
MEISTER OELZE
wieder auf und ab; lacht vor sich hin; bleibt dann wieder stehn und horcht nach der Tür.
Na gewiß?! – 's hat widder gepocht?!
RESE
steht auf.

Na, wer soll denn awwer ... denn hätte mersch doch klingeln heer'n? Zur Tür. Öffnet. Is denn [224] jemand da?! – I, keen Mensch! – De hast dich getaischt, Franz?


Geht wieder zurück.
PAULINE.
Vielleicht is es enne Ahnung gewesen? Heite is je sowieso e richt'ger Gespensterabend?!
MEISTER OELZE.
Hähä!
PAULINE.
Na du gloobst freilich nich an Ahnungen, Franz!
MEISTER OELZE.
Nee! – Hähä! –
PAULINE.
Na, Ahnungen gibt's.
MEISTER OELZE.
So? – Hähä! –
PAULINE.
Ja. Das laß 'ch mer nicht nehm'n. Da is mer schon mehr wie eemal was passiert.
MEISTER OELZE
lacht.
Setzt sich in den Lehnstuhl.
PAULINE.

Na, den Tod vom Vater, den haww ich doch damals vorausgeahnt? Haww ich eich denn das schon e'mal erzählt?

RESE.
Den Tod von dein' Vater? Nee!
PAULINE.
I, das war je sonderbar.
MEISTER OELZE.
Hähä! – Na, denn könn' mer je gleich e'mal e bißchen Spinnstuwwe machen? Hähä.
PAULINE.
Ja, lache nur, Franz! Ich wollte mal dei Gesichte gesehn hamm, wenn dir das passiert wäre!
MEISTER OELZE.
Hähä! – Na, erzähle nur. Mer sin schon alle gespannt. Jetzt biste je ufs rechte Thema gekomm'! Hähä.

Schenkt ein. Trinkt.
PAULINE
sieht eine Welle vor sich hin.

Hu! Wenn ich so dran denke? Schüttelt sich. Zu sonderbar war das! – Zu sonderbar! ... Na! – Ich hawwe mich also ausgezogen un hingelegt un hawwe 's Licht ausgepust't un kann nich gleich einschlafen un liege nu so da un schmeiß mich rum, von eener Seite uf de andre, un 's is mer so heeß un bei jedem Laute schreck 'ch zusamm'. – Schon 'n ganzen Abend hatt 'ch so enne eigentiemliche Unruhe gehabt. – Na, un wie ich nun so ... Ja, nu muß 'ch awwer erscht noch sagen, daß 'ch ganz alleene in der Wohnung war un de Flurtiere zugeriegelt un ooch noch de Sicherheetskette [225] vorgelegt hatte. – Also, wie ich denn nu so daliege un schmeiß mich so rum, da heer ich mit eenem Male – de Kammertiere war nur angelehnt – wie de jemand – mit so recht – schwer'n – Schritten – langsam – ganz langsam nebenan durch die Stuwwe schlurft! – Huch Kinder nee! –'s iwwerleeft mich heite noch, wenn ich dran denke! Meister Oelze lacht und plaudert mit Emil. Rese hört sehr aufmerksam zu. Na! – Ich mache mich denn nu awwer stark un richte mich in de Heehe un frage so in's Dunkle nein – mer hatten enne Nacht, daß mer de Hand nich ver' n Oogen sehn konnte! – frage: »Is denn jemand da?!« – Keene Antwort! – Ich frage noch e'mal: »Is denn jemand da?!!« – Kee Laut! – Na, nu wurd es mir denn awwer doch es bißchen graus'g zumute. – Ich sitze da, wie gelähmt, un horche – un hor – che ... Und da!! – mit eenem Male!! – gibt's e Krach!! – grade als wenn so e Gescherre mit aller Macht an 'n Boden geschmissen wirde! – Ich – in de Heehe! – Nach 'n Streichhelzern getappt, Licht angesteckt un nebenan! – Kee Mensch da! Awwer uf 'm Fußboden liegt die scheene Kaffeekanne mit den Vergißmeinnicht, das hibsche, alte Familienerbsticke, das mir der Vater e'mal geschenkt hatte, un is kurz un kleene, in tausend Granatstickchen! – Ja! Un nu war awwer das das sonderbare derbei, daß se ganz hinten uf der Kommode gestanden hatte un ringsrum allerlee Kaffeetassen un Gläser un Tellerchen, un von alledem war ooch kee eenz'ges Stickchen kaputt oder ooch nur vom Flecke gerickt. 's konnte se nur jemand so ganz vorsicht'g rausgehob'n un mit Absicht an Boden geschmissen hamm. – Anders war's gar nich meeglich. – Na, nu ging ich denn un suchte de ganze Wohnung ab: kee Mensch da; de Flurtiere zu, de Kette vor; alles noch so, wie's gewesen war. – Na, was sagste daderzu, Franz?

MEISTER OELZE.

I na, wer weeß, was dich den Abend uf geregt hat, daß de e bißchen dußlig im Koppe gewesen bist. Hähä.

[226]
PAULINE
ernst.

Spotte nich, Franz! – Gott is mei Zeige, daß alles genau so gewesen is, wie ich's eich hier erzählt hawwe!

MEISTER OELZE.

Na, das is schon meeglich? Ich meene je eben: wer weeß, was een' nich alles 'n Abend vor der Hochzeit passier'n kann! – Hähä. – Emil! Willste noch mal? Dä!


Lacht, gibt ihm Wein.
PAULINE.

Hm! Das is nu awwer noch nich alles! – Ich lege mich also nu widder hin, un endlich beruh'g ich mich denn ooch widder un denke nur noch so: 's wird am Ende doch wohl bloß enne Erschitterung gewesen sin un puste 's Licht widder aus, un denke, wie's doch schade is um die scheene Kanne, un lasse mer so allerlei im Koppe rumgehn: was der Vater wohl so macht un ob e wohl morgen zur Hochzeit komm' wird un liege so un seh vor mich hin und liege 'ne ganze Weile. – Und da, wie ich mit großen Oogen so vor mich hinseh so ins Dunkle nein, da – uf eemal – seh ich ... Un nu soll mer de Hand hier uf 'm Flecke verdorr'n, wenn das erlogen is, was ich eich jetzt erzähle! – seh ich, wie von der Stubentiere her – enne lange, weiße Gestalt ...

MEISTER OELZE.
Mit gelben Raffzähn' un grien Oogen un Krall'n an' Fingern un ... Hähä!
PAULINE.

... weiße Gestalt sich langsam, ganz langsam quer durch die Kammer schiebt – Langsam, ganz langsam so uf mei Bette zu un am Fußende stehnbleibt! ... Ich fiehle orndlich, wie mir de Haare zu Berge stehn; un mei Herze pocht, daß es mir orndlich durch 'n ganzen Kerper schittert! – Ich starre und starre! Wie angeschmied't! ... Na, endlich mach ich mich denn awwer doch stark und reiß mich in die Heehe un denke: das Donnerwetter!! Das muß doch irgendwie mit natierlichen Dingen zugehn?! – Am Ende is es e Lichtschein? Awwer das war nu gar nich meeglich, denn, wie ich schon sagte, mer hatten enne stockdunkle Nacht. Un denn konnt ich ooch ganz deitlich unterscheiden, daß es Arme un Hände hatte un e langen, [227] weißen Vollbart un Oogen un 'ne Nase. Nur de Gesichtsziege könnt ich nich deitlich unterscheiden. Das glimmerte immer so weiß durchenander wie faules Holz, das im Dunkeln leicht't. – Na, denk 'ch, sollte sich am Ende doch eener e schlechten Spaß mit dir machen? – Ich will rufen: awwer ich kann keen' Mucks von mir geben; nur so e Grunzen krieg ich aus der Kehle. – Na! Ich beiß de Zähne zusamm', un in meiner Verzweiflung reiß ich mich in de Heehe, biege mich so vor un fasse mit beeden Händen nach dem Dinge. – Nischt! – De pure Luft! Das Ding awwer steht immer noch ganz stille und steif vor mir! – Na, nu brach mer awwer denn doch der Angstschweiß aus! Unters Bette, de Decke iwwer de Ohr'n un so lieg ich un lieg ich un trau mir kaum Atem zu hol'n, un mei Herze schmeißt mich nur immer so – wupp! wupp! wupp! – von der Matratze in de Heehe. – So lieg ich denn, ich weeß nich wie lange, bis 'ch endlich widder e bißchen Courage kriege un nehme so de Bettdecke e bißchen weg, daß 'ch e'mal Luft hole. – Und da – in dem Oogenblicke – tut's uf eemal dichte neben mir e langen, so recht, recht schweren Seifzer, un – alles is weg! – Huch!


Gesicht in die Hände. Schüttelt sich.
RESE.
Herrgott, Pauline! Da wird een' je himmelangst!

Pause.

PAULINE, langsam die Hände vom Gesicht nehmend, langsam, ergriffen. Ich dachte noch so: Da muß jemandem, der dir recht nahe steht, was ganz Furchtbares geschehn sin; un – gleich nachher – kam von eich die Nachricht, daß der Vater – mit eenem Male – ganz unverhofft – gestorben wär.

MEISTER OELZE
steht auf, geht auf und ab, lacht.
PAULINE.
Ja lache nur, Franz?

Pause.
[228]
PAULINE.

Was ganz ähnliches is e'mal enner Gutsbesitzersfrau in irgend so e Neste bei Gera passiert. Der ihr Mann war in de Stadt gegangen un hatte Vieh verkooft un ging nu mit dreihundert Talern ungefähr, in 'ner Geldkatze, widder zu Fuß zurück. Da is e denn im Walde iwwerfall'n un totgeschlagen worden. – Der hat sich bei seiner Frau ooch so gemeld't. – Das war awwer am hellichten Tage. Sie sitzt in der Stuwwe un schneid't grade griene Bohn', grade der Tiere gegeniwwer, un de Tiere steht weit uff, daß de frische Luft aus 'm Flur ins Zimmer kann. Und da, mit eenem Male, steht ihr Mann mitten in der offnen Tiere, un se wundert sich noch so, daß se 'n gar nich hat komm' heer'n un will 'n eben anreden, da tut e pletzlich ooch so e ganz tiefen, schwer'n Seifzer un is – weg! – Ja, da hat's ooch so geseifzt!

RESE.
Franz! Du willst am Ende nu doch zu Bette?
MEISTER OELZE.
Nee nee! – Hähä! – 's wäre je jammerschade? – Jetzt, wo mer uns grade so hibsch unterhalten? – Hähä!
PAULINE
lacht.
Macht dir das wirklich Spaß, Franz? – I, von solchen Geschichten weeß ich noch enne ganze Menge.
RESE.

Ach, bis' stille. Pauline! Mer kann sonst de Nacht nich schlafen. – Wirklich, mit so was kann mer sich um de Nachtruhe bringen! – De Spritzen sind doch noch nich widder zurück! – Na, Hecht brennt doch heite runter bis uf 'n Erdboden! – Bei dem Sturme is doch an kee Leschen zu denken?

PAULINE.
Ich mechte doch wissen, ob das Feier angesteckt is?
RESE.
I, das is schon meeglich?
PAULINE.
Der alte Hecht muß doch wohl manchen Feind hamm?
RESE.

I ja. So e beeser, jähzorniger Mann wie der? – Vor acht Tagen hat e je erscht noch e Knappen durchgedroschen, der 'n bemaust hatte un hat 'n aus 'm Hause rausgeschmissen. – Der hat meeglicherweise das Feier angelegt.

[229]
PAULINE.
So? – Hm –
Mit einem Blick auf Meister Oelze.

I, da fällt mer ein! Vielleicht könn' mersch rauskriegen, ob's der angelegt hat.
RESE
lacht.
Ä Spaß! – Wie willste denn das rauskriegen?
PAULINE.
Na, gib mer mal ne Bierflasche un eire alte Hausbibel un 'n Hausschlissel!
RESE
lacht.
Na, was du awwer ooch alles weeßt, Pauline?
PAULINE.
Na mache doch? Un wenn's sonst weiter nischt is, denn hamm mer uns doch e Spaß gemacht?
RESE
lacht.

Na, da bin ich awwer neigierig, was das nu widder is! Steht auf und holt die gewünschten Gegenstände zusammen.

PAULINE.

Wenn ich nämlich die Bibel oben auf 'm Flaschenhalse in de Balance bringe un mache denn mit 'm Hausschlissel immer solche Kreise driwwerweg un spreche dazu leise e paar bestimmte Worte so vor mich hin, denn brauch 'ch bloß den zu nenn', uf den ich Verdacht hawwe, daß e irgend was begangen hamm soll, un wenn's denn der richt'ge is, denn fällt die Bibel mit eenem Male runter, ohne daß se e Mensch angeriehrt hat.

RESE
hat die Sachen inzwischen auf den Tisch gelegt.
PAULINE.
So! –

Alle, mit Ausnahme Meister Oelzes, gruppieren sich neugierig um den Tisch herum.
PAULINE
erhebt sich, bringt die Bibel auf dem Flaschenhalse in Balance und nimmt den Schlüssel.

So! – Na, nu woll'n mer mal sehn! – Jetzt geht e'mal alle e bißchen vom Tische weg un verhalt't eich ganz ruh'g! – Nich lachen! Du mußt nich lachen, Emil! – Alles – ganz – ruh'g! – Wie hieß e denn, Rese?

RESE.
Nordmann.
PAULINE.

Gut! – So! Beschreibt mit dem Hausschlüssel langsame Kreise über der Bibel und brummelt dabei vor sich hin. Nach einer Weile klappt die Bibel auf den Tisch.

[230]
PAULINE
ernst.
Danach is e's gewesen.
EMIL.
Ach, Tante! Du hast an Tisch geschubbst!
PAULINE.
I, wie kannste denn das sagen, Emil? Ich hawwe je e ganzes Sticke vom Tische abgestanden.
MEISTER OELZE.
Emil! Komm her! – Quatsch dummer!
PAULINE
sieht ihn an.
Uf die Art is schon manches ans Tageslicht gekomm', Franz!
MEISTER OELZE.
So? – Hähä! – Uf die Art kömmt bloß deine großart'ge Dummheet ans Tageslicht un weiter nischt!
PAULINE.
Da sin schon Brandstifter un Diebe un alles, sogar Merder entdeckt worden.
MEISTER OELZE.
So. – Hähä!
RESE.
Na, da gloob ich nu ooch nich dran, Pauline! – Wie soll mer sich denn das erklär'n?
PAULINE.
's is manches unerklärlich, Rese.

Pause, während welcher Pauline wieder, wie in Gedanken, das Experiment mit dem Hausschlüssel macht. Plötzlich fällt die Bibel scharf und hart auf die Tischplatte. Pauline tut einen Aufschrei und stützt sich einen Augenblick gegen den Tisch.

RESE, die sich wieder gesetzt hatte. Herrjees!! Was hast 'enn, Pauline?!
PAULINE.
Nischt! Nischt!
RESE.
Gott, nee! Haww ich mich erschrocken!
PAULINE.
Franz ooch! E is orndlich zusammengezuckt!
MEISTER OELZE.
Unsinn! – Quatsch verrückter!
PAULINE
lacht.
Awwer, Franz?! Stelle das doch nich in Abrede?! Leichenblaß biste je geworden?
MEISTER OELZE.
Hähä! – So? – Gloobste?
RESE.
Ach Gott, Kinder! – Nu heert awwer uf! Mer wird zuletzt selber ganz koppverdreht!
PAULINE.
Franz, ich wette, daß de dich jetzt nich uf 'n Flur nauszugehn traust!
RESE.
Na, das war ooch e scheener Unsinn! Ich könnt es jetzt, wahrhaft'g'n Gott, ooch nich!
[231]
PAULINE.
Ich seh dersch je an, Franz? Du bist je ganz ufgeregt?
MEISTER OELZE.
Ach, du denkst wohl, mer sin hier alle so dumm wie du?
PAULINE.

Ich traue mich naus! Lacht. Jede Wette, die de willst, geh ich mit dir ein, Franz! Jetzt trauste dich nich naus! – Denke mal, Franz? Wenn de jetzt uf 'n Flur nauskömmst un's käm dir uf eemal so enne weiße Gestalt entgegen hinten vom Gottesacker her, wie mir damals? Un's steehnte mit eenem Male so dichte neben dir uf? Na? – Das is kee Spaß? – Gloobe nur!

MEISTER OELZE
steht langsam auf.
Hä! Hähä! – Na, das könn' mer je mal sehn?
PAULINE.
Hm? Na, da wär ich doch neigierig!
MEISTER OELZE
zu Emil.

Siehste, mei Sohn? Daß de siehst, was das alles fer e Quatsch is: jetzt geh ich hinter in Garten, in de Werkstatt, un hole 's Kreisblatt, das ich heite hinten hawwe liegenlassen, un de wirst sehn: ich wer'e widderkomm' un's is mer kee Staar in' Hintern geflogen. – Hähä!

PAULINE
aufgeregt.
Nee, da bin ich doch werklich neigierig?
MEISTER OELZE.
Hä! Hähä!

Geht auf die Tür zu.
RESE
ängstlich.

Gott, Franz! Macht doch nur nich solchen Unsinn! So aus der warmen Stuwwe in 'n Zug naus! De kannst dich in Tod nein erkälten!

MEISTER OELZE
öffnet die Tür.
RESE.
Geh nich, Franz!!
MEISTER OELZE
nervös.
Verhalt dich ruh'g!!! – Dummes Frauenzimmer!! Ab.
PAULINE
lacht aufgeregt.
E geht! – Wahrhaft'g'n Gott! E geht!
RESE
nachrufend.
Franz!! – Geängstigt. Ach, das geht je nich!
PAULINE
wie eben.
Laß 'n doch, Rese? E wird gleich widder retour komm'!
[232]
RESE.

I Gott, Pauline! Ich weeß ooch gar nich, wie de nur bist! Ihr solltet doch nich so e Unsinn ma chen! – Was hat denn das fer e Zweck! – Mer weeß nich, was passier'n kann!

PAULINE
lauscht, lacht.
Laß doch! – Is je Spaß!
RESE
lauscht.

Jetzt, wo e noch derzu so ufgeregt is von dem Biere un von deiner Erzählerei un denn hat e ooch noch den Wein getrunken! – Das is e je gar nich gewohnt! – Mer woll'n nur wenigstens de Tiere uflassen, daß e Licht hat!

PAULINE
steht auf; geht lauschend auf die Tür zu.
Jetzt klappte hinten de Tiere! – Nu – bin ich – gespannt ...
RESE.
Wenn e in der Dunkelheet gegen was rennt!
PAULINE.
Is je Mondschein.
RESE
abwechselnd lauschend und sprechend.
Gott nee! – 's is wahr! – Wenn mer so ufgeregt is!
PAULINE
nervös.
Stille doch! Lacht in sich hinein.
RESE.

.. 's braucht nur – e Papierschnitzelchen – oder e Strohhalm iwwern Hof zu rascheln – un e kann – e Schreck hamm – ... Oder wenn de Mutter mal unversehens ufschreit? I ...

PAULINE.
Stille! ...

Sie steht in großer Aufregung neben der Tür; zupft an ihrem Schürzenzipfel herum und lacht fortwährend vor sich hin.
Emil hat sich gleichfalls zur Tür hingeschlichen. Alle verhalten sich jetzt ganz still und lauschen. – Plötzlich von draußen ein lautes, grelles Schreien,
das anhält, deutlicher wird und sich der Tür nähert.
RESE
fährt auf.
Ach Gott??!!! Bleibt wie erstarrt stehen. Die Kinder schreien auf.
MEISTER OELZE
taumelt im schnellen Lauf herein, bis zum Ofen hin, fortwährend schreiend.
RESE.

Großer Gott! – Franz!! – Was hast 'enn??!! – Ach, siehste. Pauline!! Schnell auf Meister Oelze zu, der [233] zitternd und schwer atmend in größter Aufregung, mit dem Rücken gegen die Tür, laut stöhnend, gegen den Ofen lehnt. Franz!! Was is dir denn?!!

MEISTER OELZE
mühsam.
Ich – hawwe ... Ich ...Taumelt.

In diesem Augenblick schlägt die Tür mit einem lauten Krach ins Schloß von einem heftigen Windstoß. Mariechen klammert sich aufweinend an Pauline an. Meister Oelze mit einer jähen Wendung und einem lauten Angstschrei gegen die Tür herum.
RESE.
Franz!! – 's is je nur der Wind?!!
MEISTER OELZE
taumelt; stöhnt.
Alle auf ihn zu.
RESE.
Gott!!! – 's – leeft 'm je – Blut?!! – aus 'n Mundwinkeln??!!! – Blut??!!!
MEISTER OELZE
greift mit beiden Händen gegen die Brust.
Schlägt an der Ofenbank nieder.
RESE
schreit.
Großer Vater im Himmel!!! – Der Mann kriegt je'n – Blutsturz??!!!
EMIL
weint auf.
Vater!! – Vater!!

Mariechen weint laut, an Pauline geklammert.
RESE
heult auf.
Himmlischer Vater!! – Der Mann – kriegt 'n – Blutsturz?!!!
PAULINE.
Stille! – Stille!
RESE
um Meister Oelze beschäftigt.
'n Doktor!! – – 'n Doktor!!

3. Akt

Dritter Aufzug

Nacht, gegen Morgen. Die Rouleaus sind heruntergelassen. Auf dem Tische steht, zwischen Arzneiflaschen, Wassergläsern, Weingläsern, einer Flasche Wein, einem Eiskübel usw. die brennende Lampe. Um die Glocke ist ein Stück Zeitungspapier gesteckt, das Licht zu dämpfen. – Rechts, im[234] Vordergrunde, an Stelle des Lehnstuhls, ein Bett parallel mit dem Hintergrunde aufgestellt. – Durch die Rouleaus dringt ein mattweißes Zwielicht ins Zimmer von dem langsam nahenden Tage.
Meister Oelze liegt im Bett, mit einer Wolldecke zugedeckt. Mit der Brust liegt er frei. Pauline sitzt beim Bette auf der Ofenbank. Rese sitzt beim Tische. Sie ist eingeschlafen. Meister Oelze liegt in einem unruhigen Schlummer, zuckt mit den Händen, zupft krampfig an der Bettdecke, bewegt die Lippen, dreht den Kopf, fängt an, undeutlich vor sich hin zu reden.

PAULINE
erhebt sich leise und beugt sich, scharf und interessiert beobachtend, über Meister Oelze.

In großer Aufregung, flüsternd. Hm! – 's wird alle! – 's wird ... Wirft Rese, den Finger am Munde, immer in der ersten Stellung, einen forschenden Blick zu, beugt sich dann wieder einen Augenblick über Meister Oelze; dann. Rese! Wartet, Rese beobachtend; dann noch einmal. Rese!!

RESE
emporschreckend.
He?!!
PAULINE.
Du schläfst je ein?
RESE.
Is e Umschlag ...
PAULINE.
Nee! – E is jetzt ... Hm! – E is jetzt soweit – ruh'g!
RESE.
Hach! – Ich – bin zu abgespannt!
PAULINE.
Na ja! – Ich wollte dir eben sagen: leg dich doch e bißchen hin?
RESE
müde.

I, du mußt's je eegentlich neet'ger hamm wie ich. Pauline! – Du bist je de ganze Zeit nich von 'm weggekomm'.

PAULINE.

Geh nur! – Leg dich e paar Stunden hin! – 'n Tag iwwer haste nachher genung in der Wirtschaft ... Unterbricht sich, nach Meister Oelze hinhorchend ... genung zu tun! – Geh!

RESE
erhebt sich schwerfällig.

Du hast 'ne Natur, Pauline? – Nerven haste doch wie von Eisen! –Aufs Fenster zu. Ob [235] mersch Fenster e bißchen ufmachen? – 's is so 'ne dumpfe Luft hinne!

PAULINE.

Gewiß? – Was soll denn das schaden?Vom Bett her mit leichter Ungeduld. Awwer das kann ich je alles alleene machen! Leg dich nur schlafen!

RESE.

Na laß nur! Zieht ein Rouleau auf und öffnet einen Fensterflügel. Ach die hibsche, frische Luft! – Un der Himmel so klar! – 's gibt e pracht voll'n Tag heite! Lehnt sich einen Augenblick zum Fenster hinaus. Von weitem das Nachtwächterhorn mit einem langgezogenen, hellen Ton, der sich nähert, und, stärker werdend, mehrmals wiederholt. Rese tritt wieder zurück. Alles stille draußen! – Wie ausgestorb'n! – Ins Zimmer zurück. Brrr! – Mich iwwerleeft's! – Das is Iwwerreizung! – Mer is je das gar nich gewohnt, das lange Aufbleiben!

PAULINE.
Na ja! Drum leg dich nur e paar Stunden hin!
RESE
tritt ans Fußende des Bettes.
's is mer doch – eigen, daß e ... daß e nu – Schürzenzipfel am Auge – ... fort soll! ...
PAULINE
ungeduldig.
Na Gott! – Hm! – 's kömmt dir doch wenigstens nich ganz unverhofft!
RESE.

Äh, wenn ooch! – Gucke! – Gucke mal! Wie e immer schon so an der Bettdecke zuppt! Beunruhigt. Un ... un ... wie de – Brust geht?! – das – fliegt alles nur so! ... Un als wenn's drinne kochte! ... Heerste? – Un die Oogen – Wie die sich immer so drehn! – Du! – Wenn nur ... 's wäre am Ende doch gut, wenn ich bliebe!

PAULINE
wie vorhin.

I, das is es Fieber! – Das hat weiter nischt zu bedeiten! – Das is gar nich gesagt, daß es so rasch mit 'm kömmt! – Deshalb kannste dich ruh'g enne Weile hinlegen! – E kann's noch bis zum Abend machen!

RESE.

Ach Gott ja, Pauline! Wenn e nu schon eemal fort muß: wenn e sich denn doch nur nich noch so zu quäl'n brauchte! – 's is mer allemal wenn e so nach Luft ringt un ampelt, als ob sich mir alle Eingeweide umkehrten, als ob 'ch selber erstickte! – Wenn's der liebe Gott doch nur [236] nich mehr so lange währ'n läßt! Pause. Beide beobachten. Du! 's is doch merkwird'g: e hat dich doch immer um sich rum hamm woll'n! E hat dich doch gerne gehabt, siehste!

PAULINE
lacht.
Na ja.
RESE.
Na, 's is wahr!
PAULINE.
Ja, ja! – Awwer nu leg dich nur hin!
RESE
gähnt.
Na ... denn – ja! – E Weilchen! – Wenn was is, denn kannste mich je rufen!
PAULINE.
Ja, ja.
RESE.

Wie e egal vor sich hinred't! – Ach Gott! – Ich gloobe nich, daß 'ch wer'e schlafen könn'! Kramt noch auf dem Tisch umher. Wie is denn mit e Umschlage?

PAULINE.
Äh, woll'n jetzt nich steer'n! – Geh nur!
RESE.
Na denn – so lange ... Hach ja!

Ab.
Pauline bleibt noch eine Weile über Meister Oelze gebeugt, erhebt sich dann, tut ein paar Schritte ins Zimmer, reckt sich, stöhnt und tritt ans Fenster.
Meister Oelze wendet sich im Schlummer, klappt mit der Hand auf die Decke und schwatzt vor sich hin. Pauline wendet sich schnell, geht wieder eilig zum Bett hin und beobachtet Meister Oelze.
MEISTER OELZE
im Schlaf, mit hastiger, fiebernder Stimme.
Emil! – Emil! – Fix, jag doch e'mal das Gespenste weg!
PAULINE
leise an ihren alten Platz zurück, beugt sich zum Bette hin.
MEISTER OELZE.

Jag's weg! – Jag's weg! – Das is – das is – der Vater ... Wer ... wer hat denn ... wer hat denn die – Schteene uf mich gelegt!! – Pauline, nimm se weg!! – Nich, nich, nich uf mich fall'n!! – Du bist so – schwer! – So heeß!! – Soo – heeß!! – Du brennst mir alle – Luft aus!!


Stöhnt laut.
RESE
tritt geräuschlos, in der einen Hand ein Tellerchen mit einem Glas Glühwein, in der andern die Holzpantoffeln, ins Zimmer.
Pauline! – Ich ...
[237]
PAULINE
ärgerlich, mit einer ungeduldigen Wendung zur Tür hin.
Was willst 'enn?!! – Da leg dich doch hin!!
RESE.
Ich hawwe dir wenigstens e Glas Gliehwein gemacht?!
PAULINE.
Äh, stell's hin!
RESE.
Ich will's hier neben dich uf de Ofenbank stell'n!
PAULINE.
Gut, gut!
MEISTER OELZE
wie vorhin.
Das is e Aas ... das is e Weib ... Hähä!
RESE
am Bette.
E spricht widder im Schlafe.
PAULINE
verdrießlich.
Äh!
MEISTER OELZE.
Ach, de Schteene! – Die Schteene!! – Die Last ...

Stöhnt.
RESE
mit bebender Stimme.
Armer Franz! Schürze an der Nase. Ach, 's is zu schrecklich. Pauline!
PAULINE
ungeduldig.

Ja, ja! – Leg dich nur hin! – Ich will schon mit 'm fert'g wer'n! – Du hast nich lange Zeit zum Schlafen. – Mer hamm balde Tag!

RESE.
Na denn ... Laß nur nich kalt wer'n?

Auf den Zehen ab.
PAULINE
beugt sich wieder gegen Meister Oelze hin.

Dann lehnt sie sich zurück, reckt die geballten Hände nach den Seiten, stöhnt auf in Ermüdung und Aufregung. Aach! – Aach!


Meister Oelze wird wieder unruhig. Schwatzt schnell vor sich hin. Lacht. Pauline wieder gegen ihn vor.
MEISTER OELZE.

Ja ... Ich ... Ich muß, ich muß – ich muß es 'r sagen, Emil ... Stöhnt gequält; wirft sich herum. Ich muß je doch ... Nee nee nee ... Nee – Weene doch nich, mein Sohn ... Kee Wort sag 'ch ... Kee Wort ... Bis' stille ... Paster sollste wer'n ... Hähä! – Paster ... Laß se ... Die sagt keen' was ... Die is verrickt ... Hähä! – Alles soll deine ... Alles ... Hähä! – Na? ... Na??!! ... Du – bist von Feier!! – ... Was hauchst 'enn mich an?! ... Nich, du – du Aas – Du ... Nich!! – Weg!! – [238] Du – verbrennst mich!!! – Luft!!! – Wer bohrt mir denn das glieh'nde – Eisen – in de – Brust?!! – Luft!!! – Luft!!! – Stöhnt, wirft sich herum.

PAULINE
schnell zurück.
MEISTER OELZE
wirft sich in die Höhe, wird wach; ängstlich.
Keener – da?!
PAULINE
ein wenig vor.
Ich, Franz.
MEISTER OELZE.
Pauline?
PAULINE.
Ja. – Kanst mich denn nich erkenn'? Hm?
MEISTER OELZE
mühsam, ängstlich.
Wo – is denn – Rese ...
PAULINE.
Se hat sich e bißchen hingelegt. Ich bin ganz alleene da.
MEISTER OELZE.
Was ... Was willst 'enn von mir?
PAULINE.
Dich pflegen, Franz?
MEISTER OELZE.
Du? – Mich pflegen? – Hähä! –Ängstlich. Was ... Was is denn das – Helle iwwer mir?!
PAULINE.
Der Vater!
MEISTER OELZE.
Nimm's weg! – ' s sieht aus – als wenn – sich eener – gehenkt hat ...
PAULINE
nimmt das Bild fort.
MEISTER OELZE.
Is noch – weit bis zum – Tage?
PAULINE.
's is gegen Morgen!
MEISTER OELZE
stöhnt; wieder unruhig.
Mach 's Fenster uf! – 's is – so stick'g!! ...
PAULINE.
's is je auf. – 's kömmt zuviel kalte Nachtluft rein!
MEISTER OELZE.
Noch eens!
PAULINE
geht und öffnet noch ein Fenster.
MEISTER OELZE.
Weit! – Weit! –
PAULINE.
So! – Kommt zurück.
MEISTER OELZE.
Nich – so nah! ... 's wird mer – so – enge! ...
PAULINE
rückt herum auf die Ecke der Ofenbank; sitzt stumm.
[239]
MEISTER OELZE.
Haww ich was gesprochen?
PAULINE.
Ja.
MEISTER OELZE.
Was denn?
PAULINE.
Ach ...
MEISTER OELZE.
Was denn!
PAULINE
nach einer Weile.
Alles durchenander! – Mer konnt es – nich versteh'n!
MEISTER OELZE.
Du lügst!
PAULINE
ihn ansehend.
Awwer – – nee!
MEISTER OELZE.
Weibsvolk ... Liegt eine Weile still. Trinken ...
PAULINE.
Mal Wein?
MEISTER OELZE.
Trinken! – Trinken! –
PAULINE
holt ein Glas Wein vom Tische.
Da!
MEISTER OELZE.
Rück mich – hoch ...
PAULINE.
Ja! – Warte!
MEISTER OELZE.
– Du traust mich – wohl nich – anzufassen? – Hähä ...
PAULINE.
Ach gar!

Rückt ihn mit dem Kopfkissen höher.
MEISTER OELZE
beobachtet sie.
Als hätt 'ch Gift – an mir – hä? – Hähä ...
PAULINE.
Trink doch, Franz?
MEISTER OELZE.
Hähä ...

Trinkt.
PAULINE
läßt ihn wieder zurücksinken.

Zeig mal? – Äh! – Mer – missen 'n frischen Umschlag ufleg'n!Entfernt den alten Umschlag. Hu, der glieht! – Du hast Fieber!

MEISTER OELZE
mühsam.
Faß 'n mit – zwee Fingern ... Ich hamm – uf 'm Leibe gehabt ... hähä ...
PAULINE
am Tische, den neuen Umschlag in den Kübel auswringend.
Du tust je, als ob 'ch mich vor dir ekelte, Franz!
MEISTER OELZE.
Hähä. – Das – is ooch ...
PAULINE
kommt mit dem Umschlag.
Komm! Legt ihn auf seine Brust.
MEISTER OELZE.
Wisch dir – de Hände – ab ... Hähä ... 's is – Gift dran ...
[240]
PAULINE.
Ach, du solltest nich so viel sprechen, Franz!

Setzt sich.
MEISTER OELZE.
M!

Pause.
MEISTER OELZE.
Is – der Dokter – dagewesen ...
PAULINE.
Nee! – 's is je noch in der Nacht?
MEISTER OELZE
sich besinnend.
Ach ja.

Pause.
MEISTER OELZE.
Was – hat e denn – gesagt – gestern ...
PAULINE.
De weeßt je.
MEISTER OELZE.
Äh! – E hat noch – mit eich – gesprochen ...
PAULINE.
Mit uns?
MEISTER OELZE
ungeduldig.
Ich haww es – gesehn ... Was hat e denn – gesagt ...
PAULINE.
I.
MEISTER OELZE.
Du wirst's mir doch – nich ver – heimlichen woll'n? – Hähä. –
PAULINE.
Gott, Franz! Was soll e denn weiter gesagt hamm?
MEISTER OELZE.
Ich muß – sterb'n?

Pause.
PAULINE
ernst, hart.
Ja, Franz!

Pause.
MEISTER OELZE.
Rück mich – heeher ...
PAULINE.
So!

Pause.
MEISTER OELZE.
Heite noch?
PAULINE.
Ja.

Pause.
MEISTER OELZE
sehr unruhig.

Ja. – Das stimmt – Ich fiehl es. – Keene – Stunde – mehr ... Eine Weile still. Na? – Nu hast es je so weit? – Du – hast mich kaputt gemacht ...

PAULINE
bleibt stumm.
[241]
MEISTER OELZE.
Geh weg!! – Geh!!
PAULINE
erhebt sich langsam.
Ich will dir Resen schicken. Tut zögernd ein paar Schritte auf die Tür zu.
MEISTER OELZE,
bemüht sich aufzurichten, ängstlich.
Du willst – weg?! Nee, nee ... Bleib! –
PAULINE
bleibt, wie zweifelnd, stehn.
MEISTER OELZE,
der wieder zurückgesunken ist.
Nich – alleene lassen ... Komm – widder – her ...
PAULINE
geht zu ihrem Platz zurück.
MEISTER OELZE.
Erst – vorbei ... Vorbei ... Nachher – is es – aus ... Nachher – bin ich – Dreck ... Aaaach!! ...
PAULINE
zu ihm hin.
Drickt dich was, Franz? – Hm?
MEISTER OELZE
ängstlich.
Was ... Was – willst 'enn – von mir?! – Rese! – Rese! –
PAULINE.

Haste denn Angst vor mir, Franz? – Ich tu dir nischt, Franz. – Was de an mir getan hast un an mein'm Bruder, trag ich dir nich bis hierher nach! – Der liebe Gott hat uns je ooch so nich ganz un gar im Stiche gelassen. – Drickt dich das etwa, Franz?

MEISTER OELZE
ängstlich.
Nich ... Nich so – nah! ... Nich so – nah! ...
PAULINE.
Soll'n mer etwa zum Paster schicken, Franz?
MEISTER OELZE.
Warum denn? Warum denn? – Hähä! –
PAULINE.
Ich dachte, 's wäre dir enne Erleicht'rung, wenn de 's heilige Abendmahl noch e'mal nähmst?
MEISTER OELZE.
Unsinn ...

Pause.
PAULINE.

Oder is es etwa wegen der Mutter, Franz? – Wie's e Sohne geziemt, haste se je freilich nich immer behandelt in ihr'n alten Tagen ...

MEISTER OELZE
starrt vor sich hin; fiebernd.
Stille mal! – Merkste nich?! – Der – Tod is hinne!! – Wirft sich in die Höhe.
[242]
PAULINE.
Wer is hinne, Franz? – Du phantasierst je!
MEISTER OELZE.
Ja, ja ... Nich ... Nich – phantasier'n! ... Hastig. Pauline!
PAULINE
zu ihm hin.
Hm?
MEISTER OELZE.
Pauline! – Komm ... Komm mal – her ...
PAULINE
näher.
Na, Franz?
MEISTER OELZE.
Pauline ...
PAULINE
mit zitternder Stimme.
Hm? Willste mir – was anvertraun, Franz?
MEISTER OELZE
hastig.

Ja! – Ja! ... H!! – Luft!! – Luft!! – Ganz – dichte – ran ... So! – Soo! – Pauline! – Ich – muß dir was – sagen ... Fiebernd. He! – He! – Tu mir nischt! – Geh mal weg, du da driww'n! – Ich ... Ich muß das doch – erscht – los – wer'n – die – Schteene ... Ich muß doch ... Hähä! – Hähä! – M! – Nich – phantasiern!! ... Hastig. Pauline!! – Pauline!! – Rasch! – Fix! – Ich ... Ich – ha – be ... – Beobachtet sie scharf und mißtrauisch. Was ... Was machst 'enn fer – Oogen??!

PAULINE
seufzt ungeduldig.
Gott, Franz! – Was soll ich denn nur fer Oogen machen?
MEISTER OELZE.
Solche – gierigen – Oogen ...
PAULINE.
Ach ... Awwer Franz! ...
MEISTER OELZE.
Du bist – enne – Kanallje!!
PAULINE
lehnt sich, aufseufzend die Stirn runzelnd, zurück.
MEISTER OELZE.
Fort! – Fort! –
PAULINE
steht auf und geht nach dem Hintergrunde zu, so daß ihm ihr Anblick durch den Ofen entzogen wird.
MEISTER OELZE
in größter Unruhe.

Du! – Gott! ... Du! – Gott! ... Vergib mir! Vergib mir! ... Was haww ich gesagt? ... Hähä! ... Quatsch! – Quatsch! – Hähä! – Aaah!! – Aaah!! – Kanallje! –Wie weinend. Kanallje!! – Liegt still; lacht plötzlich wie über einen Einfall. Pauline? – Pauline?! –

PAULINE
wieder auf ihn zu.
Ja?
[243]
MEISTER OELZE.
Komm doch – her ...
PAULINE
setzt sich wieder zu ihm.
Hm?
MEISTER OELZE.
Ganz nahe ...
PAULINE
beugt sich zu ihm hin.
MEISTER OELZE
ironisch.
Na? – Na? – Hähä! – Hähä! – Hä! Langsam, in seinem alten, ironischen Ton. Du kannst widder gehn.
PAULINE
rückt wieder von ihm ab, auf die Ecke der Ofenbank.
MEISTER OELZE.
Hähä! – Angefiehrt haww ich dich? – Was denkst 'enn, das ich dir – sagen soll?
PAULINE
lacht.
Na siehste, Franz? – 's is am Ende noch gar nich so schlimm! – Wenn de noch Späßchen machen kannst?
MEISTER OELZE
unruhig; wieder wie im Fieber hin und her; stöhnt, dann.
Pauline? – Komm doch – noch e'mal – her ...
PAULINE
wieder dicht zu ihm hin.
Nu?
MEISTER OELZE.
Ganz dichte ...
PAULINE.
Na so!
MEISTER OELZE.
Gib mir mal – deine – Hand ...
PAULINE
reicht ihm die Hand hin.
Na?
MEISTER OELZE
kratzt ihr über die Hand.
PAULINE
zieht rasch die Hand weg, besieht sie, lacht.

Nu gucke?! – Du hast mich je gekratzt, Franz?! – Na so was! – E langer, roter Riß! – Iwwer de ganze Hand weg! – Das macht, weil deine Nägel so lange nich beschnitten sin! – Hehe! – Nee awwer so was?! – Ich hätte gar nich gedacht, daß de noch soviel Kraft hast? – 's tut orndlich weh? – Hehe!

MEISTER OELZE
mühsam.
Wenn ich – mehr Kraft – hätte ... hätt ich dich mit 'm – Messer gestochen! ...
PAULINE
lachend.
Ja, das gloob ich, daß du solche Geschichten machst, in dein' – Fieber! Hehe!
[244]
MEISTER OELZE.
Kanallje!
PAULINE
erhebt sich.
Na, Franz! Ich will awwer doch lieber gehn un will dir Resen herrufen!
MEISTER OELZE
aus seiner Fieberunruhe, ängstlich.
Willste – naus?!
PAULINE.
Ja, Franz! – De regst dich am Ende doch zu sehr iwwer mich uff!
MEISTER OELZE
wie vorhin.
Nee! – Nee! – Bleib!!
PAULINE.
Ich bin wirklich ooch zu – marode! Se kann mich e bißchen ableesen!
MEISTER OELZE
mit gesteigerter Unruhe.
Nee! – Bleib! – Bleib!! –
PAULINE
setzt sich langsam, ihm abgewandt, wieder auf die Ofenbank.
Nach einer Pause. Acht Tage lang haww ich kee Ooge zugetan.
MEISTER OELZE
ruhiger.
Geh nich – weg von mir ...
PAULINE.

Na siehste, Franz! Un doch biste immer so zu mir! Ernst. Schimpfst uf mich, uf dein' Totenbette noch! – Un mer meent's je doch nur gut mit dir?

MEISTER OELZE.
Ja, ja ... Nich – weggehn ...
PAULINE.
Na? – Nich wahr? – Warum woll'n mer denn ooch jetzt noch so zu enander sin? Gelte Franz?
MEISTER OELZE.
Pau – li – ne ...
PAULINE.
Na? – Hm?
MEISTER OELZE
hastig, fiebernd.
Was ... Was geht denn da am Fenster hin?!
PAULINE.
Am Fenster? – Wo denn? – Nischt! Ich sehe nischt, Franz!
MEISTER OELZE.
's hat so e langen, weißen Bart!
PAULINE.
Wo denn? Das da am Fenster?
MEISTER OELZE
schnell, ängstlich.
Ja, ja.
PAULINE.
Ach, das is je bloß ... Zögert, dann geheimnisvoll. Ja! Das is der Vater, Franz!
MEISTER OELZE
wie vorhin.

Ja, ja! Der Vater ... Komm doch her zu mir. Pauline? – E will je ... In höchster Angst. Nee!! – Nee!!

[245]
PAULINE, sich zu ihm hinbeugend. Nee, nee! Bis' nur ruh'g! E darf d'r nischt tun!
MEISTER OELZE,
sich gegen sie drängend.
Gucke doch?! – Gucke doch?!
PAULINE
in der vorigen Stellung, flüsternd, geheimnisvoll.
Ja, ja!
MEISTER OELZE.
Du! – Ich weeß, was e von mir will?
PAULINE
erregt.
Hm? – Was – will e denn von dir, Franz? – Hm?
MEISTER OELZE.

Weeßte denn nich! – De derfst's awwer keen' sagen! – Ich hamm 'n je ... Hehe! ... Ich ... Ich hamm 'n je ... Hehe! ... Hehe! ...

PAULINE
wie vorhin.
Hm? – Was – haste, Franz?
MEISTER OELZE
laut, angstvoll.
Du! – E – kömmt!!!
PAULINE.
Nee, nee! Nach dem Fenster hin. Husch! Husch! Geh mal weg, du! – Sag e'mal, Franz! Was haste?

Pause.
MEISTER OELZE.
Nee, das da – is je bloß – de Gardine.
PAULINE
lehnt sich ungeduldig zurück.

Pause.
MEISTER OELZE
gequält.
Ach Pauline!
PAULINE.
Hm? Na, was haste denn! Sprich dich aus, Franz!
MEISTER OELZE.
Ja. – Ja. – Ich will dir alles ... Ricke mich doch – e bißchen – heeher ...
PAULINE
ihm behilflich.
Ja! – Komm! – So!

Pause.
MEISTER OELZE
mühsam.
Ich ...

Pause.
PAULINE
beugt sich gegen ihn vor.
Na? Sag's mir, Franz! – Erleichtre dich!

Pause.
MEISTER OELZE.

Ich ... Zögert. Dann, langsam, leise. Emil ... Wendet sich unruhig, stöhnt tief und gequält auf, dann hastig. Hole mer Emiln her! –

[246]
PAULINE
zurück, mit unterdrückter Wut.
Der schleeft ja awwer noch?
MEISTER OELZE
laut verzweifelt.
Weck 'n! Weck 'n!! – Fix! – Geh!

Pauline steht auf, stöhnt, ballt die Fäuste unter ihrer Schürze. Geht. Meister Oelze liegt im Fieber. Stöhnt usw. Draußen auf der Gasse Räderknarren, Peitschenknallen, Rufe eines Fuhrknechtes. – Heller, bäuerlicher Gesang von Weiber- und Kinderstimmen, unterbrochen von hellem Kreischen.

»Des Morgens in der Frühe,
Lalala, lalala!
Da weiden wir die Kühe,
Lalala, lalala!
Wenn summend aus den Zellen
Die Bien' ins Freie fliegt,
Und auf den Ährenwellen
Das Morgenrot sich wiegt!
Lalala, lalala!
Lalala, lala lala!«

Der Gesang nähert und entfernt sich.
MEISTER OELZE
während des Gesanges, im Fieber.

Nee, Emil ... Keener soll dich verachten ... Da! – Da is e je widder?! – Hähä! – Rafft sich auf, packt das Taschentuch, das vor ihm liegt und wirft es vor sich hin, als ob er jemand treffen wollte. Weg, du alter Hundsfott!! – Du bist je tot?! – Hähä! – Du bist je Dreck?! – Du bist je bloß enne Gardine?! Sinkt zurück. Du ... Du willst hier – spuken gehn? ... Hähä! – Hähä! –

PAULINE
kommt zurück.
E kömmt gleich!
MEISTER OELZE
im Fieber.
Wer – kömmt denn da?!
PAULINE.
Ich, Franz! – Emil kömmt gleich!
MEISTER OELZE.
Emil! – Emil! – Ja, E-mil ... Ruhiger. Was – is denn – da ...
[247]
PAULINE.
Ach, das sin bloß de Rübenzieher vom Amte! Die fahr'n naus ins Feld! – 's wird Tag!
MEISTER OELZE.
Kömmt e noch nich?
PAULINE.
E muß jeden Augenblick komm'! Geht zur Tür und sieht, wartend, eine Weile hinaus. Jetzt kömmt e!

Emil tritt ein, mit Rese. Er ist nur mit Hose und Jackett bekleidet. Zittert, fröstelt, weint.
RESE
weinerlich.
Nich wein', Emil! – Das regt 'n Vater uf! – Mache dich stramm, mei Sohn!
MEISTER OELZE.
Emil!
EMIL
befangen zu ihm ans Bett tretend.
Guten Morgen, Vater!
MEISTER OELZE
lacht.
Komm her, mei – Sohn ...
EMIL
tritt näher.
MEISTER OELZE.
Hier – ganz, ganz – nahe ... Gib mir – deine Hand ... So! – So, so, sooo ...

Liegt eine Weile still.
RESE UND PAULINE
halten sich im Hintergrunde.
Rese spricht auf Pauline ein, die verdrossen und finster dasteht, ohne zu antworten.
MEISTER OELZE.
Mache mir – hier oben – 'n Hemdknopp uf ...
EMIL
tut's.
MEISTER OELZE.

D – dei – ne – Hand ... So, so ... sooo ... Nich – weggehn ... Halb in die Höhe. Tiere uf!! – Tiere uf!!

EMIL
ängstlich.
Se is je auf, Vater?
MEISTER OELZE
beruhigter, zurück.

Auf ... Ja ... Hehe – Emil ... Liegt eine Weile still, Emils Hand haltend. Haww ich – deine – Zensur schon – unterschrieben? ...

EMIL.
Nee, Vater.
MEISTER OELZE.
Hole se – mal – her ...
EMIL
zögernd.
Awwer das hat je noch Zeit, Vater?
[248]
RESE
tritt vor.
Das kann ich am Ende ooch, Franz? – Das strengt dich jetzt so an?
MEISTER OELZE.
Hole de – Zensur ...
EMIL
geht hinter zum Schrank, kramt dort, und kommt dann mit der Zensur zurück.
MEISTER OELZE.
Lies ...
EMIL.
Vorlesen?
MEISTER OELZE.
Ja.
EMIL
liest.
Betragen: Gut. Fleiß und Aufmerksamkeit: Gut. Leistungen. Latein: Sehr gut.
MEISTER OELZE.
Hähä ... Weiter ...
EMIL.

Griechisch: Gut. Französisch: Gut. Deutsch ... Stockt. Deutsch: Nicht ausreichend. – Das is ... Das is aber bloß ... Unser Lehrer im Deutschen hat ...

MEISTER OELZE.
Weiter ...
EMIL.
Mathematik: Gut. Geschichte und Geographie: Recht befriedigend. Rel ... Religion ...
MEISTER OELZE.
Na?
EMIL.
Ziemlich ... Ziemlich befriedigend ...

Hustet.
MEISTER OELZE.
Hähä ...
EMIL.

Physik: Gut. Zeichnen: Befriedigend. Singen: Befriedigend. Turnen: Gut. Besondre Bemerkungen: Oelze ist als Zweiter nach der Obertertia versetzt.

MEISTER OELZE.
Scheene ... Scheene ... Hähä!Streichelt Emils Hand. ... 'ne Fe – der ...
RESE.

Laß Emil! Ich will hol'n! Holt Feder, Tinte und eine Unterlage. So! – Hier! – Ich wer'e halten! Hält die Unterlage.


Emil taucht ein und gibt Meister Oelze die Feder.
MEISTER OELZE.
Hand fiehr'n ...
EMIL
führt ihm die Hand.
MEISTER OELZE.
Nimm weg ... Bleib – fleiß'g ... Wie lange – gehste denn noch – uf de – Schule ...
[249]
EMIL.
Fünf Jahre.
MEISTER OELZE.
Fünf Jahre ... Liegt eine Weile still. 's wird – dunkel ... Das is – weil's – Regen gibt ...
RESE
zu Pauline.
Ach Gott, ach Gott! – Das is schon de Angst, Pauline!

Pauline bleibt stumm.
MEISTER OELZE.
Was – habt 'r denn da – zu tuscheln ...
RESE.
Nischt! – Nischt weiter, Franz! ...
MEISTER OELZE.
Wasser ...
RESE
bringt's, hebt ihn, daß er trinken kann.
MEISTER OELZE.
Das Wasser is – schwarz ...
RESE.
I nee, Franz? – 's is scheenes, klares Wasser!
MEISTER OELZE.

Schwarz is es ... Weg dermit ...Macht eine Schwenkung, als wollte er aufstehn. So! – Na! – Nu kann ich je gehn?

RESE
nähertretend.
Was willste, Franz? Gehn?
MEISTER OELZE.

Jawohl! – Laß mich e'mal! – Halte mich e'mal nich uf! – Mein' Rock! – Meine Hose! – Ich muß fort! Ihr habt e Komplott gegen mich gemacht! – Jawohl! – Ihr wollt mich ooch vergiften! – Na?! – Na?! – Da habt 'r je ooch widder den Alten?! – Hehe! – Ich – will – fort! –

PAULINE
tritt zum Bette.
MEISTER OELZE.

Was steht 'r denn da alle so dichte um mich rum?! – Ihr wollt mich totmachen! – Ihr wollt mich vergiften! – Ihr habt mir de Brust eingedrickt! –

EMIL
legt seinen Arm um ihn, weinend.
Vater!
MEISTER OELZE
ruhiger.

Hä?! – Emil ... B – Bleib bei mir, mei' Sohn ... Bis' nur – stille ... Ich sage doch nischt ... Hähä! – Awwer morgen frieh tun mer 'r Gift in Kaffee ... Hehe! ... Nu gucke nur? Da hamm se je den alten Spitzbub'n widder reingelassen? Schauernd. Gucke, wie e 's ganze Licht dunkel macht?! – Ein wenig in die [250] Höhe, nach dem Fenster zu. Unsinn! – Ich phantasiere je! – Ich – will nicht phantasieren!! Ängstlich. Sonst sag ich's je, Emil? – Deine Hand! – So, so, sooo ...Weinerlich. Nee, nee! Du mußt doch uf de Polizei gehn, Emil! Gucke doch, jetzt will e je sich mir uf de Brust setzen?! ...

EMIL
weint.
Vaterchen! – Vaterchen!
MEISTER OELZE.
Ja, mei Sohn! – Bis' stille ... stille ...
RESE.

Wring doch e'mal e Umschlag aus. Pauline? – Ich will 'm Troppen eingießen. Beide zum Tische. Rese macht sich dabei, die Arznei in den Teelöffel zu gießen. 's könn' wohl ruh'g funfz'n sin ...

PAULINE
unwirsch.
Gib nur her! De kriegst je keen Troppen aus der Flasche.
RESE
gibt ihr Flasche und Löffel.
Ja. Meine Hände zittern so.
PAULINE.
Gib!

Gießt die Arznei ein.
RESE
stützt sich einen Augenblick gegen den Tisch.
Hach Gott! Wringt den Umschlag in den Eisbehälter aus.

Pauline geht mit der Arznei zum Bette.
MEISTER OELZE.
Is – das da – Pau – line ...
EMIL.
Ja, Vater. De Tante.
MEISTER OELZE.
Was will denn die?! – Du, was hat se denn da, Emil?!
PAULINE
finster.
's is de Arzenei!
MEISTER OELZE.
Weg – mit – dir ...
EMIL.
Zeig, Tante! Ich will se 'm geb'n!
PAULINE
gibt ihm den Löffel.
EMIL.
Vater! Komm! Arznei! – Daß de widder gesund wirst!
MEISTER OELZE.
Ja, Emil ...

Emil gibt ihm die Arznei. Pauline trägt den Löffel zum Tisch zurück.
RESE.
So! – Nu komm, Franz! – Hier is noch e Umschlag!
MEISTER OELZE.
Mir hilft kee Umschlag ...
[251]
RESE
legt ihm mit Emils Hilfe den frischen Umschlag auf.
I gar Franz! – So! – Nu wird dir gleich besser wer'n!
MEISTER OELZE
sinkt erschöpft zurück.

Pause.
RESE
vom Bett weg, nach dem Tische hin.
E wird matt! – 's geht zu Ende! Läßt sich am Tische nieder. Ach, mir zittern de Beene unterm Leibe!
EMIL
schleicht sich vom Bett weg, zu Rese hin.
Mutter! Der Vater stirbt?
RESE.
Ja, mei Sohn! Weinerlich. Nu haste bald keen' Vater mehr!

Emil weint. Stellt sich an das Fußende des Bettes.
PAULINE
finster.
Stille doch! – Wenn e 's merkt!
RESE
tritt zum Fenster.
Ach, mir is selber als ob 'ch erstickte!
EMIL
vom Bett weg.
Mich friert.
RESE.
Knöpp dir 's Jackett zu, daß de dich nich erkältst, Emil!
EMIL
setzt sich an den Tisch.
PAULINE
im Hintergrunde auf und ab.
RESE.

Da hinten wird's helle in der Gasse! Kommt zurück. Du hast je dein Gliehwein nich getrunken. Pauline?

PAULINE
kurz.
Nee.
RESE.

Na, nu is e kalt. Am Bette. Wie e daliegt! – Wie de Brust geht! – E hat so e schwer'n Tod! – Ich weeß, wie de Hilsen starb. Die starb so sanfte. Die is richt'g eingeschlafen. Nachmittag mußte se ihr Mann aus 'm Bette ufs Sofa tragen un da frug se, wie späte 's war. Um zwee, sagt ihr Mann. »I du lieber Gott, un schon so dunkel«, sagte se noch so, un nach e paar Minuten war se eingeschlafen! – Wie e zuckt?! – Der ganze Körper!


Pause.
RESE.
E streckt sich so?!
EMIL.
Mutter! Derf ich mal Wein trinken?
RESE.
Ja, trink! Das wärmt!
EMIL
trinkt, stützt dann den Kopf.
[252]
RESE.

Hach Gott! Gähnt. Geht dann wieder zum Fenster. Den Wein draußen muß Patschke ooch mal beschneiden. Der dunkelt so. – Ob mer Patschken noch e'mal zum Dokter schicken?

PAULINE
kurz.
Was soll denn der noch machen!
RESE.

Ja, 's is wahr. – 's hat wohl keen' Zweck mehr. – Hach ja! – Emil schläft ein! – Hach meine Oogen brenn' wie Feier!


Pause.
MEISTER OELZE.
Heeher ...
RESE
schnell zum Bette.
Ja, Franz! – Komm! – So!Nimmt ihm den Oberkörper hoch.
MEISTER OELZE
krampft mit den Fingern vor sich hin in die Decke, bewegt den Kopf hin und her.
Ich – will nich – sterb'n ...
MATT.
Laß – mich – raus ...
RESE
leise, erregt.
Pauline!
PAULINE
tritt zum Bett.
RESE.
Da!

Pauline nickt.
MEISTER OELZE.
Die – da – fort ... – ihr – schwimmt – weg ...

Pause.
MEISTER OELZE.
E – mil ...
RESE
ihn fortwährend emporhaltend.
Pauline! Weck 'n doch mal!
PAULINE
zu Emil tretend.
Emil!
EMIL
im Schlaf.
Ja!
PAULINE
ihn am Arm rüttelnd.
Wach auf!
EMIL
erwacht.
Au! – du – kneifst mich je?!!
PAULINE.
Du sollst zum Vater komm'!

Emil sieht sie einen Augenblick, den Arm reibend, schlaftrunken an, geht dann zum Bett.
[253]
MEISTER OELZE.
E – mil ...
RESE
das Weinen unterdrückend.
Hier, Franz, is Emil!

Meister Oelze wendet den Kopf zu ihm hin, seine Hand tastet nach ihm.
RESE.
E will deine Hand, Emil.

Emil nimmt leise weinend seine Hand.
MEISTER OELZE.
So ... Soo ... Pas – ter ...

Haucht aus.
Pauline steht beim Bette, beobachtend vorgebeugt.
RESE
erhebt sich, läßt den Toten langsam zurücksinken.
's is aus! Der liebe Gott hat 'n erleest!Beugt sich einen Augenblick über ihn.

Emil steht eine Weile in stummem Staunen vor dem Bette, geht dann beiseite und bricht in Schluchzen aus. Pauline ist langsam zum Tisch gegangen, hat sich niedergelassen und sieht, den Kopf aufgestützt, vor sich hin.
RESE
sich aufrichtend.
's geht dir ooch nahe, meine gute Pauline.
PAULINE.
Ja!

Lacht bitter.
RESE
tritt zum Fenster.
Da kömmt de Sonne!Schluchzt auf.

Pauline legt die Arme lang vor sich über den Tisch und das Gesicht drauf.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schlaf, Johannes. Dramen. Meister Oelze. Meister Oelze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D13A-D