Hugo von Hofmannsthal
Alkestis
Ein Trauerspiel nach Euripides

Personen

[48] Personen.

    • Herakles.

    • Apollon.

    • Der Tod.

    • Admet.

    • Alkestis.

    • Der kleine Eumelos.

    • Pheres.

    • Stimme.

    • Der alte Sklave.

    • Die alte Sklavin.

    • Ein Jüngling.

    • Ein Edler.

    • Ein Sklave.

    • Männer.

    • Frauen.

    • Sklavinnen.

Prolog

STIMME
auf der Gartenmauer, von einer leisen Musik begleitet, halb Gebet, halb Lied.
So liebst du nicht mehr dieses gastliche Haus,
Phöbos Apollon?
Und liebtest es doch und hast einst nicht verschmäht,
Phöbos Apollon,
hier dienend im Hause, ein weidender Hirt,
zu führen die Herde auf Heide und Hald
und mit tönendem Rohr zu berauschen den Wald,
Herr, Phöbos Apollon!
Da kamen die Luchse und weideten mit,
da folgten die Löwen dem Klang und dem Schritt
in feuerfarbenem Rudel,
gebunden von süßer Gewalt,
um deine Zither die bunten Reh
hintanzten und ließen für deine Näh
den dunklen, schweigenden Wald!
Vergißt du, Apollon, so bald,
die sterblichen Menschen so bald?
APOLLON
während des Liedes von links aufgetreten, geht langsam gegen das Haus zu, blickt durch das Tor ins Innere.
Sie rufen mich und singen, daß ich einst
in diesem Königshaus, obwohl ein Gott,
als Hirte an dem Tisch der Knechte saß.
Nicht ungern, fast mit Wehmut denk ich dran,
weil immer doch Vergangnes lieblich ist ...
So kam es: meinen Sohn erschlug mir Zeus
mit bösem Blitz; da ging ich hin und schlug
ihm die Kyklopen, seine Knechte, tot,
des Blitzes Schmiede; dafür zwang mich er,
zu dienen einem Sterblichen, Admet,
dem König, der in diesen Gauen herrscht
Das ist vorbei: doch ich gewann ihn lieb,
[49] den Menschen, meinen Herrn, und weil sie so
am Leben hängen, diese Sterblichen,
so ging ich zu den Schicksalsgöttinnen
und bat für ihn, und die gelobten mir,
er mag dem Tode, der ihm droht, entfliehn,
wenn einen andern er hinunterschickt
statt seiner, aber einen, der so will.
Da bebt' er zwischen Scham und Todesangst
und fragte; und die Frage, kaum getan,
gereut' ihn, und er wäre lieber tot ...
Die alten Eltern hatten ihn gehört,
allein sie schauerten und schwiegen still. –
Da trat sein junges Weib lautlos vor ihn
und sagte: »Herr, ich sterbe gern für dich,
ich flehe, anstatt deiner gib mich hin!«
Da wars erfüllt, und Todesgötter, die
unsichtbar, grauenvoll, auf stummen Flügeln
mit Todesaugen hingen in der Luft,
hörtens und wehten ihren jungen Leib
mit leisem Schauer an, und als er wild
in Angst die Arme um sie klammerte,
umschlang er eine Todgeweihte schon.
Sie stirbt, eh diese Sonne sinkt, und ich
muß dieses Haus vermeiden, ich, ein Gott,
eh noch der Hauch des Todes mich entweiht.
Denn schon durchs Gartenpförtchen tritt er dort,
der Grauenvolle, ein, der Todesgott,
der diese Frau die dunklen Wege führt.

Er wendet sich nach rückwärts zum Abgehen.
DER TOD
von links auftretend, ein Schwert in der Hand.
Ha! Phöbos, immer wachsam, immer da,
wos eines andern Tun zu stören gilt!
Das ist dir nicht genug, daß dem Admet
sein Schicksal du verwandelt, nein, die Frau,
die zum Ersatz mir hingegeben wird,
die mir zu rauben, hast du sicherlich
den Bogen und den Köcher umgetan!
[50]
APOLLON.
Ich tu nicht unrecht. Aber dieses Mannes
Elend geht mir zu Herzen. Freilich, dich,
dich dazu bringen ...
DER TOD
abschneidend.
Bringen, daß ich tu,
was meines Amtes? Dazu kam ich her.
APOLLON.
Nein, daß du einen Alten, der zu lang
im Leben säumt, ein wandelnd Schattenwesen,
hinnähmest statt der Jungen.
DER TOD.
Schweig. Auch ich –
merk! – freu mich meiner Macht. Ich freu mich, junge
und schöne Menschen hinzustrecken so!
APOLLON.
So red ich ganz umsonst?
DER TOD.
Umsonst.
APOLLON
ganz nahe, ausbrechend.
Du Hund!
Die Menschen und die Götter hassen dich!
DER TOD
kalt.
Laß sie mich hassen, stärker doch bin ich.
APOLLON.
Auch dieses hat ein Ende. Ja! Der Held
Herakles kommt – und bald! – die Straße hier
gezogen, klopft um Gastrecht an dies Tor
und kommt dann über dich und ringt mit dir
und reißt dir aus den Armen dieses Weib!
DER TOD
indem er langsam, mit lautlosen Schritten ins Haus geht.
Du redest, redest, aber sehr umsonst.
Dies Weib geht heut hinab in Hades' Haus
mit mir. Jetzt geh ich dir zum Trotz hinein
und rühr ihr Haupthaar an mit diesem Stahl,
unsichtbar, stumm. Dann ist sie mir verfallen.

Er verschwindet im Haus. Apollon durch die Mitte nach rechts.
Pause.
Von der Landstraße, rückwärts links, kommen in kleinen Gruppen Edle von Pherä mit ihren Frauen und treten in den Vorhof. Ein paar Männer reden.
[51]

[Stücktext]

ERSTER MANN.
Unheimlich still ists.
ZWEITER MANN.
Stumm, als ob die Luft
den Atem einhielte.
DRITTER MANN.
Totenstill.
ZWEITER MANN.
Wie sagt Ihr? Ein schlimmes Wort!
ERSTER MANN
laut, gegens Haus.
Ist hier kein Mensch, kein Freund?
Kein Diener, der uns etwas sagen kann?
Wir wissen nicht, ob unsre Königin
lebt oder tot ist.

Pause. Große Stille.
Einige Frauen reden.
ERSTE FRAU.
Mich graut. Mir ist, als wär die Luft voll Stöhnen
und voll Geräusch von Händen, die sich regen.
ZWEITE FRAU.
Hört! Klagen sie nicht drin, als wärs geschehn?

Alle lauschen. Tiefe Stille.
ERSTER MANN.
St!
ZWEITER MANN.
Kein Schritt! Kein Mensch!
DRITTER MANN.
Kommt denn kein guter Gott
und wehrt dies Elend ab?
ERSTER MANN.
Ich meine, wär
sie tot, so blieb' es eben nicht so still ...
ERSTE FRAU.
Auch seh ich kein Weihwasser vor dem Tor,
wie's Brauch vor Türen von Verstorbenen ...
ZWEITE FRAU.
Und Klageweiber müßte man doch hören!
ERSTER MANN.
Und doch ist heute der Entscheidungstag!

Alle flüstern.
[52]
ERSTER MANN.
Heut muß sie hinab.

Die Frauen kreischen leise auf.
ZWEITER MANN.
Schweig! Du zerreißt einem das Herz. Die Frau!
Solange Leben lebt, ist Hoffnung da.
ERSTE FRAU.
Nein, die ist nimmer, alles ward versucht,
auf allen Straßen dampfen die Altäre
vom Blut der Opfer. Da ist keine Hilfe.
ZWEITE FRAU.
Schaut! eine alte Sklavin!
DRITTE FRAU.
Weh, sie weint!

Eine alte Sklavin tritt aus der Haustüre.
ERSTE FRAU.
Lebt unsre Königin?
ZWEITE FRAU.
Weh! ist sie tot?
SKLAVIN.
Ihr könnt sie lebend nennen oder tot,
ist alles gleich.
ERSTER MANN.
Was solls?
SKLAVIN.
Sie atmet, freilich,
wenn ihr das für des Lebens Zeichen nehmt,
dort hart am Tod, ja, ringend mit dem Tod!
ERSTE FRAU.
Der arme Herr!
ZWEITE FRAU.
So rettet niemand?
SKLAVIN.
Nein, das ist Geschick!
ZWEITE FRAU.
Das Übliche natürlich ist bereit,
die Brauch, der Schmuck, worin ihr sie begrabt?
ERSTE FRAU.
Das eine kann sie wissen: keine Frau
Der Welt war gut wie sie.
SKLAVIN.
Das streitet heilig
dir niemand ab. Denn wie sollt eine sein?
Wie zeigte eine größre Lieb und Treu,
[53] als wenn sie willig für den Gatten stirbt!
Das weiß in Pherä jeder Mensch. Allein
hört, wie sie diesen letzten Tag verbracht:
Sie wußte wohl, daß es der letzte war,
machte kein Hehl daraus und schauerte nicht.
Nur ihre Stimme – wenn man so sie kennt
wie ich – war eigentümlich herb und fremd,
als hätte sie Entsetzliches versenkt
in ihrer Brust und hätte Angst davor,
sich selbst zu rühren mit gewohntem Klang.
Heut morgen ging sie an den Fluß und wusch
die weißen Glieder, nahm Gewand und Schmuck
aus Zedernschränken, tat sich zierlich an
und trat zum Altar Hestias und betete:
»O Göttin, da der Tod mich nehmen will,
bitt ich, behüt die kleinen Waisen mir,
gib meinem Sohn ein liebes Weib, der Tochter
gib einen edlen Mann. Und beide, o
laß sie nicht sterben vor der Zeit wie mich,
die Mutter, sondern laß sie glücklich leben
ganz bis zum Ende und im Vaterland.«
Dann trat sie hin zu jedem Altar im
Palast, bekränzt' ihn, flehte zu dem Gott,
nicht weinend, ohne Seufzer, und der Tod,
der hinter ihr, sie fast berührend, stand,
verfärbte nicht ihr leuchtendes Gesicht.
Dann ging sie in ihr ehlich Schlafgemach,
und vor dem Bett brach sie in Tränen aus
und sagte: »Bette, wo ein halbes Kind
ich mich zuerst dem Manne ganz ergab,
für den ich jetzt mein Leben geb, leb wohl.
Ich zürn dir nicht, bringst du doch mir allein
Verderben, weil ich dir und ihm
jetzt sterbe. Dich gewinnt ein andres Weib,
kaum reiner, doch wohl glücklicher als ich.«
Sie beugte sich und grub sich küssend in
das Bett und weinte so. Und ausgeweint
ging sie vom Lager weg, den Kopf gesenkt,
[54] und kehrte immer wieder um und warf
von neuem schluchzend auf das Bette sich.
Die Kinder hingen sich an ihr Gewand
und weinten auf. Sie nahm sie in den Arm,
eins um das andre küssend, vor dem Scheiden.
Die Diener alle weinten mit, und jedem
gab sie die Hand und sah ihn freundlich an,
und keiner war ihr da zu schlecht, daß sie
nicht hörte, was er sprach, und ihm ein Wort
nicht sagte.

Pause.

Solches Elend trifft Admet.
Wär er gestorben! Freilich, er wär hin:
und jetzt? er floh den Tod, der aber warf
dem Fliehnden in den Rücken einen Dolch:
die Wunde schwärt ihm fort, solang er lebt!
JUNGE FRAU
dritte.
Besser sterben, den Strick um den Hals, als das erdulden!
ALTER MANN
zweiter.
Du redest, du bist jung, du weißt nicht, wie schwer der Tod ist!
SKLAVIN.
Sie atmet nur mehr leise. Aber sie
will noch einmal heraus ans Sonnenlicht:
Ich geh euch anzumelden: es tut wohl,
in solcher Stunde nicht allein zu sein.

Sie geht ins Haus.
Stille.
ERSTE FRAU.
Mir ist, es kommt niemand. Wir sehn sie nimmer!
ZWEITE FRAU
mit ausgebreiteten Armen.
O Gott, heilender Gott!
Mach unsres Herren Not ein Ende!
Gewähre, Gott, gewähre!
Du hast ja früher Rat gefunden,
gehört, wenn wir zu dir um Hilfe schrien ...
MEHRERE
leise.
Schaut hin, schaut, sie kommt.
[55]
ANDERE
leise.
Auf seinen Arm gelehnt. Er trägt sie fast!

Aus dem Haus kommt Alkestis, an Admet gelehnt. Die Kinder. Dienerinnen. Auf den Stufen wird Alkestis auf Polstern und Decken niedergelassen. Die übrigen treten nach links.
ALKESTIS.
Die Sonne, schau. Sie streichelt meine Hände.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und Wolken! wie sie gleiten, gleiten! weh!

Schauernd.

Die kommen auch nicht wieder.
ADMET
vor sich hinbrütend.
Da stehen wir in diesem ganzen Glanz,
der keinen Sinn hat, zwei Unglückliche,
die nicht den Göttern taten, was den Tod
verdient.
ALKESTIS
sinnend.
Wenn ich da schau, wie sich das abhebt,
das dunkle Dach vom Himmelsblau, da fällt
mir etwas ein ... nein ... eine Menge! – –: Du!
Von meiner Eltern Haus, wo ich daheim,
wo mein Brautbette stand ...
ADMET.
Gib nicht so nach,
Alkestis, sei doch gut! laß mich nicht so
allein! Hilf mir die Götter um Erbarmen
anflehn.
ALKESTIS.
Ich sehs! ich sehe schon das Boot!
Der Totenfährmann steht am Steuer und ruft:
»Was säumst du? Schnell! so eil dich doch!
Bereit ist alles zu der Fahrt! Komm! Komm!«

Schauernd.

Ich habe Angst! Admet!
ADMET
für sich.
Nein, das geht nicht!
Das trägt kein Mensch!

Er beugt sich zu ihr.

Was für ein Boot, mein Kind?
ALKESTIS.
Er holt mich. Weißt du nicht? Er führt mich ja
ins Haus der Toten, düster schaut er her!

[56] In wachsender Angst.

Der mit den schwarzen Flügeln, der! der Herr
der Toten, Hades! Laß mich! Laß mich Arme!
Laß mich! Ich will nicht diese Wege gehn.
ADMET.
Alkestis, hör mich!
ALKESTIS
sanft.
Laß mich, laß mich jetzt!
Ja, lehnt mich an. So. Dank! Ich bin so schwach!
Das ist der Tod. Die Augen werden so
voll Dunkelheit! Ah! Kinder! Kinder!
Die Mutter kann euch nicht mehr sehen. Freut
euch an der hellen Sonne, meine Kinder!
ADMET
halblaut.
Das Wort ist bittrer als der Tod. – Ich fleh
dich bei den Göttern an, verlaß mich nicht!
Bei den Kindern, die du als Waisen läßt,
bleib bei uns!
Denn stirbst du, leb auch ich nicht mehr,
mein Leben bebt in deinem Herzschlag mit.
ALKESTIS.
Lieber Mann!
Mein Los ist nun einmal gefallen. Aber
du hör, bevor ich sterb, noch meinen Willen:
Da her! Ganz nah! Du Lieber! Daß du lebst!
Ich geb so gern das eigne Leben drum
und sterbe willig, könnt ich leben auch
und wen ich wollte freien und mit ihm
hier in dem schönen Hause wohnen. Nein!
Mich lockt kein Leben losgetrennt von dir,
mit vaterlosen Kindern! Nein. Viel lieber
streif ich dies liebe Leben schauernd ab
und werf mich in den dunkeln kalten Strom.
Dein Vater und die Mutter,
die freilich taten schlimm an uns: den Alten
geziemte wohl, für dich sich hinzugeben,
dein junges, starkes Leben so erkaufend.
Du bist ihr einziger, doch kein zweites Kind
statt deiner können sich die Alten hoffen.
[57] Dann dürft ich leben, und du weintest nicht
und brauchtest keine Waisen aufzuziehen.
Doch all das hat gewiß ein Gott gefügt.
So denk an das, was ich für dich getan,
und was ich jetzt dich bitten will, gewähr!
Du hast die Kinder ja so gern wie ich,
so zieh sie auf zu Herrn in deinem Haus
und führ nicht eine zweite Frau herein,
die, schlimmer als die arme Alkestis, neidisch
die Hand an deine und meine Kinder legt
Das tu nicht, ich beschwör dich, nur nicht das!
Stiefmütter sind den ersten Kindern gram,
ja, unbarmherzig wie die kalten Schlangen sind.
Nicht um den Buben ist mirs bang, der hat
an dir den starken Schutz, allein die Tochter!
Was wird aus der, wenn irgendeinem Weib
der Vater sich vermählt, die bösen Ruf
auf ihren Namen bringt und jeden Freier
dem jungen Ding verscheucht. Du armes Kind!
Ausstatten wird dich nicht die Mutter einst,
und in der schweren Stunde, wo nichts nötiger
als eine Mutter, bin ich nicht bei dir.
Denn sterben muß ich, sterben, heute! hier!
In dieser Stunde sagt ihr noch: »Sie war.«
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Lebt wohl. Du darfst dich rühmen, lieber Mann,
daß du die beste Frau erlesen hast,
und ihr wohl eine gute Mutter, Kinder!
ADMET.
O sorg dich nicht, daß alles so geschieht!
Du warst die meine lebend, und im Tod
bleibst du allein mein Weib, und keine Frau
trägt diesen Namen, noch der Königin
Stirnreif und goldnen Gürtel hier im Land.
Der Gürtel und der Reif, die bleiben leer,
leer wie mein Herz, wie meine Arme leer,
Goldfassung ohne Sinn und ohne Wert,
daraus der Dieb den Diamanten brach!
[58] – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Die mich geboren, haß ich! Meinen Vater
will ich nicht ansehn. Ihre Liebe ist
ein Wort im Wind, die deine Öl und Wein,
nein, Blut, vergossen, meinen Durst zu löschen,
aus deinem Herzen deiner Jugend Blut!
Wie Vater nicht und Mutter nicht hast du
an mir getan! Meinst du, ich traure drum
ein Jahr um dich? Was kümmert mich die Zeit!
Solang ich leb, ist Trauer meine Herrin,
setzt sich mit mir zu Tisch, geht hinter mir
und steht des Nachts an meinem leeren Bette
und sieht mich an mit eisernen Augen, stumm.
Und manches Mal schlaftrunken wähn ich dann,
du stündest da, und strecke meine Arme
nach ihr und schlafe selig lächelnd ein,
bis sie mir ihre kalte Hand aufs Herz
hinlegt und schauerlich der Wahn zerrinnt.
– – – – – – – – – – – – – – – – –
Sonst war mein Haus mit Fackeln, Flötenschall
und Blumenkränzen tönend angefüllt,
und seine Fugen bebten von Musik!
Jetzt steht es hohl und tot, ein Sarg der Lust,
wie Früchte innen voller Moderstaub!
O komm im Traum nur manches Mal zu mir!
Hätt ich des Orpheus wilden, süßen Mund,
hätt ich sein Saitenspiel, drauf Herzenslust
und Sehnsucht und Verführung und Genuß
anstatt der Saiten aufgezogen sind,
daß ich, den Schattenkönig und sein Weib,
Persephoneia, rührend, aus der Nacht
dich rettete! Ich stieg' hinab, und keiner
von den Dämonen sollte mir verwehren,
dich heimzutragen an das Licht, Geliebte!
So bleib ich hier am öden Ufer stehn,
ohnmächtig winselnd, bis der Tod mich holt
Und dir entgegenführt zum zweitenmal!
[59]
ALKESTIS.
Habt ihr verstanden, Kinder, wie der Vater
gelobte, daß er nie ein andres Weib,
mein Flehn mißachtend, euch zur Mutter gibt?
ADMET.
Ich schwör es abermals und heilig dir.
ALKESTIS.
Jetzt mußt du ihnen auch die Mutter sein.
ADMET.
Wohl haben sie mich nötig, dein beraubt.
ALKESTIS.
Ich sollte leben, Kinder, und ich muß
hinunter!
ADMET.
Was beginn ich ohne dich!
ALKESTIS.
Ein Toter ist ja nichts! Ein wenig Zeit,
und alles dies ist dir so fern und fremd!
ADMET.
O verlaß die Kinder nicht!
ALKESTIS.
Ich muß fort, Kinder, Kinder! Lebt wohl!
ADMET.
Was willst du denn! was willst du denn!
ALKESTIS.
Fortgehn. Leb wohl.

Sie sinkt zurück.
ADMET.
Alkestis! Tot!
DIE MÄNNER UND FRAUEN.
Tot!
DER KLEINE EUMELOS.
Vater, die Mutter macht so große Augen,
sie hat so starre Finger. Mutter, hör doch!
ADMET.
Sie sieht dich nicht, sie hört dich nicht, wir sind
sehr elend, Kinder: arm ist euer Vater!
EIN EDLER.
Mein König, tragen heißt die schlimme Not.
Wir alle leiden diesen großen Schmerz.
[60]
ADMET.
Das weiß ich ja. Nicht plötzlich ists gekommen:
dies namenlose Leid, ich ahnte es
seit langem schon, und manchmal in der Nacht
beugt ich mich über sie in solcher Angst,
als müßt ich plötzlich, wie die Kerze lischt,
ihr Leben mir im Arm auslöschen sehn.
So grauenvoll ist, wenn man es bedenkt,
das Leben. Also jetzt muß ich hingehn
und diese Tote da begraben. Ihr
bleibt nur indessen, laßt sie nicht allein,
und singt ein frommes Lied dem Gott, den Flehen
nicht rührt. Doch ganz Thessalien, soweit
mein Speer gebietet, trauere mit mir!
Die süßen Flöten, die sie aus dem Holz
des Lotosbaumes schneiden, sollen schweigen.
Ich will nicht, daß sie mich vergessen lehren!

Er geht ins Haus. Die Frauen schmücken die Leiche und bahren sie rechts unter dem vorspringenden Dach auf. Die Männer treten in den Hintergrund.
DER KLEINE EUMELOS.
Was legen sie die Mutter auf die Trage?
Kann sie denn nicht mehr gehn, hat sies verlernt?
Was ziehn sie ihr die schönsten Kleider an?
Was geben sie ihr goldne Spangen um?
Ist doch kein Fest?

Die alte Sklavin nimmt ihn auf den Schoß und redet mit ihm leise.
DER KLEINE EUMELOS.
Ein fremder Mann? wann bringt er sie denn wieder?
DIE ÄLTEREN FRAUEN
an der Bahre, rezitativisch.
Es pflücken die Menschen die Früchte des Lebens,
die Wunder der Weite, die Wunder der Nähe.
Sie saugen den Zauber der Töne aus Flöten
und Königsgedanken aus Träumen der Nacht.
Sie fahren im hohen Wagen des Lebens
mit stolzen Stirnen den Wunderweg,
da springt gegen sie mit eichener Keule
und schlägt sie nieder das stumme Geschick.
[61]
DIE JÜNGEREN FRAUEN.
Wir dürfen nicht fragen, wir könnens nicht fassen!
O brechet die Früchte, umschlinget einander,
beladet mit Leben die fliehenden Stunden,
mit Lachen und Liebe, mit Herrschaft und Lust!
Was frommen die duftenden, goldnen Sandalen,
was frommen die Spangen, was frommen die Blumen,
um nieder ins Dunkel zu folgen dem Tod?

Sklavinnen heben die Bahre auf, und der Zug geht, singend von allen Frauen geleitet, durch die gewölbten Gänge rechts vorne langsam ab.
GESANG DER SKLAVINNEN.
Nicht des Geiers Schwingen schlage
ihr ums Haupt, die wilden, Tod,
flieg ihr auf den Mund, ein Falter,
schwarz und still im Abendrot!
Führ sie nicht die schlimmen Wege
zu der blutigen Schatten Schar,
laß sie gehn auf Dämmerwiesen,
Träumerei und Mohn im Haar!

Einer von den Männern am Tor zeigt den andern etwas. Bewegung, wachsende Unruhe.
EINER ODER MEHRERE
rufen.
Er ist es! Von Nemea ists das Fell!
Die Keule ists! Der Held Herakles ists!
HERAKLES
in den Torweg tretend.
Geh ich hier recht zur Schwelle des Admet?
Treff ich den König, euren Herrn, daheim?
EIN JÜNGLING.
O laß mich sie anrühren, Herr, die Keule!
EIN ÄLTERER.
Meinst du, es müßte was hinüberzucken
vom wilden Feuer der Lernäischen,
vom Löwenkampf und von Kentaurenschlachten?
EIN SEHR ALTER MANN.
So hab ich noch den Herakles gesehn,
bevor ich starb, und kann im Schattenland
davon erzählen, wenn mich einer fragt!
[62]
HERAKLES
lächelnd.
Da hast du gar was Großes, alter Mann!
Staunst du auch jedesmal, wenn du den Blitz
in alte Bäume fahren siehst? Und doch,
der schlägt viel stärker zu als ich und kommt viel weiter her.
EIN JUNGER MANN.
Der Blitz hat nur noch nie mit uns geredet!
Du aber, wenn du nur den Mund auftust,
ist einem doch, als wüchsen alle Sterne,
als würden alle Wasser feuerfarb,
so läuft ein Wind von Wundern vor dir her!
DER JÜNGLING.
Und sag, Herakles, wohin gehst du jetzt,
daß du an unsrer Stadt vorüber mußt?
Damit ich, wenn ich künftig dieses Tal
und die vertrauten Wege seh, mir sag:
Auch hier bist du so gut im Märchenland
als irgendwo, nur wie der Floh im Pelz;
was kümmerts ihn, ob Löwe oder Hund?
HERAKLES.
Zum König Diomedes geht mein Weg.
DER ALTE MANN.
Da mußt du über öde, düstre Berge,
wo alles Leben starrt und alles Licht
von grundlos tiefen Weihern stumm verschluckt wird.
DER JÜNGLING.
Doch was entreißen willst du diesem König?
HERAKLES.
Kein schönes Weib, dein Auge blitzt umsonst:
nur seine Rosse brauch ich.
IRGENDEINER.
Weh! die wilden!
Die aus den Nüstern Feuer sprühn und denen
statt Heu lebendge Menschen in die Krippe
zu grauenvollem Fraß geworfen werden! ...
HERAKLES.
Die eben locken meinen Herrn, Eurystheus,
den König, dem ich diene. Ich begreifs,
[63] daß, wer die Hesperidenäpfel hat
und wer der Amazonenkönigin
knirschenden Gürtel seiner jungen Tochter
zum Zierat um die Hüfte legen kann,
daß der im Stall gerade nur die Rosse
des Diomedes will.
STIMMEN.
Der König kommt!
ADMET
in Trauerkleidung, tritt aus dem Hause.
Ich grüße dich, Herakles, Sohn des Zeus.
HERAKLES.
Heil sei dir, König!
ADMET
bitter.
Wohl, das wünscht ich sehr.
Vergib. Mein ganzes Haus ist dir zu Dienst
mit Trank und Schatten, Lager, Herd und Knecht:
mich selber nur entlaß, mir ist die Seele
wie mohnbetäubt von traurigen Gedanken:
in meinem Haus steht eine Totenbahre.
HERAKLES.
Dem Trauernden will ich nicht lästig sein.
Daß du um einen Nahverwandten weinst,
ich wußt es früher nicht, jetzt freilich geh ich
und suche mir ein andres Haus zur Rast.

Er wendet sich zum Gehen.
DER KÖNIG
sieht ihm teilnahmslos nach; plötzlich besinnt er sich, richtet sich auf und sagt stark.
Herakles, nur dies eine tu mir nicht,
daß du, ein Gast, umkehrst auf meiner Schwelle!
HERAKLES.
Entlaß mich, und ich dank dirs tausendmal.
ADMET.
Ich lasse dich zu keines andern Herd;
eh ließ ich meine Toten unbegraben!
Ward meine Art so ganz unköniglich,
daß ich den fortscheuch, den ich ehren soll?
Und dafür solch ein Opfer! Pfui! Die schönsten
Früchte bringt man wohl den Gartengöttern,
damit der wilde Wind in Sommernächten
die schlechte Vogelscheuche uns verschone?
[64] Nein! daß er nicht die edlen Äste breche,
die Träger goldner Frucht! – Um einen König,
um einen milden König über Männer
und Land und Flüsse, einen reichen König
hat diese sterben dürfen, nicht um einen,
der eines Königs Puppe. Hör, Herakles:
mir starb kein Nahverwandter, nein, ein Weib,
zwar nötig hier im Haus, doch eine Fremde.
Sie blieb nach ihres Vaters Tod als Waise
bei uns. Gleichviel. Tot sind die Toten. Geht,
schließt auf die Fremdenhallen. Du lauf hin
und heiß sie Speisen bringen für den Gast,
nur hinter ihm verschließt die Tür, ihn soll
es nicht im Schmausen stören, wenn sie hier
die Totenlieder singen, wie sich ziemt.

Er schließt mit schwankender Stimme.

Geh ... jetzt ... hinein ... verzeih ... Du siehst mich ... Später!

Diener öffnen die Tür der Halle rechts vorne und führen den Herakles hinein.
DER KÖNIG
im Begriff ins Haus zu gehen, wendet sich nach den untereinander murmelnden Edlen zurück und sagt stark.
Wer mich hier nicht versteht, wer fragen will,
wie dieses Tun zu solcher Trauer stimmt,
wem alles dies umziemlich scheint und hart,
der schweige und bedenk: der König tats.

Eine Stufe heruntersteigend.

Ihr schautet doch zu meinen Vätern auf
und dachtet: »Wenn uns der durchs Feuer führt,
ists gut, trägt er doch Helm und Schild von Göttern,
und tötet er, so kommts als wie ein Blitz,
nur mittelbar, aus eines Gottes Faust.«
Ich aber hab viel größeres Geschenk
und Gabe, die mich über Menschen hebt,
ab Schwerter, die vom Himmel fielen, Rosse,
die reden, Flammen um die Stirn und Stimmen
aus Bäumen tönend: mir ist auferlegt,
so königlich zu sein, daß ich darüber
[65] vergessen könne all mein eignes Leid!
Der schöne Leib der jungen Königin
ward in die Erde eingesenkt als Same:
nun sollen Wunderbäume Zweige spreizen,
von Taubenschwärmen rauschend; alle Flüsse
in meinem Lande sollen kühner rollen
in lauterem Triumph und rollend spiegeln
den Schatten wundervoll erhöhten Lebens;
und Zaum und Zügel aller dieser Wunder
will ich wie diesen Stab in meiner Hand
beherrschend halten und mein Leid vergessen!
Meint ihr, der Mann wär über meine Schwelle
getreten, wenn er wüßte, daß das ist,
was ich ableugnete? Und dieses Haus
soll nicht zum erstenmal ungastlich heißen!

Er wendet sich, um ins Haus zu gehen. Unter dem Eingang kommt ihm die Bahre mit der Toten entgegen, von Spielleuten, Fackelträgern und Sklavinnen umgeben.
ADMET
vor der Bahre zurückweichend.
So kommt ihr mir entgegen, habts so eilig,
sie aus dem Haus zu tragen, fort, hinaus!
Wo wilde Winde laufen übern Weg,
dort müssen wir dich hegen lassen, müssen
zurück ins Haus wie Knechte, wenn der Herr
sie aus der Kammer jagt, indessen du
daliegst und ihn erwarten mußt, den Herrn,
der deine Hände anrührt, und du stehst
dann auf, und in der Dämmrung führt er dich
den Weg, den keiner kennt! ... Ohnmächtges Denken!
Was red ich denn! ich kanns nicht hemmen!

Von draußen kommt ein Sklave und tritt zu Admet.
DER SKLAVE.
Herr!
Dein Vater, der fast hundertjährige,
mit kindischem Kopf, kommt mühsam gegangen,
und seine Diener halten in Händen
den Schmuck, daran sich die Toten freuen.
ADMET.
Auch das. Es wird mir nichts erspart. So setzt
die Bahre nieder.

[66] Mit Anstrengung freundlich.

Vater, kommst du auch
und klagst? Nicht wahr, sie war so gut, so schön!
PHERES
hinter ihm Diener, die Kranz, Schleier und Totenblumen tragen.
Pheres ist uralt, fast phantastisch.
Mein Sohn, ich fühle tief mit deinem Schmerz:
Ein züchtig edles Weib begräbst du da.
Nimm hin denn diesen Schmuck, mein Töchterchen,
du holde kleine Frau, die nicht geduldet,
daß ich hinleben sollte, kinderlos,
und dein beraubt, mein Sohn.
ADMET
mit bemusterter Ungeduld.
Ich bitte, Vater,
machs kurz!
PHERES.
So möge dir es wohl ergehn,
du armer Schatten, an den schwarzen Wassern,
indessen wir uns hier am süßen Leben freuen,
Denn wir,

Er kichert.

wir leben und sind frisch.
ADMET
zu sich selbst.
Es ist der Vater, denk, es ist der Vater!
Wie grauenvoll, daß bloße Zeit dies wirkt,
dies ganz unwürdig hilflos Häßliche,
fast wie das Alter selber hassenswert!
PHERES
zu den Umstehenden.
Der Männer Glück sind solche Frauen, ja!
Und sind sie anders, soll man sie verachten!

Admet nimmt leise den Schmuck von der Leiche und läßt ihn mit einer halbunterdrückten Gebärde des Ekels fallen.
PHERES.
Ei! nimmst du ihr den Schmuck, den ich ihr gab?
ADMET.
Ja, Vater, sei nicht bös, mich dünkt, sie braucht
ihn nicht, und mir ist wohler, seit er fort!
PHERES.
Sohn, du denkst viel an dich, hast wenig Mitleid
mit ihr, die doch um deinetwillen starb.
ADMET.
Dein Mitleid! Mitleid hätte dir geziemt,
[67] als fürchterlich auf meines Hauses Schwelle
der Totenäugige stand und auf mich schaute!
Da krochest schaudernd du in dich und schwiegst!
Soviel an dir lag, bin ich tot!
PHERES.
Du freust
dich doch des Lebens, und ich sollt es nicht?
Kurz dauerts wohl, ist aber süß.
ADMET.
Sehr süß
dünkts dir, das merk ich.
PHERES.
Und dir nicht? So warsts
nicht du, der damals schamlos sich gesträubt
und seine junge Frau hinabgestoßen!
Rückst du mir Feigheit vor, du Allerfeigster!
Und dich hat doch ein schwaches Weib besiegt,
die sich dem schönen Knaben opfern ging!
Du wirst ja noch unsterblich, findest du
nur jedesmal ein Weib gewärtig, dir
zulieb, zum Dank für manche süße Lust,
zu sterben.
ADMET
schreiend.
Vater, solche Worte sprich
du lieber nicht, so ohne Scham und Scheu!
PHERES.
Daß keiner doch die Wahrheit hören mag!
Die

Auf die Bahre zeigend.

freilich war nicht schamlos! aber töricht!
ADMET.
Ich lud dich nicht, ich hieß dich nicht willkommen!
Ich will dich nicht! Geh fort und laß die Tote
mich doch begraben. Schweig! und geh! geh! geh!
PHERES.
Ich geh. Was brauch ich mich hier schmähn zu lassen
von einem frechen Burschen. Bin ich etwa
ein Sklave? Bin ich nicht ein König, he,
so gut als er ein König? Kommt, wir gehn.

Pheres mit seinem Gefolge ab.
[68] Der Leichenzug ordnet sich, Admet hinter der Bahre. Man hört Herakles in der Halle singen und lärmen.
Von dem Trauerzuge löst sich am Tor ein alter Sklave ab und bleibt zurück. Mit dem verhallenden Gesang des abgehenden Zuges vermischt sich das ungefüge, nicht deutlich verständliche, trunkene Singen des.
HERAKLES.
Weiberarme, Weinreben
umschlingen das Leben,
sonst lägs schon in Stücken,
wer sollt sich drum bücken?!
DER ALTE SKLAVE
dann und wann unwillig auf das Gejohle des Herakles horchend.
Ja, lärm nur, roher Bursch! Wahrhaftig, ich
hab manchen Fremden hier im Haus bedient
mit Trank und Speise, aber keinen schlimmern
als den da drin. Tritt trotzig in das Haus,
obwohl er unsern Herrn in Trauer sieht!
Nimmt – keineswegs bescheiden – was man ihm
an Gastgeschenken bietet, ja wenn wir
ihm etwas nicht von selber bringen, treibt
er uns drum fort! Und setzt sich hin und säuft
der schwarzen Reben ungemischten Saft,
bis ihm der Wein den viereckigen Kopf
erhitzt! Dann kränzt er sich die Stirn
mit Myrtenzweigen und beginnt ein Lied
zu brüllen, daß es ungefügen Schalls
in unsre frommen Totenlieder dröhnt.
Und ich steh ihm zu Diensten, schafft der Herr!
Wahrhaftig, übertriebne Gastlichkeit!

Gegen die Halle.

Du Straßenräuber, du! du schlauer Dieb!
Dir zu gefallen muß gerade ich
wegbleiben, nicht der Herrin letzten Gang,
nicht sehen, wie sie Fackeln ihr zu Haupt
und schöne Krüge ihr zur Seite stellen
und Zaubersprüche murmeln zur Musik!
Da gehn sie und sind alle so gerührt
[69] und weinen um die gute Frau, nur ich,
als wär ich nichts, gehörte nicht zum Haus,
muß abseits stehn, nicht besser als ein Hund!
HERAKLES
ist aus der Tür der Halle getreten, steht im Gang; er ist erhitzt; er trägt den Kranz um die Stirn, den efeubekränzten Becher in der Hand.
He! trübsinniger, lächerlicher Knecht!
Was guckst du dort dem toten Weibe nach
und läßt mich dürsten, den lebendgen Gast!
Bist mürrisch gegen einen Freund des Herrn
und nur bekümmert um die Fremde dort?
Laß die in Ruh, der Tod läßt sein Geheimnis
nicht fallen, wie der Apfelbaum die Frucht:
warum er Menschen ausbläst und die Lampen
daneben ruhig weiterbrennen läßt!
Komm her, merk auf, daß du gescheiter wirst,
und bring mir mehr vom dunklen Saft der Mutter!
Im Rausch begreifst du alles, auch den Tod!
– Ich würgte einmal einen Riesen tot,
weiß nicht mehr wo, der war der Erde Sohn
und prahlte, durch die Sohlen ströme Kraft
ihm auf, wie durch die Wurzeln in den Baum.
Ich hob ihn in die Luft und würgt ihn dort!
Nüchterne Menschen sind wie der arme Narr,
und zappelnd sehnen alle sich zurück
nach ihrem Muttergrund, der Trunkenheit!
Göttliche Art der Trunkenheit vielleicht
ist, was wir Totsein heißen!
Weintrunkne und Verliebte, die Berauschten
der Kypris, schaun mit solchen sonderbaren
Augen auf einen, als ob sie, aus Dämmrung
voll Wundern, zwinkernd ins Alltäglich-Grelle
einträten –: kämen aber Tote wieder,
sie hätten noch viel wundervollre Augen,
so vollgesogen innerlich mit Wundern –
mit riesenhafter Lust, mit schwarzen Flammen,
und was noch sonst im Herzen träumt der Erde –
wie Diamanten, die vom Licht des Tags,
[70] dem eingeschluckten, nachts unmäßig strahlen!
Ja, irgendeine schlechte, blöde Magd
käm aus dem Tor des Todes so zurück,
wie ihr erschauernd eine Göttin träumt,
mit bösem, süßem Mund und dunklem Blick!
Noch immer mürrisch? He, das schickt sich nicht!
DER SKLAVE.
Der Tag ist nicht danach, daß es sich schickt,
zu lächeln.
HERAKLES.
Etwa wegen dieser Fremden?
Des Hauses Herren leben, daran denk.
DER SKLAVE.
Die leben? du kennst nicht des Hauses Leid?
HERAKLES.
Wohl, wenn mich dein Gebieter nicht belog.
DER SKLAVE.
Mein König, allzu gastlich ist dein Sinn!
HERAKLES.
Soll ich der Fremden halber unbehaglich
mirs machen?
DER SKLAVE.
Fremd! Das ist das rechte Wort!
HERAKLES.
So hat Admet das Rechte mir verhehlt?
DER SKLAVE.
Entlaß mich, Herr, uns kümmert unsres Herrn
Geschick.
HERAKLES
betreten.
So klagt man nicht um fremdes Weh!
DER SKLAVE.
Dann hätt ich dir dein Johlen nicht verdacht!
HERAKLES.
So hat mein Gastfreund falsch an mir getan!
DER SKLAVE.
Zu keiner guten Stunde kamst du, Herr!
Wir haben Trauer. Schau: geschornes Haar
und schwarze Kleider.
HERAKLES.
Ist der Vater, red,
dem Herrn gestorben? von den Kindern eines?
[71]
DER SKLAVE.
Herr, es ist unsre Frau, die Königin!
HERAKLES.
Was? und trotzdem verhehlt ers, nahm er mich
so auf?
DER SKLAVE.
Weil er dich nicht fortweisen wollte,
weil er sich scheute.
HERAKLES.
Wohl, er sah so drein,
so ganz verstört wie einer, neben dem
der Blitz in Boden fuhr – Ich wollte nicht
herein, allein ich überwands, weil er
mich bat – Und da bin ich gesessen
und hab getrunken, ja ich sang, mir scheint.

Er legt den Kranz ab, stellt den Becher weg.

Du, du bist schuld, warum hast du mirs nicht
gesagt

Er schüttelt ihn an den Schultern.
DER SKLAVE.
Er wehrte mirs, Herr, er verbot
mir, nur mit feuchten Augen dir zu nahen.
HERAKLES.
Du, das ist schön! Das ist viel mehr als Trunk
und Gastgeschenk, wie's Könige wohl geben.
Wenn solche Sitte in den Menschenköpfen
jetzt wüchs, da würde vieles seltsam anders:
Der nahm mich in sein Haus und lächelte,
obwohl er innen wilden Jammer trug!
Der schweigt wohl auch, wo er der Stärkre ist,
und läßt den Schwächern prahlen! – Mann, ich will
mich nicht vor dir so was wie schämen! Mann,
ich geh und hole dir dein Weib zurück! ...

Ungeduldig, da der Sklave seine Raschheit nicht begreift.

Der Platz, wo er sie hingelegt, dem Tod
zur Beute?
DER SKLAVE.
Herr, du siehst, dort wo den grauen
Olivenhain die weiße Straße schneidet.
[72]
HERAKLES.
Drei Pinien beugen sich –
DER SKLAVE.
– auf einen Weiher,
ein altes heiliges Wasser.
HERAKLES.
Und der Weg?
DER SKLAVE.
Der nächste übern Kamm des nackten Hügels.
HERAKLES.
Hin stürm ich, leg mich in den Hinterhalt,
und kommt der schwarzbeschwingte Schleicher Tod,
mit gierigen Lippen Blut den schwarzen Lämmern
aus ihrem Hals zu schlürfen, werf ich mich
auf ihn und drück ihn hart und würg ihn wild,
und keine Macht der Welt entreißt ihn mir,
eh ich die Tote ihm. Allein, verfehl
ich ihn und kommt er nicht zum blutigen Mahl,
so steig ich nieder zu des Hades Haus
im sonnenlosen Land und bitt sie los,
ich führ Alkestis in des Freundes Arm
zurück! Er soll nicht sagen, wohlgetan
hab er, der Edle, einem schlechten Mann!

Herakles ab, der Sklave ins Haus.
Die Bühne bleibt eine Weile leer.
Dann kommt Admet, auf seinen Stab gestützt, hinter ihm die Männer.
ADMET.
Aus leeren Augenhöhlen starrst du her,
mein Haus! Öd streicht die Luft durch Leeres hin,
die Bäume brüten häßlich, stumm ist alles!
Gebt einen Mantel, mir ist kalt.

Er hüllt sich ein und setzt sich dumpf brütend auf den Steinsitz rechts vorne; die Männer stehen links zurück.

Als Kind
in Winternächten, wenn ich allzu schwer
den satten Glanz des Lichts, lebendiges Wasser
und andres Sommerglück entbehrte, da
hielt ich die magern Hände vor ein Licht
und freute mich am Purpur meines Bluts:
[73] das war doch schön und blieb doch immer mein!
Das andre kommt und geht, so eingekernt
in stumpfe Schalen, so unwesentlich
so sich entziehend, während es sich gibt!

Er hält seine Hand gegen den Himmel, wie um durchzuschauen.

Das Licht ist schon zu matt, es glüht nicht durch!
Und doch bebt deines Herzens Herz, Alkestis,
hier drin, und solcher Aufschwung, solche Träume,
die ohne dich in dieses Blut nie kamen ...
EIN JÜNGLING
tritt hinter ihn, beugt sich über seines Sitzes Lehne und sagt.
So wie vor heilgen Quellen, Götterbäumen
und andern Wohnungen der Himmlischen,
so beten wir vor unsrer Herrin Grab:
»Heil, Holde, dir, gewähr uns Gutes, Herrin!«
Und wenn sie dran vorübergehn, sagt einer:
»Sie starb um ihren Herrn, nun ward sie Göttin,
ja, Kinder, selge Göttin, nicht geringer
als andre, die der Adler aufwärtstrug
oder der Erde heilger Mund verschlang!«
Kanns dich nicht trösten, König, hörst du das?

Admet starrt teilnahmslos vor sich hin, ohne auf ihn zu achten.
ADMET.
Kämst du im Traum nur manches Mal zu mir ...
das wär mir mehr, als ich begreifen kann.
Nein, gäben meines Bluts Atome nur,
was sie von dir umschlossen halten, frei,
dann träumt ich fort von dir und wüßte drum!
So aber träum ich dumpf in solchen Tiefen
der Seele, draus nur Ahnung Kunde gibt
von dir, wie von den andern Göttlichen,
den Göttern oder Bäumen oder Quellen:
denn alles dies lebt irgendwo in uns:
da saugt die dunkle Wurzel unsrer Kraft
wie blinde Hündlein an der Mutter Zitzen!

Er wiederholt halb unbewußt.

Wie Vater nicht und Mutter nicht hast du
an mir getan!

[74] Pause.

Tot! Tot! Kann denn das sein?
Nicht da! nicht dort! und kommt nie mehr herein!

Er sagt die Worte vor sich hin, als verstünde er sie gar nicht; erst nach einer Weile scheint er sie zu
fassen und bricht in Schluchzen aus; wie er den Kopf hebt, sieht er vor dem Tor ein paar Frauen vorübergehen; fast schreiend.

Ich trag den Anblick eurer Weiber nicht!

Er steigt die Stufen im Hintergrund zur Mauer empor.

Das Land ist fürchterlich! die Wiesen reden
von ihr, die Teiche sehnen sich nach ihr!
Die Bäume sind, als ob sie weinen wollten,

Stöhnend.

seid lieber häßlich, starr und stumpf als so!

Pause.
Aufschreiend.

Zu mir, Adrast, zu mir! schaut hin! schaut hin!
Mich dünkt, ich seh den Tod mit meinem Weib!
Der Mann, dort! dort! dort! dort! er führt ein Weib!
IRGENDEINER
am Tor hinausspähend.
Herakles, Herr, dein Gast ists, Herr! der tritt
mit einem fremden Weib jetzt aus dem Hohlweg.
Erkennst ihn nicht? Er kommt ja auf uns zu!

Herakles kommt zurück, eine vollständig verschleierte Frau (Alkestis) an der Hand führend.
HERAKLES.
Soll ich frei reden, Herr, zum Freunde frei?
Als ich in deinem Leid dir nahte, da
hätt ich mich gern als Freund erprobt, doch du
verschwiegst mir deinen Kummer, nahmst mich auf,
als wärens fremde Leiden nur, die dich
bekümmerten. Und ich bekränzte mich
in deinem Unglückshaus und trank und sang!
Das tadl ich, tadle, daß mir das geschah.
Allein genug davon. Nicht Vorwurf noch
will ich zu deinem Leiden häufen, Freund
Weshalb ich wiederkomme, hör, Admet!
Bewahre mir dies Weib in deinem Hause,
[75] bis ich den König Diomed erschlug
und wiederkehre mit den wilden Rossen.
Doch trifft mich, was fern bleibe, halte sie
als mein Geschenk im Haus als Dienerin.
Nicht leicht erwarb ich sie, der Kampfpreis wars
in einem harten Ringen, doch davon
erzähl ich dir ein andermal. Vielleicht
lobst du mich dann sogar für meinen Kampf:
Bewahr sie gut, Admet, sie ist mir wert.
ADMET.
Du mußt nicht falsch verstehn, warum ich dir
mein unglückselig Los verbarg; es wäre
ja nur zum alten neues Leid gekommen,
scheucht ich dich von der Schwelle, und genug
hatt ich zu tragen schon an dem, was war.
Doch dieses Weib, ich bitte, wenn es angeht,
heiß einen andern Gastfreund dir bewahren,
der nur gerade nicht mein Leid erfuhr.
Ich könnte dieses Weib nicht sehn im Haus
und ohne Tränen bleiben! ...

Mit wachsender Erregtheit.

Die dumpfe Starrheit meines Innern löst
in Sehnsucht qualvoll ihre Gegenwart,
vergeßne Dinge weben durch mich hin,
ein Schauer von Alkestis rührt die Fibern,
und grauenhafter spüren sie das Leere!
Zwischen zu Boden sehn und sie anschaun
durchleb ich neu das Wissen des Verlusts,
den Blitz, den Wahn, als wär es nur ein Traum,
und abermals Hinfallen in das Nichts.
Das ist zu viel. Mir ist mein Gram genug.
Dann: sie ist jung, ich sehs an diesem Schmuck:
zu viele Männer hab ich hier im Haus,
und wahren möcht ich doch des Freundes Gut.
Und meiner toten Frau Schlafkammer ihr
einräumen? Nein, Herakles! Sieh, und wenn
ichs tät, die Menschen reden ließ und schmähn:
»Vergessen hat er seine Retterin
[76] und ruht in eines fremden Weibes Arm!«
Auch das, auch das! allein ich kann doch nicht,
nicht wahr, ich kann doch nicht! die Tote kränkts;
ich hasse, es zu denken! Aber du,

Von ihrem Anblick unwillkürlich ergriffen.

wer immer, Frau, du bist, Alkestis gleichst du,
das wisse ... zwar du weißt nicht, was im Grund ...

Er bricht ab.

Ah! bei den Göttern! schaff mir aus den Augen
dies Weib, o quäle mich Gequälten nicht!
Wenn ich sie sehe, glaub ich mein Gemahl
zu sehn, ja mehr, mein Leben kommt zurück!
Mein Schmerz und alles Fühlen fällt von mir!
Und lautlos wie ein Schleier löst sich ab
vom nackten Ich das bunte Schicksalskleid.

Mit innerem Schauer.

Als trüge mich der Adler in die Luft
und unter meinem Fuß versänken die
verlaßnen Lebensfluten dieser Welt!
Ein Schauder geht von dieser Fremden aus,
als wär sie aus dem Herzen aller Dinge
ans Licht getreten! Weh! ans Licht! Die Toten,
die kommen auch nicht wieder! Herber Kummer,
den ich da wieder kosten muß.
HERAKLES.
O hätt ich
die Macht von Zeus, aus Hades' dunklem Haus
dir dein Gemahl zurückzuführen, könnt ich
dir diesen Liebesdienst erweisen!
ADMET.
Wohl,
allein du ahnst ja nicht, wie schwer es ist!
HERAKLES.
Es frommt ja gar zu nichts, das neue Seufzen!
Das Wort der Klage ist verlorner Atem!
ADMET.
Das weiß ich selber, aber Sehnsucht schreit
in mir und fragt mich nicht und macht mich elend,
elender, als ich sagen kann!
[77]
HERAKLES.
Dein Kummer
ist neu, allmählich lindert ihn die Zeit.
ADMET.
O ja, die bringt ihn schließlich auch zur Ruh,
bringt sie doch einmal mir den Todestag!
HERAKLES.
Es heilt ein Weib und neuer Ehe Lust
den Jammer.
ADMET.
Schweig! Das hätt ich nicht gedacht
von dir!
HERAKLES.
Wie? willst du ewig Witwer sein?
ADMET.
An meiner Seite ruht kein zweites Weib!
HERAKLES.
Meinst du vielleicht, das nützt der Toten was?
ADMET.
Ich will sie ehren, wo sie immer sei!
HERAKLES.
Das ist sehr schön, doch töricht, nimmt mans recht.
ADMET.
Werd ich der Toten untreu, an dem Tag
will ich auch sterben!
HERAKLES.
Alles gut und schön.
So nimm das Mädchen hier an deinen Herd.
ADMET.
Niemals! Bei deinem Vater Zeus, verschon mich!
HERAKLES.
Schwer wirst du fehlen, tust dus nicht.
ADMET.
Und wenn
ichs tu, so schaff ich mir die ärgste Pein!
HERAKLES.
So tus, Herr, mir zuliebe! Freundesdienst
frommt sicher, so begehrt und so gewährt!
ADMET.
O hätt er die im Kampf sich nie gewonnen!
HERAKLES.
Ich siegte nun einmal und du mit mir!
[78]
ADMET.
Schön, schön. Allein, das Weib heiß von dir gehn.
HERAKLES.
Nun, wenn sie gehn muß, geht sie. Überlegs.
ADMET.
Sie soll schon müssen, zürnst nur du mir nicht.
HERAKLES.
Ich wünsche, Herr, ich bitte, nimm sie auf!
ADMET.
So habe deinen Willen; ehrlich, Freund,
mir tut das alles wenig wohl von dir.
HERAKLES.
Du sollst uns schon noch loben, folg nur jetzt.
ADMET.
Führt sie hinein, ich muß sie dann wohl nehmen.
HERAKLES.
Herr, deinen Knechten überlaß ich nicht
dies Weib.
ADMET.
So führ sie selber, wenns beliebt.
HERAKLES.
In deine Hände, König, geb ich sie.
ADMET.
Ich rühre sie nicht an, sie trete nur
ins Haus.
HERAKLES.
Ich werde deiner rechten Hand
sie anvertrauen, keinem andern sonst!
ADMET.
Du zwingst mich, widerwillig muß ichs tun.
HERAKLES.
Streck aus die Hand, Admet, und rühr sie an.
ADMET.
Wohl aber so, als wärs der Gorgo Haupt.

Er rührt sie mit abgewendetem Gesicht an.
HERAKLES.
Du hast sie?
ADMET.
Ja!
HERAKLES.
So wahre sie.

Er nimmt ihr den Schleier vom Gesicht.

[79] Du rühmst
dereinst: ein edler Gastfreund sei der Sohn
des Zeus. Schau dieses Mädchen an, mich dünkt
sie gleicht Alkestis, deiner toten Frau!
ADMET
wendet sich um.
O Götter! Was? was soll ich sagen? bist
du mein Gemahl?

Sich gewaltsam zurückhaltend.

Nein, nein, du bist
ein Spuk von irgendeinem bösen Gott,
um mich zu quälen, boshaft ausgeheckt.
HERAKLES.
So schau sie an!
ADMET.
O wär es nur kein Schatten aus dem Hades,
wärs nur lebendig! Rede doch mit mir!
Herr, steht hier wahrhaft meine Frau vor mir?
Herr, darf ich sie berühren? Herakles!
Red ich sie an?
HERAKLES.
Admet, nicht Schatten führt ein Freund empor,
an der Lebendigen erfreue dich!
ADMET
zweifelnd.
O meiner Liebsten Aug und Leib! Ich hab
dich wieder, die ich nimmermehr gehofft
zu sehn?
HERAKLES.
Du hast sie: fern sei dir der Neid
der Götter!
ADMET
ohne auf ihn zu achten.
Weh! Mich faßt ein Schauer an!
Warum so lautlos steht mir diese da?
Was ist da Fürchterliches um sie her,
daß sie so steht und schweigt und daß sich lechzend
die Seele aus weitoffnen Augen legt?
HERAKLES.
Solang die Totenweihen nicht von ihr
genommen sind, solange bleibt sie stumm.
[80] Drei Tage schweigt sie, bis die Lebenslust
aus ihrer Seele nimmt, was übermenschlich-
unsäglich ihren innern Sinn erfüllt
und wie im tiefsten Traum gebunden hält:
So führe sie hinein und nenn sie dein;
ausschöpfen kannst du nie den Sinn davon:
Des Lebens Früchte geben sich nicht uns,
sie lassen allenfalls sich nehmen: diese
gab sich dir hin und gibt sich dir aufs neu
so ganz, wie kaum dir selber du gehörst.
Sei stets den Fremden hold, du weißt doch nie,
wer dir, ein Heiland, wandeln übern Weg
und aus dem Herzen aller Dinge kommen
und wiederbringen kann, was sich verlor.
Und, König, übe stets Gerechtigkeit:
wie der Granatapfel die vielen Kerne
hält, die in sich die Keime alles Guten –
Leb wohl, Admet.
ADMET.
So bleibst du nicht bei uns
und setzt dich an den Herd mit unserm Glück,
Herakles?
HERAKLES.
Nein, zum wenigsten nicht jetzt.
Zu Diomedes muß ich, meinem Herrn
die Rosse rauben. Doch vielleicht, daß ich

Leise Musik.

am Rückweg wiederkomme; kann auch sein,
nie mehr. Lebt wohl!
ADMET.
Leb wohl und sei gesegnet!

Er führt sie ins Haus; beide bleiben auf den Stufen stehen und sehen dem langsam abgehenden Herakles nach.

Vorhang.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

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Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

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