Vorgefühl der Gesundheit

An Heinrich Christian Boie


Täuschet ihr mit euerm Wechseltanze,
Du, o Wunsch, und du, o Hoffnung, mich?
Oder naht im Purpurnelkenkranze
Frohen Trittes die Gesundheit sich?
Will sie von dem Dämon mich erlösen,
Welcher meine Kraft gefangen nahm?
Soll ich wiederum zu Dem genesen,
Der ich der Natur vom Busen kam?
[123]
Laß mich dir mein Vorgefühl verkünden,
Boie, alter, trauter Herzensfreund!
Wonniglich wirst du es mit empfinden,
Wann der Dulder fessellos erscheint;
Wann er mit der angebornen Stärke
Jugendlich Apollons Bogen spannt,
Oder rüstig zu Athenens Werke
Unter der Ägide sich ermannt.
Ha, dein Freund, einst mehr als halb verloren,
Keck verhöhnt von schnödem Übermut,
War zum lahmen Schwächling nicht geboren;
Ihn durchfloß kein träges feiges Blut.
Das bezeugen ihm des Pindus Würden,
Die er in der Ohnmacht noch erwarb,
Und die Kraft, die unter allen Bürden
Nicht in zwanzig Jahren ganz erstarb.
Heil ihm! Leichter fühlt er schon die Glieder;
Und der Genius, der in ihm strebt,
Schüttelt freier, stärker das Gefieder,
Das dem schweren Nebel ihn enthebt.
Erde, dich mit allen deinen Bergen,
Allem lastenden Metall darin,
Allen Riesen drauf und allen Zwergen,
Haucht er bald, wie Flaum, vor sich dahin.
Edle Rache beut er dann der Schande,
Die er über sein Verschulden trug,
Seit der Hypochonder dumpfe Bande
Um die rein gestimmten Nerven schlug,
Wann es heller um der Wahrheit Seher,
Wärmer um der Schönheit Pfleger tagt,
Und er glorreich eines Hauptes höher
Als zehntausend Alltagsmenschen ragt.
Mag es Riese dann und Drache wagen,
Gegen ihn zum Kampf heran zu gehn!
Mag das Glück ihn auf den Armen tragen,
Oder Er auf eignen Füßen stehn!
Neu gerüstet mit den Götterwaffen,
Die er mit gestähltem Arme führt,
Wird er sich nach Heldenrecht verschaffen,
Was sein Wunsch bedarf und ihm gebührt. –
[124]
Herr des Lebens, willst du mich erhalten,
O so gib nur Eins, – Gesundheit mir!
Dankend will ich dir die Hände falten,
Aber bitten weiter nichts von dir.
Kühn durch Klippen, Strudel, Ungeheuer
Lenk' ich, allgenugsam mir, alsdann
Auf des Lebens Ozean mein Steuer.
Selbst sein Gott ist ein gesunder Mann.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Bürger, Gottfried August. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1789). Erstes Buch. Lyrische Gedichte. Vorgefühl der Gesundheit. Vorgefühl der Gesundheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-488D-7