Cornelius Hermann von Ayrenhoff
Virginia

oder
Das abgeschaffte Decemvirat

Trauerspiel in vier Aufzügen

Dem Herrn Abbte de' Giorgi Bertòla gewidmet

Personen

[246] Personen.

    • Virginia.

    • Virginius, derselben Vater.

    • Numitorius, dessen Schwäher.

    • Icilius, Virginiens Bräutigam.

    • Albina, Virginiens Gouvernante.

    • Appius Claudius, der erste Decemvir.

    • Marcus Claudius.

    • Lälia, des Marcus Gemahlinn.

    • Valerius, Chef der Besatzung des Capitols.

    • Lucius, ein Offizier des Appius.

    • Ruffus,
    • Quintus, , Römische Bürger.

    • Wachen, Lictoren, vier Sklaven des Marcus, und Volk, worunter auch Weiber sind.

Zuschrift an den Herrn Abbt von Bertòla

Zuschrift an den Herrn Abbt von Bertòla.

Schätzbarster Freund!


Der schmeichelhafte Beyfall, mit welchem ich meine Kleopatra in Ihrer Idea della bella Letteratura Alemanna aufgenommen fand, ermunterte mich zu einem neuen tragischen Versuche. Lesen Sie ihn! und erwägen Sie dann, ob Sie Gutes oder Übels gestiftet haben.

Ich wählte mir die Geschichte der Virginia lieber als eine andere, theils, weil dieselbe, gleich der Geschichte der Kleopatra, sowohl durch ihre tragische als politische Wichtigkeit, in den Jahrbüchern Roms Epoche machet, theils, weil ich in einer meiner kritischen Schriften über die dramatische Kunst 1, mich geäußert hatte, wie meines Bedünkens, dieser Stoff zu behandeln wäre, wenn man ihm diejenige Art von Interesse und Würde ertheilen wollte wodurch das heroische Trauerspiel sich von mindern Gattungen unterscheiden muß. –

Ungeachtet Sie, als ausgezeichneter Kenner Ihrer National-Litteratur, aus einigen Stellen meines ersten und zweyten Akts gewahr werden können, daß mir die Virginia ihres Grafen von Alfieri nicht unbekannt ist, werden Sie doch auch erkennen, daß nicht sie, sondern die wahre Geschichte meine Führerinn war. Der ganze Inhalt [247] der beyden ersten Akte liegt beynahe wie hier in der Histoire des revolutions de la republique Romaine vom Vertot. Der dritte Akt besteht zwar größtentheils aus meinen eignen, aber doch solchen Erdichtungen, zu denen mir die eben genannte Geschichte Wink oder Anlaß gab. Dahin gehört Icils Vorschlag zur Flucht nach dem heiligen Berge – die Ermordung seines Bruders durch Miethmörder, und die vermeinte Ermordung des Virginius. Nur im vierten Akte wagte ich ein Paar ganz unhistorische Erdichtungen. Der Angriff Icils auf den Marcus Claudius und Alles, was daraus entstehet, ist so wie die Gemahlinn dieses Marcus, ganz mein eignes Geschöpf. Die erste von den beyden Erdichtungen hielt ich für gut, weil sie auf eine natürliche Weise, unerwartete und (wie es mich däuchte) interessante Veränderungen hervorbringet, ohne den Gang der Haupthandlung zu verändern oder aufzuhalten: Die zweyte hingegen hielt ich platterdings für nothwendig, weil erst durch sie die Katastrophe denjenigen Grad von Wahrheit und Deutlichkeit erhält, welchen der echte Kunstrichter fodert, und fodern muß. Der Zuschauer wird zwar schon im ersten Auftritte meines Stücks von des Decemvirs schändlichem Anschlag auf Virginien unterrichtet, und in der Folge durch dessen eigene Geständnisse vergewissert; aber Valerius und das römische Volk, welche die Katastrophe bewirken, werden es erst durch die Entdeckung der Lälia. Ohne diese, oder eine ähnliche Überzeugung, hätten die Römer nicht hinlänglichen Beweggrund, gegen ihren Decemvir so zu handeln, wie ich sie in meinem Stücke handeln lasse; wie sie der Geschichte nach wirklich gehandelt haben: und im guten Drama müssen alle Begebenheiten, am meisten aber diejenigen, woraus die Katastrophe entstehet, genugsam und deutlich motivirt seyn. Dem Geschichtschreiber glauben wir auf sein ehrliches Wort alle nicht unmöglichen Dinge, die er uns erzählet, und Er selbst fodert nicht viel mehr als diesen [248] Glauben von uns; aber der tragische Dichter (der, ungeachtet sein ehrliches Wort gar nicht in Betrachtung kommt, weit mehr als bloßen Glauben von uns fodert, da er uns durch seine Vorstellungen die heftigsten Empfindungen der Furcht und des Mitleids abzwingen will,) muß seinen Zweck zu erreichen, einen desto höhern Grad von unzweifelhafter Wahrheit in seine Vorstellungen legen, und deßhalb uns alle Gründe, nach welchen seine Personen handeln, genau bekannt machen; weil unser Herz unmöglich heftigen Antheil an einer Sache nehmen kann, so lange unser Verstand befugt ist, an der Wahrheit der Sache zu zweifeln. Und in dieser Rücksicht ist es unwidersprechlich, daß auf dem Theater wahrscheinliche Erdichtung mehr Werth habe, als die Wahrheit selbst, sobald diese weniger wahrscheinlich, als die Erdichtung ist. –

Übrigens bin ich versichert, mir Ihren Beyfall dadurch verdienet zu haben, daß ich in diesem, wie in meinen übrigen Theaterprodukten, die Regeln der Alten pünktlich zu befolgen getrachtet habe. Die Regel: Neve minor, neu fit quinto productior actu fabula! gehört weniger als alle andern für uns Neuere, da sie nicht wie die Regeln der Einheiten, die Illusion (den Hauptzweck des Drama, wie aller schönen Künste) befördern hilft. Vielleicht war sie den Alten, ihrer Chöre, auch anderer Ursachen wegen, zur Form ihrer Tragödien wesentlicher als uns; aber sie war doch immer nur eine conventionelle, nie eine nothwendige Regel. Meines Erachtens gibt es wenig einfache tragische Handlungen, die man füglich gerade in fünf Akte eintheilen kann, ohne sich ganz willkührliche und zwecklose Zwischenakte, oder (nach Art der meisten englischen Dichter) entbehrliche, und deßhalb fehlerhafte Episoden zu erlauben, oder (nach der nicht ungewöhnlichen Art der Franzosen) ganze Akte mit einer erzählenden Exposition auszufüllen. Die Eintheilung des Stoffs muß also unstreitig der Beurtheilung des Dichters heimgestellt bleiben, so wie es der Beurtheilung des Geschichtmalers heimgestellt ist, in einem großen Gemälde (auch wann ihm Inhalt und Raum vorgeschrieben [249] werden) die Anzahl seiner Gruppen selbst zu bestimmen. – Doch warum erwähne ich dieses Umstands gegen Sie? Meine Kleopatra ist wie diese Virginia in vier Akten, und sie erhielt Ihren Beyfall.

Ein Umstand, welcher mehr eine Erwähnung verdienet, ist die Verschiedenheit der Versart, in welcher die beyden Stücke geschrieben sind. Unsere deutschen Theater-Dichter und Richter find noch nicht ganz einig, welche Gattung der Verse der Tragödie vorzüglich anpasse, ob der reimlose fünffüssige Jambus (worin diese Virginia erscheinet) oder der gereimte Alexandriner, dessen ich mich bey der Kleopatra und meinen übrigen Tragödien bedienet habe. Viele unsrer neuern Dichter, die sich die Arbeit recht bequem machen wollen, und viele unsrer berühmtesten Akteurs (deren ganz prosaische Natur gar keine Verse vertragen kann, weil sie dieselben nicht zu deklamiren wissen) bestreben sich, alle Verse überhaupt von unserm Theater zu verbannen. Gegen dies Meinung brauche ich wohl nichts zu sagen; sie hat das Zeugniß aller Zeiten und aller Nationen wider sich. Was aber die Wahl der tragischen Versart betrifft, bekenne ich noch immer meine Vorliebe für den gereimten Alexandriner, aus den Gründen, die ich in de Vorrede zu meiner Antiope angeführt habe. Allein eben diese Versart ist jetzt auf unserm Theater am wenigsten beliebt. Um zu zeigen, daß ich keinerdings eigensinnig bin, ließ ich in gegenwärtigem Stücke meine Helden in reimlosen Versen sprechen, und fand – meine Arbeit um vieles leichter. Gleichviel erhält nur das Ganze Ihren Beyfall, so ist mein Hauptziel erreichet; so bringe ich Ihnen in meiner Virginia kein ganz unwürdiges Opfer meiner Hochachtung, und rechtfertige zu gleicher Zeit, doch einigermaßen, das – zu günstige Urtheil, welches Sie in Ihrer Idea etc. über meine dramatischen Versuche gefället haben. Wien den 15ten März 1790.

Ihr ganz ergebenster Diener und Freund

Ayrenhoff.

[250]

Fußnoten

1 In dem Schreiben über Deutschlands Theaterwesen und Kunstrichterey. Auch berührte ich diesen Gegenstand nachher in meinem fünfzehnten Briefe über Italien.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Marcus mit vier Sklaven. Lucius.

MARCUS.
Bald, Lucius, entweicht mir die Geduld.
So lange weilt kein Flamen in dem Tempel
wie dieses Mädchen.
LUCIUS.
Wahr! – Nun schließe, Freund,
von Deiner Ungeduld auf die, die jetzt
des Appius Erwartung spannt! Sein Herz
scheint ein Vulkan entflammter Leidenschaft.
Kaum war es Mitternacht, so ließ er schon
mich rufen, daß ich ja dich früh genug
zur That ermahnte, früh genug ihm dann
vom Ausschlag Nachricht brächte.
MARCUS.
Sollte denn
Verhaftung eines Weibs, noch beynah Kinds,
ein Werk von ungewissem Ausschlag seyn?
[251]
LUCIUS.
Selbst diese Furcht des Allgewaltigen
verräth die Stärke seiner Leidenschaft.
Doch Marcus – oft vernahm ich von dir selbst,
in deiner Lälia getreuen Brust
herrsch' Eifersucht mit unzähmbarer Macht:
wird sie wohl ruhig sehn, daß du das schönste
von allen Mädchen Roms nach Hause bringest?
MARCUS.
Dieß würde Keine Gattinn. Doch sie weiß
– und Überzeugung hat es ihr bewähret –
Daß Appius die Schöne liebt, Ich nur
als Freund, Befördrer seiner Wünsche bin.
LUCIUS.
Blick hin, sie naht sich nun!
MARCUS.
– Citherens Bild!
LUCIUS.
Behandle sie mit Glimpf!
MARCUS.
Ich weiß zu wohl,
daß jeder Lärm hier zu vermeiden ist.
2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Virginia, Albina aus dem Tempel. Die Vorigen. Dann Volk.

MARKUS
etwas leiser.
Nun Knechte!

Zween Sklaven ergreiffen Virginien.
[252]
VIRGINIA.
Wie Verwegene? warum
ergreifft ihr mich?
ALBINA.
Was für Gewaltsamkeit!
MARCUS.
Erschrick nicht schönes Kind! dir soll kein Leid –
ich bürge dir – geschehn; zeigst du dich nur
bescheiden, still, und folgsam meinem Rathe.
Durch Trotz verschlimmerst du dir dein Loos.
Folg ißt ohn' alle Furcht mir in mein Haus!
VIRGINIA.
Ich Dir? – wer bis du denn, der du Gewalt
an mich zu legen wagst?
MARCUS.
Mein Nahm' ist Marcus.
Ich bin aus dem Geschlecht der Claudier,
Patrizier, dein Herr – in dessen Hand
dein künftig Schicksal liegt!
VIRGINIA.
Mein Herr – und Ich?
MARCUS.
Du meine Sklavinn!
VIRGINIA.
Du verkennest mich
Patrizier! ich bin Virginia
die einz'ge Tochter des Centurio
Virginius, des Mannes, dessen Nahm'
im ganzen Heere Roms ein Lobspruch ist.
[253]
MARCUS.
Dieß wähnst du nur zu seyn; du bist es nicht.
Mehr Licht hievon werd' ich dir bald ertheilen.

Quintus, Ruffus und einiges Volk zeigen sich in der Ferne.

Folg itzt nur unverweilt mir in mein Haus!
VIRGINIA.
Dort kannst du mich nur todt, Verwegner, sehn.
MARCUS.
Fort Knechte!
VIRGINIA.
Nein, Grausame! tödtet mich!
ALBINA.
Herbey ihr Römer! helft! beym Jupiter
beschwör ich euch.
VIRGINIA.
Helft! helft!
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Quintus, Ruffus. Die Vorigen.

QUINTUS.
Was geht hier vor?

Ruffus und das Volk nähern sich allmählich.
ALBINA.
Entehrung eines edlen Mädchens! Schützt,
ihr Römer, um der Götter Willen, sie!
MARCUS.
Fort, sag ich euch, mit ihr!

Zur Albina.

Du Kühne, schweig,
soll deinen Lästermund der Tod nicht schließen!
[254]
RUFFUS.
Ihr Sklaven haltet ein! – was fodert ihr?
MARCUS.
Ich nehm' in Dieser hier, mein Eigenthum,
um das man mich betrog, zurück: denn sie
war meine Sklavinn.
VIRGINIA.
Nein, ihr wackern Bürger!
Ich bin die Tochter des Virginius,
der ruhmvoll bey dem Heere Vibulans
für Vaterland und Euch die Waffen führt.
RUFFUS.
Virgin? – ich kenn' ihn gut den tapfern Mann.
Sprichst du nur wahr, so ist es unsre Pflicht
dir beyzustehn.
VIRGINIA.
Beym Himmel schwör' ich euch.
ALBINA.
Dort, Römer, ist das Haus des Numitor;
er ist der Oheim der Virginia:
denn Numitoria, des Greises Schwester,
war ihre Mutter. Dort erkundigt euch
nach ihrem Stand und Wandel!
RUFFUS
zu einem Bürger.
Eile hin,
von diesem Zufall ihn zu unterrichten

Einer geht ab.

Auch Numitorius ist mir bekannt,
mit Ruhm bekannt.
MARCUS.
Nimmst du daher dein Recht
[255] mich im Vollzuge Meines Rechts zu stören?
Glaubt man mehr Sklaven als Patriziern?
RUFFUS.
Nein, Marcus! unser Wunsch ist nur zu wissen,
wie Sie so dreust dein Recht verläugnen kann.
Fehlt es ihr am Beweis, so schützt kein Bürger
die Sklavinn gegen den Patrizier:
Sind ihre Reden wahr – der Menschheit Rechte
sind heiliger als die patrizischen.
Ein Wort vom Numitor klärt alles auf.
MARCUS.
Ihm ist von dem Betrug nicht mehr bekannt
als ihr; und ihn beweisen kann nur Ich.
Dieß werd ich vor Gericht. Weh jedem dann,
der jetzt sich hier so kühn als unbedachtsam,
Mir, einem Claudier, zum Richter setzt!
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Numitorius. Die Vorigen.

RUFFUS.
Komm Numitorius! hier ist ein Streit
entstanden, der am sichersten durch Dich ...
NUMITORIUS.
Virginia! Du hier?
VIRGINIA.
Ach Herr! und hier,
als aus dem Tempel ich nach Hause kehrte,
von einem Grausamen beschimpft, der mich
als seine Sklavinn mit sich schleppen will!
[256]
NUMITORIUS.
Als Sklavinn? träumest du? Sie Sklavinn? Sie?
Virginia? die Tochter meiner Schwester?
MARCUS.
Von Sylvien – jetzt meiner Sklavinn noch –
ward sie geboren, und durch sträflichen
Betrug, der unfruchtbar, des Gatten Haß
befürchtenden, Gemahlinn des Virgin
verkauft.
NUMITORIUS.
Und dieß, o Marcus! glaubest du?
Man täuschet dich, vielfältig täuscht man dich.
Eh meine Schwester dem Gemahl dieß Kind
geboren, hatte sie schon Kinder ihm
gebracht. Ein Träumer nur kann unfruchtbar
sie nennen; nur ein Träumer ihren Kauf
des Sklavenkinds behaupten: denn sie bracht
in meinem Haus Virginien zur Welt.
MARCUS.
Doch wie? wenn eben so wie den Virgin,
man Dich betrogen hätte? – Glaubst du wohl
allein der Mann zu seyn, deß Falkenblicke
kein Netz der Weiberlist verborgen bleibt?
NUMITORIUS.
Dir selbst, o Marcus! setz' ich diese Frage.
Dein Irrthum stammt gewiß von Weibern her;
vielleicht von Sklavinnen, die Sylvien
zu stürzen, den Betrug erdichteten.
MARCUS.
Und wenn selbst Sylvia mir ihn entdeckt –
aus Reu sich selber angeklaget hätte?
[257] Wenn andre Zeugen mehr – – Doch alles dieß
hört ihr nach wenig Stunden vor Gericht.
Dort leg' ich Rechenschaft, nicht hier euch ab.
NUMITORIUS.
Ach, übereil dich nicht, betrogner Mann!
Du würdest diesen Schritt zu spät bereuen.
Beladen mit dem Haß der Freyen Roms,
verabscheut in den Herzen aller Mütter,
verspottet von dem Rest der Sterblichen,
zögst du gewiß mit Reu vom Forum ab.
Es ist ein harter Rechtsstreit, einem Vater
wie Dieser ist, die Tochter abzurechten,
ein Wagestück, den Nahmen einer Gattinn
wie Diese war, im Grabe noch zu schänden.
Erwäg dieß wohl, o Marcus.
RUFFUS.
Es ist wahr!
Virginius war stets ein Ehrenmann
und tapfrer Krieger.
QUINTUS.
Ihn verehrt ganz Rom.
MARCUS.
Und Niemand mehr als ich. Mit Gram im Herzen
bestreit' ich ihn. Doch darf ein Sterblicher
verwerfen, was der Götter Huld ihm schenket? –
Ich fodre drum aus Pflicht mein Eigenthum;
und Er, der Ehrenmann – vernimmt er nur
die Gründe meines Rechts – verschmerzet leicht
ein Gut, das unrechtmäßig er besaß.
VIRGINIA.
O Himmel! sollt ich wirklich Sklavinn seyn,
[258] nicht frey, nicht Römerinn? O Götter! Götter!
in welchen Jammer stürzt ihr plötzlich mich!
MARCUS.
Mich rührt dein Mißgeschick: – doch tröste dich!
vielleicht wirds minder hart, als es nun scheinet.
Glaub, ich bin Mensch, behandle menschlich auch
den Sklaven. Zeig nur nicht den ersten Tag
durch Widerstand dich unwerth meiner Huld! –
Folg mir!
VIRGINIA.
Nein Grausamer! und schuff mich auch
der Himmel, wie du sagst, zur Sklavinn dir,
von allen deinen Rechten über mich
sollst du des einzigen, mich ungestraft
zu tödten, dich erfreu'n!
MARCUS.
Ha, welch ein Trotz!
Nun fühle die Gewalt! ergreifft sie Knechte!
VIRGINIA.
Helft Römer! schützet, oder tödtet mich!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Icilius mit dem Bürger, der im dritten Auftritt den Numitor zu hohlen abgegangen war. Die Vorigen.

ICILIUS.
Halt! haltet Sklaven! Tod und Jammer Dem,
der seine kühne Faust nicht von ihr zieht!
Zurück Unglücklicher!

Zu einem, der Hand an ihr hat.
[259]
VIRGINIA.
O mein Icil!
Werd' itzt ein Schild der Ehre deiner Braut!
ICILIUS
sie umarmend.
Virginia! – so ists denn wahr! – o Wuth!
Und Du! Du bists, der sie mir rauben will?
Du Frevler hasts gewagt, Virginien,
die reinste Tugend, zu mißhandeln? Du?
Was hält noch meinen Arm, daß er dieß Schwert
nicht schon in dein verruchtes Herz getaucht?
MARCUS.
Zwar deine Kühnheit ist ganz Rom bekannt.
Allein zum Glück, hat dieses Rom Gesetze,
(und Ihr, ihr Bürger selbst habt sie gemacht!)
Kraft welcher mir dein Drohn nicht Furcht erregt.
Nennt gleich das Mädchen itzt sich deine Braut –
weil sie dadurch vielleicht sich freyer dünkt –
so wird ...
NUMITORIUS.
Sie ist es! Ich betheure dieß.
MARCUS.
Wohl! dieses Liebes-Feur wird Roms Gericht
nicht blenden – so wie dort dein Ungestüm
nicht über Recht und Wahrheit siegen wird.
Denn Roms Gesetze – sind sie gleich für Dich
nie heilig gnug – sind heilig dort befolgt.
ICILIUS.
Ah Heuchler! thörichtster der Heuchler! Ich
Gesetz-Verächter? und dieß sagest du
dem Volke? Glaubt du wohl, daß deine List
[260] nur Einen Römer täuscht? Sie wissen Alle
wie oft ich als Tribut, selbst mir zum Schaden,
für die Gesetze stritt, und Gut und Leben
bey jedem Plebiscit mit Freuden wagte.
Ein Gegner der Gesetze war ich nur,
wann Herrschsucht oder Geitz patrizischer
Tyrannen das durch List betrogne Volk
mit eisernen Gesetzen fesseln wollten.
Kein solch Gesetz wird je mir heilig seyn. –
Ihr Römer kennet längst uns Beyde: fället
ein Urtheil zwischen Mir – und diesem Heuchler,
der Roms Gesetze preist, indem er Roms,
der Menschheit, heiligste Gesetze bricht;
die tugendhafteste der Jungfraun Roms
auf Roms Gerichtplatz raubt, um (Wer kann zweifeln?)
an ihr der Wollust Glut zu kühlen. Auf!
urtheilet zwischen mir und diesem Manne.
RUFFUS.
Wahr ist's! Icil war stets ein Freund des Volks,
und gegen die patrizische Gewalt
ein Damm: wann Alles wich, wich Er ihr nicht.
Auch lieben wir ihn als der Freyheit Stütze.
Doch ists auch wahr, Icil, daß vor Gericht,
nicht hier, die Foderung des Claudiers
geprüfet werden muß.
MARCUS.
So spricht Vernunft.
Seyd mir gepriesen, ihr Beförderer
der Billigkeit! Als biedre, weise Bürger
erkennet ihr, daß jedes Römers Glück
in Unverletzlichkeit der Rechte lieget.
Mein Recht wird vor Gericht noch heute kund!
Ich lad' euch Alle hin; – auch Dich, der hier
[261] vermessen Das von mir ertrotzen will,
was sicher dort ein Rechtsspruch Mir ertheilt!
Hier hätte Glimpf dir mehr als Drohn genützt.
Von eurer Liebe war mir nichts bekannt,
und junger Sklavinnen hab ich so viele,
daß diese mir nicht unentbehrlich wäre.
RUFFUS.
O so begib dich deiner Foderung!
MARCUS.
Es ist zu spät. Nun zwinget mich mein Ruhm,
den drückenden Verdacht, den Er erweckte,
von mir zu wälzen, Rom mein Recht zu zeigen.
RUFFUS.
Rom weiß bis itzo nichts von eurem Streit;
Wir Wenigen ...
MARCUS.
Ihr Wengen seyd mehr,
als Tausende von minderm Werthe. Nein!
ich kann nun euern Wunsch, so ganz er auch
dem meinen ähnlich ist, nicht mehr vollziehn.
Vielleicht, wann meiner Ehre gnug geschehn,
folg ich der Großmuth Trieben – eher nicht:
und dieß hängt von Icils Betragen ab. –
Nun Römer, wißt ihr gnug. Trennt euch! harrt nicht
in Haufen auf die Stunde des Gerichts!
daß die Versammlung nicht Rottirung scheine!
Du Mädchen! folg indeß mir ohne Furcht.
ICILIUS.
Dir folgen?
MARCUS.
Ihrem Herrn!
[262]
ICILIUS.
Der bist du nicht!
Icils Verlobte soll, beym Jupiter!
nicht deine Sklavinn seyn.
MARCUS.
Beym Jupiter,
und allen Göttern wird des Marcus Sklavinn
nie deine Gattinn! fort! Ergreift sie Knechte!
ICILIUS
indem er sein Schwert zücket.
Du stirbst, legt Einer seine Hand an sie.
NUMITORIUS.
Ach haltet ein! – Zu weit treibst du dein Recht,
O Marcus, ists auch wirklich ganz gegründet!
Mir hat Virginius – der edle Mann,
dem Achtung, mit ganz Rom du schuldig bist,
das Mädchen anvertraut, als er zum Heere
für uns zu kämpfen zog. Nimm sie mir nicht,
bevor der Rechtsspruch sie dir zuerkennt!
MARCUS.
Ist sie mir sicher gnug in deiner Hand?
NUMITORIUS.
Ich selbst verbürge mich mit Hab und Ehre.
MARCUS.
Ich nehme nicht die Bürgschaft an.
ICILIUS.
Nun Römer!
begreiffet ihr noch nicht des Frevlers List,
der Großmuth erst geheuchelt, mich zu trügen,
Euch zu bethören? Fühlt ihr nicht den Stolz
[263] des unverschämten Optimaten, der
verdienst- und tugendlos, Verdienst und Tugend
im Vater meiner Braut verachten darf?
O dann seyd ihr schon reif zur Sklaverey,
Ich thöricht, Hülfe noch von euch zu hoffen.
Das Mittel, so mir noch zur Rettung bleibt,
ist, als der letzte Römer zu erblassen!
RUFFUS.
Du irrst Icil! wir billigen es nichts
daß man Virginien vom Oheim trenne.
Du Marcus, kannst sie nicht ihm eh'r entziehn,
als der Decemvir es für Recht erkennt.
So Römer, däucht es mich.
QUINTUS.
Auch Mich!
ALLE.
Uns alle.
MARCUS
nach einer Pause.
Wohlan! so kränkend mir der Ausspruch ist –
von meiner Achtung euch zu überzeugen,
nehm' ich ihn an. Sie folge Numitoren –
der Bürgschaft mir für sie zu leisten hat.
NUMITORIUS.
Mit meiner Hab' und mit mir selbst.
MARCUS.
Lebt wohl!

Marcus geht auf der einen, und Lucius, der immer von ferne zugehört hatte, auf der andern Seite ab.
6. Auftritt
[264] Sechster Auftritt.
Virginia, Albina, Icilius, Numitorius, Volk.

NUMITORIUS.
Dank euch, ihr Freunde! Dank für euern Schutz!
Ohn' Euch wär' itzt vielleicht Virginia
mir schon geraubt, vielleicht Icil ein Mörder!
ICILIUS.
Und wär' ichs nicht aus heil'ger Pflicht geworden?

Umarmt sie.
NUMITORIUS
zum Volke.
Nun aber bitt' ich euch, laßt uns sogleich
uns trennen! daß den Feinden des Icil
auch nicht ein Scheingrund bleib', Empörungsgeist
ihm Schuld zu geben.
RUFFUS.
Wie schon mehrmahl es
der Gegner Arglist that, wann als Tribun
er uns die Schlingen der Tyrannen wies.
Kommt!

Zum Numit.

Bey Gericht sollt ihr uns wiedersehn!

Das Volk geht auf verschiedenen Orten ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Virginia, Albina, Numitorius, Icilius.

NUMITORIUS.
Komm nun Virginia!
ICILIUS.
Bleib Numitor!
noch hab ich nicht mich von dem Schlag erholt! –
[265] O theure Gattinn! dich, dich – und mit dir
mein ganzes Glück, will der Barbar mir rauben?
VIRGINIA.
Ich zittre, mein Icil!
ICILIUS.
Ich nicht! – Mir ist
als ob ein Gott mir sagt: Fürchte nicht
Icil! ein großer Sieg steht dir bevor!
Ich glaub' es, fühl' es; denn unmöglich kann's
der Götter Wille seyn, daß über uns
dies Ungeheur, zum Hohn der Tugend siege.
VIRGINIA.
Du kennest ihn?
ICILIUS.
Wer kennt den Buben nicht?
den stolzesten der stolzen Claudier,
den Lasterhaftesten von allen Römern,
und – ganz zu schildern ihn mit Einem Worte –
den Liebling des Decemvirs Appius.
VIRGINIA.
Des Appius? – Wie? Marcus ist ein Liebling
des Appius?
ICILIUS.
Sein trautster Busenfreund!
VIRGINIA.
O Himmel! Welch ein Licht strahlt plötzlich mir!
Der, Der ein Busenfreund des Appius?
ICILIUS.
Und aller seiner Frevel Mitgenoß!
[266]
VIRGINIA.
Albina merkst du nun den ganzen Gräul
des Anschlags?
ALBINA.
Alles liegt jetzt klar am Tage.
ICILIUS.
Was? – Was Geliebte? sprich!
VIRGINIA.
Ein schreckliches
Geheimniß, nur zu denken schaudervoll!
ICILIUS.
Geheimniß? Du Geheimnisse, vor Mir?
VIRGINIA.
Nur Dieß Icil. Mit des Decemvirs Macht,
und deinem Hasse gegen ihn, bekannt,
verschwieg ichs dir: ich hätt' es ewig dir
verschwiegen, müßt' ich nicht es jetzt entdecken.
Wiß, dieser mächtige Beherrscher Roms
– liebt mich, und heischte dringend Gegenliebe.
Kein Fallstrick der Verführung, keine List
blieb unversucht. Er schickte Mittlerinnen
des Lasters mir ins Haus; versprach mir Reichthum,
erlauchten Rang, Erfüllung jedes Wunsches.
Bewarb auch um Albinens Hülfe sich
indem er Summen Goldes Ihr auch both.
Doch, mit Verachtung stets vergolten, schien
seyn Trieb seit ein'ger Zeit von Schaam erstickt.
Vielleicht entwarf indeß mit seinem Freund
er den verfluchten Plan, der jetzt beginnet.
[267]
ICILIUS.
Vielleicht? nur zu gewiß! – Ha Bösewicht!
verruchter Bösewicht!
NUMITORIUS.
Der Umstand Freund
ist schreckenvoll! Wir sind verloren!
ICILIUS.
Nein!
nein Numitorius! noch sind wirs nicht!
so lang' ich athme, nicht! Noch hoff ich Schutz
zu finden; Noch ist Rom nicht ganz entblößt
von Bürgern, die dem Joch der Zehner fluchen,
und für die Freyheit gern ihr Leben opfern.
Nur auf Gelegenheit harrt noch ihr Muth.
Die zeigt sich nun; und sie soll ungenützt
uns nicht entgehn! Ich will des Wüthrichs Zweck
auf allen Gassen Roms versündigen;
um Hülfe wider ihn und Rache schrey'n;
mit Farben des Cocyt Roms Zustand schildern,
und Furien in jede Seele rufen.
Und wären, an ihr Sklavenjoch gewöhnt,
die Römer schon zu feig mir beyzustehn,
so bleibet Mir noch Muth und Kraft genug
dem Ungeheur den Dolch ins Herz zu stoßen.
NUMITORIUS.
Nur hüth', o Freund! vor Übereilung dich!
Zu großer Eifer bringt fast nie zum Ziele.
Dein Gegner Appius ist schlau; sey Du's
nicht minder! seine Macht ist fürchterlich.
Nicht fällen, untergraben muß man ihn.
Vor allem werde nun Virginius
von unsrer Feinde Zweck genau belehrt!
[268] Er muß ohn' Aufenthalt das Heer verlassen,
noch diese Nacht hier einzutreffen, Nichts
ist uns so nöthig, nichts dem Appius
gefährlicher als seine Gegenwart.
Nur muß ein sichrer Bothe dieß ...
ICILIUS.
Der sey
mein Bruder! – Eh Virgin hier angelangt,
soll der Tyrann, bey allen Göttern! dich
mir nicht entreissen. – Kommt! so thätig auch
sich wider uns die Macht des Lasters zeigt,
laßt für die Tugend uns noch thät'ger seyn!

Alle gehen ab.

Ende des ersten Aufzugs.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Ruffus, Quintus und einiges Volk.

QUINTUS.
Nie harrt' ich ängstlicher auf einem Spruch.
RUFFUS.
Ich fürchte für das Mädchen. Ohne Grund
macht Marcus nicht die kühne Foderung.
Icil und Numitor, und mehr als Die,
Virginius, sind Gegner von Gewicht,
an die nicht ohne Recht sich Marcus wagt.
QUINTUS.
Der Ruf zählt Diesen zu den Günstlingen
des Appius.
RUFFUS.
Weh ihm, baut er darauf! –
Stolz, grausam auch ist Appius, doch stets
gerecht; auch seine Feinde sprechen so.
QUINTUS.
Unglücklichs Mädchen! als des würdigen
Icil Verlobten, brach der Tag ihr an,
[270] und in der Knechtschaft findt der Abend sie!
Ich könnte nicht so hart wie Marcus seyn.
Dem reich begüterten Patrizier
ist Eine Sklavin mehr, kein großes Gu
RUFFUS.
Vielleicht ist Eins hier mehr als taufend: denn
dieß Eins ist Schönheit, und Die zählt oft viel.
2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Lucius. Die Vorigen.

LUCIUS.
Heil euch ihr Bürger! – ihr erwartet wohl
mit Neugier schon das heutige Gericht?
RUFFUS.
Auch wird es wichtig seyn, gelanget ja
der Streit Virginiens schon heut zum Spruche.
LUCIUS.
Wird er nur angebracht; denn Appius
schöb' eh das Athmen auf, als ein Geschäft.
Er trifft heut früher hier im Forum ein,
um früher heut – ich sag' euch seine Worte –
sein liebes Volk zu sehn; weil eben heut
der Jahrstag ist, da zur Prätur ihr ihm
mit so viel Beyfall eure Stimmen gabt.
RUFFUS.
Er ist gerecht: wir wählten deshalb ihn.
LUCIUS.
Er ist auch dankbar. Dieß zu zeigen, schrieb
[271] er jetzt nach Ostia um fünfzig Schiffe
sicilisches Getreid, es morgen schon
als sein Geschenk, dem Volke zu vertheilen.
QUINTUS.
Dank ihm dem Gütigen! er mindert sehr
durch diese Wohlthat uns der Theurung Last,
die hart uns itzo drückt. Er leb!
EIN PAAR VOM VOLKE.
Er lebe!
RUFFUS.
Doch Lucius! was hält der edle Mann
von der Begebenheit Virginiens?
LUCIUS.
Noch weiß er nichts davon. Bey diesem Spruch'
erwehrt er sich gewiß des Mitleids nicht.
RUFFUS.
So glaubst du, daß das Recht beym Marcus ist?
LUCIUS.
Ich glaub es leider! – Stark, voll hellsten Lichts,
ist dem Verlaute nach, sein Rechtsbeweis.
RUFFUS.
Unglücklichs Mädchen!
LUCIUS.
Sie verdient so viel
Betauern, als Virgins Gemahlinn Haß
im Grabe noch. Die stürzt ein ganzes Haus,
das durch Betrug sie zu beglücken dachte,
in großes Leid. Und so gedeihen nie
die Früchte des Betrugs durch lange Zeit.
[272] denn – läg er unter einem Fels versteckt –
er kömmt bestraft zu werden, an den Tag.
RUFFUS.
Schon naht sich Appius
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Appius, Wachen und Lictoren gehen vor ihm her. Der curulische Stuhl wird aufgestellt. Die Wachen reihen sich hinter demselben. Ruffus, Quintus, und das Volk treten hinter die Wachen. Wann Appius auftritt, ruft.

DAS VOLK.
Er lebe! lebe!

Appius bleibt einen Augenblick stehen, und nicket mit dem Kopfe dem Volk auf beyden Seiten seinen Dank zu; geht er mit Lucius vorwärts.
APPIUS.
Ist dieser Gruß schon Wirkung des Geschenks?
LUCIUS.
Ja Herr!
APPIUS.
Sieht Niemand noch in das Geheimniß?
LUCIUS.
Kein Aug' in Rom. Noch heut umarmest du.
Virginien.
APPIUS.
O sagtest du doch wahr! –
Der kühnste Schreyer Roms ist wider mich!
Wie viel Entwürfe, reif zur Wirklichkeit,
hat als Tribun der Freche mir vernichtet!
Ihr Liebesbündniß war mir nicht bekannt:
[273] ich hätte sicher sonst nicht diesen Weg,
den steilen Weg, zu meinem Zweck gewählet.
Gewiß hat ihn nun schon Virginia
von meiner Leidenschaft ...
LUCIUS.
Da kein Beweis
in ihren Händen ist, was können sie? –
Rom ist Icils Geschrey nun schon gewohnt;
es wirkt nur noch aufs Ohr, nicht mehr aufs Herz.
APPIUS.
Dort kommt sie schon – dem Frevler an der Seite!
LUCIUS.
Und Marcus weilt noch?
APPIUS.
Ich geboth es ihm.

Appius setzt sich auf den Richterstuhl; einige Beamte und die Lictoren stellen sich ihm zur Seite.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Virginia, Icilius, Numitorius, mit ihnen einiges Volk, und die Vorigen.

ICILIUS.
Decemvir! in des röm'schen Volkes Nahmen,
ruf' ich um Recht, und deinen Schutz dich an.
APPIUS.
Hast du nur Recht, mein Schutz ist dir gewiß.
ICILIUS.
Virginien, die Tochter jenes tapfern
Centurio Virginius, griff heut,
[274] auf offnem Platz, mit frevelhafter Faust
ein Bösewicht ...
APPIUS.
Halt ein! – Du schimpfst Icil!
Dieß ist hier nicht erlaubt.
ICILIUS.
Wer jetzt in Rom
nicht schimpfet – fühlet nicht.
APPIUS.
Ich sprach! – – Zudem!
da für Virginien du Klage führst,
warum im Nahmen Roms? Erborgst du stets
bey Fällen, oft kaum Deines Nahmens werth,
den großen Nahmen Roms? Du bist nicht mehr
Tribun des Volks – das oft, getäuscht von dir,
zum Schaden sich, dir seinen Nahmen lieh.
ICILIUS.
Die unerhörte Schmach, Ihr angethan,
trifft Alle Freyen Roms!
APPIUS.
Vor Allen Mich –
der Aller Wohl aus Pflicht besorgen muß.
Doch ist Virginia die Klägerinn,
wie kömmts, daß Du für sie das Recht begehrst?
ICILIUS.
Sie ist mir schon als Braut verlobt.
APPIUS.
Auch schon
vom Vater dir zur Aufsicht übergeben?
NUMITORIUS.
Nein Herr! Mir übergab der Vater sie,
als Rom zu schützen, er sich Rom entzog.
[275]
APPIUS.
Wohl Numitorius! Du bists, der hier
an Vaters Statt ihr Recht verwalten muß.
Sprich!
NUMITORIUS.
Sechzehn Jahre sind es nun, o Herr,
daß Numitoria (durch deren Tod
die liebste Schwester Ich, Virginius
die zärtliche der Gattinnen verlor)
dieß Kind in meinem Haus gebahr. Daselbst
erwuchs es dann bis jetzt, des Hauses Luft
mir und den Ältern stets vor Augen, stets
für eines edlen Vaters Kind, und stets
für seiner werth durch Tugenden erkannt.
Der schreckliche Verdacht, sie sey nicht frey,
sey nur die Frucht von einer Sklaven-Ehe,
kam, weil sie lebt, in keines Menschen Sinn.
Und heute fällt sie Marcus Claudius
hier auf dem Forum an; erkläret sie
für seine Sklavinn und – erfleht sie nicht
bey fremdem Mitleid Schutz, so schleppt ein Schwarm
von seinen Diener sie zur Knechtschaft fort. –
An ihres Vaters Statt begehr ich nun
von Dir, o Herr, und den Gesetzen Roms,
die Ehrenrettung der Beleidigten,
und des Beleidigers Bestrafung.
APPIUS.
Billig!
Unfehlbar wird sein Angriff, öffentlich
vollbracht, durch Zeugen ihm erweislich seyn?
NUMITORIUS.
Durch hundert!
APPIUS.
Diese That, so rasch, so kühn
[276] und so gewaltsam, scheint mir so wie Dir
verdammlich. Marcus soll, beym Jupiter!
der Strafe nicht entgehn – rechtfertigt er
nicht seinen kühnen Schritt durch starke Gründe.
Wer immer frevelhaft die Sicherheit,
die Ruh des freyen Bürgers stört, der zittre –
so lang als Appius Roms Richter ist!
Dieß Numitor, ist Alles, was ich jetzt
zum tröstlichen Bescheid dir sagen kann.
Ob Marcus Anspruch auf Virginien
gegründt, sie Sklavinn oder frey geboren,
wahr oder falsch ihr Nahme sey, bleibt, bis
den Marcus ich vernommen, unentschieden.
ICILIUS.
Wie? Numitors Bericht von der Geburt
Virginiens, entschiede Nichts? auch Nichts
ihr sechzehn Jahre nie bestrittnes Recht? –
Auch hättst du noch den Marcus nicht vernommen?
den Marcus nicht vernommen? O vielleicht
ist dieser Marcus gar dir unbekannt?
Ich kenn' ihn: wisse! dieser Marcus ist
die Schande Roms, ein Niederträchtiger,
ein Kuppler!
APPIUS.
Alles dieß glaub' auf dein Wort
ich nicht. Dein Schmähn beweist mehr deinen Trotz
als seinen Unwerth. Schon verboth ich dir,
an diesem Ort zu lästern; zwing mich nicht,
Gehorsam durch Lictoren dich zu lehren!
Hoff nicht Verwegener, Roms Richterstuhl
der Ehrfurcht heischt, von dir entweiht zu sehn!
VIRGINIA.
O Himmel! mäß'ge dich Icil!
[277]
APPIUS.
Hier ist
schon Marcus. Numitor! nun ists an uns
auch Ihn zu hören.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Marcus mit einem Römer, einem Sklaven und einer Sklavinn. Die Vorigen.

Herr! seh' ich gleich hier

durch List und Eile meiner Gegner, mich

schon angeklagt, so komm ich dennoch als

ein Kläger vor dein heiliges Gericht –

nicht von erbethnem Volk und Günstlingen,

von meinem Rechte nur und meinen Zeugen

begleitet – nicht mit Schreyn und kühnem Trotz –

mit Ehrfurcht, dem Gefühl des guten Bürgers.

APPIUS.
Verdienst du deßhalb Lob, so bringet doch
der Schritt, den diesen Morgen du gewagt,
nicht mindern Tadel dir. Mit welchem Rechte
fielst du Virginien auf offnem Platze
ja! räuberisch beynah, mit Knechten an?
MARCUS.
Vergib! den Herren ists von dem Gesetz
erlaubt, entwichne Sklaven, wo sie sind
zu greiffen. Daß ich Herr des Mädchens bin,
werd' ich beweisen. Das, was mich bewog,
durch Überfall mich ihrer zu bemeistern,
war ihre Freundschaft mit Icilen, Ihm,
dem mehr als jedes Recht, sein Vortheil gilt,
wär auch Gewalt und Mord der Weg dazu.
[278] Dem auszubeugen faßt' ich den Entschluß,
sie still und unvermuthet einzuziehn.
Und doch war meiner Vorsicht Nutzen klein.
Vermuthlich schon belehrt von meinem Recht'
auf seine – Freundinn, sprang bewaffnet er
sogleich herbey, entflammte gegen mich
des Volkes Zorn, und raubte mir, das Schwert
in kühner Faust, bey tausend Lästrungen
mein Eigenthum.
APPIUS.
Du hast dein Schwert gezückt?
ICILIUS.
Dem Bösewicht das Herz, ständ' er nicht ab
von seinem Frevel, zu durchbohren.
APPIUS.
– Gnug!
Die ganze Schuld des sträflichen Tumults,
und aller Folgen, trifft nur Den von euch,
Deß Anspruch auf das Mädchen ungegründt.
Erweise nun den deinen, Marcus! sonst
verdammt mein Urtheil Dich.
MARCUS.
Virginia –
aus Irrthum so bis diesen Tag genannt –
ist Dieser, meiner strafbarn Sklavinn Kind.
Ihr both vor der Geburt für ihre Frucht
die Gattinn des Centurio Virgin
sechs tausend Stück Sesterzien. Treulos schlug
die Sklavinn ein – und treulos brachte gleich
nach der Geburt – Der hier, der Sklavinn Mann,
der Käuferinn das Kind; und ward bezahlt.
Und Dieser hier, ein freyer Mann, bezeugt,
[279] daß dazumal sein Weib ein ganzes Jahr
im Hause Numitors, dem Nahmen nach
als Wärterinn des Kinds, doch insgeheim
als dessen Amme war. Zwölf Tage sinds,
daß mir der Mutter Reue den Betrug
entdeckte – den sodann auch diese beyden
bekannten und beschworen. Gab ihr Eid
mir nicht das Recht zu nehmen, was Gesetz
und Schicksal mir als Eigenthum verliehn? –
So war die Sache Herr! vernimm nun selbst
durch einen neuen Eid, und vor ganz Rom,
die Zeugen! – Mir hingegen, den der Himmel
mit Gütern segnet, bleibt nichts mehr zu thun,
als folgsam einem warmen Trieb des Herzens,
die Summe Geldes, die Virginius
durch diesen Kauf verlor, dem Ehrenmanne
verdoppelt zu ersetzen.

Er reicht dem Appius einen Beutel mit Geld.

Laß es Herr!
indeß für ihn verwahren.
APPIUS
indem er den Beutel nimmt, und einem Officier gibt.
Diese That
ist deines Nahmens werth. – Man nehme gleich
den Eid der Zeugen auf! hier öffentlich!
Nicht nur die Rechtenden, ganz Rom hör' ihn! –
Nun Numitor! was wendest du noch ein? –
Leg' in die Waag' Asträens ein Gewicht,
das dem Gewichte deines Gegners gleicht! –
Begehrst du noch Bestrafung seiner That?
NUMITORIUS.
– Herr! Alles was ich noch begehren muß,
ist Zeitverlängerung, Verschub des Eides.
Virgin, den dieser Eid unglücklich macht.
[280] ist wenig Meilen nur von Rom entfernt,
Sein Werth ist, wie ganz, Rom auch Dir bekannt.
Er blutet jetzt vielleicht für Rom und Dich.
Kann man in dieser Zeit ihm, unverhört,
ein Urtheil, ein so schmerzlich Urtheil, sprechen?
APPIUS.
Nützt' im geringsten nur der Aufschub ihm,
ich spräche: ja! Doch, was vermag er hier?
Er weiß nicht mehr als Du von dem Betruge
der Gattinn; und sein Schmerz wird noch ...
ICILIUS.
Sein Schmerz?
dich rührt sein Schmerz? Dich? – Wohl, ich glaube dir:
nur zeig' in Thaten erst uns dieß Gefühl!
Was Numitor begehrt, ist Billigkeit,
ist Pflicht. Vernimm den Vater erst, eh du
sein einzig Kind auf Anklag – eines Marcus,
ihm absprichst, und im Schattenreiche noch
die Gattinn ihm entehrst! Wer weiß, ist Ihm,
ist ihm allein, nicht irgend eine That
bekannt, ein Umstand, vortheilhaft für ihn,
ein Fall, der seiner Gegner Ungrund zeigt,
der ihren Meineid hemmt, und der Dich selbst
vor einem schrecklichen Vergehn bewahrt.

Es entsteht Bewegung und Geräusch unter dem Volk.
APPIUS.
Schweig Kühner! – Däuchst du dich vielleicht gleich Mir
als Richter hier zu seyn? – Selbst im Olymp
ist Einer nur!
ICILIUS.
Der aber niemals irrt!
In Rom dünkt Niemand noch sich unfehlbar.
[281] Du nennst mich kühn? ich bins! bin strafbar auch,
Wenn nicht der größte Theil der Edlen hier

Auf das Volk zeigend.

Mit Mir gleich denkt und fühlt. In ihren Blicken
erkenn' ich dieß Gefühl Auf Römer! sprecht!
sagt mit dem freyen Muth, der Römern ziemet,
ob ihr nicht Eines Sinnes mit mir seyd!
RUFFUS.
Ich bins!
QUINTUS.
Ich bins!
ALLE.
Wir Alle sind's!
ICILIUS.
Denk nun,
Decemvir, wie ...
APPIUS.
Genug! Ich hörte dich.
Dein Frevlermund, der Lästerungen Sitz,
hat nie für mich der Überredung Kraft.
Allein das Volk verlangt die Gegenwart
Virgins; was Dieß verlangt, beacht' ich stets.
Ich friste noch bis Morgen Meinen Spruch.
Fünf Stunden nur bedarf Virginius
zur Reise. Vibulan soll ihn sogleich
uns senden! Bis dahin bleib' Jedermann
in Ruh – versichert meiner untäuschbaren
und strengen Billigkeit!

Er will aufstehen.
MARCUS.
Herr! deinen Willen
– zwar höchst ungünstig mir – bestreit ich nicht.
Doch Herr! mein Recht, das als erwiesen, Kraft
schon vor dem Spruche hat, erlaubt, erheischt,
[282] daß ich das Mädchen jetzt in Meine Hut,
aus dem Besitze meiner Gegner bringe.
Ich nehme sie mit mir.
ICILIUS.
Nein Claudier!
bey allen Göttern schwör' ich, Nein!
MARCUS.
Willst Du
vielleicht der Schönen Hüter seyn?
ICILIUS.
Nicht Ich!
ihr Oheim, der den Vater noch vertritt.
MARCUS.
Wo freyer Zugang dir verstattet ist? –
Nein Herr! das geht zu weit! Ihm und ganz Rom
um Hohngelächter dienen will ich nicht.
APPIUS.
Das sollst du nicht. Nach altem Brauche wach'
indeß das Auge des Gerichtes über sie!

Zum Lucius.

Nimm in Verwahrung sie!
ICILIUS
indem er sie bey der Hand ergreifft.
Nein! Niemand soll
nur einen Augenblick sie mir entziehn!
APPIUS.
Ha Frevler!
ICILIUS.
Schein ich gleich das itzt zu seyn,
so bist doch Du Tyrann es mehr als Ich!
[283] Hört Römer, einen Plan des Frevels, nie
gehört! so wichtig für ganz Rom, als Mich!
Nicht unsre Freyheit nur ist in Gefahr,
auch eure Ehr' ihr Väter! eure Tugend
ihr Töchter! eure Ruh ihr Gatten! ists.
Der Bösewicht ...
APPIUS.
Lictoren! reißt ihn fort!
ein Sturz vom Felsen lähm' auf ewig ihm
die Lästerzunge! Fort!

Die Wachen ergreiffen ihn.
VIRGINIA.
O Himmel! Schon'
ihn Herr! bey Allem was dir heilig ist!
ICILIUS.
Könnt ihr das sehn ihr Römer? gebt ihr zu,
daß man mich tödtet, eh ihr mich gehört?

Die Wache will ihn abführen.
QUINTUS.
Laß uns ihn hören Appius! er will
von seinem Recht und unsrer Freyheit sprechen.
RUFFUS.
Wer das ihm wehret, ist ein Feind des Volks!
APPIUS.
Euch täuschen, Mich verleumden will er nur.
RUFFUS.
Dann stürz' er vom Tarpejer Fels, eh nicht!
APPIUS.
Auch Du Verwegner, willst gebieten hier?
[284]
QUINTUS.
Er fodert Billigkeit; es sprech' Icil!
ALLE.
Es sprech' Icil!
ICILIUS.
Vernehmt ihr Bürger Roms!
Der kühne Wüthrich, der Virginien
dem Oheim rauben und Mich tödten will,
strebt lange Zeit schon ihrer Ehre nach.
Nie hat die Höll' ein Mittel der Verführung
ersonnen, das nicht dieser Wollüstling
versucht. Umsonst bemüht, durch Ränke sie
in sein verfluchtes Netz zu ziehn, entwarf
mit seinem Freund und Kuppler er den Plan,
für dessen Sklavinn sie, durch Miethlinge
des Meineids zu erklären. Nun erwägt
ihr Römer! ob nicht Ehr und Freyheit Roms ...
APPIUS.
Genug ist! – Kein Rednerblumen – wie
du täglich, als des Aufruhrs Saamen, streu'st!
die Klag' ist angebracht! Beweise nun!
und Appius verdammt sich selbst – wo nicht –
den kühnsten der Verleumder, zu dem Tode. –
Kannst du durch sichtbare Beweise, Rom,
daß deine Klage wahr ist, überführen?
ICILIUS.
Dem Auge zeigbare, besitz ich nicht.
APPIUS.
Sahst Du, sah sonst Ein Römer jemals mich
mit Dieser sprechen? mich nur nähern ihr?
[285]
ICILIUS.
– Du sprachst durch Unterhändler.
APPIUS.
Nenne sie!
Ich will die Frevler sehn, die meinen Nahmen
mißbrauchten. Zeige sie! daß Ich – entlarvt
als Lügner sie, den Römern zeigen kann!
und ihr Verbrechen wird Entschuldigung
des deinigen.
ICILIUS.
– Sie sind nur Dir bekannt.
APPIUS.
– Verwegener! du hast den Tod verdient:
und sollst ihm nicht entgehn!
VIRGINIA.
Ach Appius!
verzeih! Ich bin es, Ich, die sterben muß!
Ich sag' ihm, daß man oft Auffodrungen
zur Lieb' in deinem Nahmen mir gebracht.
APPIUS.
Wer brachte sie?
VIRGINIA.
Mir Unbekannte, die ...
APPIUS.
Betrüger! – Doch ich merke deinen Zweck.
Du nimmst vergebens Theil an seiner Schuld.
Nur Er hat mich beschimpft: – nichts rettet ihn! –
Nun Römer! sagt' ich es euch nicht vorher,
Euch täuschen, Mich verleumden würd' er nur? –
Und doch begehrtet ihr mit Ungestüm
[286] von mir, den Lästerer zu hören? Ihn,
der nie den Mund eröffnet, als um Gift
auf mich und meine Handlungen zu hauchen?
Ihn, der mich hassen muß, weil aufmerksam
auf jeden seiner Schritt', ich glücklich schon
so manch Geweb des Aufruhrs ihm zerstörte? –
Doch – eure Neugier, Römer nützet mir:
sie schafft mir Licht, sein Herz euch zu beleuchten.
Fehlt es ihm an Beweisen wider Mich,
Mir fehlt es nicht daran, wie schamlos er
mir Liebe für dieß Mädchen angedichtet,
euch darzuthun. Nur muß erst Marcus Sache,
die listig er zu unterbrechen sucht,
entschieden seyn!
MARCUS.
Verzeih, o Herr! Warum
ließ' Appius aus Eifer sich herab,
was schon erwiesen ist – die Lüg' Icils –
noch Einmal zu beweisen? Wäre sie
selbst Wahrheit – brächte sie wohl Vortheil ihm?
Hätt' er auf meine Sklavinn denn mehr Recht,
wenn deiner Liebe du sie würdigtest?
und daß sie Sklavinn ist, hab ich gezeigt.
APPIUS.
Auch würd' ich, angeklagt von Jemand andern,
mit diesem Siege mich begnügen, und
gehüllt in meine Unschuld – ihm verzeih'n.
Bey Diesem Gegner ist das nicht das Ziel,
wo Roms und meine Rache ruhen darf.
Sein Tod nur ists – die lang verschobne Strafe
des Meuterers, der Zwist und Unheil schon
so vielmal unter uns gebrütet hat;
dem Rathschlüss' und Gesetze Spielwerk sind;
[287] der täglich Rom in seinen Häuptern schmäht
und Spott auf unsre Staatsverfassung wirft;
der – um ein Mädchen – heut vielleicht den Staat
in Aufruhr, Rom in Brand zu setzen waget.
Zwar könnt' ich – trotz dem Anhang, der dich stützt,
sogleich, Verleumder, dich zur Strafe ziehn;
Doch bis zum Ausgang Seiner Sache

Des Marcus.

sollst
du leben! frey, selbst Augenzeuge seyn!
Noch mehr! bis morgen kann Virginia
in ihres Oheims Haus – doch ohne Dich

Den Icil.

zu sehn, verbleiben.
MARCUS.
Herr! soll ich nun sie,
die jetzt vom höchsten Werthe für mich ist,
dem Oheim, der nicht Oheim ist, vertrau'n?
Wer leistet Bürgschaft mir?
NUMITORIUS.
Ich selbst!
MARCUS.
Bist Du
mir Mann?
ICILIUS.
Ich bürge mit!
RUFFUS
indem er den Arm empor strecket.
Auch ich!
DAS VOLK
eben so.
Wir alle!
APPIUS
indem er aufsteht.
Genug ihr Bürger Roms! verlasset nun
ohn' Aufenthalt das Forum; ich will selbst
der Letzte hier verbleiben! meidet es
bis morgen zu der Stunde des Gerichts,
damit Roms Ruh indeß kein Zufall störe!

Alle gehen auf verschiednen Orten ab.
6. Auftritt
[288] Sechster Auftritt.
Appius, Lucius, Lictoren, und Wachen.

APPIUS
indem er vorwärts gehet.
Ha Lucius! kaum kenn' ich mich vor Wuth!
Mir solchen Schimpf? Mir diesen kühnen Trotz –
von diesem Volk – das zitternd sonst mich hörte?
Mir Appius?
LUCIUS.
Gewiß Herr! gegen Dich
erhob die Frechheit nie das Haupt so hoch. –
Doch alles übels Grund ist bloß Icil.
Wird nur – doch so behutsam und geheim
wie Siccius – Er aus der Welt geschafft,
so trotzet sicher dir kein Römer mehr.
APPIUS.
Er sterbe! Doch nicht jetzt. Rom würde – leicht
errathend das Geheimniß seines Todes –
mir fluchen. – O Virginia! welch ein
verhaßter Damm stellt zwischen meine Wünsche
und deine Reize sich! – Doch will ich hin,
und müßte Blut von Tausenden die Bahn
bezeichnen! – Lucius! besorge du,
daß die Besatzung ganz vom Capitol
zum morgigen Gericht herunter rücke!
Hätt' ich dieß Mittel heut schon angewandt,
so wär' Icil nicht mehr – Ich im Besitze
Virginiens. Gezwungen spielt' ich da
den Nachsichtsvollen, um in Einem Spiele
nicht alles zu verlieren. Jedes Volk
ist furchtbar, wann es sich gefürchtet glaubt,
und zittert, wann es selbst zu fürchten hat.
[289]
LUCIUS.
Auch räth die Gegenwart Virgins, noch mehr
auf Vorsicht zu ...
APPIUS.
Die Gegenwart Virgins?
Nein Lucius! Die stört uns sicher nicht.
Ich müßte Mündling noch an Klugheit seyn.
Sogleich verfüg' ich es, daß Vibulan
die Reise des Virgin vehindre, bis –
ein Trank auf ewig mich von ihm befreyt.
Auch werde gleich der Zugang in die Stadt
durch ausgestellte Mörder ihm gesperrt,
die – glückt ihms auch dort zu entfliehn – ihn hier,
verkappt als Räuber, tödten! – Lucius!
Kann ich auf deinen Dienst auch hierin bau'n?
LUCIUS.
Auch auf die klügste Wahl der Miethlinge!
APPIUS.
Besorge das! – Den Marcus wünsch' ich nicht
zu sehn, eh Dunkelheit der Nacht ihn mir
verborgen bringt. – Ha Rom! umsonst erboßt
dein kühner Pöbel sich! Du bist zu schwach,
der Wünsche feurigsten mir zu vernichten!

Alle gehen ab.

Ende des zweyten Aufzugs.


Es wird Racht, doch nur durch Verdunklung der vordern Lampen-Reihe.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Ruffus, Quintus und einiges Volk, welches sich dann allmählich vermehrt.

QUINTUS.
Bist du es Ruffus?
RUFFUS.
Ja Freund!
QUINTUS.
Sahst du schon
Icilen?
RUFFUS.
Nein! und weiß auch nicht, was ihn
vor Tages Anbruch schon bewogen, uns
hierher zu bitten.
QUINTUS.
Trotz des Appius
Verboth! – ist das nach Deinem Dünken nicht
ein zu gewagter Schritt?
RUFFUS.
Das scheint er. Doch
gewiß ists, das Icil nichts unternimmt,
[291] was nicht auf der Plebejer Vortheil zweckt.
Und an den Beyfall des Decemvirs, liegt
seit gestern wenig mir – beschenkt' er auch
mich zehnmal mit sicilischem Getreide.
QUINTUS.
Auch Mir mißfiel sein gestriges Verfahren,
ob er sich gleich mit viel Beredsamkeit
rechtfertigte.
RUFFUS.
Rechtfertigte? – Glaub Freund!
der meiste Trug in Rom geschieht durch Zungen. –
Doch sieh! er kömmt.
QUINTUS.
Mit Fackeln? ein Beweis,
daß die Versammlung kein Geheimniß ist.
2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Icilius mit zwey Fackelträgern, einem am Kopfe verwundeten Sklaven, und einigem Volke. Die Vorigen.

ICILIUS.
Dank euch, ihr Freunde! Dank, daß euer Ohr
auch dießmal meinen Ruf so willig hörte!
Ich wünsch' in Dingen, wichtig für ganz Rom,
mir euern Rath.
RUFFUS.
Die Meinung nur Icil!
das Rathen bleibe stets Dir vorbehalten!
Doch – deinen überlauten Ruf, Icil,
wird Appius ihn nicht mißbilligen?
[292]
ICILIUS.
Gewiß mißbilligt ihr den Anlaß, den
er selbst dazu mir gab, nicht weniger.
Ihr Römer kennt ihr diesen Blutenden?
QUINTUS.
– Wer ist er?
ICILIUS.
Ein getreuer Knecht Virgins.
RUFFUS.
Virgins?
ICILIUS.
Virgins! das heißt wahrscheinlich jetzt:
Knecht eines todten Herrn.
RUFFUS.
Todt? todt Virgin?
ICILIUS.
So todt, unfehlbar, als mein Bruder, mein
geliebter Bruder, der zugleich mit ihm
gemordet ward, und diesen Augenblick
in meinen Armen starb.
RUFFUS.
Dein Bruder todt?
QUINTUS.
O schreckenvolle Nachricht!
ICILIUS.
Hört den Gräul,
desgleichen man in Rom noch nie gehört! –
Gleich gestern nach des Marcus Angriff auf
Virginien, schickt ich den besten Bruder
mit dieser Nachricht zum Virginius.
Sein Kind zu retten, brach der zärtlichste
[293] der Väter unverweilt mit meinem Bruder
und dem getreuen Knecht von Algid auf.
Kaum tausend Schrittte noch von Rom entfernt,
bemerken sie, dicht an der Straße, sechs
Bewaffnete. Sie zücken nun ihr Schwert.
Sogleich fragt Einer: Ist nicht unter euch
Virginius? – Wer seyd ihr? spricht Virgin.
Er ists! ruft Einer – als ein Andrer schon
den tapfern Mann durchbohren will. Doch Er
lenkt ab den Stoß, indem des Mörders Haupt
mein Bruder spaltet. Aber ach! Den stößt
ein Andrer mit der Lanze von dem Pferd',
und bringt ihm liegend noch vier Wunden bey.
Beynah zugleich stürzt man den Diener auch
durch einen Schwertstreich auf den Kopf, vom Roß.
Man glaubet Beyde todt. Virginius
bleibt itzt allein im Kampf mit Fünfen. Schließt
auf sein Geschick – das jetzt noch unbekannt! –
Nach einer Weil' erhohlet sich der todt
geglaubte Diener: denn sein Zustand war
Betäubung nur von einem harten Streiche,
der doch zum Glück, nicht eindrang. Er sieht nun
nicht seinen Herrn, und nicht die Mörder mehr.
Mein Bruder nur liegt sterbend da. Den nimmt
der edle, treue Sklav' auf seine Schultern,
und trägt, selbst blutend, ihn bis in die Stadt.
Doch ach! er ist nicht mehr! Von meiner Brust
rafft' ihn, ihr Römer, mir der Tod hinweg.
Kaum hatt' er Kräfte, mich Unglücklichen,
mich Mitursach' an seinem frühen Tode,
noch seiner Liebe zu versichern, und
um Rache seines Bluts, die Höllengötter
noch anzuflehn!
[294]
RUFFUS.
O Gräul!
QUINTUS.
Beym Jupiter!
wie du gesagt, in Rom noch nie gehört!
ICILIUS.
Und Wo gehört? – Nun Römer, euern Rath!
Mein Bruder und Virgin sind euch bekannt:
däucht dieser Edlen Mord nicht sträflich euch?
RUFFUS.
Ward ein so sträflicher noch je verübt?
QUINTUS.
Gewiß nicht!
ICILIUS.
Doch an Wem soll man ihn strafen?
Wer scheinet wohl der Thäter euch zu seyn?
RUFFUS.
Der Schein sagt, Marcus!
ICILIUS.
Nein! sagt, Appius!
sagt, der Tyrann, deß Kuppler Marcus ist –
der ohne nur den Vater eh zu hören,
die Tochter in des Kupplers Hand zu spielen
getrachtet, bis mit Ernst Ihr es verwehret.
QUINTUS.
Für wahr! den Appius trifft mehr Verdacht,
als deinen Gegner selbst. – O schwarze That
vom mächtigsten der zehn Beherrscher Roms!
[295]
ICILIUS.
Nur leider! nicht die letzte dieser Art,
sind wir noch länger feig genug, das Joch
der zehn verbündeten Tyrannen Roms
zu tragen, feig genug den Wüthrichen
Roms Freyheit, Glück und Ehre preis zu geben.
Und Wer ist seines Glückes sicher – Wer
des Lebens nur, da nicht Virgin es war?
Wer kann noch für ein Gut sein Daseyn schätzen?
Wer wünschen, Kinder für den Staat zu zeugen,
darf ungestraft ein mächt'ger Wüthrich ihm
die Söhne morden, und zur geilen Lust
die Töchter rauben? – Sagt, ihr Bürger Roms!
Zu welchem Zweck habt ihr die Könige
verjagt? War's ihre Laster einst von andern
Tyrannen höher noch getrieben, Euch
noch tiefer unters Joch gebeugt zu sehn?
War nicht Ein Wüthrich euch erträglicher
als Zehn – als tausend denn, empfindet ihr
den Druck all ihrer Anverwandten nicht,
der unersättlichen Patrizier,
die eure Güter euch aus Habsucht rauben,
und euch aus Stolz verachten? Beydes dürfen,
seitdem euch Appius, in den Tribunen,
den Zaum aristokratscher Macht entriß. –
Und Was denn, welch Verdienst hebt über Euch
die stolzen Wüthriche so hoch empor?
Ists Tapferkeit? O zählt den feigen Schwarm
der ihrer Pflicht vergeßnen Optimaten,
die sich dem Krieg entziehn und Schamlos, Rom
und sich, von uns Plebejern schützen lassen.
Ists Liebe für das Vaterland? Weht wohl
ihr Geist in denen, die dem Vaterlande
bald Sicciuse, bald Virgine morden?
[296] Die Haufen Golds zu sammeln, Nebenbürger
zu Bettlern wuchern; die wie Marcius, 1
Roms Feinden wider Rom als Führer dienen? –
Sinds andere Tugenden? O Tugend! kennt
die zügellose Brut, so lange schon
in Rom der Sitten Pest, und jeder Art
Lasters Beyspiel, deinen Werth? –
Doch warum sprech' ich noch von Dingen euch,
die Jedem so bekannt sind als mir selbst?
Wer fühlt den Unwerth der Tyrannen Roms
nicht eben so, wie ihre Tyranney?
Sie zu vernichten sey jetzt unser Zweck!
und dazu beuth sich uns Gelegenheit.
Hört Freunde! dieser Mord kann in ganz Rom
nur Ein Gefühl, nur Einen Trieb erregen:
Tyrannenhaß und Rache! Jetzt schon denkt
Roms größter Theil wie wir. Der Tod Virgins
ist Zunder für ein allgemeines Feur
im ganzen Staat. Nur Einen muth'gen Streich
zum Zeichen der Entschlossenheit! so stürzet
der zehenköpfige Koloß, die Schmach
und Geißel Roms, noch heut zu euern Füssen.
Auf Brüder! Laßt uns aus der Knechtschaft Schoos
entfliehn, und heute noch die heil'ge Höh',
schon unsern Vätern einst der Freyhet Wall,
besteigen – laßt alldort uns standhaft harren,
bis von dem Joch der Zehner wir befreyt,
wir wieder Römer sind – und im Triumph
zurücke kehren, Dank für unser Glück
den großen Göttern zu entrichten! kommt!
Laßt uns vertheilt, nach unsern Wohnungen
hineilen, stets mit lautem Ruf den Mord
Virgins, und unsern Zweck verkündigend!
[297] Laßt uns die beste Hab' und Gattinnen
und Kinder, so behend den sieben Hügeln
entführen, daß wir eh den Anio
erreichen, als Gewalt uns hindern kann;
daß Roms Tyrann schon bey dem heutigen
Gericht, nicht Einen echten Römer sehe! –
Kommt! – – Doch – ihr regt euch nicht? ihr schweigt? – Erklärt
mir Freunde dieß! Mißfällt mein Vorschlag euch?
– Sprich edler Ruffus!
RUFFUS.
Mir, Icil, mißfällt
kein Vorschlag, zweckend auf Tyrannensturz.
Doch Dieser Vorschlag – ist er nicht bedenklich?
Zu wahr nur leider! ist die Schilderung,
die du von unserm Zustand uns gemacht:
auch wahr, daß jedes Römers Pflicht es ist,
sich von der Knechtschaft Ketten los zu reiffen.
Doch ists nicht Übereilung, um den Tod
Virgins, aus Rom zu fliehn, eh man mit Grund
ein Werk des Appius ihn nennen kann? –
Gesetzt, der Schein betrög', und Appius
erwiese schuldlos sich: wie wenig blieb'
uns dann zu hoffen von des Heeres Beystand!
Wir wären nicht, beym grösten Muth und Glück,
vermögend uns vor des Decemvirs Macht ...
ICILIUS.
So zweifelst du, daß Er der Mörder ist?
RUFFUS.
Ich glaub' es, – doch, kann bloßer Glaube da,
wo selbst der leuchtendste Beweis noch kaum ...
3. Auftritt
[298] Dritter Auftritt.
Virginia. Albina. Die Vorigen.

VIRGINIA.
Ah Römer! wer ihr immer seyd! entdeckt ...
ICILIUS.
Virginia!
VIRGINIA.
Ha mein Icil! – ists wahr,
wahr das entsetzlichste Gerücht, es sey
mein Vater, der verehrungswürdigste
der Väter, auf der Straß' ermordet worden?
– Du schweigest – Götter!

Sie sinkt Albinen in die Arme.
ICILIUS.
Hilf o Himmel! hilf
der edelsten und tugendhaftstes Seele,
womit die Schöpfung je geprangt! – O Freunde!
Seht hier, wohin in Rom die Tugend führt!
Seht am Decemvir, was das Laster gilt!
RUFFUS.
Unglücklichs Paar! wie jammert mich dein Loos!
ICILIUS.
Virginia! – – blick auf geliebte Braut!
Icil, dein zärtlicher Icil, fleht dich darum!
VIRGINIA.
Icil? – – Mein Vater todt – gemordet todt?
O Himmel! lohnest du der Tugend so? – –
Wer? Wer hat ihn gemordet?

Zum Ruffus.

Du? doch nein!
[299] du bist der edle Mann, der gestern mich
ergrimmten Löwen aus den Klauen riß,
– Du hast nicht wohl gethan, zu güt'ger Freund!
Ohn deinen Beystand wär' ich schon erblaßt,
und Er, mein lieber Vater, lebte noch!
– Doch – habe Dank! du dachtest gut für mich. –
Nur hilf itzt, edelmüthger Mann, mir auch
den Vater rächen! Sieh! sein Schatten schwebt
um mich! ruft laut mir Rache zu! hilf mir
ihn rächen! hilf mir! ich beschwöre dich! –
Komm!
ICILIUS.
Ach Virginia! erhohle dich!
VIRGINIA.
Erhohlen? – Sollt' ich das bedürfen? – Ha!
du glaubst, ich schwärme? – nein Icil! – Ist denn
der Trieb, des Vaters Mord zu rächen, nicht
der Tochter Pflicht? – Doch mein Geliebter! sprich:
was brachte dich hieher? Vergaßt du denn
daß Mich zu sehn, dir nicht verstattet ist?
Fleuch mein Icil! dein Gegner Appius
ist mächtig; mit dem Felsen droht er dir:
Er kann im Grabe Mütter noch entehren,
und Väter morden, um die Töchter dann
zu schänden. Schrecklich! – Doch beym Jupiter!
das Letzte wird er nicht! das schwache Mädchen
weiß noch ein Mittel, unentehrt zu sterben.
Zur Rache nur, zur Rach' ist sie zu schwach –
denn Thränen rächen nicht solch Blut. – Zu schwach?
– O Nein! brauch ich denn mehr als einen Dolch
und Muth? Besitz' ich Beydes nicht schon itzt?
Ja Vater, heiligster der Schatten! ja!
Schon eil' ich hin zu deinem Mörder, ihm
[300] den Dolch ins Herz zu stoßen! stärke Du
nur meinen Arm, mein Muth ist stark genug!

Sie will fort.
ICILIUS
indem er sie zurückhält.
Virginia! bey allen Göttern! bleib!
Willst du dem Bösewicht, der auf dich lauert
selbst in die Schlinge gehn? –
VIRGINIA
sich besinnend.
Nein! – – nein Icil! –
Das wäre schrecklich! – Doch – – Ah mein Verstand! –
ICILIUS.
O Römer! rührt euch Alles dieses nichts?
QUINTUS.
Ganz werde der zu Stein! den es nicht rührt!
ICILIUS.
Wohlan! helft mir sie retten, edle Freunde!
das Mittel sagt' ich euch.
VIRGINIA.
Mich retten? Sie?
Könnt ihr es Römer? O so rettet mich!
für Ihn, für den Geliebten, rettet mich!
Nur Römer! Laßt den ersten Schritt zur Rettung
des Vaters Rache seyn: Versühnen wir
nicht seinen Geist, so bleibt kein Heil für mich.
ICILIUS.
Mein Vorschlag führt zu Beydem uns zugleich.
VIRGINIA.
O dann ihr Römer, rettet mich! Entreißt
dem Unthier mich, das mich verschlingen will!
[301] Euch lohnen kann ich nicht; ich habe nichts
als Thränen und ein dankbars Herz. Allein
ich weiß, ihr liebtet meinen Vater, liebt
Icilen, und bewahret Herzen in der Brust,
die fühlbar für das Leid der Unschuld sind.
O seht mich knieend euch um Hülfe flehn!
Nicht nur für Mich, für alle Töchter Roms,
für eure Töchter und Gemahlinnen,
beschwör' ich euch um Schutz: denn aller Ehre
wird gleich der meinigen bedroht. Verschmäht
des Unglücks Thränen nicht, ihr edlen Seelen!
und laßt mich nicht des Lasters Beute werden!
RUFFUS
indem er sie aufhebt.
Halt ein Virginia! du folterst mich,
durchbohrst mit jedem Worte mir das Herz!
Ich kann nicht widerstehn. Icilius!
ich folge deinem Rath.
QUINTUS.
Auch Ich, Icil!
und hießest du mich nach dem Orkus zieh'n
ICILIUS.
An meine Brust ihr Freunde.

Er umarmet beyde.
Zum Volke.

Ganz gewiß
regt, Brüder, sich in euch ein gleich Gefühl?
EINIGE VOM VOLK.
Ja!
ALLE.
Ja!
RUFFUS.
Wohlan! in größter Eile nun
zu Werk! Auf Wiedersehn am Anio!

Indem sie eben auseinander gehen, kommt Virginius.
4. Auftritt
[302] Vierter Auftritt.
Es wird Tag.

Virginius mit einem Bürger. Die Vorigen.

VIRGINIUS.
Weilt Römer! weilet noch!
RUFFUS.
Virginius!
ALBINA, ICILIUS, QUINTUS zugleich.
Virginius?
VIRGINIA.
Mein Vater!

Sie eilet ihn zu umarmen.
VIRGINIUS.
O mein Kind!
Dich seh ich wieder! seh trotz den Entwürfen
der Hölle, dich noch frey! – noch unbefleckt?
VIRGINIA.
Ja liebster Vater, ganz noch Deiner werth,
sonst hättest du nicht lebend mich gefunden.
VIRGINIUS.
Dank Himmel! ich erkenn' an diesen Worten
die Tochter – spräche sie ganz Rom mir ab!
Noch Einmal, liebes Kind, an meine Brust! –
Und Du Freund, ohne den schon tochterlos
ich wäre, Du mein Sohn! laß dich umarmen.

Sie umarmen einander.

Doch sprich Icil – ich zittre bey der Frage! –
weißt du vom Schicksal deines Bruders nichts?
ICILIUS.
Ach Alles, Herr – bis an sein Ende!
[303]
VIRGINIUS.
Götter!
ICILIUS.
– Dein guter Diener

Er zeigt auf ihn.

bracht' ihn – sterbend mir.
VIRGINIUS.
O Himmel! – um sein Blut floß Meinetwegen!
ICILIUS.
Floß aller Römer, und der Freyheit wegen.
Und deßhalb gibt ihm Rom – sie hier! – auch Rächer.
Doch Herr! durch welches Gottes Hülf' entgingst
Du selbst dem dir gelegten Todes Netze?
VIRGINIUS.
Gewiß, mich retten konnte nur ein Gott! –
Furcht schreckte mir die Mörder in die Flucht,
nachdem ich zween davon erleget hatte.
Aus Vorsicht wand ich dann mich ab vom Weg',
und traf durch Nävia hier glücklich ein.
VIRGINIA.
Am glücklichsten für Mich, die nun die Hand
noch küsset, die man schon erstarrt geglaubt!
VIRGINIUS.
Befried'ge nun Icil, auch meine Neugier!
Von den Ereignissen des gestrigen
Gerichts bin ich durch diesen Freund belehrt:
Entdecke Du mir, was seinem geschah!
ICILIUS.
Nebst dem begangnen Mord, ist vom Bemühn
der Gegner mir nur dieß bekannt! daß heut
[304] zum erstenmale während des Gerichts
die ganze Krieger-Schaar des Capitols
das Forum wird besetzen. Ihren Zweck
errieth man leicht. Doch desto schwerer wars,
eh die so nahe Donnerwolke bricht,
ein Schutzdach, stark genug zum Widerstand,
zu finden. Alle meine Sinneskraft
entdeckte nur Ein Rettungsmittel noch,
und dieß ist: schnelle Flucht.
VIRGINIUS.
Flucht?
ICILIUS.
Flucht!
VIRGINIUS.
Wohin?
ICILIUS.
Nach der beglückten Höh', auf welcher Rom
schon Einmal Rettung, Glück und Freyheit fand.
Die Edlen alle hier, entflammt wie mich
ein heißer Trieb, den Schimpf, den dieser Frevel
auf Alle wirft, an der tyrannschen Macht,
die solche Frevel wagen darf, zu rächen,
und das Panier der Freyheit aufzustecken.
Der Augenblick, da wir dich wiederfahn,
war eben der, da wir uns trennten, um
das große Werk in Eile zu beginnen.
Und dein vermeinter Tod, der Rache schrie,
war nicht das schwächste Triebwerk des Entschlusses.
Doch Himmel! habe Dank! du schenkst ihn uns,
den weisen, tapfern Mann! du schenkst ihn uns,
des großen Werkes Seel' und Arm zu seyn!
VIRGINIUS.
Ich bin entzückt, ihr großmuthvollen Freunde,
daß ihr mein Blut der Rache werth geachtet.
[305] Begehrt! ich bin bereit für euer Wohl
es hinzugeben – Doch Icil! den Zweck
aus Rom zu fliehn – kann ich nicht billigen.
Ich kenne ganz dein edles, zärtlichs Herz:
Virginiens Gefahr hat es empört.
Doch Sohn! soll sie zu retten, denn kein Mittel
als dieß gewaltsame, mehr übrig seyn?
Muß man vor eines Wollüstlings Versuchen
die Tugend eines Weibs bewahrt zu sehn,
ganz Rom erschüttern? Wunden gar vielleicht
dem Vaterlande schlagen?
ICILIUS.
Vaterland? –
Hat ein im Staube lechzend, an den Ketten
unmenschlicher Tyrannen kriechend Volk
ein Vaterland? O dieß uns Römern einst
so heil'ge Wort wird kaum von Zungen noch
genennt, von Hrrzen nicht gefühlt. Nur dort,
Virginius, wohin Roms bester Theil
mit uns sich flüchtet, kann von neuem uns
ein Vaterland entstehn – unmöglich hier
im Sitz der Sklaverey, der Furcht und Schande.
Man seh, wie tief herab das schwere Joch
der Zehner, jede Seelenkraft in Rom
schon drückte! Was nicht schon durch Sie geschah,
vollführt der Optimaten Übermuth.
Des Staats Umkehrung nur kann auf die Höh',
wo jetzt das Laster steht, die Tugend bringen.
Ist diese wichtige Veränderung
nicht des Versuches werth? und kann dazu
ein Zeitpunkt günstiger als Dieser seyn?
VIRGINIUS.
Du irrst, mein Sohn. Der Zeitpunkt des in Rom
so tief gesunknen Muths begünstigt nicht
[306] Versuche, die des höchsten Muths bedürfen.
Ein Schritt, so wichtig Tausenden, so kühn
wie dieser ist, sey nie der Hitze Werk! –
O wüßtest du, wie groß, im Heere selbst,
Gewalt und Ansehn der Decemvirn ist!
Wie muth'ge Krieger dort – die Augen ganz
für der Tyrannen Unwerth offen – sie
verachtend – doch auf ihre Winke sterben!
ICILIUS.
Wie? die Mißhandlung des gepriesensten
Centuriers, sollt' unsre Krieger nicht
zur Rach' entflammen? sollt' ...
VIRGINIUS.
Ich wag es nicht,
in dieser Hoffnung dich zu stärken. Zwar
verließ ich nicht die Legion, ohn' erst
den Mitcenturiern und besten Freunden
mein Leid zu klagen: und ich zweifle nicht,
daß sie mit Nachdruck es dem Heere schildern.
Allein wer weiß, ist unfruchtbares Mitleid
nicht Alles, was ihr Eifer mir bewirkt! –
Wär' es nicht kühn, dem Appius zu trotzen,
eh dort für uns ein Stern der Hoffnung strahlt? –
O nein! kein Römer geb um Meinetwillen
sein Glück, nur seine Ruh, dem Zufall preis!
Der Schritt, den ihr zu wagen euch entschloßt,
setzt Aller Glück und Leben in Gefahr.
ICILIUS.
Wer achtet es dieß Leben voller Schmach?
Nur Sklaven können das; und Sklavenleben
hat keinen Werth. Wer römisch fühlt, der zieht
den schreckenvollsten Tod der Knechtschaft vor.
VIRGINIUS.
Ja mein Icil! und Niemand mehr als Du.
[307] Auch schätz' ich dich vor Tausenden. Ich gab,
als meine Wahl zum Eidam dich erkohr,
Beweis davon. Doch diesmal entbrannte
dein Muth zu schnell. Hätt' Übereilung nie
Gefahr und Reu gezeugt; hier würde sie's.
Der kluge Schiffer sticht beym Gegenwinde
nicht in die See; er harrt auf günstigen:
Laß ihn dein Beyspiel seyn! Es kömmt die Zeit,
da Rom mit weniger Gefahr als itzt
sein Joch zertrümmern und uns rächen wird.
Vom Stolz getrieben, schreitet Herrschbegier
so hastig stets und unbedachtsam fort,
daß endlich sie zum Abgrund kommen muß,
der ihren Sturz vollendet. Roms Tyrannen
gelangen sicher bald an dieses Ziel.
Und hielt' im frechen Lauf – Zevs wolle dieß! –
ein edles Reugefühl sie noch zurück;
O desto besser! Glaubt, ihr Freunde, Ruh'
im Staat' ist jedes Bürgers Erstes Glück,
und muß der Erste seiner Wünsche seyn.
Von hundert Staatsverändrungen – auf Bergen
von Bürger-Leichen oft errichtet – frommt
kaum Eine der erschlagnen Väter Kindern.
Zwar ists – ich fühle das! – ein hartes Loos,
sein Leben unterm Druck unwürdiger
Tyrannen zu verseufzen: doch, Geduld
und Hoffnung sind ein Balsam kranker Seelen,
der gegen jedes Leid sie mächtig stärkt.
Auch strafen Götter oft an einem Volke
Verbrechen durch den Arm der Staatsbeherrscher.
Das lehrt uns Nachsicht gegen diese brauchen,
und lehrt, das Böse, das an uns sie thun,
als Fügung höhrer Macht, nach Möglichkeit
erdulden.
[308]
ICILIUS.
Ja Virgin! Doch bleibe uns jetzt
noch diese Möglichkeit? Erwägst du nicht
daß sich die Stunde des Gerichtes nähert?
Unglückliche Geliebte! nur auf Dich
vergißt dein Vater bey den Gründen, die ...
VIRGINIA
ihrem Vater die Hand küssend.
O Nein Icil! Dieß kann der gütigste,
der beste Vater nicht! du irrest ...
VIRGINIUS.
Ach!
Was läge, nebst dem Vaterlande, mir
so nah am Herzen wie mein liebes Kind?
Sey doch aus Zärtlichkeit nicht ungerecht
mein Sohn! Noch ward nicht Alles für ihr Heil
versucht – von Mir noch Nichts! Ich sah noch nicht
den Appius; hab' es doch nicht versucht,
ihm Edelmuth und Tugend in das Herz
zu sprechen, nichts versucht, die Leidenschaft,
von der man seine Brust entflammet glaubt,
zu mäßigen. Erinnrungen des Vaters,
für dessen Tochter er von Liebe glüht,
sind wirksamer für ihn, als Drohungen
des Nebenbuhlers, den er stets gehaßt.
Und wäre seine Brust von Erz, mein Flehn,
gestützet durch die Kraft so starker Gründe,
wie meine sind, durchdringet sie gewiß.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Lucius. Mit Wachen. Die Vorigen.

LUCIUS.
Ihr Römer! Appius gebietet euch
[309] bey der Bedrohung seines schweren Zorns
das Forum zu verlassen. Zum Gericht
wird heut der Tuba Schall vom Capitol
den Ruf verkündigen. Die vor der Zeit
auf irgend einem Platz in Rotten sich
versammeln, machen sich als Meuterer
des Todes schuldig. Trennt euch unverweilt!
sonst folgt sogleich der Warnung Strafe nach.

Einige Römer gehen ab.

Nur Du Centurio, bleib noch! Es kömmt
mit dir zu sprechen der Decemvir her.
VIRGINIUS.
Ich ehre sein Geboth. – Virginia!
verlaß mich nun! und nimm mit diesem Kusse
des Vaters Segen!

Virginia und Albina gehen ab.

Ihr, ihr edlen Freunde.
folgt meinem Beyspiel nach! gehorcht!

Die übrigen Römer gehen ab.
Virgin, indem er Icilen umarmt.

Icil!
mein theurer Eidam! – bald siehst du mich wieder.
ICILIUS.
Ich schweige – denn du willst's – Leb wohl!

Icil geht ab; Lucius ebenfalls, aber an einem andern Orte.
VIRGINIUS.
Leb wohl!
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Virginius. Wachen.

VIRGINIUS.
Er kömmt mit mir zu sprechen? – Zuviel Huld!
– vielleicht, zu tücksche List! – doch stets erwünscht!
Nicht lange mehr, so liest mein forschend Aug'
in seinem eignen Herz, was wahr und falsch
[310] an der erschrecklichen Vermuthung ist.
O Himmel! leg in diesem Augenblick
der Überredung Kraft in meinen Mund,
und Menschlichkeit in das verderbte Herz
des übermüthigen Decemvirs! – Doch –
wie rasch naht er sich schon!
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Virginius, Appius, Lucius, Lictoren. Appius geht vorwärts zum Virgin; Lucius und die Lictoren treten zurück zu den Wachen.

APPIUS.
Virgin! kamst du
nach Rom die Tochter zu vertheid'gen, oder
ein Haupt strafbarer Meuterer zu seyn?
VIRGINIUS.
– Ich kam als Bürger Roms – der Vater ist.
APPIUS.
Der echte Bürger flieht Tumult im Staate.
VIRGINIUS.
Drum löscht' ich eben jetzt ein wider dich
im Volke lodernd Feur.
APPIUS.
– Nicht für die That,
doch für den Willen dank' ich dir: er zeigt,
daß ich mit Recht dich schätze. – Doch Virgin!
ist dir des Marcus Fodrung schon bekannt?
VIRGINIUS.
Ja Herr!
APPIUS.
Auch seine Rechtsbeweise?
[311]
VIRGINIUS.
Ganz!
APPIUS.
Was wirst du seiner Klag' entgegen setzen?
VIRGINIUS.
Vor Allem die Gerechtigkeit des Richters.
APPIUS.
Die handlet leidend. Des Gesetzes Diener,
vollzieht der Richter, was ihm Dieß gebeuth.
Und das Gesetz, Virgin spricht für den Marcus.
VIRGINIUS.
Vor des Betrugs und Meineids Täuschung mehr
bewahret – spräch' es sicher wider ihn.
APPIUS.
Des Marcus Zeugnisse sind unverwerflich.
VIRGINIUS.
Man liefre nur die Zeugen Mir, so wird ...
APPIUS.
Wer darf es? – Träume nicht Unmöglichkeiten!
Such Hülfe dir, die das Gesetz erlaubt! –
Weißt du zur Wehre dir nicht stärkre Waffen
als die, womit schon Numitor gestritten?
VIRGINIUS.
Wo fänd' ich sie? Wo fänd' ein Andrer sie,
dem irgend ein meineid'ger Bösewicht,
nach dieser Art sein Kind zum Sklave schwöre?
Kann so nicht Jeder ohne Scheu Gesetz
und Wahrheit äffen?
APPIUS.
Ich beklage dich,
bedrängter edler Mann!
VIRGINIUS.
Beklagen nicht,
ihm helfen mußt du Herr, dem edlen Manne.
[312]
APPIUS.
Ich wills – und weiß ein Mittel – doch nur Eins!
VIRGINIUS.
Ach Herr!
APPIUS.
Ein Mittel, das Virginien
– sie sey nun deine Tochter oder nicht! –
errettet, und zugleich Befördrung dir
für manch noch unbelohnt Verdienst verspricht.
VIRGINIUS.
Wie Herr?
APPIUS.
Dein Gegner Marcus gab schon oft
Beweise seiner Lieb und Freundschaft mir.
Aus dieser Freundschaft soll dein Heil entstehn!
und ich kann ihrer Wirkung dich versichern,
versicherst du – mich Deiner Freundschaft auch.
VIRGINIUS.
Der Freundschaft? Wie? du kannst von deiner Höhe
herunter bis zu meiner Freundschaft denken?
APPIUS.
O setze tiefer nicht dich selbst herab,
als Jeder, der dich kennt, ganz Rom, dich setzet!
Auch kehrst du – ich schwör's beym Jupiter! –
als Legions-Tribun zum Heer zurück.
Und deine folgenden Befördrungen
bis zu dem höchsten Rang, sind meine Sorge.
Nur deine Freundschaft o Virgin! nur sie! –
Darf ich hoffen?
VIRGINIUS.
Herr! ist wirklich sie
von ein'gem Werthe dir – so rechne drauf!
APPIUS.
Wohl! sie berechtigt mich, verpflichtet mich,
[313] mein ganzes Herz dir aufzudecken. Wiß
Virgin! – ich liebe deine Tochter.
VIRGINIUS.
Du?
APPIUS.
Ja Freund! und nie hat edler, zärtlicher,
ein Sterblicher geliebt. Sie zu beglücken,
beglückt von ihr zu werden, ist der Wunsch
der nun seit einem Jahr allein mein Herz
erfüllt, und der – ich fühle das in mir! –
es nie verlassen wird. Ich hätte längst
dir meine Lieb' entdeckt: doch das Gesetz,
das Ehebündnisse Patriziern
mit den Plebejern untersagt, verschloß
mir stets den Mund. Ich hoffte, diese Glut
durch Hülfe der Vernunft einst zu ersticken:
Allein die Pflicht, als Richter jetzt die selbst,
die mich entzückt, verurtheilen zu müssen,
reißt die noch ungeheilte Wunde mir
mit Höllenpein in meinen Herzen auf.
Nur Du kannst noch o Freund – indem du Retter
der Tochter wirst – mein Arzt und Retter seyn.
Ein einzig Wort von dir beglücket mich,
besiegt das Mißgeschick Virginiens,
und macht auf ewig mich zu Deinem Schuldner.
VIRGINIUS.
O Himmel! also wahr? von Dir bewähret,
die schreckliche, verwünschte Leidenschaft –
die gestern öffentlich du leugnetest?
APPIUS.
Sollt' ich wohl zum Vertrauten meines Herzens
Roms Pöbel machen? Du! sonst Niemand, Freund,
ist in mein Inneres zu schauen werth.
Und nur von Dir erwart ich auch mein Glück.
[314]
VIRGINIUS.
Wie? – Noch begreiff' ich deinen Anschlag nicht.
Willst du, daß meine Tochter Sicherheit
vor Marcus Fodrungen, als Buhlerinn,
in deinen Armen suche?
APPIUS.
Nein Virgin!
mißdeute nicht den redlichsten Entschluß!
mein Herz verehrt Virginien und Dich.
Als Gattinn liefre sie mir in die Arme!
VIRGINIUS.
Als Gattinn – vom Gesetz nicht anerkannt?
von deinem eignen, Rom entzweyenden
Gesetz, das die Natur der Phantasie
des Stolzes unterjocht, nicht anerkannt?
APPIUS.
Verweise mir nicht noch den Fehl, den ich
schon oft bereut, jetzt schmerzlich büßen muß!
Zum Glück, ist noch ein Weg zur Ausflucht offen.
In Jahres Frist, – die Götter zeugen mir! –
ist dieß unselige Gesetz nicht mehr.
O wär' es minder neu – ich tilgt' es heute!
Jedoch mein Ruhm begehrt den Augenblick
des Widerrufes, erst vorzubereiten.
Bis dahin kette mich ein heimlich Bündniß
(doch vor der Laren Angesicht beschworen!)
an deine Tochter, an die theure Hand,
die, willst du nur, uns alle glücklich macht! –
Erkennst du nun Virgin, den Freund in Mir?
– Du schweigst – doch nicht aus Unentschlossenheit?
VIRGINIUS.
Nein! aus Erstaunen, Herr! denn Ehr' und Pflicht
bewahren mich vor Unentschlossenheit. –
Virginia kann nicht die Deine werden!
ihr Herz, mein Ehrenwort – hat schon Icil.
[315]
APPIUS.
Icil? – Beachte nicht dieß Ehrenwort:
Icil muß sterben!
VIRGINIUS.
Sterben?
APPIUS.
Als Empörer!
Den Tod des Cassius!
VIRGINIUS.
O daß dich nie
dein Schutzgott diese That vollbringen lasse!
Icil ist furchtbarer als dich es dünkt.
Ein großer Theil des Volks war itzt bereit
den Weg, den Bellutus es einst geführet,
zu neuer Drangsal Roms, mit ihm zu gehn.
Aus seines Bruders Mord entbrannt' ein Feuer,
das ich nicht ohne große Müh gelöschet.
APPIUS.
Aus seines Bruders Mord? Wann? und von Wem
ward er ermordet?
VIRGINIUS.
Heut – und man nennt Dich.
APPIUS.
O Kühnheit!
VIRGINIUS.
Auch mir selbst war dieses Loos
bestimmt.
APPIUS.
Was hör' ich! Gleich soll Untersuchung,
Bestrafung dieser That, dich überzeugen ...
VIRGINIUS.
Nicht meinetwegen! Ich, blieb unverletzt,
und hatte nur zur Rettung meines Lebens
zween Elende zu tödten. Auch kann ich
[316] solch eines Frevels dich unmöglich zeihn.
Ich würd' ihn nicht erwähnen, wär' es nicht
um dich vor seiner Wirkung, und noch mehr
vor deinem Anschlag auf Icil, zu warnen.
Und diese Warnung Herr – so gut gemeint –
sey dir der erste Dienst des neuen Freundes!
APPIUS.
Auch unnütz, Dankeswerth. Nur nimm von Mir
auch Warnung an, Virgin! Laß von Icils
und seines Anhang Lärm dich nicht betäuben!
Sie haben gegen Mich nicht mehr Gewalt
als gegen Scyllas Fels des Meeres Wogen.
Du weißt, daß meine Macht den Riesen Roms,
und um so mehr, Icil dem Zwerge, trotzt;
Du kennest mein Gefühl für deine Tochter;
Auch sahst du tief genug schon in mein Herz,
dort deines eignen Glücks Entwurf zu sehn:
O laß nicht auf der Bahn zu diesem Glücke
dich durch ein Nichts, durch ein aus Unbedacht
ertheiltes Ehrenwort, zurücke schrecken!
Zu strenge Tugend heißt nicht Tugend mehr;
Stolz, Prahlsucht, nennt der kluge Weltmann sie;
und billig hat für ihn das Laster selbst
nicht mindern Werth.
VIRGINIUS.
Auch nicht ein solcher Spruch
in eines Herrschers Mund? – Nein Appius!
mein Wort bleibt unverletzt. Ich wiederhol's:
Virginia kann nicht die Deine werden!
APPIUS.
Undankbarer! – so werde sie des Marcus!
Sein Recht ist unleugbar; und das was itzt
zum Fall Virginiens Du selbst beschließest,
bestätigt, daß du nicht ihr Vater bist.
[317]
VIRGINIUS.
So wüthend, Grausamer, bestürmest du
mein Vaterherz? ... Ach Appius! verlaß
den tadelhaften Zweck! sey Mann! erstick
in deiner Brust ein Jammer drohend Feuer!
und ich gelobe dir ein ewig Schweigen.
Durch diesen über dich erhaltnen Sieg
ertheilst du deinem Nahmen neuen Glanz;
wirst Richtern Beyspiel der Gerechtigkeit,
und lenkest tausend Herren, jetzt dir feind,
vom Haß zur Liebe. Selbst Icil wird ...
APPIUS.
Schweig
von dem Verwegnen! Er und seine Rotte,
Du selbst, der meine Huld verschmähet – zittert!
VIRGINIUS.
Ich zittern? – Sieh dieß Haar! es ward im Dienste
des Vaterlandes grau; sieh diese Narben!

Er entblößet seine Brust.

im Dienst des Vaterlands erhielt ich sie,
mit einem Muth, der nie die Furcht gekannt.
Und nun sollt' ich als Greis erst zittern lernen?
Mich tödten kannst du Herr – mich schrecken nicht!
Mehr schreckt das Übel ich, das dein Entwurf
Rom und dir selbst bereitet. Glaub, du wirst
mehr Widerstand, als du vorhersiehst, finden.
Zwar stehst du hoch – allein du stehst nicht fest;
du stehst auf Wolken. Nicht um dir zu drohn,
mein Her dir auszuschütten, sag ich dieß.
Dir zeigte schon das gestrige Gericht
Des Volkes Hang zum Aufstand und Tumult.
Sein Unmuth stieg seitdem zum höchsten Grade.
Denk, welch ein wüthend Thier der Pöbel ist,
entreißt er sich dem Bande, das ihn zähmt!
[318] Ein Theil der mächtigsten Patrizier,
selbst manches Mitglied des Senats, wünscht nur
Gelegenheit, aus dir ein Opfer – Der
des Neides, Der des Hasses, sich zu machen.
Das Kriegsheer, mir geneigt, vernimmt gewiß
mit Gram und Zorn den mir erwies'nen Schimpf.
Kurz. Alles Appius, räth Mäßigung,
räth Klugheit dir – ich schweige von der Pflicht ...

Gegen Ende obiger Rede zeigt sich Virginia verschleyert an einer Kulisse.
APPIUS.
Gnug Unbesonnener! Zu lange schon
hör' ich des kühnsten Stolzes Lehren an.
Bleib unbesorgt um Roms und Mein Geschick.
Dafür sorgt Appius. Virginiens
Bestimmung, wird ein Rechtsspruch nun entscheiden.

Er will abgehen.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Virginia, die sich entschleiert und dem Appius in den Weg tritt. Die Vorigen.

VIRGINIA.
Ach weile, weile Herr! – Ich seh' du gehst
erzürnt von meinem Vater: dieser Zorn
ist meines Unglücks und des seinigen
Verkündiger. Doch Herr! verschließt sich nicht
ein Ohr dem Flehn unschuldig Leidender;
hat für die Tugend eines edlen Vaters,
für seiner Tochter Qual, dein Herz Gefühl;
o so beweis es heut, und bringe nicht
Verderben über uns!
[319]
APPIUS.
Virginia!
Kein Sterblicher wünscht mehr als Appius
dein Gluck; ist mehr bemüht, den harten Schlag,
vom Schicksal dir gedrohet, abzuwenden.
Nur ist das Mittel nicht in Meiner Macht;
Er, der dein Vater heißt, Er, den ich selbst
bis jetzt dafür zu halten, Neigung fühlte,
Er hat es – und verwirfts aus Eigensinn. –
Er mache meinen Plan zu deinem Glücke
(dem höchsten, das in Rom dir werden kann)
dir selbst bekannt! – Ich gehe. Trachte Du
zur Menschlichkeit sein hartes Herz zu neigen,
und von dem Roste seine rohe Tugend
zu reinigen! Nur werde das bewirkt,
eh man den furchtbarn Sitz aufstellt, wo
des Richters Wünsche ganz verstummen müssen,
weil das Gesetz alleine sprechen darf.
Leb wohl.

Er geht ab, die Wachen nach ihm.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Virginius. Virginia.

VIRGINIA.
Darf ich ihn wissen, theurer Vater,
den Plan, wovon er sprach?
VIRGINIUS.
Du mußt so ganz
ihn wissen, als dein freyes Urtheil, Ich –
Nach eingestandner Leidenschaft versprach
er jenes Zwangs-Gesetz der Ehen, ihm
so widrig jetzt, in Jahres Frist zu tilgen,
willst du sogleich kraft eines eidlichen,
doch bis dahin verheimlichten Vertrages,
dich ihm ergeben.
[320]
VIRGINIA.
– Ha Verruchter! Dieß!
Dieß fehlte noch, das Maaß der Frevelthaten
zu füllen! – Seyd gepriesen mir, ihr Götter!
daß eure Huld mir Diesen Vater gab!
Wie Mancher hätt' aus Ehrsucht oder Furcht
den Trieben des Betrügers mich geopfert!
VIRGINIUS.
Jedoch gesetzt! (und möglich ist es ja!)
sein Vorschlag wäre rein von Hinterlist,
entschlössest du dich, ihm Gehör zu geben?
VIRGINIA.
Dem Bösewicht? O Vater, welche Frage!
Um dieses Ungeheur, der Menschheit Schmach,
sollt' am Icil ich treulos werden können?
und Du Herr, fragest mich?
VIRGINIUS.
Ich wußte schon
vorher die Antwort: und aus diesem Grunde
sprach ich bereits ihm alle Hoffnung ab.
Doch, liebste Tochter! dachtest du schon auch
an die Gefahren deiner Weigerung?
VIRGINIA.
Die größte ist der Tod!
VIRGINIUS.
Die Knechtschaft!
VIRGINIA.
Nein,
mein Vater! durch den Tod entgeht man ihr.
VIRGINIUS.
Hast du zum Tod auch Muth?
VIRGINIA.
Ich bäte dich,
mich jetzt zu tödten, ließ' dich die Billigkeit
[321] der Götter nicht noch andre Rettung hoffen.
VIRGINIUS
sie umarmend.
O Tochter! O mein Blut! mit solchem Muthe
trotzt man Tyrannen, trotzt man dem Geschick.
Erhalt' ihn stets so fest – hoff ich ihn gleich
in solche Prüfung nie versetzt zu sehn! –
Komm! Laß nun in Asträens Tempel uns
das Zeichen zum Gericht getrost erwarten!
Erflehn wir uns des Himmels mächt'gen Schutz,
so stürmt der Hölle Macht umsonst auf uns.

Gehen ab.

Ende des dritten Aufzugs.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
VALERIUS
der vorwerts gehet, indem die capitolinische Besatzung das Forum besetzt.
Woher der Unmuth dieser bangen Brust?
die Scheu, vor der Erfüllung einer Pflicht? –
Soll dieser Vorfall denn das wirklich seyn,
wofür halb Rom ihn hält, ein Listgewebe
des Appius? – O dann, dann wär er wohl
der abscheuwürdigste, den Rom noch sah,
Des Sextus Unthat selbst nicht ausgenommen. –
Der Zweifel schon ist Stachel für mein Herz;
statt Schirm der allgemeinen Ruh zu seyn,
wär' ich des gräulichsten der Laster Schild. –
So hoch stieg unsrer Herrscher Frevel schon,
daß den betrognen Arm man ihnen oft
zum Werkzeug sträflicher Verbrechen leiht,
da man zum Wohl des Staats zu wirken glaubt! –
Unglücklichs Vaterland! der Sitten Fall
beschleunigt jeden Tag den deinigen;
und Die der Sitten Beyspiel dir zu seyn,
ihr höhrer Stand beruft, befördern ihn! –
Er kömmt! vielleicht durch ihn erhalt' ich Licht.
2. Auftritt
[323] Zweyter Auftritt.
Virginius mit einem Soldaten. Valerius.

VALERIUS.
Virgin! du siehst in Mir den Ungenannten,
der dich, mit dir zu sprechen, hieher bat.
Doch – kennst du mich Virgin?
VIRGINIUS.
Wie sollt' ich einen
der ersten unserer Patrizier
nicht kennen?
VALERIUS.
Immer noch könnt' ich als Der
der letzten Menschen einer seyn. Kennst du
nicht näher mich?
VIRGINIUS.
Du bist Valerius,
das Haupt der Kriegesschaar im Capitol,
ein edler, tapfrer Mann, deß Heldenmuth
ich in so mancher Schlacht bewunderte.
VALERIUS.
Dorther kenn' ich auch Dich – und bin dein Freund.
VIRGINIUS.
Mir Lohn genug für mein gering Verdienst!
VALERIUS.
Traf keine Nachricht dir vom Lager ein
sei deinem Abbruch?
VIRGINIUS.
Nein.
VALERIUS.
Wohl aber Mir.
Du hast getreue, thät'ge Freunde dort.
Sie nehmen eifrig Theil an deinem Schicksal;
bezweifeln laut, nicht nur des Marcus Recht,
selbst des Decemvirs Unpartheylichkeit,
[324] und zeugen Regungen im ganzen Heere,
die Vibulan nicht ohne Kummer sieht.
Es scheint, man harre nur noch auf Bericht,
wie bey dem Vorfall sich Roms Volk bezeige.
VIRGINIUS.
Roms Volk bezeiget sich

Auf die Soldaten zeigend.

wie Jene wollen.
VALERIUS.
Zu Jenen rechne Mich! – Wir wollen bloß
Gerechtigkeit, und Jedes Untergang
der anders will. Doch, wie bekannt, gelobten
wir den Decemvirn Treu, Gehorsam, Schutz.
Nur Mißbrauch ihrer Macht zur Tyranney,
lös't unsern Eid. Zu hören von dir selbst,
ob du bey deinem Streit nicht Unrecht ahndest,
bat ich dich her. Du kannst in diesem Fall
auf Jener Beystand und auf meinen hoffen. –
Man zeiht des Marcus Zeugen Meineids, und
Icil schilt öffentlich ein Werkzeug ihn
der Leidenschaft des Appius. – Die That,
erwiesen, wär' ein unverzeihliches
Verbrechen, gegen Dich, das Heer und Rom.
Du Freund, sollst mir den Flor vom Auge ziehn,
der mir die Wahrheit noch mit Nacht bedeckt!
VIRGINIUS.
Mit allem Zutraun Herr, wozu mein Herz
durch deine Großmuth sich verpflichtet fühlt,
vermag ichs nicht, für deine Zweifel dir
ein heller Licht zu schaffen, als du hast.
Ganz einem Blinden gleich, den man erwürgt,
empfind' ich nur mein Weh, und seh' es nicht.
Was nützt mir's, zuverlässiger als Du
belehrt zu seyn, daß des Decemvirs Herz
für meine Tochter brennt? Selbst der Beweis,
wär' unnütz mir und meiner armen Tochter.
[325] Die Zeugnisse des Marcus sind die Last,
die rettungslos mein Kind und mich erdrückt!
VALERIUS.
Doch, es behauptet ein – vielzüngiges
Gerücht, des Marcus Zeugen seyn erkauft: –
Ist denn nichts Gründlichs dir davon bekannt?
VIRGINIUS.
Nicht reich genug, die Wahrheit seinen Zeugen
so theu'r, als Er die Lüge, zu bezahlen,
wie wär' ich fähig ein, mit so viel Kunst
verborgnes Werk der Nacht, ans Licht zu ziehn?

Während der vorstehenden Rede kommt ein Abgeordneter des Appius, und sagt dem Valerius einige Worte ins Ohr. Dieser winket rückwärts, und man gibt vom Capitol durch Trompetenschall das Zeichen zur Versammlung, worauf sich sogleich – doch nach und nach – das Volk einfindet.
VALERIUS.
Verehrungswürd'ger Mann! ich schwör' es dir!
Nie klang die Tuba mir so fürchterlich.
VIRGINIUS.
Ach! ihre Wirkung auf mein Vaterherz
ist schrecklicher. Sonst froh bey diesem Schalle,
wann in der Schlacht er Angriff mir geboth,
beb' ich jetzt als ein Kind!
VALERIUS.
– So bleibst du denn
ganz ohne Hoffnung, ganz des Zufalls Ball?
VIRGINIUS.
Kömmt nicht von Oben her mir Hülfe zu;
erweichet ein mir günst'ger Gott das Herz
des Richters nicht – wo hofft' ich Rettung noch!
VALERIUS.
Des Richters Herz?
VIRGINIUS.
Vielleicht erschüttert' ichs
[326] durch ein Gespräch von Ernst und Wahrheit voll!
Vielleicht erweichten es der Tochter Thränen,
da heut zum erstenmal sie mit ihm sprach!
Es scheint unmöglich mir, daß, zum Besitz
Der die man liebet zu gelangen, man
derselben Schmach zum Mittel wählen könne!
VALERIUS.
Hier naht sie sich, bedrängter Vater dir!
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Virginia. Numitorius. Albina. Die Vorigen.

VIRGINIA.
Ach Vater! Dich erblick' ich wieder! kann
dein Knie vor meinem Tode noch umfassen!
Kaum hofft' ich mehr auf dieses Glück.
VIRGINIUS.
Warum
geliebte Tochter? Was beraubte denn
der Hoffnung dich?
VIRGINIA.
Ach Vater! eine Reihe
furchtbarer Ahndungen, beängstigend
Im Tempel mich, seitdem du mich verließest;
Erscheinungen – vielleicht der Götter Werk,
mein Schicksal mir in Bildern anzuzeigen.
Doch Dank sey deinem Blick! vor ihm entweicht
schon jedes Schreckenbild aus meinem Sinn.
VIRGINIUS.
Sprich! was für Schreckenbilder könnten dich ...
VIRGINIA.
Ach Herr! Im wärmsten Eifer des Gebeths
schien plötzlich mir ein Strom des Lichtes (doch
viel sanftern Lichts als das Phöbeische)
die Göttin zu umwallen. Statt des Ernstes
[327] Den sonst ihr Antlitz zeigt, trat augenblicklich
der wehmuthsvollste Gram in ihre Miene.
Sie öffnet ihren Mund, und ich vernehme;
»Virginia! Du rettest Rom – Dich nichts!«
Erschreckt durch diesen fürchterlichen Spruch,
sank ich ohnmächtig in Albinens Arme.
Doch in der Ohnmacht selbst erhielt ich Trost.
Sie stellte leibhaft (nicht als Schattenbild)
mir die Gewalt der theuern Mutter vor,
die liebreich Schutz in ihren offnen Armen
mir bot. Wie schön, elysisch schön, war sie!
Ich flog an ihre Brust: und – welche Wonne
genoß ich da! Gerettet bin ich nun!
schrie laut ich auf (Albin' und Numitor
Behaupten dieß) Gerettet in den Armen
Der theuern Mutter! – Doch – nicht lange währte
mein Glück; denn sie verschwand: und ich erblickt'
an ihrer Statt – Dich liebster Vater! Dich,
der einen blut'gen Dolch – in Seiner Hand –
mit Blicken der Verzweiflung besah.
Entsetzt vor diesem schaudervollen Bilde,
will ich dich fragen, welches Frevlers Blut
dein aufgereizter Arm vergossen habe;
doch in dem Augenblick erschallt der Ruf
um schrecklichen Gericht – er meinen Traum
so schnell, als ein Orkan den Rauch, verjagt;
der mir die Freude schafft, dein Angesicht,
anstatt erzürnt, hier liebevoll zu sehn.
VIRGINIUS
sie umarmend.
O meine Tochter!
VIRGINIA.
Ah mein Vater! – – Doch
was seh' ich! deinem Aug' entrollen Thränen?
Ach Vater! tröste dich! was mich geschreckt,
war nur ein Traum, ein Bild der Phantasie!
[328] Du selbst hast mich belehrt, Erscheinungen
seyn bloß die Zeichen einer kranken Seele,
wo nicht verwirrter Sinne Mißgeschöpfe;
sind sie wohl, Vater, deines Kummers werth?
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Icilius mit entblößtem Schwert. Quintus. Einige Römer. Die Vorigen.

ICILIUS.
Heil dir Virginia! Heil Vater dir!
Ich bring' euch Rettung, Rettung an dem Rand
des Abgrunds, wo wir kaum sie mehr gehofft.
VIRGINIA.
O welche Nachricht, ihr Unsterblichen!
VIRGINIUS.
Du bringst uns Rettung, mit entblößtem Schwerte?
ICILIUS.
Woran noch Blut von unserm Feinde klebt,
vom Frevler, tausendmal des Todes werth,
vom Marcus!
VIRGINIUS UND NUMITOR.
Marcus?
VIRGINIA
mit obigen zugleich.
Götter!
ICILIUS.
Dort Virgin!
nicht einen Pfeilflug fern von uns, verröchelt
der Bösewicht die lasterhafte Seele.

Er steckt sein Schwert ein.
VIRGINIUS.
O Himmel, welch ein Mord! und Meuchelmord?
ICILIUS.
Nein edler Vater, nein! dein Eidam ist
kein Meuchelmörder, ist noch Deiner werth. –
[329] Hör den Verlauf der schönsten meiner Thaten!
Da dir mein Zweck aus Rom zu fliehn, mißfiel,
sah ich zur Rettung der geliebten Braut
mir einen einz'gen Weg noch unversperrt,
den Weg, des Bösewichts erkauften Zeugen
die Wahrheit abzuzwingen. Ich beschloß,
sie mit Gewalt, durch Beystand dieser Freunde,
ihm zu entreißen, und in Gegenwart
des ganzen Volks zu prüfen. Zum Vollzuge
schien mir der Augenblick, da allesammt
den Frevler zum Gericht begleiten mußten,
der günstigste zu seyn. Wir lauerten
an einer Eck' auf sie. – Sie nah'n sich uns.
Doch Marcus, an der Spitze seiner Buben,
sieht mich zu bald, und ahndet meinen Zweck.
Er zückt sein Schwert, und winkt den Zeugen Flucht.
O wie gewünscht! Sogleich ergreiff auch Ich
mein Schwert. Wir schlagen uns – so muthig Er
als Ich; dieß Lob muß ich ihm zugestehn.
Nach einem langen Kampf gelingt mirs erst
durchbohrt ihn hinzustürzen. – Doch schon eilet
mit Wachen Lucius herbey. Ich fliehe
sobald ich Den erblicke; denn ich wollte,
bevor man mich verhaftet, selber euch
von dem erwünschten Zufall Nachricht bringen.
VIRGINIUS.
Erwünscht? – O wären es die Folgen auch!
ICILIUS.
Sie sind es, durch die Rettung deiner Tochter.
VIRGINIA.
Welch eine Rettung! ach Icil! bedenk,
welch Schicksal du dir selbst bereitet hast!
ICILIUS.
Mir? – süßen Tod, für jenen schmerzlichen
den Dein Geschick mir zubereitet hatte.
[330]
VIRGINIA.
Tod? Tod Icil?
ICILIUS.
Konnt' ich ihm wohl entgehn?
Hätt' ich den Urtheilsspruch, nach welchem jetzt
ein Raub des Bösewichts du werden solltest,
wohl überlebt? – Erwäge: Tod für Tod,
ob einen glücklichern der Himmel mir
verleihen konnt', als Den, der sterbend mich
zu deinem Retter macht; das Glück mir schafft,
er Tugend Schutz, des Lasters Sturz zu seyn.
Gibts einen schönern Tod?

Er drückt ihre Hand an seinen Mund.
VALERIUS
leise zum Numitorius.
Rath' ihm die Flucht!
NUMITORIUS.
Icil! dein großes Herz macht mich erstaunt.
Kein Halbgott that für Lieb' und Freundschaft mehr.
Doch, sollen wir die Früchte deines Muths
genießen. O so rette jetzt dich selbst!
Entfleuch aus Rom!
ICILIUS.
Aus Rom? – Sieh Jenen dort!
schon bin ich in Verhaft.
VALERIUS.
Du bist es nicht!
Nie wird's bey mir ein freyer Römer seyn
eh der Decemvir ihn dazu verdammet.
NUMITORIUS.
Fleuch, fleuch Icil!
ICILIUS.
Wohin?
NUMITORIUS.
Nach Thuscien,
in das Samniter Land, wohin du willst.
[331]
ICILIUS.
Wie? zu den Feinden Roms, ich Römer fliehn?
um Schutz sie flehn? vielleicht gar Hülfe mir
wie der Verräther Marcius, erbetteln?
Nein Numitor; Icil erkauft um Schmach
sein Leben nicht! Rom gabs – Rom nehm' es mir!
VIRGINIUS
indem er zu ihm eilt und ihn mit Heftigkeit umarmt.
O mein Icil! O wackrer junger Mann!
wie hoch erhebt dein muthiger Entschluß
dich über deine Zeit! wie lieb ist mir
aufs neu mein Vaterland, das dich erzeugte!
Doch Sohn! selbst diese Tugend, werth, noch lange
das Beyspiel Roms zu seyn, verpflichtet uns
Erhaltung Deiner, Flucht dir anzurathen.
Du brauchst bey Feinden nicht um Schutz zu flehn:
Fleuch unerkannt nach Ostia: von dort
bringt dich ein Kahn, wohin du willst. Im Lande
der Sarden wird jedweder Bürger Roms
als Freund empfangen, gegen Noth geschützt.

Ein Abgeordneter des Appius kommt in Eile und spricht dem Vater einige Worte in das Ohr.

Erreichst du diesen freundschaftlichen Strand,
so harre, bis in Rom Lossprechung wir
dir ausgewirkt; und wär' uns dieses auch
nicht möglich, deine Braut und beste Habe
dir überschiffen. Nur ...
VALERIUS.
Icil! ich muß
auf Appius Befehl Gefängniß dir
im Capitol ankündigen.
VIRGINIUS.
Ihr Götter!

Zween Soldaten treten hinter den Icil: er überreicht ihnen sein Schwert. Der Abgeordnete geht ab.

[332] Nein Grausame! nicht Ihn! Um meinetwillen
vergoß er Marcus Blut; mich strafe man!
ICILIUS.
Virginia! bey jener Zärtlichkeit
mit der wir uns geliebet, bey dem Gotte,
durch dessen Hülf' ich dich gerettet! ringe
nicht gegen mich, und meiner Schickung Schlüsse!
Mir helfen kannst du nicht: der Himmel nur
vermag es, und er wirds; er ist gerecht.
Und wäre ja mein Tod beschlossen, glaub!
durch Das, was er bewirkt, wird er mir süß
Dein einziges Bemühn sey jetzt, dich selbst
zum Trost des besten Vaters zu erhalten;
Du weißt, dein edler Vater lebt in Dir:
das Leid, das dir geschäh träf ihn zugleich.
Tracht' also, deiner strengsten Pflicht getreu,
noch länger ihm des Lebens Glück zu seyn,
und seines Alters Stab dereinst zu werden!
VALERIUS.
Icil! schon sieht man den Decemvir kommen.
ICILIUS.
Virginia! – leb wohl!
VIRGINIA.
O Himmel! wohl?
du gehst zum Tode!
ICILIUS.
Nein! ich fühl' es, nein!
mein Schutzgott sagt mir: nein! Umarme mich –
als Römerin, nicht als Geliebte nur!
als echte Römerinn, die Gut und Leben,
doch niemals ihren Muth verlieren darf! –
Und du mein Vater!

Ihn umarmend.

ach! zu viel empfindet
mein Herz! verzeih den stummen Abschied mir!

Ab.
VIRGINIUS.
O welch ein Muth! Vortrefflicher Icil!
[333] Nie fühlt' ich, was Du jetzt mich fühlen lehrst!
Schütz' ihn Roms Genius! daß nicht der Sturm
Roms schönste Frucht, kaum sie gereift, zerstöre!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Appius vor dem Wachen und Lictoren gehn; nach ihm. Lucius mit Marcus Zeugen und ein paar andern Bürgern.

APPIUS
nachdem er sich gesetzet.
Nie, Römer, hielt ich es für nöthiger,
vor Unglück euch zu warnen als anitzt.
Empörung, gestern nur in Worten kühn,
tritt heute schon mit blut'gen Thaten auf.
Der abscheuvolle Mord, den jetzt Icil
an einem der erlauchtsten Bürger Roms
verübt, ist ohne Zweifel euch bekannt.
Noch mehr bekannt muß euch die Strafe seyn,
die Bürgermördern das Gesetz bestimmt.
Ich wünschte, heute noch des Mörders Blut
euch weih'n zu können: doch, genöthiget,
genaue Kenntniß der gräulvollen That
und der Mitschuldigen, erst einzuziehn,
verschieb' ich des Verbrechers Urtheil noch.
Es liegt zu viel daran, daß endlich Rom
ganz von der Frevlerbrut befreyet werde.
die todt nur aufhört seiner Ruh zu drohn.
Ein Trost kann euch indeß die Rache seyn,
die jetzo schon – ein Gott! am Mörder übt.
Sein Zweck bey diesem abscheuvollen Morde
war offenbar, Virginiens Besitz.
Die Schickung will, daß der gehoffte Preis
noch heut ihm wunderbar entrissen werde.
Mit Staunen werdet ihr des Himmels Werk
in Dem, erkennen, was ihr jetzt vernehmt;
[334] erkennen, daß er den Gerechten noch
nach seinem Tod in seinen Rechten schützt.
Du, Lucius, hast nun gerichtlich hier,
was sich mit dir ereignet, vorzutragen!
LUCIUS.
Herr! unterrichtet von des Meuterers
Icil Versuchen der vergangnen Nacht,
bestellt' ich Augen heut, ihn zu bemerken.
Man hinterbrachte mir, er lauschte dort
am Weg', auf dem du stets zum Forum gehst,
bewaffnet, in verdächtiger Gesellschaft.
Sogleich eilt' ich mit ein'gen Wachen hin,
aus seinem Hinterhalt ihn zu vertreiben.
Noch fern von ihm seh' ich schon Schwerter blitzen,
und Marcus Knechte sich in schneller Flucht
mir nähren. Sie berichten mir: ihr Herr,
gewaltsam von Icilen angefallen,
sey, mit ihm kämpfend, in der größten Noth.
Ihm beyzustehn, verdoppl' ich meine Schritte.
Doch eh den Kampfplatz ich erreichen kann,
stürzt Marcus schon zu Boden, und Icil
ergreifst die Flucht. – Umströmt von seinem Blute,
winkt Marcus mich zu sich. »Freund (sagt er mir)
ich sterbe – glücklich noch im Tode Dich
zu sehn. Empfiehl die Rache meines Bluts,
und meine Gattinn, dem Decemvir! – Dir
o theuerster Gefährte meines Lebens!
Dir lass' ich als der Freundschaft letztes Pfand,
Virginien, und all mein Recht auf sie.
Euch Alle, die ihr hier mich sterben seh't,
ruf' ich zu Zeugen dieser Schenkung auf:
macht, daß mein Mörder nicht mein Erbe wird!«
Mit diesem letzten Wort starb er mein Freund,
der Menschheit Freund – und Opfer ihrer Tücke.
[335] Hier mächtiger und durch Gerechtigkeit
berühmter Appius, sind meine Zeugen!
APPIUS.
Ihr Alle saht es, hörtet es?
DIE ZEUGEN.
Ja Herr!
LUCIUS.
Gleich ihnen kann ich dir die Wache selbst
als Zeuginn der ...
APPIUS.
Genug! dein Recht ist klar,
Virginia – war der Entseelte ja
ihr Herr – durch Erbrecht itzt dein Eigenthum
Doch Lucius! – sieh hier den wackern Mann!
Er hat Virginien erzogen, stets
aufs zärtlichste geliebt: du bautest dir
ein Ehrenmaal der Großmuth, ständest du
von deinem Anspruch ab.
LUCIUS.
Verzeih! Die Pflicht
wird nie bey mir der Großmuth Opfer werden.
Des todten Freunds Geschenk verschmähn, wär'
Undankbarkeit, und müßt im Orkus noch
den Zorn des mir so theuern Schattens ...
APPIUS.
Den
versühnt das Blut Icils.
LUCIUS.
Das Blut Icils
lös't nicht die heil'ge Pflicht des Lucius.
Das letzte Wort des ...
APPIUS.
– Wohl! Mein Vorschlag war
nur Wunsch, nicht Fodrung, auch nicht Rath. Doch wirst
[336] du nicht der Sklavinn Herr, so lang Virgin
sich ihren Vater nennt.
LUCIUS.
Sich nennen darf!
APPIUS.
Centurio Virgin, beweise nun,
daß die Gefoderte dein echtes Kind,
und Alles unwahr sey, was vom Betruge
der Numitoria man hier behauptet!
VIRGINIUS.
Hätt' ich mein edles Weib vor dem Gerichte
der Götter, deren Blick durch Herzen schaut
und in den Seelen lieset, zu vertreten;
bald würd' ich die Verleumder ihres Ruhms
mit der, Ihr zugedachten, Schmach bedecken:
doch hier ...
APPIUS.
Hier, wo mit schwachem Menschenauge
der Richter sieht, muß das Gesetz allein,
gleich einem Pharus, ihm die Bahn beleuchten.
Nach Gründen, guter Mann, nach Zeugnissen,
gebeuth mir Roms Gesetz das Recht zu sprechen.
VIRGINIUS.
O hätt' Ein Meineid hier nicht mehr Gewicht
als hundert Gründe, dann siegt' ich gewiß.
Es ist bekannt, daß Numitoria
zwey Kinder eh als dieß geboren hat;
und Marcus dichtet' ihr Unfruchtbarkeit
als den Beweggrund ihres Kaufes an! –
Gesetzt, es wäre der Betrug, deß man
sie zeihet, möglich, da sie doch zur Zeit
der Schwangerschaft mir stets vor Augen war,
warum hätt' einer Sklavinn Kind, und nicht
ein freygebornes sie gekauft – warum
[337] An eines Mädchens statt, nicht einen Knaben?
warum endeckt erst itzt nach sechzehn Jahren
die Sklavinn den Betrug? Und endlich! Wie
kannst du Decemvir selbst, nachdem ihr Stand
gekannt geworden, sie noch würdigen ...
APPIUS.
Genug der Fragen! Wer wird Zweifel Dir
erläutern, da Gewißheit man von Dir
vernehmen will? Wer hier auf Träumereyen
dir Antwort träumen; da dein Gegentheil
Vollziehung der Gesetze heischt? Willst du
beschworne Wahrheit bloß durch Schein entkräften,
so weilen wir zu lang bey diesem Streite
der – Dir nur wichtig – doch um Bürgerblut
schon Rom in Trauer setzt. Ihr Zeugen! schwöret! –
Eid ist den Göttern selbst der Wahrheit Siegel,
Uns heiliger Beweis der Rechte.
VIRGINIUS
da die Zeugen vortreten.
– Bleibt! –
Kein Meineid zieh' um Mich der Götter Zorn
auf Rom! Der Eid ist euch von mir erlassen!
APPIUS.
Lictoren! übergebt des Marcus Sklavinn,
nach dessen letztem Wunsch, dem Lucius!

Die Lictoren befolgen den Befehl.
VIRGINIA.
Weh mir! O Vater! rette, rette mich!
VIRGINIUS.
Herr! eh das Schicksal Sie – seit der Geburt
durch ein so festes Band mit mir vereint –
auf ewig von mir reißt, erlaube mir,
daß ich noch Einmal an mein Herz sie drücke,
und in das ihrige – so wund von Schmerz! –
des Trostes und der Hoffnung Balsam gieße!
[338] Mit minder Gram kehr' auch ich selbst sodann
um Heere wieder!
APPIUS.
Nie wehrt Appius,
was Trost Unglücklichen zu schaffen dient.
Die Unterredung ist – doch unterm Auge
des Lucius – bewilligt.
VIRGINIUS.
Komm, mein Kind –
zum letztenmal an meine Brust!
VIRGINIA.
O Vater!

Umarmung und Pause.
VIRGINIUS.
Virginia! – hast du noch jetzt den Muth,
wodurch du diesen Morgen mich entzücktest?
VIRGINIA.
Ja Vater! – rette mich!
VIRGINIUS.
Küß meine Wange!

Sie küßt ihn. Er sie.

Stirb unentehrt!

Er stoßt ihr einen Dolch in die Brust.
VIRGINIA
niedersinkend.
Dank dir mein Vater! Dank!

Sie stirbt.
APPIUS.
Ha Frevler! welche Wuth!
VIRGINIUS
indem er den Dolch zu des Appius Füßen wirft.
Hier Appius!
dieß Blut bring über dich des Himmel Fluch,
der Hölle Grimm!
APPIUS.
– Was, Unmensch, thatest du!
VIRGINIUS.
Ich gab die Freyheit einer armen Sklavinn,
und riß die Tugend aus des Lasters Rachen.
[339] Es donnre nun dein ganzer Zorn auf mich!
ich bin zum Tod bereit.
APPIUS.
Er soll dir werden!
Bald, wüthend Ungeheur! so schreckenvoll
wie deine That! beym Gott des Höllenreichs!
Lictoren, greiffet ihn!

Er geht den Lictoren gelassen entgegen: zu gleicher Zeit entsteht Geräusch unter dem Volk.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Lälia, die eilig kommt, und sich durch das Volk und die Wachen dränget.

Ich muß vor ihn!

Laßt mich! ich muß!

APPIUS
aufgebracht.
Welch ein Getöse.
LUCIUS.
Herr!
Des Marcus Gattinn dringt heran.
APPIUS.
Laßt sie!
Sie wird um Rache für den Gatten fleh'n.
LÄLIA
mit einigen Papieren in der Hand.
Sie trift, da sie durch das Volk kommt, gerade auf Virginiens Leichnam.
O schrecklich! Hier auch Leichen? – O sie ists!
es ist das edle Mädchen, dessen Reize
der Keim vom Tode meines Gatten waren!
APPIUS.
O könnte doch dir seines Mörders Blut
um Trost gereichen! bald, bedrängtes Weib,
erhieltst du Trost. Der Bösewicht Icil
ist schon verhaftet und ...
[340]
LÄLIA.
Schweig Ungeheur!
in Deinem Blut allein ist Trost für mich.
Du bist es, wider den ich Rache fodre!
Du selbst, der dieß beweinenswerthe Mädchen
sich als der Wollust Opfer ausersah!
Du, der den schändlichen Entwurf ersann,
als einer Sklavinn Kind, durch Meineid sie
dem Vater zu entreißen! Du, der durch
Geschenke zum abscheulichen Vollzuge
den Marcus ...
APPIUS.
Still, Wahnsinnige! bringt dich
dein Schmerz zur Raserey; für Rasende
ist hier kein Ort. Man führe sie von hier!
LÄLIA.
Nein Römer! höret mich.
APPIUS.
Entfernet sie!
LÄLIA
indem sie die Briefe unter das Volk wirft.
Valerius hebt sogleich einen auf, und liest ihn.
Hier Römer, sind die gültigsten Beweise
für Mich und wider Ihn. Sie zeigen euch
im heilsten Licht die Schwärze seiner Seele,
beleuchtet von des Frevlers eigner Hand! –
Und Du Tyrann, willst mich verhindern, laut
zu sagen, daß der Mörder meines Gatten
Du bist? Du mich zur Wittwe, meine Kinder
zu Waisen machtest?
APPIUS.
Fort Lictoren! schleppt
sie fort!

Man will sie abführen.
LÄLIA.
Helft Römer!
[341]
VALERIUS.
Haltet ein! – Ihr Mund
spricht Wahrheit. – Dieß der Hölle würd'ge Blatt
rechtfertigt den Verdacht, den dieser Streit
dem halben Rom, mir selbst, erwecket hat.
Ihr Römern! Appius ist ein Tyrann,
ein Bösewicht.

Zu einem Offizier.

Icil sey frey!

Der Offizier geht ab.

Virgin!
Lies', edelmüth'ger Greis, die Schande Roms,
dein Ungluck!

Er gibt Virgin den Brief; Dieser lieset, und wirft sich dann auf den Leichnam seiner Tochter.
APPIUS
aufstehend zum Valer.
Ha Verwegener! auch Du
Verräther? – Denkt an euern Eidschwur, Ihr
des Capitoliums Bewahrer! rächt
an dem Meineid'gen mich!
VALERIUS.
– Du hoffst umsonst
auf ihren Schutz: ich habe sie gelehrt
das Laster hassen – nicht vertheidigen.
RUFFUS
der einen von den Briefen zeiget.
Auch Dieses Blatt erweiset sein Vergehn,
ihr Römer!
LÄLIA.
Und doch lebt der Wüthrich noch?
besitzt noch kühn die höchste Stelle Roms?
Harrt man vielleicht, bis Ich, ein Weib den Dolch
ins Herz ihm stoße?

Geräusch unter dem Volke.
RUFFUS.
Nein, beym Jupiter!
Dieß soll kein Weib!

Er und einige Bürger gehen auf den Appius los. Dieser zücket sein unter der Toga verborgenes Schwert, indem er von den Richterstuhl herab tritt sich zur Wehre zu stellen. Zu gleicher Zeit stellt sich Valerius dem herannahenden Volke in den Weg, und ruft.
[342]
VALERIUS.
Nicht Römern! mäßiget
der Rache Trieb!

Zu den Soldaten.

Verhaftet ihn!

Einige Soldaten springen auf ihn los. Und da er durch die nächste Kulisse abgeht, folgen sie ihm. Valerius spricht inzwischen fort, zu dem Volke.

Nicht morden,
ihn richten müssen wir! Die Tyranney,
nicht der Tyrann allein, muß untergehn,
soll Rom sich euers Muthes lang erfreuen! –
Nimm es auf dich, o Numitorius,
des Bösewichts uns zu versichern!

Numitorius folgt eilig nach.
RUFFUS.
Herr!
dein Wunsch, vom Joche der Decemvirn frey
zu werden, ist der Wunsch des ganzen Volks.
Es sollen Consuln herrschen, und
Tribunen für des Volkes Rechte wachen!
Du, bester, würdigster der Senatoren,
und längst vor Allen unsers Zutrauns werth!
führ uns durch Rath und Beystand zu dem Ziele!
Werd' erster Consul! und dein edler Freund
Horatius sey zweyter! Meine Stimm'
ist Aller Stimm', aller Herzen Roms
Erklärerinn!
VIRGINIUS
der plötzlich aufsteht.
Auch meines Herzens!
QUINTUS UND DAS VOLK.
Aller!
RUFFUS.
Ihr! tretet hinter ihn Lictoren! Er
ist unser Consul.

Die Lictoren treten hinter ihn.
VALERIUS.
Dank euch Römer! Dank
für dieß Vertraun! es einst mir zu verdienen,
[343] nehm' ich den Ehrenruf mit Freuden an.
Laßt uns vereinigt nun uns über Roms
zu gründend Glück berathen! jede Kraft ...
7. Auftritt
Letzter Auftritt.
ICILIUS
in Eile mit den Soldaten.
Todt? todt Virginia! Wo ist sie? Wo? ...
Ihr Götter!

Er wirft sich auf den Leichnam.
VALERIUS.
Welch ein Augenblick, o Himmel,
für ein so zärtlich Herz! –

Zum Numitor, der in Eile zurück kommt.

Du schon zurück?
NUMITORIUS.
Dir zu berichten, Herr, daß Appius
sich selbst bestraft und Rom gerochen hat.
Er stürzte, wenig Schritte nur von hier,
sich in sein Schwert.
VALERIUS.
– Für Ihn die schönste That
vom ganzen Lebenslauf! nur ach! für Dich
bedrängter Vater, schon zu spät!
VIRGINIUS.
Doch nicht
zu spät für Rom! Aus meinem Unglück stammt
das Wohl des Vaterlands – Dank Götter Euch!

Ende des Trauerspiels.

[344]
Fußnoten

1 Marcius Coriolanus.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Ayrenhoff, Cornelius Hermann von. Dramen. Virginia oder das abgeschaffte Decemvirat. Virginia oder das abgeschaffte Decemvirat. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-163C-3