Ritter St. Georg

Aus einem geschriebenen geistlichen Liederbuche vom Jahre 1601, in der Sammlung von Clemens Brentano.


In einem See sehr groß und tief,
Ein böser Drach sich sehen ließ.
Dem ganzen Land er Schrecken bringt,
Viel Menschen und viel Vieh verschlingt,
Und mit des Rachens bösem Duft
Vergiftet er ringsum die Luft.
Daß er nicht dringe zu der Stadt,
Beschloß man in gemeinem Rath,
Zwey Schaaf zu geben alle Tag,
Um abzuwenden diese Plag.
Und da die Schaaf schier all dahin,
Erdachten sie noch andern Sinn,
Zu geben einen Menschen dar,
Der durch das Loos gewählet war.
Das Loos ging um so lang und viel,
Bis es aufs Königs-Tochter fiel.
Der König sprach zu'n Burgern gleich:
»Nehmt hin mein halbes Königreich!
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Ich gebe auch an Gut und Gold,
Von Silber und Geld so viel ihr wollt,
Auf daß mein Tochter, die einig Erb,
Noch lebe, nicht so böß verderb.«
Das Volk ein groß Geschrey beginnt:
»Einem andern ist auch lieb sein Kind!
Hältst du mit deiner Tochter nicht
Den Schluß, den du selbst aufgericht,
So brennen wir dich zu der Stund
Sammt deinem Pallast auf den Grund.«
Da nun der König Ernst ersah,
Ganz leidig er zu ihnen sprach:
»So gebet mir doch nur acht Tag,
Daß ich der Tochter Leid beklag.«
Darnach sprach er zur Tochter sein:
»Ach Tochter, liebste Tochter mein!
So muß ich dich jetzt sterben sehn,
Und all mein Tag in Trauren stehn.«
Da nun die Zeit verschwunden war,
Lauft bald das Volk zum Pallast dar,
Und drohet ihm mit Schwerdt und Feuer,
Sie schrien hinauf gar ungeheuer:
»Willst du um deiner Tochter Leben,
Dein ganzes Volk dem Drachen geben?«
[143]
Da es nicht anders möcht gesein,
Gab er zuletzt den Willen drein.
Er kleidet sie in königlich Wat,
Mit Weinen und Klagen er sie umfaht.
Er sprach: »Ach weh mir armen Mann!
Was soll ich jetzund fangen an?
Die Hochzeit dein war ich bedacht
Zu halten bald mit herrlicher Pracht,
Mit Trommeln und mit Saitenspiel,
Zu haben Lust und Freuden viel.
So muß ich mich nun dein verwegen,
Und dich dem grausen Drachen geben.
Ach Gott, daß ich vor dir wär todt,
Daß ich nicht seh dein Blut so roth.«
Er gab ihr weinend manchen Kuß,
Sein Töchterlein fiel ihm zu Fuß:
»Lebt wohl, lebt wohl Herr Vater mein!
Gern sterb ich um des Volkes Pein.«
Der König schied mit Ach und Weh,
Man führt sein Kind zum Drachensee.
Als sie da saß in Trauren schwer,
Da ritt der Ritter Georg daher.
»O Jungfrau zart! gieb mir Bescheid,
Warum stehst du in solchem Leid?«
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Die Jungfrau sprach: »Flieh bald von hier!
Daß du nicht sterben mußt mit mir.«
Er sprach: »O Jungfrau fürcht dich nicht,
Vielmehr mit Kurzem mich bericht,
Was deuts, daß ihr allein da weint,
Ein großes Volk herum erscheint?«
Die Jungfrau sprach: »Ich merk ohn Scherz,
Ihr habt ein mannlichs Ritter Herz;
Was wollt ihr hier verderben,
Und mit mir schändlich sterben.«
Dann sagt sie ihm, wie hart und schwer,
Wie alle Sach ergangen wär.
Da sprach der edle Ritter gut:
»Getröstet seyd, habt freien Muth!
Ich will durch Hülf von Gottes Sohn,
Euch ritterlichen Beistand thun.«
Er bleibet fest, sie warnt ihn sehr,
Da kam der greuliche Drach daher.
»Flieht Ritter! schont das junge Leben,
Ihr müßt sonst euren Leib drum geben.«
Der Ritter sitzt geschwind zu Roß,
Und eilet zu dem Drachen groß.
Das heilge Kreuz macht er vor sich,
Gar christenlich und ritterlich,
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Dann rannt er an mit seinem Spieß,
Den er tief in den Drachen stieß,
Daß gähling er zur Erden sank,
Und saget Gott dem Herren Dank.
Da sprach er zu der Jungfrau zart:
»Der Drache läßt von seiner Art.
Drum fürcht euch gar nicht dieses Falls,
Legt euren Gürtel ihm um den Hals.«
Als sie das thät, ging er zu Stund,
Mit ihm wie ein gezähmter Hund.
Er führt ihn so zur Stadt hinein,
Da flohen vor ihm groß und klein.
Der Ritter winket ihnen, sprach:
»Bleibt hie und fürchtet kein Ungemach.
Ich bin darum zu euch gesendt,
Daß ihr den wahren Gott erkennt.
Wann ihr euch dann wollt taufen lahn,
Und Christi Glauben nehmen an,
So schlag ich diesen Drachen todt,
Helf euch damit aus aller Noth.«
Alsbald kam da durch Gottes Kraft:
Zur Tauf die ganze Heidenschaft.
Da zog der Ritter aus sein Schwerdt,
Und schlug den Drachen zu der Erd.
[146]
Der König bot dem heilgen Mann
Viel Silber und Gold zu Ehren an,
Das schlug der Ritter alles aus,
Man solls den Armen theilen aus.
Als er nun schier wollt ziehen ab,
Die Lehr er noch dem König gab:
»Die Kirche Gottes des Herren dein,
Laß dir allzeit befohlen seyn.«
Der König baute auch mit Fleiß,
Der Mutter Gottes zu Lob und Preis,
Eine Kirche schön und herrlich groß,
Aus der ein kleiner Brunn herfloß.

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 1. Ritter St. Georg. Ritter St. Georg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-135A-8