10. Brief

An eine Adeliche Dame.


Dein nett gesetztes Blat, das mir dein Wohlergehen,
Hochwohlgebohrne Frau, vergnügt zu lesen gab,
Erweckte mir viel Lust da ich es durch gesehen;
Denn du drückst deinen Geist in allen Zeilen ab.
Mir war, als hört ich dich mit mir persönlich sprechen,
Denn es kann deiner Schrift, die deinen Geist entdeckt,
So wenig als dem Mund, an Artigkeit gebrechen,
Du sprichst und schreibst zugleich, geschickt und aufgeweckt.
Die Muse hilft dir zwar die Feder niedlich schärfen,
Doch hat die Schmeicheley dabey die Hand geführt,
Die mein so schlechter Dienst mich billig heißt verwerfen,
Weil dir dergleichen Lob, mir aber nicht gebührt.
Wie magst du doch von mir ein solches Rühmen machen,
Als wäre Clio mir vor andern zugethan?
Beschäme mich doch nicht; sie wird selbst drüber lachen,
Sie sieht dich ja gewiß mit holdern Augen an.
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Ists möglich daß du wohl mein Seitenspiel kannst preisen?
O Freundinn, denke doch an deiner Lieder Klang,
Was die für Majestet, für Geist und Feuer weisen;
Im Musenchor hast du gewiß den ersten Rang.
So oft mein Auge was von deiner Hand erblicket,
Das die Calliope durch dich zum Vorschein bringt,
So viel mals werd ich auch, ich schwer es dir, entzücket,
Weil alles angenehm und mehr als lieblich klingt.
Doch dieses kann mich gar nicht in Verwundrung setzen,
Daß deine Poesie dir so viel Ruhm erwirbt,
Und die gelehrte Welt dich vor geschickt muß schätzen,
Wenn andern Kraft gebricht, und Geist und Glut erstirbt.
Du wohnst an einem Ort, den sich die Pierinnen
Mit ihrem Dichterprinz zum Leibgeding erkiest;
Wo man die Hippocren sieht ungetrübet rinnen,
Und wo der Sammelplatz recht guter Dichter ist.
Dergleichen edle Kunst ist ihnen eigenthümlich,
An statt der Muttermilch nährt sie der Musen Brust.
Wer singt wie sie, so schön, so lebhaft und so rühmlich?
Wer hört ihr Singen nicht mit stets verneuter Lust?
Auch ihrer Töchter Geist erhebet sich im Dichten,
Fällt liebste Freundinn, dir nicht die von Breßler ein?
Die Schlesien mit Schmerz sah nach den Sternen flüchten,
Auf deren Asche noch die Musen Weyrauch streun;
Die haben dir gleichfalls ihr Feuer eingegossen,
So bald ein edler Trieb aus deiner Stirne brach,
Die haben in ihr Chor zugleich dich eingeschlossen,
Drum singst du ihnen auch so rein und männlich nach.
Allein wie wird sie nicht nunmehr dein Abschied kränken,
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Da sich anitzt dein Fuß aus ihren Grenzen reißt,
Und nach Pannonien so unverhofft will lenken,
Wohin Mars den Gemal, und dich ihm folgen heißt!
Ach Freundin! willst du dich uns denn so gar entziehen?
Da dieser Wink einmal zu unsrer Qual geschehn;
Welch eine grosse Kluft muß ich bey deinem Fliehen,
Nun leider zwischen mir und dir befestigt sehn;
Dies dünkt mich, war bisher vor weit genug zu schätzen,
Daß dich Elysien in seinem Schooß gehegt,
Und da dein G – – nun den Stab will weiter setzen,
So denke selbst, was mir das Schicksal auferlegt.
Dergleichen schnelle Flucht läßt sich nicht leicht verschmerzen.
Doch glaube, dieses wird stets meine Losung seyn,
Je weiter aus dem Aug ie näher bey dem Herzen;
Dies räum ich dir gewiß zum Angedenken ein,
Zeug hin und laß mich auch, so weit du dich entfernest,
Aus deinen Briefen sehn, was du mir sonst gegönnt,
Daß du diejenige noch nicht vergessen lernest,
Die dich die Zierde nur von ihren Freunden nennt.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. 10. Brief. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B083-B