Andächtige Betrachtung

Der Güte des Himmlischen Vaters gegen sterbende Seelen der Gerechten.

Aus dem 23. Capitel Doctor Müllers Liebes-Kuß.


Gott, den jede Creatur Schöpfer und Erhalter nennet,
Dessen Herz von Lieb und Huld gegen seine Kinder brennet,
Setzet unsern Lebens-Tagen, eh wir noch gebohren sind,
Ihr gewisses Ziel und Mase: Und bevor wir noch ein Kind
Auf dem Kreys der Erde sind, so bestimt er schon das Sterben,
Und beschließet, auf was Art unsre Hütte soll verderben.
Ja! der Mensch eilt alle Stunden nach der Erd, davon er kam.
Von dem Tage, da er Athem/ Luft und Leben zu sich nahm,
Fängt er schon zu sterben an, dieses heist zum Grabe eilen;
Hier läßt Anfang und das End sich nicht voneinander theilen.
Gott giebt Leben, Gnad und Seegen, Stärk und Kraft der Creatur,
Aber Maaß und Ziel darneben: Drum ihr Menschen glaubet nur,
Niemand kan das Ziel, das Gott uns gesetzet, überschreiten.
Reich und Arme, Fromm und Böß müssen nach vollbrachten Zeiten
Aus der Welt, wie sie gekommen. Und wer bey sich selber spricht:
Ich bin jung, gesund und munter, darum sterb ich jetzt noch nicht,
Den erschleicht der Tod noch ehr, als ers wohl gemeinet hätte,
Er besteiget oft die Gruft vor sein Schlaf und Wochen-Bette.
Dieses macht, gerechter Schöpfer! Adams schnöder Apfel-Biß,
Und die angeerbte Sünde; denn die Strafe kömmt gewiß.
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Ach! das ungeheure Gift der vermaledeyten Sünde
Wohnt und frißt in unserm Fleisch: darum müssen wir geschwinde!
Und so plötzlich von der Erde. Gottes Diener ist der Tod,
Der uns auf den Wink des Höchsten mit der düstern Bahre droht.
Einer wie der andre muß nach vollbrachtem Lauf erblassen,
Und den Reichthum, den er hat, einem andern überlassen.
Denn das Leben ist mitnichten uns geschenket; nur geliehn,
Und so bald der Höchste rufet, müssen wir von dannen ziehn.
Niemand kan vor ganz gewiß, wenn ein Weib gebiehret, sagen.
Dieses Kind wird in der Welt Purpur, Samt und Perlen tragen;
Oder aber: es empfänget Weisheit, Kunst, Verstand und Witz;
Oder: Hier in dieser Seele hat die Thorheit ihren Sitz.
Dieses aber saget man ganz gewiß: Es wird das Leben
Nach vollbrachtem kurzen Lauf wieder von sich müssen geben.
Ferner, mercket und betrachtet den besondern Unterschied
Derer, so die Hand des Würgers zur Verwesung nach sich zieht!
Der Gerechte zittert nicht, wenn der Tod ihn heisset ziehen;
Aber der Verruchte bebt und wünscht ihme zu entfliehen.
Ja! der Fromme schließt und glaubet, daß er gleichsam durch den Tod
Wieder neu gebohren werde. Denn gleich wie es keine Noth
Mit dem Weitzen-Korne hat, das man in den Acker streuet!
Weil es nicht die Krafft verliehret, sondern sich vielmehr verneuet:
Daß es wieder von der Erde auferstehet, wächst und grünt,
Und der Menschen-Zunft zur Speise und zur größten Labung dient.
Also ist es mit dem Tod des Gerechten; sein Verwesen
Gehet alsdenn allererst in das rechte wahre Wesen.
Er verschläft nur seinen Jammer; sein Gebeine ruhet aus,
Und an jenem grossen Tage komt er neu verklärt heraus.
Aber ein verruchter Mensch fährt mit Ach und Weh von hinnen;
Denn er weiß, daß seine That, seine Werke und Beginnen
Den gerechten Lohn empfangen, dort, wo Jammer, Quaal und Pein
Bey dem Fürst des finstern Reiches ewig, ewig um ihn seyn.
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Der Gerechte singt im Tod wie dort Simeon gesungen:
Herr, dein Knecht hat sich in Fried zu dir in die Höh geschwungen,
Meine beyde Augen haben dich im Glauben schon gesehn,
Drum will ich mit tausend Freuden und getrost zum Grabe gehn
Aber der Verdammte ruft: Möchten mich doch vor dem Schrecken,
Vor der Furcht der Ewigkeit Klüfte, Berg und Hügel decken!
Mit der Frommen Tod und Sterben höret ihr Betrübniß auf;
Aber des Verruchten Plage kömmt alsdann mit vollem Lauf:
Dem Gerechten steht die Thür nach dem Tod zum Himmel offen;
Doch der Böse hat sonst nichts, als der Höllen-Qual zu hoffen.
Ja der Fromme schläft nicht anders als ein Kind im Schoose ein,
Und schmeckt, wie uns Christus saget, weder Tod noch Todes-Pein,
Denn sein Tod ist gar kein Tod, sondern nur ein sanfter Schlummer,
Und ein angenehmer Schlaf. Hier verschläft man allen Kummer,
Wie auch unser Heyland lehret: Unser liebster Lazarus,
Schläft und ruht. Was bringt das Sterben denen Frommen vor Genuß.
Ist nicht dieser kurze Gang eine Reise nach den Himmel?
Kömmt man nicht in Fried und Ruh aus dem bösen Weltgetümmel?
Dort sind der Gerechten Seelen in des Allerhöchsten Hand;
Dort berühret sie kein Leiden, da ist keine Quaal bekant.
Mancher Thor vermeinet zwar, daß der Tod nichts anders wäre,
Als ein würklich herber Tod; doch ein Kluger faßt die Lehre,
Daß der Tod das Leben heise; gleich so, wie er glaubt und denkt:
Daß die Trübsal und das Leiden lauter Freud und Nutzen schenkt.
Dieser Glaube dringt hindurch und verlacht des Todes Grauen,
Denn der Herr, der ihn geliebt, mußte auch denselben schauen.
Ja! der Tod ist ein Geschenke, welches nicht geringe heist:
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Denn, wenn unser Lebens-Faden nicht veraltet und zerreist,
O! so müssen wir die Noth dieses Lebens ewig tragen,
Und wir können nichts von Ruh und von jener Freude sagen,
In der letzten Todes Stunde rufet das gerechte Blut,
Sey zufrieden liebe Seele, weil der Herr dir gutes thut.
Vater! heiset das nicht Huld, daß du uns die Zeit verkürzest,
Und die Kost uns nicht zu lang, mit dem Salz der Thränen würzest?
Doch die Zeit ist ohne dieses kurz genug, wie David spricht:
Meine Tage sind vergangen wie ein Rauch und schwaches Licht.
Unser Leben gleicht dem Garn und dem leichten Weberfaden,
Welcher, eh mans merckt, zerreist; Unser Leben gleicht dem Laden,
Den man Morgens früh eröfnet, aber Abends wieder schließt.
Wenig, böß, ist unsre Wahlfahrt, wie man dieß vom Jacob ließt.
Schauen wir das Gras nur an, o! so müssen wir gestehen,
Daß wir eben also schnell welken, sinken und vergehen.
Hiob spricht: Ach! meine Tage heisen schneller denn ein Mann,
Den man mit Verstand der Warheit einen Läufer nennen kan.
Sie sind wie ein schnelles Schiff eiligst vor mir übergangen,
Und es scheint, als hätten sie Adlers-Flügel gar empfangen.
Da nun unsre Lebens-Tage also kurz und wenig sind,
Warum sind denn unsre Augen so verfinstert und so blind,
Daß wir diese kleine Zeit also schlecht verstreichen lassen,
Und so schnöd und liederlich unsre eigne Wohlfahrt hassen?
Sagt, wie wird die Zeit vollzogen? meistens ruhn und schaffen wir,
Wie viel andre lange Stunden wenden wir zur Ungebühr,
Und zum eitelen Geschwätz, Müßigang und schnöden Dingen,
Und zur Speiß und Trinken an. Solt es uns einmahl gelingen,
Unsre Zeit zu überrechnen, die wir ohne Sorg vollbracht,
Und in welcher wir vornehmlich nach der Seeligkeit getracht,
Da wir das, was recht und gut, und vernünftig, vorgenommen:
O! wie eine kurze Zeit würd aus dieser Rechnung kommen.
Alle Zeit die schnöd verstrichen, ist kein Leben; die allein,
Die wir unserm Gott geweyhet, kan darzu gerechnet seyn.
Siehest du mein lieber Christ einen Strom mit leichten Wellen
O! so dencke/ dieser Fluß scheint mein Leben vorzustellen,
Welches eben so verschwindet. Unser Leben ist ein Laub,
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Grünt es heute, wird es morgen unverhoft des Windes Raub.
Es vergleicht sich einer Blum, welche schön und Herrlich blühet;
Morgen aber schon verwelkt; so, daß man sie nicht mehr siehet.
Ja! es ist als ein Geschwätze, und verschwindet wie ein Wort.
Heute sind wir frisch und munter; morgen an der Todes-Pfort.
Unsre Zeit ist nicht allein klein und kurz: auch Gott verkürzet
Denen Bösen ihre Zeit, die er früh in Abgrund stürzet.
Denn so oft sie eine Sünde gröblich und mit Fleiß begehn;
So ists um ein Theil der Tage ihres Lebens auch geschehn.
Nehmt ein Gleichniß von dem Baum, welcher ordentlicher Weise
Funfzig Jahre könte stehn: Aber wenn ein böß Geschmeise,
Und ein Wurm ihn stark vergiftet; so verdirbt er vor der Zeit.
Also, wenn der Wurm der Sünden in den Menschen sich so weit
Und so tief ins Herze gräbt; so verkürzet er das Leben,
Und der Mensch muß solches noch vor der Zeit zurücke geben.
Ach! der Tod liegt in den Sünden wie ein Kern in einer Frucht.
Wer die heilge Schrift mit Ernste und bedenklich untersucht,
Kan an Davids Beyspiel sehn, daß dieß längstens eingetroffen:
David wolte vielen Ruhm von des Volkes Zehlung hoffen;
Aber diese Hochmuths-Sünde rief die Pestilenz herab,
Also gieng um Davids Fehler vor der Zeit viel Volk ins Grab.
Auch die Bösen kommen oft mitten in dem größten Lachen,
Mitten in der Frölichkeit, wenn sie sich recht lustig machen,
Eh sie sichs vermuthen können, in den kalten Todes-Schweiß,
Weil der Tod von keinem Eyde und von keinem Bunde weiß.
Darum, wenn sie sicher sind, und in ihrer Frechheit wallen,
Sucht er sie als wie ein Dieb bald und schnell zu überfallen:
Wo sie gehen, wo sie stehen, kömmt der Tod auch neben ein,
Putzt euch, schmückt euch, wie ihr wollet, alles wird vergebens seyn:
Denn der Tod belauscht euch doch. Einer stirbt bey Spiel und Singen;
Einen andern will der Tod bey dem Wein zum Sterben zwingen.
Zwar die Frommen und Gerechten gehn auch auf des Höchsten Wort
Oefters in der schönsten Blüthe ihrer Lebens-Jahre fort.
Aber merkt den Unterschied! Gott zerschneidet ihren Faden
Aus besondrer Gütigkeit, aus Erbarmen, Lieb und Gnaden.
Mancherley kan sich ereignen, daß ein Frommer zeitlich stirbt,
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Und das freudenreiche Leben statt der Eitelkeit erwirbt.
Einestheils geschicht es oft der verruchten Welt zur Strafe,
Denn sie lästert, schmäht und flucht immer auf die frommen Schafe,
Als die Seelen der Gerechten. Doch die Welt ist ihrer nicht
Werth und würdig, wie Sanct Paulus in der heilgen Bibel spricht.
Ach! wenn ein Gerechter stirbt, o! so fällt die größte Stütze,
Und die schönste Säule weg: o! wie manche Trübsals Hitze
Uberzieht alsdann die Länder. Gleich da Noa aus der Welt
In den grossen Kasten eilte, war ihr Untergang bestellt.
Sodom fiel, so bald sich Loth ihren Gränzen nur entrissen.
Und wer wird nicht von dem Heer des Egyptschen Königs wissen,
Das mit Pharao im Meere untergieng, als Israel
Aus dem Land hinweg gezogen? O bedenke liebste Seel!
Ward nicht selbst Jerusalem auch in Asch und Staub verkehret,
Als kein Jünger Jesu mehr in derselbigen gelehret?
Ach! der Frommen ihre Seufzer und die heise Andachts-Glut
Schafft, und würket, daß der Höchste einer Stadt viel Gutes thut.
Fernerweit, so müssen sie auch um eines Fehlers wegen
Vor der Zeit sich in die Gruft und zu ihren Vätern legen,
Und vor ihre Missethaten hier noch büssen, daß sie dort
Nicht darum gestrafet werden. Moses, der des Herren Wort
Selbst aus seinem Munde nahm, und sein Knecht und Diener hiese,
Da er einen harten Fehl durch die Zweifelung bewiese,
Muste bald die Ruthe fühlen, denn die grosse Wunder-Hand
Ließ ihn sterben, und er kame nicht in das gelobte Land.
Auch Hiskias hätte dort seine Augen plötzlich schliessen,
Und den andern Menschen gleich wegen Hochmuth sterben müssen,
Wenn er nicht vorher ums Leben so geweinet und geklagt,
Das ihm Gott aus lauter Gnaden auch noch endlich zugesagt.
Gleichfals sterben sie auch bald, daß die Welt sie nicht verletze,
Und die Seele in Gefahr sündlicher Verführung setze.
Ist der Geist vollkommen worden, ist die Brust nur Gott geweyht,
O! so denkt die ewge Liebe: Treues Kind, die Eitelkeit
Soll dein Herz und deine Brust nicht berücken, deine Seele
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Ist mir lieb, drum hohl ich sie aus der morschen Leibes-Höhle.
Weiter schneidet Gott auch darum ihren Lebens-Baum entzwey,
Daß die Seele bald im Himmel in der ewgen Freude sey.
Jesus das erwürgte Lamm will, es sollen auch die Seinen
In dem güldnen Paradieß, als in ihrem Haus erscheinen,
Und die Ehren-Krone tragen, die er ihnen da erwarb,
Als er an dem Kreuzes-Holze mit viel Schmerzen vor sie starb.
Endlich ist etwan von Noth und von harten Trübsals-Banden,
Welche Gott vorher bestimmt, die gesetzte Zeit vorhanden,
So nimmt sie der Herr von hinnen, daß sie nicht das Unglück sehn,
Das nun über Städt und Länder und die Völker soll ergehn.
Gleich wie nun ein früher Tod eine Gnade Gottes bleibet:
So ists gleichfals eine Huld, wenn sein heilger Finger schreibet:
Deine Jahre sollen wachsen, dieses geb und schenk ich dir.
David wünschte solche Gnade, darum bath er mit Begier:
Herr mein Gott! nimm mich nicht weg in der Helfte meiner Tage.
Manchem Lande bringt der Tod eines Frommen schwere Plage,
Denn sein Mund, sein Amt und Wandel, lehret, bauet, straft und schützt;
Beydes Policey und Kirche wird aufs beste unterstützt:
Darum läßt ihn Gott zum Trost eines Volkes lange leben.
Manchem Frommen hat der Herr ein besonders Pfund gegeben,
Und ihn, wenn zugleich was grosses auf der Erde soll geschehn,
Vor viel andern auserwehlet, und zum Werkzeug ausersehn.
Dieserwegen muß er spät und bey silberfarbnen Haaren
Als ein treuer Knecht des Herrn, sanft zu seinen Vätern fahren.
Joseph starb nicht in der Grube, auch nicht in Gefängniß Noth;
Nein, er ward ein Ländes-Vater, und gab in der Theurung Brod.
Moses, da er einen schlug, und aus Furcht von dannen gienge,
Blieb im Leben, denn der Herr ließ sehr grosse Wunder-Dinge
Durch desselben Arm geschehen. David starb nicht von der Hand
Des Verfolgers Sauls; er muste erstlich des gelobte Land
Als ein König, Fürst und Held klüglich, fromm und wohl regieren
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Und des Höchsten Wunder-Hand und verborgne Weisheit spühren.
Auch Elias/ Gottes Diener, starb nicht vor der Jesabel;
Nein, es muste Gottes Lehre durch Eliam rein und hell
Nach der Wahrheit ausgesagt, und mit Macht verkündget werden,
Viel und grosse Wunderwerk musten erstlich auf der Erden,
Sich durch diesen Seher zeigen; und nach einer langen Zeit
Fuhr er auf dem Himmels-Waagen in das Schloß der Ewigkeit.
Gleichermasen durfte auch Jonas nicht im Walfisch sterben;
Denn er muste Ninive erst vom Unglück und Verderben
Durch des höchsten Wort erretten. Also sieht man offenbar,
Daß das Alter dieser Frommen eine Wohlthat Gottes war.
Gott, wie groß ist deine Gnad bey dem Sterbe-Bett der Frommen!
In der letzten Todes-Noth will dein Trost zu ihnen kommen.
Deine Thronen, deine Starken lagern sich um ihre Statt,
Daß der Höllen-Wolf an ihnen keinen weitern Antheil hat.
Will er gleich das Schulden-Buch mit dem Schuld-Register zeigen,
So tritt Christus neben sie, und spricht, Sattan, du solst schweigen.
Sey getrost, geliebte Seele! darum ließ ich meinen Thron,
Und erlitte auf der Erden Bande, Geisel, Schmach und Hohn,
Und bestieg den Kreuzes-Phal, ließ mir Hand und Fuß durchgraben,
Daß du möchtest Gnad und Huld wegen deiner Sünden haben.
Ja der heilge Geist ihr Tröster, spricht zugleich bey ihnen ein,
Und so kan das Herz voll Seufzer und voll Andachts-Flammen seyn.
Christus der getreue Hirt nimt die Schäflein an dem Ende
Und in ihrer Todes-Angst, gleich wie sonst, in seine Hände:
O er weis sie wohl zu schützen, daß der Höllen List und Macht
Sie mit nichten kan verletzen; ja er wird vielmehr verlacht.
Deine Hand, Herr Jesu Christ, kan die Macht der Höllen binden,
Also kan ein ruhig Herz auch noch sterbend überwinden.
Du giebst denen, die verscheiden, deines Geistes Kraft und Muth,
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Und versüssest ihren Jammer, liebster Freund! mit deinem Blut.
Deine heisse Liebes-Glut zeigst du nicht allein der Seele;
Sondern auch zugleich dem Leib als derselben Sitz und Höhle:
Denn du wartest mit Verlangen, bis der Lebens-Faden reist,
Da man ihn zur Erde bringet, die das Haus der Ruhe heist.
O! was ist das nicht vor Huld, daß die Seele, wenn sie stirbet,
Ihre sichre Hoffnung weiß, die nicht mit der Welt verdirbet.
Der Verdammte schließt die Augen, und erzittert, weint und schreyt,
Und ruft brüllend: Ach! ihr Berge deckt mich vor der Ewigkeit!
Sey getrost, gepreßtes Herz! rufe mit erfreutem Munde:
Wie vergnügt, wie labet mich meine letzte Todes-Stunde!
Durch den Tod fall ich recht sanfte in die Arme Jesus Christ,
Der mich dort vor allen Engeln als sein Kind sehr liebreich küßt.
Von den Augen sucht der Tod alle Thränen abzuwischen,
Und mich mit der Freuden-Quell meines Jesus zu erfrischen.
O! was soll ich bey dem Sterben um den Leichnam traurig seyn?
Legt der Herr doch meine Glieder selber in die Gruft hinein,
Und bewahrt sie, daß davon keines nicht zerbrochen werde.
Wenn einst die Posaune schallt, wenn der Himmel und die Erde,
Wird zerfallen und vergehen, ruft er mich aus meinem Grab,
Und nimmt allen Staub und Moder, und die Fäulung gänzlich ab;
Er verkläret meinen Leib, die Gebeine kommen wieder,
Und mein Mund singt ewiglich tausend Lob- und Ehren-Lieder.
Drum, ihr Frommen und Gerechten, schätzt und haltet euren Tod,
Vor die Endschaft eurer Sünden, vor den Tilger eurer Noth.
Durch denselben gehet ihr aus der Unruh in den Frieden,
Ihr erlangt die süsse Ruh, nichts wird euren Leib ermüden.
Ihr bekommt die höchste Klarheit, und der Sonnen güldnen Glanz,
Euer Haupt schmückt statt der Dornen ein vollkommner Ehren-Kranz.
Aus der falschen Menschen-Zunft kommt ihr zu den Seraphinen,
Da wird euer wahres Glück ewig ohne Ende grünen.
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Freut sich nicht ein müder Wandrer, wenn die Abend-Röthe prangt?
Weil er nun den Ort erreichet, den er Sehnsuchts-voll verlangt.
Darum jauchzet in dem Tod; darum lachet bey dem Scheiden;
Denn vor euren Sünden-Rock wird euch reine Seide kleiden.
Vor die morsche Leibes-Hütte kriegt ihr die Unsterblichkeit,
Vor die Sünde, vor das Leiden, ewge Wonne, Lust und Freud.
Darum sage frommer Christ, bey dem Ausgang aus dem Leben,
Vater, deine Lieb ist groß, du wilst mir was bessers geben!
Etwas ist noch zu bedenken. Sind wir gleich des Tods gewiß,
Bleibt uns doch die Zeit verborgen. Diese macht uns Kümmerniß.
Wer entdeckt uns, wenn der Tod, und sein Arm uns will berücken?
Ja wer sagt uns, durch was Art er uns wird zur Grube schicken?
Drum laßt uns darauf gedenken, daß wir allzeit wachend seyn,
Denn so gehn wir wohl bereitet aus der Welt zum Himmel ein.
Wachet, bethet, kämpft mit Fleiß und bewahret euren Glauben,
So kan euch der Sattan nicht eure Himmels-Krone rauben.
Füllet mit den klugen Jungfern eure Lampen stetig an,
Daß, wenn euch der Bräutgam rufet, jede mit ihm gehen kan.
Wilst du nun zu deinem Tod, liebste Seele! dich bereiten,
O! so setz sein Angedenk und Betrachtung nicht beyseiten;
Denke täglich an das Sterben, denke stündlich an den Tag,
Der dich vor des Herrn Gerichte und zur Rechnung fordern mag.
Such, der Welt und ihrer Lust zeitlich gute Nacht zu geben,
Lerne stets der Heiligung und dem Heyland nachzuleben;
Glaube nicht viel Mitteldinge; Habe deine Lust am Herrn,
Denn wer ihn von Herzen liebet, dem ist seine Huld nicht fern.
Such wie David deine Seel immer in der Hand zu tragen,
Und von Herzen stets das Wort jenes Zöllners nachzusagen.
Hast du täglich dieß im Sinne; so vergehet dir die Lust
Nach dem Lauf der Welt zu wandeln, und in deiner Seel und Brust
Wird die Liebe Jesu seyn: Du wirst ohne alles Grauen,
Deine letzte Lebens-Zeit, und die Hand des Todes schauen.
Nun wohlan, ihr frommen Herzen! glaubet sicher, euer Tod,
Wird nach eures Jesus Winke; nach dem Willen und Gebot
[57]
Eures Gottes schon geschehn. Seine Huld hat ihm befohlen,
Euch als seine liebste Braut zu der Hochzeit abzuhohlen.
Nun mein Heyland! bleibt nicht lange! laß mich deine Liebe sehn!
Laß mich bald ins Reich der Freuden aus dem Jammerthale gehn!

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