[47] Just Friedrich Wilhelm Zachariä
Fabeln

[48] [51]Der Fuchs, der Wolf und die Affen

Ein Fuchs, der lange schon geschmachtet,
Umsonst nach manchem Huhn getrachtet,
Erfuhr, daß eines Affen Frau
Im Kindbette sey. Ha! (dacht' er schlau)
Vielleicht trag' ich vom Wochenschmaus
Auch wohl ein fettes Maul nach Haus,
Man muß sich in die Zeiten schicken,
Gefällig seyn und viel sich bücken:
Sonst bleibet Börs' und Magen schlapp.
So dacht' er bei sich und begab
Sich auf den Weg zum Aufenthalt
Der Affen in den nächsten Wald.
Er fand die Wöchnerin im Lager
Aus weichem Heu; von Mann und Schwager
Und Muhm' und Schwiegerin umringt,
Von denen jeder etwas bringt,
So daß Herr Reineke, gar klug,
Bemerkte, hier sey Schmaus genug.
[51]
Er machte sich deshalb gar zierlich
Zur Affin, bückte sich manierlich
Bis auf die Schuh, und sprach: Madam,
Daß ich den Weg zu Ihnen nahm,
Ist aus der Ursach' blos geschehn,
Die schönen Kinderchen zu sehn,
Womit sie vor gar kurzer Zeit
Den werthen Herrn Gemahl erfreut.
O, zeigen Sie doch Ihrem Knecht,
Von Ihrem adlichen Geschlecht
Die beiden liebenswürd'gen Zweige,
Daß ich mich auch vor ihnen beuge!
Ihr Gnaden glauben sicherlich,
Ein rechter Kindernarr bin ich!
Als dieses die Frau Affin hört,
Gar freundlich sie sich zu ihm kehrt,
Reicht ihm die Hand, und spricht zum Mann:
Sieh' doch den art'gen Fremdling an!
Er kömmt hieher mit müden Füßen,
Blos, unsre Kinderchen zu küssen.
Hier, Freund, (sprach sie zum Fuchs) im Heu
Ruhn sie im Schlummer alle zwei.
Sie sagt' es, und zog mit der Hand
Ein pelzgefüttertes Gewand
Hinweg von ihrem Zwillingspaar,
Und sprach zum Fuchs: Mein Herr, nicht wahr,
Wenn Ihr's aufrichtig wollt gestehn,
Was Schöner's habt Ihr nie gesehn?
Der Fuchs erschrak. In langer Zeit
Hatt' er nicht so viel Häßlichkeit
An irgend einem Thier erblickt;
Doch rief er listig, wie entzückt:
O, froher Tag! So seh' ich denn
Die beiden kleinen Engelchen
[52]
In jedem Liebreiz vor mir liegen?
O, welche Freude, welch' Vergnügen
Muß dies den hohen Eltern seyn!
Fürwahr, trifft mein Vermuthen ein,
So werden sie, das ahnet mir,
Die Lust der Welt, der Affen Zier.
Als dieses die Frau Affin hört,
Ward sie von Freude ganz bethört,
Wie ihr Herr Eh'mann ebenfalls.
Er warf dem Fuchs sich um den Hals
Bat ihn auf's Freundlichste zu Tische,
Trug auf Pasteten, Braten, Fische,
Viel Obst, und Nüsse groß und klein,
Und trank ihm zu vom besten Wein;
So daß der Fuchs, sehr wohl gespeist
Und halb berauscht, von dannen reist.
Ein Wolf traf auf dem Weg ihn an
Und sprach zu ihm: Mein lieber Mann,
Ich seh' an deinem vollen Bauch,
Du hast geschmaust. Könnt' ich nicht auch
Zu einem solchen Fest gelangen,
Bei dem es dir so wohl gegangen?
I, Freund! (versetzt der Fuchs) gar leicht
Wird dieser Wunsch von dir erreicht.
Des Affen Frau liegt in den Wochen,
Der hab' ich eben zugesprochen,
Sie hat zwei allerliebste Kinder,
Sie zeigt sie gern; wo du nicht minder,
Als ich, sie lobst, so gibt sie dir
Mit Dank zu schmausen g'nug dafür.
[53]
So? (sprach der Wolf) brauch' ich nur dies,
Dann hab' ich meinen Fraß gewiß!
Er eilte zu den Affen hin,
Und traf sie an bei frohem Sinn;
Ward freundlich von dem Mann empfangen,
Nach seinem höflichen Verlangen
Zur Frau geführt, die, sehr geneigt,
Ihm alsobald die Kleinen zeigt.
Herr Eisengrimm mit starrem Blick
Fuhr ganz erstaunensvoll zurück.
Was Kuckuk! (schrie und lacht' er laut)
Hier schaudert einem fast die Haut!
Dies sind ja wahre Ungeheuer!
Und die Scheusäligen sind euer?
Ei! schrien die Affen allesammt,
Die Mutter mit, von Wuth entflammt,
Ei! seht mir doch den Grobian
Mit seinen Schmeicheleien an!
Was braucht er denn hieher zu gehn,
Und unsre Kinderchen zu schmähn?
D'rauf griff ein jeder nach dem Knittel,
Durchklopften weidlich ihm den Kittel,
Daß er, an allen Vieren lahm,
Zum Fuchse hungrig wieder kam.
Sobald Herr Reineke vernommen,
Wie schlecht der Wolf davon gekommen,
Sprach er: Ihr gebt mir wohl nicht Recht!
Allein Ihr kennt die Welt noch schlecht.
Gern hält das Ohr dem Schmeichler still;
Die Wahrheit Niemand hören will.
Dies hab' ich, Leser, auch gedacht,
D'rum kommt sie hier in Fabeltracht.

[54] Der Hecht und der Hai

Ein Hecht regierte lange Zeit
In einem Wasser weit und breit,
Und glaubte voller Stolz, nun sey er
Der Fürst und Herr im ganzen Weiher.
Was hindert mich denn, (fing er an)
Daß ich im weiten Ocean
Nicht eben so gewaltsam wüthe,
Nicht eben so als Herr gebiete,
Wie hier? Er sagt's und schwimmt sogleich
Hinab in's große Wasserreich.
Doch wie erschrak er, da er nah'
Des Meeres Ungeheuer sah!
Ein Hai, der nicht sobald vernommen,
Weswegen er hieher geschwommen,
That seinen weiten Rachen auf,
Ergriff ihn und verschlang ihn d'rauf.
So trifft der kleinere Tyrann
Stets einen noch gewalt'gern an,
Der ihn, von Siegen schon umringt,
Mit seiner größern Macht verschlingt.

[55] Der Knabe und der Stieglitz an der Spree

Ein bunter Stieglitz ward gefangen,
Und einem Knaben auf Verlangen
Zu seinem Eigenthum geschenkt,
Der ganz entzückt auf nichts mehr denkt,
Als seines Vogels recht zu pflegen.
Er sucht daher ihm allerwegen
Sein liebstes Futter, füllt sein Glas
Des Tages oft mit frischem Naß;
Vergoldet ihm sein kleines Haus,
Und bringt ihm manchen Distelschmaus.
Der Stieglitz aber findet doch
Zuletzt ein unbemerktes Loch,
Aus welchem er gar bald entkam,
Und fröhlich seinen Abschied nahm.
Der Knabe rief ihm freundlich zu:
Wohin, du armer Vogel, du?
Was hat dir denn bei mir gefehlt,
Daß sich dein Flug das Weite wählt?
Hab' ich nicht Alles dir gegeben,
Wovon die Herr'n Stieglitze leben?
War nicht dein Käfich ein Palast,
Mit gold'nen Drähten eingefaßt?
Und ward dir nicht aus meiner Hand
[56]
Manch Stückchen Zucker zugewandt?
Komm' wieder, bitt' ich dich, herein!
Der Stieglitz gab zur Antwort: Nein!
Weg mit der gold'nen Sklaverei!
Hier hab' ich mehr, denn ich bin frei.

Der Bischof und der Bettelbube

Einst ging ein Bischof durch die Stadt;
Ein Bettelbube zu ihm trat,
Zog vor ihm ab gar tief den Hut,
Und sagte: Herr, seyn Sie so gut,
Bis an den Hals steck' ich in Schulden,
Und schenken Sie mir einen Gulden
Zu diesem lieben Neuenjahr;
Das wär' ein christlich Werk, fürwahr!
Was! (schrie der Bischof eifersvoll)
Ich glaube, Junge, du bist toll;
Ein Gulden, bei so schlechter Zeit,
Ist wahrlich keine Kleinigkeit!
Nun, Herr, (fiel ihm der Bettler ein)
So mögen's denn acht Groschen seyn.
Nichts, nichts! (versetzt der Bischof d'rauf)
Geh' fort und halte mich nicht auf!
Ihr Gnaden! Einen Groschen dann –
Fort, fort! auch den nicht – Nun wohlan!
[57]
Sie sehn, wie ich mich handeln lasse,
Ein Hellerchen? – Geh' deiner Straße,
Nichts, gar nichts! Das ist etwas arg,
(Sprach d'rauf der Bube). Sie sind karg!
Doch lassen Sie sich denn bewegen,
Und geben mir nur Ihren Segen!
Den sollst du haben, lieber Sohn,
(Erwiederte mit süßem Ton
Der Geistliche) knie' hin vor mir,
Den besten Segen geb' ich dir!
So? sprach der Bursche ganz verwegen,
Behalten Sie nur Ihren Segen!
Ich hab' ihn zu geschwind begehrt;
Wär' er nur einen Heller werth,
Sie gäben ihn, hochwürd'ger Herr,
Gewiß nicht so gutwillig her.

Die Wölfe und der Rabe

Zween Wölfe, die sehr hungrig waren,
Begaben sich mit viel Gefahren
Zu einem Schafstall. Jeder nahm
Sich nach Belieben da sein Lamm,
Und eilten d'rauf zum Wald hinein,
Von Niemand mehr gestört zu seyn.
Ein Rabe sah's von ohngefähr,
Flog hurtig hinter ihnen her;
[58]
Und als sie nun, nach langem Schmachten,
Sich über ihre Beute machten,
Rief er von einem Baum herab:
Ihr Herr'n, gebt mir doch auch was ab!
Ihr werdet mich doch nicht vergessen,
Und Alles so allein hier fressen?
Ich habe kühn und unverzagt
Mein Leben ja mit euch gewagt;
D'rum gebt mir mein gebührend Stück,
Und weist mich hungrig nicht zurück.
Ja, sprach ein Wolf, du hast geflogen,
Und bist uns treulich nachgezogen,
Doch, guter Freund, aus Eigennutz,
Und wahrlich nicht zu unserm Schutz!

Die Spinne und das Podagra

Das Podagra und eine Spinne,
Geführt von ihrem Eigensinne,
Entschlossen sich, die Welt zu sehn
Und Abenteuern nachzugehn.
Sie trafen unterwegs sich an,
Und grüßten sich, da sie sich sahn,
So leicht, so artig und galant,
Als hätten sie sich längst gekannt.
Ich dächte (sprach das Podagra),
[59]
Wir setzten nach dem Dorfe da
Zusammen unsre Reise fort.
Es scheint ein wohlgelegner Ort,
Und sind Madam so müd' als ich,
So wird uns Beiden, sicherlich,
Jedwede Herberg, groß und klein,
Auf diese Nacht willkommen seyn.
Der Spinne war das eben recht.
Sie kamen an das Dorf. Geschwächt,
Hinfällig, kraftlos und halb lahm
Erlag das Podagra und nahm,
So bald als möglich, voll Begier,
Beim ersten Bauer das Quartier.
Die Spinne hielt sich für gescheuter
Und nahm den Weg noch etwas weiter,
Bis zu des Edelmannes Haus;
Hier wählt' sie einen Saal sich aus,
In welchem man mit großem Prachte
Zu einem Gastmahl Anstalt machte.
Sogleich nahm sie nach ihrem Witz
Von einem Fensterrahm Besitz;
Hub an, mit emsigem Bestreben,
Viel ihrer Fäden anzukleben.
Doch eh' ihr Netz noch fertig war,
Nimmt eine Stubenmagd es wahr,
Die mit dem Besen d'rüber fährt
Und unbarmherzig es zerstört.
Die Spinne hub von Neuem an
Zu weben, wie sie erst gethan;
Da ward der Saal voll Herr'n und Damen,
Mit denen viel Lakaien kamen.
Ein naseweiser Bursche sah
Der Spinne Netz, und rief: Sieh' da,
Was machst du hier? und stieß sogleich
[60]
Den Hut quer durch ihr Fadenreich.
Die Spinne ließ sich's nicht verdrießen,
Und heftete mit muntern Füßen
Ihr hangend halbzerstörtes Nest
Zum dritten Mal am Fenster fest.
Da trat ein junges Fräulein her,
Das sah am Fenster ungefähr
Die Spinne hangen, und schrie laut:
Ach, Herr Baron, mir graut, mir graut!
Und wies mit Schrecken auf die Spinne.
Kaum ward der Herr Baron sie inne,
So zog er wie ein Held den Degen,
Fing an im Netz herumzufegen,
So daß mit Noth die Spinn' entkam
Und aus dem Saal den Abschied nahm.
Dem Podagra ging's fast auch so,
Es ward der Herberg wenig froh.
Nachdem es lange g'nug gesessen,
Sprach es: Ich möcht' ein wenig essen!
Der Bauer brachte trocken Brod,
Zum Trunk dazu kalt Wasser bot;
Dies waren nach so langen Reisen
Für's Podagra sehr schlechte Speisen.
Es aß nicht viel, trank kaum dazu,
Und sprach betrübt: Bringt mich zur Ruh'!
Da wies der Bauer ihm zum Bette
Gar eine harte Lagerstätte,
Worauf ein wenig Stroh nur lag.
Hier lag es kläglich, bis der Tag
Im Osten an zu grauen fing,
Und seufzend es von dannen ging.
[61]
Es traf die Spinne wieder an,
Die auch kein Auge zugethan;
Und alle Beide klagten sich,
Wie elend und wie jämmerlich
Sie beiderseits die vor'ge Nacht
In Furcht und Sorgen zugebracht;
Ich seh' wohl, wo der Knoten sitzt,
(Sprach d'rauf das Podagra). Dir nützt
Zum Aufenthalte kein Palast;
So wie ich niemals Ruh' und Rast
Bei schlechten Bauern finden kann.
D'rum geh' du zu dem armen Mann,
Und ich will deinen Junker sehn,
So soll das Ding wohl besser gehn.
Dies waren Beide wohl zufrieden,
Und Beide gingen nun verschieden
Den Weg, so wie der Abend kam.
Das Podagra, voll Hoffnung, nahm
Zum Schloß des Junkers seinen Gang.
Und mit welch freudigem Empfang
Ward es von ihm nicht aufgenommen!
Kaum sah er es gehinket kommen,
So nahm er's höflich bei der Hand,
Führt's in sein Zimmer; d'rinnen stand
Ein Sopha mit viel weichen Kissen,
Davon legt' er ihm drei zu Füßen,
Und sprach: Ihr Gnaden fordern dreist,
Was Ihrem Gaum willkommen heißt.
D'rauf rief er seine Diener her;
Da ward der Tisch nicht einmal leer
Von Thee, und Kaffee, und Orsade,
Von Chokolad' und Limonade,
[62]
Alsdann ward von der Schüsseln Menge
Die große Tafel fast zu enge;
Da kam französisches Ragout,
Weit umher dampfend nach haut Gout,
Schön Rostbeef, nach der Briten Art,
Und Austern mit und ohne Bart;
Dann kamen Austern am Kapaun,
Dann Austern, schön gebraten, braun;
Dann wieder Austern in Pasteten,
Dann Fisch mit Austern, bis zum Tödten;
Und schöne Braten, vom Fasan,
Bis auf den feisten Ortolan.
Kurz, Alles, was die Schmausewelt
Für ächte Leckerbissen hält,
War so im Ueberflusse da,
Als wär' es in Hammonia.
Die Weine? ja, wer kann die zählen?
Gewiß! hier durfte keiner fehlen,
Und das Probiren riß nicht ab,
Vom Franzwein bis zum Vin de Cap,
So daß das Podagra sogar
Satt bis zum höchsten Ekel war.
Die Spinne trat zum armen Mann
Indeß auch ihre Wallfahrt an.
Sie fand bei ihm ein freies Leben,
Fing an zu haspeln und zu weben
Nach Herzenslust mit Füßen, Händen
An Thüren, Fenstern, Balken, Wänden,
Und machte sich manch schönes Netz
Nach ihres Eigensinns Gesetz;
Rund mit viel Strahlen krumm und schief,
Gleich, ungleich, seltsam, flach und tief.
So herrschte sie im ganzen Haus,
Und Niemand stört' und trieb sie aus.
[63]
Als d'rauf die beiden Wanderer
Nach kurzer Zeit von ungefähr
Sich wieder sahn, da rühmten beide,
Mit welcher wahren Lust und Freude
Ihr Leben nun versüßet sey.
Jedwedes blieb der Herberg treu;
Vergnügen war auf beiden Seiten.
Und so wohnt noch zu unsern Zeiten
Die Spinne bei den Armen gern,
Das Podagra bei großen Herr'n.

Der Pfau und das welsche Huhn

Vom Edelhof, der ihn erzogen,
War einst ein Pfau hinweggeflogen;
Er wußte nicht mehr, wo er war;
Zuletzt kam er nach viel Gefahr
Zu einer kleinen Meierei.
Hier läuft gleich Jung und Alt herbei,
Und preist mit übermäß'ger Freude
Den fremden Herrn im schönen Kleide.
Man streut ihm reichlich Futter hin.
Die andern Hühner sehen ihn
Mit heimlicher Bewund'rung an,
Und mit gar großem Neid der Hahn.
Dem Pfau gefiel es hier so ziemlich,
Nur schien es seinem Stolz nicht rühmlich,
Daß er, so artig, so galant,
[64]
Hier nichts für sich zu lieben fand.
Was kann nicht Langeweile thun?
Ein niedlich junges, welsches Huhn
Schien unserm Stutzer noch allein
Der Mühe werth, verehrt zu seyn.
Zwar eine Mutter war noch da,
Die scharf auf ihre Tochter sah;
Allein der Pfau verstand sehr schön
Die Mutter selbst zu hintergehn;
Und sah noch überdies gar bald,
Daß in des Töchterchens Gestalt
Der Mutter Blick vergaffet war.
Er nimmt daher des Vortheils wahr,
Macht an die Tochter sich beherzt,
Liebäugelt, lobet, lacht und scherzt.
Sie war verliebten Temp'ramentes;
Der listige Herr Pfau erkennt es
Nur allzu sicher aus der Art,
Mit welcher ihm begegnet ward.
Die Mutter merkte jetzt den Handel,
Und sprach: Mein Herr, der Tugendwandel
Von meiner Tochter ist bekannt;
Sie schickt sich nicht für Ihren Stand,
Und ist nicht aus dem Pfaugeschlecht!
Wir sind nur Hühner schlecht und recht.
Madam, (sprach hier der Pfau verstellt)
Ich bitte Sie, was in der Welt
Verdient es mehr, als wie sie Beide,
Vom Pfaugeschlecht zu seyn? O Freude!
Ich kann ein würdig Kind erhöhn,
Und es mir gleich und glücklich sehn!
Madam betrachten selber nur
Die kleine süße Kreatur.
[65]
Gleicht sie nicht völlig einer Pfau?
Und geht und trägt sie nicht genau
Sich so wie unsre Schönen tragen?
Der Augenschein wird's Ihnen sagen!
Die Tochter höret ihn entzückt;
Die Mutter preiset sich beglückt.
Dem jungen Herrn ward viel erlaubt,
Der manche Gunstbezeugung raubt,
So daß fast Jeder denkt, der Pfau
Und dieses Huhn sey Mann und Frau.
In diesem angenehmen Wahn
Kam plötzlich eine Pfauin an.
Sie setzet stolz sich auf das Dach,
Schreit, und macht Alles um sich wach.
Der Pfau vernimmt kaum, daß sie ruft,
So schwinget er sich in die Luft,
Eilt undankbar mit ihr davon,
Und Schande blieb des Hühnchens Lohn.
So machen's noch in unsern Tagen
Die Herr'n, die Federhüte tragen.
Sie wissen's noch gar wohl, Madam,
Wie Herr Baron von Hochblut kam,
Vorlieb gern nahm mit Karolinchen;
Bis plötzlich Fräulein Edelinchen
Erschien und ihr den Bräut'gam stahl,
Und sich der Herr Baron empfahl.

[66] Die beiden Elstern

Gib kluger Sparsamkeit Gehör,
Und rechne lieber Jahre mehr,
Als du vielleicht zu leben hast;
Damit dich nicht des Mangels Last,
Auf den die Jugend sorglos blickt,
Im Alter doppelt schwerer drückt.
Zwei Elstern waren Nachbarinnen;
Kaum wurden sie des Herbstes innen,
So trugen sie mit regem Fleiße
Sich auf den Winter ihre Speise
An guten Eicheln, braunen Nüssen,
Und was sonst Elstern haben müssen,
Jedwed' in einen hohlen Baum,
Und gaben keiner Sorge Raum.
Der Winter kam vom hohen Brocken,
Das Haupt umringt mit Eis und Flocken;
Der freie Strom ward plötzlich hart,
Die sterbende Natur erstarrt.
Die Elstern zehrten ohne Klagen
Vom Vorrath, den sie eingetragen;
Doch flog die eine manches Mal
Bei'm ersten besten Sonnenstrahl
Hinaus in's Feld und suchte sich,
An Rain und Hügeln, kümmerlich,
Was noch zu essen dienlich war.
Die andre nahm dies spöttisch wahr
Und sprach: Fürwahr, Frau Nachbarin,
Wie lange denkt Ihr denn noch hin
[67]
Mit Eurem Vorrath auszukommen?
Habt Ihr die Lerche nicht vernommen,
Die munter schon im Saatfeld singt
Und uns den Frühling wieder bringt?
Der Winter kann nicht länger währen,
Und sicher könntet Ihr verzehren,
Was hier schon aufgesammelt ist,
Und sonst verdirbt und Niemand frißt.
Lebt so wie ich in Freud und Scherz.
Denn neue Nahrung bringt der März.
Ja, (sprach die andere darauf)
Dem Schein nach hört der Winter auf;
Doch, uns zum größten Ungemach,
Kommt oft ein später Frost noch nach.
Bleibt mir was übrig, nun wohlan!
Was ich nicht selbst verzehren kann,
Wird unter dieses Baumes Rinden
Noch immer seinen Mann wohl finden.
Sie hatte Recht. Denn plötzlich kam,
Da schon der Lenz den Anfang nahm,
Ein neuer Winter. Tiefer Schnee
Bedeckte traurig Thal und Höh',
Und lag verschied'ne Wochen lang
Zu manches Thieres Untergang.
Kein Lenz erschien, wie man gedacht;
Der Hunger kam mit ganzer Macht,
Und ihre Nachbarin erfriert,
Weil sie nicht richtig kalkulirt.

[68] Die Hunde mit der Löwenhaut

Zween Hunde fanden in dem Wald
Ein Löwenfell, und fielen bald
Voll Neid und Rachsucht d'rüber her,
Zerzausten und zerrissen's sehr.
Dies sah voll Zorn ein Wolf und sprach:
Die Haut bedecket ihr mit Schmach,
Doch stäke noch der Löwe d'rin,
Wie hurtig wolltet ihr entfliehn!

Der Esel und der Stier

Der Esel ging einst auf der Weide
Mit einem Stier; da hörten beide
Viel Lärm, als wie von einem Heer,
Und in den Dörfern rund umher
Zu Sturm mit allen Glocken läuten.
Was (sprach Herr Heinz) mag das bedeuten?
Ach, Freund, (erwiedert ihm der Stier)
Ich zitt're schon, der Feind ist hier!
Laß uns sogleich von hinnen fliehn,
Bis daß die Plünd'rer weiter ziehn;
Bekämen sie uns hier zu fassen,
Wir müßten Beide Haare lassen.
Der Esel sprach hierauf: Ei nun!
[69]
Willst du entfliehn, das kannst du thun.
Dir grauet, daß du wirst erstochen,
Und sie dich schlachten, schinden, kochen,
Vor diesem Allen bin ich frei.
Mein Schicksal bleibt stets einerlei,
Und ich muß unter gleichen Plagen
Die Säcke doch zur Mühle tragen.
Kalt siebt sehr oft der Unterthan
Den Feind sich seinen Grenzen nahn.
Er weiß, ihm bleibet Sklaverei,
Sein Sieger sey auch wer er sey.

Der Löwe, der Stier und der Ziegenbock

Wenn erst der Mächtige dir droht,
Schwört auch der Klein're dir den Tod.
Ein starker Stier, sonst unverzagt,
Ward von dem Löwen doch gejagt,
Und floh nach seinem Stalle zu.
Ein Ziegenbock stand da in Ruh',
Und hielt dem Stier sogleich verwegen
Mit wildem Blick sein Horn entgegen.
Der Ochse wich in vollem Lauf
Den Hörnern aus, und sprach darauf:
Ich fürchte mich, Freund, nicht vor dir;
Allein der Löw' ist hinter mir.

[70] Der Bauer mit den Birnen

Verachte das Gewisse nicht,
So viel auch Hoffnung mehr verspricht;
Sie täuscht mit jedem Augenblick;
Was du verschmähst, ist oft dein Glück.
Ein reicher Schultheiß ging von Haus
Gar früh zu einem Kirmesschmaus.
Das Dorf lag weit von seinem Ort,
Indeß lief er doch nüchtern fort;
Denn schon saß er im Geist am Tisch,
Bedeckt mit Braten, Fleisch und Fisch.
Da (dacht' er) sollst du sanft dich ruhn,
Und dir was Recht's zu Gute thun,
Wer wollte nicht mit leerem Magen
Auf einen Schmaus zu hungern wagen?
So strich er mit vergnügtem Sinn,
Durch Haide, Wald und Fluren hin.
Der Mittag nahte sich nunmehr,
Und sieh'! ihm fällt von ohngefähr,
Da schon die Sonne brennend sticht,
Am Weg ein Birnbaum in's Gesicht,
Den kürzlich brav der Wind durchrüttelt
Und manche Birn' herabgeschüttelt.
Sie schienen reif und schön zu seyn,
Und luden unsern Wand'rer ein,
Bei leerem Bauch davon zu essen!
Allein er stieß sie ganz vermessen
Mit seinen Füßen fort und sprach:
Ich geh' ganz andern Essen nach!
Ihr seyd mir sonst ein gut Gericht,
[71]
Doch meiner Treu', nur heute nicht!
Er eilte fort, und kam gar bald
An einen Strom, wo, durch Gewalt
Der Fluth, die Brücke weggeschwommen.
Er konnte nicht darüber kommen,
Lief lang' am Ufer auf und ab,
Bis er zuletzt sich d'rein ergab,
Ungern den Weg zurücke nahm,
Und wieder zu dem Birnbaum kam,
Den er geschmäht vor wenig Stunden.
Hätt' er da nicht die Birn' gefunden,
Die er getreten erst mit Füßen,
So hätt' er halb verhungern müssen.

Der Löwe und der Esel

Gebeuget unter schwere Lasten,
Und mager von den vielen Fasten,
Ging einst ein Esel über Feld.
Ihn sah der Thiere Fürst, der Held,
Der so gepries'ne Löwe, gehn,
Und sprach zu ihm mit bitterm Schmähn:
Weich' aus, du niederträchtig Thier!
Man siehet seine Schand' an dir!
Du schleppest, wie man's haben will,
Und schweigst zu jeder Drohung still!
Ruhm habt ihr noch allein von mir;
[72]
Ich bin des Thierreichs Schmuck und Zier,
Denn mich und meine Tapferkeit
Rühmt man auf Erden weit und breit.
Mit Demuth hub der Esel an:
Und was hat Gutes sie gethan,
Die so gerühmte Tapferkeit?
Den Wald verheert, das Vieh zerstreut!
Ich nütze Menschen spät und früh,
Und du, Held, Fürst? zerreißest sie!

Die Mücke und der Stier

Mit lautem, sumsendem Gefieder
Ließ eine Mücke sich hernieder
Auf einen Stier, und setzte sich
Stolz auf sein Horn und sprach: Drück' ich
Zu sehr dich auch, mein lieber Stier,
So bitt' ich, sage dreist es mir!
Wen hör' ich hier als wie im Traum?
(Versetzt der Stier.) Ich weiß es kaum,
So sehr du auch dein Daseyn nützest,
Auf welchem Horne du mir sitzest.

[73] Der gefangene Trompeter

Ein dicker Mohr, mit Namen Peter,
Ward bei der Reiterei Trompeter,
Und bald darauf in einer Schlacht
Mit zum Gefangenen gemacht.
Man gab ihm manchen Rippenstoß,
Er aber rief: Laßt mich doch los!
Ihr wißt, daß ich nicht mit gekriegt
Und euch kein Leides zugefügt!
Mein Säbel wurde nicht gezückt,
Und mein Pistol nicht losgedrückt!
Das Bischen Blasen auch allein
Wird ja so strafenswerth nicht seyn!
Warum nicht? Schurke! (fing man an)
Dein Blasen eben hat's gethan!
Du machtest unsern Feinden Muth,
Und setztest sie dadurch in Wuth.
Wer zu der That Ermunt'rung gibt,
Hat selber sie mit ausgeübt.

Der abgebrannte Bauer

Dem feindlichen Geschick zum Trutz
Mach' selbst das Unglück dir zu Nutz!
Bei einem starken Winterfrost
Und bei geringer schmaler Kost
Behalf ein armer Bauer sich
[74]
Gar elend und gar jämmerlich.
Dem ward von Bösewichtes Hand
Sein kleines Häuschen angebrannt.
Er lief hinaus. Die helle Gluth
Nahm überhand. Der Nachbarn Muth
Half ihm zwar treulich; doch zuletzt
Ward alles Löschen ausgesetzt,
Da bei stets wachsender Gefahr
Das Haus nicht mehr zu retten war.
Der Bauer sah hierauf in Ruh'
Den schönen hellen Flammen zu;
Trat näher und hub lächelnd an:
Kann ich nicht löschen, nun wohlan!
So will ich, ohne mich zu härmen,
Mich an dem Feuer doch noch wärmen.

Der Jäger und die Wachtel

Ein Jäger, der mit süßen Griffen
Den Wachteln lange Zeit gepfiffen,
Fing endlich eine. Guter Mann,
(Hub sie vertraut zum Jäger an)
Ich weiß es wohl, an mir allein
Kann dir nicht viel gelegen seyn.
Doch willst du mir das Leben schenken,
So wirst du noch an mich gedenken!
Du sollst durch meine seltnen Gaben
[75]
Traun! Wachteln g'nug zu fangen haben!
Ich will sie selbst in's Netz dir führen,
Und du brauchst nur es zuzuschnüren.
Ei, (sprach der Jäger voller Hohn)
Weißt du auch wohl der Falschheit Lohn?
Da du selbst Freunde willst verrathen,
So will ich auch zuerst dich braten!

Der Fuhrmann und der Gott Herkules

Das Beten hilft, nur nicht allein;
Auch eigner Fleiß muß wirksam seyn.
Ein Kärrner, der zu großem Schaden
Sein kleines Fuhrwerk überladen,
Saß endlich fest mit seiner Last
In einem Wege voll Morast.
Sogleich rief er in dieser Noth
Zum Herkules, dem mächt'gen Gott,
Und bat mit vielen Seufzern, ihn
Mit seinem Karr'n herauszuziehn.
Nachdem er lange Zeit geharrt,
Und endlich, nach der Faulen Art,
Schon in sein Schicksal sich ergab,
Rief eine Götterstimm' herab:
[76]
Was schreit und heult da für ein Thor?
Hol' deine Hacke frisch hervor!
Räum' weg den Koth, wie sich's gehört,
Und peitsche tüchtig auf dein Pferd;
Dann ruf' zum Herkules auf's Neu',
Und, glaube mir, er steht dir bei!

Der verurtheilte Soldat

Ein junger, tapferer Soldat
Ward wegen einer Uebelthat,
Die er in bösem Trunk begangen,
Dafür sein Urtheil zu empfangen,
Hinausgeführt. Sein braunes Haar,
Der großen schwarzen Augen Paar,
Sein gut Gesicht, die schöne Länge,
Bewegten ringsumher die Menge;
Vor Allem ward er, wie man sagt,
Vom weiblichen Geschlecht beklagt.
Schon kniet er nieder auf den Sand,
Und schon war von des Henkers Hand
Das scharfe Schwert gezückt, als Halt!
Durch den geschloss'nen Kreis erschallt.
Ein Mädchen drang zugleich herbei,
Und rief mit ängstlichem Geschrei:
Pardon! Pardon! Ihr Leute denkt,
Man hat sein Leben mir geschenkt.
Ich fiel dem Landesherrn zu Füßen,
[77]
Und ließ so lange Thränen fließen,
Bis ich vom Tod ihn losgemacht.
Ihm ist Verzeihung zugedacht,
Wenn er zur Frau mich nehmen will!
Der arme Sünder sah sie still
Und voller Ueberlegung an.
Was du (sprach er) für mich gethan,
Ist dankenswerth. Doch, trügt mich nicht
Dein wildes, kupfriges Gesicht,
Dein rothes Aug', dein spitzes Kinn,
So bist du eine Teufelin,
Die mir zur allerschwersten Bürde
Mein elend Leben machen würde!
Ein böses Stündchen ist fürwahr
Erträglicher, als zwanzig Jahr'
Mit einem Weibe, so wie du,
In steter Qual; d'rum haut nur zu!

[78] Der Frosch, ein Doktor

Aus einem Teiche voller Rohr
Kroch einst ein dicker Frosch hervor;
Die Zeit ward ihm im Wasser lang,
Er nahm zur Lust d'rum einen Gang
Hin nach dem nächsten grünen Wald,
Dem angenehmen Aufenthalt
Von manchem groß' und kleinen Thier.
Da stieg er voller Ruhmbegier
Auf einen runden Eichenklotz,
Sah um sich her mit edlem Trotz;
Und als sich auf den Blumenmatten
Viel Thier' um ihn versammelt hatten,
Blies er die Backen auf und sprach:
Fühlt etwan wer ein Ungemach
An Leber, Lunge, Milz und Herzen;
Hat einer Pein, und große Schmerzen
Von Podagra, von Stein und Gicht;
Hat einer keine Oeffnung nicht;
Ist er von hektischer Natur;
Liegt er am Fieber, an der Ruhr,
An Cachexie, Epilepsie,
An Agrypnie, Hydropisie;
Hat er den Appetit verloren,
Fühlt Sausen, Brausen in den Ohren –
Der trete dreist zu mir heran,
Und nehme von mir Tropfen an!
[79]
Honnette Herr'n nach Standsgebühr,
Sie sehn den größten Doktor hier!
Ich bin die halbe Welt durchreist,
Und meinen großen Namen preist
Paris und London, Wien und Rom,
Der Rhein, der Main, der Donaustrom,
Denn Alles hab' ich ausstudirt,
Und Tausende hab' ich kurirt!
Die Thiere glaubten ihm zum Theil,
Und kamen schon in großer Eil'
Von allen Ecken hergelaufen,
Um Arzenei von ihm zu kaufen;
Da rief der Fuchs: Ihr armen Thoren!
Sagt, habt ihr den Verstand verloren?
Seht euren Doktor doch recht an,
Er ist ja selber übel d'ran!
Die Augen stehn ihm aus dem Kopf,
Die Brust kocht wie ein alter Topf,
Der Mund ist blaß, der Fuß geschwollen;
Der dicke Bauch hervorgequollen;
Kann Er hievon sich nicht befrei'n,
Wie will er And'rer Doktor seyn?

[80] Die Republik der Spinnen

Dem Spinnenvolke fiel es ein,
In Zukunft sicherer zu seyn,
Und nicht Jedwedem zu vergönnen,
In ihrem Schloß herum zu rennen,
Sie wohnten eben dazumal
In einem großen wüsten Saal,
Durch dessen offne Fensterbogen
Stets Mücke, Schwalb' und Sperling flogen.
Wir wollen (murreten die Spinnen)
Den Vortheil euch wohl abgewinnen;
Und zogen in die Läng' und Quer'
Viel Fäden vor den Fenstern her.
Doch Schwalb' und Sperling kamen bald
Und fuhren dreist und mit Gewalt
Durch diese leichten Spinnenweben,
Und nur die Mücken blieben kleben.
Ganz so, wie diese Spinnennetze,
Sind oft im Staate die Gesetze.
Kein Mächt'ger wird darin gefangen,
Nur blos der Schwache bleibt d'rin hangen.

[81] Der Esel und der Hase

Es wollten vor uralten Zeiten
Die Thiere mit den Vögeln streiten.
Sie musterten ihr Kriegesheer.
Ein alter und erfahrner Bär
Ward zu dem Feldzug General.
Als dieser in der Krieger Zah
Den Hasen und den Esel sah,
Sprach er zum Löwen: Diese da
Mag ich in der Armee nicht wissen,
Wir können sie gar wohl vermissen!
Sie würden uns doch nur entehren,
D'rum lass' sie sich zum Teufel scheeren!
Der Thiere weiser König sprach:
Herr General, etwas gemach!
So sehr Sie ihren Zorn erhitzen,
So sehr kann ich sie beide nützen!
Wir brauchen zum Courier den Hasen;
Der Esel soll zum Treffen blasen,
Den Feind mit seiner Stimm' erschrecken,
Und unsern Kriegern Muth erwecken.
Laßt den Geringen auch nicht müßig,
Im Staat ist Niemand überflüssig,
So schlecht er seyn mag von Natur,
Gebt ihm die rechte Stelle nur.

[82] Der Fuchs und der Habicht

Ich möchte doch wohl von dir wissen,
(Hub einst, gedrungen vom Gewissen,
Der Fuchs zu einem Habicht an)
Was dir das Taubenvolk gethan,
Daß du so oft auf sie ergrimmst,
Und sie zu deinem Raube nimmst?
Der Habicht sprach: Kann dir's wohl sagen!
Man hat das Amt mir aufgetragen,
Auf Recht und Billigkeit zu sehn;
Als Richter jegliches Vergehn
Scharf zu bestrafen; ohne Schonen
Jedwedem nach Verdienst zu lohnen.
Man muß den Tauben strenge seyn,
Sie fressen Waizen, Erbsen, Lein
Und ließe man sie stets so walten,
Der Landmann würde nichts behalten,
Gut! (sprach der Fuchs) das Ding hat Schein;
Doch warum strafst du nicht den Weih'n,
Und Geier, Adler, Trappen, Raben,
Die so viel Korn zu Schande traben?
Die armen Tauben trifft dein Mord,
Und jenen sagst du nicht ein Wort.
[83]
Die sind zu stark, (erwiedert ihm
Der Habicht) voller Ungestüm
Würd' ihre Wuth vereint mich beißen,
Und mich vielleicht in Stücken reißen.
Du strafst ja auch den armen Hasen,
Der auf dem allgemeinen Rasen
Sonst nichts als Gras und Kräuter ißt,
Und schonst des Wolfs, der Lämmer frißt!
Wir sind hierin wohl gleiche Brüder;
Man schonet uns, wir schonen wieder.

[84] Die stolze Fliege

Mach' dich mit leerem Stolz nicht breit,
Man lacht nur deiner Eitelkeit.
Vier Pferde zogen einen Wagen,
Und ließen in dem schnellen Jagen
Gar einen großen Staub zurück.
Es schwang sich in dem Augenblick
Auch eine Fliege mit hinauf,
Und rufte bei des Wagens Lauf:
Ihr guten Leute, gebt doch Acht,
Den großen Staub hab' ich gemacht!
[85]

Notes
Erstdruck: in der Sammlung »Fabeln und Erzählungen. In Burkard Waldis Manier«, Braunschweig 1771.
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TextGrid Repository (2012). Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm. Fabeln. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AB41-8