[1] Erster Band

Das Stumpfnäschen

[1] [3]Raimund war von den zärtlich liebendsten Eltern geboren, denen nach Trennungen und stürmischen Geschicken ein kurzes, aber reines Glück vergönnt wurde. Die zärter fühlende und leise ahnende Mutter hatte die Tage des Glückes genossen, gleich Frühlingsrosen, denen nur eine kurze Dauer vergönnt seyn kann. Die höchste Lebensfreude, ihrem Geliebten eine holde Frucht ihrer Liebe zu schenken, lag in ihrem Gemüthe, wie der Gipfel ihres irdischen Daseyns, der seinen glänzenden Scheitel in die Wolken verbirgt. Sorgsam verbarg sie diese Gefühle ihrem Manne; seinem Bruder hingegen öffnete sie ihr ganzes Herz. Die zarteste Freundschaft hatte sie [3] mit diesem verbunden. Sein Herz ruhte an dem ihrigen von den Stürmen einer gekränkten Liebe aus, das ihrige ergoß alle Wehmuth, düstere Ahnungen in seine energische männliche Seele. »Ihr Bruder wird es nicht ertragen, mich sterben zu sehn, sein heißes Gefühl wird sein Leben zerstören«, sagte sie an einem einsamen Abend zu ihrem Schwager. »Ihnen vertraue ich das geliebte Wesen an, in welchem Sie die Herzen beider Eltern oft vernehmen werden in neu blühender Jugend.«

»Ich habe das schönste Glück genossen, sagte sie sanft; ich liebte und wurde geliebt, und der Segen des Himmels vereinte uns! Der Wechsel, dem alles Irdische unterworfen ist, fordert ein Opfer. – Ach! besser, daß es unser Leben ist, als unser Glück! – Versprechen Sie mir an diesem feyerlichen Abend, unter dem endlosen Aether, im Aufflammen der Sternenwelt, daß unser Kind unter Ihrem Auge aufblühen soll! Ihr edles, sanftes Herz verspricht es mir ohne Worte; aber es gibt Zeiten der Schwachheit, [4] des Ueberdrusses, dem der Edelste selbst bey dem besten Unternehmen nicht entgeht. In solchen Momenten stärke Sie die Erinnerung an den heiligen Abend, an den brennenden Schmerz meines Busens, ein geliebtes Kind zu verlassen!«

»Ich verspreche es, sagte Lindorf; ich verspreche Vater- und Mutterliebe zu vereinen auf Ihrem Liebling!«

Dankbar weinte die arme Mutter an seiner Seite. Ruhige Gespräche folgten diesen erschütternden Momenten. Die zärtliche Mutter und der denkende Freund vereinigten sich über einen Erziehungsplan, welchen uns die Folge entwickeln wird.

Raimund's Mutter hatte eine wundersame Ahnung ihres Schicksals in sich getragen; sie starb wenige Tage nach der Geburt eines Knaben. Auch sein untröstlicher Vater fiel in ein Entzündungsfieber und überlebte seine Gattin nur drei Wochen.

Als Lindorf den Kleinen in seine Wohnung [5] bringen ließ, fand er mit tiefer Rührung, daß die Mutter für alle kleinen Bedürfnisse des Kindes auf lange Jahre hinaus gesorgt hatte. Auch in seinen Freuden sollte es die Liebesstimme der Mutter kennen lernen, sie – die reinste und treueste auf Erden. Versiegelte Packete enthielten Geschenke, die Raimund, jedesmal in ihrem Namen, an seinem Geburtstage überreicht wurden. Gleich wie über ihren Tod, hatte sie auch über das Geschlecht des Kindes eine untrügliche Ahnung geleitet.

Für den zwanzigsten Geburtstag, als das lezte Geschenk, fand sich eine Brieftasche, die einen versiegelten Brief enthielt.

Lindorf, ganz seines Versprechens eingedenk, wachte über die Pflege des Kindes mit der zartesten Sorge.

Die edlen Züge des Vaters, der holde Reiz der Mutter entwickelten sich, wie auf dem lieblichen Gesicht des Knaben, so auch in Gemüth und geistigen Anlagen.

Die Mutter und Lindorf waren darin übereingekommen, [6] daß in Raimund die Stärke zum Thun und Tragen verhältnißmäßig mit der zarten Fähigkeit zum Genuß und Glück entwickelt werden sollte.

Der Mutter energisches und zartes Herz hatte alle Tiefen des Schmerzens und des Glückes in zärtlicher Neigung erschöpft. In dem süßen Wahn, das Unerreichbare – ein unvergängliches Liebesglück errungen zu haben und nur durch die nothwendige Beschränkung des Irdischen dem Wechsel des Geschickes zu unterliegen, rief sie die Gottheit an, ihrem Sohne ein liebendes Herz zu verleihen! Seinem Erzieher empfahl sie, dieser höchsten Gabe der Natur eine volle Blüthe zu vergönnen. Lindorf selbst hatte aus klarem Verstande sein eignes Leben nach den ersten Zeiten des wunden Gefühls mit Freyheit überschaut, und mit seltener Gerechtigkeit, in sich selbst sowohl wie in seinen Umgebungen, die Klippen seines Lebensglückes aufgesucht. Nur eine unüberwindliche Furcht für jedes Erregen einer zärtlichen Neigung hielt sein [7] Herz den Stürmen der Leidenschaft verschlossen. Er lebte in der Wissenschaft, in einer ächtmenschlichen Thätigkeit, wohlwollend gegen alle Wesen; doch wollte er sich selbst überreden, keiner Liebe zu bedürfen. Er hatte freundschaftliche Verbindungen mit mehreren Weibern, aber leise zog er sich zurück, wenn er ahnete, daß ein wärmerer ausschließender Antheil sein Herz und seine Einbildungskraft mit dem bunten Gewebe tausendfacher Illusionen zu umstricken eilte.

Der liebliche Knabe füllte sein Herz, seine Fantasie und seine Zeit, in allen Stunden der Muße, so ganz aus, daß er ihn oft an seinen Busen drückte, gleich als den himmlischen Eros, der ihn vor den verwundenden Pfeilen des Irdischen zu beschützen vermochte. »In dir will ich eine zweite und glücklichere Jugend leben! sagte er oft in seinem Innern, wenn das Kind um ihn spielte, und die ganze Fülle heiterer, schöner Lebenshoffnungen aus seinem großen blauen Auge ihm entgegenstrahlte.

Die Fortschritte des Kleinen in der Vorbereitung[8] zur Wissenschaft waren schnell und sicher. Seine Wißbegierde flog dem Unterricht voran, und sein Gedächtniß bewahrte alles treu und rein.

Der Entwickelung eines Kindes mit Liebe und Einsicht folgen, bringt die schönste Poesie ins Leben. Alle Formen und Farben des Weltganzen zaubert unsere Liebe herbei, um sie dem jungen werdenden Leben anzuvertrauen in harmonischen Klängen und Bildern. Lindorf selbst hatte in großen Verhältnissen gelebt und das wahrhaft Würdige und Gute kennen und schätzen lernen. Nur eine an sich schiefe Richtung wird durch Weltkenntniß noch schiefer; der gerade Sinn eignet sich auch die bessern Seiten der Verhältnisse und Dinge an, und die Wechselwirkung, in der wir mit den Welteindrücken stehen, bildet jedem eine Welt in dem Maaße der eigenen Kraft. Lindorf hatte die meisten Länder Europens durchreist und einige Jahre in den vereinigten Provinzen Amrika's zugebracht. Die Wahrheit, die edle Einfalt, das sichere feste Fortschreiten auf der reinen Lebensbahn verkündigte sich beim ersten [9] Blicke in seinem Aeußern; und nach diesem Typus bildete sich auch Raimund aus in innerer, tiefer Aehnlichkeit des Gemüths mit seinem Oheim.

Die Zeit war herangekommen, wo, ins Jünglingsalter übergehend, Raimund mit feurig glänzendem Auge um sich schaute und, im dunklen Sehnen nach einem lebendigeren Gefühl seiner Selbst in einem geliebten Wesen, die ganze Natur als mit einem geheimnißvollen Schleier umwoben erblickte. Wehmuth ergriff ihn, wenn er einsam war, gleichwohl suchte er die Einsamkeit, die ihm eine Fülle lieblicher Träume zuführte. Im fröhlichen Getümmel der Jagd entfernte er sich oft von den Gefährten, suchte die wildesten Gegenden und blieb an einer Felskluft, an dem brausenden Bergstrom, unter den hohen Bäumen gelehnt, stundenlang stehen, verloren im heitern Glanz des blauen Gewölbes über den verflochtenen Zweigen. Das Bild eines geliebten Wesens schien sich von diesem blauen Himmelsgrunde zu lösen, [10] ihm entgegen zu kommen, ihn zu umfassen. Unwillkommen riefen ihn die Neckereien der Gefährten in die Wirklichkeit zurück. Lindorf gedachte der Wünsche der Abgeschiedenen. Um dem geliebten Sohne die schöne volle Blüthe der Liebe zu verleihen, in welcher Herz und Geist und Sinn die Frucht des höhern Lebens ausbilden, mußte ihn der flüchtige Sinnenreiz nicht zur Täuschung über den Gegenstand seines Verlangens führen. Die Mutter hielt es entscheidend für die Ausbildung der zärtern Gefühle in einem Manne, ob seine erste Liebe eine edle Liebe gewesen sey.

Lindorf führte früh seinen Zögling zur Anerkennung und Achtung der weiblichen Natur. Die großen Züge der Geschichte fielen in des Knaben Seele und vereinten sich mit der zärtlichen Sehnsucht nach seiner Mutter, die als ein holder Stern über seinem Leben stand, wohlthätig und unerreichbar. Nie empfing er die Geburtstags-Geschenke ohne tiefe Rührung; eine Stimme der Liebe aus einer andern [11] Welt durchdrang und heiligte sein ganzes Wesen. Aber der bunte blüthenvolle Strom des frischen Lebens umrauschte den Jüngling; es schien Lindorf weislich gethan, die umgebenden Elemente zu Hülfe zu rufen.

Die Ansicht der weiten großen Welt, – nicht der sogenannten großen in den angefüllten Assemblee-Sälen, sondern die der Leben schenkenden Erde und ihrer mannichfaltigen Bewohner, die verschiedenen Stufen der Bildung, zu der die Menschheit durch Naturverhältnisse und gesellige Einrichtungen gelangte, – diese ernsten wahren Bilder aus dem großen Buche des Lebens sollten das erwachende Jünglingsalter beschäftigen.

Durch die Einsicht in die verschiedenen Lebensweisen sollte sich der junge Raimund auch die Elemente seiner künftigen Thätigkeit selbst zubilden und, indem er das Maaß seiner Kräfte und Anlagen erprobte, im fröhlichen Selbstvertraun wirkend und hellbesonnen in dem Lauf der Zeit mit fortstreben. Im immerwährenden [12] Anschau'n neuer und großer Bilder sollte seine Einbildungskraft sein ganzes Wesen erhöhen, sein Verstand sollte immer thätig im Vergleichen neuer Verhältnisse bleiben, und so sollte seine Vernunft kräftig erwachsen und sein Gefühl gesund und rein bleiben. Entfernt vom rohen Sinnenrausch und von schwacher Sentimentalität, der Geburt des Egoismus und der Langenweile, sollte er die Fähigkeit zu edler Liebe in sich bewahren und so den Werth des Lebens sicher gründen. Zur schönsten kräftigsten Menschheit, die mitfühlend und hellsehend die Verhältnisse um sich her aufschließt und bildend ergreift, weil sie das Maaß der Gerechtigkeit und Liebe in sich selbst trägt, sollte der Jüngling heranreifen.

Das war Lindorfs süße Hoffnung. Sein eignes verwundetes Gefühl mahnte ihn an die Klippen des Lebensglückes. Die schöne Temperatur, die Raimund's Wesen durch diese Lebensweise gewann, ließ ihn hoffen, daß die glühenden Schmerzen eines liebenden Verlangens immer [13] ein Gegengewicht in der Allgemeinheit seiner Vorstellungen, in der wohlwollenden Sympathie zu allen fühlenden Wesen finden würde. Als eine edle Gehülfin sollte Raimund, das Weib ansehen lernen, deren Milde und Grazie sein häusliches Leben schmückte und die durch ihn ein erhöhtes Daseyn genösse.

So selten ein Erziehungsplan ganz gelingt, so viel versprach doch dieser, vielleicht weil Lindorfs zarte Liebe für seinen Zögling ihm selbst jenen feinen Takt gab, sein System immer den Umgebungen anzupassen, die auch oft in seiner Gewalt lagen, und weil er die Ruhe besaß, alle leisen Töne in des Jünglings eigener Natur zu vernehmen.

Raimund hatte mit seinem Freunde mehrere Länder Europen's durchreist und ein Jahr mit ihm in den vereinigten Provinzen Amerika's zugebracht. Die Geburt, das Erwachsen eines freien Volkes, das Anschaun einer kolossalen Natur hatte sein Gemüth tief ergriffen. Auch er gedachte des vielen Guten und Schönen[14] in seinem Vaterlande und sehnte sich ihm in einer würdigen Verfassung das Opfer seines Lebens, seiner Thätigkeit zu bringen. Sein Geist verbreitete sich über die ernsten Beziehungen der Menschheit während der Einsamkeit auf seiner Seereise, und die Geschichte der edelsten Nationen, die Lindorf mit ihm gelesen hatte, arbeitete die hohe Stimmung seines Gefühles in klare Begriffe aus.

Frankreich und Italien hatte sich Lindorf zum Beschluß der Wanderschaft aufgespart. Die höchsten Werke der Kunst sollten in der vollen Blüthe des Gefühls die ästhetische Stimmung des Jünglings für's ganze Leben gründen. Frankreich lag im gewaltsamen Kampf, der so edel begonnen hatte und auf so schreckliche Abwege gerieth. Der finstere Dämon sing schon an, auf den blutigen Altären grausamer Eigensucht sein ehernes Schreckbild aufzustellen. Wenige Wochen vor Raimunds ein und zwanzigstem Geburtstage kam er mit Lindorf in Paris an. Der ernsten Betrachtung gehörten die ersten Tage ihres Aufenthaltes. [15] Raimund war der Geschichte der Zeit mit ganzem Gemüthe gefolgt und fühlte sich von tiefer Wehmuth und Abscheu ergriffen auf den Plätzen, wo im Namen der heiligen Freiheit so tausend Opfer der blinden Wuth gefallen waren.

Bald drängte die lebenvolle Gegenwart jene düstern Bilder in den Hintergrund. Wissenschaft und Kunst, die die Menschheit gleich dem sich ewig verjüngenden Leben der Natur reinigen und erhalten, schlossen sich an den leicht fassenden und zart empfindenden Jüngling.

Es waren ihm heilige Tage, in denen er die Göttergestalten der alten Welt, die eben auf ihrer unglücklichen Wanderschaft begriffen waren, in seine Seele aufnahm. Ihre stille Hoheit ergriff unter dem wilden irren Streben der gegenwärtigen Leidenschaft das Gemüth des sinnvoll Beschauenden mit wahrhaft himmlischen Kräften. Das Jugendalter der Menschheit, das die hohen und stillen Gestalten des alten Olymps durchglüht, verschmolz sich mit Raimund's [16] eigner Jugend. Im Gefühl der erhöhten Individualität strebte er nach einer Vollkommenheit der Existenz im Handeln und Denken, Wünschen und Hoffen, in der gleichsam alle Organe und Fühlfäden seines Wesens sich an die Welt der Ideale anschlossen. Hoch und frei, wie der Pythische Gott, sehnte er sich durch das Leben zu schreiten. Kein Bildungstrieb in Plastik und Farben lag in ihm; sein gebildeter Geschmack schüzte ihn vor falschem Streben; aber durch Geist und Sinn wollte er ins innere Leben der Menschen eingreifen und sein eigenes kräftiger fühlen.

Schöne Blüthe jugendlicher Ahnungen, aus dir bildet sich das Gefühl der Energie und eine Harmonie der Kräfte, deren Erinnerung glanzvoll das reife Leben überschüttet und oft wie ein Blitzstrahl die dunkle Wirklichkeit durchzuckt!

Die hohen und schönen Formen der weiblichen Gestalten füllten Raimund's Fantasie, sein lebendiger Sinn verarbeitete sie im Geiste zu innerer Hoheit des Lebens, und bei seiner noch [17] unverstimmten Sinnlichkeit wurden ihm die schönsten Träume vom Leben und Weben in voller Liebe eines vollkommen schönen weiblichen Wesens, von seligem Besitz, von glanzvollem Daseyn in den reinsten Verhältnissen der Natur. Glühend im Innern und doch kaltscheinend ging er unter den liebenswürdigen Frauen umher, die sich um den schönen Fremdling bemühten. Kein vollkommen harmonischer Eindruck besiegte sein Herz und stillte das unaussprechliche Sehnen seiner Brust, sich einer allgewaltigen Schönheit hinzugeben. »Lieber Oheim, sagte er einst beim traulichen Abendessen, Sie haben mir oft von den Gefahren gesprochen, denen ein tieffühlendes Herz durch zärtliche Neigungen unterworfen ist! lassen Sie diese aus meiner Lebensrechnung hinweg, wenn Sie nicht an die Möglichkeit glauben, daß sich für mich das Wunder Pygmalion's wiederholen könne! Von Täuschung zu Täuschung hat mich dieser Abend geführt, an dem ich die schönsten Frauen der Stadt sehen sollte, wie Sie mir verheißen hatten. Hören Sie meine [18] tragisch-lächerliche Geschichte! Als ich in den Gesellschaftssaal eintrat, zog mich sogleich die Gestalt einer sinnenden Muse an; ich näherte mich mit einem jungen Mann meiner Bekanntschaft; aber wie fuhr ich erschrocken zurück, als der schöne Mund, anstatt sich zum Gesang sinnvoller Hymnen zu erschließen, zu kleinen abgeschmackten Bemerkungen über ihre Umgebungen sich öffnete! Nun lockten mich die edlen Formen einer Vestalin, die der leichte Schleier in schönen Falten umwallte; ich trat näher, und es brannte ein lauerndes und lüsternes Auge unter dem Schleier, das alles Vertrauen aus meinem Busen verscheuchte. Eine Venus von leichten reizenden Formen bewegte sich durch den Tanzsaal; der blühende Reiz schien mir erst dem Meeresschaume entstiegen zu seyn; ich umschlang sie im Tanz; mein warmes Gefühl hätte mich beinahe zu einem Liebesgeständniß in Worten hingerissen, als ich mich nach geendigtem Tanze neben sie sezte; aber ein leises Geflüster und Gelächter, das hinter ihrem Stuhl entstand, [19] machte mich aufmerksam. Zwei junge Männer standen da und flüsterten ihr Scherze zu, die eine längere Bekanntschaft verriethen und zu einer dem Meeresschaume erst entstiegenen Unschuld nicht sonderlich paßten. Noch schlug sie die Augen nieder und lauschte meinen schmeichelnden Reden, aber entgegenkommend beugte sich ihre Gestalt zu dem verstohlenen Geflüster, und ich riß mich schnell von ihrer Seite. Nun floh ich zu einem Minervenkopfe, der still und sinnend in der andern Ecke des Saales saß; als sey die Welt im Begriffe vor ihrer ruhigen Betrachtung aufgelöst; – so klar strahlte mir die hohe Stirn entgegen. Ich knüpfte ein sinniges Gespräch an und bekam nur leere Phrasen zur Antwort, die mir allzu deutlich zeigten, daß es mit der Minerva nur eine Maskerade war.«

Lindorf sagte: »Armer Junge, du wirst diesem nach dein Herz für dich behalten müssen! Oder kann dich vielleicht ein liebenswürdiges Stumpfnäschen rühren? was sagst du zu Klothilden, der Tochter des freundlichen Landsmannes, [20] den wir schon einigemal besuch ten? »Ich weiß nicht, wie sie aussieht, lieber Oheim; also wird sie mir schwerlich Liebe einflößen, aber heiter und schnell verstreichen mir immer die Stunden in diesem Hause, das eigentlich nur in Klothilden lebt und webt.« Nun so suche mit Besonnenheit, und dein Schutzgeist behüte dich immer vor Täuschung, sagte Lindorf.

Klothilde war die älteste Tochter einer deutschen Familie, die sich Geschäften halber in Paris aufhielt. Die feinste Ausbildung, mit edler Einfalt der Sitten verbunden, schmückte dieses Haus. Lindorf und Raimund lebten bald da im freundschaftlichen Verhältnisse des täglichen Umgangs. Mehrere junge Frauen und Mädchen versammelten sich zu Musik und Tanz in den Abendstunden; oft knüpften sich auch ernste und muntere Gespräche an; und durch die gutmüthige Heiterkeit der Hausbewohner ward der Zirkel immer belebt. Klothilde war die Grazie der größern Gesellschaft; aber wenn man sie im engern Kreise der Ihrigen antraf, war sie auch [21] die begeisternde Muse der ernsten Unterhaltung. Mit klarem Sinne faßte sie das Tiefste, und die leisen Wellen ihres zarten Gefühles wiegten alles Widerstreitende in die Harmonie ihres eigenen Wesens ein. Wenn der lächelnde Mund voll überfließendem Witz und feiner Ironie eine momentane Furcht einflößte, so zog dagegen ihr sanftes glänzendes Auge, das jede zarte Empfindung so hell und treu wiederstrahlte, die Herzen unwiderstehlich an. Ihre Züge waren sanft und gefällig ohne Schönheit. Geist und Gefühl verklärten sie momentan zur lieblichen Harmonie, und nur in unbelebten Augenblicken bemerkte man den Mangel an schönen Formen und richtigen Verhältnissen.

Eine gewisse behagliche Vertraulichkeit, die sonst nur längerer Bekanntschaft entblüht, hatte sich zwischen Raimund und Klothilden eingefunden. Ihr Geschmack begegnete sich fast immer, ihr Gefühl selten; aber jedes faßte das Gefühl des andern mit seinem Verstande, und so bildete sich eins am andern aus und, indem jedes [22] den Reichthum seines innern Lebens vermehrt fühlte, wurden beide – unvermerkt sich einander unentbehrlich. Wenn Klothilde über etwas Unfeines erröthete, wenn in den leisen Beziehungen der Schicklichkeit etwas verfehlt wurde, oder irgend eine Lieblingsneigung eines Mitgliedes der Gesellschaft durch eine unpassende Aeußerung sich gekränkt fand; so sah sie Raimund sinnig lächelnd an, und durch ihre Bewegung verstand er das Verhältniß, das ihm sonst entgangen wäre, wenn ihm, irgend eine Kleinheit oder Armseligkeit oder ein Unrecht, welchem er nicht steuern konnte, die Brust in zurückgehaltener Kraft beklemmte; dann ging ihr, in der Gewalt seines Empfindens, die ganze Tiefe des Lebens auf, über die sie bisher sorglos und unbedachtsam hingeschwebt war.

Lindorf war immer willkommen in ihren Gesprächen und mit Freuden bemerkte er die leisen Züge einer keimenden Neigung für seinen Zögling in Klothilden's Busen. »Wenn sie ihn haben will, wird sie ihn zu gewinnen wissen, – [23] so schloß er, – und glücklich in heiterer Ruhe werden seine Tage neben dem liebevollen Geschöpfe verfließen. Wie ein frohes Kind keine Freude für sich allein behalten kann, ohne sie der Mutter oder einem Gespielen mitzutheilen: so legte Raimund alle Abend eine Rechnung seiner Freuden bei Klothilden ab. Sanft theilnehmend hörte sie ihn; wenn er aber von einer schönen weiblichen Gestalt sprach, die ihm gefallen – ja ihn angezogen hatte; so fühlte Lindorf oft eine ungeduldige Bewegung, die Klothildens Wesen gleichsam durchzuckte, zuweilen sogar bemerkte er einen schmerzlichen Zug um ihre lächelnden Lippen.

Oft riß ihre Lebhaftigkeit sie zu Aeßerungen hin, die Raimund als leichte Scherze unterhielten, in denen aber sein älterer Freund die Wallungen eines liebenden Herzens wahrzunehmen glaubte.

»Die Schönheit ist euch aber auch Alles in Allem! rief Klothilde einmal aus, nach solch einer [24] mitgetheilten Entzückung Raimunds. Billig hättet ihr enthusiastischen Verehrer Griechischer Formen es an uns Stumpfnäschen verdient, daß wir euch euren marmornen Schönen gegenüber stehen ließen, bis ihr selbst in Marmor verwandelt würdet, – aus Empfindung oder aus Langeweile? das fragt sich! –« Raimund forderte lachend eine weitere Erklärung. »Es thut mir leid, daß ich selbst Parthei bin, fuhr Klothilde fort, und also schwerlich ganz gerecht seyn kann, aber ist's nicht so? Haben Sie schon eine vollkommne Schönheit gefunden, die so geist- und gefühlvoll wäre als schön? Ja, leidet's der Begriff der vollkommenen Schönheit, daß sie sey, wie unser eins, und sich zu Zeiten den Regungen der guten Natur überlasse? – Nein, schwebend im Gleichgewicht der göttlichen Selbstgenügsamkeit nährt sie sich vom Opferdampfe eurer Anbetungen, bis ihr euch zu wesenlosen Schatten angebetet und geschmachtet habt! –« Nun so arg ist's eben damit auch nicht! fiel Raimund ein. Nur das Herz vermag das Herz dauernd [25] anzuziehen und das lebendige Band der Neigung zu flechten, das hohes Glück und tiefen Schmerz bringt. Ich läugne nicht, liebe Klothilde; meine bisherige Erfahrung stimmt zu Ihrem Grundsatz. Aber eng ist der Kreis meiner Erfahrung, und unermeßlich die Natur. Noch kann ich mich von der Unvereinbarkeit jener Eigenschaften nicht überzeugen. Es scheint mir mehr in den äußern Umgebungen zu liegen, in dem allzufrühen Erregen der Eitelkeit, z.B. daß eine vollkommen schöne Frau das Gleichgewicht ihrer geistigen Anlagen selten ausbildet. So denke ich mir ein Mädchen in einfachen Verhältnissen erzogen, dem die Götter die Himmelsgabe hoher Schönheit verliehen, das sich in der ersten Jugendblüthe an mich anschlösse und deren innerer Naturreichthum sich in meiner Liebe, in meiner Pflege entfaltete. – »O, lieber Raimund! rief Klothilde tief bewegt; wenn Sie dieses in ihren Amerikanischen Wäldern nicht fanden, so geben Sie die Hoffnung auf, es hier zu finden. Glauben Sie mir nur, Weiber können alles scheinen; sogar heilige [26] Unschuld läßt sich spielen – Wie würde es mich schmerzen, wenn Sie getäuscht würden!«

»Ich bin jung, ich bin unerfahren, sagte Raimund; aber ein tiefes Gefühl der ächten wahren Seiten der weiblichen Natur hat sich früh in mir entfaltet. Die mütterliche Liebe fand das Mittel, über die Schranken des Grabes hinüber bildend in mein Leben zu wirken.«

Er erzählte Klothilden hier die Umstände seiner Geburt, wie er sie selbst von seinem Freunde vernommen, und zeigte ihr einige Geburtstags-Geschenke, eine Uhr mit dem Bilde seiner Mutter, einen Ring, den er immer trug. Morgen, sagte Raimund, ist mein ein und zwanzigster Geburtstag; ein Brief wartet meiner, der mir die Aufschlüsse über mein Leben geben wird. Folgen will ich dieser geliebten Stimme. – »Ja Raimund, nichts Besseres können Sie thun, als diesem unsichtbaren Genius gehorchen, sagte Klothilde tief bewegt. Möchten Sie mich werth halten, mir diese Worte der Liebe aus der andern Welt mitzutheilen.[27] – »Ich hoffe, daß ich es können werde, meine Freundin,« sagte Raimund und drückte zum erstenmal beim Abschied einen Kuß auf ihre Hand.

Liebst du sie? fragte er sich, als er in der kühlen glänzenden Nacht über die Boulevard's nach Hause ging: – kann sie dir alles seyn? Alles? – Hold und freundlich stand ihre Gestalt vor dem Auge seiner Einbildungskraft; aber ein tiefes Sehnen lag im Grunde des Herzens. »Ruhig besonnen will ich seyn und vor allem ihr Glück, ihr heiteres Daseyn nicht kränken!« Friedlich, eins mit sich selbst, legte er sich zum ruhigen Schlummer, aus welchem ihn in der Morgengluth Lindorf weckte. »Gottes bester Segen mit dir, mein Geliebter! sprach er und hielt ihm den Brief der Mutter entgegen. Mit inniger Rührung drückte er Lindorf und den Brief an sein Herz, kleidete sich schnell an und eilte in den Hintergrund des Gartens, um die geliebten Worte in Stille und Einsamkeit in seine Seele aufzufassen. Er las folgendes:


[28] »Du bist mündig, mein Raimund, wenn du diese Worte empfängst. Eine rein und schön ausgebildete Natur rankt in ihrer vollen Blüthe sich an ein geliebtes Wesen an, um es mit ihrer überschäumenden Lebensfülle zu durchdringen. Alle Arten von Leben, das ganze harmonische Daseyn will sich mittheilen, Antwort finden in einem liebenden Herzen bei einem reinen Jüngling.

Der Zauber der Schönheit lockt natürlich an; aber Geist und Gefühl, die die Formen durchathmen, erzeugen allein eine wohlthätige Flamme, die aus zwei ganzen Leben nur eines machen kann. O! entfliehe dem Sturm voreilender Sinneslust, der oft zum Abgrund führt; entfliehe jenen Täuschungen des reizbaren Gefühls, die uns ein leichtes Gefallen als ein inniges Seelenband darstellen!

Nur warnen konnte der Genius des Griechischen Weisen, nicht bestimmen. Nur dieses kann auch die reinste Stimme der Liebe – die mütterliche. Wenn Du noch mit freier besonnener [29] Klarheit umschaust in dem Kreis der Weiber, der Dich umgibt: dann ist Dein Gemüth den Worten Deiner Mutter noch offen. Sie hat das reine Glück der Liebe gekannt, und als ein seliges Fortleben aus dem Traum des Erdenseyn's ahnete sie auch die Blüthe dieses Glückes unverwelklich und ungestört.

Mit holder Unbefangenheit sehe ich Dich im Geiste dem Zirkel blühender Jungfrauen nahen. Kein Schimmer falscher Ansprüche verdirbt die reinen großen Umrisse Deiner Gestalt und Deines Betragens. Gehüllt in den heiligen Zauber der harmonischen Jugend trittst du Schutz und Rath und Trost verheißend, in die Bahn des Lebens als ein besseres Wesen, erhaben über den Kreis des Gemeinen. Rosen des Glücks und der Gesundheit blühen um Deine Wangen, Wahrheit und Treue verkündigt und sucht Dein tiefer Blick hinter den glänzenden Strahlen der Jugend. Das Mädchen, dem Du die Hand bietest, findet sich selig im Geleit der Grazie, die kein herber Frost der Eigensucht und wilden Begehrens [30] entweiht. So erschien mir Dein Vater, so ahnete mein Herz alles in ihm zu finden, als ich ihn zuerst erblickte – den Geliebten, Herz und Seele erfüllend, den Beschützer, den Vater! Glück, Schmuck, Hoheit und Friede des Lebens, alles erschien mir in seinem Bilde!

Was aus mir geworden, wenn ich die Liebe Deines Vaters nicht gewonnen, nicht erhalten hätte? Dieß ging mir oft in schaudernder Ahnung durch die Seele, wenn ich auf die Trümmer so manches weiblichen Daseyns um mich her stieß. Mein glückliches Geschick drängte mein, in Dank überfließendes, Herz zu frommen Gelübden. – Das Glück eines guten Weibes, in Deiner Brust voll Lieb' und Treue, gegründet, dieß war der Tempel, den ich der Gottheit zu weihen gelobte. Mein Raimund, o schaue erst klar und besonnen in dich selbst, ehe du einem guten Mädchen mit Liebe ins Auge schaust. Das Unmännlichste in der Natur ist ein auf weibliche Eroberungen ausgehender Mann. Freiheit der Liebe und der Wahl steht [31] ihm zu, und die Freiheit geht nur im Geleit der Offenheit und Wahrheit. Mit Schmerzen, mit getäuschten Hoffnungen, mit Thränen spielen, ist das ein männlich Bestreben? Bewahre die heiligen Zeichen der Neigung in Blick, Wort und Bewegung. Wohlthätig warnt die Natur selbst jedes tief ergriffene Herz vor unzeitigem Ausdruck seines Gefühls. Die Worte fliehen von den Lippen, gefesselt sind die Bewegungen und nur zitternd mit der ganzen Scheu vor einer Heiligkeit, in der das irdische Wesen in seinen Fugen erbebt, um sich dem Himmel zu vereinen: so reißt sich das erste Geständniß der Liebe aus der lang verschlossenen Brust. Das heilige Gelübde, welches Leben und Glück eines andern Wesens in sein innerstes Daseyn aufnimmt, muß mit Besonnenheit gesprochen werden; und da unser Leben in dieser Welt den Erscheinungen, den fremdartigsten Elementen angehört, so mahnt unser Genius an die Besonnenheit mit heiliger Scheu. Mein Raimund, das Glück, das in den unschuldigen Jugendträumen ein gutes [32] Mädchenherz sich dichtet, ist so zart, so voller Himmels- Farben und Düfte, daß es beinahe den Gestalten der Erde entronnen, nur den leichtern Regionen der Wolken anzugehören scheint. Daher der Quell so mannigfachen Elendes, so bitterer, verwirrender Täuschung, wenn wir von der Erde wiederfordern, was uns ein goldener Traum nur verheißen hatte. Das Gefühl der Schönheit reizt die bessern Weiber nicht sowohl zum an sich reißenden Besitz, als zum süßen Verlangen, sich in ein höheres Wesen zu verlieren in reiner Anbetung. Sie wollen die Vergötterung des Geliebten in ihrem Glücke, sie legen das ganze Leben in die Gewalt dieser Erscheinung, und mit Wahrheit; denn unser Glück ruht nur in dem Zirkel einer männlichen Brust. Kein liebendes und geliebtes Weib ist eigentlich unglücklich. Darum hat sich der Glaube an das Glück am innigsten in dem weiblichen Busen erhalten und sproßt ewig neu aus der Gewalt und Fülle seiner allumfassenden Liebe. Deshalb sey und bleibe das Weib ein Symbol [33] der ewigen Liebes- und Lebensfülle der Natur. Immer nach der Einheit des Weltalls, nach Gott und Ewigkeit gerichtet, sey ihr Sinn. Ihr Glaube sehe Trost und Hoffnung, wo des Mannes wägender Verstand zweifelt, und wenn seine Thatkraft erlahmt an den immer neu gegliederten Riesen des Gemeinen und Schlechten, so stärke ihn der Glaube ihrer seeligen ahnungsvollen Träume.

In hingebender, tragender, bildender Liebe will die Frau nur empfunden, nur erkannt seyn; aber der Freude an ihrem Daseyn bedarf sie, wenn sie nicht als ein bleicher Schatten spurlos durch das Leben hingehen soll. Darauf geht das erste Bemühen der leichten Gefallsucht und der glühenden Leidenschaft Streben.

Darum, geliebter Sohn, täusche nie durch diese Freude, wenn sie Dir keine dauernde Lebensfreude werden kann. Die Leidenschaft trifft immer über das Ziel hinaus; und da ein Mädchen ihre Hoffnung und ihre Zukunft an einen liebevollen Blick heften kann, so erscheine Dein [34] Gefühl immer in reinen entscheidenden Farben. Ja, prüfe Dich, ehe du es aussprichst das Wort der Liebe, das zwei Leben vereinen soll; denn es sey Dir unwiderruflich.

Rührt Dich die Schönheit vor allem, o so suche sie, aber bedenke die Zerstörung, die oft schnell ihrer Blüthe droht. Fesseln Dich Geist und Talent, labst du Dich an ihren sonnigen Strahlen: so prüfe, ob sie nicht in stürmische Wolken sich hüllen könnten? Nur die heilige Wahrheit und reine Liebesfülle des Herzens besteht durch's ganze Leben; aber die Jugend will ihr Gluthgefühl in Reiz und Zauber tauchen. Die liebende Erinnerung an die Mutter führe Dich wiederholt zu der Frage: Ist dieses das Wesen auch gewiß, das ewig dem meinen am zartesten und innigsten antworten wird auf das Räthsel der Liebe, das in der Tiefe des menschlichen Herzens liegt und zur Ewigkeit hinüberdeutet? – Dieses sind die letzten Worte von mir, die Du in der Sterblichkeit vernehmen wirst! Möchten sie Dich zu dem sichern Grund [35] eines harmonischen Daseyns, zu einer glücklichen Ehe leiten!

Doch was vermag die zärtlichste Liebe, die besonnenste Sorgfalt mehr, als sich selbst für den Augen blick befriedigen! Grausam greifen alle Elemente des wandelbaren irdischen Daseyns in das zarte Gewebe der Mutterliebe, und der eherne unwandelbare Fuß der herben Nothwendigkeit tritt nur zu oft die Blumengewinde in den Staub. Eine Hoffnung auf Dich gibt mir ein tröstender Engel, daß, wenn auch Dein Glück untergehen müßte, Dein Werth bestehen soll, und ich Dir die Palme des Sieges aus einer andern Welt zureichen werde.

O, könnte mein Gebet vor dem Thron des ewigen Vaters Dein irdisches Daseyn heiligen! Wo wäre Trost und Hülfe für die unendliche Fülle der Mutterliebe, als am Herzen der ewigen allwaltenden Liebe, die uns den Erlöser gesandt hat und den Glauben, daß wir und unser ganzes Geschick in ihm leben, weben und sind!«


[36] O, du theure, geliebte Mutter! rief Raimund unter herzlichen Thränen, ich will ja glücklich zu werden suchen, da es dich dort oben freut, vor allem deiner würdig zu bleiben in Wahrheit und Treue! Auch Lindorf las den Brief mit Thränen inniger Rührung; und sie verlebten den Tag in ländlicher Einsamkeit und stiller Erinnerungsfeier der für sie zu früh Hinübergegangenen.

Als Raimund den folgenden Abend zu Klothilden ging, steckte er die Brieftasche, die das ihm heilige Blatt verwahrte, zu sich. Er versprach sich einen süßen, wehmüthigen Genuß davon, es mit seiner Freundin nochmals zu lesen und ihr durch diesen hohen Grad des Vertrauens einen neuen Beweis seiner Anhänglichkeit zu geben.

Es war ein lauer Abend; im reinsten Blau des Himmels zeichneten sich die Umrisse der Gebäude, und die Kuppeln der Tuillerien glänzten im Golde der scheidenden Sonnenstrahlen. Die Gestalten der Vorwelt traten aus dem reinen Grund der blauen Luft so groß und einfach hervor, [37] und die jungfräuliche Jagdgöttin schien mit dem fortschreitenden Bruder, nur für Augenblicke aus den Luftwellen niedersteigend, zu rasten. Raimund, durch den Zauber dieser Eindrücke sanft auf sich selbst zurückgeführt, warf nun auch einen klaren Blick in sein Verhältniß zu Klothilden. Noch schwebte nur die Frage in seinem Innern, ob er sie liebe. – Die geliebte warnende Stimme der Mutter ertönte; ein zarteres Empfinden der weiblichen Natur beklemmte sein freies Herz, und ein Zweifel, ob er ihr den Brief auch mittheilen sollte, überfiel ihn. Unter diesem Selbstgespräche war er unvermerkt über die Brücke an das entgegengesetzte Ufer des Flusses gekommen, als über das niedrige Geländer eines Gartens aus einem Rosengebüsch ihn das holde, heitre Gesicht Klothildens anlächelte. Ihre Locken schimmerten im Abendglanze, und die Rosen des Himmels glühten, mit denen der eigenen Jugend verschmolzen, auf den lieblichen Wangen.

Alle Zweifel waren verschwunden. Er wurde eingelassen mit freudiger Ueberraschung durch [38] die bisher ungekannte Thüre. Klothildens holde Ruhe gab ihm seine ganze offene Zutraulichkeit wieder. Ob der Brief Annäherungen, Erklärungen herbeiführen könnte, zu denen sein Gefühl ihm noch nicht reif dünkte, bedachte er nicht mehr. Was können sich die Menschen Besseres geben, als Wahrheit? ging ihm durch die Seele; und auf den sanften forschenden Blick der Freundin, mit welchem sie die Spuren der Rührung in seinen Zügen aufsuchte und auf die halbleise Frage: Halten Sie mich werth, Ihr Gefühl zu theilen, Raimund? zog er die Brieftasche heraus und gab ihr die geliebten Zeilen. Sie setzte sich, um zu lesen. Als er einige Gänge durch den kleinen Garten gethan, kehrte er zu ihr zurück. Thränen rollten über die frischen Wangen des Mädchens, und ihr gesenkter Blick lag noch auf dem zusammengefalteten Brief. Sein Herz drang mächtig zu ihr, und schon bebten die Lippen sich zu einem zärtlichen Worte zu erschließen, als sie die großen Augen glänzend und ruhig aufschlug und mit himmlisch [39] milder Stimme sagte: »Ja, Raimund, wenn das Wunder einer vollkommen schönen Form, mit Seele und Herz belebt, existirt, so wünsche ich es Ihnen, da es zu Ihrem Glücke so unentbehrlich scheint – um Ihrer edlen, liebenden Mutter willen wünsch' ich's Ihnen; ich selbst will Ihnen suchen helfen.« Verwundert, beinahe erschreckt durch diesen Gang ihres Gefühles, dessen unschuldsvolle Demuth er nicht empfinden konnte, blieb er wie angefesselt vor ihr stehen. »Brauch' ich denn noch zu suchen?« sprach es in seinem Innern so lebhaft, daß er es zu sagen glaubte; aber seine Lippen bebten und versagten ihm die Worte. Auch Klothilde fühlte den Sinn dieser Worte in ihrem Herzen und die mächtige Bewegung seines ganzen Wesens gegen sie. Es war einer der Augenblicke, in denen es scheint, als trete eine fremde Gewalt zwischen liebende Gemüther, als breche eine unsichtbare Hand die Blüthen des Augenblickes ab, um sie einer fernen Zukunft anzuvertrauen. Die zwei warmen blühenden Leben hätten sich vielleicht in [40] Händedruck und Umarmung vereint, wenn nicht die Gesellschaft aus dem Gartensaale sich ihnen genähert hätte. Klothilde wurde zum Thee abgerufen, und schweigend empfing Raimund den Brief zurück. Die nothwendige äußere Fassung, zu welcher fremde Umgebungen zwingen, führt oft zur inneren Besonnenheit. Die liebevolle Sorgfalt der Mutter für das Glück ihres Lieblings hatte Klothildens Gemüth tief und feierlich ergriffen, da sie aus der andern Welt herübertönte. Nach dem Sinne der Mutter fühlte sie sich nicht geliebt, und ihr reines Herz fand seinen Frieden in einem stillen Gelübde, wirklich nur des liebenswürdigen Jünglings treue für sich selbst ganz anspruchslose Freundin zu bleiben.

Diese Siegesklarheit leuchtete auf ihrer Stirne und in ihrer geistvollen unbefangenen Unterhaltung, und Raimund war in diesem Zauberkreis wieder zu vollkommener Freiheit und Heiterkeit gelangt. Zwei sehr schöne Mädchen erschienen in dem Abendzirkel. Nach kurzer Unterhaltung verließ sie Raimund wieder und setzte [41] sich hinter den Theetisch zu Klothilden. »Nun sagte sie leise, haben Sie hier keine Hoffnung, meinen Satz zu widerlegen?« »Wie können Sie spotten, Klothilde? hinter solch abgemessenen Manieren wohnt kein Geist, hinter solch vorlautem Geschwätz kein Herz; und wie schön sind die Formen! wie schade!« – »Der Himmel wird Sie ja vor dem Unglücke bewahren, am Ende Seel' und Herz bei einem Stumpfnäschen suchen zu müssen, sagte sie ihm, mit so offener Heiterkeit in's Auge schauend, daß der Blick sein Herz ergriff.« »Ob das ein Unglück oder Glück wäre, fühl' ich in diesem Augenblicke nicht, sagte er lebhaft, indem er mit heftiger Bewegung ihre Hand küßte. Nie fühlte ich mich so bewegt, so zufrieden bewegt, und mir ist.....« »Still, still, sagte sie, Ihr Genius warnt!« – indem sie ihre Hand zurückzog, als fürchtete sie eine Erklärung veranlaßt zu haben, und als er beinahe traurig und erzürnt aussah, sagte sie mit sanfter Stimme: »Gewöhnen Sie sich indessen an die Physiognomie der Stumpfnäschen bei einer Freundin, lieber Raimund!« [42] Fremde Menschen sprachen dazwischen, die bedeutenden Momente waren vorüber, und Raimund fühlte sich der Liebe, die ihn leise umfangen, wieder entfremdet. Klothilde nahm seit diesem Abend förmlich den Ton der rathgebenden, leitenden Freundin an.

Raimund entdeckte ihr offen alle Eindrücke, die die umgebende Weiberwelt auf ihn machte; sie sagte ihm ihre Meinung dagegen, und ihr prüfender Scharfsinn, vielleicht ihr selbst unbewußt, noch durch den Wunsch geschärft, ihrem Freunde allein zu gefallen, zog die Gegenstände seines Verlangens oft streng genug ans Licht der Wahrheit, um jede Illusion zu zerstören.

Er selbst war zu sehr ein Kind der Natur, und seine eigene starke Natur tönte die vollen Klänge des ersten Lebens so stark wieder, so rein nach, daß er zum feinen Blick der Klugheit vielleicht noch später gelangte, als irgend ein anderer Jüngling.

Die zarte Liebe ist das Element, in welchem ein reines Herz, ein heller Geist sich selbst erst [43] recht genießen und frei bewegen können. Raimund lebte und webte in diesem reinen bildenden Aether, ohne die versengende Flamme zu fühlen, die oft den weichen Mädchenbusen schmerzlich ergreift. Bis jezt hatte noch kein anderer Eindruck das Herz des Freundes so getroffen, um daß er ihn nicht in dem heitern, wohlwollenden Gespräch der Freundin ohne Schmerz wieder zum wesenlosen Schatten hinsinken sah. Dieser Trost erhielt ihr inneres Gleichgewicht. Ihr geistvolles Gespräch erhielt das Verstandesinteresse immer herschend in Raimund's Stimmung. Sie wußte nach so Vielem so sinnig zu fragen, um die Lücken ihrer eigenen Kenntnisse auszufüllen, sie strebte selbst nach einer so schönen Einheit in Begriffen und Empfindungen, im Anschaun und Leben, daß Raimund in ein enthusiastisches Streben gerieth, ihr alles mit Sicherheit und Klarheit mitzutheilen, wornach sie verlangte. Sie lasen die Dichter aller Nationen zusammen, und die wahren und schönen Gemälde der Leidenschaft bewegten ihre Seelen oft [44] so tief und zart, daß ihr eigenes Gefühl, gleichwie von einer reinern Luft belebt, in vereinter Flamme aufzulodern begann. Immer wußte Klothilde eine geschickte Ableitung zu finden, und der Uebergang vom Gefühl zum Gedanken war so rasch in ihr, daß die zarten Fäden abbrachen, ehe Raimund einen Abdruck seines tiefern Empfindens daran anzuknüpfen vermochte.

Lindorf war oft gegenwärtig und erwartete mit Ungeduld den Moment des Einverständnisses, durch den er das Lebensglück seines Zöglings sicher gegründet hoffte.

Es war an einem heitern Abend, wo sich Beide mit Lindorf allein im Salon befanden, als Raimund Schillers Wallenstein zu lesen vorschlug. Dieß lieblichste und edelste Gemälde der Leidenschaft, was die neuere Zeit besizt, die Liebe von Max und Thekla wurde in seinem ganzen Himmelsglanz von den liebenden Gemüthern aufgenommen. Ergriffen von jener süßen schauderhaften Regung, wo im Gefühl des Schönen und Großen unser Wesen aus seinen Fugen [45] zu streben scheint, um sich einer höhern und göttlichen Natur zu vereinen, saß Klothilde bebend, und ihr schönes Auge, in welchem große Perlen rollten, sog gleichsam jedes Wort von Raimund's Lippen auf.

Bei den Zeilen im Monolog der Thekla:


»Was ist das Leben ohne Liebesglanz,
Ich werf es weg, da sein Gehalt verschwunden.«

vermochte sie sich nicht mehr zu halten und sank stillweinend mit verhülltem Gesichte auf den Arm ihres Lehnstuhles.

Raimund las mit bewegter Stimme bis zum Ende der Scene, und nun wischte er sich selbst die Thränen von den Wangen; ein süßes schmerzliches Gefühl beklemmte seinen Busen bis zur Ohnmacht. Er hatte nicht den Muth, Klothildens Hand zu fassen; sie schien ihm in ihrer Rührung, in den Aussprüchen ihres innersten Wesens eine Heilige, der eine ehrerbietige Entfernung gebührte; und gleichwohl drang sein ganzes Wesen zu ihr hin und nannte sie die Seine.

Lindorf war in die Gartenthür getreten. [46] Er wähnte, der schöne, einzige Augenblick im Leben sey für die guten Seelen gekommen, sie sollten ihn in aller Macht der schaurigen Einsamkeit genießen. Die vollsten Lebenstöne, die Zukunft der Liebenden umfingen seine Seele, wie andächtige, feierliche Chorgesänge. Unsanft wurde er aus diesem innern Wohllaut durch Klothildens trockne Worte aufgeschreckt: »Lassen Sie uns für heute schließen!«

Raimund zögerte einige Augenblicke zu gehorchen, aber bald steckte er das Buch ein, warf aus der Thüre noch einen glühenden Blick auf Klothilden und eilte dann ins Freie. Lindorf wollte ihm folgen, beinahe unwillig auf Klothilden, die den Jüngling in solcher Gluth kalt von sich ließ; auch diese spielt mit reiner Empfindung! sagte er in sich selbst. Aber als er ihr beim Abschiednehmen, im Scheine der eben aufgesteckten Lichter ins Antlitz sah, hielt ihn ein so sonderbarer Ausdruck tiefen Schmerzes fest, über den die Lebhaftigkeit der Züge umherspielte. Gleich wenn der Strahl der untergehenden Sonne [47] Felsenspitzen aus schaurig dunklen Gründen erhellt: so leuchteten ihm aus der Seele des Mädchens noch unerkannte Tiefen und Formen entgegen. »Warum ließen Sie ihn gehen?« sagte er halb im Scherz, um eine Erklärung mild und natürlich einzuleiten. »Sie sind zu sein, Klothilde, um nicht zu fühlen, daß er nur aus Ungeschicklichkeit ging, die nun einmal bei uns Männern gegen Euch zu Hause ist; oder irre ich mich ganz? Wollen Sie ihn nicht halten?« – Nun die Frage ist wahrhaftig offen genug, sagte Klothilde mit ihrem launigen, gutmüthigen Lächeln, über dem sich noch der feuchte Bogen der Iris wölbte, und das sich deshalb um so inniger ans Herz schlich und den zärtlichsten Antheil erweckte. »Da Sie mir so zutraulich begegnen, Lindorf, da ich über dem merke, daß ich Ihnen nicht viel mehr zu verbergen habe: so will auch ich so offen seyn, als mir's immer gegeben ist. Der Abend ist schön; lassen Sie uns im Garten gehen, die Dämmerung wird mir helfen; ich weiß nicht, wie ich zu dem aussehen werde, was ich zu sagen [48] gedenke. Es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich über meine Empfindungen rede. Ich hatte immer solch' einen Widerwillen an den sogenannten Empfindungen Anderer, die sie nur vorschüzten, wenn der Verstand ausgegangen war, daß ich mich früh bestrebte, die meinigen zu verbergen.« – Sanft legte sie ihren Arm in den seinen, als sie die Stufen im Garten hinabging. Sie athmete schwer, die kühlende Abendluft schien sie zu beruhigen, und leise fing sie an: »Sie sind Raimund's Vater, das sollte mich bedenklich machen; aber es macht mich beherzt! Ja, das Gefühl, daß Sie selbst nicht zärter und inniger besorgt um das Glück des edlen Jünglings seyn können, stärkt mich, und es ist mir, als hieße mich mein guter Genius Ihnen mein Herz zeigen, ob ich gleich eigentlich keinen Grund dazu sehe.« –

»Das Vertrauen guter Menschen zu einander ist die ewig fortbildende Kraft des Guten, liebe Klothilde, im Weltgeschick wie im Leben des Einzelnen; nie soll es Sie reuen, Ihrem [49] Gefühl gefolgt zu haben, das gelobe ich Ihnen; denn das steht bei mir, und so lassen Sie uns also hoffen, daß aus Güte und Wahrheit nur wieder Gutes entspringen kann. Ja, ich gestehe es Ihnen, daß mein Herz Sie zu Raimunds Weib ausersah, seit ich Sie kenne, beinahe seit dem ersten Blick; denn Ihr ganzes wohlthätiges, heiteres Daseyn kündigt sich so offen an und ist so recht geschaffen, um die Fülle des Segens über eine Familie zu ergießen. –

O mein Vater, ich fühle dieses wohl mit dankbarer Rührung! erwiederte Klothilde; Raimunds Glück ist mir so werth, daß ich's freilich am liebsten durch mich selbst gründen möchte. Eine glückliche Ehe ist der Wunsch jedes guten Mädchenherzens, ich gestehe es Ihnen frei, es ist auch der meine!

Unter allen Lebensbildern, die die Fantasie auf den dunklen Grund der Zukunft mahlt, stand Liebesglück, aus dem allein die Harmonie und der Frieden des Hauses entspringt, oben an. Nur in der ganzen Wahrheit und Kraft meines [50] Herzens kann ich dieses Band schließen; denn alle Halbheit, alles kleinliche Abfinden ist gegen meine Natur. Oft dachte ich mir Raimund in allen Beziehungen des Lebens. Mit ihm allein fühlte ich die Möglichkeit immer für Eins zu gelten, zu leben, zu handeln, ohne meiner innern Natur untreu zu werden. Edel, wahrhaft und stark erschien er mir immer – er füllt mein Herz –; aber wozu dies alles? ich vermag ja nicht das seine zu füllen.« – Ihr liebliches Köpfchen sank auf ihren Busen, und in sich gekehrt und schweigend ging sie neben Lindorf einher.

Wie es so wunderlich zwischen euch lieben Kindern geworden, weiß ich wahrhaftig nicht zu sagen, sagte Lindorf. Doch scheint ihr mir für einander bestimmt, und die Stunde, wo Raimund dieses fühlt, wird kommen.«

»Aber Sie geloben mir hier unter der Sterne ewig treuem Angesicht, sie nicht herbei zu rufen,« sagte Klothilde sehr ernst. »Das würde mich für immer von jeder lieben Hoffnung trennen, und mein Gefühl über diesen Punct ist nicht [51] zu täuschen. Frei, wie alles Heilige, muß Neigung seyn, und ihr zartes Leben und Werden ist geheimnißvoll, wie das der Blüthen und Töne. Die selige, wahrhaft selig genannte Mutter des Jünglings hat alle Tiefen meines Herzens erschlossen. Diese kannte die Liebe, und der verklärte Geist, dünkt michs, mahnt mich an das Glück des Lieblings auf Erden. Was nicht naturgemäß ist, hat keinen Bestand. – Aufgesucht müssen wir Frauen werden, nicht selbst aufsuchen, wenn wir ein langblühendes Leben im Herzen des Geliebten bewahren wollen. Die alten strengen Ritterfrauen, die Jahre lang um Minne werben ließen, ich gestehe es Ihnen, theurer Freund, sie scheinen mir weniger unnatürlich, als unsre modernen Gurlies, selbst auch als viele noch besserer Gestalten. Ihr Verstand gibt mir Recht, das fühle ich, gestehen Sie mir's, und ich bin dann sicher, daß Sie nichts thun werden, ein Glück herbeizuführen, das nur eine freie Gabe der Gottheit seyn kann.« –

»Im Allgemeinen haben Sie Recht, Klothilde; [52] aber die hohe freie Natur meines Raimund's wird auch eigene Formen im Ausdrucke seiner Neigungen wählen – diese nicht mißzuverstehen, das verlange ich von Ihnen! –«

»Er könnte sich aus Wohlwollen, aus Großmuth hingeben – dieses Mitleid würde mein Tod seyn«, sagte die sehr bewegte Klothilde. –

»Ihr Vertrauen zu ehren, habe ich gelobt; die völlige Freiheit als Vater gegen meinen Zögling zu handeln, können Sie mir aber auch nicht rauben wollen; bevor Raimund sich selbst in seinem Gefühl klar geworden, verlasse ich Paris nicht mit ihm!« –

Der Schluß dieses Gespräches wirkte sehr beruhigend auf Klothilden; sie fühlte sich anerkannt, verstanden von dem Wesen, welchem Raimund nächst ihr am theuersten war; aber ihre Leidenschaft wuchs mit den Fittigen der Hoffnung. Raimund's leidenschaftliche Momente verklangen bald wieder in seiner ganzen harmonischen Existenz, wie denn die Männer überhaupt mit stärkeren Sinnen und äußerm reichhaltigen [53] Lebensinteresse sich leichter durch die Gegenwart ergreifen und begnügen lassen. Wissen und Kunst, Klothildens liebender Antheil füllten Raimund's heiteres Daseyn, und vor seinem regen Herzen lag die Zukunft als eine goldene Wolke, deren Schleier er nicht ungeduldig zu enthüllen strebte. Aber eine künftige Geliebte stand hinter diesem Schleier; dieß verriethen manche Anklänge in seinem Gespräch, und nicht ahnend Klothildens zarte Neigung und heroische Freundschaft, zerriß er oft das liebe Herz, an dem er so innig hing, auf das grausamste. Lindorf, seinem Gelübde getreu, dessen wahren und zarten Sinn er selbst ganz empfand, mußte schweigen. Wäre Klothilde nicht ganz wahr und edel gewesen, hätte sie eine Furcht ihres Verlustes in Raimund's Herzen erwecken mögen, so wäre die Gluth der Liebe in helle Flammen aufgeschlagen; oder hätte sie nur in einem leisen Hauch ihre Schmerzen verrathen, so hätte der Jüngling sich ihr weich und zart für immer hingegeben. Beides verschmähte ihr reines Wesen [54] und ihr edler Stolz. Aber die Blüthe des Lebens und der Gesundheit begann von der innern Flamme verzehrt zu werden.

Nie hatte sie irgend ein Gefühl in ihrem Gemüthe zurückgedrängt, und die wundersamste Veränderung entstand in ihr durch den jetzt zuerst erfahrnen innern Widerstreit. Ihre klare bilderreiche Rede wurde trüb und verworren, ihre Gedanken und Gefühle rangen mit dem Ausdruck, da sie nicht offen und frei das ganze Herz mehr aussprechen konnte. Die Anstrengung, sich gegen Raimund verbergen zu wollen, raubte ihr alle freie Bewegungen, und die Grazien schimmerten nur durch den Schleier der Wehmuth.

Eine Jugendfreundin, die sie seit mehrern Jahren nicht mehr gesehen hatte, kam von einer Reise zurück und trat unerwartet in ihr Zimmer.

Klothilde saß sinnend über einem Buche und suchte vergebens ihre Seele zur Aufmerksamkeit zu sammeln, sie sah nur Worte, und das Bild des geliebten Raimund's schwebte über allen Lettern.

[55] In der süßen Ueberraschung des Wiedersehens verbarg sie sich an den Busen der Freundin mit ungewohnter Heftigkeit, und als sie wie sonst, Auge in Auge und Seele in Seele spiegelnd, sich anschauten, sank Klothildens Thränenschwerer Blick und vermochte nicht dem klaren, freundlich fragenden Auge der Freundschaft zu begegnen.

In wenigen Tagen hatte die liebende und feinsinnige Laura, die seit zwei Jahren verheirathet war und ruhig und besonnen die Leidenschaften Anderer durchschaute, das Geheimniß der Freundin enträthselt. Raimund war auf einige Tage auf's Land gereist; aber Laura hatte aus allen Gesprächen in ihm den belebenden Genius des Hauses erkannt. Klothilde sprach auf die erste Frage Laura's ihr Gemüth und ihr Verhältniß frei und ungestört aus: ihre Liebe, ihr Sehnen und ihren Schmerz in der Furcht, nie Raimunds Herz zu gewinnen, weil ihr die vollkommene Schönheit fehle, ohne die er einmal nicht lieben könne. – Alles lag offen vor Laura's [56] Blick. Ein so heitres harmonisches Wesen im Kampfe des zerstörenden Schmerzes zu erblicken, rührte Laura innig.

Nachsinnend hielt sie die Hand der Freundin in der ihren und rief endlich aus: »Ja, ich will die Dornen der Leidenschaft aus dem Busen reißen, wo sonst nur die Blumen aller sanften Gefühle sproßten, oder sie mit noch schöneren Rosen überdecken!« – »Laß uns nicht kämpfen mit dem, was wir billig nur als ein Geschick annehmen müssen!« sagte Klothilde unter sanften Thränen.

»Wie das geheimnißvolle Leben der Natur fortwirkt und bildet; so die Neigung, unergründlich, aber gewiß nach ewigen Gesetzen. Meine Blüthen sollen hinabsinken – keinen Streit, keinen Kampf! – Laß sie ruhig fallen, geliebte Laura, und gönne mir's ohne Klagen, mit ihnen dahin zu sinken.« – Große Thränen rollten in Laura's klaren Augen, aber der heitere Strahl eines schaffenden Verstandes brach bald durch das Gewölk hindurch.

[57] Also weil Deinen Zügen die regelmäßige Form fehlt, und man sie nicht mit dem Zirkel ausmessen darf für's Zeichenbuch, weil deine Stirn nicht zur Nase übergeht wie die der Mediceischen Venus, weil Deine Wange etwas zugerundet, Dein Mund um ein Paar Linien zu groß ist – darum verschließt sich Dir das Herz, das sich Dir in schönen Stunden einst geöffnet? Nein, wenn der himmlische Geist der Harmonie, der Dein ganzes Wesen belebt, nicht zu seinem Herzen drang, unauslöschlich und ewig: dann ist es Deiner Neigung nicht werth. – Den Zweifel an der Gewalt des Eindruckes kann ich verzeihen, weil ihn die Sorge um Dein Lebensglück erzeugen konnte; aber besiegt ihn die Liebe nicht bald, so gebe ich den Freund auf. – Noch will ich mich dazu verstehen, ihn als einen Kranken zu pflegen, sagte sie lächelnd, ja ihn vielleicht zu heilen.«

Heiter sprang sie nach dem Spiegel und sah sich lange und freudig an. »Bin ich denn nicht schön, liebe Klothilde? Man sagte mir wenigstens [58] immer, ich sey eines der regelmäßigsten Gesichter, und mancher Mahler bat um die Gunst, mein Bild als ein Studium zu mahlen. Laß mich gewähren, und wenn ich den Querkopf nicht überzeuge, daß sein Herz reiner und tiefer fühlt, als er selbst wähnt, so soll mich von nun an alle Welt für häßlich halten.«

Gutmüthig, um die frohe Laune der Freundin nicht zu stören, gab sich Klothilde mit einem bezaubernden Lächeln den Scherzen hin, indem sie die Perlen des weichen Gefühls unvermerkt aus den Augenwinkeln hinwegwischte.

Mit Lindorf gerieth die heitre zärtliche Freundin bald in ein vollkommenes Einverständniß. – »Ich kann den Gedanken nicht aufgeben, daß unsre zwei junge Leute von der Natur zu einem harmonischen Ehepaar bestimmt sind, sagte Laura. Ich kann mir die Lage Ihres Freundes vollkommen vorstellen. Er wird mit der Frage an sein eigenes Herz nicht fertig werden, bis ein neuer Eindruck ihn belehrt, daß es nichts Liebenswürdigeres mehr gibt, als meine Klothilde![59] Die Redlichkeit und Consequenz, mit der er sich selbst prüft, gefallen mir gerade an ihm. Diese Eigenschaften, die ihn von ihr trennen, verbürgen eben ein reines Lebensglück in inniger Verbindung; es sind die einzigen, die einem wahren edlen Wesen genügen. Auch sehe ich durch, daß Klothildens gereizte Empfindlichkeit den Spiegel ihres Innern trübt und ein ewiges Wellenschlagen erregt, in welchem Raimund über seine Empfindung für sie, nie zum ruhigen Anschaun kommen kann. Nur in zitternden Glanz- und Gluthwellen spiegelt sich die Abendsonne auf der bewegten Fluth, und das volle und klare Bild seiner Liebes- und Lebenssonne will ein reines und zartes Gemüth im Spiegel einer ruhigen Wasserfläche erblicken. – Wollen Sie mir bei einem Plane die Hand bieten, der dieses für meine Freundin so schmerzliche Verhältniß für immer fester gründen oder auflösen soll?« – »Sie können nichts beginnen, bei dem nicht Zartgefühl und Wahrheit die Leitfäden wären,« erwiederte Lindorf.

[60] »Nun so wachse und blühe denn die holde Liebesrose unter dem kühlschattenden grünen Laube der Freundschaft!« rief Laura, ohne sich weiter zu erklären, indem sie Lindorf gerührt die Hand bot.

Den nächsten Tag nahm Laura Abschied, um einige Wochen auf dem Lande zuzubringen. – »Morgen kommt Raimund wieder, sagte Klothilde, und Du willst ihn nicht kennen lernen?« – »Noch weiß ich ja nicht, ob ich ihn lieben oder hassen muß, erwiederte Laura und blieb bei ihrer Reise.«

Klothilde hatte ihren Freund mit noch mehr Wärme und Geist empfangen und unterhalten als gewöhnlich. Nach dem Blick der Freundin in ihr wundes Herz, strebte sie noch mehr, ihr tiefes Gefühl unter dem Zauber des Geistes zu verbergen. Raimund hatte ihr seine Reisebemerkungen mitgetheilt und ging zufrieden und sanft belebt von ihr, vollkommen ruhig im Besitz einer Freundschaft, die er nie zu verlieren[61] wähnte. Lindorf schlug noch einen weiteren Spaziergang um die Boulevards vor.

An einem entlegenen Platze ertönte ein Gesang, der die beiden Freunde anzog, und dem sie sich vereint näherten. Ein ihnen bekannter Pariser gesellte sich zu ihnen und sagte: »das scheint eine schöne, ausgebildete Stimme zu seyn. In den gewaltsamen Umwälzungen unsres Staates, wo so viele Geschlechter vom Gipfel des Reichthums in die bitterste Armuth gestürzt wurden, zeigt sich die Gewandtheit unserer Nation, alle Formen anzunehmen und mit leichtem Muthe dem Unglück zu begegnen, vielleicht von der schönsten Seite. Unzählige Mittel und Talente kommen zur Sprache, sich das Leben zu erhalten und möglichst auszuschmücken.« Es geschah oft, daß Frauen edler Familien verschleiert sich unter die umherwandernden Musikanten mischten, die des Abends auf den öffentlichen Spaziergängen ergötzen. Dieses schöne Talent zeigt die Spuren einer höhern Bildung und läßt ein bedrängtes Herz unter diesen Zauberklängen [62] ahnen. Jetzt ertönte die rührende Arie Gluck's: der Abschied Iphigeniens von Achill, in der seelenvollsten Stimme und Vortrag. Alle Hörer blieben gefesselt stehen, wie von Zaubermacht ergriffen, und Raimund drängte sich durch den Kreis zu der Gestalt hin, die sein Herz so mächtig bewegte. Schlanke und zierliche Formen erblickte er in dem matt auffallenden Lichte, das von einer Laterne herüberfiel, und die schönste Hand kam ihm aus dem Schleier entgegen, als er seine Gabe überreichte. Lindorf hatte auch die seine schon bereit, als Raimund sie ihm mit sonderbarer Heftigkeit entriß und sie für ihn überbrachte.

Das nächste Abendgespräch bei Klothilden enthielt nichts als Musik und Gluck's Apotheose, die in jedem fühlenden Herzen geschrieben steht. Nicht wie sonst bat Raimund Klothilden zum Singen, auch sprach er nicht von der Sängerin; aber er war sanfter und bewegbarer, und ging so leise in den Sinn ihres Gesprächs ein, daß sich ihr Herz leichter neben ihm fühlte.

[63] Den folgenden Abend suchte er die Sängerin vergebens auf. Am dritten quollen ihm die zauberischen Töne wieder entgegen, als er sich dem bekannten Platze wieder näherte. Die schöne Gestalt zeichnete sich diesesmal in bestimmteren Umrissen; sie stand nahe an einer der großen Lampen, die den Eingang eines Gartensaales erhellte. Durch den dünnen Schleier traten die edlen Formen ihres Gesichts hervor und ein vollkommenes Ebenmaß aller Züge. Das reine Oval des Hauptes ruhte auf dem schönsten Halse, sanft wie von den Wellen des Tones bewegt erhob sich die Brust, und jedes Wort war der Hauch eines harmonischen innern Lebens, welches Alles um sich her zu beleben, zu erfrischen vermochte. Die ganze Gestalt war wie in sich selbst abgeschlossen, unbekümmert, ja unbewußt ihrer Wirkung auf die umgebende Welt, schien sie zu seyn. Als sich Raimund mit seiner Gabe näherte, sagte er ihr leise: »Wer sind Sie, die wie eine Himmlische uns entzückt? Mächtig haben Sie ein Herz bewegt, das wenigstens durch die Gewalt [64] seines Gefühls nicht unwerth ist, ein Wort von diesen holden Lippen zu vernehmen! –« Stolz und entschieden, doch sanft sagte sie, indem sie sich von ihm wendete: »Dem Unglück gebührt nur Schweigen und Verborgenheit!«

Raimund folgte bewußtlos ihren Schritten, bis sie an der Ecke einer Straße seinen Augen entschwand.

Die Gewalt der Leidenschaft ergriff sein ganzes Wesen, und mit ihrem Falkenauge verfolgte er den Gegenstand seines Begehrens. Verborgen unter dem Gedräng der Zuhörer blieb er am nächsten Gesangs-Abend, ohne sich der Sängerin zu nähern, aber er folgte ihren Schritten und entdeckte ihre Wohnung in einem kleinen entlegenen Hause. Bald hatte er mit der Thürhüterin Bekanntschaft gemacht und erfuhr, daß seine schöne Unbekannte erst seit Kurzem aus der Provinz gekommen sey, ein ganz einsames Leben mit ihrer Dienerin führe und sehr wenig Besuche annehme.

Unter dem Vorwand, Zimmer zu miethen, [65] die er nur auf einen Monat bewohnen wollte, wurde er von der Thürhüterin eingeführt.

Im hellen Morgenlicht, in einem zierlich weißen Morgenkleid fand er die schöne hohe Gestalt an einem Stickrahmen beschäftigt. Ein Glas mit Blumen stand auf einem kleinen Tische neben ihr, die sie mit der Nadel nachzubilden schien. Entzückt blieb er an der Thür stehen, und in der Gluth des Verlangens wagte er nicht, sich dem Strahlenglanze zu nähern, vor dem seine Sinne schwindelten, bis sich ihr schönes Auge auf ihn richtete. Der Anstand forderte einige Entschuldigungen, die sie bescheiden beantwortete, und dabei in ihrer Arbeit fortfuhr. Eine Guitarre, ein Paar Bücher lagen auf einem Tisch im Hintergund, alles um sie her war höchst reinlich; aber nur für's Nöthigste schien in der ganzen Einrichtung gesorgt zu seyn. Raimund glühte und bebte in der Furcht, sich bald wieder entfernen zu müssen – ihr Anschaun hatte sein ganzes Wesen befangen. Er bog sich auf ihre Stickerei und konnte beinahe [66] den magnetischen Zug seiner Lippen nach der schönen Hand, die er schon einmal berührt hatte, nicht aufhalten. Doch gebot ihre Lage gerade die zarteste Ehrerbietung. – »Sie gedenken diese Zimmer zu verlassen? ich würde untröstlich seyn, Ihren Plan zu stören, sagte er, um nur anzuknüpfen – ja untröstlich je etwas zu thun, was Ihnen mißfallen könnte!« Die schönen Augen hoben sich, wie leuchtende Sterne, unter den langen Wimpern gegen ihn: »und welchen Antheil kann Ihnen eine ganz unbekannte Person einflößen?« sprachen die lieblichsten Lippen, aus deren Rosen eine Perlenreihe hervorschimmerte. – »Eine Unbekannte? – o! wie bekannt, wie ersehnt von meinem innersten Herzen! rief Raimund; könnten Sie es fühlen, dürfte ich es Ihnen sagen! Kennen Sie denn die Gewalt Ihrer Schönheit nicht?« – Die Thürhüterin war in ein anderes Zimmer gegangen; ein Gespräch entspann sich, in dem sich Raimunds offnes Herz ergoß. Mit Zurückhaltung, mit Ernst, durch welchen milde Rührung hervorschimmerte, [67] wurde sein Geständuiß aufgenommen. – Zu den Füßen der Geliebten erhielt er die Erlaubniß, sie wieder zu sehen.

Ihre Geschichte erforschte sein liebender Antheil in den nächsten Tagen, um sie aus der drückenden Lage zu ziehen, nicht daß er seine Zukunft schon an die ihre geknüpft hätte. Sie war die Wittwe eines reichen Mannes, der aber aus dem blühenden Wohlstande durch den Umsturz aller Eigenthums-Verhältnisse in Armuth mit den Ihrigen gesunken war. Ihre Mutter hatte sie zum zweitenmal gegen ihre Neigung verheirathen wollen, und sie hatte erwählt, unter der Leitung einer alten Bekanntin für die Familie in der Hauptstadt durch ihr Talent den Unterhalt zu erwerben, den sie ihnen mit dem Opfer ihres ganzen Gefühls zu erkaufen verschmähte. Diese Lage drang zu Raimund's reinem Herzen; ihre sorgenfreie Zukunft war entschieden; aber seine Leidenschaft sah für sich nur den Augenblick, wünschte nur den Besitz dieser leuchtenden Schönheit; sein Leben, als ein Ganzes, war vor seiner[68] Fantasie verschwunden; ein lichter Moment des Daseyns stand blendend vor dem ganzen harmonischen Bilde, in dem er sonst seine Zukunft gerne beschaute. Beklemmt, beschränkt fühlte er sich, wenn er von Lucien kam (so nannte sich seine schöne Freundin); sein Herz dünkte ihm wie ausgebrannt für das Große und Edle des Lebens, sein Verstand umwölkt, und mühsam fand er die Folge in dem Zusamenhang seiner Begriffe. Seine Denkkraft schien gelähmt, sein Gefühl gestört. Wenn er Abends zu Klothilden kam, fühlte er diesen Zustand schmerzlich. Ein Funken ihres Geistes ergriff ihn oft, und es war ihm dann, als erhellte ein Strahl aus schöner Vergangenheit sein verödetes Gemüth. Aber seine ungewohnte Schwermuth und Ungleichheit fielen beklemmend auf ihre Seele. So oft er ihr sein Herz über die neue Bekanntschaft aufschließen wollte, versagten ihm die Worte. Noch immer bestand jedoch jenes süße Verstehen unter ihnen, was den Zauber ihres edlen Friedens zurückrief, wenn es um ernste und große [69] Lebensverhältnisse, um das Vaterland und um das Wohl der Menschheit galt, und um die Gegenstände des Denkens, die unserer höheren Natur angehören. Dieser Einklang war wie ein labender Frühlingsregen in die versengte Aue seiner Brust. Auch gegen Lindorf vermochte er nicht zu sprechen.

»Und ist Dir denn dieses eine Wesen Alles geworden? Hast Du allen Andern nur ein halbes Herz mehr zu geben?« fragte er sich, und es war ihm als einem, der sich in der Schwüle des Tages nach der lieblich kühlenden Morgenluft sehnt.

Lucie zeigte sich ihm vielseitig gebildet; ihr Gesang war einnehmend; Sitte und Grazie eines wohlerzogenen Weibes lag in ihrem ganzen Benehmen; aber alles war vorbereitet, manierirt und berechnet. Nie wurde er überrascht; das himmlische Leben des Genius fehlte, das nur aus dem innern Herzen lodert und allen Gegenständen den Zauber der immerwährenden Neuheit verleiht. Er mußte sich's zuweilen gestehen,[70] daß diese immer gleiche Haltung an Trockenheit und Kälte gränzte und daß bey dem Ausstellen und Entfalten veränderter Gemälde, in denen sich Luciens Gestalt in neuen Reizen zeigte, nur seine Sinne gereizt waren, während sein Herz leer blieb.

So traf ihn ein gewisses Ablauern seiner Stimmung, ein Abmessen seiner innern Bewegung wie ein kalter verheerender Hauch der Nordluft. Kalte geregelte Menschen gewinnen leicht den Anschein des Despotismus über warm fühlende und hingebende. So war Luciens strenges Halten auf Tag und Stunde seiner Besuche Raimunden schon beinahe lästig, und die ernste Miene, mit der sie ihn beim Eintreten begrüßte, wenn er sich verspätet hatte, streifte die Blüthen der Fröhlichkeit ab. Noch spürbarer wurde dieses, als das Gesetz der leisesten Schonung und verdoppelter Achtung, die ihre drückende Lage seinem Zartgefühl auferlegte, minder streng gebot.

Sie sagte ihm nach vierzehn Tagen, daß, [71] da er sich als ihren Freund zeige, sie ihm die angenehme Nachricht mittheilen müsse, daß ihrer Familie eine unerwartete Erbschaft zugefallen sey, die ihr den verlornen Wohlstand wiedergebe. Doch werde sie die Stadt noch nicht verlassen.

Das Erwarten eines Heirathsantrages, welches Raimund oft bemerkte, machte ihn immer befangener. Er mußte sich gestehen, daß seine zudringlichen, leidenschaftlichen Aeußerungen diese Erwartung herbeigelockt hatten, daß er sprechen müsse. Der Besitz des reizenden Weibes erregte seine Wünsche, aber nun erst trat Klothildens Bild und alle tausend zarte Fäden, mit denen ihr Umgang sein Herz umstrickt hielt, vor sein Gemüth, und eine Zukunft ohne sie, fremde Bande der Neigung und der Pflicht, die sich vielleicht zwischen ihr vereintes Leben stellen konnte, erfüllten ihn mit Angst und Unruhe.

Er nahm den Brief seiner Mutter wieder vor; »ist denn das wirklich die Liebe, das Element der glücklichen Ehe, die der geliebte Schatten [72] in meiner Lebensaussicht verlangt? so fragte er sich. Die Schönheit rührt mich, ihr Bild steht mir abwesend immer vor der Fantasie und reizt meine Wünsche; aber eine gewisse Herzensöde überfüllt mich in ihrer Nähe, und da strahlt wie aus blauen Lüften der lichte Blick meiner Freundin Klothilde auf mich nieder, und mir ist: als zöge er mein Herz aus dem Busen heraus in frische Lebensluft des Geistes und der Hoffnung.

Diese Monologe wurden bald zu traulichen Eröffnungen gegen seinen Freund.

Rathen ließ sich hier nicht, auch verlangte Raimund keinen Rath und hatte nur das innere Herzensbedürfniß gestillt, klar vor dem Führer seiner Jugend zu stehen. »Du wirst besonnen und fest handeln, lieber Raimund, sagte Lindorf, darauf kenne ich Dich, und den Frieden der zwei weiblichen Wesen nicht stören, die ein seltsames Geschick Deinem Lebensweg verbindet!« – »Wäre von Klothilden's Frieden die Rede, fiel Raimund ein, wie könnte ich einen Augenblick [73] zweifeln? Nie könnte ich diesem entgegen handeln! Sie ist meine erste Freundin; aber sie nährt keine Wünsche nach innigerer Verbindung mit mir; über Alles ist sie offen, nur nicht über ihren Lebensplan – Möchte sie Ansprüche machen – ach, wie süß wäre es mir, ihr Glück durch jedes Opfer zu gründen!« –

Lindorf lächelte, drückte seine Hand und verließ ihn.

Lucie ließ sich ein paar Tage hindurch nicht zu Hause finden, und die heftigste Sehnsucht und Unruhe ergriff Raimunden. – Als sie ihn wieder annahm, stürzte er zu ihren Füßen – »Warum haben Sie mich so lange verbannt, waum muß ich's ertragen, Sie so selten zu sehen?« – »Mir deucht, Sie ertragen das ganz leicht, sagte sie mit einem halb empfindlichen Lächeln. Wie ich vernahm, sind Sie durch ein liebenswürdiges Mädchen gefesselt, das Ihre Zeit auf die angenehmste Art ausfüllen kann.« –

»Ich habe eine Freundin, eines der liebenswürdigsten und geistvollsten Geschöpfe; aber [74] meine Liebe und Sehnsucht nach Ihnen sind deshalb nicht minder wahr!« –

»Wenn Ihre Neigung für mich aufrichtig ist, sagte Lucie; wenn Sie, wie ich glauben muß, ein dauerndes Band zu mir wünschen: so muß ich Sie mit meiner Empfindungsart bekannt machen. Jedes innige, mehr als gesellige Verhältniß mit irgend einer andern Frau würde mir an dem Manne, den ich liebte, ein Quell tausendfachen Unglücks seyn. Alles – oder Nichts – verlangt mein Herz; und wer es nicht vermöchte, einer Freundin für mich zu entsagen, thäte besser, alle Ansprüche an mich aufzugeben.«

Himmlisch schön war Lucie in diesem Momente aufgeregter Empfindung; – aber Klothildens rührendes Bild, da es um einen ewigen Abschied galt, ging mit zauberischem innigem Schmerz in Raimunds Seele auf, und alle entflohenen seligen Stunden umstrickten sein Herz –; seine Rede blieb gefesselt im Busen, [75] so sehr sein ganzes Wesen nach der reizenden Gestalt entbrannte.

Sein männlicher Stolz half ihm aus der Schlinge, in die ein allgewaltiges Verlangen ihn dennoch vielleicht gezogen hätte. –

»Weil ich Ihnen wahr und fest zu antworten gedenke, schweige ich für den Augenblick, sagte er, indem er aufstand. Aber eine Freundschaft aufzugeben, in der all' meine beßren Gefühle bis jezt Ruhe und Nahrung fanden – was dieß heißt, fühl' ich erst jezt ganz. Könnten Sie es ganz empfinden, Sie vermöchten dieß Opfer nicht zu fordern.« Sein Abschiedsgruß hatte einen Anstrich von Unmuth, den aller Zauberglanz der Schönheit nicht vertilgen konnte. Er warf noch einen glühenden Blick auf Lucien und verließ das Zimmer.

»O, meine großherzige Klothilde, sagte Raimund in sich selbst, als er zum Hause hinaus war und in der freien Luft der Boulevards auf und abging, wie reich an Liebe und Duldung und jedem edlen Gefühle bist Du! Du [76] belebst mein Herz mit dem Thau des Himmels; jene Liebe könnte es zum starren Egoismus der Hölle vertrocknen!«

Er brachte die Nacht in fieberhafter Bewegung zu. Das reizende Weib stand vor seiner Fantasie, und allgewaltiges Verlangen umstrickte sein ganzes Wesen. Aber als die Morgendämmerung anbrach, kam auch mehr Klarheit in sein Inneres; mit allem Zauber der Geistigkeit und zarten Gefühles kam auch Klothildens liebliche Gestalt auf ihn zu und schien zu fragen: ob er sie verlassen könne? Ermüdet von Unruhe und innerem Kampf fiel er noch in einen leichten Morgenschlummer, und die einbrechenden Sonnenstrahlen weckten ihn aus einem klaren Traume, der seine Brust ahnungsvoll bewegte. und lebendig vor seiner Vorstellungskraft blieb, wie ein Bild des Lebens.

»Auf einer grünen, blumigen Insel, von einem klaren See umwogt, stand seine Mutter mit Klothilden. Er war am Ufer des See's und von grünen Laubgewinden umfangen, aus [77] denen er sich vergebens loszumachen sich strebte. Beide Gestalten schwebten endlich über die Wasserfläche auf ihn zu, Klothilde bot ihm die Hand, und die Gestalt der Mutter wurde immer größer und leuchtender und verschwand zuletzt im Lichtglanz. Er fühlte den Druck von Klothildens Hand noch beim Erwachen. Ich nehme dieß Zeichen vom Geschick an, sagte er, setzte sich hellbesonnen an seinen Schreibtisch und schrieb folgenden Brief an Lucien:

»Ihre offne Erklärung über Ihre Art zu empfinden, meine liebenswürdige Freundin, ruft mich zu einem gleich freyen Bekenntniß auf. Mit heißer Leidenschaft flog mein Herz Ihnen entgegen und weiß noch nicht wie? sich von Ihnen loszureißen; aber der reinsten, zartesten Freundschaft entsagen, das vermag es eben so wenig. Ruhige Besonnenheit, die den ganzen Lebensweg überschaut, sagt mir, daß aus diesem Widerstreit von Ansprüchen und Empfindungen kein beglückendes Verhältniß entspringen könne, und daß es besser ist [78] durch Schmerz und Ueberwindung von meiner Seite das Opfer freiwilliger Entsagung zu bringen, als durch Unmuth und Unfrieden ein schönes Daseyn zu trüben. Möchte Ihr Herz empfinden, daß ein Heiligthum süßer Erinnerungen in dem meinen leben wird, und daß ein Wesen, das meine Liebe einmal umfaßte, mir wenigstens nie die Ansprüche treuer Freundschaft versagen kann!«

»Bester Vater, lesen Sie diesen Brief!« sagte er zu dem eben eintretenden Lindorf. Ich bin entschlossen, Lucien nicht wieder zu sehen – für lange Zeit wenigstens nicht. – Aber sagen Sie mir, ist das klar und zart genug ausgedrückt? Unerträglich wäre mir es, sie selbst, bei aller Ungerechtigkeit, die sie gegen mich und meine geliebte Klothilde ausübt, zu kränken. – Lindorf las und schloß den jungen Freund in seine Arme. Wohl Dir; Dein reines Gefühl hat Dich geleitet! rief er aus.

Und nun begann Raimund: Lassen Sie uns diesen Abend Klothilden um die Erlaubniß bitten, [79] sie auf einer Reise nach der Schweiz zu begleiten, lieber Vater. Sie sprach vor kurzem von diesem Plane, und wirklich scheint mir ihre Gesundheit und Heiterkeit etwas gesunken, und sie der reinen Bergluft und des Anschauens der großen Natur sehr zu bedürfen! – Recht gern, erwiederte Lindorf. Auch Dein Herz wird so von allen schmerzlichen Reminiscenzen ganz genesen. – Willst Du mir den Brief an Lucien anvertrauen? Du hast ihr vielleicht von Deinem alten Freund einmal gesprochen? Sollte sie in der großen fremden Stadt Schutz und Rath bedürfen, so würde ich dieses Alles leicht vermitteln.

Mit Freuden nahm Raimund diesen Antrag an und ging Abends etwas nachdenklich, doch von der stillen Glorie eines rein und fest gefaßten Entschlusses umgeben, zu Klothilden.

Mit Klothilden stand es indessen viel schlimmer, als Raimund es zu ahnen vermochte. Seine ungleiche Laune, seine Zerstreuung, sein Mangel an Aufmerksamkeit bei allen ihm sonst so lieben gemeinsamen Beschäftigungen hatte ihr [80] nur zu deutlich verkündet, daß eine fremde Neigung in seinem Herzen Raum gewonnen und daß er für sie verloren sey. Mit ihm war der Lichtblick der Freude dahin. Ein dumpfer Lebensüberdruß lag auf der sonst so freudig hoffenden Brust, den ihr Verstand vergebens zu bekämpfen suchte. Ungestilltes Sehnen nagte an der Kraft des Herzens und den Blüthen des jugendlichen Reizes. Ihr Entschluß war gefaßt, es zu versuchen, ob die Entfernung von dem geliebten Gegenstand ihr Frieden und Genesung zu bringen vermöchte; aber von Tag zu Tag hatte sie die Reiseanstalten verschoben, und der Schmerz der Trennung, die Furcht der einsamen Tage ohne ihn beklemmten ihr Herz und hielten den Muth zur Ausführung gefesselt. In nächtlichen Wolken verhüllt lag die weite Welt vor ihren Blicken, deren mannichfache Gestalten anzuschaun sie sonst so sehr gereizt hatte. Gleich einem warmen Sonnenblick belebte ihr ganzes Daseyn der Antrag Ihres Freundes, sie zu begleiten. Sein Auge schaute wieder so offen [81] und rein in das ihre, sie las wohlwollende Sorge um sie in dem Grunde seines Herzens.

Eine sanfte Röthe flog über die bleichen Wangen, als sie ihre Einwilligung gab; sie fürchtete, ihre Freude zu zeigen. Die leidenschaftlichen Bewegungen, die Raimunds Herz hatte kennen lernen, gaben ihm einen feinern Tact für die Gefühle Klothildens. Eine leise Ahnung flog zum erstenmal durch seinen Busen: »sie leidet um Dich!«

Mit dem vollen Zauber ihrer vormaligen Lebhaftigkeit wurden nun alle Anstalten gemacht. Eine ihr liebe, ältere Verwandtin sollte Klothilden begleiten, da die Mutter das Haus nicht verlassen konnte. Die Männer sollten voranfahren, um jedesmal die Einrichtungen zu treffen und sich nach dem Sehenswürdigsten zu erkundigen. Mit Zuversicht vertrauten die Eltern Lindorfen die geliebte Tochter an, und nach wenigen Tagen rollten die Reisewagen durch die Barrieren von Paris.

Raimund war in der glücklichsten Stimmung. [82] Einig mit sich selbst in dem Gefühl, einem liebenswürdigen edlen Wesen Vergnügen zu machen, fiel bald die dumpfe Beklemmung der Leidenschaft von seiner Brust; ja, er erfreute sich sogar, ihrer los zu seyn. Seine Gedanken ordneten sich klar, das freye Herz fühlte sich wieder mit der ganzen Natur verbunden, und die Zukunft lag wie eine sonnige Aue vor ihm, durch welche tausend angenehme Pfade sich hinzogen. Ein zärtliches Andenken an Lucien umschwebte ihn oft –; hätte sie sich zu seiner Empfindungsart fügen können, so wähnte er, er hätte zwischen ihr und Klothilden das reinste Glück genossen. Lindorf hatte ihn über ihr Geschick beruhigt: sie sey Willens, wieder zu ihrer Familie auf's Land zu gehen, und ohne Schmerzen habe sie seinen Brief, so schien es, aufgenommen.

Auch Klothilde genoß eines langentbehrten süßen Friedens. Wie leuchtend ist die Straße des Lebens, wenn wir einem einzig Geliebten folgen, ihn nur für wenige Stunden verlassen [83] in der Gewißheit ihn wieder zu finden –, wie lichtstrahlend der Himmel, wie lachend und duftend die Wälder, die Auen, wie blühend!

Die tiefe Sehnsucht der Liebe lag noch auf dem Grunde ihres Gemüthes. Wie ein unerreichbares Glück stand noch Raimund's Gegenliebe und ein mit ihm vereintes Leben vor ihrer Fantasie; aber sie hatte Kraft zur Ergebung gefunden.

Ihre schwankende Gesundheit führte sie auf den Gedanken eines kurzen Lebens. »Ich werde ihn sehen, dachte sie, seine Theilnahme, seine Freundschaft wird meine Tage erhellen, bis der lezte mich auch an seiner Seite findet, und mein brechendes Auge noch in das seine schaut. Dann soll er alle meine Liebe kennen lernen, und mein Andenken ihm heilig durch's ganze Leben bleiben!«

Raimund war unendlich liebenswürdig auf der Reise. Zärtlich schützende Sorgfalt umgab Klothilden auf jedem Schritt. Oft stieg sie bis zum Uebermaaß; aber sie mußte seiner Lebhaftigkeit [84] nachgeben und sich in seine Einrichtungen fügen. Ihr Herz zerfloß in Dank und Liebe, wenn er sie Abends aus dem Wagen hob, und die großen leuchtenden Sterne seiner Augen auf sie gerichtet waren und sorglich nach ihrem Befinden spähten.

Nah an der Schweizer-Grenze hielten sie Abends in einem kleinen Städtchen an, das freundlich an einem Hügel lag. Die Einrichtung zum Uebernachten war getroffen, da die nächste Station noch weniger Bequemlichkeiten darbot, und die weitere Reise zu ermüdend für Klothilden werden konnte. Die weite Landschaft lag im zauberischen Abendlichte vor ihnen, und die Farbentöne des Himmels, die laue Luft zogen Klothilden noch in einen kleinen Garten hinter dem Posthause, wo man die reiche Gegend überschaute. Raimund folgte, und still, wie die Natur im ernsten Momente des Unterganges, saßen sie schweigend neben einander. Die Verklärung des Abendscheines umstrahlte Beider Gestalten. Raimund hatte Klothildens [85] Hand nicht aus seinem Arme gelassen, den er ihr zum Aufsteigen eines kleinen Hügels dargeboten, und hielt sie sanft in der seinen. Er wendete nun seine Augen von der Gegend auf sie und fand auch die ihrigen auf ihn gerichtet. »O, Klothilde!« sagte er mit seiner schönen klangvollen Stimme, »wenn ich so ins weite Leben hinaus schaue, in die Städte, Dörfer, Auen vor uns, in das mannichfache Treiben der Menschen: wie fühle ich dann, daß doch Jeder nur eine Heimath findet in einem geliebten Menschenherzen, das ihn freudig aufnimmt, um Liebe und Leben mit ihm zu tauschen! Dürft' ich hoffen, diese Heimath gefunden zu haben? Könntest Du, himmlisches Wesen, den Irrenden, Schwankenden aufnehmen in das Heiligthum Deines reinen Herzens? Willst Du mein seyn?« fragte er mit leiser Stimme und drückte sie an seine hochschlagende Brust. Die ganze Verklärung der Liebe umfloß Raimund's schöne Gestalt – alle Banden der Sorge und des Zweifels fielen von Klothildens Herzen, nur [86] der Stimme der Liebe gehorchend, sank sie an seine Brust und flüsterte ihm zu – »Ach, das bin ich ja schon längst!« In süßer seeliger Umarmung vereinten sich ihre Wesen, die Fülle überirdischen Glücks genießend.

Lindorf kam sie zum Abendessen zu rufen, und als sie an dem kleinen Tisch im Glanze der Lichter saßen, erkannte er bald den heiligen Glanz beglückter Liebe in den Blicken und Worten der Liebenden. Es wurde wenig gesprochen; und kaum waren die Diener zur Thüre hinaus, so stürzte sich Raimund in Lindorfs Arme: »Sie ist mein, mein Vater! sagte er sanft an seinen Busen gelehnt; Du hast so vieles, ja Alles für mich gethan; lehre mich nun auch, dieses Glückes werth zu seyn!« Beide traten zu Klothilden, die ihre Rosenwangen und ihre leuchtenden Augen auch an Lindorfs Busen barg. Alle Drei genossen ein Glück, wie es Sterblichen selten gewährt ist.

Klothilde hob zuerst ihr holdes Gesicht aus [87] der Umarmung und sagte: »Raimund denkt bei mir die Heimath seines Herzens gefunden zu haben; o mein Vater! wird er sie immer da finden? Nicht an mein Glück denke ich mit dieser Frage; frei gab ich mich meiner Liebe hin und will nun in ihr leben und sterben; aber an das seine? O Raimund kann ich Ihr Herz füllen?« – Er sank zu ihren Füßen; »ich habe es noch nicht verdient, daß Du mir vertrauest!« rief er schmerzlich und verbarg seine glühenden Thränen in ihrem Gewand – dann hob er die leuchtenden Blicke gegen sie und sagte: »ganz sollst Du das Herz kennen, das nun einzig und ewig Dein ist, selbst wenn Du es verwerfen könntest!« – »Liebe Klothilde« sagte Lindorf; »wenig liebende Frauen können vielleicht die Hoffnung treuer Liebe nähren wie Sie! Ja mit innigen und ewigen Banden kann wohl eine Frau den Mann an sich gefesselt glauben, dem sie als Freundin mehr ist, als eine reizende Geliebte! Raimund wird Ihnen die Geschichte der lezten Wochen erzählen und [88] mir die Erlaubniß geben, Ihnen einen Brief zu zeigen, mit dem er ein Verhältniß abbrach, das seiner nicht unwerth war. Zum Glück behielt ich eine Kopie in den Händen.« – »Wie leicht glaubt der, der sich gerne überzeugen läßt!« sagte Klothilde, indem sie Raimund zu sich aufzog und mit der zarten Hand über seine Stirne fuhr, als wollte sie alle Spuren ihres störenden Zweifels wieder hinweglöschen. Sie sagte: »Würdig und edel werde ich Sie immer finden, theurer Freund; dessen bin ich gewiß. Das Glück wohnt drüben bei dem ewigen Vater, und frei nur schwebt es auf uns herab. In Unschuld und Wahrheit wollen wir bleiben, um diese göttliche Erscheinung nicht zu verscheuchen. Jezt durchdringt ihr Himmelsglanz mein ganzes Wesen!« Sie umfaßte ihn, ihre Blicke strahlten in einander und ihre Lippen besiegelten den Bund des reinsten Einverständnisses.

Den nächsten Morgen gingen sie noch in dem Garten umher, der für immer ein geweihter [89] Boden für sie bleiben sollte. Raimund erzählte frei und offen die Geschichte seiner Liebe für Lucien. – »Ich weiß nicht, sagte er am Ende der Erzählung, ob das Liebe war; aber meine Brust war beklemmt in diesen Gefühlen; das weiß ich, daß ich bei Dir mich in himmlischer Freiheit fühle! Aber gebiete über mein Schicksal, auch wenn Du mich Deiner unwerth findest!« Lindorf kam zu ihnen, und Klothilde las unter süßen Thränen den Brief, der eine so reine Neigung für sie aussprach. – »Mir deucht nach diesem, ich könnte Dich nie verlieren, wenigstens müßte ich Dich immer wieder gewinnen,« sagte Klothilde mit dem Ausdruck der innigsten Hingebung; ja, und ich sage es frei, obs wohl lächerlich klingen mag, mir dünkt, ich begehe kein Unrecht, mit dieser Frau um das höchste Glück Deiner Liebe zu ringen, denn sie scheint mir von der Art Frauen zu seyn, die mehr geliebt seyn wollen als lieben, die nur in Ansprüchen ihre Neigung äußern, und die die männlich edle Natur herunterziehen, [90] start sich in ihr zu erheben und zu verlieren. Kurz ich bleibe bei meiner alten Theorie in Ansehung der Stumpfnäschen!

Lindorf drückte die Liebenden an seinen Busen – »Fürwahr ist Gottes bester Seegen mit Euch, geliebten Kinder! Ihr könnt Euch nicht verlassen, so wenig wie Wahrheit und Natur sich selbst untreu werden können! Am Neuenburger See, wo wir in wenig Stunden seyn werden, habe ich einen alten Freund, einen Prediger in einem Dorfe, das am Fuße des Jura liegt. Er soll Euch vereinen; die Tage des Glückes fliehen schnell aus dem Menschenleben; in dieser Einsamkeit werden sie Euch am schönsten vergehen.« Raimund war entzückt über diesen Plan, lag zu Klothildens Füßen und bat um ihre Einwilligung. Ein holdes Erröthen flog über ihr liebliches Gesicht. – »Ich kann nichts anderes wollen, als was Sie wollen, sagte sie; aber mir ist, als dürfte der ausgesprochene Seegen meiner Eltern unsern Gelübden nicht fehlen.« Die Verwandtin stimmte bey; man beschloß [91] zu schreiben; und die seeligen Tage verstrichen schnell im Schooße jener Natur, wo der Zauber der Schönheit uns tausendfältig umfängt. Raimund wollte nicht weichen von der kleinen Dorfkirche, die im Schooße des hohen Juragebirgs an einem freundlichen grünen Hügel lag, wo er die Geliebte zuerst als sein von Gott gegebenes Weib umarmen sollte. Auf den Pfaden zwischen den duftenden Matten und friedlichen Hütten, wo Fleiß und einfache Sitte zufriedene Bewohner nährt, entwarfen sie ihren Lebensplan. Wenn der König der Berge, von den Rosen des Himmels umglüht, zwischen den grünen Bergschluchten auf sie blickte, waren sie gerührt, als empfingen ihre Seelen schon jetzt eine Verheißung überirdischen Glückes. Wohlthätigkeit und Liebe sollte der ganze Sinn ihres Lebens seyn, das gelobten sie sich an. Ländliche Stille, zweckmäßige Thätigkeit auf den angeerbten Gütern, Erschaffen und Erhalten des Guten und Rechten in ihren Umgebungen, in dieser reinen Naturpoesie wollten [92] sie leben, bis das Vaterland Ansprüche an Raimund machen würde.

Die bejahende Antwort der Eltern langte an, und der Tag der Trauung folgte sogleich. Der Prediger hatte die Kirche festlich geschmückt, und Lindorf ein kleines Fest im Pfarrhause angeordnet. In sanfter Heiterkeit saßen sie in dem Wagen, der sie zu dem Dorfe bringen sollte. Lindorf war entzückt über die blühende Gesundheit Klothildens und schaute mit Augen voll Vaterseegen auf das Brautpaar. Raimund zog das Bild seiner Mutter aus dem Busen, reichte es Klothilden und sagte: »O, ich habe Alles vom gütigen Geschick erlangt, was sie für mich erflehte – Alles, Alles in Dir!«

Beym Garten des Pfarrers wollten sie aussteigen, um auf einem weniger besuchten Pfade zur Kirche zu gelangen, als ein Reisewagen um die Ecke kam, und in der engen Gasse geriethen die Räder aneinander. Während die Kutscher bemüht waren, sie ohne Schaden auseinander [93] zu bringen, sah ein Frauenskopf aus dem begegnenden Wagen. –

Laura! rief Klothilde freudig, ist's möglich? »Es ist Lucie! rief Raimund. Das Köpfchen fuhr zurück; aber ein freundlicher Knabe streckte Klothilden seine Aermchen entgegen. »Die Mutter ist da, rief er, wenn sie sich gleich hinter dem Schleier verstecken will; ja, sie ist da!«

Klothilde hatte Raimund's Ausruf nur zu wohl vernommen, und ein unwillkührlicher, elektrischer Schlag zuckte durch ihre Glieder.

»Führe deine Braut ins Pfarrhaus, sagte Lindorf zu Raimund; ich folge bald mit der fremden Frau, die, wie ich hoffe, uns Allen willkommen seyn wird.«

Raimund folgte und führte Klothilden, deren Arm in dem seinen zitterte, in ein Zimmer des Pfarrhauses.

Es war, als läge eine dunkle Gewitterwolke zwischen den Liebenden, die sich in Blitz und Regen entladen würde. Um so schwerer lag sie [94] auf Beider Brust, da sie vor dem reinsten Himmelsblau eines vollkommenen Glückes hing.

Sanft und ernst setzte sich Raimund neben Klothilde, schloß sie fest in seine Arme und sagte: »warum bist du so bewegt, meine einzig Geliebte, mein theures Weib? Sind wir uns denn nicht die nächsten Wesen in der ganzen Natur, und was kann denn diese neue Erscheinung, die ich noch nicht begreife, darin ändern?«

Klothilde fühlte seine ganze himmlische Güte in diesen Worten und weinte still an seinem Busen; dann erhob sie ihr Auge und suchte tief in dem seinen den Grund seines Herzens. Sie fand nur Liebe und Klarheit. – »Den Geliebten kann ich nicht verlieren, sagte sie, auch die Freundin nicht, hoffe ich. Aber es ist unbegreiflich!« Die Abschieds-Worte Laura's, ihr inniger Antheil an ihrem Liebesschmerz stellte sich in dem Moment klar vor ihre Seele, und sie errieth das Walten und Wirken der Freundschaft, sie errieth, daß Laura die Rolle der Lucie gespielt hatte, um ihr den Geliebten zuzuführen. [95] Ihr reines Herz, Allem, was nicht vollkommen lauter und klar war, so entfremdet, fühlte einen heftigen Schmerz. »Ach, auf einmal begreife ich Alles! rief sie, aber das kannst Du nicht verzeihen, und wir müssen uns trennen! – Nein, das kannst Du nicht verzeihen.« – Raimund gerieth in die schmerzlichste Bewegung über dies wechselnde, räthselhafte Betragen; doch fühlte er das zerrissene Herz seiner Klothilde und sagte sanft tröstend: »Du kannst nichts thun, was ich nicht verzeihen könnte!« – »Ich nicht, rief sie in der höchsten Leidenschaft; ich wußte von Allem nichts, aber Laura.« – Im selben Augenblick eröffnete sich die Thüre, und Lindorf und Laura, mit dem schönen Kinde an der Hand, traten herein.

»Wir sind in eine sonderbare Lage gerathen, mein liebenswürdiger Freund, sagte Laura, aus welcher gute Menschen nichts als Offenheit retten kann; Klothilde ist vollkommen unschuldig. Ich allein kann mir vielleicht den Vorwurf machen, etwas Gewagtes gethan zu haben; doch [96] bin ich Ihrer Verzeihung gewiß, wenn sie die ganze Lage kennen werden; und meine Klothilde muß mir verzeihen, daß ich Sie damit bekannt mache.«

Sie erzählte nun Raimund, wie sie es nicht vermocht hätte, ruhig mit anzusehen, wie ihre Freundin und er in dieser Unklarheit und übermäßigen Zartheit der Gefühle sich täglich mehr vom ebenen und reinen Pfade des Glückes und der Natur entfernten; daß nur das Dazwischenkommen einer andern Neigung ihn sein eigenes Herz kennen lernen konnte. »Laß mich's aussprechen, liebe Klothilde; fuhr sie fort: Dein ganzes Glück, Dein Leben stand auf dem Spiele; ich mußte die Rettung versuchen – – und der Himmel hat seinen Segen gegeben! Der Mann, der in wenigen Stunden Dein für immer seyn wird, mag billig die ganze Gewalt Deiner Liebe kennen. Wenn in unentschiedenen Verhältnissen ein liebendes Weib seine Neigung verbirgt, so folgt sie dem Zartgefühl, das einer schönen Natur eigen ist; aber nichts bürgt so[97] sehr für das Glück der Ehe, als die innige Liebe und volle Hingebung der Frau. Wie glücklich können Sie seyn, Raimund!« – »Ja, das bin ich fürwahr! rief er aus, indem er Laura's und Klothildens Hand faßte, daß zwei so edle weibliche Wesen sich zu meinem Glück vereinten! Du bist die himmlisch reine Liebe unter uns, meine Klothilde. In Dir ruht unser beßres Leben; mache mich ganz Dir ähnlich! Als einen warnenden Genius auf dem Lebensweg werde ich die schöne, reizende Lucie immer ehren! Mit seltner Gewandtheit hat sie ihre Rolle gespielt. Die Freundschaft heiligt das Spiel, das sie mit mir getrieben. Ja, ich gestehe es, sollte sie auch über meine Eitelkeit lächeln; mein Herz ist erst jezt ganz befreit, kann sich ganz seinem Glücke hingeben; denn ein leiser Vorwurf belästigte es noch, inconsequent eine Neigung geäußert zu haben, die vielleicht in einem weiblichen Herzen nach den verblichenen Rosen einige Dornen zurückgelassen hätte.«

»Mein Herz, sagte Laura mit einem holden [98] Erröthen, gehörte einem edlen Manne und der Freundschaft. Es gab Momente, wo ich wohl ahnete, daß ein solches Spiel nicht ohne Gefahr seyn könnte; aber je liebenswürdiger ich Sie fand, je mehr freute ich mich, daß meine Klothilde Sie besitzen würde; und hier ist der Talisman gegen alle leidenschaftlichen Bewegungen,« fuhr sie fort, indem sie den schönen Knaben zwischen Raimund und Klothilden hob.

»Da denn Alles Bekenntnisse abzulegen hat, so will ich auch nicht säumen, sagte Lindorf; obgleich meine schöne Freundin mich großmüthiger Weise übergehen will. Auch der Vater war dabey, liebe Kinder! – Rein ist Raimund aus der Probe gegangen, liebe Klothilde; und wie nur immer den Menschen ein reines Glück werden kann, so mögen Sie sich dessen erfreuen.«

»Wenn das ist, rief sie, so will ich mich denn ganz den seeligsten Gefühlen überlassen, den einzig Geliebten durch solch' eine Freundin gewonnen zu haben.« Sie warf sich in Laura's Arme und Raimund umfaßte Lindorf.

[99] Laura wünschte bei der Trauung noch gegenwärtig zu seyn; bat aber zu eilen, da ihr Gemahl sie in Bern erwarte, wo ihn eine Krankheit befallen, die ihre ganz unerwartete Reise verursacht habe. »Ich glaubte diese Gesellschaft dem ersten Plane nach in Genf und gewiß nicht auf dieser Straße zu treffen, sagte sie; dieß bezeugte mein Schrecken! Doch unser Zusammentreffen war auch ein schöner Lichtblick des Geschicks, der uns allen nur Seegen bringen kann!«

Sie eilten zur Kirche, und die Liebenden empfingen den priesterlichen Seegen unter dem heitern Blau des Himmels, wie er sich über den Alpen wölbt und in die kleine Kirche durch Thür und Fenster hereinschaute.

Es war ein Symbol ihres Lebens, das von den himmlischen Kräften in der Menschheit, von Wahrheit und Liebe umgeben blieb.

[100]

Die Heilung der Natur

[101] [103]Die Hoffnung auf Genesung, die heitern Sommertage, die anmuthige Gegend und Vergnügungen aller Art versammelten in dem Bade zu *** eine zahlreiche Gesellschaft. Eitelkeit, Leerheit, Gefallsucht, knüpften manches leichtsinnige, – Geschmack, Geist und Güte manches zarte Band. Die Gesellschaft theilte sich auf diese Weise in verschiedene Gruppen ab.

Nur zwei ernste Gestalten gingen einsam unter den Frohgeselligen einher, und widerstanden aller Anziehungskraft, die man über sie auszuüben strebte. Da Jeder mit seinem Theil zufrieden war, gab man sie endlich auf, und begnügte sich damit, sie in müßigen Augenblicken mit kleinen Neckereien zu verfolgen.

[103] Ein gleicher Gemüthszustand und das Aufgeben der Gesellschaft knüpften die erste Verbindung unter ihnen, die die Gewohnheit bald befestigte. Ihre Gespräche umfaßten Wissenschaft, Politik des Tages, Kunstansichten; sie begegneten sich in ihren Urtheilen und Grundsätzen, und fingen an sich immer vollkommener zu verstehen.

Jeder bemerkte an dem Andern eine gewisse Sonderbarkeit. Sobald das Gespräch auf die Frauen und zärtliche Neigung fiel, erfolgte eine ernste Stille, und gewöhnlich schied man auseinander, ohne sich wieder erheitert zu haben. »Ich ahne, sagte Lothar, welcher der Jüngste unter den Beiden war, eines Abends zu Arthur, ja es ist mir beinahe gewiß, daß das Schicksal uns auf gleiche Weise in einem Punct behandelt habe. Wir haben von Liebe geträumt, und unsanft hat uns das Geschick aus den süßen Träumen erweckt. Verführerische Syrenen, euer Zaubergesang soll mich nimmermehr wieder besiegen. Ihr lockt uns in die dunkle Kluft des [104] Wahnsinnes hinab, wo Verirrung auf Verirrung folgt, bis wir uns selbst im zerstörenden Schmerz und Sehnen nicht mehr erkennen.«

»O! ich muß Sie noch glücklich nennen, erwiederte Arthur, daß Sie die Ursache Ihres Unmuths außer sich suchen dürfen. Ich hingegen muß immer in mich selbst zurückschauen! – Eigene Schuld hält mein Gemüth gebunden, alle fröhlichen Lebenseindrücke muß ich von mir weisen. Ja, mein einziger Trost ist, meinen innern Unfrieden als eine Stufe zur Versöhnung mit dem Schicksale oder vielmehr mit meinem bessern Selbst anzusehen.«

»Wir wollen uns den gegenseitigen Trost des vollkommenen Vertrauens gewähren! rief Lothar. Oft gewinnen die traurigsten Begebenheiten ein milderes Licht in unsrer Seele, wenn wir sie in Bildern und Worten von dem dunklen Grund des stummen einförmigen Schmerzens losreißen. Hier ist's zu geräuschvoll; lassen Sie uns morgen nach dem Garten des Baron Linden fahren, und den Tag in ungestörter [105] Einsamkeit dort zubringen. Schon oft hörte ich davon, und gedachte ihn zu sehen. Er soll die unsinnigen Anlagen seines verstorbenen Vaters auf eine schöne Weise wieder mit dem Eigenthümlichen der Gegend zu verbinden suchen, und Geschmack und Gemüthlichkeit soll allmählig das phantastisch-tolle Wesen verdrängen.« Am nächsten Morgen stiegen sie in den Wagen, und saßen während des Weges schweigend neben einander. Jeder dachte nach, wie er seine Geschichte am besten stellen könne, um die Theilnahme des Freundes zu erregen. Wahr wollten Beide seyn, aber die Liebe wirft immer den zauberischen Schimmer der Poesie um Gefühle und Begebenheiten, da sie selbst die Poesie des Herzens ist, der prometheische Funken des Lebens, der Vergangenheit und Zukunft durch Erinnerung und Hoffnung im Menschen verknüpft.

Eine wunderbare Felsen-Gegend, die ihnen gleichsam den Weg zu versperren schien, erregte ihre Aufmerksamkeit. Durch eine dieser Schluchten erblickten sie den Park, welchen eine [106] ernste Trümmer der Vorzeit krönte, aber auch nachgemachte Ruinen, die man abzutragen beschäftigt war. Sie nahmen den ersten besten Ruheplatz ein, wo ihre Diener das Frühstück aufgetragen hatten. Eine elende Theaterdecoration verband zwei ernste Felsen durch eine auf Leinwand gemahlte Aussicht.

Die Strahlen der Morgen-Sonne erleuchteten die Felsenmassen gegenüber aufs herrlichste, und nach einigen Scherzen über den Ungeschmack, der kleinliche Verzierungen neben die großen dauernden Natur-Gestalten gedrängt hatte, sagte Lothar: »Fangen Sie an, mein Freund; wenn ein theilnehmendes Herz Anspruch auf Ihr Vertrauen gewähren kann, so fühle ich mich dessen nicht unwerth.« Arthur begann also: Der Entschluß, Ihnen die Geschichte meiner Leiden und Verirrungen zu erzählen, regt alle Töne des Schmerzens in meiner Brust auf; aber ich sehe es als eine Art Versöhnung der Nemesis an, diese Schmerzen wieder in mir lebendig werden zu lassen. Wie durch [107] die Weltgeschichte, schreitet die ernste strenge Göttin auch durch jedes einzelne Menschenleben. Selbsterkenntniß und Uebung der Liebe sind die einzigen Sühnopfer, die ihre Strenge zu wenden vermögen. Aber kein Strahl der Hoffnung auf Liebesglück fällt in mein verödetes Herz. Ich habe verlassen die reine treue Liebe, und werde nun wieder verlassen! Kein liebendes Gefühl begegnet dem heißen Sehnen meiner Brust, und die fruchtbeladenen Zweige entfernen sich ewig von den lechzenden Lippen. – Nun an das Historische. Im zwei und zwanzigsten Jahre kehrte ich von der Hohen Schule nach meiner Vaterstadt zurück. Ich war der einzige Sohn, in dessen Ausbildung und Lebensglück ein liebender Vater die Früchte eines langen anhaltenden Fleißes niederlegen und selbst erst recht genießen wollte. Meine Studien waren auf Länderkenntniß und Oekonomie vorzüglich gerichtet, und die Rechtsgelehrsamkeit, die mir zur Einsicht unserer eigenen Verhältnisse, so wie zu einem öffentlichen Amte in der damaligen Reichstadt verhelfen [108] sollte, schloß sich an. Freudig griff ich nach des Vaters Willen in die Leitung unsrer Geschäfte ein. Seine Sorgfalt für meine Zukunft mahnte mich an die Pflicht, seine Gegenwart zu erleichtern und zu erheitern. Im lebendigen Gefühle des Dankes für elterliche Liebe überwand ich die kleinen Mühseeligkeiten und meine mehr nach Wissenschaft und Kunst strebenden Neigungen. Doch fanden auch diese Raum in einem reichlichen harmonischen Daseyn, im Gebrauch einer schönen Büchersammlung und in dem Umgang mit gleichgesinnten Freunden. In meines Vaters Hause stand eine Reihe freundlicher Zimmer leer, und in einem anmuthigen Garten vor der Stadt war ein Nebengebäude geschmackvoll für eine neue Wirthschaft eingerichtet. Die Mutter zeigte mir diese Räume mit liebevoller Geschäftigkeit, und sagte endlich: »Lieber Sohn, schmücke dieses Alles nun selbst mit der besten Zierde des Hauses, mit einer schönen und guten Frau!« Mehrere flüchtige Neigungen hatten an meinem Herzen hingestreift. [109] Ein Ideal weiblicher Liebenswürdigket wohnte in demselben, und verdrängte die Gestalten, die es in überschäumender Jugend und Lebensfülle ergriffen hatte. Ein Kranz blühender Jungfrauen schmückte die geselligen Versammlungen in meiner Vaterstadt; aber keine dieser holden Blumen lockte mich, sie an meinen Busen zu heften. Die Mutter wagte nur leise Deutungen über den Reiz, die Sitte einiger derselben, der Vater über die günstigen äußeren Verhältnisse; – im zarten Sinn elterlicher Liebe wollten sie eine freie Wahl durch keinen geäußerten Wunsch beschränken.

So blieb ich frei und ungebunden im Kreis des geselligen Lebens, sorglos heiter in Jugendspielen, im Tanz. Mein Herz erwartete einen ernstern Ruf. In einem der anmuthigen Wälder hatte ich den Abend mit Lesen meines Lieblings-Dichters zugebracht. Durch die hohen Laubgewölbe blickte der lichte, blaue Himmel, die laue Luft spielte in den Zweigen, und weich und hingegeben dem eigenen Zauber [110] der südlichen Natur regte sich ein leises Sehnen in meiner Brust, mich einem guten menschlichen Wesen ganz hinzugeben: Der Abend brach herein, ich hatte mich verspätet, schon ging der Vollmond über dem Wäldchen auf, und in silbernen Funken auf seinen Wellen wogte mir der Strom entgegen. Ich sah mich in der Nähe der Stadt nach einem Nachen um zur Ueberfahrt, die meinen Weg abkürzte, und ein schon bestelltes Schiffchen erwartete seine Gesellschaft. Mehrere meiner Bekannten kamen das Ufer entlang mit einigen Frauen. Ich bat um Aufnahme, und nachdem wir die Frauen an die besten Plätze gebracht hatten, kamen noch zwei zierliche weißgekleidete Mädchen aus dem Gebüsch, die sich von der Gesellschaft entfernt hatten. Ich half der einen ins Schiff, die leicht über den Steg hinhüpfte. Als ich der zweiten die Hand bot, und eine länglich schöne Hand sich in die meine legte, und zwei große himmelblaue Augen auf mich ihre Strahlen schossen, und der Mondesglanz [111] die schlanke weiße Gestalt umzitterte; fühlte ich ein Beben des Herzens, das mich nicht wieder verlassen wollte. Ich nahm meinen Platz neben ihr, und als sie ihre Hand zurückzog, fühlte ich einen beklemmenden Schmerz. Rosa, sagte eine sanfte Stimme unter den ältern Frauen, wo bleibt ihr so lange? Wir saßen unter den hohen Buchen, liebe Mutter, und als wir die Gesellschaft heran nahen hörten, eilten wir hieher! Es ist kühl auf dem Wasser, nimm dies Tuch noch um, sagte die sorgliche Mutter. Ich half es umlegen, und meine Finger berührten bebend den zierlichen Arm. Man schlug vor zu singen. In Chören und einzelnen Liedern hatte sich die kleine Gesellschaft ergözt, als einer der ältern Männer sagte: Warum schweigt Rosa? – O Herr B., Sie kennen ja meine Furchtsamkeit! – Hilft nichts, liebes Kind – meinen Lieblings- Gesang – Es war ein König in Thule. Nun ertönte die reinste und tonvollste Stimme, die ich je gehört. Alle Züge der lieblich schauerlichen Geschichte [112] waren auseinander gesezt und aufs klarste und verständlichste vorgetragen. Als der König den Becher sinken sah, und sinken tief ins Meer –, ging eine Tiefe der Empfindung in diesen Tönen auf, die meinen Busen durchwehte wie ein neuer Lebens-Strom, und als: Trank nie einen Tropfen mehr –, tief und ernst erklang, ward es mir selbst, als hätte ich für immer getrunken den Zauber seeligen Gefühls, und möchte allen andern Lebensfreuden entsagen. Eine so süße Naturwahrheit war in diesem Gesang, ganz aufgelöst schien die Seele in Trauer und Liebe. Kein Wort des Beifalls vermochte ich zu stammeln. Der ältere Freund rief: So recht, liebes Kind, das ist der wahre eigentliche Gesang, wo Klarheit und Tiefe der Empfindung jeden Ton beseelt! Nun noch Deinen Triumph: Der Eichwald braußt – – Zitternd wurden die ersten Zeilen vorgetragen, als berührten diese Worte ihr eignes Wesen näher, aber gleichsam im wachsenden Muth und voller Selbstvergessenheit, [113] eins mit dem Dichter werdend, fuhr sie fort, die innigste tiefste Liebe einer weiblichen Seele in Himmelslauten auszuathmen. Der Mondstrahl umglänzte die weiße lichte Säule des zierlichen Halses, der aus der dunklen Umhüllung des Busens hervorstieg, die braunen Locken, vom Lufthauch bewegt, wehten um das schöne Oval des Gesichtchens. Ich hielt mich nicht länger, faßte ihre Hand und flüsterte ihr zu: Bleibe noch auf Erden, du holder Engel, und beseelige durch Dein Erscheinen den, dessen ganze Seele Du so mächtig ergriffen hast! – Schüchtern zog sie ihre Hand zurück; – sie schwieg; doch schien mir's, als wenn ein leiser Seufzer ihren Busen bewegte.

Wir landeten, sie bot der Mutter ihren Arm; und als sich das Gewirr der Gesellschaft im Abschiedsgruß aus einander löste, und sie den Weg in eine einsame Straße mit der Mutter einschlug: folgte ich ihnen mit der Bitte, sie begleiten zu dürfen. – Wir sind nah an unserer Wohnung, erwiederte die Mutter.[114] – Vergönnen Sie mir, Sie wieder zu sehen? rief ich lebhaft aus. O welch einen Schatz besizt diese Stadt, der mir so lange unbekannt bleiben konnte! – Dieser Enthusiasmus kommt billig auf die Rechnung des Dichters und Componisten, sagte die Mutter; doch willkommen wird mir Ihr Besuch seyn, als einer alten Bekanntin Ihres Hauses. – Mein holdes Mädchen folgte der Mutter still, nickte mir aber einen gefälligen Abschiedsgruß zu, der als ein holdes geistiges Band der Neigung mein Herz mit Hoffnung belebte.

Ich fragte nach und erfuhr, daß dieses schöne Kind die Tochter eines Mannes sey, der mit unserm Hause Geschäfte gehabt, die noch nicht ganz auseinander gesezt wären. Daß er durch unglückliche Speculationen beträchtlich verloren, und die Mutter in stiller Eingezogenheit lebe, bis sich die Umstände gänzlich entschieden. Wie hoch schlug mein Herz bei dieser trocknen Geschichte! Die Hoffnung, mich sogleich als Freund, als Beschützer dem [115] Wesen zu nähern, das mich so angezogen hatte, erfüllte mich mit der freudigsten Regung. Ich machte den vergönnten Besuch schon am nächsten Tage. Rosa war abwesend, aber ich fühlte mich seelig die Luft ihres Zimmers einzuathmen, die Gegenstände zu berühren, die sie berührt hatte.

Ihr Arbeitstischchen mit einem zierlichen Nähkästchen am Fenster, an dem sich Blumengewinde aus saubern Töpfen hinanrankten, Schillers Gedichte, die auf demselben lagen, daneben ein Notenblatt, die Sopranparthie einer Messe, die sie eben einstudirte, und ein gegenüber hängendes Madonnenbild von einem guten Meister, der Ueberrest einer beträchtlichen Bildersammlung, die die Familie besessen: alles dieses bildete ein schönes Stillleben einer sanften, sinnigen Mädchen-Existenz. Meine Phantasie bildete sich ein liebevolles heitres Daseyn aus diesen Elementen. Ich bat die Mutter um ein Blatt dieser Blumen, ich barg es an meinem Busen, und mußte mich entfernen, [116] da sie auch Anstalt zum Ausgehen machte. Die Mutter trug die Spuren und den Ernst langer widriger Schicksale auf ihren Zügen, mehr ablehnend als entgegen kommend waren ihre Aeußerungen über den Wunsch der fortgesezten Bekanntschaft; doch fiel ein Strahl inniger Freundlichkeit aus den dunklen Augen, da ich Abschied nahm, und ihr einen Gruß an Rosa auftrug.

Ich hatte jede bestimmte Aeußerung vermieden, alles wollte ich der wirkenden Liebe allein verdanken. Rosa sollte mich frei beglücken mit ihrer Neigung, wie eine himmlische Erscheinung. Geliebt, einzig und innig, wollte ich mich fühlen, alle Lebensansichten sollten im Hintergrunde liegen bleiben, bis sie mich aufgenommen in die Zauberwelt ihres reinen unschuldigen Herzens. Die Glut des ersten liebenden Verlangens brannte in meinem Busen in den nächsten Tagen, wo ich anständiger Weise meinen Besuch noch nicht wiederholen konnte. Vergebens lief ich Abends auf den besuchten [117] Spaziergängen umher; – ich fand sie nicht, und kehrte als ein Träumender nach Hause. Meine Mutter fühlte meinen Zustand, lächelnd berief sie mich über meine Zerstreuung, ich bemerkte freundliche, hoffnungsvolle Winke zwischen ihr und dem Vater. O sie werden meine Liebe billigen! sagte ich mir freudig selbst zu. Am dritten Tage ging ich in ihr Haus; sie war mit ihrer Mutter ins Schauspiel gegangen. Ich suchte sie da auf. Hinter einem Pfeiler im Parterre verborgen, schweiften meine Blicke umher, und bald fand ich sie in einer der untern Logen. Goe the's Egmont wurde gegeben. Wie rührend war ihre holde Gestalt, ihr sinniges zartes Wesen, aufmerkend, hingegeben dem Eindrucke der mächtigen Dichtung! Mit sich selbst beschäftigt, mit ihren Umgebungen schienen mir die andern Frauen. Nur für sie hatte der Dichter diese Gestalten ins Leben gerufen, diese Welt der Gefühle in Worten ausgehaucht. Mit einer raschen Wendung kehrte sich das holde Gesicht von der Bühne ab, [118] und ihr Blick fiel auf mich, wendete sich aber augenblicklich wieder von mir. Nun gelang es mir im Zwischenact zu ihr durch zu dringen, sie zu grüßen. Freundlich bescheiden erwiederte sie meinen Gruß. Ich verließ den Platz unter ihrer Loge nicht wieder, und verlor mich wie ein Seligbeglückter im Anschauen des lieblichen Gesichts, das wie ein klarer durchsichtiger Wasserspiegel die Momente der Dichtung mir zurückgab. Die Wallung der innigsten süßesten Liebe in der Scene mit Egmont und Klärchen durchdrang ihren zarten Busen. Ich hörte sie stärker athmen, und bei den Schlußworten: »die Welt hat keine andern Freuden auf diese,« hob ein leiser Seufzer ihre Brust. Sie wendete sich nach meiner Seite, aber ihr Auge wagte nicht sich gegen mich aufzuschlagen. Ein süßes Gefühl, daß unsere Herzen sich gefunden, durchdrang mich mit allen seinen Wonneschauern. Lang kämpfte ihr Auge mit den Thränen bei steigender Katastrophe; aber in der Scene, wo Klärchen vergebens versucht, das Volk für die [119] Befreiung des Geliebten zu bewegen, – eine der rührendsten unsrer Bühne, ja wohl eine der tiefsten und wahrsten, die je ein Dichter gedichtet –, stürzten die köstlichen Perlen der Empfindung unaufhaltsam über die zarten Wangen herab. Wie glühten meine Lippen sie aufzufassen! Nun wendete sich ihr Auge offen und frei gegen mich, als sie die Thränen getrocknet; sanft und hold war ihr Blick, als wollte das Liebe zitternde Herz Schutz und Trost an dem meinen suchen in den Stürmen des Lebens. Ja, den sollst Du finden, holdes geliebtes Wesen, antwortete das meine, in dem auch Thränen glänzten, und ich fühlte, daß sie diese Antwort verstand.

Ich folgte ihr beim Herausgehen, bot der Mutter meinen Arm und ihr den andern. Mit welchem Entzücken fühlte ich die geliebte, heißersehnte Gestalt so nah an meinem Herzen! Ich wagte ihren Arm fester an mich zu schließen, und sagte, als die Mutter auf der andern Seite mit einer Bekannten sprach; – ich fühle, daß wir [120] uns heute inniger kennen lernten –, o lassen Sie mir wenigstens die süße Täuschung – sie schwieg, entzog mir aber ihren Arm nicht. Die Dichtung führt uns in eine höhere freyere Welt, möchten wir uns oft da finden, um uns in der wirklichen immer mehr zu verstehen, meine theure Rosa – ich wollte fortfahren, als die Mutter mich anredete. – Darf ich bald kom men, bat ich beim Scheiden, um den schönen Gesang aus Egmont von Ihnen zu hören? Nur diese seelenvolle Stimme ist werth ihn vorzutragen. – Sehr gern, sagte Rosa sanft, wenn es Ihnen Vergnügen machen kann. Die wenigen einfachen Worte erfüllten mein Herz mit Trost und Hoffnung. Mein ungestümes Verlangen trieb mich am nächsten Abend wieder zu ihr; ich fand sie nicht und ging nach langem Umherschweifen traurig nach Haus. In wehmüthig zärtlicher Sehnsucht ging ich in den Laubengang der Platanen in unserm Garten noch auf und ab, der an dem einen Ende durch eine eiserne Gartenthür beschlossen war, und an dessen anderem eine reiche [121] blühende Aussicht jenseits des Flusses lag. Von einem Laubkranz der Platanenzweige eingefaßt war es das lieblichste Bild. Der Abendstrahl röthete die weißen Häuser und vergoldete die Fenster. Eine innige Wehmuth ergriff mich in dieser üppigen Fülle der Natur, wo Alles zum freudigen Daseyn so recht bereitet vor mir lag. Die Bäume beugten die fruchtbeschwerten Zweige nieder, der Weinstock ründete seine Trauben, und der Blumenduft umfloß mich aus den bunten Gesträuchen und Beeten des Gartens. Alles ist bereit zum Genuß und ich schmachte vielleicht umsonst. Das Herz, das ich suche, um dies alles zu genießen in seiner tausendfachen, Schöne, nähert sich vielleicht nie dem meinen, ja gehört vielleicht schon einem Andern! Worauf gründet sich denn deine Hoffnung ihres Besitzes? Ein Blick, ein sanftes Wort, das ist ja alles, was ich als Pfand meines Glückes ansehen kann! – Diese Zweifel lockten mir Thränen in die Augen, die sonnigte Ferne umhüllte sich mit einer dunklen Wolke. Jetzt war mir, [122] als wendete der Finger eines Engels mein Haupt nach dem Dunkel des Bogenganges, und mit welchem Entzücken sah ich das weiße Gewand meines Mädchens durch das Gitter des Gartens schimmern! Noch erkannte ich ihre Züge nicht, aber sie war es, mein Herz schlug ihr entgegen. Die seelige Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Der Magnetismus der Liebe hatte mich angezogen. Deutlich erkannte ich nun das liebliche Gesicht und beflügelte meine Schritte. Sie stand da mit einer Gespielin, grüßte mich erröthend und wollte ihren Weg fortsetzen. – Bleiben Sie, o bleiben Sie! rief ich und riß das Gitterthor auf. Der Abend ist so schön und die Aussicht des Gartens die angenehmste der Gegend.

»Diese war es, die uns hier verweilen machte, sagte sie mit zitternder Stimme; sie ist mir wohl bekannt, denn ich bin in diesem Garten auferzogen. Noch stand sie meine Bitte erwägend, zögernd an der Thür. Unschuldiges Verlangen lockte sie vorwärts, holde Scheu den Anstand [123] zu verletzen hielt sie zurück. Sie war unaussprechlich reizend in dieser leidenschaftlichen Bewegung. Mit himmlischer Unschuld schlug sich ihr Auge gegen mich auf, gleichsam in dem meinigen Rath suchend und zweifelnd, ob ich auch nicht ungleich von ihr denken würde, wenn sie meiner Bitte Gehör gäbe? Wie süß ist das Vertrauen eines guten weiblichen Herzens, mit welchem innigen Band umfaßt es ein noch unverdorbenes männliches Gemüth!

Ich selbst begann zu zweifeln, ihre Zartheit schonend. In der lieblichsten Verwirrung standen wir so an der Pforte des Paradieses, und hätten noch lange so gestanden, wenn nicht der zurückkommende Wagen meiner Mutter diesen Zustand entschieden hätte. Ich eilte der Mutter zu, und bat die holden Mädchen einführen zu dürfen. Gefällig ging sie selbst Ihnen entgegen, nahm die Begleiterin am Arm, und ich schweifte in seligem Entzücken durch die Gänge des Gartens mit meiner Rosa.

Das Gold der Abendsonne zitterte auf den [124] blühenden Gesträuchen, die an ihr weißes Gewand anstreiften; ein reiner wolkenloser Himmel glänzte uns durch die Weinlauben an, und mit süßer wehmüthiger Freude lief sie in den Gängen und Plätzen umher, aus denen Erinnerungen der Kinderjahre ihrem reinen Gemüthe vorschwebten und das ein himmlisches Chor von Engeln der Jugendwelt zu umtönen schien. Heiter und liebend als einen, dem sie diese Freuden dankte, suchte mich ihr Blick, und ich schaute auf den Grund einer himmlischen Seele. Ich brach ihr Blumen, und als wir an einen Rosenhügel kamen, reichte ich ihr eine dar und sagte: Nie waren mir die Rosen lieber, als seit ich auf jedem Blatte Ihren Namen lese! Sie erröthete und nahm die Rose an ihrem Busen auf. Sie war unaussprechlich reizend, die breiten Augenlieder waren gesenkt, und auf den feuchten Wimpern und rosigen Wangen glühten die einfallenden Funken des Abendlichtes durch die dichtbelaubten Zweige. Süß und schauerlich nahte der Moment, wo die verschlossene Sehnsucht meines [125] Busens sich löste. Ich drückte ihre Hand an meine Brust, meine heißen Lippen bedeckten sie mit Küssen, sie entzog sie mir nicht, und als ich zitternd fragte: Können Sie mich lieben? fühlte ich einen leisen Druck der zarten Finger. Diese sanfte Aeußerung des holden Blumenlebens durchglühte mich, mein Arm umschlang sie. Als sich das holde Köpfchen von mir zu winden strebte, entfiel ihr der leichte Strohhut, und die Fülle der hellbraunen Locken fiel auf meine Brust. Meine süße Rosa, willst Du nicht mein seyn? sagte ich mit beklommener liebbeseelter Stimme. Soll ich in einsamer Sehnsucht und Liebe vergehen? Seit mehrern Tagen suche ich Dich vergebens, um Dir zu sagen, daß ich ohne Dich nicht mehr leben kann. Der Himmel ihres blauen Auges öffnete sich mir für einen Augenblick mit seinen tausend frommen seeligen Verheißungen; aber die breiten Augenlieder deckten ihn sogleich wieder, und in Rosenglut und Duft sank das schöne Köpfchen an meinen Busen. Keine Worte vermochten die holden Lippen zu sprechen; [126] aber sie war mein! Mein Herz schlug hoch in diesem seeligen Gefühl. Zärtliche Küsse bedeckten ihre Stirn, ihre Augen. Meine Einziggeliebte! meine Braut! flüsterte ich leise an ihrer schön gerundeten Wange. Es regte sich in den Blättern, sie entwand sich meinen Armen – ich knüpfte selbst die Schleifen ihres Hutes zusammen, den sie bemüht war wieder aufzusetzen; und hold verschämt und sittig gestaltet stand sie neben mir, die zarte schlanke Gestalt, und wir erwarteten die Herbeikommenden.

Die Mutter lächelte sinnig und hieß mich selbst die zwei Jungfrauen in der Abenddämmerung nach ihrer Wohnung begleiten. Wir gingen an der mir zugedachten Garten-Wohnung vorbei. – »Hier wird einmal mein Sohn wohnen!« sagte die Mutter; ich ging hinter den Frauen, und wagte nur meine Hand sanft auf Rosa's herabhängenden Arm zu drücken. Aus der, zarter Liebe natürlichen Scheu, ihr Glück vor fremden Augen zu enthüllen, gingen wir schweigend in der beginnenden Dämmerung. Einzelne [127] Sterne flammten in blauem Aether, und nie hatte ich die Harmonie des scheidenden Tages, der sich an die Glanzwelt des Himmels schließt, tiefer empfunden.

Ich bat, morgen zu Rosa kommen zu dürfen, welches sie mit einem holden Ja beantwortete, und als ein Seligbeglückter, dessen Zukunft in tausend goldnen Bildern der Liebe und Freude auf ihn herabschwebt, ging ich zu den Eltern zurück. Nach dem Nachtessen ging ich mit der Mutter im Mondglanz zwischen dem Traubengeländer; mein Herz floß über; ich entdeckte ihr meine Liebe. Sie umarmte mich mit Thränen des Segens. Der Vater trat auch herbei: »Unser Arthur hat gewählt, sagte sie, ihre Hand auf die seine legend. Die Mutter nannte den Namen der Erwählten. Vater, Ihren Segen! rief ich; auch er schloß mich herzlich an seine Brust. »Einen Wunsch hege ich, mein Sohn; sagte er nach einigen Augenblicken des Nachsinnens; prüfe dein Gefühl, und laß noch [128] wenige Monden deine Liebe und Wahl ein Geheimniß zwischen dir und deiner Geliebten bleiben. Sie selbst muß wünschen, auf diese Weise des schnellen Eindruckes, den sie auf dein Herz gemacht, ganz versichert zu seyn. Zögern führt seltner Reue nach sich als Voreiligkeit. Diese Worte fuhren wie ein kaltes Schwert durch meinen Busen, ob ich gleich nichts gegen ihren einfachen Sinn einwenden konnte. Es war eine Ahnungsstimme meines Schicksals. »Wie Sie wünschen,« theurer Vater, antwortete ich, und schämte mich fürwahr des Widerspruches gegen einen so gütigen Vater, in einem so billigen Wunsch. Er fühlte dennoch das dunkle Widerstreben meines Herzens, und sagte mild: »Auch in den äußern Umständen liegt ein Grund zu dieser Bitte, lieber Arthur! Du weißt es, wir waren in Geschäften mit dem Vater deiner Geliebten verflochten. Es gibt einen Umstand, den ich dir auseinandersetzen werde, nach welchem es besser für uns seyn wird, wenn wir nicht ganz als gemeine Sache machend mit jenen Mit-Erben angesehen [129] werden müssen, welches natürlich bei der Erklärung eurer Heirath der Fall seyn würde.«

Mit nicht ganz befreitem Herzen ging ich am folgenden Abend zu meinem geliebten Mädchen. Es war ein Mißton in die himmlische Harmonie meiner Empfindungen gedrungen. Ich mußte mir sagen, daß ich glücklich sey. Nicht mehr getragen wie von der Aetherluft und dem Einfluß aller Sterne des Himmels umstrahlt zu einem neuen seligen Daseyn der Liebe, wandelte ich die Pfade zu ihrer Wohnung. Könnte ich sie umfassen als meine Braut, sie zum Altar und der heimischen Wohnung führen in den nächsten Tagen! so seufzte ich im Innern. Die Monate des Aufschubes, die mein Vater begehrte, lagen als eine dunkle endlose Zeit vor meiner Einbildungskraft. In den himmelblauen strahlenden Augen meiner Rosa fand ich mein Glück wieder. Ich fühlte, daß sie ganz mein war, und daß mein glühendes Verlangen auch ihr ganzes holdes Wesen durchdrungen hatte. Gefällig setzte sie sich ans Klavier, um meine [130] Lieblingsgesänge zu spielen; ihre Stimme bebte, ihr Herz wußte, an wen es die zärtlichen Worte richtete. Die Mutter verließ uns für wenige Momente. Meine Lippen bedeckten die zarten Hände mit Küssen und athmeten die Worte des schönen Mundes ein. Ein süßes Hingeben war in der ganzen schlanken Gestalt; ich fühlte, daß wir wahrhaft die Seelen austauschten. Eine Wolke lag auf der Stirn der wiederkehrenden Mutter. Mein Herz floß über in Dank und Liebe; unfähig einen Mißton in der Fülle meiner Empfindung zu ertragen, faßte ich die Hand der Mutter und sagte: – Werden Sie auch meine Mutter, würdige Frau, und gönnen Sie mir die Liebe Ihres Kindes! – Nie werde ich den Blick dieser ernsten Frau vergessen, in dem der ganze Schmerz eines langen Lebens lag; Angst und Zärtlichkeit kämpften darin, er drang in meine Seele wie ihre Worte. In der Stunde, die mich vom Leben trennt, wird mein zürnender Genius mir noch diese Scenen vorhalten.

[131] »Ich fühle, daß ich nichts mehr verhüten kann. Das Herz meiner Tochter dringt unaufhaltsam zu Ihnen. Aber wissen Sie, Herr B .., was das heißt, feindselig in das Paradies der Unschuld einzufallen, die Blüthen des Vertrauens in einem stillen harmlosen Daseyn zu morden? In Ihrer Hand liegt nun das Geschick des reinen Gemüths, in welchem nur ich, und der Himmel, bis jetzt gelesen. Man sagt, die Großen brauchen nur ihre Umgebungen als Werkzeuge Ihrer Absichten und Launen. In meiner freien Vaterstadt habe ich glücklicher Weise diese Sphäre nicht kennen gelernt. Aber die Reichen machen es nicht besser und dringen in das stille Daseyn der Einfalt und Beschränktheit mit eben so verheerender Gewalt ein. Sind Ihre Eltern Ihrer Wahl geneigt? Den edlen Stolz traue ich billig meiner Rosa zu, sich nicht in den Frieden eines Hauses als ein ungewünschter Fremdling einzudrängen.«

Gewißlich nicht, Mutter! sagte Rosa, mit [132] einem holden Blick auf mich; ich würde ja dadurch sein Glück stören!

Wie groß, wie zart, in dieser unendlichen Liebesfülle war diese Rosa! Ich lag zu ihren Füßen. O! wo du bist, da ist Glück, da ist Frieden – wie könntest du ihn verscheuchen! rief ich entzückt aus. Meine Eltern sind höchst zufrieden, sagte ich der Mutter; aber mit einiger Verlegenheit trug ich den Wunsch des Vaters vor. »Ihr Vater hat Recht, sagte sie nach einigem Nachsinnen; erfüllen Sie seinen Willen genau.«

Eine Reihe lichter, glänzender Tage folgte. Meine gütige Mutter veranlaßte fröhliche Vereine in ihrem Kreise, in denen meine Rosa eingeführt wurde. Mit heitrer Miene ergab sie sich dieser Lebensweise meinen Wünschen gemäß; aber ihr Sinn war still und in sich gekehrt; sie sah nur mich in dem bunten Gewühl und äußerte oft das Verlangen nach stiller Häuslichkeit und Beschäftigung, wo allein das rechte Herzensleben gedeiht.

[133] Schön wie die Göttin der Jugend trat sie in die Gesellschaftssäle, leicht wie die Nymphen flog sie durch die Reihen des Tanzes. Ich genoß das Lob, das ihre Schritte begleitete, und das Gedräng der Jünglinge um sie her entzückte mich. Ich war der Glückliche! Ach sind wir so zum Elend bestimmt, daß unser Herz kein gleichförmiges Glück ertragen kann! Müssen wir selbst noch streben, uns den auf und ablaufenden Wogen des Geschicks hinzugeben? Die Eitelkeit hatte mein Gemüth befangen. Ein Leben ohne Ernst zieht herab zur gemeinen Empfindungsweise. Ein sanfter Händedruck der Geliebten hob mich wieder in die Sphäre der reinen unschuldigen Liebe, die sich selbst genug gleich der Blume aus dem Stengel entfaltend ein ruhiges Daseyn den Lüften des Himmels eröffnet. Ein stilles Morgengespräch rief die Bilder seliger Zukunft eines würdigen Familienlebens in meine Seele, aber am Abend schwamm ich im Strom kleinlicher Leidenschaften wieder mit fort. Mein Vater beharrte in [134] seinem Schweigen. Die Mütter nur besprachen sich vertraulich, waren geschäftig, richteten ein, aber alles unter dem Schleier des Geheimnisses.

Wäre es nicht lächerlich, so müßte ich glauben, die Sicherheit, das Glück, welches ich im innern Herzen trug, müsse mich liebenswürdiger gemacht haben; denn ich schien auf einmal den Weibern ein Gegen stand der Eroberungssucht geworden zu seyn. Muthwillig gab ich mich diesem Spiel hin, und freute mich wohl gar, wenn ein ernster sorglicher Blick der Geliebten mich im Tanz aufsuchte. Ernstlich verfolgte mich die schönste und leichtsinnigste Frau unsers Cirkels mit einer anhaltenden Neigung. Sie wußte den Ernst der Leidenschaft zu spielen, und der Taumel der Eitelkeit riß mich hin, ihr mehr, als ich sollte, Gehör zu geben. O! lassen Sie mich über diese Elendigkeit hinwegeilen. War es ein böser Dämon, der mich umstrickte? War's der ewige Kampf des Gemeinen mit unsrer bessern Natur und die Verschwörung, die gegen treue Liebe und Zärtlichkeit [135] immer im kalten Element des flachen Weltlebens existirt, dem ich unterlag? Ich nahm es mit Entsetzen in mir selbst wahr, aber ich fühlte mich nicht mehr gleichgültig gegen die Reize dieser Frau.

Der Ernst und die Trauer auf den Zügen und in dem Betragen meiner holden Rosa nahmen zu. Die Morgenstunden wurden mir peinlich, da die sanfte Seele den Sturm ihrer Gefühle beschwichtigen und mir nur Gleichmuth zeigen wollte. Wie oft wir gerade den edelsten und liebwerthesten Weibern mit bitterer Ungerechtigkeit begegnen, fühlte ich bei erweiterter Lebens- und Frauenkenntniß nur allzu tief. Ungern gesteht sich ein edles Gemüth die kleinlichen Kränkungen der Eifersucht, und möchte sie sich selbst und dem geliebten Gegenstand verbergen, da es ihm eine niedrige Empfindungsart scheint. Eine weniger edle Natur hätte mich vielleicht durch heftige Ausbrüche des Schmerzens bewegt und zurückgehalten; – eine Coquette hätte mich durch Kälte erregt und [136] durch Furcht der Untreue zum Selbstgefühl meiner Liebe zurückgezogen. Ach! schmählich ist dieses Geständniß; aber selten sind wir fähig das Zarteste zu fassen, was die weibliche Natur in sich schließt!

Mein besserer Genius trat oft warnend vor mich. Durch zartes und liebevolles Betragen dachte ich Rosa zu trösten; aber Thränen traten dann in ihr Auge, und schüchtern lehnte sie meine Liebkosungen ab.

Ich bat meine Mutter, unsere Vereinigung zu beschleunigen. Die Würde und der Adel des ehelichen Verhältnisses, hoffte ich, würden mich von aller Schwachheit heilen; aber der Vater wollte von seinen Planen nicht weichen, und forderte sogar wegen neu eingetretener Umstände noch Aufschub. Auch die Mutter sah mich bedenklich an, wenn ich dringend wurde. – Bist du deines Glückes denn auch gewiß mit Rosa? sagte sie einst; es hängt an der Innigkeit und Wahrheit Deiner Neigung, und mich dünkt..... Zweifeln Sie an meiner Ehre, [137] Mutter? erwiederte ich heftig. – Das nicht, Gott sey's gedankt! – aber über dein Glück bin ich bedenklich. Rosa werde ich in jedem Falle als meine Tochter ansehen und ihr Geschick an meinem Herzen tragen. Wir wurden unterbrochen, und meine gute Mutter knüpfte dieses Gespräch nicht wieder an; sie glaubte ihrem rechtlichen Gefühl genug gethan zu haben, und überließ mich mir selbst.

Elvire, – so nenne ich die Frau, die mich mit allen Fäden weiblicher Künste umstrickte, ja die, wenn Sie mir es nicht als unverzeihliche Eitelkeit auslegen wollen, vielleicht zum erstenmal wahre Zuneigung empfand, wurde immer dringender und anschließender, und nahm endlich die Miene eines so tiefen Schmerzens an, der an mein Herz drang. Gegen Rosa zeigte sie sich als die gefälligste Freundin; aber jenes reine Gemüth wies sie mit zurückstoßender Kälte ab. »Ich weiß, Sie sind verlobt, sagte sie mir eines Abends in einer Ecke des Gesellschaftssaales; auch ich liege in unwürdigen Ketten, [138] die ich fortzutragen entschlossen bin. Aber warum kann uns nicht das Glück einer zarten innigen Freundschaft werden? Schlagen Sie mir's nicht ab, morgen Abend in den Garten vor der Stadt zu mir zu kommen. – Lassen Sie mir den Trost, mich frei auszusprechen, auszuweinen. Kennen Sie mich ganz, dann soll's von Ihnen abhängen, ob wir uns trennen und meiden müssen!

Mein übler Genius beherrschte diese Stunde; ich nahm die Einladung an.

Zum erstenmal beging ich eine entschiedene Falschheit gegen meine Rosa; ich schüzte eine kleine Reise aufs Land vor, um den Abend ohne sie zuzubringen. Das leise reine Gefühl zwischen Liebenden ist gleichsam wie ein luftleerer Raum, in dem Alles, was unwahr ist, sogleich zu Boden fällt. Rosa's tiefer klarer Blick blieb auf mich gerichtet; ihre Lippen öffneten sich zu einer Frage, aber sie verschlossen sich sogleich wieder, und sie sagte gleichgültig: »nun so will ich diesen Abend auch zu einem entfernten [139] Besuch bei einer Freundin anwenden, den ich lange schuldig blieb. Ich brauche freie Luft, sagte sie, und ihr schönes Auge richtete sich nach dem blauen Himmel, der uns durch das offene Fenster anglänzte. – Meine Rosa, sagte ich, sie innig bewegt in meine Arme schließend; es ist wahr, Du bist weniger heiter seit einiger Zeit. Wie sehne ich mich nach dem Augenblick, wo ich Dich ganz mein nennen kann, wo Du den heitern Garten mit mir bewohnen wirst; – glaube mir, ich kenne kein Glück, das nicht aus Deinen reinen Augen mir wiederstrahlt. – Ihre Thränen flossen sanft an meiner Brust. – Die Uhr schlug am nahen Kirchenthurm. – »Hier wird sie auch schlagen die Stunde meines Glückes, hier in dieser Kirche wird uns der Himmel und die Liebe verbinden. – »Ach, – Arthur, seufzte sie aus tiefer Brust, seelenvoll aus den glänzenden thränenvollen Augen mich anschauend und sich dann inniger an meine Brust drängend, flüsterte sie leise: »Bedenke nur Dein Glück, nicht das meine!« Wie [140] könnte das je getrennt seyn, holder Engel, rief ich aus, und hing in inniger Hingebung an den süßen treuen Lippen mit herzlichen Thränen. Diese lezten seeligen Momente des reinsten Glückes stehen ewig vor mir, und haben unter den herbsten Leiden des einsamen freudelosen Daseyns mich oft wie die Lichtblicke aus einer bessern Welt angestrahlt. Was kann der Himmel mir geben als ihre Wiederholung? Mein Herz war bereit, sich ihr ganz zu öffnen, das Geständniß einer Schwachheit abzulegen, die es jezt weit von sich stieß. O hätte sie mich zu reden genöthigt! Aber der Engel der himmlischen Sanftheit und Milde hielt die Worte auf ihren Lippen zurück. – Mir schloß sie ein schmerzliches Gefühl der Schuld, das die falsche Farbe der Sorge, sie zu kränken, annahm, aber der Entschluß mich diesen Abend für immer frei und ledig zu machen, um ihr ganz anzugehören, stand fest in meiner Brust. Ein Wort hätte die Bande meines schweren Geschickes gelöst! Es schien ernste Nothwendigkelt über [141] mir zu herrschen. Die Mutter trat herein; sorglich über die Bewegung ihres geliebten Kindes sah sie mich streng an, und stand wie der Engel mit dem Schwert vor dem Paradies des innigen Vertrauens, das uns in süßer Einsamkeit aufging. Rosa faßte sich, schlug einige Töne des Klaviers an, und sagte: Soll ich Ihnen etwas spielen, lieber Arthur; ich habe neue Musik bekommen! Mit bebender Stimme, mit Augen, die noch mit Thränen kämpften, sang sie sanft Goethens tiefsinnige Worte:


Liebe schwärmt auf allen Wegen;
Treue wohnt für sich allein.
Liebe kommt euch rasch entgegen
Aufgesucht will Treue seyn.«

Lebewohl bis auf Morgen, meine Rosa! sagte ich beim Abschiedskuß auf ihre Hand; sanft drückte sie die meine, und mit dem süßen Blick der Liebe, der durch alle wehmüthigen Zweifel hindurchstrahlte, – wie die Sonne oft am Morgen, wenn sie mit thauigten Wolken [142] gekämpft hat, uns um desto erfreuender anlächelt, entließ sie mich.

Wehmüthig, meiner eigenen Schwachheit zürnend, ging ich die Straßen hindurch. Dem Glücke dieses himmlisch-reinen Herzens will ich alle andern lockenden Blüthen des Lebens opfern, und heute die lezte pflücken! Dieser Gedanke machte mich einig mit mir selbst, als ich dem Wagen Elviren's begegnete. Sie grüßte mich; sie sah blaß und leidend aus, und ihr schwarzes Auge suchte mich noch einmal, als sie um die Ecke der Straße fuhr. Nur sanft tröstende Freundschaft gelobte ich mir dieser zu geben und mich für immer ihrer Neigung zu entziehen. Ich beschloß, dem Vater noch dringendere Vorstellungen wegen Beschleunigung meiner Heirath zu thun. Ich fand Fremde am Tisch. Meine Mutter zog mich bei Seite, und übergab mir mein Bildniß, an der Kehrseite mit meinem Namenszug in Brillanten und mit einer reichen Einfassung umgeben, welches so eben vom Juwelier angekommen war. [143] Um nun meinem Herzen in der Freude meiner Rosa einige Genüge zu thun, indem ich im Begriff war, sie zu kränken, schickte ich es ihr sogleich mit einigen zärtlichen Zeilen zu.

Der Abend kam heran, ehe uns die Fremden verließen. Mit hochschlagendem Herzen ging ich den Pfad zu dem entlegenen Garten. Ich dachte meine Rolle durch, und glaubte mich vortrefflich vorzubereiten. Nicht unangenehm überrascht vernahm ich beim Eintrit den Lärm eines Bacchanals vom Gartensaal herab, statt der holden Einsamkeit, in der ich meine Schöne zu finden gedachte. Einige Neugierige hatten mich kommen sehn; ich mußte Anstands halber die Gesellschaft aufsuchen. Elviren's Blicke empfingen mich freudig, aber ihre Miene drückte mir den Mißmuth über die Störung aus. Ich mußte neben ihr Platz nehmen. Sie saß allein unter einer sehr platten Gesellschaft, die sich einzig an den Gaben des Bachus und der Ceres zu erfreuen schien. Man sprach von Geschäften ohne Einsicht, ohne allgemeine Verbindung, die [144] der Verstand erregt; von allen Weltverhältnissen mit enger Beschränktheit, von allen höhern Ansichten mit dem kleinen Hohn, der die Gemüther herabzieht. Kurz man war vollkommen platt in dem derbsten abschneidendsten Egoismus, und am allerplattesten zeigte sich der Hausherr. »Meinem Manne fiel es recht zur Unzeit heute ein, einige Freunde hier zu bewirthen, flüsterte mir Elvire zu; aber nach Tisch hoffe ich Ihnen einige anmuthige Spazierwege hinter dem Garten zu zeigen. Ihre Hand suchte verstohlen die meinige und – nicht vergebens. Das holde Geschöpf voll zarten Sinnes schien mir so unglücklich unter den Faunen, die sie umgaben, daß ich nicht umhin konnte, sie durch ein liebvolles Betragen zu trösten. Ich hatte so ziemlich meine Rolle vergessen, als sich die Gesellschaft zerstreute, und sie mich zu einem Gange durch den Garten einlud.

»Können Sie mir's verdenken, Arthur, sagte sie, als wir in den dichtern Laubgängen der Gesellschaft aus den Augen waren, »daß mein [145] »Herz außer der Ordnung Liebe und Lebensfreude sucht, die mir meine nächsten Verhältnisse so durchaus versagen? O ich bin sehr unglücklich!« Thränen standen in den schönen schwarzen Augen, die sich gegen mich aufschlugen, als wollten sie ihr Schicksal aus dem meinen lesen. Mein Herz bebte, doch faßte ich mich männlich. »Glücklich wäre der Mann, der freien Herzens sein Glück darinnen finden könnte, Ihr Schicksal zu erleichtern durch Hingebung seines ganzen Daseyns, meine theure Freundin; aber nur innerer Vorwurf und Schmerz würde das Loos des Gebundenen seyn, der im Zauber Ihres Reizes mit Lieb' und Treue spielen könnte. Er wäre Ihrer unwerth.«

Wir waren indessen an eine Bank unter dichtbelaubten Bäumen gekommen, von der man durch einen kleinen Bogengang ins Feld sah. Die Abendsonne warf ihre Strahlen auf den gegenüberliegenden Wald. Eine unnennbare Wehmuth über die Beschränkung des Lebens und die nothwendigen Schmerzen des kurzen flüchtigen [146] Daseyns lag auf meiner Seele. Ich drückte Elviren's Hand an mein Herz im innigsten Mitleid. »O daß ich Dich zu spät finden mußte! rief sie, indem sie mich an sich zog, Glück, Glauben, Tugend – Alles hätte ich in Dir gefunden!« – Sie lag an meinem Busen unter heftigem Weinen – »Dein Freund will ich seyn, immer und ewig! rief ich und schloß sie herzlich an mich.« Wie sich die Knospe der Blume im stillen unvermerkten Drang der Natur dem grünen Blätterschooß entwindet: so ist's mit der Liebe; sie ist da; ehe wir es wissen, ja nur ahnen, lächelt uns ihr erschlossener Zauberkelch an.

Ich hielt Elvire lang in meinen Armen, und wir wechselten feurige Küsse. Aus dem Taumel dieser Glutatmosphäre riß mich ein schmerzlicher Schrei und der Ausruf meines Namens. Arthur! Arthur! hörte ich rufen, und erkannte sogleich Rosa's Stimme. Durch die Oeffnung des kleinen Bogengangs sah ich, wie sich ihre schlanke Gestalt an ihre Mutter lehnte, sich von meinem Anblick abwendend, und an dem[147] Busen der Mutter verbergend. Ich riß mich von Elviren los, um zu ihr zu eilen. Ein hohes eisernes Gitter umschloß den Garten; mit Verzweiflung ergriff ich die kalten Eisenstangen; sie wichen meinem Schmerz nicht, und ich sah Rosa am Arm der Mutter auf einem Fußpfad mit geflügelter Eile mir entfliehen. Vergebens suchte mich Elvire zu halten, meinen Schmerz zu besänftigen. »Ich selbst will Rosa meine Schuld bekennen, rief sie; ich will gestehen, daß ich Sie zur Untreue verleitet.« Untreue bleibt unverzeihlich für ein so reines Herz, rief ich, indem ich mich von ihr losriß. Sie haben mich um das Glück meines Lebens gebracht, oder vielmehr mein eigner thörichter Leichtsinn. – Nie kann ich Sie wiedersehn! Ich lief aus dem Garten, suchte Rosa's Spuren im Felde, im nahen Wald; aber vergebens. Das Gartenhaus einer Freundin, wo ich sie zu finden hoffte, war verschlossen. Am sichersten glaubte ich sie nun in ihrem Hause aufzusuchen; denn die Nacht brach ein. Mit hochklopfendem Herzen näherte ich mich ihrer [148] Wohnung. Verzeihung hoffte ich von der allesduldenden Liebe bei offenem Geständniß. Aber ich sah kein Licht in ihrem Zimmer. Ihr Dienstmädchen kam auf mein ungestümes Klopfen die Treppe herab und sagte, sie sey nicht nach Hause gekommen. Ich bat, sie erwarten zu dürfen; verlangte Schreibzeug, und schrieb ein Billet nach dem andern, indem ich immer das vorhergehende zerriß. Mein Vater erwartete mich vor dem Schlafengehn zu einem dringenden Geschäft, welches noch diesen Abend abgemacht werden mußte. Jede Viertelstunde, die vom Glockenthurm schlug, vermehrte meine Verzweiflung. Endlich mußte ich gehen, und ließ folgende Zeilen zurück:

»Ich scheine strafbar, Rosa; aber bei Gott! ich bin es nicht. Bei dem allsehenden Auge, das unser Inneres prüft, schwör' ich Dir – ich bin es nicht, in so fern es auf die Gesinnung ankommt. Mitleiden, Leichtsinn, Thorheit und List haben mich vom reinen Pfade abgelockt. Ich kann ohne die Verzeihung Deiner Engelsseele [149] nicht leben. Du wirst mich hören, Du mußt mir verzeihen. Ja! dein Geliebter wird rein vor Dir stehn! O sende mir mit Tagesanbruch ein Zeichen der Liebe und Versöhnung!«

Noch stehen diese Worte mit Flammenzügen in meiner Seele. Immer finde ich in ihnen den Ausdruck einer Herzens-Wahrheit, die, wie mich dünkt, meine Geliebte zur Verzeihung hätte bewegen sollen.

Ich verließ meinen Vater, um in der Nacht umherzuschweifen. Nie hatte ich die ersten Strahlen des Tages mit mehr Ungeduld erwartet. Ich lagerte mich am Thorweg; jedem Herannahenden schlug mein Herz ungestüm entgegen; ich glaubte es sey eine Botschaft Rosa's. Gegen fünf Uhr eilte ich in die Stadt. Mit welchem Entsetzen vernahm ich die Nachricht von den Hausleuten, das Dienstmädchen sey schon gegen vier Uhr mit einem Wagen abgeholt worden; sie habe einen Coffre eilig eingepackt, und die Zimmer seyen verschlossen. In einigen Tagen würde [150] die Bestimmung ankommen, wohin die einlaufenden Briefe gesendet werden sollten. Ein so gewaltiger Schmerz hatte mich ergriffen; meine Pulse stockten, und Todtenblässe lag auf meinen Gesichtszügen, daß die guten Leute mich mitleidig in ihr Zimmer nöthigten, mich zu erholen. Sie wußten nichts auf tausend stürmische Fragen zu antworten, die dem ersten erstarrenden Schrecken folgten. Ich mußte mich fassen, und mit dem Versprechen, daß sie mir augenblicklich Nachricht geben wollten, endlich entfernen als ein verzweiflungsvoller Elender von der geliebten Schwelle, die ich so oft mit dem seeligsten Entzücken betreten.

Ich vermochte es nicht, in diesem Zustande vor meinen Eltern zu erscheinen. Ich hielt mich in dem kleinen Wirthshause eines benachbarten Dorfes auf, und schrieb einige Zeilen nach Hause, als habe mich die Lust zu einer Gebirgsreise ergriffen, mit der Bitte, alles was an mich einliefe, unverzüglich in das Dorf zu senden. Auch den Hausleuten Rosa's hinterließ ich diese [151] Weisung; und nun überließ ich mich in der Einsamkeit meinem tiefen, unendlichen Schmerz. Er war unendlich; Sie sehen, daß im Mannesalter noch die Thränen des Jünglings meine Wangen benetzen!

Lothar faßte höchst bewegt die Hand seines Freundes. »Und haben Sie denn wirklich Rosa für immer verloren? Ihr holdes Bild steht so klar vor meiner Seele, – dieses sanfte, milde Wesen, – konnte es unversöhnlich seyn? Konnte es dem Geliebten seiner Jugend nicht einen Sinnentaumel verzeihen, an dem sein Herz so wenig Antheil hatte?« – »Ach, eben in dieser himmlischen Einfalt ihres Herzens, das selbst ganz rein und fleckenlos war, muß ich die Festigkeit ihres Entschlusses, mich für immer zu fliehen, aufsuchen, fuhr Arthur fort. Das kalte Abfinden mit der Schwachheit und Elendigkeit der menschlichen Natur, das der Weltgang uns lehrt, lag nicht in der himmlischen Jugendblüthe dieser schuldlosen Brust. Sie hatte sich hingegeben in ganzer harmonischer Liebesfülle, und [152] so und nicht anders wollte sie auch den Geliebten besitzen.

Die Jugend scheidet nicht allzuleicht von der Hoffnung; noch fielen einige goldene Strahlen auf mich. Ich hoffte auf meine Zeilen wenigstens eine Antwort von Rosa zu erhalten; nur die Züge ihrer Hand zu sehen, selbst wenn sie Schmerzliches für mich ausdrückten, wäre ein Labsal meiner innigen Sehnsucht gewesen. Ich schrieb mehrere Briefe im voraus, die meinen Schmerz, meine Reue und Gelübde für eine schöne Zukunft enthielten.

Elvire hatte meinen Aufenthalt ausgespäht, ob ich mich gleich am Tage verborgen hielt und nur am frühen Morgen oder in dem Schatten der Nacht in den nahen Wäldern umherschweifte. Sie hatte einen unsrer gemeinsamen Freunde zum Vertrauten gemacht, und dieser drang gegen mein Verbot, niemand zu mir zu lassen, dennoch in mein einsames Zimmer. Der leidenschaftliche Zustand, in dem ich Elviren unfreundlich, ja sogar mit Härte verlassen hatte, machte [153] sie ängstlich um mich. Der Freund versuchte mich zu beruhigen. »Rosa würde, müsse wiederkehren, verhieß er mir und versprach in allen Nachforschungen ihres Aufenthaltes behülflich zu seyn. Mein Schmerz war zu lebhaft, um irgend eines Verhältnisses zu schonen; ich erklärte, daß ich Elviren nie wieder zu sehen vermöchte, daß ich ihr Spiel mit zarten Neigungen unwürdig fände und den Verlust meines Lebensglückes, als eine Rache des Himmels, der alle Untreue hassen müsse, ansähe. Der Freund war ein Ehrenmann und wollte für uns Alle, Welt und Meinung schonen; aber er konnte, da er selbst ohne Energie und Zartheit der Empfindung war, die Tiefe meines Schmerzens nicht ermessen. Rosa's Abreise war indessen auch zu mei ner Mutter gedrungen, und ein zärtliches Billet von ihr war der erste warme Lebenshauch, der in meine öde und erstarrte Brust fiel. Ich wußte, diese liebte Rosa und verstand meinen Schmerz über ihren Verlust. Nach wenigen Tagen kam sie selbst mit der Nachricht, die sie [154] durch ihre vielseitigen Verbindungen ausgeforscht hatte, daß Rosa mit ihrer Mutter jenseits des Rhein's nach einem Kloster gereist sey, dessen Aebtissin ihnen verwandt war. Meine Mutter fertigte sogleich einen unsrer sichern Leute mit einem Briefe dorthin zu Pferde ab, empfahl ihm die größte Eile; er selbst müsse Rosa sehen und eine Antwort von ihr zurückbringen. Sie selbst legte einige Zeilen bei, die herzliche Liebe und Bitten enthielten, dem höchst unglücklichen Zustande ihres Sohnes ein Ende zu machen durch Versöhnung und wiedergeschenkte Liebe.

Der Gedanke, daß Rosa, obgleich wie ihr verstorbener Vater, Evangelischen Glaubens, in dieser Lage durch ihre Mutter, die eine Katholikin war, bewogen werden könnte, unauflösliche Gelübde als ewige Scheidewand zwischen uns aufzustellen, folterte mich bis zum Wahnsinn. Meine Mutter billigte meinen Plan, sogleich, nachdem der Bote wiedergekehrt sey, zu Rosa zu reisen. Am nächsten Abend schon brachte sie mir die Genehmigung des Vaters zu dieser Reise,[155] mit der Erlaubniß, mich sogleich mit Rosa trauen zu lassen und sie als meine Frau heimzuführen. Herzlich dankte ich der lieben Mutter; denn ich fühlte wohl, daß nur ihre zarte Sorgsamkeit den Vater aus dem Geleise der Gewohnheit herausgebracht hatte, dem einmal die Vermehrung des Reichthums die erste Pflicht im Leben schien, in so fern sie mit strenger Redlichkeit vereinbar war. »Lieber Arthur, sagte die Gute, die Liebe der Frauen muß ja das ewig Bewegende und Vermittelnde im Menschenleben seyn; da wo diese in ihnen fehlt, sind sie zu gar nichts gut.« Vergebens suchten die liebende Mutter und der geschäftige Freund mich in diesen Fiebertagen der bangen Erwartung zu trösten. Eine dumpfe Ahnung des Unglücks eilte der Entscheidung meines Schicksals zuvor. Nach einigen Tagen kehrte meine Mutter, als sie mich eben verlassen hatte, wieder in mein Zimmer zurück; sie war dem Boten begegnet und hatte ihm die Briefe abgenommen.

Ein kleines Päckchen, mit Rosa's Hand [156] überschrieben, fiel mir sogleich beim Aufreißen der Siegel ins Auge. Das Leben stockte in meinen Pulsen beim Anblicke der geliebten Züge, und eine Wolke lag vor meinen Augen, so daß ich kaum die Worte erkennen konnte. Das Päckchen fiel mir aus der Hand, als ich das Futteral, welches mein Bildniß enthielt, erkannte, und mit blutendem Herzen las ich diese Zeilen, die ich immer bei mir trage.

Lothar wollte lesen, und schauderte vor dem Anblicke des Briefchens zurück. »Mein Gott! was ist das für eine wundersame Aehnlichkeit?« rief er aus. Es sind die Züge meiner Marie! nur etwas kleiner und ängstlicher.« Arthur war versunken in die Nachklänge seines Schmerzens, und achtete wenig auf diese Aeußerung. Auch Lothar faßte sich, und bat sich nur aus, Abends dieses Billet mit der Handschrift seiner Geliebten vergleichen zu dürfen. Er las den Inhalt:


»Erschrecken Sie nicht, Arthur, – ich bin in der Genesung von einer tödtlichen Krankheit. Nie kann ich an Ihre Liebe mehr glauben, [157] aber an Ihre Gutmüthigkeit muß und will ich glauben. Kein Vorwurf soll durch mich den Frieden Ihres Lebens stören. Suchen Sie das Glück auf Ihrem eignen Wege; für mich wohnt es nur in der Wahrheit und im reinen Vertrauen. Ewig haben Sie diese unter uns gestört. Ich will das von Gott neu geschenkte Leben, das ich nicht als eine Wohlthat mehr ansehen kann, der Stille und Wohlthätigkeit weihen. Leben Sie wohl auf ewig.«

Rosa.


»Welche Größe, welche Einfalt und himmlische Liebe athmet in diesen Worten!« rief Arthur und verbarg das Blatt an seinem Busen. O Lothar! Sie fühlen nun ganz, was ich in ihr verlor!

Der Brief der Mutter zerriß meine Seele auf andre Weise. Auch sie sagte, daß mich Rosa niemals wieder sehen wolle; sie beschrieb Rosa's Schmerz über meine Untreue mit den glühendsten Farben; sie hätte auf die schnelle Abreise gedrungen, ihr ihren Zustand zu verbergen gesucht, [158] aber als sie im Kloster bei der Verwandtin angekommen, wäre sie von einem Fieber befallen worden, daß mehrere Tage ihr Tod nach dem Ausspruch der Aerzte unvermeidlich geschienen; Gott habe sie gerettet, und nur ihm wolle sie ihr geschenktes Leben weihen! Ihr Sohn (der Brief war an meine Mutter gerichtet) mag sich entsinnen, wie ich das Alles vorausgesehen habe. Ich kannte den Weltlauf zu gut, um nicht zu wissen, daß er das unschuldig liebende Herz meines Kindes nur zum Spiel seiner flüchtigen Neigung machen würde. Reichthum und Ueppigkeit kennen Treue und Liebe nicht, die nur in der stillen Beschränkung der Armen gedeihen. Wir haben das beste Theil erwählt! – Das Einzige, was ich bitte, ist, daß er den Frieden meines Kindes nicht mehr störe und uns vergesse.«

Ich stand wie vernichtet, und meine gute Mutter war untröstlich über meinen stummen Schmerz. Nur zu deutlich lag es im Sinne beider Briefe, daß die Mutter Rosa bewogen, das [159] Klosterleben zu ergreifen, daß ich sie für immer verlieren sollte. Einem düstern freudenlosen Daseyn sollte das holde Geschöpf hingeopfert werden, hinter dumpfen Mauern die schöne Blume welken, die in äußerer und innerer Geistes-und Herzensschönheit für den Glanz des Himmels und allen Zauber des Lebens geschaffen war; ich war – der Mörder ihres Glückes!

»Ich muß Alles thun, Alles wagen, sie von diesem Schicksal zu befreien, rief ich aus. Ja, theure Mutter, wenn ich selbst das Licht der Sonne ertragen soll, muß ich mir sagen können, Alles gethan zu haben, sollte es mir selbst auch kein Heil bringen!« Meine Mutter billigte meinen Entschluß, und suchte mit weicher liebender Sorgfalt noch Trostgründe für mich auf, wo ich verzweifelte.

»Sie flieht mich, wird mich ewig fliehen und hassen, wie so ein himmlisches Gemüth nur hassen kann, rief ich aus; der ruhige Ton ihrer Zeilen selbst sagt mir dieses. Ich bin hoffnungslos, aber ich muß handeln.« Gedankenlos eröffnete [160] ich das Futteral meines Bildnisses, sank mit Thränen an meiner Mutter Brust und rief: O nein, sie haßt mich nicht; – nur die Einfassung hat sie zurück gesendet, sie hat mein Bildniß behalten.

An diesem schwachen Faden der Hoffnung richtete sich meine Seele wieder auf. Den nächsten Morgen reiste ich ab, und mein gütiger Vater sendete mir noch ein Dokument zu, in welchem die strittigen Handelsverhältnisse aus einandergesetzt waren, und Rosa in jedem Falle die Versicherung eines anständigen Einkommens mit ihrer Mutter fand. In wehmüthiger Stimmung schiffte ich den Rhein hinab. Es war ein stürmischer Tag. Furcht und Hoffnung brachen ihre Wogen an meinem Herzen, wie die des mächtigen Stromes sich an meinem kleinen Fahrzeug, die bald den Lichtglanz des Himmels, bald das dunkle Grau der vorüberziehenden Wolken abspiegelten. Von Kindheit an hatten mich die Zauberformen dieser Ufer entzückt, und mir tausend fröhliche und ernste Lebensbilder vor die Seele gestellt. Nun ging es der ernsten Entscheidung entgegen, [161] und nicht den stillen Muth einer schuldbefreiten Brust konnte ich dem Ausspruch des Geschickes entgegen stellen! Ein holdes klares Daseyn hatte ich durch thörichten Leichtsinn um sein reines Glück betrogen. Wüßte ich sie nur glücklich, tönte es oft in meinem Innern, o so wollte ich allen Schmerz der herben Entbehrung ertragen!

Der Diener, der die lezte Botschaft gebracht hatte, begleitete mich. Hinter einer waldigen Uferspitze zeigte er mir den Thurm des Klosters, wo meine Liebe wohnte. »O meine süße Rosa, rief ich, fühlst du nicht mehr, daß dein Geliebter naht! Halt ein, opfre nicht dein holdes Leben schmerzlicher Entsagung. Du wirst wieder glücklich werden, stürze ihn nicht in Verzweiflung.« Unter diesen Selbstgesprächen der schmerzlich süßen Erwartung waren wir nun die Uferspitze herumgeschifft. Im Schooß eines grünen Thales zwischen zwei hohen hervordringenden Waldgebirgen lag das Gebäude, das ein düsteres Ansehen hatte. Wir landeten; ein Pfad durch Wiesen führte zum Kloster. Der Tag neigte sich, und die [162] Abendglocke ertönte, die Rosa zum Gebet rief. Auch ich betete inbrünstig zum Vater aller Wesen, der zerrissenen Brust einen Strahl seines himmlichen Friedens zu senden.

Der Diener rieth mir, mich entfernt zu halten, ob er vielleicht Rosa allein wahrnehmen könne; denn der Mutter strenges Ansehen hatte ihm die Furcht eingeflößt, daß sie jedes Zusamentreffen mit ihr verhindern würde. Ich fühlte, daß der Mensch Recht hatte, und ging um die Kloster-Mauer, in höchster Leidenschaft herum, während er an der Pforte anklopfte. Ich gab ihm einige Zeilen, mit der Bleifeder geschrieben, an Rosa, die nur die innige Bitte enthielten, mich nicht ungehört zu verdammen. Es war öde und düster in meiner Seele; die Hoffnung sank, und ich fühlte nichts von dem magnetischen Zauber, mit dem die Nähe eines geliebten Wesens sich uns geheimnißvoll kund thut. Ein Gesang ertönte in der Kirche, deren ewige Flamme im Dunkel der Nacht immer heller strahlte. Mein Ohr lauschte einen Ton der reinen geliebten Stimme [163] zu vernehmen in dem einfach-ernsten Gesang. – Vergebens. Nach einer peinlichen Stunde kam der Diener zurück. Meine düstre Ahnung kam seiner Botschaft entgegen; – er nahte sich schweigend. »Sie ist fort!« rief ich ihm zu. »Ja, erwiederte er. »Die Pförtnerin, die ich mir bei meinem letzten Besuch verpflichtet hatte, versichert es mir aufs heiligste. Ein Knecht in den Oekonomie-Gebäuden, mit dem ich auch Verkehr hatte, sagt mir dasselbe. – Kein Zweifel findet mehr statt; sie ist abgereist – vor wenigen Tagen, die Pförtnerin sagt mir, sie habe blaß und traurig ausgesehen; es sey eine allgemeine Trauer um sie; denn ihre Güte, ihre Liebenswürdigkeit habe alle Herzen an sich gezogen; der Knecht selbst habe sie bis zum nächstgelegenen Städtchen gefahren, von wo aus sie Postpferde genommen.« Und wohin? wohin? weiß er das nicht zu sagen? rief ich in bitterer Angst aus. »Es war ein guter, feinsinniger Junge; er fühlte meinen leidenschaftlichen Zustand in meinen Fragen. Er suchte sich jedes kleinen Umstandes [164] zu erinnern. Die Deichsel habe Rhein-aufwärts gestanden, sagte er. Mir fällt etwas ein, fuhr er fort: der Herr sollte den Herrn Doctor Wild aufsuchen im Städtchen; der wackre gelehrte Herr weiß vielleicht mehr als ich, und er trieb mich immer so zur Eil mit meinen Pferden, wenn ich ihn zu dem kranken Fräulein abholen mußte, daß ich glaube, er hat sie recht lieb. Hier, indem er auf das Kloster wies und den Kopf schüttelte, hier erfährt man nichts. Die Frau Aebtissin ist streng, und es war uns allen verboten von des Fräuleins Aufenthalt mit Fremden zu sprechen.« – Ich fühlte schmerzlich der Mutter besonnene Vorsorgen in diesem Allen, und eilte nach dem Städtchen, den Arzt aufzusuchen. Er nahm mich gütig auf, und schien die Menschenfreundlichkeit als eine Pflicht seines Standes anzusehen. Ich mußte mich ihm ganz anvertrauen, wenn ich auf seine Hülfe zählen sollte. Er hörte mich theilnehmend an. »Ihre Geschichte ist mir nicht neu, sagte er mit Rührung; sie war der Inhalt der Fieberphantasie [165] des geliebten Mädchens. Die heiligste unschuldigste Seele habe ich in diesem Zustand, der alle Schleier abwirft, kennen lernen. Ja, ich fühle Ihren ganzen Schmerz, da Sie, wie mir's scheint, sich nur Leichtsinn und keine Falschheit vorzuwerfen haben. Eine unglückliche Verkettung der Umstände hat das Uebrige gethan. In der Hauptsache Ihnen zu dienen, steht nicht in meiner Macht; denn der Zufluchtsort, welchen sich Rosa auserwählt, blieb mir selbst ein Geheimniß. Nur die Aebtissinn scheint ihn zu wissen; doch da ist keine Hoffnung vorhanden, daß sie das Schweigen brechen werde, da sie das ganze Verhältniß mit ihren Religions-Ansichten verbunden hat. Wenn der Fanatismus eine Weiberseele ergreift, wird sie störrischer und unzugänglicher als eine männliche, der doch immer noch mehr Fähigkeit zu einer allgemeineren Vorstellungsart übrig bleibt. Ob ich gleich selbst jener Kirche zu gethan bin; so lehrte mich mein Beruf, der mich immerwährend mit der physischen und moralischen Gebrechlichkeit der [166] menschlichen Natur beschäftiget, alle unauflöslichen Gelübde verwerfen. Ein so schwaches Wesen als der Mensch, an dem alle Elemente anschlagen, sollte mit der ewigen Wahrheit nicht auf diese Weise sein Spiel treiben. Die Mutter, so wie Rosa selbst, habe ich vor einem übereilten Entschluß hinlänglich gewarnt, und ich hoffe nicht ohne Erfolg.

Der ruhige Verstand dieses Mannes, sein reines wohlwollendes Gemüth besänftigten meinen Schmerz. Er schenkte mir jede freie Stunde, und wurde nicht müde, meine Fragen über Rosa zu beantworten; ja, er that es mit solch liebender Theilnahme, daß ein inniges Band der Freundschaft zwischen uns entstand.

Unablässig hatte sich Rosa mit mir beschäftigt, in ihren Fieberträumen die zärtlichsten Reden an mich gerichtet, gewähnt, sie sitze in einem Garten mit mir, und dann sey sie wiederholt mit einem schmerzlichen Schrei erwacht. »Ach da kommt eine Schlange aus den Blumenbeeten, und zerdrückt mir das Herz!« Mehrmalen [167] schien sie mit der Idee umzugehen, ihr Leben zu enden. »Nimm mich auf in deinen tiefen Wogen, du Strom, der so manches Leben schon verschlang – der Vater im Himmel wird es dem armen Wesen verzeihen, daß es die Luft der Erde nicht mehr athmen kann!« rief sie eines Abends. Dann sprach sie leise, als mit sich selbst zu Rathe gehend: – »Nein, nein! das darf ich nicht thun; denn es würde sein ganzes Leben elend machen, – diesen innern Vorwurf könnte er nicht tragen.«

Mein Schmerz bei dieser Erzählung war unaussprechlich.

»Fasse dich, du glücklicher und unglücklicher Jüngling, der so geliebt wurde! sagte der Arzt; ich zerreiße dein Herz, um es zu heilen. Du wirst es vielleicht in diesem Augenblick nur als einen leeren abstracten Trostgrund aufnehmen; aber es ist die lange und tiefe Erfahrung meiner vielseitigen Lebensansicht: ein Wesen das so lieben kann, trägt den Himmel in sich und kann nie ganz unglücklich seyn. Ja leidenschaftliche [168] Liebe müßte ihm immer zu bittern Schmerz werden; denn wo ist die Seele, die solch eine Liebe mit immer gleicher Zartheit und Reinheit erwiedern kann? Im allgemeinen Wohlwollen kommt es zur Ruhe, in der Liebe des Unendlichen, Ewigen, in seinen Geschöpfen, nicht im Erheben des Geschöpfes im reinen Lichtglanz seiner Empfindung, wo Beschränkung und Mängel immer seinen Frieden kränken müssen. Ich habe dir schon gedient, ehe ich dich kannte. In mancher Stunde, wo Rosa zur klaren Besonnenheit zurückkehrte, warnte ich sie vor dem Streben nach einem Ideal, das nicht im Kreise des menschlichen Daseyns liegt. »Ich verstehe Sie, sagte sie mit sanftem Lächeln und einem zarten Rosenschimmer auf den bleichen Wangen; aber was ist denn die Liebe ohne Wahrheit? Nie kann ein vereintes Leben glücklich seyn, wo der kalte Argwohn alle Blüthen des Vertrauens tödtet. Mein Herz ist gebrochen und kann keine Hoffnung mehr fassen.«

Der liebreiche Mann stellte meine Papiere [169] der Aebtissin zu; er wagte selbst noch einen, obgleich im voraus fruchtlos geglaubten, Versuch für mich. Die strenge Frau versprach die Bestellung der Papiere; blieb aber unerbittlich in ihrem Schweigen. Ich leitete einen sichern Briefwechsel mit dem Arzt ein. Jeden günstigen Umstand, die leiseste Spur versprach er mir mitzutheilen; ich fühlte, daß er mein Geschick mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt am Herzen trug.

Nun folgte ich dem einzigen Zeichen, welches mir der treue Knecht gegeben – der Rheinaufwärts stehenden Wagendeichsel. –

Zum erstenmal fühlte ich mich als dem ganz Einsamen hoffnungsleerer Sehnsucht hingegeben. Hinter den blauen Fernen, die den Horizont umgränzten, stand Rosa's Bild. Das Licht der Sonne weckte mich zu gleicher Sehnsucht; ihr sinkender Strahl brachte mir gleiche Trauer. Wenn ich eine fremde Stadt mit ihren Thürmen vor mir liegen sah, schlug mein Herz höher; aber nach vielen vergeblichen Nachforschungen [170] begrüßte ich jeden neuen Wohnplatz der Men schen mit ahnendem schmerzlichen Gefühle. Mein ganzes Daseyn war ein düsterer einförmiger Schmerz, mit dessen Abschattungen ich Sie nicht länger ermüden will. Um mich meinen guten Eltern nur einigermaßen dankbar zu bezeigen, verband ich oft Geschäfte mit meinen Reisen; hielt Zusammenkünfte mit ihnen; denn sie fühlten nur zu sehr, daß das Leben in der Vaterstadt, – in demselben Kreise, wo mich die lebhafteste Erinnerung meines Verlustes ergreifen müßte, mich ganz zerstören würde. Sie hofften auf die Heilung der Zeit; aber ehe diese mit meinem Schmerz abgelaufen war, entriß mir der Tod beide. Die Mutter starb nach fünf Jahren, und der Vater folgte ihr bald. Ich führe meine Geschäfte um Anderer willen fort, die an meine Thätigkeit gebunden sind; ich führe sie mit Glück. Wissenschaft, Kunst, menschliche Verhältnisse erhalten meine geistige Regsamkeit. Allgemeines Wohlwollen brachte mich in manche angenehme Verbindung. Aber [171] mein Herz blieb öder und düsterer Sehnsucht hingegeben. Der prometheische Funke – die Liebe, das Vertrauen, die Hoffnung fehlt mir.

Als der Abend mit seiner Kühlung begann und seine röthlichen Glutfunken die Felsen umsprühten, ging Lothar mit seinem bewegten Freunde wieder an den Sitz zwischen den Ruinen, und trug seine Geschichte, wie folgt, vor:

Als der jüngere Sohn wurde ich von meinem Vater von Jugend an zum Militärdienst bestimmt in dem Lande, wo unsere Familiengüter lagen. Ich wurde mit meinem Bruder gemeinsam unterrichtet, und eine Schwester voll Geist und liebenswürdiger Anlagen verschönerte unsere glücklichen Jugendjahre.

Das Haus meiner Eltern gehörte unter die angesehnsten einer Stadt von mittlerer Größe, und die Abendstunden verstrichen in heiterer Geselligkeit mit andern Knaben, zu denen sich auch meine Schwester mit ihren Gespielinnen oft einfand.

Von Jugend auf entwickelte sich eine tiefe [172] Leidenschaftlichkeit in meiner Natur. Alle meine Neigungen waren heftig und ausschließend. Meine Schwester entwickelte in der aufbrechenden Blüthe ihrer Schönheit ein edles liebevolles Wesen, und litt nicht, daß einer der Brüder oder Gespielen von der Linie der Grazie und Schönheit abwich. Meiner Leidenschaftlichkeit begegnete sie mit heiterer Verstandes-Ansicht. Unglücklicher Weise wurde ich ihrem Einfluß zu bald entrissen, der mich vielleicht zum rechten Maaß und innern Harmonie der Fähigkeiten geführt hätte. So mußte ich schmerzlich die Bildungsstufen durchlaufen, auf denen eine gütige Macht uns nach und nach lernt im innern Gleichgewicht das Leben – zu ertragen – weiter werde ichs nicht bringen; dem Glücke, dem heitern Genusse des Daseyns, der uns auf dem weichen Arm der Liebe über alle Oeden und Klippen hinwegträgt, bin ich für immer entfremdet. Ich wurde in eine Militärschule gebracht, und während der Ferien war mir's vergönnt auf kurze Zeit im väterlichen Hause zu leben. Im engen [173] gleichförmigen Gang jenes Instituts, bei trocknem Unterrichte, der auf Individualität keine Rücksicht nahm, im Entbehren alles liebenswürdigen Umganges, verschloß ich mich dort ganz in meine innere Traumwelt. Nur mechanisch und aus Ehrgefühl nicht hinter den Andern zurückzubleiben, lernte und that ich das nöthige Vorgeschriebene.

Die wenigen Wochen im Umgang mit meiner Schwester während der Ferien standen als lichte Puncte vor meiner Sehnsucht und Erinnerung, und führten meiner Fantasie frische Farben zu, die sie in der Geistes- und Herzens-Einsamkeit in tausendfache Bilder verwebte.

Das Bild eines liebenswürdigen Mädchens nahm ich von jeder Reise mit mir zurück, und meine Schwester empfing ganze Stöße zärtlicher Briefe und Gedichte, über deren Kunstwerth sie mir ihre Meinung sagte, indem sie die Producte selbst weislich in ihrem Schreibpulte verschloß, ohne sie an den Gegenstand gelangen zu lassen. Als ich ihr Vorwürfe deshalb machte, [174] antwortete sie mir: »Schon an drei verschiedene Gegenstände hast Du Deine zärtlichen Ergießungen gerichtet, lieber Lothar. Was sollte daraus werden, wenn Dir alle Drei geglaubt und geantwortet hätten?« Ihr Brief nahm eine sehr ernste Wendung, und enthielt zärtliche Warnungen. Eine Liebe ohne Treue sey unwürdig und könne nur zerstörend auf das männliche Gemüth und das weibliche Geschick wirken. Bei der Güte unsrer Eltern und unsrer günstigen äußern Lage könnten wir Kinder auf eine glückliche Ehe hoffen; diese sey die schönste Blüthe des Daseyns; wahre treue Neigung schließe sie allein, und dieser müßten wir erst entgegen reifen in eigner Ausbildung und vielseitiger Lebensansicht. In der Geschichte, in den Meisterwerken der Dichter solle ich die Charaktere edler Frauen kennen lernen und fühlen, was die weibliche Natur seyn könne; nicht jedes sanfte blaue Auge, und jede leichte zierliche Gestalt werde mich mehr in Entzücken und zärtliche Raserei versetzen. Ich träte in die Jünglingsjahre ein, sie [175] höre, die Männer seyen vielen Lockungen ausgesetzt; bewahren solle ich die Unschuld der Seele, den Adel und die Reinheit der Sitten; nur auf diesem Grunde blühe der Lebensbaum stark und schön der Ewigkeit entgegen.

Der liebevolle Ernst meiner Schwester bewegte mich tief. Ohne eine geliebte herrschende Gestalt, an der sich in meinem Innern die Liebes- und Lebens-Träume hinanrankten, konnte ich nicht leben; aber ich blieb besonnen und verschlossen in meinen Aeußerungen seit ihrer Warnung.

Eine fremde Familie zog um diese Zeit in ein dem Institut gegenüberliegendes Haus, die mir erst zum Gegenstand der Neugier wurde, aus der sodann innige verschwiegene Neigung entstand.

An wie zarten, unsichtbaren Fäden bildet die gütige Macht der Natur unsere Individualität aus! Wie die geheim wirkende Kraft der Elemente in ihrer Mischung die Pflanzen in Gestalt und Farbe aus ihren Keimen entwickelt, [176] sie in üppiger Kraft entfaltet oder verkümmert hinwelken läßt: so ist's mit dem, was wir menschliches Schicksal nennen. Nur das kann aus dem Leben unser werden, was wir uns anzueignen vermögen; aber ob Licht und Luft eines günstigen Himmels ihm vollkommene Ausbildung gewähren oder versagen? – das gehört dem großen Laufe der Natur an, die wir als Weisheit und Güte annehmen können, da sie uns aus den Wolken des irdischen Seyns, die erhebende Hand zu einem höhern reicht.

Der Familien-Kreis, den ich in allen Stunden der Muße beobachtete und mit dem ich gleichsam unsichtbar lebte, bestand aus Vater und Mutter, einer erwachsenen Tochter und zwei jüngern Knaben. Die Eltern waren noch in den besten Jahren und sehr wohlgebildete Gestalten. Die Knaben waren stark und frisch, voll Lebensfülle. Das anmuthige Wesen der blühenden Tochter ging als ein beseelender und schützender Genius unter dem Ganzen einher; [177] auch schien jedes zu ihr die zarteste Beziehung zu haben.

Sie bändigte die Unruhe der Knaben, waltete über ihre Beschäftigungen; und oft sah ich sie, wenn sie ernst und verweisend vor ihnen gestanden, ihr lebhaft um den Hals fallen und nicht ruhen, bis sie den Kuß der Versöhnung von ihr empfangen. Unaussprechlich lieblich war sie, wenn sie mit der feingeformten Hand die lockigen Köpfe der Kleinen an sich drückte. Es ergriff mich ein glühendes Verlangen an ihrer Stelle zu seyn. Der Vater las ihr oft vor, wenn sie mit ihrer Näharbeit am Fenster saß; das schöne Profil im ruhigen Hören und Sinnen zog mich zu Stunden langem Anschauen hin, und wenn die Mutter zu ihnen trat, und der Tochter weißer schlanker Hals sich beugte, um die liebkosende Hand auf ihrem Arm zu küssen; dann drangen oft sehnsüchtige Thränen in meine Augen, auch zu dieser innigen Welt von Liebe und Herzenseinigkeit zu gehören.

Die Lage der Familie schien beschränkt, doch [178] war eine gewisse Eleganz in der kleinen Einrichtung sichtbar, die die Gewohnheit des Wohlstandes verrieth. Das zierliche Mädchen ging täglich mit einem Körbchen am Arm aus, um die Bedürfnisse der kleinen Wirthschaft zu holen, und als ihr die Mutter eines Tages einen Auftrag zum Fenster hinausrief, hörte ich sie »Lina« rufen.

Wie glücklich machte es mich, ihren Namen zu wissen! Wie oft wiederholte ich ihn in meinem Herzen! Abends sang sie zur Guitarre und ihre sanfte Stimme rührte mich innig. Meistens sang sie traurige Lieder der Liebe und Sehnsucht; ich nahm meine Flöte und spielte die Lieder nach, die sie gesungen.

Mehrere Abende hatte ich dieses getrieben, als sie ihr Fenster öffnete und sich umsah, woher die Töne kämen, die sich zum Einklang mit ihrem Gefühl drängen wollten? Ich verbarg mich im Vorhang des Fensters, führte aber mein Nachspielen immer fort, ja ich wagte sogar es in ein Accompagnement zu verwandeln, wenn [179] das Lied mir bekannt war, und fühlte eine unaussprechliche Nähe zu ihr in diesen Doppelgesprächen. Sie suchte mich nicht mehr auf; doch schien ihr Gesang mir seelenvoller zu antworten. Der Frühling nahte heran, und alle Bewohner der Stadt suchten Luft und Sonne auf den freundlichen Spazierplätzen, die sie umgaben. Wie sehnte ich mich meinem geliebten Mädchen zu begegnen! Mir war, als würde ich's vermögen sie anzureden, als würde sie meinem Herzen begegnen. So oft ich sie mit den Ihrigen ins Freie wandeln sah, folgte ich, mehrmals ging ich dicht an ihr vorüber; aber der in sich abgeschlossene Familienkreis gebot mir ein ehrfurchtsvolles Schweigen. Nur einmal, als sich dieser auf einem der wenig besuchtesten Gänge einen Ruheplatz gesucht und die Knaben geschäftig waren die ersten Maiglöckchen und Veilchen auf dem grünenden Rasen zu pflücken, faßte ich Muth.

Ein Sträußermädchen bot seine Frühlingsgaben am Ende der Allee dar. Ich wählte den [180] zierlichsten und anmuthig duftendsten Strauß von weißen und röthlichen Hiacynthen, zog ein weißes Blättchen aus meiner Brieftasche, und schrieb mit der Bleifeder folgende Zeilen:


Süße Kinder ew'ger Lebensfülle,
Aus der Erde tief verhüllten Nacht
Rief euch neuen Lichtes Liebes-Macht,
Daß dem Herzen Trost und Muth entquille.
Leiht ihm euren holden Blüthenmund,
Glühend stilles Sehnen thut es kund!
In der Töne leisen Zauberwogen
Wagt es oft von duft'ger Nacht umhüllt
Anzurufen das geliebte Bild.
Glänzend schwebt es an dem Sternenbogen!
Ihr der Erde treue Kinder fragt,
Ob ihm nimmer seel'ge Hoffnung tagt?

Ich steckte das Blättchen zwischen die Blumen, näherte mich der Bank, wo das holde Mädchen saß, fest entschlossen eine Unterredung anzuknüpfen. Vergebens suchte ich nach Worten, meine Lippen blieben verschlossen, und eine glühende Röthe flog über meine Wangen; mit zitternder Hand reichte ich ihr die Blumen [181] dar. Sie verbeugte sich gefällig, indem sie sie annahm. Vater und Mutter blickten mich freundlich an, ohne ein Wort zu sprechen, und in stummer Verwirrung zog ich mich zurück. Heftig ging ich in der Seiten-Allee auf und ab, meine Zaghaftigkeit tausendmal verwünschend; aber ihr Auge hatte sich gegen mich geöffnet, der himmlische, nur Liebe und Güte verheißende Blick, stand vor meiner innern Sehkraft, und meine glühende Brust wogte in unaussprechlichem Sehnen. Ihr noch einmal zu begegnen wagte ich nicht, und nahm einen weiten Umweg durch die Felder nach meinem Hause.

Ihr Abendgesang schien mir noch sanfter als gewöhnlich; meine Flötentöne begleiteten ihn noch zarter und inniger. Sie weiß es nun, welchen Lippen sie enttönen! sie weiß was die heiße Brust empfindet, die diesen Melodien den Athem leiht! Wird mich ihr Blick am Morgen suchen? wird er mild oder zürnend in das Herz schauen, das so ganz nach ihr hinstrebt? Diese Fragen verscheuchten den Schlummer, [182] und kaum konnte ich die Stunde erwarten, die mich frei ließ mein geliebtes Fenster aufzusuchen. Endlich schlug sie, und ich sah Lina sinnend und ernst am Fenster stehen. Sie hielt ein Bild in der Hand, auf das ihr Auge geheftet war. Es war das Bild eines jungen Mannes; ich konnte es aus dem Winkel des Fensters erkennen, ja es schien mir ihre Meinung, daß ich's er kennen sollte. Nachdem sie es lange angesehen, heftete sie es ihrem Sitz am Nähtischchen gegenüber an, und ging an ihre Geschäfte. Sie liebt! sie ist verlobt! zuckte es schmerzlich durch meinen Busen – Nie kann sie dein werden. – Mein Schmerz, der Verlust aller Hoffnung auf sie, ergoß sich in glühenden Thränen. Meine Flöte schwieg nun bei ihrem Abendgesang; aber als dieser geendet war, drückte ich in wilden Gängen und Läufen meinen Schmerz aus. Ich fühlte mich nun ganz einsam und losgerissen von Freude und Hoffnung. Ein Anderer durfte sich eindrängen in den Kreis ihres liebevollen Wirkens, und[183] ich stand verlassen! Achten mußte ich die reine treue Seele, die mich augenblicklich aus einer Täuschung reißen wollte, die es nicht ertragen konnte, eine wahre Empfindung im Zweifel zu lassen. Zum Glück fiel die Ferienzeit ein, und die freie Welt und Reiseermüdung überwand den süßschmerzlichen Traum. Doch kann ich sagen, von dem zarten Band des Familienglückes blieb lebenslang der Nachklang in meinem Gemüth, und diese Reihe holder Bilder löschte nichts vom Grunde meiner Einbildungskraft aus. Bestimmen nicht diese Blüthenkränze unsre Jugend, unsre Fantasie und durch sie unsre Wünsche und unsern Willen? Sind sie nicht leise Fäden des ewigen Weltgeschickes, in dem unser Herz mit fortschlägt, – gewebt von dessen Hand, ohne dessen Willen kein Sperling zur Erde fällt?

Nach Liebesglück im Familienkreise strebte nun mein ganzer Sinn, um so mehr da ich auch meine Schwester als die Braut eines liebenswürdigen edlen jungen Mannes wiederfand. [184] Ich kam in ein Regiment, welches in der Residenz lag. O hätte mir mein Genius ein liebendes Wesen zugeführt! Ich stand am Scheideweg zwischen einem heitern Daseyn, düsterer Leidenschaft und ewiger schmerzlicher Sehnsucht. Ich fiel in die Schlingen einer der Weiber, in deren Gluthatmosphäre Psyche immer die himmelanstrebenden Flügel versengt. Um der traurigen Einförmigkeit eines liebeleeren Daseyns zu entfliehen, reißen sie immer neue Gegenstände an sich, sie suchen nur die erhöhte Stimmung ihres eignen Gefühls und zerstören muthwillig die Blüthen des Herzens, das sich ihnen geöffnet. Meine unbändige Jugend, das dunkle glühende Verlangen in meinem Wesen gab diesem Verhältniß ein ernsteres Ansehen und längere Dauer. Bella war mir einige Wochen hindurch eine Göttin, in deren Zauberkreis neues Leben für mich wohnte. Dankbarkeit und Mitleid zogen das Liebesnetz fester. Häusliche Zerstörung und ein unzarter leichtsinniger Gatte machten Bella's Haus zu einem Schauplatz trauriger [185] Verwirrung. Wie sehnte ich mich nach der reinen Atmosphäre, in die mich Lina's Anschaun versetzt hatte! Wahrheit, Liebe, Treue waren dort die himmlischen Genien, während nur zu oft in Bella's Umgebungen die Furien die Fackel wilden Zwistes schwangen. Noch stand sie selbst rein und als ein Opfer ihrer Verhältnisse vor meiner Seele; ich glaubte mich innig und einzig geliebt; aber bald zerrann die Täuschung und ich sah glückliche Nebenbuhler um mich her.

Mein Herz war gekränkt, mein Stolz gab dem Allen eine dunklere Farbe; ich gerieth in einen Zweikampf, mein Gegner wurde tödtlich verwundet, und ich selbst trug eine bedeutende Verwundung davon. Ich mußte mich entfernen, bis die Genesung meines Gegners entschieden war. Man brachte mich an einen einsamen Ort an den Ufern des Bodensees. Der gute Engel meines Lebens, die Schwester, war meinem Schicksale gefolgt. Sie konnte mich in der nahen Hoffnung Mutter zu werden nicht aufsuchen, [186] aber sie sendete mir ein Empfehlungsschreiben an eine treue Freundin, die den Sommer in der herrlichen Gegend zubrachte, und empfahl mich dieser als das, was ihr am theuersten sey, zur zartesten Sorgfalt. In dem Nebengebäude eines Klosters, dicht am See-Ufer, richtete mich diese gute Frau ein, sorgte für einen geschickten Wundarzt und sichere Pflege, ja sie kam selbst mit ihrem Gatten, einem liebenswürdigen Manne, mich zu besuchen. Die Klosterfrauen, denen sie mich anvertraute, waren hülfreich, sorgsam und unerschöpflich in kleinen Aufmerksamkeiten. Ich war in ein heftiges Fieber gefallen, und die Aebtissin kam selbst in diesem Zustand nach mir zu sehen, in Begleitung einiger Nonnen und eines lieblichen Mädchens, deren Wesen beim ersten Blick einen unnennbaren Eindruck auf mich machte. Gewandter und sinniger, als die dem Leben entfremdeteren Nonnen, veranstaltete sie alles Nöthige mit Besonnenheit, ohne mit überflüssiger Sorge zu quälen. Ihr großes blaues Auge war mit der[187] Begeisterung des zärtlichsten Mitleidens auf mich geheftet, und als die Nonnen sich für einen Moment in der Tiefe des Zimmers aufhielten, trat sie mit liebevollem Ernst an mein Lager und fragte leise: Zu welcher Kirche bekennen Sie sich? Auf meine Antwort, daß ich ein Protestant sey, sagte sie sanft: »Nun so fühle ich mich doppelt verpflichtet in jedem Sinne, unter uns beiden fremden Umgebungen, für Sie zu sorgen. Der ernste Schritt in die Ewigkeit ist wohl dem Andenken jedes guten Menschen nie ferne; einem Soldaten, der den Tod täglich vor Augen hat, ist er wohl noch gegenwärtiger als jedem Andern; aber gerade in der Krankheit bedarf's die Seele, sich im Zuspruch glänbiger Menschen ihrer eignen Ueberzeugungen lebhafter zu versichern. Ein Geistlicher unsres Glaubens, aus einer kleinen Stadt an der Schweizergränze, ist mir selbst ein Engel des Trostes geworden; sollich Ihnen diesen senden?«

Dankbar nahm ich den Antrag an. Die reizende Gestalt, die sogleich mein Herz bewegt [188] hatte, umfaßte es nun mit einem weit innigern Band. Sie sorgte um mein Seelenheil, sie wollte mich in eine seelige Ewigkeit leiten! Ich sah sie in der Glorie einer Heiligen, süße Thränen füllten mein Auge; aber ich vermochte nur, ihr mit Blicken zu danken; denn die Nonnen hatten sich meinem Lager wieder genähert.

Ich empfing am andern Morgen die tröstende Nachricht, daß Hoffnung für das Leben meines Gegners vorhanden sey, und am Abend trat meine Heilige mit dem verheißenen Tröster in mein Zimmer. Es gibt Menschen, die einen Hauch des himmlischen Friedens um sich her verbreiten, wo sie sich auch zeigen, weil er in ihrer Seele wohnt. So war dieser Mann. Höchst schlicht im Aeußern, lag eine gewisse Erhabenheit in seinen Zügen, in seinem Benehmen, vor der alle gewöhnlichen Lebensverhältnisse in die Dämmerung traten.

Ich theilte beiden die tröstende Nachricht mit, die ich empfangen. Marie, so hatte ich meine Freundin nennen hören, faßte meine [189] Hand lebhaft, erhob ihr schönes Auge gen Himmel – und sagte: »Dem Ewigen sey es gedankt, der diese schreckliche Last von Ihrem Herzen nahm!«

Sie erkundigte sich nun nach einigen kleinen Bedürfnissen bei der Wärterin, sagte uns einen freundlichen Abendgruß und eilte hinweg.

Die Unterhaltung dieses seltenen Mannes war wahrhaft Geist und Herz erhebend, belebte alles schlummernde Gute und rief alles rein Gedachte vor die Seele. Mit hoher Begeisterung sprach er von dem Frieden eines Gemüths, das fähig ist die göttlichen Wahrheiten aufzunehmen, und von der Versöhnung durch den Glauben an den Heiligsten mit den Verschuldungen, die wir uns im Gange des Lebens aufluden. Ein reiner Aufblick unseres Wesens nach der ewigen Wahrheit, ein lebendiger Schmerz unseres Herzens, daß wir von ihr abgewichen sind, sollte dem die ewige Liebe nicht entgegenkommen? Nie hatte mir dieser Glaube so menschlich, so natürlich möchte ich sagen, geschienen, [190] wie er mir aus der Brust dieses wahrhaft reinen menschlichen Wesens entgegenflammte. Einen unauslöschlichen Eindruck haben seine Worte in meinem ganzen Daseyn zurückgelassen. Ernst und strafend, als eine öde Finsterniß lag der Leichtsinn und das irdische Streben meines vergangenen Lebens hinter mir, und nicht fruchtlos blieben die frommen Gelübde und Rührungen jener Stunden, wo ich mich an der dunklen Pforte des Todes wähnte. Die innere Ruhe, die fortschreitende Genesung meines Gegners – auch der holde Zauber einer neuen Liebe thaten das ihrige dazu.

Auf die, der ich den Antheil des Mannes dankte, von der mein Herz so voll war, mußte natürlich auch unser Gespräch fallen.

»Dieses schöne Herz hat viel gelitten,« sagte Gotthold eines Abends, als ich mit verborgener Gluth von ihr zu sprechen begann; »kein irdisches Glück kann es mehr füllen, so wie ich hoffe, daß kein irdischer Schmerz mehr seinen Frieden stören kann. Es ist wie die Sinnpflanze, [191] die sich bei jeder Berührung am Stengel zurückbiegt und ihre Blätter verschließt.« Er sah mir lächelnd und fein, aber mit unaussprechlich wohlwollendem Ausdruck ins Auge, als errieth er mein Gefühl, als wollte er warnen mich ihm zu überlassen.

Marie war mit den Nonnen nur noch einmal zu mir gekommen, aber mein erster Ausgang in den Garten des Klosters, der sich bis ans Ufer des See's ausdehnte, wurde wie ein Fest gefeiert. Ich fand Mathilden, die Freundin meiner Schwester, und ihren Gatten zu meiner innigen Freude, auch als Mariens Freunde, gegenwärtig. Die guten Nonnen, die in jener heitern Gegend und unter dem Schutz eines guten und verständigen Seelenhirten den Druck ihres Standes wenig fühlten, waren geschäftig uns zu bewirthen. Mein Leibes-und Seelenarzt waren geladen, und im Dank- und neuen fröhlichen Lebensgefühle fühlte ich mich unter den guten Menschen sehr glücklich.

Die Nonnen machten Musik; aber wie innig [192] bewegt war ich, als Mariens reine seelenvolle Stimme ertönte! Sie saß unter einem blühenden Baum mit ihrer Guitarre und sang den rührenden Sicilianischen Schäfergesang an die schützende Himmelskönigin, einfach und tiefergreifend, wie ich ihn noch nie gehört.

Nun führten mich die Männer auf eine kleine Anhöhe, um den Sonnenuntergang zu feiern. Die glühende Lichtsäule lag über dem ruhigen See, die Spitzen der Berge glühten im Purpur; und wie sie nach und nach sich in dunkles Blau färbten, und nur noch die hohe Alpenkette mit jenen Lichtrosen beleuchtet war, von denen der zaubertrunkne Beschauer fragt, ob sie dem Himmel oder der Erde angehören? – da schwoll mein Herz dankend über zum Quell ewiger Schönheit in frommen Gelübden, nur ihm, das neugeschenkte Leben zu weihen! Marie war uns gefolgt. Ich ergriff Gotthold's Hand und die ihrige und drückte beide an mein Herz. Wenn ich gut, wenn ich glücklich bin, werde ich Eurer als guter Geister gedenken, die die[193] ewige Güte mir gesendet hat! »Das festeste Band unter den Menschen, sagte Gotthold, ist das vereinte Streben nach dem Ewigen und innerer Reinheit; ja es wird zu einer beseligenden Ahnung, daß Sie sich nie wieder verlieren können. Auf diese Weise werden wir nie getrennt seyn!« Marie drückte meine Hand, wischte sich eine herabstürzende Perle aus dem Auge und sagte: »Viele Seelen hat unser verehrter Freund schon dem Himmel gewonnen. Gott gebe uns die Kraft, immer in seinem Glauben zu leben.« Ihr Auge senkte sich mit himmlischer Demuth, von den breiten Wimpern überschattet. O warum konnte ich nicht immer so lieben, wie in diesem seligen Augenblicke! Das Wallen ihrer hohen Schönheit hatte mein Herz geläutert, ihr reiner Antheil an meinem Daseyn füllte mich ganz; kein heißes Verlangen, kein Bedürfen versengte diese himmlischen Blüthen der Empfindung.

Nur zu bald aber ergriff mich die zerstörende Wuth leidenschaftlichen Begehrens, die [194] das Gebilde des Himmels auf die dumpfe Erde herabzog und mich dem nagenden Schmerz endloser Sehnsucht Preis gab.

»Oft werde ich Ihrer hier gedenken, sagte Marie, indem sie meine Hand losließ und mich mit den großen blauen Augen ansah; – jeden Abend stehe ich an diesem Platze!« Bald nicht mehr, sagte Mathilden's freundliche Stimme hinter uns, da drüben, über den See hindeutend nach den glänzenden Fenstern ihres Schlosses, – da geht die Sonne auch unter. Längst versprachst Du mich zu besuchen, die ehrwürdige Mutter hat eingewilligt, das Schiff ist zur Abfahrt bereit. Schnell wurde alles angeordnet und bereitet. Marie schien nicht ohne einiges Widerstreben zu folgen, doch ergab sie sich den Bitten der Freundin auf die gefälligste Weise.

Auch ich wurde eingeladen zu folgen, sobald mein Zustand es erlaubte. Der Vollmond ging hinter den Gebirgen hervor, und lange sah ich dem Nachen nach, der über den zitternden Mondglanz der blauen Tiefe hinglitt. Die [195] lieben Gestalten winkten noch dem am Ufer einsam Zurückgebliebenen zu; auch ihre Gestalt im weißen Gewande hatte mir einen Scheidegruß zugesendet, und in der Fülle seeliger Träume ging ich nach meinem Wohnplatz. Lina's sanftes Bild und Bella's Rei', von den Spuren des Verrathes an meiner Liebe gereinigt, schwebten meiner Seele vorüber. In Marien waren beide verschmolzen, und einzig stand die Hohe und Holde als ein neuer Lebensengel vor mir. Die neugrünende Hoffnung aus meinem Herzen rankte sich in tausend holden Lebensbildern wieder hinauf.

Nachdem ich meiner Schwester die Geschichte meiner traurigen Verwirrungen offen dargestellt hatte, schloß ich mit den Worten: In dieser Marie ist lauter Licht und Wahrheit – Ein kleiner Besitz in dieser reizenden Gegend und sie, als der liebevoll waltende Genius des Hauses – welch ein Leben könnte Dein Lothar führen! Verdient hätte er's nicht, aber Dank und Liebe würden sein ganzes Wesen heiligen, [196] wenn es dem Allwaltenden gefiele, es ihm zu verleihen!«

Die guten Nonnen führten ihr freundliches Betragen gegen mich fort.

Ich brachte die Abende auf der Anhöhe des Gartens zu und grüßte die Fenster des Schlosses im Abendschimmer, wo meine Marie wohnte. Aus manch traulichem Gespräch erfuhr ich von ihren Lebensumständen, daß ihre Mutter sich in einer benachbarten Stadt aufhielte und sich in stiller Eingezogenheit nur mit der Ausübung ihrer Religionspflichten beschäftigte; daß sie selbst ihre Tochter zu kleinen Reisen und Entfernungen veranlasse, um ihre Jugend nicht von der ihr gebührenden heitern Geselligkeit zu trennen, da sie ohnedem zur Melancholie geneigt sey. Diese gutmüthigen Wesen waren unerschöpflich in Ausdrücken des Lobes und der Verehrung meines geliebten Mädchens und bejammerten nur, daß sie nicht ihres Glaubens sey; doch hofften sie, Gott werde schon Mittel[197] und Wege finden, sie im Schooß der wahren Kirche zu führen.

Der Dienst zog mich nicht mehr an, und da es kein Moment war, wo die Ehre gebot meinen Verhältnissen zu folgen, begehrte ich längern Urlaub zu einer Schweizer-Reise. Meine Kräfte nahmen täglich zu, und in Kurzem fühlte ich mich stark genug, Mathildens Einladung zufolge über den See zu schiffen.

Wie schlug mein Herz, als mich nun die Wogen umrauschten, die mich zu Marien trugen! Jeder Ruderschlag brachte mich ihr näher, und als ich nun im Wiederschein der Gebirge schiffte, die ihren Wohnplatz umgaben, als das sonnenerleuchtete Schloß mir aus der Fluth entgegenglänzte, mir immer näher trat, und die Schiffer endlich an einer Wiese unter seinen Gärten den Nachen anlegten: da zitterten und schwankten die Formen und Farben der Gegenstände vor meinen Blicken, unter denen die heiß Ersehnte mir erscheinen würde.

Das Getöse einer großen Gesellschaft, das [198] mir vom Speisesaal entgegenschallte, entriß mich auf sehr störende Weise dem sanften Dämmerschein meiner Gefühle.

Die Regenbogenfarben schwanden, die scharfen Umrisse der Wirklichkeit traten mir entgegen.

Die Offiziere eines durchziehenden Regiments, Reisende aller Nationen und einige angesehene Familien der Nachbarschaft fand ich bei Mathilden versammelt.

Mathilde nöthigte mich an ihrer Seite Platz zu nehmen. Marie saß mir gegenüber im ausgewählterem Putze zwischen zwei angenehmen Männern und gab sich gefällig der heitern Unterhaltung hin. Ihre freundlichen Blicke begegneten mir, ihre sanfte Stimme in einer Frage nach meinem Befinden drang an mein Herz; aber so ganz anders hatte ich mir unser Wiedersehen geträumt, daß ich Mühe hatte meinen Mißmuth zu verbergen und mich in den hergebrachten Formen der Gesellschaft zu halten. In traulicher Einsamkeit, in dem Ernst unsres ersten Friedens, in der Umgebung [199] mitfühlender Wesen hatte sich meine Liebe erzeugt, das Band inniger Nähe zu ihr schien mir verlezt, zerrissen; ich mußte mich selbst beinahe fragen, ob sie noch dieselbe sey – die hohe himmlische Erscheinung, deren Bild jeden Pulsschlag meines Lebens seit unsrer Trennung begleitet hatte!

Der Zauber ihrer Liebenswürdigkeit umfing alle Herzen; ohne es zu wissen und wollen, war sie der Mittelpunct der Gesellschaft, und Frauen sowohl als Männer strebten nach einem Zeichen ihrer Aufmerksamkeit. Die Milde ihres Herzens, die Freiheit ihres Verstandes belebte das gleichgültigste Gespräch, und der Grazie ihres gutmüthigen Lächelns freute sich alles um sie her, wie eines Sonnenblicks, der Allen zugehörte. Allmählig hatte ich den schmerzlichen Eindruck besiegt und überließ mich der Freude ihres Anschauns, hingezogen in die innere Harmonie ihres Wesens, die alles mit Wohllaut durchdrang.

Aber wie sehnte sich mein Herz nach einem [200] stillen Moment, sich vor ihr zu ergießen in all seiner Liebes-Macht! Kaum konnte ich das Aufbrechen der Gesellschaft erwarten! Ob sie gleich den Zudringlichkeiten der jungen Männer mit jener edlen Kälte begegnete, die keinen Zweifel des ersten Abweisens zuläßt; so fuhr doch die Eifersucht wie ein kaltes Schwert durch meine glühende Brust, als sie auf Bitten ihrer Freundin ein Italienisches Duett mit einem angenehmen Manne sang und zärtliche Worte an ihn richtete. Man tanzte am Abend bei ländlicher Musik auf einem Rasenplatz vor dem Schlosse, Mathilde und Marie untersagten mir als einen erst Genesenden den Tanz. Ich saß einsam unter einem Baum, während die schöne Gestalt in allem Zauber ihres Liebreizes vor mir auf-und abschwebte. Mein Herz zitterte im heißen Verlangen, sie aus den sie umschlingenden Armen ihres Tänzers zu reißen, und so sehr ich mir diese Thorheit vorwarf, so schwangen doch alle Furien ihre Fackeln in meinem Busen.

Ihr Blick hatte mich im Vorbeigehen getroffen; [201] sie schien meinen Zustand zu ahnen und sezte sich nach geendigtem Tanz neben mir nieder. Ich sagte ihr, ich weiß selbst nicht was; aber es müssen sehr leidenschaftliche Worte gewesen seyn; denn sie erröthete und schlug die Augen nieder. Nach wenigen Momenten sah sie mich aber offen und hell an und sagte: »Mein Freund, wir haben uns in ernsten Beziehungen des Lebens kennen gelernt; lassen Sie jene Stimmung immer unter uns walten und führen nie eine Sprache gegen mich, für die ich – kein Ohr habe, auch kein Herz mehr, selbst, wenn sie aus dem Herzen kommen sollte.«

Wir wurden unterbrochen. Gotthold's Warnung stand vor meiner Seele; aber innige Liebe nährt die Hoffnung bis in die Region des Wahnsinnes hinüber.

Zu meinem größten Mißmuth blieb ein Theil der Gesellschaft über Nacht im Schlosse, ja zu meiner Verzweiflung sogar einige Personen auf mehrere Tage. Das gesellige Leben dauerte auf dieselbe Weise fort. Marie schien [202] ernster und nachdenklicher. Im Allgemeinen richtete sie ihr Gespräch mit auszeichnender Achtung an mich; aber sie vermied jedes Besondere.

Meine Liebe wurde immermehr zum glühenden, zerstörenden Verlangen, diese Liebenswürdigkeit, die täglich in tausend neuen Blüthen um mich aufsproßte, einzig zu besitzen. Wie so ganz riß sie mich hin in der zärtlichen Sorgfalt um die schönen Kinder des Hauses! Sie wußte sie unerschöpflich zu unterhalten, zu stillen, zu trösten. Ein lieblicher Knabe schlief gewöhnlich Abends auf ihrem Schoße ein. Wie oft konnte ich mich nur mit Mühe zurückhalten, nicht zu ihren Füßen zu sinken, anzurufen einen Hauch dieser himmlischen Liebes-Fülle für mein glühendes Herz. Mein Gefühl ergoß sich eines Abends in folgende Zeilen:


An der Treue Busen zu erwarmen,
Fest umschlossen von der Liebe Armen
Ist Dein holdes Loos, geliebtes Kind!
Schön'res kann kein Gott Dir reichen,
[203]
Wenn aus Myrthen und aus Lorber-Zweigen
Auch die Parze Deinen Faden spinnt.
Augen die in reiner Aether-Bläue
Mild verheißen Güte, Wahrheit, Treue,
Himmelskräfte wachen über Dir,
Deiner Zukunft Dämmrung zu erhellen,
Seyd der Schiffer auf den nächt'gen Wellen.
Seyd des Lebens holder Leitstern mir!

Ich überreichte sie ihr am Morgen, als ich sie allein mit Mathilden fand. Sie las, und eine zarte Röthe flog über die anmuthigen Wangen. »Ihre Fantasie hat Ihnen ein liebliches Bild vorgezaubert, lieber Lothar, sagte sie. Mit Vergnügen sehe ich Sie im Besitz dieses schönen Talents, das zum doppelten, ja tausendfachen Genuß des Lebens führt; denn ein Dichter kann alle Gaben der Erde und des Himmels sein eigen nennen.«

»Sprechen Sie nicht von meinem schwachen Talent, rief ich; dieses ist Ihrer nicht würdig, das fühle ich nur zu lebhaft; nur einen Blick werfen Sie in das Herz, dem diese Worte entquollen.«

[204] »Ich muß bei so etwas immer an Den denken, erwiederte sie, der uns das menschliche Leben in allen seinen Höhen und Tiefen vor die Seele stellt, der uns über seine Abgründe und heitern Auen mit sicherm Verstand und klarem Gefühl an Blumengewinden der Fantasie hinleitet, – den Shakespear.«

»Die Männer, die sich in die Gunst der Frauen hineinreimen, vernünfteln sich auch meist wieder her aus,« läßt er nicht eine seiner Frauen also sagen, Mathilde? – Mathilde lächelte; aber sie fühlte, wie der Schmerz mein ganzes Wesen durchzuckte, und sagte mildernd: »so sehr ich auch die Autorität des Allgewaltigen anerkenne, von dem »jeder Pfeil von der Sehne das Herz trifft«; so ist doch auch Nichts, selbst von ihm Nichts, allgemein anwendbar.

Die Gesellschaft zum Frühstück trat ein, und Marie barg mein Blättchen in ihrem Strickbeutel

Wie so tausend Pfeile hat das Leben gegen ein liebewundes Herz! doch war sie so sanft [205] und zarttröstend in ihrem Abweisen, daß kein Unmuth gegen sie aufkommen konnte. Mit zarter, beinahe mütterlicher Sorge wachte sie um meine Gesundheit unabläßlich, vor allem Schädlichen warnend. Nur wenn ich Hoffnung andeutete, antwortete sie mit einer schneidenden Kälte, die alle Blüthen mordete. Von ihr sich zu wenden vermochte mein Herz nicht, und die Leidenschaft preßte mit ihrer Tigerklaue die innere Kraft meines Lebens immer mehr zusammen.

Das Gespräch fiel eines Morgens auf meine Schweizerreise. Ein liebenswürdiger junger Engländer erbot sich zu meinem Gefährten. »Sie sollten dieses Anerbieten annehmen, sagte Marie, als er das Zimmer verlassen hatte. Es würde Ihre Freunde beruhigen, Sie als einen noch nicht ganz Genesenen in sichrer, treuer Umgebung zu wissen. – Sie selbst wünscht dich zu entfernen, drang es wie ein kalter Dolch in meinen Busen; denn der Engländer hatte seine Abreise auf den nächsten Tag angekündigt. [206] Ich ging zur Thüre und warf einen Blick auf sie, der all meinen Schmerz ausgesprochen haben muß. Ich warf mich auf den Rasen in einem verborgenen Winkel des Gartens hin und saß, in die Wogen des See's schauend, von dem frevelhaften Gedanken ergriffen, das schmerzliche Daseyn in der blauen Tiefe zu vernichten, das keine Gegenliebe finden konnte. Die Zweige bewegten sich hinter mir, und Marie stand da als ein Engel des Lebens, wie sie mir zuerst am Krankenlager erschienen war. »Guter Lothar, Sie haben meine Sorgfalt übelgedeutet; wie konnten Sie das? sagte sie mit weicher Stimme; lassen Sie uns doch als Freunde offen und harmonisch zusammen leben.« Sie faßte meine Hand: »Kein kleinliches Mißverstehen komme jemals zwischen uns; nie, nie möchte ich Sie verletzen!« – Ich lag zu ihren Füßen und verbarg mein glühendes Angesicht in den Falten ihres Kleides. »O Marie, Du bist so ganz ein höheres Wesen, daß ich sogar von Deinem Mitleiden leben kann; nur reiße mich nicht von Dir! [207] rief ich aus und wagte meinen Blick nach ihr zu erheben.

»Es freut mich ja innig, Sie um mich zu sehen, theurer Freund, sprachen ihre zarte Lippen; aber seyn Sie es nur mit Ruhe! Warum muß es denn eben dieses arme Herz seyn, das Sie mit Leidenschaft wünschen? Die Gewalt solcher Neigung ist mir nicht unbekannt; sie hat die Blüthe meines Glücks zerstört. Nun weiß ich, daß wir nach Glück der Erde nicht streben sollen, nur nach Ruhe, nach dem Frieden wohlthätig verlebter Tage, die sich an das Ewige anschließen. Wenn Sie mich wahrhaft lieben, so wünschen Sie nicht, mich von diesem Lebenspfad hinweg zu locken. So manches gute, noch ungebrochene Mädchen-Herz kann ja Ihre leidenschaftliche Neigung erwiedern! Ich kann es nie, darüber darf ich Sie nicht täuschen; denn Wahrheit gilt über Alles.

Düstre Gewitterwolken lagerten sich aufs neue vor dem blauen Aether, in den ich einen Blick gethan; doch war etwas so Weiches, so [208] Mitleiderregendes in ihrem Wesen, daß ich mich männlich faßte in der Frage: »aber meine theure Marie – wenn ich nun nicht ohne Sie leben kann, wenn Ihre Freundschaft mir mehr ist, als jede andere Liebe: könnten Sie Ihr Leben mit dem eines Mannes verbinden, dem Ihr Glück das Heiligste auf Erden seyn würde?«

»Nein, Lothar, sagte sie nach einigem Bedenken; nein, das wäre Täuschung; die Gluth Ihres jugendlichen Gefühles würde sich unbefriedigt finden. Kein reines Glück kann aus falschen Ansprüchen in einem Verhältnisse entstehen, wo nur Klarheit und Harmonie sicher gegen die Wogen des andrängenden äußern Lebens ankämpfen.«

»Lieben Sie einen Andern?« fragte ich heftig. – »Ich liebte und werde nie wieder lieben, sagte sie, und eine Wolke des tiefsten Schmerzes umzog das liebliche Gesicht. Schweigend gingen wir nach dem Schlosse zurück, ich hatte keine Worte. Als wir die Gesellschaft erblickten, wendete sie noch einen klaren Blick [209] auf mich, als habe sie ihr eigenes Leiden nur überwunden. »Nur das Unerreichbare reizt die Männer, sagte sie mit sanftem Lächeln; lieber Lothar, seyn Sie nicht auch so; so vielfache Pfade liegen ja vor Ihnen, sich des Daseyns zu erfreuen – Kunst, Ehre, Wissenschaft und die treue Freundschaft; verlangen Sie doch nicht wie ein eigenwilliges Kind gerade das versagte Spielzeug.« – Vergebens suchte sie mein Herz zu beschwichtigen! Als ein Schwindelnder, der den festen Standpunct auf der Erde nicht mehr fühlt, war ich bald zur Abreise entschlossen und ließ mich dann wieder von Tag zu Tag zu Wanderungen in der Umgegend mit ihr fortlocken, denn jeden Abend fühlte ich mich unvermögend mir zu sagen; es ist der letzte in ihrer Nähe.

So blühend war Alles um mich her, so ruhig wallte der See, die grüne Insel in seinem Schooße wiegend, die fernen Häupter der Gebirge abspiegelnd! Wenn Alles um uns her zum Genuß des Daseyns einladet, wenn die Schönheit der Welt uns tausendfach anlächelt: [210] dann fühlen wir den Stachel des innern Schmerzes am tiefsten. Am Ende werden wir sogar ungerecht. Die ungetheilte Heiterkeit der Menschenwelt wurde mir peinlich. Marien's immer klarer Sinn, die Gefälligkeit, mit der sie alle kleinen geselligen Freuden theilte, ja selbst erschuf, schien mir Leichtsinn, ihr unbefangenes Betragen gegen die Männer und die natürliche Entfaltung ihrer Liebenswürdigkeit, – Gefallsucht. Doch in allen Aeußerungen gegen sie bezwang sich mein Herz: denn in meinen besten Momenten mußte ich sie ehren, wie ich sie liebte. Ein tiefer Unmuth gegen Den, der sie um die Blüthen des Lebens gebracht, keimte in meiner Brust; – wie gerne hätte ich ihm gegenüber gestanden und um das peinliche Leben die Waffen gezogen, ihr zerstörtes Geschick zu rächen! –

Wir hatten den Abend auf der schönen Insel zugebracht, die so recht geschaffen scheint, ein glücklich liebendes Paar aufzunehmen in ihren Umschattungen, in ihren blühenden Wiesen [211] und unter ihren Weinlauben! Ich nahm ihren Arm beim Einschiffen und sagte: »ich träumte mir auf dieser glücklichen Insel das schönste Glück, das einem Sterblichen werden könnte, – Sie als mein, entfernt von der Welt als Fürstin der kleinen Einöde; aber ich träumte still, und Sie können nicht zürnen. Sie müssen mit mir zufrieden seyn; übermorgen werden Sie es ganz seyn; denn ich bin endlich zur Abreise entschlossen.« – »Der Herbst bringt Sie wieder zu uns, hoffe ich« sagte sie. Ich hielt ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen und Thränen. Auch sie war bewegt; ich fühlte es an dem leisen zitternden Druck ihrer Hand und dem stärker wallenden Busen. Ich steckte einen Ring an ihren Finger mit der Bitte: »tragen Sie dieses kleine Zeichen meines Andenkens; es ist ein Geschenk meiner Schwester, Ihrer nicht unwerth.« Sie beugte den Kopf beifällig und still.

Es war der letzte glückliche Moment meines [212] Lebens; mit magischen Banden hielt er die düstre öde Folgezeit umstrickt.

Ich schlief nicht und hörte gegen drei Uhr einen Wagen abfahren. Eine unglückliche Ahnung überfiel mich, ich würde sie nicht wiedersehen. Am frühen Morgen sendete mir Mathilde folgendes Billet, welches ich als ein Heiligthum, als das letzte Zeichen entflohener seeligen Zeit, immer bei mir trage:

»Besser ist's, lieber Lothar, ich entferne mich, als Sie. Bleiben Sie in der Sphäre des Antheils der Liebe unter unsern Freunden, bis Sie ganz hergestellt sind. Auch den edlen Gotthold werde ich Ihnen senden. Er kennt mein Herz und mein Geschick. Was Ihnen noch dunkel blieb, kann er lösen, wenn es Sie ruhiger machen kann; denn Ihre Ruhe liegt mir wahrhaft an der Seele. Ob ich gleich nie mehr glauben kann, daß eine Neigung unauslöschlich in einer männlichen Brust ist: so wird's mir doch wohlthätig seyn von Ihnen zu hören, daß Sie auf einem glücklichen Lebenspfad[213] wandeln, und daß mein Andenken frei von Schmerz und unbefriedigter Wünsche in Ihrer Seele steht.«

Lothar reichte Arthur'n das Blättchen hin, und dieser rief: »Mein Gott, welche wunderbare Aehnlichkeit mit Rosa's Handschrift! – nur daß die Züge freier und fester sind. Lassen Sie uns die Blätter vergleichen!« Er zog seinen Abschieds-Brief Rosa's hervor, und beide staunten mit hochschlagenden Herzen über diese Aehnlichkeit, aus denen der Zauberhauch süßer und wehmüthiger Erinnerungen sie immer magischer umwob. Beim längern Anschaun schien ihnen aber die Aehnlichkeit wieder zu verschwinden; und Arthur rief schmerzlich: »Ach! es ist nur der Zaubernebel der Liebe, der uns diese Erscheinung vorgaukelte. Ich läugne es nicht, schon während Ihrer Erzählung, in Ihrem Bild Mariens dämmerte solch' eine Ahnung in mir auf! Wir riefen die Geister entflohener, seeliger Stunden an; – nun können wir sie nicht wieder bannen; täuschend dringen sie auf uns [214] ein, uns die klare Besonnenheit raubend. Zu sehr muß ich überzeugt seyn durch all mein vergebliches Aufsuchen ihrer Spuren, daß Rosa dem Dringen ihrer Mutter nachgegeben – und hinter engen Klostermauern verschlossen ist. Vollenden Sie, theurer Freund! Sahen Sie Marien wirklich niemals wieder?

Niemals! sagte Lothar mit beklommener Brust und fuhr in seiner Erzählung also fort:

»Sie sind mir theuer empfohlen« sagte Mathilde, als ich Morgens in ihr Zimmer trat, und sogleich fiel unser Gespräch auf den Gegenstand, dessen unser Beider Herz voll war. »Nur zu gewiß bin ich, daß Mariens Entschluß unwiderruflich ist, sagte sie mit dem Blick sanfter Theilnahme. Ohne es Ihnen zu gestehen, suchte ich für Sie zu wirken. Durch Ihrer Schwester Liebe waren Sie mir von früher Jugend an werth, und Ihr Glück meinem Herzen nahe. Auch fühle ich, daß unsre holde Marie des Familienlebens bedarf, um ganz einig mit sich zu werden im wohlthätigen Daseyn für ein kleines [215] Ganzes, wo sie die Spuren ihres liebevollen Wirkens zu überschauen vermag. Ohne Haltung steht die Frau außer dieser Sphäre, ihre ganze innere Lebensfülle reibt sich in zerstörender Sehnsucht auf. O warum mußten Sie so tiefe Leidenschaftlichkeit zeigen, vor der sich ihr Herz verschließt! ihre Erfahrungen waren zu bitter!« Ich brachte zwei stille Tage mit Mathilden zu; sie hatte die Männer zu einer Jagdparthie veranlaßt; ich fühlte in ihrer zarten Sorge um mich, Mariens Wohlwollen.

Tausendfältig wogen wir die ganze Lage hin und her, immer blieb ihr Resultat, zu meinem Glücke, zu Mariens Ruhe müsse ich diese Leidenschaft aufgeben. Auch Gotthold kam als ein Bote des Friedens; er war ja von ihr gesendet! Er lud mich in seine Wohnung ein. Mit welchem zerreißenden Weh schied ich von den Räumen, wo mir ihr Bild aus allen, auch den kleinsten, Umgebungen aus Herz griff. Er wollte mich diesem Einflusse entziehen, kindlich folgte ich seiner Leitung. Sein Haus und das [216] umgebende Dorf lag in einer Bergschlucht, durch die sich ein Felsstrom zum See hinabriß. Eine alte treue Haushälterin machte seinen ganzen Haushalt aus; aber die Kinder, alle Rath-und Trost-Bedürftigen der ganzen Gegend strömten bei ihm aus und ein. Wie himmlisch erheitert kehrte er zu mir in die reich ausgestattete Büchersammlung zurück, wenn es ihm gelungen war ein leidendes Herz zu trösten, Uneinige zu versöhnen, einen Streit durch billige reine Ansicht zu schlichten, den Glauben Aller an die Verheißung des Ewigen zu stärken!

»Sie sehen, lieber junger Freund! sagte er eines Abends, als wir in dem kleinen Blumengarten saßen, dessen Pflege seine liebste Erholung war –, daß das Leben eines Mannes noch Werth haben kann, selbst wenn er mit gebrochnem Herzen lebt! ja wenn wir die Wege der ewigen Liebe deuten dürfen, wurde es gebrochen, nur daß es ein zärterer und innigerer Tröster würde, und alle Wellen der leidenden Menschheit leiser daran anschlügen. Hinter jenem [217] Hügel liegt das Grab des Weibes, das ich mit inniger Liebe umschloß – dessen Andenken ich die Einsamkeit meines Lebensweihe.«

Er erzählte mir nun seine rührende Geschichte, die ich Ihnen zu anderer Zeit mittheilen werde, sowie einige Predigten dieses trefflichen Mannes, auf dem fürwahr der Geist des Evangeliums ruht.

Mein Herz lag nun ganz offen vor ihm da in all seiner Schmerzens-Tiefe; ich hatte die Liebesfülle, die einst das seine durchglühte, empfunden! Alle von Berufsgeschäften freien Stunden weihte er mir, sprach von Mariens reinem himmlischen Gemüthe und drang sanft in mich, nicht meiner Liebe zu entsagen; »denn wer vermöchte dieses? sagte er; aber mit ihr leben zu lernen. Wir leben ja mit der Sonne, mit Mond und Sternen, erfreuen uns ihrer Schöne jeden Morgen und Abend. Sollte es nicht auch also seyn können mit einem hohen Bild menschlicher Schönheit?« Ueber Mariens Schicksale sagte er mir, »in der ersten glühenden Jugendempfindung, [218] der sie sich ganz und unbedingt hingegeben, sey sie durch Untreue so tief gekränkt worden, daß sie dem Tode, dem Wahnsinne nahe gewesen, und dann habe sie ein Gelübde gethan, als sie durch Gottes Hülfe sich selbst wieder gefunden, nie wieder eine Leidenschaft in sich aufkeimen zu lassen. Alles, was dahin ziele, erfülle sie mit einer eignen Bangigkeit; nur in ruhiger Sphäre der Wohlthätigkeit, der Freundschaft gleichgesinnter Menschen erhalte sich der Frieden ihres Herzens mit der Welt, und sein Vermögen sich auf's Ewige zu richten; ihr innigstes Bedürfen sey, diese Richtung immer lebendig in sich zu fühlen.«

Eines Abends trat Gotthold bewegter vor mich in den Garten. Sein Blick war tiefeindringend. Er faßte meine Hand und sagte: »es ist eine der peinlichsten Lagen, wenn wir nicht wissen, ob wir ein wundes Herz noch schmerzlicher berühren oder ihm Ruhe und Trost bringen? Ich schwanke eben, ob ich Ihnen ein Blättchen Mariens zeigen soll, welches ich heute[219] empfing. Mein Grundsatz ist, daß Wahrheit als das dem großen Gange der Natur Gemäßeste, ja als der innere Bestand derselben, immer in der Dauer am wohlthätigsten wirken müsse. Meiner Empfindungsart nach müssen Sie durch diese Zeilen genesen vom peinlichen irdischen Sehnen, welches Sie zerstört; lesen Sie – Kennen Sie ganz die Fülle himmlischer Liebe, die in diesem Herzen wohnt! Guter Jüngling; ich scheue mich einzugreifen in das zarte Gewebe dieses Gemüthes und Geschickes, kann nicht handeln, da wo ich selbst zweifelnd über das Bessere bin. Suchen Sie die Entscheidung in der eignen Brust.«

Er zog einen Brief Mariens aus seinem Busen, gab mir ein Blatt daraus und entfernte sich. Ich las folgendes: »Der Zustand des jungen Mannes bringt mich in die lebhafteste Unruhe. Ich frage mich selbst, ob ich zu dieser zerstörenden Leidenschaft Anlaß gegeben, ob meine Sorgfalt, mein herzliches Wohlmeinen für ihn, vielleicht eine Farbe annahm, die ihn täuschen mußte? In [220] meinem Herzen fühle ich mich frei; und doch lastet sein Sehnen und sein Schmerz auf mir wie ein innerer Vorwurf. Hülfreich jedem Leiden entgegenzukommen, lehrt mich meine Natur; seine innige Anhänglichkeit wob ein zärteres näheres Band daraus. Aber bewußt bin ich mir, jeder leidenschaftlichen Aeußerung immer abweisend begegnet zu haben, wie ich nach meinem Unvermögen, sie zu erwiedern, es mußte. Ach das Alles weckt ja nur alte Schmerzen wieder auf! Mathilde sagt mir, diese glühende Liebe verzehre seine Jugend, sein kaum wiedergeschenktes Leben. Mein Vater, Sie führten mich einem neuen Daseyn wieder zu, Sie rissen den nächtlichen Schleier hinweg vor dem halbgebrochenen Auge. Entscheiden Sie, soll ich mich ihm opfern? Ich bin's gewiß, kein Glück kann aus meinem Hingeben an seinen Wunsch erblühen, für mich und ihn nicht. Für mich? das ist die Frage nicht; denn alle irdischen Wünsche schweigen in meinem Busen. Aber für ihn? – Immer wird er sich allein und unbefriedigt [221] neben mir fühlen in seiner Liebe, und kein Frieden kann um uns wehen: Für ihn also entscheiden Sie, soll ich mich opfern?«

Ein tieferes Weh, als ich noch je gekannt, zerriß meine Brust; und doch mußte ich anbeten diese himmlische Milde und Hingebung. Gotthold fand mich so, aufgelöst in meinem Schmerz. »Mein Vater, Sie hatten recht, rief ich, ich bin geheilt. Nein, als ein Opfer will ich das edle Wesen nicht besitzen – nie, nie wieder einen Wunsch auf sie aussprechen.«

Er schloß mich an seine feste männliche Brust. – »Das habe ich erwartet, Lothar; und Gott sey Dank, der mich so lenkte!« – »Sagen Sie ihr, daß ich so schwach, so unwürdig Ihrer nicht bin, bis ich es selbst vermag.«

Als ein Einsamer, Heimathloser ging ich nun hinaus in die hoffnungslose Ferne. »Bei mir sollst Du immer eine Heimath des Herzens wieder finden, guter Jüngling! sagte mir Gotthold beim Abschied.« Der Trost stärkte mich, im Andenken des herrlichen Menschen zu bleiben, [222] und er folgte mir durch's Leben. Meiner sanft fühlenden Schwester wollte ich in diesem Zustande noch nicht unter die Augen treten, und ich suchte mir einen Aufenthalt am Genfer See. Die hohe ernste Natur des Landes, das ich durchzog, wo die Erde gleichsam ihre Riesenbrust entschleiert, indem sie ihr ewiges Leben in Quellen und Strömen ausgießt, erhob mich; aber da, wo sie Lieblichkeit und Fülle im Schooße der holden Thäler ausspendete, die in ihrem grünen Hügelkranz und klaren friedlichen Wasserspiegeln vor mir lagen, – da umfing mich mein unendliches Sehnen nach der Einzigen mit neuer Gewalt! Wissenschaft und Kunst gaben meinem Wesen einiges Gleichgewicht wieder; sie zogen mich in Verbindungen, aber die Menschenwelt sprach mich eigentlich nicht an, und Alles ging als graue kalte Schatten vor meinem Gemüth vorüber; Keinem wagte ich die Hand zu reichen; mir war, als würden die Gestalten vor mir zerrinnen, wenn ich's wagte, sie zu fassen.

[223] Ich schrieb Marien so ruhig besonnen als ich's vermochte; ich schrieb Gotthold, die Tiefe meines Herzens verbergend, um mich seiner Vatersorge nicht unwürdig zu zeigen. Ihre Antworten waren milde, theilnehmend, und an diesen Fäden zu ihr erhielt sich mein Leben. Nach einem Jahr lud mich Gotthold zu einer Zusammenkunft am Zürchersee ein. So warm ihm mein Herz entgegen schlug, so umschwebte doch eine düstere Ahnung meine Schritte. Nach der ersten süßen Verwirrung des Wiedersehens fühlte ich ihm eine große Verlegenheit an, und sein Blick ruhte mit Aengstlichkeit auf mir.

»Was ist geschehen, fragte ich, Theuerster? Sie verschließen etwas Unglückliches im Busen. Alles vermag ja der zu tragen, der nichts mehr hoffen kann. – Ist Marie todt!« – »Nein Lothar, sie lebt und wandelt fort auf ihrem stillen, friedlichen Pfad; aber es wird Dich schmerzen; deshalb mußte ich's Dir selbst verkünden, wie es kam und nicht anders werden [224] konnte – sie ist verheurathet!« – Der Blitzstrahl traf mein Herz; betäubt, vernichtet wagte ich lange nicht nach dem heitern Himmel der Freundschaft aufzuschauen, aus dem er herab fiel.

Sie habe sich einem biedern, wohlwollenden Manne ergeben, erfuhr ich, der nur eine treue Lebensgefährtin, eine liebevoll waltende Hausfrau und eine Mutter zweier Kinder für ihre verlorene, in ihr gesucht. Der Wunsch der Mutter, die Ansichten der Freunde haben sie endlich bestimmt, ja er selbst gestehe mir, habe ein sichtliches Walten der höhern Lenkung zu dieser Verbindung gesehen. Marie, wie sein eignes Herz, habe ihn gedrungen zu mir zu kommen; unsere Freunde wünschen, ich möchte mit ihm zu meiner Schwester reisen, mich den Meinen und dem öffentlichen Leben meines Vaterlandes wieder geben. »Ach auch mir wollte sie sich ja aus Mitleid hingeben, und nun ist sie dahin auf immer!« so rief ich an Gotthold's Herzen [225] aus, so klang es dumpf in meinem Innern unablässig wieder.

Ich faßte mich, ihr ein paar glückwünschende Zeilen zu schreiben, und folgte Gotthold's Rath wie ein willenloses Kind in den ersten Tagen. Ihr Bild stand nicht mehr im wolkenlosen Aether vor meiner Seele, da ich sie mir als die Gattin eines andern Mannes denken mußte. Unbestand, Laune gab ich auch ihr Schuld, Härte meinen Freunden, und selbst gegen Gotthold keimte eine Bitterkeit in meinem Innern auf, deren ich mich in besseren Momenten schämte.

Mit dem himmlischen Frieden seines Wesens, mit der immer gleichen Zartheit inniger Freundschaft trug er alles, und begleitete mich bis in die Arme meiner Schwester, die mir an einen kleinen Grenzort entgegen kam.

Eine geliebte Hand, die die verstimmten Saiten unseres Wesens berührt, gibt uns oft ein nur noch schmerzlicheres Gefühl unserer zerstörten innern Harmonie. Ihr Familienglück, das ich gerne mit all meinem eignen erkauft [226] hätte, riß dennoch alle Wunden meines Herzens auf; denn ich fühlte ein Gleiches für mich unerreichbar, und all meine unbefriedigten Wünsche, alle verblichenen süßen Jugendträume rief es mir in jedem Moment zurück. Ich floh allen Umgang; wenn mich eine weibliche Gestalt augenblicklich angezogen, drängte sich Mariens Bild vor sie, und das flüchtige Gefallen verkehrte sich in Widerwillen. Bald gab man den Sonderling auf, und ich fühlte den heitern Kreis meiner Schwester durch meine trübe Gestalt gestört. Zur Nachtseite des Lebens hatte sich das gekränkte Herz gekehrt durch düstere Leidenschaft, und ihr ganzes finsteres Gefolge hielt mich gebunden fern von Licht und Liebe. Ohne einen gewaltigen Ruf zu äußerer Thätigkeit weiß ich nicht, was aus mir hätte werden können. Der Krieg brach aus, ich kehrte in meine frühern Verhältnisse zurück, machte den Feldzug auf ehrenvolle Weise mit; aber im Getümmel der Schlachten, unter allen Anstrengungen des Geistes und Körpers, im Kreis muntrer Waffengefährten blieb mein Herz [227] sich gleich, voll Liebe und Sehnsucht nach ihr gerichtet. Gotthold's Antheil folgte meinem Leben; er bat mich dringend und herzlich, ihn nie in allen Gefahren ohne Nachricht zulassen. War es ein süßer Wahn? aber ich fühlte, daß er nicht allein für sich darum bat.

So verflossen Monden und Jahre. Ich ehrte ihr Verhältniß und schrieb ihr nicht mehr. Bald klagt sie mein Herz an um die verlorne Freude des Lebens, bald ruft es sie an als den höhern Genius desselben. In jeder andern Frau sehe ich nur eine Feindin meiner Ruhe. Alle Bella's sind mir verhaßt, keine Lina wage ich zu suchen. Einsam werde ich ins Alter treten, das nur umblüht von heitern Nachkommen sich immer frische Kränze der Hoffnung windet. Gern sehe ich über das Leben hinaus nach dem dunklen Jenseits, das mir in meines edlen Gotthold's gläubigem Sinne immer klärer wird.

Arthur faßte sehr bewegt Lothar's Hand mit den Worten: Dieses Trostes sind Sie würdig, denn Sie sind schuldlos. Auch wissen Sie [228] daß Ihre Geliebte in einer selbstgewählten Bestimmung nicht unglücklich ist. Mich führte das Schicksal auf weit härterem Weg.« Beide standen auf und gingen schweigend durch den Garten.

Der Vollmond wallte hinter dem Gebirge hervor im reinen Aetherblau.

Ueber einem großen Rasenplatz sprangen ihnen drei Kinder entgegen. Zwei ältere Knaben führten in ihrer Mitte ein kleines Mädchen.

Die Luft war vollkommen klar, und die schönen Kinder in zierlicher Kleidung traten als das schönste Bild aus dem einfachen Rasengrund hervor.

Das kleine Mädchen riß sich von den Knaben los, als sie den beiden Freunden nahe kamen, sprang auf sie zu und sah mit seinen großen blauen Augen einen um den andern an.

»Da, das schickt dir meine Mutter, sagte sie und gab Arthurn sein Bildniß, welches er einst Rosa zugeschickt am entscheidenden Tage ihrer Trennung. Hernach wendete sie sich zu [229] Lothar und gab ihm den Ring, welchen er Marien am letzten Abend ihres Zusammenseyns im Schiffe an den Finger gesteckt. »Mein Gott! was ist das für eine wunderbare Erscheinung?« riefen Beide aus. »Seyd ihr denn gute Geister, ihr holden Kinder, sagte Arthur, gesandt, uns das Siegel unseres Geschickes zu eröffnen!«

Eine anmuthige Frauengestalt trat aus dem Gebüsch hervor und näherte sich ihnen. – Rosa! Marie! riefen Arthur und Lothar und standen wie angefesselt an dem Boden. Eine Welt widerstrebender Gefühle und sich durchkreuzender Gedanken füllte Beider Seelen in diesem Moment; endlich stand die Freude, die Geliebte wiedergefunden zu haben, hoch im Zenith über allen Gewölken. Arthur lag zu ihren Füßen, Lothar drückte ihre Hand an sein Herz.

»Lassen Sie, meine Freunde, sagte sie, unser Wiederfinden wirklich das der durch's Leben geläuterten, bessern Geister seyn, hinter denen alle Schmerzen und Irrungen weit ab in der Dämmerung liegen. Sie müssen mir's verzeihen; [230] hinter der Leinwand jener gemalten Landschaft, dort zwischen den Felsen saß ich und hörte der Erzählung ihrer Geschichte zu. Ich hörte liebe, wohlbekannte Stimmen meinen Namen aussprechen. Konnte ich mich entfernen? hätte ich es gesollt?« – »O nein, nein!« riefen Beide. »Auch meine ich, es ist gut, daß ich es nicht that, fuhr sie fort, denn ich nähre die Hoffnung für zwei mir so werthe Menschen auch einen Faden aus dem Labyrinth schmerzlich verschlungener Gefühle zu finden. Die Natur hat mich geheilt. Indem ich mich nur dem Wohle Anderer zu ergeben dachte, habe ich selbst das reinste Glück gefunden. In still ergebener Achtung wurde ich die Frau des Herrn von Linden, und weihte mich der Pflege der zwei hoffnungsvollen Knaben. Sein edles Herz gewann bald das meine. Gott schenkte mir meine kleine Marie und mit ihr einen neuen, klaren, freien Sinn für's Leben und das Licht der Erkenntniß all seiner dunklen und heitern Pfade. Sie werden meinen Gemahl kennen lernen und fühlen, daß [231] man in der Nähe dieses edlen, immer klaren und festen Wesens nur frei und glücklich seyn kann. Er wird auch Sie gerne näher kennen lernen; denn nichts, was mein Herz in sich trug, blieb ihm fremd. Ja, ich rechne darauf, Sie verlassen uns nicht sobald wieder.

Kaum waren sie in einen kleinen einfach verzierten Gartensaal getreten, als man der Hausfrau die Rückkunft des Herrn anmeldete. Sie ließ die Kinder bei den Freunden und eilte ihm entgegen. Die offenen, liebenswürdigen, wißbegierigen Kinder waren zu geschäftig, die Fremden zu unterhalten, als daß diese sich dem Eindruck der neuen sonderbaren Lage hingeben konnten. Die kleine Marie zeigte besondere Anhänglichkeit an Arthur und führte ihn die Blumenbeete hinab, durch die sich ein breiter Weg zur Stiege des Wohnhauses hinzog. Lothar folgte mit den Knaben, und bald sahen sie das geliebte Weib am Arme ihres Gemahles aus der Thür des Hauses treten.

Linden war von hoher edler Gestalt und [232] sehr einfachem, offenem Wesen. Er begrüßte Beide als längst bekannte Personen. Die Dämmerung, die der Mondschein und die schwache Beleuchtung vom Gartensaal her über das erste Zusammentreffen verbreitete, war vielleicht einem Jeden willkommen.

»Laß uns zu Tische gehen, liebe Rosa, sagte Linden.« Sie nahm Arthurs Arm. »Im Glück nahm ich meiner Jugend Namen wieder an, sagte sie; früher vermochte ich es nicht, ihn aussprechen zu hören.« –

»O Rosa, erwiederte Arthur, Sie haben heute viel von dem Leiden erfahren, das eine unseelige Verirrung erzeugte; aber nie vermag ich es ganz auszusprechen.«

»Die Blüthen des Frühlings fallen im Sturmwind ab, der über die Blätter-bedeckten Früchte des Sommers nur hinstreift, sagte sie sanft. Wenn wir Liebesglück als das einzige Ziel unseres Daseyns ansehen, und es ins Unendliche rücken, sind wir natürlich ungerecht gegen den Gegenstand unserer Liebe, der der Endlichkeit [233] angehört, wie wir selbst. Nicht ohne ein leises Gefühl der Schuld einer vielleicht übermäßigen Empfindlichkeit habe ich Ihnen heute zugehört.«

Sie traten in den Gartensaal, wo sie schon einige Hausgenossen versammelt fanden. Man setzte sich; neben Lothar blieb ein leerer Platz. Die Unterhaltung war schon durch Linden auf eine heitere Art angeknüpft, als eine wohlgefällige Frauengestalt in Trauerkleidern den unbesetzten Platz einnahm.

Wie wir eine wohlbekannte liebe Gestalt, die uns aus der Ferne entgegen kommt, mehr ahnen und fühlen, als klar anschaun: so war es Lothar neben seiner Nachbarin zu Muthe. Schlummernde Erinnerungen wurden ihm im Herzen wach. Aus dem sanften bleichen Gesicht, in der Beugung des schlanken Halses, der sich aus dem Trauerflor hob, drang eine Erscheinung seiner Vergangenheit zauberisch hervor. Lina's Bild in der Jugendblüthe und Fülle ging ihm in der Seele auf; doch vermochte er es [234] nicht festzuhalten, nicht mit diesen Zügen zu verschmelzen, die ihn so mächtig ergriffen. Jetzt hob sich ihr Blick aus der Umschattung der gesenkten Augenwimpern, fiel auf ihn, und der Zweifel schwand immer mehr. Auch ihr Blick hatte auf eine alte Erinnerung getroffen und senkte sich nachdenklich nieder.

Rosa hatte Alles mit sanftem Lächeln betrachtet und flüsterte ihm zu: »es ist Lina!« Lothar wagte nicht, die holde Erscheinung, die ihm nur im reinen Element der Töne und der stillen Anschauung begegnet war, mit Worten zu begrüßen; er saß schweigend, aber höchst bewegt neben ihr. Man sprach von Planen, um die Neuangekommenen mit der Gegend bekannt zu machen. Linden fragte Lina, ob sie sich wohl genug fühle, die Gesellschaft zu begleiten? – »Unsre Freundin, fiel Rosa ein, ist von einem tiefen, herben Schmerz noch sehr angegriffen. Vor sechs Monden verlor sie ihren geliebten Mann, und uns Alle traf mit ihr ein unersetzlicher Verlust. Er war uns ein treuer, liebenswürdiger [235] Freund, Linden der einsichtsvolleste Gehülfe in seinen Geschäften.« – Große Thränen rollten über Lina's Wangen; aber dankbar ruhte ihr Blick auf Rosa für das ehrenvolle zärtliche Andenken an ihren theuren Todten. – »Jeder Tag muß sich bei uns mit Gesang schließen, um harmonisch wieder zu beginnen,« sagte Rosa. Linden setzte sich sogleich an den Flügel und intonirte mit schöner Baßstimme einen vierstimmigen Gesang. Lina sang die Sopranparthie, Rosa's Stimme hatte sich zum reinsten Alt ausgebildet, und der Hauslehrer sang einen guten Tenor. Alle Stimmen unterstützten sich vollkommen, und in den Wellen dieser Harmonie löste sich jeder leise Nachklang schmerzlicher Bewegung in den beiden Freunden auf. In Lothar flammte sogar ein Hauch der Hoffnung. Angeregt von den beiden süßen Stimmen schwebten alle alten Bilder der Liebe und Sehnsucht seiner Seele vorüber, und er fühlte den Muth sie neu zu ergreifen.

Der Gang des Hauslebens war still und [236] regelmäßig; nichts Anmuthiges fehlte, nichts Ueberflüssiges störte.

Die drei Männer begegneten sich im freien, offnen Sinn, in ihren Ansichten de öffentlichen Lebens und der großen Weltverhältnisse – das schönste Band des männlichen Umganges. Linden sprach mit Kraft und Klarheit, seine Thätigkeit war höchst zweckmäßig und würdig. Sein edler Wille, seine helle Einsicht hatte ihm in öffentlichen Geschäften Achtung erworben, aber Kurzsinn und Eigennutz scheuten seine Geistesfreiheit und umstrickten bald seinen Wirkungskreis. Kleinliches Abfinden mit Beschränktheit und dem irren Willen der Mächtigen lag nicht in seiner Art, und er zog sich zurück.

»Zu jedem Opfer für den Staat bin ich bereit, nur zu dem meiner bessern Ueberzeugung nicht, sagte er; und bis ich auf diese Weise wirken kann, glaube ich meine Tage nicht nutzlos hinzubringen, in dem ich nach jeder Richtung mit mir selbst fertig zu werden suche und meinen Nachkommen einen gleichen Lebensweg [237] bereite. Mich dünkt, wenn ein Jeder dieses Ziel ins Auge faßte, würde sich das Ganze allmählig von selbst ordnen!« – Rosa war ganz eines Sinnes mit ihrem Gemahl; fern von allem Streben nach eitlem Schein herrschte Behaglichkeit und Zierlichkeit in ihrem Hause, gleichwie die Grazien in ihrem Umgang. Alles Gute und Verständige schloß sich ihrem Kreise an.

Zwischen Lothar und Lina webte sich ein zartes Verhältniß, das bald die Sprache herzlicher Freundschaft gewann. Beide erinnerten sich gern im Scherz ihrer frühern Bekanntschaft im zarteren Element der Tonwelt. Sie mußte ihre Guitarre zum Gesang wieder vorsuchen; Lothar begleitete sie, wie ehemals unsichtbar, mit seiner Flöte. Sie sangen und spielten die Lieder jener Zeit, und in den alten Tönen fanden ihre Herzen auch die alten Gefühle wieder. Nur Lina's Trauer hielt Lothar's Neigung in eignem Busen verschlossen. Seine Dichtung und die sie begleitenden Frühlingsblumen hatte Lina unter ihren liebsten Zeichen des Andenkens aufbewahrt,[238] – ja sie hatte Rosa gestanden, daß, wäre ihr Herz damals nicht von Liebe für den nun verlornen Gatten erfüllt gewesen, so würde die zarte Neigung des Jünglings wahrscheinlich nicht ohne Erwiederung geblieben seyn.

Die drei Männer waren am Morgen der Abreise in Linden's Arbeitszimmer vereint. Sie standen am Gartenfenster und sahen Rosa mit den Kindern unter den Blumenbeeten und Fruchtbäumen, geschäftig Früchte zu pflücken und sie in kleine Körbe für die Abreisenden zu ordnen. Linden faßte Beider Hände und sagte mit einer an ihm noch nie wahrgenommenen Bewegung: »Gönnen Sie mir mein Glück?« – Beide bekannten mit wahrem Gefühle der Achtung, Er sey Rosa's werther als sie selbst. –

»Nur mein günstiges Geschick, oder was wir im ernsten Augenblick besser als die Leitung einer höhern Macht empfinden, führte mich ihr zu rechter Zeit zu.«

»Diese hohe, reine Seele konnte sich nur in der Mütterlichkeit vollkommen entfalten und [239] selbst verstehen lernen. Der Tod hatte mir mein edles Weib von der Seite gerissen – er führte sie zu einem anmuthigen Frauenbild – nur die Sorge um meine Kinder hielt mich aufrecht in der ermattenden Arbeit des Lebens. Eine leise Aehnlichkeit Rosa's mit diesen Zügen flößte mir zuerst Vertrauen in sie ein, das wundersam schnell zu dem Entschluß heranwuchs, ihr meine Hand anzubieten. Ich hatte einen klaren Blick in das schöne Herz gethan, da ich frei von Leidenschaft war. Wir theilten uns beiden unsre Vergangenheit mit, und im reinen Vertrauen auf Wahrheit und Natur schlossen wir den Bund, den Gott mit der seeligsten Eintracht segnete, Rosa ist glücklich, in so fern wir Menschen dieses Wort aussprechen dürfen. Es darf Sie Beide nicht kränken; aber ich wähne, Ihre glühende Leidenschaft hätte die Blüthen des sanften Herzens vielleicht versengt, die im milden Hauch ruhiger Neigung das schönste Gedeihen fanden.« –

»Sie haben mir den innern Frieden in Rosa's [240] Glück wiedergegeben, edler Mann, sagte Arthur. – Der Stachel des Vorwurfs ist aus meinem Busen gerissen, rein und voll schlagen die Töne des Lebens wieder in ihm an.«

Alle drei waren höchst bewegt und fühlten sich innig verbunden.

»Ist's erlaubt, zu Allgemeinheiten überzugehen, auf Momente, die unser Innerstes so tief anregten, fuhr Linden fort, so muß ich Ihnen sagen, theure Freunde, mir scheint's, als wollten wir bald zu viel, bald zu wenig von den Frauen. Jedes Uebermaaß ist für die Dauer unhaltbar und erzeugt nur Täuschungen und Schmerzen. Für wohlwollende und wahrhafte Menschen gibt es immer einen Pfad zum Eheglück. Wir stehen erst fest und sicher im Leben in diesem schützenden Garten; denn den Weiberherzen ist die ewige Fülle und das ewig sich verjüngende Leben der Natur anvertraut, dessen wechselnde Blüthen uns erfrischen; ohne sie verlieren wir uns in grenzenloser Ferne oder vertrocknen auf dem öden Felsen des Egoismus. [241] Sich anerkannt fühlen in ihrer innigsten Natur, das ist das Geheimniß des weiblichen Glückes, und wo dieß dem Hause fehlt, da verdorren alle Blüthen. Trockene Pflicht kann es im Aeußern zusammenhalten, dem Gemüth die Ruhe der Tugend gewähren, aber das Himmelslicht fehlt und die Blumengewinde der Freude. Ehre und Zartheit, die zur Religion gebildeter Menschen gehören, müssen der zarten Blume Schutz und Schatten in allen Stürmen geben. Für Sie, mein Lothar, sehe ich schon einen freundlichen Pfad sich eröffnen. Das Glück kann Ihnen werden, Lina mit treuer schützender Freundes-Hand durch's Leben zu leiten, und in der Sorgfalt für ihr Kind, ihr Herz, mit den engsten Banden der Dankbarkeit und Liebe für immer an sich zu schließen. Auch unserm Arthur erscheint vielleicht noch ein holdes Glück. Ich fühle, wie schwer es dem seyn muß, der eine liebende Rosa gekannt hat, eine neue Erscheinung in sich aufzunehmen.« – Wir wollen die dunkle Hülle vor der Pforte der Zukunft nicht berühren, [242] erwiederte Arthur; glücklich ist der immer zu nennen, der mit befreitem Herzen an ihrer Schwelle steht!« –

Rosa kam und warf den Rosenschleier der Hoffnung über die ernsten Momente des Scheidens, durchwirkt mit freundlichen Planen und Bildern des Wiedersehns. Ihr Herz schwoll in inniger Zufriedenheit, daß aus seiner Liebeskraft eine feste edle Männerfreundschaft emporblühte.

»Nur aus dieser entspringt alles wahrhaft Schöne und Hohe des Lebens, sagte sie; sie veredelt alle Verhältnisse und war von jeher die Quelle großer unsterblicher Thaten.«

Sie blieben vereint. Lothar wurde Lina's glücklicher Gatte. Arthur weihte sein ganzes Daseyn Rosa's Familienkreise, wirkte bildend und liebevoll sorgend auf das Schicksal der Kinder, die ihn wie einen zweiten Vater ehrten und liebten.

[243][245]

Walther und Nanny

[245] [247]Bildung der Natur

In einem stillen Thale der Schweiz lebten zwey Familien durch die engste Freundschaft verbunden. Nie hatten sie sich um irgend eine Ehrenstelle in ihrer kleinen Staatsverfassung entzweit, nie über irgend einen Vortheil gestritten. Manche Sagen von der Eintracht der Väter, von glücklich bestandener Gefahr auf den stürmischen Seen, auf der Gemsenjagd, in den Eisgebirgen, gingen von Munde zu Munde, ja sogar wie sie vor den Thronen der Könige vereint in unverbrüchlicher Treue gestanden. Innig verwebt sich die Verbindung der Väter ins ganze Wesen und Leben der Geschlechter.

[247] An zwei schroffen Felsen, gleich wie durch einen Waldstrom, der sich aus den höhern Gebirgen ergoß, aus einander gerissen, lagen die einfachen, doch bequemen Wohnungen gegen einander über. Die Väter konnten sich am Morgen die politischen Neuigkeiten aus den Fenstern zurufen, die Mütterchen die Begebenheiten der Wirthschaft, und die Jugend ihre Plane zu kleinen Freuden und Lustparthien.

Wollten sie zu einander kommen, so mußten sie tiefer ins Thal über die hölzerne Brücke, von der sich die herrlichste Landschaft vor ihrem Auge enthüllte. Die klare Fluth des Sees von lieblichen grünen Gebirgen umgeben, die sich in blauen Fernen verloren, aus denen die große Felsenkette emporstieg mit ihren Kronen von ewigem Eise, welche diese glücklichen Thäler so lange der Eroberungssucht verschloß.

Die Kinder beider Familien erwuchsen in holder Vertraulichkeit. Unbekannt mit allen feinern Künsten des Lebens, die dem jungen Verstand Resultate früher als Erfahrungen, [248] Begierden früher als Empfindungen geben, bildeten diese Kinder in stiller Verschlossenheit ihre ganze eigne Kraft in gerader Richtung aus. In ahnungsvoller Dunkelheit lag das Leben vor ihren energischen Seelen, die in schöner angeborner Dichtungskrast eine geheimnißvolle Hoheit hineinlegten, der Widerschein ihres eignen kräftigen Wesens.

Walther, der älteste Sohn des einen Hauses, träumte nur von den Thaten Tells, Winkelrieds und den andern Helden seines Landes. Wenn er zwischen den Felsentrümern unter den stürmenden Tannen ging, wenn die Wälder und die Bergströme um ihn her braußten; dann hörte er das Getöse der Schlacht, das Klirren der Waffen.

Mit nicht minder Treue stand er den Sorgen für die Heerde und dem kleinen Feldbau vor. Alles wurde ihm zum Gegenstand der Liebe, was nur eine gefällige Form und Seite hatte, und seine Liebe war zart, feurig, und belebend. Was er umfaßt hatte, pflegte er mit [249] inniger Sorge, und bewahrte mit Treue, mit einer Art von edlem Stolz, beinah mehr als geschehe es um der Treue gegen sich selbst, als um des Gegenstandes willen, alles am Herzen, was er einmal sein genannt. Er bedürfe nichts als der schönen Anwendung seiner Kräfte, er sey in voller Stärke sich selbst genug, so schien es; aber heimlich und still weidete sich seine Seele an den leisesten Zeichen des Wohlwollens und der Ergebenheit, und litt eben so von Kränkungen, die auf einen Mangel der Liebe deuteten. Er hatte keine Worte für diese Gefühle, beinah keine Zeichen, um sie seinem Gedächtniß anzuvertrauen. Nur ein ernsterer Rückblick auf sich selbst war ihre Frucht, die Sehnsucht nach einer reineren Liebe, die zu tragen vermochte ohne zu begehren.

Walther trug einen berühmten Namen, der sich von jeher im Dienst ausgezeichnet hatte. Sein Vater verwaltete die kleinen Güter der Familie. Anfangs hatte er sich diesem Geschäft aus Liebe und Ehrfurcht gegen seinen ältern [250] Bruder unterzogen, der im ***schen Dienst eine bedeutende Rolle spielte, und einem schnellen Glück entgegen ging; später band ihn die Liebe einer treflichen Frau, und hoffnungsvolle Kinder an den väterlichen Heerd.

Walther sollte die Bahn des Oheims betreten, so wünschte sein Vater, und so heischte sein hochstrebender Muth.

Nanny war die älteste Tochter des andern Hauses. Das Vertrauen der Eltern und die Sorge für ihre jüngeren Geschwister bildeten ihren Verstand zum frühen Nachdenken. Eine reiche Natur, fähig sich nach allen Seiten auszubreiten, und in holder Einheit auf sich selbst zu ruhen, zeigte sich jedem forschenden Auge in dem Mädchen; aber auch der ungeübtere Blick fand in ihr ein liebenswürdiges, sanftes Kind.

Nanny's Liebe war unaussprechlich zart und gewaltig, ihre Gedult war Stärke, und der sanfte weibliche Reiz, die holdeste Schüchternheit war wie von einer allbelebenden Flamme des [251] Geistes umleuchtet, die eine Welt schlafender Kräfte und Fähigkeiten ahnen ließ.

Sie war die Freude des Städtchens, und wenn Nanny mit ihren zwei jüngern Schwestern sittsam gekleidet zur Kirche gieng, harr'ten die ältesten Bürger mit Vergnügen auf einen Strahl dieser hellen Augen, auf ein freundliches Beugen dieses schönen Hauptes, das einen Marmor-Nacken entfaltete.

Mehrere Männer, die sich aus der großen Welt wieder in die heilige Freistaat ihrer Gebirge geflüchtet hatten, bewunderten die Grazien dieser einfachen Natur, und fanden, daß Nanny alles vereine, wonach oft die Kunst der Weltfrauen vergebens strebt.

Eine Fülle des Wohlseyns und der Liebe lebte und webte um das Mädchen her. Ein geheimnißvoller Schauer des neuen frischen Lebens, gleich wie beim ersten Hauche der Frühlingsluft, ergriff selbst jeden kalten erstorbenen Busen.

Bei allen ländlichen Arbeiten, die jenen [252] einfachen Menschen zum Fest werden, beim Tanz und frohen Spiel, waren Walther und Nanny vereint. Bescheiden traten alle Gespielen zurück, wenn sie einher kamen, beide wurden von allen verehrt und geliebt, und nur eins des andern würdig gefunden.

Die innige tiefe Anneigung ihrer Naturen blieb ihnen selbst verborgen, da keine Sehnsucht ihnen die Gewalt des Verlangens zeigte.

Wenn Nanny mit Walthern in den Reihen der raschen Tänzer hinflog, und ihr Auge in das seine blickte, dann fühlte sie wohl eine unerkannte Tiefe ihres eignen Seyns, eine Fülle der Kraft und der Klarheit über ihr Wesen und seine Bestimmung. Zitternd flog sie beim Ende des Tanzes aus seinen Armen und ihr gesenkter Blick wagte kaum sich nach dem seinen zu erheben, der offen und gefällig auf ihrer blühenden Schönheit ruhte.

Im reinen Wohlgefallen, im innigen Wohlwollen gegen das liebe Geschöpf, fühlte Walther alle noch schlafende Kraft seines Wesens mächtig [253] erweckt. Er faßte ihre Hand und schwieg, und nahm endlich die Bilder seiner Helden aus der grauen Vorzeit zu Hülfe, um den Flammen seines Busens Luft zu machen. Er erzählte von gewonnenen Schlachten, und von der Kraft, mit der die Urväter um die goldne Freiheit gerungen.

Mit glühendem Blick, mit bebender Brust hörte Nanny die einfachen heiligen Sagen und Geschichten aus Walthers Munde. Er selbst erschien ihr stark und gewaltig wie eine der mächtigen Gestalten der Vorwelt.

Ein Weltmann

Robert von N., Walthers Oheim, veränderte durch seine Ankunft den einfachen Lebenskreis beider Familien in gewissen Dingen. Schon die Ansicht seines Wesens war eine ganz neue Erscheinung für die jungen Gemüther.

Ritter Robert hatte sich aus dem Dienst zurückgezogen, und richtete sich einen Wohnplatz [254] auf einem der lieblichen Hügel ein, die den See umkränzen. Sein Haus war geschmackvoll, mit Kunstschätzen geschmückt, und zeichnete sich mit seinem neuangelegten Garten unter allen übrigen Wohnungen aus, die nur auf die nothwendigsten Bedürfnisse eingerichtet waren.

Die Matronen und Töchter des Oertchens, die er zuweilen einlud, konnten des Wunderns und Lobens kein Ende finden, während die Väter und Söhne sich mit gutmüthigem Spotte bei Ritter Robert nach dem Nutzen und Gebrauch des zierlichen Hausraths erkundigten.

Der Ruf von Roberts ausgezeichneter Tapferkeit, das Zeichen des Verdienstes an seiner Brust, erhielt ihm die allgemeine Achtung, so sehr sich auch seine ganze Art und Lebensweise von den gangbaren Gewohnheiten und Begriffen entfernte. Sein Urtheil galt sogar in zweifelhaften Staatsfällen oft als Entscheidung. Seine Beredsamkeit, die Klarheit, mit der er den weiten Gesichtskreis der politischen Lagen vorzulegen wußte, räumte ihm eine unläugbare [255] Herrschaft über die Gemüther seiner Landsleute ein, welche Begebenheiten und Verhältnisse stark, aber einseitig und verworren empfanden.

Walther wurde bekannt mit allen Künsten der Verfeinerung durch den Charakter, das Haus und die Lebensweise seines Oheims. Die Schätze des Wissens und der Kunst faßte er lebhaft und mit der hohen Einfalt seines Sinnes. Nach jedem neuen Organ für die Kraft seines Geistes, nach jeder Bereicherung seines innern Vermögens war er begierig bis zur Lüsternheit; aber alles äußere Besitzthum reizte ihn wenig, vielmehr freute er sich der Stärke seines Gemüths, so vieles entbehren zu können. Der erwachende Schönheitssinn ist in starken gehaltvollen Männern reich genug, um sich ganz aus sich selbst zu nähren; äußere Eindrücke gleiten daran ab. Walther warf sich, wenn er aus der Behausung seines Oheims kam, mit Freuden auf seinen altmodischen Sessel, und athmete die Kühlung des Abends durch sein enges Fenster, um ihn schwebten die hohen Erscheinungen [256] seiner Helden, ein Blick der Liebe glänzte ihm aus dem Abendstern entgegen.

Nur alles, was einfach, gerade zum Zweck führend war, das wünschte Walther, und suchte es in dem Hause seines Vaters anzubringen.

Anders wirkte der Anblick des Feinen, des Zierlichen auf Nanny. Des Ritters allgemein bewunderte Gestalt rührte sie nicht, und sein Betragen mißfiel ihr sogar; aber sie fühlte sich reger, vielseitiger bewegt in seinen geschmackvollen Zimmern, wußte allen seinen Hausrath geschickt zu brauchen, den die andern Mädchen kaum anzurühren wagten, und war unter den annehmlichen eleganten Formen wie in ihrem eignen Element. Wenn sie nach Hause kam, fühlte sie ein momentanes Unbehagen, das sie nur aus Liebe und Schonung für ihre Mutter unterdrückte, und das im nächsten Augenblicke im Kreise ihrer gewohnten Beschäftigungen oder in einem holden Traum von Walthern verschwand.

[257]

Liebe und Kampf

Ritter Robert hatte seinem Neffen eine vortheilhafte Stelle im Dienst verschafft; die Zeit war gekommen, wo Walther zu seinem Regiment abgehen sollte. Sein Herz glühte nach Ehre, glühte voll Muth, das Glück der Waffen zu versuchen, aber mit tiefer Rührung dachte er an den Abschied von seinen Eltern, an die Trennung von der Gegend, wo sich die heiligen Träume seiner Jugend gebildet hatten. Ueber Nannys Gestalt lags wie ein Schleier in seiner Seele, den er nicht zu berühren wagte, aber aus der Dämmerung jedes grünen Thales, aus jeder sonnigten Aue, über der blauen Fluth des Sees schwebte Nanny's Bild ihm entgegen und sagte: auch mich willst du verlassen!

Von seinem Oheim hatte Walther einige Klugheitslehren gegen eine allzufrühe Verbindung vernommen, deren Richtigkeit er, in seinen Verhältnissen, empfand. Er kannte auch die ganze Gewalt seiner Wünsche noch nicht. [258] Nie vermochte er es mit Nanny von seiner Abreise zu sprechen; so oft er's versuchte, entgieng ihm der Athem, und seine Worte lösten sich in Seufzer auf. Seine unsichre Lage, vor allem die Sorge, Nanny in drückende Verhältnisse zu ziehen, bekämpften das Verlangen nach ihrer Liebe in seinem Busen.

Ich will gehen, und wenn ihre Wünsche den meinigen begegnen, so hat sie meine Seele verstanden, so finde ich sie unverheurathet wieder! So war sein Entschluß, der bei jedem Blick in Nannys Augen in liebeglühender Sehnsucht zerrann.

Er konnte es in diesem Zustand nicht aushalten neben ihr zu leben, und brachte die Zeit bis zu seiner Abreise auf kleinen Wanderschaften in den Gebirgen zu. Noch einmal wollte er die großen ernsten Schönheiten seines Landes, wie den Geist seiner Urväter in alle Tiefen seiner Seele aufnehmen.

Welch heilige Gewalt der Natur, die den Menschen sich selbst und seiner angebornen [259] Kraft wieder giebt, beseelt jene Formen! Der Geist der Einfalt und Ruhe haucht seinen Segen über die grünen Thäler im Schooß der unersteiglichen Felsen, und der Muth, nur sich selbst anzugehören, jeden Druck menschlicher Gewalt von dem starken Nacken abzuwerfen, rinnt unaufhaltbar und lauter durch die Brust, wie die Ströme aus dem Busen der himmelanstrebenden Felsen. Der Charakter der Natur stempelt die Gemüther hier zur einfachen festen Form, und die Freiheit ist das natürliche Verhältniß einfacher kräftiger Menschen!

Walther stand an dem Fels, wo die drei Verschwornen gestanden; er fühlte sein Innres entglüht zu einer Kraft, die allem zu begegnen vermag, und sein Gelübde in seiner eignen Seele war: in edler Einfalt und Glauben die Bahn der Väter, und den heiligen Tod für die Freiheit zu wählen.

Nannys Andenken begleitete seine höchsten Empfindungen, die edle große Gestalt entflammte den Muth, statt das Herz zur Weichlichkeit [260] herabzuziehen. Der Nacken muß sich nie zur Sklaverey beugen, der es werth seyn soll von dem holden Arm umschlossen zu werden, sprach Walther im tiefsten Herzen. Im regen Gefühl seiner Kraft, das ihn über die Höhen und Tiefen des Lebens erhob, nahm auch seine Neigung einen neuen Schwung.

Ihr ewigen Mauern der Natur bleibt fest und unversehrt, sagte Walther, indem sein Auge zum Scheitel des Berges empor sah, über dem das reine Aetherblau wallte; die Natur legte selbst den Zirkel der Einfalt in unsere Gemüther, wie diese ewige Berge um unsern Gesichtskreis. Stärke und Arbeitsamkeit erhält unsern Muth. Getrennt von dem Lauf der übrigen Welt und den Bedürfnissen, die nur ein Gefühl des immerwährenden Mangels erzeugen, labt uns die Fülle in der Einfalt und Armuth. Freiheit und Liebe ist das erste für eine gesunde Seele, ihr unentbehrlich, wie die Luft dem Athem, wie dem Auge das Licht. Wenn ich Nannys Herz frei wieder finde, mein Leben [261] mit dem ihrigen vereint dahinfließt, ein kleines Besitzthum durch meinen Fleiß angebaut, uns ernährt....

Walther verlor sich in lieblichen Hoffnungen; Nanny schwebte vor ihm wie eine beglückende Göttergestalt. Er beschloß zu schweigen, zu kämpfen, und seine edle Liebe, sein ganz hingegebenes Herz fragte weniger ängstlich, wie solch ein Glück zu erreichen, als wie es zu verdienen sey?

In dieser Stimmung kehrte er zurück. Als sein kleiner Nachen am Abend in die klare Fluth zwischen den grünenden Ufern einfuhr, erblickte er durch den Schatten der hohen Eschen hindurch die Wiese mit der ganzen Jugend des Oertchens bevölkert. Jünglinge und Mädchen zogen ihm fröhlich entgegen, um ihn mit Musik zum Tanzplatz zu begleiten, wo ein kleines Abschiedsfest für ihn bereitet war.

Nur Nannys Auge war trübe, als sie bei ihm vorbeizog. Ihr leichter Nymphenschritt [262] schien gefesselt, und eine ungewöhnliche Mattigkeit hemmte ihre Bewegungen.

Es war die Trauer hoffnungsloser Liebe, die diese reine starke Natur ergriffen und die sich, durch innern Widerstand nur höher gereizt, auf alle Lebens-Organe, gleich einer schmerzlichen Krankheit, warf. Kein schweres Gefühl hatte noch den Lauf des jugendlichen Blutes gehemmt, und der erste Kampf des Herzens, der es aufhielt, drohte dem ganzen Wesen Zerstörung.

Das bescheidene Zurückweichen der übrigen Jugend vereinigte auch jezt Walthern und Nanny zum Tanz.

Der erzwungene Ausdruck der Fröhlichkeit und der seelenzerreißende Schmerz war in der einfachen schönen Natur unverkennbar. Alle Lebensbande drohten mehr als einmal sich in starrer Ohnmacht aufzulösen, aber die Mädchenschüchternheit, die Furcht ihr Geheimniß zu verrathen, geboten eine gewaltsame krampfhafte Anstrengung.

[263] Der ganze jugendliche Kreis bemerkte Nannys Veränderung: Walthern nagte sie am Herzen, und doch flüsterte eine süße Stimme in seinem Innern: ach, ist's um dich?

Walthers Oheim schien die Deutung des Geheimnisses zu verstehen. Stets hatte er Nanny allen übrigen Mädchen vorgezogen, und ihr Zustand verdoppelte seinen Antheil. Mit sanften Bitten nöthigte er sie, sich während der allzuraschen Tänze neben ihn zu setzen. Nanny scheute seinen Blick, ihr dunkles Auge ruhte am Boden, oder suchte Walthers geliebte Gestalt. Kalt wies sie jeden Ausdruck theilnehmender Liebe zurück, da er sie nur bitterer an die heißen vergeblichen Wünsche ihres Herzens erinnerte. Die ganze Harmonie des feinen Wesens war aufgehoben, das alle Zeichen der Liebe mit himmlischer Freude und Unschuld sonst aufnahm. Als Ritter Robert Nannys Hand zu fassen wagte, in Walthers Angesicht, traf den Ritter ein Blitz ihres Auges, vor dem Walther zurückbebte. Schmerzlich betäubt und ergriffen [264] von Nannys ganz fremdem und gewaltsamem Zustand, stand er betroffen vor seines Oheims scharfem Späherblicke. Günstig benuzte er eine kleine Entfernung des Ritters, um Nanny wieder in den Tanz zu ziehen. Mit dem sanftesten Ton fragte er: Nanny, was ist dir? Eine glühende Röthe, eine bebende Brust, ein starrer Blick, ein erzwungenes Lächeln, waren ihre Antwort.

Walther hatte bemerkt, daß Nanny ihrer liebsten Freundin nach dem Tanz zugewinkt hatte. Die Mädchen waren verschwunden, und Walther eilte vom Tanz hinweg. Die Thür des kleinen Lustgartens war halb offen; er sah Nannys Gewand aus den Gebüschen flattern und unwillkührlich, von Liebe und Sorge gefesselt, lehnte er sich an die dünne Breterwand des Gärtchens. Er hörte Nanny seinen Namen aussprechen, und blieb verzaubert an einer Spalte der Wand stehen.

Nanny stand an einen Baum gelehnt. Die Freundin öffnete ihre goldnen Leibhaken, um [265] dem gepreßten Busen Luft zu geben. Nanny seufzte in die blauen Lüfte nach Athem und Leben; ihr großes Auge war gen Himmel gerichtet, und unaufgehaltene Thränen flossen über die rosigten Wangen.

O Nanny, sagte die Freundin: sagte ich's dir nicht schon, ehe die Rosen blühten, ehe unsere Hirten in die hohen Alpen zogen, du heftest dich zu innig an ihn, und kannst ohne ihn nicht mehr leben. –

Weiß ich selbst wie es so wurde? sagte Nanny! Aber ich möchte die Sonne nicht wieder sehen, wenn er hinweg seyn wird. – Wäre nur dieser Abend noch vorbey! Ach ich wußte nicht, was ich wollte, noch wünschte, bis mir meine Mutter gestern von einer Heurath sprach, die sich für mich zeigte, und von der Nothwendigkeit einen guten Antrag nicht auszuschlagen. – Dabei saßte mich ein kalter Schauer, all meine Sinne schwanden, aber Walthers Gestalt stand einzig in meiner Seele!

Alle Bande der Verhältnisse lösten sich von [266] Walthers Busen, er fühlte den tiefen innigen Beruf für Nanny zu leben.

Sie leidet, sagte er, sie leidet um mich, und Thränen der Freude rollten über seine Wangen: Mein soll sie werden!

Er eilte in den Tanzsaal zurück, und konnte den Augenblick nicht erwarten, der seinem Junern die Sprache verliebe. Eine Glorie schwebte um Nannys Haupt, als sie wieder in den Saal trat. Sein Busen wallte hoch; er hatte nicht mehr den Muth, ihr die Hand zu bieten, noch sie in seinen Arm zu fassen im Tanz.

Sieg der Liebe

Der Abend verging, ohne daß Walther sich Nanny zu nähern wagte; aber als der fröhliche Kreis sich trennte, und jeder Walthern seinen herzlichen Abschiedsgruß mit auf die Reise gegeben, eilte dieser still davon, und wartete an dem kleinen Pfad, der zu Nannys Hause führte.

Die ganze Familie gieng in dem Dämmerschein des Mondes, der von Wolken umhüllt war, [267] an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Nanny folgte allein, mit schweren Schritten klimmte sie mühsam den Felsenpfad hinab. Walther trat herzu und bot ihr seine Hand. Beide schwiegen und bebten im Schauer der heiligen Nacht. Der Mond trat eben aus dem Gewölk hervor, und einzelne Sterne flammten hell aus dem tieferen Blau des Himmels, als sie auf das Brückchen kamen. Ueber dem brausenden Strom standen sie zögernd.

Nanny, sagte Walther, ich scheide von dir; aber mein ganzes Herz bleibt bei dir. Kann ich hoffen, daß du es treu verwahren wirst, mein gedenken? – Nanny weinte heftig. Liebste, warum weinst du? sagte er sanft, indem sich sein Haupt auf ihren Arm senkte.

Sie hatte sich gesammlet. Hoch und edel trat sie zurück; seine Hand zwischen ihre beide Hände fassend, sagte sie: Walther, ich läugne es nicht, die Freude meines Lebens flieht mit dir, dein Andenken wird mir heilig seyn. Jetzt [268] nichts mehr, ich bitte. Laß mich im unzerstreuten Gemüth den Muth sammeln, dich zu verlieren. – Verlieren! rief Walther, das verhüte Gott! Nimm mich auf in dein heiliges Herz! Gieb mir die Hoffnung, einst ganz mein zu werden! – Sein Arm umschloß die geliebte Gestalt, und Nanny flüsterte leise an seiner Wange: Das bin ich schon. Aber kann es dich glücklich machen? Ihre Augen kehrten sich zu den Sternen, die heiligen großen Berge stiegen empor im endlosen blauen Aether, der Mondenschimmer umkleidete ihre Riesenformen. Das Leben der Bergströme tönte durch die heilige Nacht, und die Hütten, an die rauhen Felsenwände neschmiegt, huben ihr moosigtes Steindach aus dem Schatten der Thäler. Die einfache, kräftige, hohe, sich selbstgenügende Naturwelt sprach an ihr ganzes Wesen, und die Liebenden reichten sich die Hände zum vereinten Leben. Ihre Liebe war der Einklang ihrer schönsten und höchsten Kräfte, sie fühlten alle ihre Fähigkeiten im unermeßlichen Wachsthum, fähig alle Sorgen [269] und Mühen des Lebens zu überwinden oder zu ertragen.

Familienverhältnisse

Walther war zu stolz, eine seiner Handlungen verbergen zu wollen, am wenigsten, wenn er glauben konnte, Unzufriedenheit durch sie zu erregen. Je mehr seine Feinheit dabei litt, irgend eine unangenehme Empfindung zu erregen; je lauter forderte sein Wahrheitsinn dieses Opfer, und er konnte einen erzürnten, aber keinen unverdienten Blick des Wohlwollens und der Zufriedenheit ertragen.

Ritter Roberts Meinungen drückten sich unvermerkt seinem Bruder, vorzüglich seiner Schwägerin auf, die sie mit aller Zähigkeit des blinden Glaubens an unbezweifliche Formeln aufnahm. Aber ihr fehlte, in ihrem kleinen Kreise, die Kenntniß der Verhältnisse, um die Welterfahrungen ihres Schwagers als eigne Resultate aufzunehmen, desto unbeschränkter dagegen war [270] ihr Vertrauen. Sie hörte Roberts Erzählungen von seinem vergangenen Leben stundenlang zu, und dachte sich ihren Walther mit Entzücken schon in jenen glänzenden Lebensscenen.

Walthers Vater lebte ganz im Sinn der Einfalt und Stille, und hatte so viel Liebe für Walther und eine so hohe Meinung von ihm, daß er keinen seiner Schritte mißbilligen konnte, noch ihn je zu einem drängen. So sehr auch er die Obergewalt seines Bruders erkannte, so konnte dieser ihn doch nicht einen Augenblick mit seinem Walther unzufrieden machen. Er vernahm Walthers Nachricht, daß er sich mit Nanny verlobt, mit jener Freude einfacher Menschen, die Vertrauen in sich selbst und in Andre zu setzen vermögen, weil sie Güte und Kraft in sich fühlen.

Die Mutter, voll von des Oheims Lebensansichten, sah eine frühe Verbindung ihres Sohnes als das Grab seines Glücks an. Sie vernahm die Nachricht mit zurückgehaltnem Unmuth und Sorge, mit lächlendem Mund, aber [271] mit zerrissenem Herzen. Eine harte unfreundliche Aeußerung gegen Walther war ihr unmöglich; aber ihr Schweigen, ihr gesenktes Auge sagte ihm genug.

Vater und Mutter begleiteten Walthern zu seinem Oheim.

Gegen Aller Erwartung empfing dieser Walthers Eröffnung ohne Zeichen der Verwunderung, sogar anfangs herzlich und theilnehmend.

Da dich das Schicksal bestimmte, sagte er, so folge nun auch demselben mit Stätigkeit. – Lerne dir selbst treu bleiben, auch gegen fremden Wankelmuth.

Hohe Röthe flog über Walthers Stirn. Ein Zweifel an Nanny! Das trennte sein Innerstes, und alle getrennte Kraft seines Wesens vereinigte sich in Abneigung gegen den, der ihn erregen konnte.

Der Oheim hatte Walthern fest ins Auge gefaßt. Er stand jezt von seinem Siz auf, faßte Walthers Hand und sagte: Es ist heute der erste Tag, an welchem du Nanny dein nennst. Folge [272] der Gewalt freundlicher Täuschungen, aber laß dein Herz der nackten Wahrheit dereinst nicht unbewaffnet begegnen. Die unheilbarsten Wunden schlagen uns die seligen Erscheinungen des Lebens, wenn sie das Schicksal oder unsre eigne Thorheit gegen uns kehrt.

Ritter Robert sprach die letzten Worte mit einem Seufzer, als enthielten sie die schmerzvolle Erfahrung seines eignen Busens.

Walther war bewegt. Das Brausen des Zornes in seinem Blute verwandelte sich in das sanfte Wallen der Rührung; er erwiederte den Händedruck seines Oheims mit gesenktem Blicke.

Nur Eins bitte ich noch, sagte Robert, verschließe dein Verhältniß mit Nanny in deinen Busen, wenn du in die fremde Welt kommst. Die Welt nennt es Thorheit, gefesselt den Pfad des Glücks zu betreten, und sie verzeiht alles leichter als diese Thorheit. Auch hier, da es doch von unsrer Stadt mancherlei Verbindungen nach deiner Garnison giebt, auch hier laß deine [273] Verbindung mit Nanny ein Geheimniß beider Familien bleiben. Keine förmliche Anwerbung geschehe noch, sie würde nur ein unnützes Aufsehen erregen.

Walthers Eltern waren zufrieden, Robert in dieser Stimmung zu sehen, und fügten sich gern in seinen Willen. Walther hätte gewünscht, sein Glück in alle Lüfte auszuhauchen, und von jedem menschlichen Angesicht wiederstrahlen zu sehen; aber er wagte nicht in einem an sich unbedeutenden Umstand seine Eltern durch Widerspenstigkeit zu kränken.

Von Vater und Mutter immerwährend zur Nachgiebigkeit gegen den Oheim ermuntert, gab er durch eine stumme Verbeugung seine Einwilligung.

Obgleich Walthers Eltern entfernt von jedem niedrigen Eigennutz waren, so schweifte doch unwillkürlich ihre Fantasie, von elterlicher Sorge bewegt, über ihres Schwagers blühendem Landsitze, und sah ihn im Nebel der fernen Zeit auf ihre Kinder, vorzüglich auf Walthern übergetragen, [274] der von dem Oheim besonders werthgehalten schien. Vorzüglich bildete die Mutter ihre Wünsche zu bestimmteren Hoffnungen.

Walthers freie schöne Natur konnte sich nur aus Liebe (oder aus natürlicher Uebereinstimmung) nach einem fremden Willen beugen, und sein Betragen gegen den Oheim lenkte die Liebe für seine Eltern weit mehr als persönliche Anhänglichkeit für jenen selbst. Ritter Robert blieb Walthern von vielen Seiten immer eine fremde Erscheinung. Wenn er Walthern in einer Stunde mit aller glühenden Wärme seines Geistes an sich gerissen hatte, so stieß er ihn in der zweiten durch eine kalte unfreundliche Laune zurück. Es war noch etwas Tieferes als Laune in diesem Zurückstoßen. Laune hätte der Liebeglühende Jüngling vielleicht ertragen oder übersehen; aber Walther fühlte eine Lähmung seiner besten Kräfte, ein Erstarren seiner heiligsten Gefühle, wenn er sich dem Ritter in jenen Verstimmungen näherte. Kalt, zerstörend und wegwerfend waren Roberts Blicke und Worte, und aufgerieben im [275] inneren Unfrieden zerstörte er jede harmonische Gestalt, die sich ihm näherte.

Nanny verschloß das Geheimuiß ihres Glücks im tiefsten Herzen, weil sie keine Worte dafür zu finden wußte. Ihre Mutter hatte die stillen beweglichen Traumgestalten in der jugendlichen Mädchenfantasie, mit dem Seherauge der Liebe erblickt. Es wurde ihr leicht, Nannys verändertes, erhöhteres Wesen zu deuten.

Als Mutter und Tochter den nächsten Abend allein bei weiblicher Arbeit am Fenster saßen, und die Abendsonne das Angesicht des Mädchens umleuchtete, glänzte das Auge der Mutter innig und vielbedeutend. Nanny las ihr Geheimniß in demselben, erröthete, bebte und ihr gepreßter Busen erlag unter der süßen Gewalt seiner Gefühle.

»Nanny!« sagte die Mutter, und reichte ihr die Hand. Nanny lag an ihrem Busen und stammelte: ich bin Walthers Verlobte!

Der Vater kehrte eben vom alten Walther zurück, wo er das Geheimniß der Liebenden erfahren. [276] Nanny hing an seinem Halse, als auch Walther herein trat.

Er empfing Nanny bebend aus den Armen ihres Vaters, und den Segen der Eltern mit dem Herzen des Mädchens im Angesicht der väterlichen Laren zu empfangen, das gab seinem Glück eine gewisse Heiligkeit, eine Sicherheit, als sey es nunmehr allen Stürmen des Lebens entrückt.

Trennung

Nanny sah das Schiff vom Ufer stoßen, welches ihren geliebten Wather trug. Nicht wie sonst führte sein Arm geschickt und stark das Ruder; er stand in der Tiefe des Schiffes, und seine Blicke hingen starr am Ufer, bis der Nebelduft der Ferne sich zwischen die geliebten Gestalten legte. Nanny eilte dann auf den Gipfel eines Berges, der im See vorsprang und sah das Schiff mit seinem weissen Segel in den grünen Kranz von Bäumen und Gesträuchen einfahren, der sich in den obern See hineinzieht.

[277] Es ist das Land der Hoffnung, das sich freundlich vor ihm aufschließt, rief Nanny: O, möchte er bald das rasche Glück, dessen er, nicht ich, bedarf, umfassen und heimführen!

Jedes wahre und tiefe Gefühl schloß Nannys gute Seele ans Ueberirrdische, und sie stand jetzt in der höchsten Stimmung ihrer Natur an den Schranken einer andern Welt.

Von ihrer Freundin begleitet, eilte sie der kleinen Capelle eines Nonnenklosters zu, welches am Abhang des Berges lag, um im Stillen für die glückliche Reise ihres Walthers zu beten, um dem ewigen Wesen, dessen frommes Gefühl sie so oft in diesen Mauern ergriffen, für das Glück ihrer Liebe zu danken.

Sie lag in stiller Anbetung, als eine sanfte Musik durch die Hallen der Capelle ertönte. Mit ihrem innersten Empfinden schienen diese Töne vertraut zu seyn. Hoffnung, Friede und Trost lagen in der hinreißenden Melodie, welche sie noch nie vernommen. Wenige einfache Worte, von den reinsten Stimmen vorgetragen, deuteten [278] klar auf ihren eignen Zustand. Nanny und ihre Freundin sahen sich verwundert an; das Gitter des Chors war verhüllt.

Im Sprachzimmer erfuhren sie von einer Freundin im Kloster, unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses, daß Ritter Robert die Musik veranstaltet habe, daß ihre besten Sängerinnen sie denselben Morgen auf Befehl der Aebtissin einstudirt hätten, und daß Robert ausdrücklich verlangt habe, daß diese Musik das erstemal, wenn Nanny wieder in die Capelle käme, vorgetragen werden möchte.

Nanny war angenehm gerührt durch diesen unerwarteten Antheil an ihrer Empfindung. Sie warf sich selbst eine Art vor schüchternem Mißtrauen gegen den Ritter vor, das seit langer Zeit im Grund ihrer Seele lag.

Als sie auf dem Heimweg an seiner Gartenlaube vorbei kam, neigte sie sich gefälliger als sonst gegen ihn, und kam, auf seine Einladung, ohne Widerwillen, in den Garten. Er unterhielt sie sanft, zeigte ihr aus seiner Sammlung [279] Ansichten von Gegenden, die Walther in kurzem durchreisen würde, erzählte von der Geschichte, den Sitten und Verhältnissen dieser Länder. Der Ton seiner Stimme war anmuthiger gedämpft als gewöhnlich. Sein ganzes Wesen schien Ernst und Ruhe zu athmen. Eine sanfte Einstimmung in Nannys Gemüths-Zustand zeigte sich in seinem ganzen Betragen, in allen Anordnungen zur Bewirthung der kleinen Gesellschaft.

In einer entlegnen selten besuchten Laube, welche ein Parterre von Nachtviolen und Lilien umgab, wurden die Erfrischungen gereicht. Das Abendroth flammte durch den Hain, und röthete den kleinen Wasserfall am Ende des Gartens. Die sanften Farben der Landschaft, die Blumen, die ihre Düfte im Schatten des Abends aushauchten, alles stimmte in Nannys Gefühl. Walthers Bild belebte alle Gegenden, die Robert ihr vorlegte. Unvermerkt lösten sich die Bande der schmerzlichen Sehnsucht, sie faßte ein freies Verstandes-Interesse an Roberts Erzählungen, [280] und eilte als der Mond aufging, von ihm und der Freundin begleitet, mit stillem Gemüth der väterlichen Wohnung zu. Während der einförmigen häuslichen Beschäftigungen war ihre Einbildungskraft um so lebendiger. Die Hoffnung auf Roberts Unterhaltung für den Abend vereinigte sich bald mit den Träumen von Walther, um das innere Leben der Fantasie zu beflügeln, das den einförmigen Lauf der Stunden rascher dahin führte.

Die Liebe hatte in Nannys Wesen gleichsam alle Saiten des geistigen Lebens feiner und zärter angezogen. Ihr Verstand strebte reger alle Gegenstände der Erkenntniß mit sich zu vereinigen, und suchte die höhern Beziehungen; ihre Stimme sang Laute der Empfindung, und strebte den inneren Gesang ihrer liebenden Seele auszudrücken; ihre Hand zeichnete zarte Formen mit Treue; sie fühlte mit einem Wort durch die Liebe ihren regen Schönheitssinn erweckt, der bis jetzt nur in den Banden einfacher Bedürfnisse ordnete und schuf; alle schlafenden Fähigkeiten [281] in ihrem Wesen rangen jetzt nach Stoff und Ausdruck.

Robert war der einzige gebildete Mann in ihrem Zirkel. Gefällig bot er ihr eignen Unterricht und Bücher an, freute sich ihrer Fortschritte und sagte oft: wie wird sich Walther freuen, wenn er zurückkommt, an seiner Nanny keines der Talente zu vermissen, die er in dem Umgang mit der feinen Welt an den Weibern schätzen lernte.

Welcher Antrieb für Nanny! Bald empfand sie die lebhafteste Dankbarkeit für Robert, und der Widerwille, das Unbehagen, welches sie sonst in seiner Gesellschaft empfunden, nahm immer mehr die Farbe einer schüchternen Achtung an, die sich einem höheren Talent mit einer Art von sorgsamer Unruhe nähert. So legte sich Nanny ihre Zurückhaltung gegen Robert selbst aus, denn undankbar zu seyn, zu scheinen, das kränkte ihr edles Gemüth tiefer, als jeder andere Schmerz des Lebens. Vertrauen einflößen zu können, ist ein Geschenk [282] der Götter, eine Annäherung an ihre reinere Natur.

Nanny kämpfte gegen die Winke ihres guten Genius, der sie von Robert und von einer Kette schmerzlicher Begebenheiten zu entfernen strebte.

Enträthselter Egoismus

Robert war ein Mensch von großen Kräften und Anlagen, dem aber die Natur, oder eine einseitige Ausbildung, das innere Gleichgewicht versagt hatte. Ihm fehlte der Glaube und die Liebe, und sein Leben war ein endloses Steigen und Sinken, Anziehen und Abstoßen.

Einen Gegenstand, dem seine glühende Einbildung heut überirrdische Schönheit lieh, entkleidete sein Scharfsinn morgen. Den exaltirten Zustand seiner aufgereizten Begierde nannte er Liebe, und da der Genuß oder die wiederkehrende Nüchternheit des Geistes alle Gegenstände seines erloschnen Begehrens in kahle Aschenhaufen verwandelte, so lag das Leben [283] nach wiederholten Täuschungen endlich als eine schauderliche Einöde vor seinem Geiste. Er lebte nur mit den Gestalten seiner gewaltigen glühenden Einbildungskraft, die er als philosophische Systeme, als die Frucht freier allgemeiner Ansichten, als eine Blüthe innerer Bildung anstaunend verehrte.

Das Leben wurde ihm zum Possenspiel, und nur die Freude an der Entwickelung seines eigenen Scharfsinns und das Selbstbehagen des Stolzes, leitete ihn in Verhältnisse mit Menschen. Längst war er mit sich übereingekommen, daß kein Gegenstand Werth an sich habe.

So lange die ganze unendliche Natur an unverstimmte Sinne spricht, ist das Gefühl des Herzens nicht völlig zu tödten, es widerspricht immer leise und leiser jenem Gespinste des kalten Egoismus. Verlangen und menschliche Theilnahme lenken oft für Momente den Nachen des Lebens, der nur dem sichern Hafen der Spekulation zuzusteuern wähnt.

Roberts Denk- und Handlungs-Art hatte [284] etwas Unzusammenhängendes, wie der wechselnde Zustand seines Gemüths, und wurde nur noch verworrener, weil er selbst in dem Wahn stand, als sey die Consequenz seine vorleuchtende Eigenschaft. Er täuschte sich selbst über die Motive seiner Handlungen; seine rege Phantasie, immer von lebhaften Neigungen und Trieben bewegt, verschob allgewaltig alle Grenzen der äußeren Erscheinungen; die Wirklichkeit wurde nur zum Stoff ihrer Bildungen, und so zerstörte Robert die lebendigen schönen Formen, indem er sie als eine todte formlose Masse zu seinen Planen behandelte.

Er folgte seinen Begierden um desto zügelloser, da seine fantastische Ansicht ihnen den Stempel der Vernunft aufdrückte, und seinem Egoismus den gefälligen Schein eines moralischen Werthes gab.

Nanny hatte ihm erst gefallen, und ihn bald leidenschaftlich angezogen. Ihre feinere höhere Natur gab selbst der blinden Begierde eine Farbe des zärteren Verlangens, das mehr [285] als momentanen Genuß heischt. Nanny's Neigung einzig zu gewinnen, im holden Glanz ihrer Zärtlichkeit sein eignes Daseyn verklärt zu sehen, diese Wünsche lagen in Roberts Seele, ob sie gleich sein Scharfsinn in tausend verschiedene Formen zersplitterte.

Die Neigung seines Neffen für Nanny entging Roberts durch Leidenschaft geschärften Blicken nicht, und er sah auch Nannys lebhaften Antheil an Walthern; beides ohne Sorge.

Der Wechsel der Neigungen war ihm nach seinen eignen Erfahrungen gewisser als ihre Dauer.

Der Vortheil einer äußeren, sicheren und glänzenden Existenz, den er für sich nie aus den Augen verloren hatte, würde auch Walthern bei mehrerer Weltkenntniß bestimmen, seinen ersten Jugendeindrücken zu entsagen; so wähnte er, und eben so gewiß rechnete er auf die Gewalt der Gegenwart bey Nanny.

Ist ihre Liebe wahr und treu, sagte er bei sich selbst, so wird sie alle Schwierigkeiten überwinden,[286] ja diese werden selbst den Liebenden nur höheres Glück gewähren. Als Philosoph wünschte er die Stärke und die Grenzen dieser Gewalt zu kennen, zu sehen, wie die gesunde Natur sich gegen die Macht der Kunst vertheidigen würde. Während er sich als Beobachter durch dieses Schauspiel interessirt wähnte, hatte er unvermerkt die Fäden der Begebeuheiten selbst gefaßt, um die Verwickelung anzulegen. Ohne daß er sichs klar gestand, war die Probe, auf welche er die Treue der Liebenden zu stellen gedachte, nur ein Versuch, Nanny für sich zu gewinnen.

Roberts Gestalt war gefällig; das Feuer seines Geistes belebte sie mit dem Glanz der Jugend. Die Gewalt, mit der die Erscheinungen seiner Fantasie sein eignes Gemüth beherrschten, zog einen magischen Kreis um ihn her, in dem sich jede auch fremde Empfindungsart einer unsichtbaren Herrschaft unterworfen fühlte.

Die Welt hatte ihm die Kunst gelehrt, Meister jeder seiner Aeußerungen, jeder seiner [287] Bewegungen zu seyn, und so verstand er immer den Moment zu benutzen, und war nie gezwungen, einen Schritt zurück zu thun.

Entschlossen die Fesseln der Ehe für immer zu fliehen, hatte er mehr als einer weiblichen Existenz Glück und Frieden geraubt. Er hatte die Blüthen der Liebe und Unschuld durch die Gluth seiner Leidenschaft versengt, ohne sie wieder im Schatten der Treue zu erfrischen.

Mit den Jahren nahm der Unglaube an sich selbst, der Unglaube an andere, und der Egoismus zu, der jedes Opfer ohne Erröthen und innern Vorwurf anzunehmen vermag.

Wir überlassen Nanny dem Schutz ihres Genius, der Wahrheit und der Natur, um sie aus dem tausendfädigen Gewebe zu erretten, mit welchem die List sie zu umspinnen eilt, und folgen indessen Walthern auf seiner Reise.

[288]

Eine neue Bekanntschaft

Die Welt lag da vor Walthers Augen in dämmernden großen Massen, wie vor den Rittern der alten Zeit. Auf Gott, seine Dame und sein gutes Schwert vertrauend, begehrte er nichts als Mühe und Gefahr, um mit den Palmen des Sieges die Rosen der Liebe zu überschatten. Die lieblichsten Träume von Nanny umfingen ihn und kühlten mit ihren rosigten Schwingen den heißen Schmerz der ersten Trennung.

Mehrere kleine Abentheuer hatten Walthers Herz schon erprobt; seine edle Treue verschmähte das Spiel zärtlicher Empfindungen. Jetzt zog von fern eine drohende Wolke über den klaren Himmel seiner Liebe aus.

Er langte Abends in einer kleinen Grenzstadt an. Es war zu spät, um die Reise fortzusetzen, auch lud ihn der freundliche Anblick des Städtchens zum Bleiben ein.

Bald bemerkte er, daß die Volksmenge sich nach einem entlegenen Hause zudrängte. [289] Er folgte und erfuhr, daß dort das Theater sey, und daß die Vorstellung so eben ihren Anfang nehmen werde.

Man führte ihn auf einen Platz, welcher für Fremde bestimmt war. Alles war schon dicht besetzt, und er hatte Mühe, noch einen Sitz zu finden. Der Vorhang war schon aufgezogen, als noch eine Dame in die Loge trat, und sich verlegen nach einem Platz umsah. Walther bot ihr den seinigen an, den sie nach einigen Entschuldigungen und merklicher Verlegenheit annahm.

Es wurde eines unserer bekannten und beliebten Stücke gegeben. Die alltäglichen Charaktere und leichten Begebenheiten standen in richtigem Verhältniß zu den Fähigkeiten der Schauspieler. Das Ganze machte einen harmonischen Eindruck, und Walther fühlte sich angenehm unterhalten durch den, ihm noch ganz unbekannten, Zauber der dramatischen Kunst.

Der enge Raum nöthigte ihn, dicht neben der Dame zu stehen. Ihr ganzes Wesen machte [290] den gefälligsten Eindruck. Ihr Benehmen, alle ihre Bewegungen waren voll einnehmender Grazie, sanft und anschmiegend, wie eine laue Frühlingsluft. Die ganze übrige Gesellschaft, die noch aus mehreren Frauen bestand, ließ ihn kalt und uninterressirt, der fordernde Blick der Frauen, der frei und ohne Zurückhaltung auf ihm verweilte, beleidigte sein Gefühl; die seltnen gleichsam zurückgehaltenen Blitze aus den Augen seiner Nachbarin hingegen ergossen eine milde Wärme in seinen Busen. Die übrige Gesellschaft schien sich bald gar nicht mehr um die beiden Fremden zu bekümmern, die sich um desto mehr als alte Bekannte betrachten lernten.

Als Walther während des ersten Akts herausgegangen war, und im Zurückkehren zwischen den Lichtern im Grund der Loge stand, grüßten ihn die Augen seiner Dame so sanft, wie einen langentbehrten Freund, und die Dankbarkeit für die erwiesene Gefälligkeit, gab ihrem ganzen Wesen eine entzückende Milde. Er sagte ihr einige Worte über den Eindruck [291] des Stücks, und fügte hinzu: er müsse an seinem eignen Urtheil zweifeln, da es die erste dramatische Vorstellung sey, welcher er beiwohne.

Vielleicht ist es um desto richtiger, erwiederte sie sanft, da Sie es aus dem eignen Reichthum Ihrer Natur schöpfen, von dem uns die Welt so oft etwas raubt.

Sie wurde nach dieser Aeußerung noch offner gegen ihn.

Die letzten Scenen einer glücklichen Entwicklung, durch die Vereinigung der Liebenden, setzte Walthern in die lebhafteste Täuschung. Er sah die eignen Wünsche seines Herzens wie im magischen Spiegel der Zukunft, mit Erfüllung gekrönt. Nanny und er traten an die Stelle der Glücklichen, und sein Auge schwamm im süßen Thau liebender Entzückung.

In dem Zauber dieser Täuschung hatte er es nicht bemerkt, daß seine Hand auf der Hand der Dame, statt auf dem Rücken des vor ihnen stehenden Stuhles lag. Er fühlte. ihr sanftes [292] Streben sich zu befreien, als der Vorhang sank. Seine Hand fuhr zurück, aber sein überfliessendes von Nannys Gegenwart erfülltes Herz, begleitete sein »Verzeihen Sie« mit einem so süßen Blick, daß die Dame die Augen niederschlug.

Die rauschende Gesellschaft war schon aus der Loge hinaus; die Dame stand noch im Grund, sah sich verlegen um, als erwartete sie jemand, grüßte dann Walthern und war schnell verschwunden.

Er bereu'te jetzt ihr den Arm nicht geboten zu haben, und fühlte ein sonderbares Unbehagen bei dem Gedanken, er werde sie nie wieder sehen.

Es war ein dunkler Abend, der Himmel war umwölkt. Er zweifelte, sie wieder finden zu können. Als er vor dem Comödienhause stand, und das Gewühl der Menge sich nach und nach verlor, sah er im Schein einer Pechfackel, daß noch eine weibliche Figur an einem der Pfeiler lehnte. Sein Herz ahnete sogleich [293] seine Unbekannte; freudig eilte er ihr entgegen. Sie scheinen auf jemand zu warten, Ihr Bedienter verfehlte Sie vielleicht? Beide erkannten sich jetzt im Schein der Fackel, und sie sagte freundlich, indem sie sich seiner Führung überließ: Sie sind heute zu meinem Schutzgeist bestimmt.

Die Dame logirte in demselben Gasthof, wo er seine Sachen hatte hinbringen lassen.

Der Bediente kam ihnen eben entgegen, und wollte noch einmal nach dem Comödienhause zurück, wo er seine Herrschaft vergebens gesucht hatte. Er war höchst übellaunig über diesen sonderbaren Zufall, da er doch behauptete an dem Haupteingang, wo sie ihn hin bestellt, sich zur gehörigen Zeit eingefunden zu haben.

Frau von L. lachte über den Unmuth des Menschen, und kam in die fröhlichste Laune, in der sich ihr Wesen in neuer Liebenswürdigkeit entfaltete.

Ein heitres Gesicht, das im immerwährenden [294] Spiel alle wechselnden Bewegungen ihres Gemüths ausdrückte, aber dabei immer in den Linien der Anmuth blieb, eine feine schlanke Gestalt, und vor allem eine süße beugsame Stimme, die gerade zum Herzen drang, diese vereinigten Reize versetzten Walthern in die lieblichste Stimmung. Er stand wie im Auschauen eines blühenden Rosenbusches, in dem die Frühlingslüfte spielen, und die Strahlen der Morgensonne schimmern. Endlich verfiel er in ein sanftes Sehnen nach der Gestalt der Geliebten, die ihm aus dem Duft der Ferne entgegen drang.

Frau von L. stimmte auf das natürlichste in den Ton der Sehnsucht. Ihr Blick schien auch etwas in der Ferne zu suchen, oder in sich gekehrt auf einem Gegenstand zu verweilen. Bald gab sie den Ton sanfter vertraulicher Freundschaft an, bezeugte einen so innigen Antheil an Walthers Lage und Verhältnissen, der seine Offenheit forderte. Gefällig entgegenkommende Fragen, die die Bande des Schweigens [295] unvermerkt auflösten, machten sie bald mit allem bekannt, und Walther fühlte sich angenehm in den Kreis der Seinigen zurückgeführt. Frau von L. war durch sein Vaterland gereist, und ihre lebendigen Gemählde riefen den Zauber goldner Tage zurück. Nannys Name, seine Liebe wurde nicht genannt; bescheiden schlug Frau von L. ihre Augen nieder, wenn sie wähnte eine Frage gethan zu haben, die das Gebiet der seeligsten Empfindung berührte. Walther, durch diese edle Feinheit sicher gestellt, überließ sich unbefangen der Fluth sanfter Erinnerungen, und ein lieberfülltes Herz drückte sich in mancher leisen Bewegung aus.

Frau von L. entließ Walthern mit dem Versprechen, ihn den folgenden Morgen beim Frühstück wieder zu sehen. Walther fühlte sich in der fremden Welt durch diese Bekanntschaft zuerst einheimisch geworden. Seine Empfindung hatte einen Anklang gefunden, und das Vergnügen von seiner Geliebten mit seiner neuen Freundin zu sprechen, sie mit seinem [296] Glück und seinen Hoffnungen bekannt zu machen, versetzte ihn in eine goldene Zukunft.

Die Ungeduld, auch von der Lage der Frau von L. unterrichtet zu seyn, verhinderte ihn am Einschlafen. Wer ist sie? Wo wohnt sie, und seh ich sie morgen zum letztenmal? Diese Fragen kehrten immer in seinem Gemüth wieder, und er konnte es kaum begreifen, daß er von ihrer Lage gar nichts, und sie von der seinen so vieles erfahren; aber er konnte sichs nicht denken, daß er Frau von L. ganz wieder verlieren könnte.

Die Schutzgeister zweier Menschen scheinen bei der ersten Bekanntschaft sonderbar thätig zu seyn, um die flüchtigen Momente des Zusammenseyns mit einer unendlichen Kette der Ahnungen in die dämmernde Zukunft zu verlängern.

Walther erwachte in der angenehmsten Stimmung, und eilte nach dem Garten, wo seine neue Freundin ihn zu erwarten versprochen. Aber als er über den Vorsaal gieng, fand er [297] ihr Zimmer geöffnet und leer. Die geschwätzige Wirthin kam eben, um es für den Empfang eines andern Gastes zu bereiten, und erzählte Walthern, daß gestern noch spät ein fremder Herr angekommen wäre, den Frau von L. noch gesprochen habe, und mit ihm in aller Frühe abgereist sey. Der Herr habe nicht fröhlich ausgesehen, aber sie habe ihm sehr freundlich und gefällig begegnet. Es sey eine liebe Frau, nur zu gut, zumal gegen die Männer, schien sie zu seyn.

Walther verfiel in tiefes Nachdenken. Das Verschwinden einer so angenehmen beglückenden Erscheinung fiel ihm schmerzlich. Er befahl auch sogleich seine Pferde vorzuführen. Ein träger Hausknecht kam nachgeschlichen, als er schon zu Pferde saß, um ihm ein Billet einzuhändigen, welches die fremde Dame für ihn zurückgelassen. Es war folgenden Inbalts:

»Die unerwartete Ankunft meines Vetters, den ich erst diesen Abend erwartete, nöthigt mich, durch diese Zeilen Abschied von Ihnen zu nehmen. [298] Wenn Ihnen meine Bekanntschaft nur halb so viel Vergnügen macht, als mir die Ihrige, so haben wir uns nicht zum letztenmal gesehen, denn ein gutes Schicksal vergönnt uns, nur in geringer Entfernung zu leben.


»Mein gewöhnlicher Aufenthalt ist das Schloß B., welches nur vier Stunden von Ihrer Garnison entfernt ist, und in zwei Monaten hoffe ich Sie bei mir zu sehen; um diese Zeit werde ich von meiner Badreise zurückkehren.«

Leonore von L.


Walther verfiel auf sonderbare Gedanken, durch die Aeußerungen der Wirthin veraulaßt, über das Betragen der Frau von L. Sein Oheim hatte ihm manches von den lockern Banden der Sittlichkeit im Weltleben unter den Frauen gesagt. Aber das liebenswürdige Andenken seiner Freundin überwand bald alle Zweifel, und er machte sich sogar Vorwürfe, daß solche unsichere Nachrichten ihn beinahe zu einem ungerechten Urtheil über sie bewegen konnten.

[299]

Eintritt in die Welt

Walther war mit den besten Empfehlungsschreiben von seinem Oheim versehen, und sein edles, offnes Gesicht machte sie überflüssig.

Seine Obern waren mit seinen Kenntnissen und seinem Diensteifer höchst zufrieden; aber in welchem veränderten Licht erschien ihm selbst seine neue Lage, da der gewöhnliche einförmige Lauf des Lebens alle zauberische Gluth seiner Jugendträume verlöschte.

Sein Muth hatte sich gerüstet, unermeßliche Berge zu übersteigen, aber nicht ein Feld voller kleiner Hügel mühsam zu durchirren, um ein ungewisses Ziel zu erreichen. Muß nicht das Glück auch dem Verdienst die Hand bieten? sagte er unmuthig zu sich selbst.

Der erste Anklang der großen Welt lockt selten einen Wohllaut aus der Brust eines stark empfindenden ernstgebildeten Jünglings. Die Gewohnheit, wichtige Dinge leicht zu treiben, scheint ihm Frivolität, und seine innere Hoheit, [300] seine Energie, unzufrieden, daß sich ihren Wirkungen kein Stoff darbietet, lastet auf seinem eignen Wesen, und erzeugt Unfrieden mit allen Dingen um sich her.

Walthers Gutmüthigkeit, die angeborne Stille seiner hohen Seele, die nur im Athem der Liebe nach Ausdruck und Mittheilung rang, gaben seinen Aeußerungen mehr die Farbe der Trauer, als der Unzufriedenheit. Er wurde von allen Cirkeln gesucht, geliebt, und die geheimnißvolle Stille seines Wesens zog die Frauen unwiderstehlich an. Aber er stand fest und einsam wie die hundertjährige Eiche des Waldes. Ihre breiten Aeste geben dem niedern Gesträuch Schutz in Stürmen, während ihr eignes Haupt, dem großen freien Leben der Natur dargeboten, vom Blitze zerschmettert fällt.

Nannys Briefe erhielten Walthers Herz lebendig. Mit mädchenhafter Scheue und Zartheit drückte sie ihre Liebe und Sehnsucht mit ungeübter Hand und in ungebildeter Sprache aus; aber jedes ihrer Worte begleitete ein [301] Nachhall ihrer Silberstimme, die noch in seinen Ohren tönte.

Die Briefe des Oheims enthielten Geschäfte oder Lehren; aber die Briefe seiner Mutter hatten einen eignen düstern Anstrich, der ihn mit sonderbarer Trauer ergriff.

Dunkle Weisungen auf die Unsicherheit unserer Erwartungen, auf die schwankende Treue im menschlichen Herzen, wechselten mit den Begebenheiten der Stadt und seines Hauses.

Sie sprach endlich einmal von Nannys verändertem Wesen, seit dem täglichen Umgang mit seinem Oheim. »Sie spricht fertig Französisch, schrieb sie, ich verstehe nicht was? Die Leute sprechen freilich mancherlei darüber, doch ich halte sie immer noch für unschuldig.«

Walther fuhr auf, wie er dieses las.

Man hält sie für unschuldig! Kann die himmlische Gestalt auch nur ein Schatten der Schuld bedecken! Aber warum sagt sie mir nichts von ihren neuen Beschäftigungen, von ihren Fortschritten? Wie hat sie auf einmal jene beinah [302] an Widerwillen grenzende Zurückhaltung gegen den Oheim überwunden? Warum sagt sie mir nichts von seinem Antheil an ihr, der mich unsrer künftigen Lage wegen freuen muß? –

Er that sich diese Fragen unaufhörlich, und verfiel bei seiner, schon alle Ansichten verwirrenden, Heftigkeit nicht auf Nannys unschuldige Feinheit, die sich eine angenehme Ueberraschung versprach, wenn sie ihrem Geliebten auf einmal, mit den kleinen Talenten geziert, erscheinen würde, die sie während seiner Abwesenheit erworben.

Der Unfrieden mit sich selbst, der Saamen des Argwohns, der, so sehr Walthers starke Seele auch dagegen kämpfte, dennoch den freien Kreislauf seiner innern Thätigkeit hemmte, trieben sein Gemüth, äußere Zerstreuungen zu suchen.

Die harmonische Gestalt seiner neuen Freundin stand wie mit der Palme des Friedens geschmückt vor ihm. Die Zeit war beinah verflossen, [303] in der sie versprochen, ihn wieder zu sehen. Er hatte ihren Wohnsitz ausgeforscht, und trat jetzt eine Wanderschaft nach demselben an. In der Erwartung ihrer wohlthätigen Erscheinung wünschte er sich an den Spuren ihres Daseyns, an dem Ort ihres Aufenthaltes zu laben.

Er ritt früh aus. Der Weg gieng durch ein liebliches Thal, und bald stieg ein zierliches Gebäude mit seinen umgebenden Gärten an einem waldigten Hügel ihm aus dem Morgennebel entgegen.

Walther durchirrte die einsamen aber geschmackvollen Gartenanlagen. Das Nützliche war mit dem Reizenden auf eine anmuthige Art verbunden, und ein gefälliger Genius schien alles mit den Spuren des Vergnügens und des Genusses bezeichnet zu haben.

Eine heitre Haushälterin fragte ihn, ob er die Aussicht und innere Einrichtung des Schlosses zu sehen wünsche. Er folgte ohne weitere Fragen, da er die Abwesenheit der Frau von L. voraussetzte.

[304] Er gieng durch verschiedene angenehm verzierte Zimmer. Die Haushälterin deutete auf ein verschlossenes, und sagte heimlich: dies ist das Zimmer des Herrn Majors, der wahrscheinlich unser künftiger gnädiger Herr werden wird.

In dem Cabinet der Frau von L. fand er die Spuren angenehmer und nützlicher Beschäftigungen; es war sehr einfach, aber die wenigen Verzierungen waren heiter wie der Geist der Bewohnerin.

Das Bild seiner Freundin schwebte vor seiner lebendigen Fantasie; er wähnte ihre Stimme zu hören, ihr Lächeln zu sehen, und überließ sich der Ahnung angenehmer Stunden an ihrer Seite.

Er stand eben an dem kleinen Bücherschranke, über dessen ernsten Inhalt er sich verwunderte, als der Vorhang eines Alkovens neben ihm auseinander rauschte, und ihm seine Freundin vor Augen stellte.

Ists möglich; rief sie heiter und bewegt. Walther trat verwundert zurück. Die Haushälterin [305] sagte ihm sachte: ich glaubte, die gnädige Frau wäre im Garten, aber es hat nichts zu sagen.

Mit vollem Lachen kam jetzt Frau von L. auf Walthern zu, gab ihm die Hand, und beide überliessen sich ganz der Freude, sich so unerwartet wieder gefunden zu haben.

Eben wollte ich Ihnen schreiben, sagte Frau von L. und deutete auf ihren wirklich geöffneten Schreibtisch.

Schnell verflossen ein Paar Morgenstunden. Laune, Empfindung, Witz, durch den Zauber der angenehmsten Gefälligkeit verbunden, gaben der Unterhaltung das lebhafteste Interesse, und alle stürmischen Wolken entflohen aus Walthers Gemüth.

Frau von L. hatte ihn in den Gärten umhergeführt. Wir werden den Mittag nicht allein seyn, sagte sie, als sie ihn verließ, um sich anzukleiden, der Major von W. ist seit einigen Tagen hier; ein braver Mann, von vielen Kenntnissen, [306] dessen Umgang Ihnen nicht unangenehm seyn wird.

Walther redete mit dem Gärtner und Verwalter über ihre Geschäfte, und beide verflochten Leonorens Lob, ihre Gutmüthigkeit, ihre verständige Thätigkeit auf eine ungezwungene Art ins Gespräch.

Der Major schien Walthern wirklich das, wofür ihn Leonore angekündigt; doch dünkte er ihm seiner Freundin nicht ganz werth zu seyn, ob er gleich die stärkste Neigung und eine völlige Hingebung gegen sie in seinem ganzen Betragen zeigte.

Nach dem Caffee nahm Leonore ihren Sommerhut, faßte Walthers Arm und sagte zum Major: Sie schreiben jetzt Ihre Briefe, damit Sie Abends bei uns seyn können; unterdessen mache ich unsern Gast mit der umliegenden Gegend bekannt.

Leonore führte Walthern durch das Wäldchen in ein einsames Thal. An dem Ufer eines Teiches, der mit Pappeln umkränzt war, setzte [307] sie sich auf eine Rasenbank. Sie bemerkte die vorbeiziehenden Wolken über dem Teich; es war einer der stillen Tage, wo die Sonne nur unterbrochene Stralen in die Natur ergießt, und wo wir auch unser Gemüth wie in einer ahnungsvollen Dämmerung empfinden, in welcher die Gestalten lieblicher Träume sich ungestört bilden.

Leonorens dunkelblaues Auge erhob sich mit einem tiefen doch unaussprechlich sanften Blick von dem Spiegel des Sees gegen Walthern.

Seit einiger Zeit, sagte sie sanft, dünkte mir das ganze Leben auch nur so ein Wasserspiegel, über den wechselnde Wolkengestalten hinzogen; aber ich weiß nicht, welch ein neues Daseyn mir seit Ihrer Bekanntschaft aufgeht, welch ein Vertrauen Sie mir einflößen.

Walther drückte seine Dankbarkeit für dieses Bekenntniß seiner Freundin durch einen sanft feurigen Blick aus, und sie fuhr fort:

Mein Schicksal ist in einer entscheidenden Krisis. O wie schwer ists, für die ganze Ruhe [308] des Lebens zu wählen! Wie selten begegnen sich zwei Seelen in aller Tiefe und Wahrheit ihres Daseyns. Und wenn wir gewählt hätten und fänden uns getäuscht, und nun erst erschiene der Mann, an dem unser ganzes Daseyn sich magisch gebunden fühlte....

Leonore schlug die Augen nieder, ihr Busen schien beklemmt. Walthers gerades, schlichtes Wesen faßte nichts Klares von dem allen; er hielt sie für verlobt mit dem Major, aber eine feine Röthe flog über sein Gesicht, sein Sinn hatte gefaßt, was sein Verstand nicht bestimmt auszusprechen wagte. Ich wünsche, sagte er stammelnd, ich wünsche daß dieses nie Ihr Schicksal seyn möge – Ihre Wahl ist ganz frei?

Leonore seufzte, weinte, sah Walthern mit einem zärtlichen Blick an, und bat ihn, sie allein zu lassen. Er gehorchte. Ein lauteres Weinen, die Sorge, Leonoren in diesem Zustande allein zu wissen, rief ihn zurück. Er fand sie leidend, der Ohnmacht nahe. Sanft umfaßte er sie, um ihr eine bequemere Lage auf der Rasenbank zu verschaffen. [309] Die Rosen ihrer Wangen glühten schön unter dem wilden Rosenbusch, der ihr Haupt umschattete; ihre schönen Hände hatten Walthers stützenden Arm umklammert, ihre blauen Augen glühten unter dem Thaue der Thränen, ihr ganzes Wesen war schmachtende Hingebung der Liebe.

Walther war tief gerührt, geängstigt über Leonorens Zustand, wünschte sehnlich Hülfe, und konnte sie gleichwohl nicht einen Augenblick verlassen. Das Mitleid gab seinem Betragen die zarteste Innigkeit.

Leonoren's Stirne wurde heiter, ihre Brust athmete freier. Es geht schon besser! sagte sie, und nach einem tiefen Seufzer mit halber Stimme: ach Walther, warum kannten wir uns nicht früher! – Walther schwieg und bebte. Es drängte ihn, seine Liebe für Nanny zu entdecken; aber Leonorens Zustand und ein gewisses Etwas in seiner Brust, das er nicht zu nennen vermochte, hießen ihn diese Erklärung für eine andere Stunde aufsparen.

[310] Sanft faßte er Leonorens Hand und sagte: lassen Sie mich hoffen, daß Ihr edler heiterer Geist sich selbst in jeder Lage beglücken muß. Die Natur gab Ihnen so viel zur Glückseligkeit, wer könnte wähnen, diesen innren Reichthum zu vermehren, und welcher Unmensch könnte es wagen ein so reines Daseyn zu trüben?

Sie drückte Walthers Hand und sagte: Ich will ruhig werden, weil Sie es wollen, mit dem Glücklichwerden ists vorbei.

Eine Bäuerin, von der Feldarbeit kommend, ging eben über die Wiese. Leonore bat Walthern, ihr den Wagen zu bestellen, weil sie sich zu schwach zum Gehen fühle. Er rief der Bäuerin zu, und Leonore bat die Frau, bei ihr zu bleiben. Walther sah dieses als einen Befehl an, sie zu verlassen, und eilte nach dem Schloß. Er bedurfte der Einsamkeit nicht minder. Sein Busen war beklemmt, und ein sonderbares Leuchten und Schwanken hatte alle seine Vorstellungen ergriffen; er hatte Mühe sich selbst zu halten. Leonorens Daseyn zog ihn wie in eine [311] dämmernde Ferne, er dachte sie leidend, und seine eigne Zukunft hielt ihm nur eine schmerzliche Verworrenheit vor.

Jetzt öffnete sich bei dem Austritt aus dem Wäldchen die lachende Gegend im Abendstrahl vor ihm, und eine tiefe unaussprechliche Sehnsucht nach Nanny löste alle Verwirrung; er fühlte sich eins und stark in dieser Empfindung. In wenigen Tagen ist ihr Namenstag, sagte er sich, und tausend glühende Erinnerungen umflossen ihn mit magischem Zauber.

Ich muß sie sehen, um an ihrer Brust mein wahres Leben wieder zu finden; rief er, und der Entschluß, sie zu überraschen war gefaßt.

Der Major machte schleunig Anstalten, um Leonoren zurück zu bringen, und verrieth die zärtlichste heftigste Leidenschaft in seiner Unruhe um sie.

Sie war heiter, nur sehr matt und angegriffen den ganzen Abend hindurch, und ihre fröhliche Laune hatte etwas Rührendes, da sie [312] keine freie Regung, sondern eine Frucht gewaltsamer Anstrengung zu seyn schien.

Walther wurde mit dem Versprechen, sie bald wieder zu besuchen, entlassen. Auch der Major bezeugte ihm auf die unbefangenste Art, daß er Vergnügen an seinem Umgang empfunden.

Leonore schien Walthern in einer sehr verworrenen Gemüthslage zu seyn; er verließ sie ungern; innig wünschte er ihren Zustand klar zu erkennen, innig das Vertrauen dieses holden Wesens ganz zu gewinnen, um etwas für ihr Glück thun zu können.

Unglücklicher Irrthum

Walther erhielt die Erlaubniß zur Reise nicht ohne Schwierigkeiten, und nur auf kurze Zeit. Nur einen Abend würde er bei Nanny zubringen, aber dieser Abend lag in stralender Ferne vor seiner Seele.

Unvorgesehene Zufälle hielten Walthers Reise [313] auf; er langte noch ein paar Stunden später, als er gedacht, in seiner Vaterstadt an.

An einem entlegnen Hause ließ er sein Pferd stehen. Es war schon finster, man hatte ihn nicht erkannt. Er ging jetzt den kleinen Fußsteig hinab, der zu Nanny's Wohnung führte, und die Lichter aus den zerstreuten Häusern des Städtchens glänzten ihm hell entgegen. Nanny's Wohnung war gar nicht erleuchtet, aber in dem Hause seines Oheims glänzte Licht aus allen Fenstern. Er näherte sich dem Garten, und durch die stille Nacht vernahm er schon aus der Ferne einzelne Töne der ihm so bekannten Tanzmusik.

Mächtig ergriff ihn die Gewalt süsser Erinnerungen. In wenig Momenten werde ich sie in meinen Armen halten! sagte er sich. Die Thränen der Freude umwölkten seine Augen, sein Busen war gepreßt, seine Knie zitterten. Er setzte sich auf eine steinerne Bank, den Fenstern des Tanzsaales gegenüber, um sich zu sammlen; er hoffte, jemand von seines Onkels Leuten würde da vorübergehen, durch den er [314] seinen Vater von seiner Gegewart benachrichtigen könnte; dieser würde ihm sodann Nanny zuführen. Sein hochschlagendes Herz würde sich nicht zurückhalten können, der Geliebten vor tausend Augen entgegen zu fliegen, und er fürchtete ihre zarte Jungfräulichkeit zu beleidigen.

Es dauerte nicht lang, so setzte sich jemand neben ihn, ohne ihn zu bemerken. Ja trau nur einer den Weibern, murmelte eine rauhe Stimme, die Walthern bekannt schien. Guter Walther, du lässest dir das nicht träumen! sagte sie wieder, und jetzt erkannte er den alten Ruprecht, einen Diener seines Vaters, der ihn von Kindheit auf vorzüglich geliebt und gepflegt hatte.

Sein Herz erstarrte, der kalte Hauch des Argwohns blies in die sanfte lebenszeugende Flamme seines Busens, und sie schlug verzehrend empor um sein Haupt.

Er hielt sich zurück, zitterte noch etwas weiteres zu vernehmen; die ungeübten Schriftzüge seiner Mutter standen wieder vor ihm, der trockne Gemeinsinn, den sie enthielten, wurde, [315] vereint mit des Alten einfacher Sage, zur tiefen schaudervollen Wahrheit.

Sein Inneres war gewaltsam zerrissen; er konnte jetzt alles, was ihm bis jetzt unmöglich gewesen, er konnte sich verbergen, Rollen spielen, um der zerstörenden Gewißheit entgegen zu lächeln, wie ein hoffnungsloser Kranker dem Tode.

Mein Freund, redete er den alten Ruprecht mit verstellter Stimme an: giebts dort in dem Hause eine Hochzeit?

Das nicht, erwiederte der Alte mit bitterm Lächeln, aber es kann auch noch werden! Alles kann ja unter feinen Leuten geschehen, denn die haben neue Namen für jede Spitzbüberei, und meinen darum es wäre keine mehr.

Walther stimmte seinem Unwillen bei, und gewann bald des Alten Vertrauen so sehr, daß er ihn um die Ursache seines Verdrusses befragen durfte.

Der Alte erzählte jetzt unter den lebhaftesten Ausbrüchen des Unwillens, daß sein junger [316] Herr, der bravste und schönste Mann der ganzen Gegend, in Dienst gegangen sey, und seine Braut zurückgelassen habe. Während dem sey ein anderer gekommen, und habe das Mädchen zur Untreue verführt. Wahrscheinlich habe sie der Reichthum geblendet. Man wüßte noch nicht, ob der Herr sie heurathen werde, aber man vermuthe es. Mein armer Junge, sagte der Alte, schmerzt mich in der Seele, denn das Mädchen ist schön wie ein Engel!

Walther faßte des Alten hand heftig, die ganze Welt, dünkte ihm, habe sich mit Nanny's Herzen von ihm gewendet, und die Treue des alten Mannes hielt ihn über einen bodenlosen Abgrund, der ihn schwindelnd zu verschlingen drohte.

Nanny's Lieblingstanz ertönte eben vom Saale; er sah die bunten Gestalten an den Fenstern vorbeifliegen. Nanny's schlanker Wuchs machte sie vor allen andern kenntlich; sie war von den Armen seines Oheims umschlungen.

Gebt Acht! sagte der Alte, jetzt könnt ihr sie sehen. Verfluchter Anblick! sie tanzt fröhlich [317] einher mit dem Verführer, während das Herz meines armen Jungen bluten muß.

Das war zu viel. Die Töne der Freude zu dem tiefsten Kummer. Dieser fürchterliche Mißklang riß Walthers Innerstes in fürchterlicher Verwirrung auseinander; er sank halb ohnmächtig vor der Bank hin, und seine Thränen flossen auf den kalten Boden.

Armer Mann, ihr seyd nicht wohl? sagte der Alte, und war schnell hinweg; während dem Gehen rief er: ich hole euch einige Erfrischungen!

Walther erhob sich. Nanny zu sehen war ihm unmöglich, wie sollte er vor ihr erscheinen? In die tiefste Wehmuth aufgelöst, ging er die einsamen Gänge des Garten durch, um dem Anblick des Alten zu entfliehen.

An einem Kreutzweg hielt ihn dieser auf. Bleibt doch hier diese Nacht, sagte er. – Nein, nein ich muß hinweg, weit hinweg, guter Alter, sagte Walther. – Nun da bring' ich euch etwas vom Nachtisch: gut ist das Mädchen doch, [318] sie packte Kuchen und Obst sogleich zusammen, als sie von einem Fremden hörte, der Hülfe bedürfte, eilte zum Fenster euch zu sehen, und gab mir dieses Tuch für euch, um euch gegen die kalte Nachtluft zu schützen.

Nanny? rief Walther, und da er fürchtete, sich zu verrathen, schüttelte er dem Alten die Hand, und eilte davon.

An dem Abhang des Berges, da die Stadt tief unter ihm lag, blickte er noch einmal hinab; sein Schmerz war milder geworden, es drängte ihn zurück zu gehen. Er fühlte jetzt die Kraft, Nanny's Anblick ertragen, ja eine unaussprechliche Sehnsucht nach ihr. – Aber sie sollte vor dir erröthen, ihrer Schuld bewußt, sollte sich ihr himmlisch offner Blick vor dem deinen darnieder senken. Nein, rief er aus: nur die sanfte Gluth der Freude und der Liebe will ich auf ihren Wangen in meiner Gegenwart erblicken. – Mein Anblick sollte sie kränken?

Die tiefste Wehmuth faßte ihn, er ging nach seinem Pferd, und eilte in der kalten Nacht [319] die Straße verlassen und einsam zurück, die er von allen Genien der Hoffnung und Liebe begleitet, einher gekommen war.

Warum hilft nicht irgend ein guter Geist oft liebenden Wesen die schauerliche Kluft der Entfernung übersteigen, die ein feindseliger Zauber zwischen ihnen entstehen läßt!

Nanny war aus dem Geräusch des Tanzes an ein einsames Fenster geflohen, um den nächtlichen Wanderer zu erblicken. Die Stille der Nacht war ihr willkommen, um eine Thräne der Sehnsucht nach ihrem Walther abzutrocknen.

Ihr Herz war öde und leer in der rauschenden Freude, und sie fühlte sich verlassen, ohne das Anschauen des Freundes.

Eine dunkle Ahnung des feindseligen Geschicks, das in diesem Moment sein blutendes Herz von dem ihren riß, schien sie zu umschweben.

[320]

Hoffnung und Zweifel

Die gewaltsame Aufforderung der Natur trieb Walthern, seine erschöpften Kräfte zu erholen. Er stellte sein Pferd in der ersten Herberge, die er fand, ein, und legte sich im Freien in seinen Mantel gehüllt nieder. Die unermeßliche Tiefe des heitern Himmels, das Heer der Sterne, die über seinem Haupte flimmerten, wiegten seine Seele in die sanfte Auflösung der Ruhe; er schlief ruhig, und erwachte nur, als die Sonne ihre ersten Strahlen schoß.

Ueber der fernen Gebirgskette, die sein Vaterland umkränzte, schimmerte das heitre Licht des Morgens, und der Rosengürtel der Eisgebirge begann sich, aus der Dunkelheit zu scheiden. Die gekränkte Liebe fühlt sich verlassen auf der weiten Erde, und alle freundlichen Gestalten des Lebens wenden ihr Angesicht von ihr hinweg.

Die leuchtende Sonne gab Walthern nur ein neues Gefühl seines Kummers; statt der [321] frohen Thätigkeit, zu der sie ihn sonst erweckte, regte sie jezt die volle Gewißheit des verlornen Glückes in seiner Seele auf. Nicht hier an diesem fremden unbekanten Platze hatte er zu erwachen gedacht, sondern in der geliebten Heimath, umgeben von allen innig bekannten Gestalten seiner Liebe und Jugend.

Die Nothwendigkeit zur bestimmten Zeit wieder anzulangen, trieb ihn die nächsten Tage hindurch zur Eile und Besonnenheit, und hemmte so die Flügel seiner quälenden Einbildung. Wohlthätige Fesseln der äußern Lage, der dringenden Sorgen für andre, in denen ein reines Gemüth die Stimmen der Nothwendigkeit vernimmt; sie treiben und halten den Mann vom Abgrund der Leidenschaft zurück, während das Mädchen in ihrem abgetrennten Daseyn, sich selbst mit der Gewalt ihrer Empfindung überlassen, hinabstürzt.

In den nothwendigen Stunden der Ruhe am letzten Tage seiner Reise, fiel Walthern das Tuch, welches ihm der Alte von Nanny überbracht [322] hatte, wieder in die Augen. Geheime Zauberkraft lag in den verschlungenen Streifen dieses Gewebes, und es schien mit den Characteren der Vergangenheit lebendig bezeichnet; er konnte die Treue des Herzens, das einst für ihn unter diesen Fäden schlug, nicht bezweifeln, die sanft geründete Wange, an der es streifte, jede heitre, unschuldsvolle Miene des lieblichen Angesichts; alles stand lebendig vor ihm. Welche unsichtbare Hand hält den Schleier über den Reminiszenzen des Menschen, dessen Heben und Senken oft seinem Schicksal den Ausschlag giebt!

Eine sanfte Ahnung von der Treue des geliebten Mädchens, die beinahe zur Ueberzeugung stieg, belebte Walthers Herz, und erfüllte es mit Glauben und Vertrauen. Wie gern wäre er zurückgeeilt! Sein ganzes Benehmen kam ihm jezt so thöricht vor, alles, was er gegen die Wünsche seines Herzens vernommen, zerfloß in nächtliche Finsterniß, und er rieb sich die Stirne, wie ein Erwachender, um jede Spur der quälenden Traumgestalten zu verscheuchen.

[323] Wie ein Genesender fröhlich die Wiederkehr seiner Kraft empfindet, so fühlte er neuen Muth zu hoffen, und fröhliches Selbstvertrauen.

Er ritt an einem alten Eichenwald hin, der an einer Erhöhung lag, von welcher man eine meilenweite Gegend vor sich liegen sah. Schon konnte er die Thürme der Stadt unterscheiden, er wußte, daß er zur bestimmten Zeit anlangen könne, und überließ sich dem ruhigen Schauen der Landschaft, über die das sanfte Licht des Abends jene Ruhe, jene heitre Stille ausgoß, die dem Gemüth so labend ist, in welchem die Wellen der Leidenschaften nicht längst auf und abwogten. Er sann einen Brief an Nanny aus, eine Geschichte seiner Reise, ein Bekenntniß seines Argwohns, seiner Thorheit.

So durchritt er die lieblichen Pfade des Waldes, als er auf einem freien Rasenplatz eine kleine Gesellschaft erblickte. ER wollte umlenken, aber eine wohlbekannte süße Stimme rief ihn herbei. Sanft überrascht nahete er sich, und fand Leonoren. Ihr ganzes Wesen strahlte [324] wieder in Fröhlichkeit und Liebe. Sie war allein mit einer Freundin, ein kleines Theetischchen mit Büchern, Noten, Papieren und Zeichenmaterialien stand vor ihnen. Ein geöffneter Brief, dessen Ueberschrift von seines Onkels Hand war, und an dem sein Siegel hieng, fiel ihm unter den Papieren sogleich ins Auge. Er entfärbte sich, an einen quälenden Gegenstand auch hier wieder erinnert zu seyn. Leonore hatte seine Blicke auf den Brief sogleich bemerkt, und sagte, indem sie den Brief einsteckte: Sie kommen recht zur guten Stunde, um mir über einen Auftrag Ritter Roberts Licht zu geben.

Die Freundin schwazte heiter und angenehm, wie Leonore. Der Platz war in der Nähe ihres Landgutes, Leonore bei ihr zum Besuch. »Wir verbrachten den Tag im lebhaften Andenken der Vergangenheit, sagte Leonore. Unsere Phantasie schwebte in Jugendträumen, und in den Träumen des reifern Alters: denn in gewissen Punkten bleibt unser Daseyn ein immerwährender Schlummer.« Sie schlug die Augen [325] nieder nach einem hellen Blick auf Walthern. Bei Leonorens Freundin schien die Heiterkeit der Mienen und Worte nicht so, wie bei jener, den ganzen hellen Grund des Gemüthes darzulegen. Ihre Heiterkeit war nicht überfließend, und Walther fühlte sich minder frei in ihrer Gegenwart. Dennoch fieng er schon an sich durch Leonorens sanftes Bemühen angenehm zerstreut zu fühlen, als der sinkende Tag ihn zur Abreise zwang. Im Abschied nehmen rief Leonore: ach, ich vergaß Sie um Ritter Roberts gegenwärtige Verhältnisse zu befragen; ich bin mit den Eigenheiten seiner Laune hinlänglich bekannt, doch befremdet mich sein gegenwärtiger Auftrag etwas. Er schreibt mir nach sehr langem Schweigen einen sonderbaren Brief. Er wünscht ein junges Mädchen, an welchem er den zärtlichsten Antheil zu nehmen scheint, meiner Führung anzuvertrauen. Die glühenden Farben, mit denen er die Reize seiner Geliebten beschreibt, deuten auf die zärtliche, weiche Stimmung, in der wir lauter farbige Strahlen um einen Gegenstand sehen. [326] Kennen Sie das Mädchen? Sollte er sich wohl entschließen zu heurathen?

Walther fühlte seinen Busen starren, und seine Stirne glühen. Das fragende Auge Leonorens foderte eine Antwort – Seine Stimme bebte – er stammelte etwas Unvernehmliches, und eilte nach einer stummen Verbeugung hinweg. Leonore sah ihn verwundert an, eilte ihm nach, faßte freundlich seine Hand, und sagte: Verzeihen Sie, Walther, habe ich Sie mit einem Ausdruck über Ihren Oheim beleidigt, so weiß mein Herz nichts davon – Gewiß nicht! Robert war mir einst sehr werth, ich gestehe es Ihnen frei; und noch immer denke ich nicht ohne zärtliche Erinnerung an ihn. – Sagte ich etwas Unfreundliches in diesem Augenblick über ihn – so war's wohl weiblich – und natürlich gerade darum, Sie verzeihen das –

Auch das noch! sagte Walther heftig, grüßte Leonoren, und eilte höchst bewegt und verwirrt davon.

Leonore sah sonst ins Innre der Gemüther, [327] und ergriff die Verhältnisse mit jenem feinen Takt, der allemal die richtigen Beziehungen findet; jezt hielt ein allzulebhaftes Empfinden ihren Scharfsinn gebunden. Sie hatte eine zärtere Erwiederung ihres Vertrauens erwartet, war tiefer gekränkt, als sie sichs gestehen mogte, von jenem allgewaltigen Interesse in Walthers Herzen, das sogar jeden freundschaftlichen Antheil an ihr selbst verdrängte.

Offen und der Zurückhaltung ungewohnt, warf sie sich weinend an die Brust ihrer Freundin. Diese hatte schon Leonorens leidenschaftliche Bewegung wahrgenommen. Sie selbst war jedes tiefen Eindruks unfähig, aber sie wollte beschäftigt seyn, und Leonorens reizbares Gemüth, das nur von einem neuen Eindruck leidenschaftlich bewegt war, wurde ihr gleichsam ein Instrument, auf dem sie ihre eigene, langweilige Existenz verspielte.

Sie war eine von denen, für die Ruhe der Gesellschaft gefährlichen, Personen, die von den Schwachheiten anderer leben, weil sie sich nicht [328] zur Stärke eines eignen Daseyns weder in Grundsätzen noch Gefühlen erheben können. Auch ihre äußere Lage hatte nichts bestimmendes. Ohne Familien-Interesse war sie immer bereit und frei, um Leonorens Launen zu dienen.

Sie faßte jezt die Weinende sanft an ihre Brust. Dieser sollte dir entgehen, wenn uns ernstlich an ihm gelegen ist? – Ja das ists wahrhaftig, rief Leonore lächelnd unter Thränen: was bewegt ihn nur so gewaltig, daß er mich so verlassen konnte?

Und das wäre dir ein Räthsel? sagte die gefällige Freundin. Für dießmal war ich scharfsichtiger als du. Bei dem Antrag des Oheims fieng seine Bestürzung an. Ein so kraftvoller selbstständiger Jüngling kümmert sich wenig um äußere Vortheile und glänzende Aussichten. Nicht die Neigung des Oheims, aber ihr Gegenstand muß ihn so gewaltig interessiren. Ich will mich desselben bemächtigen. Rathe dem Oheim, mir das junge Mädchen anzuvertrauen, und alles soll dort zum besten gehen, während [329] du den Neffen mit allen sanften Banden an dich zu fesseln nicht vergebens streben kannst.

Der Plan wurde durch Hin- und Wieder-Reden immer besser ausgearbeitet. Leonore sah nur den Besitz ihres Geliebten, den sie mit aller Kraft ihres Herzens zu halten strebte. Sie sann so ganz nur ihn zu beglücken, daß sie ohne inneren Vorwurf gewaltsam in das Schicksal seiner Liebe eingriff, die ohnedieß nicht glücklich zu seyn schien. Sie ließ es bei dieser schwankenden Ansicht bewenden, vielleicht durch eine dunkle Ahnung ihres falschen Benehmens geleitet, sie wollte jezt nur ihrer Liebe folgen, und sich selbst von jeder andern Rücksicht befreien.

Walther eilte nach Hause, und aller Frieden, alle freundlichen Hoffnungen waren aus seiner Seele aufs neue entwichen. Nannys Untreue stand unwandelbar vor ihm.

Der Unmuth eines edlen Gemüths wühlt in seiner eigenen Tiefe, und löset sich selten in Klagen auf.

Walther floh den Anblick seiner Freundin; [330] er fürchtete bald eine Erklärung, die ihm im ersten Augenblick Bedürfniß schien. Nannys Gestalt war noch immer für ihn mit einem heiligen Schein umgeben; er konnte es nicht wagen, sie zu entkleiden, aber er war unfähig, sich ihr zu nähern, unfähig ihr Anschau'n zu ertragen, unfähig ihr zu schreiben. Die Laute der Liebe erstarben in bittrer Wehmuth, wenn er die Feder ergriff, und klagend vor dem Herzen zu erscheinen, das ihn einst mit aller Seligkeit der Liebe überstrahlt hatte, das vermogte er nicht, Möge sie glücklich seyn! rief er oft aus, wenn sein eigenes Daseyn in hoffnungsloser Einsamkeit vor ihm lag. Ihr Glück war noch ein Band für ihn, an dem er sich selbst am Leben und Hoffen zu erhalten vermogte!

Er drükte ihr geschenktes Tuch an seinen Busen. Sie ist wohlthätig, menschlich, theilnehmend! Der Reichthum meines Oheims wird zum Seegen in ihrer Hand werden, sie wird in fremdem Glück leben, wenn sein kalter Busen ihr eignen Genuß versagt, wenn sie einst auch [331] mit Wehmuth auf die abgerissenen Blüthen unserer Jugend zurückschauen wird!

Ein schönes starkes Gemüth nur vermag unendlich zu lieben, und in ein anderes Daseyn überzufließen. Die Leidenschaft ist ihm eine Schule der weichen menschlichen Gefühle, die oft im rauhen Leben verklingen, nur den Schwachen wird sie ein verzehrendes Feuer der eignen Kraft.

Leonore hatte viele Bekannte in der Stadt, wo Walther in Garnison stand, sie hatte selbst in verschiedenen Zeiträumen da gelebt, und ihr heitres, anschließendes und anziehendes Wesen erhielt ihr überall Freunde. Sie fand auch jezt welche, durch die sie genau mit Walthers Lebensweise, sogar mit seiner Stimmung bekannt bleiben konnte. Immer hatte er Stärke genug, im äußern Leben nie vom gewohnten regelmässigen Gang abzuweichen, den seine Verhältnisse von ihm foderten. Einer von seinen genauern Bekannten fand dennoch alle seine Heiterkeit erkünstelt, und benachrichtigte Leonoren, daß sich ihr Freund in einem Zustand zerstörender Anspannung[332] befände, der ihn nothwendig aufreiben müßte, und dessen Spuren sich schon in seiner Gesundheit sichtbar zeigen.

Leonore eilte nach S.

Simplicität und Weltschlingen

Robert belauschte alle leisen Töne, jeden Wechsel der Stimmung in Nannys Wesen; seine Versuche, sie in einer empfänglichern Minute zu überraschen, wurden häufiger, je länger Walthers Entfernung dauerte.

Glücklich hoffte er in einem jener Momente, wo Nannys Herz von Sehnsucht und heftigem Verlangen ermüdet wieder nach einer tröstenden gegenwärtigen Erscheinung, und nach einer lichten Zukunft greifen würde, sich in der Gewalt der Gegenwart dem verbleichenden Zauberbild des Abwesenden unterzuschieben. In einer Lage, wo Nannys Daseyn sich nur durch Hoffnungen und Erinnerungen erhielt, führte sie Robert zuerst in die goldne Welt der Dichtung; neues[333] Leben athmend schwebte sie in der Vergessenheit ihres eigenen schmerzlichen Zustandes in jenen zauberischen Gefilden umher. Er gab ihr die lebendigsten Gemälde der Leidenschaft von den ersten Künstlern entworfen, und stand mit süssem Selbstbehagen neben dem blühenden Mädchen, dessen ganzes Wesen sich in glühenden Träumen aufzulösen schien. Wenn ihr feuchter Blick vom Schimmer der Zärtlichkeit verklärt sich zu ihm erhob, wenn ihre melodische Stimme in ihren zärtesten Beugungen sich dem leisesten und tiefsten Sinn des Dichters anschmiegte; dann wallte ihr sein Busen hoffend und liebend entgegen, und er wähnte, der Augenblick seines Glückes sey gekommen. Aller Plane vergessend fühlte er das rastlose tantalische Streben seines Busens durch einen labenden Moment des Genusses gestillt. Er eilte zu ihren Füßen zu stürzen – aber schon traf ihn Nannys Blick nicht mehr, in der Ferne verloren suchte ihr Auge das Bild des abwesenden Geliebten. Erstarrt fuhr Robert zurück, und wurde auf einmal wieder zum [334] kaltbeobachtenden planvollen Egoisten, dem es nur um seine volle eigne Verklärung zu thun war.

Noch ist die Zeit nicht da, sagte er bei sich selbst; aber nothwendig muß sie kommen! Treibt nicht die Leidenschaft die Kraft des Gemüths empor als eine lodernde Flamme, die den Gegenstand ihres Verlangens aufzehrt? Muß die Flamme nicht seitwärts schlagen, und einen neuen Gegenstand zu ihrer Nahrung ergreifen?

Dem Ritter ging es wie allen, die über menschliche Empfindungen im Abstrakten rechnen wollen, das Resultat ihrer Rechnung paßt auf keinen einzelnen Fall, es paßte wenigstens für jezt nicht auf Nanny.

Bei ihr, wie bei allen Wesen von harmonischen Anlagen, war keine einseitige Bildung möglich. Während sich ihre Fantasie entfaltete, und ihr Herz an der Quelle holder Täuschungen genoß, bildete sich ihr Verstand an der Menge und der Verschiedenheit der Existenzen, die sich ihr im Gewebe der imaginativen Welt darboten; [335] ihre Vernunft reifte durch die lebendige Reizbarkeit ihres Wesens, das seine eigene Beziehung zu allen Lagen und Verhältnissen empfand, zu dem ernsten Treiben, immer die richtigen und wahren zu suchen. Ihr Innres durchlief einen weiten Kreis der Erfahrung, und ihr gerader Sinn fand die Formen des Rechten und Schönen als das Ziel ihrer Wünsche, nachdem sich schon längst ihre schöne Natur in angebohrner Grazie entfaltet hatte.

Roberts Interesse an dem sonderbaren Mädchen wuchs mit jeder neuen unerwarteten Wendung ihres Geistes. Da ihr Scharfsinn und ihr Urtheil neben den üppigen Blüthen ihrer Einbildungskraft reiften, fand er es nöthig, einen andern Weg zu ihrer Bildung und zur Befördederung seiner Wünsche zu erwählen.

Die engen Bande der Gewohnheiten und Sitten, die auf diesem von der übrigen Welt isolirten Platz eine eiserne Festigkeit annahmen, waren ihm lästig. Gefährlich schien es ihm für seine Plane, wenn die Ehrfurcht für diese alten [336] Formen auch in Nannys Gemüth herrschend werden sollte. Dem ungeübten Auge, dem leichtbeweglichen Sinn der Jugend ist die Existenz einer gewissen Lebensweise, gewisser Verhältnisse schon eine Autorität, und mit dem allgemein Angenommenen söhnt sich unsre Vorstellungsart unvermerkt aus. So schloß Robert, und faßte den Entschluß, Nanny mit den Sitten einer großen Stadt bekannt zu machen.

Seine Verhältnisse mit Leonoren von L. wurden auf einmal wieder in seinem Gemüth lebendig, da er den Kreis seiner Bekannten durchlief, um eine Führerin beim Eintritt in die Welt für Nanny aufzusuchen. Die Rückerinnerung an seine eigne unbefangene Herzlichkeit in diesem frühern Verhältniß warf vielleicht ein schöneres Licht auf Leonorens Andenken; vielleicht auch nur geleitet von der süßen Behaglichkeit, überall von einer holden entgegenkommenden Empfindung umgeben zu seyn, und in einer wieder angeknüpften Freundschaft noch den Nachklang alter Zaubergesänge zu vernehmen. Genug [337] er schrieb an Leonoren, und äußerte den Wunsch, Nanny ihrer Führung anzuvertrauen.

Robert selbst wollte sie begleiten, in ihrer Nähe bleiben, und jeden neuen Eindruck, den die Welt auf sie machen würde, beobachten, ordnen und motiviren. Die Bande der Sittlichkeit sollten locker aber nicht aufgelöst in ihrem Gemüth werden. Die romantische Treue ihres Herzens sollte erschüttert, aber die Fähigkeit zu derselben rein bewahrt bleiben.

Eine alte unverheurathet gebliebene Base, die ihm ganz ergeben war, und dabei so kurzsichtig als er es wünschen konnte, sollte Nanny des Anstandes wegen folgen. So hatte er schon längst alles vorbereitet, und erwartete nur den Moment, seinen Plan zu eröffnen.

Walthers ungewöhnliches, unbegreifliches Schweigen, riß Nanny aus der still duldenden Heiterkeit, in welcher sie ununterbrochene Geistesbeschäftigungen erhalten hatten. Die gehoffte Freude des Geliebten an ihrer feinern Bildung hatte all ihr Thun mit einem Genusse des Herzens [338] begleitet; in seinem lebendigen Andenken hatte sie immerwährend gearbeitet und gewan delt. Jetzt unterbrach eine dumpfe Besorgniß den Lauf ihrer Gedanken, ermattet sanken die Flügel ihres Geistes, die kein Hauch der Liebe mehr bewegte.

Walther schrieb an seine Eltern, aber ein unterdrückter, verbissener Schmerz war für Nanny in diesen Briefen sichtbar, der ihre Seele mit Unruhe und Angst erfüllte.

Sie schrieb einige Briefe an Walther in sanften Klagen über seine Vergessenheit, und da diese unbeantwortet blieben, verschloß sie ihren tiefen Kummer im eignen Busen.

Robert war der gefälligste Freund, aber ein Vertrauter konnte und wollte er auch vielleicht nicht werden. Walthers Name wurde nie genannt, aber Nannys Gemüthszustand wurde auf das zärteste beobachtet, und manche Rede Roberts enthielt den absichtlich umhüllten Sinn eines Trostes, eines sanften Zusprechens, bei einer erlittenen Kränkung.

[339]

Die Ueberlegenheit, die Robert gerade in dieser Lage über Nanny hatte, war groß, und sein Einfluß auf ihre Entschließungen entscheidend. Mit dem geschärften Takt eines gereizten Begehrens folgte er jeder Wallung in ihrem Herzen, und sein eigner kalter von fremdem Schmerz unerschütterter Busen, riß ihn nie zur Selbstvergessenheit hin. Die Gewalt seiner glühenden Fantasie beherrschte den Kreis ihrer Empfindungen, und wie der brausende Fittig des Sturms in den zarten Blättern der Pflanzen wüthet, so regte er Schmerz und Sorge in den feinen Blüthen ihres Herzens auf.

Die lebhafteste Ungeduld wurde endlich Nannys herrschendes Gefühl, und das Verlangen von diesem Zustande befreit zu seyn, machte ihr den Entwurf zur Reise mit Robert annehmlich, sogar erwünscht.

Roberts Wesen hielt Nanny, ohnerachtet der näheren Bekanntschaft, noch immer in einem sonderbaren Staunen; er blieb für sie eine wechselnde Erscheinung, und wie seine eigne Natur [340] in allen Formen einer bildenden Imagination, der das Vermögen zur schönen Form fehlt, umherschwankte, so schwankten auch die Umrisse seines Bildes in Nannys Gemüth.

Vertrauen, das aus einer stillen, immerwährenden Anneigung der Gemüther entsteht, konnte sie zu der wechselnden Gestalt nie fassen, und mit einer Art von Furcht, gleich als vor einer Geistererscheinung, die uns unbekannte Organe unseres Wesens hervorruft, und vor der unsre ganze Natur erzittert, bebte sie selbst in seinen edelsten Stimmungen vor ihm zurück. Nur die Sehnsucht nach dem Geliebten, der Unfrieden ihres Busens, den alle Qualen der Ungewißheit über Walthers Schweigen bewegten, bestimmte sie zum Entschluß, sich Roberts Führung anzuvertrauen. Walthern erblickte sie am Ziele der Reise. Robert selbst schien oft auf die Vereinigung mit seinem Neffen hinzudeuten, ob er sich gleich nicht bestimmt darüber erklärte. Walthers Vater lächelte gegen Nanny, als man ihm den Entwurf zur Reise vorlegte, und sagte: [341] Du wirst ihm doch wegen seines Schweigens nicht allzuhart zürnen? Die Mutter schwieg, und lächelte schlau auf Robert.

Nannys Eltern waren beide, jedoch in ungleichem Maaße, über den Zustand ihrer Tochter geängstigt. Die zartfühlende Mutter ahnete in Walthers Schweigen eine Mißstimmung des Gemüths, die das Unglück ihres Kindes machen könnte; Nannys verborgenster Seufzer klang in ihrem Busenwieder. Der Vater, froh und heiter vertrauend, ungeschmeidig sich in die zarten Nüancen weiblicher Gefühle zu beugen, legte nur manchmal tiefsinnig seine Hand an Nannys bleiche Wangen, und fragte dann heftig: »Mädchen was ist dir?« Wenn die Mutter gegen ihn ihre Besorgnisse über Walthers Schweigen aussprach, schüttelte er sinnig lächelnd das Haupt, und sagte: Ihr Weiber wollt auch immer, man soll an nichts denken als an euch! Walther kann dem Mädchen sein Wort nicht brechen! Wenn er's könnte, – setzte er nach langem Schweigen hinzu – fürchterliche Falten zogen sich auf der [342] heitern Stirn zusammen, seine ganze Natur schien sich gegen den giftigen Verdacht aufzuregen, und Aufruhr und Verderben anzukünden, wenn sie aus den gewohnten Ufern des Vertrauens einst schäumend überströmen sollte.

Nanny's Geschwister, das ganze Haus folgte ihrem veränderten Zustand mit sanfter Theilnahme, so sehr sie ihr Gemüth auch jedem liebend forschenden Auge zu verbergen strebte. Ein doppelter Eifer schien sie bei allen Hausgeschäften zu beleben; mit sanfter Gefälligkeit hatte sie immer jede Bitte der Geschwister vernommen, und wo möglich erfüllt, jezt kam sie mit zärterem Sinn selbst jedem Wunsche zuvor. Der Ausdruck des Leidens ihrer ganzen Gestalt entging den liebenden, immer zuerst auf sie gerichteten Blicken ihrer Hausgenossen nicht.

Die Eltern und Freunde sahen in Roberts Reiseplan eine willkommene, höchst nothwendige Zerstreuung für Nanny, und willigten mit Freuden ein. Robert wurde in der ganzen Familie wie Walthers zweiter Vater angesehen, und [343] Nanny's Eltern fanden sogar einen untrüglichen Beweis von der Treue des Neffen in dieser Sorgfalt des Oheims für ihre Tochter. Jeder verbarg seine Trauer beim Abschied, um den Abreisenden den Anblick theilnehmender Freude an einem bevorstehenden Vergnügen zu zeigen.

Nanny lag beim Abschied von dumpfen Ahnungen gepreßt an der Brust ihrer Mutter, und konnte sich nicht losreißen. Das Geschrei der kleinen Geschwister, die nach dem Eindruck des Augenblicks gehorsam, ihren Schmerz über den Verlust der Schwester laut äußerten, löste ihre Angst in lindernde Thränen auf. Sie hob eins nach dem andern an ihren Busen, und versuchte sie zu trösten, als Robert erschien, sie zum Wagen zu führen.

Er versprach den Eltern, die treueste Sorge für sie zu tragen, und in der sonderbaren Gewalt, mit welcher er immer auf seinen Kreis wirkte, wagte man in seiner Gegenwart nicht, etwas zu fürchten, wenigstens nicht, sich seine Gefühle zu gestehen.

[344] Mit sanftem Schonen überließ er, während den ersten Stunden der Reise, Nanny den wechselnden Erscheinungen, die in ihrem Gemüth auf- und abwogten.

Zum erstenmal verließ sie das Haus ihrer Eltern, und die weite Welt, die oft so glänzend und heiter vor ihrer Einbildung gelegen, lag jezt wie mit einem schwarzen Schleier umhüllt vor ihr da. Walthers Bild stellte sich oft in lichten Zügen vor sie hin, aber augenblicklich zog sich der Schleier auch über dasselbe her.

Ihr Auge hieng sehnend an dem väterlichen Hause, und so lang sich sein Dach nicht hinter den vordringenden waldigen Hügeln verlor, so lange glänzte ihr Auge in milden Thränen. Ich kenne die Schmerzen, die ich dort empfand, sagte sie sich selbst, der Schmerz, der mir aus jener schauerlichen Ferne entgegendringt, den hat mein Herz noch nicht zu ermessen gelernt!

Nach einigen Stunden klagte sie sich selbst über die Weichheit an, mit der sie sich ihren dunkeln Gefühlen hingegeben; sie fand sich der [345] Undankbarkeit gegen Robert schuldig, der zu ihrer Bildung, zu ihrem Vergnügen diese Reise unternommen, ihr sanftes Auge flehte um seine Verzeihung.

Robert hatte während der ganzen Reise die sanfte Gefälligkeit, die zarten Aufmerksamkeiten für Nanny, die die Frauen immer empfinden und verstehen, selbst ohne durch die Gewohnheit des feinen Umgangs darauf geleitet zu seyn. Nannys Unbefangenheit kannte nichts von der Kunst, den Schein des Argen zu meiden, da sie das Arge selbst nicht kannte. Sie war so entfernt, Robert unter irgend einer andern Beziehung zu denken, als der, des Vaters, des Freundes ihres Geliebten, daß sie ihm nur mit der zarten Achtsamkeit begegnen konnte, die Walther selbst gegen ihn zeigen würde. Oft überwand sie sogar das geheime Wider streben ihres Gemüths gegen Robert, durch die Vorstellung dieses Verhältnisses; es freute sie nach allen Beziehungen, in die sie die Verbindung mit Walthern setzen würde, schon jetzt zu handeln. Wenn sie Robert [346] zuweilen liebe Nichte nannte, flog ein beglückender Traum der Zukunft durch ihren Busen, und eine holde Röthe über ihre Wangen.

Ein lebhaftes Verlangen bildet sich größtentheils in der Region der Illusionen, und führt auch in diese immerwährend wieder zurück. So fein Robert beobachtete, so verschob doch jezt die Eitelkeit seinen Gesichtspunkt. Er freuete sich der sanften Wallungen der Hoffnung in Nannys Busen, und deutete sie im ununterbrochenen Zusammenseyn der Reise nicht selten für sich.

Ein Zufall nährte diesen Wahn.

Am Ende der dritten Tagreise waren sie von dem Ort ihrer Bestimmung nur wenige Stunden entfernt, als sich Robert von einem heftigen krampfhaften Kopfweh befallen sah, welchem er oft unterworfen war, und das schleunige Hülfe forderte. Nanny hatte den Ritter oft besucht, wenn er an diesem Zufall gelitten, und kannte die Mittel und die Pflege, die das Uebel heischte. Sie erlaubte ihm nicht, weiter zu fahren, und drang in ihn, in einem einsamen Hause im Walde [347] zu übernachten, das wenig für Fremde eingerichtet war, und im Sommer nur zu einem Lustplatz diente, nach welchem man aus der Stadt eine Spazierfahrt anstellte. Was von kleinen Bequemlichkeiten zu haben war, drang Nanny Roberten auf. Die Muhme war zu ermüdet, um den geringsten Beistand zu leisten. Nanny sah, wie alle energische Seelen, immer nur auf das nächste und dringendste. Robert war ihrer Pflege allein überlassen, und sie betrug sich gegen ihn wie eine zärtliche Tochter. Sie brachte die Nacht neben seinem Zimmer zu, und wollte ihn keiner fremden Wartung überlassen, da ihre Reisegesellschaft vom Schlaf übermannt da lag. Die Art, mit welcher Robert ihre Sorgfalt aufnahm, der leidenschaftliche Ausdruck seines Dankes für ihre zarte Sorgfalt, seine unverwandten Blicke auf sie, erregten die Aufmerksamkeit der neugierigen Wirthin, die, wie gewöhnlich, immer darauf ausging, die Verhältnisse ihrer Gäste zu entdecken. Mit hundert Fragen bestürmte sie Nanny, die ohne darauf zu achten, in der [348] lebhaften Beschäftigung mit Roberts Wartung nichts als die Wahrheit antwortete, daß sie weder Tochter noch Gattin, noch Schwester, noch nahe Anverwandtin Roberts wäre. Die Folgen, die ein gemeines Weib aus diesen Antworten zog, waren natürlich nicht zu Nannys Vortheil. Die Unschuld und der stille Adel in Nannys Betragen hatte so wenig die Farbe einer berechneten Zurückhaltung, daß ihre hohe Natursprache einem verdorbenen Herzen nicht mehr verständlich war.

Roberten entgiengen die lauschenden Blicke des Weibes nicht, noch weniger konnte seiner Weltkenntniß die Meinung, die sie von Nanny fassen mußte, räthselhaft bleiben, ein Wort von ihm hätte sie widerlegen können, aber er war verloren in Nannys freundlicher Sorge um ihn, der seine Wünsche die höhere Farbe des leidenschaftlichen Antheils gaben. Gern fand er in noch einem menschlichen Wesen außer sich einen Spiegel seines Glücks, es dünkte ihm gewisser zu werden. In diesem fantastischen Genuß der [349] Eitelkeit verloren, blieb er unachtsam auf Nannys Namen, auf ihre Ruhe, die ein feindseliger Dämon oft unwürdigen Zeugen, und unbedeutend scheinenden Zufällen unterwarf.

In den weichen Stimmungen der Kränklichkeit und Sorge kamen Robert und Nanny in St... an.

Madam H.., dieselbe Freundin Leonorens, die wir schon kennen, empfieng Beide mit Vergnügen; sie schien bezaubert von Nannys Schönheit, und sagte Roberten die feinsten Schmeicheleien über seine Wahl. Nanny und ihre Begleiterin blieben in ihrer eigenen Wohnung: Robert bezog ein Haus in der Nachbarschaft.

Madame H.. schien das völligste Einverständniß zwischen den neu Angekommenen als etwas Bekanntes und Angenommenes zu betrachten, obgleich Nannys Unbefangenheit sie nicht selten in Verlegenheit und Verwirrung über die Natur jenes Verhältnisses sezte.

Nanny fühlte eine Unbehaglichkeit in ihrer ganzen Lage, die sie sich selbst nicht zu erklären [350] vermochte. Sie fühlte sich zum erstenmal fremd in der Welt, und ihr ofner Sinn mußte sich verschließen lernen. Ueberall vernahm sie die leisen Tritte der Arglist und des Verdachtes um sich her, ohne einen Zweck des geheimnißvollen Treibens zu erkennen. Sie fühlte sich von Schlingen umfangen, ohne die Hand wahrzunehmen, die sie gelegt; ihr unschuldiges Herz konnte Roberts böse Absichten nicht verstehen, und warf sich selbst die Ahnungen der Tücke und Falschheit vor, die es bei seinem Anblick oft schaudernd ergriffen.

Die Hoffnung auf Walthern hielt sie allein zurück, nicht sogleich in den ersten Tagen wieder nach ihrer Heimath zu begehren. Walthers Garnison war nur eine kleine Tagreise von S. entfernt. Robert ließ einige Winke fallen, als erwartete er seinen Vetter. Dieses beruhigte Nanny über Walthers sonst so unerklärliches Schweigen; sie träumte zuweilen sogar von einer holden Ueberraschung, die ihr Liebe und Freundschaft bereitet hätten.

Wie freute sie sich, ihren Geliebten, dafür [351] geschmückt mit allen Künsten der feinern Welt zu überraschen! In süßer Liebesthorheit brachte sie manchen Augenblick am Putztisch hin, um die gefälligste Form der Kleidung zu wählen, in welcher sie zuerst vor ihm erscheinen wollte, sie saß mit ihrer Guitarre, um die Lieder aufzusuchen, die die reinsten und vollsten Töne der Stimme enthielten.

Saß sie im Gesellschaftszimmer, so jagte jeder Laut eines Ankommenden, jedes Klopfen an der Thüre ein Erröthen über ihre Wangen, und wenn dann wieder ein Tag hingegangen war, ohne die geliebte Erscheinung, wenn der Abend mit der wärmeren Glut der Einbildung, mit seinen Traumbildern und Ahnungen herabgesunken war, dan eilte sie von der Gesellschaft hinweg in ihr einsames Zimmer, und ihr Wesen, das in Sehnsucht aus einander gieng, vereinte sich wieder in den holden Traum der Liebe. Sie sah noch einmal die lange Straße im Glanz des Mondes hinauf, und strebte, wie eine Zauberin, die auf und ab wandelnden Gestalten in den [352] Kreis ihrer Wünsche zu bannen. Er ist es! sagte sie oft, wenn in der Mondesdämmerung die ersten schwankenden Umrisse einer neuen Gestalt erschienen. Wenn sie sich nun näherte, und in fremden Formen das holde Bild ihres innern Sinnes zerrann, dann schlug sie das Fenster zu, und sagte: nun will ich auch heute nicht mehr hoffen! Aber der zunächst ankommende Wagen stürzte diesen Entschluß um, und die fieberhafte Spannung des Erwartens wechselte immerwährend in ihrem Wesen mit dem Schmerz der hoffnungslosen Sehnsucht.

Robert sah sie lieber in dieser weichen, der Fluth aller Gefühle hingegebenen Stimmung, als im Zustand klarer heitrer Besonnenheit. Bald nährte er ihre Hofnungen durch einige flüchtige Worte über Walthers Ankunft, bald tödtete er sie wieder durch sein Schweigen, durch einen hingeworfenen Zweifel an seinen Neffen. Grausam spielte er mit dem treuen, liebevollsten Herzen!

[353]

Netze der Weiberlist

Leonore versuchte alles, um ihren Freund zum heitern Genuß des Lebens zurückzuführen. Vergebens war jedes sanfte Bemüh'n, vergebens selbst die stille Sprache des vertraulichen Antheils an seinem Kummer; seine Verschlossenheit blieb lange unüberwindlich. Nur dann, wenn Leonore, von der Gewalt ihrer Neigung für ihn hingerissen, in den weichen, süßen Ton eines ganz hingegebenen Herzens fiel, dann vermochte er nicht, sich zurück zu halten, und sein eignes, tief verborgenes Gefühl trat aus allen Ufern.

Soll unser Herz nur ein Traum des Genusses laben? Ist ewiges Bedürfen, endloses Verlangen unser Loos? So seufzte Walther, wenn er Leonorens liebewallendes Herz von dem seinen drängen mußte, wenn Nannys Andenken jede zarte Regung seines Busens forderte.

Leonore wagte es, in einem dieser Momente das Geheimniß ihres Freundes, den Namen der Geliebten auszusprechen. Erschrocken bebte er [354] zurück, da seine Liebe, sein stummer Schmerz von fremden Lippen ihm entgegen tönte; aber bald wurde er vertraut mit der Stimme des Trostes.

Leonore konnte ihn nicht länger undankbar finden, da sie sein Herz kannte; sie zeigte sich so stark, so mild gestimmt, seit sie sein Vertrauen errungen, so ganz nur durch seine Ruhe beglückt, durch seinen Schmerz leidend, daß Walther nunmehr auch um ihrer zu schonen, den Gleichmuth in seinem Innern herzustellen suchte, den er bisher in seinem Betragen gezeigt.

Einen wichtigen Vortheil hatte er erlangt: Leonore konnte ihm über Nannys Lage Nachricht geben, und er konnte, der Geliebten unbewußt, dem Lauf ihres Schicksals folgen, vielleicht selbst den Faden lenken, vielleicht sie einst vom Abgrunde zurückhalten.

Regelmäßig bekam Leonore Briefe von ihrer Freundin. Oft wurden sie Walthern mitgetheilt, zuweilen auch mit einer traurigen Miene verborgen. Nanny erschien in diesem Briefwechsel [355] als das liebenswürdigste Wesen, das sich mit jugendlicher Heiterkeit den fröhlichen Eindrücken der ihr neuen Welt hingab.

Das Verhältniß mit Robert wurde als etwas ein- für allemal Angenommenes behandelt, und in den Briefen, die man Walthers Augen entzog, ließ man ihn geschickt Dinge ahnen, die man ihm nur aus Schonung zu verbergen suchte.

Der holde Reichthum an Liebe und Treue in seinem eigenen Herzen, die Energie der Jugend, die alles, was uns umgiebt, mit dem Zauber eigner Reinheit und Unschuld zu überstrahlen vermag, alles verhinderte Walthern, einen klaren Begriff von Leonorens Wesen zu fassen. Ihre Art zu lieben war ihm fremd, ganz unbegreiflich ihre unverzeihliche Schwachheit gegen sich selbst, die die Gegenstände in der Dämmerung schweben und schwanken ließ, um sich der ganzen freien Gewalt eigner Wünsche und Genüsse ungestört hinzugeben.

Leonore, Robert und Madame H** besaßen noch zu viel Achtung für sich selbst, um ihre gemeinsamen[356] Plane deutlich gegen einander auszusprechen, und sie konnten um so eher jede bestimmte Erklärung vermeiden, da der Entfernung wegen alles schriftlich verhandelt wurde.

Durch ein gleiches Interesse getrieben, durch dieselben schiefen Maximen geleitet, setzte sich ein stummes Einverständniß unter ihnen gleichsam von selbst fest.

Walthers Ueberzeugung von der Untreue seiner Geliebten wurde täglich stärker und unwandelbarer. Um sie zu schonen, um sie weder zur Reue noch zum Mitleid zu bewegen, um in seinem Benehmen auch nicht die leiseste Spur eines Vorwurfs zu zeigen, beharrte er in seinem Schweigen gegen sie. Seine Bekanntschaft mit dem Weltlauf, wo tausend künstliche Bedürfnisse selbst die bessern Gemüther tief genug beugen, um den Reichthum für das erste Gut des Lebens zu halten, trug nicht wenig dazu bey, ihn in die ser Handlungsweise zu bestärken. Was konnte er Nanny für einen Ersatz gegen den Reichthum seines Oheims anbieten? Er hatte in seinen rauhen [357] Bergen, wo Arbeit und Mäßigkeit jedem gnügen, einen andern Maaßstab der Bedürfnisse. Was er auch für sich selbst über den Werth der Verfeinerung entschieden, durfte er zu seinem eignen Vortheil für Nanny entscheiden?

Nanny war zu wenig geübt in schriftlicher Darstellung ihrer Empfindung, als daß ihre Briefe dem verstimmten Walther ein treues Bild ihres Gemüths zurückrufen konnten. Gebunden durch mädchenhafte Scheu, verbarg sich ihr glühendes Herz in allgemeinen Ausdrücken, und da durch Walthers Argwohn das schöne Verhältniß unterbrochen war, in dem Liebende eine eigene, geheimnißvolle Sprache in die allergewöhnlichste legen, so blieben ihre Briefe ohne Wirkung.

Ein offnes Wort von Walthern hätte das schönste Einverständniß wieder hergestellt; aber die natürlichste Ansicht verschwindet selbst dem gesundesten Verstand in dem Nebelkreis der Leidenschaft.

Walther umfaßte den tiefen Schmerz einer so verlornen Liebe mit der ganzen Fülle der Jugendkraft,[358] und die ganze Welt ward ihm nur zum Spiegel seines eignen zerstörten Glücks.

Alle zärteren Anklänge des Lebens waren für ihn verstummt; er duldete doch eigentlich nur Leonorens Antheil. Es hatte sogar etwas schmerzliches für sein reines Herz, eine unerwiederte Empfindung eingeflößt zu haben. So verschiedne Farben auch Leonore ihrer Neigung zu geben wußte, so war es ihm doch oft klar, daß sie alle andre Aussicht und Hoffnung des Lebens seinetwegen aufgegeben. Den Major hatte sie durch ein offnes Geständniß, daß ihr Herz sich zu einem Andern gewendet, entfernt, und kein neues Verhältniß angeknüpft. Walther scheute sich, das Opfer eines Daseyns anzunehmen, dem er das seine nicht entgegen setzen konnte. Oft wollte er Leonoren fliehen, aber sie wußte ihrem Betragen so unzählige Nüancen zu geben, daß er immer wieder irre an ihr und seinen eignen Entschließungen werden mußte.

Ohne daß er es sich selbst gestand, war ihre Gutmüthigkeit, seine Sorge um sie, das Element [359] geworden, in dem sein jugendliches Leben sich noch erhielt.

Das große Ganze der Menschheit, nach dem seine innre Kraft wirkend und bildend sonst hingestrebt, lag zersplittert in den scharfen schneidenden Formen des Egoismus vor seinem Geiste; voll der gährenden Stoffe kleiner Leidenschaften, ohne Muth, ohne innre Freiheit, unfähig des reinen, frohen Lebensgefühls schien ihm die Masse der Gesellschaft.

Unter einem Volke, bei dem mehr wie bei jedem andern der Schein das erste Gut und das erste Gesetz war, das in der ewigen Berauschung der Eitelkeit lauter erkünstelte Verhältnisse an die Stelle der natürlichen schob, bei dem das Gift der Verfeinerung dem Egoismus eine unabsehbare Fläche gab, unter einem solchen Volke konnte Walthers Gemüth am wenigsten zum Glauben und Vertrauen genesen. Immerwährend an den Mißbrauch der Kultur durch seinen eignen Verlust erinnert, stand er im Gefühl seiner Kraft, rauh und fest, aber bald mit dem [360] grünen Laub der Jugend gekrönt, wie die Felsen seines Landes, in den stürmischen, Verderben drohenden Fluthen.

Mehrere Menschen versuchten, sich an ihn anzuschließen; er wies sie mit kalter Höflichkeit zurück. Leonore fand auch ihre Rechnung dabei, ihren Freund auf ihren Zirkel des Umgangs einzuschränken; sie hatte mancherlei Ursachen, um nicht zu wünschen, daß er ihr Bild in dem Vergrößerungsspiegel der öffentlichen Meinung anschauen möchte. Sie war so glücklich, ihn allein zu besitzen, ihn mit den zarten Banden der Freundschaft, des Vertrauens immer enger an sich zu knüpfen; und er fand nur bei ihr sein Herz lebendig in den süßesten Erinnerungen, in der leisen Hoffnung, von Nannys Verhältnissen, von ihrer Stimmung vielleicht doch endlich noch etwas Tröstendes zu vernehmen.

Die Briefe seiner Mutter waren beunruhigend; sie erwähnte Nannys Namen nicht mehr. Es schien, als wolle sie ihren Sohn nicht mehr [361] kränken durch eine für sie selbst ganz entschiedene Ansicht seines Schicksals.

Ein Brief von Nannys Vater entflammte seinen Muth, seine Hoffnung aufs neue. Er war bei Gelegenheit eines Geschäfts geschrieben, aber in den herzlichsten Ausdrücken, in dem vollen treuen Glauben seines künftigen Verhältnisses zu ihm.

O ich will zu ihr eilen: rief Walther, indem er sich seinen Kleinmuth vorwarf: im offnen, freien Gespräch, sollen sich alle verworrenen Ansichten lösen! Er entdeckte sogleich Leonoren seinen Entschluß, die ihn mit einem schmerzlichen Lächeln anhörte.

Walther eilt den nächsten Morgen fort. Leonore unternahm eine Reise, die sie, wie sie ihm sagte, schon allzulang aufgeschoben. Sie gieng, um eine kleine Besitzung in Augenschein zu nehmen, die sie in der Gegend von St. kürzlich geerbt, und bat Walthern, sie auf seiner Rückreise dort aufzusuchen, um ihr seinen Rath bei verschiedenen neuen Einrichtungen zu ertheilen.

Im Gefühl einer längst entbehrten Heiterkeit [362] ritt Walther durch die reine Luft und die blühenden Fluren. Hoffnungsvolle Sehnsucht füllte seinen Busen aufs neue; Sorge und Argwohn wichen gleich Schattenbildern vor dem neuen heitern Tag seiner Liebe.

Die Müdigkeit seines angestrengten Pferdes führte ihn nach demselben kleinen Wirthshause im Walde, wo Nanny der Krankheit des Oheims wegen übernachten mußte. Der enge Raum, der noch dazu von andern Fremden eingenommen war, nöthigte Walthern, in der Wirthsstube zu bleiben. Sein Dialekt führte das Gespräch der Wirthin sogleich auf sein Vaterland, auf die neuesten Begebenheiten. Sie erzählte, daß vor einigen Monaten auch Landsleute von ihm hier übernachtet hätten, ob er sie wohl kenne? Es war ein ältlicher Herr mit einem entzückend schönen Mädchen, sagte sie. O wie die sich liebten! wie er ihr jeden Wunsch im Auge las; aber wie besorgt sie auch um ihn war! wie sie ihm pflegte! Ja, wenn er sie nicht zu seiner Frau macht, kann er es nicht verantworten. – Sie hießen, [363] wie ich nachher erfahren – Die Wirthin sprach des Oheims Namen nicht ganz richtig, doch unverkennbar für Walthern aus. Es blieb ihm kein Zweifel übrig. Es war ihm, als ob sein Busen in Flammen aufloderte. Mit erstickter Stimme that er noch einige Fragen, die das Geschwätz, der Wirthin unterhielten. Jedes ihrer Worte fuhr wie schneidendes Eisen durch sein Herz, und gleichsam, um seine Qual zu häufen, forschte er nach jedem kleinen Umstand.

So ist denn alles verloren! rief er aus, indem er sein glühendes Angesicht, seine Augen, in denen heiße Thränen brannten, in seinem Lager verbarg. Doch will ich sie sehen, und aus ihrem Munde das Zeugniß ihrer Untreue vernehmen.

Die Liebe fand in dem reinen Gemüth keinen Stoff kleiner Leidenschaften, weder beleidigte Eitelkeit, noch gekränkten Stolz. Walthers tiefstes Gefühl war nur ein unendlicher Schmerz, den schönen Glanz seiner Hoffnung aufs neue in die Finsterniß gesunken zu sehen.

[364] Als er am Morgen von einem unruhigen Schlaf erwachte, und das Fenster öffnete, um seine heiße Stirn an der frischen Morgenluft zu kühlen, sah er einen so eben angekommenen Boten vor der Hausthür stehen. Er suchte einige Briefe, die er abzugeben hatte, aus der Briefrasche hervor. Die Wirthin las die verschiedenen Aufschriften und rief: Hier, dieser ist an einen Herrn, welcher sich so eben in meinem Hause befindet, und dem vielleicht daran liegt, ihn früher zu erhalten. Sie sah nach Walthers Fenster auf, und da sie ihn erblickte, nahm sie dem Boten den Brief ab, um ihn eilig zu überbringen. Er ist mir theuer empfohlen, sagte der Bote, indem er ihn übergab.

Walther erkannte Nannys Handschrift, öfnete ihn mit zitternder Hand, und las, als ihn die Wirthin verlassen, folgende Zeilen:


»Ich wünschte, Ihr Herz möchte in dem Genuß eines neuen Glückes durch keine Rückerinnerung gekränkt werden. Darum erlauben Sie mir durch diese Zeilen feierlich auf alle Ansprüche zu [365] verzichten, die durch ein ehemaliges Verhältniß unter uns entstanden waren. Es war ein Jugendtraum. Genießen Sie ungestört des neuen Lebensglücks. Wir sehen uns nie wieder.

Nanny


Sie entsagt mir feierlich! Dies war zu viel für Walthers verwundetes Herz. Er wähnte ihr Anschaun nunmehr nicht ertragen zu können; sie selbst versagte es ihm ja.

Die fröhliche Eile des Liebenden war gehemmt. Berge und Thäler, die seine Phantasie, von den Schwingen der Hoffnung getragen, so leicht durchflog, lagen jetzt wie unübersteigliche Felsenmassen und Abgründe vor ihm.

Heftig gieng er im Zimmer auf und ab, die verschiedensten Plane schwankten vor seinem Geiste. Das Wiedersehen der Geliebten, die reizende Rückkehr zu seinem ersten Glück, wie er sie sich geträumt, waren verschwunden. Die Schlangen des Argwohns, der Eifersucht, des Unglaubens an menschliche Treue, umwanden sein Herz; aber bald strebte es aus den feindseligen Gewinden [366] mit reger Kraft frei empor. Mit wohlwollender Liebe umfaßte er Nannys Andenken, und mit unaussprechlicher Wehmuth. Er fühlte sich berufen, das Schicksal des Mädchens, das er geliebt, mit männlicher Sorge am Herzen zu tragen, selbst, wenn sie sich untreu von ihm gewendet. Er wollte es mit seinen Augen sehen, vernehmen, ob sie glücklich mit Robert sey, und daurend bleiben könne. Von ihm, dem Räuber seines Glückes, wendete sich sein Herz in kaltem Haß. Der dumpfe Unfrieden, den er von jeher neben dem Oheim gefühlt, hatte nun klare Bedeutung. Nanny wollte er durch sein Anschau'n nicht kränken, aber von ihr unbemerkt wollte er die Spuren ihres Lebens, ihre Verhältnisse aufsuchen, um ihr künftiges Glück oder Unglück daraus zu erkennen. Er schwankte nur noch, ob er seine Reise jetzt fortsetzen, oder Leonorens Erkundigungen zuvor vernehmen sollte? als ein Wagen ankam, auf den ihn bald ein freundliches Zunicken aufmerksam machte. Es war Leonore selbst, die, wie sie sagte, durch die schöne Gegend [367] gelockt, diesen sonst ungewöhnlichen Weg nach ihren Gütern genommen.

Die Blässe, der erloschene Blick ihres Freundes setzte sie in Unruhe, und veranlaßte lebhafte Fragen. – Er antwortete einsilbig, doch nach einigen Minuten wußte sie seine ganze Lage. Kommen Sie, Walther, sagte sie, indem sie seinen Arm sanft faßte, in dieser Stimmung vermehren Sie nur Ihre Verwirrung in St.; sammlen Sie sich einige Tage auf dem Land, helfen Sie mir ordnen, richten, schlichten, und gewinnen Sie so Ihre Gemüthsruhe wieder. Wir finden dann das Bessere zu thun, und Sie sind nicht weiter von St. entfernt, als hier. Er folgte.

Selbsttäuschung aus Herzens-Schwäche

Wir eilen nun, zu erfahren, wodurch Nanny bewogen wurde, das Herz ihres Freundes so unheilbar zu verwunden.

Ihre feine Seele suchte den Schmerz über [368] eine gekränkte Liebe jedem forschenden Blick zu verbergen. Aber bey Madame H**s Interesse an Nannys leisesten Gefühlen, im täglichen Umgang, war es unmöglich, daß sich ein unbefangnes offnes Gemüth, welches zum erstenmal von der Last eines schmerzlichen Geheimnisses gebeugt wurde, nicht durch tausend unwillkührliche Aeußerungen verrathen sollte.

Madame H * * behandelte ein erschlichenes Vertrauen wie ein geschenktes; sie überhäufte Nanny mit den Zeichen der wärmsten Theilnahme, daß diese, ohngeachtet ihrer innern Abneigung, nicht umhin konnte, sich dankbar zu zeigen, und die Zudringlichkeit der Arglistigen nicht so von sich zu weisen vermochte, wie sie es verdient hätte.

Eines Morgens empfing Madame H * * Nanny mit ernsterer Miene als gewöhnlich; sie versuchte sogar den Ton der Rührung anzunehmen. »Bestes Kind, sagte sie: lesen Sie diesen Brief, den ich gestern bey Robert sah, und den ich mir für Sie ausbat; lang hatte ich mit seiner [369] Feinheit zu kämpfen, aber endlich er hielt ich ihn. Diese Zeilen werden Ihnen mancherley Aufschlüsse über ein Verhältniß geben, das Ihnen noch das Herz brechen wird, das Sie viel zu schwer aufnehmen. Möchten Sie von meiner Freundin lernen, wie der flüchtige Eindruck der Jugend verschwindet, aber wie das Leben zu genießen ist, und wie man seine Blüthen bewahren kann.«

Nanny las folgendes:

Leonore von L... an den Ritter Robert.

Der Anblick Ihrer Handschrift nach einer achtjährigen Trennung, während welcher Sie stumm und schweigend gegen mich waren, wie die Schatten des Erebus, machte einen gewaltigen Eindruck auf mich. Ich fühle in der Gewalt dieser Regungen noch jetzt, wie nah Sie einst meinem Herzen waren.

Nicht aus der stumpfen Gleichgültigkeit eines grauen umwölkten Tages riß mich Ihr Schreiben; an einem solchen rufen wir wohl oft die [370] Schattenbilder der Vergangenheit in die leben- und farbenlose Gegenwart verlangend zurück.

Nein, in der klaren heitern Himmelsluft einer neuen Liebe, in dieser fühle ich noch, wie theuer Sie mir waren. Sind es dieselben Züge, aus denen mir die erste jugendliche Glut des Herzens aufgieng – die ich nie erblickte, als von der Glorie der Liebe umleuchtet, als unter dem Dufte sehnsuchtsvoller Thränen, der jedem gewöhnlichen Ausdruck, jeder natürlichen Wendung, mannichfache farbige Strahlen der Empfindung und der zärtlichsten Regungen lieh? Diese Züge, die meine heißen Lippen oft mit Küssen bedeckten, die ich an meinem Herzen trug als einen schmerzstillenden Talisman, diese lese ich jetzt mit kalter, klarer Besonnenheit, sehe den Auftrag, den sie enthalten, rein und ruhig.

Aber Dank den guten Genien, die unser Verhältniß sanft auflösten; noch blühen mir die Rosen freundlicher Erinnerungen aus Ihren Zeilen, und eine sanfte Wärme belebt mein Herz. Nut im Wahnsinn der Leidenschaft steht uns die Zeit [371] still, und streben wir sie zu fesseln. Sanft gehen wir mit der Wandlenden, wenn die Kräfte unsers Wesens harmonisch gestimmt sind, und keine rächenden Erinnyen aus der Vergangenheit gegen uns aufstehen. Das Schicksal wird dem Widerstrebenden nur feindlich, und führt uns milde, wenn wir ihm willig folgen.

Das Schicksal trennte auch uns, vermöge unserer angebornen Richtungen, und ich sage es frei, was mir lang in Ihrem Betragen Schuld schien, sehe ich jetzt im milden Licht einer innern Nothwendigkeit. Manche Existenz hat sich in Ihrem Innern kund vor mir gethan, durch das Organ einer zarten Liebe, manche glänzende Erscheinung ist zerronnen, aber manch ächtes menschliches Gefühl ist mir geblieben. Ich sehe die Liebe als einen kleinen Strom mit immer grünenden Ufern, wo andere nur die trübe Fluth des Egoismus erblicken.

Warum will unsre Eitelkeit Konsequenz im ewigen Wechsel? Ströme wandeln ihre Ufer, Berge ihre Formen, und vom allerbeweglichsten [372] Spiel aller Elemente fordern wir Stätigkeit? Ich hasse nichts als Verhältnisse, die Prätensionen aller Art erzeugen, die die heitre Freude, den Genuß des Moments zur versteinernden Meduse umschaffen wollen. Ob ich immer glücklich bei dieser Art zu existiren bin? Robert, das ist eine andere Frage; aber wer ist immer glücklich? – Daß ich oft eine unaussprechliche Leere in meinem Busen fühle, läugnen kann ichs mir selbst nicht. Inhaltlos, scheint mir, müsse das Leben uns dünken, wenn nicht irgend ein permanentes Interesse die zerstreuten Fäden zusammenwebt. Das Bedürfniß zwingt uns zur Folge, was sollte auch sonst daraus werden? Soll ichs Ihnen danken, Robert, daß Sie meine Existenz zu einer Freiheit gebildet haben, die sich in keine Schranken fügte. Nenn' ichs auch mit Wahrheit Freiheit? Sollte es nicht vielleicht Haltlosigkeit heißen? Wenn ich sehe, wie sich die Menschen um mich her quälen, täuschen, betrügen, um in einem Verhältniß, aus dem die Grazien entwichen sind, auch nur halb ehrlich zu bleiben, [373] dann, mein Freund, denk' ich Ihrer mit Dank. Aber sehe ich irgendwo der Wahrheit und Treue lebendiges Bild, sehe ich ein braves Weib, von einem guten Mann geliebt, von blühenden Kindern umgeben, sehe ich, wie sie die wirkende Liebe und hülfreiche Gottheit der kleinen Welt ist – dann Robert, dann stehen Sie als mein böser Engel vor mir, der mir durch seinen mitgetheilten Unglauben den Weg zu diesem Paradiese der Unschuld versperrte. – Ach das Verlangen, das tiefe Bedürfniß nach irgend einer unvergänglichen Liebe, ziehet die goldnen Wolken des Himmels in glänzenden Bildern zu sich herab – sie verschwinden – aber selbst ihnen nachzuweinen ist es nicht das süßeste Glück des Lebens?

Vielleicht war ich nie näher daran, diesen goldnen Wolkensaum in meine Arme zu schliessen, und in seinem Zauber mein Herz zu verjüngen, als jetzt!

Ein starker holder Charakter, fest gebildet, obgleich in voller Blüthe der Jugendkraft, die [374] dem ungemeßnen Leben noch ein unendliches Streben entgegen setzt, und sich selbst in ihrer Unermeßlichkeit fühlt – ein Herz, rein wie der Himmel, schließt sich an mich an, und umfaßt mich mit der stillen Gewalt einer ewigen Treue. Selbst aus der zögernden Annäherung seines Herzens, das sich nur nach und nach aus dem magischen Zirkel eines ersten Jugend-Eindrucks löst, fühle ich die Dauer meines Glücks. In dem reinen blühenden Leben eines Busens, der sanfte Neigungen so fest bewahren kann, geht mir ein neues Hoffen auf. Bleibt mir dieser Freund, dann lebt wohl ihr gaukelnden Traumbilder, die mich in eine glänzende Ferne lockten, wie die Rosen des Morgens – und von Tag zu Tage nach neuen Erscheinungen führten, von Liebe zu Liebe meinen leichten Sinn trugen, wie den Samenstaub der Blüthen. – Nein, Ruhe und Bleiben und stilles Wirken im Kreise der Meinen ist an jene edle Gestalt gebunden, von der der Leichtsinn und Wechsel flieht.

Das Leben spiegelt sich ernst in dieser energischen[375] Seele, die geboren ist, in stiller Kraft zu herrschen, und alles um sich her belebend zu ergreifen. – Die großen Massen der menschlichen Verhältnisse liegen in dem reinen Busen, mit dem Licht des Geistes uns leuchtend, und jedes ächte menschliche Interesse gedeiht in dem Hauche warmer Liebe.

O Ritter! gewiß haben Sie den kräftigen, holden Charakter schon erkannt, den ich Ihnen vorgezeichnet: nein, er kann Ihrem forschenden Auge nicht entgangen seyn! – Walther ist durch eine ruhige Entfaltung seiner Natur, in einfachen Verhältnissen umgeben, von großen Naturformen das geworden, wozu auch Sie die schöne Anlage hatten, wenn nicht die kleinliche Beschränkung einer frühern Weltbildung Sie verdorben, und in Ihnen die Masse des Gefühls in Witz gesplittert, in schwankenden Gebilden der Imagination verdunstet hätte. – Wie klar erkennt die Liebe den Werth des Geliebten! Im leisen Ahnen aller hohen Anlagen entzündet und ernährt sich ihre Flamme. Es ist dieselbe Urform [376] des Geistes, die mich sonst anzog, vielleicht selbst eine leise Aehnlichkeit der Züge, die meine ersten Jugendgefühle gleich als mit magischem Zauber an diese neue Erscheinung fesselt.

Sie selbst, mein Freund, fordern mich zum Vertrauen auf, indem auch Sie mir Ihr Herz voll eines neuen beseligenden Gefühls zeigen. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück; Möge für uns beide dieses neue Licht des Lebens ein ewig schimmernder Stern des Firmamentes seyn, – nicht vielleicht nur – ich schaudre es zu denken – ein flüchtiges Gebilde der entzündlichen Einbildung, das gleich dem Nordlicht an den Polen der Erde erscheint, um die kälteren Zonen unsers Lebens nur vorübergehend zu erhellen.

Was Sie von mir wünschen in Ansehung der Ausbildung Ihrer jungen Freundin, leiste ich mit Vergnügen. Es ist ein sonderbarer Zug des Verhängnisses, oder Ihrer Vorstellungsart, der gerade mich zu diesem Geschäft bestimmt. Ich muß fast lachen, aber ich bin unbefangen genug, [377] es Ihnen zu gestehen, wenn Sie einst in dem holden Wesen eine Spur meines Geistes, meiner Art zu seyn, finden; so freue ich mich, daß auch mein Bild bei dieser Gelegenheit aus dem Schatten der Vergangenheit hervorgehen wird. Ich selbst bin durch tausend Verbindungen und Geschäfte zu einem wechselnden Aufenthalt genöthigt; ich werde Nanny aber der Aufsicht meiner vertrautesten Freundin übergeben, und so oft als möglich bei ihr seyn.

Leben Sie wohl, mein theurer Freund! – Sie sehen aus dem langen Briefe, ob ich gern bei Ihnen verweile. – Wer weiß, ob ich nicht von tausend süßen Erinnerungen verfolgt, jetzt eben den tiefsten verborgensten Schatten meines Waldes aufsuchen müßte, um sehnsuchtsvolle Thränen zu vergießen – aber so eben tritt Walther in mein Vorzimmer. – Der Schimmer der Zärtlichkeit umleuchtet die hohen Züge, sein süßer Blick voll ewig zarten Verlangens glänzt mir entgegen. Adieu, Robert!

Nanny stand vor dem Brief wie vor ihrem [378] Grabe. Das Leben mit seinem Schimmer, mit seinen Hoffnungen lag hinter ihr in unermeßlicher Ferne, und vor sich sah sie nur die Finsterniß des ewigen Schlummers.

Sie strebte wie alle großen Gemüther, größer zu seyn als ihr Schicksal, wenigstens sich damit zu vereinen. Sie entschloß sich, sogleich Walthern zu schreiben, ihm selbst seine Freiheit wieder zu geben, und der gewaltsame Zustand ihres Gemüths, den sie zu verbergen strebte, gab ihren Zeilen ein trocknes kaltes Ansehen, das von keinem Hauch ihrer wahren Gefühle belebt wurde.

Der Egoist wird zum Verführer

Robert wähnte die Wirkung dieses Briefes entscheidend für seine Plane, darum hatte er so lange damit zurückgehalten. Bisher hatte er sich geschmeichelt, Nannys Neigung als eine frische Blume aus der grünen Laube der schönsten Lebenshoffnungen zu brechen, aber sein ungestümes [379] Verlangen trieb ihn jetzt an, alles zu versuchen, um selbst das hoffnungslose Herz schnell an das seine zu ketten. Die Schwierigkeit des Besitzes erhielt ein immerwährend reges Streben der Eitelkeit, das Robert sich selbst täuschend für eine Stimme des Herzens hielt.

Das Zusammenleben mit seinen ehemaligen Gefährten, die Scherze über seine neue empfindsame Liebe, die er in ihren Zirkeln auszuhalten hatte, wirkten auf sein schwankendes Wesen, das bald über, und bald wieder unter der Region fremder Meinung schwebte.

In reiner Lebensfülle, im Geleit der Grazien geht eine schöne Fantasie durch das Leben; ihre Aeußerungen sind wie die der Vernunft Ruhe auf sich selbst; aber eine wilde und regellose, schöner Bildungen unfähige, äußert sich verschwistert mit der Thorheit, und wirkt zerstörend um sich her wie das Laster.

Durch die trübe wechselnde Fluth einer sittenlosen Gesellschaft bewegt, sann Robert nun thöricht nur auf Mittel, seinen Zweck bald zu erreichen, [380] und die Ansicht von Nannys Charakter und momentaner Stimmung, verhüllte sich vor ihm in den Nebel gemeiner Vorstellungsarten, die ihn täglich umgaben.

Die frischen Farben der Hoffnung waren in Nannys Leben verblichen, der Zauberduft der Liebe verschwunden, und die Wirklichkeit stand in scharfem Umriß vor ihrem klaren Verstande. Entkleidet von allem milden Schimmer, welchen das Verhältniß mit Walthern auf ihn geworfen, stand jetzt Robert vor ihren Augen, alle Bande waren für Nanny zwischen ihr und ihm zerfallen. Die Ausbrüche seines kalten Egoismus, den sie als augenblickliche unfreundliche Laune bisher entschuldigte, erschienen ihr jetzt als tiefer Charakterzug, seine wechselnden schwankenden Maximen, die sie als das Leuchten eines allzulebhaften Verstandes betrachtete, sah sie jetzt mit Wahrheit für eine Schwäche des Herzens an, das unfähig war, sich an einen Grundsatz fest zu halten.

Nanny hatte wenige Tage, nachdem sie den [381] Brief gelesen, in denen sie über ihre Verhältnisse gedacht, und sich zu sammeln gestrebt, einen stillen Abend erwartet, um mit Robert zu sprechen. Madame H. hatte Nannys Brief an Walthern nachgespürt und Robert davon unterrichtet; er war von der gefälligsten heitersten Laune, er wähnte sich am Ziel seiner Wünsche.

Nach kurzer Einleitung forderte Nanny mit Ernst von Robert, daß er sie unverzüglich zu ihren Eltern zurückbringen solle. Robert machte Einwendungen. Ihre Talente seyen in der schönsten Ausbildung, warum ihre Fortschritte eben jetzt hemmen? Eine solche Gelegenheit, sich für die Welt zu bilden, komme vielleicht nicht wieder. – Von ihrem Gefühl übermannt rief Nanny: was soll ich in einer Welt, in der ich mich ewig fremd fühlen werde, in der ich niemand zum Trost und zur Freude lebe! Wozu soll mir eine feinere Bildung, da ich niemand mehr kenne, der sich daran erfreuen könnte! – Tiefe Röthe glühte über ihre Wangen, nachdem sie das Geheimniß ihres Unglücks ausgesprochen, die [382] Thränen stürzten aus ihren Augen, so daß sie ihr Antlitz verhüllen mußte. – Robert wähnte sein Glück jetzt zu umfassen, er glaubte, der Moment sey da, um dem gereizten schmerzerfüllten Gemüth der Verlassenen ein neues Bild der Liebe und des Glücks zutraulich darbieten zu können.

Er faßte Nannys Hand mit Heftigkeit. O Nanny! rief er mit heißer Leidenschaft, und Sie sagen dieses einem Manne, der längst Ihren Besitz als sein höchstes Gut ansah, der den Moment, in welchem er Ihnen sein Herz zeigen dürfte, so lang, so sehnlich erwartete! –

Nanny schwieg, und hielt ihre Augen bedeckt. Robert glaubte, der Sieg sey errungen, sein Arm wagte sie zu umfassen. Jetzt richtete sich ihr großes helles Auge mit einem scharfen Blick auf ihn – ihre Lippe bebte krampfhaft. – Sie erwarteten diesen Moment? Eine hohe Röthe flog über ihr Angesicht, mit edlem Zorn stand sie auf, und wies Robert aus ihrer Nähe zurück. – Es ist nicht alles wie es seyn sollte, Ritter [383] Robert, sagte sie; ich ahnete es lang. – Ein unerfahrner Sinn ist leicht zu verwirren, aber ein offnes Herz nicht zu gewinnen, als durch Wahrheit. Ich bin unglücklich durch Walthers Verlust, und daß Sie den schmerzlichsten Augenblick meines Lebens so benutzen konnten, zerreißt unsre Freundschaft.

Sie ließ den Ritter allein, verstört und verwundert stehen.

Robert war jetzt beleidigt, gereizt, um für den Besitz des Gutes, welches ihm versagt wurde, alles zu wagen. Seine Eitelkeit, die sich mit seinem Scharfsinn verbunden, immer mit allen Begebenheiten so abzufinden wußte, daß sie unbeleidigt und in der Selbsttäuschung seines vollen Werthes erhalten wurde, half ihm auch hier geschäftig zu tausend Illusionen über Nannys Betragen.

Die schöneren Seiten der weiblichen Natur waren Robert immer fremd geblieben, er hatte sie flüchtig beobachtet, aber nie empfunden. So sehr er Nanny allen übrigen ihres Geschlechts [384] vorzog, so war sie ihm doch nur ein Wesen, das einer Leidenschaft bedarf, einer Flamme, die sich, gleichviel von welchem Stoff, ernährt. Die höhere Liebe, die Tiefe des Empfindens, die einer einzig gewähnten beglückenden Erscheinung ewige Thränen zu weihen vermag, waren ihm unbekannt.

Zum erstenmal erklärte sich Robert deutlich gegen Madame H. über Nanny, über seinen Antheil an ihr, schwankender über seine Plane; denn eine lebhafte Neigung zu bekennen, lag ganz außer seiner Weise. Madame H. kam ihm entgegen, verstand seine leisesten Aeußerungen mit solcher Feinheit, erhielt die ganze Verhandlung, vor der Roberts scharfer Verstand oft die Augen niederschlagen mußte, so ganz im Gebiet des Scherzes und der Laune, und tröstete immer mit der reiferen Lebensansicht der guten Kinder, in der die ersten Aufwallungen des Herzens um nichts bedeutender schienen, als die bunten Seifenblasen der Kindheit.

Die Schlingen für die Liebenden wurden auf [385] diese Art unvermerkt gelegt. Unter mancher Hinweisung von Madame H. auf die vortheilhafte Existenz, die Nanny in der Verbindung mit Robert finden würde, da hingegen die unsichere Lage des Neffen ihr nur ein sorgenvolles Leben darböte, versetzte sich Robert beinah selbst auf Momente in die Illusion, sein Benehmen sey lobenswerth und großmüthig.

Der schiefe Lebensweg war eingeschlagen, und Robert eilte nun von Irrthum zu Irrthum, da er sich einmal erlaubt zur Beförderung seiner Zwecke, mit den Waffen der Unwahrheit und List, ein friedliches Daseyn anzugreifen.

Nanny hatte sich dringend an Madame H. gewendet, um ihren Beistand zur Abreise zu erhalten. Sie versprach alles, aber mit der Bedingung, daß Nanny ihr die Freude einer kleinen Lustpartie auf wenige Tage nach einem der lieblichsten Plätze in der ganzen Gegend, nicht verderben möchte. Nannys kleine Baarschaft reichte nicht hin zu den Ausgaben der Reise, sie mußte nachgeben, so viel es ihr auch kostete.

[386] Die kleine Reise wird uns allen wohlthun, sagte Madame H., nachdem die Gesellschaft im Wagen Platz genommen – ihr Blick war auf Nanny gerichtet, aber seitwärts lächelte sie auf Robert, indem sie hinzusetzte: ja sie wird manche Wolke zerstreuen.

Der schiefe Charakter-Ausdruck ihrer Miene war Nanny nicht entgangen, ob sie gleich in der schmerzlichsten Spannung war. Der Haß wirkte in ihrem weichen liebenden Wesen zerstörend, wie das Gift in einem gefunden Körper. Sie vermochte es fast nicht, Roberts Nähe zu ertragen, und kehrte nur, um gleichsam sich selbst zu erhalten, ihr innres Auge auf die Bilder ihres entflohenen Glücks. Der Wunsch, in der Einsamkeit ihren Schmerz auszuweinen, war der einzige, der dem, holder Wünsche sonst so vollen, Busen jetzt übrig blieb.

Selbst die wechselnden Natur-Scenen konnten sie nicht beleben, in jedem Wald suchte sie unglücklich Liebende, an jeder Quelle ein verlassenes Herz.

[387] Sie hielten an in einem anmuthigen Dorfe. Alles war heiter und festlich geschmückt. »Es ist heut eine Hochzeit hier, sagte der Wirth.« Die laue Luft lockte die Reisenden in einen kleinen Garten, der an einem Bergrücken endigte.

Nanny erklimmte den steilen Pfad mit einer jungen Bäuerin, die sie sich zur Führerin erwählt. Sie blickte über die lachende Gegend hin, ihr Herz schlug milder, da es sich unbemerkt fühlte, ein leiser Antheil an dem reichen harmonischen Leben, das sie umgab, begann sich zu regen. Die Bäuerin nannte ihr einige Namen der vor ihr liegenden Dörfer. Ein einsames Haus neben einem Busch von Obstbäumen zog Nannys Aufmerksamkeit vorzüglich an. Wie bebte ihr Busen, als sie auf die Frage, wem dieses zugehöre, zur Antwort empfieng: der Fr. von L., unserer gnädigen Frau, sieeb en stattet heut ein junges Paar im Dorfe aus, und wird selbst hieher kommen.

Vor Nannys Augen sank wie ein grauer Schleier über die sonnigte Landschaft, der Boden [388] schien unter ihr zu wanken, sie eilte davon. Das Mädchen folgte, ohne sich in ihrem Geschwätz zu unterbrechen. »Einige wollen sogar wissen, sagte sie geheimnißvoll, die gnädige Frau werde heute ihre eigene Vermählung feiern, mit einem jungen schönen Herrn, der vor wenigen Tagen angekommen ist. Wahr ist's, alles ist zu einem größern Fest veranstaltet, als zu einer Bauernhochzeit.«

Nanny kam beinahe sinnlos in den kleinen Garten zurück. Eilt, daß wir hier wegkommen, sagte sie der Muhme heimlich: die Luft, die ich athme, ist mir tödtlich.

Sie giengen beide, Madame H. und Robert aufzusuchen. Nanny eilte schwindelnd durch die kleinen Gassen des Dörfchens.

Der Platz vor der Kirche war mit jungen Maien und Laubgewinden geschmückt, der Weg war mit Rosen bestreut, die enge Kirchenthür umwallten grüne Zweige.

Nanny hatte die Kraft des Herzens wieder gefunden, die sich an der Unermeßlichkeit ihres [389] Schmerzes gleichsam stärkt und erhebt. Sie trat in die Kirche, und sagte sich es vor; dieser Raum wird in kurzem den Geliebten umschließen!

Schauervoll umfaßte sie das enge dämmernde Gewölbe, wie das Grab ihres Glücks. Ein Lichtstrahl fiel auf die weißen, mit Blumen geschmückten Decken des Altars. – Hier verliere ich Walthers Herz! seufzte sie still. Möchte er hier alles Glück finden, das ich auf ewig verliere! In dem reinen Wunsch fand sie sich von neuer Kraft belebt, in der sie alles zu ertragen vermochte; nur um Walthern zu schonen, wünschte sie noch eilend diesen Ort zu verlassen, wo sie ihm nicht als ein strafender Genius in der heitern Stunde seines Glücks erscheinen wollte.

Madame H. und Robert waren vor der Kirche. Madame H. faßte Nannys bebende Hand, und rief mit einem theilnehmenden Blick auf Robert: sie weiß alles! Ja ich weiß alles! sagte Nanny, und meine letzte Bitte ist: eilen Sie, daß wir von hier wegkommen.

Robert betrieb die Anstalten zur Abreise, und [390] zeigte nur stille Theilnahme an Nannys Schmerz. Kaum hatten sie die letzten Häuser des Dorfes hinter sich, als ein Trupp junger Bauernbursche mit flatternden Tüchern und Bändern geschmückt, an Roberts Wagen vorbeiritt. Ein offner Wagen folgte, Nannys Blick traf auf Walthern, er saß neben der lächelnden Leonore. Nannys Auge schloß sich gleich als geblendet vom Glanz der Erscheinung, sie drückte Madame H...s Arm und sagte leise aus gepreßter Brust: nur hinweg! nur eilend hinweg! bis die Wolke der Ohnmacht ihre Sinne ganz umhüllte.

Sie waren weit weg, als Nanny wieder zu sich selbst kam. Es wird bald vorüber seyn, sagte sie sanft zu den Frauen, die sie um sich beschäftigt sah, aber mit ernstem Blick entriß sie Roberten ihre Hand, die er in der seinen hielt.

Liebes-Treue und gescheiterte Plane

Der-Zufall hatte, so wähnte Robert, günstig zu den künstlich angelegten Planen gewirkt. Madame [391] H... war von dem kleinen Fest unterrichtet, welches Leonore zu veranstalten gedachte. Leonorens leichtsinniges Gemüth hatte selbst ihrer Freundin die Hoffnung gezeigt, daß der Anblick der ländlichen Freude, das Glück des jungen liebenden Paares, einen starken Eindruck auf Walthern machen müsse. Vielleicht würde sich sein Herz ganz und ewig an sie heften, vielleicht könnte dieses der Tag ihres vollen Glückes werden.

Die Reise über dieses Dorf, die Möglichkeit Nanny durch den Augenschein, wenigstens durch das vielfache Zeugniß ganz unverdächtiger Menschen, unwiderruflich von Walthers Untreue zu überzeugen, ihre Empfindlichkeit auf das höchste zu reizen, dieser Plan gehörte einzig Madame H... zu; sie hatte ihn sogar Leonoren nicht mitgetheilt. Daß Nanny Walthern gesehen, war ihr selbst unerwartet, sie hatte auf seine spätere Ankunft gerechnet.

Walthers Gedanken waren während den wenigen Tagen unaufhörlich darauf gerichtet, wie er sich von Nannys wahrer Lage unterrichten [392] könnte, ohne ihr selbst seine Gegenwart aufzudringen. Leonore zog ihn in Geschäfte, in Verbesserungsplane, und da die Aufforderungen der Menschlichkeit immer laut an sein reines Herz sprachen, so diente ihm diese Thätigkeit zur heilsamen Zerstreuung. Nie war ihm Leonore liebenswürdiger erschienen, als in dem stillen heitern Wohlwollen, das jetzt ihre Züge belebte, in der zweckmäßigen Thätigkeit, die ihren feinen Verstand in immer lebendigem Spiel erhielt.

Sie fühlte es, und die unaussprechliche Freude des Gelingens gab ihrem Wesen noch einen höheren Schimmer, und machte ihre Hoffnungen allzukühn. So führte sie Walthern zu dem kleinen Fest.

Heiter und seegenverbreitend, wie eine wohlthätige Fee, saß Leonore neben Wathern. Sie flogen durch die blühendste Landschaft, die sanften Morgenlüfte spielten in ihren blonden Locken, eine noch nie empfundene Harmonie füllte ihren Busen. Walther war ernst und mild, wie gewöhnlich, nur bewegter, und gewaltsam beinah [393] schien es, hielten seine Lippen das Bekenntniß seiner Gefühle zurück.

Jetzt fuhr Nannys Wagen vorbei. Walther hatte sie gesehen, sein Herz flog ihr nach, neubelebt von den zärtlichsten Erinnerungen. Die Vergangenheit wurde ihm zur Gegenwart, diese zum Traum. Leonore schien ihm nur noch ein Schattenbild, das die ewig geliebte Gestalt umdämmerte. Walther hatte Roberten nicht im Wagen bemerkt, der sich zu verbergen gesucht, da ihm ein allerseitiges Zusammentreffen jetzt sehr ungünstig schien. – Kein gehässiger Anblick störte also Walthers glückliche Täuschung; er saß wie ein seelig Träumender.

Leonore fühlte schmerzlich die Veränderung in Walthers Stimmung, er gestand auf die erste Frage unbefangen die Ursache. Leonore verbarg allen Verdruß, und bot Walthern sogleich ihren Wagen an, um Nanny zu folgen. Im Dorfe zog sie sogleich manche Erkundigungen über die Reisenden ein. Walther vernahm, daß Robert von der Reisegesellschaft war. Sein Muth verschwand, [394] und sein Herz versank in tieferen Schmerz nach den Momenten süßen Genusses.

Leonore fühlte schmerzlich, daß sie sich verrechnet hatte, daß die Gewalt des ersten Jugendeindrucks in einem starken Gemüth nicht zu ermessen sey.

Das Andrängen der kleinen Gemeinde, die neugierigen Blicke auf sie und Walthern, machten Leonoren höchst verlegen. Sie selbst hatte durch manche unvorsichtige Aeußerung gegen ihre Leute den Wahn veranlaßt, daß ihre eigene Trauung auf die des jungen Paares folgen könnte. Sie hatte von dem Eindruck des kleinen Festes solche gespannte Erwartungen, daß sich ihre Wünsche und Hoffnungen allzusehr entschleierten. Sie brauchte alle ihre Geistesgegenwart, um ihren Verdruß vor dem Auge der Landleute, die sie umgaben, zu verbergen. Die weitgemachten Anspielungen des Pfarrers und Schulmeisters, das Geflüster der Menge und einige derb ausgesprochene Scherze der angesehensten Bauern machten Walthern zuerst aufmerksam auf seine sonderbare [395] Lage. Er gerieth in die glühendste Verlegenheit, und wagte nicht die Augen aufzuschlagen. Als Leonore dem Brautpaar die Geschenke reichte, und der Braut die Krone aufsetzte, sagte sie mit nassen Augen: Gutes Mädchen! möge dir das Schicksal alles Glück mit diesem Kranze geben, welches es meinem eigenen Leben geraubt! –

Thränen drangen in Wathers Auge, er fühlte, daß Leonore das Glück ihres Lebens von ihm empfangen wollte, er wähnte, daß sie jedes Opfers werth sey – er schwankte – seine Hand bebte der ihren entgegen, das Gelübde der Hingebung schwebte schon auf seinen Lippen. Ein glücklicher Instinkt hielt ihn noch in diesem Moment, da sein Wille schon gewankt. Seine natürliche Feinheit, die sich jeder halben Empfindung, jeder halben That schämte, erwachte. – Theure Leonore, sagte er leise, ein verwundetes Herz finde bei Ihnen Trost, bis es sich eines höhern Gefühls werth findet. Mein Trübsinn entstellt das Fest der Freude, welches Sie hier erschaffen. [396] Geben Sie mir einen kleinen Auftrag, der mich entfernt.

Leonore erblaßte, erröthete, ihre Stimme zitterte, endlich vermochte sie laut zu sagen: Am besten ists, Walther, Sie gehen jetzt in den Wald, um unsre Forstwirthschaft zu untersuchen, während wir in der Kirche sind. Es entstand ein Gemurmel; Walther nahm den Jäger am Arm, und eilte hinweg.

Zum Mittagsmahl kehrte er zurück; aber weder die gutmüthige Heiterkeit der Landleute, noch Leonorens Bemühen heiter zu scheinen, konnten sein Herz erleichtern. Zum erstenmal entdeckte er eine Wolke auf ihrer Stirn, die eine geheimnißvollere Bedeutung hatte, hinter welcher ein tieferer Unmuth, ein innerer Unfrieden lag, den kein zarter Antheil der Freundschaft zerstreute.

Leonore war bitter gekränkt, und Walther fühlte dunkel zum erstenmal ein Netz von Absichten, und fremden Zwecken in ihrem Benehmen.

Mißmuthig kehrten sie zurück. Walthern [397] trieb es ungestüm, den düstern Schleier von der endlichen Entscheidung seines Schicksals hinwegzunehmen. Sein Dienst rief ihn für einige Tage, dann eilte er nach Nannys Aufenthalt.

Entschlossenheit und unterliegende Natur

Säle und Spaziergänge waren schon von Menschen angefüllt, als Nanny mit ihrer Gesellschaft anlangte. Madame H... und Robert wurden bald von alten Bekannten umringt, und Nannys reizende Gestalt zog neue herbei. Sie entfloh der Gesellschaft, sobald sie konnte, um an ihre Eltern zu schreiben, und sie von ihrer baldigen Rückkunft zu benachrichtigen. Der Argwohn trieb sie zur Vorsicht, sie bestellte den Brief durch einen Diener des Hauses, und glücklich entgieng er Madame H...s Blicken.

Robert verfolgte Nanny den Abend hindurch mit zärtlicher Aufmerksamkeit. Sie wies ihn kalt zurück, aber er wurde nur heftiger.

Das Anschaun der sie umgebenden Welt, seit [398] sie dss väterliche Haus verlassen, das Unglück ihrer Liebe, hatte ihr die holde Unbefangenheit geraubt, in der ein Herz das Böse gar nicht erkennt, weil es überall nur den Widerschein seiner eigenen Reinheit erblickt. Die Glut der aufgeregten Sinne, die aus Roberts Augen leuchtete, empörte ihr Gefühl. Kalt und stolz wie die Unschuld, die sich ihrer bewußt ist, mußte sie dennoch erröthen, der Gegenstand solcher Empfindungen zu seyn, und vielleicht vor den Augen der Gesellschaft auszusehen, als ob sie jenes verdiente.

Sie eilte mit ihrer Muhme aus dem Saal nach ihrer Wohnung. Die Anordnung der Zimmer schien ihr sonderbar; die Muhme war in ein abgelegenes Zimmer in einem Seitengebäude einquartirt, und die Wirthin wollte ohne Madame H...s Befehl nichts abändern.

Das immerwährende dunkle Unbehagen, was sie bei Madame H... empfunden, nahm nun den bestimmten Charakter der Furcht an; das ganze Haus schien ihr von unreiner Luft erfüllt, [399] es trieb sie mächtig zu entfliehen. Auf die stumpfsinnige, langsam fassende, Muhme konnte sie nicht rechnen. Sie lag sinnend am Fenster, ihre Thränen flossen unaufhaltsam, als sie Madame H... und Roberts Ankunft vernahm. Lange blieb alles ruhig, und Nanny fieng schon an, ihren Verdacht für ihre kranke Ansicht ihres wunden Gemüths zu halten, als Madame H... zu ihr herein trat.

Und Sie wachen noch, liebes Kind? sagte sie sanft. Die Unruhe um Sie erhielt auch meine Augen offen, und gewiß noch ein Dritter wacht mit uns! Was soll daraus werden, Liebe? Stoßen Sie nicht ein Herz von sich, das sich Ihnen mit solcher Liebe ergab. Seyn Sie gefällig, gütig, vergessen Sie das Verlorne, und Ihr Leben wird heiter und genußreich werden, ja Ihr Verlust wird Ihnen in der Folge ein Gewinn dünken. Soll ich es Ihnen offen sagen, es bleibt Ihnen nichts mehr übrig, um Ihren Ruf herzustellen, als Ihre Verbindungen mit Ritter Robert immer enger zu knüpfen. Die alten Verhältnisse [400] sind ganz aufgelöst, die Ihr Zusammenseyn mit Robert authorisirten. Sie erscheinen überall als seine Geliebte. Ich bin gewiß, in Kurzem werden sie Roberts glückliches Weib, aber die Fesseln der Ehe müssen sich vor einem Manne, der mit allen Schwachheiten unsers Geschlechts so bekannt ist, unter den frei aufblühenden Rosen der Liebe verbergen. Vertrauen Sie mir Ihr Schicksal. Die treue Ansicht der Welt zwingt uns zum Herabstimmen der Gundsätze. Welch ein trauriges einsames Daseyn in Ihren Felsenbergen! Wählen Sie ein leichtes fröhliches Leben unter uns, aber wählen Sie schnell, ehe der männliche Unbestand die Wahl verbietet.

Nanny glühte und zitterte. Der tiefste Unwillen regte ihre ganze Natur auf, ihr ganzes schwarzes Schicksal lag jetzt aufgerollt vor ihr in diesen armseligen niedrigen Vorstellungen der Madame H.... Nannys Entschluß war augenblicklich gefaßt, in die Arme ihrer Eltern zu fliehen. Sie hielt an sich, um Madame H... nicht ihre ganze Verachtung fühlen zu lassen.

[401] Ich verstehe Sie nicht, Madame! sagte sie kalt. Unglücklich war ich gerade nur, seit ich meine Einsamkeit verließ. Ich bitte Sie für heute um nichts als Ruhe.

Bei dieser trocknen Einsilbigkeit mußte sich Madame H... höchst unzufrieden entfernen.

Jetzt schaute Nanny auf eine Reisekarte, die durch einen glücklichen Zufall in ihrem Zimmer hieng. Sie überrechnete ihre kleine Baarschaft und fand es möglich, in einem Kloster an der Gränze ihres Vaterlandes anzulangen, in welchem sich eine ihrer Verwandten aufhielt, die sie zwar nie gesehen, von der sie aber doch Hülfe erwarten konnte.

Die mondbeglänzte Straße lag vor ihr, sie sah am Ende der Reise ein Haus des Friedens, und ihre Entschlossenheit überwand alle mädchenhafte Furchtsamkeit.

An Robert ließ sie folgende Zeilen zurück:

»Um Ihnen dankbar bleiben zu können, entferne ich mich. O Robert, lassen Sie mir die Hoffnung, einst in Ihnen den väterlichen Freund [402] wieder zu finden, den ich nie, nie hätte verlieren sollen.«

»Eine Freistatt der Unschuld wird mich aufnehmen. Sorgen Sie für meine Muhme, und vermeiden Sie alles Aufsehen über den leider nothwendigen Schritt, den ich thue.«

Leise schlich sie sich in den Garten, und fand durch eine Lücke in der Hecke leicht eine Ausflucht ins freie Feld.

Ein glücklicher Instinkt hatte Nanny geleitet. Robert war wirklich vom phantastischen Egoisten zum Verführer herabgesunken. Er wollte nur besizen und genießen, und hatte es aufgegeben, länger nach der Einstimmung des Herzens zu streben, das ihm so heftig widerstrebte; er wähnte noch, vielleicht sey es im Sturm der Sinne zu erringen.

Furchtlos wandelte Nanny auf der Straße nach der nächsten Post hin, ruhig im Angesicht der Sterne, wie unter Freundes Augen. Aber als das Morgenlicht anbrach, als sich die sehr besuchte Straße von Reisenden anfüllte, fand [403] sie sich in glühender Verlegenheit, allein, allen neugierigen Blicken der Vorübergehenden preis gegeben.

Glücklicherweise war der Posthalter des nächsten Fleckens ein gutmüthiger Alter. Er sah ihr neugierig forschend, aber arglos ins Auge. Ihre Reinheit und Unschuld weckte sein Mitleid, und widerlegte jeden ungünstigen Schluß über ihre Verhältnisse. Er überhäufte sie mit seinem Rath und seiner Vorsorge.

Ungehindert setzte Nanny ihre Reise fort, aber ihre Unerfahrenheit und einige unvorgesehene Ausgaben hatten ihre Kasse so erschöpft, daß sie den nächsten Mittag mit Schrecken überrechnete, daß sie mit der übrigen Summe nicht auf diese Art fortreisen könnte. Es blieb ihr nichts übrig, als einige Posten zu Fuße zurück zu legen.

Auf dem einsamen Weg, allen quälenden Vorstellungen über ihre Verhältnisse, allen zerreissenden Gefühlen ihres Herzens hingegeben, geängstet über das Fremde ihrer gegenwärtigen [404] Lage, eilte sie in fieberhafter Anspannung fort, auf die eine tödtliche Ermattung folgte.

Wie stärkend war ihr der Anblick der Gebirge ihres Vaterlandes, die ihr, gleich als angethan mit überirdischem Glanz, das Land des Friedens verhießen. Vor ihr lag die Stadt im Glanz der Abendsonne, wo sie eine Freistatt zu finden wußte, aber die Schwäche der Krankheit, die schon anfieng ihre Sinne zu umhüllen, übermannte sie; sie sank an einem Baume nieder. Ein Paar gutmüthige Bauerweiber näherten sich ihr; sie vermochte kaum den Namen des Klosters auszusprechen, nach welchem sie geführt seyn wollte.

Die Weiber unterstützten sie, und brachten sie langsam dahin.

Die Pforte eröffnete sich schnell auf den Ruf um Hülfe. Nanny nannte den Namen ihrer Verwandtin, und wurde ins Sprachzimmer gebracht. Diese eilte herbei, Nanny war sprachlos, aber die Aehnlichkeit ihrer Züge mit denen [405] ihrer Mutter, einer Jugendfreundin der Nonne, zogen ihr Herz augenblicklich zu ihr hin.

Man brachte sie in ein kleines reinliches Zimmer, und sie war wie von Freundinnen umgeben, die ihren Wünschen und Bedürfnissen sanft zuvorkamen.

Die Jungfrauen in diesem Kloster waren durch ein mannichfach thätiges Leben von der Einseitigkeit, die Strenge und Härte gebiert, von unnützer Neugierde, überflüssiger Geschäftigkeit, und tausend andern Fehlern ihres Standes frei geblieben. Der Unterricht der Jugend, die Verwaltung großer Klostergüter, die Pflege der Armen und Kranken, und der tägliche Umgang mit Menschen aller Klassen waren ihre Beschäftigung.

Nannys Krankheit schien Allen gefährlich, und der Arzt wurde gerufen. In den Momenten klaren Bewußtseyns erzählte sie ihrer Verwandtin die Hauptzüge ihrer Geschichte. Sie bat, ihren Eltern nichts von ihrer Krankheit zu schreiben, bis ihr Zustand entschieden sey. Ihre Geduld, [406] ihre Resignation, ja sogar die Freude, mit der sie im Alter der ersten Blüthe die Welt zu verlassen schien, rührten Alle, die sich ihr näherten.

In der ersten erträglichen Stunde strengte sie alle ihre Kräfte an, um ihren Eltern zu schreiben: sie sey auf der Reise zu ihnen, hoffe ihren Beifall zu diesem Entschluß, und bäte nur um die Erlaubniß, noch kurze Zeit im Kloster bei ihrer Verwandtin zu bleiben.

Die gute Nonne versprach ihre Bitte zu unterstützen: aber da der Arzt nach wenigen Tagen erklärte, daß Nanny in Lebensgefahr sey, wollte sie die Eltern nicht ganz in Unwissenheit über ihren Zustand lassen, und fügte die Nachricht ihrer Krankheit und der Gefahr, worin sie schwebte, hinzu.

Trennung des alten Freundschafts-Bundes

Vergebens suchte Walther Nanny in St.. auf! Er vernahm in Madame H...s Wohnung, [407] daß man schon vor mehreren Tagen ihre Rückkunft erwartet.

Er traf mit verschiedenen Bekannten seines Oheims zusammen, das Gespräch fiel auf seine Verhältnisse. Wie viel unfeine Scherze zerrissen Walthers Herz! Nanny wurde als ein Opfer betrachtet, Robert als ein kluger schlauer Mann, der seine Zwecke wohl zu erreichen wußte, und dem es ja doch am Ende frei stünde, alles durch eine Heirath gut zu machen, fügten die weniger übel Gesinnten hinzu.

Walther stand wie vernichtet. Wie bitter warf er sich seinen Kleinmuth, seine falsche Delikatesse vor, die ihn abhielt, ein Herz, das sich ihm einmal ergeben, mit aller Macht seiner Liebe zurück zu fordern. O dieses Herz wird brechen, wenn es sich von Falschheit und Tücke umstrickt findet, rief er aus. Augenblicklich war er entschlossen, zu ihren Eltern zu eilen, und diese zu vermögen, Nanny seinem Oheim schnell zu entreißen.

Noch einmal fragte er in Madame H...s [408] Wohnung nach, und hörte, sie sey allein zurückgekommen. Sie konnte nicht vermeiden, Walthern zu sehen, aber geschickt wußte sie ihm die Gegenwart der treuherzigen Muhme zu verbergen. Vergebens suchte sie sich hinter den glatten Weltton in ihren schwankenden Antworten über Nanny zu verbergen. Walthers energisches Wesen, sein scharfes, unverrückt auf seinen Zweck hinschauendes Auge, brachte sie in nie gefühlte Verwirrung; sie mußte es endlich bekennen, daß sie eben so wenig von Nannys gegenwärtigem Aufenthalt unterrichtet wäre, als Walther, aber die näheren Umstände verhüllte sie dennoch in Zweideutigkeit.

Von der lebhaftesten Unruhe getrieben, eilte Walther jetzt nach seinem Geburtsland. Bald schmeichelte ihm die Hoffnung, er würde Nanny schon dort finden, bald quälte ihn die Furcht, sie sey in der Gewalt seines Oheims.

Freiheit, Ruhe und Liebe wehten ihm von den fernen Gebirgen entgegen. In dem Schooß [409] eurer stillen Thäler, rief er aus, wohnt noch die Liebe, die Treue!

Der Unglückliche! Schon war auch dort der Saame der Zwietracht ausgestreut.

»Walther hat ein anderes Weib genommen, (so schrieb Nanny an ihre Eltern) ich sah sie mit ihm zum Traualtare fahren.«

»Theure Eltern! vergönnet mir ferner, still und verborgen in eurem Hause den Geschäften der Wirthschaft vorzustehen. Ich will es so gern vergessen, daß ich einen andern Kreis des Lebens überschauen mußte. O wer Wahrheit und Treue bewahren will, fliehe nicht aus unsern Gebirgen! Bei Robert kann ich nicht länger bleiben; bald bin ich bei euch.«

Nannys Mutter empfieng den Brief; zitternd übergab sie ihn dem Vater. Kaum hatten ihn seine Augen durchlaufen, so eilte er damit zu Walthers Vater. Unglücklicherweise traf er nur die Mutter. Sie las den Brief ohne Verwirrung, gab ihn mit einem feinen Lächeln, welches dem Alten nie an der Frau gefallen hatte, [410] zurück. Ein Wortwechsel entstand. Walthers Mutter verfehlte nun nicht, ihre alte Unzufriedenheit mit der Heirath, mit Nannys neuerem Betragen, ihrer Verbindung mit dem Oheim, an den Tag zu legen.

Argwohn auf sein geliebtes, gekränktes Kind entrüstete den Vater. Der alte Walther kam hinzu, der Sturm war schon rege, und des Alten gelassene Art, die Dinge aufzunehmen, schien in diesem Moment dem gekränkten Vater Spott und Verachtung. Die alten Banden der Freundschaft brachen entzwei, und kalter Haß trat an die Stelle der Liebe. Der alte Walther hörte auf die Stimme seines Weibes mehr als er sollte, und auch sein gebrochnes, sonst so liebendes Herz, verschloß sich in finstern Unmuth.

Offner Haß war bei diesen einfachen Menschen anhaltend, gleichwie treue Liebe es war. Aber ihr ganzes Leben war in allen seinen Gewohnheiten unterbrochen. Nannys Vater konnte es auf dem Heimweg fast selbst nicht glauben, daß er die gewohnten Pfade zu seinem Freund nicht [411] mehr wandeln würde. Er hatte geschworen, seine Schwelle nicht mehr zu betreten. Walthern war es, als risse seine Brust auseinander, als sein Freund die Thür zuwarf, ohne ein Zeichen der Versöhnung und Liebe zu geben. Der alte Walther schüttelte endlich bedeutend das Haupt, und sagte: unser Sohn hat nicht wohl gethan, wenn es so ist. Laß uns ihn erst anhören, ehe wir ihn verdammen; sagte die Mutter. Dem Vaterherzen war es so sehr um die Rechtfertigung des geliebten Kindes zu thun, und solch ein Benehmen war ihm in jedem Sinn unbegreiflich.

Es war Abend, als Walther im väterlichen Hause ankam. Einsam fand er den Vater am Fenster, seine Pfeife rauchend. Im abendlichen Duft lag Nannys Wohnhaus. Der alte Arnold, Nannys Vater, saß vor der Hausthür gegenüber, sein Haupt war gesenkt, und schauerlicher als die Felsenkluft zwischen beiden Häusern lag des Hasses und Mißtrauens schauerliche Tiefe zwischen den so lang und innig vereinten Gemüthern. [412] Keine trauliche Rede tönte mehr herüber ins Gemurmel des Waldstroms, Tod und Stille war an die Stelle der muntern Geselligkeit getreten, und kalt und stumm, wie wir uns die Schatten der Abgeschiedenen denken, wandelten die Gestalten der sonst verbrüderten Familien, vor einander vorüber.

Des Vaters Traurigkeit rührte Walthern augenblicklich; sein eignes wundes Herz, von dem Zauber der Vergangenheit, und der schmerzlichsten Sehnsucht umfangen, war sogleich vertraut mit seinem Kummer. Er setzte sich schweigend neben seinem Vater nach den ersten Begrüßungen. Er sah das ganze Leben und Treiben der Arnold'schen Wirthschaft vor seinen Augen, und alle alte bekannte Gestalten und Gewohnheiten erinnerten ihn nur schmerzlicher an den Verlust der einzigen Hohen, die als die waltende, wirkende Gottheit, ihm seit der frühesten Jugend in diesem Kreis erschienen war. Könnte er seinen ganzen Schmerz aussprechend unter ihrer Familie mitwandeln, so dünkte ihm, würde es ihm [413] leichter werden. Er sehnte sich, an jenen Brunnen zu sitzen, wo sie oft die Heerde getränkt, in dem Schatten des Apfelbaums noch einmal zu ruhen, der an den Rand des kleinen Gärtchens seinen breiten Schatten warf, und dessen reife Früchte sonst die kleine Familie zu einem Fest versammelten, bei dem er und Nanny die thätigsten und geliebtesten waren. O wo sollte er sie jetzt suchen!

Er sah das glänzende Gestirn seiner Jugend gefallen als ein täuschendes Irrlicht, und vermochte seine Thränen nicht zu halten. »Mein Vater!« sagte er, die Hand des Alten zitternd ergreifend, »so dachten wir nicht, daß es werden könnte, als wir zum letztenmal hier standen.«

Immer achtete sein reines Herz seine entflohene Seligkeit hoch. Er wollte nichts mehr über Nanny sagen. Sein Vater faßte seine Hand stark und sagte ernst und mit nassen Augen: Walther, wessen ist die Schuld? – O mein Sohn, du hast nicht wohl gethan!

Die Erklärung folgte. Der Vater umarmte [414] seinen Sohn heftig, als er hörte, daß er nicht verheirathet sey. Sein wiederkehrendes Vertrauen, die Hoffnung, seinen alten Freund wieder zu gewinnen, belebten sein Herz aufs Neue mit fröhlicher Jugend.

Laß uns zu Arnold eilen, mein Sohn! rief er aus; umarme deine Schwiegereltern aufs Neue; alles ist ja beim Alten! Aber als Walther seine Hand kalt und heftig losriß, als er bebend ausrief: Nein fürwahr, es ist alles anders! da fuhr ein neuer Dolch durch des Vaters Herz.

Walther sprach abgebrochen mit tiefem Kummer seine Ansicht der ganzen Lage aus, und zeigte die Zeilen, in denen Nanny ihm entsagte. Der bitterste Schmerz über das Benehmen seines Bruders füllte des alten treuen Mannes Busen, und entflammte den Haß des Sohnes noch mehr. Die Mutter wollte Frieden sprechen, aber lebhaft gerührt durch den Schmerz ihres Kindes vergaß sie alles kleine Interesse ihrer Eitelkeit; sie erinnerte sich tröstend jedes Ausdrucks in Nannys [415] Brief an ihre Eltern, um Walthers Hoffnungen zu beleben.

Von ferne sah man im Arnold'schen Hause Walthern drauf zu gehen. Die Kinder liefen fröhlich durch einander, seine Ankunft zu verkünden; sinnend saß der Vater, und ängstlich verbarg sich die Mutter; sie konnte den Anblick des Mannes nicht ertragen, der ihr Kind verlassen hatte.

In dieser Lage kam die Nachricht von Nannys tödtlicher Krankheit. Der Vater taumelte nach der Thür, als er den Brief gelesen; die Mutter fiel nach den ersten Zeilen in Ohnmacht, und das Angstgeschrei der Kinder füllte das Haus.

Arnold wollte Walthern entgegenstürmen, der so eben die Stufen zum Garten heraufstieg; die Mutter war wieder zu sich gekommen, und hielt ihn mit zitternden Armen zurück. Er ruft einen Diener, um Walthern abzuweisen. Sag ihm, rief Arnold heftig nach: der Mörder meiner Tochter solle sich wenigstens scheuen, meine Schwelle zu betreten!

[416] Die Kinder, die von dem allen nichts verstanden, liefen Walthern weinend entgegen. Das Aelteste hatte den Brief aufgerafft und gelesen, und verkündigte ihm die traurige Botschaft.

Walther stand wie erstarrt an der Schwelle des Hauses. Vergebens waren seine Bitten, um den Vater zu sprechen, um die schreckliche Nachricht in all' ihrem Umfang zu vernehmen.

Der alte treue Diener, dessen unvorsichtiges Geschwätz den ersten Saamen dieses Jammers ausgestreut, war Walthern gefolgt. Er zog ihn zurück von der Schwelle, wo man seinen Anblick verabscheute, und versprach ihm sichre Nachricht einzuziehen. Er konnte sich von den Kindern nicht trennen, die mit Liebe an ihm hiengen; er umfaßte das Aelteste heftig. Geh', sag deinen Eltern, auf diesen kalten Stein seyen heißere Thränen um Nanny gefallen, als ihr alle nicht zu weinen vermöchtet!

Der alte Diener hatte Wort gehalten. Er hatte den Namen des Orts, wo sich Nanny aufhielt, [417] erfahren, er wollte Walthern dahin begleiten.

Die Eltern fühlten, es sey keine Ruhe für ihren Sohn, als in Nannys Armen, oder an ihrem Grabe.

Die Hoffnung verschwindet und kehrt wieder

Rastlos eilte Walther nach dem bestimmten Ort; er könnte nicht ins Sprachzimmer geführt werden, hieß es, die Klosterfrauen wären im Chor versammelt, aber man wolle ihn indessen mit noch einigen Fremden nach der Kirche führen.

Ein rührender Gesang erschallte in dem matt erleuchteten Gewölbe. Sanfte reine Stimmen, in die nur einzelne Akkorde der Orgel mit aller Gewalt der Harmonie tönten, sangen den Gruß an die himmlische Jungfrau, um ihre Huld für eine hinscheidende Seele anzuflehen.

Für welche Klosterfrau bittet man? flüsterte [418] eine Stimme hinter Walthern. Für Niemand aus dem Kloster, sondern für ein Fremde, die vor einigen Wochen krank hier angekommen.

Ein ahnungsvoller Schauer hatte Walthern schon beim Eintritt in die Kirche überfallen, aber die Gewißheit riß ihn darnieder. Er sank auf die Kniee, es wurde finster vor seinen Augen, aber im heißen Gebet für die Erhaltung oder die selige Ruhe der Geliebten, gewann er neue Stärke.

Nach geendigtem Gottesdienst drang alles ins Innere des Klosters; die guten Mädchen zeigten alle Seltenheiten des Hauses mit herzlicher Gesprächigkeit. Sogleich näherte sich Walther einer der anziehendsten gutmüthigen Physionomien und bat sie, ihn zu Nannys Verwandtin zu führen. Ich bin es selbst, erwiederte sie. Heftig faßte er sie beim Arm, und zog sie in ein besonderes Fenster. Um Gottes willen sagt mir mehr von der Kranken. Ihr seht meinen Zustand – erbarmt Euch.

Der wilde Schmerz in Walthers Benehmen, [419] sein entstelltes Angesicht rührte die Nonne; sie errieth seinen Namen, und sagte über Nannys Zustand, was sie konnte und wußte. »Ihre Krankheit ist mit einem Leiden des Gemüths verbunden, sagen die Aerzte, und ich glaube dasselbe,« endigte sie. Bei allen Heiligen, rief Walther, sagt mir Eure leisesten Bemerkungen, Eure halben Ahnungen sogar! – die Nonne schien zu zögern. – O Ihr müßt wissen, Nanny war meine Braut! – das verzeih Euch Gott! daß sie es nicht noch ist! denn eben Eure Untreue hat ihr das Herz gebrochen. – O nein, Ihr irrt, rief Walther, sie liebte mich nicht mehr, hatte sich einem Andern vermählt.

So muß ich denn reden, sagte die Nonne, nach einigen Momenten des Ueberlegens. Obgleich es einer Jungfrau ziemt, die Thränen der andern tief im eignen Busen zu verstecken, so ist hier eine Ausnahme. O wäre sie zu retten! Aber ach das Grab wird nur zu bald deine Jugend und Schönheit wie deinen Schmerz auf ewig umhüllen, arme Nanny! vieles von dem, was ich [420] von ihrem Zustande erfuhr, weiß ich gegen ihren Willen. Wenn sie sich ihrer selbst bewußt ist, ist sie ruhig und still, und nie hörte ich eine Klage, und daß sie zu sterben wünscht, weil das Schicksal ihr das Herz gebrochen. Aber wenn ich bei ihr die Nächte durchwachte, da zeigten mir ihre Fieberträume ihr Inneres. Die holde Seele hatte nicht nöthig, sich zu verbergen, denn sie ist lauter und engelrein. Mit welcher Zärtlichkeit nannte sie oft Euch, wie wünschte sie, Euch noch einmal zu sehen! Sie selbst sucht Euch aller Schuld loszusprechen, und schiebt Eure Untreue auf die Dazwischenkunft böser Menschen. Roberts Andenken scheint sie vor allen zu quälen, ihr harmloses Geschwätz wurde immer zur Raserei, und endigte in einen lauten Schrei des Entsetzens, so oft sein Bild sie verfolgte.

Heiße Thränen flossen über Walthers Wangen. Ihr sagt, daß sie mich noch liebt – o führt mich zu ihr!

Die Nonne versicherte, daß dieses vor der Hand unmöglich sey, auch würde es ihm zu [421] nichts dienen, da Nanny ganz ohne Bewußtseyn liege. Sie versprach aber mit dem Arzt zu sprechen, Walther sollte in der Nähe des Klosters bleiben, und habe Nanny einen hellen Augenblick, in dem sie sein Anschaun zu ertragen vermöge, so wolle sie ihm ein Zeichen mit einem weißen Tuche geben. Wäre sie aber allzuschwach, und der Todesstunde nahe, so müsse man die hinscheidende Seele an nichts Irrdisches mehr fesseln, fügte sie fromm hinzu. »Vergeben hat sie Euch, denn sie ist fromm wie ein Engel, sagte sie. Wenn die Nacht einbricht, und Ihr habt kein Zeichen empfangen, so geht nach Hause, für sie zu beten, sodann wird das Kloster geschlossen, und ich darf Euch nicht einlassen! Aber morgen früh kommt in die Kirche!« – O sagt ihr nur, daß ich treu war! Dieses konnte Walther der Nonne noch zurufen, als eine Glocke ertönte, worauf sie und alle andern sich schnell entfernten, und die Thür verschlossen wurde.

Walther eilte nach dem bezeichneten Platz. Unbeweglich war sein Blick auf die Fenster des [422] Klosters geheftet. Aber ach! kein Zeichen erschien! Schon begann die Finsterniß alle Gegenstände zu umhüllen, noch immer war kein Zeichen erschienen. Er hörte die Riegeln der Klosterpforte schwirren, und alle Hoffnung war verschwunden. Vergebens waren die Bitten seines treuen Dieners, Ruhe und Nahrung zu genießen, Walther vermochte nicht, sich von den Mauern zu entfernen, die sein Liebstes umschlossen. Er warf sich am Hügel nieder, sah nach jedem Lichtschimmer, und lauschte halb athemlos auf jedes Geräusch innerhalb des Klosters.

Sein innigstes Sehnen war, noch einmal alle Liebe und Treue seines Herzens auf den Lippen der Sterbenden auszuhauchen, alle Zweifel ihres Busens zu lösen, und in der Flamme reiner Liebe als ein versöhnter Geist mit der Hinscheidenden ins neue Daseyn hinüber zu schweben.

Das ganze dunkle verworrene Schicksal seiner Liebe entwickelte sich jetzt in seinem Gemüth; er sah die leisen Netze des Verraths, die ihn und Nanny umstrickten. Sein Oheim erschien ihm als [423] ein Engel der Finsterniß, er hatte Nannys Herz gebrochen. Krampfhaft verengte sich seine Brust, wenn er den schlauen Verführer dachte. Walthers einfaches energisches Gemüth vermochte nicht, die Verworrenheit und Schwäche einer Existenz wie Roberts zu fassen, der in rastloser Bewegung, in immerwährender Selbsttäuschung schwebte. Das Verlangen, ein menschliches Daseyn zu vernichten, drang jetzt zum erstenmal in Walthers liebevollen Busen. Wie sehnte er sich nach einem offnen Kampf! Wie wünschte er, mit den Rechten seines Busens Unschuld und Wahrheit, gegen List und Tücke zu vertheidigen! Das Schicksal selbst schien ihn aufzurufen zum Kampf für Unschuld.

In diesem gewaltsamen Zustand, wo zärtlicher Schmerz und die wildesten Leidenschaften in seiner Seele auf und ab wogten, begann der Morgen zu grauen. Walther gieng an der Klostermauer umher, und erwartete das Eröffnen der Kirche, als er einen Reisewagen erblickte, der den Hügel heranfuhr, und zwei Herren, [424] die zu Fuße vorausgiengen. Der eine schien gerade auf das Kloster zuzugehen; er näherte sich wirklich, und faßte den Ring der Pforte, um anzuklopfen.

Walther konnte in der lebhaften Spannung, worin er war, nicht ertragen, daß ein Anderer ihm zuvoreilen wollte, er trat hinzu, um den Reisenden Bescheid zu geben. Wie bebte er zurück, als er in dem Fremden seinen Oheim erkannte! Gewaltsam schäumten alle sonst so harmonischen Kräfte seines Wesens über, und drohten seine Natur zu zerstören; der Haß lähmte seine Sprache, unwillkührlich faßte seine Hand den Degen. Aber er vermochte noch sich zu halten, und sagte dem Oheim mit halb erstickter Stimme: Nanny liegt am Tode! Schonen Sie in den letzten Augenblicken wenigstens ein Herz, das Sie gebrochen haben!

Der Oheim ließ den aufgehobenen Pfortenring fallen, sah Walthern mit wilden Augen an, und konnte nichts sagen als: du hier? Im Augenblick öffnete sich die Pforte. Walther drang [425] vor Roberten in die Kirche, wo ihm die gutmüthige Nonne entgegen kam. Ihre Hand deutete schon von ferne mit trauriger Geberde, daß alles verloren wäre, und ihre Augen schauten empor nach dem himmlischen Trost. Walther hatte keinen Muth zu weitern Fragen. Ach, alles ist verloren! rief er, sie ist todt! – Nein, erwiederte die Nonne; aber sie liegt besinnungslos. Der Arzt sagt, wenn ihr Bewußtseyn auch zurückkehrte, so würde ein allzu heftiger Eindruck ihren Tod nur beschleunigen, wir sollten sie in Frieden scheiden lassen, Hoffnung sey nicht mehr zu finden.

Robert verlangte die Aebtissin zu sprechen, und drang darauf, eingelassen zu werden. Dies ist Ritter Robert! sagte Walther gegen die Nonne. Die Nonne fuhr zurück, und hob schon den Arm, als wolle sie durch das Zeichen des Kreutzes den bösen Geist von sich bannen. Verhüte Gott, sagte sie heftig, daß Euer Anschaun das gute Geschöpf noch kränken sollte; schon im Traum bringt sie Euer Bild außer sich.

[426] Man gab ein Zeichen im Innern. Die Nonne mußte hinweg, aber sie versprach Walthern in zwei Stunden wieder an denselben Platz zu kommen.

Walther war aufgerieben von zerreißender Angst über den Verlust, der ihm drohte, aber Roberts Versuche ins Kloster zu dringen, erregten seinen bittern Haß aufs Neue. Er drängte den Oheim mit Gewalt zur Thür hinaus. Entheiliget diesen Boden nicht, sagte er drohend. Robert wollte ihm kalt und schonend begegnen; Roberts Begleiter, ein alter Kriegskamerad, wollte Frieden stiften, beides empörte Walthern nur noch mehr.

Stark und mächtig sprach er zu Robert, indem er ihm sein Benehmen gegen Nanny vorhielt, indem er ihm den zerrissenen Bund der alten ehrwürdigen Freundschaft vorwarf, der beide Familien so eng ver bunden, und den sein Vater nicht überleben würde.

Roberts Scharfsinn hatte keine Ausflucht gegen die Rechte der Wahrheit und Natur, eine [427] leise Stimme seines Herzens strafte ihn selbst, seine Eitelkeit war tief gekränkt durch die Gegenwart eines Zeugen, und auch sein Zorn flammte auf. Die hittersten Worte begegneten sich, die endlich zu Beleidigungen stiegen, die das Ehrgefühl des Soldaten nur mit Blut zu tilgen wähnt.

Sie waren einem Wäldchen zugegangen, welches das Haupt des Hügels umkränzte; beide hatten Pistolen. Walthers Herz schlug hoch und frei, ihm gelüstete nach dem Kampf für Wahrheit und Treusinn, gegen List und Tücke. Zu siegen oder zu fallen, galt ihm gleich, er mochte in einer Welt nicht leben, wo die Unschuld der Bosheit zum Raube dient, in einer Welt, die Nanny eben verlassen sollte. Gewaltsam war sein ganzes Wesen aufgeregt, übertäubt die reinern menschlichen Gefühle. Als er endlich Robert bewaffnet gegenüber stand, als sein Wunsch erreicht war, ihm im Kampf zu begegnen, da erwachte ein milderes Gefühl in seinem Busen. Eine ehrwürdige Aehnlichkeit mit der Gestalt [428] seines Vaters traf sein Herz, aber er suchte sich selbst zu betäuben.

Die Morgensonne gieng herrlich hinter dem Kloster auf, wo Nanny ihren Geist vielleicht eben segnend aufgab. Der alte ewig schöne Spruch: Gott läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute! drang strahlend in sein Gemüth. Er sah wieder den Bruder seines Vaters vor sich; er fühlte, daß ihm hier die Rache nicht gebühre. Der erste Schuß war von dem alten Krieger Walthern zuerkannt. Aber Walther senkte den Arm mit dem gespannten Pistol, statt es auf Robert abzudrücken. Der Schuß gieng von selbst los, und die Kugel traf Walthers rechten Fuß.

Das Blut quoll heftig aus der Wunde. Robert und sein Begleiter eilten hinzu, gerührt durch Walthers Benehmen. Braver Junge! sagte der alte Krieger mit feuchten Augen; Oheim, halte dich nun auch brav! Von starkem Blutverlust ermattet, erloschen Walthers Sinne; sie [429] trugen ihn unter einen Baum, und stillten das Blut so gut sie konnten.

Walthers alter Diener war von fern gefolgt und eilte jetzt auch zu Hülfe. Ein Wagen fuhr so eben auf der nahgelegenen Straße, der Diener hielt ihn an, und bat, einen Verwundeten bis zur Stadt aufzunehmen. Eine Dame, die in der Chaise saß, erbot sich sogleich, sie zum Gebrauch des Kranken ganz zu überlassen, und zu Fuße nach der Stadt zu gehen. Mitleidig lenkte sie ihre Schritte nach dem Verwundeten, sie näherte sich dem Baum. Mit einem lauten Schrei stürzte sie zu Boden. Robert wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte, oder ob ein Spiel der Einbildung ihm Leonorens Bild in der Dame vorgezaubert.

Sie war es selbst. In der lebhaftesten Unruhe seit Walthers Abreise, von Liebe und Sorge um sein Schicksal getrieben, unzufrieden mit Madame H – s Benehmen, da es fruchtlos für ihre Wünsche geblieben, reiste sie ihrem Freund [430] eilend nach, um ihn im Schoos seines Vaterlandes und seiner Familie aufzusuchen.

Robert hatte Leonoren aufgefaßt, und nachdem sie sich erholt, rief sie heftig: ist noch Hoffnung für ihn? Die Wunde ist nicht gefährlich, erwiederte Robert; aber er bedarf schleuniger Hülfe.

Jetzt athme ich wieder! rief sie aus. Mit ihrer ganzen Thätigkeit und Geschicklichkeit war sie bemüht, Walthern sanft in den Wagen bringen zu helfen. Der Diener mußte ihn unterstützen, sie selbst setzte sich gegen ihn über, um ihn durch stärkende Essenzen zu erwecken.

Schöne Wiedervereinigung

Der ganze Zug gieng nach dem Kloster, als dem zunächst liegenden Hause. In einem Seitengebäude wurden sogleich Anstalten zu Walthers Unterkommen gemacht. Walther hatte verschiedenemale die Augen während des Fahrens aufgeschlagen, Leonore starr angesehen, und einmal sich mit Schaudern von ihr abgewendet.

[431] Als er durch Hülfe des Arztes sein Bewußtseyn wieder gefunden, und Leonoren neben seinem Bette erblickte, drückte er sie heftig von sich, und sagte so stark er's vermochte: ich beschwöre Sie, verlassen Sie mich.

Leonore verließ ihn in heftiger Bewegung. Er fragte den Arzt, wo er wäre? und als dieser ihm das Kloster nannte, fragte er: lebt Ihre Kranke noch? – Ja, erwiederte dieser mit freundlicher Miene, und seit ein Paar Stunden, sehe ich Möglichkeit sie zu retten. Walther faltete die Hände über seine Brust, und sein glänzendes Auge dankte dem Geber des Lebens. Er frug, ob ihn die gute Nonne besuchen dürfe? Der Arzt gieng sie zu rufen.

Mit Freudestrahlendem Antlitz trat sie an sein Bett. Sie sagte, daß Nanny diesen Morgen in einem Augenblick des hellen Bewußtseyns sie zu sich gerufen, und ihr noch einige kleine Geschenke für Walthern gegeben, die sie ihm nach ihrem Tod zustellen sollte, mit zärtlichen Grüßen. Sein Weib wird mir ja ein flüchtiges Andenken göngen! [432] hätte sie mit schmerzlichem Lächeln hinzugefügt. Ich sagte ihr darauf, fuhr die Nonne fort, daß sie sich geirrt, daß ich Euch selbst gesprochen, und von Eurer treuen Liebe für sie überzeugt sey. Es war, als ob ein neuer Lebensgeist ihr durch Nerven und Adern flöge, sie erholt sich aus der tödtlichen Ermattung, und der Arzt giebt Hoffnung.

Walthers Herz floß über von Liebe und Freude. Er hat die Nonne, Roberten gütig zu begegnen, und seine lebhafte Sorge um Walthern rührte sie selbst.

Leonore hatte indeß Robert mit Fragen bestürmt: Walthers Widerwillen gegen sie beunruhigte sie unaussprechlich. Robert hatte ihr in seiner eignen undeutlichen Ansicht die Lage der Dinge vorgelegt, sie war äußerst betroffen. Auch Nannys Verwandtin hatte sie befragt, und klar, im strengsten Sinne, wie diese die Begebenheiten aufgefaßt, hatte sie sie ihr wieder vorgestellt.

[433] Leonore weinte heftig; ihre ganze Gutmüthigkeit erwachte. Sie quälte sich mit bittern Vorwürfen, das Glück von zwei liebenden Herzen zerrissen zu haben, und bebte vor den Folgen ihres Leichtsinns zurück. In einem ruhigen Moment gieng sie in Walthers Zimmer, als Robert gegenwärtig war.

O Ritter Robert, sagte sie, wir haben Böses gestiftet, lassen Sie uns gut machen, was wir können! Sanft bat sie Walthern, ihr alle Verwirrung, alles Leiden zu verzeihen, was sie ihm verursacht, und sie nich zu hassen. Walther drückte einen Kuß auf ihre Hand. Aus Liebe hatte sie gefehlt, und sein lieberfülltes Herz mußte ihr verzeihen.

Der Arzt, der nicht Kunst genug besaß, um die leisen Züge der Natur ahnungsvoll zu ergreifen, folgte wenigstens ihren klaren Aussprüchen, und freute sich gutmüthig, sie verstanden zu haben. Hoffnung und Freude waren der wahre Balsam für die Liebenden. Da sich Walther den [434] nächsten Tag leidlich befand, durfte er zu Nanny ins Sprachzimmer gebracht werden.

Süßes Wiedersehen! Wie zwei seelige Geister, die über der Kluft des Vergänglichen schweben, umfaßten sie sich nach allen Leiden im Gefühl reiner bewährter Treue. Ewige Liebe glänzte ihnen entgegen.

Leonore war innig gerührt. Das Unglück, das sie über das Leben ihres Freundes gebracht, der Schmerz über seinen Verlust, den sie sich selbst nicht gestehen mochte, alles bewirkte eine gewaltige Umwandlung ihres Gemüths. Alles wieder gut zu machen, Walthers Achtung zu verdienen, war ihr höchstes Bestreben. Sie drang in Robert, einen Theil ihres Vermögens für Walther, aber in seinem Namen, zu verwenden, um des jungen Paares Feinheit zu schonen, zu dem sie kein Verhältniß hatte, das solch einen Schritt autorisiren konnte.

Robert selbst war tief gerührt, und übertrug Walthern die Verwaltung seiner Güter mit einem [435] beträchtlichen Jahrgehalt. Die Verbindung der Liebenden sollte bald geschlossen werden. Schon hatte man den Eltern geschrieben, und die gute Botschaft verkündigt. Leonore sah mit nassen Augen, aber mit theilnehmendem Herzen auf die Glücklichen; Robert stand mit niedergesenktem Blick. Nanny blickte hold und verzeihend auf ihn, und sagte freundlich, indem sie seine Hand faßte: Ein guter Genius hat uns Beide gerettet. Nie hätten Sie es ertragen, mich elend zu sehen. Werden Sie, machen Sie glücklich! flüsterte sie ihm sanft zu, auf Leonoren deutend.

Walther näherte sich Leonoren, und sagte leise: O meine Freundin, Sie theilen unser Glück! vergönnen Sie uns denselben Genuß, daß auch Sie eine schöne Erinnerung an die ersten Wallungen Ihres Herzens aufs Neue beglücken möchte!

Robert und Leonore schwiegen. Ihr unruhiges, zweckloses, von Lieb' und Vertrauen getrenntes Daseyn stand im grellsten Contrast vor ihren [436] Gemüthern, da die reine Himmelsfarbe einer treuen Liebe vor ihren Augen flammte. So glücklich hätten auch wir werden können, fühlten sie, und ihr Blick senkte sich beschämt vor den reinen Gestalten, die das Heiligthum der Treue und des Vertrauens aus allen Schlingen der List gerettet hatte.

Die Energie der Glücklichen belebte in ihrem Busen einen Funken des Glaubens des fröhlichen Selbstvertrauens.

Roberts Blick fiel auf Leonoren. Das Schicksal hat mir viel geraubt, sagte er, indem es meine heitersten Jahre dem Irrthum einer ungezähmten, ewig getäuschten Einbildung hingab, indem es meinem Herzen die Kraft nahm, auf einer holden Erscheinung zu verweilen. Ein Schwindelnder, der am Abgrund hintaumelt, darf er seine Hand als Führer reichen?

Wir wissen nur das, was wir mit Schaden lernen, sagte Leonore unter Thränen lächelnd. Lassen Sie uns an der Zeit prüfen, welches Glücks [437] und welcher Gefühle wir noch fähig sind. Vielleicht ist uns das so seltne Glück gegeben, den reinen Pfad der Natur wieder zu finden, von dem die Welt und eigne Schwachheit uns abführten.

Glücklich sind die, die ihn nie verließen!

[438]

Edmund und Emma

[439] [441]Edmund Wallendorf besuchte wie gewöhnlich an jedem schönen Sommerabende seine junge Freundin. Ihre Einsamkeit, ihre Trauer über den Tod einer geliebten Mutter, tausend wichtige und unwichtige Geschäfte, die er für sie zu besorgen hatte, machten ihm diese Besuche sogar zur Pflicht. Sein Verstand verweilte gern auf der Ansicht der Pflicht in diesem Verhältniß, vielleicht um sich mit dem oft ungestümen Treiben der Neigung in seinem Herzen auszusöhnen. Edmund war in dem Alter, wo schöne Naturen zur Harmonie ihrer innern Kräfte gelangt sind, wo man nicht anders zufrieden mit sich selbst werden kann, als wenn unsere Neigungen [441] bildend und nicht zerstörend im ganzen Umfang unsrer Existenz, so wie in unsern Umgebungen wirken. Die Leidenschaft will dann nur im Geleit der Grazien gehen, und wendet sich scheu von ihrem Ziele, wenn sie von ferne das Gefolge der düstern Erinnyen erblickt. Edmunds zartes Gemüth hatte manche Wunden des Gefühls davon getragen. Jedes edle Leben ist immer ein ermattender Kampf. Obgleich über Kurzsinn und Eigennutz erhaben, fühlte doch sein Herz ein Bedürfniß, sich von diesem Kampfe zuweilen auszuruhen, seine Kräfte in der Einsamkeit, im ruhigen Leben mit der Natur, den Wissenschaften und der Kunst wieder zu sammeln und zu erfrischen. Den größten Theil des Jahres brachte er auf einem Landgut zu, in dessen Nähe Frau B**** als Wittwe, mit ihrer einzigen Tochter lebte. Die Mutter war ein braves schlichtes Weib, hellsehend und thätig in dem Kreise des gewöhnlichen Lebens und ihrer Wirthschaft.

Vielleicht hätte die Aengstlichkeit, mit der sie [442] über jeden kleinen Vortheil wachte, und die Engherzigkeit, die von dieser Existenz unzertrennlich ist, Edmund von einem fortgesetzten Umgang mit ihr abgehalten, hätten nicht die schönen Anlagen der Tochter ihn innigst angezogen. Edmund hatte Emma's Ausbildung unter seinen Augen zugesehen, und ihre Vollkommenheiten hatten sich daher nie in seiner Fantaste als ein vollendetes Ganze gezeichnet. Jener magische Zauber des ersten Eindrucks konnte also nie sein Wesen auf einmal bestimmend ergreifen, er hatte sich nicht vom Schaum des Bechers der Liebe berauscht, aber tropfenweise war seine Gluth in Mark und Adern gedrungen. Wie ein reines Gemüth Theil an jedem schönen Werden nimmt, so hatte er eine väterliche Freude über das Mädchen empfunden, aber er bemerkte nicht, wie die Freude unzertrennlich von seinem Daseyn wurde.

Wie das Element, welches uns immerwährend umgiebt, unser Leben uns unbewußt und ungefühlt erhält, so erhielt Emma's Liebenswürdigkeit das zärtere und höhere Leben seines Herzens. [443] Erst in dem Moment des herannahenden Verlustes fühlte er den erstarrenden Krampf der Vernichtung in seiner Brust, gleich dem armen Vogel, dem man die Lebensluft entzieht. Alle Verhältnisse waren günstig, um sich Emma als Gefährtin des Lebens zu vereinigen. Die Mutter legte ihm sogar oft die Möglichkeit einer Erklärung nah, und zog sich mißmuthig über sein Zögern zurück.

Sie fühlte zu sehr, wie viel Emma durch den Umgang eines so vollkommen ausgebildeten Mannes, an Bildung des Betragens, an Kenntnissen, an Talenten gewann, und bemühte sich darum immer das Verhältniß mit ihm zu erhalten, ob sie sich gleich in der Hoffnung zu einer Verbindung für ihre Tochter getäuscht wähnte. Nach Edmunds leiser, beinah kranker Feinheit des Gefühls und der Mutter trockner Art, über diese Gegenstände zu sprechen, hätte nur in einer ganz entschiedenen Situation eine Annäherung unter ihnen entstehen können. Die Lebhaftigkeit, mit welcher Emma sich immer dem Genuß jeder [444] kleinen Freude in der Gegenwart oder den ernsteren Beschäftigungen hingab, verdrängten die Bilder der Zukunft, wenn Edmund in ihrer Nähe war.

Das Zögern ist die Frucht der Erfahrung. Wer das Leben kennt, trägt eine heilige Scheu, das, was noch rein und frisch in der Fantasie blüht, den unsichern getrübten Wellen preis zu geben. Man ist so zufrieden, wenn die heitre Ruhe der Gegenwart durch nichts unterbrochen wird, und hat nach viel erfahrnen Täuschungen keinen Glauben mehr an die luftige Erscheinung des Glücks, die uns ein unerreichbares Wolkenbild dünkt.

So vergieng ein Tag nach dem andern bei Edmunds vorletztem Sommeraufenthalt. Jeden Morgen nahm er sich vor, sein ganzes Herz gegen Emma auszusprechen, jeden Abend gieng er mit einem nichtigen Grund von ihr, warum er es unterlassen hatte. Es war ihm wohl in der magischen Dämmerung seiner Gefühle, und wie es selbst oft den besten Männern geht, erwog er [445] nicht fein genug alle leise Beziehungen der gebundenen Weiber-Existenz. Natur und Sitte, die hier vereint gehen, heißt dieser die Wünsche des Mannes erwarten. Gegen den Herbst sprach die Mutter von einer Reise nach der Stadt; das hätte ihn bestimmen sollen, aber Emma hatte gerade in dieser Zeit einen weichern und höhern Ton des Gefühls gegen ihn angenommen, die Unbefangenheit des heitern kindlichen Mädchens schien sich in die entschiedene besonnene Stimmung der Jungfrau verwandelt zu haben. Sie war weniger zuvorkommend gegen den Freund, aber zarter und leiser entgegenkommend. Edmund hoffte, die volle Blüthe der Leidenschaft sey ihrer Entfaltung nahe, er wünschte nicht nur von ihr aufgenommen, sondern gewählt zu werden, und entschloß sich, ihre Rückkunft aus der Stadt erst abzuwarten, ehe er seine Liebe und seine Wünsche erklärte.

Unter einem Kreise von jungen Männern sollte sein Bild in ihrem Herzen glühen, er wollte die Kraft dieses Herzens, die Treue, mit der es [446] sein Andenken zu bewahren vermöchte, prüfen, gegen die Macht der Gegenwart, der jugendlich erwachenden Sinnlichkeit, ehe er ihm das Glück seines Lebens anvertraute. Er vergaß bei dieser Rechnung, daß ein Mädchen von Emma's Alter mehr mit ihren eigenen Gefühlen, als denen, welche sie eingeflößt hat, beschäftigt ist. Er wußte nicht, daß sie auf die öftern Fragen der Mutter nach seinen Aeußerungen nur mit einem peinlichen Erröthen antworten konnte: Er hat keinen bestimmten Wunsch geäußert, doch fühle ich, daß er mir wohl will.

Der nahe Abschied regte alle stärkern Klänge der Neigung unter ihnen an, aber Edmund fürchtete die Explosion und sendete, nachdem er noch selbst zu kommen versprochen, nur ein Billet in allgemeinen freundschaftlichen Ausdrücken. Emma las das Billet mit nassen Augen, und zum erstenmal regte sich eine Art von schmerzlichem Unmuth gegen ihren Freund, den sie immer als den Leiter und Schutzengel ihrer Jugend verehrt hatte. Sie antwortete ihm kindlich und zart, [447] doch abgemessener als gewöhnlich, und faßte den Entschluß, alle Gedanken an ein näheres Verhältniß mit ihm für immer zu unterdrücken. Sein Bild schützte ihre Brust, gleich der Aegide der Pallas, anfänglich vor jedem andern Eindruck. Alle Männer verloren in der Vergleichung mit ihm. Aber die Gegenwart, die Jugend im Nebel des bunten zerstreuten Weltlebens, foderten endlich ihre Rechte gegen eine starke Empfindung, die aber jezt von Schmerz und Unmuth nur dämmernd im Grunde der Seele lag. Der ganze Cirkel, in melchem Emma lebte, war mit der Ankunft eines jungen Mannes beschäftigt, dessen Liebenswürdigkeit, dessen Geist und Tapferkeit man nicht genug rühmen konnte. Als Krieger hatte er sich schon ausgezeichneten Ruhm erworben, und manches zärtliche Abentheuer erregte die Aufmerksamkeit der Schönen.

Er erschien zuerst auf einem Balle. Sein ganzes Benehmen zeigte entschieden, daß unter allen Frauen Emma den stärksten Eindruck auf ihn gemacht. Seine gutmüthige Offenheit gab [448] seiner Gestalt einen unwiderstehlichen Reiz. Der Zauber lebendiger Gefühle spielte in den Zügen, die vom Feuer der Jugend glühten. Eine anspruchlose Bescheidenheit, die sogar oft die Farbe der Furchtsamkeit annahm, öffnete ihm unvermerkt die zartesten Gemüther. Der Taumel der Zerstreuung, die Bewegung des Tanzes, der dem feinsten Gefühl eine veränderte Stimmung giebt, machten Emma eines neuen Eindrucks empfänglicher, obgleich ihr sittlicher Stolz jede Aeußerung desselben zurückhielt.

Sie wurde nur desto anziehender durch diese unbefangene Kälte; ihr Tanz war das leichte Schweben der Grazien, die als beglückende Göttinnen, ihres Ursprungs und ihrer Macht bewußt, keinen Wunsch und kein Bedürfniß nach Beifall verrathen. Im Nausch der Freude und Schönheit sprach Hohenberg von ernsten Verbindungen fürs Leben. Emma's Herz durch vergebliches Hoffen und Wünschen an Edmunds Seite gequält, überließ sich dem erwachenden Gefühl einer freien offnen Neigung, die Mutter ergriff [449] die Aussicht einer glänzenden Verbindung mit eilfertiger Freude und in wenigen Tagen entschied sich Emma's Zukunft. Als einen beleidigten Schatten, der aus der Unterwelt aufsteigt, um ein begangenes Unrecht zu rächen, floh Emma in dieser neuen Stimmung Edmunds Andenken. Ohne daß sie sich einen Grund anzugeben wußte, ergriff sie oft ein leiser Schauer an der Seite ihres neuen Freundes, wenn Edmunds Bild in ihrer Brust sich belebte.

Die ganze Ahnung zärtlicher Gefühle, die in holder Dämmerung vor der Mädchenfantasie schweben, hatte sich bis jetzt nur an Edmunds Bild geheftet, und wie am Morgen beim Erwachen die Bilder des Traums sich noch mit der Wirklichkeit vermischen, so war Emma oft ungewiß, ob die Wallungen ihres Herzens dem Bild des entfernten oder dem gegenwärtigen Freunde zugehörten.

Hohenberg sollte im nächsten Frühjahr nach der Hauptstadt reisen, um seinen Abschied aus [450] dem Kriegsdienst zu nehmen, zu dem rascher jugendlicher Muth ihn ohne Wissen und Billigung seiner Familie geführt hatte. Bei seiner Rückkunft sollte die Verbindung mit Emma vollzogen werden. Mit rascher Eile leitete die Mutter die äußern Verhältnisse zum Ziele, gleichsam als hätte sie eine Ahnung des nahen Todes getrieben. Wenige Tage nach Hohenbergs Abreise wurde Frau B.... von einem Fieber befallen. Die arme Emma, nachdem sie vierzehn Tage und Nächte das Krankenbette der Mutter nicht verlassen und alle Qual der getäuschten Sorgfalt und Hoffnung ausgestanden, mußte sie endlich in ihren Armen verscheiden sehen.

Emma fühlte sich trostlos und allein in der Welt, nichts konnte ihr die immerwährende zarte Liebe und Sorgfalt einer liebenden Mutter ersetzen, jeder Moment erinnerte sie an ihren Verlust. In ihrem tiefen Schmerz dachte sie öfter an den Freund ihrer Jugend, dessen Bild mit allen ernsten und zarten Erinnerungen ihres Lebens verbunden war, als an die schnellen flüchtigen [451] Tage der lebhafteren Neigung, wo im Geräusch lärmender Freuden ihr Herz sich einer neuen Empfindung geöffnet.

In dieser Stimmung schrieb sie Edmund zuerst, seit ihrer Versprechung, denn die Mutter hatte die erste Eröffnung über sich genommen, und ein freundschaftlicher Glückwunsch war als Antwort, erst nach Frau B–s Tod eingelaufen. Ein herzlicher, theilnehmender, väterlicher Brief von Edmund war der erste lindernde Trost für Emma's Schmerz. Hohenbergs Briefe drückten mehr eine heftige sinnliche Sehnsucht nach ihrem Besitz aus, als ein inniges stilles Eingehen in ihre Gefühle, welches in Momenten des Leidens so wohlthätig ist, und uns ein menschliches Wesen wie eine Gottheit verehren läßt. Mit einer Verwandten eilte sie nach ihrem ländlichen Aufenthalt zurück. Edmund folgte ihr nach wenigen Tagen.

Das Beklemmende aller jener seligen Ahnungen, jener leisen Wünsche eines näheren Verhältnisses, welches ihren Umgang in den letzten [452] Zeiten oft peinlich schwankend gemacht hatte, verschwand jetzt bei Emma's entschiedner Lage. Alle Blüthen des Geistes und des Herzens entfalteten sich in schöner Fülle, sie lebten das süße Leben, wo sanfte Neigung sich immerwährend in tausend leisen Beziehungen auszudrücken strebt. Weil ihr der höchste Ausdruck versagt ist, werden alle Kleinigkeiten des Lebens bedeutungsvolle Accente, und weil das höchste Gefühl das ganze Daseyn durchdringt, so gewinnt alles einen himmlischen Glanz. Die Idee des nahen Verlustes wehte oft als ein kalter Sturmwind zwischen sie, Edmunds Herz faßte sie am stärksten, da ihm noch die Möglichkeit vorschwebte, den Umständen eine andere Richtung zu geben. Emma hatte sich in ihrer weichen Stimmung weiblich dem Schicksal hingegeben, sie wollte für sich nach keinem Glücke streben, für Edmunds Glück hätte sie mit Muth die Umstände zu lenken vermocht, aber seine Wünsche lagen still in seiner Brust. Auch hatten sich ihre Verhältnisse zu einem festeren Knoten verschlungen. Hohenberg hatte mit [453] der Erbschaft eines Oheims, auf die er gerechnet hatte, den besten Theil seiner Aussichten verloren, und in dieser Lage war es für Emma unmöglich, ein frei gegebenes Versprechen ohne Veranlassung zurück zu nehmen. Sie verschloß ihre Gefühle im innersten Herzen, und hoffte sie da ewig zu verbergen.

Edmunds Gedanken schweiften, während seiner Wanderung zu Emma, über dieser ganzen Lage und in der Vergangenheit, aus der sie entstanden waren, umher. Er war auf einen freien Platz im Walde gekommen, der zwischen den beiden Gütern lag. Von einer Anhöhe hinab zog sich eine ausgehauene Straße durch den Wald in das liebliche Thal, wo Emma's Wohnung zwischen freundlichen Bauernhäusern und den sie umgebenden Gärten glänzte. Eine alte breitästige Buche hatte oft unter ihrem Schatten die kleine Gesellschaft versammelt, wenn sie sich hier zu einem leichten Mahl zusammen fand, um an Festtagen das Volk der umliegenden Gegend nach der kleinen Kapelle wallfahrten zu sehen, die [454] etwas tiefer im Walde lag, und seit langen Jahren den frommen Volksglauben zu einem Ziel des Trostes und der Hülfe, und der Jugend zur fröhlichen Vereinigung diente. Ueber gewisse Gemüther übt die Magie der Erinnerung an bekannten Plätzen eine wundervolle Macht aus. Was wir gesehen und empfunden, umspinnt uns als ein magisches Gewebe aufs Neue hell und lebendig wie die Gegenwart. Eine solche Reminiscenz faßte jetzt Edmund und unterbrach den Monolog seines besonnenen Verstandes mit dem Zauber reger Gefühle.

Bis in Emma's vierzehntes Jahr hatte ihr Edmund mit dem holden Ausdruck einer väterlichen Theilnahme begegnet, in der vertraulichen Unbefangenheit des täglichen Zusammenlebens, faßte er ihre Hände zwischen die seinen, und drückte oft beim Kommen und Gehen einen Kuß auf die zarten Wangen. Zum erstenmal fühlte er hier unter dieser Buche, als Emma und ihre Mutter an einem heitern Frühlingstag sich mit ihm zusammen fanden, daß das blühende Mädchen ihre [455] Hand zitternd aus der seinen zog, und daß ihre Wange mit einem feurigen Erröthen sich seinem Kusse darbot. Heilig war ihm diese Blüthe des ersten jungfräulichen Gefühls, er sah sie seitdem nicht mehr als Kind an, vom vertraulichen Wesen gieng er zum feinsten Benehmen des guten Tons über, und genoß mehr durch die kleinen Entbehrungen, die er sich auflegte, als durch die süßeste Vertraulichkeit selbst. Jedes Zurückhalten seines liebevollen Herzens erinnerte ihn, daß Emma die ganze Gewalt seiner Gefühle jetzt zu erwiedern vermöchte, und daß diese dunkle Ahnung ihr die zitternde Entfernung eingab.

Er lehnte am Fuß der Buche, sein schönes Auge war gesenkt, und als die Schatten der Vergangenheit vor seinem Innern vorübergezogen waren, faßte ihn tiefe Wehmuth. Sie hätte Dein werden können! rief er aus. Warum ließ dein unglückliches Schweigen ihrem Herzen die Zeit einen andern Gegenstand aufzunehmen? Sie wird weg von hier ziehen, wird einem andern Manne angehören, mein Andenken wird ihr nicht [456] mehr seyn als jeder andere freundliche Traum der Kindheit. Ach, und wird sie glücklich seyn? In der edeln Sorge um den Gegenstand seiner Liebe, vergaß er die eignen Schmerzen über seinen Verlust. Schon stand er am Gatterthor, das zum geräumigen Hofe führte, dessen Mitte ein schöner Rasenzirkel schmückte, schon sah er Emma's weißes Gewand zwischen den Akazienzweigen im Golde des Abends glänzen. Ich will ihr Freund bleiben, sagte er zu sich selbst, ja das will ich, ihr Schicksal soll meine immerwährende Sorge seyn. Ein Weib hat viel, wenn sie einen treuen, uneigennützigen Freund hat. Jetzt verweilte er noch einen Moment im dunkeln Schatten der Linden, beim Eingang des Thores, um eine Thräne aus seinem Auge zu wischen. Heiter lächelnd im reinen Licht der Güte und des Segens trat er nun, wie die strahlende Abendsonne, die einen schönen Morgen verkündigt, leuchtend in Anmuth und Liebe vor seine Freundin.

Emma empfieng ihn mit ihrem holden Lächeln, offen ruhte ihr Blick auf Edmunds edeln [457] Zügen, aber ein Wölkchen des Schmerzes umzog ihre reine Stirn. Sie steckte einen Brief ihres abwesenden Freundes ein, der vor ihr auf dem Arbeitstisch lag. Sie schien Edmunds weiche Stimmung zu fühlen, überhaupt sprach sie nie mit Lebhaftigkeit noch im bestimmten Sinn über ihr Verhältniß, und mußte sich immer Gewalt anthun, auch nur im Allgemeinen darüber zu sprechen.

Edmund selbst fragte: Sie haben Briefe von Hohenberg?

Ja, erwiederte sie mit gesenktem Blick, er hofft in wenigen Wochen hier seyn zu können.

»Um Sie diesem Aufenthalt für immer zu entführen?«

Nein, nein, rief Emma mit Wehmuth, nie soll dieser Ort, wo alles, was ich liebte, meiner Erinnerung so gegenwärtig ist, wo tausend holde Träume meiner Jugend mich umschweben, mir fremd werden. Mein Herz wird immer seine Heimath hier suchen. Sie schien beinah über die Heftigkeit, mit der sie gesprochen hatte, zu erschrecken [458] und fuhr leiser fort: Auch Hohenberg wird ihn gewiß als einen freundlichen Ruheplatz nach dem mühevollen Welt- und Kriegsleben ansehen. Das reifere Alter wird uns wieder mit dem theuersten Jugendfreunde verbinden.

»Das ist wenigstens ein schöner Traum, den Sie dem einsam Zurückgebliebenen zum Troste lassen.«

Ach! den ich selbst so nöthig brauche, sagte Emma leise, indem sie ihre hervordringenden Thränen zurückzuhalten suchte. Ein Paar Tropfen rollten über die glühenden Wangen herab, aber ihr offner Blick sah fest ins Auge des Freundes. Sie fuhr fort: Wie oft wünschte ich, daß dieser Zwischenraum schon durchlebt wäre! Nur bunte verworrene Bilder schweben vor meiner Fantasie, ich kann mich nicht in die Welt wünschen, die ich nicht kenne. Mein Herz ist so übervoll von den Bildern meines vergangenen Lebens, daß mir ist als wenn nichts Neues mehr Raum finden könnte. – Edmunds Busen schlug hoch, doch hielt er sich. Sie konnte ja einen [459] Andern wählen, sagte er in sich selbst. Sein Auge ruhte mit liebendem Tiefsinn auf Emma's holden Zügen.

Auch sie faßte sich, und fragte nach ein Paar Pflanzen, die er ohne es zu wissen, auf dem Wege gepflückt hatte. Zitternd legte er ihr die Pflanzen vor, und sprach darüber aus beklemmter Brust. Emma zwang sich zur Aufmerksamkeit, aber sie hörte nur seine Stimme, und eine hohe Röthe flammte über ihre Wangen, als seine Hand von ohngefähr die ihrige berührte. Ein Geräusch am Gatterthor war Beiden willkommen, da es der schmerzlich gespannten, obwohl süßen Lage ein Ende machte.

Eine fremde Gestalt zeigte sich. Emma und Edmund näherten sich dem Thore. Ein Paar große schwarze Augen, die sich hülfeflehend zu ihnen aufschlugen, mit wildem, leidenschaftlichen Ausdruck die Wirkung ihrer Bitte ausspäheten, rührten sie Beide, und übten eine geheimnißvolle Anziehungskraft über sie aus. Eine zerrissene Kleidung, an der man noch Spuren ehmaliger [460] Pracht und eine fremde Form erkannte, umhüllte eine feine zierlich gebaute Mädchengestalt, sie schlang ihre abgezehrten Arme um das Gatterwerk und öffnete die eine Hand bittend um eine Gabe. Als Emma ihr eine Silbermünze reichte, faßte sie sie heftig, kehrte die Augen gen Himmel und rief in spanischer Sprache einen Dank an die heilige Jungfrau aus. Als sie die Arme vom Gatter losgewunden, wankte sie einige Schritte und fiel ohnmächtig hin an Boden.

Edmund eilte mit Emma dem Mädchen zu Hülfe, und da er sie aufhob, um sie auf Emma's Bitee ins Haus zu bringen, erblickte er ein diamantnes Kreutz, welches während dem Tragen aus ihrem Busen fiel, es war mit einem schwarzen Band an ihrem Halse befestigt. Der Besitz solch einer Kostbarkeit, bei allen übrigen Zeichen eines hülflosen Zustands dünkte Beiden sehr sonderbar.

Durch Emma's hülfreiches Bemühen erholte sich die Kranke bald, als ihre Augen sich wieder aufschlugen, sah sie mit wilden zerstörten Blicken [461] um sich her, mit einer glühenden Röthe bemerkte sie das Kreuz und verbarg es in ihrem Halstuch.

O Gott! rief sie aus, muß ich deine Erde wiedersehen, schon wars mir als flög' ich auf zu deinem Himmel! doch hast du mir einen rettenden Engel gesendet. – Sie faßte Emma's Hand und bedeckte sie mit Küssen und Thränen. Gierig als etwas lang Entbehrtes aß sie einige Erfrischungen, die ihr Emma darreichte, lächelnd fühlte sie die feine Decke, mit der sie umhüllt war, mit sinnvoller Neugierde besah sie alle Gegenstände, die sie umgaben. Edmund redete sie in spanischer Sprache sanft an und sprach ihr Muth zu. Ein Schimmer der Freude glänzte über die ermattenden hingewelkten Züge, als sie die bekannten Töne ihrer Muttersprache vernommen. Thränen flossen über ihre Wangen – Wo bin ich – wo bin ich? rief sie entzückt aus. Seyd ihr Engel oder fühlende Menschen, die an dem unaussprechlichen Elend eines armen Geschöpfs Antheil nehmen? Seit drei Monden drang kein Laut menschlicher Theilnahme an mein [462] Ohr. Edmund fragte zart, welcher sonderbare Zufall sie in diese entfernte Gegend führe? Sie warf einen schneidenden schmerzlichen Blick auf ihn und sagte – mein Herz! –

Mit verschloßnen Augen sank sie auf das Kissen zurück, und nachdem sie einige Minuten so da gelegen, richtete sie sich auf, legte ihre zerrissenen Kleider verschämt zurecht, so gut sichs thun ließ und sagte: »Ich habe ein Gelübde gethan, für euer Heil in der nächsten Kapelle zu beten. Entlaßt mich jetzt, ich muß eilen, ich habe einen weiten Weg, einen sehr weiten, denn ich weiß sein Ziel nicht.« Edmund stellte ihr vor, daß sie noch zu ermattet sey, um diesen Abend weiter zu gehen, daß Emma sie gern noch bei sich behalten würde. – Es kann nicht seyn, sagte sie sanft das Haupt schüttelnd, nein, es kann nicht seyn, nur auf dem Wege kann ich die Ruhe finden. Ich bleibe länger als ich sollte in dieser Gegend, einige Meilen von hier wurde mir in einem Wirthshause das wenige Geld, welches ich noch besaß, geraubt, untröstlich [463] machte ich mich auf den Weg, zum erstenmal mußte ich um Nahrung betteln, am Abend fand ich eine kleine Kapelle dort tiefer im Walde. Vor der heiligen Jungfrau warf ich mich nieder und schüttete alle Noth und alle Qual vor ihr im Gebet aus. Auf einmal umglänzte sie ein goldner Schein und ihr Haupt senkte sich huldvoll gegen mich. Im Vertrauen auf die versprochene Hülfe irrte ich einige Tage in der Gegend umher, und suchte Abends meine Heimath bei dem heiligen Bilde. Stumm war die ganze übrige Welt für mich, und die wenigen Zeichen, mit denen ich meine nothwendigsten Bedürfnisse ausdrücken konnte, waren der einzige Verkehr, welchen ich mit den Lebendigen hatte. Aber der Himmel hat sich meiner erbarmt, da ich auf Erden allein war; die versprochene Hülfe habe ich bei Euch gefunden, ich kann mich von Eurer Gabe wieder einige Tage ernähren – und nun lebt wohl, ich gehe für Euch zu beten.

Emma hielt ihre Hände und bat Edmund herzlich, sie zum Bleiben zu bewegen.

[464] Gutes Mädchen, sagte Edmund, da dich ein Wink des Himmels nach deinem Sinn hieher führte, so vertrau uns auch ganz. Es liegt etwas Geheimnißvolles in deinem Schicksal. Erwarte von unsrer Menschlichkeit alle Hülfe, aber dein Gemüth scheint zu leiden, traue uns auch ein Herz zu. Welche Verhältnisse trieben dich aus deinem Vaterland? Er faßte das Kreuz, welches aus ihrem Gewande hervorglänzte und fuhr fort: Weißt du auch, daß du in dieser Kostbarkeit mehr als dreifach die Mittel besitzest, bequem, wie es deine zarte Bildung zu fodern scheint, wieder zu den Deinigen zu reisen? – Nie, nie, rief sie heftig aus, will ich dorthin, nie mein Geburtsland wieder sehen, nie dieß Kreutz von mir lassen, das letzte Geschenk meiner Mutter! Meine theure, arme, unglückliche Mutter, verzeih deinem Kinde, deinem armen elenden Kinde!

Ihre Brust erhob sich krampfhaft und mit einem lauten Schrei der Angst fiel sie besinnungslos in Krämpfe. Als sie wieder zu sich [465] kam, rief sie aus: Sagte ichs euch nicht, laßt mich fort! Ich fühle, euer Antheil erweckt nur meinen Gram. Stumm und wortlos ist er leichter zu tragen – Ich soll ohne Liebe leben, da ich die Liebe beleidigt habe. Ach! sie hatte mich aber zuerst beleidigt – Lebt wohl und gedenkt der armen Raffaela. Als sie aufzustehen versuchte, fühlte sie selbst ihre Ohnmacht und sank ermattet zurück. Du siehst, daß du etwas Unmögliches versuchst, sprach Edmund. – Halte dich diese Nacht ruhig – Sie küßte Emma's Hände, versuchte ihr Haupt gegen Edmund zu beugen und gehorchte mit stillem Weinen.

Edmund und Emma überließen die Kranke einer Wärterin, und verlebten den Abend in sanfter Rührung und Planen zur Hülfe für sie. Die glückliche Uebereinstimmung der Gemüther zur hülfreichen Thätigkeit, erzeugt immer eine zufriedne ruhige Stimmung, aber liebende Herzen fühlen ihr Glück nie zärter, als wenn sie sich in einem guten und wahren Gefühle begegnen. Es dünkt ihnen, ihre Vereinigung sey an das [466] ewige Bestehen der Natur selbst geknüpft und gesegnet wie sie in ewig neusprossenden Blüthen.

Edmund kam jetzt jeden Abend, und theilte sich mit Emma in die Sorgen für den armen Fremdling. Raffaela war in ein Fieber gefallen; so oft sie im Paroxismus das Gefühl ihres erschöpften Zustandes verlor, war sie nicht zurückzuhalten, sie wollte aufstehen und ihre Reise fortsetzen. Mit Gewalt mußten sie ihre Wärterinnen mehr als einmal zurückbringen. In ihren ruhigen Stunden weinte sie Thränen des Dankes über Emma und Edmund. Ihre Fantasien waren herzzerreißend; Sehnsucht nach einem Geliebten und nach einer Mutter waren größtentheils der Inhalt ihrer Reden. Ungeheuer in unermeßlichen Wäldern, reißende Ströme, die sie durchschwimmen sollte, lagen vor ihrer Einbildung und zeigten die Spuren, die die lange Hülflosigkeit auf der einsamen Reise ihrem Gemüth eingedrückt hatte. Edmunds Stimme übte eine Zaubermacht über sie aus und brachte sie sogleich zur Ruhe.

[467] Nie war Edmund Emma'n liebenswürdiger erschienen als in seinem anhaltenden sanften Bemühen um die Unglückliche. Nie hatte sie ihn in solcher Vertraulichkeit und Innigkeit, die sie selbst so lang und heiß gewünscht, gegen ein anderes weibliches Wesen gesehen. Wenn er Raffaela von einem Zimmer ins andre trug, wenn er die Hand an ihre glühende Stirn legte, wenn sie diese Hand im Feuer des Dankes in die ihrige faßte, dann flog eine Wärme über Emma's Wangen durch ihren Busen, von einer sonderbaren Beklemmung begleitet, die sie sich nicht zu erklären vermochte. Sie wünschte leise an der Stelle des Mädchens zu seyn, und ihr reiner Sinn wallte erschrocken über den Wunsch in der Gluth der Wangen auf.

Auch Edmunds Herz, vom zarten Gefühl des Mitleidens und dem Anschaun einer tiefen Leidenschaft bewegt, fühlte das heiße Verlangen nach Emma's Liebe und dem Zauber ihrer Gegenwart mit zerstörender Gewalt. Jeden Abend faßte ihn beim nach Hause reiten ein stärkerer [468] Schauer, wenn er sich sagen mußte: Wieder ein Tag ihrer Gegenwart ist entflohen – und näher rückt der Abschied, und was wird mein Leben füllen ohne sie?

Die Behandlung eines geschickten Arztes hatte Raffaelas Zustand etwas erleichtert, im Gefühl ihrer erschöpften Kräfte waren die Flügel der Fantasie gelähmt, und das Leben schien mit dem Schmerz der schönen Hülle zu entfliehen. Der Arzt hatte gegen Emma geäußert, was sie selbst und Edmund schon ahneten, daß ein tiefes Leiden der Seele der Zerstörung ihrer Natur zum Grunde liege, daß diese unaufhaltsam ihrer Auflösung entgegen eile, wenn man nicht ein Mittel fände, dieses ermattete Herz mit Hoffnung neu zu beleben.

Wie schade ists, sagte Edmund, als ihm Emma diesen Bericht des Arztes mittheilte, daß die Schwierigkeit der Sprache Raffaela hindern wird, ihr Herz gegen Sie aufzuschließen. Sie würden ihr Vertrauen leichter gewinnen als ich, doch muß ichs versuchen, damit wir erfahren, [469] was für sie zu thun ist. Ich zweifle nicht an der Ursache des Schmerzes, der dieses arme Herz gebrochen hat. Es ist von Liebe und Sehnsucht zerrissen, wahrscheinlich für einen unwürdigen oder vielmehr unglücklichen Gegenstand, denn wer könnte anders als gezwungen durch die herbste Noth, solch ein liebes Herz verlassen, und die ganze zarte Natur der Gewalt innerer Stürme preis geben?

Armes Geschöpf, sagte Emma mit nassen Augen, wir wollen alles anwenden, sie zu heilen –

Zu heilen? fiel Edmund ein, das ist schwer, zu trösten, das vermögen wir vielleicht.

Glaubten Sie nicht selbst, daß nur ein unwürdiger Gegenstand solch ein liebendes Herz kränken könnte? Muß es nicht von der Sehnsucht nach diesem genesen, wenn es ihn als einen solchen erkennt?

Lächelnd sagte Edmund, ich sehe, daß meine holde Freundin, glücklich in der ersten Wahl ihres Herzens, die Gewalt jenes Gefühls noch [470] nicht kennen lernte, das einen magischen Schleier vor unserm Auge webt. O das, was unser Herz mit heißem Verlangen umfaßt, erhebt der Verstand in ein schöneres Licht –

Könnten Sie mir wünschen, diesen künstlichen Zustand kennen zu lernen? erwiederte Emma. Die Natur scheint mir an Gegenständen, die an unser Herz dringen, so reich. Der Odem der Liebe war immer um mich lebendig, mein ganzes Wesen bildete sich in diesem Elemente aus, und das Verhältniß mit Hohenberg scheint mir nur eine neue Blüthe des Lebens und des Glücks, neben der alles andere, nicht minder schön und harmonisch, in seinem wahren Standpunkte bleiben muß. Ach ich weiß nicht, fuhr sie mit holder Unschuld auf Edmund blickend fort, sollte die Neigung für ihn eine der schönen edeln Gestalten, die meine Jugend begleiteten, verdrängen, ich würde sie hassen ... Als wie, wenn Sie mir weniger theuer werden könnten ... Sie kannten wohl auch jenes Gefühl nicht aus Erfahrung, bester Freund? – Das war beinah [471] zu viel für Edmund. Sein Herz schlug hoch, seine Stimme bebte, doch vermochte er sich zu fassen und Emma'n ruhig zu sagen: »Meine frühste Jugend war mancherlei Stürmen preis gegeben, in meinem reifern Alter hoffe ich so glücklich zu seyn, nie zerstörend durch meine Empfindungsart zu wirken. Seyn Sie glücklich, theures Mädchen, seyn Sie glücklich, so werde ich es auch seyn.«

Mein theurer Freund, rief Emma, indem sie Edmunds Hand faßte, und vergebens nach Worten suchte. Ihr Busen war beklemmt, bis zur süßen schmerzlichen Ohnmacht. Die Gegenstände schwankten und dämmerten vor ihren Augen. – Edmund saß mit abgewandtem Gesicht, er vermochte nicht sie anzusehen, ohne sie an seinen Busen zu schließen – nicht, sie einen Moment an seiner Brust zu fühlen, ohne sie ewig da zu halten. Der Augenblick des herzlichen Verständnisses war nahe, die süße Bewegung, mit der zarte Gemüther die tiefsten Gefühle ihres Busens sich selbst aussprechen, hatte Beide ergriffen.

[472] Emma's Mädchen kam ins Zimmer, und brachte mit fröhlicher Eile einen Brief von Hohenberg.

Nie hatte ein schmerzlicheres Gefühl Emma verwundet; es war als wenn ihr inneres Leben sich auflöste, ihr zartes Herz vermochte es nicht, einen Schatten der Schuld über seinen Empfindungskreis zu erblicken. Gewisse Gemüther sind nur zu ganz reinen und schönen Verhältnissen geboren, selbst im Moment der gewaltigsten Leidenschaft vermögen sie keine Blüthe des Genusses zu pflücken, wenn sie ihnen nicht auf dem Boden der Wahrheit und des Rechten sprosset. Solche finden das Glück selten, aber die Ruhe und alle leiseren Harmonien des Lebens begleiten sie. Die arme Emma warf sich Untreue und Betrug vor, da sie die einzige stärkste Liebe ihres Herzens endlich lebhaft erkannte und würdigte, welche ihre verworrenen Mädchengefühle und die sonderbare Spannung ihres Freundes so lange ihr selbst verborgen hatten. Ihre Hand verließ rasch Edmunds Hand, sein Blick suchte schmerzlich [473] den ihren, die liebliche Dämmerung der hervorbrechenden Empfindung verwandelte sich in den grellen Tag der Wirklichkeit.

Edmund legte sich Emma's beklemmten Zustand fasch aus. Die Liebe rückt zarte Gemüther in eine erhöhtere Sphäre, und wenn sie aus dieser ins gemeine Leben blicken, so sehen sie nur Schatten und Täuschungen. – Er wähnte mit unglaublicher Zartheit und Bescheidenheit, Emma fühle seine Liebe für sie, und nur sein Schmerz über ihren Verlust bewege sie so tief. Er suchte sich zu sammeln, sprach von einem Geschäft, welches er in ihrem Garten zu besorgen hätte, und verließ sie mit einem festen Blick und einer heitern Miene, wie er wähnte; aber Emma, längst gewohnt in seinen Zügen zu lesen, bemerkte die schmerzlichste Anspannung in seinem Benehmen.

Kaum hatte sie Hohenbergs Brief gelesen, als ihr Mädchen kam und berichtete, Raffaela habe ihren und Edmunds Namen genannt, mit Zeichen, daß sie sie zu sprechen wünsche. Sie [474] habe vorher an ihrem alten Gewande eine Falte aufgetrennt und eine Brieftasche herausgezogen, sie mit Küssen bedeckt und lange stumm auf ihre Brust gedrückt: Sodann habe sie einige Papiere herausgenommen, die sie unter heftigem Weinen gelesen. Emma eilte, Edmund aufzusuchen, und Beide giengen zur Kranken.

Raffaela erhob sich mit edelm Anstand vom Sopha, als sie hereintraten, zum erstenmal hatte sie eines der feinen Gewänder angelegt, welche ihr Emma gegeben. Beide erstaunten vor der edeln zierlichen Gestalt des Mädchens und dem Adel und der Grazie ihres Benehmens.

Sie überreichte Emma die Brieftasche und sagte zu Edmund: Lesen Sie mit dem gütigen Fräulein diese Papiere, und lernen Sie das Geschöpf ganz kennen, dessen Leben Sie so großmüthig erhalten wollten. Nach meinem Tode, – ich fühle es mit unnennbarer Freude, bald bin ich am Ziele meiner Leiden! – Nach meinem Tode schicken Sie diese Papiere unter der überschriebenen [475] Addresse an meine Mutter ab. Vonseinen Briefen, welche vielleicht die Schwachheit, die mich umbringt, entschuldigen könnten, soll mich nichts trennen, so lang ich athme, kein fremdes Auge soll die geliebten Züge erblicken, die mein Leben, mein Schicksal, den tiefsten Schmerz, aber auch mein heiligstes Glück enthalten. Wenn das Leben aus meiner Brust entflohen ist, dann nehmen Sie die Blätter von meinem Herzen, und nur Ihre freundschaftliche edle Hand bilde die geliebten Züge nach. Die Urschrift selbst liege während des Todtenschlummers an dem erkalteten Herzen, aber die Abschrift senden Sie meiner guten Mutter zu, damit sie ihrem Kinde vergeben lerne. Ach ich war des Trostes der menschlichen Theilnahme entwöhnt, aber jetzt, da ich ihn wieder empfunden habe, weiß ich auch, Sie lassen mich nicht in der Verzweiflung dahin scheiden und erfüllen meine Bitte. Edmund und Emma trösteten sie auf das zärtlichste, und versprachen ihr feierlich, alles nach ihrem Willen einzurichten; sie verließen sie beruhigt, und Edmund [476] übersezte für Emma die Geschichte des unglücklichen Mädchens.

In der Ueberschrift des Briefes, fand er den Namen einer ihm wohlbekannten angesehenen Familie in einer spanischen Seestadt. Folgendes war sein Innhalt: »Meine theure Mutter, wenn diese Züge vor deinen Augen stehen, genießt das Herz deines armen Kindes schon der süßen Ruhe im Grabe. Auf Erden giebt es keine mehr für mich, als an seinem Herzen, und werde ich dahin gelangen? Ach wenn er sieht, wie ich um seinetwillen alles verlassen habe, wie ich schwaches furchtsames Mädchen allen Gefahren und aller Noth Trotz biete – wenn er fühlt, daß ich den herbsten Schmerz ertrage, den, mir deine Thränen zu denken, o meine beste Mutter – muß ihn das nicht rühren? und er hatte kein hartes Herz. Ich entschuldige mich nicht, doch weiß ich, daß du mir jetzt verzeihen würdest, wenn du meinen Zustand kenntest, aber gewiß wirst du auf meinem Grabe weinen. Gehorche ich nicht selbst einer überirdischen Macht des Himmels [477] oder der Hölle? Weiß ich selbst, was mich treibt? Aber ich muß folgen, der Boden brannte unter meinen Sohlen und die Wände unsers Hauses drohten über meinem Haupte einzustürzen. Geisterstimmen riefen mir aus der blauen Ferne, wenn ich Abends auf unserm Altane saß, und aus allen Winkeln unseres Hauses rief er mir zu: Flieh, Unglückliche! Kaum war ich aus dem Kloster zurückgekehrt, entsinnest du dich des ersten Tages, als Carlos zuerst bei uns eingeführt wurde – wie ich ihn in dem kleinen Garten durch die Pforte des Hofes eingehen sah, wie mich seine hohe Gestalt sogleich rührte, wie die edle Art, mit der er sich meinem Vater näherte – und als der offne Himmel seines Auges in die kleine Laube, in der ich mich verbergen wollte, schien, als ein Blitz des lebendigsten Gefühls mein Herz traf – die Bangigkeit und das Glück, welches mein Leben da auflöste und neu beflügelte, könnte ichs dir ganz aussprechen, so würdest du fühlen, daß ich fortan nicht mehr mir selbst angehörte. Der Abend vergieng in sanfter Heiterkeit, in Musik [478] und Gesang. Welch andre Luft umgab mich, welcher lichtere Himmel wölbte sich über mir! Die Erde prangte in neuen Farben und die Blumen hatten einen stärkern Duft, die ganze Natur glänzte und glühte in Liebe. Ich sah ihn seitdem im Wachen oder träumend, immerwährend vor mir – Mein Herz bebte bei jedem Klopfen an die Pforte, weil ich nur ihn erwartete – Du und der Vater waren entzückt über sein mildes edles Wesen. Wie rührte mich sein Lob! Ich hätte zu euren Füßen sinken mögen, dankvoll die wiederhallende Stimme meines Busens zu vernehmen.«

»Unsre Blicke hatten gesprochen, ein sanfter Händedruck, den ich zitternd erwiederte, hatte meine Liebe verrathen – Wir fanden uns einmal einsam – wie sollte ich dir in Worte fassen, was noch immer mein ganzes Wesen durchglüht – Meine ganze Zukunft knüpfte sich an die seligen Momente, ich hielt mich für seine Verlobte. Du hast den gränzenlosen Schmerz gefühlt, arme Mutter, der mein Herz bei seiner Abreise zerriß[479] – meine erbleichenden Wangen, mein erloschenes Auge quälte dich schlaflose Nächte hindurch – Seine Briefe hielten mich – nach wenigen Monden hatte er versprochen, mich von euch zur Frau zu begehren –«

»Ich erwartete ihn, als ein Brief ankam, der mich ins tiefste Elend stürzte. Eine erstarrende Todtenkälte wehte aus den sonst so geliebten Zügen; eine schmerzliche Verworrenheit hatte die reinste Offenherzigkeit verdrängt. Er fürchtete mich unglücklich zu machen durch seine Verhältnisse, er entsagte mir! Du kannst diesen Schmerz nicht erfahren haben, Mutter, sprich nicht darüber aus. Alle meine Briefe blieben ohne Antwort, mein Leben war nur ein banger Fiebertraum, hundertmal hoffte ich, der Tod würde mich erlösen und mein Wesen müßte in wilder Sehnsucht zerreißen. Ich mußte zu ihm eilen, ihn sprechen, ihm mein Herz zeigen und den Tod von seinen Händen empfangen, wenn er aufgehört, mich zu lieben. Ach ich mußte dich verlassen, Mutter – Glaube nicht, daß es leichtsinnig, [480] daß es ohne den tiefsten Schmerz geschah. Da du mir den Aufenthalt im Kloster gestattet, hoffte ich, meine Entfernung sollte dir durch die Hülfe der guten alten Anna verborgen bleiben, bis zum Ende, oder zur glücklichen Auflösung meines Schicksals. – Als ich den letzten Abend an deinem Busen weinte, da trennte ich mich vom reinen Glück und Leben, das nur der Unschuld gehört, die keine Thränen fließen macht. Wenn ich angstvoll in den dunkeln unbekannten Wäldern irrte, dann wähnte ich oft im Sausen des Windes deine Stimme zu hören.«

»In einer Schäferhütte schreib ich dieses, am Fuß der Pyrenäen. Die fremde Sprache verschließt meinen Kummer und meinen Schmerz, ich dünke mir nur noch ein Schatten zu seyn. Täglich messe ich auf der kleinen Landkarte den Weg, den ich zurückgelegt, und die Entfernung des einzigen Ortes, wo ich wieder Leben finden kann, wo Er ist, scheint mir zu wachsen, da meine Kräfte abnehmen. Meine Hoffnung verliert sich im Endlosen, und oft ists mir, als [481] könnte ich sein Auschaun nicht ertragen. – Man wird diese Blätter finden, wenn ich todt bin, und irgend ein menschlichgesinntes Wesen wird sie dir übersenden.«


In den letzten Tagen geschrieben.


»Mutter ich sterbe, eh ich ihn gefunden, meine Kräfte sind erschöpft, das Leben verlöscht, aber ich sterbe in seinem Vaterlande, ich sterbe bei guten Menschen, bei Engeln, zu denen mich die heilige Jungfrau sendete. Segne du meine Asche! – Ich büße meine Schuld gegen dich und meinen geliebten Vater. Ach ich fand die Ruhe nicht, die ich fern von euch suchte, und ihr verlort den Trost eures Alters. – Betet für die Seele Eures Kindes! Betet, daß er mir dort wieder gegeben werde.«

Emma hatte Edmund mit tiefer Rührung zugehört, und er selbst las mit zitternder Stimme. Im Ausdrucke dieser mächtigen Leidenschaft schien gleichsam ihr verborgenes eigenes Gefühl ein Organ zu finden, da es für sich selbst keine Sprache zu bilden wußte. Der Autheil an dem [482] guten Geschöpf lenkte das Gespräch auf die natürlichste Art von ihren eignen Verhältnissen ab.

Edmund wollte suchen, den Namen des so heiß geliebten Mannes zu erfahren, um ihm dann den Zustand zu berichten, in welchen ein so liebenswürdiges Geschöpf durch seine Schuld versetzt war. Er wird wieder zu ihr zurückkehren, sagte Edmund.

Ach könnte es sie glücklich machen, erwiederte Emma mit weichem Ton. Kann sich ein zartes Herz zwischen Mitleid und Liebe täuschen? Kann das eine die andere ersetzen?

Der Mißverstand war einmal zwischen den zarten Gemüthern zu sehr eingerissen, immer tiefer griff er um sich, und selbst das, was ihn aufheben konnte, diente nur ihn zu vermehren.

Emma glaubte ihre Situation gegen Edmund auszusprechen, Edmund wähnte, ihre Worte enthielten eine sanfte Weisung, seine eignen Gefühle zu unterdrücken.

So verließen sich Beide diesen Abend, so lebten sie in den nächsten Tagen; vereint in sanfter [483] menschenliebender Thätigkeit, und dennoch verfolgt von dem schmerzlichsten Gefühl, es seyen die letzten Tage ihres Zusammenseyns, wo nicht auf immer, doch für lange Zeiträume. Sie fühlten in jedem Moment das Bedürfniß eines ewigen Zusammenbleibens und die eherne Hand des Schicksals, die sie nach ihrem Wahn auseinander riß.

Emma konnte sich nur über die allgemeinsten Dinge gegen Raffaela ausdrücken, aus Unkenntniß der Sprache, aber Emma's liebendes Herz zeigte sich in ihren Blicken, in jeder Bewegung ihrer schönen Gestalt, und Raffaela's Dank und Anhänglichkeit nahm beinah die Farbe der Anbetung gegen ein höheres Wesen an. Edmund war viel um sie, um nach dem übereingekommenen Plan tiefer in ihr Geheimniß zu dringen. Ihr physischer Zustand schien erleichtert, nachdem sie ihre Verhältnisse berichtigt und die Hoffnung des Lebens aufgegeben hatte. Sie sah sich als einen Schatten an, der nichts mehr aus dem Leben aufnehmen kann, und der dämmernd, aber leicht und unverwundbar, über dem frischen blühenden [484] Glück der Jugend, aber auch über allen ihren zerreißenden Schmerzen schwebte. Sie machte keine Versuche mehr zu entfliehen, und schien den Ort, an dem ihre Seele das Leben zu verlassen hoffte, als eine Heimath anzusehen.

Mit heißer Sehnsucht verlangte sie nach der Waldkapelle, von wo ihr der Trost ausgegangen war, wie sie sagte: Edmund ergriff die Gelegenheit zu einem ununterbrochenen Gespräch, und brachte sie an einem schönen Abende zu dem ersehnten Gnadenbilde.

Sichtbar erheitert und gestärkt kehrte sie aus der Kapelle zurück, ihr Auge glänzte, und mit sanfter Stimme sagte sie: ich habe dieselbe Erscheinung wieder gesehen, wie den Abend ehe ich zu Emma's Hause gieng. – Bald, bald wird mein Geist frei und fessellos dem Geliebten nachschweben! sagte sie still, und ihr sehnendes großes schwarzes Auge trug seinen Blick schon durch den blauen Himmelsraum. – Edmund zweifelte nicht, daß die magische Beleuchtung der Abendsonne, die ihr lichtes Gold durch die Fenster der [485] Kapelle goß, und das Bewegen der Zweige einer hohen Linde, die oft im Abendwind sich vor das Fenster neigten, das ganze Wunder hervorgebracht, aber sanft hielt er die tröstenden Vorstellungen fest vor ihrer Seele und sagte: Warum, gute Raffaela, verschmähen Sie alle Aussicht, noch auf dieser Welt glücklich zu werden, warum nennen Sie mir den Namen ihres Geliebten nicht, warum erlauben Sie mir nicht, ihm von Ihrem Zustande Nachricht zu geben? Glauben Sie, Liebe, der Beste von uns gehört oft den Umständen und dem äußern Drang des Lebens zu sehr an, um immer seine Gefühle zu solcher Heiligkeit zu sammeln, wie ein fein fühlendes Weib es vermag – aber der wahr und rein Fühlende zittert für die um ihn vergossenen Thränen, und ein tiefes und wahres Gefühl übt immer seine Macht über ein gutes hochschlagendes Herz wieder aus, wenn es uns alte Zaubergesänge des Glücks im öden Taumel des Lebens wiederholt.

Mit gesenktem Blick hatte Raffaela auf Edmunds[486] freundliches Zusprechen gehört, sie erröthete, sie schien zu zweifeln – Aber fest richtete sie jetzt ihr Auge auf ihn, mit der ganzen Gewalt ihres rührenden Schmerzes sagte sie: Nein, nie will ich diesen Namen aussprechen! Sie sollen ihn nur auf dem Portefeuille lesen, welches er nach meinem Tod empfangen soll – Edmund suchte sie zu zerstreuen. Emma war ihnen entgegengegangen, und hatte sie verfehlt, sie war noch nicht zurückgekommen. Edmund führte Raffaela durch die leeren Zimmer des Wohnhauses, die ihr noch unbekannt waren. Hier werden Sie wohnen, gute Raffaela, sagte Edmund, wenn unsre Freundin fern seyn wird, wenn sie ihrem Bräutigam in entfernte Gegenden gefolgt ist. – Es kann vielleicht bald geschehen, sagte er mit dem eignen schmerzlichen Lächeln, in dem wir uns genöthigt fühlen, gleichsam gegen unser ganzes Wesen, das was uns am schmerzlichsten ist, dennoch auszusprechen. Emma ist verlobt? rief Raffaela heftig. O so sey aller Segen des Himmels mit dem holden Engel! Gern will ich jedes Unglück [487] ertragen in den noch wenigen Tagen meines Lebens, wenn nur das ihre heiter und glänzend ist. – Verwundert sah sie nunmehr Edmund ins Auge, als hätte sie ihn in andern Beziehungen gegen Emma gedacht, aber mit holder Bescheidenheit unterdrückte sie die Frage, die vor ihrem Gemüthe zu schweben schien.

Gleichsam als wollte Edmund sich ein schmerzliches Angewöhnen an Emma's künftige Verhältnisse diesen Abend auflegen, führte er das Mädchen in ein kleines Kabinet, wo Hohenbergs Bild in Lebensgröße hieng. Hier ist das Bild des Mannes, der unsre Freundin besitzen wird, sagte er, indem er den seidnen Vorhang des Gemäldes hinweg zog.

Raffaela blickte nach dem Bild, und ihr Auge blieb wie erstarrt darauf geheftet, glühende Röthe wechselte mit Todesblässe auf ihren Wangen – Das ist Karlos Bild, meines Geliebten Bild! rief sie mit erstickter Stimme, und sank in schrecklichen Zuckungen zu Boden. Edmund faßte sie in seine Arme und trug sie in ihr Zimmer, sie [488] sprach nicht, nur der schmerzliche Schrei der zerreißenden Angst entfloh ihrer Brust. Man wendete alle erleichternde Mittel an, und bald verfiel sie in einen tiefen Schlaf.

Edmund hatte sie für einen Augenblick den Mädchen überlassen, um sich von dem schmerzlichen Anblick und der innern Erschütterung zu erholen. Er wußte, daß Hohenberg in Garnison an der spanischen Gränze gestanden, das Gemälde galt für sprechend ähnlich, er konnte nicht glauben, daß sich Raffaela täuschte. Er lief einige Gänge des Gartens durch, in der sonderbarsten Bewegung, ihm war als sey ein düstrer Schleier von seiner Zukunft hinweggenommen. – Alle Gegenstände, die ihn umgaben, schmiegten sich als lang bekannte freundliche Bilder aufs Neue an seine Seele, jeder Platz des kleinen Gartens verwahrte die Erinnerung einer Scene mit Emma, einen lieben Traum, einen heißen Wunsch seines Busens. – Er hatte diese Erscheinungen verbannt, hold und lieblich drangen sie jetzt aus der Dämmerung hervor, und [489] das quellende Leben des Frühlings lockte auch ihn in jene unendliche Weite von Hoffnung und Glück, mit denen das neue wiedergebährende Leben der Natur unsre Brust entzündet.

Die Fülle dieser geheimnißvollen Klänge des Schicksals übermannte ihn, und sein Wesen tönte die Harmonie bewußtlos wieder. Er ist ihrer nicht werth, sagte er sich endlich deutlich, sie ist frei – aber wird sie ihn betrauren, wird dieser Verlust ihr Herz zerreißen – wird sie je mehr als Trost, Ruhe, an meinem Busen finden? Hat sie nicht das erste Glück ihrer Jugend verloren? Vertrauen und Hoffnung verloren?

Er fand Emma, bei der Rückkehr ins Haus, die leise aus Raffaela's Zimmer schlich. Sie schläft noch, sagte sie sanft, aber sie hat wieder viel gelitten. Armes Geschöpf, wir meynten ihr ja wohl zu thun! sagte sie mit himmlischer Milde, indem ihr großes klares Auge auf Edmund ruhte, gleichsam um die Bestätigung ihrer reinen wohlwollenden Empfindungen in seinem Gemüthe zu lesen. – Er konnte sein Herz beinah nicht [490] halten, sie erschien ihm wieder als der Engel seines Lebens, aber eine Wolke des Schmerzes schwebte zwischen ihnen. Er schützte Geschäfte vor, um sie zu verlassen.

Früher als gewöhnlich gieng er am andern Morgen nach Emma's Hause. Er fand den Reisewagen der zurückgekommenen Verwandtin im Hofe stehen. Dieser Rückkunft wurde immer mit klopfendem Herzen als ein Zeichen von Emma's baldiger Verbindung erwähnt, bang verwirrt eilte er die Treppe hinauf. Raffaela ist besser, rief ihm Emma sogleich entgegen, sie schien sogar heiter aus einem tiefen und langen Schlaf erwacht zu seyn, aber sonderbar rührte sie mein Anblick diesen Morgen. – Sie bebte, als ich zu ihr hineintrat, mit einem heftigen Schrei verbarg sie ihr Angesicht in der einen Hand, und wies mich mit der andern hinweg – ich fragte sie was ihr fehle, ob ich sie beleidigt. – Nein, o Gott nein! rief sie heftig mit gen Himmel gewendeten Augen. Dann nannte sie meinen Namen mit Zärtlichkeit, küßte meine Hände mit [491] tausend Thränen, und drückte sie wiederholt an ihren Busen. Sie äußerte sodann den lebhaftesten Wunsch nach Ihrer Gegenwart, gehen Sie doch sogleich zu ihr, bester Freund!

Edmund gieng. Mit zitternder Ungeduld empfieng ihn Raffaela, mit glühenden Wangen sagte sie: Tragen Sie mein Geheimniß noch in Ihrem Herzen verborgen? Ja, sagte Edmund. O das hoffte ich wohl! rief sie aus. Ewigen Dank dir heilige Jungfrau! Ein vom Himmel gesendeter Traum lehrte mich in dieser Nacht, was ich zu thun habe, und ich erwachte mit entschloßner Heiterkeit, alle Wolken sind aus meinem Gemüth verschwunden.

Ich gieng in dieser Nacht mit Emma auf einer blühenden Wiese, wir weinten Beide, ein Engel schwebte aus einer Wolke zu uns herab und reichte jeder eine Myrthenkrone, die Wolke senkte sich nun zwischen uns nieder, wir konnten uns noch erkennen und lächelten gegen einander, indem wir uns die Kränze zeigten – aber die Wolke wurde immer dichter, und verhüllte mir [492] endlich Emma's Gestalt ganz – mich trug die Wolke aufwärts, mir wars, als flög' ich durch einen weiten Raum, als ich mit einem kleinen Schrecken im Herabstürzen erwachte. Hell stand es vor mir, daß mit den bräutlichen Myrthen für Emma mir zugleich der Todtenkranz gereicht würde, und das Schicksal des edeln Mädchens steht als etwas heiliges vor mir, das ich nicht entweihen müsse.

Nein, das unglückliche Geheimniß soll meinen Lippen nicht entschweben, bald wird das Schweigen des Todes sie für ewig schießen! Sollte ich das Glück des edeln Mädchens stören, die mir als ein hülfreicher Engel erschien, soll ich den Mann, für dessen Glück ich immer mein Leben tausendmal hingeben würde, vor ihren Augen als einen Untreuen entlarven – soll ich seinen Haß mit ins Grab nehmen, statt Thränen des Dankes und der Liebe? – Ich läugne es nicht, mein erstes Gefühl war der Wunsch, daß meine brennenden Thränen auf sein Herz zurückfallen sollten. Ich konnte es nicht tragen, ihn an ein [493] andres Weib gefesselt zu sehen. Die himmlische Erscheinung hat mein Herz gereinigt. – Nur die Unterwelt gehört den Göttinnen der Rache, von Oben kommt der Friede! Ich gehöre bald ganz dem Himmel an – Sie sind der einzige, der mein Geheimniß kennt, vor dem es mein gepreßtes Herz im erstarrenden Krampf aussprach; o erleichtern Sie meine Sorge durch einen Schwur, daß Sie es nie, nie entdecken wollen. – Was fordern Sie von mir? rief Edmund heftig, bang in sich selbst verschlossen saß er in tiefes Schweigen versunken.

Was sein feines und reizbares Gefühl über sein eignes Glück entschieden hätte, welcher Opfer er vielleicht fähig gewesen – läßt sich hier schwer entscheiden. Aber ein hohes Gefühl des Unrechts lebte in seiner starken Brust, und sein Herz war fest, wenn es um die Wahrheit, um den Schutz der Schwachen gegen Unterdrückung galt. Die Zartheit des Gefühls, die ihn sonst so gewaltig beherrschte, um ihn sogar zu Täuschungen zu führen, mußte schweigen vor den ernsteren Beziehungen. [494] Sein hellsehender Verstand wußte Zartheit mit Kraft in seiner Handlungsweise zu verbinden. Flehend hatte Raffaela ihre Blicke auf ihn gerichtet, ihre Arme schlangen sich bittend an den seinen auf, während er mit seinem Innern zu Rathe gieng.

In klarer Entschlossenheit glänzte seine Stirn aus den Wolken, und sein Blick leuchtete in himmlischer Milde wie der Abendstern aus dem reinen Blau, da er das Beßre nun gefunden hatte. Mein gutes Mädchen, sagte er, liebend Raffaela's Hände fassend, was ich Ihnen versprechen kann, ist, daß Emma nicht durch mich unterrichtet werden soll.

Das war alles, was sie am meisten fürchtete, sie war beruhigt, und in der reinsten Ergebung aufgelöst, die ihr bestes Glück geopfert, schienen ihre physischen Kräfte sich in einem neuen Gleichgewicht zu stärken.

Billig hatte Edmund erwogen, daß Emma unterrichtet werden mußte, daß er aber zuvor Hohenbergs Gründe auch anzuhören habe. Sein [495] Gefühl hatte über ihn entschieden, aber er wollte nur den ruhigen Ausspruch der Vernunft vernehmen und folgen, um so mehr, da sein eignes Glück so innig mit diesen Resultaten verbunden war. Er schrieb an Hohenberg in einem edeln und festen Ton. Er beschrieb ihm Raffaela's Zustand, meldete ihm ihren Entschluß, sich seinem Glücke aufzuopfern, und deutete ihm in wenigen energischen Worten das Betragen an, durch welches er die Verirrung seines Herzens wieder gut zu machen habe. Er fragte Emma um den gegenwärtigen Aufenthalt ihres Bräutigams, mit Erröthen antwortete sie: »ich vermuthe, er ist noch in ***.« Edmund sendete den Brief nach dieser Anweisung ab.

Verwirrung häufte sich auf Verwirrung, da einmal ein unglücklicher Dämon diese guten Menschen von der schönen geraden Linie des offnen Vertrauens abgeleitet hatte. Zum erstenmal in ihrem Leben gab Emma, von der peinlichsten Verwirrung gequält, ihrem Freund eine halbwahre Antwort.

[496]

Die Zeit ihrer Verbindung war näher herangerückt, als sie es Edmund gestehen wollte. Täglich erwartete sie die Nachricht von der Ankunft ihres Bräutigams. Auf einem Landgut seiner Schwester, welches eine halbe Tagreise von dem ihren entfernt war, sollte sie mit ihm zusammentreffen, dort sollte die Trauung vollzogen werden, und von dort aus wollte sie ihn sogleich nach seinem Wohnort begleiten. Es dünkte ihr unmöglich, Edmund als einen Augenzeugen bei ihrer Verbindung zu ertragen. Wie sollte sie im Anschaun des geliebten Mannes einem andern die Gelübde ablegen, die ihr Herz in so tausend leisen Wallungen, seit es sich nur seines eignen Empfindens bewußt war, gegen ihn selbst ausgesprochen?

Die Abwesenheit sollte ihr Edmunds Bild umhüllen, so hoffte sie, vielleicht vergebens. Sie wollte ohne Abschied von ihm wegreisen, und ihm nur einen Brief zurücklassen, in dem sie ihr Herz zum letztenmal frei vor ihm aussprechen wollte.

[497] Die Furcht, ihre Plane zu verrathen, hatte sie umstrickt, in der bängsten Verwirrung rettete sie sich durch eine kleine Unwahrheit – sie wußte, daß Hohenberg schon abgereist war – bebend und zitternd floh sie vor Edmunds Augen, als sie die Worte ausgesprochen; sie konnte beinahe dem Drang ihres Herzens nicht widerstehen, an seiner Brust das schmerzliche Geheimniß auszuweinen. Welche schwere ängstliche Verwirrung ihres Lebens, des Schicksals aller eingeflochtenen Wesen, legte diese kleine Falschheit an! Edmunds Brief, der alles auflösen mußte, konnte Hohenberg nicht mehr treffen, und während dem sollte sich das unglückliche Band knüpfen, das Raffaele'n jede Hoffnung raubte; der Fluch der Falschheit und Untreue sollte auf Hohenbergs Leben fallen, und für Emma und Edmund das reinste Glück für immer verloren gehen.

Alle peinlichen Mißverständnisse, alle schmerzliche Verwirrung der Empfindungen und Ansichten häuften sich in diesen letzten Tagen in Emma's[498] Leben, und ihr weiches Herz erlag unter der Last.

Die nahe Trennung von Edmund umhüllte alle Gegenstände mit einem Nebel, aus dem ihr Herz luftige Gestalten der vergangenen Freude mit Wehmuth neu bildete. Kein Buch berührte sie, ohne sie zu erinnern, wie sie es mit ihm gelesen, kein Kleidungsstück, ohne daß ihr zugleich das milde Lächeln vorschwebte, mit welchem es ihr Freund zuerst an ihr bemerkte. Trat er herein, so mußten alle die schmerzlichen Gefühle schweigen, sie mußte die hervordringenden Thränen verbergen und ruhig scheinen. Edmund selbst lebte in dem sonderbarsten Zustande, in dem es ihm unmöglicher war als je, Emma's Gefühle zu ergründen. Er wußte, daß Emma frei war, die Hoffnung belebte seine Brust, und gab seinen edeln Zügen in Emma's Anschaun die Fülle und den Zauber des Glücks. Seine Gerechtigkeitsliebe gebot ihm zu schweigen, bis er Hohenbergs Antwort empfangen, seine Freiheit verschmähte sein schönstes Glück durch einen Raub [499] zu gewinnen, und eignen Glanz durch das Verdunkeln eines fremden Gegenstandes in Emma's Augen zu erwerben. Er fürchtete sich mehr als je, daß ein warmes Gefühl ihn überraschend besiegen möchte.

Das volle Vertrauen, welches ihm Raffaela jetzt geschenkt, gab ihrem Verhältniß eine schöne Freiheit, gern ruhte er in ihrer Unterhaltung von dem Zwang, den er sich bei Emma auflegen mußte, er fühlte das Bedürfniß des guten Mädchens, ihr Gemüth auszusprechen, er fühlte, daß sie an ruhiger Klarheit durch Mittheilung gewann. Obgleich fest entschlossen, den Geliebten zu verlieren, schweifte ihre Fantasie dennoch von heißer Liebe beflügelt gern und oft über ihrer Vergangenheit umher. Sie genoß noch so den Duft der verblühten Blume, sie wähnte nicht, daß eine freundliche Zaubermacht sie wieder aus der Asche zu erheben vermöchte.

Edmund fühlte in ihrem vergangenen Glück die Möglichkeit seines künftigen, und hörte ihr mit höherer Theilnehmung zu.

[500] Raffaela's Benehmen gegen Emma war ungleich, wie das auf- und abflutende Gefühl ihres Busens, und ihre Züge, unter dem südlichen Himmel zum Ausdruck der Leidenschaft stärker und durchsichtiger gebildet, drückten jede Seelenbewegung aus, die ihr fester Wille zu verbergen strebte.

Die ganze Last ihres Schicksals fiel auf das Herz der armen Raffaela in Emma's Anschaun, ob sie gleich ihre Rechnung mit dem Glück und den Schmerzen des Lebens abgeschlossen wähnte.

Oft entstand in Emma's Nähe ein Krampf in der heißen sehnsuchtsvollen Brust, als entflöhe das Leben im Anblick des Wesens, welches ihr eignes höchstes Glück jetzt besaß. Oft auch fühlte sich Raffaela von einer leidenschaftlichen Anhänglichkeit, einer unaussprechlich zarten Neigung für Emma ergriffen; sie sah sie gleichsam durch Hohenbergs Liebe, als wie von einem heiligen Schein der Verklärung, umgeben. Seinen Hauch fühlte sie von dem Munde wehen, der die geliebten [501] Lippen berührt hatte, und mit wunderbar geheimnißreicher Verbindung, die nur die zärtesten Gemüther zu fassen vermögen, rührte sie das Glück ihres Geliebten in der holden Schönheit der edeln, blühenden Mädchengestalt.

Emma's Herz war in dieser gegenwärtigen Lage zu weich und wund, um diese wechselnden Zeichen der Liebe und des Zurückstoßens ruhig zu ertragen. Ihre Empfindlichkeit war gereitzt, wenn sie fühlte, daß sie ein anziehendes Gespräch zwischen Edmund und Raffaela durch ihr Hereinkommen unterbrach. Die Unkenntniß der Sprache war ihr empfindlich, sie zog sich aus dem Krankenzimmer oder aus dem kleinen Garten, wohin Edmund Raffaela führte, zurück, und sorgte nur mit ihrer unzerstörbaren Gutmüthigkeit durch ihre Leute für die genaueste liebevollste Wartung. Immer liebenswürdiger erschien Edmund der guten Emma in dem zarten Antheil, dem sorglichen herzlichen Benehmen gegen das leidende Mädchen! Eine hohe Natur, die sich mit milder Liebe den kleinen Bedürfnissen des Lebens hingiebt, um [502] Leiden zu vermindern, zieht uns als eine göttliche Erscheinung an.

Nie hatte Emma ihren Freund in einem so lebendigen und zarten Verhältniß mit einem andern Weibe gesehen, nie hatte sich das schöne Spiel männlich hoher Kraft und zarter Milde so vor ihrem Geist in lebendiger Thätigkeit entfaltet. Was sie selbst in jugendlicher Dämmerung bewußtlos genossen, wallte aus der Tiefe ihres Herzens als eine holde Reminiscenz wieder empor, die ein gewaltiges Verlangen entzündet.

Das tiefste Bedürfniß ihrer liebevollen Natur, alle starke Klänge, alle leise Beziehungen des Lebens erinnerten sie immerwährend an das Glück, welches sie verlieren sollte, und mit zerreißendem Schmerz gab sich ihr Herz endlich der klaren Empfindung hin, daß sie nur an Edmunds Seite ein glückliches Weib hätte werden können.

Von jedem innigen Verlangen ist eine Art von Eifersucht unzertrennlich, sie äußert sich in zarten Gemüthern nicht als Unzufriedenheit über [503] ein fremdes Glück, sondern nur als ein tiefer Schmerz über den Verlust des eignen.

Emma gewohnt, ihr Wesen immer wieder zur Harmonie der Vernunft zu erheben, machte sich selbst Vorwürfe über jede Regung dieser Art. Habe ich nicht meinen Freund zuerst verlassen? sagte sie sich. Müßte ich nicht vor allen andern wünschen, ihn in der Neigung eines guten weiblichen Geschöpfs, seinem isolirten Daseyn und der Hinsicht auf ein einsames Alter entrissen zu sehen? Dennoch gab es Momente, wo ihr der Gedanke an Edmunds Weib wie ein Gespenst erschien, welches ihr eignes Daseyn aus der lichten Welt der Freude und der Hoffnung hinweg drängte und in eine ängstliche Einöde verstieß.

Edmund erwartete das Resultat seines Briefes, während Emma die Nachricht empfieng, daß ihr Bräutigam auf dem Landgut seiner Schwester angekommen sey. Emma hatte bestimmt verlangt, daß Hohenberg sie nicht in ihrer Heimath aufsuchen sollte, aber sie mußte sich eilends losreißen, [504] eilends ihn aufsuchen, um seiner Ungeduld zuvor zu kommen.

Nur der Verwandten und einem vertrauten Bedienten hatte Emma ihre Abreise, die am nächsten Morgen in der Dämmerung erfolgen sollte, anvertraut, und unter mancherlei Vorwänden die strengste Geheimhaltung von ihnen gefordert. In einem kleinen Hinterhofe stand der bepackte Reisewagen, und im übrigen war jede Spur der Abreise aus dem gewöhnlich bewohnten Zimmer sorgsam vertilgt.

Unaufhaltsam schien das Schicksal Emmas Verbindung herbei zu führen, während Edmund sich lieblichen Hoffnungen überließ. Vereint mit der geheimnißvollen Macht, die über dem Leben der Sterblichen waltet und dem Unrecht steuert, wähnte er sich in seinem Wirken, aber sein zartfühlender Busen bebte vor dem Moment der Entscheidung. Je näher sein eignes Glück mit der Auflösung dieses Knotens verbunden war, jemehr wünschte er eine fremde Hand, um ihn zu lösen. Oft in allzuzarter Sorge rief er aus: Wer [505] weiß, ob Emma's Herz den Geliebten nicht mit so herbem Schmerz aufgeben wird, um den für ihren Feind zu halten, der ihr die Stimme dieser Nothwendigkeit zubringt!

Jeder dient dem Schicksal. Indem er einverstanden mit jener geheimen Macht selbst an dem Gewebe seines Lebens zu wirken wähnt, umspinnen ihn tausend Fäden und reißen ihn selbst nur als einen Faden ins ewige Gewebe der Begebenheiten mit fort. Unser Glück gehört der dunkeln unbekannten Macht, aber unser Friede erwächst mit unsern reinen Gesinnungen als eine unzerstörbare Blüthe unsrer eignen Brust.

Drohend schwebte das Unglück, das Unrecht mit allen seinen ängstlichen Verwirrungen jetzt über den Verhältnissen dieser guten wohlwollenden Menschen. Nur der Zufall oder die unsichtbare ewige Verkettung der Dinge, die uns zuweilen als ein mild wirkender Genius erscheint, wenn sich uns ein unverhofftes Glück darbietet, kann noch mit freundlich lösender Hand aus den Gewölken greifen und die Verwirrung enden,

[506] Der letzte Tag, den Emma frei und einsam auf dem Erbe ihrer Väter, dem frohen Schauplatz ihrer Kinderjahre, zubrachte, führte sie in der tiefsten Wehmuth zur Betrachtung, zum Rückblick in sich selbst. Die engen Wünsche nach eignem Genuß schwiegen, nur das Glück geliebter Wesen bedachte sie mit Sorge, und ihr lieberolles Herz erflehte es mit heißem Verlangen vom ewigen Geiste der Natur. Zum erstenmal vermochte sie mit Ruhe zu bedenken, daß Edmund in Raffaele'n eine Entschädigung für ihren Verlust finden könnte. Sie erwog Raffaela's liebenswürdige Eigenschaften mit Wahrheit, zweifelte nicht, daß sie von einer unglücklichen Leidenschaft genesen würde. Edmunds Neigung für den anmuthigen Fremdling dünkte ihr entschieden. Hoffnung und Furcht, beide erschaffen Trugbilder in unsrer Fantasie, die den hellen Gesichtskreis verwirren.

»Raffaelen gab die Natur die Macht, ihre Gefühle stark und heftig auszudrücken, mir gab sie nur ein tiefes stilles Gefühl. Auch Edmund ist verschlossen, nur die auflodernde Glut der Liebe [507] kann die Bande des Gleichmuths vielleicht von seinem Herzen lösen – Warum waren meine Lippen zur Unzeit geschlossen, warum hielt es mich immer in entscheidenden Momenten gleich wie mit Geisterhänden zurück, wenn mein ganzes Wesen strebte, sich ihm zu nähern! Ach es ist vorbei mit meinem Leben, mit meinem Glück! Möchte das seine nur noch gerettet werden!«

Im Fortgang dieses Monologs entwarf Emma den Brief an Edmund, welchen er den Tag nach ihrer Abreise erhalten sollte. Sie selbst wollte ihm die Verbindung mit Raffaela vorschlagen. Es war ein holder Wahn, der sie tröstete, eine jener zarten Täuschungen der Neigung, daß ihr Andenken ihm selbst in einer neuen Verbindung folgen sollte, indem er sie als Theilnehmerin an der Schöpfung seiner neuen Verhältnisse ansehen müsse.

Mit welch ängstlichem Schlagen des Busens erwartete Emma die Abendstunde, in der Edmund gewöhnlich zu kommen pflegte. – Es war der [508] letzte Abend, der ihr im reinen Gefühl seiner Gegenwart verfließen sollte.

Raffaela hatte einen guten Tag gehabt, sie hatte sich durch den Garten nach dem nahen Wäldchen von ihrer Wärterin führen lassen. Emma fand einen eignen schmerzlichen Genuß darin, noch einmal, ungestört durch eine dritte Gestalt, die beseeligende Nähe ihres Freundes zu genießen, den Zauber seiner Stimme zu vernehmen – tausend schöne Bilder für die öde Zukunft zu sammeln – Ach, nur zu bald wird sich ja Raffaela allein im Besitz meines verlornen Glückes fühlen! seufzte sie still. Die Tage ihrer Kindheit, ihrer verblühenden Jugend traten mit zauberischer Gegenwart vor ihre Erinnerung – sie fragte sich selbst, wo die alte Zeit hingekommen und mit ihr die herzlichste Offenheit, das zarte Glück mit Edmund – Sie entsann sich wie er ihre Hand in der seinen hielt, um ihr die ersten Züge der Bleifeder zu lehren, wie er ihre Finger auf den Tasten des Claviers auf- und abführte, wie er sie nach einem wohlgefaßten [509] Unterricht, nach einer gelungenen Aufgabe oft sanft in seine Arme geschlossen, wie ihre Wangen an den seinen geglüht – wie sie selbst bei so manchen kleinen Leiden der Kindheit, bei Zwistigkeiten mit der Mutter oder den Gespielen, an seine Brust geflüchtet, da geweint und Trost gefunden hatte – und wie löste sich das alles in kalte Abgemessenheit, in unbefriedigtes Sehnen auf? – Ihr mädchenhaftes dämmerndes Gefühl erkannte nicht, daß die Gewalt ihrer eignen Wünsche dem Geliebten noch mehr, ihm alles zu seyn – zuerst, gleich der unglücklichen Frucht des Paradieses, Verwirrung und Scham statt der fröhlichen heitern Unschuld in ihrem Gemüth erzeugte und in ihrem äußern Verhältniß Zurückhaltung.

Diese Epoche des Wechsels in ihr blieb in magischer Dämmerung, und jezt im tiefen Schmerz des nahen Verlustes suchte sie vergebens, sie zu erhellen.

Alle kleine Geschenke Edmunds verwahrte sie [510] mit besondrer Heiligkeit, in einem entlegnen Kabinet. Sie beschäftigte sich eben, alles wohl in einem besondern Kästchen zu packen. Bei jedem Tritt eines Kommenden schlug ihr Herz in angstvoller Bewegung – bei jedem Eröffnen der Thür im Vorzimmer erblaßte sie und eilte mit glühender Röthe, mit feuchten Augen dem letzten Anschaun des Geliebten bebend entgegen. Aber mit welchem Schrecken vernahm sie seine Stimme, gerade an dem Platze, von welchem sie ihn mit den ernstlichsten Vorkehrungen zu entfernen gesucht! Er stand dicht unter dem Fenster ihres Kabinets in dem kleinen Hofe neben dem bepackten Reisewagen.

Edmund hatte im Kommen die nächste Thür geöffnet, um Emmas kleinen Bologueser vor einem wüthenden Hund zu retten, der den Weg hinab lief. Er fand den Jäger am Wagen beschäftigt, er rief ihm zu, sogleich mit der Flinte den tollen Hund zu verfolgen – Was machst du hier, wer will wegreisen? fragte Edmund.

[511] Das Fräulein will diese Nacht wegreisen, sagte der alte treue Diener halb leise.

Und wohin? fragte Edmund heftig.

Der Bräutigam ist angekommen, übermorgen wird die Hochzeit – aber verrathen Sie mich nicht, denn sie hat uns befohlen, ihre Abreise vor Jedermann geheim zu halten.

Emma warf sich athemlos in einen Sessel, ein dichter Nebel wölkte sich vor ihren Augen, aber sie mußte ins Nebenzimmer wanken, denn schon hörte sie Edmunds Tritt auf dem Vorsaale.

Ein schneidender Schmerz hatte Edmunds männliche Brust durchzuckt. Es galt nicht nur um sein Glück, es galt auch um ihres. – Sollte ein Unwerther, der eine zarte reine Liebe bis zum Tod gekränkt, die Gelübde des reinsten Herzens empfangen? Edmund war entschlossen, dieses zu verhindern. Der Gedanke des möglichen so nahen Verlustes erschütterte ihn tief. Ein rührender Schmerz war über seine edeln Züge verbreitet, sein Auge glänzte, als er Emma begrüßte – er faßte ihre Hand, drückte sie an seinen[512] Busen und sagte mit milder Stimme: Warum wollten Sie mich so verlassen?

Ermattet vom langen Kampf der Zurückhaltung, von seiner Liebe, seiner Unruhe mächtig ergriffen, ergab sich Emma dem Drang ihres Busens, frei und offen vor dem Geliebten ihr innerstes Leben auszuathmen. Ihr Haupt sank auf seinen Arm, an seine Brust, und mit einem Blick der reinsten Hingebung der Liebe sprach sie leise: Weil ich fürchtete, den Abschied von Ihnen nicht ertragen zu können. Möchtest du immer um mich bleiben, meine Emma! sprach Edmund zitternd. Es wäre mein höchstes Glück gewesen! flüsterte sie an seiner Brust.

Ergriffen von der heiligen Fluth des allbesiegenden Lebens, die zwei liebewallende lang getrennte Herzen endlich mächtig faßt, und aller Stürme des Schicksals, der Welt und ihres eigenen Busens ohngeachtet auf die glücklichen Inseln bringt, wo Freiheit und ewiger Frühling wohnt, fühlten sich die Liebenden.

O! rief Emma im zartesten und höchsten Gefühl [513] der Leidenschaft aufgelöst an seinem Busen – O nimm mein Leben von mir in diesen heiligen Momenten des Glücks, wo ich dein Herz an dem meinen fühle. – Kann ichs nun noch ertragen, dich zu verlieren?

Das sollst du nie, geliebtes Mädchen – Nie – Deine Bande sind noch zu lösen, müssen gelöst werden. – Aber würde dich Raffaela nicht glücklicher machen? – Raffaela? fragte Edmund verwundert. – O Edmund, denke nur an dein Glück, nur um deines Glückes willen kann ichs ertragen, dich zu verlieren, nur wenn ich deinen Verlust als eine Nothwendigkeit, als deinen Willen ansehe, kann ich ihn überleben! Ich wollte dir in dieser Nacht schreiben, dich selbst mit Raffaela verbinden –

Von dem allen ist keine Rede, geliebtes Mädchen. – Was soll das heißen? Nie wird ein andres Weib an meinem Herzen ruhen, dein lebendiges Bild darin muß jede verscheuchen – Dein Andenken würde mir immer lieber und lebendiger seyn, als die Gegenwart jeder andern. –

[514] Nun so nimm, so leite denn auch du mein ganzes Leben, sprach sie mit der süßesten Hingebung; was du thust, muß recht, muß edel seyn. – Kann ich jetzt einem Andern angehören, Gelübde der Treue ablegen, die mein Herz nicht zu halten vermag? – Sprich du selbst aus – Muß ich selbst unglücklich seyn, so laß michs als den Ausspruch des Schicksals ansehen, das mir von dir kommt.

Holder Engel! Deine Güte soll dich nie reuen! sagte Edmund unter süßen Thränen. Großmüthig nennst du es dein Glück, für mich zu leben! Nun so überlaß mirs, alle äußere Fäden zu lenken, und freue dich in deinem liebenden Herzen, daß du deinem Freund eine Zukunft schenkst, die er nicht mehr zu hoffen wagte. Laß mich mit Hohenberg sprechen, bevor du ihn wieder siehst. – Mein theurer Edmund! Nicht ohne die schmerzlichste Unruhe kann ich das. – Besorge nichts, Hohenbergs Liebe zu dir, seine Hoffnung auf dich, machen mir ihn werth, ich werde sein Glück bedenken wie das unsre. Vertraue [515] mir, Liebe! – O wem sollte ichs je inniger als dir! Von Jugend an warst du meine belebende Gottheit.

Unbeschränktes Vertrauen, heiligste Blüthe der Liebe! nur in hohen Gemüthern gehst du aus der erhöhteren Stimmung des sinnlichen Wesens hervor. Tausende wähnen zu lieben ohne dich zu kennen, und wagen die dumpfe Beschränktheit ihres einseitigen Genusses dennoch Liebe zu nennen. Die schönste, reichste, kräftigste Menschheit vermag nur in einem andern Wesen so zu zerfließen, um es ganz eins mit sich zu machen, es mit Klarheit zu durchschauen, in seinem Herzen das Leben zweifach in Lust und Schmerz zu fühlen, seine Geistigkeit wie die eigne zu erkennen, sich ihr verbindend durch sie zu wirken, gegen die andringenden wilden Fluten des Lebens.

Edmund hielt das theure Wesen, das ihn wie ein reiner Strahl des Himmels entzückte, an seiner Brust. Ein neues Leben hatte sich den Liebenden aufgeschlossen, sie suchten es an ihre Vergangenheit [516] zu knüpfen, und ihre eigene Existenz ging in flüchtigen aber lebenvollen Bildern ihrer Vorstellung vorüber. Jedes strebte sein innigstes Leben mit seiner Vergangenheit in die Brust des andern überzutragen, aber unter süßen Thränen konnten sie nur Seufzer der Liebe aushauchen, nur einer entflohenen Empfindung irgend einer bedeutenden Situation flüchtigen Umriß darstellen. – Du liebtest mich so, meine Emma! sprach Edmund leise – und wie konntest du denken, mich mit Raffaelen zu verbinden? – Ich weiß es nicht, Bester, nur weiß ich, wie es mir das Herz zerriß, und eben deswegen wollte ich es als das Schwerste für dich thun – halb in seinen Busen verborgen fuhr sie fort: Ach als du Raffaelen in einer ihrer Anfälle in deinen Armen durchs Zimmer trugst, als ihr Kopf an deiner Brust ruhte, da goß sich ein kalter Todesschauer um mein Herz. – Das Leben war mir entflohn und nichts werth, wenn ich ein andres Weib in deinen Armen sah. – Sprach nicht dieses Gefühl das tiefste Bedürfniß meiner Natur [517] aus, dir und nur dir anzugehören? Ein Mißfallen an fremdem Glück lag doch sonst nie in meinem Wesen – aber es war mir, als vertilgte man mich aus dem Leben, wenn man deine Liebe einer Andern gab. – Ach und mein eignes Benehmen, mein Irrthum, mein Leichtsinn. – Hast du je etwas ähnliches empfunden, als ich in jenem Augenblicke – o so verzeih mir! – Laß ein ganzes Leben voll Liebe den Irrthum vergangner Tage überglänzen, sprach Edmund mit inniger Zärtlichkeit unter herzlichen Küssen.

Wie schmerzlich war die Unterbrechung dieses seeligen Zustandes! Der Bediente stürzte zur Thüre herein, als sey er gewiß, eine unerwartete freudige Nachricht zu bringen, rief er aus: So eben kommt Herr von Hohenberg, schon steigt er vom Pferde, sogleich wird er hier seyn!

Die schmerzlichste Verwirrung lähmte für einen Augenblick alle andern Gefühle in Emma's Busen, sie sah nur den gekränkten getäuschten Freund in Hohenberg, sie bebte wie eine leichtsinnige [518] Schuldige vor seinem Anschaun. Die Sorge um Hohenbergs und Edmunds Zusammentreffen füllte bald nach der ersten Betäubung allein ihre Brust. Verlaß mich, mein Edmund, rief sie. Nur aus meinem Munde soll Hohenberg unsere veränderte Lage vernehmen; frei werde ich ihm die Täuschung bekennen, in der ich bis jetzt über meine Gefühle lebte, und meine Freiheit zurück begehren. – Verzeih mir, sagte Edmund mit sanftem Ernst, ich kann diese Bitte nicht erfüllen, aus Gründen, die du selbst einst billigen wirst – laß mich Hohenberg entgegen gehen. – Bei allem Vertrauen, welches du deinem glücklichen Edmund fürs Leben schenken willst, bitte ich dich, Liebe, halte mich nicht zurück. – Emma vermochte nicht, dem Ernst seiner Bitte zu widerstehen, ihre ihn umschlingenden Arme sanken, Edmund eilte zur Thür, die sich eben öffnete. Hohenberg und Edmund standen dicht vor einander und maßen sich mit großen Augen. Emma wollte aufstehen, sich ihnen nähern, sprechen, aber die Unruhe, die Verwirrung [519] ergriff sie zu mächtig; Finsterniß umhüllte ihr Auge, ihre Kniee sanken zusammen, ihr ganzer Leib zitterte und sprachlos fiel sie auf einen Sessel nieder, den sie in der Angst ergriffen. Edmund faßte sie in seine Arme, Hohenberg sank zu ihren Füßen – was ist Ihnen, theure Emma? rief er bestürzt.

Ein gleiches Interesse vereinigte Edmund und Hohenberg im ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft, wo alle andere Verhältnisse darnach standen, sie für immer in bitterm Haß zu trennen. Die Sorge um das geliebte Mädchen bewegte Beide zu heftig und erschöpfte für den Augenblick ihre Seelenfähigkeiten; aber selbst in dieser Sorge mußten sich ihre Gemüther anstoßen, je inniger sie sich begegneten, und ihr tiefstes und zartestes Empfinden mußte bald zur Sprache kommen.

Nicht ohne einigen Widerwillen sah Edmund, daß Hohenberg sich gegen Emma mit der vertraulichen Zärtlichkeit eines Bräutigams benahm. Er entriß ihm des geliebten Mädchens leblose [520] Hand, die er so eben gefaßt, und fragte ernst: Haben Sie keinen Brief erhalten, nach dem Sie fühlen sollten, daß Ihre Verhältnisse hier eine andre Richtung annehmen müssen?

Nein, sagte Hohenberg, und richtete einen schmerzlich fragenden Blick auf Edmund. – Nun so lassen Sie unter uns eine Erklärung statt finden, ehe Sie Emma in dem Sinn Ihres ehemaligen Verhältnisses begrüßen.

Das war auch mein Wunsch, sagte Hohenberg mit Milde. Muß ich Unglücklicher denn allem, was ich liebe, nur Kummer und Schrecken bringen; rief er so dann schmerzlich aus, indem er sein glühendes Gesicht, seine hervordringenden Thränen in Emma's Gewand verbarg. Jeder wahre Ausdruck des Herzens klang rein in Edmunds reiner Brust wieder. Mit milder Theilnahme schaute er bald auf den, der ihm kurz zuvor als ein Gegenstand des Unmuths und der Verachtung erschienen war.

Emmas Leute waren mit Hülfsmitteln herbeigekommen. Als Emma ins Leben zurückkehrte, [521] ihre Blicke sich zur Besonnenheit erhellten, fielen sie mit unruhiger Zärtlichkeit auf Edmund – Mein Edmund, habe ich dir Unruhe gemacht! sagte sie sanft. Nun erst bemerkte sie Hohenberg, der zu ihren Füßen lag und ängstlich nach ihr aufblickte. Mit einem Seufzer verbarg sie ihr Gesicht an Edmunds Arm; dann wendete sie sich gegen Hohenberg und sagte: Ich verdiene diese Güte nicht mehr, aber wenn Sie mein ganzes Herz kennen lernen, werden Sie mir verzeihen; ich täuschte mich selbst, nie wollte ich Sie täuschen. Hohenberg schien verwundert, aber mehr sanft als schmerzlich bewegt. Edmund sagte: Ruhig, meine theure Emma, – ein Herz, das Ihre Liebe durchdrang, gehört allen milden Empfindungen an, Ihr Glück wird über uns entscheiden. – Jetzt lassen wir Ihnen einige Momente der einsamen Erholung. Edmund und Hohenberg verließen das Zimmer; als sie im Garten waren, sagte Hohenberg:

Auch hier haben sich die Verhältnisse geändert, wie ich sehe? Ja, seit wenigen Stunden, [522] erwiederte Edmund, im Moment der Trennung haben wir erst ganz die Macht gegenseitiger Neigung empfunden, und daß unsre Herzen so in einander verwachsen sind, um immer vereint bleiben zu müssen, wenn sie nicht brechen sollen. Das Mißtrauen in mich selbst, ob ich auch das dauernde Lebensglück meiner Emma zu machen vermöchte, ob nicht ein jüngerer liebenswürdigerer Mann ihr Herz reiner beglücken würde – dieses mußte freilich schweigen, indem ich auf diesem jungen Mann eine Schuld der Untreue und des Leichtsinnes haften sah, die mir Besorgnisse für die Zukunft des geliebten Mädchens einflößen mußte. Ich scheute mich nicht mehr, die zarte Sprache ihres Herzens durch den Ausdruck meiner Leidenschaft zur Liebe zu erhöhen.

Und Emma weiß noch nicht, welch unvertilgbare Schuld eines frühern leichtsinnigen Benehmens mich ihrer unwerth macht? »Nur von Ihnen selbst mußte sie diese vernehmen.« – Und Sie lieben sie? Glauben Sie, daß ich den Werth dieses Betragens fühle. – Beim ersten Blick [523] flößte mir Ihr edles Ansehen Vertrauen ein, und ich entschloß mich, Raffaela's Wünschen gemäß, unsre ganze Lage in Ihre Hände zu legen. –

Auch ich habe sie so eben gesehen – in welchem Zustand mußte ich das blühende Mädchen wieder finden, das mein elender Leichtsinn ans Grab gebracht! Welchem Zufall – nein, der Hand der ewigen Güte selbst verdanke ichs, daß ich sie fand, da es noch in meiner Gewalt ist, dem Unrecht zu entgehen, ihre Verzeihung zu erhalten. Die Ungeduld, Emma wieder zu sehen, riß mich hin, ohngeachtet ihres strengen Verbots, sie aufzusuchen. Unkundig des Wegs hatte ich mich im Walde verirrt, am Eingang einer kleinen Kapelle sah ich ein Weib stehen, ich ritt hinzu, um Erkundigung einzuziehen. Während sie meine Fragen beantwortete, sah ich noch eine andere feine weibliche Gestalt in der Kapelle. – Sie kniete andachtsvoll, ihr Augesicht auf das Muttergottesbild gerichtet. Ich kann keine fremde Weibergestalt sehen, ohne daß meine Neugier gereizt wird. Ich trat hinzu und erkannte meine [524] Raffaela, die einst so heiß Geliebte. Wie vor der Erscheinung eines überirdischen Wesens erbebte mein Innres, ich stand erstarrt, vernichtet, aber ein Strahl ihres Auges fiel auf mich, und alle heiße Liebe, die ich je für sie gefühlt, flammte in meiner Brust – sie fiel leblos in meine Arme. – Bald kehrte sie zum Leben an meiner Brust zurück, und ich fühle, daß ihr liebendes Herz mein war, wie in den ersten Tagen unsrer Liebe.

Nach dem ersten seeligen Selbstvergessen entriß sie sich meinen Armen und erzählte mir mit wenig Worten ihre Geschichte. Sie selbst gebot mir Schweigen gegen Emma, sie wollte der Retterin ihres Lebens den Geliebten, wie sie wähnte, nicht rauben; ich sollte mein Versprechen vollziehen. – Sie konnte es verlangen! und ich sollte sie zum Grabe wanken sehen. – In wenigen Tagen werde ich mich deines Glückes rein als ein abgeschiedner Geist erfreuen, sagte das edle Geschöpf – O Wallendorf, Sie trauen mir zu, daß ich mein [525] ganzes Leben hingeben müsse, um das ihre nur noch auf eine Stunde beglücken zu können!

Hohenbergs Schmerz war so wahr, daß Edmund ihn mit herzlicher Theilnahme auffaßte, mit milder klarer Weisheit entwickelte er jetzt Verhältnisse und Pflichten, und sein eignes Glück in Emmas Liebe wurde noch erhöht, indem er es als die schöne reine Auflösung des Knotens ansehen konnte. Raffaela mußte den wiederkehrenden Geliebten mit edlem freiem Herzen wieder aufnehmen, denn ihr Glück war kein Raub an der Dankbarkeit und Freundschaft.

Edmund eilte seine Emma zu beruhigen, und ihrem schönen Gemüth, das nur in der allgemeinen Zufriedenheit die eigne ganz und ungetrübt finden konnte, das reinste Glück zu verkündigen.

Die Freude hatte alles Uebel verscheucht, sie wollte mit Edmund und Hohenberg Raffaelen entgegen gehen, welche, um allen Erklärungen auszuweichen, das Haus erst am späten Abend wieder betreten wollte. Mit dem heitersten anmuthigsten [526] Lächeln empfieng sie Hohenberg, mit zarter Schonung sagte sie: Ein guter Geist lenkte unsere Verirrung zum Segen. O möge das Glück unserer Geliebten künftig nie mehr durch uns getrübt werden.

Ich fühle ganz, wie viel ich verliere, sagte Hohenberg, aber ein unendlich Verdienstvollerer gewinnt. Nicht eigennützig kann ich mich zum Kreis Ihres Glückes drängen, denn als wohlthätige Genien über mir muß ich Sie Beide verehren, da Sie das theure Mädchen erhielten, und die Schuld ihres Untergangs von meinem Haupte abwendeten.

Hohenberg war ein sehr lebhafter aber nur sinnlich empfindender Mensch. Die Gegenwart war seine allbeherrschende Göttin, und die schöne Kraft, einen Eindruck so rein und stark zu bewahren, daß er im Herzen als ein lebendiges Gefühl die Macht des eindringenden sinnlichen zu überwiegen vermöchte, war ihm von der Natur versagt. Sein wohlwollendes Herz litt über die Folgen, die sein rasches sinnliches Begehren oft verwirrend [527] und ängstigend um sein Leben häufte, aber der Zug der Natur war zu mächtig in ihm und die Reflexion zu schwach. So konnte er nach der reinsten Neigung Raffaelen verlassen; eine neue Verbindung hatte ihn hingerissen, sein eigen flüchtiges Gefühl machte ihn unfähig, ihren Schmerz zu ahnen. Seine Redlichkeit föderte, daß er ihr Schicksal nicht durch vergebliche Hoffnung zerstörte, mit seiner Er klärung meinte er alles gethan zu haben. Zu seiner Entschuldigung dient, daß nur einer von Raffaela's Briefen ihm zugekommen war, da ihre Mutter die andern heimlich zurückbehalten hatte. Er hätte dem Schmerz des guten Mädchens nicht widerstanden, hätte er ihn mit aller Gewalt der sinnlichen Wahrheit vor sich gesehen, aber ihr Andenken vermochte er von sich zu weisen, wie einen matten Traum, der ihn mit irgend einer schmerzlichen Vorstellung geängstigt.

Emma's Reize hatten Hohenberg entzückt. Seine Verhältnisse drangen ihn, eine ernste Lebensaussicht zu suchen, und er wähnte, in einer [528] Verbindung fürs Leben den Wankelmuth der Gefühle zu besiegen. Emma's Kälte verlieh seiner Neigung eine ungewöhnliche Dauer, nur in sehr starken und edeln Gemüthern nährt die Liebe sich hinwiederum aus der Liebe.

Obgleich Hohenberg einem edeln Betragen und der Reinheit seiner Verhältnisse nie ein Opfer zu bringen vermochte, so war sein Gemüth doch gut geartet, um sich ihrer tief und innig als der schönsten Gabe des Geschicks zu erfreuen. Mit hochschlagendem Herzen gieng er dem lieben Mädchen entgegen, der er ein neues Leben zu bringen hoffte, und schön und verklärt vom Gefühl ihres Glückes leuchteten seine Züge.

Edmund und Emma sahen die ganze Natur in höherem zaubervollem Licht. Die ganze Gegend war ihnen durch stilles Sehnen und Trauren geheiligt, und jetzt glänzten ihnen von jedem Gebüsch die Frühlingsblüthen der Hoffnung und Freude für ein neues Leben.

Von fern sahen sie schon, daß Raffaela noch im frommen Gebet in der Kapelle kniete. Verklärt [529] von der Ahnung des Ueberirdischen, wendete sich ihr Antlitz nach den drei lieben bekannten Gestalten, die ihr gleich Engeln des Friedens erschienen. Edmund erklärte ihr die schöne Auflösung aller Verhältnisse, Emma schloß sie in ihre Arme. Ihre Herzen, die sich gegenseitig das höchste, was sie besaßen, ihre zarteste einzige Liebe aufopfern wollten, verbanden sich zur heiligsten Freundschaft.

Hohenberg lag zu Raffaela's Füßen. – Kannst du verzeihen, rief er unter herzlichen Thränen, kannst du verzeihen, o so nimm mein Herz, mein Leben.

Noch kann ich die freudige Lebenshoffnung nicht wieder fassen, sagte sie an seiner Brust, noch ist mirs, als gehört ich dem Tode an – aber mächtig streben meine Wünsche nach dem Leben – für dich.

Edmund versprach Vaterstelle an Raffaela zu vertreten, bis er die glückliche Wiedervereinigung mit ihrer Familie bewirkt.

Ja du bist uns wahrhaftig ein Ort des Segens [530] geworden, rief Edmund, in dem sie die Kapelle verließen, und Raffaela's fromme Erscheinung, wenn sie auch nicht vom Himmel kam, führte uns wenigstens alle zu einem Himmel des Glücks.

[531]

[3] Zweiter Band

Anna. Eine Geschichte in Briefen aus der Reformations-Zeit

1

Seit du von uns giengest, meine Bertha, ist's mir, als wäre die Freude auch von uns geschieden. Was ist auch am Leben, ohn' ein Herz, in dem wir es doppelt fühlen! Die Rosen im Burggarten blühen matter, die Vögel singen mir traurig, nur wenn die Abendsonne ihre letzten Strahlen in das grüne Thal, über den hohen Wald herein wirft, und der Fluß ihren Purpur auf seinen Wellen spiegelt, – dann möchte ich mit den Lichtstrahlen fortziehen – [3] Dir nach, denn Dein liebes Bild scheint mir aus der blauen Ferne zu wirken. Ja, an Deiner treuen Brust wohnt der Trost meines Lebens! Der Trost; die Freude, schwebt längst als ein goldnes Wolkenbild über mir, das sich immer mehr entfernt, zu dem mich nur oft ein mildes Wehen der Hoffnung hinführt.

Die Mutter ist mild und gütig, giebt mir im Hause zu thun und zu ordnen, um mich zu zerstreuen. Der gute Caplan kommt Abends zeitiger als gewöhnlich, mit mir in den Welschen Büchern zu lesen, die auch Dir so gefielen. Bei jeder schönen Geschichte denk' ich an Dich.

Diese hohen stolzen Ritterfrauen hatten es besser als wir. Auf dem muthigen Roß konnten sie dem, was sie liebten, frei durch Wälder und ferne Länder nachschweifen, Gefahr und Tod mit ihm zu theilen. Der gute Mann denkt gern seiner Jugendzeit, seiner Wanderungen in den schönen Gärten von Europa, wird nicht [4] müde zu erzählen, von den Eisbergen, die dahin führen, von der Pracht der Schlösser, von den Strömen, an deren Ufern die reichen, schönen Städte liegen, und von der Herrlichkeit Roms. Ein inniges Sehnen ergreift ihn, und in der Sehnsucht begegnen wir uns. Ist es doch, als könnte der Mensch ohne Sehnsucht nicht leben, da selbst das greise Alter, in ihr, die Vergangenheit umfaßt, da keine heiße Liebe seine Gegenwart füllt, und keine Hoffnung seine Zukunft übergoldet! Der Vater ist für einige Tage verreist. Mit ihm wird mir ein heiteres Leben zurückkehren. Er erzählt mir aus der Griechen- und Römer-Zeit, aus der, Carls des Großen, von den Kaisern aus dem Hohenstaufischen Hause, ihren Thaten und Kriegszügen nach dem gelobten Lande. Wenn ich ihn zu Pferd begleite, wird's mir freier ums Herz. Von den Gipfeln der hohen Gebirge werde ich hinab schauen nach der Gegend, wo Du bist, meine Liebe.

Es wird stürmische Zeiten geben, fürchtet der Vater. Des Luthers Anhänger wachsen täglich. [5] Du weißt es, ich kann nicht umhin, Theil an dem Manne zu nehmen, der in der Kraft seines Herzens Allein, gegen eine Welt steht.

Gott möge seinen Glauben richten, seinen Irrthum verzeihen! Ja, ein Mensch, der um der Wahrheit Willen, so scheint es ihm, Gut und Leben opfert, ist immer groß und herrlich zu nennen, und wird es bleiben durch alle Zeiten hindurch, lebte er in Kerker und Ketten, und stürbe er auf dem Scheiterhaufen, wohin ihn Menschenhärte und Trug verdammen. Wer kann in das Innre schauen, als der Vater des Lichts? Erbarmen und Liebe, sind sie nicht die ersten Gebote der ewigen Liebe? Der Vater hat mir die Geschichten des Huß und Hieronimus von Prag gelesen, die vor hundert Jahren sich zutrugen; unter tausend Thränen habe ich sie angehört. Rührend und ehrwürdig ist mir dieses Festhalten an ihrem Glauben, dieses freie Erwählen des Todes, das die Edlen aller Völker für sie bewegte. Dieser Streit, dünkt mir, ward von unsrer Seite mehr um Menschliches [6] und Irrdisches geführt, als um Himmlisches und Ewiges. Gott läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, über Gerechte und Ungerechte. Diesen schönen Spruch, den mich der gute Vater gelehrt, kommt mir nicht aus dem Sinn. Sollten wir schwache, in Dunkelheit wandelnde Menschen, eingreifen in die Hand des Allmächtigen, strafen wo er verschont?

Wenn die Morgensonne sich in den Thautropfen der Rosen unter meinem Fenster spiegelt, da umfaßt mich das allbelebende Gefühl der Allmacht und Liebe, die Himmel und Erde durchstrebt, und ich bete: Ewiger Vater! laß mich nie kränken eines Deiner Geschöpfe, dem Du das Leben verliehen hast, solche Schönheit zu schauen! Ich nehme mirs vor, alle Thränen zu trocknen, wie es in meinem Vermögen steht.

Gott verhüte, daß je welche durch mich fließen sollten!

Lebe wohl, meine Bertha, in all' seinem [7] Leben, in Kummer und Ernst und feundlicher Hoffnung, ist Dir mein Herz nah!

Anna.

2

Der Vater ist zurückgekommen, liebe Bertha. Es ist gleich ein andres Leben, es giebt zu schaffen, zu sorgen. Wie gern thue ich das für den, den ich ehre! Als ich ihn den Berg heran reiten sah, wallte ihm mein Herz entgegen. Nach kurzer Entfernung ist's uns, als träte das ganze Wesen derer die wir lieben, klarer und höher vor unsre Seele. Edel und stattlich saß er auf seinem stolzen Rappen, und sein aufschauendes, glänzendes Auge, suchte unsre Liebe an den Burgfenstern. Ich wollte ihm entgegen fliegen, als ich bemerkte, daß ein fremder Ritter hinter ihm herritt, und ich erwartete ihn mit der Mutter an den Burgpforten. Herzlich schloß uns der Vater in seine [8] Arme, und hieß uns den Begleiter, den Ritter von Plankenfels, gastlich zu empfangen. Es ist ein feiner, eben nicht häßlicher Mann, der Manches zu erzählen weiß von den welschen Kriegen, von den Ritterthaten unsres Kaisers Maximilian: aber seine Worte sind nicht wie die des Vaters, gerade zum Herzen dringend, und eine neue Welt lebendiger Bilder vor die Seele führend, so daß einem wird, als wäre man selbst dabei gewesen, im Gewühl der Schlacht, bei der Feier des Sieges.

Er warf neugierige Blicke auf mich, das mißfiel mir gleich am ersten Abend. Ach, ich kenne ja andere – sie stehen mir immer vor dem innern Seelenauge! –

Der Ritter sprach auch zuviel von seinen Burgen am Rhein; möge er bald wieder dorthin ziehen!

Auch sprach er mit Härte, beschränkter, gefühlloser Strenge von dem Wesen Luthers, von Erregen und den Ansprüchen des Landvolks. [9] Wie ganz anders spricht der Vater! Ernst mißbilligend, aber die Gerechtigkeit und helle Einsicht wohnt auf seiner offnen Stirn, und der Muth, den diese geben, in der befreiten Brust. Kleinliche Furcht macht hart und grausam. Wer allen Gestalten des Lebens zu begegnen weiß, beherrscht sie. Nie hat mein Vater fremdes Recht gekränkt, und wird fest auf dem seinen beharren, aber sein edles Herz ist fremder Noth empfänglich, und sein offnes Auge schaut wolkenlos wie ein blauer Frühlingshimmel in das Treiben der Eigensucht und menschlicher Eitelkeit hernieder. Gar nicht gefiel es mir an diesem Ritter, daß er lang und breit vom Hoflager des Kaisers sprach, von seiner Gunst – über die er im Hinterhalt seines Lächelns mehr zu verbergen schien, als er sagte. Wie warm hängt mein Vater an dem edlen ritterlichen Max! er würde Gut und Leben für ihn opfern – für ihn – nicht für seine Gunst, als Ritter, nicht als Höfling. Ja, mein Vater ist ein Mann, Franz von Sickingen und noch Einer.[10] – Thörigtes Mädchen, wirst Du sprechen, das haben Dich wenige Stunden gelehrt!

3

Ich habe mich nicht getäuscht, der fremde Ritter hat Absichten. Gestern Abend, als ich des Vaters Lieblingslieder singen, und auf der Laute spielen mußte, lagen seine Blicke feurig auf mir, so daß ich meine Augen nicht aufzuschlagen wagte. Ach, wie ist das sanfte Feuer in einem Männerauge so wohlthätig, das uns sagt: hier ist Trost und Hülfe für dich und ewige Treue und Liebe, in dieser festen Brust, wo zarte Sitte wohnt, ein Obdach in allen Stürmen des Lebens. – Dieses Feuer, das uns so sanft umlodert, und die Blüthen des innigsten Vertrauens erschließt – dieses war es nicht. Auch beklemmte nicht jene zarte Scheu, mit der wir uns allem Großen und Herrlichen nahen, meine Brust. Nein, es glühte innerer Unwille [11] in mir, und eine grause Furcht, wie vor einem dunkel herannahenden Unglück, hielt mich gebunden. Heut Morgen mußte ich den Vater auf die Jagd begleiten; der Gute hat seine Freude daran, daß ich kühner und sicherer als andere Frauen mein Pferd führen und ihm überall folgen kann. Als ich still zwischen dem Vater und dem Ritter ritt, und jene sich eben mit Befehlen an die Jäger zurückwendeten, näherte er sich meinem Ohr und sprach: O schönstes Fräulein! haben Sie denn keinen Blick für ein durch Ihre Reitze tief verwundetes Herz? Es war mir recht widrig; ich that, als hörte ich ihn gar nicht, und wendete mich mit einer Frage zum Vater, der zum Glück ausgeredet hatte.

4

Gestern Abend hieß mich der Vater ihm in den kleinen Garten unter meinem Fenster folgen, wo kein Fremder hingeführt wird. Er [12] lobte meine Blumen, begehrte einen Strauß, ich merkte bald, daß er mir etwas zu sagen hatte, was ihm schwer vom Herzen gieng. Anna, begann er, und zog mich neben sich auf die Moosbank, ich habe Dir etwas zu sagen: Der Ritter von Plankenfels begehrt Dich zur Hausfrau, so eben hat er mirs entdeckt. Was sagst Du dazu?

Nein, mein Vater! rief ich, Nein! O diesem geben Sie mich nicht!

Er faßte meine Hand zärtlich, nicht diesem, noch irgend einem Andern will ich Dich geben, Du sollst Dich selbst nur geben, mein liebes Kind, doch muß ich Dich aufmerksam machen. Es ist der dritte Freier, den Du von Dir weisest, wirst Du es auch nie bereuen? Plankenfels, wie seine Vorgänger, ist ein stattlicher, ehrenhafter Mann, mir von wackern Männern wohl empfohlen, wie mirs scheint auch liebenswerth, um eines Mädchens Augen zu gefallen. Jugend und Schönheit sind Blumen, deren jeder begehrt, aber bald entblättert sie die Zeit, und [13] dann naht sich ihnen kein zärtliches Verlangen mehr; sie stehen allein, und die Stürme des Herbstes brausen über sie hin. Ich bin jedes Tags eines Rufs zum schwäbischen Bundesheer gewärtig; ein alter Kriegsmann muß enden, wie er begonnen, bereit zu jeder Stunde vor dem Feinde zu stehen. Du und die Mutter stehen allein, wenn ich falle, auch die Mutter wird vor Dir hingehen, so lehrt es der Lauf der Natur. Meine edlen Freunde leben Dir zu entfernt, Dich schützen zu können; eine unruhvolle Zeit droht zu beginnen, – was soll aus Dir werden?

Laß uns nicht ängstlich sorgen, bester Vater! rief ich. Glücklich und schön begann mein Leben unter den Augen geliebter Eltern. Es scheint das Glück ist mir hold. Lieber wollt' ich im heiligen Frauenkloster meine Tage beschliessen, als in freudelosem Ehebund, dem mein Herz widerstrebt.

Nun so gebe ich dem Ritter in Gottes Namen den Abschiedsgruß, sagte der gute Vater [14] mit Freundlichkeit, und empfehle Dich dem ewigen Auge über uns. Sein Blick war gen Himmel gerichtet, eine Thräne glänzte darin, und mein befreites Herz schlug hoch an dem seinen.

5

Der Vater ist heiter, aber er bereitet sich zum Heereszug zu stoßen. Ich suche mein geängstetes Herz zu verbergen, denn er kann keine traurigen Gesichter leiden, und will mich heiter sehn, wie die reine Luft um unsre Höhen. Kinder, verkümmert Euch die Tage der Jugend nicht durch unzeitige Schwermuth, sagte er mir oft, wenn ein Kreis besuchender Mädchen mich umgab, sie eilen hinab, schnell wie der Felsenquell ins Thal, wo er ohnedem langsam fließen muß, fern dem erfrischenden Ursprung. Sollt' ich denn nicht glücklich seyn? Bin ich nicht frei, ich darf es sagen, geliebt, weil ich gut und wohlthätig bin?

[15] Keine nahe Gefahr droht dem Vater, und oft schon sah' ich ihn ausziehen, gerüstet mit Muth und Stärke, und siegreich heimkehren. – Ach, Bertha! nicht alle still geweinte Thränen fließen der Trennung vom Vater – auch Einem Andern fließen sie! – Geduld, Liebe, Du sollst Alles wissen. Ein lang in sich getragenes Geheimniß reißt sich nur mit Schmerz los aus der wunden Brust.

6

Er ist todt, der geliebte Kaiser. Mein Vater betrauert ihn mit Würde und Ergebung. Die männliche Thräne, die einer festen Brust entquillt, über der Leiche eines Entschlafenen, ist sie nicht das vollgültigste Zeugniß vom Werth seines Lebens? Große Entwürfe werden mit ihm begraben, sagt der Vater. Ja, er wollte Großes und Gutes, aber dem bewegten Ritterleben, das die Gefahr von früher Jugend an aufsuchte, [16] um die Fülle des Muths an ihr zu erproben, fehlte es an Haltung gegen das Ganze, an der sichern Klugheit, Andre zu seinem Zwecke zu leiten, an der berechnenden Wirthlichkeit, die einem Römischen Kaiser unentbehrlicher ist, als jedem andern König. Deshalb sind unsre Kaiser meist nur im Wollen und Streben groß. Aber ist im Wollen und Streben nicht der eigentliche Mensch? selten gehört ihm die That an. Was er für Kirche und Reich herrliches gedacht, wie er offnen, freien Blicks das Rechte erspäht, wie er muthvoll und liebenswerth in That und Sitte sich die Herzen des Volkes gewann, das wird ihm bleiben, im Angedenken der Menschen.

Daß sein klares Auge auf mir auch geruht, in der freundlichen Stadt, die er mit ahnender Trauer verließ – die Bilder jener Tage –, das seine – stehen immer in meiner Seele.

Eine große, wohlthätige Spur seines Lebens wird bleiben im Laufe der Zeiten. Das Gericht von Fürsten, Edlen und Weisen, das er einsetzte, [17] um die Streitigkeiten zu schlichten durch die Macht der Vernunft und der Ehre, die sonst blutige Fehde entschieden. Gegen den Reichsfeind, den Feind des Christenglaubens, werden die Streitkräfte sich wenden, die die blühenden Auen des Vaterlandes verwüsteten, seine Kinder zerfleischten. Wir armen Frauen werden nicht zitternd und zagend mehr hinter unsern Burgmauern leben, daß die Morgensonne die Geliebten unsres Herzens zum blutigen Kampf aufrufe, daß der Feind eindringe, und die Flamme unsre Habe verzehre, die Armuth aus den zerstörten Hütten der Unsern, uns mit all ihrem unendlichen hülflosen Jammer überfalle.

Kurz vor seinem Tode ernannte der Kaiser meinen Vater zum Beisitzer dieses edlen Gerichts unter den Grafen von Zollern. Ich sehe den Vater mit neuwachsender Ehrfurcht an, wenn ich mir ihn als Beschützer der Tugend und Ordnung denke, als Richter des Rechts, das die ewige Grundsäule der Menschheit ist, wie das Licht die Nacht der Erde umgiebt, [18] und Wachsthum und Gedeihen verleiht, dem Glücke, der Liebe, der Tugend, in seinen reinen Strahlen.

In edlen Männerherzen wohnt nur das Recht. Schönes Feld des Muthes, das sich hier eröffnet! Nur der Starke und Feste bewahrt Wahrheit und Ehre treu, da sie die Angeln seines eignen Wesens sind. O stünde auch der Eine, um den all mein Sinnen und Denken sich dreht, bei dem das Licht meines Lebens wohnt, auf dieser edlen Reihe neben dem Vater! Oft ahne ich eine ewige Trennung – zu denken vermag ich sie nicht.

7

Der Vater ist zu dem Churfürsten Friedrich von Sachsen gereist, mit einigen Freunden; sie wollen ihn fürs Heil des Vaterlandes bewegen, die Kaiserkrone anzunehmen. Möge es ihnen gelingen! Kein edleres Haupt kann sie schmücken, [19] denn es schlägt unter ihm ein reines menschliches Herz. Dir meine Bertha, soll die Einsamkeit dieser Tage geweiht seyn.

Du begehrst zu wissen, wie es denn eigentlich mit mir stehe? Woher diese Abneigung gegen die passendsten ehrsamsten Eheanträge? Wohl fühltest Du, daß mein Herz in die Ferne schweife. Du fürchtest, das Lesen der welschen Geschichten habe meinen Sinn nach einer Traumwelt gekehrt, der keine Gestalt dieser Erde gleichen kann. Ich werde den Himmel nicht herabziehen, sagst Du, und mich einst vergebens nach den frischen Blüthen, die die Wahrheit des Lebens uns bietet, und die ich jetzt verschmähe, zurücksehnen.

Wenn es so werden sollte, so werden könnte, meine Liebe, so muß ichs ertragen. Jetzt lebt der Himmel in meinem Herzen, in einem hohen, edlen Männerbilde, – ihm muß ich mich weihen, sollte es auch einst als ein Schatten vor mir zerrinnen, es ewig anbeten, denn einmal erhellte sein Glanz meine Seele.

[20]

Du hast Dir keine dringende Frage erlaubt, mit zartem Sinn vermieden, das Heiligthum meines Herzens zu berühren, mein Sehnen in die Ferne, mein Stummseyn oft ertragen. Nur, da Deine Furcht um mein verfehltes Geschick Dich zur Rede gereitzt, überwinde ich alles, was mich zurückhielt, was ich nicht zu nennen vermochte. Thue einen klaren Blick in die Seele Deiner Anna, die sich, obgleich nach langem Zögern, doch gern vor Dir enthüllt.

Du weißt, wie die Jugendfreundschaft meiner Mutter, mit der Herzogin von Bayern, der Schwester unsres verstorbenen Kaisers, mir die Ehre zuzog, im Gefolge ihrer Tochter, der Prinzessin Susanna, zu seyn, als sie zur Hochzeitfeier mit dem Markgrafen von Brandenburg, nach Augsburg zog. Ich erfreute mich der Heiterkeit unsres Zuges, durch die schönen Auen Bayerns und Schwabens. Alle Fröhlichkeit kam aus dem Herzen, denn das Herz der Braut schlug dem Geliebten warm entgegen. Mehr als alles Andere erfreute mich das Anschauen [21] unsres Kaisers. Seine Ritterthaten, seine Liebe mit der zu früh verlornen Maria von Burgund, sein Heldensinn, mit edler Milde gepaart, von dem mir der Vater von Jugend an erzählte, machte ihn mir zum Gegenstand der lebendigsten Verehrung. Mehr als alle andre Geschichten und Mährchen, ergötzten mich die Thaten eines edlen Mannes unsrer Zeit, und ich träumte mir manchen stillen Abend auf unsrer Burg, die Freude, ihn zu sehen.

Mein Herz wallte ihm entgegen, als einer längst bekannten Erscheinung, als er im köstlichen Schmucke einhergeritten kam, umgeben von dem Bräutigam und vielen Fürsten und Herren, um die Prinzessin an der Brücke vor Augsburg zu empfangen. Eine ältere Rittersfrau, die mit uns auf dem Wagen saß, nannte uns die Namen der Begleiter. Die heitern Lüfte ertönten vom Schall der Trompeten, die Sonne umleuchtete mit hellen Strahlen den festlich geschmückten Reiterhaufen, die Glocken ertönten vom hohen Dom. Es war ein feierlicher Augenblick, [22] und die Brust schwoll in einer Fülle des neuen Lebens. Als an der St. Ulrichs-Kirche der Kaiser vom Pferd stieg, die Prinzessin von ihrem Wagen hob, um sie und den Bräutigam an seinem Arm zur Trauung zu geleiten, versammelten sich die Ritter des Gefolgs auch um unsern Wagen, uns diesen Dienst zu leisten. Die schönste Männergestalt, die ich je gesehen, stand seitwärts etwas zurück, mit einer gewissen holden Schüchternheit, die mich sogleich unglaublich anzog. Ich fürchtete, ein andrer Ritter möchte mir den Arm bieten, und drängte mich kindisch zurück. Glücklicherweise ergriffen sie nur meine entgegenkommenden Gespielen, und der Erwünschte nahte sich mir. Mein Gewand hatte sich in eines der Räder verwickelt, sittig und fein erwartete er, bis ich es daraus befreit hatte; aber als die Pferde ungeduldig fortdrängend, während meines Aussteigens, den Wagen vorwärts zogen, faßte er mich rasch in seinem Arm auf. Die Puffen seines Ermels streiften an meiner Wange hin, und als ich [23] meinen Blick dankend gegen ihn aufschlug, lächelte es mir wie Himmelsglanz aus seinen freundlichen lichtbraunen Augen entgegen. Er bot mir den Arm, mich zur Kirche zu führen, und sein zartes Bemühen, mich im Gedräng zu beschützen, indem wir dem Zuge nacheilten, schien mir so liebenswürdig. Wir hatten keine Worte gewechselt, aber während der Trauungs-Ceremonie stand er mir gegenüber. Selten wagte ich meine Augen auf ihn zu richten, aber immer fand ich die Seinen. Die ernsten Worte der ewigen Verbindung zweier Herzen und Leben, hatten mich nie tiefer gerührt; ich suchte mich im Gebet für das Glück der guten Fürstin Susanna zu sammeln, hielt meine Augen hinter dem Gebetbüchlein verborgen, aber sein Blick stand vor mir, und alle Lettern schienen mir übergoldet von seinem Strahl. Einmal, als ich nach ihm aufzuschauen wagte, fiel ein Sonnenstrahl gerade auf sein schön gelocktes Haupt, die braunen Locken glühten wie Gold, es war mir, als wenn ein Heiligen-Schein sich [24] um ihn herzöge. Es ist sonderbar, aber ich sah seitdem die Glorie immer um ihn.

Ich bebte, als er sich dem Kirchenstuhle näherte, mich zurükzuführen, meine Kniee zitterten, ich mußte mich ans Geländer halten, aber als ich seinen Arm ergriffen hatte, war mirs, als durchdräng mich eine neue Kraft, fest gieng ich durch den langen Säulengang der Kirche. Stolz fühlte ich mich an der Seite des Schönsten, denn keiner der andern Ritter, die meine Gespielinnen geleiteten, war mit ihm zu vergleichen. Lange giengen wir durch das Volk, das an beiden Seiten gedrängt stand, dem Zuge zuschauend. Freundlich grüßend gieng er, ich sah, daß er aller Augen auf sich zog. Ein schönes Paar! flüsterten einige Weiberstimmen dicht neben uns, und eine glühende Röthe, ich fühlte es, flog über meine Wangen. Sein Auge ruhte auf mir, ich wußte es, ohne daß ich wagte, das meine aufzuschlagen; mir schien's sogar, als schlöß er meinen Arm fester an den seinen, oder war es das vordringende Paar hinter uns, das [25] diese Bewegung veranlaßte? Bei einer Wendung des Zugs gieng das Brautpaar an uns vorüber. Zum erstenmal vernahm ich den süßen Laut seiner Stimme, und immer noch tönt er an mein Herz – in welch sinnigen Worten: »Glücklich sind die, fürwahr zu nennen, wo der Priesterseegen die Herzen wahrhaft mit dem Leben vereint.« Und sollte das je anders seyn? wollte ich sagen, aber meine Brust schlug hoch, meine Lippen bebten, kein Wort konnte hervordringen. Wunderbar schien er dennoch die Stimme meines Innern vernommen zu haben, und fuhr fort: Ja, es giebt Seelen, die einzig in Wahrheit und Liebe zu leben vermögen, ihre unwiderstehliche Gewalt thut sich beim ersten Blick kund! Sein Ton war weicher, inniger an mich gerichtet. Wir standen am Wagen, ohne daß ich ein Wort zu sagen vermocht, ich zürnte mir selbst, fürchtete, daß er mein Schweigen als kindische Blödigkeit des Landmädchens deuten möchte. Mit derselben zarten Sorge hob er mich in den Wagen. Nur ihn sah ich fortan im bunten [26] Gewimmel des Weinmarktes, dem Wehen seines Helmbusches folgten meine Augen; unachtsam auf alles Andre, was um mich her vorgieng, saß ich stumm und in mich gekehrt, und fühlte das Walten einer Gottheit über mir.

Beim Mahl, beim Tanz, umgab er mich mit der feinsten Aufmerksamkeit und Sorgfalt, aber unüberwindlich blieb meine Schüchternheit gegen ihn.

Ein dem Vater bekannter Ritter nahte sich mir, und sprach einige spaßhafte Worte, ich erwiederte sie mit Heiterkeit. Zum erstenmal hörte ich den Ton Ihrer Stimme, flüsterte er mir ins Ohr –, warum war der süße Laut nicht an mich gerichtet? ich beneide ihn fremden Ohren.

Schön vor allen Andern war er beim Ritterstechen mit dem Markgrafen; so voll Hoheit und Anmuth, so des Sieges gewiß, trug ihn das stolze Roß, als fühlte es die Schönheit seines Reiters. Auch waren alle Augen auf ihn gerichtet, und alle Herzen flogen ihm zu, – und mich suchte sein Auge unter dem Kreis[27] glänzender schöner Frauen – wagte nur einen bescheidenen Blick –, so fällt ein Blitz der wetterleuchtenden Wolken in eine Frühlingslandschaft. Es war etwas Gehaltenes, Ernstes, fast Melancholisches in seinen Zügen, in seiner ganzen Haltung, und als die ganze Gesellschaft in lautes Gelächter über die Scherze des lustigen Raths von Rosen ausbrach, umzog nur ein leises Lächeln die schönen Wangen.

Nicht ungern sah ich beim Tanz die Blicke der Zuschauer auf uns geheftet, und mit Vergnügen hörte ich mich schön nennen, nur um seiner Wahl nicht unwerth zu scheinen. Selbst der gute Kaiser gab ein Zeichen des Beifalls, als wir bei ihm vorbei walzten, sanft schlug er mich auf die Schulter, und sagte: Du liebreizend Kind! In seeliger süßer Freude verflogen die Stunden neben ihm. – Ich ermüde Dich wohl mit Weitläuftigkeit, meine Bertha? So gern wiederhole ich mir selbst jeden Augenblick jener Zeit, doch wie matt ist jede Erzählung! Wie kann man den Zauber beginnender [28] Liebe aussprechen? Eben so wenig wie den werdenden Frühling, der jeden Moment neue Blüthen erschließt. Er ist da, so die Liebe, ein Kranz himmlischer Rosen – wir wissen nicht wie sie kam. Dacht' ich an eine Zukunft in diesen sonnenhellen Tagen? Nein, Bertha, nur an den nächsten Morgen dacht' ich, wenn Einsamkeit der Nacht mich in der stillen Kammer umfieng. Dann sind wir glücklich, wenn das Nächste unsre Seele füllt. Nach den Sternen, die auch ihn umflammten, sah ich auf, und den ersten Sonnenstrahl grüßte mein entzücktes Herz, denn er würde mir seine Gestalt umleuchten.

Eine einsame Stunde mit meiner Fürstin Susanna, erschloß die tiefern Wünsche meines Busens. Die Ritter zogen mit dem Kaiser auf die Jagd; ich stand neben ihr auf dem Balkon, wir sahen sie an uns vorüberreiten, ihr Auge folgte dem Gemahl, und wendete sich dann in seinem sanften Freudenglanz auf mich, als eben Ottomar von Rheinfeld vorbei ritt, und sie und mich edel und anmuthsvoll grüßte. Susanna [29] hatte die Röthe, die meine Wangen überflog, und das höhere Schlagen meines Herzens bemerkt, sie umfaßte mich und führte mich ins innerste Gemach. Anna, ich bin glücklich, sehr glücklich, denn nichts gleicht der Wonne, sich dem Geliebten, lang Ersehnten, ganz und für ewig vereint zu fühlen, nur für ihn, in ihm zu leben, vor dem allsehenden Auge des Himmels. Billig fürchtet die Jungfrau, ihr volles Herz zu zeigen, und strebt ängstlich den Schatz ihrer Liebe und Treue zu verbergen. Süßes, seeliges Loos des Weibes, dem Mann ihrer Liebe ganz anzugehören, in Liebesfülle ohne Maaß und Ende, vor seinen Augen an seinem Herzen leben zu dürfen! Gutes Kind, ich ahne, auch Dich hat Liebesmacht umfangen, und fürwahr, Du hast schön gewählt, denn selbst neben meinem Gemahl und Herrn, scheint Rheinfelds hohe Gestalt, und sein sittiges edles Wesen, mir liebenswerth.

Läugnen half hier nichts, ich sank auf ihre Hand meine glühenden Wagen zu verbergen, [30] und nun wob sie, wie die freundliche Hoffnungsgöttin, mit holden Zauberworten eine Zukunft, mit himmlischen Gestirnen des Glücks und der Vereinigung mit ihm übersät, um mich her. Er mein Gemahl und Herr – O Bertha! kaum konnte mein Herz diese Fülle des seeligsten Traums fassen!

Eines ihrer Fräuleins, in den Rheinlanden wohl bekannt, trat herein. Susanna brach die Unterhaltung ab, und knüpfte eine leichtere und scherzende an. Die Ritter wurden gemustert. Es ist schade, sagte das Fräulein, daß der Schönste und Tapferste kein Gegenstand unsrer Wünsche seyn kann. Und welchen haltet ihr dafür? fragte Susanna. Ottomar von Rheinfeld, sonder Zweifel, erwiederte das Fräulein – aber sein Vater hat ihn zum geistlichen Stande bestimmt; nur auf kurze Zeit ist ihm vergönnt, das frohe Ritterleben zu führen. Er hat eine gelehrte Erziehung genossen, und ob auch kühner Jugendmuth und Lust, ihn mehr zu Waffen thaten, als zu jener stillen Bestimmung reißt, so[31] glaubt man dennoch, er werde die Wünsche der Eltern erfüllen. Seine Geisteskräfte, seine großen Verbindungen, zeigen seinem Ehrgeitz die höchsten Würden der Kirche im Hintergrund. Gleich einer Eiseswoge umdrang es mein Herz, meine Pulse stockten, ich erblaßte, hatte Mühe mich auf meinen Füßen zu erhalten, der Boden schien unter mir zu entfliehen, und gleich einer dunkeln Wolke lag es vor meinen Augen. Susanna hielt mich, und suchte die Aufmerksamkeit der unbarmherzigen Erzählerin von mir abzulenken. Das wird wohl noch anders werden, sagte sie, zu muthigen Ritterthaten ist dieser Mann geboren, wie sollte er das Brevier dem Schwerte vorziehen? Sonderbare Umstände liegen dieser Begebenheit zum Grunde, fuhr das Fräulein fort. Als neugebornes Kind lag Ottomar halb todt im Arm seiner Mutter. Die Aerzte hatten ihn aufgegeben; der Tod schien die kleinen Glieder mit seiner Eiseskälte schon zu fesseln, als die Untröstliche ein Gelübde that, das Kind der Kirche zu weihen, wenn die heilige [32] Jungfrau es ihr errettete. Das Leben kehrte alsobald zurück, die fromme Mutter wurde wundersam getröstet, und sie, wie der Vater, blieben des Gelübdes eingedenk, und bereiteten ihn von Jugend auf dazu vor. Bemerktet Ihr nicht schon, meine Fürstin, wie oft in Freud und Lust ein finstrer Ernst Ottomars Züge umhüllt, wie es ihn an das Gelübde mahnt, wenn er dessen im frohen frischen Lebensmuth vergaß?

Susanna ergriff einen Vorwand mich hinwegzuführen; in der freien Luft im Garten wurde mir's leichter, meine Thränen flossen unaufhaltsam. Ihr liebes Herz gab ihr tröstende Worte ein, von dem Einfluß, den die Gunst ihres Gemahls beim Churfürsten haben könne, wie dieser die Eltern bewegen werde, Ottomar frei zu lassen, aber mein Herz blieb wie von einem eisernen Netz des Schmerzes umstrickt, alle Blüthenhoffnungen fielen von ihm ab. O Fürstin, rief ich, ist dem so, so nehme auch mich eine Freistatt in stillen Klostermauern auf; nach dem, was ich gefühlt, kann ich keines andern [33] Mannes seyn! Die Gute ermüdete nicht, Trostgründe aufzusuchen, versprach der Sache auf den Grund zu kommen, mit der zarten Schonung, die ihr mein offnes Geständniß und edle Frauensitte gebot, die der Weiblichkeit Geheimniß sorgsam im verschloßnen Busen bewahrt.

Als der Abend uns wieder mit den zurückgekehrten Jägern vereinte, als die Macht seiner Gegenwart mich umglänzte, wurde es stiller in mir. Welche Zaubergewalt ist in der Nähe des Geliebten? sie beschwichtigt Furcht und Hoffnung! Nur von Zeit zu Zeit war es mir, als dränge ein Gespenst der Nacht auf mich zu, mit dem Rufe: scheide von Freud' und Leben, – die Welt hat kein Glück mehr für Dich!

Das Ende der Feste nahte heran. Susanna ergriff einen einsamen Augenblick, zog mich zu sich und sagte: ich läugne Dir nicht, meine Anna, daß das Geschwätz meines Hoffräuleins nicht ohne Grund ist, aber hoffe auf meine Freundschaft, auf die thätige Mitwirkung meines [34] Gemahls. Solltest Du unglücklich seyn, wenn Deine Freundin in Freude und Liebe lebt? Hoffe, war ihr letztes Wort, als sie mir einen goldnen Anker, mit einem Kettlein um den Hals legte.

Ernst und Trauer lag um uns Alle, bei den letzten Abendvergnügungen. Ich konnte mein Gefühl in dem Allgemeinen verbergen. Als beim letzten Tanz meine Hand in der seinen lag, die ich schüchtern jetzt kaum zu fassen wagte, nicht mehr als die edle Hand vertrauend ergreifen durfte, die mich durchs Leben geleiten konnte, sah auch er mich ernst an, den Schatten der Trauer auf meinen Zügen bemerkend. Woher diese düstre Wolke auf dem lieblichsten Angesicht, das eine ewig heitre Sonne umstrahlen sollte? fragte er.

Mir war, als müsse ich in den Boden versinken, eher den Tod, als daß er mein Gefühl errathen sollte. – Wir sind nicht auf Erden, ungetrübte Freuden zu genießen, edler Herr, [35] erwiederte ich; die Trennung von meiner Fürstin schmerzt mich, auch hat mein Vater ernste Gedanken über das Leben des Kaisers, den selbst eine traurige Ahnung verfolgt. Sollte er uns entrissen werden, der große, gütige. herrliche Mann? So suchte ich ihm, falschen Herzens, meine Schwachheit zu verbergen. Doch lag auch Wahrheit in meinen Worten. Mein Fräulein, sagte er mit einem sanften Händedruck, möchte ich werth seyn, Ihr Freund zu werden, allen Kummer des zarten, reichen Herzens zu theilen, zu erleichtern! Nur im Zauber ihres Lächelns kann mir fortan die Welt und das Leben freudig erscheinen.

Der Tanz riß uns fort, aber seine Augen ruhten ernst auf mir, mit unendlichem Trost, unendlicher Liebe – wie schön stand ihm dieser Ernst!

Am nächsten Morgen geleitete er mich mit der Mutter zum Wagen, als wir aus der Messe heimfuhren. Wir standen vor der Kirche, und er sagte mir leise: an diesem Platz sah ich Euch [36] zuerst, theure Anna, er wird mir stets der liebste auf Erden bleiben. Wollt auch Ihr ohne Unlust, seiner gern gedenken? Ich erröthete, vermochte nicht zu sprechen, aber meine Augen suchten ihn, und sagten, fürcht' ich, mehr als sie sollten. In einer Wolke von Thränen zerrann sein geliebtes Bild vor mir, als er von uns schied.

Die Ritter geleiteten den Kaiser. Nachdenklich und wehmüthig kehrte der Vater zu uns zurück, und erzählte, wie der gute Kaiser trauernd Abschied von der lieben Stadt genommen, wo er so fröhliche Tage verlebt, im Gedanken, er sehe sie zum letztenmal. Ach, nur zu wahr hat sich die traurige Ahnung bestätigt! Wenn ein guter und großer Mann scheidet vom Leben, ist's als wenn die Welt aus ihren Angeln sich drehte. Was hielt sie auch in sichrer Bahn, als der gute Wille der Mächtigen – ein edles Herz. Im Ernst des Vaters, weinte ich meinen Schmerz still und unbemerkt aus. Mein Blick suchte die hohen Thürme der Stadt, so [37] lang sie am Horizont standen. Welch eine neue Welt gieng mir dort auf? Das schöne Schwabenland bot mir vergebens seinen Reitz, seine Fülle dar. Der heitre Sinn, der mich mit allen schönen Bildern des Lebens verband, wollte nicht wiederkehren. Am dritten Tage unsrer Reise hielten wir unser Nachtlager in einer angenehmen kleinen Stadt. Das ganze Völkchen mit der Traubenlese beschäftigt, war fröhlich über die Segensfülle dieses Jahres. Der frohe Gesang heimkehrender Winzer, mit Trauben beladen, die schlanken Mädchengestalten an der Hand ihrer Jünglinge, in unschuldigen Scherzen und Lachen, der ruhig dankbare Ausdruck auf dem Gesicht der Eltern, – die allgemeine Freude umfing auch mein Herz, da des Vaters Stirn sich erheiterte.

Im ruhigen Kreislauf der Natur, in den kleinen Freuden, die er dem menschlichen Daseyn zugesellt, ists, als ob die innere Kraft sich stärkte, der eigne Schmerz nimmt eine mildere Farbe, und die Hoffnung auf eine Wendung [38] des Geschicks, erhebt allgemach ihre linden Flügel.

Ich gieng mit dem Vater in den nächsten Weinberg, wir genossen der süßen Früchte, die uns freundliche Menschen aus der Fülle des Seegens darboten, und schauten in die lachende Gegend, auf den glänzenden Strom mit beladnen Schiffen und geputzten Menschen bedeckt, von denen Gesang und blasende Instrumente ertönten. Jenseit des Flusses erhob sich hinter den Traubengeländen eine waldige Anhöhe, die scheidende Sonne übergoldete die Pfade, die sich daran hinzogen. Ein Ritter von einigen Knappen begleitet, kam aus dem Dunkel des Waldes hervor. Immer glänzender und lichter wurde die Gestalt, – es ist Ottomar, tönte es durch mein ganzes Wesen. Des Vaters Augen reichten so weit nicht; ich wagte es nicht, meine Entdeckung auszusprechen. Noch traute ich meinen Augen nicht, schon oft hatte mein innres Auge mir seine Gestalt vorgezaubert, die dann beim Annähern in eine ganz unbekannte zerfloß. [39] Als der Reiter hinter den Bäumen einer Bergschlucht hinab verschwand, gieng der Vater in die Herberge zurück, schweigend folgt' ich ihm. Wir giengen zeitig zur Ruhe. Mir wurde eine kleine Kammer angewiesen, deren mit Weinlaub umgränztes Fenster auf den Garten gieng. Es war heller Mondenschein die Blumen wiegten sich im Silberstrahl und die Blätter ferner Bäume; lieblicher Duft drang mir entgegen; ich konnte mich von dem lebenden Zauberhauch der schönen Nacht nicht losreißen, und lag am Fenster bis zur Mitternachtsstunde.

Plötzlich entstand ein Geräusch am Gartenzaun, das Geisblattgeranke bewegte sich, und unten im dunkleren Gebüsch erkannte ich eine Männergestalt. Lautenakkorde ertönten, sie rührten mein Herz auf eigne Weise, eine schöne tonvolle Stimme fiel ein, und sang ein welsches Liedchen, folgenden Inhalts:


Süßer Liebe Träume blühen
In dem Schoos der Mitternacht,
[40]
In der holden Sterne Flimmern
Fühlt sich neu das Herz erwacht.
Ewig schaut ihr Auge nieder
Auf der Erde wechselnd Rund,
Wie das Auge des Geliebten
Flammend steht im Herzensgrund.
Scheiden, o du Tod der Freude!
Doch der Tod der Liebe nicht,
Durch der nächtgen Wolken Hülle
Glüht ihr ewig heitres Licht!
Ueber Abgrund, über Fernen
Sind sich treue Herzen nah,
Und es tönt vom Firmamente:
Lieb' ist nah, ist ewig da.

Ottomars Stimme tönte durch mein ganzes Wesen, seine Gestalt gieng dem innern Liebesauge aus der Hülle der Nacht auf. Wie durch Zaubergewalt gefesselt, hielt ich mich am Fenster. Er stand vor mir, ohne daß ich ihn kommen [41] sah, und der helle Mond warf seinen Strahl auf die geliebten Züge. Anna, flüsterte seine sanfte Stimme, geliebte Anna! wird mir wirklich auch das Glück Eures Anschauens gewährt? Ein guter Engel führte mich hierher, ja, es war der Engel meines Lebens, Du selbst.

Meine Hand lag in der seinen auf dem Fenstergesims, seine Lippen bedeckten sie mit heißen Küssen. Ich strebte sie ihm zu entziehen. O, entreiße mir nicht einen Augenblick, den mir Gott selbst geschenkt. Höre mich an, holdes Mädchen, rief er mit sanfter Liebesstimme, der mein Herz gehorchen mußte. Gebunden, verworren ist mein Geschick durch den Willen liebender Eltern, aber in Dir hat mir der Himmel einen Weg zum Glück bezeichnet, ein schönes Ziel, nach dem All mein Streben sich lenket – ich hoffe es zu erreichen, wenn Eure Neigung mir Hoffnung zulächelt. Wollt Ihr aus unaussprechlicher Güte mir geloben, binnen einem Jahre Eure Hand nicht zu verschenken? Hoffend, getröstet zieh' ich also von [42] Euch. Kann ich dann nicht wiederkehren, o so haltet mich für den Unglücklichsten, den der Mondstrahl bescheint – für einen, der aller Freude des Lebens entsagen muß, um sich herber Pflicht, ewiger Sehnsucht zu weihen. Kehr' ich wieder, dann vergönnt mir die süße Hoffnung, Euer Herz durch treue Liebe, durch edle Thaten zu gewinnen, die mich dieses höchsten Erdenglücks nicht unwerth machen. Könnt Ihr, wollt Ihr mir diese kühne Bitte gewähren? Ewig, wie die glänzenden Augen des Himmels über uns leuchten, wird meine Liebe seyn. Nur Euch will ich besitzen, hier und dort. Sprecht Ja – sendet einen Strahl himmlischen Lichts in meine dunkle Seele. – Glühend waren seine Bitten, seine süße Stimme umstrickte mit aller Gewalt zauberischen Verlangens mein Herz, ihm ewig anzugehören. Ich stammelte das gewünschte Ja, und bat ihn, mich jetzt zu verlassen. Ein Flor lag vor meinen Augen, ich war nah am Umsinken, doch glühte ein noch nie gefühltes Leben in meiner Brust. Seine Thränen brannten [43] auf meiner zitternden Hand. Lebt wohl, edler Herr, vermocht' ich zu sagen. Ich halte mein Wort, entschüpfte im Fliehen meinen Lippen, und meine Hand umschloß die seine fester, vielleicht zum ewigen Abschied.

Ich konnte fliehen, aber meine ganze Seele blieb bei ihm – wird es ewig bleiben.

Seit dieser Stunde, meine Bertha, grüßt Deine Anna jeden beginnenden Tag nur mit der Frage: wird er mir ihn bringen, den Geliebten? jeder scheidenden Sonne sende ich den Seufzer nach, er kam noch nicht! Noch zwei Monde, und das Jahr ist abgelaufen, das über mein Leben entscheidet. Schon fangen die Blätter an, sich zu färben, – wird mein Glück mit ihnen hinwelken? Ist dem so, o so möge die erstarrende Natur mich auch aufnehmen in ihren Todesschlummer! Befiehlt mir der Glaube an eine bessere Welt, und die Liebe der Meinen, zu leben, so sey es hinter düstern Klostermauern, entsagend auf ewig jeder Liebe, als der, an sein Andenken!

[44]

8

Der Vater ist zurückgekehrt. Der Churfürst Friedrich, der nun den Namen des Weisen trägt, hat die Kaiserkrone abgelehnt. Der Gall'sche König bewirbt sich darum, aber die Fürsten werden sie lieber dem spanischen Karl geben, er ist ja der Enkel unsers theuren Max, und deutsches Blut rinnt in seinen Adern. Er wird ein Herz für uns haben, unsern Sinn verstehen.

Der Vater hat Geschäfte am Rhein, und will, daß die Mutter, nebst mir, ihm folgen sollen. Er dachte mir Freude zu machen, aber wie kann ich nun die Kunde von Ottomar vernehmen? wie ihm Nachricht von unsrer Reise geben? Meine Hand bebt, mein Auge umhüllt ein Flor, wenn ich die Feder ergreifen will, ihm die Veränderung meines Aufenthalts zu melden; es wäre eine Mahnung, möge mein Leben enden, lieber, als daß ich ihn fordernd, dringend erscheine! Weißt du, Treue, keinen Rath? Schwere Träume liegen auf meinem [45] Schlummer. Ich sah ihn schwarz gekleidet, ein Kreuz zwischen seinen Händen haltend, sein Blick war kalt und abweisend; dann verwandelte er sich wieder, stand vor mir in frische Farben des Lebens gekleidet, und reichte mir lächelnd einen Blumenkranz. All die Qual dem liebenden Elternblick zu verbergen, der nur Freude in meiner Brust zu finden wähnt – das ist keine geringe Sorge. Schweigen muß ich, auch heißen sie mich nicht reden. Sollte der Vater in strenger Rittersitte ihm vielleicht gar zürnen, wegen der heimlichen Werbung? Dies vermöcht' ich nicht zu ertragen, die Geliebten meines Herzens feindlich gegen einander gestellt zu sehen!

9

Meine heißen Segenswünsche und Gebete, für das Glück Deiner Ehe, umgeben Dich, meine Bertha, und steigen zum Himmel, wo die ewige Segensquelle wohnt.

[46] Ach, es ist gewiß, was unserm Herzen in seinen besten Augenblicken des Glaubens mächtig erscheint, es wird ihm ein Trost vom Himmel wunderbar herabgesandt, wenn die Last des Schmerzens es zu brechen droht.

Dein Bräutigam, findet sich's, ist ein Freund und Waffenbruder Ottomars! Deine Liebe, seine Treue, winden sich gleich einem goldnen Seil der Hoffnung um mein Geschick, eben als so dunkle Wolken es umlagerten. Die stumme, düstre Oede der Trennung von ihm, erhellt ein Lichtfunke. Der Gang meines Geschicks kann ihm bekannt werden, – zu ihm dringen, ohne daß er gering von mir denken müßte. Meinen Schmerz will ich ihm ja verschweigen, daran vergehen, lieber, als ein unziemliches Wort aussprechen.

Laß mich in Frankfurt am Main ein Wort von Dir finden. Morgen reisen wir ab.

[47]

10

Seit ich Dir meine Liebe ausgesprochen, meine Bertha, ists mein süßester Trost, Dir zu schreiben. Mir ists, als wäre ich Ottomar näher, vor Dir, der Einzigen, die mein Lieben und mein Sehnen kennt.

Vergebens umfängt mich die Schönheit der Natur, der mein Herz sonst so offen war, mit ihren sanften Liebesarmen. All ihr Reiz dringt nur als Sehnsucht zu mir. Ich träume ihn an meine Seite, dann lächelt mir der Glanz der Ströme, des Abend- und Frühlichts an den waldigen Gebirgs-Ufern vom Grün der frischen Wiesen. Die hohen Burgen, die friedlichen Dörfer, locken mich an wie trauliche Heimath. Aber der Zauber des schönen Traums zerrinnt, und ich erwache in schauerlicher Einsamkeit, eine düstre nächtliche Hülle bedeckt die lieblichen Bilder.

Die Nacht ist mir labender in einsamen Thränen, und die Gestirne winken mir Ewigkeit [48] und Hoffnung zu – auf Erden wird keine mehr für mich seyn.

Ich höre viel ernsten Gesprächen des Vaters zu, mit Verwandten und Freunden, und unter dem Volke, denn er unterläßt nicht, eines Jeden Meinung anzuhören. Sind die Fremden wieder weg, dann erklärt er mir und der Mutter die Zeichen der Zeit. Wir müssen die Lage der Dinge verstehen lernen, um ihr mit Fassung und Muth zu begegnen, sagt er, alle Verblendung dient nur schwachen Geistern und feigen Herzen.

Finstre, stürmeschwangre Wolken hängen über uns; aufgeregt sind die Gemüther der Menge. O, hätten wir den starken und milden Max noch länger behalten! vielleicht hätte er die Stürme zu beschwören vermocht.

Der fremde Enkel wird fremde Klugheit mitbringen, verwirren, was deutsche Kraft und Geradheit friedlich gelöst hätte. Sein Ritterherz bändigte den Aufruhr, in seinem offnen Auge fand Jeder Gesetz und Ordnung wieder, [49] denn seine Klarheit verhieß Gerechtigkeit und Milde. Nur diese versöhnen die streitenden Elemente.

Veränderungen müssen eintreten, sagen die Besten. Welscher umstrickender Despotismus, von kleiner Eigensucht geleitet, muß abfallen von dem freien deutschen Gemüth. Unheiliges, Irdisches muß getrennt werden vom Heiligen und Himmlischen, in Lehr und Leben. Aber ein ordnender Geist muß walten, und dem irren, wilden Treiben der Menge, in dem jede rohe Persönlichkeit herrscht, muß fester Muth in Recht und Licht entgegen treten. Mit jedem Opfer muß die Ordnung erhalten werden, aber in Klarheit und Freiheit. Ein Freier ist nie ein Bedrücker, nur einer, der sklavisch im Sold, und in der Gunst der Mächtigen steht, will wieder Sklaven unter sich sehen. Die Fürsten der Kirche sollten auch als Deutsche fest in ihren Rechten stehen.

Mein Herz schlägt fürs allgemeine Glück, hoch für die Ehre des Vaterlandes – aber an [50] ein geliebtes Bild sind seine tiefsten und zartesten Regungen gebunden. Möge Er hoch und herrlich stehen vor Allen! Könnt' ich an seiner Seite stehen! alle Gefühle des großen Herzens, in den stärkeren Schlägen des meinen empfinden! Ja, ich fühle den Muth in mir, an seiner Seite zu fechten, den Tod von der edlen Brust abzuhalten, und so zu sterben – wie glücklich, wie seelig!

11

Ich habe die Wogen des herrlichen Stroms begrüßt, an dem Er wohnt, den sein Auge zuerst erblickte, an dessen Ufern Er als Kind gespielt.

Welche Fülle und Kraft der Natur rings um mich her! An seiner Seite, welche Herrlichkeit des Lebens!

[51]

12

Alles ist aus, Bertha! Deine Anna sucht sich nur ein stilles Grab! Bete, daß sie es bald finde!

13

Höre! wie ein von Schmerz zerwühltes Herz, ein zerstückter Sinn erzählen kann, will ichs thun.

Wir blieben über Nacht in einem Städtchen, dicht am Strom gelegen. Das Brausen der Wogen war mir ein süßer Gesang, sie rauschten hin zu ihm! etwas Gemeinsames, so wähnt' ich, war nun wenigstens zwischen uns. Am Morgen bestiegen wir einen Nachen, hinüber zu schiffen zur grauen Veste, wo der Vater Freunde hat. Vom Morgengold glänzten die Wogen und die lachenden Ufer. Der Vater erklärte uns die Gegegnd, nannte uns die Spitzen der Berge, der Burgen, die an der Krümmung [52] des Stroms aufwärts lagen, und versprach uns dahin zu führen. Ich hatte den Muth nicht, nach Ottomars Wohnplatz zu fragen, aber bald zeigte ihn uns der Vater, als einen Lichtfunken im Morgengold, hinter dem düstern Mäusethurm, aus den Gebirgen hervorragend. Wie bebte mein Herz! Wir landeten oberhalb der Stadt, und unsre Rosse trugen uns längs des Stroms hin. Die hohen Thürme lagen vor uns, der ehrwürdige Dom zog mich aus der Masse der Gebäude an, verloren im Anschauen der blühenden Ufer, die sich in der klaren Tiefe spiegelten, von allem Zauber der Gegend befangen, ritten wir still und sinnend, als ein ernstes Glockengetön die Luft durchdrang.

Wir werden noch zur Frühmesse im Dom anlangen, sagte der Vater, und eilte vorwärts; aber es muß ein außerordentliches Fest seyn, denn die Glocken tönen von allen Thürmen. O! hätte ich da schon den dumpfen, geheimnißvollen Klang verstanden, der mir das Schicksal [53] meines Lebens zutönte! Kraft der Entsagung, Lösen von der Erde und all ihrem Glück, hätte vielleicht mein Herz erfüllt. Durch einen Blitzstrahl aus heitrer Luft, sollte es zerschmettert werden.

Wir stiegen ab am Dom, Volksgedräng füllte schon den Platz. Wir folgten dem Vater in die ernsten Hallen, und die hohe Majestät des Baues umfieng uns. Eine gutmüthige alte Weiberstimme flüsterte dem Vater zu: Es ist heut Priesterweihe, dringt hinauf zum Chor, da werdet Ihr noch Platz finden.

Eine finstre Ahnung flog durch meine Seele, doch stellte sich das Schrecklichste nicht klar vor sie, nur wie von einem gespenstermäßigen Grauen ergriffen, folgte ich bebend den Eltern durch die dunkeln Hallen.

Schon stand der Bischof im prächtigen Schmucke mit der Inful am Hochaltar, die Orgel ertönte zum hohen mächtigen Gesang der Menge.

Die Einzuweihenden standen an den Stufen [54] des Altars. Ich wußte den Sinn der Gebete; mit würdigem, herzergreifenden Sinn, sagte sie der Bischof, und ich suchte sie in meinem Meßbüchlein nachzulesen. Zitternd und wie im röthlichen Schimmer leuchtend, schienen mir alle Lettern des Büchleins; die ernsten hohen Worte der Entsagung alles Irdischen ergriffen mein schauderndes Herz. Noch standen wir hinter den Einzuweihenden. Gutmüthige Menschen machten uns Platz, näher dem Hochaltar. Ein heller Sonnenstrahl fiel aus der Kuppel der Kirche ein, umglänzte den Einzuweihenden, der uns zunächst stand – es war Ottomar. –

Mein Herz schlug hoch in die Brust hinauf; der Athem entging mir, eine Eiskälte lähmte alle Bewegung der Glieder. – Noch dacht ich eine Täuschung möglich, aber als ich den Muth faßte, wieder nach ihm hinzuschauen, erkannte ich unläugbar seine hohe edle Gestalt, seine Züge. Das schöne Auge aufgeschlagen gen Himmel, die braunen Locken im Goldglanz um [55] die hohe Stirn – Der Heiligenschein umfing ihn, wie beim ersten Betrachten.

Die Sinne entgiengen mir, alle Bilder der äußern Welt waren wie in Nebel und Nacht gehüllt, aber in meinem Innern war mir's, als trüge mich eine goldne Wolke empor, und als tönten alle Worte, die der Bischof sprach, wie aus einer höhern Welt, aus einer weiten Ferne zu mir herüber. Ich strebte meine Gebete mit ihnen zu vereinen, das Band des Lebens schien mit aufgelöst, der Moment des Erdenseyns ver schwunden, und wie in einer Glorie von Licht und Himmelblau schien ich mir der Erde entrückt, an Ottomars Seite.

So hielt ich mich äußerlich still, bis zum Ende der Ceremonie, doch muß ich einer Sterbenden ähnlich gewesen seyn, denn der Mutter Angstruf entriß mich diesem Zustand.

Labend senkt sich ein Bote des himmlischen Friedens auf das brechende Herz; Bertha, das weiß ich nun gewiß.

Wie ich schwankend, am Arm der Mutter, [56] aus der Kirche gieng, wie mich, als ich seinem Anschaun entrückt war, ein dumpfer, banger Todesschmerz wieder anfiel, und ich nach Zucht und Sitte strebend meine Bewegungen kaum noch beherrschen konnte – wie ich nach Hause kam, das Alles weiß ich nicht.

Als ich aus der Bewußtlosigkeit erwachte, fand ich mich in einem kleinen Zimmer; das liebe, thränenvolle Auge des Vaters, das auf mir ruhte, war das erste, was ich wieder, als einen Eindruck des besonnenen Lebens, betrachten kann. Meine Mutter saß mit verhülltem Angesicht am Fuß des Bettes – eine tödtliche Mattigkeit lag auf meinem Körper – vergebens strebte ich, meinen Lieben ein Zeichen meiner Liebe zu geben, keine Hand konnt' ich rühren.

Ein Priester mit dem Trost der Sterbenden, stand in der Ecke des Zimmers. Mein Vater, konnte ich nur sagen, wo bin ich? Bei mir, mein liebes Kind, bei der guten Mutter, die viel Sorge um dich gehabt hat, sagte er, mit einem Kuß auf meine Stirn. Guter Vater, [57] unser Kind ist uns wiedergeschenkt, sagte er dem Priester, gehen Sie, ein Dankgebet für uns und sie dem Vater alles Lebens darzubringen. Ihr Seegen weihe sie ein zum neugeschenkten Leben. Der Priester sprach ein herzliches Gebet. Ich danke, ehrwürdiger Vater, konnte ich nur mit viel Anstrengung sagen – Ja, meine Tage sollen nur Gott angehören.

Der Vater geleitete den Priester, und die Mutter blieb allein bei mir. Sie umfaßte mich; jetzt stand Ottomar und die Kirche und mein ganzes Leben wieder vor meiner Seele, und ein Thränenstrom fiel in ihren Busen. Sind wir noch in **? liebste Mutter, fragte ich, so laß uns eilend abreisen. Sobald Du es vermagst, liebstes Kind, wollte Gott, wir wären nie hierher gekommen! – Ich ahnete, daß sie alles wisse.

Du warst sehr krank, meine Anna, fuhr sie fort, ein heftiges Fieber befiel Dich, auf das krampfhafte Erstarrung und die größte Mattigkeit [58] folgte – ich verbarg mich aufs Neue an ihrem Busen, und sie sagte: Sey ruhig, Niemand als ich und die treue Kunigunde waren um Dich, Dein Geheimniß ruht in unsern Herzen, selbst der Vater weiß nichts klares. Und Er – Er weiß es doch nicht, Mutter? Nein, nicht vom Wege des Himmels soll ihn meine Schwachheit weglocken. Seegen und Friede sey mit seinen Tagen! Gutes Kind, sagte sie sanft, – und Deinen Frieden hat er zerstört! Es ist nicht recht, Flammen in die reine unschuldige Brust eines zarten Mädchens zu werfen, wenn andre Gelübde und Pflichten fesseln. Aber sein Schmerz hat mich versöhnt. Die Mutter wollte schweigen, meine leidenschaftlichen Fragen entlockten ihr Alles. Ottomar sollte am Tage nach der Einweihung nach Welschland abreisen, als er auch von einem tödtlichen Fieber befallen wurde. Seine Mutter weinte an seinem Krankenbette, wie ich an dem Deinen, fuhr die Gute mit milderem Ton fort; ein gemeinsames Leiden verband uns. Seit sieben Tagen verzweifelte [59] man an seinem Leben, seit heute beginnt man zu hoffen.

Vater alles Lebens, schenke ihm Leben! rief ich, und fühlte den Trost der Erhörung. Bertha, so war es doch ein Schlag, der unsre Herzen traf! Verstehst Du es, ist es möglich, mich selbst zu verstehen in der Verworrenheit meiner Gefühle? Er, für dessen Leben ich das meine tausendfach hingegeben, ich denke seiner Krankheit, seiner Gefahr – ohne Schmerz. Es ist, als wäre etwas Milderes in meine Seele gekommen, als wäre ich wieder vereinter mit ihm, da wir beide an der Schwelle des Todes gestanden. Kunigunde hat mir heimlich Schreibezeug verschafft, Dir alles dieses mitzutheilen, liebste Bertha.

Ich soll still seyn, mich vollkommen ruhig halten; aber ich werde mir nur klarer, und mein Herz fester, indem es sich gegen Dich ausspricht. Dürft' ich ihm schreiben, es würde mir, glaube ich, leichter werden.

[60]

14

Kunigunde hat mir manches erzählt, was die gute Mutter schonend verbergen wollte. Wie verwirrt dieses Schonen und Umhüllen der Liebe oft den Lebensweg nur düstrer! Zertreten müssen die Dornen dennoch werden, die die Liebe mit Rosen zu bedecken wähnte.

Es ist eine gewisse Oeffentlichkeit in das Verhältniß gekommen, durch den Antheil unsrer Freunde, die mein Vater zuerst sehr starr und feindselig aufnahm. Die Sorge der Familie Ottomars, um das Leben des Sohns, besänftigte sein Herz, an das die Stimme des Unglücks nie unvernommen dringt.

Der Bischof von ..., eine Jugendbekanntschaft des Vaters, stand mildernd zwischen diesen Verhältnissen. Es ist Ottomars Oheim, und dieser war sein Liebling von Kindheit an, auf den all seine Hoffnungen und Plane sich vereinigten. Kunigunde hörte den Bischof und den Vater heftig gegen einander reden, aber [61] sie schieden versöhnt, und drückten sich die Hand mit nassen Augen. Seitdem war ein Wechsel von Antheil und Nachfragen zwischen unsern Häusern.

Mein Sinn ist von der Welt so abgelöst, daß mir ihre Meinung nur ein körperloser Hauch der Luft dünkt. Solch tiefer Schmerz heilt von kleinen Sorgen. Warum sollte ichs läugnen, warum mich schämen, das Höchste und Trefflichste geliebt zu haben – ich will ja nichts als lieben – ich liebe ja ohne Hoffnung!

Bin ich weniger gut, Bertha, daß diese zarte Scheu der Menschen, deren Uebermaß Du sonst oft an mir tadeltest, von mir wich? Nein, meine Liebe, im ernsten Angesicht des Todes tritt so manches aus dem Leben als ein bleicher Schatten vor uns zurück; nur das, was in die Ewigkeit reicht, bleibt. Nur Er, Er soll die Macht meiner Liebe, meines Schmerzes nicht kennen, der auch auf sein Herz fallen würde.

So eben empfange ich Deinen Brief. Wäre [62] er mir früher zugekommen, wie du es geglaubt, manches wäre anders geworden, vielleicht nicht besser.

Auch über die kleinsten Zufälligkeiten waltet eine liebende Vaterhand aus den Wolken. Da das Unglückliche geschehen mußte, regte es vielleicht eine tiefere Kraft in meinem Gemüth auf, es mit meinen Augen zu sehen, an der Pforte des Todes Muth zum Ertragen zu schöpfen.

15. Ottomar von Rheinfeld an Walther von Strahlen

Ja, in der tiefsten Noth erscheint uns armen Sterblichen ein guter Geist.

Lieber Walther! Deine Braut eine Freundin meiner Anna – Meiner Anna! Bald werde ich das nicht mehr aussprechen dürfen, und dennoch wird es ewig wahr bleiben. Ein Lichtstrahl [63] der Verbindung mit ihr, der vieles erhellen, mildern kann, was das Schicksal so grausend und düster gestaltet hat, geht mir in der Freundes-Treue auf. Du kennst meine Liebe, wie ihr süßes Bild mir gegenwärtig war, in jedem Moment meines Lebens, seit ihrem ersten Anblick. Männlicher wär' es gewesen gegen Sie zu schweigen. Eine finstre Ahnung, daß diese Liebe dem Unglück geweiht sey, griff düster in die seeligen Augenblicke des ersten Findens. Verloren an Ehre und Zartheit ist der Mann, der Liebe und Hoffnung in dem reinen weichen Mädchenherzen anfacht, ohne daß der Schwur ewiger Treue am Altar folgt. Ich kann nicht ganz befreiten Herzens seyn, Walther, ich strebte sie meinem ungewissen Geschicke zu verbinden. – Nein, ich hätte das nicht gesollt! Unseliger Zwiespalt ist in mir! Mein höchstes Glück, die Hoffnung, und die Furcht ihren Frieden zu stören, kämpfen in meiner Brust, wie Geister des Himmels und der Hölle. Sie hatte mich nicht verstoßen, so viel gesagt, als eine Jungfrau [64] edler Sitte sagen konnte – mit einem leisen halb unterdrückten Seufzer verließ sie mich. Ja, Walther, nur gegen Dich, da Du der Arzt unsrer Schmerzen seyn kannst, spreche ich es aus, sie liebt mich! Bewahre dies heilige Geheimniß in der verschwiegenen Brust.

Als ich Hoffnung gegen sie auszusprechen wagte, war ich fest entschlossen, mich dem Gelübde der frommen Mutter zu entziehen; wild und verwachsen lag mein vergangner Lebensweg hinter mir, von einer neuen Sonne umstrahlt, glänzte mich die Zukunft an. Alle Träume des Ehrgeitzes eines mächtigen Wirkens in die Nach- und Mitwelt, schwiegen. Das süße Bild meiner Anna stand als ein holder Lebensengel vor mir, und gleich als aus einer Todtengruft hauchten mich ehemalige Ansichten und Entwürfe mit erstarrender Kälte an. Als Besitzer unsrer Güter, wie es dem ältesten Sohn gebührt, dacht' ich mir ein würdiges Leben – ein seliges – an ihrer Seite!

Die fromme Mutter, hoffte ich, mit meiner [65] Liebe so zu begeistern, daß sie freiwillig mich meines Versprechens entbände. Die hochaufgethürmten Plane des Oheims dünkten mir kindische Kartenhäuser, gegen die heilige Wahrheit des Lebens der Liebe, das mich ergriffen hatte.

Ich kehrte zurück, und fand den Vater auf schmerzlichem Krankenlager, doch ließen die Aerzte Genesung hoffen.

Allgemach wollte ich die Meinen vorbereiten auf die neue Wendung meines Geschicks; ihr Leiden hemmte den Entschluß, in einer festen offnen Erklärung alles mit einemmal abzubrechen. Immer bleibts eine fürchterliche Lage, das Geheimniß fremder Schmerzen im Busen zu tragen, eignen geht man mit voreilendem Muth entgegen. Wie gern erspart man seinen Geliebten eine ungewünschte Gewißheit! Tage und Monden giengen also hin. Der kluge feinsinnige Oheim hätte mein Innres errathen – er war abwesend. Die Mutter warf oft fragende Blicke auf mich, eine Veränderung in [66] meinem ganzen Wesen war ihr nicht entgangen. Manche Richtung meiner Thätigkeit, das Schweigen über meine Zukunft ängstigte sie, eine ungünstige Wendung ihrer Wünsche ankündigend.

In den letzten Monden wurde der Krankheitszustand des Vaters tödtlich, er selbst erwartete sein nahes Ende, die Aerzte widersprachen seinen Ahnungen nicht mehr.

Wir wachten an seinem Lager. Bei einem heftigen Anfall seines Uebels, der den Tod drohte, sank die Mutter in Verzweiflung auf die Knie.

Gott hört mich nicht mehr, da er mich als eine Meineidige von sich stoßen muß! sagte sie, mit einem herzzerschneidenden Blick auf mich.

Als der Vater vom heftigen Schmerz für Augen blicke befreit, wieder Sprache gewonnen, faßte er meine Hand mit den Worten: Ottomar, ich vergebe Dir! Du willst Deinen eignen Weg gehen. Mein Herz war umstrickt vom bittersten Schmerz, ich sank schweigend an sein Lager. Es ist nicht gut, das muß ich hinzufügen, fuhr [67] er fort, mit matter sterbender Stimme, von dem einmal begonnenen Lebenspfad zu weichen, die guten Geister der Jugend fliehen von uns. Mögst Du es nie bereuen, den Weg des Himmels für Irdisches aufgegeben zu haben! Mein guter sanfter Bruder stand neben mir: Theurer Vater! lassen Sie an Ottomars Stelle mich der Kirche weihen! rief er. Gott läßt nicht mit sich spielen, erwiederte der Vater. Ueber dem sterbenden Kinde that die Mutter das Gelübde, und es wurde gerettet. Nicht für Dich that sie es.

Der seit wenigen Tagen zurückgekehrte Oheim trat herein mit dem Römischen Legaten, sie hatten die letzten Worte vom Krankenlager vernommen. Mit allen Künsten der Ueberredung, mit Vorspiegelung der Verdienste, die ich nicht besitze, die mich zu den glänzendsten Würden ohnfehlbar führen müßten, umstellte er mich. Gerade seine Absicht stählte meinen Entschluß.

Irdische Gründe können da nicht wirken, [68] wo es um ewiges Heil gilt, Herr Legat, sagte ich. Glauben Sie, daß eine Vaterthräne mehr vermag als alle Ueberredungskunst.

Ich verließ das Zimmer, der Oheim folgte mir in den Garten.

Ottomar, es ist eine Veränderung mit Dir vorgegangen, sagte der kluge und milde Greis. Nicht das Hoflager des Kaisers, voll Ehre und Würden, nicht der Glanz der Welt konnten Dein Herz umstricken, es ist etwas Andres, ganz Andres. –

Ja, mein Oheim, sagte ich, und befreite mein Herz von allen Banden, ja es ist etwas Andres – ich weiß was Glück und Leben heißt; ein ewiger Traum davon, ein ewiges Sehnen darnach, wird meine Seele füllen! – Ewig! sagte der Oheim mit sanftem Lächeln – zu leicht sprechen wir das große ernste Wort aus. So nennt jeder Verliebte die flüchtige Wallung seines Herzens. Ottomar, wenn wir endliche schwache Wesen etwas ewig nennen dürfen, so fürchte ich, weit eher wird der Vorwurf, den [69] Willen des sterbenden Vaters nicht erfüllt zu haben, diese Benennung im Lauf Deiner Tage verdienen. Zwischen uns und den Todten ist kein Band der Sühne, alles ist abgeschnitten, und steht in kalter Versteinerung vor uns, um mit kalter Hand die Lust und Freude des Lebens zu zerreißen. Guter Junge, auch ich fühlte die Macht der Jugendliebe, glühend steht sie noch vor mir, eben weil sie nicht in der Flachheit des Gewöhnlichen unterging. Bindet ein Versprechen Deine Ehre? Ich mußte Nein antworten, aber die feindselige Gewalt, die von allen Seiten dem Glück meines Herzens entgegen trat, empörte mein Innres. Erlaubt mir, mit mir selbst mich zu berathen, als ein Mann, der die Folgen eines freien Entschlusses zu tragen hat, sagte ich kalt und wollte mich entfernen.

Ob ich mein Glück opfern will, ist keine Frage, aber es gilt um meine Ueberzeugung.

Er sah mich an mit dem Blicke, dem ich von Kindheit an nicht widerstand, der den wilden unruhigen Knaben zum stillen Fleiß, zur [70] Ordnung bändigte, und in dessen Klarheit ich alles Große und Hohe des Lebens in die Brust aufnahm. Es ist, als zöge er mich in sich hinüber. Das schmerzliche Lächeln, das mit allem in der Welt fertig zu seyn scheint, als mit dem Antheil an dem Spielzeug seines Alters, und die gedankenschwere Stirn, auf der ein ganzes Leben lag, bannten mich in seinen Kreis.

»Ottomar, verstehe Dich selbst. Gib dem Sterbenden die Hoffnung, daß Du Dich mit ruhiger Besonnenheit prüfen willst. Du bist zur Herrschaft der Geister geboren, gebildet. Nur das kann Dein Daseyn füllen, nicht weiche Zärtlichkeit, nicht das Lächeln eines Weibes.«

O lieber Oheim, rief ich, hättet Ihr das Auge der Unschuld und Himmelsklarheit gesehen, das mich fesselte, das alles Hohe und Heilige der Erde und des Himmels verspricht! Traurige Herrschaft ohne das Lichtseil der Liebe! Despoten, Sklaven, Wahrheit und Freiheit nur, sind die ächten Götter des Lebens, sind sie nicht [71] auch die Grundsäulen unsres recht verstandenen Glaubens? Fern sey von mir jenes gewaltsame Eingreifen in das Innre der Menschen. Nur Liebe kann sie führen an den stillen ewigen Quell der Natur, wo das Irrdische sich vergeistigt.

Unfruchtbare Opfer von Menschenwahn gebracht, verschmäht der Himmel, verachtet als Heuchelei und Wahnsinn die bessere Menschheit. Wenigen ist die selige Einfalt des Sinnes gegeben, wie die Kinder einzugehen zum himmlischen Reich. An ihrer Seite wurde ich, war ich wie ein Kind, glücklich hoffend, einträchtig mit mir selbst, mich an jeder Blume erfreuend. Sie kann mich zum Himmel leiten, er wohnt in der klaren Seele.

Ich habe in Welschland viele Weiber gekannt, Gluth und Leben bei ihnen empfunden, aber bei ihr ergriff mich ein nie gekanntes Gefühl. Ihr ganzes Wesen und Leben hat das meine aufgenommen; sie ist gleich einem Laut ewiger Himmelharmonie in der Oede der Erde.

Lieber Junge, sagte der gerührte Greis, [72] meine Hand auf sein Herz legend, so tönte und arbeitete es auch hier vor vierzig Jahren. Immer gedenk' ich dessen gern. Es sind schöne Blüthen, die sich vom Himmel herabsenken, aber keine Wurzel in der Erde fassen. Hätte Petrarch seine Laura so geliebt, so besungen, wäre sie ihm zur alltäglichen Hausfrau geworden? Doch vergebens wälzen wir das Rad unsrer durchlaufenen Zeit vor den Pfad der Jugend – Jeder will seine eigne Bahn durchlaufen!

Ein Diener rief uns ins Krankenzimmer. Der Vater hatte aufs neue einen heftigen Anfall. Er lag im Krampf des Schmerzes in meinem Arm. – Alles hätte ich gegeben, geopfert, das geliebte Leben zu retten.

Sein sanftes Auge suchte das meine.

Mein Widerspruch lag vielleicht noch als schwere Last auf dem brechenden Herzen im Tode. Ich beschloß ernstes Erwägen, ahnete, daß ich das Opfer bringen würde – und sie selbst stand als eine Heilige vor meinem innern Sinn, die mir Beifall zuwinkte.

[73] Dieser Anfall ging noch vorüber, aber alle Lebenshoffnung war verschwunden.

Wie soll ich Dir, schmerzlich wie ich es empfand, auseinander wickeln, wie jede Faser meines Herzens nach und nach verwundet, zerrissen wurde, und mich von meinem Glück trennte?

Besiegen soll die Gewalt der Dinge keinen Mann, aber zerreißen, ermüden, so daß er sich selbst nicht mehr erkennt, kann sie einen Jeden.

In der ernsten Sterbestunde gelobte ich dem Vater, das Gelübde der Mutter zu vollziehen. – – Nun ist Alles aus.

Beschwöre Deine Braut bei Deiner Liebe, meiner ewig geliebten Anna zu sagen, wie Alles gekommen ist, so wie es am besten für sie, für mich seyn wird. Wie sie sich einen unermeßlich Elenden, aber keinen schwachen Verräther in mir zu denken habe. Klein von mir zu denken, würde der edlen Seele kein Trost seyn und mich vernichten. Ein Band stiller Trauer feßle sie an mein Andenken. Sie erfahre es, [74] wie ich dankbar die Himmelsgüte verehre, mit der sie meine Bitte erfüllt – daß ich sie ewig liebe, auch da ich um Gegenliebe nicht bitten darf.

Lebe wohl, Freund, und schreibe mir über sie – ganze Folianten werden mir willkommen seyn.

Sie war das schöne Buch der Natur für mich, das mir das Geheimniß des Lebens erschloß. Ja, es gibt ein Glück, eine Würde des menschlichen Daseyns, von dem ich nie geträumt, ehe sie mir erschien – nach dem die glühende Sehnsucht in mir nicht erlöschen wird.


Bertha's zart schonende Freundschaft hatte aus diesem Brief mitgetheilt, was dem wunden Herz wohlthätig seyn konnte. Ottomars Liebe, sein Kampf, aller Schmerz seines Entsagens, das tiefste Leiden eines liebenden Herzens, den Gegenstand seiner Liebe in der Vorstellung seines Werthes gestört zu sehen, traf unsre Anna nicht.

[75] Ihre Seele hatte kein täuschendes Wolkenbild umfaßt. Als ein Opfer der Tugend und Pflicht stand Ottomar vor ihr. Nur im Entschluß, sich seinem Andenken auf immer zu weihen, fand sie Beruhigung, wie folgendes Schreiben an ihre Freundin es ausspricht.

16

Ich komme von dem Ort, wo ich mein Leben zu beschließen gedenke, meine treue Bertha, In einer Bergschlucht, die bis zum Rheinstrom hinabführt, liegt zwischen Waldgebirgen ein grünes Thal, von einem schnellrinnenden klaren Bache durchwässert.

An der einen Seite des Gebirgs steht das Klostergebäude ernst doch nicht unfreundlich, wo fromme Frauen in Abgeschiedenheit von der Welt, nur Gott und der Wohlthätigkeit geweihte Tage hinbringen. Die Aebtissin ist eine edle Frau, die im großen Kreise eines glänzenden [76] Weltlebens ihre Jugend verlebte, und nun hier auch die Stille suchte und fand. Krankheit und Seelenleiden hat ihre blühende Schönheit vor der Annäherung des Alters zerstört, ihr seelenvoller Blick spricht an das Herz, und verheißt ihm das Verstehen seiner geheimen Leiden. Die natürliche Richtung ihres Auges gegen den Himmel, sagt, daß sie dort Antwort des unendlichen Liebegefühls fand, die ihr die Erde versagte. Mir wird besser bei ihr werden.

17

Ich täuschte mich nicht, Bertha, diese Frau versteht es die Leiden des Herzens zu pflegen – wäre es möglich – zu heilen.

Bei einem Besuch mit der Mutter, folgte ich ihr allein in den kleinen Klostergarten, und sank in ihre Arme, und sprach aus tiefer Seele:

Nehmen Sie mich auf, ehrwürdige Mutter, in das Heiligthum der Stille, das Sie [77] umgibt. Alles treibt mich aus dem Leben hinaus. Ein schwaches Herz kann ich jetzt nur dem Himmel weihen. Gebet, Ihr Beispiel der Gottergebenheit, werden mich stärken. Sie war verwundert, gerührt.

»Mein Kind, solch ein Entschluß fordert ein ernstes Nachdenken. Du, die einzige Tochter zärtlicher Eltern, eine reiche Erbin, bei so vielen Reitzen zum Leben, woher der Wunsch ihm zu entsagen?«

Ich erröthete, konnte nicht sprechen, aber sie fühlte, was in mir vorgieng. Eine Thräne rollte in ihrem großen schwarzen Auge. Die Liebe hat auch Dein junges Herz gebrochen, sagte sie, die Hand sanft auf meinen Arm legend, sie nur vermochte, eine solche Blüthe zu zerknicken. Versprich mir keinen raschen Schritt zu thun. Manches Heilmittel bietet Dir noch vielleicht das Leben, die Liebe der Deinen dar. Die Jugend sieht nur das Ziel, wähnt schnell am Ende der Laufbahn zu stehen – langsam geht der Weg durch die einsamen Tage, der dahin [78] führt. Keine Reue soll an Deiner Seele nagen. Ich werde Deine Freundin seyn, Deine Stütze, wenn Dein Entschluß geprüft ist. Für jetzt schone die Deinen, versuche das Leben zu ertragen, Thaten der Liebe, Ueben in Geduld und Stille, führen uns überall zum Himmel. Ich schwieg aus Ehrfurcht für sie, meine Ueberzeugung steht fest.

Dir Bertha muß ichs sagen. Auf einem langen Gang vor den Zellen der Nonnen ist ein Fenster, aus dem die Aussicht weit hinab ins Rheinthal reicht. Die grauen Thürme, wo er wohnt, wo er entsagte, ragen aus den grünen Hügeln hervor; der Anblick wird mich stärken, mein Leben erhalten. Jedes Morgenlicht wird sie für mich umglänzen, in jedem milden Abendschein wird ihn meine Seele grüßen – ich bin dahin wie gebannt, wie gezaubert.

Ich hoffe die Eltern zu bewegen, meinen Entschluß ohne bittern Schmerz zu billigen – zu segnen, wenn sie die Ruhe in die kämpfende, zerrissene Brust ihres Kindes wiederkehren sehen.

[79] Auf der Rückfahrt suchte ich die Mutter vorzubereiten. Welch ein Trost wäre es mir, solch ein Leben wie Deine Muhme zu führen, gute Mutter! sagt ich – da wohnt, was das Herz Deines Kindes bedarf; der Friede von oben ist das Einzige, was mir Heil bringen kann.

Still, mein Kind, erwiederte sie, laß den Vater diesen Wunsch nicht merken. Deutet dieses nicht, daß sie selbst das innere Bedürfniß meines Herzens versteht? und der Vater, gehört er nicht dem Vaterland, einem größern reichern Leben an, als dem, was ihm aus dem matten Herzen seines armen Kindes erblühen kann?

18

Welche Stürme habe ich überstanden, welchen Lockungen mein Gemüth verschlossen! Ottomars Oheim, der Bischof, besuchte uns auf dem Landhause ohnweit der Stadt, wo wir seit einigen [80] Wochen wohnen. Zitternd nahte ich mich ihm. Er war ja auch unter denen, die Ottomar von mir rissen, aber er war der Führer seiner Jugend, umfing ihn mit inniger Liebe, das mußte mich versöhnen. Seine würdige Gestalt, das klare geistvolle Auge, erweckte ein sonderbares Vertrauen in mir. Er hat eine Aehnlichkeit mit Ottomar, und ich sagte mir, so wird auch er im Alter aussehen!

Der Ton seiner Stimme dringt sanft ins Gemüth, er ist rein und verkündet Wohlwollen, wie die Natur vom milden Licht umflossen, im Hauche des Abendwindes am Maitag.

Er zog mich ins Fenster, und gab mir einen Brief Ottomars. Nun schien er mir fürwahr ein Bote des Himmels. »Wundert Euch nicht, holdes Fräulein, daß Ihr diese Zeilen aus meiner Hand empfangt. Nicht ungefühlig ist mein Herz den Schmerzen des Lebens, die die Nothwendigkeit zu ertragen gebietet. Gern suche ich sie zu mildern. Die Liebe meines Neffen ist nicht die der gemeinen [81] Art, die sich durch Entfernung und Abgeschlossenheit wie ein Eindruck der Sinne vermindert. Nein, sie ist von der höhern und reinern Natur, die sich zu läutern vermag als ein Ausspruch des bessern Wesens, und endlich zu einem Lichtblick in die Ewigkeit wird. Antwortet ihm aus Eurem zarten Herzen, allein frei, nur vor dem Auge der ewigen Wahrheit redend – es wird Ottomar trösten!«

Als er hinweg war, las ich folgende Zeilen, die ich Dir, meine Bertha, in Abschrift sende – das Original, seine Schriftzüge ruhen an meinem Herz, durchdringen sein innigstes Leben.

19. Ottomar an Anna

Muß denn das kalte Schweigen des Todes gerade gegen die das Herz fesseln, wo es in der reinsten heiligsten Gluth einst reden durfte?

Nur vom Glücke dieses Gefühls bin ich [82] fürs Erdenleben getrennt, aber ewig ist seine Dauer.

Nicht mehr als die Göttin meines Lebens sollst Du, holde Anna, vor mir stehen. Nicht mehr um Dein Bild in mir, ranken sich alle Blüthen des Glücks, alle Gedanken, alle Träume, alle Thaten, alle Wünsche. Im heiligen Augenblick, der mich dem Uebersinnlichen weihte, im Gelübde der Entsagung des schönsten Erdenglücks an Deiner Hand, in Deinem Herzen, mußte ich alle Wünsche beschwichtigen. Aber geheiligt ward eine Liebe, die über dieses Daseyn hinausgeht – Nimmer kann, noch soll ich dieser entsagen.

Die Liebe Deiner Seele, des himmlischreinen Gemüths, das mich mit seinem Himmelsglanz durchstrebte, zu einem neuen Leben umgoß, diese wird mich selbst würdiger machen, das Göttliche auf Erden zu verwalten. Allen Schmerz der Sehnsucht bringe ich zum Opfer dar, das der Ewige segnen wird.

Als mir die Sinne beinah entgingen, der [83] Tod mein Herz durchzuckte, im Gefühl der Trennung von Dir am Altar – da schwebtest Du mir als ein Engel des Friedens vor, der mich über die Kluft des Erdenlebens hinüber trug, und drüben als Lichtglanz mit ewiger Liebe umfing, am Throne dessen, der in Licht und Liebe ewig wirkt und waltet.

Mein Auge fiel auf Dich, als ich nach abgelegtem Gelübde mich wieder ins Leben wendete; Du warst das erste, was ich erblickte. Gott! und wie? Du wanktest in Todtenblässe am Arm Deiner Mutter aus der Kirche. Da ergriff mich der unaussprechliche zerreißende Schmerz, der die Banden des Lebens zu zerstören begann. Bleich waren die holden Wangen, die frische Rosen umblühten, gesenkt das Auge, das Freud und Leben um sich sprühte! Ach, ich darf Dirs sagen, denn nur in der Wahrheit, die reinen Geistern gebührt, müssen wir uns fortan begegnen; selbst alle Hüllen zärterer Gefühle, in denen glückliche Liebe wie in ihrem eignen Element ihre Blüthengestalten [84] webt, müssen weichen. Dem Unglück wie der Ewigkeit gebührt nur schleierlose Wahrheit. Ja, ich darfs Dir sagen, ich sah Dich liebend und leidend, und fühlte den Dolch, den ich Unseliger in Deine zarte Brust gestoßen, tausendfach in der meinen wühlen.

Ohne mich, ohne die unselige Schwachheit, in der ich Ihr in zweifelnder Lage meine Liebe aussprechen durfte, ginge Sie wie die Göttin der Jugend unter ihren Gespielen einher, und nun fällt ihr gesenkter Blick auf den Kummer ihres Herzens hernieder, hält mich für einen Schwachen, einen Falschen.

Eine tödtliche Krankheit raubte mir bald die Besinnung. Der Pfeil des Todes war abgedrückt auf unsre Herzen. Dich sah ich Jenseits in meinen Fieberträumen, rief Dich an als eine Heilige. In den bewußtvollen Augenblicken jener Tage freute ich mich, daß die Gluth des Lebens in meiner Brust erlosch, daß die Kraft der Jugend aus Nerven und Adern schwand, und daß kein Eid mehr zwischen den [85] Gedanken und dem Sehnen nach Dir, das kalte Herz im Grabe fesseln würde. Du würdest über dem Grabe dessen weinen, den Du im Leben verstoßen mußtest. Süße Gedanken! Quell des reichsten Trostes! er hielt mich ab von den Gränzen des Wahnsinns.

Ich sollte die Luft der Erde noch ferner athmen. Als ein Genesender gehe ich auf dem grünen Teppich der Wiesen, unter den Blumen des Gartens einher. Die Freundlichkeit der Natur eröfnet mein erkaltetes Herz nicht. Das heilige Licht umleuchtet uns, der silberne Strahl des Mondes umschimmert noch unsre irdischen Gestalten wie damals – damals, als ich im Gefühl des Neigen Deines Herzens zu dem meinen, unüberschwengliche Seligkeit im Busen trug.

Bin ich noch dasselbe Wesen? frage ich mich oft schaudernd, und lege die Hand an das zitternde Herz, das die Hand des Todes kaum los ließ.

Als ein Schatten komme ich mir vor, den [86] nichts mehr angeht, der spurlos über die Erde hinschwebt.

Dann stehst Du als ein seliger Geist vor mir, der mir neues Leben gibt.

Ja, ich darf Dich lieben – der Geist ist über die Gebrechen und Leiden sinnlicher Natur erhoben – alle Wünsche schweigen.

Warum solltest Du mir nicht das Theuerste aller Wesen bleiben? das ich umgebe mit liebender Sorge, für das ich zuerst den ewigen Segen des Himmels am Altar erflehe, dessen ich immer rührend gedenke, dem ich gefallen will in allen Thaten der Liebe, mit denen es der Vorsehung gefallen kann, meine Schmerzenstage zu versüßen? In allen Thaten des Muthes für Ehre und Recht, wirst Du Dich erfreuen, daß Dein Herz für keinen ganz Unwürdigen schlug. Verdammen kann der, der die ewige Wahrheit ist, diesen Zug meines Herzens nicht. Die Großen und Weisesten unter den Alten sahen die Liebe an, als die Bildnerin[87] zur Tugend, als den belebenden Hauch der Gottheit in der menschlichen Brust.

Hoher Plato, Vorläufer der göttlichen Lehre unsres Herrn, sagst Du nicht, daß in der Liebe die Flügel der Psyche wachsen, um sich zum Himmel zu schwingen? Kannte nicht selbst der Welterlöser zarte Bande der Liebe und Freundschaft, beweinte er nicht die Leiden der Seinen?

Nein, meine Beste, nur starrer Menschenwahn oder klügelnder Verstand, der es rathsam fand, gemeine Naturen in strenge Bande zu schmieden, deren edlere nicht bedürfen, konnten eine heilige zarte Liebe verdammen. Nur das irdische Glück liegt in Fesseln für uns. Ach es war ein schönes Gewölk, auch vom Strahl des Himmels angeglänzt! aber den ewig blauen reinen Aether des Geistes kann nichts trüben, immer steht er rein über allen Wolkenbildern, die Erdenluft erzeugt.

Daß du mir das beste liebenswürdigste Wesen bist, welche Macht kann mir dieses Gefühl entreißen? Das Herz, das sich blutend von Dir [88] riß, im Schmerz, der all seine Adern zerriß, wird sinniger und fühlbarer gegen die ganze Natur werden, inniger und zärter werde ich jedes Leiden verstehen. Im letzten Seufzer des Sterbenden, der unter der Bürde des Lebens verschmachtet, werde ich den Trost des Glaubens an eine ewige Liebe kräftiger aussprechen. Der verlassene, zweifelnde Einsame wird einen wärmern Freund an mir finden. Welches Opfer kann mir zu schwer seyn nach dem, das ich dargebracht habe? In Gott, im Gefühl der Schönheit, im Ueben der Tugend, laß unsre Herzen eins bleiben, meine Geliebte, Engel des Himmels, meine Anna!

Ich wage nicht Deinen Lebensweg zu bezeichnen, noch mir ihn klar zu denken. Mögest Du den erwählen, der Dich am leichtesten über den Schmerz erhebt, den ich Unglücklicher als ein feindseliger Dämon in die Harmonie Deines Lebens warf. Sind Deine Tage heiter, so werde ich die Bürde meiner Erdentage ertragen.

[89] O dürft' ich bitten, laß sie voll meines Andenkens seyn! ich darf es nicht, alle Eigensucht sey mir fern.

Aber wenn Du mein gedenkst, so sey es verzeihend, duldend, schonend, wie es Deine himmlische Natur Dich lehrt.

Mein edler und weiser Oheim, der Dir diese Zeilen übergeben wird, will mich mit der Zeit trösten; sie kann, sie soll mich nicht trösten, denn außer ihrem Gesetz ist, was ich verloren. Als ein Forscher der Herzen und ihrer Gefühle billigt er, daß ich nicht schweige, sagt, daß offne Rede dem Menschen gegeben sey, die verschwiegenen Leiden, allen Irrthum seiner Natur zu erhellen. Möchtest Du ihn Deines Vertrauens werth finden!

Ruhig und klar steht er in der Welt, legt das Maaß seines Verstandes an ihre Gestalten, achtet keine gering, und versucht immer, sie an ihren rechten Platz zu stellen. Die Tiefen des Herzens ermißt er dennoch nicht.

[90] Er hat diese Zeilen nicht gesehen, kein menschliches Auge hat sie gesehen.

Würdigt mich meine Anna eines Wortes, so wird es auch nur in und an meinem Herzen ruhen.

Keinen Richter, als das Auge des Ewigen, erkenne ich über meiner Liebe. Diese innre Freiheit kann mir kein Eid rauben. Meine Thaten gehören der Kirche, ich hoffe ihr kein unwürdiges Mitglied zu werden, eben da ich die Freiheit im Göttlichen in mir trage. Auf die Demuth, die der Welterlöser predigte, führen mich Schwachheit und Mängel in mir, immerwährend zurück.

Er führe uns zu dem Frieden, den ich noch nicht begreife – vom Himmel wird er kommen, das sagt er ja selbst, daß er höher als alle Vernunft sey! Das liebste Kind des Himmels, meine Anna, ruhe sanft unendlicher Liebe im Schoos!

[91]

20. Anna an Ottomar

Offen und frei wie ein Herz, das dem Leben dieser Erde und ihrem Schein nicht mehr angehört, schreibe ich meinem Ottomar. Er ist mein für die Ewigkeit, deshalb ist jedes Wort für ihn nur Ausspruch der unsterblichen Seele, die in mir wohnt. Gott selbst hat unsre Liebe auf Erden getrennt, es war ernste Pflicht, der Weg des Rechten und Guten, der ihn mir entriß. Wie könnte deshalb Tadel und Vorwurf in meine Seele kommen?

Ich habe das reinste Glück eines weiblichen Herzens kennen lernen, die höchste Würde der Menschheit in einem edlen Mann zu verehren, und das tiefe Verlangen meines Wesens, sich dem Trefflichsten zu vereinen. So müßte sichs die Sonne vorwerfen, die dunkle Erde zu erleuchten. Das Gefühl des Herrlichsten hat mich gereinigt, geläutert, der Erde entzogen, um nun ganz dem Ewigen anzugehören. Tausenden,[92] Ottomar, gehört jetzt die Liebeskraft Deines edlen Herzens an, die eines armen beschränkten Wesens Seligkeit gemacht hätte.

Reiner und schöner zu werden durch Dein Bild, ist jetzt das Streben meines Erdenlebens – das soll mich einst Dir zuführen.

Daß es mir erlaubt ist zu sagen, wie ich liebte, wie Alles und Alles ich in dieser Liebe fand, welch eine schauerliche Einöde mich in einer Welt, ohne Dich, umfängt, das ist ja schon ein Glück zu nennen!

Der Himmel zürnt mir nicht, denn aus seinem reinen Blau strahlt mir das hohe Bild entgegen – Die Engel und Heiligen zürnen nicht, nicht die heilige Jungfrau, denn wenn ich an ihrem Altar kniee, steht es vor mir.

Da das äußre Leben einmal gelebt seyn muß, da Du es ruhig wünschest, so vernimm meinen Plan. Süß ists mir, Dich als den Herrn meines Geschickes anzusehen, zu dem Gott und Natur Dich bestimmt hat. Das lehrte [93] mich die erste Stunde, die ich neben Dir verlebte.

Bei den frommen Frauen in Tiefenthal wünsch' ich zu leben, zu sterben, und hoffe die Genehmigung der Eltern dazu zu erhalten. Gott werde ich mich in der Abgeschiedenheit von der Welt weihen, in Thaten der Barmherzigkeit und Liebe, und in stiller Betrachtung.

Ich sehe von dort aus die Spitzen der Thürme, wo Deine Gebete zum Himmel steigen, wo Deine Lippen den Trost des Glaubens verkünden, die Herzen der Menschen beleben mit Liebe und Hoffnung. Auch Du kannst von den Anhöhen des Stroms herüber schauen nach den Mauern, die mich einschließen. Ich werde den Gruß des Geistes vernehmen im sanften Abendhauch, eine Gemeinschaft in Licht und Luft wird wenigstens unter uns seyn!

Als Priester mußt Du meinen Entschluß unterstützen, mich durch Ermunterung und Lehre trösten, leiten.

Ja, ich muß den Weg zum Himmel gehen, [94] den Deine Seele mir andeutet. Ein gemeinsames Grab kann einst unsre Asche umfassen – den Trost wird der Himmel nicht verwerfen und die Erde uns gönnen.

21

Mein Herz ist gestärkt, meine Bertha, seit es sich gegen den Geliebten ausgesprochen. Der dunkle einförmige Grund der Sehnsucht ist gebrochen – so erhellt die wetterleuchtende Wolke die dunkle Nacht.

Wenige Tage, nachdem Ottomar meinen Brief durch den Bischof erhalten, kam dieser mit einer Antwort an mich zurück, in Begleitung seines jüngern Neffen, eines liebenswürdigen Jünglings, dessen Aehnlichkeit mit dem Bruder mich tief bewegte.

Vielleicht ist er schöner wie Ottomar zu nennen, zärter gebildet, aber es fehlt ihm der Ausdruck hoher Männlichkeit, der so gewaltsam [95] zu jenem hinzieht. Mein Vater und meine Mutter sahen vergnügt aus. Ich blieb oft allein mit dem Jüngling; wir waren in einem Garten am Rhein, und sein sanftes Gespräch that meinem Herzen wohl. Die Aehnlichkeit in Ton und Mundart mit Ottomar entzückte mich, ob sie auch alle Laute unaussprechlichen Sehnens erregte. Beim Abschied sagte er mir mit geheimnißvollem Wesen und feuchtem Blick: O hätte ich durch das Opfer meines Lebens Ottomars Glück gründen können! Sehen Sie mich an, als ihm und Ihnen ganz angehörig, ob Sie mich gleich seit wenig Augenblicken erst kennen. Das Edle und Schöne dringt schnell und allbesiegend in ein offnes Herz. Ottomar war von Kindheit an meine innigste Liebe, seine edle Seele mein Vorbild, der Leitstern zu allem Guten für mich.

Meinem eignen Gefühl jetzt eine Stimme zu gestatten, wäre unzart, unedel. Meine Hand lag auf einem Rosenbusch, er nahm die Rose, die meine Finger berührten, barg sie in seinem [96] Busen, und sagte, mit einem Blick voll Milde und Güte: für ihn!

Die Eltern und der Bischof waren sehr freundlich, als wir zu ihnen in den Gartensaal traten, und sahen sich unter einander lächelnd an.

Wie erfreut mich jeder Strahl der Heiterkeit auf dem lieben Angesicht der Meinen!

Ich muß heiter ausgesehn haben, denn der Bischof nahm meine Hand und sagte: kehre Dich wieder nach dem Licht, Du holde Blume, und erfreue uns alle mit Deinem Reiz.

Ich ging sogleich folgenden Brief Ottomars zu lesen:

22

Ich habe knieend die geliebten Züge Deiner Hand gelesen, meine Anna!

Mit Wahrheit erkannte meine ahnende Seele eine höheres Wesen in Dir. Dein großer Sinn schien mir über dem Leben zu stehen, [97] und deutet darüber hinaus. Ich folge ihm – im Dulden.

Was ich geworden wäre, wenn ich im lichten Sonnenschein Deines Herzens immerwährend geathmet hätte. – O, es steht im dämmernden Umriß vor mir, aber groß und herrlich, und mein Schmerz umfaßt das Bild, und in seinem Maaß fühle ich was ich verloren!

Aus den Trümmern zu retten, was wir vermögen – ist es nicht das ewige Loos der Menschheit?

Vergebens rufe ich mir die Worte der Weisheit in die Seele, die aufs Allgemeine gehen, und uns, uns selbst im Ganzen zu betrachten lehren. Ein tausendfältiges Leben war in meiner Brust, das sie jetzt im wilden Schmerz durchtobt. Diesen männlich verbergend, bezwingend all seine Laute, will ich leben, Deine zarte Seele nicht aufregen in den Stürmen meiner Leidenschaft. Gott ergeben wollen wir leiden, das ist der Entschluß meiner bessern Augenblicke, wo die bessere Seele im Streit siegt.

[98] Aber vernimm mit Aufmerksamkeit die Stimme Deines treuesten Freundes, Deines Bruders.

Bleibe in der heitern Region eines rein menschlichen Daseyns. Sey ein Weib in jedem Sinne des Worts, ein Symbol des Liebens, Tragens, Bildens. Nicht in finstrer Abgeschiedenheit von der Thätigkeit in menschlichen Verhältnissen, von den kleinen Freuden, die, wie die Natur in immer neuen Blumen die Erde, das menschliche Daseyn umschwärmen, wenn wir reinen Sinnes sie zu erfassen wissen. Ich dachte mir Dich als die Einzig Geliebte, als den ewig erfrischenden Quell des innern Lebens und Glücks, auch so gern als die Herrscherin in waltender Liebe und Güte, in dem Hause meiner Väter. Als die Mutter der guten Leute, die seit Jahrhunderten unserm Geschlecht angehören – als die Mutter – kaum wage ich die verlorne Seligkeit auszusprechen – meiner Kinder, die den Namen, angeborne Kraft und Tugend meines Stammes, in kräftigen Männern [99] und sittigen Weibern fortbilden würde im Strome der Zeiten. Dankbar würden die Enkel in Liebe und Ehrfurcht auf unsre Bilder schauen, wie wir auf die Bilder der Väter. Laß mich, theure Anna, Dein liebes Bild in dieser edlen Reihe sehen – nur einem Andern gönne es, neben diesem zu stehen. Vielleicht ein würdigeres, ein von mir herzlich geliebtes. Mein Bruder ist sanftrer Sinnesart als ich, obgleich eben so starkfühlend, steht mir in keiner Tugend nach, die Du aus dem eignen Reichthum Deines schönen Herzens mir liehest. Er war mir wie meine zweite Seele von Kindheit an, die in meiner Liebe erwuchs, und dem ich strebte ein würdiges Vorbild zu seyn im Jünglingsalter. – Gib ihm Deine Hand, dieß höchste Glück, worauf ich hoffen durfte. Fürchte nicht für mich. Der Entschluß ist geprüft, ich vermag es zu ertragen, Dich als sein Weib zu sehen, werde es vermögen mich seines Glücks zu erfreuen, in Dir den Segen meines Hauses zu erblicken.

Nach stürmischer Jugend werde ich wallfahrten [100] zu Eurem Glück, wie zu dem Bild eines Heiligen, der uns Frieden gibt, und in dessen Thaten und Opfern wir in stiller Betrachtung Kraft des Glaubens und der Liebe kräftiger in uns wachsen fühlen. Deine Hand wird als Schwester meine Augen zudrücken. Ja, ich vermochte es auszusprechen, ich will, ich wünsche es. Mit himmlischer Güte willst Du selbst mir eine Stimme über Dein Schicksal vergönnen.

Gewähre meinem Adelbert die Freude Deines Anschauens, eröffne ihm den Himmelsschatz Deines Herzens – um daß er hoffen dürfe es zu gewinnen. Beglücken wirst Du Alle. Die alte Mutter wird Dich segnen als einen Friede bringenden Engel, mit dem Leben und Freude ins öde Haus zurückkehrt. Die Deinen werden einwilligen, und Dich mit Lust wieder wandeln sehen auf dem freien grünenden Lebenspfad, entsagend der düstern Abgeschiedenheit. Brächtest Du ein Opfer, geliebteste Anna, so wird es, wie jedes es endlich ist, gekrönt seyn mit dem Segen des innern Friedens.

[101]

23

Hoffnung schimmerte auf dem Angesicht der Eltern, als ich zurückkam zu ihnen; der Bischof hatte gegen sie gesprochen. – Ach, ich konnte sie nicht nähren! Schweigend verging der Abend. Ich stärkte mich im Gebet, rufte an um einen Lichtblick von Oben in meine dunkel wogende Seele. Die Wünsche, die Leiden der Geliebten gingen ihr vorüber. Aber immer klärer und tiefer fühlte ich die Unmöglichkeit, mich einem andern Manne zu ergeben. Sollte ich diese innre Stimme bezwingen, übertäuben? Nein Bertha, tausendfältig, unabläßlich würde mich Alles in der Welt an seinen Verlust mahnen – in der Einförmigkeit des einsamen Schmerzes werde ich leichter mit ihm leben lernen. Meine Sehnsucht, die gleichsam die Lebensluft meines innern Daseyns geworden ist, würde ich mit innerm Vorwurf von mir zurückweisen müssen, jedes Zeichen der Liebe würde eine strafende Stimme für mich seyn, das nicht erwiedern können, ein immer neuer bittrer Schmerz. – Warum [102] gewaltsam eine Gestalt zwischen uns drängen, die strenge Trennung gebietet? Ein Blick auf den Herrn des Himmels reinigt und erhöht mein Gefühl. Rechte, Ansprüche eines menschlichen Wesens würden es trüben, verwirren, es fiele der Erde anheim.

24

Der Bischof war bei mir, ernst und dringend waren seine Reden, liebevoll wie eines Vaters – aber er kann meine Liebe nicht fassen.

Hüte Dich, holdes Mädchen, für Ueberspannung und Selbsttäuschung im Moment der Entscheidung Deines Schicksals, sagte er. Ein Gelübde für die Vereinigung zur Würde des Lebens, ist die Ehe. Dein reines Herz bürgt für die Erfüllung. Ein ehrenvolles Zusammenseyn und Wirken zweier Wesen, um in Eintracht die Pflichten ihres Standes zu erfüllen, scheint denn das so schwer, so unmöglich, wenn [103] Ottomar selbst für die Güte des Mannes sich verbürgt? und wenn nun dieser in der so eignen Lage nichts erwartet, nichts fordert, als Achtung und Zutrauen? Liebe gehört dem zarten Reich des Lichts, der Farben an, die uns nur erscheinen können. Sie ist der Zauber der goldnen Abendwolken, des Morgenlichts um die Felsenklippen der Erde. Der eigentliche Gehalt unsres Lebens muß fest stehen wie diese. Auf dem Felsengrund der Natur, Vernunft und Wahrheit steht er sicher, auch fehlt ihm selten ganz die Umkleidung des heitern Grüns der tausendfarbigen Blumen der Freude. Den festen Erdengrund können unsre Tugenden ananbauen, das glänzend schmückende Licht ist eine Gabe von Oben.

Kann der Greis auch nicht in der Sprache Deines jugendlichen Herzens reden, so bedenke, daß auch Dich das Alter überschleichen wird, und Du dann Dein jetziges Gefühl als Vergangenheit anschauen wirst. Ein Weib in der Kraft waltender Liebe ist das schönste Schauspiel [104] der Erde. Die Natur wird Dich dazu aufrufen, dann wirst Du seufzen hinter den Mauern, die Dich von ihrem wahren Leben. trennen. Manch blühendes Daseyn sah ich so schon hinwelken. Mit dem Manne ist es etwas ganz andres. Wissenschaft, Ehrgeiz, belohnendes Wirken ins Ganze, Glück und Ordnung, die er um sich her schafft und erhält, füllen sein Leben. Nur im Kreis des Hauses, in beglückender Sorge für Andre, im Fortleben in Kindern, ruht Euer Daseyn. Die hohle Einsamkeit, der kalte Blick in Euch selbst gekehrt, muß Euch zerstören.

Ehrwürdiger Vater, rief ich tief gerührt, aber keinesweges überzeugt, ich fühle die Gewalt Eurer Gründe, aber mein Herz widerstrebt unbezwinglich dem Gelübde, ein andres Wesen seinen Schmerzen zu verbinden. Werde ich unglücklich, so bin ichs allein. Warum soll ich einem edeln Jüngling ein todtes zerrissenes Herz zubringen, der die volle Liebe einer zarten Jungfrau verdient? Ihm werde einst die erste Blüthe [105] jugendlichen Gefühls, statt der welkenden Blume, vom Nordhauch eines feindlichen Geschicks zerstört. Warum soll ich mich mit innerm Vorwurf beladen, das Einzige was mir bleibt, die Erinnerung an mein verlornes Glück, aufgeben? Das Sehnen darnach ist mehr, als das Beste, was mir das Leben noch bringen kann!


Languir per lei, è meglio che gioir d'altri,


sagte lächelnd der Bischof. O Petrarch, die Gluth, die dir diese Worte eingaben, hat auch dieß sanfte Herz entzündet – ist wahrer Ausspruch der liebenden Natur.

Ja, glauben Sie, mein Hochverehrter, sagte ich im Vertrauen, daß sich sein Gemüth zu meinem Wunsche neigte, nur aus mir selbst kann ich zur Richtung auf den Himmel genesen; die Welt hat nur Störungen, keine Freuden für mich.

Er sah mich lang mit dem festen hellen Blick an, der das Innere prüft und wägt, und endlich in Mitleid und Liebe zerschmilzt. Die Augen gingen ihm über, nach langen Bedenken [106] nahm er meine Hand mit den Worten: Du liebes eigensinniges Kind, so muß ich Dich denn auch Deinem irren Sinn überlassen? Auf dem Spiegel des Stromes haschest Du nach Deinem eignen Bilde, und die Tiefe verschlingt Dich. Vergebens steht die Erfahrung des Greises am Ufer, Dir zu zurufen.

Nun bat ich ihn, er möge selbst den Vater, – die zärtliche Mutter folge unbedingt seinen Wünschen – überzeugen, daß es mit mir nicht anders werden könne.

Er versprach es. Nach einer Stunde ging ich ins Zimmer der Mutter.

Ich fand den Bischof noch bei den Eltern, und beide sehr bewegt.

Ich sank zu den Füßen meines Vaters, der mich sanft an seine Brust hob, und mir ernst ins Auge schaute. – Ich unterwerfe mich dem göttlichen Willen, mein Kind, und verzeihe Deine Wahl eines Lebensweges, der Dich von uns reißt. Mich rufen in Kurzem vielleicht Kriege und Standespflichten. – Deine Mutter kann in [107] Deiner Nähe bleiben, wird ihr Kind nicht ganz verlieren. Fremde werden die Burg der Väter bewohnen, die ich Dir, seit Deiner Geburt bemüht war, zur angenehmen Heimath zu schmücken, in der ich Enkel aufblühen zu sehn hoffte. Doch alle irdischen Wünsche schweigen, sind begraben in meiner Brust.

Mein Vater! rief ich in der Verzweiflung über seinen tiefen gehaltenen Schmerz – o mein Vater! Verzeihung, wenn ich eigenmächtig gewählt! Ich muß Alles seyn, was Sie wollen.

»Nein, mein Kind, wenn es um die Wahrheit des Lebens gilt, gilt es um ewiges Heil – ich will Deinen Entschluß nicht bekämpfen. Von jeher hatte ich eine ahnende Furcht vor diesen Gelübden gegen die Natur, die menschlicher Irrwahn, wie mirs scheint, dem schwankenden Daseyn des Menschen aufdrang. Versprich mir nur, sie nicht übereilt zu bringen, Zeiten der ernsten Betrachtung zuvor gehen zu lassen.«

Fest und muthvoll wurden nun die äußern Einrichtungen bestimmt. Tiefenthal gefiel auch [108] dem Vater vor allen andern Frauenklöstern, besonders der herrlichen Frau, der Aebtissin wegen.

Der Bischof kannte ihre Geschichte, auch übermäßiger Reichthum an Liebesfülle, der auf Erden nicht Raum fand, trieb sie in die Einsamkeit. Für die Mutter haben wir einen angenehmen Platz in der Nähe aufgefunden; sie wird mich oft besuchen, und die reine, sich selbst aufopfernde Liebe wendet jetzt selbst alles an, in meiner Ruhe auch die ihrige zu finden, mich mit mir selbst zufrieden zu stellen.

25. An Ottomar

O verzeihe, mein Freund, mein Bruder, daß ich Deine liebende Sorgfalt um mich täuschte! Deinen Willen nicht erfüllte, den ich so gern zum Leitstern meines Lebens erwählte. Es kann nicht seyn. Danke dem edlen Jüngling für sein Vertrauen – die Liebe für Dich [109] flößte es ihm ein – darum ist es mir doppelt werth und heilig. Ihm werde der Besitz eines freien liebevollen Herzens. Es wäre gegen die Natur, ihm das meine, voll eines andern Bildes, zu verbinden; ein der Sehnsucht gehörendes Leben seinem freien, frohen Jugendsinn zuzugesellen. Laß mich Dein gedenken, Ottomar, immer und ewig, rein ohne Vorwurf! Gleich wie ein abgeschiedener Geist, so denke ich mir, auf die schönen Tage der Erde zurückschaut, werde ich der seligen Stunden unsers Zusammenseyns gedenken, sie tausendmal wieder leben. Wenn der Augenblick naht, der meine Seele von den Banden der Sterblichkeit löst, möchtest Du dann mir nah seyn, die Hinscheidende mit dem Trost des Glaubens an eine andre Welt zu stärken, und den eines gemeinsamen Grabes mit Dir.

Bis dahin sey mein Lehrer und Führer im Leben; mein Vorbild in allem Guten, im Hoffen, in Geduld und Stille. Wenn Du früh zur Hora gehst, an den Kuppeln des Doms im [110] Morgenlicht hängt mein Auge. Nimm den Gruß meines Geistes, und flehe zum Allerbarmenden um Frieden für mich.

26

Mit herzlicher Liebe hat mich die edle Frau aufgenommen; ja sie versteht es, ein wundes Herz zu pflegen.

Schwer waren die letzten Tage mit den Meinen. Des Vaters Abreise war entschieden; er selbst wünschte mich zuvor in meinen Ruheplatz einzuführen. Das letzte Abendessen, die letzte Nacht neben den Eltern – O! wie fiel bei jeder kleinen Gewohnheit, jeder kleine Dienst, den ich ihnen leistete – es ist zum letztenmal! – auf mein Herz.

Morgen sucht Dich unser Auge vergebens, sagte mir jeder Blick, und in dem schmerzlichen Lächeln, in dem sie schonend mir ihre Trauer verbergen wollten, lag tausendfältiger Schmerz [111] für mich. Wir wissen nicht wohin es mit uns führt, wenn die Leidenschaft mit eisernem Arm uns ergreift. Ich will suchen mich zu fassen, zu halten im Leben, daß ihre Herzen nicht auch über der Leiche des Kindes brechen.

Alle Gespräche, die nicht in den Kreis des nothwendigen Thuns und Wirkens gehören, sind verbannt, aber ich fühle, daß das mütterliche Auge der guten Aebtissin, die Tiefen meines Herzens durchforscht. Mein Geschäft ist die Aufsicht und der Unterricht der jungen Mädchen, die viele Familien der Gegend diesen frommen Frauen anvertrauen. Diese Thätigkeit nimmt den Verstand wie das Gemüth in Anspruch, deshalb bestimme ich ihn meiner Anna, sagte die treffliche Frau. Die Kinder lieben mich, lauschen auf meine Winke, kein Wort geht bei ihnen verloren; sie hat recht, mich in diesem Geschäft zur sorgfältigsten Wachsamkeit über mich selbst zu ermuntern. Wie mancher Aufschluß über unser Daseyn, kommt, im Gang des Unterrichts, in den Fragen der Kleinen, zur[112] Sprache. Sanftmuth und Ergebung wird mir zur unabläßlichen Pflicht. Ich werde meinen süßen Träumen entzogen, die mich nur in später Nacht in meiner Zelle labend umschweben. Ein Traumleben ist ja nur das Leben der Erde, so nannten es die weisesten Menschen.

An seiner Seite wäre es ja auch nur das gewesen – hingeflossen in den großen Strom der allverschlingenden Zeit – und doch, Bertha, übermannt mich oft die unendliche Sehnsucht, die gleichsam mein Herz aus der Brust reißt. Die Mutter ist ruhiger. Sie hat Bekanntschaft mit Ottomars Mutter gemacht. Die guten Seelen betrauern gemeinsam das Schicksal ihrer Kinder, aber ihrer Tugenden sollen sie sich erfreuen – das verleihe uns die ewige Liebe.

Nie schaue ich am Morgen nach der Kuppel des Doms, ohne zu fühlen, daß mir eine neue Kraft aufgeht. Er betet für mich.

[113]

27

Der Vater ist abgereist zum Reichstag nach Worms – vielleicht zu einem Zug gegen die Türken.

Darüber durft' ich nie Angst und Sorgen äußern – denn von jeher war es sein Lieblingswunsch, für den Glauben zu fechten.

O könnt' ich ihm folgen, an seiner Seite sterben für den Gott der Christen! Nur zu stillen Leiden werden wir geboren.

Sein Abschied war ernst und stark, als könnte es einer für die Ewigkeit seyn. Ich versprach ihm das unauflösliche Gelübde bis zu seiner Rückkehr zu verschieben, und ich sah einen Strahl der Zufriedenheit auf seinem Antlitz.

Die Möglichkeit, ihm folgen zu können mit der Mutter, selbst im fernen Orient, wenn er unsrer bedürfte, wenn er verwundet würde, oder erkrankte, trug ich tröstend in der Seele tiefen Grund, ohne sie gegen ihn auszusprechen.

Luther ist hinberufen nach Worms, zur Vertheidigung, zum Widerruf seines Irrwahns.

[114] Die Aebtissin ist heftig gegen ihn, wünschte seinen Untergang – Die sanfte Seele konnte dieß! Lasset uns nicht richten, meine Guten, sagte der Vater. Mehr als menschlicher Muth scheint in diesem Manne zu leben, ein ehrnes Herz in seiner Brust zu wohnen.

Was Menschenwerk ist, muß untergehen – Aber jedes Thun aus dem Trieb innerer Wahrheit, mit solchen Opfern begleitet, ist zu achten. Befreiung vom welschen Joch muß der Deutsche wünschen, denn jedes Joch ist irdischer Natur. Die Freiheit in der Liebe und im Glauben kam von Oben herab. Was der Mensch kaufen kann, kommt nicht von Gott, sagt Luther; das scheint mir ein wahres kräftiges Wort, ernsten Bedenkens werth.

28. Ottomar an Anna

Dein Entschluß, geliebte Schwester, denn so kann ich Dich auch jetzt nennen, die Du wie [115] ich, der Welt und der Freude entsagtest, die sie gewähren kann, hat mich verwundert, betrübt.

Aber läugnen kann ichs nicht, inniger ist nun meine Sorge für Dich. Du bist mir das Wesen auf Erden, das mir zunächst steht, an das heilige Treue der Pflicht mich bindet, dem alle Sorgfalt, aller Trost gebührt, denn allem Andern entsagtest Du, Dich dem Andenken eines Unglücklichen zu weihen. Ehre und Liebe geboten mir, Dich vor den Gefahren Deines Entschlusses zu warnen, Dir einen Lebensweg anzudeuten, der in der Wahrheit der Natur liegt, durch den würdigen Gegenstand Dein Herz dereinst befriedigen konnte. Dein reiner großer Sinn verwirft ihn – Nun so laß uns im Geiste vereint ringen nach den Palmen himmlischer Freiheit, unter denen unsre treue schuldlose Liebe dereinst wandeln wird in unverwelklicher Blüthe.

Schnell rinnt das Leben dahin, wenn auch der Schmerz seiner einzelnen Tage uns lang und [116] ermüdend dünkt. Als eine Rauchsäule, die in die Wolken steigt, als ein Schatten, der schnell und spurlos über die Erde fliegt, scheint es dem matten Greis; aber wer Ewiges in der Brust trägt, dem geht die Ewigkeit auf. Der Geist sucht den ewigen Geist. Ja, die Liebe lehrt hoffen auf eine Fülle des Seyns und der Liebe jenseits – als ein schöner ahnungsvoller Traum erschien sie uns hier.

Du wandelst still den Pfad der Pflicht. Die Blüthe der Tugend und Schönheit in jungen Seelen zu pflegen, ist ein sanftes Loos. Wachsen und Werden sehen, erfrischt den Lebensquell der eignen Brust. Wenn die Blumen und Blüthen des Frühlings sich entfalten, ruft uns die Stimme des Allliebenden zu: verzage nicht Du armes mattes Herz, auch Dein Leben trage ich wie das Leben der Erde, werde es erfrischen zu seiner Zeit, im ewigen Frühling.

Im Aufblühen junger Menschenherzen um Dich, wirst Du das noch schöner und tiefer fühlen.

[117] Durch Erregen der Geister zur Kraft der Wahrheit, durch Läutern der Herzen zum Glauben, erhebe auch ich mich aus der Nacht des Grams und der Sehnsucht. Ich suche die Wahrheit, ich höre auf die Stimme vergangener Jahrhunderte; die Weisesten, Besten aller Zeiten, sammle ich um mich her – aber nur aus reinem stillen Herzen entspringt der lebendige Quell der Ueberzeugung vom Göttlichen – dieses erflehe ich in Demuth und Ergebung.

Ich fasse mich, halte mich, indem ich Dir, Theuerste, diese Zeilen schreibe – möchte Dir nicht bedürftig und schwach erscheinen, da Du selbst mich würdigst, Dir ein Lehrer, ein Tröster zu seyn.

Was ich wünsche, ist, daß der Vater im Himmel mich auserlesen möchte, als ein Opfer für den Glauben, für sein ewiges Wort an die Menschheit, zu fallen. Beginnt der Zug gegen die Türken, den der heilige Vater in Rom will, der neue Kaiser verspricht, so folge ich Deinem Vater nach dem Orient. Treu will ich ihn umgeben [118] in Gefahr und Tod. Er soll in mir den Sohn finden, da ich ihm die Tochter entriß. Verzeihung, ewige Liebe, soll mein letztes Wort seyn, für ihn, für Dich!

29

Was kann ich Dir, meine Bertha, aus dem einförmigen Leben schreiben, als daß mein Herz immer dasselbe bleibt. Sprich Du mir von Ottomar, Deine Zartheit weiß, was mir frommt, was die Gott geweihte Jungfrau vernehmen darf!

30. Ottomar an Walther

Du weißt durch Dein liebes Weib, wie Alles kam, wie Alles sich entwickelte – eine Rolle dunkler schrecklicher Bilder ist das Leben Deines [119] Ottomar. Ihre bleiche Gestalt war das erste, was ich wieder in der Welt erblickte, als ich vom Altar kam, wo ich sie geopfert hatte.

Tief ergriffen von dem Sinn der heiligen Worte und Gebräuche, schauderte mein Innres vor der Heiligkeit des Gelübdes, vor der Schwachheit der irdischen Natur, die verwegen hinauf reichen will zur ewigen Klarheit des Vaters der Gestirne und des Himmels über uns. Bald fühlte ich mich wie entrückt der Zeit, den Banden des menschlichen Wesens – sie schwebte vor mir wie eine Lichterscheinung aus einem höheren Leben.

Aber als ich sie in der Wirklichkeit erblickte, wankend am Arm der Mutter, da fiel mich ein Schmerz an, der zur Bewußtlosigkeit führte; der Tod trat nah an mein Herz.

In soweit bin ich einiger mit mir, da ich, als ich wieder zur klaren Besonnenheit als Genesender gekommen war, alles that, um das holde Geschöpf auf die Bahn des frischen heitern [120] Lebens der Natur zurückzuführen. Der Wunsch des Bruders kam mir entgegen.

Aber sie will meinem Andenken nur leben – ich muß ihren himmlisch reinen Willen anbeten.

Kann ichs Dir läugnen, daß mich ein festeres ewigeres Band nun an sie fesselt; daß der Gedanke an sie, immerwährend mich umgibt, wie Luft und Licht, daß ich in einsamen schwärmerischen Stunden die liebe Gestalt zu mir drängend fühle, ihre süße Stimme zu hören glaube? Fürchte keinen Wahnsinn für mich. Es ist etwas Wahres, Ewiges in meiner Liebe – ja, sie ist unsterblich wie meine Seele.

Ein Hauch himmlischen Friedens weht mich an, wenn ich sie in den heiligen Mauern, am Altar des Glaubens, in unsern Gebeten, dem Vater alles Lebens empfehle, dem Göttlichen, der die Leiden der Menschheit kannte, sie trug im eignen Busen.

Ihr Blick hängt im Morgenstrahl an der Kuppel des Doms, als eine glänzende Himmelspforte [121] begrüß' ich ihn, das Symbol unsrer Wiedervereinigung. Gestärkter gehe ich in die Welt zurück, sie spricht mich wieder an, und ruhiger werde ich in Thaten der Liebe und der Barmherzigkeit.

Die glänzende Bahn des Ehrgeizes, auf die mich der gute Oheim, im Wahn der höhern Geisteskräfte, die er mir beimißt, zu locken dachte, sie scheint mir dürr und öde, ähnlich einer versengten Flur von der Gluth des Eigendünkels der Eigensucht. Aus diesen Banden möchte ich die Menschen befreien, zur Wahrheit, zur allduldenden Liebe zurückführen, zum Glauben an das Edle, was unsre drückenden Formen in ihnen ertödten; darum träum' ich mich oft gern für Momente zum Fürsten dieses Landes. Geister regieren, ist ein zu hohes Ziel für den Menschen, führt ihn auf Abwege, zur Unwahrheit in sich selbst. Nur in Wahrheit und Liebe, wie der Allwaltende selbst, im Symbol der Natur, geht mein Wirken harmonisch aus der eignen Ueberzeugung hervor. Alles [122] ist todt, was nicht diesem lichten Urquell entspringt, sich an ihm erfrischt und erhält. Todt ist jedes Wort der Lehre, die nur Menschliches erzeugen will. Morsch und dem Menschenwahn irdischer Absicht verfallen, scheint mir das Gebäude, das in heiliger Einfalt der ersten Zeiten des Christenthums die im Dunkeln Irrenden aufnahm, die Roheit bändigte, sanfte Menschlichkeit lehrte, und in dem die Kinderaugen nach dem Vater aufblicken lernten, durch die Oeffnung nach dem klaren unermeßnen Aether. Geister fesseln in einem dumpfen Glauben an Menschenworte, ist unheilig und fühllos. Nur das wahre Gefühl, was in einer Seele lebt, erregt wieder ein wahres Gefühl.

Aus todten Formeln entflieht der lebendige Geist. Ja, es ist die höchste Sünde am Geist, sein freies Leben der innigen Ueberzeugung zu tödten in der Unterwerfung gegen diese Formeln. Weit lieber möchte ich hin in die neuentdeckte Welt, mit dem edlen Las Casas in Liebe der Menschen die Wilden zu entflammen, [123] sie wegzubannen von den Altären des Mordes und der Rache, mit dem heiligen Kreuz, dem Symbol der Duldung und Eintracht, als Prediger unsrer matten, dumpfen, befangenen Welt. Wenn meine Seele glüht, wenn mich die heilige Freiheit in Gott ergreift, muß ich ängstlich fürchten, die Form eines Lehrbegriffs zu verletzen. Und wer ist zum Wächter bestellt? Schwache, befangene Menschen, unergründend den tiefen heiligen Sinn, verlangen sie Unterwerfung unter Worte.

Niedre Leidenschaften, Eigennutz, Eitelkeit, schieben elende Motive in das Gewebe ewiger Liebe, das des Menschen Sinn aufrichten soll zum Himmel, statt ihn an der Erde zu verkrippeln. Was ganz und groß vor der reinen Vernunft steht, zerstückt unnütze Spitzfindigkeit. Der Irrthum und Irrwahn, den Jahrhunderte mit sich fortwälzen, ist er deshalb weniger Irrwahn?

Demuthsvoll beuge ich mich im Staube vor der ewigen Wahrheit, flehe um Licht mit einem [124] reinen aber schwachen Herzen. Der Sinn der göttlichen Schriften erfüllt mich mit Klarheit; dahin flüchte ich mich in allen Zweifeln. Die Worte der Liebe im Evangelium sprechen immer inniger an meine Seele, sie beleben mich, wie der Blick in die freie Natur, und reinigen mich befreiend von allem Gewicht irdischer Verhältnisse.

Das Wort ist von Gott und bei Gott. Ja, der Ausspruch der reinsten Menschheit ist, sich selbst zum Opfer zu geben. In diesem Sinn verwalte ich tröstend mein Amt, fühle mich des großen Namens eines Dieners des Herrn nicht unwerth. O Walther! Du weißt es – kein geringes Opfer habe ich dargebracht.

31

Gute Geister umschweben die Stunden, wo ich durch Wald und Fluren schweife, wenn ich auch Anfangs nur ins Weite will, um mich [125] selbst los zu werden. Ein wahrer Priester sollte der Regent des Landes seyn, Walther. Du wirst lächeln, daß mich die Plane des Oheims anstecken. Nein, mein lebendiges Gefühl umfaßte von jeher die Zustände der Menschen, und mein Verstand beschwichtigt es mit Ansichten der möglichen Verbesserungen.

Jeder Hütte möcht' ich Segen und Frieden bringen, und die traurige Sorge und Armuth verscheuchen. Oft erzeugt durch manche unsinnige Einrichtung, die Niemanden frommt, sehe ich diese dann im Geist, durch reinen Willen und klaren Ueberblick der Verhältnisse aufgehoben. Eine Stimme des Segens soll unser Glaube seyn den Schwachen und Armen. Einverstanden mit meinem Wirken, denn eine magische Kraft traue ich den wahrhaft Guten zu, sollten alle tüchtigen Menschen einsehen, daß Regieren nur Uebles verhüten heißt, schonendes Abwenden der nothwendigen Uebel, nicht ein Gebrauch aller Kräfte zu eignen Zwecken.

Wie gut müßten die Menschen werden, sähen [126] sie den Regenten in seiner wahren Haltung gegen sie; auch empfindlich für das Große und Schöne, dessen Freude ihr gemeinsamer Antheil wäre. Nur die Verschwendung des Stolzes empört den, der die Früchte seines Fleißes ihm opfern muß. Ein fruchtbringender Baum, wo labender Schatten für den von Arbeit in der Schwüle des Tages Ermüdeten, und Ruhe für die Schwäche des Alters wohnt, müßte der Herrscher erscheinen, nicht als der Dornstrauch, ein Apolog des Propheten. Hoffnungsvoll ginge der Bauer hinter seinem Pflug, muthig der Krieger zum Schlachtfeld, ein Vaterland zu vertheidigen, das er achtet und liebt, und den heimathlichen Heerd, an dem sich die Seinen oft zu einfachem Genusse versammeln.

Oft halte ich bei meinen Wanderungen in einer einsamen Hütte an, und gehe ein in das Leben des Volkes, höre von seinen Bedürfnissen, seinen Freuden und Leiden. Gestern Abend saß ich bei einer Mutter unter ihren Kindern und genoß eine freundlich dargebrachte Schaale [127] Milch. Auf einmal ertönte ein Freuderuf unter den Kindern, die auf der kleinen Wiese vor dem Hause spielten: der Vater kommt! – Er kam, ein stattlicher Mann, noch kräftig nach des Tages Arbeit, und die Seinen drängten sich um ihn mit Liebkosungen, und waren bemüht ihm Ruhe und Erfrischung zu bereiten. O ich Einsamer! ich ritt nach Hause, und die Bilder des einfachen süßen Glücks standen vor meiner Einbildungskraft, überglänzten die geschmückten Zimmer des reichverzierten Hauses. Ihr Bild stand vor mir und wollte nicht weichen.

Ein unglückliches Gespräch über ein neues Staatsbedürfniß, und einer neuen Last auf das Volk, brachte mich vollends von Sinnen.

Wird mein Wille jemals entscheidend seyn, meine Stimme geltend, so gelobte ich mirs selbst: sie rede für das stille Glück der Hütten! In den Gedanken schlief ich endlich ein, und die Holde erschien mir lächelnd im Traum.

[128]

32

Daß uns ein eigensüchtiger, hartherziger Mönch von der Einfalt der ersten Kirche trennte, die Würde, die Freude des Daseyns nahm in Weib und Kind, den herzlichsten Banden der Natur, unser Leben doppelt zu fühlen! Wie belügt sich der Mensch im sündigen Eigendünkel, wenn er, im kleinen Moment seines armseligen Daseyns, der Zukunft Fesseln anzulegen wähnt – irgend einen scharf ausgedachten Plan als ein Siegel auf die Kraft neuaufblühender Jahrhunderte drücken will! Die gesunde, nie alternde Kraft der Vernunft bricht es spät oder früh, und die einsamen Thränen der Versiechenden, Gefesselten, sind vergebens geweint. Wie fern ist dieß von der göttlichen Demuth, die der Stifter unsres Glaubens lehrt. Nicht für den nächsten Tag soll der schwache Mensch sorgen – und wir sorgen für Jahrhunderte!

[129]

33

Kann man sich selbst in die besten Menschen immer finden. Schöne Einstimmung der That und des Worts, die den Mann erst zum Manne macht, wie selten bist du!

Der gute edle Oheim selbst spricht oft mit gefälligem Behagen von den Verwirrungen seiner Jugend, seine Phantasie spielt damit, er erzählt sie sich wieder als ein anmuthiges Mährchen. Nein, Walther, sein Herz hat nie geliebt!

Weh' den Unheiligen, die sich nicht scheuen, das was sie lieben, zu entehren im Schatten der Finsterniß!

Ehre und Unschuld, schöne Glorie um das Haupt der Geliebten, sie nur erhöhen die Blüthe der Schönheit zum Gegenstand einer reinen ewigen Liebe! In der Ehre der Frauen liegt die Haltung der Würde des Geschlechts, des Hausfriedens und Glückes, wie die des Allgemeinwohls.

[130] Das alte Volk, dessen Größe unser Knabenalter noch immer umschattet, in dessen That und Sinn wir zum Manne heranwachsen, wußte das wohl, und aus der Ehrfurcht für die Ehre der Frauen entsprangen neue Umformungen des öffentlichen Lebens; sie war der Freiheit hohes liebliches Symbol.

34

Ich habe sie gesehen, ich konnte es so nicht länger aushalten. Wär' es Sünde? Nein, ihr reines Himmelsbild steht weit über der Leidenschaft, die es mit irdischen Wünschen vermengen könnte.

Ihr unbewußt, habe ich sie gesehen, denn in den Frieden ihrer Seele will ich nicht ferner frevelnd greifen – ich Unseliger, der ihn zerstörte!

Es war ein Fest in der Kirche des Klosters, zu dem das Volk weit herkam. Von meinem [131] guten Mann der einsamen Hütte, wo ich durch öftern Besuch heimisch geworden bin, lieh ich einen groben Bauerkittel, der mich verbarg. In der Morgendämmerung stieg ich den einsamen Gebirgspfad hinauf. Wie hoch schlug mein Herz, als ich mich ihrem Wohnplatz näherte! Wiesen und Bäume schienen mir als von überirdischem Licht umglänzt – ihre Augen hatten darauf geruht.

Schon füllte ein Gedräng von Menschen die Kirche, vom vergitterten Chor erscholl der einfach schöne Gruß an die Himmelskönigin.

Kannst Du es fühlen wie mir wurde, als ich in einer Soloparthie ihre Stimme vernahm? Süß und unendlich sanft waren ihre Laute, aber schmerzlich, wie die Stimme des Leidens aus einer ermatteten Brust.

Ich drängte mich auf einen Platz dem Chor gegen über, sah wie die Augen der frommen Kinder sich unter dem weißen Schleier aufschlugen, und durch das Gitter zu schauen strebten. Eine hohe schlanke Gestalt erhob sich jetzt unter [132] ihnen, ich zweifelte, bebte, hinter dem überschatteten Gitter schwankten die Umrisse, ich konnte sie nicht festhalten. Jetzt schlug ihr himmelblaues Auge sich auf durch eine Kluft des Gitters, und ein Himmelsglanz zitterte durch meine Brust.

Ihr Blick traf auf mich – O Magie der Liebe – er traf auf mich, ich täuschte mich nicht! Wie der Blitzstrahl die nächtliche Gegend erhellt, fiel sein Licht auf mich herab; es war nur ein Moment, aber sein Glanz, seine Seligkeit blieb in meiner Brust. Wie die ersten Blicke, die wir auch an heiliger Stätte wechselten, wo sie mit schuldlosem sanften Gefallen auf mich schaute, wo wir Seele. um Seele tauschten – so war es auch jetzt – nur lag eine schreckliche Kluft zwischen uns – das ging als ein zuckendes Schwerdt durch mein Innres.

Ja, die Liebenden gehören sich an, ohngeachtet aller Schranken des äußern und innern Lebens, werden sich ewig angehören; wie es [133] auch seyn und kommen mag, sie schaffen sich eine neue Welt.

Vergebens suchte ich einen zweiten Blick, stand wie ein Gebannter nach dem Gitter gewendet – es wurde mir keiner.

Geleitet durch jenen geheimnißvollen Zug, der in leidenschaftlichen Augenblicken unsre Kräfte, unsern Scharfsinn verdoppelt, hatte ich schnell die ganze Lage des Gebäudes, seine innern Gänge erforscht. Ich eilte hinaus aus der Kirche, schlich mich am Gemäuer hin, das mein beßres Leben umschloß. Ein hohes Fenster mit eisernem Gitter erstieg ich am schwanken Spalier, das Bäume und Hecken stützte, mich hinter ihnen verbergend. Richtig hatte ich den langen Gang ausgefunden, über den die Nonnen ins Innre des Klosters zurückgingen. Sie erschien unter den Schwestern, still und langsam wandelnd, mit gesenktem Blick auf ihren Rosenkranz. Gott! wie verändert ist das holde Geschöpf! Bleich und welk sind die Wangen, wo frisches rosiges Jugendleben blühte, blaß die[134] zarten Lippen, die sich im stillen Gebet bewegten, und die kleine schöne Hand, wie eingefallen und mager! Eben ließ sie ein Kügelchen an ihrem Rosenkranz fallen, als mein Blick senkrecht auf sie niederfiel. Wundersam muß ich glauben, daß sie ihn gefühlt hat, denn eine leichte Röthe flog über die bleiche Stirn; sie sah sich um, als vernähme sie einen Ruf, faltete sich aber schnell wieder in ihr Innres zurück, betete heißer, als wollte sie einer zudringenden Erscheinung entfliehen. Walther, sie welkt dahin – wird in Kurzem ein Raub des Todes! und ich – ich – habe dieß sanfte hohe Herz gebrochen. Schöner Engel, Du verzeihst mir, ahnest in Deiner himmlisch reinen Unschuld nicht einmal woher Dir der Todesstoß kam. – Aber kann ich mir selbst je verzeihen – nicht Erd' und Himmel bewegen zu ihrer Rettung – muß ich in stummer Verzweiflung untergehen?

Wenn ich mir denke, wie Alles anders seyn könnte, beiße ich knirschend wie ein Gefangener in seine Ketten.

[135] Selbst der Mutter frommer Segensblick, die ihren geliebten Sohn auf dem Pfade des Himmels wähnt, spricht keinen Trost in die versengte öde Brust. Im scharfen Kampf, auf blutigem Schlachtfeld den Tod zu suchen – mir ist's, als könnte mirs dabei leichter werden. Möchte der Zug gegen die Türken endlich gelingen – sie würde weinen, aber ihr frommer Glaube mich nicht tadeln.

Sie hat mir nicht wieder geschrieben, wie es selbst der Bischof zu unserm Trost genehmigte. Wähnt sie unsre Schmerzen zu vermehren?

Mein Gefühl darf jetzt keine Worte für Sie suchen – es ist zerstörend, vernichtend.

Könnt ich für Sie sterben!

35

Gegen den Aufruhr der Bauern in Schwaben zieht sich ein Bundesheer zusammen. Ich [136] werde den Zug mitmachen, ob auch mein Herz blutet, daß die Schwerdter gegen deutsches Volk gezuckt werden müssen.

Und sind wir frei von Schuld? frei von Unterdrückung der Niedern, frei von eigensüchtigem Gebrauch unsrer Macht? Da wo das Gebot der Liebe und Schonung nur herrschen sollte, bei denen, die berufen das göttliche Wort zu lehren und zu predigen, die Entsagung des Irdischen angelobten, brach die Empörung aus. Ich fühle es schmerzlich, Ungerechtigkeit und Eigennutz säten die Drachenzähne – geharnischt ging der Aufruhr auf. Er muß mit der Gewalt des Schwerdts gebändigt werden – so häuft der Irrsinn des Menschen Uebel auf Uebel.

Gesetz, Gerechtigkeit und Liebe zu predigen, das gelobe ich mir heilig, wenn wir die Schwerdter wieder in die Scheide stecken.

36

Ich mußte Anna noch einmal sehen. O Walther! [137] unser Herz ist wie ein Kind, wenn man ihm einmal den Willen that, verlangt es nur unbändiger. Ich hatte bei meiner letzten Wanderung die Klostermauer wohl untersucht, eine enge Schlucht, durch einen Riß in der Gartenmauer, mir wohl gemerkt, sie vergönnte mir die Uebersicht des ganzen Gartens. Dorthin zog es mich mit unwiderstehlicher Zaubermacht. Im Scheideblick der Sonne, nach dem Austönen der Horaglocke, lag ich davor wie ein Gläubiger an der Schwelle des Himmels, bebend, zagend, ob er auch zum Genuß des seligen Anschauens zu gelangen verdiene. Die Beete des Gärtchens, in zierlicher Einfassung, prangten in tausend Blumen; von einem Beete blauer Winden konnte ich den Blick nicht losreißen, mir wars, als schauten mich ihre süßen Augen daraus an.

Lang harrte ich, so schien es meiner Ungeduld. Endlich öffnete sich die Gartenpforte, und holde kleine Mädchengestalten füllten die Wege, gleich Blumen unter den Blumen. Nun erschien [138] sie unter ihnen und fesselte all meine Sinne. Ihr Gang war langsam und matt, ihr Athem schien gepreßt. Sie setzte sich auf eine Bank, nah an meinem Schlupfwinkel. Gott, wie ward mir – meine Worte konnten leise an ihr Ohr dringen – kaum vermochte ichs mich zurückzuhalten. Nur die Furcht, sie zu erschrecken, ihre Zartheit zu verletzen, bändigte das ungestüme Herz. Die lieblichen Kinder folgten ihrer Anordnung zur Gartenarbeit, pflanzten, stängelten, begossen die Blumen, und brachten ihr die schönsten dar.

Eines der ältesten Mädchen setzte sich schmeichelnd neben sie, ein sinniges Gesichtchen, in dem schon jungfräulicher Reiz blühte. Der Bank gegenüber glühte im Gold der Abendsonne ein blühender Pfirsichbaum an der Mauer. Wie schön ist die Natur, wie unendlich gütig ihr Schöpfer! sagte die Himmlischreine mit dem sanften Flötenton, der sich einst beim ersten Laut so innig in mein Herz schlich. Recht zur reinen Freude des Menschen hat Gott die Blumen[139] geschaffen. Jeder Frühling verkündet uns ihr Aufblicken aus dem verschloßnen Schoos der Erde, den Hauch des Allliebenden, der alles vom Tode erweckt, anweht, und in Luft und Licht trägt. Auch Dich, mein liebes Kind, wird er liebend durchs Leben tragen, wenn Du mit frommem Herzen immerwährend nach ihm aufschaust. Bald wirst Du zurück zu den Deinen kehren, gedenke der Lehren, die an diesem stillen Ort Gott mir vergönnte an dein Herz zu legen. Oft rufte ich ihn hier im Stillen um seinen Segen an, denn schwach und arm ist bei all seiner warmen Liebe das Thun des Menschen.

Schwester Anna, rief die Kleine unter einem Thränenguß, soll ich wirklich von Dir scheiden? Nie, nie werde ich Deine Liebe vergessen, Deine sanften Lehren!

Laß sie Dir gegenwärtig bleiben, sagte Anna sehr gerührt, so werden wir nie getrennt seyn. Unsre Jugend ist ein Frühlingsgarten, in dem uns die Gestalten des Lebens frisch, bunt und freundlich anlächeln, aber die heiße Sonne des [140] Sommers entblättert sie, der Herbststurm zerstört sie. Die Kraft zum neuen Erblühen kann nur ein reiner, fest in sich gegründeter Sinn verleihen, er ist die Wurzel unsers Daseyns, und das Schauen auf die ewige Sonne der Wahrheit und Liebe, auf Gott.

Mögest Du glücklich werden, geliebtes Kind! Sind wir auch selbst mit allen Wünschen der Erde abgefunden, mit allem Erdenglück, so sucht unser Herz es dennoch für die, die wir lieben. Mögen die Opfer, die von uns das Geschick fordert, ohne Stürme von Dir dargebracht werden! Sieh, wie schön dort der Abendstern leuchtet.

Ach, der die Blumen und Sterne schuf, an seinem ewigen Herzen trägt, läßt uns vielleicht im schönern Glanz dort alle verlorne Blüthen neu aufgehen!

Ihr blaues Auge hing an dem lichten Stern. Durchdrungen von der Heiligkeit ihres Schmerzes, mußte ich hinwegeilen, gleichwie geläutert, erhoben in der himmlischen Hoffnung ihrer Seele.

[141] Aber als ich das Kloster aus den Augen hatte, fiel mich der finsterste Unmuth wieder an, umklammerte mich wie mit Riesenarmen, über mein Jammergeschick – so nennen wir Thoren die Frucht unsres eignen Unsinns, unsrer Schwachheit.

Nähme mich Gott an, als ein Opfer für das Recht in einer Schlacht, wo Tausende fallen, die das Leben lieben, das ich hassen muß!

Das Schönste und Liebste was man besaß, hingeopfert zu haben, durchzuckt Nerven und Adern, im immer neu wiederkehrendem Todeskrampf.

Mit Neid gab ich dem guten Mann der Hütte seinen groben Kittel zurück. Nur in der Einfalt der Natur ist Freude und Freiheit, und ists nicht unsre unverzeihlichste Sünde, wenn wir den Stand, in dem der Mensch durch mäßige Arbeit sichern einfachen Genuß, im Athem der ewig neuauflebenden, lohnenden Natur finden kann, als den Gegenstand unsrer Habsucht, als den Diener unsrer wilden Leidenschaft[142] betrachtend, um sein frohes harmloses Daseyn betrügen? Kann man's ihm verargen, daß er, seiner Qualen müde, sich seiner mäßigen Ansprüche bewußt, endlich aufsteht, sich gegen sie zu waffnen?

Und dennoch müssen wir für die Erhaltung der Ordnung jetzt kämpfen, um daß nicht noch Schrecklicheres entstehe.

Aber meinen letzten Athemzug will ich anwenden, Schonung zu predigen, das Uebel im Ausbruch zu dämpfen.

37

Gräuelthaten sind geschehen – aber zuerst hielten wir nicht Wort.

Ich gehe zu des wackern Fronsbergs Heer. Die wild losgekettete Wuth muß gedämpft werden, aber dann walte Menschlichkeit und Recht, sie wohnen in seinem Herzen.

Auch Anna's Vater finde ich dort.

[143] Eine neue Kraft scheints hat mich belebt. Ja der Männerhand gebührt das Schwerdt – sein glänzender Strahl entlockt dem Herzen sprühende Lebensfunken. O wie weit lieber und kräftiger, in der vollen Einstimmung meines Innern, übte ich die Kraft meines Arms gegen die Feinde unsres Glaubens? Ich übe meinen kleinen Haufen. Mir wird besser im freien Feld. Ich kann besser und kräftiger beten im seligen Gefühl der Erhörung, wenn mein Auge den blauen Himmel über sich ausgespannt sieht. Das Allgegenwärtige, Heilige, ist mir näher als in der Pracht der Gebäude, die doch nur die unermeßliche Natur nachahmen wollen, die Wölbung des Himmels, den Glanz des ewigen Lichts, die Blumenpracht der Erde um ihre Säulen gewunden.

Entsagung und Geduld fesseln die Geister in diese Gemäuer – die schwache, hülfsbedürftige Kindheit finde da Hülfe und Lehre, das Alter Trost. Für Wald und Feld ist der Mensch geschaffen; wenn sie mein Roß durchfliegt, [144] fühle ich mich allem Guten näher. That gebührt dem Mann in seines Herzens Drang.

Falle ich, – Dir Walther, gestehe ich es, daß ich es wünsche, denn der Streit im Innern reibt mich auf, – so gedenke Ihrer. Sey Ihr Trost, Ihr Bruder statt meiner, wie auch Deine Hausfrau sie schwesterlich liebt. Wohin sich die Wogen des Aufruhrs wälzen, die uns immer dichter umdrängen, ist noch nicht zu bestimmen. Für jetzt liegt Dein Schloß noch sicher. Meine treuen Diener sollen meinen Leichnam zur Ruhestätte bringen in den Mauern, wo Sie wohnt. Befiehl auch Du dieß den Meinen an, die ich mit trüben Gedanken nicht beunruhigen mag. Sie wünschte einst neben mir zu ruhen, im langen Schlaf, bis der ewig Lebende uns neu erweckt. Leb wohl!

38. Anna an Bertha

So still auch meine Tage hinfließen, in liebevoller Thätigkeit für die Kinder, die mir immermehr [145] ins Herz wachsen, so vermag ichs nicht, die Gewalt dieser Erscheinung, die so mächtig in mein Leben griff, zu besiegen. Sie dringt hervor aus dem tiefsten Schatten meiner Seele, und an ihrer Gluth versiegt mein Leben.

Ich habe ihn gesehen – ich täusche mich nicht. Sein Auge suchte mich hinter den Gittern des Chors an einem Fest, wo die Kirche voll Menschen war: es war derselbe Blick, der mir das Herz entriß. Sinnlos fiel ich in die Arme der Mutter – und als ich aus der Ohnmacht erwachte, war die Kirche leer. Noch als ich nach meiner Zelle zurück wankte, umgab mich schauerlich die Seligkeit seiner Gegenwart. Ihn zu schonen, durfte ich nicht reden, mir keine Frage erlauben, und Alles in mir selbst verarbeiten. Zweifeln und Hoffen – ach, auf was dürfte ich hoffen? Muß ich ihm nicht die Stille wünschen, die mir fehlt?

Immer nah ist uns das Andenken derer, die wir lieben, aber dürfen wir nicht annehmen, es sind unsrer Sehnsucht Momente des überirdischen [146] Trostes gewährt, in denen die Gedanken der Getrennten sich in geistiger Gemeinschaft finden außer den Banden der sinnlichen Welt?

Noch eines Abends im Klostergarten hatte ich ein unaussprechliches Gefühl seiner Nähe. Mir war es, als schwebte seine Gestalt mir aus der Luft entgegen, so daß mir der Athem entging, und ich mich auf eine Bank setzen mußte. Ich kämpfte dagegen, hielt mich zusammen im Gespräch mit meiner Emma, die mich bald verlassen wird – aber immer lichter wurde die Erscheinung, und schien mir endlich aus dem Abendstern entgegen zu kommen.

Es ist wohl recht thöricht, Dir dieß Alles zu sagen – ich will ja nur auf ein Wiedersehen jenseits hoffen, und dennoch nehme ich solch tröstende Momente mit Dank an. – Ists der Engel der Liebe, der mir sie sendet? Hat nicht alles Gute seinen schützenden Engel?

[147]

39

O Bertha! welche Tage des grauenvollen Entsetzens, des Schreckens, liegen zwischen meinen letzten Zeilen an Dich! Welchen Strahl des Himmels senkte der Allgütige in dieser dunkeln Nacht auf mich herab. Wir wurden gerettet durch Ihn! Ottomar war sichtlich mein Hülfsengel – Und jetzt! – es trennt mich nur eine dünne Wand von seinem Zimmer. Er lebt, er athmet neben mir, schwer verwundet, doch darf ich seine Genesung hoffen. Mir, mir gab Gott den Trost, seine Pflegerin zu seyn, ja es ist meine Pflicht, das von ihm geschenkte Leben auch ihm zu weihen – Ihm, von dem ich mich für diese Welt getrennt glauben mußte!

Ich will suchen, Dir die Begebenheiten klar darzustellen, wie ich sie aus seinen Erzählungen, aus den mich umdrängenden Gerüchten zusammen zu reihen vermag.

Die Kunde des Aufruhrs in Schwaben drang zu uns, aber verworren waren die Gerüchte, es [148] schien uns, als vergrößere die Furcht das Uebel. Bald hörten wir aber die verübten großen Thaten des verirrten Volkes, die sich uns näher zutrugen, zugleich, daß das Heer des Bundes gegen die Empörer vordrang, und wir blieben furchtlos in unserm stillen Thal, keine nahe Gefahr ahnend, bis uns das Netz des Verderbens überzog. Warnende Boten sandten uns die Freunde, aber unsre ehrwürdige Mutter wollte nicht von dem ihr anvertrauten Platz weichen, bis zur dringendsten Noth. Wir sendeten unsre Zöglinge ihren Familien zu, und in stiller Ergebenheit harrten wir des Entschlusses der frommen Mutter, und folgten ihrem Willen. Botschaft vom Herannahen unsres Heeres machte uns sicher. Wir saßen vereint im traulichen Gespräch, als die Pförtnerin hereinstürzte und verkündete, daß man ein wildes Getöse im Thal vernähme, das uns immer näher zu kommen scheine. Wir stiegen auf den Thurm, und erkannten in der Abenddämmerung ein anziehendes Heer. Sind es die Unsern? ist es das [149] Bundesheer, fragten die Schwestern ängstlich? Keine Kriegsmusik ertönte, keinen geordneten Haufen erkannten wir, nur ein wildes Toben und durcheinander Schwärmen. Die Finsterniß der Nacht umzog das Thal immer tiefer, und verhüllte uns die Gegenstände, aber das wilde Getös drang immer lauter an unser Ohr, und in der Ferne sahen wir ein Dorf in Flammen aufgehen. Es ist das Bauernheer, sagte mir die Aebtissin leise. Komm, folge mir zur Kirche, laß uns unsre Heiligthümer retten, und dann mit den Schwestern in den nahen Wald entfliehen – Gott wird uns leiten und schützen. Wir eilten zur Kirche, die an der entgegengesetzten Seite lag. An der Klosterpforte entstand der fürchterlichste Lärm, ein Gebrüll der rauhesten Stimmen, mit höhnendem grassem Gelächter, tönte an unser Ohr, vor dem das Herz erzitterte. Flammen schlugen um die Kirchenfenster, und wir wollten uns in eine Seitenkapelle retten, als die Kirchenthür aufsprang, und ein wilder Haufen hereindrang. Die lodernden Flammen [150] erleuchteten diese Schreckensgestalten der Hölle, Wuth und Frechheit lag auf den grassen Gesichtern. Die Mutter und ich hielten uns in tödtender Angst umfaßt.

Haltet ein! rief eine helltönende Stimme zur Kirchenthür herein. Der ist des Todes von meiner Hand, der die heiligen Jungfrauen berührt! Bertha, es war Ottomars Stimme – die geliebte Stimme war es, die uns Rettung verhieß. Du fühlst mein freudiges Erstaunen. Im hellen Schein der Flamme sah ich sein Antlitz, gleich dem Kriegsgott, leuchtend in Zorn und allbezwingender Macht, unter einem Helm. Nur ein Bauernkittel umgab seine hohe Gestalt.

Durch die Zaubermacht seines Wortes gebändigt war Aller Wildheit um uns her. Er nahm mich und die Mutter in seine Arme, und führte uns durch den wüthenden Haufen.

Immer neue Schreckensgestalten drangen durch das Klosterthor ein; er zog uns in einen Kreuzgang und sagte: Euch und das Fräulein [151] vermag ich zu schützen, ehrwürdige Frau, nicht das Haus zu retten, das die Beute der Barbaren werden wird. Ich führe Euch durch die kleine Pforte hinweg. Wir fanden sie offen, die Schwestern hatten sich dahin geflüchtet, erwartend was aus uns geworden sey. Alle entflohen auf Ottomars Wort durch den Garten. Er hielt mich fest umfaßt. Schrecken und Freude wogten durch meine Brust, mein Herz schlug hoch an seiner Seite. Meine Anna, sey ruhig! sagte er mit sanftem Himmelston, keine Gewalt kann Dich von meiner Seite reißen, auch die Deinen sind gerettet, fürchte nichts mehr.

Das Leben drohte aus meiner Brust zu entfliehen, im Widerstreit all dieser Gefühle. Er faßte mich Bebende auf seinen Arm, der Ohnmacht nahe, umschloß der meine seinen Hals. Die Mutter folgte, und bald waren wir in dem nahen Wald, wo er mich in einer Köhlerhütte sanft niederlegte, und mir einen Moment zu ruhen gebot. Die Schwestern versammelten sich um uns, alle waren glücklich entkommen. Auf [152] seinen Ruf kamen seine Leute, und führten ihm zwei Pferde zu. Nicht alle dürften wir dieselbe Straße ziehen, sagte er, unten am Rhein lägen zwei Schiffe bereit, uns überzuführen. Nun ordnete er den Zug. Er übergab die Schwestern zwei sichern Führern, sprach Allen Trost und Muth ein; der Bergesschluchten und aller Pfade wohl kundig, bezeichnete er jedem seinen Weg aufs genaueste. Als einen Engel, zu unsrer Rettung gesandt, dankten ihm alle, und gehorchten vertrauend seinen Worten. Einem Diener gab er die Mutter aufs Pferd, mich nahm er in seinen Arm auf das seine.

Als wir auf die Anhöhe kamen, sahen wir unsre Wohnung des Friedens in Flammen stehen; sie beleuchtete unsern Pfad im Dunkel der Nacht.

Halt, Verräther! schallte es aus dem Dickicht des Waldes, dicht neben uns, du bist ein verkappter Ritter, jetzt kennen wir Dich. – Blanke Schwerdter blitzten durch die Nacht. Elende, rief Ottomar, hab' ich mich Euch zu Mord und [153] Brand vereint, zu wilder Wuth gegen hülflose Weiber? Zu dem, worin ihr Recht habt, zum Frieden wollte ich Euch führen, zum Throne des Kaisers als Reuige – nicht um Verbrechen auf Verbrechen zu häufen.

Die Schwerdter zuckten um uns. Er stieg vom Roß, befahl mir, mich zu halten, die Zügel dem Pferd zu lassen, es würde mich den Waldpfad sicher hinab tragen. In seiner Gefahr war all mein Muth wiedergekehrt. Nie wußte ich ein Schwerdt zu heben. Ich fühlte die Kraft in meinem Arm es zu führen. Ich nahm den Zügel des Pferdes, das die Mutter trug, und war entschlossen nicht von der Stelle zu weichen. Ottomar vertheidigte sich gegen drei Angreifende. Bald lagen zwei zu Boden gestreckt. Auch durch den Diener fiel einer, und die übrigen entflohen. Es ist vorbei, sagte er zu mir zurückkehrend. Wie ist Dir, meine Anna? Mit Hülfe des Dieners bestieg er das Roß, seine Stimme war matt, ich fühlte seine Kleider naß vom entrinnenden Blut.

[154] Ihr seyd verwundet! rief ich; nehmt meinen Schleier, edler Herr, bat ich flehend, stopft die Wunde. – Sey ruhig, sagte er sanft, es ist nur leicht, und bald sind wir am Ziel. Ich hielt die Hand mit dem Schleier über die Wunde, sie war dicht am Herzen. Er drückte sie an sich und sagte: O mein Gott! nimmst Du mein Leben von mir, so laß mich sie erst gerettet sehen, und ich sterbe glücklich!

Der Mond war aufgegangen, und in seinem Licht glänzte der Strom vor uns. Der Diener rief nach dem Schiffe. Ich stieg vom Pferd, half ihm mit dem Diener herab, und bat ihn flehentlich, sich zu schonen. Ja, für Dich will ich es, sagte er mild; und an meinem Arm, auf den Diener gestützt, erreichte er das Schiff. Er gebot den Schiffern Eile, die ihm von ihren Geräthschaften einen Sitz bereiteten; an ihrer Leuchte erkannten wir seine Stirn mit der Blässe des Todes umschattet. Er wollte keine Bemühung um sich dulden, und hielt nur meine Hand über der Wunde fest. Dank Dir, Ewiger! [155] sagte er, als wir uns in der Mitte des Stroms befanden, Du bist gerettet, holder Engel!

Die Mutter untersuchte nun, da er es gestattete, die Wunde, wir stillten das Blut, wie wir vermochten, und erhielten ihn vor der Ohnmacht durch geistige Mittel, die die Schiffer bei sich führten. Die Mutter und ich hielten wechselnd sein Haupt an unsrer Brust. Mit matter Stimme machte er Anordnungen für uns, und bezeichnete uns einen Ort, wo wir sicher seyn könnten, sich selbst ganz vergessend. Ihr werdet uns erlauben bei Euch zu bleiben, edler Herr, sagte die Mutter aus meinem Herzen, bis wir Euch ohne Unruhe verlassen können. Liebevoll dankend, beugte er sein Haupt. Die Rosse standen dicht neben uns im Schiff. Lebe ich, meine Anna! so soll das Roß, das Dich getragen, gerettet, nie einen andern Herrn haben; wo nicht, so trage Du dafür Sorge.

Thränen erstickten meine Stimme, ich antwortete nur durch einen Druck seiner Hand. Wir hatten ihm den Helm abgenommen, die [156] schönen Locken umwallten sein Haupt, der Mondstrahl fiel durch die Wolken ein, sein Blick war nach den Sternen gerichtet – wie die eines Heiligen, der bald zum glänzenden Engel wird, leuchteten seine Züge.

Wir erfuhren durch den Diener, denn ihm selbst geboten wir Schweigen, daß er auf der Reise zum Bundesheer, den auf die Gegend des Klosters vordringenden Haufen wahrgenommen, kein andres Rettungsmittel gesehen, als sich in einen Bauerkittel zu verhüllen, und den Wüthenden zuzugesellen. Der Hauptmann, von Ottomars hoher Gestalt ergriffen, habe ihn, als einen tüchtigen Gesellen, wie er hoffte, mit Freuden aufgenommen, und nach wenigen Stunden habe er eine Obermacht über den ganzen Haufen. ausgeübt, und gehofft, ihren Plan auf das Kloster abzuleiten.

Die reiche Beute, die es versprach, habe dennoch alle Wildheit wieder losgekettet, und ein warnender Diener, den er uns gesandt, müsse den Weg verfehlt haben, oder von den [157] umstellenden Wachten aufgefangen worden seyn. Für mich, Bertha, für mich hat er das Alles gewagt, gethan – muß mein ganzes Leben nicht in jedem Odemzug Sein bleiben?

40

Wir landeten an einem kleinen Städtchen des entgegen liegenden Ufers. Ottomar hielt es nicht sicher vor feindlichem Ueberfall, und verlangte nach einem entfernten Landungsort zu steuern. Aber seine zunehmende Schwäche gebot eilig Hülfe zu suchen; er gab unsern Bitten nach.

In einer Hütte bei guten Leuten fanden wir ein Obdach. Ein Wundarzt kam herbei, er fand die Wunde bedenklich, doch nicht tödtlich.

Die Mutter sagt selbst, wir dürfen ihn nicht verlassen. – Nie, nie würde ich es auch vermocht haben, für Welt und Himmel nicht.

Mancherlei Menschen umgeben uns, denen nicht recht zu trauen ist. Seine Rüstung verrieth den Ritter, aber ein guter Mensch, obgleich [158] ein Anhänger Luthers, ein Protestant, der Gewalt über das Volk hat, ward schnell unser Freund, und hat uns in seinen Schutz genommen.

Er verläßt Ottomar nicht. Seine Liebe für ihn gewinnt ihm mein Herz, auch die Mutter versöhnt sein treuer Antheil, sie duldet seine Reden über Gegenstände der Glaubenslehre, ob sie ihr auch unheilig dünken.

Durch einen sichern Boten habe ich Nachricht von der Mutter; ihre Sorge um mich bei Bestürmung des Klosters wurde früher durch Ottomar beschwichtigt; sie vertraute seinem Versprechen, mich zu retten, was er ihr vom Bauernheer zuzusenden vermochte. Sie segnet ihn tausendfältig. Der Vater ist beim Heer des schwäbischen Bundes, wird auch durch sie über sein Kind getröstet werden.

Ottomars Zustand bessert sich, seiner Heilung sind wir gewiß, aber große Schonung und Sorgfalt bedarf er, um einen neuen Aufbruch der Wunden, der tödtlich werden könnte, zu verhüten. [159] Sanft und gefällig nimmt er meine und der Mutter Dienste jetzt an, ja ich fühle, daß sie sein Herz erfreuen.

Wie schön ist das Leben, meine Bertha, das ihm geweihte! In seiner Gegenwart umdringt es in all' seiner Wahrheit mein Herz mit noch nie gefühlter Zufriedenheit. Wenn alle lieben Wünsche und Träume in lebendige Gestalten sich umwandeln, sich lösen vom unendlichen blauen Grunde der einförmigen Sehnsucht, in frischen Farben von der Sonne der Liebe umglänzt – dann ist es erst Leben zu nennen.

Um uns zu verbergen, mußten wir sogleich unsre Klosterkleidung ablegen. Die Mutter nahm das Gewand einer alten Bürgerin, unsrer Hausfrau, an. Ich habe mir die Kleidung eines artigen Bürgermädchens verschafft.

Als Novize besitze ich meine Haare noch, und sie umgeben meinen Kopf in Flechten, durch eine goldne Nadel gefesselt. Ich trage ein blaues Leibchen über feines Linnen, das Hals und Ermel umkräußelt, durch goldne Kettleins zusammengeschnürt, [160] einen langen faltigen Rock und weiße Schürze. So besorge ich die Geschäfte des Hauses, und als ich Ottomar zum erstenmal das Mittagsessen brachte, sah er mich recht lieb und freundlich an. Ich mußte ihm den Teller nah halten, um daß keine Bewegung ihn aus der ruhigen Lage brächte, und mich an sein Bett setzen.

Sanft legte er die matte Hand auf mein Haupt und sagte: wie freut es mich, meine holde Anna noch im schönen Schmuck der Jugend zu sehen!

Nur noch kurze Zeit, sagte die Mutter, und die blonden Flechten wären am Altar der Einkleidung gefallen. Ich fühlte ein Zucken in seiner Hand, die sich von meinem Haupte aufhob. Wie lieb war es mir in diesem Moment seiner Freude an mir, daß ich im Gehorsam gegen meinen Vater die Novitzenzeit verlängerte, mein ungeduldiges Herz bändigte, das sich so rasch der Entscheidung meines Schicksals entgegendrängte! Auch scheinen mir die Rosen der Wangen zurückgekehrt (ich war erhitzt, da ich beim Feuer [161] gestanden) sagte er, mich mit lieben forschenden Blicken anschauend. Als ich sie hinter der Gartenmauer, im Garten bei den kleinen Mädchen sah, waren sie bleich, ich fürchtete, die zarte Knospe des Lebens sey gebrochen. – Wie, ihr habt mich gesehen, edler Herr? fragte ich verwundert. Er nickte, und fuhr fort: die Abendsonne umgoldete die Pfirstchblüthen, und mild und lehrreich waren Eure Warnungen an den scheidenden Zögling! Ich fühlte, wie all' mein Blut in die Wangen drang, legte den Finger auf den Mund, um ihm Schweigen zu gebieten, nach der Verordnung des Wundarztes.

Er hat mich gesehen, Bertha! so war es keine Täuschung, da ich wundersam seine Nähe fühlte an jenem Abend!

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Sein Herz ist sehr bewegt. In den Abendstunden des heftigern Fiebers umgaukeln ihn tausend Traumbilder aus seiner innern Welt. [162] Er geht in Schlachten, ordnet an – oft ergießt sich sein Herz in Klagen. Tief ergriff es mich, als er letzt ausrief: Schöner Garten, schönes Rosengebüsch, wo ich mit ihr wandeln könnte – aber eine tiefe schauerliche Felsenkluft steht zwischen uns. Giebts keinen leitenden Steg, der hinüber führt? Nein – hinab – und in einem lauten Schrei erwachte er. Er schaute ängstlich um sich, rieb sich die Stirn, als wollte er einer bangen Erscheinung los werden – ich hielt mich hinter dem Schirm und verließ unbemerkt das Zimmer. Ach, es geht ein Faden der Wahrheit durch diesen Fiebertraum – Liebe und nothwendiges Entsagen.

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Unser neuer Freund, den man den Pater Philipp nennt, hat eine so herzliche Zuneigung zu Ottomar gefaßt, er fühlt seinen Werth so tief, daß er mein ganzes Herz für sich gewinnt. Nicht zudringend mit seiner Lehre, verläugnet er dennoch [163] keinen Augenblick seine Ueberzeugung. Er fühlt, daß ich dem Gespräch folgen kann, da ich durch des Vaters Unterricht mit Manchem bekannt bin, und richtet sich oft an mich, den Ausspruch meines offnen reinen Herzens zu vernehmen, wie er es mit vorgefaßter Neigung mir beimißt. Er liest uns die Schriften des Gewaltigen, der der Welt eine neue Richtung zu geben strebt, und vieles rührt mich tief. Ich bin sehr schüchtern, vor Ottomar meine Meinung auszusprechen, aber ohne Worte liest er sie in meiner Seele.

Heut las uns der Pater die Schrift an die empörten Bauern – mit welchem Unrecht zeiht man Luther den Aufruhr zu begünstigen! Auch in Ottomars Sinn ist diese Schrift, auch er wünscht Abstellung unnützer Bedrückung; sein edler Sinn will nur Freiheit in der Gerechtigkeit und Liebe. Dabei biete ich Eurem Meister vertraulich die Hand, guter Pater, sagte Ottomar. Nicht allein in diesem, edler Herr, erwiederte der Pater, ihr werdet es in mehrerm noch thun. Sprachen wir nicht gestern von unmenschlichem Zwang ewiger[164] Gelübde, mit denen die Kirche in spätern Zeiten das arme Leben des Menschen belastet, von dem die ersten Stifter, im reinen Verstehen der göttlichen Schriften, schwiegen?

Eine zarte Röthe flog über Ottomars Gesicht, ich schlug die Augen nieder, und der Pater, errathend, daß er eine zu zarte Saite berührt hatte, gieng mit feiner Wendung in Allgemeines über. Die goldne Brücke der Dichtkunst führt am schönsten aus den engen Lebensverhältnissen hinaus.

Er erbot sich mir aus den Griechischen Tragikern zu verdeutschen, und bald fühlten wir uns in die hohe wahre Natur dieser Dichtung hineingezogen.

O wie schön ist ein vereintes Empfinden mit dem Geliebten der Seele in den Meisterwerken der Kunst!

Höhere Gestalten umfangen uns; wie in reiner lichter Aetherluft schweben die Gemüther vereint in seliger Eintracht.

Wir hatten Ottomars Lager an das kleine [165] Fenster gerückt, so daß er auf die grünen Wogen des schönen Stroms schauen konnte, und in die lieblich ernsten Gebirge der entgegen liegenden Ufer. Der röthliche Schimmer des Abends umglühte sein Antlitz, sein Auge suchte das meine immerwährend, es leuchtete Ruhe und Liebe – Wie glücklich war ich! Ich dachte nicht über die Gegenwart hinaus, die Vergangenheit lag hinter mir mit einem Lichtstreif seiner Liebe erhellt, in der Zukunft gieng sie als ein lichter Stern mir wieder auf. Denken wir uns nicht die Seligkeit, die Ewigkeit als ein Entrücken der Zeit, als ein Meer der Liebe, das uns aufnehmen wird?

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Ich habe einer Predigt unsres Freundes Philipp zugehört, mit Ottomars Einwilligung. Sie hat mich tief bewegt, und die Ueberzeugung, daß diese Männer nur die Freiheit in Gott wollen, [166] hat mich durchdrungen. Philipp ist ein Schüler Melanchthons, des milden Freundes des gewaltigen Luthers. Er erweckt das Herz in rein menschliche Empfindung; einfach und klar legt er die Worte der heiligen Schrift aus. Mein Verstand konnte die Wahrheit einsehen, mein Herz einstimmen ins Gebot der Liebe und Duldung, das ihn seine eigne Natur lehrt. Eine Vereinigung von Brüdern, die im Vertrauen das Wort des Vaters hören, scheint mir der evangelische Dienst – Niederwerfen des Menschen vor dem Unsichtbaren, der unsre.

Als ein Lehrer, der uns vom Göttlichen überzeugen will, aus dem innern Licht der selbstempfundenen Wahrheit, steht der Priester hier vor uns, als ein Führer und Leitstern aus irdischer Schwachheit hinauf zum bessern Licht – Nicht als einer, der sich die Schlüssel des Himmels anvertraut wähnt, und, selbst als ein kurzsichtig beschränkter Mensch, unser Innres wägen und richten will, was allein Gott, der allmächtige und allwissende Herzenskündiger vermag. Aufrichtige [167] Rückkehr auf den Pfad des Guten, klares Einsehen des Irrthums, kann uns allein helfen; das ist der Ablaß von Sünden, nicht gedruckte Indulgenzen. Von jeher empörte sich mein Herz gegen jedes Verdammungsurtheil von kurzsichtigen Sterblichen gesprochen. Es schien mir ganz gegen den Sinn des Erlösers.

Tief ergriffen mich die Gesänge, die Vertrauen auf Gott, innige Demuth und Unterwerfung gegen den Willen des Ewigen, in einfachen aber mächtigen Melodien in die Seele ergießen. Ich sprach mich offen gegen Ottomar über alles dieses aus. Er hörte mich sanft an und sagte: Innige Ueberzeugung ist das Heiligste im Menschen, sie ist ihm die Stimme der Gottheit. Keiner vermag mehr als mit That und Wort dazustehen, wo ihm die Wahrheit ist. Aber mit stillem Herzen muß er sich ihrem Heiligthum zu nähern suchen. Das ist nicht immer leicht. Bei diesen Worten überflog eine leichte Röthe seine Wangen. Die Mutter trat herein, vor ihr vermied ich alle Gespräche, die Glaubensgegenstände [168] berühren; sie ist leicht dabei zu verletzen; die sanfte Seele möcht' ich nie kränken.

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Welch süße Freude gewährt es, einen geliebten Genesenden das Leben aufs neue umfassen zu sehen! Vor jeder Blume, die ihn erfreut, vor jedem warmen Sonnenstrahl, vor jedem sanften Westhauch, der die matte Brust anweht, möcht ich dankbar niederknieen.

Heut führten wir ihn zuerst in den kleinen Garten. Die Mutter, unser Freund Philipp und ich unterstützten ihn. Nach dem ersten Blick des Dankes gen Himmel, fiel der zweite auf mich, freudig strahlend, als wär' ich ihm auch mit dem neuen Leben geschenkt.

So ists auch, Vertha, denn so innig ich ihn auch liebte, so fühl' ich doch tausend neue Bande zwischen uns, aus dem verirrten Leben gewebt. Es ist, als gehörte er mir, als gehörte [169] ich mir selbst mehr an, wie thöricht dieß auch klingen mag, seit ich so ganz nur für ihn leben gelernt in den einfachsten Verhältnissen der Natur.

Trösten, Leiden mildern, pflegen, ist ja unser Beruf. Welche Seligkeit lag darin, diesen für Ottomar zu erfüllen! Jedem Leidenden soll ein Abglanz dieser Seligkeit in erhöhterem Eifer in mir werden, wenn – vermag ich's, die Trennung von ihm zu denken? – und doch naht sie fürchterlich. Vergieb mir den Wunsch, daß der letzte Pulsschlag sie begleiten möchte; hinter ihr liegt nur eine dunkle Wolke.

Er wird zum Bundesheer stoßen, sobald seine wiederkehrenden Kräfte es erlauben – und ich?

Laß mich noch Alles vergessen, Nichts denken beim Aufgehen der Sonne, als daß ich für ihn heut leben werde, und Abends aufschauen dankend nach allen Himmelsgestirnen, daß ich für ihn gelebt habe.

[170]

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Ich ehre sein Schweigen, aber ich fühle es, er ist oft tief ergriffen von Philipps Gesprächen, von dem Gang der Begebenheiten, der Fluth der Meinungen, die Tausende in eine neue Bahn führen. Ueber alles heilig ist mir der Friede seiner Seele, das traust Du mir zu. Nicht immer habe ich die Freiheit vor ihm, die mir fürwahr die reine Gesinnung geben sollte, die in mir lebt, mein Glück nur da möglich zu finden, wo die ewige Wahrheit ihm das seine kund thun wird.

In einem Moment der innigen Uebereinstimmung unsrer Gemüther sagte er gestern, nach einem Gespräch mit Philipp, an dem ich auch Theil genommen hatte: wie freut es mich, mit meiner theuren Anna sprechen zu können, wie mit einem Freund, auch im Denken ihr die Tiefen meiner Seele zu erschließen!

Folge Deiner Ueberzeugung; ein so reiner Sinn kann nicht irren. Verletzt ist Dein Herz von Allem, was Mangel an Liebe und Duldung [171] Hartes ersann, um ins innre Heiligthum des Menschen, sein Wahrheitsgefühl, zu greifen. Das meine ist es nicht weniger, doch nicht so himmlisch lauter als Du, muß ich mich waffnen gegen Alles, was der Leidenschaft schmeichelt. Dort liegt das Glück, und das Glück soll nicht ablocken vom stillen Pfad ernster Betrachtung, auf dem wir unsren Leitstern suchen müssen.

Auch Andre vielleicht würden mir folgen, ihr Geschick läge auf meiner Seele.

Sein Auge ruhte auf mir mit himmlischer Klarheit, eine zarte Röthe flog über seine Wangen.

Ich werde Euch folgen, theurer Herr, lag auf meinen Lippen; ich vermochte nicht es auszusprechen.

O Bertha! wenn der stolze Gedanke mich faßt, als sey ich die Lebensgöttin des Glücks für ihn, dann umstrickt mich die bange Sorge. Wolken irdischer Wünsche, könnten sie die heitre Himmelsluft seines Geistes umschatten? Gott rette der schönen Seele ewiges Heil, aus mir werde was da wolle!

[172] Aber sind nicht viele der Edlen für den Verkünder der neuen Lehre? Bot ihm nicht Franz von Sickingen den Schutz seiner Burg? Begegnet nicht der Vater manchen seiner Meinungen, der der Glaubensfreiheit, die sich nur an die Schrift hält, der Trennung von Rom, des Frevels ewiger Klostergelübde? Sagst Du mir nicht selbst, daß dein Walther sich dahin neigt? Ewiges Licht, bei dem die Wahrheit wohnt, erhelle Ottomars Seele!

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Unser Freund Philipp hofft auf Ottomar, in ihm hoffen viele der Guten, er werde mit dem wackern Frondsberg als ein Vermittler auftreten zwischen dem empörten Haufen und dem Bundesheer. Mit Gerechtigkeit und Milde werde er die, die nur Menschliches wollten, sondern von denen, die Gräuel übten aus wildem verderbtem Herzen. Jene zu treuem Ordnungs-und [173] Pflichtgefühl zurückrufen. Als einen Engel des Friedens denke ich mir Ottomar so gern! Ja, wie er, müssen die Bothen des Himmels ausgesehen haben, die in der Menschheit erschienen, so wie uns die heiligen Bücher lehren.

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Bedenklich trat Philipp heut zu uns herein, fragte sorglicher, ob Ottomar sich getraue bald die Reise zu unternehmen? rieth, seine Kräfte zu prüfen. Das alles machte mich besorgt, da er bis jetzt selbst alles gethan, um ihn zur Ruhe zu verweisen.

Das Roß wurde in einen verborgnen Hofraum geführt, denn wir sind von Aufpassern umgeben. Erfreut kam Philipp, mich und die Mutter zu rufen, wir sollten unsren Pflegling wieder zu Pferd sehen.

An meiner Freude wirst Du nicht zweifeln, Bertha, aber laß Dir meine Schwachheit gestehen, [174] das Ende des schönen Lebens mit ihm, für ihn, lag wie eine dunkle schwere Wolke auf meinem Haupt. Stattlich und schön sah Ottomar aus, das fügsame gelenke Roß, schien es, freute sich ihn wieder zu tragen, und ging sanften Schritts, seinen Muth bändigend, einher. Er reichte mir und der Mutter die Hand mit den Worten: Euch edlen Frauen danke ich das neue Leben, das ich fühle, in Euch sey es allem Guten geweiht!

Der Wundarzt ermahnte noch zu großer Schonung.

Meine theuren Freunde, begann der gute Philipp beim Abendessen, es war mehr als freundliche Ungeduld, sich der Genesung unsres Freundes zu erfreuen, die mich antrieb, seine wiedergewonnenen Kräfte er proben zu wollen. Gefahr droht, und kann schnell über uns hereinbrechen. Ein Bauernhaufen, vom grausamen Metzler angeführt, naht sich der Gegend.

Ob ichs vermöchte, seine Rohheit zu bezähmen, ob der edle Herr sicher wäre, muß ich bezweifeln, [175] und deßhalb zur schnellen Flucht rathen. Sicherheit ist für Euch beim Bundesheer, auch hoffe ich dort auf Ottomars Ansehn, auf seine beschwichtigende Stimme, um das unermeßliche Elend zu enden, das auf dem Vaterland liegt. Sichere Schiffer gewinne ich für Euch zur Ueberfahrt.

Ihr sprecht meine eignen Gedanken aus, guter Vater, sagte Ottomar. Ob ich auch die Gefahr nicht so nah glaubte, gedachte ich sie doch möglich, und wollte mich mit den edlen Frauen berathen über einen sichern Aufenthalt für sie.

Mein Herz glühte; was ich dachte und wünschte war mir klar, aber die Rede blieb auf den Lippen gefesselt.

Die Mutter rettete mich aus der Verlegenheit, denn zudringend bei ihm zu erscheinen, fürchtete ich mehr als alle Schrecken des Kriegs für mich.

Da meiner Anna Vater beim Bundesheer ist, sagte sie, da unsre stille Freistatt ein Raub der Flammen geworden, so hege ich den Wunsch, [176] sie ihrem Vater zu übergeben, und mich selbst zu den Meinen nach Franken zu flüchten. Unser Geleit, fürchte ich, möchte Euch selbst aufhalten und in Gefahr stürzen, laßt uns deshalb einen Eurer Diener zum Schutz, nur wählt für Euch selbst den nächsten und sichersten Weg.

Philipp fiel ein: so weit als mir die Pflicht gegen meine Anbefohlenen erlaubt, mich zu entfernen, nehmt auch mich zum Geleitsmann an. Ist mir auch die Stärke des Armes versagt, so gab mir Gott doch die Kraft der zu Zeiten siegenden Rede.

Könntet ihr mir, ehrwürdige Frau, den Trost und die Freude rauben wollen, Euch selbst zu geleiten, das Fräulein dem geliebten Vater zuzuführen? rief Ottomar. Ihr hörtet ja selbst, daß der Arzt mir Schonung gebot, die nur eine langsame Reise gestattet.

Eine Last fiel von meinem Herzen, ich erröthete, wurde bleich, wollte reden, und vermochte es nicht. Ottomars Blicke ruhten ängstlich und fragend auf mir: Was wünscht meine [177] Anna, sagte er, versagt sie mir die erbetene Ehre und Freude?

O nein, o fürwahr nicht, edler Herr, stammelte die Thörin, wenn es ohne Gefahr für Euch geschehen kann – dies, nur dies ist meine Sorge.

Er faßte meine Hand und drückte sie an sein Herz – O Du meiner Seele ewig Vereinte! hauchte er mir leise zu. Nun wurde alles vorbereitet. Philipp meinte, wir hätten noch drei Tage Zeit, aber Ottomar bestimmte den morgenden Abend zum Aufbruch.

Zum letztenmal umfängt mich die kleine Kammer, wo ich so unaussprechliche Ruhe und Seligkeit in seiner Nähe genoß, wo ich zuerst erfuhr was das Leben für holde Schätze bewahrt! Zum letztenmal säuseln um mich die hohen Bäume, wogt der Strom vor mir hin, und erhellt mir der Mondenschimmer jene Felsenhöhen; und senkt seine silberne Dämmerung über das Thal! Nimm meinen Abschiedsgruß, liebliche [178] Natur, und Du, ihr innres Leben, heilige Liebe! nie weiche Du von mir!

47

O Bertha, was ist des Menschen Geschick und seine Hoffnung! Ein wilder Orkan verheert seine Blüthen, die lichten Bilder seiner Träume zerrinnen in düstrem Gewölk, aus dem der Blitz niederzuckt und die Armen zerschmettert.

Ottomar ist gefangen – der Edelste, Freiste gefangen! Wilde Barbarei ist Herr über das Leben, das alle himmlischen Mächte herabsandten zum Trost und zur Freude der Menschheit.

Mögen die Heerschaaren heiliger Engel goldne Lichtseile der Errettung auf ihn senden, um ihn den Banden zu entziehen – mögen die Felsenherzen Milde kennen lernen! Ich kann nur beten, aber mir wurde ein tröstendes Gefühl der Erhörung von dem Allerbarmenden; wie könnte ich sonst noch athmen?

Der Morgen des Tages graute, der uns von hinnen bringen sollte. Wie ruhig ich den [179] Abend beschloß, sagt Dir mein Tagebuch. Ein dumpfes Getöse umtobte unsre Hütte. Nur zu wohl war ich mit diesen Schreckenstönen bekannt, um nicht augenblicklich unser Geschick einzusehen. Die Mutter und ich eilten zu Ottomar. Gerüstet und in der Hand das gezogene Schwert, begegnet er uns schon. Meine Theuren, an Flucht ist jetzt nicht zu denken, wir sind umringt, sagte er, bleibt in Eurer Kammer und fürchtet nichts. So lang Widerstand keine Tollkühnheit ist, werde ich Euch vertheidigen. Wird er zu dieser, dann unterhandle ich Eurentwegen.

Er drängte uns in den Hintergrund der Kammer, und trat an die Thüre, dem eindringenden Haufen entgegen.

Metzler, hörte ich rufen, hier ist er, der Falsche, der uns um die schöne Beute gebracht – kein Erbarmen mit ihm – stoßt ihn nieder!

Mein Herz erstarrte, als ich den Namen des Schrecklichen aussprechen hörte. In solchen [180] Augenblicken sendet Gott neue Kraft, sonst müßte das schwache Leben verlöschen.

Ja, hier bin ich, sagte Ottomar, und was wollt ihr? Seine Kühnheit wirkte gleich als Geistermacht auf sie, sie standen einen Augenblick wie versteinert vor ihm. Bald ertönten wieder wilde Stimmen, die Verrath und Mord schrieen. Danken solltet ihr mir, daß ich Euch um eine Gräulthat ärmer gemacht, sagte Ottomar, wenn der Tag der Rechenschaft über Euch anbricht, daß ich schuldlose Frauen Eurer Wuth entzog. Um dies zu thun, stellte ich mich als einen der Euren – Gott verhüte, daß ihr mich noch dafür anseht! Zum Krieg fürs Recht bin ich geboren, nicht zur Wildheit und zu Gräulthaten. Hat sich der wackre Götz von Berlichingen nicht von Euch gewendet, als er Eure Raub- und Mordlust mit ansah? Welches redliche Herz möchte Eure Sache zu der seinen machen?

Drohungen antworteten; doch wagte Keiner sich ihm zu nahen. Es war etwas Höheres, Gebietendes [181] in ihm, sein Antlitz leuchtete wie eines höheren Wesens.

Ein Haufen der Einwohner der Stadt, unser Philipp an ihrer Spitze, drang ein, und warf sich vor ihm nieder. Ueber unsre Leichen nur könnt ihr an ihn kommen, riefen viele Stimmen. Der Herr ist gut und mild gesinnt gegen das Volk, ist nicht unter seinen Drängern, laßt ihn frei!

Philipp redete hohe Worte des Gottes-Friedens und der Schrift zu ihnen, mahnte an den Tag der Wiedervergeltung des Gerichts – Viele verstummten, aber ein neuer Haufe drang vor, alles verschmähend und grasse Worte der Lästerung ausstoßend.

Kein Erbarmen, riefen die Grausamen, er ist einer der Stolzen, der Bedrücker, die, über unsern Nacken einherschreitend, uns vernichten wollen, uns in Armuth und Verderben stürzen!

Das bin ich nicht, sagte Ottomar fest und ruhig. Wie die Vernünftigen und Guten denen [182] ihr glaubt, wie Luther, tadle ich nicht Euer ursprüngliches Begehren, würde Euch, vermöcht' ichs, selbst zu Euren zwölf Artikeln verhelfen, gestehe auch, daß man nicht immer recht mit Euch verfahren ist, und nicht immer Wort gehalten hat. Aber Euren Aufruhr, der Gräulthaten gebahr, verachte ich. Wie denkt ihr zu enden? Schrecklich wird Euch die Rache überfallen. Doch genug der Worte! Ich erbiete mich Euer Gefangner zu bleiben bis zum Ausgang der Sache, wenn Ihr diesen edlen Frauen, die Gott und nicht der Welt angehören, einen freien Abzug gestattet. Ihr seht, daß dies mein Wille ist, und ich nicht unbewaffnet bin. Auch unter Euch rechne ich auf manchen Biedern, der es bereut, die Bande des Rechts und der Ordnung gebrochen zu haben. Entschließt Euch! Auch Philipp redete zu ihnen: Dieses Fräulein ist die Tochter eines Heerführers des Bundes, ihr könnt für sie viele Eurer Gefangenen einlösen, einen hohen Preis auf sie setzen, ich selbst, mit denen die ihr unter Euch auswählt, will sie[183] dorthin geleiten. Ottomar, rief ich beinahe bewußtlos, wir Euch verlassen? und jetzt – hoffet das nicht!

Sie besannen sich, redeten heftig gegen einander, ein Anführer trat hervor und sagte, daß sie den Antrag annehmen wollten. Ottomar sprach leise zu Philipp, wendete sich dann zu mir und der Mutter und bat uns, uns zur Reise zu bereiten. Mir war es, als stünde ich eingewurzelt im Boden; ich faßte seinen Arm und rief: Jetzt sollen wir Euch verlassen? – noch nicht ganz genesen, und in den Händen dieser – O habe Erbarmen, Ottomar, und laß uns bleiben! Tief gerührt faßte er meine Hände: Meine Anna, ich bitte Dich, ich beschwöre Dich zu reisen! Du hast mir den Namen eines Bruders erlaubt; in diesem darf ich sagen: ich befehle es dir! Ich konnte nichts erwiedern. Thränen erstickten meine Stimme. Er schloß mich an seine Brust und flüsterte mir leise zu: Sey ruhig, holder Engel, Du kannst mir im Heer dienen; in Dir geht aller Trost und alle Freude des Lebens [184] von mir, doch bald sind wir wieder für immer vereint.

O so mögen Alle Heiligen Dich, Edelster, schützen! rief ich. Ein wunderbarer Muth hatte mich ergriffen, alle Bande waren von meiner Brust gefallen, und frei und unaufhaltsam floß die Rede von meinen Lippen. Noch weiß ich nicht wie ichs vermochte; ein Gott gab mirs ein, ich konnte zu dem Volke reden, das ihn umgab.

Wißt ihr es, wer sich Euch ergiebt? Der Edelste, Beste, der Euer Wohl am Herzen trägt, der Euch vertreten kann am Throne des Kaisers, vor der Versammlung der Fürsten und Edlen. In seiner Brust wohnt Milde und Erbarmen; er war Euer Freund, wird es seyn in Allem, wo ihr nur das heilige und ewige Recht wollt. Seht ihn an als einen schützenden Engel, Euch zur Rettung gesandt. Erkennt ihr nicht das Walten himmlischer Mächte über ihn? Wagt es nicht, ein Haar seines Hauptes zu krümmen; die himmlischen Heerschaaren sind bereit es zu rächen.

[185] Ich weiß nicht wie mir wurde; ein Nebel umzo meine Augen, doch fühlte ich, Ottomar warf einen Blick des Himmels auf mich. Die Mutter und Philipp unterstützten mich und sagten mir, mit Staunen, doch theilnehmend in stiller Ehrfurcht, hätten die rohen Menschen mich angesehen.

Unsre Wächter drängten sich um uns. Philipp und ich mußten Ottomars Roß besteigen. Unbezwinglicher Schmerz umhüllte meine Sinne, aber dennoch entging mir keine seiner Bewegungen, kein sanftes Wort des Trostes, das er an mich richtete. Schon schritten unsre Pferde vor, als ich ihn sagen hörte: »Nun führt mich wohin ihr wollt!« Noch einmal leuchtete mir seine hohe Gestalt aus dem Bauernhaufen, der sich nach einem Thurm drängte, dessen Spitze wir oft aus unsrer Wohnung betrachtet hatten.

Philipp versuchte alle Trostgründe, meinen Schmerz zu besänftigen.

Ottomar sey der Liebe der Bürger gewiß, mit denen es der rohe Haufen nicht verderben [186] dürfe. Alle haben ihm geschworen, für den Gefangenen zu wachen, zu sorgen, alle Gefahr von ihm abzuwenden. Er besitzt das Geheimniß, sich alle Herzen zuzueignen, sagte er; glaubt mir, liebes Fräulein, mir, der ihn wie sein zweites Leben liebt; selbst für Euch würde ich mich nicht von ihm entfernen, wär' ich seiner Rettung nicht gewiß.

Noch umschloß das erstickende Band des Schmerzes meine Brust, keine Hoffnung drang in sie ein, und im dumpfen Gefühl der Nothwendigkeit ließ ich mich hinwegtragen, während mein Herz, mit tausend Banden gefesselt, zurück strebte. Bleich und athemlos saß ich im Schiff während der Ueberfahrt; selbst die rohen Begleiter fühlten Mitleid mit mir und versuchten mich zu beruhigen.

Für ihn müßt ihr Euch erhalten, sagte mir Philipp leise, indem er mich nöthigte etwas Nahrung zu mir zu nehmen; ja, für ihn, denn sein Leben hängt an dem Euren; Ihr wißt es gar nicht, wie er Euch liebt!

[187] Es lag eine Himmelskraft in diesen süßen Worten. Wie neubelebt rief ich: Ihr habt Recht, Philipp, ich muß den Vater sehen, muß die Heerführer anfeuern, schnell, schnell ihn zu befreien – Ich bin stark, laßt uns keinen Augenblick verlieren! Gott, wer weiß, was der nächste bringt! In der Eil unsrer Reise fand ich nur Trost, und die gute Mutter hieß mich selbst mit Philipp rasch vorwärts eilen.

Mit welch süßen Hoffnungen umgab mich Philipps Gespräch! Die Ueberzeugung seiner Lehre werde an Ottomars Herz dringen, er kämpfe mit sich.

Die edle Seele waffnet sich gegen ihre innigsten Gefühle, um sich nur durch die Stimme ewiger Wahrheit leiten zu lassen.

Sein höchstes Glück sey, mir anzugehören in dem innigsten Band der Menschheit, deßhalb müsse er ringen, auf der Bahn freier Besonnenheit zu bleiben, sorgsam erwägen, was die Pflicht gebiete. Kein Glück könne der Unthat folgen; um den Segen meines Lebens gelte es, [188] meiner sey er unwerth, wenn er Irdisches dem Ewigen vorziehen könne, nur der reinen Stimme des Glaubens in seinem Innern dürfe er gehorchen. In der Zeit der Trennung von mir, entfernt von der Zaubergewalt der Gegenwart, wolle er sich freier Prüfung überlassen, und hoffe den Ruf ewiger Wahrheit zu vernehmen. Es sey ihm tröstend, daß ich noch keinen Eid zu brechen habe, um die Seine zu werden, und den Segen des Himmels nicht verscherze. Er liebt Euch für die Ewigkeit, sagte Philipp, nie sah ich eine reinere höhere Liebe. O Ihr guten Seelen, sollte Euch ein übermenschliches Gelübde trennen! Die ewig waltende Liebe wollte dies nicht, nur Menschenwahn erschuf diese Fesseln. Ewig wahr und treu wie die Natur, ist das Wort der Liebe und Erbarmung an die Menschen gesandt.

Mein Glaube wird dem seinen folgen, theurer Freund, sagte ich. Es ist mein Geschick, denn meine Seele kann sich von der seinen nicht trennen, muß seiner Bahn folgen. Ist [189] das sündig, so verzeihe mir der Vater aller Geister, denn so bin ich geschaffen!

48

Welche Freude fühlte ich in den Armen des theuren Vaters! ich finde ihn für Ottomar ganz gesinnt wie ich es wünsche. Er eilt für seine Befreiung zu wirken. Alle Edlen des Heeres sind bereit Alles für ihn zu bieten. Heut zieht Philipp mit Vorschlägen dazu zu Ottomar zurück.

Eilt, theurer Freund, flehte ich, ach, während wir hier sprechen, fällt vielleicht das edelste Leben!

Fürchtet nichts, liebes Fräulein, erwiederte er. In der reinen Menschlichkeit, im wahren Edelmuth, liegt eine allbesiegende Kraft, die den wüthendsten Haß bändigt.

Saht Ihr es denn nicht, mit welchem Zauber seine Jugend und Schönheit, sein unbezwungner Muth alle Wildheit umstrickte? alle gezuckten Schwerter von ihm abhielt?

[190]

49

Der gute Vater freut sich, mich wieder in die Farben des Lebens gekleidet zu sehen. Mein gutes Mädchen wird nun bei mir bleiben, mich und die Mutter nicht wieder verlassen, sagte er, indem er mich inniger an die Brust schloß – ich schwieg, drückte seine Hand an meine Lippen – was konnte ich sagen? Gehör' ich denn mir selbst an?

50

Der Heereshaufen, den der Vater befehligt, nimmt andre Stellungen ein. Die fromme Frau, meine zweite Mutter, wird mich bald verlassen; sie selbst rieth mir dem Vater zu folgen, und sagt, es sey meine nächste Pflicht. Wie hängt auch sie an Ottomar! Wie unerschöpflich ist sie in seinem Lob, in der Erinnerung der Verbindlichkeiten, die wir gegen ihn haben.

Der Vater hört ihr mit Antheil zu. Gibts eine süßre Musik, als das Lob des Geliebten vor denen, die wir verehren?

[191]

51

Ich hatte eine sehr ernste Unterredung mit dem Vater. Er ist ganz der neuen Lehre geneigt, die er nur die ursprüngliche, alte, einfache der heiligen Bücher nennt. Er erwartet das Ende des Kriegs, die Dämpfung aller Unruhen, um sich öffentlich dazu zu bekennen. Er hat Luther und Melanchthon bei Friedrich dem Weisen kennen lernen, ist überzeugt, daß die Wirkung dieser Männer von Gott kommt, und will leben und sterben auf ihren Glauben.

Die Unmenschlichkeit ewiger Klostergelübde kam zur Sprache. Ich verlange nicht Dein Gefühl zu überwältigen, meine Anna, sagte er, aber eine freie Prüfung meiner Gründe kann ich von Deiner Vernunft erwarten. Von Kindheit an suchte ich Dir die innre Haltung zu geben, die über das innre und äußre Leben zu reflectiren vermag. Ich sprach ihm von Philipp, von der Predigt, die ich gehört, von der Art und Weise wie mich der Gottesdienst gerührt. Mit Zufriedenheit hörte er mich an. O Bertha, [192] stünde auch Ottomar auf dieser Seite! Ich fühle, daß ich nur ihm folgen muß.

Die Mutter folgt dem Vater – er hat sich mit ihr verständigt; in Kurzem wird sie bei uns seyn.

52

Die gute Frau, die mein wundes Herz so treu an das ihre aufnahm, die seit Jahren mit sanfter Liebe seine Schmerzen kühlte, hat mich verlassen. Ihr Andenken wird in meiner Seele bleiben, ich werde wieder zu der Treuen fliehen, wenn Ottomar nicht – Bertha, Dir nur kann ichs sagen, welche kühne Hoffnung ich nähre – wenn Ottomar nicht des Vaters Ueberzeugung annimmt.

Wie muß ich die Zartheit dieser Frau lieben und ehren, die fest und unwandelbar in ihrem Glauben bleibt, und dennoch kein überredendes, kein kränkendes Wort gegen mich aussprach! Der wahre Glaube, wie die ewige Liebe ihn selbst verheißt, ist ja Liebe! Hätten ihn Alle, kein [193] Streit würde die edelsten Herzen entzweien, in feindseliger harter Beschränkung trennen. Der Vater hat mir Luthers Schriften gegeben; sie sah, daß ich sie fleißig, oft mit inniger Rührung las. Sie tadelte es nicht; auch ihr reicher gebildeter Geist ist über todte Formen erhoben, doch will sie für sich auf dem Pfad, den sie bisher gewandelt, bleiben.

Gott erleuchte Dich und lenke Deine Schritte, mein Kind, sagte sie beim Abschied. Wie sanft pflegte sie meine Liebe, Ottomars Andenken in meinem Herzen. In meiner Angst um ihn, (denn jeder Augenblick kann ja noch das Schrecklichste über ihn verhängen), tröstete mich ihr Gebet. Wenn ich Nachts in bangen Träumen seinen Namen ausrief, fand ich sie oft an meiner Seite wachend und betend für ihn, denn sie liebt ihn wie einen eignen Sohn.

53

Der Vater hat mich in eine Stadt ohnweit des Lagers gebracht, wo er mich täglich besucht. [194] Ich soll meinen Nonnenschleier nicht wieder anlegen, bis ich geprüft habe. Ich soll mich im Schmucke eines Ritterfräuleins aufs Neue kleiden; seine Güte wählte das Köstlichste für mich. Doch erfüllt er meine Bitte, und erlaubt mir die größte Einfachheit beizubehalten. Soll ich in der Welt leben, so werd' ich mein Leben auch da nur der Stille und Wohlthätigkeit weihen. Ein Auge, das soviel geweint hat, ein Herz, das den Ernst des Lebens so schwer gefühlt, kann sich an eitlem Glanz nicht mehr ergötzen.

Meine Blumen blühen nur im stillen Thal der Demuth der ernsten Betrachtung.

54

Stündlich, augenblicklich erwarte ich Nachricht von Philipp – bei jedem Klopfen an der Thür, bei jedem Pferdetritt die Straße herauf, schlägt mein Herz hoch. Der Vater beruhigt mich, in seinen Worten liegt oft eine Deutung in eine lichte Ferne – ist's ein süßer Wahn der Vaterliebe?

[195] Noch sehe ich nur dunkle Wolken.

Er liest viel mit mir in der deutschen Bibel, die uns Luther geschenkt. Eine Gotteskraft des heiligsten Vertrauens stärkt mich. Die Leitung des Allmächtigen scheintmir gewisser, näher in den wohlbekannten Worten unserer Sprache. Lehre und Verheißung dringen inniger an mein Herz; wie in einem andern, geistigern Element, empfinde ich Alles klarer und höher.

Hat eine menschliche Rede höheres ausgesprochen, als die des Jüngers des Herrn, den er vor allen liebte; als der hohe Paulus, wenn er den göttlichen Sinn der Liebe erschließt?

Ich fühle mich der ganzen Natur inniger verwandt; kein Streit liegt in mir, und der Glaube an die Göttlichkeit dieser Worte, macht mich einträchtig mit Allen.

Da ist kein Ausschließen, kein Beschränken, kein angstvolles Zittern.

Wenn wir uns mit Wahrheit und Demuth nahen, dringt uns der Sinn der göttlichen Offenbarung entgegen, als ein frischer, reinigender [196] Quell, aus dem die ganze Menschheit Liebe und Versöhnung zu schöpfen vermag.

Alle menschlichen Formeln fallen ab von dem in Liebe befreiten Gemüth. Da ist nur Fülle und Klarheit. Der Geist spricht zum Geist. Meine Ueberzeugung folgt der des Vaters – O, wo wird sich Ottomar hinwenden?

55

Unter sorglichen Gedanken an Ottomar, saß ich gestern Abend im kleinen Zimmer, den Vater erwartend, als ich ein Anklopfen an die Thür vernahm.

Ich öffnete und ein freundlicher Mann trat herein, mit dem sanftesten Gesicht und den klarsten blauen Augen, die ich je gesehen. Er war als Weltgeistlicher sehr einfach gekleidet. Philipp folgte ihm.

In glühender Ungeduld flog ihm mein Herz entgegen, aber sein Betragen gegen seinen Begleiter war so ehrfurchtsvoll, daß es mir gebot meine Gefühle zu bezähmen.

[197] Dieser schien sie zu errathen und sagte: Wir sind ins Heer gesandt zu Eurem edlen Vater, mein Fräulein, doch vor allem andern Geschäft ist uns aufgetragen die Botschaft an Euch zu überbringen. Entledige Dich Deines Auftrags, Bruder Philipp, während ich den Ritter aufsuche.

Er verließ uns; und mit welcher Freude erkannte ich Ottomars Handschrift auf dem Briefe, den mir Philipp überreichte:

56

Ich bin frei, meine theure Anna, frei in jedem Sinn. Nimm den Mann, den Philipp mit diesen Zeilen begleitet, auf, als einen himmlischen Boten: es ist Melanchthon. Ich bin überzeugt, daß sein und seines gewaltigen Freundes Thun und Wesen von Gott kommt, und daß keine Macht auf Erden es unterdrücken kann.

Dieser Ueberzeugung zu folgen, heißt mich Ehre und Pflicht, aber auch zugleich mich den frühern Banden mit Demuth so wie mit Ehre zu entziehen, [198] Versöhnung der gährenden Elemente zu versuchen, so lang Hoffnung dazu vorhanden ist.

Was mich meine äußre Freiheit kostet, wird Dir Philipp berichten.

Zu rechter Zeit sendet mir der Rathschluß des Ewigen eine tröstende Lebensaussicht, die Hoffnung eines Glückes, dem ich für immer entsagen zu müssen glaubte – es ruht in Dir, wie mein ganzes Gemüth und Herz.

57

Philipp begann sogleich folgende Erzählung: Melanchthon war auf einem Besuch bei den Seinen in der Pfalz, als er meine dringende Botschaft empfing, nach dem Städtchen zu kommen, wo Ottomar gefangen war.

Obgleich er alle Gemeinschaft mit dem empörten Volkshaufen floh, seitdem er sich mit Grausamkeiten und gottlosen Thaten befleckt hatte, schien ihm doch mein Ruf vom Himmel zu kommen; er folgte ihm. Einen edlen Jüngling könnt ihr vielleicht retten, und mehr als das, eine edle [199] Seele uns gewinnen, deren Kraft und Klarheit eine Stütze des reinen Glaubens werden kann, hatte ich ihm geschrieben. Bald kam er mit einigen Gutgesinnten zusammen, die selbst die Gräulthaten bejammerten, zu denen die aufgelöste Ordnung sie geführt hatte, es bitter fühlten, daß die Macht des Bösen sich auf Erden schneller und gewaltiger vereint, als die des Guten, wenn das Band der Gesetze gebrochen ist. Er verschaffte sich freien Eingang zu Ottomar.

Wie riß sein ganzes Wesen das Herz des Gottesmannes zu sich hin. Tapfer, gelehrt, offnen Sinns für die Wahrheit, lautern Herzens, feiner Sitte – kurz ein Muster aller Trefflichkeit schien er ihm sogleich beim ersten Zusammentreffen. Wirken und Walten einer höhern Liebe und Macht spürt man um ihn her, wie um einen Jeden, den sich Gott ausersah zu hohen Thaten für sein Wort. Ein König schien er ihm in der kleinen Kammer, die er versprochen hatte nicht zu verlassen, herrschend über seine Wächter, nur durch sein gegebnes Wort gebunden.

[200] Einige Uebelgesinnte unter dem Haufen, hatten noch Ausstellungen an meinen mitgebrachten Vorschlägen, und hinderten seine Befreiung. Melanchthon gewann Zeit zu häufigen Gesprächen mit dem Ritter. Wie leuchtete ihm sein klarer Geist entgegen in unsren Streitigkeiten; wie fühlte er sein großes Herz! Da, wo es dem Menschen rein um die Wahrheit zu thun ist, waltet unsichtbar eine höhere Macht. Sie erwogen den Lauf der Geschichte, die Lehre der Väter, sie lasen vor allem in der heiligen Schrift mit lauterm Herzen, und ich fühlte wie der Funke der Ueberzeugung in seiner Seele aufloderte.

Eines Abends, als wir ihn verließen, reichte Ottomar Melanchthon seine Rechte und sagte: ich erkenne es, Eure Sache kommt aus Gott, und werde es beweisen mit That und Wort. Viele der Bessern unter uns sahen ein, wie eine Läuterung und Sichtung nöthig war, wie sich Ewiges und Irdisches durch Schwachheit und Irrthum sündig vermischt haben. Eine höhere Kraft war mit der Treue und Einfalt Eures Herzens.

[201]

Aber auch Ihr hütet Euch, nicht von dieser, nicht von der Liebe zu weichen, nicht Krieg um des Krieges wegen zu führen.

Meine Freude war ohne Maß; auch ich dankte dem Herrn für den Gewinn unsrer Lehre in einem so edlen, kräftigen Herzen.

Und Ihr wollt leben und lehren in unsrem Sinn, fragte ich, dem strengen Gelübde entsagen, das Euer Herz preßt?

Laßt mich dies in stillem Geist erwägen, antwortete Ottomar. Nur aufs Ewige muß die Seele gerichtet seyn, wenn sie würdig bleiben soll des hellern Lichts der Wahrheit. Vom Eid kann nur der entbinden, der ihn empfing. Den Papst, Euren Erbfeind, muß ich noch als das sichtbare Oberhaupt der Kirche betrachten, indem ich vor ihm die Entbindung meines Eides begehre. Nicht ohne Beispiel ist dies; ich hoffe auf meiner Gründe Gewalt. Die Hoheit der Idee ist durch irdisches Treiben, durch menschliche Gebrechlichkeit, durch Ringen nach sinnlichen Vortheilen entweiht, nicht zerstört. Mein Gewissen, [202] meine Ehre fordern von mir so zu handeln, um mich würdig zu fühlen eines Glücks, das sich mir von fern wie aus goldnen Wolken zeigt, und das nur mit reinem Sinn zu erlangen ist.

Voll Liebe und Freude verließen wir die schöne Seele und vertieften uns in Gesprächen bis zum dämmernden Morgen.

Kriegslärm drang an unser Ohr; bald erkannten wir, daß eine feindliche Schaar in die Stadt gedrungen war. Wir eilten zu Ottomar und fanden seinen Thurm von fremden geordneten Schaaren umringt.

Die Wachten der Bauern waren im Kampf vor dem Thor, und von allen Seiten drang Unterstützung zu ihnen. Schüsse fielen, Schwerter blitzten uns entgegen; wir drangen durchs Gefecht; vergebens versuchten wir die Kraft der Rede. Ein schöner Jüngling führte die geordnete Schaar. Glücklich drangen wir vor bis zum Thor des Thurms. Ottomar, rief der Führer, brich Deine Fesseln, komm heraus an meine Seite, ich bin hier Dich zu befreien!

[203] Jetzt erschien Ottomar auf der Brüstung des Thurms. Adelbert, mein treuer Bruder, halt ein! ich gab mein Wort zu ritterlicher Haft! sie haben Wort gehalten, ich kann das meine auch nicht brechen. Thor und Riegel wären meiner Kraft leicht zu besiegen, nur mein Wille bindet mich. – Weichet, ihr Haufen, ich bleibe Euch – halte die Deinen ruhig, Adelbert!

Vergebens waren seine freundlichen Worte; der scharfe Kampf war losgekettet, seine Hitze nicht zu bändigen. Von beiden Seiten fielen Verwundete und Todte. Auch meine und Melanchthons Stimme ermahnten vergebens zum Frieden; vergebens fielen wir den wüthenden Bauern in die Arme; sie schleuderten Feuerbrände nach dem Thurm.

Jetzt brach Ottomar Thür und Riegel; die Pforte öffnete sich, er stand davor, entriß dem nächsten Krieger sein Schwert und rief: Eure blinde Wuth macht mich frei, löst mein Wort, nicht mit Flammen vermag ich zu kämpfen.

[204] Adelbert drang auf ihn zu; schon war er ihm nah; seine Arme breiteten sich aus, den Bruder zu umfangen, als ein unglücklicher Schuß fiel und ihn zur Erde streckte. Wuth ergriff seine Krieger ihren Führer zu rächen. Ottomar focht an ihrer Spitze, und in Kurzem war der Bauernhaufen zernichtet; was übrig blieb, floh aus der Stadt. Adelberts Getreue hatten sich dicht um ihn gestellt und eine Schutzwehr von Piken und Hellebarden schützten den Sterbenden. Ottomar kehrte zurück, warf sich auf ihn, faßte ihn in seine Arme und rief alles zur Rettung auf. Vergebens, der Schuß hatte dicht ans Herz getroffen; Todesblässe umschattete seine Stirn; starr und gefesselt lagen seine Glieder. Noch einen liebestrahlenden Blick warf das brechende Auge auf den Bruder, und mit sterbender Stimme vermochte er zu sagen: ich sterbe glücklich – für Dich! Tröste die Mutter. – Grenzenlos war Ottomars Schmerz.

Alle Bürger die ihn liebten, theilten seinen Kummer, so wie die untröstlichen Krieger. Ernst [205] drückte er mir die Hand über dem entseelten Leichnam.

Hier liegt nun der holde Jüngling, die Freude und der Stolz unsres Geschlechts, die einzige Hoffnung der alten Mutter. Ich selbst muß ihr seine Leiche bringen, um daß sie nicht ganz verzweifle und den einen Sohn sich erhalten sehe; ich selbst muß die Reste des Geliebten in der Gruft der Väter bestatten.

Die Krieger machten eine Bahre, und mit allen Ehrenzeichen seines Standes geschmückt, trugen sie den entseelten Körper in ihrer Waffen Mitte. Freundlich, wie verklärt in Bruderliebe, war sein schönes Antlitz. Ottomar selbst wollte von seiner Seite nicht weichen und ihn begleiten; er entfernte sich für wenige Augenblicke, nahm mich und Melanchthon dann bei Seite und übergab mir das Brieflein an Euch, mit den holden Worten: »Da Ihr unsern Lehrer zu geleiten dachtet, so beschwöre ich Euch, eilends diese Zeilen dahin zu bringen, wo mein ganzes Herz ist – ihr alles Geschehene zu berichten. [206] Eine reine Seele werdet Ihr finden; Euer frommer Sinn tröste sie über meinen Schmerz, der, ich weiß es, auch der ihre seyn wird.«

Herzliche Thränen weinte ich über den Tod des edlen Jünglings. Was vermag Ottomar zu trösten über den Verlust solch einer Bruder-Liebe? Aber welch einen schönern Tod konnte Adelbert sterben, als den für ihn!

Philipps milde Trostworte suchten mein Herz ins Licht der Hoffnung zu erheben, aber über das Glück der vollkommen vereinten Gesinnung mit den Geliebten, warf der Schatten des Bruders einen dunklen nächtlichen Schleier.

Der Vater kam mit Melanchthon zurück. Ich begrüßte ihn mit Ehrfurcht; der Hauch eines höhern reinen Lebens wehte mich an in seiner Nähe, in seinen Gesprächen, vor dem die Schmerzen der Erde hinschwanden. Vor solcher Festigkeit und Milde, die wahrhaft eine Gotteskraft zu nennen ist, erhebt sich unser ganzes Wesen nur im Streben nach einem würdigen Gebrauch des Lebens, indem es sich der Ewigkeit zubildet.

[207] Der Vater ist eines Sinnes mit Melanchthon; auch auf die Einstimmung meiner Gesinnungen warf er einen Blick des Segens.

Mit Liebe und hoher Achtung sprach er von Ottomar, hofft auf ihn in Wort und That. Segnend und im Gefühl einer ewigen Verbindung, verließ uns der fromme Mann. Nie getrennt sind die, die eines Glaubens, einer Liebe und einer Hoffnung leben!

58

Des Vaters Heereshaufen rückt vor. Die Gegend ist vom Feind gesäubert. Ich gehe zur Mutter, um den Ausgang zu erwarten. Meine Seele ist wundersam still und hoffend, meine Bertha.

Der Vater geht zur Schlacht! Ottomar ist gewiß an seiner Seite – So viele Wunder der ewigen Liebe und Erbarmung sind schon für mich geschehen! Die Geliebten werden mir erhalten bleiben – fern sey aller Kleinmuth!

[208]

59

Fest, wie ich im Glauben und Hoffen, fand ich die geliebte Mutter wieder. Wie süß ist mir das Gefühl ihrer Freude an mir, mich dem Leben wiedergegeben zu sehen, ihr wiedergegeben in ungetrenntem Zusammenseyn.

Jede kleine Freude, die wir zusammen genießen, jede kleine Sorge, die ich ihr erleichtere, alles nehmen wir an als ein Geschenk der waltenden Vaterhand aus den Wolken, die uns so wunderbar leitete.

Auch Ottomars Mutter habe ich gesehn. Das Lächeln der theilnehmenden Freude über einer zerrissenen Brust, hat etwas Heiliges.

O! sie kennt Ottomars Liebe, denn sie drückte mich an ihr Herz wie eine Tochter. Wie gern ruht mein Auge auf ihren Zügen, die viel Aehnlichkeit mit den seinen haben. Sie ermüdet nicht in hundert wiederholten Fragen nach allen kleinen Umständen meiner Errettung durch Ottomar, meines Zusammenlebens mit ihm, und im zärtlichsten Dank für meine Sorgfalt in[209] seiner Pflege. Sie führte uns auf ihr Landhaus, wo man eine weite Gegend überschaut.

Die Kuppel des Doms, wo ich so Schreckliches litt, deren Anblick mich aus dem Kloster so wundersam tröstete, auch diese habe ich wiedergesehen. Geröthet, wie damals, im Schimmer der ewigerfreuenden Sonne, leuchtete sie mir entgegen – milder, lieblicher, denn auch ein Strahl der Hoffnung glüht in meinem Innern. Bertha, wie es auch werden mag, ich bin still, denn ein überirdischer Trost bleibt mir im Gefühl seiner Liebe, der seligen Tage mit ihm, deren Erinnerung mir nichts entreißen kann. Was auch sein Herz wählen mag – von ihm kommt mein Geschick – und er kann nur das Edelste wählen!

Ich mußte mit der Mutter zum Grabe ihres Sohnes wallfahrten. Laß uns nun beten, mein Kind, für den, der mir noch bleibt, sagte sie, und wir knieten nieder auf den Stufen des Altars der kleinen Kapelle, die den Todten geweiht ist. Wie inbrünstig ich betete, fühlst[210] Du, meine Bertha; mir wurde ein tröstender Glaube der Erhörung.

Auch für Deinen Vater will ich mit Dir beten, sagte die Gute – O möchten wir hinfort nur eine Familie ausmachen, sagte sie, als wir die Kapelle verließen! Wir werden es in treuer Freundschaft! sagte ich, indem ich ihre Hand küßte. Ich werde sie ehren und trösten, wie ich vermag; trägt nicht Ottomar ihre Züge?

Jede Nachricht vom Heer theilen wir uns mit. Nach allen Umständen müssen die Tage der Entscheidung jetzt nahe seyn.

60

Welch schwüle Gewitterluft liegt auf uns, wenn die Geliebten dem Feind entgegen gehn! Der feurige Abendhimmel deutet uns die Flammen der Schlacht, jeder Windeshauch den Donner der mordenden Geschütze; jeder nahende Bote erregt uns in Fieberangst und Glut. – [211] Ach, er kann ja das Schrecklichste bringen! Und doch labt mich ein Blick nach dem ewig blauen Aether; mir ist, als müßte uns nur Gutes kommen von Oben. Ja in diesen angstvollen Tagen umgeben uns gute Geister, und halten uns, am Abgrund der Verzweiflung; – wie könnte das arme Menschenherz sonst noch fortschlagen unter seiner zerstörenden Angst!

61

Die Unsern haben gesiegt, die Empörung ist gedämpft; Ottomar lebt, der Vater lebt. Der Bischof brachte uns die Siegesnachricht. Er floh, den Ausbruch unsrer Schmerzen nicht mit anzuschauen; als ein Bote des Glücks wollte er uns nun erscheinen. Adelberts Tod hatte sein Herz zerrissen, all seine Hoffnungen auf den Glanz seines Hauses zerstört.

Zärtlich grüßte er mich; sein ernster Blick ruhte mit Wohlgefallen auf mir. Kein tieferes [212] Verhältniß berührten seine Reden anfänglich. Beim Abschied nahm er mich allein in einen Laubengang des Gartens.

Unter ganz anden Umständen sehen wir uns wieder, meine holde Anna, begann er: mit Freuden sehe ich Euch dem Leben unter den Euren zurückgegeben; was Euch auch dazu bewegen konnte, den freundlichen Lebenspfad wieder einzuschlagen – er sey Euch gesegnet! Im herben Schmerz um den Tod des geliebten Jünglings, auf dem meine irdischen Hoffnungen ruhten, wurde mir die ernste Lehre gegeben, daß alle Gebäude des Glanzes und Glücks für unsre Geliebten, auf unsichrem, schwankendem Grunde ruhen. Der Mensch soll keine Erdenhoffnungen aufbauen, die allen Elementen der Zerstörung Preis gegeben sind; feindselig ist sein Eingreifen ins Geschick; Thränen erndtet er statt des gehofften Glücks. Nur der Himmel ist stät und blickt über den verfinsterten Wolken uns ewig heiter wieder an. Das tiefe Bedürfen seines Wesens, das der Mensch sein Glück nennt, habe [213] ich mehr anerkennen lernen. Irrt er auf diesem Wege, so liegt auch in seiner Natur die Kraft, mit den Folgen des Irrthums fertig zu werden. Lernend geht der Greis mehr, als lehrend aus dem Leben, und zurückkehren von der Bahn des Irrthums, den er erkannt, ist seine Pflicht. Wohl ihm, wenn er im Vertrauen auf die Hülfe von Oben, noch auf Erden ein Pfand der Versöhnung in dem Glück der Geliebten empfängt, daß die Folgen seines Irrens getilgt sind.

Bewegt faßte ich seine Hand, wollte reden – für jetzt nichts weiter, liebes Kind, sagte er, küßte meine Stirn und gieng hinweg.

62

Ich gieng mit der Mutter Abends nach der Straße, auf der uns die Nachrichten zukommen. Noch hatten wir keine eigenhändige Zeile des Vaters empfangen; sehnlich harrten wir diesen entgegen. Eine Staubwolke verkündete uns herannahende Reiter; fröhlich hoffend begegneten [214] sich unsre Blicke; noch wagten wir nicht unser Herz auszusprechen.

Jetzt sahen wir die Reiter deutlich im Lichtgrund des Abendhimmels, und erkannten bald die geliebte Gestalt des Vaters.

Die überraschende Freude nahm der Mutter Kraft und Odem; ich mußte sie unter einen Baum niedersitzen lassen, und in wenig Momenten lag der Vater in unsern Armen.

Noch eine Gestalt suchte mein Blick; der Vater fühlte es, und überreichte mir ein Brieflein von Ottomar.

Es enthielt wenig Worte der innigsten Zärtlichkeit und die Nachricht, daß er sogleich die Reise nach Rom antrete.

Er lebt unter uns, sein Bild steht in dem Herzen des Vaters, wie in dem meinen. Sein Edelmuth, seine Tapferkeit, die ganze Herrlichkeit seines Wesens, sind der Gegenstand unsrer immerwährenden Gespräche.

Nach dem errungenen Sieg hat er mit Kraft und Milde für die unglücklich Verirrten gesprochen, [215] Schonung und Versöhnung gepredigt wie ein Engel des Friedens, der Erbarmung.

Der Bischof hat Ottomar einen Eilboten nachgesandt; er will ihn noch vor der Reise sehen, vieles mit ihm besprechen.

Unser Freund Philipp kam auch, unsre Freude zu theilen. Er wird geliebt, verehrt von der Mutter, und dem Bischof selbst, wegen seiner Treue an Ottomar, ob sie gleich über viel Wesentliches mit ihm uneinig sind. Gute Menschen umschlingt immer ein gemeinsames Band; die reine Himmelsluft der Liebe und sanften Menschlichkeit, siegt über alle Gewölke, aus Spaltung der Meinungen erzeugt.

Der Vater hat viel Gespräche mit dem Bischof; nachdenklich, aber immer mit dem vollkommenen Ausdruck gegenseitiger Achtung und Freundschaft, kehren sie zu uns zurück. Ich werde Ottomar wiedersehen, Bertha! In der Gegenwart des Geliebten liegt ja aller Zauber des Lebens!

[216]

63

Der Bischof hat uns auf die nächste Woche zu einer kleinen Reise auf das Familienschloß eingeladen, wo ich, wie er einst wünschte, mit dem theuern Adelbert wohnen sollte. Die traurende Mutter konnte sich noch nicht entschließen, es wieder zu betreten, doch will auch sie der Einladung des Bischofs dahin nun folgen.

64

O meine Bertha, was habe ich Dir alles zu sagen! Tropfenweis, wie ich selbst, sollst Du den Becher namenloser Freude mit Deiner Anna leeren.

Durch die reichste freundlichste Gegend fuhr ich mit der Mutter den Gebirgen zu, die uns in den Schoos mannichfach schöner Gründe aufnahmen. Klare Quellen strömten aus Felsen, deren Häupter Laub und Rebengewinde umkränzten. Das innigste, reichste Leben der Natur [217] umwogte uns mit seinem Zauber. Ueber einen Wald uralter Eichen ragten die Zinnen einer Burg hervor. Der Vater, der uns zu Pferde begleitete, sagte uns, daß dies das Familienschloß sey.

Das Gebäude blickte ernst und ehrwürdig aus den heitersten Umgebungen hervor. Ein Springbrunnen und umgebende Blumenbeete zierten den weiten Hofraum. Festlich gekleidete Bauern und Diener füllten die Wäldchen und Gärtchen. Aus der Halle des Eingangs kam uns der Bischof entgegen und führte an seiner Hand – o Bertha! Du fühlst mein ganzes Herz – meinen Ottomar!

Mit dem offnen Himmelsblick der Liebe kam er mir entgegen, beugte sich auf meine Hand, lag zu meinen Füßen; – mit dem süßen Ton leiser, sehnender Liebe, sagte er: kann ich hoffen, daß meine Anna den gern als den ganz Ihrigen annehmen wird, dem ihr schönes Herz so viel Beweise der treuesten Freundschaft gab!

Noch wagte ich nicht ganz an mein Glück zu [218] glauben; meine Augen fragten den Bischof, den Vater, ob es nicht ein süßer Traum sey?

Der Bischof näherte sich – Er kann, darf Euch angehören, holdes Fräulein, wenn ihr ihn Eurer würdig findet; der heilige Vater in Rom hat ihn seines Eides entbunden, auf daß man nicht Wappen und Schild unsres tapfern Geschlechts auf seinem Grabe versenken müsse.

Der Vater nahm meine Hand, legte sie in die Hand Ottomars, und sagte: Gott segne Euch, meine Kinder! Aufgelöst in süßen, heiligen Thränen, lag ich an Ottomars Brust. Die Mütter umfingen ihre glücklichen Kinder.

Ich selbst, der Euch trennte, will Euch nun heilig verbinden, sprach der Bischof. Wir folgten ihm zur Kapelle, wo Alles geschmückt und bereit war.

Mit tiefer Rührung sprach der Bischof die hohen Worte der ewigen Verbindung.

Thränen der Liebe, des Segens flossen um uns her.

[219] Stille Gebete und Gelübde, mich dieses Segens würdig zu machen, füllten meine Seele.

Ottomar war voll unaussprechlicher Liebe und Milde.

Wir lebten einige selig vereinte Tage mit den Unsern, dann schied der Bischof von uns, und ernst waren seine Abschiedsworte.

Meine Kinder! glücklich seyd Ihr in der Vereinigung Eurer Herzen; laßt diese Vereinigung ein Symbol seyn der allgemeinen Vereinigung, in der Alles, was gut ist, leben soll. Der Saame mannichfacher Trennungen geht um uns her auf. Eure Gedanken sind mir nicht fremd. In Allem, was ihr thut, weichet nie von der Liebe. Der Männer Vernunft stehe fest und sicher waltend über den Zeichen der Verirrungen unsrer Zeit, sey bereit zu schlichten, zu ordnen über dem täuschenden Gewölk des Wahns und der Eigensucht.

Verhütet alle gewaltsame Trennung. Zieht der Mensch das Heilige herab in den Kreis seiner Leidenschaften, so werden Ströme umschuldigen [220] Bluts fließen, eine Kluft entstehen, über die Jahrhunderte erst eine verbindende Brücke erbauen.

Mein Vater und Lehrer, erwiederte Ottomar, und Verklärung umleuchtete sein Antlitz, in der Freiheit des Geistes und der Liebe wünschte ich das Daseyn aller Menschen zu erhalten; so weit meine Kraft reicht, strebe ich nach dem schönen Ziel. Aber die Bande, von schwacher Menschenhand gewebt, fallen ab von der heiligen Wahrheit. Ist ein Krieg edel zu nennen, so ist es der für die Ueberzeugung, die unsre Brust entflammt, wenn irdische Absicht sie frevelnd fesseln will. Ihr erwartet von Eurem Zögling, daß er ihn führe.

Der Bahn Gottbegeisterter muß er folgen, die uns die göttlichen Schriften als ein allgemeines Eigenthum wieder geben, die das biedre Volk deutschen Stammes fremder Unterjochung des Geistes entziehen, und in unverfälschter Treue und Demuth das Ewige, die Himmelsbotschaft, die in die Menschheit tönte, sondern [221] von menschlichen Satzungen, aus der Finsterniß der Eigensucht geboren.

65

Zu Dir, meine treue Bertha, zu Deinem Walther zu eilen, fordert dringend mein und Ottomars Herz. In Eurer Treue ruhte das Geheimniß unsrer Liebe; allen Wechsel des Geschicks habt Ihr mit uns getheilt; auch unser Glück gehört Euch.

Im Schatten treuer Freundschaft wurzelt alles Gute fester auf der Erde, und alle Blüthen gedeihen herrlicher.

[222]

Treue über Alles

[223] [225]In einer alten hohen Burg in Schwaben wohnte ein guter alter Rittersmann mit zwei jungen lieblichen Nichten. Seine Schwester hatte sie ihm auf dem Todtenbette übergeben; er hatte gelobt, Vaterstelle an den Kindern zu vertreten, und redlich hatte er sein Versprechen erfüllt. Ob er gleich arm war, und die Burg täglich mehr in Verfall gerieth, so hatte er dennoch die guten Mädchen nie Mangel fühlen lassen. Ehrbar gekleidet führte er sie Sonntags zur benachbarten Kirche. Der Burgkaplan hatte sie Lesen, Schreiben, Singen und Zitherspielen gelehrt. Frau Ursula, die treue Schaffnerin, führte sie zum Hauswesen an. Der kleine[225] Garten blühte, der Hühnerhof war wohl angefüllt, und die mäßigen Vorräthe für Küche und Keller treu und achtsam verwahrt. In sorgloser Jugend blühten die Kinder heran, und Liebegard, die ältere Schwester, entfaltete sich zur Blume einer vollkommenen Schönheit.

Sorglich sah der alte Ritter oft auf die Mädchen, wenn sie Abends im Saal, in einer Ecke die Spindeln drehten. Was sollte nach seinem Tode aus ihnen werden? Entfernten Verwandten fiel die Burg als Lehen anheim, und er besaß sonst Nichts, was er ihnen als Vermächtniß hinterlassen konnte.

Man kann es ihm nicht verdenken, daß ihm die Anwerbung eines benachbarten bejahrten Ritters um Liebegard willkommen war.

Dieser hatte sie in der Messe gesehen und, gerührt von ihrer Schönheit und ihrem sittigen Wesen, begehrte er sie zur Hausfrau. Waltram hatte manche Kriege mitgemacht, hatte gegen die Sarazenen gefochten, seine Gestalt trug die [226] Spuren des südlichen Himmelsstrichs; er sah viel älter aus, als er war. Ein Säbelhieb hatte ihn ums eine Aug gebracht, und eine schlecht geheilte Wunde am Beine machte ihn hinkend und unbeholfen.

Liebegard, unbekannt mit seinen Wünschen, empfieng ihn mit liebevoller Geschäftigkeit, als er zur Burg kam, geleitete ihn, mitleidig mit seiner Unbeholfenheit, zum Sessel neben den Oheim, und stellte Wein und Becher vor ihm auf. Ach! hätte sie denken können, als sie sich nach ihrem Gemach zurückzog, daß der ihr Bräutigam zu werden gedenke, dem sie als hülfsbedürftigen Greis so freundlich begegnete!

Die kleine muntre Gertrud scherzte und sagte: nun wer weiß, ob nicht eine von uns beiden das Glück hat, diesem jungen stattlichen Ritter zu gefallen. Liebegard verwies ihr den Spott über Alter und Gebrechen, doch bewegte der tolle Einfall ihre Einbildungskraft. Aus Mährchen und Sagen von hoher, edler Liebe [227] und im Zauber einer holderwachenden Natur, blühten da schon goldne Träume vom eignen Liebesglücke; ihr sanftes Herz erbebte vor der Greisesgestalt in diesem Sinne.

Mich überläuft ein Schauder, Gertrud, wenn ich denke, ich müßte das Weib dieses Alten werden, sagte sie; lieber gieng ich ins Kloster; ja lieber wollte ich sterben.

Eine düstre Ahnung umfieng sie, als beim Abendbrod der Oheim Vieles zum Lobe des Ritters Waltram sprach, von seinen vielen Gütern und von einer Einladung auf seine Burg. Es lag gleich einer Gewitterwolke über dem kleinen Kreise am nächsten Tag, die sich am Abend entlastete.

Der Oheim setzte sich zu den Mädchen in den kleinen Wurzgarten, fragte nach diesem und jenem, was er schon wissen konnte, und begann endlich:

Lieben Kinder, ihr müßt mir die Sorge oft angemerkt haben um eure Zukunft. Alter und Krankheit sagen mir, meine Tage sind gezählt. [228] Ein fremder Besitzer wird in diese Mauern einziehen, die euch keine Freistätte mehr anbieten werden. Mit Angst und Kummer um euch fürchtete ich die Augen zu schließen; aber es zeigt sich ein mildes Hoffnungslicht. Der Ritter Waltram bietet dir, Liebegard, seine Hand; er ist ein wackrer Mann, und wird für dich und die Schwester Sorge tragen, wenn ich nicht mehr bin. Dort drüben, hinter dem Eichwald, könnt ihr die Gipfel seiner stattlichen Burg erkennen. In acht Tagen wird er wieder kommen; diese gebe ich dir zur Bedenkzeit. Die Rosen auf Liebegards Wangen wandelten sich um in Lilien; ihr blaues Auge sanft, wie die Vergißmeinnicht auf den Beeten des Gärtchens, richtete sich starr auf den Oheim, bis eine Wolke von Thränen es umglänzte; die Worte erstarben auf den zitternden Lippen.

Mein Kind, sagte der gute Alte, sehr bewegt, denn ein Strahl vergangener Jugendliebe zuckte durch seine Brust, und er fühlte es wohl, [229] was es heiße für ein jugendliches Herz, alle seine Blüthenhoffnungen zu Grabe zu tragen, ich will dir keinen Zwang anthun; aber bedenke, daß wir alle auf Erden den Pfad der Nothwendigkeit mehr, als den der Lust, wandeln müssen. Er verließ die Mädchen, und Liebegard sank weinend an den Busen der Schwester.

Nimm den alten Ritter doch ja nicht, sagte die Kleine, ihr sanft schmeichelnd, ja nicht, meinetwegen! Wir wollen uns schon forthelfen; die Welt ist weit; wer weiß, was für uns hinter jenen Bergen liegt? Dort wirds auch noch stattliche Ritter und Burgen geben, die nicht so alt und häßlich, wie Waltram, sind.

Nur heißer flossen Liebegards Thränen unter dem unschuldig gutmüthigen Geschwätz der Schwester. Die Liebe und Sorge für sie; die Furcht, des Oheims hinsinkendes Alter zu kränken, ihm den kaum gewonnenen Trost zu rauben, waren es einzig, was ihr Herz in bangem Zweifeln zerriß; ihr selbst waren Mangel und Elend, ja [230] der Tod, willkommener, als ein solch verhaßtes Eheband.

Die Tage verflossen in Thränen, die Nächte in bitterm Kampf und schweren Träumen. Oft kam sie sich selbst als ein Schatten vor, der dem blühenden Reich des Lebens nicht mehr angehörte, und war zum schmerzlichen Opfer entschlossen. Dann griff alle Macht der Jugendhoffnungen an ihr Herz, und sie fühlte die Unmöglichkeit, es zu bringen. Jedes neue Morgenlicht brachte ihr ein ängstlicheres Gefühl ihres Elends, denn sie war dem entscheidenden Tag um einen näher gerückt; jeden Abend sandte sie dem scheidenden Sonnenstrahl Thränen nach, ja der Schlag jeder entflohenen Stunde fiel wie eine ehrne Last auf ihre Brust.

Wie oft labt das arme gepreßte Menschenherz ein milder Hauch des Trostes, wenn es in seiner heißen Qual zu vergehen wähnt! Gute Geister scheinen sich da ihm zu nähern, und es mit Blüthenzweigen einer andern Welt zu kühlen. Auch auf die arme Liebegard neigte sich [231] ein beruhigender Morgentraum nach einer schmerzlich durchwachten Nacht, der ihr eine Lösung ihres drohenden Geschicks verhieß.

Das Morgenlicht war schon angebrochen, als sie im sanften Schlummer auf ihre Kissen zurück sank. Bald ward ihr, als näherte sich ihr der Purpurglanz des Sonnenaufgangs, als füllte eine Lichtwolke ihr kleines Gemach, und nun schied sich aus dem Licht eine weiße Gestalt, die sich mit unaussprechlicher Milde gegen sie neigte. Ein paar sanft strahlende Augen blickten sie an, und sie hörte: »Trägst du Glauben, Liebe und Hoffnung im Herzen, so wird dir geholfen.« Sie erwachte bei diesen Worten, die, wie eine himmlische Musik, in ihrem Ohr nachtönten, und fühlte sich wunderbar beruhigt. Den nächsten Morgen hatte sie dieselbe Erscheinung. Auch am dritten Tage kam die lichte tröstende Gestalt ihrem Lager nah, und nach den ermunternden Worten theilte sich die Lichtwolke und ein anmuthiger Platz in den Umgebungen der Burg, den sie besonders liebte, und oft besuchte,[232] lag vom zauberischen Licht umglänzt, vor ihr. Unter den Gesträuchen, die sich um die wohlbekannte Felsenwand bogen, am klaren Quell, wo sie oft geruht, stand die hohe Gestalt eines Ritters, der ihr die Hand bot. Beim Erwachen fühlte sie sich noch inniger beruhigt; der Trost, daß wohlmeinende Geister sie umschwebten, besiegte mächtig ihren Gram, und die weichen Schwanenflügel einer wundersamen Hoffnung umfiengen sie und trugen ihr ganzes Wesen über die schaurige Kluft der Wirklichkeit hinweg.

Still, selbst der Schwester verborgen, trug sie den geheimnißvollen tröstenden Traum in der Seele, und suchte Abends den Lieblingsplatz auf. Lang saß sie an der Quelle, die zwischen den Felsen hinabsprudelte, um sich mit dem brausenden Strome zu vermählen, der den Fuß des Berges umwogte, dessen Scheitel die alten Burgmauern trug. Schon sendete die Abendsonne ihre schiefen Strahlen ins grüne Thal, und kein Laut des Trostes tönte aus der stummen Oede. Das arme kämpfende Herz fühlte [233] sich aufs Neue einsam und hoffnungslos. Die Natur gieng ruhig ihren gewohnten Kreislauf; kein Wunder geschah zu ihrer Errettung. Die Bilder des beglückenden Traumes erblichen in ihrem Gemüth; die ganze düstre Gewalt ihres Schicksals drang mit ehrner Gewißheit auf sie ein. Nur noch zwei Tage und die Stunde der Entscheidung schlug, und ihr blühendes Leben fiel als Opfer, und sie mußte auf ewig von Liebe und Freude scheiden; ja in verhaßter Pflicht selbst jede Regung des bittersten Schmerzes im wunden Busen verschließen. Bebend trat sie auf eine Felsenklippe, die, weit vorragend, über den Strom hieng, und der frevelhafte Gedanke stand vor ihr, sich in die Fluthen zu stürzen. Verheißung der Ruhe und Ende aller Qualen tönten wie Syrenenstimmen zu ihr herauf aus dem Gekräusel der Wellen. Sagt dieses nicht der Traum? rief sie! Der Ritter in dunkler Gestalt ist der Tod, der mir die rettende Hand bietet, und die lichte Gestalt verspricht mir drüben die Lösung des bangen Erdenlebens. Ein[234] zagender Schritt trug sie vorwärts, aber die süße Lust des Lebens, der Schmerz der Ihren hielt ihr Herz umstrickt, und sie stand in starrer Verzweiflung über dem Grab in den Fluthen.

Ein Jagdgetöse entreißt sie diesem Zustand. Es tobte aus einer Waldschlucht jenseits des Stromes herüber, und näherte sich immer mehr und mehr. Schallender Hörner Klang, Hundegebell und endlich das Traben der Rosse füllte ihren Busen mit einer sonderbaren Angst, denn nie hatte sie hier etwas Aehnliches vernommen. Ein Hirsch stürzte sich in den Strom, und wurde von den Wogen abwärts getrieben; ein Jäger auf einem Rappen in schwarzer Rüstung stürzte sich ihm nach, seinen Wurfspieß werfend, und zwei schwarze Doggen bellten um ihn her. Das schüchterne Mädchen beugte sich unter die Gesträuche, wollte sich verbergen, fliehen, aber ihre Füße verstrickten sich in den Epheu- und Geisblattranken der Felsen, und sie konnte nicht vom Platze. Schnell, einer Traumgestalt ähnlich, die sich außer den Gesetzen des Raums und der [235] Zeit vor uns entwickelt, spornte der Ritter sein Roß den steilen Felsen hinan; schon hatte er sich vom Rappen geschwungen, und stand dicht neben ihr. Die Abendgluth war verloschen, Dämmerung füllte das Thal, nur an seinem Helm glühte noch ein Lichtfunken der Abendsonne, und umleuchtete sein Antlitz. Zitternd, zwischen Angst und Freude, erkannte ihr Herz die Traumgestalt in ihm. Seine Züge waren wundersam schön und edel, und es war ihr, als ob der Blick seines dunkeln Auges ihre Seele auflöste. Wie ist dir, armes Kind? sagte er, mit der volltönendsten sanftesten Stimme, die wie ein Laut des Himmels an ihr Herz drang. Du stehst am gefährlichen Abhang und nicht die guten Geister der Jugend, Freude und Hoffnung schweben über dir. Dich treibt der Sturm des Geschicks aus dem Leben hinaus, wie er mich hineintreibt. Muthig mit mir hinab in die Wogen. Keinen hat diese Hand noch verlassen, der sie vertrauend zu fassen gewagt. Liebegards Herz bebte. Eine menschliche Stimme sprach den frevelhaften [236] Gedanken aus, der so eben durch ihre Seele geflogen war; ein fremdes Wesen blickte theilnehmend auf das Elend ihres Lebens.

Das reine Himmelblau ihres Auges blickte in die dunkle Glanznacht des seinen; leuchtende Sterne giengen ihr da auf, die, gleich Flammen, ihren Busen durchzuckten.

Sie war an die hohe, fremde Gestalt gefesselt, aber ein dunkles, geheimnißvolles Grauen erfaßte sie, so, daß sie gleichsam vor ihr in einem unaussprechlich süßen Hingeben zerrann. Ja, elend bin ich! rief sie aus; denn ein verhaßtes Eheband soll sich um meine Tage schlingen. Die Noth und Sorge der Meinen muß ich lösen, und sollte es mein Leben kosten.

Wenn dir das so leichte Gabe scheint, so gieb es mir. Gold macht ja auf Erden alles gut; an dem soll's nicht fehlen; es gilt ja über Liebe und Treue. Die Deinen sollst du beglücken, und an meinem Busen will ich dich tragen als eine süße Blume, um die der Liebe Himmelsduft spielen soll, wenn auch die Wurzel [237] auf nächt'gem Grund ruht, tief im Schoos drohenden Geschickes; denn ich bin nicht zum Glücke geboren. Nur eines: an mein geheimnißvolles Thun und Treiben mußt du dich nicht kehren; mancherlei liegt mir ob zu verrichten. So lang du mir völlig vertraust, wirst du glücklich seyn – aber ich lese in deiner Seele, jeden Gedanken durchschaue ich; bei dem ersten Mißtrauen ist die goldne Wolke des Glücks um uns zerstört, und Nacht und Sturm bricht ein und schwingt die Flügel des dunkeln Verhängnisses über uns. Das bedenke wohl!

Liebegard fühlte sich ganz sein. In inniger Gluth des Herzens flohen die Worte von den Lippen, aber ihr Blick schlug sich voll süßer Gelübde der Liebe und Treue gegen ihn auf.

Ja, du willst mein treues, vertrauendes, hingegebenes Weib seyn, sagte er, ich fühle es. Sprich das holde Wort des Bundes; sprich Ja! meine Geliebte. Ihr Blick senkte sich unter den breit umschattenden Augenliedern, und leise flüsterte sie das begehrte Ja! Nun so vergönne [238] mir des Bräutigams Küsse. Nimm und errette in reiner Lieb und Treu meine Seele! Er drückte den heißen, langen Kuß auf ihre Lippen, der zwei Leben vereint und das Herz mit Ahnung seliger Zukunft überfüllt. Ihr verklärtes Auge suchte in den seinen die Bestätigung dieser Ahnung und las Liebe und Entzücken – alle Furcht verschwand. »Da drüben, hinter dem Wald, flimmert das Licht der düstern Burg, die dein Kerker werden sollte,« sagte der Ritter! Du sollst in einer stattlichern wohnen. Fern, weit hinter den blauen Bergen, liegt die Burg meiner Väter, nach Westen zu. Manchen düstern Wald müssen wir durchziehen, manchen Strom durchschwimmen. Eure Liebe wird fortan meine Heimath seyn, theurer Herr, sprach Liebegard; die äußere Lage gilt mir gleich.

Unter holdem Gespräch, vom Zauberhauch der Liebe umduftet, verfloß noch eine Stunde. Anmuth und Edelsinn leuchtete aus jedem Wort des Geliebten, aber hoher Ernst und eine zarte Wehmuth warfen gleichsam eine verschleiernde [239] Wolke um den Lichtblick des Glückes zwischen die Liebenden.

Ich muß nun hinweg, meine Geliebte, sagte er. Wenn sich die Mondessichel zum Vollmond angefüllt hat, kehr' ich wieder. Bitte den Oheim, einen frommen Priester, der uns segnet, zu bestellen, und die Hochzeitfeier anzuordnen, damit ich dich sogleich heimführen kann. Doch bald vergaß ich, daß es für ihn eines Zeichens bedarf, daß nicht etwa ein wilder Jäger deine Liebe erschlich, du Holde!

Er stieß ins Horn. Zwei Knappen sprengten durch den Fluß und standen bald in zierlicher Kleidung vor ihm, um mit Ehrfurcht zu fragen, was er begehre? Was führen wir bei uns von Gold und köstlichem Geschmeide? »Zwei Kästchen mit Perlen und Juwelen, drei mit Gold!« Bringt Alles schnell herbei! rief er. Der Ritter legte Liebegard einen Schmuck von kostbaren Steinen an und eine Schnur der schönsten Perlen. Das Gold ist für den Oheim, meine Liebe, wenn Dirs also gefällt. Das Sonderbare [240] der Gabe fiel Liebegard nur einen Augenblick auf. Das höchste Liebesglück erfüllte ihr Herz selbst mit solcher Wunderkraft, daß ihm nichts Andres wunderbar dünken konnte. Thränen des Abschieds umhüllten ihre Sinne mit einer Wolke zärtlichen Schmerzes. Alles Andre war für sie verschwunden. So liebevoll, so dankbar, so männlich mild war ihres Ritters Scheidegruß, daß sie sich von seinem Anschaun nicht wenden konnte, bis seine Gestalt im Dunkel des Berges verschwand. Sogar der letzten Spur der ihm folgenden treuen Doggen spürte ihr Auge nach.

Mit Freuden trug sie die schwere Last des Goldes heim zur Burg, die den guten Oheim erfreuen sollte, als ein Pfand ihres künftigen Geschicks.

Mit hochschlagendem Herzen, mit dem Purpur der Liebe auf den jungfräulichen Wangen – denn immer stand das Bild ihres Geliebten vor ihren Augen – erzählte sie dem guten Alten ihre Geschichte. Er schüttelte bedenklich das [241] greise Haupt über die so wunderbare Begebenheit. Seine Hand wog indessen mit Behaglichkeit das rettende Metall, und er sagte mit mildem Ernst: Mein Kind, wir wollen diese Hülfe in der Noth als eine Fügung des Himmels annehmen, ob wir sie auch noch nicht begreifen. Der rechte Gebrauch der Gaben und Begebenheiten ist unsre Pflicht und macht das Gute erst zum wahrhaft Guten für uns. Folge deiner Liebe mit treuem Herzen. Ergebenheit ist des Weibes Schicksal, und je inniger diese ist, jemehr vereinigen sich ihm die guten Geister des Glückes, jedes Gelingens. Mit Ritter Waltram spreche ich noch heut, und sage ihm, daß du sein Weib nicht werden kannst. Erst in der Umarmung der kleinen Gertrud, wo ihr Herz bis jetzt seine Heimath der Liebe gefunden, deren ein jedes bedarf, faßte Liebegard ein leiser Schauder vor dem unbekannten Geschick, dem sie entgegengieng, das wie eine dunkle Wolkengestalt vor ihr lag, die einzelne Blitze durchkreuzten, aber die sie dennoch allen süßen Gewohnheiten des [242] bisher geführten kindlichen Lebens mit einemmal entreißen sollte.

Aber Liebe und Verlangen nach dem Geliebten füllten den Busen mit holden Zukunftsträumen.

Du wirst bei mir bleiben, meine holde Kleine, sagte sie, als Gertrud, mit dem glänzenden Halsgeschmeide spielend, Thränen in Ahnung der Trennung darauf fallen ließ; du wirst eine Freistatt finden, wenn Gott vielleicht den guten Greis bald von uns nehmen sollte. Mein edler, großmüthiger Ritter wird es mir gewiß vergönnen, dir alsdann Mutter und Schwester zu seyn.

An der alten verfallenden Burg wurde nun mit Eile gearbeitet, um ihr ein minder baufälliges Ansehen zu geben; einige kostbare, aus Noth verpfändete Geräthe wurden eingelöst und die Haushälterin traf schon Vorkehrungen zum stattlichen Hochzeitmale.

Der gute Ritter Waltram empfieng die [243] Nachricht, daß er sein Liebchen verlieren sollte, mit der Ruhe des Greisenalters.

Ich wünsche Euch Glück zur besseren Versorgung des lieben Kindes, sagte er zu seinem alten Freunde; aber hütet Euch, daß nicht ein frecher Bube, wie's dergleichen wohl jetzt giebt, sein Spiel mit ihr treibe.

Von der Zinne meiner Burg überschaue ich ein weites Land; alle Burgen sind mir wohl bekannt und in keiner haust ein Rittersmann, der jener Bräutigam seyn könnte.

Bedenklich kam der Oheim zurück, that manche Frage, die Liebegard freilich nicht zu beantworten vermochte; aber ihr liebewallendes Herz, das immerwährend vom Lobe des Geliebten überfloß, beruhigte ihn einigermaßen. Ist denn die Ehe nicht immer ein unbekannter, dunkler Pfad für ein gutes Weib, dachte er; und stellt sich da nicht oft zwischen den bekanntesten Menschen ein böser Geist ein, der zur Pforte der Zwietracht führt? Die Fülle des Reichthums that dem Alten wohl und mit Lust [244] sah er die trübselige Armuth um sich her verschwinden.

Jeden Abend schau'te Liebegard nach dem milden Gestirn, das die Wiederkehr des Geliebten andeuten sollte. Groß und voll gieng es endlich hinter den Hügeln hervor, und ein nie gefühltes Beben zwischen Angst und Freude erfüllte ihre Brust.

Der Burgkaplan war geladen, der Saal geschmückt und in zierlicher Kleidung saßen die Mädchen in der einsamen Kammer, als die Pforten der Burg sich krachend öffneten und der Hof vom Getöse der Rosse dröhnte. Schon hörten sie das Klirren der Rüstung und der Sporen des Ritters auf der Wendelstiege, und sie eilten nach dem Saal, ihn zu empfangen. Durch das kleine Fenster an der Stiege sah Liebegard im Burghof, im klaren Mondlicht ein stattliches Gefolge halten. Die Knappen waren abgesessen und hielten die schnaubenden Rosse, und um sie wedelten die wohlbekannten Doggen.

Stattlich, in reicher Kleidung, und ernst [245] trat der Ritter in den Saal, beugte sich bescheiden erst vor dem Oheim und empfieng dann als Bräutigam die Geliebte.

Herr Ritter, laßt den Segen der Kirche über uns sprechen, noch diesen Abend, muß ich bitten; denn mit dem Morgenlicht müßt Ihr mir vergönnen, mein Weib mit hinweg zu führen.

Es war bei aller milden Sitte etwas Gebietendes in des Ritters Wesen, dem man den Gehorsam nicht verweigern konnte. Der Oheim bereitete sich, die Anstalten zur Trauung zu treffen, aber die kleine Gertrud rief: Ihr seyd auch gar zu schnell, Herr Ritter; die Gewande der Schwester sind noch gar nicht gepackt.

Eure Schwester, holde Kleine, wird alles auf meiner Burg finden; seyd deshalb ohne Sorgen! –

Ach nein, das geht gar nicht an! rief sie und fiel in ein lautes Weinen. Seyd ruhig, sagte er mild, eure Schwester wird zu eurer Burg wiederkehren, so oft sie es wünscht; ich [246] habe schnelle Rosse. – Willst du mir folgen, meine Liebe? sagte er zu Liebegard. Sie schlug die Augen nieder und sagte: ich habe keinen andern Willen, als den Euren, werther Herr. Die Rosen der Freuden erblühten wieder unter dem Thau der Thränen auf Gertruds Wangen in der Hoffnung des Wiedersehens. Auch fand sie selbst den Ritter so wundersam schön und liebenswerth, daß sie den Entschluß der Schwester nicht zu tadeln vermochte.

Als der Priester vor der Trauung nach dem Namen des Bräutigams fragte, nannte er sich: Astolf, der Ritter vom finstern Wald; und da er nach Gebühr, Beweis oder Eid verlangte, daß er unvermählt sey, leistete er diesen mit starker volltönender Stimme. Der Kaplan als ein gelehrter und weit gereister Mann, der mancherlei Mundarten gehört, wollte bemerken, daß etwas Schwieriges in des Ritters Aussprache läge, und zweifelte, ob er deutschen Stammes sey. Er theilte diesen Zweifel jedoch erst folgenden Tages dem Oheim mit.

[247] Der Ritter Astolf bezeigte sich während der Trauung sehr ernsthaft, nach derselben so zärtlich gegen seine Braut, so ehrfurchtsvoll gegen den Oheim, so liebenswürdig gegen die kleine Gertrud – seine Geschenke waren so prächtig und wohlausgewählt, daß alle Hausgenossen Liebegard glücklich prießen, und meinten, solch ein großmüthiger und schöner Herr müsse auch ein trefflicher Ehegemahl werden.

Bei aller Offenheit, zu der seine Liebenswürdigkeit anregte, verscheuchte dennoch sein gebietendes Wesen jede Frage. Liebegard war selig, in seinem Anschauen versunken. Wenn der Oheim eine Andeutung auf ihre Zukunft fallen ließ, und dann ein schwacher Schatten von Unmuth über die heitere Stirn des Geliebten hinflog, flehte ihr Blick jenen so sprechend an, zu schweigen, daß er sogleich dem Gespräch eine andere Wendung zu geben suchte.

Durch die Weisung an ein Handelshaus in einer großen südlichen Handelsstadt versicherte der Ritter Liebegards Briefwechsel mit den Ihren, [248] bat, ihr oft Nachricht zu geben und versprach, daß sie selbst immer unterrichtet von ihrem Schicksal bleiben sollten.

Im frühesten Morgenlicht trat der Ritter reisefertig aus der Hochzeits-Kammer und befahl seinen Leuten, die Rosse zu satteln.

Die kleine Gertrud war schon wach und schlich um das Gemach der Schwester herum. Noch spät in der Nacht hatte sie in der Burg umhergeschweift und versucht, von den Dienern des Ritters etwas über sein Seyn und Wesen und seinen Wohnort zu erfahren. Alles umsonst; sie antworteten ihr nur durch eine stumme Verbeugung. In Thränen hatte sie den Rest der Nacht zugebracht, einsam zum erstenmal in dem Raume, wo bisher die liebe Schwester neben ihr geruht. Die Dunkelheit, die über ihrem neuen Geschicke lag, ängstigte das gute kleine Herz, so wie die Trennung es zerriß.

Astolfs freundlicher Morgengruß drang erfreuend, wie ein Lichtstrahl, in ihr sorgenbewegtes [249] Gemüth. Er führte sie zur Schwester ein, umarmte sie und sagte: Sey ohne Sorgen, gutes Kind, ich werde dir Bruder und Vater seyn. Liebegard drückte seine Hand an ihre Lippen und sagte der Kleinen: Wenn du dich nach mir sehnst, so denke nur, daß ich bei einem Engel bin. Die Engel sind ja überall und du wirst uns nie ferne seyn.

Der Greis entließ das junge Ehepaar mit Segnungen, herzlichen Küssen und Thränen. Astolf hob seine Gemalin selbst auf den schön geschmückten Zelter, warf einen golddurchwürkten Schleier über sie, bestieg seinen Rappen und führte ihr Roß am Zaume neben sich her. Die Doggen sprangen, freudigbellend, an ihnen hinauf, die Reiter folgten auf ihren wiehernden Rossen, und die Wehmuth der Trennung von den geliebten Menschen und dem Ort, den lieblicher Zauber der Jugenderinnerungen umwehte, verklang im Tumult der Abreise. Die Sonne der Liebe im Herzen umgoldete ihr Inneres, wie die aufgehende Morgensonne die Gebirge [250] der traulichen Heimath und das dampfende Thal, aus dem röthliche Funken des wogenden Stroms aufblitzten. Der Ritter sah sie oft, liebevoll fragend, an, und sein Händedruck war ihr ein stilles Gelübde: ich will dich treu durch's Leben geleiten! Der Weg gieng größtentheils durch dunkle Wälder und Einöden; nur selten sahe sie durch eine sich eröffnende Waldschlucht in weiter Ferne glänzende große Städte mit ihren Thürmen und Schlössern liegen, von deren Pracht sie oft erzählen gehört, und nach deren Anschaun sie sonst wohl mit kindischer Neugier gestrebt. Glücklich, im Zauber der Liebe, fragte sie jetzt gar nicht darnach. Mittag wurde auf freien Plätzen im Walde gehalten, und zum Nachtlager ein Zelt für sie und den Ritter aufgeschlagen.

Es war im Frühlingsmond; der grüne Teppich der Erde, mit Blumen und Blüthen bedeckt; die frischen Quellen der Felsen rieselten um sie her; die lauen Lüfte umspielten sie unter dem Obdach des Himmels mit seinen Glanzgestirnen. [251] Reine Liebe strebt zur Ewigkeit; ihre bewegten Herzen fühlten ein inniges Band zu dem Kreislauf der leuchtenden Welten über ihrem Haupt. Astolf setzte sich dann neben sie und sang süße Lieder, oder erzählte vom glänzenden Ritterleben und seinen Thaten. Sie ahnete, wie der Ruhm ihn von ihrer Seite locken würde, und schloß ihn fester in ihre Arme. Entschlief er in ihrem Schoos, so konnte sie nicht müde werden, seine holden und edlen Züge im Licht der lodernden Flamme anzuschauen und in der Fülle der braunen Locken zu spielen.

Seine Leute hielt er in ehrerbietiger Entfernung; sie achteten auf seinen leisesten Wink, und er forderte strengen Gehorsam.

Sie fühlte, daß ein zürnender Blick, ein strenges Wort aus seinem Munde sie vernichten würde, und vermied sorglich die leiseste Veranlassung, ihm zu mißfallen. Keine Frage entschlüpfte ihren Lippen; auch kein Zweifel beengte ihre Brust.

Und wenn mein ganzes Leben ein Wiederholen [252] dieser Tage wäre, wäre es dann nicht unaussprechlich glücklich? tönte es in ihrem ganzen Wesen wieder.

Die größte Sorgfalt, sich jedem begegnenden fremden Auge zu entziehen, konnte sie nicht umhin, zu bemerken. Oft ergriff sie wohl eine gewisse unruhige Neugier nach der Auflösung dieses Räthsels; aber die Liebe sagte ihr ins Herz, daß von ihm ihr nicht Arges kommen könne.

Beim Ausgang eines Waldes kamen sie ohnweit eines Muttergottesbildes vorbei, das seitwärts in den Feldern lag. Erlaubst du es, theurer Herr, so steige ich ab, fragte Liebegard, und gehe, der heiligen Jungfrau für mein Glück, für Dich, zu danken, und uns ihrem Schutz zu empfehlen.

Eine Wolke überzog sein Gesicht; ihr Herz bebte – doch, wie konnte solch unschuldige Bitte beleidigen? Schüchtern ritt sie neben ihm hin, seine Antwort, das Aufschlagen seines gesenkten Blickes, erwartend.

[253] Seine Züge erheiterten sich nach wenigen Momenten. Mit Liebe, auf sie blickend, sagte er: Geh, mein süßes Kind; ich erwarte dich im Dunkel dieser Bäume und blicke auch auf nach den unendlichen Himmeln, dem Schöpfer aller Wesen für Dich zu danken.

Sie lag im frommen Gebet vor der Heiligen Bilde, als sie einige Menschen an sich vorbeilaufen hörte. Eine männliche Stimme rief: Laßt uns eilen, auf die Straße zu kommen, denn die schwarze Bande ist in der Nähe! Liebegard sah sich erschrocken um. Zwei wohlgekleidete Frauen folgten einem Mann mit schnellen Schritten. Die eine sah sich nach ihr um, und rief ihr zu: Folget uns, schönes Kind! wenn ihr nicht beraubt, oder ermordet, oder weggeführt werden wollt. Die wilden Räuber schwärmen schon seit ein paar Tagen in diesen Wäldern, sagt man. Liebegard sank beinahe leblos auf den Boden; ihre Gedanken verwirrten sich; ihr Herz schlug, als wollte es die zarte Brust zersprengen. Alles Wunderbare, alles [254] Geheimnißvolle ihrer Geschichte trat in glühenden Bildern vor ihre Seele – aber Astolfs Bild überdeckte bald alle schrecklichen Vorstellungen, wie ein leuchtendes Schild. Nein! es ist nicht möglich, rief sie, mit gegen den Himmel gerichteten Augen, oder du selbst, heiliges Licht, könntest trügen!

Sie raffte sich auf, und unwillkührlich trugen sie ihre Füße dahin, wo ihr Herz war. Tausend Gedanken durchkreuzten sich in ihr auf dem kurzen Wege.

Er hatte sie auf manches Geheimnißvolle in seinem Leben vorbereitet, unbedingtes Vertrauen als die Gewährschaft ihres gegenseitigen Glücks begehrt. Wo unser Herz ist, da ist unser Glaube. Wäre es möglich, beschloß sie endlich in ihrem Innern, wär es ein gefallener Engel, so ist's meine Bestimmung, ihn zu erretten – jedes Loos mit ihm zu theilen. Er hatte seine Leute vorweg geschickt; er lehnte allein an einem hohen Baume, den Zügel beider [255] Rosse haltend; seine freie Stirn leuchtete so edel aus der Fülle der braunen Locken; sein Auge war gen Himmel gerichtet; seine ganze hohe Gestalt umspielten Lichtstrahlen, die durch das Laub der Zweige zitternd einfielen. –

O, er ist ein Engel des Lichts! sprach ihr ganzes Herz. Sie warf sich ihren Argwohn, als eine schändliche Schwachheit, als eine Sünde gegen ihre Liebe vor, und konnte beinahe dem Ruf ihres Herzens, zu seinen Füßen zu sinken und Vergebung von ihm zu erflehen, nicht widerstehen. Nur die Furcht, ihn zu kränken, hielt sie zurücke. Freundlich bot er ihr die Hand, hob sie schweigend in Sattel und ritt auch so neben ihr her, als wollte er den Nachklang ihrer frommen Gefühle ehren. Aber bald fühlte sie, daß sein forschendes Auge auf ihr ruhte. Die gewaltsamen Eindrücke hatten tiefe Spuren in dem zarten Wesen gelassen. Noch vermochte sie nicht, ihren Blick frei, wie sonst, gegen ihn aufzuschlagen. Alle Zweifel an ihn, waren verschwunden; aber die Last des Vorwurfs [256] lag auf ihrer Brust, daß sie sie augenblicklich gefaßt hatte.

Du hast dich zu sehr ermüdet, sagte er sanft. Blässe und Fiebergluth wechseln auf deinen Wangen und dein Athem ist gepreßt. Es ist gut, daß wir heut Abend zur Heimath gelangen. Sie gestand etwas Ermüdung ein und wurde beherzter, aber nicht ruhiger durch diese Ableitung. Das erste Geheimniß, das sich zwischen offen liebende Seelen drängt, ist der Sturz aus dem Paradies; die reine Himmelsluft ist mit den Wolken der Erde bedeckt, nur im wilden Sturm können sich diese entlasten, und die Luft wird schwüler und bänger, je länger dieser Ausbruch sich verschiebt.

Astolf trieb die Rosse zur ungewöhnlichen Eile. Nur zärtliche Fragen nach Liebegards Befinden unterbrachen das in dieser Eile natürliche Schweigen. Sie waren den ganzen langen Tag durch Wälder geritten, die sich immer dichter und nächtlicher um ihren Pfad zogen.

Die Nacht brach ein; von fern drang das [257] Geheul der Wölfe an ihr Ohr. Liebegard zitterte vor Furcht; Astolf reichte ihr die Hand und sagte: daran wirst du dich gewöhnen müssen, meine Liebe. Meine Burg liegt in einer schauerlichen Einsamkeit. Nicht heiter, wie deine schwäbischen Hügel, von Traubengeländern umgränzt, sind unsre steilen Felsenmassen, über die nur düstre Fichten herabnicken – doch findest du auch ein Blumengärtchen.

In deiner Liebe blüht mir der schönste Garten überall, sagte sie aus vollem befreiten Herzen; denn die süße Nähe des Geliebten hatte alle Zweifel beschwichtigt. Lichtglanz drang durch die dunkle Nacht. In einer halben Stunde sind wir in der Heimath, sagte Astolf; ich danke dir für deine Geduld auf der mühseligen Reise. Dein Muth, dein Vertrauen beglückt mich. Du hast dir keine Frage erlaubt. Möchte ich dich schon jetzt ganz dafür belohnen können. Doch, es harren noch mehrere Proben auf dich. Gehorsam und liebend wirst du mich immer finden, mein Geliebter, erwiederte sie. Deine Liebe ist [258] ja mein Lebensodem, und wie könnt' ich sie sonst verdienen?

Bald geriethen sie auf einen ganz unwegsamen Pfad, der sich durch wildes Gestein und verwachsenes Gesträuch empor wand. Der Ritter war abgestiegen und führte Liebegards Roß. Volles Licht glänzte ihnen entgegen, und sie langten an einer Pforte an, die von zwei hohen Thürmen beschirmt war, aus deren engen Fenstern das Licht schimmerte. Der Ritter nahm den schweren eisernen Pfortenring, und schlug dreimal so mächtig an, daß die Felsen widerdröhnten.

Die Pforte öffnete sich, in den schweren Angeln knarrend; ein stattlich gekleideter Mann mit zwei Knappen, die Fackeln trugen, trat heraus. Burgvogt, ist es ruhig bei euch? Hausen keine trügerischen Geister hier? Sind wir vor Ueberfall sicher? fragte der Ritter. Der Burgvogt antwortete: Nichts Verderbliches ist zu spüren; alle Pforten sind wohl verschlossen. Tretet ein, edler Herr!

[259] Ein jeder gehe auf seinen Posten, sagte der Ritter zu seinem Gefolge, welches sich sogleich zerstreute. Er hob Liebegard vom Pferde, legte ihren Arm in den seinen und führte sie, den vorleuchtenden Knappen nach, eine steile Wendelstiege hinan; nur die treuen Doggen folgten.

Ein erleuchtetes, prächtig ausgeschmücktes Gemach öffnete sich. Er bat sie, auf weichen Polstern zu ruhen, die in der Vertiefung des Zimmers lagen; befahl ihr leise, ihren Schleier nicht zu lüften, bis sie mit ihm allein sey, und unterhielt sich an der Thür mit dem Burgvogt in einer für sie fremden Sprache.

Als dieser das Zimmer verlassen hatte, hob er ihren Schleier auf, umarmte sie zärtlich und sagte: Du bist in deiner Heimath, meine Geliebte, in der du bald unumschränkt gebieten sollst. Verzeihe für jetzt den geheimnißvollen Empfang; er entspricht meiner Liebe nicht, die dich im Glanz deiner strahlenden Schönheit überall als Gebieterin anerkannt zu sehen begehrt. Er führte sie in ein Nebenzimmer, wo eine [260] reich besetzte Tafel stand. Ich will allein seyn! rief er durch die äußere Thür. Du wirst mir erlauben, dir heut selbst aufzuwarten, meine Liebe. Das ist mein Geschäft, sagte Liebegard, Euch zu bedienen, und zeigte sich, als geschäftige Hausfrau, indem sie dem Ritter die Speisen vorlegte, und den Becher füllte.

Sein freundlicher Blick folgte ihren liebevollen Bemühungen mit inniger Lust. Nie habe ich ein so heitres Abendbrod in diesen Mauern genossen, sagte er. Nur die treue, schuldlose Liebe schmückt das Leben in jedem Moment mit frischen Blüthenkränzen. Seine steilen Pfade, seine rauhen Klippen umhüllt ihr Schmuck; wir gehen achtlos vor ihnen vorüber.

Noch nie hatte Liebegard sein Auge so sanft, so liebevoll gesehen; die reinste Empfindung überstrahlte es.

Der aufgehende Mond erhellte die Gegend und lockte die Liebenden in den Blumengarten an der Mauer des Schlosses. Verschleiert führte der Ritter Liebegard die Stiege hinunter. [261] In einem untern Saal standen Hausbedienten, reichgekleidet. In einer blühenden Laube ruhten sie im Duft und unter der sanften Hülle der Mondnacht. Die erhellten Thäler zwischen den Felsenmassen, das Dickicht der Wälder, der Bergstrom, der mächtig durch die Felsen rauschte – alles schien Liebegard reizend. Astolfs Arm hielt sie umfaßt, und sie ruhte, aufgelöst in der süßen Melodie der Liebe, an seiner Brust; jeder Zweifel, jede Furcht schwieg im unendlichen Seyn des Lebens der Liebe. Auf einem lichten Wiesenplan im Thale, ohnfern ihres Ruheplatzes erhoben sich jetzt drei weiße Gestalten. Als der Mond, aus einem Gewölke tretend, hell auf sie schien, erkannte Liebegard, daß es Frauengestalten waren.

Der Ritter rief dem Burgvogt zu, der ehrfurchtsvoll innerhalb der Glasthür im Saal stand – Was sind das für Frauenbilder im Thale? Ihr fragt, edler Herr? erwiederte dieser, mit etwas sonderbarem Ausdruck, der Liebegard eben nicht wohlwollend schien; es sind die Frauen [262] der Fürstin Lilia, die heut in jenen Gehölzen eine Jagd hielt.

Es ist gut, sagte der Ritter, und gab ihm einen Wink, sich wieder zu entfernen. Es ergoß sich gleich einem kalten Eisstrom durch Liebegards warme Brust; aber, sich seiner Bedingungen im ersten Beginn ihrer Liebe erinnernd, wies sie auch diese feindliche Empfindung von sich, und bald verhallte der Mißton in der Harmonie zärtlicher Gefühle.

Nach wenigen Stunden Schlafs erwachte sie von einem wilden Getöse, das die Fenster der Burg erschütterte, und die an den Wänden des Zimmers aufgehängten Waffen des Ritters schlugen klirrend zusammen. Pferdetritte, einzelne Laute rufender Stimmen, der Schall der Jagdhörner drangen an ihr Ohr. Ihr Herz erzitterte, alle Geistermährchen der Kinder-und Ammenwelt umfiengen ihre Phantasie mit Grauen.

Sie schämte sich der kindischen Furcht und wollte den Ritter nicht wecken; aber mit welchem [263] Entsetzen fand sie beim schwachen Lampenschimmer der Vorhalle, daß er von ihrer Seite verschwunden war! Die Furcht fesselte ihre Glieder; unfähig aufzustehen, verbarg sie sich tiefer in ihrem Lager.

Bald hörte sie den Ritter zurückkehren; aber, gestört durch alle Schrecknisse dieses Tages, war ihr jede Aeußerung unmöglich, und sie stellte sich schlafend.

Er drückte einen leisen Kuß auf ihre Stirn und sie schlief ermattet ein. Wilde, verzerrte Fiebergestalten und Träume umdrängten sie; sie erwachte mit einem lauten Schrei, und hörte noch einige ängstliche Worte, die sie im Schlaf gesprochen, in ihrem Innern nachtönen. Mörder – Räuber – der edle Hohe – meine Liebe soll ihn retten. Sie fürchtete ihr Geheimniß verrathen zu haben; tröstete sich aber, als ihr Gemahl in tiefem Schlaf zu liegen schien.

Als der Morgenstrahl ins Zimmer fiel, wurde ihr Herz stiller, und die Gespenster der Nacht, dünkte es ihr, könnten wohl nur Traumgestalten [264] der bewegten Einbildungskraft gewesen seyn, deren sie sich vornahm, gegen den Ritter gar nicht zu erwähnen.

Mit heit'rer Miene trat er am Morgen ins Zimmer; aber mit dem forschenden Blick, der in alle Tiefen ihres Wesens drang, fragte er: Hast du ruhig geschlafen, meine Liebe? Sein ernstes Warnen gegen die leiseste Verstellung stand vor ihrer Seele, nur in voller Wahrheit gegen ihn konnte sie ruhig seyn, und sie erwiederte: Nein, – die Nachtgestalten standen wieder vor ihr – sie erzählte alles, was sie gehört, und mit welchem Grausen sie sich allein gefunden hätte. Vielleicht war's auch nur ein ängstigender Traum, sagte sie, und du wirst mich furchtsam und kindisch schelten. Er hörte sie mit Ernst an, und sagte, ohne weitere Erklärung: Die Natur ist nur eine sichre Freistatt der Liebe; in Schlössern ist's einmal nicht geheuer. Heute muß ich dich um die Gefällig keit bitten, mich in der Gestalt eines Knappen auf einer kleinen Reise zu begleiten. Die Kleider [265] liegen im Nebenzimmer – Geh' und lege sie sogleich an.

Sie gehorchte seinem Befehl und fand ein zierliches Pagenkleid, in welchem sie sich in einem großen Spiegel recht gefällig beschau'te. Ihre Locken flocht sie zusammen und bedeckte sie mit dem Federhut, und ihre schlanke Gestalt zeichnete sich zum zierlichsten in der knapp anliegenden Kleidung. Lächelnd trat sie mit den Worten ins Zimmer: Hier ist euer getreuer Knappe, edler Herr, eure Befehle zu vernehmen! Er empfieng sie mit der innigsten Freude an ihrer Schönheit. Die Reise wurde angetreten; die Diener sahen den neuen Begleiter ihres Herrn verwundert an, und sein holdes Wesen erregte Aller Zuneigung; nur der Burgvogt, schien es ihr, warf listige, übelwollende Blicke auf sie.

Sie mußte dicht neben dem Ritter reiten, und bald zeigte sie sich so geschickt und muthig, daß sie keinem andern zuließ, ihm beim Aufsteigen den Bügel zu halten und alle kleinen Dienste [266] zu erweisen, wie sie es bisher von seinen Knappen gesehen.

Fröhlich unter anmuthigen Gesprächen, ritten sie eine gebahnte Straße durch den Wald hinan. Jetzt leuchteten ihnen die Kuppel eines schönen Gebäudes, und ein Kreuz, was sie zierte, flammend im Golde der Sonne, von der Spitze des Berges entgegen. Der Ritter wurde sehr ernst und nachdenkend und sah endlich mit dem Blicke inniger Wehmuth nach dem Gebäude.

Wundre dich nicht, meine Liebe, sagte er, mich so wehmüthig zu sehen. Jene Mauern umschließen das Theuerste, was ich auf Erden besaß. Dort ist das Grab meiner Mutter. Ich danke ihr mehr, als das gemeine Erdenleben; unter tausendfachen Sorgen und Schmerzen hat sie für mich gelebt und ist – ich fürchte es – als Opfer für das, was sie mein Glück nannte, gefallen. Die Stürme, die meine Jugend ergriffen, wehten verheerend in dem milden Abend ihrer Tage. Zur Versöhnung führe ich mein [267] treues, geliebtes Weib zu ihrer Asche, und der selige Geist wird segnend auf uns ruhen.

Liebegards Augen flossen über in süße Thränen der reinsten Empfindung; aber ein Stachel des Vorwurfs war in ihrem Herzen, den Geliebten, ihm unbewußt, durch Zweifel gekränkt zu haben. Sie hatte jetzt keine Worte, aber der Entschluß eines offenen Geständnisses, und stille Gelübde ewiger Treue beruhigten sie einigermaßen.

Auf einer Seitenstraße durch den Wald kam ein stiller Zug weißgekleideter Mönche langsam und feierlich einher. Eine ehrwürdige Gestalt gieng an ihrer Spitze. Astolf stieg vom Pferd und befahl Liebegard dasselbe zu thun. Es ist der Abt des Klosters, unser treuster Freund, sagte er zu Liebegard, folge mir! Den übrigen Dienern winkte er zu, sich an der Seite zu halten. Astolf beugte sich vor dem Greis, und empfieng knieend den Kuß des Segens von ihm. Nach einigen leise gesprochenen Worten, winkte er Liebegard erbei zu kommen, die voll Ehrfurcht [268] in der Entfernung geblieben war. Sie kniete nieder und segnend legte der Greis seine Hand auf ihre Stirn. Eine Seele, klar, wie der Himmel, leuchtete aus den offenen Augen, aus den stillen Zügen und theilte ihren Frieden jedem offenen Herzen mit. Eine stille Kraft des Glaubens und Hoffens faßte Liebegards inneres Wesen vor diesem Manne. Er schien ihr voll eines Gedankens des Großen und Guten und sein Wirken still, wie das der Natur, die uns in ihren ewigen Kreislauf aufnimmt und alle irdischen Wünsche schweigen macht.

Er entließ die ihm Folgenden und schlug einen schmalen Pfad im Wald ein, auf dem ihm Astolf und Liebegard auf seinen Wink folgten.

Eine kleine Kapelle auf einem Blumenhügel, umgeben von einem Kranz dunkler Bäume, öffnete sich vor ihnen. Der Greis ließ sie ein und sagte beim Eingang: Treue, Eintracht und Duldung bereiten auf Erden zur ewigen Ruhe, deren die genießt, die hier schläft. Ihre Tage [269] waren voll Leiden im Lichte der Erdensonne, aber ihr Glaube blieb bewährt. Die gerettete Tugend des Sohnes, ihre innigste Liebe auf Erden, kann nur die himmlische Freude, in der sie lebt, vermehren, so wie seine Irrwege ihr tiefster Kummer waren. Das Licht der Wahrheit umleuchte eure Pfade, erbarmendste Liebe bezeichne die Spuren eures Wandels, so wird ihr ewiger Frieden euch umschweben.

Vater im Himmel, von dem alles Gute niederkömmt, erbarme dich ihrer! Er sank im stillen Gebet vor einen kleinen Altar. Astolf und Liebegard knieten hinter ihm.

Mit verklärten Zügen wendete sich der Greis nach ihnen, und sagte zu Liebegard: Lerne nun die irdische Hülle kennen, in der der reine Geist auf Erden wandelte.

Unter dem Muttergottesbilde des Altars zog er einen Vorhang weg und ein hohes Frauenbild stand vor ihnen. O, das ist sie, die himmlische Erscheinung, die mich aus meinem Jammer errettete, die mich zu dir führte! rief [270] Liebegard, alle Züge ihrer Traumgestalt in diesem Bilde wieder erkennend. Auf Astolfs Fragen erzählte sie den Traum, der ihr ihn verheißen hatte.

Er knieete nieder vor dem Bilde der Mutter, und rief: Habe Dank, du Selige, Verklärte! daß du rettend auf die Schwachheit des Verirrten niederschautest. Nimm dich des Umgeschaffenen ferner an, und erhalte die Liebe, die du uns schenktest durch ein Wunder.

Der Greis sagte sanft, beide Hände in der seinen haltend: Alle Wunder der Liebe können wir glauben, wenn sie wieder zur Liebe führen. Durch ruhiges Wandeln auf dem Pfade der Wahrheit und Güte machen wir uns ihrer werth; bleiben eins mit den himmlischen Mächten, aufgenommen in den ewigen Lichtkreis ihres Wirkens. Pflichten rufen mich jetzt, doch habe ich mit dir, mein Sohn, noch manches Wichtige zu besprechen. Folgt mir, meine Kinder! Liebegard bleibe in ihrer Verhüllung um uns.

[271] Astolf gieng, im Gespräch mit dem Abt, voraus; Liebegard folgte mit selig befreitem Herzen. Der ihr durch ein Wunder geschenkte Geliebte konnte nur eine Gabe des Himmels seyn. Astolf wendete sich oft mit liebevollen Augen nach ihr um, und als auf dem schmalen Pfad der Greis vor ihnen gieng, reichte er ihr die Hand und sagte: Fürchtest du dich noch vor mir?

Der fieberhafte Zustand der vergangenen Nacht, die Unruhe, die sich ihm vielleicht verrathen, preßte ihr Herz; mit heißen Küssen und Thränen bedeckte sie seine Hand.

Das Mahl wurde in einem Saale bei der Rückkunft aufgetragen; einige Mönche theilten es. Liebegard stand hinter dem Sessel ihres Ritters und war geschäftig ihm zu dienen. Das Gespräch war sinnig und gehaltvoll; eine zwanglose Offenheit und Heiterkeit herrschte. Man sprach von öffentlichen Verhältnissen, von dem Zustand des Landes edel und einsichtig. Man beklagte die Schwachheit eines alten Regenten, der sich durch den Stolz, die Eitelkeit einer [272] jungen schönen Gemahlin zu verderblichen Einrichtungen führen ließ, die den allgemeinen Haß erregten. Mild verwies der Greis jede ängstliche Furcht, alles Feindselige. Jeder stehe fest und sicher in seiner Pflicht, so kann das Ganze nicht gefährdet seyn. Das Aufrechthalten des Guten vertrauen wir sicher einer höhern Hand. Wir sind Diener der Liebe und des Lichts auf Erden, was nicht durch diese geschehen kann, bleibe außer unserm Kreis.

Ein Diener stürzte herein und sagte dem Abt: Die Fürstin wird sogleich hereintreten, sie folgt mir auf dem Fuße und hat verboten, sie anzumelden.

Liebegard bemerkte die größte Bewegung an Astolf. Blässe und Gluth wechselten auf seinen Wangen; er warf einen ängstlichen Blick auf den Abt, dann auf sie. Auch der Abt schien sie mit Unruhe anzusehen. Sie fragte den Ritter leise, ob sie sich entfernen sollte? Das ist unmöglich, erwiederte er. Der Saal hat nur einen Ausgang. Halte dich nur ruhig hinter mir. [273] Nichts Widriges kann dir begegnen, da, wo ich bin.

So eben trat die Fürstin herein; sie warf ihren Schleier zurück und mit Lächeln und Scherzen, ihren unerwarteten Besuch bei dem Abt entschuldigend, nahm sie ihren Platz zwischen ihm und dem Ritter.

Liebegard staunte über die hohe Schönheit dieser Gestalt; nie hatte sie etwas ähnliches gesehen. Als sich der schöne Kopf mit dunkeln Locken, die von einem Netz glänzender Steine gefesselt waren, auf seiner Alabastersäule des zierlichsten Halses aus dem wallenden Schleier erhob; als ihr schwarzes Auge die Gesellschaft überschaute, und auf dem Ritter geheftet blieb im sonnigen, liebreizenden Licht, zuckte es wie schmerzender Pfeil durch ihren Busen, und ihr Herz fühlte sich, wie mit einem Eisstrom umgossen. Der Ritter betrug sich mit kalter, beinahe stolzer Ehrerbietung. Sein Blick, gesenkt, oder auf die Gesellschaft gerichtet, suchte dem ihren nicht zu begegnen.

[274] Ihre Rede schlich sich, wie ein Silberton, zum Herzen, selbst wenn sie Gleichgültiges sagte, und zart und feinsinnig verwebte sie Ernst und Scherz in ihren Inhalt.

Mit kindlicher Demuth wollte sie dem guten Abt begegnen – aber sie wollte es – und er blieb in seinem ruhigen Ernst, in der Haltung, die über das Leben erhaben ist, und die nur herzliche Wahrheit berühren kann. Sie warf nun ihren Falkenblick durch den Saal; er traf auf Liebegard; ein sonderbares Erstärren flog über ihre Züge und eine Wolke zog sich auf ihrer Stirn zusammen. Liebegards Herz zog sich krampf haft zusammen vor diesem Auge, das nicht in stiller Klarheit die Gegenstände aufnahm, und sie zu verzehren droh'te. Aber bald rief sie ihre innere Kraft auf; ihre reine Liebe gab ihr eine allbesiegende Gewalt. Ein verstohlner Händedruck ihres Geliebten, als sie ihm den Teller reichte, gab ihr neues Lebensgefühl, und sie hielt sich mit Fassung an ihrem Platze. Wie könnte glühende Leidenschaft sich [275] einem liebenden Herzen verbergen? Sie fühlte, wie der Fürstin ganzes Wesen zu ihm hinstrebte, in jedem Wort, jedem Blick, jeder leisen, unwillkührlichen Bewegung nur einzig auf ihn gerichtet war. Ihrem Geiste schienen alle Formen zu Gebote zu stehen; ihr Gespräch durchflog alle Gegenstände des Wissens; immer sagte sie Treffendes, und ein Hauch von Schmerz und Trauer, der sich endlich bei der Kälte des Ritters über ihr Gesicht verbreitete, flößte der gutmüthigen Liebegard beinah Mitleid ein. Ich bin wohl sehr gütig, sagte sie gegen das Ende der Tafel, in der Sprache meines Wirths reden zu wollen, die ich schlecht spreche, und fieng an provenzalisch mit dem Ritter zu sprechen. Liebegard fühlte, daß sie der Gegenstand des Gesprächs war, aber der Ritter blieb vollkommen ruhig, und schien ihr scherzend zu antworten. Euer Page, Herr Ritter, scheint unter dem glücklichsten Stern geboren zu seyn; ich liebe das Glück; man sagt, daß man das gerade liebt, was man nicht kennt, sagte sie mit einem Seufzer. Hielt [276] ich's nicht für das höchste Glück, euch zu dienen, flüsterte sie dem Ritter zu, so würde ich euch bitten, mir diesen holden Knaben anzuvertrauen. Wie kann unsre Fürstin sich vergebens nach Glück sehnen, sagte der Abt, da sie Segen um sich her verbreiten kann, da ihr gütiger Gemahl ihr keinen Wunsch versagt?

Lehrt mich das Gute thun, was ich lebhaft wünsche, Herr Abt, erwiederte sie. Ihr tragt hier die schönste Perlenschnur, die ich je gesehen, gnädigste Frau, sagte der Ritter mit sanfterem Ton, als er noch zu ihr gesprochen. Fragt den ehrwürdigen Vater, welches der schönste Schmuck für Fürstinnen ist? Redet, Herr Abt, sagte sie.

Nach meinem Amt, nach meinem, ich darf sagen, wie nach eurem Herzen, sind es die getrockneten Thränen der Armuth, antwortete der Abt. Ich danke euch, daß ihr mir dieses Gefühl zutraut. Ihr sollt euch nicht in mir getäuscht haben, sagte die Fürstin, und lösete die Perlenschnur von ihrem Halse. Erlaubt, Herr Ritter, daß ich sie dem ehrwürdigen Vater durch[277] euren Pagen überreiche. Die Schönheit macht gute Gaben angenehmer. Liebegard näherte sich auf Astolfs Wink, und die Fürstin legte die Perlenschnur in ihre zarten Hände, die sie mit Aufmerksamkeit zu betrachten schien.

Der Fürstin Blicke folgten ihr, als sie um die lange Tafel herumgieng, und glühende Verlegenheit färbte ihre Wangen mit höherem Roth und ergoß allen Liebreiz der Unschuld über das holde Gesicht.

Verwandelt, ehrwürdiger Vater, diese Perlen in die, die ihr für einen würdigern Schmuck für mich haltet, sagte die Fürstin. Der Ritter folgte mit ernstem, beinah unwilligem Auge dem beobachtenden Blicke der Fürstin, und sie schien gekränkt, statt seiner erwarteten Zufriedenheit, nur kalte Achtlosigkeit zu ärnten.

Sie brach auf, sagte ihm noch einige Worte in fremder Sprache, die ein glühender Blick begleitete, und dann auf deutsch: Ich hoffe euch bald beim Fürsten zu sehen; ich weiß, daß Aufforderungen [278] zu Thaten an euch gelangen werden, die euch immer willkommen sind. Der Krieg ist ja euer Element, und sein freundlicheres Vorspiel, die Jagd, wollt ihr ja nicht mit mir theilen. Deshalb seyd ihr auch nächtlichen Ueberfällen ausgesetzt. Ueber den der vergangenen Nacht, muß ich mich wohl entschuldigen; denn meine Jäger haben's zu toll getrieben, und ihr hättet billig sie für das wilde Heer feindlicher Geister ansehen können, das im Sturm durch eure Pforten drang.

Ein Schauer fuhr bei diesen Worten durch Liebegards Glieder, eine nächtliche Wolke lag vor ihren Augen, und sie mußte sich an die Wand lehnen, um nicht umzusinken. Lölin schien ihr so schön, so reizend, so voll heißer Leidenschaft, daß sie wähnte, des Ritters Herz könne diesen Stürmen nicht widerstehen. Sie sah aus dem Fenster, wie sie sich leicht aufs Roß aus Astolfs Armen schwang, und mit Windesschnelle, aber mit nach ihm gerichteten Blicken, davon flog.

[279] Nun wohl, sagte sie in ihrem innern Herzen, beide Arme über ihre Brust legend, was auch kommen mag, der Schatz stiller Liebe und Treue, der hier ruht, wird ihm immer bleiben – möge mein Leben früher verlöschen, als seine Liebe!

Astolfs Auge fand sie sogleich beim Wiederkehren in den Saal; es war herzlich und liebend auf sie gerichtet. Lölin war der Gegenstand des Gesprächs. Bitter tadelten die Mönche ihr Leben, ihren Leichtsinn, ihre Verschwendung und die Schwachheit des alten Herrn, der sie schalten und walten ließ. Eine vorübergehende Wallung hat heut vielleicht zehn Arme gerettet, morgen macht ein toller Einfall wieder das Unglück von Hunderten, sagte ein alter Mönch. Laßt uns das Gute nicht verkennen, wo es sich auch zeigt, nach dem Sinne unsers Herrn und Meisters. Jedes fromme Gefühl ist ein Strahl der ewigen Liebe, sagte der Abt. Die Lockung der Welt dringt nicht in unsre stillen Mauern. Beklagen wir die, die im [280] Strome des Leichtsinns und der Sinneslust getrieben werden, ohne sie zu richten.

Der alte Mönch schüttelte bedenklich das Haupt; aber ihre bösen Zauberkünste, ihr Bund mit den Geistern der Nacht; ihre sinnberaubenden Zaubertränke – O, ehrwürdiger Herr! ihr könntet dem alten Herrn die Augen aufschließen, das Land retten.

Der Abt lächelte. Zauberkraft übt jeder Reiz auf ein Herz, das nur dem Erdenglücke geöffnet ist, und die Herrschaft der Leidenschaften wirkt Wunder für den ruhig Beschauenden. Unser Beruf ist stilles Wirken, Beleben des Glaubens durch Beispiel innerer Reinigkeit und nie versiegender Liebe. Ergeht ein Ruf von Oben, so muß er uns immer bereit zu jedem Opfer finden, doch vorschnell greift nur Eigendünkel und Vorwitz ins Gewebe des Weltlaufs, zerreißt, und vermag nicht, wieder zu verknüpfen. Ein Retter wird kommen, gegen Uebermuth und Druck.

Dem Schwächling und Despoten folgt ein [281] starker Freisinniger, nur der ist der wahrhaft Gütige – Ich bin dessen gewiß, daß er kommen wird – Liebegard ergriff eine selige Ahnung, als sie bemerkte, wie des Abts Auge fest auf Astolf bei diesen Worten ruhte, und er mit gesenktem Blick da stand. Was ist einem liebenden Weibe süßer, als die künftige Größe des Geliebten zu ahnen? Der herrliche Greis gab ihr seinen Vatersegen, und nach einem geheimen Gespräch Astolfs mit ihm, entließ er die Liebenden mit jenem milden Blicke der Liebe, der den Hauch der Hoffnung alles Guten im Busen erweckt und das Gemüth über dieses Leben erhebt.

Liebegard, entschlossen, über alle Furcht, alle kleinen Regungen der Eifersucht zu siegen, athmete frei, als sie durch die Straße des Hochwalds ritten. Der Himmel selbst schien für ihre Liebe zu seyn; der wundersame Traum, der sie so schnell in Astolfs Arme geführt, die Gunst, die der fromme Vater ihr geschenkt – alles gab ihr die fröhliche Gewährschaft, sie [282] werde Astolfs treues, glückliches Weib bleiben. Der Ritter ritt lang, in Gedanken vertieft, neben ihr, dann schaute er ihr ins Auge mit inniger Liebe und sagte: Dein Blick ist rein und wolkenlos, wie der Himmel über uns, meine Geliebte. Nur Wahrheit und Unschuld kann Herzen auf ewig verbinden. Ja, du wirst mein bleiben und treu, wie der blaue Aether immer aus allen dunklen, stürmischen Gewölken, wird deine Liebe mir stets wieder aufgehen.

Das Gefühl des gehegten Zweifels, ihre Leichtgläubigkeit an ein schwankendes leeres Volksgerücht lastete auf ihrem Herzen, aber der Augenblick war so voll Seligkeit; ihre Lippen vermochten kein störendes Wort auszusprechen.

Wie könnte es denn anders seyn, sagte sie, bist du denn nicht das Edelste und Liebenswürdigste, was mir je erschien? Du bist mir ja vom Himmel selbst gegeben durch deiner Mutter seligen Geist, und ewig will ich dich halten!

Sie drückte seine Hand heiß und innig an die zarte Brust.

[283] Auch mir, fuhr er mit weicher Stimme fort, bist du zur zeitigsten, zur rettenden Stunde erschienen, wie mein Herz zwischen Abgründen schwankte, und gern nehm' ich dich als der treuen Mutter Geschenk an. Ich war nicht auf guten Wegen, als ich dich fand, als deine Schönheit mein Herz rührte. Wenn etwas zu uns über die finstre Brücke der Geisterwelt gelangen kann, so ist's die Liebe der Mutter. Ich danke dir, du Heilige, Treue, die mir das Herz gab, das mich zum lichten Himmel des Vertrauens und Glaubens führte.

Unter diesen ernsten und zärtlichen Gesprächen gelangten sie an einen wildverwachsenen Pfad. Mühsam drängten sich die Rosse hindurch und stiegen einen engen Felsenpfad hinab. Jetzt drang durch das dichte Laub der Glanz eines lichten Wasserspiegels ihnen entgegen, und bald gelangten sie ans Ufer eines weiten See's. Ein geschmückter Nachen lag bereit, sie aufzunehmen. Laubgewölbe und duftende Blumenkränze hatten die treuen Diener darüber hingezogen,[284] und Liebegard ruhete unter ihnen auf ausgebreiteten Teppichen an der Seite ihres Ritters. Zwei Knappen führten geschickt das Ruder. So schifften sie in die Purpurgewölke des Abends hinein, die über und unter ihnen im Wiederschein glänzten. Das grüne Ufer einer Insel lag ihnen gegenüber, die im Schmucke der Blüthenbäume als ein Garten aus den Fluthen stieg; der laue Abendwind wehte ihnen ihre Balsamdüfte zu. Ein kleines zierliches Gebäude zeichnete sich gegen einen fernen dunklen Wald. Sie landeten an einem frischen Wiesenteppich, über den ein klarer Quell ihnen entgegen sprudelte; der Vogel sehnender Liebe sang aus den Gebüschen, und der Frühling schaute sie mit seinen tausend Blumenaugen ringsumher an.

Welch' ein entzückender Aufenthalt! rief Liebegard. Möge er dir immer so dünken! sagte der Ritter mit ernster Miene. Sie traten in die auf Säulen ruhende Vorhalle des Hauses. Aus einer nahgelegenen, reinlichen [285] Hütte trat ein alter Mann mit einer etwas jüngern Frau; ein zierliches junges Mädchen folgte. Du wirst, meine Liebe, deine Bedienung bei mir sehr gering finden, sagte Astolf; sie besteht aus diesen guten Leuten, deren Treue ich lang bewährt gefunden. Er sprach in fremder Sprache zu ihnen, sie verbeugten sich ehrerbietig gegen ihre neue Gebieterin, die ihnen der Ritter vorzustellen schien. Das Mädchen öffnete, auf des Rittere Befehl, ein Zimmer für Liebegard. Es war mit Bildwerk und Blumen geschmückt; um das große Fenster schlangen sich Rebengewinde; alle Geräthe waren zierlich und kostbar. Der alte Mann brachte mit den Knappen große Koffer, die allen nöthigen und überflüssigen Frauenzimmerschmuck enthielten, und das junge Mädchen war geschäftig, der neuen Gebieterin zu dienen, und verstand im feinen Aufmerken ihre Winke und Wünsche ohne Worte.

Liebegard sah das Schiff mit den zwei Knappen und dem Alten am jenseitigen Ufer der [286] Insel landen; die Knappen stiegen aus; dieser allein kehrte zurück. Im Zauberhauch der Dämmerung und der aufgehenden Sterne schweiften die Liebenden durch die Blüthenhaine der Insel. Ach, das ist die Heimath ewig seliger Liebe! sagte Liebegard. Möchten wir uns nie daraus entfernen! Es entzückt mich, daß dir dieser Ort gefällt, erwiederte Astolf. Du wirst ihn vielleicht in Jahren nicht wieder verlassen. Ich muß mich noch in den wilden Strom des Verhängnisses stürzen. Mein Leben ist nicht mein, meine Geliebte! Das Gewicht fremden Geschickes hängt daran. Aber meines Herzens Heimath ist bei dir. Aus dem Sturm fremder, kalter Welt wird es sich nur inniger nach dieser hindrängen. Der Menschen Irren und dumpfes Treiben hat in dunklen Schmerzenswogen an meine Brust geschlagen; in der deinen wohnt ein reines, inniges Leben; laß mich in dieser Himmelsklarheit wohnen. Werde nicht irre an der Dunkelheit, die mich umgiebt!

Herr meines Herzens, sagte sie, seine Knie [287] umfassend, ich habe das heiligste Glück durch dich ja erst erkannt; trage ich es nicht nun auf ewig in mir, und nehme es mit hinüber in den Tod?

Freundlich wird uns noch die Sonne dieser Erde leuchten, sagte er sanft, umfaßte sie zärtlich, und in seliger Liebesfülle schwanden alle Schattenbilder der vergangenen Tage und wandelten sich in lichte Rosenwolken.

Sie erwachte nach süßer Ruhe, und fand den Ritter schon gerüstet in der Vorhalle; er schien der ihn umgebenden Familie seine Befehle zu geben. Die Ahnung der Trennung fiel schwer auf ihr Herz. Er führte sie um die Insel, und zeigte ihr im Morgenlicht die fernen Ufer. Waldgebirge umzogen den See und dehnten sich weit hinaus an eine unermeßlich blaue Ferne, die den Horizont umgränzte, und die an manchen Stellen die seltsamsten Formen bildeten. Zwei hohe Thürme ragten, leuchtend im Gold des Morgens aus der waldigten Tiefe. [288] Liebegard erkannte die Burg, wo sie übernachtet hatten.

Unsre Blicke werden sich also doch wenigstens in der blauen Ferne begegnen, mein Astolf? sagte sie. Du wirst meinen Aufenthalt sehen, ich den deinen. Ueberall wirst du vor meiner Seele stehen, süßes Kind, sagte er liebevoll. Oft werde ich zu dir zurückkehren, aber für jetzt muß ich dich verlassen, schon in diesem Augenblicke. Sie sah, wie der Alte den Nachen ablöste, und stand bebend und zitternd; der schmerzliche Pfeil der Trennung wühlte in ihrer Brust. Ich werde den Deinen Nachricht von dir geben; schreibe selbst, deine Einsamkeit zu zerstreuen. Der Alte wird es treu besorgen. Auch mich werden die Worte deiner Liebe überall finden. In wenig Wochen kehr' ich zurück.

Er bat sie, die Sprache der Leute zu erlernen. Diese wird künftig einmal die deine werden müssen, fügte er hinzu. Mutter und Tochter kamen auf seinen Wink herbei. In Allem werden dir diese Leute treu dienen, dir gehorchen; [289] aber fordere nie, daß sie dich über den See führen; das habe ich streng verboten. Sie fühlte, wie sein Herz hoch schlug in der Umarmung des Abschieds, wie es sich mit Schmerzen von ihr losriß. Sey ruhig, sagte er unter herzlichen Küssen. Du bist umgeben von meiner Liebe, wie vom himmlischen Chor der Engel der Unschuld in deiner Seele.

Sein Blick blieb vom Nachen aus auf sie gerichtet, bis die Ferne ihn umwölkte; sie folgte seiner Gestalt, bis sie im waldigen Ufer jenseits verschwand.

Mit Freude fand sie, daß die treuen Doggen bei ihr geblieben waren; sie waren ihre unzertrennlichen Begleiter, ruhten Nachts in ihrem Zimmer, und empfiengen ihr Futter nur von ihr.

Jeder Raum des Hauses füllte sein Bild; es umschwebte sie auf allen Wegen durch die Insel, und stundenlang saß sie am Ufer dem Plätschern der Wogen zu lauschen – Sie wußte, diese würden ihn wieder zu ihr tragen, und es [290] war ihr, als vernehme sie den Ruf freundlich zugewandter Geister aus der blauen Tiefe.

Die gute Liesa, so hieß das Mädchen der Insel, sah sie mitleidig an, blieb still um sie, und deutete nur zuweilen, mit heiterer Gebehrde, auf die Rückkunft des geliebten Mannes. Lebhaft rief die jugendliche Gestalt das Andenken an die geliebte Schwester in Liebegards Seele, und die Sorge um den treuen Oheim folgte. Muß ich denn fern seyn allem dem, was mein Herz füllt? – rief sie oft aus – Müssen im heißen Sehnen alle Lebensblüthen für mich dahin welken? Doch, es ist sein Wille. Sein Bild griff mit aller Liebesmacht an ihr Herz und der Hoffnung belebender Hauch erfrischte es.

Nach Astolfs Wunsch ließ sie sich von den Leuten die Worte ihrer Sprache lehren. Die Liebe beflügelte ihre Fortschritte.

Das Mädchen sang provenzalische Lieder, die Liebegard von Astolf singen gehört; sie sang sie nach, sich mit seiner Zither begleitend. Die Töne, die er gesungen, die Saiten, die er berührt, [291] brachten ihr einen wundersamen Trost seiner Nähe.

Schönere Lieder könnt' ich euch lehren, gnädige Frau, sagte Liesa eines Abends, wo sie allein mit ihr war, da die Eltern im Garten arbeiteten, wenn's der Vater erlauben wollte, das große Buch herbeizuholen; sorgsam verbirgt er es, doch kann ich's Euch wenigstens einmal zeigen.

Geheimnißvoll führte sie Liesa in einen hinteren Raum der Hütte und zeigte auf eine Lade mit zierlichem Bildwerk, die gar nicht zu dem übrigen dürftigen Hausrath paßte. Hier liegt es! Liesa löste einen festverschlungenen Knoten auf und zog mit Liebegards Hülfe einen Pergamentband heraus, der mit mancherlei seltenen Figuren in Gold bemalt war, und viele Bilder und Blätter von der saubersten Schrift enthielt. Liesa las einige Lieder; aber Liebegards Neugierde war aufs höchste gespannt, da sie in den männlichen Hauptfiguren dieser Bilder die größte Aehnlichkeit mit Astolf fand. [292] Ein alter ehrwürdiger Mann auf einem Thron, dem eine Frau mit sehr niedriger Bildung zur Seite saß, erregte ihre Aufmerksamkeit zuerst, denn er hatte ganz die Züge ihres Ritters.

Zwei Söhne, mit den Zeichen des heiligen Kriegs bedeckt, schienen sich zu verabschieden; der ältere hatte noch entschiedenere Aehnlichkeit mit Astolf. Das Gefolge hielt an der Pforte. Der Vater blickte wehmüthig auf den ältesten Sohn und gab ihm seinen Segen; die Mutter schien ganz mit dem jüngeren beschäftigt. Ein zweites Bild stellte ihre Rückkunft vor. Die zwei Ritter standen mit zwei Weibern vor dem alten Fürsten und seiner Gemahlin. Die Frau des ältern Bruders hatte ganz die Züge des Bildes, das sie auf dem Grabmal erblickt, und ihres Traumbildes; sie konnte nicht zweifeln, daß es ihres Astolfs Mutter sey, und daß der kleine, ohngefähr achtjährige Knabe, den sie am Arm hielt, ihn selbst vorstelle. Schöner in Jugendfülle, als auf dem Monument, deutsch und sittsam gekleidet, rührte sie dieses Bild unaussprechlich.[293] Die Frau des zweiten Bruders war in fremder Kleidung sehr prächtig und mit Schmuck bedeckt; kaum der Kindheit entwachsen, drängte sich der blühendste Liebreiz, wie die Rosenknospe aus dem Schoos ihrer grünen Blätter. Ihr schwarzes Auge hieng an dem Ritter – es war unverkennbar Lilia in der ersten Blüthe der Kindheit. Astolfs Mutter stand mit sittig gesenktem Blick vor dem alten Fürsten, der sich liebevoll zu ihr, und von der Fremden abwendete. Ihr Gemahl und die Fürstin schienen deshalb unwillige Blicke gegen einander zu wechseln.

Auf dem dritten Bilde brachten Jäger den entseelten Leichnam von Astolfs Vater. Der alte Fürst stand im bittern Schmerz, und untersuchte die Wunde in der Brust; sein Weib lag über den Leichnam hingeworfen; der schöne Knabe hielt den einen herabgesunkenen Arm, die Augen fest auf des Vaters Antlitz gerichtet, als wollte er ihn ins Leben rufen.

Die Fürstin und der Bruder standen kalt, [294] wie unheilbringende Geister darneben, und die Blicke des umstehenden Hofgesindes waren zweifelnd und bedenklich auf sie geheftet. Lilia stand mit abgewendetem Gesicht.

Noch ein andres stellte den Leichenzug des alten Fürsten vor. Die Fürstin war im Wittwenschleier, und der Ritter und Lilia standen mit den Insignien der Herrschaft und von fürstlicher Pracht umgeben, während im Vorgrunde Astolfs Mutter mit dem schönen Knaben in einer wilden Gegend kniete, von einem Wächter begleitet, der mehr traurig, als grausam schien. Sie richtete ihr Auge nach dem heimathlichen Schlosse, hielt den Knaben an ihre Brust gedrückt und die gefalteten Hände gegen Himmel. Auf dem letzten Bild sah sie den blühenden Knaben neben einem alten Einsiedler, der ihn lesen lehrte; die Mutter saß dabei und spann. Die wilde Gegend glich dem fernen Ufer jenseits der Insel.

Astolfs vollkommene Schönheit gieng schon aus den jugendlichen Zügen auf.

[295] Liebegard konnte sich von dem Bilde nicht losreißen. Sie konnte nicht zweifeln, daß diese Blätter die Familiengeschichte ihres Gemahls enthielten.

Folgendes Gedicht in deutscher Sprache, das auf der letzten Seite stand, gab ihr den vollkommenen Aufschluß:


Der Frauen Tücke stürzte dies Geschlecht;
Der Frauen Sitte schützt nur Gut und Recht.
Vergebens schirmt des Tapfern Arm das Land,
Wo herrscht im Hause Untreu, Unbestand.
Die Tapfern weichen, wo die Treue weicht,
Wo List und böse That im Finstern schleicht.
Es steht ein morscher Stamm vom Sturm zernagt –
Die Eiche, die sonst himmelan geragt.
Entsühnung ward verheißen inn'gem Fleh'n:
Ein neuer Sprößling werd' einst aufersteh'n,
Der schwacher Anherrn Fluch in Segen kehrt,
Bleibt seines Herzens hohe Kraft bewährt.
Kann er der Lockung böser Lust entflieh'n,
Soll treuer Liebe Segen ihn umblüh'n;
[296]
Ein neu Geschlecht ersteh'n von Ruhm bekrönt,
Das Ahnenschuld durch Treu und Kraft versöhnt.

Bin ich Arme zu diesem hohen Glücke ausersehen! rief Liebegard unter heißen Thränen, o so schau herab, du Selige, und all ihr Heiligen des Himmels sendet Muth und Stärke auf das Herz, das ja nichts kann, als – lieben!

Liesa sah die Eltern von fern zurückkehren, und bat Liebegard dringend, sich zu entfernen mit dem Versprechen, ihr das Buch wieder zu zeigen.

Das Unglück seines Geschlechts, der hohe Stand Astolfs erfüllte ihre Seele mit Angst und tausend Sorgen.

O, er verdient ein Fürst zu seyn! wenn das heißt: die Macht zu edlen Thaten, des Wohlthuns und der Liebe zu besitzen, rief sie [297] aus; aber, wie wählte er mich aus der Verborgenheit und Armuth? Wie wür den sich nicht Fürstinnen an die Hand, an das Herz drängen, wo alle Seligkeit des Lebens liegt? Kann er, wird er mein bleiben? Süße Erinnerungen der Stunden der Liebe umschwebten sie gleich Engeln des Trostes und der Hoffnung. Lilia's Andenken flößte ihr mehr Mitleid, als Furcht ein. Sie hatte sie so heißliebend gesehen und doch stand auch sie, als ein feindliches Wesen, in Astolfs Geschick.

Bald nah'te die Zeit, in der sie auf seine Wiederkehr hoffen durfte.

Der alte Fährmann fuhr oft über den See. Liebegard harrte seiner Wiederkunft am Ufer, und wenn der Nachen in der Ferne die Wellen durchschnitt, bildete sich ihr glühendes Liebesehnen die Gestalt des Geliebten im Duft der Ferne. Mit Schmerz sah sie das Bild zerrinnen, wenn der Nachen heran kam, den grauen Alten allein tragend. In den Nächten lockte sie das Plätschern der Wellen ans Ufer; im [298] Hauch des Windes wähnte sie, seiner Stimme Töne zu vernehmen. Am Ablauf der Zeit der verheißenen Rückkehr empfieng sie ein Briefchen. Es enthielt Zärtlichkeit und Liebe; aber der Schluß sagte: Ehre und Pflicht halten mich noch von dir entfernt; nur diese vermögen es.

Durch Geduld und Ruhe strebte sie, seiner werth zu seyn; übte sich in der Sprache, im Spiel und Gesang und arbeitete ein schönes Reitzeug.

So oft Liesa allein war, saß sie bei dem geheimnißvollen Buche. Die Bilder umgaben sie oft gleich lebendigen Gestalten; besonders erschien ihr die Mutter als mit einer Glorie umgeben. Mit Liesa's Hülfe lernte sie viele der Lieder verstehen und die Geschichte wurde ihr immer klarer. In einer Reihe von Romanzen, Liedern, die ihren Seelen-Zustand aussprachen, und in herzlichen Gebeten und Anrufungen der Heiligen hatte die edle Frau die Geschichte ihres Unglücks dargestellt. Räthselhaft [299] für ein fremdes Auge, aber leicht verstehbar für Liebegards Herz.

Mutter und Knabe sollten ins Elend verwiesen werden, aber der mitleidige Wächter vollführte den grausamen Befehl nicht, sondern brachte sie zu einem frommen Einsiedler in einen tiefen Wald. Ein Freund sendete ihr Gold und die Kostbarkeiten ihres Hauses, und sie erkaufte die Insel und die Burg im Walde, wo Astolf heranwuchs.

Der Freund beschwor sie, das tiefste Geheimniß zu beobachten, da ihr und des Sohnes Leben daran hienge; sie lebten unter fremdem Namen. Astolfs hochstrebender Sinn, sein Muth, der bis zur Tollkühnheit gieng, bewogen die Mutter, ihm selbst seinen Stand zu verbergen und seinen frühesten Jugenderinnerungen eine andere Deutung zu geben. Ein dunkles Gefühl, daß er zu etwas Hohem und Großen geboren sey, war aber nicht in dem Jüngling zu vertilgen; das Siegel der Herrschaft war ihm [300] auf die Stirn gedrückt, schien es. Früh versammelte sich ein Kreis um ihn, den er durch Liebe gewann, und dem er ein vorleuchtender Stern in muthigen Thaten war. Unerkannt und ihm selbst unbewußt, zog er ans Hoflager des Oheims, erwarb seine Gunst und erregte Lilia's glühende Leidenschaft durch Schönheit, Tapferkeit und edle Sitte. Der Mutter Angst schien hier aufs höchste gesteigert. Den Netzen der Verführung und List, die ihn umgaben, wollten ihn ihre Warnungen und heißen Gebete entreißen. – In den letzten Liedern schien Astolf auf einer Reise gewesen zu seyn zu einem Fürsten, ihrem Verwandten, wo er eine glänzende Aufnahme gefunden. Sie selbst bereitete sich zu einem Unternehmen für ihn vor, wo sie wahrscheinlich ihren Tod gefunden. Das warnende, prophetische Gedicht, das Liebegard zuerst gelesen, schien der letzte Erguß ihres Herzens an den Sohn ihrer Liebe.

Eines Abends hörte sie das Geläute eines Glöckchens aus den gegenüberliegenden Wäldern. [301] Freudig trat der alte Schiffer zu ihr und deutete ihr an, es verkünde die Ankunft des Herrn. Mit welchem Entzücken sah sie den Nachen auf den Wellen hingleiten, der ihn zu ihr bringen würde! Sie eilte zum Ufer. Wie beneidete sie die Vögel um ihre Schwingen, die sie über den Wasserspiegel leicht hintrugen! Bald erspähte ihr Auge auf dem rückkehrenden Nachen die Gestalt des Geliebten. Die Abendsonne umglühte seinen Helm, wie bei seiner ersten Erscheinung. Ihr Herz schlug hoch, ihr Blick umhüllte sich; ihr Bewußtseyn schwand. Athemlos, in süßer Verwirrung der Liebe, erwachte sie zum Leben an seiner Brust. Glaube, daß meine Sehnsucht der deinen gleich ist! sagte er sanft. Das Glück muß ja immer kämpfen mit den rohen Elementen des Lebens, fuhr er fort, als er sie zum Hause geleitete. Auch jetzt habe ich ihnen nur wenige glückliche Tage abgerungen; doch bald werde ich dich in den Zeiten der Trennung nicht mehr allein wissen; deine Gertrud wird bei dir seyn. Ich habe einen Boten[302] gesendet, und unter sicherm Geleit wird sie zu dir kommen.

Ist mein guter Oheim todt? fragte sie schmerzlich bewegt. Ja, mein süßes Kind, und tröstend war es mir, daß ich jetzt zu dir eilen konnte. Sie weinte an seiner Brust um den treuen Versorger ihrer Kindheit; mild trocknete er ihre Thränen, und suchte ihr in seiner Liebesfülle den Schmerz der Natur vom Herzen zu lösen.

Ich habe nur dich, sagte sie, ihn fester umschlingend. Ach, und wenn ich auch eine Fürstin wäre, von Glanz und Glück umgeben, hätte ich doch immer nur dich, und, ohne dich, nichts in der Welt!

Auch ich habe in dir das Liebste auf Erden, erwiederte er; nur der Liebe Himmelsglanz erhellt das dunkle Daseyn des Menschen – doch, wie fällt dir die Fürstin ein, meine Liebe? Das Geheimniß des Buches entschlüpfte ihren Lippen mit der Bitte, Liesa nicht zu verrathen.

Wirst du deinem armen Mädchen immer [303] angehören können, fragte sie sanft, da du zum Ruhm und Glanz des Lebens geboren bist? Der Alte hat nicht wohl gethan, sagte er etwas ernst, meinen Befehl des Geheimnisses nicht sorglicher zu befolgen und die Last meines Geschickes auf dein unschuldiges Herz zu wälzen.

Mein treues, geliebtes Weib bist du, mein auf ewig. Du siehst jetzt ein, daß Sorgen für Andre mir obliegen, daß ich nicht einzig mir selbst angehöre, deshalb muß ich ihm verzeihen. Du sollst alles wissen, was mich angeht, und womit ich selbst erst nach dem Tode der treuen Mutter bekannt wurde. Nur diesmal laß mich noch schweigen, und nichts Trübes und Fremdes mische sich in den Becher der Liebe, dessen wenige Tropfen uns jetzt vergönnt sind.

Es herrschte eine sanfte Trauer über ihrer Zärtlichkeit, in der sich die Tiefe und Innigkeit ihrer Gefühle gleichsam selbst mehr ermaß, so wie einzelne Lichtblicke an einem grauen Tage uns die Gegenden deutlicher und näher bringen, als immerwährender Sonnenglanz.

[304] Am nächsten Abend saßen sie bis zu einbrechender Nacht in einer Bucht, von alten dichten Bäumen umschattet. Liebegard überraschte hier den Geliebten mit ihrem süßen Gesang in den erlernten Liedern. O, heilige Unschuld! rief er entzückt aus, du allein übst unfehlbare Gewalt über des Menschen Herz aus, in Fülle und Reinheit des Sinnes, in Wort und Tönen. Wie elend sind die Weiber, von denen dein Reiz entwich!

Vom reinen Aether der Liebe umwogt, unterhielten sie sich in süßer Vergessenheit alles Andern, als wenn es nichts, als den Himmel über ihnen gäbe mit seinen heiligen Sternenaugen – als nah bei ihnen eine Stimme aus dem dichten Gebüsch des Ufers drang; sie sang folgende Worte:


Wenn in der Liebe süßem Zauber
Das Herz sein Alles fand,
Wenn es im großen Bund der Wesen
An Eines einzig nur sich band:
Zerreiße dann o Lebensfaden
Durch kalter Untreu' Hand!

[305] Astolf sprang auf – lassen mir die täuschenden Geister jener Zauberwelt auch nicht einen Augenblick des reinen Genusses! rief er heftig. Müssen sie mich ewig verfolgen! Heftig schloß er die bebende Liebegard an sein Herz. Du bist mein, vor dem Gott der ewigen Sterne, und sollst es bleiben! Sie wünschte zu vergehen in Lust und Schmerz, ehe ein feindseliges Geschick, dessen ahnende Nähe kalt ihren Busen ergriff, sie aufs neue von dem Geliebten trennte.

Schweigend legte er ihren Arm in den seinen, und als sie den Hügel des Hauses hinanstiegen, sahen sie weiße Gestalten abwärts dem Ufer zu schweben und hörten bald das Plätschern der Ruder durch die stille Nacht über den See.

Liebegard fragte nicht, suchte selbst, ihrem ersten Versprechen gemäß, alle Zweifel zu verbannen, und, gerührt durch den aufgeregten schmerzlichen Zustand ihres Geliebten, strebte [306] sie, in süßer, hingebender Liebe, sein Herz zu besänftigen.

Aber die Stimme schien ihr nur zu wohlbekannt, und wie ein düstrer Geisterlaut griffen diese Töne durch alle zarten Fäden ihres Lebens.

Vergiß, du Holde, sagte er am Morgen beim Abschied, was du vernommen. Keine feindselige Gewalt soll das Heiligthum unsrer Liebe bestürmen. – Ach, ich liebe dich ja unendlich, ewig! sagte sie, unter den Küssen des Abschieds.

Die Familie der Insel schien den Befehl erhalten zu haben, ihre Aufmerksamkeit für sie zu verdoppeln. Liesa blieb immer um sie, sah sie, ängstlich fragend, an, und gab oft Zeichen von Geisterfurcht, ja sie schauderte bei jedem ungewohnten Laut zusammen.

Innige Liebe ist sich, selbst unter dem bittersten Schmerz, noch ein Quell des Trostes, des Muthes. Wie sie Unglaubliches fürchtet, [307] hofft sie es auch. Und, wenn es auch wäre, was ich nicht zu denken wage, sprach sie bei sich selbst, wenn eine andere Liebe sein Herz umstrickte, so muß ich ihn dennoch lieben, so kann ja nur Treue den Zauber lösen; ich hege sie bis zum Tode. Doch nagte in andern Momenten das Unglück an ihrem Blüthenleben, denn die Liebe will auch nur Eines wieder einzige Liebe seyn.

Die Einsamkeit, kein glücklicher Traum mehr, lag schwer auf ihr; sie zählte die Stunden nicht mehr nach seiner Wiederkehr, sondern als Zeit, die kalt und gestaltlos an ihr vorüber strich. Die Bilder der unschuldigen Jugendzeit, mild, ohne Leidenschaft, ohne verzehrenden Schmerz und Lust, lagerten sich um sie her, und die Schwester stand auch als ein Gegenstand des Sehnens vor ihr im Blau der fernen Gebirge, die den Horizont umzogen. Wo wird sie seyn? rief sie oft in die Lüfte.

Ein kleiner Nachen, der über die breitere Seite des See's herankam, setzte sie eines [308] Abends in Verwunderung. Er nahte; ein Schiffer durchschnitt die Wellen mit schnellen Ruderschlägen, und sie und Liesa erkannten bald, daß der Nachen nur einen Knaben trug, der bald rudern half, bald ungeduldig sich von einem Ende des Nachens zum andern bewegte. Lange blonde Locken umwallten seine Schultern; seine Bewegungen waren leicht und anmuthig. Nicht erwartend, daß der Schiffer den Nachen befestigt, sprang er rasch über Bord, lief mit ausgebreiteten Armen auf Liebegard zu und warf sich an ihren Hals. Sie schaute ihm ins Auge, und fand sich mit Entzücken in den Armen der kleinen Gertrud. Diese legte den Finger auf ihren Mund, Schweigen gebietend, lief, dem Fährmann einen reichlichen Lohn zu geben, der gegen ein allgemeines Verbot des Herrn des Ufers, gewagt, sie überzuführen, und ließ sich nun von der beglückten Schwester in die Wohnung geleiten.

Warum dieses Geheimniß und dieses Verkleiden? fragte Liebegard nach den ersten herzlichen [309] Begrüßungen. Mein Gemahl selbst hat mir deine Ankunft angekündigt und versprochen, dich zu mir zu führen.

War es auch seine Absicht, mich dir wieder zu geben, sagte Gertrud, so fürchte ich doch, ich eile ihr zuvor.

O, meine Liebegard, nicht Alles ist, wie es seyn sollte! Beim Tode des guten Oheims wäre ich verlassen gewesen, ohne den treuen, alten Ritter Waltram. Er vertrat Vaterstelle an mir, und bitter bereu'te ich meine leichtsinnigen Scherze über seine freilich ungünstige Gestalt als deinen Bräutigam. Ein edles Herz schlägt oft unter einer häßlichen Hülle, und die Schönheit überdeckt oft ein treuloses. Die wenigen Diener eilten den neuen Besitzern zu; es waren eigennützige Leute, bei denen ich mich nicht aufhalten konnte. Meine Briefe an deinen Gemahl blieben ohne Antwort. Waltram nahm mich auf, rettete von der geringen Habe, was mir der Oheim zugedacht, und sendete mich unter sicherm Geleit zu seiner Schwester, die in [310] einer entfernten Gegend wohnte. Sie ist eine stattliche Rittersfrau; gutmüthig, wie er selbst, nahm sie mich, wie eine Mutter auf; sie lebt in reichlicher Umgebung, und wohnt in einer schönen Burg, deren Thore gastlich allen Reisenden geöffnet sind, die auf jener Straße einherziehen. Ein Ritter, den sie beherbergte, sprach beim Abendbrod viel von einem Turnier, welches in einer benachbarten Stadt morgen gehalten werden sollte. Die schöne Fürstin Lilia wird den Dank austheilen, sagte er; sie belebt jede Gegend, die ihr Fuß betritt, mit Festen und Lustbarkeiten aller Art. Der alte Herr versagt ihr nie einen Wunsch; sie beherrscht ihn unumschränkt. Man sagt, sie kenne Zauberkünste; denn sie ist aus dem Orient mit ihm gekommen. Wundersam ist ihre Schönheit; aber Tücke und Stolz überschatten das schöne Gesicht, und man schaut sie mehr mit Verwunderung und Furcht an, als mit Liebe und Entzückung. Sie liebt einen Ritter des Landes mit grenzenloser Leidenschaft; dieser gebietet über [311] sie, wie sie über ihren Gemahl. Morgen wird er im höchsten Glanz erscheinen; denn er kehrte siegreich aus einem harten Kampf, wo er einen feindlichen Ueberfall von der Grenze des Landes abhielt. Ihm zu Ehren ist dieses Ritterspiel angeordnet. Gewiß wird er den Dank von den schönen Händen der Fürstin empfangen; denn er ist im Ernst und Spiel der Waffen der tapferste, wie der gewandteste unter allen Rittern.

Ich zeigte Neugier, das Ritterspiel mit anzusehen, und meine gütige Frau Guda, so heißt meine Pflegemutter, war gleich bereit, mich hin zu führen; der Ritter erbot sich zu unserem Geleit. Mich erfreute das Leben und der Glanz des Festes. Frau Guda wurde ehrenvoll aufgenommen, und wir saßen auf den ersten Plätzen unweit der Fürstin. Sie erschien mit einem goldgewürkten Schleier bedeckt; der alte Herr führte sie die Stufen hinan, und saß demüthig an ihrer Seite, ihrer Befehle harrend. Als sie den Schleier zurück warf, stand Alles wie geblendet von ihrer Schönheit, durch den reichsten [312] Schmuck erhöht. Ihr leuchtendes Auge drang in die Ferne und ihre Lilienhand, mit kostbaren Spangen und Ringen geziert, lag auf den zu vertheilenden Preißen, die reichgekleidete Diener vor ihr hingelegt hatten.

Der Kampf begann. Ein wunderschöner Ritter, dessen edle Gestalt und reiche Rüstung Aller Augen auf sich zog, erschien; sie kämpften mit geschlossenen Visiren. Das ist der Geliebte der Fürstin, flüsterten mehrere Stimmen hinter uns; seht, wie die schönen Augen der Fürstin ihn verfolgen! Der Ritter war wunderbar tapfer und geschickt; er überwand alle Gegner. Laut wurde ihm der Preiß zuerkannt. Lilia hatte oft zwischen Furcht und Freude die Farbe gewechselt; ihre Brust wallte hoch unter der Last des Geschmeides. Der alte Herr nickte Beifall zu allem, was sie that und sagte. Die Ritter nah'ten nun mit geöffnetem Visir dem Balkon der Fürstin. Denke dir meine Verwunderung, mein Entsetzen, als ich in dem geliebten Ritter der Fürstin unsern Ritter, deinen Gemahl, erkannte.[313] Kaum konnte ich mich verbergen, doch that ich's deinetwegen, um der ganzen Sache auf den Grund zu kommen; ja ich zog mich zurück, als er seinen Blick auf den Balkon und die glänzende Reihe der zuschauenden Frauen warf. Das muß ich sagen, er sah stolz und ernst aus, und empfieng den Dank als etwas, das ihm gebühre; aber Lilia war voll hingebender Liebe, hatte nur Augen für ihn. Alle Welt bemerkte es, wie sie, in Vergessenheit ihrer selbst, als er ihr die Hand dankend küßte, die seine nicht loslassen konnte, und kaum die liebedürstenden Lippen zurückhielt, einen Kuß auf seine Stirn zu drücken. Mit welchem Schrecken endigte diese Scene! Als die Trompeten ertönten, den Sieger zu begrüßen, sank der alte Fürst, neben Lilia, vom Schlagfluß getroffen, sinnlos um. Alles eilte ihm zu Hülfe; man trug ihn hinweg; Lilia folgte, die Hände ringend, und jeder Fremde suchte bestürzt, nach seiner Heimath, aus dieser bangen Verwirrung zu kommen. Der Fürst sey wieder zur Besinnung [314] gelangt, sagten uns die aus der Hofburg am Abend Zurückkehrenden, doch zweifelten die Aerzte, daß er den nächsten Morgen erleben könne. Lilia und wenige Vertraute kämen nicht von seiner Seite, um seinen letzten Willen zu vernehmen.

In allen Kirchen flehte man um die Rettung des Fürsten. Man liebte ihn nicht; Lilia's leichtsinnige Verschwendung hatte ihm die Herzen entfremdet; aber man fürchtete neue fremde Herrschaft.

Trauergeläute weckte uns am frühen Morgen, das Hinscheiden des Herrn des Landes verkündend. Das unruhige, verwaiste Volk drängte sich zur Hofburg; ich mischte mich mit Frau Guda auch darunter.

Lilia erschien in Trauerkleidern auf dem Balkon; der Fürstenhut wurde ihr vorgetragen, und der Kanzler las den letzten Willen des Regenten ab, in dem Lilia zur Erbin des Reichs erklärt wurde. Eine stumme Bestürzung herrschte. Als aber der Kanzler ferner ablas, daß der [315] Ritter vom finstern Wald zum Feldherrn erklärt werde, erscholl ein allgemeiner Jubel. Er, er kann uns retten, vernahmen wir in tausend Stimmen um uns her. Er ist edel und gut; möchte er unser Fürst seyn! flüsterte es leiser nach. Als Lilia ihm den Feldherrnstab vom sammtnen Kissen überreichte, er tönte der Jubel aufs neue. Freundlich das Volk grüßend und ihm dankend, trat der Ritter hervor. O, Liebegard, hättest du ihn sehen können! Er war schön, wie ein Engel des Lichts, verklärt in der Hoffnung und im Vertrauen des auf ihn schauenden Volkes.

Ich verehre den Willen unsers entschlafenen Herrn, sagte er, und indem er mit der Rechten nach dem Schwerte an seiner Seite griff, nur für eure Wohlfahrt gelobe ich, dieses Schwert zu ziehen.

Lilia stand bleich, mit gesenktem Blick da: sie schien den Mißmuth des Volkes gefühlt zu haben; doch grüßte sie mit Freundlichkeit, ehe sie sich entfernte. Frau Guda hatte viele Freunde [316] in der Stadt, die, sie zu besuchen, kamen. Es waren ehrwürdige Männer darunter, die verständige Gespräche führten. Alle fanden die Lage des Landes bedenklich, und achteten und liebten Lilia gar nicht. In leichtsinniger, thörichter Hand wird der Herrscherstab zur Geißel der Völker, sagt der eine. Der andere fürchtete feindlichen Ueberfall eines Ansprüche habenden Nachbars. Nur eines kann retten, riefen mehrere, wenn der Ritter vom finstern Wald ihr Gemahl und unser Herrscher wird. Er scheint kalt gegen sie, sagte der eine, doch weiß man sonst, daß sie ihn in ihren Banden hielt; und wer kann's ihr verdenken, sich halten zu lassen von solcher Schönheit, solcher Liebe und einer Krone? Ich wollte zu deinem Gemahl eilen, denn immer glaubte ich an seine Treu' und Tugend, wenn ich in sein himmlisches Antlitz sah, als er, umringt vom Kriegsvolk, durch die Straße zog. Ein Eintretender erzählte, der Ritter führe das Heer an die Grenze, um gegen jeden Ueberfall gedeckt zu seyn. Lilia habe ihn nicht[317] lassen wollen; ganz in ihre Leidenschaft versunken, wolle sie nur ihn, und kümmre sich wenig um's öffentliche Wohl. Aber fest und ernst habe er darauf bestanden, die Pflicht seines Amts zu erfüllen. Bald wüthe sie, bald schwimme sie in Thränen, und mehrere schlecht gesinnte Räthe drängten sich schon um sie, mit falschen verderblichen Rathschlägen. Man sprach von ihren Untugenden, daß Leidenschaft sie schon zu grausamen Handlungen verleitet, daß mehrere Frauen als Opfer ihrer Eifersucht verschwunden, wahrscheinlich heimlich gemordet worden. Ach, Liebegard, mein Herz zitterte für dich! Ich vertraute Frau Guda unter dem Siegel heiliger Schwüre alles an. Wir fragten die Burg deines Gemahls aus, und sie war mir behülflich, zu dir zu kommen. O, entfliehe jenem schrecklichen Geschick, geliebte Schwester! rief Gertrud, sie mit heißer Angst umfassend. Ist der Ritter treu, so wird er dich finden, wo nicht – ihr fehlte der Muth, mehr zu sagen, denn blaß und starr, wie eine Marmorstatue stand Liebegard [318] vor ihr, im Widerstreit tausendfacher Gefühle, die bei dieser Erzählung an ihr armes Herz voll Liebe schlugen. Sie hatte keine Thränen; wie eine Eisfluth umdrängte die Furcht, ihn zu verlieren, das warme Leben ihres Busens; der Krampf des Todes drohte es zu vernichten.

Mit schwacher Stimme sagte sie: Ich habe Vertrauen und Unterwerfung unter sein geheimnißvolles Daseyn gelobt, Gertrud, ohne seinen Willen kann ich nicht fliehen. Und wohin? Der Tod ist überall für mich, da, wo er nicht ist. Doch wird es vielleicht mein eigenes Herz fordern, ihn nicht wieder zu sehen, und darüber brechen. Soll ich da stehen zwischen ihm und seinem Ruhm und seiner Größe und dem auf seine Tugend hoffenden Volke? An seine Untreue kann ich noch nicht glauben. O, kenntest du alle Zaubertöne seiner Liebe! Wenig Worte empfieng ich in den letzten Zeiten von seiner Hand – es ist wahr – aber in solchem Drang der Begebenheiten ist ein Gedanke der Liebe schon viel. In tiefes Nachdenken versunken, [319] saß sie auf ihrem Lager, und bat die Schwester, zu ruhen; der Morgen werde ihre Seele zu Entschlüssen stärken.

Es war Mitternacht, als ein Geräusch um die Wohnung her entstand; die Wellen schlugen aus Ufer; die Doggen bellten ungestüm. Gertrud umfaßte sie ängstlich. Verzweifelnde Liebe kennt keine Furcht; mild suchte sie die Kleine zu trösten: Vielleicht ist's eine Botschaft meines Gemahls, vielleicht er selbst! Die Thür öffnete sich, und im schwachen Schimmer der Lampe sahen sie eine weiße Gestalt eintreten. Die treuen Doggen wollten auf sie los fahren; Liebegard zähmte sie mit Mühe; zu ihren Füßen lagen sie murrend, bereit sie zu vertheidigen. Ach, es ist der Tod! rief Gertrud. Lilia läßt dich ermorden.

Thörichtes Kind, sagte eine sanfte, schmeichelnde Stimme, kennst du denn Lilia? Die Arme, die mit der tiefen Herzenswunde nur kommt, Leben und Athem zu erfleh'n, sinnt auf keinen Mord. Sie näherte sich, schlug den [320] Schleier zurück, und Gertrud und Liebegard standen, geblendet von ihrer Schönheit, die der Zauber der Wehmuth und Milde noch erhöhte. Liebegards reines Herz konnte die nicht hassen, die ihren Einzigen mit so schmerzlicher Liebesfülle umfaßte.

Du besitzest, holdes Mädchen, meinen kostbarsten Schatz, ohne den ich fürwahr nicht leben kann, sagte Lilia. Deine Schönheit, deine Jugend, deine Sanftmuth rühren mich; ich beweine dich, aber ich muß ihn dir entreißen! O du Glückliche! in stiller Einsamkeit sein zu seyn; seinem Willen, seinen Wünschen einzig zu leben – die traurige Bürde der Herrschaft, die ich trage, des todten kalten Glanzes, der liebeleeren Umgebung – kenntest du sie, du würdest mich elend nennen. Ein Strahl seiner Liebe umhellte mein Daseyn – sein liebendes Auge, als ich zuerst hinein sahe, wurde die Sonne meiner Tage, des Mondes Silberlicht auf den nächtlichen Pfaden; seit es sich kalt von mir wandte, umgiebt mich nur Finsterniß. Ist [321] seine Liebe für immer dahin, so nimm mich auf, ewige Nacht! Sie zog einen Dolch aus ihrem Gürtel, beschaute ihn mit starrem grassen Lächeln und drückte ihn dann an ihre Brust. Sieh', den kalten, sichern Tod trag ich immer bei mir; zerschnitte seine Schärfe in der zitternden Hand nicht den Faden des Lebens, so verwandelt doch sein kleinster Riß alles Blut in ätzendes Gift, daß das Gewebe der Nerven und Adern zerreißt. Es ist ein theures Geschenk meiner alten Griechischen Wärterin, das mich aus jeder Gefangenschaft befreien sollte. Ja, es soll mich aus der schwersten befreien – du allein kannst helfen – sage, daß du mir ihn wiedergeben willst! Ihre Arme hielten Liebegard krampfhaft umfangen, während sie den Dolch hoch in der Rechten hielt. Gertrud wollte in Verzweiflung die Schwester losreißen, und die Hunde sich auf Lilia werfen. Liebegard gebot Frieden und sah Lilia mit dem reinen Himmelsblick der Unschuld an. O wie fern bist du, Arme, von der Liebe, die nur die Mächte des Himmels [322] anruft. Lilia steckte den Dolch ein und sagte, in sich kehrend, mit gesenktem Blicke: Glaubst du, es würde meine Liebe krönen, dich zu morden? Nein, ein Opfer kleinlicher Eifersucht verschmähe ich. Die Unschuld ist ein schöner Schmuck – sie schaute dabei in Liebegards Augen – der Spiegel deiner Seele ist rein; bei mir war es auch einst so; für ihn habe ich Himmel und Erde verloren. Ich heiße: die Falsche, die Böse, weil ich alles daran setzte, ihn an mich zu binden. Ich bin es nicht, bin nur die Arme, die sich selbst in seiner Liebe verlor. Mädchen, das Glück Vieler hängt an der Kraft deines Herzens. Gieb ihn auf! Stehe nicht als ein böser Engel zwischen ihm und dem Glück des Volks; sey, was deine Engelsgestalt verkündigt, ein Geist des Segens der Liebe!

Das war die tödtlich verwundbare Stelle in Liebegards Herzen, das unter allem Schmerzlichen dieses Auftritts doch in hoher Seligkeit geschlagen, da sie sich selbst in Lilias Verzweifelung als die Geliebteste Astolfs erkannte. [323] Bebend sagte sie: Wenn er mein ist, wie könnte ich ihn geben? – Er ist sein eigen, der Hohe und Herrliche! Er wähle frei – alle heiligen Rechte gebe ich auf. Ists sein Wille, so verschließen mich finstere Klostermauern, nur für ihn zu beten, zu sterben – aber nur sein Wille soll mich leiten.

Wehe mir, rief Lilia aus schwer gepreßter Brust, wenn du sein Weib bist! Bist du es?

Wie kannst du zweifeln, Fürstin? erwiderte Liebegard, sanft, aber mit allem Stolz der Unschuld.

O! nun ist alles anders, alles aus, sagte Lilia mit dem dumpfen Tone der Verzweiflung. Wo Ehre und Pflicht das stolze Herz binden, da muß jede Regung der Liebe für mich schweigen. Alles ist anders – fuhr sie nach langem düstern Schweigen fort, indem sie schaurig um sich her sah – aber eins von uns Dreien muß hinweg – warum sollte er es nicht seyn – er, der im falschen Doppelsinn der Leidenschaft zwei liebende Herzen mordete – er falle.

[324] Liebegard entgieng Athem und Leben beinah vor dem gräßlichen Gedanken; sie legte die beiden Arme über ihre Brust, als wollte sie ihre entfliehende Kraft halten, und rief, mit einem Blicke, in dem sich alle Mächte des Himmels spiegelten: Hier bin ich, morde mich!

Deine Ergebenheit rührt mich beinah, sagte Lilia. Mit einem scharfen listigen Blick setzte sie hinzu: vielleicht giebt es noch einen Ausweg.

Der Himmel wird einen zeigen! rief Liebegard, aber laß ab von deinem schrecklichen Sinn. Wende dich ab vom Wege der Hölle, des Entsetzens – ach auf diesem kann die Liebe nicht wandeln, sie die Licht und Wahrheit ist! Ist denn etwas so Bezauberndes in dieser deutschen Treue? sagte Lilia, wie im Selbstgespräch. Das Leben heißerer Zonen, das in meinen Adern fließt, meine Lust, meinen Schmerz, könnt ihr in matter Mäßigung nicht begreifen; es verheert mit seiner Gluth, was es nicht beleben kann, und kann nur in einem Meer von Thränen verlöschen. Gutes Geschöpf, sagte sie [325] weich zu Liebegard, wohl dir, daß reine Aetherlüfte die Wiege deiner Liebe waren! Wehe dem, dem ein düstres Geheimniß die Kraft des Busens bricht! denn die Lüge lockt in nächtliche Pfade hinab zum Untergang – Wehe mir! rief sie mit einer Thränenfluth aus.

Sey wieder wahr und gut, Lilia, sagte Liebegard sanft, der Pfad zum Himmel bleibt jedem guten Gedanken offen, jedem guten Gefühl; es ist ein goldnes Seil zur Rettung niedergesenkt – du hast Macht wohlzuthun; sey ein helfender, tröstender Engel in Thaten der Weisheit und der Liebe.

Das hätte ich an seiner Hand nur werden können; im glühenden Sehnen der Liebe zerrinnt alle Kraft zum Guten in mir, sagte Lilia unter heißen Thränen.

Ach, ich will ja deinem Glück nicht im Wege seyn, wenn es auch das seine ist! rief das sanfte Herz, vor dem schon schmerzliche Entsagung, als die einzige Lösung stand.

Ich vermögte das nicht, erwiderte Lilia, [326] aber du bist reiner, größer, als ich. Ja täuschen dürfen wir uns darüber nicht, fuhr sie mit angenommener, geheuchelter Ruhe, fort – Thaten des Muths und der Herrschaft gehört er an; der Liebe stilles Glück kann dieses Herz nicht füllen, und ein Traum verlorner Größe wird einen düstern Schatten über sein Leben werfen.

Liebegard, im Gefühl, daß die Herrschaft ihm gebühre, da sie seine Geschichte kannte, daß ihm sein Eigenthum entrissen wurde, sagte kalt, beinah unwillig: Ueberlassen wir das ihm, er ist stark genug, um die Bahn seines Schicksals sich selbst zu brechen. Ein Edler und Starker findet überall muthvolle Herzen, die sich an das seine drängen, und ihm erringen helfen, was ihm gebührt. Ja durch das Blut von Tausenden, sagte Lilia, und schien tief bewegt, durch das Elend und die Thränen eines ganzen Volks, durch seine fürchterliche Gährung und Auflösung in einen bürgerlichen Krieg, ach Gott! vielleicht durch sein eigenes Blut und Leben. –

[327] O, halt ein! rief Liebegard, du zerreißest ein Herz tausendfach, das vermag ich nicht zu denken – Er lebe, herrsche, beglücke – mein armes Leben ende.

Lilia umfaßte sie wieder zärtlich, wollte ihr Muth und Hoffnung einsprechen, aber ihr Glück, ihre Hoffnungen hatten den Todesstoß empfangen. Lilia durchforschte die kleine Wohnung mit Neugier, berührte alle Gegenstände, die zu seinen Umgebungen gehörten, und nahm dann Abschied von der Unglücklichen, in deren blühendem Lebensgarten sie alle Blüthen niedergetreten.

Denke nicht, daß ich dich hasse, du bist ja schuldlos an seiner Untreue – wie kann man die Rosen hassen, selbst wenn uns ihre Dornen zerritzen?

Lebe beglückt in deiner Unschuldswelt. Hättest du ihm eine Krone zu geben, ich müßte dich seiner werther achten, als mich – aber du kannst sie ihm nur rauben, das bedenke. Der Maiensonnenblick der Liebe füllt das Leben des [328] Mannes nicht. Die Herbststürme des Ehrgeizes umtoben es dauernder.

Die Lilie der Hoffnung war zerknickt in Liebegards sanftem Gemüth. Gleich dem reifen Blumenkelch sank ihr holdes Antlitz herab über die zerrissene Brust. Lilia erhob es an ihre Rosenwangen, die in neuem Lebensmuth glühten, und sagte, sanft schmeichelnd: Ach du trägst ja doch den besten Schatz der Erde und des Himmels in dir, seine Liebe!

Besitze ich diese wirklich, so wird sie mich retten – alles retten –; in ihr kann ich auf die Klarheit des Himmels hoffen, die meine Schritte erhellen wird, sagte Liebegard. Thue du Alles, Fürstin, was Frieden und Heil bringen kann. Bedenke, daß er vielleicht schon jetzt im Kampf für dich blutet.

Fürchte nichts, der Sieg ist mit ihm, erwiderte Lilia. Aber noch eins: Du mußt mir schwören, bei deiner Hoffnung des ewigen Heils, daß er meinen Besuch bei dir nie erfahren soll. Vermagst du ein Opfer zu bringen, [329] so bringe es vollkommen. Aus deiner eignen Seele muß es ihm einzig zu kommen scheinen.

Liebegard zweifelte, ob es recht gethan sey; ihm hatte sie zuerst Wahrheit und reines Vertrauen gelobt; dieser Eid verletzte den früher geleisteten. Gertrud zog sie am Arme: Schwöre nicht! Aber Lilia drang mit jeder Zauberkunst allgewaltiger Leidenschaft auf sie ein; sie ergab sich ihrem Willen, und sagte bebend: Ich schwöre es! Es ist ja für sein Glück, tönte eine beruhigende Stimme in ihrem Innern.

Ist eine schöne Seele einmal auf dem Weg schmerzlicher Entsagung, so wähnt sie, nie zu viel gegen sich thun zu können.

Lilia schied, und sie sahen, wie ihre weiße Gestalt im Mondglanz zum Ufer schwankte, wo mehrere dunkle Gestalten ihrer harrten, und bald sahen sie das Schiff auf dem See einen Streif silberner Wellen hinziehen. Gleich einem feindseligen Traume, aus dem Schatten der Nacht geboren, schwebte die ganze Scene [330] vor Liebegards Seele. Aber der Morgen brach an, und erleuchtete alle Tiefen ihres Schmerzes und der Stachel des Unglücks wich nicht aus dem zarten Herzen. Ehre und Pflicht würden ihn binden – nicht die Liebe – ihnen würde er ein glänzendes Daseyn opfern. Nein lieber will ich in Schmerzen vergehen! Dieses Selbstgespräch entschied ihr Geschick. Lilia, in tiefer Verstellungskunst geübt, und zugleich wahr in den gewaltigen Accenten der Natursprache tiefer Leidenschaft hatte ihr Mitleid eingeflößt; vor ihren Reizen beugte sich das demüthige, gute Herz.

Die Mutter selbst, aus den Regionen des Lichts – so schien es ihr – müsse ihr Opfer billigen, und auf Lilia versöhnend herabschauen, und ihre, sich selbst hingebende, Treue segnen. Gertrud umfaßte sie mit inniger Freude, als sie ihr den Entschluß kund that, das rückkehrende Schiff mit ihr zu besteigen.

Es bedurfte aller Ueberredungskunst, um den alten Mann abzuhalten, ihrer Abreise nicht [331] Gewalt entgegen zu setzen, nach dem gemessenen Befehle seines Herrn.

Der heiße Schmerz in allen Spuren ihrer veränderten Gestalt, die Leichenblässe ihrer Wangen, und das heilige Gelübde, daß die Rettung ihres Gemahls die Flucht von der Insel heische, besiegten ihn endlich.

Ueber den Schriftzügen der Mutter ihres Astolfs rief sie ihren Geist an, sie nicht zu verlassen, sie auf den sichern Weg zu seinem Glücke zu leiten, und empfahl Liesa das Buch zu sorglicher Verwahrung mit reichen Geschenken.

Mit blutendem Herzen riß sie sich los von der Wohnung, von allen Umgebungen, die die Spuren von Astolfs Gegenwart trugen.

Folgende Zeilen, bei denen sie sich alle Gewalt anthat, ihre Gefühle und ihre Absicht nicht zu verrathen, ließ sie für ihn zurück:

Verzeihe mir, mein Geliebter, daß ich gegen deinen Befehl, den theuren Ort verlasse. Verzeih' den guten Leuten, die nur meinen [332] dringenden Vorstellungen nachgaben. Könntest du den Abgrund des Leidens ermessen, in den ich bei diesem Schritt versinke, du würdest über mich weinen. Durch deine Liebe genoß ich das höchste Glück – – nur dir selbst kann ich es opfern. Bei deinem Freund, dem Abt, erwarte ich deine Befehle.

Weinend geleitete sie Liesa und die Eltern zum Nachen; ihre Milde hatte aller Herzen gewonnen.

Die treuen Doggen umwedelten sie, sprangen an ihr hinauf, und wollten nicht von ihr lassen. Seyd eurem Herrn getreu, sagte sie, ihnen schmeichelnd. O könntet ihr ihm sagen, daß ich es auch bin, es ewig seyn werde!

Die Hunde blieben lange, heulend, am Ufer stehen, da man sie zurück hielt, dem Nachen nachzuschwimmen.

Die gute Gertrud versuchte vergebens, sie zu trösten. Ihr ganzes Herz, ihr Auge, unter einer Wolke des Schmerzes, hieng an dem zauberischen Eiland. Der blaue Spiegel des See's, [333] der sie einst im seligsten Glück an Astolfs Seite getragen, schien ihr dunkel, wie das Grab, da er sie von ihm hinweg führte. Er kam als ein rettender Engel, gedachte sie, als mich die Verzweiflung auch in die Wogen hinabzog – wozu wurde ich gerettet? Die seligen Tage der Liebe umschwebten, wie Blüthen des Paradieses, ihre Erinnerung; sie glänzten im Thau der Hoffnung. Die Kraft seiner Liebe, seines Armes könne alles besiegen, ihr Opfer nicht nöthig machen, wähnte sie in manchen Augenblicken, dann trat wieder die feindlich eiserne Gewalt des Schicksals in Lilias Bild vor sie.

Der Abt nahm sie liebevoll auf, hörte ihre Erzählung und die Darstellung ihrer Gefühle theilnehmend an; sprach tröstende Worte zu ihr. Die äußeren Begebenheiten schienen ihm bekannt. Gewohnt, das Gewebe des Lebens und die leitenden Fäden, entsponnen aus den Menschenherzen, zu durchschauen, erräth er Alles, was Liebegard, ihrem geleisteten Eide gemäß,[334] verschweigen mußte. Lilias Plan, die Gewalt der Leidenschaft und der List, mit der sie ein offenes, edles Herz umstrickte, um ihm das schmerzlichste Opfer abzugewinnen, sah er ein, als hätte er ihre Reden vernommen.

Astolf war die Freude seines Lebens; seine Ausbildung sein Stolz. Der fromme Einsiedler, der erste Lehrer des Knaben, hatte seinen Sinn auf den Himmel gerichtet; der Abt lehrte ihn, die Erdenbahn kennen und würdig darauf wandeln.

Mit Vaterzärtlichkeit hatte er sich an den Entwürfen künftiger Größe für ihn geweidet, zu den seine Geburt, alle Anlagen der Natur im Kinde, alle Tugenden des Jünglings ihn berechtigten. Ein gültiges Dokument seiner Ansprüche an die Erbfolge eristirte, und der Siegelring des ermordeten Gemahls war in den Händen der Mutter geblieben. Die Gunst des Oheims, die Astolf als Fremder gewonnen, verleitete zur Hoffnung seiner Anerkennung als Erbe.

[335] Sie eilte zum alten Fürsten und entdeckte ihm in geheimer Unterredung Astolfs Geburt und Rechte. Er selbst getäuscht, wie die übrigen, glaubte den Stamm seines Bruders erloschen, denn die alte Fürstin, seiner Weichherzigkeit mißtrauend, hatte die Todesnachricht überall verbreitet. Der Fürst, menschlich und gerührt, zeigte sich den Wünschen der Mutter Astolfs geneigt. Feindselig trat nun Lilias Leidenschaft für den schönen Jüngling entgegen. Der schwache Gemahl hatte kein Geheimniß für sie. Er soll dereinst herrschen, beschloß Lilia, aber nur mir, soll er den Thron verdanken. Das Alter des Fürsten zeigte ihr den Zeitpunkt, wo sie den Geliebten mit Ruhm, Ehre und Liebe beglücken würde, nah und sicher.

Die Leidenschaften der Mächtigen finden nur allzuleicht Hände zur Ausführung ihrer Thaten.

Astolfs Mutter wurde auf der Rückreise, in seinem räuberischen Anfall, ihres Dokuments beraubt; es blieb in Lilias Händen. Durch künstliche [336] Vorspiegelungen bewog sie ihren Gemahl von Tage zu Tage zum Aufschub seine guten Gesinnungen für Astolf kund zu thun.

Schrecken und Schmerz über ihren unwiederbringlichen Verlust zogen seiner Mutter eine tödtliche Krankheit zu. Sie ahnete, wo dieser Schlag hergekommen; entdeckte im Hinscheiden ihres Lebens dem Sohn sein Geschick; warnte ihn vor Lilias verführerischen Künsten, und beschwur ihn sterbend, in der Liebe zu einem tugendsamen treuen Weibe jenen gefährlichen Schlingen zu entgehen. Der hochsinnige Jüngling wollte nur auf offener Bahn der Ehre und des Muthes zu seinem Recht gelangen. Er zog zu den Verwandten seiner Mutter, und durch tapfere Thaten gewann er sich das Versprechen ihres Beistandes. Er verschmähte, durch Weiberliebe das zu gewinnen, was sein Schwert erringen sollte. Lilias Reize hatten sein Herz an sie gefesselt in erster Jugendgluth; es wandte sich von ihr, und doch tönten die Zaubergesänge erster Liebe mächtig in ihm nach, und ihre [337] Leidenschaft strebte nur, ihn mit neuen Netzen zu umspinnen. Keine andre Schönheit vermochte, ihn dauernd zu fesseln, als gute Geister ihm die schöne treue Liebegard ans Herz führten. Der gute, im Sinn seines Standes mildgesinnte Abt, hoffte mit feiner Klugheit zu lösen, was des Jünglings tollkühner Muth lieber mit dem Schwert zerschneiden wollte. Er rieth, er beschwur zum Geheimniß, und sah klar ein, da er den Weltlauf kannte, daß ohne den Besitz des Dokuments, das offenkundig sein Recht darthal, Kampf und Sieg fruchtlos seyn würde, die Gefahr des geliebten Jünglings gewiß. Habsüchtige Nachbarn lauerten auf einen günstigen Moment zum Einfall. Lilias Parthey konnte sich mit ihnen verbinden. Einer tapfern Schaar gewiß, die seine Verwandten für ihn bereit hielten, lebte Astolf in der Gunst des Oheims thätig für sein künftiges Besitzthum, kämpfte für seine Rechte nach außen, verhütete Unrecht im Innern, wo er es vermochte. Die Rechte des alten Fürsten konnte und wollte er nie kränken.

[338] Lilias Leidenschaft wuchs nur noch durch seine abweisende Kälte, und seine neuen Liebesbande entflammten sie in Eifersucht.

Großmüthigen Herzens verschmähte er durch kleinliche Klugheit, durch sie, etwas zu erhalten.

Der Tod des Fürsten brachte alle diese widerstreitenden Elemente zum Ausbruch. Eine Vereinigung mit Lilia konnte Alles besänftigen.

Der Abt stand, in tiefen Gedanken dieses Alles erwägend, vor Liebegard. Zitternd sah sie die Wolken auf seiner Stirn sich sammeln, und harrte des Ausspruchs ihres Schicksals.

Gewalt, Ehre und Sicherheit des geliebten Zöglings, ruhiges Bestehen des Gemeinwohls lag auf der einen Wagschaale, ein gebrochenes weibliches Herz auf der andern – mußte diese nicht in der Seele des Greises sinken?

Bleicher und in sanfter verschmolzenen Farben liegt der bunte Teppich des Lebens vor dem Alter; leichter vermag es das einzelne Menschen-Leben dem Allgemeinen unterzuordnen!

[339] Mein Kind, sprach er zu Liebegard, da dein eignes Gemüth das Opfer deiner Liebe von dir fordert, so kann ich nicht anders, als gestehen; du hast das Edelste gewählt!

Liebegard sank erblassend zu seinen Füßen, und sagte gefaßt: Ich glaube die Stimme meines Gemahls von deinem heiligen Munde zu hören; ich folge ihr. Kann ihn Lilia beglücken, so gebe ich alle Rechte auf. – Du wirst die Geliebteste seines Herzens bleiben, wie du es bist. Aber die Zeit bleicht die Schmerzen, wie die Freuden der Liebe; die Kränze der Tugend bleiben ewig grün. Lilia wird seine ihm unterworfene Gattin werden, und neben ihr wird er ein Leben voll edler Thaten des Ruhms und der Gerechtigkeit führen. Aber nur der Tod löst die Bande der Ehe, sagte er, und schlug die Augen nieder; er vermochte nicht, das Opfer anzuschanen – wirst du auch den Muth haben, todt für deinen Astolf zu seyn? Gern, gern will ich das traurige Leben, ohne ihn enden! rief sie, den Sinn seiner Worte nicht fassend.

[340] Entferne den sündigen Gedanken, sagte er sanft. Nicht unberufen dürfen wir vor dem Richter der Lebendigen und der Todten erscheinen; denn nie ist unsere Rechnung mit dem Himmel abgeschlossen. In Rom, unter heiligen Frauen sollst du leben, mit dem Heiligenschein deines geopferten Glücks umgeben, gutes Kind. Er nahm sie bey der Hand und geleitete sie und Gertrud zu einem Frauenkloster in der Nähe, wo sie eine freundliche Aufnahme fanden.

Prüfe nochmals dein Herz sagte er beim Abschiede, dein Entschluß sey freiwillig und besonnen.

Kann ich noch wählen? Schnell geschehe das Schmerzliche, um daß es ihm auch fromme, erwiderte sie, warf sich in der Kirche vor einem Muttergottesbilde hin und flehte um einen Trost aus der Ewigkeit. Die Zeit – schien ihr – war ausgelaufen für sie.

Nicht fühllos gegen die Leiden eines zarten Wesens, das sich selbst aufgegeben, nicht ohne einen Stachel des Vorwurfs in der Brust, der [341] jedes Eingreifen in fremdes Geschick, durch Unwahrheit begleitet, selbst wenn ein guter Zweck täuscht, gieng der Abt zurück.

Mit männlicher Sicherheit und Härte führte er nun alles Nothwendige aus. Ein leerer versiegelter Sarg wurde nach der Insel gesendet, und dort mit stattlicher Leichenfeier eingesenkt. Unaussprechlich war der Jammer der guten Leute der Insel. Den Tag nach Liebegards Abreise waren Boten des Ritters angekommen, die sie zu ihm bringen sollten; sie mußten abziehen mit dem Briefchen, statt ihrer, und fürchteten den Unmuth ihres Herrn, da sie aus der dringenden Eil, die er ihnen anbefohlen, seine Ungeduld, seine Sehnsucht nach der Geliebten hinlänglich ermessen konnten. Der alte Schiffer machte sich die bittersten Vorwürfe, Liebegards Abreise geduldet zu haben, und fürchtete den Zorn seines Herrn.

Ein Mönch des Klosters blieb bei ihnen, die Todtenmessen über der Gruft zu lesen; er sollte Astolf die Umstände des Todes berichten; [342] der Abt fürchtete den ersten Ausbruch des Schmerzes anzuschauen, den er selbst seinem Zögling bereitet hatte; er fürchtete, ihn nicht tragen zu können und die Wahrheit bekennen zu müssen vor dem offenen starken Herzen, dessen Gewalt er nur zu wohl kannte.

Wir thun einen Blick in Astolfs Herz und Geschick.

Die unschuldige, reine Liebe, die er in Liebegard kennen gelernt, machte ihn unverwundbar gegen alle Künste, alle Reize Lilias. Ihre Leidenschaft, die nur den Gegenstand an sich reißen, sich nicht in ihm verlieren konnte, die mit Schlauheit seinen Schritten folgte, sich überall unfein seiner neuen Liebe in Weg warf, wandte sein Herz ganz von ihr ab. Er floh die Fürstin, soviel er es vermochte. Die Nachklänge alter Vertraulichkeit, Mitleid, der Vorwurf, den er sich billig zu machen hatte, sich nicht früher mit dem Ernst tugendlicher Männlichkeit ihren verführenden Reizen entzogen zu haben, gaben seinem Blick, seinem Benehmen eine [343] Milde, der ihr glühendes Herz die Farbe noch bestehender Neigung lieh.

Kühn hoffte sie, ihn wieder zu gewinnen, ihn Liebegard zu entreißen. Der Tod des Fürsten lös'te alle Bande der Zurückhaltung und entflammte Liebe und Hoffnung aufs neue.

Menschlich gerührt und hülfreich, wie jeder Edle in der Noth, war Astolf dem halbentseelten Fürsten gefolgt. Eine Pflicht seines Amtes rief ihn an der Pforte der Hofburg ab. Nicht ängstlich bedenkend, in diesem Augenblicke, wie wichtig für ihn ein Wort von den Lippen des Sterbenden war, und überhaupt seinem Muth und seinem guten Schwert mehr vertrauend, als äußeren Verhältnissen, folgte er dem Ruf des Augenblicks.

Lilia lag kniend am Sterbelager ihres Gemahls. Wenige, ihr ganz ergebene Diener, die schon lang staatsklug den Fall bedacht, wurden eingelassen. Man drang dem schon Besinnungslosen seinen letzten Willen zu Lilias Vortheil ab.

[344] Unruhig schauten die Blicke des Sterbenden umher; er zeigte nach der Thür; schien ängstlich Jemand zu suchen, und der letzte Laut seiner Lippen war Astolfs Name.

Astolf war schnell zur Hofburg zurückgekehrt, und als er sich dem Gemach des Sterbenden näherte, die Thür in der Hand hielt, hörte er ihn seinen Namen aussprechen.

Er drang ein, knieete nieder an seinem Lager und hielt die kalte Hand in der seinen, aus der er so viel zu empfangen hatte.

Das brechende Auge des Fürsten erhellte sich noch einmal, sein Blick ruhte fest auf Astolf, richtete sich auf, wollte reden, und vermochte es nicht mehr. Er faßte Astolfs und Lilias Hände in der erkaltenden Hand, hob sie gegen seine Brust und sank leblos zurück.

Lilia lag im stummen Schmerz über der Leiche. Männlich gerührt schaute Astolf in das bleiche erstarrte Antlitz, das ihm noch vor Kurzem so wohlwollend zulächelte.

Der Kanzler näherte sich Lilia, ermahnte [345] sie, ihren Schmerz zu mäßigen, sich an ihre hohe Bestimmung zu erinnern, da der Erblichene sie zur Regentin ernannt. Er fügte hinzu, daß ihr der Fürst in seiner Weisheit und Liebe einen kräftigen, edlen Beistand in diesem tapfern Ritter zugedacht.

Erst jetzt wandte der Ritter sein Auge von den Zügen des Sterbenden, und sah in den umgebenden Gesichtern tückische Freude über einen gelungenen Plan und das Wunder der List und Demuth gegen ihn, als einen, der ihr Herr werden könnte.

Lilia erhub sich, warf einen ängstlichen, glühenden Blick auf ihn, und sagte, indem sie das Zimmer verließ: Wenig geschickt, in der schmerzlichen Stunde das öffentliche Wesen zu bedenken, werdet Ihr die Befehle des Ritters, den mein Gemahl so hochschäzte, als meine eigenen, ansehen.

Was auch die Zukunft enthüllen mag, sagte Astolf, ernst und gebietend, den Kreis kleiner vor seiner Macht gebeugter Seelen überschauend, [346] der Augenblick erfordert muthig besonnene That; ich werde die Macht gebrauchen, mit der des Sterbenden Vertrauen mich ehrte. Als unumschränkter Gebieter traf er alle nöthigen Anstalten.

Nach wenigen Stunden ließ ihn die Fürstin rufen.

Im Trauerkleid empfieng sie ihn mit dem Ernst, den die Stunde, die Nähe des Todes gebot.

Ihr habt den letzten Wunsch des Sterbenden vernommen, Ritter, sagte sie; unsre vereinten Hände waren der Trost seines brechenden Herzens. Meine Hülfe in Rath und That soll Euch nie fehlen, Fürstin, erwiederte er mild; ich ehre die Liebe des Entschlafenen für Euch; und kenne, was Ehre und Ritterpflicht heischt. Ob er auch versäumte, ein entschiedenes Recht zur Sorge des Landes für mich auszusprechen, so muß ich glauben, daß Ihr es kennt. Herrscht mit Weisheit und Güte, so werdet Ihr mich nie als einen Gegner finden. Folgt der angebornen [347] Milde Eures Herzens; Euer klarer Sinn durchschaue Euer Verhältniß – Euer Glück und Glanz sey das Wohl der Euren – Mein Arm soll Euch gegen jeden Eingriff schützen.

Tausend Bande der Liebe hatten ihr Herz aufs neue umstrickt; seine edle Ruhe, seine Milde, ihre Freiheit durch den Tod des Gatten rechtfertigten die heißen Wünsche ihrer Brust – sie lag zu seinen Füßen und sagte: O Astolf! nimm mich wieder auf in das Heiligthum deiner Liebe, da wohnt die Tugend und alles Edle für mich. Herrsche unumschränkt über meinen Willen – Nichts will ich, als deine Liebe!

Er hob sie auf – aber nicht an seine Brust, wie die Unglückliche gewähnt. Dein Freund, dein treuster Freund für ewig, Lilia, will ich seyn – mehr kann ich nicht – Ehre und Pflicht verbieten es. Der Ernst des Augenblicks verdränge alle Täuschung – mich fesseln andre Bande. Sie sank zurück und überließ sich dem Ausbruch des heftigsten Schmerzes; zog einen Dolch hervor aus einem verschlossenen [348] Behältniß und wollte ihn in ihr Herz stoßen.

Astolf' that alles, um sie zu beruhigen, doch sprach er kein Wort aus, das den tröstenden Hauch der Hoffnung enthielt. Bald waren ihre Blicke wild auf ihn gerichtet, bald schmolz ihr ganzes Wesen in Thränen hin. Vergebens suchte er ihr den Dolch zu entreißen, mit Wuth und der Gewalt der Leidenschaft drückte sie ihn an ihre Brust.

Die Diener forderten wegen dringender Nachrichten eingelassen zu werden. Astolf beschwur sie, die Haltung anzunehmen, die ihr gebühre. Sie gehorchte, und Astolf war beinahe froh, daß die Nachricht einer feindlichen Bewegung an den Gränzen seine schnelle Abreise gebot

Innig zartes Mitleid, Nachklänge alter Vertraulichkeit; der entschiedene Wunsch und Glaube aller Umgebenden, daß der Ritter ihr Gemahl werden müsse, fachten den Funken der Hoffnung in ihrem Gemüth an, ob auch [349] seine Worte, seine entschiedene Kälte, jeder Ausspruch der Vernunft, dagegen stritt.

Astolf ergriff den ersten freien Moment, treue Boten seiner Liebegard zu senden, die sie zu ihm geleiten sollten. Oeffentlich sollte sie als seine Gemahlin erscheinen. Nicht auf einmal wollte er grausam Liebe und Besitzthum Lilia entreißen. Er verließ sich auf die Kraft seines Busens, auf die Stärke seines Arms für die Zukunft.

Mit heißem Sehnen der Liebe erwartete er sein Weib im Lager an der Gränze. Als er die Gefahr weniger dringend fand, und die Boten säumten, eilte er in glühender Ungeduld ihnen auf der angedeuteten Straße entgegen. Die Boten, da sie die Wünsche ihres Herrn getäuscht sahen, trieb keine Eil; sie hatten einen bequemern Weg genommen.

Astolf langte am Ufer des See's an, begrüßte mit Entzücken die glückliche Insel, die die Geliebte umschloß. Die Ueberkunft des Nachens schien ihm zu langwierig; er warf sich in [350] einen Kahn und landete an der Bucht, von der ihm glückliche Traumbilder und sehnende Liebe entgegen wehten.

Von fern erspähte er die Wohnung, und sah sie ringsum verschlossen. Nur die treuen Doggen lagen auf der Schwelle und bellten ihn an, aber als sie ihren Herrn erkannten, gaben sie ihre Freude auf das lebhafteste zu erkennen.

Alles war öde und stumm; im Garten, unter den hohen Bäumen, suchte er die geliebte Gestalt, der sein Herz entgegen schlug, vergebens.

Er klopfte an der Thür des Schiffers, Liesa öffnete sie und stürzte mit einem lauten Schrei zu seinen Füßen. Eine finstre Ahnung flog durch seine Brust.

Was ist geschehen? fragte er. Wo ist meine Liebegard? Dort! dort! rief Liesa unter Thränen, nach der Gegend des Grabes deutend.

Führe mich zu ihr! rief der Ritter, und gieng mit eiligen Schritten, wohin sie deutete.

Eilet nicht, sagte das Mädchen, ach! ihre [351] süßen Augen werden Euch nicht mehr begrüßen, ihre holden Lippen nicht mehr Euren Küssen begegnen – durch ein Jammergeschrei drangen die fürchterlichen Worte – dort liegt sie begraben!

Im bleichen Entsetzen, wie zu einem Felsen erstarrt, stand Astolf. Fürchterlich wüthete der Schmerz in dem heißen, liebeglühenden Herzen. Es war, als ob die starre Hand des Todes es auch ergriffen und vom Leben getrennt hätte. Er stürzte hin nach ihrem Grabe; der Mönch kniete betend am Hügel, den Liesa mit Blumen geschmückt hatte. Astolf warf sich darüber hin, erhob sich wieder, und befahl, es zu öffnen. Ich will sie sehen, rief er, mein Herz breche an dem ihren.

Laßt die Todte ruhig im ewigen Schlummer, sagte der Mönch; so ist ihr Wille; dieß sind ihre letzten Worte an Euch.

Bebend ergriff Astolfs Hand die Schriftzüge der Geliebten; seine thränennmwölkten Augen lasen:

[352] »Ich bin nicht mehr für Dich, wenn du diese Zeilen liesest. Mäßige, Theurer, Einziggeliebter! Deinen Schmerz; die Pforte der Ewigkeit nur wird uns wieder in seliger Liebe vereinen. Laß mich still ruhen am Hügel, wo mein Herz Dir entgegen schlug, in dir die Seligkeit des Himmels ahnete. Lebe, herrsche, beglücke, wenn Dir mein Andenken theuer ist. Ja deiner schönen Stirn gebührt der goldne Ring der Herrschaft; zum schönsten Ebenmaas ist sie gebildet. Andern ist diese ein warnendes Zeichen, sich selbst zu halten, zu bändigen in Maas und Ziel. An Dir deutet der fürstliche Schmuck, daß diese Tugenden in Dir wohnen und Glück und Heil den Menschen verkünden. Könnt' ich noch einmal in Dein Auge sehen und an seiner reinen Flamme vergehen, – süß wäre der Tod. Ein Paar Augen, die Liebe und Seligkeit in Dir schauten, schließen sich nun, daß viele sich öffnen, Segen von Dir zu empfangen. Gehe oft an den Hügel, der deine Liebe umschließt – segnend blicke ich auf Deine frommen Gelübde; diese sind das ewige Band der Seelen.«

[353] Der Mönch war von weicher, fühlender Seele. Selbst getäuscht durch des Abts Erzählung, gab er sie Astolf treu wieder. Eine Krankheit von wenigen Tagen hätte die zarte Blüthe ihres Lebens gebrochen.

Astolfs Schmerz war unermeßlich. Farbenlos, öde, in einförmiger Trauer lag die Welt vor ihm da, das Leben als eine mühevolle Arbeit, ohne Erquickung; nur der Tod schien ihm ein Lichtstrahl, der ihn zu ihr führte.

Die Pflicht seines Standes, die Ehre rief ihn zum Heer – der erste Augenblick der Ruhe sollte einer Reise zum Abt geweiht seyn.

So war die arme Liebegard todt, da, wo ihr eigentliches Leben wohnte, in dem Herzen des geliebten Mannes.

In einsamer Trauer, in stillem Gebet für ihn, vergiengen ihre Tage; oft kam sie sich selbst als ein Schatten vor, der dem Reich des Lebens nicht mehr angehörte. Die gute Gertrud wollte nicht von ihr weichen, und ließ der theilnehmenden Frau Guda wissen, daß sie sich [354] dem Kloster geweiht. Beide erwarteten der Zeit, wo sie sich an einen Zug frommer Pilger nach Rom anreihen sollten.

Lilia zeigte sich als Trösterin, als Freundin gegen Astolf. In Schweigen hüllte sich ihre Leidenschaft; ihr Leben war still und ernst; nur in der Wohlthätigkeit zeigte sie sich als Herrscherin. Nur auf diesem Wege wußte sie, lag die Möglichkeit, den heißen Wunsch ihres Herzens zu erreichen, Astolfs Gunst wieder zu gewinnen und seine Gemahlin zu werden.

Der Abt belebte ihre Hoffnungen, und ermunterte sie, unaufhaltsam auf der Bahn des Rechten und Guten zu wandeln, die einzig zum Herzen seines Zöglings führen könne. Liebegards Geschick umgab für Lilia eine dunkle Wolke, die sie nicht zu durchdringen strebte. Wohl mußte sie sich eingestehen, daß ihr Eindringen auf das zarte, liebevolle Herz es von Freude und Leben getrennt hatte.

Es scheint für die, die auf unlautern Wegen wandeln, ein Trost zu seyn, daß die klare [355] Kraft des Wortes ihren Thaten fehle; sie wähnen, was nicht ausgesprochen sey, sey auch nicht da. Lilia gewann in der Gunst des Volks; aber die streitenden Partheyen, durch fremden Einfluß gestärkt, standen immer gefährlicher gegeneinander; alle sahen sich nach einem künftigen Herrscher um. Lilia, ihrem Plan getreu, verfolgte ihn schlau; nur als ihr Gemahl sollte Astolf sein Recht zum Thron gewinnen.

Astolfs Macht und Tapferkeit hielt die Feinde entfernt. In seinen tiefen Schmerz versunken, war er selbst achtlos gegen die Kränze des Ruhms. Nur die Pflicht trieb ihn zu Thaten.

In einer Unterredung mit dem Abt, der ihn aufsuchte – Astolfen hielt sein Amt noch ab, den Ort aufzuspüren, wo der edle Geist seiner Liebegard diese Welt verlassen – bot dieser endlich alle Gründe auf, die ihn bewegen konnten, der Fürstin seine Hand zu geben, Ruhe dem Lande, sich die Krone.

Meine Liebe ruht bey den Todten, meine [356] Lebensblüthen sind hingewelkt, sagte er; will Lilia sich einem verödeten Herzen verbinden, ein Leben strenger Pflicht und Wohlthätigkeit für Andre mit mir theilen, so ergebe ich mich Eurem väterlichen Willen.

Die beglückte Lilia stand endlich am Ziel ihrer Wünsche.

Die Hochzeitsfeier wurde festgesetzt.

Mit zerrissenem Herzen trennte sich Astolf von der Einsamkeit, die seine Lage gestattet hatte.

Des Grams wehmüthige Sehnsucht zu erschöpfen war sein süßester Trost. Er lebte in der Erinnerung. Liebegards süßes Bild umgab ihn immerwährend; alle Gegenstände, die ihr gehört, waren ihm theuer.

So verließen ihn die treuen Doggen nie; ihre Hand hatte sie gestreichelt, genährt; er pflegte sie mit unausgesetzter Sorgfalt.

Der Pilgerzug nach Rom versammelte sich in einer Gränzstadt.

Liebegard und Gertrud bereiteten sich zur [357] Abreise vor. Gern sah der Abt ihre Entfernung, die ihr die schmerzliche Gewißheit von Astolfs Verbindung mildern würde. Aber wahre Liebe steht immer in geheimnißvoller Verbindung mit ihrem Gegenstand. Liebegard ahnete alles, und die kluge Gertrud hatte das Geheimniß erfragt und erlauert.

In der kleinen Kapelle über dem Grabe der Mutter stärkte sich Liebegard noch im Gebet. Sie rief ihren abgeschiedenen Geist an, sein Schicksal zu lenken – ein Zweifel, ob sie auch recht gethan, sich dem Geliebten zu entziehen, ihn zu einer, von der Seligen nicht gebilligten Ehe zu verleiten, beklemmte ihre Brust. Alles, Alles habe ich ja deinem Geliebten geopfert, du Heilige! aber wir gehen auf der Erde in dunklen Wolken, nicht wissend, wohin?

Rette du ihn selbst durch ein Wunder, halt ihn ab von dem Pfade des Unglücks – es schien ihr, als ob das Bild ihr zulächelte, als ob ein überirdischer Glanz es umgebe – und eine wundersame Ruhe quoll in ihre Seele.

[358] Mit Segen und Thränen entließ sie der Abt, jährlich sollte sie Nachricht von ihm empfangen, immer bekannt mit Astolfs Geschick bleiben. Vielleicht kommt eine Zeit, sagte er, wo Astolf dein Opfer der reinsten Liebe erfahren kann – dich als seinen guten Engel noch auf Erden verehren wird! – Nicht die Zeit, nur die Ewigkeit kann dieses verleihen, erwiderte sie in der Verklärung frommen Glaubens und himmlischer Duldung.

Von einigen Pilgern begleitet, traten sie die Reise an. In geringer Entfernung von Lilias Hauptstadt hörten sie das Gerücht ihrer Vermählung. Der heiße Wunsch, vor dem ewigen Abschied, Astolf noch einmal zu sehen, ergriff Liebegards Seele. Gertrud konnte ihr nicht widerstreiten. Ich bin ja so verändert, sagte Liebegard, daß er mich, auch ohne die Pilgerhülle, nicht erkennen würde.

Wirklich hatte der Schmerz alle Blüthen der Schönheit vertilgt, bleich und gesenkt war die Fülle der frischen Wangen und Lippen, das [359] Feuer der Augen erloschen, und die hohe schlanke Gestalt gebeugt, wie von der Last der Jahre. Auch die andern Pilger hatten Freunde in der Stadt, denen sie noch gern ein Lebewohl sagen wollten.

Mit welcher Wonne, mit welchem Schmerz erblickte Liebegard die fernen Thürme der Stadt, wo ihr Geliebter war, wo er herrschen sollte! Im Zauber seiner Nähe vergaß sie auf Augenblicke, daß sie ihn heut auf immer verlieren sollte.

Die Morgensonne umgoldete die hohen Kuppeln, und alle Glocken ertönten, das Hochzeitfest zu verkünden, als sie an Gertruds Arm durch das Thor wankte, zu dem sich schon das Landvolk drängte. Voll fröhlichen Getümmels waren die Straßen, die Häuser geschmückt; Musikanten durchzogen sie, und laut freute sich das hochbeglückte Volk der Wahl ihrer Fürstin in einem Regenten, dessen Tapferkeit, Tugend und milde Sitten es längst liebte und ehrte. Hoch schlug Liebegards Herz und stolz in dem Gefühl, daß es mit dem Opfer all seines Glücks diese Freude erschaffen.

[360] Unter der wogenden Menge drängten sie sich mit vor, nahe zum Balkon, wo das Brautpaar sich vor der Trauung dem Volke zeigen sollte. Ein Kreis stattlicher Ritter, unter welchen sich auch der Abt befand, und reich geschmückter Frauen kamen vor dem Brautpaar, und stellten sich zu beiden Seiten. Jetzt trat Lilia an Astolfs Hand auf.

Sie glänzte in reichen Gewanden, in stolzer Schönheit; die Freude, den so heißersehnten Wunsch ihres Herzens, den Besitz des geliebten Mannes errungen zu haben, umstrahlte ihre Stirn; ihr Auge glühte in sanfter Flamme, holdes Lächeln umspielte ihre Wangen. Astolf stand, fest und ernst, in sich gekehrt, neben ihr, und schien den Jubel des Volks gleichgültig aufzunehmen; um seinen Schild war in der Feier der Freude ein Trauerflor gehüllt. Er trauert um mich; er gedenkt meiner! flüsterte Liebegard der Schwester zu. Das Leben ihres Herzens drohte zu entfliehen an dem Anschaun des Geliebten; ihr ganzes Wesen war wie aufgelös't, [361] in ihm verloren. Es muß nun vollbracht werden, sagte sie, sich wieder fassend.

Lilia, nachdem sie das Volk gegrüßt, wendete sich zum Kreis der Ritter, und sagte mit lauter Stimme: Ihr habt, edle Herren, diesen Ritter, den ich zu meinem Gemahl erwählt, freiwillig als den Würdigsten erkannt, erfahrt nunmehr, daß er auch euer geborner Herr und Fürst ist, der Neffe eures verstorbenen Fürsten. Mehr seine Liebe, als seine Gerechtigkeit, gab mir die Fürstenkrone, die nur ihm gebührt; ich lege sie zu seinen Füßen, wie mich selbst. Sie kniete vor Astolf nieder.

Die gute Liebegard liebte Lilia in diesem schönen Augenblick.

Die Ritter huldigten ihm mit lauter Freude; das Volk jubelte.

Astolf erhub die Fürstin. Achtung und Dankbarkeit, als meiner Gemahlin, weihe ich Euch fürs Leben, sagte er. Was mir Recht und Geburt verlieh, gelobe ich den Rittern und versammelten Volk, treu zu verwalten. [362] Im Allgemeinwohl allein will ich leben und aller eigenen Schmerzen Linderung finden.

Liebegard fühlte sich noch geliebt, ersehnt, und als ein Schatten da zu schweben, wo Astolfs Liebe ihr Andenken anrief, wurde ihr fast zu schwer. Sie rief die Kraft des Himmels an, die dem reinen Herzen nie fehlt.

Lilia nahm Astolfs dargebotene Hand mit gesenktem Blick an, und der glänzende Zug drang aus der Pforte des Pallastes, und bewegte sich in feierlichem Schritt nach der gegenüber liegenden Kirche.

Astolf gieng an der Seite, wo Liebegard stand; sie verbarg sich hinter der vordrängenden Reihe der Zuschauer, hüllte sich in die Pilger-Kutte, und zog den breitumschattenden Hut tiefer über ihr Gesicht.

Die Doggen folgten Astolf, und als sie Liebegards Spur witterten, sprangen sie auf sie zu, an ihr hinauf, und wollten nicht von ihr lassen, ungeachtet der abwehrenden Knappen. Astolf warf seinen Blick nach dem Ort, wo der [363] Lärm entstand, rief den treuen Thieren, die nur seinem Ruf gehorchten, aber vergebens; sie hielten die Pilgerin umfaßt mit freudigem Gebelle, ohne des Rufes ihres Herrn zu achten. Von einer Ohnmacht ergriffen, lag Liebegard an der Brust der erschrockenen Schwester; der Hut war herabgefallen; ihre blonden Locken flossen um ihre Schultern. Astolfs Herz erkannte sie beim ersten Blick. Mein Weib! rief er, stürzte auf sie zu, umfaßte sie, und riß sie aus Gertruds Armen in die seinen. Mein theures Weib, sagte er, bist du noch am Leben, oder ist's eine himmlische Erscheinung, die Gott mir sendet, meine traurende Seele zu laben?

Sie lebt, sagte Gertrud; die Treue wollte, zu deinem Glück, todt für dich seyn. Der Himmel selbst rettet dich für Untreue, will sie dir wiedergeben.

Nichts, als die Rettung der Geliebten bedenkend, die, wie eine zerknickte Lilie, an seiner Brust lag, trug sie Astolf durch das staunende Volksgewühl nach dem Pallast. Er legte [364] sie nieder in einem der untern Säle, kniete vor ihr und ließ sie nicht aus den festumschlingenden Armen. Gertrud und jeden Herannahenden sandte er nach Hülfe aus.

Das warme süße Leben der Liebe durchdrang die erstarrte Brust; ihre Augen schlugen sich gegen den Geliebten auf – Sind wir hinüber über die dunkle Kluft? sagte sie – ja das ist die Seligkeit, die mich umfängt, denn ich sehe dich! Du bist wieder mein; auf Erden gehörtest du ja Lilia an.

Die Liebenden sahen nur, eines das andere, in seliger Vereinigung, obgleich der Saal mit Menschen angefüllt war. Was nur Raum finden konnte, drang zu, um die Auflösung der wunderbaren Begebenheit anzusehen.

An den Boden gefesselt, hinter Astolf, stand Lilia, ein bleiches Bild der Verzweiflung und des starren Entsetzens.

Astolf hielt Liebegard an seiner Brust. Dir, mein geliebtes Weib, gehörte ich nur an, sagte er, nur dir, und werde dir ewig angehören auf [365] Erden und im Himmel. Keine Gewalt soll dich von meiner Brust reißen, da sollst du leben und blühen.

Aller Schmerz gekränkter Liebe und Eifersucht und Wuth zuckten durch Lilias ganzes Wesen – herabgestoßen vom Gipfel des Glücks, ihres errungenen Siegs, ergriff sie der wilde Geist der Hölle; sie zog den Dolch aus ihrem Busen und warf ihn nach Astolfs Brust. Ihre Bewegung war so rasch gewesen, daß keiner sie bemerken, keiner ihr zuvorkommen konnte.

Tief war der Dolch eingedrungen; Astolf sank zurück; sein einer Arm hielt Liebegard umschlungen, mit der andern Hand wollte er nach dem schneidenden Eisen greifen, es der Brust entziehen; aber schon sank sie ermattend im Schmerz des Todes herab.

Du wählst den rechten Augenblick, sagte er mit matter Stimme, auf Lilia schauend; schon hält mich ein Engel umfaßt. Ich verzeihe dir! Das Licht der Augen fieng an, sich zu verdunkeln, und die Lilien des Todes seine Stirn zu umschatten.

[366] Liebegard hatte in der Verzweiflung ihre Kräfte wieder gewonnen; ihre Arme hielten den Sinkenden; ihr Angesicht an das seine gedrückt, wollte sie den Hauch des entfliehenden Lebens festhalten. Ist keine Hülfe? fragte sie, mit dem Blicke des heißen Schmerzes um sich schauend.

O Gott, der Dolch ist vergiftet! rief sie, indem ihr die Schreckensscene mit Lilia auf der Insel einfiel.

Der Abt lag kniend neben dem geliebten Zögling; er fürchtete dem Ausziehen des Dolches würde sein letzter Athemzug folgen, und erwartete die Hülfe der Wundärzte.

Jetzt griff er nach dem Dolch; nicht unkundig der Heilkunst, zog er ihn so behutsam, als möglich, heraus. Die Wunde war weniger tief, als er gefürchtet, aber das schneidende Gift schien den Körper schon zu durchwühlen, und der Kampf des Todes die Brust zu zerreißen.

Lilia hatte, wie vernichtet, in starrer Versteinerung, da gestanden, untheilnehmend an [367] dem Elend, was ihre Hand mit rascher That erzeugt. Den Anblick des Todes auf den geliebten Zügen, in der hingesunkenen edlen Gestalt, vermochte sie nicht zu ertragen. Das erstarrte Herz erweichte sich, und, mit sich selbst sprechend, wie an den Gränzen des Wahnsinns, sagte sie: Wer hat ihn ermordet? Habe ich's gethan? Nein das kann nicht seyn! Mit verhülltem Angesicht sank sie zur Erde, richtete sich dann schnell wieder auf und rief: Ein Mittel giebts, ja ein willkommenes Mittel – das Gift aus der Wunde saugen, zum eigenen Tode – Sie näherte sich zu diesem Vorhaben; Liebegard schaute mit stiller Majestät um sich her, die alle Anwesenden ergriff, und sagte: Niemand berühre ihn – Mir, seinem Weibe, gebührt, dieser Dienst – und schon lagen ihre Lippen an der Wunde, und saugten gierig den Tod ein, der das geliebte Leben retten sollte.

Bald schlug der Ritter die schon gebrochenen Augen auf. Entsetzen faßte ihn, als er Liebegards Lippen an seiner Brust fühlte. Mit [368] schwachem Arm stieß er sie zurück – vergebens, sie wich nicht, und ihr Auge hieng strahlend an dem wieder zum Licht geöffneten Auge des Geliebten. Astolf rief alle Kräfte auf, bat, beschwur die Umstehenden, sie wegzureißen, aber sie hielt ihn fest umschlossen. Schon zeigte sich des Giftes zerstörende Wirkung. Ihr Athem stockte, die Lippen wurden blau, die Stirn kalt; aber ihr Antlitz umleuchtete die Verklärung seliger Freude. Mein Leben hängt an dem deinen, sagte er, als nichts sie zu weichen bewegen konnte; meine Seele folgt der deinen. Ein Grab soll uns umschließen.

Der Abt stand, in tiefem Schmerz auf sie schauend. O Gott! ich habe schwer gesündigt, rief er aus, denn deine Strafe trifft mich schwer! Zu Glück und Ehren wollt' ich den Sohn meines Herzens führen, und führe ihn zum Tode!

Eine dunkle Gestalt trat während dieser Worte in den Saal, ein Mönch, unter der Last der Jahre gebeugt, dessen bleiches Angesicht in seinen vergeistigten Zügen, diesem Leben [369] nicht mehr anzugehören schien. Alle Umstehenden traten zurück, wie vor einer Geistererscheinung.

Gott ist Licht und Wahrheit! sagte er zu dem Abt mit tieferschütternder Stimme. Nur in der Wahrheit soll ihm der Mensch dienen.

Der Abt und Astolf erkannten den Einsiedler, dessen ersten Lehrer.

Hilf, ehrwürdiger Vater, hilf den Armen, die ich aus irdischer Schwachheit elend gemacht, sagte der Abt. Du bist tief erfahren in allen Geheimnissen der Natur; kennst Mittel der Rettung, wo wir verzagen.

Nimm sie hinweg, die Treue, die den Tod einsaugt, rief Astolf! Rette nur sie!

Laß sie vollenden, sprach der Einsiedler; zu menschlicher Hülfe ist's zu spät; aber Wunder der ewigen Liebe können geschehen. Wer ist ihrer werther, als die treue Liebe auf Erden? Hilf du, frommer Vater, rief Gertrud, zu seinen Füßen stürzend. Schenke Beiden das Leben wieder. Kannst du das nicht, so laß sie sterben; [370] denn Eins kann, ohne das Andere, nicht leben.

Auch Lilia trat vor den Einsiedler. Der tiefe Schmerz, den geliebten Mann sterbend zu sehen durch ihre Schuld, hatte ihr Herz gereinigt. Ihre Seele vermochte es, sich nach der Allmacht über uns zu wenden. Sende, du Allerbarmender! Hülfe durch diesen Frommen, rief sie. Rette die Unglücklichen – Vertilge meine unendliche Schuld in ihrem neugeschenkten Leben! Ich weihe Dir das meine; von diesem Platz gehe ich nirgends mehr hin, als mich in stille Klostermauern zu verbergen. Sie hat gesiegt, die treue Liebe – auch wenn sie für ihn stirbt. Er gehört ihrem seligen Geiste an.

Der Einsiedler schaute, stillsinnend, auf die Liebenden; seine Lippen bewegten sich im stillen Gebet; oft erhub er die gefalteten Hände, und senkte sie dann wieder auf sie.

Jetzt sagte er dem Abt einige geheime Worte, und entfernte sich auf einige Momente.

Der Ritter gewann immer mehr an Kräften, [371] während Liebegards Leben zu erlöschen drohte.

Er unterstützte sie mit seinen Armen, ängstlich jeden schwachen Athemzug erlauschend.

In stummer Ehrfurcht harrten alle Umstehenden der Wiederkunft des Einsiedlers.

Er kam und hielt ein Fläschchen in der Hand, mit sonderbaren Zeichen verziert.

Ein Mönch am Libanon gab mir dies Geschenk in der Todesstunde; ich verwahrte es als meinen kostbarsten Schatz; denn es enthält ein Gegenmittel gegen das zerstörendste Gift.

Frommer Bruder bewähre deinen Glauben, den meinen, an die Hülfe des Allmächtigen, an diesen schuldlosen Wesen – so sprach er, und flößte Liebegard den heilenden Saft ein.

Nach wenigen Momenten zeigte sich ein neuerwachendes Leben in ihr. Nach einer Stunde färbte frisches Roth ihre Wangen; ihr Auge schaute klar und dankend gen Himmel. Der entzückte Astolf hielt sie in seinen Armen; sein Herz floß über im Dank gegen den Allwaltenden, [372] und den frommen Lehrer seiner Kindheit.

Gott hat geholfen, sagte der gute Vater mit Thränen des Segens, ihm sey Euer Leben geweiht, das er wundersam erhielt. Sey ein guter und weiser Fürst zu seiner Ehre, und die, die für Dich sterben wollte, lebe zum Trost aller Armen und Leidenden an Deiner Seite. Lilia erhob sich aus einer Ecke des Saals, wo sie still betend gelegen; ihr Auge glänzte in anderer Liebe, als die sie bisher gekannt. Sie trat zu den Liebenden – Ich empfieng die wundersame Kraft, mich Eures Glücks zu freuen, Euch zu segnen. Tilge die Schuld meiner leichtsinnigen Thorheit, als Fürst, Astolf. Alles Gute, was ich von Dir vernehme, wird mein Trost seyn, in dem Leben der Reue und Buße, dem ich mich weihe – eine Stufe zur Versöhnung des Himmels für mich. Verzeiht mir Eure Leiden!

O Lilia, auch ich bedarf der Verzeihung! Ein Jugendwahn riß mich hin, griff feindselig [373] in dein Geschick; nur auf der reinen Bahn der Wahrheit blüht die Liebe in unverwelklichen Blüthen.

Mein reines tugendliches Leben ist das schönste Opfer, das ich deinem Herzen, das sich selbst wiedergefunden, bringen kann.

Um dieser treuen Seele willen hoffe ich auf den Segen des Himmels. Demuthsvoll und gesenkten Blickes – denn sie fürchtete ihr Glück vor der entsagenden Lilia auszusprechen, sagte, Liebegard: Möge ich aller Wunder werth seyn, die mich zum höchsten Glücke führten!

Die treue Gertrud blieb, beglückt, bei der Schwester, bis sie das Weib eines edlen Ritters wurde.

Der fromme Vater wollte nur für die Ewigkeit leben.

Ein beglücktes und beglückendes Geschlecht entsproß dem edlen Paar.

Die Doggen, deren Treue die Liebenden wieder vereinte, zierten in schöner Abbildung die Pforte des Pallastes.

[374]

Die Zigeuner

[375] [377]Bereite dich, Aloisia, morgen einen Besuch zu empfangen, der sehr wichtig für uns ist, sagte das alte Fräulein *stern zu ihrer Nichte.

Aloisia saß in tiefen Gedanken ihr gegenüber. Das Andenken ihres Vaters, der seit wenig Wochen verschieden war, füllte ihre ganze Seele. Sein Bild stand überall vor ihr; noch sah sie ihn in den weiten Sälen auf und ab wandeln, noch hörte sie das fröhliche Getümmel der Jagd bey seiner Heimkehr, und schauerlich erwachte sie zu der öden Todtenstille ihres gegenwärtigen Lebens bei der Anrede der Tante. Sie warf den schwarzen Trauerschleier zurück, ihr himmelblaues Auge flammte sanft wie der [377] Abendstern aus der Dämmerung, und sein feuchter Blick richtete sich mit der leisen Frage: wie so, liebe Tante? nach dieser hin.

Liebevoll faßte das alte Fräulein Aloisias Hände über den kleinen Arbeitstisch, hustete verlegen, um sich zu einer langen Rede zu rüsten, und begann endlich: du weißt es, liebes Kind, in Kurzem wird dein Bruder dieses Schloß bewohnen. Er und seine Frau sind dir fremd. Du kennst die Barbarei unserer Rechte, hülflos mit einem unzureichenden Einkommen werden die Töchter unsrer größten Häuser nach des Vaters Tode in die weite Welt gestoßen. Dem Bruder bleibt die Herrschaft und das Besitzthum. In dem väterlichen Hause, in den Mauern, die ihre Kindheit beschützten, wo sie des Vaters Trost und Freude war, geht die Tochter nur als eine Fremde umher, die nicht selten ein scheeler Blick trifft. Wie ein abgeschiedner Geist wandelt sie unter den neuen Bewohnern, die sie nicht in den Kreis ihres fröhlichen Lebens und Wirkens ziehen, die sie fliehen wie die [378] Stimme des Vorwurfs. Es giebt Fälle, wo der Bruder wieder zum Vater für die Verlassene wird – es war der meine – aber weit häufiger habe ich das Gegentheil mit angesehen. Gutes Kind, fuhr sie nach einem Seufzer fort: erwarte nichts von deinem Bruder! Erschöpft vom grenzenlosen Luxus der Hauptstadt kehrt er unmuthig mit seinem noch mißvergnügteren Weibe in das Erbe seiner Väter zurück. Um den äußern Glanz zu unterhalten, wird er zum armseligsten Geiz in der innern Einrichtung seine Zuflucht nehmen. O dein Vater kannte seinen Sohn. Er hatte dir und mir eine unabhängige Versorgung zugedacht, alles war in Richtigkeit, als ihn der Tod überraschte, und der Mangel einer elenden Formalität nimmt seinem letzten Willen alle Kraft. Ich habe nur noch wenig kurze Tage zu durchleben, aber dein Schicksal zerreißt mein Herz.

Aloisia hatte ihre Jugend in heitrer Sorglosigkeit verlebt, in dem Rosenduft der Liebe und Hoffnung, der vor ihrem Auge alle schrossen [379] Ecken der Wirklichkeit und ihrer eisernen Verhältnisse mit sanfter Dämmerung umhüllte. Als Liebling des Vaters war sie mit ihm auf einem leichten Pferde durch Wälder und Thäler geflogen, hatte das süße freie Leben in der Natur kennen gelernt, wo uns alles leicht und froh dünkt, weil wir uns muthig und stark fühlen.

Der Schmerz über einen unersetzlichen Verlust, die Leiden hoffnungsloser Sehnsucht nach dem Verstorbenen, der schwelgende Genuß weiblich reger Phantasie, sich unaufhörlich Rückerinnerungen hervorzurufen, die den Stachel des Schmerzes aufs neue schärfen, dieses alles hatte Aloisias feste Gesundheit erschüttert. Mit dieser schien der jugendliche Muth von ihr gewichen, aber die Noth regte ihn in diesem Moment gewaltig auf. Ihr Selbstvertrauen erwachte. Nach wenig Momenten des Nachdenkens blickte sie auf. Die Wolke der Schwermuth war verschwunden. Voll Feuer und Muth richtete sich ihr helles Auge auf die Tante, und [380] lebhaft sagte sie: Seyen Sie doch unbesorgt, ich kann arbeiten. Ich verstehe den Feldbau, ich kann mit dem Gesinde weislich umgehen, mein Vater hat mir immer die Pflege seiner Weine vertraut, auch lernte ich manche nützliche und feine Handarbeit. Ich kann den Kindern Unterricht geben, ja, – fuhr sie lächelnd fort alles aufsuchend, um die besorgte Tante zu trösten – ich rechne schnell und gut, und kenne manches von der Handelschaft; oft sagten mir die Kaufleute, mit denen ich meines Vaters Rechnungen durchgieng, es wäre Schade, daß ich nicht einen kleinen Handel anfangen könnte, meiner Thätigkeit und Ordnung gäben sie Kredit.

Die Tante verhüllte ihr Angesicht, und brach in lautes Weinen aus. Bewegt stand Aloisia auf, kniete neben ihr nieder, faßte ihre Hände und bat sie dringend, ihr die Ursache dieses lebhafteren Schmerzes zu entdecken. Ist es so weit gekommen mit einer Tochter des *sternschen Hauses! rief sie aus. Armes Kind, wozu soll dir die Kunst, ein Besitzthum zu [381] verwalten? Du hast kein Besitzthum! Nur in der Dienstbarkeit könntest du diese Thätigkeit üben. Weder diese, noch das Treiben eines unedlen Geschäfts kann dir dein Bruder gestatten, rächend müßten ihn die Geister seiner Ahnen verfolgen! Bist du aus einem wilden Zigeunerhaufen entsprungen? Du zur Lohnarbeit erniedrigt? O versprich meinem Rath zu folgen, und jene drei schönen Schlösser an der Donau, an denen eben die Abendröthe glänzt, werden dein würdiger Wohnplatz.

Aloisia konnte den Widerwillen der Tante gegen die ehrwürdige Lebensart, sich durch eignen Fleiß zu ernähren, gar nicht begreifen. Ihr freier Verstand entriß sie den Banden des Vorurtheils, aber das stärkste und feinste Gefühl der Ehre wallte in ihrem Busen, und lehrte sie die öffentliche Meinung schätzen. Lebhaft vom Schmerz der Tante ergriffen, suchte sie sie mit sanften Schmeicheleien zu beruhigen, denn nie hatte sie das alte Fräulein aufmerksam für Vernunftgründe gefunden. Der Gedanke, die [382] gute treue Pflegerin ihrer Kindheit in Mangel der gewohnten Bequemlichkeiten zu sehen, zerriß ihr Herz. Für sich selbst fürchtete sie nichts. Ich will ja alles thun, um Sie zufrieden zu stellen, sagte sie sanft. Wie aber soll das zugehen?

Die Thränen der Tante versiegten augenblicklich. Mit gefälligem Lächeln richtete sich ihr Blick auf Aloisia. Mädchen, lege morgen deinen neuen Schleier an, ziehe ein paar der braunen Locken unter dem Häubchen hervor, der Leibrock muß knapper sitzen. – Aloisia schwieg mit einem fragenden Blick. Die Tante schlug verlegen die Augen nieder, bis Aloisia ihr durch ein: Warum dieses alles? Muth einflößte.

Angenehm ist freilich der Graf Fürstenwald nicht, ich gestehe es gern, fuhr sie endlich fort; aber –

Aloisia lachte zum erstenmal laut auf, seit dem Tod ihres Vaters. Nun, heirathen wird mich doch der Alte nicht wollen, rief sie aus. Der ist zufrieden hinter seinen vollen Weinfässern, [383] und freut sich nur über die platten und ungereimten Späße seines alten Kapuziners.

Mein Kind, sagte die Tante ernsthaft, du irrst dich in ihm. Er wird morgen kommen, und um deine Hand werben. Sein Neffe, den er längst umsonst erwartete, wird nie wieder kehren, denn er ist gestorben. Der Graf ist nunmehr der letzte seines Stammes; dieses bewog ihn, sich zu vermählen. Gestern empfieng ich die Nachricht seines Besuchs, und ein Brief seines Schloßverwalters sagt mir unversteckt seines Herrn Absicht, um deine Hand zu werben.

Das Lächeln floh von Aloisias Lippen, und ein kaltes Entsetzen erstarrte die liebe- und lebenvollen Züge ihres Angesichts. Vergebens suchte sie nach Worten, ihren Widerwillen auszudrücken, ihr Athem war gepreßt, ihre Stimme erstickt. Ach Tante, was haben Sie gesagt! rief sie endlich aus. Nein, es ist unmöglich, unmöglich! Ich verberge mich, wenn er morgen ankommt. Du willst also dein Elend? rief die Tante, indem sie aufs neue heftig zu weinen. [384] anfieng. Der Geist deines Varers sey mein Zeuge, ich habe mütterlich für dich gesorgt.

Gerührt vom tiefsten Schmerz, vom Andenken des Entschlafenen ergriffen, schwand ihr eignes Daseyn gleichsam vor ihr hinweg; alle holden Wünsche, alle süßen Träume ihres Herzens traten in den Schatten des Todes. Nur das Mitleid blieb in dem reinen Herzen lebendig. Sanft tröstend faßte sie die Hand der Tante, versuchte zu lächeln und sagte: Ich will ja alles thun, was ich vermag, liebe Tante, ich will ja den Alten morgen sehen, anhören .....

Sie eilte ins Freie. Ihre Amme, die sie innigst liebte, die sie seit dem Tod ihrer Mutter nie verlassen, bemerkte ihr thränenschweres Auge, und folgte ihr eilends.

Erst als die Sonne verschwunden, und die Nacht herabgesunken war, fand sie Aloisien an der entferntesten Gegend des Berges, auf welchem das Schloß lag. Sie saß auf einem Felsenstück, das über den schauerlichen Abgrund hieng, der Wind stürmte in den Gipfeln der Tannen über ihrem Haupt, tiefe Finsterniß lag [385] über dem Thal, und zerrissene Wolken umdämmerten den schwachen Glanz, den das erste Viertel des Mondes auf die Gipfel der Felsen warf. Schwermüthig setzte sich die Amme neben Aloisien, da sie keine Antwort auf ihre wiederholten Fragen empfieng. Nur stumme Seufzer vernahm sie aus der Brust des Mädchens.

Der Mond hatte sich nun ganz verborgen. Die Amme erinnerte an die Rückkehr ins Schloß, als aus der Tiefe des Thales Feuerkugeln emporstiegen, und Aloisias Name im bunten Feuer an der Wand eines gegenüber liegenden Felsens brannte. Was ist das? rief die Amme, welche Zauberei erleuchtet jenen steilen unzugänglichen Felsen? Er erhebt sich unersteiglich aus einer schauerlichen Tiefe, ich kenne ihn wohl; nur durch eine Schlucht, in die sich wenige noch wagten, kann man zu dieser Seite gelangen.

Eine Guitarre ertönte jetzt, wie es schien in geringer Entfernung, und eine schöne volltönende Stimme sang folgende Strophen:


[386]
Der Frühhlingssonne heitrer Glanz
Der jungen Veilchen duft'ger Kranz
Der grünen Wälder Perlenthau
Der Schmuck der blumenvollen Au,
Der frischen Bäche Zauberlicht,
Sie lachen meinem Herzen nicht,
Dem, ach! die Ruh' gebricht!
Des Lebens Bilder drängen sich
Bunt und verworren rings um mich,
Zu dir nur drängt mein innrer Sinn,
Mit allgewalt'gem Sehnen hin.
Doch Felsenwand und düstrer Wald
Steh'n vor der lieblichen Gestalt,
Zu der mein Busen wallt.
O Nacht in deinem milden Schooß,
Werd' ich der eng'ren Banden los!
Von der Geliebten füßem Bild
Sind alle Himmelsräum erfüllt,
Ja unter'm heil'gen Sternen-Rund
Wird mein geängstet Herz gesund,
Ich liebe dich, bekennt mein Mund.

Es ist sonderbar, sagte Aloisia. Sehr, sehr sonderbar erwiederte die Alte; wenn euch das [387] alles selbst so unerwartet kömmt, so sind Geister und Zauberer mit im Spiel, wer konnte euch jetzt hier vermuthen? Aloisia, du hast mich zum Besten! – Ich weiß von dem allen nichts weiter, und heute ists das Drittemal, daß dieselbe Erscheinung vor meinen Augen entsteht, daß ich dieselben Töne vernehme. Heute sind sie mir die Stimme eines guten Geistes. O Mütterchen, ich soll geopfert werden. Ein mitfühlendes Herz spricht aus diesem Felsen, ja dort ist vielleicht ein rettender Genius für mich; aber von geheimem Schauer ergriffen, wie am Scheidewege des Lebens, wage ich nicht die unbekannte Hand zu fassen – weiß nicht, was ich der Stimme aus dem Felsen antworten soll. Mich faßt ein neues Leben. Ach ich habe nur Muth, den stummen Schatten des Todes entgegen zu gehen! –

Weinend verbarg sich Aloisia an der Brust der Alten, die sie tröstend aufnahm.

Sieh, um die schönen flammenden Züge deines Namens zieht sich jetzt ein Kranz von glühendeln[388] Laube. – Liebe mich! brennt unter dem Kranz in matteren Flammen. Und du hast auch keine Ahnung, welche Hand diese Züge erschuf?

Aloisia flüsterte ein leises Ja, an der Brust der Vertrauten, erhob ihr schönes Haupt, und begann, nach dem sie ihre Thränen getrocknet: Auf einer der Jagden mit meinem Vater hatte ich mich bei der Verfolgung des Wildes von seiner Seite entfernt. Mein Pferd scheute vor einem im Weg liegenden Baumstamm, ich wollte es zwingen, und es warf mich ab. Der Fall raubte mir alle Besinnung. Als ich erwachte, sah ich einen edelgestalteten jungen Mann liebevoll und hülfreich um mich beschäftigt. Ein zusammengerollter Mantel unterstützte mein Haupt. Der Jüngling kniete vor mir; eine seiner Hände hielt die meine, mit der andern schöpfte er Wasser aus seinem Hut, um mich zu erfrischen. Seine großen dunklen Augen waren auf mich gerichtet, und gleich freundlich leuchtenden Sternen öffneten sie der schwindelnd Erwachten die Aussicht in ein neues Leben. Wo [389] ist mein Vater? rief ich aus. Nicht weit von hier hörte ich das Getöse der Jagd, erwiederte der junge Mann; aber erhole dich vorerst. Seine Blicke wurden dunkler, obgleich sein Benehmen eben so liebevoll blieb. Ihr habt mich gerettet, guter Mann, sagte ich, wo ist mein Pferd? bringt mich zu den Meinen. Das Pferd war wiedergekehrt, und ich sah es nicht weit von mir an einen Baum gebunden. Wie froh bin ich, das Pferd zu sehen, rief ich, mein Vater wird so meinen Unfall gar nicht erfahren, ich fürchte, er möchte mir sonst untersagen, ihn ferner zu begleiten. Sanft hob er mich auf, und leitete mich zur nahen Quelle. Ich wusch das Blut von einer kleinen Wunde am Hals, die ich empfangen. Die edle hohe Gestalt des Mannes fiel mir erst jetzt ganz ins Auge. Ich fürchtete ihn zu verlassen, ich bebte in seiner Nähe, doch drängte es mein Herz gewaltig zu ihm, wie zu einer hülfreichen Gottheit. In seinem Blick wechselte Licht und Finsterniß, wie an einem Gewitter-Himmel. Sein Busen wallte [390] hoch. – Werde ich euch bald wieder sehen? sagte ich. O kommt lieber mit, ich will alles meinem Vater entdecken, er wird euch auch danken. Nein, rief er heftig, nie! Ich erscheine nicht in dem Cirkel der Edlen! Wo edle Menschen sind, da müßt ihr hingehören, sagte ich, indem ich seine Hand faßte. Kommt mit! –

Nie, nie! rief er. Thränen stürzten aus seinen Augen; er wandte sein Angesicht von mir ab, stürzte dann noch einmal auf mich zu, seine Arme umfaßten mich. – Ich weiß nicht, wie ich mich losriß, wieder zu Pferde stieg, aber wie des süßesten Traums, aus dem wir mit Schmerzen erwachen, nach dem wir uns ewig wieder sehnen, so denke ich jener Momente. Sein Bild steht lichthell vor mir, einzig und leuchtend wie die Sonne, ich kann es mit nichts anderm vergleichen.

Als ich den kleinen Hügel hinanritt, sah ich ihn mit dem Angesicht im Grase an der Quelle liegen, wo wir gestanden. Ich fühlte, daß ich hinweg mußte, aber es war, als ob [391] mein Herz die Brust zersprengte, um bei ihm zu bleiben. Die Jagd hatte sich genähert, mein Vater hatte mich vermißt, seine Leute sprengten umher, mich zu suchen, und schon war ich bei ihnen, ehe der Entschluß, den jungen Mann nur noch einmal zu sehen, mich überwältigte.

Ich gehöre nicht in den Kreis der Edlen, tönte es in meinen Ohren wieder; aber der edle Ton, die hohe Gestalt sagte mir ins Herz: du gehörst in den Kreis der seligen Götter. Bald nachher, als die ganze Scene wieder mit allen kleinen Umständen vor meiner Seele stand, entsann ich mich, daß der junge Mann sonderbar und ganz ungewöhnlich gekleidet war. Alle Nachforschungen, die ich anstellen ließ, waren vergebens. Die Sage gieng, daß ein Zigeunerhaufen in der Gegend umher schwärme, dessen Anführer ein hochgestalteter Jüngling sey. – Die ganz fremde Kleidung, die dunkle Farbe des Angesichts, seine Aeußerung – mein Herz bebte vor Angst. Wie konnte ich den schönen mildgesitteten Jüngling als ein Mitglied jenes wilden [392] Haufens denken! Seit einigen Wochen, nach dem Tode meines Vaters, sah ich diese Erscheinung am Felsen, die sich heut zum Drittenmal wiederholt. Ach vielleicht verbindet sie mein Herz nur mährchenhaft mit jener Begebenheit, die mein Herz erfüllt, meine Träume beherrscht. O Mütterchen, was soll ich thun! Mich drängt es, mich hinabzustürzen in die grüne Tiefe des lauberfüllten Thales, wo mich ein guter Geist ruft; hier oben drängt mich alles aus dem Leben hinaus.

Die Amme hielt Aloisia noch ängstlich umfaßt, als sich die Erscheinung am Felsen in leuchtenden Feuerkugeln verlor, und in Stille und Finsterniß giengen die beiden nach dem Schlosse zurück.

Kaum war Aloisia aus einem ängstlichen Schlummer erwacht, als Lärm auf dem Schloßhof entstand; es war der Graf mit seinem Gefolge. Die Tante kam im besten Schmuck. Mit thränenden Augen beschwor sie das bebende Mädchen, ihr zitterndes Herz zum Opfer zu bringen; [393] sie wußte nicht, was sie bat; denn ihr eingeschränktes Wesen vermochte nicht, die Kraft zu Schmerz und Glück zu ermessen, die in jenem Herzen wohnte.

Auch die Amme hatte sie gewonnen. Das ganze Hausgesinde liebte Aloisien, und fürchtete die Ankunft des neuen Besitzers. Angstvoll harrte alles auf dem Vorsaal, um den Entschluß des Fräuleins zu vernehmen, der auch ihnen eine tröstende Aussicht eröffnen sollte.

Wie ein muthvoller junger Krieger die Menge seiner Feinde nicht ängstlich überzählt, sondern im Gefühle überlegener Kraft der Gefahr entgegengeht, so warf sich auch Aloisia muthig in den Kampf gegen alles namenlose Elend einer unglücklichen Ehe. Ihr weiches Herz vermochte dem Drängen so vieler auf sie gerichteten Gemüther nicht zu widerstehen; ihr Muth betäubte die zärteren Gefühle, und der Verlust ihres eignen Lebensglücks, der der goldnen Welt, ihrer Hoffnungen und Wünsche, dünkte ihr ein mögliches Opfer.

[394] Sie ließ sich in den Saal führen, wo sie der Graf erwartete. Sie bebte vor seinem Anschau'n zurück; aber der rohe ungebildete Mann nahm diesen Ausdruck des Entsetzens für die Aeußerung jungfräulicher Schüchternheit. Ihre Thränen, ihr Beben, ihr Zittern, schienen ihm nur die gewöhnlichen Zierereien, hinter denen ein sittsames Mädchen die freudige Erwartung eines neuen Zustandes verbirgt. Er legte ein Kästchen mit Juwelen vor ihr aus, und in unbedeutenden Anstalten und Kleinigkeiten vergiengen die Stunden seines Besuchs. Der nächste Tag war zur Hochzeitfeier angesetzt; man wollte die schüchterne Braut schonen, und ihr die Nähe ihres Schicksals verbergen.

Aloisia gieng noch spät in der Nacht zu ihrem Felsen, aber das Thal blieb von Finsterniß umhüllt. – Ach mein Genius schweigt! rief sie aus. Am nächsten Morgen weckte sie eine lärmende Musik aus dem angstvollen Schlummer. Die Jugend des Dorfes brachte ihr Geschenke, die Jungfrauen den Brautkranz. [395] Der Bräutigam kam an, um Tante und Nichte nach seiner Burg abzuholen, von stattlichem Gepränge begleitet. Leblos wie ein mit Schmuck und schwerem Gewande bedecktes Heiligenbild wurde Aloisia in des Grafen Staatswagen gebracht. Sie hatte sich selbst aufgegeben, der tiefste Schmerz wühlte in ihrem Herzen, und in starrer dumpfer Gleichgültigkeit gab sie sich nun auch in allen Kleinigkeiten hin, die das Opfer ihres Lebens begleiten mußten. Aller Schmuck des Fürstenwaldschen Hauses drückte ihr armes Haupt zusammen, das schon von dem Gewühl seiner verworrenen Vorstellungen genugsam zerstört war. Die Tante saß neben ihr ängstlich harrend, ob Aloisia ihr Schicksal vollenden werde, doch mit erkünstelter Heiterkeit. Der alte Paradewagen war beinahe ganz von Glas, und Aloisia erblickte die Figur ihres rüstigen Bräutigams immer an ihrer Seite. Er ritt ein prächtiges Pferd mit einer reichen Decke geschmückt, ein Säbel mit diamantnem Griff, den einer seiner Vorfahren von den Türken erbeutet, [396] hieng an seiner Seite. Sein volles feuerfarbnes Angesicht neigte sich oft lächelnd nach dem Wagen. Sein Stolz schien sich mehr an der Pracht, die seine Braut umgab, zu weiden, als an ihr selbst. Selten traf sie ein Blick seiner kleinen leuchtenden Augen, die größtentheils auf den prächtigen Pferden vor seinem Wagen ruhten. Zuweilen erlaubte er sich wohl eine Anrede voll plumpen Scherzes, und die Röthe des Unwillens, die über die bleichen Wangen der armen Braut flog, nahm er mit grinzendem Lächeln für den Ausdruck jungfräulicher Scham.

Gleich einem schwarzen Leichenzug erschienen Aloisien die bunten Farben des hochzeitlichen Gepränges. Der Glanz und das Licht der ganzen Natur waren für sie erloschen, da sie sich als das Eigenthum des verhaßten Wesens ansehen mußte. Oft flammte der Entschluß in ihrem Busen, sich aus dem Wagen zu stürzen, und in die weite Welt zu entfliehen, aber eine gewisse Bitterkeit hatte ihre innre Kraft aufgelöst. Sie wollte es gleichsam mit dem Schicksal aufnehmen, [397] wie elend es ihr Leben zu machen vermöchte.

Hinter einer waldigen Anhöhe stiegen die Thürme des gräflichen Schlosses empor. Die Tante freute sich des majestätischen Anblicks; Aloisia antwortete ihr: dort wird mein Grab seyn.

Der Bräutigam galloppirte mit der Hälfte seines Gefolges die Straße durch den Wald hinan; die andere Hälfte der Begleitung blieb hinter dem Wagen.

Kaum waren sie eine halbe Stunde gefahren, als ein Schuß fiel. Mehrere Schüsse folgten sogleich; es entstand ein furchtbares Geschrei, und vor und hinter dem Wagen war ein heftiges Gefecht. Der Wagen wurde von einer Menge bewaffneter Leute von sonderbarem Ansehn umgeben, und da die Tante sie für Zigeuner erkannte, fiel sie vor Furcht und Entsetzen in Ohnmacht.

Sie hatte die wunderlichsten Sagen von diesem Volke vernommen, und fürchtete das [398] Schlimmste. Aloisiens einst gehabte Erscheinung flößte ihr in diesem Moment nur die lebhafteste Neugier ein. Wie konnte ein so anmuthiges Wesen unter solchen wilden Sitten leben? Sie war auch jetzt zu unglücklich, um noch etwas fürchten zu können. Sie besprengte die Tante mit wohlriechenden Wassern, und da das Gedräng um den Wagen immer zunahm, glaubte sie, man wollte ihr ihren Schmuck abnehmen. Jetzt riß man den Kutschenschlag auf, und ein Gesicht, dessen gewaltiger Ausdruck Aloisia mit Schaudern erfüllte, bog sich in den Wagen herein. Ein Blick, der ins Innre drang, und in dem alle menschlichen Empfindungen wie wechselndes Feuer flammten, glühte aus starren und unbeweglichen wie aus Erz gegossenen Zügen.

Aloisia hatte ihren Haarschmuck und ihre Ohrenringe losgemacht, und bot sie dar. Immer ruhte der glühende Blick des Mannes auf ihr, ohne den Schmuck anzunehmen. Sie wähnte, daß er noch nicht mit dem zufrieden sey, und rief: dieß ist alles, was ich habe! – Denkst [399] du, daß ich deinen Schmuck will? Ich will dich selbst! sagte er mit gebietendem Ton, in dem gleichwohl nichts Wildes noch Rohes lag. Sein nervichter Arm umfaßte sie: er wollte sie aus dem Wagen reißen. Diese Gewaltthätigkeit empörte sie, ihre Augen schwollen von Thränen des Zorns über. Sie rang wie eine Rasende um ihre Befreiung. Der Gegner schien über die Dauer des Kampfs, die er nicht erwartet hatte, verwundert, doch that er alles, Aloisien zu schonen, und ihr jede unsanfte Berührung zu ersparen. Als er sie endlich stärker umfaßt und aus dem Wagen gerissen hatte, sah sie den Grafen verwundet in den Armen zweier seiner Leute liegen; alle übrigen waren entflohen, und der wilde Haufe hatte sich über die Reisegeräthschaft hergemacht. Du siehst, es ist keine Hülfe für dich! sagte der Räuber. Schonet der alten Dame, wenn ihr Erbarmen kennt, rief Aloisia aus. Ihr soll geholfen werden, erwiederte er mit milder Stimme.

Aloisiens Kräfte waren erschöpft. Furcht [400] und Entsetzen preßten ihr Herz, und ihre Sinne verlöschten. Als sie erwachte, fühlte sie sich von einem dichten Gewand umhüllt, durch eine kleine Oeffnung schöpfte sie frische Luft, und sah den blauen Himmel über sich glänzen. Sie fühlte sich von einem starken Arm auf einem Pferde gehalten, das in vollem Trabe lief. Eine starke schwarzbraune Hand hielt ihr von Zeit zu Zeit Essig zu riechen vor. Als sie strebte, sich aus dem Gewand loszuwinden, sagte ihr die schon bekannte Stimme: bleibe ruhig, wir sind bald zu Hause!

Sie hörte mehrere Pferde hinter sich, und fühlte sich von einer Gewalt umgeben, die sie nicht zu bekämpfen versuchen konnte, und die es thöricht war, durch Widerstand zu reizen. Sie dachte still auf einen Ausweg der List, und nur in stummen Seufzern lösete sich zuweilen die Angst über ihren Zustand.

Meinst du denn einem schlimmern Schicksal entgegenzugehen, als dem ich dich entriß? sagte der Räuber, da er ihre Seufzer vernahm. Armes [401] Geschöpf, du irrst dich! Kann's denn ein schlimmeres geben? fragte er, indem das furchtbar glühende Auge durch die Oeffnung des Gewandes auf Aloisien blickte.

Die Wahrheit dieser Bemerkung, die genaue Kenntniß ihrer Lage, die sie verrieth, füllte ihren Busen mit schaudervoller Ahnung, wie vor einer überirdischen Gewalt. Sie eilten mit der größten Schnelligkeit fort, bis die Nacht einbrach. Aloisia hatte nur einige Erfrischungen zu sich genommen, die man ihr im Flug dargeboten. Schon sah sie die Sterne über ihrem Haupte flimmern, als das sonderbare Wesen, in dessen Gewalt sie sich befand, ihr ankündigte, sie würde drei Schüsse hören. Diese erfolgten, und sogleich darauf wurde alles um sie her lebendig. Pfeifen und Geschrei erschollen dicht neben ihr, sie fühlte sich im Gedränge von Menschen, die ein unverständliches Geplauder erhoben, und ihre Umhüllung aufreißen wollten.

Entfernt euch alle! sagte der Führer mit gebietendem Ton. Wo ist Rodrigo? Augenblicklich [402] entstand die tiefste Stille. Aloisia mußte im Sattel sitzen bleiben, das Pferd wurde langsam fortgeführt, Gesträuche schlugen an ihr Gewand, ringsum war Finsterniß; endlich glänzte ihr der Schimmer einer Lampe von ferne entgegen. Rodrigo! rief der Führer noch einmal. Hier bin ich! erwiederte eine volle schöne Stimme, die Aloisien bekannt dünkte. Die Decke fiel von ihrem Haupt, und das volle Licht der Lampe blendete ihr Auge. Da hast du sie, Junge! sagte der Führer, indem er das bebende Mädchen vom Pferde hob. Mühe hat es gekostet! Kaum hatte sie den Boden berührt, als sie sich von neuem umfaßt fühlte. Mädchen, du gehörst jetzt einzig und allein diesem Manne, setzte er noch hinzu. Athemlos vor Angst und Entsetzen wurde Aloisia hinweggetragen, eine starre Kälte ergoß sich durch ihre Adern. Es wird bald aus seyn mit meinem Leben, sagte sie matt, gönnt mir Ruhe im letzten Moment, wenn ihr Menschen seyd! Sie vernahm nur noch, daß der Mann, der sie trug, ihrem Räuber [403] lebhafte Vorwürfe machte, und ihr Haupt sank besinnungslos zurück.

Als sie wieder ins Leben erweckt wurde, und um sich her schaute, lag sie in einem kleinen Zelt auf einer Decke; zu ihren Füßen lag ein Mann, der sein Angesicht in ihr Gewand verhüllt hatte; eine Lampe stand neben ihr. Der Räuber und ein ältliches Weib rieben ihre Hände mit warmen Tüchern. Der Mann zu ihren Füßen erhob jetzt sein Haupt, der volle Schein der Lampe fiel auf sein Angesicht, und sie erkannte in ihm die Gestalt, die so treu in ihrem Herzen stand.

Von tausend verworrenen Gefühlen ergriffen, umhüllte von Neuem Dämmerung ihre Sinne; aber bald vermochte sie sich zu fassen. Der junge Mann stand ihr mit gesenktem Blick gegenüber, und wagte nicht sich ihr zu nähern.

Schon einmal warst du mein Retter, sagte Aloisia sanft zu ihm: werde es auch jetzt! Bringe mich zurück!

Mein ist die Schuld nicht, daß du hier bist! [404] sagte er mit einem festen ruhigen Blick auf sie.

Und wo sollen wir dich hinbringen, fragte der Alte. Hast du eine andere Heimath, als die Burg deines alten Silens? Verlangt dich nach dem schmucken Bräutigam?

O was soll aus mir werden? rief Aloisia, im seelenzerreißenden Gefühl ihrer Lage.

Die Gesellschaft hat dich ausgestoßen, indem sie deinen heiligsten Gefühlen Gewalt angethan, fuhr der Alte fort, entreiße dich ihren künstlichen Schranken, lebe für den Mann deiner Liebe! –

Bewegt, innig erschüttert, von der Gewalt ihrer Gefühle bis zum Ersticken geängstet, raffte Aloisia jede Kraft ihres Gemüths auf, sie in dieser sonderbaren Lage zu tragen.

Ach! du weißt nicht, liebliches Mädchen, fieng das Weib jetzt an, die bisher nur im Stillen hülfreich mit Aloisien beschäftigt gewesen: Ach du weißt es nicht, mit welch innigem Verlangen er dich umfaßt hat, seine Kräfte [405] schwanden dahin in der Sehnsucht, und die Jugendblüthe entfloh von seinen Wangen. Mein Mädchen, mein liebes Mädchen, beglücke meinen Sohn! –

Euern Sohn? rief Aloisia im ersten Moment des Entsetzens, und ein Thränenstrom stürzte ihre Wangen herab. Die geheime Hoffnung, daß Rodrigo nur durch Zufall unter diese Bande gerathen, hatte ihr Herz belebt; sie verschwand in diesem Augenblick.

Mutter, laßt sie! rief Rodrigo.

Wir verlassen euch, sprach der Alte. Genieße dein Glück.

Bleibt, o bleibt! rief Aloisia heftig.

Vergebens; beide eilten hinweg.

Ein flüchtiger Blick auf Rodrigos Angesicht zeigte Aloisien wirklich eine große Veränderung in seinem Aussehen. Er blieb am Eingange des Zeltes stehen; verlegen und schüchtern wagte er nicht, sich zu nähern, nur einzelne Blicke flammten aus seinen Augen, vor denen Aloisiens Busen erbebte.

[406] Zitternd redete sie ihn an. Rodrigo rette mich, ewig werd' ich dir dankbar seyn! Ach wie kommst du selbst hierher? Bringe mich weg von hier!

Nie, nie! rief er aufs heftigste gereizt: ich will dich besitzen.

Aloisiens Muth erwachte. Ernst stand sie auf und sagte: das Schicksal hat mich in deine Gewalt gegeben, aber ich werde nichts unwürdiges dulden, und es nicht zu überleben, das steht in meiner Gewalt.

Rodrigo wich zurück. Nein, nein, rief er, indem er die Hand vor seine Augen hielt: Was ist der Genuß der Liebe, dem der Abscheu folgt, ich verschmähe ihn, wenn er nicht Leben und Freude erzeugt.

Verlaß mich, wenn du mich nicht befreien willst, bat Aloisia.

Du weißt nicht, was du bittest, sagte er. Ich allein kann dich hier schützen. Ich will es. Hoffe nicht zu entfliehen, jeder Ausgang aus dieser Felsenkluft ist besetzt; aber ruhe sicher in [407] diesem Zelt, wie in festen Mauern. Jeden Anfall des rohen Haufens will ich von dir abhalten.

Er bot ihr Nahrung an, stellte alles, was sie brauchte, neben sie, nahm seinen Säbel und gieng hinaus. Sie hörte, daß er sich außerhalb des Zeltes niederwarf, aber oft wieder aufstieg, und um das Zelt herum gieng.

Angenehm wurde sie überrascht, als sie in der Tiefe des Zeltes ihre Koffer und alle Geräthschaften fand, die ihr zum Schloß des Bräutigams folgen sollten. Ihren ganzen Schmuck sogar fand sie in ein Tuch gepackt, bei dem Koffer liegen. Alles sagte ihr, daß man nur ihre Person besitzen wollte. Dunkel und ungewiß war alles um sie her, aber sie war einem bestimmten Uebel entgangen; sie mußte Rodrigo trauen; es war etwas Entschiedenes und Starkes in seinem Benehmen, das jeden Zweifel verbannte. Nur die Furcht vor ihrem eigenen Herzen fieng an sich leise in ihr zu regen.

Ermüdet von aller Unruhe schlief sie einige Stunden. Als sie erwachte, glänzte die Morgenröthe [408] an den Leinwandwänden. Rodrigo lag innerhalb am Eingang des Zeltes im leisen Schlummer. Der reine Morgenstrahl spielte um die schönen Formen seines Angesichts, um seine braunen Locken. Hoheit und Adel sprach aus allen seinen Zügen. Er erwachte beim ersten Geräusch, da sich Aloisia von ihrem Lager erhob. Verlegen schaute sie um sich; sanft beugte er sein Haupt gegen sie.

Zürne nicht, daß ich hier bin, sagte er. Es wird schon lebendig um die Zelte, und nur wenn man dich für mein Eigenthum ansieht, bist du hier sicher.

Traurig sah er auf die Speisen, die noch unberührt da standen. Bleibe hier ruhig bis ich zurückkehre, sagte er sanft, und verließ sie.

Sie hörte gehen und plaudern und lärmen, und durch die Spalten des Zeltes sah sie die grotesken Figuren vorüber wandeln. Rings umher war eine Wiese von vielem Gesträuch umgeben, an deren Ende erhob sich eine steile Felsenwand.

[409] Rodrigo kehrte bald mit einem Körbchen schöner Früchte zurück, die er Aloisien zum Morgenbrod brachte. Die alte Zigeunerin folgte. Sie begrüßte sie mit den zärtlichsten Namen, ordnete das Lager, und war in allem geschäftig ihr zu dienen. Meine Mutter wird bei dir bleiben, sagte Rodrigo. So oft sie diesen Namen hörte, entfärbten sich ihre Wangen vor Abscheu und Entsetzen; doch sie wußte es zu verbergen, und nahm das Anerbieten gefällig an.

Ja, mein Sohn muß jetzt für das Weibchen sorgen, begann die Alte. Ich denke du sollsts besser thun, als für dich. Wo's was zu fangen giebt, ist der Junge läßig, die besten Sachen läßt er sich wegschnappen. Aber hat sich einer der Leute in einen bösen Handel begeben, dann ist er immer bereit, alles dran zu wagen, um nichts und wieder nichts. Keiner ist beim Trupp, den er nicht schon einmal der Justiz, wie sie's nennen, abgejagt hätte. Aus der Mitte der Dörfer holt er sie heraus, und wo er kommt, wagt es niemand, sich zu widersetzen. Sie liefen [410] ihm dann freilich auch durchs Feuer, und unsre Küche ist selten leer; doch giebts auch welche, die vom Dank nichts wissen wollen, und für sich selbst sorgen, was doch das klügste ist. Diese Pfirschen hat Hans Nachts aus dem Garten der Frau Amtmännin geholt. Den Hans hat er nicht längst erst von einer Tracht Prügel befreit, mit denen ihn ein halbes Dorf beehren wollte, weil er ihre Hühner wegprakticirte. Laß dir's schmecken, Täubchen.

Rodrigo schien gar nicht auf der Alten Geschwätz zu achten, und putzte seine Pistolen. Lebt wohl, sagte er, als er fertig war: Mutter, sorgt mir für sie! Nun, so ohne Kuß gehst du von ihr, Junge? sagte die Alte. Beide errötheten. Aloisia reichte ihm die Hand, er faßte sie sanft, und wagte nicht sich weiter zu nahen.

Die Alte schüttelte den Kopf.

Aloisia wendete alles an, um die Alte über ihre Verbindungen auszuforschen, aber umsonst.

Durch Verstellung sich die Freiheit zu verschaffen, war der Entschluß, den sie nun faßte, [411] und durch ihren Schmuck konnte es ihr nicht schwer werden, einige der Bande in ihr Interesse zu ziehen. Noch immer hoffte sie Rodrigo zu gewinnen.

Sie schlang ihre schönen Haare in Flechten, legte ein kleines Leibchen an, ihre zierlichen Arme bekleideten nur feine Leinwandermel, und ein seidnes Röckchen wallte bis zu den kleinen Füßen herab. So gieng sie unter Leitung der Mutter Leona unter den armseligen Hütten und rauchigten Zelten umher. Weiber, Alte und Kinder umringten sie, sangen Lieder zu ihrem Lobe, und brachten ihr kleine Geschenke als der Frau ihres Führers. Nur zwei junge Männer waren zur Wache im Lager geblieben, auch diese begegneten ihr mit Ehrfurcht.

Die kindische Fröhlichkeit, die alles belebte, machte einen sonderbaren Contrast mit den armseligen Lumpen, die ihre Gestalt umhüllten, mit dem dürftigen Mahl, das sie einnahmen.

Aloisia ließ sich von den jungen Mädchen einen ihrer Tänze lehren, und sie fanden sich [412] bald von ihr übertroffen. Der Alten lernte sie etwas von ihren Zauberformeln und Wahrsagerkünsten ab, und sie staunten über die Gelehrigkeit, mit der sie alles nachschwatzte. Sie lernte bald das ganze Betragen eines artigen Ziegeunermädchens nachahmen, und Leona weinte vor Freude, ihr Töchterchen so gelehrig und so geschickt zu sehen.

Mario (so hieß der Räuber Aloisiens) und Rodrigo mit den übrigen Männern kehrten erst zurück, als die Nacht einbrach. Mario war freundlich über Aloisiens Kleidung; Rodrigo war mild, aber ernsthaft. Er legte ihr ein kleines goldnes Kettchen an; sie dankte. Als ein vorlauter Pursche der Bande sie damit geschmückt sah rief er: nun das hat Schwester Gertraud wohl gemacht! An dem zierlichen Hälschen steht es besser, als um den dicken Hals der Edeldame, der sie's unvermerkt an der Kirchweih ablöste. Aloisia riß es ab, und gab es Rodrigo zurück. Er nahm es an und erröthete. Ich habe es Gertrauden abgekauft, sagte er. Mario sah [413] Aloisien streng an. Um lumpichtes Gold schämt ihr euch einander zu berauben; um Dinge, die tausendmal köstlicher sind, bestehlt ihr euch ohne Bedenken.

So vergiengen einige Tage. Rodrigo vermied Aloisien mehr, als daß er sie aufsuchte, er war nur um sie, um für sie zu sorgen, und brachte ihr tausend angenehme Kleinigkeiten, die sie erfreuen konnten. Die Liebe lehrte ihn schnell alle Feinheiten der gebildeten Welt, und da sie bei ihm die zarte Sprache des Gemüths waren, hatten sie etwas Rührendes und Hohes.

Er sprach wenig in ihrer Gegenwart, aber sein Schweigen war bedeutend, wie die Stille in der Natur vor dem Ausbruch eines Gewitters. Das leiseste Geräusch erschreckt uns, und ringsum sieht unsre Ahnung schon Feuerstrahlen und Regenschauer. Auch Leona, die größtentheils um Aloisien war, wurde durch den Ernst des Sohnes zum Schweigen gezwungen. Sie sang oft alte Lieder nach schwermüthigen Melodien, um nur mit sich selbst reden zu dürfen.[414] Eines Abends, als sie das Kind einer Nachbarin auf dem Schooße einschläferte, sang sie folgendes sonderbare Lied, dem Aloisia mit Aufmerksamkeit zuhörte:


Den goldnen hochgewölbten Sälen,
Wo Freiheit Lust und Freude fehlen,
Bist du mein süßes Kind nur fern.
Dir weh'n des weiten Himmels Lüfte,
Dir blüh'n des frischen Waldes Düfte,
Dir winkt zum Schlaf der Abendstern.
Die seidnen Falten Deiner Wiege
Umrauschen dich nicht mehr! O liege,
Im zarten Grase ruhig hier.
Ein Bettchen in den kühlen Zweigen
Die sanft ihr Laub herniederbeugen,
Ein schwankend Bettchen flecht' ich Dir.
Dir fehlt der Dienerschaft Gedränge,
Doch der Gesellen frohe Menge
Ist Dir im grünen Thal vereint.
Du weinst! Du ringst die kleinen Hände,
Ob nicht dein Kuß die Mutter fände,
Ja, weine, deine Mutter weint!
[415]
Sie wandelt in des Ufers Schatten,
Sie sucht ihr Kind auf Blumenmatten.
Umsonst! – Umsonst! Jetzt forscht ihr Blick,
Ob es im süßen Schlummer liege!
Sie tritt heran zur leeren Wiege
Und sinkt und sinkt und sinkt zurück.

Was ist das für ein Lied? fragte das Mädchen – Es war einst Rodrigos Wiegenlied – Wie so? Ist es Rodrigos Geschichte? – Die Alte antwortete nichts weiter, und verlor sich in Geschwätz über Rodrigos Knabenalter, daß der Junge immer so sonderbar gewesen, die Einsamkeit so geliebt und bei seiner unglaublichen Geschicklichkeit wenig Freude an allen Künsten und Uebungen der Jugend gezeigt.

Seine einzige Freude sey gewesen, mit seinem Vater das Wild zu verfolgen, und Abends sich wunderbare Geschichten von ihm erzählen zu lassen, aus einem großen Buche, das sie einst aus einer Klosterbibliothek wegprakticirt. Aloisia verlangte das Buch zu sehen, es war der Plutarch.

[416] Mario kam Abends in Aloisiens Zelt, um ihr anzukündigen, daß die Bande den nächsten Morgen aufbrechen würde, um in andere Gegenden zu ziehen. Sein Ton war mild, sein Benehmen beinah fein; Aloisia war verwundert. Meine Kinder, sagte er, indem er Rodrigos und Aloisias Hände faßte, ich hatte Gelegenheit mancherlei Lebensweisen kennen zu lernen; wenn ich euch meine Erfahrungen mittheilen könnte, so würdest du, gutes Mädchen, dich leicht mit dem Schicksal aussöhnen, das dich in meine Hände lieferte, und du, Rodrigo, würdest nie wünschen, einen andern Zustand kennen zu lernen. Fremde Erfahrungen können nie zu den unsrigen werden, darum ist die Thorheit das ewige Erbtheil der Sterblichen. Deßwegen verpflichtete ich dich, mir treu zu folgen, Rodrigo. Ich bin gewiß, dich von der Straße des Unglücks zu entfernen. Sammle die Bilder deines vergangenen Lebens, Mädchen, wirf einen ernsten Blick darauf hin, und das Völkchen um dich her wird dir auf einer minder niedrigen [417] Stufe zu stehen scheinen. Lebt eure sogenannte feine Welt nicht eben sowohl vom Raube als dieses? Die leichtsinnigen fröhlichen Kinder des Zufalls streiten um die Bedürfnisse des Augenblicks auf eine lustige Weise; der unerschöpfliche, alles umspinnende Egoismus unter euch, raubt auf eine ernsthaftere Art ganze Existenzen. Geiz, List und Willkühr herrschen bei euch, die Natur und die Wahrheit haben allein keine Stimme. Den Schein des Rechten fordert ihr, unter diesem geht die Tücke stolz einher, und die Tugend, die sich auf sich selbst stützt, wird durch Mißtraun gebeugt. Die Gerechtigkeit wohnt nicht mehr in eurer Brust, sie ist unter einem Haufen alter staubiger Papiere vergraben. Die Frömmigkeit kniet unter einem dunkeln Steinhaufen, und wird zu düsterer Furcht, statt unter dem ewigen Gewölbe des Himmels das Herz mit Hoffnung zu erheben. Was fest unter euch wird, wird es nur durch zähen Schwachsinn. Die Gewalt ruht in Kinderhänden, und die List bewegt den Scepter hin und her. Der Tücke stehn alle[418] Wege zum Glücke offen, der schlichten Redlichkeit bleibt nur der Bettelstab. Wohin flieht die Liebe? – In Tod oder in Betrug, der sie selbst, mit dem edelsten in uns, zernichtet. Dafür habt ihr den Haß, den ewig zerstörenden. Euer Begehren ist grenzenlos, eure Plane nach Genuß reichen in endlose Fernen, darum sieht jeder in dem andern einen Gegner, denn euer leeres Herz ist in sich versunken. Im immerwährenden Kampfe um die Güter der Zukunft, zerstört ihr jedes menschliche Daseyn um euch her. Seht das leichte Kindervölkchen, das nur für den nächsten Moment sorgt; es theilt sich doch friedlich in den erwärmenden Sonnenschein. Treibt sie dringende Noth, sich ihre Bedürfnisse zu entreißen, so ist ihr Kampf offen, und in den lauten Ausbrüchen ihrer Leidenschaften bleibt der dumpfe Haß nicht ewig in ihrem Busen verschlossen. Die Falschheit trieb mich aus der Gesellschaft hinaus; folgt mir, genießet des Augenblicks, flieht ewig jene Schranken!

[419] Beide schwiegen; Marios gewaltiger Sinn hatte sie erschüttert, aber die Liebe hatte ihr edleres Daseyn entfaltet; sie fühlten sich reich genug, um die ganze im Haß erstarrte Welt mit ihrem Gefühl zu beleben. Aechte Liebe weckt und erregt die besten Kräfte der Natur. Sie strebt in die Zukunft, und die Vernunftfähigkeit, die Zukunft und Gegenwart verknüpft, erwacht. Ein daurendes Glück wünscht man dem Geliebten zu schaffen, wenn man sich selbst auch dem Strome des Geschicks sorglos hinzugeben vermöchte. Ahnend, von der Klarheit ihres Herzens umleuchtet, schwebte die Zukunft mit ihren unendlichen Wünschen, seligen Träumen und unaussprechlichen Schmerzen vor dem liebenden Paare, und ihm ekelte vor dem thierischen Daseyn, das schmerzen- und gedankenlos sich nur in den physischen Grenzen der Natur bewegt.

Rodrigo, fuhr Mario fort, nachdem er vergebens auf eine Antwort gewartet, Rodrigo laß dich nicht von der Empfindlichkeit der Weiberseelen täuschen; sie verwirren die einfachsten [420] Bande der Natur zu Netzen, die uns ins Verderben ziehn. Kannst du das Mädchen nicht besitzen, so laß uns sie zurückbringen, wo wir sie gefunden, noch ists Zeit.

Rodrigo schwieg mit ernstem Blick. Aloisias Herz war zerrissen, sie fühlte, daß sie Rodrigo nicht mehr verlassen konnte. Als sie Marios Rede besser erwog, belebte sie eine neue Hoffnung, Rodrigo sey nicht für diesen Stand geboren, ohne daß sie sich einen klaren Grund dafür anzugeben wußte. Seiner rauhen Aeußerungen ohngeachtet konnte sie Mario nicht hassen; sie erkannte in ihm ein edles Gemüth mit einer schweren unheilbaren Krankheit belastet, das sich selbst mühsam alle Gründe der Menschenverachtung herbei gesucht hatte, um den Zug zur Liebe in sich zu vertilgen.

Rodrigo war noch ernster als gewöhnlich; keine freundliche Aeußerung, kein Gespräch konnte ihn erheitern; er blieb in dumpfes Schweigen versunken. Nur wenn Aloisia ihre Laute nahm, dann zogen ihn nach und nach [421] melodische Töne aus dem innern Gewühl seiner Empfindungen heraus, und Thränen füllten seine Augen.

Der Zug hub fröhlich an am nächsten Morgen. Die Bande war in mehrere kleine Parthien vertheilt. Aloisia ritt neben Rodrigo, zehn Männer und eben so viel Weiber mit Kindern folgten. Mario hatte zu großer Vorsichtigkeit ermahnt, weil der Raub Aloisiens die Aufmerksamkeit der ganzen Gegend erregt hatte. Sie wanderten durch unwegsame waldige Gebirge, aber Rodrigos Kühnheit konnte sich nicht zur nöthigen Vorsicht bequemen. Er eilte einher als ein stolzer, des Siegs gewisser Krieger, nicht wie der Anführer eines wilden Haufens, den die Gesetze ausgestoßen haben.

Auch jetzt hatte er Marios Rath zuwider die Hauptstraßen nicht genug vermieden. In einer Waldung wurden sie unversehens durch einen Trupp bewaffneter Leute überfallen; immer kamen mehrere aus dem Dickichte des Waldes, und drohten sie ganz zu umringen. Seinen Leuten [422] wurde Angst, sie murmelten von Fliehen, er sagte: Hier gilts, ihr weicht nicht von der Stelle! Sie standen. Bleibe ruhig, Liebe! sagte er sanft zur bebenden Aloisia. Seine Leute mußten sie umgeben, nun schwang er sich eine Anhöhe hinan, und drang in dichtgedrängten Haufen, Schritt vor Schritt, unter immerwährendem Schießen und Säbelhieben, durch die schwächste Seite des Trupps, die er sogleich wahrgenommen. Man verfolgte ihn, der Kampf wurde immer hartnäckiger, aber Rodrigos Riesenkraft, sein eiserner Muth brachte endlich alle zum Fliehen.

Seine Leute plünderten die Verwundeten; er untersagte es streng, besah ihre Wunden, und freute sich keinen gefährlichen Kranken zu finden. Aloisia gab ihnen von stärkenden Mitteln, was sie bei sich hatten, und Rodrigo verließ sie mit mildem Blicke, dem das Mädchen ihren theilnehmenden Trost zugesellte. Von allgewaltiger Liebe, von Bewundrung ergriffen, faßte sie zum erstenmal seine Hand an ihr Herz, [423] und sank in tiefes Nachdenken. Der wilde Freudentaumel seiner Leute war ihm lästig. Ich verachte sie, sagte er zu Aloisien, sie freuen sich des Lebens, wer kann das Leben lieben, wenn er je der Gewalt weichen mußte? Aber du bist erschrocken, sagte er sanft, du bedarfst der Erholung – Ich fürchtete nur für dich, sagte das Mädchen leise, und seine Blicke glänzten in Liebe und Freude, aber Ernst und Wehmuth folgten schnell. Klagend und weinend hatten die Weiber und Kinder in der Entfernung dem Kampfe zugesehen. Jetzt kam Leona herbei, um ihren Sohn zu umarmen. Unerträglich war es Aloisien, die edle hohe Gestalt von der häßlichen Alten umschlungen zu sehen. Es kann seine Mutter nicht seyn, sprach sie oft bei sich selbst, ich müßte sie ja lieben. Sie selbst war geschäftig, ihm Ruhe und Erfrischungen zu verschaffen; er konnte die süßen aber gewaltigen Regungen seines Herzens nicht aushalten, und verließ Aloisien schnell. Sie war dreister geworden, da sie ihn mit geistigen Banden an sich gefesselt fühlte, [424] sie folgte ihm jetzt, und fand ihn an einer Quelle im Grase liegen. Sein Haupt war über den Strom gebeugt, er schien ganz seinen schwermüthigen Gedanken hingegeben, und tiefe Seufzer hoben seine Brust. Aloisia näherte sich, und nannte seinen Namen. Er wendete sein Angesicht nach ihr hin, sein Blick flammte hervor, wie ein Sonnenstrahl aus Regenwolken, unter den thränenschweren Augenliedern, lieblich und segensreich, aber umdämmert. Du fliehst mich nicht? sagte er, und ich machte dein Unglück. Mir ekelt vor Allem, was mich umgibt. Du scheinst mir ein höheres Wesen, das hier nicht stehen sollte, dem ich mich nicht nähern darf! – Mein Freund, laß uns vertraulich über unsre Lage reden, erwiderte sie, und setzte sich neben ihn. Die Welt ist nicht so, wie Mario sie dir schildert. Geht auch nicht alles, wie es sollte, so ist die Macht des Guten dennoch stark, zum Vertrauen und zur Geselligkeit sind die Menschen bestimmt. Du bist nicht geschaffen, um in Wäldern dunkel und verbannt zu leben, [425] nicht um in niedrigen Geschäften die edlen Kräfte deines Herzens einzuschläfern. O nein, dein schönes Herz soll die Menschen beglücken mit Liebe, dein hoher Sinn sie beherrschen mit weiser Macht. Hättest du ein Leben zu führen, wie das meines Vaters war! Der Morgen weckte uns zur fröhlichen Jagd, wir erlegten die Thiere des Waldes, um die Ernte des guten Landmanns zu schützen. Kamen wir zurück, so durcheilten wir unsre Felder und belohnten unsre fleißigen Arbeiter. Ein paar Freunde erwarteten uns zum Mahl, das unterrichtende Gespräche erheiterten. Ich lernte, was die Menschen Großes gethan hatten, und bekam ein Gefühl von dem Vermögen meines Busens. Wenn mein Vater mit seinen Freunden auf den Sieg der guten Sache, auf die Macht des Guten, auf den Untergang des Bösen trank, dann suchte ich im Stillen auch meinem Leben denselben Gehalt zu geben, denselben Gefühlen in Worten und Thaten treu zu bleiben.

[426] Kamen die Unterthanen meines Vaters, und baten ihn, einen Streit zu schlichten, ein gutes Unternehmen zu unterstützen, ein böses zu zernichten, so war er immer bereit, sie anzuhören, und ihren Wünschen zuvorzukommen. Ich mußte oft ihre Fürsprecherin seyn, nicht um den Willen meines Vaters zu lenken, denn der war die Gerechtigkeit selbst, aber ich mußte ihre Händel kennen lernen, um sie zu verständigen, was sie eigentlich begehren könnten, und oft gelang mirs, sie zufrieden zu stellen, und die Geschäfte meines Vaters zu vermindern. Gabs eine Landesangelegenheit, so folgte ich meinem Vater in den Ort, wo die Versammlung war, und freute mich, wenn ich seine edle männliche Sprache vernahm, wenn seine starke ungebeugte Seele offen die Wahrheit bekannte, und allen Schlingen der List entgieng, oder sie vernichtete.

Ach! als er sich zu einem Feldzug rüstete, als er von seinem Schloß auszog, von seinen tapfern Leuten umgeben, als ich ihm das [427] Schwerdt im frommen Gebete um Sieg umgürtete, nie vergesse ich diese Momente! – Wie ich dann von dem höchsten Thurm unsers Schlosses die wehenden Fahnen zuerst wieder auf den Gebirgen erblickte, und den fröhlichen Zug heimkehren sah, wie er vom Pferde stieg, verehrt wie ein Gott an Kraft und Liebe von den umgebenden Kriegern. Ich nahm dann einen um den andern auf mein Zimmer, und er mußte mir vom Verlauf der Schlachten erzählen. Wie glühte mein Busen in dem Ruhm meines Vaters! Er hatte gedient, um sein Vaterland von dem Ueberfall der Feinde zu befreien. Wie bebte ich vom sanften Schauer der Kraft und Größe ergriffen, wenn die erbeuteten Roßschweife in der Familienkapelle unter feierlichen Ceremonien aufgestellt wurden. Thränen rannen über die Wangen meines Vaters, er drückte mir die Hand beim Heimreisen, und sagte: Gott hat viel durch mich gethan, mein Kind!

Die schönsten Abende waren mir die, wo irgend eine Scene des Krieges in seinem Gemüth [428] lebendig wurde, oder wenn er sich auf der Jagd, der oder jener Stellung im Feldzug erinnerte, und ich ihn dann immer weiter in die Erzählung hinein fragen, seinen Muth, seine Güte und Menschlichkeit bewundern konnte.

Rodrigos Auge ruhte glühend auf dem Mädchen, sein Herz schlug mächtig empor – Fühlst du nicht, Rodrigo, daß dieß ein Leben für dich seyn würde? fragte Aloisia noch einmal. O Mario hat dich getäuscht, hier kann der Zweck deines Lebens nicht erfüllt werden!

Rodrigo sprang auf. Du wiederholst mir nur, was mir eine innere Stimme unaufhörlich zuruft! rief er aus. Ein Traum meiner Kindheit erscheint mir ewig wieder. Da sah ich glänzende Zimmer und eine holde Gestalt, die mich mit Liebe umfieng. Wohlthun und Adel war um mich her, ich hatte das Glück zu geben, man dankte mir. Alles war in diesem Traume so anders, als das Leben, welches ich führte. Oft legte ich mich als Kind unter einen Baum, und schloß die Augen fest zu, um die dämmernden [429] Gestalten aus meinem Innern hervor zu rufen. Wenn mich oft da tausend kleine Bedürfnisse nöthigten, die Menschen um mich her anzusprechen, und ihre Aeußerungen mir so kalt und lieblos dünkten, dann gieng ich an einen einsamen Ort, und rief eine geliebte schöne glänzende Gestalt an, von der ich alles zu empfangen wähnte. Wenn sich einer meiner Spielgesellen erbot, mir das was ich begehrte, von seiner Mutter zu verschaffen, wenn ich sah, wie diese eilte, sein Begehren zu erfüllen, wie sie ihm mit Liebkosungen alles reichte, dann sank ich auf meine Knie, und rief, Mutter! O meine schöne, gute Mutter, es war mir klar geworden, daß die glänzende Gestalt mir dieses seyn müßte. O komme wieder zu deinem Kinde! Wenn Mario das hörte, sagte er mir, deine Mutter wird bald bei dir seyn, sie wird aus den Appeninen zu uns herab kommen. Immer sah ich sehnsuchtsvoll nach jener Gegend, die blauen Berge in den Wolken waren mein liebster Gegenstand. Eines Tages sagte er mir, [430] jetzt sey sie da, und führte mich zu Leona. Ich weinte heftig, als ich sie erblickte, und rief: Nein, o nein, das ist sie nicht! Nur nach und nach gewöhnte ich mich an sie, und äußerte aus Dankbarkeit für ihre Gefälligkeit und Sorge meinen Widerwillen gegen sie nicht weiter. Das schöne glänzende Bild in meinem Innern fieng an, undeutlicher zu werden, aber eine sonderbare Begebenheit erfrischte seine Züge, und prägte es aufs neue in mein Herz.

Mario hat Anfälle eines Uebels, das ihm, wenn es auf den höchsten Grad steigt, alle Besinnung raubt. In einem solchen fand ich ihn einst liegen, neben sich ein eröffnetes Paket Papiere und das Bildniß eines Weibes. Ich riß das Bild an mich, es glich demselben, das in meinem Gedächtnisse stand, ich konnte mich nicht satt daran sehen, ich rang mit Leona, die es mir entreißen wollte, wie ein Rasender. Leona bewog mich nur, es zurückzugeben, weil sie mir sagte, mein Vater würde es mir doch entreißen, und ich würde es hernach nie wieder sehen; [431] sie selbst versprach mir es öfter zu zeigen. Sie hielt nicht Wort, nie habe ich es wieder gesehen.

Das alles ist sehr sonderbar, mein Freund, sagte Aloisia, es bestärkt meine Hoffnung, daß du nicht für dieses wilde Leben geboren bist. Ist Mario dein Vater?

Er nannte mich immer seinen Sohn, und als ich heranwuchs, schloß sich mein Herz ganz an ihn. Sein Heldenmuth leuchtete mir vor, und seine Güte rührte mich, da er gegen andere, selbst gegen Leona, immer nur als rauher Gebieter erschien. Er erzählte mir von der Verworrenheit der übrigen Welt, aber er machte meine Neugier nur rege, und ich fand so viel Unbefriedigendes um mich her, daß meine Wünsche immer in die Ferne strebten. Sehnsucht faßte mich, wenn ich an den reinlichen glänzenden Städten vorbeizog; wenn ich die Einwohner zu irgend einer Feierlichkeit versammelt sah, wünschte ich zu ihnen zu gehören, wünschte etwas für sie zu thun, das mir Ehrfurcht und [432] Liebe erwerben könnte! Als ich dich zuerst sah, da umleuchtete die mir verschlossene Welt ein neuer Glanz, und meine Wünsche wurden zum brennenden Verlangen.

Schon zweimal hatte ich dich mit deinem Vater durch den Wald reiten sehen, und seit dem ersten Blicke sah ich nichts anders mehr, als dich vor meinem Sinn. Wenn mich nicht ein Unternehmen, eine Gefahr mächtig aufrief, so lag ich im Dunkeln der Bäume, und rief dein Bild an. Als dich das Schicksal in meine Arme gab, als ich dich fassen, halten konnte, da waren alle Kräfte in mir mächtig aufgeregt; schön und glänzend schien mir die Welt, in der du lebtest. Ich wollte dich besitzen, aber du solltest nicht aus deinem Kreis gerissen werden, mächtig wollte ich mich aufschwingen zu dir. Die Ehre sollte mich zum Glück der Liebe führen. Bis dahin sollten nur räthselhafte Erscheinungen meiner Liebe dich an mich erinnern. Ich sprach dieses alles vor meinem Vater aus. Ich hatte von Kriegsbewegungen gehört; dringend [433] bat ich ihn, mich ins Feld ziehen zu lassen. Nie vergesse ich den gleichsam versteinernden Ausdruck des Schmerzes, der sich über seine Züge goß. »Du bist auch in Weiberschlingen, ich soll auch in dir alle Schmerzen meines Lebens noch einmal fühlen! rief er aus. Armer Thor, die Ehre, meinst du, könnte ein Weiberherz rühren! Geh, sammle dir einen Geldhaufen. Und denkst du die Ehre durch Tapferkeit zu erlangen? Geh, blute auf dem Schlachtfelde – umsonst. Ein Feiger hat ein Zöfchen am Hof genommen, er heißt der Tapfre, du wirst vergessen. Nein, nicht vergebens will ich das mühvolle Leben gelebt haben für dich! Die erste Stunde, die dich in die sogenannte civilisirte Welt führt, ist die Todesstunde deines Vaters. Ich weihe diesen Dolch im Angesicht der ewigen Natur – er soll mich vom Anschaun deines Elends befreien.« Gewaltsam zuckte er den Stahl durch die Luft, und sein starrer Blick löste die Kraft meines Wesens. Vater, ich bleibe bei Euch, ich schwöre es, rief ich –

[434] Ach Aloisia, wie schmerzlich, bei jedem Blicke auf dich, wie schmerzlich fühle ich es, daß ich gebunden bin!

Aloisia faßte seine Hände sanft, ihre Thränen flossen. Rodrigo, sagte sie, mit hellem Auge, als sie ihre Thränen getrocknet; dein Leben zu erhöhen, daran liegt mir fortan mehr, als an meinem eignen Daseyn! Vertraue mir, mein Freund – und wir wollen sehen, ob das alles nicht sanft zu lösen ist. Rodrigo fühlte sich an das geliebte Herz für immer geheftet, sein Verlangen wurde stiller, seine Liebe reiner und höher, da er sich klar auch von ihr empfinden sah. Durch geistige ewige Bande in einander verwebt, giengen sie als höhere Wesen einher, denen das niedre Leben nichts zu rauben vermag.

Mit Frohlocken, Klang und Gesang wurden sie von dem Haufen empfangen; man hatte ein Ehrenmal bereitet, Kronen von Eichenlaub für Rodrigo und Aloisien geflochten. Freundlich ließen sie sich bei den Leuten nieder, und alle freuten sich, die düstre Stirne des Hauptmanns erheitert [435] zu sehen. Mario hatte von dem Ueberfall gehört, und war seinem Sohn zu Hülfe geeilt: er fand ihn als Sieger. Leona war entzückt, nahm Aloisien bei Seite, und flüsterte ihr zu: Und bist du nun in der That mein Töchterchen? Mutter, das will ich werden, erwiderte sie, aber laß mich noch ein Weilchen der Mädchen Freiheit genießen, mit dir in der offenen Welt, leicht und sorgenlos herumschweifen. Leona sah ihren Sohn heitrer, und fragte nicht weiter. Der Haufen blieb näher vereint, und wanderte den Gebirgen zu. Aloisiens Ueberzeugung, daß Rodrigo nicht unter diesem Volke geboren sey, war durch die Rückerinnerungen seiner Jugend beinah unumstößlich geworden. Ihr Plan, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, war jetzt fest, und all ihr Handeln war auf diesen einen Punkt gerichtet. Klarheit und heitere Laune kehrten zurück; das Schicksal des Geliebten lag in ihrer Hand, welche Zauberkräfte standen ihr zu Gebot! Mit feinem Scherz umspann sie selbst Marios ernste, [436] düstre Stimmung, und der geheime Zauber ihres Reizes, ihre gutmüthige Laune war unwiderstehlich. Mit anscheinend kindischer Neugierde that sie ihm tausend Fragen, die sich alle um Rodrigos Geburt drehten, denen er nicht immer ausweichen konnte, und denen oft ein stummer Ernst, ein strafender Blick Einhalt thun mußte. Diese sagten Aloisien mehr als eine klare Antwort.

Sie nahm sich die Freiheit, Mario zu jeder Stunde zu überraschen, unter seinem Zelt zu wirthschaften, seine ganze Geräthschaft zu durchsuchen; kindisch sagte sie, daß sie ihre Geschicklichkeit in dem neuerlernten Handwerk selbst beweisen wollte; sie entwendete ihm bald dies bald jenes Stück seiner Sachen. So entwendete sie ihm einst den Schlüssel zu einem Kästchen, das immer neben seinem Lager stand. Beim nächsten Rasttag, wo die Männer sich mit der Jagd belustigten und die Frauen daheim die Mahlzeit bereiten sollten, eilte sie das Kästchen zu eröffnen. Sie fand ein Packet [437] versiegelter Papiere und das Bild, wovon Rodrigo gesprochen. Die klarste Aehnlichkeit mit seinen eignen Zügen leuchtete ihr entgegen. Seine großen dunkeln Augen lagen unter denselben sanft geschweiften Augbraunen, hoch und frei erhob sich die edle Stirne, und Lieblichkeit und Wohlwollen gossen himmlischen Reiz um Wangen und Mund.

Aloisia hatte sich Fertigkeit im Zeichnen erworben; sie verwendete den ganzen Tag darauf, sich das Bild zu kopieren. Die Liebe hatte ihren Eifer beflügelt; sie hatte die möglichste Treue erreicht. Als sie es Rodrigo zeigte, rief er: Ja das ist sie, das ist die Gestalt, die noch immer neben der deinen in meiner Brust abgedrückt ist. Laß mich sie aufsuchen, mein Freund, und das Geheimniß deines Schicksals enträthseln, rief Aloisia. Er antwortete mit einem schwermüthigen Blicke: Ich halte dich nicht zurück, geh, wenn es dir gefällt! »O nicht so wünschte ich das von dir zu hören, mein Freund! Sprich es mit Freude und Vertrauen [438] aus, und ich gehe mit frohem Muthe!« Leona kam zu ihnen. Aloisia hielt ihr das Bild vor und sagte: Sieh diese Züge, sieh die seinen, und gesteh es, diese ist seine rechte Mutter! Gestehe es, rief Rodrigo, ich verzeihe dir alles, wenn du Ja sprichst. Sein innres Gefühl sagte es ihm längst schon leise, die Liebe spricht es laut, sagte Aloisia, er gehört nicht zu euch, er gehört zu mir.

Sachte, mein Täubchen, sagte Leona, nachdem sie bedächtig das Haupt geschüttelt, sachte nur, was ist denn das für ein mächtiger Unterschied? Ich war auch in Städten und Schlössern, aber immer war ich froh, sie im Rücken zu haben und wieder meine Wälder und mein freies Feld um mich zu sehen. Wie mancher vornehmen Dame mußte ich ins Geheim wahrsagen! Wenn man die Wünsche der Menschen kennt, kennt man ihr innerstes Herz.

Ach wie grund-häßlich und verwirrt schien mir das Innre der Häuser, so glänzend auch die Außenseite war! Belügt euch, betrügt euch [439] so viel ihr wollt, ihr seyd um nichts besser und glücklicher, sprach ich zu mir selbst, wenn ich unter einem luftigen Baume den Lohn meiner Prophezeihungen verzehrte. Oft konnte ich mirs nicht verwehren, irgend einem recht fatalen Gesicht, das so zu fremder Qual gemacht schien, die Angst und Furcht im Busen durch eine Unglücksbotschaft anzufachen, und wenn ich auch nüchtern davon gieng, freute ich mich doch dessen, was ich gethan, wie des besten Mahls. Kinder, was euch betrifft, so halte ich euch für Thoren von ganzem Herzen, daß ihr euch nach den Fesseln der Falschheit und Narrheit zurücksehnt: aber ich bin deshalb nicht wie Mario, ich will niemanden zum Glücklichseyn zwingen und eure ernsthaften Gesichter sind mir fatal. Haltet euch ruhig für jetzt; euer Schicksal kann sich vielleicht bald entwickeln. Rodrigo wollte stürmisch in sie dringen. Bleibt ruhig, es ist jetzt noch nichts zu thun, sagte sie ärgerlich, und macht ihr Lärm vor Mario, so bleibt ihr im ewigen Dunkel. Aloisia bat Rodrigo sich zu [440] beruhigen; sie fühlte, daß man nur durch Geduld und List der Alten etwas abgewinnen könne. Die lieblichsten Hoffnungen füllten ihren Busen. Rodrigo erwartete die Auflösung mit ungestümen Zweifeln.

Aechte Liebe webt das Band der Sitte und wirft den Schleier der Grazien über das ganze Leben. Unter den wildesten und unedelsten Verhältnissen hatte sich Rodrigos eigenthümlich edle Natur erhalten. Durch die Liebe bildeten sich die höhern Kräfte seines Wesens aus. Bei Marios düsterm Ernst fand er keine Sprache, erst bei der Geliebten lernte er sich selbst klar empfinden, indem er alle Gefühle aussprach, die seinen Busen bis jetzt nur mit dunkler Ahnung erfüllten. Die hohe und freie Natur hat da eine Sprache, wo das durch die Welt verschlossene Herz nur stumme Thränen hat. Poesie ist diese Sprache.

In den einsamen Thälern, vom schaurigen Dunkel uralter Eichen umschattet, wenn sie an der Kühlung des brausenden Stroms ruhten, [441] dann löste sich Rodrigos lang verschlossener Busen in schönen Hymnen der Liebe. Aloisia fühlte sich ganz und ewig ihm geeignet; zwei Liebende vereinigen in sich die Welt.

Als die reich angebaute blühende Fläche sich vor ihnen ausbreitete, von klaren Bächen und glänzenden Strömen durchschnitten, die sich aus den Apenninen ergießen, dann faßte sie eine unaussprechliche Sehnsucht nach ruhigem friedlichem Bleiben.

Die Liebe will eine Heimath, die die schönen Tage ihres Genusses wiederkehren sieht. Selbst den leblosen Gegenständen vertraut sie das zaubervolle Geheimniß ihres Glücks. Wenn sie unter einer hochstrebenden Eiche ruhten, in deren breiten Aesten umschlingende Reben lieblich düstere Schatten webten, wenn sie da die freundlich wirthlichen Wohnungen vor sich liegen sahen, von üppigen Weiden und schönen Heerden umgeben, wie sehnten sie sich ein still fröhliches Leben zu beginnen, sich an die heitern Bewohner anzureihen, und Genuß und Arbeit [442] mit ihnen zu theilen! Mario stand mit seinem Starrsinn, wie ihr böser Engel vor dieser Glückseligkeit. Aloisia wagte nicht ihre Wünsche auszusprechen, um des Geliebten gepreßtes Herz nicht schmerzlicher zu quälen.

Je mehr er sie sein fühlte, je mehr umfaßte er sein Glück mit Unruh und Zweifeln, je inniger erkannte er ihr ganzes Wesen, und litt durch jede Rauheit, durch jede Unschicklichkeit sogar, welcher das unstäte wilde Leben sie aussetzte.

Jeder Regenguß erschreckte ihn, jeder heiße Sonnenstrahl, jeder kalte Nordwind machte ihm Sorge. Oft bat er sie selbst in der schmerzlichsten Bewegung, ihn zu verlassen.

Bald allein, bald mit Leona und andern Mädchen des Haufens, streifte sie in der Gegend umher. Sie tanzte, schwang den Tamburin und ihr Gesang, ihre Grazie lockte alles Volk um sie her. Sie trug ihr Bild als einen Talisman, an dem das Glück ihres Geliebten hieng, in der Brust, und im Innern der Schlösser, [443] in den Cirkeln der Damen, auf den Spaziergängen suchte sie überall nach ähnlichen Zügen. Künstlich hatte sie mehrere unter der Bande nach den Ländern, die sie durchzogen, nach der Zeit, die Mario unter ihnen gelebt, und wie Rodrigo zuerst zu ihnen gekommen, ausgeforscht. Das Resultat war immer, daß Mario Rodrigo seit einem Zug in die Appeninnen bei sich gehabt. Aufmerksam folgte sie dieser Spur, und unermüdet war sie in ihren Nachforschungen, da die herrliche Aussicht nach jenen Gebirgen sich immer mehr vor ihren Augen eröffnete.

Auch Rodrigo fühlte sich sonderbar bewegt, wenn die Sonne über den Apenninen sank, und die Alpen im herrlichen Glanz der Abendröthe erglühten. Es war, als ob tausend Stimmen der Vergangenheit ihn umtönten, als ob die lang gesuchte Heimath in dem lichten Horizont sich nun vor ihm aufthäte.

Mario war noch ernster und strenger als gewöhnlich, und suchte die tiefste Einsamkeit. [444] Leona schien nachdenkend, und war viel allein in der Gegend umher.

Der ganze Haufen hatte sich in den lieblichen Thälern vertheilt, welche die unzähligen bebuschten Hügel bilden, über denen die hohen Gebirge emporsteigen.

Aloisia entfernte sich eines Tages von ihren Begleiterinnen. Die großen Naturgestalten, von allen Schauern der Einsamkeit umgeben, lockten sie immer tiefer ins Gebirge hinein.

Am Ausgang eines engen Thals, aus welchem ein mächtiger Strom mit eilenden Wogen den Apenninen entrinnt, lag auf einem vorspringenden Hügel ein altes Schloß mit hohen Mauern umgeben. Vom Flusse an, der den felsigten Fuß des Hügels umspülte, wand sich der Weg in mehreren Krümmungen die steile Höhe hinauf; ein schmaler Pfad folgte dem Lauf des Flusses; Jasmin und Lorbeergebüsch sproßte zwischen dem Geklüfte, über das sich der Ephen von den alten Mauern herab strickte. Frische Wiesen von den mannichfachsten Baumgruppen [445] geschmückt, breiteten ihren lieblichen Teppich zum Fuß des Felsens, und nahmen den klaren Strom auf. Dicht am Ufer, an einer kleinen Anhöhe, von Cypressen umschattet, lag eine Kapelle, die sich Aloisia zum Ruheplatz ausersah. Angenehm wurde sie von den schönen Verhältnissen des kleinen Gebäudes gerührt, als ob eine melodische Stimme an ihr Herz spräche. Unter der schön gewölbten Kuppel, aus der sich das sanfte Licht des Abends herabgoß, stand ein Sarkophag von schwarzem Marmor: »Dem Andenken eines einzigen geliebten Kindes« stand mit goldnen Buchstaben an dem Fußgestell. Nachsinnend ruhte das Mädchen am Eingang der Kapelle, als ein Schäfer mit seiner Heerde die frischen Wiesen hinanzog.

Morgen werdet ihr hier ein sonderbares Fest sehen, redete er Aloisien an. Hier, wo die Kapelle steht, ertrank vor zwanzig Jahren der einzige Sohn unsrer Herrschaft, ein engelschönes Kind, in seinem dritten Jahr. Hier, wo man das Röckchen des Kleinen aus den Wellen [446] des Flusses zog, ließ die untröstliche Mutter die heiligen Mauern errichten. Dort in jenem Schrein von Ebenholz, neben dem Heiligenbild, verwahrt sie das Röckchen und das Federhütchen, welches man im Gebüsch des Ufers gefunden. Täglich weidet die arme Mutter ihren Schmerz an den traurigen Ueberresten; den kleinen Leichnam hat man nirgends finden können. Die Wärterin, welcher das Kind anvertraut war, bei der ich es so oft fröhlich auf den Wiesen umher gaukeln sah, auch diese ist verschwunden, nie hat man sie wieder gesehen. Man glaubt, sie habe sich dem Kinde nachgestürzt; vielleicht hatte sie es unvorsichtiger Weise aus den Augen gelassen, und fürchtete sich vor der Verantwortung. Es gehen auch wunderliche Sagen, fuhr er leiser fort: Der Satan habe die Wärterin in der Gestalt eines Zigeunerweibs verblendet, daß sie das Kind in den Fluß gestürzt, und sie selbst habe er dann von einer Felsenspitze durch die Luft entführt.

Nimm mirs nicht übel, hübsches Mädchen, [447] sagte er traulich zu Aloisien, als er ihre dunkle Gesichtsfarbe bemerkte, die sie sich künstlich zu geben wußte, und den Tamburin, der ihr über die Achsel hieng; nimm mirs nicht übel, man spricht viel Böses von Eurem Volk. Du aber, du siehst hold und gut aus, und wenn du diese Nacht in meiner Hütte bleiben willst, und meinen Töchtern gutes Glück sagen, so bist du mir willkommen. Morgen kannst du dann das Fest mit ansehen.

Aloisia nahm das Erbieten an, sagte den Töchtern gutes Glück, hörte noch viel über die Feierlichkeit schwatzen, und über das traurige Schicksal der armen Mutter, an dem das ganze kleine Völkchen den gutherzigsten Antheil nahm.

Aloisiens Ungeduld, die Gestalt der Gräfin zu erblicken, in der ihr ahnendes Herz die Mutter des Geliebten zu finden wähnte, trieb sie mit Sonnenaufgang nach dem Schloß. Ungehindert gieng sie durch das Schloßthor, das hochgewölbt zwischen zwei beschützenden Thürmen lag, ungehindert durch den düstern engen [448] Gang unter drohenden Schutzgattern, bis in den innern geräumigen Hof. In dessen Mitte ergossen sich Wasserröhren in ein marmornes weites Becken unter hohen mächtigen Cypressen. Hier ruhte Aloisia. Schon war es lebendig in den Hallen des Schlosses, das Hausgesinde, verwundert über die schöne Gestalt des Mädchens, drängte sich um sie her. Mit anmuthigen Neckereien unterhielt sie alle, als eine Dame im schwarzen Gewand aus einer der Hallen hervortrat. Alles wich zurück, um ihr Platz zu machen; sie näherte sich einem Sitz unter den Cypressen.

Aloisia stand verborgen hinter dem Dunkel der Bäume, und schaute nach dem Angesicht der Gräfin. Mit zitternder Freude, mit hochwallendem Busen erkannte sie die Züge ihres Bildes. Die Jahre hatten leise Spuren darüber hingezogen, den Formen fehlte die jugendliche Fülle, aber unverändert und unverkennbar war das reine Verhältniß derselben, die geistige Grazie des Ganzen.

[449] Bebend, eine der Cypressen umfassend, stand Aloisia. Es drängte sie zu den Füßen der armen Mutter hinzustürzen, ihr das Geheimniß ihres Glücks zu verkünden, aber sie fürchtete die tödtende Ueberraschung der Freude für das ermattete Herz. Die zarte Gestalt, dünkte ihr, müßte in der ersten heftigen Seelenbewegung aufgelöst werden. Leise, sanft verhüllt im Schleier der Symbole, sollte sich ihr das Glück wieder nähern. Auch erwachten im Moment der Entscheidung noch Zweifel in ihr selbst, wie in jedem feinen Gemüth, wenn ein fremdes Schicksal in seine Gewalt gegeben ist.

Täusche ich mich auch nicht? Schmeichle ich der armen Mutter nicht vielleicht mit falschen Hoffnungen, die ihr nur ein schärferes Gefühl ihres Elends bereiten müßten?

Durch diese Fragen in ihrem Innern zurückgehalten, mächtig bewegt, stand sie sprachlos in sich selbst gekehrt, als eines der Mädchen des Hauses ihre Hand faßte, um sie der Gräfin zuzuführen. O gnädige Frau, rief sie, lassen Sie [450] sich von dem artigen Mädchen auch gutes Glück sagen; uns allen hat sie schon viel Gutes verheißen!

Mein Glück liegt in der ewigen Nacht, gutes Kind, erwiederte die Gräfin.


»Es wirket selbst in dicht umwölkter Nacht,
Auch unsichtbar der Sterne Himmels-Macht,
Der Wolken Hülle weichet schnell zurück,
Im lichten Aether schimmert uns das Glück,
Was Lieb' umfaßt blüht ewig neu empor,
Verloren ist nur, was das Herz verlor!«

Das gilt nicht für mich, sagte die Gräfin sanft. Aber gerührt durch die hohe, liebliche Gestalt des Mädchens, setzte sie hinzu, nachdem sie ihr ein kleines Geschenk gereicht: Bleib heute hier, mein Kind, und Du wirst erfahren, daß meinem Schmerz keine Hoffnung leuchten kann. –

Aloisia ergriff die eine herabsinkende Hand der Gräfin, besah ihre Linien und rief wie begeistert:


[451]
Des Lebens und des Glückes Linien prangen,
Des Hauses Fülle in der zarten Hand!
Noch heut wirst Du ein Zeichen vom Geschick empfangen,
Das jeden Zweifel aus der Seele bannt!

Was soll das heißen? rief die bewegte Gräfin. O, spräche mein guter Engel aus Dir! Bleib, Mädchen! rief sie heftig, haltet sie auf! Vergebens, Aloisia hatte sich unter der Menge verloren.

Alle Bewohner der umliegenden Gegend versammelten sich jetzt im Thale. Die schönsten Kinder wurden weiß gekleidet und mit Cypressenkränzen geschmückt. Von einer Trauermusik angeführt, giengen sie in ernstem langsamen Zuge über die frischen Wiesen bis zum Ufer des Flusses. Die trauernde Mutter kam mit ihren Frauen in Trauerkleidern aus dem Schloßthor, und wankte die steile Anhöhe herab. Die Kinder reichten ihr ihre Cypressenkränze, die sie von tausend Thränen benetzt in die klaren Fluthen warf. Lang blieb sie stehen, und sah, wie [452] die Wogen sie auf und abtrieben. Ach, so trieben die Grausamen einst ihr holdblühendes Kind. Dankbar für die fremde Theilnahme an der jährlichen Feier, durch welche die arme Mutter ihren Schmerz zu verewigen strebte, verband sie damit immer fröhliche Spiele für die Jugend.

Körbe mit kleinen passenden Geschenken standen unter einem Kranz der schönsten Bäume. Während sie die Gräfin vertheilte, weidete sie sich mit zärtlichen Erinnerungen an dem unschuldsvollen Lächeln, an den heitern freudeglänzenden Augen der Kinder. So lächelte ihr Rodrigo, so leicht und fröhlich hüpfte er über den grünen Teppich der Wiese dahin, wenn sie einen seiner kleinen Wünsche erhört hatte.

Die Eltern versammelten sich um die Spiele der Kinder herum; auch sie wurden bewirthet, beschenkt, und alles überließ sich bald der reinen kunstlosen Fröhlichkeit. Man hatte der Gräfin einen erhöhten Sitz von Rasen und frischem Laube bereitet, von dem sie, in sanfte Schwermuth [453] verhüllt, oft einen Strahl heitrer Theilnahme aus Gefälligkeit hernieder sendete. Ihr leises Bravo belohnte eben zwei der rüstigsten Tänzer, als sich der bunte Kreis der Zuschauer theilte, um einer neuen Erscheinung Platz zu machen.

Die artige junge Zigeunerin hüpfte gleich als vom Winde beflügelt, einher. Aetherische Leichtigkeit war in ihren Bewegungen. In dem einen erhobnen Arm schwang sie den Tamburin, dem sie mit der andern Hand ein melodisches Schellengetön entlockte. Die angenehmste Bewegung des Hauptes, das sich gleichsam in den Wellen der Töne wiegte, begleitete diesen Klang. Die Spitzen ihrer zarten Füße berührten kaum das Gras, ihr leichtes Gewand floß um die schlanke Gestalt. Mit anmuthsvoller Bescheidenheit war sie eingehüllt, aber das Ebenmaß und der Reiz der Formen schimmerte wie durch dünnes Gewölk. Die Gewandtheit ihrer leichten Bewegungen zog alle Zuschauer an, und auf ihrer Grazie blieb jedes Auge geheftet.

[454] Sie schwang sich dreimal in dem Kreise einher, ihr heller Blick maß die ganze Versammlung, und blieb lang auf die Gräfin geheftet. Gleich als begeistert durch ihr Anschau'n, rief sie einen der Musikanten, den sie vorher schon unterrichtet, herbei, und begann einen pantomimischen Tanz, der zum Verwundern das Schicksal der armen trauernden Mutter ausdrückte, und ihr selbst und den Zuschauern Thränen entlockte.

Sie hatte den Tamburin weggeworfen, und ergriff unter den Umstehenden eines der lieblichsten Kinder. Mit diesem schwebte sie in tausend schönen mannichfachen Stellungen und Verschlingungen der Arme einher. Wenig einfache Töne begleiteten die holden Bilder der Unschuld und kindlicher Fröhlichkeit. Mit zärtlichen halb muthwilligen Neckereien gauckelte sie umher; bald beugte sie sich mit Innigkeit und Liebe gegen das kleine Geschöpf; ihre sanften Bewegungen, ihre leiseren Schritte, ihr seelenvolles Auge, sprachen deutlich, in dir liegt mein ganzes Glück!

[455] Mit schneidendem Ton veränderte sich jetzt die Musik, mit einem heftigen Sprung entfernte sich das Kind, und der tiefste hoffnungsloseste Schmerz, alle Schauer des Entsetzens ergriffen die Tänzerin, und mit ihr alle Zuschauer. Ihre Brust hob sich als athemlos in die Höhe, ihr Auge suchte glänzend und hülflos den Himmel, ihr ganzer Körper neigte sich, als wollte er in die Tiefe hinab stürzen, ihre Arme beugten sich, als ob sie über alles verschlingenden Wogen sich ausbreiteten, und sie zu umfassen strebten.

In der wildesten Leidenschaft folgten ihre Schritte der Ordnung des Tanzes, ihre Bewegungen den Linien der Schönheit, und mit stiller Gewalt ergoß sich hoher Schmerz über die Versammlung. Jetzt gieng sie durch sanfte Modulation in stillere Trauer über, lieblich sich in einen leichten Schleier hüllend, war's, als ob sie in ihrer eignen Wehmuth ruhte. Auf einmal blickte sie erstaunt in die Ferne, Hoffnung und Lebensgefühl beseelte ihre Schritte und [456] Bewegungen. Etwas aus der Ferne schien sie zu locken, ihr entgegen zu dringen, mächtig ihr zu begegnen. Jetzt schwebte ihr einer der gewandtesten Tänzer entgegen. Es war ein hochgestalteter Jüngling, ein älterer Bruder des lieblichen Kindes, welches ihm sehr ähnlich war. Verwunderung, Staunen schien ihre Schritte zu hemmen – War es der Verlorne, der ihr jetzt emporgewachsen, in der Pracht der Jugend wieder erschien? Er näherte sich ihr, nun folgte die Wiedererkennung, sie überließ sich der Gewalt der Freude und des Entzückens, und stürzte so zu den Füßen der Gräfin.

Das leise Geflüster der Rührung gieng durch den Kreis der Zuschauer, keiner wagte es seine Bewunderung über den kunstreichen Tanz des Mädchens auszudrücken, da Thränen in den Augen der unglücklichen Mutter glänzten. Lebhaft zu dem anmuthigen Geschöpf hingezogen, das ihr trauriges Schicksal in dem Zauber der Kunst ihr vor die Sinne gerückt hatte, rief sie ihr zu: O du sonderbares Wesen, warum willst [457] du mir mit Hoffnung schmeicheln? Nur zu gewiß hat der Tod, der Unbezwingliche, mir alles was ich liebe, geraubt. Laßt mich, Kinder, sagte sie sanft, laßt mich hin zu den heiligen Mauern, um in stillem Gebet meinen so gewaltig aufgeregten Schmerz zu besänftigen.

Mit langsamen wankenden Schritten gieng sie zur Kapelle, in ehrfurchtsvoller Entfernung folgten ihr ihre Getreuen. Aloisia hatte sich unter der Menge verloren.

Wie staunte die Gräfin beim Eintritt in die Kapelle! Wie gewöhnlich an diesem Tage schimmerten die festlichen Kerzen, aber statt der traurigen Cypressen-Gewinde um den Sarkophag, erblickte sie Rosenkränze. Die Schrift am Fußgestelle war mit einem Blumengeflechte verhüllt, in einem Rosenkranz stand mit weißer Schrift:


Such deinen Sohn im Schattenreiche nicht,
Er wandelt in des Lebens goldnem Licht.

Gott, was bedeutet das? rief sie mit bebender Stimme. Aber als sie neben den Kleidungsstücken [458] des beweinten Kindes, die an diesem Tage auf dem Sarkophag lagen, ihr eignes wohlbekanntes Bild fand, stürzte sie, das Bild in den Händen, mit flammenden Blicken, mit hochklopfendem Busen zur Kapelle hinaus. Wie kam das hieher? rief sie bebend. Kommt's von dir, rief sie, Aloisien heftig ergreifend, die ausserhalb der Kapelle stand.

Es ist das Pfand des Schicksals, welches ich dir versprach, sagte Aloisia.

O jetzt glaub' ich dir, du bist mein guter Engel, rief die Gräfin; es ist dasselbe Bild, das am Halse meines Rodrigo hieng, als ich ihn verlor. Es war sein liebstes Spielzeug. O, wo gaben dir die Fluthen dieses wieder, wo blieb er selbst?

Alles drang hinzu, das Wunder zu vernehmen. Die Gräfin riß Aloisien mit sich hinweg durch den Kreis der Zuschauer, und führte sie in eine einsame Myrthenlaube am Gemäuer des Schlosses.

Aloisia erzählte hier der Gräfin ihre eigene [459] Geschichte, ihr Zusammentreffen, ihr Zusammenleben mit Mario und Rodrigo. Zart drückte sie ihre Neigung für ihn aus. In dem reinen vollkommenen Bild seines Wesens, wie es in der Seele des Mädchens lag, erkannte das liebende Weib sogleich den Zauber der Leidenschaft. So vieles traf zusammen, um ihre Hoffnung zu erheben, aber dem lang gepreßten Herzen versagte die Kraft, das höchste Glück nach dem bittersten Schmerz zu umfassen. Schwankend, zwischen Furcht und Hoffnung, saß die Gräfin mit zurückgelehntem Haupte in der Myrthenlaube. Aloisia lag ihr zu Füßen, hielt ihre Hände, und suchte ihr einen Glauben zuzusprechen, der in ihrem eignen Busen beinah zu wanken begann. Daß Mario der Mann meiner ersten Jugendliebe ist, dem ich mein ganzes Wesen hingab, daran zweifle ich nicht, sagte die Gräfin; dafür spricht mein Bild. Ach, welcher Mann sollte es sonst mit Liebe so treu aufbewahren! Auch die ganze Beschreibung seiner Person ruft mir die heißgeliebten Züge zurück. Aber das beweist [460] noch nicht, daß auch mein Sohn gefunden ist. O all ihr hohen Mächte des Himmels, rief sie mit empor gerichtetem Blicke, o gebt mir ein gnädiges Zeichen, daß Rodrigo mein Sohn ist! Er ist's, rief eine Stimme dicht hinter ihr. Beide schauderten zusammen vor der geheimnißvollen Antwort, als Leona vor sie trat. Er ist's, sagte sie noch einmal, ich selbst raubte ihn dir, ich selbst will ihn dir wieder geben!

Schreckliches Wesen! rief die Gräfin, doch willst du mir ihn wieder geben, so sollst du mir gesegnet seyn.

Behaltet euren Segen, sagte die Alte, ihr möchtet dessen mehr bedürfen als ich. Ich selbst kann mit dem Schicksal schon fertig werden, denn ich mache sogar für euch das wieder gut, was ihr seine Tücke nennt, und was ihr billiger Weise nur eure Narrheit nennen solltet.

Kennst du mich nicht mehr, rief sie, indem sie der Gräfin starr ins Auge sah. Wohl, wohl kenne ich dich, erwiederte sie, und verbarg ihr weinendes Antlitz. Ist's nicht dieselbe Laube, [461] zu der du dich in finsterer Nacht stahlst, um die Briefchen des jungen Pietro Gentilesco von mir zu empfangen? Ist's nicht dieselbe, wo ich eure geheimen Zusammenkünfte bewachen mußte vor den Späheraugen deiner Familie? Ist's nicht hier, wo die Natur euch verband, wo Mond und Sterne die Zeugen waren, daß ihr heimlich vereint bleiben wolltet, bis sich der harte Sinn deines Vaters erweichen würde? Vergossest du nicht hier unzählige Thränen des Abschieds an seiner Brust, als er in's Feld mußte, und was fand er, als er zurückkam, mit unaussprechlicher Liebe und Sehnsucht dich zu umfangen eilte? – Die Mutter seines Kindes, als die Gattin eines andern!

O schweig, du herzzerfleischende Furie! rief die Gräfin. Bitter genug habe ich einen Moment der Schwachheit abgebüßt. Weißt du nicht, wie ich durch die falsche Nachricht seines Todes, durch einen tückischen Verwandten getäuscht wurde? Wie man mich mit einem lügenhaften Gewebe umstrickt hielt? Wie die Angst vor [462] Entehrung und Schande mich drängte? Wie der Geisteranblick einer langsam hinsterbenden Mutter, der die Entdeckung meiner Lage den Todesstoß gegeben hatte, mich ängstigte, mich endlich bewog, an der Wahrheit und Natur zu sündigen, mich mit einem andern Gatten zu verbinden, um meine Schande der Welt zu verbergen? Ich weiß alles, er wiederte die Alte, ich weiß, daß ihr Seele und Leben dem tyrannischen Schein opfert; das kann ich nicht achten, und euch nicht bedauern – aber wie ich ihn fand, an den Grenzen des Wahnsinns, dort im Thal, verborgen im dichten Gebüsch, als er dich mit dem stumpfsinnigen Gemahl vorüberfahren sah, als er alle Hoffnung des Lebens, alles Vertrauen auf Menschen von sich warf, und endlich nur seines eignen Daseyns los zu werden suchte – das zerschnitt mein Herz!

Ich rief ihn hinweg aus der Gegend, ohne Selbstbewußtseyn folgte er mir wie ein geduldiges Kind zu unsrer Haufen einem. Freudig wurde er aufgenommen. Ich will unter euch [463] leben, rief er nach wenigen Stunden, denn ihr scheint nicht besser, als ihr seyd! Nie sollen mich die Mauern einer Stadt mehr einschließen, fliehen will ich jene Kultur, die zum Verbrechen zwingt, die mir alles raubte! Sein Muth, seine Kenntniß der Länder machte ihn bald zum Führer des Haufens, ich folgte ihm. Sein Trübsinn verminderte sich nicht, die Wunde seines Herzens konnte nicht heilen.

Einst auf einem der entfernteren Güter deines Mannes sah er euch zusammen mit dem kleinen Knaben. Als einen Wahnsinnigen fand ich ihn wieder – Sein Weib, sein Kind in den Armen eines Andern zu sehen, der Anblick hatte ihn in den fürchterlichsten Zustand versetzt.

Deine Schwachheit ärgerte mich, ich sah eure erste Liebe als mein Werk an, das du zerstört hattest, und ich beschloß, dir das Kind zu entreißen, um dem armen Verlassenen nur wieder eine Lebensfreude zu verschaffen. Leicht führte ich das aus. Ich entfernte die Wärterin [464] des Kindes, indem ich ihr durch eine Alte unsrer Bande von ihrem Liebhaber vorschwatzen ließ, und ihr versprach, auf den Knaben Acht zu geben. So nahm ich das Kind mit fort, und warf seine Kleider in den Strom, daß man es für ertrunken ansehen sollte. Die Wärterin verfiel in Verzweiflung, als sie das Kind nicht fand; meine Alte nahm sie mit hinweg aus der Gegend, sie verbarg sich in einem Kloster, sie lebt noch, und wird euch die Wahrheit meiner Aussage bestätigen. Der Vater beruhigte sich an dem Kinde, und als ich ihn nach einiger Zeit wieder sah, mußte ich mich meines Entschlusses freuen. Um das Kind für immer an unsern Stand zu fesseln, und es von den Uebeln eurer feinen Welt zu befreien, mußte ich für seine Mutter gelten. Ich merkte bald, daß es dem Jungen dabei nicht wohl werden wollte; seine Neigungen paßten nicht unter uns, er dachte immer ans Geben, selten ans Nehmen, gleichwohl liebte ich ihn; mir giengs wie der Henne, die am Ufer steht, und geängstigt umher [465] läuft, wenn die jungen Entchen, die sie ausgebrütet, auf der klaren Fluth hinschwimmen. Jedes folgt am Ende doch nur dem angebornen Zug. Was soll aus ihm werden? sagte ich oft zu Mario, der sich selbst auf eine sonderbare Weise zu manchen Seiten unsrer Lebensart zwang. Seit Rodrigo das Mädchen da gesehen, war nun ganz und gar kein Auskommens mit dem Jungen mehr. Ich dachte im Stillen auf Mittel. Wer unter euch auftritt ohne wohlgespickten Beutel, der spielt eine armselige Rolle, das wußte ich wohl, darüber war auch dein Pietro zu Grund gegangen. Hier in der Nachbarschaft vernahm ich, daß dein alter reicher Gemahl gestorben, und dich zur Erbin erklärt. Nimm jetzt Mann und Sohn wieder an, und seyd glücklich nach eurer Art, für alles, was ihr gelitten.

O augenblicklich laßt uns zu ihnen eilen, rief die Gräfin! Sie warf ihre Trauerkleider ab, auch Aloisia mußte einen bräutlichen Schmuck anlegen. Beide verhüllten sich in Pilgergewande, [466] und Leona führte sie so durch einen steilen, selten betretenen nahen Pfad zu dem einsamen Platz, wo sich Mario, von nun an Pietro Gentilesko genannt, aufhielt. Er lag im Schatten dunkler Eichen an einer frischen Quelle. Alte sanfte Erinnerungen hatten ihn mit ihrer Zauberei hier in der Gegend umfangen, wo er einst glücklich war; die geöffnete Brieftache lag vor ihm. O das gibt mir Muth, sagte die bebende Gräfin, als sie ihn so durch das Dunkel des Gebüsches erblickte. Pietro! Pietro! rief sie, ich war dir nie ungetreu – Sein Herz, erweicht, gestärkt von den holden Tönen der Vergangenheit, erschloß sich aufs neu. Er faßte die geliebte Erscheinung, so dünkte sie ihm noch, an seinen Busen, und in ihren holden heißen Umarmungen fielen die ehrnen Bande des Hasses von seinem Herzen. Sie wurde getäuscht – rief ihm Leona zu, wir waren die Thoren, dem nicht zuvorzukommen! Aufgelöst in das Glück der Theuren, ihrem Rodrigo so nah verb unden, bebend in süßer Ahnung der eignen Seligkeit, [467] umfaßte Aloisia beide, und fragte zugleich mit der Gräfin, wo ist Rodrigo? wo ist mein Sohn? Ernst sahen sie ihn den Hügel herabziehen mit der Beute der Jagd, von welcher er heimkehrte. In welchen Entzücken, die die Fäden des Lebens beinah aufzulösen drohten, schwoll das Herz der Mutter, den Verlornen, Beweinten nun in der Götterkraft und Schönheit der ersten Jugendfülle zu erblicken!

Rodrigo trat durch das Dunkel der Gebüsche einher. Die heiligen letzten Strahlen der Abendsonne umleuchteten die Gestalten vor ihm, die beinah überirdisch glänzten, wie seine eignen.

O meine schöne glänzende Mutter! Bist du endlich da! rief er aus, und stürzte zu ihren Füßen. Und die Geliebte führte dich zu mir! rief er, als er sich den Armen der Mutter entwand, – und die Freude leuchtet aus dem ernsten Gesicht des Vaters!

Heilig und ohne Maß war ihr Entzücken; es über flog die Grenzen der irdischen Natur, [468] und erst als es sich zur heitern besonnenen Freude herabstimmte, fühlten sie den Nachklang des Göttlichen in ihrer Brust. Ein froher Tag sollte sie alle verbinden, und ihre selige Vereinigung mit allen Blüthen der Liebe schmücken.

Leona sollte alles mit empfinden, mit genießen, mit ihnen leben. Bleibt so klug als ihr glücklich seyd, sagte sie, ich will oft kommen und sehen, wie es um euch steht, und wenn mich das Alter irgendwo fesselt, so will ich bei euch bleiben.

Durch reiche Geschenke löste die Gräfin Pietros und Rodrigos Verbindlichkeiten bei der Bande. Alles freute sich. Viele wollten bei den Führern bleiben. Es wurden ihnen Wohnplätze angewiesen, die sie bald wieder verließen.

Das alte Fräulein konnte die Freude gar nicht fassen, ihre Nichte beglückt und begütert zu sehen, die sie als verloren beweinte.

Die Eltern ruhten nach den langen Stürmen ihres Lebens im Schooße der reinsten [469] Glückseligkeit. Die Erinnerung ihrer Leiden erfrischte sie zu immerwährendem Genuß.

Alle hohen Kräfte, alle edeln Anlagen fanden ihre Richtung und Bestimmung jetzt in Rodrigos schönem Leben neben Aloisien; glücklich und beglückend flossen ihre Tage dahin.

[470]

Notes
Die Erzählungen erschienen ab wetwa 1800 in verschiedenen Kalendern und Zeitschriften. Bibliographisch nachweisbar sind: »Die Zigeuner« (Teildruck) in: Damenkalender auf das Jahr 1802, herausgegeben von Friedrich Schiller, Tübingen (J. G. Cottaische Buchhandlung); »Edmund und Emma« in: Damenkalender auf das Jahr 1804, herausgegeben von Friedrich Schiller, Tübingen (J. G. Cottaische Buchhandlung). Erstdruck der Gesamtausgabe: Stuttgart (J. G. Cotta'sche Buchhandlung) 1826.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Wolzogen, Caroline von. Erzählungen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AAE0-0