Treue über Alles

[223] [225]In einer alten hohen Burg in Schwaben wohnte ein guter alter Rittersmann mit zwei jungen lieblichen Nichten. Seine Schwester hatte sie ihm auf dem Todtenbette übergeben; er hatte gelobt, Vaterstelle an den Kindern zu vertreten, und redlich hatte er sein Versprechen erfüllt. Ob er gleich arm war, und die Burg täglich mehr in Verfall gerieth, so hatte er dennoch die guten Mädchen nie Mangel fühlen lassen. Ehrbar gekleidet führte er sie Sonntags zur benachbarten Kirche. Der Burgkaplan hatte sie Lesen, Schreiben, Singen und Zitherspielen gelehrt. Frau Ursula, die treue Schaffnerin, führte sie zum Hauswesen an. Der kleine[225] Garten blühte, der Hühnerhof war wohl angefüllt, und die mäßigen Vorräthe für Küche und Keller treu und achtsam verwahrt. In sorgloser Jugend blühten die Kinder heran, und Liebegard, die ältere Schwester, entfaltete sich zur Blume einer vollkommenen Schönheit.

Sorglich sah der alte Ritter oft auf die Mädchen, wenn sie Abends im Saal, in einer Ecke die Spindeln drehten. Was sollte nach seinem Tode aus ihnen werden? Entfernten Verwandten fiel die Burg als Lehen anheim, und er besaß sonst Nichts, was er ihnen als Vermächtniß hinterlassen konnte.

Man kann es ihm nicht verdenken, daß ihm die Anwerbung eines benachbarten bejahrten Ritters um Liebegard willkommen war.

Dieser hatte sie in der Messe gesehen und, gerührt von ihrer Schönheit und ihrem sittigen Wesen, begehrte er sie zur Hausfrau. Waltram hatte manche Kriege mitgemacht, hatte gegen die Sarazenen gefochten, seine Gestalt trug die [226] Spuren des südlichen Himmelsstrichs; er sah viel älter aus, als er war. Ein Säbelhieb hatte ihn ums eine Aug gebracht, und eine schlecht geheilte Wunde am Beine machte ihn hinkend und unbeholfen.

Liebegard, unbekannt mit seinen Wünschen, empfieng ihn mit liebevoller Geschäftigkeit, als er zur Burg kam, geleitete ihn, mitleidig mit seiner Unbeholfenheit, zum Sessel neben den Oheim, und stellte Wein und Becher vor ihm auf. Ach! hätte sie denken können, als sie sich nach ihrem Gemach zurückzog, daß der ihr Bräutigam zu werden gedenke, dem sie als hülfsbedürftigen Greis so freundlich begegnete!

Die kleine muntre Gertrud scherzte und sagte: nun wer weiß, ob nicht eine von uns beiden das Glück hat, diesem jungen stattlichen Ritter zu gefallen. Liebegard verwies ihr den Spott über Alter und Gebrechen, doch bewegte der tolle Einfall ihre Einbildungskraft. Aus Mährchen und Sagen von hoher, edler Liebe [227] und im Zauber einer holderwachenden Natur, blühten da schon goldne Träume vom eignen Liebesglücke; ihr sanftes Herz erbebte vor der Greisesgestalt in diesem Sinne.

Mich überläuft ein Schauder, Gertrud, wenn ich denke, ich müßte das Weib dieses Alten werden, sagte sie; lieber gieng ich ins Kloster; ja lieber wollte ich sterben.

Eine düstre Ahnung umfieng sie, als beim Abendbrod der Oheim Vieles zum Lobe des Ritters Waltram sprach, von seinen vielen Gütern und von einer Einladung auf seine Burg. Es lag gleich einer Gewitterwolke über dem kleinen Kreise am nächsten Tag, die sich am Abend entlastete.

Der Oheim setzte sich zu den Mädchen in den kleinen Wurzgarten, fragte nach diesem und jenem, was er schon wissen konnte, und begann endlich:

Lieben Kinder, ihr müßt mir die Sorge oft angemerkt haben um eure Zukunft. Alter und Krankheit sagen mir, meine Tage sind gezählt. [228] Ein fremder Besitzer wird in diese Mauern einziehen, die euch keine Freistätte mehr anbieten werden. Mit Angst und Kummer um euch fürchtete ich die Augen zu schließen; aber es zeigt sich ein mildes Hoffnungslicht. Der Ritter Waltram bietet dir, Liebegard, seine Hand; er ist ein wackrer Mann, und wird für dich und die Schwester Sorge tragen, wenn ich nicht mehr bin. Dort drüben, hinter dem Eichwald, könnt ihr die Gipfel seiner stattlichen Burg erkennen. In acht Tagen wird er wieder kommen; diese gebe ich dir zur Bedenkzeit. Die Rosen auf Liebegards Wangen wandelten sich um in Lilien; ihr blaues Auge sanft, wie die Vergißmeinnicht auf den Beeten des Gärtchens, richtete sich starr auf den Oheim, bis eine Wolke von Thränen es umglänzte; die Worte erstarben auf den zitternden Lippen.

Mein Kind, sagte der gute Alte, sehr bewegt, denn ein Strahl vergangener Jugendliebe zuckte durch seine Brust, und er fühlte es wohl, [229] was es heiße für ein jugendliches Herz, alle seine Blüthenhoffnungen zu Grabe zu tragen, ich will dir keinen Zwang anthun; aber bedenke, daß wir alle auf Erden den Pfad der Nothwendigkeit mehr, als den der Lust, wandeln müssen. Er verließ die Mädchen, und Liebegard sank weinend an den Busen der Schwester.

Nimm den alten Ritter doch ja nicht, sagte die Kleine, ihr sanft schmeichelnd, ja nicht, meinetwegen! Wir wollen uns schon forthelfen; die Welt ist weit; wer weiß, was für uns hinter jenen Bergen liegt? Dort wirds auch noch stattliche Ritter und Burgen geben, die nicht so alt und häßlich, wie Waltram, sind.

Nur heißer flossen Liebegards Thränen unter dem unschuldig gutmüthigen Geschwätz der Schwester. Die Liebe und Sorge für sie; die Furcht, des Oheims hinsinkendes Alter zu kränken, ihm den kaum gewonnenen Trost zu rauben, waren es einzig, was ihr Herz in bangem Zweifeln zerriß; ihr selbst waren Mangel und Elend, ja [230] der Tod, willkommener, als ein solch verhaßtes Eheband.

Die Tage verflossen in Thränen, die Nächte in bitterm Kampf und schweren Träumen. Oft kam sie sich selbst als ein Schatten vor, der dem blühenden Reich des Lebens nicht mehr angehörte, und war zum schmerzlichen Opfer entschlossen. Dann griff alle Macht der Jugendhoffnungen an ihr Herz, und sie fühlte die Unmöglichkeit, es zu bringen. Jedes neue Morgenlicht brachte ihr ein ängstlicheres Gefühl ihres Elends, denn sie war dem entscheidenden Tag um einen näher gerückt; jeden Abend sandte sie dem scheidenden Sonnenstrahl Thränen nach, ja der Schlag jeder entflohenen Stunde fiel wie eine ehrne Last auf ihre Brust.

Wie oft labt das arme gepreßte Menschenherz ein milder Hauch des Trostes, wenn es in seiner heißen Qual zu vergehen wähnt! Gute Geister scheinen sich da ihm zu nähern, und es mit Blüthenzweigen einer andern Welt zu kühlen. Auch auf die arme Liebegard neigte sich [231] ein beruhigender Morgentraum nach einer schmerzlich durchwachten Nacht, der ihr eine Lösung ihres drohenden Geschicks verhieß.

Das Morgenlicht war schon angebrochen, als sie im sanften Schlummer auf ihre Kissen zurück sank. Bald ward ihr, als näherte sich ihr der Purpurglanz des Sonnenaufgangs, als füllte eine Lichtwolke ihr kleines Gemach, und nun schied sich aus dem Licht eine weiße Gestalt, die sich mit unaussprechlicher Milde gegen sie neigte. Ein paar sanft strahlende Augen blickten sie an, und sie hörte: »Trägst du Glauben, Liebe und Hoffnung im Herzen, so wird dir geholfen.« Sie erwachte bei diesen Worten, die, wie eine himmlische Musik, in ihrem Ohr nachtönten, und fühlte sich wunderbar beruhigt. Den nächsten Morgen hatte sie dieselbe Erscheinung. Auch am dritten Tage kam die lichte tröstende Gestalt ihrem Lager nah, und nach den ermunternden Worten theilte sich die Lichtwolke und ein anmuthiger Platz in den Umgebungen der Burg, den sie besonders liebte, und oft besuchte,[232] lag vom zauberischen Licht umglänzt, vor ihr. Unter den Gesträuchen, die sich um die wohlbekannte Felsenwand bogen, am klaren Quell, wo sie oft geruht, stand die hohe Gestalt eines Ritters, der ihr die Hand bot. Beim Erwachen fühlte sie sich noch inniger beruhigt; der Trost, daß wohlmeinende Geister sie umschwebten, besiegte mächtig ihren Gram, und die weichen Schwanenflügel einer wundersamen Hoffnung umfiengen sie und trugen ihr ganzes Wesen über die schaurige Kluft der Wirklichkeit hinweg.

Still, selbst der Schwester verborgen, trug sie den geheimnißvollen tröstenden Traum in der Seele, und suchte Abends den Lieblingsplatz auf. Lang saß sie an der Quelle, die zwischen den Felsen hinabsprudelte, um sich mit dem brausenden Strome zu vermählen, der den Fuß des Berges umwogte, dessen Scheitel die alten Burgmauern trug. Schon sendete die Abendsonne ihre schiefen Strahlen ins grüne Thal, und kein Laut des Trostes tönte aus der stummen Oede. Das arme kämpfende Herz fühlte [233] sich aufs Neue einsam und hoffnungslos. Die Natur gieng ruhig ihren gewohnten Kreislauf; kein Wunder geschah zu ihrer Errettung. Die Bilder des beglückenden Traumes erblichen in ihrem Gemüth; die ganze düstre Gewalt ihres Schicksals drang mit ehrner Gewißheit auf sie ein. Nur noch zwei Tage und die Stunde der Entscheidung schlug, und ihr blühendes Leben fiel als Opfer, und sie mußte auf ewig von Liebe und Freude scheiden; ja in verhaßter Pflicht selbst jede Regung des bittersten Schmerzes im wunden Busen verschließen. Bebend trat sie auf eine Felsenklippe, die, weit vorragend, über den Strom hieng, und der frevelhafte Gedanke stand vor ihr, sich in die Fluthen zu stürzen. Verheißung der Ruhe und Ende aller Qualen tönten wie Syrenenstimmen zu ihr herauf aus dem Gekräusel der Wellen. Sagt dieses nicht der Traum? rief sie! Der Ritter in dunkler Gestalt ist der Tod, der mir die rettende Hand bietet, und die lichte Gestalt verspricht mir drüben die Lösung des bangen Erdenlebens. Ein[234] zagender Schritt trug sie vorwärts, aber die süße Lust des Lebens, der Schmerz der Ihren hielt ihr Herz umstrickt, und sie stand in starrer Verzweiflung über dem Grab in den Fluthen.

Ein Jagdgetöse entreißt sie diesem Zustand. Es tobte aus einer Waldschlucht jenseits des Stromes herüber, und näherte sich immer mehr und mehr. Schallender Hörner Klang, Hundegebell und endlich das Traben der Rosse füllte ihren Busen mit einer sonderbaren Angst, denn nie hatte sie hier etwas Aehnliches vernommen. Ein Hirsch stürzte sich in den Strom, und wurde von den Wogen abwärts getrieben; ein Jäger auf einem Rappen in schwarzer Rüstung stürzte sich ihm nach, seinen Wurfspieß werfend, und zwei schwarze Doggen bellten um ihn her. Das schüchterne Mädchen beugte sich unter die Gesträuche, wollte sich verbergen, fliehen, aber ihre Füße verstrickten sich in den Epheu- und Geisblattranken der Felsen, und sie konnte nicht vom Platze. Schnell, einer Traumgestalt ähnlich, die sich außer den Gesetzen des Raums und der [235] Zeit vor uns entwickelt, spornte der Ritter sein Roß den steilen Felsen hinan; schon hatte er sich vom Rappen geschwungen, und stand dicht neben ihr. Die Abendgluth war verloschen, Dämmerung füllte das Thal, nur an seinem Helm glühte noch ein Lichtfunken der Abendsonne, und umleuchtete sein Antlitz. Zitternd, zwischen Angst und Freude, erkannte ihr Herz die Traumgestalt in ihm. Seine Züge waren wundersam schön und edel, und es war ihr, als ob der Blick seines dunkeln Auges ihre Seele auflöste. Wie ist dir, armes Kind? sagte er, mit der volltönendsten sanftesten Stimme, die wie ein Laut des Himmels an ihr Herz drang. Du stehst am gefährlichen Abhang und nicht die guten Geister der Jugend, Freude und Hoffnung schweben über dir. Dich treibt der Sturm des Geschicks aus dem Leben hinaus, wie er mich hineintreibt. Muthig mit mir hinab in die Wogen. Keinen hat diese Hand noch verlassen, der sie vertrauend zu fassen gewagt. Liebegards Herz bebte. Eine menschliche Stimme sprach den frevelhaften [236] Gedanken aus, der so eben durch ihre Seele geflogen war; ein fremdes Wesen blickte theilnehmend auf das Elend ihres Lebens.

Das reine Himmelblau ihres Auges blickte in die dunkle Glanznacht des seinen; leuchtende Sterne giengen ihr da auf, die, gleich Flammen, ihren Busen durchzuckten.

Sie war an die hohe, fremde Gestalt gefesselt, aber ein dunkles, geheimnißvolles Grauen erfaßte sie, so, daß sie gleichsam vor ihr in einem unaussprechlich süßen Hingeben zerrann. Ja, elend bin ich! rief sie aus; denn ein verhaßtes Eheband soll sich um meine Tage schlingen. Die Noth und Sorge der Meinen muß ich lösen, und sollte es mein Leben kosten.

Wenn dir das so leichte Gabe scheint, so gieb es mir. Gold macht ja auf Erden alles gut; an dem soll's nicht fehlen; es gilt ja über Liebe und Treue. Die Deinen sollst du beglücken, und an meinem Busen will ich dich tragen als eine süße Blume, um die der Liebe Himmelsduft spielen soll, wenn auch die Wurzel [237] auf nächt'gem Grund ruht, tief im Schoos drohenden Geschickes; denn ich bin nicht zum Glücke geboren. Nur eines: an mein geheimnißvolles Thun und Treiben mußt du dich nicht kehren; mancherlei liegt mir ob zu verrichten. So lang du mir völlig vertraust, wirst du glücklich seyn – aber ich lese in deiner Seele, jeden Gedanken durchschaue ich; bei dem ersten Mißtrauen ist die goldne Wolke des Glücks um uns zerstört, und Nacht und Sturm bricht ein und schwingt die Flügel des dunkeln Verhängnisses über uns. Das bedenke wohl!

Liebegard fühlte sich ganz sein. In inniger Gluth des Herzens flohen die Worte von den Lippen, aber ihr Blick schlug sich voll süßer Gelübde der Liebe und Treue gegen ihn auf.

Ja, du willst mein treues, vertrauendes, hingegebenes Weib seyn, sagte er, ich fühle es. Sprich das holde Wort des Bundes; sprich Ja! meine Geliebte. Ihr Blick senkte sich unter den breit umschattenden Augenliedern, und leise flüsterte sie das begehrte Ja! Nun so vergönne [238] mir des Bräutigams Küsse. Nimm und errette in reiner Lieb und Treu meine Seele! Er drückte den heißen, langen Kuß auf ihre Lippen, der zwei Leben vereint und das Herz mit Ahnung seliger Zukunft überfüllt. Ihr verklärtes Auge suchte in den seinen die Bestätigung dieser Ahnung und las Liebe und Entzücken – alle Furcht verschwand. »Da drüben, hinter dem Wald, flimmert das Licht der düstern Burg, die dein Kerker werden sollte,« sagte der Ritter! Du sollst in einer stattlichern wohnen. Fern, weit hinter den blauen Bergen, liegt die Burg meiner Väter, nach Westen zu. Manchen düstern Wald müssen wir durchziehen, manchen Strom durchschwimmen. Eure Liebe wird fortan meine Heimath seyn, theurer Herr, sprach Liebegard; die äußere Lage gilt mir gleich.

Unter holdem Gespräch, vom Zauberhauch der Liebe umduftet, verfloß noch eine Stunde. Anmuth und Edelsinn leuchtete aus jedem Wort des Geliebten, aber hoher Ernst und eine zarte Wehmuth warfen gleichsam eine verschleiernde [239] Wolke um den Lichtblick des Glückes zwischen die Liebenden.

Ich muß nun hinweg, meine Geliebte, sagte er. Wenn sich die Mondessichel zum Vollmond angefüllt hat, kehr' ich wieder. Bitte den Oheim, einen frommen Priester, der uns segnet, zu bestellen, und die Hochzeitfeier anzuordnen, damit ich dich sogleich heimführen kann. Doch bald vergaß ich, daß es für ihn eines Zeichens bedarf, daß nicht etwa ein wilder Jäger deine Liebe erschlich, du Holde!

Er stieß ins Horn. Zwei Knappen sprengten durch den Fluß und standen bald in zierlicher Kleidung vor ihm, um mit Ehrfurcht zu fragen, was er begehre? Was führen wir bei uns von Gold und köstlichem Geschmeide? »Zwei Kästchen mit Perlen und Juwelen, drei mit Gold!« Bringt Alles schnell herbei! rief er. Der Ritter legte Liebegard einen Schmuck von kostbaren Steinen an und eine Schnur der schönsten Perlen. Das Gold ist für den Oheim, meine Liebe, wenn Dirs also gefällt. Das Sonderbare [240] der Gabe fiel Liebegard nur einen Augenblick auf. Das höchste Liebesglück erfüllte ihr Herz selbst mit solcher Wunderkraft, daß ihm nichts Andres wunderbar dünken konnte. Thränen des Abschieds umhüllten ihre Sinne mit einer Wolke zärtlichen Schmerzes. Alles Andre war für sie verschwunden. So liebevoll, so dankbar, so männlich mild war ihres Ritters Scheidegruß, daß sie sich von seinem Anschaun nicht wenden konnte, bis seine Gestalt im Dunkel des Berges verschwand. Sogar der letzten Spur der ihm folgenden treuen Doggen spürte ihr Auge nach.

Mit Freuden trug sie die schwere Last des Goldes heim zur Burg, die den guten Oheim erfreuen sollte, als ein Pfand ihres künftigen Geschicks.

Mit hochschlagendem Herzen, mit dem Purpur der Liebe auf den jungfräulichen Wangen – denn immer stand das Bild ihres Geliebten vor ihren Augen – erzählte sie dem guten Alten ihre Geschichte. Er schüttelte bedenklich das [241] greise Haupt über die so wunderbare Begebenheit. Seine Hand wog indessen mit Behaglichkeit das rettende Metall, und er sagte mit mildem Ernst: Mein Kind, wir wollen diese Hülfe in der Noth als eine Fügung des Himmels annehmen, ob wir sie auch noch nicht begreifen. Der rechte Gebrauch der Gaben und Begebenheiten ist unsre Pflicht und macht das Gute erst zum wahrhaft Guten für uns. Folge deiner Liebe mit treuem Herzen. Ergebenheit ist des Weibes Schicksal, und je inniger diese ist, jemehr vereinigen sich ihm die guten Geister des Glückes, jedes Gelingens. Mit Ritter Waltram spreche ich noch heut, und sage ihm, daß du sein Weib nicht werden kannst. Erst in der Umarmung der kleinen Gertrud, wo ihr Herz bis jetzt seine Heimath der Liebe gefunden, deren ein jedes bedarf, faßte Liebegard ein leiser Schauder vor dem unbekannten Geschick, dem sie entgegengieng, das wie eine dunkle Wolkengestalt vor ihr lag, die einzelne Blitze durchkreuzten, aber die sie dennoch allen süßen Gewohnheiten des [242] bisher geführten kindlichen Lebens mit einemmal entreißen sollte.

Aber Liebe und Verlangen nach dem Geliebten füllten den Busen mit holden Zukunftsträumen.

Du wirst bei mir bleiben, meine holde Kleine, sagte sie, als Gertrud, mit dem glänzenden Halsgeschmeide spielend, Thränen in Ahnung der Trennung darauf fallen ließ; du wirst eine Freistatt finden, wenn Gott vielleicht den guten Greis bald von uns nehmen sollte. Mein edler, großmüthiger Ritter wird es mir gewiß vergönnen, dir alsdann Mutter und Schwester zu seyn.

An der alten verfallenden Burg wurde nun mit Eile gearbeitet, um ihr ein minder baufälliges Ansehen zu geben; einige kostbare, aus Noth verpfändete Geräthe wurden eingelöst und die Haushälterin traf schon Vorkehrungen zum stattlichen Hochzeitmale.

Der gute Ritter Waltram empfieng die [243] Nachricht, daß er sein Liebchen verlieren sollte, mit der Ruhe des Greisenalters.

Ich wünsche Euch Glück zur besseren Versorgung des lieben Kindes, sagte er zu seinem alten Freunde; aber hütet Euch, daß nicht ein frecher Bube, wie's dergleichen wohl jetzt giebt, sein Spiel mit ihr treibe.

Von der Zinne meiner Burg überschaue ich ein weites Land; alle Burgen sind mir wohl bekannt und in keiner haust ein Rittersmann, der jener Bräutigam seyn könnte.

Bedenklich kam der Oheim zurück, that manche Frage, die Liebegard freilich nicht zu beantworten vermochte; aber ihr liebewallendes Herz, das immerwährend vom Lobe des Geliebten überfloß, beruhigte ihn einigermaßen. Ist denn die Ehe nicht immer ein unbekannter, dunkler Pfad für ein gutes Weib, dachte er; und stellt sich da nicht oft zwischen den bekanntesten Menschen ein böser Geist ein, der zur Pforte der Zwietracht führt? Die Fülle des Reichthums that dem Alten wohl und mit Lust [244] sah er die trübselige Armuth um sich her verschwinden.

Jeden Abend schau'te Liebegard nach dem milden Gestirn, das die Wiederkehr des Geliebten andeuten sollte. Groß und voll gieng es endlich hinter den Hügeln hervor, und ein nie gefühltes Beben zwischen Angst und Freude erfüllte ihre Brust.

Der Burgkaplan war geladen, der Saal geschmückt und in zierlicher Kleidung saßen die Mädchen in der einsamen Kammer, als die Pforten der Burg sich krachend öffneten und der Hof vom Getöse der Rosse dröhnte. Schon hörten sie das Klirren der Rüstung und der Sporen des Ritters auf der Wendelstiege, und sie eilten nach dem Saal, ihn zu empfangen. Durch das kleine Fenster an der Stiege sah Liebegard im Burghof, im klaren Mondlicht ein stattliches Gefolge halten. Die Knappen waren abgesessen und hielten die schnaubenden Rosse, und um sie wedelten die wohlbekannten Doggen.

Stattlich, in reicher Kleidung, und ernst [245] trat der Ritter in den Saal, beugte sich bescheiden erst vor dem Oheim und empfieng dann als Bräutigam die Geliebte.

Herr Ritter, laßt den Segen der Kirche über uns sprechen, noch diesen Abend, muß ich bitten; denn mit dem Morgenlicht müßt Ihr mir vergönnen, mein Weib mit hinweg zu führen.

Es war bei aller milden Sitte etwas Gebietendes in des Ritters Wesen, dem man den Gehorsam nicht verweigern konnte. Der Oheim bereitete sich, die Anstalten zur Trauung zu treffen, aber die kleine Gertrud rief: Ihr seyd auch gar zu schnell, Herr Ritter; die Gewande der Schwester sind noch gar nicht gepackt.

Eure Schwester, holde Kleine, wird alles auf meiner Burg finden; seyd deshalb ohne Sorgen! –

Ach nein, das geht gar nicht an! rief sie und fiel in ein lautes Weinen. Seyd ruhig, sagte er mild, eure Schwester wird zu eurer Burg wiederkehren, so oft sie es wünscht; ich [246] habe schnelle Rosse. – Willst du mir folgen, meine Liebe? sagte er zu Liebegard. Sie schlug die Augen nieder und sagte: ich habe keinen andern Willen, als den Euren, werther Herr. Die Rosen der Freuden erblühten wieder unter dem Thau der Thränen auf Gertruds Wangen in der Hoffnung des Wiedersehens. Auch fand sie selbst den Ritter so wundersam schön und liebenswerth, daß sie den Entschluß der Schwester nicht zu tadeln vermochte.

Als der Priester vor der Trauung nach dem Namen des Bräutigams fragte, nannte er sich: Astolf, der Ritter vom finstern Wald; und da er nach Gebühr, Beweis oder Eid verlangte, daß er unvermählt sey, leistete er diesen mit starker volltönender Stimme. Der Kaplan als ein gelehrter und weit gereister Mann, der mancherlei Mundarten gehört, wollte bemerken, daß etwas Schwieriges in des Ritters Aussprache läge, und zweifelte, ob er deutschen Stammes sey. Er theilte diesen Zweifel jedoch erst folgenden Tages dem Oheim mit.

[247] Der Ritter Astolf bezeigte sich während der Trauung sehr ernsthaft, nach derselben so zärtlich gegen seine Braut, so ehrfurchtsvoll gegen den Oheim, so liebenswürdig gegen die kleine Gertrud – seine Geschenke waren so prächtig und wohlausgewählt, daß alle Hausgenossen Liebegard glücklich prießen, und meinten, solch ein großmüthiger und schöner Herr müsse auch ein trefflicher Ehegemahl werden.

Bei aller Offenheit, zu der seine Liebenswürdigkeit anregte, verscheuchte dennoch sein gebietendes Wesen jede Frage. Liebegard war selig, in seinem Anschauen versunken. Wenn der Oheim eine Andeutung auf ihre Zukunft fallen ließ, und dann ein schwacher Schatten von Unmuth über die heitere Stirn des Geliebten hinflog, flehte ihr Blick jenen so sprechend an, zu schweigen, daß er sogleich dem Gespräch eine andere Wendung zu geben suchte.

Durch die Weisung an ein Handelshaus in einer großen südlichen Handelsstadt versicherte der Ritter Liebegards Briefwechsel mit den Ihren, [248] bat, ihr oft Nachricht zu geben und versprach, daß sie selbst immer unterrichtet von ihrem Schicksal bleiben sollten.

Im frühesten Morgenlicht trat der Ritter reisefertig aus der Hochzeits-Kammer und befahl seinen Leuten, die Rosse zu satteln.

Die kleine Gertrud war schon wach und schlich um das Gemach der Schwester herum. Noch spät in der Nacht hatte sie in der Burg umhergeschweift und versucht, von den Dienern des Ritters etwas über sein Seyn und Wesen und seinen Wohnort zu erfahren. Alles umsonst; sie antworteten ihr nur durch eine stumme Verbeugung. In Thränen hatte sie den Rest der Nacht zugebracht, einsam zum erstenmal in dem Raume, wo bisher die liebe Schwester neben ihr geruht. Die Dunkelheit, die über ihrem neuen Geschicke lag, ängstigte das gute kleine Herz, so wie die Trennung es zerriß.

Astolfs freundlicher Morgengruß drang erfreuend, wie ein Lichtstrahl, in ihr sorgenbewegtes [249] Gemüth. Er führte sie zur Schwester ein, umarmte sie und sagte: Sey ohne Sorgen, gutes Kind, ich werde dir Bruder und Vater seyn. Liebegard drückte seine Hand an ihre Lippen und sagte der Kleinen: Wenn du dich nach mir sehnst, so denke nur, daß ich bei einem Engel bin. Die Engel sind ja überall und du wirst uns nie ferne seyn.

Der Greis entließ das junge Ehepaar mit Segnungen, herzlichen Küssen und Thränen. Astolf hob seine Gemalin selbst auf den schön geschmückten Zelter, warf einen golddurchwürkten Schleier über sie, bestieg seinen Rappen und führte ihr Roß am Zaume neben sich her. Die Doggen sprangen, freudigbellend, an ihnen hinauf, die Reiter folgten auf ihren wiehernden Rossen, und die Wehmuth der Trennung von den geliebten Menschen und dem Ort, den lieblicher Zauber der Jugenderinnerungen umwehte, verklang im Tumult der Abreise. Die Sonne der Liebe im Herzen umgoldete ihr Inneres, wie die aufgehende Morgensonne die Gebirge [250] der traulichen Heimath und das dampfende Thal, aus dem röthliche Funken des wogenden Stroms aufblitzten. Der Ritter sah sie oft, liebevoll fragend, an, und sein Händedruck war ihr ein stilles Gelübde: ich will dich treu durch's Leben geleiten! Der Weg gieng größtentheils durch dunkle Wälder und Einöden; nur selten sahe sie durch eine sich eröffnende Waldschlucht in weiter Ferne glänzende große Städte mit ihren Thürmen und Schlössern liegen, von deren Pracht sie oft erzählen gehört, und nach deren Anschaun sie sonst wohl mit kindischer Neugier gestrebt. Glücklich, im Zauber der Liebe, fragte sie jetzt gar nicht darnach. Mittag wurde auf freien Plätzen im Walde gehalten, und zum Nachtlager ein Zelt für sie und den Ritter aufgeschlagen.

Es war im Frühlingsmond; der grüne Teppich der Erde, mit Blumen und Blüthen bedeckt; die frischen Quellen der Felsen rieselten um sie her; die lauen Lüfte umspielten sie unter dem Obdach des Himmels mit seinen Glanzgestirnen. [251] Reine Liebe strebt zur Ewigkeit; ihre bewegten Herzen fühlten ein inniges Band zu dem Kreislauf der leuchtenden Welten über ihrem Haupt. Astolf setzte sich dann neben sie und sang süße Lieder, oder erzählte vom glänzenden Ritterleben und seinen Thaten. Sie ahnete, wie der Ruhm ihn von ihrer Seite locken würde, und schloß ihn fester in ihre Arme. Entschlief er in ihrem Schoos, so konnte sie nicht müde werden, seine holden und edlen Züge im Licht der lodernden Flamme anzuschauen und in der Fülle der braunen Locken zu spielen.

Seine Leute hielt er in ehrerbietiger Entfernung; sie achteten auf seinen leisesten Wink, und er forderte strengen Gehorsam.

Sie fühlte, daß ein zürnender Blick, ein strenges Wort aus seinem Munde sie vernichten würde, und vermied sorglich die leiseste Veranlassung, ihm zu mißfallen. Keine Frage entschlüpfte ihren Lippen; auch kein Zweifel beengte ihre Brust.

Und wenn mein ganzes Leben ein Wiederholen [252] dieser Tage wäre, wäre es dann nicht unaussprechlich glücklich? tönte es in ihrem ganzen Wesen wieder.

Die größte Sorgfalt, sich jedem begegnenden fremden Auge zu entziehen, konnte sie nicht umhin, zu bemerken. Oft ergriff sie wohl eine gewisse unruhige Neugier nach der Auflösung dieses Räthsels; aber die Liebe sagte ihr ins Herz, daß von ihm ihr nicht Arges kommen könne.

Beim Ausgang eines Waldes kamen sie ohnweit eines Muttergottesbildes vorbei, das seitwärts in den Feldern lag. Erlaubst du es, theurer Herr, so steige ich ab, fragte Liebegard, und gehe, der heiligen Jungfrau für mein Glück, für Dich, zu danken, und uns ihrem Schutz zu empfehlen.

Eine Wolke überzog sein Gesicht; ihr Herz bebte – doch, wie konnte solch unschuldige Bitte beleidigen? Schüchtern ritt sie neben ihm hin, seine Antwort, das Aufschlagen seines gesenkten Blickes, erwartend.

[253] Seine Züge erheiterten sich nach wenigen Momenten. Mit Liebe, auf sie blickend, sagte er: Geh, mein süßes Kind; ich erwarte dich im Dunkel dieser Bäume und blicke auch auf nach den unendlichen Himmeln, dem Schöpfer aller Wesen für Dich zu danken.

Sie lag im frommen Gebet vor der Heiligen Bilde, als sie einige Menschen an sich vorbeilaufen hörte. Eine männliche Stimme rief: Laßt uns eilen, auf die Straße zu kommen, denn die schwarze Bande ist in der Nähe! Liebegard sah sich erschrocken um. Zwei wohlgekleidete Frauen folgten einem Mann mit schnellen Schritten. Die eine sah sich nach ihr um, und rief ihr zu: Folget uns, schönes Kind! wenn ihr nicht beraubt, oder ermordet, oder weggeführt werden wollt. Die wilden Räuber schwärmen schon seit ein paar Tagen in diesen Wäldern, sagt man. Liebegard sank beinahe leblos auf den Boden; ihre Gedanken verwirrten sich; ihr Herz schlug, als wollte es die zarte Brust zersprengen. Alles Wunderbare, alles [254] Geheimnißvolle ihrer Geschichte trat in glühenden Bildern vor ihre Seele – aber Astolfs Bild überdeckte bald alle schrecklichen Vorstellungen, wie ein leuchtendes Schild. Nein! es ist nicht möglich, rief sie, mit gegen den Himmel gerichteten Augen, oder du selbst, heiliges Licht, könntest trügen!

Sie raffte sich auf, und unwillkührlich trugen sie ihre Füße dahin, wo ihr Herz war. Tausend Gedanken durchkreuzten sich in ihr auf dem kurzen Wege.

Er hatte sie auf manches Geheimnißvolle in seinem Leben vorbereitet, unbedingtes Vertrauen als die Gewährschaft ihres gegenseitigen Glücks begehrt. Wo unser Herz ist, da ist unser Glaube. Wäre es möglich, beschloß sie endlich in ihrem Innern, wär es ein gefallener Engel, so ist's meine Bestimmung, ihn zu erretten – jedes Loos mit ihm zu theilen. Er hatte seine Leute vorweg geschickt; er lehnte allein an einem hohen Baume, den Zügel beider [255] Rosse haltend; seine freie Stirn leuchtete so edel aus der Fülle der braunen Locken; sein Auge war gen Himmel gerichtet; seine ganze hohe Gestalt umspielten Lichtstrahlen, die durch das Laub der Zweige zitternd einfielen. –

O, er ist ein Engel des Lichts! sprach ihr ganzes Herz. Sie warf sich ihren Argwohn, als eine schändliche Schwachheit, als eine Sünde gegen ihre Liebe vor, und konnte beinahe dem Ruf ihres Herzens, zu seinen Füßen zu sinken und Vergebung von ihm zu erflehen, nicht widerstehen. Nur die Furcht, ihn zu kränken, hielt sie zurücke. Freundlich bot er ihr die Hand, hob sie schweigend in Sattel und ritt auch so neben ihr her, als wollte er den Nachklang ihrer frommen Gefühle ehren. Aber bald fühlte sie, daß sein forschendes Auge auf ihr ruhte. Die gewaltsamen Eindrücke hatten tiefe Spuren in dem zarten Wesen gelassen. Noch vermochte sie nicht, ihren Blick frei, wie sonst, gegen ihn aufzuschlagen. Alle Zweifel an ihn, waren verschwunden; aber die Last des Vorwurfs [256] lag auf ihrer Brust, daß sie sie augenblicklich gefaßt hatte.

Du hast dich zu sehr ermüdet, sagte er sanft. Blässe und Fiebergluth wechseln auf deinen Wangen und dein Athem ist gepreßt. Es ist gut, daß wir heut Abend zur Heimath gelangen. Sie gestand etwas Ermüdung ein und wurde beherzter, aber nicht ruhiger durch diese Ableitung. Das erste Geheimniß, das sich zwischen offen liebende Seelen drängt, ist der Sturz aus dem Paradies; die reine Himmelsluft ist mit den Wolken der Erde bedeckt, nur im wilden Sturm können sich diese entlasten, und die Luft wird schwüler und bänger, je länger dieser Ausbruch sich verschiebt.

Astolf trieb die Rosse zur ungewöhnlichen Eile. Nur zärtliche Fragen nach Liebegards Befinden unterbrachen das in dieser Eile natürliche Schweigen. Sie waren den ganzen langen Tag durch Wälder geritten, die sich immer dichter und nächtlicher um ihren Pfad zogen.

Die Nacht brach ein; von fern drang das [257] Geheul der Wölfe an ihr Ohr. Liebegard zitterte vor Furcht; Astolf reichte ihr die Hand und sagte: daran wirst du dich gewöhnen müssen, meine Liebe. Meine Burg liegt in einer schauerlichen Einsamkeit. Nicht heiter, wie deine schwäbischen Hügel, von Traubengeländern umgränzt, sind unsre steilen Felsenmassen, über die nur düstre Fichten herabnicken – doch findest du auch ein Blumengärtchen.

In deiner Liebe blüht mir der schönste Garten überall, sagte sie aus vollem befreiten Herzen; denn die süße Nähe des Geliebten hatte alle Zweifel beschwichtigt. Lichtglanz drang durch die dunkle Nacht. In einer halben Stunde sind wir in der Heimath, sagte Astolf; ich danke dir für deine Geduld auf der mühseligen Reise. Dein Muth, dein Vertrauen beglückt mich. Du hast dir keine Frage erlaubt. Möchte ich dich schon jetzt ganz dafür belohnen können. Doch, es harren noch mehrere Proben auf dich. Gehorsam und liebend wirst du mich immer finden, mein Geliebter, erwiederte sie. Deine Liebe ist [258] ja mein Lebensodem, und wie könnt' ich sie sonst verdienen?

Bald geriethen sie auf einen ganz unwegsamen Pfad, der sich durch wildes Gestein und verwachsenes Gesträuch empor wand. Der Ritter war abgestiegen und führte Liebegards Roß. Volles Licht glänzte ihnen entgegen, und sie langten an einer Pforte an, die von zwei hohen Thürmen beschirmt war, aus deren engen Fenstern das Licht schimmerte. Der Ritter nahm den schweren eisernen Pfortenring, und schlug dreimal so mächtig an, daß die Felsen widerdröhnten.

Die Pforte öffnete sich, in den schweren Angeln knarrend; ein stattlich gekleideter Mann mit zwei Knappen, die Fackeln trugen, trat heraus. Burgvogt, ist es ruhig bei euch? Hausen keine trügerischen Geister hier? Sind wir vor Ueberfall sicher? fragte der Ritter. Der Burgvogt antwortete: Nichts Verderbliches ist zu spüren; alle Pforten sind wohl verschlossen. Tretet ein, edler Herr!

[259] Ein jeder gehe auf seinen Posten, sagte der Ritter zu seinem Gefolge, welches sich sogleich zerstreute. Er hob Liebegard vom Pferde, legte ihren Arm in den seinen und führte sie, den vorleuchtenden Knappen nach, eine steile Wendelstiege hinan; nur die treuen Doggen folgten.

Ein erleuchtetes, prächtig ausgeschmücktes Gemach öffnete sich. Er bat sie, auf weichen Polstern zu ruhen, die in der Vertiefung des Zimmers lagen; befahl ihr leise, ihren Schleier nicht zu lüften, bis sie mit ihm allein sey, und unterhielt sich an der Thür mit dem Burgvogt in einer für sie fremden Sprache.

Als dieser das Zimmer verlassen hatte, hob er ihren Schleier auf, umarmte sie zärtlich und sagte: Du bist in deiner Heimath, meine Geliebte, in der du bald unumschränkt gebieten sollst. Verzeihe für jetzt den geheimnißvollen Empfang; er entspricht meiner Liebe nicht, die dich im Glanz deiner strahlenden Schönheit überall als Gebieterin anerkannt zu sehen begehrt. Er führte sie in ein Nebenzimmer, wo eine [260] reich besetzte Tafel stand. Ich will allein seyn! rief er durch die äußere Thür. Du wirst mir erlauben, dir heut selbst aufzuwarten, meine Liebe. Das ist mein Geschäft, sagte Liebegard, Euch zu bedienen, und zeigte sich, als geschäftige Hausfrau, indem sie dem Ritter die Speisen vorlegte, und den Becher füllte.

Sein freundlicher Blick folgte ihren liebevollen Bemühungen mit inniger Lust. Nie habe ich ein so heitres Abendbrod in diesen Mauern genossen, sagte er. Nur die treue, schuldlose Liebe schmückt das Leben in jedem Moment mit frischen Blüthenkränzen. Seine steilen Pfade, seine rauhen Klippen umhüllt ihr Schmuck; wir gehen achtlos vor ihnen vorüber.

Noch nie hatte Liebegard sein Auge so sanft, so liebevoll gesehen; die reinste Empfindung überstrahlte es.

Der aufgehende Mond erhellte die Gegend und lockte die Liebenden in den Blumengarten an der Mauer des Schlosses. Verschleiert führte der Ritter Liebegard die Stiege hinunter. [261] In einem untern Saal standen Hausbedienten, reichgekleidet. In einer blühenden Laube ruhten sie im Duft und unter der sanften Hülle der Mondnacht. Die erhellten Thäler zwischen den Felsenmassen, das Dickicht der Wälder, der Bergstrom, der mächtig durch die Felsen rauschte – alles schien Liebegard reizend. Astolfs Arm hielt sie umfaßt, und sie ruhte, aufgelöst in der süßen Melodie der Liebe, an seiner Brust; jeder Zweifel, jede Furcht schwieg im unendlichen Seyn des Lebens der Liebe. Auf einem lichten Wiesenplan im Thale, ohnfern ihres Ruheplatzes erhoben sich jetzt drei weiße Gestalten. Als der Mond, aus einem Gewölke tretend, hell auf sie schien, erkannte Liebegard, daß es Frauengestalten waren.

Der Ritter rief dem Burgvogt zu, der ehrfurchtsvoll innerhalb der Glasthür im Saal stand – Was sind das für Frauenbilder im Thale? Ihr fragt, edler Herr? erwiederte dieser, mit etwas sonderbarem Ausdruck, der Liebegard eben nicht wohlwollend schien; es sind die Frauen [262] der Fürstin Lilia, die heut in jenen Gehölzen eine Jagd hielt.

Es ist gut, sagte der Ritter, und gab ihm einen Wink, sich wieder zu entfernen. Es ergoß sich gleich einem kalten Eisstrom durch Liebegards warme Brust; aber, sich seiner Bedingungen im ersten Beginn ihrer Liebe erinnernd, wies sie auch diese feindliche Empfindung von sich, und bald verhallte der Mißton in der Harmonie zärtlicher Gefühle.

Nach wenigen Stunden Schlafs erwachte sie von einem wilden Getöse, das die Fenster der Burg erschütterte, und die an den Wänden des Zimmers aufgehängten Waffen des Ritters schlugen klirrend zusammen. Pferdetritte, einzelne Laute rufender Stimmen, der Schall der Jagdhörner drangen an ihr Ohr. Ihr Herz erzitterte, alle Geistermährchen der Kinder-und Ammenwelt umfiengen ihre Phantasie mit Grauen.

Sie schämte sich der kindischen Furcht und wollte den Ritter nicht wecken; aber mit welchem [263] Entsetzen fand sie beim schwachen Lampenschimmer der Vorhalle, daß er von ihrer Seite verschwunden war! Die Furcht fesselte ihre Glieder; unfähig aufzustehen, verbarg sie sich tiefer in ihrem Lager.

Bald hörte sie den Ritter zurückkehren; aber, gestört durch alle Schrecknisse dieses Tages, war ihr jede Aeußerung unmöglich, und sie stellte sich schlafend.

Er drückte einen leisen Kuß auf ihre Stirn und sie schlief ermattet ein. Wilde, verzerrte Fiebergestalten und Träume umdrängten sie; sie erwachte mit einem lauten Schrei, und hörte noch einige ängstliche Worte, die sie im Schlaf gesprochen, in ihrem Innern nachtönen. Mörder – Räuber – der edle Hohe – meine Liebe soll ihn retten. Sie fürchtete ihr Geheimniß verrathen zu haben; tröstete sich aber, als ihr Gemahl in tiefem Schlaf zu liegen schien.

Als der Morgenstrahl ins Zimmer fiel, wurde ihr Herz stiller, und die Gespenster der Nacht, dünkte es ihr, könnten wohl nur Traumgestalten [264] der bewegten Einbildungskraft gewesen seyn, deren sie sich vornahm, gegen den Ritter gar nicht zu erwähnen.

Mit heit'rer Miene trat er am Morgen ins Zimmer; aber mit dem forschenden Blick, der in alle Tiefen ihres Wesens drang, fragte er: Hast du ruhig geschlafen, meine Liebe? Sein ernstes Warnen gegen die leiseste Verstellung stand vor ihrer Seele, nur in voller Wahrheit gegen ihn konnte sie ruhig seyn, und sie erwiederte: Nein, – die Nachtgestalten standen wieder vor ihr – sie erzählte alles, was sie gehört, und mit welchem Grausen sie sich allein gefunden hätte. Vielleicht war's auch nur ein ängstigender Traum, sagte sie, und du wirst mich furchtsam und kindisch schelten. Er hörte sie mit Ernst an, und sagte, ohne weitere Erklärung: Die Natur ist nur eine sichre Freistatt der Liebe; in Schlössern ist's einmal nicht geheuer. Heute muß ich dich um die Gefällig keit bitten, mich in der Gestalt eines Knappen auf einer kleinen Reise zu begleiten. Die Kleider [265] liegen im Nebenzimmer – Geh' und lege sie sogleich an.

Sie gehorchte seinem Befehl und fand ein zierliches Pagenkleid, in welchem sie sich in einem großen Spiegel recht gefällig beschau'te. Ihre Locken flocht sie zusammen und bedeckte sie mit dem Federhut, und ihre schlanke Gestalt zeichnete sich zum zierlichsten in der knapp anliegenden Kleidung. Lächelnd trat sie mit den Worten ins Zimmer: Hier ist euer getreuer Knappe, edler Herr, eure Befehle zu vernehmen! Er empfieng sie mit der innigsten Freude an ihrer Schönheit. Die Reise wurde angetreten; die Diener sahen den neuen Begleiter ihres Herrn verwundert an, und sein holdes Wesen erregte Aller Zuneigung; nur der Burgvogt, schien es ihr, warf listige, übelwollende Blicke auf sie.

Sie mußte dicht neben dem Ritter reiten, und bald zeigte sie sich so geschickt und muthig, daß sie keinem andern zuließ, ihm beim Aufsteigen den Bügel zu halten und alle kleinen Dienste [266] zu erweisen, wie sie es bisher von seinen Knappen gesehen.

Fröhlich unter anmuthigen Gesprächen, ritten sie eine gebahnte Straße durch den Wald hinan. Jetzt leuchteten ihnen die Kuppel eines schönen Gebäudes, und ein Kreuz, was sie zierte, flammend im Golde der Sonne, von der Spitze des Berges entgegen. Der Ritter wurde sehr ernst und nachdenkend und sah endlich mit dem Blicke inniger Wehmuth nach dem Gebäude.

Wundre dich nicht, meine Liebe, sagte er, mich so wehmüthig zu sehen. Jene Mauern umschließen das Theuerste, was ich auf Erden besaß. Dort ist das Grab meiner Mutter. Ich danke ihr mehr, als das gemeine Erdenleben; unter tausendfachen Sorgen und Schmerzen hat sie für mich gelebt und ist – ich fürchte es – als Opfer für das, was sie mein Glück nannte, gefallen. Die Stürme, die meine Jugend ergriffen, wehten verheerend in dem milden Abend ihrer Tage. Zur Versöhnung führe ich mein [267] treues, geliebtes Weib zu ihrer Asche, und der selige Geist wird segnend auf uns ruhen.

Liebegards Augen flossen über in süße Thränen der reinsten Empfindung; aber ein Stachel des Vorwurfs war in ihrem Herzen, den Geliebten, ihm unbewußt, durch Zweifel gekränkt zu haben. Sie hatte jetzt keine Worte, aber der Entschluß eines offenen Geständnisses, und stille Gelübde ewiger Treue beruhigten sie einigermaßen.

Auf einer Seitenstraße durch den Wald kam ein stiller Zug weißgekleideter Mönche langsam und feierlich einher. Eine ehrwürdige Gestalt gieng an ihrer Spitze. Astolf stieg vom Pferd und befahl Liebegard dasselbe zu thun. Es ist der Abt des Klosters, unser treuster Freund, sagte er zu Liebegard, folge mir! Den übrigen Dienern winkte er zu, sich an der Seite zu halten. Astolf beugte sich vor dem Greis, und empfieng knieend den Kuß des Segens von ihm. Nach einigen leise gesprochenen Worten, winkte er Liebegard erbei zu kommen, die voll Ehrfurcht [268] in der Entfernung geblieben war. Sie kniete nieder und segnend legte der Greis seine Hand auf ihre Stirn. Eine Seele, klar, wie der Himmel, leuchtete aus den offenen Augen, aus den stillen Zügen und theilte ihren Frieden jedem offenen Herzen mit. Eine stille Kraft des Glaubens und Hoffens faßte Liebegards inneres Wesen vor diesem Manne. Er schien ihr voll eines Gedankens des Großen und Guten und sein Wirken still, wie das der Natur, die uns in ihren ewigen Kreislauf aufnimmt und alle irdischen Wünsche schweigen macht.

Er entließ die ihm Folgenden und schlug einen schmalen Pfad im Wald ein, auf dem ihm Astolf und Liebegard auf seinen Wink folgten.

Eine kleine Kapelle auf einem Blumenhügel, umgeben von einem Kranz dunkler Bäume, öffnete sich vor ihnen. Der Greis ließ sie ein und sagte beim Eingang: Treue, Eintracht und Duldung bereiten auf Erden zur ewigen Ruhe, deren die genießt, die hier schläft. Ihre Tage [269] waren voll Leiden im Lichte der Erdensonne, aber ihr Glaube blieb bewährt. Die gerettete Tugend des Sohnes, ihre innigste Liebe auf Erden, kann nur die himmlische Freude, in der sie lebt, vermehren, so wie seine Irrwege ihr tiefster Kummer waren. Das Licht der Wahrheit umleuchte eure Pfade, erbarmendste Liebe bezeichne die Spuren eures Wandels, so wird ihr ewiger Frieden euch umschweben.

Vater im Himmel, von dem alles Gute niederkömmt, erbarme dich ihrer! Er sank im stillen Gebet vor einen kleinen Altar. Astolf und Liebegard knieten hinter ihm.

Mit verklärten Zügen wendete sich der Greis nach ihnen, und sagte zu Liebegard: Lerne nun die irdische Hülle kennen, in der der reine Geist auf Erden wandelte.

Unter dem Muttergottesbilde des Altars zog er einen Vorhang weg und ein hohes Frauenbild stand vor ihnen. O, das ist sie, die himmlische Erscheinung, die mich aus meinem Jammer errettete, die mich zu dir führte! rief [270] Liebegard, alle Züge ihrer Traumgestalt in diesem Bilde wieder erkennend. Auf Astolfs Fragen erzählte sie den Traum, der ihr ihn verheißen hatte.

Er knieete nieder vor dem Bilde der Mutter, und rief: Habe Dank, du Selige, Verklärte! daß du rettend auf die Schwachheit des Verirrten niederschautest. Nimm dich des Umgeschaffenen ferner an, und erhalte die Liebe, die du uns schenktest durch ein Wunder.

Der Greis sagte sanft, beide Hände in der seinen haltend: Alle Wunder der Liebe können wir glauben, wenn sie wieder zur Liebe führen. Durch ruhiges Wandeln auf dem Pfade der Wahrheit und Güte machen wir uns ihrer werth; bleiben eins mit den himmlischen Mächten, aufgenommen in den ewigen Lichtkreis ihres Wirkens. Pflichten rufen mich jetzt, doch habe ich mit dir, mein Sohn, noch manches Wichtige zu besprechen. Folgt mir, meine Kinder! Liebegard bleibe in ihrer Verhüllung um uns.

[271] Astolf gieng, im Gespräch mit dem Abt, voraus; Liebegard folgte mit selig befreitem Herzen. Der ihr durch ein Wunder geschenkte Geliebte konnte nur eine Gabe des Himmels seyn. Astolf wendete sich oft mit liebevollen Augen nach ihr um, und als auf dem schmalen Pfad der Greis vor ihnen gieng, reichte er ihr die Hand und sagte: Fürchtest du dich noch vor mir?

Der fieberhafte Zustand der vergangenen Nacht, die Unruhe, die sich ihm vielleicht verrathen, preßte ihr Herz; mit heißen Küssen und Thränen bedeckte sie seine Hand.

Das Mahl wurde in einem Saale bei der Rückkunft aufgetragen; einige Mönche theilten es. Liebegard stand hinter dem Sessel ihres Ritters und war geschäftig ihm zu dienen. Das Gespräch war sinnig und gehaltvoll; eine zwanglose Offenheit und Heiterkeit herrschte. Man sprach von öffentlichen Verhältnissen, von dem Zustand des Landes edel und einsichtig. Man beklagte die Schwachheit eines alten Regenten, der sich durch den Stolz, die Eitelkeit einer [272] jungen schönen Gemahlin zu verderblichen Einrichtungen führen ließ, die den allgemeinen Haß erregten. Mild verwies der Greis jede ängstliche Furcht, alles Feindselige. Jeder stehe fest und sicher in seiner Pflicht, so kann das Ganze nicht gefährdet seyn. Das Aufrechthalten des Guten vertrauen wir sicher einer höhern Hand. Wir sind Diener der Liebe und des Lichts auf Erden, was nicht durch diese geschehen kann, bleibe außer unserm Kreis.

Ein Diener stürzte herein und sagte dem Abt: Die Fürstin wird sogleich hereintreten, sie folgt mir auf dem Fuße und hat verboten, sie anzumelden.

Liebegard bemerkte die größte Bewegung an Astolf. Blässe und Gluth wechselten auf seinen Wangen; er warf einen ängstlichen Blick auf den Abt, dann auf sie. Auch der Abt schien sie mit Unruhe anzusehen. Sie fragte den Ritter leise, ob sie sich entfernen sollte? Das ist unmöglich, erwiederte er. Der Saal hat nur einen Ausgang. Halte dich nur ruhig hinter mir. [273] Nichts Widriges kann dir begegnen, da, wo ich bin.

So eben trat die Fürstin herein; sie warf ihren Schleier zurück und mit Lächeln und Scherzen, ihren unerwarteten Besuch bei dem Abt entschuldigend, nahm sie ihren Platz zwischen ihm und dem Ritter.

Liebegard staunte über die hohe Schönheit dieser Gestalt; nie hatte sie etwas ähnliches gesehen. Als sich der schöne Kopf mit dunkeln Locken, die von einem Netz glänzender Steine gefesselt waren, auf seiner Alabastersäule des zierlichsten Halses aus dem wallenden Schleier erhob; als ihr schwarzes Auge die Gesellschaft überschaute, und auf dem Ritter geheftet blieb im sonnigen, liebreizenden Licht, zuckte es wie schmerzender Pfeil durch ihren Busen, und ihr Herz fühlte sich, wie mit einem Eisstrom umgossen. Der Ritter betrug sich mit kalter, beinahe stolzer Ehrerbietung. Sein Blick, gesenkt, oder auf die Gesellschaft gerichtet, suchte dem ihren nicht zu begegnen.

[274] Ihre Rede schlich sich, wie ein Silberton, zum Herzen, selbst wenn sie Gleichgültiges sagte, und zart und feinsinnig verwebte sie Ernst und Scherz in ihren Inhalt.

Mit kindlicher Demuth wollte sie dem guten Abt begegnen – aber sie wollte es – und er blieb in seinem ruhigen Ernst, in der Haltung, die über das Leben erhaben ist, und die nur herzliche Wahrheit berühren kann. Sie warf nun ihren Falkenblick durch den Saal; er traf auf Liebegard; ein sonderbares Erstärren flog über ihre Züge und eine Wolke zog sich auf ihrer Stirn zusammen. Liebegards Herz zog sich krampf haft zusammen vor diesem Auge, das nicht in stiller Klarheit die Gegenstände aufnahm, und sie zu verzehren droh'te. Aber bald rief sie ihre innere Kraft auf; ihre reine Liebe gab ihr eine allbesiegende Gewalt. Ein verstohlner Händedruck ihres Geliebten, als sie ihm den Teller reichte, gab ihr neues Lebensgefühl, und sie hielt sich mit Fassung an ihrem Platze. Wie könnte glühende Leidenschaft sich [275] einem liebenden Herzen verbergen? Sie fühlte, wie der Fürstin ganzes Wesen zu ihm hinstrebte, in jedem Wort, jedem Blick, jeder leisen, unwillkührlichen Bewegung nur einzig auf ihn gerichtet war. Ihrem Geiste schienen alle Formen zu Gebote zu stehen; ihr Gespräch durchflog alle Gegenstände des Wissens; immer sagte sie Treffendes, und ein Hauch von Schmerz und Trauer, der sich endlich bei der Kälte des Ritters über ihr Gesicht verbreitete, flößte der gutmüthigen Liebegard beinah Mitleid ein. Ich bin wohl sehr gütig, sagte sie gegen das Ende der Tafel, in der Sprache meines Wirths reden zu wollen, die ich schlecht spreche, und fieng an provenzalisch mit dem Ritter zu sprechen. Liebegard fühlte, daß sie der Gegenstand des Gesprächs war, aber der Ritter blieb vollkommen ruhig, und schien ihr scherzend zu antworten. Euer Page, Herr Ritter, scheint unter dem glücklichsten Stern geboren zu seyn; ich liebe das Glück; man sagt, daß man das gerade liebt, was man nicht kennt, sagte sie mit einem Seufzer. Hielt [276] ich's nicht für das höchste Glück, euch zu dienen, flüsterte sie dem Ritter zu, so würde ich euch bitten, mir diesen holden Knaben anzuvertrauen. Wie kann unsre Fürstin sich vergebens nach Glück sehnen, sagte der Abt, da sie Segen um sich her verbreiten kann, da ihr gütiger Gemahl ihr keinen Wunsch versagt?

Lehrt mich das Gute thun, was ich lebhaft wünsche, Herr Abt, erwiederte sie. Ihr tragt hier die schönste Perlenschnur, die ich je gesehen, gnädigste Frau, sagte der Ritter mit sanfterem Ton, als er noch zu ihr gesprochen. Fragt den ehrwürdigen Vater, welches der schönste Schmuck für Fürstinnen ist? Redet, Herr Abt, sagte sie.

Nach meinem Amt, nach meinem, ich darf sagen, wie nach eurem Herzen, sind es die getrockneten Thränen der Armuth, antwortete der Abt. Ich danke euch, daß ihr mir dieses Gefühl zutraut. Ihr sollt euch nicht in mir getäuscht haben, sagte die Fürstin, und lösete die Perlenschnur von ihrem Halse. Erlaubt, Herr Ritter, daß ich sie dem ehrwürdigen Vater durch[277] euren Pagen überreiche. Die Schönheit macht gute Gaben angenehmer. Liebegard näherte sich auf Astolfs Wink, und die Fürstin legte die Perlenschnur in ihre zarten Hände, die sie mit Aufmerksamkeit zu betrachten schien.

Der Fürstin Blicke folgten ihr, als sie um die lange Tafel herumgieng, und glühende Verlegenheit färbte ihre Wangen mit höherem Roth und ergoß allen Liebreiz der Unschuld über das holde Gesicht.

Verwandelt, ehrwürdiger Vater, diese Perlen in die, die ihr für einen würdigern Schmuck für mich haltet, sagte die Fürstin. Der Ritter folgte mit ernstem, beinah unwilligem Auge dem beobachtenden Blicke der Fürstin, und sie schien gekränkt, statt seiner erwarteten Zufriedenheit, nur kalte Achtlosigkeit zu ärnten.

Sie brach auf, sagte ihm noch einige Worte in fremder Sprache, die ein glühender Blick begleitete, und dann auf deutsch: Ich hoffe euch bald beim Fürsten zu sehen; ich weiß, daß Aufforderungen [278] zu Thaten an euch gelangen werden, die euch immer willkommen sind. Der Krieg ist ja euer Element, und sein freundlicheres Vorspiel, die Jagd, wollt ihr ja nicht mit mir theilen. Deshalb seyd ihr auch nächtlichen Ueberfällen ausgesetzt. Ueber den der vergangenen Nacht, muß ich mich wohl entschuldigen; denn meine Jäger haben's zu toll getrieben, und ihr hättet billig sie für das wilde Heer feindlicher Geister ansehen können, das im Sturm durch eure Pforten drang.

Ein Schauer fuhr bei diesen Worten durch Liebegards Glieder, eine nächtliche Wolke lag vor ihren Augen, und sie mußte sich an die Wand lehnen, um nicht umzusinken. Lölin schien ihr so schön, so reizend, so voll heißer Leidenschaft, daß sie wähnte, des Ritters Herz könne diesen Stürmen nicht widerstehen. Sie sah aus dem Fenster, wie sie sich leicht aufs Roß aus Astolfs Armen schwang, und mit Windesschnelle, aber mit nach ihm gerichteten Blicken, davon flog.

[279] Nun wohl, sagte sie in ihrem innern Herzen, beide Arme über ihre Brust legend, was auch kommen mag, der Schatz stiller Liebe und Treue, der hier ruht, wird ihm immer bleiben – möge mein Leben früher verlöschen, als seine Liebe!

Astolfs Auge fand sie sogleich beim Wiederkehren in den Saal; es war herzlich und liebend auf sie gerichtet. Lölin war der Gegenstand des Gesprächs. Bitter tadelten die Mönche ihr Leben, ihren Leichtsinn, ihre Verschwendung und die Schwachheit des alten Herrn, der sie schalten und walten ließ. Eine vorübergehende Wallung hat heut vielleicht zehn Arme gerettet, morgen macht ein toller Einfall wieder das Unglück von Hunderten, sagte ein alter Mönch. Laßt uns das Gute nicht verkennen, wo es sich auch zeigt, nach dem Sinne unsers Herrn und Meisters. Jedes fromme Gefühl ist ein Strahl der ewigen Liebe, sagte der Abt. Die Lockung der Welt dringt nicht in unsre stillen Mauern. Beklagen wir die, die im [280] Strome des Leichtsinns und der Sinneslust getrieben werden, ohne sie zu richten.

Der alte Mönch schüttelte bedenklich das Haupt; aber ihre bösen Zauberkünste, ihr Bund mit den Geistern der Nacht; ihre sinnberaubenden Zaubertränke – O, ehrwürdiger Herr! ihr könntet dem alten Herrn die Augen aufschließen, das Land retten.

Der Abt lächelte. Zauberkraft übt jeder Reiz auf ein Herz, das nur dem Erdenglücke geöffnet ist, und die Herrschaft der Leidenschaften wirkt Wunder für den ruhig Beschauenden. Unser Beruf ist stilles Wirken, Beleben des Glaubens durch Beispiel innerer Reinigkeit und nie versiegender Liebe. Ergeht ein Ruf von Oben, so muß er uns immer bereit zu jedem Opfer finden, doch vorschnell greift nur Eigendünkel und Vorwitz ins Gewebe des Weltlaufs, zerreißt, und vermag nicht, wieder zu verknüpfen. Ein Retter wird kommen, gegen Uebermuth und Druck.

Dem Schwächling und Despoten folgt ein [281] starker Freisinniger, nur der ist der wahrhaft Gütige – Ich bin dessen gewiß, daß er kommen wird – Liebegard ergriff eine selige Ahnung, als sie bemerkte, wie des Abts Auge fest auf Astolf bei diesen Worten ruhte, und er mit gesenktem Blick da stand. Was ist einem liebenden Weibe süßer, als die künftige Größe des Geliebten zu ahnen? Der herrliche Greis gab ihr seinen Vatersegen, und nach einem geheimen Gespräch Astolfs mit ihm, entließ er die Liebenden mit jenem milden Blicke der Liebe, der den Hauch der Hoffnung alles Guten im Busen erweckt und das Gemüth über dieses Leben erhebt.

Liebegard, entschlossen, über alle Furcht, alle kleinen Regungen der Eifersucht zu siegen, athmete frei, als sie durch die Straße des Hochwalds ritten. Der Himmel selbst schien für ihre Liebe zu seyn; der wundersame Traum, der sie so schnell in Astolfs Arme geführt, die Gunst, die der fromme Vater ihr geschenkt – alles gab ihr die fröhliche Gewährschaft, sie [282] werde Astolfs treues, glückliches Weib bleiben. Der Ritter ritt lang, in Gedanken vertieft, neben ihr, dann schaute er ihr ins Auge mit inniger Liebe und sagte: Dein Blick ist rein und wolkenlos, wie der Himmel über uns, meine Geliebte. Nur Wahrheit und Unschuld kann Herzen auf ewig verbinden. Ja, du wirst mein bleiben und treu, wie der blaue Aether immer aus allen dunklen, stürmischen Gewölken, wird deine Liebe mir stets wieder aufgehen.

Das Gefühl des gehegten Zweifels, ihre Leichtgläubigkeit an ein schwankendes leeres Volksgerücht lastete auf ihrem Herzen, aber der Augenblick war so voll Seligkeit; ihre Lippen vermochten kein störendes Wort auszusprechen.

Wie könnte es denn anders seyn, sagte sie, bist du denn nicht das Edelste und Liebenswürdigste, was mir je erschien? Du bist mir ja vom Himmel selbst gegeben durch deiner Mutter seligen Geist, und ewig will ich dich halten!

Sie drückte seine Hand heiß und innig an die zarte Brust.

[283] Auch mir, fuhr er mit weicher Stimme fort, bist du zur zeitigsten, zur rettenden Stunde erschienen, wie mein Herz zwischen Abgründen schwankte, und gern nehm' ich dich als der treuen Mutter Geschenk an. Ich war nicht auf guten Wegen, als ich dich fand, als deine Schönheit mein Herz rührte. Wenn etwas zu uns über die finstre Brücke der Geisterwelt gelangen kann, so ist's die Liebe der Mutter. Ich danke dir, du Heilige, Treue, die mir das Herz gab, das mich zum lichten Himmel des Vertrauens und Glaubens führte.

Unter diesen ernsten und zärtlichen Gesprächen gelangten sie an einen wildverwachsenen Pfad. Mühsam drängten sich die Rosse hindurch und stiegen einen engen Felsenpfad hinab. Jetzt drang durch das dichte Laub der Glanz eines lichten Wasserspiegels ihnen entgegen, und bald gelangten sie ans Ufer eines weiten See's. Ein geschmückter Nachen lag bereit, sie aufzunehmen. Laubgewölbe und duftende Blumenkränze hatten die treuen Diener darüber hingezogen,[284] und Liebegard ruhete unter ihnen auf ausgebreiteten Teppichen an der Seite ihres Ritters. Zwei Knappen führten geschickt das Ruder. So schifften sie in die Purpurgewölke des Abends hinein, die über und unter ihnen im Wiederschein glänzten. Das grüne Ufer einer Insel lag ihnen gegenüber, die im Schmucke der Blüthenbäume als ein Garten aus den Fluthen stieg; der laue Abendwind wehte ihnen ihre Balsamdüfte zu. Ein kleines zierliches Gebäude zeichnete sich gegen einen fernen dunklen Wald. Sie landeten an einem frischen Wiesenteppich, über den ein klarer Quell ihnen entgegen sprudelte; der Vogel sehnender Liebe sang aus den Gebüschen, und der Frühling schaute sie mit seinen tausend Blumenaugen ringsumher an.

Welch' ein entzückender Aufenthalt! rief Liebegard. Möge er dir immer so dünken! sagte der Ritter mit ernster Miene. Sie traten in die auf Säulen ruhende Vorhalle des Hauses. Aus einer nahgelegenen, reinlichen [285] Hütte trat ein alter Mann mit einer etwas jüngern Frau; ein zierliches junges Mädchen folgte. Du wirst, meine Liebe, deine Bedienung bei mir sehr gering finden, sagte Astolf; sie besteht aus diesen guten Leuten, deren Treue ich lang bewährt gefunden. Er sprach in fremder Sprache zu ihnen, sie verbeugten sich ehrerbietig gegen ihre neue Gebieterin, die ihnen der Ritter vorzustellen schien. Das Mädchen öffnete, auf des Rittere Befehl, ein Zimmer für Liebegard. Es war mit Bildwerk und Blumen geschmückt; um das große Fenster schlangen sich Rebengewinde; alle Geräthe waren zierlich und kostbar. Der alte Mann brachte mit den Knappen große Koffer, die allen nöthigen und überflüssigen Frauenzimmerschmuck enthielten, und das junge Mädchen war geschäftig, der neuen Gebieterin zu dienen, und verstand im feinen Aufmerken ihre Winke und Wünsche ohne Worte.

Liebegard sah das Schiff mit den zwei Knappen und dem Alten am jenseitigen Ufer der [286] Insel landen; die Knappen stiegen aus; dieser allein kehrte zurück. Im Zauberhauch der Dämmerung und der aufgehenden Sterne schweiften die Liebenden durch die Blüthenhaine der Insel. Ach, das ist die Heimath ewig seliger Liebe! sagte Liebegard. Möchten wir uns nie daraus entfernen! Es entzückt mich, daß dir dieser Ort gefällt, erwiederte Astolf. Du wirst ihn vielleicht in Jahren nicht wieder verlassen. Ich muß mich noch in den wilden Strom des Verhängnisses stürzen. Mein Leben ist nicht mein, meine Geliebte! Das Gewicht fremden Geschickes hängt daran. Aber meines Herzens Heimath ist bei dir. Aus dem Sturm fremder, kalter Welt wird es sich nur inniger nach dieser hindrängen. Der Menschen Irren und dumpfes Treiben hat in dunklen Schmerzenswogen an meine Brust geschlagen; in der deinen wohnt ein reines, inniges Leben; laß mich in dieser Himmelsklarheit wohnen. Werde nicht irre an der Dunkelheit, die mich umgiebt!

Herr meines Herzens, sagte sie, seine Knie [287] umfassend, ich habe das heiligste Glück durch dich ja erst erkannt; trage ich es nicht nun auf ewig in mir, und nehme es mit hinüber in den Tod?

Freundlich wird uns noch die Sonne dieser Erde leuchten, sagte er sanft, umfaßte sie zärtlich, und in seliger Liebesfülle schwanden alle Schattenbilder der vergangenen Tage und wandelten sich in lichte Rosenwolken.

Sie erwachte nach süßer Ruhe, und fand den Ritter schon gerüstet in der Vorhalle; er schien der ihn umgebenden Familie seine Befehle zu geben. Die Ahnung der Trennung fiel schwer auf ihr Herz. Er führte sie um die Insel, und zeigte ihr im Morgenlicht die fernen Ufer. Waldgebirge umzogen den See und dehnten sich weit hinaus an eine unermeßlich blaue Ferne, die den Horizont umgränzte, und die an manchen Stellen die seltsamsten Formen bildeten. Zwei hohe Thürme ragten, leuchtend im Gold des Morgens aus der waldigten Tiefe. [288] Liebegard erkannte die Burg, wo sie übernachtet hatten.

Unsre Blicke werden sich also doch wenigstens in der blauen Ferne begegnen, mein Astolf? sagte sie. Du wirst meinen Aufenthalt sehen, ich den deinen. Ueberall wirst du vor meiner Seele stehen, süßes Kind, sagte er liebevoll. Oft werde ich zu dir zurückkehren, aber für jetzt muß ich dich verlassen, schon in diesem Augenblicke. Sie sah, wie der Alte den Nachen ablöste, und stand bebend und zitternd; der schmerzliche Pfeil der Trennung wühlte in ihrer Brust. Ich werde den Deinen Nachricht von dir geben; schreibe selbst, deine Einsamkeit zu zerstreuen. Der Alte wird es treu besorgen. Auch mich werden die Worte deiner Liebe überall finden. In wenig Wochen kehr' ich zurück.

Er bat sie, die Sprache der Leute zu erlernen. Diese wird künftig einmal die deine werden müssen, fügte er hinzu. Mutter und Tochter kamen auf seinen Wink herbei. In Allem werden dir diese Leute treu dienen, dir gehorchen; [289] aber fordere nie, daß sie dich über den See führen; das habe ich streng verboten. Sie fühlte, wie sein Herz hoch schlug in der Umarmung des Abschieds, wie es sich mit Schmerzen von ihr losriß. Sey ruhig, sagte er unter herzlichen Küssen. Du bist umgeben von meiner Liebe, wie vom himmlischen Chor der Engel der Unschuld in deiner Seele.

Sein Blick blieb vom Nachen aus auf sie gerichtet, bis die Ferne ihn umwölkte; sie folgte seiner Gestalt, bis sie im waldigen Ufer jenseits verschwand.

Mit Freude fand sie, daß die treuen Doggen bei ihr geblieben waren; sie waren ihre unzertrennlichen Begleiter, ruhten Nachts in ihrem Zimmer, und empfiengen ihr Futter nur von ihr.

Jeder Raum des Hauses füllte sein Bild; es umschwebte sie auf allen Wegen durch die Insel, und stundenlang saß sie am Ufer dem Plätschern der Wogen zu lauschen – Sie wußte, diese würden ihn wieder zu ihr tragen, und es [290] war ihr, als vernehme sie den Ruf freundlich zugewandter Geister aus der blauen Tiefe.

Die gute Liesa, so hieß das Mädchen der Insel, sah sie mitleidig an, blieb still um sie, und deutete nur zuweilen, mit heiterer Gebehrde, auf die Rückkunft des geliebten Mannes. Lebhaft rief die jugendliche Gestalt das Andenken an die geliebte Schwester in Liebegards Seele, und die Sorge um den treuen Oheim folgte. Muß ich denn fern seyn allem dem, was mein Herz füllt? – rief sie oft aus – Müssen im heißen Sehnen alle Lebensblüthen für mich dahin welken? Doch, es ist sein Wille. Sein Bild griff mit aller Liebesmacht an ihr Herz und der Hoffnung belebender Hauch erfrischte es.

Nach Astolfs Wunsch ließ sie sich von den Leuten die Worte ihrer Sprache lehren. Die Liebe beflügelte ihre Fortschritte.

Das Mädchen sang provenzalische Lieder, die Liebegard von Astolf singen gehört; sie sang sie nach, sich mit seiner Zither begleitend. Die Töne, die er gesungen, die Saiten, die er berührt, [291] brachten ihr einen wundersamen Trost seiner Nähe.

Schönere Lieder könnt' ich euch lehren, gnädige Frau, sagte Liesa eines Abends, wo sie allein mit ihr war, da die Eltern im Garten arbeiteten, wenn's der Vater erlauben wollte, das große Buch herbeizuholen; sorgsam verbirgt er es, doch kann ich's Euch wenigstens einmal zeigen.

Geheimnißvoll führte sie Liesa in einen hinteren Raum der Hütte und zeigte auf eine Lade mit zierlichem Bildwerk, die gar nicht zu dem übrigen dürftigen Hausrath paßte. Hier liegt es! Liesa löste einen festverschlungenen Knoten auf und zog mit Liebegards Hülfe einen Pergamentband heraus, der mit mancherlei seltenen Figuren in Gold bemalt war, und viele Bilder und Blätter von der saubersten Schrift enthielt. Liesa las einige Lieder; aber Liebegards Neugierde war aufs höchste gespannt, da sie in den männlichen Hauptfiguren dieser Bilder die größte Aehnlichkeit mit Astolf fand. [292] Ein alter ehrwürdiger Mann auf einem Thron, dem eine Frau mit sehr niedriger Bildung zur Seite saß, erregte ihre Aufmerksamkeit zuerst, denn er hatte ganz die Züge ihres Ritters.

Zwei Söhne, mit den Zeichen des heiligen Kriegs bedeckt, schienen sich zu verabschieden; der ältere hatte noch entschiedenere Aehnlichkeit mit Astolf. Das Gefolge hielt an der Pforte. Der Vater blickte wehmüthig auf den ältesten Sohn und gab ihm seinen Segen; die Mutter schien ganz mit dem jüngeren beschäftigt. Ein zweites Bild stellte ihre Rückkunft vor. Die zwei Ritter standen mit zwei Weibern vor dem alten Fürsten und seiner Gemahlin. Die Frau des ältern Bruders hatte ganz die Züge des Bildes, das sie auf dem Grabmal erblickt, und ihres Traumbildes; sie konnte nicht zweifeln, daß es ihres Astolfs Mutter sey, und daß der kleine, ohngefähr achtjährige Knabe, den sie am Arm hielt, ihn selbst vorstelle. Schöner in Jugendfülle, als auf dem Monument, deutsch und sittsam gekleidet, rührte sie dieses Bild unaussprechlich.[293] Die Frau des zweiten Bruders war in fremder Kleidung sehr prächtig und mit Schmuck bedeckt; kaum der Kindheit entwachsen, drängte sich der blühendste Liebreiz, wie die Rosenknospe aus dem Schoos ihrer grünen Blätter. Ihr schwarzes Auge hieng an dem Ritter – es war unverkennbar Lilia in der ersten Blüthe der Kindheit. Astolfs Mutter stand mit sittig gesenktem Blick vor dem alten Fürsten, der sich liebevoll zu ihr, und von der Fremden abwendete. Ihr Gemahl und die Fürstin schienen deshalb unwillige Blicke gegen einander zu wechseln.

Auf dem dritten Bilde brachten Jäger den entseelten Leichnam von Astolfs Vater. Der alte Fürst stand im bittern Schmerz, und untersuchte die Wunde in der Brust; sein Weib lag über den Leichnam hingeworfen; der schöne Knabe hielt den einen herabgesunkenen Arm, die Augen fest auf des Vaters Antlitz gerichtet, als wollte er ihn ins Leben rufen.

Die Fürstin und der Bruder standen kalt, [294] wie unheilbringende Geister darneben, und die Blicke des umstehenden Hofgesindes waren zweifelnd und bedenklich auf sie geheftet. Lilia stand mit abgewendetem Gesicht.

Noch ein andres stellte den Leichenzug des alten Fürsten vor. Die Fürstin war im Wittwenschleier, und der Ritter und Lilia standen mit den Insignien der Herrschaft und von fürstlicher Pracht umgeben, während im Vorgrunde Astolfs Mutter mit dem schönen Knaben in einer wilden Gegend kniete, von einem Wächter begleitet, der mehr traurig, als grausam schien. Sie richtete ihr Auge nach dem heimathlichen Schlosse, hielt den Knaben an ihre Brust gedrückt und die gefalteten Hände gegen Himmel. Auf dem letzten Bild sah sie den blühenden Knaben neben einem alten Einsiedler, der ihn lesen lehrte; die Mutter saß dabei und spann. Die wilde Gegend glich dem fernen Ufer jenseits der Insel.

Astolfs vollkommene Schönheit gieng schon aus den jugendlichen Zügen auf.

[295] Liebegard konnte sich von dem Bilde nicht losreißen. Sie konnte nicht zweifeln, daß diese Blätter die Familiengeschichte ihres Gemahls enthielten.

Folgendes Gedicht in deutscher Sprache, das auf der letzten Seite stand, gab ihr den vollkommenen Aufschluß:


Der Frauen Tücke stürzte dies Geschlecht;
Der Frauen Sitte schützt nur Gut und Recht.
Vergebens schirmt des Tapfern Arm das Land,
Wo herrscht im Hause Untreu, Unbestand.
Die Tapfern weichen, wo die Treue weicht,
Wo List und böse That im Finstern schleicht.
Es steht ein morscher Stamm vom Sturm zernagt –
Die Eiche, die sonst himmelan geragt.
Entsühnung ward verheißen inn'gem Fleh'n:
Ein neuer Sprößling werd' einst aufersteh'n,
Der schwacher Anherrn Fluch in Segen kehrt,
Bleibt seines Herzens hohe Kraft bewährt.
Kann er der Lockung böser Lust entflieh'n,
Soll treuer Liebe Segen ihn umblüh'n;
[296]
Ein neu Geschlecht ersteh'n von Ruhm bekrönt,
Das Ahnenschuld durch Treu und Kraft versöhnt.

Bin ich Arme zu diesem hohen Glücke ausersehen! rief Liebegard unter heißen Thränen, o so schau herab, du Selige, und all ihr Heiligen des Himmels sendet Muth und Stärke auf das Herz, das ja nichts kann, als – lieben!

Liesa sah die Eltern von fern zurückkehren, und bat Liebegard dringend, sich zu entfernen mit dem Versprechen, ihr das Buch wieder zu zeigen.

Das Unglück seines Geschlechts, der hohe Stand Astolfs erfüllte ihre Seele mit Angst und tausend Sorgen.

O, er verdient ein Fürst zu seyn! wenn das heißt: die Macht zu edlen Thaten, des Wohlthuns und der Liebe zu besitzen, rief sie [297] aus; aber, wie wählte er mich aus der Verborgenheit und Armuth? Wie wür den sich nicht Fürstinnen an die Hand, an das Herz drängen, wo alle Seligkeit des Lebens liegt? Kann er, wird er mein bleiben? Süße Erinnerungen der Stunden der Liebe umschwebten sie gleich Engeln des Trostes und der Hoffnung. Lilia's Andenken flößte ihr mehr Mitleid, als Furcht ein. Sie hatte sie so heißliebend gesehen und doch stand auch sie, als ein feindliches Wesen, in Astolfs Geschick.

Bald nah'te die Zeit, in der sie auf seine Wiederkehr hoffen durfte.

Der alte Fährmann fuhr oft über den See. Liebegard harrte seiner Wiederkunft am Ufer, und wenn der Nachen in der Ferne die Wellen durchschnitt, bildete sich ihr glühendes Liebesehnen die Gestalt des Geliebten im Duft der Ferne. Mit Schmerz sah sie das Bild zerrinnen, wenn der Nachen heran kam, den grauen Alten allein tragend. In den Nächten lockte sie das Plätschern der Wellen ans Ufer; im [298] Hauch des Windes wähnte sie, seiner Stimme Töne zu vernehmen. Am Ablauf der Zeit der verheißenen Rückkehr empfieng sie ein Briefchen. Es enthielt Zärtlichkeit und Liebe; aber der Schluß sagte: Ehre und Pflicht halten mich noch von dir entfernt; nur diese vermögen es.

Durch Geduld und Ruhe strebte sie, seiner werth zu seyn; übte sich in der Sprache, im Spiel und Gesang und arbeitete ein schönes Reitzeug.

So oft Liesa allein war, saß sie bei dem geheimnißvollen Buche. Die Bilder umgaben sie oft gleich lebendigen Gestalten; besonders erschien ihr die Mutter als mit einer Glorie umgeben. Mit Liesa's Hülfe lernte sie viele der Lieder verstehen und die Geschichte wurde ihr immer klarer. In einer Reihe von Romanzen, Liedern, die ihren Seelen-Zustand aussprachen, und in herzlichen Gebeten und Anrufungen der Heiligen hatte die edle Frau die Geschichte ihres Unglücks dargestellt. Räthselhaft [299] für ein fremdes Auge, aber leicht verstehbar für Liebegards Herz.

Mutter und Knabe sollten ins Elend verwiesen werden, aber der mitleidige Wächter vollführte den grausamen Befehl nicht, sondern brachte sie zu einem frommen Einsiedler in einen tiefen Wald. Ein Freund sendete ihr Gold und die Kostbarkeiten ihres Hauses, und sie erkaufte die Insel und die Burg im Walde, wo Astolf heranwuchs.

Der Freund beschwor sie, das tiefste Geheimniß zu beobachten, da ihr und des Sohnes Leben daran hienge; sie lebten unter fremdem Namen. Astolfs hochstrebender Sinn, sein Muth, der bis zur Tollkühnheit gieng, bewogen die Mutter, ihm selbst seinen Stand zu verbergen und seinen frühesten Jugenderinnerungen eine andere Deutung zu geben. Ein dunkles Gefühl, daß er zu etwas Hohem und Großen geboren sey, war aber nicht in dem Jüngling zu vertilgen; das Siegel der Herrschaft war ihm [300] auf die Stirn gedrückt, schien es. Früh versammelte sich ein Kreis um ihn, den er durch Liebe gewann, und dem er ein vorleuchtender Stern in muthigen Thaten war. Unerkannt und ihm selbst unbewußt, zog er ans Hoflager des Oheims, erwarb seine Gunst und erregte Lilia's glühende Leidenschaft durch Schönheit, Tapferkeit und edle Sitte. Der Mutter Angst schien hier aufs höchste gesteigert. Den Netzen der Verführung und List, die ihn umgaben, wollten ihn ihre Warnungen und heißen Gebete entreißen. – In den letzten Liedern schien Astolf auf einer Reise gewesen zu seyn zu einem Fürsten, ihrem Verwandten, wo er eine glänzende Aufnahme gefunden. Sie selbst bereitete sich zu einem Unternehmen für ihn vor, wo sie wahrscheinlich ihren Tod gefunden. Das warnende, prophetische Gedicht, das Liebegard zuerst gelesen, schien der letzte Erguß ihres Herzens an den Sohn ihrer Liebe.

Eines Abends hörte sie das Geläute eines Glöckchens aus den gegenüberliegenden Wäldern. [301] Freudig trat der alte Schiffer zu ihr und deutete ihr an, es verkünde die Ankunft des Herrn. Mit welchem Entzücken sah sie den Nachen auf den Wellen hingleiten, der ihn zu ihr bringen würde! Sie eilte zum Ufer. Wie beneidete sie die Vögel um ihre Schwingen, die sie über den Wasserspiegel leicht hintrugen! Bald erspähte ihr Auge auf dem rückkehrenden Nachen die Gestalt des Geliebten. Die Abendsonne umglühte seinen Helm, wie bei seiner ersten Erscheinung. Ihr Herz schlug hoch, ihr Blick umhüllte sich; ihr Bewußtseyn schwand. Athemlos, in süßer Verwirrung der Liebe, erwachte sie zum Leben an seiner Brust. Glaube, daß meine Sehnsucht der deinen gleich ist! sagte er sanft. Das Glück muß ja immer kämpfen mit den rohen Elementen des Lebens, fuhr er fort, als er sie zum Hause geleitete. Auch jetzt habe ich ihnen nur wenige glückliche Tage abgerungen; doch bald werde ich dich in den Zeiten der Trennung nicht mehr allein wissen; deine Gertrud wird bei dir seyn. Ich habe einen Boten[302] gesendet, und unter sicherm Geleit wird sie zu dir kommen.

Ist mein guter Oheim todt? fragte sie schmerzlich bewegt. Ja, mein süßes Kind, und tröstend war es mir, daß ich jetzt zu dir eilen konnte. Sie weinte an seiner Brust um den treuen Versorger ihrer Kindheit; mild trocknete er ihre Thränen, und suchte ihr in seiner Liebesfülle den Schmerz der Natur vom Herzen zu lösen.

Ich habe nur dich, sagte sie, ihn fester umschlingend. Ach, und wenn ich auch eine Fürstin wäre, von Glanz und Glück umgeben, hätte ich doch immer nur dich, und, ohne dich, nichts in der Welt!

Auch ich habe in dir das Liebste auf Erden, erwiederte er; nur der Liebe Himmelsglanz erhellt das dunkle Daseyn des Menschen – doch, wie fällt dir die Fürstin ein, meine Liebe? Das Geheimniß des Buches entschlüpfte ihren Lippen mit der Bitte, Liesa nicht zu verrathen.

Wirst du deinem armen Mädchen immer [303] angehören können, fragte sie sanft, da du zum Ruhm und Glanz des Lebens geboren bist? Der Alte hat nicht wohl gethan, sagte er etwas ernst, meinen Befehl des Geheimnisses nicht sorglicher zu befolgen und die Last meines Geschickes auf dein unschuldiges Herz zu wälzen.

Mein treues, geliebtes Weib bist du, mein auf ewig. Du siehst jetzt ein, daß Sorgen für Andre mir obliegen, daß ich nicht einzig mir selbst angehöre, deshalb muß ich ihm verzeihen. Du sollst alles wissen, was mich angeht, und womit ich selbst erst nach dem Tode der treuen Mutter bekannt wurde. Nur diesmal laß mich noch schweigen, und nichts Trübes und Fremdes mische sich in den Becher der Liebe, dessen wenige Tropfen uns jetzt vergönnt sind.

Es herrschte eine sanfte Trauer über ihrer Zärtlichkeit, in der sich die Tiefe und Innigkeit ihrer Gefühle gleichsam selbst mehr ermaß, so wie einzelne Lichtblicke an einem grauen Tage uns die Gegenden deutlicher und näher bringen, als immerwährender Sonnenglanz.

[304] Am nächsten Abend saßen sie bis zu einbrechender Nacht in einer Bucht, von alten dichten Bäumen umschattet. Liebegard überraschte hier den Geliebten mit ihrem süßen Gesang in den erlernten Liedern. O, heilige Unschuld! rief er entzückt aus, du allein übst unfehlbare Gewalt über des Menschen Herz aus, in Fülle und Reinheit des Sinnes, in Wort und Tönen. Wie elend sind die Weiber, von denen dein Reiz entwich!

Vom reinen Aether der Liebe umwogt, unterhielten sie sich in süßer Vergessenheit alles Andern, als wenn es nichts, als den Himmel über ihnen gäbe mit seinen heiligen Sternenaugen – als nah bei ihnen eine Stimme aus dem dichten Gebüsch des Ufers drang; sie sang folgende Worte:


Wenn in der Liebe süßem Zauber
Das Herz sein Alles fand,
Wenn es im großen Bund der Wesen
An Eines einzig nur sich band:
Zerreiße dann o Lebensfaden
Durch kalter Untreu' Hand!

[305] Astolf sprang auf – lassen mir die täuschenden Geister jener Zauberwelt auch nicht einen Augenblick des reinen Genusses! rief er heftig. Müssen sie mich ewig verfolgen! Heftig schloß er die bebende Liebegard an sein Herz. Du bist mein, vor dem Gott der ewigen Sterne, und sollst es bleiben! Sie wünschte zu vergehen in Lust und Schmerz, ehe ein feindseliges Geschick, dessen ahnende Nähe kalt ihren Busen ergriff, sie aufs neue von dem Geliebten trennte.

Schweigend legte er ihren Arm in den seinen, und als sie den Hügel des Hauses hinanstiegen, sahen sie weiße Gestalten abwärts dem Ufer zu schweben und hörten bald das Plätschern der Ruder durch die stille Nacht über den See.

Liebegard fragte nicht, suchte selbst, ihrem ersten Versprechen gemäß, alle Zweifel zu verbannen, und, gerührt durch den aufgeregten schmerzlichen Zustand ihres Geliebten, strebte [306] sie, in süßer, hingebender Liebe, sein Herz zu besänftigen.

Aber die Stimme schien ihr nur zu wohlbekannt, und wie ein düstrer Geisterlaut griffen diese Töne durch alle zarten Fäden ihres Lebens.

Vergiß, du Holde, sagte er am Morgen beim Abschied, was du vernommen. Keine feindselige Gewalt soll das Heiligthum unsrer Liebe bestürmen. – Ach, ich liebe dich ja unendlich, ewig! sagte sie, unter den Küssen des Abschieds.

Die Familie der Insel schien den Befehl erhalten zu haben, ihre Aufmerksamkeit für sie zu verdoppeln. Liesa blieb immer um sie, sah sie, ängstlich fragend, an, und gab oft Zeichen von Geisterfurcht, ja sie schauderte bei jedem ungewohnten Laut zusammen.

Innige Liebe ist sich, selbst unter dem bittersten Schmerz, noch ein Quell des Trostes, des Muthes. Wie sie Unglaubliches fürchtet, [307] hofft sie es auch. Und, wenn es auch wäre, was ich nicht zu denken wage, sprach sie bei sich selbst, wenn eine andere Liebe sein Herz umstrickte, so muß ich ihn dennoch lieben, so kann ja nur Treue den Zauber lösen; ich hege sie bis zum Tode. Doch nagte in andern Momenten das Unglück an ihrem Blüthenleben, denn die Liebe will auch nur Eines wieder einzige Liebe seyn.

Die Einsamkeit, kein glücklicher Traum mehr, lag schwer auf ihr; sie zählte die Stunden nicht mehr nach seiner Wiederkehr, sondern als Zeit, die kalt und gestaltlos an ihr vorüber strich. Die Bilder der unschuldigen Jugendzeit, mild, ohne Leidenschaft, ohne verzehrenden Schmerz und Lust, lagerten sich um sie her, und die Schwester stand auch als ein Gegenstand des Sehnens vor ihr im Blau der fernen Gebirge, die den Horizont umzogen. Wo wird sie seyn? rief sie oft in die Lüfte.

Ein kleiner Nachen, der über die breitere Seite des See's herankam, setzte sie eines [308] Abends in Verwunderung. Er nahte; ein Schiffer durchschnitt die Wellen mit schnellen Ruderschlägen, und sie und Liesa erkannten bald, daß der Nachen nur einen Knaben trug, der bald rudern half, bald ungeduldig sich von einem Ende des Nachens zum andern bewegte. Lange blonde Locken umwallten seine Schultern; seine Bewegungen waren leicht und anmuthig. Nicht erwartend, daß der Schiffer den Nachen befestigt, sprang er rasch über Bord, lief mit ausgebreiteten Armen auf Liebegard zu und warf sich an ihren Hals. Sie schaute ihm ins Auge, und fand sich mit Entzücken in den Armen der kleinen Gertrud. Diese legte den Finger auf ihren Mund, Schweigen gebietend, lief, dem Fährmann einen reichlichen Lohn zu geben, der gegen ein allgemeines Verbot des Herrn des Ufers, gewagt, sie überzuführen, und ließ sich nun von der beglückten Schwester in die Wohnung geleiten.

Warum dieses Geheimniß und dieses Verkleiden? fragte Liebegard nach den ersten herzlichen [309] Begrüßungen. Mein Gemahl selbst hat mir deine Ankunft angekündigt und versprochen, dich zu mir zu führen.

War es auch seine Absicht, mich dir wieder zu geben, sagte Gertrud, so fürchte ich doch, ich eile ihr zuvor.

O, meine Liebegard, nicht Alles ist, wie es seyn sollte! Beim Tode des guten Oheims wäre ich verlassen gewesen, ohne den treuen, alten Ritter Waltram. Er vertrat Vaterstelle an mir, und bitter bereu'te ich meine leichtsinnigen Scherze über seine freilich ungünstige Gestalt als deinen Bräutigam. Ein edles Herz schlägt oft unter einer häßlichen Hülle, und die Schönheit überdeckt oft ein treuloses. Die wenigen Diener eilten den neuen Besitzern zu; es waren eigennützige Leute, bei denen ich mich nicht aufhalten konnte. Meine Briefe an deinen Gemahl blieben ohne Antwort. Waltram nahm mich auf, rettete von der geringen Habe, was mir der Oheim zugedacht, und sendete mich unter sicherm Geleit zu seiner Schwester, die in [310] einer entfernten Gegend wohnte. Sie ist eine stattliche Rittersfrau; gutmüthig, wie er selbst, nahm sie mich, wie eine Mutter auf; sie lebt in reichlicher Umgebung, und wohnt in einer schönen Burg, deren Thore gastlich allen Reisenden geöffnet sind, die auf jener Straße einherziehen. Ein Ritter, den sie beherbergte, sprach beim Abendbrod viel von einem Turnier, welches in einer benachbarten Stadt morgen gehalten werden sollte. Die schöne Fürstin Lilia wird den Dank austheilen, sagte er; sie belebt jede Gegend, die ihr Fuß betritt, mit Festen und Lustbarkeiten aller Art. Der alte Herr versagt ihr nie einen Wunsch; sie beherrscht ihn unumschränkt. Man sagt, sie kenne Zauberkünste; denn sie ist aus dem Orient mit ihm gekommen. Wundersam ist ihre Schönheit; aber Tücke und Stolz überschatten das schöne Gesicht, und man schaut sie mehr mit Verwunderung und Furcht an, als mit Liebe und Entzückung. Sie liebt einen Ritter des Landes mit grenzenloser Leidenschaft; dieser gebietet über [311] sie, wie sie über ihren Gemahl. Morgen wird er im höchsten Glanz erscheinen; denn er kehrte siegreich aus einem harten Kampf, wo er einen feindlichen Ueberfall von der Grenze des Landes abhielt. Ihm zu Ehren ist dieses Ritterspiel angeordnet. Gewiß wird er den Dank von den schönen Händen der Fürstin empfangen; denn er ist im Ernst und Spiel der Waffen der tapferste, wie der gewandteste unter allen Rittern.

Ich zeigte Neugier, das Ritterspiel mit anzusehen, und meine gütige Frau Guda, so heißt meine Pflegemutter, war gleich bereit, mich hin zu führen; der Ritter erbot sich zu unserem Geleit. Mich erfreute das Leben und der Glanz des Festes. Frau Guda wurde ehrenvoll aufgenommen, und wir saßen auf den ersten Plätzen unweit der Fürstin. Sie erschien mit einem goldgewürkten Schleier bedeckt; der alte Herr führte sie die Stufen hinan, und saß demüthig an ihrer Seite, ihrer Befehle harrend. Als sie den Schleier zurück warf, stand Alles wie geblendet von ihrer Schönheit, durch den reichsten [312] Schmuck erhöht. Ihr leuchtendes Auge drang in die Ferne und ihre Lilienhand, mit kostbaren Spangen und Ringen geziert, lag auf den zu vertheilenden Preißen, die reichgekleidete Diener vor ihr hingelegt hatten.

Der Kampf begann. Ein wunderschöner Ritter, dessen edle Gestalt und reiche Rüstung Aller Augen auf sich zog, erschien; sie kämpften mit geschlossenen Visiren. Das ist der Geliebte der Fürstin, flüsterten mehrere Stimmen hinter uns; seht, wie die schönen Augen der Fürstin ihn verfolgen! Der Ritter war wunderbar tapfer und geschickt; er überwand alle Gegner. Laut wurde ihm der Preiß zuerkannt. Lilia hatte oft zwischen Furcht und Freude die Farbe gewechselt; ihre Brust wallte hoch unter der Last des Geschmeides. Der alte Herr nickte Beifall zu allem, was sie that und sagte. Die Ritter nah'ten nun mit geöffnetem Visir dem Balkon der Fürstin. Denke dir meine Verwunderung, mein Entsetzen, als ich in dem geliebten Ritter der Fürstin unsern Ritter, deinen Gemahl, erkannte.[313] Kaum konnte ich mich verbergen, doch that ich's deinetwegen, um der ganzen Sache auf den Grund zu kommen; ja ich zog mich zurück, als er seinen Blick auf den Balkon und die glänzende Reihe der zuschauenden Frauen warf. Das muß ich sagen, er sah stolz und ernst aus, und empfieng den Dank als etwas, das ihm gebühre; aber Lilia war voll hingebender Liebe, hatte nur Augen für ihn. Alle Welt bemerkte es, wie sie, in Vergessenheit ihrer selbst, als er ihr die Hand dankend küßte, die seine nicht loslassen konnte, und kaum die liebedürstenden Lippen zurückhielt, einen Kuß auf seine Stirn zu drücken. Mit welchem Schrecken endigte diese Scene! Als die Trompeten ertönten, den Sieger zu begrüßen, sank der alte Fürst, neben Lilia, vom Schlagfluß getroffen, sinnlos um. Alles eilte ihm zu Hülfe; man trug ihn hinweg; Lilia folgte, die Hände ringend, und jeder Fremde suchte bestürzt, nach seiner Heimath, aus dieser bangen Verwirrung zu kommen. Der Fürst sey wieder zur Besinnung [314] gelangt, sagten uns die aus der Hofburg am Abend Zurückkehrenden, doch zweifelten die Aerzte, daß er den nächsten Morgen erleben könne. Lilia und wenige Vertraute kämen nicht von seiner Seite, um seinen letzten Willen zu vernehmen.

In allen Kirchen flehte man um die Rettung des Fürsten. Man liebte ihn nicht; Lilia's leichtsinnige Verschwendung hatte ihm die Herzen entfremdet; aber man fürchtete neue fremde Herrschaft.

Trauergeläute weckte uns am frühen Morgen, das Hinscheiden des Herrn des Landes verkündend. Das unruhige, verwaiste Volk drängte sich zur Hofburg; ich mischte mich mit Frau Guda auch darunter.

Lilia erschien in Trauerkleidern auf dem Balkon; der Fürstenhut wurde ihr vorgetragen, und der Kanzler las den letzten Willen des Regenten ab, in dem Lilia zur Erbin des Reichs erklärt wurde. Eine stumme Bestürzung herrschte. Als aber der Kanzler ferner ablas, daß der [315] Ritter vom finstern Wald zum Feldherrn erklärt werde, erscholl ein allgemeiner Jubel. Er, er kann uns retten, vernahmen wir in tausend Stimmen um uns her. Er ist edel und gut; möchte er unser Fürst seyn! flüsterte es leiser nach. Als Lilia ihm den Feldherrnstab vom sammtnen Kissen überreichte, er tönte der Jubel aufs neue. Freundlich das Volk grüßend und ihm dankend, trat der Ritter hervor. O, Liebegard, hättest du ihn sehen können! Er war schön, wie ein Engel des Lichts, verklärt in der Hoffnung und im Vertrauen des auf ihn schauenden Volkes.

Ich verehre den Willen unsers entschlafenen Herrn, sagte er, und indem er mit der Rechten nach dem Schwerte an seiner Seite griff, nur für eure Wohlfahrt gelobe ich, dieses Schwert zu ziehen.

Lilia stand bleich, mit gesenktem Blick da: sie schien den Mißmuth des Volkes gefühlt zu haben; doch grüßte sie mit Freundlichkeit, ehe sie sich entfernte. Frau Guda hatte viele Freunde [316] in der Stadt, die, sie zu besuchen, kamen. Es waren ehrwürdige Männer darunter, die verständige Gespräche führten. Alle fanden die Lage des Landes bedenklich, und achteten und liebten Lilia gar nicht. In leichtsinniger, thörichter Hand wird der Herrscherstab zur Geißel der Völker, sagt der eine. Der andere fürchtete feindlichen Ueberfall eines Ansprüche habenden Nachbars. Nur eines kann retten, riefen mehrere, wenn der Ritter vom finstern Wald ihr Gemahl und unser Herrscher wird. Er scheint kalt gegen sie, sagte der eine, doch weiß man sonst, daß sie ihn in ihren Banden hielt; und wer kann's ihr verdenken, sich halten zu lassen von solcher Schönheit, solcher Liebe und einer Krone? Ich wollte zu deinem Gemahl eilen, denn immer glaubte ich an seine Treu' und Tugend, wenn ich in sein himmlisches Antlitz sah, als er, umringt vom Kriegsvolk, durch die Straße zog. Ein Eintretender erzählte, der Ritter führe das Heer an die Grenze, um gegen jeden Ueberfall gedeckt zu seyn. Lilia habe ihn nicht[317] lassen wollen; ganz in ihre Leidenschaft versunken, wolle sie nur ihn, und kümmre sich wenig um's öffentliche Wohl. Aber fest und ernst habe er darauf bestanden, die Pflicht seines Amts zu erfüllen. Bald wüthe sie, bald schwimme sie in Thränen, und mehrere schlecht gesinnte Räthe drängten sich schon um sie, mit falschen verderblichen Rathschlägen. Man sprach von ihren Untugenden, daß Leidenschaft sie schon zu grausamen Handlungen verleitet, daß mehrere Frauen als Opfer ihrer Eifersucht verschwunden, wahrscheinlich heimlich gemordet worden. Ach, Liebegard, mein Herz zitterte für dich! Ich vertraute Frau Guda unter dem Siegel heiliger Schwüre alles an. Wir fragten die Burg deines Gemahls aus, und sie war mir behülflich, zu dir zu kommen. O, entfliehe jenem schrecklichen Geschick, geliebte Schwester! rief Gertrud, sie mit heißer Angst umfassend. Ist der Ritter treu, so wird er dich finden, wo nicht – ihr fehlte der Muth, mehr zu sagen, denn blaß und starr, wie eine Marmorstatue stand Liebegard [318] vor ihr, im Widerstreit tausendfacher Gefühle, die bei dieser Erzählung an ihr armes Herz voll Liebe schlugen. Sie hatte keine Thränen; wie eine Eisfluth umdrängte die Furcht, ihn zu verlieren, das warme Leben ihres Busens; der Krampf des Todes drohte es zu vernichten.

Mit schwacher Stimme sagte sie: Ich habe Vertrauen und Unterwerfung unter sein geheimnißvolles Daseyn gelobt, Gertrud, ohne seinen Willen kann ich nicht fliehen. Und wohin? Der Tod ist überall für mich, da, wo er nicht ist. Doch wird es vielleicht mein eigenes Herz fordern, ihn nicht wieder zu sehen, und darüber brechen. Soll ich da stehen zwischen ihm und seinem Ruhm und seiner Größe und dem auf seine Tugend hoffenden Volke? An seine Untreue kann ich noch nicht glauben. O, kenntest du alle Zaubertöne seiner Liebe! Wenig Worte empfieng ich in den letzten Zeiten von seiner Hand – es ist wahr – aber in solchem Drang der Begebenheiten ist ein Gedanke der Liebe schon viel. In tiefes Nachdenken versunken, [319] saß sie auf ihrem Lager, und bat die Schwester, zu ruhen; der Morgen werde ihre Seele zu Entschlüssen stärken.

Es war Mitternacht, als ein Geräusch um die Wohnung her entstand; die Wellen schlugen aus Ufer; die Doggen bellten ungestüm. Gertrud umfaßte sie ängstlich. Verzweifelnde Liebe kennt keine Furcht; mild suchte sie die Kleine zu trösten: Vielleicht ist's eine Botschaft meines Gemahls, vielleicht er selbst! Die Thür öffnete sich, und im schwachen Schimmer der Lampe sahen sie eine weiße Gestalt eintreten. Die treuen Doggen wollten auf sie los fahren; Liebegard zähmte sie mit Mühe; zu ihren Füßen lagen sie murrend, bereit sie zu vertheidigen. Ach, es ist der Tod! rief Gertrud. Lilia läßt dich ermorden.

Thörichtes Kind, sagte eine sanfte, schmeichelnde Stimme, kennst du denn Lilia? Die Arme, die mit der tiefen Herzenswunde nur kommt, Leben und Athem zu erfleh'n, sinnt auf keinen Mord. Sie näherte sich, schlug den [320] Schleier zurück, und Gertrud und Liebegard standen, geblendet von ihrer Schönheit, die der Zauber der Wehmuth und Milde noch erhöhte. Liebegards reines Herz konnte die nicht hassen, die ihren Einzigen mit so schmerzlicher Liebesfülle umfaßte.

Du besitzest, holdes Mädchen, meinen kostbarsten Schatz, ohne den ich fürwahr nicht leben kann, sagte Lilia. Deine Schönheit, deine Jugend, deine Sanftmuth rühren mich; ich beweine dich, aber ich muß ihn dir entreißen! O du Glückliche! in stiller Einsamkeit sein zu seyn; seinem Willen, seinen Wünschen einzig zu leben – die traurige Bürde der Herrschaft, die ich trage, des todten kalten Glanzes, der liebeleeren Umgebung – kenntest du sie, du würdest mich elend nennen. Ein Strahl seiner Liebe umhellte mein Daseyn – sein liebendes Auge, als ich zuerst hinein sahe, wurde die Sonne meiner Tage, des Mondes Silberlicht auf den nächtlichen Pfaden; seit es sich kalt von mir wandte, umgiebt mich nur Finsterniß. Ist [321] seine Liebe für immer dahin, so nimm mich auf, ewige Nacht! Sie zog einen Dolch aus ihrem Gürtel, beschaute ihn mit starrem grassen Lächeln und drückte ihn dann an ihre Brust. Sieh', den kalten, sichern Tod trag ich immer bei mir; zerschnitte seine Schärfe in der zitternden Hand nicht den Faden des Lebens, so verwandelt doch sein kleinster Riß alles Blut in ätzendes Gift, daß das Gewebe der Nerven und Adern zerreißt. Es ist ein theures Geschenk meiner alten Griechischen Wärterin, das mich aus jeder Gefangenschaft befreien sollte. Ja, es soll mich aus der schwersten befreien – du allein kannst helfen – sage, daß du mir ihn wiedergeben willst! Ihre Arme hielten Liebegard krampfhaft umfangen, während sie den Dolch hoch in der Rechten hielt. Gertrud wollte in Verzweiflung die Schwester losreißen, und die Hunde sich auf Lilia werfen. Liebegard gebot Frieden und sah Lilia mit dem reinen Himmelsblick der Unschuld an. O wie fern bist du, Arme, von der Liebe, die nur die Mächte des Himmels [322] anruft. Lilia steckte den Dolch ein und sagte, in sich kehrend, mit gesenktem Blicke: Glaubst du, es würde meine Liebe krönen, dich zu morden? Nein, ein Opfer kleinlicher Eifersucht verschmähe ich. Die Unschuld ist ein schöner Schmuck – sie schaute dabei in Liebegards Augen – der Spiegel deiner Seele ist rein; bei mir war es auch einst so; für ihn habe ich Himmel und Erde verloren. Ich heiße: die Falsche, die Böse, weil ich alles daran setzte, ihn an mich zu binden. Ich bin es nicht, bin nur die Arme, die sich selbst in seiner Liebe verlor. Mädchen, das Glück Vieler hängt an der Kraft deines Herzens. Gieb ihn auf! Stehe nicht als ein böser Engel zwischen ihm und dem Glück des Volks; sey, was deine Engelsgestalt verkündigt, ein Geist des Segens der Liebe!

Das war die tödtlich verwundbare Stelle in Liebegards Herzen, das unter allem Schmerzlichen dieses Auftritts doch in hoher Seligkeit geschlagen, da sie sich selbst in Lilias Verzweifelung als die Geliebteste Astolfs erkannte. [323] Bebend sagte sie: Wenn er mein ist, wie könnte ich ihn geben? – Er ist sein eigen, der Hohe und Herrliche! Er wähle frei – alle heiligen Rechte gebe ich auf. Ists sein Wille, so verschließen mich finstere Klostermauern, nur für ihn zu beten, zu sterben – aber nur sein Wille soll mich leiten.

Wehe mir, rief Lilia aus schwer gepreßter Brust, wenn du sein Weib bist! Bist du es?

Wie kannst du zweifeln, Fürstin? erwiderte Liebegard, sanft, aber mit allem Stolz der Unschuld.

O! nun ist alles anders, alles aus, sagte Lilia mit dem dumpfen Tone der Verzweiflung. Wo Ehre und Pflicht das stolze Herz binden, da muß jede Regung der Liebe für mich schweigen. Alles ist anders – fuhr sie nach langem düstern Schweigen fort, indem sie schaurig um sich her sah – aber eins von uns Dreien muß hinweg – warum sollte er es nicht seyn – er, der im falschen Doppelsinn der Leidenschaft zwei liebende Herzen mordete – er falle.

[324] Liebegard entgieng Athem und Leben beinah vor dem gräßlichen Gedanken; sie legte die beiden Arme über ihre Brust, als wollte sie ihre entfliehende Kraft halten, und rief, mit einem Blicke, in dem sich alle Mächte des Himmels spiegelten: Hier bin ich, morde mich!

Deine Ergebenheit rührt mich beinah, sagte Lilia. Mit einem scharfen listigen Blick setzte sie hinzu: vielleicht giebt es noch einen Ausweg.

Der Himmel wird einen zeigen! rief Liebegard, aber laß ab von deinem schrecklichen Sinn. Wende dich ab vom Wege der Hölle, des Entsetzens – ach auf diesem kann die Liebe nicht wandeln, sie die Licht und Wahrheit ist! Ist denn etwas so Bezauberndes in dieser deutschen Treue? sagte Lilia, wie im Selbstgespräch. Das Leben heißerer Zonen, das in meinen Adern fließt, meine Lust, meinen Schmerz, könnt ihr in matter Mäßigung nicht begreifen; es verheert mit seiner Gluth, was es nicht beleben kann, und kann nur in einem Meer von Thränen verlöschen. Gutes Geschöpf, sagte sie [325] weich zu Liebegard, wohl dir, daß reine Aetherlüfte die Wiege deiner Liebe waren! Wehe dem, dem ein düstres Geheimniß die Kraft des Busens bricht! denn die Lüge lockt in nächtliche Pfade hinab zum Untergang – Wehe mir! rief sie mit einer Thränenfluth aus.

Sey wieder wahr und gut, Lilia, sagte Liebegard sanft, der Pfad zum Himmel bleibt jedem guten Gedanken offen, jedem guten Gefühl; es ist ein goldnes Seil zur Rettung niedergesenkt – du hast Macht wohlzuthun; sey ein helfender, tröstender Engel in Thaten der Weisheit und der Liebe.

Das hätte ich an seiner Hand nur werden können; im glühenden Sehnen der Liebe zerrinnt alle Kraft zum Guten in mir, sagte Lilia unter heißen Thränen.

Ach, ich will ja deinem Glück nicht im Wege seyn, wenn es auch das seine ist! rief das sanfte Herz, vor dem schon schmerzliche Entsagung, als die einzige Lösung stand.

Ich vermögte das nicht, erwiderte Lilia, [326] aber du bist reiner, größer, als ich. Ja täuschen dürfen wir uns darüber nicht, fuhr sie mit angenommener, geheuchelter Ruhe, fort – Thaten des Muths und der Herrschaft gehört er an; der Liebe stilles Glück kann dieses Herz nicht füllen, und ein Traum verlorner Größe wird einen düstern Schatten über sein Leben werfen.

Liebegard, im Gefühl, daß die Herrschaft ihm gebühre, da sie seine Geschichte kannte, daß ihm sein Eigenthum entrissen wurde, sagte kalt, beinah unwillig: Ueberlassen wir das ihm, er ist stark genug, um die Bahn seines Schicksals sich selbst zu brechen. Ein Edler und Starker findet überall muthvolle Herzen, die sich an das seine drängen, und ihm erringen helfen, was ihm gebührt. Ja durch das Blut von Tausenden, sagte Lilia, und schien tief bewegt, durch das Elend und die Thränen eines ganzen Volks, durch seine fürchterliche Gährung und Auflösung in einen bürgerlichen Krieg, ach Gott! vielleicht durch sein eigenes Blut und Leben. –

[327] O, halt ein! rief Liebegard, du zerreißest ein Herz tausendfach, das vermag ich nicht zu denken – Er lebe, herrsche, beglücke – mein armes Leben ende.

Lilia umfaßte sie wieder zärtlich, wollte ihr Muth und Hoffnung einsprechen, aber ihr Glück, ihre Hoffnungen hatten den Todesstoß empfangen. Lilia durchforschte die kleine Wohnung mit Neugier, berührte alle Gegenstände, die zu seinen Umgebungen gehörten, und nahm dann Abschied von der Unglücklichen, in deren blühendem Lebensgarten sie alle Blüthen niedergetreten.

Denke nicht, daß ich dich hasse, du bist ja schuldlos an seiner Untreue – wie kann man die Rosen hassen, selbst wenn uns ihre Dornen zerritzen?

Lebe beglückt in deiner Unschuldswelt. Hättest du ihm eine Krone zu geben, ich müßte dich seiner werther achten, als mich – aber du kannst sie ihm nur rauben, das bedenke. Der Maiensonnenblick der Liebe füllt das Leben des [328] Mannes nicht. Die Herbststürme des Ehrgeizes umtoben es dauernder.

Die Lilie der Hoffnung war zerknickt in Liebegards sanftem Gemüth. Gleich dem reifen Blumenkelch sank ihr holdes Antlitz herab über die zerrissene Brust. Lilia erhob es an ihre Rosenwangen, die in neuem Lebensmuth glühten, und sagte, sanft schmeichelnd: Ach du trägst ja doch den besten Schatz der Erde und des Himmels in dir, seine Liebe!

Besitze ich diese wirklich, so wird sie mich retten – alles retten –; in ihr kann ich auf die Klarheit des Himmels hoffen, die meine Schritte erhellen wird, sagte Liebegard. Thue du Alles, Fürstin, was Frieden und Heil bringen kann. Bedenke, daß er vielleicht schon jetzt im Kampf für dich blutet.

Fürchte nichts, der Sieg ist mit ihm, erwiderte Lilia. Aber noch eins: Du mußt mir schwören, bei deiner Hoffnung des ewigen Heils, daß er meinen Besuch bei dir nie erfahren soll. Vermagst du ein Opfer zu bringen, [329] so bringe es vollkommen. Aus deiner eignen Seele muß es ihm einzig zu kommen scheinen.

Liebegard zweifelte, ob es recht gethan sey; ihm hatte sie zuerst Wahrheit und reines Vertrauen gelobt; dieser Eid verletzte den früher geleisteten. Gertrud zog sie am Arme: Schwöre nicht! Aber Lilia drang mit jeder Zauberkunst allgewaltiger Leidenschaft auf sie ein; sie ergab sich ihrem Willen, und sagte bebend: Ich schwöre es! Es ist ja für sein Glück, tönte eine beruhigende Stimme in ihrem Innern.

Ist eine schöne Seele einmal auf dem Weg schmerzlicher Entsagung, so wähnt sie, nie zu viel gegen sich thun zu können.

Lilia schied, und sie sahen, wie ihre weiße Gestalt im Mondglanz zum Ufer schwankte, wo mehrere dunkle Gestalten ihrer harrten, und bald sahen sie das Schiff auf dem See einen Streif silberner Wellen hinziehen. Gleich einem feindseligen Traume, aus dem Schatten der Nacht geboren, schwebte die ganze Scene [330] vor Liebegards Seele. Aber der Morgen brach an, und erleuchtete alle Tiefen ihres Schmerzes und der Stachel des Unglücks wich nicht aus dem zarten Herzen. Ehre und Pflicht würden ihn binden – nicht die Liebe – ihnen würde er ein glänzendes Daseyn opfern. Nein lieber will ich in Schmerzen vergehen! Dieses Selbstgespräch entschied ihr Geschick. Lilia, in tiefer Verstellungskunst geübt, und zugleich wahr in den gewaltigen Accenten der Natursprache tiefer Leidenschaft hatte ihr Mitleid eingeflößt; vor ihren Reizen beugte sich das demüthige, gute Herz.

Die Mutter selbst, aus den Regionen des Lichts – so schien es ihr – müsse ihr Opfer billigen, und auf Lilia versöhnend herabschauen, und ihre, sich selbst hingebende, Treue segnen. Gertrud umfaßte sie mit inniger Freude, als sie ihr den Entschluß kund that, das rückkehrende Schiff mit ihr zu besteigen.

Es bedurfte aller Ueberredungskunst, um den alten Mann abzuhalten, ihrer Abreise nicht [331] Gewalt entgegen zu setzen, nach dem gemessenen Befehle seines Herrn.

Der heiße Schmerz in allen Spuren ihrer veränderten Gestalt, die Leichenblässe ihrer Wangen, und das heilige Gelübde, daß die Rettung ihres Gemahls die Flucht von der Insel heische, besiegten ihn endlich.

Ueber den Schriftzügen der Mutter ihres Astolfs rief sie ihren Geist an, sie nicht zu verlassen, sie auf den sichern Weg zu seinem Glücke zu leiten, und empfahl Liesa das Buch zu sorglicher Verwahrung mit reichen Geschenken.

Mit blutendem Herzen riß sie sich los von der Wohnung, von allen Umgebungen, die die Spuren von Astolfs Gegenwart trugen.

Folgende Zeilen, bei denen sie sich alle Gewalt anthat, ihre Gefühle und ihre Absicht nicht zu verrathen, ließ sie für ihn zurück:

Verzeihe mir, mein Geliebter, daß ich gegen deinen Befehl, den theuren Ort verlasse. Verzeih' den guten Leuten, die nur meinen [332] dringenden Vorstellungen nachgaben. Könntest du den Abgrund des Leidens ermessen, in den ich bei diesem Schritt versinke, du würdest über mich weinen. Durch deine Liebe genoß ich das höchste Glück – – nur dir selbst kann ich es opfern. Bei deinem Freund, dem Abt, erwarte ich deine Befehle.

Weinend geleitete sie Liesa und die Eltern zum Nachen; ihre Milde hatte aller Herzen gewonnen.

Die treuen Doggen umwedelten sie, sprangen an ihr hinauf, und wollten nicht von ihr lassen. Seyd eurem Herrn getreu, sagte sie, ihnen schmeichelnd. O könntet ihr ihm sagen, daß ich es auch bin, es ewig seyn werde!

Die Hunde blieben lange, heulend, am Ufer stehen, da man sie zurück hielt, dem Nachen nachzuschwimmen.

Die gute Gertrud versuchte vergebens, sie zu trösten. Ihr ganzes Herz, ihr Auge, unter einer Wolke des Schmerzes, hieng an dem zauberischen Eiland. Der blaue Spiegel des See's, [333] der sie einst im seligsten Glück an Astolfs Seite getragen, schien ihr dunkel, wie das Grab, da er sie von ihm hinweg führte. Er kam als ein rettender Engel, gedachte sie, als mich die Verzweiflung auch in die Wogen hinabzog – wozu wurde ich gerettet? Die seligen Tage der Liebe umschwebten, wie Blüthen des Paradieses, ihre Erinnerung; sie glänzten im Thau der Hoffnung. Die Kraft seiner Liebe, seines Armes könne alles besiegen, ihr Opfer nicht nöthig machen, wähnte sie in manchen Augenblicken, dann trat wieder die feindlich eiserne Gewalt des Schicksals in Lilias Bild vor sie.

Der Abt nahm sie liebevoll auf, hörte ihre Erzählung und die Darstellung ihrer Gefühle theilnehmend an; sprach tröstende Worte zu ihr. Die äußeren Begebenheiten schienen ihm bekannt. Gewohnt, das Gewebe des Lebens und die leitenden Fäden, entsponnen aus den Menschenherzen, zu durchschauen, erräth er Alles, was Liebegard, ihrem geleisteten Eide gemäß,[334] verschweigen mußte. Lilias Plan, die Gewalt der Leidenschaft und der List, mit der sie ein offenes, edles Herz umstrickte, um ihm das schmerzlichste Opfer abzugewinnen, sah er ein, als hätte er ihre Reden vernommen.

Astolf war die Freude seines Lebens; seine Ausbildung sein Stolz. Der fromme Einsiedler, der erste Lehrer des Knaben, hatte seinen Sinn auf den Himmel gerichtet; der Abt lehrte ihn, die Erdenbahn kennen und würdig darauf wandeln.

Mit Vaterzärtlichkeit hatte er sich an den Entwürfen künftiger Größe für ihn geweidet, zu den seine Geburt, alle Anlagen der Natur im Kinde, alle Tugenden des Jünglings ihn berechtigten. Ein gültiges Dokument seiner Ansprüche an die Erbfolge eristirte, und der Siegelring des ermordeten Gemahls war in den Händen der Mutter geblieben. Die Gunst des Oheims, die Astolf als Fremder gewonnen, verleitete zur Hoffnung seiner Anerkennung als Erbe.

[335] Sie eilte zum alten Fürsten und entdeckte ihm in geheimer Unterredung Astolfs Geburt und Rechte. Er selbst getäuscht, wie die übrigen, glaubte den Stamm seines Bruders erloschen, denn die alte Fürstin, seiner Weichherzigkeit mißtrauend, hatte die Todesnachricht überall verbreitet. Der Fürst, menschlich und gerührt, zeigte sich den Wünschen der Mutter Astolfs geneigt. Feindselig trat nun Lilias Leidenschaft für den schönen Jüngling entgegen. Der schwache Gemahl hatte kein Geheimniß für sie. Er soll dereinst herrschen, beschloß Lilia, aber nur mir, soll er den Thron verdanken. Das Alter des Fürsten zeigte ihr den Zeitpunkt, wo sie den Geliebten mit Ruhm, Ehre und Liebe beglücken würde, nah und sicher.

Die Leidenschaften der Mächtigen finden nur allzuleicht Hände zur Ausführung ihrer Thaten.

Astolfs Mutter wurde auf der Rückreise, in seinem räuberischen Anfall, ihres Dokuments beraubt; es blieb in Lilias Händen. Durch künstliche [336] Vorspiegelungen bewog sie ihren Gemahl von Tage zu Tage zum Aufschub seine guten Gesinnungen für Astolf kund zu thun.

Schrecken und Schmerz über ihren unwiederbringlichen Verlust zogen seiner Mutter eine tödtliche Krankheit zu. Sie ahnete, wo dieser Schlag hergekommen; entdeckte im Hinscheiden ihres Lebens dem Sohn sein Geschick; warnte ihn vor Lilias verführerischen Künsten, und beschwur ihn sterbend, in der Liebe zu einem tugendsamen treuen Weibe jenen gefährlichen Schlingen zu entgehen. Der hochsinnige Jüngling wollte nur auf offener Bahn der Ehre und des Muthes zu seinem Recht gelangen. Er zog zu den Verwandten seiner Mutter, und durch tapfere Thaten gewann er sich das Versprechen ihres Beistandes. Er verschmähte, durch Weiberliebe das zu gewinnen, was sein Schwert erringen sollte. Lilias Reize hatten sein Herz an sie gefesselt in erster Jugendgluth; es wandte sich von ihr, und doch tönten die Zaubergesänge erster Liebe mächtig in ihm nach, und ihre [337] Leidenschaft strebte nur, ihn mit neuen Netzen zu umspinnen. Keine andre Schönheit vermochte, ihn dauernd zu fesseln, als gute Geister ihm die schöne treue Liebegard ans Herz führten. Der gute, im Sinn seines Standes mildgesinnte Abt, hoffte mit feiner Klugheit zu lösen, was des Jünglings tollkühner Muth lieber mit dem Schwert zerschneiden wollte. Er rieth, er beschwur zum Geheimniß, und sah klar ein, da er den Weltlauf kannte, daß ohne den Besitz des Dokuments, das offenkundig sein Recht darthal, Kampf und Sieg fruchtlos seyn würde, die Gefahr des geliebten Jünglings gewiß. Habsüchtige Nachbarn lauerten auf einen günstigen Moment zum Einfall. Lilias Parthey konnte sich mit ihnen verbinden. Einer tapfern Schaar gewiß, die seine Verwandten für ihn bereit hielten, lebte Astolf in der Gunst des Oheims thätig für sein künftiges Besitzthum, kämpfte für seine Rechte nach außen, verhütete Unrecht im Innern, wo er es vermochte. Die Rechte des alten Fürsten konnte und wollte er nie kränken.

[338] Lilias Leidenschaft wuchs nur noch durch seine abweisende Kälte, und seine neuen Liebesbande entflammten sie in Eifersucht.

Großmüthigen Herzens verschmähte er durch kleinliche Klugheit, durch sie, etwas zu erhalten.

Der Tod des Fürsten brachte alle diese widerstreitenden Elemente zum Ausbruch. Eine Vereinigung mit Lilia konnte Alles besänftigen.

Der Abt stand, in tiefen Gedanken dieses Alles erwägend, vor Liebegard. Zitternd sah sie die Wolken auf seiner Stirn sich sammeln, und harrte des Ausspruchs ihres Schicksals.

Gewalt, Ehre und Sicherheit des geliebten Zöglings, ruhiges Bestehen des Gemeinwohls lag auf der einen Wagschaale, ein gebrochenes weibliches Herz auf der andern – mußte diese nicht in der Seele des Greises sinken?

Bleicher und in sanfter verschmolzenen Farben liegt der bunte Teppich des Lebens vor dem Alter; leichter vermag es das einzelne Menschen-Leben dem Allgemeinen unterzuordnen!

[339] Mein Kind, sprach er zu Liebegard, da dein eignes Gemüth das Opfer deiner Liebe von dir fordert, so kann ich nicht anders, als gestehen; du hast das Edelste gewählt!

Liebegard sank erblassend zu seinen Füßen, und sagte gefaßt: Ich glaube die Stimme meines Gemahls von deinem heiligen Munde zu hören; ich folge ihr. Kann ihn Lilia beglücken, so gebe ich alle Rechte auf. – Du wirst die Geliebteste seines Herzens bleiben, wie du es bist. Aber die Zeit bleicht die Schmerzen, wie die Freuden der Liebe; die Kränze der Tugend bleiben ewig grün. Lilia wird seine ihm unterworfene Gattin werden, und neben ihr wird er ein Leben voll edler Thaten des Ruhms und der Gerechtigkeit führen. Aber nur der Tod löst die Bande der Ehe, sagte er, und schlug die Augen nieder; er vermochte nicht, das Opfer anzuschanen – wirst du auch den Muth haben, todt für deinen Astolf zu seyn? Gern, gern will ich das traurige Leben, ohne ihn enden! rief sie, den Sinn seiner Worte nicht fassend.

[340] Entferne den sündigen Gedanken, sagte er sanft. Nicht unberufen dürfen wir vor dem Richter der Lebendigen und der Todten erscheinen; denn nie ist unsere Rechnung mit dem Himmel abgeschlossen. In Rom, unter heiligen Frauen sollst du leben, mit dem Heiligenschein deines geopferten Glücks umgeben, gutes Kind. Er nahm sie bey der Hand und geleitete sie und Gertrud zu einem Frauenkloster in der Nähe, wo sie eine freundliche Aufnahme fanden.

Prüfe nochmals dein Herz sagte er beim Abschiede, dein Entschluß sey freiwillig und besonnen.

Kann ich noch wählen? Schnell geschehe das Schmerzliche, um daß es ihm auch fromme, erwiderte sie, warf sich in der Kirche vor einem Muttergottesbilde hin und flehte um einen Trost aus der Ewigkeit. Die Zeit – schien ihr – war ausgelaufen für sie.

Nicht fühllos gegen die Leiden eines zarten Wesens, das sich selbst aufgegeben, nicht ohne einen Stachel des Vorwurfs in der Brust, der [341] jedes Eingreifen in fremdes Geschick, durch Unwahrheit begleitet, selbst wenn ein guter Zweck täuscht, gieng der Abt zurück.

Mit männlicher Sicherheit und Härte führte er nun alles Nothwendige aus. Ein leerer versiegelter Sarg wurde nach der Insel gesendet, und dort mit stattlicher Leichenfeier eingesenkt. Unaussprechlich war der Jammer der guten Leute der Insel. Den Tag nach Liebegards Abreise waren Boten des Ritters angekommen, die sie zu ihm bringen sollten; sie mußten abziehen mit dem Briefchen, statt ihrer, und fürchteten den Unmuth ihres Herrn, da sie aus der dringenden Eil, die er ihnen anbefohlen, seine Ungeduld, seine Sehnsucht nach der Geliebten hinlänglich ermessen konnten. Der alte Schiffer machte sich die bittersten Vorwürfe, Liebegards Abreise geduldet zu haben, und fürchtete den Zorn seines Herrn.

Ein Mönch des Klosters blieb bei ihnen, die Todtenmessen über der Gruft zu lesen; er sollte Astolf die Umstände des Todes berichten; [342] der Abt fürchtete den ersten Ausbruch des Schmerzes anzuschauen, den er selbst seinem Zögling bereitet hatte; er fürchtete, ihn nicht tragen zu können und die Wahrheit bekennen zu müssen vor dem offenen starken Herzen, dessen Gewalt er nur zu wohl kannte.

Wir thun einen Blick in Astolfs Herz und Geschick.

Die unschuldige, reine Liebe, die er in Liebegard kennen gelernt, machte ihn unverwundbar gegen alle Künste, alle Reize Lilias. Ihre Leidenschaft, die nur den Gegenstand an sich reißen, sich nicht in ihm verlieren konnte, die mit Schlauheit seinen Schritten folgte, sich überall unfein seiner neuen Liebe in Weg warf, wandte sein Herz ganz von ihr ab. Er floh die Fürstin, soviel er es vermochte. Die Nachklänge alter Vertraulichkeit, Mitleid, der Vorwurf, den er sich billig zu machen hatte, sich nicht früher mit dem Ernst tugendlicher Männlichkeit ihren verführenden Reizen entzogen zu haben, gaben seinem Blick, seinem Benehmen eine [343] Milde, der ihr glühendes Herz die Farbe noch bestehender Neigung lieh.

Kühn hoffte sie, ihn wieder zu gewinnen, ihn Liebegard zu entreißen. Der Tod des Fürsten lös'te alle Bande der Zurückhaltung und entflammte Liebe und Hoffnung aufs neue.

Menschlich gerührt und hülfreich, wie jeder Edle in der Noth, war Astolf dem halbentseelten Fürsten gefolgt. Eine Pflicht seines Amtes rief ihn an der Pforte der Hofburg ab. Nicht ängstlich bedenkend, in diesem Augenblicke, wie wichtig für ihn ein Wort von den Lippen des Sterbenden war, und überhaupt seinem Muth und seinem guten Schwert mehr vertrauend, als äußeren Verhältnissen, folgte er dem Ruf des Augenblicks.

Lilia lag kniend am Sterbelager ihres Gemahls. Wenige, ihr ganz ergebene Diener, die schon lang staatsklug den Fall bedacht, wurden eingelassen. Man drang dem schon Besinnungslosen seinen letzten Willen zu Lilias Vortheil ab.

[344] Unruhig schauten die Blicke des Sterbenden umher; er zeigte nach der Thür; schien ängstlich Jemand zu suchen, und der letzte Laut seiner Lippen war Astolfs Name.

Astolf war schnell zur Hofburg zurückgekehrt, und als er sich dem Gemach des Sterbenden näherte, die Thür in der Hand hielt, hörte er ihn seinen Namen aussprechen.

Er drang ein, knieete nieder an seinem Lager und hielt die kalte Hand in der seinen, aus der er so viel zu empfangen hatte.

Das brechende Auge des Fürsten erhellte sich noch einmal, sein Blick ruhte fest auf Astolf, richtete sich auf, wollte reden, und vermochte es nicht mehr. Er faßte Astolfs und Lilias Hände in der erkaltenden Hand, hob sie gegen seine Brust und sank leblos zurück.

Lilia lag im stummen Schmerz über der Leiche. Männlich gerührt schaute Astolf in das bleiche erstarrte Antlitz, das ihm noch vor Kurzem so wohlwollend zulächelte.

Der Kanzler näherte sich Lilia, ermahnte [345] sie, ihren Schmerz zu mäßigen, sich an ihre hohe Bestimmung zu erinnern, da der Erblichene sie zur Regentin ernannt. Er fügte hinzu, daß ihr der Fürst in seiner Weisheit und Liebe einen kräftigen, edlen Beistand in diesem tapfern Ritter zugedacht.

Erst jetzt wandte der Ritter sein Auge von den Zügen des Sterbenden, und sah in den umgebenden Gesichtern tückische Freude über einen gelungenen Plan und das Wunder der List und Demuth gegen ihn, als einen, der ihr Herr werden könnte.

Lilia erhub sich, warf einen ängstlichen, glühenden Blick auf ihn, und sagte, indem sie das Zimmer verließ: Wenig geschickt, in der schmerzlichen Stunde das öffentliche Wesen zu bedenken, werdet Ihr die Befehle des Ritters, den mein Gemahl so hochschäzte, als meine eigenen, ansehen.

Was auch die Zukunft enthüllen mag, sagte Astolf, ernst und gebietend, den Kreis kleiner vor seiner Macht gebeugter Seelen überschauend, [346] der Augenblick erfordert muthig besonnene That; ich werde die Macht gebrauchen, mit der des Sterbenden Vertrauen mich ehrte. Als unumschränkter Gebieter traf er alle nöthigen Anstalten.

Nach wenigen Stunden ließ ihn die Fürstin rufen.

Im Trauerkleid empfieng sie ihn mit dem Ernst, den die Stunde, die Nähe des Todes gebot.

Ihr habt den letzten Wunsch des Sterbenden vernommen, Ritter, sagte sie; unsre vereinten Hände waren der Trost seines brechenden Herzens. Meine Hülfe in Rath und That soll Euch nie fehlen, Fürstin, erwiederte er mild; ich ehre die Liebe des Entschlafenen für Euch; und kenne, was Ehre und Ritterpflicht heischt. Ob er auch versäumte, ein entschiedenes Recht zur Sorge des Landes für mich auszusprechen, so muß ich glauben, daß Ihr es kennt. Herrscht mit Weisheit und Güte, so werdet Ihr mich nie als einen Gegner finden. Folgt der angebornen [347] Milde Eures Herzens; Euer klarer Sinn durchschaue Euer Verhältniß – Euer Glück und Glanz sey das Wohl der Euren – Mein Arm soll Euch gegen jeden Eingriff schützen.

Tausend Bande der Liebe hatten ihr Herz aufs neue umstrickt; seine edle Ruhe, seine Milde, ihre Freiheit durch den Tod des Gatten rechtfertigten die heißen Wünsche ihrer Brust – sie lag zu seinen Füßen und sagte: O Astolf! nimm mich wieder auf in das Heiligthum deiner Liebe, da wohnt die Tugend und alles Edle für mich. Herrsche unumschränkt über meinen Willen – Nichts will ich, als deine Liebe!

Er hob sie auf – aber nicht an seine Brust, wie die Unglückliche gewähnt. Dein Freund, dein treuster Freund für ewig, Lilia, will ich seyn – mehr kann ich nicht – Ehre und Pflicht verbieten es. Der Ernst des Augenblicks verdränge alle Täuschung – mich fesseln andre Bande. Sie sank zurück und überließ sich dem Ausbruch des heftigsten Schmerzes; zog einen Dolch hervor aus einem verschlossenen [348] Behältniß und wollte ihn in ihr Herz stoßen.

Astolf' that alles, um sie zu beruhigen, doch sprach er kein Wort aus, das den tröstenden Hauch der Hoffnung enthielt. Bald waren ihre Blicke wild auf ihn gerichtet, bald schmolz ihr ganzes Wesen in Thränen hin. Vergebens suchte er ihr den Dolch zu entreißen, mit Wuth und der Gewalt der Leidenschaft drückte sie ihn an ihre Brust.

Die Diener forderten wegen dringender Nachrichten eingelassen zu werden. Astolf beschwur sie, die Haltung anzunehmen, die ihr gebühre. Sie gehorchte, und Astolf war beinahe froh, daß die Nachricht einer feindlichen Bewegung an den Gränzen seine schnelle Abreise gebot

Innig zartes Mitleid, Nachklänge alter Vertraulichkeit; der entschiedene Wunsch und Glaube aller Umgebenden, daß der Ritter ihr Gemahl werden müsse, fachten den Funken der Hoffnung in ihrem Gemüth an, ob auch [349] seine Worte, seine entschiedene Kälte, jeder Ausspruch der Vernunft, dagegen stritt.

Astolf ergriff den ersten freien Moment, treue Boten seiner Liebegard zu senden, die sie zu ihm geleiten sollten. Oeffentlich sollte sie als seine Gemahlin erscheinen. Nicht auf einmal wollte er grausam Liebe und Besitzthum Lilia entreißen. Er verließ sich auf die Kraft seines Busens, auf die Stärke seines Arms für die Zukunft.

Mit heißem Sehnen der Liebe erwartete er sein Weib im Lager an der Gränze. Als er die Gefahr weniger dringend fand, und die Boten säumten, eilte er in glühender Ungeduld ihnen auf der angedeuteten Straße entgegen. Die Boten, da sie die Wünsche ihres Herrn getäuscht sahen, trieb keine Eil; sie hatten einen bequemern Weg genommen.

Astolf langte am Ufer des See's an, begrüßte mit Entzücken die glückliche Insel, die die Geliebte umschloß. Die Ueberkunft des Nachens schien ihm zu langwierig; er warf sich in [350] einen Kahn und landete an der Bucht, von der ihm glückliche Traumbilder und sehnende Liebe entgegen wehten.

Von fern erspähte er die Wohnung, und sah sie ringsum verschlossen. Nur die treuen Doggen lagen auf der Schwelle und bellten ihn an, aber als sie ihren Herrn erkannten, gaben sie ihre Freude auf das lebhafteste zu erkennen.

Alles war öde und stumm; im Garten, unter den hohen Bäumen, suchte er die geliebte Gestalt, der sein Herz entgegen schlug, vergebens.

Er klopfte an der Thür des Schiffers, Liesa öffnete sie und stürzte mit einem lauten Schrei zu seinen Füßen. Eine finstre Ahnung flog durch seine Brust.

Was ist geschehen? fragte er. Wo ist meine Liebegard? Dort! dort! rief Liesa unter Thränen, nach der Gegend des Grabes deutend.

Führe mich zu ihr! rief der Ritter, und gieng mit eiligen Schritten, wohin sie deutete.

Eilet nicht, sagte das Mädchen, ach! ihre [351] süßen Augen werden Euch nicht mehr begrüßen, ihre holden Lippen nicht mehr Euren Küssen begegnen – durch ein Jammergeschrei drangen die fürchterlichen Worte – dort liegt sie begraben!

Im bleichen Entsetzen, wie zu einem Felsen erstarrt, stand Astolf. Fürchterlich wüthete der Schmerz in dem heißen, liebeglühenden Herzen. Es war, als ob die starre Hand des Todes es auch ergriffen und vom Leben getrennt hätte. Er stürzte hin nach ihrem Grabe; der Mönch kniete betend am Hügel, den Liesa mit Blumen geschmückt hatte. Astolf warf sich darüber hin, erhob sich wieder, und befahl, es zu öffnen. Ich will sie sehen, rief er, mein Herz breche an dem ihren.

Laßt die Todte ruhig im ewigen Schlummer, sagte der Mönch; so ist ihr Wille; dieß sind ihre letzten Worte an Euch.

Bebend ergriff Astolfs Hand die Schriftzüge der Geliebten; seine thränennmwölkten Augen lasen:

[352] »Ich bin nicht mehr für Dich, wenn du diese Zeilen liesest. Mäßige, Theurer, Einziggeliebter! Deinen Schmerz; die Pforte der Ewigkeit nur wird uns wieder in seliger Liebe vereinen. Laß mich still ruhen am Hügel, wo mein Herz Dir entgegen schlug, in dir die Seligkeit des Himmels ahnete. Lebe, herrsche, beglücke, wenn Dir mein Andenken theuer ist. Ja deiner schönen Stirn gebührt der goldne Ring der Herrschaft; zum schönsten Ebenmaas ist sie gebildet. Andern ist diese ein warnendes Zeichen, sich selbst zu halten, zu bändigen in Maas und Ziel. An Dir deutet der fürstliche Schmuck, daß diese Tugenden in Dir wohnen und Glück und Heil den Menschen verkünden. Könnt' ich noch einmal in Dein Auge sehen und an seiner reinen Flamme vergehen, – süß wäre der Tod. Ein Paar Augen, die Liebe und Seligkeit in Dir schauten, schließen sich nun, daß viele sich öffnen, Segen von Dir zu empfangen. Gehe oft an den Hügel, der deine Liebe umschließt – segnend blicke ich auf Deine frommen Gelübde; diese sind das ewige Band der Seelen.«

[353] Der Mönch war von weicher, fühlender Seele. Selbst getäuscht durch des Abts Erzählung, gab er sie Astolf treu wieder. Eine Krankheit von wenigen Tagen hätte die zarte Blüthe ihres Lebens gebrochen.

Astolfs Schmerz war unermeßlich. Farbenlos, öde, in einförmiger Trauer lag die Welt vor ihm da, das Leben als eine mühevolle Arbeit, ohne Erquickung; nur der Tod schien ihm ein Lichtstrahl, der ihn zu ihr führte.

Die Pflicht seines Standes, die Ehre rief ihn zum Heer – der erste Augenblick der Ruhe sollte einer Reise zum Abt geweiht seyn.

So war die arme Liebegard todt, da, wo ihr eigentliches Leben wohnte, in dem Herzen des geliebten Mannes.

In einsamer Trauer, in stillem Gebet für ihn, vergiengen ihre Tage; oft kam sie sich selbst als ein Schatten vor, der dem Reich des Lebens nicht mehr angehörte. Die gute Gertrud wollte nicht von ihr weichen, und ließ der theilnehmenden Frau Guda wissen, daß sie sich [354] dem Kloster geweiht. Beide erwarteten der Zeit, wo sie sich an einen Zug frommer Pilger nach Rom anreihen sollten.

Lilia zeigte sich als Trösterin, als Freundin gegen Astolf. In Schweigen hüllte sich ihre Leidenschaft; ihr Leben war still und ernst; nur in der Wohlthätigkeit zeigte sie sich als Herrscherin. Nur auf diesem Wege wußte sie, lag die Möglichkeit, den heißen Wunsch ihres Herzens zu erreichen, Astolfs Gunst wieder zu gewinnen und seine Gemahlin zu werden.

Der Abt belebte ihre Hoffnungen, und ermunterte sie, unaufhaltsam auf der Bahn des Rechten und Guten zu wandeln, die einzig zum Herzen seines Zöglings führen könne. Liebegards Geschick umgab für Lilia eine dunkle Wolke, die sie nicht zu durchdringen strebte. Wohl mußte sie sich eingestehen, daß ihr Eindringen auf das zarte, liebevolle Herz es von Freude und Leben getrennt hatte.

Es scheint für die, die auf unlautern Wegen wandeln, ein Trost zu seyn, daß die klare [355] Kraft des Wortes ihren Thaten fehle; sie wähnen, was nicht ausgesprochen sey, sey auch nicht da. Lilia gewann in der Gunst des Volks; aber die streitenden Partheyen, durch fremden Einfluß gestärkt, standen immer gefährlicher gegeneinander; alle sahen sich nach einem künftigen Herrscher um. Lilia, ihrem Plan getreu, verfolgte ihn schlau; nur als ihr Gemahl sollte Astolf sein Recht zum Thron gewinnen.

Astolfs Macht und Tapferkeit hielt die Feinde entfernt. In seinen tiefen Schmerz versunken, war er selbst achtlos gegen die Kränze des Ruhms. Nur die Pflicht trieb ihn zu Thaten.

In einer Unterredung mit dem Abt, der ihn aufsuchte – Astolfen hielt sein Amt noch ab, den Ort aufzuspüren, wo der edle Geist seiner Liebegard diese Welt verlassen – bot dieser endlich alle Gründe auf, die ihn bewegen konnten, der Fürstin seine Hand zu geben, Ruhe dem Lande, sich die Krone.

Meine Liebe ruht bey den Todten, meine [356] Lebensblüthen sind hingewelkt, sagte er; will Lilia sich einem verödeten Herzen verbinden, ein Leben strenger Pflicht und Wohlthätigkeit für Andre mit mir theilen, so ergebe ich mich Eurem väterlichen Willen.

Die beglückte Lilia stand endlich am Ziel ihrer Wünsche.

Die Hochzeitsfeier wurde festgesetzt.

Mit zerrissenem Herzen trennte sich Astolf von der Einsamkeit, die seine Lage gestattet hatte.

Des Grams wehmüthige Sehnsucht zu erschöpfen war sein süßester Trost. Er lebte in der Erinnerung. Liebegards süßes Bild umgab ihn immerwährend; alle Gegenstände, die ihr gehört, waren ihm theuer.

So verließen ihn die treuen Doggen nie; ihre Hand hatte sie gestreichelt, genährt; er pflegte sie mit unausgesetzter Sorgfalt.

Der Pilgerzug nach Rom versammelte sich in einer Gränzstadt.

Liebegard und Gertrud bereiteten sich zur [357] Abreise vor. Gern sah der Abt ihre Entfernung, die ihr die schmerzliche Gewißheit von Astolfs Verbindung mildern würde. Aber wahre Liebe steht immer in geheimnißvoller Verbindung mit ihrem Gegenstand. Liebegard ahnete alles, und die kluge Gertrud hatte das Geheimniß erfragt und erlauert.

In der kleinen Kapelle über dem Grabe der Mutter stärkte sich Liebegard noch im Gebet. Sie rief ihren abgeschiedenen Geist an, sein Schicksal zu lenken – ein Zweifel, ob sie auch recht gethan, sich dem Geliebten zu entziehen, ihn zu einer, von der Seligen nicht gebilligten Ehe zu verleiten, beklemmte ihre Brust. Alles, Alles habe ich ja deinem Geliebten geopfert, du Heilige! aber wir gehen auf der Erde in dunklen Wolken, nicht wissend, wohin?

Rette du ihn selbst durch ein Wunder, halt ihn ab von dem Pfade des Unglücks – es schien ihr, als ob das Bild ihr zulächelte, als ob ein überirdischer Glanz es umgebe – und eine wundersame Ruhe quoll in ihre Seele.

[358] Mit Segen und Thränen entließ sie der Abt, jährlich sollte sie Nachricht von ihm empfangen, immer bekannt mit Astolfs Geschick bleiben. Vielleicht kommt eine Zeit, sagte er, wo Astolf dein Opfer der reinsten Liebe erfahren kann – dich als seinen guten Engel noch auf Erden verehren wird! – Nicht die Zeit, nur die Ewigkeit kann dieses verleihen, erwiderte sie in der Verklärung frommen Glaubens und himmlischer Duldung.

Von einigen Pilgern begleitet, traten sie die Reise an. In geringer Entfernung von Lilias Hauptstadt hörten sie das Gerücht ihrer Vermählung. Der heiße Wunsch, vor dem ewigen Abschied, Astolf noch einmal zu sehen, ergriff Liebegards Seele. Gertrud konnte ihr nicht widerstreiten. Ich bin ja so verändert, sagte Liebegard, daß er mich, auch ohne die Pilgerhülle, nicht erkennen würde.

Wirklich hatte der Schmerz alle Blüthen der Schönheit vertilgt, bleich und gesenkt war die Fülle der frischen Wangen und Lippen, das [359] Feuer der Augen erloschen, und die hohe schlanke Gestalt gebeugt, wie von der Last der Jahre. Auch die andern Pilger hatten Freunde in der Stadt, denen sie noch gern ein Lebewohl sagen wollten.

Mit welcher Wonne, mit welchem Schmerz erblickte Liebegard die fernen Thürme der Stadt, wo ihr Geliebter war, wo er herrschen sollte! Im Zauber seiner Nähe vergaß sie auf Augenblicke, daß sie ihn heut auf immer verlieren sollte.

Die Morgensonne umgoldete die hohen Kuppeln, und alle Glocken ertönten, das Hochzeitfest zu verkünden, als sie an Gertruds Arm durch das Thor wankte, zu dem sich schon das Landvolk drängte. Voll fröhlichen Getümmels waren die Straßen, die Häuser geschmückt; Musikanten durchzogen sie, und laut freute sich das hochbeglückte Volk der Wahl ihrer Fürstin in einem Regenten, dessen Tapferkeit, Tugend und milde Sitten es längst liebte und ehrte. Hoch schlug Liebegards Herz und stolz in dem Gefühl, daß es mit dem Opfer all seines Glücks diese Freude erschaffen.

[360] Unter der wogenden Menge drängten sie sich mit vor, nahe zum Balkon, wo das Brautpaar sich vor der Trauung dem Volke zeigen sollte. Ein Kreis stattlicher Ritter, unter welchen sich auch der Abt befand, und reich geschmückter Frauen kamen vor dem Brautpaar, und stellten sich zu beiden Seiten. Jetzt trat Lilia an Astolfs Hand auf.

Sie glänzte in reichen Gewanden, in stolzer Schönheit; die Freude, den so heißersehnten Wunsch ihres Herzens, den Besitz des geliebten Mannes errungen zu haben, umstrahlte ihre Stirn; ihr Auge glühte in sanfter Flamme, holdes Lächeln umspielte ihre Wangen. Astolf stand, fest und ernst, in sich gekehrt, neben ihr, und schien den Jubel des Volks gleichgültig aufzunehmen; um seinen Schild war in der Feier der Freude ein Trauerflor gehüllt. Er trauert um mich; er gedenkt meiner! flüsterte Liebegard der Schwester zu. Das Leben ihres Herzens drohte zu entfliehen an dem Anschaun des Geliebten; ihr ganzes Wesen war wie aufgelös't, [361] in ihm verloren. Es muß nun vollbracht werden, sagte sie, sich wieder fassend.

Lilia, nachdem sie das Volk gegrüßt, wendete sich zum Kreis der Ritter, und sagte mit lauter Stimme: Ihr habt, edle Herren, diesen Ritter, den ich zu meinem Gemahl erwählt, freiwillig als den Würdigsten erkannt, erfahrt nunmehr, daß er auch euer geborner Herr und Fürst ist, der Neffe eures verstorbenen Fürsten. Mehr seine Liebe, als seine Gerechtigkeit, gab mir die Fürstenkrone, die nur ihm gebührt; ich lege sie zu seinen Füßen, wie mich selbst. Sie kniete vor Astolf nieder.

Die gute Liebegard liebte Lilia in diesem schönen Augenblick.

Die Ritter huldigten ihm mit lauter Freude; das Volk jubelte.

Astolf erhub die Fürstin. Achtung und Dankbarkeit, als meiner Gemahlin, weihe ich Euch fürs Leben, sagte er. Was mir Recht und Geburt verlieh, gelobe ich den Rittern und versammelten Volk, treu zu verwalten. [362] Im Allgemeinwohl allein will ich leben und aller eigenen Schmerzen Linderung finden.

Liebegard fühlte sich noch geliebt, ersehnt, und als ein Schatten da zu schweben, wo Astolfs Liebe ihr Andenken anrief, wurde ihr fast zu schwer. Sie rief die Kraft des Himmels an, die dem reinen Herzen nie fehlt.

Lilia nahm Astolfs dargebotene Hand mit gesenktem Blick an, und der glänzende Zug drang aus der Pforte des Pallastes, und bewegte sich in feierlichem Schritt nach der gegenüber liegenden Kirche.

Astolf gieng an der Seite, wo Liebegard stand; sie verbarg sich hinter der vordrängenden Reihe der Zuschauer, hüllte sich in die Pilger-Kutte, und zog den breitumschattenden Hut tiefer über ihr Gesicht.

Die Doggen folgten Astolf, und als sie Liebegards Spur witterten, sprangen sie auf sie zu, an ihr hinauf, und wollten nicht von ihr lassen, ungeachtet der abwehrenden Knappen. Astolf warf seinen Blick nach dem Ort, wo der [363] Lärm entstand, rief den treuen Thieren, die nur seinem Ruf gehorchten, aber vergebens; sie hielten die Pilgerin umfaßt mit freudigem Gebelle, ohne des Rufes ihres Herrn zu achten. Von einer Ohnmacht ergriffen, lag Liebegard an der Brust der erschrockenen Schwester; der Hut war herabgefallen; ihre blonden Locken flossen um ihre Schultern. Astolfs Herz erkannte sie beim ersten Blick. Mein Weib! rief er, stürzte auf sie zu, umfaßte sie, und riß sie aus Gertruds Armen in die seinen. Mein theures Weib, sagte er, bist du noch am Leben, oder ist's eine himmlische Erscheinung, die Gott mir sendet, meine traurende Seele zu laben?

Sie lebt, sagte Gertrud; die Treue wollte, zu deinem Glück, todt für dich seyn. Der Himmel selbst rettet dich für Untreue, will sie dir wiedergeben.

Nichts, als die Rettung der Geliebten bedenkend, die, wie eine zerknickte Lilie, an seiner Brust lag, trug sie Astolf durch das staunende Volksgewühl nach dem Pallast. Er legte [364] sie nieder in einem der untern Säle, kniete vor ihr und ließ sie nicht aus den festumschlingenden Armen. Gertrud und jeden Herannahenden sandte er nach Hülfe aus.

Das warme süße Leben der Liebe durchdrang die erstarrte Brust; ihre Augen schlugen sich gegen den Geliebten auf – Sind wir hinüber über die dunkle Kluft? sagte sie – ja das ist die Seligkeit, die mich umfängt, denn ich sehe dich! Du bist wieder mein; auf Erden gehörtest du ja Lilia an.

Die Liebenden sahen nur, eines das andere, in seliger Vereinigung, obgleich der Saal mit Menschen angefüllt war. Was nur Raum finden konnte, drang zu, um die Auflösung der wunderbaren Begebenheit anzusehen.

An den Boden gefesselt, hinter Astolf, stand Lilia, ein bleiches Bild der Verzweiflung und des starren Entsetzens.

Astolf hielt Liebegard an seiner Brust. Dir, mein geliebtes Weib, gehörte ich nur an, sagte er, nur dir, und werde dir ewig angehören auf [365] Erden und im Himmel. Keine Gewalt soll dich von meiner Brust reißen, da sollst du leben und blühen.

Aller Schmerz gekränkter Liebe und Eifersucht und Wuth zuckten durch Lilias ganzes Wesen – herabgestoßen vom Gipfel des Glücks, ihres errungenen Siegs, ergriff sie der wilde Geist der Hölle; sie zog den Dolch aus ihrem Busen und warf ihn nach Astolfs Brust. Ihre Bewegung war so rasch gewesen, daß keiner sie bemerken, keiner ihr zuvorkommen konnte.

Tief war der Dolch eingedrungen; Astolf sank zurück; sein einer Arm hielt Liebegard umschlungen, mit der andern Hand wollte er nach dem schneidenden Eisen greifen, es der Brust entziehen; aber schon sank sie ermattend im Schmerz des Todes herab.

Du wählst den rechten Augenblick, sagte er mit matter Stimme, auf Lilia schauend; schon hält mich ein Engel umfaßt. Ich verzeihe dir! Das Licht der Augen fieng an, sich zu verdunkeln, und die Lilien des Todes seine Stirn zu umschatten.

[366] Liebegard hatte in der Verzweiflung ihre Kräfte wieder gewonnen; ihre Arme hielten den Sinkenden; ihr Angesicht an das seine gedrückt, wollte sie den Hauch des entfliehenden Lebens festhalten. Ist keine Hülfe? fragte sie, mit dem Blicke des heißen Schmerzes um sich schauend.

O Gott, der Dolch ist vergiftet! rief sie, indem ihr die Schreckensscene mit Lilia auf der Insel einfiel.

Der Abt lag kniend neben dem geliebten Zögling; er fürchtete dem Ausziehen des Dolches würde sein letzter Athemzug folgen, und erwartete die Hülfe der Wundärzte.

Jetzt griff er nach dem Dolch; nicht unkundig der Heilkunst, zog er ihn so behutsam, als möglich, heraus. Die Wunde war weniger tief, als er gefürchtet, aber das schneidende Gift schien den Körper schon zu durchwühlen, und der Kampf des Todes die Brust zu zerreißen.

Lilia hatte, wie vernichtet, in starrer Versteinerung, da gestanden, untheilnehmend an [367] dem Elend, was ihre Hand mit rascher That erzeugt. Den Anblick des Todes auf den geliebten Zügen, in der hingesunkenen edlen Gestalt, vermochte sie nicht zu ertragen. Das erstarrte Herz erweichte sich, und, mit sich selbst sprechend, wie an den Gränzen des Wahnsinns, sagte sie: Wer hat ihn ermordet? Habe ich's gethan? Nein das kann nicht seyn! Mit verhülltem Angesicht sank sie zur Erde, richtete sich dann schnell wieder auf und rief: Ein Mittel giebts, ja ein willkommenes Mittel – das Gift aus der Wunde saugen, zum eigenen Tode – Sie näherte sich zu diesem Vorhaben; Liebegard schaute mit stiller Majestät um sich her, die alle Anwesenden ergriff, und sagte: Niemand berühre ihn – Mir, seinem Weibe, gebührt, dieser Dienst – und schon lagen ihre Lippen an der Wunde, und saugten gierig den Tod ein, der das geliebte Leben retten sollte.

Bald schlug der Ritter die schon gebrochenen Augen auf. Entsetzen faßte ihn, als er Liebegards Lippen an seiner Brust fühlte. Mit [368] schwachem Arm stieß er sie zurück – vergebens, sie wich nicht, und ihr Auge hieng strahlend an dem wieder zum Licht geöffneten Auge des Geliebten. Astolf rief alle Kräfte auf, bat, beschwur die Umstehenden, sie wegzureißen, aber sie hielt ihn fest umschlossen. Schon zeigte sich des Giftes zerstörende Wirkung. Ihr Athem stockte, die Lippen wurden blau, die Stirn kalt; aber ihr Antlitz umleuchtete die Verklärung seliger Freude. Mein Leben hängt an dem deinen, sagte er, als nichts sie zu weichen bewegen konnte; meine Seele folgt der deinen. Ein Grab soll uns umschließen.

Der Abt stand, in tiefem Schmerz auf sie schauend. O Gott! ich habe schwer gesündigt, rief er aus, denn deine Strafe trifft mich schwer! Zu Glück und Ehren wollt' ich den Sohn meines Herzens führen, und führe ihn zum Tode!

Eine dunkle Gestalt trat während dieser Worte in den Saal, ein Mönch, unter der Last der Jahre gebeugt, dessen bleiches Angesicht in seinen vergeistigten Zügen, diesem Leben [369] nicht mehr anzugehören schien. Alle Umstehenden traten zurück, wie vor einer Geistererscheinung.

Gott ist Licht und Wahrheit! sagte er zu dem Abt mit tieferschütternder Stimme. Nur in der Wahrheit soll ihm der Mensch dienen.

Der Abt und Astolf erkannten den Einsiedler, dessen ersten Lehrer.

Hilf, ehrwürdiger Vater, hilf den Armen, die ich aus irdischer Schwachheit elend gemacht, sagte der Abt. Du bist tief erfahren in allen Geheimnissen der Natur; kennst Mittel der Rettung, wo wir verzagen.

Nimm sie hinweg, die Treue, die den Tod einsaugt, rief Astolf! Rette nur sie!

Laß sie vollenden, sprach der Einsiedler; zu menschlicher Hülfe ist's zu spät; aber Wunder der ewigen Liebe können geschehen. Wer ist ihrer werther, als die treue Liebe auf Erden? Hilf du, frommer Vater, rief Gertrud, zu seinen Füßen stürzend. Schenke Beiden das Leben wieder. Kannst du das nicht, so laß sie sterben; [370] denn Eins kann, ohne das Andere, nicht leben.

Auch Lilia trat vor den Einsiedler. Der tiefe Schmerz, den geliebten Mann sterbend zu sehen durch ihre Schuld, hatte ihr Herz gereinigt. Ihre Seele vermochte es, sich nach der Allmacht über uns zu wenden. Sende, du Allerbarmender! Hülfe durch diesen Frommen, rief sie. Rette die Unglücklichen – Vertilge meine unendliche Schuld in ihrem neugeschenkten Leben! Ich weihe Dir das meine; von diesem Platz gehe ich nirgends mehr hin, als mich in stille Klostermauern zu verbergen. Sie hat gesiegt, die treue Liebe – auch wenn sie für ihn stirbt. Er gehört ihrem seligen Geiste an.

Der Einsiedler schaute, stillsinnend, auf die Liebenden; seine Lippen bewegten sich im stillen Gebet; oft erhub er die gefalteten Hände, und senkte sie dann wieder auf sie.

Jetzt sagte er dem Abt einige geheime Worte, und entfernte sich auf einige Momente.

Der Ritter gewann immer mehr an Kräften, [371] während Liebegards Leben zu erlöschen drohte.

Er unterstützte sie mit seinen Armen, ängstlich jeden schwachen Athemzug erlauschend.

In stummer Ehrfurcht harrten alle Umstehenden der Wiederkunft des Einsiedlers.

Er kam und hielt ein Fläschchen in der Hand, mit sonderbaren Zeichen verziert.

Ein Mönch am Libanon gab mir dies Geschenk in der Todesstunde; ich verwahrte es als meinen kostbarsten Schatz; denn es enthält ein Gegenmittel gegen das zerstörendste Gift.

Frommer Bruder bewähre deinen Glauben, den meinen, an die Hülfe des Allmächtigen, an diesen schuldlosen Wesen – so sprach er, und flößte Liebegard den heilenden Saft ein.

Nach wenigen Momenten zeigte sich ein neuerwachendes Leben in ihr. Nach einer Stunde färbte frisches Roth ihre Wangen; ihr Auge schaute klar und dankend gen Himmel. Der entzückte Astolf hielt sie in seinen Armen; sein Herz floß über im Dank gegen den Allwaltenden, [372] und den frommen Lehrer seiner Kindheit.

Gott hat geholfen, sagte der gute Vater mit Thränen des Segens, ihm sey Euer Leben geweiht, das er wundersam erhielt. Sey ein guter und weiser Fürst zu seiner Ehre, und die, die für Dich sterben wollte, lebe zum Trost aller Armen und Leidenden an Deiner Seite. Lilia erhob sich aus einer Ecke des Saals, wo sie still betend gelegen; ihr Auge glänzte in anderer Liebe, als die sie bisher gekannt. Sie trat zu den Liebenden – Ich empfieng die wundersame Kraft, mich Eures Glücks zu freuen, Euch zu segnen. Tilge die Schuld meiner leichtsinnigen Thorheit, als Fürst, Astolf. Alles Gute, was ich von Dir vernehme, wird mein Trost seyn, in dem Leben der Reue und Buße, dem ich mich weihe – eine Stufe zur Versöhnung des Himmels für mich. Verzeiht mir Eure Leiden!

O Lilia, auch ich bedarf der Verzeihung! Ein Jugendwahn riß mich hin, griff feindselig [373] in dein Geschick; nur auf der reinen Bahn der Wahrheit blüht die Liebe in unverwelklichen Blüthen.

Mein reines tugendliches Leben ist das schönste Opfer, das ich deinem Herzen, das sich selbst wiedergefunden, bringen kann.

Um dieser treuen Seele willen hoffe ich auf den Segen des Himmels. Demuthsvoll und gesenkten Blickes – denn sie fürchtete ihr Glück vor der entsagenden Lilia auszusprechen, sagte, Liebegard: Möge ich aller Wunder werth seyn, die mich zum höchsten Glücke führten!

Die treue Gertrud blieb, beglückt, bei der Schwester, bis sie das Weib eines edlen Ritters wurde.

Der fromme Vater wollte nur für die Ewigkeit leben.

Ein beglücktes und beglückendes Geschlecht entsproß dem edlen Paar.

Die Doggen, deren Treue die Liebenden wieder vereinte, zierten in schöner Abbildung die Pforte des Pallastes.

[374]

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TextGrid Repository (2012). Wolzogen, Caroline von. Erzählungen. Erzählungen. Zweiter Band. Treue über Alles. Treue über Alles. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AADD-9