Walther und Nanny

[245] [247]Bildung der Natur

In einem stillen Thale der Schweiz lebten zwey Familien durch die engste Freundschaft verbunden. Nie hatten sie sich um irgend eine Ehrenstelle in ihrer kleinen Staatsverfassung entzweit, nie über irgend einen Vortheil gestritten. Manche Sagen von der Eintracht der Väter, von glücklich bestandener Gefahr auf den stürmischen Seen, auf der Gemsenjagd, in den Eisgebirgen, gingen von Munde zu Munde, ja sogar wie sie vor den Thronen der Könige vereint in unverbrüchlicher Treue gestanden. Innig verwebt sich die Verbindung der Väter ins ganze Wesen und Leben der Geschlechter.

[247] An zwei schroffen Felsen, gleich wie durch einen Waldstrom, der sich aus den höhern Gebirgen ergoß, aus einander gerissen, lagen die einfachen, doch bequemen Wohnungen gegen einander über. Die Väter konnten sich am Morgen die politischen Neuigkeiten aus den Fenstern zurufen, die Mütterchen die Begebenheiten der Wirthschaft, und die Jugend ihre Plane zu kleinen Freuden und Lustparthien.

Wollten sie zu einander kommen, so mußten sie tiefer ins Thal über die hölzerne Brücke, von der sich die herrlichste Landschaft vor ihrem Auge enthüllte. Die klare Fluth des Sees von lieblichen grünen Gebirgen umgeben, die sich in blauen Fernen verloren, aus denen die große Felsenkette emporstieg mit ihren Kronen von ewigem Eise, welche diese glücklichen Thäler so lange der Eroberungssucht verschloß.

Die Kinder beider Familien erwuchsen in holder Vertraulichkeit. Unbekannt mit allen feinern Künsten des Lebens, die dem jungen Verstand Resultate früher als Erfahrungen, [248] Begierden früher als Empfindungen geben, bildeten diese Kinder in stiller Verschlossenheit ihre ganze eigne Kraft in gerader Richtung aus. In ahnungsvoller Dunkelheit lag das Leben vor ihren energischen Seelen, die in schöner angeborner Dichtungskrast eine geheimnißvolle Hoheit hineinlegten, der Widerschein ihres eignen kräftigen Wesens.

Walther, der älteste Sohn des einen Hauses, träumte nur von den Thaten Tells, Winkelrieds und den andern Helden seines Landes. Wenn er zwischen den Felsentrümern unter den stürmenden Tannen ging, wenn die Wälder und die Bergströme um ihn her braußten; dann hörte er das Getöse der Schlacht, das Klirren der Waffen.

Mit nicht minder Treue stand er den Sorgen für die Heerde und dem kleinen Feldbau vor. Alles wurde ihm zum Gegenstand der Liebe, was nur eine gefällige Form und Seite hatte, und seine Liebe war zart, feurig, und belebend. Was er umfaßt hatte, pflegte er mit [249] inniger Sorge, und bewahrte mit Treue, mit einer Art von edlem Stolz, beinah mehr als geschehe es um der Treue gegen sich selbst, als um des Gegenstandes willen, alles am Herzen, was er einmal sein genannt. Er bedürfe nichts als der schönen Anwendung seiner Kräfte, er sey in voller Stärke sich selbst genug, so schien es; aber heimlich und still weidete sich seine Seele an den leisesten Zeichen des Wohlwollens und der Ergebenheit, und litt eben so von Kränkungen, die auf einen Mangel der Liebe deuteten. Er hatte keine Worte für diese Gefühle, beinah keine Zeichen, um sie seinem Gedächtniß anzuvertrauen. Nur ein ernsterer Rückblick auf sich selbst war ihre Frucht, die Sehnsucht nach einer reineren Liebe, die zu tragen vermochte ohne zu begehren.

Walther trug einen berühmten Namen, der sich von jeher im Dienst ausgezeichnet hatte. Sein Vater verwaltete die kleinen Güter der Familie. Anfangs hatte er sich diesem Geschäft aus Liebe und Ehrfurcht gegen seinen ältern [250] Bruder unterzogen, der im ***schen Dienst eine bedeutende Rolle spielte, und einem schnellen Glück entgegen ging; später band ihn die Liebe einer treflichen Frau, und hoffnungsvolle Kinder an den väterlichen Heerd.

Walther sollte die Bahn des Oheims betreten, so wünschte sein Vater, und so heischte sein hochstrebender Muth.

Nanny war die älteste Tochter des andern Hauses. Das Vertrauen der Eltern und die Sorge für ihre jüngeren Geschwister bildeten ihren Verstand zum frühen Nachdenken. Eine reiche Natur, fähig sich nach allen Seiten auszubreiten, und in holder Einheit auf sich selbst zu ruhen, zeigte sich jedem forschenden Auge in dem Mädchen; aber auch der ungeübtere Blick fand in ihr ein liebenswürdiges, sanftes Kind.

Nanny's Liebe war unaussprechlich zart und gewaltig, ihre Gedult war Stärke, und der sanfte weibliche Reiz, die holdeste Schüchternheit war wie von einer allbelebenden Flamme des [251] Geistes umleuchtet, die eine Welt schlafender Kräfte und Fähigkeiten ahnen ließ.

Sie war die Freude des Städtchens, und wenn Nanny mit ihren zwei jüngern Schwestern sittsam gekleidet zur Kirche gieng, harr'ten die ältesten Bürger mit Vergnügen auf einen Strahl dieser hellen Augen, auf ein freundliches Beugen dieses schönen Hauptes, das einen Marmor-Nacken entfaltete.

Mehrere Männer, die sich aus der großen Welt wieder in die heilige Freistaat ihrer Gebirge geflüchtet hatten, bewunderten die Grazien dieser einfachen Natur, und fanden, daß Nanny alles vereine, wonach oft die Kunst der Weltfrauen vergebens strebt.

Eine Fülle des Wohlseyns und der Liebe lebte und webte um das Mädchen her. Ein geheimnißvoller Schauer des neuen frischen Lebens, gleich wie beim ersten Hauche der Frühlingsluft, ergriff selbst jeden kalten erstorbenen Busen.

Bei allen ländlichen Arbeiten, die jenen [252] einfachen Menschen zum Fest werden, beim Tanz und frohen Spiel, waren Walther und Nanny vereint. Bescheiden traten alle Gespielen zurück, wenn sie einher kamen, beide wurden von allen verehrt und geliebt, und nur eins des andern würdig gefunden.

Die innige tiefe Anneigung ihrer Naturen blieb ihnen selbst verborgen, da keine Sehnsucht ihnen die Gewalt des Verlangens zeigte.

Wenn Nanny mit Walthern in den Reihen der raschen Tänzer hinflog, und ihr Auge in das seine blickte, dann fühlte sie wohl eine unerkannte Tiefe ihres eignen Seyns, eine Fülle der Kraft und der Klarheit über ihr Wesen und seine Bestimmung. Zitternd flog sie beim Ende des Tanzes aus seinen Armen und ihr gesenkter Blick wagte kaum sich nach dem seinen zu erheben, der offen und gefällig auf ihrer blühenden Schönheit ruhte.

Im reinen Wohlgefallen, im innigen Wohlwollen gegen das liebe Geschöpf, fühlte Walther alle noch schlafende Kraft seines Wesens mächtig [253] erweckt. Er faßte ihre Hand und schwieg, und nahm endlich die Bilder seiner Helden aus der grauen Vorzeit zu Hülfe, um den Flammen seines Busens Luft zu machen. Er erzählte von gewonnenen Schlachten, und von der Kraft, mit der die Urväter um die goldne Freiheit gerungen.

Mit glühendem Blick, mit bebender Brust hörte Nanny die einfachen heiligen Sagen und Geschichten aus Walthers Munde. Er selbst erschien ihr stark und gewaltig wie eine der mächtigen Gestalten der Vorwelt.

Ein Weltmann

Robert von N., Walthers Oheim, veränderte durch seine Ankunft den einfachen Lebenskreis beider Familien in gewissen Dingen. Schon die Ansicht seines Wesens war eine ganz neue Erscheinung für die jungen Gemüther.

Ritter Robert hatte sich aus dem Dienst zurückgezogen, und richtete sich einen Wohnplatz [254] auf einem der lieblichen Hügel ein, die den See umkränzen. Sein Haus war geschmackvoll, mit Kunstschätzen geschmückt, und zeichnete sich mit seinem neuangelegten Garten unter allen übrigen Wohnungen aus, die nur auf die nothwendigsten Bedürfnisse eingerichtet waren.

Die Matronen und Töchter des Oertchens, die er zuweilen einlud, konnten des Wunderns und Lobens kein Ende finden, während die Väter und Söhne sich mit gutmüthigem Spotte bei Ritter Robert nach dem Nutzen und Gebrauch des zierlichen Hausraths erkundigten.

Der Ruf von Roberts ausgezeichneter Tapferkeit, das Zeichen des Verdienstes an seiner Brust, erhielt ihm die allgemeine Achtung, so sehr sich auch seine ganze Art und Lebensweise von den gangbaren Gewohnheiten und Begriffen entfernte. Sein Urtheil galt sogar in zweifelhaften Staatsfällen oft als Entscheidung. Seine Beredsamkeit, die Klarheit, mit der er den weiten Gesichtskreis der politischen Lagen vorzulegen wußte, räumte ihm eine unläugbare [255] Herrschaft über die Gemüther seiner Landsleute ein, welche Begebenheiten und Verhältnisse stark, aber einseitig und verworren empfanden.

Walther wurde bekannt mit allen Künsten der Verfeinerung durch den Charakter, das Haus und die Lebensweise seines Oheims. Die Schätze des Wissens und der Kunst faßte er lebhaft und mit der hohen Einfalt seines Sinnes. Nach jedem neuen Organ für die Kraft seines Geistes, nach jeder Bereicherung seines innern Vermögens war er begierig bis zur Lüsternheit; aber alles äußere Besitzthum reizte ihn wenig, vielmehr freute er sich der Stärke seines Gemüths, so vieles entbehren zu können. Der erwachende Schönheitssinn ist in starken gehaltvollen Männern reich genug, um sich ganz aus sich selbst zu nähren; äußere Eindrücke gleiten daran ab. Walther warf sich, wenn er aus der Behausung seines Oheims kam, mit Freuden auf seinen altmodischen Sessel, und athmete die Kühlung des Abends durch sein enges Fenster, um ihn schwebten die hohen Erscheinungen [256] seiner Helden, ein Blick der Liebe glänzte ihm aus dem Abendstern entgegen.

Nur alles, was einfach, gerade zum Zweck führend war, das wünschte Walther, und suchte es in dem Hause seines Vaters anzubringen.

Anders wirkte der Anblick des Feinen, des Zierlichen auf Nanny. Des Ritters allgemein bewunderte Gestalt rührte sie nicht, und sein Betragen mißfiel ihr sogar; aber sie fühlte sich reger, vielseitiger bewegt in seinen geschmackvollen Zimmern, wußte allen seinen Hausrath geschickt zu brauchen, den die andern Mädchen kaum anzurühren wagten, und war unter den annehmlichen eleganten Formen wie in ihrem eignen Element. Wenn sie nach Hause kam, fühlte sie ein momentanes Unbehagen, das sie nur aus Liebe und Schonung für ihre Mutter unterdrückte, und das im nächsten Augenblicke im Kreise ihrer gewohnten Beschäftigungen oder in einem holden Traum von Walthern verschwand.

[257]

Liebe und Kampf

Ritter Robert hatte seinem Neffen eine vortheilhafte Stelle im Dienst verschafft; die Zeit war gekommen, wo Walther zu seinem Regiment abgehen sollte. Sein Herz glühte nach Ehre, glühte voll Muth, das Glück der Waffen zu versuchen, aber mit tiefer Rührung dachte er an den Abschied von seinen Eltern, an die Trennung von der Gegend, wo sich die heiligen Träume seiner Jugend gebildet hatten. Ueber Nannys Gestalt lags wie ein Schleier in seiner Seele, den er nicht zu berühren wagte, aber aus der Dämmerung jedes grünen Thales, aus jeder sonnigten Aue, über der blauen Fluth des Sees schwebte Nanny's Bild ihm entgegen und sagte: auch mich willst du verlassen!

Von seinem Oheim hatte Walther einige Klugheitslehren gegen eine allzufrühe Verbindung vernommen, deren Richtigkeit er, in seinen Verhältnissen, empfand. Er kannte auch die ganze Gewalt seiner Wünsche noch nicht. [258] Nie vermochte er es mit Nanny von seiner Abreise zu sprechen; so oft er's versuchte, entgieng ihm der Athem, und seine Worte lösten sich in Seufzer auf. Seine unsichre Lage, vor allem die Sorge, Nanny in drückende Verhältnisse zu ziehen, bekämpften das Verlangen nach ihrer Liebe in seinem Busen.

Ich will gehen, und wenn ihre Wünsche den meinigen begegnen, so hat sie meine Seele verstanden, so finde ich sie unverheurathet wieder! So war sein Entschluß, der bei jedem Blick in Nannys Augen in liebeglühender Sehnsucht zerrann.

Er konnte es in diesem Zustand nicht aushalten neben ihr zu leben, und brachte die Zeit bis zu seiner Abreise auf kleinen Wanderschaften in den Gebirgen zu. Noch einmal wollte er die großen ernsten Schönheiten seines Landes, wie den Geist seiner Urväter in alle Tiefen seiner Seele aufnehmen.

Welch heilige Gewalt der Natur, die den Menschen sich selbst und seiner angebornen [259] Kraft wieder giebt, beseelt jene Formen! Der Geist der Einfalt und Ruhe haucht seinen Segen über die grünen Thäler im Schooß der unersteiglichen Felsen, und der Muth, nur sich selbst anzugehören, jeden Druck menschlicher Gewalt von dem starken Nacken abzuwerfen, rinnt unaufhaltbar und lauter durch die Brust, wie die Ströme aus dem Busen der himmelanstrebenden Felsen. Der Charakter der Natur stempelt die Gemüther hier zur einfachen festen Form, und die Freiheit ist das natürliche Verhältniß einfacher kräftiger Menschen!

Walther stand an dem Fels, wo die drei Verschwornen gestanden; er fühlte sein Innres entglüht zu einer Kraft, die allem zu begegnen vermag, und sein Gelübde in seiner eignen Seele war: in edler Einfalt und Glauben die Bahn der Väter, und den heiligen Tod für die Freiheit zu wählen.

Nannys Andenken begleitete seine höchsten Empfindungen, die edle große Gestalt entflammte den Muth, statt das Herz zur Weichlichkeit [260] herabzuziehen. Der Nacken muß sich nie zur Sklaverey beugen, der es werth seyn soll von dem holden Arm umschlossen zu werden, sprach Walther im tiefsten Herzen. Im regen Gefühl seiner Kraft, das ihn über die Höhen und Tiefen des Lebens erhob, nahm auch seine Neigung einen neuen Schwung.

Ihr ewigen Mauern der Natur bleibt fest und unversehrt, sagte Walther, indem sein Auge zum Scheitel des Berges empor sah, über dem das reine Aetherblau wallte; die Natur legte selbst den Zirkel der Einfalt in unsere Gemüther, wie diese ewige Berge um unsern Gesichtskreis. Stärke und Arbeitsamkeit erhält unsern Muth. Getrennt von dem Lauf der übrigen Welt und den Bedürfnissen, die nur ein Gefühl des immerwährenden Mangels erzeugen, labt uns die Fülle in der Einfalt und Armuth. Freiheit und Liebe ist das erste für eine gesunde Seele, ihr unentbehrlich, wie die Luft dem Athem, wie dem Auge das Licht. Wenn ich Nannys Herz frei wieder finde, mein Leben [261] mit dem ihrigen vereint dahinfließt, ein kleines Besitzthum durch meinen Fleiß angebaut, uns ernährt....

Walther verlor sich in lieblichen Hoffnungen; Nanny schwebte vor ihm wie eine beglückende Göttergestalt. Er beschloß zu schweigen, zu kämpfen, und seine edle Liebe, sein ganz hingegebenes Herz fragte weniger ängstlich, wie solch ein Glück zu erreichen, als wie es zu verdienen sey?

In dieser Stimmung kehrte er zurück. Als sein kleiner Nachen am Abend in die klare Fluth zwischen den grünenden Ufern einfuhr, erblickte er durch den Schatten der hohen Eschen hindurch die Wiese mit der ganzen Jugend des Oertchens bevölkert. Jünglinge und Mädchen zogen ihm fröhlich entgegen, um ihn mit Musik zum Tanzplatz zu begleiten, wo ein kleines Abschiedsfest für ihn bereitet war.

Nur Nannys Auge war trübe, als sie bei ihm vorbeizog. Ihr leichter Nymphenschritt [262] schien gefesselt, und eine ungewöhnliche Mattigkeit hemmte ihre Bewegungen.

Es war die Trauer hoffnungsloser Liebe, die diese reine starke Natur ergriffen und die sich, durch innern Widerstand nur höher gereizt, auf alle Lebens-Organe, gleich einer schmerzlichen Krankheit, warf. Kein schweres Gefühl hatte noch den Lauf des jugendlichen Blutes gehemmt, und der erste Kampf des Herzens, der es aufhielt, drohte dem ganzen Wesen Zerstörung.

Das bescheidene Zurückweichen der übrigen Jugend vereinigte auch jezt Walthern und Nanny zum Tanz.

Der erzwungene Ausdruck der Fröhlichkeit und der seelenzerreißende Schmerz war in der einfachen schönen Natur unverkennbar. Alle Lebensbande drohten mehr als einmal sich in starrer Ohnmacht aufzulösen, aber die Mädchenschüchternheit, die Furcht ihr Geheimniß zu verrathen, geboten eine gewaltsame krampfhafte Anstrengung.

[263] Der ganze jugendliche Kreis bemerkte Nannys Veränderung: Walthern nagte sie am Herzen, und doch flüsterte eine süße Stimme in seinem Innern: ach, ist's um dich?

Walthers Oheim schien die Deutung des Geheimnisses zu verstehen. Stets hatte er Nanny allen übrigen Mädchen vorgezogen, und ihr Zustand verdoppelte seinen Antheil. Mit sanften Bitten nöthigte er sie, sich während der allzuraschen Tänze neben ihn zu setzen. Nanny scheute seinen Blick, ihr dunkles Auge ruhte am Boden, oder suchte Walthers geliebte Gestalt. Kalt wies sie jeden Ausdruck theilnehmender Liebe zurück, da er sie nur bitterer an die heißen vergeblichen Wünsche ihres Herzens erinnerte. Die ganze Harmonie des feinen Wesens war aufgehoben, das alle Zeichen der Liebe mit himmlischer Freude und Unschuld sonst aufnahm. Als Ritter Robert Nannys Hand zu fassen wagte, in Walthers Angesicht, traf den Ritter ein Blitz ihres Auges, vor dem Walther zurückbebte. Schmerzlich betäubt und ergriffen [264] von Nannys ganz fremdem und gewaltsamem Zustand, stand er betroffen vor seines Oheims scharfem Späherblicke. Günstig benuzte er eine kleine Entfernung des Ritters, um Nanny wieder in den Tanz zu ziehen. Mit dem sanftesten Ton fragte er: Nanny, was ist dir? Eine glühende Röthe, eine bebende Brust, ein starrer Blick, ein erzwungenes Lächeln, waren ihre Antwort.

Walther hatte bemerkt, daß Nanny ihrer liebsten Freundin nach dem Tanz zugewinkt hatte. Die Mädchen waren verschwunden, und Walther eilte vom Tanz hinweg. Die Thür des kleinen Lustgartens war halb offen; er sah Nannys Gewand aus den Gebüschen flattern und unwillkührlich, von Liebe und Sorge gefesselt, lehnte er sich an die dünne Breterwand des Gärtchens. Er hörte Nanny seinen Namen aussprechen, und blieb verzaubert an einer Spalte der Wand stehen.

Nanny stand an einen Baum gelehnt. Die Freundin öffnete ihre goldnen Leibhaken, um [265] dem gepreßten Busen Luft zu geben. Nanny seufzte in die blauen Lüfte nach Athem und Leben; ihr großes Auge war gen Himmel gerichtet, und unaufgehaltene Thränen flossen über die rosigten Wangen.

O Nanny, sagte die Freundin: sagte ich's dir nicht schon, ehe die Rosen blühten, ehe unsere Hirten in die hohen Alpen zogen, du heftest dich zu innig an ihn, und kannst ohne ihn nicht mehr leben. –

Weiß ich selbst wie es so wurde? sagte Nanny! Aber ich möchte die Sonne nicht wieder sehen, wenn er hinweg seyn wird. – Wäre nur dieser Abend noch vorbey! Ach ich wußte nicht, was ich wollte, noch wünschte, bis mir meine Mutter gestern von einer Heurath sprach, die sich für mich zeigte, und von der Nothwendigkeit einen guten Antrag nicht auszuschlagen. – Dabei saßte mich ein kalter Schauer, all meine Sinne schwanden, aber Walthers Gestalt stand einzig in meiner Seele!

Alle Bande der Verhältnisse lösten sich von [266] Walthers Busen, er fühlte den tiefen innigen Beruf für Nanny zu leben.

Sie leidet, sagte er, sie leidet um mich, und Thränen der Freude rollten über seine Wangen: Mein soll sie werden!

Er eilte in den Tanzsaal zurück, und konnte den Augenblick nicht erwarten, der seinem Junern die Sprache verliebe. Eine Glorie schwebte um Nannys Haupt, als sie wieder in den Saal trat. Sein Busen wallte hoch; er hatte nicht mehr den Muth, ihr die Hand zu bieten, noch sie in seinen Arm zu fassen im Tanz.

Sieg der Liebe

Der Abend verging, ohne daß Walther sich Nanny zu nähern wagte; aber als der fröhliche Kreis sich trennte, und jeder Walthern seinen herzlichen Abschiedsgruß mit auf die Reise gegeben, eilte dieser still davon, und wartete an dem kleinen Pfad, der zu Nannys Hause führte.

Die ganze Familie gieng in dem Dämmerschein des Mondes, der von Wolken umhüllt war, [267] an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Nanny folgte allein, mit schweren Schritten klimmte sie mühsam den Felsenpfad hinab. Walther trat herzu und bot ihr seine Hand. Beide schwiegen und bebten im Schauer der heiligen Nacht. Der Mond trat eben aus dem Gewölk hervor, und einzelne Sterne flammten hell aus dem tieferen Blau des Himmels, als sie auf das Brückchen kamen. Ueber dem brausenden Strom standen sie zögernd.

Nanny, sagte Walther, ich scheide von dir; aber mein ganzes Herz bleibt bei dir. Kann ich hoffen, daß du es treu verwahren wirst, mein gedenken? – Nanny weinte heftig. Liebste, warum weinst du? sagte er sanft, indem sich sein Haupt auf ihren Arm senkte.

Sie hatte sich gesammlet. Hoch und edel trat sie zurück; seine Hand zwischen ihre beide Hände fassend, sagte sie: Walther, ich läugne es nicht, die Freude meines Lebens flieht mit dir, dein Andenken wird mir heilig seyn. Jetzt [268] nichts mehr, ich bitte. Laß mich im unzerstreuten Gemüth den Muth sammeln, dich zu verlieren. – Verlieren! rief Walther, das verhüte Gott! Nimm mich auf in dein heiliges Herz! Gieb mir die Hoffnung, einst ganz mein zu werden! – Sein Arm umschloß die geliebte Gestalt, und Nanny flüsterte leise an seiner Wange: Das bin ich schon. Aber kann es dich glücklich machen? Ihre Augen kehrten sich zu den Sternen, die heiligen großen Berge stiegen empor im endlosen blauen Aether, der Mondenschimmer umkleidete ihre Riesenformen. Das Leben der Bergströme tönte durch die heilige Nacht, und die Hütten, an die rauhen Felsenwände neschmiegt, huben ihr moosigtes Steindach aus dem Schatten der Thäler. Die einfache, kräftige, hohe, sich selbstgenügende Naturwelt sprach an ihr ganzes Wesen, und die Liebenden reichten sich die Hände zum vereinten Leben. Ihre Liebe war der Einklang ihrer schönsten und höchsten Kräfte, sie fühlten alle ihre Fähigkeiten im unermeßlichen Wachsthum, fähig alle Sorgen [269] und Mühen des Lebens zu überwinden oder zu ertragen.

Familienverhältnisse

Walther war zu stolz, eine seiner Handlungen verbergen zu wollen, am wenigsten, wenn er glauben konnte, Unzufriedenheit durch sie zu erregen. Je mehr seine Feinheit dabei litt, irgend eine unangenehme Empfindung zu erregen; je lauter forderte sein Wahrheitsinn dieses Opfer, und er konnte einen erzürnten, aber keinen unverdienten Blick des Wohlwollens und der Zufriedenheit ertragen.

Ritter Roberts Meinungen drückten sich unvermerkt seinem Bruder, vorzüglich seiner Schwägerin auf, die sie mit aller Zähigkeit des blinden Glaubens an unbezweifliche Formeln aufnahm. Aber ihr fehlte, in ihrem kleinen Kreise, die Kenntniß der Verhältnisse, um die Welterfahrungen ihres Schwagers als eigne Resultate aufzunehmen, desto unbeschränkter dagegen war [270] ihr Vertrauen. Sie hörte Roberts Erzählungen von seinem vergangenen Leben stundenlang zu, und dachte sich ihren Walther mit Entzücken schon in jenen glänzenden Lebensscenen.

Walthers Vater lebte ganz im Sinn der Einfalt und Stille, und hatte so viel Liebe für Walther und eine so hohe Meinung von ihm, daß er keinen seiner Schritte mißbilligen konnte, noch ihn je zu einem drängen. So sehr auch er die Obergewalt seines Bruders erkannte, so konnte dieser ihn doch nicht einen Augenblick mit seinem Walther unzufrieden machen. Er vernahm Walthers Nachricht, daß er sich mit Nanny verlobt, mit jener Freude einfacher Menschen, die Vertrauen in sich selbst und in Andre zu setzen vermögen, weil sie Güte und Kraft in sich fühlen.

Die Mutter, voll von des Oheims Lebensansichten, sah eine frühe Verbindung ihres Sohnes als das Grab seines Glücks an. Sie vernahm die Nachricht mit zurückgehaltnem Unmuth und Sorge, mit lächlendem Mund, aber [271] mit zerrissenem Herzen. Eine harte unfreundliche Aeußerung gegen Walther war ihr unmöglich; aber ihr Schweigen, ihr gesenktes Auge sagte ihm genug.

Vater und Mutter begleiteten Walthern zu seinem Oheim.

Gegen Aller Erwartung empfing dieser Walthers Eröffnung ohne Zeichen der Verwunderung, sogar anfangs herzlich und theilnehmend.

Da dich das Schicksal bestimmte, sagte er, so folge nun auch demselben mit Stätigkeit. – Lerne dir selbst treu bleiben, auch gegen fremden Wankelmuth.

Hohe Röthe flog über Walthers Stirn. Ein Zweifel an Nanny! Das trennte sein Innerstes, und alle getrennte Kraft seines Wesens vereinigte sich in Abneigung gegen den, der ihn erregen konnte.

Der Oheim hatte Walthern fest ins Auge gefaßt. Er stand jezt von seinem Siz auf, faßte Walthers Hand und sagte: Es ist heute der erste Tag, an welchem du Nanny dein nennst. Folge [272] der Gewalt freundlicher Täuschungen, aber laß dein Herz der nackten Wahrheit dereinst nicht unbewaffnet begegnen. Die unheilbarsten Wunden schlagen uns die seligen Erscheinungen des Lebens, wenn sie das Schicksal oder unsre eigne Thorheit gegen uns kehrt.

Ritter Robert sprach die letzten Worte mit einem Seufzer, als enthielten sie die schmerzvolle Erfahrung seines eignen Busens.

Walther war bewegt. Das Brausen des Zornes in seinem Blute verwandelte sich in das sanfte Wallen der Rührung; er erwiederte den Händedruck seines Oheims mit gesenktem Blicke.

Nur Eins bitte ich noch, sagte Robert, verschließe dein Verhältniß mit Nanny in deinen Busen, wenn du in die fremde Welt kommst. Die Welt nennt es Thorheit, gefesselt den Pfad des Glücks zu betreten, und sie verzeiht alles leichter als diese Thorheit. Auch hier, da es doch von unsrer Stadt mancherlei Verbindungen nach deiner Garnison giebt, auch hier laß deine [273] Verbindung mit Nanny ein Geheimniß beider Familien bleiben. Keine förmliche Anwerbung geschehe noch, sie würde nur ein unnützes Aufsehen erregen.

Walthers Eltern waren zufrieden, Robert in dieser Stimmung zu sehen, und fügten sich gern in seinen Willen. Walther hätte gewünscht, sein Glück in alle Lüfte auszuhauchen, und von jedem menschlichen Angesicht wiederstrahlen zu sehen; aber er wagte nicht in einem an sich unbedeutenden Umstand seine Eltern durch Widerspenstigkeit zu kränken.

Von Vater und Mutter immerwährend zur Nachgiebigkeit gegen den Oheim ermuntert, gab er durch eine stumme Verbeugung seine Einwilligung.

Obgleich Walthers Eltern entfernt von jedem niedrigen Eigennutz waren, so schweifte doch unwillkürlich ihre Fantasie, von elterlicher Sorge bewegt, über ihres Schwagers blühendem Landsitze, und sah ihn im Nebel der fernen Zeit auf ihre Kinder, vorzüglich auf Walthern übergetragen, [274] der von dem Oheim besonders werthgehalten schien. Vorzüglich bildete die Mutter ihre Wünsche zu bestimmteren Hoffnungen.

Walthers freie schöne Natur konnte sich nur aus Liebe (oder aus natürlicher Uebereinstimmung) nach einem fremden Willen beugen, und sein Betragen gegen den Oheim lenkte die Liebe für seine Eltern weit mehr als persönliche Anhänglichkeit für jenen selbst. Ritter Robert blieb Walthern von vielen Seiten immer eine fremde Erscheinung. Wenn er Walthern in einer Stunde mit aller glühenden Wärme seines Geistes an sich gerissen hatte, so stieß er ihn in der zweiten durch eine kalte unfreundliche Laune zurück. Es war noch etwas Tieferes als Laune in diesem Zurückstoßen. Laune hätte der Liebeglühende Jüngling vielleicht ertragen oder übersehen; aber Walther fühlte eine Lähmung seiner besten Kräfte, ein Erstarren seiner heiligsten Gefühle, wenn er sich dem Ritter in jenen Verstimmungen näherte. Kalt, zerstörend und wegwerfend waren Roberts Blicke und Worte, und aufgerieben im [275] inneren Unfrieden zerstörte er jede harmonische Gestalt, die sich ihm näherte.

Nanny verschloß das Geheimuiß ihres Glücks im tiefsten Herzen, weil sie keine Worte dafür zu finden wußte. Ihre Mutter hatte die stillen beweglichen Traumgestalten in der jugendlichen Mädchenfantasie, mit dem Seherauge der Liebe erblickt. Es wurde ihr leicht, Nannys verändertes, erhöhteres Wesen zu deuten.

Als Mutter und Tochter den nächsten Abend allein bei weiblicher Arbeit am Fenster saßen, und die Abendsonne das Angesicht des Mädchens umleuchtete, glänzte das Auge der Mutter innig und vielbedeutend. Nanny las ihr Geheimniß in demselben, erröthete, bebte und ihr gepreßter Busen erlag unter der süßen Gewalt seiner Gefühle.

»Nanny!« sagte die Mutter, und reichte ihr die Hand. Nanny lag an ihrem Busen und stammelte: ich bin Walthers Verlobte!

Der Vater kehrte eben vom alten Walther zurück, wo er das Geheimniß der Liebenden erfahren. [276] Nanny hing an seinem Halse, als auch Walther herein trat.

Er empfing Nanny bebend aus den Armen ihres Vaters, und den Segen der Eltern mit dem Herzen des Mädchens im Angesicht der väterlichen Laren zu empfangen, das gab seinem Glück eine gewisse Heiligkeit, eine Sicherheit, als sey es nunmehr allen Stürmen des Lebens entrückt.

Trennung

Nanny sah das Schiff vom Ufer stoßen, welches ihren geliebten Wather trug. Nicht wie sonst führte sein Arm geschickt und stark das Ruder; er stand in der Tiefe des Schiffes, und seine Blicke hingen starr am Ufer, bis der Nebelduft der Ferne sich zwischen die geliebten Gestalten legte. Nanny eilte dann auf den Gipfel eines Berges, der im See vorsprang und sah das Schiff mit seinem weissen Segel in den grünen Kranz von Bäumen und Gesträuchen einfahren, der sich in den obern See hineinzieht.

[277] Es ist das Land der Hoffnung, das sich freundlich vor ihm aufschließt, rief Nanny: O, möchte er bald das rasche Glück, dessen er, nicht ich, bedarf, umfassen und heimführen!

Jedes wahre und tiefe Gefühl schloß Nannys gute Seele ans Ueberirrdische, und sie stand jetzt in der höchsten Stimmung ihrer Natur an den Schranken einer andern Welt.

Von ihrer Freundin begleitet, eilte sie der kleinen Capelle eines Nonnenklosters zu, welches am Abhang des Berges lag, um im Stillen für die glückliche Reise ihres Walthers zu beten, um dem ewigen Wesen, dessen frommes Gefühl sie so oft in diesen Mauern ergriffen, für das Glück ihrer Liebe zu danken.

Sie lag in stiller Anbetung, als eine sanfte Musik durch die Hallen der Capelle ertönte. Mit ihrem innersten Empfinden schienen diese Töne vertraut zu seyn. Hoffnung, Friede und Trost lagen in der hinreißenden Melodie, welche sie noch nie vernommen. Wenige einfache Worte, von den reinsten Stimmen vorgetragen, deuteten [278] klar auf ihren eignen Zustand. Nanny und ihre Freundin sahen sich verwundert an; das Gitter des Chors war verhüllt.

Im Sprachzimmer erfuhren sie von einer Freundin im Kloster, unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses, daß Ritter Robert die Musik veranstaltet habe, daß ihre besten Sängerinnen sie denselben Morgen auf Befehl der Aebtissin einstudirt hätten, und daß Robert ausdrücklich verlangt habe, daß diese Musik das erstemal, wenn Nanny wieder in die Capelle käme, vorgetragen werden möchte.

Nanny war angenehm gerührt durch diesen unerwarteten Antheil an ihrer Empfindung. Sie warf sich selbst eine Art vor schüchternem Mißtrauen gegen den Ritter vor, das seit langer Zeit im Grund ihrer Seele lag.

Als sie auf dem Heimweg an seiner Gartenlaube vorbei kam, neigte sie sich gefälliger als sonst gegen ihn, und kam, auf seine Einladung, ohne Widerwillen, in den Garten. Er unterhielt sie sanft, zeigte ihr aus seiner Sammlung [279] Ansichten von Gegenden, die Walther in kurzem durchreisen würde, erzählte von der Geschichte, den Sitten und Verhältnissen dieser Länder. Der Ton seiner Stimme war anmuthiger gedämpft als gewöhnlich. Sein ganzes Wesen schien Ernst und Ruhe zu athmen. Eine sanfte Einstimmung in Nannys Gemüths-Zustand zeigte sich in seinem ganzen Betragen, in allen Anordnungen zur Bewirthung der kleinen Gesellschaft.

In einer entlegnen selten besuchten Laube, welche ein Parterre von Nachtviolen und Lilien umgab, wurden die Erfrischungen gereicht. Das Abendroth flammte durch den Hain, und röthete den kleinen Wasserfall am Ende des Gartens. Die sanften Farben der Landschaft, die Blumen, die ihre Düfte im Schatten des Abends aushauchten, alles stimmte in Nannys Gefühl. Walthers Bild belebte alle Gegenden, die Robert ihr vorlegte. Unvermerkt lösten sich die Bande der schmerzlichen Sehnsucht, sie faßte ein freies Verstandes-Interesse an Roberts Erzählungen, [280] und eilte als der Mond aufging, von ihm und der Freundin begleitet, mit stillem Gemüth der väterlichen Wohnung zu. Während der einförmigen häuslichen Beschäftigungen war ihre Einbildungskraft um so lebendiger. Die Hoffnung auf Roberts Unterhaltung für den Abend vereinigte sich bald mit den Träumen von Walther, um das innere Leben der Fantasie zu beflügeln, das den einförmigen Lauf der Stunden rascher dahin führte.

Die Liebe hatte in Nannys Wesen gleichsam alle Saiten des geistigen Lebens feiner und zärter angezogen. Ihr Verstand strebte reger alle Gegenstände der Erkenntniß mit sich zu vereinigen, und suchte die höhern Beziehungen; ihre Stimme sang Laute der Empfindung, und strebte den inneren Gesang ihrer liebenden Seele auszudrücken; ihre Hand zeichnete zarte Formen mit Treue; sie fühlte mit einem Wort durch die Liebe ihren regen Schönheitssinn erweckt, der bis jetzt nur in den Banden einfacher Bedürfnisse ordnete und schuf; alle schlafenden Fähigkeiten [281] in ihrem Wesen rangen jetzt nach Stoff und Ausdruck.

Robert war der einzige gebildete Mann in ihrem Zirkel. Gefällig bot er ihr eignen Unterricht und Bücher an, freute sich ihrer Fortschritte und sagte oft: wie wird sich Walther freuen, wenn er zurückkommt, an seiner Nanny keines der Talente zu vermissen, die er in dem Umgang mit der feinen Welt an den Weibern schätzen lernte.

Welcher Antrieb für Nanny! Bald empfand sie die lebhafteste Dankbarkeit für Robert, und der Widerwille, das Unbehagen, welches sie sonst in seiner Gesellschaft empfunden, nahm immer mehr die Farbe einer schüchternen Achtung an, die sich einem höheren Talent mit einer Art von sorgsamer Unruhe nähert. So legte sich Nanny ihre Zurückhaltung gegen Robert selbst aus, denn undankbar zu seyn, zu scheinen, das kränkte ihr edles Gemüth tiefer, als jeder andere Schmerz des Lebens. Vertrauen einflößen zu können, ist ein Geschenk [282] der Götter, eine Annäherung an ihre reinere Natur.

Nanny kämpfte gegen die Winke ihres guten Genius, der sie von Robert und von einer Kette schmerzlicher Begebenheiten zu entfernen strebte.

Enträthselter Egoismus

Robert war ein Mensch von großen Kräften und Anlagen, dem aber die Natur, oder eine einseitige Ausbildung, das innere Gleichgewicht versagt hatte. Ihm fehlte der Glaube und die Liebe, und sein Leben war ein endloses Steigen und Sinken, Anziehen und Abstoßen.

Einen Gegenstand, dem seine glühende Einbildung heut überirrdische Schönheit lieh, entkleidete sein Scharfsinn morgen. Den exaltirten Zustand seiner aufgereizten Begierde nannte er Liebe, und da der Genuß oder die wiederkehrende Nüchternheit des Geistes alle Gegenstände seines erloschnen Begehrens in kahle Aschenhaufen verwandelte, so lag das Leben [283] nach wiederholten Täuschungen endlich als eine schauderliche Einöde vor seinem Geiste. Er lebte nur mit den Gestalten seiner gewaltigen glühenden Einbildungskraft, die er als philosophische Systeme, als die Frucht freier allgemeiner Ansichten, als eine Blüthe innerer Bildung anstaunend verehrte.

Das Leben wurde ihm zum Possenspiel, und nur die Freude an der Entwickelung seines eigenen Scharfsinns und das Selbstbehagen des Stolzes, leitete ihn in Verhältnisse mit Menschen. Längst war er mit sich übereingekommen, daß kein Gegenstand Werth an sich habe.

So lange die ganze unendliche Natur an unverstimmte Sinne spricht, ist das Gefühl des Herzens nicht völlig zu tödten, es widerspricht immer leise und leiser jenem Gespinste des kalten Egoismus. Verlangen und menschliche Theilnahme lenken oft für Momente den Nachen des Lebens, der nur dem sichern Hafen der Spekulation zuzusteuern wähnt.

Roberts Denk- und Handlungs-Art hatte [284] etwas Unzusammenhängendes, wie der wechselnde Zustand seines Gemüths, und wurde nur noch verworrener, weil er selbst in dem Wahn stand, als sey die Consequenz seine vorleuchtende Eigenschaft. Er täuschte sich selbst über die Motive seiner Handlungen; seine rege Phantasie, immer von lebhaften Neigungen und Trieben bewegt, verschob allgewaltig alle Grenzen der äußeren Erscheinungen; die Wirklichkeit wurde nur zum Stoff ihrer Bildungen, und so zerstörte Robert die lebendigen schönen Formen, indem er sie als eine todte formlose Masse zu seinen Planen behandelte.

Er folgte seinen Begierden um desto zügelloser, da seine fantastische Ansicht ihnen den Stempel der Vernunft aufdrückte, und seinem Egoismus den gefälligen Schein eines moralischen Werthes gab.

Nanny hatte ihm erst gefallen, und ihn bald leidenschaftlich angezogen. Ihre feinere höhere Natur gab selbst der blinden Begierde eine Farbe des zärteren Verlangens, das mehr [285] als momentanen Genuß heischt. Nanny's Neigung einzig zu gewinnen, im holden Glanz ihrer Zärtlichkeit sein eignes Daseyn verklärt zu sehen, diese Wünsche lagen in Roberts Seele, ob sie gleich sein Scharfsinn in tausend verschiedene Formen zersplitterte.

Die Neigung seines Neffen für Nanny entging Roberts durch Leidenschaft geschärften Blicken nicht, und er sah auch Nannys lebhaften Antheil an Walthern; beides ohne Sorge.

Der Wechsel der Neigungen war ihm nach seinen eignen Erfahrungen gewisser als ihre Dauer.

Der Vortheil einer äußeren, sicheren und glänzenden Existenz, den er für sich nie aus den Augen verloren hatte, würde auch Walthern bei mehrerer Weltkenntniß bestimmen, seinen ersten Jugendeindrücken zu entsagen; so wähnte er, und eben so gewiß rechnete er auf die Gewalt der Gegenwart bey Nanny.

Ist ihre Liebe wahr und treu, sagte er bei sich selbst, so wird sie alle Schwierigkeiten überwinden,[286] ja diese werden selbst den Liebenden nur höheres Glück gewähren. Als Philosoph wünschte er die Stärke und die Grenzen dieser Gewalt zu kennen, zu sehen, wie die gesunde Natur sich gegen die Macht der Kunst vertheidigen würde. Während er sich als Beobachter durch dieses Schauspiel interessirt wähnte, hatte er unvermerkt die Fäden der Begebeuheiten selbst gefaßt, um die Verwickelung anzulegen. Ohne daß er sichs klar gestand, war die Probe, auf welche er die Treue der Liebenden zu stellen gedachte, nur ein Versuch, Nanny für sich zu gewinnen.

Roberts Gestalt war gefällig; das Feuer seines Geistes belebte sie mit dem Glanz der Jugend. Die Gewalt, mit der die Erscheinungen seiner Fantasie sein eignes Gemüth beherrschten, zog einen magischen Kreis um ihn her, in dem sich jede auch fremde Empfindungsart einer unsichtbaren Herrschaft unterworfen fühlte.

Die Welt hatte ihm die Kunst gelehrt, Meister jeder seiner Aeußerungen, jeder seiner [287] Bewegungen zu seyn, und so verstand er immer den Moment zu benutzen, und war nie gezwungen, einen Schritt zurück zu thun.

Entschlossen die Fesseln der Ehe für immer zu fliehen, hatte er mehr als einer weiblichen Existenz Glück und Frieden geraubt. Er hatte die Blüthen der Liebe und Unschuld durch die Gluth seiner Leidenschaft versengt, ohne sie wieder im Schatten der Treue zu erfrischen.

Mit den Jahren nahm der Unglaube an sich selbst, der Unglaube an andere, und der Egoismus zu, der jedes Opfer ohne Erröthen und innern Vorwurf anzunehmen vermag.

Wir überlassen Nanny dem Schutz ihres Genius, der Wahrheit und der Natur, um sie aus dem tausendfädigen Gewebe zu erretten, mit welchem die List sie zu umspinnen eilt, und folgen indessen Walthern auf seiner Reise.

[288]

Eine neue Bekanntschaft

Die Welt lag da vor Walthers Augen in dämmernden großen Massen, wie vor den Rittern der alten Zeit. Auf Gott, seine Dame und sein gutes Schwert vertrauend, begehrte er nichts als Mühe und Gefahr, um mit den Palmen des Sieges die Rosen der Liebe zu überschatten. Die lieblichsten Träume von Nanny umfingen ihn und kühlten mit ihren rosigten Schwingen den heißen Schmerz der ersten Trennung.

Mehrere kleine Abentheuer hatten Walthers Herz schon erprobt; seine edle Treue verschmähte das Spiel zärtlicher Empfindungen. Jetzt zog von fern eine drohende Wolke über den klaren Himmel seiner Liebe aus.

Er langte Abends in einer kleinen Grenzstadt an. Es war zu spät, um die Reise fortzusetzen, auch lud ihn der freundliche Anblick des Städtchens zum Bleiben ein.

Bald bemerkte er, daß die Volksmenge sich nach einem entlegenen Hause zudrängte. [289] Er folgte und erfuhr, daß dort das Theater sey, und daß die Vorstellung so eben ihren Anfang nehmen werde.

Man führte ihn auf einen Platz, welcher für Fremde bestimmt war. Alles war schon dicht besetzt, und er hatte Mühe, noch einen Sitz zu finden. Der Vorhang war schon aufgezogen, als noch eine Dame in die Loge trat, und sich verlegen nach einem Platz umsah. Walther bot ihr den seinigen an, den sie nach einigen Entschuldigungen und merklicher Verlegenheit annahm.

Es wurde eines unserer bekannten und beliebten Stücke gegeben. Die alltäglichen Charaktere und leichten Begebenheiten standen in richtigem Verhältniß zu den Fähigkeiten der Schauspieler. Das Ganze machte einen harmonischen Eindruck, und Walther fühlte sich angenehm unterhalten durch den, ihm noch ganz unbekannten, Zauber der dramatischen Kunst.

Der enge Raum nöthigte ihn, dicht neben der Dame zu stehen. Ihr ganzes Wesen machte [290] den gefälligsten Eindruck. Ihr Benehmen, alle ihre Bewegungen waren voll einnehmender Grazie, sanft und anschmiegend, wie eine laue Frühlingsluft. Die ganze übrige Gesellschaft, die noch aus mehreren Frauen bestand, ließ ihn kalt und uninterressirt, der fordernde Blick der Frauen, der frei und ohne Zurückhaltung auf ihm verweilte, beleidigte sein Gefühl; die seltnen gleichsam zurückgehaltenen Blitze aus den Augen seiner Nachbarin hingegen ergossen eine milde Wärme in seinen Busen. Die übrige Gesellschaft schien sich bald gar nicht mehr um die beiden Fremden zu bekümmern, die sich um desto mehr als alte Bekannte betrachten lernten.

Als Walther während des ersten Akts herausgegangen war, und im Zurückkehren zwischen den Lichtern im Grund der Loge stand, grüßten ihn die Augen seiner Dame so sanft, wie einen langentbehrten Freund, und die Dankbarkeit für die erwiesene Gefälligkeit, gab ihrem ganzen Wesen eine entzückende Milde. Er sagte ihr einige Worte über den Eindruck [291] des Stücks, und fügte hinzu: er müsse an seinem eignen Urtheil zweifeln, da es die erste dramatische Vorstellung sey, welcher er beiwohne.

Vielleicht ist es um desto richtiger, erwiederte sie sanft, da Sie es aus dem eignen Reichthum Ihrer Natur schöpfen, von dem uns die Welt so oft etwas raubt.

Sie wurde nach dieser Aeußerung noch offner gegen ihn.

Die letzten Scenen einer glücklichen Entwicklung, durch die Vereinigung der Liebenden, setzte Walthern in die lebhafteste Täuschung. Er sah die eignen Wünsche seines Herzens wie im magischen Spiegel der Zukunft, mit Erfüllung gekrönt. Nanny und er traten an die Stelle der Glücklichen, und sein Auge schwamm im süßen Thau liebender Entzückung.

In dem Zauber dieser Täuschung hatte er es nicht bemerkt, daß seine Hand auf der Hand der Dame, statt auf dem Rücken des vor ihnen stehenden Stuhles lag. Er fühlte. ihr sanftes [292] Streben sich zu befreien, als der Vorhang sank. Seine Hand fuhr zurück, aber sein überfliessendes von Nannys Gegenwart erfülltes Herz, begleitete sein »Verzeihen Sie« mit einem so süßen Blick, daß die Dame die Augen niederschlug.

Die rauschende Gesellschaft war schon aus der Loge hinaus; die Dame stand noch im Grund, sah sich verlegen um, als erwartete sie jemand, grüßte dann Walthern und war schnell verschwunden.

Er bereu'te jetzt ihr den Arm nicht geboten zu haben, und fühlte ein sonderbares Unbehagen bei dem Gedanken, er werde sie nie wieder sehen.

Es war ein dunkler Abend, der Himmel war umwölkt. Er zweifelte, sie wieder finden zu können. Als er vor dem Comödienhause stand, und das Gewühl der Menge sich nach und nach verlor, sah er im Schein einer Pechfackel, daß noch eine weibliche Figur an einem der Pfeiler lehnte. Sein Herz ahnete sogleich [293] seine Unbekannte; freudig eilte er ihr entgegen. Sie scheinen auf jemand zu warten, Ihr Bedienter verfehlte Sie vielleicht? Beide erkannten sich jetzt im Schein der Fackel, und sie sagte freundlich, indem sie sich seiner Führung überließ: Sie sind heute zu meinem Schutzgeist bestimmt.

Die Dame logirte in demselben Gasthof, wo er seine Sachen hatte hinbringen lassen.

Der Bediente kam ihnen eben entgegen, und wollte noch einmal nach dem Comödienhause zurück, wo er seine Herrschaft vergebens gesucht hatte. Er war höchst übellaunig über diesen sonderbaren Zufall, da er doch behauptete an dem Haupteingang, wo sie ihn hin bestellt, sich zur gehörigen Zeit eingefunden zu haben.

Frau von L. lachte über den Unmuth des Menschen, und kam in die fröhlichste Laune, in der sich ihr Wesen in neuer Liebenswürdigkeit entfaltete.

Ein heitres Gesicht, das im immerwährenden [294] Spiel alle wechselnden Bewegungen ihres Gemüths ausdrückte, aber dabei immer in den Linien der Anmuth blieb, eine feine schlanke Gestalt, und vor allem eine süße beugsame Stimme, die gerade zum Herzen drang, diese vereinigten Reize versetzten Walthern in die lieblichste Stimmung. Er stand wie im Auschauen eines blühenden Rosenbusches, in dem die Frühlingslüfte spielen, und die Strahlen der Morgensonne schimmern. Endlich verfiel er in ein sanftes Sehnen nach der Gestalt der Geliebten, die ihm aus dem Duft der Ferne entgegen drang.

Frau von L. stimmte auf das natürlichste in den Ton der Sehnsucht. Ihr Blick schien auch etwas in der Ferne zu suchen, oder in sich gekehrt auf einem Gegenstand zu verweilen. Bald gab sie den Ton sanfter vertraulicher Freundschaft an, bezeugte einen so innigen Antheil an Walthers Lage und Verhältnissen, der seine Offenheit forderte. Gefällig entgegenkommende Fragen, die die Bande des Schweigens [295] unvermerkt auflösten, machten sie bald mit allem bekannt, und Walther fühlte sich angenehm in den Kreis der Seinigen zurückgeführt. Frau von L. war durch sein Vaterland gereist, und ihre lebendigen Gemählde riefen den Zauber goldner Tage zurück. Nannys Name, seine Liebe wurde nicht genannt; bescheiden schlug Frau von L. ihre Augen nieder, wenn sie wähnte eine Frage gethan zu haben, die das Gebiet der seeligsten Empfindung berührte. Walther, durch diese edle Feinheit sicher gestellt, überließ sich unbefangen der Fluth sanfter Erinnerungen, und ein lieberfülltes Herz drückte sich in mancher leisen Bewegung aus.

Frau von L. entließ Walthern mit dem Versprechen, ihn den folgenden Morgen beim Frühstück wieder zu sehen. Walther fühlte sich in der fremden Welt durch diese Bekanntschaft zuerst einheimisch geworden. Seine Empfindung hatte einen Anklang gefunden, und das Vergnügen von seiner Geliebten mit seiner neuen Freundin zu sprechen, sie mit seinem [296] Glück und seinen Hoffnungen bekannt zu machen, versetzte ihn in eine goldene Zukunft.

Die Ungeduld, auch von der Lage der Frau von L. unterrichtet zu seyn, verhinderte ihn am Einschlafen. Wer ist sie? Wo wohnt sie, und seh ich sie morgen zum letztenmal? Diese Fragen kehrten immer in seinem Gemüth wieder, und er konnte es kaum begreifen, daß er von ihrer Lage gar nichts, und sie von der seinen so vieles erfahren; aber er konnte sichs nicht denken, daß er Frau von L. ganz wieder verlieren könnte.

Die Schutzgeister zweier Menschen scheinen bei der ersten Bekanntschaft sonderbar thätig zu seyn, um die flüchtigen Momente des Zusammenseyns mit einer unendlichen Kette der Ahnungen in die dämmernde Zukunft zu verlängern.

Walther erwachte in der angenehmsten Stimmung, und eilte nach dem Garten, wo seine neue Freundin ihn zu erwarten versprochen. Aber als er über den Vorsaal gieng, fand er [297] ihr Zimmer geöffnet und leer. Die geschwätzige Wirthin kam eben, um es für den Empfang eines andern Gastes zu bereiten, und erzählte Walthern, daß gestern noch spät ein fremder Herr angekommen wäre, den Frau von L. noch gesprochen habe, und mit ihm in aller Frühe abgereist sey. Der Herr habe nicht fröhlich ausgesehen, aber sie habe ihm sehr freundlich und gefällig begegnet. Es sey eine liebe Frau, nur zu gut, zumal gegen die Männer, schien sie zu seyn.

Walther verfiel in tiefes Nachdenken. Das Verschwinden einer so angenehmen beglückenden Erscheinung fiel ihm schmerzlich. Er befahl auch sogleich seine Pferde vorzuführen. Ein träger Hausknecht kam nachgeschlichen, als er schon zu Pferde saß, um ihm ein Billet einzuhändigen, welches die fremde Dame für ihn zurückgelassen. Es war folgenden Inbalts:

»Die unerwartete Ankunft meines Vetters, den ich erst diesen Abend erwartete, nöthigt mich, durch diese Zeilen Abschied von Ihnen zu nehmen. [298] Wenn Ihnen meine Bekanntschaft nur halb so viel Vergnügen macht, als mir die Ihrige, so haben wir uns nicht zum letztenmal gesehen, denn ein gutes Schicksal vergönnt uns, nur in geringer Entfernung zu leben.


»Mein gewöhnlicher Aufenthalt ist das Schloß B., welches nur vier Stunden von Ihrer Garnison entfernt ist, und in zwei Monaten hoffe ich Sie bei mir zu sehen; um diese Zeit werde ich von meiner Badreise zurückkehren.«

Leonore von L.


Walther verfiel auf sonderbare Gedanken, durch die Aeußerungen der Wirthin veraulaßt, über das Betragen der Frau von L. Sein Oheim hatte ihm manches von den lockern Banden der Sittlichkeit im Weltleben unter den Frauen gesagt. Aber das liebenswürdige Andenken seiner Freundin überwand bald alle Zweifel, und er machte sich sogar Vorwürfe, daß solche unsichere Nachrichten ihn beinahe zu einem ungerechten Urtheil über sie bewegen konnten.

[299]

Eintritt in die Welt

Walther war mit den besten Empfehlungsschreiben von seinem Oheim versehen, und sein edles, offnes Gesicht machte sie überflüssig.

Seine Obern waren mit seinen Kenntnissen und seinem Diensteifer höchst zufrieden; aber in welchem veränderten Licht erschien ihm selbst seine neue Lage, da der gewöhnliche einförmige Lauf des Lebens alle zauberische Gluth seiner Jugendträume verlöschte.

Sein Muth hatte sich gerüstet, unermeßliche Berge zu übersteigen, aber nicht ein Feld voller kleiner Hügel mühsam zu durchirren, um ein ungewisses Ziel zu erreichen. Muß nicht das Glück auch dem Verdienst die Hand bieten? sagte er unmuthig zu sich selbst.

Der erste Anklang der großen Welt lockt selten einen Wohllaut aus der Brust eines stark empfindenden ernstgebildeten Jünglings. Die Gewohnheit, wichtige Dinge leicht zu treiben, scheint ihm Frivolität, und seine innere Hoheit, [300] seine Energie, unzufrieden, daß sich ihren Wirkungen kein Stoff darbietet, lastet auf seinem eignen Wesen, und erzeugt Unfrieden mit allen Dingen um sich her.

Walthers Gutmüthigkeit, die angeborne Stille seiner hohen Seele, die nur im Athem der Liebe nach Ausdruck und Mittheilung rang, gaben seinen Aeußerungen mehr die Farbe der Trauer, als der Unzufriedenheit. Er wurde von allen Cirkeln gesucht, geliebt, und die geheimnißvolle Stille seines Wesens zog die Frauen unwiderstehlich an. Aber er stand fest und einsam wie die hundertjährige Eiche des Waldes. Ihre breiten Aeste geben dem niedern Gesträuch Schutz in Stürmen, während ihr eignes Haupt, dem großen freien Leben der Natur dargeboten, vom Blitze zerschmettert fällt.

Nannys Briefe erhielten Walthers Herz lebendig. Mit mädchenhafter Scheue und Zartheit drückte sie ihre Liebe und Sehnsucht mit ungeübter Hand und in ungebildeter Sprache aus; aber jedes ihrer Worte begleitete ein [301] Nachhall ihrer Silberstimme, die noch in seinen Ohren tönte.

Die Briefe des Oheims enthielten Geschäfte oder Lehren; aber die Briefe seiner Mutter hatten einen eignen düstern Anstrich, der ihn mit sonderbarer Trauer ergriff.

Dunkle Weisungen auf die Unsicherheit unserer Erwartungen, auf die schwankende Treue im menschlichen Herzen, wechselten mit den Begebenheiten der Stadt und seines Hauses.

Sie sprach endlich einmal von Nannys verändertem Wesen, seit dem täglichen Umgang mit seinem Oheim. »Sie spricht fertig Französisch, schrieb sie, ich verstehe nicht was? Die Leute sprechen freilich mancherlei darüber, doch ich halte sie immer noch für unschuldig.«

Walther fuhr auf, wie er dieses las.

Man hält sie für unschuldig! Kann die himmlische Gestalt auch nur ein Schatten der Schuld bedecken! Aber warum sagt sie mir nichts von ihren neuen Beschäftigungen, von ihren Fortschritten? Wie hat sie auf einmal jene beinah [302] an Widerwillen grenzende Zurückhaltung gegen den Oheim überwunden? Warum sagt sie mir nichts von seinem Antheil an ihr, der mich unsrer künftigen Lage wegen freuen muß? –

Er that sich diese Fragen unaufhörlich, und verfiel bei seiner, schon alle Ansichten verwirrenden, Heftigkeit nicht auf Nannys unschuldige Feinheit, die sich eine angenehme Ueberraschung versprach, wenn sie ihrem Geliebten auf einmal, mit den kleinen Talenten geziert, erscheinen würde, die sie während seiner Abwesenheit erworben.

Der Unfrieden mit sich selbst, der Saamen des Argwohns, der, so sehr Walthers starke Seele auch dagegen kämpfte, dennoch den freien Kreislauf seiner innern Thätigkeit hemmte, trieben sein Gemüth, äußere Zerstreuungen zu suchen.

Die harmonische Gestalt seiner neuen Freundin stand wie mit der Palme des Friedens geschmückt vor ihm. Die Zeit war beinah verflossen, [303] in der sie versprochen, ihn wieder zu sehen. Er hatte ihren Wohnsitz ausgeforscht, und trat jetzt eine Wanderschaft nach demselben an. In der Erwartung ihrer wohlthätigen Erscheinung wünschte er sich an den Spuren ihres Daseyns, an dem Ort ihres Aufenthaltes zu laben.

Er ritt früh aus. Der Weg gieng durch ein liebliches Thal, und bald stieg ein zierliches Gebäude mit seinen umgebenden Gärten an einem waldigten Hügel ihm aus dem Morgennebel entgegen.

Walther durchirrte die einsamen aber geschmackvollen Gartenanlagen. Das Nützliche war mit dem Reizenden auf eine anmuthige Art verbunden, und ein gefälliger Genius schien alles mit den Spuren des Vergnügens und des Genusses bezeichnet zu haben.

Eine heitre Haushälterin fragte ihn, ob er die Aussicht und innere Einrichtung des Schlosses zu sehen wünsche. Er folgte ohne weitere Fragen, da er die Abwesenheit der Frau von L. voraussetzte.

[304] Er gieng durch verschiedene angenehm verzierte Zimmer. Die Haushälterin deutete auf ein verschlossenes, und sagte heimlich: dies ist das Zimmer des Herrn Majors, der wahrscheinlich unser künftiger gnädiger Herr werden wird.

In dem Cabinet der Frau von L. fand er die Spuren angenehmer und nützlicher Beschäftigungen; es war sehr einfach, aber die wenigen Verzierungen waren heiter wie der Geist der Bewohnerin.

Das Bild seiner Freundin schwebte vor seiner lebendigen Fantasie; er wähnte ihre Stimme zu hören, ihr Lächeln zu sehen, und überließ sich der Ahnung angenehmer Stunden an ihrer Seite.

Er stand eben an dem kleinen Bücherschranke, über dessen ernsten Inhalt er sich verwunderte, als der Vorhang eines Alkovens neben ihm auseinander rauschte, und ihm seine Freundin vor Augen stellte.

Ists möglich; rief sie heiter und bewegt. Walther trat verwundert zurück. Die Haushälterin [305] sagte ihm sachte: ich glaubte, die gnädige Frau wäre im Garten, aber es hat nichts zu sagen.

Mit vollem Lachen kam jetzt Frau von L. auf Walthern zu, gab ihm die Hand, und beide überliessen sich ganz der Freude, sich so unerwartet wieder gefunden zu haben.

Eben wollte ich Ihnen schreiben, sagte Frau von L. und deutete auf ihren wirklich geöffneten Schreibtisch.

Schnell verflossen ein Paar Morgenstunden. Laune, Empfindung, Witz, durch den Zauber der angenehmsten Gefälligkeit verbunden, gaben der Unterhaltung das lebhafteste Interesse, und alle stürmischen Wolken entflohen aus Walthers Gemüth.

Frau von L. hatte ihn in den Gärten umhergeführt. Wir werden den Mittag nicht allein seyn, sagte sie, als sie ihn verließ, um sich anzukleiden, der Major von W. ist seit einigen Tagen hier; ein braver Mann, von vielen Kenntnissen, [306] dessen Umgang Ihnen nicht unangenehm seyn wird.

Walther redete mit dem Gärtner und Verwalter über ihre Geschäfte, und beide verflochten Leonorens Lob, ihre Gutmüthigkeit, ihre verständige Thätigkeit auf eine ungezwungene Art ins Gespräch.

Der Major schien Walthern wirklich das, wofür ihn Leonore angekündigt; doch dünkte er ihm seiner Freundin nicht ganz werth zu seyn, ob er gleich die stärkste Neigung und eine völlige Hingebung gegen sie in seinem ganzen Betragen zeigte.

Nach dem Caffee nahm Leonore ihren Sommerhut, faßte Walthers Arm und sagte zum Major: Sie schreiben jetzt Ihre Briefe, damit Sie Abends bei uns seyn können; unterdessen mache ich unsern Gast mit der umliegenden Gegend bekannt.

Leonore führte Walthern durch das Wäldchen in ein einsames Thal. An dem Ufer eines Teiches, der mit Pappeln umkränzt war, setzte [307] sie sich auf eine Rasenbank. Sie bemerkte die vorbeiziehenden Wolken über dem Teich; es war einer der stillen Tage, wo die Sonne nur unterbrochene Stralen in die Natur ergießt, und wo wir auch unser Gemüth wie in einer ahnungsvollen Dämmerung empfinden, in welcher die Gestalten lieblicher Träume sich ungestört bilden.

Leonorens dunkelblaues Auge erhob sich mit einem tiefen doch unaussprechlich sanften Blick von dem Spiegel des Sees gegen Walthern.

Seit einiger Zeit, sagte sie sanft, dünkte mir das ganze Leben auch nur so ein Wasserspiegel, über den wechselnde Wolkengestalten hinzogen; aber ich weiß nicht, welch ein neues Daseyn mir seit Ihrer Bekanntschaft aufgeht, welch ein Vertrauen Sie mir einflößen.

Walther drückte seine Dankbarkeit für dieses Bekenntniß seiner Freundin durch einen sanft feurigen Blick aus, und sie fuhr fort:

Mein Schicksal ist in einer entscheidenden Krisis. O wie schwer ists, für die ganze Ruhe [308] des Lebens zu wählen! Wie selten begegnen sich zwei Seelen in aller Tiefe und Wahrheit ihres Daseyns. Und wenn wir gewählt hätten und fänden uns getäuscht, und nun erst erschiene der Mann, an dem unser ganzes Daseyn sich magisch gebunden fühlte....

Leonore schlug die Augen nieder, ihr Busen schien beklemmt. Walthers gerades, schlichtes Wesen faßte nichts Klares von dem allen; er hielt sie für verlobt mit dem Major, aber eine feine Röthe flog über sein Gesicht, sein Sinn hatte gefaßt, was sein Verstand nicht bestimmt auszusprechen wagte. Ich wünsche, sagte er stammelnd, ich wünsche daß dieses nie Ihr Schicksal seyn möge – Ihre Wahl ist ganz frei?

Leonore seufzte, weinte, sah Walthern mit einem zärtlichen Blick an, und bat ihn, sie allein zu lassen. Er gehorchte. Ein lauteres Weinen, die Sorge, Leonoren in diesem Zustande allein zu wissen, rief ihn zurück. Er fand sie leidend, der Ohnmacht nahe. Sanft umfaßte er sie, um ihr eine bequemere Lage auf der Rasenbank zu verschaffen. [309] Die Rosen ihrer Wangen glühten schön unter dem wilden Rosenbusch, der ihr Haupt umschattete; ihre schönen Hände hatten Walthers stützenden Arm umklammert, ihre blauen Augen glühten unter dem Thaue der Thränen, ihr ganzes Wesen war schmachtende Hingebung der Liebe.

Walther war tief gerührt, geängstigt über Leonorens Zustand, wünschte sehnlich Hülfe, und konnte sie gleichwohl nicht einen Augenblick verlassen. Das Mitleid gab seinem Betragen die zarteste Innigkeit.

Leonoren's Stirne wurde heiter, ihre Brust athmete freier. Es geht schon besser! sagte sie, und nach einem tiefen Seufzer mit halber Stimme: ach Walther, warum kannten wir uns nicht früher! – Walther schwieg und bebte. Es drängte ihn, seine Liebe für Nanny zu entdecken; aber Leonorens Zustand und ein gewisses Etwas in seiner Brust, das er nicht zu nennen vermochte, hießen ihn diese Erklärung für eine andere Stunde aufsparen.

[310] Sanft faßte er Leonorens Hand und sagte: lassen Sie mich hoffen, daß Ihr edler heiterer Geist sich selbst in jeder Lage beglücken muß. Die Natur gab Ihnen so viel zur Glückseligkeit, wer könnte wähnen, diesen innren Reichthum zu vermehren, und welcher Unmensch könnte es wagen ein so reines Daseyn zu trüben?

Sie drückte Walthers Hand und sagte: Ich will ruhig werden, weil Sie es wollen, mit dem Glücklichwerden ists vorbei.

Eine Bäuerin, von der Feldarbeit kommend, ging eben über die Wiese. Leonore bat Walthern, ihr den Wagen zu bestellen, weil sie sich zu schwach zum Gehen fühle. Er rief der Bäuerin zu, und Leonore bat die Frau, bei ihr zu bleiben. Walther sah dieses als einen Befehl an, sie zu verlassen, und eilte nach dem Schloß. Er bedurfte der Einsamkeit nicht minder. Sein Busen war beklemmt, und ein sonderbares Leuchten und Schwanken hatte alle seine Vorstellungen ergriffen; er hatte Mühe sich selbst zu halten. Leonorens Daseyn zog ihn wie in eine [311] dämmernde Ferne, er dachte sie leidend, und seine eigne Zukunft hielt ihm nur eine schmerzliche Verworrenheit vor.

Jetzt öffnete sich bei dem Austritt aus dem Wäldchen die lachende Gegend im Abendstrahl vor ihm, und eine tiefe unaussprechliche Sehnsucht nach Nanny löste alle Verwirrung; er fühlte sich eins und stark in dieser Empfindung. In wenigen Tagen ist ihr Namenstag, sagte er sich, und tausend glühende Erinnerungen umflossen ihn mit magischem Zauber.

Ich muß sie sehen, um an ihrer Brust mein wahres Leben wieder zu finden; rief er, und der Entschluß, sie zu überraschen war gefaßt.

Der Major machte schleunig Anstalten, um Leonoren zurück zu bringen, und verrieth die zärtlichste heftigste Leidenschaft in seiner Unruhe um sie.

Sie war heiter, nur sehr matt und angegriffen den ganzen Abend hindurch, und ihre fröhliche Laune hatte etwas Rührendes, da sie [312] keine freie Regung, sondern eine Frucht gewaltsamer Anstrengung zu seyn schien.

Walther wurde mit dem Versprechen, sie bald wieder zu besuchen, entlassen. Auch der Major bezeugte ihm auf die unbefangenste Art, daß er Vergnügen an seinem Umgang empfunden.

Leonore schien Walthern in einer sehr verworrenen Gemüthslage zu seyn; er verließ sie ungern; innig wünschte er ihren Zustand klar zu erkennen, innig das Vertrauen dieses holden Wesens ganz zu gewinnen, um etwas für ihr Glück thun zu können.

Unglücklicher Irrthum

Walther erhielt die Erlaubniß zur Reise nicht ohne Schwierigkeiten, und nur auf kurze Zeit. Nur einen Abend würde er bei Nanny zubringen, aber dieser Abend lag in stralender Ferne vor seiner Seele.

Unvorgesehene Zufälle hielten Walthers Reise [313] auf; er langte noch ein paar Stunden später, als er gedacht, in seiner Vaterstadt an.

An einem entlegnen Hause ließ er sein Pferd stehen. Es war schon finster, man hatte ihn nicht erkannt. Er ging jetzt den kleinen Fußsteig hinab, der zu Nanny's Wohnung führte, und die Lichter aus den zerstreuten Häusern des Städtchens glänzten ihm hell entgegen. Nanny's Wohnung war gar nicht erleuchtet, aber in dem Hause seines Oheims glänzte Licht aus allen Fenstern. Er näherte sich dem Garten, und durch die stille Nacht vernahm er schon aus der Ferne einzelne Töne der ihm so bekannten Tanzmusik.

Mächtig ergriff ihn die Gewalt süsser Erinnerungen. In wenig Momenten werde ich sie in meinen Armen halten! sagte er sich. Die Thränen der Freude umwölkten seine Augen, sein Busen war gepreßt, seine Knie zitterten. Er setzte sich auf eine steinerne Bank, den Fenstern des Tanzsaales gegenüber, um sich zu sammlen; er hoffte, jemand von seines Onkels Leuten würde da vorübergehen, durch den er [314] seinen Vater von seiner Gegewart benachrichtigen könnte; dieser würde ihm sodann Nanny zuführen. Sein hochschlagendes Herz würde sich nicht zurückhalten können, der Geliebten vor tausend Augen entgegen zu fliegen, und er fürchtete ihre zarte Jungfräulichkeit zu beleidigen.

Es dauerte nicht lang, so setzte sich jemand neben ihn, ohne ihn zu bemerken. Ja trau nur einer den Weibern, murmelte eine rauhe Stimme, die Walthern bekannt schien. Guter Walther, du lässest dir das nicht träumen! sagte sie wieder, und jetzt erkannte er den alten Ruprecht, einen Diener seines Vaters, der ihn von Kindheit auf vorzüglich geliebt und gepflegt hatte.

Sein Herz erstarrte, der kalte Hauch des Argwohns blies in die sanfte lebenszeugende Flamme seines Busens, und sie schlug verzehrend empor um sein Haupt.

Er hielt sich zurück, zitterte noch etwas weiteres zu vernehmen; die ungeübten Schriftzüge seiner Mutter standen wieder vor ihm, der trockne Gemeinsinn, den sie enthielten, wurde, [315] vereint mit des Alten einfacher Sage, zur tiefen schaudervollen Wahrheit.

Sein Inneres war gewaltsam zerrissen; er konnte jetzt alles, was ihm bis jetzt unmöglich gewesen, er konnte sich verbergen, Rollen spielen, um der zerstörenden Gewißheit entgegen zu lächeln, wie ein hoffnungsloser Kranker dem Tode.

Mein Freund, redete er den alten Ruprecht mit verstellter Stimme an: giebts dort in dem Hause eine Hochzeit?

Das nicht, erwiederte der Alte mit bitterm Lächeln, aber es kann auch noch werden! Alles kann ja unter feinen Leuten geschehen, denn die haben neue Namen für jede Spitzbüberei, und meinen darum es wäre keine mehr.

Walther stimmte seinem Unwillen bei, und gewann bald des Alten Vertrauen so sehr, daß er ihn um die Ursache seines Verdrusses befragen durfte.

Der Alte erzählte jetzt unter den lebhaftesten Ausbrüchen des Unwillens, daß sein junger [316] Herr, der bravste und schönste Mann der ganzen Gegend, in Dienst gegangen sey, und seine Braut zurückgelassen habe. Während dem sey ein anderer gekommen, und habe das Mädchen zur Untreue verführt. Wahrscheinlich habe sie der Reichthum geblendet. Man wüßte noch nicht, ob der Herr sie heurathen werde, aber man vermuthe es. Mein armer Junge, sagte der Alte, schmerzt mich in der Seele, denn das Mädchen ist schön wie ein Engel!

Walther faßte des Alten hand heftig, die ganze Welt, dünkte ihm, habe sich mit Nanny's Herzen von ihm gewendet, und die Treue des alten Mannes hielt ihn über einen bodenlosen Abgrund, der ihn schwindelnd zu verschlingen drohte.

Nanny's Lieblingstanz ertönte eben vom Saale; er sah die bunten Gestalten an den Fenstern vorbeifliegen. Nanny's schlanker Wuchs machte sie vor allen andern kenntlich; sie war von den Armen seines Oheims umschlungen.

Gebt Acht! sagte der Alte, jetzt könnt ihr sie sehen. Verfluchter Anblick! sie tanzt fröhlich [317] einher mit dem Verführer, während das Herz meines armen Jungen bluten muß.

Das war zu viel. Die Töne der Freude zu dem tiefsten Kummer. Dieser fürchterliche Mißklang riß Walthers Innerstes in fürchterlicher Verwirrung auseinander; er sank halb ohnmächtig vor der Bank hin, und seine Thränen flossen auf den kalten Boden.

Armer Mann, ihr seyd nicht wohl? sagte der Alte, und war schnell hinweg; während dem Gehen rief er: ich hole euch einige Erfrischungen!

Walther erhob sich. Nanny zu sehen war ihm unmöglich, wie sollte er vor ihr erscheinen? In die tiefste Wehmuth aufgelöst, ging er die einsamen Gänge des Garten durch, um dem Anblick des Alten zu entfliehen.

An einem Kreutzweg hielt ihn dieser auf. Bleibt doch hier diese Nacht, sagte er. – Nein, nein ich muß hinweg, weit hinweg, guter Alter, sagte Walther. – Nun da bring' ich euch etwas vom Nachtisch: gut ist das Mädchen doch, [318] sie packte Kuchen und Obst sogleich zusammen, als sie von einem Fremden hörte, der Hülfe bedürfte, eilte zum Fenster euch zu sehen, und gab mir dieses Tuch für euch, um euch gegen die kalte Nachtluft zu schützen.

Nanny? rief Walther, und da er fürchtete, sich zu verrathen, schüttelte er dem Alten die Hand, und eilte davon.

An dem Abhang des Berges, da die Stadt tief unter ihm lag, blickte er noch einmal hinab; sein Schmerz war milder geworden, es drängte ihn zurück zu gehen. Er fühlte jetzt die Kraft, Nanny's Anblick ertragen, ja eine unaussprechliche Sehnsucht nach ihr. – Aber sie sollte vor dir erröthen, ihrer Schuld bewußt, sollte sich ihr himmlisch offner Blick vor dem deinen darnieder senken. Nein, rief er aus: nur die sanfte Gluth der Freude und der Liebe will ich auf ihren Wangen in meiner Gegenwart erblicken. – Mein Anblick sollte sie kränken?

Die tiefste Wehmuth faßte ihn, er ging nach seinem Pferd, und eilte in der kalten Nacht [319] die Straße verlassen und einsam zurück, die er von allen Genien der Hoffnung und Liebe begleitet, einher gekommen war.

Warum hilft nicht irgend ein guter Geist oft liebenden Wesen die schauerliche Kluft der Entfernung übersteigen, die ein feindseliger Zauber zwischen ihnen entstehen läßt!

Nanny war aus dem Geräusch des Tanzes an ein einsames Fenster geflohen, um den nächtlichen Wanderer zu erblicken. Die Stille der Nacht war ihr willkommen, um eine Thräne der Sehnsucht nach ihrem Walther abzutrocknen.

Ihr Herz war öde und leer in der rauschenden Freude, und sie fühlte sich verlassen, ohne das Anschauen des Freundes.

Eine dunkle Ahnung des feindseligen Geschicks, das in diesem Moment sein blutendes Herz von dem ihren riß, schien sie zu umschweben.

[320]

Hoffnung und Zweifel

Die gewaltsame Aufforderung der Natur trieb Walthern, seine erschöpften Kräfte zu erholen. Er stellte sein Pferd in der ersten Herberge, die er fand, ein, und legte sich im Freien in seinen Mantel gehüllt nieder. Die unermeßliche Tiefe des heitern Himmels, das Heer der Sterne, die über seinem Haupte flimmerten, wiegten seine Seele in die sanfte Auflösung der Ruhe; er schlief ruhig, und erwachte nur, als die Sonne ihre ersten Strahlen schoß.

Ueber der fernen Gebirgskette, die sein Vaterland umkränzte, schimmerte das heitre Licht des Morgens, und der Rosengürtel der Eisgebirge begann sich, aus der Dunkelheit zu scheiden. Die gekränkte Liebe fühlt sich verlassen auf der weiten Erde, und alle freundlichen Gestalten des Lebens wenden ihr Angesicht von ihr hinweg.

Die leuchtende Sonne gab Walthern nur ein neues Gefühl seines Kummers; statt der [321] frohen Thätigkeit, zu der sie ihn sonst erweckte, regte sie jezt die volle Gewißheit des verlornen Glückes in seiner Seele auf. Nicht hier an diesem fremden unbekanten Platze hatte er zu erwachen gedacht, sondern in der geliebten Heimath, umgeben von allen innig bekannten Gestalten seiner Liebe und Jugend.

Die Nothwendigkeit zur bestimmten Zeit wieder anzulangen, trieb ihn die nächsten Tage hindurch zur Eile und Besonnenheit, und hemmte so die Flügel seiner quälenden Einbildung. Wohlthätige Fesseln der äußern Lage, der dringenden Sorgen für andre, in denen ein reines Gemüth die Stimmen der Nothwendigkeit vernimmt; sie treiben und halten den Mann vom Abgrund der Leidenschaft zurück, während das Mädchen in ihrem abgetrennten Daseyn, sich selbst mit der Gewalt ihrer Empfindung überlassen, hinabstürzt.

In den nothwendigen Stunden der Ruhe am letzten Tage seiner Reise, fiel Walthern das Tuch, welches ihm der Alte von Nanny überbracht [322] hatte, wieder in die Augen. Geheime Zauberkraft lag in den verschlungenen Streifen dieses Gewebes, und es schien mit den Characteren der Vergangenheit lebendig bezeichnet; er konnte die Treue des Herzens, das einst für ihn unter diesen Fäden schlug, nicht bezweifeln, die sanft geründete Wange, an der es streifte, jede heitre, unschuldsvolle Miene des lieblichen Angesichts; alles stand lebendig vor ihm. Welche unsichtbare Hand hält den Schleier über den Reminiszenzen des Menschen, dessen Heben und Senken oft seinem Schicksal den Ausschlag giebt!

Eine sanfte Ahnung von der Treue des geliebten Mädchens, die beinahe zur Ueberzeugung stieg, belebte Walthers Herz, und erfüllte es mit Glauben und Vertrauen. Wie gern wäre er zurückgeeilt! Sein ganzes Benehmen kam ihm jezt so thöricht vor, alles, was er gegen die Wünsche seines Herzens vernommen, zerfloß in nächtliche Finsterniß, und er rieb sich die Stirne, wie ein Erwachender, um jede Spur der quälenden Traumgestalten zu verscheuchen.

[323] Wie ein Genesender fröhlich die Wiederkehr seiner Kraft empfindet, so fühlte er neuen Muth zu hoffen, und fröhliches Selbstvertrauen.

Er ritt an einem alten Eichenwald hin, der an einer Erhöhung lag, von welcher man eine meilenweite Gegend vor sich liegen sah. Schon konnte er die Thürme der Stadt unterscheiden, er wußte, daß er zur bestimmten Zeit anlangen könne, und überließ sich dem ruhigen Schauen der Landschaft, über die das sanfte Licht des Abends jene Ruhe, jene heitre Stille ausgoß, die dem Gemüth so labend ist, in welchem die Wellen der Leidenschaften nicht längst auf und abwogten. Er sann einen Brief an Nanny aus, eine Geschichte seiner Reise, ein Bekenntniß seines Argwohns, seiner Thorheit.

So durchritt er die lieblichen Pfade des Waldes, als er auf einem freien Rasenplatz eine kleine Gesellschaft erblickte. ER wollte umlenken, aber eine wohlbekannte süße Stimme rief ihn herbei. Sanft überrascht nahete er sich, und fand Leonoren. Ihr ganzes Wesen strahlte [324] wieder in Fröhlichkeit und Liebe. Sie war allein mit einer Freundin, ein kleines Theetischchen mit Büchern, Noten, Papieren und Zeichenmaterialien stand vor ihnen. Ein geöffneter Brief, dessen Ueberschrift von seines Onkels Hand war, und an dem sein Siegel hieng, fiel ihm unter den Papieren sogleich ins Auge. Er entfärbte sich, an einen quälenden Gegenstand auch hier wieder erinnert zu seyn. Leonore hatte seine Blicke auf den Brief sogleich bemerkt, und sagte, indem sie den Brief einsteckte: Sie kommen recht zur guten Stunde, um mir über einen Auftrag Ritter Roberts Licht zu geben.

Die Freundin schwazte heiter und angenehm, wie Leonore. Der Platz war in der Nähe ihres Landgutes, Leonore bei ihr zum Besuch. »Wir verbrachten den Tag im lebhaften Andenken der Vergangenheit, sagte Leonore. Unsere Phantasie schwebte in Jugendträumen, und in den Träumen des reifern Alters: denn in gewissen Punkten bleibt unser Daseyn ein immerwährender Schlummer.« Sie schlug die Augen [325] nieder nach einem hellen Blick auf Walthern. Bei Leonorens Freundin schien die Heiterkeit der Mienen und Worte nicht so, wie bei jener, den ganzen hellen Grund des Gemüthes darzulegen. Ihre Heiterkeit war nicht überfließend, und Walther fühlte sich minder frei in ihrer Gegenwart. Dennoch fieng er schon an sich durch Leonorens sanftes Bemühen angenehm zerstreut zu fühlen, als der sinkende Tag ihn zur Abreise zwang. Im Abschied nehmen rief Leonore: ach, ich vergaß Sie um Ritter Roberts gegenwärtige Verhältnisse zu befragen; ich bin mit den Eigenheiten seiner Laune hinlänglich bekannt, doch befremdet mich sein gegenwärtiger Auftrag etwas. Er schreibt mir nach sehr langem Schweigen einen sonderbaren Brief. Er wünscht ein junges Mädchen, an welchem er den zärtlichsten Antheil zu nehmen scheint, meiner Führung anzuvertrauen. Die glühenden Farben, mit denen er die Reize seiner Geliebten beschreibt, deuten auf die zärtliche, weiche Stimmung, in der wir lauter farbige Strahlen um einen Gegenstand sehen. [326] Kennen Sie das Mädchen? Sollte er sich wohl entschließen zu heurathen?

Walther fühlte seinen Busen starren, und seine Stirne glühen. Das fragende Auge Leonorens foderte eine Antwort – Seine Stimme bebte – er stammelte etwas Unvernehmliches, und eilte nach einer stummen Verbeugung hinweg. Leonore sah ihn verwundert an, eilte ihm nach, faßte freundlich seine Hand, und sagte: Verzeihen Sie, Walther, habe ich Sie mit einem Ausdruck über Ihren Oheim beleidigt, so weiß mein Herz nichts davon – Gewiß nicht! Robert war mir einst sehr werth, ich gestehe es Ihnen frei; und noch immer denke ich nicht ohne zärtliche Erinnerung an ihn. – Sagte ich etwas Unfreundliches in diesem Augenblick über ihn – so war's wohl weiblich – und natürlich gerade darum, Sie verzeihen das –

Auch das noch! sagte Walther heftig, grüßte Leonoren, und eilte höchst bewegt und verwirrt davon.

Leonore sah sonst ins Innre der Gemüther, [327] und ergriff die Verhältnisse mit jenem feinen Takt, der allemal die richtigen Beziehungen findet; jezt hielt ein allzulebhaftes Empfinden ihren Scharfsinn gebunden. Sie hatte eine zärtere Erwiederung ihres Vertrauens erwartet, war tiefer gekränkt, als sie sichs gestehen mogte, von jenem allgewaltigen Interesse in Walthers Herzen, das sogar jeden freundschaftlichen Antheil an ihr selbst verdrängte.

Offen und der Zurückhaltung ungewohnt, warf sie sich weinend an die Brust ihrer Freundin. Diese hatte schon Leonorens leidenschaftliche Bewegung wahrgenommen. Sie selbst war jedes tiefen Eindruks unfähig, aber sie wollte beschäftigt seyn, und Leonorens reizbares Gemüth, das nur von einem neuen Eindruck leidenschaftlich bewegt war, wurde ihr gleichsam ein Instrument, auf dem sie ihre eigene, langweilige Existenz verspielte.

Sie war eine von denen, für die Ruhe der Gesellschaft gefährlichen, Personen, die von den Schwachheiten anderer leben, weil sie sich nicht [328] zur Stärke eines eignen Daseyns weder in Grundsätzen noch Gefühlen erheben können. Auch ihre äußere Lage hatte nichts bestimmendes. Ohne Familien-Interesse war sie immer bereit und frei, um Leonorens Launen zu dienen.

Sie faßte jezt die Weinende sanft an ihre Brust. Dieser sollte dir entgehen, wenn uns ernstlich an ihm gelegen ist? – Ja das ists wahrhaftig, rief Leonore lächelnd unter Thränen: was bewegt ihn nur so gewaltig, daß er mich so verlassen konnte?

Und das wäre dir ein Räthsel? sagte die gefällige Freundin. Für dießmal war ich scharfsichtiger als du. Bei dem Antrag des Oheims fieng seine Bestürzung an. Ein so kraftvoller selbstständiger Jüngling kümmert sich wenig um äußere Vortheile und glänzende Aussichten. Nicht die Neigung des Oheims, aber ihr Gegenstand muß ihn so gewaltig interessiren. Ich will mich desselben bemächtigen. Rathe dem Oheim, mir das junge Mädchen anzuvertrauen, und alles soll dort zum besten gehen, während [329] du den Neffen mit allen sanften Banden an dich zu fesseln nicht vergebens streben kannst.

Der Plan wurde durch Hin- und Wieder-Reden immer besser ausgearbeitet. Leonore sah nur den Besitz ihres Geliebten, den sie mit aller Kraft ihres Herzens zu halten strebte. Sie sann so ganz nur ihn zu beglücken, daß sie ohne inneren Vorwurf gewaltsam in das Schicksal seiner Liebe eingriff, die ohnedieß nicht glücklich zu seyn schien. Sie ließ es bei dieser schwankenden Ansicht bewenden, vielleicht durch eine dunkle Ahnung ihres falschen Benehmens geleitet, sie wollte jezt nur ihrer Liebe folgen, und sich selbst von jeder andern Rücksicht befreien.

Walther eilte nach Hause, und aller Frieden, alle freundlichen Hoffnungen waren aus seiner Seele aufs neue entwichen. Nannys Untreue stand unwandelbar vor ihm.

Der Unmuth eines edlen Gemüths wühlt in seiner eigenen Tiefe, und löset sich selten in Klagen auf.

Walther floh den Anblick seiner Freundin; [330] er fürchtete bald eine Erklärung, die ihm im ersten Augenblick Bedürfniß schien. Nannys Gestalt war noch immer für ihn mit einem heiligen Schein umgeben; er konnte es nicht wagen, sie zu entkleiden, aber er war unfähig, sich ihr zu nähern, unfähig ihr Anschau'n zu ertragen, unfähig ihr zu schreiben. Die Laute der Liebe erstarben in bittrer Wehmuth, wenn er die Feder ergriff, und klagend vor dem Herzen zu erscheinen, das ihn einst mit aller Seligkeit der Liebe überstrahlt hatte, das vermogte er nicht, Möge sie glücklich seyn! rief er oft aus, wenn sein eigenes Daseyn in hoffnungsloser Einsamkeit vor ihm lag. Ihr Glück war noch ein Band für ihn, an dem er sich selbst am Leben und Hoffen zu erhalten vermogte!

Er drükte ihr geschenktes Tuch an seinen Busen. Sie ist wohlthätig, menschlich, theilnehmend! Der Reichthum meines Oheims wird zum Seegen in ihrer Hand werden, sie wird in fremdem Glück leben, wenn sein kalter Busen ihr eignen Genuß versagt, wenn sie einst auch [331] mit Wehmuth auf die abgerissenen Blüthen unserer Jugend zurückschauen wird!

Ein schönes starkes Gemüth nur vermag unendlich zu lieben, und in ein anderes Daseyn überzufließen. Die Leidenschaft ist ihm eine Schule der weichen menschlichen Gefühle, die oft im rauhen Leben verklingen, nur den Schwachen wird sie ein verzehrendes Feuer der eignen Kraft.

Leonore hatte viele Bekannte in der Stadt, wo Walther in Garnison stand, sie hatte selbst in verschiedenen Zeiträumen da gelebt, und ihr heitres, anschließendes und anziehendes Wesen erhielt ihr überall Freunde. Sie fand auch jezt welche, durch die sie genau mit Walthers Lebensweise, sogar mit seiner Stimmung bekannt bleiben konnte. Immer hatte er Stärke genug, im äußern Leben nie vom gewohnten regelmässigen Gang abzuweichen, den seine Verhältnisse von ihm foderten. Einer von seinen genauern Bekannten fand dennoch alle seine Heiterkeit erkünstelt, und benachrichtigte Leonoren, daß sich ihr Freund in einem Zustand zerstörender Anspannung[332] befände, der ihn nothwendig aufreiben müßte, und dessen Spuren sich schon in seiner Gesundheit sichtbar zeigen.

Leonore eilte nach S.

Simplicität und Weltschlingen

Robert belauschte alle leisen Töne, jeden Wechsel der Stimmung in Nannys Wesen; seine Versuche, sie in einer empfänglichern Minute zu überraschen, wurden häufiger, je länger Walthers Entfernung dauerte.

Glücklich hoffte er in einem jener Momente, wo Nannys Herz von Sehnsucht und heftigem Verlangen ermüdet wieder nach einer tröstenden gegenwärtigen Erscheinung, und nach einer lichten Zukunft greifen würde, sich in der Gewalt der Gegenwart dem verbleichenden Zauberbild des Abwesenden unterzuschieben. In einer Lage, wo Nannys Daseyn sich nur durch Hoffnungen und Erinnerungen erhielt, führte sie Robert zuerst in die goldne Welt der Dichtung; neues[333] Leben athmend schwebte sie in der Vergessenheit ihres eigenen schmerzlichen Zustandes in jenen zauberischen Gefilden umher. Er gab ihr die lebendigsten Gemälde der Leidenschaft von den ersten Künstlern entworfen, und stand mit süssem Selbstbehagen neben dem blühenden Mädchen, dessen ganzes Wesen sich in glühenden Träumen aufzulösen schien. Wenn ihr feuchter Blick vom Schimmer der Zärtlichkeit verklärt sich zu ihm erhob, wenn ihre melodische Stimme in ihren zärtesten Beugungen sich dem leisesten und tiefsten Sinn des Dichters anschmiegte; dann wallte ihr sein Busen hoffend und liebend entgegen, und er wähnte, der Augenblick seines Glückes sey gekommen. Aller Plane vergessend fühlte er das rastlose tantalische Streben seines Busens durch einen labenden Moment des Genusses gestillt. Er eilte zu ihren Füßen zu stürzen – aber schon traf ihn Nannys Blick nicht mehr, in der Ferne verloren suchte ihr Auge das Bild des abwesenden Geliebten. Erstarrt fuhr Robert zurück, und wurde auf einmal wieder zum [334] kaltbeobachtenden planvollen Egoisten, dem es nur um seine volle eigne Verklärung zu thun war.

Noch ist die Zeit nicht da, sagte er bei sich selbst; aber nothwendig muß sie kommen! Treibt nicht die Leidenschaft die Kraft des Gemüths empor als eine lodernde Flamme, die den Gegenstand ihres Verlangens aufzehrt? Muß die Flamme nicht seitwärts schlagen, und einen neuen Gegenstand zu ihrer Nahrung ergreifen?

Dem Ritter ging es wie allen, die über menschliche Empfindungen im Abstrakten rechnen wollen, das Resultat ihrer Rechnung paßt auf keinen einzelnen Fall, es paßte wenigstens für jezt nicht auf Nanny.

Bei ihr, wie bei allen Wesen von harmonischen Anlagen, war keine einseitige Bildung möglich. Während sich ihre Fantasie entfaltete, und ihr Herz an der Quelle holder Täuschungen genoß, bildete sich ihr Verstand an der Menge und der Verschiedenheit der Existenzen, die sich ihr im Gewebe der imaginativen Welt darboten; [335] ihre Vernunft reifte durch die lebendige Reizbarkeit ihres Wesens, das seine eigene Beziehung zu allen Lagen und Verhältnissen empfand, zu dem ernsten Treiben, immer die richtigen und wahren zu suchen. Ihr Innres durchlief einen weiten Kreis der Erfahrung, und ihr gerader Sinn fand die Formen des Rechten und Schönen als das Ziel ihrer Wünsche, nachdem sich schon längst ihre schöne Natur in angebohrner Grazie entfaltet hatte.

Roberts Interesse an dem sonderbaren Mädchen wuchs mit jeder neuen unerwarteten Wendung ihres Geistes. Da ihr Scharfsinn und ihr Urtheil neben den üppigen Blüthen ihrer Einbildungskraft reiften, fand er es nöthig, einen andern Weg zu ihrer Bildung und zur Befördederung seiner Wünsche zu erwählen.

Die engen Bande der Gewohnheiten und Sitten, die auf diesem von der übrigen Welt isolirten Platz eine eiserne Festigkeit annahmen, waren ihm lästig. Gefährlich schien es ihm für seine Plane, wenn die Ehrfurcht für diese alten [336] Formen auch in Nannys Gemüth herrschend werden sollte. Dem ungeübten Auge, dem leichtbeweglichen Sinn der Jugend ist die Existenz einer gewissen Lebensweise, gewisser Verhältnisse schon eine Autorität, und mit dem allgemein Angenommenen söhnt sich unsre Vorstellungsart unvermerkt aus. So schloß Robert, und faßte den Entschluß, Nanny mit den Sitten einer großen Stadt bekannt zu machen.

Seine Verhältnisse mit Leonoren von L. wurden auf einmal wieder in seinem Gemüth lebendig, da er den Kreis seiner Bekannten durchlief, um eine Führerin beim Eintritt in die Welt für Nanny aufzusuchen. Die Rückerinnerung an seine eigne unbefangene Herzlichkeit in diesem frühern Verhältniß warf vielleicht ein schöneres Licht auf Leonorens Andenken; vielleicht auch nur geleitet von der süßen Behaglichkeit, überall von einer holden entgegenkommenden Empfindung umgeben zu seyn, und in einer wieder angeknüpften Freundschaft noch den Nachklang alter Zaubergesänge zu vernehmen. Genug [337] er schrieb an Leonoren, und äußerte den Wunsch, Nanny ihrer Führung anzuvertrauen.

Robert selbst wollte sie begleiten, in ihrer Nähe bleiben, und jeden neuen Eindruck, den die Welt auf sie machen würde, beobachten, ordnen und motiviren. Die Bande der Sittlichkeit sollten locker aber nicht aufgelöst in ihrem Gemüth werden. Die romantische Treue ihres Herzens sollte erschüttert, aber die Fähigkeit zu derselben rein bewahrt bleiben.

Eine alte unverheurathet gebliebene Base, die ihm ganz ergeben war, und dabei so kurzsichtig als er es wünschen konnte, sollte Nanny des Anstandes wegen folgen. So hatte er schon längst alles vorbereitet, und erwartete nur den Moment, seinen Plan zu eröffnen.

Walthers ungewöhnliches, unbegreifliches Schweigen, riß Nanny aus der still duldenden Heiterkeit, in welcher sie ununterbrochene Geistesbeschäftigungen erhalten hatten. Die gehoffte Freude des Geliebten an ihrer feinern Bildung hatte all ihr Thun mit einem Genusse des Herzens [338] begleitet; in seinem lebendigen Andenken hatte sie immerwährend gearbeitet und gewan delt. Jetzt unterbrach eine dumpfe Besorgniß den Lauf ihrer Gedanken, ermattet sanken die Flügel ihres Geistes, die kein Hauch der Liebe mehr bewegte.

Walther schrieb an seine Eltern, aber ein unterdrückter, verbissener Schmerz war für Nanny in diesen Briefen sichtbar, der ihre Seele mit Unruhe und Angst erfüllte.

Sie schrieb einige Briefe an Walther in sanften Klagen über seine Vergessenheit, und da diese unbeantwortet blieben, verschloß sie ihren tiefen Kummer im eignen Busen.

Robert war der gefälligste Freund, aber ein Vertrauter konnte und wollte er auch vielleicht nicht werden. Walthers Name wurde nie genannt, aber Nannys Gemüthszustand wurde auf das zärteste beobachtet, und manche Rede Roberts enthielt den absichtlich umhüllten Sinn eines Trostes, eines sanften Zusprechens, bei einer erlittenen Kränkung.

[339]

Die Ueberlegenheit, die Robert gerade in dieser Lage über Nanny hatte, war groß, und sein Einfluß auf ihre Entschließungen entscheidend. Mit dem geschärften Takt eines gereizten Begehrens folgte er jeder Wallung in ihrem Herzen, und sein eigner kalter von fremdem Schmerz unerschütterter Busen, riß ihn nie zur Selbstvergessenheit hin. Die Gewalt seiner glühenden Fantasie beherrschte den Kreis ihrer Empfindungen, und wie der brausende Fittig des Sturms in den zarten Blättern der Pflanzen wüthet, so regte er Schmerz und Sorge in den feinen Blüthen ihres Herzens auf.

Die lebhafteste Ungeduld wurde endlich Nannys herrschendes Gefühl, und das Verlangen von diesem Zustande befreit zu seyn, machte ihr den Entwurf zur Reise mit Robert annehmlich, sogar erwünscht.

Roberts Wesen hielt Nanny, ohnerachtet der näheren Bekanntschaft, noch immer in einem sonderbaren Staunen; er blieb für sie eine wechselnde Erscheinung, und wie seine eigne Natur [340] in allen Formen einer bildenden Imagination, der das Vermögen zur schönen Form fehlt, umherschwankte, so schwankten auch die Umrisse seines Bildes in Nannys Gemüth.

Vertrauen, das aus einer stillen, immerwährenden Anneigung der Gemüther entsteht, konnte sie zu der wechselnden Gestalt nie fassen, und mit einer Art von Furcht, gleich als vor einer Geistererscheinung, die uns unbekannte Organe unseres Wesens hervorruft, und vor der unsre ganze Natur erzittert, bebte sie selbst in seinen edelsten Stimmungen vor ihm zurück. Nur die Sehnsucht nach dem Geliebten, der Unfrieden ihres Busens, den alle Qualen der Ungewißheit über Walthers Schweigen bewegten, bestimmte sie zum Entschluß, sich Roberts Führung anzuvertrauen. Walthern erblickte sie am Ziele der Reise. Robert selbst schien oft auf die Vereinigung mit seinem Neffen hinzudeuten, ob er sich gleich nicht bestimmt darüber erklärte. Walthers Vater lächelte gegen Nanny, als man ihm den Entwurf zur Reise vorlegte, und sagte: [341] Du wirst ihm doch wegen seines Schweigens nicht allzuhart zürnen? Die Mutter schwieg, und lächelte schlau auf Robert.

Nannys Eltern waren beide, jedoch in ungleichem Maaße, über den Zustand ihrer Tochter geängstigt. Die zartfühlende Mutter ahnete in Walthers Schweigen eine Mißstimmung des Gemüths, die das Unglück ihres Kindes machen könnte; Nannys verborgenster Seufzer klang in ihrem Busenwieder. Der Vater, froh und heiter vertrauend, ungeschmeidig sich in die zarten Nüancen weiblicher Gefühle zu beugen, legte nur manchmal tiefsinnig seine Hand an Nannys bleiche Wangen, und fragte dann heftig: »Mädchen was ist dir?« Wenn die Mutter gegen ihn ihre Besorgnisse über Walthers Schweigen aussprach, schüttelte er sinnig lächelnd das Haupt, und sagte: Ihr Weiber wollt auch immer, man soll an nichts denken als an euch! Walther kann dem Mädchen sein Wort nicht brechen! Wenn er's könnte, – setzte er nach langem Schweigen hinzu – fürchterliche Falten zogen sich auf der [342] heitern Stirn zusammen, seine ganze Natur schien sich gegen den giftigen Verdacht aufzuregen, und Aufruhr und Verderben anzukünden, wenn sie aus den gewohnten Ufern des Vertrauens einst schäumend überströmen sollte.

Nanny's Geschwister, das ganze Haus folgte ihrem veränderten Zustand mit sanfter Theilnahme, so sehr sie ihr Gemüth auch jedem liebend forschenden Auge zu verbergen strebte. Ein doppelter Eifer schien sie bei allen Hausgeschäften zu beleben; mit sanfter Gefälligkeit hatte sie immer jede Bitte der Geschwister vernommen, und wo möglich erfüllt, jezt kam sie mit zärterem Sinn selbst jedem Wunsche zuvor. Der Ausdruck des Leidens ihrer ganzen Gestalt entging den liebenden, immer zuerst auf sie gerichteten Blicken ihrer Hausgenossen nicht.

Die Eltern und Freunde sahen in Roberts Reiseplan eine willkommene, höchst nothwendige Zerstreuung für Nanny, und willigten mit Freuden ein. Robert wurde in der ganzen Familie wie Walthers zweiter Vater angesehen, und [343] Nanny's Eltern fanden sogar einen untrüglichen Beweis von der Treue des Neffen in dieser Sorgfalt des Oheims für ihre Tochter. Jeder verbarg seine Trauer beim Abschied, um den Abreisenden den Anblick theilnehmender Freude an einem bevorstehenden Vergnügen zu zeigen.

Nanny lag beim Abschied von dumpfen Ahnungen gepreßt an der Brust ihrer Mutter, und konnte sich nicht losreißen. Das Geschrei der kleinen Geschwister, die nach dem Eindruck des Augenblicks gehorsam, ihren Schmerz über den Verlust der Schwester laut äußerten, löste ihre Angst in lindernde Thränen auf. Sie hob eins nach dem andern an ihren Busen, und versuchte sie zu trösten, als Robert erschien, sie zum Wagen zu führen.

Er versprach den Eltern, die treueste Sorge für sie zu tragen, und in der sonderbaren Gewalt, mit welcher er immer auf seinen Kreis wirkte, wagte man in seiner Gegenwart nicht, etwas zu fürchten, wenigstens nicht, sich seine Gefühle zu gestehen.

[344] Mit sanftem Schonen überließ er, während den ersten Stunden der Reise, Nanny den wechselnden Erscheinungen, die in ihrem Gemüth auf- und abwogten.

Zum erstenmal verließ sie das Haus ihrer Eltern, und die weite Welt, die oft so glänzend und heiter vor ihrer Einbildung gelegen, lag jezt wie mit einem schwarzen Schleier umhüllt vor ihr da. Walthers Bild stellte sich oft in lichten Zügen vor sie hin, aber augenblicklich zog sich der Schleier auch über dasselbe her.

Ihr Auge hieng sehnend an dem väterlichen Hause, und so lang sich sein Dach nicht hinter den vordringenden waldigen Hügeln verlor, so lange glänzte ihr Auge in milden Thränen. Ich kenne die Schmerzen, die ich dort empfand, sagte sie sich selbst, der Schmerz, der mir aus jener schauerlichen Ferne entgegendringt, den hat mein Herz noch nicht zu ermessen gelernt!

Nach einigen Stunden klagte sie sich selbst über die Weichheit an, mit der sie sich ihren dunkeln Gefühlen hingegeben; sie fand sich der [345] Undankbarkeit gegen Robert schuldig, der zu ihrer Bildung, zu ihrem Vergnügen diese Reise unternommen, ihr sanftes Auge flehte um seine Verzeihung.

Robert hatte während der ganzen Reise die sanfte Gefälligkeit, die zarten Aufmerksamkeiten für Nanny, die die Frauen immer empfinden und verstehen, selbst ohne durch die Gewohnheit des feinen Umgangs darauf geleitet zu seyn. Nannys Unbefangenheit kannte nichts von der Kunst, den Schein des Argen zu meiden, da sie das Arge selbst nicht kannte. Sie war so entfernt, Robert unter irgend einer andern Beziehung zu denken, als der, des Vaters, des Freundes ihres Geliebten, daß sie ihm nur mit der zarten Achtsamkeit begegnen konnte, die Walther selbst gegen ihn zeigen würde. Oft überwand sie sogar das geheime Wider streben ihres Gemüths gegen Robert, durch die Vorstellung dieses Verhältnisses; es freute sie nach allen Beziehungen, in die sie die Verbindung mit Walthern setzen würde, schon jetzt zu handeln. Wenn sie Robert [346] zuweilen liebe Nichte nannte, flog ein beglückender Traum der Zukunft durch ihren Busen, und eine holde Röthe über ihre Wangen.

Ein lebhaftes Verlangen bildet sich größtentheils in der Region der Illusionen, und führt auch in diese immerwährend wieder zurück. So fein Robert beobachtete, so verschob doch jezt die Eitelkeit seinen Gesichtspunkt. Er freuete sich der sanften Wallungen der Hoffnung in Nannys Busen, und deutete sie im ununterbrochenen Zusammenseyn der Reise nicht selten für sich.

Ein Zufall nährte diesen Wahn.

Am Ende der dritten Tagreise waren sie von dem Ort ihrer Bestimmung nur wenige Stunden entfernt, als sich Robert von einem heftigen krampfhaften Kopfweh befallen sah, welchem er oft unterworfen war, und das schleunige Hülfe forderte. Nanny hatte den Ritter oft besucht, wenn er an diesem Zufall gelitten, und kannte die Mittel und die Pflege, die das Uebel heischte. Sie erlaubte ihm nicht, weiter zu fahren, und drang in ihn, in einem einsamen Hause im Walde [347] zu übernachten, das wenig für Fremde eingerichtet war, und im Sommer nur zu einem Lustplatz diente, nach welchem man aus der Stadt eine Spazierfahrt anstellte. Was von kleinen Bequemlichkeiten zu haben war, drang Nanny Roberten auf. Die Muhme war zu ermüdet, um den geringsten Beistand zu leisten. Nanny sah, wie alle energische Seelen, immer nur auf das nächste und dringendste. Robert war ihrer Pflege allein überlassen, und sie betrug sich gegen ihn wie eine zärtliche Tochter. Sie brachte die Nacht neben seinem Zimmer zu, und wollte ihn keiner fremden Wartung überlassen, da ihre Reisegesellschaft vom Schlaf übermannt da lag. Die Art, mit welcher Robert ihre Sorgfalt aufnahm, der leidenschaftliche Ausdruck seines Dankes für ihre zarte Sorgfalt, seine unverwandten Blicke auf sie, erregten die Aufmerksamkeit der neugierigen Wirthin, die, wie gewöhnlich, immer darauf ausging, die Verhältnisse ihrer Gäste zu entdecken. Mit hundert Fragen bestürmte sie Nanny, die ohne darauf zu achten, in der [348] lebhaften Beschäftigung mit Roberts Wartung nichts als die Wahrheit antwortete, daß sie weder Tochter noch Gattin, noch Schwester, noch nahe Anverwandtin Roberts wäre. Die Folgen, die ein gemeines Weib aus diesen Antworten zog, waren natürlich nicht zu Nannys Vortheil. Die Unschuld und der stille Adel in Nannys Betragen hatte so wenig die Farbe einer berechneten Zurückhaltung, daß ihre hohe Natursprache einem verdorbenen Herzen nicht mehr verständlich war.

Roberten entgiengen die lauschenden Blicke des Weibes nicht, noch weniger konnte seiner Weltkenntniß die Meinung, die sie von Nanny fassen mußte, räthselhaft bleiben, ein Wort von ihm hätte sie widerlegen können, aber er war verloren in Nannys freundlicher Sorge um ihn, der seine Wünsche die höhere Farbe des leidenschaftlichen Antheils gaben. Gern fand er in noch einem menschlichen Wesen außer sich einen Spiegel seines Glücks, es dünkte ihm gewisser zu werden. In diesem fantastischen Genuß der [349] Eitelkeit verloren, blieb er unachtsam auf Nannys Namen, auf ihre Ruhe, die ein feindseliger Dämon oft unwürdigen Zeugen, und unbedeutend scheinenden Zufällen unterwarf.

In den weichen Stimmungen der Kränklichkeit und Sorge kamen Robert und Nanny in St... an.

Madam H.., dieselbe Freundin Leonorens, die wir schon kennen, empfieng Beide mit Vergnügen; sie schien bezaubert von Nannys Schönheit, und sagte Roberten die feinsten Schmeicheleien über seine Wahl. Nanny und ihre Begleiterin blieben in ihrer eigenen Wohnung: Robert bezog ein Haus in der Nachbarschaft.

Madame H.. schien das völligste Einverständniß zwischen den neu Angekommenen als etwas Bekanntes und Angenommenes zu betrachten, obgleich Nannys Unbefangenheit sie nicht selten in Verlegenheit und Verwirrung über die Natur jenes Verhältnisses sezte.

Nanny fühlte eine Unbehaglichkeit in ihrer ganzen Lage, die sie sich selbst nicht zu erklären [350] vermochte. Sie fühlte sich zum erstenmal fremd in der Welt, und ihr ofner Sinn mußte sich verschließen lernen. Ueberall vernahm sie die leisen Tritte der Arglist und des Verdachtes um sich her, ohne einen Zweck des geheimnißvollen Treibens zu erkennen. Sie fühlte sich von Schlingen umfangen, ohne die Hand wahrzunehmen, die sie gelegt; ihr unschuldiges Herz konnte Roberts böse Absichten nicht verstehen, und warf sich selbst die Ahnungen der Tücke und Falschheit vor, die es bei seinem Anblick oft schaudernd ergriffen.

Die Hoffnung auf Walthern hielt sie allein zurück, nicht sogleich in den ersten Tagen wieder nach ihrer Heimath zu begehren. Walthers Garnison war nur eine kleine Tagreise von S. entfernt. Robert ließ einige Winke fallen, als erwartete er seinen Vetter. Dieses beruhigte Nanny über Walthers sonst so unerklärliches Schweigen; sie träumte zuweilen sogar von einer holden Ueberraschung, die ihr Liebe und Freundschaft bereitet hätten.

Wie freute sie sich, ihren Geliebten, dafür [351] geschmückt mit allen Künsten der feinern Welt zu überraschen! In süßer Liebesthorheit brachte sie manchen Augenblick am Putztisch hin, um die gefälligste Form der Kleidung zu wählen, in welcher sie zuerst vor ihm erscheinen wollte, sie saß mit ihrer Guitarre, um die Lieder aufzusuchen, die die reinsten und vollsten Töne der Stimme enthielten.

Saß sie im Gesellschaftszimmer, so jagte jeder Laut eines Ankommenden, jedes Klopfen an der Thüre ein Erröthen über ihre Wangen, und wenn dann wieder ein Tag hingegangen war, ohne die geliebte Erscheinung, wenn der Abend mit der wärmeren Glut der Einbildung, mit seinen Traumbildern und Ahnungen herabgesunken war, dan eilte sie von der Gesellschaft hinweg in ihr einsames Zimmer, und ihr Wesen, das in Sehnsucht aus einander gieng, vereinte sich wieder in den holden Traum der Liebe. Sie sah noch einmal die lange Straße im Glanz des Mondes hinauf, und strebte, wie eine Zauberin, die auf und ab wandelnden Gestalten in den [352] Kreis ihrer Wünsche zu bannen. Er ist es! sagte sie oft, wenn in der Mondesdämmerung die ersten schwankenden Umrisse einer neuen Gestalt erschienen. Wenn sie sich nun näherte, und in fremden Formen das holde Bild ihres innern Sinnes zerrann, dann schlug sie das Fenster zu, und sagte: nun will ich auch heute nicht mehr hoffen! Aber der zunächst ankommende Wagen stürzte diesen Entschluß um, und die fieberhafte Spannung des Erwartens wechselte immerwährend in ihrem Wesen mit dem Schmerz der hoffnungslosen Sehnsucht.

Robert sah sie lieber in dieser weichen, der Fluth aller Gefühle hingegebenen Stimmung, als im Zustand klarer heitrer Besonnenheit. Bald nährte er ihre Hofnungen durch einige flüchtige Worte über Walthers Ankunft, bald tödtete er sie wieder durch sein Schweigen, durch einen hingeworfenen Zweifel an seinen Neffen. Grausam spielte er mit dem treuen, liebevollsten Herzen!

[353]

Netze der Weiberlist

Leonore versuchte alles, um ihren Freund zum heitern Genuß des Lebens zurückzuführen. Vergebens war jedes sanfte Bemüh'n, vergebens selbst die stille Sprache des vertraulichen Antheils an seinem Kummer; seine Verschlossenheit blieb lange unüberwindlich. Nur dann, wenn Leonore, von der Gewalt ihrer Neigung für ihn hingerissen, in den weichen, süßen Ton eines ganz hingegebenen Herzens fiel, dann vermochte er nicht, sich zurück zu halten, und sein eignes, tief verborgenes Gefühl trat aus allen Ufern.

Soll unser Herz nur ein Traum des Genusses laben? Ist ewiges Bedürfen, endloses Verlangen unser Loos? So seufzte Walther, wenn er Leonorens liebewallendes Herz von dem seinen drängen mußte, wenn Nannys Andenken jede zarte Regung seines Busens forderte.

Leonore wagte es, in einem dieser Momente das Geheimniß ihres Freundes, den Namen der Geliebten auszusprechen. Erschrocken bebte er [354] zurück, da seine Liebe, sein stummer Schmerz von fremden Lippen ihm entgegen tönte; aber bald wurde er vertraut mit der Stimme des Trostes.

Leonore konnte ihn nicht länger undankbar finden, da sie sein Herz kannte; sie zeigte sich so stark, so mild gestimmt, seit sie sein Vertrauen errungen, so ganz nur durch seine Ruhe beglückt, durch seinen Schmerz leidend, daß Walther nunmehr auch um ihrer zu schonen, den Gleichmuth in seinem Innern herzustellen suchte, den er bisher in seinem Betragen gezeigt.

Einen wichtigen Vortheil hatte er erlangt: Leonore konnte ihm über Nannys Lage Nachricht geben, und er konnte, der Geliebten unbewußt, dem Lauf ihres Schicksals folgen, vielleicht selbst den Faden lenken, vielleicht sie einst vom Abgrunde zurückhalten.

Regelmäßig bekam Leonore Briefe von ihrer Freundin. Oft wurden sie Walthern mitgetheilt, zuweilen auch mit einer traurigen Miene verborgen. Nanny erschien in diesem Briefwechsel [355] als das liebenswürdigste Wesen, das sich mit jugendlicher Heiterkeit den fröhlichen Eindrücken der ihr neuen Welt hingab.

Das Verhältniß mit Robert wurde als etwas ein- für allemal Angenommenes behandelt, und in den Briefen, die man Walthers Augen entzog, ließ man ihn geschickt Dinge ahnen, die man ihm nur aus Schonung zu verbergen suchte.

Der holde Reichthum an Liebe und Treue in seinem eigenen Herzen, die Energie der Jugend, die alles, was uns umgiebt, mit dem Zauber eigner Reinheit und Unschuld zu überstrahlen vermag, alles verhinderte Walthern, einen klaren Begriff von Leonorens Wesen zu fassen. Ihre Art zu lieben war ihm fremd, ganz unbegreiflich ihre unverzeihliche Schwachheit gegen sich selbst, die die Gegenstände in der Dämmerung schweben und schwanken ließ, um sich der ganzen freien Gewalt eigner Wünsche und Genüsse ungestört hinzugeben.

Leonore, Robert und Madame H** besaßen noch zu viel Achtung für sich selbst, um ihre gemeinsamen[356] Plane deutlich gegen einander auszusprechen, und sie konnten um so eher jede bestimmte Erklärung vermeiden, da der Entfernung wegen alles schriftlich verhandelt wurde.

Durch ein gleiches Interesse getrieben, durch dieselben schiefen Maximen geleitet, setzte sich ein stummes Einverständniß unter ihnen gleichsam von selbst fest.

Walthers Ueberzeugung von der Untreue seiner Geliebten wurde täglich stärker und unwandelbarer. Um sie zu schonen, um sie weder zur Reue noch zum Mitleid zu bewegen, um in seinem Benehmen auch nicht die leiseste Spur eines Vorwurfs zu zeigen, beharrte er in seinem Schweigen gegen sie. Seine Bekanntschaft mit dem Weltlauf, wo tausend künstliche Bedürfnisse selbst die bessern Gemüther tief genug beugen, um den Reichthum für das erste Gut des Lebens zu halten, trug nicht wenig dazu bey, ihn in die ser Handlungsweise zu bestärken. Was konnte er Nanny für einen Ersatz gegen den Reichthum seines Oheims anbieten? Er hatte in seinen rauhen [357] Bergen, wo Arbeit und Mäßigkeit jedem gnügen, einen andern Maaßstab der Bedürfnisse. Was er auch für sich selbst über den Werth der Verfeinerung entschieden, durfte er zu seinem eignen Vortheil für Nanny entscheiden?

Nanny war zu wenig geübt in schriftlicher Darstellung ihrer Empfindung, als daß ihre Briefe dem verstimmten Walther ein treues Bild ihres Gemüths zurückrufen konnten. Gebunden durch mädchenhafte Scheu, verbarg sich ihr glühendes Herz in allgemeinen Ausdrücken, und da durch Walthers Argwohn das schöne Verhältniß unterbrochen war, in dem Liebende eine eigene, geheimnißvolle Sprache in die allergewöhnlichste legen, so blieben ihre Briefe ohne Wirkung.

Ein offnes Wort von Walthern hätte das schönste Einverständniß wieder hergestellt; aber die natürlichste Ansicht verschwindet selbst dem gesundesten Verstand in dem Nebelkreis der Leidenschaft.

Walther umfaßte den tiefen Schmerz einer so verlornen Liebe mit der ganzen Fülle der Jugendkraft,[358] und die ganze Welt ward ihm nur zum Spiegel seines eignen zerstörten Glücks.

Alle zärteren Anklänge des Lebens waren für ihn verstummt; er duldete doch eigentlich nur Leonorens Antheil. Es hatte sogar etwas schmerzliches für sein reines Herz, eine unerwiederte Empfindung eingeflößt zu haben. So verschiedne Farben auch Leonore ihrer Neigung zu geben wußte, so war es ihm doch oft klar, daß sie alle andre Aussicht und Hoffnung des Lebens seinetwegen aufgegeben. Den Major hatte sie durch ein offnes Geständniß, daß ihr Herz sich zu einem Andern gewendet, entfernt, und kein neues Verhältniß angeknüpft. Walther scheute sich, das Opfer eines Daseyns anzunehmen, dem er das seine nicht entgegen setzen konnte. Oft wollte er Leonoren fliehen, aber sie wußte ihrem Betragen so unzählige Nüancen zu geben, daß er immer wieder irre an ihr und seinen eignen Entschließungen werden mußte.

Ohne daß er es sich selbst gestand, war ihre Gutmüthigkeit, seine Sorge um sie, das Element [359] geworden, in dem sein jugendliches Leben sich noch erhielt.

Das große Ganze der Menschheit, nach dem seine innre Kraft wirkend und bildend sonst hingestrebt, lag zersplittert in den scharfen schneidenden Formen des Egoismus vor seinem Geiste; voll der gährenden Stoffe kleiner Leidenschaften, ohne Muth, ohne innre Freiheit, unfähig des reinen, frohen Lebensgefühls schien ihm die Masse der Gesellschaft.

Unter einem Volke, bei dem mehr wie bei jedem andern der Schein das erste Gut und das erste Gesetz war, das in der ewigen Berauschung der Eitelkeit lauter erkünstelte Verhältnisse an die Stelle der natürlichen schob, bei dem das Gift der Verfeinerung dem Egoismus eine unabsehbare Fläche gab, unter einem solchen Volke konnte Walthers Gemüth am wenigsten zum Glauben und Vertrauen genesen. Immerwährend an den Mißbrauch der Kultur durch seinen eignen Verlust erinnert, stand er im Gefühl seiner Kraft, rauh und fest, aber bald mit dem [360] grünen Laub der Jugend gekrönt, wie die Felsen seines Landes, in den stürmischen, Verderben drohenden Fluthen.

Mehrere Menschen versuchten, sich an ihn anzuschließen; er wies sie mit kalter Höflichkeit zurück. Leonore fand auch ihre Rechnung dabei, ihren Freund auf ihren Zirkel des Umgangs einzuschränken; sie hatte mancherlei Ursachen, um nicht zu wünschen, daß er ihr Bild in dem Vergrößerungsspiegel der öffentlichen Meinung anschauen möchte. Sie war so glücklich, ihn allein zu besitzen, ihn mit den zarten Banden der Freundschaft, des Vertrauens immer enger an sich zu knüpfen; und er fand nur bei ihr sein Herz lebendig in den süßesten Erinnerungen, in der leisen Hoffnung, von Nannys Verhältnissen, von ihrer Stimmung vielleicht doch endlich noch etwas Tröstendes zu vernehmen.

Die Briefe seiner Mutter waren beunruhigend; sie erwähnte Nannys Namen nicht mehr. Es schien, als wolle sie ihren Sohn nicht mehr [361] kränken durch eine für sie selbst ganz entschiedene Ansicht seines Schicksals.

Ein Brief von Nannys Vater entflammte seinen Muth, seine Hoffnung aufs neue. Er war bei Gelegenheit eines Geschäfts geschrieben, aber in den herzlichsten Ausdrücken, in dem vollen treuen Glauben seines künftigen Verhältnisses zu ihm.

O ich will zu ihr eilen: rief Walther, indem er sich seinen Kleinmuth vorwarf: im offnen, freien Gespräch, sollen sich alle verworrenen Ansichten lösen! Er entdeckte sogleich Leonoren seinen Entschluß, die ihn mit einem schmerzlichen Lächeln anhörte.

Walther eilt den nächsten Morgen fort. Leonore unternahm eine Reise, die sie, wie sie ihm sagte, schon allzulang aufgeschoben. Sie gieng, um eine kleine Besitzung in Augenschein zu nehmen, die sie in der Gegend von St. kürzlich geerbt, und bat Walthern, sie auf seiner Rückreise dort aufzusuchen, um ihr seinen Rath bei verschiedenen neuen Einrichtungen zu ertheilen.

Im Gefühl einer längst entbehrten Heiterkeit [362] ritt Walther durch die reine Luft und die blühenden Fluren. Hoffnungsvolle Sehnsucht füllte seinen Busen aufs neue; Sorge und Argwohn wichen gleich Schattenbildern vor dem neuen heitern Tag seiner Liebe.

Die Müdigkeit seines angestrengten Pferdes führte ihn nach demselben kleinen Wirthshause im Walde, wo Nanny der Krankheit des Oheims wegen übernachten mußte. Der enge Raum, der noch dazu von andern Fremden eingenommen war, nöthigte Walthern, in der Wirthsstube zu bleiben. Sein Dialekt führte das Gespräch der Wirthin sogleich auf sein Vaterland, auf die neuesten Begebenheiten. Sie erzählte, daß vor einigen Monaten auch Landsleute von ihm hier übernachtet hätten, ob er sie wohl kenne? Es war ein ältlicher Herr mit einem entzückend schönen Mädchen, sagte sie. O wie die sich liebten! wie er ihr jeden Wunsch im Auge las; aber wie besorgt sie auch um ihn war! wie sie ihm pflegte! Ja, wenn er sie nicht zu seiner Frau macht, kann er es nicht verantworten. – Sie hießen, [363] wie ich nachher erfahren – Die Wirthin sprach des Oheims Namen nicht ganz richtig, doch unverkennbar für Walthern aus. Es blieb ihm kein Zweifel übrig. Es war ihm, als ob sein Busen in Flammen aufloderte. Mit erstickter Stimme that er noch einige Fragen, die das Geschwätz, der Wirthin unterhielten. Jedes ihrer Worte fuhr wie schneidendes Eisen durch sein Herz, und gleichsam, um seine Qual zu häufen, forschte er nach jedem kleinen Umstand.

So ist denn alles verloren! rief er aus, indem er sein glühendes Angesicht, seine Augen, in denen heiße Thränen brannten, in seinem Lager verbarg. Doch will ich sie sehen, und aus ihrem Munde das Zeugniß ihrer Untreue vernehmen.

Die Liebe fand in dem reinen Gemüth keinen Stoff kleiner Leidenschaften, weder beleidigte Eitelkeit, noch gekränkten Stolz. Walthers tiefstes Gefühl war nur ein unendlicher Schmerz, den schönen Glanz seiner Hoffnung aufs neue in die Finsterniß gesunken zu sehen.

[364] Als er am Morgen von einem unruhigen Schlaf erwachte, und das Fenster öffnete, um seine heiße Stirn an der frischen Morgenluft zu kühlen, sah er einen so eben angekommenen Boten vor der Hausthür stehen. Er suchte einige Briefe, die er abzugeben hatte, aus der Briefrasche hervor. Die Wirthin las die verschiedenen Aufschriften und rief: Hier, dieser ist an einen Herrn, welcher sich so eben in meinem Hause befindet, und dem vielleicht daran liegt, ihn früher zu erhalten. Sie sah nach Walthers Fenster auf, und da sie ihn erblickte, nahm sie dem Boten den Brief ab, um ihn eilig zu überbringen. Er ist mir theuer empfohlen, sagte der Bote, indem er ihn übergab.

Walther erkannte Nannys Handschrift, öfnete ihn mit zitternder Hand, und las, als ihn die Wirthin verlassen, folgende Zeilen:


»Ich wünschte, Ihr Herz möchte in dem Genuß eines neuen Glückes durch keine Rückerinnerung gekränkt werden. Darum erlauben Sie mir durch diese Zeilen feierlich auf alle Ansprüche zu [365] verzichten, die durch ein ehemaliges Verhältniß unter uns entstanden waren. Es war ein Jugendtraum. Genießen Sie ungestört des neuen Lebensglücks. Wir sehen uns nie wieder.

Nanny


Sie entsagt mir feierlich! Dies war zu viel für Walthers verwundetes Herz. Er wähnte ihr Anschaun nunmehr nicht ertragen zu können; sie selbst versagte es ihm ja.

Die fröhliche Eile des Liebenden war gehemmt. Berge und Thäler, die seine Phantasie, von den Schwingen der Hoffnung getragen, so leicht durchflog, lagen jetzt wie unübersteigliche Felsenmassen und Abgründe vor ihm.

Heftig gieng er im Zimmer auf und ab, die verschiedensten Plane schwankten vor seinem Geiste. Das Wiedersehen der Geliebten, die reizende Rückkehr zu seinem ersten Glück, wie er sie sich geträumt, waren verschwunden. Die Schlangen des Argwohns, der Eifersucht, des Unglaubens an menschliche Treue, umwanden sein Herz; aber bald strebte es aus den feindseligen Gewinden [366] mit reger Kraft frei empor. Mit wohlwollender Liebe umfaßte er Nannys Andenken, und mit unaussprechlicher Wehmuth. Er fühlte sich berufen, das Schicksal des Mädchens, das er geliebt, mit männlicher Sorge am Herzen zu tragen, selbst, wenn sie sich untreu von ihm gewendet. Er wollte es mit seinen Augen sehen, vernehmen, ob sie glücklich mit Robert sey, und daurend bleiben könne. Von ihm, dem Räuber seines Glückes, wendete sich sein Herz in kaltem Haß. Der dumpfe Unfrieden, den er von jeher neben dem Oheim gefühlt, hatte nun klare Bedeutung. Nanny wollte er durch sein Anschau'n nicht kränken, aber von ihr unbemerkt wollte er die Spuren ihres Lebens, ihre Verhältnisse aufsuchen, um ihr künftiges Glück oder Unglück daraus zu erkennen. Er schwankte nur noch, ob er seine Reise jetzt fortsetzen, oder Leonorens Erkundigungen zuvor vernehmen sollte? als ein Wagen ankam, auf den ihn bald ein freundliches Zunicken aufmerksam machte. Es war Leonore selbst, die, wie sie sagte, durch die schöne Gegend [367] gelockt, diesen sonst ungewöhnlichen Weg nach ihren Gütern genommen.

Die Blässe, der erloschene Blick ihres Freundes setzte sie in Unruhe, und veranlaßte lebhafte Fragen. – Er antwortete einsilbig, doch nach einigen Minuten wußte sie seine ganze Lage. Kommen Sie, Walther, sagte sie, indem sie seinen Arm sanft faßte, in dieser Stimmung vermehren Sie nur Ihre Verwirrung in St.; sammlen Sie sich einige Tage auf dem Land, helfen Sie mir ordnen, richten, schlichten, und gewinnen Sie so Ihre Gemüthsruhe wieder. Wir finden dann das Bessere zu thun, und Sie sind nicht weiter von St. entfernt, als hier. Er folgte.

Selbsttäuschung aus Herzens-Schwäche

Wir eilen nun, zu erfahren, wodurch Nanny bewogen wurde, das Herz ihres Freundes so unheilbar zu verwunden.

Ihre feine Seele suchte den Schmerz über [368] eine gekränkte Liebe jedem forschenden Blick zu verbergen. Aber bey Madame H**s Interesse an Nannys leisesten Gefühlen, im täglichen Umgang, war es unmöglich, daß sich ein unbefangnes offnes Gemüth, welches zum erstenmal von der Last eines schmerzlichen Geheimnisses gebeugt wurde, nicht durch tausend unwillkührliche Aeußerungen verrathen sollte.

Madame H * * behandelte ein erschlichenes Vertrauen wie ein geschenktes; sie überhäufte Nanny mit den Zeichen der wärmsten Theilnahme, daß diese, ohngeachtet ihrer innern Abneigung, nicht umhin konnte, sich dankbar zu zeigen, und die Zudringlichkeit der Arglistigen nicht so von sich zu weisen vermochte, wie sie es verdient hätte.

Eines Morgens empfing Madame H * * Nanny mit ernsterer Miene als gewöhnlich; sie versuchte sogar den Ton der Rührung anzunehmen. »Bestes Kind, sagte sie: lesen Sie diesen Brief, den ich gestern bey Robert sah, und den ich mir für Sie ausbat; lang hatte ich mit seiner [369] Feinheit zu kämpfen, aber endlich er hielt ich ihn. Diese Zeilen werden Ihnen mancherley Aufschlüsse über ein Verhältniß geben, das Ihnen noch das Herz brechen wird, das Sie viel zu schwer aufnehmen. Möchten Sie von meiner Freundin lernen, wie der flüchtige Eindruck der Jugend verschwindet, aber wie das Leben zu genießen ist, und wie man seine Blüthen bewahren kann.«

Nanny las folgendes:

Leonore von L... an den Ritter Robert.

Der Anblick Ihrer Handschrift nach einer achtjährigen Trennung, während welcher Sie stumm und schweigend gegen mich waren, wie die Schatten des Erebus, machte einen gewaltigen Eindruck auf mich. Ich fühle in der Gewalt dieser Regungen noch jetzt, wie nah Sie einst meinem Herzen waren.

Nicht aus der stumpfen Gleichgültigkeit eines grauen umwölkten Tages riß mich Ihr Schreiben; an einem solchen rufen wir wohl oft die [370] Schattenbilder der Vergangenheit in die leben- und farbenlose Gegenwart verlangend zurück.

Nein, in der klaren heitern Himmelsluft einer neuen Liebe, in dieser fühle ich noch, wie theuer Sie mir waren. Sind es dieselben Züge, aus denen mir die erste jugendliche Glut des Herzens aufgieng – die ich nie erblickte, als von der Glorie der Liebe umleuchtet, als unter dem Dufte sehnsuchtsvoller Thränen, der jedem gewöhnlichen Ausdruck, jeder natürlichen Wendung, mannichfache farbige Strahlen der Empfindung und der zärtlichsten Regungen lieh? Diese Züge, die meine heißen Lippen oft mit Küssen bedeckten, die ich an meinem Herzen trug als einen schmerzstillenden Talisman, diese lese ich jetzt mit kalter, klarer Besonnenheit, sehe den Auftrag, den sie enthalten, rein und ruhig.

Aber Dank den guten Genien, die unser Verhältniß sanft auflösten; noch blühen mir die Rosen freundlicher Erinnerungen aus Ihren Zeilen, und eine sanfte Wärme belebt mein Herz. Nut im Wahnsinn der Leidenschaft steht uns die Zeit [371] still, und streben wir sie zu fesseln. Sanft gehen wir mit der Wandlenden, wenn die Kräfte unsers Wesens harmonisch gestimmt sind, und keine rächenden Erinnyen aus der Vergangenheit gegen uns aufstehen. Das Schicksal wird dem Widerstrebenden nur feindlich, und führt uns milde, wenn wir ihm willig folgen.

Das Schicksal trennte auch uns, vermöge unserer angebornen Richtungen, und ich sage es frei, was mir lang in Ihrem Betragen Schuld schien, sehe ich jetzt im milden Licht einer innern Nothwendigkeit. Manche Existenz hat sich in Ihrem Innern kund vor mir gethan, durch das Organ einer zarten Liebe, manche glänzende Erscheinung ist zerronnen, aber manch ächtes menschliches Gefühl ist mir geblieben. Ich sehe die Liebe als einen kleinen Strom mit immer grünenden Ufern, wo andere nur die trübe Fluth des Egoismus erblicken.

Warum will unsre Eitelkeit Konsequenz im ewigen Wechsel? Ströme wandeln ihre Ufer, Berge ihre Formen, und vom allerbeweglichsten [372] Spiel aller Elemente fordern wir Stätigkeit? Ich hasse nichts als Verhältnisse, die Prätensionen aller Art erzeugen, die die heitre Freude, den Genuß des Moments zur versteinernden Meduse umschaffen wollen. Ob ich immer glücklich bei dieser Art zu existiren bin? Robert, das ist eine andere Frage; aber wer ist immer glücklich? – Daß ich oft eine unaussprechliche Leere in meinem Busen fühle, läugnen kann ichs mir selbst nicht. Inhaltlos, scheint mir, müsse das Leben uns dünken, wenn nicht irgend ein permanentes Interesse die zerstreuten Fäden zusammenwebt. Das Bedürfniß zwingt uns zur Folge, was sollte auch sonst daraus werden? Soll ichs Ihnen danken, Robert, daß Sie meine Existenz zu einer Freiheit gebildet haben, die sich in keine Schranken fügte. Nenn' ichs auch mit Wahrheit Freiheit? Sollte es nicht vielleicht Haltlosigkeit heißen? Wenn ich sehe, wie sich die Menschen um mich her quälen, täuschen, betrügen, um in einem Verhältniß, aus dem die Grazien entwichen sind, auch nur halb ehrlich zu bleiben, [373] dann, mein Freund, denk' ich Ihrer mit Dank. Aber sehe ich irgendwo der Wahrheit und Treue lebendiges Bild, sehe ich ein braves Weib, von einem guten Mann geliebt, von blühenden Kindern umgeben, sehe ich, wie sie die wirkende Liebe und hülfreiche Gottheit der kleinen Welt ist – dann Robert, dann stehen Sie als mein böser Engel vor mir, der mir durch seinen mitgetheilten Unglauben den Weg zu diesem Paradiese der Unschuld versperrte. – Ach das Verlangen, das tiefe Bedürfniß nach irgend einer unvergänglichen Liebe, ziehet die goldnen Wolken des Himmels in glänzenden Bildern zu sich herab – sie verschwinden – aber selbst ihnen nachzuweinen ist es nicht das süßeste Glück des Lebens?

Vielleicht war ich nie näher daran, diesen goldnen Wolkensaum in meine Arme zu schliessen, und in seinem Zauber mein Herz zu verjüngen, als jetzt!

Ein starker holder Charakter, fest gebildet, obgleich in voller Blüthe der Jugendkraft, die [374] dem ungemeßnen Leben noch ein unendliches Streben entgegen setzt, und sich selbst in ihrer Unermeßlichkeit fühlt – ein Herz, rein wie der Himmel, schließt sich an mich an, und umfaßt mich mit der stillen Gewalt einer ewigen Treue. Selbst aus der zögernden Annäherung seines Herzens, das sich nur nach und nach aus dem magischen Zirkel eines ersten Jugend-Eindrucks löst, fühle ich die Dauer meines Glücks. In dem reinen blühenden Leben eines Busens, der sanfte Neigungen so fest bewahren kann, geht mir ein neues Hoffen auf. Bleibt mir dieser Freund, dann lebt wohl ihr gaukelnden Traumbilder, die mich in eine glänzende Ferne lockten, wie die Rosen des Morgens – und von Tag zu Tage nach neuen Erscheinungen führten, von Liebe zu Liebe meinen leichten Sinn trugen, wie den Samenstaub der Blüthen. – Nein, Ruhe und Bleiben und stilles Wirken im Kreise der Meinen ist an jene edle Gestalt gebunden, von der der Leichtsinn und Wechsel flieht.

Das Leben spiegelt sich ernst in dieser energischen[375] Seele, die geboren ist, in stiller Kraft zu herrschen, und alles um sich her belebend zu ergreifen. – Die großen Massen der menschlichen Verhältnisse liegen in dem reinen Busen, mit dem Licht des Geistes uns leuchtend, und jedes ächte menschliche Interesse gedeiht in dem Hauche warmer Liebe.

O Ritter! gewiß haben Sie den kräftigen, holden Charakter schon erkannt, den ich Ihnen vorgezeichnet: nein, er kann Ihrem forschenden Auge nicht entgangen seyn! – Walther ist durch eine ruhige Entfaltung seiner Natur, in einfachen Verhältnissen umgeben, von großen Naturformen das geworden, wozu auch Sie die schöne Anlage hatten, wenn nicht die kleinliche Beschränkung einer frühern Weltbildung Sie verdorben, und in Ihnen die Masse des Gefühls in Witz gesplittert, in schwankenden Gebilden der Imagination verdunstet hätte. – Wie klar erkennt die Liebe den Werth des Geliebten! Im leisen Ahnen aller hohen Anlagen entzündet und ernährt sich ihre Flamme. Es ist dieselbe Urform [376] des Geistes, die mich sonst anzog, vielleicht selbst eine leise Aehnlichkeit der Züge, die meine ersten Jugendgefühle gleich als mit magischem Zauber an diese neue Erscheinung fesselt.

Sie selbst, mein Freund, fordern mich zum Vertrauen auf, indem auch Sie mir Ihr Herz voll eines neuen beseligenden Gefühls zeigen. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück; Möge für uns beide dieses neue Licht des Lebens ein ewig schimmernder Stern des Firmamentes seyn, – nicht vielleicht nur – ich schaudre es zu denken – ein flüchtiges Gebilde der entzündlichen Einbildung, das gleich dem Nordlicht an den Polen der Erde erscheint, um die kälteren Zonen unsers Lebens nur vorübergehend zu erhellen.

Was Sie von mir wünschen in Ansehung der Ausbildung Ihrer jungen Freundin, leiste ich mit Vergnügen. Es ist ein sonderbarer Zug des Verhängnisses, oder Ihrer Vorstellungsart, der gerade mich zu diesem Geschäft bestimmt. Ich muß fast lachen, aber ich bin unbefangen genug, [377] es Ihnen zu gestehen, wenn Sie einst in dem holden Wesen eine Spur meines Geistes, meiner Art zu seyn, finden; so freue ich mich, daß auch mein Bild bei dieser Gelegenheit aus dem Schatten der Vergangenheit hervorgehen wird. Ich selbst bin durch tausend Verbindungen und Geschäfte zu einem wechselnden Aufenthalt genöthigt; ich werde Nanny aber der Aufsicht meiner vertrautesten Freundin übergeben, und so oft als möglich bei ihr seyn.

Leben Sie wohl, mein theurer Freund! – Sie sehen aus dem langen Briefe, ob ich gern bei Ihnen verweile. – Wer weiß, ob ich nicht von tausend süßen Erinnerungen verfolgt, jetzt eben den tiefsten verborgensten Schatten meines Waldes aufsuchen müßte, um sehnsuchtsvolle Thränen zu vergießen – aber so eben tritt Walther in mein Vorzimmer. – Der Schimmer der Zärtlichkeit umleuchtet die hohen Züge, sein süßer Blick voll ewig zarten Verlangens glänzt mir entgegen. Adieu, Robert!

Nanny stand vor dem Brief wie vor ihrem [378] Grabe. Das Leben mit seinem Schimmer, mit seinen Hoffnungen lag hinter ihr in unermeßlicher Ferne, und vor sich sah sie nur die Finsterniß des ewigen Schlummers.

Sie strebte wie alle großen Gemüther, größer zu seyn als ihr Schicksal, wenigstens sich damit zu vereinen. Sie entschloß sich, sogleich Walthern zu schreiben, ihm selbst seine Freiheit wieder zu geben, und der gewaltsame Zustand ihres Gemüths, den sie zu verbergen strebte, gab ihren Zeilen ein trocknes kaltes Ansehen, das von keinem Hauch ihrer wahren Gefühle belebt wurde.

Der Egoist wird zum Verführer

Robert wähnte die Wirkung dieses Briefes entscheidend für seine Plane, darum hatte er so lange damit zurückgehalten. Bisher hatte er sich geschmeichelt, Nannys Neigung als eine frische Blume aus der grünen Laube der schönsten Lebenshoffnungen zu brechen, aber sein ungestümes [379] Verlangen trieb ihn jetzt an, alles zu versuchen, um selbst das hoffnungslose Herz schnell an das seine zu ketten. Die Schwierigkeit des Besitzes erhielt ein immerwährend reges Streben der Eitelkeit, das Robert sich selbst täuschend für eine Stimme des Herzens hielt.

Das Zusammenleben mit seinen ehemaligen Gefährten, die Scherze über seine neue empfindsame Liebe, die er in ihren Zirkeln auszuhalten hatte, wirkten auf sein schwankendes Wesen, das bald über, und bald wieder unter der Region fremder Meinung schwebte.

In reiner Lebensfülle, im Geleit der Grazien geht eine schöne Fantasie durch das Leben; ihre Aeußerungen sind wie die der Vernunft Ruhe auf sich selbst; aber eine wilde und regellose, schöner Bildungen unfähige, äußert sich verschwistert mit der Thorheit, und wirkt zerstörend um sich her wie das Laster.

Durch die trübe wechselnde Fluth einer sittenlosen Gesellschaft bewegt, sann Robert nun thöricht nur auf Mittel, seinen Zweck bald zu erreichen, [380] und die Ansicht von Nannys Charakter und momentaner Stimmung, verhüllte sich vor ihm in den Nebel gemeiner Vorstellungsarten, die ihn täglich umgaben.

Die frischen Farben der Hoffnung waren in Nannys Leben verblichen, der Zauberduft der Liebe verschwunden, und die Wirklichkeit stand in scharfem Umriß vor ihrem klaren Verstande. Entkleidet von allem milden Schimmer, welchen das Verhältniß mit Walthern auf ihn geworfen, stand jetzt Robert vor ihren Augen, alle Bande waren für Nanny zwischen ihr und ihm zerfallen. Die Ausbrüche seines kalten Egoismus, den sie als augenblickliche unfreundliche Laune bisher entschuldigte, erschienen ihr jetzt als tiefer Charakterzug, seine wechselnden schwankenden Maximen, die sie als das Leuchten eines allzulebhaften Verstandes betrachtete, sah sie jetzt mit Wahrheit für eine Schwäche des Herzens an, das unfähig war, sich an einen Grundsatz fest zu halten.

Nanny hatte wenige Tage, nachdem sie den [381] Brief gelesen, in denen sie über ihre Verhältnisse gedacht, und sich zu sammeln gestrebt, einen stillen Abend erwartet, um mit Robert zu sprechen. Madame H. hatte Nannys Brief an Walthern nachgespürt und Robert davon unterrichtet; er war von der gefälligsten heitersten Laune, er wähnte sich am Ziel seiner Wünsche.

Nach kurzer Einleitung forderte Nanny mit Ernst von Robert, daß er sie unverzüglich zu ihren Eltern zurückbringen solle. Robert machte Einwendungen. Ihre Talente seyen in der schönsten Ausbildung, warum ihre Fortschritte eben jetzt hemmen? Eine solche Gelegenheit, sich für die Welt zu bilden, komme vielleicht nicht wieder. – Von ihrem Gefühl übermannt rief Nanny: was soll ich in einer Welt, in der ich mich ewig fremd fühlen werde, in der ich niemand zum Trost und zur Freude lebe! Wozu soll mir eine feinere Bildung, da ich niemand mehr kenne, der sich daran erfreuen könnte! – Tiefe Röthe glühte über ihre Wangen, nachdem sie das Geheimniß ihres Unglücks ausgesprochen, die [382] Thränen stürzten aus ihren Augen, so daß sie ihr Antlitz verhüllen mußte. – Robert wähnte sein Glück jetzt zu umfassen, er glaubte, der Moment sey da, um dem gereizten schmerzerfüllten Gemüth der Verlassenen ein neues Bild der Liebe und des Glücks zutraulich darbieten zu können.

Er faßte Nannys Hand mit Heftigkeit. O Nanny! rief er mit heißer Leidenschaft, und Sie sagen dieses einem Manne, der längst Ihren Besitz als sein höchstes Gut ansah, der den Moment, in welchem er Ihnen sein Herz zeigen dürfte, so lang, so sehnlich erwartete! –

Nanny schwieg, und hielt ihre Augen bedeckt. Robert glaubte, der Sieg sey errungen, sein Arm wagte sie zu umfassen. Jetzt richtete sich ihr großes helles Auge mit einem scharfen Blick auf ihn – ihre Lippe bebte krampfhaft. – Sie erwarteten diesen Moment? Eine hohe Röthe flog über ihr Angesicht, mit edlem Zorn stand sie auf, und wies Robert aus ihrer Nähe zurück. – Es ist nicht alles wie es seyn sollte, Ritter [383] Robert, sagte sie; ich ahnete es lang. – Ein unerfahrner Sinn ist leicht zu verwirren, aber ein offnes Herz nicht zu gewinnen, als durch Wahrheit. Ich bin unglücklich durch Walthers Verlust, und daß Sie den schmerzlichsten Augenblick meines Lebens so benutzen konnten, zerreißt unsre Freundschaft.

Sie ließ den Ritter allein, verstört und verwundert stehen.

Robert war jetzt beleidigt, gereizt, um für den Besitz des Gutes, welches ihm versagt wurde, alles zu wagen. Seine Eitelkeit, die sich mit seinem Scharfsinn verbunden, immer mit allen Begebenheiten so abzufinden wußte, daß sie unbeleidigt und in der Selbsttäuschung seines vollen Werthes erhalten wurde, half ihm auch hier geschäftig zu tausend Illusionen über Nannys Betragen.

Die schöneren Seiten der weiblichen Natur waren Robert immer fremd geblieben, er hatte sie flüchtig beobachtet, aber nie empfunden. So sehr er Nanny allen übrigen ihres Geschlechts [384] vorzog, so war sie ihm doch nur ein Wesen, das einer Leidenschaft bedarf, einer Flamme, die sich, gleichviel von welchem Stoff, ernährt. Die höhere Liebe, die Tiefe des Empfindens, die einer einzig gewähnten beglückenden Erscheinung ewige Thränen zu weihen vermag, waren ihm unbekannt.

Zum erstenmal erklärte sich Robert deutlich gegen Madame H. über Nanny, über seinen Antheil an ihr, schwankender über seine Plane; denn eine lebhafte Neigung zu bekennen, lag ganz außer seiner Weise. Madame H. kam ihm entgegen, verstand seine leisesten Aeußerungen mit solcher Feinheit, erhielt die ganze Verhandlung, vor der Roberts scharfer Verstand oft die Augen niederschlagen mußte, so ganz im Gebiet des Scherzes und der Laune, und tröstete immer mit der reiferen Lebensansicht der guten Kinder, in der die ersten Aufwallungen des Herzens um nichts bedeutender schienen, als die bunten Seifenblasen der Kindheit.

Die Schlingen für die Liebenden wurden auf [385] diese Art unvermerkt gelegt. Unter mancher Hinweisung von Madame H. auf die vortheilhafte Existenz, die Nanny in der Verbindung mit Robert finden würde, da hingegen die unsichere Lage des Neffen ihr nur ein sorgenvolles Leben darböte, versetzte sich Robert beinah selbst auf Momente in die Illusion, sein Benehmen sey lobenswerth und großmüthig.

Der schiefe Lebensweg war eingeschlagen, und Robert eilte nun von Irrthum zu Irrthum, da er sich einmal erlaubt zur Beförderung seiner Zwecke, mit den Waffen der Unwahrheit und List, ein friedliches Daseyn anzugreifen.

Nanny hatte sich dringend an Madame H. gewendet, um ihren Beistand zur Abreise zu erhalten. Sie versprach alles, aber mit der Bedingung, daß Nanny ihr die Freude einer kleinen Lustpartie auf wenige Tage nach einem der lieblichsten Plätze in der ganzen Gegend, nicht verderben möchte. Nannys kleine Baarschaft reichte nicht hin zu den Ausgaben der Reise, sie mußte nachgeben, so viel es ihr auch kostete.

[386] Die kleine Reise wird uns allen wohlthun, sagte Madame H., nachdem die Gesellschaft im Wagen Platz genommen – ihr Blick war auf Nanny gerichtet, aber seitwärts lächelte sie auf Robert, indem sie hinzusetzte: ja sie wird manche Wolke zerstreuen.

Der schiefe Charakter-Ausdruck ihrer Miene war Nanny nicht entgangen, ob sie gleich in der schmerzlichsten Spannung war. Der Haß wirkte in ihrem weichen liebenden Wesen zerstörend, wie das Gift in einem gefunden Körper. Sie vermochte es fast nicht, Roberts Nähe zu ertragen, und kehrte nur, um gleichsam sich selbst zu erhalten, ihr innres Auge auf die Bilder ihres entflohenen Glücks. Der Wunsch, in der Einsamkeit ihren Schmerz auszuweinen, war der einzige, der dem, holder Wünsche sonst so vollen, Busen jetzt übrig blieb.

Selbst die wechselnden Natur-Scenen konnten sie nicht beleben, in jedem Wald suchte sie unglücklich Liebende, an jeder Quelle ein verlassenes Herz.

[387] Sie hielten an in einem anmuthigen Dorfe. Alles war heiter und festlich geschmückt. »Es ist heut eine Hochzeit hier, sagte der Wirth.« Die laue Luft lockte die Reisenden in einen kleinen Garten, der an einem Bergrücken endigte.

Nanny erklimmte den steilen Pfad mit einer jungen Bäuerin, die sie sich zur Führerin erwählt. Sie blickte über die lachende Gegend hin, ihr Herz schlug milder, da es sich unbemerkt fühlte, ein leiser Antheil an dem reichen harmonischen Leben, das sie umgab, begann sich zu regen. Die Bäuerin nannte ihr einige Namen der vor ihr liegenden Dörfer. Ein einsames Haus neben einem Busch von Obstbäumen zog Nannys Aufmerksamkeit vorzüglich an. Wie bebte ihr Busen, als sie auf die Frage, wem dieses zugehöre, zur Antwort empfieng: der Fr. von L., unserer gnädigen Frau, sieeb en stattet heut ein junges Paar im Dorfe aus, und wird selbst hieher kommen.

Vor Nannys Augen sank wie ein grauer Schleier über die sonnigte Landschaft, der Boden [388] schien unter ihr zu wanken, sie eilte davon. Das Mädchen folgte, ohne sich in ihrem Geschwätz zu unterbrechen. »Einige wollen sogar wissen, sagte sie geheimnißvoll, die gnädige Frau werde heute ihre eigene Vermählung feiern, mit einem jungen schönen Herrn, der vor wenigen Tagen angekommen ist. Wahr ist's, alles ist zu einem größern Fest veranstaltet, als zu einer Bauernhochzeit.«

Nanny kam beinahe sinnlos in den kleinen Garten zurück. Eilt, daß wir hier wegkommen, sagte sie der Muhme heimlich: die Luft, die ich athme, ist mir tödtlich.

Sie giengen beide, Madame H. und Robert aufzusuchen. Nanny eilte schwindelnd durch die kleinen Gassen des Dörfchens.

Der Platz vor der Kirche war mit jungen Maien und Laubgewinden geschmückt, der Weg war mit Rosen bestreut, die enge Kirchenthür umwallten grüne Zweige.

Nanny hatte die Kraft des Herzens wieder gefunden, die sich an der Unermeßlichkeit ihres [389] Schmerzes gleichsam stärkt und erhebt. Sie trat in die Kirche, und sagte sich es vor; dieser Raum wird in kurzem den Geliebten umschließen!

Schauervoll umfaßte sie das enge dämmernde Gewölbe, wie das Grab ihres Glücks. Ein Lichtstrahl fiel auf die weißen, mit Blumen geschmückten Decken des Altars. – Hier verliere ich Walthers Herz! seufzte sie still. Möchte er hier alles Glück finden, das ich auf ewig verliere! In dem reinen Wunsch fand sie sich von neuer Kraft belebt, in der sie alles zu ertragen vermochte; nur um Walthern zu schonen, wünschte sie noch eilend diesen Ort zu verlassen, wo sie ihm nicht als ein strafender Genius in der heitern Stunde seines Glücks erscheinen wollte.

Madame H. und Robert waren vor der Kirche. Madame H. faßte Nannys bebende Hand, und rief mit einem theilnehmenden Blick auf Robert: sie weiß alles! Ja ich weiß alles! sagte Nanny, und meine letzte Bitte ist: eilen Sie, daß wir von hier wegkommen.

Robert betrieb die Anstalten zur Abreise, und [390] zeigte nur stille Theilnahme an Nannys Schmerz. Kaum hatten sie die letzten Häuser des Dorfes hinter sich, als ein Trupp junger Bauernbursche mit flatternden Tüchern und Bändern geschmückt, an Roberts Wagen vorbeiritt. Ein offner Wagen folgte, Nannys Blick traf auf Walthern, er saß neben der lächelnden Leonore. Nannys Auge schloß sich gleich als geblendet vom Glanz der Erscheinung, sie drückte Madame H...s Arm und sagte leise aus gepreßter Brust: nur hinweg! nur eilend hinweg! bis die Wolke der Ohnmacht ihre Sinne ganz umhüllte.

Sie waren weit weg, als Nanny wieder zu sich selbst kam. Es wird bald vorüber seyn, sagte sie sanft zu den Frauen, die sie um sich beschäftigt sah, aber mit ernstem Blick entriß sie Roberten ihre Hand, die er in der seinen hielt.

Liebes-Treue und gescheiterte Plane

Der-Zufall hatte, so wähnte Robert, günstig zu den künstlich angelegten Planen gewirkt. Madame [391] H... war von dem kleinen Fest unterrichtet, welches Leonore zu veranstalten gedachte. Leonorens leichtsinniges Gemüth hatte selbst ihrer Freundin die Hoffnung gezeigt, daß der Anblick der ländlichen Freude, das Glück des jungen liebenden Paares, einen starken Eindruck auf Walthern machen müsse. Vielleicht würde sich sein Herz ganz und ewig an sie heften, vielleicht könnte dieses der Tag ihres vollen Glückes werden.

Die Reise über dieses Dorf, die Möglichkeit Nanny durch den Augenschein, wenigstens durch das vielfache Zeugniß ganz unverdächtiger Menschen, unwiderruflich von Walthers Untreue zu überzeugen, ihre Empfindlichkeit auf das höchste zu reizen, dieser Plan gehörte einzig Madame H... zu; sie hatte ihn sogar Leonoren nicht mitgetheilt. Daß Nanny Walthern gesehen, war ihr selbst unerwartet, sie hatte auf seine spätere Ankunft gerechnet.

Walthers Gedanken waren während den wenigen Tagen unaufhörlich darauf gerichtet, wie er sich von Nannys wahrer Lage unterrichten [392] könnte, ohne ihr selbst seine Gegenwart aufzudringen. Leonore zog ihn in Geschäfte, in Verbesserungsplane, und da die Aufforderungen der Menschlichkeit immer laut an sein reines Herz sprachen, so diente ihm diese Thätigkeit zur heilsamen Zerstreuung. Nie war ihm Leonore liebenswürdiger erschienen, als in dem stillen heitern Wohlwollen, das jetzt ihre Züge belebte, in der zweckmäßigen Thätigkeit, die ihren feinen Verstand in immer lebendigem Spiel erhielt.

Sie fühlte es, und die unaussprechliche Freude des Gelingens gab ihrem Wesen noch einen höheren Schimmer, und machte ihre Hoffnungen allzukühn. So führte sie Walthern zu dem kleinen Fest.

Heiter und seegenverbreitend, wie eine wohlthätige Fee, saß Leonore neben Wathern. Sie flogen durch die blühendste Landschaft, die sanften Morgenlüfte spielten in ihren blonden Locken, eine noch nie empfundene Harmonie füllte ihren Busen. Walther war ernst und mild, wie gewöhnlich, nur bewegter, und gewaltsam beinah [393] schien es, hielten seine Lippen das Bekenntniß seiner Gefühle zurück.

Jetzt fuhr Nannys Wagen vorbei. Walther hatte sie gesehen, sein Herz flog ihr nach, neubelebt von den zärtlichsten Erinnerungen. Die Vergangenheit wurde ihm zur Gegenwart, diese zum Traum. Leonore schien ihm nur noch ein Schattenbild, das die ewig geliebte Gestalt umdämmerte. Walther hatte Roberten nicht im Wagen bemerkt, der sich zu verbergen gesucht, da ihm ein allerseitiges Zusammentreffen jetzt sehr ungünstig schien. – Kein gehässiger Anblick störte also Walthers glückliche Täuschung; er saß wie ein seelig Träumender.

Leonore fühlte schmerzlich die Veränderung in Walthers Stimmung, er gestand auf die erste Frage unbefangen die Ursache. Leonore verbarg allen Verdruß, und bot Walthern sogleich ihren Wagen an, um Nanny zu folgen. Im Dorfe zog sie sogleich manche Erkundigungen über die Reisenden ein. Walther vernahm, daß Robert von der Reisegesellschaft war. Sein Muth verschwand, [394] und sein Herz versank in tieferen Schmerz nach den Momenten süßen Genusses.

Leonore fühlte schmerzlich, daß sie sich verrechnet hatte, daß die Gewalt des ersten Jugendeindrucks in einem starken Gemüth nicht zu ermessen sey.

Das Andrängen der kleinen Gemeinde, die neugierigen Blicke auf sie und Walthern, machten Leonoren höchst verlegen. Sie selbst hatte durch manche unvorsichtige Aeußerung gegen ihre Leute den Wahn veranlaßt, daß ihre eigene Trauung auf die des jungen Paares folgen könnte. Sie hatte von dem Eindruck des kleinen Festes solche gespannte Erwartungen, daß sich ihre Wünsche und Hoffnungen allzusehr entschleierten. Sie brauchte alle ihre Geistesgegenwart, um ihren Verdruß vor dem Auge der Landleute, die sie umgaben, zu verbergen. Die weitgemachten Anspielungen des Pfarrers und Schulmeisters, das Geflüster der Menge und einige derb ausgesprochene Scherze der angesehensten Bauern machten Walthern zuerst aufmerksam auf seine sonderbare [395] Lage. Er gerieth in die glühendste Verlegenheit, und wagte nicht die Augen aufzuschlagen. Als Leonore dem Brautpaar die Geschenke reichte, und der Braut die Krone aufsetzte, sagte sie mit nassen Augen: Gutes Mädchen! möge dir das Schicksal alles Glück mit diesem Kranze geben, welches es meinem eigenen Leben geraubt! –

Thränen drangen in Wathers Auge, er fühlte, daß Leonore das Glück ihres Lebens von ihm empfangen wollte, er wähnte, daß sie jedes Opfers werth sey – er schwankte – seine Hand bebte der ihren entgegen, das Gelübde der Hingebung schwebte schon auf seinen Lippen. Ein glücklicher Instinkt hielt ihn noch in diesem Moment, da sein Wille schon gewankt. Seine natürliche Feinheit, die sich jeder halben Empfindung, jeder halben That schämte, erwachte. – Theure Leonore, sagte er leise, ein verwundetes Herz finde bei Ihnen Trost, bis es sich eines höhern Gefühls werth findet. Mein Trübsinn entstellt das Fest der Freude, welches Sie hier erschaffen. [396] Geben Sie mir einen kleinen Auftrag, der mich entfernt.

Leonore erblaßte, erröthete, ihre Stimme zitterte, endlich vermochte sie laut zu sagen: Am besten ists, Walther, Sie gehen jetzt in den Wald, um unsre Forstwirthschaft zu untersuchen, während wir in der Kirche sind. Es entstand ein Gemurmel; Walther nahm den Jäger am Arm, und eilte hinweg.

Zum Mittagsmahl kehrte er zurück; aber weder die gutmüthige Heiterkeit der Landleute, noch Leonorens Bemühen heiter zu scheinen, konnten sein Herz erleichtern. Zum erstenmal entdeckte er eine Wolke auf ihrer Stirn, die eine geheimnißvollere Bedeutung hatte, hinter welcher ein tieferer Unmuth, ein innerer Unfrieden lag, den kein zarter Antheil der Freundschaft zerstreute.

Leonore war bitter gekränkt, und Walther fühlte dunkel zum erstenmal ein Netz von Absichten, und fremden Zwecken in ihrem Benehmen.

Mißmuthig kehrten sie zurück. Walthern [397] trieb es ungestüm, den düstern Schleier von der endlichen Entscheidung seines Schicksals hinwegzunehmen. Sein Dienst rief ihn für einige Tage, dann eilte er nach Nannys Aufenthalt.

Entschlossenheit und unterliegende Natur

Säle und Spaziergänge waren schon von Menschen angefüllt, als Nanny mit ihrer Gesellschaft anlangte. Madame H... und Robert wurden bald von alten Bekannten umringt, und Nannys reizende Gestalt zog neue herbei. Sie entfloh der Gesellschaft, sobald sie konnte, um an ihre Eltern zu schreiben, und sie von ihrer baldigen Rückkunft zu benachrichtigen. Der Argwohn trieb sie zur Vorsicht, sie bestellte den Brief durch einen Diener des Hauses, und glücklich entgieng er Madame H...s Blicken.

Robert verfolgte Nanny den Abend hindurch mit zärtlicher Aufmerksamkeit. Sie wies ihn kalt zurück, aber er wurde nur heftiger.

Das Anschaun der sie umgebenden Welt, seit [398] sie dss väterliche Haus verlassen, das Unglück ihrer Liebe, hatte ihr die holde Unbefangenheit geraubt, in der ein Herz das Böse gar nicht erkennt, weil es überall nur den Widerschein seiner eigenen Reinheit erblickt. Die Glut der aufgeregten Sinne, die aus Roberts Augen leuchtete, empörte ihr Gefühl. Kalt und stolz wie die Unschuld, die sich ihrer bewußt ist, mußte sie dennoch erröthen, der Gegenstand solcher Empfindungen zu seyn, und vielleicht vor den Augen der Gesellschaft auszusehen, als ob sie jenes verdiente.

Sie eilte mit ihrer Muhme aus dem Saal nach ihrer Wohnung. Die Anordnung der Zimmer schien ihr sonderbar; die Muhme war in ein abgelegenes Zimmer in einem Seitengebäude einquartirt, und die Wirthin wollte ohne Madame H...s Befehl nichts abändern.

Das immerwährende dunkle Unbehagen, was sie bei Madame H... empfunden, nahm nun den bestimmten Charakter der Furcht an; das ganze Haus schien ihr von unreiner Luft erfüllt, [399] es trieb sie mächtig zu entfliehen. Auf die stumpfsinnige, langsam fassende, Muhme konnte sie nicht rechnen. Sie lag sinnend am Fenster, ihre Thränen flossen unaufhaltsam, als sie Madame H... und Roberts Ankunft vernahm. Lange blieb alles ruhig, und Nanny fieng schon an, ihren Verdacht für ihre kranke Ansicht ihres wunden Gemüths zu halten, als Madame H... zu ihr herein trat.

Und Sie wachen noch, liebes Kind? sagte sie sanft. Die Unruhe um Sie erhielt auch meine Augen offen, und gewiß noch ein Dritter wacht mit uns! Was soll daraus werden, Liebe? Stoßen Sie nicht ein Herz von sich, das sich Ihnen mit solcher Liebe ergab. Seyn Sie gefällig, gütig, vergessen Sie das Verlorne, und Ihr Leben wird heiter und genußreich werden, ja Ihr Verlust wird Ihnen in der Folge ein Gewinn dünken. Soll ich es Ihnen offen sagen, es bleibt Ihnen nichts mehr übrig, um Ihren Ruf herzustellen, als Ihre Verbindungen mit Ritter Robert immer enger zu knüpfen. Die alten Verhältnisse [400] sind ganz aufgelöst, die Ihr Zusammenseyn mit Robert authorisirten. Sie erscheinen überall als seine Geliebte. Ich bin gewiß, in Kurzem werden sie Roberts glückliches Weib, aber die Fesseln der Ehe müssen sich vor einem Manne, der mit allen Schwachheiten unsers Geschlechts so bekannt ist, unter den frei aufblühenden Rosen der Liebe verbergen. Vertrauen Sie mir Ihr Schicksal. Die treue Ansicht der Welt zwingt uns zum Herabstimmen der Gundsätze. Welch ein trauriges einsames Daseyn in Ihren Felsenbergen! Wählen Sie ein leichtes fröhliches Leben unter uns, aber wählen Sie schnell, ehe der männliche Unbestand die Wahl verbietet.

Nanny glühte und zitterte. Der tiefste Unwillen regte ihre ganze Natur auf, ihr ganzes schwarzes Schicksal lag jetzt aufgerollt vor ihr in diesen armseligen niedrigen Vorstellungen der Madame H.... Nannys Entschluß war augenblicklich gefaßt, in die Arme ihrer Eltern zu fliehen. Sie hielt an sich, um Madame H... nicht ihre ganze Verachtung fühlen zu lassen.

[401] Ich verstehe Sie nicht, Madame! sagte sie kalt. Unglücklich war ich gerade nur, seit ich meine Einsamkeit verließ. Ich bitte Sie für heute um nichts als Ruhe.

Bei dieser trocknen Einsilbigkeit mußte sich Madame H... höchst unzufrieden entfernen.

Jetzt schaute Nanny auf eine Reisekarte, die durch einen glücklichen Zufall in ihrem Zimmer hieng. Sie überrechnete ihre kleine Baarschaft und fand es möglich, in einem Kloster an der Gränze ihres Vaterlandes anzulangen, in welchem sich eine ihrer Verwandten aufhielt, die sie zwar nie gesehen, von der sie aber doch Hülfe erwarten konnte.

Die mondbeglänzte Straße lag vor ihr, sie sah am Ende der Reise ein Haus des Friedens, und ihre Entschlossenheit überwand alle mädchenhafte Furchtsamkeit.

An Robert ließ sie folgende Zeilen zurück:

»Um Ihnen dankbar bleiben zu können, entferne ich mich. O Robert, lassen Sie mir die Hoffnung, einst in Ihnen den väterlichen Freund [402] wieder zu finden, den ich nie, nie hätte verlieren sollen.«

»Eine Freistatt der Unschuld wird mich aufnehmen. Sorgen Sie für meine Muhme, und vermeiden Sie alles Aufsehen über den leider nothwendigen Schritt, den ich thue.«

Leise schlich sie sich in den Garten, und fand durch eine Lücke in der Hecke leicht eine Ausflucht ins freie Feld.

Ein glücklicher Instinkt hatte Nanny geleitet. Robert war wirklich vom phantastischen Egoisten zum Verführer herabgesunken. Er wollte nur besizen und genießen, und hatte es aufgegeben, länger nach der Einstimmung des Herzens zu streben, das ihm so heftig widerstrebte; er wähnte noch, vielleicht sey es im Sturm der Sinne zu erringen.

Furchtlos wandelte Nanny auf der Straße nach der nächsten Post hin, ruhig im Angesicht der Sterne, wie unter Freundes Augen. Aber als das Morgenlicht anbrach, als sich die sehr besuchte Straße von Reisenden anfüllte, fand [403] sie sich in glühender Verlegenheit, allein, allen neugierigen Blicken der Vorübergehenden preis gegeben.

Glücklicherweise war der Posthalter des nächsten Fleckens ein gutmüthiger Alter. Er sah ihr neugierig forschend, aber arglos ins Auge. Ihre Reinheit und Unschuld weckte sein Mitleid, und widerlegte jeden ungünstigen Schluß über ihre Verhältnisse. Er überhäufte sie mit seinem Rath und seiner Vorsorge.

Ungehindert setzte Nanny ihre Reise fort, aber ihre Unerfahrenheit und einige unvorgesehene Ausgaben hatten ihre Kasse so erschöpft, daß sie den nächsten Mittag mit Schrecken überrechnete, daß sie mit der übrigen Summe nicht auf diese Art fortreisen könnte. Es blieb ihr nichts übrig, als einige Posten zu Fuße zurück zu legen.

Auf dem einsamen Weg, allen quälenden Vorstellungen über ihre Verhältnisse, allen zerreissenden Gefühlen ihres Herzens hingegeben, geängstet über das Fremde ihrer gegenwärtigen [404] Lage, eilte sie in fieberhafter Anspannung fort, auf die eine tödtliche Ermattung folgte.

Wie stärkend war ihr der Anblick der Gebirge ihres Vaterlandes, die ihr, gleich als angethan mit überirdischem Glanz, das Land des Friedens verhießen. Vor ihr lag die Stadt im Glanz der Abendsonne, wo sie eine Freistatt zu finden wußte, aber die Schwäche der Krankheit, die schon anfieng ihre Sinne zu umhüllen, übermannte sie; sie sank an einem Baume nieder. Ein Paar gutmüthige Bauerweiber näherten sich ihr; sie vermochte kaum den Namen des Klosters auszusprechen, nach welchem sie geführt seyn wollte.

Die Weiber unterstützten sie, und brachten sie langsam dahin.

Die Pforte eröffnete sich schnell auf den Ruf um Hülfe. Nanny nannte den Namen ihrer Verwandtin, und wurde ins Sprachzimmer gebracht. Diese eilte herbei, Nanny war sprachlos, aber die Aehnlichkeit ihrer Züge mit denen [405] ihrer Mutter, einer Jugendfreundin der Nonne, zogen ihr Herz augenblicklich zu ihr hin.

Man brachte sie in ein kleines reinliches Zimmer, und sie war wie von Freundinnen umgeben, die ihren Wünschen und Bedürfnissen sanft zuvorkamen.

Die Jungfrauen in diesem Kloster waren durch ein mannichfach thätiges Leben von der Einseitigkeit, die Strenge und Härte gebiert, von unnützer Neugierde, überflüssiger Geschäftigkeit, und tausend andern Fehlern ihres Standes frei geblieben. Der Unterricht der Jugend, die Verwaltung großer Klostergüter, die Pflege der Armen und Kranken, und der tägliche Umgang mit Menschen aller Klassen waren ihre Beschäftigung.

Nannys Krankheit schien Allen gefährlich, und der Arzt wurde gerufen. In den Momenten klaren Bewußtseyns erzählte sie ihrer Verwandtin die Hauptzüge ihrer Geschichte. Sie bat, ihren Eltern nichts von ihrer Krankheit zu schreiben, bis ihr Zustand entschieden sey. Ihre Geduld, [406] ihre Resignation, ja sogar die Freude, mit der sie im Alter der ersten Blüthe die Welt zu verlassen schien, rührten Alle, die sich ihr näherten.

In der ersten erträglichen Stunde strengte sie alle ihre Kräfte an, um ihren Eltern zu schreiben: sie sey auf der Reise zu ihnen, hoffe ihren Beifall zu diesem Entschluß, und bäte nur um die Erlaubniß, noch kurze Zeit im Kloster bei ihrer Verwandtin zu bleiben.

Die gute Nonne versprach ihre Bitte zu unterstützen: aber da der Arzt nach wenigen Tagen erklärte, daß Nanny in Lebensgefahr sey, wollte sie die Eltern nicht ganz in Unwissenheit über ihren Zustand lassen, und fügte die Nachricht ihrer Krankheit und der Gefahr, worin sie schwebte, hinzu.

Trennung des alten Freundschafts-Bundes

Vergebens suchte Walther Nanny in St.. auf! Er vernahm in Madame H...s Wohnung, [407] daß man schon vor mehreren Tagen ihre Rückkunft erwartet.

Er traf mit verschiedenen Bekannten seines Oheims zusammen, das Gespräch fiel auf seine Verhältnisse. Wie viel unfeine Scherze zerrissen Walthers Herz! Nanny wurde als ein Opfer betrachtet, Robert als ein kluger schlauer Mann, der seine Zwecke wohl zu erreichen wußte, und dem es ja doch am Ende frei stünde, alles durch eine Heirath gut zu machen, fügten die weniger übel Gesinnten hinzu.

Walther stand wie vernichtet. Wie bitter warf er sich seinen Kleinmuth, seine falsche Delikatesse vor, die ihn abhielt, ein Herz, das sich ihm einmal ergeben, mit aller Macht seiner Liebe zurück zu fordern. O dieses Herz wird brechen, wenn es sich von Falschheit und Tücke umstrickt findet, rief er aus. Augenblicklich war er entschlossen, zu ihren Eltern zu eilen, und diese zu vermögen, Nanny seinem Oheim schnell zu entreißen.

Noch einmal fragte er in Madame H...s [408] Wohnung nach, und hörte, sie sey allein zurückgekommen. Sie konnte nicht vermeiden, Walthern zu sehen, aber geschickt wußte sie ihm die Gegenwart der treuherzigen Muhme zu verbergen. Vergebens suchte sie sich hinter den glatten Weltton in ihren schwankenden Antworten über Nanny zu verbergen. Walthers energisches Wesen, sein scharfes, unverrückt auf seinen Zweck hinschauendes Auge, brachte sie in nie gefühlte Verwirrung; sie mußte es endlich bekennen, daß sie eben so wenig von Nannys gegenwärtigem Aufenthalt unterrichtet wäre, als Walther, aber die näheren Umstände verhüllte sie dennoch in Zweideutigkeit.

Von der lebhaftesten Unruhe getrieben, eilte Walther jetzt nach seinem Geburtsland. Bald schmeichelte ihm die Hoffnung, er würde Nanny schon dort finden, bald quälte ihn die Furcht, sie sey in der Gewalt seines Oheims.

Freiheit, Ruhe und Liebe wehten ihm von den fernen Gebirgen entgegen. In dem Schooß [409] eurer stillen Thäler, rief er aus, wohnt noch die Liebe, die Treue!

Der Unglückliche! Schon war auch dort der Saame der Zwietracht ausgestreut.

»Walther hat ein anderes Weib genommen, (so schrieb Nanny an ihre Eltern) ich sah sie mit ihm zum Traualtare fahren.«

»Theure Eltern! vergönnet mir ferner, still und verborgen in eurem Hause den Geschäften der Wirthschaft vorzustehen. Ich will es so gern vergessen, daß ich einen andern Kreis des Lebens überschauen mußte. O wer Wahrheit und Treue bewahren will, fliehe nicht aus unsern Gebirgen! Bei Robert kann ich nicht länger bleiben; bald bin ich bei euch.«

Nannys Mutter empfieng den Brief; zitternd übergab sie ihn dem Vater. Kaum hatten ihn seine Augen durchlaufen, so eilte er damit zu Walthers Vater. Unglücklicherweise traf er nur die Mutter. Sie las den Brief ohne Verwirrung, gab ihn mit einem feinen Lächeln, welches dem Alten nie an der Frau gefallen hatte, [410] zurück. Ein Wortwechsel entstand. Walthers Mutter verfehlte nun nicht, ihre alte Unzufriedenheit mit der Heirath, mit Nannys neuerem Betragen, ihrer Verbindung mit dem Oheim, an den Tag zu legen.

Argwohn auf sein geliebtes, gekränktes Kind entrüstete den Vater. Der alte Walther kam hinzu, der Sturm war schon rege, und des Alten gelassene Art, die Dinge aufzunehmen, schien in diesem Moment dem gekränkten Vater Spott und Verachtung. Die alten Banden der Freundschaft brachen entzwei, und kalter Haß trat an die Stelle der Liebe. Der alte Walther hörte auf die Stimme seines Weibes mehr als er sollte, und auch sein gebrochnes, sonst so liebendes Herz, verschloß sich in finstern Unmuth.

Offner Haß war bei diesen einfachen Menschen anhaltend, gleichwie treue Liebe es war. Aber ihr ganzes Leben war in allen seinen Gewohnheiten unterbrochen. Nannys Vater konnte es auf dem Heimweg fast selbst nicht glauben, daß er die gewohnten Pfade zu seinem Freund nicht [411] mehr wandeln würde. Er hatte geschworen, seine Schwelle nicht mehr zu betreten. Walthern war es, als risse seine Brust auseinander, als sein Freund die Thür zuwarf, ohne ein Zeichen der Versöhnung und Liebe zu geben. Der alte Walther schüttelte endlich bedeutend das Haupt, und sagte: unser Sohn hat nicht wohl gethan, wenn es so ist. Laß uns ihn erst anhören, ehe wir ihn verdammen; sagte die Mutter. Dem Vaterherzen war es so sehr um die Rechtfertigung des geliebten Kindes zu thun, und solch ein Benehmen war ihm in jedem Sinn unbegreiflich.

Es war Abend, als Walther im väterlichen Hause ankam. Einsam fand er den Vater am Fenster, seine Pfeife rauchend. Im abendlichen Duft lag Nannys Wohnhaus. Der alte Arnold, Nannys Vater, saß vor der Hausthür gegenüber, sein Haupt war gesenkt, und schauerlicher als die Felsenkluft zwischen beiden Häusern lag des Hasses und Mißtrauens schauerliche Tiefe zwischen den so lang und innig vereinten Gemüthern. [412] Keine trauliche Rede tönte mehr herüber ins Gemurmel des Waldstroms, Tod und Stille war an die Stelle der muntern Geselligkeit getreten, und kalt und stumm, wie wir uns die Schatten der Abgeschiedenen denken, wandelten die Gestalten der sonst verbrüderten Familien, vor einander vorüber.

Des Vaters Traurigkeit rührte Walthern augenblicklich; sein eignes wundes Herz, von dem Zauber der Vergangenheit, und der schmerzlichsten Sehnsucht umfangen, war sogleich vertraut mit seinem Kummer. Er setzte sich schweigend neben seinem Vater nach den ersten Begrüßungen. Er sah das ganze Leben und Treiben der Arnold'schen Wirthschaft vor seinen Augen, und alle alte bekannte Gestalten und Gewohnheiten erinnerten ihn nur schmerzlicher an den Verlust der einzigen Hohen, die als die waltende, wirkende Gottheit, ihm seit der frühesten Jugend in diesem Kreis erschienen war. Könnte er seinen ganzen Schmerz aussprechend unter ihrer Familie mitwandeln, so dünkte ihm, würde es ihm [413] leichter werden. Er sehnte sich, an jenen Brunnen zu sitzen, wo sie oft die Heerde getränkt, in dem Schatten des Apfelbaums noch einmal zu ruhen, der an den Rand des kleinen Gärtchens seinen breiten Schatten warf, und dessen reife Früchte sonst die kleine Familie zu einem Fest versammelten, bei dem er und Nanny die thätigsten und geliebtesten waren. O wo sollte er sie jetzt suchen!

Er sah das glänzende Gestirn seiner Jugend gefallen als ein täuschendes Irrlicht, und vermochte seine Thränen nicht zu halten. »Mein Vater!« sagte er, die Hand des Alten zitternd ergreifend, »so dachten wir nicht, daß es werden könnte, als wir zum letztenmal hier standen.«

Immer achtete sein reines Herz seine entflohene Seligkeit hoch. Er wollte nichts mehr über Nanny sagen. Sein Vater faßte seine Hand stark und sagte ernst und mit nassen Augen: Walther, wessen ist die Schuld? – O mein Sohn, du hast nicht wohl gethan!

Die Erklärung folgte. Der Vater umarmte [414] seinen Sohn heftig, als er hörte, daß er nicht verheirathet sey. Sein wiederkehrendes Vertrauen, die Hoffnung, seinen alten Freund wieder zu gewinnen, belebten sein Herz aufs Neue mit fröhlicher Jugend.

Laß uns zu Arnold eilen, mein Sohn! rief er aus; umarme deine Schwiegereltern aufs Neue; alles ist ja beim Alten! Aber als Walther seine Hand kalt und heftig losriß, als er bebend ausrief: Nein fürwahr, es ist alles anders! da fuhr ein neuer Dolch durch des Vaters Herz.

Walther sprach abgebrochen mit tiefem Kummer seine Ansicht der ganzen Lage aus, und zeigte die Zeilen, in denen Nanny ihm entsagte. Der bitterste Schmerz über das Benehmen seines Bruders füllte des alten treuen Mannes Busen, und entflammte den Haß des Sohnes noch mehr. Die Mutter wollte Frieden sprechen, aber lebhaft gerührt durch den Schmerz ihres Kindes vergaß sie alles kleine Interesse ihrer Eitelkeit; sie erinnerte sich tröstend jedes Ausdrucks in Nannys [415] Brief an ihre Eltern, um Walthers Hoffnungen zu beleben.

Von ferne sah man im Arnold'schen Hause Walthern drauf zu gehen. Die Kinder liefen fröhlich durch einander, seine Ankunft zu verkünden; sinnend saß der Vater, und ängstlich verbarg sich die Mutter; sie konnte den Anblick des Mannes nicht ertragen, der ihr Kind verlassen hatte.

In dieser Lage kam die Nachricht von Nannys tödtlicher Krankheit. Der Vater taumelte nach der Thür, als er den Brief gelesen; die Mutter fiel nach den ersten Zeilen in Ohnmacht, und das Angstgeschrei der Kinder füllte das Haus.

Arnold wollte Walthern entgegenstürmen, der so eben die Stufen zum Garten heraufstieg; die Mutter war wieder zu sich gekommen, und hielt ihn mit zitternden Armen zurück. Er ruft einen Diener, um Walthern abzuweisen. Sag ihm, rief Arnold heftig nach: der Mörder meiner Tochter solle sich wenigstens scheuen, meine Schwelle zu betreten!

[416] Die Kinder, die von dem allen nichts verstanden, liefen Walthern weinend entgegen. Das Aelteste hatte den Brief aufgerafft und gelesen, und verkündigte ihm die traurige Botschaft.

Walther stand wie erstarrt an der Schwelle des Hauses. Vergebens waren seine Bitten, um den Vater zu sprechen, um die schreckliche Nachricht in all' ihrem Umfang zu vernehmen.

Der alte treue Diener, dessen unvorsichtiges Geschwätz den ersten Saamen dieses Jammers ausgestreut, war Walthern gefolgt. Er zog ihn zurück von der Schwelle, wo man seinen Anblick verabscheute, und versprach ihm sichre Nachricht einzuziehen. Er konnte sich von den Kindern nicht trennen, die mit Liebe an ihm hiengen; er umfaßte das Aelteste heftig. Geh', sag deinen Eltern, auf diesen kalten Stein seyen heißere Thränen um Nanny gefallen, als ihr alle nicht zu weinen vermöchtet!

Der alte Diener hatte Wort gehalten. Er hatte den Namen des Orts, wo sich Nanny aufhielt, [417] erfahren, er wollte Walthern dahin begleiten.

Die Eltern fühlten, es sey keine Ruhe für ihren Sohn, als in Nannys Armen, oder an ihrem Grabe.

Die Hoffnung verschwindet und kehrt wieder

Rastlos eilte Walther nach dem bestimmten Ort; er könnte nicht ins Sprachzimmer geführt werden, hieß es, die Klosterfrauen wären im Chor versammelt, aber man wolle ihn indessen mit noch einigen Fremden nach der Kirche führen.

Ein rührender Gesang erschallte in dem matt erleuchteten Gewölbe. Sanfte reine Stimmen, in die nur einzelne Akkorde der Orgel mit aller Gewalt der Harmonie tönten, sangen den Gruß an die himmlische Jungfrau, um ihre Huld für eine hinscheidende Seele anzuflehen.

Für welche Klosterfrau bittet man? flüsterte [418] eine Stimme hinter Walthern. Für Niemand aus dem Kloster, sondern für ein Fremde, die vor einigen Wochen krank hier angekommen.

Ein ahnungsvoller Schauer hatte Walthern schon beim Eintritt in die Kirche überfallen, aber die Gewißheit riß ihn darnieder. Er sank auf die Kniee, es wurde finster vor seinen Augen, aber im heißen Gebet für die Erhaltung oder die selige Ruhe der Geliebten, gewann er neue Stärke.

Nach geendigtem Gottesdienst drang alles ins Innere des Klosters; die guten Mädchen zeigten alle Seltenheiten des Hauses mit herzlicher Gesprächigkeit. Sogleich näherte sich Walther einer der anziehendsten gutmüthigen Physionomien und bat sie, ihn zu Nannys Verwandtin zu führen. Ich bin es selbst, erwiederte sie. Heftig faßte er sie beim Arm, und zog sie in ein besonderes Fenster. Um Gottes willen sagt mir mehr von der Kranken. Ihr seht meinen Zustand – erbarmt Euch.

Der wilde Schmerz in Walthers Benehmen, [419] sein entstelltes Angesicht rührte die Nonne; sie errieth seinen Namen, und sagte über Nannys Zustand, was sie konnte und wußte. »Ihre Krankheit ist mit einem Leiden des Gemüths verbunden, sagen die Aerzte, und ich glaube dasselbe,« endigte sie. Bei allen Heiligen, rief Walther, sagt mir Eure leisesten Bemerkungen, Eure halben Ahnungen sogar! – die Nonne schien zu zögern. – O Ihr müßt wissen, Nanny war meine Braut! – das verzeih Euch Gott! daß sie es nicht noch ist! denn eben Eure Untreue hat ihr das Herz gebrochen. – O nein, Ihr irrt, rief Walther, sie liebte mich nicht mehr, hatte sich einem Andern vermählt.

So muß ich denn reden, sagte die Nonne, nach einigen Momenten des Ueberlegens. Obgleich es einer Jungfrau ziemt, die Thränen der andern tief im eignen Busen zu verstecken, so ist hier eine Ausnahme. O wäre sie zu retten! Aber ach das Grab wird nur zu bald deine Jugend und Schönheit wie deinen Schmerz auf ewig umhüllen, arme Nanny! vieles von dem, was ich [420] von ihrem Zustande erfuhr, weiß ich gegen ihren Willen. Wenn sie sich ihrer selbst bewußt ist, ist sie ruhig und still, und nie hörte ich eine Klage, und daß sie zu sterben wünscht, weil das Schicksal ihr das Herz gebrochen. Aber wenn ich bei ihr die Nächte durchwachte, da zeigten mir ihre Fieberträume ihr Inneres. Die holde Seele hatte nicht nöthig, sich zu verbergen, denn sie ist lauter und engelrein. Mit welcher Zärtlichkeit nannte sie oft Euch, wie wünschte sie, Euch noch einmal zu sehen! Sie selbst sucht Euch aller Schuld loszusprechen, und schiebt Eure Untreue auf die Dazwischenkunft böser Menschen. Roberts Andenken scheint sie vor allen zu quälen, ihr harmloses Geschwätz wurde immer zur Raserei, und endigte in einen lauten Schrei des Entsetzens, so oft sein Bild sie verfolgte.

Heiße Thränen flossen über Walthers Wangen. Ihr sagt, daß sie mich noch liebt – o führt mich zu ihr!

Die Nonne versicherte, daß dieses vor der Hand unmöglich sey, auch würde es ihm zu [421] nichts dienen, da Nanny ganz ohne Bewußtseyn liege. Sie versprach aber mit dem Arzt zu sprechen, Walther sollte in der Nähe des Klosters bleiben, und habe Nanny einen hellen Augenblick, in dem sie sein Anschaun zu ertragen vermöge, so wolle sie ihm ein Zeichen mit einem weißen Tuche geben. Wäre sie aber allzuschwach, und der Todesstunde nahe, so müsse man die hinscheidende Seele an nichts Irrdisches mehr fesseln, fügte sie fromm hinzu. »Vergeben hat sie Euch, denn sie ist fromm wie ein Engel, sagte sie. Wenn die Nacht einbricht, und Ihr habt kein Zeichen empfangen, so geht nach Hause, für sie zu beten, sodann wird das Kloster geschlossen, und ich darf Euch nicht einlassen! Aber morgen früh kommt in die Kirche!« – O sagt ihr nur, daß ich treu war! Dieses konnte Walther der Nonne noch zurufen, als eine Glocke ertönte, worauf sie und alle andern sich schnell entfernten, und die Thür verschlossen wurde.

Walther eilte nach dem bezeichneten Platz. Unbeweglich war sein Blick auf die Fenster des [422] Klosters geheftet. Aber ach! kein Zeichen erschien! Schon begann die Finsterniß alle Gegenstände zu umhüllen, noch immer war kein Zeichen erschienen. Er hörte die Riegeln der Klosterpforte schwirren, und alle Hoffnung war verschwunden. Vergebens waren die Bitten seines treuen Dieners, Ruhe und Nahrung zu genießen, Walther vermochte nicht, sich von den Mauern zu entfernen, die sein Liebstes umschlossen. Er warf sich am Hügel nieder, sah nach jedem Lichtschimmer, und lauschte halb athemlos auf jedes Geräusch innerhalb des Klosters.

Sein innigstes Sehnen war, noch einmal alle Liebe und Treue seines Herzens auf den Lippen der Sterbenden auszuhauchen, alle Zweifel ihres Busens zu lösen, und in der Flamme reiner Liebe als ein versöhnter Geist mit der Hinscheidenden ins neue Daseyn hinüber zu schweben.

Das ganze dunkle verworrene Schicksal seiner Liebe entwickelte sich jetzt in seinem Gemüth; er sah die leisen Netze des Verraths, die ihn und Nanny umstrickten. Sein Oheim erschien ihm als [423] ein Engel der Finsterniß, er hatte Nannys Herz gebrochen. Krampfhaft verengte sich seine Brust, wenn er den schlauen Verführer dachte. Walthers einfaches energisches Gemüth vermochte nicht, die Verworrenheit und Schwäche einer Existenz wie Roberts zu fassen, der in rastloser Bewegung, in immerwährender Selbsttäuschung schwebte. Das Verlangen, ein menschliches Daseyn zu vernichten, drang jetzt zum erstenmal in Walthers liebevollen Busen. Wie sehnte er sich nach einem offnen Kampf! Wie wünschte er, mit den Rechten seines Busens Unschuld und Wahrheit, gegen List und Tücke zu vertheidigen! Das Schicksal selbst schien ihn aufzurufen zum Kampf für Unschuld.

In diesem gewaltsamen Zustand, wo zärtlicher Schmerz und die wildesten Leidenschaften in seiner Seele auf und ab wogten, begann der Morgen zu grauen. Walther gieng an der Klostermauer umher, und erwartete das Eröffnen der Kirche, als er einen Reisewagen erblickte, der den Hügel heranfuhr, und zwei Herren, [424] die zu Fuße vorausgiengen. Der eine schien gerade auf das Kloster zuzugehen; er näherte sich wirklich, und faßte den Ring der Pforte, um anzuklopfen.

Walther konnte in der lebhaften Spannung, worin er war, nicht ertragen, daß ein Anderer ihm zuvoreilen wollte, er trat hinzu, um den Reisenden Bescheid zu geben. Wie bebte er zurück, als er in dem Fremden seinen Oheim erkannte! Gewaltsam schäumten alle sonst so harmonischen Kräfte seines Wesens über, und drohten seine Natur zu zerstören; der Haß lähmte seine Sprache, unwillkührlich faßte seine Hand den Degen. Aber er vermochte noch sich zu halten, und sagte dem Oheim mit halb erstickter Stimme: Nanny liegt am Tode! Schonen Sie in den letzten Augenblicken wenigstens ein Herz, das Sie gebrochen haben!

Der Oheim ließ den aufgehobenen Pfortenring fallen, sah Walthern mit wilden Augen an, und konnte nichts sagen als: du hier? Im Augenblick öffnete sich die Pforte. Walther drang [425] vor Roberten in die Kirche, wo ihm die gutmüthige Nonne entgegen kam. Ihre Hand deutete schon von ferne mit trauriger Geberde, daß alles verloren wäre, und ihre Augen schauten empor nach dem himmlischen Trost. Walther hatte keinen Muth zu weitern Fragen. Ach, alles ist verloren! rief er, sie ist todt! – Nein, erwiederte die Nonne; aber sie liegt besinnungslos. Der Arzt sagt, wenn ihr Bewußtseyn auch zurückkehrte, so würde ein allzu heftiger Eindruck ihren Tod nur beschleunigen, wir sollten sie in Frieden scheiden lassen, Hoffnung sey nicht mehr zu finden.

Robert verlangte die Aebtissin zu sprechen, und drang darauf, eingelassen zu werden. Dies ist Ritter Robert! sagte Walther gegen die Nonne. Die Nonne fuhr zurück, und hob schon den Arm, als wolle sie durch das Zeichen des Kreutzes den bösen Geist von sich bannen. Verhüte Gott, sagte sie heftig, daß Euer Anschaun das gute Geschöpf noch kränken sollte; schon im Traum bringt sie Euer Bild außer sich.

[426] Man gab ein Zeichen im Innern. Die Nonne mußte hinweg, aber sie versprach Walthern in zwei Stunden wieder an denselben Platz zu kommen.

Walther war aufgerieben von zerreißender Angst über den Verlust, der ihm drohte, aber Roberts Versuche ins Kloster zu dringen, erregten seinen bittern Haß aufs Neue. Er drängte den Oheim mit Gewalt zur Thür hinaus. Entheiliget diesen Boden nicht, sagte er drohend. Robert wollte ihm kalt und schonend begegnen; Roberts Begleiter, ein alter Kriegskamerad, wollte Frieden stiften, beides empörte Walthern nur noch mehr.

Stark und mächtig sprach er zu Robert, indem er ihm sein Benehmen gegen Nanny vorhielt, indem er ihm den zerrissenen Bund der alten ehrwürdigen Freundschaft vorwarf, der beide Familien so eng ver bunden, und den sein Vater nicht überleben würde.

Roberts Scharfsinn hatte keine Ausflucht gegen die Rechte der Wahrheit und Natur, eine [427] leise Stimme seines Herzens strafte ihn selbst, seine Eitelkeit war tief gekränkt durch die Gegenwart eines Zeugen, und auch sein Zorn flammte auf. Die hittersten Worte begegneten sich, die endlich zu Beleidigungen stiegen, die das Ehrgefühl des Soldaten nur mit Blut zu tilgen wähnt.

Sie waren einem Wäldchen zugegangen, welches das Haupt des Hügels umkränzte; beide hatten Pistolen. Walthers Herz schlug hoch und frei, ihm gelüstete nach dem Kampf für Wahrheit und Treusinn, gegen List und Tücke. Zu siegen oder zu fallen, galt ihm gleich, er mochte in einer Welt nicht leben, wo die Unschuld der Bosheit zum Raube dient, in einer Welt, die Nanny eben verlassen sollte. Gewaltsam war sein ganzes Wesen aufgeregt, übertäubt die reinern menschlichen Gefühle. Als er endlich Robert bewaffnet gegenüber stand, als sein Wunsch erreicht war, ihm im Kampf zu begegnen, da erwachte ein milderes Gefühl in seinem Busen. Eine ehrwürdige Aehnlichkeit mit der Gestalt [428] seines Vaters traf sein Herz, aber er suchte sich selbst zu betäuben.

Die Morgensonne gieng herrlich hinter dem Kloster auf, wo Nanny ihren Geist vielleicht eben segnend aufgab. Der alte ewig schöne Spruch: Gott läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute! drang strahlend in sein Gemüth. Er sah wieder den Bruder seines Vaters vor sich; er fühlte, daß ihm hier die Rache nicht gebühre. Der erste Schuß war von dem alten Krieger Walthern zuerkannt. Aber Walther senkte den Arm mit dem gespannten Pistol, statt es auf Robert abzudrücken. Der Schuß gieng von selbst los, und die Kugel traf Walthers rechten Fuß.

Das Blut quoll heftig aus der Wunde. Robert und sein Begleiter eilten hinzu, gerührt durch Walthers Benehmen. Braver Junge! sagte der alte Krieger mit feuchten Augen; Oheim, halte dich nun auch brav! Von starkem Blutverlust ermattet, erloschen Walthers Sinne; sie [429] trugen ihn unter einen Baum, und stillten das Blut so gut sie konnten.

Walthers alter Diener war von fern gefolgt und eilte jetzt auch zu Hülfe. Ein Wagen fuhr so eben auf der nahgelegenen Straße, der Diener hielt ihn an, und bat, einen Verwundeten bis zur Stadt aufzunehmen. Eine Dame, die in der Chaise saß, erbot sich sogleich, sie zum Gebrauch des Kranken ganz zu überlassen, und zu Fuße nach der Stadt zu gehen. Mitleidig lenkte sie ihre Schritte nach dem Verwundeten, sie näherte sich dem Baum. Mit einem lauten Schrei stürzte sie zu Boden. Robert wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte, oder ob ein Spiel der Einbildung ihm Leonorens Bild in der Dame vorgezaubert.

Sie war es selbst. In der lebhaftesten Unruhe seit Walthers Abreise, von Liebe und Sorge um sein Schicksal getrieben, unzufrieden mit Madame H – s Benehmen, da es fruchtlos für ihre Wünsche geblieben, reiste sie ihrem Freund [430] eilend nach, um ihn im Schoos seines Vaterlandes und seiner Familie aufzusuchen.

Robert hatte Leonoren aufgefaßt, und nachdem sie sich erholt, rief sie heftig: ist noch Hoffnung für ihn? Die Wunde ist nicht gefährlich, erwiederte Robert; aber er bedarf schleuniger Hülfe.

Jetzt athme ich wieder! rief sie aus. Mit ihrer ganzen Thätigkeit und Geschicklichkeit war sie bemüht, Walthern sanft in den Wagen bringen zu helfen. Der Diener mußte ihn unterstützen, sie selbst setzte sich gegen ihn über, um ihn durch stärkende Essenzen zu erwecken.

Schöne Wiedervereinigung

Der ganze Zug gieng nach dem Kloster, als dem zunächst liegenden Hause. In einem Seitengebäude wurden sogleich Anstalten zu Walthers Unterkommen gemacht. Walther hatte verschiedenemale die Augen während des Fahrens aufgeschlagen, Leonore starr angesehen, und einmal sich mit Schaudern von ihr abgewendet.

[431] Als er durch Hülfe des Arztes sein Bewußtseyn wieder gefunden, und Leonoren neben seinem Bette erblickte, drückte er sie heftig von sich, und sagte so stark er's vermochte: ich beschwöre Sie, verlassen Sie mich.

Leonore verließ ihn in heftiger Bewegung. Er fragte den Arzt, wo er wäre? und als dieser ihm das Kloster nannte, fragte er: lebt Ihre Kranke noch? – Ja, erwiederte dieser mit freundlicher Miene, und seit ein Paar Stunden, sehe ich Möglichkeit sie zu retten. Walther faltete die Hände über seine Brust, und sein glänzendes Auge dankte dem Geber des Lebens. Er frug, ob ihn die gute Nonne besuchen dürfe? Der Arzt gieng sie zu rufen.

Mit Freudestrahlendem Antlitz trat sie an sein Bett. Sie sagte, daß Nanny diesen Morgen in einem Augenblick des hellen Bewußtseyns sie zu sich gerufen, und ihr noch einige kleine Geschenke für Walthern gegeben, die sie ihm nach ihrem Tod zustellen sollte, mit zärtlichen Grüßen. Sein Weib wird mir ja ein flüchtiges Andenken göngen! [432] hätte sie mit schmerzlichem Lächeln hinzugefügt. Ich sagte ihr darauf, fuhr die Nonne fort, daß sie sich geirrt, daß ich Euch selbst gesprochen, und von Eurer treuen Liebe für sie überzeugt sey. Es war, als ob ein neuer Lebensgeist ihr durch Nerven und Adern flöge, sie erholt sich aus der tödtlichen Ermattung, und der Arzt giebt Hoffnung.

Walthers Herz floß über von Liebe und Freude. Er hat die Nonne, Roberten gütig zu begegnen, und seine lebhafte Sorge um Walthern rührte sie selbst.

Leonore hatte indeß Robert mit Fragen bestürmt: Walthers Widerwillen gegen sie beunruhigte sie unaussprechlich. Robert hatte ihr in seiner eignen undeutlichen Ansicht die Lage der Dinge vorgelegt, sie war äußerst betroffen. Auch Nannys Verwandtin hatte sie befragt, und klar, im strengsten Sinne, wie diese die Begebenheiten aufgefaßt, hatte sie sie ihr wieder vorgestellt.

[433] Leonore weinte heftig; ihre ganze Gutmüthigkeit erwachte. Sie quälte sich mit bittern Vorwürfen, das Glück von zwei liebenden Herzen zerrissen zu haben, und bebte vor den Folgen ihres Leichtsinns zurück. In einem ruhigen Moment gieng sie in Walthers Zimmer, als Robert gegenwärtig war.

O Ritter Robert, sagte sie, wir haben Böses gestiftet, lassen Sie uns gut machen, was wir können! Sanft bat sie Walthern, ihr alle Verwirrung, alles Leiden zu verzeihen, was sie ihm verursacht, und sie nich zu hassen. Walther drückte einen Kuß auf ihre Hand. Aus Liebe hatte sie gefehlt, und sein lieberfülltes Herz mußte ihr verzeihen.

Der Arzt, der nicht Kunst genug besaß, um die leisen Züge der Natur ahnungsvoll zu ergreifen, folgte wenigstens ihren klaren Aussprüchen, und freute sich gutmüthig, sie verstanden zu haben. Hoffnung und Freude waren der wahre Balsam für die Liebenden. Da sich Walther den [434] nächsten Tag leidlich befand, durfte er zu Nanny ins Sprachzimmer gebracht werden.

Süßes Wiedersehen! Wie zwei seelige Geister, die über der Kluft des Vergänglichen schweben, umfaßten sie sich nach allen Leiden im Gefühl reiner bewährter Treue. Ewige Liebe glänzte ihnen entgegen.

Leonore war innig gerührt. Das Unglück, das sie über das Leben ihres Freundes gebracht, der Schmerz über seinen Verlust, den sie sich selbst nicht gestehen mochte, alles bewirkte eine gewaltige Umwandlung ihres Gemüths. Alles wieder gut zu machen, Walthers Achtung zu verdienen, war ihr höchstes Bestreben. Sie drang in Robert, einen Theil ihres Vermögens für Walther, aber in seinem Namen, zu verwenden, um des jungen Paares Feinheit zu schonen, zu dem sie kein Verhältniß hatte, das solch einen Schritt autorisiren konnte.

Robert selbst war tief gerührt, und übertrug Walthern die Verwaltung seiner Güter mit einem [435] beträchtlichen Jahrgehalt. Die Verbindung der Liebenden sollte bald geschlossen werden. Schon hatte man den Eltern geschrieben, und die gute Botschaft verkündigt. Leonore sah mit nassen Augen, aber mit theilnehmendem Herzen auf die Glücklichen; Robert stand mit niedergesenktem Blick. Nanny blickte hold und verzeihend auf ihn, und sagte freundlich, indem sie seine Hand faßte: Ein guter Genius hat uns Beide gerettet. Nie hätten Sie es ertragen, mich elend zu sehen. Werden Sie, machen Sie glücklich! flüsterte sie ihm sanft zu, auf Leonoren deutend.

Walther näherte sich Leonoren, und sagte leise: O meine Freundin, Sie theilen unser Glück! vergönnen Sie uns denselben Genuß, daß auch Sie eine schöne Erinnerung an die ersten Wallungen Ihres Herzens aufs Neue beglücken möchte!

Robert und Leonore schwiegen. Ihr unruhiges, zweckloses, von Lieb' und Vertrauen getrenntes Daseyn stand im grellsten Contrast vor ihren [436] Gemüthern, da die reine Himmelsfarbe einer treuen Liebe vor ihren Augen flammte. So glücklich hätten auch wir werden können, fühlten sie, und ihr Blick senkte sich beschämt vor den reinen Gestalten, die das Heiligthum der Treue und des Vertrauens aus allen Schlingen der List gerettet hatte.

Die Energie der Glücklichen belebte in ihrem Busen einen Funken des Glaubens des fröhlichen Selbstvertrauens.

Roberts Blick fiel auf Leonoren. Das Schicksal hat mir viel geraubt, sagte er, indem es meine heitersten Jahre dem Irrthum einer ungezähmten, ewig getäuschten Einbildung hingab, indem es meinem Herzen die Kraft nahm, auf einer holden Erscheinung zu verweilen. Ein Schwindelnder, der am Abgrund hintaumelt, darf er seine Hand als Führer reichen?

Wir wissen nur das, was wir mit Schaden lernen, sagte Leonore unter Thränen lächelnd. Lassen Sie uns an der Zeit prüfen, welches Glücks [437] und welcher Gefühle wir noch fähig sind. Vielleicht ist uns das so seltne Glück gegeben, den reinen Pfad der Natur wieder zu finden, von dem die Welt und eigne Schwachheit uns abführten.

Glücklich sind die, die ihn nie verließen!

[438]

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TextGrid Repository (2012). Wolzogen, Caroline von. Erzählungen. Erzählungen. Erster Band. Walther und Nanny. Walther und Nanny. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AAD6-8