Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]
Faust
Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten

[Widmung]

Der

friedvoll-seligen Asche

einer

Herrlichen, Frühentschlafenen;

den verklärten Manen


Cäciliens

widmet

diese traurige, erinnrungsdunkle Dichtung

ein

deutscher Dichter.

Zueignung

[5] Zueignung.

Im großen Weltenkirchhof

Da steht ein mächtig Haus,

Da breiten Geisterbäume

Die fahlen Blätter aus.


Das ist von allen Domen

Der wunderbarste Dom,

Getaucht in Sonnenflammen,

In Feuerätherstrom.


Es ragen seine Kuppeln

Bis zu dem Sternenzelt,

Es wurzeln seine Pfeiler

Tief in der Unterwelt.


[5]

Er steht im Sturmesdonner

Ein schweigender Coloß,

Die Weltorkane spielen

Um seine Schläfe bloß.


Ein Grabmal ist's, daß Meister

Bezähmte Fluth und Wind,

Ein Pantheon der Geister,

Die dort begraben sind!


Ein Aetna ist's, umrauschet

Von Todesharmonie;

Es ist das Mausoleum

Der deutschen Poesie!


Und hinter seiner Kiefern

Metallenem Verschluß,

Da ruht ein Königsjüngling,

Geküßt vom Todeskuß;


Ein puer dolorosus,

Ein reiner Oedipus,

Ein Schmerzenssohn der Zeiten:

Der deutsche Genius!


[6]

Erschlagen o, erschlagen

Von einer Nestlingsbrut,

Von einem feigen Häuflein

Gestürzt in Todesgluth.


Die haben ihm genommen

Sein goldnes Fürstenband,

Die haben sich getheilet

Sein königlich Gewand;


Und haben Schmach gehäufet

Auf sein gesalbtes Haupt,

Sein blühend Jugendleben

Entblättert und entlaubt;


Und haben ihn verrathen,

Und haben ihn verkauft,

Mit seinem Heldennamen

Ihr schnödes Ich getauft;


Und haben einen Götzen

Statt seiner aufgepflanzt,

Und haben ohne Hosen

Um diesen Klotz getanzt.


[7]

Du aber hast Dein Auge

In Todesnacht gehüllt,

Dein großes Gottesauge

Von Gottesnaß erfüllt;


Und bist hinabgestiegen

In Deiner Gruft Verschluß,

Du unvergleichlich Schöner,

Du deutscher Genius!


Wirst Du nicht wiederkommen

Und Deine Welt befrei'n?

Dein zagend Volk erlösen?

Dein himmlisch Reich erneu'n?


Wird nicht um Hahnenkrähen

Ein Ruf aus Himmels Höh

In Deine Gruft erschallen:

Erwache, Lazare?


Wirst Du nicht herrlich kommen

Alsdann im Wettergraus

Und Deinen Purpur breiten

Ueber die Länder aus?


[8]

Werden nicht Gräber bersten,

Und auferstehn Gebein?

Und hohle Schatten schwirren

Auf luft'gem Rabenstein?


Wird nicht die Freiheit grünen,

Ein ries'ger Blüthenbaum,

Breitend die hehren Zweige

Bis zu des Himmels Raum?


Wird nicht Dein Beinhaus werden

Zum Sonnentempel hehr,

Erfüllt von des Gedankens

Glorreichem Strahlenmeer?


Wird nicht der Götze stürzen? ...

Aber Du redest nicht,

Ruhest nur tief gebettet,

Und schläfst und hörst mich nicht. –


Der Nachtwind aber stürmet

Und weht mich grimmig an:

»Was rufst Du, armes Menschlein,

Den heil'gen Schläfer an?«


[9]

»Was störst Du die Gebeine

Mit Deinem Klagegruß,

Und weißt nicht, daß verweslich

Gesäet werden muß?«


»Und weißt nicht, daß der Heiland

Den Tod erleiden muß« –

So ruhe denn drei Tage

O deutscher Genius!

[10]

Vorrede

Vorrede.

Jedwede That, so lange sie nicht in ihrem geistigen Wesen als wahrhaft vollendet erscheint, mag eines Vor- und Fürworts bedürfen: Wenn die Wissenschaft es nicht verschmähte, ihre großen und unverwelklichen Gedanken, ihre ewigen Systeme, ihre Kritiken der Vernunft, ihre Wissenschaftslehren und Phänomenologieen des Geistes mit schöner, tiefsinniger, glänzender Fürsprache der Welt und ihrem Denken an's Herz zu legen – dann wird auch die winzig-kleine, vielfach zerstückte und zerpflückte That, welche der deutsche Poet seiner Gegenwart dar bringt das Recht eines leitenden und versöhnenden Fürworts für sich in Anspruch nehmen dürfen.

Die deutsche Poesie wird in den nächsten Decennien denselben Kreislauf vollenden müssen, den [11] die deutsche Wissenschaft längst vor ihr vollendet hat. Denn wie vormals der deutsche Gedanke, nachdem er die Monas des allgemeinen Denkens verloren und sich in die unendliche Kleinlichkeit dürftigsten Formelwesens zersplittert hatte, traurig dastand auf der Schädelstätte seiner selbst, vergehend in Erinnerung und Sehnsucht, wie Jeremias auf den Trümmern Jerusalems; wie er dann, sich selbst in der Macht des Subjekts ergreifend, zuerst die Fähigkeit seiner Erkenntniß grausam untersuchte, secirte und scalpirte, dann aber sein Erkennen in die einfache Unerschütterlichkeit des Individuums, in den dunklen Abgrund des sich selbst gleichen Ich zurückzog und versenkte, welches in höchster Vermessenheit die Gottheit und die Welt selbst aus sich gebären will; wie aber dann in dieser grausamen Einsamkeit des Beisichselbstseins ihm selbst, dem deutschen Gedanken, nicht wohl ward, und er, gewaltigst strebend, das Universum suchte, das er verschlungen,

(Gib diesen Todten mir heraus, ich muß

Ihn wieder haben – –)

den Gott suchte, dessen Wesen ihm zerflossen war, die Natur suchte, aus deren mütterlichem Schooß er sich losgerungen, unfähig, sie wieder zu erzeugen – wie er in der unendlichen Sehnsucht dieses Beginnens [12] zuerst, statt des trostlosen Ich, das Absolute erkannte, bis er endlich seine eigne geistige Wirklichkeit und sein eignes erscheinendes Wesen klar und wahr zu ergreifen, und sich als Geist mit allem, was Objekt ist, geistig zu vermitteln und zu versöhnen vermochte –so und nicht anders, wird es – freilich in weit anderen Kreisen und Formen – auch der deutschen Poesie ergehen.

Denn die deutsche Poesie schläft jetzt einen eisernen Geistesschlaf. Nicht Mohnkörner sind es, die der schlaftrunkne Gott auf sie herniederstreute, sondern die schwarzen Körner des Bilsenkrauts. Und das Grabmal – fragt ihr – das kalte, enge, feuchte, grauenerfüllte Haus, in welchem die Poesie diesen ehernen Schlaf hält – welches ist es? Es ist die Schlacke des eigensten, selbstischsten Egoismus, jener Geistesanmaßung, die im Mark des Subjekts wie ein Typhus wüthet, und welcher, da sie ihres ewiges Inhalts entleert ward, zuletzt nichts übrig bleibt, als der einsameHochmuth der Unkraft, der mit demSchein der Kraft fort und fort sich betrügenden Gesinnung. So und nicht anders, steht das poetische Individuum in dieser öden Gegenwart. Die Epoche der »Kritik seiner Vernunft« ist ihm vorüber; allein, ohnmächtiger in [13] sich, als die Wissenschaft sich bezeugte, hat sich bei ihm der Zweifel an der Wahrheit und ruhigen Wirklichkeit der Objekte nicht zur Unerschütterlichkeit des aus sich selbst die Dinge gebärenden Ichs erhoben, sondern aus der Verzweiflung, die dem Nachtigall-Heine-Löwen noch mit ihrer Gluth die Weste durchbrannte, ist nur die Aufgeblasenheit einer sich selbst vergötternden Unkraft geworden, und was sich, anstatt der verlorenen Welt, ja der verlorenen Gottheit, herausgebildet, ist der unendliche Dünkel und die schale Koketterie des halbpoetischen Bewußtseins mit sich selbst, welches sich allmorgentlich vor dem ästhetischen Spiegel den Bart kräuselt und in der namenlosen Süßigkeit solcher freien göttlichen That zu sich spricht: Und dennoch werde ich seyn und fortexistiren, und die Welt wird mir zugeben, daß ich liebenswürdig bin, und schön und wohlgefällig, und daß ich in dem Himmel meines Unverstandes mich friedvoll und selig fühle! –

Wer da fähig ist, die Armseligkeit und Unwürde dieses Bewußtseins, welches sich für den Kosmogetor der Zeit, für den Heiland deutscher Dichtung ausgibt, recht zu begreifen, dem sagt sein Denken und Empfinden unwiderleglichst, daß die deutsche [14] Poesie von jetzt an Alles zu erringen hat; Alles, das heißt: das All der Welt, welches sie, versunken in den schmutzigen Tümpel der Societät, zu lange schon verleugnet hat; Alles, das heißt: die Gottheit, welche sie frevelhaft, hoffärtig an's Kreuz schlug und mit Essig tränkte;Alles, das heißt die unendliche Natur, aus welcher alles, was lebendig, hervorgeht, von welcher aber die halbschürige Geckenpoesie der Zeit nichts wissen will, weil die Natur keine Narren duldet und ihre Blumen und Früchte nur treuer Forschung weiht; den Affen des Jahrhunderts aber Dorn und Distel.

Eine Poesie ohne Weltall, ohne Gott, ohne Natur, das ist die deutsche Poesie der Gegenwart! vielmehr die Unpoesie, welche sich aus dem Schlamme dersocialen Interessen, Zustände, Richtungen, Conflicte, herausgeboren hat als eine neue Afrodite – aber der Häßlichkeit und des geistigen Elends Unsere Dichter haben es verlernt, zu forschen; verlernt, in den heiligen Hallen der Schöpfung zu wandeln, um aus dieser Andacht tiefsinnigster Beschauung den Geist zu entlocken und sich selbst ihn einzuimpfen. Die Welt ist ihnen nicht der göttliche Inhalt der Welt, nicht das unendliche Keimen, [15] Sproßen, Sich-Gestalten, Verwandeln und Vergehen des Allbewegers Geist, sondern ihre Welt ist der Weltlauf in seiner trivialen, durchnüchterten, durchlüsterten, und in allem diesen so unsäglich öden Modernheit. Von dem Naturgeist und den Wundern, die er überall und jederstund entfaltet, wissen sie nichts, denn sie glauben nicht an die Natur, und glauben nicht daran, darum, weil sie die Natur nicht erkennen als die ursprüngliche Heimath aller poetischen Gedanken. Unsere Dichter glauben nur zwei Götter; der eine, das ist ihr Selbst, wie es so leibt und lebt in seiner fleischgewordenen Unzulänglichkeit; die andere Gottheit ist ihre Welt, das ist das langweilig-sociale Element, worin sie sich bewegen und worin sich jeder bewegen muß, der es liebt Conzerte zu hören und Champagner zu trinken. Unsere Dichter schreckt Alles, was eine Tiefe hat, und wenn die Geister der Tiefe ihnen dafür die Spitze bieten und sie rächend verfolgen, dann, in der trostlosen Oede ihrer Gemüthseinsamkeit, klagen sie, anstatt zu dichten,schwatzen sie aus die Misere ihrer Brust, anstatt zu gestalten, und ergreifen zuletzt, in der vollsten Verzweiflung ihrer poetischen Anlage, denselben uralten Popanz Ideal, [16] welchen durch die Macht und Fülle der Wirklichkeit zu bezwingen, schon vor neunzig Jahren Vater Göthe in die Welt kam. Seltsam! Während die poetisch empfindende Welt, während das Bewußtsein des deutschen Volks, in dessen Herzen die Poesie zu allen Zeiten so groß und leibhaftig blühte, während dieses nach dem Drama dürstet, nach jener heiligen Labung, die einst Shakspeare den Seinen spendete – während dessen kommen unsere Dichter und wärmen uns die alten vermoderten Kaiser auf, und suchen in den Chroniken herum, um ein Stückchen Weltpoesie dort heraus zu lesen, wie die alte Großmutter um Drei-Königs-Zeit den Enkeln noch die Reste sucht eines alten Pfefferkuchens aus ihrem Handkörbchen. Solche Ansichten hegteShakspeare nicht, als er die ersten Gedanken faßte zu Hamlet, Lear und Macbeth, und niemals suchte er die Vorzeit stückweise, wenn es galt, sie im Lichte seiner Poesie zu verklären. Wunderbar! während das erste blasse Morgenroth der Zukunft uns Dichtungen verkündet, wie vor Jahrhunderten Parcival war; Dichtungen, in denen die zerspaltene Menschenseele ihre uranfängliche Einheit mit den Mächten wiedersucht, die ihr Dasein begründen – während dessen kommen [17] unsre residenzlichen Herrchen, die sich für deutsche Dichter ausgeben, und tischen uns das Geschlinge und die kleinen Gedärme auf von dem Leichnam der deutschen Novelle; stinkenden Unrath des Geistes, der seit jenen Tagen auf dem Anger der Literatur fault, wo die deutsche Novelle secirt ward von dem Manne, der einst den Kaiser Octavianus schrieb. Seltsam! während tief-einsame Geister über dem heiligen Mythus des Welterlösers und der Welterlösung brüten und forschen; während die wahre Wissenschaft Seite für Seite ihrer »Jahrbücher« dem Unverstand und der Feindschaft und der eingefleischten göttlichen Dummheit abtrotzen muß – während dessen rotten sich die kleinen öden Seelen unsrer neubacknen Schriftsteller-Literatur zusammen und geben Journale heraus für die Emancipationstendenzen und für das Bauchgrimmen. Seltsam! während die wenigen reinen Dichtergeister, die in dem Miasma der Gegenwart noch athmen, blöde und schüchtern sich zurückwenden zu dem einsamen Reichthum des eignen Gemüths – während dessen schreit der lange Hans von vorgestern sein Genie auf dem Markte des Lebens aus, und nicht einmal zu der Genialität vermag er es zu ring en, daß er vor seiner Begeisterung erschrecke.

[18] Sieh da, du reiche Gegenwart, Deine Poeten! Deine Gaukler, sage lieber, denn die deutsche Poesie ist zum Gaukelspiel geworden.

Aber der Gedanke muß siegen, sagte jener stille, große, tiefe Denker, dessen Gebein im Sande des Oranienburger Friedhofs bleicht, neben der Asche seines Bruders Fichte. Der Gedanke muß siegen – und dabei bleiben wir, und in diesem Glauben leben und sterben wir. Wer nicht mit ihm ist, mit dem deutschen Gedanken, der ist freilich wider ihn; aber den Geist zu dämpfen vermag Niemand. Darum ist es wohl traurig zu bedenken, daß die deutsche Dichtung ihr Alles wieder zu erringen hat, aber auch trostreich, zu wissen, daß der Kampf, durch welchen das errungen wird, schon sich zu rüsten beginnt. Die deutsche Poesie wird wiederfinden, was sie verloren: ihreWelt, ihre reiche, volle, schöne, keimende, blühende Erdenwelt, ihre Natur und ihre Gottheit. –

Ich hätte, mein Vor- und Fürwort hier beschließend, nur ein Weniges noch zu sagen über die kleine Dichtung, die ich hiermit der deutschen Liebe und dem deutschen Verständniß übergebe. Hier ist nur Saame, deutscher Leser; keine Blüthe, keine Frucht! das ist unser trübes, aber auch wieder [19] der schönes Loos, Saamen zu streuen, während wir selbst uns schwerlich erlaben werden an Frucht und Blüthe. Der Weg, den der Verfasser dieses kleinen Faustfragments gegangen, es ist wiederum ein dunkler Nachtweg; es ist der Weg nach unten, von welchem schon vor Jahrtausenden Herakleitos zeugte. Von der Natur hebt alles Geistige an; aber die Natur ist auch das Nächtige; dasLeben saugt aus ihr seinen Frieden und seine Verzweiflung, seine Seligkeit und seine Verdammniß; aber die Kunst ist es, die zuletzt Alles versöhnt. Hiermit endet die schwache Skizze. Der arme, von der Qual der Erinnerung im Zeugen und Gebären selbst so oft geängstete Dichter aber schlägt an seine Brust, wie jener Zöllner that, und ruft mit Inbrunst: Nicht, daß ich schon ergriffen hätte (o nein, nein!), ich jage ihm aber nach, daß ich's ergreifen möge.


F.Marlow.

[20]

1. Akt

Veränderte Scene
Veränderte Scene.
FAUST
am Meeresstrand erwachend.
Wo bin ich? Welches fremde Dasein grüßt mich hier?
Schiffbrüchig, einsam, ausgeschleudert von dem Ocean
Auf nackte Klippe. Die Gefährten, ach, wo sind sie hin?
Versunken, all' versunken, ich allein gerettet nur.
Armsel'ge Freude! War nicht tief genug das Meer
Mein Wehe zu ertränken, meines Lebes Qual?
[78]
HERAKLEITOS.
Laß ab vom Jammer, Fremdling, sei gegrüßt auf fremdem Strand!
Schiffbrüchig, einsam, athmest dennoch sel'ge Wonne Du:
Des Lichtes Zauber. Herrlich ist's, zu schau'n das Licht!
Zeus' Wohlthat strömt herab von des Olympos Höh'n
Im Strahl des Lichtes.
FAUST.
Hoher Greis, wie nenn' ich Dich?
HERAKLEITOS.
Du kennst mich, Jüngling; Herakleitos ward ich einst genannt,
Da noch des Lichtes Segnung mich Hochaltrigen umfloß.
FAUST.
So wär'st ein Schatten Du auch? Soll denn ewiglich
Mein qualenreicher Geist nur von der Unter welt umgarnt sich sehn,
Nur Schatten, Geister, Larven meinem Pfad sich nahn?
O würd'ger Schatten, Herakleitos, fliehe weit hinweg!
Dein Grabesodem haucht mich mit Verwesung an,
Den Vielbethörten mit des Wahnsinns kaltem Hauch.
HERAKLEITOS.
Jüngling, das Schicksal schlug Dich schwer, so scheint es mir;
Aus Meeres grausen Wunden taucht Dein Wesen auf;
[79] Noch spukt um Dich der trüben Tiefe grauses Bild;
Jedoch am seligheitren Licht erhole Dich!
Dir nahe wogt und wallt hier des Olympos Liebesgluth,
Dein ewig Irrsal endet hier vielleicht in sanfter Ruh.
Doch muß ich Deinen müden Leib erquicken erst
Durch Speis' und Schlummer; und so folge mir in jenen Fesengrund!
In einer Wundergrotte lieblich Innres führ' ich Dich.

Sie treten in die Grotte.
FAUST.
Mein Leib ist rüstig, Herakleitos, doch mein armer Geist
Wird von des Lebens Bürde todtgedrückt.
HERAKLEITOS.
Des Lebens, Jüngling? Wenig von dem Leben, scheint es, sahst Du noch;
Doch glaub' ich, böse Geister rissen früh Dein Dasein hin.
Vertraue mir, Du kennst mich. Bin ich ein Gestorbner gleich,
Doch weilt mein Geist, der freie, liebend stündlich auf der Oberwelt;
Denn rastlos forschend stieg ich einstens in das Reich der Nacht,
Die Menschen zu beglücken mit des Wissens Licht.
So gnädig und so liebend aber zeigte sich die Gottheit mir,
[80] Daß des Gedankens Leuchte nimmer mir erlosch
Im Graun der Nächte; darum kann ich Dir, mein Sohn,
In Deines Zweifels Irrsal wohl ein sichrer Führer sein.
FAUST.
O Greis, es tröstet kräftig mich Dein Liebeswort,
So wie des Strahles Heitre selber, den Du rühmst.
Dich, den Geweihten, zeige Du mir auch als Gütigen;
Ein Mittler werde zwischen mir, dem Irrenden,
Dem auf dem Nachtmeer wüsten Denkens Rudernden
Und zwischen ihr, der heil'gen Gottheit, die sich mir in Graun verhüllt.
Ein Fluch des Daseins, ein uralter, Vater, ruht auf mir:
In Nacht ward ich erzeuget, ward geboren einst
Bei Blitz und Donner, bei des Sturmes Wuthgeheul,
Beim Aufruhr aller Elemente, in dem Gipfelgraun Der Wetternacht.
Ein lieblich jungfräuliches Wesen war's, die mich gebar,
Die mir (o herbes Leid!) der grimme Tod sogleich entriß.
Wie ich gelebt, o Vater, bis zum Jüngling ich gereift,
Ich kann's nicht offenbaren; ew'ge Dunkelheit
Hüllt meines Daseins erste Jugend ein;
Nur daß, wie ferner Leuchtung Seligkeit,
[81] Zuweilen aus des Vormals nächt'gem Schooße mir
Ein seliges Erinnern in die Seele dringt,
Ein Paradies mir zeigend, das sogleich in Nichts versinkt,
Den Himmel zeigend, den sogleich die Mitternacht verschlingt.
Auf einem wüsten Kirchhof findet sich zuerst mein Geist:
Mir scheint, auf eines süßen Weibes Hügel jammr' ich hier,
Auf einer Jungfrau Grabmal, die vom glüh'ndem Herzen einst
Des Todes Faust mir riß mit grimmem Hohn.
Larven und Geister, gräulichekel anzuschaun,
Umkreisen mich und necken und verspotten mich.
Die Schatten längst entschlafner Helden steigen auf,
Die grausam, wie mich selber, einst des Denkens Grimm zerfleischt,
Und zeigen mir in ungeheurer Todtengruft
Ein modrig fäulnißvolles Kaisergrab,
Worinnen der Gedanke selber – gräßlich anzuschaun! –
In stündlich wachsender Verwesung liegt.
Hier fordr' ich Aufschluß, Wahrheit, Of fenbarung fordr' ich laut,
Dieweil der Schauder mir am bangen Herzen nagt
Da fliehn die Schatten, höhnen und verlachen mich,
Und laden mich zu Thee und Abendbrod
Zur Zeit des Uhus grinsend auf ein andermal.
[82] Der Grüfte Kiefern hör ich krachend schließen sich;
Mondlicht verlöschet, jeder Schein erblaßt und stirbt;
Auf graus'gem Golgatha der Menschlichkeit
Steh' ich allein, von Nächten ganz verschlungen, wie der Dichter singt.
Ein andres Mal auf einer schnöden Haide find' ich mich,
Wo rings nur Tabakspflanzen und Kartoffeln blüh'n,
In eines Teufelskerls Gesellschaft, der im Bilde mir
Der fernen Riesenwildniß hohe Wunder zeigt.
Da sink' ich staunend, betend, wonniglich zerfließend hin,
Umblüht von Wunderblumen, von Gewässern, die im Purpur glüh'n, umrauscht,
Von süßen Stimmen, ewig fernen, zauberisch begrüßt.
Nacht wird's, die Flammen lodern urgroß, höllenhaft
Vom Schooß der Fluthen zu des Himmels Wölbung auf;
Ein ungeheures Beben, Bersten, Donnern wüthet durch die Schöpfung hin;
Der Urbaum berstet, heulend wühlt das Krokodil
Den Schlamm des Ufers auf zur Bergeshöh;
Ein ungeheures Aengsten geht als wie ein dunkler Feuergeist
Durch alle Schöpfung; fürchterlich ergreift er mich
Und streckt zu Boden mit der Krallenfaust mich ärmsten Wurm.
Da aber bricht auf einmal über mich den Schlummernden
[83] Der Hohn der Schöpfung tausendstimmig, gräßlich aus.
Zerschmettert werd' ich durch ein ungeheures Strafgericht;
Der Himmel, er verstößt mich, weil an Gott ich zweifelte,
Die Hölle selber, weil ich vor dem Demiurg erbebt.
Jammer umfängt mich, Firmament verliert den Schein,
Nacht, ew'gen Wissens Nacht umfluthet mich –
Da packt mich selber, mich, das arme Bettelkind,
Ein unbeschreiblich Zürnen und Verzweiflungsgrimm.
Dem Himmel fluch' ich gänzlich, Todesgöttern weih' ich mich;
Satan und Hölle ruf' ich, sinke dann von Neuem hin,
Zerbrechend in des eignen Schmerzes Vollgewalt. –
Was ferner nun mit mir geschah, ich weiß es nicht;
Nur steigt mir's wie ein wüster Traum empor
Aus grausen Nächten der Vergangenheit,
Daß ich auf einem stolzen reichbemannten Schiff
Auf Weltmeers Brust gesegelt viele Monden lang,
Hier nun erwach' ich wieder, ein Gescheiterter. –
Das ist das Meer! O hättest Du verschlungen mich!
Denn Satan, der Naturgott, geißelt mich von Pol zu Pol,
Bis in des Wahnsinns Abgrund doch zuletzt mein Geist versinkt.
[84]
HERAKLEITOS.
Jüngling, so klar als riesenhaft steht Deine Qual
Mir vor der Seele, Der Gedanke ist's, der Dich zerfleischt!
Ich kenn' ihn wohl, den furchtbar'n Quäler, den gewaltigen.
Natur, ein ungeheures Grabmal, gähnt auf Dich,
Belebt (gespenstig nur) von der Lemuren millionenfält'ger Zahl.
Die Seele rette, ärmster, schwergeprüfter Sohn!
Denn von dem Geiste, dem verklärten, red' ich nicht mit Dir;
Ihn zu erlösen von der Seele Fesseln – dies nur gilt's.
Wage zu leben, Jüngling! Doch zuvor erquicke Dich.
FAUST.
Du sprichst in Räthseln. Ja, ich fühl' es deutlich nun,
Das finstrer Wahnsinn zu zerfleischen mich beginnt;
Denn des Gedankens Weihesprache fass' ich selbst nicht mehr.
HERAKLEITOS.
Mein Wort ist deutlich: Offenbarung spricht es aus.
Aufmerke, Träumer! Graunvoll tückisch ist Natur,
Der Bosheit und der listigen Verlockung Inbegriff.
Auf grünen Rasens Bette wohlig, kühlig schläfst Du ein
[85] Und träumst von süßen Zeiten, von dem Himmelsparadies –
Da kommt und nahet leise schleichend sich Natur,
Wie eine unvergleichlich schöne Jungfrau anzuschaun,
Und schüttelt mit dem Zauberstab aus schwarzem Eibenholz
Vom Zauberbaume Blüthen auf den Schlummernden herab;
Und mit des Stabes Ende, der von Erz gebaut,
Gibt Dir die unvergleichlich schöne Zauberin
Den kalten, grimmen, schaudervollen Schlag auf's Herz.
Von ihm, der tieferkältend in des Herzens Wurzeln dringt,
Erwachst Du sonder Ahnung, harmlos; doch Dein ganzer Himmel ist zerstört,
Versunken süßer Kindheit, süßen Glaubens Paradies,
Und aufgethan der Tiefe Nachtschooß. Deinen Träumen nun,
Nicht Deinem Wissen, öffnet, spaltet sich der dunkle Schein,
Und speit Gestalten, fabelhafte, nächtliche,
Wie ein Vulkan den heißen Strom der Lava speit.
Nie ihrem fürchterlichen Feuerkreis, der eng und enger sich
Um Deine Seele schließet, nie entrinnst zu ihm;
Denn dies bedenke, daß Du nur ein Träumer bist,
[86] Im Netz des wirren Traums beschlossen ganz und gar.
Dem matten Schimmer – der aus Nebelfernen Dir entgegenglänzt –
Dem bleichen Kleinod des Gedankens läufst Du nach,
Ihn ahnend, suchend; doch der Teufel tritt Dir in den Weg
Und legt dem Fluge Deines schwachen Denkens Fesseln an,
Des Traumes ungeheures bleiernes Gewicht.
Aus tiefen Nöthen stöhnst Du: Hebe, Satan, Dich hinweg!
Umsonst, umsonst! – Denn Armer, wenn das Firmament zerbirst,
Wenn Atlas' Schulter vom Gewicht der Welt zerbricht,
Dann löschen alle Sterne. Mann, unsel'ger Mann,
Du jammerst meiner Seele. Wie erlös' ich Dich?
Wie, in des Denkens tiefverschloss'nem Kämmerlein,
Berath' ich Deine Rettung? Laß versuchen es!
Der alte Nereus gönnt mir heute noch die Oberwelt;
So laß mich wirken im Gedanken für den armen Sohn!
Ich, Herakleitos, der schon vor Jahrtausenden die Nacht durchschritt
Mit Denkens Fackel, will versuchen zu erlösen Dich.
Nur auf das Eine, Jüngling, gib noch Antwort mir:
Glaubst Du, das wahrhaft Gottes Wesen durch das Weltall geht?
Glaubst Du, daß droben hinter Wolken nicht
[87] Herr Vater, uralt, schläfrig, immer unerrufbar sitzt,
Vielmehr sein Geist in jeglichem Erschaffnen zeugend, siegreich wohnt,
Im All das Eine, Schöpfer und Ge schöpf zugleich,
Substanz und Wesen, aber auch Begriff zugleich,
Der als die ew'ge Causa aus dem Weltall springt,
Und, als Gedanke, Deines eignen Denkens Wesen wird?
Glaubst Du an dieser Offenbarung tiefe Einigkeit,
Und daß allein dies Werden und Verendli chen
Des höchsten Gottes sein geisthaftig Offenbaren ist
Vom ew'gen Vater durch den eingebornen Sohn
Zum heil'gen Geiste? Jüngling, sage: Glaubst Du dies?
Wie nun? Du sprichst nicht, scheinst verstummet ganz,
In wüste Träum' auf's Neu versunken? Rede, Freund!
Im Namen des allgegenwärtigen Gottes ruf' ich Dich!
Du schweigst noch immer? Starr erkaltet seh' ich nun auf einmal Dich.
Bist Du gestorben? Götter, jetzt errath' ich es!
O Grausen! Ich, der Lehrer und der Retter selbst,
Bin Schuld an dieses Freundes höchst entsetzlichem Geschick.
In diese Grotte führ' ich ihn, die jeglichen ver steint,
Der noch die Fesseln trägt der seelischen Naturgewalt.
Götter, so ist er Stein geworden, den erlösen ich gewollt!
[88] Schwachsinn'ger Alter, und ein Weihevoller willst Du sein?
Stein ist er! Richte nun, o Zeus, die Frevelthat,
Die hier unwissend Vater Herakleit beging!
Wie das? Wer naht sich hier mit rohem Schritt,
Mich störend in des höchsten Leides Einsamkeit?

Es tritt ein etwas langer Cavalier mit rothem Wamms in die Grotte.
CAVALIER.
Mein Alterchen, Uralterchen, von Pelops Zeiten her,
Ich bitt' Euch, nehmt nicht übel mir den kleinen Spaß.
Ihr seid ein Weiser; doch ich habe – glaubt mir – Weisere gesehn.
In Eurer Riesenweisheit ist entgangen Euch
Der Stalaktitenhöhle Fluch und Zauberkraft.
Wir, unsrerseits, wir sahen wohl Euch wandeln mit dem Faust,
Doch fühlten wir zur Warnung diesmal uns nicht aufgelegt.
Was thut's, Papachen? Seht, ein steinern Bild ist auch ein Bild.
Beschaut nur, wie in aller Eile so die Steinnatur
Bei diesem träumerischen Burschen übergreift!
Wie so im Kurzen süßes Fleisch zum Porphyr wird,
Die Nase, die vertraunerweckende, zum Schie ferstück,
Worauf Mephisto, dieser kleine Schalk, die Zeche schreibt!
Seht, wie die jünglinghaften Beine jetzo Säulen sind,
[89] Basaltne Pfeiler, klingend wie Herr Memnon einst!
Der Bursch steht fest; dies, Alterchen, versichr' ich Euch;
Und wenn Ihr diesen werthen Freund so lieb gehabt,
So kann ich freundlich nur das Eine rathen Euch:
Brecht Euch ein Stückchen von den Feldspat hohren ab,
Und setzt das Feldspathstückchen Euren eignen an –
Denn diese Ehre hat sich Eure Weisheit heut verdient.
HERAKLEITOS.
Verruchter, mit der Hölle recht' und streit' ich nicht.
Wahr ist's, das neue Bubenstück ist trefflich ausgeführt;
Doch wird – ich weiß es – aufgehn über diesem Stein
Ein Morgenroth, vor dem der Hölle Fackellicht erbleichen muß.

Ab.
CAVALIER.
Da geht er hin der Alte, etwas stutzig, wie mir's scheint.
So lauf' er! Nun, Herr Faust, gehabt Euch wohl!
Lebt wohl, mein stiller Herr und Gast von Stein!
Lebt wohl, »mein Herr modernes Marmorbild!«
Es wird so glaub' ich, manch ein Jahr vergehn,
Bevor ein Sönnchen sich in dies Boudoir verläuft.

Cavalier entfernt sich.
ECHOSTIMMEN
in der Felsgrotte.
Und so hat's Natur vollendet,
Grausens Gipfel ist erreicht;
[90] Lichtgeist ist mit Nacht geblendet,
Und des Gottes Hilfe schweigt.
Felsgestein die Gliederfülle!
Zum Granit der Geist versteint!
Wehe, wenn die starre Hülle
Nun krystallne Tropfen weint!

Unglückssohn, wie soll das werden?
Welch ein Ende naht sich Dir?
Keines Retters Macht auf Erden
Findet den Entseelten hier.
Wo der Sündfluth Reste thronen –
Mammuths urthierhaft Gebein –
Ragt er gräßlich durch Aeonen,
Ein entmenschter Marmelstein!

Gräßlichst, wenn vielleicht Gedanken
Leis verwitternd, marmorhaft
Noch sich regen, rucken, ranken
In dem düstern Porphyrschaft;
Wenn vielleicht Aeonenlängen
Steinhaft Sterben Dich durchschleicht – –
Höchster Dulder, mach ein Gott Dir
Dein unendlich Drangsal leicht!

Echostimmen verhallen.

[91][93]

2. Akt

Veränderte Scene
Veränderte Scene.
Das Innre eines Frauengemachs.

AMANDA.
O heißgeliebter Freund, so nahst Du mir
In Deines reichen Wesens ganzer Schöne!
Wie sehnt' ich mich nach Deiner Tritte Schall,
Nach Deines Mantels nächtlichbangem Rauschen,
Nach Deiner Lippen Hauch, der unter Küssen,
Den liebeglühnden, wird zum Liebesstammeln!
An Deine Brust sink' ich, ein schwaches Weib.
Fass' mich mit Deines Armes ganzer Kraft,
Drück' an Dein Herz die bleiche blasse Blume,
Die, zu vergehn an Deiner Neigung Flamme,
Die Blätter neigt und hinsinkt.

Doch wie fremd,
Wie fremd und tonlos schauest Du mich an!
Wie kalt und seellos irrt auf mir Dein Blick!
Faust, theurer Mann, erkennest Du mich nicht?
Amanda bin ich, florentin'schen Stammes,
Der Balbi fürstlichem Geschlecht entsprossen,
Umbuhlt von Freiern und begehrt von Fürsten.
Verachtet hab' ich all den wüsten Glanz,
Dem stolzen Vaterhaus bin ich entflohn zur Nacht,
Dir folgend, Dir allein, deß hoher Muth,
Deß männlich Wesen und geweihte Kraft
Mein ganzes schwaches Selbst dahingenommen,
[105] Und so in Liebesfeuer ganz entbrennend,
Geliebter Mann, sink' ich zu Deinen Füßen –
Erkennst Du mich?
FAUST.
Weib, ich erkenn' Dich nicht,
Holdselig bleiches Wesen, sah' Dich nie;
Mich hat des Dieners Blödsinn heut getäuscht.
Nie hört' ich Deinen Namen, schaute nie
Dir in das rabendunkle Feuerauge,
Das jetzt so tiefinbrünstig ruht auf mir.
Nie sah ich, unvergleichlich bleiches Bild,
Das Weh'n und Wallen Deiner nächtgen Locken,
Nie hört ich Deiner Stimme Glockenklang,
Der wie aus fernen Wollusttiefen läutet.
Nie stand ich an der Pforte dieses Tempels,
Der Dich, Du marmorbleiches Götterbild, verbirgt.
Nie sah ich dieser Lampe Zauberglanz,
Die rings Karfunkelwonneschein verbreitet;
Nie sog mein Odem diesen Ambraduft,
Der hier in Wollustströmen mich umfluthet,
Und nimmer, nimmer (ich beschwört es Dir)
Erblickt ich Deiner Schönheit Lichtgestalt. –
Ein Mädchen sucht' ich, irdisch und alltäglich;
In einer röm'schen Dirne schwell'nden Armen
Zu schwelgen dacht' ich eine kurze Nacht;
Genießen wollt' ich, wie ich oft genoß,
Wollt' eine Abendblüthe lose brechen,
[106] Die, wie ich wußt', am Morgen würde welken.
So irrt' ich träumend durch die finstren Gassen,
Nur matt gespornt vom Stachel der Begierde –
Und so in fernster Straßenregion
Wo Roma's letzte Häuser sich verlieren,
Wo an der Armuth weit entlegne Hütten
Das Nachtgebiet der Todten selber grenzt,
Wo ahnungsgrauend Cestius Mal emporragt –
Hier find' ich Dich, ein höchst verklärtes Weib,
Ein Wesen, wie noch keines mir begegnet,
An Glanz und Hoheit jeden höchsten Reiz
Der Erdenfrauen sonnhaft überstrahlend. –

Ich schau Dich an, und nie gefühlten Pulsschlag schlägt mein Herz;
Ich seh Dich vor mir, einer fremden Wonne Blitz durchleuchtet mich;
Ich nahe Dir, und schaudernd zuckt durch mein Gebein die Gluth.
Aus fernen Tiefen der Naturwelt kaum emporgetaucht,
Wo aller Weltenschöpfung Wunder mich umgab,
Zum Tag des Lebens kaum erstanden, irrt mein Geist
Noch wirr und unstät, wankt und schaut und faßt es nicht.
Vor meinem trüben Blick webt noch die Schaar
Der Geister, wallt der gottgewalt'ge Vorhang noch,
[107] Aus Licht und Nacht, aus Lust und Graun zugleich gewebt,
Der von dem Leben Lebens Urgrund scheidet. –
Nun rafft und reißt es mich zur Oberwelt empor,
Und wie ich, noch vom fremden Licht geblendet,
In's Auge schau dem Leben, zeigt es mir
Sogleich ein neues unaussprechlich's Wunder,
Den Gipfel alles dessen, was ich je geschaut,
Naturmysteriums innerstes Geheimniß –
Zeigt mir des Lebens (welches oben licht und farbig spielt)
Und der Natur (die drunten nächtig braust und zeugt)
Unsagbar wunderhafte Einheit, zeigt mir, wie in einem Zauberglas,
Des Lichtsgeists und des Nachtgeists mystische Vermählung,
In eines Weibes göttlichhohem Liebreiz dargestellt.
Mich faßt auf's Neu gewaltig des Naturgotts Kraft,
Drängt von des Lebens lichten Höhen wiederum hinunter mich,
Stößt wiederum in bodenlosen Abgrunds Schluchten mich;
Doch aus der fernen Höhe durch die enge Kluft
Schaut lichter Lebenshimmel sonnenhell auf mich herab
In dieses Weibes, Engels, ach, in dieser Göttin Zauberblick. –
AMANDA.
O Faust, den meine Seele so inbrünstig liebt,
[108] Dein Schwärmen und Dein Träumen schrecket mich!
Warum in der Natur geheimen Tiefen wühlest Du?
Hier brausen nicht die unterird'schen Wasser,
Hier schreckt nicht das Gekrach der Erdenklüfte,
Hier weben nicht der Geister Teufelsfratzen.
Hier legt sich mild um Dich das offne Leben,
Schmiegt weich, elastisch sich um Deine Glieder,
Haucht Dich mit warmem Sonnenodem an,
Legt an Dein Herz den Strauß der vollen Blumen,
Reißt Dich in seine wonnetriefende Umarmung,
Rufend: »Erwach' aus Deinen Aengsten, Träumer!
Morgenroth leuchtet, Leben umfängt Dich und des Lebens Liebreiz.
Nicht forsche; zu genießen liegst Du hier an meiner Brust.« –
O Sel'ger, so in sel'ger Liebesgluth umschlingt Amanda Dich,
Und so in mir umschlingt Dich Träumenden das Leben selbst.
So lebe denn, Geliebter, dieses Leben Seligkeit!
Versenke schnell Dein dunkles Träumen in die tiefe Kluft!
Und auferstehungsheiter rüste Dir das Wollustbad!
Dem Westhauch höchster Lebenswonne öffne Deine frische Brust!

Sie hält ihn umschlungen.
FAUST.
Was ist das für ein Zittern, das durch meine Glieder fährt?
[109] Welch wunderbare süße Angst bewältigt mich?
In welcher Zauberei Geheimniß reißt mich wiederum
Dein Balsamoden, Dein Umarmen, Deines Blickes düstrer Glanz?
Ist dies der Lebensliebesflamme allgewalt'ge Gluth?
Ist dies Umarmen, Hingerissensein, Verlierensich –
Ist es das Leben, des Genusses mächtige Naturgewalt,
Triumph des Lebensreizes, dem kein Wesen widersteht?
Nun denn, an Deinen wollustheißen Busen sink' ich hin;
In Deinen warmen, weichen, wonnevollen Arm begrab' ich mich;
Dein Auge, düsterlodernd, streut auf mich des Zauberschlafs Gewalt;
Im Rosengluthkelch Deiner Lippen, der mir Segen träuft,
Trink' ich den Vorschmack eines lichten Liebestraums,
Der farbenglänzend seinen Wunderschleier senkt auf mich.
O tief hinab in dieser Wollust Paradies begrabe mich,
Du göttlich Weib, und ewig, ewig Deinen Taumelkelch credenze mir,
Und nimmer aus des Paradieses Morgenglanz erwecke mich! –

Sinkt an ihre Brust.
[110] Ferner Gesang.

Liebesstammeln, Liebeszittern,

Feuerkusses Allgewalt,

Wonnetraums unsagbar Wunder,

Das in diesen Räumen wallt!

Glühend Spenden, heiß Empfangen!

Unergründlich Liebesspiel!

Und im Osten aufgegangen

Hymens Stern als Wonneziel!


Leben nennst Du dies Ermatten,

Dieses lodernde Vergehn?

Dies Versinken in der Fülle,

Durst'ge Wiederauferstehn?

Leben nennst Du diese Freuden,

Diesen Sturz von Geist und Sinn?

Leben diesen Graus der Wonne?

Bleiche, schöne Zauberin!


Aber ich in stiller Höhe,

Ich, der sangverklärte Geist,

Nenne Sterben, was in Eurer

Taumelsprache Leben heißt.

Tod und Tödtung nenn' ich's schaudernd,

Wenn Natur mit frecher List

Ausgräbt aus der Modertiefe,

Was schon lang gestorben ist;


[111]

Wenn, die Geister zu verlocken,

Die von Lebensdurst erglühn,

Gräber ihre Kiefern sprengen,

Särge ihre Leichen sprühn;

Wenn der Mann, in Sehnsucht selig,

Nächtens zu der Liebsten schleicht,

Und, von Satans List beschworen,

Vampyr ihm den Lustkelch reicht. –


Schlafe denn, Du Neubetrogner,

In der kalten Scheingluth ein!

Grabhauch trink' und Moderdüfte,

Denk', es müsse Leben sein!

Träume, daß aus tausend Quellen

Flamme Dir des Daseins dringt –

Wenn die grabeskalte Wollust

Schaudervoll Dein Herz umschlingt.


Aber noch in Todes Armen,

Hingesunkner Forschergeist,

Höre Deiner Priester Lehre,

Höre, was ihr Mund beweist:

Leben ist nur Schein des Lebens,

Lebt nur, was zu sterben droht;

Aller Zeugung und Entfaltung

Keim und Wurzel ist der Tod.


[112]
FAUST.
Wie seltsam, Mädchen, duftet jetzt Dein Odem mir,
Vordem wie Rosen süß und geistig, nun wie Leichgeruch!
Verwesungsekel, modriglilienhaft beschleicht es mich!
Lebloslebend'ges Wesen, wende Dich hinweg von mir!
Mich faßt ein Grausen; dennoch in dem Graun entbrenn' ich noch
Vor Liebessehnsucht. Wonnevoller Leichnam, weich' von mir!
Ja, ja, ich fühl's, mit Vampyrleidenschaft umstrickst Du mich,
Gespenst'ger Blutdurst brennt in Deinem Feuerkuß;
Nicht reines Leben ist es, was die schwell'nden Glieder hebt,
Tod ist es; einst'ges Leben, das als Leich nam wiederkehrt.
Könnt' ich Dich von mir stoßen! Aber mir versagt die Kraft!
Als Leichnam Dich erkennend, saug' ich Sterben doch
Von Deinen Lippen, die mich widerstandlos an sich ziehn.
Schönste der Leichen, hab' Erbarmen, fleh ich Dich,
Ich bin ein Mensch geboren, will lebendig sein,
Leben, genießen; Deiner Küsse kaltes Feuer würgt mich hin!
Erbarmen, lieblich Scheusal, laß mich, ach verschone mich!
[113] Kehr' zu den Todten, in Dein Todtenbett versenke Dich!
Hüll' Deines Leibes Schöne wieder in Verwesung ein!
Mit ihnen steig' in's Brautbett, die begraben sind, wie Du;
Doch des lebend'gen Jünglings braunes Haar begehre nicht!
O wehe, wehe, wieder neu umschlingst Du mich?
O wehe, wehe, schon benetzt mein Blut den Leichenmund!
Satan, Dich ruf' ich! steig' in Schwefeldampf empor!
Mit Flammenkrallen reiße dieses Weib von meiner Brust!
Ich bin erschlagen! – – –
AMANDA.
O Heilige des Himmels, schützet diesen Jüngling mir!
Er wähnt mich Leichnam, und ich bin ein lebend liebend Weib,
Erwache, Holder! Weh', es schließt sein Auge sich!
Ihm flieht die Seele. Abgott meines Geist's, ermanne Dich!
Dein Liebchen ist kein Vampyr, ist lebendig so wie Du,
Ein jungfräuliches Leben, nur von Dir allein entweiht,
Nur bleich und blaß von übergroßem Leid um Dich!
O Hohn der Hölle! Soll ich, Schönster, Dich verlieren schon?
In erster sel'ger Brautnacht Dich erschlagen sehn?
[114] Hier liegst Du reglos; meiner Liebe Brunst erweckt Dich nicht!
Spitz wird Dein Antlitz, Deiner Wangen Gluth erbleicht!
Ich seh' den Tod – ein riesenhaftes Schreckensbild –
Sein Banner pflanzen! Dir im Herzen wühlt er schon;
Schon zehrt er, gierig Scheusal, Deiner Züge Lieblichkeit!
Weh' mir Unsel'gen! Aber tausendfältig fluch ich Dir, Natur!
Du hast erschlagen dieses Jünglings theures Haupt;
Den Gottgeweihten hast mit schnöder Tücke Du bethört;
Dein Opfer fiel er, Opfer seiner eignen Forschbegier,
Die Du, Natur, in schnöden Wahnsinn ihm verwandelt hast.
Fluch Dir, Natur, Dir, der Lebend'gen – Mutter nicht, nein – Mörderin! –
Was für ein Lärmen? Nahen sich die bösen Geister schon,
Zu rauben selbst die Hülle dieses meines Lieblings mir?
Dich lass' ich nimmer; so an Deiner kalten Brust erblass' ich selbst.

Stimmen auf der Gasse.
ERSTE STIMME.

Den Schlüssel heraus, betrunk'ner Affe! Das ist [115] die Thüre und das rechte Haus. Oeffne zur Stelle, oder ich entseele Dich!

ZWEITE STIMME.

Gnädigster Geist, ich versichre Euch auf Seligkeit, Ihr irrt Euch diesmal in der Hausnummer. Hier daneben die weiße Pyramide, das wird das rechte Haus sein und die rechte Herberge für Eures Gleichen, mit Erlaubniß zu sagen. Greift nur in Eure Rocktasche, gestrenger Geist; ich zweifle nicht, daß Ihr den Schlüssel zu dem schwarzen Gitterthor selbst bei Euch führt.

ERSTE STIMME.

Hallunke, willst Du ein Gespenst aus mir machen? Mit Deinem eignen Schädel renn' ich dann die Thüre auf.


Die Thüre wird gesprengt.
ZWEITE STIMME.

Zur Hilfe, zur Hilfe! Braucht Ihr meinen Schädel als Mauerbrecher, Herr? Dies Betragen ist nicht christlich. Nun, Gott sei Dank, es ist einer von den Dickköpfen, die ihren Puff vertragen. Im Uebrigen sorge ich nicht; mein Herr wird schon seines Dieners Schädel rächen, wenn Ihr hinaufkommt, und mit dem Eurigen Kegel spielen. –

Das Innre des Gemachs.
Einfremder Ritter und Caspar
treten auf.
FREMDER RITTER.
Zu spät? Wär' es zu spät schon? Weib, hinweg von hier!
[116] Dein Hauch ist Pesthauch! Fort, Verderben über Dich,
Bleichsüchtig Wesen! In Dein Todtengrab verbann' ich Dich!
Entfleuch dahin, wo Währwolf Dir den Willkomm heult,
Wo der Lemuren Schaar sich hohlen Auges um Dich drängt:
»Willkommen, Bräutchen; längst schon harret Dein der Bräutigam
Im weißen Knochenspenser – und der Hölle Segen über Euch!« –
Ha, Scheusal, hast erschlagen den geweihten Jüngling Du!
Ihn räch' ich an der Hölle selbst, die Dich heraufgesandt.
Dich aber, Jüngling, weihevoller, den der Tod gefesselt hat,
In einer lichtern Gottheit Namen ruft mein Mund Dich an.
Wach' auf, Entschlafner, hebe keck Dein Haupt empor
Im Namen der hochheil'gen Göttin – Poesie!
AMANDA.
Grausamer Mann, wer bist Du? Bist ein Teufel nicht;
Dies kündet mir Dein lichtes ritterhaftes Strahlenkleid,
Des Blickes Unschuld und der Mannheit kühner Trotz.
[117] So fleh' ich Dich im Namen aller guten Geister an:
Laß diesen Jüngling mir, denn mir allein gehört er innigst an!
Erbarmen, Ritter! Sei ein Herold der Barmherzigkeit;
Laß mir den Jüngling; nimmermehr erhältst Du ihn!
Ich geb' ihn nicht; wie Tiger rüst' ich mich zum Kampf,
Zum Kampf mit Dir um meines Daseins höchsten Preis.
FREMDER RITTER.
Schwachsinn'ger Vampyr, Deinen Blutzahn fürcht' ich nicht!
Mit mir zu kämpfen wage nicht, Du Larvenbild!
Vernichtet bist Du, nenn' ich meinen Namen bloß.
Dich aber, Schläfer, ruf ich nun zum andern Mal
Und auch zum dritten: Richte Dich lebendig auf
Im Namen dessen, was auf Erden Heiligstes und Höchstes ist,
Im Namen heil'ger Dichtung, die die ganze Welt durchdringt! –

Faust regt sich.
CASPAR.

Dachte mir's gleich, daß es hier oben Krieg geben würde! Die blasse Dame scheint sehr resoluter Natur, und der Ritter nicht von der feigsten Sorte. Ich fürchte Unheil; denn die galanten Ritterzeiten, wo man vor Schaam in die Erde gesunken wäre, hätte man [118] einer Dame über das Maul fahren sollen, sind leider vorüber. Sieh' da, des Ritters Stern scheint den Sieg davonzutragen! Mein Herr richtet sich auf.

FAUST
erwachend.
Glorreicher Freund, in schaudervollen Todes Nächte Drang Dein Ruf,
In meines Grabmals finstre Schatten Deiner Rüstung Schein!
Wer bist Du, stolzer Jüngling, höchster Mannheit reinstes Bild?
AMANDA.
Mir ist's ein Graunbild. Deines Panzers heißer Sonnenglanz,
In meines Lebens Tiefen dringt er sengend und verzehrend ein.
Dahin ist meiner dunklen Seele strahlenkühle Sternennacht;
Es lodert nun darin des heißen Mittags Gluthgestirn,
Zerstörend meines Wesens nächtigtraute Heimlichkeit.
O ärmstes Mädchen. ...
RITTER.
Faust, noch bleibt verborgen Dir
Mein Nam' und Wesen; dennoch schnell und offen ist mein Thun.
Hab' ich aus scheußlicher Dämonen Armen Dich befreit,
Als Schutzgeist Deiner Seele – Deines Geistes Schirm vielmehr –
[119] Denn Deiner Seele Trägheit ist es, die hinab Dich zieht
Von heitrer Lebenshöhe in des bösen Traums gespenst'ge Nacht;
Verräther Deines Seins und Denkens ist die Seele Dir,
Ein sieches Unding, bröcklig, von des Daseins Schwere ganz zerdrückt. –
Hab' dieses Seelengrabmals Kiefern ich gesprengt,
So sei nun wacker, Träumer; mit dem Krebs des Lichtgedankens wappne Dich,
Mit jenem heitren Sonnengürtel gürte Dich,
Den für der Geister mächtigste gewebt die Poesie,
Als sie im fernen Zauberwald gefangen saß
So viele, viele Jahre, eine stille gottgeweihte Klagefrau.
Den Gürtel schnür' um Deine Lenden, weinerlicher Faust,
Denk' an den Eidschwur, den Du finstren Mächten einst gethan;
Denk' an den Hohn der Geister dort in ferner Tropenwelt,
Schüttl' ab die ekle Traumsucht; denn dies Eine wisse, Narr:
Die Geister höhnen, spotten Dir, bis daß be siegt sie sind!
Kraft aber und des kühnen Willens unauslöschlich Feur
[120] Und Schaffens, Denkens hohe Unbesiegbarkeit,
Und jenes höchsten Wissens herrlichster Besitz,
Daß unbezwingbar, ewig unbezwingbar ist der Geist,
Wenn Erd' und Himmel und die ganze Welt zusammenbräch' –
Dies sind die Sonnenfäden, die Du als des Gürtels Einschlag schaust!
So heil'ger, machtumfloss'ner, gottgewalt'ger Strahlenschmuck,
Soll er, der Krafterzeuger, denn für Hämlinge geschmiedet sein,
Für schlotterbein'ge Memmen?
Faust, empor, empor!
Mit diesem Schlag, den ich auf's Herz Dir thu',
Weih' ich zum Leben endlich den wahrhaft'gen Geist in Dir,
Schlag' ich in Trümmer Deiner Seele ekle Todtengruft,
Werde zum Geist! Hinunter mit der Seele in den Höllenschlund!
Hier ist die Fackel! Fasse sie, Du Thor, mit Manneshand!
Bei ihrem Schein schau in dies Moderhaus;
Erkenne, daß Natur im Leben selber Dich auf's Neu' betrügt,
Daß falsches Leben sich um Deine feigen lusterfüllten Glieder schließ!
Erkenne, daß Du an dem schwarzen Schlund des Nichtseins stehst;
[121] Am schwarzen Gitterthor des Kirchhofs, wo Dein Grab schon offen gähnt,;
Erkenne, daß von Leichen, Schwächling, Du umrungen bist.
FAUST.
Wenn ich's erkenne, Du Gewaltigster, was frommt es mir?
Leib frißt den Geist mir, im Erkennen muß ich untergehn!
RITTER.
Fass' an mein Schwert, Verlorner, folge mir hinweg!
FAUST.
Dein Schwert, es glüht, ich halt's nicht, heiße Funken sprüht's!
AMANDA.
Faust, folg' ihm nicht, in dieser Sternenkühle bleibe hier!
Ein Salamander ist's, in seinem Arm zerloderst Du!
RITTER.
Unsel'ger, fass' an meines treuen Schwertes Griff!
Es ist ein Kreuz; in Kreuzes Namen, fordr' ich, folge mir!
FAUST.
Das Kreuz, ich hab's verläugnet; dennoch stöhnt's in mir
Wie Hilfruf: Folg' ihm, folg' ihm! – Wirf Dein Schwert hinweg!

Ritter schleudert sein Schwert durch's Fenster.
[122]
RITTER.
Da lieg', Du treues! Einen Geist zu retten gilt es hier;
Fass' an den Helm! Er ist der Weisheit Lichtsymbol.
FAUST.
Auf mein Haupt diesen Helm! Hölle, nun steh' ich Dir!
Du blasses Weib, leb' wohl! Aus Deinem Netz bin ich befreit.
Kühn reich' ich Dir und furchtlos jetzt die Abschiedshand;
Dein ekler Dunst, nicht haftet fürder er an mir.
In diesem Helme bin ich siegreich, überwind' ich weit.
Leb' wohl, Amanda! Kühlig war's in Deinem Arm;
Doch war's auch grausig, und, im Zutraun sei's gesagt,
Mehr todesängstlich, als für eines Mannes Nerven paßt.
Nun bin ich Stahl und Eisen, bin ein hörnen Siegefried,
Ganz unverwundbar. Komm, Amandchen, gib Dein Händchen mir!
Bis zu dem Stein an Deiner Gruft geleit' ich Dich,
Und sag' Valet Dir höflich, wie es Rittern ziemt.
GUCKKASTENMANN
erscheint im Hintergrund in veränderter Gestalt.
Und dies Valet, mein Fantchen, ich vergäll' es Dir.
Kämpfe mit mir! Die Hahnenfeder für den Helm!
Der Kampf ist nobel, Satan gibt zwei Drittel vor,
[123] Ein Endchen Flaum für Stahl und Eisen! Kämpfe nun!
Sieh', so parir' ich und ertheil' noch guten Rath!
Schick' Deinen Casperl, aufzusuchen das verlorne Schwert.
Graut Dir vor'm Kreuzgriff, ei, so ist der Teufel Waffenschmied
Und macht mit fixer Hand in aller Eil
Ein ander Griffchen Dir aus seinem Pferdefuß.
CASPAR.

Mit Verlaub, unterirdische Hoheit, die hörnenen Griffe sind uns nicht bequem. Horn schwitzt, und Hand schwitzt; da bleibt der Mensch an Wehr und Waffe kleben wie ein Nürnberger Lebkuchen. Wollt Ihr mir aber Euer Schwert zu suchen erlauben, Herr Strahlenritter, ei, so will ich damit eine so fröhliche Urständ hervorzaubern, als eine bei Mond und Sternenschein gewesen, und wahrlich so viel gewaltsame Bevölkerung, daß seine infernalische Majestät selbsten davor erschrecken sollen.


Caspar läuft hinaus.
AMANDA.
Satan, zu Deiner Linken stell' ich mich.
Zur Hölle bet' ich, daß Du Sieger über diesen Jüngling seist;
Zum Himmel aber bet' ich, daß Du ihn nicht tödten sollst.
[124] Ha grausenhaft, höchst grausenhaftes Kreuzgebet!
Um solchen Preis gewinn' ich Aermste mir mein höchstes Gut?
RITTER.
Zur Rechten aber dieses Fausti stell' ich mich,
Nicht lästernd in Gebetsgluth, wie dies Scheusal hier,
Nein, kämpfend für den Jüngling, und sein Schild zugleich.
SATAN.
Mit Dir nicht will ich fechten. Fort, Herr Don Quijote!
Ihr seit ein Spielhans; sucht Euch eine Windmühl' aus
Zum Gegner! Faustus selbst muß für sich stehn.
Ein Schurke, wer den Kampf auf Tod durch Fremde ficht!
Hol' Dir Dein Schwert, Faust, willst nicht Memme Du gescholten sein;
Ich warte noch, bis Du bewehrt bist, dann zum Kampfe schnell.
RITTER.
Das Schwert, mich dünkt, es kämpft schon für die Seele hier,
Uebt Ritterthaten unten auf dem Kirchhof aus
In treuen Caspar's Hand. Seht, wie der Kerl agirt!
Die Särge sprengt er und die Gräber mit dem goldnen Schwert
[125] Und bietet auf der Todten Landwehr. Hei, wie rappelts da,
Und grapst und krabbelt! Knochenschaaren dringen aus der Erd' empor;
Als Waffe blinkt in jeglichen Gespenstes Hand
Ein Stück von seinem eignen Klapperbein.
Die Zauberei ist gut; nun, Pferdefuß, gedulde Dich,
Gleich wird sie wirken. Poesie beut ihren Landsturm auf,
Ohn' andre Mittel als zwei Ellen Stahl
In eines Narren Händen. Hei, wie, klopft der Kerl!
Der Spaß ist köstlich! Faust, blick' hin. Für dieses Mal
Zählt Knechtes Narrheit für Gebieters Weisheit.
CASPAR
auf dem Kirchhof öffnet mit Schwertschlag die Leichensteine.

Hier heraus, meine Herren von der knöchernen Legion! Nur dreist, nur ohne Zwang und gêne! Kälte ist nicht zu fürchten. Es ist Sommerzeit, und das Stück spielt in Italien. Hierher, aufgestellt, richt't Euch! Wer ein Tambour gewesen ist bei Lebzeiten, der trete zu mir und kollere das Signal mit der Maultrommel. Verzeihung, meine Dame, Sie gehören nicht mit zum Chor der Rache. Es ist unschicklich, sich mit Mannsleuten in Reihe und Glied zu stellen, wenn beide Theile im Negligé sind. Um Sie jedoch nach Gebühr zu beschäftigen, so ernenne ich Sie zur Marketenderin und trage Ihnen auf, in Ihrem stillen Kämmerlein eine [126] grüne Suppe zu kochen von Rosmarin und Buxbaum zur Erquickung der Mannschaften nach geendigtem Kampfe. Denn es wird eine böse Nacht, verehrteste Commilitonen; aber ich kenne schon Ihren Muth. Sie haben durchaus nichts zu verlieren, weder Gesundheit, noch Garderobe, noch Leben. Sie haben gut hintreten; an Ihrem natürlichen Knochenpanzer wird die Hahnenfeder nichts mehr auszuputzen finden. Still gestanden! Rotten formirt! Nehmt's jeder seinen linken Oberschenkel als Faschinmesser! Bitte, Sich zu beeilen, was noch nicht auferstanden ist. Lassen's den Leilaken nur gefälligst liegen, langer Musje; er genirt beim Angriff. – Alles beisammen? Gut! Feldwebel, verlesen's die Mannschaften!


Der Autor bittet den Leser um Verzeihung, daß die Namen der Mannschaften nicht mitgetheilt werden. Mosje Grabwurm hat dem Feldwebel beide Kinnladen weggefressen; deshalb spricht er ganz undeutlich.

Gut gemacht, Feldwebel! Ein wenig lauter für ein andresmal! Compagnie in Rotten links abschwenken! Marsch!

GUCKKASTENMANN.
Verfluchter Gauch, verwünschter Eulenspiegel!
Der Einfaltspinsel stört mein ganz Manoeuvre
Durch seines Witzes ausgemachte Dummheit.
Was soll ich mit der Lumpencompagnie aus Knochen?
[127] Ich kenne dieses lottrige Gesindel!
'S ist schamlos wie die Huren, ruckt Dir auf den Leib
Und krabst und kankerbeint um Dich herum,
Hängt sich wie Kletten an Dich, feizt und grinst
Und huckt Dich, fängt Dich, thut Dir Liebes an
Wie einem Fangball, spielt mit Dir als Kreisel,
Liebkost Dich, hänselt, schnürt und keilt Dich ein
In solch' ein Labyrinth von Bein und Knochen,
Daß Dir der Odem ausgeht. Hier gilt kein Besinnen:
Schon überklettern sie das schwarze Thor,
Schon rankt der Vortrab sich am Haus herauf,
Schon krackeln ihrer zwanzig an dem Sockel.
Daß Euch die Hölle! Pest, ich muß mich geben!
Holla! Du Pack, ich will herab mich lassen
Mit Dir in Frieden zu capituliren.
Für freien Abzug geb' ich diesen Faust
Noch einmal los.
AMANDA.
O wehe, weh', mein Leben!
SATAN.
Komm, Bestie, quinquilire mir nicht so!
Hätt'st Du was klüger Deinen Part gespielt
Und nicht so plump die Schüsseln aufgetragen,
Die Hölle mußte siegen. Nun, was thut's?
Adies, Herr Faust, wir treffen uns schon wieder.
Ich habe mich ein wenig heut blamirt.
[128] Das schreib' einstweilen ich auf Euer Conto.
Mein Machwerk, dieses miserable Weibsbild,
War – ich gesteh's – für diesmal mißgerathen.
Ein andermal ein bessres Recipe!
Zwei Drachmen mehr von der Homunculustictur,
Zwei Unzen wen'ger Moder und Verwesung;
Das gibt auf Ehr die rechte Hexensalbe.
Drohst schon, Gesindel? Gut, ich gehe schon.

Satan ab.
CASPAR.

Die Pestilenz! Da läuft unser Wildpret hin. Meine Herren, soll ein solcher Popelmann uns äffen? ein solches unansehnliches mediatisirtes Höllenfürstchen? ein solcher aufgelaufener Pfannkuchen, der auf dem halben Wege zur Teufelei sitzen geblieben? Ich wette, der Kerl hat nichts mit Satan gemein, als daß er ihm des Morgens den linken Stiefel putzt; denn am rechten Beine braucht Seine Hoheit keinen, und das ist eine wesentliche Ersparniß für Hochdieselben. Und solch ein zerlumpter Höllenstiefelputzer stiehlt seinem Herrn im Schlafe das Nachtcamisol und kommt hier heraufgeschnüffelt, um hier den Satan zu spielen! Wart, Gauner, Dich hetz' ich! Tambour, schlag an! Compagnie, marsch, marsch! Nehmen's Sich aber in Acht für's schlechte Pflaster.


Ab mit der Legion.
[129]
AMANDA.
Er ist erlöst; ich aber steh' vernichtet;
Ich fühle, wie der Tod zum Herzen dringt.
Wohl ahn' ich, welche Macht den Streit geschlichtet,
Und welch ein Gott hier seine Fahne schwingt;
Dies Auferstehungswort, so groß gedichtet,
Mir ist's ein Bannfluch, der mich niederzwingt,
Hinab mich schleudert in das Mark der Erde,
Auf daß ihr Recht der alten Mutter werde.

Meinst Du, ich hätte Leben nur gelogen?
O diesen Glauben halte fern von Dir!
In Daseins Vollgenuß ward ich betrogen;
Drum glimmt ein Lebensfunke noch in mir;
Im Lebenstraum hab ich den Tod gesogen,
Gestorben nicht, nur sterbend wandl' ich hier;
Ein ewig Sehnen nach des Lichtes Freuden
Ist all mein Wesen, Dasein, Thun und Leiden.

Nicht Satan ists der über mich gebietet,
Ihr ew'ges Recht nur braucht die alte Nacht;
Es ist ein Gott, der meinen Ausgang hütet,
Deß Gnadenauge über mir auch wacht;
Doch jener Fluch, den keine Macht verhütet,
Er ist's, der solches Wehe mir gebracht:
Als Leichnam muß ich durch das Leben schreiten,
In Grabes Kluft des Lebens Qual erleiden.

[130] So ruht auf mir in dieser grausen Stunde,
Geliebtester, des Daseins herbste Pein;
Mich reißt der Liebe Gluth zu Deinem Munde,
Doch fodert mich der schwarze Todtenschrein;
Der Balsam selbst für meine heiße Wunde,
Er wandelt sich zum grimmem Höllenstein:
Denn, armer Freund, auf Wiedersehn nur scheid ich,
Im Schattenreich die Stätte nur bereit' ich.
RITTER.
Madam, Sie thun sehr wohl, Sich zu skisiren,
Ihr Seufzen wird etwas zu larmoyant;
Sollt' er mit Ihnen, Schönste, phantasiren,
Eine Kühne selber würde ungalant;
Auch dünkt mich's – wenn Sie gütigst permittiren –
Sie transpiriren etwas zu frappant;
Ein andermal, wenn Sie nach oben fahren,
Belieben Sie den Moschus nicht zu sparen.

Dame seufzt; Ritter bietet ihr den Arm und führt sie zur Thüre, wo die Dame verschwindet.
FAUST.

Grausamer, Abscheulicher! Was thust Du? Mein Leben reißest Du von mir! Laß mich ihr folgen; ich kann, ich mag nicht leben ohne sie!

RITTER.

Hier geblieben, Verehrtester! Sie fallen aus einem Paroxysmus in den andern; es ist hohe Zeit, daß Sie [131] den Arzt consuliren. Belieben Sie mir Ihre Wohnung zu sagen; ich bin so frei, Sie nach Hause zu geleiten.

FAUST.
Schrecklicher und doch Wundervoller, wie ist Dein Name?
RITTER.
Wenn Du's vermagst, das Leben zu ertra gen,
Sein mannichfaltig Irrsal zu bestehn,
Und, stark im Glauben, männlich-fest im Wagen,
Nur nach dem Ziel, nicht rechts und links zu sehn;
Wenn Du's vermagst, die Larven zu verjagen,
Die spukend, lungernd Dir zur Seite gehn:
Dann erst, wenn sicher stehst auf Deinen Füßen,
Sollst Du mich schaun, erkennen und begrüßen.
Veränderte Scene [2]
Veränderte Scene.
Freie Gegend. Sonnenaufgang.

FAUST
auf der Wanderung.
Verlassen hab' ich nun das alte Rom,
Sehnsücht'ger Wünsche fernes Wunderziel,
Das Riesengrabmal der Vergangenheit,
Die Trümmerstadt versunkner Herrlichkeit;
Ja wohl ein Kirchhof, wüst und grauenvoll,
Erfüllt von Träumen, unheilvollen Larven,
Phantomen und Gespenstern, mitternächt'ger Schauplatz
Von jedem Spuk, den, Geister zu bethören,
[132] Nie Höll' entsendet. Altergraues Rom,
Verwitterter, bemooster Steincoloß,
Nicht sehn' ich mich zurück in Deine Enge,
Dicht ruht auf Dir mein rückgewandtes Auge;
Du triebst ein böses Spiel mit meiner Ruh,
Du wolltest listig, tückisch mich bethören
Mit schnödem Schein des Lebens. Fort von Dir!
Mich dürstet's, frei die Flügel zu entfalten,
Den dumpf'gen Kerkerbrodem abzuschütteln,
Den schwerbefangnen Geist auf lichter Lebenhöh'
Sanft zu erquicken. Freie frische Lust
Des Wanderns, wie belebst Du mein Gemüth!
Wie Ganymed, der hohe Götterjüngling,
So öffn' ich meine Brust dem Morgenwind,
Zu baden mich in reinem Aetherstrom.
Wie sprach zu mir im Scheiden jener Fremdling,
Der strahlenreiche? »Rüste Dich zum Leben;
Die Larven scheuche weit; nicht rechts und links,
Nur immer nach dem Kleinod sollst Du blicken!«
Wohlan, ich rüste mich und fühl in mir
Des Lebens lichte Wogen mächt'ger brausen.
Nur jene seltsam-dunkle Weissagung,
Aus seinem Mund vernommen, fass' ich nicht:
»Wenn Du,« so sprach er, »eines Tempels Zinnen
Im Morgensonnengolde leuchten siehst,
Der seine Pforten mächt'gen Klanges öffnet –
Dort tritt hinein, andächtig, gottverlangend;
[133] Dort werden Blumen Deine Lehrer sein.
Wenn diese Dir in nie gehörten Lauten
Ihr tiefgeheimes Blüthenwesen öffnen,
Ihr Sein und Unterschiedensein entfalten,
So merk' und lausch' und denke still bei Dir:
Das ist der Geist der Wahrheit, der hier zeugt,
Der Geist des Lebens, der, zur Blume worden,
Dem Schüler kündet wie man leben soll. –
So mein Prophet. Wie aber deut' ich das?
Als neue List? als endliche Befreiung?
Da steh' ich wieder zweifelnd, grübelnd still!
Dies Eine aber scheint mir sonnenklar:
Wär ich Unsel'ger erst die Wunder los,
So würde mit dem Leben sich's wohl finden.
Was für ein herrlich Thal erschließt sich hier
Friedselig, duftig, zwischen grünen Höhen
So einsam still und traulich? Hier von Grün und Duft
Umrauscht, umwogt, von Farben reich umblüht,
Den eklen Staub der Weltstadt abzuschütteln,
Wie frommte dies! Ja, hier ist heitres Leben
Und süßen Daseins würd'ge Vorbereitung.
Hier laß uns Hütten bauen! Welch ein Glanz
Steigt über jenen Wipfeln leuchtend auf,
So goldhaft, sonnenhell, so mährchenhaft!
Das ist nicht Sonnenglanz; nein, schau ich recht,
Der Tempel ist's mit seinen goldenen Zinnen,
Und hier wo eng der Pfad durch Laub sich windet,
[134] Hier nah' ich mich der seligen Verheißung.
Auf denn, mein lebensrüst'ger frischer Geist,
Der ehrnen Pforte nahe Dich getrost!
Klopf an, Du Lebensdurst'ger, Dir wird aufgethan!

Es zeigt sich ein prächtiger Tempelbau. Faust klopft. Die Pforten öffnen sich und lassen den Wanderer ein.
STIMME.
Schüler, bevor Dein Fuß betritt dies Heiligthum,
Leg' ab den Eidschwur, daß geweiht Du werden magst!
FAUST.
Was für ein Eid es sei, ich leist' ihn willig Euch;
Nur in der Offenbarung heil'ge Hallen laßt mich ein.
STIMME.
Vor jener schwarzen Marmortafel stehe still,
Wo leuchtend Dir die Flammenschrift entgegenbrennt.
Die Züg' enträths'le, ihre Worte sprich vernehmlich aus!
FAUST.
Nie las ich solche wunderlich geformte Runenschrift;
Doch ist's, als käm ein Geist der Offenbarung über mich,
Und schnell erfass' ich ihren wundersam verschlungnen Sinn;
Der Weisheit Ausdruck bietet mir von selbst sich dar.
So steht's geschrieben: »Ich, ein Schüler, Faust genannt,
Gelobe mich dem Leben innig, unabwendig an,
[135] Den Mächten huld'gend, die des Lebens Leiter sind;
Vertrauend ihnen, biet' ich Trotz dem dunklen Feind,
Der, in der Erde Nächten hausend, argen Frevel spinnt.
Erlösung suchend, weih' ich dem Genusse mich,
Entsagend jedem Wissen, welches nicht ein Leben ist.
So von dem Grübeldämon finstrer Forschung wend' ich mich,
Des Lebens heitren Göttern bleib' ich einzig unterthan.« –
STIMME.
Beschworen ist es; nun entrolle sich der Vorhang Dir,
Und als ein keuscher Zögling tritt in's Heiligthum.

Das Innere des Tempels öffnet sich. Faust betritt den Blumensaal.
FAUST.
O Himmel, welches Meer von Düften wallet hier!
Blumengestalten so unsaglich-herrlich hab' ich nie erblickt.
Wie Götterbilder steh'n sie rings und schau'n mich an;
Doch warm und innig fleußt von ihnen Lebensodem aus.
Erhabene, Leuchtende, Ihr seid mir alle lieb und traut;
Nicht kalt und fremd, nein, heimlich traulich grüßt Ihr mich.
Ich kenn Euch alle, längst befreundet seid Ihr mir;
Derselben Heimath, wie ich selbst, gehört Ihr an.
In meiner Kindheit lichten Tagen schon umgabt Ihr mich
Mit Blüth' und Düften, Euer Wesen ist dem meinen gleich.
[136] Nichts Fernes, Fremdes, Unbegreifliches ist unter Euch,
Nur Nahes, Längstgewohntes;
Kein fabelhaftes Spukgewächs aus fernem Tropenland,
Nur liebliche Vertraute seh' ich meiner blumenheitren Jugendzeit:
Dich, Rose, Nelke, Dich Du würzig glühende,
Dich, Sonnenblume, hehres, lichtes, klares Götterbild!
Jasmin, Du bleicher, Nachtviol, Du duftig- innigster!
Osel'ge Freunde, wie in Eurer Blumennähe wohl ist mir!
Wie glänzend diese Räume, aber frei und licht!
Wie prächtig diese Kuppel, doch der Himmel schaut herab!
Wie magisch dieser Fenster buntes Zauberlicht,
Doch ist's ein Gnadenschein, der aus des farb'gen Glases Tiefen dringt!
Von Himmelshöhen eine ew'ge Lampe niederschwebt;
Ein Sessel ist bereitet, blau und hell gestickt,
Den Pilger zu empfangen, den ermüdeten.
Wohlan, in seine weichen Kissen sink' ich hin,
Aufhorchend, lauschend, was hier für Verheißung werden soll.

Faust sinkt in den Sessel; die Blumen treten einzeln aus ihren Nischen, nahen sich Fausto und verneigen sich vor ihm.
BALSAMINE.
Balsamine bin ich genannt;
Mit Balsam hab ich nichts verwandt.
[137] Weil ich mich Duft's entschlagen muß,
So dien' ich hier als Prologus,
Katalogus und Famulus,
Als Castellan und Rapsodus.
Von Poesie steckt nichts in mir
Bin auch kein philosophisch Thier,
Des Stammes und der Zweige Fett
Macht mich der Metaphysik wett.
Die Logik fördert nicht beim Schwitzen;
Wer speculirt, will trocken sitzen.
Mein Wesen ist die Feuchtigkeit
Und absolute Durstigkeit;
Letzten Grundes Thatsächlichkeit
Ist mir die nasse Flüssigkeit;
Hiernächstens kommt der Branntewein
Als Synthesis von vorn herein;
Von diesem postulir' ich weiter,
Und finde so – den Magenkräuter.
Jetzunder aber läugn' ich frei,
Daß der Fusel perfectibel sei;
Vielmehr bestimm' ich diesen Plunder
Logisch als erstes Glaubenswunder.
Hinwiederum bestimmt der Fusel
Mein Denken zum completten Dusel,
Als welcher, methodisch exercirt,
stricte zu den Antinomien führt.
Das sind von allen die größten Schrecken,
[138] Da ließ schon Kantchen die Stiefel stecken.
Das Krüglein aber fürcht't sich nicht,
Das geht zu Wasser, bis es bricht.
Der Antinomien hab' ich vier:
Schnaps, Rum, Liqueur und Lagerbier.
Wovon Du willst, da schenk' Dir ein,
Die Hauptsach ist: betrunken sein.
Und hast Du's erst so weit gebracht,
Nimm nur das rechte Wort in Acht:
Δος μοι που ςῷ! ruf' dreimal aus,
Da guckt der liebe Gott heraus
Als »Ding an sich« im Negligé,
Dem thut der arme Lampe weh
Und spricht: »Wiewohl Du dich besoffen,
Sollst Du doch auf Erlösung hoffen,
Komm hier herauf, Du altes Haus,
Und schlafe Deinen Dusel aus.«

Balsamine verneigt sich und trippelt fort.
FAUST.
Ei Du verwünschtes altes Weib,
Den Teufel wünsch' ich Dir im Leib!
Meinst Du, Du aufgedunsene Vettel,
Mich kümm're solcher Geistesbettel?
Ich sage Dir, Du Blumentropf,
Dein Thun schmeckt nach Perrück' und Zopf,
Nach urdeutsch-eklem Semmelbrei,
Nach schnödester Philisterei,
[139] Nach Anno sechzig und da herum,
Nach Witwencassenchristentum,
Nach Merkelscher Drehköpfigkeit,
Nach Roquelaure und Tressenkleid.
Ist das Dein ganz Philosophiren?
Willst in Hans Plumper's Dorfmanieren
Die guten Alterchen blamiren,
So noch in Züchten und Gebühren
Nach Kiesewetter sich barbiren,
Nach Tieftrunk ihre Stiefel schmieren?
Willst gar 'nen schlechten Witz riskiren,
Wenn Cajus und Sempronius,
Der deutschen Logik Dioskuren,
Bei des Tonpfeifchens Hochgenuß
Beredtsam wie Chrysosthomus
Sich von Kroaten und Panduren
Oder von den guten Bannerzeiten,
Von Schlachtendrang und Landsturmläuten,
Von alten Blücher's Knebelbart
So nach lieb Vetter Michel's Art
Ein wenig discuriren und streiten –
Dies und dergleichen Herrlichkeiten
Willst, Maritorne, Du nicht leiden?
Ei da troll' Dich sogleich hinaus,
Du jungdeutschland'scher Blumenstrauß!
Sonst treib' ich Dir den Schäker aus,
Vivat das Invalidenhaus!
[140] Sieh' da, hier kommt ein andres Pflänzchen,
Mit Schleppkleid, Troddelchen und Fränzchen!
Madam', Ihr Teint spielt sehr in's Gelbe,
Mir scheint, Sie kommen von der Elbe.
KÖNIGSKERZE.
Ich bin die Königskerze
Mit schwefelgelbem Kleid,
Entschuldigen Sie gütigst
Meine Verlegenheit.

Die dicke Balsamine
Ist mir im Grund fatal,
Nie ist mir vorgekommen
Ein Weibsbild so brutal.

Von Bildung nicht die Probe,
Von Logik keine Spur,
Kein Titelchen Romantik,
Kein Fünkchen Hofdressur.

Doch dies, mein Herr, bei Seite!
Ich bin erst dreißig Jahr
Und habe, wie Sie merken,
Mich conservirt fürwahr.

Mein Vaterland ist Loschwitz.
Dort von den stillen Höh'n
Konnt' ich bei heitrem Himmel
Den schönen Kuhstall sehn.

[141] Ein sittig sinnig Blümchen –
Nicht jedes Wüstlings Kauf –
So wuchs ich zwischen Tromlitz
Und Gustav Schilling auf;

Am Rahmen und am Theetisch,
Den Strickstrumpf in der Hand,
Untadelhaft-ästhetisch,
Bis sich der Freund mir fand.

Wie nahte mir der Schlummer,
Bevor ich ihn gesehn!
Herr Hofrath, ach Herr Hofrath,
Wie soll ich das verstehn?

O Hochland und o Blachland,
Dir klag' ich meinen Schmerz!
O Dampfschiff und o Marktschiff,
Es blutet mir das Herz!

O Neustadt und o Altstadt,
Erbarm' Dich meiner Noth,
Sonst schlag ich mich mit »Floskeln«
Und »bunten Steinen« todt.

Und auf der großen Brucken,
Da steh' ich manche Nacht;
Dort hab' ich manche Stunde
Geweinet und gelacht.

[142] Da droben und da drüben
Da ragt ein mächt'ger Dom,
Da drunten, ach da drunten,
Da rauscht ein tiefer Strom.

Der Strom der fließet weiter,
Zuletztens in die See,
Ich aber kann nicht sterben
Wenn ich den Hofrath seh'.

Nicht leben und nicht sterben –
Wer hat dies Weh erdacht?
Ein Hofrath, ach ein Hofrath
Hat mich so weit gebracht.
FAUST.
Mylady, ich bekenn' es,
Ihr Leiden rührt mich sehr;
Doch wüßt ich in der That nicht,
Wie hier zu helfen wär'.

Belieben Sie nur ferner
Fein in Geduld zu stehn!
Bedenken Sie: noch heute
Kann man den Kuhstall sehn.

Königskerze nimmt Lehre an und beurlaubt sich.

Ha Wunder, welches hohe schlanke Blumenweib,
In tiefer Trauer strahlend, schwarz gekleidet, naht sich hier!
[143] Ja, nun wird Lebens ernster Ruf an mich ergehn,
Nun höchster Offenbarung Reiz entfalten sich.
Du schwarze Riesenblume mit dem schön geschwungnen Blatt,
Mein Sehnen trieb schon in der Kindheit mich zu Dir;
Nun aber, ekle Flachheit bannend, scheinst Du ein Erlöser mir.
MALVE.
Ich bin die Malve; still und ernst streb' ich empor.
Mein ganzes Dasein ist der Poesie geweiht;
Was ich Dir sing' und sage, Faust, Dein eigen ist's,
Dein eigenst Wesen und Erinnern ist's. So höre denn!
Zum ew'gen Angedenken, so benenn' ich Dir's
Und stell' es Dir als weihevolle Gattung dar:
Sonnett genannt.
DAS SONNETT.
Ich hab ein Lied, mein Lieb, auf Dich gesungen,
Das sang ich Dir in traurigem Ermatten,
Im heiligen Dunkel mitternächt'ger Schatten,
Von Lieb' und tiefem Leide ganz durchdrungen.

Treu hat es kurze Wonne nachgeklungen,
Selig Gedenken an die grünen Matten,
Die wir vereinet einst gepriesen hatten,
Innig vereint, ach innig auch umschlungen! –

[144] Darf nicht Getrenntes sich im Liede gatten?
Ewig Versunknes leuchtend wieder glänzen?
Blühendes Einst ein traurig Jetzt bekränzen?

Lebewohl nur den alten Frühlingstänzen,
Ewig Erinnern dem nur, was verloren,
Hab' ich gesagt und weinend zugeschworen.

Wenn Frühlings tausend frische Quellen fließen,
Zum Licht sich wunderbare Blumen ringen,
Hinauf mit Sang sich alle Vögel schwingen,
Soll da nicht Liebeskeim im Herzen sprießen?

Wenn süße Bilder aus der Ferne grüßen,
Vertraute Stimmen sanft herüberklingen,
Wenn neue Blüthen alte Liebe bringen,
Soll da nicht Liedstrom unaufhaltsam fließen?

Frühling erblüht, o seliges Genießen!
Liebe kommt wieder mit den leisen Klagen!
Beides vereint muß sich als Lied ergießen;

Das sing' ich frei auf den beblümten Wiesen,
Ob es zu Dir die Morgenwinde tragen,
Ich weiß es nicht und werd' es nimmer fragen.

Das waren heitre segenvolle Stunden,
Die Dich und mich in trauter Nähe fanden;
Von Blumen war's, aus Paradieseslanden,
Ein lichter Kranz, von Engelshand gewunden.

[145] Wie strahlten hell, vom ew'gen Licht entbunden,
Die ihren Purpurblick zur Sonne wandten,
Die rothen Rosen all' und Amaranthen,
Vom sanften Schein des Blättergrüns durchwunden!

Wie durfte nur erbleichen solcher Schimmer!
Du grausam Kind, wie konntest Du versagen
Den Himmelsthau, der diese Pracht getränket!

Das ist es, was mich still zu Tode kränket,
Daß nur im Winde noch als falbe Trümmer
Des Wunderkranzes welke Blätter jagen!

Wie Käthchen lag ich unterm Fliederbaume,
Da sah ich mich auf hochempörten Wogen
Mit schwankem Kahn, von Finsternis umzogen,
Hilflos, umrauscht vom wilden Fluthenschaume.

Ich aber bebte nicht – so war's im Traume –
Da losgelass'ne Winde heulend flogen;
Ein Lichtlein war dem Schiffer aufgezogen,
Schimmernd von des Gestades fernem Saume.

Dein süßes Zeichen, Hero, das den Treuen
Mit sel'ger Leuchtung labt und liebend winket,
Himmlischen Trost nach wilder Fahrt verheißend.

O Traumbild, halb nur sich als Trug erweisend!
Mein Schiff treibt Nächtens auf empörten Wogen,
Doch ach, kein Licht vom fernen Ufer winket!
[146]
FAUST.
O Malve, ahnungsvoller Blumenbaum,
Welch mächtig Angedenken regst Du auf!
Versunken tief in Wellengrund das alte Lieb,
Pfadlos die Wasser, wo ich Armer schiffen soll,
Von schwarzer Nacht umfangen! O Natur,
Warum nur mich beängstigst Du so sehr?
Naht sich das Leben, naht sich auch der Tod.
Tief unter, nur in Herzens dunklem Schrein,
Da blüht ein trüber Stern, ich nenn' ihn Dich tung,
Traurig und einsam wie Armsünderblume –
Das ist der Stern, der meinem Leben strahlt
Und meinem Tode! Sieh, wer naht sich hier,
Lebendig, heiter, farbenreich, beweglich?
Päonie ist's, Botin der Lebenslust,
Der Schwermuth und der Trauer bittre Feindin.
Madam, so prunkhaft angethan, was bringen Sie?
PÄONIE.
Höre mich, Faust! Auf's Leben ist mein Wort gestellt
Und meines Wortes nicht verblümter Sinn.
Du bist ein weiser Mann, doch oft sehr thöricht,
Kannst guten Rath wohl brauchen. Wenn nicht Du,
So mag einmal Dein Söhnchen sich d'ran spiegeln.
Wie ich vernahm, legst Du Dich nun auf's Wandern;
So nimm denn mein Viatikum. Es lautet so:

Süßes Bild im treuen Herzen,
Frischen Sinn in starker Brust
[147] Und so laß die Abschiedsschmerzen,
Und so wandre Du mit Lust!

Freundlich blicken Mond und Sterne
Und erhellen Deinen Pfad,
Und Du scheue nicht die Ferne,
Denn gar bald ist sie genaht.

Fernem Ziele frisch entgegen,
Nicht zu oft zurückgesehn!
An dem Vorwärts ist's gelegen,
In die Weite muß es gehn!

Nicht auf Seitenwegen schleichen!
Bleib auf der betretnen Bahn!
Und wenn sich Gefährten zeigen,
Schließ Dich munter ihnen an!

Wirst manch freundlich Plätzchen sehen,
Manches gastlich offne Haus;
Bleibe dort ein wenig stehen,
Und in diesem ruh' Dich aus!

Doch vom liebgewordnen Bunde
Scheide nur zur guten Zeit,
Und gedenk der rechten Stunde
Freu Dich der Gelegenheit!

Mußt nicht wollen Hütten bauen
Ueberall, wo's Dir gefällt,
[148] Denn noch Vieles ist zu schauen,
Und es ist so groß die Welt.

Lerne nur den Wechsel tragen,
Und was bleibet, find' heraus;
Lern' erwarten, lerne wagen,
Denke nach und sprich Dich aus.

Wie sie's treiben, wie sie schalten,
Laß Dir's nicht verloren sein,
Und die edleren Gestalten
Präg' Dir unauslöschlich ein!

Ob Du wandelst, ob Du stehest,
Bleib nur in der Gegenwart!
Wenn das Heute Du umgehest,
Wird das Morgen nicht erspart.

Was begrenzt und was geschlossen,
Was entschieden ist und klar,
Was gethan und was genossen,
Werde nun Dir offenbar.

Träume nicht von Nachtgewalten,
Noch von tiefverhülltem Sein
Ueberall, wo Geister walten,
Scheint der helle Tag darein.

Doch im Spiele der Erscheinung
Sieh Dich nach dem Wesen um,
[149] Und die übernächt'ge Meinung
Hör' mit an und bleibe stumm!

Was da lebt und webt auf Erden,
Nimm es Alles, wie es ist!
Willst Du Selber anders werden,
Sieh erst, was Du warst und bist!

Merke, wie nach langer Spaltung
Alles froh zusammenschlägt,
Wie's zu herrlichster Entfaltung
Sich in Keim und Wurzel regt!

Bleibe klar und bleibe nüchtern,
Wenn sich die Verwirung naht,
Und Dein Wort sei immer schüchtern,
Aber muthig Deine Tat!

Und so sei Du nur verständig,
Offnen Sinnes, ohne Scheu,
Immer heiter und lebendig,
Immer fest und immer treu!
DIE BLAUE BLUME
tritt vor.
Ich bin die blaue Blume, tiefen Geistern nur
Oeffn' ich den tiefgeheimnißvollen Kelch.
Du kannst an mir nicht irre werden, Faust,
Du kennst mich ja aus Heinrich Ofterdin gen.
FAUST.
O süße blaue Blume, holder Gast,
Wie traulich dämmernd ist Dein süßer Schein!
[150] Wie brünstiglich erlabt mich Dein Gedüft!
Dein ganzes Wesen lebt im Abbild treu
In meiner wunden gramerfüllten Seele.
O sprich zu mir, Du holder Blumenengel!
BLAUE BLUME.
Aus tiefem Grunde steigt des Liedes Blume,
Mit dunkel-purpurblauer Blüthe prangend,
Strebend empor und doch zurückverlangend
In Mutterlandes dunkle Heiligthume.

Heimath des Liedes sind der Liebe Wunden,
Darum erblüht's so purpurroth und blutig,
So träumend, sehnsuchtsvoll, so todesmuthig,
Als wär' es krank und wollte nie gesunden.

So ist das Lied ein armes krankes Kind,
Ein traurig bleiches Kind im Dornenkranze,
Ein heilig Kind in seinem blut'gen Glanze!
FAUST
ergänzend.
O pflege, süßes Lieb, die kranke Blume!
Wein' um die abgrundtiefe Liebeswunde!
Denk' an dies Herz, das im Gesang verblutet!

Blaue Blume verschwindet.
FAUST.
Verschwunden schon? Wohin, Du herrlich Bild?
SONNENBLUME
erscheint.
Das frage nicht, Du fragenreicher Thor!
[151] Wohin das Tiefe, Göttliche sich wendet,
Wenn es sein himmlisch Wirken hat erfüllt –
Nur ahnen kannst Du's in der trüben Seele;
Begreifen es soll Dich das Leben lehren.
Emporwärts schau! Dem Lichte zugewandt,
Dem Sonnenball sei stets Dein rüstig Auge,
So wie ich hochgestreckte Sonnenblume
Stets nach dem Himmel wende Blatt und Blüthe,
Die Sonnengleiche, helle, strahlende. –
Was in dem Kelch der Blume Du erschaust,
Was in der Blumen Glocke Du ergründest,
Dies zeigte Dir wohl schon der eigne Sinn,
Der stets im Zauber und im Wunder athmet;
Der Stern der Blume aber lehre Dich,
Daß über dieser schwülen Erdennacht
Ein ew'ges Firmament ist ausgegossen,
Deß Millionen Strahlen, immer lodernd,
Nie löschend, ewiglich herniederstrahlen.
Der Lehre Gipfel sei die Sonnenblume;
Denn durch der Welten Ewigkeit hindurch
Wird aus dem Sonnenreich das Leben quellen,
Und ewiglich ihr zugewendet sein.
Sei Dir das Träumen eine tiefe Glocke,
Sei Ahnung Dir ein dunkler Blumenkelch,
Sei Dir die Dichtung eine Sternenwelt,
Aus Nacht und Licht und Dämmerung gewoben –
Doch der Gedanke, Faust, er sei die Sonne,
[152] Die leuchtende, allmächtige und größte,
Die allbelebend-unvergängliche!
FAUST.
So wär' in heil'ger Dichtung der Gedanke
Kein helles Leuchten, nur ein Dämmerschein?
SONNENBLUME.
Der Dichtung Zauber macht das Licht zum Stern,
Zur Sonne macht die Dichtung – der Gedan ke;
So wandle Du, ein heiliger Poet,
Den fernen Stern zum nahen Sonnen bilde!
CARTUS
tritt vor.
Und was des Wunders wahrhaft Wesen sei,
Des Wunders, das so qualvoll Dich getäuscht,
Das will ich fremd Gewächs Dir offenbaren,
Ich fabelhaft-geschlungne Blumensäule:
Das Wunder ist der Nachtgeist des Gedichts
Der Sonnenaufgang wird durch den Gedanken.
So laß im Leben wie im Dichterwerk
Ihn, diesen Tag, durch Deine Nächte schreiten!
NACHTVIOLE.
O schmähe nicht die Nacht! Schön ist die Nacht;
In Nacht allein wird ja der Traum geboren,
Und alles Erdenleben ist ein Traum,
Des Traumes Gipfel, daß – vom Tag Du träumest.
FLIEDER.
Im Tage selbst birgt sich ein schwerer Traum –
[153] Im Mittagsscheine der unschuld'gen Blüthe –
O schlummere nie im Schatten meiner Zweige!
LOTUS.
Mattherz'ges Zweiglein, schau mich an, den Lotus!
Ich bin der Blumen allerheiligste,
Die Fabel und die Dichtung ruht in mir.
In der gewalt'gen Lotusblumenschale
Ruht das Geheimniß alles Erdenlebens.
In mir verklärt sich jeglich Sein zum Licht,
In mir versöhnt sich jeglich Thun zur Gnade,
In mir versinkt die ganze Weltenschöpfung
In mir vollendet Alles sich zum Geiste. –
So bin ich selbst das große Weltsymbol,
Und grade durch mein Herz geht alles Leben.
TODTENBLUME.
Und hinter allem Leben – wisse, Mensch –
Entfaltet sich im gelben Abendschein
Der allgewalt'ge Stern der Todtenblume.
Er saugt die ganze Weltenschöpfung ein,
Und selbst der Lotus wird von ihm verschlungen.
IMMORTELLE.
Doch wenn er selbst in Nächte wird verschlungen
Nach ewig wandellosem Weltgesetz,
Dann steigt in Osten auf der letzte Stern,
Der Morgenstern des ewig heitern Jenseits,
Der ewig lichte sanfte Blumenstern,
Der Sirius der heil'gen Immortelle.
[154] Wenn Dir, o Mensch, die ganze Welt ein Grab,
Ein ungeheures Blumengrab geworden,
Ein Riesenhügel, unter dessen Decke
Alles, was Farbe, Schein und Duft, verweset;
Wenn dieses Weltbau's morsche Achse bricht,
Dann führt mein Blüthenschein die Sel'gen ein
Von Stern zu Stern in eine schönre Welt.
ROSE.
Darum, weil selig so Dein Sein begrenzt ist,
Sei Leben Deines Lebens höchstes Ziel!
In Tages schönstem reinsten Farbenglanz,
Im frischsten Zauber holder Gegenwart,
Im frohsten Reiz des heitersten Genusses
Erfassest Du es als die rothe Rose,
Die man die Königin der Blumen nennt,
Weil sie des Lebens licht'sten, hellsten Sinn
In lichter Blüth', in lichtem Duft entfaltet.
Der frohen Menschen heitrer Lebensdrang,
Er flüchtet immer nach der rothen Rose.
Das reine Kind, es spielt auf grüner Au
Mit meinem Blatt, und mit ihm spielen Engel;
Die reine, stille, träumerische Braut,
Durchdrungen ganz von heil'ger Liebesahnung –
Auf ihrer Mädchenbrust entknospt die Rose
Und deutet an, wie bald der Mädchenknospe
Holdseligst Weibthum blumenhaft entblüht.
Mit Rosen schmückt der Mensch in Lieb und Lust
[155] Des Jugendlebens schönste Augenblicke;
Hochaltrig selbst, gemahnt sie ihn wie Rückkehr
Der unrückrufbarn goldnen Jugendzeit.
Und wenn im schwarzen Schrein er liegt gestreckt,
Wie drängen sich da, Blüth' an Blüth' gereiht,
Die weißen und die morgenrothen Rosen!
Ruht endlich unter'm Hügel das Gebein,
Hoch thront auf Hügelsthron die Rosenblume,
Verkündend mit der hellen Blumenstimme:
Daß in den Tod das Leben selbst verschlungen.
Darum, o Mensch, der zwischen Traum und Wachen,
Der zwischen Licht und Dämmrung ist gestellt,
Der zwischen Untergang und Aufgang schmachtet,
Darum ergreif Dein Leben selbst in mir;
Es grün' und blüh' und dufte Dir als Rose.
LILIE.
Doch mit des Glaubens heil'gem Ernst vermählt,
Mit des Gedankens Licht göttlich erfüllt,
Erschein' es Dir als hohe Lilienblume.
So magst Du, Faust, mein Wesen ganz erfassen:
Als Geist gewordnen, als verklärten Lotus.
Leben auch bin ich, Lebens Sinn und Aufschluß,
Bin Wahrheit, bin Geheimniß und bin Lösung;
Allein dies Alles in dem reinsten Licht
Dem gnäd'gen, das als Offenbarungschein
Aus Gott dem Vater, Gott dem Sohne quillt,
Und das in unermeßlich lichten Schwingen
[156] Als heil'ger Geist die Menschengeister füllt.
Das reine Irdische, es ist als Rose;
Im Irdischen bin ich das Heilige.
Darum bin ich die Dichtergottesblume,
Und meine Andacht ist ihr Weihelied.
Hier ist mein Sein, im holden Irdischen;
Doch ist's ein heil'ges, das gen Himmel weist.
So fasse denn in mir das Erdenleben,
Doch das zugleich, wodurch es ewig ist.
NELKE.
Und wenn Dir, zwischen Erd' und Himmel schwankend,
Zur Qual sich Lebens, Geistes Lust gestaltet,
Dann, Fauste, drücke meine Blum' an's Herz,
Die so in Millionen Farben leuchtet,
Ganz irdisch, kräftig, stärkend und begreiflich.
An meinem Dufte sollst Du dann erstarken
Und inne werden, daß Du lebend bist,
Und merken: daß nur kräftig-heitre That
Dich vor des nächt'gen Lebens Wundern rettet.

Faust drückt die Nelke an seine Brust. Die Blumen verschwinden; der Tempel verwandelt sich in eine offne Straße der Stadt Venedig.

Venedig, offner Platz.
Zwei Edelleute treten auf.
ERSTER EDELMANN.
Signor Formica, ich grüße Euch.
[157]
ZWEITER EDELMANN.
Signore Scarabeo, ich danke Euch.
ERSTER EDELMANN.
Ich finde, Signor, daß dieser Morgen unvergleichlich ist.
ZWEITER EDELMANN.
Sagt lieber, Signor, daß dieser Abend unvergleichlich ist.
ERSTER EDELMANN.

Geht, geht, Signor! Ihr spielt immer auf politische Dinge an. Ich denke, Ihr erzählt mir, bis zum Morgenläuten in der Signoria, einige Neuigkeiten.

ZWEITER EDELMANN.

Ihr werdet die schlimmsten zeitig genug selbst erfahren. Hörtet Ihr schon von dem jungen deutschen Wunderdoctor, der jüngst aus Rom hier anlangte?

ERSTER EDELMANN.

Ei wohl hörte ich das, Signor; allein ich war der Meinung, der Umstand sei nicht erheblich genug für eine Neuigkeit.

ZWEITER EDELMANN.

Signor, ich rathe Euch, Euch die Mühe zu geben, diesen Umstand nur aufzuheben, so werdet Ihr ihn erheblich genug finden.

ERSTER EDELMANN.
Wie das, werther Signor? Habt die Güte, mich zu berichten.
[158]
ZWEITER EDELMANN.

Nun denn, Signor, ganz Venedig weiß es, daß Ihr so gütig gewesen, Euch in die Nichte Seiner Eccellenza, unsers gnädigsten Dogen, in die wunderschöne Fiordiligi zu verlieben. Läugnet Ihr das, mein Adonis?

ERSTER EDELMANN.
Ich gestehe, Signor, es nicht in Abrede stellen zu können.
ZWEITER EDELMANN.

Nun – so viel zugegeben – wird es Euch unter so bewandten Umständen erfreuen, Signor, daß ein junger deutscher Medicus hierher berufen ist, Euer süßes und hohes Lieb, welches, wie uns bekannt, in neuesten Zeiten etwas kränkelt, durch seine Medicamente und (was das Schlimmste ist) durch seinen Magnetismus zu curiren? Bedenkt nur, werthester Signor: durch Macgnetismus – und dazu die amatissima eines Scarabeo!

ERSTER EDELMANN.

In der That, Signor, Ihr macht mich erschrecken. Es ist dies eine Maßregel, die ich der Weisheit Seiner Eccellenza nimmer zugetraut hätte, Corpo di Bacco! es ist, so zu sagen, eine Gewaltmaßregel. Man hat sie mir absichtlich verheimlicht; aber per Dio, man hat nicht gewußt, welch eine Wuth der Eifersucht in dem Signore Scarabeo schlummert. Und der Signore Scarabeo ist der reichste Edelmann in Venedig; er wird dies zu verhindern wissen.

[159]
ZWEITER EDELMANN.

Und einer der älte sten, Signor (ich meine nemlich in der Signoria), dazu etwas schwerhörig und dergleichen, was mit der Jugend nicht eben im besten Vernehmen steht.

ERSTER EDELMANN.
Wie spracht Ihr da, Signor?
ZWEITER EDELMANN.

Ich meine, Herr, Ihr müßt eher Euer holdselig Lieb an Bleichsucht oder scrofola, oder gar an Hysterie und Schwindsüchtigkeit des blassen Todes verscheiden lassen, als zugeben, daß diese deutsche magnetische Curmethode vor sich gehe. Versteht Ihr den Sinn dieser Rede, Signor? Nun gut, so bedenkt sie, aber geschwind; denn man sagt, die Heilung werde diese Nacht ihren Anfang nehmen.

ERSTER EDELMANN.
Was beim heiligen Marcus sagt Ihr, Signor? In der Nacht?
ZWEITER EDELMANN.
Magnetische Kranke vertragen das Sonnenlicht nicht, Herr; es ist so eine natürliche Eigenschaft.
ERSTER EDELMANN.

Cospetto di Bacco! Und der Signore Scarabeo verträgt das Nachtlicht nicht. Er ist ein Teufel, wenn er Verabredungen und Bestellungen, und Beschließungen [160] und Anstiftungen merkt. Wollt Ihr mir folgen, Herr, so will ich diesen ehrenrührigen Plan sogleich entlarven.

ZWEITER EDELMANN.
Ich folge Euch, Herr, mit Widerstreben; denn mir bangt vor den Ausbrüchen Eurer Leidenschaft. –
CASPAR
kommt gelaufen.

Verzeihung, edle Herren! Ich möchte berichtet sein, wo man des Weges geht nach dem Palaste des Dogen. Ich habe daselbst ein so eilig Geschäft, das keinen Aufschub leidet.

ERSTER EDELMANN.

Welch ein Geschäft, Mensch? Auf der Stelle bekennt es, welch ein Geschäft Euch in dieser frühen Stunde in den Palast des Dogen führt. Bekennt, Freund, ich ersuche Euch um Eurer selbst willen.

ZWEITER EDELMANN.

Ihr werdet wohl thun, Alles zu berichten, wenn ich Euch bemerke, daß Signore Scarabeo der grausamste Mann in ganz Venedig ist.

CASPAR.

Ist er grausam, der Herr Scarabeo, ei so sehe ich kein Titelchen eines Grundes, warum ich ihm nicht die Wahrheit gestehen sollte. In Wahrheit also, Signore Scarabeo, ich bin der Diener eines gewissen Doctor Faustus, eines deutschen, zur Zeit aber in der schönen Italia reisenden Medici, welchen seine Hoheit, unser allergnädigster Doge, jüngstens zur Heilung seiner auf [161] magnetische Weise tödtlich erkrankten nipote berufen hat. Da nun auf sothanen an uns ergangenen Ruf sothane Heilung mit heutigem Abend ihren Anfang nehmen soll, so bin ich von meinem Herrn, dem Doctor, beauftragt, stehenden oder laufenden Fußes die in diesem Kästchen befindlichen Heilungsapparate meines Herrn, des Doctors, nach den Gemächern der Signora Dogaressa zu tragen. Nun, Signori, ist es Eurer Weisheit wohl bekannt, daßhora ruit, die Zeit Flügel hat; demnach ich Eure Weisheit höflichst ersuche, mir zu sagen, auf welchem Wege ich am kürzesten nach besagten Gemächern gelange.

SIGNORE SRARABEO.

Cospetto di Bacco! Verwünschter Diener, durch meinen Degen geht der Weg nach dem Palast der Dogaressa.


Er dringt mit dem Degen auf Caspar ein.
SIGNOR FARMIRA.

Signor, keine Uebereilung! Ihr seid ein weiser Mann und Aeltester der Signoria. Seht, wie die Leute schon stehen und gaffen! Laßt den deutschen Diener gehen und seine Schuldigkeit thun.

SIGNORE SRARABEO.

Nimmermehr soll der Bösewicht seine Schuldigkeit thun! Ich will seinen Medicinkasten zertrümmern, ich will sein Leben selbst zertrümmern!


Dringt abermals auf Caspar ein.
[162]
FAUST
tritt auf.
CASPAR.
Herr, um Gottes Gnaden, zu Hilfe! Man will mich meuchlings in Eurem Dienst und Beruf ermorden!
FAUST.

Laßt meinen Diener los, Ihr alter Narr! Spießt Ungeziefer mit Eurem Krötenspieß! Hier sind drei Spannen Stahl für Euren Schmalbauch!

SIGNORE SRARABEO.

Alter Narr? Signor, ich kann Euch versichern, daß ich bereits mit bessern Titeln geehrt wurde. Seid Ihr aber der Herr dieses Hans Affen, seid Ihr der deutsche Wunderdoctor aus Rom, ei, so will ich Euch gleichfalls mit meinem Vorrath dienen. Ihr Schelm, Ihr Bösewicht, Ihr Jungfrauenschänder, ich fordre Euch zum ehrlichen Zweikampf!


Legt sich aus.
FAUST.

Ihr unvergleichlichster aller Narren unter dem Schatten des heiligen Löwen, an einem Bischen Zweikampf soll's Euch nicht fehlen, wenn Euch so sehr darnach gelüstet. Wohlan, spinnbeiniger Signor, das ist meine Parade!


Legt sich aus.
SIGNOR FARMIRA.

Seid Ihr von Sinnen, Ihr Herren? Einen Zweikampf [163] am hellen Tage, hundert Schritte von des Dogen Palast? Steckt Euren Spieß ein, Gevatter Scarabeo! Ihr werdet damit keine Lorbeeren erndten. Und Ihr, Signor Dottore, oder magico prodigioso tedesco, nehmt Euch in Acht vor dieser Schaarwache! Es möchte einem deutschen Wundermann schwerer werden, sich aus ihren Klauen zu befreien, als einem venetianischen Nobile.

FAUST.

Wo Recht ist, ist der Muth, Herr Nobile! Ihr scheint mir etwas robuster und vernünftiger zu sein, als Euer blödsinniger Gefährte. Zieht also, mein Verehrter, und nehmt meine Medicamente zum Dank für Eure Beleidigung; denn wißt Ihr, was der alte Hippokrates sagt? Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat.


Sie fechten, Volk läuft zusammen, Signor Formica fällt. Die Schaarwache bemächtigt sich Fausts.
FAUST
im Abgehen.
Ein deutscher Kernfluch diesem italien'schen Pflaster!
Ich fürcht, ich hab ein Tränkchen mir bereitet,
Zu herb, um für 'nen Liebestrank zu gelten.
Wär' nur mein feiger Diener so gescheit
Und flüchtete sich stracks zum Dogen selbst!
Denn seine Gunst kann hier allein mich retten.
Wohin, Ihr Herren, wollt Ihr jetzt mich führen?
[164]
SCHAARMÄCHTER.

Belieben Eu'r Gnaden nur jenes schwarze Bogenwerk zu betrachten, welches trübselig genug über der Lagune hängt. Das ist dieponte dei sospiri, unsre weltberühmte Seufzerbrücke; ein sehr weites Thor für den Eintritt, sehr eng in der That für den Ausgang. Dorthin bedaur' ich, Euer Liebden führen zu müssen.


Schaarwache ab mit Faust.
Veränderte Scene [3]
Veränderte Scene.
FAUST
im Gefängniß.

Gefangen, einer schweren Büßung Preis gegeben um eines ausgemachten Narren willen! Ist das auch ein Streich, den mir das Leben spielt? Aber der Zustand der Signora Dogaressa wird und muß sich verschlimmern; kein Mensch im ganzen Staat Venedig vermag sie zu heilen; der Doge wird mich rufen lassen, und das Mindeste, was er mir für die Heilung seiner Donna vergelten kann, wird das sein, daß er mich entspringen läßt. Horch da, der Riegel rasselt! Ich wußte wohl, daß Freiheit nicht fern sein konnte.

KERKERMEISTER
tritt ein.

Legt sogleich diese Kleider an statt der Eurigen, Herr. Ihr seid kein Gefangner mehr, Ihr seid ein freier beglückter Mann, wenn es Euch gelingt, die Heilung der Dogaressa zu vollbringen, zu welcher ich Euch eben führen will.

[165]
FAUST.
Ich folge Dir, Freund. An diesem Vollbringen ist nicht zu zweifeln.
Veränderte Scene [4]
Veränderte Scene.
Gemach im Palast des Dogen.

FIORDILIGI
auf dem Ruhebette, im magnetischen Schlaf.

Wie das leuchtet! Wie das blitzt! Wie das schauerlich-süß durch Mark und Adern dringt! Befreier, Heiland, trautester Ritter mit dem dunklen Lockenhaar, wann nahst Du Dich! Ich sehe aus einem Grabe einen Schatten steigen. Er fällt in Moder zusammen; ein andrer leuchtender folgt ihm. Ich sehe den leuchtenden kämpfen mit einem gräßlichen Gespenst, das er schnell bezwungen hat. Da eilt er hin über die schwarzen Gräber! Da spiegelt sich so silberflammig der Mond in seinem Strahlenpanzer! Nun seh' ich ihn stürmen im rasenden Sturm über den Platz des heiligen Marcus. Nun braust er die Stiege herauf. – Zu mir – zu mir – –


Faust und der Doge treten ein.
FAUST.

Mehr Lichter, Wärterin, besorgt nach diesem Theil des Gemachs; doch stellt sie sorgsam so, daß nicht Blendung [166] die Kranke treffe. Wie ich Euch sagte, Hoheit zwei nächtige Stunden reichen hin, die Heilung Eurer Nichte zu bewirken; doch muß ich eine Bedingung machen.

DOGE.
Und welche, Freund?
FAUST.

Daß ich allein sei mit der Kranken, so lange mein Operiren währt, völlig einsam mit ihr und ungestört. Nahte sich ein einzig Wesen dem magnetischen Umkreis, welchen ich ziehe, so wäre die holde Dame ohne Rettung dem Tode verfallen.

DOGE.

Nimmermehr kann ich diese Bedingung gestatten. Venedigs erste und schönste Frau in der Nacht allein mit einem Mann – mit einem deutschen Wunderdoctor – –? Nimmermehr das!

FAUST.

So stirbt Euer Kind, Eccellenza, stirbt noch in dieser Stunde. Befehlt, Herr, daß man mich in mein Gefängnis zurückführe.

DOGE.

Halt einen Augenblick! Er naht sich dem Lager der Kranken. Soll dieser holdseligste Liebreiz, wie er je seit der Welten Schöpfung ein Weib geschmückt, soll er für immer zu Grunde und Grabe gehen? Das wäre gräßlich? Wohlan, Herr, auf Euer Gewissen wälze [167] ich allein jede mögliche Folge. Ihr sollt allein ganz ungestört sein mit dem Kleinod meines Lebens. Ich gehe; aber verschließe Euch der Himmel in alle Ewigkeit seine Thore, wenn Ihr Eure Gewalt nur so weit mißbraucht, als ein Haar beträgt! Ihr hört es; den Frevler strafe Gottes Weltgericht!


Geht ab.

Faust allein mit Fiordiligi.
FAUST
nähert sich dem Krankenlager mit einem Armleuchter.
Ha, welch ein Anblick! Himmel, wel'ch ein Weib!
War solch ein Kleinod in der ganzen Schöpfung,
Der weiten, unermeßlich-grenzenlosen?
Ha, Fiordiligi, welche Wonne Dich zu schaun!
Dir nah zu weilen, welche Seligkeit!
Es fassen mich der Lieb'sentzückung Schauer an;
Vergehen müßt ich vor dem süßen Angesicht,
Zerlodern gegenüber diesem Göttergliederbau,
Wär nicht mein Sinn und Thun und Denken ganz naturgeweiht.
So, Lieblichste und Schönste, leg'ich mich meine Hand auf Dich,
Auf Deine Lilienstirn, die tiefer Traum umwebt.
So Deiner Fieberwange nah' ich nun die meinige,
Und innerst Glühen zündet mir das tiefste Herz.
[168] Du regst Dich; sieh, Dein holder Arm erhebt sich nun
Und sinket wieder wie in seliger Ermattung hin.
O selig Sinken, Hingegeben, ganz bewußtlos, aller Kraft beraubt,
Nun, tiefes, tiefes Ruhen; selbst den Ambraduft
Des Odems, ihn empfind' ich selbst nicht mehr.
Ein leises Glühn ersteigt auf Deinem Antlitz nun,
Vom Rosenlicht zum Purpur röthet sich die Lippe schnell,
Sie zuckt, sie schwellt im goldnen Traum entgegen mir.
O dieser Lippen Zauberreiz – so Mund auf Mund zu ruhn mit Dir
In süßer, aber andachtweihevoller Einigung! –
Ihr Götter der Natur, beschirmt mich!

Er küßt sie.

O höchste Wonne, Paradieses Seligkeit eröffnet sich.
Dich küss' ich wieder, wieder, immer wieder schlürf' ich diesen Purpurkelch,
Und Kuß auf Kuß erweck' ich Dich zur Lebensgluth,
Und Kuß auf Kuß begrab' ich Dich auf's neu in heißen Tod.
Ha, Faust, was thust Du? Weihevoller Mann, besinne Dich!
Nicht eine schwache Beute, ein Erlöser sollst Du sein.
Das Leben zu ertragen, war das nicht der Blum weiser Spruch?
Nun, so ertrage diesen höchsten Lebenslustreiz auch!

[169] Er beginnt die magnetische Manipulation.

Welch' bräutlich Duften! Welches Liebesodems heiße Gluth!
Gleichwie aus tiefen blauen Blumenkelchen dringt herauf die Seligkeit!
Ich fühl's, wie stürmischer in meinen Adern rinnt mein Blut,
Ich fühle, wie der Satan der Versuchung mir im Busen tief entbrennt.
Götter der Erde, schützet mich in diesem Graun des Kampfs,
Des schaurig sel'gen! Ruf' ich auch des Himmels gute Geister an?
Ach wehe, wehe! immer heißer lodert's auf in mir.
Der jungfräulichsten reinsten Schönheit Duft bewältigt mich,
Erwecken soll ich sie? Nein, tödten wird sie meines Herzens Loderkraft!
Ha, Fiordiligi, hätt' ich nimmer Dich zu retten angelobt!
Sie regt sich; wieder zuckt so wollustreich der süße Gliederbau.
O grausam Schicksal, nächtiges Verhängniß Du,
Das unaufhaltsam mich zur heißen Sünde Wonnegraus
Dahinreißt in dem höchsten Weiheaugenblick! –
Und wieder regt sich, athmet dieser glühnde Mund,
[170] Sie ruft mich. Ist's nicht so? Bethört mich Fiebertraum?
FIORDILIGI.

Freund, geliebtster, warum stehst Du doch so fern? Nahe, o nahe Dich mir, sieh, die Arme öffne ich Dir weit mit glühendem Verlangen. Komm, ach komm!

FAUST.

Ha, ruf'st Du so, Schönste der Schönen? Nun, so fluch' ich Dir, Enthaltsamkeit. An Deine Brust, Gipfelreiz der Sünde; in deine Arme, Hölle, werf' ich mich! Meines Lebens Ewigkeit verspiel' ich um diese Rose! –

FIORDILIGI
im Traum.
O Faust, Faust!
Veränderte Scene [5]
Veränderte Scene.
Das Innere des Seufzerthurms.

FAUST.

Gräßliches Schicksal! Himmel, rächst Du so eine That, zu der der Sturmdrang der Natur den Jüngling peitschte? Hölle, strafst Du so Deine Freuden? In schauerliche kalte Modergruft begraben, ein Lebendiger! Auf faulem Stroh, in Banden und Ketten, nimmermehr beschienen von der Sonne mildem Strahl! Dicht unter mir die eiskalten Wellen rauschend, todeskalt an's Herz mir steigend! Neben mir in trauter Gemeinschaft, mein Lager theilend, Molch und Wurm [171] und Kröte! Fluch Dir, Himmel, Fluch, Hölle, auch Dir! Ist das Leben? Natur, abscheuliches, listiges Ungeheuer, Du stiehlst mir mein Leben in jeglicher Minute. Finsterniß gähnt mir entgegen. Kein Wesen ruckt und regt sich in diesen Schaudernächten, als der gräßliche Wahnsinn, der aus dem fürchterlichen Chaos geboren wird!

FERNE STIMME.
Faust, Faust!
FAUST.
Himmel, diese Stimme, es ist Fiordiligi's!
STIMME
die näher dringt.
Faust, Faust, wo bist Du? Dein Erretter, Dein Befreier naht.
FAUST.

Fiordiligi! Fiordiligi! – Satan, schenke meiner Stimme Löwenstärke, daß sie mich vernehme! Hier, hier unten, tief unten, Weib, sitzt Dein Getreuer bei Schlange und Eidechs. Ha, so rasselt, ihr schweren Ketten! Brause drunten gewaltiger, Du nächtiges Gewässer! Fiordiligi, Fiordiligi, es ist Faust, der nach Dir ruft, Dein Faustus, der Verlorene, im tiefen Seufzerthurme!

STIMME
ganz nahe.

Dich rett' ich, Du Geliebter! Deine Ketten spreng' ich durch der Liebe Allgewalt. Einen Augenblick, Faust, und Du bist befreit! Und dann mit Dir, allein mit Dir, über den weiten Ocean!

[172]
Veränderte Scene [6]
Veränderte Scene.
Zimmer im Palast des Dogen.

DOGE.

Was sagst Du, Alter? Rede Vernunft, nicht so gräulichen Wahnsinn, wie Du thatest. Entflohen, sagst Du? Sagst: Entflohen Beide! Sie, meines Lebens höchstes Kleinod, mit dem Scheusal, das es mir zertrümmerte; mit dem Sohn der Hölle, den ich zu martern gedachte mit Qualen, wie sie nie ein lebend Wesen erduldete? Entflohen! – – Ha, so läutet Sturm durch ganz Venedig! Jagt hinaus zu allen Thoren, sie zu fangen Beide; füllt Adria's blaue Wellenbrust mit Schiffen! Ich muß ihn haben, hörst Du, Alter? muß mich an ihm rächen, oder ich verderbe ganz Venedig!

Veränderte Scene [7]
Veränderte Scene.
Ein Fahrzeug auf nächtlicher Lagune.

FIORDILIGI.

Faust, mein Geliebter, in meinem Busen wogt die Angst. Horch, wie die Wellen brausen und steigen! Sie verderben uns. Das ist des mächtigen Dogen Ingrimm. Adria's Fluth ist seine Braut; er hat sie beschworen, uns zu verderben.

FAUST.

Mein süßes Leben, über dieses Sturmes Rabenschwingen [173] thront die schirmende Gottheit. Gottheit? ja, Du bleiches, unschuldiges Kind, die Gottheit; aber mir bebt das Herz vor diesem Namen! Wohlan, so kämpf' ich auch, wenn Alles uns verläßt, für Dich, mein höchstes Gut, gegen den Himmel selbst. Ruhig, Fiordiligi, ich rette Dich aus Sturm und Wassersnoth!

Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo!


Der Sturm tobt stärker, der Kahn schwankt furchtbar.
FAUST.

Ich kann nicht mehr! Meine Hand erlahmt; das Ruder ist meiner Faust entsunken. Soll ich Dich verlieren, theuerste Perle, unersetzlicher Edelstein? Nimmermehr! Nun, so will ich den Acheron bewegen, den Styx und Phlegethon, die ganze Hölle. Satan, herauf! Rette mich und dies Weib! Da für verschreib' ich Dir auf ewig meine Seele!

FIORDILIGI.

O Jammer! Faust, was thust Du! Laß ab davon; laß uns viel lieber untergehen! Engel des Himmels, beschützet uns! Breitet Eure Schwingen um uns Verlorene!

SATAN
erscheint über dem Gewässer.
Du rufst mich Faust? Was willst Du?
[174]
FAUST.
Rette Dies Weib!
FIORDILIGI.
Wehe, Wehe!
SATAN.

So trag' ich Euch Beide über die schwarzen Fluthen hin, durch Nacht und Sturm. Hei, Du süße Doppelbeute, ist das nicht lustige Meerfahrt? Ruht es sich nicht sicher in Satan's schwefliger Umarmung? –

Veränderte Scene [8]
Veränderte Scene.
Sonnenaufgang; Eiland im adriatischen Meere.

FAUST.

Verfluchter Teufel, Du hast mich betrogen! Nicht errettet hast Du sie; in Deinem Arm, Du Scheusal, ist sie gestorben!

SATAN.

Meint Ihr, Herr Faust, Herr Philosophus, Herr Wundermann, meint Ihr, Satan gebe Vor schuß? Satan leiste, wo er nichts empfangen hat? Ei, das wäre in der That ein dumm Capitelchen aus der Hölle Gedenkbuch! Nicht so, Freundchen; das Spiel geht anders. Erst das kleine Titelchen mit Blut nach altem Brauch; dann Dein die Braut, und lebendig Wort ist Schall; Name ist Dunst; Eid ist leerer Rauch und Hohn. Blut allein ist der Mensch selbst [175] mit seinem Willen und Begehren, mit seinem Hoffen und Verheißen, mit seinem Sein und Wesen, mit seiner Gegenwart und Zukunft; mit seiner Zeitlichkeit und ganzen Ewigkeit! Blut, Faustus, gib Dein Blut! Sobald es rosenroth strömt auf dieses Pergament, sobald wird diese leben und in Deiner Umarmung athmen.

FAUST.
Und wie lange athmen?
SATAN.

So lange Dein und ihr Leben dauert; Satan, weißt Du, kann nicht vernichten. Muß ich Dich, Zögling der Natur, erinnern, an ihre ewigen unabänderlichen Gesetze?

FAUST.
Du sprichst wahr, Teufel! Hier ist mein rothes Herzblut!

Gesang höhnender Geister.

Herr Oluf that's, Herr Oluf that's, weit riß er die Ader auf;
Da ström' hinaus, Du rother Saft, das geb' ich Dir zu Kauf.
Herr Oluf that's, Herr Oluf that's, auf's Herze er sich schlug:
Hab' ich verspielt die Ewigkeit, die Zeit ist mir genug!
Hab' ich verlor'n mein Paradies, meine künft'ge Seligkeit,
[176] Ei lustig; denn die Höll' ist nah', der Himmel ist so weit. –
Der Himmel ist so kühl und grau, die Hölle ist so warm.
Leb' wohl, Gott Vater, Sohn und Geist – kann nicht mehr sag'n: Erbarm'!
Veränderte Scene [9]
Veränderte Scene.
Ein alterthümlich-ländliches Gemach.
Die alte Großmutter und ihr Enkel.

GROSSMUTTER.

Mein Sohn, lies weiter! Das kann Fausti letztes End' nicht sein. Die Geschichte ist noch nicht aus. Es kommt noch ein Capitel.

ENKEL.

Großmutter, das ist so schaurig. Draußen heult der Sturm so schrecklich. Will wohl gern weiter lesen; sollt's aber nit erst ein Stück aus der Bibel sein?

GROSSMUTTER.

Das soll's sein, mein herzig Kind! Schlag' auf Dein neu Testamentum; wie da geschrieben steht im schönen Evangelio Sancti Johannis, da ließ gleich Capitel zwölf und was da weiter folgt.

ENKEL
liest.

»Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: Es sei denn, daß das Weizenkorn auf die Erde falle und ersterbe, so [177] bleibt es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte. Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren, und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben. Wer mir dienen will, der folge mir nach, und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen: Vater, hilf mir aus dieser Stunde: doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verkläre Deinen Namen! – Da kam eine Stimme aus dem Himel: Ich habe ihn verklärt und will ihn abermals verklä ren.« – Soll's nun genug sein, Großmutter? Mir ist leichter zu Herzen; wie die selige Mutter sagte: »Nun ist Dein Engel wieder bei Dir.« –

GROSSMUTTER
singt.
Wachet auf, ruft uns die Stimme,
Der Wächter sehr hoch auf der Zinne:
Verlaßt die kalte Todtengruft!
Wachet auf, erlöste Sünder!
Versammelt Euch, ihr Gotteskinder!
Der Welten Herr ist's, der Euch ruft.
Des Todes stille Nacht
Ist nun vorbei; erwacht!
Gelobt sei Gott!
Macht Euch bereit
Zur Ewigkeit;
Sein Tag, sein großer Tag ist da!
[178] Erd' und Meer und Felsen beben,
Die Frommen stehen auf zum Leben,
Zum neuen Leben stehn sie auf!
Der Bräut'gam kommt vom Himmel prächtig,
An Gnaden groß, an Klarheit mächtig,
Ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf.
Licht ist um Deinen Thron,
Und Leben, Gottes Sohn!
Gelobt sei Gott!
Erlöser Dir,
Dir folgen wir
Zu Deines Vaters Herrlichkeit! –
Veränderte Scene [10]
Veränderte Scene.
Dunkler Wald.
Faust, Fiordiligi in Lumpen.

FAUST.

Warum verfolgst Du mich, Weib, wie mein böser Dämon, wie den Verbrecher (hu, mich schaudert!) die Rache des Richters?

FIORDILIGI.
O Du gequälter Geist, einziger Stern meines dunklen Lebens, weil mein Lieben zu Dir unendlich ist.
FAUST.
Endige Dein Lieben, Weib, das ich nun hasse, oder ich endige Dein Leben!
[179]
FIORDILIGI.
Mein Lieben, Faust, für mich, mein Leben für Dich!
Veränderte Scene [11]
Veränderte Scene.
Todtengruft. Offner Sarg mit Fiordiligis Leiche.

FAUST
auf den Knieen.

»Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn, züchtige mich nicht in Deinem Grimm! Herr, sei mir gnädig, denn mein Gebein ist erschrocken. Wende Dich, Herr, und errette meine Seele! Hilf mir um Deiner Gnade willen! Denn im Tode gedenkt man Dein nicht. Wer will Dir in der Hölle danken? –


Genug, genug, gequälter Geist, ruf' nicht den Himmel an!
Verschlossen Dir ist Himmels Segnung ewiglich.
O ewiglich! Wie gräßlich heult das Wort aus meiner öden Brust!
Du einziges Wesen, dessen höchsten Liebreiz Scheusal ich zerstört,
Du einz'ges Wesen, das mich angstvoll, aber wonnevoll so sehr geliebt,
Wie von dem Reinen, Frommen Gottheit selber wird geliebt,
Du meines ganz verfluchten Lebens lichtes Heil'genbild,
In Todes ew'gen Banden liegst Du hingestreckt!
Fiordiligi, sel'ger Engel, Du der Lilienblume süßeste!
O so in alle tiefsten Tiefen meines Innersten
[180] Hinunter, weit hinunter bohre sich der grause Fluch!
Verdammt, verflucht, verworfen, von des Himmels Freuden ausgespieen! –
Warum nicht Nichtsein? Weil, was geistig, ewig ist.
Ewig der Seelen Wonne, ewig auch der Geister Qual! –

Eine Geisterhand ergreift Faust und schleudert ihn aus der Gruft, deren Pforten sich schließen.
Veränderte Scene [12]
Veränderte Scene.
Granada. Nächtlicher Garten. Terrasse eines Schlosses.

FAUST
als spanischer Ritter.

Das ist die Geisterstunde; süßer, sel'ger nie erlebt' ich eine. Granatbaum duftet, Nachtigall seufzt und flötet in seinen dämmernden Zweigen. Wie ein weißes Meer der Seligkeit wogen und wallen die Düfte der Orange. Prachtschloß der Mendozas, so liegst Du vor mir, ein gewaltiger Coloß! Donna Clara, Ihr ruht weich gebettet im seidnen Pflaum. Ich liebe Euch; bei den Ruinen des Alhambra, ich liebe Euch, bete Euch innigst an; aber diese Anbetung soll mich nicht hindern, der kleinen Pedronella ein verliebtes Ständchen zu bringen:


Pedronella, meine Kleine,
Bist Du gleich ein dienend Mädchen,
Harr' ich doch an Deinem Fenster,
Ich der Stern von allen Granden.

[181]

Was Teufel dort für ein Rauschen in den Lorbeerzweigen! Ein streifender Schatten! Wie? Gar ein Nebenbuhler? Verwünschter Rival, Dich belaur' ich!

RUY PEREZ
tritt auf mit der Cither.
Pedronella, süßes Leben,
Liebesglocke hat geschlagen.
Unter duftenden Orangen
Hauch' ich Dir mein süßes Wehe!
STIMME
am dunklen Fenster.
Bist Du es, Ruy? Still, um aller Heiligen willen! Dir öffn' ich gleich.
FAUST.
Wie? Hört' ich recht? »Dir öffn' ich,« sagt die Dirne?
Mich aber läßt sie mein Canzönchen leiern
Und denkt dabei: »So spiel' Du bis am Morgen?« –
Verfluchter Hohn! Ich Faust, der beste Ritter,
Von Donna Clara, Spaniens schönster Blume,
Geliebt, gesucht, verfolgt und angebetet, –
Hier, wo sich's um ein Kammerkätzchen handelt,
Von einem Lump von Stallknecht ausgestochen?

Vorspringend.

Halt, Lump, Mistkäfer, schäbigster Gesell Du
Vom ganzen Troßknechthofstaat der Mendozas!
Dir lehr' ich, wie Du künftig Pferden pfeifest.
RUY PEREZ.

Wahrt Euch, Herr Ritter, denn ich führ' auch [182] ein Schwert. In Spanien bringt man nie unbewehrt ein Ständchen.

FAUST.

Zum Teufel send' ich Dich und Dein Schätzchen, das falsche Kätzchen! Vertheidige Dich, spanischer Hund!

RUY PEREZ.
Ei, das will ich, Ritter, und wohl mehr als dies.
STIMME AM FENSTER.
Ruy, mein Ruy, Hilfe, Hilfe, der deutsche Bösewicht ermordet ihn!

Sie fechten. Der Stallknecht fällt.
CASPAR
kommt gelaufen.

Herr, ich bitt Euch, eilt fort; wir sind verloren! Es nahen Fackeln; Edle, Damen, Ritter, Knechte in Menge. Donna Clara de Mendoza, sie hat Alles vernommen, sie eilt hieher, von Rache und bitterm Groll überwallend.

FAUST.

So bleib' ich, Caspar, mein Schwert gesenkt auf diesen blut'gen Leichnam! Rache gegen Rache, Groll gegen Groll, Hohn gegen Hohn! Auch diese Rose also verloren?? –

PEDRONELLA
mit aufgelöstem Haar stürzt über den Leichnam.
DONNA CLARA
kommt mit Gefolge.
Ihr seid es, Don Fernandez? Ei, wie seltsam! –
Wahrhaftig, schöne Damen, edle Ritter,
[183] Die in so später Stund' ich stören mußte,
Ich glaubte nicht zu finden in Castilien
Nur einen solchen anspruchslosen Granden,
Der sich im Stall die Nebenbuhler suchte!

Damen und Ritter bejahen höhnisch.
FAUST.
Madonna, ganz beschämt steh' ich vor Euch,
Nicht läugnen kann ich, weß Eu'r holder Mund mich zeiht. –
Und schöne Damen, edle Ritter, Ihr sollt Richter sein,
Richter der heillos »doppelten Verschuldung:«
»Die treulos« niedere Magd gemeint zu haben,
Dieweil die stolze Herrin schmachten mußte! –
Lebt wohl, Madonna; Eurer Strafe harr' ich morgen!

Ab.
Veränderte Scene [13]
Veränderte Scene.
Oede Gebirgsgegend.

FAUST
auf der Wanderung.

Sein Geist verfolgt mich! ich erschlug ihn am Altar, dieweil er betete; sein Weib verführt' ich, dieweil er vor dem steinernen Bilde des Gekreuzigten sich verblutete. Wie viele hab' ich nun erschlagen? Und die Erinnerungen (selbst die frühen reinen in Blut getaucht) steigen auf wie grimme Geister! – Ich kann nicht weiter; meine Füße knicken; mein todtmüder Leib bricht zusammen. Herbstlich kalt die Nacht; schon erwacht [184] der Sturm; nirgends ein Obdach, als Baum und Busch. Wie lang, o wie lange ist es her, daß mich kein gastlicher Heerd aufnahm? Was ist dies? Mein Kopf stößt sich an ein Gemäuer, eine alte verfallene Klosterkirche? Hu, Kirche! Wär's lieber ein altes Ritter-, Hexen-, Zauber-, Geisterschloß! Wie tapp' ich nun in der Finsterniß nach einem Eingang! Halt, da ist eine Oeffnung. Wer bürgt mir aber, daß ich nicht in ein grauses Verließ hinabstürze, daß ich dort unten in grausiger Tiefe halbzerschmettert langsam mein Leben aushauche? Dein Leben? Elender! Ha, so stürze Dich mit Wollust hinab, dreihundert Klaftern tief in die entsetzliche Kluft; denn nie gab es eine Menschen seele, welcher das Leben ein grimmigerer Feind und Verfolger war!


Er kriecht in die Oeffnung.

Das scheint keine Felsschlucht; ein verfallenes Gemach scheint es zu sein. Fänd' ich hier etwas Stroh, um die zermorschten Glieder nur noch eine müde Nacht zu strecken, vielleicht die letzte!


Legt sich nieder.

Ein hartes Lager für einen, dem das Leben gichterisch-tödtend durch alles Gebein zuckt! Kalter Stein; etwas moderfeucht. Mich friert; nun, so wärme Du mich, mein luftig spanisch Mäntelchen! Süßer Traum, süßer Nachttraum, komm; beglücke mich zum letzten, [185] zum allerletzten Mal. O viel lieber möcht' ich rufen: Süßer Tod! – – Wenn nur nicht – – –


Er schläft ein.
GEISTERSTIMMEN
in einiger Ferne.
Lustig wenn im grünen Maien
Flur mit Blüthen sich bekränzt,
Wenn die Abendröthe golden
Auf den fernen Hügeln glänzt;
Lustig, wenn die Hörner blasen
Lichtbeschwingte Melodieen,
Und die aufgeschürzten Mädchen
Nach der grünen Wiese ziehn.
Grüß Euch Gott, Ihr lichten Matten!
Grüß dich Gott, Du neue Welt!
Grüß Dich Gott, Du frische Jugend
Unter purpurnem Gezelt!
Deine Tempel locken wieder,
Liebenswerthe Priesterschaar!
Himmelswolken Deine Decke,
Baum Dein duftender Altar!
STIMMEN DES ECHOS
in der Ruine um den Schlafenden.
Altar! Altar! Altar!

Gesang fährt fort.

»Und ein Duften ist ergossen,
Quellend aus geweihtem Grund,
[186] Schließend mit des Himmels Flammen
Zauberischen Liebesbund.«
Und die armen Kranken kommen,
Lagern sich im heil'gen Rund,
Und sie macht des Duftes Wehn,
Macht der süße Strahl gesund.

Ach, ein wonnevolles Bangen,
Wo der Andacht Flügel weilt,
Wo ein milder Gottesengel
Unsichtbar Gebrechen heilt!
O der seligen Entbehrung,
Wenn die Schmerzen sind befreit!
O der lieblichen Gewährung,
Wenn die Herzen sind erneut!

Und des Tempels heilige Wölbung
Wird zum freien Lustgefild,
Freistatt der beglückten Herzen
Wird von Melodie erfüllt.
Treue Lieb' braucht keine Weile,
Findet sich auf weitem Plan,
Liebend Paar in stiller Eile
Schließt sich eins dem andern an.

Grüß Dich Gott, Du Schaar der Freude!
Liebliche, Dein Dichter naht.
Deine Spur hat er gefunden,
Ewig folgt er Deinem Pfad,
[187] Deiner Wonnen, Deiner Tänze
Will er stiller Zeuge sein,
Und er hüllt Dein heitres Leben
Sanft in seine Schwermuth ein.

Sieh, da wird's zum frohen Bilde,
Das im Dämmerlichte glüht!
Horch, da wird's zum süßen Liede,
Das der leise Schmerz durchzieht! –
Und Du neigst Dich seiner Stimme,
Wenn es einstmals Dir erklingt,
Wenn es auf erstorbnen Fluren
Dir von Deinem Frühling singt.

Gesang schweigt.
FAUST
im Schlafe nachlallend.
Wenn es auf erstorbnen Fluren
Dir von Deinem Frühling singt. –

Frühling! Frühling! Giebt's denn einen Frühling? Ja, ich finde mich wieder auf der Blumenwiese; ich breche die Blumen, ich zerpflücke in meiner Hand die goldnen Sterne; Dir, Holdeste, streu' ich sie in Deinen Schooß! Cäcilie, Cäcilie, reines süßes Kind! Da kommt der Moder gleich dazwischen – in der Gruft Kröte und Schlange – Wiese wird zum Kirchhof – lichte Blume zum dunklen salpetrigen Gestein! – Wehe, wehe, und die Blutmaske steigt auf, und die ganze Natur erhebt sich; Welt stürzt zusammen, Himmel fällt über mich. – Heiland, wer regt sich hier [188] neben mir? Welch' kalte Hand faßt mir über's Angesicht? Springt schaudernd auf. In der Hölle Namen, Genosse dieses kalten Lagers, Genosse der Finsterniß – – wer bist Du!

STIMME
neben Faust.
Laß mich einmal schlafen; ich bin Ahasverus!
FAUST.
Des Heilands Mörder?
STIMME.
Ahasverus, sag' ich, Ahasverus!
FAUST.
Verfluchter, weich' von meiner Seite!
STIMME.
Von der meinigen weiche, Du drei mal Verfluchter!
FAUST.

Lüge, teuflischere Lüge! Nicht zur Hälfte bin ich verdammt wie Du. Du hast den Heiland verstoßen vor Deiner Thür!

STIMME.

Lüge, noch teuflischere Lüge! Ich werde den Heiland finden dereinst. Du kannst ihn nicht finden, Faust, Faustchen, Faustlein, Faustulus, armseliger Homunculus, Du kannst ihn nimmermehr finden! Denk' an den Guckkasten! Denk' an den Amazonenstrom! Denk' an das Vampyrbild Amanda! Denk' an Rom und die Lagune! –

[189]
FAUST.

Verfluchter ewiger Jude! unwürdigster aller bärtigen Greise, ich sage Dir, ich kann ihn finden. Auf einem Gebirg, nicht mehr weit von hier, steht die unsichtbare Kirche, in welche die verlornen Kinder berufen werden durch ein unsichtbares Glockenläuten; dorthin wandl' ich, gehe hinein zur engen Pforte, falle nieder vor Gott und seinem Sohn. Beide sind gnädig. Hosianna, gnädig ist unser Gott, geduldig, langmüthig und von großer Güte! Es wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße thut. Ich werde den Heiland finden, Ahasverus.

AHASVERUS.

Nein, nein, Faust. Natur herrscht über Dir immer und ewiglich; in der Natur Sata nas. Kannst Du die Natur lassen, Faust? Kann Natur Dich lassen? Nimmermehr, Du wirst den Heiland nicht finden!

FAUST.
Du bist der ewige Jude. Weißt Du nicht, daß Du den Heiland ewig suchen mußt?
AHASVERUS.
Du bist der ewige Zweifler. Weißt Du nicht, daß Du ewiglich an dem Heiland zweifeln mußt?
FAUST.
Laß mich Dein Angesicht schauen, Jude!
[190]
AHASVERUS.
Es ist kein Licht hier, Alles dunkel. –
FAUST.
Wie unser Beider Leben. – Warum endigen wir es nicht?
AHASVERUS.
Wir können es nicht. Das thut Jehovah Zebaoth, der Gott Israels!
FAUST.
Nicht Jehova; es thut's bei Dir der grause Fluch!
AHASVERUS.
Es thut's bei Dir des Erdgeists grimme Macht. Wir Beide werden nicht sterben.
FAUST.
Ich muß Dein Antlitz schauen! Könnt' ich doch aus diesen Steinen Funken schlagen!
AHASVERUS.
Sieh dorthin, Faust, ein Leuchten dringt herauf.

Satan's Angesicht erscheint in der Tiefe.
SATAN.

Mir ist Ihr Wunsch zu Ohren gekommen, meine Herren; Sie begehren stark, einander von Angesicht zu schauen. Bei Himmels Licht ist dies nicht wohl möglich und thunlich; es thut's halt nimmermehr; aber bei meinem Licht wird's sich machen. Nun, so betrachten Sie Sich in Mephisto's Namen, so lange es Ihnen beliebt; ich hab' Zeit und Geduld. Studiren [191] Sie meinethalben den ganzen Weltfluch heraus aus Ihren Runzeln und Leberflecken; ich werde so frei sein und Ihnen leuchten. Zu guter Letzt bezahlt Ihr mir doch Beide die Mühe.


Einjunger Herr erscheint mit Backenbart und Castorhut.
JUNGER HERR.

Um Vergebung infernalische Hoheit, ein solches Schicksal wäre vielleicht bei dem Herrn Fausto, auf welchen ich Zeit meines jugendlichen Lebens nicht allzuviel gehalten, möglich; allein bei meinem lieben Freund, dem Herrn Ahasver, dem charmanten, lieben, coulanten ewigen Herrn Juden, ist dies in der That – bei vorwaltenden Literaturinteressen der aufklärungsvollen Gegenwart – ganz unmöglich. Es thut's nicht; das gute Herz gestattet's nicht! Wofür hätten wir reflectirt, poetisirt, kritisirt, liberalisirt, emancipirt? Wofür hätten wir schöne Damen, welche Soiréen geben, vertraut gemacht mit dem Talmud und mit der Beschneidung? Wofür lebten ich und die ser, und jener und derjenige, und jener selbige und dieserjenige in der Fülle oder Nichtfülle unsrer jugendlichen Kräfte? Wofür wären ich und mein Intimus, wir beiden zartempfindenden Hegelings-Dioskuren, die Welt durchwandert von Pankow bis Helgoland, in aufklärungsdürftiger Raserei:

[192] Ceu duo nubigenae quum vortice montis ab alto Descendunt Centauri!

Wofür hätten wir denn, wir Weltlumina alle, einmal in einer champagnerseligen Ostermeßwoche selig einander die Hände gereicht und geschworen, zu ignoriren, ja, Herr Satanas, zu ignori ren, Alles, was Genie hat, außer uns; zu tauchen in den entsetzlichen Lethestrom ewigster Vergessenheit Alles, was nicht mitemancipiren will in der trägen, weltschmerzhaften, aber dennoch frauen-frühlingsduftigen Gegenwart; nicht mit emancipiren will – die Juden und die Judenjungen, und die Frauen und die Hetären, und die Egoisten und die Aufgeblasenen, und die Narren und die Dümmlinge? Wofür, um es mit einem einzigen Wort zu sagen – – – – – – – –


Junger Herr verschwindet plötzlich, ohne dies einzige Wort gesagt zu haben.
FAUST.

Ahasverus, Deine Züge dünken mich so fern und fremd und uraltvorsündfluthlich, und doch auch so bekannt, so welt- und mir-bekannt. Aber sehr alt bist Du, Ahasverus; mich däucht, schon bemoost sich dein Augenlied, und auf Deiner Nase keimt Schimmel. Wo hast Du Deinen langen Bart, Jude?

AHASVERUS.

Den haben mir die Emancipirjünglinge über Nacht abgeschnitten. Ich soll die Mode mitmachen; [193] ich soll ewig sein, aber auf jung- deutsch ohne Bart. Was Dich betrifft, Faust, Du scheinst so jung und bist so welk.

FAUST.
Das that der Zweifel, Jude. Dich alterte Unglaube, mich der Zweifel.
AHASVERUS.

Du irrst, Faust. Der Zweifel altert nicht, aber der Siroccohauch des Naturgotts Dionysos und die Frauen. Ach die Frauen! Sie richten in den Angesichtern der Jünglinge eine solche grausige Verheerung an.

FAUST.

Natur, immer Natur! Warum Jude, frischest Du in meinem zerstörten Gedächtniß ewig diese Erinnerung auf? Ach und dennoch ist die Natur so süß, so weihevoll und selig, so traumhaft, unwiderstehlich! – O Natur, grausige Medea, warum vergiftest Du Deiner Kinderliebste mit der Milch Dei ner Brüste? Kannst Du mir sagen, Ahasverus, was Leben ist?

AHASVERUS.

Ach kann es, Faust, ich kann's am besten. – Leben ist das Schrecklichste der Schrecken: eines Wanderns Ewigkeit.

FAUST.
Mehr als dies, Jude: eine ewig marternde Versuchung.
[194]
AHASVERUS.

Versuchung? Wurm, warum läßt Du Dich versuchen? Mich, den Unseligwandernden, ficht kein Versucher an und keiner Sünde Maienblüthe. Nur Ruhe, Ruhe, das ist mein ewig Dursten.

FAUST.
Laß uns vereint die unsichtbare Kirche suchen, Ahasver. Mich dünkt, ich höre schon das Läuten.
AHASVERUS.
Ich weiß von keiner Kirche, Faust; nur Ruhe, Ruhe in meinem Grab.
SATAN
im Verschwinden.

Was kümmert mich Dein Grab? Find' es, oder find' es nicht, alter bemooster Judengreis! Aber, daß Er die Kirche nicht erschaue, und das Glockengeläut, wovon er faselt, nimmer vernehme, dafür ist gesorgt. Erkennst Du dies, Faust? Erkennst Du die Blutthat der Lagunen? Wo ist nun Fiordiligi?


Verschwindet.
FAUST.

Wehe, wehe, das ist meine Seele, meine arme Seele in Blut und Feuerflammen, unrettbar verloren! Hinaus, hinaus, verschlinge mich, uralte Nacht! Folge mir nicht, Ahasverus; ich bin unseliger, als Du! –

STIMMEN
über dem Hinauseilenden schwebend.
So lästerst, Armer, Du, und willst in schnödem Wahnsinn
[195] Das heilig-lichte Kreuz mit Juda's Gott verschmelzen?
Kreuz ist das ew'ge Lichtsymbol, Verlorner Du!
Doch Kreuz ist auch Erbarmung, mütterlich- unendliche;
Die nimmt den Geist in ihren hehren Himmel auf,
Wenn Leib zertrümmert; denn die Seele nur zerstöret Satanas –
Geist aber, unverderblich, er erkämpft den letzten Sieg.
Veränderte Scene [14]
Veränderte Scene.
Winterliche Landschaft. Abendliche Landstraße.

FAUST
unter einem Baume hingesunken.

Siehst Du dort jenes einsame Haus herüberleuchten, abendlich-goldig, über die weiße Schneefläche? Dorthin führe mich, mein Diener; dort sei meine letzte irdische Heimath; denn ich fühle, daß ich nun vollenden muß.

CASPAR.

Herr, was redet Ihr vom Vollenden? Ein Mann wie Ihr, dem – mit Verlaub – allstündlich die infernalische Hilfe zu Befehl steht? Ei, nein doch; das ist nur so ein Uebergang, so eine Krisis; es ist mir auch geschehen. Ihr werdet genesen, Herr, wieder neu aufblühen zu neuer Lust – –

[196]
FAUST.

Fluch, ewiger Fluch, Fluch eines Sterbenden sei aller Erdenlust! Schaffe mich fort nach jener Hütte; ich fühle mein Ende nahen.

CASPAR.

Er ist unverbesserlich, mich däucht sehr hypochondrisch. Nun, ich trug in meiner Jugend als rüstiger Müllerbursch wohl drei Mehlsäcke; ich raff' ihn auf meine Schultern und trag' ihn, wohin er will, wie einst der große Christophel mit unserm Heiland that.

Veränderte Scene [15]
Veränderte Scene.
Das Innre einer Hütte, altherthümlich-ländlich.

JUNGES MÄDCHEN.

Legt ihn nur auf jenes weiche Lager, guter Herr; das wird ihn stärken, und ich will ihn treulich pflegen bis daß er genesen ist. Wie leid thut es mir doch, daß Großmutter nicht daheim! Die kommt erst mit morgen aus der Stadt, hat frische Kräuter eingekauft. So, guter Herr, jetzt liegt er bequem. Nun hol' ich die Tropfen.

CASPAR.

Liebes Mädchen, Du bist sehr jung, zart schön und behilflich, und das Alles lohne Dir unser Herrgott. Aber wenn Du einmal die Tropfen holst für meinen armen Herrn, bitte Dich, bring' etwas Speise [197] mit für den Caspar, der, eben so arm, aber weit hungriger ist.

JUNGES MÄDCHEN.
Soll geschehen, Herr; es fehlt uns nicht an Speise.
FAUST
aus der Betäubung erwachend.
Wo bin ich? Weilt an meinem Schmerzenslager schon der Tod?
Ja, ja, ich fühl's, kalt steht er dort, ein grauses Bild,
Und reicht mir aus dem Leichentuch die Knochenhand!
Fahr wohl, mein Leben! Leben? O es war ein Sterben ja,
Ein ewig qualvoll Sterben! Wie so ruhig naht die letzte Stunde nun,
So unerklärlich-friedlich, so still, selig räthselhaft!

Das Mädchen tritt ein.

Wer bist Du, treues, holdes, reines Mädchenbild?
Bist Fiordiligi? Bist die Lilienblum' Cäci lia?
So reizend, lieb und traulich, ach, so gastlich die Gestalt!
Mir scheint, Dein lieblich Wesen hat Natur geformt
Aus den Atomen all der süßen Frauen, die ich einst geliebt.
Tritt her, Du Reine, hier zu Fausti Sterbelager tritt,
Des Zweiflers, Grüblers, des unsel'gen Menschenkinds,
Den früh der grause Blitzstrahl mächtger Weihe traf.
O wie so still und traut in diesem kleinen Kämmerlein!
[198] Die Wanduhr tickert, deutlich hört mein leises Ohr
Das Unrueih läuten. Sanft erglimmt am Fensterlein
Des Spätroths Schimmer durch den grünen Winterzweig
Von Tann' und Vogelbeere, wo, vertieft in winterlich Betrachten, still
Rothkehlchen sitzt, wo kleiner Zwerg Zaunkönig munter hüpft. –
Welch unverhofftes Ende! Also selig, friedvoll schließt
Des Zweiflers Laufbahn? Steht kein dunkler Nachtgeist hier am Lager mir?
Blickt nicht aus düsterm Vorhang Erbfeinds Flammenaug?
Schweben nicht Teufelsfratzen vor des Sterbenden gebrochnem Blick?
Nein, Alles still und ruhig, Alles andacht-gotterfüllt. –
Ist das der Unschuld Lichtmacht? Liebes theures Kind,
Du volle frische Rose, die den Sterbenden an ewiglich Verlornes mahnt –
Tritt her zu Fausto, reiche mir die warme Jugendhand!
JUNGES MÄDCHEN.

Theurer Herr, da sind meine zwei Hände. Aber sie werden Euch wenig helfen von Eurem Uebel. Wollt Ihr aber dieses Elixir nehmen, das Großmütterlein bereitet – das ist das Lebenselixir – davon wird Euer Leib gewiß genesen.

[199]
FAUST.
Er soll nicht, süßes Mädchen. Dich anschauend nur
Will ich verscheiden; denn die Unschuld ist ein starker Hort,
Ein' feste Burg und Waffen für den Sterbenden.
Für Schuld muß Unschuld flehn vor Gottes Thron. –
Wie wohl und kühlig trifft mich Deines Auges Strahl!
Nun, nimm die Bibel, dieses heil'ge Gottesbuch,
Setz' Dich zu meinen Häupten, lies daraus mir vor
Mit heller Stimme, was der Fels der Kirche schreibt,
Nicht Petrus, sondern Paulus, der bekehrte Saul.
Denn aus dem Zweifel geht Erkenntnis glorienhaft hervor;
Das seh' und fass' ich sterbend. Saulus also soll es sein. –
Du aber, Mädchen, schling' um meinen Hals den Lilienarm;
Mit Deines reinen Odems Lebenshauch durchwürze mich,
Damit ich noch ein Weilchen athme auf der dunklen Erdenwelt
Damit ich schauend, trinkend Deiner Züge Lieblichkeit,
Erinnrungsselig schwebe zu dem Himmelreich empor
Auf Fiordiligi's Engelschwingen, auf Cäciliens.
So lies, holdselig Kind, ich lausche Dir. –
JUNGES MÄDCHEN
liest.

»Ich habe es von dem Herrn empfangen, das ich [200] Euch gegeben habe. Denn der Herr Jesus in der Nacht, da er verrathen ward, nahm er das Brot, dankete und brach's und gab's seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset; das ist mein Leib, der für Euch gebrochen wird. Solches thut zu meinem Gedächtniß. Desselbigen Gleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: Nehmet hin und trinket Alle daraus; dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für Euch vergossen ist zur Vergebung der Sünden. Solches thut, so oft Ihr's trinket, zu meinem Gedächtniß. Denn so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt Ihr des Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt. Nun aber ist Christus auferstanden von den Todten, und muß herrschen, bis daß er alle seine Feinde unter seine Füße lege. Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod.« –

FAUST.
Genug, mein holdes Kind! O selig Evangelium!
Der letzte Feind von allen ist der Tod.
Nun sterb' ich selig, von des Heilands Blute mit erkauft –
Der letzte Feind von allen ist der Tod!
EIN ROTHER CAVALIER
tritt stürmisch herein.

Um Vergebung, Herr Faust, Herr Zweifler, Herr Apostat, Herr Renegat, Herr eingeteufelter Naturgeweihter, oder wie Ihr Euch sonst zu nennen beliebt: [201] Der letzte Feind von Allen ist nicht der Tod, sondern das bin ich, ich, Satanas. Erdenwurm, erkennst Du das?


Hält ihm die Schrift vor.
FAUST
im Krampf.
Verruchtes Scheusal, flieh' aus diesem Heiligthum!
(Verlaß nicht meine Häupten, holdes Frauenbild!)
In Deiner Unschuld Lilienkleid hülle mich selbst,
Mich Sterbenden, in Gottes Unschuld, daß nicht jenes Scheusal mich
Ergreif' und fasse; denn nicht ihm gehör' ich an,
Bin Gottes, bin erkauft, wie Du, durch Christi Blut!
Christe, Dich ruf' ich; jetzt in Kreuzes Glanz verkläre Dich!
JUNGES MÄDCHEN.
Ich lass' nicht diesen Mann! In Jesu Namen, Feind,
Beschwör' ich Dich, entweich' aus diesem Heiligthum
STIMME
draußen.
Beschwören? Nimmer! Doch bezwingen werd'ich ihn!
STRAHLENRITTER
mit dem Kreuzesschwert.
Erkennt Ihr mich? Jetzt, Hölle, ficht mit mir!
FAUST
die Arme ausbreitend.
Heiland, wer bist Du?
STRAHLENRITTER.
Du hast das Leben nicht ertragen Faust;
[202] So muß Dein Schicksal immer Dein Verhäng niß sein.
Doch aus des Satans Klauen lös' ich siegreich Dich!
Der Leib dem Teufel; der Natur sei, was natürlich war!
Nimm auch die Seel', Herr Teufel; doch den Geist nehm' ich für mich!
Breit' aus Dein Banner jetzt, das meine flammt
In diesem goldnen Schwerte; jetzo ficht mit mir!
SATAN.
Fluch Dir, Du Arger! Leib und Seele nehm' ich denn,
Und fluchend, knirschend fahr' mit ihnen ich in's Höllenreich.
JUNGES MÄDCHEN.
Er ist verschieden!
STRAHLENRITTER.
Den Geist ergreif' ich, schweb' empor mit ihm
Zum lichten Himmel. Holdes Mädchen, lebe wohl!
JUNGES MÄDCHEN
betend auf den Knieen.
Auferstehn, ja auferstehn wirst Du,
Mein Geist nach kurzer Ruh!
Unsterblich's Leben
Wird, der Dich schuf, Dir geben –
Halleluja!
[203][205]

3. Akt

Dritte Abtheilung:
Kunst.

* Aus dem Kelche dieses Geisterreiches

Schäumt Ihm die Unendlichkeit. *

Schiller.

[206] Schlußtableau.
Die Verklärung.

[206]
Das Innre einer Kathedrale. Vor dem Hochaltar ein Katafalk errichtet, um welchen Kerzen brennen.
Es ist Nacht.
Ein Mönch und ein Verhüllter treten ein.

MÖNCH.
Aus Eurer Hand empfing ich, werther Herr,
Das wunderbar-geheimnißvolle Zeichen,
Wodurch allein man stiller Zeuge wird
Der höchsten Trauer hier um diesen Todten.
Ihr habt den Goldreif mit dem Blutkarfunkel
In meine treue Hand gelegt; hier flammt er noch;
Drum sollt Ihr dieses Todten Antlitz schaun,
Und, Herr, ein solch Vertraun gewähr' ich Euch,
Daß ich im Heiligtum allein Euch lasse
In stiller, tiefer, heil'ger Mitternacht,
In dieses Leichnams wundervoller Nähe.
Gehabt Euch wohl, zwei volle Stunden stehn Euch zu;
Dann kehr ich wieder, Euch zurückzurufen.

Mönch ab.
DER VERHÜLLTE.
Hier stünd' ich nun, umweht von heil'gen Schauern,
Einsam, von heißem Andachtsstrom durchflossen,
Anbetend, in der unsichtbaren Kirche.
Nicht unsichtbar, fürwahr; denn klar und hell,
Obschon in nächt'ge Dämmerung gelegt,
Erblick' ich diese gotterfüllten Räume.
Warum nun unsichtbar? Thor, der Du fragst!
Unsichtbar, unerforschlich und unnahbar
[207] Dem irdisch-blöden Aug' des Weihelosen,
Deß, der dem Leben seine heil'gen Mächte,
Glauben und Dichtung, Andacht und Erkenntniß,
Der Gottesoffenbarung süße Wunder,
Nicht abgekämpft im heißen Lebenskampf.
Ihm aber, der zur Weisheit durchgedrungen,
Zur Qual und Seligkeit geweihter Forschung,
Zum Kern der Liebe, auch zum Kern des Has ses,
Zum Schaun des Geistes und zu höchster Ahnung
Deß, was im Fleisch der Geist noch offenbart,
Was in der Erdenhülle er nur darstellt,
Umflossen noch von irdischbanger Schwüle –
Ihm, der die große Scheidung hat vollendet,
Die unermeßlich qualenreiche Scheidung
Des Scheins und Wesens, die sich dennoch einen,
Auf des Gedankens Atlasschulter ruhend –
Ihm ist nicht unsichtbar dies Gotteshaus,
Nein: sichtbar, und es nimmt der lichte Tempel
Den Suchenden in sein Geheimniß auf.
Nacht ist ihm Licht, und Sterne, heiliggroß,
Tauchen hervor aus Firmamentes Nächten,
Zu leuchten ihm auf seiner heil'gen Wallfahrt.
So steh' ich hier und danke unter heißen Thränen Dir,
Du hoher Himmel, Gottheit, die dort ewiglich im Lichtreich thront,
Dir Vater, Sohn und heiliger Geist, Erleuchtende!
Leben, Du schweres, qualenreiches, dennoch seliges,
Dir dank' ich, daß Du weise mich hieher geführt,
Und Dir, Du aller Lebenswunder allerheiligstes,
[208] Im Staube lieg' ich hier und bete Dich in Wonne an
Lichtheilig Lilienblumenkreuzeswunder – Poe sie!

Kniet vor dem Katafalk nieder.
Ein anderer Verhüllter naht, von demMönch geleitet.
MÖNCH.
Auch Ihr reicht mir das Zeichen? Wunderbar, höchst wunderbar!
Doch nicht verschließen kann ich Euch des Domes Heiligthum,
Doch solch ein Kleinod bürgt für Eure Würdigkeit.
VERHÜLLTER
naht sich dem Katafalk.
Hernieder schwebt von Himmels sel'ger Höh
Die ew'ge Lampe; Weihrauchdüfte wogen seliglich,
Und Kerzen, anzuschaun wie lichte Sonnen,
Verbreiten ringsum höchsten Gnadenschein.
Dir nah' ich, heil'ger Schläfer. Nimmermehr,
Ich weiß es wohl, erweckt Dich meine Andachtschmerzensgluth.
Dubist gestorben! Und für mich gestorben, Seligster,
Ja für uns Alle, die die Welt im Lichte schaun,
Und Gott im Geiste. Offenbarungsflamme dringt
Aus Deiner nun entseelten Hülle Lieblichkeit.
Könnt' ich nur einmal, einmal nur Dein Antlitz schaun,
Verklärter Dulder, der die Sünde trug der Welt
Und des Gedankens heiße Höllenfahrt
Und Zweifels Irrsal! – Solches aber wehrt der Geist.
Drum im Gebet nur eint sich Deinem Geist der meinige.

Kniet nieder.
[209] Es treten nach und nach mehre verhüllte Gestalten in den Dom, die beim Hochaltar niederknieen und beten.

Gesang der Chorknaben.

Stabat mater dolorosa

Juxta crucem lacrimosa,

Dum pendebat filius,

Cujus animam gementem

Constristatam ac dolentem

Pertransivit gladius! –


PONTEFEX
betritt den Hochaltar.
Ihr Hingesunknen in Gebet und Andachtgluth,
Gelöst habt Ihr Euch Alle durch des Geist's Gewalt,
Durch des Demanten unvergänglich Lichtsymbol.
So hebet nun die Häupter auf zu mir, dem Pontifex,
Die Gramgebeugten. – Auferstehung, Würd'ge, künd' ich Euch,
Der Gottheit Priester, dieses Heiligthums Metropolit.
Vor Allem aber frag'ich Euch im Namen dieses Todten hier
Glaubt Ihr an Gott, den Heiligen, Dreieinigen?
Glaubt Ihr, daß nur in ihm allein die Welt bebesteht?
Glaubt Ihr, daß Tod durch Geistes Leben ewig überwunden ist?
Glaubt Ihr, daß des Gedankens Macht die höchste sei?
DIE VERHÜLLTEN.
Wir glauben's, und in diesem sel'gen Glauben sterben wir.
PONTIFEX.
So hebt empor Euch, fasset mit geweihter Hand
[210] Des Bahrtuchs goldne Spitzen, schaut zu mir empor!
PONTIFEX.
Im Namen des Gedankens und der hehren Kunst:
Der Heil'ge, der hier schlummert, Alle kennt Ihr ihn.
Was sollt' ich nennen seinen Namen? Sein Exequium,
Das heil'ge, zu vollbringen, darum steh' ich hier.
Und in Erinnrung sei begründet dies Exequium,
Im Einstmals selber des nunmehr Geläuterten.
Erschlossen als ein großes ew'ges Bibelbuch
Liegt vor Euch dieses Todten einzige Vergangenheit.
Darin zu lesen, in der Stunde tiefster Mitternacht
Sie nach zudenken, dazu fordr' ich Euch, Geweihte, auf! –
Er ward geboren. Denket nach dies innerlichst geheime Wort!
Was ist Geburt? Das Menschendaseins ewige Voraussetzung,
Geknüpft an einen einz'gen dunklen Werdeaugenblick.
In's Leben trat er. Was ist Leben? Dieses kündet mir!
DIE VERHÜLLTEN
in dumpfen Tönen recitirend.
»Was ist Leben? Trug der Sinne!
Was ist Leben? Hohler Schaum!
Ein Verblühen beim Beginne,
Ein Phantom, ein Schatten kaum.
Wenig kann das Glück uns geben;
Denn ein Traum ist unser Leben,
Und die Träume selbst sind Traum.« –
[211]
PONTIFEX.
Ein Träumen, meint Ihr, sei das Leben? Ja, ein Träumen ist's.
Doch nur als Leben, wisset, ist das Leben Traum,
Als Leben, das gelebt wird; aber aufgenommen erst
In ew'ge Hütten der Vergangenheit,
Verschlungen erst von ew'gen Geistes Allgewalt,
Ergriffen erst von des Gedankens heiliger Unendlichkeit,
Zurückgegeben erst der Menschheit als ihr Eigenthum,
Als ewige Geschichte ihrer selbst, der ewigen –
Ist Leben kein Traum. Solches kündet Euch durch mich der Geist.
In solches Leben nun, das irdisch und vergänglich zwar,
Doch ewig ist dereinst, in dieses trat der nun Entschlafne ein.
Doch an des Lebens Schwelle merket, da empfing ihn schon der Tod,
Und mit der dunklen Geisterhand ergriff ihn die Natur.
Auch dieses Räthsel mir zu lösen, fordr' ich Euch, Geweihte, auf:
Was sei der Tod, zu künden, was Natur.
DIE VERHÜLLTEN.
Tod ist die stille Zuflucht nach des Lebens Stürmen;
Die aber schickt den grimmen Tod, das ist Natur.
PONTIFEX.
Im Irrthum sprecht Ihr Wahrheit; aber tiefer noch,
Hinab in tiefste Tiefen führe Euch der Forschergeist!
Denn Tod, Ihr Schüler, ist des Lebens Einschlag nur,
Und die Natur, ihn bergend, birgt das Leben auch;
[212] In tiefer Liebesehe beider blüht des Lebens Wahrheit auf.
Darum ist Tod ein ewig Bilden in des Lebens Herrlichkeit,
Leben ein ewig Bilden in des Sterbens Glorie.
So zwischen beiden Sonnen wandelnd, lebt und stirbt der Mensch;
Und so ergriff ihn, der geworden war, gleich die Natur.
Des Geistes Denken, ihm erblüht's in einer Todtengruft,
Auf graus'gem Kirchhof, wo uralte Nacht die Geister weckt.
Bei Mondes Zwielicht, über holdestem Gebein
Süßer Geliebten, über deren Leib nun Eidechs kraucht.–
Aus diesem Moder stieg ihm seines Denkens Blume;
Uns Allen aber steigt sie aus Verwesung auf.
Nur daß das Denken selber nicht verwese,
Ist höchste Macht des Denkens; niederwärts
Zu steigen in das Grab und glorreich zu erstehn.
Hier aber, hier, in diesem höchsten Weiheaugenblick,
Umstrickte ihn für ewig, gräßlich, tückisch die Natur
Und warf ihn an des Erdgeists nächt'gen Busen.
DIE VERHÜLLTEN.
Weh', weh'! Und diese schaurig-nächt'ge Einigung
Mit Eisesschlag des Todes traf sie sein gewaltig Herz.
PONTIFEX.
Sein Name, Brüder, werde nicht so oft im Geist genannt!
[213] Ruhe den Todten, bis die Stunde der Verklärung naht!
Ich künd' Euch Andres, da Ihr so im Geist versammelt seid:
Erfüllt von unaussprechlich-tiefer Lockung ist Natur,
Ein heitrer, sel'ger, klarer Schauplatz; bald ein nächtiger.
An einem Bächlein, winz'gem, wandelt still der Scheinpoet,
Bespiegelnd in dem Bächlein sich und seine Eitelkeit,
Sein süßlich duftend Antlitz, wie der griechische Narcissus einst.
Und wie nun also um des Scheinpoeten süßlich Wesen rings herum
Die Schafgarb' blühet, und der Erdrauch und der Löwenzahn
Und Gänseblümleins, Primelchens solide Würzigkeit,
Und Ginster, Augentrost und nüchtern Unkraut:
So, ganz auf diese nüchtern-blüh'nde Weise
Formt sich in dem Poetlein die Betrachtung:
Recht innig, süßlich, häuslich und narcißhaft,
Recht selig-wonnig, immerfort betrachtend,
Wohl mehre Stunden lang, bis daß die Kühlein
Daheim ziehn, läutend, nach der Futterkrippe.
Mit diesen Kühlein ziehet heim Poetlein,
Als welches solcherweis' nun ausbetrachtet,
Und stärkt den Leib daheime, das Poetlein,
Nachdem der Geist am Erdrauch sich gestärket.
Und Verslein recitirt im Heimgehn das Poetlein,
Und, Verslein sprechend, stülpt es auf die Nachtmütz'.
[214] O holde Nachtmütz', holderes Poetlein!
Wie aber lockt Natur den Geisteszögling?
O grauser Reiz! höchst schöpferisches Dulden!
Wie lockt Natur den geistdurchdrungnen Dichter,
In dessen Nerven wühlt und schäumt das Denken
Und furchtbar großer Dichtung Zeugungswunder?
Strom wird der Bach, ergießend sich in Meerfluth,
Wird niedre Blum' zur hohen Cactussäule,
Wird Weidenbaum zu Urwalds mächt'gen Riesen,
Wird Ginsterblüth' zur Riesenlotusblume,
Wird schlängelnd Eidechslein zum Alligator,
Wird sanfter Wind, der Liesens Windeln trocknet,
Zum Donnersturm, der den Maranhon aufwühlt,
Wird Abendläuten zu Gewitters Sturmgeläut,
Wird Lichtlein in der Hütte zum gewalt'gen,
Zum allverschlingenden Brand des Weltgebäudes.
Hinsinkt der Dichter, ganz von Gluth umflossen,
Zerwühlt sich fort und fort in Angst und Zweifel,
In grausem Denken, in noch graus'rer Dichtung,
Und dichtet, denket, grübelt, zagt und jammert,
Und flucht zuletzt und wirft sein ganzes Wesen,
Das brausende, an's dunkle Herz des Erdgeists,
Der mit ihm niederfährt zu Weltalls Nadir,
Zum Chaostempel, wo die Wasser brausen
Und Flammen werden. Lebe wohl nun, Heimath
Und Herzens stiller Friede! – – Doch was künd' ich Euch das?
Geweihte seid Ihr, habt bestanden selbst die Niederfahrt! –
[215] Und so in's Leben stürzt er wiederum, ein dunkler Geisterseher,
Und Leben faßt ihn dunkel, wie Natur einst,
Und gräßlich, und in Lebens Schooße selbst
Spukt ihm Natur, ein durst'ger Vampyrti ger,
Durstig nach Dichters Herzblut. Armer Dichter,
Zerwühlter Dulder, schirme Dich die Gottheit!
Sie aber wohnt da droben über Wolken
Und birgt sich, wie der alte Gott Jehovah,
Und schweigt und scheint zu schlummern; doch aus Nächten
Hervor streckt Satan nun sein flammend Antlitz,
Satan, der Menschen Erbfeind und Verderber.
Da aber zittern leis die bleichen Gräser,
Und Mondesbild birgt sich in tie fes Dunkel,
Und höhnisch kichern nachtum hüllte Blätter,
Und unter'm Hügel grollen die Gebeine. –
DIE VERHÜLLTEN
dumpf und traurig.
Und Wehe, Wehe zittert durch die Lüfte,
Und Wehe, Wehe seufzt herauf aus Schlünden,
Und Wehe, Weh' stöhnt's durch die weite Schöpfung!
PONTIFEX.
Und Satan übet seine feige Herrschaft
Und führt, in's Leben nicht, nein in des Lebens Nachtstück
Den Dichter, den von grimmer Gluth Entbrannten.
Und in des Weibes nächtig-dunklem Liebreiz
Pflanzt Satan auf die Schwefelhöllenfahne,
[216] Und in des Weibes schaudernde Umarmung
Da stürzt er hin den schaudernden Poeten
Und dringt ihm ab auf sturmdurchwühlter Meerfluth
Der armen Seele grasse Blutverschreibung
Und führt ihn in das Brautbett eines Leichnams. –
DIE VERHÜLLTEN.
Und wehe, wehe! von gespenst'ger Liebe
Qualvoll entbrannt, begehrt der Unglücksel'ge
Erweckung dessen, was im Meer ertränkt ward,
Und Satan thut's und wecket auf den Leichnam.
PONTIFEX.
Füllt dann, anstatt mit ew'ger Liebesflamme,
Des Armen Herz mit Langweil' und mit Ekel;
Und aus des Ekels innerster Verzweiflung,
Aus ew'ger Wandlung des Gelüsts in Abscheu
Gestaltet sich die Sünde und der Mord.
DIE VERHÜLLTEN.
Und aus dem Mord gebiert sich die Verdammniß.
PONTIFEX.
Da aber, weil die Kunst des Lebens täuschte,
Entfaltet sich die heil'ge Kunst des Sterbens
In stiller, angestammter Werdegröße.
Und in der Hütte abendlichem Dunkel,
Beschirmt von einer Jungfrau lichter Unschuld,
Beim leisen Schlag der träumerischen Wanduhr,
Verscheidet er im Glauben und im Schauen,
Wiedergeboren zu der Gottheit Leben,
Durchdrungen von der Wonne der Erkenntniß. –
[217]
STIMMEN DER CHORKNABEN.
Hosianna, Gott erscheinet!
Nun hat mein Auge g'nug geweinet,
Der Himmel öffnet sich vor mir!
DIE VERHÜLLTEN.
Da aber naht auf Zehen tückisch Satan,
Und höhnend fordert er die Todbeglückte,
Die in dem Sterben sel'ge Dichterseele –
Die Seele sammt dem Leib, die ihm verschrieben.
PONTIFEX.
Doch Halleluja! tönt des Retters Stimme,
Des Ritters, Retters, Rächers Donnerstimme:
Verdammt sei Leib und Seel' – Geist ist ge rettet! –

Die Verhüllten fallen auf die Kniee; aus dem Sarkophag erhebt sich eine Lichtgestalt, der Dom erschallt von Halleluja.
[218]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wolfram, Hermann Ludwig. Dramatische Dichtung. Faust. Faust. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AABB-6